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Full text of "Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur"

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BEITRÄGE 


ZUR 


GESCHICHTE  DER  DEUTSCHEN  SPRACHE 
UND  LITERATUR. 


UNTER     MITWIRKUNG     VON 
HERMANN  PAUL  UND  WILHELM  BRAUNE 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

EDUARD   SIEYERS. 


XXIII.  BAND. 


HALLE  A.  S. 

MAX    NIEMEYER 

77/78  GR.  STEINSTRASSE 
1898 


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INHALT. 

Seite 

Ueber  Hartmaun  von  Aue.    Von  F.  Sara n 1 

Aüglosaxonica.  IV.    Von  P.  J.  Cosijn 109 

Die  dehnimg-  der  mhd.  kui'zen  stammsilbenvocale  in  den  volks- 
mundarten   des  hocbdeufschen  Sprachgebiets  auf  grund  der 

vorbandeneu  dialektliteratur.    VouA.  Kitzert 131 

Kleine  beitrage  zur  deutseben  Wortforschung.  Von  B.  Liebicb  223 
Zur  altwestfriesiscben  lexikologie.    Von  W.  van  Helfen   .    .    .    232 

Zu  Beitr.  22,  543  ff.    Von  E.  Zupitza 237 

Gotes.    Eine   bemerkung    zur    altdeutschen    Wortstellung.    Von 

I.  Harczyk 240 

Zum  NaiTenscbiff.    Von  A.  Goetze 245 

Brunhildenbett.    Von  W.Braune 246 

Aprikose.    Von  W.  Hörn 254 

Zu  den  labialisierten  gutturalen.    Von  Th.  Siebs 255 

Ueber  die  ausgäbe  der  Bevers  saga.    Von  G.  Cederschiöld  .    .    257 

Grammatisches  und  etymologisches.    Von  H.  Hirt 288 

(I.  Zum  ablaut  der  set -wurzeln:  s.  288.  —  11.  Zur  Vertretung 
der  labiovelare:  8.312.  —   DI.  Zu  den  t-praesentien:  s.  315. 

—  IV.  Zur  Chronologie  germanischer  lautgesetze:  s.  317,  — 
V.  Zum  spirantenwecbsel  im  gotischen :  s.  323.  —  VI.  Zu  den 
germ.  lehn  Wörtern  im  slaviscben  und  baltischen:  s.  330.  — 
Vn.  Etymologien:  s.  351) 

Studien  zu  Reinfried  von  Braunscbweig.  Von  P.  Gereke  .  .  358 
Der  a-umlaut  und  der  Wechsel  der  endvocale  a  :  i{e)  in  den  alt- 

nord.  sprachen.    Von  A.  Kock    .    . 484 

(I.   Der  Wechsel  der  endvocale  a:i(e):   s.  484    [Ekcui*s  1: 

Der  Wechsel  u  :  o  im  part.  pass.  der  ostnord.  sprachen :  s.  503. 

—  Excurs  2:  Zur  frage  nach  dem  palatalumlaut :  s.  506].  — 
n.    Zur   frage   nacli   dem   a-umlaut   von  u  iu  den   altnord. 


INHALT. 

Seite 

sprachen:  s.  511  [Excurs:  Die  behaudhmg-  des  gerra.  diphthougs 

eu  und  der  Wechsel  iü  :  iü  in  den  altnord.  sprachen:   s.  532]. 

m.  Zur  frage  nach  dem  o- Umlaut  von  i  in  den  altnord. 

sprachen:  s.  544) 
Die  Chronologie  des  Übergangs  von  germ.  e  zu  i  vor  v  -f-  k,  g,  y. 

Von  K.  Helm 556 

Meerrettich.    Von  J.  Hoops 559 

Werwolf.    Von  A.  S.  Napier 571 

Zum  Opus  imperfectum.    Von  W.  Streitberg 574 


UEBER  HARTMANN  VON  AUE. 

Die  ergebnisse  meiner  dissertation  •Hartmann  von  Aue  als 
l}Tiker'  (Halle  1889)  sind  in  den  letzten  jähren  von  verschie- 
denen Seiten  her  angefochten  worden.  F.  Vogt  hat  in  einer 
eingehenden  besprechung  (Zs.fdi)h.24,237)  mancherlei  bedenken 
erhoben.  Andere  machte  dann  E.  Henrici  im  Jahresber.  f. 
germ.  phil.  13,  263  geltend,  und  neuerdings  hat  noch  A.  Schön- 
bach  in  seinen  Untersuchungen  über  Hartmann  von  Aue  (bes. 
s.  343  ff.)  meine  arbeit  einer  scharfen  kritik  unterzogen. 

Obwol  ich  trotzdem  nach  wie  vor  überzeugt  bin,  dass  die 
resultate  meines  buches  in  allem  wesentlichen  unerschüttert 
stehen,  so  wiegt  doch  nicht  weniges  von  dem  was  jene  gelehiten 
beibringen,  schwer.  Es  sind  von  ihnen,  besonders  von  Vogt, 
in  der  tat  mängel  meiner  beweisführung  bloss  gelegt  worden, 
so  dass  eine  ergänzung  am  platze  ist,  wenn  anders  die  ergeb- 
nisse  der  arbeit  bestehen  bleiben  sollen. 

Aus  anderen  gründen  empfiehlt  es  sich,  die  Untersuchung 
übei-haupt  noch  einmal  aufzunehmen,  wenigstens  zum  teil. 
Diese  gründe  sind  vorzugsweise  rhythmischer  natur.  Ich 
stand  1889  in  dieser  beziehung  auf  einem  Standpunkt,  den  ich 
jetzt  nach  mehrjährigem  Studium  der  musikalischen  und 
poetischen  i'hythmik  als  ungeniigend  erkannt  und  darum  ver- 
lassen habe.  Aendert  sich  auch  —  wie  ich  vorweg  bemerken 
will  —  bei  der  neuen,  richtigeren  betrachtung  an  dem  schluss- 
resultat  nichts  von  belang,  so  ist  es  doch  notwendig,  bei 
besserer  einsieht  das  finihere  nachzuprüfen. 

Ich  habe  in  meiner  schritt  von  1889  nachzuweisen  ver- 
sucht, erstens  eine  Chronologie  der  lieder  Hartmanns  und  des 
er-sten  büchleins  (H.'s  klage),  zweitens  die  unechtheit  des  so- 
genannten zweiten  büchleins,  des  künstliclien  Schlusses  des 
ersten  und  weniger  lieder,  die  schon  andere  ^'ur  mir  beanstandet 

Beiträge  zur  geschlchte  der  deutacheu  epracUe.     XXIII.  1 


2  SARAN 

haben.  Diese  ergebnisse  zu  sichern  werde  ich  im  folgenden 
meine  frühere  Untersuchung  ergänzen,  wo  es  nötig  ist,  und 
verteidigen,  wo  ich  gegenüber  Vogt,  Henrici  und  Schönbach 
im  recht  zu  sein  glaube. 

Die  lieder. 
I.   Zur  kritik  und  erklärung. 

Vogt  tadelt  a.  a.  o.  s.  241  die  weitgehende  Zerlegung,  die 
ich  mit  den  liedern  Hartmanns  vorgenommen  habe.  In  der 
tat  ist  das  was  ich  H.  v.  A.  s.  5  ff.  darüber  vortrage,  einzu- 
schränken und  zu  berichtigen. 

Schon  Lachmann  hat  zu  Walther  53,83  und  74,20  da- 
rauf hingewiesen,  wie  schwer  es  ist,  aus  den  Strophenreihen 
die  die  handschriften  überliefern,  lieder  mit  einleuchtendem 
gedankenf ortschritt  herzustellen.  Dann  hat  besonders  Wil- 
nianns,  Zs.  fda.  13,  229  ff.  auf  diesen  punkt  geachtet:  er  zerlegt 
einige  der  lieder  Walthers,  die  Lachmann  angenommen,  A\1der 
in  einzelne  von  einander  unabhängige  Strophen.  In  seiner 
ausgäbe  des  dichters  (2.  aufl.)  s.  61  sagt  er  darüber:  'fi^eilich 
stehen  zuweilen  einzelne  Strophen  mit  anderen  desselben 
tones  nicht  in  unmittelbarem,  engeren  Zusammenhang,  aber 
sie  können  doch  zugleich  mit  diesen  entstanden  und  vor- 
getragen sein.  Der  fall,  dass  zwei  selbständige  in  sich  ab- 
geschlossene lieder  nach  derselben  weise  gehen,  begegnet  nur 
einmal:  63,8  und  112, 17'.  Nur  zuweilen  also  fehlt  nach  Wil- 
manns  der  Zusammenhang.  Dies  und  der  umstand,  dass  es 
Lachmann  (ifters  für  nötig  hält  die  überlieferten  strophen 
gegen  alle  handschriftliche  autorität,  rein  nach  eigenem  er- 
messen anzuordnen,  und  dass  dann  Wilmanns  mehrfach  solche 
lieder  Lachmanns  wider  zerschlagen  muss,  beweist,  dass  beide, 
Lachmann  sowol  als  AVilmanns,  an  die  reihe  der  überlieferten 
Strophen  eines  tones  zunächst  den  massstab  dessen  anlegen 
was  man  heutzutage  unter  einem  liede  versteht.  Andernfalls 
hätten  versuche  sie  zu  ordnen  keinen  zweck.  Offenbar  fordert 
Lachmann  für  die  strojdien  eines  tones  inneren  zusaunnenhang 
und  gedankenf  ort  seh  ritt.  Wo  sich  ein  solcher  aus  der  über- 
lieferten folge  nicht  ergibt,  sucht  er  durch  mnstellung  nach- 
zuhelfen. Erst  wenn  auch  dies  mittel  versagt,  entschliesst  er 
sich,  solche  strophen  von  den  andern  zu  trennen.    Diese  fälle 


UEBER  HARTMANN   VON   AUE.  3 

AA^erden  im  druck  durch  breiten  Zwischenraum  kenntlich  ge- 
mächt. 

Er  und  Haupt  verfaliren  in  MF.  ganz  ebenso.  Ich  glaube 
nicht  dass  man  beider  absiebten  verkennt,  wenn  man  annimmt : 
die  Strophen  eines  tones  welche  im  druck  eng  an  einander 
geschlossen  sind,  soll  der  leser  als  einheitliches  lied  mit  be- 
stimmtem gedankenfortschritt  ansehen,  wenn  dieser  auch  oft 
schwer  zu  erkennen  sein  mag.  Nur  diejenigen  Strophen  stehen 
ausserhalb  des  Zusammenhanges,  welche  auch  im  text  isoliert 
bleiben.    Vgl.  Hartm.  206, 10.  208, 32.  210,  35—211,  8. 

So  fassen  auch  diejenigen  die  Sachlage  auf,  die  im  anschluss 
an  MF.  Untersuchungen  angestellt  haben.  Denn  die  zahlreichen 
vorschlage,  hier  die  Strophenordnung  zu  verändern,  dort  eine 
oder  mehrere  Strophen  selbständig  zu  machen,  haben  doch  nur 
dann  einen  sinn,  wenn  ihre  Urheber  von  eben  den  Voraus- 
setzungen ausgehen,  die  ich  oben  betreffs  der  ausgäbe  an- 
genommen habe. 

Gerade  diese  tatsache  nun,  dass  so  häufig  anlass  ist,  über 
umfang  und  gedankengang  von  minneliedern  zu  schwanken, 
lehrt,  dass  Lachmanns  und  Haupts  ausätze  nicht  überall  über- 
zeugen, dass  nicht  immer  ein  gedankenfortschritt  in  den 
Strophen  aufgefunden  werden  kann,  die  der  text  von  MF.  in 
der  weise  eines  liedes  zusammenstellt.  Diese  erkenntnis  hat 
Paul  zu  der  ansieht  geführt,  die  er  Beitr.  2,  510  ff.  ausspricht. 
Er  macht  hier  den  mangel  an  innerem  gedankenfortschritt 
geradezu  zum  princip  der  mhd.  IjTik.  'Die  lieder  Eeinmars 
■wie  die  der  meisten  minnesinger  haben  in  der  regel  keine 
durchgeführte  gedankenent Wickelung.  Ein  logischer  zusammen- 
liang  zwischen  den  einzelnen  Strophen  ist  sehr  oft  kaum  oder 
gar  niclit  zu  bemerken,  jede  strophe  könnte  für  sich  ein  ganzes 
bilden,  w(jher  es  auch  kommt,  dass  die  liss.  in  der  strophen- 
ordnung  so  oft  von  einander  abweichen.  Wenn  Avir  überall 
da.  wo  der  zusauniieiiliang  fehlt,  teilen  wollten,  so  würden  wir 
noch  eine  menge  eiustropliiger  lieder  bekommen.  Aber  schwer- 
licli  w  iirde  dies  verfahren  richtig  sein.  Wir  müssen  vielmehr 
annehmen,  dass  auch  solche  eines  inneren  Zusammen- 
hanges entbehrende  Strophen  doch  äusserlich  zu 
einem  liede  aneinandergereiht  waren,  d.h.  zusammen 
vorgetragen  wurden.    Ueber  den  umfang  und  die  grenzen 


4  SARAN 

eines  solchen  liedes  in  jedem  einzelnen  falle  zu  entscheiden, 
haben  Avir  kein  mittel  mehr.' 

Das  was  die  Strophen  zu  liedern  zusammenhält,  ist  also 
nach  Pauls  ansieht  mehr  der  äussere  umstand  dass  sie  zu- 
sammen yorgetrao'en  wurden,  als  das  band  des  gedankens. 
Die  gleichheit  in  strophenbau  und  melodie  hat  seiner  meinung 
nach  mindestens  eben  so  grosse  bedeutung  für  das  verketten 
einzelner  Strophen  zu  einem  ganzen  wie  der  Inhalt.  Vgl.  auch 
Paul,  Waltherausgabe-,  einl.  s.  24.  Schönbach,  Untersuchungen 
s.  357  stimmt  ihm  darin  bei.  Folgerechter  weise  hätten  unter 
diesen  umständen  anordnungsversuche  nur  sehr  bedingten  wert. 

Wie  weit  Pauls  ansieht  richtig  ist,  kann  nur  die  durch- 
arbeitung  eines  grossen  materiales  ergeben.  Jeder  minnesinger 
muss  einzeln  darauf  hin  geprüft  werden.  Für  Hartmann  bin 
ich  jedenfalls  in  der  annähme  von  völlig  selbständigen  einzel- 
strophen  zu  weit  gegangen.  Ich  glaube  jetzt,  dass  zusannnen- 
hang  von  Strophen  eines  tones  beabsichtigt  sein  kann,  auch 
wenn  ein  eigentlich  logisch  greifbarer  fortschritt  der  ge- 
danken  nicht  zu  linden  ist.  Ich  halte  es  darum  nicht  für  richtig, 
dass  Bech  in  der  dritten  aufläge  seines  zweiten  bandes  meinem 
Vorgang  öfters  genau  folgt  und  die  Verbindung  in  mehreren 
tönen  auch  äusserlich  gänzlich  löst.  Er  versieht  Strophen  die 
ich  abgesondert  habe,  mit  besonderen  nummern  und  einleitungen 
(z.  b.  211,  2  ff.  206, 19  ff.  205, 1  ff.  209.  25  ff.)  und  verleiht  ihnen 
dadurch  grössere  Selbständigkeit  als  der  dichter  wirklicli 
gewollt. 

Dass  die  weitgehende  Zerlegung  der  töne  von  MF.  zu 
unwahrscheinlichen  conseciuenzen  führen  würde,  habe  ich 
übrigens  selbst  schon  während  des  druckes  meiner  arbeit  er- 
kannt und  darum  die  im  text  vorgetragene  ansieht  nach- 
träglich in  einer  anmerkung  etwas  verändert  (H.  v.  A.  s.  13 
unten).  Ich  schlage  dort  für  Strophenreihen,  deren  glieder 
sich  im  Inhalt  folgerichtig  aneinander  anschliessen,  gegen 
einander  also  unselbständig  sind,  den  namen  strop henke tte 
vor.  Solche  deren  glieder,  wenigstens  gegen  einander,  selb- 
ständig sind  und  nur  durch  die  beziehung  auf  ein  gemeinsames 
thema  zusammen  hängen,  nenne  ich  Strophenkreis.  Die 
Zusammengehörigkeit  muss  in  allen  fällen  kenntlich  gemacht 
werden;  zum  besseren  Verständnis  würde  es  aber  dienen,  wenn 


UEBER    HARTMANN    VON    AUE.  5 

sich  ein  nicht  zu  auffallendes  mittel  finden  Hesse,  fiio;ung-en 
der  zweiten  ai-t  auch  im  druck  anzudeuten.  Der  leser  bleibt 
dann  über  den  mang-el  streng-  logischer  folge  keinen  augen- 
blick  im  zweitVl  und  verliert  seine  zeit  nicht  mit  unnützen 
constructionen. 

Eis  ist  zweckmässig,  einmal  rein  theoretisch  die  Verhält- 
nisse aufzustellen,  welche  im  inhalt  zwischen  den  Strophen 
eines  tones  obwalten  können.  Wie  viele  von  diesen  logischen 
möglichkeiten  wirklich  praktische  bedeutung  haben,  kann  nur 
die  einzelforschung  ermitteln.    Es  sind  folgende. 

I.  Die  Strophen  eines  tones  enthalten  einen  durch- 
laufenden ged ankengang  (strophenketten). 

a)  Die  gedanken  schreiten  streng  an  einander  geschlossen 
vorwärts,  eine  Strophe  nimmt  den  gedanken  da  auf,  wo  ihn 
die  vorausgehende  hat  fallen  lassen.  So  ]\IF.  218.  5  oder  Walth. 
39. 11.  Jede  einzelne  Strophe  ist  also  in  hohem  grade  unselb- 
ständig. 

b)  Die  Strophen  geben  gleichsam  nur  die  hauptmomente 
einer  handlung,  eines  gedankenganges  oder  stimmungs  verlauf  es. 

Das  dazwischen  liegende  ist  als  minder  wesentlich  fort- 
gelassen, kann  aber  bei  aufmerksamer  lectüre  ergänzt  werden.. 
Auch  hier  ist  ein  regelmässiger  f ortschritt  vorhanden,  nur  dass 
er  nicht  continuierlich,  sondern  sprungAveise  erfolgt. 

Die  Strophen  solcher  reihen  sind  gegen  einander  minder 
unselbständig,  sie  können  sogar,  isoliert  betrachtet,  oft  ab- 
geschlossen scheinen. 

Zu  dieser  kategorie  geh()ren  z.  b.  Wechsel  Avie  MF.  4, 17. 
8, 1  —  9,  29.    Beispiele  bei  Hartmann  Avei'de  ich  unten  erörtern. 

c)  Formen  die  sich  aus  a)  und  b)  mischen.  Hier  sind 
combinationen  verschiedener  art  denkbar. 

IL  Die  Strophen  eines  liedes  enthalten  keinen  durcli- 
laufenden  g  e  d  a  n  k  e  n  g  a  n  g  (strophenkreise). 
a)  Die  stroi)hen  sind  ihrem  inlialt  nach  völlig  unabhängig 
von  einander.  Jede  hat  ein  besonderes  thema.  Dass  fälle 
dieser  art  vorkommen,  ist  mir  etwas  zAveifelhaft.  Sclnverlich 
hat  je  ein  minnesinger  stiophen  von  ganz  hetei-ogeneiii  inlialt 
in  ein  lit^d  zusammengepferclit. 


6  SARAN 

b)  Die  Strophen  sind  völlig-  selbständig  und  abgeschlossen, 
entspringen  aber  insgesammt  demselben  ereignis  oder  derselben 
Stimmung.  Im  übrigen  ist  der  Inhalt  verschieden,  ein  gemein- 
sames thema  nicht  naclnveisbar.  Strophenreihen  des  Schemas 
a)  und  b)  könnte  man  'aggregate'  nennen. 

c)  Die  Strophen  sind  formell  völlig  selbständig  und  ab- 
gerundet, behandeln  aber  alle  denselben  grundgedanken.  Sie 
sind  gleichsam  Variationen  über  ein  bestimmtes  thema.  Diese 
art  ist  mit  Ib  nicht  zu  verwechseln:  dort  bilden  die  Inhalte 
der  Strophen  eine  fortlaufende  reihe,  nur  dass  die  vermittelnden 
gedanken  nicht  ausgedrückt  werden;  hier  in  II c  bilden  sie 
keine  reihe  und  gibt  es  keine  gedankenvermittlung  z^dschen 
ihnen.  Theoretisch  wäre  ihre  anordnung  gleichgiltig,  nur  dass 
sich  in  solchen  tönen  gewisse  Strophen  besser  zur  einleitung, 
andere  besser  zum  abschluss  eignen.  Trotz  innerer  Unabhängig- 
keit braucht  also  doch  die  Stellung  der  einzelnen  strophe  nicht 
willkürlich  zu  sein.  Beispiele  für  diesen  fall  sind  häufig. 
Einige  auch  bei  Hartmann. 

d)  Mischformen;  z.  b.  von  drei  Strophen  hängen  1  und  2 
nach   c   zusammen,    no.  8  ist  selbständiger,    2  :  3   dabei  nach 

a  oder  b. 

III.   Kreuzungen  von  I  und  II. 

Ich  zähle  nur  einige  fälle  auf: 

a)  Von  3  (5)  Strophen  können  1 — 2  (1 — 4)  nach  la  oder 
Ib  logisch  zusammenhängen,  no.  3  (5)  ist  loser  damit  nach  IIa, 
b  oder  c  verknüpft. 

b)  Von  6  Strophen  können  1 — 3,  4 — 6  oder  1 — 4,  5 — (5 
nach  I  oder  II  in  sich  als  zwei  gruppen  zusammenhängen,  in 
dem  ton  aber  als  kleine  ganze  doch  nach  IIa,  b  oder  c  aus- 
einanderfallen u.  s.  w. 

lieber  die  art  des  Zusammenhangs  kann  zunächst  nur  die 
schärfste  textinte rpretation  auskunft  geben.  Die  reihen- 
folge  in  den  hss.  ist  immer  mit  vorsieht  aufzunehmen.  Es 
gibt  aber  doch  noch  eine  reihe  von  kennzeichen,  die  das  ge- 
schäft  der  Strophenordnung  sehr  erleichtern  können.  Hierher 
gehört  die  erscheinung  der  responsion,  auf  die  Er.  Schmidt, 
Reinm.  v.  Hag.  s.  ü  ff.  und  dann  mit  nachdruck  Burdacli,  Reinm. 
u.  Walth.  s.  84  ff.  hinweist.  Vgl.  H.  v.  A.  s.  G  ff.  Ferner  die 
Strophenverkettung,    über   die   (-iiske,   Zs.  fdph.  20,  189  ff. 


_j 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  7 

handelt.  Es  kommen  rein  formale  kriterien  dazu.  Kr»rner 
weist  Giske  Zs.  fdpli.  18,  57  ff.  nach.  Eefrain  findet  sich  ge- 
leg'entlich.  Auf  analyse  des  inhalts  und  der  g-edankenent- 
Avicklung-  darf  aber  nie  verzichtet  werden,  wie  das  z.  b.  Giske 
allzu  sehr  tut. 

Auch  die  anzahl  der  in  einem  ton  vereinigten  Strophen 
scheint  keineswegs  gleichgiltig  zu  sein.  Es  ist  schon  oft  ge- 
sagt worden,  dass  in  der  späteren  zeit  des  deutschen  minne- 
sangs  mit  Vorliebe  lieder  von  3,  5  oder  7  Strophen  gedichtet 
seien,  eine  regel  die  nach  "^^^ackernagel  aus  der  frz.  kunstl^Tik 
übernommen  sein  soll  (AVackernagel.  Lit.-gesch.  12,298.  Afrz. 
lieder  und  leiche  124.  224).  v.  d.  Hagen  bemerkt  darüber  MS.  1, 
einl.  s.  33,  meister  Konrad  habe  fast  lauter  gedritte  lieder, 
Nifen  und  Wintersteten  fast  ebenso  viel  gefünfte.  Lichtenstein 
meist  gefünfte  und  gesiebente.  'Manchmal  vervollständigen  sich 
die  zahlen  dui'ch  vergleichung  der  hss.,  und  die  manessische 
lässt  häufig  gerade  so  viel  räum  für  das  fehlende'.  Auch  die 
meistersänger  bevorzugen  lieder  von  drei  und  fünf  Strophen. 
Vgl.  J.  Grimm,  Meistergesang  s.  46.  47. 

Die  gewohnheit  der  manessischen  hs.,  platz  zu  lassen,  wo 
ein  ton  weniger  als  fünf  oder  drei  Strophen  umfasst,  hat  man 
bereits  benutzt,  um  an  der  Überlieferung  kritik  zu  üben.  Vgl. 
Haupt,  vorrede  zu  Nifen.  W.  Uhl,  Unechtes  bei  Neifen,  Gott, 
diss.  1888.  Vgl.  darüber  rec.  Vogt,  Zs.  fdph.  24,  247  ff.  Mir  ist 
nur  so  viel  wahrscheinlich,  dass  die  Schreiber  der  hs.  C  der 
nieinung  waren,  drei  oder  fünf  Strophen  sei  der  reguläre  um- 
fang eines  liedes.  Da  sie  aus  erfahrung  wussten,  wie  weit 
einzelne  Strophen  solcher  lieder  im  laufe  der  zeit  versprengt 
werden  konnten,  so  Hessen  sie  hinter  tönen  von  geringerem 
umfang  platz  für  künftige  nachtrage,  gewis  oft  mit  unrecht, 
oft  mit  recht.  Jene  regel  werden  sie  aus  der  poetischen 
Tradition  geschöpft  haben,  und  ihre  bedeutung  scheint  in  der 
tat  grösser  gewesen  zu  sein  als  man  jetzt  meint,  nicht  nur 
für  die  späteren  minnesinger,  sondern  auch  für  die  früheren. 
In  Walthers  minneliedern  (vgl.  Pauls  ausg.  abt.  1)  z.  b.  über- 
wiegen die  lieder  von  drei,  fünf  und  sechs  (3  +  3,  4  +  2?) 
sti-o])]ien  entschieden.  Wie  es  scheint  auch  bei  Reinmar.  Man 
wird  auch  an  Scherers  fünfei'gi'ui)pen  beim  anonynms  Spervogel 
denken,    fcli  bin  übei'zeugt,  dass  man  bei  benutzung  aller  diesei* 


■8  SARAN 

mittel  noch  zu  bestimmten  grimdsätzen  hinsichtlich  der  strophen- 
folg-e  kommen  wird.  Es  scheint  —  die  folgende  Untersuchung- 
wird  das  bestätigen  —  gewisse  typen  für  die  weise  des  strophen- 
zusanimenhanges  im  lied  zu  geben,  die  es  im  einzelnen  nach- 
zuweisen gilt.  Natürlich  muss  die  Untersuchung  für  jeden 
Sänger  besonders  geführt  werden.  Für  Hartmann  möge  sie 
hier  folgen. 

]\r.  e.  enthalten  folgende  lieder  Hartmanns  sicher  einen 
wirklich  folgerechten  gedankengang:  MF.  209,  5  (2  Strophen), 
212,37  (3).  214,12  (2).  216,1  (4).  216,29  (3).  217,14  (3).  218,5  (3). 
Diese  sieben  töne  wären  also  strophenketten.  Man  beachte, 
dass  davon  die  mehrzahl,  nämlich  vier,  dreistrophig  ist.  Von 
allen  anderen  Strophenreihen  habe  ich  in  meinem  buch  be- 
hauptet, dass  sie  keinen  erkennbaren  gedankenfortschritt  auf- 
wiesen. Vogt  widerspricht  dem  und  bespricht  zunächst  aus- 
führlich ton  III  (207, 11  ff.):  H.  v.  A.  s.  11  ff. 

Die  Strophen  dieses  tones  werden  in  folgender  Ordnung 
von  den  hss.  überliefert: 


(' 

B 

A 

MF. 

5 

3 

— 

208,8 

(*) 

4 

7 

207, 71 

7 

5 

— 

207,  ro 

S 

— 

10 

208,  32 

9 

6 

8 

207,  23 

XO 

9 

9 

208, 20 

Vogt  erkennt  an,  dass  die  reihenfolge  in  MF.  nicht  befriedigt 
und  stellt  eine  neue  her,  in  der  er  logischen  gedankenfort- 
schritt findet.  Er  ordnet  MF.  207,11.  207,35.  208,8.  207,23. 
208,20.  208,32.  Aber  schon  207,11  und  207,35  lassen  sich 
auf  keinen  fall  verbinden. 

In  jener  strophe  nimmt  der  dichter  ein  früher  gegebenes 
versprechen  zurück,  seiner  dame  immer  leben  zu  wollen.  Er 
hat,  wie  er  versichert,  sein  herz  von  ihr  genommen;  jenes  ver- 
sprechen bezeichnet  er  nun  als  tumhcn  antheis,  den  er  noch 
rechtzeitig  aufgegeben,  ehe  ihm  das  vergebliche  werben  sincr 
järe,  d.  i.  wol  seiner  Jugendjahre  (Schönbach  s.  284)  gänzlich 
beraubt  habe.  Von  nun  an  will  er  einer  andern  seinen  dienst 
zuAvenden. 

Stimmung  und  gedanken  dieser  worte  kann  man  unmög- 
lich anders  verstehen,  als  dass  sich  Hartmann  soeben  {ßr  dise 


UEBER    HARTMANN    VON    AUE.  V 

sit\  207,  21)  von  seiner  danie  losgesagt  hat.  Oh  er  es  Avirklich 
und  namentlich  offenkundig-  getan,  ob  er  nur  in  augenl)licklicher 
erreg'ung  für  sich  den  entschluss  gefasst,  ob  er  alles  nur  fin- 
giert, ist  eine  andere  ft-age. 

Die  Verbindung  der  strophe  mit  207,  35  stellt  nun  Vogt 
folgendermassen  her:  'man  darf  mich  deshalb  nicht  treulos 
schelten".  Den  Inhalt  der  letzteren  umschreibt  er  mit  den 
■\vorten:  "untreue  war  mir  stets  verhasst;  lediglich  meine  treue 
hat  mich  nicht  schon  eher,  so  viel  ich  auch  zu  leiden  hatte, 
aus  ihrem  dienste  scheiden  lassen.  Jetzt  schmerzt  mich,  dass 
sie  mich  ohne  lohn  lassen  will'.  Vogt  legt  Hartmann  damit 
den  etwas  spitzfindigen  gedanken  in  den  mund:  'ich  bin  des- 
Avegen  nicht  untreu:  im  gegenteil,  ich  bin  sehr  treu,  denn 
sonst  hätte  ich  ihr  schon  längst  den  dienst  gekündigt'.  Ich 
bezAveifle  aber,  dass  dies  der  sinn  der  strophe  ist.  Zunächst 
ist  e  V.  38  nicht  überliefert,  sondern  zusatz  von  MF.  Der 
sinn  fordert  die  partikel  keineswegs,  und  darum  hat  man  es 
wider  zu  streichen.  Ich  übersetze:  ich  bin  der  untreue  immer 
feind  gew'esen  (sc.  und  bin  es  noch).  Und  doch  würde  mir 
untreue,  wollte  ich  untreu  sein,  weit  mehr  vorteil  bringen  als 
der  umstand,  dass  micli  meine  treue,  die  mir  befohlen  in  ihrem 
(hVnst  zu  verharren,  nicht  hat  von  ihr  scheiden  lassen'.  1).  h. 
untieut-  würde  mir  nützlicher  sein  als  meine  beständigkeit  in 
ihrem  dienst.  Es  folgt  der  grund.  'Es  bringt  mir  nämlich 
nun  schmerz,  dass  sie  mir  nicht  lohnen  will'.  'Aber  trotzdem', 
fährt  er  fort,  'werde  ich  bloss  gutes  von  ihr  sagen'. 

So  kann  doch  nur  einer  sprechen,  der  seiner  dame  seit 
langem  —  wenn  auch  ohne  lohn  —  treu  und  ergeben  dient 
und  der  das  einseitige  minneverhältnis  trotz  trüber  erfalirungen 
weiter  fortsetzen  will.  A\'as  bedeutet  v.  38  ff.  anders  als  die 
Ijehauptung  unwandelbar  treu  geblieben  zu  sein?  Nun  hat 
sich  aber  der  dichter  von  207,  11  soeben  von  der  dame  los- 
gesagt, wenigstens  in  diesem  poetischen  erguss.  Also  ist  es 
unmöglich,  mit  Vogt  in  207, 35  die  unmittelbare  und  genaue 
fortsetzung  von  207, 11  zu  sehen.  Beide  Strophen  sind  zudem 
in  der  Stimmung  ganz  verschieden.  Die  erste  ärgerlich  und 
fast  gi'ob.  diese  resignierend  und  sentimental. 

Auch  die  crklärung  die  Vogt  von  208, 20  ff.  gibt,  kann 
icli  iiiii'    iiii'lit   aneignen.     Er  schi'cibl   208,23  gegen  die  über- 


10  SAB AN 

lieferiuig  (A  tröstet,  BC  trcestet)  tröste.  Aber  die  änderiing:  ist 
nur  für  den  nötig,  der  alle  Strophen  dieses  tones  zu  einer 
stroplienkette  von  enger  bindung  vereinigt  und  sie  mit  einer 
aiifkündigimg  beginnen  lässt.  Für  den  sinn  der  Strophe  an 
sich  ist  sie  überflüssig.  IMese  schildert,  wie  207, 35.  eine 
gegenwärtige  Stimmung.  Ich  übersetze  also:  'mir  sind  die 
jähre  die  ich  ihr  gewidmet  habe,  dm-chaus  nicht  verloren. 
Denn  ist  mir  auch  minnelohn  von  ihr  bis  jetzt  nicht  zu  teil 
geworden,  so  gibt  mir  doch  angenehme  hoffnung  darauf  trost. 
(Daran  kann  ich  mir  genügen  lassen.)  Ja  auch  meine  "«iinsche 
würden  sich  sogar  nicht  höher  versteigen  als  dazu  dass  ich 
sie  nach  wie  vor  als  meine  dame  bezeichnen,  d.  i.  als  dass  ich 
mich  nach  wie  vor  als  ihren  diener  betrachten  dürfte.  Es 
stirbt  ja  mancher  mann,  ohne  dass  ihm  je  erluaung  zu  teil 
wird,  nur  immer  hoffend,  es  werde  doch  noch  geschehen  — 
und  diese  hoffnung  genügt  ihn  froh  zu  machen'.  Die  zeilen 
24 — 26  enthalten  einen  gedanken.  der  den  von  23  noch  über- 
bieten soll.  Zu  als  e  {=  so  wie  früher)  ist  nicht  mit  Heinzel 
s.  127  anm.,  Vogt  und  H.  v.  A.  s.  12  anm.  1  -wider'  sondern 
'jetzt'  zu  ergänzen.  Bei  jener  auffassung  wäre  das  Verhältnis 
gelöst  und  alsdann  hätte  v.  23  keinen  sinn:  lieber  uäu  wäre 
dann  eben  ausgeschlossen.  Auch  würde  diese  lesart  voraus- 
setzen, dass  dem  dichter  das  Verhältnis  aufgesagt  ist.  Davon 
steht  aber  in  dem  ganzen  ton  kein  wort:  im  gegenteil.  überall 
wird  vorausgesetzt,  dass  aufhören  oder  fortsetzen  des  dienstes 
im  belieben  des  dichters  liegt  (207, 11  ff.  208, 32  ff.)  und  dass 
die  dame  den  dienst  hinnimmt  (208. 12  ff.),  oline  freilich  gnade 
zu  üben. 

Bei  meiner  erklärimg  der  beiden  Strophen  ist  der  dichter 
von  seinem  in  207. 11  kund  gegebenen  entschluss  längst  zurück- 
gekommen. Man  kann  nicht  bescheidener  wünschen  als  es 
der  dichter  in  208,  24  ff.  tut.  Damit  ist  nun  aber  wider  die 
Strophe  208, 32  ff.,  in  welcher  jene  erste  ausdrücklich  Avider- 
rufen  wird,  für  einen  genauen  gedankenzusammenhang  nicht 
passend.  208, 20  würde  offenbar  besser  dahinter  als  davor  stehen. 

Somit  sclieint  mir  diese  neue  anordnung  und  erklärung 
Vogts  ebenso  wenig  haltbar  als  die  zahlreichen  andern,  die 
vorgebracht  sind.  Gleichwol  enthält  der  selir  ansprechende 
gedanke    den   Vogt   seiner   darlegung   zu  gründe   legt,   einen 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  11 

berechtigten  kern.  Vogt  meint  nämlich.  Hartmann  schiklere  in 
diesem  ton,  wie  er  —  freilich  nnr  in  gedanken  —  von  der 
anfkündigimg-  ans  dnrch  eine  Stufenleiter  vers()hnlicher  betrach- 
tuug-en  hindurch  zur  ffirmlichen  zurücknähme  jener  aufsage 
geführt  sei. 

Die  sechs  Strophen  darf  man  nämlich  nicht,  wie  ich  früher 
getan,  schlechthin  isolieren,  sondern  sie  ordnen  sich,  wie  ich 
jetzt  glaube,  dem  inhalt  nach  in  zwei  gruppen  von  je  drei. 
Die  erste  gruppe  umfasst  :\IF.  207, 11.  208, 32.  208, 20,  die 
andere  208,  8.  207,  35.  207. 23. 

Die  Strophenordnung  in  der  ersteren  dürfte  so  wie  ich 
sie  gegeben,  sicher  sein.  207, 11  fällt  sicher  vor  208,  32,  weil 
sich  diese  auf  jene  bezieht  (207,22  :  209,4).  Auch  sonst 
nimmt  die  zweite  Strophe  auf  die  erste  bezug.  Dort  mrd  als 
grund  dafür  dass  der  dichter  sich  von  der  dame  abgewendet 
hat.  angegeben:  ein  so  vergebliches  werben  raube  dem  mann 
seine  besten  jähre: 

der  läze  in  (sc.  den  tumlien  antlieiz)  e  der  tage 

e  in  der  strit 

beroube  siner  järe  gar. 

Hier  wird  dies  ausdrücklich  zurückgenommen  und  dabei  das 
gegenteil  behauptet: 

208,  37  ff.  .swer  von  der  siner  strebet, 
der  habe  im  daz; 
in  betraget  siner  järe  vil  (so  die  hss.), 

<1.  li.  wer  von  seiner  dame  loszukommen  trachtet,  der  mag  es 
tun;  seine  Jugendjahre  werden  ihm  sehr  freudlos  dahinfliessen. 
\\'aliren  genuss  seines  lebens  hat  man  eben  nur  im  minne- 
dienst. Vgl.  2.  Büchl.  65  ff.  Uebrigens  erklärt  Naumann  s.  47 
den  vers  208,  36  nicht  richtig.  Vgl.  dazu  205,  26.  Die  dame 
lebt  so,  dass  sie  nur  auf  ihren  guten  ruf  bedacht  ist.  Sie  Avill 
sich  nur  nicht  compromittieren  und  darum  allein  versagt  sie 
dem  dichter  ihre  gunst. 

Die  gedanken  dieser  Strophe  208,  32  kehren  nun  in  208, 20 
wider.    So 

20S,  20  mir  sint  diu  jär  vil  un verlorn 
diu  ich  an  si  gewendet  hän, 

d.  h.  meine  jähre,  die  ich  im  minnedienst  wenn  auch  vei'geblich 
verbraclit  habe,  sind  nicht  unnütz  angewendet.     Auch  ich  habe 


12  SARAN 

die  freude,  die  sich  ein  mann  wünscht,  wenn  auch  nur  als  tvän 
und  gcdiuffe.  208,  24  ff.  weist  auf  208,  32  f.  zurück,  wo  in  v.  33 
die  zu  betonen  ist:  'ihr  und  keiner  anderen  zu  ehren'. 

Diese  drei  Strophen  lassen  sich  nun  in  der  tat  als  ein  lied 
(strophenkette  Ib)  auffassen,  durch  welches  sich  der  gedanke 
hinzieht,  den  Vogt  als  thenia  des  ganzen  tones  angibt.  Drei 
hauptmomente  eines  Stimmungsverlaufs  w^erden  herausgehoben 
und  dargestellt,  die  verbindenden  mittelglieder  fehlen.  207, 11  ff.: 
irgend  etwas  erregt  den  dichter,  er  widerruft  im  zorn  sein 
versprechen  'ihr'  immer  zu  dienen,  er  nimmt  sein  herz  zurück, 
das  er  ihr  geschenkt  hat.  Der  dienst  scheint  ihm  eine  torheit, 
die  dem  Jüngling  seine  schfhisten  jähre  kostet.  Von  nun  an 
will  er  einer  anderen  dienen.  Diese  Stimmung  hält  nicht 
lange  an.  Er  sieht  ein,  dass  die  dame  nicht  anders  handeln 
kann,  wenn  sie  ihren  ruf  nicht  aufs  spiel  setzen  will,  dass  sie 
ihn  nicht  hasst,  sondern  sich  bloss  nicht  compromittieren  will. 
Nun  widerruft  er.  208,32:  nicht  einer  anderen  (andersivar) 
will  er  dienen,  sondern  eben  der  der  er  bisher  gedient  hat. 
Er  ist  nun  überzeugt,  dass  sie  nicht  launisch  handelt,  sondern 
nicht  anders  kann.  Nun  ist  der  dienst  nicht  mehr  eine  tor- 
heit die  die  Jugend  raubt,  sondern  es  wird  im  einklang  mit 
den  andern  minnesingern  behauptet,  nur  im  minnedienst 
könne  der  mann  seiner  Jugend  froh  werden.  Es  ist  nicht 
mehr  klugheit,  solchen  gelübdes  sich  zu  entledigen  (207, 15  ff.), 
sondern  falschheit  (209, 1  ff.):  so  kommt  er  zu  der  erklärung 

209,4  von  ir  ich  niemer  komen  wil  (vgl.  207,11). 
Man  sieht,  beide  Strophen  sind  in  ihren  gedanken  einander  fast 
genau  entgegengesetzt. 

Die  letzte  208,  20  begründet  nun  den  neuen  entschluss 
und  geht  schwärmerisch  ebenso  weit  über  das  rechte  hinaus, 
als  die  erste  ärgerlich  dahinter  zurückgeblieben  war.  Die 
Jugendjahre,  deren  Verlust  207, 18  beklagt  wurde,  sind  nicht 
verloren.  Hat  der  dichter  auch  keinen  lohn  von  der  geliebten 
empfangen,  so  hat  er  doch  als  tröstliche  fi-eude  noch  immer 
die  angenehme  aussieht  auf  erhörung,  in  der  ihn  der  dienst 
erhält.  Damit  erklärt  er  alle  seine  wünsche  für  erfüllt,  ja 
er  würde,  wenn  man  ihm  einen  wünsch  freistellte,  nichts 
weiter  begehren  als  eben  die  fortdauer  dieses  schon  lange 
bestehenden  Verhältnisses.    Gehe  es  doch  auch  vielen  anderen 


UEBER    IIARTMAXN    VON    AUE.  13 

nicht   besser,   als  tlass   sie   iiui-  walinfreiule  geiiössen   —   und 
doch  wären  sie  befriedigt. 

Dieser  gruppe  steht  die  der  übrigen  drei  stroplien  ganz 
selbständig:  g-eg-enüber.  Die  hss.  lassen  sie  in  der  Ordnung- 
208,  8.  207.  85.  207,  23  folg"en  und  es  ist  nicht  nötig  dieselbe 
zu  ändern.  Denn  die  drei  Strophen  gleichen  sich  im  Inhalt 
so  sehr,  dass  ich  wenigstens  darin  keinen  logischen  g-edanken- 
fortschritt  erkenne.  Sie  bilden  m.  e.  einen  strophenkreis  (II  c, 
oben  s. 6).  Das  thenia,  das  dreimal  variiert  wird,  lautet:  ob- 
wol  sie  mir  lohn  versagt  und  mir  dadurcli  leid  antut,  will 
ich  ihr  nicht  böses  mit  bösem  vergelten.  Die  beiden  ersten 
Strophen  bringen  es  negativ,  die  letzte  wendet  es  positiv. 

Besonders  älmlicli  sind  208.8  und  207,35.  Sie  enthalten 
die  gedanken 

208,8 — 11  vgl.  208,4:    ich  werde  nichts  böses  von  ihr 
ausbringen. 

208, 12—15  vgl.  207,38—208,3:  ich  diene  ihr  treu,  aber 
sie  lohnt  mir  nicht. 

208,  IG— 19  vg-1.  208,  5—7:  die  schuld  ist  mein. 
Die  dritte  Strophe  enthält  den  letzten  gedanken  nicht.  Ihre 
beiden  ersten  Zeilen  (207,  23.  24)  fassen  den  zweiten  kurz  zu- 
sammen, aller  nachdruck  liegt  auf  der  positiven  Versicherung : 
ich  werde  böses  mit  gutem  vergelten.  So  schliesst  die  Strophe 
mit  einem  heileswunsch  für  die  geliebte  und  ist  darum  zum 
abschluss  der  gruppe  sehr  geeignet. 

P>s  enthält  also  meiner  ansieht  nach  ton  III  eine  Strophen- 
kette und  einen  strophenkreis.  Jede  dieser  gruppen  besteht 
aus  drei  gliedern,  von  denen  wider  die  beiden  ersten  durch 
parallelismus  oder  contrastierung  der  gedanken  enger  zu- 
sammenhängen, also  nach  dem  Schema  (1  -\-  2)  +  3  oder  1,  2.  3. 
Was  ich  über  abweichende  Voraussetzungen  in  den  ein- 
zelnen Strophen  des  toues  II  (20G,  10  ff.)  H.v.  A.  s.  9  f.  vor- 
Iniiige,  hält  Vogt  für  unzutreffend,  ohne  freilich  sein  urteil 
zu  begründen.  Ich  lialje  in  dei-  tat  die  Situation  der  strophe 
20t).  29  unrichtig  aufgetasst.  wenn  ich  sage:  *in  ihr  wird  bei 
der  dame,  von  der  der  dichter  wol  durch  merlacre  fern  gehalten 
wurde,  ein  gewisses  wol  wollen  vorausgesetzt'.  Dies  liegt  nicht 
in  den  woiten.  Die  str(jph(^  schildert  nui"  die  besondere  art, 
wie    der   diditei'   der   dame   seine  sedanken   offenbaren   muss. 


14  SARAN 

Er  muss  sich,  wenn  er  ihr  sein  leid  klagen  will,  des  liedes 
bedienen,  da  ihm  persönliche  ausspräche  nicht  mög-lich  ist. 
Was  diese  verhindert,  wird  nicht  gesagt,  aber  v.  32  'nun  ist 
mir  das  glück  nicht  so  hold,  dass  ich  ihr  meine  gesinnung 
selbst  darlegen  könnte'  kann  sich  verbunden  mit  v.  35  ff.  wol 
nur  auf  räumliche  trennung  beziehen,  die  vielleicht  rein 
äussere  gründe  hat.  Von  merkern  Avird  nichts  berichtet.  Man 
übersetze  also:  'könnte  ich  der  schönen,  was  ich  emi)finde,  so 
wie  ich  wünsche  d.i.  persönlich  sagen,  so  Hesse  icli  meinen 
sang.  Nun  aber  ist  mein  glück  nicht  so  gut:  darum  bin  ich 
genötigt  ihr  im  gesange  meine  leiden  zu  klagen.  (Das  tue 
ich  auch,  denn)  wenn  ich  ihr  auch  noch  so  fern  bin,  so  schicke 
ich  ihr  doch  diesen  boten,  mein  lied,  zu,  den  sie  gar  wol  hören 
wird  und  doch  nicht  sieht.  Der  wird  mich  dort  (wo  meine 
dame  weilt)  nicht  verraten'. 

Den  Inhalt  dieser  Strophe  setzt  207,  1  ff.  passend  fort. 
Gleich  zeile  1  nimmt  bezug  auf  206,  33.  34.  Die  leiden  werden 
übrigens  für  die  geliebte  'erneuert',  weil  sie  der  dichter 
gleichsam  von  neuem  durchnmcht,  indem  er  sie  dem  liede 
anvertraut.  Vgl.  MF.  187,  32.  Bechs  Übersetzung  scheint  mir 
den  sinn  nicht  genau  zu  treffen.  Es  liegt  nicht  in  den  Worten, 
dass  der  dichter  schon  öfter  lieder  gesaut  hat.  Also:  'das 
lied  nun,  in  dem  ich  der  edeln  meinen  schmerz  kund  tue, 
ist  eine  klage  und  nicht  ein  gesang'.  V.  207,  4 — 6  führt  genau 
aus,  Avas  200,  34  nur  andeutet:  'ich  bitte  sie  um  erhörung  und 
sie  versagt;  diese  schwere  zeit  dauert  schon  allzu  lange  (als 
dass  ich  noch  fröhlichen  sang  ertönen  lassen  könnte)'.  Aus 
dieser  trüben  Stimmung  ergibt  sicli  von  selbst  der  leise  wünsch, 
der  in  den  versen  7 — 10  beschlossen  liegt:  'wem  es  möglich 
wäre,  solchen  kamjjf  (solche  bemühungen),  der  kunnner  und 
nie  freude  gibt,  aufzugeben  -  mir  ist  es  aber  nicht  möglich 
(Mhd.  wb.  1,806  b)  —  der  wäre  ein  glücklicher  mensch'. 

Die  beiden  Strophen  hängen  also  selir  gut  zusammen. 
Die  noch  übrige  ist  freilich  mit  ihnen  nur  lose  verknüpft. 
MF.  stellt  sie  mit  AC'  an  den  anfang.  Dahin  i)asst  sie  aber 
keinesfalls,  Avenn  man  den  ton  mit  MF.  als  eine  strophenkette 
betrachtet.  Denn  die  Zeilen  206,  27  und  28  bilden  einen  ent- 
schiedenen schluss.  Nun  steht  der  Inhalt  dieser  Schlusszeilen 
doch  Avol  mit  207,  7 — 10  in  beziehung:  der  leise  Avunsch,  den 


UEBER    IIAKTMANN    VON    AUE.  15 

diese  verse  enthalten,  wenn  er  auch  mit  einem  des  ich  nicne 
lan  sofoi't  unterdrückt  wird,  dieser  leise  wünsch  wird  206, 
27.  28  ausdrücklich  ins  g-egenteil  gewendet  und  der  inlialt  von 
207, 4 — 6  (auch  der  ausdruck  (jnddcn  hiten)  kehrt  wider  in 
206, 24—26.  A^'ir  werden  also  in  2ü6, 19  den  abschluss  des 
Strophenpaares  206, 29  und  207, 1  erblicken  dürfen;  sie  bringt 
eine  ai't  paliiiodie  für  den  schluss  der  zweiten  von  ihnen; 
Freilich  muss  man  festhalten,  dass  diese  Strophe  den  gedanken 
nicht  scharf  aufnimmt  und  fi)lg(^ri('litig  weiter  führt:  sie  kommt 
nach  einer  besonderen  allgemeinen  erwägnng  (200, 19 — 23),  in 
der  V.  20  ein  neues  niotiv  anschlägt,  zu  ihrem  endresultat. 
Doch  wird  auch  hier  das  unglückliche  liebesverhältnis  voraus- 
gesetzt, von  dem  str.  1  und  2  eine  besondere  Situation  ausmalten. 

Dafür  dass  die  Strophe  206, 19  den  schluss  des  kreises 
bildet,  spricht  auch  der  umstand,  dass  die  erste  zeile  von 
ton  III  207, 11  direct  an  sie  anknüpft:  die  pointe  des  ganzen 
tones  II  wird  darin  zunächst  negiert.  Man  sieht  ferner  leicht, 
dass  sich  dieser  ton  II  im  Inhalt  mit  der  strophenkette  aus  III 
sehr  nahe  berührt.  Abgesehen  von  der  eben  erwähnten,  un- 
mittelbaren hindeutung  von  III  auf  II  ist  das  in  rede  stehende 
lied  nichts  anderes  als  eine  Aviderholung  des  wesentlichen  in- 
lialts  von  II,  nur  in  stärkerer  potenz:  der  wünsch  von  207,  7  ff. 
wird  in  207, 11  wenigstens  vorübergehend  zum  entschluss.  In 
beiden  die  neigung  den  dienst  aufzugeben,  in  beiden  der  wider- 
ruf.    Beide  lieder  sind  darum  wol  zeitlich  benachbart. 

In  dem  fünfstro})higen  ton  205,  1  ff.  haben  die  heraus- 
geber  von  MF.  die  letzte  Strophe  abgesondert:  mit  recht.  Sie 
ist  mit  dem  was  vorausgeht  zwar  verwant,  weil  auch  sie 
voraussetzt,  dass  der  dichter  mit  seinem  werben  bei  der  dame 
kein  glück  hat,  sie  löst  sich  aber  ab,  weil  sie  als  neues  motiv 
den  tod  des  dienstherren  mit  aufnimmt.  Die  hss.  überliefern 
folüfende  reihe: 


c 

B 

MF. 

1 

1 

205,1 

2 

» 
:$ 

2 

205,10 
200,  1 0 

4 

— 

200,  S 

11 

— 

205,  lil 

Die  letzte  Strophe  ist  durch  ein  verweisungszeiclien  hinter  C2 
angebracht.     Sie  wird   in  einem   der  von  C  benutzten   lieder- 


16  ßARAN 

l)ii('her  vei'mutlicli  hinter  205.  10  g-estanden  haben.  Oder  hat 
der  Schreiber  über  den  g-edankeng-ang-  nachgedacht?  In  der 
tat  lässt  sich,  was  ich  frülier  niclit  erkannt  habe,  ein  solcher 
nachweisen,  wenn  man  205,  19  nicht  mit  C  hinter  205,  10, 
sondern  an  die  zweite  stelle,  also  hinter  205,  1  rückt.  Die 
vier  Strophen  bilden  dann,  ganz  ähnlich  wie  es  in  ton  III  der 
fall  ist,  die  hauptmomente  eines  stimmungsverlanfs,  der  mit 
fast  zornig-er  erregung  gegen  die  dame  einsetzt  und  damit 
endet,  dass  der  dichter  ihre  hantllungsweise  als  die  einzig- 
mögliche  anerkennt  und  schliesslich  nicht  die  dame,  sondern 
sich  selbst  tadelnd  zurecht  weist.     Es  ist  ein  winterlied. 

205, 1.  Meine  treue  bringt  mir  keine  freude,  denn  ich 
habe  meiner  dame  leben  und  dienst  vergeblich  gewidmet  und 
lange  vergeblich  gehofft.  Ich  müsste  ihr  darum  eigentlich 
liuchen,  doch  will  ich  meinem  zorn  keinen  andern  ausdruck 
verleihen  als  den:  'sie  hat  nicht  schön  an  mii-  gehandelt'. 
AVürde  der  dichter  seiner  erregung  nachgeben,  so  würde  er 
ihr  einen  fluch  wegen  ihrer  untreue  zuschleudern. 

205, 19.  Bald  kommt  ihm  das  törichte  solches  zornes  zum 
bewusstsein.  Er  macht  sich  den  einwurf:  'damals  als  ich  ihr 
diente,  ohne  dass  es  auf  sie  eindruck  machte  (d.  h.  den  somnier 
durch),  schien  es  mir  aber  doch  ganz  angemessen,  dass  sie  die 
edle  sich  mir  versagte,  und  dieser  ihr  entschluss  ist  in  der 
tat  ganz  berechtigt  gewesen.  Zürne  ich  nun,  so  wird  sie 
darüber  spotten  und  mich  macht  es  (vorzeitig)  alt.  (Nein,  ihre 
Zurückhaltung  verdient  meinen  zorn  nicht.)  Sie  hat  sich  vor 
den  vielen  mangeln,  die  mir  anhaften,  gescheut  und  sich  von 
mir  zurückgezogen,  mehr  um  dem  gerede  zu  entgehen  als  weil 
sie  mir  übel  wollte.  Sie  meint  offenbar,  sie  werde  sich  so  ihren 
ruf  besser  wahren'.  V.  205,  23  nimmt  205,  8.  9  zurück.  Vgl. 
auch  V.  19  und  7, 19—22  und  6—7. 

205, 10.  Die  person  die  meinen  zorn  verdient,  ist  also 
niclit  meine  dame,  vielmehr:  "wollte  ich  den  hassen  der  mir 
leid  zufügt,  so  hätte  ich  guten  grund  mein  eigener  feind  zu 
sein.  Viel  ist  an  meinem  äusseren  und  meinem  geist  (bildung?) 
zu  tadeln:  das  hat  eben  mein  Unglück  offenbart.  Dass  also 
meine  dame  nichts  von  mir  wissen  will,  davon  ist  die  schuld 
mein.  Denn  da  nur  lebensklugheit  den  mann  glücklich  macht, 
torheit  aber  nie  ein  dauerhaftes  glück  erlangt,  so  bin  ich  daran, 


UEIiER    IIAUTMANN    VON    AUE.  17 

falls  icli  wiiklicli  nicht  mit  verstand  zu  dienen  weiss,  eben 
ganz  allein  schuld'.  V.  18  da  —  an  geht  auf  v.  11.  Die  Strophe 
gibt  zugleich  genauer  an,  was  unter  n-andd  zu  verstehen  ist. 
Es  fehlt  dem  dichter  offenbar  an  äusserer  g'ewantheit  und 
Sicherheit  im  auftreten,  wie  an  innerer  reife.  Er  ist  wol  etwas 
ungeschickt  und  harmlos,  jedenfalls  noch  recht  jung.  Die 
dame  die  seinen  dienst  annähme  und  ihm  (hidurch  ohne  wei- 
teres ihren  n-crdtu  lip  als  belohnung  in  aussieht  stellte,  würde 
sich  dem  aussetzen,  dass  sie  der  jugendliche  liebhaber  gelegent- 
lich einmal  durch  irgend  eine  Ungeschicklichkeit  in  das  gerede 
brächte  (205,26.27).  Nur  weil  er  im  minnedienst  noch  zu 
unerfahren  ist,  findet  er  mit  seiner  Werbung  kein  gehör. 

206. 1.  Also  darf  ich  nicht  zürnen  oder  mich  auch  nur 
über  mein  misgeschick  verwundern:  ich  muss  sogar  ganz  zu- 
frieden sein.  'Sie  hatte  mich  nur  oberflächlich  gekannt,  als 
sie  sich  zuerst  meinen  dienst  gefallen  liess:  dadurch  dass  sie 
si)äter  an  mir  so  viel  zu  tadeln  fand,  haben  mich  dann  meine 
fehler  und  ihi'e  einsieht  wider  fortgestossen.  Sie  liat  wirklich 
erfüllt,  was  sie  mir  in  aussieht  gestellt  hat,  alles  was  sie  mir 
schuldig  gewesen  ist,  habe  ich  auch  l)ekommen  — :  ein  tor, 
der  etwas  anderes  (sc.  als  das  ihm  zukommende)  verlangt! 
Sie  liat  mir  gelohnt  dem  wert  entsprechend,  den  sie  mir  bei- 
legte: mich  trifft  nichts  anderes  als  mein  eigen  scliwert'. 
u-isheit  ist  wol  kenntnis  höfischen  lebens  und  wesens,  lebensart. 
gehics  (206,  5)  setzt  kein  bestimmtes  versprechen  voraus.  Die 
dame  die  sich  einen  dienst  gefallen  lässt  oder  gar  ausdrück- 
lich annimmt,  stellt  damit  ohne  weiteres  lohn  in  aussieht.  Zur 
bedeutung  vgl.  Trist.  1405.  Hinter  206,  5  ziehe  ich  einen  punkt 
V(ji-.  Vgl.  die  Stellung  des  fünften  verses  in  den  andern  Strophen. 

Von  den  vier  Strophen  hängen  1  und  2  enger  zusammen: 
beide  beschäftigen  sich  mit  dem  zorn  des  dichters  (v.  205, 8 
und  205,  23).  Ebenso  :{  und  4,  in  denen  über  wert  und  unwert 
seiner  person  gehandelt  wird  (205, 12.  206,  3). 

Der  gedankengang  ist  also  kurz  der.  In  der  ersten  strophe 
wild  die  erregung  des  dichters  geschildert  uiul  ihr  grund:  ei- 
hat  am  ende  des  sommers  den  gehofften  lohn,  den  tverdcn  Up 
dei'  dame  nicht  genossen.  In  der  zweiten  erkennt  er  das 
törichte  und  grundlose  seines  zornes:  die  handlungsweise  der 
dame  wird  milder  beurteilt.    In  der  dritten  sieht  er  ein,  dass 

Beitrüge  zur  g/eschiclite  dor  deutHchcu  Binache.     XXIII.  2 


18  SAKAN 

die  uisaclit'  iliivr  abiit'iiiuiiu-  in  ilnii  selbst  liegt,  er  also  selber 
die  Sfliuld  an  seinem  uii.diick  trä<it.  hie  vierte  kommt  sogar 
zu  dem  er,<iel)uis.  dass  er  alles  von  der  dame  erlangt  habe. 
Avas  er  habe  vernünftig-er  weise  fordern  können:  206.5  nimmt 
•205.  9  zurück. 

Wir  haben  also  in  diesem  ton  eine  Strophenkette  und  eine 
melir  selbständige  schlussstrophe.  nach  dem  sehema  (1  +  2) + 
(;>  +  4).  5. 

Ich  habe  nun  H.v.  A.  s.  30  nach  dem  Vorgang  Bechs  und 
anderer  angenommen,  die  strojdien  dieses  tones  I  setzten  die 
fürmlitdie  aufgäbe  des  minnedieustes  voraus,  von  dem  sie 
handeln,  leh  habe  die  Wendung  20G.  IG  (jenäde  tviderseit  so 
verstanden,  als  verbitte  sich  damit  die  dame  fih-mlich  den  dienst 
des  dichters,  den  sie  sich  bis  dahin  gefallen  lassen.  Diese 
auffassung  ist  aber  nicht  richtig.  Schon  Heinzel  liat  Zs.  fda. 
15,  VM)  darauf  hingewiesen,  dass  jene  woi-te  nichts  von  einem 
plötzlichen  brucli  oder  gar  von  einer  'aufkündigung"  melden. 
Genäde  tvider sagen  bedeutet  'jemandem  eine  gunst,  um  die  er 
bittet,  nicht  gewähren'.  Vgl.  Iw.  5G54.  Es  bedeutet  nicht, 
'ihm  ein  wolwolleu,  dessen  er  sich  bis  dahin  erfreut  hat,  ent- 
ziehen'. Die  stelle  besagt  also  nur,  dass  llartmann  seiner  ver- 
ehrten einmal  eine  bitte  vorgetragen  hat  und  abschlägig  be- 
schieden ist.  Die  Worte  meinen  etwa  dasselbe  wie  v.  205,  14 
min  vrouwe  gert  nun  niht  (=  will  nichts  von  mir  wissen). 

Es  ist  darum  ganz  wol  möglich,  dass  Hartmann 
auch  nach  diesem  liede,  trotz  jenes  abschlägigen  be- 
scheides,  üf  genäde  weiter  dient,  wie  er  es  vorher 
getan.  Die  Situation  von  ton  I  ist  darum  nicht  wesentlich 
verschieden  von  der  welche  ton  III  schildert,  nur  dass  jenes 
lied  auf  einen  specieUen  Vorfall  hindeutet,  da  die  versagung 
und  der  tod  der  lierren  als  zwei  historische  facta  neben 
einander  erwähnt  werden.  Wann  der  Vorfall  sich  ereignete, 
ist  eine  zweite  fi-age.    Er  kann  längere  zeit  zurückliegen. 

Man  wird  kaum  fehl  gehen,  wenn  man  den  Inhalt  des 
ersten  büchleins  hierher  bezieht.  Jenes  ereignis  von  ton  I 
dürfte  dasselbe  gewesen  sein,  was  zur  Klage  anlass  ward. 
Hartmann  liebt  eine  dame  und 

H.  Klage  <J9  if. 
uuz  ich  si  luiueu  muot  versweic  geiii  ir  ginoze  ich  dicke  neie 


UEBER   IIARTMANN    VON    AUK.  19 

1111(1  liet  uiicli  tlö  als  (.'iiioii  iiiiui  swciiii  ich  si  innen  liraOite 

(lern  ein  Avip  ir  linlde  iian.  daz  ich  uz  al  der  werlt  ein  wip 

dö  wände  ich  hezzern  min  heil:  ze  frowen  über  miuen  lip 

do  geviel  mir  daz  wirser  teil.  für  si  hsete  niht  erkorn: 

ich  wände  mich  ir  uselite  da  mite  hän  ich  si  verlorn. 

Dazu  vgl.  ebda.: 

14  do  si  im  des  niht  g'uiide 
daz  er  ir  wsere  undertäii 
(si  sprach  er  solte  si  erläii), 
doch  versuochte  crz  zaller  zit. 

V.  99—102  gibt  die  realen  gTundlageii  zu  MF.  205,5—7.  V.  10;}  ff. 
erläutert  recht  gut  205, 14  mm  crouive  gert  min  niht  (vgl.  auch 
Riuhl.  V.  16).  Die  gedanken  205. 15—18  und  205.  24  ff.  bilden 
in  breiter  ausführung  den  Inhalt  von  C)0-'>  ff.  1281  ff.  Trotz  der 
anfänglichen  misstimmung  wird  der  dienst  nachher  wider  auf- 
genommen. 

Jedenfalls  steht  wol  so  viel  fest,  dass  das  minneverhältnis, 
worin  wir  Hartmann  in  ton  I  finden,  einseitig  war,  und  dass 
also  von  einer  'aufkündigung'  seitens  der  dame  keine  rede 
sein  kann.  Durch  den  tod  des  lierrn  und  den  kreuzzug  schloss 
diese  episode  im  leben  Hartmanns  von  selbst  ab. 

Die  sechs  Strophen  des  ton  es  V  (209,25)  sind  in  der 
folge  überliefert,  in  welcher  sie  ^IF.  bringt.  Sie  sind  da  auf 
zwei  lieder  verteilt:  1 — 4,  5  +  6.  Dass  die  Strophen  ihrem 
inhalt  nach  in  dieser  weise  nicht  zusammen  passen,  habe  ich 
schon  H.  V.  A  s.  19  erkannt  und  halte  an  dieser  ansieht  fest. 
Gleichwol  sind  sie  nicht,  wie  ich  dort  getan,  zu  isolieren,  son- 
dern es  gehören,  wie  ich  jetzt  glaube,  immer  je  drei  zusammen, 
so  dass  der  ton  aus  zwei  Strophenkreisen  besteht. 

Der  erste  kreis  umfasst  209,25.  210,11.  210,35.  Zu- 
nächst einiges  zur  texterklärung.  209,  25  ist  hriuze  natürlich 
das  kreuzeszeichen,  das  symbol  dafür  dass  sich  sein  träger 
gott  geweiht  hat,  das  symbol  der  heiligung.  Schönbach  (s.  157) 
legt  dem  wort  hier  die  bedeutung  "kreuzfahrf  bei,  aber  dies 
würde  der  strophe  gerade  die  anschaulichkeit  rauben,  die  sie 
auszeichnet.  Der  eigentliche  sinn  ist  durchaus  gewahrt.  Vgl. 
V.  3;} — 36.  —  Die  lesart  von  210,  15  ist  bekanntlich  strittig. 
Die  hss.  haben  (J  dtr  hacchen,  B  her  hacchen  und  stellen 
ausserdem  210, 15-18  vor  210, 11—14.    Die  überlieferte  lesart 

2* 


20  SARAN 

ZU  halten  habe  icli  iiiicli  H.  v.  A.  s.  18  einer  Vermutung- Höfers 
ang-eschlossen,  der  wie  MSH.  4,  2(5;^  in //^frr//r>?- den  namen  eines 
(lämonischen  wesens  vermutet.  Daizcüen  i)oh'misiert  Sehönbach 
s.  150.  um\  seine  bemerkungen  trett\Mi  (lurcliaus  zu.  Ich  lasse 
also  die  annähme  fallen,  "^chr.nbach  sell)st  kehlt  zu  der  Haujjt- 
schen  (K'Utung  (]\1F.  anm.  z.  st.)  '/lacJan  d.  i.  angelhaken  der 
Avelt"  zurück,  eine  deutung  die  auch  Bech  nur  etwas  anders 
g'Bwendet  {haclccn  (hit.  \A\w.  'lockung-en")  festhält.  Was  aber 
Schünbach  sie  zu  stützen  voibringt.  ist  keineswegs  beweisend. 
Ob  man  unter  dem  haken  einen  angelhaken  oder  einen  fang- 
haken für  raubtiere  versteht,  ist  wirklich  ganz  gdeich:  das 
mancyoi  fac  nach  loufen  passt  zu  keine)'  von  beiden  bedeu- 
tung-en.  Denn  in  der  A'orstellung-  des  nachlaufens  liegt  hier 
doch  inbegriffen,  dass  sich  der  gegenständ  dem  der  dichter 
nachläuft,  vor  ilim  her  bewegt:  das  trifft  aber  bei  keinem 
haken  zu.  A\'enn  ferner  auch  der  teufel  kurzweg  Jianms  heisst, 
so  bezweifle  ich  sehr,  dass  die  sinnliche  bedeutung  des  wortes 
schon  ganz  verschAvunden  ist.  ^lir  scheint,  dass  sich  der  stelle 
durch  ein  einfaches  mittel  aufhelfen  lässt.  Man  behalte  die 
Umstellung  der  stollen  mit  MF.  bei  und  lese  statt  der  hacchen 
der  lachen,  d.  i.  deren  (der  weit)  lächeln  bin  ich  nachgelaufen. 
Y.  15  würde  alsdann  passend  auf  den  gedankeu  von  v.  11  zu- 
rückweisen. —  V.  17  da  —  mac  ist  nur  eine  Umschreibung  für 
'weit';  süete  nimmt  das  trieycni  v.  1 1  wider  auf  und  bedeutet 
also  einfach  die  Unbeständigkeit  der  weit,  die  anders  lohnt  als 
sie  verspricht.  ISchönbach  versteht  darunter  (s.  IGO)  die  reli- 
giöse tugend  der  perseverantkr.  aber  diese  fügend  kann  man 
doch  unmöglich  an  der  weit  vermissen.  Zu  v.  19  ff.  vgl.  Schön- 
bach  s.  160.  IGl. 

210,35  ist  froide  die  fröhliche  teilnähme  an  dem  was  die 
weit,  besonders  das  ritterlich-höfische  treiben  in  der  schr>nen 
Jahreszeit  angenehmes  bietet,  und  die  daraus  entspringende 
Stimmung.  Während  Hartmann  sich  der  weltfreude  hingibt, 
ist  er  innerlich  nicht  wirklich  ruliig  und  froh:  die  sorge  inu 
das  Seelenheil  (v.  35j  mischt  sich  stets  ein  und  stört  den  vollen 
genuss.  Reine  fi-eude  und  ungetrübte  heiterkeit  des  gemütes 
geniesst  er  erst  jetzt,  wo  er  sich  zur  annähme  des  kreuzes- 
zeidiens  bez.  der  kreuzeszeichen  (.Scliönb.  s.  IGo)  entschlossen 
hat  und  sie  nun  auf  seinem  gewande  erblickt. 


UEBEk   HARTMANN    VON    AUE.  21 

Die  sorg-eii  des  verses  35  sind  also  gewis  nicht  weltliche, 
wie  Schönbacli  s.  164  aus  v.  211. 14  vermutet.  Das  würde  nicht 
passen.  Der  hinweis  auf  eine  Sommerzeit,  die  in  jeder  be- 
ziehung-  (gar)  eine  weide  der  äugen  sein  wird  und  der  aus- 
dnick  Kristes  hluonicn  (37),  die  solchen  sommer  voraus- 
V er  künden,  zeigen  m.  e.  deutlich,  dass  diesen  versen  die 
sinnliche  anschauung  einer  frühjahrssituation  zum  hintergrunde 
dient.  Der  dichter  denkt  bei  den  oben  hervorgehobenen  Worten 
an  die  bescheidenen  blumen  des  frühlings,  die  den  reicheren, 
schöneren  blütensehmuck  des  sommers  vorausdeutend  anzeigen. 
Zu  diesen  blumen  des  frühlings  stellt  der  dichter  die  blumen 
Christi,  d.i.  die  kreuzeszeichen,  in  gegensatz:  z"\visclien  beiden 
hat  er  seine  wähl  treffen  müssen  {l-ös  v.  37).  Kristes  (v.  210,37) 
ist  zu  betonen.  Die  beiden  arten  von  blumen  sind  natürlich 
nur  sj'mbole.  ^lit  blumen  schmückten  sich  herren  und  damen 
bei  den  geselligen  Unterhaltungen  und  schmückte  man  die 
hallen  bei  festen.  Das  aufspriessen  der  blumen  im  frühjahr 
bedeutete  somit  für  jene  zeit  die  w'iderkunft  des  fröhlichen 
treibens.  dem  man  sich  nur  im  sommer  wirklich  hingeben 
konnte  und  an  dem  der  dichter  auch  schon  oft  teilgenommen. 
Diese  blumen  verkünden  also  eine  fröhliche  und  schöne  Sommer- 
zeit. Aber  dieser  sommer  kann  dem  dichter  doch  nicht  wahre, 
A'olle  freude  geben,  sondern  nur  eine  gemischte,  eine  freude, 
die  von  sorge  um  das  Seelenheil  getrübt  wird  (210,  35).  Jene 
volle  freude  vermag  nur  der  paradiesessonuner  zu  spenden,  der 
uho  (jar  in  ^äczer  oiigeniccidc  Ut.  Die  Vorboten  dieses  sommers 
sind  die  blumen  Christi,  die  zu  der  zeit  im  lande  aufspriessen, 
als  die  kreuzpredigt  ertr>nt.  Wer  nun  die  blumen  der  natur 
wählt,  der  folgt  dem  heiteren  ruf  der  weit:  blumen  sind  ja 
Symbole  ihrer  geselligen  freuden.  Wer  Christi  blumen  wählt 
folgt  dem  ruf  gottes  und  entsagt  der  weit:  das  kreuz  ist  das 
Symbol  der  ent sagung. 

Da  nun  also  der  dichtei'  seine  lossagung  von  der  weit  und 
seine  hinwendung  zu  gott  unter  dem  bild  einer  überlegten 
wähl  {kos  210,  37)  zwischen  den  blumen  des  frühlings  und  denen 
Christi  darstellt,  so  ist  doch  klar,  dass  sich  ihm  die  bluten 
der  natnr  und  das  kreuz  zu  gleicher  zeit  zur  wähl  dai'geboten 
hal)en.  dass  also  die  kreuznahme  (und  damit  wol  auch  die 
ablas^ung  der  Strophe)  in  einen  frühling  fällt,    wo  Hartmann 


22  SARAX 

wirklicli  zwisclieii  hlumenkianz  und  kreuz,  zwisclien  weit  und 
gott  wählen  konnte.  Die  angelu-nde  .^^onimerlust  hätte  ilim 
dann  das  seh(>ne  motiv  an  die  liand  gegeben.  Andernfalls 
wäre  das  g-anze  nur  ein  witziges  gedankenspiel.  Wenn  also 
Schönbach  tadelnd  anmerkt  (s.  1G3),  ich  zöge  meinen  schluss 
auf  die  datierung  "nicht  aus  den  genau  ^-erstandenen  worten 
des  dichters.  sondern  aus  meiner  eignen  Umschreibung  der- 
selben', so  kann  ich  das  nicht  gelten  lassen.  Ausserdem  habe 
ich  H.  V.  A.  s.  21  diesen  schluss  keineswegs  als  sicher  hin- 
gestellt. —  Das  uns  v.211.3  will  Schönbach  s.  163  auf  die 
guten  menschen  iiberhaupt,  die  in  y.  7  erwähnt  werden,  be- 
zielien.  Das  scheint  mir  wenig  passend,  überhaupt  ist  mir 
der  sinn  seiner  einAvendung  nicht  recht  deutlich.  Ich  ziehe 
meine  fiiihere  erklärung  (H.  v.  A.  s.  19)  noch  immer  vor. 
211,  7  dient  mit  5.  6  nur  zur  näheren  beschreibung  des  zehnten 
Chores:  es  steht  statt  eines  relativsatzes  (Paul,  ^Flid.  gr."  §  346). 
iüis  ist  gleich  'mir  und  euch,  die  ihr  mein  lied  hört'.  Da  nun 
Hartmann  unter  dem  frischen  eindruck  der  krenznahme  dichtet 
und  auf  das  kreuz  an  seinem  gewande  hinweist,  so  denkt  man 
bei  den  zuhörern  doch  zunäclist  an  eine  Versammlung  von 
kreuzrittern.  Sicher  ist  das  natürlich  nicht,  Hartmann  kann 
auch  an  seinem  hofe  gesungen  haben. 

Die  eben  besprochenen  Strophen  209,  25.  210, 11  und  210,  35 
haben  das  gemein,  dass  in  jeder  von  ihnen  auf  das  kreuz  an 
des  dichters  gewand  hingewiesen  wird.  Vgl.  209,35.  210,22.38. 
Sodann  wird  (hiiin  ganz  deutlicli  die  Stimmung  unmittelbar 
nach  der  kreuznalime  gescliildert.  Denn  es  liandelt  sich  in 
allen  dreien  um  die  sittlichen  Wirkungen  die  von  dem 
zeichen  des  kreuzes  ausgehen  bez.  um  die  sittlichen 
pflichten  die  seinem  träger  erwachsen.  Dies  thema 
wird  in  bezug  auf  den  dichter  durchgeführt  und  zwar  so, 
dass  sicli   ein  fortschritt  der  gedanken  nicht  verkennen  lässt. 

Hartmann  beginnt  mit  einem  allgemeinen  gedanken.  'Das 
kreuzeszeichen  verlangt  lauteren  sinn  und  entsagung:  nur  so 
kann  man  dadui'ch  die  Seligkeit  und  alles  gute  was  es  ver- 
lieisst  (Schönbach  s.  157)  erwerben.'  Jetzt  kommt  eine  spe- 
cielle  amvendung.  um  die  beziehung  auf  den  jungen  dichter 
vorzubereiten.  'Daduich  ist  es  auch  ein  nicht  geringer  halt 
fiir  den  Jüngling,   der  sich   nicht  selbst   zu  zügeln  weiss.     Es 


UEBER    HARTMANN    VON    AUE.  23 

will  iiiclit.  (lass  der  mit  iliiu  Ix-zciclinete  nach  sciiiciii  lirlicben 
haudlf.  Kr  soll  t'iilsa.i;uii<i'  üben,  denn  Avas  nützt  es  auf  dem 
klfid.  wenn  nicht  gleichsam  anch  das  herz  (himit  bezeichnet  ist?' 

-Ilii.  11  zieht  nun  der  dichter  darans  die  t'olg;eriinp:en,  die 
sich  tili'  iim  erucben.  Kr  hat  das  kreuz  «genommen  und  will 
nun  auch  diesem  zeichen  gemäss  leben,  er  will  nun  auch  seine 
weltlust  züg-eln.  Aber  das  ist  schwer,  und  darum  erbittet  er 
Christi  hilfe,  seinen  entschluss  auszufiilncii.  '{»iewelt  lächelt 
mich  trüglich  an  unil  winkt  mir.  Nun  bin  ich  ihr  zAvar  bis 
jetzt,  wie  das  ein  junger  mensch  eben  tut  (vgl.  209, 30),  ge- 
folgt. Ihrem  lächeln  bin  ich  manchen  tag  nachgelaufen,  ihr, 
der  wankelmütigen,  unbeständigen  imchgeeilt.  (Jetzt  aber  in 
diesem  entscheidenden  moment,  avo  sich  die  weltfreude  wider 
ankündigt,  will  ich  ihr  nicht  wider  folgen),  nun  hilf  mir,  herr 
Christus,  dass  ich  mich  durch  das  kreuzeszeichen  hier  auf 
meinem  ge wände  vom  teufel  losmache'. 

Str.  210, 11  zeigt  also  den  mit  dem  kreuz  bezeichneten 
dichter  noch  schwankend  zwischen  der  weit,  die  ihm  wider 
einmal  lockend  erscheint,  und  Christo,  der  von  seinem  christ- 
lichen beiden  hilfe  verlangt.  Die  absage  an  die  weit  wird 
ihm,  dem  lebenshistigen  Jüngling,  schwer.  Darum  ruft  er 
Christum  selbst  in  seiner  bedrängnis  an.  Sehen  wir  Hartmann 
hier  noch  zAvischen  der  nachfolge  der  frau  Welt  und  der  nach- 
folge i'hrisii  schwanken,  so  verkündet  die  letzte  strophe.  dass 
der  dichter  den  sieg  über  seine  weltlust  errungen  hat:  der 
Jüngling  hat  sich  t'üi' clnisiuiii  entschieden.  Das  bild  von  der 
wähl  zwischen  well  und  Christus  wird  beibehalten:  nur  treten 
statt  der  personen  der  zweiten  Strophe  {icdt  v.  11;  Kristl9)  ihre 
sj'mbole  ein:  blunien  und  kreuzeszeichen.  Uebrigens  hängt  die 
Strophe  loser  an  der  zweiten,  als  diese  an  der  ersten.  Das 
Schema  ist  (1  +  2).  3. 

Auf  das  kreuz  wird  mit  denselben  werten  wie  in  v.  22 
hingewiesen  (v.  38).  Seine  Wirkungen  machen  sich  bereits 
geltend.  Das  kurze  gebet  in  211,  3  ff.,  worin  die  anwesenden 
mit  eingeschlossen  werden,  gibt  einen  vortrefflichen  abschluss 
des  ganzen. 

Das  eben  zu.sainniengest eilte  lied  zeigt  den  dichtci-  tiotz 
der  kreuzesnahme  noch  im  streit  mit  seiner  weltlust:  er  macht 
sich   vor   unsern  aujren  von  der  weit  los,   er  entscheidet   sich 


24  SAKAN 

eben  erst  für  das  kreuz  und  entsagl  den  blunien.  In  den  noch 
übri^-en  drei  ist  der  kamiif  von  vorn  herein  entschieden,  ^^'ar 
dort  das  tlimia  •kreuzeszeiclu'n  und  weltleben',  so  lautet  ei> 
hier  'rittertaten  und  kreuzfalirt',  •  weltdienst  —  g-ottesdienst 
Am  besten  rundet  sich  der  strophenkreis,  wenn  num  ordnet: 
209,37.  210.23.  211,8. 

In  allen  dreien  wird  auf  die  kreuzfahrt  selbst  hinge Aviesen : 
210,  8  das  er  da  wol  gevcrt 
210,32  min  vart  die  ich  hän  genomen 
211, 18. 19  sicenn  ich  in  Kristes  schar 

mit  fröiden  ivünncclicJien  var. 
Ferner  wird  überall  das  thenia  hervorgehoben: 
weit  und  gott:  210,3  und  5.  211,8  und  12, 
weltfreude  und  Seelenheil:  210,10.  210,  25  und  29, 
Hartmanns  völlige  abkehr  von  der  weit:  210,25.  211,8. 

Dass  210, 23  ff.  sich  gut  an  210. 11  ff.  anschlösse,  wie  Schön- 
bach s.  161  meint,  finde  ich  nicht.  Hier  genügt  der  tod  des 
herrn.  Hartmann  die  weit  zu  verleiden,  dort  entsagt  er  ihr 
unter  schweren  kämpfen,  weil  es  das  kreuzeszeichen  verlangt. 
Dass  ferner  die  sorge,  von  der  Hart  mann  211, 14  spricht,  nicht 
mit  Schönbach  mit  der  sorge  in  210,  35  zusammenzustellen  ist, 
habe  ich  schon  oben  angedeutet.  Die  beziehung  auf  Friedrichs 
Verordnung,  die  ich  H.  v.  A.  s.  2:)  annehme,  gebe  ich  nach  Scliön- 
baclis  einwendungen  s.  165  auf.  Aber  \\arum  übersetzt  dieser 
211, 18. 19  "wann  immer  (also  nicht  gerade  jetzt)  ich  in  der 
heer,schar  Christi  mit  wonne  und  in  freuden  ausfahre'?  Die 
verse  deuten  doch  ohne  zweifei  auf  die  künftige  abreise,  und 
sweiiue  kann  bei  ereignissen,  die  in  der  zukunft  liegen,  ganz 
Avol  auch  bei  einmaligen  handlungen  verwendet  werden:  Paul, 
Mild,  gr."*  §  348.  2.  Also  "wenn  ich  dahin  reisen  Averde'.  Sorge 
steht  ganz  allgemein,  man  denke  einfach  an  Avirtschaftliche 
nöte,  die  manchen  in  der  lieimat  zurückhielten.  Ueber  die 
schwache  flexion  vgl.  Lm.  z.  Iw.  1534. 

Auch  in  dieser  strophengruppe  hängen  die  ersten  zwei 
glieder  eng  zusammen.  Hartmann  beginnt  mit  der  allgemeinen 
aufforderung  an  die  ritter,  indem  er  die  kreuzfahrt  empfiehlt. 
Sie  brauchten  bei  der  kreuzfahrt  auf  der  ivcrlte  lop  nicht  zu 
verzichten,   und   der  sHe  heil  sei   ihnen  sicher.     210,  23  stellt 


UEBEU    HAUTMANN    VON    AUE.  25 

er  an  iccrJtc  (v.  10)  anknüpfend  diesem  gedanken  seine  persön- 
liche stelhing'  gegenüber:  "wie  es  ancli  mit  der  weit  (ist  zn 
betonen)  nach  dem  tode  meines  herren  stehen  mag,  ist  mii- 
freilich  gleichgiltig.  Dieser  hat  den  besten  teil  meiner  frende 
mit  dahingenommen".  Der  tcerUe  lop  kann  nnd  will  er  nicht 
mehr  erwerben,  aber  der  sclc  heil,  darum  will  er  sich  nun 
kümmern.  Der  inhalt  der  strophe  wendet  deutlich  die  ge- 
danken von  210, 10  auf  den  besonderen  fall  des  dichters  an. 
Dagegen  nimmt  die  dritte  strophe  die  begriffe  icerU  und  (jof 
aus  210,  8  und  5  wider  auf.  Sie  hängt  loser  an  der  zAveiten. 
Das  Schema  wäre  (1  -f-  2).  o. 

Ton  VII  (211,27)  enthält  drei  stiophen.  von  denen  zwei, 
nämlich  211,35  und  212.5,  gut  zusammenhängen.  211,27  ist 
selbständiger,  wenn  sie  auch  in  stimnumg  und  gedanken  den 
andern  nicht  fremd  ist.  Es  sind  beziehungen  zu  212, 5  er- 
kennbar: vgl.  211.  28  und  32  mit  212,8.  Vielleicht  stellt  man 
(hirum  am  besten  die  in  MF.  vorausgesetzte  strophe  an  dritte 
stelle.  Man  gewönne  (himit  wider  das  Schema  (1  ^-  2).  3,  das 
schon  öfter  ermittelt  worden  ist. 

Ton  VII  (212,13)  sind  wider  drei  stroidien.  1  und  2 
haben  dieselbe  Situation  (trennung  von  der  geliebten)  zui* 
Voraussetzung  und  hängen  dadiu'ch  etwas  enger  zusammen. 
Die  dritte  steht  allein:  Schema  1,  2.  3. 

Ton  IX  (212,37)  halte  ich  jetzt  für  unzweifelhaft  echt. 
Dies  resultat  ergab  sich  mir  schon  H.  \.  A.  s.  79  als  wahr- 
scheinlich. 

Ton  X  (213,  29)  sind  zwei  unzusammenhängende  strophen. 
Sollte  eine  in  der  mitte  fehlen  und  das  ganze  alsdann  zu  be- 
urteilen sein  wie  die  strophenkettc;  von  toii  lü? 

Den  sinn  der  verse  MF.  34  ff.  versteht^  ich  nicht.  Ich 
setze  hinter  v.  34  ein  komma,  hinter  35  einen  i)unkt  und 
hinter  38  ein  komma.  Statt  ,tc  v.  35  1.  e,s,  d.h.  meine  an- 
wesenheit  bei  ihr.  I  )ie  stelle  v.  36 — 39  ist  nach"  Paul,  Mhd. 
gr.^  §  338  und  30(J  anm.  1  zu  beurteilen.  214. 10  1.  mit  Bech 
nach  in  cerderhen. 

Ton  XI  (214,  12)  schlägt  Hecker,  Altheim,  minnesang 
s.  130  für  z.  25.  20  vor:  von  friumle  . . .  M  der.  Das  fehlen  des 
aitikels  wäre  zu  begi'eifen:  Paul,  Mhd.  gr."  §223,1.7.  Die 
besserung  scheint  mir  in  der  tat  nötig  wegen  v.  33. 


26  SA RAN 

Ton  XII  (215.  14).  Es  gehören  215, 14  nnd  215,  30  eng- 
znsjunnien.  Str.  215, 22  stellt  für  sich  und  hat  auch  in  den 
liss.  die  letzte  stelle.  Vgl.  H.  v.  A.  s.l7.  Sie  ist  aber  in  Stim- 
mung und  Inhalt  den  vorausgelK^nden  Acrwant.  Also  "wider 
das  Schema  (1  +  2).  3. 

Ton  XVI  (218,  5).  Die  zweite  der  bedeutungen,  die  ich 
H.  V.  A.  s.  26  für  niinnc  in  ansprnch  nehme,  verwirft  Schön- 
bach s.  166.  Seine  bedenken  sind  berechtigt:  icli  nehme  jene 
auffassung  zurück.  In  218, 27  und  28  stehen  sich  nicht  sowol 
die  gegenstände  der  liebe  gegenüber,  als  vielmehr  die  arten 
des  liebeswerbens:  ihr  liebt  unglücklich,  ich  glücklich.  Die 
von  mir  unter  no.  3  angesetzte  bedeutung  minne  =  Caritas 
(liebe  gottes  zum  menschen)  bezeichnet  Schönbach  als  nicht 
katludisch.  Es  sei  vielmehr  die  liebe  des  menschen  zu  gott. 
Darin  wird  er  ohne  zweifei  recht  haben.  Dadurch  wird  der 
gedankengang  auch  klarer,  da  nun  überall  minne  als  liebe 
des  dichters  zu  jemandem  gefasst  werden  kann.  Somit  spielt 
Hartmann  hier  mit  folgenden  bedeutungen  des  wortes:  1)  minne 
zur  geliebten.  2)  minne  zu  dem  verstorbenen  herrn.  3)  minne 
zu  gott.  In  Str.  1  denkt  der  hörer  zunächst  an  die  erste  be- 
deutung. der  dichter  hat  natürlich  auch  2)  und  3)  dabei  im 
sinn.  In  str.  2  tritt  die  zweite  heraus.  Hartmann  hat  ja  nach 
210,  31  ff.  nicht  nur  für  sein  Seelenheil,  sondern  auch  für  das 
seines  herrn  den  kreuzzug  gelobt.  Darauf  spielt  er  hier  v,  17  ff. 
an.  'Seht  wie  die  minne  (zu  meinem  herrn)  mich  über  das 
meer  führt.  Und  doch:  lebte  mein  herr  noch,  so  würde  mich 
keine  macht  der  erde  aus  dem  abendlande  fortbringen.'  Hier 
steht  für  den  dichter  von  den  drei  bedeutungen  die  zweite  im 
Vordergründe.  Den  hörer,  der  immer  noch  an  die  minne  in 
erster  bedeutung  denkt,  muss  die  erklärung  der  zeilen  19  und 
20  überraschen,  und  das  ist  auch  der  zweck  des  geistreichen 
Spieles.  Die  letzte  strojdie  sjiitzt  sich  auf  die  dritte  bedeu- 
tung zu. 

An  dei-  Schreibung  lebte  min  herrc,  Salattn  . . .  muss  ich 
trotz  Schönbachs  Widerspruch  s.  361  festhalten.  Min  her  Sa- 
latin ■=  monsieur  S.  ist  für  Hartmann  unmöglich,  weil  bei 
ilim  das  min  nie  seine  eigentliche  bedeutung  verliert,  wie  ich 
H.  V.  A.  s.  25  gezeigt  habe.  Und  selbst  wenn  man  es  als  mög- 
lich erweisen  könnte,   so  wäre  es  hier  nicht  stilgemäss.    Das 


UEBER    HAUTMANN    VON    AUE.  27 

einfache  Salatin  ist  unter  allen  umständen  das  einzig-  slil- 
gerechte.  Solange  mau  diese  beiden  gründe,  den  gTanimatisclieu 
und  stilistischen  nicht  widerlegt,  nützen  alle  uuischreihungen 
uiul  deutuugen  der  stelle  im  anschluss  an  ]\1F.  gar  nichts. 
Audi  Vogt  hätte  s.  238  darauf  eingehen  sollen,  (k^nn  "wesent- 
licli  diese  beiden  gründe  und  nicht  die  vergleichende  heran- 
zieliuug  der  liistorischen  literatur  ist  für  mich  bei  der  datie- 
rung  des  liedes  ausschlaggebend  gewesen.  VranJccn  erkläre 
ich  jetzt  mit  Martin  als  bezeichnung  des  abcMidlandes. 

A\'as  den  umfang  der  lieder  Hartmanns  anbetrifft,  so  haljen 
meine  betraehtungen  zu  folgendem  ergebnis  geführt: 

einst i'oi)liiii-:    ton      VI  211.20  (nicht   vollständig) 

zweistrophig:      ..       IV  2()'J,  5  +  1.5  (strophonkette) 

„         X  213,29.  214,  1 

„      XI  214, 12  +  2.3  (strophenkette) 

<li-eistroi>hig:      ,.        II  206,29  +  207,  1.  206, 19  (stroplionkreis) 

„      III'  207,  1 1  +  208,  32  +  208,  20  (strophenkette) 

„      IIP  208,  8.  207,  35.  207,  23  (strophenkreis) 

V  209,  25  4-  210,  11  +  210,  35  (strophenkette) 

V''  209,  37  +  210,  23.  211,  8  (strophenkreis) 

„     VII  211,  35  +  212,  5.  211,  27  (desgl.) 

„   VIII  212.13:  212,21.  212,29  (desgl.) 

„       IX  212,  37  +  213,  9  +  213,  19  (strophenkette) 

„     XII  215,  14-1-215,  30.  215,  22  (stroplienkreis) 

..    XIV  216.  29  +  2I(;,  37  +  217,  6  (.strophenkette) 

,.      XV  217.14  +  217,  24  4-  21 7,  34  (desgl.) 

,,    XVI  21S,  5  +  218,  13  +  218,  21  (desgl.) 

vierstrophig :      „   XIII  21(;.  1  +  216,  8  +  216,  15  +  216,22  (,str.-kette) 

fünfstrophig:      „  I  2(».'i.  1  +  205,  19  +  205,  lo  +  306,  1.  206,  10 

(strophenkreis), 

d.  h.  von  18  liedern,  die  sich  aus  der  betrachtung  des  metrums 

und  Inhaltes  ergeben,  sind 

dreistrojjhig  12 

fünfstropliig  1 

vierstrophig  1 

zweistrophig  3 

[einstropliig  1 1. 

Da  nun  (his  einstrophige  lied  sicher  unvollständig  ist.  so 
stehen  18  drei-  und  fünfstro})hige  lieder  gegen  vier  zwei-  bez. 
viei'stroi)hige.  Es  sind  also  die  gruppen  mit  ungei'ader  strophen- 
anzahl  weitaus  in  der  majorität. 


28  SARAN 

AVas  nun  die  coniposition  der  lieder  anbetrifft,  so  sind 
von  den  zwei-  und  vierstroidiigen  drei  ketten  und  nur  eins 
(ton  X)  ein  kreis.  Avenn  man  bei  zwei  Strophen  so  sagen  darf. 
Selir  möglich  dass  dies  unvollständig  auf  uns  gekommen  ist 
(vgl.  oben  s.  25).  Von  den  l:>  drei-  und  fünfstrophigen  sind 
6  ketten,  2  (nämlich  111- und  VHI)  reine  Strophenkreise  nach 
der  oben  gegebenen  detinition.  Die  übrigen  5  sind  'misch- 
formen", d.  h.  sie  sind  nach  dem  scliema  (1  +  2).  3  oder  (1  -f-  2) 
+  (3  +  4).  5  gebaut.  Von  den  beiden  reinen  Strophenkreisen 
gilt  aber  auch,  dass  ihre  beiden  anfangsstrophen  einander 
näher  stehen  als  der  dritten.  AVenn  man  also  die  liedertypen 
Hartmanns  angeben  will,  so  wird  man  sich,  glaube  ich,  auf 
zwei  beschränken  dürfen: 

1)  reine  Strophenketten  von  2,  3  und  4, 

2)  Strophenkreise  von  3  und  5  gliedern,  Avobei  ich  auch 
die  Schemata  (1  +  2).  3  und  (1  -f  2)  -f-  (3  +  4).  5  einstweilen 
schlechthin  mit  diesem  namen  belegen  will. 

Es  ist  sehr  möglich,  dass  dieser  'mischtypus'  der  eigentlich 
berechtigte  ist,  während  die  'reinen'  Strophenkreise  secundär 
entwickelt  sind.  Darüber  kann  nur  eine  umfangreiche  Unter- 
suchung licht  verbreiten. 

Mit  dem  was  hier  rein  durch  analj^se  des  liedinhalts  er- 
mittelt ist,  stimmen  nun  sehr  auffällig  gewisse  beobachtungen 
Giskes.  Aus  dessen  arbeit  über  die  körner  ergibt  sich,  dass 
in  drei-  und  füiifstrophigen  liedern  entweder  alle  Strophen 
durch  kitrner  gebunden  sind  (s.  59 — 61),  oder  aber  die  grup- 
pierung  (1  +  2).  3  bez.  (1  H-  2  +  3  -f  4).  5  vorliegt.  Letztere  ist 
besonders  beliebt  (s.  Gl  ff.).  Ganz  ähnliches  beobachtet  Giske 
bei  der  strophenverkettung.  Auch  hier  (Zs.  fdph.  20, 101  ff.)  die 
Schemata  1  +  2  |-  3  bez.  (1  +  2).  3.  Entsprechend  s.  197  ff. 
(2  -f  2).  1  odei'  4.  1.  Allerdings  kommen  noch  andere  typen 
vor,  abei-  jene  scheinen  ganz  besonders  beliebt  zu  sein.  Wie 
weit  übrigens  jene  anderen  formen  berechtigt  sind,  wäre  zu 
untersuchen.  Auf  den  Inhalt  geht  (jiske  leider  nicht  ein. 
Aus  dieser  übereinstimnuing  nuMuer  resultate  mit  denen  Giskes 
ergibt  sich  miiulestens  so  viel  mit  Sicherheit,  dass  die  von  mir 
am  inhalt  nachgewiesene  typische  Strophenordnung  nicht  zu- 
fällig ist. 

^^'enn   lum   der   lypus   \on   drei   oder   fünf  Strophen   mit 


UEBEE   HARTMANN   VON    AUE.  29 

lose  augeliäiig'ter  letzten  nicht  zufällio-,  sondern  beabsichtigt 
ist  nnd  daran  kann  man  niclit  wol  zweifeln  — .  so  ergibt 
sicli  ein  interessanter  ansblick  auf  das  in'oldeni,  mit  dem  sich 
rill  bei  Nifen  beschäftigt,  l'lil  nimmt  als  riclitschnur  für 
seine  liederkritik  die  regel  (s.  17):  'dann  aber  müssen  wir.  wie 
überall,  so  besonders  gegen  das  ende  der  fünfstrophigen  lieder 
den  fortgang  der  g-edanken  aufs  schärfste  verfolgen  und  da. 
wo  sich  uns  eine  logische  scliwäche.  ein  abirren  vom  tliema 
zu  zeigen  scheint,  ohne  rücksicht  das  kritische  messer  an- 
setzen'. Auf  grund  dieser  regel  Averden  dann  die  fünften 
strojihen  vieler  lie(U"r  Xifens  füi'  unecht  erklärt.  Aber  etwas 
mehi'  rücksicht  auf  die  Überlieferung  wäre  doch  angebracht. 
Warum  sollte  Nifen  nicht  wie  Hartmann  in  ton  I  den  typus 
4.  1  bez.  (2  +  2).  1  gebraucht  haben?  Dann  wäre  die  son(h'r- 
stellung  der  Schlussstrophe  nicht  auffallend  und  metrische 
freiheiten  in  ihr  niclit  ohne  weiteres  als  kriterien  für  die  un- 
echtheit  zu  verwerten.  Der  grund  der  Sonderstellung  der 
fünften  bez.  dritten  strophe  kann  melodisch -rhj'thmisch  sein. 
Vgl.  Strophe  —  antistrophe.   epode  in  der  antiken  chorpoesie. 

II.    Chronologie.     Kritik  ihrer  principien. 

Liter.at  ur. 

W.  Wilma  11  HS,  Zu  Hiirtmaiius  von  Aue  liedeni  und  büchlein,  Zs.  fda. 

14,  144.  —  F.  Bech,  Iweiu»  ISßS  (-'1S73.  ="1888)  eiiü.  s.  viff.  —  R.  Heiuzel, 

lieber  die  lieder  Hartmanns  von  Aue,  Zs.  fda.  15, 125  ff.  —  Sclireyer,  Unter- 

.suchun^-en  überleben  und  dicbteu  Hartmanns  von  Aue,  Progr.,  Pforta  1874. 

—  L.  S  c  h m  i d ,  Des  minnesäugers  H.  v.  A.  stand,  beiniat  und  gesclileeht  1 874 
(s.  53  ff.).  —  Lungen,  AVar  H.  v.  A.  ein  franke  oder  schwabe?  Diss.,  Jena 
1876.  —  H.Paul,  Beitr.  1,535.  2,  476  ff.  —  Naumann,  Teber  die  reihon- 
folge  der  werke  H.'s  v.  A.,  Zs.  fda.  22,  25  ff'.  —  Jacob,  Das  II.  büdilein  ein 
Hartmanniscbes,  Diss.,  Leipzig  1879.  —  Greve,  Leben  u.  werke  H."s  v.  A., 
Progr.,  Fellin  1879.  —  Kauffmann,  Ueber  H."s  Lyrik,  Diss.,  Leipzig  1884. 

—  Rec.  von  Burdach,  Anz.  fda.  12,  ISÜ  ff.  —  F.  Saran,  H.  v.  A.  als  lyriker. 
Halle  1889.  —  Rec.  von  Vogt,  Zs.  fdpli.  24,  237.  —  A.  Schönbach,  Ueber 
H.  V.  A..  Graz  1894,  s.  355.  —  P.  Piper,  Höfische  epik  TL  H.  v.  A.  und  seine 
nachaliiiier.  1894  (s.  16  ff.). 

llaitiiiaiiüs  lied(M'  ilirer  Zeitfolge  nach  zu  ordnen  hat  man 
die  verschiedensten  methoden  teils  angewendet,  teils  vor- 
geschlagen. Der  welcher  die  arbeit  zuerst  in  angriff  nahm, 
war  Wilma  uns.  Er  gieng  rein  vom  Inhalt  der  lieder  aus. 
Er  versuchte   aus  den  andeutungen  des  dichters   die   tatsäch- 


30  SARAN 

liehen  gruiidlagcii  seines  liebeslehens  zu  erscliliessen,  das  er- 
mittelte mit  einaiuler  in  bezieliiing'  zu  setzen  und  so  den 
historischen  verlauf  festzustellen.  Auf  diesem  weg'e  gelangte 
er  dazu,  zwei  minneverhält nisse  anzunehmen,  eines,  welches 
noch  vor  der  kreuzesnalinie  gelöst,  ein  anderes,  welches  bald 
nach  ihr  begonnen  wurde.  Kine  gewähr  für  diese  teilung- 
schien ihm  auch  die  Überlieferung-  zu  bieten.  Denn  von  den 
liederbüchern.  die  er  aus  ihr  herausschälte,  umfasst  no.  1  lieder 
die  sich  auf  das  erste,  no.  3  solche  die  sich  auf  das  zweite 
beziehen.  No.  2  enthält  wesentlich  werke  der  übergang-speriode, 
no.  4  Strophen  aus  verschiedenen  zelten.  Das  I.  büchleiu  fällt 
zum  ersten,  das  IT.  zum  anderen  Verhältnis.  A^'ilmanns'  ergeb- 
nisse  wären  in  übersichtlicher  Zusammenstellung-: 

Erstes  Verhältnis: 

ton  205, 1.  206,19.  207,11.  200,5.  213,29.    I.  büchleiu. 

Uebergangszeit: 

ton  216,29.  209,25.  211.20  (kreuznahnie  1195). 

Zweites  Verhältnis: 

214,  34.   215, 14.   212, 13.   216, 1.  217, 14.  218,  5.  214. 12. 
II.  büchleiu. 
211,27  ist  ein  g-edankenspiel  und  ohne  realen  hintergrund. 

Gegen  die  annähme  mehrerer  minneverhältnisse  und  gegen 
das  priucip,  die  handschriftliche  Überlieferung  für  chronologische 
zwecke  zu  benutzen,  sprach  sich  alsbald  Bech  aus  (a.a.O.  s.xl). 
Er  für  seine  persun  meint.  Hartmann  habe  seine  lieder  nur 
einer  dame  ge-^vidmet.  Die  Ordnung  der  Strophen  in  den  hss. 
ist  nach  seiner  ansieht  für  das  problem  der  Chronologie  schwer- 
lich von  bedeutung. 

Anders  als  AMlmanns  geht  Heinzel  vor.  Er  legt  wert 
darauf,  dass  in  A  zwei  auch  innerlich  zusammenhängende 
lieder  in  der  richtigen  reihenfolge  stehen,  während  Bl'  ab- 
weichen. Diese  zwei  lieder  (206, 19.  207, 11)  sind  seiner  Über- 
zeugung nach  der  kern  eines  liederbuehes,  woran  sich  später 
noch  andere  töne  angeschlossen  hätten.  Die  gedichte  des 
liederbuehes  beziehen  sich  auf  ein  langjähriges  erstes  minne- 
verhältnis,  was  dann  vor  der  kreuznahnie  gelöst  wird  (s.  130). 
Dieser  zeit  rechnet  Heinzel  zu  die  töne  205, 1.  206, 19.  207, 11. 
209,5.  209,25.  211,20.  213,29.  214,12.  215,14.216,1.  IL  büchl. 


UEBER   II ARTMANN    VON    AUE.  81 

217.11.  I.  liiiclil.  Ihiiaiif  ciilsiianii  sicli  ein  /wcilcs  xciliältiiis, 
iiiul  dieser  iieiiode  liclKMcii  an:  210.  oä.  214,  o4.  212,  IM.  212,37. 
211.27.  218,5.  Dies  veiliältiiis  fällt  nach  dem  kreuzzng  von 
1197.  212.9  deutet  niüglichenveise  auf  ein  drittes  Verhältnis. 
21(3. 29  wird  ehen  dahin  g-estellt  (s.  13G).  Heinzel  gelit  also, 
umgekehrt  wie  A\ilmauiis.  von  der  ül)ei'lieferung-  aus.  Kr  zer- 
legt sie  in  liederhüchcr  und  Hiidet  dann,  dass  diese  lieder  ent- 
halten die  auch  inhaltlich  zusammengehören. 

Dagegen  polemisiert  Schreyer  von  einem  standi)unkt  ans, 
welcher  dem  Bechs  nahe  liegt.  Hart  mann  lebte  nur  einer 
dame.  Die  lieder  die  er  in  ihrem  dienst  dichtete,  fallen  vor 
und  nach  dem  kreuzzng  von  1197.  Das  princii)  wonach  Schreyer 
verfälirt,  ist  lediglich  betrachtung  des  Inhaltes.  Auf  die  Ord- 
nung in  den  hss.  legt  er  keinen  wert. 

8chmid  glaubt,  Hartmami  habe  zwei  kreuzzüge  mit- 
g-emacht,  den  von  1189  (auf  ihn  gehe  209,  25  und  211,  20)  und 
den  von  1197  (auf  ihn  218,5).  Er  trennt  also  die  kreuzlieder 
von  einander.  Dies  billigt  Lungen,  der  wider  zwei  minne- 
verhältnisse  annimmt.  Die  liederbüchertheorie  misbilligt  er 
mit  Schreyer  und  Bech. 

Seit  Pauls  einschneidender  kritik  ist  diese  nicht  mehr 
für  die  feststellung  der  Chronologie  benutzt  worden.  Die  Über- 
zeugung, dass  allein  innere  gründe  für  die  anordnung  mass- 
gebend sein  können,  ist  seitdem  wol  allgemein  dui'chgedrungen. 

Von  denen  die  sich  weiterhin  mit  dem  problem  beschäf- 
tigt haben,  bringen  wieder  Naumann  (s.  73),  noch  Jacob  (s.  25), 
noch  Kauffmann  (s.  42  f.)  etwas  neues.  Sie  combinieren  die 
angaben  die  Hartmann  über  seine  liebe  macht,  und  entscheiden 
sich  bald  für  ein,  bald  für  zwei  Verhältnisse. 

Unter  hinweis  auf  sein  buch  "Keinmar  der  alte  und  Wal- 
ther  von  der  Vogelweide'  sprach  nun  Burdach  in  seiner  recen- 
sion  von  Kauffmanns  sclirift  nachdrücklich  die  ansieht  aus, 
dass  die  princii>ien,  auf  denen  die  bisher  besi»rochenen  arbeiten 
beruhen,  unrichtig  seien.  Die  biogra])liische  ausdeutung  der 
minnelieder  sei  mit  wenigen  ausnahmen  unfruchtbar,  ebenso 
nütze  es  fast  nie  etwas,  die  handschriftliche  Überlieferung  zu 
berücksichtigen.  Es  sei  zunächst  allein  von  der  künstlerischen 
gestaltung  des  Inhaltes  auszugehen.  Aus  dieser  müsse  man 
eine   Chronologie  gewinnen,   indem   man   genau    und    kritisch 


32  SARAN 

analj'siere,  was  der  diclitcr  darstelle  und  wie  er  das  Tue.  Man 
habe  sich  also  an  die  wähl  der  niotive  und  an  die  teclmik 
zu  halten. 

\\'ie  subjectiv  die  aut'stellungen  der  g-elehrten  sind  die 
wesentlich  vom  inhalt  der  Strophen  ausgehen,  ist  auch  mir 
nicht  verlxng-en  geblieben,  ich  habe  dai'um  a.  a.  o.  versucht, 
eine  chrunologie  auf  ganz  objectiven  kriterien  aufzubauen. 
Abgesehen  von  den  historischen  anspielungen  welche  die  ge- 
fliehte bieten,  und  den  sicheren  beziehungen  worin  einige  von 
ihnen  zu  eimmder  stehen,  verwende  ich  statistisch  dargelegte 
beobachtung-en  über  die  entwicklung  der  rln'thmik  Hartmanns. 
Die  richtigkeit  dieser  methode  wird  nicht  im  princip.  wol 
abei-  im  einzelnen  von  Vogt  bestritten. 

Die  neuste  einschlägige  arbeit  ist  die  von  Sclunibach. 
Er  erkennt  durchaus  die  richtigkeit  der  bemerkungen  an,  die 
Burdach  gemacht  hat.  Trotzdem  zieht  er  es  vor  —  meinen 
versuch  berücksichtigt  er  überhaupt  nicht  —  zu  dem  älteren 
verfahren  zurückzukehren,  nicht  ohne  dass  er  besorgt,  man 
werde  es  vielleicht  'brutal"  nennen  (s.  365).  Er  gruppiert  die 
gedichte.  von  denen  die  kreuzlieder  zunächst  ausgeschlossen 
bleiben,  nach  ch^r  beschaffenheit  der  minneverhältnisse,  auf  die 
sie  sich  beziehen  und  die  nach  seiner  meinung  einige  deutliche 
kennzeichen  besitzen  (s.  357).  A\'orin  diese  bestehen  wird  nicht 
angegeben;  die  lieder  werden,  Avie  dies  zuerst  Wilmanns  getan, 
schlechthin  nach  den  andeuttmgen  geordnet  die  Hartmann  über 
sein  minneleben  gibt.  Das  resultat  ist  folgendes.  Hartniann 
sind  zwei  minneverhältnisse  nachzuAveisen.  Zum  ersten  ge- 
hören die  folgenden  töne,  etwa  in  der  Ordnung  wie  sie  auf- 
gezählt Averden:  200,19.  ].büchlein.  213,29.  215,14.  207,11. 
205, 1,  auch  209,  5.  Hartmann  ist  noch  nicht  ritter.  Vor  der 
kreuznahme  (für  den  zug  von  1189)  Avird  das  Verhältnis  gelöst. 
Es  folgen  zwei  kreuztöne:  209,25.  211,20.  Dem  zAveiten  ver- 
liältnis  entspringen  die  lieder:  214,12.  212,3.  212,37.  Il.büch- 
lein.  21(3,1.  [210,  29?].  Hartmaim  ist  ritter.  Nicht  sicher  ein- 
zuordnen sind:  214,34  (Schönbach  hält  es  für  echt).  211,27. 
210,  29  (dies  vielleicht  zum  zAveiten  Verhältnis  gehörend).  217, 14. 
218,5  (geht  auf  den  kreuzzug  von  1197). 

Mir  scheint,  dass  »Schönbach  bei  seiner  Verteilung  der 
lieder  auf  ZAvei  minneAerhältnisse  etAvas   von  dem  gedanken 


UEBER    llAirniANN    VON    AUE.  33 

beeinflusst  Avorden  ist,  jedem  der  büclileiii  entspreche  ein  be- 
sondei'es  veiiiältnis  und  diese  niüssten  sicli  aucli  in  den  liedern 
widersi»ieg'eln.  Wenigstens  liat  er  manche  g-edanken  erst  aus 
dem  zweiten  büchlein  in  die  lieder  hineing-elegt,  gedanken  die 
niclit  darin  zu  finden  sind,  wenn  man  den  text  rein  für  sich 
betrachtet.  Denn  dass  Hartmann  ritter  sei  kann  aus  keinem 
einzig-en  seiner  lieder  bewiesen  werden.  214,  34  ist  von  Paul 
und  mir  als  unecht  nachg-ewiesen,  wird  übrigens  auch  von 
Schönbacli  nicht  zur  construction  verwendet.  Darüber  dass  er 
durch  Imote  von  der  g-eliebten  fern  g-ehalten  werde,  klagt  der 
dichter  nie  in  den  liedern.  Nur  das  Tl.  büchlein  kennt  diese 
Situation.  Hartmann  braucht  das  wort  linofe  in  seiner  lyrik 
bloss  einmal:  215,25,  in  einem  liede  das  Hchönbach  jedoch  zum 
ersten  Verhältnis  rechnet;  klag-en  ül)er  die  hüte  bringt  er 
nirgends.  Es  wäre  doch  sonderbai'.  wenn  sich  der  dichter 
dies  beliebte  und  fruclitbare  motiv  hätte  entgehen  lassen,  falls 
es  ilnii  tut'  Wirklichkeit  an  die  liand  gab. 

Auch  die  gründe  halten  nicht  stich  mit  denen  Schönl)ac]i 
die  oben  aufgezählten  trme  dem  andern  Verhältnis  zuweist. 
T'^nzweifelhaft,  sagt  er  s.  359,  müsse  214, 12  einem  zweiten 
minnedienst  zugehören,  denn  es  werde  im  zweiten  l)üchlein. 
der  reiten,  poetischen  frucht  dieses  zweiten  Verhältnisses  citiert. 
^^'arnm  soll  denn  aber  der  dichter  dieses  büchleins,  wenn  es 
Hartmann  war,  nicht  ein  lied  aus  seiner  früheren  zeit  citiert 
haben?  L'nd  mit  welchem  recht  bezeichnet  Schönbacli  das 
II.  büchlein  als  eine  frucht  des  zweiten  Verhältnisses?  Ausser- 
dem enthalten  die  Voraussetzungen  jenes  liedes  214, 12  nichts 
\(m  huotf.  eine  trennung  irgend  welcher  art  ist  sein  anlass, 
mehr  wird  nicht  angedeutet.  Warum  soll  ferner  Hartmann, 
so  lange  er  im  gedankengang  des  T.  büchleins  lebte,  unfähig 
gewesen  sein,  216,  29  zu  dichten  (s.  360)?  Das  büchlein  be- 
ginnt ja  gerade  damit,  dass  der  leib  seine  unlust  am  minne- 
dienst ausdi'ückt.  T^nd  wer,  wie  Schönbach  annimnlt,  zu  jener 
zeit  207,11  dichten  kann,  der  kann  gleichzeitig,  meine  ich. 
auch  216,  29  singen.  Auch  die  Verteilung  der  kreuzlieder  auf 
zwei  kreuzzüge,  nämlich  209,25.  210,35  auf  1189  und  218,5 
auf  einen  si)äteren  (1197?),   ist  doch  wenig  glaublich  (s.  361). 

Ich  vermag  mich  mit  Schönbachs  anordnung  ebenso  wenig 
zu  befreunden  wie  mit  den  anderen  die  nach  demselben  princip 

Beitrage  zur  guiichichte  der  deutschen  BpmcUo.     XXllI.  3 


34  SARAX 

hergestellt  sind,  und  g-laube  nicht,  (hiss  durch  sie  die  lösung- 
des  Problems  wirklich  gefördert  ist.  ^^'e\\\\  Schöiibach  betont 
(s.  8<U  unten),  er  sei  im  ganzen  zu  gleichen  resultaten  gelangt, 
wie  A\'ihnanns  und  Heinzel  so  trifft  das  weder  zu,  noch  wäre 
es,  wenn  es  zuträfe,  ein  beweis  für  die  richtigkeit  seiner  Chro- 
nologie. Heinzel  rechnet  die  töne  216, 1.  214, 12  nebst  dem 
IL  büchlein  zum  ersten  Verhältnis,  weist  also  beide  biichleiu 
einer  epoclie  zu  (s.  135.  136,  besonders  s.  139  oben),  Schön- 
bach verteilt  sie  auf  beide:  dies  ist  ein  wichtiger  unterschied. 
Andererseits  ist  zu  bedenken,  dass  ^Mlmanns  und  Heinzel 
im  wesentlichen  dasselbe  princip  der  anordnung  wie  Schönbach 
angewendet  haben,  dass  also  von  vornherein  Übereinstimmung 
der  resultate  erwartet  werden  muss.  A\'enn  nun  trotzdem 
die  anwendung  dieses  princips  bei  Schönbach  wider  zu  einer 
neuen,  z.  t.  sehr  abweichenden  Ordnung  führt,  so  scheint 
mir  das  eher  ein  beweis  gegen  als  für  seine  brauchbarkeit 
zu  sein. 

Ich  sehe  also  keinen  grund,  warum  ich  den  Standpunkt 
verlassen  sollte,  den  Burdach  a.  a.  o.  einnimmt  und  auf  den 
ich  mich  seiner  zeit  auch  gestellt  habe.  Ich  halte  es  im 
gegenteil  für  notwendig,  alle  die  c(inse(iuenzen  solcher  be- 
trachtungsweise  zu  ziehen.  Es  ist  mir  natürlich  nicht  zweifel- 
haft, dass  die  lyriker  jener  zeit  —  wie  die  aller  zelten  —  die 
Stimmungen  welche  sie  überzeugend  (h'irzustellen  vermögen, 
auch  alle  durchh'bt  und  durchemi)funden  liaben.  Aber  der 
inhalt  der  Situationen  die  sie  zur  künstlerischen  darstel- 
lung  solcher  stinnnungen  benutzen,  brauclit  im  einzelnen  falle 
nicht  die  mindeste  realität  gehabt  zu  haben.  Diese  Situationen 
gehören,  wie  die  metra,  die  foimeln.  auf  anderem  gebiet  die 
dramatischen  fabeln  u.  ä.  zu  den  mittein  des  poetischen  aus- 
drucks,  die  nicht  zum  kleinsten  teil  traditionell  waren,  und 
die  sich  dem  dichter  zunächst  darboten,  wenn  er  für  seine 
eigenen  inneren  erlebnisse  nach  ausdruck  lang.  'Diese  kunst 
des  dichters  können  Avir  auch  bei  Hartniann  objectiv  erkennen  . . ., 
seine  person,  sein  leben,  seine  Intentionen  —  all  dies  liegt  im 
nebel,  und  wenn  im  glücklichen  fall  einzelne  umi'isse  hindurch- 
scheinen, so  werden  sie  inmier  schwankend  und  schwer  flxierbar 
bleiben'  (Burdach  a.a.O.  s.  191).  Kin  versuch,  die  lieder 
Hartmanns  zu  ordnen,  muss  darum  von  ihrer  kunst- 


UEBTIK    flAKTMANN    VON    ATK.  85 

form  auso-elieii:  vme  cliroiiologie  die  sidi  wesentlich  oder 
ausscliliesslicli  auf  die  biographisclie  verweiidimg-  des  Inhaltes 
beschränkt,  ist  nach  meiner  Überzeugung-  von  vornheiein 
verfehlt. 

Aus  dem  ganzen  minneleben  Hartmanns  ist  durch  die  lieder 
Avol  nur  dies  eine  bezeugt,  dass  ihm  eine  ihime,  die  er  umworben, 
Avii'klich  ihre  huld  versagt.  Dies  wird  in  206. 16  mir  hat  ein 
ivip  (jendde  ividerseit,  der  ich  (jedicnef  hau  mit  stceteJceit  . . . 
ausdrücklich  gesagt,  und  da  der  dichter  kurz  vorher  auch  den 
tod  seines  herrn  beklagt,  so  wird  wie  dies  unglück  so  auch 
jenes  eine  tatsache  sein.  Denn  man  kann  doch  kaum  an- 
nehmen, dass  hier  ein  historisch  wirkliches  mit  rein  fingiertem 
verbunden  sei. 

A\'ill  man  darüber  hinaus  über  die  art  dieses  Verhältnisses 
etwas  erfahren,  so  empfiehlt  es  sich  vielleicht,  mehr  nach  dem 
zu  forschen  was  der  dichter  nicht  sagt,  als  die  positiven  an- 
gaben die  er  scheinbar  macht,  zu  pi-essen. 

Aus  dem  was  oben  über  das  Verhältnis  von  H.  kl.  (I. büchl.) 
zu  ton  I  gesagt  ist,  würde  folgen,  dass  die  dame  zunächst  von 
Haitmanns  'dienst"  nichts  wusste.  EbensoAvenig  natürlich 
andere  leute.  Als  er  sie  schliesslich  bittet,  sich  seinen  dienst 
gefallen  zu  lassen,  weist  sie  ihn  ab.  Ich  glaube  die  Wirklich- 
keit wird  dem  entsprochen  haben.  Denn  hätte  sie  um  seine 
neigung  gewusst.  hätte  sie  ihn  hingehalten  und  dann  schliess- 
lich doch  abgewiesen,  so  würde  sich  der  dichter  dies  stärkere 
poetische  motiv  gems  nicht  haben  entgehen  lassen. 

Ebensowenig  hat  Hartmann  gewagt,  sich  seiner  dame  in 
irgend  einer  weise  zu  nähern  die  nicht  der  sitte  entsprach. 
Denn  wenn  er  nie  über  hiwte  klagt  (215,25  ist  keine  klage), 
so  hat  er  wol  auch  nie  von  der  hitote  wirklich  zu  leiden  ge- 
habt. Das  wäre  aber  nicht  ausgeblieben,  wenn  er  mit  oder 
gegen  den  willen  seiner  dame  versucht  hätte,  zu  ihr  zu  dringen. 
Dies  jtasst  ganz  zu  der  läge,  in  der  die  einleitung  des  I.  büch- 
leins  den  dichter  zeigt:  hier  ist  für  den  neid  der  merker  kein 
räum,  und  darum  ertönt  dies  motiv  auch  nicht  in  den  liedern. 

Alles  andere  liegt  im  dunkeln.  Es  ist  sehr  möglich,  dass 
Hartmanns  ganze  minnelyrik  oder  wenigstens  fast  die  ganze 
aus  diesem  einzigen,  wirklich  beglaubigten  noch  dazu  ganz 
einseitigen   liebesverhältnis  geflossen  ist.     Ich   halte  es  sogar 

3* 


36  SARAX 

für  Avalirsclieinlich,  weil  ich  giuiid  habe  aiizunehnien,  (h\ss  die 
lieder  dieses  dichters  sich  in  ganz  wenige  jähre  zusammen- 
drängen (vgl.  unten).  Warum  soll  auch  Hartmann  nicht 
Strophen  wie  211,  27  ff.  213.  29  ff.  216,  29  ff.  g-edichtet  haben, 
wenn  ilnu  die  dame  minder  freundlich  schien  als  sonst,  oder 
warum  soll  er  nicht  trüben  stimmung'en  bei  reiferer  kunst  in 
liedern  wie  212, 37  ff.  ausdruck  verliehen  haben?  Ich  halte 
es  geradezu  für  unzulässig,  aus  einer  Strophe  wie  212, 5  ff. 
auf  eine  untreue  Hartmanns  zu  schliessen.  Das  gedieht  ist 
ein  stimnuingsbild  mit  humoristischem  anfing,  dessen  reale 
Ursache  nicht  erkennbar  ist  —  wenn  es  überhaupt  eine  solche 
hat.  Selbstverständlich  darf  man  andeutungen  eines  minne- 
sängers  über  liebeserlebnisse  nicht  vernachlässigen,  aber  sie 
kommen,  wie  Burdach  mit  recht  betont,  erst  in  zweiter  linie. 
Es  sind  momente  von  secundärer  beweiskraft,  deren  wert  ei'st 
gesichert  werden  muss. 

Unter  den  kriterien  nach  denen  man  beurteilen  kann,  wie 
weit  ein  dichter  bereits  in  seiner  entwickelung  zu  höherem 
kr»nnen  fortgeschritten  ist,  steht  in  vorderster  reihe  die  metrik. 
Namentlich  in  einer  zeit  des  aufblühens  ist  es  von  hohem  wert 
und  nicht  schwer,  zu  beobachten,  wie  die  kunst  zu  immer 
vollkommneren  formen  fortschreitet.  Hier  heben  sich  die 
verschiedenen  stufen  deutlicher  von  einander  ab,  als  wenn  die 
entwickelung  bis  zur  Vollendung  gediehen  ist.  Ich  habe  darum 
den  nachdruck  auf  die  betrachtung  de]-  metrischen  technik 
Hartmanns  gelegt  und  die  Chronologie  seiner  lieder  auf  eine 
Statistik  ihrer  auftaktverhältnisse  gegründet.  Die  berechtigung 
so  zu  A^erfahren  wurde  vorher  nachgewiesen,  indem  zunächst 
rein  aus  dem  Inhalt  mehrerer  töne  und  aus  deutlichen  be- 
ziehungen  zwischen  ihnen  eine  kleine  reihe  ermittelt  wurde, 
die  als  chronologisch  ziemlich  sicher  angesehen  werden  darf 
(H.  V.  A.  s.  29  ff.).  Das  resultat  ist  von  Becli  in  vollem  umfang 
angenommen  und  in  seiner  ausgäbe  (3.  aufl.)  verwendet.  Paul 
erkennt  (Trundr.  2',  1, 937  wenigstens  das  princip  als  richtig 
an.    Ebenso  Vogt  (s.  24ü). 

Icli  habe  schon  in  meiner  schritt  betont  und  widerhole  es 
hier,  dass  ich  die  reihenfolge  die  ich  gewonnen,  keineswegs 
für  sicher  und  bis  ins  einzelne  genau  ausgeben  will  (H.  v.  A. 
S.31  anm.  s.  39  oben).    Ich  habe  das  princip  nur  darum  streng 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  37 

duichg'efülirt ,  um  zu  seilen,  eb  sich  dabei  widerspriiclie  er- 
g:äben.  Dies  ist  nicht  der  fall  gewesen,  im  gegenteil.  Eben 
in  diesem  erfolg  sehe  ich  eine  biirgschaft  für  die  richtigkeit 
der  methode. 

H.  V.  A.  s.  35  gebe  ich  folgende  anordnimg  der  töne: 


X 

213 

29 

xni 

21R 

1 

vm 

212, 

13 

vn 

211, 

27 

XIV 

216. 

29 

IT 

209. 

■5 

XV 

217. 

14 

IX 

212. 

37 

XI 

214,  12 

II 

20B.  19 

in 

207,11     . 
205, 1     j 

I 

V 

209,  25 

VI 

211.  20  >  krenzlieder 

XVI 

2 IS.  5 

Das  ergebnis  bestätigt,  dass  die  drei  kreuztöne  einander 
zeitlich  nahe  stehen  und  gewis  nicht  auf  zwei  kreuzzüge  ver- 
teilt werden  dürfen.  Dass  dies  zugleich  das  wahrscheinlichste 
ist,  wird  niemand  bezweifeln.  Aus  der  tabelle  folgt  weiterhin, 
dass  die  töne  I,  II,  III  zusammenzustellen  sind.  Auch  dies 
bestreitet  niemand:  sie  werden  stets  ein  und  demselben  minne- 
verhältnis  zugewiesen.  Ilire  Ordnung  bestimmt  Schönbach 
überdies  genau  so  wie  ich  getan,  nur  dass  er  zwischen  II  und 
III.  I  noch  einige  andere  gedichte  einschiebt.  Dass  sie  vor 
bez.  kurz  vor  die  kreuznahme  fallen,  wird  anch  allgemein 
angenommen.  Drittens  ergibt  mein  princip  einen  nenen  grund 
für  die  unechtheit  von  MF.  318,  an  dei'  wol  niemand  ernstlich 
zweifelt,  und  für  die  von  214,  34.  welche  wenigstens  von  Paul 
nachdrücklicli  verfochten  wird.  A\'enn  also  meine  Chronologie 
dem  nicht  widerspricht  was  man  aus  gi'ünden  des  Inhalts  und 
des  Stiles,  jedenfalls  aus  rein  objecti'S'en  gründen  annimmt, 
sondern  dies  im  gegenteil  bestätigt,  wenn  sie  hingegen  nur 
mit  dem  streitet  was  man  unter  biographischer  ausdeutung  der 
lieder  combiniert  hat,  so  sehe  ich  darin  keinen  grund,  sie  für 
unrichtig  zu  halten  und  ihr  princip  zu  verwerfen.  Ich  finde 
darin  nur  einen  beweis  für  die  richtigkeit  des  Standpunktes 
den  ich  nach  Vorgang  Burdachs  eingenommen  habe. 

^lag  man  auch  über  die  einzelheiten  abweichender  ansieht 
sein  —  vollkommene  genauigkeit  steht  natürlich  nicht  zu  er- 
warten — ,  so  viel  glaube  ich  doch  nachgewiesen  zu  liaben, 
dass  in  den  liedern  Hartmanns  eine  starke  tendenz  zur 
auftaktregulierung  waltet,  mithin  die  lieder  welche  darin 


38  SARAN 

am  reg-elniässig'steii  sind,  ancli  als  die  letzten  lyrischen  erzeug'- 
nisse  des  dichters  zn  gelten  haben. 

Freilich  gebe  ich  ohne  Aveiteres  zu,  dass  meine  alte  be- 
Aveisfühning  in  H.  \.  A.  manche  mängel  hat.  Zum  teil  weist 
schon  Vogt  auf  sie  hin.  zum  andern  teil  sind  sie  mir  selbst 
l)ei  meinen  Untersuchungen  über  musikalische  und  poetische 
rhythmik  sichtbar  geworden. 

Das  sclnverste  bedenken  welches  Vogt  erhol)en  hat.  näm- 
lich (bis  gegen  die  ansetzung  so  vieler  Strophen  als  einzel- 
strophen.  ist  von  mir,  Avie  ich  hoffe,  im  ersten  abschnitt 
dieser  Untersuchung  beseitigt  worden,  im  sinne  meiner  H.  v.  A. 
s.  12  eingefügten  anmerkuug  und  im  sinne  Pauls  und  Vogts. 
Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  in  den  tönen  der  Zusammen- 
hang der  Strophen  verhältnismässig  eng  ist,  enger  als  ich 
früher  zugestanden. 

Die  einbeziehung  von  ton  211,20  in  die  Statistik  ist 
nicht  zu  billigen,  weniger  aus  dem  gründe  den  Vogt  s.  238 
voi'bringt  als  deshalb,  weil  das  lied  offenbar  nicht  vollständig 
auf  uns  gekommen  ist.  Sein  inhalt  macht  aber  die  einordnung 
nicht  zweifelhaft. 

Wie  weit  mehrsilbige  Senkungen  anerkannt  werden 
müssen,  lasse  ich  dahingestellt.  Lachmann  und  Haupt  haben 
ihre  anzahl  zu  beschränken  gesucht:  im  gegensatz  zu  ihnen 
hat  Paul  für  ^^'alther  viele  der  beseitigten  wider  auf- 
genommen. Die  entscheidung  dieser  für  die  herausgäbe  mhd. 
texte  sehr  wichtigen  frage  kann  nur  eine  genaue  metrisch- 
statistische Untersuchung  eines  grossen  materiales  geben,  die 
ebenso  sehr  die  gesetze  der  systematischen  wie  historischen 
rhythmik  zu  berücksichtigen  hat.  Mir  scheint,  dass  die 
herausgeber  von  MF.  die  grenzen  zu  eng  gezogen  haben. 
Aber  auf  die  autorität  der  hss.  in  diesem  punkte  zu  bauen, 
halte  ich  entschieden  für  unzulässig.  Auch  über  die  möglich- 
keit  von  'kürzungen'  denke  ich  anders  als  Paul  (Fkiti. 8, 181  ff.), 
da  ich  von  derexistenz  einer  mhd.  dicht erspra che  überzeugt  bin. 

Man  hat  vor  allem  streng  zu  scheidcMi  zwischen  gesungenen 
liedern  (vocaltexten)  uml  gesagten  gedichten.  Der  rhythmus 
folgt,  Avie  ich  anderswo  schon  oft  hervorgehoben  habe,  in 
beiden  gattungen  ganz  verschiedenartigen  gesetzen:  dort  denen 
der  musik,  hier  denen  der  poesie.     Diese  arbeitet  mit  den 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  39 

mitt'.'lii  welclie  ihr  der  spracliton  an  die  liaiid  gibt,  jene  mit 
zeitverhältni^;sen  die  dem  lebendigen  A\'ort  fremd  sind  und  es 
bis  zu  einem  g-ewissen  grade  sogar  verg-ewaltigen.  Wo  also 
zur  erreicliung-  einer  bestimmten  Wirkung  in  der  poesie  eine, 
zwei  oder  mehr  Senkungen  vielleicht  nötig  sind,  können  sie  im 
gesang  überflüssig  sein,  ja  stören  —  und  umgekehrt.  Gesang 
und  poesie  sind  auf  jeden  fall  gesondert  zu  behandeln. 

Im  gesang  ist  nun  eine  zweisilbige  Senkung  (arsis)  an 
sich  Aveder  schön  noch  hässlich.  Der  eindruck  den  man  beim 
lesen  von  minnesängertexten  empfängt,  ist  natürlich  für  die 
ästhetische  beurteilung  ihres  i-hythmus  in  keiner  weise  mass- 
gebend: diese  werke  sind  eben  nicht  zum  lesen  bestimmt. 
Metrisch  sind  zweisilbige  Senkungen  an  sich  ebenfalls  gänzlich 
unauffällig:  statt  _!__  steht  einfach  L^^.  Im  reihenauftakt 
sind  sogar  drei  silben  möglich  (^^^  I  -).  0  b  freilich  und  wie 
weit  die  sänger  von  diesen  m()glichkeiten  gebrauch  gemacht 
haben,  ist  eine  andere  frage.  Sie  ist  nicht  mit  theoretischen 
erörterungen.  sondern  allein  auf  dem  wege  der  Statistik  zu 
lösen.  Eine  solche  aber  wird  zweckmässig  nur  mit  grösserem 
material  unternommen  und  so  dass  man  dabei  die  sprach-  und 
Schreibgewohnheiten  der  hss.  berücksichtigt.  Ich  muss  hier 
darauf  verzichten.  Dass  sich  für  die  Chronologie  der  Hart- 
mannischen lieder  daraus  ein  kriterium  ergeben  werde,  glaube 
ich  nicht.  Darin  ist  die  regelung  doch  schon  zu  weit  durch- 
geführt. 

Innere  zusammenziehung  (tliesis  -\-  arsis  =  i-i-;  nach 
Westphal  'synkope  der  Senkung")  nehmen  die  herausgeber  von 
MF.  in  Hartmanns  liedern  nirgends  an,  meiner  Überzeugung 
nach  mit  recht,  ^^'o  sie  überliefert  ist,  lässt  sie  sich  durch 
ganz  leichte  und  unbedenkliche  änderungen  beseitigen.  So 
205,  o  mnc  siile  (so  die  hss.),  ]\1F.  ohne  zweifei  richtig:  ensüle. 
205,4  (1(12  salbe  tiiot  ouch,  MF.  (Idz  selbe  daz  tuot  oiick,  wo 
vielleicht  Beclis  emendation  daz  selbe  tuot  ouch  der  min  s.  m. 
Aorzuziehen  ist.  210, 11  lese  ich  mit  Haupt.  Nimmt  man  an 
der  Umstellung  anstoss,  so  könnte  man  aucli  an  iverdt  denken, 
eine  zweisilbige  form,  die  in  älteit^i  liedertexten  aufzunehmen 
sich  zuweilen  emiifiehlt.  Füi'  den  lesei'  ist  Haupts  besserung 
entschie(h^n  gefälliger,  die  musikalische  liiythmik  winde  da- 
gegen keinen  anlass  haben,  zweisilbige  arsis  hinter  der  zweiten 


40  SAKAN 

thesis  des  Vordersatzes  (_  1 .^^- - )  zu  tadeln,  da 

sie,  gerade  an  dieser  stelle  öfters  vorkommt  und  rhj'tlimiscli 
begründet  ist.  Yg-1.  abschnitt  IIT.  Entscheiden  kann  wider 
nur  die  Statistik.  Von  bedeutung-  für  die  Chronologie  Hartmanns 
ist  also  auch  die  erscheinung  der  zusammenziehung-  nicht. 

Den  ausschlag  gibt  die  beobachtung  der  auftakt- 
verhältnisse.  Die  bedenken  welche  Vogt  dagegen  erhebt, 
dass  ich  die  auftaktfrequenz  in  procentzahlen  umgerechnet  für 
die  Chronologie  verwerte,  kann  ich  nicht  teilen.  Denn  wenn 
in  den  45  versen  des  tones  205, 1  der  auftakt  einmal  fehlt,  in 
den  24  von  215, 14  aber  auch  nur  einmal,  so  ist  das  doch  ein 
grosser  unterschied.  Da  jenes  lied  fast  doppelt  so  viel  verse 
hat  als  dieses,  so  fehlt  der  auftakt  dort  natürlich  um  die 
hälfte  seltener  als  hier.  Umreclmung  in  procente  ist  darum 
keineswegs  ein  'aufbauschen'  (Vogt  s.  239):  im  gegenteil  wäre 
es  falsch  die  Ziffern  direct  mit  einander  zu  vergleichen.  jMan 
würde  in  diesem  fall  ihre  bedeutung  verschleiern  und  ^on  den 
wirklichen  Verhältnissen  ein  ganz  schiefes  bild  erhalten.  Dass 
ich  den  abstand  von  205,1  und  214, 12  H.  v.  A.  s.  36  für  be- 
deutsamer gehalten  als  er  wirklich  ist,  leugne  ich  nicht,  um 
so  mehr  als  ich  jetzt  das  'daktylische'  lied  dort  einstelle. 
Der  oder  die  verlornen  leiche  Hartmanns  sind  wol  kreuzleiche 
gewesen.  Sie  würden,  wenn  dieses  richtig  ist,  unter  die  krenz- 
lieder  einzureihen  sein. 

S.  239  bemerkt  Vogt:  'der  Verfasser  hat  bei  der  auf  Stellung 
seiner  tabelle  entweder  ganz  vergessen,  dass  dieselbe  die  fort- 
schreitende regelung  des  auftaktes  veranschaulichen  soll  oder 
er  sieht  diese  regelung  ausschliesslich  in  dem  gleichmässigen 
setzen,  nicht  auch  in  dem  gleichmässigen  fehlen  des  auftaktes 
und  ebensowenig  in  dem  bestinunten  Wechsel  \o\\  versen  mit 
und  ohne  auftakt;  denn  nach  seiner  Übersicht  steigen  unter- 
schiedslos mit  der  zahl  der  auftaktlosen  verse  eines  tones  auch 
jene  procentzahlen,  deren  allmäliliches  anwachsen  nur  immer 
weiter  zurück  auf  die  stufen  geringerer  kunstfertigkeit  des 
dichters  führen  soll;  die  denkbar  niedrigste  stufe  derselben 
würden  wir  demnach  mit  der  denkbar  h()clisten  procentzahl 
erreichen,  d.  h.  in  einem  conseciuent  ganz  ohne  auftakt  gebauten 
gedieht!  Kin  solches  findet  sich  nun  allerdings  bei  Hartmann 
nicht,   wol    aber  gebraucht   er   Strophenschemata   Avelclie   das 


UEBER    HA  KIM  ANN    VON    AUE.  41 

fehlen  des  auftaktes  an  bestiiinnter  stelle  erlieisdien'.  Die 
gerügte  vergessliclikeit  wird  mir  Vogt  hoffentlich  nicht  im 
ernst  zutranen.  Von  den  beiden  niöglichkeiten  die  er  offen 
lässt,  ist  die  zweite  richtig.  Ich  habe  mit  bewusstsein  nur 
ein  princip  in  der  auftaktregulierung  anerkannt  und  halte 
auch  jetzt  daran  fest,  dass  das  von  mir  ermittelte  durchaus 
die  ent Wickelung  belierscht.  Neben  ihm  kommt  kein  anderes 
wirklich  zur  geltung.  Gleich wol  hat  Vogt  richtig  gesehen, 
dass  meine  ausführungen  an  dieser  stelle  der  ergänzung  be- 
dürfen. In  einigen  liedern  fehlt  allerdings  der  auftakt  ent- 
schieden nicht  ohne  absieht.  Doch  widerspricht  dies,  wie  sich 
zeigen  wird,  meinem  princip  keineswegs,  fügt  sich  ihm  vielmehr 
auf  das  1)este.     Vgl.  abschnitt  VI. 

Auf  einen  mangel  meiner  Statistik  muss  ich  selbst  auf- 
merksam machen,  da  ihn  niemand  bemerkt  hat.  Er  liegt  auf 
rein  rln'thmischem  gebiet  und  zwar  in  der  kolotomie.  Die 
mild,  liedertexte  werden  so  gedruckt,  dass  im  allgemeinen  eine 
reimzeile  auch  eine  druckzeile  ausfüllt.  Dass  damit  der  bau 
der  Strophen  nur  unvollkommen  widergegeben  werde,  haben 
sich  die  herausgeber  von  MF.  nie  verhehlt.  In  den  meisten 
fällen  ist  nun  die  reimzeile  gleich  einer  rhythmischen  reihe, 
oft  aber  beträgt  sie  weniger  (bei  binnenreim  u.  s.  w.),  oft  mehr 
(bei  waise  und  reihenverschleifung).  Der  rhythmische  wert 
einer  druckzeile  in  MF.  kann  somit  im  einzelnen  falle  drei- 
fach sein:  1)  reihe,  2)  reihenabschnitt,  3)  zwei  oder  mehr  reihen 
bez.  eine  ganze  periode.  Als  erstrebenswert  muss  ein  druck- 
scliema  bezeichnet  werden,  worin  jede  zeile  den  wert  einer 
rhythmischen  reihe  hat,  und  worin  die  anfange  der  perioden 
durch  grosse  buchstaben  deutlich  gekennzeichnet  sind.  Alles 
andere  ergibt  sich  daraus  dem  kundigen  leser  von  selbst. 

Entwirft  man  nun  nach  dem  princip,  das  ich  verwendet, 
eine  statistische  tabelle  der  auftakte,  so  muss  man  vor  allem 
die  fuUctionen  genau  scheiden.  Man  darf  also  nur  die  auftakte 
am  reiheiianfang  mit  einander  vergleichen,  man  muss  sich  da- 
gegen hüten  •l)inneiiauftakte'  mit  in  die  i'echnnngeinzubeziehen. 
KerntM-  liat  man.  um  wirklich  genaue  zahlen  zu  bekommen, 
die  anzahl  der  kola  einer  strophe  rhythmisch  zu  bestinnnen 
und  <larf  sich  nicht  nach  (hMi  uniichtigen  sdiematen  der  drucke 
richten.    So   habe   ich   z,  b.  MF.  211, 27   im  anschluss  an  den 


42  SAKAX 

text  als  eine  Strophe  von  8  reihen  ang-eselien  nnd  die  procente 
auf  diese  zahl  berechnet.  Dies  ist  falsch,  denn  die  Zeilen  211.  28 
und  30  sind  notwendig-er  weise  in  je  zwei  kola  zu  zeileg-en, 
während  211,32.  33  ebenso  notwendig-  in  eines  zusammengezogen 
werden  müssen.  Die  strophe  besteht  also  nicht  aus  8,  sondern 
aus  9  reihen  und  damit  ändert  sich  aucli  der  statistische  wert 
der  auftakt Ziffer  etwas.  Ferner  fällt  damit  der  auftakt  von 
211,33  ausser  betracht,  denn  er  ist  nicht  die  erste  arsis  einer 
reihe,  sondern  nur  erste  arsis  eines  abschnittes  (reihenteiles), 
also  vom  Standpunkt  des  kolons  aus  gesehen  ein  'binnenauftakt'. 
Es  bedarf  also  meine  frühere  arbeit  vorzugsweise  im  punkte 
der  rhythmik  einer  revision.  Denn  die  grundlage  einer  Unter- 
suchung, wie  die  ist  welche  ich  geführt  habe,  muss  vor  allem 
eine  genaue  kolotomie  sein.  Ich  will  diese  kolotomie  und 
überhaupt  die  rh3thmisierung  der  lieder,  so  weit  sie  für  meinen 
unmittelbaren  zweck  von  nöten  ist,  liier  nacliholen. 

III.    Zur  rhythmik   von  MF. 

Was  einem  wirklichen  Verständnis  der  lyrik  der  minne- 
singer  bisher  im  wege  gestanden  hat  und  noch  immer  im  wege 
steht,  ist  der  umstand,  dass  man  die  überlieferten  denkmäler 
dieses  kunstzweiges  niclit  als  das  behandelt  was  sie  sind  und 
allein  sein  sollen:  vocal texte.  Wdw  nimmt  sie  für  poetische 
Averke,  für  gedichte  und  beurteilt  sie  im  wesentlichen  ebenso, 
wie  man  es  mit  gedichten  moderner  lyriker  tut.  Man  vergisst, 
dass  sie  nur  mit  der  melodie  zusamnien  Avalirliaft  lebten,  dass 
also  beim  lesen  ein  grosser  teil  ihrer  ästhetisclien  Wirkungen 
schwinden  muss.  Eine  erotische  deutsche  buchljTik  gab  es 
damals  nicht.     Es  gab  keine  gedichte,  sondern  nur  lieder. 

Macht  sich  dieser  fehler  der  betrachtung  schon  bei  der 
literarischen  beurteilung  oft  recht  störend  geltend,  so  nocli 
mehr  bei  der  rhythmischen.  Man  stellt  hier  die  Strophen 
dieser  sänger  auf  eine  stufe  mit  den  reimdichtungen  der  er- 
zähler,  man  überträgt  beobachtungen  die  man  an  sprechversen 
gemacht,  auf  gesangsverse ,  kurzum  mau  lässt  den  grossen 
unterschied  ausser  acht,  der  tatsächlich  zwischen  musikalischen 
und  poetischen  rhythmen  besteht.  Dadui'ch  Avird  eine  befrie- 
digende auffassung  der  minnelieder  unmöglich. 

Es  ist   für  die  metrik   der  minnesinger   unbedingt  festzu- 


UEHKIJ    IIAUT.MANX    VUN    AUE.  43 

halten:  das  für  den  ästhetischen  cindriuk  massgebende,  das 
formende  element  ist  der  musikalische  rhj'thmns.  Dessen 
formen  hat  sirh  der  text  sowol  im  accent  wie  in  der  g-liederung- 
anzuheiiuemen.  Diese  musikalisch -rhythmischen  formen  sind 
aber  ilirem  weseu  und  ihrer  entstehung-  nach  von  der  spräche 
und  ihren  accentverhältnissen  als  solchen  g-änzlich  unabhängig, 
sie  kihinen  z.  b.  in  der  instrnmentalmusik  eine  existenz  ohne 
Sprachtext  führen.  A^^eil  sich  nun  aber  der  text  dem  musika- 
lischen rhythmus  fügen  muss,  weil  er  von  diesem  geformt  wii'd, 
soweit  es  die  natur  der  s})rache  nicht  hindert,  so  wird  er  da 
Avo  die  melodie  nicht  erhalten  ist.  die  mfjglichkeit  bieten,  den 
rhythmus  zu  erkennen  den  er  begleitet.  Ans  den  eindrücken 
die  der  rhythmus  im  text  hinterlassen,  kann  man  also  um- 
gekehrt seine  form  reconstruieren.  Aber  dies  ist  nur  dann 
möglich,  wenn  man  sich  über  wesen  und  gesetze  des  musika- 
lischen rhythmus  unterrichtet  hat:  ohne  kenntnis  dessen  was 
in  musikalischen  rhythmen  m()glich  ist,  kann  die  rhythmi- 
sierung der  texte  nicht  gelingen.  Denn  der  text  spiegelt 
eben  nicht  alle  Wirkungen  des  rhythmus  ab,  sondern  nur  einige. 
Ja  selbst  dann,  wenn  uns  die  melodien  der  alten  minnelieder 
erhalten  wären,  würde  aus  text  und  melodie  allein  die  rhyth- 
mische form  nicht  construiert  werden  können.  Denn  die  notie- 
rung  alter  melodien  jener  epoche  bedarf,  wie  mich  ein  kenner 
der  mittelalterlichen  notenschrift,  H.  Riemann,  versichert,  selbst 
erst  der  rhythmischen  deutung  auf  grund  des  textes. 

Die  einzige  möglichkeit  in  das  wesen  der  alten  kunst 
einzudringen  ist  also  die,  dass  man  an  modernen  musikstücken 
verwanter  art,  d.h.  an  einfachen  liedern,  die  formen  und  ge- 
setze des  musikalischen  rhythmus  studiert,  danach  die  erhal- 
tenen texte  rhythmisiert  und  dann  die  resultate  durch  statis- 
tische vergleichung  corrigiert.  Man  wird  so,  wie  ich  überzeugt 
bin,  wenn  nicht  völlig,  so  doch  hinreichend  genauen  aufscliluss 
erlangen,  zumal  die  sache  verhältnismässig  recht  einfach  liegt: 
Ich  werde  im  folgenden  nach  diesei-  methode  verfahren.  Die 
grundsätze  die  ich  im  einzelnen  befolge,  werde  ich  vorher  an- 
geben. Icli  muss  dies  in  dogmatischer  form  tun.  erhebe  aber 
hier  nicht  den  anspruch  darauf,  etwas  endgiltiges  zu  geben. 
Doch  möchte  ich  bemerken,  dass  meine  art  der  behandluug 
und    die   folgende   kurze   rhythmische   Übersicht   sich   auf   die 


44  SARAN 

clurcharbeitimg-  eines  reichen  materiales  stützt.  Ich  habe  taii- 
sende  von  musikalischen  compositionen  aller  g-attun^en  und 
grossen  anal3-siert  und  die  gewonnenen  regeln  an  sämmtlichen 
liedern  aus  MF.,  den  meisten  Walthers  und  zahlreichen  späterer 
säng-er  erprobt  und  als  stichhaltig-  erfunden.  Ich  glaube  ihnen 
darum  einigen  wert  beilegen  zu  dürfen.  Im  einzelnen  hoffe 
ich  meine  grundsätze  bald  in  einer  systematischen  darstellung- 
der  allg-emeinen  musikalischen  rhythmik  rechtfertigen  zu  können. 
Einstweilen  verweise  ich  auf  K.  ^^'estphals  'Allgemeine  theorie 
der  musikalischen  rhythmik  seit  Bach'  und  ebendessen  'Aristo- 
xenos"  bd.  1  (von  mir  bearbeitet  und  herausgegeben),  wo  sich  in 
den  prolegomena  ein  abriss  der  musikalischen  rhythmik  findet. 
Beide  Schriften  zusammen  genügen  im  ganzen  zur  rhythmisie- 
rung der  minnelieder,  so  viel  verfehltes  auch  darin  enthalten 
ist.  AVill  man  sich  die  Schemata  der  minnelieder  beleben,  so 
nehme  man  dazu  choralmelodien.  Deren  rhythmik  steht  — 
von  dem  feierlichen  tempo  natürlich  abgesehen  —  ungefähr 
auf  dem  Standpunkt  der  lieder  in  MF.  Von  der  heranziehung 
der  kinderlieder  sieht  man  am  besten  ab,  da  diese  eine  Sonder- 
stellung einnehmen. 

Die  rhythmik  der  minnelieder  in  MF. 
1.   Der  rliytlninis  innl  seine  factoreii. 

§  1.  Lässt  man  ein  monodisches  oder  unisones  (ev.  be- 
gleitetes) lied  auf  sich  wirken,  z.  b.  das  bekannte  'Frisch  auf, 
kameraden,  aufs  pferd,  aufs  pferd'  und  zwar  gesungen  so  Avie 
es  an  seiner  stelle  sinn-  und  stilgemäss  gesungen  Avei'den  muss. 
so  findet  man  dabei  im  bcAvusstsein  —  wenn  man  einmal  von 
andern  Wirkungen  absieht  —  die  Vorstellung  einer  gewissen 
zeitlichen  gliederung,  die  zugleich  als  angenehm  gefühlt  wird. 
Dies  ist  der  rhythmus  des  liedes,  die  ästhetisch  wolgefällige 
Zeitform  des  akustischen  Vorgangs. 

§  2.  Anal^'siert  man  nun  diesen  Inhalt  des  bewusstseins, 
so  enthüllt  er  sich  als  tlie  Wahrnehmung  eines  sj^stems  von 
Zeitbeziehungen,  das  die  tonreihe  in  uns  entstehen  lässt,  und 
zwar  eines  Systems,  das  sich  in  mehreren  Ordnungen  aufbaut, 
die  so  zu  sagen  über  einander  stehen.  Sie  folgen  diesem 
Schema : 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  45 


4.     _]•_         :         _1'_ 
:{.    r     :     V  r     :     r 

und  dann  auf  jeder  Seite  weitei': 

;<.  r  :  r 


2.  :i  :  ii  a  :  a 

1.       f      :      f  f      :       "f  r       :       f  f      :      t' 

0.  s:.s     .s:s      s:s      f;:s  s:s      s:s     s:s      s:s 

D.  li.  diese  tonreilie  ist  so  beschaffen,  dass  ilire  teile,  naclidem 
sie  ins  bewusstsein  setreteu  siiul.  nicht  vereinzelt  bleiben,  son- 
dern nacli  dem  mitgeteilten  scheuui  auf  einaiuler  bezog-en,  also 
vom  geist  zu  grupi)en  vereinigt  Aveiden,  von  denen  eine  immer 
die  nächst  niederen  einschliesst. 

§  'i.  Jede  einzelne  rhytlimo])öie  ist  also  in  rhythmische 
gruppen  verschiedener  Ordnungen  zerlegbar.  Diese  sind  \tin 
unten  nach  oben  gerechnet: 

1)  der  f  uss  (f)  bestehend  aus  zwei  schlagen  (s).  die  arsis 
und  thesis  (aufschlag  und  niederschlagj  heissen, 

2)  der  abschnitt  (a), 

3)  die  reihe  (r), 

4)  die  periode  (p); 
eventuell  kommen  hinzu 

5)  der  absatz, 

6)  die  Strophe. 

Jede  gruppe  höherer  Ordnung  zerlegt  sich  zuei'St  in  die  der 
nächst  niederen  und  dann  so  fort.  Die  folge  der  schlage,  diese 
ohne  beziehung  zu  einander  gedacht,  heisse  das  rhj'thmische 
niveau  (im  Schema  mit  0  angedeutet). 

§  4.  Dies  wolgefällige  zeitensystem  ist  ps3''chologisch  be- 
trachtet eine  leistung  des  bewusstseins.  Die  mittel  die  die  seele 
anregen,  es  zu  erzeugen,  d.  li.  die  factoren  des  rhythmus  sind 

1)  das  metrum,  d.  h.  alle  die  festen  Verhältnisse  worin 
die  dauerwerte  der  einander  beigeordneten  t()ne  und  tongruppen. 
in  den  verschiedenen  Ordnungen  stehen.  ^letrum  ist  also  der 
Inbegriff  der  mathematiscli  festgestellten  dauerverhältnisse  in 
der  tonbewegung.  ]\Iit  'rhythmus'  darf  der  begriff  nicht  ver- 
wechselt werden. 

2)  die  dynamik,  d.h.  der  Inbegriff  der  Stärkeabstufungen, 
die  in  einer  tonreihe  bemerkt  werden, 


46  SAUAN 

3)  das  temifo. 

4)  die  agogik.  d.  li.  kleine  delniimoen  oder  kürziing-en 
die  die  normaldauer  eines  wertes  erleidet,  ohne  dass  die  g*rimd- 
proportion  für  das  bewnsstsein  gestcirt  wii'd. 

5)  die  tonarticulation  (legato,  staccato  u.s. w.), 

G)  die  tote  pause,  d.h.  irrationale  leere  Zeiten,  die  als 
grenzen  gebraucht  werden. 

7)  die  melodie  mit  ihren  bedeutungsvollen  intervall- 
schritten und  Schlüssen, 

8)  der  text,  der  durch  syntaktische  gliederung  und  den 
Wechsel  accentuierter  und  nicht  accentuierter  silben  die  rhj'th- 
•niische  gruppenbildung  wesentlich  fördert, 

9)  das  euphonische  des  text  es,  z.  b.  reim,  alliteration 
u.  dgl.,  was  ebenfalls  den  i'ln^thmus  stützt. 

§  5.  Nur  das  zusammenwirken  aller  oder  doch  dei-  meisten 
dieser  factoren  erzeugt  den  rhytlimus.  Es  brauchen  aber  nicht 
alle  in  gleicher  richtung  zu  wirken.  Einige  können  wider- 
streben, die  dann  durch  stärkere  Wirkung  anderer  in  ihrer 
tätigkeit  compensiert  werden.  In  solchen  fällen  —  und  es  sind 
wol  alle  —  ist  das  ideale  rhythmische  system  mehr  oder  weniger 
verschleiert.  Orade  in  der  feinen  Verwendung  der  gegensätze 
in  den  factoivn  besteht  die  kunst  der  rhj'thmischen  arbeit. 

2.    Die  i)r  niidforiiieii   der  rli  ytlun  isclieu   ynippeii. 
Es  folge  nun  eine  kurze  Charakteristik  der  einzelnen  rhyth- 
mischen gruppen,  soAveit  sie  für  meinen  zweck  nötig  ist. 

§  6.  Der  fuss.  Für  den  minnesang,  soweit  dessen  texte 
in  MF.  vorliegen,  kommen  nur  vier  in  betracht: 

_1  anapäsf)  (J  |  J)  |  1  _  daktylus')  (|  JJ) 
^.'_  Jambus  (}|J)  |  -^  trochäus  (|j}). 
Die  füsse  kennen  also  entweder  das  gerade  (1 : 1)  oder  das 
ungerade  (1:2,  2: 1)  Verhältnis.  Analysiert  man  eine  rhythmo- 
pöie  nach  takten,  d.h.  von  thesis  (hebung)  zu  thesis  ohne  rück- 
sicht  auf  das  fusssystem,  so  erhält  man  für  MF.  natürlich  nur 
zwei  einfache  taktformen:  den  geraden  |  1_  |  =  |  JJ  |  und 
den  ungeraden  L^  =  \  j ^  \.  Bei  anaiiästen  und  Jamben  heisst 
dann  die  erste  arsis  der  i-eihe  -auftakt'. 


')  leb  briinclK.'  difsou  iiaineii  in  etwas  audereni  sinn  als  die  antike. 


UUBKK    IIARTMANN    VON    AUK.  47 

4j  7.  Die  reihe.  Iss  ,iiil)t  in  ili'v  imtsikalisclieii  rliyiliniik 
iilterliauiit  mir  fünf  i-t'ilH-nfoniit'ii:  den  zwei-,  drei-,  vier-,  fiiiif- 
iind  set'lisfüsscr  (bez.  -takter.  wenn  man  nacli  takten  zählt). 
Es  empfiehlt  sich  die  neutralen  uanien  "zweier,  dreier,  vierer, 
fünfer  und  sechser"  zu  benutzen,  die  schon  das  18.  jh.  brauchte. 
Meist  sagt  man:  dipodie,  tripodie,  tetrapodie.  pentapodie,  hexa- 
podie.    Von  diesen  reihen  kennt  ]\rF.  nni'  di(n: 

1.  den  vierer  (tetrapodie).  weitaus  die  beliebteste  und 
häufigste;  z.  b. 

_jL_--_1_-    ana])äst.  ) 

I  1  f  1       \   vierer, 
1  _:.___-  j_  daktyl.     ) 

2.  den  sechser  (hexapodie).  nächst  (h'in  vieier  die  belieb- 
teste reihe  und  auch  sehr  häufig-;  z.  b. 

_^_j__l'_-^_i_-  (anap.  sechser), 

3.  den  zweier  (dipodie),  selten  und  vielleicht  nirgends 
anzuerkennen.  Durch  Verbindung-  mit  nachl)arzeilen  kann  ei- 
wül  immer  vermieden  werden.  Dieser  reihentypus  ist  überhaupt 
in  der  musikalischen  rhythmik  einer  der  seltensten. 

Dreier  und  fünfer  sind  in  MF.  nicht  anzunehmen,  Aveil 
man  ohne  sie  g-latt  auskommt  und  diese  reihen  jederzeit  sehr 
selten  gewesen  sind.  Man  darf  sie  nur  da  ansetzen,  wo  sie 
l)ositiv  nachgewiesen  werden  können. 

Am  schhiss  jeder  reihe  steht  eine  cäsur,  die  durch  die 
Verwendung  der  rhythmischen  factoren  in  sehr  verschiedener 
weise  zum  bewusstsein  gebracht  werden  kann.  In  der  vocal- 
niusik  pfiegt  des  atniens  wegen  tote  pause  mit  ihr  verbunden 
zu  s(dii. 

§  8.  Der  abschnitt.  Jede  reihe,  der  zweier  ausgenommen, 
zerfällt  in  zwei  rhythmische  abschnitte,  die  sich  mehr  oder 
weniger  von  einander  abheben.  Hei  deutliidier  Scheidung  steht 
biunencäsur.  die  icli  im  sclicnia  durch  ein  Semikolon  bezeichne. 

Der  vierer  zerlegt  sich  so:  _1_  • ;  _.'__•,  der  sechser 
entweder      1_^;  _i'_^  _^_  ■    oder  __!-'__I_;_l_- 


d.h.  iiacli  dem  reihenverhältnis  1:2  oder  2:1.  nie  nach  dem 
Verhältnis  1:1,  alsd  nie  -JL_  •  _1;  _J._  •  _1.  Solche  bil- 
dungen  sind  niclit  reihen,  sondern  zweigliedrige  ]>eriotlen! 

Da    der    sechser    rhythmisch    eine    enge    Verbindung    des 
Zweiers  und  Vierers  ist,  so  enthält  sein  langer  teil  (der  \ier- 


48  SAEAN 

füssige  absclnütt)  zwei  unterabscliiiitte,  die  zuweilen  auch 
durch  untercäsur  deutlicli  getrennt  werden. 


Man  hat  also  haupt-  und  Unterabschnitte  zu  scheiden. 

Von  den  zwei  typen  des  Sechsers  ist  der  nach  v  =  2  :  1 
(also  mit  dem  langen  teil  voran)  stets  der  seltenere,  darum 
nur  dann  anzusetzen,  wenn  dazu  positive  veranlassung'  ist. 

Die  normalen  binnencäsuren  der  reilien  sind  die  zwischen 
den  abschnitten;  doch  sind  sie  meist  verdeckt,  besonders  im 
vierer,  so  dass  sie  nicht  ins  bewusstsein  fallen. 

Anm.  1.  Icli  bemerke  hier,  dass  vierer  und  seehser  mit  anapästisclion 
fassen  ( — '-)  der  germauischon  rliythmik  von  alters  lier  eignen.  Anf  den 
ersten  gehen,  wie  ich  gezeigt  hal)e  (vgl.  Sievors,  Altgerm.  metrik  cap.  Vll ), 
die  'normalverse'  der  altgermanischen  alliterationspoesie  zurück.  Anf  den 
Sechser  (die  hexapodie)  anapästisclier  form  dagegen  weisen,  wie  ich  hier  nur 
mitteilen  will,  die  ' schwellverse '  hin.  Deren  einzelne  formen  lassen  sich 
ans  dem  seehser  in  ganz  analoger  weise  ableiten  wie  die  normalverse  ans 
dem  vierer.  Und  zwar  geht  der  westgerm.  schwellvers  anf  die  form  zweier 
+  vierer  (v  =  1  : 2)  zurück,  also  anf  den  seehser  mit  schliessendem  langen 
teil.  Der  nordische  schwellvers  im  drottkvsett  aber  ist  aus  der  form  vierer 
+  zweier  (v  =  2  :  1)  entwickelt.  Auch  die  langzeile  des  Ijößahättr  gehoi-t 
hierher.  Luicks  complicierte  theorie  ist  unmöglich.  Die  fonuanalj'se  des 
textes  die  Sievers  zuerst  gegeben,  entspricht  durchaus  dem  genetischen 
Sachverhalt.  Wie  der  ursprünglich  vierhebige  musikalische  vierer  in  folge 
seiner  deutlich  dipodischen  structur  zum  wesentlich  zweihe))igen  poetischen 
uormalvers  umgewertet  wird,  so  der  musikalisch  sechshebige  rhythmus  zum 
dreiliebigen  schwellvers.  Die  von  Sievers  festgestellte  gliedorung  in  ein 
X  —  +  uormalvers  oder  normalvers  +  _  x  ist  nichts  weiter  als  der  letzte 
Aviderschein  der  musikalischen  gruppierung  nach  1  :  2  oder  2:1.  Die  regeln 
über  die  'Senkungen'  und  eventuelle  'nebentöne'  im  schwellvers  können 
denen  des  norraalverses  analog  entwickelt  werden. 

§  9.  Die  Periode.  Es  ist  eine  für  das  Verständnis  von 
rhythmopöien  höchst  wichtige  tatsache,  dass  in  der  musik  der 
culturvölker.  jedenfalls  in  der  des  abeiullandes  von  der  wir 
etwas  Avissen,  reihen  für  sich  allein  nicht  vorkommen,  ver- 
schwindend geringe  ausnahmen  abg'erechnet.  Es  müssen  immei- 
mindestens  zwei  zu  einer  gruppe  höherer  Ordnung,  der  periode 
zusammentreten.  Isoliert  konnnen  reilien  nach  meinen  beob- 
achtungen  nur  als  signale  u.  ä.  vor.  Die  kunst  kennt  sie  nur 
da  wo  sie  solche  signale  nachahmt.  Die  reihe  als  bestandstück 
der  periode  heisst  glied  (kolonj. 


UEBER    HARTMANX    VON    AUE.  10 

4^  10.  Die  ui's}trrm,ij;licli('  fonu  der  i)erio(le  ist  die  zwei- 
gliedrige. Sie  bestellt  aus  Vordersatz  (a)  und  nachsatz  (b). 
Sind  mehr  g-lieder  vorhanden,  so  haben  sie  entweder  (in  MF. 
immer!)  die  function  von  Vordersätzen  (a',  a"  u.s.w.)  oder  aber 
die  von  nachsätzen  (b',  b"  u.s.av.).  Letztere  tragen  den  Cha- 
rakter von  schlusswiderholung-en  und  schlussbekräftigung-en. 
Es  ergeben  sich  also  folgende  Schemata: 

dreigliedi'ige  periode:  a  —  a'  —  b  oder  a  —  b  —  b', 

viergliedrige  periode:  a  —  a'  —  a"  —  b,    a  —  a'— b  —  b' 
a  —  b  —  b'  —  b"  u. s.  ^v. 
Die  periodengliedel"  werden  durcli  die  cäsuren  getrennt.    Hier 
ist  im  text  der  hiatns  stets  erlaubt. 

^  11.  Für  die  gliederfolge  gilt  die  specialregel:  zwei 
dipodien  können  nie  in  der  function  Aon  reihen  auf  einander 
folgen.  Wo  dies  scheinbar  der  fall  ist,  hat  man  es  mit  einem 
vierer  zu  tun,  dessen  binnencäsur  scharf  ausgeprägt  ist.  Die 
zweier  sind,  in  solchen  fällen  also  abschnitte,  nicht  glieder. 

§  12.  Hinter  der  periode  ist  ein  starker  rhythmischer 
einschnitt,  den  ich  diäresis  nennen  will.  Zeichen:  ||  (doppel- 
strich). 

§  13.  Wie  die  reihen  zur  periode  zusammentreten  müssen, 
so  können  sich  wenigstens  die  perioden  zu  absätzen  ver- 
einigen. 

§  14.  Die  absätze,  wo  solche  vorhanden  sind,  andernfalls 
die  Perioden  unmittelbar,  treten  zu  Strophen  zusammen.  Auch 
eine  periode  kann  schon  strophische  function  übernehmen  (z.  b. 
im  lied  'Es  zogen  drei  burschen'.  Periode  =  a  —  b  —  b'  = 
Strophe).  Als  Strophenteile  heissen  die  absätze  im  nünnesang 
aufgesang  und  abgesang,  die  Strophe  ist  also  ev.  zweiteilig 
zu  analysieren,  nicht  dreiteilig. 

'^.   I)ie   rbythmischen  sprossformen. 

Die  unter  no.  2  aufgestellten  grundformen  können  nun 
modificiert  werden  durch  rhythmische  Veränderungen.  Ich  führe 
nur  die  wichtigsten  davon  an. 

i^  15.  Auflösung.  Jede  normale  thesis  (1)  kann  in  zwei 
hälften  gespalten  werden:  l  =  ww(J  =  J'J^).  Eine  halbe, 
leine  thesis   heisst  schlechtweg  kürze  (niore).     Ebenso   kann 

Beiträgt  zur  gi:sohicUte  (ItT  deiiteuheu  ipr.iclif.     XXI II.  4 


V-/  V_-'V— ' 


^.y^y  v-^ 


50  SARAN 

eine  arsis  gespalten  werden,   wenn  sie  von  der  dauer  einer 

tliesis  (1)  ist:  _  =  , ,  ( J  =  SI")-    Die  zeit  der  reinen  thesis, 

dann  auch  die  einer  gleich  langen  arsis,  nennt  man  gewöhn- 
lich sclilechtweg  eine  länge.  Daher  die  bekannte  regel:  eine 
länge  ist  gleich  zwei  kürzen. 

§  16.  Eine  arsis  von  dem  wert  ^  (J"),  also  die  arsis  der 
Jamben  und  trochäen,  darf  im  minnesang  nicht  gespalten  werden. 
Die  kürze  ist  also  wie  im  griech.  und  hit.  die  kleinste  mög- 
liche rhythmische  zeit  {yQoi'oc.  jiQwrog,  mora,  masszeit). 

Es  gilt  also  auch  für  MF.  die  regel  von  der  Unteil- 
barkeit der  kürze  (der  masszeit  mz.). 

§  17.  Die  füsse  können  in  MF.  daruui  nur  in  folgenden 
artformen  auftreten: 

anapäst:    --    . ,-    ^^    ^.y^l^ 

daktylus:  1_    ^_    1.^^    ^~ 

Jambus :     ^  L 

trochäus:  -^ 

Es  gibt  also  in  MF.  höchstens  viersilbige  takte.  Füllen  vier 
Silben  den  takt,  so  müssen  die  beiden  ersten  (die  thetischen 
Silben)  'verschleif bar' sein,  d.  h.  sprachlich  die  form  ^x  haben. 

Anm.  2.  Für  die  moderne  iiiusik  gilt  diese  regel  nicht  mehr.  Nur 
der  gemeiudechoral  befolgt  sie  noch. 

Anm.  3.  Die  stellen  wo  auflösung  stattfindet,  sind  nicht  schlechthin 
willkürlich.  Die  rhythmische  gruppierung  kann  durch  sie  bedeutend  ge- 
fördert werden.    Darum  ist  autlösuug  beliebt  im  'auttakf,  z.  b.  ^^-^ :- 

'-,  um  den  reiheueiugang  zu  markieren.    Im  inneren  der  reihe  steht 

sie  gern  auf  der  dritten  arsis  (anfang  des  zweiten  abschnittes),  z.  b.  — ^ 

v.yv-/ -,  bes.  passend  für  die  hexapodie  ww ww  -  — ~  —- '- . 

Ferner  steht  sie  gern  auf  'nebenhebungen',  da  durch  auflösung  die  kraft 
des  ictus  gebrochen  wird :  _  -^  _  Ow  — '- —  Ov^. 

§  18.  Zusammenziehung.  Die  zeit  einer  thesis  kann  mit 
der  der  arsis  die  unmittelbar  folgt,  vereinigt  werden.  Dann 
entstehen  üb  erlangen,  vier-  bez.  dreizeitige  takte. 


Die  rhythmischen  Symbole  sind:  1  (J)  =  4  ^  =  1  -f  _  (J  J) 

:.(J.)^3^  =  l  +  ^(j;). 
Durch  diese  zusammenziehung  fallen  arsen  (ohne  Zeitverlust) 
aus.     Westphal   nannte  den  Vorgang  unzweckmässig  'synkope 


UEBEU    11  ARTMANN    VON    AUE.  51 

der  Senkung''.    Eeilien   mit  zusamnienzieliung  heissen  'as3^nar- 
tetisch',  solche  ohne  zusamnienziehung-  'synartetisch'. 

Anm.  4.  Die  znsiuiinii'uzifliuiiy-  dient  wie  die  aurtüsung  auch  zur 
förderuug  der  rhytliniiscluMi  irruppievuu!^.  Sie  dient  dazu,  den  scliluss  der 
reilien  zu  markieren,  tindet  sicli  darum  besondtn's  um  die  letzte  arsis 
(katalexis): 


analog  ^  —  ^   .  ^  1.  ^   und  —^-^  —^j^. 
Sie  ist  ferner  ein  gutes  mittel  haupticten  zu  verstärken.   Beliebt  sind  darum 

in  MF.  formen  wie  —L\  —  l.^-,  bei  typus  C  (Sievers)  —1  —  ^1 1  oder 

— ' — ^^1  .    Entsprechend  im  kurzen   und  langen  teil   der  hexapodie: 
_  Z.  ^  ;  _  ^'  ^  _  ^  •    u.  s.  w. 

§  19.    Verschiebung  der  einschnitte.    Am  ende  jedes  gliedes 
oder  jeder  periode  ist  normaleiweise  cäsur  (|)  bez.  diäresis  (||): 

l.'^  _1_^_JL__^  I  »>  _1 L_-    II 

2.'*  _-L_-^_l_^  I  ^  _l_j^_l_j^  II . 
Die  cäsur  und  diärese  kann  aber  verschoben  werden  um  eine 
stelle  nach  vorwärts  (so  oft  in  MF.)  oder  um  eine  zurück.  Ein 
komma  zeigt  die  neue  cäsurstelle.  punktierte  striche  die  alte 
an.     Im  Schema: 

^  a, '_      .  _'_ ■    :  _     '^  _! •       '_•■'■ 

2.,      1__._1_^  I  b'_l__^_l_^  ll" 
bez. 

1     a  '  .  '  .  '  .  ' 

X . . .    —        . 


2.^  ^  ;i  _1_^_1_^  I  _1_-L_1_^  ||. 
Der  zweite  fall  ist  überhaupt  seltener,  weil  dadurch  die  zahl 
der  thesen  und  damit  der  grundcharakter  der  glieder  verändert 
wird.  Der  erste  fall  ist  beliebt.  Dadurch  bekommen  die 
glieder  am  schluss  'überschlagende  arsen',  d.  h.  sie  Averden 
hyperkatalektisch,  entsprechend  werden  andere  dadurch 
auftaktlos. 

Anm.  5.    Tritt  auflösung  dazu,  so  complicieren  sich  die' Verhältnisse, 
z.  b.  aus ^-'^  I  ^^^ ^^^  II 


wird  gern  z.  b. 

I^_J  j       K^ . 

^__._1_-  |_1_._^_-  ||. 

Bei  zurücktreten  der  cäsur  und  diäresis  entsteht  z.  b. 


52  SARAN 

1a'.'-  b  f.  f. 

2»  ^_j: ! l|'*_J.__-_1._-     II 

also  dreiwertige  auftakte!  Die  schliessenden  kürzen  von  l.a  und  '>  sind  dann 
der  agogischen  dehmuig-  ziigäiiglicli ,  treten  im  text  darum  als  'anceps; 
(^)  auf. 

§  20.  Aelinlicli  steht  es  mit  der  binnencäsur.  Deren 
normale  stellnng-,  soweit  überlianpt  binnencäsur  beabsielitigt 
ist.  befindet  sich  zwisclien  den  abschnitten.  Also  im  vierer 
nach  der  zweiten  tliesis  (bei  absteigenden  füssen:  arsis)  z.  b. 

_l__i;  _1_^  oder  :_•_._;  1_^_ 
im  Sechser  ebenso: 


Sie  rückt  nnn  entweder  eine  stelle  nach  vorwärts:  z.  b. 

_1_^_;  1--  bez.  _1_^_;  ^__:,_1_^ 
oder  zurück:  z.  b. 

_1_;  ^_1__^  bez.  _1_;  ^_Z'_.:__1_^. 
Das  letztere  ist  minder  häufig-. 

Anm.  ().    Combinatiouen  mit  arsenauflösung  kommen  oft  vor,  z.  b. 

/       .      .        ' 
—  y^  j  \^  —  — '— ' 

Im  Sechser  z.  b. 

§  21.  Verdeckung  der  einschnitte.  (Glieder-,  periodenver- 
schleifung).  Der  normale  zustand  ist,  dass  cäsur  und  diärese 
deutlich  ins  bewusstsein  tritt.  Besondere  Wirkungen  werden 
dadurch  erzielt,  dass  über  die  einschnitte  hinweg-gegangen  wird. 
In  solchen  fällen  pflegt  einschnitt  (wortschluss)  im  text  zu 
fehlen;  z.  b.  , 

§  22.  Perioden-  und  absatzbrechung.  1  )as  normale  ist,  dass 
die  diäresis  stärker  ist  als  die  cäsur  und  der  endfall  des  ab- 
satzes  stärker  ist  als  der  nach  der  Vorderperiode.  Besondere 
Avirkungen  werden  erzielt,  wenn  das  Verhältnis  umgekehrt 
wird.  Dann  bekommt  die  periode  und  der  absatz  eine  neigung 
auseinander  zu  fallen.  Die  beweg-ung  wird  freier,  prosa- 
ähnlicher.  Sparsame  Verwendung-  dieses  kunstmittels  ist  für 
das  lied  wesentlich,  da  andernfalls  das  rhythmische  System 
zerrüttet  würde.    Im  Sologesang,  der  ohnehin  freiere  bewegung 


ÜEBER   HARTMANN    VON    AUE.  53 

verträgt,    ist    die   ersclieiiiiiug   leichter    zu    ertragen   als    im 
chorlied. 

Anm.  7.  Die  poesie,  die  auf  die  gcsetze  des  musikalisclieii  iliytlinms 
nicht  zu  achten  braucht,  liebt  es  in  gewissen  stilarten  (bes.  erzählender 
dichung),  die  strophenbrechnng-  durchzuführen.  Sie  schreitet  oft  bis  zur 
l)eriodenbrechnnt;- fort.  Vol.  Saran.  Z.  metr.  Otfr.  v.  Weisseuburg  s.  193 ff.). 

§  23.  Rhythmische  pause.  Das  normale  ist,  dass  eine 
rhythmopöie  ihre  rhythmen  alle  mit  tönendem  stoff  erfüllt. 
Es  kinmen  aber  auch  rhythmische  werte  ihrem  Inhalt  nach  aus- 
fallen und  durch  eine  leere  zeit  von  gleicher  dauer  ersetzt 
M'erden.  Diese  'leeren  zeiten"  sind  die  pausen,  die  'rhythmisch' 
heissen,  weil  ihre  Zeitdauer  wesentlicher  liestandteil  des  rhyth- 
mischen Systems  ist,  weil  sie  tönenden  werten  gleich  stehen 
und  als  solche  teile  rhythmischer  gruppen,  glieder  metrischer 
Verhältnisse  sind.  Sie  sind  nicht  zu  verwechseln  mit  den 
'toten  pausen',  die  nur  die  bedeutung  von  grenzen,  nicht  von 
Inhalten  haben  (§  4).  Das  symbol  der  rhythmischen  pause 
ist  A  (wert  =  ^),  der  toten  p.  Je  nach  dem  wert,  den  sie  ver- 
treten, sind  die  pausen  ferner  zweizeitig  (7\),  dreizeitig  Q\), 
vierzeitig  (/\).    Andere  kommen  in  MF.  nicht  vor. 

Anm.  8.  Auch  die  pausen  können  zur  Verdeutlichung  des  rhyth- 
mischen Systems  dienen.  Sie  werden  besonders  am  reihenschhis.s  ge- 
braucht, mit  ähnlicher  Wirkung  wie  die  zusammenziehung.    Z.  b. 

------A 

(sclieinl)ar  austall  eines  ganzen  fusses  =  brachykatalexis);  ferner 
fpausenkatalexisj.     Dann  im  iunern: 

1_  •  ä;  1_---ä 
(mittelpause  zur  markierung  der  binueucäsur)  und  am  anfang: 

(pause  statt  des  auftaktes  zum  verstärken  des  reiheneinsatzes). 

4.   Regeln  für  die  rliy  tlim  isierung  von  miuueliedern. 

Hat  man  die  aufgäbe,  ein  lied  modernen  Ursprungs,  etwa 
aus  dem  18.  oder  19.  jh.,  rhythmisch  zu  analysieren,  so  ist  das 
nicht  schwer.  Aus  der  notierung  im  verein  mit  der  betrach- 
tung  des  textes  kann  ein  musikalischer  mensch  im  wesent- 
lichen die  absiebten  des  componisten  erkennen,  kann  er  sich 
das  bild  das  diesem  vorschwebte,  sinn-  und  stilgemäss  recon- 
struieren  und  rhythmisch  betrachten.    Das  problem  ist  sodann, 


54  SARAN 

die  rln'thmische  form  des  Werkes  zu  bestimmen,  und  aufzu- 
zeig'en.  wie  die  rhytlimu^;factoren  jeder  für  sich  zur  gesammt- 
wirkung  beitragen. 

In  dem  fall  der  uns  vorliegt,  steht  es  weit  ungünstiger. 
Von  dem  ganzen  kunstwerk  des  minneliedes  haben  wir  nichts 
weiter  als  den  text  zur  reconstruction  der  form,  es  felilt  die 
melodie  und  das  was  man  heute  vortragsan Weisung,  taktein- 
teilung  und  taktvorzeiclinung  nennt.  Von  den  neun  factoren 
des  rhj'thmischen  eindruckes  entziehen  sich  also  mindestens 
sechs  (metrum,  tempo,  agogik,  tonarticulation,  tote  pause,  me- 
lodie) der  beobachtung.  Es  bleiben  textgliederung  (durch 
accent  und  sj-ntaktischen  Zusammenhang)  und  das  euphonische. 
Bis  zu  einem  gewissen  grade  auch  die  djmamik,  da  diese  im 
deutschen  sich  einigermassen  an  den  sprachaccent  anschliessen 
muss.    Im  fi'anzösischen  fällt  auch  sie  aus.    Vgl.  abschn.  V. 

Es  ist  mithin  unsere  aufgäbe,  aus  der  beobachtung  der 
textgliederung,  des  euphonischen  (reim)  und  der  gegebenen 
djTiamischen  punkte  (wortaccente)  die  rhythmische  form  zu 
erschliessen,  die  das  kunstwerk  beherscht. 

Wie  weit  hat  nun  der  rhythmus  im  text  des  minneliedes 
seine  spuren  hinterlassen? 

"Wollte  man  rein  aus  dem  texte  von  motetteu  z.  b.  des 
Palestrina,  Orlando  di  Lasso  oder  aus  den  texten  von  Otts 
Liederbuch  den  rhythmus  des  ganzen  herstellen,  so  würde  man 
weit  hinter  der  A\irklichkeit  zurückbleiben.  Auch  in  der  vocal- 
musik  unserer  zeit  würde  der  wirkliche  rhythmus  nicht  rein 
aus  dem  text  ermittelt  werden  können.  Denn  in  der  modernen 
musik  höheren  Stils  ist  die  melodie  und  die  rhythmische  form 
ihre  eigenen  wege  gewandelt  und  schaltet  mit  der  sprachlichen 
form  des  textes  sehr  frei.  Melodie  und  rhythmus  herschen 
über  den  text:  jene  sind  die  hauptsache,  dieser  nur  das  substrat. 
Auch  bei  R.  Wagner  ist  das  nicht  anders,  nur  dass  dieser  aus 
hier  nicht  zu  erörternden  gründen,  wie  überhaupt  die  neuesten 
componisten,  das  wort  melir  schont  als  die  frühei-en.  Man 
kann  also  sagen:  da  wo  die  melodie  die  hauptsache  ist,  der 
text  i,  w.  nur  als  ilir  träger  und  {h^linetscher  wert  liat,  ist 
eine  reconstruction  des  musikalischen  rhythmus  im  einzelnen 
aussichtslos.  Hier  kann  nur  die  kenntnis  der  genau  notierten 
melodie  helfen. 


UEBER    HARTMANN    VON    AUE.  55 

Anders  lieg't  aber  die  sache  da  wo  der  Schwerpunkt  im 
textinlialt  lieg't  und  die  melodie  niclit  zweck,  sondern  —  wie 
Aristoteles  sagt  —  mehr  ein  7]dvOfia  des  Wortes  ist.  So  Avar 
es  in  der  antiken  musik  etwa  bis  zur  hellenistischen  zeit,  so 
war  es  offenbar  auch  in  den  ältesten  zeiten  des  minnesangs, 
also  mindestens  bis  in  den  anfang-  des  13.  jh.'s.  Wir  können 
das  daraus  mit  Sicherheit  schliessen,  dass  die  texte  der  ältesten 
minnesänger,  die  uns  besonders  MF.  bietet,  an  sich  wertvoll 
und  lesbar  sind.  Fehlt  auch  den  liedern  des  Kürenbergers, 
Hausens.  Reinnu\rs  eine  gewisse  sprödigkeit,  teihveise  trocken- 
heit  der  form  niclit.  die  jedem  echten  und  guten  vocaltext 
eigen  ist.  .so  sind  es  doch  immerhin  an  sich  geistreiche  und 
gehaltvolle  dichtungen.  Das  ist  nur  so  zu  verstehen,  dass  die 
alten  dichtercomponisten  den  nachdruck  auf  das  wort  legten 
und  ihm  die  weise  unterordneten,  wie  es  die  antiken  dichter 
auch  getan.  Sie  konnten  es,  weil  gleichwertigkeit  von  wort 
und  weise,  dichter  und  componist  als  eine  person  vorausgesetzt, 
überflüssig,  ja  unmi)glich  ist;  sie  mussten  es,  weil  die  musik 
damals  noch  auf  primitiver  stufe  stand  und  die  ausdrucks- 
fähigkeit  des  wortes  bei  weitem  nicht  erreicht  hatte. 

Das  Verhältnis  von  wort  und  weise  wird  sich  aber  bald 
geändert  haben.  Das  zeigt  eine  betrachtung  der  liedertexte 
des  13.  jh.'s.  Diese  sind  formell  z.  t.  so  künstlich,  inhaltlich 
so  dürftig  und  leer  (Nifen,  Konrad  von  AVürzburg).  dass  man 
annehmen  niuss,  dass  hier  bereits  die  musik  anfängt  zur  haupt- 
sache  zu  werden  und  der  text  zurücktritt.  Denn  die  behaup- 
tung  vom  fortgesetzten 'verfall'  des  minnesangs  ist  angesichts 
der  glänzenden  technik  dieser  lieder  wenig  glaublich.  Offenbar 
verscliiel)t  sich  nur  der  Schwerpunkt  in  das  musikalische. 

Wenn  also,  wie  nicht  zweifelhaft  ist,  im  alten  minnesang 
das  wort  über  die  weise  herschte,  so  muss  sich  auch  der 
rhythmus  der  spräche  möglichst  angei^asst  haben:  Verrenkungen 
und  Zerrungen  der  wortform  werden  nur  so  w^eit  erlaubt  sein, 
als  sie  das  olir  nicht  beleidigen.  Rhythmische  und  sprach- 
liche form  müssen  sich  so  weit  nur  möglich  durch- 
drungen halten:  diese  muss  jene,  so  weit  es  überhaupt 
angeht,  spiegeln.  Dass  dies  der  fall  ist,  liegt  auf  der  band: 
die  technik  des  minnesangs  ist  nach  der  sprachlichen  seite 
hin  sclKjn  um  1190  fast  tadellos.   Ueberall  die  feinste  abwägung 


56  SARAN 

der  Silben,  überall  die  peinlichste  rücksiclit  auf  die  spräche. 
Eben  darum  sind  die  üblichen  scansionen  der  sog-enannten 
'daktylen'  unmöglich:  sie  Verstössen  gegen  dies  vornehmste 
gesetz  der  mhd.  liedkunst. 

Wir  dürfen  also  an  die  texte  von  MF.  mit  der  voraus- 
setzimg  herantreten,  dass  sie,  so  weit  dies  möglich  ist, 
den  rhythmus  des  ganzen  widerspiegeln. 

Prüft  num  von  diesem  Standpunkt  aus  die  überlieferten 
texte,  so  wird  man  bald  merken,  dass  sich  aus  den  reim- 
beziehungen,  syntaktischen  gliederungen  und  dem  accent, 
namentlich  wenn  man  alle  Strophen  eines  tones  vergleicht, 
ziemlich  leicht  ein  gruppensystem  ermitteln  lässt,  das  man 
allen  grund  hat  als  reflex  des  rhythmischen  anzusehen. 

Gleichwol  beantwortet  die  textanalyse  nicht  alle  fragen. 
Ja  blosse  textbetrachtung  ergibt  ein  viUlig  schiefes  bild  von 
der  rln'thmischen  structur  der  lieder,  weil  sie  zu  formen  führt, 
die  rhythmisch  unmöglich  sind.  Derart  sind  z.  b.  die  sieben-, 
acht-  und  mehrhebigen  'verse',  die  man  ansetzt.  Solche  gibt 
es  nicht,  wenn  man  'reihen'  damit  meint.  Also  die  reihen- 
abteilung  (kolotomie)  kann  auf  grund  des  textes  allein  nicht 
überall  mit  Sicherheit  vorgenommen  Averden.  Ebensowenig 
kann  man  bloss  aus  dem  text  heraus  den  rhythmischen  wert 
der  einzelnen  reimzeilen  bestimmen.  MF.  209,  21  ja  niöhtc  ich 
etesivar  ist  sprachlich  x-x-X-^?  ^^^i'  rhythmisch  ist  es  kein 
dreif üsser  _  _L  _  i  ^  | ,  sondern  ein  brachykatalektischer  vierer 

Zur  textanalyse  und  reimbetrachtung  muss  also  kenntnis 
der  allgemeinen  musikalischen  rhythmik  hinzukonnnen,  wenn 
die  rhythmisierung  gelingen  soll.  Was  etwa  davon  für  den 
vorliegenden  fall  von  nfUen  ist,  gibt  der  obige  kurze  abriss. 

I^m  nun  die  rhythmisierung  von  minneliedertexten  zu  er- 
leichtern, stelle  ich  hier  in  form  von  praktischen  regeln  die 
grundsätze  zusammen,  die  dabei  zu  beobachten  sind.  Sie  folgen 
aus  der  anwendung  der  gesetze  der  allgemeinen  rhythmik  auf 
die  überlieferten  texte  von  MF. 

1.  Taktart.  Sind  in  einem  ton  die  binnensenkungen  des 
textes  streng  einsilbig,  die  reihenauftakle  hik-hstens  zweisilbig, 
so  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  der  takt  gerade  (^_)  oder 
ungerade  {L  S)  ist.  Zweisilbige  Senkung  und  dreisilbiger  auftakt 


UEBER    HARTIMANN    VON    AUE.  57 

beweisen  dagegen  für  geraden  takt.     Dies  folgt  ans  Jilivtlim. 
§  17.     Vgl.  anch  Sa  ran.  Otfr.  v.  Weissenb.  s.  181  ff. 

2.  Reihe.  Der  regel  nach  ist  jede  reimzeile  eine  reihe, 
der  reim  markiert  also  eine  cäsnr.     Aber: 

a)  Reimzeilen  die  mehr  als  sechs  hebnngen  haben,  müssen 
geteilt  Averden.  da  sechs  füsse  oder  takte  der  grösste  umfang 
ist,  den  eine  reihe  haben  kann.  Im  allgemeinen  ist  5  ^,  die 
längste  textreihe  die  ]\[F.  kennt;  0  ist  seltener. 

b)  2  zweier  hinter  einander  müssen  zum  vierer  vereinigt 
werden;  überhaui)t  ist  die  alleinstehende  (Ii]i(Hlie  möglichst  zu 
vermeiden.    Rh.  §  7.  11. 

c)  Vierer  und  sechser  sind  die  reihen  die  —  von  un- 
sicheren fällen  der  zweier  abgesehen  — •  allein  in  ]\1P.  vor- 
kommen. Sie  sind  also  durch  annähme  von  dehnungen  (§  18), 
rhythmischen  pausen  (§  23)  und  durch  geeignete  teilung  von 
überlangen  reimzeilen  überall  herzustellen.  Dreifüsser  und 
fünfer  gibt  es  in  :\rF.  nicht.    Rh.  §  7. 

d)  Sechser  mit  binnencäsur  nach  der  dritten  thesis  gibt 
es  nicht.    Rh.  §  8.  20. 

e)  Die  reihe  hat  meist  keine  binnencäsur,  aber  sie  wird 
stets  von  einer  cäsur  abgegrenzt.  Auf  dieser  ist  liiatus  er- 
laubt; hiatus  ist  also  gelegentlich  ein  mittel,  die  reihenteilung 
zu  sichern. 

f)  Verdeckung  der  cäsur  und  diäresis  ist  selten.  Im  text 
fehlt  dann  der  einschnitt.  Man  muss  aber  erwägen,  dass  durch 
eintreten  der  anderen  rhythmusfactoren  trotzdem  der  reilien- 
schluss  deutlich  gemaclit  werden  kann. 

g)  Eine  reihe  darf  nie  isoliert  stehen:  mindestens  zwei 
müssen  zur  periode  zusammentreten  (Rh.  §  9).  AMderhohmg 
der  nachsät ze  (b',  h")  kommt  in  MF.  nicht  vor  (Rh.  §  10). 

3.  Die  Periode  ist  nach  reim  und  bes.  starkem  syntak- 
tischen einschnitt  meist  leicht  abzugrenzen.  Die  diäresis  ist 
immer  stärker  als  die  cäsur,  mindestens  ebenso  stark.  Aus- 
nahm^^n  (l^h.  §  22)  sind  selten. 

4.  Die  stro})he  umfasst  durchschnittlich  drei  bis  vier 
}ierioden.  In  ^IF.  konnnen  stroithen  =  einer  periode  (Rh.  §  14), 
so  viel  ich  sehe,  nicht  vor.  Strophen  zu  zwei  und  fünf,  auch 
mehr  sind  dagegen  nachzuweisen. 


58  SARAN 

5.  Die  rhythmische  entsprechung  der  Strophen 
erstreckt  sich  nicht  bis  ins  einzelne,  wie  in  der  griecliischen 
chorlj^'ik.  Grundform,  auflösung,  zusammenziehung,  wechsehi 
im  takt,  doch  ist  bei  jüngeren  dichtem  das  bestreben  sichtbar, 
genaue  responsion  durchzufüliren.  Auch  die  syntaktische  glie- 
derung  der  stroplien,  darum  aucli  die  interpunction,  pflegt  im 
ganzen  und  grossen  zu  entsprechen.  Abweichungen  scheinen 
wenigstens  z.  t.  mit  den  in  absclmitt  I  (s.  29)  besprocheneu 
Strophenzusammenhängen  in  Verbindung  zu  stehen.  Ebenso 
rliytlimische  freiheiten. 

Hiernach  werde  icii  nun  die  lieder  Hartmanns  rhythmi- 
sieren. Ich  wähle  durchweg  die  gerade  taktart,  da  sich  der 
beweis  für  die  ungerade  in  "SIY.  nicht  führen  lässt.  Für  meinen 
besonderen  zweck  kommt  auch  auf  die  entscheidung  dieses 
Problems  nichts  an. 

IV.    Die  rhythmik  der  lieder  Hartmanns. 

Für  das  Verständnis  der  folgenden  Schemata  bemerke  ich: 
schematisiert  wird  jedesmal  nur  die  erste  Strophe  jedes  tones 
in  MF.  Yorkommendenfalls  sind  für  die  andern  die  nötigen 
änderungen  vorzunehmen.  Die  perioden  der  Strophe  werden 
mit  arabischen  Ziffern  numeriert  und  so  weit  als  möglich  auf 
eine  zeile  gesetzt.  Die  absätze  bleiben  unbezeichnet;  sie  ergeben 
sich  von  selbst.  —  Die  accente  sollen  nicht  die  wirkliche 
ictenabstufung  bezeichnen,  sondern  dienen  nur  zur  beriuemeren 
Orientierung  über  den  wert  der  reihe.  Die  wirkliche  icten- 
abstufung (z.  b.  nach  Sievers'schen  t3'pen  beim  Kürenberger  u.  a.) 
lasse  ich  hier  ganz  aus  dem  spiel,  da  für  meinen  zweck  nichts 
darauf  ankommt.  Ich  werde  später  im  Zusammenhang  darauf 
zurückgreifen. 

Der  text  der  den  strophenschematen  zu  gründe  liegt,  ist 
genau  der  von  MF.:  abweichungen  davon  Averden  jedesmal 
angemerkt.  Die  kritischen  bemerkungen  zu  strophen  die  nicht 
anfange  von  tönen  bilden,  sollen  nur  die  aufmerksamkeit  auf 
das  Verhältnis  von  rhythmus  und  text  lenken,  sie  machen 
keineswegs  den  ansprucli  darauf,  endgiltige  ent Scheidungen  zu 
sein.  Finige  Sicherheit  in  der  behandlung  der  zweisilbigen 
arsen  u.  ä.  kann  nur  durcliarbeitung  eines  grossen  materials 
und    statistische    bearbeitung    desselben    geben.      Ueberhaupt 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  59 

bitte  ich  die  constructionen  dieses  absclmittes  nur  als  einen 
versucli  anznselien.  der  mehr  fragen  auf  werfen  als  definitiv 
beantworten  soll. 

Für  den  druck  von  minneliedern  muss  als  regel  gelten: 
jede  druckzeile  darf  nur  eine  reihe  enthalten.  Der  reihen- 
anfang  wird  durch  kleinen,  der  periodenanfang  durch  grossen 
buchstaben  bezeichnet.  Auf-  und  abgesang,  wo  so  zu  scheiden 
ist,  ergibt  sich  daraus  von  selbst.  Für  ton  YII  und  X\I  wird 
je  eine  Strophe  als  beispiel  abgedruckt  werden. 

Ton  I  (MF. 205, 1  ff.). 


1 

--A  1 

2.  _ 

v^yv_/ 

-^A  1 

8 

'     A    1 

/\   1 
'     A 

4 

/\ 

A  1 

Reimschema : 

a  — b 
a  - 1)  . 
b  —  c  —  c 
c  —  c 

~A 
-A 
-A 


A 


Die  reihe  3  a  ist  stets  durch  starke  interpunction  begrenzt. 
So  setzt  der  abgesang  immer  deutlich  und  kräftig  ein.  3  a  ist 
gleichsam  der  hCdiepunkt  jeder  Strophe.  Str.  5  steht  wie  oben 
gezeigt  dem  Inhalt  nach  allein.  Mit  dieser  Sonderstellung 
hängt  vielleicht  die  freiheit  im  auftakt  von  206. 11  zusammen. 

205,  7  schreibt  ]^rF.  dienst  (so  auch  die  hss.).  205, 19  und 
209,5  ist  dienest  überliefert  und  notwendig.  An  der  ersten 
stelle  wäre  die  Schreibung  dienest  immerhin  in  betracht  zu 
ziehen,  weil  die  dadurch  entstehende  zweisilbige  Senkung  auf 
die  dritte  arsis  fallen  würde.  Vgl.  Rh.  §  17  anm.3.  V.  205, 13 
würde  durch  Streichung  des  entbehrlichen  icorden  Aveit  besser 
werden:  daz  ist  an  minem  (so  BC)  ungeUicl'e  schin. 

Dass  in  diesem  liede  nicht  fünf  er,  sondern  sechser  mit 
pause  angesetzt  werden  dürfen,  folgt  schon  aus  dem  gehal- 
tenen, wenn  auch  erregten  ton  des  ganzen.  Die  atemlose 
hast  der  pentapodie  w'ürde  hier  gar  nicht  möglich  sein. 
Ueberdies  weisen  die  starken  sinneseinschnitte  hin  auf  ent- 
sprechende pausen  (die  z.  t.  auch  durch  Überdehnung  aus- 
gefüllt werden  können;   das  ist  natürlich  nicht  auszumachen). 


60  SARAN 

Ton  II  (206, 19 ff.). 

1.  -1  — ^—  I  _^___lA  I  ---  — -A 

2.  _^___1__  U1___1X  i  --  — -A 
3._-L__-    1' l__l_l  !L 


AI--  — ^-A 


Reimschenia :     a  —  b  —  c 
a  —  1)  —  c  , 

d  +  d  —  e 


Die  sA'ntaktische  gliederung  von  ,str.206,29  nnd  207, 1  entspricht 
dem  rliythniischen  System  ganz  genan.  Die  erste,  liier  analy- 
sierte stroi)lie  weicht  ab.  Denn  y.  24  :  25  +  26  findet  sich 
periodenbrechung  (Rh.  §  22).  Man  beachte  dazn,  dass  206, 19 
die  schlnssstrophe  des  liedes  bilden  muss  (s.  14)  nnd  nnr  lose 
an  den  vorausg-ehenden  hängt. 

Ton  III  (207, 11  ff.). 

1.  _^ L-^  I  _1 !__. 

2.  _1 -L-ww  I  -L 1-^^^ 

3.  -i___:^X  1  -^  — ^XT--  — ;  -^-_-^  — 
4        '  'VI'  '    'x'  I       '         •       "  ' 

Eeimschema :    a  —  b 
a  — b. 
c  —  c —  (J  +  e 

Die  anfangsstrophen  der  lieder  III'  nnd  III^  (207, 11  und  208,  8) 
zeigen  das  System  rein.  Periodenbrechung:  208,  3o  :  34.  35  :  36. 
207,  26 :  27.  207,  38  :  39.  208,  27  :  28.  Sogar  reihenbrechung:  208, 
26.  38.  Es  fragt  sich  aber,  ob  man  die  sechser  von  3  und  4  nicht 
doch  in  einen  zweier  und  einen  vierer  zerlegen  soll.  Möglich 
ist  es  in  fällen  wie  dieser.  208, 39  ist  zu  lesen  in  heträ(/ct 
siner  järe  vil.    Die  zweisilbige  arsis  also  bei  hexapodie  nach 

der  binnencäsur  (-  —  -^  •  ;  ww  -" - ),   bei  tetrapodie  im 

auftakt.     208,  27  ABC  manic,  also  dieselbe  erscheinung. 

Ton  IV  (209, 5  ff.). 

1.  _1 L I  ^L L- 

2.  Äl -'- I  -1- i- 

3.  __!._^^;  _^_v>w  I  -wv^ IX  i -A 

.    A ww__    I I A 

Reimscheraa :     a  —  b 
a  — b. 

?  +  c  —  (1  —  d 
e  —  w  —  e 


UEBElt    UAKTMANN    VON    AUE.  61 

209,  0  4-  10  vgl.  Rh.  §  7.  200,  7  str.  wan.  200.  14  icorhe  mit 
elision  des  -e.  209, 15  mit  BC /e^c  6/?  Die  zweisilbige  Senkung- 
stände  dann  auf  der  binnencäsur.  Periodenbrecliung  209, 12  :  13. 
Ist  diese  stroplie  sc'lilussstroi)lie  des  liedes  und  felilt  die  erste? 

Ton  V  (209. 25  ff.). 
"I        "  '        .       '  1       "  '        •       ' 

2.  __^ 1 ;  _!._:_     I  __-" 1. ;  _^_1" 

3.  ---— 'A  I--— 'A 

4.  _1___1XI  -'—--  — 

Reimscliema :     a  +  b  —  a  +  \) 

e  —  e 
f  — f 

209.  25  und  87.  die  anfangsstroplien  der  beiden  lieder  von  Y, 
prägen  das  scliema  am  klarsten  aus.  Die  beiden  sclilussstroplien 
weichen  ab:  reihenbrechung-  211,  2  :  3;  9  :  10;  15  :  16.  Perioden- 
brechung 211.  5  :  6.  V.  210,  22  mit  B(^  zeichen  das  ich  ...,  d.  h. 
zweisilbige  arsis  nach  der  zweiten  tliesis?    Rh.  §  17  anm.  3. 

Ton  VI  (211,  20  ff.). 
1       '  '         I      '  ' 

2.  _1 1__|_^ _L__ 

Q  '  '  1  '  '  I  '  t 

O. 

Eeimschema :    a  —  b 
a  -  b . 
('  —  w  —  c 

211,20  1.  mit  BC  sendet  ir.  Die  ZAveisilbige  arsis  nach  der 
zw^eiten  tliesis!  Periodenbrechung  211,  23  :  24.  Der  ton  ist 
sicher  unvollständig:  wol  mindestens  eine  Strophe  muss  wegen 
V.  21  voraus  gehen.  Also  ist  diese  stroplie  gewis  nicht  die 
anfangsstrophe. 

Ton  VII  (211,  27  ff.). 

1.  -1 '--_  I  _1 i_  I    äL L 

--— ----- ^-a"" 

Reimscliema :    a  —  \v  —  b 
a  —  w  —  b  . 
c  —  d  +  d  —  c 


62 


SARAN 


211,  28  und  30  müssen  in  2  vierer  zerlegt  werden.  Man  kann 
die  glieder  durcli  pause  trennen,  wie  ich  getan  (dadurch  hebt 
sich  die  Strophe  a'ou  den  andern  beiden  ab),  oder  verschleifen 
also :  1  a'  -f  b  _ .'„ _  jL _ i  ^L_  •_ _  1  _ _•_ .  Dies  niuss  in  den 
andern  beiden  Strophen  geschehen.  Der  reihenschluss  kann 
durcli  modulation  sehr  wol  bemerklicli  gemacht  werden.  In 
noten  würden  sich  die  verschleiften  glieder  so  darstellen: 

JNJl  JJU  U  i  JJI  JJ  I  JJI  J. 

Periodenbrechung  211,38:212,1.  liier  in  der  anfangsstrophe 
des  liedes.  Denn  211,27  bildet  doch  wol  den  schluss  (vgl. 
§  25).    Im  druck  würde  z.  b.  strophe  211,  35  so  zu  ordnen  sein: 

Swer  anders  gibt,  der  misseseit, 

wau  daz  man  st?etin  wip  mit 

stsetekeit  erwerben  muoz. 

Des  bat  mir  min  unstsetekeit 

ein  stsetez  wip  verlorn,    diu 

bot  mir  alse  schoenen  gruoz 

Daz  si  mir  erougte  lieben  wän. 

dö  si  erkos        micb  stpetelos, 

do  muose  oucb  diu  genäde  ein  ende  bän. 

Ton  VIII  (212, 13  ff.). 


1. 

Ä_ 

M 

t 

1      1 

wv>  — 

ti           1 

2. 

7^ 

rr 

1 

.  1      ' 

II            1 

3. 

TV 

rr 

> 

1      ' 

II            1 

4. 

n 

1 

1       t 

II            1 

Reimscbema :    a  — 

-b 

a  — 

-b. 

c  — 
d- 

-  c 
-d. 

Ton  IX 

(212,  37 

ff.). 

1.   -L. 

r 

_  1 





2.  Ä  ' 

1 

3.  _1. 

4.  _1. 

5.  __L. 

t 

1 
1 

--  1   Ä  - 



-L- 

Reimscbema:    a- 
a- 
c- 
c  — 
c- 

-b 

-b. 

-d 

-d 

-d 

unter 

212,38  setze 

ich  punkt,  liintei 

•  213 

,  1  komma. 

UEBER   HARTMANN    VON    AUE. 


63 


Ton  X  (213,  29  ff.). 


1.  äL--. 

2.  Äl-_. 
.3.  Ä-i'--. 
4.  äA-_. 


A 


A 


Reimschema:    a  —  b 
a  — b. 

?  +  c  -  c 

(l  —  e  —  e  —  d 

213,  34  hinter  da  ein  konima.  Y.  35  1.  gH  ez  nä,  dahinter  punkt. 
Hinter  verjcehe  (v.  38)  konima.  V.  37  1.  äaz  ich  si  (hs,  das  si 
mit  ansfall  von  ich  durch  einflnss  der  folgenden  zeile).  214, 10 
1.  mit  Bech  nach  in  verderben.  —  Reihe  4^"  ist  hyperkatalek- 
tisch.    Vgl.  Rh.  §  19  anm.  5. 


Ton  XI  (214, 12  ff.). 


A 


Reinischema : 


a  —  b 
a  —  1) . 
c  —  c 
d  — e 
d  —  e  —  e 


1^,  2^>  sind  h3'perkatalektisch.  In  214,24  ist  6^ir«?>-tMvegen  des 
auftaktes  von  v.  25  als  1^  zu  messen. 


1. 
2. 

o 
«J. 

4. 


Ton  XIa  (214,  34  ff.). 


Reimschema :  a 
a 
c- 


w  —  d  —  d 

Die  Strophen  sind  nicht  von  Hartmann. 


64  SARAN 

Ton  XII  (215.  Uff.)  vgl.  abschnitt  V.  ende. 
Ton  XIll  (216. 1  ff.). 


1.  -L 

2.  -L 

3.  __'. 


A 


A 


Reiniscliema :    a  —  b 
a  —  b  . 
c  —  c  —  c  . 

216. 1  zweisiU)io-e  Senkung-  nach  der  zweiten  thesis. 


Ton  XIV  (216,  29  ff.). 

1.  Äv!.^ 1 I   -1 ^-- 

2.  ä"-^ ^- 

3.  _  1 ^_ 

4.  _  L 1_ 

Periodenbrechung  in  der  schlussstrophe  217,11:12 

Ton  XV  (217, 14  ff.). 

1.   -1 --^  I  -l-----w^ 

.       — ^w     I v^v,/ 

3.  "^  ~ 

4. 

5. 


Keimschema : 
a  —  b 
a  —  b . 
c  —  c 
c  —  c 


A 


A 


■-A 


Reiniscliema :     a 
a 


b 
b 

c  — d 
c  — d 
e  —  e 


Periodenbrechung  217, 17  :  18.  27  :  28.  39  :  218, 1. 
Ton  XVI  (218.  5  ff.). 


1.  ^ 

;;                 t 

1 

2. 

II                 1 

1 

—    ;  w  7  w  — 

3 

1          '   ■■  ' 

'  A 

4.   ^_ 

1 

/\ 
-' -A 

5 

II                 1 

1      ' 

Reimsebenia: 

a  —  b 
a  —  b . 
w  —  c 
w  —  d 
d  — c 

A 
A 


3.  4  Perioden  mit  verdeckter  cäsui'  (i-eilienverschleifung,  Rh.  §21). 


UEBER   HARTMANN    VON"    AUE.  65 

Die  letzte  stroplie  dieses  lieiles  wäre  so  zu  drucken: 

21  Ir  miunesingser,  iu  niuoz  ofte  misselingeu : 

daz  iu  den  schaden  tuot  daz  ist  der  wän. 

Icli  wil  micli  rüemen,  ich  mac  avoI  von  niiiine  singen, 

Sit  mich  diu  minne  hat  und  ich  si  han. 
25  Daz  ich  da  wil,  seht  daz  wil  al- 

se  gerne  hahen  midi: 

So  müezt  ab  ir  Verliesen  un- 

der  wilen  Avänes  vil. 

li'  ringeut  umbe  liep  daz  iuwer  niht  enwil: 
30  wan  müget  ir  armen  minnen  solhe  minne  als  ich? 

V.    Die  daktylen  im  deutschen  minnesang,  nebst  einem 
versuch  über  die  grundlagen  der  romanischen  rhythmik. 

Die  aualj'se  des  toues  XII  (215. 14  ff.)  bietet  ganz  beson- 
dere Schwierigkeiten.  Seine  rhj^tlnnen  gehören  zu  einer  gruppe 
für  die  die  mhd.  Verslehre  noch  keine  befriedigende  erklärung 
gefunden  hat.  Auch  ich  bin  noch  nicht  im  stände,  das  problem 
endgiltig  zu  hisen.  "N^'as  ich  hier  bringe,  soll  darum  mehr  auf 
gewisse  tatsachen  hinweisen,  die  man  bisher  teils  übersehen, 
teils  nicht  richtig  gewürdigt  liat,  als  eine  volle  lösung  geben. 
Notwendig  ist  es.  um  meinen  Standpunkt  zu  rechtfertigen,  auf 
die  theorie  der  provenzalisch- französischen  verse  einzugehen, 
die  freilich  m.  e.  noch  ganz  im  argen  liegt.  Was  man  roma- 
nische rhythmik  nennt,  ist  tatsächlich  keine,  namentlich  fehlt 
es  noch  ganz  an  der  erkenntnis  der  fundamentalen  Wahr- 
heiten, die  eine  musikalische  und  poetische  rhj'thmik  des 
romanischen  erst  möglich  machen.  Gerade  darauf  w^erde  ich 
also  besonders  hinweisen. 

Es  ist  natürlich  nicht  meine  absieht,  der  romanischen 
rhythmik  hiermit  eine  völlig  zureichende  grundlage  zu  geben. 
Was  ich  biete,  soll  nur  meine  behandlung  der  mhd.  sog.  'dak- 
tjien'  rechtfertigen.  Immerhin  ist  es  vielleicht  geeignet,  dem 
romanisten  eine  andere  art  der  rhythmischen  arbeit  nahe  zu 
legen.  Ich  bemerke,  dass  sich  die  ansieht  über  die  romanischen 
verse,  die  ich  hier  entwickle,  auf  die  analyse  zahlreicher  franzö- 
sischer vocalcompositionen  älterer  und  neuerer  zeit  —  darunter 
aller  melodien  zu  Berangers  liedern  —  gründet.  Dazu  habe  ich 
bei  gelegenheit  eines  längeren  aufenthaltes  in  Paris  gelegen- 
heit  gehabt,   die  moderne  Vortragsweise   des  alexandriners  zu 

Beitrüge  zur  geschiciite  dir  deutHcbeu  spräche.     X&III.  5 


66  SARAN 

beobachten  und  mir  durch  Unterricht  bei  einem  recitator  ein- 
zupräg-en.    Also  auch  da  kann  ich  aus  erfahrung  sprechen. 

Die  gruppe  von  nihd.  rhythmen  die  liier  untersucht  Averden 
soll,  pflegt  man  'daktylen"  zu  nennen.  Der  name  soll  das 
rhythmische  fornii)rinci])  andeuten,  das  zu  gründe  liegt.  Denn 
während  sich  die  takte  der  übrigen  reihen  im  regelmässigen 
Wechsel  von  hebung  nnd  Senkung  —  die  fälle  der  zusammen- 
ziehung ausgenommen  —  bewegen,  ist  hier  dies  princip  durch- 
brochen. Die  form  L^^  soll  die  norm  des  taktes  sein.  Es 
wären  also  verse,  in  denen  zweisilbige  Senkung  beabsichtigt 
ist,  während  sie  sonst  nur  geduldet  erscheint.  Spondeus  für 
daktylus  wird  zugestanden. 

Woher  stammen  nun  diese  rhythmen? 

Man  dachte  zunächst  an  Ursprung  aus  der  lateinischen 
poesie.  Diese  kennt  daktylische  tetrapodien.  Dann  aber  wurde 
durch  K.  Bartsch  eine  andere  ansieht  verbreitet.  Er  meinte, 
die  betr.  verse  seien  nachahmungen  des  romanischen  zehn- 
silblers  (mit  männlichem  oder  weiblichem  schluss),  und  wie  in 
den  romanischen  metren,  so  sei  auch  in  diesen  versen  das 
l)rincip  der  silbenzählung  herschend.  Der  eigentliche  dakty- 
lische rhythmus  erkläre  sich  aus  der  natur  des  romanischen 
Vorbildes:  dieses  habe  öfter  einen  daktylisch  geflügelten 
rhythmus  gehabt,  während  es  gewöhnlich  'iambisch'  gegangen 
sei.  Eben  jenen  daktylischen  rhythmus  hätten  die  Deutschen 
in  ihren  daktylen  nachgeahmt  (Zs.  fda.  11, 161).  Pfaff  führte 
die  ansieht  von  Bartsch  weiter.  Er  sagt,  die  minnesinger 
hätten  beabsichtigt,  mit  dem  romanischen  vers  auch  dessen 
silbenzählung  (ohne  berücksichtigung  des  worttons)  zu  über- 
nehmen. Da  aber  dies  bald  unstatthaft  erschienen,  so  seien 
sie  zu  dem  grundsatz  zurückgekehrt,  dass  die  versbetonung 
sich  nach  dem  wort  ton  richten  müsse.  Das  al^er  habe  sie 
gezwungen,  den  romanischen  zehnsilbler  teils  als  vierhebig-dak- 
tylisch  oder  fünfliebig-iauil)isch  nachzubilden  (Zs.  fda.  18, 52  f.). 
Auf  dem  gleichen  Standpunkt  steht  A\'eissenf eis  (Der  dak- 
tylische rhythmus  s.2  f.).  Er  meint,  ursprünglich  seien  die  Vor- 
bilder ohne  bestimmten  rhythmus  nachgeahmt  (nach  dem 
princip  der  silbenzählung),  die  rhythmuslosigkeit  habe  sich 
dann   zum   daktylischen  rhylhmus  entwickelt,   bis  dieser  end- 


UEBER  HARTMANN   VON    AUE.  67 

licli  ganz  rein  aiisi>-epräg1  Avorden  sei.     Aolnilirli  "W'iliiianiis. 
Beitr.  z,  gesell,  d.  alt.  deutschen  lit.  4,  s.  28  ff. 

Aber  alle  diese  constructionen  schweben  in  der  luft.  weil 
sie  es  unterlassen,  die  niUige  grundlage  zu  schaffen.  nJüulicli 
festzustellen,  was  denn  eigentlich  der  romanische  zehnsilbler 
in  der  yrov.-frz.  troubadourpoesie  für  einen  rli3'thmus  hat. 

Im  anschluss  an  die  französische  schultradition  ist  die 
anschauung  verbreitet,  als  sei  die  silbenzahl  für  den  roma- 
nischen vers  was  etwa  die  zahl  der  hebungen  für  den  deut- 
schen, nämlich  bildungsprincip.  Den'  rhythmus  sei  frei  bez. 
indifferent  und  hänge  von  der  silbenzahl  ab.  Diese  anschauung 
ist  ganz  unrichtig.  Silbenzälilung  ist  nie  rhythmisches  princip, 
sie  ist  immer  nur  festhalten  einer  begleiterscheinung.  ISilben- 
zählung  ergibt  sich  überall  da  als  ein  äusserliches,  bequemes 
mittel,  verse  zu  benennen  und  zu  unterscheiden,  wo  es  eine 
kunst  zu  festen  reihen  typen  gebracht  hat,  die  als  solche 
rhythmisch  starr  und  unverändei'lich  sind.  So  hatte  sich  die 
technik  der  lesbischen  h'rik  entwickelt:  der  sapphische  elf- 
silbler  '  ^_^^  '  ^^  '  ..  '  v^,  der  alcäische  elfsilbler  ^r^l^ 
'  ww  '  ^  's  der  alcäische  zehnsilbler  L^^  '  w^-i^  '>',  der  ado- 
nius  '  ww  '  w  sind  solche  unveränderliche,  feste  t3^pen,  die  man 
nun  äusserlich,  oline  über  ihren  ili.ythmischen  wert  auch  nur 
das  geringste  auszusagen,  nach  der  silbenzahl  benannte.  Die 
reihen  der  tragischen  chorlyrik  der  Griechen  hat  niemand 
nach  der  silbenzahl  benannt,  weil  die  üblichen  formen  durch 
autiösung,  zusannnenziehung,  cäsurverschiebung  u.  ä.  immer  in 
der  anzahl  ihrer  silben  wechselten.  Man  kann  mit  Sicherheit 
sagen:  wo  eine  kuusttradition  die  verse  nach  der  silbenzahl 
benennt,  muss  zu  der  zeit  wo  dieser  gebrauch  in  aufnähme 
gekommen  ist,  der  formenschatz  aus  wenigen,  fest  bestimmten 
reihentjqien  bestanden  haben.  Aus  der  silbenzahl  folgt  jedoch 
für  den  rhythmischen  wert  der  verse  nicht  das  geringste,  denn 
eine  reihe  von  z.  b.  acht  silben  kann  in  vielen  rhythmischen 
formen  auftreten.    Z.  b.: 

1-JL_1_1_     daktylischer  vierer 
_1_-!._1_JL     anapästischer  vierer 
-i,^-LL^L     ders.  asynartetisch 
_.Z,l_-l_-->^    ders.  hyperkatalektisch  u.s.w. 
Es  gilt  dai'um  vor  allem  den  rhythmischen  wert  solcher  leeren 


68  SARAN 

iiameii  wie  aclit-,  zelinsilbler  festzustellen.  Das  ist  die  vor- 
nehmste aufgäbe  der  romanischen  rhythmik. 

Welche  wege  und  mittel  hat  sie,  diese  aufgäbe  zu  lösen? 
Zunächst  dieselben  wie  die  deutsche:  textbetrachtung  und 
die  gesetze  der  allgemeinen  musikalischen  rh3thmik.  Dazu 
kommen  noch  die  reste  der  technischen  Überlieferung  aus  der 
alten  zeit  (z.  b.  die  Lej^s  d'amors).  die  betrachtung  von  mhd. 
liedern,  die  im  Inhalt  und  der  form  nachweislich  romanische 
dichtungen  nachahmen,  und  die  analyse  moderner  romanischer 
Chansons.  Ob  die  betrachtung  der  überlieferten  noten  der  trou- 
badours  weiter  hilft,  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen.  Vermut- 
lich ebensowenig  wie  in  der  deutschen  minnepoesie. 

Die  hauptfrage  ist:  welche  silben  des  t  ext  es  tragen 
thesen  (hebmigen),  welche  arsen  (Senkungen)?  Für  die 
beantwortung  dieser  frage  ist  zuerst  zu  beachten:  die  alte 
prov.-frz.  troubadourlyrik  ist  liederpoesie,  also  gesang.  Die 
überlieferten  verse  sind  gesangsverse,  keine  sprechverse. 

Es  ist  darum  ein  verhängnisvoller  Irrtum,  die  rhythmen 
die  Becq  de  Fouquieres  und  Lubarsch  für  die  frz.  verse  auf- 
stellen, als  die  rhythmen  der  romanischen  verse  schlechthin 
zu  betrachten.  Abgesehen  davon  dass  die  ansieht  dieser  ge- 
lehrten nicht  zu  billigen  ist  (vgl.  Wulff,  »Scand.  archiv  bd.  1,  s.  839), 
so  würden  ihre  tyi)en,  auch  wenn  sie  richtig  wären,  nur  für 
den  gesprochenen  vers  gelten.  Für  den  gesungenen  gelten 
sie  nachweislich  nicht,  wie  man  aus  der  vergleichung  z.  b.  der 
melodierhythmen  bei  Beranger  mit  den  rhythmen  die  nach 
Bec(i  und  Lubarsch  zu  erAvarten  wären,  ohne  weiteres  sieht. 
Die  Becq  -  Lubarsch'schen  alexandrinerrhythmen,  die  man  in 
französischen  theatern  allerdings  hört,  nur  bei  weitem  nicht  in 
der  menge  und  grundsätzlich,  Avie  jene  beiden  metriker  an- 
nehmen: diese  formen  sind  itroducte,  deren  factoren  ein  alter 
in  der  modernen  recitation  noch  durchaus  vorwaltender  seclis- 
hebiger  jhytlimus  und  gewisse  forderungen  de^  sprachaccentes 
sind  (Vermeidung  von  l)e1oiiiiiig('ii  \\\(j  jilre,  (liuieat,  merveiUe 
U.S.W.,  ausfall  des  stuniiiien  -c  im  anschluss  an  die  moderne 
Sprache).      Es    sind    Umwertungen ')    des    alten    sechshebigen 


')  S.  Verf.,  Zur  metrik  Otfrids  von  \\'oisi>euburg,  in  den  riiilol.  stiulien. 
festg.  f.  E.  Sievers,  Halle  1S9(),  s.  105  f. 


UEBER    II AKTMANN    VON    AUE.  60 

rhytlimiis  unter  dem  zwauft' des  accents.  auf  die  hier  iiiclit  ein- 
gegangen zu  werden  braucht. 

A\'enn  sich  also  Weissenfeis  §  47  auf  Lubaischs  scansionen 
beruft,  um  den  rhytlimus  des  zelinsilbh'i's  zu  bestimmen,  wenn 
er  im  anschluss  an  den  typus  (bei  Lubarscli) 

ierre  (remis  d'allegresse  et  de  craiiUe 

-xx-xx- xx-x 
auch  thni  zehnsilblern  der  troubadours  solchen  "springenden 
cliarakter'  zuweisen  will,  so  geht  er  fehl.  Diese  und  die 
andern  formen  bei  Lubarscli  sind  moderne  sprechformen,  die 
weder  für  die  moderne  noch  gar  für  die  alte  musik  irgend 
welche  bedeutung-  haben.  Also  die  ansieht  von  der  rhyth- 
mischen Indifferenz  des  zehnsilblers,  die  es  erlaube  aus  ihm 
vierhebig-daktylische  oder  fünfliebig-iambische  reihen  zu  ent- 
wickeln, ist  ganz  und  gar  unrichtig.  Die  romanischen  gesangs- 
verse  sind  genau  so  rhythmisch  wie  die  deutschen,  nur  dass 
das  Verhältnis  von  rhytlimus  und  sprachtext  darin  minder 
durchsichtig  ist  als  hier,  also  die  bestimmung  des  hinter  dem 
text  stehenden  rhythmus  mehr  Schwierigkeiten  macht:  Auf 
Becq-Lubarschs  constructionen  ist  für  die  musikalische  roma- 
nische rhythmik  durchaus  zu  verzichten. 

Wo  liegen  nun  aber  die  thesen  der  musikalischen  roma- 
nischen reihen?  Man  findet  sie,  wenn  man  von  der  oder  den 
festen  "tonsilben'  der  A'erse  an  rückwärts  Senkung  und  hebung 
wechseln  lässt.  Die  alten  romanischen  rhythmen  beruhen 
nämlich  nicht  auf  dem  wortaccent,  sondern  auf  dem  regel- 
mässigen Wechsel  ^on  thesis  und  arsis,  der  nur  in  besonderen 
fällen  durchbrochen  werden  darf.  Sie  kennen  ursprünglich 
auflösung  gar  nicht  und  zusammenziehung  nur  an  ge- 
wissen typischen  stellen.  Die  moderne  französische  vocal- 
musik  hat  dies  princip  fi-eilich  aufgegegeben,  aber  die  formen 
der  gesprochenen  poesie  beruhen  noch  völlig  darauf.  Vor 
allem  die  der  lyrik.  aber  auch  der  dramatische  alexandriner, 
trotz  des  oben  berührten  zerrüttenden  einflusses  des  accentes. 
Die  prov.-frz.  liederdichtung  steht  also  in  ihren  i-hythmischen 
formprinciitien  fast  genau  auf  dem  Standpunkt  den  die  mlid. 
minnelyrik  im  13.  jh,  erreicht  hat.  Eben  durch  den  einfiuss 
jener  hat  sich  ja  die  ältere  teclmik  eines  Kürenbergers  und 
anonymus  Spervogel   zur  modernen  eines  Waltlier  umge])ildet 


70  SARAN 

und  seilen  wir  an  Hausen,  Eeinmar,  Hartmann  die  entwicke- 
lung  vorschreiten. 

Dass  die  prov.-frz.  kunst  dies  wichtig-ste  g'esetz  von  dem 
Wechsel  der  arsis  und  thesis  ausgebildet  hat  und  dabei  den 
wortaccent  vernachlässigte,  liegt  mit  an  der  natur  der  spräche. 
Diese  hat  den  hauptton  auf  der  letzten  oder  vorletzten  silbe 
des  w^ortes:  würden  nun  im  rlij-thnuis  die  accentsilben  zugleich 
träger  der  thesen,  so  würde  die  reihe  fast  stets  in  aufsteigende 
gruppen  mit  thetischem  schluss  auseinander  fallen :  z.  b.  oui,  je 
riens  \  dans  son  temple  \  adorer  \  Veternel  \  und  der  vers  da- 
diu'ch  ein  auf  die  dauer  unerträglich  lärmendes  und  heftiges 
wesen  bekommen.  Das  prov.-frz.  vermeidet  diesen  übelstand 
dadurch,  dass  es  den  w^ortaccent  stark  vernachlässigt:  nur  so 
wird  eine  feinere  rhj'thmische  arbeit  möglich.  Denn  die  rliyth- 
niik  verlangt,  dass  normalerweise  thesis  -|-  arsis  gebunden  werde, 
nicht  arsis  +  thesis,  einschnittstellen  natürlich  ausgenommen. 
Wesentliches  mittel  der  rhythmischen  bindung  ist  nun  der  text: 
daher  die  norm,  durch  syntaktische  phrasierung  oder  Unter- 
bringung in  einem  w^ort  die  arsische  silbe  möglichst  mit  der 
vorausgehenden  thetischen  zu  verketten. 

In  der  harmonie  waltet  ein  ganz  ähnliches  gesetz,  das 
H.  Riemann  im  Katechismus  der  compositionslehre  1,  s.  41  ff. 
bespricht.  Es  lautet  nach  seiner  formuliei-ung:  die  zeit- 
momente,  auf  welche  vorzugsweise  neue  harmonien  eintreten, 
sind  die  Schwerpunkte  der  motive,  gruppen  und  halbsätze 
(d,h.  die  thesen),  oder  m.  a.  w.:  die  arsis  setzt  in  der  harmonie 
der  vorausgehenden  thesis  ein.  Riemann  bemerkt  sehr  richtig, 
dass  einbeziehung  des  auftaktes  in  die  neue  harmonie  (schema 
'arsis  +  thesis'  statt  'thesis  +  arsis')  sehr  aufregend  Avirke. 
Besonders  seit  Schumann  sei  diese  art  der  harmonischen  bin- 
dung üblich  geworden. 

Genau  so  aufi-egend  und  lärmend  wde  diese  harmonischen 
gruppen  bei  Schumann  (nach  dem  schema  'arsis  +  thesis') 
wirken  die  entsjjrechenden  rhythmischen.  Sie  sind  darum  als 
mittel,  gelegentlich  solche  Wirkungen  hervorzubringen,  sehr 
brauchbar:  als  typische  elemente  des  rliytlinuis  wären  sie 
höchst  unerfreulich. 

Cebrigens  ist  der  Wechsel  von  thesis  und  arsis  bez.  Ver- 
meidung der  auflösung  und   inneren   zusammenziehung  füi' 


UEBER    II AKTMANN    VON    AUE.  71 

jede  rliytliHiik  dei-  älteste  zustand,  der  erst  später  verlas.seii 
wird.  ^laii  darf  daruiii  iiiclit  eigentlieh,  me  ich  oben  getan, 
sagen,  das  prov.-frz.  liabe  diesen  zustand  'ausgebildet';  man 
muss  vielnielir  sagen:  es  hat  ihn  durcli  besondere  gründe  ge- 
zwungen festgelialten,  während  z.  b.  das  deutsclie  zu  mannig- 
facheren bildungen  fortgeschritten  ist.  Eine  armut  der  kunst 
wird  durch  dies  gesetz  natürlicli  nicht  bedingt,  da  der  mangel 
auf  anderen  gebieten  des  ästlietischen  eindrucks  völlig  aus- 
geglichen werden  kann. 

Dass  das  gesetz  in  der  tat  für  die  prov.-frz.  troubadour- 
poesie  galt,  zeigen  nachahmungen  romanischer  lieder  durch 
mhd.  dicht w  nach  Inhalt,  reimgebäude  und  taktzahl.  Nur 
bilden  diese  deutschen  Sänger  die  reihen  principiell  auftaktig, 
da   die   deutsche  rhythmik   von  haus   aus   nur   anapästische 

reihen  (     '  _  '  L )  kennt.    Die  folge  davon  ist,  dass  z.  b. 

daktylische')  romanische  reilien  im  mhd.  anapästisch ')  auf- 
treten. Z.  b.  Penis  MF.  84, 10  =  Peire  Vidal  (Bartsch,  Prov. 
chrest.4  108,33): 

1  '      .      '        .      ;  '      .      '      . 

X.      _ w,     w 

3                1                   t          .          \          r         ,         I          . 
v^ '- \_J^        I       . 

4.   _  L-j^  -L^ir     _v!^_^__l_.w._.|v^v^l_-:-_l_ww 


1.  84, 12 geivalte,  Ihgrözen  gewalt  (schwebender Vortrag),  18  getvalt 

Peire  Yidal: 

1.  1_^_1_^_   I  L_^_1_^Ä 

2.  .L_^_1_^Ä     I    l_.:-_l_-:-_ 

3.  1__-__1._^Ä  i  -:._._i_^.Ä 

Peii-e  Vidals  rhythmen  sind  daktylische  vierer  ('  u.s.w.) 
akatalektisch  oder  katalektisch  (Eh.  §  23  a.8).  Fenis  macht 
die  reihen  durch  auftakte  im  schematischen  sinn  anapästisch 
(  ').  Dadurch  werden  natürlich  die  akatalektischen  dakty- 
lischen reihen  Peires  anai)ästisch-hyperkatalektiscli,  die  kata- 
lektisch-daktylischen  akatalektisch-anapästisch. 

Gemeinsam  ist  beiden  alles  übrige. 

'j  Vg'l.  lüiytliiii.  s-  c,  oben  s.  4ti. 


72  SARAN 

Das  reimgebäudo  ist     a  —  b 
b  —  a. 
c  —  d 

d  —  e  —  (l . 
Ein  fraiizö^isclies  beisi)iel:  Horlieim  112,  1  ff.  ^^  Clirestieu 
Y.  Troyes  (Bartsch,  Afrz.  ehrest.  158, 12): 
Horheim: 

n  r  r  \  r  f  l  /  r 

O.    —  wv^» '- '-     \ '- '-    I ^ '- 

Chrestien: 

■  1.   _-l_,^_A_^    I    _!__:  _1_^, 

q  '.'.1  '.'.I  '.'. 

Das  reimgebäude  ist:    a  —  b 
a  —  b . 
b  —  a  — a 
b  —  a . 

Besonders  interessant  wegen  der  rhj'thmischen  mannigfaltigkeit 
ist  Hausen  45,  37  ff.  =  Folquet  v.  Marseille  (Bartsch,  Prov.  ehrest. 
121,26).  Hier  sind  die  reihen  gleich,  nur  dass  Hausen  nach 
deutscher  gepflogenheit  im  auftakt  auch  pause  und  überhaupt 
auflösung  zulässt. 
Hausen: 

1.  Äl-^^L^^  I  ^I_^_^_.. 

2.  _1_  •  _^_^_^X  I  ---^  I  ---  •  ----- 

3.  _^_  •  _JZ_^_1X  I  -^--  I  ---    -^-^ 

4.  _i_._^__._iA  i  -----::----A 

Folquet: 

2.  -^-^-~  ■  -;-A  I  -y-- 1  -7-^-7-" 

4.'  :i:.::^:.:zx  i  iiii-^-r_Tx~~ 

Die  reimstelhmg  ist :    a  —  a 

b  — b-c 
c  — d  — d 
e  — e . 


UEBEK    hartmann    VON    AUE.  73 

Die  Strophen  unteisclieidcn  sich  nur  in  der  belian(llunj2:  fl<"^ 
auftaktes  und  der  auflösung.  Die  dipodie  liabe  ich  der  selb- 
ständig-keit  des  inhalts  wegen  als  reihe  genommen.  Zielit  man 
2  a' und  2i\  ebenso  8»'  und  3'>  zusammen,  so  werden  die  perioden 
2 — 4  rhythmisch  gleich,  jede  gleich  zwei  sechsern.  Die  ent- 
sclieidung  kann  nur  durcharbeitung  eines  grösseren  materials 
geben. 

Diese  beispiele  zeigen,  dass  die  prov.  und  frz.  lieder  nicht 
anders  behandelt  werden  dürfen  als  die  deutschen.  Die  regel 
vom  weclisel  der  liebung  und  Senkung,  sowie  die  oben  mit- 
geteilten gesetze  der  allgemeinen  musikalischen  i-liythmik 
reichen  offenbar  liin,  um  die  texte  im  ganzen  richtig  zu 
rh}i:hmisieren.    Z.  b.  Bartsch,  Eom.  u.  past.  196, 1  ff.: 


1.  1_-._1aä  \1-.-^^ä 

2.  ^_  ■  --^AÄ  I  l----^-vÄ 

3.  1_  ---AÄ   I  1- --^---Ä 

4.  A_^_1aä   I  l_--_z.^Ä 

6.  1_-_1_^_  I  1_^_1_^A 

7.  1__.._Z.__^,  _  ;  ^_^_^^Ä 

Sind  -vielleicht  1 — 4  lauter  tripodien: 

1_._^A  !'-----•■' 
Dies  ist  nur  durcli  vergleichung  auszumachen.    Der  text  duldet 
beide  messungen.   Oder  wurde  die  pause  durch  einen  ruf  aus- 
gefüllt?    Vgl.  das  folgende  beispiel  ebda.  235, 1  ff.: 


1.  ^_  1  _Z._ 

-  ■  -  1 

•. 

-1.-  7\ 

2.  1_^_1_ 

-•-1 

/ 

_i^Ä 

3.  J._^_;l 

1      r 

^-L.--  7\ 

4.  ^__;I 

_^__ 

1--- 

-  -L:^7\ 

5.  L-;^L 

_^, 

t 

1 

A 

6.  J._;_l 

--; 

1 

1 

7\ 

7.  ^_:_;^ 

_^-,   . 

1 

-:-Lä- 

t 

[NB.| 

8.  J._  •  _^_ 

.  ^  ,   

1      1 

^--AÄ 

9.  -L_j  __!_ 

.-:-    Ä 

1      t 

•--AÄ 

In 

5- 

-7 

Verschiebung  der 

cäsur 

nac]) 

rückwärts 

74  SARAN 

Keimsciienia :     a  —  1) 
a  — b. 
?  +  c  —  1) 
rf+d-b. 
f  4-  e  —  e 

y  +  g  —  e 
e  — h 
W  —  h  . 

Duicli  isolclie  rliytlimisieruiig-  ganzer  Strophen  wird  man  un- 
schwer die  Avahren  werte  für  die  niclitssagenden  namen  6.  7. 
8.  9,  10  U.S.W.  -silbler  ermitteln  können.  Man  wird  dann  auch 
die  wirkliche  rhythmische  verwantschaft  der  verse  entdecken, 
die  durch  die  äusserliche  nomenclatur  verhüilt  wird.  So  ge- 
hören zusammen 

_^_^_I._^         8 

-------  A  \  -siiijier  =  anap.  vierer 


_  „  ,  -silbler  =  dakt.  vierer 

^-  A  5 


.1__L_^_^     _  8 
(hyperkatalektisch) 

._^_1_^_         7 

.__:__^_^Ä  7 

n.  s.  w. 

Die  taktart  {-  _  oder  1 S)  kann  aus  dem  text  romanischer 
lieder  natürlich  noch  weniger  erschlossen  werden  als  aus 
dem  mhd. 

Aus  dem  gesagten  ist  wol  klar,  dass  auch  die  prov.- 
frz,  reihen  einen  klaren  und  scharfen  rhythmus  hatten. 

Nach  den  mitgeteilten  regeln  ist  es  nicht  schwer  den 
rhythmus  des  zelmsilblers  festzustellen. 

Einen  fünfer  _1_^_^_^_1  darf  man  nicht  darin 
suchen,  da  diese  reihenform  überaus  selten  ist  (Rh.  §  7).  Also 
kann  es  nur  ein  sechser  sein,  dessen  letzter  fuss  durch  pause 
oder  durch  zusammenzieliung  gefüllt  wird,  der  also  brachy- 
katalektisch  oder  katalektisch  ist.  Der  zclmsilbler  hätte  also 
den  rhythmus  _1_  •  ;  _^^  ■  -IX  (inännlich) 
oder  __'__•;  __^_ -„i,^  (weiblich). 
Dass  diese  form  wirklich  vorkommt,  beweist  die  vergleichung 
der  Strophe  Hausens  mit  der  Folquets.  Der  sechser  ist  darin 
für  das  provenzalische  an  vier  stellen  gesichert. 


UEBEK   HARTMANN    VON    AUE,  75 

Daiiadi  wäre  z.  b.  Fol(iuet  hei  I^artscli.  Prov.  ehrest.  128,  7 
so  zu  aiialj^siereii: 

1.  _!_.;  _^_  •  _^x  I  ---  • ;  ---  ■  -^  •- 

Reimsclienia :     a  —  b 
1)  —  a . 
c  —  c 
W  —  c 

^\'  =  waise,  die  im  verlauf  des  tones  aber  als  koru  auftritt. 

El)eiis(i  die  cliaiisou  pieuse,  Bartsch,  Afi^z.  ehrest,  147, 19  ff,: 

1,  _^_  ■  •  ^IL-^_^,    \  _1_^;_ ^_^_^-^  I 


2,  _1_-  _^_^_^-:  I   Äl-^-lA 
Reimscliema:    a  —  a  —  a  . 

Nun  wird  aber  das  gesetz  von  der  regelmässigen  folge  der 
hebungen  und  Senkungen  gerade  im  zehnsilbler,  wie  es  scheint, 
durchbrochen. 

Die  romanze  bei  Bartsch  (Rom.  u.  past,  3, 1  ff.)  enthält  verse 
wie  que  Franc  de  France  repairent  de  roi  cort  (vgl.  auch  3,  3. 
9,  11.  17  u.  (■■).).    Hier  würde  hinter  der  vierten  silbe  (2.  thesis) 
zweisilbige  arsis  angesetzt  werden  müssen: 
'      •        "     .      '  ^ 

damit  also  auflösung  für  den  zehnsilbler  erwiesen  sein.  Aber 
diese  annähme  ist  nicht  nfUig.  Wie  sie  zu  vermeiden  ist,  lehrt 
eine  neuerdings  erschienene  arbeit  von  Eickhoff,  Der  Ursprung 
des  roman.-germanischen  elf-  und  zehnsilblers  (des  fünffüssigen 
Jambus),  1895. 

Eickhoff  zeigt  durcli  Untersuchung  zalilreicher  alter  und 
neuer  melodien,  dass  es  im  französischen  seit  Jahrhunderten 
einen  scharf  ausgei)iägten  rliythnuis  gibt,  der  im  text  als  zehn- 
silbler ersclicint  und  folgende  form  zeigt: 

I  JJJU-JI  JJJJ  IJ['A2i).]| 

Rhythmisch  geschrieben  wäre  er  I-  v.^  ^ ;  ^l.^^^  L.  Ich  selbst 
bin  vor  Jahren  zu  demselben  ergebnis  gelangt:  die  lieder  Be- 
rangers,  deren  melodien  icli,  wie  bemerkt,  sämmtlicli  rhytlimiscli 


76  SAKAN 

dmcligeai'lx'itet  habe,  zeigen,  soweit  sie  aus  zeliiisilhleni  be- 
stehen, alle  diesen  eliarakteristisclien  rhythmus,  der  freilich 
diu'cli  die  entwickelung-  nianclie  z.  t.  beträchtliche  modificationen 
erlitten  hat.  Ich  will  diese  typische  A'on  Eickhoff  beobachtete 
rhythniische  form  schlechtAveg  'dekasyllabon'  nennen. 

Dies  dekasyllabon  tritt  nun  in  vier  formen  auf.  Es  ist 
seiner  natur  nach  eine  daktylische  tetraijodie  mit  scharfer 
binnencäsur,  und  kommt  vor:  katalektisch  (mit  pause)  oder 
akatalektisch ,  ferner  mit  dem  wert  J.  =  J.  vor  der  binnen- 
cäsur  oder  statt  dessen  JJ  =  .1^..    Sein  Schema  ist  also: 

UJJU-     II   Jl  JJJJ   NUp-J   I   --^^^     :    ||^:.^.^lÄ 

U'JJUJJM  Jl  JJJJ  u;  J     I      -:-w^i^;  lU^^^^^- 

Dieses  Schema  des  dekasyllabons  macht  nun  alle  die  formen 
der  text-zehnsilbler  ohne  weiteres  verständlich,  in  denen  hinter 
der  binnencäsur  (die  romanisten  nennen  sie  nicht  correct  'cäsur') 
eine  'überschlagende  weibliche  silbe'  stehen  oder  fehlen  kann. 
Die  romanze  bei  Bartsch  1,1  wäre  dann  so  zu  analysieren: 

1'  '•  '  'T^I'  '•  '  '    7\      \ 

2'  t    .  '  '      7-    \     '  t    .  I  '     -Ä-     I     '  '     -s-   "-r-' 

Eeimschema :     a  —  a  —  h  . 
a  —  b  —  W  . 

Der  refrain  ist  entweder  =  i_^_i.ÄX  ^^^^'  ^^^\',  was  ich 
wegen  des  Zusammenhangs  mit  dem  dekasyllabon  vermute, 
—  L^^L  Ä.    Doch  ist  letzteres  nicht  Avahrscheinlich. 

AVie  ist  nun  dieses  dekasyllabon  entstanden?  Eickhoff 
glaubt,  im  anschluss  an  eine  beliebte  ansieht  der  französischen 
tradition,  es  habe  sich  aus  dem  Horazischen  versus  sapphicus 
entwickelt.  P'iir  die  musikalische  rhythmik  ist  diese  ansieht 
Eickhoffs  überhaupt  nicht  discutabel.  Der  sapphicus  ist  nach 
dem  Zeugnis  der  grammatiker  eine  logaödische  pentapodie,  das 
dekasyllabon  ist  aber  eine  tetrapodie,  genetischer  Zusammen- 
hang damit  ausgeschlossen.  Etwas  anderes  ist  die  annähme, 
dass  man  im  mittelalter  sapphische  öden  auf  dekasyllaben  ge- 
sungen habe:  dagegen  ist  nichts  einzuwenden.  Das  zusammen- 
passen ist  durch  den  text  vermittelt  und  zufällig. 

Der  Ursprung  des  dekasyllabon  wird  in  Frankreich 
liegen.     Dann  ist   auffällig,   dass  dieser  rhythmus  auflösung 


ÜEHER   IIAKTMANN   VON   AUE.  77 

der  arsis  und  thesis  tyi)isc'li  duiclifülirt.  wäluviid  die  loma- 
nisclie  metrik  sie  wenigstens  im  silbensclienia  nie  ausprägt, 
also  mindestens  meidet  (lig-aturen  sind  möglich).  Denn 
--^w-v^;  wv!^w^-7\  scheint  zunächst  durch  auflösung-en  und 
Verschiebung-  der  binnencäsur  aus  der  gi-undlnrm  1  _  •  _;  1  _  ■  7\ 
hervorg'esprosst  zu  sein.  Nun  fällt  aber  an  der  reihe  dreierlei 
auf:  erstens  die  fülle  und  schwere  der  melodie,  die  sich  von 
der  der  aufg:elösten  vierer  ganz  charakteristisch  unterscheidet. 
Zweitens  die  eig-entümliche  binnencäsur.  Denn  ^  ;  ist  die  i-egel, 
-Lv_ ;  die  man  nach  Rh.  §  20  anm.O  als  norm  erwartet,  die  aus- 
nähme, und  -L ^^ -1  _ ;  oder  L^^L\  ^^^^,  die  weitaus  zunächst 
läg-en.  kommen  nur  höchst  selten,  sichtlich  ganz  secundär  vor. 
Endlich  ist  auffallend,  dass  überhaupt  eine  so  überaus  starke 
binnencäsm-  vorhanden  ist.  Denn  die  reihe  besteht  normaler- 
weise ohne  oder  doch  nur  mit  leicht  ang-edeuteter  binnencäsur, 
im  dekasyllabon  aber  ist  sie  so  stark  wie  sonst  die  cäsur  (z.  b. 
im  alexandriner  _l_Z._z.^_)  |  _^_l_i(_)). 

Alle  diese  eigenschaften  des  dekasyllabons  werden  sofort 
erklärlich,  wenn  man  es  zu  einer  klasse  von  rhythmen  rechnet, 
die  ich  'pressrhythmen'  nennen  will  und  über  die  ich  später 
im  Zusammenhang'  einer  allgemeinen  musikalischen  rhythmik 
handeln  werde.  Pressrhythmen  sind  rhythmen  die  einer  art 
zusammenpressung  ihr  dasein  verdanken.  Eine  periode  von 
acht  füssen  bez.  takten 


kann  durch  Veränderung  der  stärkegrade,  lebhafteres  tempo 
und  andere  führung-  der  melodie  so  vorgetragen  werden,  dass 
sie  nui-  die  function  einer  reihe  hat:  aus  den  acht  einfachen 
takten  werden  vier  einfache,  indem  eine  thesis  um  die  andere 
ausfällt,  d.  h.  zur  arsis  degradiert  wird,  also 


l)anii  wild  iiatüilidi  die  alte  cäsur  zur  binnencäsur  und  die 
alte  diärese  zur  cäsur.  Solche  pressreihen  aber  machen  be- 
greiflicherweise immer  einen  volleren,  schwereren  eindruck 
als  nicht  gepresste  und  Aerraten  sich  dadurch  meist. 

Da  nun  die  rhythmische  Schreibung  von  der  thesenbestim- 
mung  abhängt,  so  darf  man  solche  pressreihen  nicht  wie  oben, 
sondern  so  übertrafen:  ^^^  ^1.^^:  ^^^^  ^^^^  11.  widjei  der 


78  SARAN 

schein  von  lauter  auflüsimgen  erweckt  wird,  obwol  tatsächlich 
keine  vorliegen. 

Diese  gepressten  reihen  sind  in  der  modernen  nmsik.  so- 
weit sie  instrumental  ist  oder  instrumentalen  Charakter  trägt, 
die  normalen:  für  eine  kunststufe,  auf  der  die  vocalnuisik 
herscht.  sind  sie  nur  vereinzelt  vorauszusetzen. 

Es  können  nun  zu  solchen  reihen  perioden  jeder  art  ver- 
arbeitet werden.    Z.  b. 


oder 
oder 

Die  letzten  sind  die  formen  des  normalen  dekasyllabons.  Dies 
ist  also  entstanden  aus  einer  alten,  achttaktigen  periode,  die 
auf  der  ersten  thesis  zusamuienziehung-  hatte  und  deren  glieder 
katalektisch  bez.  brachykatalektisch  waren, 

Es  folgt  daraus,  dass  das  dekasyllabon  ein  seitenverwanter 
des  alexandriners  ist,  der  sich  allerdings  in  neuer  richtung 
weiter  entwickelt  hat.  Die  wurzel  beider  rhythmen  liegt  im 
anapästischen  tetrameter 


Dessen  beide  reihen  sind  im  alexandriner  im  Innern  synarte- 
tisch  und  am  schluss  katalektisch  bez.  brach j^katalektisch: 

IIIIIIaJI ------ A 

Die  periodische  urfoi-m  des  normalen  dekasyllabons  ist: 

Ä^:-l    .|    I    _l_._i... 

Sicher  ist  nur  der  nachsatz  syuartetisch,  der  Vordersatz  asyn- 
artetisch. 

Diese  formen  des  dekasyllabons  sind  die  normalen.    Es 
kann  noch  vorkommen: 


UEBER  HARTMANN   VON   AUE.  79 

z.  b.  et  a  Lcugres  servic  niaUia/llis  (Tobler.  Versb.^  85).  Tu 
modernen  nielodien  habe  ich  auch  gefunden: 

*_!--  ^  Ä  I  .^-._1a  >----;  ^^^^^-^Ä. 

Es  würden  also  alle  niöglichkeiten  mit  zwei  und  mehr  über- 
langen im  erster  g-lied  der  alten  periode  zu  belegen  sein,  nur 
dass  die  form  <*  ä  ~L~-l.  7\   \  ...  weitaus  die  häufigste  ist. 

Die  tatsache,  dass  das  dekasyllabon  im  gegensatz  zum  son- 
stigen Charakter  der  romanischen  metra  auf  einen  asynarte- 
tischen  ersten  teil  zurückAveist,  beweist  sein  hohes  alter.  Ist 
die  form  vielleicht  in  Xordfrankreich  entwackelt,  da  sie  ja  der 
rhythmus  der  chansons  de  geste  ist?  Weist  die  binnen- 
zusammenziehung  der  urform  auf  germanischen  (fränkischen) 
Ursprung  oder  wenigstens  germanischen  eintiuss  hin?  Denn 
zusammenziehung  war  ein  kunstmittel,  das  der  Charakter  der 
germanischen  spräche  empfahl,  die  romanischen  sprachen  da- 
gegen nicht  nahe  legten  (vgl.  Saran,  Zur  metrik  Otfrids  von 
Weissenburg  s.  198). 

Aus  diesen  betrachtungen  ergibt  sich,  wie  ich  glaube,  mit 
Sicherheit,  dass  sich  unter  dem  'zehnsilbler'  der  roma- 
nischen metrik  zwei  grundverschiedene  rhythmen 
verbergen  und  vermutlich  von  alters  her  verborgen 
haben: 

1)  der  anapästische  sechser  _  1  _  •  ;  __!!_•_  1  y\  (bez.  L  -:-), 

2)  der  daktylische  vierer  (pressreihe)  l^^i;  ^-L^^^-Ä 

(bez.  L    )  [norm]. 

A\'elcher  ist  nun  im  einzelnen  falle  gemeint?  Hier  kann 
nur  eine  umfassende  Untersuchung  licht  schaffen.  Einiges 
merke  ich  an,  um  die  arbeit  zu  erleichtern.  Sicher  hat  man 
es  mit  dem  dekasyllabon  zu  tun,  wo  hinter  der  dritten  oder 
vierten  (betonten)  silbe.  vor  der  binnencäsur  eine  'weibliche, 
überschlagende'  silbe  erscheint.  Also  stets  im  frz.  epos,  in 
der  frz.  lyrik  öfters  (Tobler,  Versbau-  s.  85).  Im  übrigen 
dürfte  höchstens  die  beobachtung  der  binnencäsur  weiterhelfen. 

I  )ie  binnencäsur  des  Sechsers  ist  nämlich  als  echte  binnen- 
cäsiu-  nacji  der  zweiten  thesis  (vierten  silbe)  ihrer  natur  nach 
schwächer  als  die  des  dekasylhibons.  die  ehedem  eine  cäsur  war. 
Sie  ist  mehr  ein  wortschliLSS  als  wirklicher  einschnitt.  Darum 
scheint  sie  auch  veisdiiebunii-  zu  leiden.  weni"stens  sind  fälle, 


80  SÄRAN 

wie  sie  Tobler  s.  86  bringt,  leicht  so  zu  deuten:  qnencor  ne  die 
je  ma  desirance  =  _1_l_;  l_^_i^. 

Aus  dem  dekasyllabon  kann  man  dergleiclien  nur  mit 
scliwierig-keit  ableiten.  Cäsurlose  secliser,  wie  man  sie  nach 
Tobler  s.  86  f.  ansetzen  kann,  haben  kein  bedenken,  dekasyllaben 
ohne  binnencäsur  sind  im  g-esang-  kaum  zu  verteidigen,  im 
Sprechvers  nur  als  ausnähme  zuzulassen.  ]\[an  beachte,  dass 
auch  Hausen  in  seiner  nachahmung  die  sechser  ohne  binnen- 
cäsur, nur  g'eleg-entlich  mit  syntaktischem  einschnitt  an  den 
betr.  stellen  bildet. 

Mit  dem  zehnsilbler,  der  immer  eine  reihe  ist,  darf  nicht 
die  aus  zwei  fünf  silbern  zusammengesetzte  periode  verwechselt 
werden  (vgl.  bei  Tobler  s.  89).  Rom.  und  past.  1,  no.  33  ist  zu 
analysieren: 

1.  1-.--1AÄ    i  L^^^L^-K 

3.  1_^_1Xä  I  ----^^Ä 

4.  l_^_i-XÄ   I  L_-_L^Ä 

5.  1_-__1Xä   I  L^-  _L^7\ 

6.  1_-__1Xä   I  1--— ^-.Ä. 
Oder  sind  es  tripodien:  1_^_^ä   |  1_  •__!-_? 

Man  darf  nicht  vergessen,  dass  ein  sechser  nur  nach  v.  =  1 : 2 
oder  =  2:1.  nie  aber  v.  =  1  :  1  geteilt  werden  kann.  Ist  der 
Vordersatz  weiblich  (Tobler  s.  89),  so  ist  die  form  katalektisch 

(;_^_^-.Ä). 

Wenn  nun  Pio  Rajna  (Gröbers  Grundr.  2,  26)  und  Eickhoff 
behaupten,  dass  der  französische  zehnsilbler  das  vorbild  für 
den  aller  anderen  Romanen  abgegeben  habe,  so  ist  das  so  aus- 
gedrückt schwerlich  richtig.  Wahrscheinlich  ist  es  aber  für 
die  eine  der  formen,  die  sich  unter  dem  text- zehnsilbler  ver- 
bergen, für  das  dekasyllabon.  Denn  dies  weist  —  wie  mir 
wenigstens  aus  dem  s.  79  mitgeteilten  gründe  wahrscheinlich 
ist  —  auf  Nordfrankreich  als  Ursprungsland,  auf  einen  boden, 
wo  sich  Germanen  und  Ronmnen  mischten.  Der  sechser  ist 
gewis  den  Provenzalen  ebensogut  eigen  gewesen  wie  er  es 
den  Franzosen  und  Germanen  war.  Diese  form  bietet  nichts 
besonders  charakteristisches  dar.  Der  italienische  endecasillabo 
kann  wegen  der  schwachen  binnencäsur  nur  der  sechser  sein. 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  81 

Ebenso  die  entsprechenden  verse  in  Spanien  und  Portug-al. 
"Wir  haben  also  in  allen  romanischen  ländern  den  sechser. 
Dazu  kommt  von  Frankreich  her  das  dekasyllabon,  dessen 
Verbreitung-  aber  erst  noch  im  einzelnen  nachzuweisen  wäre: 
dass  es  überall  in  gebrauch  gewesen,  darf  man  nicht  ohne 
weiteres  annehmen.  — 

Wenn  man  nun  behauptet,  die  deutschen  minnesinger 
hätten  den  zehnsilbler  nachgebildet,  so  ist  damit  zunächst  gar 
nichts  gesagt.  ]\ran  hat  zu  bestimmen,  ob  sie  den  sechser  oder 
den  vierer  nachahmen,  die  einfache  reihe  oder  die  gepresste. 

Nun  ist  klar,  dass  die  nachahmung  des  Sechsers  nicht  die 
mindeste  Schwierigkeit  machen  konnte.  Er  war  schon  von 
alters  der  germanischen  vocalmusik  eigen  (vgl.  die  Streckverse 
der  alliterationspoesie,  die  schlussglieder  der  strophe  des  ano- 
nymus  Spervogel).  Wir  sehen  auch,  dass  Hausen  bei  der  nach- 
ahmung Folquets  die  sechser  wol  gelingen.  Also  kann  es  sich 
im  mhd.  höchstens  um  die  nachahmung  des  dekasyllabons  han- 
deln, dessen  charakteristischer  rliytlimus  Schwierigkeiten  be- 
reiten mochte.  Denn  pressreihen  kannten  die  mhd.  Sänger  in 
der  alteinheimischen  kunst  nicht. 

Setzen  wir  nun  den  fall,  die  mhd.  minnesinger  hätten 
wirklich  beabsichtigt,  das  dekasyllabon  nachzuahmen,  setzen 
wir  zugleich  voraus,  dass  es  auch  im  provenzalischen  wie  im 
fi-z.  bekannt  gewesen,  dann  müsste  man  doch  erwarten,  das 
bestreben  zu  sehen,  den  typus 

7^7    :  j  v.7^^^lÄ(bez.I_) 

nachzubilden. 

Es  müsste  also  der  erste  takt  als  daktylus  mit  aufgelöster 
arsis  (1  v ,)  erscheinen,  die  binnencäsur  nach  einer  thesis  ein- 
treten (selten  nach  der  arsis)  und  im  zweiten  teil  des  verses, 
im  texte  Avenigstens,  hebung  und  Senkung  wechseln.  Man 
wird  dabei  voraussetzen  dürfen,  dass  die  deutschen  minnesinger 
die  reihe  mit  auftakt  versahen  und  diesen  nach  heimischer  weise 
behandelten. 

Untersucht  man  nun  —  ohne  Voraussetzungen  —  den 
überlieferten  text  der  betr.  lieder,  so  kommt  man  zu  sehr 
eigentümlichen  ergebnissen.  Ich  schliesse  mich  dabei  an 
^\'ilnianns'  gründliche  und  vorsichtige  arbeit  an  (Beiträge  zur 

Btiiirigu  zux  guacliicUte  dur  deutgcUeu  bpruobe.     XXIIX.  (j 


82  SARAN 

gesell,  d.  alt.  deutsch,  litt.,  lieft  4:  Fnterss.  z.  mlid.  nietrik  no.  1). 
Nach  Wilmanns  §  1  ff .  haben  die  voll  entwickelten  daktylischen 
reihen  (NB.  der  zehnsilbler  ist  nicht  wie  Wilmanns  §  2  be- 
hauptet ein  lang-yers,  d.  h.  eine  periode,  sondern  eine  reihe.  Er 
hat  keine  cäsur,  sondern  nur  feste  binnencäsur)  folgende 
eigenschaften :  1)  meist  weibliche  binnencäsur  (das  dekasylla- 
bon  fast  nur  männliche),  2)  diese  'plussilbe'  kann  oft  zum 
zweiten  teil  der  reihe  geschlagen  werden  (so  nie  im  text  des 
dekasjilabons),  3)  im  zweiten  teil  der  reihe  steht  auch  ein 
daktjius  (nie  im  dekasj' Ilabon) ,  4)  der  'daktylus'  im  zweiten 
reihenabschnitt  ist  durch  die  structur  des  textes  weit  besser 
gesichert  als  der  im  ersten  (ebda.  §  9).  Ferner  bemerkt  Weissen- 
fels  §  46,  dass  der  rhythmus  bis  zur  binnencäsur  meist  ganz 
wol  Hrochäisch'  aufgefasst  werden  könne,  erst  auf  der  binnen- 
cäsur und  im  vorletzten  takt  trete  der  daktylische  rhythmus 
deutlich  heraus. 

Construiert  man  aus  diesen  angaben  den  nilid.  normal- 
typus,  so  würde  er  sein: 

Dagegen  halte  man  die  normalform  des  roman.  dekasyllabons: 

Welche  beziehungen  haben  diese  reihen?  Ausser  der  vier- 
hebigkeit  keine.  Eine  ist  beinahe  das  genaue  gegenteil  der 
andern.  An  eine  nachahmung  des  dekasyllabons  ist  also  nicht 
zu  denken. 

Daraus  folgt,  dass  die  behauptung,  die  minnesingei'  hätten 
den  zehnsilbler  der  Romanen  nachgebildet,  nicht  zu  beAveisen 
ist.  Weder  der  romanische  sechser  noch  der  gepresste  vierer 
kann  in  den  'daktylen'  stecken.  Will  jemand  behaupten,  es 
könnten  ja  die  minnesinger  eine  dritte,  von  mir  nicht  gefundene 
form  des  zehnsilblers  nachgeahmt  haben,  so  fällt  ihm  der 
beweis  zu,  dass  es  eine  solche  gegeben.  So  lange  dieser  nicht 
geführt  wird,  so  lange  schweben  solche  annahmen  in  der  luft. 

Was  ist  nun  eigentlich  der  grund  gewesen,  der  zur  an- 
nähme romanischen  Ursprungs  der  daktylen  geführt  hat?  Vor 
allem  die  tatsache,  dass  die  'daktj'len'  erst  bei  denjenigen 
miunesingern  auftreten,  die  nachweislich  oder  wahrscheinlich 
unmittelbar  oder  mittelbar  vom  romanischen  minnesang  beein- 


ÜEBER   HAETMANN   VON   AUE.  83 

flusst  worden  sind.  Tor  allem  Fenis  und  Hausen.  Es  kommt 
hinzu,  dass  für  den  inlialt  verschiedener  'daktylischer  lieder' 
die  romanischen  originale  nachgewiesen  sind,  ja  directe  be- 
ziehungen  der  form  vorliegen,  z.  b.  für  Fenis  80, 9  =  Folquet, 
Bartsch,  Prov.  ehrest.  123,  9. 

Nun  folgt  aus  alledem  noch  keineswegs,  dass  die  minne- 
singer  Tvii-klich  romanische  rhj^thmen  haben  nachahmen  wollen. 
Die  citierte  Strophe  Folquets  enthält  höclist  wahrscheinlich 
hexapodien  (vgl.  oben  s.  74).  Solche  kannte  auch  das  deutsche 
seit  alters.  Wenn  also  Fenis  dies  lied  nach  Inhalt,  strophen- 
form  und  ev.  melodie  hätte  ganz  nachahmen  wollen,  so  konnte 
ihm  das  keine  Schwierigkeiten  machen.  Nun  weicht  die  be- 
schaffenheit  der  reihen  völlig  ab.  Daraus  folgt,  dass  er  eben 
das  original  nicht  bis  ins  einzelne  nachahmte,  sondern  nur 
verändernd  benutzte.  Wer  sagt  uns,  dass  er  es  völlig  habe 
nachbilden  wollen?  Um  so  mehr  als  dasselbe  lied  noch  den 
Inhalt  eines  formell  abweichenden  liedes  von  Folquet  verwertet, 
also  contaminiert.  Das  einzige  was  man  auf  grund  jener  be- 
ziehung  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  sagen  darf,  ist,  dass  man 
in  den  reihen  des  mhd.  liedes  zunächst  sechser  suchen  muss. 
Ueber  deren  form  lässt  sich  nur  auf  grund  des  deutschen 
textes  urteilen. 

Will  man  die  'daktylenfi-age'  mit  aussieht  auf  erfolg  be- 
handeln, so  hat  man  folgendes  zu  erwägen: 

1)  I^s  treten  im  minnesang  neben  den  bekannten  und  ge- 
wohnten rhythmen  andere  auf,  die  der  aualyse  Schwierigkeiten 
machen.  Ueber  ihre  form  wissen  wir  nichts.  Wenn  man 
sie  mit  lateinischen  'daktylen'  oder  romanischen  versen  zu- 
sammenbringt, so  ist  das  eine  annähme,  deren  richtigkeit  erst 
zu  beweisen  ist.  Die  beweise  die  man  versucht  hat,  sind  mis- 
lungen.  Wir  stehen  der  Überlieferung  also  völlig  ratlos  gegen- 
über. Es  erhebt  sich  die  fi'age:  welches  sind  die  rhythmischen 
formen  die  in  den  texten  stecken? 

2)  Es  ist  eine  verfrühte  annähme,  wenn  man  glaubt,  die 
verse  die  wir  nicht  rhythmisieren  können,  müssten  eine 
gattung  bilden.  Es  können  sich  sehr  verschiedene  rliythmen 
in  ihnen  verbergen.  Darum  ist  zunächst  jedes  lied  für  sicli 
zu  bearbeiten. 

3j  Die  herausgeber  von  MF.  und  andere,  die  sich  ihnen 


84  SAUAN 

anschlössen,  liaben  die  Überlieferung  stark  angegriffen,  um 
die  Strophen  zu  ordnen.  Da  sie  aber  die  richtigkeit  ihrer 
rhythmischen  theorie  nicht  erwiesen  haben,  so  ist  ihre  text- 
herstellung  nicht  verbindlich. 

4)  Da  wir  über  die  rhythmik  der  fraglichen  Strophen 
nichts  wissen,  so  ist  zunächst  nur  ein  text  herzustellen,  der 
den  auf  orderungen  des  sinnes  und  der  grammatik  entspricht: 
jede  änderung  metri  causa  ist  so  lange  verwerflich,  als  nicht 
das  metrum  mit  einiger  Sicherheit  ei'kannt  ist. 

5)  Der  augenschein  lehrt,  dass  die  minnesinger  bei  ihren 
liedern  den  sprachaccent  nach  müglichkeit  schonten.  Ehythmus 
und  spräche  dmxhdringen  sich  bei  ihnen  in  fast  vollendeter 
weise.  Darum  ist  von  vornherein  jede  rhythmisierung  der 
nach  no.  4  hergestellten  texte  unwahrscheinlich,  die  den  sprach- 
accent stärker  antastet,  als  es  der  rhythmus  in  den  anderen 
liedern  tut.  Schonung  des  accentes  ist  die  erste  f orderung, 
die  man  an  eine  rhythmische  construction  dieser  töne  zu 
machen  hat. 

6)  Für  die  rhythmisierung  sind  allein  textanalyse  und  die 
gesetze  der  allgemeinen  rhythmik  von  bedeutung.  Es  ist  also 
z.b.  nicht  im  mindesten  nötig,  dass  die  zu  ermitteln- 
den rhythmen  lesbar  seien:  sie  müssen  nur,  dies  aber 
auf  jeden  fall,  singbar  sein. 

Tritt  man  mit  diesen  anschauungen  an  die  'daktylen' 
heran,  die  Weissenfeis  in  seinem  buche  zusammengestellt  hat, 
so  ist  nicht  schwer  zu  sehen,  dass  unter  den  besprochenen 
liedern  gruppen  zu  sondern  sind. 

A.  Eists  tagelied  (MF.  39, 18)  ist  durch  den  reichlichen 
gebrauch  aufgelöster  arsen  (_  =  ^^)  merkwürdig.  Sie 
stehen  vor  allem  im  ersten  takt,  einmal  im  zweiten  der  hexa- 
podie,  wo  sie  rhythmisch  leicht  erklärbar  sind  (v.  25  swaz  du 
gebiutest,  duz  leist  ich  friimdin  min). 

Släfest  dix,  Medel  ziere? 

wan  wecket  uns  leider  schiere 

Ein  vogellin  so  wol  getan: 

daz  ist  der  linden  an  daz  zwi  g'egän. 

1.    Äl-ww ^-   I   -^^^—L- 

Reimschema :    a  —  a 


UEBER   HARTMANX    VON    AUE.  85 

Der  text  von  C  ist  im  ganzen  beizubehalten,  nur  v.  27  hinne 
zu  streichen.  Y.  29  ist  wol  zu  lesen  we,  du  fuerest  mine  froide 
sdment  dir.     Y.  25  vgl.  oben. 

Ausserdem  gibt  es  noch  andere  lieder.  wo  der  'daktylische' 
eindruck  des  gelesenen  textes  durch  arsenauflösung  bewirkt  wird. 

So  Lichtenstein,  Lni.  s.  134  (x.  weise): 

. ^^5     \^  —  \_/\«^  —  ^^  j    ^y \^\^ \^f^^ 

9  '  .  '  '  ' 

O  '  .  '  I    TT     '  •  '  I  '"  •  ' 

Keimscliema :     a  +  a  —  b 
i;  +  c  -  b  . 
Ebd.  394,  no.  xii :  j  +  d  -  f  +  e  -  f  +  e . 

9      TT    '  •        •     '  •  '  •        •     '  ' 


■  \.-'^w/  i— '   — 


Eeimscheraa :  a  +  b  —  a  +  b 

^+C  — ?  +  /9  +  d-(f  +  b. 

Die  Zeilenschreibung  Lachmanns  ist  zu  ändern. 

B.  In  einer  anderen  gruppe  von  liedern  wird  der  'dakty- 
lische rhythmus'  durch  grundsätzliche  anwendung  der 
zusammenziehung  erzeugt.  Hierher  gehören  töne  der  thü- 
ringischen dichter  Morungen  und  Hezbolt. 

Morungen  MF.  129, 1411: 

L  Äl-  — i.-  I  Ä^  — ^-  I  Ä^_  — lA 
2.   Ä- L-  I   Ä^__^_  I  Ä- -X 

4.  Ä^ i-  I  -l1~-L-  I  Ä^ -A 

Reimschema:    a  — a  — b 
c  —  c  —  b . 
W  — d 
d  _  d  _  b  . 

In  den  zusammenziehungen  stimmen  alle  drei  Strophen  überein: 

nui-  129,33  dm  liehe  und  diu  leide  fällt  aus  der  responsion  heraus. 

130, 7  1.  si  an.  Die  a^cente  von  MF.  sind  entsprechend  zu  ändern. 

Hezbolt  ahmt  MSH.  2.  no.  74,  vi  Morungens  rhythmus  nach. 

Xo.  vii  ist  zu  rhythmisieren: 

1.  i__JL^Ä    I   L--J.-7\    I   L--^y\ 

2.  ^__i..^Ä    I   1.--L  ■    7\    I   i__^A 

3.  i.__^  •  Ä   I  i__i  A 

4.  JL___^.Ä   |1  — -lA 


86  SARAN 

Die  übrigen  Strophen  entsprechen  nicht  immer  genau;  eben 
das  bürgt  für  die  richtigkeit  der  obigen  rliytlimisierung.  Den 
rhythmiis  des  liedes  kann  man  sich  leicht  zu  gehör  bringen, 
wenn  man  es  —  mit  den  nötigen  änderungen  —  auf  die  me- 
lodie  'Ach  wie  ist's  möglich  dann'  zu  singen  versucht. 

C.  Eine  dritte  klasse  der  'daktj'lischen'  rhythmen  ergibt 
sich,  wenn  zweisilbige  arsis  und  zusammenziehung 
typisch  verwendet  mrd.  Hierher  ist  ein  lied  Morungens  zu 
stellen,  das  in  MF.  sowol  im  text  wie  im  metrum  nicht  richtig 
behandelt  ist.  Ich  gebe  eine  herstellung,  die  die  lesarten 
von  A  mehr  heranzieht,  ohne  damit  etwas  endgiltiges  bieten 
zu  wollen.    Es  kommt  hier  nur  auf  den  rhythmus  an. 

MF.  127, 1  ff.: 

1.  Wist  ich  obe  ez  mölite  wol  verswigen  sin 
ich  lieze  iuch  seu')  mine  lieben  frouwen. 
Der  euzwei  brjfeche  mir  das  herze  min, 
der  möhte  sie  schöne  drinne  schoiiwen. 
Sie  kam  her  dür  diu  ganzen  ougen  min  (körn) 
sunder  tür  gegangen: 
Ouwe,  solt  ich  von  ir  reinen  minnen  sin 
also  werdecliche  enpfangen. 


1 

-  ' 

it 

1 

It 

?, 

Ä  ' 

r 

/                1 

1 

ir 

1 

3. 

r 

n 

--A    i 

A  — 

1 

4. 

t 

—  A 

i    Ä.- 



It 

-  Z^ 

^-A 

2.  Der  also  vil  geriefe  in  einen  toubeu  walt, 
ez  antwurte  ime  dar  üz  eteswenne. 
Nu  ist  der  schäl  dicke  vor  ir  manicvalt 
von  miner  not,  wil  si  die  bekennen? 
Doch  klägete  ich  ir  manigen  kumber  min  {kon^ 
vil  dicke  mit  gesange: 
Owe  ja  hat  si  gesläfen  allez  her 
oder  geswigen  alze  lauge. 


*)  Diese  thür.  form  darf  mau  wol  ohne  weiteres  einführen.  Vgl.  MF. 
122,  8.  126,  8.  9.  33  u.  ö.  —  Ich  weise  hier  noch  einmal  auf  das  hin  was  ich 
im  anfang  von  abschnitt  IV  (s.  58)  gesagt  habe.  Die  accente  in  den 
scheraaten  dienen  nur  zur  schnellen  Orientierung  über  den 
rhythmischen  wert  der  reihen.  Sie  sagen  über  die  wirkliche 
gegenseitige  abstufung  der  icten  gar  nichts  aus.  Dasselbe  gilt 
für  die  accente  in  abschnitt  lU. 


UEBER    IIAKTMANN    VON    AUE.  87 


•  NwA»-* 


1.  -L i: L I  _ 

3_  _i_ j^ 'j~r  I  __; ^_ 

4. ^^ /\   I    A  ^^ ^_A 

Zusaninieiizieliung  und  zweisilbige  arsis  (diese  vor  dem  langen 
teil  des  Sechsers  in  4  a,  vgl.  Rh.  §  17  anm.  3)  entsprechen  genau, 
mit  ausnähme  von  Ib,  wo  in  str.  1  die  zusammenziehung  auf 
der  zweiten,  in  str.  2  auf  der  dritten  thesis  steht. 

3.  "Wajr  ein  sitich  oder  ein  star,  die  mehteii  sit 
geleniet  han  däz  si  spraechen  'rainne'.  {vgl.  132,9). 
Ich  Iiän  ii'  gedienet  her  vil  lange  zit: 
mac  si  sich  doch  miuer  rede  versinuen? 
Nein,  sin  eutüot,  got  enwelle  ein  wunder  sin  (körn) 
vil  verre  an  ir  erzeigen. 
Ja  möhte  ich  häz  einen  hönni  mit  miiier  bete 
sunder  Aväfen  nider  geneigen. 

l    7\_^ ^^ _;_ I  _!__^!1_ i_ 

Die  nachsätze  stimmen  zu  str.  1.  In  2a  fehlt  zusammenziehung; 
in  3  a  steht  zweisilbige  Senkung  zur  einführung  des  langen 
teiles  im  sechser.  Die  tendenz  im  ton  scheint,  die  Vordersätze 
synartetisch  zu  bilden.  Im  lied  Morungen  129, 14  bildeten  die 
asynarteten  die  mittelglieder.  Das  eigentümlich  abfallende 
Schlussglied  der  Strophen  ist  rhythmisch  äusserst  charakte- 
ristisch für  rhythmische  endfälle:  vgl.  die  entsprechenden 
Schlüsse  der  vierer  beim  Kürenberger,  z.  b.  7, 20.  22  u.  ö.  Das 
zu  gründe  liegende  reimschema  ist: 

a  — b 

a  —  b . 

K  — c 

W  — c. 

In  4a  setzt  Morungen  also  regelmässig,  unverkennbar  zur 
cliarakteristik  der  Schlussperiode,  zweisilbige  Senkung.  Nur 
einmal  taucht  diese  in  3  a  (strophe  3)  auf. 

\\>nn  nun  zweisilbige  Senkung  vor  dem  langen  teil  des 
sechsei's  mit  zusammenziehung  auf  der  dritten  tliesis  coinbiiiieit 
wird,  so  entstehen  formen  wie 


öö  SARAN 

a. ^^ —  /  _j^ 

oder  mit  ziisammenzielnmg  auf  der  A'ierten  tliesis: 

{f  . 
r 

Nun  können  nach  den  regeln  über  die  Verschiebung  der  binnen- 
cäsur  Rh.  §  20   die  zwei  silben  hinter  der  zweiten  these  ver- 
schieden verteilt  werden,  entweder  nach  dem  Schema 
'      •  •  —  "        oder      '      .     .      " 

d.  h.  die  binnencäsur.  wenn  solche  überhaupt  beabsichtigt  ist, 
kann  vor  beide  kürzen  oder  zwischen  sie  fallen.  Das  letztere 
ist  rhythmisch  gefälliger,  weil  dadurch  die  reihe  weniger  aus- 
einander gerissen  wird. 

Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  die  form  a  im  text,  d.h. 
für  den  lesenden  in  folgender  gestalt  erscheinen  muss: 

X-X-XX-XX-(X)  i^-s.w. 
Mit  andern  Worten:  gelesen  werden  solche  verse  vierhebig 
scheinen  und  zwar  mit  bevorzugung  "zweisilbiger  Senkung' 
hinter  der  zweiten  und  gesetzmässigem  gebrauch  nach  der 
dritten  liebung.  Da  sich  ferner  in  dem  ersten  'daktylus*  eine 
aufgelöste  arsis  {^^),  in  dem  zweiten  dagegen  eine  zusammen- 
ziehung nebst  folgendem  vollen  takt  (-  ■  -),  also  zwei  thesen 
verbergen,  so  werden  die  textsilben  des  ersten  dreisilbigen 
taktes  die  form  -xx  haben,  die  des  andern  aber  nach  dem 
accentschema  -xx  streben,  d.h.  auf  der  ersten  'senkungs- 
silbe'  nebenton  suchen.  Man  vergleiche  nun  damit  die  all- 
gemeine beschreibung  des  vierhebigen  'daktylischen'  verses, 
die  Wilmanns  §  2  ff.  gibt.  1)  §  7:  Wörter  der  accentform 
-XX  Qcincstcete)  stehen  weitaus  in  den  meisten  fällen  im 
dritten,  selten  im  ersten,  nicht  im  zweiten  takt;  2)  der  dak- 
tylische rhythmus  ist  im  stück  bis  zur  binnencäsur  durcli 
den  wortaccent  sehr  schlecht  bezeugt,  weit  besser  im  zweiten 
abschnitt  (§  15);  3)  die  binnencäsur  ist  normaler  weise 
weiblich  und  übt  auf  die  länge  des  längeren  abschnitts  ver- 
kürzenden einfluss  aus  (§  3);  4)  die  'daktylischen'  verse 
bilden   in  den  Strophen  den  'fünfhebig  iambischen'  gegenüber 


UEBER   TTAKTMANN   VON    AUE.  89 

die  minderzahl.  wenn  man  rohe  betonung-en  meidet  (§  IG). 
Man  sieht,  die  beschreibnng"  passt  ganz  vortreftlich  zur  text- 
gestalt  des  auf  s.  87  unter  a  mitgeteilten  rliythmus.  Darum 
liegt  der  schluss  sehr  nahe:  unter  vielen  sog.  daktylen  verbirgt 

sich  die  form  _^_  •  . ,^  ■  _i  ■ 

in  den  verschiedenen  arten,  die  durch  zweisilbige  arsis,  auf- 
lösung  der  zweizeitigen  thesen,  pause  im  auftakt  und  akata- 
lektischen  bez.  brachykatalektischen  schluss  möglich  sind.  Dass 
neben  der  form  a  noch  andere  von  gleicher  eigenschaft  stehen, 
ist  sehr  wahrsclieinlicli.  Der  schein  daktylischer  vierer  wird 
also  durch  combiuation  von  arsischer  auflösung  und  von  zu- 
sammenziehung  erweckt,  eine  ganze  zahl  der  sog.  daktylen 
enthüllt  sich  so  als  rhythmen  in  denen  zweisilbige  arsis 
und  zusammenziehung  gesucht  wird,  freilich  unter  be- 
vorzugung  gewisser,  rhythmisch  besonders  wolgefälliger  typen 
(bes.  a,  vgl.  oben).  Diese  reihen  wären  dann  sechser,  keine 
vierer.  Zu  beachten  ist,  dass  der  sechser  mit  zusammenziehung 
auf  der  dritten  thesis  schon  vom  anonymus  Spervogel  als  schluss- 
glied  typisch  verwendet  wird;  z.  b.  MF.  25,  26  imd  niht  i'ör  den 
eren  verspürte  =  7\  1- --J1  ■  -^  ■  .  Vgl.  25,  33.  26,  26.  33. 
27,  5. 19  u.  ö. 

Aus  den  beispielen  bei  Morungen  und  Hezbolt  hat  sich 
ergeben,  dass  eine  tendenz  zu  genauer  rhythmischer  respon- 
sion  in  den  Strophen  bemerkbar,  aber  noch  niclit  völlig  zum 
ziel  gelangt  ist.  Wir  werden  darum,  je  älter  die  dichtungen 
sind,  um  so  weniger  Strophenentsprechung  erwarten  dürfen: 
eine  gewisse  regellosigkeit  ist  vorauszusetzen. 

In  der  tat  hat  mich  nun  die  durcharbeitung  der  texte 
von  ]\1F.  überzeugt,  dass  mit  den  verschiedenen  formen  des 
Sechsers  bei  den  meisten  'daktylen'  wirklich  durchzukommen 
ist.  Man  kann  airf  diese  weise  nicht  nur  harte  betonungen 
vermeiden,  sondern  vor  allem  die  überliefei'ung  sehr  conser- 
vativ  behandeln.  Von  der  gestalt  die  MF.  den  liedern  gegeben, 
ist  dabei  abzusehen,  da  die  herausgeber  den  überlieferten  text 
stark  haben  verändern  müssen,  um  ilir  vorausgesetztes  dak- 
tylisches versmass  durchführen  zu  können. 

Ich  gebe  einige  beispiele  dieser  rhythmengattung,  oline 
auch  hier  irgendwie  darauf  anspiuch  zu  machen,  ninen 
endgiltigen  text  zu  liefern. 


90  SARAN 

Die  abweichungeil  von  MF.  bedeuten  meist  rückkehr  zur 
Überlieferung.    MF.  43,  28  (Hausen). 

1.  Au  der  genädeu  al  iniu  fröide  stät, 
da  cnmäc  mu"  gewerreu  Imote  noch  lüt. 
Mich  enhilfet  dienst  noch  miner  Munde  rät, 
und  daz  si  mir  ist  liep  alsam  min  selbes  lip. 
Mir-  erwendet  ir  hulde  uieman  wan  si  selbe, 
si  tuet  mir  aleine  den  kumber  den  ich  trage: 
Wes  sölde  ich  dän  von  den  merkscreu  klagen, 
nu  ich  ir  hfiote  also  lützel  engeldeV 

1        '  "  'VI  '  "  •       '  V 

9  '  "  '  "T^"    I  '  "  '  ^ 

3.  WX-.  1  ww - l'-l  _  1  ^w  -  ww  - w^  A 

4        '  "-'VI 


. v.>\_^  ' 


Reimschema :    a  —  b 
a  —  b  . 
c  — d 
d  — c. 

2.  Hangen  herzen  ist  von  der  huote  we, 
und  jehent  ez  si  in  ein  angeslichiu  not: 
So  engerte  daz  mine  allei*  richheit  niht  me 
wan  mües  ez  si  liden  unz  au  minen  tot. 
Wer  möhte  hau  groze  fröide  äue  kumber? 
nach  solher  swpere  so  rang  ich  alle  zit. 
Done  mäht  ich  leider  uüit  komen  in  den  nit : 
des  hat  gelücke  getan  an  mir  wunder. 

1.    Ä^--^ 

3.  Einer  grözen  swaere  ich  leider  seuic  bin, 
die  doch  erturhtet  vil  mänic  saelic  man. 
Unbetwüngeu  von  huote  so  ist  daz  herze  min; 
mir  ist  leit  von  ir,  daz  ich  den  fride  le  gewan. 
Wand  ich  die  not  wold  iemer  güetlich  liden, 
het  ich  von  schulden  verdienet  den  haz. 

Nit  ümb  ir  minue  daz  t«te  mir  baz 
danne  ich  si  beide  süs  rauoz  lau  beliben. 

2'  "  '  '-r'    I  '  "  '  '~r' 

3.  _1 !1 L-  I  _l^_^^i  ■  _^X 

4   _J_ ^^Jl:  --1a1    -- - '^- 


A 

-ww- /\ 

-  ■— -A 

-L^^-^1 1/\ 

t      1 

L^^^^l 1/\ 

UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  91 

Mit  Sechsern  kommt  man  bei  Gutenburg  77,  36  ff.  aus. 
Er  liebt  die  form  '  ^^z:  _  i._,  auflösung  öfters  auch 
vor  der  fünften  thesis.  d.  h.  auf  der  stelle  nach  der  untercäsur 
des  langen  abschnitts.  wenn  sie  ausgeprägt  wäre. 

Dass  diese  rhj'thmisierung  berechtigt  ist,  kann  m.  e.  aus 
dem  ersten  lied  des  Neuenb  urgers  (80, 1  ff.)  gefolgert  werden. 
Es  ahmt  in  reimstellung,  z.  t.  auch  im  inhalt  ein  lied  P'olquets 
nach,  das  oben  s.  74  anal3'siert  worden  ist.  Folquets  rh^'tlimen 
sind  Sechser  (brachjivat.  und  katal.),  und  eben  denselben  rliytli- 
mus  ergibt  die  unbefangene  betrachtung  der  Überlieferung,  von 
der  sich  freilich  der  text  von  ]\1F.  sehr  entfernt.  Ich  gebe 
meinen  text  zur  vergleichung  —  auch  hier  unter  vorbehält. 

1.  Gewau  icli  ze  Minnen  ie  güoteu  wiin, 

nu  hän  ich  von  ir  weder  trost  noch  g-edingen, 

Wan  ich  enwelz  wie  mii'  süle  gelingen, 

Sit  ich  si  mac  weder  hlzen  noch  liän. 

Mir  ist  alse  dem  der  üf  den  bouni  da  stiget 

lind  niht  hoher  mac  und  da  mitten  belibet 

Und  ouch  mit  nihte  widerkomen  kan 

und  also  die  zit  mit  sorgen  hine  vertrihet. 

3_  _  _;_  ^^ 2[Z ^  —  I  ww  - ww  " -^  - 

2.  Mir  ist  alse  deme  der  da  hat  gewant 

sinen  muot  an  ein  spil  und  er  da  mite  verlinset 
Unde  erz  verswert:  ze  späte  erz  doch  verkiuset. 
also  hän  ich  mich  ze  späte  erkaut 
Der  grozen  liste  die  Minne  wider  mich  häte. 
mit  schcenen  gebserden  si  mich  zuo  ir  brähte 
Und  leitet  mich  älse  der  boese  geltsere  tnot 
der  wöl  geheizet  und  geltes  nie  gedähte. 


I K..^^  —  •— ' 


1         '  "  'VI 

2.  _1 1' i_  I   Äl-^-l'_-----lX 

Q  '  "  '  I  '  "  f 

3.  Min  vrouwe  sohle  län  nu  den  gewin 
daz  ich  ir  diene:  ich  raäc  es  niht  miden. 
ledoch  bite  ich  sie  däz  siz  gerüoche  lideu: 
s6  wirret  mir  niht  diu  not  die  ich  lidendo  bin. 


92  SARAN 

Wil  aber  si  mich  von  ir  vertriben, 

ir  s\yacher  gTuoz  der  scheidet  mich  von  ir  libe. 

Noch  dauiioch  fürhte  ich  mere  . . . 

daz  si  mich  von  minen  freüdeu  vertribe. 

1.  -L 1 '_X  I  -- " -- 

2    7\    '  "  '       I       '         •       "      •         '  '/t 

Q  '  //  T        I         '  "  t 

O. !_. i_i  I v_/\_y ^  

4   _>_ ^_ I         '__ jf ^_ 


Dies  lied  des  Fenis  ist  also  eine  naclialimimg-  auch  der  reihen 
Folquets.  nur  dass  hier  nicht  die  gewöhnliche  rhj^thmengattung 
mit  regelmässigem  Wechsel  von  arsis  und  thesis,  sondern  eine 
andere  mit  mannigfacher  Senkungsbehandlung  gebraucht  ist. 

Der  Prüfstein  jeder  'daktj^lentheorie'  dürften  die  lieder 
kaiser  Heinrichs  sein.  Ihre  metrik  spottete  bisher  aller 
versuche.  Es  sind  nach  ausweis  des  metrums  wol  zwei  ver- 
schiedene töne;  im  reimgebäude  ist  nur  der  unterschied,  dass 
der  erste  ton  vor  dem  schliessenden  reim  eine  waise  hat. 
Erster  ton:  5,  IG— 29. 

1.  Ich  grüeze  mit  gesänge  die  süezen 

die  ich  vermiden  niht  wil  noch  enmac. 

Daz  ich  sie  von  munde  rehte  mohte  g-rüezen, 

ach  leides,  des  ist  manic  tac. 

Swer  disiu  liet  nu*)  singe  vor  ir, 

der  ich  so  gar  imsenftecliche  enbii-, 

ez  sl  wip  oder  man, 

der  habe  sie  gegrüezet  von  mir. 

1.  -1 11 ^-  I  -L 1' IX 

2.  ^L 1 i-|Ä  ^ - 1a 

3.  _l___^__i-X  1  -1  — 1  — IX  I 

Äi-^-j— I  _i___^-.-ix 

2.  Mir  sint  diu  ri'che  und  diu  laut  ündertän 
svv'enne  ich  bi  der  minneclichen  bin, 
Unde  swenne  ich  gescheide  von  dan, 
so  ist  mir  äl  min  gewalt  und  min  richtüom  da  hin. 
Wan  senden  kumber  den  zel  ich  mir  danne  ze  habe 
sus  kan  ich  an  vröuden  stigeu  uf  und-)  abe 
und  bringe  den  wehsel 
als  ich  wjfene  durch  ir  liebe  ze  grabe. 


*)  C  swer  nu  d.  l. 

2)  C  und  ouch.    Das  ouch  ist  dem  sinn  zuwider. 


UEBER   HARTMANN    VON    AUE.  93 

1.  _i___^__iA  i  Ä-1— ::-  — iX 

.        A V.Xv^   L /\       I       WV_/  —  V_/^  —  WW  — /\ 

3        '  "  '     'TT'  I       '  "  '     'x'  ' 

Zweiter  ton:  5,30 — 6,4. 

1.  Daz  ich  si  so  herzeclicheii  minne 
unde  si  äne  wenken  trage 
Beide  in  herzen  und  in  sinne 
underwilent  mit  vil  maniger  klage: 
Waz  git  niii-  darunibe  diu  liebe  ze  löne? 
da  biutet  si  mirz  so  rehte  schone, 
e  ich  mich  ir  verzige,  ich  verzige  mich  e  der  kröne. 

1      "TT    '                  "                r         \    -r    '             "  '      '~r' 

1.    A '-^-l     A , ^-^A 

3.  _i^^_.^i.'__i_  I  _L _::_T_^_  I 


2.  Er  sündet  sich  swer  des  uiht  geloubet, 
ich  möhte  geleben  manigen  lieben  tac, 
Ob  joh  niemer  ki-6ne  kteme  üf  min  houbet, 
des  ich  mich  äne  si  niht  vermezzen  enmac. 
Verlüi'e  ich  si,  wäz  hete  ich  dauueV 
da  töhte  ich  ze  vröuden  noch  wibe  noch  manne 
und  wa;re  min  bester  tröst*)  ze  ähte  mide  ze  banne. 


2.  wv_. L i! L_  I  v.^^ JL > , _ ^.^^ j.' 1 V 

3.  -L-_"--L-  I  _1^^_       IL--L-  I 


Man  sieht,  wie  ohne  erhebliche  abweichung-  von  der  Über- 
lieferung durch  anwenduiig-  der  hexapodie  die  vermisste  rh3'th- 
inische  regelmässigkeit  hergestellt  wird.  Zugleich  ist  zu 
bemerken,  dass  hier  akatalektische,  katalektische  und  brachy- 
katalektische  reihen  correspondieren,  wie  z.  b.  beim  Kürenberg. 
Man  wird  daraus  schliessen  dürfen,  dass  diese  reihen  mit  ab- 
sichtlich gesetzter  zweisilbiger  arsis  und  mit  zusammenziehung 
(deutlich  an  typischen  stellen),  also  die  sogenannten  'daktylen'. 


^)  BC  beidiu  ze  aide.  An  sich  ist  auch  diese  lesart  möglich.  Aber 
der  vers  wird  durch  Streichung  von  beidiu  weit  besser,  so  dass  sie  wol 
zweckmässig  ist.  Den  zusatz  des  geläufigen  wortes  anzunehmen  ist  un- 
bedenklich. 


94  SARAN 

niclit  der  romanischen  kunst,  sondern  aus  der  weiterentwicke- 
liing  heimischer  formen  entsprossen  sind. 

Ob  noch  andere  rliythmengattungen  in  den  'daktj'len' 
verborgen  liegen,  lasse  ich  dahingestellt.  Es  ist  mir  wahr- 
scheinlich. So  möchte  ich  im  leich  des  von  Kolmas  'press- 
rhythmen' sehen;  vgl.  s.  77  ff..  Auch  ist  an  sich  nicht  unmög- 
lich, dass  das  frz.  dekasyllabon  gelegentlich  nachgeahmt  ist, 
wenn  ich  auch  kein  beispiel  dafür  zur  hand  habe. 

Man  sieht  leicht  aus  dem  hier  ei'örtei'ten,  dass  die  ganze 
daktylenfrage  lediglich  aus  der  annähme  fliesst,  die  mhd.  minne- 
singer  hätten  einsilbigkeit  der  Senkung  als  norm  aufgestellt, 
zweisilbigkeit  und  zusammenziehung  principiell  vermieden.  Die 
texte  geben  zu  dieser  annähme  keinen  anlass,  vielmehr  ist 
zweisilbigkeit  der  Senkung  und  zusammenziehung  oft  gesucht 
worden.  Die  mhd.  Verslehre  hat  also  nicht  die  aufgäbe,  diese 
art  der  arsenbehandlung  möglichst  zu  beschränken  oder  zu 
verschleiern,  sondern  festzustellen,  unter  welchen  bedingungen 
sie  stattfindet.  Eine  betrachtung  der  verschiedenen  stilarten 
der  rhythmik  der  minnesinger  ist  m.  e.  das  ziel  dem  zu- 
gestrebt werden  muss.  Die  grundsätze  die  Lachmann  und 
Haupt  aufgestellt  haben,  sind  dabei  principiell  aufzugeben: 
die  textherstellung  der  minnelieder  hat  auf  einer  neuen  rhyth- 
mischen basis  zu  erfolgen,  zu  der  ich  im  vorausgehenden 
wenigstens  das  programm  aufgestellt  haben  möchte.  Ich 
widerhole  hier  aber  nochmals,  dass  ich  nicht  etwas  endgiltiges 
damit  geben,  sondern  einstweilen  nur  meine  behandlung  der 
Hartmannischen  lieder  rechtfertigen  will. 

Nach  dem  gesagten  glaube  ich  mich  berechtigt,  den  ro- 
manischen Ursprung  der  "daktylen'  schlechtweg  zu  leugnen. 
Ihr  wesen  widerspricht  dem  der  romanischen  rhythmen  durch- 
aus. Also  müssen  sie  specifisch  deutsche  formen  sein.  "Warum 
tauchen  sie  nun  aber  erst  im  minnesang  auf,  als  der  romanische 
einfluss  merkbar  ist?  Warum  kommt  man  nicht  in  die  Ver- 
suchung, die  lieder  des  Kürenbergers  daktylisch  zu  nehmen? 

Ich  glaube,  dass  die  ganze  technik  dieser  'daktylen'  eben 
erst  durch  den  gegensatz  der  alten  und  der  neuen  richtung 
des  minnesangs  möglich  wurde.  Die  alte,  ritterliche  lyrik, 
diejenige  die  vom  'minnedienst'  noch  nichts  weiss,  braucht 
zusammenziehung  und  zweisilbige  Senkung  durchaus  (letztere 


UEBER  HARTMANN   VON   AUE.  05 

meist  bei  ^versclileifbareif  sill)en.  aber  aiicli  bei  andern,  wenn- 
gleich selten):  gewisse  t.ypen  der  reihen  (_ ^  ■  _ i.  •  ,  _  1  _ ^ .'. 
--,  _ -i _  •-  _ ^'  ■  _ z. -•-  u.  a.)  sind  dabei  nicht  zu  verkennen. 
Die  neue,  aus  Frankreich  eingefülirte,  verlangt  grundsätzlich 
den  regelmässigen  Wechsel  von  arsis  und  thesis.  d.  h.  die  ein- 
silbigkeit  aller  rhythmischen  werte.  Damit  sind  ohne  weiteres 
zwei  stilarten  der  rhytlnnik  gegeben,  die  nun  teils  neben  einan- 
der hergehen,  teils  sich  durchdringen.  Der  minnesänger  versucht 
zunächst,  die  neuen  formen  nachzubilden.  Dabei  geht  er  von 
der  heimischen  technik  aus  und  das  resultat  sind  verse  wie 
wir  sie  z.  b.  bei  Hartmaun  finden,  verse  die  dem  neuen  form- 
ideal zustreben,  aber  noch  manches  (z.  b.  fi-eiheit  der  silbenzalil) 
von  der  alten  technik  haben.  Der  Sänger  versucht  aber  auch, 
sich  die  kunstmittel  der  alten  technik  (zusammenziehung  und 
auflösung)  zu  erhalten  und  den  neuen  formenschatz  durch  ihre 
grundsätzliche  verw^endung  noch  zu  bereichern.  So  entstehen 
producte,  die  in  geist  und  Stimmung  modern  sind,  in  der 
technik  aber  auch  die  älteren  kunstmittel  nicht  verschmähen. 
Es  ist  die  gruppe  der  'daktylen'.  Das  moderne  prägt  sich  be- 
sonders darin  aus.  dass  die  zweisilbigkeit  der  Senkung  un- 
beschränkt ist,  dass  also  die  engeren  regeln  der  alten  zeit 
aufgegeben  werden.  Je  nach  der  dichterpersönlichkeit  neigt 
der  eine  mehr  zum  neuen  (romanische  technik) :  z.  b.  Hart- 
mann, Eeinmar,  Walther,  andere  zum  älteren:  Morungen  und 
die  Thüringer, 

Somit  sind  also  unter  den  rhythmen  in  MF.  mindestens 
drei  stilarten  strengstens  zu  scheiden:  1)  der  strenge  alt- 
ritterliche Stil:  Kürenberg,  anonymus  Spervogel  u.  a.;  2)  der 
strenge  neuhöflsche  stil  (minnelied)  und  die  formen  die  ihm 
nachstreben,  wenn  auch  noch  nicht  gleich  erreichen  (z.  b. 
Hartmanns  meisten  gedichte);  3)  der  gemischte  neuhöfische 
Stil.  Darin  etw^a  drei  Unterarten:  a)  reihen  mit"  absichtlich 
verwendeter  zweisilbigkeit  der  arsis;  b)  reihen  mit  absicht- 
lich verwendeter  zusammenziehung;  c)  reihen,  wo  auflösung 
der  arsis  und  zusammenzieluing  conibiniert  sind.  A'ielleiclit 
kommt  hinzu:  4)  die  pressreihen:  Kolmas,  Walthers  elegie  (?). 

^^'ie  weit  dieselben  dichter  sich  mehrerer  stilarten  neben 
einander  bedient  haben,  wäre  in  jedem  falle  zu  untersuchen. 
Namentlich    in   der    zeit    wo    die    romanische   kunst    eingang 


96  SARAN 

fand,  A\'ird  man  einem  und  demselben  dichter  Übergang  vom 
altritterlichen  zum  nenhöfischen  stil  zutrauen  dürfen.  Auch 
Goethe  hat  nicht  gleich  die  schönen  g-edichte  der  letzten  Frank- 
furter und  der  Weimarer  zeit  geschrieben:  er  hat  auch  das 
Leipziger  liederbuch  gedichtet. 

Solchen  Übergang  finden  wir  z.  b.  beim  kaiser  Heinricli 
4, 17  ff. :  5,  IG  ff.  Er  braucht  Stil  1  und  3,  wobei  die  neuhöfi- 
schen gedichte  gerade  dieses  hohen  herrn  in  der  behandlung 
der  reihenschlüsse  noch  ihren  Ursprung  aus  der  alten  kunst 
verraten  (oben  s.  93).  "Wie  Aveit  auch  bei  andern  dichtem  von 
MF.  zwei  Stile  nebeneinander  liegen,  bedarf  stets  besonderer 
Prüfung.  No.  2  und  3  nebeneinander  ist  ganz  geläufig:  Hausen 
und  auch  Hartmann.  Die  echtheitsfragen  werden  dadurch 
schwieriger,  als  man  bisher  annahm. 

Dass  für  die  Scheidung  der  stilarten  die  weise  zu  beachten 
ist,  wie  die  dichter  den  vers  mit  wortinhalt  füllen,  möge  noch 
betont  werden.  Sievers  hat  ausdrücklich  auf  diesen  umstand 
hingewiesen.  Man  hat  stets  zu  erwägen,  wie  weit  sich  die 
icten  nach  den  Sievers'schen  typen  abstufen  ('dipodisch'  ver- 
teilt sind)  oder  diese  alte  accentvert eilung  fallen  lassen  ('mo- 
nopodisch'  folgen).  Es  muss  dabei  bedacht  werden,  dass  der 
gegensatz  von  "monopodisch'  und  'dipodisch'  auch  rein  als 
mittel  des  ausdrucks,  also  stilistisch  (Sievers  weist  Festgabe 
für  R.  Hildebrand,  Leipzig  1894,  s.  14  f.  auf  die  einleitung  des 
Tristan  hin)  verwendet  werden  kann  und  darum  den  drei  arten 
des  mischstiles  no.3  vielleicht  noch  eine  neue:  'd)  reihen  mit  ab- 
sichtlich »dipodischer«  ictenabstufung'  hinzugefügt  werden  muss. 

Das  lied  Hartmanns,  um  dessentwillen  dieser  excurs  nötig 
war,  ist  nun  einfach  hexapodisch. 

215,  14: 

^    _j_ ^' ^_  I  __; ^_^^ ^/ ^ _ 

2    __; ^^ i_    I  __^ _^ j__ 

4.  Ä  -  »»        /      I       '  „        t 

Y.  15  1.  ereste. 


■  vyv.y  ^-j ^-1  ■ 


215,  22: 
2.  _1_. 


•  v-/^-'  <— ' •— '  — 


v>^^ 


V-^N^-/    —    1— ' 


UKHER    IIARTMANN    VON    AUE.  97 

M         '  "  'VI'  "  'V 

4  '  ri  I  \  '  "  , 

V.  28  1.  (hz  cnpfic  (0).  str.  so  (mit  C).   29  mit  ( '  und  hinoz  icnicr. 

215,  30: 

1.  _1 

2.  _:'. 

4_      _;_ ^ L-  \  ^- dl L  — 

V.  o;3  1.  cd.  37  1.  rfer  Ze^;  und  ere  ir  hch'icte.  So  ist  der  vers 
weit  besser  als  in  der  —  an  sich  ebenfalls  möglichen  —  Über- 
lieferung: (fot  si  der  ir  lip  und  erf  hehüete.  — 

Für  Hartmanns  rhytlimische  technik  ergibt  sich  also  nach 
den  Untersuchungen  des  abschnitts  IV  und  \  folgendes: 

1)  Hartmann  braucht  nur  vierer  und  sechser.  Zweier  sind 
nicht  anzuerkennen,  da  sie  sich  ohne  Schwierigkeit  durch  Ver- 
einigung mit  nachbarzeilen  vermeiden  lassen. 

2)  Die  reihen  Hartmanns  schliessen  mit  der  thesis  und 
zwar  akatalektisch,  katalektisch  oder  brachykatalektisch.  Es 
finden  sich  bei  ihm  im  ganzen  nur  12  reihen  die  mit  einer 
arsis  (senkung)  enden;  diese  sind  aber  keineswegs  daktylisch 
{L-  . . .  L ._),  sondern  erweisen  sich  aus  dem  strophenzusammen- 

hang  als  hyperkatalektische  anapästische  glieder  (_  l -)• 

Es  sind  214. 13. 15  -L L ;  ^  (ebenso  24.  26),  also  am 

periodenschluss.  Dann  218, 5. 7  _  1  _  Z_  I' _1  _  _  ^  (ebenso 

18.  15.  21.  23)  und  213,  38  ä- Aw^-^  (ebenso  214, 10). 

3)  Es  fangen  weitaus  die  meisten  reihen  mit  auftakt  an, 
der  auch  zweisilbig  (nie  dreisilbig)  auftritt.  "Wo  in  einer  strophe 
der  auftakt  fehlt,  wird  er  meist  in  den  andern  desselben  tones 
gesetzt,  so  dass  über  die  auffassung  der  reihen  kein  zweifei 
obwalten  kaun. 

Demnach  kennt  Hart  mann  nur  anapästische  reihen 

{-L. L)  in  ihren  verschiedenen  modificationen:  reihen  die 

gi-undsätzlicli  thetisch  beginnen,  hat  er  nicht.  Hartmann  steht 
in  dieser  beziehuiig  also  noch  auf  dem  boden  der  hergebrachten 
nationalen  kuustübung,  die  keine  andern  als  anapästische,  d.h. 
thetisch  schliessende  formen  braucht.  Es  ist  für  die  Würdigung 
des  folgenden  abschnitt  es  wichtig,  das  festzuhalten.  Denn  wenn 
Hartmann,  wie  gezeigt  werden  wird,  allmählith  alle  unregel- 

Beitrüge  zur  guscbicbte  der  deutschen  spräche.     XXIII.  7 


98  SARAN 

mässigkeiteii  im  auftakt  vcrmeitleii  lernt  und  ilm  schliesslich 
regelmässig"  und  einsilbig'  setzt,  so  bedeutet  das  nichts  anderes, 
als  dass  er  sich  bestrebt,  die  von  ihm  gebrauchten  anapäs- 
tischen reihen  auch  wirklich  ganz  zu  füllen,  dass  er  es  meidet, 
durch  pause  werte  ausfallen  zu  lassen.  Das  gesetz  von  der 
auftaktregelung  bedeutet  also  (ebenso  wie  das  von  der  Ver- 
meidung der  zusammenziehung)  ein  streben  nach  grösserem 
tonreichtum.  Zugleich  nähert  sich  die  rhythmik  Hartmanns 
damit  der  der  Romanen  innner  niehi-,  die  ja  auf  dem  regel- 
mässigen Wechsel  von  arsis  und  tliesis  beruht.  Darum  wird  diese 
tendenz  zur  regulierung  Wirkung  der  romanischen  technik  sein. 

VI.    Die  Chronologie  der  lieder. 

Beziehen  sich  die  lieder  eines  Sängers  eins  auf  das  andere 
oder  enthalten  sie  historische  anspielungen,  die  gedeutet  werden 
können,  so  ist  dies  von  grössteni  wert  für  die  aufstellung  einer 
Chronologie.  Fehlen  solche  beziehungen,  so  muss  man  seine 
aufinerksamkeit  der  kunstform  zuwenden  und  seine  Schlüsse 
aus  ihr  ziehen.  Die  reihenfolge,  die  die  hss.  den  liedern  geben, 
und  die  biographische  ausdeutung  ist  für  dies  problem  ohne 
wert.  Das  war  das  ergebnis  der  erörterungen  im  abschnitt  II: 
darnach  muss  auf  das  strengste  verfahren  werden. 

Es  ist  von  vornherein  am  wahrscheinlichsten,  dass  die 
drei  kreuztöne  Hartmanns  zeitlich  zusammen  gehören,  mag 
man  sie  auf  einen  kreuzzug  beziehen,  den  man  will.  Der  letzte 
derselben  ist  gewis  ton  XVI  (218,  5),  vorher  liegen  V  (209,  25) 
und  VI  (211,20).  Es  ist  ganz  unwahrscheinlich,  sie  auf  zwei 
kreuzzüge  zu  verteilen,  obendrein,  weil  die  töne  V  und  XA'I 
durch  die  erwähnung  des  todes  von  Hartmanns  dienstherrn 
zusammen  gehalten  werden  (210,  24.  218, 19). 

Allgemein  ist  anerkannt,  dass  die  töne  I.  II.  III  einander 
nahe  stehen.  II  muss  vor  III  fallen,  weil  206,28  in  207,  11 
widerrufen  wird.  Von  den  zwei  in  III  vereinigten  liedern 
dürfte  III  >  (207,11.  208,32.  208,20)  dem  andern  II]  2  voraus- 
gehen, eben  wegen  jener  beziehung.  1 1 1  ist  gewis  älter  als  I : 
das  folgt  aus  dem  Inhalt  (H.  v.  A.  s.  30 — 32).  So  ergibt  sich 
die  reihe  II.  III.  I.  Diese  hält  neuerdings  auch  Sch(»nbach 
für  richtig. 

Hierher  stellt  Schönbach  auch  XII  (215, 14).    AAVgen  der 


UEBER    HARTMANN    VON    AUE.  99 

beziehung-  von  215.  20  zu  206, 18  scheint  mir  das  riclitig.    Nach 
inlialt  und  stimnning-  wäre  es  vor  IT  zu  verlegen. 

Dass  nun  diese  zweite  gruppe  vor  die  erste,  die  kreuz- 
lieder  fällt,  bestreitet  auch  niemand.  Das  folgt  aus  dei-  ver- 
gleichnng  von  210,23  und  218,19  mit  206,14  (H.  v.  A.  s.  80). 
Dass  auch  XII  vor  dem  tod  des  herrn  anzusetzen  ist,  lehrt 
ein  vergleich  von  210.  11  ff.  35  ff.  211,8  ff.  und  215. 19  ff.  Die 
reihe  XII.  IL  III.  I.  V.  VI.  XYI 

dürfte  mitliin  so  gut  wie  sicher  sein. 

Ich  habe  nun  in  meinem  buch  gezeigt,  dass  dieser  Zu- 
sammengehörigkeit nach  dem  Inhalt  auch  eine  in  der  form 
aufs  beste  entspricht:  jene  tihie  sind  eben  die,  in  deren  gliedern 
mit  wenigen  ausnahmen  durcliweg  der  auftakt  steht.  In  XVI 
fehlt  er  nie,  in  V  auch  niclit,  in  V-  einmal  (210,  29),  in  I 
einmal  (206.11).  in  III >  nie.  IIP  einmal  (207,38),  in  II  nie, 
in  XII        wie  ich  jetzt  hinzufügen  kann      -  einmal  (215,  20). 

Da  nun  die  andern  lieder  den  auftakt  weit  freier  behan- 
deln, so  habe  ich  daraus  auf  ein  bestreben  des  dichters  ge- 
schlossen, den  anfangs  ganz  freien,  bald  vorhandenen,  bald 
fehlenden,  oft  zweisilbigen  auftakt  zu  regulieren,  bis  endlich 
mit  gelegentlichen  Schwankungen  das  ziel:  einsilbigkeit  und 
regelmässigkeit  erreicht  wird  (H.  v.  A.  s.  33).  Darum  habe  ich 
ton  X^T  als  das  letzte  uns  von  Hartmann  bekannte  lied  be- 
zeichnet und  seine  auftakttechnik  als  das  erstrebte  ziel  an- 
gesehen. 

\^ogt  bezweifelt,  dass  das  richtig  sei.  Er  meint,  die  Ver- 
vollkommnung der  technik .  könne  nicht  bloss  in  dem  gleich- 
massigen  setzen,  sondern  ebensogut  in  dem  gleichmässigeu 
fehlen  des  auftaktes  und  in  dem  regelmässigen  Wechsel  von 
Versen  mit  und  ohne  auftakt  bestehen.  Dies  wäre  an  sich 
wol  möglich.  Für  Hartmann  könnten  sich  also  im  lauf  der  ent- 
wickelung  drei  Idealformen  des  tones  herausbilden:  1)  Strophen, 
wo  jede  reihe,  2)  Strophen,  wo  keine  reihe  auftakt  hat,  3)  stro- 
jdien.  wo  die  auftakte  nach  bestimmter  regel  stehen  und  fehlen. 
Will  man  die  lieder  ordnen,  so  muss  jedes  an  dem  idealschema 
gemessen  werden,  dem  es  zustrebt. 

Prüft  man  die  auftaktverhältnisse  der  Strophen,  so  ist 
zunächst  zweifellos,  dass  unter  ihnen  die  folgenden  dem  ersten 
ideal  —  regelmässig  auftakt  —  zustreben:  I  (""  206.  11).  II.  III 


100  SABAN 

(ä  207,38).  V(-  210.29).  IX  (ä  213,1.8.15).  XI  (214, 12. 14). 
XII  (ä  215,  20).  XIY  (ä  216,  31.  32.  217,  2).  XVI.  Von  16  tönen 
waltet  also  in  9  die  tendeuz  von  no.  1. 

Betrachten  wir  vorerst  diese  gruppe  allein.  Procentualiter 
ergibt  sich  folgende  reihe: 

10  \  ,0 

II.  m>.  (VI),  yi.  XVI     0,0  xn  (215,  i4ff.)  .   .   .     4,1  r. 

1(205,1) 2,2        I       XI  (214,  12  ff.)     .     .     .       !) 

m^  (208, 8  ff.)     .     .     .       3,3  IX  (212, 37  ff.)     ...     10 

V2  (209,  37  ff.)     .     .     .       4,10  -XIV  (21(!,  29ff.)  .     •     .     Iti.OO. 

Nimmt  man  die  lieder  von  III  und  V  zusammen,  so  ergibt  sich 
die  reihe:  XVI.  (VI).  II  (0,0  o/„).  m  (1,66).  V  (2,1).  I  (2,2). 
XII  (4,16).  Diese  weicht  von  jener  etwas  ab,  doch  verschlägt 
das  niclits,  da  eine  solche  Statistik  nie  bis  ins  einzelne  genau  sein 
wird,  sondern  nur  anzeigt,  welche  lieder  einander  näher  stehen. 

Prüfen  wir  nun  die  sieben  töne,  die  noch  übrig  sind.  In 
der  tat  hat  Vogt,  wie  ich  gern  zugebe,  richtig  gesehen,  dass 
Hartmann  den  auftakt  zuweilen  mit  absieht  an  bestimmten 
stellen  fehlen  lässt.  Man  sieht  das  klar,  wenn  man  die  auf- 
taktstellen in  bezug  auf  das  rhj^thmische  System  der  Strophen, 
wie  es  abschnitt  IV  und  V  aufgestellt,  betrachtet. 

In  ton  IV  fehlt  der  auftakt  in  beiden  Strophen  im  anfang 
der  letzten  periode.  209,  23  erhält  dadurch  das  diz  eine  be- 
tonung,  die  seiner  bedeutung  ganz  angemessen  ist  (Rh.  §  23 
anm.  8).  Ebenso  in  209, 13,  wenn  auch  weniger  evident.  Da- 
gegen ist  das  fehlen  des  auftaktes  in  209,  7  entschieden  un- 
beabsichtigt. Die  entsprechende  reihe  der  andern  Strophe 
setzt  ihn. 

In  ton  VII  fehlt  der  auftakt  in  allen  drei  Strophen  wider 
wie  in  IV  am  anfang  der  Schlussperiode  211,  31.  212,1.9,  doch 
wol  mit  absieht.  Dagegen  ist  nach  ausAveis  von  str.  2  und  3 
(212,2.10)  im  zweiten  Vordersatz  von  periode  3  (d.h.  in  3a') 
auftakt  nötig:  211,  32  ist  also  unregelmässig. 

In  VIII  fehlt  der  auftakt  regelmässig  in  la  (212, 13.21.29). 
in  2  a  (212,15.23.31),  also  allemal  im  periodenanfang,  offenbar 
um  den  einsatz  kräftiger  zu  machen.  In  3a  fehlt  er  nur  zwei- 
mal (212, 17. 25),  212, 33  steht  er.  Dass  das  fehlen  im  auf- 
gesang  beabsichtigt  ist,  kann  man  annehmen:  aber  auch  im 
abgesang?    Nehmen  wir  an,  es  sei  beabsichtigt,  so  haben  wir 


UEBER    HARTMANN    VON    AUE.  101 

jedenfalls  in  212,  33  einen  Verstoss  g'egen  das  idealscliema, 
einen  zweiten  in  34  (geg-enüber  18  und  2(3),  also  nicht  bloss 
eine  unreg-elmässig-keit,  wie  Vogt  s.  240  meint,  sondern  zwei. 
Das  fehlen  des  anftaktes  ist  meist  durch  gründe  der  declama- 
tion  bedingt. 

In  ton  X  (213,  29)  fehlt  der  auftakt  in  den  meisten  reihen. 
—  Das  idealsehema  wäre:  periode  1 — 3  durch  Aveg-  auf  taktlos, 
4a  ohne,  4a',  a",  b  mit  auftakt.  Gegen  dies  Schema  finden  sich 
drei  Verstösse:  213,38.  214,5.9.  Legt  man  ein  anderes  zu 
gründe,  so  bleibt  diese  zahl  doch  als  minimum  bestehen.  In 
procenten  15. 

In  XIII  ist  fehlen  möglicherweise  in  3  b  (216,7.14.28) 
beabsichtigt.  Im  übrigen  erkennt  man  kein  princip.  Setzung 
ist  offenbar  das  ideale.  Gegen  das  idealsehema  hätten  wii'  also 
neun  Verstösse. 

In  XY  soll  der  auftakt  offenbar  fehlen  in  3  a  (217,18.28. 
38),  d.  h.  im  periodenanfang.  Das  fehlen  hat  hier  für  den  sinn 
bedeutung.  denn  alle  die  hinter  der  j)ause  stehenden  proncmiina 
bedürfen  der  hervorhebung,  die  ihnen  auch  durch  das  fehlen 
des  anftaktes  zu  teil  wird.    217,  30  ist  aber  Verstoss. 

Berechnet  man  die  procente  der  Verstösse  gegen  das  jedes- 
malige idealsehema,  so  ergibt  sich  folgende  zweite  reihe: 


XV  (217,  14)  .     . 

10 

.     .      3,3 

VII  (211,27)  .     . 

.     .       3,3 

IV  (2ü9,  5)      .     . 

.     .       5,0 

VIII  (212,  1.3)      . 

.     .       8,3 

X  (213, 29)      .     . 

.     .     15,0 

XIU  (2H),  1)  .     . 

.     .     32,1 

Vergleicht  man  diese  reihe  mit  meiner  früheren  (H.  v.  A. 
s.  35).  so  ergibt  sich,  dass  diese  töne  in  ihr  fast  in  gleicher 
relativer  Ordnung  folgen.  Dort  war  die  folge:  XV.  IV.  VII. 
VIII.  XIII.  X  (rückw^ärts). 

Die  töne  beider  gruppen  würden,  gesondert  und  genau  nach 
ihren  auftaktverhältnissen  ireordnet,  folgende  reihen  bilden: 


IL  IIP.  V.  (VI;.  XVI      0,0  2) 

I  (205, 1)    .     .     .     ,     .       2,2         ; 
III^  C208,  S)     .     .     .     .       3,3 


XV  (217,  14>   \ 

VII  (211,27)  j ' 


102 


SAEAN 


Y-^  (209,  37)     \ 
XII  (215,  14)  j 


/o 
4.1  C. 


XI  (214,  12)    ...     .       0,1 
IX  (212.37)    ....     10.0 


XIV  (218,29). 


1  (;,t;6 


"/o 


IV  (209,5) 5,0 

VIII  (212,  13)      .     .     .       8,3 


15.0 


X  (213,  29)      .     . 

Xni  (21t;,  1)  .     .     .     .     32.  1 

Folg-te  man  nun  den  g-rniidsätzen  die  Vogt  für  die  Chro- 
nologie Hartmanns  aufstellt,  so  müsste  man  die  beiden  reihen 
auf  gTund  der  procentzahlen  zusammenschieben  und  hätte 
dann  eine  reihe,  in  der  die  lieder  tatsächlich  darnach  auf- 
träten, inwieweit  eine  auftaktregulierung-  erfolgt  ist.  213,  29 
(X)  und  214, 12  (XI)  würden  sich  dann  zwar  nicht,  Avie  Vogt 
will,  gleich  verhalten  (s.  239),  aber  doch  einander  weit  nähei- 
rücken  müssen  als  in  meiner  ersten  tabelle  (H.  v.  A.  s.  35). 

Diese  combinierte  tabelle  würde  aber  den  wahren  Sach- 
verhalt nicht  darstellen,  sondern  geradezu  verkehren.  Man 
vergleiche,  um  sich  das  klar  zu  machen,  die  auftaktbehand- 
handlung  unter  berücksichtigung-  der  rhythmischen  örter,  wo 
auftakt  fehlt.  Man  unterscheide  Vordersatz  (a),  zweiter  (bez. 
dritter)  Vordersatz  (a'.  a")  und  nachsatz  (b).  Dann  ergibt  sich 
für  reihe  1)  folgende  tabelle,  in  der  s  die  summe  aller  reihen 
der  Strophe,  a' (a")  +  b  die  summe  aller  der  giieder  bedeutet 
die  nicht  im  periodenanfang  stehen.  Das  Verhältnis  der  anzahl 
vorhandener  stellen  zu  den  auftaktpausen  ist  danach: 

Absolute  zahlen  der  reihe  1: 


XIV  IX 

XI 

XII   V2 

m^ 

I    n  1  IUI 

VI  XVI 

(HI)  (V) 

a 

12:3  15:2  10:2  12:1 

12:0  12:0,20:(l   Vt:U  12:0 

12:0  15:0 

24:0  24:0 

a',  a" 

2:0 

6:0 

5:0 

9:0 

6:0 

12:0 

b 

12:1 

15:1 

10:0 

12:0 

12:1 

12:1 

20:1 

9:0 

12:0 

12:0 

15:0 

24:1  24:1 

s 

24:4 

30:3  22:2 

24:1  24:1  'sO:!  45:1  27:0 

30 : 0 

24:0  30;0 

00:1 

48:1 

a',  a"  +  b 

12:1 

15:1 

12:0 

12:0 

12:1 

18:1 

25:1 

18:0 

18:0 

12:0 

15:0 

36:1 

24:1 

UEBER    IIAUTMANX    VON    AUE. 


103 


Tn  proceiite  iinifrereclinet  g-ibt  die  tahelle  an  wie  oft  der 
Huftakt  fehlt  im  verliältnis  zur  g-esamiutzalil  der  auftaktstellen 
jeder  der  (durch  a:  a',  a";  b;  s;  a',  a"  +  b  unterscliiedenen)  arten. 

Procentzahleii  der  reihe  l: 


XIV 

TX   '  XT     XII      V2 

III2 

I 

II 

IIP   v  'xvi 

(III) 

(V 

'VI) 

a 

25       i:i,3;^|   20      S,33       0.(1       0,(1 

(1.(1 

(M)      (1.(1      0.(1      0,0 

0,0 

0,0 

0.0 

a'.  a" 

0,0            ,               0.0 

0,0 

0,0    0.0    0,0    0,0 

0,0 

0.(1 

h 

8,33 

6,66.!  0,0       0,0     8,33     8,33 

1           .              :              i 

5 

0,0 

0,0     0,0     0,0 

4,16 

4,16 

0.0 

s 

16,66 

10       9,1     4,16     4,16 

3,33 

2,22 

0,0 

1 

0,0     0,0     0,0 

1,66 

2,1 

0,0 

a'.  a"  +  b 

8,33 

6,66  ;  0,0  1     0,0     8,33 

5,55 

4,0 

0,0 

0,0     0,0     0,0 

2,77 

4,16 

0,0 

Ton  VI  nnvollständis:. 


Au.s  diesen  tabellen  .sieht  man.  dass  in  den  liedern  der 
gruppe  1  auftaktpause  zunächst  und  gleicli  von  vornherein  sehr 
energisch  im  innern  der  periode,  d.h.  an  den  stellen  a'.  a"  und  b 
vermieden  wird:  kein  ton  hat  hier  mehr  als  einmal  auftakt- 
pause. In  sechs  von  den  elf  liedern  findet  sich  überhaupt 
keine.  Am  periodenanfang-  (a)  fehlt  auftakt  häufig-er,  doch  ist 
die  tendenz  ihn  zu  setzen  dafür  auch  um  so  lebhafter  und 
führt  schon  in  V-  zum  ideal. 

Man  betrachte  nun  auch  die  zweite  gruppe  von  demselben 
Standpunkt  aus.  d.h.  man  b(-rechn(^  wie  oft  überliaui)t  im  Ver- 
hältnis zu  den  verschiedenen  stellen  auftakt  fehlt. 

'i'abelle  der  absoluten  zahlen 
für  reihe  2: 


XIII       X       VIII      IV 


VII   I   XV 


a  12:5        S:7        12  :S       S  :  :5       i) :  3      15:4 

a',  a"     ;    4:1        4:2  4:0       9:1 

b         i  12:7    I    8:6       12 :  1       8:0       9:0  ;   15:0 


S  28:13120:15  !  24:9     2'i :  3  |  27:4!  3»  :  4 

a'.a"  +  b    lü:b      12:S       12:1      12  :  0  |   18  :  1     15  :  0 


104 


SAKAN 

Proceiitzalileii  der  reihe  2: 


xm 

X 

vm 

TV 

vn 

XV 

a 

41,66 

87,5 

66,66 

37,5 

33,33 

26,66 

a',  a" 

•25,00 

50,00 

0,0 

11,11 

b 

58,33 

75,00 

8,33 

0,0 

0,0 

0,0 

s 

46,42 

75,00 

37,5 

15 

14,81 

13,33 

a',  a"  4-  b 

50,00 

75,00 

8,33 

0,0 

5,55 

0,0 

Auf  den  ersten  blick  ist  klar,  auch  diese  lieder  durchzieht 
das  streben,  zunächst  die  auftaktpause  im  Innern  der  perioden 
zu  beseitigen.  ]\Iit  YIII  steht  die  gruppe  in  dieser  beziehung 
schon  auf  der  hiUie,  die  in  der  ersten  no.  XIV  einnimmt.  Das 
folgt  aus  betrachtung  der  rubriken  a',  a".  b  und  a',  a"  +  b. 

Aber  sehr  energisch  ist  auch  in  dieser  reihe  das  streben, 
die  auftaktpause  von  a  zu  beseitigen  (rubrik  a).  Sieht  man  von 
XIII  ab,  so  ist  die  Ordnung,  die  rein  aus  betraclitung  der 
auftaktregulierung  in  a  folgt,  dieselbe  wie  die  die  ich  oben 
durch  beurteilung  nach  dem  jedesmaligen  idealschema  gewonnen 
habe.  Beide  weisen  der  betraclitung  ergeben  also  dasselbe 
resultat. 

Man  mag  also  Hartmanns  lieder  behandeln  -wie  man  will, 
immer  ergibt  sicli,  dass  eine  starke  tendenz  zur  Vermeidung 
de^  auftaktpause  da  ist,  die  sich  zunächst  im  periodeninnern, 
dann  am  periodenanfang  lebhaft  betätigt.  Je  jünger  in  beiden 
reihen  das  lied,  um  so  seltener  die  auftakt[)ause. 

Da  also  offenbar  beide  gruppen  die  ich  unterschieden, 
von  demselben  streben  beherscht  werden,  da  ferner  zwar  die 
gruppe  1  zu  liedern  gelangt,  die  das  zugeli(»rige  idealschema 
wirklicli  eweichen,  nicht  aber  gruppe  2,  und  da  drittens  die 
lieder  von  gruppe  2  zu  den  früheren  erzeugnissen  Hartmanns 
gehören,  mag  man  sie  mit  Vogt  nacli  der  tabelle  oben  s.  101  f. 
oder  nach  den  eben  aufgestellten  beurteilen,  so  muss  geschlossen 
werden:  das  jtrincip,  überall  die  auftaktpause  zu  vermeiden, 
ist  durchaus  das  lierscliende.  Die  regelung  des  auftaktes  im 
sinne  der  gruppe  2  ist  niclit,  wie  Vogt  will,  ein  zweites  princip, 
das  dem  ersten  gleich  mächtig  gegenüber  träte,  sondern  es  ist 


UEBEK    HAKIMANN    VON    AUE.  105 

nur  eine  art.  das  erste  princii)  durclizufüliren.  sie  ist 
nur  ein  specialt'all  des  ersten  princips.  \\'ir  werden  an- 
neliuien  dürfen,  dass  der  dichter  die  g-anze  regelung-  unbewusst 
aus  dem  rliytlimiselien  gefiihl  lieraus  unternalini,  niclit  aufjirund 
einer  theorie.     Daher  auch  gelegentlicli  die  selnvankuugeu. 

Das  gesetz  von  der  auftaktreg-ulierung-  bei  Hartniann 
deute  icli  also  folg-enderniassen.  I)em  rhytlnnischen  gefiihl 
Hartnianns,  das  schon  'wesentlich  durch  die  alternieienden 
rhythmen  der  neuhöfischen  minnepoesie,  vielleicht  geradezu 
durch  franziksische  lyrik  bestinnut  war.  sagte  die  freiheit 
nicht  zu.  mit  der  die  einheimische  technik  die  anapästischen 
reihen  (__!_...  _^)  behandelte.  Er  beginnt  —  zunächst  wol 
unbewnsst  —  nach  regelmässigkeit  zu  streben.  Die  auftakt- 
pause -wird  darum  allmählich  auf  stellen  beschränkt,  wo  sie 
die  declamation  unterstützt,  v.o  sie  also  dazu  dient,  einen 
kräftigen  reiheneinsatz  zu  bewirken.  Ferner  wird  nach  re- 
sponsion  im  ganzen  ton  getrachtet.  Die  reihe  2  bringt  diese 
versuche  .statistisch  zum  ausdruck.  Vor  allem  wird  auftakt- 
pause im  periodeninnern  gemieden.  Das  ist  rhythmisch  sehr 
begreiflich.  Denn  dui'cli  solche  inneren  pausen  wird  die  periode 
immer  auseinander  gei'issen:  inneier  continuierliiher  zusannnen- 
liang  ist  aber  für  sie  wünschenswert.  Durch  pause  am  perioden- 
anfang  heben  sich  dagegen  die  perioden  von  einander  ab.  die 
ohnehin  einander  relativ  sell)ständig  gegenüberstehen. 

Ton  Xlli  erweist  sich,  von  diesem  Standpunkt  aus  be- 
trachtet, als  eins  der  frühsten  lieder  Hartmanns.  Hier  wird 
lieriodenanfang"  und  -inneres  gleich  behandelt,  und  ob  im  zu- 
lassen der  auftaktpause  wirklich  i>riiicip  ist  und  nicht  der  zufall 
waltet,  ist  unklar.  Das  fehlen  des  auftakts  am  beginn  des 
schlussgiiedes  der  stroidie  ist  sachlich  nicht  zu  begründen. 

Auf  giund  dieser  erwägungen  glaube  ich  nicht,  dass  \'ogt 
recht  hat.  wenn  er  annimmt,  ton  IV  (5  »/y)  gehr»re'eng  mit  XII 
(4,16  "/„,).  Vin  (8,3%,)  und  XI  (9,1  «/oj  zusammen.  Für  die 
technik  dieser  töne  ist,  Avie  das  eben  erörterte  lehrt,  weniger 
von  bedeutung,  dass  das  entsitrechende  idealschema  mit  5,  4.16 
8,:J  und  9  » „  uin'egelmäs.sigkeiten  eireicht  ist.  als  vielmehr  die 
tatsache,  dass  in  IV  der  auftakt  fehlt  für  s -^  15,  in  XII  tiii 
s  =  4,10,  in  VMI  für  s  —  37.5  und  Xl  für  s  -  9,1  fällrn  auf 
liundert. 


10(3  SARAN 

A^'elln  man  also  eine  Chronologie  der  lieder  Hartnianns 
sucht,  so  hat  man  sich  an  das  leitende,  von  mir  schon  früher 
richtig  erkannte  princip  zu  halten:  eine  anordnung  im  sinne 
Vogts  ist  nicht  möglich,  ohne  den  tatsachen  unrecht  zu  tun. 
]\lan  kann  sich  im  einzelnen  mehr  an  die  procentzahlen  für  s 
(so  ich  fiiiher)  oder  an  die  von  a  halten:  das  ergebnis  ist  in 
beiden  fällen  wesentlich  gleich. 

Man  gewinnt  auf  grund  der  s- zahlen  folgende  endgiltige 
Chronologie,  in  der  die  inhaltsbeziehungen  der  lieder  mit  ver- 
wendet sind: 


XYI  (218,  5)   . 

0/ 

.     0,0 

XI  (214.12)  . 

9,1 

VI  (211,20)     . 

.    — 

IX  (212.  37)  .     . 

10,0 

yi  (209, 25)     . 

.     0,0 

XY  (217,  14)      . 

13,33 

Y2  (209,37)     . 

.     4,16 

VII  (211,27) 

14,81 

I  (205,  1)    .     . 

.     2,22 

TV  (209,5)     .     . 

15,00 

IIP  (208,  8)     . 

.     3,33 

XIY  (216,  29)    . 

16,66 

mi  (207,11)  . 

.     0,00 

Vm  (212,  13) 

37,50 

II  (206,  19)      . 

.     0,00 

XIII  (2U,  1) 

46,42 

Xn  (215,14) 

.     4.16 

X  (213, 29)    . 

75,00 

Diese  Ordnung  weicht  etwas  von  der  ab  die  ich  H.  v.  A. 
s.  35  gegeben  habe.  Das  erklärt  sich  aus  der  neuen  kolotomie, 
die  ich  erst  in  dieser  arbeit  geben  konnte.  Daraus  erklären 
sich  auch  die  zahlen  die  gelegentlich  von  den  früheren  in 
H.  V.  A.  abweichen. 

Ich  bemerke,  dass  diese  reihenfolge  nicht  die  zeit- 
beziehungen  der  lieder  bis  einzelne  darstellen  soll.  Schon  die 
abweichungen  der  inhaltschronologie  von  der  i-hythmischen  in 
den  jüngsten  werken  lassen  eine  solche  annähme  niclit  zu. 
Die  reihe  soll  nur  im  grossen  und  ganzen  gelten.  31an  wird 
der  Wahrheit  am  nächsten  kommen,  wenn  man  grui)pen  von 
liedern  aufstellt,  die  einander  zeitlich  besonders  nahe  stehen. 
Ich  würde  folgende  vorschlagen: 

1)  yi  V2  VI  XVI  kreuzlieder. 

2)  XIV.  IV.  VII;  XV  IX  XI;  XII  II  III'  m"^  I  liebes- 
glück  und  liebesnot  (im  anschluss  an  das  naclnveisbare 
Verhältnis,  das  auch  die  'Klage'  behandelt). 

Das  —  übrigens  einseitige  —  minneverhältnis  wird  nicht  förm- 
lich gelöst,  sondern  lu'irt  durch  Hartmanns  kreuzzug  wol  von 
selbst   auf,    ]\Ian   kann   in  dieser  gruppe   wider  Untergruppen 


FEBEK    HARTMANN    VON    AUE.  107 

erkennen:  XIV  IV  VII  sehr  flott,  mit  einer  gewissen  npjxisition 
g-egen  den  minnedienst,  der  ja  der  älteren  ritterlichen  zeit 
unbekannt  war.  Solche  oppositionslustigen  gedanken  begegnen 
später  seltener:  IIT'  wo  der  widerruf  sclmell  folgt.  XV  TX  XT 
sind  schon  H.  v.  A.  s.  102  als  eng  zusammengehörig  erkannt 
worden.  Formell  liaben  sie  gemein,  dass  es  neben  X\'l  die 
einzigen  Strophen  bei  Hai'tmann  sind,  die  fünf  jjcrioden  um- 
fassen. Der  dichter  verbindet  meist  nur  ;>  und  4.  Xii  II  hoff- 
nungsvollere Stimmung,   III  I  resignation. 

3)  X  XIII  VIII.  P'.s  sind  die  frühesten  lieder,  vor  und 
Avährend  der  reise  Hartmanns  nach  Xordfrankreich.  VIII  geht 
doch  wol  auf  diese.     XIII  ist  reine  nachahmung  Hausens. 

Die  Klage  (das  I. büclil.)  dürfte  melir  ans  ende  von  gruppe  2 
fallen.  Doch  wäre  auch  möglich,  dass  es  iu  die  mitte  fiele. 
Das  ist  nicht  auszumachen. 

Wie  weit  es  nun  nittig  ist,  die  lieder  unter  no.  2  auf  das- 
selbe Verhältnis  zu  beziehen,  kann  nicht  entschieden  werden. 
Ich  habe  H.  v.  A.  mehr  erlebtes  in  den  liedern  gesucht  als  ich 
jetzt  tue.  Es  ist  wol  möglich,  dass  nuuiche  töne  reine  phan- 
tasiestücke sind,  ohne  specielle  beziehung. 

Mag  man  nun  meine  Chronologie  billigen  oder  nicht,  eines 
geht  aus  ihr.  glaube  ich,  mit  Sicherheit  hervor:  die  lieder  der 
gruppe  1  sind  die  letzten,  die  uns  von  Hartmann  überliefert 
sind.  Die  der  gruppen  2  und  3  liegen  vor  ihnen.  Haitmanns 
lyrik  schliesst  mit  der  kreuzzugspoesie,  also  1189  ab. 

Daraus  folgt:  wer  etwa  Hartmann  zwei  oder  mehr  minne- 
verliältnisse  zuschreibt,  darf  keines  davon  nach  der  grupiie  1 
(nach  1180)  ansetzen  und  muss  die  töne  III  und  I  als  solche 
des  letzten  Verhältnisses  ansehen.  Andernfalls  hat  er  die 
pflicht,  meine  beobachtungen  über  die  auf taktent Wickelung  als 
falsch  nachzuweisen.  DesAvegen  ist  auch  Schönbachs  versuch 
abzulehnen,  weil  er  meine  ergebnisse  weder  widerlegt  noch 
übeihaupt  beachtet. 

Es  folgt  weiter:  wer  wie  A\'ilmanns  und  Heinzel  das 
I.  büchl.  mit  dem  Verhältnis  zusannnenbringt,  das  den  tönen 
III  und  I  zu  gründe  liegt,  darf  das  II.  l)üchl.  nun  nicht  mehr 
mit  ii-gend  welchen  liedern  Haitmanns  in  vei-l)indung  bringen 
—  er  müsste  es  denn  voi-  das  erste  setzen.  Das  hat  abei- 
noch  niemand  versucht.    Somit  fällt  auch  das  was  Schön bacli 


108  SARAN.   UEBER  HARTMANN   TON   AUE. 

(s.  359.  368  ff.)  über  das  zweite  büchleiii  und  seine  beziehimgen 
zu  Hartmanns  liedern  sagt. 

Endlich:  ist  die  g-esammte  liebeslj'rik  dem  I.  biiclilein  un- 
g-efähr  gleichzeitig-,  .so  fällt  sie  in  ihrer  gesammtheit  in  des 
dichters  jugend,  wol  seine  knappenzeit.  Denn  dass  jenes 
biiclilein  sehr  früh  anzusetzen  ist,  habe  ich  schon  H.  v.  A.  s.  52 
nachgewiesen,  dass  es  von  Hartmann  vielleicht  im  alter  von 
18 — 21  Jahren  verfasst  ist,  hat  Schönbach  wahrscheinlich  ge- 
macht. So  drängt  sich  die  ganze  lyrik  Hartmanns  in  wenige 
jähre  zusammen,  denn  im  allgemeinen  stehen  sich  die  lieder 
formell  ziemlich  nahe.  W«nn  man  1187  und  1188  annimmt, 
dürfte  man  das  rechte  so  ziemlich  treffen. 

Nach  alle  dem  muss  ich  meine  ansieht,  die  ich  in  H.  v.  A. 
über  des  dichters  lyrik  ausgesprochen  habe,  gegen  die  polemik 
Scluinbachs  und  z.  t.  auch  Vogts,  wenigstens  in  ihren  haupt- 
ergebnissen  aufrecht  erhalten. 

HALLE  a.  S.  FRANZ  SARAN. 


ANGLOSAXONICA  IV. 

Crist. 

14a.    Die  nämliclie  constructioii  unten  v.  ooa. 

20.  Hier  scheint  mir  ein  vers  aust>ef allen,  wie  }>l<hi<1  in 
hciuhoii  -\-  halb  vers:  vg-l.  y.  147. 

40.  1.  mit  Grein  semcnuns,  vgl  v.  75  und  Blickl.  lioni. 
143,24:  Juet  he  hoäi^e  Ms  .s'^'^c^o^iincsse  d'-  hire  gefacimn^e. 
Gerade  diese  semcnimg  war  das  de^ol  dryhtnes  ^eryne  von  v.  41. 

42.   s^ondspreot  {eo  =^  ea)  v.  -sprütan.,  nl.  spruHcn. 

69.   senedde  ist  unsinn:  1.  mit  Grein  ,s<'n(idde. 

73.  sundbüend  ein  poetisches  fabrikat  wie  Jx'odhuend  610. 
1173  und  1372,  um  einmal  eoröhnend,  foldhnend,  grundbuend, 
landhüend  zu  variieren  und  ganz  bequem  mit  s  zu  alliteriei'en. 
Es  bedeutet  niclit  ninris  nccolac  und  hat  mit  nl.  de  see  bomven 
nichts  zu  tun. 

97.  /l9>-^«/w(Zef/.  Vgl.  8ievers,  Beitr.  11,  351  und  Blickl.  hom. 
7. 14:  l)d;r  trces  Euan  irop  nie  hdyned  JnirJi  Jxere  d  eJdimm 
fcemncm  [hlisse?). 

153.  Sievers'  unzweifelhaft  richtige  besserung  for  ofcr- 
Jiearfum  findet  man.  wie  seine  übrigen  besserungen  und  be- 
merkungen  granimatischei-  odei"  metrischer  art,  bloss  in  der 
fussnote,  wenn  ihrer  überhaupt  erwähnt  wiitl.  ^fan  vgl.  weiter 
El.  521  und  Heow.  2220;  nur  setze  man  is  sco  bot  ^elotiÄ  ccd 
(et  Jie  dmim  in  parenthese.  denn  for  oferpearfum  gehch't  zu 
tvope  forcijmcnuiit,  hitnim  brynetearnnt.  Anders,  aber  ni.  e. 
weniger  überzeugend.  IF.  4,  384. 

107.  Die  einteilung  des  dialogs  ist  niclit  in  Ordnung.  Erst 
mit  i'ala  fmnne  ^eon^  v.  175  fängt  Josephs  rede  (bis  v.  195) 
an  und  darum  ist  v.  109  for  ]u'  in  forjyy  und  v.  175  frasreuftne 
in   fi'asfcdffc   zu    bessern.     Auch    lese   man  v.  109  mit  Thorpe 


1 1  0  COSIJN 

H-onla.  Ein  scliluss  mla  fcemne  ^eong,  mcesd  Maria  ist  un- 
inöglicli,  und  g-erade  dies  mla  weist  uns  hier  den  weg. 

183.  1.  pe  Iddisan  'dicli  reinigen'  ld])an  sprcece  'dessen 
was  man  dir  vorwirft';  vgl.  C.  past.  308,  7. 

189.  Imrh  ndtlnvißces  sc.  scyld  oder  ein  ähnliches  wort. 

241.   Aehnlich  IVA.  2, 1. 

257.  Wie  Beow.  160  der  Grendel,  so  wird  hier  liipus  qui 
rapit  et  disper<id  oves  (Joli.  10,  12)  deorc  dcaöscüa  'tenebrae  et 
uinbia  mortis'  genannt. 

264.  sc  ivites  (i.  e.  helle)  hona  passt  hier  wol  nicht  so  gut 
wie  se  tvittes  bona  --  gdsthona;  vgl.  (Trein,  Gloss.  2,  722. 

270.    1.  forti'ah  d-  fortyhte;  Id  ist  aus  ht  verlesen. 

304.  1.  mit  Thorpe^tpr,  welche  partikel  bei  verba  movendi 
öfters  vorkonniit;  s.  Grein,  Gloss.  2,  564.  Ein  beispiel  anderer 
art  V.  307. 

364.  1.  Jiet{o)lan  helscea])a{n).  Hetol  ist  ein  gebräuchliches 
epitheton  des  teufeis:  Beda-AVlieloc  s.  300.  Saints  3,  406,  und  s. 
weiter  Toller  s.  v. 

377.   sePeon.     Das  \)Y'A(i{.  Jn'odon  El.  403  {\\f>.  ])eoden). 

421.  Dies  md  statt  iSievers'  nidru  charakterisiert  diese 
ausgäbe. 

469.  ivitsena  icord  ist  object  zu  /uefde  gefylled,  also  nach 
sun^on  komma!  ^eoiid  ivoridd  innau  ])ild(Mi  drei  worte.  wie 
Panther  v.  4,  wo  richtig  abgeteilt  ist. 

,  471.  1.  leofwendne,  vgl.  v.  400  lofiaÖ  Uoflicnc.  Die  Ver- 
wechslung von  lofian  und  lufkm  kommt  auch  sonst  vor,  z.  b. 
Beda- Miller  212,  7  var.;   v.  504  steht  richtig  heredun,  lofedun. 

490.  gehivdre\  die  richtige  lesart  natürlich  in  der  fuss- 
note.  An  anderen  stellen  ist  der  nämliche  fehler  mit  diesem 
pronomen  gemacht:  das  weiter  zu  bemerken  halte  ich  für 
überflüssig;  vgl.  Sievers,  Beitr,  10,  485. 

494.  1.  Cynins  iip  geivdt.  Was  aber  JiurJi  Jxvs  tnuplcs 
hrof  bedeuten  muss,  weiss  ich  nicht:  ofer  hrofas  v.  528  ist  vei- 
ständlicli.     Vgl.  aber  v.  535. 

511.    on  hivearfte  1.  an  htvearfe  =^  on  Jircate. 

519.  ^cdryt  nach  deui  richtigen  ^r(/ry///^  v.  515!  Fussnote: 
^edryht. 

564  tviperhrdsan.  Was  sind  ' widerschrecken'?  Ich  lese 
tvijx'ihrcoran,    welche    auch    aus    (Tii)dac  265  bekannt  sind    (s. 


ANGLOSAXONICA.  111 

weiter  (irein.  (üloss.  \.  \.)  und  inuli  in  den  lUickl.  liuni.  1 7r),  7 
A'orkoninien.  Brccan  (denn  iviöerbreca  ist  synonym  mit  and- 
sdca)  bedeutet  hier  "streiten',  g'Ot.  hrilmn,  brakja  athlttv,  jiaXii. 

587.  hals,  nein  hdlr,  hdlorl  Vax  eft,  das  man  mir  nicht 
vorwerfe,  vgi.  v.  614. 

621.  Lies  doch  mit  Rieger  of  statt  ofer,  wie  die  antitliese 
to  pcere  ilcan  scealt  eft  ^nvcoröan  v.  624  deutlich  beweist. 

625.  wyrmiim  äiveallen.  Vgl.  .Elfric,  Hom.  1,  86:  Imt  his 
gesccapn  niaÖan  ivrollon  und  472:  siva  pcet  liim  tvioUon  ntudan 
Äcond  eahtc  iJone  llchamun.     \^\.  auch  an.  vella. 

644.  Hier  hätte  der  herausgeber  Fruclits  mislicn  (vgl. 
Jul.  268)  in  den  text  aufnehmen  sollen  (Fr.  s.  78):  nion/Ä  midie 
ist  metrischer  fehler. 

()79.  stcelsne,  1.  sfce^/ne:  wenigstens  dünkt  mich  die  meta- 
these  verdächtig",  denn  die  volle  form  ist  sid'^il.  Man  erwartet 
sfeapne  =--  heanne. 

704.  (efyllendra  fasse  ich  auf  als  g'en.  subj.,  also  fyllan  = 
fellan,  vgl.  Kl.  \i)-i{)  .sedirohin  fylde.  iittrihte  ce\  vgl.  auch  unten 
V.  700,  Avo  bhklgyte  tcorliian  (708)  einzuklammern  ist. 

7()0.  hordseldc,  lindseldc,  lindple^a  bedeuten  einfach  'sti'eit', 
eigentlich  ^ehic  (plesa)  hord-,  lindluehhendra.  Ich  Aerwerfe 
Greins  deutung-  •clypeorum  impugnatio'. 

784.  Ich  lese  siva  ive  üs  ividefeorh  tveorciim  hUdun,  weil 
das  object  zu  Idadan  mir  unentbehrlich  scheint. 

804.  Ich  constatiere  hier  bloss,  dass  über  Sievers'  aufsatz 
Anglia  13, 1  kein  w'ort  g-esagt  Avird;  s.  246  teilt  uns  Assmann 
bloss  mit,  dass  S.  a.a.O.  'über  die  rätsel'  gehandelt  hat.  Aber 
Gollancz'  autorität  scheint  so  schwer  zu  wiegen,  dass  sogar 
seine  schiefe  Übersetzung  (v.  806  ur  'long  since'!)  citiert  wird; 
was  dieser  aber  über  ar  s.  181  mitteilt,  wird  verschwiegen. 
Die  feststellung  dei-  bedeutung  der  rune  «7/^«  in  Sievers' 
'notable  article"  war  doch  bei  (jollancz  s.  180  zu  finden;  und 
dass  die  Anglia  gewissen  deutschen  anglisten  eine  terra  in- 
cognita  ist,  darf  man  doch  nicht  annehmen? 

828.  Zur  abwechslung  wiid  im  text  ein  niclit  allite- 
rierender vers  mit  falscher  interpunction  geboten,  während 
(Jreins  l)esserung  in  der  fussnote  zu  finden  ist  (hatte  das 
original  hchofiaö,  wie  ,sehotu  für  seoln  Erf.  1064  u. s.  w.V).  Sc» 
bilden    die  noten   einen  katalog   von  richtigen,   evidenten  und 


112  cosr.TN 

falschen,  antiquierten  lesarten,  was  sich  aHerdings  zum  teil 
entscliuldigen  oder  verteidigen  Hesse,  wenn  \\ir  es  mit  einem 
diplomatisch  genauen  textabdrucke  zu  tun  hätten.  Dies  ist 
aber  nicht  der  fall,  denn  öfters  wird  gebessert  (oder  ver- 
schlimmert), wo  man  es  nicht  erwartet.  Eine  emendation  die 
^'on  dem  herrn  lierausgeber  selbst  herrührte,  habe  ich  noch 
nicht  angetroffen. 

836.  civdmendra  cirm  soll  ein  vers  sein.  Aber  langsilbige 
schwache  verba  der  2.  und  3.  klasse  bilden  regelmässig  partt. 
l)raes.  ohne  /:  mit  /  sind  sie  metrisch  unbrauchbar.  [In  den 
nachtragen  ist  Fruchts  besserung,  wie  ich  jetzt  sehe,  auf- 
genommen.] 

843.  ])(Er  hiö  . . .  leofra  (nsn.),  wie  Guplac  1294  pcer  wces 
chilicra  dt  tt^i/nsumra  etc.  Ebenso  sö])ra  Guj'l.  1096  und  bei- 
spiele  für  die  weibliche  endung  -a  sind  sivcerra  ('rist  1490, 
heardra  1489,  Icohfra  1652,  sylfa  Guj'l.  964,  hdncopa  998  (?). 
Darf  man  dies  alles  ändern?  Was  die  bedeutung  unsrer  stelle 
betrifft,  vgl.  Sal.  30:  Jtonne  him  hiö  Icofre  Iwnne  eall  Jx'os  Uohte 
^esceaft  . . .  sif  /'«  dfre  Jxes  orsanes  ötcihf  ende;  Beow.  2651 
steht  ]i(i't,  was  aber  mit  ,K;if  synonym  ist,  wie  mit  ])cer,  wes- 
halb Kttmüllers  änderung  v.  844  unnötig  ist. 

853.  Komma  hinter  siindhensestum,  denn  fernem  ist  trans- 
itiv. Aber  tilge  das  Semikolon  WAdxliolmas  \.^^)^\  aber  nach 
^eldd  stark  interpungieren. 

867.  Ijies  mit  Ettmüller  ]id  he  io  heofommi  äsfd,s,  wie 
V.  737  (vgl.  auch  El.  188)  vorkommt. 

870.  1.  hildcummed,  denn  das  mm  ist  organisch,  s.  ^^'alüsch 
61  und  76  und  vgl.  weiter  hlimman,  hlemm,  got.  hlamma  u.s.w. 

884.  iviö  tim^la  ^o'^S  (hlj/dad),  wie  sprecan  ivid  —  con- 
struiert:  =  iciö  gongende  tunsl,  i.  e.  wiö  hcofones  ivcard. 

889.    1.  ejesUce. 

901.  S/ijHin  mstan,  vgl.  Gen.  668  und  Beitr.  19,447.  Darf 
man  letztere  stelle  sachlich  mit  dieser  vergleichen? 

934.  triime  d-  torhte  beziehe  ich  Siwtheofonas;  vgl.  v.  969. 
Also  nach  torhte  komnm. 

961.  Gyn  gehört  zum  folgenden  verse,  wie  auch  die  hs. 
andeutet.    Welcher  metrik  folgt  Assmann? 

976.  lüoriild  mid  eallc  'die  ganze  weit'.  Vgl.  Saints6,  285: 
lils  ivderas  nceron  divlcettc  mid  callc. 


ANGLOSAXONICA.  113 

980.  scchdun  ist  ein  undiiig',  scehtun  (kenticismus  für 
scylitun)  sinnlos.  Also  ist  die  'Vermutung'  sceldun  =  scildun 
nicht  abzuweisen,  weil  hier  ein  verbum  mit  der  bedeutung* 
•schützen"  stehen  niuss. 

999.   se  hreotv?     Man  vg'l.  1148. 

104(3.  1.  on  c{u)c)ie  (-~  i'accnne)  eard,  denn  das  e  beruht 
auf  palatalumlaut:  vgl.  Beow.  1621  mcne  eardas.  Openc  weorJ)aJ 
U.S.W,  illustrieren  j)a  ojjenc  tid  v.  1571. 

1048.  hord  "das  verborgene',  denn  schätze  verbirgt  man: 
warum  aber  immer  diese  'schätze'  in  den  Übersetzungen  an- 
gebracht? 

1074  a.    Vgl.  Blickl.  hom.  95, 19. 

1084.  1.  ealljjt'odum,  wie  1337,  =  yrmenjx'oditnr,  besser 
noch  vergleicht  sich  ealwilite. 

1144.   e^san  tnyrred?  aber  der  ausdruck  ist  unbelegt. 

1155.   Man  folge  Grein. 

1185.    cupen  'haberent';  vgl.  Gen.  357. 

1266.  ^«/«wa  gehört  zu  synne,  ist  aber  von  tu  fela  <itol- 
earfoda  attrahiert. 

1273.    I.  earfede. 

1301.  1.  on  pd. 

1302.  1.  healodceda,  denn  der  plural  wird  hier  gefordert 
und  s^scomian  regiert  einen  genetiv. 

1308.  he  i.  e.  se  scrift;  hi^ced  'nachgeht'  kommt  sonst  nur 
vor  in  Öone  cecer  he^dn  (Toller),  plantan,  impan  hegan  C.  past. 
381,  17. 

1313.  £"«7«  U.S.W.  Interpungiert  man  wie  Assmann,  dann 
bedeutet  pcer  hier  'utinam',  wie  El.  979.  Jul.  570  und  8eel.  141 
(vgl.  got.  ij)  tcissedeis  tl  tyvmq  Luc.  19,  42).  Aber  dann  nuiss 
ivüle  V.  1318  in  scyle  geändert  werden:  sonst  wäre  pdir  hypo- 
thetisch zu  fassen,  nach  m^eponcas  komma  zu  setzen  und  würde 
V.  l;U7  in  i)rosa  lauten:  pcet  biÖ  iinäsecsendlic.  Aber  Assmanns 
text  bietet  (mit  ausnähme  von  ivilli')  wol  hier  das  richtige, 
wie  auch  c(dd  wahrscheinlich  macht. 

1320.  forJ  adolian.  Lächerlich:  weder  ein  apolian  'to 
endure'  noch  ein  ahd.  'adaljan'  hilft  uns  hiei-  aus  der  not; 
fot()  ist  Jen)  (vgl.  v.  1361  und  Kä.  74,5)  und  adolian,  das  man- 
chem den  köpf  irre  machte,  hat  selbst  den  köpf  verloren  und 

Ueiträge  zur  ijeschiclitu  der  cleutsclieii  apritche.     XXIII.  g 


114  COSTJN 

ist  verstümmelt  aus  staöolian:  ferö  st.  ist  bekannt  genug-.  Aber 
vor  ferö  komma! 

1321.  Jnvmn  zweisilbig,  prean  einsilbig-  ist  merkwürdig. 

1323.  pc  her  lifes  sij.  Vgl.  Beda-Miller  4G2,  7  (v.  20)  ]>(et 
he  lifes  wces.  Später  hc  lifon  heon  Thorpe  An.  - 112;  mehr  bei- 
spiele  bei  Toller. 

1348.    hivonne  gehört  zu  searo. 

1361.    ford  ist  ferö,  vgl.  oben  v.  1320. 

1429.  Der  punkt  hinter  wonn,  also  Nms  ('es  war  nicht') 
neuer  satz,  macht  den  vers  fast  unverständlich.  Aendere  den 
punkt  in  komma  und  lies  ,  nees  me  for  mode  'und  nicht  meinet- 
wegen aus  Übermut';  vgl.  v.  1442  ie  ]>cel  scir  for  de  purh  ea(J- 
medu  call  gepolade. 

1436.  Ein  anwldta  citiert  Toller  1.46  aus  Leechd.  1,  356; 
es  kann  dem  Zusammenhang  nach  nur  «-loser  acc.  plur.  sein. 
Einen  nom.  sg.  and{w)laia  'antlitz'  nach  dem  Liber  scint.  hier 
anzunehmen  hilft  nichts. 

1444.    heurdeunde  ändere  man  in  liearmetvide. 

1483.  ft'de  synnc  muss  acc.  plur  sein,  regiert  von  ]mrh\ 
also  lese  man  frrenlusta. 

1506.  ceshivces  v.  1505  steht  nicht  attributiv;  also  hinter 
hyse  komma. 

1563.    1.  fyrcna  äfylled  =  firenfidl. 

1584.  Wie  sonst  leoht  =  ivortdd,  hi  hier  tvoridd  =  leoht; 
dajmm  steht  scinan. 

1593.    1.  weorjjüö. 

1601.  htvcet  gehört  zum  folgenden  vers  und  leitet  den  von 
giman  abhängigen  indirecten  fi-agesatz  ein;  auf  man  muss  ein 
verbum  wie  fremmaö  (döaö?)  folgen. 

1607  b.    1.  synna  tö  wrace,  vgl.  1602  und  1623. 

1632.  äbidan  ist  'bleiben',  folglich  hinter  sinnehte  komma. 
Das  verbum  ist  nie  transitiv. 

1653.  1.  entweder  ende  oder  mit  Sievers  (dem  wol  Mu- 
spilli  14  li})  äno  töd  vorschwebte)  deacfe.  Lif  htitan  ended(e^e, 
das  einem  sofort  einfällt,  ist  metrisch  verwerflich  und  wird 
nicht  gestützt  durch  die  zweite  vershälfte  in  1654.  1655.  1656. 
1657.  1658.  1659. 

1665.  Hier  endet  der  domdceses  abschnitt,  der  v.  779  ein- 
geleitet mit  V.  868  anhebt.    Was  folgt   ist   ein   selbständiges 


ANGLOSAXONICA.  115 

stück  Über  das  Schicksal  der  frommen  seele,  welche  die  irdische 
herrliclikeit,  ])ds  eorJ)cm  ivijnnc,  verlässt:  dass  dieser  ausdruck 
nach  dem  weltbrande  sinnlos  ist,  leuchtet  ein:  die  begnadigten 
am  letzten  tage  werden  en  masse  selig  (v.  1635):  hier  wird 
nur  eine  fromme  seele  von  ihrem  Schutzengel  himmehvärts 
gefühi't.  In  der  Schilderung  der  himmlischen  wonne  stimmen 
beide  stücke  überein :  vgl.  v.  1640  Imd  is  se  ejjel  und  v.  1683 
Öcet  sind  pd  ^etimhrn.  Lächerlich  scheint  es  mir,  ein  umfang- 
reiches gedieht  Cj'newulfs  v.  1694  mit  einem  fragezeichen  en- 
digen zu  lassen;  ganz  verwerflich  ist  Gollancz'  meinung,  dass 
der  Guj^lac  v.  1666  anfängt,  statt  mit  dem  feierlichen  Mani^e 
sinäon,  wie  der  Heleand  mit  manega  iräron  und  der  Pantlier 
mit  demselben  verse. 

1674.  tidfara.  Vielleicht  tida  fara{n),  oder,  weil  ti{^)da 
c.  gen.  construiert  "\nrd:  tida  fare;  aber  to  Jidm  hdlsan  hdm 
passt  besser  bei  einem  Infinitiv. 

1682  und  1685.  Cynin^a  cynin^  ohne  ealra  als  erster  halb- 
vers  und  liuseh  während  die  besserungen  in  den  fussnoten 
paradieren,  charakterisieren  diese  ausgäbe.  Ich  hebe  hervor, 
dass  die  lesart  hu  sei  von  mir  schon  längst  vor  Gollancz  vor- 
geschlagen ist.  Dietrichs  "abendmals Jugend'  widerspricht  nicht 
nur  dem  nietrum! 

GiiHac. 

1.  Derselbe  vers  Panther  1. 

2.  Die  einleitung  bietet  viele  Schwierigkeiten.  Hddas 
übersetzt  Grein  mit  'stände',  interpretiert  es  aber  im  glossar 
mit  'personae':  es  wird  hier  aber  wol  'geistliche  orden'  be- 
deuten (vgl.  V.  31);  dann  aber  ist  pd  ])e  ot  und  mcht  pd  pe 
in  ev  oig;  auch  braucht  man  dann  nicht  ärisad  in  äriseÖ  zu 
ändern.  Ich  glaube  dass  der  satz  bloss  diesen  sinn  hat:  'es 
gibt  auf  erden  viele  orden  welche  ein  heiliges  leben  führen', 
und  verweise  auf  v.  462.  Vielleicht  verstehe  ich  den  dichter 
liier  nicht;  jedenfalls  bleibt  mir  der  sinn  von  v.  5  dunkel. 
Audi  die  s'^^i^'^i  tida  v.  7  contrastieren  merkwürdig  mit  v.  20 
ofer  pd  nipas  pje  ive  nü  drto^ad. 

19.    he  =  heo. 

22,   he,  i.  e.  der  dryhten,  welcher  erst  v.  25  genannt  A\'ird! 

75.   sceolde,  'it  is  said'  Gollancz.    Besser  'sollte',  nämlich 


1 16  COSIJN 

durch  weltliclie  gelüste  {ivonddc  ivynnum)  dazu  gebracht.  Die 
ags.  prosa  lautet  s.  12  lui  ^emimde  he  ])d  stransan  dmJa  J)dra 
unmanna  (lies  nmianna  'priscorum  heroum')  etc. 

81.  fri'cnessa  fcla  'viele  gefährliche  abenteuer';  vgl.  v.  99 
Jmrli  nepinsc. 

132.  pröivere  ist,  wie  martyrc,  nicht  im  strengsten  sinne 
'blutzeuge',  sondern  im  sinne  von  v.  443  und  485  'confessor'. 

140.  ])('san  i.  e.  Jx'oscm  'servire';  nebenform  peoivan:  peo- 
ivad  V.  62,  ]>cou-de  v.  712.  Aber  v.  432  widerum  pi^ad,  was 
freilich  auch  als  Jyüiud  gedeutet  werden  kann.  Sonst  erscheint 
nur  öcoivian,  ganz  regelmässig  nach  der  ö-klasse:  alles  reste 
der  dritten  klasse  von  Sievers  (got.  -Jnwan  nur  transitiv). 

149b.  Melleicht  bloss  ausgefallen  ivcddendes  tdcn;  Grein 
vermutet  ])d  he  traldendes  hcacen.  Es  ist  natürlich  Cristes 
rode  tdcn  hier  gemeint, 

154b.    1.  eac  dryhtnc  cennaö  'nächst  gott'. 

158.    1.  (Bfcestne. 

206.  Man  lese  doch  deadyeddl  nach  v.  936  'scheidung 
durch  den  tod'  oder  ein  tautologisches  compositum;  deaöa  als 
gen.  sg.,  rest  eines  ?/- Stammes,  begegnet  uns  nirgends  und  der 
gen.  plur  ist  unsinnig:  auch  würde  dies  gerade  das  gegenteil 
ausdrücken. 

239.  in  ^elhnpe.  Vgl.  C.  past.  39,  14  for  his  gelimpe  'lor 
his  success,  prosperit}-'  und  Saints  16,  251  äsöer  ^c  on  ^elimjye 
se  on  imselimpe.     Das  glück  macht  übermütig. 

271.    ividor.    Vgl.  Beitr.  10,  453  und  Beow.  1340  {feor). 

279.  earda;  lies  doch  earfoda  mit  Grein  oder  earmda  nach 418. 

288.  sealdun,  vgl.  C.  past.  342, 15  seid  im.  Es  bedeutet  hier 
wie  an.  sjaldan  Y9I.  30,  3  'niemals'. 

294.    siva  modgade  erinnert  an  swa  healdode  Beow.  2178, 

322.    wercdon  i.  e.  tvearedon,  waredon. 

342.  und  ])ds  Icencm  sesceaft,  zu  der  auch  mein  körper  ge- 
hört; vgl.  V.  344  stva  peos  eorde  und  352.  Was  Gollancz  sagen 
mll,  verstehe  ich  nicht:  'in  face  of  all  this  frail  creation'l 
Gedcelan  tvid  ist  'trennen  von'. 

345.  fyres  tvylme;  vgl.  öd  sona  tefter  Jion  he  geseah  eall 
his  hus  mid  fyre  äfylled,  aber  erst  in  dem  sechsten  capitel  der 
ags.  prosa  (s.  42),  während  die  cap.  5  geschilderten  quälen  in 
unserm  gedichte  erst  v.  383  folgen. 


ANGLOSAXONICA.  117 

348.  scirurn  forsccan  auch  El.  933.  Für  cg  statt  6  vgl. 
hisäce  V.  188. 

353.  ])(er  he  fcegran.  Aber  solche  vershälfteii  mit  allite- 
ration  in  der  vierten  hebimg  (s.  Sievers'  Metrik  ^  §  19,2)  sind 
selten  und  —  verdächtig:  A'gl.  Eä.  4,  3(3  und  56,14.  Greins 
fcegerran  (vgl.  v.  720b  htvylc  wces  fde^erra)  bringt  alles  ins 
reine:  der  himmel  wird  pisses  heor^es  seile  entgegengestellt. 

362.  ivoÖ  operne  taugt  nicht,  weil  ivöÖ  weiblich  ist;  also 
muss  ne  zum  folgenden  vers  gezogen  werden:  iie  lythivön,  vgl. 
cordre  ne  hjtle  Crist  578.  Gollancz  ergänzt  pcer  nach  oper, 
wol  richtig.  Lcodode  ist  also  acht  und  die  erste  vershälfte 
ein  D-typus  mit  eingangssenkung  (vgl.  v.  197  a).  S.  weiter 
Sievers,  Beitr.  10, 304. 

382.  cC-  pcet  friö  ist  in  ac  pcet  ferd  zu  ändern  und  hjfde 
bis  mosten  einzuklammern.    Vgl.  407  und  412. 

430.  Ich  verstehe  hier  weder  Grein  noch  Gollancz  und 
wage  es  dies  niyrcels  (=  tcicn  'zeichen'  Blickl.  hom.  87, 16)  auf 
die  tonsur  zu  beziehen,  die  das  zeichen  des  edlen  freien  mannes, 
das  wallende  haupthaar.  entfernt  hat.  Also  deute  ich  J)e 
V.  429  -dhpy  (vgl.  v.  472)  und  fasse  den  folgenden  vers  (431)  so 
auf:  'mit  diesem  äussern  leben  manche  welche  jedoch  sündigen'. 

446.    ealdfeonda,  füge  hinzu  fela. 

449.  forscddene.  Die  bedeutungen  der  (\  past.  134, 16  und 
469, 11  passen  hier  nicht.  'Abgeschieden'  von  der  himmlischen 
Seligkeit? 

471.    cetivist  ist  hier  'wesen'. 

481.  ^estahmi  nicht  'in  tlieft',  denn  die  teufel  haben  nichts 
zu  stehlen,  sondern  mit  Grein  'in  hinterhalten ",  vgl.  v.  1113 
und  505. 

483.  Paläograi)hisch  möglich  wäre  me{c)ponne  scildep,  scüfit 
scinn  on  ivej,  aber  unglaublich. 

577.  peanum  <(•  ^epaHcum  findet  man  Gen.  2413.  Thorpes 
gejjeahtum  empfiehlt  sich  weniger  als  ,«r^7'^^'''^''''^';  denn  'consiliis' 
ist  hier  weniger  passend  als  'cogitationibus'. 

585.  h'oht,  sonst  'weit',  bezeichnet  hier  den  himmel,  wie 
Crist  V.  1464  und  in  lifes  leohff'nona  \.  fiSl,  wenn  dies  nicht 
eine  tautologie  ist,  da  Iro/it  auch  mit  Uf  synonym  ist. 

586.  Vielleicht  on  dmÖe  oder  deaö  i.  e.  sdnie  dniö,  wie 
V.  607. 


118  COSIJN 

580.    1.  hehban:  Jierenisse  hebhan  ist  Inf  hebban. 

592.    1.  lofian,  parallel  mit  weorjyian  im  vorigen  verse. 

596.  lege  bisencte  (vgl.  flöde  b.  Crist  1169)  sc.  mjjwtsusl, 
vgl.  V.  639. 

622.  )mne,  wol  mirce  'schwarze',  vgl.  stvearfe  v.  597  und  623. 
Vgl.  V.  881,  wo  statt  minne  ebenfalls  mirce  zu  lesen  ist.  Auch 
die  Aetliiopier  heissen  ealmyrce.  Endlich  vergleiche  man  Andr. 
1315  und  Ps.  120,  6  {minne  1.  mirce?). 

643.    Die  einfachste  besserung  ist  wcergnysse. 

656.  dugtiö  &•  drohtad  i.  e.  ärohtaÖ  on  wuldre.  Weder 
Grein  noch  Gollancz  stimme  ich  bei. 

664.  oferm(ec,^a  muss  bis  auf  weiteres  stehen  bleiben, 
aber  die  Vermutung  drängt  sich  auf,  dass  ofermmsne  das  ur- 
sprüngliche ist.  Wenigstens  vermisst  man  hier  ungern  eine 
adverbiale  bestimmung  bei  sprcee,  als  gegenstück  von  dceshluttre 
bei  scdn. 

683.    1.  fore  cefestum  metri  causa. 

706.  Ich  lese  monigra  mckgirliia  mcagliim  reordum  freo- 
fugla  tüddor,  dahinter  komma.  Es  muss  ein  fehler  vorliegen ; 
die  erklärung  Hiere  von  mancherlei  aussehen'  ist  gewis  falsch: 
es  sind  hier  nur  vögel  (vgl.  auch  v.  888)  gemeint  und  der  copist 
hat  den  nom.  eingesetzt  um  ein  subject  zu  bletsadon  zu  schaffen. 

708.  (kte.  Man  muss  Bugge  recht  geben,  wenn  er  aus  an.  dt 
(Beitr.  12,  108)  auf  das  sächliche  geschlecht  des  ags.  Wortes 
schliesst.  Für  das  männliche  kenne  ich  keinen  beleg,  und  das 
fem.  ninnnt  man  nur  hier  und  Dan.  506  an.  Vgl.  aber  Ps.  103, 25 
liefe  sjfddan  him  bismere  brdde  healdan,  wo  die  nämliche  con- 
struction  von  healdan  vorliegt,  so  dass  nichts  uns  nötigt  an 
unsrer  stelle  einen  andern  casus  als  den  instrumental  sg.  an- 
zunehmen. 

713.  tu  ivddrum  (so  zu  lesen),  also  mit  Inbegriff  der  vögel, 
welche  Dan.  513  den  andern  tieren  entgegengesetzt  sind. 

716.   ^ear,  das  neue  jähr,  also  den  frühling. 

781a.   Vgl.  Beow.1758. 

791.  Hier  fängt  Guplac  II  an.  Warum  keine  neue  ab- 
teilung?  Man  vgl.  besonders  v.  706  und  888  ff.  Die  beiden 
stücke  behandeln  die  leiden,  wunder  und  taten  des  heiligen  G., 
hier  wird  aber  der  tod  ausfühilich  geschildert. 

807.    (eldd   ist    hier  ^=  ^Ido,   gen.  sg.   von    eld   "senectus"; 


ANGLOS  AXONICA.  119 

llldc  fid  'senectus"  liest  man  Ps.  70.  8.  \\'as  sicli  (iieiii  und 
(Tollancz  in  ihren  Übersetzungen  bei  dieser  stelle  gedacht  haben, 
ist  nur  nicht  recht  deutlich. 

808.  fcerestan  ist  jedenfalls  als  spätere  ws.  form  der  be- 
achtung-  wert.  Durch  das  anfgeben  der  cursiven  buchstaben, 
welche  bei  Wülkei-  die  abAveichungen  von  der  handschriftlichen 
lesung  getreu  angeben,  erschwert  Assmann  die  lectiire  dem 
kritischen  leser. 

824.  üd^enge.  Das  nämliche  wort,  aber  verstümmelt, 
Blickl.  hom.  185, 14. 

832.  synwrcece  fasse  ich  auf  als  shiwrcece  'ewige  strafe'. 
Ich  construiere:  sodscylcl^e  ma^^d  A'  mcec^as  sceoldon  sipjmn 
purh  gce.stscddl  on^ijldun  (leiden)  gyrn  pcere  symvrcecc  morjyres 
(den  schmerz  der  fortwährenden  strafe  für  ihre  sünde);  deoiwa 
fircna  =  morJ)res. 

845.  J)(er  Jii,  oi?  Yg\.  pcer  Rä.  5,  9:  se — pcer,  is  qiii;  auch 
Gen.  2837?  aber  das  bezweifle  ich  doch,  weil  ^cer  sonst 
nur  nach  sc  pe  {sc  pe  ])a'i\  oc,:  vgl.  Cnra  i)ast.  75, 13.  425,22), 
nach  Jxer  {pcer  Jjcer,  Juer  par  'ubi"  C.  past.  220,24.  Boeth.-Fox 
56,11.  .Elfr.  Hom,  1,  86,  21  u.s.w.,  wie  pdpd  'qunm')  und  sivä 
{sivä  der  Ps.  36, 19)  stellt.     Also  lese  ich  v.  845  pe  hi. 

859.    of  sidivegum  (nicht  mit  ö\)  auch  El.  282. 

895.  Note.  Grein  hat  in  seinem  glossar  die  'Vermutung' 
furdum  zurückgenommen. 

923.  pä  se  lelmiht^a  Ict  his  hond  cutiian  u.s.w.  \gl.  die 
ags.  prosa  XX:  he  söna  on^eat  pcer  him  tvces  godes  hand  to 
sended  (s.  78). 

944.  AVenn  nur  fylUui  die  bedeutung  des  afries.  fella  hätte! 
Nach  sceolde  kein  komma,  wol  nach  cyme  v.  945. 

998.  "Weder  Ettmüllers  'ossium  morbus'  noch  'erysipelas' 
sind  hier  am  platz. 

1007.  pces  ist  hier  Zeitbestimmung  und  sivice  sdivlgeddUs 
bedeutet  hier  das  ausbleiben  des  todes;  also  nach  sivice  kein 
konuna.  Vgl.  Öces  ymh  h'ftcl  fwc,  dies  oii  merken,  f'ul  rade 
dies  etc. 

1011.  cm  pisse  . . .  dces  seripende  ist  instrumental,  s.  iSievers' 
Gr.2  §  2;'.7  anm.2.  §  305  und  §  338  anm.3. 

1015.  siiii,sra\  vgl.  Ph(tenix  024.  (Vä.  2  und  für  die  bedeu- 
tung  alid.  ii(C(indli/(    'jucundis,  dulcis'   (iraff  1,608.     Der    acc. 


120  COSIJN 

bei  folgian  ist  selten;  ist  Umher  der  lautgesetzliche  dativ  (statt 
Icmher)'^ 

1030.  \.ivce{n)säropan  nach  Jileordropan  y.  1315?  aber  1314 
stellt  tea^or  ydum  weol. 

1045.  sceolon  'die  tenfeP,  durch  fdcnes  frnmhearn  v.  1044 
vertreten,  wie  sonstwo. 

1061.  Auch  fast  wörtlich  in  Andr.  294  efne  fö  ]mm  lande 
Jjcer  J)e  liist  myned  tö  ^esecanne.  Ein  drittes  beispiel  von  nnjnian, 
goi.  ifiunan,  -aida  (also  Sie versjo-,  o«-klasse)  in  den  Engl.  stud. 
18,  332,  7  menige  in  kentischer  form.  Das  von  Grein  angesetzte 
^emynian  existiert  nicht,  weil  die  drei  im  Gloss.  1, 433  an- 
geführten beispiele  conjunctive  von  semunan  sind. 

1070.  nihtrim,  d.  h.  höchstens  feoiver  nilit  (v.  1107)  der 
vorher  v.  1008  und  später  1114  genannten  scofon  niht.  Also 
bedeutet  sicdmode  nicht  'grew  dark".  sondern  "wälzte  sich": 
vgl.  mhd.  siveimen  'sich  schwingen',  and.  stveimen  'schweben', 
an.  sveima  'to  soar'.  Das  compositum  äsirdmian  'weichen, 
schwinden'  nur  in  der  as.  Genesis;  äsivcenmn  (et — ,  fram  — 
'weichen  von,  fortgehen'  (abgewiesen  werden)  Blickl.hom.41,34. 
Wulf  stau  185,8  und  258,2;  und  Saints  17,  203  se  sccocca  sceall 
äsivceman  cet  us.  Endlich  äsicwtnau  =  ponan  htveorfan  unten 
V.  1326.  Man  hat  das  wort  mis verstanden. 

1075.  onwald,  weder  'potens'  (Grein)  noch  'omni])oteut' 
(Gollancz),  sondern  'princeps'  wie  Or.  254,  22  (C  anwcaU(a)  und 
284,  20. 

1121.  univmne  von  umvene  (nicht  tiniven)  'hoffnungslos, 
dem  tode  rettungslos  nahe'.  Vgl.  Saints  6, 103  cft  hc  ^chceldc 
on  öörc  stowe  dnre  ivydeivaii  stmu  ])e  umvene  öd  ke^.  Die 
volle  form  umvene  his  lifes  .Elfr.  Hom.  2,  514.  Also  umvene 
^=  (feores)  orwena. 

1125.    Vgl.  Beitr.  21, 13  zu  v.  848. 

1127.  Vgl.  Wulf  stau  214, 13  mid  dcofles  strceliim  Ciiveccen, 
wie  225,  5.    Weiter  unten  v.  1260. 

1153.  on  lon^ne  tveg,  vgl.  up  mine  langlie  vaert  Reinaert 
1,  2205  und  on  longne  siÖ  Phoenix  555. 

1168.  in  penstercofan.  Ebenso  El.  833;  also  nicht  ^  on 
])d  ])rüh  der  prosa,  sondern  =  in  sondhofe  "im  grabe'.  Aehn- 
lich  heolstorcofa  Phoenix  49. 

1214.    On  ]jone  cefteran  verbinde  man   nicht,   wie  (jrein, 


ANGLOSAXONICA,  121 

mit  dnsdd,  weil  seid  neutriim  ist.  Auch  (jollaiicz  übersetzt 
Hills  second  hermitag-e',  aber  davon  ist  nichts  bekannt.  Die 
prosa  s.  86  beweist  dass  das  alles  falsch  ist:  Jan  (pftcran  ^c<ire 
])e  ic  J)is  Westen  eardode:  also  gehören  on  J)one  cefteran  und 
seargemearces  zusammen:  man  erinnere  sich  dass  ^t'a/-  auch 
männlich  ist. 

1305.  ofer  hur^scdo,  bei  der  Seereise!  und  das  gcldwstcd 
V.  1307!  curios! 

1313.  kirn,  dativ  bei  ^cmonian  wie  C.  ])ast.  370.  1 1.  Aber 
an  beiden  stellen  sind  wol  Schreibfehler  anzunehmen. 

1320b.  Vgl.  Crist  623.  Beow.  1424.  Auch  v.  1323a  und 
1333  erinnern  an  den  Reowulf. 

Phoenix. 

4.  nis  niongum  "ist  nicht  manchem'  (Grein).  Unrichtig: 
litotes  für  "ist  keinem".  Die  herrliche  gegend  denkt  sich  der 
dichter  mit  anschluss  an  Lactantius  v.  15 — 20  bewohnt,  vgl. 
^■.  1 1  i'ad^um  und  v.  50 — 60. 

25.  Tgl.  Beitr.  10,  502.  Aber  6  (oo)  gibt  keinen  genügenden 
sinn:  ower  ist  hier  das  passende  Avort;  vielleicht  bedeutet  Jdeo- 
)i(id  hier  'senkt  sich'. 

47.    hideä,  wie  seomad  v.  19.    Vgl.  Altsächs.  Gen.  323. 

62.  hjfte  ^ehi/ssad  i.  e.  uinde  ^efijscd.  Lyft  'wind"  auch 
Crist  991  imd  Rä.  11,  9. 

72.   nu  —  6,  1.  ne  —  o. 

77.  ofett  1.  ofete  (vorlag-e:  ofeti).  Falsch  Grein,  Gloss.  1,  412. 
Das  kduima  imch  gehladene  ist  zu  streichen. 

103.  ofer  suhle  s<B,  nach  der  altgermanischeii  Vorstellung 
(Vgl.  auch  V.  115),  aber  hier  der  läge  des  berglandes  nicht  ent- 
sprechend.   \'gl.  besonders  Sievers,  Anglia  1, 578  und  El.  972. 

121.  se  hasiva  fi(scl,  v.  153  Jidsnu^feJru]  das  ist  der 
Phoenix  aber  nur,  wenn  er  widergeboren  ist,  in  seiner  erneuten 
Jugend.  Erwachsen  ist  er  bunt  genug  (v.  291 — 313)  und  wird 
mit  einem  pfau  verglichen;  bei  Lactantius  v.  74  heisst  er  ^nir- 
2)11  n- US. 

136.  Tilge  (bis  komma  hinter  dt^m  genitiv  (/rsanan.  Uebri- 
gens  ist  Assmanns  al)tt'ilung  besser  als  die  \o]\  mir  Hcili.  21.  25 
übernommene. 

148.    hisensa  isl  n-loser  dativ. 


122  cosiJN 

151.  püsende,  1.  piisend  nach  dem  niüle  annos  von  Lac- 
tantius  y.  59.    Vgl.  weiter  unten  v.  364. 

170.  Die  'lieklen'  sind  hier  die  vögel,  denen  der  Phoenix 
entfloli. 

179.  hitres  wiht,  aber  bei  Lactantius  ganz  verständlich 
nocens  animal.  Scyldum  v.  180  kann  nur  auf  ein  icütt  als 
lebendiges  'wesen'  sich  beziehen.  p]s  niuss  ein  Verderbnis 
vorliegen:  ndn  bitter  tviht  klingt  aber  zu  fremdartig. 

191.  ])urh  sßwittes  ivylm  'durch  witzes  wallen'  (Grein), 
also  durch  feurigen  instinct?  Bright  bringt  auch  nichts  be- 
friedigendes. Das  steht  aber  fest,  dass  tqihu  hier  im  eigent- 
lichen sinne  'brand'  bedeuten  muss,  denn  nur  durch  Verbren- 
nung erneut  sich  der  Phoenix  (bildlich  se  ivielm  dws  mödes 
C.  past.  1G8,  24).  Also  'brand.  durch  seine  Vernunft,  d.h.  ver- 
nünftig, klug  gestiftet'? 

233.  Man  erwartet  wscs  gen.  sg.  zu  scylle.  Ein  alter  gen. 
(Eueres  A\'äre  hier  hochinteressant;  vgl.  lomher  Guld.  1015.  Alcede 
ist  hier  intransitiv  wie  v.  251  (178). 

240.    hrmd  =  flcesc  v.  259. 

258.    edniive  möchte  ich  als  instrum.  auf  flcksce  beziehen. 

266.  feprum  deal,  v.  86  fejyrum  stron^,  v.  847  feprum  stiel. 
Deal  ist  aber  synonym  mit  wlonc  oder  mödi^  und  wol  ein  nur 
halb  verstandenes  erbstück  der  agerm.  poesie.  Eine  bedeutung 
'schön,  passend'  taugt  hier  nicht:  weder  das  dalidim  des  steines 
von  Tune  noch  nüid.  y  et  eile  beweisen  etwas  für  die  bedeutung 
des  ags.  wortes. 

284.  In  gottes  namen  komma  hinter  fbrjnjlmdel  denn  ascau 
tö  eacan  gehört  zu  hdn  gehrinj;e(},  vgl.  v.  271.  Nur  ausnahms- 
weise, wo  es  unerlässlich  ist,  führe  ich  interpunctionsfehler  an. 
Auch  Grein  verstand  unsre  stelle  nicht. 

301.  gebyrd  i.  e.  gf^'cynde;  v.  360  in  sexueller  bedeutung. 

302.  stdne  'hj^acintho',  das  auch  in  der  C.  past.  nicht  über- 
setzt ist. 

304.  biseted  "eingesetzt';  der  eine  waffe  zierende  stein 
erscheint  als  Imnden,  searobunden  (Rä.  21,  3  sivylce  beorld  seomad 
ivir  ynd)  pone  ircels'nii  pc  nie  ircddcnd  ^^eaf). 

306.  bre,sden  als  hra\sdcn  \)Avt.  perf.  ])ass.  von  Inendem  ist 
unglaublich.  Lies  tn-o^sdcn:  der  copist  Hess  sich  durch  s/rylrc 
täuschen  und  setzte  einen  conj.  praes.  ein. 


ANGI;OSAXONirA.  123 

322.  siva  i.  e.  öviiu  f</ra,  poiinc;  vgl.  v.  Ü  und  Or.  116,27 
In-  . . .  pdm  tivdm  dmlum  hchaid.  ,s7va  hie  fcohtmi  un^nnncn, 
J)wf  hie  u'id  his  fluten. 

330.  ofer  nach  dem  conipaiativ  auch  Or.  34, 1  ^U'aivra  ofer 
hi  ealle;  C.  past.  75, 3  J)a's  hisrcj)es  iveorc  sceolon  hion  ofer 
Odra  monna  iveorc  sua  miclc  heteran  siia  etc. 

331.  Tiies  doch  ou  ^tvr>v7»>»  und  vgl.  Lactantius  v.  151. 
Auch  V.  125?  Feher  ond  i.  e.  on  hat  Sweet  (C.  past.  s.  486  zu 
277.  15)  gehandelt. 

343.  icildnc  vgl.  201.  466  und  520:  er  ist  ein  dnlni^a 
(v.  87,  346). 

364.    nrnen  1.  äurncn. 

373.  ed,seon,s  icese]}\  \^\.  cd^con,s  wcsan  \A^?>h.  Ich  kenne 
bloss  wcsaj)  "erunf  Blickl.  hom.  153. 11. 

300b.  Vgl.  450b,  Avas  wol  auf  die  anfechtung  des  teufeis 
deutet. 

512.    1.  hi/)\s('inui>}i  mit  Beitr.  10.462. 

581.   pcer,  zu  allgemein  gefasst.    Lies  ]>dr  hiw. 

613.    Vgl.  Rä.  44,'3. 

624.   ^eongra  ■;yfena]  s.  oben  zu  (^ujd.  1015. 

647.    Eine  andere  deutung  gibt  .Elfric  in  seiner  Gr.  70,  12 

(Xa]der). 

Julia  na. 

27.    fyrini  •Ungeduld",  vgl.  v.  40. 

33.  injrd  'wie  sich  die  sache  verhielt",  'factunr:  nicht 
•geschick". 

44.    ckhte  1.  dhtr. 

00.  ijn'JmrorJt  ist  eine  vox  niliili:  Jt/rcorh  bildet  keine  coni- 
püsita  als  zweites  glied,  und  t/rc  kann  unniügli<:h  i/rrc  sein, 
weil  dies  unmittelbar  folgt.  Bcpe  zu  vermuten  liegt  nahe,  aber 
erklärt  die  handschriftliche  lesart  nicht:  ein  zweiter  hauptstab 
W(d  mit  vocalischem  anlaut  wird  gefordert. 

01.  1.  ^loidmode;  denn  wer  yrre  gebol;;en  ist.  kann  nicht 
^:hedmod  heissen. 

104.  f'ce  ('adlufüH  wird  mit  moderner  Sentimentalität  durch 
•ewigdauernde  liebe",  'lasting  luve'  erklärt.  Aber  der  vater 
sucht  nui'  einen  steiiiicichen.  vninehmen  eiihiiii:  er  (h-iikt  nur 
an  (las  "liebe  geld". 

126.   Jtlii^rctdcn        jitii^^u/is  (  P>e(lii- .MiUer  17(',  23j         bvn, 


124  cosijN 

welche  man  mittelst  einer  andern  person  an  jemand  richtet. 
Grein  erklärt  es  frei,  aber  sinng-emäss  mit  'brautwerbung-'. 

133.  bi  me  Ufyendre;  vgl.  Schmid.  flesetze  he  lifimdre  pSre 
bei  lebzeiten  derselben'  ^thered  6,  5  §  1.  Tilge  das  komma 
hinter  lif^endre. 

160.  in  (Bringe,  die  lat.  vita  hat  düiicido.  Vgl.  Mc.  1,  35 
on  (Bring,  Eushw.  on  (Bringe  'dihiculo'. 

190.  Der  lateinische  text  lautet  (^ccc  principium  qunestlonis. 

202.  dohvülen,  eig.  ein  adjectiv  wie  druncenwülen  'ebriosus' 
C.  past.  401, 29,  hier  aber  substantiviertes  neutrum. 

204.    1.  on  J)<J  ])d  grimmestan  etc. 

255.    1.  sigortifr,  denn  onsecgan  ist  transitiv. 

302.    1.  nedde  und  hiswdc,  wie  im  vor.  A'erse  mit  Sievers  drys. 

309.  on  Manne  heam  i.  e.  on  gcdgan  (v.  310);  vgl.  Schicks. 
V.  16—22. 

313.  Bessere  das  nichtswürdige  asmgan  in  äsccgan,  wie 
in  der  note  angegeben  ist. 

352.  Lies  mit  Sievers  ea(Jfe  nuBg  (vgl.  z.  b.  Rä.  56,  7)  und 
natürlich  v.  353  gecyöan. 

358.  Glaubt  Assmann  wirklich  an  die  existenz  xowgeponcs? 

467.  ])%  1.  pe,  das  relativum,  womit  es  Grein  auch  übersetzt. 

474.  Ich  übersetze  'so  dass  sich  (dort)  ihre  letzte  spur 
zeigte',  denn  der  hryne  vernichtete  sie.  Gesyne  ivoes  oder  ivcarp 
steht  absolut,  wie  Beowulf  2947  und  1403.    Anders  Grein. 

479.  Bessere  mit  Frucht  (s.  nachtrage  und  vgl.  Eä.  34, 1) 
Oßf'ter  tv(Bge  =  cefter  tvdsum. 

482.   Vgl.  Heleand  4155  drorag  sterhan. 

492.  peak  k.  Unsinn;  1.  pe  ic.  Die  vorläge  hatte  vielleicht 
Pe  ih  (=  pe  ic),  was  zur  Schreibung  und  einf ügung  von  ic  ver- 
anlasste. 

505.  Hinter  sivu  (v.  504)  komma,  denn  niircast  mdniveorcii 
ist  in  dieser  rührenden  teiüelsbeichte  apposition. 

521.  7}mi.  Nur  drei  beispiele  (hivon  in  Greins  (ilossar 
2,252!     iltfm'? 

560.  Dass  Holthausens  aufsatz  IF.  4,  385  in  diesem  bände 
nicht  erwälmt  wird,  begreift  sich  leicht.  Fr  substituiert  ircorc, 
metrisch  vortrefflich.  Belegt  ist  nur  nach  hdiiÄ  von  einsilbigen 
Worten  bloss  ward,  und  das  passt  hier  recht  gut,  weil  es  sich 
auf  Julianas  predigt  bezieht. 


AN(JI.0SAXONK"A.  12-^ 

')10.  Jic'r,  \'.l;1.  Crist  \'-'A'\  (»bcii  iiihl  l-",l.  !'7".'  iiih!  äiidfrc 
nic'lits!  Vgl.  meine  Aaiiteekeniiif^vii  dp  den  licnwulf  v.  ;!2. 
Also  meahie  mit  ;uisnifuii<iszeiclieu. 

678.  XXX.  In  dt^r  note:  Ettm. 7^^"'Y^/"ir.  Merkwiiidif^t'  Va- 
riante! Vgl.  Kä.  2;i.  1  'LX,  VAXm.  sixtis'\  23,4  ^IIII.  Kttm. 
ftoicir'  n.s.  w. 

Bi  iiionna  era'fliiiii. 

7.  1.  onfoan  (Beitr.  10.  476).  ^^as  tiir  das  altei"  unseres 
gedichtes  nicht  indifferent  ist.  Man  vergleiche  weiter  die 
übereinstimnmngen  mit  dem  Crist :  ( ". (MVo  scow,  Crä.  tosdutMJ  110; 
C.  Sänger  imd  redner  667.  Crä.  35b,  36  und  41—43;  ('.  hartner 
668.  C'rä.  49;  ('.  schriftkenner  670.  Crä.  94;  C.  Schreiber  672. 
l'rä.  95b.  96;  (\  kriegsmann  ()74.  (Yä.  39a.  40;  C.  schiffer  676. 
Crä.  53b  —  58;  ('.  gymnast  678.  Crä.  82 — 84a;  C.  Waffenschmied 
679.  Crä.  61 — i)(S.  Bloss  der  astronom  Crist  671  und  geograph 
Crist  680b  fehlen  hier.  Endlich  vergleiche  man  Crist  684  Jif/ 
Id-s  Itini  .sielp  scc])J)c  mit  Crä.  24  /;//  Ices  he  for  tvlnicc  u.s.w. 

18.    c/y,  ebenso  C.past.  87, 11. 

29.  leopocneftas.  Aber  das  erste  beisjtiel  dritte  ist  unglück- 
lich gewählt,  sonst  sind  die  gliedermässig  verteilten  fähigkeiten 
und  künste  ziemlich  geschickt  angefühlt. 

61.    1.  näpenprcecc  -^  ivise  tö  ni/ttc. 

65.    Tilge  das  komma  hinter  rond  und  lies  v.  66  ^efcÄcd. 

Bi  inaniia  luode. 

10.    1.  sc  jic  li/ne  ne  Iceted. 

25.    1.  uHÄeniete,  adv. 

28.  bod,  aber  Liber  scint.  (Rhodes)  152,  2  se  pe  hyne  hoguö 
*qui  se  jactat',  wahrscheinlich  eine  falsche  form  aus  hogian 
(äI'^j)  gebildet.  Das  wort  ist  auch  nelfredisch,  aber  corrupt 
überliefert:  Boetli.  66,  29  (Cardale  102)  for])dm  he  hine  swa  or- 
.st'lli'rr  upiÜKJf  d'-  höde  (Cod.  bodode)  öies  Jnet  he  uöwita  ivcere. 

■\x.    ftäfe;  vgl.  Zs.  fda.  31,  21  /We^e  fedus  (obscenus,  tui  pis). 

55.    1.  neds/Jnon;  vgl.  nedfaru  OVJV. 

63.  beryfan,  wol  berffpftn,  ^(>X.hii-ui(})jan,  Saints3,444'spoliare'. 

Hl   iiianna   wyrdiiin. 

7.    fciÄüJ  in  dci'  bedeutung  nou  /^r/7< J  befiemdet ;  fn'o^siuT^ 
43.  Man  la.s.se  jedenfalls  as.  üpenylan  aus  dem  spiele;  äptccim 


126  cosiJN 

ist  mög-licli  imd\])ccean  'consumere'.  s.  y.47.  Beow.  3015.  Plioeiiix 
216  und  365. 

55.  dryhthealo  nach  folc-,  ])eodhealo? 

56.  sylfcu'ola  im  sinne  von  selfhona  ßioihavaroQ  ersclieint 
in  Log-enians  New  Aldhelni  glosses,  Anglia  18,  33  no.  142.  Hier 
begegnet  ein  sijlfctcalu  'selbsmord';  für  nemnan  tö  s.Boeth.  120.21 
und  Ps.  67,  4. 

63.    Nach  AeZ/ertZJaw  ausrufungszeichen. 

73.  soldsimj)  ist  an.  fjullsmid  'goldschmiedkunst'.  Bedeutet 
liier  Äeanvad  'beschenkt'  (s.  Grein,  Gloss.  unter  ^e^^earwian), 
so  lese  man  sunt:  sunmm  ist  dann  wol  durch  sunie  böceras 
beeinflusst. 

90.    dcedum  sc.  liis  frean'^ 

93b.    1.  iveoroda  nervend  und  vgl.  folca  ne)\send  Crist  420. 

Wunder  der  scliöpfiiiig. 

69.  \.  ou  hra{h)J)e?  onheapo  'in  mare'  (Beitr.  21, 10)  taugt 
hier,  auch  aus  metrischen  gründen,  nicht  und  on  lieape  ist 
sinnlos. 

77.    spcd  'power'  Blickl.  hom.  179,  9. 

Walfisch. 

—    Vgl.  Zs.  fda.  9, 422  a  halenam,  ran,  diaholum. 
8.   hreofum  stdne,  aber  steine,  sind  weder  schorfig  noch 
lepros.    Lies  hreowum. 

10.  sceryric  wird  mit  alid.  rörahi  'arundinetum'  verglichen. 
Aber  ein  ags.  rcor  =  got.  raus  existiert  nicht,  und  von  rcor 
kann  eine  coUectivbildung  auf  -ic  (vgl.  nl.  esterik  von  estere 
'stoppen';  wenigstens  nach  Verdam,  Tijdschr.  16,  8)  nur  rcoric 
lauten.  Dass  au^ö  zu  eare  ward,  nicht  zu  core,  liegt  an  der 
Silbenteilung  ca-re.  Man  erwartet  hier  eher  eine  bildung  von 
scewdr:  die  walfischbarten  haben  damit  einige  ähnlichkeit. 

22.  celed,  und  dann  celeä,  worauf  Juded  folgt,  erregt  den 
verdacht,  dass  das  zweite  celc(}  aus  ivcalleö  verdorben  ist.  Das 
ist,  wie  ich  hoffe,  kein  majestätsverbrechen  gegen  die  unver- 
letzbiire  doppelte  alliteration. 

28.  mid pä  nöJMöJje  'mit  der  wagehalsigen  schar'?  Gewis 
eine  wagehalsige  conjectur! 

39.   jeJnvylc,  nein  hwylc  'einer',  nicht  'jeder'! 


ANGLOSAXONICA.  127 

40.  (>)/  ]i/s  lir/)i,sr.  AlxT  der  waltiscli  ist  ficradc  dein  mit 
einem  sioinan  hrins«'  gezierten  Phoenix  ento'egeng-esetzt:  1.  (»i 
Ins  liric^c:  sie  setzen  sicli  anf  seinen  rücken. 

lli  (loines  du'ixe. 

114.  JMn  intere.ssantes  oticncötot  ersclieint  Anglia  2.  ;?73 
(vitn  A\'ii]ker  citiert):  omnis  innocans  cnpit  muliri,  elipicndni 
^ehuifJr  ((•()](}(■  /)(i;f  lii)i/  man  onaccedc. 

Höllenfalirf. 

1.  Jli»!  ist  felilei'haft;  es  sullte  Jrir  sein,  weil  \krwan 
transitiv  ist.  Vielleicht  aber  rührt  es  wirklich  vom  dichter 
her.  der  bei  glerurm  tö  ^on^c  an  ^on,s(in  dachte:  denn  on^itnnon 
him  son^an  ist  correct. 

2.  Cremers  nnd  'i'rautmans  dentnng-  ist  gekünstelt  (s.  Anglia 
19, 15V>);  das  siibject  von  icisfon  nuiss  a'])eJcunde  ?;we<s  J  sein  (vgl. 
auch  V.  16  a).  Nach  ^iiniena  ^emöt  ist  wol  ein  ganzer  vers  aus- 
gefallen —  oder  Äoiiof  ist  verdorben. 

0.  Kichtig  bessert  man  reonge;  vgl.  auch  El.  1088.  wo  es 
mit  ri'otdii  verbunden  ist.  Acölad  andre  man  nicht  in  das 
sinnlose  ^eddad:  die  lagerstätte  'das  bett'  des  toten  war  dcohid 
wie  das  llc  selbst  (Seel.  125). 

17.  HC  bedeutet  in  nicht -westsächsischen  stücken  auch 
'denn'.    Vg:l.  Rä.  6,  7  u. s.w.    Passim  im  Beowulf. 

22.    mwÄcnJjrynnne?    doch  vgl.  74b. 

35.  forhy^an  'niederwerfen',  denn  hysan  ist  hier  das  cau- 
sativ  von  hu^an  'fallen'. 

»51.  So  g-eraten  metrisch  falsche  ergänzungen  in  den  text. 
Vgl.  weiter  Anglia  19, 163  und  IF.  4,  384. 

69.    1.  dre  ^ehjfad,  vgl.  v.  114  und  Beowulf  1272. 

71.  cnd.  Wer  an  end  g-laubt,  kann  darüber  auch  Scherer, 
ZGdDS.105  (erste  ausgäbe)  nachlesen:  seine  berufung  auf  Otfrid 
5,8,55  taujgt  nicht,  weil  dort  onti  'lebensende'  bedeutet. 

105.  nalcs.  Die  ergänzung  ist  falsch;  Sievers,  der  auch 
v.  78  .snottor  gebessert  hat,  warnte  uns  davor.  Lies,  ohne  er- 
gänzung.  wddcs  i.e.  noldes  statt  mdes,  denn  nur  ein  A-tyjius 
ist  hier  brauchbar. 

106.  mosfan,  1.  nc  »lostait  und  v.  115  iptdtfotin  und  trenne 
V.  124  iiitdi  und  stondnö. 


128  cosiJN 

135.  gä  Johannis  d.  li.  'du  und  ieli,  Johannes'.  Warum 
darf  der  Sprecher  sicli  selbst  nicht  nennen? 

Rsitsel. 

11,10.  höhne,  nein  helme:.  heim  heisst  die  'corona'  eines 
baumes. 

n,  11.    1.  ivrecen. 

IIL  4.  1.  famose  Kcalcan.  Also  doch  wider  ein  beispiel  dieses 
seltsamen  Wortes;  vgl.  Beitr.  21,  19  zu  Andr.  1524.  Für  fdmis 
vgl.  Rä.  4, 19. 

lY,  5.  Vielleicht  hdiste  {on  enge)  =  Jmrh  hcest  Rä.  16, 28. 
Wenn  wir  einen  alemannischen  text  vor  uns  hätten,  würde  heorö 
einen  trefflichen  sinn  geben;  lies  aber  jetzt  heard. 

IV,  41.    sceo  1.  sceor  und  vgl.  Andr.  512. 

IV,  62  a.   Vgl.  Panther  7? 

IX,  8.    1.  sittad  suigende. 

IX,  9.  Der  sceaivend  ist  der  sceawere  'scurra'  Wr.-Wü.  519,  3; 
die  sciercnige  ist  in  sciernicge  zu  ändern:  scericge  'mima'  Shrine 
140,  scearecge  hje. 

X,  4.  Nicht  nur  die  interpunction,  sondern  auch  die  rich- 
tige t rennung  der  worte  ändert  oft  den  sinn.  Man  lese  tvel 
hold  megc  iveduni  ]>eccan;  der  vogel  welcher  den  kukuk  ver- 
sorgt, ist  dessen  mege,  denn  beide  gehören  zum  fugolcynne: 
nur  ihm  gesibh  ist  er  nicht  (v.  8),  weil  er  eben  kein  kukuk 
ist.     Vgl.  dnre  mugan  Rä.  44,  14. 

X,  6.    1.  sue  drlice  (cod.  snearlice). 

X,  10.  Hs.  ividdor,  im  text  ividor,  aber  Rä.  61, 17  hs.  und 
text  beide  ividdor.  Ebenso  bleiben  bisweilen  nach  der  laune 
des  herausgebers  anglische  e  ungeändert,  dann  wider  liest  man 
ein  de  im  texte,  während  die  fussnote  das  ursprüngliche  6  ent- 
hält.   Varietas  delectat. 

XII,  6.   mödc  hestolene,  vgl.  Gen.  1579  ferhöe  forstolen. 

XII,  9.    hringeö  1.  lirmgeö.    llorda  deorast  ist  die  sonne. 

XIII,  11.  deorcum  nihtuni,  opp.  fcegre.  Vgl.  fegre  'diluculo' 
Luc.  24, 1  Rushw. 

XIV,  1.    ecdra  'im  ganzen';  die  i-aufe  hat  also  6  +  4  füsse. 
XIV,  6.    1.  7ie  siö  jnj  sdrra. 

XVI,  4.    1.  her  sivylce  suge. 

XVL  11.    h'im,  -Axd  geosndenösle  bezogen?    Sonst  wäre  die 


ANGLOSAXONICA.  129 

flucht  des  dachses  ganz  iiuniotiviert:  erst  später  fühlt  er  sich 
sicher. 

XVI,  15.  Entweder  liine  hreost  henid —  oder  etwas  anderes; 
keinesfalls  was  der  text  bietet. 

XVl,  24.  Die  in  den  text  g-esetzte  besserung  sif  se  ist 
vortrefflich  und  ,sifre  metrisch  falsch.  Der  alte  Thorpe  hatte 
bisweilen   vortreffliche  gedanken.    Hinter  seceß  v.  25  komma. 

XVIII,  11.  Zwischen  men  und  ^emunan  fehlt  ein  wort, 
z.  b.  off  oder  ]xe(. 

XX,  5.  )d(l  ist  der  runenname,  der  mit  de  und  ^/fu  den 
gar  bezeichnet. 

XX,  6.  eh  und  u-i/un  kfinnen,  wenn  ein  B-tj^pus  vorliegt, 
stehen  bleiben:  die  alliteration  lulit  dann,  wie  mehrfach  in 
den  rätseln,  auf  der  zweiten  hebung.  Aber  besser  scheint  mir 
die  Umstellung  in  ivynneh,  weil  damit  (h\s  ross  bezeichnet  wird, 
der  ivkUust  fcrede  etc. 

XXII.  3.  hdr  holtes  fcond,  eine  vortreffliche  kenning  für 
das  eisen,  das  in  der  form  eines  heiles  den  bäum  anfeindet; 
hier  bezeichnet  sie  das  pflugeisen. 

XXII,  4.  Weder  Sievers'  on  ivöh,  noch  seine  besserungen 
24.9  dror:  29.12  hycson;  40,22  secscin  u.s.  w.  finden  wir  auf- 
genommen; überhaupt  sind  keine  seiner  grammatischen  und 
metrischen  entdeckungen  benutzt.    Auch  ein  System! 

XXII,  5.  Natürlich  ]nXh)e^  wie  13,  8  und  hjhed  (teheiS)  35,  4. 
63, 6,  wie  7je(o)/<e  45^  1. 

XXII,  15.  hindeweardrc.  Genau  nimmt  der  dichter  das 
geschlecht  des  zu  ratenden  gegenständes  (hier  Öcßve  sylh)  in 
acht.  Abweichungen  sind  verdächtig;  lies  darum  24,  7  Zewöm; 
25, 7  bezieht  sich  aber  glado  nicht  direct  auf  den  higoran, 
sondern  auf  tviht  von  'S'.  1. 

XXV,  9.  Vor  oder  nach  hcegl  d-  is  fehlt  ein  stab;  vgl.  auch 
Runenverse  20,5  a  und  65,2  a.  wo  d-  einzufügen  ist. 

XXX,  5.  Walde  scheint  im  ags.  nicht  zu  existieren:  wir 
finden  es  hier  in  wolde  'gebessert'!  Auch  49.1  und  50,11  wie 
51.4  wird  f'er  in  for  geändert! 

XXXII,  4,    1.  nöhwcedre  statt  no;  vgl.  v.  8. 

XXXIV.  7.    ]\[an  erwartet  onbond  nach  Beow.  501. 

XXXV1I.9.    1.  foldaesa.s. 

XL1I1.7.    bre  -buchstaben',  wie  Dan.  735  (Beitr.  20, 115)? 

Huitiutji.-  zur  yeHcliicIite  der  deutaulieu  apraclie.     XXlil.  9 


130  COSIJN.   ANGr.dSAXONICA. 

Aber  der  sclireiber  selirieb  den  text  seiner  rätsei  gewis  nicht 
in  rnnen,  nur  die  zu  erratenden  Avörter. 

XLIV,  4.  1.  yldo  ne  ddl  ,x:if  Mm  drlicc  und  v.  5  emc  Jx'nai) 
sc  ])€  he  d^an  sceal  Die  eingeschalteten  halbverse  tilge  man. 
Se  ])€  =  ])one  ])e. 

LH.  4.  1.  //rV),s'  i.  e.  flea^  an  lyfte,  wie  "Rä.  74.  3  lehrt.  Yoi' 
^(■o,s  Semikolon. 

LIII,  6.  Die  Wealas  heissen  stvearte,  wie  die  Wale  13.8 
tvonfeax.     Lies  also  hier  u'onf{e)ahs. 

LYI.  15.  1.  onmede  'sich  vermesse'.  Vgl.  onn/cdltt  und 
geamnettan  im  Orosius. 

LVIII.  3.    röwe  statt  röfe?    Vgl.  C.  past.  71.  10. 

LX,  14.    1.  un^efidlodrd,  gen.  plur. 

LXXIV,  5.  1.  ferd  r.ivieu;  vgl.  feorh  nciro  ll.()  und  14.3; 
endlich  Crist  1320  forä  -^^  ferd. 

LEIDEN,  12.  juli  1897.  P.  J.  OOSLJN. 


DIE  DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMM- 
SILBENVOCALE  IN  DEN  VOLKSMUNDARTEN 
DES  11()(11DEUTS(^HEN  SPRACHGEMETS  AUF 
GRUND  DER  VORHANDENEN  DIALEKT- 
LITERATUR. 

Einleitung. 

Die  untersucliungen  über  die  frage  nach  der  entsteliung- 
und  den  grundlagen  der  nlid.  scliriftspraclie  erstrecken  sicli 
natürlicher  weise  auch  auf  die  in  ihr  geltenden  quantitäts- 
vei'liältnisse  der  stamuisilbenvocale.  Eine  der  wichtigsten 
hierlier  gehörigen  fragen  ist  nun  die,  festzustellen,  auf  welcher 
mundart  oder  welchen  niundarten  die  quantitäten  des  nhd. 
beruhen.  Ausser  der  grundlegenden  arbeit  Pauls,  Yocaldehnung 
und  vocalkürzung  9,  101  ff.  befasst  sich  K.  v.  Bahder  mit  dem 
einen  teile  dieser  frage:  der  erhaltung  der  vocalkürzen  in 
seinen  Grundlagen  des  nhd.  lautsystems,  Strassburg  1890,  85  ff. 
Die  frage  ist  aber  erst  dann  vollständig  zu  lösen,  wenn  wir 
uns  über  die  quantitätsverhältnisse  der  hochdeutschen  dialekte 
ausreichend  zu  unterrichten  vermögen.  Bis  jetzt  hat  es  jedoch 
an  einer  zusammenfassenden  darstellung  gefehlt;  nur  für  ein- 
zelne grössere  gebiete  haben  wir  die  notwendigen,  nachweise, 
am  vollständigsten  für  das  schwäbische  in  H.  Fischers  Geo- 
graphie der  Schwab,  ma.,  l'übingen  1895.  Einige  zusammen- 
fassende bemerkungen  gibt  Behaghel  in  seiner  Gesch.  d.  d.  spr. 
§  22  (Pauls  Grundr.  1.  558). 

Meine  arbeit  will  nun  versuchen,  das  material  in  dieser 
hinsieht  aus  der  vorliegenden  dialektliteratur  zu  sammeln,  und 
zwar  soll  ausschliesslich  festgestellt  werden,  in  welchem  um- 
fange die  mild,  kurzen  stammsilbenvocale  in  den  einzelnen 
dialekten  gedehnt  worden  sind.     Dies  unternehmen  scheint  auf 


132  RITZE  KT 

den  ersten  blick  nicht  allzn  scliwierig.  und  wäre  es  auch  uicht. 
wenn  unsere  dialektliteratur  in  dieser  beziehung-  ausgiebiger 
wäre.  Jedocli  lassen  uns  die  meisten  dialektai'beiten  hier  im 
Stiche;  nur  wenige,  darunter  einige  schweizerische,  geben  in 
zusammenfassenden  gesetzen  vollständigen  aufscliluss.  Dazu 
kommt,  dass  erst  die  neueren,  nach  Pauls  aufsatz  erschienenen 
arbeiten  mehr  unsei-  thenia  berücksichtigen;  abei-  auch  von 
diesen  stellen  nur  w'enige  die  dehnungserscheinungen  zusammen- 
hängend dar  (vgl.  die  recensionen  im  TJt.-bl.,  im  Anz.  fda.  etc.). 
So  ist  mir  nichts  anderes  übrig  geblieben,  als  zunächst  selbst 
die  dehnungsgesetze  für  die  untermundarten  —  soweit  sie  lite- 
rarisch behandelt  sind  —  zu  construieren.  Zieht  man  aber 
einerseits  die  mangelhafte  phonetische  Schreibweise,  besonders 
älterer  erscheinungen,  und  andererseits  die  vielfach  spärliche 
und  gleichgiltige  auswahl  der  beispiele  in  betracht,  so  ist  gewis 
ersichtlich,  dass  das  vordringen  zu  einigernmssen  reinlichen 
resultaten  nicht  immer  einfach  Avar.  Ich  kann  indessen  die 
Versicherung  geben,  dass  ich  alles  was  sich  mir  auch  hinsicht- 
lich meines  themas  geboten  hat,  gewissenhaft  geprüft  habe. 
^Ian(;hes,  z.  t.  solches  das  ich  erst  auf  umwegen  erhalten  hatte, 
nmsste  ich  ohne  gewinn  wider  aus  der  band  legen:  für  man- 
chen dialekt  wäre  es  mir  liebei-  gewesen,  wenn  die  (juellen 
reichlicher  geflossen  wären. 

Wie  sich  aus  den  unten  mitgeteilten  quellen  ergibt,  habe 
ich  auch  dialektwr)rterbücher  und  -dichtungen  benützt,  aller- 
dings nur  solche,  deren  Schreibweise  zweifellosen  aufscliluss 
geben  konnte.  Die  zahl  dieser  ist  freilich  nicht  gross:  einige 
haben  mir  aber  gute  dienste  getan.  ]\ranchnial  habe  ich  zu 
Firmenichs  Germaniens  Völkerstimmen  gegriffen,  und  zA\'ar 
besonders  dann,  wenn  ich  über  den  einen  oder  anderen  punkt 
einer  dialektarbeit  zweifei  liegen  musste.  Grossen  nutzen 
haben  mir  F.  Wredes  berichte  über  G.  Wenkers  Sprachatlas 
im  Anz.fda.18ff.  gewährt;  icli  habe  sie  treulich  benützt,  nament- 
lich zur  bestimmung  der  geographischen  ausbreitung  mancher 
einzelheiten. 

Was  speciell  das  rheinfi'änkische  betrifft,  so  habe  ich  auch 
meine  eigenen  Sammlungen,  die  sich  auf  mehrere  orte  beziehen, 
verwertet;  anders  hätte  ich  manche  erscheinung  dieses  dialekts 
nicht  genügend  erörtern  können  (ich  verweise  auf  die  erhaltung 


DEHNUNG  DTAl  MIID.  KTKZEN  STAMMSILBENVOCALE.  1?)0 

der  kürze  vor  /.  die  dehniing  vor  y,  n  +  dental),  zumal  ausser 
einer  abliaudlung-  über  eine  rlieinfr.-ostfi\  mischmundart  nicht 
eine  einzige  iler  hierher  gelifirigen .  übrigens  wenigen  litera- 
rischen erscheinungen  diegesetze  über  vocaldelmung  zusammen- 
hängend l)ehandelt.  Letzteres  gilt  ancli  vom  niittelfränkischen. 
tlie  arbeit  von  Rabies  über  die  Birkent'eldei'  ma.  abgerechnet: 
doch  sind  hier  die  arbeiten  an  zalil  reidier. 

Bei  der  grossen  Verschiedenheit  unserer  dialektliteratur 
an  innerem  werte  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  mir  viele 
Unrichtigkeiten  und  schiefe  anfstellungeu  begegnet  sind :  w(dlte 
ich  jede  derselben  beleuchten  und  richtig  stellen,  so  würde 
meine  arbeit  zu  sehi'  iu  die  breite  geraten.  Ich  beschränk*^ 
mich  deshalb  lediglich  (hiraut.  die  tatsachen  zusammenzustellen. 
Nur  an  wenigen  stellen  weiche  ich  hieivon  ab.  namentlich 
dann,  wenn  es  neuere  arbeiten  betrit'i't. 

AVo  ich  dazu  in  den  stand  gesetzt  bin.  gebe  ich  für  meine 
aufstelhmgen  die  selten-  (manchmal  auch,  und  das  ist  (hmn 
besonders  bemerkt,  die  §-)  zahl  meiner  quellen.  Oft,  sehr  oft. 
ist  dies  unmöglich:  wo  mir  die  literatur  nur  beispiele  bot,  aus 
denen  ich  die  gesetze  zu  abstrahieren  hatte,  musste  ich  von 
diesem  \'erfahren  abstehen. 

Für  die  gruppierung  des  Stoffes  benütze  ich  die  übliche 
teiliing  nach  den  hauptdialekten  des  hoclid.  Sprachgebiets;  hin- 
sichtlich des  thüringischen  bin  ich  L.  Hertel,  des  ostfränkischen, 
obersächsischen  und  schlesischen  C.  Franke  gefolgt.  Die  ergeb- 
nisse  rechtfertigen  dies  verfahren.  Fs  zeigt  sich  nämlich,  dass, 
wenn  auch  für  das  ganze  hochd.  Sprachgebiet  mit  ausnähme 
des  hochalenmnnischen  das  gesetz  der  dehnung  der  mlid.  vocal- 
kürzen  vor  einfacher  consonanz  giltigkeit  hat,  bestimmte  aus- 
imhnien  vorkommen,  deren  ausbreitung  mit  der  gewöhnlichen 
dialektbegreiizung  zusammenfällt:  ebenso  ist  ein  zweites 
(Udmungsgesetz.  die  vocallängung  in  urs))rünglich  einsilbigen 
Avörtei-n.  auf  ganz  bestimmte  dialekte  beschränkt;  fernei'  zeigt 
die  aller  orten  voi'kommende  dehnung  in  folge  c(msonantischer 
ein  Wirkung  ganz  bestimmte  dialektische  färbungen.  Auch  ihinu 
wenn  ich  eine  delmuugsei-scheinung  nach  der  anderen  als  ganzes 
zur  darstellnng  bi'ingen  w(dlte.  bliebe  mir  nichts  anderes  übiig. 
als  von  dialekt  zu  dialekt  zu  waiuhMU.  um  die  besou(b*ren 
charakteristica  zu  zeichnen.  .Manche  eischeinung  spottet  tVeilich 


134  RITZERT 

der  dialektischen  begTenzimg:  dies  betrifft  aber  nur  dinge  ge- 
ringeren umfang-s,  einzellieiten.  Freilich  ist  zu  beachten,  dass 
die  dehnung-  der  mhd.  kürzen  eine  verhältnismässig  junge  er- 
scheinung  ist  und  es  deshalb  nicht  ausbleiben  kann,  dass,  'da 
die  ursprünglichen  stammesgrenzen  in  den  wenigsten  fällen 
verkehrsgrenzen  geblieben  sind',  an  den  grenzen  benachbarter 
dialekte  ein  beständiger  kämpf  der  vocalquantitäten  herscht 
und  die  Vorposten  des  einen  in  die  bezirke  des  andern  dringen. 
C.  Franke  besonders  weist  in  Bayerns  maa.  1,  20  auf  die  tat- 
sache  hin,  Mass  es  übergangsmaa.  gibt,  die  sich  in  annähernd 
ebenso  vielen  punkten  zu  dem  einen  wie  zu  dem  anderen 
hauptdialekte  stellen'. 

Dass  die  stadtmaa.  wie  in  anderen  dingen  so  auch  in  der 
behandlung  der  vocalquantität  eine  ausnähme  von  der  reinen 
ma.  machen,  bedarf  nur  des  hinweises. 

Ueberblicke  ich  das  ganze  mir  zu  geböte  stehende  material, 
so  kann  ich  mich  selbstredend  der  erkenntnis  nicht  verschliessen, 
dass  es  von  allen  selten  her  ergänzt  und  bereichert  werden 
kann.  Das  ist  bei  allen  diesen  arbeiten  der  fall.  Jedoch 
glaube  ich,  dass  die  ergebnisse  im  wesentlichen  dieselben 
bleiben  werden.  Dass  manche  einzellieiten  auf  grund  völlig 
ausreichenden  materials  genauer  bestimmt  werden  können, 
liegt  auf  der  band.  Dieses  kann  aber  erst  dann  geschehen, 
wenn  die  dialektarbeiten  mehr  als  bisher  ihr  augenmerk  auch 
auf  den  quantitativen  lautwandel  und  nicht  —  wie  bis  jetzt 
so  häufig  —  ausschliesslich  oder  doch  fast  ausschliesslich  auf 
die  qualitativen  lautverhältnisse  richten  und  wenn  ferner  beide 
reinlich  getrennt  behandelt  werden,  wie  es  in  unseren  besseren 
dialektarbeiten  geschehen  ist. 

Gerade  auch  in  dieser  beziehung  dürfte  es  an  der  zeit 
gewesen  sein,  dass  die  vorliegende  arbeit  gemacht  wurde.  Sie 
könnte  vielleicht  manche  Verfasser  von  dialektgrannnatiken 
veranlassen,  diesem  gebiete  mehr  aufmei-ksamkeit  zu  widmen, 
sei  es  zur  berichtigung  oder  ergänzung  des  hier  gebotenen. 

Dies  ist  auch  deshalb  notwendig,  weil  die  ({uantitäten  in 
den  dialekten  mehr  und  mehr  dem  schriftsprachliclien  gebrauche 
zu  weichen  beginnen.  Diese  erscheinung  wird  häufig  con- 
statiert.  Anstatt  vieler  eitlere  ich  AA'olff,  der  in  seinem  Con- 
sonantismus  s.  77  sagt:    -aus  liuudtMi   (aiiälcn   dringen  sitradi 


DEHNUNG  DER  MIID.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  135 

eiiiflÜ8se  in  manclier  gestalt  auf  unsere  niaa.  ein  und  langsam 
Iji'ck'kelt  ein  Stückchen  von  dem  uralten  bau  nach  dem  andern 

ab Grosser  erfolge  haben  sich  natürlich  die  für  das  nlid, 

arbeitenden  kräfte  zu  rühmen  und  ihre  eroberung-en  waclisen 
von  jähr  zu  jähr.  Seine  besten  bnndesg-enossen  hat  das  hoch- 
deutsche von  heute  am  katheder,  an  kanzel  und  presse.'  Nament- 
lich wird  durch  die  gTündlichere  allgemeine  Schulbildung-  der 
phonetische  sinn  für  kürze  und  läng-e  der  vocale  g-estört;  dazu 
kommen  die  antorität  der  städte,  die  gesteigerte  Industrie,  der 
regere  liandel  und  verkehr,  der  bedeutende  einfluss  unseres 
niilitärs.  Auch  H.  Fischer  erkennt  in  seiner  Geogr.  d.  schwäb. 
lua.  vj  7  den  einfluss  der  Schriftsprache  an,  will  ihn  aber 
nicht  in  princii)iellen  dingen  gelten  lassen;  er  sei  nur  auf  den 
Wortschatz  beschränkt.  Ich  muss  aber  bekennen  —  und  dies 
wird  von  vielen  forschern  bestätigt  — ,  dass  hinsichtlich  der 
vocahiuantität  die  schriftsprachliche  beeinflussnng  doch  weiter 
geht.  Häufig  finde  ich  angegeben,  dass  das  jüngere  geschlecht 
die  mundartliche  quantität  nicht  beachtet  (beispiele  uiiten). 
Auch  aus  der  ma.  meiner  heimat  (Bischofsheim  an  der  Main- 
mündung) kann  ich  beispiele  hiei'zu  anführen  und  zwar  aus 
den  letzten  beiden  decennien.  So  lächelt  dort  jetzt  das  heran- 
wachsende geschleclit  über  die  vocallänge  in  den  worten  rdt'aj 
und  satt,  und  doch  w^ar  sie  vor  zw^anzig  jähren  noch  allgemein 
gebräuchlich.  —  Am  ehesten  gleicht  sich  die  quantität  in  der 
lialbma.,  "dem  compromiss  zwischen  Schriftsprache  und  ma.',  aus, 
und  von  da  rückt  die  ausglei.chung  in  die  ma.  selbst.  —  Wenn 
es  so  häufig  scheint,  als  ob  eine  ma.  eine  regel  nicht  consequent 
durchführe,  so  haben  wir  öfters  die  antorität  der  Schriftsprache 
als  vei-anlassung  anzusehen,  die  löcher  in  die  einheitlichen  ge- 
setze  reisst. 

An  wenigen  platzen  ist  unter  bestinnnten  Verhältnissen 
die  mild,  kürze  erst  bis  zur  halblänge  gedehnt:  ich  bemerke 
dies  unten  besonders. 

Tn  den  alleimeisten  fällen  sind  in  meinen  quellen  diphthonge 
und  lange  vocale  gleichgesetzt:  vereinzelt  kommen  diphthonge 
vor.  deivn  (juantität  der  vini  kurzi-n  vocalen  entspi'icht.  Zur 
(•haiaktciisit-rung  setzeich  über  dieselben  das  kürzezeichen  . 
das  sonst  nur  veivinzell  anwendung-  Hndcl.  da  die  kürze  durch 
Unbezeicllliele  Vocale  gekeinizelclilict   i^t.    Im  i'lld  igi-ll  IiJU  ich  bei 

der  anführung  von  belegen  der  Schreibweise  meiner  quellen  getulgl. 


136  RITZERT 

I.  teil. 
Die   dehnungserscheinungen  in  den  einzelnen  dialekten. 

1.  Hochalemannisch. 

Qnelleu:  A.Birlinger,  Die  aleinaimische  spräche  rechts  des  Rheins 
seit  dem  13.  jh.  Berlin  1868.  —  H.  Blattner,  Ueber  die  maa.  des  cantons 
Aargau.  Vocalismus  der  Schinznacherma.  Leii)zig-.  diss.  1890.  —  H.Fischer, 
Geographie  der  schwäb.  ma.  Tübingen  1S95.  —  Chr.  Hauser,  Die  alanian- 
nische  mu.  in  Cialtür  (im  Paznaunthal ,  einem  seitenthale  des  oberen  Inn) 
in:  Eechtsrheinisches  Alamannien  etc.  von  A.Birlinger  1890  (Forschungen 
zur  deutschen  h\ndes-  und  Volkskunde  4,  3()9ff.)')  —  J.  Huuziker,  Aar- 
gauer  wb.  in  der  lautform  der  Leerauer  ma.  .\aran  1877  (mit  einleitung, 
die  in  einen  phonetischen  und  etymologischen  teil  zerfällt).  —  J.  Meyer, 
Das  gedehnte  a  in  nordostalemannischen  maa.,  Schweiz.  Schulzeitung  1872, 
no.  18  u.  19:  in  no.  44— 47  das  gedehnte  q.  —  J.  Meyer,  Das  gedehnte  c 
in  nordostalem.  maa.,  Frommanns  maa.  7, 177.  —  V.  Perathoner,  Ueber 
den  vocalismus  einiger  maa.  Vorarlbergs.  Feblkirchor  programm  1883.  - 
P.Schild.  Brienzer  ma.  1.  teil:  die  allgeni.  lautgosetze  u.  vocalismus. 
Göttinger  diss.  1891 :  2.  teil :  consonantismus,  Beiti-.  18,  301  ff.  —  Schweizer- 
Sidler,  Becensiou  von  Weinholds  (Tramniatik,  Zs.  f.  vgl.  spracht.  13,  373  ff. 
—  F.  J.  Stalder,  D.  landessprachen  d.  Schweiz.  Aaraul819.  —  Fr.  Staub, 
Ein  schweizerisch-alemannisches  Lautgesetz,  Fronimanns  ma.  7, 18  ff.  191  ff". 
393  ff".  —  Fr.  Staub  u.L.Tobl  er,  Schweizerisches  Idiotikon.  3  bde.  Frauen- 
feld 1881.  8t).  92.  —  H.  Stickelberger  (1),  Lautlehre  der  lebenden  ma. 
der  Stadt  Schaff'hausen.  Leipziger  diss.  1881.  —  H.  Stickelberger  (2). 
Consonantismus  der  ma.  von  Schaffhausen,  Beitr.  14,381  ff'.  —  K.Wein- 
hold,  Alemannische  granimatik.  Berlin  1863.  -  .1.  W inteler.  Die  Ke- 
renzer  ma.  des  cantons  Glarus.    Leipzig-Heidelberg  187(i. 

§  1.  Während  im  nhd.  mhd.  kurzer  vocal  in  offener  silbe 
gedehnt  ist,  gilt  für  das  hoclialeni.  gebiet  das  g-esetz,  dass  die 
vocale  der  Stammsilben.  Aerglichen  mit  denen  des  mhd.,  keine 
wesentlichen  Veränderungen  aufweisen:  alte  kürzen  sind  g-röss- 
tenteils  gewahrt  (Wint.  120.  Stick.  2,  410.  Schild  1.  §  11.  Per. 
36.  37.  Hauser  370.  Birl.  45.  58.  68.  73.  Weinh.  §  81—87.  bischer 
§  13  u.  karte  1.  Blattn.  66  ff.). 

Dieses  gesetz  gilt  wie  vom  links-  so  auch  vom  rechts- 
rheinischen Alemannien.  SSo  rein,  so  echt  wie  unser  rechtsrh. 
gebiet  diese  quantitätische  messung-  einhält,  findet  man  sie  selbst 
linksrheinisch  nicht'.    Birl.  45. 

')  Die  altgaltürer  ma.  wird  jetzt  nur  noch  von  einigen  hochbetagten 
leuten  gesprochen,  während  voi-  fünfzig  Jahren  noch  allgemein  alenninnisch 
gesprochen  wurde. 


DEHNUNG  DER  MTIP.  KFK'ZEN  STAMMSILBENVOCALE.  1.")7 

Die  grenze  im  X  und  NO  für  diesen  'vest  mittelalterlicher 
([uantität'  (Avie  Rapp  bei  Frommann  2.  477  sagt)  hat  Fischer 
in  karte  1  seines  Sprachatlas  geg-ehen.  Der  n()rdlichste  punkt 
für  sdgeti,  legen,  hjel  ofcn,  hdsen,  Iwseu  ist  Epfing-en  am  oberen 
Neckar;  von  hier  bildet  die  nordwestgrenze  eine  nach  S'\^' 
ziehende  linie.  welche  die  r)onan(inelle  gerade  noch  freilässt. 
])ie  nordostg-renze  verläuft  von  Fi)fingvn  in  südr)stliclier  ricli- 
timg,  die  Donau  unterhalb  Fridingen  und  den  Schüssen  ober- 
halb Ravensburg-  überschreitend,  bis  auf  das  linke  ufer  des 
vSchussen;  hier  wendet  sich  die  grenzlinie  dann  nach  S  und 
bildet  somit  den  abschluss  g'eg-en  0.  Bei  allen  sechs  wiUiern 
läuft  die  grenze  'im  selben  sinne,  aber  mit  gWisseren  und 
kleineren  abweichungen  im  einzelnen".  So  hat  Ravensburg 
läng-e  in  sagen  und  Jegeu:  i\\v  letzteres  wort  zielit  die  grenze 
vom  Schüssen  unterhalb  Ravensburg  weiter  nach  0  bis  nahe 
an  die  liier  und  wendet  sicli  dann  erst  südAvärts.  doch  so.  dass 
Hier-  und  Lec]i(|uellen  nocli  eing-eschlossen  werden.  A\'eiter 
nördlich  verläuft  die  grenze  für  rr/r«;  s.  u.  v<  2;!. 

ij  2.  Fast  allgemein  aber,  in  Brienz  nur  selten,  ist  in  der 
alem.  ma.  dehnung  des  a  in  offener  silbe  vor  r  eingetreten: 
färe,  hctväre.  Nur  der  canton  (llarus  hat  kürze  (Schweiz,  id. 
1,  888.  AVint.  77.  Birl.  47.  Fischer  21.  Schild  1,53.  2.870.  Per.  8). 
—  Der  Kerenzerbezirk  im  canton  (-Jlarus  hat  aber  einige  mal 
auch  länge;  so  steht  neben  farte  Qr-fära';  gedehnt  ist  in  K. 
der  vocal  ausserdem  noch  in  xoirce  zu  ahd.  karön,  beri  got.  basi, 
(h-i  'älire'  und  sePrce  "lärmen'. 

Meistens,  im  canton  (41arus  jedoch  nicht  und  in  Brienz 
nur  vereinzelt,  sind  auch  die  übrigen  vocale  vor  r  gedehnt 
(A\'int.  78  [für  Toggenburg].  Hunz.  cvi.  Schild  1,  50.  GO.  68.  2,870. 
Per.  16.27.  Stick.  §  18.  Birl.  78.  Weinh.  §  83.  38.  40.  43).  Diese 
fassung  schliesst  es  schon  in  sich,  dass  überall  ausnahmen  vor- 
kommen. 

^\■o  die  lautverbindungen  r  +  cons.  svarabhaktivocal  ent- 
wickelt haben,  tritt  ebenfalls  dehiiung  ein.  da  ja  der  vorvocal 
in  offene  silbe  zu  stehen  konniit.  Auch  K'erenzeii  hat.  (d)wol 
es  eine  ausnähme  v(»n  unsei-er  erscheinung  macht,  in  einigen 
solchen  fällen  dehnung.  wie  arc))!  (dazu  (-(unp.  rntier)  und  einige 
andere:  aber  famu  •darm".  stnrein  etc.  \ielfacli  ist  sogar  vor 
altem  inlautendem  n-.    das  in    dei'  ma.  vereintachl    wii'd.    vei- 


1B8  RITZERT 

längerung-  des  yorgelienden  vocals  eingetreten  (vgl.  ^A'illt.  79. 
vStick.  2,  388  auni.  Hunz.  cvi.  Blattn.  68.  Per.  16.  21). 

§  o.  Eine  ausnähme  von  obigem  gesetze  (§  1)  macht  die 
Fricktaler  ma.  (das  Fricktal  ist  der  nordwestliche  teil  des 
cantons  Aargau);  hier  sind  die  vocale  gedehnt,  die  in  den 
übrigen  Aargauer  maa.  als  kürzen  erhalten  sind  (Blattn.  80: 
ho'de,  wwsp  -wesen',  ro'fjQl  <  royd.  Nach  Blattn.  38  wird  im 
Fr.  langer  vocal  in  starker  silbe  fast  immer  —  wenn  mit 
emphatischem  accent  belastet  stets  —  mit  zweigipfeliger  ex- 
spiration  gesprochen  (zeichen '  ).  —  Ferner  neigt  die  Züricher 
ma.  zur  dehnung;  s.  Schweiz.  -  Sidler  374  375.  378.  379:  [irähc, 
labe,  nere,  sere  etc..  aber  ähe,  vater,  chrgel,  i  (jWe,  tölc  <  doln  etc. 

Schaffhausen  dehnt  den  vocal  in  offener  silbe  vielfach  vor 
liquiden  und  nasalen;   s.  Stick.  2,  §  13.  14  smehr  comp.,  hremj 

<  hreme,  spüdr  plur.  v.  s^nl,  fän>)  <  vane:  aber  verb.  spild,  nani.) 
•name',  ivdno  'wohnen'  etc.  —  Die  wenigen  fälle  wo  in  Brienz 
vor  inlautender  lenis  dehnung  eingetreten  ist,  lassen  sich  auf 
analogiewirkungen  oder  nlid.  einfluss  zurückführen;  s.  Schild 
1,  §  111  und  2,  377. 

Zahlreicher  sind  die  Verlängerungen  in  zweisilbigen  Avör- 
tern  in  Leerau  (canton  Aargau).  Hier  ^ird  ausser  vor  in- 
lautendem r  die  alte  kürze  gedehnt  vor  ii,  jedoch  nicht  immer: 
Hunz.  xcv.  vor  /  ausnahmsweise,  xcix,  und  \'or  m  nur  in  zwei 
fällen,  Lxxiii:  hräiiri  <  hrem  und  räiiic  <  rani.  Letzteres  ge- 
hört also  eigentlich  nicht  hierher,  da  es  sich  um  urspi'ünglich 
auslautendes  m  handelt  (s.  u.).  "Weiter  haben  in  L.  eine  anzahl 
nomina  und  verba  mit  inlautendem  //,  d,  h  und  auch  vereinzelt 
mit  s  länge  eines  vorhergehenden  a  und  e,  nur  ganz  selten 
eines  andern  vocals:  siüjc  "sagen*,  mager  (auch  mit  kurzem  «), 
lese  'lesen',  iväye  <  ivegen,  rehe  <  rebe,  uäse,  (jlöbe  <  (jeloben; 
in  den  flexionsformen  auf  st  und  t  der  verba  grabe,  lade,  .tage 
etc.  erscheint  der  vocal  wider  kurz;  s.  Hunz.  xxiv  ff. 

In  Galtür  ist  in  offener  silbe  mlid.  e  öfter  gedehnt:  fäderj 

<  vedere,  läs:j  <  lesen  etc.  Von  den  Yorarlberger  maa.,  'in 
denen  der  hochton  die  alte  kürze  nur  in  beschränktem  niasse 
zu  verdrängen  vermochte',  nimmt  der  Bi-egenzer  wähl  und 
besondei'S  dei-  Innerwald  desselben  eine  Sonderstellung  ein.  d;i 
er  die  unecliten  längen  in  bedeutendem  umfange  begünstigt; 
s.  Per.  36:  Idda  -.^  h(dn/,  /((dut  -^  li'bin   (regelmässig  ist  e  vev- 


DEHNUNG  DER  MHD,  KlTltZKN  STAMMSILPENVOCALE.  IP.O 

treten  (liircli  ca),  Jioso  <  hose,  liujol  "kug-er,  stüho  •stii1)e*  etc.;- 
aber  kurz  bleiben  legen,  scgen  "sagen'  {sega  im  Bregenzer  wald). 
zeUa  <  zeljan,  gegen,  kegel  u.  a. 

Anm.  Die  dehimng  des  nihd.  /  erstreckt  sicli  hier  iiocli  über  dfu 
uiiifiino:  der  delniung-  im  schriftdentscheii :  schräid  •scliritf .  schU'oz  'sclilitz', 
brt'ocht  'bricht',  fisch,  fieschier,  reriera:  ebenso  ro/, /-ö.s 'ross";  /v^cs 'besser". 

Das  Walserthal  duklet  wie  der  Innerwald  kui'zes  a  im 
allg-emeinen  fast  nur  da  wo  es  auch  nlid.  erhalten  ist.  ^Fon- 
tavon  dehnt  a  in  offener  silbe  ausser  vor  r  auch  vor  /:  .mia, 
niila,  aber  nicht  immer;  (hisselbe  gilt  für  den  A\'algau.  nur 
dass  hier  auch  e  regelmässig'  ha  wird:  seagas  <  segense,  auch 
vor  ch:  leacha  <  Wehen:  'ausnahmen  wie  epper  <  etiver  stehen 
jSfanz  vereinzelt  da.'  Im  Walgau  und  ^Fontavon  wird  "dann 
und  wann,  hier  und  da.  auch  in  anderen  Wörtern  mit  <i  länge 
gehört'  (s.  Per.  12.  anm.  4). 

§  4.  ¥'\\y  alle  die  schweizerischen  dialekte  welche  vocal- 
kürze  im  iiilaut  bewahrt  haben,  gilt  das  gesetz,  dass  in  ein- 
silbigen Substantiven  und  adjectiven  mit  stammauslautender 
nasaler  und  liciuider  lenis  der  vocal  gedelmt  wird  (^\'int.  ()8  (2j 
und  7<).  Blattn.  t3().  Hunz.  xxiv.  lxxiii.  Stick.  2,  410.  Birl.  47. 
Per.  10. 11  ff.;  s.  auch  Heusler.  ( 'onsonantismus  von  Baselstadt 
s.  14).  Es  ist  liierbei  gleichgiltig-,  ob  die  lenis  ursprünglich 
auslautete  oder  erst  durch  abstossung  eines  vocals  auslautend. 
geAvorden  ist  ( Wint.  82.  Hunz.  lxxiii).  Der  gedehnte  vocal 
behält  seine  (luantität  in  der  flexion  und  in  den  ableituiigen. 
Blattn.  hol  ■hohl*,  höli  f.;  hQg(h-  <  heger,  higm-g;  sUil,  aber 
ib'der,  sUil^:  Wiiit.  ßh  aber  fdixt:,  läm  'lahm',  lemi  (in  Leerau 
aber  der  comp.  lemer);  täl,  aber  pl.  teli;r., 

Anstatt  der  Verlängerung  des  vocals  tritt  in  einigen  Wör- 
tern verdopi)elung  der  li([uida  ein;  in  Kerenzen  xell  n.  "kehl- 
stück';  in  Toggenburg  auch  fdl  'viel',  tromm  <  ahd.  drum  "eiid- 
stück  des  fadens',  daneben  tröndl  dim.,  tdl  neben  Hl  ni.  <  ahd. 
ddo\  Wint.  69.  In  T.  haben  ferner  die  betonten  dative  imm, 
icemni.  drmtn  ihm,  wem,  dem,  kurzen  vocal  (^\'int.  70:  vgl. 
hierzu  Heusler,  Beiträge  zum  con.sonantismus  s.  13). 

\\'t'nn  auch  eine  fast  durchgehende  regelmässigkeit  in 
bezug  auf  das  bestehenbleiben  dei-  vocallänge  in  der  tl«'xi(tn 
herscht.  so  stösst  man  in  dei'  abh^itung  und  Zusammensetzung 
(IikIi  (itt  auf  w'diltoiint'ii  dif  d<')-  regcl  widcrspi-eflicii.    .Nanieiil- 


140  RITZE RT 

•licli  hat  sich  in  Zusammensetzungen,  deren  hestandteile  nicht 
mehr  klar  erkannt  werden,  die  alte  kürze  erhalten,  wo  sie 
dem  einfachen  worte  abhanden  g-ekommen  ist:  sar-tveyfdr  — 
aber  sär  'schar',  mw  —  aber  säme.  In  dieser  beziehung  ent- 
scheidet alter  und  herkunft;  vgl.  AVint.  68:  was  aus  der  zeit 
vor  der  delniung-  stammt  oder  mit  anlehnung  an  erhaltene 
kürzen  gebildet  ist.  hat  die  kürze  bewahrt;  was  von  bereits 
gedehnten  formen  gebildet  ist.  zeigt  die  dehnung;  ebenso  Blattn. 
68  und  69.  der  darauf  hinweist,  dass  analogiebildungen  und 
accentverhältnisse  —  auch  tonische:  es  kommt  darauf  an,  ob 
ein  wort  im  satzanfang  oder  aber  im  satzausgang  zu  stehen 
pflegt  in  jedem  einzelnen  falle  den  ausschlag  geben.  Für 
die  Schinznacher  ma.  kommt  zudem  der  einfluss  der  zur  deh- 
nung neigenden  F'ricktaler  ma.  in  betracht. 

In  Brienz  ist  vor  auslautender  sonorleiiis  hauptsächlich 
nur  a  gelängt,  doch  nicht  durchgängig;  dehnung  des  e  findet 
sich  sehr  selten  (Schild  1.85).  Tebrigens  tritt  diese  dehnung 
fast  nur  vor  auslautendem  r  ein  (Schild  2.  :>67.  :^70);  wenn  sich 
ganz  vereinzelte  fälle  vor  /  und  }i  finden,  so  beruhen  diese 
auf  nhd.  einflusse  (Schild  2,  366.  376).  Einzelne  ausnahmen 
kommen  überhaupt  an  jedem  orte  vor. 

In  der  (ialtürer  ma.  tritt  die  dehnung  in  einsilbigen  Wör- 
tern besonders  dann  ein.  wenn  der  stamm  auf  r  oder  l  schliesst. 

Auf  verbalformen  hat  das  gesetz  der  dehnung  vor  aus- 
lautender einfacher  liquider  oder  nasaler  lenis  keine  anwendung 
{Wmt.  69.  Hunz.  lxxiii.  xcvi.  c.  Stick.  2,  412.  413.  Blattn.  66). 
—  Da  in  Leerau  nach  Hunz.  cvii  auslautendes  r  in  betonter 
silbe  aber  'ausnahmslos'  dehnung  der  vorangegangenen  kürze 
bewirkt,  so  also  auch  in  diesen  formen. 

§  5.  Aus  der  neigung  der  alem.  ma.,  den  vocal  Aor  aus- 
lautender lenis  zu  dehnen,  erklärt  es  sich,  dass  in  einer  nicht 
grossen  anzahl  von  Avörtern  auch  alte  li([uide  und  nasale  fortis 
wie  lenis  behandelt  wird ;  s.  auch  §  2  am  schluss.  —  Diese  eigen- 
lieit  überträgt  sich  ebenfalls  auf  den  inlaut,  doch  nicht  immer: 
AMnt.  70.  76  fal  "fair,  fi,  pl. /c?fy;  stäiii,  \\\.  st(hn(r\  ma  •mann", 
aber  pl.  mannce;  st  in  l'oggenburg,  aber  »hin  in  Kerenzen  (vgl. 
ferner  Stick.  2,  385.  386.  Blattn.  67.  68.  Hunz.  xrv.  c.  cvii.  Birl. 
47.  59.  Schild  2.366.  370.  3,71).  —  Am  seltensten  wird  der  vocal 
vor  altem  mm  gelängt:   mit  der  dehnung  vor  nn  ist  schwiind 


UKllNlNCi    DEl!   MIID.   KITKZKN  S  TAMMSl  MJKNVOCAI.K.  111 

(lesisellu'U  verbiindtMi.  rbeiisd  wie  \ov  ciiilaclicin  ir.  die  kürze 
bleibt,  wenn  im  bleibt.  -  Dass  vor  inlautender  liquider  und 
nasaler  fortis.  parallel  zu  ;/■,  verläng-erung"  eintritt,  kommt  auch 
vor.  jedoch  sehr  selten:  vgl.  Hunz.  xcix  Idk  iallen'.  xcv  päne 
•bannen'.  Im  rechtsrheinischen  Alemannien  wei-den  die  alten 
//  (//)  in  den  sclnv.  verben  scharf  g-esprochen.  so  dass  r  alte 
kürze  zeigt:  sclidla  "schälen"  (Birl.  52). 

§  ().  Auch  Wörter  auf  andere  (als  li(|uide  und  nasale) 
einfache  lenis  dehnen  in  cinsinjigen  formen  den  staninivocal. 
Im  gegensatze  zu  J^  4  zeigen  sie  die  kürze  meist  in  den  mehi'- 
silbigen  tlexionsformen.  ferner  in  enger  Verbindung  mit  anderen 
Wörtern,  sei  es  in  Zusammensetzungen  oder  stereotypen  Wen- 
dungen. Die  dazu  gehörigen  ableitungen  haben  teils  kui'zen. 
teils  langen  vocal.  Beisidele:  (irah  \)\.  (/rrher:  stitid  \)\.  smid.)-^ 
.iU'ki  •klage",  aber  verb.  xJuij.i  (in  Schinznach  mit  langem  a) 
und  .diger  m.:  (jlds  j»l.  (/Icscr.  dim.  (/Ics/i:  I/o/',  dim.  Iiöfl/  (in 
Kerenzen  mit  langem  vocale)  etc. 

Für  die  Kiienzer  ma.  gilt,  was  Schild  1,  85  sagt:  'die  ma. 
gehölt  zu  der  kleinen  sprachsip])e.  welche  den  vocal  vor  aus- 
lautstellung  der  geräuschlenis  nicht  gedehnt  hat. 

In  Kerenzen  haben  mehrere  Wörter  auch  in  der  liexion 
gedehnten  \ocal  (Wint.  82).  In  Leerau  tritt  nach  Hunz.  xxiv 
ilann  dehnung  im  einsilbigen  worte  ein.  wenn  es  am  ende  des 
Satzes  steht  oder  doch  den  hauptaccent  im  satze  hat;  die  kürze 
erscheint  iiäutig"  ^^ider  beim  antritt  weiterer  silben  durch 
ziLsammensetzung.  ableitung  oder  flexion,  ja  schon  das  .y  im 
genitive.  —  In  Schaffhausen  finden  wir  diese  erscheinung  vor- 
zugsweise in  Wörtern  mit  a  und  c,  seltener  in  solchen  mit 
anderen  vocalen  und  zwar  durchgängig  nur  in  pausastellung 
des  Wortes,  während  im  Satzzusammenhänge  und  in  Zusammen- 
setzungen die  urspi-üngliche  quantität  erscheint  (.Stick.  2,  414 
— 41Gj.  —  In  der  Schinznacher  ma.  erleidet  unser  gesetz  vor 
explosiver  lenis  nur  sehr  wenige  ausnalimen.  dagegen  ist  vor 
sjdrantischer  lenis  die  dehnung  nur  in  wenigen  Wörtern  (an- 
getreten: hör  "hof"  etc.  (Biattn.  67.  GS). 

Im  \\'algau  und  be.sonders  in  Montavon  begegnet  eben ta  11s 
länge  in  einsilbigen  Wörtern,  wenngleich  nicht  allgemein,  da- 
gegen wider  die  küize  in  den  fällen  wie  oben  (Per.  10  f.).  I'ür 
das    leehtsrhein.  Alemannien    stellt    Hirl.  45.  52.  58.  ü^.  74   das 


1^2  UI'IZKUT 

g'esetz  auf,  dass  sich  in  eiii.silbigen  Avörtern  nur  selten  'spuren- 
weise' die  kürze  erhalten  hat;  vgl.  auch  Wrede,  Anz.fda.  22,324: 
einige  orte  am  nordwestrande  des  Bodensees  haben  kürze  in 
hof.  Ebenso  ist  nach  P'ischer  s.  19  die  formel  -  gegen  --^  :  i  saij 
aber  sägd  für  jene  gegend  gesichert.  Wenn  Fischer  s.  19,  anm.  1 
sagt,  dass  öfters  auch  sag,  häs  'hase'  angegeben  sei  und  ferner 
hinzusetzt:  'wie  weit  das  richtig  ist.  kann  ich  nicht  consta- 
tieren',  so  finden  wir  die  erklärung  bei  Stick.  2, 414 — 416  (s.  o.). 

Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  Stammheim  im  canton 
Zürich  bei  den  hierher  fallenden  Wörtern  durchweg  auch  in 
der  einsilbigen  form  die  alte  kürze  bewahrt  (^Mnt.  82). 

§  7.  Bis  jetzt  haben  wir  den  einfluss  auslautender  lenis 
auf  den  vorvocal  A'erfolgt,  der  für  die  hochalem.  maa.  klar  vor 
äugen  liegt.  Durch  ihn  werden  moderne  dehnungen  geschaffen, 
die  wir  als  ausnahmen  von  dem  hauptgesetze  zu  fassen  haben, 
dass  die  organischen  quantitätsverhältnisse  dort  noch  die  des 
ahd.  und  nilid.  sind.  ^\'eiterliiii  Avirken  aber  auch  gewisse 
consonantengruppen,  in  erster  linie  liquid-  und  nasal  Verbin- 
dungen, verlängernd  auf  den  vorhergehenden  vocal  ein. 

§  8.  Wir  wenden  uns  zunächst  zu  den  r  -  Verbindungen, 
deren  dehnender  eigenschaft  A\'ir  im  ganzen  gebiete  begegnen, 
fi^eilich  nicht  überall  im  gleichen  umfange.  In  der  Schinz- 
nacher  ma.  ist  die  dehnung  vor  r  -f  consonanz  'fast  immer' 
eingetreten;  s.  Blattn.  68,  der  auch  die  nicht  zahlreichen  aus- 
nahmen verzeichnet,  an  denen  alle  vocale  und  fast  alle  r- Ver- 
bindungen beteiligt  sind. 

Hunz.  cvi  und  cvii  unterscheidet,  ob  die  r- Verbindung  in- 
oder  auslautend  ist,  obwol  für  beide  fälle  die  regel  gilt,  dass 
der  vorvocal  häufig  gedehnt  wird,  fast  ebenso  häufig  aber 
nicht.  Im  einzelnen  gilt  für  Leerau  folgendes:  vor  in-  wie 
auslautendem  rcli  erscheint  nur  die  kürze  mit  ausnähme  von 
werch  <  werc\  vor  inlautendem  rtsch,  rsf,  rpf,  rdl,  rdn  und  rhl 
erscheinen  nur  lange,  vor  rsch  und  //"  nur  kurze  vocale;  vor 
anderen  r- Verbindungen  schwankt  die  quantität:  vor  auslauten- 
dem rg,  rst,  rz,  rsch  (seh  =  scharfes  seh),  rd,  rs,  rpf  gilt  nur 
länge,  vor  rn  unterbleibt  die  dehnung  mehrfach,  ebenso  in 
herpst,  und  schwankend  ist  die  quantität  vor  rt,  rh,  rm,  rf, 
rgg,  rsch.  Wo  in  folge  der  flexion,  ableitung  oder  Zusammen- 
setzung die  auf  r  +  cons.  auslautende  silbe  aufhört  die  letzte 


DEHNUNG  DER  MllD.  KlIKZEX  STAMMSlIiHENVOCAIiE.  143 

ZU  sein,  auch  in  altcMi  formelhaften  redensarten,  ersclieint  häufig 
wider  die  alte  kürze:  heni,  aber  henJöpfcl,  mrf,  aber  werter, 
schwärz  (auch  kurz),  aber  schwerser. 

In  der  Brienzer  nia.  Averden  mit  einziger  ausnähme  von 
)iiori/än  =  niane  o  und  ö  durcliweg  gelängt  (besonderes  cha- 
lakterisficum  der  ma.):  (i.  dessen  umlaut  ä,  sowie  e  sind  ge- 
dehnt worden,  ddcli  nicht  durchgängig:  ii  und  i  erfahren 
(higegen  \ov  r -Verbindungen  niemals  dehnung  (Schild  1,  85. 
2.371  ff.).  Nicht  ist  aber  gedehnt  der  vocal  vor  nc  (Schild  2,  373). 

Tn  Kerenzen  veranlasst  r  +  cons.  ' häutig'  dehnung  des 
voraufgehenden  kurzen  vocals  und  in  Toggenburg  noch  häufiger; 
so  bietet  T.  vor  rni  und  r»  durchaus  dehnung;  vgl.  Wint.  79: 
•dabei  gehören  die  beti'effeuden  dehnungen  in  T.  zu  der  kate- 
gorie  derjenigen  langvocale,  die  eben  den  ersten  schritt  über 
die  kürze  hinaus  zur  dehnung  getan  haben  und  nicht  immer 
leicht  von  dieser  zu  unterscheiden  sind."  'Manche  einzelfälle'. 
sagt  AVint.  80.  'welche  aber  wider  nicht  zu  andern  stimmen, 
legen  die  Vermutung  nahe,  dass  die  erhaltung  der  kürze  in 
den  betr.  fällen  durch  einen  frühern  hilfsvocal  zwischen  dem  >• 
und  dem  ihm  folgenden  consonanten  bedingt  gewesen  sei'  (s.o. 
i;  2).  Wint.  fühlt  .s.  81  auch  einige  fälle  an,  wo  r  vor  cons. 
geschwunden  ist;  von  diesen  hat  nur  ftph  'ferkel'  dehnung. 

Bei  der  dehnung  vor  r  +  cons.  kommen  in  Schaffhausen 
nach  Stick.  2,  380  ff.  abweichend  von  den  meisten  andern 
Schweizer  niaa.  nur  die  vocale  a,  h  (sei  dies  durch  umlaut  oder 
brechung  entstanden,  nicht  aber  r),  o  (nicht  aber  6)  und  dessen 
umlaut  ö  in  betiacht.  Ein  stiiktes  gesetz  über  diese  verlänge- 
i-ung  lässt  sicli  iiidit  feststellen;  doch  gilt  als  regel,  dass  der 
umlaut  in  ein  und  demselben  worte  die  gleiche  quantität  hat 
wie  sein  grund vocal,  abgesehen  V(m  dem  umlaut '  c  des  r/; 
lautet  a  in  r  um,  .so  hat  das  grund  wort  länge,  das  umgelautete 
küi'ze:  mrff' — .scyff'Ji:  Dasselbe  Verhältnis  waltet  beim  ablaut 
ob:  tar/f' —  för/fb.  Fast  durchgängig  werden  a,  h  vor  r  +  nasal 
gedehnt,  während  in  der  Verbindung  orn,  wo  die  meisten 
Schweizer  maa.  gedehnten  vocal  haben,  kürze  herscht;  doch 
lieisst  es  fsörn  "zonr,  möni  neben  mory.)  und  oniiün  "Ordnung". 
Auch  andere  consonanzen  bewiikcn  iji  verbhidung  mit  >•  deh- 
nung von  vocalen.  ohne  dass  sich  indes  gemeinsame  grui)i>en 
hei-ausfind^n    lassen.     Stick.    o-i],t  dcsliall)  a.a.O.  392  ff.    in  (M'- 


144  UlTZKKT 

maugeluiig  fester  g-esetze   in  tabelleii   ein  bilil  des  verhalten» 
der  vocale. 

Für  das  reclitsrliein.  Aleniannien  gilt  das  gesetz,  dass  a 
vor  ;•  +  cons.  regelmässig  verlängert  wird  (Birl.  47.  Fischer  21). 
Auch  andere  vocale  erscheinen  gedehnt,  aber  keineswegs  immer 
(Birl.  52.  53.  59.  60.  69.  76).  Häufig  fällt  y  aus:  hüt  'hurde', 
ivit  'wirf.  —  In  den  Vorarlberger  niaa.  zeigt  sich  das  be- 
streben den  vocal  zu  dehnen,  ^freilich  ohne  strenge  consequenz* 
(Per.  8.  11.  15.  21.  27.  29.  30).  In  betracht  kommen  hier  die 
\'erbindungen  rh,  rch,  rf\  rg,  rh,  rm,  rn,  rst,  rt,  rw,  rs.  Am 
weitesten  geht  auch  hier  der  Bregenzer  wald  (bes.  der  innere), 
in  welchem  r  regelmässig  schwindet  (Per.  11). 

Auch  für  die  Galtürer  ma.  gibt  Hauser  beispiele  mit  und 
ohne  dehnung;  das  material  ist  aber  nicht  umfangreich  genug, 
um  besondere  gruppen  zusammenstellen  zu  können. 

§  9.  Nunmehr  erörtere  ich  eine  dehnungserscheinung,  über 
die  Staub  bei  Frommann  7  gehandelt  liat  und  die  er  s.  377  in 
folgenden  worten  zusammenf asst :  'im  hochalem.  Sprachgebiete 
verschwindet  der  nasal  (w,  auch  m  und  w)  vor  den  siiiranten 
f,  s,  seh,  ch  und  ihren  verwanten  lauten,  immerhin  so,  dass 
die  vocalisierung  vor  der  gutturalspirans  ch  vorzugsweise  von 
den  sog.  burgundischen  Alemannen  (Bern,  Freiburg,  "Wallis 
und  teilw.  Bündten)  gepflegt  wird.  Dem  verschwinden  des 
nasals  ist  dehnung  des  vocals  durch  denselben  vorausgegangen 
und  zwar  Averden  a,  ä,  e,  e  hier  zu  a,  ä,  e,  dort  zu  au  und  ei. 
Auch  aus  i,  u,  ü  ersprossen  in  einem  beschränkten  geographi- 
schen gebiete,  in  dem  nordwestlichen  vierteile,  diphthonge; 
dagegen  hält  die  Gebirgsschweiz  namentlich  an  altertümlicher 
einfachlieit  fest.  In  einzelnen  maa.  sind  die  lautverhältnisse 
complicierter.  Unser  lautprocess  konnnt  nicht  in  activität 
vor  s  der  declination  und  nicht  in  den  nebensill)en;  in  der 
composition  nur  dann,  falls  diese  ihren  ursprünglichen  Cha- 
rakter aufgibt  und  den  schein  der  ableitung  annimmt.  Auch 
übt  später  eingeschobener  (unorganischer)  nasal  die  geschil- 
derte wii'kung  auf  den  vorangehenden  vocal  nicht  aus '  (s.  auch 
Wint.  73  (2)  und  123.  Schild  2,  378  ff.  Hunz.  lii  ff.).  Beispiele: 
häf  oder  häuf  'hanf,  pfist^r  oder  ])fcistp-  'fenstei*',  he.st  oder 
heist  'hengst',  triyän  'trinken'. 

In   der  stadtma.   des  cantons  Aargau  gilt   obiges  gesetz 


DEHNUNG  DKK  MIID.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  145 

nii'lit  (Blattn.  49).  —  Die  Leerauer  lua.  vciwandelt  die  gruppe 
-inif  regelmässig'  in  -umf:  feruantft. 

Für  (las  rechtsrlieiu.  Aleniannien  luit  unser  g-esetz  ebenfalls 
giltigkeit.  nur  fiiulen  wir  hier  den  gedehnten  vocal  nasaliert, 
während  die  Schweizer  niaa.  mit  ausnähme  von  Simmental, 
Inner-Klioden  mit  einem  teile  des  Eheintales  die  nasalierung 
nicht  kennen  (vgl.  Staub  '^m.  367.  Fischer  22.  Birl.  48.  59.  70. 
IVr.  8.  9. 17.22.31.  Hauser). 

Durch  diese  nasalierung  l)erilhrt  sich  das  rechtsrheinische 
Aleniannien  mit  dem  schwäbischen;  es  ist  aber  scharf  geschieden 
von  ihm  durch  den  umstand,  dass  ersteres  einfache  länge,  letz- 
teres aber  mit  ausnähme  des  NO  diphthongierung  hat.  Cha- 
rakteristisch ist.  dass  die  grenze  dieser  erscheinung  mit  der 
grenzlinie  füi'  sägen  (§  1)  im  selben  sinne  verläuft  (vgi.  Fischers 
karten  1  und  5).  Auch  hier  ist  Epfingen  am  oberen  Neckar 
der  nürdlicliste  punkt  für  die  einfache  alem.  länge;  von  hier 
zieht  die  grenze  einerseits  nach  kürzerem  rein  westlichen  ver- 
laufe nach  S^^'  und  andererseits  nach  SO.  Zwischen  Donau 
und  oberem  Schüssen  zeigen  die  einzelnen  beispiele  einzelne  ab- 
weichungen.  Erwähnt  sei  noch,  dass  die  grenzen  für  Icip  und 
zls  so  ZU  sagen  ganz  zusammenfallen,  abweichungen  von  wenigen 
kilometern  an  einzelnen  punkten  abgerechnet. 

Nach  Fischers  karte  5  können  wir  den  abschluss  unserer 
dehnungserscheinung  im  0  zum  grossen  teile  feststellen;  für 
sTs  läuft  die  grenze  bis  nahe  an  die  Hier  (südwestlich  von 
Kempten) ;  hier  bricht  sie  direct  nach  S  ab.  Für  die  übrigen 
beispiele  bildet  der  Lech  die  grenze;  östlich  von  ihm,  sein 
quellgebiet  bis  zu  dem  knie  abgerechnet,  von  welchem  ab  er 
nach  N  fliesst,  findet  sich  diese  Verlängerung  nicht. 

Eine  ausnähme  macht  im  rechtsrhein.  Aleniannien  a  vor 
n  +  spir.:  das  Kheintal  mit  Schaffhausen  (s.  auch  Stick.  2,  402), 
^'oral■lberg^  quellgebiet  von  Hier  und  Lech  haben  hierbei  nicht 
'ersatzdehnung',  dagegen  aber  der  Oberlauf  der  Loisach,  also 
ein  gebiet,  das  sich  am  oberlaufe  des  Lech,  quelle  ausgeschlossen, 
östlich  von  ihm  bis  an  die  obere  Isar  erstreckt. 

Ferner  findet  das  gesetz  in  Schaffhausen  keine  anwendung 
bei  c  vor  n  H-  spir.:  also  fenstdr,  und  ebenso  nicht  ^•or  n  + 
gutturaler  Spirans,  da  diese  nach  n  nicht  vorkommt  (Stick. 
2,402).     Dagegen    wird    hier   a  vor    }i  +  flexions-d-    gedehnt: 

Beiträge  zur  gcsohichte  dei  dcutuclieu  Spruche.     XXlIl.  lU 


146  RlTZERT 

/(7.S';  •kannst',  was  aber  neubildung-  zur  1.  sing-,  yä  sein  kann 
(Staub  a.a.o!347).  Nach  Stick.  2,  403  hat  Buch  im  schaft- 
liauserischen  Hegau  dehnung'  vor  ss\  tvüsso  'wünschen'. 

Aniu.  Für  die  Vorarlberger  maa.  sagt  Per.  11,  amn.  4:  'vor  s  ist 
Schwund  des  n  geAvöhuliclr:  Beispiele,  wo  es  nach  a  schwindet:  Icaht 
'kannst',  tCisa  'danse'  (=  milchbntte) ;  Häuser  gibt  freilich  die  form /«)(«/«■ 
neben  fßter  (/^nasales/).  In  Galtür  und  Vorarlberg  wird  k  im  gegen- 
satze  zu  Schaffhausen  aspiriert:  deicha  'denken'  (Per.),  Irkh.)  'trinke«' 
(Hauser). 

Ein  teil  des  seeg'ebietes,  nämlicli  am  Schüssen  bis  ober- 
halb Eavensburg-,  und  der  dem  Bodensee  nächstliegende  teil 
des  Ostens  (aber  Lindau  nicht)  hat  gongs  oder  gangs  'gans' 
(Fischer  karte  4.  Birl.  59).  In  Hittisau,  östlich  vom  Bodensee, 
erscheint  zings  'zins'.  ebenso  in  Ring-genweiler;  Albersfeld  hat 
hrnngst  'brunst'  (die  beiden  letzteren  orte  liegen  westlicli  von 
Ravensburg). 

Nach  Schild  2,  379  findet  sich  der  Schwund  des  nasals  vor 
guttiu-aler  spirans  nur  ganz  localisiert;  'er  vereinigt  maa. 
unter  sich,  die  nicht  nur  in  formeller  beziehung,  sondern  auch 
mit  rücksicht  auf  ihre  lexikalisclien  schätze  zu  einer  näheren 
verwantschaft  sich  zusammenschliessen.  Es  sind  dies  die  maa. 
des  südlichen  teils  des  cantons  Bern,  des  Wallis,  sowie  des 
Graubündnerlandes'.  Im  Lit.-bl.  10,  89  gibt  Schild  noch  die 
vereinzelten  orte  der  Schweiz  an,  wo  vor  gutturaler  spirans 
Schwund  des  nasals  statt  hat:  Davos,  Schanfiggthal.  liinteres 
Prättigau,  südlich  von  Cliur  in  Malix,  Ohurwalden  und  Parpan. 

§  10.  Im  anschlusse  hieran  betrachte  ich  nun  einige  fälle, 
wo  der  nasal  auch  vor  anderen  consonanten  als  der  spirans  sich 
vocalisiert. 

Im  Vorderwald  des  Bregenzerwaldes  (Hittisau)  verschwindet 
n  vor  (/,  t,  /.■  und  di  vor  pf;  der  vorhergehende  vocal  ^^'ird 
diphthongiert  (s.  Staub  380  und  das  genauere  bei  Per.  9. 18. 21): 
sau'd  'sand',  dcihi  'denken',  dci]>f(i  <C  ilcmpfen,  r/r/ h^)/' 'dampf. 
Nach  i  schwindet  n  gewöhnlich  nur  in  nd:  hlioud  'blind',  — 
Aus  dem  Berner  Oberland  g'sivld  'klug';  Staub  381. 

Im  Innerwald  hinter  den  Stieglen  (Schnepfau,  Au,  Schop- 
pernau)  wird  in  dieseu  Verbindungen  a  zu  du  gedehnt,  olnie 
dass  der  nasal  schwindet:  nidiotfol  'mantel',  ddunqjf  {Vt'vA't). 

Nach  Fiscliers  karte  4  schliesst  die  'eVsatzdehnung'  vor  k 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  147 

im  \  mit  Hittisau  ab.  Ein  weiteres  jo-ebiet  befindet  sich  in 
der  Baar  nnd  an  der  oberen  Donan  (Birl.  51.  70).  Das  nähere 
liieriiber  s.  u.  §  28.  Das  g-ebiet  zwischen  oberem  Neckar  nnd 
der  Donan  von  Tnttlingen  abwärts  liat  häd  'band'  wie  das 
scliwäbische  (Fischer,  karte  1). 

In  gewissen  gegenden  ist  u  vor  tv  vocalisiert  nnd  gedehnt, 
so  in  Lnzern:  Ihcl  <  Luvpl;  nm  Zni'zacli  bauert  <hanmvart\ 
im  canton  Züricli:  JIcueJ  <honnil  'Hohenwil'  (Staub  381). 

ij  11.  Dcdniung-  vor  l -\-  consonant  ündet  sich  nnr  in  be- 
grenztem nmfang-e.  Am  weitesten  verbreitet  ist  die  verlänge- 
rnng  vor  l  und  dentalverschluss.  Fischers  karte  20  hat  die 
beis])iele  hälä  und  hhälts  westlicli  vom  Bodensee  bis  über  die 
Thur  und  nördlicli  vom  Rhein  bis  zum  oberen  Neckar  (s.  auch 
Birl.  47.  Fischer  21  und  anm.2,  Meyer,  Schw.-schnlz.l42ff.  149 ff.). 
AVrede  gibt  im  Anz.  19, 102  für  sfih  an:  am  Bodensee  und  west- 
lich von  ihm. 

Für  die  Brienzer  nia.  (Schild  2,  366)  kommt  liauptsächlich 
a  und  dessen  umlaut  in  betracht.  In  Schaffhausen  gilt  dasselbe 
(docli  nur  für  umlaut  e,  nicht  für  e),  s.  Stick.  2,  387.  388:  ivälä 
und  pl.  weldor,  alt,  aber  comp,  eltdr;  Seh.  macht  scharfen  unter- 
schied zmschen  //,v  und  Is;  vor  letzterem  wird  a  (e)  nicht 
gedehnt. 

Anm.     In  Seh.  wird  a  auch  vor  hu  gedehnt:  Cdmöse. 

In  den  Yorarlberger  maa.  mit  ausnähme  vom  Walsertal, 
■\om  Innerwahl  vor  den  Stieglen  wird  a  vor  l  +  (7,  i,  ts  gedehnt, 
im  \\'algau  und  in  ]\fontavon  'freilich  ohne  strenge  consequenz'; 
im  Innerwald  wird  a  zu  au:  häuld,  scmh.  Galtür  dehnt  auch 
mild,  e  vor  l  +  verschlusslaut:  fäld  <  velt\  nach  Häuser  findet 
auch  vor  Ich  dehnung  statt:  hofcUcho,  mälclio  <  melken.  —  Im 
Vorderwald  schwindet  das  l  nach  allen  vocalen  in  den  Verbin- 
dungen /(/,  it.  h,  Avährend  der  vocal  diphthongiert  wird:  änt 
'alt',  .sclnneim  'schmelzen',  (joud  'gold',  hönzle  •hölzlein'  (Per. 
9. 16.  21.  28).  Vor  l  -\-  d,  z  :  (jold,  holz  wird  nach  Fischers  karte  1 
0  in  einem  gWisseren  gebiete  im  SO  des  Bodensees  gedehnt; 
im  AV  berührt  das  gebiet  nicht  den  liliein,  im  0  schliesst  es 
liier-  nnd  Lechquelle  noch  ein. 

Eine  ähnliche  erscheinung  findet  sich  in  der  Westschweiz 
zwischen  Keuss  und  .Iura.  Dort  wird  nämlich  /  vor  conso- 
nanten  (und  im  auslaut)  so  'gequetscht',  dass  es  einem  n-  ähn- 

10* 


148  RtTZERT 

lieh  Avircl  uiul  dadureli  dem  vorang-ehenden  vocale  eine  lialb 
diplitliongisclie  beimiscliung  verleiht  (Staub  384).  Die  Leeraiier 
lua.  bildet  nach  Hunz.  cii  in  dieser  hinsieht  den  Übergang 
zAvisehen  Ost-  und  Westsehweiz. 

§  12.  Nur  für  das  reehtsrheinisehe  Alemannien  gilt  die 
yoeal Verlängerung  vor  cht  und  clis. 

Dehnung  des  a  vor  cht  hat  der  0  und  X  des  Bodensees 
und  das  gebiet  zwisehen  Rhein  und  Donau  (Fisehers  karte  1 
und  Birl.  47).  Kurz  vor  dem  ausflusse  des  Rheins  aus  dem 
Bodensee  wendet  sieh  die  grenzlinie  Avestnordwestlieli.  so  dass 
ein  breiter  streifen  des  Rheintals  keine  dehnung  hat.  Der 
()stliehe  teil  des  gebiets  mit  voeallänge  hat  -at,  und  zwar  bildet 
eine  linie.  die  von  Tuttlingen  nach  S  auf  obige  linie  zieht, 
die  scheide;  von  Tuttlingen  zielit  die  linie  zur  Neckarquelle 
und  begleitet  dann  den  Neckar  bis  Ei)fingen.  von  wo  sie  nach 
SO  verläuft;  sie  überschreitet  die  Donau  einige  kilometer 
unterhalb  der  linie  für  my^),  lässt  am  Schüssen  nur  dessen 
quelle  frei  und  umfasst  den  Osten  des  Bodensees  in  einem 
bogen.  Ebenso  fällt  ch  nach  a  auf  dem  Schwarzwald  und 
Heuberg  aus  (Birl.  118).  Fast  ganz  mit  diesem  -a^- gebiete 
fällt  das  zusammen,  in  welchem  eh  nach  e  und  i  ausfällt, 
doch  erstreckt  sieh  auf  dem  linken  lllerufer  (die  liier  selbst 
nicht  berührend)  noch  ein  breiterer  streifen  nach  N  bis  west- 
lich von  I'nterdettingen.  Nach  Birl.  120  wird  alsdann  c  häufig 
di{)hthongiert  zu  ca\  für  l  vor  ausgefallenem  ch  gibt  schon 
Birl.  die  bestimnnmg  Aon  Schwarzwald  bis  Bregenzerwald 
(s.  120).  Das  gebiet  für  gedehntes  o  mit  ausfall  des  ch  ist 
räumlieh  begrenzter:  die  Avestgrenze  fällt  mit  -ät  zusammen, 
die  ostgrenze  bildet  der  Schüssen;  ferner  bleibt  die  nord-  wie 
südgrenze  teils  mehr  teils  \\'eniger  von  der  -«^- linie  entfernt 
(s.  auch  Birl.  74  und  121,  wo  freilich,  wie  oft,  die  genauere  be- 
stimmung'  fehlt).  "\'erläugerung  des  u  findet  sich  am  oberen 
Neckar  und  an  der  Donau.  Ton  Mühlingen  (südwestlieh  von 
Sigmaringen)  verläuft  die  grenzlinie  einerseits  rein  westlich 
zum  Schwarzwald  und  andererseits  südiistlieh  zum  Bodensee, 
den  sie  in  Sehnetzenhausen  berührt ;  hierauf  zieht  sie  auf  dem 
rechten  Schussenufer ,  ihn  selbst  nicht  berührend,  nach  N  bis 
zu  dessen  quelle  und  dann  zur  Hier,  die  sie  unterhalb  Inter- 
dettingen  trifft.    Zwei  bezirke  in  diesem  g'ebiete  haben  ausfali 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURiiEN  STAMMSILBEN VOC ALE.  149 

des  ch:  der  eine  zwischen  (»berem  Neckar  und  obei'er  Donau 
(greuzorte:  Eplingen,  Tuttlingen,  Irrendorf  a.  d.  Donau),  der 
andere  westlich  von  Eavensburg  (grenzorte:  Schnetzenhausen 
iin  S  und  KönigseggAvald  im  N);  s.  auch  Birl.  (58  und  121.  — 
l'^ür  den  Bregenzerwaki  bestätigt  Per.  22  die  vocaldelinung 
nach  ausfall  von  eh. 

^  1:>.  Dehnung  vor  ursprünglichem  hs  ist  durchaus  mit 
Schwund  der  gutturalspirans  verbunden.  Diese  erscheinung 
die  auch  der  ganze  S^^'  des  schwäbischen  hat  (Fischer  21), 
linden  wir  für  a  im  0  und  N  des  Bodensees  (Lindau  aber  aus- 
genonunen),  an  der  oberen  Donau  und  am  oberen  Neckar. 
l)ie  betr.  linie  wendet  sich  kurz  vor  dem  ausHusse  des  Klieins 
aus  dem  Hodensee  westnordwestlich,  so  dass  auch  hierbei  auf 
dem  rechten  l^heinufer  ein  breiter  streifen  ohne  Verlänge- 
rung bleibt. 

A\'ie  weit  auch  andere  Aocale  voi-  ausgefallener  guttural- 
spiraus  im  rechtsrheinischen  Alemannien  gedehnt  werden, 
vermag  ich  nicht  anzugeben:  nach  Fischers  karte  20  findet 
sich  dort  weder  o.v  'oclis'  noch  /hs  'büchse'.  Birlingers  angaben 
s.  120f.  sind  zu  unbestimmt:  er  bezeichnet  zwar  össnerin  'un- 
irächtige  kuh"  als  alemannisch,  bezeugt  aber  össnen  'nach  dem 
stier  begelu'en'  für  den  mittleren  Neckar,  also  schw^äbisch  (s.  u. 
§  20):  ausdrücklich  bemerkt  er  aber  s.  121:  'heute  ßs  »fuclis^^ 
nicht  mehr  bekannt";  ferner  sagt  er  s.  120:  'echt  alem.  wiussla'; 
ob  hier  länge  oder  kürze  gemeint  ist,  bleibt  unbestimmt. 

Für  den  Bregenzerwald  gilt  die  dehnung  auch  für  andere 
vocale:  häs  •büchse".  ilcsol  <  dehsel  'hacke*  (Per. 22);  für  Galtür 
sind  nur  belege  für  d  angegeben. 

i;  U.  Es  bleibt  nur  noch  übrig,  einige  einzelheiten  zu 
erwähnen. 

Wo  am  ende  eines  wortes  der  consonant  abfällt,  ist  Ver- 
längerung des  vorangehenden  vocals  eingetreten  (s.  o.  §  5:  mä, 
u-  un-  etc.);  besonders  kommt  dies  häufig  bei  ch  vor  (Birl.  124. 
Fischer  18.  19  und  karte  1.  Per.  11.  22.  28).  Der  osten  des 
Bodensees  vom  Schüssen  bis  zum  Lech  hat  länge  in  dach,  loch, 
das  gebiet  westlich  vom  Schüssen  mit  ausnähme  des  rechten 
ufcrs  kürze.  —  In  Leerau  fällt  ch  nicht  ab,  aber  trotzdem 
findet  .sich  öfter  dehnung  des  vocals  (Hunz.  xxxl  xxxiv.  xlii. 
XLVi.  IL.  cxvij:   tjmnch  u.,  aber  (/mach  adj.,  stich  'stich',  bUch 


150  RITZEKT 

u.  a.  Auch  ff'  erscheint  hier  'bisweilen'  zu  /  geschwäclit:  so 
scMf  neben  scliif  'schiff',  (frif  neben  griff  \\.  a.;  ferner  his  < 
gehis,  kröpfe  <  Jcrapfe,  bäs  <  ha^,  ris  <  rh.  Hunz.  lülirt  ausser- 
dem noch  das  eine  und  andere  wort  mit  dehnung  vor  doppel- 
consonanz  an;  auch  an  den  anderen  genannten  orten  finden 
sich  solche,  aber  immer  ganz  vereinzelt.  Es  würde  viel  zu 
weit  führen,  diese  einzelfälle  aufzuzählen;  dass  solche  überall 
vorkommen,  sei  ein  für  allemal  gesagt, 

2.   Niederalemannisch-elsässisch. 

Quellen:  0.  Heilig,  Zum  vocalismus  des  alemannischen  in  rler  ma. 
von  Forbach  im  Murgthal,  Alemannia  24,  17  ff.  —  K.  Heimburger,  (4ram- 
matische  darstellung  der  ma.  von  Ottenheim.  Beitr.  13,  211  ff.  —  Andr. 
Heusler,  Beitrag  ziim  consouantismuis  der  ma.  von  Baselstadt.  Freiburger 
diss.  1888.  —  Ed.  Hoffmann,  Der  mundartliche  vocalismus  von  Baselstadt. 
Baseler  diss.  1890.  —  W.  Kahl,  Ma.  und  Schriftsprache  im  Elsass.  Zabern 
1893.  —  J.  F.  Kräuter,  Untersuchungen  zur  Elässer  grammatik,  Alemannia 
5, 186  ff.  —  H.  Lienhart,  Die  ma.  des  mittleren  Zornthaies  (Zabern  bis 
Brumath),  Jahrbuch  für  gesch.,  spr.  u.  lit.  Els.-Lothr.  2,  112  ff.  3,  23  ff.  4, 18  ff. 
(Lienh.  1).  —  H.  Lienhart,  Laut-  und  flesionslehre  der  nia.  des  mittleren 
Zornthaies,  Alsat. Studien,  1. lieft.  Strassburg  1891  (Lienh.  2).  —  W.  Mankel. 
Die  ma.  des  Münsterthaies,  Strassb.  Studien  2, 113  ft'.  (M.  1).  —  W.  Mankel, 
Laut-  und  flexionslehre  der  ma.  des  Münsterthaies.  Strassburger  diss.  lSS(i 
(M.  2).  —  H.  Menges,  Volksma.  und  Volksschule  im  Elsass.  Grebweiler  1893. 

—  Charles  Schmidt,  Wörterbuch  der  Strassburger  ma.   Strassburg  1890. 

—  J.  Spieser,  Zillinger  sprachproben,  Jahrbuch  für  gesch.,  spr.  u.  lit.  Els.- 
Lothr.  5,  133  ff.  —  J.  Spieser,  Mundartl.  sprachproben,  aus  den  dörfern 
AViebersweiler  etc.,  ebda.  8,  143  ff.  —  J.  Spieser,  Sprichwörter  in  "Wald- 
hambacher  ma.,  ebda.  9,  93  ff'.  —  J.  Spieser,  Münsterthäler  sprachproben. 
Sprichwörter,  ebda.  2,  KlO  ff'.  0, 144  ff".  ^  J.  Spieser,  Münsterthäler  auek- 
doten,  ebda.  9,  87  ff",  lu,  243ff'.  —  Ad.  Sütt erlin,  Laut-  und  flexionslehre 
der  Strassburger  ma.  in  Arnolds  Plingstmontag,  Alsat.  Studien  2.  Strassburg 
1892.  —  K.  Weiuhold,  Alemannische  grammatik.    Berlin  1863. 

§  15.  Im  niederalemannisch-elsässischen  ist  im  allgemeinen 
vocaldehnung  in  offener  silbe  eingetreten  (Heusler ö7.  Hof fm.o(). 
Heimb.  228.  Lienh.  2,  25.  Mankel  2,25.  Sütt.  25.  Weinhold  §  115. 
120.  122).  Die  übrigen  oben  angeführten  arbeiten  bestätigen 
durch  ihre  beispiele  das  gesagte. 

Nach  Heusler  o7  hat  Baselland  diese  dehnung  gleichfalls 
mitgemacht. 

In  Baselstadt  sind  dieser  dehnung  einzelne  als  interjec- 
tionen  gebrauchte  wörtchen  wie   iq)ä  'acli  wasi",  j(^  lebhaftes 


DEHNUNG  DER  MIID.  KURZEN  STAMMSIL15ENV0CALE.  151 

•ja'  ontsanii'cii;  Hcusler  l^»7  sielit  die  Veranlassung-  liierzu  in  dem 
stets  mit  diesen  veibundenen  energischen  accent.  Dagegen 
erfälirt  der  vocal  in  icUhnd  "widmen',  höfiiiä  'Hoff mann'  etc. 
stets  delinung.  da  die  consonantengruiiite  (h)i,  fni  zur  folgenden 
gruppe  gezogen  Avird. 

§  IG.  Scheinbare  ausnahmen  Aon  unserem  gesetze  liegen 
bei  den  Wörtern  auf  -el,  -er,  -em,  -en  vor,  doch  lierscht  in  dieser 
liinsicht  keine  Übereinstimmung. 

Im  ganzen  gebiete  bleibt  die  kürze  in  den  Wörtern,  in 
Avelchen  n,  iii  vor  l,  r,  m,  u  stand:  hhnl,  semd  'schämen',  namo 
<  nauie,  flectiert  nanien.  Die  als  l,  r,  m,  n  gesprochenen  end- 
silben  konnten  bei  folgendem  vocal  in  der  flexion  und  im  Satz- 
zusammenhang als  nicht  silbenbildend  erscheinen,  wodurch 
der  stammhafte  sonorconsonant  vor  ihnen  in  silbenauslaut  zu 
stehen  kam  und  die  delinung  des  vocals,  da  in  geschlossener 
silbe  stehend,  unterblieb,  z.  b.  der  him{e)l  ist  <  him-l  iM. 
Hierher  gehören  auch  die  fälle  wie  tsimlüj,  nenil/g  etc.  (s. 
hierzu  Heusler  88.  39.  Heimb.  280). 

Anm.  lu  Baselstadt  wiirde  der  sonorconsonant  znr  fortis  (d.  i.  ge- 
dolint):  himml^;  'für  das  elsä.ssische  ist  jede  spätere  mitlanterdehnnug-  als 
luibewiesen  zu  betrachten'  (Kräuter  194). 

A\'ährend  in  Basel  bei  nicht  sonorem  stammauslaut  diese 
enduiigen  nie  (schärfung  zur  fortis  und)  erhaltung  der  kürze 
veranlassen,  so  dass  es  immer  (mit  lenis)  lautet:  fäcl)  <  vadcm, 
nagl,  ääfdld  und  auch  nicht  icidder,  troddel  etc.,  was  sich  ein- 
fach daraus  erklärt,  dass,  wenn  jene  endungen  consonantisch 
fungieren,  die  gruppen  dm,  gl,  fl  naturgemäss  zur  folgenden 
silbe  fallen  und  nicht  silbe  schliessen  (Heusler  39. 46),  ist  in 
Otteiihcim  auch  in  den  meisten  Wörtern  auf  -hcl  und  -her  die 
(lehnung  iiidit  eingetreten  (Heimb.  229.  280);  ferner  haben  hier, 
von  den  wintern  mit  <j  diejenigen  auf  -igel  :  -egl  kürze  be- 
wahrt; ausserdem  noch  icydr  'wider'  und  odr  'oder'. 

Aus  den  für  Forbach  (nahe  der  rheinfr.  grenze)  ge- 
gebenen beispielen  ergibt  sich,  dass  häufig  die  delinung  auch 
dann  unterblieben  ist,  wenn  der  stamm  ausser  auf  m,  n  auf 
media  oder  Spirans  ausgeht:  dsedl  "zetter,  fo(jl  und  pl.  fegl, 
/l?^Z>> 'feder',  efd  'öfen',  /iM55 'hosen'  u.v.a.;  doch  (/?t't'6o 'gläser', 
'(jreeicu  m.  'gräber',  schlaag.)  'schlagen',  scha-erfl  'schwefel'  u.  a. 
Auch    diese   fälle   finden   ihre   Pikläiung  darin,    dass    cimiial 


152  RITZERT 

doppelförmeii  mit  kürze  und  iMiiev  iieheneinauder  bestanden 
haben,  je  naclidem  die  endungen  /.  i\  m,  u  ihr  vocalisches 
elemeut  bewahrten  oder  niclit.  und  dass  bald  die  eine,  bald 
die  andere  durch  ausg-leichung  beseitigt  ist  (vgl.  Paul.  Reitr. 
9,118).  Hierher  gehören  auch  folgende  fälle  aus  Furbach: 
/«'mVi; 'könig'',  ZerfiZ; 'ledig'  u.a.,  deren  kürze  aus  den  synkopierten 
formen  der  obliquen  casus  stammt. 

Die  elsässischen  nuia.  zeigen  unter  allen  diesen  Verhält- 
nissen in  ausgedehntem  niasse  die  ursprüngliche  kürze  (Lienh. 
2.25.  Mankel2.2r>.  Sütt.  25.  30.  31.  Kahl  10. 11. 12.  Menges  18. 
Weinhold  §  115.  120).  Obwol  diese  fälle  sehr  zahlreich  vor- 
kommen, so  lässt  sich,  die  unten  (§  17.  18)  zu  besprechenden 
ausnahmen  hinzugerechnet,  doch  nicht  mit  Sütt.  25.  27  behaup- 
ten, dass  die  mhd.  quantitätsverhältnisse  im  allgemeinen  die- 
selben geblieben  und  vorkommende  dehnungen  als  ausnahmen 
zu  betrachten  seien  (s.  auch  Mankel  2.  25,). 

Auf  frühzeitige  vocalsynkope  in  sufhxen  und  tiexiimssilben 
gründet  sich  die  im  ganzen  gebiete  vorkommende  kürze  in 
folgenden  fällen: 

a)  jayd,  niac/d,  vogt,  ohst,  iitaf/samc,  (ehkndicn  etc.; 

b)  in  der  verl)alflexion  und  im  satzsandhi:  hcps,  -t  2.  und  3. 
pers.  praes,  zu  hßo  'halten',  JcejJt  part.  praet.;  Iie2)ti  'halte  dich', 
he^Js  'halte  es',  neben  hehmi  'halt  mich'  und  hrhm  'halt  ihn'; 
ebenso  de -rcts,  or  ref  zu  mb  'reden";  /  salfjr  'ich  sage  dir", 
aber  /  sägm  'ich  sage  ihm'  (Heusler  42);  ähnliche  belege  in 
den  übrigen  (luellen.  —  In  diesen  fällen  kann  freilich  auch 
kürzung  einer  secundären  länge  vorliegen.  —  Vm-  das  Münster- 
tal s.  Mankel  2,  31. 

§  17.  Im  alem.-els.  gebiete  ist  vor  altem  einfachen  f  die 
dehnung  nicht  eingetreten,  da  dasselbe  als  geminata  behandelt 
wird  (Heusler  46.  49.  Hoffm.  80.  Heimb.230.  Kahl  12.  Lienh. 
2, 28.  Mankel  2, 10. 11.  Sütt.  27,  30.  Ki-äuter  190).  Beispiele:  bot 
m.,  beten,  gebet,  ivatcn  etc.  Nach  Lienh.  2,  28  heisst  es  in  den 
evangelischen  orten  des  Zorntales  pätd  'beten',  in  den  katho- 
lischen pat9. 

In  den  maa.  des  Elsass  erstreckt  sich  obige  ausnähme 
häufig  auch  auf  Wörter  mit  d :  freto  <  vride,  ret  m.  'rüde',  wet 
<tvide,  ret  'rede'  u.  s.  f.;  in  Wiebersweiler  und  Waldhambaclr 
heisst  es  Met  'glied',  rat  'rad',  in  Rosteig  aber  klit,  rät.    In 


DEHNUNG  DEE  MIIO.  KURZEN  SrAMMSILBENVOCAT.E.  153 

anderen  wintern  ei'sclieint  die  reisvlivclilc  dehnnns":  so  haben 
z.  h.  im  Zorntal  die  auf  -ade,  -udcit  und  einige  auf  -id,  gen. 
-adcs  läng-e  des  A'ocals:  s6U  'schaden',  pföt  'pfad';  ebenso  in 
Strassburg,  Zillingen  und  im  ]\!ünst,ertal. 

Tm  niederalemannisclien  werden  Wörter  A\ie  rdd  <  rat 
nicht  \(in  obiger  ausnalimeregel  betroffen:  es  miiss  deshalb 
mit  Hoffm.  30  eine  verschiedene  ausspräche  des  /  in  mlid.  nd 
und  trit  angenommen  werden.') 

§  18.  a)  In  (h'U  elsässischen  iiiaa.  und  ebenso  in  Otten- 
heim  ist  ferner  die  kürze  eilialten  in  den  meisten  Wörtern  auf 
})(  und  n  (s.  die  Zusammenstellung  bei  Kahl  12:  launii  Mahnr 
etc.;  Lienh.  2. 26):  doch  heisst  es  allgemein  im  i^Isass  (.sfuii 
•zahnf  (Heimb.  230).  Auch  Basel  hat  kürze  in  /  nimm  u.  a, 
(Heusl.  38. 30).  Für  Forbach  gibt  Heilig  wem,  bin  <  haue 
•Speicher",  aber  (/room  'gram',  loom  'lahm'  (über  die  zwei- 
silbigen mit   ni  und  )i  s.  oben  §  IG). 

b)  In  folge  energischer  betonuug  ist  bisweih^n  die  kürze 
erhalten,  so  in  .m-ck  -weg'  <  cvAci.r  im  ganzen  gebiete;  für 
Basel  gilt  ferner  (jip  (nicht  imp.,  sondern  ausruf);  jo  tvoU  (be- 
kräftigender ausi'uf)  steht  sonstigem  ivol  gegenüber:  eine  Wir- 
kung des  verschiedenen  accents  (s.  hierzu  Heusl.  13.  23). 

c)  Die  genannten  Wörter  haben  keine  flectierten  formen 
neben  sich;  in  anderen  hat  die  ({uantität  der  unflectierten  form 
den  sieg  davongetragen  trotz  der  danebenstellenden  flectierten 
formen,  in  denen  der  stammvocal  in  offener  silbe  steht;  so  iu 
vil  'viel'  (Elsass),  r/ras  "gras'  (j\lünstertal,  Forbach),  sdiq) 
•Stube"  und  f/roj)  (P^lsass,  Forbach,  Ottenheim),  Iwf  (Elsass, 
Ottenlieim;  im  Elsass  findet  sich  südlich  des  48.  breitegrades 
einzelne  höf,  Wrede,  Anz.  2"2,  324),  se})  'sieb*  (Zorntal,  Strass- 
burg) und  einzelnen  andern.  —  Einige  mal  zeigt  sich  die  kürze 
selbst  in  den  flectierten  fennen;  so  heisst  es  in  Ottenheim 
sduwe  "Stuben",  (jroicr  'grober', 

§  10.  Ich  ei-iirtere  nunmehr  die  dehnungserscheinungen, 
die  durch  benachbarte  consonanten  verursacht  werden. 


')  Bisweilen  erscheineu  luiter  den  belegen  für  die  dehnung  in  offener 
«ilbe  die  einsilbigen  nominative,  in  denen  also  der  vocal  in  geschlossener 
silbe  steht  und  stand.  Es  ist  natürlich  daran  festzuhalten,  dass  in  diesen 
fällen  die  ausgleichung  nach  den  obliquen  casus  analog  dem  schriftsprach- 
lichen gebrauche  bereits  vollzogen  ist. 


154 


RITZERT 


Vocaldelineiideii  einfliuss  haben  im  niederaleiu.-els.  zunächst 
die  Verbindungen  >•  +  consonant.  Obenan  steht  Basel,  wo  vor 
r  +  consonant  ausnahmsk^s  längung-  eintritt  (Heusl.  41.  Hoffm. 
30).  —  Ottenheim  hat  delinung-  vor  r  +  t,  d,  z,  s,  sf:  Jißrt 
•hirt',  clürst  'durst'  etc.  Doch  konnnen  hier  auch  ausnahmen 
vor,  so  in  den  isolierten  formen  dert  'dort',  fiirt  -fort';  ferner 
in  hert  'hart',  .swards,  herds  'herz'.  Schwankungen,  wie  in 
Mrds  —  hirds,  ort  —  ort  u.  a.  schreibt  Heimb.  232  dem  einflusse 
der  schule  zu;  'es  zieht  die  ältere  generation  die  länge,  die 
jüngere  die  kürze  vor'.  Ferner  erscheint  in  0.  länge  vor  rl 
in  Karl,  erl,  fori:  also  mit  svarabhaktientwickelung  und  dem- 
gemäss  offener  silbe;  dagegen  aber  herl  -kerl":  ebenso  dri 
'arg'.  Vor  den  übrigen  r- Verbindungen  ist  in  0.  durchweg 
kürze  erhalten. 

Für  Forbach  sind  nur  wenige  belege  angegeben:  ivaadif 
'warten',  gaad.)  'garten",  auch  iveendilc  'Werktag'  (also  mit 
assimilation  des  A). 

Im  Zorntal  ist  vor  rt  und  gelegentlich  auch  vor  rs,  rst 
und  zwar  in  Wörtern  mit  mlid.  stannnvocal  a  und  ("  delinung 
eingetreten  (Lienh.  2,  26).  In  Zusammensetzungen  tritt  vielfach 
die  alte  kürze  Avider  ein:  ärt  'erde',  aber  aper  'erdbeere'. 
Sonstige  vocale  werden  vor  den  betreffenden  Verbindungen 
nicht  gedehnt:  Kert  {<^herte),  hert  'hirt'. 

In  den  Zillinger  (bei  Pfalzburg)  sprachproben  finde  ich 
einzelne  Wörter  auf  rm,  ru  mit  länge;  vor  rt  hat  nur  hart 
'herde"  delmung,  nicht  karte  'garten',  zart  etc.  Waldhambach 
hat  länge  des  a  und  e  vor  rt,  ferner  in  murld,  gern,  AMebers- 
weiler  auch  in  tsör  'zorn'.  Strassburg  hat  nach  Sütt.  29  und 
Ch.  Schmidt  dehimng  des  a  und  e  vor  r  +  t,  d:  wärt)  etc.; 
auch  drs  ist  angegeben. 

Im  grossen  und  ganzen  haben  also  die  Elsässer  maa.  a 
und  e  vor  r  +  t,  d  gelängt,  aber  nicht  conseqnent,  vereinzelt 
auch  vor  »■  und  ganz  vereinzelt  A'or  anderen  >-verbindungen. 

§  20.  a)  Dehnung  \ov  l  +  consonant  findet  sich  nach 
AA'rede  21,  275  (idtc)  vereinzelt  im  Klsass.  Nach  meinen  quellen 
ist  dieselbe  nur  für  das  Münsiertal  (Mankel  2,  38)  und  für 
das  Zorntal  in  pal  <  halde  und  häl  <  haldc  (Lienh.  2,  37)  an- 
gegeben. Im  ^lünstertal  fällt  in  den  Ortschaften  ]\rülilbach. 
Bi'eitenbach,  Metzeral   und  Sandernach  in  der  Verbindung  l 


DEHNUNG  DER  MIID.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  155 

und  ebenso  ni.  ii  +  versclilusslaut  dieser  ab  und  die  urs})riing-lich 
kurzen  vocale  werden  diplitliongiert.  Dieser  vorg-ang-  tritt  in 
der  regel  nur  dann  ein,  Avenn  l  -\-  versclilusslaut  im  inlaut 
stehen:  liuil  <  hcddc,  iceil  <  wilde  (eine  ausnähme  maclit  fad 
'fehl');  päin  'bände',  Jihimjr  <  kumher,  ichin  •  wunde'. 

b)  Ebenfalls  auf  das  Münstertal  ist  die  erscheinung  be- 
schränkt, dass  vor  nasal  -f  spirans  vocaldehnung-  mit  Schwund 
des  ersteren  eintritt  (Mankel  2,  37.  38):  räi'f  'ranft',  fai'^tor 
•fenster',  «-«Vr*  Svunsclr .  —  Auch  die  Spieserschen  sprachi^roben 
des  ^lünstertales  bieten  belege  für  diese  erscheinung-;  nach 
denselben  wird  in  Mühlbach  der  vocal  vor  den  genannten 
consonantengTuppen  wol  gedehnt,  aber  meistens,  namentlich  a, 
nicht  diphthongiert. 

§  21.  Vor  ursprüngliclier  liquid-  und  nasalgeminata  ist 
in  folgenden  fällen  vocaldehnung  erfolgt: 

a)  Vor  )■)■  ist  in  Basel  regelmässig-  der  vocal  gelängt 
(Heusl.  41.  Hoffm.  30):  iiar  'narr',  dir  "dürr'. 

b)  Ferner  ist  in  Basel  in  ein  paar  vereinzelten  fällen  vor 
auslautendem  U  delmung  eingetreten:  fal  'fall'  (pl.  frl.  aber 
faU>));  stäl  'stall',  doch  auch  dim.  s^li  u.a.  —  Ottenheim  hat 
!jn-räl,  das  auch  für  Basel  und  Elsass  gilt.  Das  Münstertal 
liat  liicäl  'wallen'  =  sieden  machen,  Strassburg  baal  (frz.  h 
h(d)  und  wmd  'festungswair  (aber  baUc  'spielball',  tvcdl  "auf- 
wallen des  Wassers 'j.  Für  das  Zorntal  bezeugt  Lienh.  2,  7 
dehnung  in  all. 

c)  Für  Ottenheim  finde  ich  vor  mm  aus  mhd.  mh  in  einigen 
fällen  dehnung  bezeugt:  ijmds  <  imhiz,  ßm  <  imhe  u.  a.;  in  an- 
deren ist  kürze  erhalten:  dum  <  tumji,  dsijmr-  <  simhcr-  etc. 
(Heimb.  230.  i^  (31).  —  Für  das  Münstertal  s.  oben  §  20,  a. 

d)  Vor  auslautendem  un  ist  in  einem  teile  des'niederale- 
mannisclien  dehnung  eingetreten  (Heusl.  15  und  A\'rede,  Anz. 
10.201:  mann).  Für  Basel  betrifft  dies  die  Wörter  mä  'mann', 
aber  pl.  mi^nnor;  Jcä  'kann',  dazu  auch  2.pers.  //«.v.v;  hau  'bann'. 
\'on  letzterem  abgesehen  schwindet  also  nu  und  der  vocal 
(nur«';:')  tritt  in  offene  silbe.  AVrede  gibt  a.a.O.  die  grenz- 
linie  für  den  abfall  des  nn  in  mann,  mit  welchem  'in  der  regel 
delmung  iWii  stammvocals  verbunden  ist'.  Die  hauptorte  dieser 
linie  sind:  Hiiningen,  Lörrach,  Schönau,  Todtnau  (Fi-eiburg), 
Völii'enltacli,     Ti-iberg,     Hornberg,    Hausach,     Freudenstadt, 


156  EITZERT 

Leoiiberg',  Bömiighfim.  Boltwar,  Munliardt.  Biu-lieii  und  dann 
die  grenze  des  ostfränkisclien.  Das  gel)iet  im  SO  diesei-  linie 
hat  Yocaldehnung-. 

i^  22.  Delmung  vor  urspriingliclieni  Itt  und  hs.  a)  Mit 
ausnalinie  von  Basel  findet  sieh  an  allen  o])en  angeführten 
orten  dehnung-  vor  ursprüng-licheni  ht ,  aher  in  verschiedenem 
umfanu-.  Ottenheim  hat  bei  allen  vocalen  dehnung,  einzelne 
frenRhv(>rter  ausgenommen  wie  h rächt  -pracht',  imcht,  (echt 
(doch  daneben  auch  (echt,  Heirab.  231).  P'iir  Forbach  sind  naacht 
und  (jneqct  'kneclit'  (c  =  palat.  ch)  gegeben. 

im  Zorntal  zeigt  sich  nach  Lienli.  2,  29  vor  cht  dehnung 
des  a  und  e\  äyjt  num.  card.,  fäxt^  <  vehtcn\  neben  rcxtd  "richten' 
kommt  auch  rcyh)  vor.  —  Das  Miinstertal  kennt  ausserdem 
auch  dehnung  des  u:  früxt  -fi-ucht'  (Mankel2,  25.  37).  —  Strass- 
burg  hat  ausser  a  und  e  auch  o  gedehnt:  cJoochder  'tocliter'; 
dazu  \)\.  (Iccchder  und  dim.  dcechdcrle  (vSütt.  29).  —  Ferner 
geben  die  sprachproben  Spiesers  beispiele  dieser  art;  in  Hirscli- 
land  sind  die  formen  ndt  'nacht'  und  hni'ä  'knecht'  veraltet; 
dort  wird  jetzt  kürze  gesprochen:  in  nacht  hat  auch  Rosteig 
kurzen  vocal. 

A\'as  speciell  die  dehnung  des  c  vor  ht  betrifft,  so  ist 
hiermit  zu  vergleichen,  was  Wrede  im  Anz.  19, 162  unter  rechte 
sagt:  'im  nördlichen  und  mittleren  Elsass  ist  dehnung  desselben 
häufig'. 

b)  Vor  ursprünglichem  hs  hat  in  manchen  fällen  a  dehnung 
erfahren.  wol)ei  die  gutturalsi)irans  geschwunden  ist.  Wrede 
gibt  im  Anz.  21,  2()1  unter  uHichscn  für  diese  erscheinung  die 
geographische  begrenzung.  Zunächst  hat  das  gebiet,  das  süd- 
östlich folgender  linie  liegt,  vocaldelnning:  Thengen,  Löffingen. 
Neustadt,  (Freiburg),  Elzacli,  Schiltach,  (Wolf ach),  obere  Murg; 
ferner  haben  drei  orte  zwischen  Rastatt  und  Seltz  gedehntes  a 
in  ivachscn,  dann  die  gegend  inmitten  Bischweiler,  Hagenau. 
Ingweiler,  Zabern,  Maursmünster,  A\'asselnheim.  Molsheim, 
Mutzig,  Rosheim,  Ob.-Ehnheim,  Erstein,  Strassburg,  Kehl, 
Renchen,  Achern,  die  aber  alle  ausserhalb  des  gebiets  bleiben, 
und  endlich  fünf  orte  westlich  von  Münster.  S.  hierzu  auch 
Lienh.  2,  23  für  das  Zorntal  und  Mankel  2,  26  für  das 
Münstertal. 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.         157 

3.   Sclnväbiscli. 

Quelle:  Teber  ilie  (lelniiuis'serscheinungen  iiu  scinväbischoii  haben  wir 
jetzt  eine  zusaimnonfosseiulo  darstelluiio-  in  H.  Fischers  (leographie  iler 
selnväbijicheu  nia.  mit  atlas  von  28  karten.  Tül)in<ien  lS9ö.  Fischer  behan- 
delt unser  theiua  in  den  §  13 — 17;  in  l)etracht  kommen  die  karten  1.  4.  5. 
(i.  IS.  20.  23.  —  In  erster  linie  fnssen  Fischers  resultate  auf  dem  materiale 
von  frag-ebügen  aus  gegen  anderthalbtauseud  Ortschaften;  andererseits  sind 
auch  die  arbeiten  anderer  herbeigezogen,  so  Schmellers  Maa.  des  könig- 
leichs  Bayern,  "Weinholds  grammatiken,  Kauffmauns  Geschichte  d.  schwäb. 
ma.,  Bohnenbcrgers  Gesch.  der  schAväb.  ma.  im  15.  Jh.,  Bojips  Vocalisraus 
des  schwäb.  in  der  ma.  von  Münsingen.  "Wagners  GegeuAv.  lautbestand  des 
Schwab,  in  der  ma.  von  Kcutlingeu,  und  ^\'red{'S  Berichte  über  den  Sprach- 
atlas. Pas  gel)iet  ist  so  weit  gewählt,  Mass  es  übei-  das,  was  heutzutage, 
auch  im  weitesten  sinne,  schwäbisch  genannt  wird,  nach  allen  selten  hinaus- 
reicht":  zugleich  sollte  für  das  jetzige  Württemberg  eine  vollständige 
Sprachgeographie  gegeben  werden.  Wir  finden  deshalb  ausser  Württemberg 
(und  Hohenzolleru)  aucli  die  angrenzenden  teile  Baierns,  Badens,  der 
Schweiz  und  Vorarlbei'gs  in  den  kreis  der  betrachtung  gezogen. 

Auf  diese  weise  hat  Fischer  einen  grossen  teil  des  ostfräukischen  mit 
behandelt,  nämlich  dessen  ganzen  S^^':  das  hohenhdiische  am  Kocher  und 
Jagst,  den  Taubergrund  und  das  ansbachische  am  oberlaute  der  Wörnitz, 
Altmühl  und  fränk.  Eezat  und  den  südwestlichen  teil  des  oberijfälzisehen 
an  der  mittleren  Altmühl;  ferner  das  ganze  nordostalemannische  (nördlich 
und  östlich  vom  Bodeusee);  weiter  vom  rlieinfränkischen  die  maa.  an  der 
Enz  und  am  Neckar  von  der  mündung  der  Enz  bis  zu  der  von  Kochei'  und 
Jagst:  schliesslich  den  westlichen  streifen  des  bairischen. 

Die  ergebnisse  von  Fi.schers  arbeit  verwerte  ich  bei  der  besprechung 
der  einzelnen  dialektc.  Was  das  eigentlich  schwäbische  betrifft,  so  gelten 
dafür  die  folgenden  gesetze  (ich  führe  sie  der  Vollständigkeit  halber  an; 
im  einzelneu  verweise  ich  auf  den  atlas). 

§  23.  "Vor  einfacher  coiisouaiiz  ist  im  allgemeinen  ver- 
läugerung  eingetreten  (F.  §  13).  A^reinzelte  ausnahmen  kommen 
local  beschränkt  oder  allgemeiner  vor:  tveg  'fort'  neben  ive£_ 
•via';  himl  'himmel'  (im  SW;  vgl.  Kauffmann,  Gesch.  d,  seh w. 
ma.  s.  158),  anderswo  html;  besonders  vor  t:  bot  'böte',  r/of  'gott' 
((istlich  yöf),  fatdr  (im  NO  fätdr),  Iota  'geboten'.  Bohnenberger 
fügt  Alem.  24,  28  zu  dieser  hauptsächlichsten  ausnähme  vor  t 
noch  secundär  entstandenes  ph  <  h  -\-  h  (dem  an  dieser  stelle 
ausgesprochenen  wünsche  B.'s  nach  einer  karte  über  die  gebiete 
mit  kürze  bez.  länge  vor  t  schliesse  ich  mich  ganz  an).  Con- 
sequent  ist  die  Verlängerung  eingetreten,  wo  ein  von  haus  aus 
oder   später   einsilbiges   wort   zufolge  abfalls   consunantischeu 


158  RITZERT 

auslauts  vocaliscli  endig-t:  ä  *ab',  sä  'sage'  (dasselbe  gilt  auch 
bei  abfall  von  doppelter  consonanz). 

'Wo  nun  innerhalb  eines  paradigmas  ein-  und  mehrsilbig-e 
form  wechseln,  ist  gleichheit  beider  eingetreten:  sag,  stu/d, 
bot,  hötd. 

Fischer  erklärt  die  ent stehung  der  'aus  dem  NO  g-ekom- 
menen'  dehnung  vor  einfacher  consonanz  in  den  zweisilbigen 
formen  durch  Übertragung  aus  den  einsilbigen:  in  diesen  sei 
im  ganzen  gebiete  zuerst  Verlängerung  alter  kürze  erfolgt 
(im  NO  des  gebiets  —  da  näher  dem  Ursprung  —  auch  vor 
doppelter  consonanz;  s.  unten  §  25).  Glegen  diese  annähme 
müssen  wir  front  machen:  die  dehnung  ist  vielmehr  zuerst  in 
zweisilbigen  Wörtern  (mit  obigen  ausnahmen)  eingetreten,  in 
denen  der  vocal  in  ungedeckter  silbe  stand,  und  aus  diesen 
ist  sie  auf  die  einsilbigen  übergegangen.  Es  ist  keineswegs 
mit  F.  annehmbar,  dass  die  für  das  alemannische  giltige  deh- 
nung einsilbiger  Wörter  mit  auslautender  lenis  und  die  unten 
zu  besprechende  dehnung  einsilbiger  Wörter  mit  doppelconso- 
nanz  im  NO  des  schwäbischen  unter  einen  hut  gebracht  werden 
können.  Dort  haben  wir  den  klar  vor  äugen  liegenden  einfluss 
der  folgenden  bestimmten  einfachen  consonanz,  hier  Verlänge- 
rung vor  jeglicher  doppelconsonanz,  zwischen  beiden  aber  ein 
breites  gebiet,  in  dem  alt  einsilbiges  wort  vor  doppelconsonanz 
die  kürze  bewahrt,  einige  wenige  ausnahmen  abgerechnet. 
Von  der  Wirkung  eines  einheitlichen  gesetzes  kann  somit  hier 
absolut  keine  rede  sein  (s.  hierzu  Bohnenberger,  Alem.  24,  29  f., 
der  derselben  ansieht  ist). 

Die  grenze  für  die  nordostalemannische  formel  -  gegen  ^^ : 
i  säg,  aber  sdgo,  ist  in  §  1  gegeben;  weiter  nach  N  erstreckt 
sich  das  gebiet  von  tsch;  'zählen',  'so  dass  es  sich  fragen  kniiii. 
ob  hier  nicht  die  kürze  aus  altem  icllcii  abzuleiten  sei";  mir 
erscheint  dies  als  das  einzig  mögliche  (s.  auch  Heusler,  Con- 
sonantismus  etc.  39).  Die  grenze  für  tselo  geht  von  der  oberen 
Kinzig  über  Ostdorf  in  südöstlichri'  richtung  an  Sigmaringen 
vorbei,  hierauf  in  ziemlich  östliclier  lichtung  bis  l'nterdettingen 
an  der  Hier,  dann  nach  S  bis  über  Memmingen,  worauf  sie 
bald  ostwärts  bis  zum  Lech  verläuft. 

§  24.  a)  'Tor  doppelter  consonanz  ist  alt-  oder  neu-ein- 
silbiges wort  lang  geworden,  sobald  der  consunantisclK^  nuslauv 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  159 

abgefallen  ist:  mä  •manu*,  da  'dach'  (aber  dax,  wo  x  erhalten 
ist)'  (F.  §  14);  ebenso  bei  dem  südlichen  pl.  mä,  wä  <  altem 
pl.  man.  —  Die  Verlängerung  musste  in  diesen  fällen  eintreten, 
da  der  vocal  in  offene  silbe  zu  stehen  kam;  principiell  gehört 
deshalb  diese  erscheinung  zu  dem  vorhergehenden  paragi-aphen. 
Ueber  das  gebiet  des  abfalls  von  -mi  im  schwäb.  s.  §  21,  c. 

b)  'Sonst  ist  bei  alt-einsilbiger  form  kürze  im  SW,  länge 
im  XO  des  gebiets,  so  dass  im  SAV  das  ganze  paradigma 
kürze,  im  NO  gesetzmässigen  Wechsel  hat:  SW  Jcöjjf,  köpf, 
XO  l^opf,  l'opf,  auch  nom.  löj)/',  dat.  löpf  <  Iwpfc'  Die  ein- 
zelnen Paradigmen  haben  wol  abweichungen  im  verlaufe  ihrer 
grenzen,  doch  sind  dieselben  so  gering,  dass  die  einheit  des 
gesetzes  erkannt  werden  kann.  Die  grenze  läuft  von  N  her 
kommend  ca.  10 — 15  kilometer  östlich  vom  Neckar  in  südlicher 
richtung  über  Jagst,  Kocher,  Rems  und  Fils  bis  Bissingen, 
dann  in  süd(»stlicher  richtung  die  Donau  etwas  oberhalb  lim 
überschreitend  und  auf  ca.  80  kilometer  der  Hier  entlang  bis 
Unterdettingen,  hierauf  nach  0  bis  zur  Wertach  und  dann 
südöstlich  über  den  Lech.  ]\rit  dieser  linie  stimmen  auch  'dach' 
und  "loch',  nur  dass  im  S  durch  ansfall  des  ch  notwendig  Ver- 
längerung eingetreten  ist;  auch  "gold'  und  'holz'  stimmen, 
ausser  im  S.  —  Nach  F.  beAvahrt  der  dativ  liopf  die  kürze; 
leider  fehlt  die  angäbe,  wie  weit  sich  diese  erhaltung  der 
kürze  trotz  apokope  des  endungs-e  erstreckt;  für  die  dative 
tisch,  hiß  (überwiegend)  und  feld  wenigstens  gilt  auch  im 
schwäbischen  NO  vocaldehnung  (Wrede,  Anz.22,325. 19,278.285). 

Zwischen  einer  linie,  die  im  grossen  und  ganzen  zu  der 
von  köpf  stimmt,  einerseits  und  Altmiihl,  Lech,  Ammersee  und 
oberer  Ammer  andererseits  ist  in  den  Wörtern  mit  r  +  nasal: 
-ni,  -rni,  auch  -Im  svarabhakti  eingetreten  und  der  auslautende 
nasal  abgefallen,  ich  stelle  diese  fälle  hierher,  (hi  die  alt- 
zweisilbigen formen  kurz  sind:  hörntr,  arm.  Fischer  hält  den 
Zusammenhang  für  zweifelhaft.  Freilich  könnte  es  nahe  liegen, 
die  länge  in  ivurd  <  tcuiiH  aus  der  zweisilbigkeit  zu  erklären, 
wodurch  die  tonsilbe  eine  offene  \\urde.  Da  aber  an  der  Rezat 
und  mittleren  Altmülil  (vgl.  §  45)  die  altzweisilbigen  formen 
trotz  svarabhakti  kurz  geblieben  sind,  im  gegensatze  zu  den 
alteinsilbigen,  .so  möchte  ich  annehmen,  dass  —  wie  dort  — 
auch    in   unserem  falle    die  alte  foniiel   irnrm  :  triirm.i  vorliegt 


160  UITZERT 

und   dass    !>icli    erst   nach   entwickelung  dieses   Unterschiedes 
ivürm  >  ivürd  gebildet  hat. 

§  25.  Principiell  wie  bei  lupf :  löpf  liegt  der  fall  in  den 
Wörtern  auf  nä  und  cht  (s.  F.  19  und  karte  1);  auch  hier  sind 
die  altzweisilbigen  formen  kurz,  also  häd  {händ),  aber  heml 
(was  im  NO  und  in  der  mitte  auch  für  nom.  und  acc.  mit- 
g-ebraucht  ist),  icTd  (tcind)  :  tvhid;  nacht  {ndt),  frücht  (frnt). 
Aber  wir  finden  ein  viel  grösseres  verbi'eitungsgebiet  als  dort; 
'die  gTOSse  abweichung  kann  nnr  auf  rechnung  der  consonanz 
kommen'. 

Das  gebiet  dieser  dehnungserscheinung  ist  folgendes: 
ausser  dem  0  der  Knie  Löj^f :  löpf  hat  ganz  Württemberg  länge 
in  liäd  (lidud)  mit  ausnähme  der  maa.  an  der  Enz  und  auf 
beiden  ufern  des  Neckars  von  Pleidelsheim  abwärts;  kürze 
findet  sich  ausserdem  im  SAV  an  dem  oberlaufe  der  Kinzig 
und  Donau  bis  Tuttlingen.  Auf  dem  rechten  ufer  der  letz- 
teren besteht  ein  grösserer  dehnungsbezirk:  von  Riedlingen 
an  der  Donau  läuft  die  betr.  Knie  südöstlich  bis  Hummerts- 
ried  und  dann  nördlich  bis  zur  Hier.  —  An  der  Verlängerung 
ivTd  {ivtnd)  nehmen  nicht  teil  die  maa.  an  der  Enz  und  am 
unteren  Neckar,  an  der  Nagold,  am  oberlaufe  des  Neckars 
(bis  einige  kilometer  oberhalb  Tübingen)  und  der  Donau  bis 
Zwiefaltendorf ;  auf  dem  rechten  ufer  derselben  findet  sich  hier 
nur  ein  kleines  gebiet  mit  vocallänge.  —  Die  grenzlinie  für 
hitd  {hnnd)  entfernt  sich  nicht  erheblich  von  der  linie  köpf  : 
köpf;  sie  berührt  nur  zweimal  den  Neckar  ohne  ihn  zu  über- 
schreiten (vgl.  hierzu  auch  Wrede,  Anz.  19, 104  p>fund,  107  kund, 
111  lind). 

In  nacht  dehnen  die  maa.  am  unteren  Neckar  nicht  (bei 
frucht  schon  von  der  Remsmündung  ab  nicht)  und  ein  gebiet 
von  grösserem  umfange  auf  beiden  ufern  der  Hier  bis  Unter- 
dettingen:  sonst  das  ganze  schw^äbische.  Die  linie  für  friiclil 
(früt)  geht  nicht  so  weit  südlich  als  die  für  nacht,  welche  den 
ganzen  0  des  Bodensees  umfasst,  ohne  jedoch  bis  zur  Hier  zu 
gehen  (vgl.  oben  §  12). 

§  26.  'Ein  einfluss  von  Verbindungen  r  -\-  dental  auf  Ver- 
längerung des  vorausgehenden  vocals  ist  zwar  nicht  zu  leugnen, 
aber  auch  nicht  gesetzmässig  zu  fassen.  Nur  a  wird  hier  regel- 
mässig verlängert:  bdrt,  Ichüftj,  ijaru'  (s.  F.  20  und  karte  18). 


DEHNUNG  DER  MHl).  KURZEN  S  TAMMSILBKNVOCALE.    161 

Verla n;2:enuip-  vor  r  +  dental  ohne  unterschied  zwischen 
ein-  und  zweisilbiger  form  zeigt  das  grosse  hauptgebiet  mit 
ausnähme  des  oberen  Neckars  (bis  Irslingen),  der  oberen  Donau 
(bis  Irrendorf)  und  eines  gebietes,  das  sich  in  einer  breite  von 
ca.  oO — 45  kilometern  im  N^^'  von  Ulm  bis  zur  Rems  erstreckt: 
ivirt,  Mrsclu  schürz.  Im  S  der  Donau,  von  Sigmaringen  bis 
Donaustetten  auch  auf  ihrem  linken  ufer,  also  an  Schüssen, 
Hier,  "S^'ertach  und  Lech,  findet  sich  die  svarabhaktiform  wi9rt, 
die  F.  aus  dem  spiele  lässt,  'weil  sie  weder  für  kürze  noch 
für  länge  beweist'.  Ebenso  sind  die  fälle  uuprt  'wort'  und 
fedrs  'vers'  zweifelhaft;  'ob  diese  kurz  oder  lang  seien,  ist 
schwer  zu  erkennen  und  w^ürde  lauter  sehr  genaue  beobachter 
erfordern'. 

Zwischen  schürz  und  Jcirsch  besteht  ein  unterschied  im  N 
des  gebiets;  die  grenze  für  ersteres  zieht  von  der  Enzmündung 
an  den  Kocher  (etwas  unterhalb  von  Hall),  dann  nach  0  bis 
zur  mittleren  Altmühl  und  hierauf  den  Lech  hinauf,  von  dem 
sie  zum  Ammersee  abbiegt;  dann  zieht  sie  von  Wessobrunn 
in  westlicher  richtung.  Kempten  in  einem  bogen  umschliessend, 
zur  Schussenquelle  und  endlich  nach  NW  über  Epfendorf  bis 
zur  oberen  Kinzig.  Dagegen  verläuft  die  grenze  für  Mrsch 
(altzweisilbig)  vom  unterlaufe  der  Enz  östlich,  schliesst  Kocher- 
und Jagstiiuelle  ein,  wendet  sich  nordöstlich  nach  der  oberen 
A\'örnitz,  von  wo  sie,  auf  dem  rechten  ufer  derselben  bleibend, 
zum  Lech  zieht;  im  S  tritt  die  form  'kriese'  ein. 

In  arm  hat  auch  der  SW  gebiete  mit  länge. 

§  27.  'Die  lautverbindung  n  +  Spirans  hat  im  schwäbischen 
länge  des  vocals  mit  Verlust  des  n  bewirkt.  Im  schwäbischen 
hauptgebiet  (zwischen  Schwarzwald,  Welzheimer  wald,  Wörnitz 
und  Lech)  herscht  die  forniel  yäs  :  ges  u.  s.  f.  ohne  unterschied 
von  sing,  und  pl,  hier  also  Verlängerung  durch  n  +  Spirans 
bei  ein-  und  mehrsilbiger  form'  (F.  22  und  karte  4).  Noch 
deutlicher  ist  dies  bei  den  beispielen  in  karte  5:  zlns,  fünf, 
hr linst,  uns  =  z%s,  ftf  etc.;  hier  zeigt  sich  das  hauptgebiet  im 
A\'.  N  und  0  von  kurzvocalischen  formen  umgeben,  und  zwar 
sind  die  grenzen,  vom  NO  abgesehen,  auch  Avie  bei  (juris. 

§  28.  Dehnung  vor  n  -f  verschlusslaut  findet  nur  im  ^^' 
des  hauptgebiets  statt  (F.  23  und  karte  4.  6).  Das  gebiet  für 
cH  4-  ver.schlus.slaut:  et  'ente',  im  äussersten  SA\'  ült,   ist  am 

lieitrüge  zur  geBcbicbta  dt-r  deutiioben  apraohe.     XXIII.  ]  1 


162  RITZERT 

umfassendsten;  ausser  der  Enznia.  nimmt  nur  nocli  das  obere 
Douaugebiet  bis  'i'uttling-en  nicht  daran  teil.  Die  grenze  im 
0  bildet  eine  linie.  die  von  der  Eemsmündung-  zur  Donau  zieht, 
auf  dem  rechten  Donauufer  haben  nur  zwei  kleine  gebiete 
länge,  das  eine  bei  Tuttlingen  und  das  andere  etwas  unterhalb 
Sigmaringen.  —  Die  grenzlinie  für  dek^  'denken',  im  äussersten 
S^^'  dälkd,  reicht  im  A\^,  X  und  0  nicht  ganz  so  weit.  —  Ver- 
längerung in  mkscli  'mensch'  findet  sich  zwischen  oberem 
Neckar  und  der  Donau  von  Tuttlingen  abwärts  (zwischen 
Neckarquelle  und  Donau  malt  seh).  'Fast  immer  ist  ts,  nicht 
blos  s  angegeben;  ein  »mensch«  würde  sich  wie  njänse«  ent- 
wickelt haben;  der  einschub  des  t  muss  also  alt  sein'  (F.  23, 
anm.  8).  In  ivhiter  erscheint  Verlängerung  zu  wlter  in  einem 
kleinen  gebiete  zwischen  Tuttlingen,  Donau-  und  Neckarquelle 
und  zu  lüäiter  in  einem  kleinen  bezirke  zwischen  dem  ober- 
laufe der  Donau  und  des  Neckars,  der  Ostdorf,  Bitz,  IMess- 
stetten  und  Erzingen  als  grenzorte  hat  (s.  auch  Birl.  51.  Bohnen- 
berger,  Alem.  24,  28). 

§  29.  Dehnung  vor  chs  mit  ausfall  der  gutturalspirans 
(F.  21  und  karte  20).  'Soweit  urspr.  lis  zu  s  geworden  ist,  ist 
der  vocal  ohne  unterschied  ein-  oder  mehrsilbiger  form  ver- 
längert: flas  'flachs',  ös  'ochs',  his  'büchse'.  Das  gebiet  dieser 
Verlängerung  ist  dem  von  Mpf  geographisch  gerade  entgegen- 
gesetzt. Daraus  geht  hervor,  dass  die  einwirkung  der  conso- 
nanz  von  jenem  allgemeinen  prosodischen  gesetz  verschieden 
—  und  mit  lun  so  grösserer  Sicherheit,  dass  sie  wirklich  vor- 
handen ist.' 

Am  kleinsten  ist  das  gebiet  für  6s:  es  umfasst  den  Ober- 
lauf von  Murg,  Kinzig  und  Nagold  und  das  gebiet  zwischen 
letzterer  und  Enz.  Ausgedehnter  ist  die  Verlängerung  his: 
quellgebiet  der  Murg,  Kinzig  und  Nagold  und  beide  ufer  des 
Neckars  von  Wittershausen  bis  Kirchentellinsfurt  (unterhalb 
Tübingen).  Am  verbreitetsten  ist  die  länge  wäsd:  von  der 
oberen  Murg  zieht  die  grenze  über  die  untere  Nagold,  südlich 
an  Stuttgart  vorbei,  überschreitet  den  Neckar  bei  ]\Iittelstadt, 
läuft  von  Zwiefaltendorf  die  Donau  aufwärts,  überschreitet  sie 
unterhalb  Sigmaringen  und  wendet  sich  dann  nach  SO,  den  0 
des  Bodeusees  umfassend. 


DEHNUNCi  DHU  MHl).  KURZEN  STAMMSlliUKNVOCAliE.  103 

I.    H;nris('li-()sten'ei(*liiscli. 

Quellen:  Xng.  Hartniann,  Volks-scliauspiele.  In  Baiern  und  Oester- 
reich-Ungaru  g-esauimelt.  Mit  glossar.  Leipzig- 1880.  —  M.  Hinimelstoss, 
Ans  dem  Zairischen  wald.  Bay(>rns  mnndarten  1.  (11  ff.  239  ff.  36-i  ff.  2,  HS  ff. 
24.3  ff'.  445  ff.  —  Val.  Hintner,  Beiträge  zur  tirolischen  dialekttbrsclinng. 
Her  Deferegger  dialekt.  Wien  187S.  —  Joh.  Krassnig,  Versuch  einer 
lautlehre  des  oherkärntischen  dialekts.  Progr.  von  Villach  1S7Ü  (Kr.  hat 
•allein  die  ma.  des  mittleren  Gailtales  im  äuge').  —  M.  Lex  er,  Kärnti- 
sches wörterhnch.  Leipzig  18(i2  (s.  viii — xiv  gibt  L.  einen  'überblick  der 
lautverhältuisse".)  —  E.  v.  Muth,  Die  bairisch-österreichische  ma.  Progr. 
von  Krems  1S73.  —  Seb.  Mutzl,  Die  bairische  ma.,  Bavaria  1.339 — 3H3. 
München  IStiO.  —  H.  "\^'.  Nagl,  (irammatische  analyse  des  niederösterreiclii- 
scheu  dialektes  im  anschlnss  an  den  0.  gesang  des  Eoanad.  AVien  188(1.  — 
H.  K.  Xoe,  Beiträge  zur  keniitnis  der  nia.  der  Stadt  Iglau,  J'rommanus  maa. 
5,  201  ff.  310  ff.  459  ff.  —  A.  Prinzinger,  Die  baierisch- österreichische 
Volkssprache  und  die  Salzburger  maa.,  Mitteil.  d.  gesellsch.  f.  salzb.  landesk. 
22  (1882),  178  ff".  —  J.Schatz,  Die  ma.  von  Imst.  Strassburg  1897.  — 
J.  A.  Schmeller.  T'eber  die  quantität  im  bairischen  und  andern  deutschen 
dialckten,  Abhandl.  d.  bair.  acad.  1830.  —  J.  A.  Sc  hm  c  Her,  Die  maa.  Bayerns 
grammatiscli  dargestellt.  München  1821.  —  J.B.  Schöpf,  Ueber  die  deutsche 
volksma.  in  Tirol.  Progr.  von  Bozen  1852—53.  (Schöpf  1).  —  J.B.  Schöpf, 
Zur  lautlehre  des  oberdeutschen  in  der  bairisch-österr.  volksma.  von  Tirol, 
Frommanns  maa.  3, 15  ff".  89  ff'.  —  J.B.  Schöpf,  Tirolisches  Idiotikon.  Nach 
dessen  tode  vollendet  von  A.J.  Hofer.  Innsbruck  18H(j.  —  K.  Weinhold, 
Bairische  grammatik.    Berlin  1807. 

§  30.  Mhd.  kurzer  vocal  in  offener  silbe  wird  im  bair.- 
österr.  dialekt  stets  gedehnt:  göd  'gott',  hüder  'butter',  sümer 
*  Sommer';  s.  Schmeller  §  672.  Mutzl  343.  Schöpf  2, 89  ff .  Noe  206. 
Krassnig  12.  Schatz  10*9  ff.  Weinhold  §  7.  36.  43.  48.  51.  55.  57. 
<)1.  141;  ferner  sehr  zahlreiche  belege  bei  Hartmann  im  glossar, 
Nagl.  Lexer  viii — xiv  und  in  den  übrigen  angeführten  werken; 
für  den  Bair.  wald  s.  auch  die  einleitung  zu  Himmelstoss  von 
0.  Brenner  in  Bayerns  maa.  1,  61 — 64;  für  den  vorderen  teil  des 
Paznauntales  gibt  Hauser  in  den  Forsch,  z.  d.  land-  u.  volksk. 
4,381—386  belege. 

§  31.  Durch  vocals3mkope  in  suffixen  und  flexionssilben 
bedingte  ausnahmen  konnnen  allenthalben  vor,  am  häufigsten 
in  Tirol  und  Kärnten;  Tirol:  hämniel,  n'cpl  'nebel',  doch  auch 
)irljl:  Kärnten:  näyl  'nagel',  ösl  'tiieV,  Jcünik  'könig';  die  für 
Imst  im  Oberinntale  Tirols  geltenden  kürzen  s.  bei  Schatz  114. 
—  Zahlreich  sind  daneben  die  fälle,  in  denen  dei-  regelrecht 
gedehnte  \'Ocal  erscheint:  sf/fl,  Ujl,  liöniiuir  *luimmer'  etc. 

11* 


164  RITZERT 

Im  liauptgebiete  sind  diese  (sclieiiil)ai'en)  ausnalimeii  selir 
selten;  vgl.  Weiiili. 50:  "die  zahl  der  heute  erhaltenen  kurzen  a 
vor  einfachen  consonanten  ist  sehr  g-ering';  hierher  zu  zählen 
sind  vater,  hamer,  Icanier,  in  denen  nach  Schmeller  1,  755  die 
quantität  schwankt.  Kürze  in  vater  finde  ich  ausser  in  Tirol 
und  Kärnten  (s.  unten  §  33)  nur  noch  bei  Muth  16;  bei  Xagl 
und  ISchmeller  2,  §  072  hat  das  wort  gedehnten  vocal.  —  Nach 
Weinh.  s.  60  erhält  sich  vor  m  zuweilen  die  kürze  c:  nemmen, 
hemmen  (=  'nehmen,  kommen');  für  beide  worte  ist  aber  als 
quelle  nur  Luterotti,  Gedichte  im  Tiroler  dialekt  (Innsbruck 
1848)  gegeben,  während  Weinhold  s.  65  selbst  als  allgemein 
für  den  bair.  dialekt  geltend:  gnomen,  hörnen  anführt.  Be- 
stätigt und  ergänzt  werden  diese  angaben  durch  eine  der 
neuesten  dialektarbeiten;  nach  Schatz  114  haben  beide  Wörter 
in  Imst  in  allen  formen  die  kürze,  in  der  Umgebung  aber  ist 
die  dehnung  durchgeführt.  Auch  die  Salzburger  ma.  hat  nach 
Prinz.  193  höhemma,  doch  smna  'sommer';  ferner  gibt  Hartm.  583 
kemmä'.  Kurzes  /  findet  sich  nach  Weinh.  61  in  cimlich,  wider 
adv.;  leider  fehlt  genauere  Ortsbestimmung. 

Mutzl  343  hat  als  kürzen  nur  gettä  'götter',  hlddl  dim. 
zu  bläd  'blatt',  wetta  'wetter';  auch  bei  Noe  findet  sich  nur 
sehr  selten  kürze:  schathi,  gleppn  'kleben',  gihM  u.  a.  Im 
Bair.  wald  finden  sich  nach  Bayerns  maa.  1,  62  neben  einander: 
hredsr  und  hredor  'bretter',  wedor  und  wcddr  'wetter'. 

Wenn  in  einzelnen  fällen  mit  stammhaftem  f  allgemeiner 
die  kürze  erscheint  wie  in  hetn  'beten',  schmitn,  scUütn,  noten 
pl.  'noten',  dretn  'treten'  (vgl.  zu  letzterem  Schatz  112),  so 
gehören  diese  ebenfalls  zu  diesem  capitel.  Vgl.  Weinh.  s.  293 
und  311.  Schatz  112. 

In  der  verbalflexion  begegnet  uns  die  alte  kürze  häufig. 
Im  ganzen  gebiete  findet  bei  stammen  auf  (/  oder  /  in  der 
3.  sing,  und  2.  pl.  praes.  und  bei  den  schw.  verben  in  der  1. 
und  3.  sing,  und  2.  pl.  praet.  und  im  part.  praet.  stets  synkope 
des  flexionssilbenvocals  statt,  Avodurch  gemination  mit  kürzung 
des  vorvocals  entsteht  (Weinh.  290.  308).  Nach  p  (b)  und  // 
und  h  fällt  in  der  3.  sing,  und  2.  pl.  praes.  /  regelmässig  ab, 
der  Stammauslaut  wird  verschäi'ft,  der  stammvocal  gekürzt 
(Weinh.  147.  290.  308;  s.  ferner  Schmeller  2,  §  675.678.  Mutzl  361. 
Lexer  xiv.  Xagl  26.  Noe  319.  321.  Schöpf  2,  102.  Prinz.  191). 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSÜLBENVOCALE.  165 

Für  die  2.  mig.  praes.  sagt  A\'einh.  289:  'der  endvocal 
uiiterlieg:t  der  sjmkope'.  Mit  dieser  erscheinung  ist  nach  Nagl 
s.  10  (§  3.  4)  kürze  des  stammvocals  verbunden.  Schöpf  fasst 
(2, 102)  alles  hierher  gehörige  in  den  allgemeinen  satz:  'tritt 
in  der  flexion  zu  dem  einfachen  consonanten  ein  anderei-,  so 
bleibt  die  kürze:  i  sä(j,  aber  du  sägst,  er  sägt  (und  sät),  gsagt 
(g'satt,  gsöt). 

§  32.  Die  erhaltung  der  kürze  des  vorhergehenden  vocals 
findet  im  bair.-österr.  gebiete  auch  dann  statt,  wenn  in  der 
composition  oder  im  satzzusammenhange  zwei  verwante  con- 
sonanten sich  anziehen  und  wechselseitig  verstärken;  s.  Nagl 
s.  27:  glös  'glas",  aber  glöffiuis.  Xagl  hat  hierüber  sehr  aus- 
führlich in  dem  ungemein  interessanten  capitel  '  assimilation ' 
gehandelt  und  den  satz  aufgestelllt  (s.  10,  §  3.  4),  dass  die  in- 
tensivität  der  consonantenaussprache  mit  der  länge  des  vorher- 
gehenden vocals  in  verkehrter  proportion  steht.  AVährend  die 
assimilation  im  worte  stets  kürze  bedingt,  da  die  die  assimi- 
hition  hervorrufenden  consonanten  nie  von  einander  getrennt 
werden :  solc  aus  sögt,  gip  aus  gibt,  Iv/pa  (mit  kurzem  diphthong) 
aus  lehv-ta  "lebtag"  — ,  hört  man  im  satze  überall  auch  die 
niclit  assimilierte  form  sprechen,  trotzdem  diese  assimilationsart 
im  ganzen  gebiete  des  bajuwarischen  dialekts  gebräuchlich  ist 
( a.  a.  0.  s.  26)  —  Zu  dieser  durch  assimilation  hervorgerufenen 
lautlichen  Veränderung  gehört  es,  wenn  v.  Muth  16  sagt,  der 
bair.-("»sterr.  dialekt  habe  den  hang,  die  im  hochdeutschen  lange 
Stammsilbe  zu  verkürzen,  und  \\'einhold  112,  im  bair.  werden 
(alle  im  gemeinen  deutsch  geschärften  stanmisilben  gedehnt, 
lind  umgekehrt)  die  gedehnten  geschärft;  unser  gesetz  von  der 
dehniing  in  offener  silbe  wird  durch  diese  assimilation  nicht 
alteriert. 

§  33.  A^'irkliclle  ausnahmen  von  obigem  gesetze  begegnen 
uns  in  den  maa.  von  Tirol  und  Kärnten.  Von  Tirol  gilt,  was 
Schöpf  1,  8  sagt:  'einzelne  ursprüngl.  laut  Verhältnisse,  manche 
kürzen  hat  die  ma.  bewahrt';  ferner  s.516:  'Oberinntal,  besonders 
aber  Paznaun  hat  unverkennbar  viel  schweizerische  demente; 
die  ma.  im  Lechtal  sclieint  den  Übergang  zum  alem.  zu  bilden'. 

Kürze  vor  t  habe  zahlreiche  Wörter  in  Tirol:  hrctt  und  dim. 
hrittl,  statt,  sitf  'sitte'  (an  der  oberen  Etsch  und  Eisack  sit), 
glatt,  gesotten  u.  a.;   neben   krotfu  steht   Icrot  'kröte';   andere 


1(1(1  RITZERT 

haben  nur  länge:  bot  'böte"  u.  a.  (s.  die  beispiele  bei  Scliöi»f 
und  Hintner);  nach  Weinh.  65  kommt  im  bair.  auch  hott  und 
hotten  vor:  ich  finde  die  kürze  in  diesen  nirgends  belegt. 

In  der  erklärung*  der  Verschiedenheit  der  quantität  vor  t 
stimme  ich  Schatz  111  f.  zu:  das  t  war  in  inlautenden  formen 
zur  zeit  der  dehnung  anlaut  der  schwachtonigen  silbe,  so  dass 
der  stammvocal  schwachgeschnittenen  accent  hatte,  die  Vor- 
bedingung der  nhd.  dehnung  (Paul,  Beitr.  9, 102),  Der  kleinere 
teil  der  Wörter  mit  auslautendem  t  hat  nun  die  dehnung  aus 
dem  inlaut  übernommen;  griisstenteils  aber  wurde  die  aus- 
lautende kürze  in  den  inlaut  übertragen:  got  'gott',  mit  'mit', 
srit  'schritt',  (jlgt  'glatt'  etc.  Die  ma.  (Imst)  dehnte  vor  aus- 
lautender verschlussfortis  den  vocal  nicht,  während  vor  aus- 
lautender lenis  die  dehnung  —  m.  e,  in  folge  Übertragung  aus 
dem  inlaut  —  eingetreten  ist;  vor  auslautendem  /  aber  wurde 
der  schwachgeschnittene  accent  gesetzmässig  durch  den  stark- 
geschnittenen ersetzt,  wie  die  überzahl  der  beispiele  beweist. 
Oestlich  von  Imst  erscheint  die  länge:  mit,  srit,  ebenso  im 
Unterinntale  von  Telfs  abwärts.  S.  auch  Sievers,  Phonetik^, 
§  792. 

Auch  in  Kärnten  erscheint  nicht  selten  vor  t  kürze:  götc 
=  'pate',  statt,  räda  (nur  in  Unter-K.)  u.  a.;  im  kämt.  ]\Iöll- 
tale,  wo  dehnung  in  weiterem  umfange  als  im  übrigen  K. 
stattfindet,  aber  blat  'blatt'  u.s.  w.  (Lexer  viii). 

In  Tirol  und  Kärnten  erscheint  auch  einige  mal  vor  d 
kürze:  T.:  ystätt  'gestade*,  jud  'Jude',  röd  neben  ral  "rede"; 
K.:  lit,  aber  Ud'l !■  g\\%^\  pdt  *bad',  iväde  und  iväd'l  'wade'  u.  a. 

Aum.  1.  Die  ShIzI».  lua.  (riiizgau,  Zillertal,  roiiyau,  Erixciital) 
kennt  kürze  voi'  t  nicht:  raiida  'vater",  (/ada  'gatter",  schrid  'schritt' 
(Prinz.  1S7  it.). 

Ausserdem  ist  in  Tirol  und  Kärnten  in  manchen  ein- 
silbigen Wörtern  die  kürze  erhalten;  T.:  hlm  <  haue,  toll 
'tüchtig',  müll  'mühle"  u.a.  (Schöpf  1, 11.  Erklärung  bei Heusler, 
Conson.  13).  —  Für  K.  sind  bei  Lexer  mehr  hierher  gehörige 
fälle  zu  finden;  in  manchen  tritt  in  den  flectierten  formen 
die  gesetzmässige  länge  ein:  tdJ:  'tag',  aber  i)l.  td(/e:  f/rdss 
'gras',  aber  dim.  (/räsl;  mU  'mehP  und  tudivik  "uiehlig",  lioff 
•hof  neben  honf  u.  a.    • 


DEHNUNG  DER  MllD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  167 

All  in.  2.  Nach  Schraeller  1,  755  ist  die  quaiitität  sclnvaukfinl  in  sdl, 
f(tl,  Achiran,  bJad,  (/las,  gras;  es  fehlt  zwar  die  aiio-abe,  wo  in  diesen  Wörtern 
die  kürze  erscheint,  doch  hatte  Schm.  jedenfalls  die  eben  genannten  gebiete 
im  ange. 

§  34.  Als  zweites  haiiptdeliming'sgesetz  g-ilt  für  unseren 
(lialekt  mit  ausnähme  des  südliclien  'i'irols  und  Kärntens,  dass 
der  vocal  in  mlid.  einsilbigen  Wörtern  vor  doppelconsonanz 
gedehnt  wird.  In  der  ableitung  und  flexion  erscheint  wider 
die  alte  kürze;; die  consonantenverstärkung  (und  die  damit  ver- 
bundene schärfung  des  vorvocals)  tritt  ein,  wenn  eine  endsilbe 
folgt,  selbst  wenn  sie  aus  einem  unausgesprochen  bleibenden 
vocal  bestünde'  (Schmeller  2,  §  403).  Hiermit  stimmt  folgende 
tatsache  des  "Wenkerschen  Sprachatlas:  südlich  der  linie  Lech- 
mündung.  Donau.  Ingolstadt,  Neumarkt.  Eger  hat  der  dativ 
sing,  tisdt  kurzen  vocal.  nördlich  gedehnten  (Wrede,  Anz.  22, 
325);  ferner  gibt  Brenner  in  Baj'erns  maa.  1, 62  hrös  'ross', 
aber  dat.  hros;  Aveitere  beispiele  tis,  pl.  tis;  trüzm.,  aber  trutzeg; 
stiKj  'stück',  pl.  ebenfalls  stng,  da  auf  mhd.  einsilbige  neben- 
form  zurückgehend  (s.  Schmeller  2,  §691;  ferner  §  111.115. 
1 16.  422.  453.  457.  508.  617.  640.  665—667.  690.  Weinhold  .§  7. 
36.  43.  48.  51.  55.  57.  61.  Mutzl  343.  345.  351.  Noe  208.  Nagl 
442  (§  10.  12).  358.  Baj^erns  maa.  1,  62  ff.;  ferner  zahlreiche  bei- 
spiele bei  Hartmann).  Wie  weit  die  Salzburger  ma.  beteiligt 
ist,  vermag  ich  nicht  genau  zu  bestimmen;  Prinz,  hat  avoI 
ivi'iuscht  "wursf,  schauts  'schätz',  saulc  'sack'  u.a.,  aber  roch, 
lojif  u.  a. 

In  Tirol  zeigt  das  gesetz  erst  von  Telfs  abwärts  nach  Hall 
und  um  Innsbruck  seine  Wirkung  (Schöpf  2,  90  ff.);  doch  hat 
die  Imster  ma.  in  einer  reihe  von  Wörtern  mit  auslautender 
spii'ans-fortis  den  kurzen  vocal  gedehnt:  ^/W/' 'griff',  J;^5 'biss', 
stix  'stich'  u.  a.  (Schatz  109  f.).  Nach  karte  1  in  Fischers  atlas 
setzt  sich  die  linie  für  /.o/;/' :  Jiö2)f,  die  bei  Epfach  den  Lech 
überschreitet,  in  südöstlicher  richtung  fort  bis  Ohlstadt  an 
der  Loisach  (der  weitere  verlauf  ist  nicht  mehr  zu  sehen): 
der  Oberlauf  der  Loisach  liat  also  keinen  anteil.  Für  iviud 
ist  die  grenzlinie  bis  zui'  Isar  verzeichnet:  im  S  der  linie 
Epfach.  Wessobiuiin,  Loisaclmiiindung  gilt  kürze.  —  Von  den 
iiiaa.  Kärntens  o-eh<irt  das  Mr»lltal  hierhei':  hond  'band'.  nU 
•nicht  ■;  Lexei'  \  iii. 


168  RITZERT 

§  35.  Ausnahmen  des  vorstehenden  gesetzes  linden  sich 
bei  bestimmten  consonantengriippen: 

a)  Fast  allg'emein  unterbleibt  die  dehnung  vor  urspr.  hs 
=  Jis  :  flachs,  fuchs;  Schmeller  2,  §  423;  auch  Nagl  gibt  bei- 
spiele  dieser  art;  s.  ferner  Bayerns  maa.  1,62. 

b)  Zuweilen  lautet  im  ostlechischen  dialekte  am  ende 
gewisser  nicht  flectierten  formen  fs  wie  ff  :  ha  ff,  im  ff  (Schm. 
2,  §  648.  194). 

c)  Nach  Schm.  2,  §  666  bewahrt  seh  in  einigen  unflectierten 
formen  den  scharfen  laut:  falfch,  hirfch. 

d)  In  Niederösterreich  tritt  vor  n^  nur  in  wenigen  fällen 
dehnung  ein:  schivänns,  pl.  schtvunz;  'die  dehnung  wird  durch 
consonantenverhärtung,  die  hier  durch  consonantenhäufung  be- 
dingt ist,  verhindert';  ^ntf  ist  von  dauernder  inhärierender 
schärfe'. 

Anm.  1.  In  Niederösterreicli  bleiben  nomina  auf  sc/  luul  chd  'am 
liebsten'  ai;ch  im  pl.  nngeschärft :  /pechrJ,  \t\.  /pf'eJuhi;  lösd,  \)\.  lörMhi,  aber 
neisd,  pl.  ne/fda;  doch  behalten  diejenigen,  die  ein  historisches  e  verloren 
haben,  scharfes  -ft:  (jrift  'gerüste'  (Nagl  195),  Avie  überhaupt  alle  luhd.  nicht 
einsilbigen  Wörter  kurz  bleiben,  wenn  sie  auch  im  dialekte  einsilbig  er- 
scheinen (Nagl  442,  §  12). 

Anm.  2.  Hin  und  wider  kommt  es  vor.  dass  die  quantität  des  nom. 
sing,  in  flectierte  formen  eindringt;  s.  Schmeller  2,  §  «UO:  (luc/s  'gewiss'  und 
zuweilen  auch  a  g-icisf,  3"n  g-wisn;  Bayerns  maa.  1,  ()2  für  den  Bair.  wald : 
khrefdn  'kraft  und  kräfte',  khrefd/g. 

§  36.  Einen  weitgehenden  dehnenden  einfluss  auf  den 
vorausgehenden  vocal  haben  im  bair.-österr.  dialekte  die  li- 
({uiden  l,  r  und  die  nasale  m,  n,  >j  (s.  Schmeller  §  542.  627.  555. 
568.  613.  Nagl  27.  442).  Nach  beiden  forschem  sind  diese  laute 
einer  Verstärkung  fast  nicht  fähig,  so  dass  meistens  die  gemi- 
iiaten  II  etc.  wie  einfache  laute  ausgesprochen  werden  'und 
also  den  vorhergehenden  vocal  nicht  schärfen'  (Schm.  2,  §  111). 
Beispiele:  fällen:  tälla  sing,  und  pl.  'teller';  pfoarä  'pfarrer', 
pl.  pfXra;  läm  'lamm';  Jchaü'l  'kännlein';  pfa^hiiu  'pfennig'. 
Belege  zu  dieser  erscheinung  geben  auch  die  übrigen  quellen. 

Schm.  macht  in  den  citierten  paragraphen  die  bemerkung, 
dass  diese  'eigenheit'  von  eingeborenen  auch  auf  die  ausspräche 
des  schriftdeutschen  übertragen  wird. 

In  der  Imster  ma.  ist  nur  in  der  lautgruppe  -irr  vocal- 
dehnung  eingetreten:  /->/;>  'iireif,  ks'ur  'geschirr'  (Schatz  114); 


DEHNUNG  DER  MHT).  KURZEN  STAMMSTLBENVOCALE.  It^O 

ausserdem  noch  in  »lOri  'mann",  fl'cd  "feH"  (auch  im  [A.  f\'(d,yy) 
und  Icyroüm  'krampf  (mhd.  hram,  gen.  Jcrammes);  s.  Schatz  113. 

§  37.  Für  die  niederitsteiTeichisclie  ma.  liaben  aucli  die 
verbindung-en  liquida  und  nasal  +  consonant  dehnenden  ein- 
tiuss,  besonders  »  vor  /.:  und  /  vor  dental-  und  palatalmuten 
(s.  Nagl  358):  gedmM  pl.  'gedanken',  zaumlwlldn  'zusammen- 
Imlten",  Idwlldar  comp,  zu  Ihölld:  aber  hölhj  'balg',  pl.  hdU/,:  u.a. 

Die  hierher  gehörigen  Verbindungen  r  +  consonant  be- 
wirken fast  regelmässig  vocaldehnung:  Ididiiw  'korb',  \A.lchRiiv] 
stmm  'sterben':  gmidn  'garten'  —  nicht  aber  gewöhnlich  r  +  h 
(Naglir2)  und  r  -\-  spirans  (Xagl  358):  Molik  'stark',  schmms 
'schmerz';  in  Wien  auch  nicht  die  Verbindung  rt  (Nagl  71), 
während  der  Neunkircher  dialekt  vor  rt  nur  selten  kürze  hat 
wie  in  ydin  'gerte";  neben  faidi  'fertig*  steht  fmdi,  das  die 
jetzt  gebräuchlichste  form  ist  (Nagl  81). 

Dagegen  hat  in  Niederösterreich  nd  die  neigung  zur 
härtung  im  inlaute  (Nagl  419),  d.h.  nur  im  \i\.  der  dA\i  -nd 
auslautenden  Substantive  und  in  allen  formen  der  starken 
verba  (Nagl  358):  >;ind  'sünde',  aber  pl.  slntn:  fintn  'finden"; 
eine  anzahl  hat  aber  auch  in  mehrsilbigen  dehnung:  baünd  und 
pl.  hända,  länd  und  dim.  ländl  (s.  hierzu  Nagl  421). 

Anm.  Das  bairische  südlich  der  Donau,  feiner  im  Bair.  wald  nud  am 
(ibereu  Regen,  vereinzelt  an  der  Altmühl,  hat  mouillierung  des  /:  soiz  'salz'. 
Die  grenze  dieser  erscheinnug  im  W  bildet  der  untere  Lech  und  dann  eine 
liuie.  die  nördlich  an  Augsburg  vorbei  nach  SO  zieht  zwischen  Ammer- 
mid  \\'ürmsee  durdi,  um  westlidi  von  Mitteu\\ald  die  reichsgrcuze  zu 
treffen:  s.  Wrede,  Anz.  fda.  1!1,  102.  Schmeller  §  5*23— 5'25. 

Ol)  die  durcli  die  Verbindungen  von  li([U.  oder  nasal  + 
cons.  bewirkten  längungen  für  weitere  gebiete  giltigkeit  liaben, 
vermag  ich  nicht  zu  entscheiden,  da  aus  den  vereinzelten  bei- 
spielen  der  mir  vorliegenden  arbeiten  sichere  Schlüsse  nicht 
zu  ziehen  sind.  Nur  was  die  Verbindungen  von  r  +  cons.  be- 
trifft, lässt  sich  noch  folgendes  sagen. 

Die  Wortsammlung  aus  dem  Bair.  wald  in  J^ayerns  nma.  1 
und  2  von  Himmelstoss  hat  sehr  zahlreiche  beispiele  mit  länge 
vor  /•  4-  cons.:  düDtu^  'türmer',  fdrln  'ferkel  werfen',  fid^rsn 
, ferse*  u.  a.;  selten  ist  der  vocal  kurz:  (idrt  'gerte',  nic9>'L>' 
'merken'. 

in  Tirol  lind  Käiiiien  iindet  häutig  vor  r  -\-  n  vocaldehnung 


170  RITZERT 

statt:  (järn,  turn  •türm"  und  pl.  Um  u.  a.:  voi'  r  -f  /,  d  haben 
in  Tirol  die  meisten  Wörter  kürze,  nur  einige  auf  mlid.  a  und  e 
sind  g-edelmt:  ärt  ' geschleckt '  und  ärtlich,  ercVn  'erde',  herd  < 
herf  m.;  allgemein  we«>- 'werde';  auch  oar^ 'ort'  und  pl.  ear/er, 
tvoart  imd  dim.  tvertl. 

Für  Imst  gilt  dehnung  des  /  vor  r  +  dental,  cons.,  des  e 
vor  r  +  dentaler  lenis  und  des  o  vor  r  -j-  dental;  vereinzelt 
sind  ort  *art',  tswi  'zart',  fort  (aber  förtig),  grs,  h^öirtsd  'kerze', 
niöirts,  liföirt  'fahrzeug",  gepürt  'geburt'  (s.  Schatz  114  f.).  Die 
maa.  westlich  von  Imst  haben  e  und  /  auch  vor  r  +  lab.  und 
gutt.  cons.  gedehnt  (s.  Schatz  §  40.  43). 

Die  dehnung  vor  r  +  consonant  ist  mithin  nach  den  ein- 
zelnen vocalen  und  consonanten  in  der  einzelma.  wie  unter 
den  verschiedenen  maa.  Tirols  eine  verschiedene;  ebenso  ist 
es  in  Kärnten.  Im  kärntischen  C-rail-  und  Drautal  erscheint 
vor  r  -f  cons.  aber  häufiger  die  länge  (s.  Lexer  ix);  ebenso  im 
Mölltal;  im  Lavanttal  wird  r  und  der  ihm  vorausgehende  vocal 
gedehnt  gesprochen  (s.  Lexer  xii). 

§  38.    Als  einzelheiten  erwähne  ich  noch  folgendes: 

a)  In  Niederösterreich  ist  vocaldehnung  vor  ck  eingetreten 
in  biKjl  'buckel',  ivogln  'wackeln',  snga  'zucker'  u.  a.;  ferner 
vor  tz  in  mizn  'mutze'  und  Idesn  schw.  m.  =  'gedörrte  obst- 
spalte'. Vereinzelt  kommen  diese  fälle  auch  sonst  vor;  so  hat 
Kärnten  spötze  und  dim.  späts'l  'spatz';  für  Iglau  gibt  Noe  hükl. 

b)  Vor  doppelspiranten  ist  in  der  kärntischen  Gnesau 
dehnung  eingetreten;  vgl.  Lexer  in  s.  überblick:  g-sess'n,  ess-n, 
trefn.  Nach  Prinz.  182  findet  sich  diese  erscheinung  auch  in 
einem  'teil  von  Kärnten'  und  in  dem  Salzb.  Lungau:  ecs'n 
'essen',  ivaasa  'wasser'. 

in  diesen  fällen  lag  bei  eintritt  der  dehnung  keine  gemi- 
nation  mehr  vor,  so  dass  der  vocal  im  silbenauslaut  stand; 
dieselben  sind  deshalb  principiell  wie  die  in  §  30. 

5.  Ostfränkisch. 
Quellen:  H.  Bauer,  Der  ostfränkische  dialekt  zu  Künzelsau,  im  Wir- 
temberg.  Franken,  Zs.  d.  bist.  ver.  f.  d.  wirt.  Franken  (>,  3  (1864),  369  ff.  — 
0.  Felsherg-,  Die  Kolmrger  ma.,  Mitteilungen  der  geogr.  gesellschaft  zu 
Jena  6  (1888),  127  ff.  —  E.  Fentsch,  Die  oberpfälzische  ma.,  Bavaria  2, 
abt.  1  (München  1 863),  193—217..  —  C.Franke.  Die  unterschiede  des  ost- 
fränkisch-uberpfälzischeu  u.  obersächsischeu  dialekts,  Bajerns  maa.  1, 19 — 36, 


DEHNUNG  DKK  MHP.  KUKZEN  STAMMSlLBENVüCALF..  171 

■2(il— 290.  374— 3S9  und  2,73—03.  317—343.  —  G.  K.  F  rommaiin.  (iram- 
matischer  abriss  der  Nürnberger  ma.,  in  ,T.  W.  Weikerts  Ansgew.  gedichten 
(Nürnberg  1872),  289  ff.  —  (1.  K.  P'ronnnann.  Kurze  gramniatik  der  Nürn- 
berger raa.  und  Glossar  zu  Grübels  siinitliclien  Averkon  (Nürnl).  1873),  221  ff. 
(icb  citiere  letztere  arbeit,  da  sie  die  ausfübrlicbere  ist).  —  E.G opfert, 
Die  ma.  des  sächs.  Erzgebirges.  Leipzig  187S.  —  H.  Gradl,  Die  raaa.  West- 
böbniens,  Bayerns  luaa.  1,  81— 111.  401—444.  2,  95—117.  207—242.  31)4-383, 
aucli  sep.  .Alünclien  1895  (Gradl  liat  ausser  zalilreicluni  beantwortungen  von 
umfassenden  fragebogen  in  seiner  arlieit  die  literarischen  ersclieinungen 
benutzt,  die  die  maa.  Westböhmens  betreffen :  es  sind  dies  u.  a. :  I(j.  l'fttcrf<. 
Bemerkungen  über  deutsche  dialektforsch,  in  Böhmen,  PraglSt)2,  und  An- 
deutungen zu  einer  Stoffsammlung  in  d.  deutsch,  maa.  Böhmens,  Prag  1864: 
J.  XafixI.  Die  laute  d.  Tepler  ma.,  1803:  F.  Mfoiiil,  Die  spr.  d.  eliem.  her- 
schaft Theusing^  Pilsen  1880;  J.  KcKfiaiicr,  Ein  beitrag  z.  erforsch,  d.  Eger- 
länder  ma.,  1889;  Jox.  Kuferl,  Der  polit.  bezirk  Tachau,  1890;  ferner  seine 
eigenen  abhandlungen  in  der  Zs.  f.  vgl.  sprachf.  17.  18  [Zum  ostfr.  vocalis- 
niusj,  19  [Der  ostfr.  dialekt  in  Bhm.]  und  17.  19.  20  [Zur  künde  deutscher 
maa.  (ostfräukisch)],  sein  Egerländisches  Wörterbuch,  1883,  u.a.:  s.  Bay. 
maa.  1, 108).  —  Haupt,  Die  ma.  der  drei  Franken,  Bavaria  3.  abt.  1,  191  ff". 

—  B.Hedrich,  Die  laute  der  ma.  von  Schöneck  im  Vogthuide.  Leisniger 
Progr.  1891.  -  0.  Ht'ilig,  Beiträge  zi;  einem  Wörterbuch  der  ostfr.  ma. 
des  Taubergruudes.  Heidell)ergei' itrogr.  1894  (ausserdem  habe  ich  von  herrn 
jirof.  0.  H.,  der  demnäclist  eine  grammatik  der  maa.  d.  T.  herausgibt,  brief- 
liche mitteilungen  über  d.  dehuungserscheinungen  seiner  ma.).  —  L.Hertel, 
Die  Greizer  ma.,  Mitteilungen  der  geogr.  gesellsch.  zu  Jena  5  (1887),  132  ff. 

—  0.  Hertel,  Die  Pfersdorfer  ma.  (bei  Hildburghausen;  manuscript).  — 
E.  Keichhardt,  E.Koch  und  Th.Storch,  Die  Wasunger  ma.,  in  den 
Schriften  des  Vereins  für  meiningische  geschichte  u.  landeskuude,  lieft  17 
(Mein.  1895).  —  J.  B.  Sartorius,  Die  ma.  der  Stadt  Würzburg.  Würzburg 
1802.  —  Aug.  Schleicher,  Volkstümliches  aus  Sonneberg  im  Mein.  Ober- 
lande. Weimar  1858.  —  A.Stengel,  Beitrag  zur  kenntnis  der  raa.  an  d. 
Schwab.  Rezat  und  mittl.  Altmühl,  Froramanns  maa.  7,  389  ff'.  —  B.  Spiess, 
Die  fränkisch-henuebergische  ma.  Wien  1873.  —  Für  das  württenib.  und 
bair.  Ostfranken  wurden  ferner  benutzt:  H.Fischer,  Geographie  d. , seh wäb. 
ma.  und  ,i.  A.  Schmeller,  Maa.  Bayerns.    München  1821. 

§  39.  Mild,  kurzer  vocal  in  offener  silbe  wird  im  ostfr. 
.stets  g-edelint:  schlUen,  Id-te  'kette',  (jeliten,  hätner  •hamnier" 
(s.  Fentsch  193,  Frommaim  §  29.  30.  32.  34.  49.  Heilig-,  brieH. 
initT.  0.  Hertel  32.  Haupt  252.  (iradl  in  Bay.  maa.  2,209.  Hed- 
ricli  iL  L.Hertel  13t3.  Felsber^  128.  Sclileiclier  25,  Göpfert  19. 
20.  Fischer  §  13.  Schmeller  §  111).  In  den  übrigen  genannten 
iiuellcii  sind  die  belege  zerstreut;  im  bes.  verweise  ich  auf 
Franke,  der  in  Bay.  maa.  1,  28  ff.  znlibciclie  beisjiiele  aus  dem 
ganzen  gebiete  g-ibt. 


172  RITZERT 

Wo  durch  abfall  der  endconsonanz  der  vocal  auslautend 
wurde,  ist  lautgesetzlich  delinuiig-  eing-etreten;  dieses  gilt 
namentlich  für  -n  fast  im  ganzen  gebiete:  U  'bin'  (im  Yogtl. 
hin,  bei  Oradl  und  Schleicher  aber  bin);  M  'kinn'  im  Henne- 
berg; de  'denn'  im  Erzgeb.;  ö  'ab':  Rhön,  Würzburg,  Ebrach, 
Bamberg,  Vogtland;  u-  =  un-  u.  a.  (s.  Franke  34—36.  Gradl 
210.  L.  Hertel  U3.  Felsberg  140). 

In  manchen  fällen  ist  aucli  vor  urspr.  doppelconsonanz 
der  vocal  in  offener  silbe  gelängt;  dieses  war  aber  erst  m()g- 
lich.  als  durch  consonantenausfall  einfache  consonanz  entstanden 
oder  die  geminata  vereinfacht  war,  so  dass  hier  derselbe  fall 
vorliegt  wie  oben.  Hierher  gehört  «•y?w^r 'wunder' in  Ochsen- 
furt in  Unterfi'.  und  in  Eger,  stmln  'schimmeln"  in  Theusing 
<  ahd.  scimhalön  (aber  schon  mhd.  schimelen);  risl  'rüssel'  in 
Welletschin  (Böhmen);  büfjl  'buckel'  in  der  Tepler  ma.;  tvögeln 
im  Erzgeb.;  ferner  vor  g  {tz)  allgemein  in  den  maa.  West- 
böhmens in  dehn  'zu  essen  geben',  struhl  'gebäck',  hüdsl  (<  hu- 
tzele), stidsn  (<  stütze)  'traggefäss'  (s.  Gradl  211).  Vor  ts  er- 
scheint vocallänge  auch  sonst  in  vereinzelten  fällen;  s.  die- 
selben bei  Franke  29  ff.  Hedrich.  Spiess. 

§  40.  Die  vorkommenden  abweichungen  sind  mit  aus- 
nähme eines  falles  nur  scheinbare.  Dieser  fall  betrifft  einige 
Wörter  mit  /,  die  im  hennebergischen,  in  Sonneberg  (Schleicher 
s.  26),  Bamberg,  Schöneck  und  teilweise  in  Westböhmen  (Gradl 
s.  212)  kürze  haben:  ß  'viel',  spil  'spiele'  und  dazu  spilcr  m., 
suhl  'sohle',  dol  'toll';  in  Henneberg  auch  in /.vj?«  "kohle',  ri\t- 
kele  'rotkehlchen"  u.  a.;  für  Scluineck  ist  es  ausserdem  bezeugt 
in  huln  'holen',  kstuln  'gestohlen',  ivul  'wol';  für  das  Erzgebirge 
finde  ich  huln  belegt.  —  Fast  ausschliesslich  haben  wir  es 
also  in.  diesen  fällen  mit  kurzem  /  und  o  zu  tun;  ferner  ist 
beachtenswert,  dass  nur  der  nördliche  teil  des  gebiets  die- 
selben kennt. 

Vereinzelt  erscheint  die  kürze  in  einsilbigen  Wörtern,  so 
öfter  in  f/ott  'gott'  (schriftsprachlicher  einfluss);  ferner  sind 
bezeugt  für  das  Erzgebirge  bin  sg.  und  pl.  'biene',  griV)  'grob', 
stod  'Stadt';  für  Schöneck  ^>e;-  'birne'  (auch  in  Greiz),  häno 
'hahn',  mät  'matt'  u.  a.  Gradl  gibt  für  Westböhmen  matt, 
trup  (<  frupe).     In  Künzelsau  erscheint  hier  häufiger  die  kürze 


DEHNUNG  DER  MIIl).  KURZEN  STAMMSILBEN VOCAI.E.  173 

60/ 'böte'.  s(i/f.  rc(]  neben  ir'd  "ivde'.  (/red*  Tabe'  u.  a.;  s.  Bauer 
s.  39(5:  •manche  eiiij^ilbige  werden  gescliärft'. 

Das  adverb  iveg,  das  wie  in  allen  dialekten  auch  in  Ost- 
tranken weg-en  des  stets  mit  ihm  verbundenen  energischen 
accentes  vocalkürze  hat,  erscheint  in  Triebel  und  Schönbrunn 
im  Vogtland  mit  langem  e  (Franke  81). 

§  41.  Die  oben  erwähnten  scheinbaren  ausnahmen  nun 
betreffen  eine  nicht  grosse  anzahl  mehrsilbiger  Wörter  auf 
-eJ  und  -er,  seltener  auf  -en  oder  andere  suffixe.  in  denen 
nach  erfolgter  vocalsjukope  in  den  endungen  der  stammsilben- 
^■()cal  nicht  in  den  silbenauslaut  zu  stehen  kam.  In  einigen 
maa.  ist  die  zahl  dieser  'ausnahmen'  sehr  gering,  wie  z.  b.  in 
A\'estbölimen.  wo  die  kürze  nur  in  fattar  'vater'  (städtisch), 
allar  'adler'  (Theusing),  heffm  'hefe'  (Eger,  aber  anderwärts 
hefhi),  nhnma  'nehmen'  (fast  allgemein).  Jdehhm  'kleben',  stinimar, 
scmml,  Ixhummad  (<  komat)  erscheint  (in  den  drei  letzten  Wör- 
tern nimmt  Gradl  vordringen  schriftsprachlichen  gebrauches  an); 
ebenso  selten  sind  die  'ausnahmen'  im  Erzgebirge,  in  Sonne- 
berg, Pfersdorf,  Henneberg,  Nürnberg  (Fromm.  §  8.  30a.  32.  45). 

Im  W  des  gebietes  treten  diese  kürzen  wol  etwas  zahl- 
reicher auf  (s.  Bauer  374  und  396;  auch  Heilig  bestätigt  es), 
doch  bleiben  sie  in  der  niinderheit  gegenüber  den  regelrechten 
längen ;  zudem  zeigt  sich,  dem  wesen  dieser  analogiebildungen 
entsprechend,  ein  sehwanken  der  quantität  in  der  ma.  wie  in 
nachbarmaa.;  nach  ])rof.  Heiligs  mitteilungen  heisst  im  Tauber- 
grund das  participium  yridt  'geritten',  flectiert  aber  hat  es 
kurzes  i;  gridtnor;  in  Künzelsau  stehen  wider  und  suivid(^r 
neben  einander,  im  Erzgebirge  owr  und  owr  \\.  a. 

Wenn  die  stadtmaa.  häufiger  kürze  haben  und  zwar  vor- 
iielnnlicli  in  solchen  Wörtern,  die  auch  im  nlid.  dieselbe  zeigen, 
w'w  in  sxtfeJ,  somnier,  donner,  so  muss  sicher  schriftsprachliche 
])eeint1ussung  angenommen  werden;  beispiele  bei  Sartorius, 
L.  ilertel,  Felsberg,  Hedrich. 

rnterblieben  ist  die  dehnung  fei-n<'i'  im  ganzen  gebiete 
vor  den  erst  durch  vocalsynkope  entstandenen  geminaten  bei 
den  Verben  auf  /  und  d  und  ebenso  vor  den  auf  gleiche  weise 
entstandeneu  (lojipelcoiisonanzen  bei  den  verben,  deivn  stamm 
auf  \ersclilusslaut  ausgeht  (s.  Gradl  212.  Stengel  394.  Felsberg 
12b.  Hedrich  12,  y.  Schleicher  57.  58.  Göpfert  80.  81.  85.  Frunim. 


171  RITZERT 

§  24.  29.  30 a.  88).  Beispiele:  rct  "redet,  redete';  <i9ret  'geredet', 
retn  'redeten',  retst  'redest,  redetest'. 

§  42.  Im  g-esammten  ostfränkisclien  gebiete  ist  in  mhd. 
einsilbigen  Wörtern  vor  doppelconsonanz  delinnng  eingetreten. 
Bei  antritt  einer  flexionssilbe  oder  ableitung  tritt  die  alte 
kürze  wider  ein,  s.  Gradl  210.  Spiess  14. 15.  Hedrich  11.  Hanpt 
252.  Felsberg  129.  132.  Pantsch  193.  Stengel  890.  Sclileiclier  25. 
Göpfert  20.  Schmeller  §  111.  117.  Fischer  §  14.  Fromm.  §  18. 
30.  32.  34.  40.  43.  44.  Bauer  396.  Noe  208.  311.  0.  Hertel  und 
0.  Heilig  bestätigen  das  gesetz  für  ihre  maa.  Franke  gibt  in 
Bay.  maa.  1, 29  ff.  sehr  zahlreiche  beispiele  aus  dem  gesammt- 
gebiete.  Sartorius  hat  nur  wenige  beispiele:  einmal  bietet  er 
in  seiner  Sammlung  wesentlich  'städtische  ausdrücke'  und  dann 
bezeichnet  er  auch  die  Quantität  nur  selten.  Vgl.  ferner  die 
grenzbestimmung  für  vocaldehnung  in  mann  bei  Wrede,  Anz. 
fda.  19,  201;  dieselbe  stimmt  im  wesentlichen  mit  der  für  das 
ostfränkische  (gegen  das  thüringische  und  obersächsische)  von 
Hertel  und  Franke  gegebenen  grenze  überein. 

Anin.  In  solchen  Wörtern,  die  erst  durcli  Unterdrückung  eines  älteren  e 
einsilbig  geworden  sind,  ist  die  dehnung  unterblieben:  koi^Kilcoste,  heii 
<;  bette;  hierher  zu  zählen  sind  auch  die  dialektischen  noniinativformen, 
die  m-spr.  gen.  dat.  sg.  waren:  heut  '■\va\\ü\  heule  'bank'. 

§  43.  Während  dieses  gesetz  im  hauptgebiete  fast  aus- 
nahmslos wirkt,  gilt  es  für  die  nördlichen  maa.  Henneberg. 
Pfersdorf,  Koburg,  Sonneberg,  Scluineck,  Erzgebirge  wol  auch 
als  regel,  doch  finden  sich  hier  nicht  selten  ausnahmen  (in 
Greiz  am  nördlichen  rande  des  ostfi-änkischen  wirkt  es  über- 
haupt nicht;  hier  ist  nach  L.  Hertel  'kurzer  vocal  vor  doppel- 
consonanz  erhalten').  Beisi)ielsweise  hat  Henneberg  kürze  vor 
rm  und  rn;  ferner  vor  cht  (aber  hiächt),  ft  und  in  anderen 
Wörtern;  in  Sonneberg  steht  ort,  Jiorn  u.a.  neben  tvirt,  Mm; 
auch  in  Westböhmen  steht  vor  chs,  cht,  ft,  st  und  ähnlichen 
harten  consonanten Verbindungen  'häufig  auch'  kurzer  vocal 
(Gradl  212).  Vor  chs  bleibt  die  kürze  ausseidem  in  Henne- 
berg, Sonneberg  (hier  hat  allein  floo,>s  'flachs'  länge),  an  Rezat 
und  Altmühl  und  im  Taubergrund ;  doch  haben  verschiedene 
nachbarmaa.  des  letzteren  langen  vocal:  dogs  'dachs',  fljys 
"tiachs'  (nach  Heilig). 

In  der  regel  sind  ausnahmen  im  liauptgebiete  selu'  selten 


DEHNUNG  DER  MUD.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  175 

und  ei'kläreii  sidi  dadiircli.  dass  die  hetr.  Av<"irter  uiclit  urspr. 
inundartlich  sind,  oder  dass  die  (luaiitität  der  flectierenden 
tonnen  den  sieg-  davon  getragen  hat  (wie  z.  b.  auch  in  sivam 
im  Taubergiund).  oder  aber,  dass  das  wort  in  Verbindungen 
erscheint,  in  denen  es  nicht  den  hauptton  trägt:  -fach;  ferner 
-lach  in  Ortsnamen  u.  a. 

§  44.  rrsi>rüng-lic]i  liatte  der  dativ  obig'ei'  W(»rter  (§  42), 
ti'otzdem  er  frühzeitig'  einsilbig  war.  die  kürze  bewahrt.  So 
ist  es  noch  im  westböhmisclien.  wo  kürze  'in  allen  flexions- 
fornien'  gilt  (Gradl  211).  Im  grössten  teile  des  gebietes  hat 
jedoch  jetzt  auch  der  dativ  gelängten  vocal.  Ein  schwanken 
zeigt  sich  in  der  A\'asunger  ma.;  heute  ist  aber  die  gedehnte 
form  vorwiegend  im  gebrauche;  die  ursprüngliche  kurze  ist  im 
absterben  (s.  Reichardt  HO);  doppelte  formen  haben  in  Wa- 
sungen  u.  a.  such,  griff,  hiopf,  lainwi,  tvald.  Auch  bei  Spiess 
finde  ich  nur  drei  beispiele  mit  kurzem  vocal:  zvall  dat.  zu 
•wald',  fass  neben  fäss,  (bä)  desch  ('bei)  tische'  (a.  a.  o.  50). 
Wie  mir  ferner  prof.  Heilig  mitteilt,  gilt  die  kürze  im  dativ 
fiii-  den  Taubergrund  nur  für  stall,  icall  'wald'  und  fall. 

Die  übrigen  ostfi'änkischen  dialektarbeiten  haben  weiteres 
liierher  gehiiriges  material  nicht  angegeben,  doch  leistet  Wen- 
kei-s  s})rachatlas  willkommene  hilfe:  s.  die  berichte  Wredes 
über  die  dative  von  tisch  (Anz.  22,  325),  luft  (Anz.  19,  278)  und 
feld  (Anz.  19, 285).  Hiernach  gilt  im  dat.  tisch  langer  vocal 
in  einem  grossen  mittel-  und  oberdeutschen  bezirke,  den  man 
ganz  ungefähr  abgrenzen  mag  gegen  XW  durch  die  linie 
Wasungen,  ]\reiningen,  Fladungen,  Nordheim,  Tann,  Fulda, 
Schlüchtern,  Brückenau.  Steinau,  Salmünster,  Orb;  gegen  W 
durch  die  Verbindungslinie  Orb,  P^berbach  a.  X.,  Löwenstein, 
\\'eilheim,  Ehingen,  Füssen;  gegen  0  durch  den  Lech,  die  Donau 
bis  Ingolstadt  und  etwa  Ingolstadt,  Xeumarkt,  Eger;  gegen  XO 
durch  Thüringerwald  und  Frankenwald,  von  dessen  südostende 
aus  i  noch  die  reichsgrenze  längs  den  abhängen  des  Erz- 
gebirges begleitet.  Ausser  dem  XO  des  scliwäbischen  dialekts 
hat  also  auch  der  grösste  teil  des  ostfränkischen  im  dat.  tisch 
langen  Aocal.  —  Für  dat.  Inft  wiid  gedehnter  vocal  seltner 
von  der  obeien  Pegnitz  bis  zum  I'ichtelgebirge.  häufiger  zwi- 
schen diesem  und  dem  Erzgebirge  überliefert;  dann  aber  über- 
wiegt Iftft  im  grossen  schwäbisch-fränkischen  gebiete,  das  gegen 


176  RITZERT 

S  zwischen  den  unterlaufen  von  Hier  und  Lech  beginnt,  gegen 
NO  von  Donauwörth  bis  zum  ]\Iittelmain.  gegen  8W  von  Ulm  bis 
Stuttgart,  Adelsheim,  Miltenberg  sich  ausdehnt;  endlich  ist  am 
Frankenwald  louft  bezeugt.  —  Gedehntes  e  im  dat.  fehl  findet 
sich  namentlich  östlich  der  Rhön,  im  meiningischen,  sowie  im 
länglichen  streifen  vom  Spessart  südöstlich  auf  die  Lech- 
mündung  zu. 

Aus  diesen  belegen  ergibt  sich,  dass  die  dehnung  im  dativ 
nicht  auf  die  oben  genannten  orte  beschränkt  geblieben  ist. 
Es  darf  aus  ihnen  und  den  oben  gegebenen  tatsachen  ge- 
schlossen werden,  dass  der  ganze  Singular  der  einsilbigen  nomina 
auf  doppelconsonanz  im  grössten  teile  des  ostfränkischen  ge- 
dehnten vocal  hat. 

AMe  weit  damit  Gradl  (s.  oben)  in  Übereinstimmung  zu 
bringen  ist,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden;  Gradl  spricht 
ausdrücklich  'von  allen  flexionsformen';  immerhin  ist  auffallend, 
dass  in  den  nhd.  Übersetzungen  der  dialektformen  mit  kurzem 
vocale  so  weit  ersichtlich  nur  der  plural  angegeben  ist:  napf 
'näpfe',  niemals  der  dativ. 

Wenn  übrigens  die  herausgeber  der  A^^asunger  ma.  ver- 
muten, dass  die  vocaldehnung  im  dativ  dadurch  veranlasst 
sei,  dass  das  flexions-e  hier  eher  abgefallen  sei  als  bei  den 
pluralformen,  so  liegt  gar  kein  grund  zu  dieser  annähme  vor: 
wir  haben  es  einfach  mit  einer  ausgleichung  nach  der  nom.- 
acc.-form  zu  tun. 

§  45.  Vereinzelt  kommt  auch  in  flectierten  formen  der 
Wörter  auf  r  -\-  cons.  dehnung  vor,  jedoch  so  selten,  dass  im 
ostfi'änkischen  von  einem  dehnenden  einflusse  dieser  lautver- 
bindungen  keine  rede  sein  kann.  In  den  wenigen  fällen  dieser 
art  haben  wir  es  mit  ausgleichungen  nach  dem  nom.  zu  tun. 
Prof.  Heilig  gibt  zwei  beispiele:  dshrddr  'zarter'  und  odrds 
'arten'.  Reichardt  und  8piess:  hart  'bärte'  und  dim.  härdU, 
aber  hfärh,  dim.  zu  hfär  'pferd'.  Dehnung  findet  sich  ferner 
in  ferse  an  mehrei'en  orten,  im  Taubergrund  auch  in  döorse 
'salatstengeP;  Heilig  setzt  für  beide  mhd.  '^reresen  und  *torese 
an:  liegt  aber  nicht  vielleicht  analogiebildung  nach  den  ein- 
silbigen auf  -rs  oder  aber  beeinflussung  des  nahen  rheinfr.  (s. 
unten  §  51)  vor?  —  Auch  in  der  \\'asunger  ma.  erscheinen 
einige  zweisilbige  Wörter  mit  rs  mit  langem  vocale:  müJrsal 
'mörser'  u.  a.,  aber  yärsda  'gerste'  u.  a. 


DEHNUNG  DER  MIII).  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  177 

Niclit  selten  sind  im  ostfränkischen  einsilbige  würter  durcli 
svarabhaktivocal  zweisilbig  geworden.  Ks  Hesse  sich  die  deh- 
mmg  in  diesen  also  anch  auf  grund  der  hierdurch  entstandenen 
offenen  silbe  erklären.  Heilig  lässt  die  frage  offen:  ich  ver- 
neine sie.  da  einmal  in  anderen  ostfränkischen  maa.  (Stengel 
s.  390)  der  plural  trotz  svarabhakti  kürze  behalten  hat:  hölich 
'balg'  und  pl.  hdlicli,  ävdm  'arm'  und  pl.  dvdm,  und  anderer- 
seits in  anderen  ostfränkischen  maa.  in  bestimmten  Wörtern 
trotz  svarabhakti  auch  der  Singular  keine  dehnung  erfahren 
hat:  Schleicher  20:  bolich  'balg',  /ro//cA  'kalk';  Spiess:  ivolef 
"wolf"  u.a.;  auch  Stengel  hat  «•?/rt'>«  sing.,  stiirdm  m\g.  Beide 
fälle  ergeben  also,  dass  die  svarabhaktientwickelung  jünger  ist 
als  die  vocaldehnung. 

§  46.  Als  vereinzelt  auftretende  dehnungserscheinungen 
sind  folgende  zu  nennen: 

a)  Dehnung  vor  nasalverbindungen,  die  sich  auf  alle 
tlexionsformen  erstreckt,  kommt  an  der  Werra  vor;  beispiele 
bei  Spiess  und  Reichhardt;  das  nähere  s.  unten  §  75. 

b)  Ebenfalls  an  der  Werra  kommt  —  wie  im  angrenzen- 
den südwestthüringischen  —  dehnung  vor  altem  -st  vor:  bei- 
spiele bei  Spiess  und  Reichhardt:  äst  'ast'  und  pl.  est,  dim. 
esdld\  fast  'fasten'  u.  a.;  aber  last  'last',  hast  'beste'  u.  a. 

c)  Ferner  wird  hier  a  vor  h  auch  in  mehrsilbigen  Wörtern 
gedehnt:  sälzh,  dim.  zu  salz  u.  a. 

d)  In  den  maa.  Westböhmens  tritt  vor  II,  rr  regelmässig 
in  ein-  und,  Avenn  die  zweite  silbe  ein  altes  e  (nicht  aber 
andere  vocale)  barg,  auch  in  zweisilbigen  vocaldehnung  ein: 
///'alle';  srt? 'schall'  und  sd?n 'schallen';  bei  rr  tritt  der  Über- 
gang eines  oder  beider  r  in  a  ein:  iar  'irre',  saqrn  'scharren' 
(Gradl  210).  —  Nach  Haupt  hat  auch  Weischenfeld  in  Ober- 
franken när  <  narre,  die  Oberpfalz  erfült\  für  das  Erzgebirge 
verzeichnet  Göpfert  20  u.  a.  Tirüln  subst.  und  verb.;  Franke 
gibt  a.  a.  o.  30  ff.  verschiedene  beispiele  dieser  art  von  ver- 
schiedenen orten  Ostfraukens. 

0.    Rhein  fränkisch. 

Qucllfii:  E.  David,  Die  Wortbildung  der  raa.  von  Kiofdorf  (Viel 
Giessen;,  Genn.  37,  377  ff.  —  E.  Dittmar,  Die  Blankenheinier  (bei  T'.ebia) 
ma.,  Jenaer  di.ss.  1S91.  —  K.  Hessel,  Kreiznacli  is  tnnnp!    r.ocalscbwank. 

Beiträge  zur  geschichte  der  dcutBclicn  Bpraclie.     XXIII.  ]  2 


178  RITZERT 

Mit  einer  abhandlmig  über  Kreuznacher  art  und  iiia.  n.  einem  Wörterbuch. 
Kreuznach  1892.  —  J.  Xehrein,  Volkssprache  u.  volkssitte  in  Nassau. 
3  bde.  Bonn  1872.  —  J.  Leidolf,  Die  Naunheimer  ma.  (bei  Wetzlar). 
Jenaer  di.ss.  1891.  • —  Ph.  Lenz,  Der  Handschulisheimer  dialekt.  1.  Kon- 
stanz 1887.  Nachtrag:  (2),  Dann.stadt  1892.  —  J.Salz  mann,  Die  Hersfelder 
nia.  Marburger  diss.  1888.  —  L.  Schandein,  (Tcdichte  in  AVestricher  ma. 
Stuttgart  1854.  —  L.  Schandein,  Ma.  der  Eheinpfalz,  Bavaria  4,  2.  abt., 
217  if.  —  W.  Yietor,  Die  rheinfr.  \imgangssprache  in  und  um  Nassau. 
Wiesbaden  1875.  —  A.  Vil.mar,  Idiotikon  von  Kurhessen.  Marburg  und 
Leipzig  1868.  —  v.  Pf  ister,  Mundartliche  und  stammheitliche  nachtrage 
zum  idiotikon  von  Hessen.  Marbiirg  188(1.  —  t.  Pfister,  Ergänzungshefte 
zum  idiotikon  von  Hessen.  Marburg  1889  und  1894.  —  Ct.  Volk,  Auf  der 
Ofenbank.  Erzählungen  in  Odenwälder  ma.  Offenbach  1892.  —  H.  Breunig, 
Die  laute  der  ma.  von  Buchen.   Progr.  von  Taxiberbischofsheira  1891. 

Anm.  Die  maa.  der  orte  Bischofsheim  bei  Mainz  und  Eberstadt  bei 
Darmstadt  sind  mir  genau  bekannt.  Ich  habe  sie  deshalb  mit  zur  ver- 
gleichung  herangezogen  und  eitlere  sie  mit  Bisch,  und  Eh.;  ferner  habe 
ich  auf  erkundigungeu  bei  bekannten  hin  zuverlässige  angaben  aus  den 
Ortschaften  des  kreises  Homberg  (bez.  Cassel),  aus  Merxhausen  (bei  Fritzlar), 
Erxhausen  im  kreise  Eotenburg  (Fulda)  und  Eod  (bei  Weilburg)  erhalten, 
die  ich  ebenfalls  mit  verwerte. 

§  47.  Im  rheiiifräiikisclien  ist  im  allgemeinen  mhd.  kurzer 
vocal  in  offener  silbe  g-edelmt  worden. 

Da  in  keinem  der  genannten  werke  ausser  bei  Breunig 
(s,  unten  §  55  e)  der  quantitative  lautwandel  zum  gegenständ 
einer  besonderen  betrachtung  gemacht  worden  ist.  vermag  ich 
nicht  auf  beweissteilen  hinzuweisen;  zahlreiche  beispiele  aus 
allen  rheinfr.  maa.,  wie  folgende  aus  Handschuhsheim:  fand 
'faline',  lärd  m.  'laden',  iceivd  'weben',  sägd  'sagen'  u.  v.  a., 
ergeben  die  richtigkeit  des  obigen  satzes,  der  auch  für  die 
mischmundart  von  Buchen  gilt  trotz  Breunig  25. 

§  48.  Zahlreich  sind  in  Elieinf ranken  die  scheinbaren 
ausnahmen,  die  durch  vocalsynkope  in  suffixen  verursacht 
werden,  vornehmlich  im  S  (s.  Lenz  1, 11.  Hessel  65.  Schmeller, 
Die  maa.  Baierns  §  439  [für  die  I^heinpfalz].  Schandein  2,  284  ff.). 
]\Iit  wenigen  ausnahmen  erscheint  der  vocal  kurz,  wenn  der 
stamm  auf  m,  n  schliesst:  nemo  'nehmen',  ham'o  'hammer'  etc.; 
ferner  vor  liquiden,  Spiranten  und  medieii:  Iwh  'holen',  ivetvt) 
'weber',  heivV\\ebQ\\  oß^oteir,  swcfl^adiweteV,  bes9 )> i  'hesan\ 
glesn  pl.  zu  (jläs,  wagd  'wagen',  geivd  'geben',  glirn  pl.  zu  glid 
u.  V.  a.  Im  Westrich  (der  grösseren  gebirgigen  hälfte  der 
Rheinpfalz)    begegnet  die   kürze  seltener    (Schandein  2,  233) : 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  179 

öire  •ofeii"  u.  a.;  dasselbe  .C'ilt  für  die  maa.  von  JMsrli.  und  Kb.; 
iimnerliin  sind  die  fälle  mit  kürze  liier  noch  zalilreicli.  Auch 
der  X  hat  häufi,a"  die  ui'si)rüna-liclie  kürze,  doch  wider  seltner 
als  die  mitte  des  gebiets;  so  haben  Honiberg-,  Hersfeld,  ßlanken- 
lieim,  Merxhausen,  Erxhausen,  Naimheim  und  Rod  wol  him9l, 
kam,))-,  soni^r  u.  a.  auf  m,  aber  liäniar,  hamal,  ääniorn  (Rod  in 
letzterem  kurzen  vocal).  Für  das  schwanken  der  quantität 
in  den  fällen  dieser  art  seien  nur  einige  beispiele  angeführt. 
Kürze  in  nabd,  gehen,  nehmen  hat  der  8;  länge  finde  ich  be- 
zeugt für  Blankenheim,  Erxhausen,  j\Ierxliausen,  Homberg, 
Hersfeld  (in  beiden  letzteren  doch  nicht  in  nehmen)-^  ziemlich 
hat.  so  viel  ich  finde,  nur  in  Erxhausen  langen  vocal;  die 
jiartt.  geblichen,  geschrieben  u.  a.  haben  in  Bisch,  und  Eb.  kürze, 
im  X  länge;  gedehnten  vocal  hat  h-ehs  in  Homberg  und  Rod, 
sonst  kurzen,  dagegen  erscheint  magd  und  ohst  stets  mit  länge; 
honig  erscheint  in  Blankenheim  als  hiwlc,  in  Xaunheim  als 
lihilc,  sonst  wie  im  nhd.  Diese  beispiele  Messen  sich  ins  un- 
endliche vermehren;  sie  bew^eisen  zur  genüge,  dass  wir  es 
hier  mit  verschiedenartiger  ausgleichung  zu  tun  haben  (s.  Paul, 
Beitr.9. 118). 

Aniu.  In  Buchen  haben  öfters  pl.  und  ableitung  von  solchen  Wörtern 
vocalkürze,  die  im  sing,  die  regelrechte  länge  zeigen:  Wjl,  pl.  aber  htip\ 
hO(h  •boden",  dim.  aber  becbmb;  nüma,  aber  nemli  u.  a. 

In  der  verbal  flexion  kommt  die  kürze  in  folge  sj-nkope 
des  fiexionssilbenvocals  nur  vereinzelt  vor;  aus  der  mir  ge- 
läufigen ma.  von  Bisch,  kenne  ich  sie  nur  in  den  verbal- 
formen von  särd  'scliaden'  :  md  'schadet'  und  gdsad  part.;  aber 
1)äd  'badet'  und  part.  gdhekl;  in  Eb.  auch  in  ligd  3.  sg.  praes. 
zu  'liegen'  und  in  legd  und  galegd  zu  'legen'.  Vietor  führf 
sie  für  Xassau  ausser  ersterem  an  in  liehst,  licht  'liegst,  liegt' 
und  suchst,  sacht,  gesacht  'sagst'  etc.;  letzteres  auch  im  S.  — 
Die  kürze  in  dem  für  alle  drei  orte  giltigen  a  in  sad,  gosad 
ist  sicher  durch  den  umstand,  bedingt,  dass  diese  formen  häufig 
im  reime  zu  hadd  <  baten  sw.  v.,  das  kurzen  stammvocal  hat 
fs.  unten  §  49),  gebraucht  werden. 

sj  49.  Eine  ausnähme  von  unserem  gesetze  machen  im 
ganzen  gebiete  die  meisten  Wörter  auf  t,  welche  die  alte 
küi-ze  bewahrt  haben.  "Während  aber  in  den  aleni.  maa.  hierbei 
die  küizc  duichweg  erscheint,   zeigt  sich  im  rheinfiänkischen 

12* 


180  RITZERT 

ein  mehr  oder  minder  g-rosses  schwanken.  Fast  überall  haben 
kürze  gott,  pate,  mati,  quitt,  schnitt,  kette,  geratter,  ivetter, 
dotter,  Sattel,  schatten,  gesotten,  geritten,  hettel,  tritt  siibst.  nnd 
3.  sg.  von  treten  u.  a.;  gedehnten  vocal  haben  hlatt  (=  hJCid). 
hrett,  satt,  gebet  n..  hetcn,  treten,  kneten.  Was  die  übrigen 
betrifft,  so  finden  wir  mannigfache  scli wankungen:  sfadt,  glatt, 
vater,  katcr  haben  kürze  im  S  (s.  Lenz  1, 11. 12.  2(3  etc.),  länge 
in  Naunheim,  Homberg,  Merxhausen,  Erxhausen,  Blankenheim, 
Hersfeld  (doch  hat  letzteres  fat^r  'vater').  Bisch.,  das  meistens 
wie  der  Ö  kürze  vor  /  hat,  kennt  dieselbe  ausser  obigen  nicht 
in  der  3.  sg.  praes.  von  treten,  nicht  in  Schlitten,  schnitte]  Eod 
dehnt  ausnahmsweise  in  schatten  —  auch  Eb.  hat  säro  — ■ . 
gesotten,  verboten;  böte  erscheint  im  N  mit  langem  vocal,  doch 
hat  Erxhausen  hier  übereinstimmend  mit  dem  S  kürze,  Avie 
Merxhausen  in  getreten.  Hersfeld  hat  länge  in  kette,  bettet, 
ivetter,  gelitten,  aber  kürze  in  tmgetvitter;  in  Homberg  haben 
pfote,  gote,  verboten,  geboten  kurzen  vocal,  doch  gläd  'glatt' 
u.  a.;  schritt  und  tritt  haben  langes  /  in  Erxhausen;  in  Blanken- 
heim erscheint  in  ersterem  länge  und  kürze  neben  einander. 
Der  pl.  von  blatt,  brett  ist  meistens  kurz,  doch  gibt  es  auch 
hierbei  Schwankungen;  so  hat  Erxhausen  länge  in  blätter,  und 
Rod  in  bretter.  Die  mischma.  von  Buchen  und  Umgebung  hat 
vor  t  einige  mal  kürze  bewahrt:  bod  'böte',  gabods  'geboten', 
gesodd  'gesotten',  grod  'kröte',  i  bed  'bete'  neben  bed;  aber 
grido  'geritten',  glido  'gelitten',  brtd  'brett'  u.  a.  —  Wie  gross 
auch  dieses  schwanken  zwischen  den  einzelnen  maa.  sein  mag, 
so  zeigt  sich  doch  im  ganzen  gebiete  das  starke  bestreben, 
t  als  geminata  und  darum  silbeschliessend  zu  behandeln:  nur 
im  äussersten  NO  überwiegt  die  regelrechte  delmung.  Für  die 
Rheinpfalz  vgl.  Schmeller  §  671  und  Schandein  241. 

Auch  vor  d  ist  nicht  selten  kürze  erhalten:  sniid  'schmied', 
red  'rede'  und  red{r)j  'reden',  jud  und  pl.  jndd  (jurd)  'Jude', 
doch  (/??^cZ 'glied'  u.a.;  ebenso  in  zweisilbigen:  leder,  feder  u.  a,.; 
doch  lässt  sich  die  kürze  hier  durch  ausgieichung  nach  syn- 
kopierten formen  erklären.  Für  die  Rheinpfalz  s.  Schmeller 
§  439.    Buchen  hat  jüt  'Jude',  j^otd  'boden'  etc. 

§  50.  Ausserdem  begegnen  uns  im  rheinfränkischen  einige 
wenige  Wörter  (meist  in  einsilbiger  form)  mit  erhaltenem 
kurzen    stammvocal.      Erklärung   bei   Heimburger    (Beitr.  13, 


DEHNUNG  DEK  MHD,  KUKZEN  STAMMSILBENVOCALK.  181 

211  t'f.)  §  57.  Es  sind  dies:  sdub  (im  N  sdotvo)  'stube*  und 
pl.  sdutVQ;  sitb  <  schtqy,  (ß'oh,  flectiert  fjroicr  (in  Rod  (jrötvr); 
ivis  (im  N  wesj  und  in  Hersfeld  n-es)  'wiese';  ferner  fromm, 
sinn,  toll,  weg  (adv.):  vereinzelt  kommen  vor:  sib  *sieb'  in 
Xaunlieim;  dsug  'zug'  und  dim.  dsügolp  in  Eb.  und  Rod;  nacli 
Sflimeller  §  (345  lautet  s  an  der  Queicli  in  einzelnen  Wörtern 
wie  //':  (jlaff  'glas',  gm  ff  -gras'. 

Vor  l  zeigt  sich  einige  mal  kurzes  /  und  o;  so  in  Rod:  vil 
'viel',  ))iil  'mülile'.  dil  'diele';  Blankenlieim:  mel  'miUile';  Hers- 
feld: fd,  mvJ,  Jihol  <  Jwl,  felo  'füllen';  kürze  in  Iwldc  findet 
sich  auch  im  kreise  Homberg. 

§  51.  Von  der  qualität  benachbarter  consonantengruppen 
sind  die  dehnungserscheinungen  verursacht,  die  ich  in  den 
folgenden  paragraphen  erörtere. 

^'or  ^--Verbindungen  und  zwar  hauptsächlich  vor  r  +  dental 
werden  mhd.  a,  e  gedehnt  und  nur  vereinzelt  auch  andere  vo- 
cale.  Hinsichtlich  der  einzelnen  Verbindungen  dieser  art  be- 
steht aber  keine  gleichmässigkeit  des  dehnenden  einflusses.. 

Durchweg  ist  a,  e  vor  r  +  t,  d  in  einsilbigen  Wörtern  ge- 
längt: bdrd'hMV,  iverd  'werV;  auch  mrrf 'scharte;  «erscheint 
auch  in  zweisilbigen  gedehnt  mit  ausnähme  Nassaus:  gärde 
•garten",  jedoch  hat  auch  Naunheim  go^adj  'garten',  ivo'add 
.warten".  Länge  in  iverdcn  hat  Handschuhsheim.  Blankenheim, 
Homberg:  w^r\  sonst  (Rheinpfalz  [s.  Schandein  241],  Nassau, 
Bisch..  Eb.  u.  a.)  gilt  kurzer  vocal,  aber  irdd  'erde'.  Ver- 
einzelt, so  in  Rod,  Krofdorf,  Bisch.,  Eb.,  erscheint  dehnung  in 
gjhürd  'geburt'. 

Vor  rz  ist  nur  a  gelängt:  Mrds  'harz'  u.  a.,  aber  hcards 
•schwarz'  (Buchen  mit  a);  Handschuhsheim  hat  auch  pentsl- 
'bürzel'  (doch  auch  kurz),  stqnts  (<  ste'rz),  stÖDtso  (<  sturzel). 
An  der  Enz  wird  u  in  scJiiirz  gedehnt;  s.  Fischers  atlas,  karte  18. 

Vor  rs  und  rsd  ist  immer  dehnung  von  a,  e  eingetreten: 
kärsd  'karst',  gersd  'gerste',  im  S  MM,  ge.okl;  Handschuhsh. 
hat  auch  pemt  'bürste'  (aber  nur  bei  älteren  leuten),  töo.st 
•durst',  töDK.)  (<  torse)]  auch  Bisch,  hat  /a».vrf  •  f orst ,  als  nanie 
eines  gemarkungsteiles,  der  fri'iher  wähl  war;  diese  einzelfällc 
lassen  den  schluss  zu,  dass  sich  in  früherer  zeit  die  dehnung 
\or  rs  auch  auf  andere  vocale  erstreckte.  Tür  die  Enzma. 
Ix'zeugt  Fischers  karte  18  kirs  'kirsclie'. 


182  KITZERT 

Vor  rn  isiiid  a  und  e  sehr  häufig-  gedehnt :  gä(r)n  "g-arn', 
gern  {gemi}^ gern  u.a..  (h)ch  lieisst  es  überall  warnen;  ander- 
wärts tritt  vor  r)i  die  längung'  nur  in  einzelnen  Wörtern  ein. 
so  in  Hersfeld,  Blankenh.,  Erxh.  Kcxl  uiul  Xannli.  haben 
(ausser  go^an  'garn')  vor  rn  stets  kürze.  Das  linksrheinische 
g-ebiet  entwickelt  svarabhakti:  gcrj  'g-ern';  hier  ist  auch  Kärdl 
•Karr  üblich.  \\o\  in  folge  dieser  erscheinung-. 

Dehnung-  des  a  und  e  vor  r  +  labial  und  guttural  ist 
häufig  zu  constatieren,  aber  nicht  allgemein;  hierher  geh()rt 
dehnung-  des  a  vor  nn  in  cmu  subst.  und  adj.,  ärmuf,  ivärnr. 
wol  überall;  (■)fter  ist  länge  in  dann  und  erbarmen  ang-eg-eben, 
dag-eg-en  niemals  in  ärmel,  ivärme.  Handschuhsh.  und  das 
linksrheinische  gebiet  entwickeln  in  rm  svarabhaktivocal: 
ivärdni]  ebenso  in  ärix  'arg-',  das  sonst  —  mit  ausnähme  von 
Krofdorf  —  kurz  ist. 

Vor  rl)  erscheint  mhd.  e  gelängt  in  sterben  in  Bisch.,  Eb., 
Homberg,  Hersfeld,  Blankenheim;  in  den  beiden  ersten  orten 
auch  hqub  f.  'kerbe',  eüiad  'erben',  aber  goMgrtvd  ^gestorben', 
s§nb  'scherbe'  etc.  In  Bisch,  und  Eb.  heisst  es  auch  eimod 
'arbeit',  wie  im  linksrh.  gebiete  ärwdd  neben  artccit;  Hersfeld 
hat  erwJS  <  enveiz. 

Mhd.  e  ist  vor  rg  im  ganzen  g-ebiete  —  mit  ausnähme 
des  S  auf  beiden  Eheinufern  —  gedehnt  in  berg,  /rerg-,  die 
häufig  vorkommende  länge  in  weü-däg  '  Werktag'  ist  entstanden 
nachdem  Je  sich  dem  t  assimiliert  hatte;  Hersfeld  hat  auch 
nu/rk  *mark"  und  sdörg  'storch'. 

§  52.  Dehnung  vor  l-^t,d  wird  im  rheinfränkisclien  für 
a  bezeugt  und  zwar  für  das  gebiet  östlich  und  nördlich  der 
linie,  die  von  Weilburg  über  Idstein,  ]\lainz,  Dreieichenhain, 
Babenhauscn,  Seligenstadt  weiter  nach  Lohr  zieht  (die  cursiv 
gedruckten  orte  haben  vocalkürze);  s.  AVrede,  Anz.  21,  275:  alte. 
Hierbei  fällt  der  dentale  verschlusslaut  in  der  regel  aus.  so 
dass  a  (sofern  es  sich  um  zweisilbige  formen  dreht)  in  offene 
silbe  zu  stehen  kommt.  In  dem  bogen  zwischen  der  ge- 
nannten linie  und  der,  die  von  Weilburg  über  Herborn,  Staufcn- 
berg,  Schweinsberg,  Kirtorf,  Neustadt,  Alsfeld,  Herbstein, 
Schotten,  Wenings.  Büdingen  nach  AMndecken  zieht,  kommen 
alt  und  äl  neben  einander  vor.  Mit  alte  stimmt  kalte  (s.  Anz. 
21,  279)  im  grossen  und  ganzen  überein.  Vereinzelte  ausnahmen 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCAT.E.  183 

kommen  liiii  und  wider  vor;  allgemein  aber  bleibt  iler  umlaut 
von  a  kurz  :  Jicl  f.  'kälte'. 

1  )ie  orte  Biscli.  und  Eb.,  die  im  S  au  obige  linie  grenzen, 
haben  nur  in  Jidl^  'halten'  und  häl  'bald'  gedehnten  vocal; 
dasselbe  gilt  für  den  Odenwald. 

Länge  des  a  vor  Its  (s.  Wrede,  Anz.  19, 102:  saU)  findet 
sich  in  wesentlich  demselben  gebiete  wie  vor  It :  die  westgrenze 
zieht  von  Hilchenbach  über  Haiger.  Braunfels  nach  König- 
stein, die  südgrenze  bildet  der  Main.  Ferner  findet  sich  ein 
kleineres  gebiet  mit  länge  östlich  und  südlich  vom  Odenwald 
mit  Miltenberg,  Waldürn,  Adelslieim. 

In  Blankenh.  ist  auch  e  in  frld  gedehnt;  doch  heisst  es 
i/vld.  Hersfeld  hat  in  beiden  Wörtern  länge,  aber  nicht  im 
pl..  ferner  in  ,smcl(ls  'schmelzen';  andere  Wörter  mit  mhd.  e 
zeigen  kürze:  seklo  'selten',  meld  'melden'. 

§  53.  a)  Vor  der  lautgruppe  nasal  +  verschlusslaut  wird 
im  XO  des  gebiets  der  vocal  häufig  gedehnt.  Das  nähere 
hierüber  ist  beim  thüringischen  erörtert;  s.  unten  §  75. 

b~)  Delmung  vor  n  -\~  spirans  mit  schwund  des  nasals  findet 
sich  nach  Kehrein  22  (§  IGO)  'hier  und  da'  am  Taunus.  Nacli 
^^■rede.  Anz.  18, 406  hat  ferner  die  Lahngegend  um  Driedorf, 
W'eilburg,  Staufenberg.  (4iessen,  Nidda,  bad  Nauheim,  A\'etzlar 
[icis  für  den  pl.  (jänse.  Für  Xaunheim  gibt  Leidolf  einige 
hierher  gehörige  beispiele,  wie  hrats  'kränz';  doch  pl.  Irents, 
lanisol  "kanzel'. 

An  in.  Für  X;iniilieiin  <;ilt  auch  had  'liaiid",  förMi'Cd]  doch  land, 
wund  etc. 

Die  für  das  schwäbische  charakteristische  'ersatzdehnung' 
mit  nasalieruiig  des  vocals  vor  u  +  sjtirans  erstreckt  ihi-e  aus- 
läufei-  an  die  Knz.  Verlängerung  des  a  findet  sich  auf  beiden 
ufern  derselben  und  in  einem  schmalen  streifen  auf  dem  linken 
Xeckarufer  nch-dlich  der  Enzuiündung:  auch  /  wird  an  der  Knz 
vor  H  +  .spir.  gelängt;  sein  gebiet  erstreckt  sich  jedoch  nicht 
so  weit  westlich  als  das  für  d  und  zwar  fff  wider  nicht  so 
weit  als  zi's.  I)ie  linie  für  ä~s  'uns'  bleibt  einige  kilometer 
\()n  der  Knz  entfernt  und  geht  erst  kurz  vor  ihrer  quelle 
auf  das  linke  ufer;  noch  weiter  entfernt  bleibt  die  linie  für 
dit'  dehnunji-  in  braust:  s.  Fischers  karten  4  und  5. 


184  KITZEET 

§  54.  Vor  urspr.  Id  ist  mlid.  a  imd  e  ausser  dem  links- 
rliein.  teil  im  g-aiizen  gebiete  gedeliiit;  nur  wenige  Wörter  sind 
davon  ausgenommen,  wie  acht  num.  (das  aber  im  N  länge  hat 
gegenüber  achtzig)  und  fechten^  auch  specht  hat  hin  und  wider 
A'ocalkürze.  Das  fi^mdwort  j)at7/if  hat  teils  langen,  teils  kurzen 
vocal;  echt  und  pracltt  haben  stets  küi'ze. 

Nach  Wredes  bericht  im  Anz.  21, 162  zieht  die  grenze  der 
Yocaldehnung  in  recht  den  Neckar  abwärts,  weiter  den  Rhein 
entlang  bis  Bingen  und  dann  der  Nahe  und  Glan  aufwärts. 

Wie  weit  damit  Riehls  angäbe  (Die  Pfälzer,  Stuttg.  1858, 
s.  277),  gedehnte  aussj^rache  des  e  in  schlecht  sei  ein  charak- 
teristicum  des  Pfälzer  dialekts,  in  einklang  gebracht  werden 
kann,  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen;  für  das  Westrich  gilt 
vocalkürze,  und  ebenso,  nach  meiner  erfahrung,  für  die  hes- 
sische Rlieinpfalz. 

In  Blaukenh.  und  im  kreise  Homberg  ist  auch  /  gedehnt 
in  trichter.  Für  die  Enzma.  ergibt  Fischers  karte  1  länge  in 
frucht. 

§  55.  Nur  für  kleinere  bezirke,  und  zwar  in  erster  linie 
für  grenzgebiete,  gelten  folgende  dehnungserscheinungen: 

a)  Vor  urspr.  hs  ist  a  in  einem  gebiete  nördlich  des  Mains 
gedehnt;  dabei  schwindet  die  gutturalspirans.  Von  Ems  (cursiv 
gedruckte  orte  auf  der  .r-seite)  zieht  —  nach  Wrede,  Anz.  21, 
261:  ivachsen  —  die  südgrenze  desselben  über  Eunkel,  Cam- 
herg,  Usingen,  Homburg,  AMndecken  bis  llannu;  von  hier  bildet 
den  abschluss  gegen  0  und  N  die  linie  Büdingen,  Ortenherg, 
Wenings,  Schotten,  Herhstein,  Lauterhach,  Homberg  a.  d.  Ohm, 
Kirtorf,  Schweinsberg,  Kirchhain,  Marhurg,  Biedenliopf,  Dillen- 
biirg,  Haiger,  Ederkopf;  vgl.  unten  §  67.  Rod,  das  an  der 
grenze  des  genannten  gebiets  liegt,  hat  länge  nur  in  wachsen 
und  flachs,  aber  nicht  in  icachs,  dachs,  achsel. 

Ferner  ist  an  der  Enz  in  Übereinstimmung  mit  dem  schwäb. 
a  vor  hs  gedehnt  (s.  Fischers  karte  20);  auf  ihrem  linken  ufer 
aber  hat  nur  am  unterlaufe  ein  kleiner  bezirk  länge  (die 
grenzlinie  für  6s  'ochs'  reicht  nicht  bis  an  die  Enz). 

Mhd.  (i  ist  nur  ganz  vereinzelt  vor  hs  gedehnt:  Naunh. 
hat  weasd7i  'wechseln'  und  Krofdorf  ivf;osdl  'Avechsel'. 

Dehnung  des  o  vor  hs  ist  nach  Wrede,  Anz.  21,  264  eben- 
falls für  das  gebiet  nördlich  des  Mains  bezeugt,  nur  zieht  die 


DEHNUNG  DER  MHD.  KÜEZEN  ST  AMMSILBEN  VOC  ALE.    185 

südgreiize  iu  einem  kleinen  abstand  nördlicli  xon  der  für 
wachsen  gegebenen  linie  bis  Hofheim,  von  wo  sie  mit  der- 
selben zusammenfällt;  ausgenommen  bleibt  ferner  an  der  Lahn 
die  weite  halbinsel  AVeilbuig,  Braunfels,  Herborn.  Biedenkopf. 
]\Iarburg.  Kauschenberg. 

b)  In  Hersfeld  und  Blankenh.  ist  wie  in  Westthüringen  a 
und  e  vor  st  gedehnt  (vgl.  §  78,  a):  sw^schr  'Schwester',  Msd,) 
'kästen'.  In  Hersfeld  heisst  es  ferner  feshdr  'vesper'.  Länge 
in  nest  hat  auch  Homberg. 

c)  Das  pronomen  ich  hat  in  Handschuhsh.  und  in  der 
(ilan-  und  Donnersberggegend  (Schandein  252)  langen  vocal; 
ferner  in  einem  grösseren  gebiete  an  der  Lahn  und  in  der 
AVetterau  bis  Herborn,  Biedenkopf,  Eauschenberg  im  N,  Taunus 
und  ]\lain  im  S,  Herbstein  und  Gelnhausen  im  0,  ^^'esterburg 
und  Nassau  im  A\':  liier  wechselt  aich  mit  icli,  betonte  und 
unbetonte  form;  s.  ^\'rede.  Anz.  18,308. 

d)  Vor  n  erscheint  einige  mal  länge  des  a,  so  häufiger 
(Bisch.,  Eb.,  Rheinpfalz,  Odenwald)  in  überall,  in  der  Pfalz 
auch  in  ball  =  frz.  le  hal;  Handschuhsh.  hat  auch  wal  "auf- 
kochen' <  ival,  -lies. 

e)  Buchen  auf  der  grenze  zwischen  Ehein-  und  Ostfranken 
delmt  wie  letzteres  den  vocal  in  mhd.  einsilbigem  worte  vor 
doppelconsonanz  (s.  Breunig  16  ff.).  Hiermit  erklärt  sich  die 
unbestimmte  angäbe  bei  Breunig  25:  'das  von  Paul  aufgestellte 
gesetz,  dass  in  geschlossener  silbe  die  kürze  bleibt,  in  offener 
dagegen  dehnung  eintritt,  hat  in  unserem  dialekt  nicht  un- 
bedingt statt'  (in  offener  silbe  hat  Buchen  mit  ganz  wenigen 
ausnahmen  —  vor  f  —  dehnung;  vgl.  Br.  16;  auch  sonst  hat 
Br.  zahlreiche  hierher  gehörige  belege). 

7.    Mittelfränkisch. 

Qnelleu:  Bahles,  Die  Birkeufelder  raa.  Vocalismns.  BirkenfeUler 
]\)i<gr.  18!j5.  —  Tli.  Buesch,  Ueber  den  Eifeldialekt.  Ein  beitrag  zur 
kenntnis  des  mittelfr.  Progr.  von  Malmedy  1888.  —  F.  M.  Follmann, 
Iiie  ma.  der  Deutsch-Lothringer  und  Luxemburger.  1.  Consonantismus. 
Mt-tzer  progr.  188t>.  2.  Vocalisnius.  Metzer  progr.  1890.  —  M.  Hardt. 
Vocalisnius  der  Sancnna.  Echtcrnacher  progr.  1843.  —  .1.  Heinz erling, 
Ueber  den  vocalismns  und  ronsonantismus  der  Siegerläuder  ma.  Jlarburger 
diss.  1871.  —  F.  Honig.  Wörterbiuh  der  Kölner  ma.  Köln  1877  Olazu 
einleituug:  Ueber  die  laute  der  kölnischen  ma.  und  deren  bezeichuung  von 


186  lilTZERT 

"W.  ^^'alllellbel•g).  —  Hecking,  Die  Eifol  in  iliior  ma.  J'iiini  ISÜO.  — 
A.  Jardou,  (Traiiimatik  der  Aachener  ma.  Laut- und  fonnenlehre.  Aachen 
1S91.  —  (t.  Keintzel,  Lautlelire  der  raaa.  von  Bistritz  und  Sächsiscli- 
Keg-en,  Archiv  d.  ver.  f.  siehenb.  landesk.  N.  f.  20  (1S94),  133  ff.  —  J.  Kehr- 
ein, Volkssprache  und  volkssitte  in  Nassau.  Bonn  1872.  —  Kisch,  Die 
Bistritzer  ma.  verglichen  mit  der  moselfränkischen,  Beitr.  17, 347  ft".  — 
Ph.  Laven,  Gedichte  in  Trierischer  ma.  Trier  1S5S  (mit  lautübersicht  u. 
glossar).  —  Eottmann,  Gedichte  in  Hunsrücker  ma.  Kreuznach  1874.  — 
A.  Scheiner,  Die  Mediascher  ma.,  Beitr.  12, 113  ff.  —  B.  Schmidt,  Der 
vocalismus  der  Siegerläuder  ma.  Halle  1894.  —  K.  Chr.  L.  Schmidt, 
Wcsterwäldisches  Idiotikon.  Hadaniar  und  Herhorn  1800.  —  J.  "Wegeier , 
Coblenz  in  seiner  ma.  und  seinen  hervorragenden  persönlichkeiten.  Coblenz 
187(1.  —  J.  Wolff,  Der  consonantismus  des  siebenbürgisch- sächsischen. 
Mühlbacher  progr.  1873  (1).  —  J.  Wolff,  Ueber  die  natur  der  vocale  im 
siebenb.-sächs.  dialekt.    Mühlliacher  progr.  1875  (2). 

§  56.  Im  mittelfr.  ist  mhd.  kurzer  vocal  in  offener  silbe 
stets  gedehnt  worden;  in  den  nördlichen  maa.  (KCdn,  Aachen) 
jedoch  nur  im  allgemeinen  (s.  Baldes  7.  Buescli  8.  Jardon  15. 
Hardt4  Laven  ix.  Follm.2,23f.  B.  Schmidt  16.31.  43.  Kehrein 
[für  den  Westerwald]  3  und  §  12;  für  Siehenbürgen  s.  AVolff  2. 60). 
Zahlreiche  belege  sind  in  allen  genannten  arbeiten  zu  finden; 
ich  führe  an:  hänwr,  ts^sämd  'zusammen',  hdstätd  =  'sich  mit 
einer  statte  versehen,  daher  heiraten',  hätd  <  haten,  Mten 
'kette'. 

.  Wo  altes  j)  =  hoclid.  //'  erhalten  ist,  findet  sich  lautgesetz- 
lich länge  des  Yorhergehenden  vocals:  cq),  pl.  aj>e  'äffe';  in 
diesem  worte  hat  der  nördliche  teil  des  mittelfi\  auf  beiden 
K  heinufern  unverschobenes  j;;  die  genaue  grenze  dafür  gibt 
Wrede  im  Anz.  20, 324. 

§  57.  Von  weitgehendem  schützenden  einflusse  für  die 
erlialtung  der  urspr.  vocalküi'ze  sind  auch  im  mfr.  die  suffixe 
-el,  -er,  -em,  -en  und  ferner  -i(j,  -et  u.  a.;  hierzu  vgl.  §  16.  Die 
Wirkung  dieses  einflusses  ist  nicht  allerorts  die  gleiche.  Obenan 
stellt  die  kölnische  ma.,  wo  unter  den  angegebenen  Verhält- 
nissen fast  ausnahmslos  die  kürze  erscheint,  mag  der  stamm 
auf  nasal,  liiiiiida,  spirans  oder  media  ausgehen:  iconc  'wohnen', 
liamel,  hole  'holen',  kiining  'kömg',  u-evrer  'wehar',  igel,  hesem, 
ledder  'leder',  faddem  'faden'.  In  der  Eifelma.  ist  die  kürze 
'regelmässig"  erhalten,  wenn  die  Stammsilbe  auf  liquida  oder 
nasal  schliesst:  /a>T/i 'fahren',  jes/ö7e;i 'gestohlen'  (s.  BueschO); 
aber  auch  vor  anderen  consonanten  bleibt  die  kürze  häufig: 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  187 

di.'icn  "dieser',  jczoijcn,  böedciii  u.  a.;  aber  jafd  'g-aber,  hä^scni 
'besen',  Jiaiel  'kegel',  Mätcl  •  flache  schüssel'  u.  a.  Ebenso 
haben  die  maa.  Siebenbürgens  in  selir  zahh-eichen  fällen  die 
kürze  bewahrt,  so  fast  regelmässig-,  wenn  die  Stammsilbe  auf 
nasal,  und  sehr  häufig-,  wenn  sie  auf  stimmhaften  verschlnsslaut 
ausgeht  (s.  Keintzel  145.  159.  150.  153.  157). 

Bei  weitem  nicht  in  demselben  umfange,  aber  immerhin 
noch  häufig  erscheint  vocalkürze  in  folge  vocalsynkope  in  den 
Suffixen  in  den  übrigen  maa.  Aus  den  an  den  angeführten 
orten  verzeichneten  beispielen  ergibt  sich  die  tatsache,  dass 
sich  die  kürze  am  häufigsten  dann  erhält,  wenn  der  stamm 
auf  )ii,  n,  IC  <  Ik  und  nicht  selten,  wenn  er  auf  (j,  d  ausgeht. 
Im  Siegerland  bleibt  z.  b.  die  kürze  vor  dem  aus  g  nach  / 
erweichten  j  in  reil  "riegel'.  Vgl.  B. Schmidt  89,  der  hier  Verkür- 
zung aus  sehr  früh  eingetretenem  i  annimmt;  zu  feü  heisst 
aber  der  sg.  /o^? 'vogel',  also  mit  erhaltener  kürze.  E^s  liegt 
deshalb  m.  e.  viel  näher,  jene  durchgangsstufe  überhaupt  nicht 
anzunehmen.  Bemerkt  sei  noch,  dass  in  Siegen  a  vor  ni  -\- 
suffix  stets  gedehnt  wird:  sosänid  etc.,  die  übrigen  vocale  aber 
meist  nicht:  y?«;><6' "nehmen',  himel,  somer;  doch  A-mi  "kümmel'; 
auch  donner  hat  kürze.  Ferner  hat  Aachen  kämer,  zesämc 
neben  schömcl  "Schimmer,  n^me  "nehmen"  etc.:  doch  auch  hamd. 

Hin  und  wider,  so  in  der  Eifel,  kommt  es  vor.  dass  in 
den  flexionsformen  der  verben  auf  dentalexplosiv,  in  denen 
durch  ausfall  des  e  der  flexionssilbe  geminata  entsteht,  die  alte 
kürze  zum  Vorschein  konmit:  sat,  bat  =  3.  sg.  praes.  7ai  sädcu, 
häden.  Leider  sind  die  quellen  zur  ausreichenden  behandlung 
dieser  erscheinung  nicht  genügend. 

§  58.  Erhalten  ist  die  kürze  vor  altem  einfachen  t  fast 
ausnahmslos  in  Köln:  (/ehcti  'gebet',  hott  "böte',  j^aH  'pate'  etc.; 
länge  vor  t  finde  ich  in  der  Wörtersammlung  bei  Honig  nur 
in  jj?«a^  "platte',  plaate  verb.,  aber  hlatt,  pl.  hlätter  und  verb. 
hlädderc]  bäte  (<  baten);  Staats  (<  an-stete);  yäder  'gattertüre' 
und  in  hrCit  "kröte';  neben  letzterem  aber  hrott  'kleiner  junge'; 
neben  vatter  kommt  vädcr  und  rar  vor. 

Ebenso  ist  hier  vor  d  kürze  bewahrt:  ratt  "lad"  und  pl. 
rädder,  ylidd  n.,  redd  f.  'rede',  patt  'pfad'  und  &m\.  pättche  etc. 

Von  einer  beeinfiussung  des  kölnischen  als  einer  stadtnm. 
durch  die  schrill  spräche  kann  also  hierbei  keine  rede  sein. 


f! 


188  KITZE KT 

In  Aachen  steht  nach  Jardon  die  kürze  namentlich  vor 
auslautendem  dentalexplosiv:  sat  'satt',  flat  "glatt',  hlat  'blatt', 
aber  pl.  hlär,  hö"  'böte*  etc.;  ferner  rat  'rad',  aber  pl.  rar,  hat 
n.  'bad',  aber  verb.  hddc.    Vgl.  hierzu  §  33. 

In  den  maa.  Siebenbürgens  erscheint  ebenfalls  nicht  selten 
kürze  vor  t  und  d  (belege  bei  Keintzel;  s.  ferner  yScheiner  126. 
127.  128.  132). 

In  den  übrigen  nifr.  niaa.  findet  sich  vor  t  nur  selten 
kürze;  in  der  Eifel  kommt  jvitt  "pfote,'  vor',  in  Siegen  badib 
(<  baten,  s.  B.  Schmidt  18,  aber  auch  31);  in  Birkenfeld  liaben 
einige  Wörter  kurzen  vocal  zur  Unterscheidung  von  gleich- 
lautenden, so  u.  a.  blad  f.  'jdatte'  neben  bläd  n.  'blatt',  kub 
(<  schate)  neben  sädd  m.  'schaden';  s.  Baldes  11. 

Kürze  vor  d  begegnet  in  wenigen  fällen  auch  an  anderen 
als  den  vorhin  genannten  orten;  fast  durchweg  erscheint  sie 
in  ret  f.  'rede',  jut  m.  'Jude',  smit  m.,  glit  n.;  in  einigen  maa. 
besteht  daneben  gedehnter  vocal. 

B.  Schmidt  47  vermutet,  dass  in  jut  sehr  früh  dehnung 
eingetreten  und  dann  u  gesetzmässig  zu  n  verkürzt  worden 
sei  (nach  s.  75  a.  a.  o.).  Die  sache  verhält  sich  m.  e.  aber  um- 
gekehrt. Das  kurze  u  blieb  und  analog  dazu  wurden  auch 
lange  u  vor  t  kurz  wie  in  brutt  aus  brüt.  Ganz  dasselbe  liegt 
vor  in  sltt  'sieht'  und  gefdt  "geschieht'  (a.  a.  o.  40). 

§  59.  Erhaltene  kürze  in  folge  Verallgemeinerung  der 
quantität  der  unflectierten  formen  hat  eine  anzahl  einsilbiger 
Wörter  in  fast  allen  oben  angeführten  maa.  des  mfr.;  dasselbe 
gilt  auch  für  Siebenbürgen;  ausgenommen  ist  der  Hunsrück. 

Es  betrifft  dies  zunächst  die  auf  liquida  auslautenden 
Wörter  mit  /,  o,  ü:  st'd  'stiel',  spil  m.  'spiel',  miil  f.  'mülile". 
/fo^  f. 'kohle',  ftoH'. 'bohle'  etc.  Aachen  und  Siegerland  haben 
hier  länge,  doch  hat  letzteres  bol  'bohle'.  Auf  r:  bir  (<  bir, 
pirus),  dir  (<  tür\  Köln  jedoch  beer,  aber  pl.  birre)  etc.;  so  auch 
bei  Wolff,  Keintzel,  Kisch,  Scheiner. 

Kürze  vor  auslautendem  nasal  zeigt  sich  meist  in  from 
•fromm',  tsin  n.  'zinn',  schin  oder  sehen  'Schienbein",  son  und 
pl.  HÖH  m.  'söhn",  in  der  Klznia.  auch  in  bun  f.  'bahn;  bei 
Keintzel:  iviui  'wohnen',  lum  'lahm'  tsuni  •zahm';  doch  gräm, 
fän  f.  'falme'. 

Von  sonstigen   Wörtern   liabun   kürze:    cicech  {<emvec); 


DEHNUNG  DER  MIID.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  189 

(<  emcec):  ferner  mehrere  auf  /'  und  .s^:  hof,  hcf  f.  'liefe',  grof 
'grob',  stuf  f.  -Stube",  sef  'sieb",  Jios  f.  'liose',  wis  f.  'wiese'; 
bei  Hardt  auch  vis  m.  'riese'.  Hin  und  wider  findet  sicli  in 
dem  einen  oder  andern  aiicli  vocallän.o-e. 

In  der  Aachener  ma.  zeigt  sich  im  \)\.  oft  die  alte  kürze 
und  zwar  durchaus  bei  solchen,  die  plural-e  verloren  haben: 
(lach  m.  "tag",  aber  pl.  dach.  Jardon  sagt  a.  a.  o.  s.  32:  'das  / 
der  pluralendung  (der  /-decl.)  ist  überall  geschwimden,  der 
stammvocal  womöglich  gekürzt.'  Ebenso  wird  in  der  compara- 
tion  des  adj.  'der  stammhafte  vocal  meist  gekürzt'  (s.  Jardon  34). 

§  ()0.  Viel  häufiger  als  in  anderen  dialekten  bewirken 
im  mfr.  doppelconsonanzen  dehnung  mhd.  kurzer  vocale. 

Von  gesetzmässigem  dehnenden  einüusse  auf  den  voraus- 
gehenden vocal  sind  hier  zunächst  die  Verbindungen  r  +  con- 
sonant;  in  mehreren  der  oben  angeführten  maa.  wdrkt  dies 
gesetz  fast  ausnahmslos;  so  in  Luxemburg  und  Deutschlotli- 
ringen  (s.  Follm.  1, 17.  2, 10. 11. 13);  ferner  zahlreiche  belege 
bei  Hardt ;  auch  Birkenfeld  gehört  hierher  (s.  Baldes  7).  Auch 
Aachen  hat  meistens  länge  (Jardon  3.  28,  29).  Vor  r  -\-  dental: 
(/,  t,  z,  n,  s,  seh,  l,  dehnen  Köln  (s.  Honig  30),  Trier  (s.  Laven 
287),  Coblenz  und  die  Eifel.  Stadtmaa.  aber  haben  öfters 
vocalküi'ze.  ^^'o  sonst  in  durchaus  dehnenden  maa.  fälle  mit 
kurzem  vocale  vorhanden  sind,  ist  schriftsprachliche  beein- 
tlussung  zu  constatieren  oder  das  betr.  wort  ist  aus  dem  nhd. 
entlehnt.  P'ür  ersteres  gibt  Baldes  einen  treffenden  beleg: 
in  der  Birkenfelder  ma.  erscheint  die  kürze  in  had  'hart',  sivads 
'schwarz',  heods  n.  'herz',  phesl  f.  'perle';  hierzu  bemerkt  B.  11: 
'dass  auch  hier,  wenigstens  in  kvads,  die  länge  vorhanden  war, 
das  zeigt  die  ausspräche  des  Ortsnamens  Schwarzenbach,  der- 
im  munde  der  Birkeuf eider  swädsohax  lautet.'  Ein  beleg  für 
den  zweiten  fall  bei  Hardt  21:  harscht  'bursche'  und  morsch 
"böse,  morsch"  "sind  beide  aus  dem  hochd.  entlehnt." 

Für  die  maa.  Deutschlothringens  und  Luxemburgs  sagt 
Follmann,  dass  nur  selten  und  zwar  nur  an  der  Mosel  vor 
einigen  r- Verbindungen  kürze  vorkommt:  berrech'hevg',  herrebst 
•herbst',  dorref^ dorV.  An  der  Mosel  scheint  also  dehnung  nur 
voi"  ;•  -f  dental  zu  gelten. 

Buesch  und  Hecking  geben  für  die  Eifelma.  die  kürzen 
sorgen   '.sorgen',    dazu    sorech  f.  'sorge';   für  t  'furche';    <ir(j; 


190  EITZERT 

harg  =  porcus;  daneben  aber  die  läng-en  mor  'morgen',  wärek 
(<  tverch  und  iverfc). 

Während  auf  dem  Westerwald  die  küi'ze  nur  ausnahms- 
weise erscheint,  werden  in  der  Siegerländer  ma.  vor  r-verbin- 
dung-en  nur  a  (doch  nicht  dessen  umlaut)  und  c  <  e  gelängt 
und  zwar  fast  durchgängig.  Schmidt  16  f.  nimmt  mit  Heinzer- 
ling  14  als  Ursache  dieser  dehnungserscheinung  die  entwicke- 
lung  eines  svarabhaktivocals  an,  'wodurch  der  vorhergehende 
vocal  gewissermassen  in  offene  silbe  zu  stehen  kam.'  ^Yem\ 
auch  ein  solcher  oft  noch  deutlich  fühlbar  ist  und  in  drich 
'arg'  klar  zu  tage  tritt,  so  muss  es  doch  auffallend  erscheinen, 
dass  sich  derselbe  nicht  wie  z.  b.  im  scliwäb.  und  ostfr.  auch 
da  entwickelt  hat,  wo  dem  r  ein  umlauts-e,  i,  o,  u  vorausgeht. 

Im  siebenbürgischen  sind  die  Verhältnisse  vor  r  -\-  cons. 
weniger  einfach.  Doch  gilt  hier,  was  Wolf f  2,  28  sagt:  'wo  die 
kürze  der  hochtonigen  silbe  nicht  geschützt  war  durch  Posi- 
tion, da  war  sie  in  den  meisten  fällen  unrettbar  verloren'; 
ferner:  'kurzes  a  bleibt  aber  in  den  Verbindungen  r  +  cons. 
fortis.'  —  Die  Verbindungen  rsch  und  rscht  dehnen  den  voraus- 
gehenden vocal  fast  regelmässig  (s.  Wolff  1,  20).  In  der  Bi- 
stritzer  ma.  ist  a,  sein  umlaut,  e  vor  r  +  cons.  gedehnt,  jedoch 
nicht  immer;  ferner  tritt  oft  dehnung  ein  in  mundartlich  ein- 
silbigen Wörtern  mit  i,  mitunter  auch  mit  tc:  Mrt,  hurt;  ferner 
ist  vor  rd  und  rn  fast  durchweg  o  gelängt,  während  nach  ^Volff 
1,  20  andererseits  in  der  gruppe  rn  das  r  oft  geminirt  wird. 
Keintzel  hat  für  Bistritz  und  Regen  auch  die  beispiele;  (jir/iij 
'gürten',  girkol  m.  'gürtel',  irt  =  rechnung. 

Mit  Bistritz  stinmit  Mediasch  im  wesentlichen  überein:  a 
und  sein  umlaut  sind  gedehnt  vor  rn,  rd,  rs,  rni  (vor  letzterem 
der  umlaut  nicht);  e  ist  gedehnt  vor  rs  und  rst  und  einige 
mal  vor  rt,  so  in  i'^ort  f.  ^ arde' ;  o  ist  gedehnt  vor  rn,  rd,  doch 
ist  der  umlaut  mitunter  kurz;  /  erscheint  einige  mal  gelängt 
in  mundartlich  einsilbigen  Wörtern. 

§  Gl,  Ueber  vocaldehnung  vor  l  +  consonant  im  mfr.  gilt 
folgendes.  Vor  U  (d)  wird  a  nördlich  einer  linie  gedehnt,  die 
etwas  westlich  parallel  der  Nied  über  Merzig,  Saarburg,  den 
Hochwald,  Bernkastei  und  dann  etwa  Mosel  und  Tjahn  entlang 
zieht  (vgl.  Wrede,  Anz.21,  275  ff.:  alte).  Hierbei  assimiliert  sich 
immer  das  t  dem  l,  so  dass  a  bei  zweisilbigen  formen  in  offene 


DEHNUNG  DER  MIID.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  101 

silbc  zu  stellen  kam.  In  den  Wörtern  in  denen  /  {d)  g'eblieben 
ist,  bleibt  auch  die  kürze;  es  finden  sich  deren  mehrere  im 
Sieg"erland  und  auch  sonst:  wdld,  (fpivalt,  ferner  öfters  die  ein- 
silbio-en  formen  der  Wörter,  die  in  zweisilbig'en  gedehnt  er- 
scheinen: alt,  aber  äle  'alt';  halt  imp.,  aber  hälc  'halten'  (s. 
Heinzerling  110).  Die  kürze  bleibt  auch  dann,  wenn  das  ver- 
längerte a  umgelautet  ist:  cd  'alt',  aber  comp,  aller.  Für  die 
P2ifelnia.  iJstlich  von  Prüm  gibt  Buesch  auch  Mit  und  alt:  also 
erhaltenes  t. 

Im  NW  des  gebiets  besteht  übrigens  nach  Wrede,  Anz.  21, 
275  ff.  279  ein  schmaler  streifen  längs  der  belgischen  und  hol- 
ländischen grenze  mit  erhaltenem  -It-,  dessen  südgrenze  für 
alte  von  ]\Ialmedy  ostwärts  nicht  ganz  bis  Blankenheim  und 
dessen  ostscheide  von  hier  gegen  N  (istlich  vorbei  an  Schieiden, 
Gemünd,  Stolberg  über  TJnnich  und  Erkelenz  weiter  zieht. 
Für  das  beispiel  J:alte  ist  das  gebiet  der  -?f-formen  noch  weiter 
ausgedehnt,  so  dass  man  die  grenze  bis  Erkelenz  ganz  ungefähr 
ersetzen  mag  durch  St.  Yith,  Daun,  Remagen,  Erkelenz,  'Doch 
beweisen  noch  zahlreiche  Ä-a?-ausnahmen  die  priorität  der  alte- 
linie.'  Ausgenommen  ist  für  beide  Wörter  der  grenzsaum  von 
Eupen  bis  Straelen,  wo  der  dental  schwindet  und  l  vocalisiert 
ist;  für  hdte  schliesst  der  säum  im  S  noch  Cornelimünster  ein, 
in  seinem  südzipfel  ist  öfters  alt  bezeugt.  Für  Aachen  be- 
stätigen .Tardons  beispiele  das  gesagte:  aiC'e  'alte',  /aM"'e 'fal- 
ten'; in  einsilbigen  formen  bleibt  der  dental  o"i  'alt'. 

In  den  maa.  Deutsclilothringens,  Luxemburgs  und  der  Eifel 
^^•ird  auch  e  vor  It  gedehnt:  seien  'selten',  gelen  'gelten';  Wrede 
gibt  im  Anz.  19,  285:  f'äl  dat.  sg.  'felde'  um  Prüm  und  Witlich. 
Bei  Firmenich  1,  502  finde  ich  für  den  kreis  Prüm  auch  schould 
'schuld'  neben  schölligJieet,  jähld  n.  'geld'  neben  tvelf. 

Für  den  Westerwald  gibt  K.  Chr.  Schmidt  goold  n. 'gold*. 

Vor  -Its  "\\ird  a  gedehnt  in  einem  streifen  zu  beiden  selten 
des  Kheins  von  Düren  über  Köln  bis  zur  lautverschiebungs- 
linie,  sowie  häufiger  nördlich  der  Mosel  im  westlichen  teile 
der  Eifel.  Vocalisation  des  l  erscheint  auch  hier  im  west- 
lichsten teile  der  Kheinprovinz  mit  (Tangelt  und  ^\'aldfeucht 
(s.  A\'rede,  Anz.  19, 102),  Auch  Buesch  gibt  sah.  Firmenich  hat 
fernei'  hahls  für  die  Eifel  (1,  508).  Ebenso  hat  der  Westerwald 
saaLr  (aber  salzhorjcr)  und  sclonaah. 


192  KITZEKT 

Allgemeiner  ist  vor  l  +  cons.  in  Aachen  und  auch  in 
Siebenbürg-en  Verlängerung  eingetreten;  in  A,  ist  in  einer  an- 
zahl  von  fällen  l  ausgefallen  und  der  vocal  diphthongiert: 
/i-pw/"''kalb';  oft  findet  sich  nach  l  svarabhaktivocal :  kätl:  'kalk', 
Jahn  'qualm',  mePch  'milch'  und  verb.  m^l^ke;  oft  nicht:  p^ls!, 
hclt  'bild'.  Von  den  maa.  Siebenbürgens  dehnt  ]\rediasch  con- 
seciuent  den  vocal  vor  Z- Verbindungen  (s.  Scheiner  131).  Bistritz 
und  Regen  dehnen  a  und  in  der  regel  e;  einige  mal  ist  in 
Regen  auch  o  gedehnt:  hnlts  n.  'holz',  fülle  'volk'  etc.  Nach 
y\\)\it  2,  IG  findet  sich  in  den  dorfmaa.  Siebenbürgens  vor  It 
sehr  häufig  diphthongier ung:  awZ^'alt',  houlz  'holz',  foullc  'volk', 
neben  alt,  hfdz,  ffdk;  anderwärts  hat  doppelconsonanz  in  S. 
eine  dehnung  des  vocals  nicht  zugelassen.  Im  nösnischen  ist 
t  (d)  nach  l  häufiger  verloren:  schälen  'schelten'. 

§  62.  a)  Verlängerung  vor  nasal  -}-  cons.  findet  sich  im 
A\'  des  mfrk.  In  Aachen  tritt  vor  den  vei'bindungen  mjj,  ul; 
nts,  ns  und  in  einigen  fällen  vor  nt  (d),  das  selbst  aber  v^'egen 
des  wandeis  zu  itJc  nur  sporadisch  vorkommt,  vocaldehnung  ein: 
wempel  'wimpel',  länk  'lang',  hUnk  'blind',  öns  'uns',  mö^nz 
'minze',  schiväns  (aber  pl.  sdnv^nz),  zQuke  'zanken'.  Der  plural 
zeigt  meistens  wider  die  kürze. 

In  der  Eifelma.  wird  nur  a  vor  nt,  nk  und  mp  gedehnt. 
'Bei  hinzutritt  einer  flexionsendung  sträubt  sich  die  spräche 
gegen  eine  Vermehrung  der  laut-  und  tonmasse',  so  dass  meistens 
der  urspr.  kurze  vocal  mder  hervortritt  (s.  Buesch  9).  Die  an- 
geführten beispiele  wie  lämp  'lamm',  pl.  lammer,  länk,  flectiert 
lange,  sänt,  dat.  sann,  zeigen  aber,  dass  in  den  flectierten 
formen  die  consonanz  sich  ändert.  Ich  sehe  deshalb  hierin 
die  Ursache  der  (luantitätsveränderung  in  der  flectierten  form. 
In  den  Wörtern,  die«  jetzt  a  für  mhd.  /  haben,  ist  die  deh- 
nung unterblieben:  kant  'kind',  uant  'wind'.  Hecking  und 
Firmenich  haben  ebenfalls  hierher  gehörige  beispiele. 

Für  die  Trierer  ma.  sagt  Laven  viii  und  xxv:  'in  vielen 
Worten  ist  die  ausspräche  von  m  und  n  (auch  l  und  teilweise  r) 
eine  gedehnte  und  der  diesen  lauten  vorausgehende  vocal  Avird 
schwebend,  d.  h.  etwas  gedehnt,  ausgesprochen.' 

In  der  Sauerma.  steht  e  vor  der  Vereinfachung  des  m,  n 
aus  mp{h)  und  nt{d):  lencr  pl.  von  lant;  also  offene  silbe. 

Honig  gibt  für  die  Kölner  ma.  beispiele  mit  vocaldehnung 


DEHNUNG  DER  MUD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  19^ 

vor  n.i:  fruau.-briiikhc  'milchbrötclien".  /ircu.rele  "sich  zieren', 
liönzel  'stadielbeereir,  doch  Frans  nom.  pr.,  uns. 

Für  Siebeiibürg-en  sagt  ^Volt'f  1.  28:  *vor  m(,nf.n.i-  wird  a 
liäutig  gedehnt';  s.  auch  Scheiner  124. 

In  Kegen  wird  ausser  a  auch  e  vor  n  +  d,  sowie  vor  u 
gedehnt;  letzteres  gilt  auch  für  Bistritz  (s.  Keintzel  143.  149); 
voi-  u  wii'd  in  beiden  orten  auch  u  gelängt  (s.  Keintzel  102). 
In  Mediasi-li  wird  u  vor  nt,  nd,  nh,  wj  gedehnt,  sein  umlaut 
aber  niclit. 

Aiim.  Zu  §  (50.  (il.  62,  a  vgl.  E.  Maurmann,  Die  buite  der  ma.  von 
Miillieim  (Marliurger  fliss.  1SS9)  §  137  imd  14.5;  in  dessen  niederfr.,  an  das 
mfr.  grenzenden  ma.  sind  die  knrzen  vocale  vor  v  +  alveolar,  vor  Id  und 
It  nnd  vor  mh,  mp,  nd,  rü  gedehnt  worden. 

b)  Vereinzelt  tritt  im  mfr.  der  fall  ein,  dass  n  vor  der 
Spirans  *■  oder  /'  schwindet.  Avodurch  der  vorausgehende  vocal 
gedehnt  wird.  Für  die  Sauerma.  erwähnt  Hardt  nur  Is  'uns'. 
Follmann  constatiert  diese  dehnung'  in  einigen  fällen:  späsel 
'spannseir.  ddsen  'geschwind  laufen',  (jös  'gans'  und  pl.  (jeis 
(hierzu  vgl.  Wrede.  Anz.  18.  40():  'in  der  nordwestlichsten  ecke 
von  Lothringen',  ferner  überall,  mit  ausnähme  der  Elzma.,  m 
[e's,  is\  'uns". 

Hecking  bezeugt  für  die  Eitel  haf'cl  "handvoir,  heischen 
•liandschuh",  ohsen  'der  unsrige';  Ruesch  auch  ntöfel  "mund- 
voir,  sdft  'sanft'.  Bei  Rottmann  finde  ich  sähft  'sanft',  nhs 
'uns',  fiesfer  'fenster'  (daneben  finstenjlas).  Auch  auf  dem 
Westerwald  und  im  Siegerland  begegnen  wir  dieser  erschei- 
nung;  Kehrein  22:  t'is  'uns',  (jas  'gans',  schtväs  'sclnvanz'.  lise 
'linse',  sdft  'sanft',  Wrede  a.a.O.:  'um  Uriedorf  findet  sich 
dehnung  in  gättsc  mit  ausfall  der  sjjirans.  Im  Siegerland  ver- 
liert sich  unsere  erscheinung  im  laufe  der  zeit:  Jcöst  f.  'kunst' 
ist  der  name  eines  alten  Wasserwerks  bei  Siegen,  doch  sonst 
heisst  das  wort  im  heutigen  gebrauche  immer  kon.i'f\  ferner 
neben  ijds,  [d.  ijaese  schon  <jan2,  tjäiuc. 

Für  Siebenbürgen  sagt  Wolff  1,28:  'vor  ns  wird  n  gewöhn- 
lich synkopiert  und  der  vorausgehende  vocal  zum  ersatz  ge- 
dehnt: liisf  -kainist',  gas  'gans',  doch  /ccnst  'kennst',  honst  f. 
kunst".  I^)('i  Keintzel  156.  162,  Kisch  und  Scheiner  131.  134 
er.scheiiien  i  und  u  nach  schwand  eines  n  (d)  vor  .s-, /"  gelängt ; 
Keintzel  gibt  auch  /lal.sf  m.  •hengst'.     In  manchen  Ortschaften 

Beitrüge  /tir  gosnliichte  der  deutuclieu  bpruche.     XXIIl.  1 ;{ 


194  filTZERt 

fällt  n  nicht  aus.  so  z.  b.  in  Klein -Bistritz:  fsent.s  'zins'. 
ßndf  'fünf, 

§  63.  Auch  A'or  urspr.  geminaten  von  liquiden  und  nasalen 
findet  sich  hin  und  wider  dehnung  des  vocals.  Die  Ursache 
dieser  erscheinung-  liegt  darin,  dass  dieselben  nicht  als  gemi- 
naten  behandelt  werden.    Im  einzelnen  gilt  hierüber  folgendes : 

In  den  maa.  Deutschlothr.,  Luxemburgs.  Triers,  also  im  S^^' 
des  mfrk.,  wird  rr  'stets  aufgelöst"  (Follmann  1, 15)  und  der 
vorausgehende  vocal  gedehnt:  f/cscJnr  'geschirr',  nör  'narr'. 
Selten  finden  sich  ausnahmen.  Jedenfalls  erstreckt  sich  das 
gebiet  dieser  erscheinung  viel  weiter,  da  auch  aus  anderen 
linksrhein.  maa.  mit  ausnähme  des  S  vereinzelte  belege  vor- 
liegen; so  bei  Buesch  Ivr  f.  'karre',  schären  'scharren';  bei 
Hecking  hikr  'karre';  bei  .IsivdonjcscM")-  'geschirr',  auch  Honig 
hat  kdi;  aber  gescharrt  in  der  Coblenzer  ma.  erscheint  fahre- 
schwänz  zu  mhd.  var,  -rrcs. 

Vor  U  findet  sich  dehnung  des  a  in  Ti'ier,  Luxembui^g. 
Lothringen:  schal  m.  'schall',  irdlen  'wallen';  vgl.  Hardt  11, 
der  auch  gescJ  m.  'geselle'  gibt.  In  Bistritz  und  Eegen  wird 
a  vor  urspr.  auslautender  doppelli(iuida  gedehnt;  umlauts-^; 
erscheint  vor  U  bald  lang,  bald  kurz  in  Bistritz.  in  Regen 
immer  lang:  kuiz  bleibeu  aber  die  übrigen  vocale.  In  der 
liia.  von  Mediasch  sind  vor  Jl  alle  vocale  ausser  a  gedehnt. 
Für  den  Hunsrück  gibt  Eottmann  meräl  'überall'. 

Vor  mm  und  nn  hat  Luxemburg  und  Lothringen  nach 
Follmann  und  Hardt  länge  von  a  und  dessen  umlaut  r.  In 
der  Sauerma.  sind  '  vor  geminationen  nur  wenige  a  und  c  kurz 
geblieben'  (s.  Hardt  11,  16);  ferner  Wrede,  Anz.  19.201:  man 
wird  gehört  in  einem  grösseren  gebiete,  das  südwärts  etwa 
durch  Mosel  von  'J'rier  bis  Cochem  begrenzt  wird  und  nord- 
wärts noch  Prüm,  Blankenheim,  Ahrweiler,  Adenau.  Dann 
umfasst,  das  aber  seine  unsicheren  südausläufer  längs  der 
reichsgrenze  noch  bis  Diedenhofen  und  Busendorf  vorschickt: 
ausserdem  gilt  man  für  die  umgegend  von  Hachenburg,  wäh- 
rend östlich  davon  ein  streifen  landes,  der  den  "Westerwald 
durchkreuzt  und  von  Hilchenbach  über  Siegen  und  AVester- 
burg  bis  Montabaur-Hadamar  reicht,  mä  hat.  Von  Siebenbürger 
maa.  dehnen  Bistritz  und  Regen  a  vor  urspr.  auslautendem 
doppelnasal;   in  Regen  wird  auch  umlauts-r  vor  nn  stets,   in 


BEIINrNO  DER  M]\T>.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  195 

Bistiitz  nur  in  Aercinzflteii  fiilU'ii  ,'>(*(U'liiit ,  durchweg'  aber 
vor  ii/))i  (in-  und  nuslaut ).  In  Mediascli  erfährt  a  vor  mm 
dehnuii.o'.  docli  nicht  sein  umUuit  (s.  Seheiner  124). 

sj  (U.  \'or  den  gvminaten  2W>  f^-  f'l'  i^^  ^'H  <l^i'  ^It'^el  und 
in  der  Kifel  a.  c.  o  .cedelmt  worden.  I  )a  im  infr.  p  in  der 
j»emination  i>anz  olme  verscliiehung  l)leil)t  und  eljenso  /.,,  so 
findet  sicli  diese  erscheinung'  in  zahh-eiclien  beispielen  (s.  die- 
selben bei  Follmann.  Hardt  11.  Hecking.  Buesch,  Laven):  ('qjel 
'aiifel'  (Trier  liat  im  pl.  aber  ähhel,  dim.  ühhelcJtcn).  sdl:  'sack', 
i/cicdt  'gewettet',  döj)  "topf,  rök  "rock',  u-clcn  'wecken',  drek, 
bei  Buesch  drecl:  Bei  Wegeier  finde  icli  nur  (/eschääkt  'ge- 
scheckt'; Laven  gibt  als  kölnisch  an:  sfreeckcn  "stricken'  und 
fleecken  'flicken";  Honig  selbst  aber  hat  diese  beispiele  nicht. 
Die  bei  letzterem  angeführten  Wörter  haben  durchweg  kürze: 
appel,  droppc  m.  'tropfen',  sack,  klock  etc. 

^lit  dem  moselfr.  stimmen  die  niaa.  Siebenbürgens  überein; 
nur  bleibt  mhd.  a  hier  kurz.  Der  umlaut  von  a  zeigt  wie  e,  o 
und  dessen  mnlaut  dehnung  (s.  Keintzel  141.  147.  152.  158.  159; 
fei-ner  belege  bei  Kisch.  Scheiner,  Wolff);  also  apel,  nkorn 
'ackern",  aber  kldpdr  (<  klepfel),  bat  (<  bette),  dk  (<  ecke)  etc. 
^litunter  kommen  auch  ausnahmen  vor.  so  heisst  es  in  Bistritz 
klop))i  "klopfen',  in  Bistritz  und  Regen  bok  'bock',  fus.sok  f. 
'socke",  opfenr.  letzteres  "wahrscheinlich'  aus  dem  nhd.  entlehnt. 

Rechtsrheinisch  wird  unsere  ersclieinung  für  den  Wester- 
wald  (besomlers  im  amte  Hachenburg  und  Rennerod)  und  den 
nassauischen  l'uterrhein  (besonders  im  amte  St.  Goarshausen) 
bezeugt  (s.  Kehrein  3);  die  hier  angeführten  belege  sind  aus 
K.  Chr.  Schmidt:  sehten  'zetten',  S2n;hk  m.  'speck',  drekk  'dreck', 
haag  f.  "hacke";  doch  hat  Schmidt  latt  f.  'latte'  und  krabbeln: 

§  65.  Charakteristisch  für  den  grösseren  nördlichen  teil 
des  mfr.  ist  (iie  längung  vor  doppelspiranten  und  spiranten- 
verbindungen.  Die  räumliche  ausdehnung  dieser  erscheinung 
ist  bei  den  einzelnen  vocalen  nicht  die  gleiche;  i  und  u  werden 
nur  ganz  vereinzelt  gelängt,  ^\'eitere  Verschiedenheiten  er- 
geben sich  ferner  durch  die  art  der  spirantischen  consonanz 
(s.  Kehrein  12.  Follmann  1,23  und  2,5.  7.  8.  11.  Hardt  11.  14. 
16.  21).  In  den  übrigen  arbeiten  sind  die  belege  zerstreut. 
Beisi)iele:  machen,  dazu  3.  sg.  praes.  maicht,  stächen  'stechen'. 
lourh  und  loch  und  pl.  löücher  (lecher);  näs  *nass',  escn  (eisen) 

13* 


196  UIT2ERT 

'essen',  schlös  und  pl.  scJdöüser  {schlcser);  Ihife  'klaffen',  Ufel 
und  laifcl  'löffel',  scldmf  ni.  'stoff' ;  ivaischcn  'waschen',  drai- 
sclien  'dreschen',  frü{ai)sch  m.  'fi'osch'  und  \A.  fr(\ön)sch{c)\ 
raisten  'rasten',  ru(ou)st  m.  'rost',  ncist  'nest'  und  pl.  n^ister; 
hnift,  häspel,  tvaispel  f.  ^\yes^e\  kal?  'katze",  hxotsm  'kotzen', 
sähen  'setzen'  etc.     Ausnahmen  finden  sicli  überall. 

Für  einzelne  hierher  gehörige  fälle  gibt  Wenkers  Sprach- 
atlas die  genauere  begrenzuug.  Vocaldehnung  in  muchm  (s. 
Wrede,  Anz.  20, 207)  wird  im  0  und  S  durch  eine  linie  be- 
grenzt, die  von  Freudenberg-  südwärts  zieht  auf  Driedorf  am 
Westerwald  und  von  hier  westlich  auf  Linz,  den  Rhein  auf- 
wärts und  daun  südwestlich  etwa  dem  Hunsrück,  Idarwald 
und  Hoch^\•ald  folgt.  Die  grenze  für  gedeliuten  vocal  in  yc- 
hrochcn  (Anz.  22,  98  f.)  ist  im  S  ungefähr  einzuengen  bis  Linz- 
Adenau-Trarbach-Merzig-Luxemburg.  Gedehntes  a  in  wasscr 
ist  nacli  Anz.  19,  283  zu  erwähnen  für  das  linke  Kheinland  von 
Remagen-Montjoie  nordwärts  und  besonders  consequent  für  die 
beiden  .Moselufer  aufwärts  bis  zur  Schneeeifel  einerseits,  dem 
Hoch-  und  Idarwald  andereiseits,  eistreekt  sich  also  keines- 
wegs so  weit  als  ä  vor  eh.  Dehnung  in  hesser  findet  sich 
nach  Anz.  20,  829  im  ripuarischen  linksrheinisch  durchgängig, 
reclitsrheinisch  fast  nur  in  der  nähe  des  flusses;  so  hat  nach 
Firmenich  Stieldorf  am  Siebengebirge  freissen  'fi^essen',  ver- 
(jc/ssen  und  Büscliei'hof  bei  ^^'aldbrö^  rergäsen.  Nach  Kehrein  8 
hat  der  Westerwald  und  nassauische  Unterrhein ^j^^^r  m.  -petz", 
/rcÄ/m. 'treff'. 

In  den  maa.  Siebenbürgens  begegnet  uns  diese  dehnungs- 
erscheinung  ebenfalls,  jedoch  bleibt  ausser  i,  u  auch  altes  a 
kurz  bis  auf  vereinzelte  ausnahmen :  tvasdr,  plnts,  sax  'sache'. 
((/'  'äffe',  gast  etc.;  doch  nast  z.  b.  in  Bistritz,  flösi^y  u.  a.  in 
Bistritz  und  Regen;  ferner  hat  Bistritz  bäx  und  däx,  Regen 
möxd  'machen',  box,  döx.  In  Mediasch  wird  aber  a  vor  eh 
gedehnt  (s.  Scheiner  125.  128.  181).  Der  umlaut  des  a,  ferner 
e,  0  und  dessen  umlaut  erfahren  delmung:  (jnst  (<<jesti),  hräftix, 
/,äsi)l  m.  'kesser,  gäsf.n-  'gestern",  Mos  n.  'schloss',  löx  'loch' 
und  pl.  li'pr,  6fn  'offen'.  Idöfs  m.  'klotz'  etc.  (s.  Keintzel  141. 
142. 147. 152. 158. 159;  ferner  belege  bei  Kisch,  Scheiner,  W'olff). 
In  Aachen  erscheint  auch  IM  f.  'lisf,  m^is  m.  'mist',  mH"t 
'musste',  aber  le^.s{t)  f-  'kiste',  le.sf  'lust'  etc.    Der  id.  zu  Irdft 


DEHNUNG  DER  MHP.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  107 

heiiSst  hier  Irrffc:  ebenso  ist  in  der  Sauerma.  der  uinlaiit  des 
d  vor  ff  in  einigen  fällen  knrz:  ln:ftcch,  sc  ff  ich,  doch  auch 
sdffccJi. 

Aus  den  beis]>ielen  bei  l^aven  ergibt  sich  für  die  Trierer 
nia..  dass  a  vor  allen  oben  angeführten  Spiranten  und  si)iranten- 
verbindungen  gedehnt  wird:  in  den  wenigen  ausnahmen  liegt 
sicher  nhd.  einfluss  vor  wie  in  kass  f.  'kasse'  etc.;  vor  ch  und 
SS  ist  auch  c  gedehnt,  o  jedoch  nur  in  Joch,  pl.  lächcr,  dim. 
lächcJchc})\  auch  spiclisKj  ist  "\erzeichnet,  jedoch  in  übertragene!- 
bedeutung  'schmal  aussehend ".  Zu  den  letzteren  fällen  ist  zu 
vergleichen,  was  Laven  xix  sagt:  'die  Trierer  ma.  bietet  nicht 
selten  den  fall,  dass  ein  wort  mehrere  formen  hat.  Je  nach 
dem  jedesmaligen  Charakter  des  gedichts  ist  bald  die  eine, 
])ald  die  andere  form  gebraucht.  Von  diesen  formen  ist  ge- 
wöhnlich die  eine  die  plattere,  welche  in  der  nähe  von  Trier 
unter  der  ländlichen  bevölkerung  angetroffen  wird'.  Jeden- 
falls darf  dai-aus  der  schluss  gezogen  werden,  dass  die  ma.  bei 
Trier  in  Übereinstimmung  mit  der  benachbarten  Sauer-  und 
Moselma.  Luxemburgs  auch  o  dehnt. 

In  der  ma.  von  Köln  erstreckt  sich  die  besprochene  deh- 
nungserscheinung  nur  auf  «;  ausnahmen  sind  auch  hier  zu 
finden.  Nach  Wrede.  Anz.  22,  325  erscheint  im  dat.  sg.  tische 
im  Roergebiete  circunifiectiertes  oder  diphthongiertes  öe,  öl,  öü, 
im  südlich  sich  anschliessenden  e- gebiete  bis  Montjoie-Sinzig 
weniger  oft  c,  doch  ebenso  oft  ci.  c'i. 

Vocallänge  in  ich  findet  sich  zu  beiden  selten  der  Mosel 
bis  Saarlouis,  St.  A\'endel,  Kusel.  Wolfstein.  Sobernheim,  Sim- 
mern, Zell;  dieses  gebiet  wechselt  bunt  zwischen  diphthon- 
gierten formen  und  ich.  cch,  öch\  nördlich  von  der  linie  Prüm, 
Daun.  Cochem.  Bop])ard  findet  keine  dehnung  statt  (s.  Wrede, 
Anz.  18.  :)08j.  Auch  in  Sie])enbingen  sagt  man  mitunter  aiy, 
mciiy  etc..  abei-  nur  dann,  wenn  nnf  diese  pronomina  ein  be- 
sondeier  narlidiuck  gelegt  wird  (s.  Keintzel  L54).  Vgl.  hierzu 
Maurmann  §  14t),  der  für  ^Mülheim  dehnung  vor  den  stimmlosen 
reibelauten  f\',  x,  ss,  s  constatiert. 

Die  P)irkenfHlder  ma.  dehnt  den  vocal  in  seltenen  fällen 
vor  sf  (.s.  Baldes  7j. 

§  66.    Vocal  Verlängerung  vor  ursj»)-.  hf  und  hs. 

Im   hauj)tgeV)iete   des   mtV.   wird    mhd.   kui'zei'  vocal   fast 


198  RITZERT 

diircligeliend  vor  altem  lit  g-edeliiit.  Ausiiahineii  sind  zwar 
allerorts  zu  constatiereii.  doch  nirgends  zalilreicli;  namentlich 
erscheinen  acld  nnm.  card.  und  fechten  ohne  gedehnten  vocal, 
sicherlich  in  folge  nlid.  einflusses.  Ynr  Trier  liat  Laven  die 
•plattere'  form  nolididcn,  pl.  zn  noliclnl,  neben  knrzem  nächl. 
Wredes  beisi)iele  recht  im  Anz.  21, 102  und  schlecht,  ebenda  104, 
bestätigen  obiges  gesetz;  ferner  lucht  'luft',  Anz.  19, 278.  Für 
nichts  folge  hier,  was  "Wrede,  Anz.  19,  205  gibt:  innerhalb  des 
folgenden  wesentlich  mfr.  gebiets  lassen  sich  die  herschenden 
dialektformen  zurückführen  auf  urspr.  '^'näst;  wir  finden  dort 
die  dijdithonge  eu,  ei,  ferner  //  und  /:  Eupen,  Aachen  (orte 
mit  *//  cursiv  gedruckt),  Düren,  Lechcnich,  Brühl,  Köln,  ]\Iül- 
heim,  Gladbach,  Wipperfürth,  Blanhenherg,  Altenkirchen,  Ijikel, 
Bcmagen,  Linz,  S'mzuj,  der  Rhein  von  Andernach  bis  Bacha- 
rach,  Simmern,  Stromberg,  Gemüuden,  Sobernheim,  Kusel, 
St.  Wendel,  Ottweiler,  Saarloiüs,  Forbach,  St.  Acold,  Saaralben 
(s.  auch  Hardt  23). 

Nicht  allgemein,  aber  immerhin  'häufig'  tritt  dehnung  vor 
hl  in  der  Birkenfelder  ma.  ein  (s.  Baldes  7).  Im  Siegerland 
sind  im  wesentlichen  nur  a  und  e  gedehnt;  doch  findet  sich 
auch  du"chder  neben  g^fochdo.  In  Siebenbürgen  werden  nur 
a,  e,  0  gedehnt  (s.  Keintzel  144.  147.  151  [hier  auch  einige  bei- 
spiele  mit  kurzem  e  in  Bistritz].  158).  Auch  Kisch,  Sclieiner 
und  Wolff  haben  keine  fälle  mit  langem  /  und  u. 

§  67.  Dehnung  vor  altem  hs  mit  Schwund  der  guttural- 
spirans  gilt  für  das  ganze  Mittelfi-anken  und  ebenso  für  Sieben- 
bürgen (jedoch  mit  ausnähme  des  /  und  u);  in  Aachen  tritt 
sie  nur  teilweise  ein,  da  sich  hier  ch  (h)  vor  s  'meist'  zu  /.: 
verhärtet  (s.  Jardon  25).  Auf  dem  Hunsrück  findet  sich  die 
erscheinung  selten;  flds  (<  rhihs),  die  mfr.  form,  herscht  noch 
in  der  ländlichen  Umgebung  Birkenfelds,  während  die  durch 
das  hd,  hervorgerufene  form  flags  in  der  stadt  selbst  in  der 
jüngsten  zeit  die  alte  form  fast  verdrängt  hat.  Dieser  um- 
stand hat  an  mehreren  oi'ten  ausnahmen  verursacht,  was  deut- 
lich daraus  liervorgeht,  dass  alte  und  neue  formen  neben 
einander  bestehen.  Wenn  aber  fast  durchweg  die  formen 
fnJis  (<  ruhs),  scks  (<  sehs)  und  hiks  (<  hühse)  erscheinen,  so 
muss  mit  Heinzerling  schriftsprachliche  beeinflussung  an- 
genommen werden.     Keintzel   liat  für  Bistritz  ses  (<  sehs), 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  199 

aber  :.t'^/^.)  und  zvsfaix       i'J  m^l  -<^*;  Iiit*i'  li«gt  eiiiwirkiiiig  der 
gehäuften  consonanz  vor;  liegen  hat  ^hst^w. 

Die  grenzlinien  für  einige  hierlier  geliörige  heisi)iele  er- 
gehen sich  aus  '\\'enkers  sjirachatlas;  für  ivachscn  (s.  "NA'rede, 
Anz.  21,201)  zielit  die  südgrenze  dei-  voealdehnung  von  AS'«r/r- 
(jemüml  (orte  mit  Is  <  lus  und  voealkürze  cursiv)  über  Saar- 
huiis.  OHireiler,  Sf.Would,  01)erstein,  Kini,  Oherifr,sel,M'dynn, 
Andernach,  Bcudorf  nach  Ems  und  setzt  sich  im  rlieinfr.  fort. 
Die  ostgrenze  zielit  von  Gummersbach  über  Hilclienbacli  und 
wendet  siel»  dann  südwärts  über  den  Kderkopf  und  Haiger  in 
rheinfränkisclies  gebiet.  Die  (luantität  des  stammsilbenvocals 
iu  ocJisen  (s.  Wrede,  Anz.21, 264)  ist  im  grossen  und  ganzen 
der  von  tvachscn  analog;  die  südgrenze  beginnt  liier  westlich 
von  Trier  und  zieht  zwischen  Bifhiirg,  Prüm,  Gerolstein,  Cochem 
weiterhin  in  einem  kleinen  abstand  nördlich  der  für  ivachseu 
gegebenen  linie  (s.  auch  Follmann  1, 15.  Hardt28). 

8.   Thüringisch. 

Qnelleu:  E.  Braudis,  Zur  lautlebre  der  Erfurter  mu.  1.  Vocalisiuus. 
2.  Cousonaiitismui?.  Programm  von  Erfurt  1892  f.  —  E.  Flex,  Beiträge  z. 
erfbrschung  der  Eis^enacher  ma.  Progr.  von  Eisenach  J893.  —  Bi  Haus- 
halter, Vocalif^mus  der  Eudolstädter  raa.  Eiidolstadt  1882.  —  L.  Hertel, 
Die  Salzunger  ma.  üisi«.  vou  Jena  1888.  —  L.  Hertel,  Thüringer  Sprach- 
schatz. "Weimar  1895.  —  HerAvig,  Idiotismen  aus  Thüringen.  Progr.  von 
Eislebeu  1893  (eigenwörter  aus  der  Vogtei,  südöstlich  von  Mühlhausen).  — 
E.Jecht,  Wörterbuch  der  Mansf eider  ma.  Görlitz  1888.  —  S.  Kleeraann, 
Beiträge  zu  einem  nordthür.  Idiotikon.  Progr.  von  Quedlinburg  1882.  — 
Fr. Liesenberg,  Die  Stieger  ma.,  ein  idiom  des  Unterharzes.  Diss.  von 
Göttingen  1890.  —  K.  Eegel,  Die  Euhlaer  ma.  Weimar  1868.  — 
]\r.  Schnitze,  Idiotikon  der  nordthür.  ma.  (grafschaft  Hohnstein  und  Stadt 
Nordhausen).  Nordhausen  187-1.  —  K.  Scliöppe,  Naumburgs  ma.  Naum- 
burg 1893.  —  U.Weise,  Die  Altenburger  ma.,  Mitteilungen  des  gesch.-  u. 
altertumsforschenden  verein«  zu  Eisenberg,  4.  heft  (1889). 

§  68.  Im  thüringischen  wird  mlid.  kurzer  vocal  in  offener 
silbe,  einzelne  ab  weichungen  abgerechnet,  durchaus  gedehnt 
(s.  Brandis  5.  G.  18.  Flex  8.  Hertel  1,11.  Liesenberg  37);  weitere 
belege  in  allen  genannten  «luellen ;  s.  auch  Kegel  6.  38.  Sjuess 
14  f.).  Beispiele:  sledn  •Schlitten',  cßäd  "glatt",  dazu  comp,  (jlüder, 
hämel  'hammel',  Mmel  'kümmel'  etc.  Die  fast  durchweg  er- 
scheinenden formen  hrepel  'krüppel',  rehe  {reive)  'rippe'  gehen 
auf  mild,  hräpd  (nbf.  zu  hrUppel)  und  rihc  (nbf.  zu  i-ippe)  zu- 


200  RITZERT 

rück.  <[ic  auf  mlid.  efjedc.  Häufig  erscheint  der  vocal  iu  dem 
Worte  'höckeriu'  gedelint:  laujcn,  hcken,  hökciifran;  dies  ist 
eingetreten,  nachdem  (•/,•  nicht  mehr  als  geminata  l)ehandelt 
wurde;  dasselbe  liegt  in  einigen  anderen  fällen  wie  .sjms 
*spass'  vor. 

§  69.  Kürze  des  stamm vocals  findet  sich  in  den  maa.  Süd- 
westthüringens einige  mal  vor  l  (s.  Hertel  13):  meUe  'mühle", 
i:ilt  'viel',  bbitl  'plaudern',  fvuhla  hat  .sollen  f.  "sohle',  mUllen 
'mühle*,  (jestollen  "gestohlen'  u.  a.  (s.  Regel  3).  Kürze  in  miihlc, 
kohle,  sohle  begegnet  nicht  selten  auch  in  den  übrigen  maa. 
Tliür.;  in  Stiege  ausserdem  in  icol  (mangel  an  tlectierten 
formen)  neben  feie  "viel',  hol  adj.;  für  Rudolstadt  ist  nur  in 
hol  kürze  angegeben. 

Ebenso  erscheint  fast  überall  kürze  in  stuhe  und  häufig 
in  srhiie  (doch  schon  mhd.  senne  neben  smetvc)  und  schiene, 
in  letzterem  besonders  in  dem  compositum  .srhienheru  und  zwar 
auch  da  wo  die  form  schienehein  erhalten  ist.  Altenburg  hat 
sfohc,  aber  (nach  erfolgter  Umwandlung  der  offenen  in  ge- 
schlossene silbe)  stmumdaere;  Naumburg  hat  auch  im  compos. 
länge,  fernei-  in  sehihnebehn,  daneben  aber  schimmhehn. 

Da,  den  SW  abgerechnet,  in  anderen  als  den  obigen  schw. 
Substantiven  auf  l  die  gesetzmässige  länge  erscheint,  so  liegt 
es  nahe,  die  Ursache  der  kürze  in  den  obliquen  casus  zu  suchen 
mit  annähme  von  vocals3rnkope  in  der  endung  und  hierdurch 
entstandener  einsilbigkeit:  solen  >  soln\  dies  liegt  um  so  näher, 
als  jene  Substantive  häufig  im  nom.  in  der  form  der  obl.  casus 
erscheinen:  holn,  sohl,  auch  stubn  (sdomm);  hinzuzuzählen  wäre 
dann  das  ebenfalls  häufig  vorkonnnende  riklden,  redde  'rüde". 

Kürze  vor  t  kommt  vereinzelt  vor;  sieht  man  aber  von 
fällen  ab,  in  denen  sie  auf  rechnung  der  vocalsynkope  in 
Suffixen  kommt,  wie  z.  b.  kätl  'kittel*.  hatlman  'bettelmann' 
in  der  Yogtei  und  auch  sonst,  so  gehih-en  nur  ganz  wenige 
fälle  aus  dem  mansfeldischen  und  Naumburg  hierher,  wie  hrätt 
'brett',  schatte,  kette.  Noi'dthüringen  hat  wol  i'/cf/i' 'stadt',  aber 
steete  pl.;  jehotten,  jesotten  sind  zu  erklären  \\\e  jesehohbcn  'ge- 
schoben', jesehräbben  " geschrieben'.  Stiege  kennt  kürze  in  sät 
'satt'  und  jlät  'glatt',  2i\>^Y pode  'böte',  prät  'brett'  etc.;  ferner 
im   id.  yn\iet.  und   ])ai-t.  praet.  der  stai'ken  verba   der  ersten 


DEHNUNG  DER  MHP.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  201 

ablautsreihe.  deren  .staiinn  auf  /.  (/  ausjjvlit:  lrd')i,'][{{m.j<'U:<l'n 
•irelitleir:  med'»  •mieden '.  jrmi'd'ii  •<>eniie(len". 

§  70.  ]ilanclie  einsilbige  nomina  bewahren,  trotzdem  sie 
fiectierte  formen  neben  sich  haben,  in  denen  der  vocal  in 
offene  silbe  zu  stehen  kam.  ancli  im  tliür.  die  alte  kürze;  es 
sind  dies  u.  a.  im  mansfeldisehen  hoff  iiof  (aber  gen.  höwcs), 
svinncdd  'Schmied'  (verb.  aber  schneden);  ebenso  am  Unter- 
harz.  wo  abei-  das  verb.  schmcden  mit  lang-em  nnd  kurzen 
voeal  erscheint:  liier  i\\\i'\\  jroh,  comp,  j>-o?f'cr.  Xordhausen  hat 
kürze  in  (ßas.  nid,  bad  (pl.  mit  länge),  sah  n.  'sieb*  (pl.  mit  1.; 
am  l'nterharz  sc})),  fann  'fahne',  rilid  'glied".  schmid.  Nach 
Kleemann  kommt  hier  neben  wcd  (<  wide)  auch  n-cft  vor 
(immer  in  Jarnju-üfi  ' verbind ungsstange  am  wagen';  nebenton). 
Vereinzelte  fälle  erscheinen  auch  sonst,  so  manchmal  sclmid. 
^^'enn  durchweg  (jott  und  fromm  kurzen  vocal  haben,  so  liegt 
sicher  schriftsprachlicher  einfluss  vor.  Der  dehnung  nicht 
unterworfen  ist  fast  im  ganzen  gebiete  der  imp.  der  '2.  sing, 
der  Verben,  deren  stamm  auf  verschlnsslaut  ausgeht,  als  iso- 
lierte form  (s.  Schnitze  12.  Schöppe  28);  ferner  das  adv.  {d)iväh, 
in  Nordthüringen  auch  die  partikeln  hin  und  für. 

Aiim.  Für  den  fiiterliarz  sagt  ZAvar  Liesculjerg  4.  0.  S:  '»las  urspr.  i 
ist  im  ganze«  in  demselbeii  umfange  wie  im  mlul.  erhalten  —  hierdureli 
steht  die  nia.  nälier  dem  ndd.  nnd  in  anttallendem  gegensatze  zu  der  im 
thür.  so  stark  verl)reiteten  neigung.  das  /  durch  dehnung  zu  i  zu  verändern 
—  auch  bei  (f  zeigt  sich  im  ganzen  wider  im  gegensatze  zum  thür.  eine 
grössere  Vorliebe  für  erhaltung  des  urspr.  «",  doch  ergeben  nicht  wenige 
beispiele:  j'n-  'gier",  rese  'riese',  /rerfe  'friede',  flüye  dat.  'finge ",,/(> j/e/t*  u.  a. 
die  geltung  des  gesetzes  der  vocaldehnung  in  offener  silbe  auch  für  den 
Unterharz.  Die  vorhandenen  zahlreichen  ausnahmen  finden  iln'e  erkläi'ung 
im  folgenden  paragraphen. 

§  71.  Auch  im  thür.  zeigt  sich  die  erscheinung,  dass 
durcli  vocalsynkopc  in  suftixen  (meistens  betrifft  sie  -el,  -er, 
-tm,  -en)  der  vocal  der  stannnsilbe  nicht  in  den  silbenauslaut 
ti'eten  koinit(\  wodurch  denn  die  urspr.  kürze  bewahrt  woi-den 
ist.  Die  Verteilung  dei-  fälle  diesei'  art  ist  in  unseiem  gt-biete 
verschieden.  Am  seltensten  begegnen  sie  im  S  und  SA\'.  In 
der  Salzunger  ma.  bctiifft  es  nur  eine  geringe  anzalil  solclier 
Wörter,  deren  .stamm  auf  h,  d,  t  schliesst:  scwice  'sieben",  (jc- 
vädder,  eivivet^  nheV,  aber  ijrdice,  öwe,  bödcn,  näwet  (s.  Hertel 
1,13).    Mit  Salznngen  stimmt  Ruhla  fast  ganz  überein;  doch 


202  •  HITZERT 

haben  liier  beit^pielsweise  auch  hodcn  und  doniur  kürze  (8. 
Keg'el  8).  Ivudolstadt  hat  kürze  in  tvcder  conj.,  /cldcr  praep., 
zusammen,  dagegen  länge  in  dljcr,  öder,  iber  "üher*. 

In  den  niaa.  des  mittleren  gebiets  (Vogtei,  Eisenach,  Er- 
furt. Altenburg)  erscheinen  schon  mehr  kürzen.  Damit  kann 
und  soll  aber  nicht  gesagt  sein,  dass  an  den  einzelnen  orten 
die  fälle  dieselben  seien.  Manche  kürzen  sind  ZAvar  an  fast 
allen  orten  zu  constatieren  wie  in  fhldel,  läddvr,  boddcn.  faddcm, 
wüddcr  "wider*,  ctnvel,  ,sfäicn-ti  "stiefer.  ijcraddcr  (ratcr  ersclieint 
dagegen  mir  ausnahmsweise  mit  kurzem  vocale)  u.  ü.  In  an- 
deren aber  schwankt  die  quantität.  was  eben  das  wesen  dieser 
analogiebildungen  dartut;  divr  aber  in  Erfurt  neben  an-r  ist 
sicher  schriftsprachlich. 

Der  N  des  gebiets  hat  zahlreiche  hierher  gehörige  fälle, 
doch  stehen  ebenso  zahlreiche  mit  regelrechter  dehnung  da- 
neben; kurz  ist  z.  b.  der  vocal  in  feder,  edel,  schäbhcr  ^schiefer', 
jdicel  'gabel'.  kaminer,  irö.s.sel  'wieset';  also  vor  media,  Spirans 
und  nasal.  Häutig  sind  im  ^'  die  plurale  der  neutra  rad,  <jlied, 
glas,  gras  kurzvocalisch,  doch  hat  das  mansfeldische  rädc  neben 
redder,  der  Unterharz  jreser  neben  jräser,  jleser  \)\.  zu  jlds, 
abei'  dim.  jläsel:  hier  auch  pletter,  pl.  von  plät.  In  der  von 
Schmidt  geschilderten  ma.  haben  nicht  selten  die  partt.  praet. 
kürze,  so  jestoUcn,  hefollen,  jeniimmeu,  jeschobben  (auch  im 
msinst),  jeschräbbeti  u.a.,  -dher  jebooren,jczoogen,jefloogen.  In 
den  nördl.  maa.  hat  houlg  durchweg  kürze,  die  auch  für  Eise- 
nach bezeugt  ist.  Kurzen  vocal  in  Jcönig  finde  ich  bei  Schnitze 
und  Kleemann;  letzterer  gibt  auch  hafitch  'habicht'.  Der  Iliter- 
liarz  hat  ledig  \\m\  nämlich,  -dhev  .itmlich,  Mansfeld  rocht  {<vogef), 
aber  j«cM  *jagd".  Fälle  letzterer  art  finde  ich  auch  sonst: 
sibzch  'siebzig;  aber  sim  'sieben',  und  räddch  'rettig'  in  Er- 
furt, brätcht  f.  'predigt*  in  der  Vogtei,  marradch'  "merrettig' 
und  nilche  'lilie'  in  Altenburg;  barhs  'barfuss"  hat  ausser  im 
SW  iibei'all  kurzen  vocal. 

In  der  verbalflexion  ist  vor  den  durch  synkojie  entstan- 
denen geminaten  und  doppelconsonanzen  im  tliür.  sehr  häufig 
kürze  zu  constatieren  (s.  .Schnitze  11.  Schuppe  27.  28).  Beispiele: 
butt  'betet'  in  Altenburg;  sehadde  "schadete"  in  Erfurt,  aber 
bwde  'betete',  </e&rf^^ 'gebetet',  jeschott  part.  zu  schetcn  'schütten' 
im  mansf,  etc.;  Aveitere  belege  geben  die  genannten  quellen. 


DEHNUNG  DER  MHD.  KUEZEN  STAMMSILBKNVOCAIjE.  203 

Regd  und  Hertel  unter.sclieicU'ii  für  das  i>r;u's.  liiniiadi  hesoii- 
dere  gTUiidfürnieii  (s.  I\.  100  und  H.  11.")). 

§  72.  Vocaldelinung' A'or  doi)i)elconsoii;niz  f>ilt  für  das  tliiir. 
in  folgenden  fällen. 

in  den  dem  ostfr.  benaclil)arten  niaa.  IJulila  und  Salzungen 
ist  "das  streben  Aveitg-i-eifend'  nilid.  einsilbigv  ncnnina  mit 
doppelconsonanz  zu  dehnen.  J^ei  antritt  der  Üexionsendung 
tritt  die  urspr.  kürze  wider  ein  (s.  Hertel  11.  Keg'el  38  ff.). 

Beispiele:  ivald,  aber  dat.  null  und  pl.  iväUer;  fiiscJi.  aber 
dat.  fösch  und  pl.  fösch-  söpf,  aber  dat.  supf  und  ]>1.  .läpf;  all, 
al)er  dar  nll  man  'der  alte  mann",  de  (dien  imuuier  etc.  .\us- 
nalimen:  (/efd  'g\f\'.  friic/nl  iverd  m.  'wirV,  dorn,  arm  u.a. 
(s.  Hertel  13.  14.  98.  Keg-el  37:  "vor  positionalem  r  pflegt  das 
rulilaisclie  die  alte  kürze  ((  rein  zu  bewahren). 

§  73.  Vor  ;•  +  dental  ist  im  tliür.  a  und  e  gedehnt;  gegen- 
über dem  schriftsprachlichen  gebrauche  haben  auch  die  zwei- 
silbigen auf  -art-  delinung:  (jürtcn,  warten,  doch  findet  sich  im 
N  nach  Kleemanu  ivortcn  'warten'  und  Barfei  nom.  propr.;  auch 
Hertel  11  gibt  für  Salzungen  gdrde,  scJncdrde.  Vor  r^  ist  nur 
a  gelängt,  jedoch  nicht  in  sehicar.-:;  neu  entstandenes  dialek- 
tisches a  bleibt  aber  kurz:  warze  f.  "würze*  (Altenburg); 
Schultze  gibt  auch  staer^'  'hinterteil  des  vogels",  aber  (wie 
sonst)  lier^e,  schmerz.  Vor  rs  wird  der  vocal  auch  in  nursel 
'mörser',  hersen  'hirse*.  herkn  'börse'  (bei  Schnitze  und  Brandis) 
und  in  hcrsch  'wirsing'  gedehnt;  kurz  ist  der  vocal  in  Icarst 
im  N  und  in  Erfurt  (der  familienname  Karst  hat  aber  in  E. 
langen  vocal),  in  fersch  'vers*  im  N  und  in  jerschte  'gerste' 
am  Unterharz.  Dehnung  vor  rn  findet  sich  ausser  in  göru 
'garn',  gäm  'gerne*  (in  Rudolstadt  aber  (jdrue  u.a.);  ferner 
in  dum  'dorn'  und  sfjuru  'sporn';  dagegen  heisst  es  lianier 
'hörner*;  kürze  hat  auch  larn  'lernen*.  Das  nmnsfeldische 
liat  teils  ärtn,  teils  ärnt  f.  'ernte*,  ferner  ärend  m.  'ernst', 
aber  ärensthaftuj  adj. 

Vor  rw  ist  ausschliesslich  a  gedehnt  in  der  Vogtei,  Eise- 
nach und  am  Unterharz;  vor  rl  haben  Mansfeld  und  Altenburg 
vocalläng(^  in  Karl.  Eisenach  hat  länge  in  säerl^  'sarg*  und 
stmrk  'storch*  und  die  Vogtei  in  baaric  'berg'. 

A  nni.  Die  dehnnug-  vor  r  +  auderer  coiisonaiiz  im  8W  gehört  /n  der 
genanntoii  dehnmig'  mhd.  einsilbiger  ^vörter  mit  doppelfdiiconaiiz:  ihiirf 
'doif ,  aber  \A.  darf  er  etc. 


204  RITZE  RT 

§  71.  \'or  /  f  /.  r/  ^^•ir(l  im  grössteii  teile  des  gebiets  a 
gedehnt,  mir  der  SO  liat  kürze:  dabei  scliwindet  der  dental- 
explosiv. Beispiele  in  allen  angeführten  arbeiten  ausser  bei 
Schöppe.  Y\\Y  Stiege  s.  Liesenberg  37.  Weise  sagt  zwar  s.  8: 
*es  scheint,  als  ob  die  liquiden  längende  kraft  haben',  doch 
fehlen  genügende  belege  hierfür;  er  gibt  nur  midc  'mulde', 
seil  'sollte'  und  iväl  "wollte'  (doch  erscheinen  die  beiden  prae- 
terita  auch  als  mll  und  ivaü).  Das  fehlen  weiterer  belege 
deckt  sich  mit  dem  ergebnis  des  A\'enkerschen  Sprachatlas; 
nach  "W'rede,  Anz.  21.  275  ist  nämlich  nur  westlich  der  folgenden 
linie  vocaldehnung  in  alt  eingetreten:  (Suhl).  Ilmenau  (cursiv 
gedruckte  orte  haben  vocalkürze),  Gehren,  Saalfeld,  Blanken- 
burg,  Uudolsfaclt,  Eemda,  Tannroda,  Kranichfeld,  Weimar, 
Haßtenbenj,  AMehe.  Nebra,  Lancha,  Xaumhurfj.  Im  S"\A'  ist 
in  den  einsilbigen  auf  It  dehnung  vorhanden,  die  flectierten 
formen  aber  haben  kürze.  Damit  stimmt  Wredes  bericht: 
•zwischen  A\'altershausen,  dem  Eennstieg  einer-  und  der  Fulda, 
Hersfeld  andererseits  macht  für  alte  ein  gebiet  mit  all-  eine 
ausnähme'. 

Für  vocaldehnung  in  saU  (s.  Wrede,  Anz.  19, 102)  bildet 
folgende,  im  grossen  und  ganzen  wie  obige  verlaufende  linie 
die  grenze:  (Hildburghausen),  Blankenburg.  Berka,  Sömmerda, 
Cölleda,  Wiehe,  Querfurt,  Schafstädt  (und  weitei'hin  südost- 
wärts  ins  obersächsische):  dieselbe  erstreckt  sich  also  im  0 
nicht  ganz  so  weit  als  a  in  alf. 

Ausnahmen  finden  sicli  nur  selten;  so  z.  b.  oWe/- n.  "alter' 
und  olfern  verb.  bei  Liesenberg,  abei"  'n  ölder  m.  "ein  altei"', 
speien  'spalten'  bei  Jecht  und  Kleemann.  Der  umlaut  des.« 
bleibt  auch  im  thür.  kurz. 

La  A\'  des  gebiets  erstreckt  sich  die  dehnung  vor  l  -f 
dentalexi)losiv  auch  auf  andere  vocale;  für  Eisenach  ist  sie 
bezeugt  in  <)<i'ld  und  f<Ud,  für  die  A'ogtei  ausserdem  in  sailt- 
säuni  "seltsam',  häil:  "liolz".  srldäi/--  'stolz".  sehhd,v  "schulze", 
Sc/im/ahen  flurname. 

§  75.  Charakteristiscli  füi' das  westthüi.  ist  vocahlehnung 
vor  nasalverbindungen.  A\ie  schon  §  40.  a  und  53,  a  erwähnt, 
gilt  diese  auch  für  das  ostfr.  an  der  Werra  und  den  NO  des 
rheinfi*.  Ich  erörtere  diese  erscheinung  deshalb  hier  im  zu- 
sammenhange. 


DEHNUNG  DER  MIID.  KURZEN  STAMMSILBEN VOCALE.  205 

Die  in  betraclit  kommenden  lautgTUppen  sind  n  -\-  t,  d,  ts,  k 
und  m  -\-  ]K  pf.  also  nasal  -}-  verschlusslaut  (s.  Hertel  12.  Regel 
15.  37).  Beispiele:  JhuhI,  leind  'kind'.  ivchiter  'winter",  liointi 
'liund'.  roinzel  •  runzer,  loumhc  •lumpen',  jehnpfer  •jungier'. 
Hertel  bemerkt  zu  seinen  beispielen  mit  }i(l  s.  07:  "diese  formen, 
auf  den  düi'fern  bei  Salzungen  einzig-  üblich,  werden  in  dei- 
Stadt  allmählich  von  den  gemeindeutschen  aufgezehrt'. 

Anm.  lulauteml  wird  iid  in  Salznuyeu  stets  zu  nf/  oder  /;/(  mit  kürze 
des  vorvocals:  haiiuel  "liander,  henger  (<C  inlid.  hiiukr),  aber  nuhuhl  «  lulid. 
waiitel). 

Für  die  Vog-tei  gibt  Herwig  viele  belege;  weiterhin  be- 
zeugt Flex  diese  erscheinung  für  Eisenach.  Für  das  nordöst- 
liche Rheinfi'anken  finden  sich  zahlreiche  belege  bei  Salzmann 
und  Dittmar:  während  aber  im  tliür.  'eine  beachtenswerte 
regelmässigkeit*  unserer  erscheinung  vorliegt,  gilt  sie  hier  nur 
'häufig'.  Nach  W  hin  nimmt  sie  an  umfang  ab:  in  stadt  und 
kreis  Homberg  zeigt  sich  ihre  Wirkung  nur  in  der  grujipe  an 
-f  verschlusslaut:  kind  und  dat.  länd,),  dänds<m  "tanzen",  yänd^ 
gans',  aber  pl.  (jendsd,  änJiO  (<  anke)  'genick'.  Wie  Aveit  die 
vocallängung  noch  weiter  nach  '\\'  reicht .  Aermag  ich  nicht 
gänzlich  zu  constatieren;  für  Merxhausen  bei  Fritzlar  wurde 
mir  auk)  bezeugt:  weiteres  konnte  nicht  angegeben  werden. 
Doch  ist  folgendes  bei  Wrede,  Anz.  19, 111  zu  vergleichen:  für 
kind  ist  eigentümlich  ein  kleiner  neun  Ortschaften  umfassender 
bezirk  im  SA\'  von  ('assel  mit  keind  (in  Grossenritte  bei  K.. 
Besse  bei  Fritzlar  etc.). 

Für  das  ostfi-.  s.  die  belege  bei  Spiess  14  f.  und  Reichardt 
33.  35.  In  Henneberg  begegnen  nicht  selten  ausnahmen;  so 
hat  hier  namentlich  der  pl.  öfters  wider  die  alte  kürze:  dänz, 
aber  pl.  dänz;  neben  2)flän.ie  und  wänze  erscheinen  lanzc  und 
schanze  (in  Pfersdorf  heisst  es  aber  sfjuiso  f.  'schanze');  doch 
dank  m.;  (jedänkc,  pl.  gedänkene,  vei'b.  Imlankr  u.  a. 

Anm.  In  .Sonneberg  (s.  Sehleiclier  :iO)  und  Coburg  (s.  Felsberg  141) 
hat  der'sg.  der  liierher  gehörigen  Wörter  delinuug  unter  Schwund  des  na- 
sals;  die  liectierten  formen  und  ableitungen  zeigen  aber  vocalkürze.  so  dass 
wir  es  hier  mit  delinung  narh  S;  72  zu  tun  haben. 

Für  einige  Wörter  mit  nasalverbindungen  gibt  der  Sprach- 
atlas die  genauere  geographische  Verbreitung  der  vocaldehnnng. 
Aiuh    aus   diesem  niaterial  ergibt  sich,   dass  die  Wirkung  des 


206  RITZERT 

(leimenden  eintlusses  der  uasah'erbindung-  für  die  einzelnen 
voeale  verschieden  ist:  ja,  es  zeigt  sich  nicht  einmal  bei  einem 
und  demselben  Aocale  in  verschiedenen  Wörtern  völlige  Über- 
einstimmung. So  zieht  die  grenze  der  dehnung-  in  pfund  nach 
Anz.  19. 103  im  W  von  der  Fuhbuiuelle  bis  Vaclia,  lässt  T.eng-s- 
feld  und  Salzungen  gerade  noch  nordwärts  liegen,  verläuft 
weiter  im  NO  mit  dem  Eennstieg-  und  schliesst  gegen  SO 
Zella.  A^'asung•en  und  Hadungen  ein.  Suhl.  ^Feiningen  und 
Ostheim  aus.  Um  Treffurt  und  Mühlhausen  findet  üdipfuind, 
nördlich  von  Hersfeld  pe^ind,  südlich  punnd,  ferner  bei  Bischofs- 
heim in  der  Rhön  pfannd.  Dagegen  geht  lioind  (^^>ede.  Anz. 
19.107:  kund)  mit  pfoind  nur  gegen  NO  bis  zum  Kennstieg 
zusammen,  hingegen  gegen  AV  und  N  beträchtlich  weiter,  so 
dass  es  auch  für  Fulda,  Hünfeld.  Hei^sfeld.  Yacha,  Tiengsfeld, 
Salzungen  noch  gilt;  bei  Grebenau  (südwestlich  von  Hersfeld) 
findet  sich  haund. 

Das  zerstreute  auftreten  von  pfoind  ausserhalb  der  obigen 
enclave  lässt  den  schluss  zu,  dass  die  längung  früher  verbrei- 
teter war,  jedoch  durch  den  gebrauch  des  Avortes  als  marktwort 
einbusse  erlitten  hat,  worauf  auch  "\\^rede  mit  recht  hinweist. 

Für  irinter  bemerkt  Wrede,  Anz.  19, 108:  wenn  hess.-thür. 
hoind  sich  weiter  ausdehnte  als  p{f)omd,  so  geht  entsprechendes 
iveinter  noch  über  jenes  hinaus  bis  in  das  nordthür.;  grenzorte: 
Sontra,  Kreuzburg.  Treffurt.  Wanfried,  Mühlhausen,  Dingel- 
stedt,  Schlotheim,  Tennstedt,  Gebesee,  Gotha,  Ohrdruf,  Flaue, 
Schmalkalden,  Zella,  Suhl,  Wasungen,  Meiningen,  ]\relrichstadt, 
Ostheim.  Fulda,  Herbstein,  Lauterbach,  Grebenau.  Alsfeld, 
Hersfeld,  Rotenburg. 

Vocaldelmung  in  kind  erstreckt  sich  im  N  bis  Treffurt, 
im  S  reicht  sie  aber  etwas  weiter  als  für  winfcr:  AFelrichstadt, 
Ostheim,  Bischofsheim  (Khön),  Neustadt,  Brückenau,  Schlüchtern. 
Hierbei  ist  zu  beachten,  dass  im  ostfr,  die  dehnung  in  kind 
gemäss  dem  gesetze  der  dehnung  einsilbiger  nomina  mit  doppel- 
consonanz  erfolgt;  in  diesem  sinne  ist  auch  zu  verstehen,  was 
AVrede  a.a.O.  111  sagt:  'die  bei  ivinter  fehlende,  bei  pfund  und 
hiind  aber  vorhandene  vocaldelnning  nordAvärts  vom  schwäb. 
nasalierungsgebiete  bis  Spessart  und  Rhön  gilt  auch  für  Idnd. 
Ebenso  haben  die  pfound  und  hound  ihre  ÄT?»r^-entsprechung 
im  Franken wald'. 


DEHNUNG  DEl?  >rill).  KURZEN  fiTAMMSILBENVOCALE.         207 

Vereinzelt  tiitt  obig-e  erselieiimng  auch  sonst  auf;  so  gilt 
für  Alteuburg-  dndc  f.  'ente'  und  tjanscrt  m.  •gänserich';  letz- 
teres auch  füi'  Erfurt;  für  den  Tuterharz  jmücr,  während 
Mansfeld  jmuri  liat. 

§  7G.  VcH'aldehnun«!'  vor  cht  ist  zu  erwähnen  füi-  nihd.  e 
im  ^^'  des  g-ebiets.  Belege  bei  Hertel.  Kegel.  Flex.  Vgl.  hierzu 
AVrede,  Anz.  21. 162:  "die  grenze  des  grossen  westdeutschen 
complexes  mit  dehnung  des  c  in  recht  zieht  von  Heilig-enstadt 
über  Hainich  den  'l'hüringerwald  entlang  und  wendet  sich 
dann  ostwärts  zum  Erzgebirge.  Dehnung  des  a  vor  cht  gilt 
für  Nordthüringen;  Kleemann  gibt  nacht  und  Schnitze  auch 
aachte  mim.  und  sauchtc  'sachte'. 

§  77.  Vor  chs  bezeugt  nur  Schnitze  für  Nordthüringen 
dehnung  des  a:  rvaa/csc  'wachsen',  ivaals  n.  'wachs';  dieselbe 
ist  aber  verbreiteter.  Avie  sich  aus  A\'redes  bericht,  Anz.  21.  261. 
ergibt:  vocaldehnung  vor  -x-  in  wachsen  ist  thüringisch  zwischen 
der  s/.-t'- grenze  (die  von  Eisenach.  Kreuzburg.  Treff urt.  Mühl- 
hausen. Dingelstedt.  AVorbis.  Bleicherode,  Sachsa,  Beneckenstein. 
Quedlinburg.  ( 'ochstädt.  Stassfurt  weiter  nach  ^Magdeburg  zieht) 
und  etwa  Beneckenstein — Kindelbrück — Gräfenthal  (südlich  von 
Saalfeld):  im  nöi-dlichen  drittel  (etwa  bis  ]\Iühlhausen — Kindel- 
brück) vorwiegvnd  -irfix-  (s.  auch  Schultze),  im  mittleren  (etwa 
bis  Waltershausen^ — P^rfurt)  n-oax-,  im  südlichen  ivuax-'. 

§  78.  Dehnungserscheinungen  geringeren  umfangs  sind 
ferner  folgende:  a)  vor  -st  (mit  altem  .s)  tritt  im  SW  vocal- 
dehnung ein:  (jasd  und  pl.  (ir.sd .  flasder  'pflaster'  u.  a.;  aber 
last  'last"  von  taden:  brüst,  tust  u.  a.  (s.  Hertel  11).  Ebenso  in 
Euhla.  Für  Eisenach  ist  nur  laesdn  'kästen'  angegeben,  für 
Erfurt  nwst  'nest'.  aber  flasder;  auch  Schultze  hat  naest,  Lie- 
senberg daneben  pläster. 

b)  In  der  lautgruiipe  vocal  +  nf  fällt  im  SA\'  des  gebiets 
n  aus  mit  'ersatzdehnung*  des  vocals.  Ruhla:  ruft  m.  'rand', 
faußen  'fünfzehn":  Salzungen:  säfd  'sanft'  und  comp,  saefdcr 
und  säfder,  sup.  säfdsd. 

Auch  der  NO  des  rlieinfi\  kennt  diese  erscheinung;  so 
Blankenheim:  rdfd.  In  Hersfeld  tritt  dehnung  mit  erhaltung 
des  nasals  ein:  rümfd  und  dim.  remfdyj). 

c)  In  Kuhla  tritt  'ersatzdehnung'  ein  auch  in  der  grujjpe 
-aVr.  Ul,  'kalb',  hid,  'halb'. 


208  RITZERT 

(l)  Vor  //  ist  in  Altenburg- einige  mal  dehnung  eingetreten: 
ihlural  'iibeiair.  IxV  m.  'hnW  und  verb.  hdJe  'ballen'. 

9.    Obersäch.sisch. 

Quellen:  K.  AUueclit,  Die  Leijjziiiev  ma.  Leipz.  18S1.  —  C.  Pranke. 
Der  obersiichsische  dialekt.  Programm  von  Leisnig-  1884  (citiert  Fr.  1).  — 
C.  Franke,  Grundzüge  der  .Schriftsprache  Luthers.  Görlitz  1888  (Fr.  2).  — 
C.Franke,  Die  unterschiede  des  ostfiiinkisch-oherpfälzischen  und  ohersächsi- 
.«chen  dialekts  etc.,  Bayerns  maa.  1.  2.  —  F.  Weidling,  Telter  .rohannes 
("lajus"  Deutsche  grammatik.    Freiburger  diss.  1894. 

§  79.  Das  obersäclisische  dehnt  im  allgemeinen  mhd.  kurzen 
vocal  in  offener  silbe  (s.  Franke  1,  r.G).  Beispiele:  rnle,  hhlx 
'ledig',  öbsd  (<  obe.?),  rfl  -Aiel'  (jedoch  rll  in  dem  grösseren 
nördlichen  teile  des  Osterlandes).  Nach  Bay.  maa.  1,  29  haben 
auch  Iriippd  und  egge-  langen  vocal;  auf  die  md.  nebenform 
t{(1)ruge  weist  ilreye  (drceix_e)  'trocken'.  Ferner  haben  spät.-j 
und  sdimniz  vocallänge.  in  Leipzig  aucli  musclic,  rle  "eile'  (<  mhd. 
(■l(;)  und  zuweilen  die  bildungssilbe  -scdu. 

§  80.  Scheinbare  ausnahmen,  die  nicht  gegen  obiges  gesetz 
Verstössen  (s.  §  16),  liegen  in  den  Wörtern  auf  -el,  -er,  -cm,  -en 
vor;  es  haben  nun  nicht  allein  diejenigen,  in  denen  auf  den 
stammvocal  m,  n  folgen,  die  kürze  (wie  in  der  schriftsiirache). 
sondern  auch  solche,  deren  stamm  auf  iv  (<  b,f)  und  d,  einige 
mal  auf  .s-  und  /  {<g)  auslautet.  Zu  den  ersteren  gehören: 
s(je'))t{  'semmeF.  hnnl,  hamr,  doiir;  ferner  auch  jenr  u.  a.  Da 
Franke  bei  der  aufzählung  der  abweichungen  der  quantitäten 
des  obers.  \"om  schriftdeutschen  keine  von  diesem  ab\\"eichenden, 
hierher  gehörigen  beis^yiele  (ausser  den  genannten)  gibt,  so 
muss  ei'schlossen  werden,  dass  unser  dialekt  hierin  mit  dem 
nhd.  zusammenfällt;  die  in  Bay.  maa.  1,  29  ff.  genannten  fälle 
stehen  dem  nicht  entgegen.  Mit  der  schriftspr.  hat  das  obers. 
kürze  auch  in  zappeln  und  krabbeln  (s.  Bay.  maa.  1,  31.  32); 
über  dieselbe  hinaus  aber  ist  die  kürze  vor  den  übrigen  ge- 
nannten consonanten  erhalten:  schdiul^{schdciuel)  'stiefel",  niirr 
'hinüber'  (neben  mwcer),  drim  'drüben',  ^e^c/w/m 'geschrieben' 
etc.;  bei  Albrecht  auch  aiir  'aber',  gabl.  siviicl  u.  a.  Länge 
haben  /<«?<'/ •hobel',  (hu  'eben"  u.a.  Auf  d,  s,  •/_:  ««;yWr 'wider' 
(daneben  mit  i)\,  bei  Albrecht  feder,  leder,  neder  'nieder'  (andei- 
wärts  nidr\  edcUtecne,  tadel  m.,  fidel  f.  (auch  mit  i),  .wdel  m. 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  209 

u.  a.:  Iiaselnüsse,  wisel;  reyl  m.  'rieg-el',  mcyn  'mög-en';  doch  hoisn 
'besen",  dsögn  'zog-en".  /ik'/^Z 'voger  u.a.  (s.  Fr.  1,  ;>H). 

Ferner  geli()ren  folgende  beispiele  mit  erhaltener  kürze 
hierher:  sihdsn  'siebzehn',  sihdsy.  aber5^6n;  Zfe«t'CBW(i;f 'lebendig'; 
zuweilen  het/rcehnls,  auch  haby  'habe  ich"  und  einige  andere; 
aber  redlic/i,  hredyß  f.  '\)ved\gt'  etc. 

Schliesslich  bleibt  urspr.  kurzer  vocal  in  der  verbalflexion 
in  den  formen  der  schw.  verben  auf  d,  t,  in  denen  durch  s^-n- 
kope  in  der  flexionssilbe  gemination  entstanden  ist:  schmid 
'sclmüedet'.  yebed  'gebetet';  zuweilen  auch  schlced  'schlägt'. 

Auch  die  präsensformen  mit  /  der  verben  ychen  und  sehen 
haben  kürze  (s.  Franke  2,  26);  ebenso  Usd  'liesest,  liest'. 

§  81.  Eine  wirkliche  ausnähme  liegt  vor  in  Wörtern  mit 
altem  /:  in  den  meisten  derselben  bleibt,  wie  im  nhd.,  die 
urspr.  quantität  erhalten.  S.  hierzu  Franke  1.36,  wo  als  ab- 
weichungen  von  der  schriftsprachlichen  quantität  nur  brdtd 
'brett'  und  schdwde  ' Städte'  angegeben  sind.  Hiermit  stimmen 
auch  die  beispiele  überein,  die  Franke  in  Ba}*.  maa.  1,  29 — 35 
gibt;  'dieselben  werden  im  obers.  der  schriftsprachlichen  regel 
entsprechend  nur  mit  kurzem  vocal  gesprochen:  schritt,  tritt  m.. 
Matt,  satt,  glatt,  stadt,  statt,  gott,  kette,  hüttel,  hettel,  ivetten, 
gcratter,  sattel,  sclditten,  gesotten,  geritten,  gelitten,  geschnitten, 
gestritten.  Bei  Albrecht  ist  auch  für  geboten  kurzer  vocal 
angegeben.  Länge  vor  t  findet  sich  also  in  den  fällen  wie  im 
schriftdeutschen:  fader  "vater'  etc. 

Vor  (/  ist  die  kürze  nur  in  schmid  und  pl.  schmide  erhalten 
(s.  Franke  2.  26). 

In  einigen  einsilbigen  Wörtern  hat  die  quantität  des  nomi- 
nativs  den  sieg  davongetragen:  dsug  'zug'  (und  dat.  dsuche), 
beschlak,  grob;  zuweilen  in  f/r/Z; 'tag';  ferner  allgemein  in  kär- 
ifreidäch) ;  nach  Albrecht  auch  in  hof,  grab  n.,  schmal  (nur  in 
der  'bauernsprache').  Kürze  haben  ferner  ivol,  mag  praet.- 
praes.,  wcec  'weg'  adv.  und  (nach  Albrecht)  statvwe  'stube'; 
Franke  gibt,  als  für  das  ganze  gebiet  geltend,  schdumdtr 
'  Stubentür'. 

§  82.  Von  doppelconsonanzen  haben  im  obei'S.  die  Verbin- 
dungen >•  -H  cons.  und  l  +  dentalexplosiv  vocaldehnenden  eintiuss. 

Vor  r  +  d,  t,  ts  wird  übereinstimmend  mit  dem  nhd.  a  und  e 
gelängt:  erde,  ivAre  'werde',  harz  etc.;  über  die  Schriftsprache 

Bfilrüge  zur  geachicbte  der  deutacUen  spracht'.     XXill.  l\ 


210  RITZE  RT 

hinaus  zeigt  sicli  delinuug  in  gehurt,  gärten  und  nach  Albrecht 

§  1  in  Leipzig  aucli  in  tvärten.    Vor  rs  hat  allgemein  hrrschr 
(lehnung,  während  gerate,  ivurst  etc.  kurzen  vocal  1  iahen. 

Ferner  tritt  häufig  vor  rm,  rh,  rf,  rg,  rch  dehnung  eiu. 
In  seinem  programm  s.  35  sagt  Franke,  dass  durch  einwirkuug 
des  r  besonders  bei  gaumenvocalen  eine  niedere  Stellung  der 
zunge  eintrete  und  i,  ii,  e,  ö,  namentlich  wenn  diese  kurz  sind, 
regelrecht  zu  w  wei'den  und  dass  diese  (e  jetzt  'vielfach'  zu  (P 
werden.  Die  dehnung  vor  den  genannten  r -Verbindungen  bleibt 
aber  nicht  auf  dieses  ce  beschränkt,  wie  die  folgenden  beispiele 
zeigen: 

rm:  arm  und  pl.  wrme,  terml,  ivörm  'wurm"  uud  {A.  tvctmier, 
dorm  'türm',  scluerm  'schirm'. 

rh:  (trhd  'arbeit',  Jcörh. 

rf:   dörf  und  pl.  dwrfer;  drerf,  dtWfsd,  dwrfti,  dttrfd  'darf, 
darfst,  dürfen,  dürft';  wih'ft  'wirft'. 

rg:  hterg  'berg',  sarg. 

rch:  rthye  'kirche',  fihydn  'fürchten',  gefur/d  'gefürchtet', 
hörx  'bürg'  und  hd'ryer  m.,  för'/ß  'furcht',  dörx  'durch', 
mür/n  'morgen',  gehwrye  'gebirge*. 

§  83.  Dehnung  des  a  vor  l  +  t,  d  mit  scliwund  des  dental- 
explosivlautes  findet  sich  in  cd  (<  alt),  flectiert  äle\  Ml,  flec- 
tiert  Mle\  hcdn  "halten',  venväln  'verwalten',  bCile  'bald';  aber 
u-ald  (s.  Franke,  Bay.  maa.  1,  34).  Auch  Albrecht  constatiert 
diese  erscheinung,  beschränkt  sie  aber  auf  die  'bauernsprache'. 
Nach  Wrede,  Anz.  21,  275  bildet  die  Knie  Naumburg  a.  S.  bis 
Geising  (südlich  von  Dresden  an  der  reichsgrenze)  die  süd- 
grenze der  vocaldehnung  in  alte:  dasselbe  gilt  für  l;alte\  s. 
Anz.  21,  279. 

Auch  vor  U  wird  a  im  obers.  gelängt,  jedoch  nicht  im  S; 
s.  Wrede,  Anz.  19, 102:  'die  südgrenze  für  die  dehnung  in  sah 
bildet  die  etwaige  Knie  Schafstädt,  Frohburg,  Dresden,  Schandau'. 

10.   Schlesisch-lausitzisch. 

(■Quellen:  Kiessling,  Blicke  iu  die  ma.  der  südlichen  Oberlansitz. 
Zschoppau  1883.  —  A.  Kl  esse,  Zur  grammatik  des  in  der  grafschaft  Glatz 
gesprochenen  deutschen  dialekts,  Yierteljahrsschrit't  f.  gesch.  u.  heiniatskde. 
der  grafsch.  Glatz,  :}.  heft  (1883/84),  148—159.  —  P.  Kupka,  Die  ma.  des 
kreises  Guben,  Niederlaus,  niitteil.  3,  275—282  (vocalisinus)  und  3t)7— 377 
(cunsonautismus).  —  R.Michel,  Die  ma.  von  Seifheuuersdorf  (an  dir  süd- 


DKHNlfN(4  DEli   MIID.  Kl'KZKN  STAMMSl  MiKNVOCAIiK.  211 

grenze  der  säclis.  Oberlrtusitz),  Bcitr.  15,  1  ff.  —  H.  rtiukert,  Zur  Charak- 
teristik der  deutschen  maa.  in  Sclih'sien,  Zs.  fdph.  1,  191».  4,  322.  5,  125  ff.  — 
U.  Waniek.  Zum  vocalisnius  der  schles.  ma.  (W.  behandelt  liier  die  nia. 
an  der  Biala  im  östl.  teile  des  österr.  Schlesiens  und  westl.  CTaliziens).  ]»ie- 
litz  ISSO.  —  K.  Weinhold,  Ueb.  deutsche  dialektforschung.  Die  laut-  und 
Wortbildung  und  die  formen  der  schles.  ma.  Wien  1853.  —  K.Wein  hold, 
Die  Verbreitung  und  die  herkunft  d.  Deutschen  in  Schlesien,  Forschungen  z. 
d.  laiid-  n.  volkskde.  2,  21 4  ff. 

§  84.  Im  sfliles.-laiis.  wird  lulid.  kurzer  vocal  in  offener 
Silbe  stets  gedehnt  (s.  Weiiili.  1,  88.  39(1).  Waniek  21.  Micliel  25. 
Kupka  377.  Kiessling  6).  Beispiele:  göt  und  ymit  'gotV,  stdt 
und  stuoadt  'Stadt',  nim  imp.  zu  'nehmen',  ivätr  'wetter',  sät 
und  suoat  'satt',  Mtel  'kittel'.  Inte  'bütte'.  nkler  und  neiäcr 
'nieder'  u.  a.  (die  an  zweiter  stelle  angeführten  formen  sind 
niederschlesisch:  das  charakteristische  des  'Neiderlandes'  ist 
seine  neigung  zu  ei  und  au;  s.  AVeiiih.  20).  Laus.:  tontä  "dotter', 
fcäta  'wetter',  du'te  'kette',  sitn  'sitte'. 

§  85.  Ausnahmen  kommen  nur  selten  vor.  Erhalten  ist 
die  kürze  in  den  uiiliectierten  formen  einiger  einsilbigen  Wörter: 
fluJi  'flug',  .cid-  "/A\g\  (jms,  siJi  'sieg',  frmmn  'fromm';  aber  tau 
(bei  Weinh.  und  ^\'aniek),  (jröh  etc.  Birlingers  angäbe,  Rechts- 
rhein. Alemaiinien  45  f.  (fussnote):  'das  schles.  behält  die  mhd. 
quantität  ganz  rein,  bloss  in  einsilbigen  aber  nicht  in  mehr- 
silbigen Wörtern',  ist  also  nicht  stichhaltig.  Die  ma.  an  der 
Biala  hat  schwanken  zwischen  kürze  und  halblänge  in  ylott, 
tjlott;  aber  hrät  'brett'  u.  a.  In  Seifhennersdorf  ist  vü  'viel' 
stets  kurz,  meist  auch  luaJ^  praet.-praes.;  ferner  die  'fremdlinge' 
mat,  d«^ 'glatt',  Ao^ 'gott';  für  letzteres  ist  das  gesetzmässige 
erhalten  in  koiipehitjl  'gott  behüt  euch!'  (in  den  benachbarten 
böhm.  maa.  ist  kaut  die  übliche  form,  geschützt  durch  die  po- 
litische grenze;  Michel  26).  Coschen  und  Wellmitz  im  kreise 
Guben  haben  seff  'sieb',  Stargardt  hat  vill;  ferner  erscheint 
dort  schtot  ' Stadt'. 

§  86.  Sonstige  abweiclmngen  von  unserem  gesetze  sind 
nicht  eigentliche  ausnahmen;  sie  führen  sich  auf  den  ausfall 
des  vocals  in  Suffixen  zurück.  Ihre  zahl  ist  gering;  s.  Weinh. 
1,88:  'einige  alte  kürzen  haben  sich  gerettet,  die  aber  in  der 
Sprache  der  gebildeten  weichen  mussten".  l'ebrigeiis  zeigt  sich 
auch  hier,  dem  wesen  dieser  verschiedenen  ausgleichung  eines 
älteren  Wechsels   zwischen    formen    mit    und    oliiie   länge    ent- 


212  RITZERT 

sprechend,  keine  einlieitliclikeit;  'der  schles.  dialekt  scliwankt 
t'ortwälu'end  niclit  nur  im  allgemeinen,  sondern  auch  in  den 
lücalmaa."  (]\iickert.  Entwurf  einer  system.  darstellung-  der  schles. 
ma.  im  mittelalter,  hg-,  von  Pietsch,  Paderborn  1878.  s.  177).  Die 
hierher  gehörigen  heispiele  sind  meist  solche  mit  m  oder  t  im 
stannue:  lihnmel,  liammer,  hmnner,  sumn/er,  schamniel  'schemel'. 
aber  näin  'nehmen";  hatteln  "betteln".  <ieritfen,  sottet,  vatter 
(nur  in  manchen  gegendeii;  an  der  Biala  nur  in  städten).  retfcr 
und  einige  andere.  In  der  Bielitzer  ma.  scliwankt  kürze  und 
halblange  in  msohnma,  Jiohnmer;  länge  haben  hPmer  "hammer', 
sämfl  'semmel';  halblänge  liegt  A'or  in  (/csneffa  'geschnitten'. 
srett  m.  'schritt',  he^mmel  und  hemcl  'himmel".  während  nur 
hatteln  entschiedene  kürze  hat.  Sonst  kommen  u.  a.  noch  vor: 
äininer,  tiifel  'tafel',  swippel,  weder  'wider',  oder.  Für  Seif- 
hennersdorf  ist  zu  erwähnen  tunä  (nach  gen.  dunres)  neben 
toimä  (nach  nom.  acc.  donar);  ferner  ceritn  'geritten',  eemitn 
'geschnitten',  neben  cezoutn  'gesotten'  etc. 

In  der  verbalflexion  ist  die  kürze  erhalten,  wo  durch  Syn- 
kope des  tonlosen  flexions-c  geminata  oder  doppelconsonanz 
entstanden  ist;  bei  Weinhold  scliatt  'schadet';  gitt  'gibt',  yatt 
'gebt',  geliatt  'gehabt'  (s.  auch  Kupka  871.  Michel  §  58e  und 
s.  26.  Weinhold  1,  78). 

§  87.  Als  zweites  dehnimgsgesetz  gilt  für  das  schles.- 
laus.,  dass  in  der  i-egel  der  vocal  in  mlid.  einsilbigen  Wörtern 
mit  doppelconsonanz  gedehnt  wird;  bei  antritt  einer  üexions- 
silbe  oder  ableitung  erscheint  wider  die  alte  kürze.  Diese 
erscheinung  darf  wol  mit  als  beweis  gelten  für  die  verwant- 
schaft  des  schles.  mit  dem  ostfr.,  die  W'einhold  2,  21-1  f.  betont. 
Belege  zu  unserem  gesetze  bieten  die  angeführten  quellen; 
im  bes.  verweise  ich  auf  IVIichel  §  59.  69.  Kiessling  6  f.  Waniek 
25.  31,5.  34,  a.  38,2.  41,  §  22,  3.  44,  3.  Klessel49f.  Weinhold 
26,3.  27,5.  28,2.  29,1.  36,9.  37,3.  42,2.  45,7.  46,8.  48.  51,2. 
59,5.  60,9.  61.5.  64.8.  Belege  für  die  erhaltung  der  kürze  in 
der  flexion  und  ableitung  bei  Weinh.  23.  32,  5.  33, 12  f.  59,  5. 
AVaniek  25.  42,  §  23, 1. 

Ausnahmen  finden  sich  local  beschränkt  und  allgemein; 
s.  Weinh.  23,  4.  25, 1.  31,4.  49,2.  52,2:  'neben  den  längen  auf  o: 
lop  'köpf,  &oZ'bock',  loch,  5c/?7o.s 'schloss'  etc.  kommt  im  ge- 
meinschlesischen  an  denselben  orten  das  kurze  u  (s.  A\'einh.  56) 


DEHNirNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  213 

vor  narli  einem  Wechsel,  der  g-esetzlos  erscheint".  An  der  Biala 
zeig-t  sich  in  manclien  einsilbigen  Avörtern  nur  halblänge  (s. 
AVaniek  34.  b.  38,3);  in  anderen  bleibt  die  kili-ze  (s.  \\'aniek 
31,6.  34,4.5.  37  [§20,1]). 

§  88.  Ausserhalb  des  raluuens  des  zweiten  dehnungs- 
gesetzes  stehen  die  dehnungserscheinungen,  die  durch  die 
natur  benachbarter  consonanten  bedingt  sind. 

In  erster  linie  haben  im  schles.-laus.  >-verbinflungen  deh- 
nenden einfluss.  In  .Schlesien  wird  nach  Hückert,  Zs.  fdpli. 
4, 381  der  vocal  vor  jeder  Verbindung  von  r  mit  muten  und 
Spiranten  gedehnt:  für  die  Bielitzer  ma.  sagt  Waniek  21,3 
dasselbe. 

Nach  den  von  \\'einhold  mitgeteilten  belegen  hat  diese 
erscheinung  jedoch  nicht  in  dieser  allgemeinheit  giltigkeit; 
ich  verweise  auf  23,4.  24,5.  25,1.  30,2.3.  31,4.  32.5.  33,8. 
39,3.  49,2.  56,8.  57,11.  58,4.  An  der  Biala  kommen  aus- 
nahmen allerdings  nur  vereinzelt  vor,  zum  teile  nur  an  be- 
stimmten orten;  so  in  /re-rfu  'werfen',  stiußrch  'storch',  buo'-rsta, 
sicHo'^rz  (die  lautverbindung  m  ist  vor  mehrfacher  consonanz 
prägnant  kurz  nach  ^^^aniek  39),  yeh/uf  u.  a.  Halblänge  liegt 
vor  in  liar^'  iierz'  und  smars  'schmerz".  Beispiele  für  dehnung 
vor  r  -\-  cons.:  y  arten,  ytPrte  f.  'gerte",  borte  f.,  hör  sehte  f., 
yärschte  u.  a. 

In  der  Bielitzer  ma.  tritt  nicht  selten  auch  vor  r  -\-  iv,  ni,  ii 
delmung  ein:  .S7>7f«  /scherbe',  wirnn  (\)\.  inrntcr).  Mm  'kern' 
u.  a.:  doch  .seh-m  'schii^m'.  dnorn  'dorn'  und  diiii.  (lie-rula  u.  a. 

In  der  Oberlausitz  ist  dagegen  nur  vor  r  +  d,  t,  s,  z  deli- 
ining  eingetreten  und  zwar  in  nur  wenig  mehr  Wörtern  als  in 
der  Schriftsprache;  s.  Michel  §  67:  kharte  'karte',  hmtn  'garten', 
härste  'gerste'.  cehart  'gehurt'  (aber  cPhyrtj).  ivfirt  'wort',  nrt 
'ort',  c^rte  f. 'gerte'.  meriZ  "mörser',  ^^(fri/ 'schöpf'.' /»«rie 'liirse'. 

§  89.  Vor  der  lautgruppe  l  -f  t,  d,  z  wird  im  schles.-laus. 
a  gedehnt  (s.AVeinhold  27.  05.  Rückeit.  Zs.  fdph.  4.  331.  AVaniek 
21  f.  38.  Kupka  375.  Michel  §  65.  Wre(h'.  Anz.  21.  275).  Im 
gi'össten  teile  des  gebiets  auf  dem  linken  Oderufer  schwindet 
dei-  dentalexi)losiv;  erhalten  ist  ei'  nach  Wenkers  atlas  in  einem 
gebiete,  das  im  A\'  etwa  durdi  die  linie  (toIsscu— Kuhland, 
gegen  X  ganz  ungefähr  duirli  die  ///rA- linie  begi-enzt  ist: 
im  S  iimfassl   die  gi-enze  die  Wendei,  ziidil  weiter  V(»ii  .Muskau 


214  RITZERT 

Über  Sommerfeld  nach  Grünberg-  und  dann  ungefälir  der  Oder 
aufwärts.  Oestlicli  der  Oder  läng-s  der  Id- grenze  gilt  in 
schmalem  säume  äl  Hiermit  stimmt  Waniek  21  und  Kupka 
s.  375  überein.  die  beide  für  ihre  maa.  erhaltung  des  explosivs 
bestätigen;  letzterer  fügt  hinzu,  dass  in  dem  benachbarten 
Sorauer  kreise  aber  derselbe  schwindet;  ebenso  im  Sprach- 
atlas. Auch  Seifhennersdorf  hat  erhaltenes  f,  d;  ^Michel  con- 
statiert,  dass  die  dehnung  des  a  vor  l  -\-  ä,  t  völlig  durch- 
gedrungen ist:  nicht  von  der  dehnung  wird  das  a  betroffen, 
das  westgerm.  e  oder  den  späteren  umlaut  von  a  vertritt: 
/a?^ 'feld' etc.;  ferner  in  fremd  Wörtern:  «7^« 'altar".  salin  '  \)Q>>i- 
schalter".  Kürze  in  salz  ist  erhalten  in  einer  enklave  im  süd- 
lichen Schlesien  mit  Schweidnitz.  Zobten.  Reichenbach,  ^^'arthaJ 
Ottmachau,  s.  Wrede,  Anz.  19, 102. 

Dem  nordschles.  ist  dehnung  des  e  vor  l  +  t  eigen.  Wein- 
hold 45,  6.  7:  (laiüä  'geld*.  süilten  "selten'.  Vereinzelt  trifft  man 
diese  erscheinung  auch  im  gebirge.  Manchmal  wird  auch  ein 
anderer  vocal  gedehnt;  ich  finde  als  hierher  gehörige  beispiele: 
schauldr  'schulter'.  scJumld  'schuld",  rjcdauld;  im  Kuhländchen 
bei  Oderau  in  Mähren  auch  gould  'gold'. 

§  90.  Dehnung  vor  nasalverbindungen,  besonders  vor  )t  + 
verschlusslaut,  ist  dem  X  eigen;  vereinzelt  findet  sie  sich  auch 
in  der  gebirgsmundart,  besonders  im  Kuhländchen.  Diese 
dehnungserscheinung  betrifft  e  und  seltner  i  (s.  AA'einliold  69. 
Kupka  375).  Beispiele:  eindc  'ende',  mein^ch  'inensch',  se/nzc 
■sense'.  Vgl.  auch  Wrede,  Anz.  19, 108:  "gedehntes  /  in  ivinter 
wird  bezeugt  für  Schlesien". 

§  91.  a)  Vor  cht  wird  nach  Wrede,  Anz.  21, 162  c  gedehnt 
innerhalb  des  dreiecks  Bautzen — Schwiebus— Hirschberg  a.  R.; 
ferner  um  Olilau  und  Falkenberg  und  an  der  obersten  Glatzer 
Neisse;  s.  auch  Weinhold  27,  5.  45,  6.  7. 

An  der  Biala  ei'scheint  c  nur  halblang;  so  in  knucht  etc.: 
hier  ist  auch  a  vor  urspr.  ht  gedehnt  in  nacht,  iceinächta. 

Auch  Seifhennersdorf  hat  dehnung  des  c  vor  cht:  räjt 
'recht',  näjtn  'gestern  abend'  etc.;  aber  fdjtn  'fechten';  s. 
Michel  §  66. " 

b)  Vor  Jcs  <  hs  wird  an  der  Biala  a  gedehnt:  iräksa 
'wachsen',  äJcs^l,  tväks  u.  a.;  aak's^hi  "wechseln'  und  sak''s  haben 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.  215 

]i;ill)langeii  vocal  (s.  AVaniek  34.  88).  Xacli  Wrede,  .\nz.  18.  41:! 
zeigt  sicli  in  sechs  diplithongierimg'  im  Odergebiete  von  F'rank- 
furt  bis  Beuthen. 

II.  teil. 

Zusammenfassung  der  dehnungserscheinungen 

und  vergleichung  mit  den  quantitätsverhältnissen  der 

Schriftsprache. 

Xaclidem  ieli  im  vorhergehenden  den  qnantitativen  lant- 
wandel  in  den  liani»tdialekten  des  hochd.  spracligebiets  nacli 
seiner  hauptseite:  der  dehnung-  der  mhd.  kurzen  stammsilben- 
vocale.  zur  darstellung-  gebracht  habe,  will  ich  im  folgenden 
versuchen,  die  resultate  zusammen  zu  fasseil.  Dabei  werde 
ich  gleichzeitig  die  entsprechenden  (luantitätsverhältnisse  der 
Schriftsprache  zur  vergleichung  heranziehen  und  die  frage  er- 
(»rtern.  auf  welchem  dialekte  die  schriftsprachlichen  quanti- 
täten  beruhen.  ]Mein  augenmerk  habe  ich,  gemäss  den  obigen 
ergebnissen.  dabei  nach  zwei  seilen  zu  richten:  wo  ist  die 
dehnung  spontan  entstanden  und  wo  durch  benachbarte  con- 
sonanten  bedingt? 

1.   Dehnung  in  offener  silbe. 

Sj>ontan  ist  die  dehnung  mhd.  kurzer  stammsilbenvncale 
in  urspr.  offener  silbe  eingetreten.  Sehen  wir  vom  hochale- 
mannischen  ab,  in  welchem  im  grossen  und  ganzen  die  ursjir. 
Verhältnisse  bewahrt  sind  (A'gi.  §  1)  und,  wenige  zui'  nlid. 
dehnung  neigende  gegenden  (s.  §  3)  abgerechnet,  vocaldehnung 
in  offener  silbe  nur  dann  eingetreten  ist,  wenn  die  folgende 
silbe  mit  /•  anlautet  (s.  §  2),  so  finden  wir  dieses  gesetz  für 
alle  dialekte  giltig;  s.  §  15.  23.  30.  39.  47.  50.  68.  79.  84. 

Paul  hat  Beitr.  9, 102  nachgewiesen,  dass  diese  quantitäts- 
veränderung  mhd.  kurzer  vocale  mit  dem  silbenaccente,  und 
zwar  mit  einer  bestimmten  form  desselben,  dem  schwach- 
geschnittenen, zusammenhängt;  s.  auch  Sievers,  Grundzüge  der 
Phonetik^  §  790. 

Die  frage,  weshalb  nun  die  mhd.  kurzen  vocale  mit  schwach- 
geschnittenem accente  der  dehmnig  unteiworfen  waren,  ist 
gewiss  keine  müssige.  Mich  hat  sie  immer  interessiert.  Ihre 
beantwortung  findet  sie  m.  e.   in   der  füi-  so   viele  fälle   zu- 


216  RITZERT 

treffenden  annähme  des  natürlichen  strehens.  mit  möglichst 
wenig  mnskelanstrengung-  nnd  atemauf-wand  denselben  zweck 
zu  erreichen  Avie  mit  viel  (Max  ]\rüller);  s.  Kussmaul,  Die 
Störungen  der  spräche  243. 

Auch  J.  \\'olff  betont  in  seiner  vortrefflichen  abhandlung 
Ueber  die  natur  der  vocale  etc.  (progr.  von  Mühlbach  1875), 
s.  63  das  bestreben  nach  physischer  erleichterung  der  arbeit, 
welches  auch  auf  sprachlichem  gebiete  mehr  und  mehr  zur 
geltung  gekommen  ist.  Dies  ist  zweifellos  richtig;  dagegen 
aber  nicht,  was  Wolff  über  die  ausspräche  der  langen  vocale 
sagt,  und  damit  komme  ich  zur  begründung  meiner  ansieht. 
'\\'olff  meint  nämlich  a.  a.  o.,  dass  die  anhaltende  muskelaction, 
mit  welcher  die  ausspräche  langer  vocale  verbunden  ist,  eine 
grössere  phj'sische  anstrengung  erfordere  als  die  bildung  eines 
kurzen  vocals. 

Die  erfahrungen  beim  Sprachunterrichte  taubstummer 
sprechen  direct  dagegen.  Das  gedehnte  sprechen  der  vocale 
fällt  dem  sprechschüler  leicht,  keineswegs  aber  die  ausspräche 
der  betonten  vocalkürzen.  Das  üben  der  letzteren  bedarf 
unendlich  mehr  zeit,  und  noch  lange  nach  absolvierung  des 
ersten  sprecliunterrichts  tritt  die  neigung  auf,  die  kurzen  vocale 
gedehnt  zu  sprechen.  Für  die  technischen  Sprechübungen  der 
späteren  Schuljahre  bildet  deshalb  das  üben  der  kurzen  vocal- 
aussprache  ein  stehendes  capitel. 

Diese  tatsache  bildet  für  mich  den  grund  zu  der  annähme, 
die  in  den  dialekten  wie  in  der  Schriftsprache  eingetretene 
dehnung  der  alten  kurzn  vocale  mit  der  physisch  leichteren 
gedehnten  ausspräche  zu  erklären. 

Häufiger  kommt  es  vor,  dass  urspr.  liquid-  und  nasal- 
gemiuaten  als  einfache  laute  behandelt  werden,  so  dass  der 
vocal  vor  denselben  in  den  silbenauslaut  zu  stehen  kommt; 
s.  §  2  (am  Schlüsse).  5.  21.  36.  47,  d.  55,  d.  63.  78,  a. 

Dieselbe  erscheinung  begegnet  uns  vor  explosivgeminaten 
im  mfr.  (s.  §  64)  und  vereinzelt  auch  sonst  (s.  §  38,  a). 

Das  gesetz  der  vocaldehnung  in  offener  silbe  erleidet  nun 
nach  zwei  seifen  hin  abweichungen,  die  aber  nur  eine  schein- 
bare Willkür  bedeuten  und  ihre  erklärung  in  der  "annähme 
einer  verschiedenen  ausgleichung  eines  älteren  wechseis' 
finden. 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  STAMMSILBENVOCALE.         217 

Einmal  betrifft  dies  solche  Wörter,  in  denen  anf  den  stamm 
noch  ein  snffix  folgt,  meistens  -eJ,  -er,  -cm,  -cn:  dann  auch  -et, 
■i(j  u.  a.  Unter  diesen  Verhältnissen  zeig-t  sich  nun  in  allen 
dialekten  die  neig-nng-,  die  iirspr,  kürze  zu  bewahren  (erklärung 
s.  §  16).  und  zwar  besonders  dann,  wenn  der  stamm  auf  nasal 
ausgeht  (s.  §  IG.  23.  81.  41.  48.  57.  71.  80.  86). 

Auch  die  Schriftsprache  hat  in  den  meisten  fällen  vor  m 
\n  zweisilbigen  Wörtern  auf  -en,  -el,  -er  die  kürze  erhalten: 
ausgenommen  sind  nur  nehmen,  seliämen,  ziemen,  name  (flect. 
namen),  schemel\  mit  n  steht  donner  dem  part.  (/eschienen 
gegenüber.  K.  v.  Bahder  führt  dies  auf  den  einfluss  süd west- 
deutscher dialekte  zurück  (Grundlagen  des  nhd.  lautsystems 
s.  88).  Es  ist  jedoch  gar  nicht  nötig,  so  weit  zu  gehen.  A^'ol 
zeigen  die  alemannischen  maa.  vor  m  +  suffix  consequent  die 
alte  kürze;  doch  steht  beispielsweise  der  grösste  teil  des 
rheinfi'.  der  schriftspi-ache  nicht  nach:  nur  der  N  desselben 
dehnt  hier  a,  aber  nicht  die  übrigen  vocale.  Ebenso  liegt  es 
im  mfi\  Ganz  besonders  aber  muss  die  Übereinstimmung  des 
obersächsischen  mit  dei-  Schriftsprache  in  dieser  hinsiclit  hervor- 
gehoben werden  (s.  oben  §  80). 

Gegen  den  schriftsprachlichen  gebrauch,  wo  wir  fast  aus- 
nahmslos länge  finden,  zeigt  sich  be Währung  der  kürze  in 
vielen  dialekten  öfters  auch  dann,  wenn  der  stamm  auf  liquida, 
einfache  spirans  oder  media  ausgeht.  Ich  verweise  auf  die 
A(nliin  genannten  paragraphen.  Die  mehrzahl  dieser  maa. 
zeigt  nun  nicht  allein  den  anderen  gegenüber,  sondern  auch 
in  den  einzelnen  fällen  die  grössten  Schwankungen.  Viele 
maa.  haben  aber  in  der  regel  länge  oder  doch  in  den  meisten 
fällen:  zu  ersteren  gehören  Basel,  zu  letzteren  die  ostschwäbi- 
sclien.  bairischen,  ostfränkisclien.  südthüringischen,  schlesischen 
und  besonders  auch  die  obei'sächsischen;  Avenn  nach  Albrecht 
Leipzig  auch  zahlreiche  kürzen  erscheinen  lässt,  so  gilt  für  das 
ganze  obersächsisclie  gebiet  doch  die  i-egel,  dass  die  kürze  nur 
•zuweilen"  bewahrt  ist  (vgl.  Franke,  Der  obers.  dialekt  36). 
(Gegenüber  dem  mundartlichen  schwanken  in  den  einzelnen 
fällen  behandelt  die  Schriftsprache  diese  wr)iter  aber  con- 
sequent. 

Wälueiid  die  .scliriftsjirache  in  i\i'V  vcibalflexion  auch  in 
d<'n  formen,  in  welchen  duicli  synkope  des  fiexions-e  geminaten 


218  RITZERT 

oder  doppelconsoiiaiizen  entstanden  sind,  in  Übereinstimmung 
mit  den  übrigen  formen  die  länge  durchgeführt  hat  (aus- 
genommen sind  nur  die  2.  und  3.  sg.  praes.  von  nehncn  und 
treten),  zeigen  viele  maa.  hier  die  kürze  (s.  §  16.  31.  41.  48.  57. 
71.  80.  86).  Zur  zeit  des  eintritts  der  dehnung  stand  also  der 
stammsilbenvocal  in  folge  der  vorausgegangenen  vocalsynkope 
nicht  mehr  in  offener  silbe. 

Die  zweite  abweichung  von  unserem  gesetze  zeigt  sich  bei 
vielen  dialekten  in  manchen  einsilbigen  nominibus  und  im  imp. 
sing.  In  der  Schriftsprache  ist  auch  in  diesen  dehnung  ein- 
getreten, indem  die  vocaldauer  der  tlectierten  casus  in  die- 
selben eingedrungen  ist;  sie  zeigt  also  stets  die  fertigen  er- 
gebnisse  der  ehemaligen  ausgleichung.  In  den  dialekten 
dagegen  erscheinen  mitunter  solche  fälle,  in  denen  die  aus- 
gleichung noch  nicht  erfolgt  ist,  zuweilen  hat  sogar  die  (}uan- 
tität  der  unflectierten  casus  den  sieg  davon  getragen  in  dem 
ganzen  paradigma  (s.  §  17.  33,  b.  40.  50.  59.  70.  81.  85). 

Häufiger  kommt  es  hierbei  vor.  dass  die  kürze  bewahrt 
wird,  wenn  der  stamm  auf  liquida  (besonders  l)  oder  nasal 
schliesst;  s.  §  18.  33.  40.  55.  59.  69.  85.  Vgl.  hierzu  Heusler, 
Beitrag  zum  consonantismus  etc.  13. 

Aus  der  Schriftsprache  gehören  hierher  fromm  (<  vrom, 
rram),  zirm  (<  zin)  und  toll  (<  toi)-  letzteres  kommt  freilich 
mhd.  auch  schon  als  toll  vor. 

^\'ährend  das  unterbleiben  der  ausgleichung  (wie  in  ^ik 
ni.  'sieg',  aber  flectiert  sige  im  scliles.)  in  den  hoclid.  dialekten 
nur  in  seltenen  fällen  zu  constatieren  ist,  bildet  es  für  das 
niederdeutsche  mit  ausnähme  derjenigen  einsilbigen  Wörter,  die 
auf  l  und  ;•  endigen,  die  regel:  treg,  aber  ivcges:  nemcn,  aber 
näm.  In  der  niederfränk.  ma.  von  Mülheim  a.  d.  Ruhr,  in  der 
die  kurzen  voc^ale  in  offener  silbe  stets  gedelmt  worden  sind, 
ti'itt  auch  bei  den  kurzsilbigen,  die  auf  urspr.  p,  t,  k,  sowie 
auf  l,  m,  n,  r  ausgehen,  der  gedehnte  vocal  aus  den  obliquen 
casus  in  den  iiominativ  (s.  Maurmann,  Die  laute  der  ma.  von 
M.  §  128). 

Ausgenonmien  von  der  dehnung  sind  in  der  Schriftsprache 
mit  wenigen  ausnahmen  die  wöi'ter  mit  t,  sowol  ein-  wie  zwei- 
silbige: Ijlatt,  Schlitten.  Die  erklärung  dieser  erscheinung  s. 
bei  Sievers,  Phonetik^  §  792.    Bahder  sieht  auch  hierin  einfluss 


DEHNUNG  DEE  MIID.  KUKZEN  STAMMSILBENVOCALE.  219 

alemanniscli-scliwäbisclier  maa.  (Grundlagen  s.  88),  jedoch  nicht 
mit  recht.  Es  stehen  nämlich  die  alem.  maa.  (s.  oben  §  17.  23) 
in  der  erhaltnng-  der  kürze  vor  t  nicht  allein;  wir  finden  die- 
selbe erscheinung  im  liieinfr.  (§  49),  im  N  des  mfr.  (§  58),  im 
gebiete  des  südbair.  dialekts  (§  33)  und,  abgesehen  von  ver- 
einzeltem auftreten,  vor  allem  wider  im  obersächsischen  (§  81). 
Gegeniiber  den  Schwankungen  des  rheinfr.  zeigt  letzteres  nahezu 
vollständige  Übereinstimmung  mit  dem  schriftdeutschen:  nur  in 
hreü  und  städte  (pl.)  weicht  es  ab.  Für  die  erhaltnng  der 
kürze  vor  /  im  o])ers.  vgl.  auch  die  reimtafel  bei  J.  P.  Titz, 
Zwei  hücher  von  der  kunst  hoclid.  verse  zu  machen  1,  cap.  xiii, 
mitgeteilt  von  v.  Hahder  a.a.O.  s.  99.  Nimmt  man  mit  v.  Bahder 
einfluss  des  alemannischen  mit  seiner  consequenten  kürzeerhal- 
tung  vor  i  an,  so  bleibt  unverständlich,  aus  welchem  gründe 
trotzdem  in  einigen  w()rtern  dehnung  eingetreten  ist  und  zwar 
in  solchen,  die  auch  sonst  in  vielen  maa.  die  alte  kürze  be- 
w^ahren,  wie  in  vafer,  pate,  hote.  Noch  eher  wäre  an  eine 
beeinflussung  seitens  des  rheinfr.  zu  denken,  das.  wie  oben 
gesagt,  in  den  meisten  fällen  die  dehnung  nicht  kennt,  in 
anderen  aber  dehnt;  jedoch  stimmen  die  einzelnen  fälle  nicht 
mit  dem  schriftdeutschen,  was  aber  im  obers.  der  fall  ist. 

Aus  diesem  und  dem  obigen  zusammentreffen  der  schrift- 
si)rache  mit  dem  obers.  glaube  ich  den  schluss  ziehen  zu  müssen, 
dass  die  quantitäten  des  nhd.  auf  diesem  dialekte  beruhen.  Ich 
befinde  mich  also  im  gegensatze  zu  v.  Bahder  und  stimme  Paul 
zu,  der  a.  a.  o.  103  allgemein  sagt,  dass  unsere  Schriftsprache 
doch  nicht  so  sehr  eine  mischung  aus  verschiedenen  maa.  ist, 
dass  sie  nicht  im  wesentlichen  auf  einer  einheitlichen  grund- 
lage  ruht. 

Die  annähme  dieses  Verhältnisses  zwischen  Schriftsprache 
und  obersächsischem  dialekte  ist  um  so  wahrscheinlicher,  als 
die  si)rache  Luthers,  in  der  die  meissnischen  (obers.)  elemente 
dominierten  und  welche  die  grundlage  der  nhd.  Schriftsprache 
ist.  in  dieser  bezieh ung  vorbildlich  wurde  und  zwar  in  der 
form,  die  sie  in  seinen  gedruckten  schritten,  namentlich  der 
bibelübersetzung,  erhalten  hat  (über  das  vorkommen  der  kürze 
vor  /  in  der  l^ibel  von  1545  vgl.  v.  Bahdei-  a.a.O.  s.  9().  und 
über  den  gebrauch  von  tt  gemäss  TiUthers  Vorbild  in  and«'ien 
denkmälern  a.  a.  o.  s.  99). 


220  EITZERT 

2.    Dehnung-  in  geschlossener  silbe. 

a)  Yocakielinnng-  in  g'eschlossener  silbe  haben  in  allen 
dialekten.  Avie  in  der  Schriftsprache  diejenig-en  Wörter,  die  auf 
r  auslauten:  er.  der  etc..  abei"  nur  dann,  wenn  sie  betont  sind: 
unter  dem  eintiusse  der  accentlosigkeit  zeigen  sie  kürze;  Da 
diese  keine  flectierten  formen  neben  sich  haben,  in  denen  die 
länge  lautgesetzlich  eintreten  konnte,  substituiert  Paul  a.  a.  o. 
s.  110  deshalb  für  den  wortauslaut  das  ende  eines  satztaktes 
im  satzzusammenhange.  Für  meinen  heimatsdialekt  liegt  die 
Sache  einfacher;  da  r  hier  durch  einen  kurzen  c<-laut  (^  w) 
ersetzt  wird,  bleibt  die  silbe  nicht  mehr  geschlossen,  und  es 
muss  lautgesetzlich  dehnung  eintreten:  rptvä  <  gdtvan  =  'ge- 
wahr'. Dasselbe  gilt  auch  für  andere  dialekte.  so  für  Hand- 
sclmhsheim.  Seifhennersdoi-f:  ha  'er  u.a.  Für  die  alemannischen 
maa.  fällt  die  dehnung  vor  r  unter  das  capitel  des  dehnenden 
einflusses  auslautender  lenis. 

b)  In  einem  grossen  teile  des  hochd.  Sprachgebiets  tritt 
ausserdem  in  allen  schon  mhd.  einsilbigen  Wörtern  mit  doppel- 
consonanz  dehnung  ein;  es  betrifft  dies  das  ostschwäbische 
(§  25),  bairisch-österreichische  (§  84),  ostfränkische  (§  42),  das 
an  letztei'es  grenzende  südwestthüringische  (i^  72)  und  schle- 
sische  (§  87).  Die  alte  kürze  kommt  wider  l)ei  antritt  einer 
weiteren  silbe  zum  Vorschein;  im  ostschA\äb.  und  ostfr.  hat 
auch  der  dat.  sg.  dieser  Wörter  gedehnten  vocal  (s.  §  24  b.  44), 
im  bairisch-österr.  und  südwestthür.  aber  kürze  (s.  §  34.  72). 

Ueber  die  erkläi'ung  dieser  erscheinung  vgl.  Kauffmann, 
Geschichte  der  schwäb.  nia.  §  127.  Fischer,  (Teographie  der  schw. 
ma.  §  12.  0.  Brenner,  IF.  3, 297  ff.  Streitberg,  ebda.  305  ff.  Bohneu- 
berger,  Alemannia  24.  21»  und  besondei-s  Zs.  fdph.  28,  515  ff.  ^lit 
Kauffmann,  Fischer  und  Bohnenberger  ist  daran  festzuhalten, 
dass  die  Stellung  in  tonsilbe,  zumal  in  pausa,  zur  Verlängerung 
des  vocals  führt.  Dagegen  scheint  es  auch  mir  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  die  dehnung  ein  ersatz  für  den  Verlust  der 
germanischen  nominativendungssilbe  sei,  wie  Brenner  glaubt. 

3.    Dehnung  in  folge  consonant  ischen  einflusses. 

\'on  den  durch  die  qualität  der  dem  vocale  folgenden 
consonanz   bedingten   längungen   sind   zunächst   die   im   hoch- 


DEHNUNG  DER  MHD.  KURZEN  ST  AMMSILBEN  VOCALE.  221 

alem.  vorkommenden  vor  lenis  zu  erwähnen  (s.  §  4.  G).  Kauff- 
mann.  der  delinun^'  auf  conto  folgender  consonanz  zu  setzen 
iiberliauitt  niclit  für  anneliiHl)ar  hält  (a.a.o.  155,  anni.2).  eiklärt 
auch  diese  hochalem.  erscheinung-  durch  die  Stellung-  in  satz- 
pause (so  auch  Fischer).  Für  Schaffhausen  tritt  nach  Stickel- 
berg"er,  Beitr.  14,  414  ff.  dehnung'  vor  spirantischer  und  explo- 
siver lenis  freilich  nui'  in  pause  ein  (vor  liquider  und  nasaler 
aber  immer);  das  verfahren  der  masse  der  hochalem.  maa. 
bleibt  davon  aber  unberührt;  dasselbe  lässt  sich  nur  durch 
die  dehnende  Wirkung-  der  folgenden  auslautenden  lenis  er- 
klären. 

Allgemeiner  verbreitet  sind  die  dehnungserscheinungen, 
die  durch  den  einfluss  von  li(iuida  oder  nasal  +  consonant  (in 
den  weitaus  meisten  fällen  dentalexplosiv)  verursacht  werden, 
(-legen  Kauffmann  a.a.O.  155  muss  diese  consonantische  be- 
einflussung-  besonders  betont  werden,  denn  anders  lassen  sich 
die  betreffenden  läng-ung-en  nicht  erklären. 

Am  häufigsten  wird  a  vor  den  genannten  consonänten- 
gruppen  gedehnt,  dann  c  (mlid.  e)  und  seltener  die  ülnigen 
vocale.  Im  übrigen  verweise  ich  auf  das  obige  matei'ial  und 
füge  die  betr.  paragraphenzahlen  an. 

a)  Dehnung  vor  r -Verbindungen:  §  8.  19.  26.  37.  51.  GO. 
73.  82.  88.  Für  das  ostschwäbische,  bairische,  ostfränkische 
kommt  zudem  in  betracht,  dass  in  allen  mhd.  einsilbigen  Wör- 
tern auf  r  4-  consonant  dehnung  eingetreten  ist.  Die  schrift- 
sprachliche dehnung  von  a  und  e  vor  r  -f  cons.  (die  einzige 
delmungserscheinung  vor  doppelconsonanz,  s.  Paul,  Grundriss 
1.  559)  hat  also  ihre  entsprechungen  im  ganzen  hochdeutschen 
Sprachgebiete.  Allerdings  gehen  nahezu  alle  dialekte  weiter 
als  die  Schriftsprache. 

b)  Dehnung  vor  l  -f-  cons.  (meist  in  der  gruppe  a  -\-  l  -\- 
dentalverschluss  mit  fast  regelmässigem  Schwunde  des  letz- 
teren): §  11.  20,  a.  37.  46,  c.  52.  Gl.  74.  83.  89. 

c)  Dehnung  vor  nasal  +  verschlusslaut:  §  10.  20,  a.  25.  28. 
37.  46.  53,  a.  62,  a.  75.  90; 

ferner  vor  nasal  -f-  Spirans  mit  schwand  des  ersteren:  i;  9. 
20,  b.  27.  53,  b.  62,  b.  78,  b. 

Von   dehnendem    einfiusse   sind   ferner    urspr.   Iit  und  hs; 


222     RITZEllT,   DEHNUNG  DF.K  MIID.  KIRZKN  STAMMSILBENVOCALE. 

für  die  delinuiig-  vor  lit  s.  §  12,  22,  a.  25.  54.  66.  76.  91  und 
vor  /<5;  wobei  die  gutturalspirans  ausfällt:  §  13.  22,  b.  29.  55,  a. 
67.  77.  91,  b. 

Dehnung-  vor  doppelspiranten  und  spirantenverbindungen 
beg-eg-net  uns  im  nifrk.  (s.  i<  65);  ausserdem  vor  erstei-en  in 
einem  beschränkten  gebiete  in  Kärnten  (s.  §  38,  bj  und  vor  st 
in  einem  mitteldeutschen  bezirke  an  der  Werra  (s.  §  46.  b. 
55,  b.  78,  a). 

HOMBERG  (bez.  (^issel).  A.  RITZER^r. 


KLKTNE  BElTPvÄOK  ZUR  DEU^rsCllKN 
AVOirrFOKSCHUNG. 

1.  ahgemerydt,  aus(/eniergclt 
ziehen  Klug-e.  He3'iie  und  Paul  übereinstimmend  zu  war/,-  n., 
wobei  sie  an  bildliclie  redensarten  wie  einem  das  mark  aus- 
saugen anknüpfen.  Hierbei  bleiben  lautliche  Schwierigkeiten; 
wenn  sich  aucli  das  //  des  Stammes  aus  der  älteren  wortform 
zur  genüge  erklärt,  so  bleibt  das  /-suffix  auffällig;  man  würde 
*-margen  erwarten.  Dass  der  nächstlieg-enden  ableitung-  von 
mcrgel  'argilla*,  mergeln  'mit  mergel  düngen'  von  den  genannten 
forscliern  und  ihren  Vorgängern  ausgewichen  wurde,  beruht 
wol  auf  der  erwägung,  dass  eine  düngung  Verbesserung  des 
bodens  bedeute,  also  grade  das  gegenteil  von  dem  was  man 
bei  ((bgeiiiergelf,  ausgemergelt  emi)findet.  Dennoch  ist  hier  das 
nächstliegende  zugleich  das  richtige.  Jeder  landwirt  weiss, 
dass  mei'geldüngung  eine  reihe  vortrefflicher  ernten  ergibt, 
dass  aber  schliesslich  der  boden  davon  schlechter  wird  als  er 
vorher  war;  die  baueriu'egel:  mergeln  macJd  reiche  väter  und 
arme  söhne  drückt  das  verliältnis  zutreffend  aus.  Der  grund 
davon  liegt  in  dem  kalkgehalt  des  mergels,  der  den  boden 
energisch  aufschliessst  und  die  i)flanzen  veranlasst,  alle  im 
boden  irgend  vorhandenen  nalirungsstoffe  lierauszuzielien,  wo- 
durch natürlich  ein  an  sich  armer  boden  bald  genüg  gründlich 
erschüiift  wird.  Vgl.  noch  das  von  Heyne  unter  ausnutzen 
angeführte  citat  aus  Maaler  (1561):  ausznutsen,  ein  erdtrieh 
auszmürglen  und  ersaugen. 

2.   ammer  f.  1) 
'ein  Singvogel",  spätahd.  amero,  mhd.  ainer  (Heyne).     Idc  \()U 
Kluge  und  Hej'ne  zweifelnd  gegebene  ableitung  von  alid.  amar 
•sommeidiiiker.   die  lautlich    tadellos  ist.   scheint  mir  aiicli  in 


224  LIEBTCH 

hinsieht  auf  die  lebensweise  des  vogels  und  auf  andere  vogel- 
namen  wie  disfelfml-,  hänfliuii  annehmbar.  Das  von  Heyne 
auch  angefiilirte  s.ynonyni  äiiniicrliiu/  ist  sog"ar  eine  genaue 
parallelforni  zu  hänfUng.  Der  mlat.  und  zoologische  nanie 
emherisa  ist  nur  widerg-abe  eines  anderen  Synonyms,  des  jetzt 
veralteten  deutschen  cninieniz,  das  Kluge  unter  stieylifz  auf- 
führt. Hinzuzufügen  wäre  nur,  dass  auch  ahd.  amar  heute 
noch  fortlebt,  als  amnicr  in  der  Sch^veiz  und  Hessen,  enier, 
cmmer  im  schwäbischen  u.  s.  w.;  vgl.  Pritzel  und  Jessen.  Die 
deutschen  volksnamen  der  pflanzen  (1882).  Die  botaniker 
nennen  die  i)Hanze  friticum  dicoccum. 

3.  ammer  f.  2) 
'eine  kirschenart'  (Hejme).  Es  ist  die  Sauerkirsche,  prmins 
cemsus,  die  in  Mittel-  und  Niedei'deutschlantl  auch  amareUc, 
marille  etc.  heisst,  namen.  die  alle  auf  das  von  Heyne  an- 
geführte mlat.  (nnurdlimi  zurückgehen;  und  zwar  stehen  sich 
ammer  und  marille  ebenso  gegenüber  wie  oberd.  ampcl  und 
nd.  pulle,  die  beide  aus  ampuJla,  diminutivum  von  ampJwra 
stammen.  Mlat.  amarelhon  selbst  aber  ist  wol  nicht  entstellung 
aus  armeniaciüH,  wie  Heyne  u.  a.  vermuten,  sondern  nach  dem 
gleichbedeutenden  it.  amarasco,  amaraschino  (davon  unser 
maraseh'ino,  eig.  kirschenliqueur)  zu  schliessen,  ableitung  von 
lat.  ahiarns.  Die  Verbreitung  des  Wortes  dui'ch  die  mundarten 
und  seine  Übertragung  auf  die  aprikose  im  südöstlichen  gebiet 
verdiente  wol  eine  genauere  darstellung. 

4.   ausverschämt 
stammt   aus  dem   plattdeutschen   oder   ist  vielmehr  nur  eine 
Übertragung    des   plattd.  'ufverschamt;    eine    dem    hd.    ninvei-- 
schämt'   genau  entsprechende  negierende  bildung  gibt  es  im 
plattdeutschen  nicht. 

5.  haekbord,  sfenerhord 
=  'linke,  rechte  seite  des  schiff  es'.  Die  begriffe  'links'  und 
'rechts'  w^erden  mit  Vorliebe  durch  concretere  bezeichnungen 
ersetzt,  die  gewöhnlich  sehr  gut  gewählt  sind.  Warum  das 
rechte  wagen})ferd  handpferd,  das  linke  saüelpfcrd  heisst,  be- 
greift man  sofort:  wenn  der  kutscher  reitet,  so  legt  er  den 
Sattel  stets  auf  (his  iderd  zur  linken,  um  den  andern  gaul  mit 


KL.    BEITltÄGE   ZIK    DEUTSOHEN    WORTFORSCHUNG.  225 

der  recliten  liand  regieren  zu  können.  Schwerer  ist  es  zu 
verstellen,  warum  unsere  seeleute  die  obigen  bezeichnungen 
gewälilt  haben,  und  sie  selbst  wissen  keinen  grund  dafür  an- 
zugeben. 

Fragen  wir  unsere  wörterl)ii('her  um  rat,  so  suchen  wir 
steuerbord  vergebens.  Zu  harkbord  bemerkt  Heyne:  'aus  dt^m 
niederdeutschen  aufgenommener  Schifferausdruck,  linke  hinter- 
seite  des  schiffes:  eigentlich  seite,  die  der  Steuermann  im 
rücken  (niederd.  engl.  }>ack)  hat';  Kluge:  'eig.  der  rand,  die 
Seite,  welche  dem  mit  der  rechten  band  das  Steuer  lenkenden 
Steuermann  links  im  rücken  liegt,  die  linke  hinterseite  des 
Schiffes';  Paul:  'aus  nl.  bacboord,  linke  hinterseite  des  schiffes, 
eig,  rand,  der  dem  Steuermann  im  rücken  liegt'. 

Was  die  von  Paul  allein  angenommene  entlehnimg  aus 
dem  niederländischen  anlangt,  so  ist  diese  abzulehnen  wegen 
des  hohen  alters  der  betr.  worte,  die,  wie  unten  gezeigt  wird, 
schon  lange  im  gebrauch  waren,  bevor  sich  das  nl.  als  eigne 
Sprache  vom  mnd.  ablöste.  Zu  dem  allen  dreien  gemeinsamen 
tt^il  der  erklärung  ist  zweierlei  zu  bemerken:  erstens  ist  back- 
hord  nicht  die  linke  hinterseite,  sondern  die  ganze  linke  seite 
des  schiffes,  und  zweitens  sitzt  oder  steht  der  Steuermann  gar 
nicht  schräg,  sondern  \\\^  bekannt  mit  dem  gesiebt  nach  vorn. 
Für  das  von  mir  behauptete  hohe  alter  der  beiden  worte 
spricht  zunächst  ihre  weite  Verbreitung  in  den  heutigen  germ. 
und  rom.  sprachen,  die  aus  folgender  Zusammenstellung  her- 
vorgeht: 

nl.  bakboonl  —  stuurboord 

(län.        bagbord  —  styrbord 

schwell,  babord  —  styrbord 


engl. 

— 

Starboard 

franz. 

bäbord  - 

-    tribord 

Span. 

babor  — 

estribor 

portng. 

babordo 

—  estibordo 

it. 

babordo 

—  tribordo. 

Die  reihe  ist  vollständig  bis  auf  das  englische,  in  dem  heute 
nur  das  zweite  der  beiden  worte  fortlebt,  aber  grade  hier  tritt 
das  angelsächsische  mit  btecbord  und  steorbord  in  die  lücke 
und  beweist  uns  zugleich,  dass  beide  Wörter  schon  vor  einem 
Jahrtausend  auf  germanischen  meeren  in  gebrauch  waren.  Auf 
noch    höheres   alter   weist   die   form   der  entlehnung    in   den 

Beitrüge  zur  guüchichte  der  «leutsclieii  apraclie,     XXIII,  15 


i 


226  LIEBICH 

romanischen  sprachen,  da  trihoni  etc.  sich  nur  aus  einer  nicht 
überlieferten,  aber  auch  für  das  germanische  vorauszusetzenden 
älteren  form  '■'stiuriboyd  oder  "^stijnhord  befriedigend  herleiten 
lassen,  unter  Verschiebung  des  accentes  auf  das  zweite  glied 
der  zusannnensetzung.  Damit  sind  wir  schon  bis  in  die 
Wikingerzeit  gelangt,  und  wenn  wir  deren  reste  betrachten, 
so  löst  sich  das  rätsei  in  überraschender  weise:  sowol  das  alt- 
sächsische  boot  in  Kiel  (zeit  2. — 4.  jli.  n.  Chr.)  als  das  wikinger- 
schiff in  riiristiania  (aus  dem  9.  jli.)  haben  das  Steuer  nicht 
wie  unsere  heutigen  schiffe  am  hinterste ven,  sondern  an  der 
rechten  seite,  und  dieselbe  construction  zeigen  sehr  alte  dar- 
stellungen  von  schiffen  in  Skandinavien  (vgl.  Boehmer,  Pre- 
historic  naval  architecture.  Smithsonian  report  1891,  fig.  112 
— 115).  Das  Steuer  hieng  freischwebend  in  einem  lederringe 
und  musste  mit  beiden  bänden  geführt  werden,  wodurch  der 
Steuermann  genötigt  war,  so  zu  sitzen,  dass  er  der  linken 
Seite  des  schiffes  den  rücken  zukehrte..  Für  ihn  konnte  es 
also  keine  näher  liegende  bezeichnungsart  der  beiden  selten 
geben,  und  da  die  ämter  des  Steuermanns  und  capitäns  ur- 
sprünglich wol  in  einer  person  vereinigt  waren,  so  teilten  sich 
dui'ch  seine  commandos  diese  namen  auch  der  übrigen  mann- 
schaft  mit.  Die  einmal  eingeführten  bezeichnungen  aber 
pflanzten  sich  von  einer  generation  auf  die  andere  fort  und 
überdauern  die  eiiniclitung,  der  sie  ihren  Ursprung  verdanken.') 

(3.  bugsieren, 
nl.  boefjseeren,  ist  nicht  eine  verdunkelte  Zusammensetzung  mit 
hug,  wie  Heyne  vermutet,  sondern  entlehnt  ans  portug.  j^hä;«»- 
'ziehen,  schleppen'  (Kluyver,  Tijdschr.  v.  ned.  taal-  en  letterk. 
13  (1894),  158.  Da  dieses  selbst  aber  =  lat.  pulsarc  ist,  so  ist 
higsieren  am  nächsten  mit  unserem  jf?i(fe  verwant. 

7.   driise,  druse  f. 
Kluge  unterscheidet  (ebenso  Heyne  und  Paul): 
dntse^  'verwittertes  erz',  nur  nlid.;  dunkler  abkunft; 


[>)  Vgl.  hierzu  jetzt  auch  Eeiiih.  Werner,  Ofött.  gel.  anz.  1897.  'MW  (vom 
28.  raai  1897):  '<ler  nanie  steuerbord  für  die  rechte  Seite  des  schill'es  dürfte 
mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  wol  daher  stannneu,  dass  alle  antiken 
schiffe  bis  zu  der  Hotte  Wilhelms  des  eroberers  das  Steuerruder  an  der 
rechten  seite  des  schiffes  aufgehängt  hatten".     E.  S.J 


Kl;.    HEITKÄGE    ZUR    DKUTSCllEN    WORTFOUSCHUNG.  227 

(Irufic-  'eine  kranklieit  des  pferdes'.  iilul.;  identisch  mit  drüse, 
(Jrasc  aus  nilid.  dri/rsc,  dniosc  (daher  nlid.  die  nebenform  druse^ 
nur  mit  specialisierter  bedeutung). 

Die  doppelformen  drüsc  —  dnise,  mhd.  drüese  —  dniose, 
sind  nur  mundartliclie  dotihletten  wie  säule  und  sdiilr,  und 
zwar  ist  die  form  mit  umlaut  oberdeutsch,  die  ohne  umlaut 
mitteldeutsch  (vgl.  A\'einhold,  Mhd.  gramm.^  s.  140).  Noch  heute 
sind  drüse  und  dnisc  beg-rifflich  nicht  überall  geschieden;  im 
allg-emeinen  spricht  man  von  drusen  als  kranklieit  bei  den 
pferden,  \o\\  drüsen  bei  den  menschen  (in  beiden  fällen  han- 
delt es  sich  um  eine  Schwellung-  der  lymphdrüsen);  doch  hörte 
ich  in  der  Niederlausitz  auch  die  skrofelkrankheit  der  kinder 
als  drusen  bezeichnen. 

Als  grundbeg-riff  des  Wortes  ergibt  sich  aus  den  ahd.  und 
mhd.  belegen:  anschwellung-  am  körper,  gewöhnlich  krank- 
hafter art,  mit  Hüssigem  Inhalt.  Heute  bezeichnen  die  ana- 
tomen  als  drüse  alle  sackartigen  secernierenden  ausbuchtungen 
im  tierischea  körper  und  sprechen  nicht  nur  von  lymphdrüsen, 
Speicheldrüsen,  tränendrüsen,  sondern  fassen  selbst  die  leber, 
die  milz.  die  lunge  als  grosse  drüsen  auf  (vgl.  Eanke,  Der 
mensch  V-.  42).  Die  botaniker  sprechen  von  (/>7V5e^^/iaarc«, haaren 
mit  kulbig  erweiterter  spitze,  die  eine  flüssigkeit  ausscheiden, 
wie  beim  Sonnentau  (drosera),  aber  auch  von  drüsenschuppen, 
drüsenzoüen  etc.  Unter  diesen  umständen  scheint  es  mir  nicht 
gerechtfertigt,  druse  im  mineralogischen  sinne  für  ein  anderes 
wort  anzusehen,  zumal  die  definition  'verwittertes  erz'  sehr 
unzulänglich  ist:  drusen  sind  blasenf  örmige  hohlräume  in 
plutonischen  gesteinen,  die  gewöhnlich  reichlich  krystalle  ent- 
halten. Die  wähl  der  namensform  ohne  umlaut  erklärt  sich 
zur  genüge  daraus,  dass  die  deutschen  mittelgebirge,  in  denen 
sich  der  bergbau  entwickelte,  im  bereich  der  mitteldeutschen 
mundarten  liegen. 

8.  UeP  m.  (Kluge). 
Als  älteste  überlieferte  form  führen  die  Wörterbücher  and. 
und  ahd.  kiol  auf,  während  Kluge  als  mutmassliche  altgerma- 
nisclie  form  *kiula-  ansetzt.  Diese  von  ihm  auf  grund  der 
lautgesetze  erschlossene  form  ist  aber  überliefert  und  das 
Sternchen  dalier  zu  streichen.    Vgl.  Gildas  ed.  San-Marte  (1844) 


228  LIEBICH 

s.  132:  qudliter  (jens  Saxonica  cum  fribns  hyulis  Britannimn 
appulerit;  ebda.  s.  151  (=  Moinnisen  s.  38):  trihiLs,  ut  lingua 
ejiis  ('/.  e.  Saxonis)  exprhuitur,  cijulis,  nostra  lingua  longis 
navibus  (die  zweite  stelle  sclion  bei  Ducange  unter  ceolä);  vgl. 
ferner  die  entsi)rec]iende  stelle  bei  Xennius  ed.  San-Marte  s.  47 
(=  Mommsen  s.  171):  inicrea  vcncrunt  tres  ciulae  a  Gerniania 
expidsae  in  exilio  u.  s.  w.  Eine  noch  ältere  lautstufe  liegt  vor 
in  finnisch  l:ciila  'steven'. 

9.    lügen,  und   fragen. 

Von  23  starken  verben  der  /«-reihe,  die  Wihnanns  fürs 
nhd.  aufzählt,  zeigen  nur  diese  beiden  im  praesens  ü  gegenübei- 
dem  ie  von  bieten,  biegen  u. s.w.  Fragen  wir.  Avie  das  ge- 
kommen ist.  so  lautet  die  antwort  für  frügeu:  'durch  anleli- 
nung  an  trug  und  an  lügen,  womit  es  oft  formelhaft  Aerbunden 
Avird'  (Paul);  für  lügen:  'durch  anlehnung  an  lug  und  lüge'. 
Beides  ist  zweifellos  richtig:  aus  den  historischen  angaben  bei 
Heyne  erfahren  wir.  dass  lügen  für  liegen  schon  im  17.  jh. 
emporkommt,  um  1770  allgemein  angenommen  ist.  während 
trügen  noch  von  Adelung  zurückgewiesen  und  erst  von  Campe 
(1707)  durchgeführt  wird.  Der  process  ist  also  von  lügen 
ausgegangen.  Auch  die  anlehnung  an  lug,  lüge  liegt  auf  der 
band,  und  es  bleibt  nur  noch  die  frage  offen,  warum  die  gleiche 
erscheinung  sich  nicht  auch  bei  anderen  verben  dieser  klasse 
gezeigt  liat.  warum  man  z.  b.  nicht  auch  nach  f^ug  "pflügen 
und  nach  schub  -"Schüben  bildet. 

Ich  denke  mir  den  hergang  folgendermassen:  durch  das 
monophthongierungsgesetz  Avurde  aus  mhd.  liegen  Ugen,  durch 
das  nhd.  dehnungsgesetz  aus  mhd.  ligen  'jacere'  ebenfalls  ligen. 
Es  trafen  also  von  verschiedenen  selten  kommend  gcAvisser- 
massen  ZAvei  parteien  auf  einem  ininkte  zusammen,  und  es 
begann  ein  kämpf,  der  Avie  überall  mit  der  Verdrängung  des 
scliAvächeren  teiles  endete,  ligen  "mentiri*  Avar  scliAvächei-,  Aveil 
Ugen  "jacere"  nicht  nur  selbst  häufiger  gebraucht,  sondern  auch 
durch  eine  zahlreiche  verAvantschaft  {läge,  lager,  legen  etc.) 
gehalten  Avurde.  Bei  diesem  kami)fe  gieng  das  praesens  von 
Ugcii  'mentiri'  fast  zu  gründe;  am  längsten  hielten  sich  noch 
die  formen  du  leugst,  er  leiigt,  die  mit  den  entsprechenden  von 
ligen  'jacere'  lautlich  nicht  zusammenfallen:  Lessing  gebraucht 


KT..    BEITRÄGE    ZUR    DKrTSCTIEN    WORTFORSCHrNG.  229 

sie  noch  geleg'eiitlicli  und  im  schlesischen  gebirge  kann  man 
sie  heute  noch  liören.  Sonst  kam  an  seiner  steHe  eine  jüngere 
neubiklung  auf.  die  auch  von  der  alten  wurzel  abstanunte  und 
den  veränderten  Verhältnissen  besser  angepasst  war. 

Ist  diese  erklärung-  richtig,  so  liefert  sie  uns  den  Schlüssel 
für  das  Verständnis  einer  ganzen  reilie  ähnlicher  fälle.  Es  ver- 
dient jedenfalls  beachtung,  dass  wir  so  oft.  wo  wir  ein  wort 
scheinbar  ohne  grund  absterben  sehen,  ein  anderes  g'leich- 
lautendes  naclnveisen  können,  das  ihm  überlegene  concurrenz 
zu  machen  scheint.    Hier  noch  einige  beispiele: 

aue  'schafmutter',  indog.  ovis,  zurückgehend  neben  aiie 
•wasserland*; 

ahd.  püicläri  'bilder'.  noch  in  Schillers  glocke  gebraucht, 
heute  etwa  noch  in  Zusammensetzungen  wie  essiffbilder,  sah- 
hilder,  sonst  gewichen  vor  hildner,  mhd.  hüdemerc.  da  jenes  im 
nhd.  mit  der  mehrzahl  von  hild  zusammenfällt; 

enkelV)  •fnssknöcher  und  enlcel2)  'kindeskind'  schliessen 
sich  in  der  mundartlichen  Verbreitung  gegenseitig  aus  (vgl. 
Kluge); 

got.  ßhan,  ahd.  felahan,  heute  noch  in  hefehlen,  emj)ßhl€n, 
scheint  als  simplex  gewichen  zu  sein  vor  dem  im  mhd.  ein- 
gedrungenen/i:7<?e>»  =  h\faülir; 

geisel  f.  ist  in  den  östlichen  mundarten  verdrängt  durch 
das  slavische  peitsche,  vielleicht  wegen  geisel  'kriegsgefangener'. 
Die  form  (jeissel,  historisch  unberechtigt,  würde  dann  einen 
älteren  differenzierungsversuch  darstellen.  Dagegen  scheint 
(jei.sel  f.  auf  das  geschlecht  von  (jeisel  'kriegsgefangener'  störend 
zurückgewirkt  zu  haben,  das  im  ahd.  und  mhd.  nur  m.  oder  n., 
nicht  f.  ist; 

mild.  <ßht  -geständnis",  (jkhtUj  'geständig'  (bis  ins  17.  jL), 
untergegangen  wegen  yicht  'arthritis',  !jichti(j  "paralyticus'; 

grus  'Schutt'  hat  die  eigentlich  hd.  form  yrauss  nahezu  ver- 
drängt, weil  dieses  mit  (jmns  'schreck'  lautlich  zusammenfällt; 

"haber,  der  gemeineurop.  name  des  Ziegenbocks,  an.  Itafr, 
lat.  caper,  gr.  xdjiQoc,  neben  heiler,  Jiafer  'avena';  nlid.  noch  in 
hahergeiss,  n.  einer  schnepfenart.  die  zur  begattungszeit  einen 
meckernden  ton  hören  lässt,  luiherhart  'tragopogün.  geissbart", 
haherschUhr  'prunus  insititia,  bocksschlehe'  (nach  der  bock- 
hodenähnlichen  gestalt  der  fruchte)  u.  a.; 


230  LIKIUCII, 

waium  hat  bei  luift  'duius"  die  adverbiale  form  die  adjec- 
tivisclie  (mild. /«t/c)  verdräiig't.  im  g-egensatz  zu  fest,  schön, 
süss  u.  a.?  Zwei  umstände  dürften  damit  in  Zusammenhang- 
stehen:  einerseits  die  besondere  Verwendung-  der  adverbia  fast, 
sclion,  andererseits  dass  als  abstractum  dort  nur  luirte  in  ge- 
brauch ist,  während  hier  in  nicht  gehobener  rede  nur  festig- 
Jceit,  Schönheit,  süssigkeit  gebraucht  werden; 

ahd.  mhd.  himt  'centum'  neben  htmt  'canis';  neben  jenem 
kommt  am  ende  der  ahd.  zeit  das  compositum  hundert  auf, 
das  heute  allein  den  platz  behauptet; 

Jceller  'cellarius'  verdrängt  durch  hellner  'cellenarius',  zur 
Unterscheidung  von  heller  ^cellariunr;  bei  letzterem  sclion  im 
ahd.  geschlechtswechsel  (vgl.  geisel); 

nhd.  Idssen  n,  gegen  mhd.  Hissen,  nl.  küssen  aus  mlat. 
cussinus.  Das  mundartliche  /  für  n  hat  in  die  hochsprache 
eingang  gefunden,  weil  man  dadurch  eine  Unterscheidung  von 
dem  verbum  küssen  'osculari"  gewann; 

lecken  'mit  dem  fuss  ausschlagen'  bei  Luther  neben  lecken 
•lambere';  die  im  vorigen  jh.  eingeführte  Schreibung  mit  un- 
organischem ö  ist  für  die  erhaltung  ohne  einfluss  geblieben. 
Ein  drittes  lecken  -undicht  werden'  ist  nur  nd.; 

mhd.  lit,  im  nhd.  durch  glied  ersetzt,  weil  hier  mit  mhd. 
liet  '  zusammenfallend ; 

ahd.  nnmd  f.  -Imnd"  neben  mnnd'm.  'mund',  nhd.  nur  noch 
in  mündig,  mündel,  rornmnd,  mundtot;  keine  von  diesen  bil- 
dungen  hat  eine  entsi)rechende  von  dem  m.  Diund  neben  sich; 

sänle  'alile;  nlid.  noch  m  pinselt)  (vgl.  den  naclnveis  bei 
Heyne)  und  in  mundarten,  aber  zurückgeliend,  neben  säule 
'columna'; 

'"t räche  (engl,  drake)  •männliche  ente',  nur  noch  in  enfrich 
=  ahd.  antrelilio  für  anut-trehho,  neben  drache,  ahd.  trahlio, 
aus  gr.  ÖQäxcov:  im  engl.,  wo  letzteres  dragon  lautet,  fällt 
diese  concurrenz  weg; 

ahd.  wihan  'kämpfen"  neben  tclhaii  •weihen',  nlid.  nur  noch 
in  geweih,  weigand,  tveigern  und  vielen  eigennamen. 

Man  wird  nun  vielleicht  einwenden,  dass  es  noch  lieute 
homonyme  gibt,  die  ruhig  neben  einander  fortbestehen,  ohne 
dass  eines  von  ihnen  spuren  des  Verfalls  zeigte,  "wie  malen 
und  mahlen,  treide  'futtei'"  und  n-r/dc  'salix'.     Ich  glaube,  (his-; 


KL.  BEITBÄGE   ZUR   DEUTSCHEN   WORTFORSCHUNG.  231 

sich  dieser  einwand  duicli  die  betraclitung  entkräften  lässt. 
dass  in  einer  lebenden  si)ra(']ie  ehensoAvenig-  als  in  der  natur 
die  bewegung-  zum  abschliiss  gekommen  ist.  Auch  handelt  es 
sich  hier  nicht  um  einfache,  gleichmässige  vorg-änge,  sondern 
um  das  zusammenwirken  mehrerer  factoren,  die  für  jeden  fall 
von  verscliiedencm  werte  sind,  häufigkeit  des  gebrauchs.  Vor- 
handensein eines  ersatzes  u.  a.  So  bildet  man  ein  nomen 
ag'entis  auf  -er  nur  von  malen,  nicht  von  mahlen,  weil  sich 
hier  das  fremdwort  molinarius  =  müller  als  ersatz  bot.  Auch 
die  Unterscheidbarkeit  durch  die  schritt  wird  einen  gewissen 
conservierenden  einfluss  ausüben. 

So  einschneidende  lautgesetze,  wie  sie  den  Übergang  vom 
mild,  zum  nhd.  kennzeichnen,  haben  für  tausende  von  Wörtern 
neue  Verhältnisse  geschaffen,  die  die  spräche  seither  in  stiller 
arbeit  mit  einander  in  einklang  zu  setzen  sucht.  Neu  auf- 
genommene Wörter,  aus  den  mundarten  wie  aus  der  fremde, 
nehmen  ständig  am  Avettbewerb  teil,  verui^sachen  aber  nur 
kleinere  Störungen.  Und  noch  ehe  die  nivellierenden  und  aus- 
lesenden kräfte  ihr  werk  beendet  haben,  werden  neue  laut- 
gesetze neue  revolutionen  bewirken,  worauf  dann  das  alte  spiel 
von  vorn  beginnen  wird. 

Natürlich  beruht  die  erscheinung  nicht  auf  einem  mysti- 
schen, selbständigen  leben  der  si)rache.  Diese  ist  nur  das 
äussere  abbild  des  denkens.  das  selbst  nur  eine  function  der 
menschlichen  seele  ist.  Vielmehr  Averden  wir  den  grund  in 
einer  mehr  oder  weniger  unbewussten  auslese  von  Seiten  des 
sprechenden  zu  suchen  haben.  Dieser  Avünscht  in  erster  linie 
verstanden  zu  Averden,  und  Avenn  er  die  Avalil  hat  ZAvischen 
ZAvei  ausdrücken,  so  Avird  er  den  beA-orzugen,  der  bei  dem 
andern  sicher  den  geAvünschten  begi'iff  hervorruft  und  keine 
gegenfi'age  zur  folge  hat.  Aber  es  ist  doch  von  hohem  Inter- 
esse zu  beobachten,  wie  sich  selbst  in  diesen  äusseren  abbildern 
dieselben  gesetze  Aviderspiegeln,  denen  alles  lebende  ohne  aus- 
nähme unterAVorfen  ist. 

BRESLAl'.  10.  mal  1897.  B.  LIEBICH. 

(No.  y  vervollständigt  am  17.i1l-(.j 


Zri?   ALTWE8TFRIESI8CHEN  LEXIKi^LOGlK. 

Siebs  hat  im  Literaturblatt  für  germ.  und  rom.  pliil.  1897. 
s.  219  ff.  einigen  in  meiner  schrift  Zur  lexikologie  des  altwest- 
friesischen  vorgeschlag-enen  fassungen  eine  abweichende  deutung 
gegenüber  gestellt. i)  Ob  mit  recht  oder  unrecht,  möchte  ich 
hier  in  der  kürze  untersuchen. 

S.  weist  für  statt  regelrechtes  tvrhlet  stehendes  ivrlüsttcn 
'berüchtigt'  auf  nwfiies.  hretn  'gebraten'  hin,  eine  compromiss- 
bildung  aus  regelrechtem  %reden  (nwfiies.  hrlddn)  und  nach 
analogie  von  %let  etc.  (p.  praet.  zu  hleüa  'bluten'  etc.)  gebil- 
detem "^hrEt  (uM^fries.  hret);  es  sei  in  ähnlicher  weise  auch 
-hletten  entstanden  aus  -iiWt  und  nach  analogie  von  ^hreden 
etc.  (p.praet.  zu  %reda  'braten'  etc.)  gebildetem  "^-hlcdcii  (n'wfries. 
hlisdn).  Diese  fassung  ist  gewis  plausibler  zu  nennen  als  die 
von  mir  vorgeschlagene:  wrhletteii  für  wrlilct  durch  einfluss 
von  ''"icrhlrdcn  gravatus.  —  Xacli  S.  soll  hcmc  in  Ha-ecrso  cen 
ivedue  manneth  and  se  da  hcni  to  haelmond  sette,  so  nyme  hio 
dat  kerne  und  dut  l-aepldnd  Jiälff'  witJia  bvrn  nicht  subst.  = 
'ernte',  sondern  pron.  poss.  fem.  sein  ('so  nehme  sie  (his  ihrige') 
und  das  he  der  parallelstellen  nicht  'ernte'  (=  as.  heo).  son- 
dern 'unbewegliche  habe'  (=  ags.  hu  'wohnung')  bedeuten 
(dass  Zur  lexik.  s.  5  z.  13  ' unbeAvegliche  habe'  druckfehler  ist 
für  'bewegliche  habe',  leuchtet  dem  leser  des  artikels  Be  so- 
fort ein).  Er  vergisst  dabei:  1.  dass  hernp,  das  (nicht  öfters, 
wie  S.  behauptet,  sondern  nur  einmal)  im  ms.  Roorda  bezeugt 
ist,  an  der  belegstelle  als  acc.  sg.  masc.  steht  {dat  di  fader 
aegli  syne  dochter  neen  man  to  jaen  irr  herne  iriUa),  also  -i/c 

')  Nach  anlass  von  Siebs'  betlaneni,  dass  Zur  lexikologie  an  niclit  Uidil 
zngäni^lichein  orte  erschienen  sei,  bemeike  ich,  dass  alle  die  im  auftrage 
der  Koninklijke  akadeniie  van  wctenscba])i)en  erscheinenden  werke  im 
bände]  sind. 


ZIK    AI.TWKSTKIMKS.    M'A  IK(»I,(  )(4TK.  -.>■) 

als  siiftix  des  er\\äliiit('ii  casus  enthält  (va'l.  auch  hirrcs  cr/rcn- 
scJiijis  Ag')160.  ont  herre  hede  tviUe  Ag\  104,  hiärer  sted  gen. 
Seh  772.  etc.);  2.  dass  hc  als  'imbewegliclie  hahe'  sich  an  den 
beleg'stellen  nicht  mit  der  Zur  lex.  s.  5  ausdrücklich  hervor- 
gehobenen rechtsregel  reimen  liesse.  —  Biferdia  wäre,  wie  8. 
meint,  schon  von  v.  Riclithofen.  "Wb.  750  richtig-  als  'fredus 
zahlen'  erklärt.  Aus  der  Verwendung-  des  Avortes  an  der  frag- 
lichen stelle  Als  dy  frucht  (die  durch  ein  tier  beschädigte 
feldfrucht)  hyferdeth  icirtJi  nn/f  acht  ponden  fan  dis  rincJites 
tvegena,  d.  h.  aus  den  hinzugefügten  \\'orten  fan  dis  rinchtes 
tvegena  ergibt  sich  jedoch  zur  genüge,  dass  hier  nur  eine 
Übersetzung  durch  "'mit  fredus  belegen'  am  platze  ist.  —  ]\Iit 
hcreived  schip  soll  nach  S."s  ansieht  vielleicht  "ein  aufgetakeltes, 
fahrtbereites  schiff*  gemeint  sein,  indem  das  p.  p.  mit  plattd. 
hereren,  ndl.  rvcf  in  Zusammenhang  stände.  Die  bedeutung 
von  reef  'Vorrichtung  zur  Verkürzung  des  segeis'  spricht  in- 
dessen keineswegs  zu  gunsten  solcher  annähme;  und  dass 
übrigens  hrrcwed  schip  "mit  waaren  geladenes  schiff"  und 
nichts  anderes  bedeutet,  geht  ganz  klar  aus  der  betreffenden 
belegsteile  hervor:  Hivaeso  faert  ti  ene  bu-eweda  schq)e  .  .  . 
aldeer  di  man  leyt  omme  riöchta  neringha  ende  niiHth 
kirn  zyn  goed  of,  de  er  hi  sculde  zyn  lyf  fan  feda  etc.  — 
Formen  wie  westfries.  hedle  neben  bidle,  hedl'mze  F  neben  hir- 
Icnze,  hirnzc  lassen  bei  S.  [der  auch  eine  Schreibung  (?)  wie 
icernsdei  für  "^icedenesdei  vergleicht]  keinen  zweifei  aufkommen 
an  der  Verbindung  von  buienzc,  birnze  'aussteuer'  mit  nihcdla 
'aussteuern'.  ^Vie  lautet  aber,  möchte  man  fragen,  ein  hierher 
gehöriges  gesetz  für  r  aus  d  vor  ??  A\'ie  liesse  sich  diese 
lautent Wickelung  gegenüber  der  sonstigen  erhaltung  von  d 
vor  l  erklären?  Die  von  8.  ins  feld  geführten  saterl.  be'dn 
aus  bern,  badnj^)  aus  ''barnia  (?)  k(»nnen  hier  ja  schwerlich 
dienen.  Und  ausserdem  sollte  das  auf  assi1)ilierung  hinweisende 
z  von  birlenze,  birnze  ausdrücklich  vor  der  annähme  einer  form 
mit  (/-  bez.  ,y-losem)  suffix  -inga  warnen.  —  Für  dreice  in  ief 
hi  sine  bannena  iccy  nact  icirtza  (repariei'en)  fielle  ende  hyt 
dretve  leie  ieer  ende  dcy  will  S.  statt  an.  drei  fr  "zerstreut' 
as.  dröbi  lieranziehen    und    ]>erufl    sich    dabei    auf   nwestHäm. 

■ )  Wegen  tlei'  liitT  veiwauten  sigelu  s.  Beitr.  l'J,  .'$45  auni. 


234  AAN    HELTEN 

drocvc  Jcosf,  clrocf  ivcrh,  ccne  drocre  tvoiiliu/,  cen  droef  hiiis  mit 
f7>-oe/"' elend'  (man  vgl.  auch  mnl.  droerc  nmglückselig-.  elend'). 
Liegt  es  aber  nicht  näher,  für  unsere  stelle  an  einen  'lockeren, 
unfesten"  als  an  einen  'elenden'  weg  zu  denken?  —  Für  dzic 
oder  dzic  'ja'  glaubt  S.  (der  die  (luantität  des  vocals  unent- 
schieden lässt)  an  die  mögliclikeit  einer  entstehung  aus  jcjc 
oder  aus  't  (aus  thet)  +  s'ie  'sei'  oder  släe  'geschehe'  oder  aus 
je  +  sU  bez.  «Zve;  enf-wickelung  von  dzw  aus  dz  (für  des  gen. 
sg,  ntr.  des  dem.)  und  je  lehnt  er  ab  mit  rücksicht  auf  die 
Sehreibung  dzye  (Jurispr.  Fris.  63,  7),  deren  y  auf  eine  compo- 
sition  mit  sie  oder  släe  als  zweitem  element  hinweisen  soll. 
Hier  drängen  sich  uns  eine  reihe  fi-agen  auf.  ^^'as  berechtigt 
zur  annähme  eines  in  folge  starker  aspiration  aus  j  entstan- 
denen dzj?  Wie  soll  die  Schreibung  dzye  auf  eine  aussi^rache 
dzye  hinweisen,  wo  doch  bekanntlich  in  der  hs.  der  Jurispr. 
y  auf  schritt  und  tritt  als  zeichen  für  unsilbischen  halbvocal 
begegnet  (vgl.  hlyUiva,  dryruven,  foerlyoest,  foerlyest,  hyeda, 
syaende,  syUcht,  hyaere  etc.  etc.)?  Wie  wäre  wol  die  ansetzung 
von  optati^•formen  sie,  skw  statt  der  unzweideutig  durch  die 
tatsachen  er\viesenen  sie,  sl-jc  zu  begründen?  Wie  liesse  sich 
in  eventuellem,  aus  f  +  sie  oder  skie  hervorgegangenem  dzie 
der  stimmhafte  anlaut  begreifen?  Kurzum  keine  von  Siebs' 
möglichkeiten  ist  aus  plionetischen  gründen  für  möglich  zu 
halten.  Hingegen  ist  die  (durch  mnl.  Jae.^^,  s.  ^Mnl.  wb.  3,  075  f., 
gestützte)   deutung  aus  des -\- je  lautgesetzlich   unanfechtbar. 

—  Das  nomen  eederscip  vergleicht  S.  nicht  mit  an.  ceära, 
sondern  mit  ahd.  atar  'sagax.  celer'  und  erklärt  es  als  'un- 
gestüm, falirlässigkeif;  die  von  mir  vorgeschlagene  (und  be- 
gründete) Übersetzung  durch  'furcht'  soll  keinen  sinn  geben. 
Für  die  letztere  behauptung  vermisst  man  eine  begründung; 
für  die  erstere  wäre  deutung  der  sonderbaren  begriffsent Wicke- 
lung ('scharfsinnig'  :  'ungestüm'  :  'fahrlässig')  erwünscht.  — 
l'nrichtig  ist  ferner  Siebs"  l)ehau}»tung.  dass  die  erkläi'ung  von 
awfries.  yare  schon  in  Schiller-Lübbens  A\'b.  2, 13  gegeben  sei. 

—  Für  (jette  'machte  übereinstinnnend '  setzt  Siebs  nicht  ein 
erschlossenes  '^yedda  (zu  ahd.  (jryat  '  übereinstimmend')  an. 
sondern  ein  mit  ahd.  yiiuien,  mlul.  yiieteu  zu  vei'gleicliendes 
"^yeda  aus  *yödja7i  (einem  factitiv  zu  yadia).  Mit  welchem 
recht?     Doch    \V(d    nicht    auf  grund    von   ahd.   yiyuaten  {slh) 


ZUR    AI-TVVESTFKIKS.    LKX IK< )I,üfnK.  'JoO 

■sicli  als  gut  bewälircn".  mlid.  (/ifctci/  "g'ut  maclicii.  als  g'iit  er- 
weisen' etc.?  —  Für  to,  fe  icctande  'eidlich  zu  beauspruclien, 
gerichtlich  zu  entscheiden'  beansprucht  S.  eine  herkunft  aus 
icaitjan  (avoI  causativ  zu  w/fan  'strafen',  vgl.  Heck.  l)i(i  alt- 
friesische  g-erichtsverfassung-  s.  427).  ^^'enn  aber  to,  te  wetande 
gleichbedeutend  ist  mit  dem  i)raeteritoi)raes.  ?r/to,  -ande  etc. 
'eidlich  beans[>ruchen.  gerichtlich  entsclunden  u.  s.  w.'  (s.  Zur 
lexik.  s.  24  anm.  2)  und  der  Wechsel  von  c  und  /  liier  audi 
grade  keine  Schwierigkeit  bietet,  so  dürfte  es  wo]  geboten  sein. 
icctande  mit  iritundc  etc.  zu  identificieren,  zumal  wo  die  be- 
deutungen  'eidlich  beanspruchen,  gerichtlich  entscheiden'  sich 
nicht  so  leicht  mit  einer  gedachtem  wditjan  eventuell  beizu- 
messenden factitiven  bedeutung  in  einklang  bringen  Hessen. 
—  Ob  die  meinung.  dass  für  regelrechtes  gö^e'^d  in  folge  einer 
durch  quad  veranlassten  accentverschiebung  gelegentlich  eine 
ausspräche  (juc'd  eingetreten  wäi'c,  so  sonderl)ar  ist,  dass  sich 
nach  S.  wol  sclnverlich  jemand  dazu  bekehren  möchte,  sei  dem 
urteil  anderer  überlassen.  Sicher  ist  es,  dass  S.,  als  er  die 
Worte  ^Gtveed  ist  statt  des  häutigen  giied  (vgl.  fuet  'fuss')  nur 
in  Ro  bezeugt  und  darf  durch  Unkenntnis  des  Schreibers  ei- 
klärt  werden'  niederschrieb,  weder  genügend  das  überaus 
häutige  ue  von  <jaed  gegenüber  sonstigem  nur  selten  mit  uc 
oder  u{ii)  wechselndem  o  {oo)  oder  oc  für  aus  germ.  o  ent- 
wickelten laut  (vgl.  Beitr.  li>.  397  anm.)  beachtet,  noch  auch 
der  tatsache  rechnung  getragen  hat,  dass,  indem  iv  +  vocal- 
zeichen  eine  gewöhnliche  awfries.  Schreibung  ist  für  diphthong 
mit  unsilbischem  u  als  erstem  element,  das  häulige  tj/r(:{c)(l 
unbedingt  auf  einen  diphthong  mit  solchem  componenten  hin- 
weist. —  Die  fassung  von  clcs/c  (-clisz/c)  als  'brutzeif  soll 
nach  S.  sachlich  unm()glich  sein,  weil  an  der  betreffenden 
belegsteile  die  erwähnung  eines  festen  termins  erforderlich 
wäre.  Man  beachte  jedoch,  dass  aus  der  am  schluss  des 
artikels  ch.sic  citierten  bestimmung-  ausdrücklich  die  not- 
weiuligkeit  heivorgeht.  in  dem  ausdruck  die  bezeichnung  eines 
ungefähren  teimins  zu  erblicken.  Wenn  S.  sich  abei' uutei' 
berufung  Mm  thri  l/dsc  des  Apographons  gegen  die  anknüpfung 
von  dfsie,  thccliszie  an  an.  Jdclja  'eiei-  legen,  biüten"  ausspricht 
und  meint,  jenes  ds  weise  eher  auf  assibilierung  der  media 
als  der  it'uuis  hin.  so  sei  bciiicrki.  dass  eine  offenbar  verdi'ibtc 


236  TAN    lIKT/rEX.    ZUK    AL  TWESTFRIES.    r,EXIKOLOGTK. 

lesart  liier  scliweiiicli  ins  gewicht  fallen  kann.  —  Das  epi- 
theton  des  s6i)tuag-esinia-sonntags  sumjwyand.  dem  die  bedeutung- 
'den  sang- sistierend"  beiznmessen  ist  (s.  Znr  lexik.  s.  40),  habe 
ich  in  sangsivyund  'den  sang-  zum  schweigen  bringend'  ge- 
ändert; S.  eraclitet  diese  einschaltung  von  .s'  eine  'sehr  geAvalt- 
same'  änderung  und  giaul)t,  dieselbe  hätte  sich  dadurch  ver- 
meiden lassen,  dass  ein  afries,  *?r««  'conficere'  =■--  mlid.  n-ilien 
angenommen  wäre.  "Was  wäre  hier  aber  mit  einem  verbum 
anzufangen,  das  nach  mhd.  erivlhen  'erschöpfen,  schwächen' 
bedeuten  müsste  ?  —  Für  tvängede  in  Hweerso  een  wyff  her  hjnd 
myt  u'dnhoed  off  ntyt  ivnngede  ...  naet  halbe  hywareAh  will 
S.  die  bedeutung  'Schlechtigkeit'  gelten  lassen;  ob  hier  aber 
neben  fahrlässig-keit  (tvänhoed)  Schlechtigkeit  als  factor  für 
mangelhaften  schütz  am  platze  wäre,  düi-fte  fraglich  sein. 
AVenn  das  subst.  wirklich  auf  *-göd'i  zurückzuführen  ist  (und 
die  berechtigung  dazu  möchte  ich  jetzt  nicht  mehr  bestreiten), 
dann  verdient  wol  eine  Übersetzung  durch  'ungeschicktheit 
(zur  gewährung  des  mütterlichen  Schutzes)'  den  vorzug.  — 
Für  das  schlusswort  von  alle  da  XL  nachte,  deer  God  mit 
Moyse  uppa  (auf  dem  berg)  högade  (wohnte)  ende  hem  alle 
riüchte  leerde  ende  ivegade  zieht  S.  statt  an.  ivcjgr  'stütze' 
ahd.  ivegöii  heran.  Diesem  Vorschlag  ist  m.  e.  beizupflichten, 
nicht  aber  indem  mau  mit  S.  für  dieses  verb.  eine  bedeutung 
'den  weg  weisen'  annimmt  (Otfr.  1,  7,  26  'thaz'  sl,  d.h.  Maria, 
uns  uUo  (i'orolfi  si  zirn  sime  ivegüntV  stellt  57  wegönti  be- 
kanntlich =  'sich  verA\ende  für'),  sondern  insofern  man  dem 
ahd.  Zeitwort  die  für  das  mhd.  belegte  bedeutung  'beistellen" 
neben  bezeugten  'intercedere  (interpellare).  adliinnire'  beilegt. 
—  Zum  Schlüsse  behauptet  S.,  in  Worten  wie  ziele  'seele',  hälff 
'halb',  rirwht  'recht',  byhöt  'behütet',  wäUende  'wallend'  Hessen 
sich  die  längen  nicht  stützen.  Hier  möchte  ich  bitten  Beitr. 
20,  510  f.  zu  beachten  und  die  Schreibungen  haelf  (Zur  lexik. 
s.  32),  rjueclit  (Beitr.  19,  389),  faclle,  faele  'falle'  Ag  102.  160, 
faelt  'fällt'  8ch655.  709.  715,  to  falen  gerund.  8ch  612  zu  be- 
rücksichtigen. Nur  für  das  p.  p.  zu  bihoeda  wäre  vielleicht 
nach  dem  Beitr.  19,  409  erörterten  byhöt  anzusetzen. 

GRONINGEN.  W.  VAN  HKT/PEN. 


zu  BEITR.  22,  543  ff. 

An  dem  angegebenen  orte  sucht  Uhlenbeck  nachzuweisen, 
dass  die  labiovelare  media  aspirata  im  germanischen  anlautend 
durch  tv  vertreten  wird,  ausgenommen  vor  u  und  consonanz. 
Icli  würde  es  als  erster  mit  freude  begrüssen,  wenn  es  ihm 
gelungen  wäre,  klarheit  in  die  sache  zu  bringen,  mochte  sicli 
auch  meine  ansieht  nicht  bewähren.  Ich  finde  aber  denn  docli, 
dass  auch  nach  riilenbeck  von  einer  sicheren  entscheidung, 
zumal  in  seinem  sinne,  noch  keine  rede  ist.  Für  got.  fmgildan 
und  aisl.  gecJ  will  ich  keine  lanze  brechen;  der  Zusammenhang 
des  ersteren  mit  gr.  TD.{)-og  ist  wegen  rtXoc  so  unsicher  wie 
nur  mitglich,  und  wenn  jemand  gr.  jiöd^og  lieber  mit  \it.  bädas 
•hunger"  identiticiert  als  mit  (jed,  so  ist  er  nicht  wol  dai-an  zu 
hindern.  Audi  der  gleichung  mhd.  gampen  :  gr.  d&tfißovoa 
wohnt  nur  eine  minimale  beweiskraft  inne,  wenn  auch  das 
griechische  wort  gewis  nichts  mit  artfißco  zu  tun  hat.  Aber 
aisl.  gandr  und  gondoU  hat  lliienbeck  nicht  beseitigt.  Ihr  d 
braucht  kein  suffix  mit  instrumentalbedeutung  zu  sein,  es 
findet  sich  ausser  in  ir.  geinn  'keil',  bret.  genn  'coin  de  bois 
ou  de  fer  pour  fendre  le  bois  ou  la  pierre',  genna  'faire  entrer 
un  coin  etc."  (man  erinnere  sich  der  bedeutung  des  aisl.  gondoll 
Fritzner  12.  671  und  des  aind.  ahunti  gahhe  pasah  YS.)  in  lat. 
offendo,  ist  also  vermutlich  verbalen  Ursprungs. 

Uhlenbeck  führt  drei  gegenbeispiele  an:  ahd.  ivarm,  got. 
wamba,  got.  ivö])eis.  Von  diesen  ist  das  älteste,  ivarm,  auch 
das  beste.  Wenn  man  aus  anderen  beispielen  sicher  wüsste, 
dass  germ.  iv  =  anlautendem  guli  ist,  würde  man  keinen  moment 
zögern,  warm  =  aind.  gharmä-  u.s.w.  zu  setzen.  Selbst  diese 
lautentsprechung  beweisen  kann  es  nicht.  A\'ir  müssen  stets 
darauf  gefasst  sein,  neben  wuizeln  mit  anlautendem  labiovelar 
solche  mit  r  zu  finden,     ^\'ie  das  kummt.  wissen  wir  noch  nicht, 


238  zunTZA 

die  tatsache  steht  fest.  Derai-tiffe  (loppellieiteii  sind:  aiiid. 
khui-  :  lat.  veniiis;  gr.  li^tXco,  (paXiCti  :  g'ot.  iviljan;  'dind.  (/d- 
yafe  'singt',  lit.  gedoti,  got.  qainon  :  gr.  aeiöco,  alid.  iveinön, 
ir.  foid,  kymr.  (jivaedd  'schrei';  aengl.  civinan  'liinschwinden', 
aind.  jinnfi  'altert'  :  alid.  stvlnan.  sivintan  'schwinden',  ahg. 
-vennti,  -srenqti  'Avelken',  lit.  tvysti:,  got.  (lij)an  :  kjmr.  dyivcdyd 
'sprechen";  lit.  (lulik  'kann',  k3'mr.  gallaf  :  lat.  valeo;  gr.  jiöXoc 
'achse'.  abg.  loh  'rad',  olcoh  'ringsnm',  ir.  tinimdidl  'umkreis"  : 
aind.  vdlatr  'wendet  sich',  ral'da-  'gebogen',  valaya-  'armband, 
umkreis',  ir.  f'dlim  'drehe,  wende',  kymr.  clnvelyd  'wenden' 
i^svel,-),  ir.  faü  'ring',  fdl  'zäun';  got.  qairrus  :  kymr.  yu-ar 
'sanft';  aengl.  civdan  'sterben',  civalu  'tod'  :  lit.  ivelys  'ver- 
storbener', aisl.  valr  'leichen  auf  dem  schlachtfelde';  gr.  (pogöa 
'zugespitzt'  :  ahd.  ivahs  u.  s.  w.  So  liegt  neben  *guhcr-  ein 
'""ver-  (lit.  iverdn,  abg.  rar«),  und  zu  diesem  gehört  vermutlich 
tcarm  (vgl.  auch  Brugmann  I2,  §  680  anm.).  Ob  man  apr. 
ivarmun,  urminan,  klr.  vermjdnyj  'rot'  vergleichen  darf,  ist 
nach  Zubatys  ausführungen  freilich  unsicher;  vielleicht  ist 
aber  Grünaus  warniun  doch  in  Ordnung  und  slav.  rumcnü  'rot' 
nach  Brugmann,  ftrundr.  P,  §279,2  zu  beurteilen,  wodurch 
Zubatys  deutung  hinfällig  würde.  Es  sei  wenigstens  darauf 
hingewiesen,  dass  in  einer  anderen  ableitung  von  *rer-  der 
begriff  'rot'  deutlich  zu  tage  tritt,  ich  meine  kymr.  ywrido 
'erröten',  wozu  aind.  rrujyati  'schämt  sich'  (eigentlich  'wird 
scliamrot')  gehören  wird  (es  steht  [halb] prakritisch  für  '^rrit-, 
vgl.  pad'i  =  prati]  andei's,  mir  unwahrscheinlich,  Johansson, 
TF.  2,  49,  anm.  2). 

Was  got.  tvaniha  betrifft,  so  lässt  sich  kein  grund  bei- 
bringen, weshalb  es  nicht  zu  altkymr.  gumhelauc  ' Uterus',  bret. 
(jtvamm  mit  indog.  r  gehören  sollte.  Aind.  yahhd-  "vulva'  ge- 
hört zu  einer  ganz  anderen  wortsipi)e.  Es  wird  im  Peters- 
burger Wörterbuch  richtig  zu  aind.  ydhhasti-  'gabel,  deichsel' 
gestellt,  gehört  somit  des  weiteren  zu  ahd.  yahala,  aengl.  seafnl, 
ir.  yahid  'gabel',  kymr.  yafl  'feminum  [)ars  inferior'.  Ich  ziehe 
ferner  hierher  lit.  gdhals  'verhältnismässig  grosses  stück  fleisch, 
brot  0.  dgl.',  lett.  gubals  'abteilung,  stück'  (Thomsen,  Beroringer 
mellem  de  finske  og  de  baltiske  sprog  78.  170  hält  die  worte 
für  möglicherweise  entlehnt  aus  liv.  kabäl\  sein  grund  [etymo- 
logische Isoliertheit j  ist  abei-  nicht  stichhaltig),  ii-.  gidxtif  (dual^ 


zu    HKITK.  22.  54:(  ff.  2B0 

'zwei  stücke*  (häufig'  in  kämpf schilderuug'eii.  z.h.  \v.  t.  2. 1.  /.*.>02 
CO  tarat  bulle  do  chhtidih  du,  co  ndernai  da  yahait  de  "er  ver- 
setzte ihm  einen  sclilag;  mit  dem  Schwerte,  dass  er  zwei  stücke 
aus  ihm  maclite'),  guihti  pl.  (z.  b.  LL.  72  a  36).  Ein  primäres 
verbum  mit  der  bedeutung-  'spalten'  scheint  zu  fehlen. 

.So  bleibt  got.  u-öpeis  :  g"r.  g^cöriov.  Das  letzteres  für 
'^(pcödiov  verschrieben  sei,  brauchen  wir  gai-  nicht  anzunehmen, 
um  den  von  mir  ^)e^■()rzug•ten  vergleich  mit  ir.  bäid  (wol  zu 
unterscheiden  von  air.  hdith,  mir.  bdefh,  nir.  baofh  'einfältig, 
närrisch';  neuir.  wird  das  wort  bdidh  geschrieben,  bn  gesprochen. 
td  bdidh  agam  tat  bedeutet  "ich  habe  dich  lieb')  zu  ermöglichen. 
(fcöxiov  steht  für  ^(/röfhov  wie  (fdrvf]  für  ^cpäü-r?]  (vgl.  jkcO-v?/). 
es  hat  ein  umsitringen  der  aspiration  stattgefunden,  wie  in 
yixmv  :  xid-cöv,  ii^Qr/xöo.  :  Tgiy/öq  u.  s.  w.,  Vgl.  U.  Meyer,  (Ir. 
gl".  §  209. 

Einreissen  ist  leichter  als  aufbauen.  Die  lehre,  dass  (juh 
auch  vor  anderen  vocalen  als  u  zu  //  geworden  sei,  stützt  sich 
vorläufig  nur  auf  aisl.  (jandr.  ^^lr  müssen  hier  auf  die  zukunft 
hoffen,  ^'or  allen  dingen  wäre  zu  wünschen,  dass  die  be- 
dingungen,  unter  Avelchen  gh  der  palatalen  und  velaren^  reihe 
durch  lat.  /'  vertreten  wird,  völlig  aufgeklärt  würden.  Zweierlei 
steht  fest:  gh  erscheint  als  /'  vor  u  und  u  {ferus,  fiindo)  und 
dialektisch  (sab.  fircus,  auch  alat.  folus  u.  s.  w.).  Aber  weshalb 
heisst  es  fei  :  xoXr'j,  fauces  :  yaoq,  yavvoz^  Vorläufig  können 
wir  daher  die  gleichung  mhd,  garst  :  lat.  fdstidimn  noch  nicht 
mit  voller  Zuversicht  ins  treffen  führen. 

BERLIN.  E.  ZUPITZA. 


GOTES. 

EINE  ANMERKUNG  ZUR  ALTDEUTSCHEN  WORTSTELLUNG. 

]\rüllenlioff  hat  in  den  Denkmälern  XXXVIII  im  40.  vers 
des  Arnsteiner  Marienleiclis  das  liandscliriftliche  du  godes  craft 
ohne  weitere  bemerknng  in  die  craft  godes  geändert.  Er  hielt 
also  eine  Verbesserung  der  Wortstellung  für  unanstössig  und 
selbstverständlich  geboten,  und  zwar  aus  einem  metrischen 
gründe;  denn  offenbar  sollte  das  daktylische  versmass  durch 
van  ime  sal  sie  die  craft  godes  entfern  richtig  und  hörbarer 
zum  ausdruck  gelangen  und  durch  die  ictuszeichen  verdeutlicht 
werden. 

Nun  braucht  man  nicht  so  weit  wie  Paul  zu  gehen,  der 
in  dem  ganzen  gedieht  nur  die  gewöhnlichen  unregelmässigen 
Zeilen  sieht  (Grundr.  2. 1,  939  in.);  man  kann  nach  gewöhnlicher 
annähme  in  den  etwa  sechzig  ersten  zeilen  ausätze  eines  dak- 
tylisierenden  metrums  anerkennen  und  braucht  doch  nicht 
Müllenhoffs  änderung  für  nötig  oder  richtig  zu  halten.  Man 
kann  wol,  ohne  gegen  die  rohe  versart  des  gedichtes  zu  Ver- 
stössen, bequemlich  lesen:  rdn  inte  sdl  sie  die  godes  craft  entfern. 
Ich  meine,  dies  könnte  genügen,  um  die  an  sich  geringfügig 
scheinende  änderung  des  textes  zurückzuweisen.  Aber  es  gibt 
auch  einen  tiefern  innern  grund,  aus  dem  jene  vermeintliche 
besserung  fast  unmöglich  wird.  Zum  beweise  dieser  behaup- 
tung  muss  ich  etwas  weiter  ausgreifen. 

Bei  dem  religiösen  inhalt  eines  grossen  teils  der  altdeut- 
schen literatur  ist  es  nicht  auffällig,  dass  der  genitiv  gotes 
wol  das  am  häufigsten  vorkommende  wort  ist,  dessen  Stellung 
im  satze  ein  systematisch  arbeitender  herausgeber  nicht  aus 
den  äugen  lassen  kann.  So  setzt  Sievers  im  Heliand  1977 
gegen  Ootton.  und  Monac.  for  ogon  godes,  far  ogun  godes  statt 
des  überlieferten  godes  ogon;  also  wird  auch  hier  der  abhängige 


GOTES.  241 

genitiv  liiiiter  den  regierenden  casus  gestellt.  Ein  gleiches 
geschielit  v.  2309,  wo  gocles  harn  des  Monacensis  in  das  vom 
Oottonianus  gegebene  barn  godes  umgewandelt  wird.  Um- 
gekehrt nimmt  Sievers  v.  5730  statt  des  überlieferten  huni 
(/odcs  in  den  text  (lodes  harn  auf.  Im  Heliand  nun  sind  diese 
änderungen  unbedingt  richtig  und  von  zwingender  not  wendig- 
keit ,  und  wenn  Sievers  v.  5738  harn  godes  statt  des  allein 
richtigen  godes  harn  im  text  stehen  liess,  so  ist  das  nur  ein 
versehen,  das  in  den  anmerkungen  wider  gut  gemacht  ist 
(nmn  vergleiche  auch  v.  2290  das  irrige  drohtines  sunii  des 
Monac).  Im  Heliand  steht  godes  mehrere  hundert  mal  hinter 
und  nur  ein  viertel  oder  fünftel  der  fälle  vor  dem  regierenden 
Worte.  Aber  von  einer  willkür  kann  da  nirgends  die  rede 
sein:  der  genitiv  godes  steht  im  unlöslich  festen  bann  des 
ausnahmslos  wirkenden  stabreimgesetzes.  Nur  wo  godes 
alliteriert,  muss  es  voranstehen,  andernfalls  muss  es  nach- 
folgen. Nach  diesem  unverbrüchlichen  grundsatz,  der  die 
Riegersche  regel  durchweg  bestätigt,  hat  Sievers  an  jenen 
stellen  ändern  müssen,  und  ich  weiss  nicht,  warum  Hej'ne  in 
der  dritten  aufläge  anders  verfahren  ist. 

Für  die  hochdeutsche  reimdichtung  gibt  es  keinen  so 
zuverlässigen  anhält,  nach  dem  die  Stellung  von  gotes  un- 
bedenklich fest  bestimmt  werden  könnte.  Hier  ist  das  Ver- 
hältnis weniger  einfach  und  muss  für  jedes  denkmal  von  fall 
zu  fall  untersucht  werden:  aber  eine  richtschnur  lässt  sich 
doch  finden. 

Nehmen  wir  z.  b.  den  Otfi'id,  so  zeigt  sich,  dass  an  den 
etwa  170  stellen,  wo  gotfs  voi'kommt,  es  überall  voranstellt, 
mit  der  fast  verschwindenden  ausnähme  von  nur  zwei  versen, 
die  dazu  noch  ganz  nalie  bei  einander,  in  einem  capitel  stehen: 
3.  4,  11  Eugil  gofcs  giiato  und  v.  45  ginada  gotes  tldglta.  Natür- 
lich geben  diese  vereinzelten  erscheinungen  zu  denken,  und 
mancliei-lei  Vermutungen  Hessen  sich  leicht  aufstellen,  aber  doch 
wul  schwer  begiünden.  Gegen  die  mehrfache,  sichere  Über- 
lieferung zu  ändern,  ist  hier  doch  nicht  gut  möglich.  ^Metrisch 
wäi-e  gotes  engil  guato  fi'eilich  anstandslos,  wenn  sich  aucli 
gotrs  engil  bei  Otfrid  sonst  nicht  finden  sollte.  An  der  zweiten 
stelle  wäre  gote.s  ginada  thigita  rhythmisch  auch  nicht  unmög- 
lich, wenn  mau  es  vergleicht  mit  4,  12,  47  ISmne  fttnamnn  iz 

Beiträge  zur  gedcbicbte  der  deutscbcu  spräche      X.Xlll.  l(j 


242  HARCZYK 

in  t1ias\  3, 26, 34  thurith  then  sinan  einan  fal;  4, 30,  27  oha  tJm 
unser  Jcuning  sis;  4,  19,  47  thuriih  tlicn  Jiiniilisfjcn  got  u.  a. 
Nicht  unerwähnt  darf  ich  lassen,  obwol  es  nicht  ausschlag- 
gebend ist,  dass  Otfrid  gotes  ginada  sonst  nicht  aufweist,  wol 
aber  druhtines  ginada.  —  Unter  diesen  umständen  vermag  ich 
für  die  zwei  regelwidrigen  erscheinungen  keine  stichhaltige 
erklärung  zu  geben  und  kann  sie  nur  als  höchst  auffällige 
abnormitäten  betrachten,  die  die  sonst  ausnahmslose  beobach- 
tung  der  voranstellung  von  gutes  bei  Otfrid  unangenehm 
durchbrechen.  —  Dass  aber  die  voranstellung  von  gotes 
durchaus  nicht  eine  luu-  dichterische  eigenart  ist,  zeigen  auch 
die  prosadenkmäler. 

Im  Tatian  findet  sich  gotes  über  hundert  mal  vor  dem 
regierenden  wort,  während  die  nachstelhmg  sich  auf  wenige 
fälle  beschränkt,  die  sich  ausserdem  grossenteils  leicht  erklären 
lassen:  4,  18  thuruh  innuovüu  miltida  unsares  gotes  =  per 
viscera  misericordiae  dei  nostri;  hier  sind  die  genitive  gehäuft- 
und  gotes  noch  mit  einem  zusatz  versehen;  vgl.  53,  6  sim  thes 
hohlsten  gotes  =  fdi  dei  altissimi;  00,  2  sun  gotes  lebentiges 
=  filius  dei  vivi.  —  Im  82.  capitel,  das  zu  einem  auch  sonst 
eigentümlichen  abschnitt  gehört,  treffen  wir  v.  6  und  9  hrot 
gotes  =  panis  enini  dei;  lirige  gotes  =  docibiles  dei  (gen.  obj.). 
Sonst  aber  kommt  in  der  umfangreichen,  von  verschiedenen 
Übersetzern  herrührenden  schritt  nachgestelltes  gotes  nur  ganz 
am  ende  vor,  wenige  zeilen  vor  dem  schluss,  244,  2  in  ceso 
gotes  =  a  dextris  dei,  wobei  zu  erinnern  ist,  dass  diese  formel 
sehr  beliebt,  aber  nicht  notwendig  war;  Notker  wenigstens 
schreibt  ze  gotes  zeseuuim,  des  (dmaJdigen  fater.  Hiermit 
wären  die  wenigen  ausnahmefälle  im  Tatian  abgetan,  die,  Avie 
man  sieht,  gegen  die  sonstige  regel  nicht  schwer  ins  gewicht 
fallen.  —  Das  in  der  ersten  Tatianausgabe  von  Sievers  zu 
205,  2  aus  B  erwähnte  tempal  gotes  für  einfaches  tempal  G  be- 
ruht sichtlich  auf  einer  modernen  ergänzung  durch  Fr.  Junius. 

Im  altern  Isidorus  liegt  das  Verhältnis  Avesentlich  anders: 
gotes  konnnt  hier  einige  dreissig  mal  vor  und  davon  sechs  mal 
mit  naclisetzung  des  genitivs,  oline  dass  die  veranlassung  immer 
deutlich  erkennbar  wäre. 

In  MSD.  sind  fälle  des  nachgestellten  gotes  äusserst  selten. 
Erst  in  uo.  XXXIV,  Summa  theologiae,  zeigen  sie  sich:    12,0 


GOTES.  243 

■sun  <j(>fis;  I2h,  4:  (JikhU  (/(it/s:  21.8  (1/  <in(((li  (/ot/s.  Diesen  drei 
stellen  geg-enüber  tritt  in  dem  stücke  fünfzehn  mal  Vorstellung 
ein.  —  Das  nächste  nachgesetzte  (jotcs  taucht  erst  auf  in 
XLni,  3, 1  diu  vorhte  des  ohristen  gotes,  wo  die  beifügung  des 
eigenschaftswortes  die  Stellung  erklärlich  macht;  sonst  nämlich 
enthält  das  gedieht  zwölf  mal  vorangestelltes  <jotcs.  In  den 
poetischen  stücken  von  MSD.  kommen  andere  fälle  von  nach- 
gesetztem gotcs  nicht  vor.  Auch  in  den  prosaischen  stücken 
ist  es  sehr  dünn  gesät.  Wir  stossen  darauf  nur  in  no.  LVI 
und  LVII,  wo  es  sich  in  der  schon  oben  erwähnten  formel 
ci  cesuun  gotes  fateres  ahnahtigcs  drei  mal  zeigt,  aber  aussei'- 
dem  noch  in  richi  gotes  und  lamp  gotes  =  agnus  dei  auftritt. 
Damit  Avären  aber  auch  alle  fälle  aufgezählt,  die  sich  in  dieser 
umfangreichen,  mehrere  Jahrhunderte  umfassenden  Sammlung 
finden  lassen.  Grammatisch  sorgfältige  und  streng  geschulte 
sclu'iftsteller,  wie  Notker,  scheinen  die  nachstellung  von  gotes 
zu  meiden.  Das  lehrt  ein  vergleich  seiner  psalmenübersetzung, 
auch  nach  der  A\'iener  handschrift. 

Das  ergebnis  meiner  beobachtungen  glaube  ich  ohne  be- 
deutenden iiTtum  folgendermassen  zusammenstellen  zu  können: 

I.  Die  gotische  bibel  stellt  den  abhängigen  genitiv  be- 
kanntlich gern  hinter  das  regierende  wort;  s.  Wilmanns,  Gr. 
2,517;  aber  der  gebrauch  ist  nicht  in  allen  teilen  der  Über- 
setzung gleichmässig.  Die  evangelien  haften  am  urtext  fester 
als  die  episteln  an  ihrer  in  gedanken  und  form  schwierigem 
vorläge.  Dies  scheint  sich  auch  bei  der  Stellung  des  genitivs 
zu  zeigen.  Wenn  aber  in  den  gotischen  episteln  die  genitive 
öfter  voranstehen  als  in  den  evangelien,  so  ist  zu  beachten, 
dass  dieses  schon  durch  den  griechischen  text  gegeben  war; 
z.  b.  Rom.  10,  3  gn]is  garaihtein;  13,  2  g.  garaideinai]  13, 4  g. 
undbaJäs;  13,14  leiJcis  mtm;  1.  Cor.  1,24  gujjs  maJit  jah  gt(Jis 
Jiandugein;  2.  Cor.  1, 19  g.  sunus;  11, 2  g.  aljana;  11,  7  g.  anvag- 
geljon;  Eph,  2, 8  gups  giba;  3,2  gups  anstais.  Um  so  inter- 
essanter sind  alsdann  die  seltenen  fälle  der  abweichungen, 
Zusätze  und  Umschreibungen,  aus  denen  hei'vorgeht,  dass  auch 
im  gotischen  die  Voranstellung  des  abhängigen  genitivs  in  allen 
einfachen  ^'erbindungen  dem  sjjrachgeiste  durchaus  gemäss  war: 
Mic.  11,  18  gtidjane  aukuniistans  ^=  uQ'/UQtlq.,  12,  28  idlulzo 
unahusnt  fnmiista  =  TtQOiXTj  jiÜvtojv  Lvroh];  Joh.  9,  IG  sabbate 


244  HARCZYK 

daga  =  x6  oaßßarov:  Rom.  9,  4  ivitodis  garaideins  =  vono- 
&soia;  1.  Cor.  8, 10  in  galinge  stada  =  tv  ddcoXdor,  9,21  tvitodis 
laus  =  ävofiog;  —  iva  ^co/jv  alcöviov  xXijQoi'Ofo'jöco  wird  drei- 
mal Mrc.  10, 17.  Luc.  10, 25.  18,18  widergegeben  mit  ei  lihainais 
aiireinons  arhjo  wairjxm;  Mt.  26,  75  faur  hanins  hruk  ^=  jtqiv 
aXixxoQa  (pcovrjoca. 

Die  annähme,  dass  die  voranstellimg  des  abhängigen 
genitivs  der  ungezAVungenen  gotischen  spräche  eigen  war,  wird 
durcli  die  Skeireins  gestützt,  die  im  gegensatz  zur  bibelüber- 
setzung  mehr  vor-  als  nachsetzungen  aufweisen;  allerdings 
stehen  aucli  hier  dem  du  gujjs  kimpja  43  b  gegenüber  sechs 
stellen  87  b.  38  c.  39  a.  40  c.  46  d.  52  c.  —  Der  beste  beweis 
für  die  im  gotischen  gewöhnliche  voranstellung  liegt  jedenfalls 
in  den  substantivischen  compositis,  deren  erster  teil,  in  appel- 
lativen  und  eigennamen,  genitivische  function  hat. 

IL  Wenn  auch  die  altsächsische  dicht  ung  godes  meist 
voranstellt,  so  folgt  daraus  nicht,  dass  dies  auch  in  ungebun- 
dener rede  geschah;  denn  die  kleinen  prosadenkmäler  setzen 
das  wort  voran,  während  in  der  dichtung  die  Wortstellung  sich 
nach  dem  Stabreim  richten  musste. 

IIL  Im  althochdeutschen  überwiegt  seit  dem  neunten 
Jahrhundert  in  dichtung  und  prosa  die  voranstellung  so  stark, 
dass  eine  ausnähme  wirklicli  eine  rara  avis  vorstellt. 

IV.  Je  mehr  sicli  das  mittelhochdeutsche  herausbildet, 
desto  seltener  hat  man  gelegenheit,  gotes  nachgestellt  zu  sehen. 
In  der  blütezeit  der  klassiker  herscht  unbedingt  und  ohne 
einschränkung  die  voranstellung.  Abweichungen  sind  anzeichen 
der  noch  rolien,  ungelenken  oder  bereits  verrohenden  si)rach- 
kunst;  z.  b.  Orendel  578  in  dem  namen  gottes;  daz  rehf  gotes 
Bücher  Mosis  bei  Diemer  72,  27;  der  minstcn  hieJite  gotes  einer 
AVolfdietrich  DVII,  38,  3;  die  minne  godes  Marienlieder  12216; 
reimnot  zwingt  mitunter  zur  ungewöhnlichen  Umstellung.  — 
Andere  beispiele  liefern  die  mystiker,  die  kirchenlieder  und 
die  altdeutschen  predigten  bei  Koth  (besondern  in  neuem  hss.), 
Leyser  und  Schönbach.  Bei  dem  letztern  wird  man  z.  b.  im 
zweiten  bände  auf  den  ersten  75  seiten  über  achtzig  mal  voran- 
gesetztes gotes  lesen,  nachgestelltes  jedoch  über  dreissig  mal, 
aber  nur  da,  wo  gotes  noch  einen  zusatz  bei  sich  hat,  wie 
70, 31  ;ze  der  minn  des  almceJitigen  gotes. 


G0TE8.  245 

Killt'  von  iiiir  übersehene  stelle  treffe  ich  im  ]\I1k1.  wh.  ein 
armiu  (Herne  gotes  Mai  76.  35. 

Dass  die  stelliinj?  des  genitivs  in  der  höhern  kritik  be- 
rücksichtignng-  verdient,  ist  schon  oben  beim  Tatian  angedeutet 
worden.  Zu  einem  völlig-  einwand sfreien  Zeugnis  wird  sie  dort 
im  cap.  77.  Die  Übersetzung  ist  ja  auch  sonst  einfach,  recht 
und  schlecht;  aber  nur  ein  unbehilflicher  anfänger  und  arm- 
seliger Stümper,  der  sich  von  den  andei-n  mitarbeitern,  nicht 
zu  seinem  vorteile,  unverkennbar  abhebt,  konnte  vier  mal 
hinter  einander  rihhi  hin/ilo  leisten. 

Wenn  ich  nun  auf  den  ausgangspunkt  dieser  bemerkungen 
zurückgehend  schliesslich  hinzufüge,  dass  im  Arnsteiner  ]\rarien- 
leich  zehn  mal  vorangestelltes  godes  handschriftlich  feststeht, 
so  wird  wol  kein  zweifei  mehr  möglich  sein,  dass  in  v.  40  die 
änderung  von  MSD.  unerlaubt  und  unmöglich  ist. 

BREjSLAU.  .  IGNAZ  HARCZYK. 


ZUM  NARRENSCHIFF. 

Zu  Brants  Narrenschiff  10,  21 

Keiu  fyndt  man  Moysi  jetz  gelich 
Der  andre  lieh  hab,  als  selbst  sich 

bemerkt  Zarncke  im  commentar:  'hier  und  namentlich  beim 
folgenden  verse  muss  Brant  eine  bestimmte  stelle  der  bibel 
im  äuge  haben,  die  ich  nicht  kenne*.  Auch  Bobertag  bemüht 
sich  in  seiner  ausgäbe  des  Xarrenschiffs  (Kürschners  national- 
litteratur  16, 33),  bibelstellen  beizubringen,  nach  denen  Moses 
andre  so  lieb  gehabt  haben  soll  als  sich  selbst. 

Vielmehr  wird  gelich  hier  wie  auch  Narrenschiff  111,  17 
'entsprechend,  genügend'  bedeuten  und  Moysi  etwa  mit  'dem 
gesetz,  der  Vorschrift  des  Moses'  zu  umschreiben  sein.  Unsere 
stelle  bezieht  sich  dann  auf  3.  Mos.  19,  18:  diliges  aniicum 
timm  sicuf  de  ipsnni.  Darauf  führen  auch  die  vorausgehenden 
\  ei  se   i  /  t.  Keiner  so  lieb  syn  uechsten  hat 

Als  dan  jm  g'satz  geschriben  stat. 

LEIPZIG.  ALFRED  GOETZE. 


BRUNHILDENBETT. 

In  seiner  jüngst  veröffentlichten  antritts Vorlesung  über 
die  germanische  heldendichtnng  hat  E,  Mogk ')  sich  auf  den 
von  Golther  eingenommenen  Standpunkt  gestellt,  dass  die  Sieg- 
fried-Brunhildsage  der  Edda  im  wesentlichen  nordische  weiter- 
dichtung  sei,  und  hat  die  echteren  gestalten  des  Siegfried  und 
der  Brunhild  in  der  deutschen  Überlieferung  des  Nibelungen- 
liedes und  der  Thidrekssaga  Juden  wollen.  Danach  soll 
mj^thisches  in  der  sage  nicht  vorhanden  und  die  gestalt  der 
Brunhild  von  haus  aus  die  kampfesfrohe  menschliche  kiuiigs- 
tochter  sein,  nicht  aber  die  göttliche  v/alküre,  die  auf  dem 
felsen  von  Siegfried  aus  dem  schlafe  erweckt  wird. 

Nun  will  ich  nicht  leugnen,  dass  ich  die  skeptische  be- 
trachtung  der  eddischen  Überlieferung  für  einen  fortschritt 
halte  gegenüber  der  früher  herschenden  tendenz,  alles  ohne 
weiteres  als  urgermanisches  eigentum  hinzunehmen.  Aber 
weiui  es  feststeht,  dass  die  nordische  Siegfriedsage  auf  einer 
deutschen  form  beruht,  die  um  mindestens  vier  Jahrhunderte 
älter  ist  als  Nibelungenlied  und  Thidrekssaga.  also  einer  zeit 
entstammt,  in  der  die  germanische  götterweit  auch  in  Deutsch- 
land noch  im  volksbewusstsein  lebte,  so  muss  es  von  vorn- 
herein als  möglich  zugegeben  wei'den,  dass  die  nach  dem  norden 
gewanderte  sage  mythische  elemente  enthalten  hat.  Es  wird 
jetzt  niemand  mehr  die  gesammte  nordische  mythologie  der 
eddischen  dichtungen  unbesehen  auch  für  Deutschland  in 
anspruch  nehmen.  Aber  dass  es  in  Deutschland  mehr  mytho- 
logie gegeben  hat,  als  unsere  spärlichen,  zufällig  erhaltenen 
deutschen  Zeugnisse  direct  beweisen,  und  dass  manches  nur 
aus  dem  nordischen  belegte  auch  bei  uns  vorhanden  gewesen 

')  Neiu- julirliiiclici-  lii,^.  von  lUterg'  und  liiclitor  l,tiSfl'. 


BRÜNHILDENBETT.  247 

sein  kann,  das  wird  doch  auch  niemand  leugnen  wollen. 
Schon  wenn  die  ^Merseburger  Zaubersprüche  nicht  zu  tag'e 
»•ekommen  wären,  wäre  des  sicher  belegten  viel  weniger,  selbst 
wenn  man  vom  Balder  absieht,  dessen  deutsche  existenz  hat 
weggedentet  werden  sollen  —  mit  unrecht  wie  ich  glaube. 
Für  die  Siegfriedsage  haben  wir  ja  nun  leider  keine  deutsche 
fassung  aus  dem  8.  jh.,  und  man  muss  den  Standpunkt  des- 
jenigen Avelcher  nur  das  direct  belegte  als  deutsch  gelten 
lassen  will,  als  methodisch  berechtigt  anerkennen.  Aber  damit 
ist  doch  nicht  bewiesen,  dass  es  ein  mehreres  nicht  gegeben 
haben  könne.  Es  kann  sein-  wol  vieles  von  der  eddischen 
Siegfriedsage  nordische  zudichtung  und  ausschmückung  sein. 
So  macht  es  Mogk  s.  76  recht  wahrscheinlich,  dass  die  *  waber- 
lohe" im  norden  zu  hause  ist.  Aber  deswegen  kann  doch 
immer  noch  die  deutsche  Brunhild  eine  walküre  sein,')  auch 
in  der  deutschen  sage  kann  sie  auf  einem  felsen  im  schlafe 
liegend  von  Siegfried  erweckt  worden  sein.  Man  wird  diese 
möglichkeit  schon  an  sich  zugeben  müssen.  Wenn  aber  noch 
ein  dii^ectes  zeugnis  aus  alter  zeit  auf  diese  sagenform  deut- 
lich hinweist,  so  wird  man  sich  dagegen  nicht  weiter  sträuben 
dürfen.  Das  zeugnis,  welches  ich  hier  meine,  ist  nun  freilich 
längst  bekannt,  es  ist  sogar  gegen  Golthers  auf  fassung  schon 
einmal  von  Henning  (D.  lit.-ztg.  1890,  s.229)  beiläufig  angezogen 
worden.  Aber  man  hat  es  doch  seiner  bedeutung  nach  bisher 
nicht  recht  gewürdigt  oder  ganz  verkannt.  Es  ist  dies  das 
B  r  u  n  h  i  1  d  e  n  b  e  1 1  auf  dem  grossen  Feldberg  im  Taunus.  Aeusser- 
lich  gehört  dieses  zeugnis  zusammen  mit  einer  reihe  von  orts- 
bezeiclmungen   wie  Brunhildenstein,  Brunhildenstuhl   u.  dgl.^) 

^)  Die  Walküren  sieht  jetzt  freilich  Mogk  mit  Golther  auch  für  rein 
skandinavisch  an,  während  er  in  der  ersten  aufläge  von  Pauls  Grundr.  1, 
s.  1014  noch  anders  urteilte.  Aber  das  in  ags.  glossen  des  8.  jh.'s  als  namc 
göttlicher  wesen  bezeugte  iculcijr^e  als  entlehnuug  aus  dem  nordischen  zu 
betrachten  ist  doch  reine  willkür.  Mit  dem  gleichen  rechte  könnte  man 
alle  mythologischen  nameu  des  2.  Merseburger  sitruchs  als  nordische  ent- 
lehnungen  abtun  wollen.  Ich  unterschreibe  vollständig-,  was  gegen  Golther 
hierüber  Kögel  GGA  1897,  s.  651  f.  bemerkt  und  meine,  dass  das  ags.  zeugnis 
hinreicht,  nm  die  walküren  als  westgermanische  und  deutsche  gottheiten 
zu  erweLsen. 

^)  S.  hierübfr  schon  W.  Grimm,  Heldensage  s.  155.  Weitere  literatur- 
nachweise  bei  W.  Miilh-r,  Mythologie  der  deutschen  heldensage  s.  85, 


248  BRAUNE 

T^nd  Mook  verwahrt  sich  in  seiner  Vorbemerkung'  ansdriicklicli 
dagegen,  dass  man  den  " Brunliiklenstuhl"  eine  rolle  spielen 
lasse:  'alles  das  ist  von  mir  widerholt  geprüft,  aber  nicht  aus 
seinem  g'eschichtlichen  zusammenhange  herausgerissen  und  des- 
halb für  die  mythische  grundlage  unserer  heldensage  als  gehalt- 
loses material  erfunden  worden'.  Nun  gebe  ich  Mogk  gern  die- 
jenigen Zeugnisse  preis,  die  jünger  als  unser  Nibelungenlied  sind, 
sie  mag  man  immerhin  den  verschiedenen  Siegfriedsbrünnlein 
beireclmen,  die  sich  jetzt  im  Odenwald  um  die  ehre  streiten, 
schaui)latz  der  ermordung  Siegfiieds  gewesen  zu  sein.  Es 
könnte  möglicherweise  nach  unserem  Nibelungenliede  in  älterer 
oder  jüngerer  zeit  eine  örtlichkeit  Brunhildenstein  oder  Brun- 
hildenstuhl  benannt  worden  sein.')  Aber  die  älteren  Zeugnisse 
sind  doch  anders  zu  beurteilen.  Selbst  wenn  man  mit  \\.  Grimm 
a.a.O.  zugibt,  dass  örtlichkeiten  mit  'Siegfried',  ja  selbst  ein 
Sivrides  hnmno,  bei  der  häufigkeit  des  namens  Siegfried  auch 
nach  irgend  einem  Siegfried  benannt  sein  können,-)  so  trifft 
das  gleiche  doch  nicht  bei  Zusammensetzungen  mit  dem  viel 
seltneren  namen  Brunhild  zu,  besonders  wenn  das  zweite  glied 
so  bezeichnend  ist  wie  in  'Brunhildstein',  wo  eine  beziehung 
auf  die  Brunhild  der  heldensage  nicht  abzuweisen  ist.  Denn 
dass  an  verschiedenen  orten  schon  in  alter  zeit  gerade  felsen 
mit  dem  namen  der  Brunhild  belegt  worden  sind,  kann  doch 
nur  aus  der  sagenhaften  rolle  derselben  erklärt  werden.^) 
Das  wird  auch  Mogk  nicht  in  abrede  stellen  wollen,  sondern 
zugeben,  dass  auch  in  der  deutschen  sagenform  die  kämpf es- 
jungfrau  Brunhild  ihre  wohnung  auf  einer  felsenburg  gehabt 
haben  möge,  wie  ja  noch  im  Nibelungenliede  Iseustein  als  ihr 
sitz  genannt  wird.  Aber  weiteres  noch  beweist  das  Brunhilden- 
bett  auf  dem  Feldberg. 

Das  Zeugnis  stammt  aus  dem  jähre  1043   und  findet  sich 
in  einer  Urkunde   des  erzbischofs  Bardo  von  Mainz. ^)   welche 


')  Vgl.  hierzu  Heimiiig',  Anz.  tVla.  4.  74  f. 

2)  Für  sicher  möchte  ich  diese  aiiffassung-  erklären  bei  uanieu  wie  den 
von  F.  (rrininie,  Germ.  32,  (19  beigehracliteii  Sifiefn'desrode,  Sifrähusun  etc. 

■'■)  Die  alteu  iirknndlicheu  Zeugnisse  hierfür  hat  zuletzt  John  Meier, 
Beitr.  KJ,  81  f.  zusammengestellt. 

\)  Vgl.  Boehmer,  Kege.sta  archiei)isc.  Magniitinensiuni  1,  172  t.  Sauer, 
Cod.  dii)lom.  Xassoicns  1,  (iO  ff.  Die  Originalurkunde  l)e»indet  sich  jetzt  hier 
in  Heidell)erg  im  besitz  der  Universitätsbibliothek. 


BRUNHILDENBETT.  249 

die  gTenzeii  des  sprengcls  der  kiiclie  in  Ihrmnon  (Sclilossborn 
bei  T\()iiiffsteiii  i.  T.)  festsetzt.  In  dieser  orenzbeschreibung' 
stellt  die  bekannte  stelle:  et  inde  in  medium  montcm  veUberc 
ad  cum  lapideni  qui  vidgo  didhir  lectulus  Brunihild^. 
Daraus  geht  also  mit  voller  siclierheit  hervor,  dass  dieser  fels 
in  der  mitte  des  11.  jli.'s  im  volksmunde  'das  bett  der  Brim- 
hild"  hiess. ')  Was  beweist  das  mm  für  die  g-eschichte  der 
sage?  Wer  an  der  alten  auffassung  der  Brnnliild  festhält, 
wird  ohne  weiteres  folgern,  dass  die  auf  einem  felsen  schlafende 
Walküre,  welche  die  nordische  sagenform  kennt,  auch  in  der 
deutschen  sage  vorhanden  gewesen  sei.  Wer  auf  dem  Stand- 
punkte von  Golther  und  Mogk  steht,  wird  versuchen  müssen, 
dieses  zeugnis  zu  entkräften.  ^^^ Müller  ist  hierin  vorangegangen: 
er  meint  a.  a.  o.  s.  85,  dass  der  fels  auf  dem  Feldberge  nichts 
beweise,  da  an  ihn  sich  keine  sagen  knüpfen:  —  ein  wunder- 
licher eiiiwurf,  da  die  Brunhildsage  jetzt  freilich  im  volks- 
bewusstsein  geschwunden  ist,  während  jenes  alte  zeugnis  doch 


*)  Ein  späteres  zeugnis  dafür  gibt  es  nicht.  Denn  wenn  nach  W.  (irinini 
und  J.  Meier  a.  a.  o.  dieser  felsen  in  einer  Urkunde  des  jalires  1221  als  ßrnnc- 
hiklestein  vorkommen  soll,  so  ist  das  ein  irrtum.  Diese  Urkunde  (hg.  am  besten 
von  Sauer,  Cod.  dipl.  Nass.  1,  s.  265  ff.;  vgl.  dazu  Schliephake,  Gesch.  von 
Nassau  1,406  ff.)  beschreibt  die  grenze  der  gemarkung  von  Sonn enl)erg  und 
Bierstadt  (SO  von  Wiesbaden).  Die  grenze  geht  von  AMesbaden  nordwärts 
auf  den  Taunus  und  es  heisst  da  pastea  ad  viam  qiKie  ducii  Bruneli/ldc- 
ste/1),  postea  IJnechitdiagin  ad  aquum.  Letzteres  ist  das  heutige  Engen- 
hahu  (ca.  10  km  nördlich  Wiesbaden).  Der  Brunhildenstein  ist  danach  süd- 
lich von  Engenhahn  auf  der  höhe  des  Taunus  zu  suchen.  Das  ist  aber  der- 
selbe felsen,  welcher  in  einer  Urkunde  des  klosters  Bleidenstadt  (bei  Langen- 
schwalbach)  vorkommt.  Die  Urkunde  (hg.  von  Sauer,  Cod.  dipl.  Nass.  1, 
s.  14  ff.)  ist  allerdings  nur  in  einer  abschrift  des  16.  jh.'s  erhalten,  in  welcher 
die  Orthographie  der  namen  teilweise  modernisiert  ist.  Die  fassung  der 
Urkunde  stammt  jedoch  aus  der  zeit  des  Willegis  (975—1011),  und  der  die 
markbeschreibung  enthaltende  teil  derselben  führt  sogar  auf  die  Stiftung 
des  klosters  im  jähre  812  zurück.  Vgl.  Sauer  a.  a.  o.  und  besonders  Schliep- 
hake 1,114  ff.  Darin  heisst  es  inde  ad  Brunhildenstein  und  die  läge  des- 
selben stimmt  zu  den  angaben  der  Urkunde  von  1221.  Schon  v.  Preuschen, 
Correspondenzblatt  d.  deutschen  geschichts-u.  altertumsvereine  4  (1856)  s.  123 
hat  als  ort  dieses  Brunbildeiisteins  die  jetzige  'Hohe  kanzel"  (596  m)  SO 
von  Engenhahn  erkannt  und  Sciiliephake  a.  a.  o.  s.  119  ff.  hat  dies  au.sführ- 
lich  erörtert  und  festgestellt.  Den  auf  der  Hohen  kanzel  zu  tage  tretenden 
felsen  beschreibt  Schliephake  s.  121.  Aus  späterer  zeit  als  1221  ist  der 
name  Brunhildenstein  für  denselben  nicht  mehi-  überliefert. 


250  BRAUNE 

unzweifelhaft  die  damals  daran  jrekniipfte  sag-e  erweist.  Ferner 
sucht  Müller  das  wort  'bett'  umzudeuten,  indem  er  anführt. 
Grimm  habe  T>V\'h.  1,  1722  gezeigt,  dass  hctt  früher  auch 
•altar'  bedeutete.  Und  allerdings  führt  Grimm  daselbst 
'altar'  als  erste  bedeutung-  von  bett  auf  unter  berufung-  auf 
ags.  'vcohhed\  ahd.  kotapeffi;  und  diese  bedeutung  sei  auch  in 
BrunMldehett  erhalten.  Aber  dass  hett  Je  die  bedeutung  'altar' 
gehabt  habe,  ist  absolut  unrichtig.  Es  ist  zwar  für  das  wort  eine 
glaubhafte  indogermanische  sippe  nicht  gefunden.')  Aber  die 
Übereinstimmung  aller  altgermanischen  dialekte  vom  gotischen 
an  beweist,  dass  die  grundbedeutung  nur  'lager,  lagerstatt, 
sitzstatt*  gewesen  ist.  Diese  bedeutung  hat  sich  schon  in 
alter  zeit  besonders  in  der  richtung  'polsterlager,  polster'  ent- 
wickelt.2)  Aus  der  bedeutung  "lager.  lagerstatt,  sitzstatt"  ist 
denn  auch  im  Avestgermanischen  die  schon  im  ahd.  und  ags. 
vorhandene  bedeutung  'Standplatz  von  pflanzen,  gartenbeet' 
hervorgegangen,  wie  sie  im  nhd.  heet,  engl,  hed  noch  heute 
vorliegt  :=')  sie  konnte  zunächst  nur  in  compositis  vorkommen, 


')  Vgl.  Uhlenbeck,  Etym.  \vb.  d.  got.  spr.  s.  20. 

^)  Got.  badi  =  xQäßßazoq.  'ruhebett',  einmal  auch  =  xkivi^iov.  an. 
/>cör  (poetisch  =  prosaisch  sa'/iifi)  'polsterlager',  ags.  öerW  'hetf,  in  ahd.  glossen 
belti  meist  entsprechung  von  lat.  Stratum,  culcita,  cubile,  aber  auch  einmal 
von  thronus. 

^)  Es  ist  nicht  richtig,  wenn  Kluge  im  Etym.  \vb.  (s.  v.  beet  iind  bett) 
wegen  des  gartenbeets  bett  zu  fodio  'graben'  stellt.  Die  altwestgerra. 
bedeutung  'beet'  ist  entschieden  eine  abgeleitete.  Zwar  ist  im  ahd.  betti 
'beef  (das  GraffS,  f)!  fälschlich  von  betti  'bett'  trennt)  auch  als  simplex 
schon  in  glossen  als  Übersetzung  des  lat.  areola  belegt,  neben  dem  deiuin. 
pettili  und  dem  bei  Will,  vorkommenden  tvurzbette.  Aber  die  bedeutung 
areola  muss  neu  sein,  so  neu  wie  die  gartencultiu'  überhaupt  bei  den 
Deutschen.  Denn  betti  bedeutet  nicht  etwa  ein  stück  gegrabenes,  abgeteiltes 
ackerland  überhaupt,  sondern  ist  eben  nur  technischer  ausdruck  für  den 
neuen  begriff'  eines  gartenbeets,  lat.  areola.  Dass  es  für  diesen  neuen 
culturbegriff  angCAvant  werden  konnte,  geht  aus  seiner  eigentliclien  bedeu- 
tung 'Standquartier,  lager,  staiulplatz"  hervor.  Das  ist  noch  deutlich  er- 
kennbar aus  dem  ags.  gebrauch.  Im  ags.  (vgl.  Bosworth-Toller  72)  wird 
es  in  dieser  bedeutung  nur  in  den  compositis  tmjrtbed,  hreodbed,  riscbed 
gebraucht.  Von  diesen  entspricht  wyrtbed  dem  ahd.  wurzbette  'pflanzen- 
standplatz',  kann  also  vielleicht  schon  den  culturbegriff'  bezeichnen.  Da- 
gegen hreodbed  (noch  ue.  reedbed)  heisst  'rohrdickicht',  also  ein  platz,  avo 
röhr,  ried  beisammen  steht;  ebenso  ist  riscbed  ein  Standplatz  von  binsen. 
Da  haben   wir  nodi  die  alte  bedeutung,   mit  welcher  eine  herleitung  von 


BRÜNHILDENBETT.  251 

deren  erster  teil  einen  pflanzennamen  enthielt  (s.  nnteii  die  anni.) 
und  g:ieng  erst  daraus  auf  das  simplex  über.  Ganz  ähnlicli 
steht  es  nun  mit  den  compositis.  aus  denen  Cirinim  für  das 
wort  hdti  die  bedeutung-  "altar'  erscliliesst.  Auch  in  ihnen 
heisst  hetti  nur  'lager.  ruhebett,  sitz'  und  nur  durch  die  com- 
position  hätte  allenfalls  die  bedeutung-  -altar'  zu  stände  kommen 
können.  Das  ist  ganz  klar  bei  ahd.  (jotopdti  Das  wort  kommt 
in  den  Prudentiusglossen  vor,  wo  es  an  zwei  verschiedenen 
stellen  das  VaX.  pnlrinar  P.  Vinc.  179  \m&  pulrinarmni  P.  Rom. 
1056  übersetzt.  Das  bedeutet  aber  nicht  'altar',  sondern 
'polster',  auf  welche  von  den  Römern  die  götterbilder  bei 
einem  lectisternium  gesetzt  wurden.  Wenn  dafür  ahd.  gotopetti 
gesetzt  wird  (Ahd.  gl.  2,  428,  21.  468,60.  476,49.  480,10;  455.1. 
583, 19),  so  ist  es  selbstverständlich,  dass  petti  hier  eben  nur 
'ruhebett.  polster'  bedeutet  und  von  fTrimm  daraus  die  bedeu- 
tung 'altar'  nicht  hätte  entnommen  werden  sollen.  Da  dieses 
pulvinar  von  den  niederd.  Prudentiusglossen  (2, 584, 13)  mit 
usaro  (jodo  rastun  übersetzt  wird,  so  könnte  man  mit  dem- 
selben rechte  schliessen,  dass  auch  rasta  'altar'  heisse!  Es 
bleibt  sonach  für  Grimms  behauptung  nur  noch  das  ags. 
tvi(s)hed,  tvi'ofod  etc.,  welches  in  der  tat  'altar'  heisst.  Ist 
dieses  wirklich  mit  -hcd  zusammengesetzt,  so  könnte  die 
grundbedeutung  auch  nur  'ruheplatz,  sitz  der  götter'  sein. 
Aber  diese  Zusammensetzung  ist  nicht  einmal  sicher:  Kluge. 
Beitr.  8,  527  (vgl.  Sievers,  Ags.  gr.'-  s.  17)  hat  das  wort  viel 
wahrscheinlicher  als  "^ivth-hcod  'tempeltisch'  gedeutet. 

]\Iit  der  von  Grimm  angesetzten  'heidnischen'  bedeutung 
von  bdfi  'altar'  ist  es  also  nichts.  Es  kann  daher  auch  in 
Brunhildcnhett  kein  altar  verborgen  stecken,  ganz  abgesehen 
davon,  dass  einerseits  altäre  der  Brunhilde  mythologisch  höchst 
unwahrscheinlich   wären   und   dass   andererseits  das   deutsche 

dem  begriffe  des  grabeus  ganz  unvereinbar  ist.  ^'on  da  ans  wurde  erst  hett 
auf  die  von  der  gartencultur  künstlich  geschaffenen  ürupponweisen  Stand- 
plätze gewisser  pflanzen,  wie  sie  die  gartenheete  sind,  übertragen.  Man 
darf  also  nicht  diese  alte  technische  anwendnng  des  Wortes  heit  zum  aus- 
gangspnnkt  der  etymologie  machen,  ebensowenig  wie  man  etwa  dem  heu- 
tigen forst technischen  Schonung  (aus  vollständigerem  ßchtenschommg, 
faiinetittchominy  etc.)  die  yrundbedentung  'pflanznng'  beilegen  und  daraus 
die  et^'mologie  des  verburas  schonen  gewinnen  könnte. 


252  BRAUNE 

wort  "bett"  hier  iiiilit  einmal  überliefert  ist,  sondern  nnr  das 
nnmisverständliclie  lat.  Icchdus.  ;Man  k()nnte  nun  hett,  welches 
doch  ohne  zwei  fei  die  deutsche  grundlage  des  ledidus  gewesen 
ist,  als  'lag-erplatz,  sitz'  fassen  wollen  und  es  dann  —  ebenso 
wie  den  Brunhildstein  —  als  wohnsitz  der  Br.  deuten. 
Aber  es  ist  schon  unwahrscheinlich,  dass  hetti  jemals  für 
'wohnsitz'  gebraucht  worden  sei,  wenn  es  auch  in  der  bedeu- 
tung  eines  gelegentlichen  sitzes  oder  lagerplatzes  angewant 
worden  sein  mag.  Dass  aber  der  felsen  auf  dem  Feldberge 
nichts  anderes  als  *bett'  im  gewöhnlichen  sinne  des  Wortes, 
'lagerstätte  eines  liegenden'  bedeuten  kann,  das  ergibt  am 
deutlichsten  der  augenschein. 

Ich  glaube  nicht,  dass  dies  jemand  leugnen  wird,  der 
selbst  auf  dem  Feldberge  gewesen  ist  und  die  merkwürdige 
felsbildung  betrachtet  hat.  Der  Feldberg,  der  höchste  berg 
des  Taunus  (880  m)  ist  bis  obenhin  mit  schönem  hochwald 
bestanden.  Nur  der  gipfel  selbst  ist  frei  und  bildet  eine 
prächtige,  geräumige  und  ebene  kreisfläche,  die  mit  gras  be- 
wachsen ist.  Von  dieser  fläche  hat  offenbar  auch  der  berg 
seinen  namen. ')  Aus  dem  grasplateau  erhebt  sich  nun  nahe 
dem  nördlichen  rande  desselben  eine  etwa  4  m  hohe  felsbildung 
von  eigentümlicher  form,  welche  schon  von  weitem  das  äuge 
auf  sich  lenkt  und  den  vergleich  mit  einem  ruhelager  unwill- 
kürlich wachruft.  Die  nebenstehende  abbildung,  welche  nach 
einer  Photographie  gefertigt  ist,  wird  dies  genügend  verdeut- 
lichen. 

Auch  die  Kheinf ranken  vor  1000  jähren  haben  diesen 
vergleich  gezogen  und  in  dem  felsen  ein  riesenbett  gesehen. 
Der  im  jähre  1043  als  volkstümliche  bezeichnung  bezeugte 
name  ledulus  Brimihüd^  wird  natürlich  schon  lange  gegolten 
haben.  Und  wenn  das  volk  ein  riesenhaftes  felsbett  auf  der 
spitze  eines  hohen  berges  als  'bett  der  Brunhild'  bezeichnete, 

*)  Das  lob  des  Feldbergs  verkündet  Erasmus  Alberus  in  seiner 
25.  fabel:  speciell  vom  gipfelplatean  sagt  er  (v.  76ff.):  Und  auff' dem  Feldt- 
herg  hoch  dort  oben,  Wann  man  nicht  höher  kommen  kan,  Da  steht  ein 
(frosser  %veiter  plan,  Der  hat  ein  solchen  breiten  räum,  (Wann  ichs  nicht 
icist,  so  glaubt  ichs  kaum)  Ein  grosse  Stadt  kündt  droben  stahn.  Als 
Franckfurdt,  ist  kein  zweivel  an,  Und  cmfj'  dem  selben  breiten  plan,  Siht 
man  schier  bisz  gen  Cöln  hinan  etc. 


BRUNHILDENBETT. 


253 


SO  kann  dies  meines  erachtens  iiiclit  anders  erklärt  werden, 
als  dass  man  glaubte.  Brunliild  liabe  auf  einem  hohen  berge 
geschlafen.  Es  wird  also  dadurch  vollkommen  sicher  gestellt, 
dass  damals  am  Rhein  eine  form  der  Brunhildsage  lebte,  welche 
der  nordischen  fassung  in  diesem  wichtigen  i)unkte  entsprach. 
Dass  die  Brunhildsage  bei  den  alten  Rheinfranken  des 
Taunnsgebiets  lebendig  war,  dafür  ist  nun  auch  der  Biun- 
hildenstein  auf  der  Hohen  kanzel  (s.  oben  s.  240  anm.)  ein 
weiterer  beweis.  Die  Hohe  kanzel,  welche  vom  Feldberg  in 
der  hrftlinie  ca.  17  km  entfernt  ist,  liegt  auf  dem  kämme  des 
Taunus,  ca.  8  km  nordlich  von  Wiesbaden.  Sie  gleicht  dem 
Feldberg  darin,  dass  sie  die  höchste  erhebung  in  Aveitem  um- 
kreise ist.  Wenn  die  Franken  der  Frankfurter  gegend  den 
schlaf  der  Brnnhild  auf  dem  Feldberge  localisierten,  so  wählten 
die  der  Wiesbadener  gegend  den  höchsten  berg  ihrer  Umgebung 
zu  diesem  zwecke.  Sie  hatten  dabei  freilich  lücht  den  vor- 
teil, einen  so  bettälmlichen  felsen  zu  besitzen  und  begnügten 
sich  daher  mit  dem  namen  Brunhildenstein,  während  jene 
sogar  von  einem  bett  der  Brunhilde  reden  konnten. 


heidelbp:rg. 


WILHELM  BRAFNE. 


APRIKOSE. 

Franz.  abricot  ist  durch  niederländische  vermittelung"  (nl. 
ahriJxoos)  zu  uns  gekommen.  .T.  Franck  sagt  in  bezug  auf  die 
auffällige  lautform  des  nl.  Wortes  (.s^  für  franz.  t)  in  seinem  Et. 
woordenboek  der  nederlandsche  taal:  'De  nl.  en  hd.  vormen 
komen  liet  fra.  abricot  het  meest  nabij  en  kunnen  zelfs  recht- 
streeks  daarvan  gevornul  zijn,  Indien  men  mag  aannemen,  dat 
de  ^^^jziging  der  laatste  lettergreep  op  misverstand  (misschien 
wel  van  geleerden)  berust.' 

Ich  möchte  dieser  erklärung  gegenüber,  die  wol  wenig 
anspruch  auf  Wahrscheinlichkeit  machen  kann,  die  Vermutung 
aussprechen,  dass  ein  altfranzösischer  noniinativ  ahricots,  bez. 
abricos  (älteres  fs  wird  im  franz.  regelrecht  zu  s),  die  quelle 
des  nl.  Wortes  ist. 

Das  weibliche  geschlecht  von  nhd.  aprikose,  nl.  abrikoos, 
woneben  im  nl.  auch  männliches  geschlecht  in  Übereinstimmung 
mit  dem  franz.  gebräuchlicli  ist,  beruht  auf  Übertragung  aus 
dem  plural :  vgl.  nhd.  die  träne  <  der  trahen,  die  zälire  <  der 
saher,  Schweiz,  die  frösch  ==  der  froseh,  elsäss.  hess.  mfrk.  die 
rab  =  der  rabe,  ahd.  bira  aus  dem  rom.  plural  pira  (vgl.  franz. 
la  poire)  u.  s.  w.  Einfluss  des  plurals  zeigt  sich  auch  in  dem 
e  von  aprikose:  das  nhd.  wort  ist  eine  neue  singularbildung 
aus  der  pluralform. 

Der  scheinbare  wandel  von  t  >  s  findet  sich  auch  in 
matrose,  nl.  niatroos  =  franz.  mafelot.  Auch  hier  ist  von  einer 
franz.  nominativform  auf  -s  auszugehen.  Das  wort  llectiert 
im  deutschen  schwach  nach  analogie  der  vielen  schwachen 
masculina  mit  pers(>nlicher  bedeutung;  der  nom.  matrose  ist 
gebildet  nach  dem  niuster  von  böte  :  boten. 

Dem  mnd.  banros,  mnl.  baenrootse,  baenrits  liegt  franz. 
banneret  -\-  s  zu  gründe. 

GIESSEN.  1.  nov.  1897.  WILHELM  HÖRN. 


zu  DEN  LABIALISIERTEN  GUTTURALEN. 

Zur  entscheidung  der  frage  nach  der  entwickelung'  reinei- 
labiale  aus  labialisierten  gutturalen  sind  natürlich  die 
seltenen  fälle  die  den  anlaut  betreffen,  die  wichtigsten;  und 
unter  ihnen  hat  das  nebeneinander  von  aengl.  hweol  u.s.w. 
und  afiies.  fial  'rad'  ganz  besondere  Schwierigkeiten  gemacht. 
Kluge,  der  Beitr.  11,  561  kurzweg  'fries.  fial  aus  grundform 
"^'peqlo  für  "^qeqlo-  =  skr.  calra-'  erklärt  hatte,  erwähnt  das 
wort  in  der  zweiten  aufläge  von  Pauls  Grundr.  (s.  375)  nicht. 
Vielleicht  hat  ihn  der  zweifei  Noreens  dazu  bewogen,  der 
(Urgerm.  lautlehre  s.  149)  nach  angäbe  von  'aengl.  kweohl 
{*hehlo-),  aisl.  hiöl  (Vve^tde-)  :  afries.  ßal  (zunächst  aus  *feul-y 
firagt,  ob  die  worte  etwa  unverwant  seien.  E.  Zupitza  (Die 
germ.  gutturale  s. 6)  trifft  ganz  das  richtige,  wenn  er  eine  so 
verschiedene  ent Wickelung  bei  gleichen  bedingungen  nicht 
gelten  lassen  will;  aber  auch  er  kann  sich  nicht  entschliessen, 
die  verwantschaft  der  beiden  formen  aufzugeben  und  sucht 
sich  mit  der  gewagten  annähme  einer  contamination  zu  helfen. 
In  afiies.  ßal  soll  ein  germ.  *keula-  =  cakra-  vermischt  sein 
mit  germ.  *fefla-  bez.  *fedla-  aus  indog.  "^peplo-  bez.  "^peplo-,  zu 
dessen  ansetzung'  VaX.  poples  'kniekehle',  gr.  jrt Af///Ca> 'schwin- 
gen' berechtigen  sollen.  Ich  gebe  zu,  dass  Zupitza  in  feiner 
weise  die  bedeutungsent Wickelung  von  'rad'  zu  'knie'  durch 
hinweis  auf  ahd.  Inicrado,  span.  rodilla,  lett.  skremelis  an- 
nähernd plausibel  gemacht  hat;  aber  die  lautverhältnisse 
widersprechen  durchaus.  Afries.  Viwel  und  seine  neufries. 
entsprechungen  (wanger.  iväil,  saterld.  iveH,  harling.  wei/lil, 
icayl  Cadovius;  nordfi'ies.  wel  [Amrum-Föhr  ivül\\  westfries. 
tvil)  weisen  keineswegs  auf  geini.  *}veula-,  sondern  allem 
anscheine  nach  auf  *lce^la-  zurück;  und  aus  einem  germ.  *('ella-, 
""fthla-  wäre  afries.  *fefl  bez.  *fevd,  niemals  aber  ßcd  abzuleiten. 


_  I 


256  SIEBS,   zu   DEN   LABIALISIERTEN   GUTTURALEN. 

Die  reguläre  weiterentwickelung-  dieses  afries.  fial  liegt  in 
saterld.  jöl  (harling.  fiauJd  Cadovius),  nordfries.  fü,  fiV  vor  (so 
auf  dem  festlande;  auf  den  inseln  ist  das  wort  unbekannt); 
wang-er.  fiidhäint  'radgebeint,  krummbeinig-'  setzt  g-erm.  '•feuli- 
voraus.  Dass  nun  dieses  fial  vollkommen  von  *hn-el  zu 
trennen  ist.  wird  durch  das  westfries.  erwiesen.  Hier 
ist  afries.  *thial,  a westfries.  tial  anzusetzen.  In  der  hand- 
sclirift  Jus  municipale  s.  86b  (ed.  Hettema  s.  148)  lese  ich  so 
aeyhma  Inm  ictur  diLx  toe  ferane  ende  deer  en  hoem  toe  f'erane, 
en  tial  toe  hrenyane,  deer  eer  oen  'wayne  ne  home,  Mm  deer 
02)  ti  settane,  hi  zyn  eynde  deerop  ti  nymane;  im  manuscr. 
Eoorda  (Hettema,  Jurisprud.  frisica  2, 182):  so  aeyh  ma  hyna 
hiifa  dyeJi  to  feren,  ende  aen  baem  myt  hem  ende  een  tyel 
aldeer  op  to  sitten,  deer  eer  in  neen  ivayn  Jcaem  ende  liyne 
aldeer  op  to  selten.  Neuwestfries,  tjille  s.  Halbertsma,  Lex. 
fris.  s.  652,  vgl.  tstdl,  tsjil  Siebs,  Engl.-fiies.  spr.  s.  300.  Wir 
haben  also  eine  doppelheit  g-erm.  ^petda-  neben  *feula- 
anzunehmen  und  damit  einen  weiteren  jener  fälle  geAVonnen, 
die  durch  an.  fei :  ])cl  'feile',  an.  fle  : pdc  'diele',  hoclid.  fernen  : 
nd.  diemen  'häufen',  ahd.  fmstar  :  dinstar  u.a.m.  belegt  sind, 
\g\.  Noreen,  Urgerm.  lautlehre  s.  197.  Letzteres  setzt  ja  sicher- 
lich indog.  t  {*te)tisr6s)  voraus;  zu  diemen  :  fernen  (ahd.  fhna) 
vergleiche  ich  lit.  sty}na  'häufen,  schwärm  A^on  iischen'.  Und 
ebenso  darf  man  wol  germ.  ^Jicula-,  ^feula-  aus  indog.  '^tetdo-  zu 
gl'.  Tvhj  "wulsf  stellen,  vgl.  rvÄiooto  'aufrollen'. 

GRP:IFSWAL1),  6.  november  1897. 

THEODOE  SIEBS. 


UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA. 

In  dieser  Zeitschrift  bd.  19, 1  ff.  veröffentlichte  prof.  E.  Köl- 
bing  iin  lierbst  1894  einen  aufsatz,  betitelt  'Studien  zur  Bevis 
saga',  der  von  der  art  ist,  dass  er  meinerseits  eine  antwort 
erheischt.  Wenn  diese  antwort  auch  zum  grossen  teile  als 
Verteidigung-  oder  detailkritik  auftreten  muss,  wird  sie  doch 
auch  principielle  fragen  von  allgemeinerem  Interesse  berühren. 

Diese  antwort  soll  im  folgenden  gegeben  werden.  Dass 
ich  nicht  früher  mit  der  er  widerung  fertig  geworden,  beruht 
teils  auf  andren  arbeiten,  die  keinen  aufschub  duldeten  (haupt- 
sächlich in  Verbindung  mit  einem  neuangetretenen  amte),  teils 
auf  einer  schweren  augenerkrankung,  die  meine  arbeitskraft 
sehr  herabsetzte. 

Dieser  aufschub  •)  dürfte  jedoch,  wie  ich  hoffe,  keine  grös- 
seren unzuträglichkeiten  mit  sich  führen.  Nur  wenige  leute 
interessieren  sich  für  fragen  dieser  art  —  die  textkritik  der 
romantisclien  isländischen  sQgur  — ,  und  diese  wenigen  spe- 
cialisten  sind  nicht  gewohnt,  dass  äusserungen  in  diesen  fragen 
rasch  auf  einander  folgen. 

Auch  Kölbings  Untersuchungen  über  die  betreffende  saga 
(=  Bev.)  sind  sehr  lange  nach  meinen  arbeiten  auf  diesem 
felde  erschienen. 

Wie  gross  der  zeitliche  abstand  ist,  hat  eine  gewisse 
bedeutung  für  die  gerechte  beurteilung  der  frage,  und  ich 
muss  deshalb  zunächst  einige  worte  darüber  sagen. 

Im  jalire  1878  bereitete  ich  den  text  der  Bev.  saga  zur 
herausgäbe  vor.     Im  sommer  desselben  Jahres  unternahm   ich 


')  Die  Schwierigkeit,  hier  in  Gotenburg'  mein  schwedisches  manuscript 
ins  deutsche  übersetzt  zu  bekommen,  bat  die  Veröffentlichung  des  anfsatzes 
wider  um  ein  jähr  versiiätet  [geschrieben  im  Januar  1S98J. 

Beiträgt)  zur  gcaohiuhte  iler  deutscheu  bpruche.     XXIII.  17 


258  CEDERSCniÖLD 

eine  reise  ins  ausländ,  während  der  icli  auf  bibliotheken  und 
durcli  Unterredung-  mit  faclileuten  mir  auskunft  über  die  aus- 
ländisclie  literatur  zu  verschaffen  suchte,  die  sich  auf  die 
isländischen  sqgwr  bezog,  mit  denen  ich  mich  damals  beschäf- 
tigte.') Im  jähre  1879  gab  ich  in  den  Acta  Universität is  Lun- 
densis  den  text  der  Bev.  s.  heraus.  Das  manuscript  der  ein- 
leitung  zu  den  FSS.  schloss  ich  im  Januar  1884  ab.  Seit  dem 
jähre  1882  hatte  ich  mich  hier  in  Gotenburg  aufgehalten,  wo 
es  zu  der  zeit  sehr  schwierig  war,  sich  kenntnis  von  neu- 
erschienener philologischer  fachliteratur  zu  verschaffen.  Ich 
führe  dies  an,  weil  mich  K.  scharf  tadelt,  dass  ich  in  den  FSS. 
nicht  mit  allem  innerhalb  des  jahres  1884  erschienenen  bekannt 
gewesen;  in  der  tat  hatte  ich  nach  dem  sommer  1878  nur  in 
einzelnen  fällen  meine  kenntnis  der  ausländischen  fachliteratur 
vervollständigen  können. 

Der  lange  Zeitraum,  der  zwischen  meiner  arbeit  an  der 
Bev.  s.  und  K.'s  Studien  auf  demselben  gebiete  liegt,  hat  es 
mir,  wie  ich  zeigen  werde,  unbequemer  gemacht,  die  dis- 
cussion  aufzunehmen,  während  derselbe  K.  seine  besten  waffen 
lieferte. 

Was  mich  betrifft,  so  habe  ich  mich  nach  der  herausgäbe 
der  FSS.  fast  gar  nicht  mit  den  romantischen  S9gur  beschäf- 
tigen können,  sondern  habe  ganz  andre  aufgaben  übernommen, 
die  meine  ungeteilte  arbeitskraft  erforderten.  Auch  jetzt  kann 
ich  K.'s  aufsatz  keine  so  umfassende  prüfung  angedeihen  lassen, 
wie  ich  getan  hätte,  wenn  er  erschienen  wäre,  während  ich 
noch  mit  dem  Studium  der  romantischen  sogur  beschäftigt  war. 
In  dem  einen  oder  andern  fraglichen  falle  dürfte  ich  wol  auch 
vergessen  haben,  welche  gründe  mich  besonders  bewogen,  bei 
der  redaction  der  FSS.  so  oder  so  zu  verfahren.  2) 

•)  Ausser  den  in  den  Fornsqgur  Suörlanda  (=  FSS.)  aufgenommenen 
auch  die  Erex  saga  und  die  Clarus  saga.  Ich  untersuchte  natürlich  auch 
die  wenigen  in  ausländischen  bibliotheken  (besonders  auf  dem  Britischen 
museum)  befindlichen  isländischen  hss.,  die  meinem  damaligen  arbeitsgebiete 
angehörten,  u.  a.  eine  hs.  der  Lilja.     Vgl.  Külbing,  Stud.  s.  39.  note  2. 

*)  Es  mag  im  übrigen  zu  entschuldigen  sein,  dass  man  vergisst,  was 
man  selber  geschrieben.  So  etwas  passiert  auch  K.:  in  demselben  augen- 
blick,  wo  er  (s.  39)  mir  vorwirft,  dass  ich  eine  kurze  notiz  über  die  Bev.  s., 
die  er  in  einer  abhandlung  über  die  Elis  saga  (Beiträge  zur  vergl.  gesch. 
d.  rom.  poesie  etc.)  mitgeteilt  hat,  übersehen  (richtiger  wäre  vergessen), 


ÜEBER   DIE    AUSGABE   DER    BEVERS   SAGA.  259 

Was  K.  betrifft,  so  haben  die  jähre,  die  seit  meiner  aus- 
gäbe der  Bev.  s.  verflossen  sind,  ilnn  einij^e  vortreffliche  waffen 
geliefert.  Er  hat  durch  seine  ausgäbe  des  Sir  Beues  of  Ham- 
toun  für  die  Early  English  Text  Society  veranlassung  gehabt, 
die  englischen  redactionen  des  sagenstoffes  bis  in  die  kleinsten 
einzelheiten  kennen  zu  lernen.  Im  Zusammenhang  mit  dieser 
arbeit  hat  er  die  gälische  redaction  studiert.  T^nd  schliess- 
lich —  was  für  die  beurteilung  der  isländischen  texte  das 
allerwichtigste  ist  — ,  hat  er  durch  das  entgegenkommen 
von  prof.  Stimming  in  G()ttingen  dessen  mit  emenda- 
tionen  versehenen  copien  der  altfranz.  hss.  benutzen 
können,  deren  text  dem  original  der  altisl.  saga  sehr 
nahe  steht. 

Besonders  dieser  zuletzt  genannte  umstand  muss  stärker 
betont  werden,  als  K.  es  getan  hat  (er  erwähnt  ihn  nur  ganz 
kurz  am  ende  seines  aufsatzes).  Denn  durch  das  neben- 
einanderlegen dieser  beiden  copien  mit  den  nordischen  texten 
hat  K.  einen  unvergleichlich  sichreren  ausgangspunkt  als  ich 
für  die  beurteilung  der  ursprünglichkeit  der  verschiedenen 
handschriftlichen  lesarten  gehabt.  Ich  dürfte  wol  nicht  fehl- 
greifen, wenn  ich  gerade  in  dem  entleihen  dieser  copien  den 
eigentlichen  entstehungsgrund  von  K.'s  strenger  kritik  meiner 
ausgäbe  erblicke.')  I^nd  ich  kann  nicht  umhin,  seine  art, 
sich  über  meine  ausgäbe  zu  äussern,  mit  der  übermütigen 
kritik  zu  vergleichen,  die  ein  schüler  mit  hülfe  des  in  seine 
bände  gelangten  schlüsseis  des  lehrers  an  der  von  einem  mit- 
schüler  ohne  dieses  unschätzbare  hülfsmittel  angefertigten 
Übersetzung  übt. 

Wäre  der  Übermut  das  einzige  gewesen,  das  mich  in 
K.'s  Studien  zur  Bevis  saga  verletzte,  so  hätte  ich  nicht 
genügende  veranlassung  gehabt,  zu  antworten.  Aber  K.  gibt 
eine  in  der  hauptsache  tendenziöse   und  schiefe  darstellung 


in  demselben  angenblicke  erzählt  er  (anni.  1  s.  .39),  dass  er  selbst  in  seiner 
ausgäbe  des  Sir  Beues  diese  notiz  vergessen  und  Pio  Rajna  das  verdienst 
der  entdeckung  zugeschrieben  habe. 

')  Denn  dass  K.,  ehe  die  franz.  texte  in  seine  bände  gelangt  waren 
(und  während  er  sich  also  in  keiner  besseren  läge  befand  als  ich),  meine 
ausgäbe  auf  eine  weit  wohvollendere  weise  beurteilte,  geht  aus  seiner 
anzeige  in  der  Deutschen  lit.-ztg.  Ibbö  hervor. 

17* 


260  Cederschiöld 

von  der  bescliaffenheit  meiner  ausgäbe  und  bringt  eine  menge 
unrichtiger  detailangaben  vor.    Das  verlangt  eine  antwort. 

Für  den  der  ohne  vorgefasste  meinung  K/s  aufsatz  liest, 
dürfte  seine  absieht,  meine  ausgäbe  als  vollkommen  wertlos 
hinzustellen,  deutlich  hervortreten. 

Dagegen  bedarf  es  einer  genaueren  Untersuchung  der  tat- 
sachen,  um  einzusehen,  dass  K.  zur  erreichung  seiner  absieht 
verschiedenes  verschweigt,  was  ich  in  der  einleitung  zu  den 
FSS.  geäussert,  und  mir  ansprüehe  zuschreibt,  die  ich  niemals 
gemacht  habe;  dass  er  weiter  grundsätze  aufstellt,  deren 
richtigkeit  teilweise  recht  zweifelhaft  ist,  und  dass  er  schliess- 
lich einzelheiten  vorbringt,  die  auf  Irrtum  oder  Unkenntnis 
beruhen. 

Was  K.  verschweigt,  ist  vor  allem  der  grundsatz,  nach 
welchem  alle  in  die  FSS.  aufgenommenen  SQgur  (mit  ausnähme 
von  Fl.)  veröffentlicht  worden  sind  und  worüber  ich  in  der 
einleitung  s.  lxii — v  ausführliehe  rechenschaft  abgelegt  habe. 

An  der  genannten  stelle  habe  ich  (mit  motivierung)  als 
meinen  hauptzweck  hingestellt,  von  jeder  saga  bloss  eine  ein- 
zige redaction  mitzuteilen,')  obgleich  ich  in  ein  paar  fällen 
es  für  zweckmässig  gehalten  habe,  etwas  weiter  zu  gehen. 

Die  beschränkung  des  Variantenapparates,  die  sieh  aus 
diesem  meinem  prineip  ergab,  wurde  von  K.  in  seiner  recen- 
sion  der  FSS.  (Deutsehe  lit.-ztg.  no.  3,  sp.82)  mit  folgenden 
Worten  erwähnt:  'dies  verfahren  befördert  unzAveifelhaft  die 
Übersichtlichkeit  und  wird  von  vielen  faehgenossen  gebilligt 
werden';  und  obwol  er  seinerseits  bemerkt,  dass  der  varianten- 
apparat  vollständiger  gewesen  sein  könnte,  liegt  es  ihm  doch 
so  fern,  deswegen  ein  Verdammungsurteil  auszusprechen  (ähn- 
lich dem  das  er  in  dem  vorliegenden  aufsatz  fällt),  dass  er 
statt  dessen  seine  bemerkung  mit  den  worten  einleitet:  'das 
im  folgenden  ausgesprochene  bedenken  soll  in  erster  linie  nur 
mein  warmes  Interesse  an  dem  wertvollen-)  und  mit  auf- 
wendung  jahrelanger  mühen  hergestellten  buche  bekunden.' 

Und  er  schliesst  seine  besprechung  mit  den  worten:   'wir 


')  Dass  einige  worte  K.'s  auf  s.  ;J7  keineswegs  eine  genügende  auf- 
klärung  hierüber  geben,  soll  weiter  unten  gezeigt  werden. 
'^)  Von  mir  gesperrt. 


ÜEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.        20 1 

können  zum  Schlüsse  nur  wünsclien,  dass  es  herrn  C.  auch 
weiterhin  verg-ünnt  sein  möge,  in  so  fruchtbarer  weise') 
im  dienste  der  nordischen  philologie  zu  wirken.' 

So  urteilte  K.  im  jähre  1885,  als  er  schon  eine  langjährige 
bekanntschaft  mit  den  romantischen  s^gur  hatte.  Aber  1894 
erklärt  er  das  was  er  neun  jähre  vorher  gerühmt  hatte,  für 
untauglich.  Er  erwähnt 2)  nicht  einmal,  dass  die  herausgäbe 
einer  einzigen  redaction  als  ziel  aufgestellt  werden  könne  (und 
von  mir  im  vorliegenden  falle  tatsächlich  aufgestellt  worden 
ist).  Die  einzig  zulässige  art,  auf  die  eine  solche  isl.  saga, 
welche  Übersetzung  oder  bearbeitung  eines  ausländischen  ori- 
ginales ist  oder  sein  dürfte,  ist  nach  seiner  meinung  (s.  4  f.)  die 
folgende:  *[die  ausgäbe  niuss]  das  [handschriftliche]  material 
so  vollständig  wie  irgend  möglich  vorlegen,  also  keine  einzige 
sachliche  Variante  irgend  einer  hs.  von  selbständiger  bedeutung 
unerwähnt  lassen';  —  denn  der  letzte  zweck  der  herausgäbe 
einer  solchen  altisl.  Übersetzung  (oder  bearbeitung)  soll  nämlich 
der  sein,  zur  textkritik  des  ausländischen  originales  beizutragen. 

^\'ie  K.  seinen  grundsatz  in  an  Wendung  bringt,  werden 
wir  gleich  sehen.  Aber  zuerst  müssen  wir  bei  dem  grundsatz 
selbst  etwas  verweilen. 

Obgleich  K.  ausser  betraclit  lässt,  dass  auch  von  roman- 
tischen (übersetzten)  sogur  verschiedene  redactionen  existieren 
können,  ist  dies  eine  tatsache,  die  nicht  verneint  werden  kann. 
Um  nur  bei  der  publication  zu  bleiben,  von  der  die  Bev.  s. 
ein  teil  ist,  so  enthält  die  einleitung  zu  den  FSS.  reichhaltige 
beitrage  zur  beleuchtung  der  freiheit,  womit  die  isländischen 
Schreiber  bei  der  behandlung  der  übersetzten  SQgur  verfuhren; 
s.  besonders  cap.  I,  spec.  s.  xiv  ff.,  sowie  cap.  VI  (Om  Flovents 
saga).  —  K.  selbst  hat  in  seinen  älteren  arbeiten  das  vor- 
kommen verschiedener  isl.  redactionen  der  nämlichen  roman- 
tischen sagaübersetzung  nicht  verkannt;  s.  z.  b.  Elis  s.  (Heilbr. 
1881)  s.  XXV,  wo  er  hervorhebt,  dass  die  gemeinsame  vorläge 
der  liss.  C  und  B  der  El.  s.  'eine  stellenweise  durch  einen  Is- 
länder stark  überarbeitete  redaction  der  saga'  repräsentiere, 
und  wo  auch  die  hs.  D  eine  'vielfach  gekürzte  und  durch  die 

*)  Von  mir  gesperrt. 

^)  Bezüglich  seiner  äusserungen  auf  a.  37  s,  weiter  unten, 


262  CEDERSCHIÖLD 

liand  eines  Isländers  stark  veränderte  nnd  versclilecliterte  be- 
arbeitung  einer  alten  hs.'  sein  soll  (vgl.  s.  xxxviii  a.  a.  o.),  und 
s.  XL  sagt  er  wider,  dass  wir  'in  C  B  und  D  nicht  sowol  andere 
hss.  der  saga  vor  uns  haben,  als  vielmehr  andere,  stark  über- 
arbeitete Versionen'. 

Auch  nur  durch  das  verschweigen  der  von  mir  beabsich- 
tigten beschränkung  auf  eine  geAvisse  redaction  (nämlich  der 
durch  die  hs.  B  repräsentierten)  kann  K.  (s.  6)  zwei  meiner 
bemerkungen  zum  Variantenapparat  in  der  Bev.  s.  als  einander 
widersprechend  bezeichnen,  was  sie  freilich  auch,  aus  ihrem 
Zusammenhang  gerissen,  scheinen  können.  Für  den  der  den 
ganzen  Zusammenhang  an  beiden  stellen  liest,  dürfte  es  nicht 
schwierig  sein,  meine  meinung  zu  erkennen;  ich  habe  die  von 
der  hs.  B  repräsentierte  redaction  so  vollständig  wie  nur  mög- 
lich mitteilen  wollen;')  dahin  gehört,  dass  ich  aus  anderen  hss. 
(bes.  der  red.  C)  solche  lesarten  aufgenommen  habe,  die  mir 
geeignet  schienen,  versehen  in  der  red.  B  zu  berichtigen  (A'gl. 
FSS.  s.  LXiv).  Aber  da  ich  fand,  dass  die  hs.  C  an  und  für 
sich  von  grossem  werte  war  und  meinem  textcodex  B  relativ 
nahe  stand,  habe  ich  bezüglich  der  Bev.  s.  (wie  auch  der 
Konr.  s.)  die  angegebene  beschränkung  meiner  aufgäbe  über- 
schritten und  eine  hauptsächlich  vom  nordisch -philologischen 
Standpunkte  aus  einigermassen  vollständige  Sammlung  der 
abAveichenden  lesarten  der  hs.  C  (ev.  yö)  sowie  auch  —  was 
die  Bev.  s.  betrifft  —  der  fragmente  A  und  D  zu  geben  ge- 


')  Eine  consequeiiz  dieser  meiner  absieht  und  zugleicli  ein  äusserer 
beweis  derselben  ist,  dass  ich  den  nanien  der  hauptperson  in  der  von  der 
hs.  B  (und  zugleich  von  dem  uorweg.  diplom;  vgl.  FSS.  s.  ccxxxviii)  ge- 
gebenen form  Beters  beibehalten  habe,  obgleich  ich  wol  einsah,  dass  die 
form  Bevis  der  hs.  C  ursprünglicher  war,  was  ich  auch  ausdrücklich  FSS. 
s.  CCXLI  gesagt  habe.  Dies  hätte  K.  also  nicht  zu  widerholen  brauchen 
(s.  67).  —  Hätte  ich  gleich  K.  die  fonn  widerherzustellen  gesucht,  die  am 
ehesten  dem  ursprünglichen  (norw.  oder)  isl.  texte  augehört  haben  dürfte, 
so  würde  ich  mich  kaum  mit  der  form  Bevis  begnügt,  sondern  mich  eher 
für  die  form  Beves  entschieden  haben.  Für  diese  form  spricht  nämlich, 
teils  dass  sie  den  franz.  formen  näher  steht,  teils  dass  man  gerade  aus  ihr 
alle  die  formen  ableiten  kann,  die  in  den  isl.  hss.  vorkommen.  Die  ent- 
wickelung  wäre  also:  1)  Beves^  Bef(ii)es  D,  2)  Beves^  Bevis  C,  'i)  Beves 
>  Bevess  >  Beters  B,  N.  Dipl.  (vgl.  ßess  "^  pers,  ßessi  ';;>  persi  u.s.  w.), 
4)  Beves  >■  Bevus  {Befus)  >•  Bievus  (Biefus)  papierhss. 


ÜEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.        263 

sucht.')  Und  da  es  aucli  von  diesem  gesiclitspunkt  aus  nicht 
eben  leiclit  war,  die  richtig-e  grenze  zwischen  dem  wichtigen 
und  minder  wichtigen  zu  ziehen,  so  äusserte  ich  s.  ccxl  in 
der  anmerkung,  dass  ich  vielleicht  noch  etwas  ausführlicher 
hätte  sein  können. 

Beim  eitleren  meiner  äusserung  an  der  letztgenannten 
stelle  sucht  K.  einen  Widerspruch  mit  s.  lxiv  dadurch  herbei- 
zuführen, dass  er  die  worte:  'also  nur  diese'  einschiebt;  dies 
ist  nicht  berechtigt,  wenn  ich  mich  auch  lieber  ausführlicher 
und  ohne  die  möglichkeit  einer  misdeutung  hätte  ausdrücken 
sollen.  2) 

Doch  die  hier  zuletzt  berührten  Verhältnisse  können  wol 
von  allzu  privater  natur  scheinen,  um  ausführlicher  hier  be- 
handelt zu  werden.  Ich  gehe  daher  zu  fragen  von  allgemeiner 
bedeutung  über. 

Wie  soll  man  bei  der  Veröffentlichung  einer  ins  (norwe- 
gische oder)  isländische  übersetzten  saga  verfahren,  wenn 
diese  in  mehreren  redactionen  (handschriftklassen)  vorliegt, 
von  denen  keine  der  eigene  text  des  Übersetzers  ist,  sondern 
wo  alle  mehr  oder  weniger  überarbeitet  sind? 

]\[einerseits  gebe  ich  gern  zu,  dass  das  von  K.  s.  3 — 5 
skizzierte  verfahren  principiell  für  das  beste  gehalten  werden 
kann.  Aber  ich  behaupte,  dass  auch  ein  anderes  verfahren 
erlaubt  und  nützlich  sein  kann,  und  ich  behaupte  ferner,  dass 
die  art  und  weise,  wie  K.  selbst  von  seinem  princip  gebrauch 
macht,  viel  zu  wünschen  übrig  lässt. 

Es   dürfte   wol   für   selbstverständlich   gelten,    dass    das 


')  Das  ganze  material  zu  bieten,  das  möglicherweise  zur  vergleichung 
mit  den  franz.  texten  nötig  werden  könnte,  hatte  ich  weder  beabsichtigt, 
noch  versprochen. 

*)  In  Verbindung  liiennit  möchte  ich  bemerken,  dass  K.  aucli  sonst 
nicht  immer  ganz  loyal  citiert;  so  z.  b.  vertauscht  er  oiine  weiteres  in  der 
anm.  zu  s.  6  die  worte:  'die  unwesentlichsten'  (also  einen  relativen  aus- 
druck)  mit  'ganz  unwesentlich'  (also  einem  absoluten  ausdruck);  —  s.  61 
übersetzt  er  meinen  ausdruck  (s.  ccxxxix)  'yanska  (=  ziemlich)  noggrant 
afskrifna'  mit  'ganz  genaue  abschriften ' ;  —  weniger  bedeutend  ist  es, 
da88  K.  s.  6  z.  7  mit  den  worten  'im  werke  selbst'  meine  worte  i  själfva 
cerket  (=  in  der  tat)  widergibt;  vgl.  unmittelbar  vorher  (s.  5  anm.),  wo  K. 
versichert  hat,  dass  er  die  citate  aus  meinem  schwed.  texte  'in  mög- 
lichst genauer  Übersetzung'  gebe. 


264  CEDERSCHIÖLD 

lierausgeben  ssicli  ziemlicli  verscliieden  gestaltet,  je  iiaclidem 
das  ausländische  original  der  (norweg.-)isl.  saga  für  den  lieraus- 
geber  vorhanden  ist  oder  nicht.  Der  ausdruck  'original'  wird 
dabei  nicht  ganz  wörtlich  genommen.  Denn  natürlich  kann 
es  kaum  vorkommen,  dass  eben  die  ausländische  (z.  b.  afranz.) 
hs.,  die  dem  nordischen  Übersetzer  vorgelegen  hat,  oder  eine 
mit  dieser  hs.  ganz  übereinstimmende  noch  vorhanden  ist ;  aber 
man  kann  doch  behaupten,  dass  man  das  'original'  besitzt, 
wenn  dieses  durch  eine  oder  mehrere  nahestehende  hss.  in 
derselben  spräche  repräsentiert  wird.  Alte  Übersetzungen  oder 
bearbeitungen  in  anderen  sprachen  können  auch  einigermassen 
das  original  repräsentieren,  sind  aber  natürlich  an  und  für 
sich  weniger  zuverlässige  zeugen.') 

Also:  besitzt  man  das  fremde  original  einigermassen  wol 
repräsentiert,  so  wird  die  kritische  behandlung  der  nord.  Über- 
setzung in  hohem  masse  erleichtert.  Man  ist  dann  im  stände  — 
wie  auch  K.  in  seinem  aufsatze  getan  —  in  einer  menge  von 
fällen  zu  entscheiden,  was  in  den  nord.  texten  ursprünglich 
ist  oder  nicht,  wo  ein  redactor  etwas  hinzugefügt,  ausgelassen 
oder  umgestaltet  hat,  und  man  kann  ein  sichereres  urteil  über 
den  verschiedenen  grad  von  Zuverlässigkeit  der  einzelnen 
redactionen  fällen.  Auf  der  anderen  seite  können  dann  auch 
die  nord.  texte  einen  beitrag  zur  textkritik  des  ausländischen 
originales  liefern.  Mit  einem  wort:  man  hat  dann  mittel  zur 
band,  um  zu  entscheiden,  welche  Varianten  der  nord.  redac- 
tionen von  wert  für  die  textkritik  der  Übersetzung  und  des 
originales  sind  und  welche  nicht. 

Aber  wie  viele  soll  man  dann  in  den  Variantenapparat 
seiner  ausgäbe  aufnehmen?  Vielleicht  bloss  die  welche  man 
als  für  die  textkritik  wichtig  befunden  hat,  mit  hinzufiigung 
derjenigen  die  von  nordisch -philologischem  gesichtspunkt  aus 
wirklichen  wert  haben?    Oder  alle? 

Herr  K.,  der  das  grosse  wort  führt,  dürfte  wol  durch  seine 
behandlung  der  Bev.  s.  uns  ein  muster  geben,  wie  die  sache 
zu  machen  ist.    Wir  wollen  daher  sein  verfahren  untersuchen. 


*)  Die  engl,  bearbeitungen  von  Sir  Bevis,  die  mir  1878  im  druck  zu- 
gänglich waren,  zeigten  allzuviel  abstand  von  den  isl.  texten,  um  allein 
bei  der  beurteilung  der  hss.-verhältnisse  von  besonderem  nutzen  zu  seinj 
vgl.  meine  äusserung  darüber  FSS.  s.  ccxvi. 


UEBER   DIE   AUSGABE   DER   BEVERS   SAGA.  2G5 

Folgende  zahlen  müssen  vorausgeschickt  werden.  In  meiner 
ausgäbe  werden  in  den  fussuoten  ungefähr  GOO  vom  texte  ab- 
weichende lesarten  verschiedener  liss.  (besonders  von  C  und  den 
diesem  sehr  nahestehenden  7  d)  angeführt.  Zu  diesen  fügt  K. 
(s.  7 — 37)  eine  liste  von  solchen,  die  er  ausserdem  für  nötig 
hält  (wolgemerkt  auch  jetzt  noch,  nachdem  das  franz.  original 
verglichen  ist);  diese  liste  bringt  ungefähr  3000  Varianten. 
Aber  von  diesen  3000  sind  es  nach  K.'s  eigener  berechnung 
(vgl.  s.  52)  nur  131,  die  K.  auf  grund  der  vergieichung  mit 
den  ausländischen  texten  (besonders  den  afranz.)  für  ursprüng- 
licher als  die  entsprechenden  lesarten  in  meinem  texte  hält.') 

Nun,  diese  ungefähr  3000  ab  weichungen  von  dem  ge- 
druckten texte,  die  ich  nach  K.'s  meinung  mit  unrecht  aus 
meinem  Variantenapparat  ausgelassen  habe,  nennt  er  s.  7 
'sachliche  ab  weichungen'.  Hierzu  stimmt  schlecht,  was  er 
s.  37  behauptet,  nämlich:  'hier  (d.h.  bez.  der  Bev.  s.)  handelt 
es  sich  nicht  um  verschiedene  bearbeitungen,^)  sondern  nur  um 
verschiedene  von  einander  unabhängige  liss.  desselben  textes.' 

Ich  kann  nur  annehmen,  dass  hier  ein  Widerspruch  vor- 
liegt. ^^'enn  nun  'sachliche  ab  weichungen'  zwischen  den  hss. 
Bunde  (bez.  7(^)3)  an  so  vielen  stellen  existieren,  und  man 
trotzdem  nicht  berechtigt  sein  sollte,  von  verschiedenen  redac- 
tionen  zu  sprechen,  so  müsste  man  ja  schliessen,  dass  un- 
freiwillige Verderbnis  des  textes  an  allen  diesen  stellen 
in  einer  der  hss.  vorliegt;  willkürliche  und  absichtliche 
abweichungen  von  der  vorläge  könnten  es  ja  nicht  sein,  denn 
es  sind  ja  eben  solche,   die  (wenigstens  wenn  sie  qualitativ 


')  Die  zalil  l.'M  düifte  in  Wirklichkeit  allzu  hoch  gegriffen  sein,  wie 
nnten  gezeigt  werden  wird,  in  welchem  umfange  übrigens  K.  richtig  ge- 
rechnet hat,  habe  ich  nicht  nachgeprüft.  Zufällig  habe  ich 'bemerkt,  d^ss 
K.  s.  48  no.  157  eine  Variante  als  in  meiner  ausgäbe  fehlend  bezeichnet 
hat,  die  sich  dort  wirklich  findet. 

'^)  Dies  ist  die  einzige  stelle,  die  ich  in  K.'s  aufsatz  gefunden  habe, 
die  auf  meine  in  den  FSS.  offen  ausgesiirochene  absieht,  mich  auf  eine  ge- 
wisse redaction  zu  beschränken,  bezogen  werden  kann.  Aber  K.'s  äusserung 
ist  hier  nicht  gegen  meine  in  den  FSS.  dargelegten  principien,  die  conse- 
quent  verschwiegen  werden,  sondern  gegen  einige  worte  Heinzeis  (im  Anz. 
fda.  11,1 30)  gerichtet. 

■')  Die  mehrzahl  sowol  der  üOü  wie  der  3000  betrifft  eben  das  Ver- 
hältnis zwischen  diesen  h.ss. 


2G6  CEDEBSCHIÖLD 

oder  quantitativ  bedeutend  sind)   eine  besondere  redaction 
constituieren. 

Aber  man  brauclit  die  unterschiede  zwischen  B  und  C 
nicht  lange  zu  mustern  um  zu  begreifen,  dass  die  grosse 
mehrzahl  eben  willkürlich  und  absichtlich  ist.  Und  schon 
quantitativ  scheinen  sie  mir  hinlänglich  bedeutend,  um  mein 
in  den  FSS.  s.  lxiv  abgegebenes  urteil  zu  begründen,  nämlich 
dass  C,  obgleich  B  nahestehend,  nicht  als  derselben  redaction 
wie  B  angehörig  bezeichnet  werden  kann. 

Der  qualitative  wert  der  ab  weichungen  ist  indessen  im 
allgemeinen  gering,')  zum  teil  so  gering,  dass  es  mir  höchst 
merkwürdig  scheint,  dass  K.  so  viel  gewicht  auf  deren  mit- 
teilung  gelegt  hat.  Der  leser  mag  selbst  über  den  wert  der 
folgenden  'sachlichen  ab  weichungen'  urteilen,  die  ich  aus 
K.'s  nachtragen  gesammelt  habe;  ich  habe  es  nicht  für  nötig 
gehalten  mehr  als  ein  jjaar  kleine  stücke  im  anfang  der  saga 
und  ein  paar  aus  den  Schlusspartien  zu  untersuchen,  im  ganzen 
ungefähr  ein  zehntel  des  ganzen  textes. 

Den  wichtigsten  unterschied  zwischen  B  und  C  (bez.  y  d), 
nämlich  bezüglich  des  titeis,  der  Bevers'  Stiefvater  beigelegt 
wird,  habe  ich  ausdrücklich  hervorgehoben  in  FSS.  ccxl  und 
habe  dabei  mitgeteilt,  dass  der  unterschied  consequent  durch- 
geführt wird.  Nichtsdestoweniger  notiert  K.  gewissenhaft  jede 
stelle,  wo  die  abweichung  vorkommt  (z.  b.  zu  s.  209, 16.  20.  37. 
40.  210, 6.  10.  14.  15  u.  s.  w.).  Wozu  dies  sonst  dienen  soll,  als 
um  das  Verzeichnis  desto  länger  zu  machen  und  mein  angeb- 
liches verschulden  desto  schwärzer  hervortreten  zu  lassen, 
dürfte  schwer  zu  begreifen  sein. 

Aber  sonst  ist  es  ziemlich  selten,  dass  die  unterschiede 
zwischen  den  hss.  solche  sind,  die  verschiedene  bedeutungen 
mit  sich  führen  (wie  man  aus  K.'s  ausdruck  'sachliche  ab- 
weichungen'  schliessen  sollte);  besonders  in  K.'s  nachtragen 
bilden  diese  eine  verschwindende  minderzahl. 


*)  Wichtigere  abweichwngen ,  wie  z.  b.  absichtliche  kürzimgen  und 
Veränderungen  mit  bezug  auf  den  inhalt,  fehlen  keineswegs  (wie  man  aus 
den  noten  in  FSS.  und  aus  K.'s  darstellungen  ersehen  kann),  und  sind 
natürlich  in  erster  reihe  von  bedeutung,  wenn  es  gilt,  verschiedene 
rcdactionen  festzustellen;  aber  sie  sind  verhältnismässig  gering  au  zahl. 


ÜEBER   DIE   AUSGABE    DER   BEVERS   SAGA.  267 

Was  K.  hauptsächlich  zu  meinem  vanantenverzeichnis 
liiuzuzufügen  liat,  besteht  in  solchen  ausdrücken,  die  mit  dem 
gedruckten  texte  gleichbedeutend  sind. 

Wenn  eine  person  (bez.  ein  pferd,  schwert  u.  s.  w.),  über 
dessen  Identität  der  Zusammenhang  nicht  den  mindesten  zweifei 
erlaubt,  entweder  mit  1,  namen  oder  2.  titel  (bez.  anderer 
appellativer  bezeichnung)  oder  3.  sowol  namen  wie  titel  (bez. 
anderer  appellativer  bezeichnung)  oder  4.  nur  pronomen  be- 
zeichnet wird,  so  nimmt  K.  in  seineu  nachtragen  die  wechseln- 
den bezeichnungen  auf;  s.  z.  b.  zu  s.  209, 11.  18.  210, 2.  16.  44. 
52.  211.27.  216,27  u.s.w.  Fortgesetzte  vergleichungen  zwischen 
den  isl.  und  den  ausländischen  texten  haben  K.  schliesslich 
darüber  belehrt,  dass,  wie  er  am  schluss  von  s.  60  zuzugeben 
genötigt  ist,  in  dergleichen  fällen  'auf  das  schwanken  .  . . 
wenig  gewicht  zu  legen  ist'  —  und  das  hätte  K.  wol  im  voraus 
wissen  können,  nachdem  er  sich  so  viele  jähre  lang  mit  isl. 
hss.  beschäftigt  hatte.  Aber  wenn  er  in  diesem  Zusammenhang 
(s.  60)  behauptet,  solche  stellen  in  seinen  nachtragen  nicht  auf- 
genommen zu  haben,  so  ist  dies  nicht  richtig;  nicht  genug 
damit,  dass  solche  Varianten  (wie  wir  eben  gesehen)  in  der 
grossen  Variantenliste  (s.  7 — 37)  besonders  zahlreich  sind,') 
selbst  unter  den  131  stellen,  'wo  die  lesart  von  C  oder  yd, 
bez.  D  oder  A,  sich  durch  vergleich  mit  den  anderen  Versionen 
als  dem  archetypus  angehörig  erweisen  Hess,'  die  aber  von 
mir  nicht  verzeichnet  waren,  sondern  erst  von  K.  hinzugefügt 
worden  sind  (vgl.  K.  s.  52),  —  selbst  unter  diesen  stellen,  w^o- 
rauf  K.  so  viel  gewicht  legt,  finden  sich  mehrere,  die  gerade 
der  eben  erwähnten  kategorie  angehören,  s.  z.  b.  die  anmer- 
kungen  8.  66.  99.  114.  129.  136.  158.  166  auf  s.  40  ff.,  vgl. 
ausserdem  79.  172. 

Von  der  grossen  anzahl  übriger  gleichbedeutender,  aber 
in  bezug  auf  den  ausdruck  mehr  oder  weniger  abweichender 
lesarten,  die  K.  als  'sachliche  ab  weichungen'  anführen  zu 
müssen  glaubt,  will  ich  nur  auf  die  folgenden  hinweisen.  2) 


')  In  dieser  liste  dürften  Varianten  der  genannten  art  sich  bis  auf 
ein  oder  mehrere  hundert  belaufen. 

*)  Bei  der  anführung'  isländischer  textstellen  normalisiere  ich  nach 
demselben  princip,  das  K.  s.  7  anm.  befolgt  zu  haben   behauptet,  nämlich 


268  CEDEKSCHIÖLD 

Die  synonymen  ausdrücke  hestr  und  ess  werden  in  Bev. 
(wie  sonst)  proniiscue  angewant;  K.  hat  sich  die  mühe  g-emacht, 
an  einer  menge  stellen  den  Wechsel  zu  notieren;  so  z.  b.  die 
nachtragsliste  zu  s.  257 — 260. 

Den  Wechsel  zwischen  den  ganz  gleichbedeutenden  sem 
und  er  notiert  K.  s.  209,  24  210.4.  215.59  u.s.av.,  zwischen  er 
und  at  s.  209,29.36.38.  210,2  u.s.w.,  zwischen  Enn  und  Oh 
(einen  neuen  satz  einleitend)  s.  215,  41,  zwischen  den  adverbien 
fijrri  und  fyrr  s.  209, 18,  zwischen  den  verneinenden  adverbien 
eigi  und  ehU  s.  215,  43,  zv/ischen  eda  und  edr  s.  214,  51.  257,  31. 
258,13');  der  Wechsel  zwischen  medal,  milli,  d  milli,  i  milli 
wird  s.  259, 13,  zwischen  möti  und  i  möt  s.  260, 13,  zwischen 
Jbeima  und  pessttm  s.  215,  46,  zwischen  den  masc.  nom.-formen 
eingtnn  und  eirnjl  s.  215,  35,  zwischen  der  umgelauteten  form 
hJQpünn  und  der  unumgelauteten  hjaptinn  s.  216, 7,  zwischen 
dem  altertümlichen  (c/i)  mcetta  und  dem  jüngeren  {elc)  mcetü 
s.  216, 18  angemerkt,  u.s.w.-) 

Angesichts  solcher  beispiele  drängt  sich  einem  die  frage 
auf:  wenn  K.  diese  und  ähnliche  für  'sachliche  ab  weich  ungen' 
hält,  was  versteht  er  dann  unter  formellen?  Vielleicht  nur 
die  rein  orthographischen?   —   Aber  wir  fahren  fort. 

Abwechslungen  in  der  Wortstellung,  sogar  die  allergewöhn- 
lichsten,  werden  von  K.  angemerkt.  So  z.  b.  die  Stellung  des 
attributs  vor  oder  nach  seinem  subst.:  liest  sinn  oder  sinn  liest 
s.  216,  4  f.,  lid  mikit  oder  mikit  liö  s.  216,  52,  tvd  riddara  oder 
riddara  tvd  s.  214,  21  f.,  Jians  liest  oder  liest  lians  s.  260, 24,  vgl. 
s.  214,  41.  58.  215,  31.  216,  5.  260, 15.  24  u.s.w.  3) 


'in  der  allgemein  üblichen  weise';  mein  resnltat  wird  zwar  demjenigen  K.'s 
recht  unähnlich  —  aber  das  ist  nicht  meine  schuld. 

•)  An  diesen  stellen,  und  wahrscheinlich  an  vielen  anderen,  hat  K.  es 
sich  augelegen  sein  lassen,  dem  leser  die  tatsache  mitzuteilen,  dass  die 
jüngeren  hss.  (/,  rf,  IJ)  die  formen  eör  haben,  während  mein  nach  der  älteren 
membrane  B  gedruckter  text  eöa  hat;  nur  schade,  dass  er  nicht  zugleich 
mitgeteilt  hat,  dass  das  wort  in  membranen  gewöhnlich  abgekürzt  ge- 
schrieben wird  ('e.'). 

'^)  Dass  die  relativpartikeln  er  oder  at  (gemäss  dem  jüngeren  Sprach- 
gebrauch) in  den  jungen  papierhss.  yS  fehlen,  wird  zu  s.  212,  35.  213,25 
angemerkt,  ebenso  zu  s.  211,45,  dass  yd  die  jüngere  form  kvinnu  haben, 
Avährend  B  die  ältere  komi  hat. 

^)  Aber  zu  s.  209,  19  uuterlässt  es  K.  darauf  hinzuweisen,  dass  der 


UEBER   DIE  AI\SGABE   DER   BEVERS   SAGA.  269 

Die  Stellung  des  subj.  vor  oder  nach  dem  praed.  wird  an- 
gemerkt s.  214,  58:  er  heitir  Ilamtim  oder  er  Hamtün  heitir, 
s.  257.  421:  Hann  för  mi  oder  För  kann  nit;  die  wechselnde 
Stellung  des  praed.  und  des  adv.  wird  angemerkt  s.  215, 26: 
Nu  liÖa  (svd  fram  shmdir)  oder  Liäa  nü;  vgl.  s.  209,  8  f.  (wo 
zwei  adv.  die  Stellung  miteinander  tauschen),  s.  215, 10  u.s.w. 

Manche  der  lesarten,  die  K.  in  seinen  nachtragen  auf- 
genommen hat,  geht  bloss  darauf  aus  zu  zeigen,  wie  weit  das 
eine  oder  andere,  gewöhnlich  so  gut  wie  bedeutungslose  wört- 
chen sich  in  der  einen  oder  andern  hs.  vorfindet.  So  z.  b.  wird 
s.  212,31.  39.  213,62.  214,63.64.  215,11.  260,19  u.s.w.  ver- 
zeichnet, ob  der  nachsatz  (apodosis)  mit  pd  eingeleitet  wird 
oder  nicht. 

Eine  andere  grosse  gruppe  Varianten  erhält  K.  dadurch, 
dass  er  verzeichnet,  wie  weit  im  erzählenden  stile  das  praet. 
oder  das  praes.  histor.  angewant  wird,  z.  b.  s.  210,  2.  49.  57. 
211,3.  212,31.  214,28.  216,29.  257,  28.  260,  8.  9  u.s.w. 

Ein  jeder  der  sich  nur  ein  wenig  mit  isl.  sagas  (sei  es 
originalen  oder  übersetzten)  beschäftigt  hat,  weiss  ganz  genau, 
dass  der  in  rede  stehende  tempuswechsel  zu  den  allergewöhn- 
lichsten  erscheinungen  gehört,  und  versteht,  dass  dergleichen 
'Varianten'  für  solche  von  minimalem  werte  angesehen  werden 
können.  Aber  noch  unnötiger  sind  die  'Varianten'  in  folgendem 
fall:  in  meinem  abdruck  von  B  habe  ich  (wie  ich  ausdrück- 
lich in  den  FSS.  s.  lxxii  gesagt)  die  in  der  hs.  regelmässig 
vorkommenden  zweideutigen  abkürzungen  fv.  und  /".  mit 
praes ensformen  (in  der  regel  sing.,  also  entweder  st-arar  oder 
se'^/ir)  widergegeben;  wenn  nun  zufällig  eine  der  andern  hss. 
ein  ausgeschriebenes  praet eritum  hat,  so  wird  dies  von  K. 
vermerkt,  z.  b.  bei  s.  211,1.  18.  215,8.  258,10  u.s.w.») 

"\^'enn  eines  unter  den  am  häufigsten  vorkommenden  Sub- 
stantiven (z.  b.  konyr,  jarl)  in  einer  von  den  hss.  ii-gendwo  sich 
in  bezug  auf  das  Vorhandensein  oder  fehlen  des  angehängten 
artikels  von  den  andern  hss.  unterscheidet,  hat  K.  auch  diese 
erscheinung  verzeichnen   zu  müssen  geglaubt.    Irgend  welche 


lesart  von  B:    dottiir  aina  ein  sina  döttur  in  yd  entspricht,  zu  s.  214,5b, 
dass  auch  D  die  Wortstellung  möÖir  min  hat. 

')  Dass  A   auf  s.  257,41    sayöi  schreibt,   hat   K.  jedoch  zu  notieren 
vergessen. 


270  CEDERSCHTÖLD 

anleitung  zur  bestimmimg  des  ursprünglichen  textes  liefern 
indessen  diese  'sachlichen  abweichungen'  nicht,  denn  in  den 
älteren  hss.  wurden  diese  und  ähnliche  Wörter  sehr  oft  durch 
eine  abküizung  ang-eg-eben,  die  nicht  angab,  ob  eine  form  mit 
oder  ohne  artikel  beabsichtigt  war;  vgl.  FSS.  s.  lxxiii — v,  wo 
ich  auch  mein  eignes  verfahren  bei  der  widergabe  derartiger 
abkürzungen  auseinandergesetzt  habe.  K.  hat  wahrscheinlich 
die  genannten  selten  meiner  einleitnng  nicht  gelesen,  sonst 
hätte  er  wol  kaum  seine  liste  mit  solchen  bemerkungen  wie 
z.b.  s.  210,  59.  211,1.  3  vermehrt,  dass  die  papierhss.  yd  jarl 
schreiben;  mein  text  hat  zwar  an  diesen  stellen  jarlinn,  aber 
da  ich  s.  lxxiv  anm.  3  bemerkt,  dass  die  lis.  B  an  den  ge- 
nannten stellen  (und  vielen  andern)  die  abkürzung  j.  zeigt, 
dürfen  wol  hier  die  abweichungen  eher  graphisch  als  sach- 
lich genannt  werden. 

Wozu  soll  nun  das  aufzählen  dieser  und  derartiger  Varianten 
eigentlich  dienen? 

Von  wert  für  die  reconstruction  des  ursprünglichen  saga- 
textes  und  für  die  kritik  der  franz.  texte  könnten  ja,  gemäss 
K.'s  eigener  meinung,  bloss  eine  geringe  anzahl  sein.') 

Aber  auch  für  die  beurteilung  des  Verhältnisses  zwischen 
den  isl,  hss.  untereinander  müssen  ähnliche  abwechslungen,  wie 
die  hier  oben  angeführten,  mit  der  grössten  vorsieht  behandelt 
werden.  Von  der  mehrzahl  derselben  gilt  ohne  zweifei,  was 
K.  selbst  in  seiner  vorrede  zur  Elis  saga  (s.  xxvii — viii)  über 
'abweichungen'  äusserte,  'auf  die  die  betr.  abschreiber  sehr 
leicht  selbst  gekommen  sein  können';  dahin  gehören: 

a)  abweichungen  in  der  Wortfolge  ...2);  b)  hinzufügung 
oder  weglassung  des  artikels  ...;   c)  an wendung  verschiedener 

tempora ...;  d)  schwanken  zwischen  sing,  und  plur ;  e)  kleine 

ändei'ungen  in  der  construction  ...;  f)  Wechsel  zwischen  ge- 
bräuchlichen synonymen  ...;  g)  hinzufügung  von  dem  sinne 
nach  naheliegenden  Worten  . . . ' 

1)  Dass  K.  bei  der  bercchnimg-  dieser  anzalil  reelit  optimistisch  ge- 
wesen, haben  wir  z.  t.  bereits  gesehen  nnd  werden  wir  weiter  nnten  noch 
in  einigen  andern  fällen  nachweisen. 

2)  Ich  lasse  K.'s  beispiele  aus;  jeder  der  es  wünscht,  kann  sich  davon 
überzeugen,  dass  sie  gleichartig  mit  denjenigen  sind,  die  ich  hier  oben 
angeführt  habe. 


UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.        271 

Hierauf  gibt  K.  folgendes  gesammturteil:  'es  darf  mit  eiit- 
schiedenheit  behauptet  werden,  dass  alle  derartigen  Varianten 
unser  urteil  über  das  handschriftenverhältnis  in  keiner  weise 
beeinflussen  kiinnen.' 

Aus  speciell  nordisch-philologischem  Interesse  hat  K.  offen- 
bar eine  solche  niasse  Varianten  nicht  aufnehmen  wollen.  A\Me 
ein  nordischer  philologe  in  derartigen  fragen  denkt,  diirfte 
wol  im  allgemeinen  bekannt  sein;  aber  für  den  fall,  dass  ein 
zeuge  verlangt  wird,  will  ich  einen  herausgeber  eitleren,  dessen 
autorität  nicht  leicht  verworfen  werden  dürfte,  den  docenten 
Plnnur  Jonsson. 

In  der  vorrede  zu  seiner  kritischen  ausgäbe  der  Egils 
saga  Skallagrimssonar  (Kobenhavn  188G — 88)  s.  xxvi,  sagt 
dieser:  'jeg  [har]  ikke  eller  meget  sjaelden  . . .  taget  liensyn 
til  sädanne  varianter,  der  kun  bestär  i,  at  ordene  i  en  saetning 
er  ordnede  pa  en  forskellig  mäde  uden  nogen  sserlig  syntak- 
tisk  Interesse  (f.  ex.  för  kann  f.  kann  för  og  lign.).  Den  slags 
varianter  har  sjaelden  nogen  videre  betydning,  og  for  Egilssagas 
vedkommende,  savidt  jeg  har  kunnet  skönne,  slet  ingen  .  . . 
Heller  ikke  har  jeg  taget  hensyn  til  sädanne  varianter,  som 
kun  bestär  i,  at  et  ganske  almindeligt  ord  stär  for  et  ligesä 
almindeligt  (f.  ex.  för  f.  feröaöiz  el.  geUi  og  lign.).' 

Und  es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Egils  saga  von  nordisch- 
philologischem  gesichtspunkt  weit  grössere  bedeutung  besitzt 
und  in  viel  älteren  hss.  bewahrt  ist  als  die  Bev.  s. 

Nun  kann  man  zwar  sagen:  'man  kann  nicht  im  voraus 
wissen,  zur  lösung  welcher  fragen  eine  zukünftige  forschung 
material  aus  den  hss.  zu  schöpfen  gezwungen  sein  wird;  denn 
diese  hss.  können  leicht  abhanden  kommen  oder  zerstört  wei'den; 
oder  äussere  Verhältnisse  können,  auch  Avährend  si^  noch  vor- 
handen sind,  viele  forscher  verhindern,  sie  direct  zu  benutzen. 
Es  ist  daher  notwendig,  dass,  wenn  eine  saga  (oder  ein  anderes 
literaturdenkmal)  veröffentlicht  wird,  die  lesarten  der  hss. 
(oder  wenigstens  der  von  einander  unabhängigen  hss.)  so  voll- 
ständig wie  möglich  veröffentlicht  werden.' 

Dies  raisonnement  lautet  ja  sehr  vernünftig,  aber  wir 
können  es  doch  nicht  ohne  weiteres  acceptieren.  "Will  man 
wirklich  all  das  material  liefern,  das  zukünftige  forsciier  für 
verschiedene  (vielleicht  noch  nicht  geahnte)  zwecke  möglicher- 


272  CEDERSCHIÖLD 

weise  gebrauchen  können,  so  muss  man  natürlicli  auch  für  die 
Vorführung-  aller  orthographischen  und  graphischen 
Varianten  sorgen  (denn  diese  können  für  einige  zwecke  wich- 
tiger werden  als  'sachliche  abAveichungen').  und  da  findet  sich 
kein  anderer  ausweg  als  der,  möglichst  genaue  photographische 
abbildungen  von  allen  betreffenden  hss.  zu  liefern.  Aber 
nicht  einmal  dies  wäre  ausreichend.  Eine  von  den  am  sorg- 
fältigsten ausgeführten  photographischen  abbildungen,  die  wir 
von  nordischen  hss.  haben,  dürfte  wol  die  abbildung  der 
grossen  Eddahs.  sein,  die  Wimmer  und  F.  Jönsson  i.  j,  1891 
veröffentlicht  haben;  am  schluss  ihrer  einleitung  (s.  lxxv) 
heben  die  herausgeber  hervor,  dass  ihre  lange  beschäftigung 
mit  der  arbeit  sie  gelehrt  habe,  dass  keine  widergabe  je- 
mals das  original  vollständig  wird  ersetzen  können. 
Der  grund  ist,  dass  die  subjective  auffassung  des  herausgebers 
immer  einigermassen  auf  die  beschaffenheit  der  abbildung  ein- 
wirkt.') Selbst  in  dem  falle  dass  die  hss.  photographiert 
werden,  bleibt  der  leser  von  der  genauigkeit,  der  einsieht  und 
dem  urteil  des  herausgebers  abhängig. 

Gerade  diese  eigenschaften  eines  herausgebers  sind  am 
unentbehrlichsten  bei  jeder  art  von  herausgäbe.  Und  diese 
eigenschaften  zeigen  sich  nicht  am  wenigsten  in  dem  ver- 
mögen des  herausgebers,  sich  klar  und  bewusst  zu  beschrän- 
ken; er  muss  verstehen  das  wesentliche  von  dem  unwesent- 
lichen zu  unterscheiden;  er  muss  nichts  mit  aufnehmen  was 
für  seine  speciellen  zwecke  unnötig  ist;  er  darf  nicht  das 
unnütze  das  nützliche  verdecken  lassen.  So  z.  b.  hat  die  eben- 
genannte Photographie  der  Eddahs.  verschiedene  zufällige  flecke 
oder  wegen  der  dünnheit  des  pergaments  durch  dieses  sicht- 
bare buchstaben  etc.  nicht  aufgenommen,  die  beim  lesen 
störend  wirken  würden.  ■•^) 

Nun  muss  wol  auch  K.  einen  speciellen  zweck  mit 
seinem  aufsatz  über  die  Bevers  saga  gehabt  haben,  denn 
nach  allen  selten  über  die  hss.  bescheid  gegeben  zu  haben 
kann  er  nicht  beanspruchen  — :   dazu  fehlt  allzu  viel.    Dass 


')  Vgl.  Arkiv  für  nordisk  filologi  8, 19()tt'. 

*)  Dass  sie  im  commeiitar  notiert  werden,  ist  etwas  anderes;   dort 
tun  sie  keinen  schaden. 


UEBEE   DIE   AUSGABE   DER   BEVERS  SAGA.  273 

es  sein  specieller  zweck  war,  polemiscli  gegen  meine  ausgäbe 
aufzutreten,  wird  er  wol  nicht  einräumen  wollen,  und  das 
wird  Avol  auch  nicht  der  fall  sein.  Avenn  es  auch  zuweilen  so 
aussieht.  Dagegen  dürfte  man  K,  nicht  unrecht  tun,  wenn 
man  aus  seiner  früheren  Wirksamkeit,  aus  dem  wertvollsten 
im  vorliegenden  aufsatz  und  vor  allem  aus  der  Zusammen- 
fassung, die  K.  selbst  gegen  ende  der  abhandlung  s.  127  ff. 
macht,  den  schluss  zieht,  dass  sein  eigentlicher  und  spe- 
cieller zweck  gewesen  ist,  das  Verhältnis  zwischen 
den  isl.  texten  (bez.  dem  norw.  —  oder  möglicherweise  isl. 
—  text,  von  dem  sie  abstammen)  auf  der  einen  seite,  un'd 
den  ausländischen  (bes.  den  franz.)  texten  auf  der  andern 
Seite  zu  beleuchten.  Aber  welche  massen  von  für  diesen 
zweck  nutzlosem,  ja  geradezu  hinderlichem  stoff  häuft  er  nicht 
zusammen ! 

Für  mich  konnte  natürlich  der  zweck  nicht  derselbe  sein 
wie  für  K.,  da  mir  ja  die  franz.  texte  nicht  zugänglich  waren. 
Ich  hätte  daher  unmöglich  die  beschränkung  des  Stoffes  durch- 
führen können,  die  für  K.  leicht  und  ungesucht  gewesen  wäre, 
obgleich  «er  es  verschmäht  hat  sie  anzuwenden.  Und  da  ich 
meine  ausgäbe  nicht  mit  einer  masse  solcher  unnützer,  will- 
kürlicher kleinigkeiten  belasten  wollte,  die  in  der  regel  völlig 
bedeutungslos  zu  sein  pflegen,  befolgte  ich  (worauf  ich  so  wol 
hier  oben  als  schon  in  den  FSS.  hinwies)  den  plan,  die  redac- 
tion  der  ältesten  erhaltenen  hs.  herauszugeben  und  erweiterte 
den  plan  insofern,  als  ich  aus  den  andern  redactionen  (vor 
allem  aus  Cs)  die  abweichungen  hinzufügte,  die  ich  von  meinem 
standi)unkt  aus  als  'sachliche'  betrachtete. 

Nun  meint  K.  (s.  4),  dass  ich  unter  solchen  Verhältnissen 
(da  die  franz.  texte  mir  nicht  zugänglich  waren)  mich  gar 
nicht  mit  der  herausgäbe  von  Bev.  hätte  befassen  sollen;  und 
an  mehreren  stellen  in  seinem  aufsatz  bemüht  er  sich  zu  be- 
weisen, dass  meine  ausgäbe  —  wegen  der  beschränkung,  die 
ich  hinsichtlich  des  Variantenapparates  beobachtet  habe  — 
gänzlich  wertlos  sei. 

Hierüber  mögen  andere  urteilen  I  Ich  fürchte  nicht,  dass 
unparteiische  und  vollauf  comi)etente  beurteiler  ein  so  hartes 
urteil  fällen.  Meinesteils  will  ich  nur,  ehe  ich  zur  nach- 
weisung  verschiedener  fehlerhafter  und  irreführender  angaben 

Beiträge  zur  geschicUtc  der  doutsclicu  Bprache.     XXlIl.  ]^ 


274  CEDERSCmÖLD 

in  K.'s  auf  Satz  übergehe  (angaben,  auf  die  er  zum  teil  sein 
urteil  über  meine  ausgäbe  stützt),  an  einige  Verhältnisse  all- 
gemeinerer art  erinnern. 

Zunächst  ist  es  klar,  dass,  wenn  die  herausgäbe  der 
Bev.  s.  aufgeschoben  wäre,  bis  die  franz.  texte  durch  prof. 
Stimmings  arbeit  zugänglich  geworden  waren,  Fritzner  für 
die  ausarbeitung  der  zweiten  aufläge  seines  Wörterbuchs  (deren 
Veröffentlichung  bereits  i.  j.  1883  begann)  schwerlich  den  text 
dieser  saga  auf  eine  solche  weise  hätte  ausbeuten  können,  wie 
dies  jetzt  der  fall  gewesen  ist.  Durch  vergleichung  der  ersten 
und  zweiten  aufläge  des  Wörterbuchs  findet  man  leicht,  dass  F. 
für  die  erste  bloss  eine  geringe  anzahl  excerpte  aus  den 
hss.  B  und  6  zur  Verfügung  hatte,  dass  er  dagegen  in  seiner 
zweiten  aufläge  an  einer  grossen  menge  von  stellen  meinen 
text  citiert.  •)  In  briefen  an  mich  (citiert  FSS.  lxxix)  äusserte 
im  übrigen  Fr.  selbst,  dass  er  besonders  viel  für  sein  Wörter- 
buch aus  den  texten  in  den  FSS.  habe  schöpfen  können. 

Weiter:  aus  K.'s  eignem  aufsatz  geht  hervor,  dass  meine 
ausgäbe  der  Bev.  s.  und  die  einleitung  zu  den  FSS.  nicht  ohne 
wert  als  Vorarbeit  für  K.'s  eigne  Untersuchungen  gewesen  ist. 

K.  sagt  (s.  64,  anni.  1):  'die  hs.  B  habe  ich  nicht  nacli- 
verglichen.'  Er  hat  somit  nicht  geglaubt  auf  die  hs.  zurück- 
gehen zu  müssen,  sondern  meinen  abdruck  für  völlig  zuverlässig 
gehalten  und  der  bequemlichkeit  halber  diesen  an  stelle  der 
alten,  teilweise  etwas  schwer  lesbaren  membran  benutzt.  Wenn 
nun  meine  ausgäbe  in  erster  reihe  gerade  den  zweck  hatte, 
die  redaction  mitzuteilen,  die  durch  die  hs.  B  vertreten  wird, 
so  hat  K.  also  indirect  zugegeben,  dass  mir  dies  gelungen  ist. 
Aber  anstatt  dankbar  den  vorteil  anzuerkennen,  den  er  von 
meiner  ausgäbe  gehabt,  weiss  er  nur  unfreundliches  darüber 
zu  sagen. 

Weiter:  K.  muss  meine  ausführungen  (FSS.  s.  ccxxxviii  f,) 
über  die  vier  hss,  AM,  179  und  181,  fol,  Kask  31,  4",  Stockholm 
Chart.  4(3,  fol.,  gebilligt  haben,  denn,  soweit  ich  habe  finden 
können,   sagt   er   in   seinem   aufsatz   kein   wort   über   deren 


1)  K.'s  behauptung  (s.  63),  dass  meine  ausgäbe  für  lexikograpbeu  unzu- 
reichend sei,  wird  weiter  unten  nach  ihrem  richtigen  geluilt  beleuchtet 
werden;  ich  werde  an  derselben  stelle  etwas  auf  K.'s  behauptung  (s.  03  f.) 
von  der  Unzulänglichkeit  für  grammatiker  zu  antworten  haben. 


UEBER  DIE  AUSGARE  DER  BEVERS  SAGA.        275 

bescliaffenlieit.  Es  muss  doch,  wenigstens  einigermassen,  eine 
erleichterung  für  K.  gewesen  sein,  über  diese  liss.  nicht  zu 
bericliten  zu  brauchen. 

Bloss  in  einer  hinsiclit  hat  K.  (s.  64)  anerkennen  wollen, 
dass  ich  in  meiner  ausgäbe  eine  Vorarbeit  zur  bestimmung  des 
'verhalten[s]  des  sagaschreibers  zu  seiner  vorläge'  geliefert  habe, 
nämlich  durch  die  in  der  einleitung  zu  den  FSS.  (s.  vii — xxxiii) 
gemachte  Zusammenstellung  von  formelhaften  Wendungen, 
Schilderungen  u.  dergl.,  entnommen  aus  romantischen  sagas 
(Übersetzungen  oder  freieren  bearbeitungen  von  ausländischen 
originalen).  —  Aber  ich  muss  mich  dagegen  verwahren,  dass 
K.  (s.  64)  sagt,  diese  Sammlung  sei  'nur  einer  kleineren  aus- 
wahl  von  texten  entnommen'.  Wie  man  aus  FSS.  s.  iv  anm.  2 
sieht,  ist  die  Sammlung  nach  sechs  zehn  romantischen  sagas 
gearbeitet,  darunter  der  ganzen  Karlamagnus  saga:  die  ge- 
sammte  Seitenzahl  des  (norw.-)  isl.  textes  in  diesen  sagas  be- 
trägt 1443.  Eine  besonders  grosse  Vermehrung  der  quellen 
hat  K.  dui'ch  diejenigen  nicht  zu  stände  gebracht,  die  er  s.  64 
anm.  2  (vgl.  s.  65)  als  von  ihm  weiter  excerpiert  anführt. ') 

Weiter  hat  K.  (s.  128)  nicht  umhin  können,  die  folgerung 
über  das  alter  der  Bev.  s.  anzuerkennen,  die  ich  aus  meinen 
Untersuchungen  über  die  stereotypen  gezogen  habe.  Auch  den 
Zusammenhang,  den  ich  zwischen  der  Bev.  s.  und  der  erzählung 
von  Olif  und  Landres  nachgewiesen  habe,  erkennt  K.  s.  128 
an,  wenn  er  auch,  durch  das  Studium  der  franz.  texte  belehrt, 
über  diesen  Zusammenhang  etwas  mehr  zu  sagen  weiss. 2) 


1)  In  seine  liste  ist  die  pjalar-J6ns  saga  aufgenommen,  die  aber 
als  'Ij'gisaga'  (vgl.  FSS.  s.  clxvi)  wol  kaum  verglichen  zu  werden  verdient 
hätte;  dasselbe  gilt  wahrscheinlich  von  der  Samsonar  saga  fagra  (vgl. 
Versious  nordiques  etc.  s.  90  f. ;  was  die  Islenzk  peventyri  betrifft  (die  un- 
gefähr gleichzeitig  mit  cap.  I  der  einleitung  der  FSS.  veröffentlicht  wurden), 
so  ist  nur  ein  kleinerer  teil  dieser  texte  im  stil  mit  den  romantischen 
sagas  zu  vergleichen.  K.  hat  im  übrigen  seine  ergänzungsliste  dadurch 
vervollständigt,  dass  er  vier  nummern  aufgenommen  hat,  die  bereits  zu 
meiner  liste  gehtirten :  Möttuls  saga,  Olif  ok  Landres  (als  teil  der  Karla- 
magnus s.),  Partalopa  saga,  Valvers  ]?ättr. 

'^)  Meine  Vermutung  (FSS.  ccxvi  f.),  dass  Bev.  aus  dem  französischen 
übersetzt  sei,  hat  sich  seit  dem  zugänglichwerden  der  franz.  hss.  als  richtig 
erwiesen.  Indessen  will  K.  (s.  113  f.)  den  versuch  nicht  anerkennen ,  den 
ich  (a.  a.  0.)  gemacht  habe ,  das  vorkommen  des  wertes  Frunzeisar  in  der 

1&* 


276  CEDERSCHIÖLD 

Facile  est  inventis  addere  ist  jedoch  eine  Sentenz,  deren 
berechtigung  K.  einigermassen  hätte  anerkennen  sollen.  Auch 
einer  anderen  sentenz  humanen  inhalts:  mishunnar  imm  hverr 
d  sinn  mdli  J)urfa,  hätte  sich  K.  erinnern  können,  zumal  er 
(s.  63f.)  sich  anstrengt  zu  beweisen,  dass  meine  ausgäbe  von 
Bev.  wissenschaftlichen  lesern  keineswegs  genüge  leisten 
könne.  Denn  genau  genommen  dürfte  auch  K.'s  aufsatz  den 
ansprüchen  der  Wissenschaft  nicht  genügen.  Hier  wie  in 
seinen  früheren  arbeiten  ist  K.  nämlich  zu  sehr  geneigt  zu 
übersehen,  dass  wissenschaftlichkeit  Zuverlässigkeit  und  ge- 
nauigkeit  —  oder  wie  K.  es  selbst  etwas  spöttisch  nennt: 
akribie  —  erfordert.  Obgleich  sich  meine  Untersuchung  nur 
auf  einen  kleineren  teil  der  angaben  K.'s  bezieht,  liabe  ich 
doch  eine  verhältnismässig  grosse  anzahl  fehler  in  seinem 
aufsatz  entdeckt. 


saga  s.  2R3,  20.  24  psychologisch  zu  erklären.  Gegen  K.'s  eigene  erklärungs- 
weise will  ich  bemerken,  dass  während  meine  erklärung  ans  einer  hypo- 
these  bestand,  K.'s  aus  dreien  besteht,  von  denen  jede  folgende  mit  der 
vorausgehenden  fällt.  Ich  will  meine  bedenken  gegen  eine  jede  derselben 
vorbringen:  1)  dass  C'm7e  =  Sevilla,  ist  zwar  nicht  unmöglich,  aber  durch- 
aus nicht  gewiss  (vgl.  'sicherlich'  K.);  die  geographie  ist  ja  sonst  in  der 
erzählung  sehr  phantastisch ;  2)  auch  wenn  Civile  =  Sevilla,  so  ist  es  des- 
halb noch  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  bewohner  dieser  stadt  und  ihrer 
Umgegend  von  dem  Verfasser  der  erzählung  (ca.  1250?)  für  Franzosen 
gehalten  worden  und  so  genannt  wären;  wenigstens  erscheint  Civile  con- 
sequent  als  ein  selbständiges  reich,  welches  von  einer  'Jungfrau'  regiert 
wird  und  in  keiner  Verbindung  mit  Frankreich  steht.  Ob  wirklich,  wie  K. 
(s.  l]3f.)  annimmt,  das  vorkommen  von  Frangois  in  dem  franz.  gedieht 
V.  3158  einen  tatsächlichen  beleg  für  seine  hypothese  bildet,  kann  ich  nicht 
beurteilen,  da  ich  die  franz.  stelle  nicht  im  Zusammenhang  gesehen  habe 
(dass  ich  nicht  die  ' hülfstruppen '  aus  Civile,  wie  K.  s.  114  sagt,  'vergesse', 
zeigen  meine  eigenen  worte  die  K.  übersetzt);  3)  auch  wenn  die  15000 
mann  aus  Civile  welche  unter  der  anführung  Terris  am  kämpfe  gegen  die 
beiden  teilnahmen,  vom  Verfasser  als  Franzosen  betrachtet  worden  wären, 
so  handelt  es  sich  doch  s.  203,  20.  24  keineswegs  lim  Terri  und  seine  leute; 
im  gegenteil  wird  in  diesem  Zusammenhang  der  junge  könig  von  Ägj'pten 
Guion  (z.  14)  erwähnt  und  gleich  darauf  sein  vater,  Bevers  selbst,  der  min- 
destens sieben  jähre  (s.  258,  34)  bei  dem  söhne  in  Ägypten  geweilt  hat.  Es 
erscheint  mir  demnach  immer  noch  als  das  wahrscheinlichste,  dass  der  Ver- 
fasser bei  den  kämpfen  zwischen  Christen  und  beiden  (=  Muhammedaneru) 
im  Orient  die  Christen  ohne  weiteres  mit  den  Franzosen  ('Franken')  iden- 
tificiert.  Reminiscenzen  aus  den  berichten  über  die  historischen  kreuzzüge 
konnten  dieser  Verwechslung  ja  auch  eine  gewisse  berechtigung  geben. 


UEBEK  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.        2t  t 

Ich  will  nun  einige  einzelbemerkungen  gegen  K.'s  aufsatz 
machen  und  bekomme  so  zugleich  gelegenheit  einiges  auf  diesen 
oder  jenen  der  von  K.  gegen  mich  gerichteten  angriffe  zu  ent- 
gegnen. Aber  ich  betone  ausdi-ücklich.  dass  ich  es  weder  für 
nötig  noch  geeignet  halte,  in  diesen  meinen  bemerkungen  Voll- 
ständigkeit anzustreben. ') 

Sollte  es  sich  als  wünschenswert  oder  notwendig  erweisen, 
so  kann  ich  oder  ein  anderer  ohne  Schwierigkeit  eine  ebenso 
grosse  (oder  eher  noch  grössere)  liste  von  fehlem  aufstellen. 

Zuerst  muss  ich  auf  einige  mängel  in  der  von  K.  angefer- 
tigten liste  von  Zusätzen  zu  meinem  Variantenapparat  hinweisen. 
Nur  etwa  den  zehnten  teil  dieser  liste  habe  ich  mit  den 
hss.  verglichen;  die  anzalil  stellen  jedoch,  wo  K.  entweder 
falsch  gelesen  oder  die  angaben  incorrect  formuliert 
oder  solche  ausgelassen  hat.  die  er,  um  consequent  zu  sein, 
hätte  mitberücksichtigen  sollen,  ist  nicht  so  ganz  gering.'^) 

200,  4  7  d  sollen  nach  K.'s  angäbe  die  lesart  haben  hanu 
hafdi  ■imdir  unnit  oh  lagt;  tatsächlich  haben  yö  Jiann  haföi 
undir  sik  unnit  ok  lagt.  6  riddari  om.  yö  (von  K.  nicht  ver- 
merkt). 36  ö  hat  wahrscheinlich  nicht  nü  (wie  K.  angibt), 
sondern  mJQk  (geschrieben  mi<^).  213,  60  shuld  D  (von  K.  nicht 
vermerkt).  65  hann  D  (nicht  hans,  wie  K.  behauptet).  214, 19 
skuld  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  26  hcemi  {^UcemV)  D  (nicht 
kcemiz,  wie  K.  vorgibt).  42  K.'s  angäbe,  dass  D  en  htm  hin- 
zufüge (zu  B.'s  Worten  er  hdöi  rar),  ist  fehlerhaft;  D  hat  cu 
him  var  bceöi.  45  tmer  add.  D  (nach  K.'s  formulierung  der 
lesart  von  D  erhält  man  die  bestimmte  angäbe,  dass  moer  fehlt). 


0  Besonders  muss  ich  noch  darauf  liinweisen,  dass  die  einzelbemer- 
kungen welche  K.  gegen  meine  ausgäbe  gemacht  hat,  von  mir  deswegen 
durchaus  nicht  als  ganz  oder  teilweise  begründet  anerkannt  werden,  weil 
ich  hier  nichts  zn  ihrer  entgegnung  anführe.  Wie  ich  schon  am  anfaug 
dieses  meines  aufsatzes  angedeutet  habe,  fehlte  es  mir  an  zeit,  den  ganzen 
Stoff  durchzunehmen  (es  ist  dies  nur  mit  einem  kleinen  teil  geschehen); 
ausserdem  würde  die  erörterung  verschiedener  einzelfragen  in  dieser  zs. 
mehr  räum  erfordern  als  ich  beanspruchen  kann.  Ich  muss  mich  liier  auf 
beispiele  beschränken. 

^)  Einige  derartige  fehler,  die  von  mir  schon  oben  in  einem  andern 
Zusammenhang  vermerkt  worden  sind,  übergehe  ich  hier. 


278  CEDEESCHIÖLD 

215,4  tu  om.  yd  D  (nach  K.:  om.  yö  B).i)  13  horin  om.  D 
(von  K.  nicht  vermerkt).  14  ydvart  D  (von  K.  nicht  vermerkt). 
31  i  köngs  kird  om.  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  30  C  hat 
nicht,  wie  K.  angibt,  nur  at  Jnirfti,  sondern  at  JnirfÜ  at. 
39  land  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  216,  IG  Jwat  T)  (von  K. 
nicht  vermerkt).  Icenipa  D  (nicht  shepna,  Avie  K.  behauptet). 
17  i\  Ok  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  28  ok  add.  D  (^  C; 
von  K.  nicht  vermerkt).  31  J)at  add.  D  (=  C;  von  K.  nicht 
vermerkt).  39  sd  C  (nicht  sau,  wie  K.  behauptet).  43  fd] 
nd  D  (von  K.  nicht  vermerkt).  257,  51  ok]  Hann  A  (von  K. 
nicht  vermerkt).  258, 1  varä\  nü  mjgk  add.  A  (nicht  nur  mjißc, 
wie  K.  angibt).  10  «  sunär  add.  A  (von  K.  nicht  vermerkt). 
26  i  hrottu  om.  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  27  segir  hann 
om.  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  32  Munkhrank  A  (von  K. 
nicht  vermerkt).  259,  7  sjd]  hestinn  add.  A  (von  K.  nicht  ver- 
merkt). (18  7>«]  ok  A,  aber  undeutlich;  K.  liest  7jem)  (19  liuerr] 
hvat  manna  A,  aber  undeutlich;  K.  liest  hvat  tnamii.)  25  hann] 
köngrinn  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  26  svd  reidr,  at  A  (nicht 
svd  reidr,  svd  at,  wie  es  nach  K.'s  angäbe  sein  müsste).  34  Nü 
tök  hann  A  (von  K.  nicht  vermerkt).  37  J)d  nött]  nöttina  A 
(von  K.  nicht  vermerkt).  43  Ok  einn  A  (=  /d;  nicht  Einn, 
wie  K.  behauptet).  (261, 1  f.  K.'s  angäbe  betreffs  der  lesart 
in  A  scheint  nicht  richtig  zu  sein;  statt  hinn  dr\epa],  wie 
K.  angibt,  lese  ich:  hinutn  [ült?]  gera.)  —  Dies  ist  doch  eine 
nicht  ganz  kurze  liste,  besonders  wenn  es  sich  nur  um  ein 
zehntel  des  textes  handelt. 

Die  von  K.  vergessenen  Varianten,  die  ich  hier  oben  auf- 
gezählt habe,  gehören  zwar  zu  denjenigen  welche  für  mich 
keinen  wert  haben,  aber  von  seinem  Standpunkte  hätte  K. 
diese  ebensogut  anführen  sollen,  wie  er  es  mit  hunderten  von 
anderen  derselben  art  getan  hat.  Schlimmer  ist  schon,  wenn  er 
(wie  bei  s.209,4.  213,65.  214,26.  42.  45.  215,36.  258,1.  259,26.  43) 
den  leser  durch  fehlerhafte  oder  falsch  formulierte  mitteilungen 
irreleitet;  am  schlimmsten  aber  ist  der  fehler  bei  s.  216, 16,  wo 
er  behauptet,  dass  die  schlechte  lesart  in  C  skepna  (übrigens 
in  C  undeutlich  geschrieben)  auch  D  angehören  solle. 


*)  Gewiss  ein  handgreiflicher  dnickfehler ,  aber  K.  (s.  64anra.  1)  ver- 
merkt auch  einen  solchen  {ßeir  statt  picr). 


ÜEBER  DIE   AUSGABE   DER   BEVEIiS   SAGA.  279 

Andrerseits  geht  K.  in  seinem  eifer  bisweilen  so  weit, 
dass  er  in  seiner  zusatzliste  Varianten  aufnimmt,  die  in  meinen 
fussnoten  schon  angeführt  Avorden  waren.  So  hätte  er  z.  b. 
s.  259, 13  nicht  zu  bemerken  brauchen,  dass  die  lesart  priksta- 
finn  in  yd  vorkommt;  das  habe  ich  schon  in  anm.  7  (zu  s. 259) 
mitgeteilt,  und  ich  bin  insofern  exacter  als  K.  gewesen,  als  ich 
die  Schreibweise  in  7,  welche  vielleicht  als  pilcstafinn  gedeutet 
werden  kann,  angegeben  habe. 

K.  sagt  (8.  37),  er  habe  umsonst  nach  bestimmten  kritischen 
grundsätzen  für  aufnähme  oder  verschweigung  der  einzelnen 
Varianten  in  meiner  ausgäbe  gesucht.  Ich  bezweifle  nun  keines- 
wegs, dass  es  anderen  nicht  an  der  fähigkeit  (oder  dem  guten 
willen)  gebricht,  meine  grundsätze  in  dieser  beziehung  zu  er- 
kennen. Aber  besondere  aufmerksamkeit  verdienen  doch  teil- 
weise die  beispiele,  mit  denen  K.  seine  behauptung  be- 
legen will. 

Da  sich,  wie  bekannt,  mit  völliger  Sicherheit  von  den 
Varianten  keine  aus  wähl  treffen  lässt  und  die  grenzen  immer 
eiuigermassen  fliessend  bleiben  müssen,  so  scheint  es,  als  ob 
K.,  wenn  er  seinen  lesern  die  sache  mit  einigen  wenigen  bei- 
spielen  beleuchten  wollte,  leichtes  spiel  haben  müsste.  Aber 
wenn  K.'s  tendenz  auch  aus  seiner  beispielsammlung  erhellt 
(denn  er  hält  sich  am  liebsten  an  die  grenzgebiete)  und  er 
auch  seine  beispiele  natürlich  durchaus  nicht  so  gewählt  hat, 
wie  ich  oder  ein  wolwollender  beurt eiler  sie  wählen  würde, 
um  meine  grundsätze  am  besten  zu  beleuchten,  so  verrät  er 
doch  bei  der  wähl  einiger  beispiele  eine  Unkenntnis  des  (nor- 
wegischen und)  isländischen  Sprachgebrauchs,  die  bemerkt 
werden  muss,  da  sie  sonst  irreführen  könnte. 

Eine  so  gleichgiltige  und  unbedeutende  abwechslung  ganz 
gewöhnlicher  synonyme  wie  drla\  snemmu,  liardlu]  stötiiga, 
hestr]  ess  hält  K.  für  ebenso  wichtig  wie  z.  b.  folgendes: 

231,64  hat  mein  textcodex  (B)  forrcd;  der  gebrauch  des 
verbs  forruöa  ist  in  einer  so  alten  isländischen  lis.  beson- 
ders auffallend  (vgl.  Fritzners  Wörterbuch,  Yigfussons  Dict.); 
entweder  stammt  es  aus  einem  norwegischen  archet3'pus, 
oder  auch,  wenn  es  als  isländisch  zu  gelten  hat  (zuerst  ge- 
braucht von  dem  Schreiber  von  B  oder  sogar  von  seiner 
nächsten  vorläge),  ist  die  stelle  merkwürdig  als  ältester  beleg 


280  CEDERSCHIÖLD 

für  das  vorkommen  des  Wortes  im  isländisclieii;  jedenfalls  lag 
mir  daran  darauf  hinzuweisen,  dass  forrcö  in  der  hs.  C  nicht 
vorkommt,  sondern  dass  diese  hs.  das  gewöhnliche  isl.  wort 
sveih  hat,  232,  53  hat  B  Bihilant^  hröölr  ydvarr,  var  ])ar 
(d,  h.  i  Icastdlanum  Äbilant)  inui  Icestr  oh  allt  lians  f6lh\  inni 
Icesa  bedeutet  liier  'cernieren',  ein  gebrauch  des  verbs,  wie 
ich  ihn  an  keiner  anderen  stelle  gefunden  habe;  und  da  B 
an  der  entsprechenden  stelle  vorher  (232,  31)  luJdr  hat,  d.  h. 
den  ausdruck  den  man  am  ehesten  auch  232,  53  erwartet  hätte, 
so  dient  der  hinweis  darauf,  dass  hildr  die  lesart  von  C  an 
der  letzteren  stelle  ist,  dazu,  die  autorität  der  überraschenden 
lesart  Iccstr  zu  schwächen.') 

Auch  in  anderen  fällen  ist  K.  mit  seinen  beweisen  für 
meine  vermeintliche  principienlosigkeit  weniger  glücklich.  Ob- 
gleich er  (s.  38)  erwähnt,  dass  ich  für  den  abschnitt,  wo  auch 
A  zur  Verfügung  steht  (s.  257 — 60),  erheblich  reichere  Varianten 
mitteile  [natürlich  weil  das  fragment  A  das  älteste  ist,  was 
vom  hss,-material  der  saga  aufbewahrt  geblieben  ist],  so  wun- 
dert er  sich  doch  kurz  vorher  (s,  37)  darüber,  dass  ich  gerade 
auf  den  genannten  selten  solche  Varianten  anführe,  die  ich 
sonst  übergehe.  —  Und  wenn  es  sich  darum  handelt,  ob  Ivo- 
rius  15  oder  12  unterkönige  hatte  und  ob  das  gefolge  Bran- 
damons  aus  300  oder  4000  mann  bestand,  so  dürften  das  doch 
wol  Varianten  von  grösserer  bedeutung  sein,  als  bei  der  frage 
dai^nach,  ob  Bevers  11  oder  12  ritter  angriffen. 

K.  führt  (s.  38)  drei  stellen  in  meiner  ausgäbe  an,  wo  ich 
durch  zu  grosse  knappheit  (oder  unvollständige  formulierung) 
in  meinem  Variantenapparat  'den  arglosen  benutzer  irreführe". 
Ich  bedaure  diese  irrtümer  sehr  und  brauche  zu  meiner  ent- 
schuldigung  wol  nur  anzuführen,  dass  sich  solche  irrtümer 
leicht  einschleichen  können.  In  dem  zehntel  der  zusatzliste 
K.'s,  welches  ich  soeben  untersucht  habe,  habe  ich  neun  solcher 


')  Was  den  Wechsel  von  järnvidjum]  järnrekendiim  betriift,  sei  daran 
erinnert,  dass  beide  Wörter  von  besonderem  interesse  sind  —  järnridjar 
eigentlich  eine  katachresis,  järnrekcndr  durch  flexion  —  und  dass  keines 
von  diesen  beiden  werten  so  allgemein  vorkommt,  dass  der  hinweis  auf 
ihren  synonymen  gebrauch  unnötig  erscheinen  könnte.  Die  anführnng  der 
Variante  pälmari  \o\i  jnlagrmr  ist  offenbar  dadurch  motiviert,  d&ss  jiälmari 
weniger  in  dieser  bedeutung  vorkommt. 


UEBER   DIE    AUSGABE   DER   BEVERS   SAGA.  281 

felller  nachgewiesen.  Lächerlich  ist  es  aber,  dass  K.  betreffs 
einer  der  drei  stellen,  bei  denen  er  meine  nachlässigkeit  tadelt, 
selbst  den  nämlichen  fehler  begeht.  Nach  meiner  angäbe  in 
anm.  14  zu  s.  257  hätten  Xyd  die  Avortfolge:  sem  sjdlfr  vilt  Jm 
hufa;  und  K.  behauptet,  dass  A/d  die  Wortfolge  haben:  scm 
pi(  vilt  sjdJfr  hafa.  Tatsache  ist  aber,  dass  wir  beide  verall- 
gemeinert haben:  die  von  mir  angegebene  Avortfolge  gehört 
Avirklich  der  alten  pergamenths.  A  an,  die  von  K.  angeführte 
dagegen  den  jüngeren  papierhss.  yd.  Sein  befremden  über 
•die  bemerkenswerte  Wortstellung',  welche  A  hier  bietet,  mag 
K.  also  selbst  verantworten;  wenn  er  das  citat  aus  der  Tröju- 
mannasaga,  welches  er  in  seinem  aufsatz  s.  117  anführt  (srd 
mikit  fc,  scm  sjdlfr  hann  vill),  verglichen  hätte,  so  wäre  sein 
befremden  vielleicht  geringer  gewesen. 

K."s  listen  (s.  40 — 60)  der  stellen  wo  diese  oder  jene  hs. 
mit  den  franz.  (bez.  engl,  oder  celt.)  texten  näher  überein- 
stimmt, würden  wahrscheinlich  bedeutend  modificiert  werden, 
wenn  sie  einer  gründlichen  revision  unterzogen  würden.  Schon 
oben  habe  ich  darauf  hingewiesen,  dass  K.  (trotz  seines  Vor- 
behaltes auf  s.  60)  "das  schwanken  zwischen  eigennamen  bez. 
titeln  . . .  und  i)ersonal[)ronominibus  der  dritten  person  oder 
sonstigen  allgemeinen  bezeichnungen'  oft  als  beweiskräftig 
anführt.  Aber  der  leser  findet  leicht,  dass  auch  andere  ziem- 
lich unwesentliche  Wechsel  zwischen  den  isl.  liss.  (abweichungen, 
wie  sie  sich  jeder  Schreiber  in  älterer  zeit  zu  erlauben  pflegte) 
als  beweise  gelten  dürfen;  daher  wird  einem  der  wert  von 
bemerkungen  wie  z.  b.  auf  s.  40  ff.  no.  2.  6.  9.  23.  26.  45.  89. 
134.  137.  142.  144.  150.  162.  171.  205.  206   recht   zweifelhaft. 

Völlig  verunglückt  dürften  K.'s  'beweise'  aber  in  folgenden 
fällen  sein. 

No.  20  behauptet  K.,  dass  die  lesart  dylja  yd  dem  ccler 
des  französischen  textes  besser  entspricht  als  sijnja  B;  er  hat 
übersehen,  dass  die  beiden  isl.  verben  in  der  hier  angewanten 
construction  (mit  object-nebensatz)  ganz  synonym  sind  (vgl. 
z.  b.  Fritzner).  —  No.  25  sagt  K.  von  der  lesart  in  I):  hdls- 
hQijgva,  sie  sei  'eine  genaue  Übersetzung  vom  franz.  v.  324 
decoler;  die  anderen  hss.  haben  das  seltene  wort  in  verschie- 
dener weise  geändert'.  B  hat  jedoch  ho<j(jvu,  was  eine  ebenso 
'genaue   Übersetzung'  ist,  wie  halshggyva,  wenn  es  die  hier 


OÖ-7 


CEDERSCHIÖLD 


vorkommende  constructiou  (blosses  personalobject  im  acc.)  hat; 
vgl.  Fritzner  22, 176.  —  No.  73.  Wenn  K.  behauptet,  dass 
(Iniga  üt  sceröit  dem  franz.  trere  le  hrauuc  besser  entspricht 
als  hregda  sinu  svcröi  B,  so  muss  er  wol  (weil  er  zugleich  das 
engl,  is  swerd  out  teilte  citiert)  meinen,  dass  draga  üt  besser 
als  hn'(jöa  dem  trere  (=^  talce  out)  entspreche.  ^\'eiss  K.  denn 
nicht,  dass  draga  üt  und  hregda  völlig  synon3'm  sind?  Der 
unterscliied  ist  nur  der,  dass  hregda  der  allgemeinere  und 
ältere  ausdruck  ist.  ■ —  Xo.  7(5.  Wenn  sich  K.  vorstellt,  dass 
Xnnnar  C  dem  franz.  inkcs  besser  entspricht  als  pilur  B,  so 
kommt  das  wol  daher,  dass  er  nur  von  Vigfussons  (unvoll- 
ständigen) angaben  über  püa  kenntnis  genommen,  aber  nicht 
bei  Fritzner  2  oder  in  Jon  porkelssons  Suppl.  2  nachgesehen 
hat ;  dass  er  vom  gebrauch  auf  die  bedeutung  schliessen  könne, 
wie  es  diese  beiden  lexikographen  getan  haben,  wäre  wol  zu 
viel  verlangt. 

Ob  einige  der  bei  K.  s.  52 — 60  vorkommenden  bemerkungen 
(wie  die  hier  oben  von  s.  41  und  44  angeführten)  von  seiner 
ungenügenden  kenntnis  des  (norwegisch-)  isländischen  stammen, 
habe  ich  nicht  untersucht. 

Ich  komme  nun  zu  K.'s  versuch  (s.  63),  zu  beweisen,  dass 
meine  ausgäbe  für  lexikalische  zwecke  nicht  hinreichend 
sei.  'Der  lexikograph',  sagt  K.,  'hat  Ursache,  sich  zu  beklagen, 
dem  der  herausgeber  u.  a.  folgende  ccjtag  Xeyögtva  oder  wenig- 
stens sonst  selten  vorkonmiende  worte  in  C  verschwiegen  hat', 
und  dann  folgt  eine  liste  von  12  Wörtern. 

Diese  behaui)tung  K.'s  und  sein  beweismaterial  sind  in 
hohem  grade  beachtensAvert;  es  ist  wirklich  der  mühe  wert 
dieselben  zu  untersuchen. 

Zunächst  findet  man  durch  vergleich  mit  K.'s  eigner  zusatz- 
liste, dass  von  den  12  Wörtern  nicht  weniger  als  8')  gar  nicht 
der  hs.  C,  sondern  vielmehr  den  papierhss.  yd  (einer  oder 
beiden)  entnommen  sind.  Dies  ist  ja  schlimm  genug  —  aber 
vielleicht  ist  in  K.'s  aufsatz  'in  C  nur  ein  druckfehler  statt 
'in  7,  6  oder  C? 

Und  wie  verhält  es  sich  mit  der  grossen  Seltenheit  der 

')  einvirdätga,  fgÖurarfr,  hjartanliga,  ncerMoeÜi,  smänarligr,  ühvän- 
gaÖr,  väpnagangr,  vcegÖarlauss. 


UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.        283 

von  K.  aufg-ezälilten  12  Wörter?  Von  vornherein  muss  man 
ja  staunen  über  die  ausserordentliche  gek^hrsamkeit,  auf  wekdie 
K.  anspruch  machen  muss,  um  eine  solche  behauptung  wagen 
zu  dürfen.  Sonst  ist  noch  kein  nordischer  philologe  im  stände 
gewesen,  eine  so  positive  angäbe  zu  machen,  eine  so  grosse 
anzahl  Wörter,  welche  so  jungen  prosatexten  entnommen,  und 
ausserdem  (so  gut  wie  alle)  Zusammensetzungen  oder  ableitungen 
von  ganz  gewCdinlichen  einfachen  Wörtern  sind,  seien  '«jr«^ 
Xtyöf/n'a  oder  wenigstens  selten  vorkommend'. 

Zur  beurteihmg  solcher  Verhältnisse  reichen  natürlich,  wie. 
jeder  nordische  philologe  weiss,  die  Wörterbücher  nicht  aus; 
dieselben  sind  ja  schon  in  bezug  auf  die  gedruckte  literatur 
sehr  unvollständig  und  nehmen  nur  ausnahmsweise  auf  die 
vielen  isl.  texte  rücksicht,  welche  noch  ungedruckt  sind; 
ebensowenig  hat  man  recht  zu  behaupten,  dass  unsere  Wörter- 
bücher die  Wörter  des  heutigen  isländischen  aufnehmen,  welche 
aus  alter  zeit  stammen,  obgleich  sie  zufällig  nicht  gedruckt 
oder  geschrieben  auftreten. 

So  eine  ganz  ausserordentliche  kenntnis  der  gedruckten 
und  ungedruckten  quellen,  sowie  des  heutigen  isländischen,  die 
erforderlich  wäre,  um  die  Wörterbücher  vervollständigen  zu 
können  —  besitzt  K.  wirklich  eine  solche?  0  nein,  er  hat  es, 
wie  wir  sehen  werden,  nicht  einmal  verstanden,  von  allen  an- 
gaben der  Wörterbücher  vollständig  kenntnis  zu  nehmen.  Und 
er  liat  eine  so  geringe  erfahrung  im  gebrauch  der  Wörter- 
bücher, dass  er  z.  b.  dröttinsvihi  und  f\)durarfr  als  'selten'  an- 
führt, obgleich  er  selbst  von  beiden  sagt,  sie  seien  vorher  schon 
'viermal  belegt'!  Diese  beiden  Wörter  sind  ja  zusammengesetzt 
aus  wolbekannten  bestandteilen,  deren  bedeutung  völlig  klar 
und  ohne  Wechsel  ist;  unter  solchen  umständen  pflegt  weder 
Fritzner  noch  Vigfusson  mehr  als  ein  paar  belegstellen  anzu- 
führen; wer  glaubt,  dadurch  sei  bewiesen,  dass  das  wort  in 
der  literatur  nicht  öfter  vorkomme,  der  zeigt  nur  seine  eigene 
Unwissenheit.  •) 

A'on  besonders  grossem  Interesse  wäre  es,  zu  erfahren, 
welche  von  diesen  Wörtern  K.   als  ajra§  Xeyöfitva  betrachtet 


«)  Das    wort   drötihisviki   kommt    z.  b.   vor   FSS.  47,  16.  68,  36   (vgl. 
anm.  23;. 


284  CEDERSCHIÖLD 

hat;  nach  seinen  einleitenden  Worten  erwartet  man,  dass  die 
mehrzalil  der  Wörter,  die  er  anfülirt,  äjta^  Xhyö^ifva  sein  sollten, 
d.  h.  dass  manches  von  ihnen  vorher  ganz  unbekannt  sein  solle 
und  nur  an  der  stelle  in  hs.  C  [oder  richtiger:  C,7,d]  zu  treffen 
sei,  welche  er  citiert. 

Man  ist  daher  erstaunt,  zu  finden,  dass  er  sich  gleich  selbst 
widerlegt,  da  er  sie  offenbar  in  den  Wörterbüchern  alle  auf- 
gefunden hat  ausser  einem  —  hjartanliga  —  welches  sich 
übrigens  nicht  in  C,  sondern  in  yd  findet.  Und  leider  kann 
K.  auch  diesem  einzigen  nicht  das  teure  recht  vindicieren, 
äjiu^  Xi-yöf/tvov  zu  sein:  Jon  porkelsson,  Suppl.  2,  führt  zwei 
belegstellen  an  aus  den  jähren  1599  und  1601  (also  ältere  als 
yd);  derselbe  Verfasser  hat  im  Suppl.  3  drei  beispiele  für  das 
wort  aus  neuester  zeit;  ferner  treffen  wir  das  wort  an  bei 
Gislason  (dänisch -isländisches  Wörterbuch  unter  hjcrtelig),  bei 
Erik  Jonsson,  sowie  sogar  bei  Yigfusson. 

Das  wort  ühvmigaör  scheint  K.  (zwar  nicht  als  ein  äji. 
Xty.,  aber)  als  ein  ölg  Zty.  hinstellen  zu  wollen,  da  er  zu  ver- 
stehen gibt,  dass  sich  das  wort  ausser  in  Bev.  (yd,  nicht  C) 
nur  einmal  nachweisen  lasse:  ^bei  Vigf.  einmal  belegt'.  Jedem, 
welcher  einige  isländische  sagas  gelesen  hat,  kommt  die  an- 
gäbe, ükvdngadr  solle  so  äusserst  selten  sein,  ohne  zweifei  sehr 
überraschend.  Aber  weshalb  verschweigt  K.  das  wort  welches 
Vigf.  unmittelbar  nach  der  belegstelle  hinzufügt:  'passim^'^ 
Wenn  K.  die  sache  auch  besser  beurteilen  zu  können  glaubt, 
als  Vigf.,  so  hätte  er  die  äusserung  Vigfussons  doch  loyaler- 
weise mitteilen  müssen.  Uebrigens  hätte  K.  das  wort  bei  L. 
Larsson,  Ordförrädet  i  de  älsta  isl.  liss.  zweimal  aus  dem  Stock- 
holmer Homilienbuch  citiert  finden  können. 

Ueber  die  anderen  acht  Wörter  werde  ich  mich  kürzer 
fassen. 

hrddllgr,  vgl.  Erik  Jonsson.  —  einvirdiliga  oder  einviröu- 
liga,  vgl.  Björn  Halldörsson,  Erik  Jonsson,  Vigfusson,  Isl.  ?even- 
tyri  (Glossar),  dürfte  262,6  {yd)  nicht  bedeuten  'im  einzelnen, 
besonders',  sondern  'mit  fleiss,  genau'  (=  vandliga  B);  vgl. 
übrigens  innvirdlliga  {-dul-).  —  hreystiverk,  vgl.  Björn  Halldorss., 
Erik  Jonsson.  —  ncerklcedi  {yö)  ist  wahrscheinlich  eine  corruptel 
der  vorläge  (vgl.  var  Tdoedi  BC);  oder  hält  es  K.  für  wahrschein- 
lich, dass  Bevers  dem  gesanten  der  prinzessin  seine  unter- 


UEBER  DIE  AUSGABE  DER  BEVERS  SAGA.        285 

kleider  geben  und  dieser  sie  dann  (vg-l.  221,3 — 5)  der  Prin- 
zessin vorzeigen  würde?  Karllcedi  ist  übrigens  nicht  'nur  bei 
B.Halldurss.  erwälint',  vgl.  Erik  Jonsson;  Jon  porkelsson,  Suppl.3. 
—  skadligy,  vgl.  Björn  Halldurs.,  Erik  Jonsson;  vgl.  auch  sla- 
Öaligr.  —  smdnarligr  {yd),  vgl.  Jon  porkelsson,  Suppl.  2  (zwei- 
mal vom  jähre  1599  belegt).  Suppl.  3.  —  vdpnagangr  (y6); 
ausserdem  zweimal  belegt  bei  Fritzner 2;  vgl.  auch  FSS,  188, 1; 
K.'s  Übersetzung  'waff engeklirr'  dürfte  kaum  richtig  sein,  eher 
wörtlich:  ' Waffenbewegung'.  —  vmjäarlauss  (yd)  kann  nicht 
gut  'selten'  genannt  werden:  es  wird,  um  von  Egilssons  poeti- 
schen beispielen  zu  geschweigen,  bei  Fritzner  2  und  Vigf.  als 
adj.  vier-  (oder  fünf-)  mal  belegt,  und  ausserdem  wenigstens 
viermal  im  neutr.  als  adv. 

Auf  wie  nichtige  gründe  K.  seine  behauptungen  von  dem 
vermeintlichen  verlust  des  lexikographen  gebaut  hat,  wird 
durch  das  vorstehende  einigermassen  dargetan  sein. 

Etwas  unklar  ist  K.'s  Standpunkt,  wenn  er  (s.  63  f.)  mich 
deshalb  tadelt,  dass  ich  an  vier  stellen  wo  B  'merkwürdige 
Satzfügungen'  bietet,  nicht  die  entsprechenden  lesarten  aus  C 
oder  yd  vorgelegt  habe,  die  in  grammatischer  (syntaktischer) 
hinsieht  ganz  regelmässig  sind.  Nach  dem  was  K.  an  andrer 
stelle  (s.  106)  über  eine  dieser  stellen  (s.  248,  34  f.)  äussert  — 
'die  ganz  unmögliche  satzconstruction'  —  scheint  er  mit  'merk- 
würdigen satzfügungeu'  solche  zu  meinen,  die  nur  von  lapsus 
calami  herrühren  und  also  hätten  corrigiert  werden  müssen. 
Diese  'merkwürdigen  satzfügungeu'  sind  folgender  art: 

S.  214, 13.  Der  nachsatz  wird  mit  ok  (statt  ^J«)  eingeleitet; 
s.  73  scheint  K.  diesen  gebrauch  des  oJc  schon  etwas  w^eniger 
'merkwürdig'  zu  finden.') 

S.  265, 40.  Anakoluthie :  nach  dem  conjunctionalsatze  steht 
im  hauptsatze  das  verbum  nach  dem  subject. 

S.  248,  34  f.  l^nvermittelter  Wechsel  der  subjecte  in  drei 
aufeinander  folgenden  Sätzen  (A — B — A);  honum  —  hann  —  ho- 
nian  bezeichnen  dabei  diesell)e  person. 

.S,  256,  49  f.    Partitive  apposition;  vgl.  K.  s.  116. 

K.  hätte  in  demselben  Zusammenhang  s.  216, 39  erwähnen 


')  Eine  gute  beispielsaniinluiig  für  diesen  sprachgebraucli  tiudtl  sieb 
bei  Fritzner  2»,  8&(j. 


286  CEDERSCmÖLD 

können,  "\vo  die  lesart  in  B  eine  etwas  ungenaue  anwendung- 
des  prononiens  J)cir  enthält,  das  hier  nicht  alle  die  vorher- 
genannten (ritter)  bezeichnet,  sondern  gleichbedeutend  ist  mit 
})eir  IUI,  er  eptir  liföu  C  D.  Die  lesart  in  B  nennt  K.  s.  42, 
no.  20  'sinnlos'. 

Dass  solche  lesarten  keineswegs  unbedingt  corruptelen  in 
B  zuzuschreiben  sind,  hätte  K.  z.  b.  aus  s.  216,  32  f.  ersehen 
können:  hier  hat  nicht  nur  B,  sondern  auch  C  und  Ü  Ijessir 
fjörir  menn  =  'vier  von  diesen  männern'.  Auch  diese  stelle 
nennt  K.  (s.  75)  'ganz  unverständlich'. 

K.  hat  offenbar  nicht  genügend  bedacht,  dass  der  altislän- 
dische prosastil  nicht  an  der  modernen,  schulgerechten,  logischen 
und  correcten  ausdrucksweise  gemessen  werden  darf,  sondern 
dass  er  sich  eng  an  die  freie  und  ungezAvungene,  ja  zuweilen 
nachlässige  Umgangssprache  anschliesst. ')  Wenn  von  zwei  liss. 
mit  gleichem  text  die  eine  den  logisch  correcteren  ausdruck 
hat,  so  darf  man  sie  doch  nicht  eo  ipso  für  die  ursprüng- 
lichere halten. 

Was  besonders  die  fälle  von  incongruenz  (partitive  appo- 
sition  u.dgl.)  betrifft,  welche  in  den  von  K.  getadelten  fällen 
vorkommen,  so  kann  man  vergleichen:  Lund,  Oldn.  ordf.  §  59 
anm.  3.  Holthausen,  Altisl.  elementarbuch  §  396  a;  verschiedene 
beispiele  in  den  artikeln  flestr  und  sumr  bei  Fritzner  2.  Einige 
interessante  altschwedische  beispiele  eines  solchen  Sprach- 
gebrauchs habe  ich  aus  der  ältesten  reimchronik  ('Erikskrö- 
nikan')  v.  1651.  1682.  2345.  3216.  4168  verzeichnet. 

S.  64  anm.  bringt  K.  fünf  besserungen  eines  aus  hs.  C  in 
meiner  ausgäbe  abgedruckten  Stückes.  2)  Von  diesen  ist  peir 
(für  ]>ier)  ein  correcturfehler,  welcher  kaum  jemand  irreführen 
kann;  yiorazt  ist  dagegen  durchaus  nicht  aus  'versehen'  für 
herausgeschrieben  worden:  C  liat  hier  (fast,  und  ich  habe  die 
Verkürzung  nach  der  schieibweise  der  hs.  in  unverkürzten 
formen  des  verbs  aufgelöst.  Die  behauptung  K.'s,  C  hätte 
s.  219, 9  (O/i)  svo  sem  statt  (Ok)  sem,  habe  ich  bei  erneuter 
Prüfung  der  stelle  in  der  hs.  nicht  richtig  befinden  können. 


')  Vgl.  Lund,  Oldnord.  ordfejningslsere  §  187.  Holthauseu,  Altisl.  ele- 
mentarbuch §  514. 

*)  'Die  wenigen  in  ahsclmitt  I  gesperrt  gedruckten  besserungen',  von 
welchen  K.  in  derselben  anmerkung  spricht,  habe  ich  nicht  geprüft. 


UEBER  DTE  AÜSGAHE  DER  BEVERS  SAGA.        287 

Dagegen  will  ich  die  mögliclikeit  nicht  in  al)rede  stellen, 
dass  z.  34  //  über  der  zeile  geschrieben  stehen  kann,  auch  nicht 
die  richtigkeit  bestreiten,  dass  z.  40  rcidu  (nicht  reid)  aus- 
geschrieben ist;  aber  K.  hätte  hinzufügen  sollen,  dass  Jj"  — 
wenn  es  wirklich  so  dasteht  —  schmal  wie  ein  strich  ist,  so 
dass  man  die  bedeutung  aus  dem  Zusammenhang  erraten  muss, 
sowie  dass  das  r  in  rcidn  fast  ganz  abgenutzt  ist. 

Man  sieht,  dass  K.  auch  in  solchen  kleinigkeiten  die  feind- 
liche tendenz  verrät,  auf  deren  Vorhandensein  in  wichtigeren 
fi"agen  ich  hingewiesen  habe  und  welche  —  nebst  zahlreichen 
Irrtümern  —  seinen  sonst  in  mehrfacher  hinsieht  lehrreichen 
aufsatz  verunstaltet. 

GÖTEBORG,  Januar  1897.  G.  CEDERSC'HIÖLD. 


GRAMMATISCHES  UND  ETYMOLOGISCHES. 

I. 
Zum  ablaiit  der  set -wurzeln. 

Das  ziel  und  die  aufgäbe  jeder  Wissenschaft  muss  es  sein, 
Ordnung-  in  die  fülle  der  ersclieinungen  zu  bringen.  Dies  kann 
nur  geschehen  mit  hilfe  von  hypothesen,  deren  wert  nach  dem 
umfang  dessen  zu  bemessen  ist,  was  sie  ordnen  und  was  sie 
erklären.  Das  hauptproblem,  das  sich  jetzt  der  indogermani- 
schen Sprachwissenschaft  bietet,  ist  die  darlegung  und  erklärung 
des  ablauts,  und  man  kann  wol  behaupten,  dass  wir  in  diesem 
punkte  mder  in  einer  neuen  zeit  stehen.  Auf  die  ei)0che,  in 
der  das  ablautssystem  A'erhältnismässig  sehr  einfach  angesetzt 
wurde,  ist  eine  reaction  gefolgt,  deren  berech tigung  nicht  zu 
verkennen  ist.  Denn  es  stellten  sich  immer  mehr  tatsachen 
ein,  die  sich  nicht  in  das  alte  einfache  Schema  einfügen  Hessen, 
und  so  hat  man  sich  in  der  letzten  zeit  auf  die  feststellung 
der  vorhandenen  ablautsformen  beschränkt  und  dabei  auf  jede 
hypothese  verzichtet.  Als  typisches  beispiel  für  diese  art  kann 
Noreens  Urgermanische  lautlehre  gelten,  deren  grundgedanken 
im  wesentlichen  auch  Brugmann  in  der  neuen  bearbeitung 
seines  grundrisses  gefolgt  ist.  Die  ungeahnte  erweiterung 
unserer  erkenntnis  aber,  die  wir  mit  dem  Verständnis  der 
litauisch -slavischen  accentqualitäten  und  mit  der  aufhellung 
der  dehnstufe  gewonnen  haben,  ermöglicht  es,  auch  in  der  lehre 
vom  ablaut  weiterzukommen. 

Ich  habe  meine  anschauungen  über  diese  dinge  IF.  7, 138  ff. 
185  ff.  niedergelegt,  und  habe  bisher  keinen  punkt  gefunden, 
der  mich  veranlassen  könnte,  von  dem  dort  gesagten  abzugehen. 
Das  dort  ausgeführte  ist  indessen  nur  ein  kurzer  abriss,  bei 
dem  ich  das  material  nur  in  massigem  umfange  anführen  konnte, 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  280 

und  dalier  will  ich  es  versuchen,  nunmehr  auf  dem  boden  der 
einzelsprache  vorzugehen,  um  hier  neue  beispiele  anzuführen, 
alte  in  neue  beleuchtung-  zu  rücken.  Es  handelt  sich  hier  in 
erster  linie  um  die  altindischen  udätta-  oder  set-  (sait-)  wurzeln, 
die  man  auch  kui'z  die  zweisilbig^en  zu  nennen  pfleg-t,  ein  aus- 
druck  der  aber  besser  zu  vermeiden  ist,  da  er  zu  misverständ- 
nissen  führt. 

Zum  Aveiteren  Verständnis  widerhole  ich  hier  kurz  die 
g:rundgedanken  meiner  auffassuug-,  deren  begründung-  ich  in 
jenem  artikel  nachzulesen  bitte. 

Es  gibt  im  indischen  zahlreiche  wurzeln,  die  hinter  der 
Wurzelsilbe  ein  /  =  indog.  d  aufweisen.  Da  aber  Hübschmann 
in  seinem  Indog.  vocalsystem  schon  vor  jähren  nachgewiesen 
hat,  dass  indog.  a  nur  die  Schwundstufe  eines  langen  vocals 
ist  (wovon  auch  trotz  Bartholomae,  BB.  17, 108  ff.,  nicht  abzu- 
gehen ist),  so  müssen  wir  für  die  vollstufen  der  lautgruppen 
ei'd,  eh,  emd,  end,  eio,  eud  (ai.  ari,  ami  u.s.  w.)  notwendig  erä', 
elä'  U.S.W,  ansetzen.  Von  diesen  beiden  silben  musste  not- 
wendig eine  immer  reduciert  werden.  Lag  der  ton  auf 
der  ersten,  so  trat  als  erste  vollstufe  er9,  eh,  emd,  end,  eia,  m9 
ein;  als  zweite  erscheint  {e)rä',{e)lä'=  u.s.w.,  wobei  das  e  einen 
gemurmelten  oder  tonlosen  vocal  bezeichnet,  der  zum  teil  steht, 
zum  teil  fehlt,  was  sich  zweifellos  nach  betonungsverhältnissen 
richtete.  Beide  vollstufen  sind  auch  im  germanischen  vor- 
handen, wobei  zu  bemerken  ist,  dass  das  d  der  ersten  unter 
unbekannten  bedingungen  auch  fehlt. 

Als  Schwundstufe  solcher  set -wurzeln  setzt  man  bisher 
r,  l,  m,  n,  f,  a  an.  A.  a.  o.  habe  ich  mich  gegen  die  vier  ersten 
formen  erklärt,  und  an  deren  stelle  mit  Joh.  Schmidt  ero,  eh, 
emd,  end  erschlossen,  die  im  germanischen  als  iir,  ul,  um,  un 
auftreten. 

Aber  auch  hier  gibt  es  eine  zweite  Schwundstufe.  Wie 
nämlich  in  der  lautgruppe  ercV  das  e  stehen  und  fehlen  kann, 
so  ist  es  auch  mit  crd  u.  s.  w.  der  fall,  neben  denen  sich  rd,  h, 
md,  nd,  p,  ud  finden,  wenn  auch  nicht  allzuhäufig.  Diese  zweite 
Schwundstufe,  die  im  germanischen  als  ra,  la  u.s.w.  erscheinen 
müsste,  ist  bisher  schwach  belegt.  A.  a.  o.  habe  ich  angeführt 
mhd.  hraye  zu  lit.  yürkli  (acc),  s.  yrlo,  gr.  ßißQcooxco,  ahd.  chranuh 

KeltrHKo  zur  ((e^cliiohte  der  deutschen  upriiohe.     XXlIl.  19 


290  HIRT 

zu  gl",  ytgavoq,  lit.  gerve,  mhd.  sivacJi  zu  got.  shüis.  Unten  werde 
ich  weitere  fälle  geben. 

Wie  man  in  früheren  Zeiten  bei  etymologieu  die  vocale 
niclit  genügend  beachtete,  so  fehlt  bis  zum  heutigen  tag  eine 
genügende  soi-gfalt  in  der  vergleichung  ein-  und  zweisilbiger 
Avurzeln.  Auf  grund  von  Osthoffs  ansatz  einer  nebentonigen 
tiefstufe  (MU.  4)  hält  man  sich  für  berechtigt,  worte  mit  i  und  i, 
u  und  ü  ohne  weiteres  zu  vergleichen. 

Statt  dessen  sollen  uns  hier  folgende  principien  leiten. 
Anit-  und  set -wurzeln  müssen  auf  das  genaueste  unterschieden 
Averdeu.  i  und  ü,  die  sogenannten  r,  /,  m,  n  sind  nur  Schwund- 
stufen der  set -wurzeln,  i,  u,  r,  l,  in,  n  dagegen  gehören  zu 
anit-wurzeln.  Allerdings  wecliseln  auch  i  und  u  mit  I  und  n, 
aber  doch  nur  so,  dass  i  und  u  weitere,  in  enklitischer  Stellung 
entstandene  ablautsformen  sind  (neben  Jdutös  steht  ein  ^so- 
xXvTog). 

Es  kommt  nun  vor  allem  darauf  an,  die  mittel  zu  kennen, 
die  es  uns  ermöglichen,  die  set -wurzeln  genau  festzulegen. 
Dazu  dient  das  indische  mit  seinem  -i,  das  lit.-slavische  mit 
seinem  stosston  {hernas  zu  ai.  hharlman,  gerti,  giirldi  zu  gr. 
ßißQcööxco),  das  griechische  und  lateinische,  wo  der  zweite 
vocal  erhalten  ist.  Ebenso  wird  eine  set-wurzel  erwiesen, 
wenn  sich  die  stufe  II  ^9?«^,  trä'^  (gr.  ßißQcöoxoj  u.s.  w.)  findet. 

Auf  grund  dieser  Voraussetzungen  bitte  ich  das  folgende 
zu  prüfen. 

A.   Die  zweite  vollstufe  trä,  ptä. 

Ich  werde  im  folgenden  das  alte  material  sowie  eine  reihe 
neuer  etymologien  zusammenstellen.  Im  indischen  lauten  fast 
alle  set-wurzeln  vocalisch  aus.  In  den  europäischen  sprachen 
finden  wir  dagegen  häufig  Weiterbildungen  mit  consonantischen 
dementen,  die  man  als  wurzeldeterminative  bezeichnet  hat. 
Ich  bin  der  ansieht,  dass  es  sich  hier  um  suffixale  Weiter- 
bildungen handelt,  und  werde  versuchen,  dies  im  einzelnen  falle 
zu  begründen,  soweit  es  mir  möglich  ist. 

Got.  7twö/>s  f. 'geschlecht',  nhd.  chmiat,  ?Lgs.cnösl,  as.hiösal, 
ahd.  chnuosal  enthalten  die  stufe  hnU,  die  die  zweite  vollstufe 
ist  zu  der  indog.  wurzel  gcne,  genö.     Vgl.  ai.  aor.  djani-shla 


GRAMM ATISCiHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  291 

V.,')  tutjani-shydHY.,  xevh.jani-tös  Y.B.S.,  \)M't.  jä-tds,  jnä- 
tish  'verwanter'  (dieses  entspricht  dem  germanisclieii  worte 
ganz  genau),  gv.  t-ytvö-iit^v,  yei't-TcoQ,  lat.  geni-tor,  gr.  yi'7'jöiog, 
yvcüTÖc;  lat.  nätiis  und  nätio  enthalten  die  Schwundstufe  -eno, 
got.-kunds,hhHinahinds  u.s.  w.  Schwierig  ist  das  s  von  Jinuo- 
sal  Uhlenbeck  (Et.  wb.)  deutet  es  aus  Vcnöt-tlom.  Das  ist 
aber  unmöglich,  denn  -tlo-  ist  doch  kein  secundärsuffix,  und  es 
ist  daher  suffix  -sJa-  anzusetzen,  vgl.  got.  ])reihsl,  Imnsl. 

Ahd.  ruodar  aus  *r6trom  gehört  zu  ai.  ari-tram,  gr.  sQtoooj, 
eQE-TfH)c,  lat.  remus.     SchAvundstufe  in  lit.  irti,  irldas  'rüder'. 

Got.  dröhjan  'auf rühr  erregen',  ahd.  truohi  gehört  zu  gr. 
raQay/j  'Verwirrung'  (aga  =  indog.  erd),  {hgaooco  'beunruhige', 
lit.  dirJcstn,  dirlii  (dirgnu)  'von  mechanismen,  in  Unordnung 
geraten",  lit.di'rgia,  dt'rlii  'schlecht  wetter  sein,  stürmend  regnen'. 
Der  Wechsel  von  gh  und  hh  ist  häufig  im  wurzelauslaut,  vgl. 
die  reiche  beispielsammlung  bei  Zupitza,  Die  germ.  gutturale 
s.  35  ff.  In  unserem  falle  wird  man  für  das  germanische  von 
einem  *dhrö-bhä-,  einem  verbalabstractum  mit  dem  suffix  -bh- 
ausgehen  dürfen  (vgl.  \it.  da rhas  'arbeit'  zu  darijti ' im\\  garbe 
'ehre'  zu  giriii  'loben'),  während  für  das  griechisch -litauische 
ein  sufflLX  -gha-  zu  gründe  liegt,  vgl.  lit.  iszeiga  'ausgang'  u.s.  w. 
(Leskien,  Xominalbildung  s.  523). 

Got.gredus  'hunger'  stellt  Uhlenbeck  (Et.wb.)  zu  Mi.  gardus 
'würzig,  wolschmeckend',  ai.  grdhyati  'ist  gierig'.  Da  dA.  grdh 
eine  leichte  wurzel  ist,  und  das  litauische  wort  schleifton  hat, 
so  geht  das  schwerlich  an,  jedenfalls  für  den  nicht,  der  auf 
eine  etwas  strengere  beobachtung  der  ablautsverhältnisse  hält. 
Man  wird  zunächst  gre-dus  teilen  und  darin-  ein  altes  ^«-abstrac- 
tum  sehen.  In  gre-  aber  steckt  die  zweite  vollstufe  zu  der 
indog.  Wurzel  *</Äere  'verlangen,  begehren',  die  vorliegt  in  ai. 
hary-atc  'gefallen  finden,  befriedigt  werden',  gr.  -/[^aigco  'sich 
fi-euen',  aor.  yaQ7,vca  (x«(>?;-  ist  die  nebenform  zu  gre),  umbr. 
heriest,  osk.  herest  'er  Avird  wollen',  got.  gairnei  'begehr',  gairnjan 
'begehren'.  Die  wurzel  ist  eigentlich  eine  ev- wurzel,  die  ich 
demnächst  ausführlich  besprechen  werde  (abulg.  •zlüdeti  'be- 
gehien'  hat  gar  nichts  mit  unserm  wort  zu  tun).  Man  beachte 
übrigens  die  bedeutungsübereinstimmung  zwischen  italisch  und 

')  Die  citate  für  die  indischen  texte  sind  nach  der  iu  Whitneys  Wur- 
zeln augewanten  weise  abgekürzt. 

19* 


292  HIRT 

germanisch.    Der  griechisch-indische  begriff  des  'wolgefallens' 
ist  hier  zu  dem  des  'begehrens'  weiter  entwickelt. 

Got.  hrö-peigs  'ruhmreich,  siegreich'  zeigt  den  stamm  hrü, 
der  zu  ai.  h-  'gedenken,  erwähnen'  (aor.  aMri-sham  EV.,  Mrtish 
y.)  in  regelrechtem  ablautsverhältnis  steht.  Zu  gründe  liegt 
ein  f ?  -  abstractum,  d^w.hrödr,  ahd. /w«öcZ-  'rühm',  ablaut  zu  ai. 
hirtish.  Ahd.  hriiom  ist  mit  sufflx  -?no  weitergebildet  (got. 
hröpeigs  mit  E.  Schröder,  Zs.  fda.  42,  68  zu  got.  harchis  zu  stellen, 
kann  ich  mich  nicht  entschliessen). 

Got.  höpan  'prahlen,  sich  rühmen',  höftuli  'prahlerei,  rüh- 
men' bezeichnet  Uhlenbeck  als  unerklärt,  hu  lässt  auf  eine 
Schwundstufe  ku  schliessen,  die  ich  in  gr.  xvöog  n.  'rühm,  ehre 
u.  s.  w.'  belegt  sehe.  Was  die  verschiedenen  schliessenden  con- 
sonanten  betrifft,  so  bemerke  ich,  dass  wir  es,  da  alle  diese 
schweren  zweisilbigen  wurzeln  eigentlich  vocalisch  auslauten, 
mit  verschiedenen  antretenden  formativen  elementen  zu  tun 
haben,  j^  erscheint  noch  in  hröpjan,  tvöpjan,  klaupan  u.  a.  und 
ist  hier  unerklärt.  Ich  möchte  trotz  Zupitza  an  eine  herleitung 
aus  indog.  gii  denken.    Die  erste  vollstufe  liegt  nicht  vor. 

Got.  höta  'drohung',  Jvötjan  'drohen'  wird  mit  got.  gahatjan 
'wetzen,  anreizen'  verbunden.  Doch  ist  mir  dies  zweifelhaft. 
Als  Schwundstufe  stelle  ich  dazu  gr.  xvöäC,a)  'schmähen,  be- 
schimpfen'. 

Zu  got.  slepan  'schlafen'  gehört  ahd.  slaf  'schlaff,  träge, 
kraftlos',  und  dies  verbindet  man  mit  recht  mit  abulg.  slahü 
'schlaff,  schwach'  aus  *slöhos.  Dass  aber  lat.  läbi  'gleiten' 
hierher  gehört,  ist  mir  sehr  zweifelhaft.  Schon  die  bedeutung 
scheint  mir  nicht  sehr  gut  zu  stimmen.  Das  wesentliche 
hindernis  liegt  aber  im  ablaut.  Denn  ich  kann  mich  nicht 
von  der  existenz  eines  alten  ablautes  e  —  a  überzeugen.  Wir 
lassen  das  lat.  wort  daher  besser  aus  dem  spiel.  Dagegen 
kann  man  sle-pan  als  zweite  vollstufe  zu  lit.  silpstu,  süpti 
'kraftlos  werden'  betrachten.  Das  lit.  ^j  ist  wol  durch  annähme 
von  entgleisung  zu  erklären. 

Got.  snörjö  'fiechtwerk,  korb'  gehört  zu  ai.  snävan,  sndyush 
'band,  sehne'.  Weiter  gehört  aber  ahd.  sena-wa  'sehne'  als 
erste  vollstufe  hierher, ')  und  schliesslich  auch  wol  ne-pia  u.  s.  w. 

[')  Aber  ags.  sinu,  obl.  simve  weist  auf  iudog.  i  hin:  die  gewölmliclie 
annähme,  germ.  e  gehe  vor  n  ags.  in  i  über,  ist  falsch.    E.  S.J 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  293 

Got. ])rö])jan  'üben',  uspröpjan  'jemanden  gründlicli  unter- 
weisen', usp'öpeins  'Übung-'  ist  nach  Ulilenbeck  unerklärt. 
Das  verbum  ist  secundär,  wir  kämen  also  auf  *])ruj>-,  eine 
^ableitung  der  wurzel  pro.  ICine  solche  liegt  vor  im  ai.  tr 
'übersetzen,  überschreiten'.  Sie  war  schwer:  tlrnds  V.,  aor, 
tärisliat  Y.  B.  S.  u.  s.  w.  Im  griechischen  hängt  damit  xQrj  ■  y.a 
'bohrung',  rixQaa)  'bohren'  zusammen.  Ferner:  xiqtxQov  'boh- 
rer'.  Ich  glaube,  daraus  lässt  sich  die  germanische  bedeutung 
verstehen,  indem  man  von  dem  'durchdringen'  ausgeht.  Im 
slav.  entspricht  formell  irat'di  'verbrauchen'  ganz  genau,  und 
auch  hier  ist  die  abweichende  bedeutung  zu  begreifen,  wenn 
man  an  unser  'aufreiben'  denkt. 

Got.  u'röhjan  'anschuldigen,  anklagen',  tvrühs  'anklage'  ist 
unerklärt.  Sämratliche  übrigen  germanischen  dialekte  weisen 
g  auf,  vgl.  an.  roegja  'verleumden',  ags.  tvregan,  afries.  ivrügja, 
as.  ivrUgian,  ahd.  mögen,  so  dass  vielleicht  die  Vermutung  nicht 
abzuweisen  ist,  das  got,  li  sei  secundär.  Dann  aber  würde 
sich  ungesucht  zur  vergleichung  got.  ivargipa  ' Verdammnis', 
wargs  'geächteter  Verbrecher'  bieten.  Aus  dem  lit.  gehört 
hierher  vergas  'sklave',  während  vargas  'not,  elend'  vielleicht 
entlehnt  ist.  Ist  aber  das  h  alt,  so  dürfen  wir  ein  altes  *tvröM 
voraussetzen,  das  zu  gr.  fgi]  in  fQtjxcoQ  'redner'  u.s.w.  ge- 
hören könnte.  Vgl.  die  bedeutungsentwicklung  unseres  'zeihen'. 
Suffix  -ha  me  in  gr.  d-T]-xi].  Zu  indog.  *ure  kann  übrigens 
got,  waürd,  lat,  verhum,  lit,  varclas  nicht  unmittelbar  gehören. 

Ahd.  (Iräjan  'drehen',  an.  präör  'faden'  gehört  zu  gr. 
TQTjxoc,  xtQEfjvov  'bohrer',  air.  tarathar  s.  o. 

Ahd.  grät  'gräte,  hervorstehende  spitze  an  ähren,  disteln, 
Unebenheit,  rückgrat,  bergrücken'  gehört  wol  zu  gr.  xf^Q^oocu 
'spitze,  kerbe,  scheide  ein',  lit.  zirUes  'schere,  krebsschere'.  Die 
wurzel  hat  verscliiedene  erweiterungen. 

In  ags.  krüf  '  dach  des  hauses,  spitze,  cacumen ',  engl,  roof 
'dach,  decke'  stellt  hrö  vermutlich  die  zweite  vollstufe  dar  zu 
gr.  xtQuq,  ai.  (jiras,  lat.  cerehrum.  Dazu  auch  wol  as.  hrüst 
'dachgesperre'.  Rg^Jiröst,  vielleicht  auch  got  hröt  'dach'. 

Ags.  hrör  'rührig,  lebendig',  ahd.  ruora  'bewegung,  er- 
regung',  krörjan,  ruoren  'rühi'en,  in  bewegung  setzen,  antreiben' 
ist  bis  jetzt  unaufgeklärt.  Denn  die  Verbindung  mit  got. 
hrisjan  'schütteln',  die  Kluge  annimmt,  scheint  mir  mehr  als 


294  HIRT 

zweifelhaft.  Die  stufe  hrö  ist  m.  e.  deutlicli  die  zweite  voll- 
stufe zu  g\\  xtQa-^ai,  xsQavvvfii  'mische'  diis  xeQaö-vvfii,  das 
weiter  in  ai.  rrlndii  'mischen',  rrä  'kochen,  braten',  part.  rrätds 
u.  s.  w.  vorliegt.  Ahd.  hruorjan  ist  wol  aus  "^hrüsjan  entstanden 
(s.  besonders  auch  Bugge,  Norges  indskrifter  med  de  seldre  runer 
s.  98),  wobei  das  ,9  mit  dem  0  von  gr.  xsQccvvvfu  zu  ver- 
gleichen ist. 

Ahd.  hruoh  'krähe,  häher',  ags.  hröc  hängt  mit  gr.xoQa^, 
U.S.W,  zusammen,  vgl.  unten  rabe. 

Ahd.  chrön  'garrulus',  chrönnan  'garrlre,  plaudern,  schwa- 
tzen', stellt  sich  zu  ahd.  queran  und  weiter  zu  ai.  gr  'singen', 
grnätiY.,  -garitrB.S.,  \it.  girti. 

Ahd.  miiodi  habe  ich  Beitr.  22,  229  mit  gr.  xc'maxoq  ver- 
glichen: eine  Vermutung,  die  übrigens  auch  früher  schon  geäussert 
ist.    Die  zweisilbige  wurzel  ist  sicher. 

Ahd.  gräo,  grüives,  ags.  grcBj,  aisl.  grär  'grau'  führt  auf 
einen  urgermanischen  stamm  greiva,  dessen  erklärung  noch 
aussteht.  Wir  dürfen  ohne  bedenken  gre-wa  trennen,  und  dieses 
gre  gehört  zu  einer  wurzel,  die  in  gr.  xaQOJtoa  'strahläugig', 
lit.  zereti  'strahlen',  abulg.  sircti  'glänzen,  sehen'  vorliegt.  Die 
bedeutung  dürfte  sich  aus  der  natur  der  dinge  erklären.  Auch 
wir  sprechen  von  'grauem'  haar  dann,  wenn  sich  weisse  glän- 
zende haare  einmischen.    Das  suffix  ist  das  bekannte  farben- 

SUffix    -MO. 

Mhd.  vluor  mit  seinen  entsprechungen  im  germ.  stellt  sich 
zunächst  zu  air.  Zar 'estrich';  weiter  zu  apr.  ^jZow/*  'tenne',  lit. 
Xilonas  'flach',  lat.  planus.  Als  erste  vollstufe  ist  dazu  zu 
rechnen  gr.  jiiXavoc,  jitXayog  und  vielleicht  ahd.  fehl  n.  'fehl, 
boden,  fläche,  ebene'. 

Ahd.  brätan  'braten',  bräto  'weiches  essbares  fleisch'  ver- 
bindet Kluge,  Et.  wb.^  mit  gr.  jTQfjOco  'verbrennen',  wogegen 
sich  aber  bedenken  erheben.  jTQr/iho  müsste  nämlich  aus 
*rpQddco,  *bhre-clhö  entstanden  sein,  was  unmöglich  ist,  da 
j[QT]lho7  nicht  von  jüimQina  getrennt  werden  kann.  Ich  brauche 
also  nicht  auseinanderzusetzen,  dass  die  bedeutungen  eigentlich 
nicht  stimmen  und  schwerlich  zu  vermitteln  sind.  Man  muss 
daher  eine  andere  anknüpf ung  suchen.  Als  altertümlichste  form 
dieser  sippe  scheint  mir  ahd.  hrät  n.  'weisses  essbares  fleisch', 
ags.  brced  f.,  an.  bräd  angesehen  werden  zu  müssen,  und  dies 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  295 

sieht  dann  offenbar  wia  eine  ^-ableitung  einer  wurzel  *br6 
aus.  Da  wir  aber  germ.  *hre  auf  "^mre  zurückführen  können, 
so  halte  ich  *mre  für  die  zweite  vollstufenforni  zu  alid.  maraivl, 
muruivl,  das  längst  mit  gr.  fiaQcdvco  zusammengestellt  ist,  vgl. 
unten  s. 299.  /jaQah'co  heisst  'das  brennende  auslöschen,  er- 
sticken, von  krankheiten  ausdörren,  aufreiben,  verzehren,  ver- 
nichten', sozusagen  also  'mürbe  machen",  was  auch  hräten  be- 
deuten müsste. 

Ahd.  hläo,  gen.  hläwes  'blau'  wird  gewöhnlich  mit  \a,t.flävus 
'blond,  gelb'  verbunden,  indem  man  anninnnt,  dass  es  wie  so 
viele  farbennamen  seine  bedeutung  geändert  habe.  Ein  solcher 
Wechsel  kommt  gewiss  vor,  sogar  ziemlich  häufig,  aber  immer- 
hin hält  er  sich  innerhalb  gewisser  grenzen.  Die  bedeutungen 
'grün  und  gelb',  'schwarz  und  blau',  'rot  und  schwarz'  gehen 
wol  in  einander  über,  aber  zwischen  'blond',  'gelb'  und  'blau' 
liegt  eine  kluft,  die  nicht  so  leicht  zu  überbrücken  ist.  Geht 
man  näher  auf  das  lateinische  wort  ein,  so  wird  man  es 
schwerlich  von  hclvns  'gelb'  und  fidvus  trennen  können.  Es 
ist  hier  nicht  der  ort  diese  ausdrücke  zu  behandeln.  Ich  be- 
merke nur,  dass  es  zwei  indog.  wurzeln  yhel  und  gJmel  gibt 
mit  ähnlicher  bedeutung,  und  zu  diesem  gehört  auch  lat.  fläviis. 
Aber  auch  davon  abgesehen  ist  die  Übereinstimmung  zwischen 
lat.  flävus  und  ahd.  hläo  gar  nicht  vollständig.  Denn  letzteres 
geht  doch  auf  *bk'iva  zurück,  und  lat.  flävus  muss  auf  *//ät'o 
oder  *fel9uo  zurückgeführt  werden.  Ersteres  halte  ich  für  aus- 
geschlossen, da  ein  alter  ablaut  e  —  ä  nicht  existiert,  letzteres 
wäre  möglich.  Aber  es  bietet  sich  jetzt  auch  ein  anderer 
weg,  das  germanische  wort  seiner  bedeutung  mehr  entsprechend 
zu  erklären,  indem  man  in  hie  ein  indog.  mlc  sieht  (über  diesen 
lautübergang  s.  u.),  und  das  wort  mit  gr.  fiiXag  'schwarz'  ver- 
gleicht. Vgl.  unten  hlak  Die  entsprechung  des  griechischen 
Wortes  im  preuss.,  meine,  bedeutet  'blauer  flecken',  hit  melynas 
'blau',  nieline  'blauer  flecken',  gehört  auch  hierher,  so  dass 
also  die  bedeutung  tadellos  erklärt  ist. 

Ahd.  ivät  f.  'kleidung,  rüstung'  gehört  zu  \it.  liuclmi,  diisti 
'weben'  aus  ciubcI.  Zu  diesem  ansatz  stimmt  nun  die  'avestische 
Wurzel  vacV  'sich  kleiden'  nicht,  von  der  Kluge  in  allen  auf- 
lagen des  Et.  wb.  das  germanische  wort  ableitet.  Diese  wurzel 
vad  existiert  aber  gar  nicht,    Bei  Spiegel,  ^'ergl.  grainm,  der 


296  HIRT 

altiranischen  sprachen  s.  127  heisst  es:  'streichen  möchte  ich 
2.  vad,  kleiden,  das  Justi  für  fravadhemna  (Yast  5,  126)  an- 
genommen und  mit  skr.  vad,  vdndatc  zweifelnd  verglichen  hat; 
ich  lese  an  der  genannten  stelle  fravaedhemna  und  betrachte 
es  als  causativum  von  vid,  ebenso  Harlez.'  Um  ganz  sicher 
zu  gehen,  wante  ich  mich  um  auskunft  an  dr.  W.  P^oy,  der  mir 
die  richtigkeit  der  vorstehenden  ausfülirung  völlig  bestätigte. 
'An  der  einzigen  stelle,  wo  nach  Justi  eine  wz.  vad  »kleiden« 
vorliegen  soll,  Yast  5, 126,  ist  mit  den  besten  handschriften 
(F  1,  Pt  1,  E 1)  fravaeddnina  zu  lesen,  während  nur  ganz  flüch- 
tige fravaddmana  haben,  fravaeödmna  fem.  »die  kundige«,  wie 
sonst  vaeddmna,  auf  ArdvT  Süra  Anähita  bezüglich.'  Germ,  tvät 
und  lit.  diidmi  stehen  in  ganz  regelrechtem  ablautsverhältnis. 

Got.  wöhrs  'zunähme,  gewinn,  wucher'  ist  die  zweite  voll- 
stiife  zu  got.  ivahsjan,  aukan,  lit.  dugu.  Im  ablaut  entspricht 
genau  ai.  väjas  m.  'ki^aft'. 

Ags.  wröt  'rüssel',  ahd.  *ruosü,  ags.  ivrutan  'wühlen,  auf- 
wühlen', ahd.  riiozjan  'aufwühlen,  der  pflüg,  die  erde',  lässt 
eine  vorgerm.  wurzel  iü-ä''d  erschliessen.  Den  Zusammenhang 
mit  ^tvurseV  bezeichnet  Kluge  im  Et.  wb.  s.  v.  als  unwahrschein- 
lich. Da  indessen  dieses  wegen  lat.  rädix  eine  set- wurzel 
voraussetzt  deren  zweite  stufe  uröd  wäre,  so  ist  die  morpho- 
logische Übereinstimmung  tadellos.  Und  auch  die  bedeutungs- 
vermittlung  bereitet  keine  Schwierigkeiten,  wenn  man  an  unser 
zinken  oder  hakennase  denkt.  Auch  unser  haken,  ahd.  hake 
'haken'  (aus  häkke)  gehört  wol  zu  lit.  smkms  'wurzel'. 

Got.  wöds  'besessen,  wütend',  ahd.  tvuot  (germ.  st.  *tvödi-) 
'wut,  raserei'  verbindet  man  mit  lat.  vätes  'gottbegeisterter 
Sänger',  air.  fdith  'dichter'.  Wegen  ags.  ivöd  (germ.  st.  ^ivöpa-) 
'stimme,  gesang',  an.  öör  'poesie,  gesang',  wird  sich  die  bedeu- 
tung  'wut'  erst  aus  der  von  'religiöser  raserei'  entwickelt 
haben.  Llhlenbeck  stellt  das  wort  zu  avest.  aipi-vat,  ai.  api-vat 
'geistig  anregen,  verstehen',  ebenso  Kluge.  Dagegen  erheben 
sich  aber  verschiedene  bedenken.  Zunächst  ist  ai.  cat  eine 
leichte  wurzel.  Wegen  lat.  vätes  haben  wir  es  aber  mit  altem 
a  zu  tun,  wir  müssten  also  im  indischen  ein  *vit  finden. 
Darüber  komme  ich  nicht  liinweg.  Auch  die  bedeutung  maclit 
Schwierigkeiten,  vat  kommt  nur  in  der  Verbindung  mit  api  vor 
und  bedeutet  'geistig  empfangen'  als  caus.  'geistig  einflössen', 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  207 

'anregen,  beleben'.  Die  grundbedeutung  von  vat  kennen  wir 
also  gar  nicht.  Denn  so  wenig  wir  aus  deutsch  'verstehen' 
ein  Simplex  'stellen'  mit  einer  geistigen  bedeutung  erschliessen 
k()nnen,  so  wenig  dürfen  wir  das  für  das  indische.  Und  wie 
soll  man  von  der  bedeutung  'geistig  empfangen'  zu  der  euro- 
päischen kommen?  Diese  vergleichung  ist  also  jedenfalls  auf- 
zugeben. Und  das  würde  auch  nichts  schaden,  selbst  wenn 
wir  keine  andere  erklärung  aufstellen  könnten.  Das  folgende 
möchte  ich  mit  aller  reserve  vortragen.  Wir  haben  im  indi- 
schen eine  wurzel,  zu  der  das  germanische  wort  in  der  bedeu- 
tung ganz  genau  stimmt,  das  ist  M.livä,  hu  'rufen'.  Ein  *hvätas, 
das  im  indischen  allerdings  nicht  belegt  ist  (dafür  hatds)  Avürde 
dem  germanischen  *wöj)a-  genau  entsprechen,  da  im  germ.  ghi 
zu  tv  wii'd.  Dann  müssten  wir  aber  lat.  vätes,  air.  fdith  vom 
germanischen  trennen,  wegen  lit.  zveris,  lat,  feriis,  wozu  man 
sich  schwer  entschliessen  wird.  Möglich  wäre  es  ja,  dass  man 
für  das  lat.  und  kelt.  noch  einmal  besondere  bedingungen  fände, 
nach  denen  sich  der  schwund  des  gli  erklären  Hesse,  aber  eher 
wird  man  annehmen  dürfen,  dass  im  germanischen  zwei  wur- 
zeln zusammengefallen  sind. 

Ags.  hlöwan,  ahd,  hlöjan  'brüllen'  gehört  zu  gr.  xixXi^oxm, 
xi-xXtj-f/ai,  lat.  clämo,  und  weiter  zu  gr.  xaXlw,  lat.  calendae, 
w.  halä'^,  ahd.  halön. 

Nhd.  sprühen,  ahd.  ^spruojen,  dazu  spreu,  gehört  zu  lat. 
sprcvi,  gr.  ojieiQw,  aöjräQtjv,  lit.  spirti,  sjnriü  'mit  dem  fuss 
stossen'. 

Gotjer,  abulg.  järü  'fi'ühling'  mag  mit  aier  in  av.  ayare 
'tag',  gr.  ctQioxov  {djiQLOxov)  'frühstück',  got.  air  zusammen- 
gehören. 

Dies  sind  die  beispiele  die  ich  mir  gelegentlich  .notiert  habe. 
Dass  bei  angestrengtem  suchen  noch  zahlreiche  andere  zu 
finden  sind,  das  scheint  mir  zweifellos  zu  sein.  Diese  werden 
vorläufig  genügen. 

B.   Die  erste  Schwundstufe  erd,  eh  u.s.w\  {f,  V). 
Streitberg  hat  IF.  6, 141  zu  zeigen  versucht,  dass  die  indog. 
sogenannten  kui'zen  und  langen  silbischen  nasale  und  liquidae 
im  germanischen  unterschiedslos  zusammengefallen  seien.  Wenn- 
gleich ich  von  der  richtigkeit  dieses  satzes  zweifellos  überzeugt 


298  HIRT 

bin  und  IF.  7, 193  ff.  auch  den  grund  angegeben  habe,  weslialb 
die  saclie  so  sein  muss,  so  hat  ihn  doch  Brugmann  in  der  neuen 
aufläge  seines  Grundrisses  nicht  angenommen.  Er  hält  viel- 
mehr ar,  al,  am,  an  für  die  regelrechten  Vertreter  der  im  titel 
angeführten  lautgruppe,  und  lässt  daneben  'vielleicht'  ur,  ul, 
um,  KU  als  entsprechungen  zu.  Da  Streitberg  nur  ein  paar 
beispiele  herausgegriffen  hat,  so  ist  er  selber  daran  schuld, 
wenn  ihm  Brugmann  nicht  glaubt.  Im  folgenden  werde  ich 
das  zur  beleuchtung  der  frage  dienende  material  anführen, 
das  ich  gesammelt  habe,  und  dann  auf  die  von  Brugmann  an- 
geführten beispiele  eingehen, 

1.  Indog.  erj  (f)  liegt  vor  in  got.Jcaürn,  \?it.  (jrämtm,  lit. 
iirnis,  serb.  zrno. 

Got.  waürts,  lat,  rädix.  Mit  gr.  gadafirog  'schoss'  kann 
got.  waürts  nicht  verglichen  werden,  da  Qa  hier  gleich  indog. 
rd  ist,  wie  in  vielen  anderen  fällen.  Jedenfalls  würden,  wollte 
man  sie  doch  zusammenstellen,  zwei  verschiedene  formen  der 
Schwundstufe  vorliegen.  Als  zweite  vollstufe  gehört  wahr- 
scheinlich ags.  «tTö^  'rüssel'  (oben  s.  296)  hierher. 

Got.  liaürds  'tür',  ahd.  hurt  'flechtwerk',  lat.  crätcs.  Gr. 
xc'iQTaloQ  'korb'  liegt  in  der  bedeutung  schon  ferner,  während 
haürds  und  crätes  sogar  in  der  flexion  stimmen.  Als  vollstufe 
könnte  man  got.  hröt  'dach'  dazustellen,  für  das  aber  auch 
andere  deutungen  möglich  sind, 

Got  gatailrps,  ahd,  ^orw,  Sii.vi-dlrnas  'geborsten,  gespalten', 
lit.  dürti  'in  etwas  stechen'; 

ahd,  liornaz,  lat.  crähro,  lit,  szirszlius  (acc,  plur.),  serb. 
srsljen; 

ahd.  soraga  f.  zu  lit.  sergiu,  sergmi  'hüten',  sdrgas  'hüter*, 
russ.  storoza  'wache',  ai.  sürlish  'sich  kümmern',  praes.  sürlcshati 
B.  S.,  sUrJcsJiga  B.; 

got,  maurgins,  ahd,  morgan  zu  lit.  merJcti  'mit  den  äugen 
blinzeln',  gr.  dfiaQvoao)  'funkeln,  schimmern',  lit.  hrelszta  'es 
tagt",  mirlcsnis  'der  blick,  ein  einmaliges  blicken  mit  den  äugen', 
mirJcsiu  'blinzeln'.  Dazu  als  zweite  Schwundstufe  got,  hrah 
'blinken,  zwinken'; 

ags.  forma,  lit.  pirmas  gegenüber  got.  fnima,  gr,  jr^a^j/oc; 
oder  ist  fr  am  gleich  dem  griech.  wort? 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  200 

got.  (jafaürds  zu  gr.  jctQam,  jcoqevw,  riiss.  porömu,  poröma, 
serb.  prdm,  präma  'scliiff' ; 

got.  paih-p  könnte  zu  lit.  trohä  -gebäude'  gehören  und 
würde  alsdann  auf  "^tcv^b  zurückgeben.  Doch  ist  dies  nicht 
sicher,  da  auch  andere  etymologien  möglich  sind,  vgl.  Uhlen- 
beck,  Et.  wb.  s.  v.  (immerhin  bleibt  es  für  mich  die  wahrschein- 
lichste erklärung); 

ahd.  muruivi  neben  maraivi  'mürbe'  zu  gr.  fiagaivo)  'ver- 
zehren, liinschwinden'.  Dass  in  gr.  fiagcuvo)  eine  zweisilbige 
basis  zu  gründe  liegt,  ergibt  sich  aus  ftaQct-Oftoq;  ob  ai.  mrnäti 
'zermalmt',  mürnds  hierher  gehört,  ist  zM^eifelhaft,  da  ai.  r  auch 
indog.  l  sein  kann.    S.  o.  s.294  hräten; 

ahd.  duruh,  as.  thurh,  ahd.  diirhil  'durchlöchert',  gotpairh. 
Hierher  gehört  auch  got.pairkö  'loch'  =  gr,  TQcöyXr],  das  also 
auf  eine  zweisilbige  schwere  basis  zurückgeht.  Zu  gründe  liegt 
die  indog.  wurzel  terä''  'durchbohren',  gr.  rirQtjfti,  von  der  mit 
suffix  -ka  {gv.d-r'j-xr],  ?ii.  dhä-kas)  ein  substantivum  abgeleitet 
ist,  von  dem  in  Jxiirh  und  *J)urh  ein  casus  vorliegt. 

2.  Indog.  el^  (l)  liegt  vor  in  got.  fulls,  ai.  pürnds,  lit. 
pünas,  serb.  jH(w; 

got.  icülla,  ai.  ürnä,  lit.  vilna,  serb.  vuna,  lat.  läna^ 

'dM.  (jidulf,  lat.  latus,  gr.  ril/yroc,')  lit.  tüti  'still  werden'; 

ags.  molcen  n.  zu  got.  müuks,  lit.  meUu,  serb.  nmza  'das 
melken"  aus  nnl;"^) 

ahd.  folma,  air.  läm,  gr.  jraXdf/7j\ 


^)  Ich  möchte  mich  jetzt  mit  grösserer  entschiedenheit  dafür  aus- 
sprechen, dass  im  griechischen  rü,  lä  (die  ja  auch  von  der  theorie  gefordert 
werden)  die  Vertreter  von  ers,  eb  sind  neben  «(>«,  «A«.  Wenn  man  in 
O^ävaroQ  und  ö-v»/to'§,  in  aü/uazog  und  -x/utjtÖq  dieselbe  ablautsstufe  sieht, 
so  muss  man  auch  rä/.aq  und  no/.vx'/Mi  einander  gleichsetzen.  Dazu  kommt, 
dass  got.  ßulan  ein  e-verbum  ist,  womit  lit.  tyle'ti  'schweigen'  überein- 
stimmt. Ein  ablaut  e  —  ä  ist  aber  m.  e.  im  indogermanischen  nicht  vor- 
handen gewesen,  und  das  lit. -germ.  wort  hat  altes  ?.  Man  vgl.  ferner 
xQüuiog,  ai.  rlrshatäs  neben  i^uQU,  gr.  iQÜvi'jq  zu  T()tji(K,  ahd.  gedrät,  gr. 
i}(füvoc,  lat.  fritus  (Bechtel.  Hauptprobleme  s.  213.  H)2). 

*)  Dass  got.  miluks  zu  gr.  yäXa,  yülaxxoq  gehört,  ist  für  mich  un- 
zweifelhaft. Das  m  des  germ.  kann  von  ahd.  meldian  entlehnt  sein,  während 
das  gr.  y  alt  wäre.  Gehören  ahd. «ie?c7tan,  X&i.rmdgere,  gr.  d/ue?.yeiv,  ai.märj 
zusammen,  so  ist  der  Zusammenhang  mit  milukn  bedenklich,  weil  mcJg  eine 
leichte  wurzel  ist. 


300  HIRT 

ags.  molda  'köpf,  gr.  ßXoi^QÖQ  'hochgewachsen',  ai.  mur- 
dlidn  'höhe'; 

ahd.  woZfo,  got.  mnlda  'staub'  zu  \it.  ni alt i  'mahlen',  russ. 
molöfi,  lit.  7)iütai  'raehl'; 

&n.  sJculd,  SLS.  shuld,  ai.  5/Ji«Z/-to  B +.  'taumeln,  stolpern', 
lit.  sMti  'in  schuld  geraten'; 

got.  kulj)s  'hold,  gnädig',  eigentlich  'geneigt',  lit.  hdlnas 
'hügel'; 

ahd,  ivolcha  f.  'wölke',  lit.  vilgau,  vihjyti  'befeuchtend  glät- 
ten', serb.  vtaga  '  feucht  igkeit'; 

aisl.  fold  f.  'grasfeld,  triff,  ags.  folde  f.,  as.  folda  'erde, 
land'  gehört  zu  ^M.  feld,  das  wir  oben  zu /?ttor  gestellt  haben. 

3.  Indog.  eud,  emo  (n,m)  liegt  vor  in  got.  Jcmijjs,  lit. 
paiintas; 

got.  himinakunds,  lat.  nätus,   lit.  zcntas,  serb.  zet; 

ahd.  gimd  'kämpf,  lit.  ginti  'wehren',  ai.  ghätds  'tötend'. 
Hier  kann  auch  ii  angenommen  werden,  vgl.  ai.  hatds,  lit  ginczas 
'kämpf,  gr.  ^arög; 

B,n.])ungr,  lit.  tingüs,  daneben  aber  tinkstu,  tingau  'träge 
werden',  serb.  üSki  und  Uski,  comp,  tezi,  aber  Usak,  tesko;  un- 
sicher; 

mhd.  gespiinst,  lit.  pinti  'flechten'; 

ahä.wtmsc  'wünsch',  Sii.  väüchatiY.  'wünschen'; 

ahd.  tvunna,  ai.  -vätas  Y.B.,  aor.  vani-shat  AY .,  fut.  vani- 
shyate  S.; 

ahd.  zunft  ist  verbalabstractum  zu  zeman,  das  man  nebst 
zahm  mit  lat.  domäre,  gr.  öafiäco,  ai.  dam  verbinden  muss.  Die 
indog.  Wurzel  dam  ist  aber  eine  sct-wurzel,  vgl.  lat.  domitor, 
gr.  dccf/arcüQ,  ai.  dami-tr  RV.  Der  stufe  zun  entspricht  ai.  däm- 
tdsB-\-,  gr.  d-öä^ia.xoc,  bez.  6fi7jT6g.  Auch  wenn  das  wort 
zur  Wurzel  'bauen',  gr.  ötfico  gehörte,  so  würde  es  ebenfalls 
auf  zweisilbigkeit  zurückweisen,  vgl.  gr.  difiag,  lat.  dome-sticus; 

ahd.  sumhir,  mhd.  siunhcr  'korb,  getreidemass',  lit.  scmti 
'schöpfen'. 

Damit  ist  vorläufig  mein  material  erschöitft,  und  ich  denke, 
es  genügt  auch.  Es  liegt  eine  solche  fülle  zweifelloser  bei- 
spiele  vor,  dass  sicher  die  Vertretung  von  indog.  ero  u.  s.  w.  durch 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  301 

ur,  ul,  im,  um  anzuerkennen  ist.  Könnte  man  im  einzelnen 
fall  auch  annehmen,  es  hätten  doppelformen  bestanden,  geg-en- 
über  der  menge  der  auftretenden  beispiele  versagt  diese  mög-- 
lichkeit. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  Brugmanns  fällen  und  dem  was 
man  noch  weiter  beigebracht  hat. 

Zunächst  wird  es  sich  nie  beweisen  lassen,  dass  in  germ. 
ar,  al,  am,  an  indog.  f,  l,  m,  n  stecken,  da  ja  a  der  Vertreter 
von  0,  a,  d,  ö  und  a  sein  kann.  Wir  haben  also  so  viel  mög- 
lichkeiten,  gegebene  formen  mit  ar  u.s.w.  zu  erklären,  dass 
wir  immer  darauf  verzichten  können,  auf  die  andere  instanz 
zu  recurrieren.  Wir  würden  letztere  vielmehr  nur  dann  an- 
erkennen müssen,  wenn  wir  eine  reihe  evidenter  gleichungen 
anträfen.    Solche  aber  finden  wir  nicht. 

1.  Germ.  ar. 

Got.  arms,  arm.  armukn,  lat.  armus,  abulg.  ramo,  serh.i'amo, 
ai.  Irmas,  av.  aromö,  preuss.  irmo.  Brugmann  erklärt  alle  diese 
formen  aus  einer  einzigen  ablautsstufe,  indem  er  auch  in  abulg. 
ra  den  Vertreter  von  f  sieht.  Letzteres  ist  nun  ganz  ent- 
schieden abzulehnen.  Der  annähme  von  ablaut  steht  hier 
ebensowenig  etwas  im  wege  wie  bei  lit.  htrzas  gegenüber  ai. 
hhürjas,  lit.  dntis,  ahd.  anut,  lat.  anas  gegenüber  ai.  ätish,  gr. 
VTJoöa.  In  dem  a  von  lat.  armus  sehe  ich  altes  a  bez.  d  für 
den  fall,  dass  die  grundform  dieses  Wortes  *örmos  wäre. 

Ebenso  geht  aisl.  gröiigr,  gall.  Ärduenna,  lat.  ardtms  auf 
indog.  "^ardh  oder  *drdh  zurück. 

Ahd.  art  'art  und  weise',  lat.  ars,  artis,  zu  ai.  rtdm  'rechte 
art,  gebühr'.  Das  beispiel  stimmt  nicht,  da  im  indischen  kurzes 
r  vorliegt.  I^nd  ausserdem  fragt  es  sich,  ob  man  das  germa- 
nische wort  nicht  mit  an.  arJr  'pflüg',  got.  arjan,  lat.  aräre, 
gr.  agoM  zusammenbringen  muss.  Im  ahd.  ist  art  in  der  oben 
von  Brugmann  angegebenen  bedeutung  unbelegt.  Es  erscheint 
art  f.  'ackerung,  pflügung';  dazu  arton  'bewohnen,  bebauen', 
ferner  as.  ard  m.  'wohnort',  ags.  eard  m.  'wohnung,  lieimat', 
an.  (^rö  'ernte,  ertrag'.  Aus  der  bedeutung  'grund  und  boden' 
hat  sich  dann  ganz  natürlich  die  der  'herkunft,  der  art'  ent- 
wickelt, wie  schon  das  Mhd.  wb.  richtig  annimmt. 

Ahd.  fart  'fahrt'  gegenüber  got.  yafaürds  'Zusammenkunft' 


302  HIRT 

kann  gewiss  nicht  in  betraclit  kommen,  da  es  selir  walirscliein- 
licli  eine  neubildung  ist.  Die  beiden  Wörter  verhalten  sich 
genau  wie  ahd.  slaht  zu  got.  slaühts,  wie  mhd.  traht  zu  älterem 
truht,  vgl.  darüber  v.  Bahder,  Verbalabstracta  s.  65.  Da  ein  u 
in  der  ablautsreihe  der  sechsten  verbalklasse  nicht  mehr  vor- 
kam, traten  neubildungen  nach  dem  participium  ein. 

Ahd.  zart  'lieb,  fein,  schön'  würde  wider  nicht  direct  zu 
ai.  ä-drtas  'rücksichtsvoll,  mit  rücksicht  behandelt,  geehrt' 
stimmen.  Die  beiden  Wörter  verhalten  sich  vielmehr  wie  ai. 
mrtcis  zu  mär  las  'sterblicher,  mensch',  gr.  fiogrog,  wie  gr. 
u-ioto^  'unbekannt,  unkundig'  zu  abulg.  vestu  'bekannt',  wie 
*it6s  zu  ai.  Mas  'eilend',  gi\  olroc;  'geschick'  u.v.a. 

Ahd.  garha  'garbe'  zu  lit.  grepti,  gröpti  'fassen,  raffen' 
kann  ebenso  wie  sparhe,  ags.  spearca  'funke'  zu  ai.  sphürjati 
'prasselt,  zischt'  o-vocalismus  haben,  der  ihnen  als  ä-stämmen 
auch  zukommt. 

Das  sind  Brugmanns  beispiele,  zu  denen  man  noch  andere 
hinzufügen  könnte:  ich  tue  dies,  indem  ich  dem  leser  die  rich- 
tige erklärung  überlasse. 

Ahd.  harn,  daneben  -hern,  lit.  hernas. 

An.  hgrh;  ndd.  horke  zu  ai.  hhürjas,  lit.  herzas.  Gerade 
birkenrinde  wii'd  im  haushält  der  Litauer  und  Slaven  noch 
heute  vielfach  benutzt,  so  dass  diese  gleichung  culturhistorisch 
tadellos  ist. 

Nhd.  garn,  lit.  zdrna  'darm'. 

2.    Germ.  al. 

Ags.  wielm,  wylm,  QhA..ivallu,  ai.Urmish  'woge',  m-varomish 
'woge',  aber  lit.  vünis. 

Got.  untüa-malsks  'unbesonnen',  ai.  mUrJchäs  'stumpfsinnig, 
dumm,  unverständig',  lit.  lett.  mülkis  'einfältiger,  tropf.  Man 
kann  natürlich  malsks  ebenso  wie  tvalm  auf  o- stufe  zurück- 
führen. 

Ahd.  spaltu  zu  got.  spilda  'schreibtafel',  ai.  spUufaU,  phd- 
lati  'er  birst',  nbret. /att^  'fissura'  ist  ganz  unsicher;  m.  phalati 
kommt  erst  im  epos  vor,  daher  ist  auf  phalita  kein  verlass. 
Das  nbret.  wort  kann  ich  nicht  beurteilen. 

k\\i\..  scaltu  'ich  stosse'  zu  sciltu  'ich  schelte'  kann  natür- 


ÖEAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  303 

lieh  0-vocalismus  haben.  Ebenso  g'ot.  ivaliki,  alul.  ?ra?/^tf  'ich 
walte,  liersche',  lit.  veldn  'ich  regiere'  {veldii  nach  Nesselmann). 

Ahd.  ivahii  'ich  drehe  mich',  lit.  velih,  velti  'walken'. 

Got.  Tcalds,  ahd.  halt  zu  aisl.  Iculde,  lat.  gelidns;  Jcalds  ist 
ein  participium  zu  dem  in  an.  lala,  ags.  calan  'frieren'  yüi-- 
liegenden  starken  verbum,  und  unterliegt  daher  im  gegensatz 
zu  aisl.  hdde  dem  verdacht  einer  neubildung-. 

Wie  man  sieht,  haben  wir  es  abgesehen  von  den  beiden 
ersten  beispielen  durchaus  mit  verben  zu  tun,  und  ehe  daher 
die  g:anze  bildung  dieser  verben  nicht  aufgeklärt  ist,  können 
wir  sie  schwerlich  als  hinreichende  stütze  benutzen.  Da  Brug- 
mann  auch  bei  n  sich  zum  teil  auf  verben  stützt,  verschieben 
wir  die  erörterung  dieser  praesensbildung-,  bis  wir  alle  beispiele 
zusammen  haben. 

Hierzu  noch  galla,  gr.  x^^- 

3.    Germ,  an,  am. 

Ahd.  hamma  'Schenkel',  ags.  hamm  'kniekehle',  nd.  hamm 
'bergwald'  zu  gr.  xvriurj  'Unterschenkel,  Schienbein',  xvtjfioc; 
'bergwald',  air.  cnähn  'knochen'.  Es  kann  natürlich  ablaut 
vorliegen  (aus  dem  lit.  gehört  wol  noch  llnJca  in  Samog.  'knie- 
kehle, hesse'  hierher). 

Ebenso  in  ahd.  sant,  aisl.  sandr,  gr.  a^a&oc 

Got.  (jayyan,  ahd.  yanyan  'gelien',  lit.  zenyiü  'ich  schreite'. 
Letzteres  hat  kurzen  vocal,  vgl.  zeükti,  zinksnis  'schritt'. 
Ebenso  Sii.javyha  'bein'. 

Dasselbe  gilt  von  got.  blandan,  ahd.  Uantan  'mischen',  got. 
Wmds  'blind',  lit.  hlendziü's  'ich  verfinstere  mich'.  Diese  beiden 
beispiele  sind  also  überhaupt  zu  streichen. 

Die  wurzelstufe  der  oben  genannten  und  einiger  andrer 
verba  bietet  nun  in  der  tat  ein  noch  ungelöstes  problem,  aber 
mit  dem  ansatz  von  f,  l,  n  werden  wir  diesen  knoten  nicht 
lösen.  Zweifellos  haben  aw  es  in  einigen  fällen  mit  e/o- wur- 
zeln zu  tun.  Wie  kommen  aber  diese  zu  ihrem  o-vocalismus 
im  praesens  ?  Weshalb  heisst  es  got.  nicht  *yiyyan  entsprechend 
lit.  zeükti,  weslialb  nicht  hlindan  entsprechend  lit.  hlendzius? 
Von  der  verbalflexion  aus  kommen  wir  zu  keim:!r  lösung,  wir 
müssen  uns  also  an  das  nomen  wenden. 


304  HIRT 

Got.  saltan,  lat.  sdllere  gehört  nun  unzweifelhaft  zu  lat.  sdl, 
got.  Salt,  und  seiner  ganzen  art  nach  können  wir  dies  verbum 
nicht  anders  denn  als  denoniinativ  fassen.  Audi  Brugmann 
hat  Grundr.  2, 1038  schon  auf  den  Zusammenhang  hingewiesen, 
der  zwischen  den  nominalen  bildungen  auf  io,  t  und  den  yerben 
mit  i)raesenssufiix  -to  besteht.  Man  vergleiche  z.  b.  ai.  dyu-t-änas 
neben  dyötate  'leuchtet'  mit  dem  nomen  dyut,  d-ceti,  cifänas 
neben  cetati  mit  dem  nomen  elf,  ydtänas,  yatänds  mit  yat.  Da 
aber  nacli  der  einleuchtenden  erklärung  von  Streitberg,  IF.  3, 
340  ff.  diese  nomina  uralt  sind,  so  werden  die  verben  denomi- 
nativ  sein.  Ich  glaube  daher  dieses  auch  für  die  germanischen 
verben  aimehmen  zu  dürfen. 

Zu  lit.  zengiü  'schreite'  gehört  ganz  regelrecht  mit  o-voca- 
lismus  got.  gaggs  'gang',  an.  gangr,  as.  ahd.  gang.  Davon  ab- 
geleitet oder  beeintlusst  got.  gaggan,  eig.  'einen  gang  tun'. 

Zu  gr.  jttQäv  'durchdringen,  hindurchgehen'  gehört  regel- 
recht gr.  :to(>oc  'gang,  durchgang,  Übergang',  ahd.  far,  mhd.  var 
n.  'ort  am  meere,  see  oder  ströme',  wo  man  an-,  aus-  oder 
überführt;  davon  abgeleitet  far  an  'sich  von  einem  ort  zum 
andern  bewegen,  gehen,  ziehen,  wandern'  u.s.w. 

Zu  abulg.  greha  'grabe,  schabe'  gehört  regelrecht  abulg. 
grobü,  ahd.  grab  'grab',  as.  grab,  ags.  srcef.  Wegen  got.  gröba 
liegt  aber  der  verdacht  nahe,  dass  wir  es  im  abulg.  mit  einer 
entgleisung  zu  tun  haben. 

Ebenso  dürfte  dies  bei  got.  Icalds  in  erwägung  zu  ziehen 
sein,  wegen  ahd.  cJmoli    Wir  hätten  es  mit  ablaut  ö  —  3  zu  tun. 

Got.  mahn,  lat.  molere  gegenüber  abulg.  mclja  müsste  durch 
ein  "^mala  veranlasst  sein;  vgl.  aber  auch  lii.mdlti 

Ahd.  spaltan  'spalten'  würde  ich  mit  Schade  von  sjmlt  'der 
spalt'  ableiten;  ahd.  walzan  von  ivalza  'pedica,  decipula';  ahd. 
scaltan  von  scalta  'schiebestange'. 

Die  eine  tatsache,  glaube  ich,  können  wir  feststellen,  dass 
neben  den  meisten  der  genannten  verben  ein  nomen  steht, 
dessen  o-vocalismus  wir  erklären  k()nnen,  und  die  annähme 
einer  angleichung  des  verbums  an  den  vocalismus  dieses  nomens 
würde  die  ansetzung  eines  langen  r,  n,  l  umgehen  lassen. 

Sollte  es  nun  ein  zufall  sein,  dass  von  den  meisten  dieser 
verben  im  gotischen  das  perfectum  gar  nicht  belegt  ist?  Von 
gaggan  fehlt  es  bekanntlich  ganz,  aber  auch  zu  hlandan,  faran, 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  305 

nialan,  sdltan  ist  keins  belegt;  spalian,  scaltan,  ivaUan  stammen 
übeiiiaupt  erst  aus  dem  alid. 

Ich  glaube,  man  wird  daher  die  ergebnisse  des  aufsatzes 
von  V.  Fierlinger,  KZ.  27,  436,  auf  den  sich  Brugmann  haupt- 
sächlich stützt,  als  verfehlt  bezeichnen  dürfen.  Die  wenigen 
beispiele  die  nach  abzug  der  verben  noch  übrig  bleiben,  können 
ninnnermelir  erweisen,  dass  ar,  al,  am,  an  im  germanischen 
die  Vertreter  von  indog.  f,  l,  fn,  n  sind.  Auch  der  ausweg,  den 
Uhlenbeck,  Beitr.  18,  501  eingesclilagen  hat,  ist  für  mich  nicht 
gangbar,  da  ich  Bartholomaes  lehre,  dass  »  auch  in  der  e-reihe 
anzuerkennen  sei,  nicht  für  richtig  halte;  wol  aber  kann  germ. 
a  in  einigen  fällen  ein  a  vertreten,  es  ist  indessen  dann  die 
Schwundstufe  eines  langen  vocals. 

C.   Indog.  r9,  h,  md,  no,  jd,  ip  als  Schwundstufe 
der  set -wurzeln. 

Unter  welchen  bedingungen  diese  Schwundstufe  ins  leben 
getreten  ist,  lässt  sich  noch  nicht  sicher  ermitteln.  Ein  factor 
ist  jedenfalls  die  enklise  gewesen.  Da  ich  IF.  7,  211  nur  wenige 
belege  gegeben  habe,  so  sei  es  mir  gestattet  diese  lücke  etwas 
auszufüllen. 

Zu  jTtTafiai,  artjträv,  ai.  pati-ids  AV.,  ahd.  feda-ra  gehört 
gr.  tjtra-TO,  jtzäfiti'og,  ai.  pa-pti-ma\  zu  telä,  gY.rsXa-fKov,  erXfjV 
stellt  sich  Tk-rXa-d^i,  n^-rXa-f/trai,  zu  fhihm-rog,  i^i^r^-xoc,  — 
xi  i>va-d^i,  Tt-i>rä-f/ti'ai;  OxQa-xöq  zu  öxoQt-i^vvfii,  OxQcoxög;  gr. 
^ä-öaiivog  zu  lat.  rüdix,  got.  ivaürts]  d-güodco  zu  xaga-'/ii',  Oaoq 
aus  *tip-u6s  zu  ai.  tavi;  gr.  yväd^oq  zu  lit.  zdndas;  lat.  glatjs 
zu  gr.  ßäXa-voq,  abulg.  seladi;  lat.  gla-cks  zu  geli-dns;  lat.  gra- 
vis zu  ai.  guriish,  gr.  ßagvg,  got.  Jcaiirus. 

Aus  dem  germanischen  habe  ich  a.  a.  o,  angeführt:  mhd. 
Är«^6' 'hals"  zuMt.  gar Jdl^,  atrh.  grlo,  gr.  ßißQojOxco;  mhd. swach 
zu  got.  siuks;  ahd.  chramih  zu  gr.  ytQavog. 

Weitere  beispiele  sind: 

Got.  ivahsjan,  ahd.  icalisan,  gr.  aftseiv,  lit.  dngti,  lat. 
augere. 

]\Ihd.  swadem,  ags.  sivaöul  zu  ahd.  siodan.  Ich  ziehe  dies 
zu  ai.  sü  'in  bewegung  setzen,  erregen',  das  zweifellos  eine 
set-wurzel  ist,  vgl.  srddsX.,  sdvlnia  n.  'antrieb',  savita  'an- 
treiber,  erreger'.     Anders   erklärt  Brugmann,   Grundr.  1,  790 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutscheu  spräche.     XXIII.  20 


306  HIRT 

das  germanische  wort.  Er  geht  von  hpcut-  aus,  und  vergleicht 
lit.  szunth  'schmore',  und  weiter  ai.  kvdfhati  aus  *k])iva  mit  mhd. 
swadem.  Sollte  man  dies  vorziehen,  so  ist  die  sippe  als  eine 
leichte  wurzel  aufzufassen:  ^y.l])euc. 

Got.  (fojnvasfjan  'stark,  fest,  sieher  \\mdien\ pn-ast/Jm  'festig- 
keit,  Sicherheit'  ist  nach  Uhlenbeck,  Et.  wb.  unaufgeklärt.  Ich 
beziehe  es  auf  die  altindische  wurzel  tu  'stark  sein',  ai.  tdvas 
'stärke',  tavishds  'stark',  tdvisJfi  'kraft,  stärke',  zu  der  auch  got. 
pfmmdi  gehört.  Die  bedeutungsentwicklung  bedarf  keiner  vei*- 
niittlung.  Auch  im  griechischen  liegt,  woran  mich  Brugmann 
erinnert,  diese  ablautsstufe  vor  in  oaog  'heil,  gesund',  das  Prell- 
witz, Et.  wb.  aus  ^tuaiws  erklärt,  vgl.  Brugmann.  Totalität  s.r)5. 
Prellwitz  zieht  auch  schon  das  got.  gajnrdstjan  heran,  wie  icii 
nachträglich  sehe. 

Ahd.  chnabo  hat  man  von  jeher  mit  der  wurzel  '^gemV 
'erzeugen'  verbinden  wollen,  ohne  dass  man  indessen  übei*  die 
ablautsverhältnisse  ins  reine  gekommen  wäre.  Es  stellt  sich 
nun  ganz  einfach  dazu.  vgl.  lat.  f/eni-tor,  gr.  yivFOiQ,  vd.jfiä,  got. 
hiöjts,  hmds. 

Ahd.  hra-ho  stellt  sich  ebenso  zu  gr.  xÖQa-S,,  xoqcö-vi),  lat. 
cormx  aus  *cor^m,  lit.  smrlca  'elster',  russ.  soroka,  serb.  si-raka 
dass.  Als  zweite  vollstufe  gehört  dazu  lat.  crö-cio  'krächzen', 
gr.  y.Qcö^m,  die  wir  wol  als  reduplicierte  bildungen  auffassen 
dürfen.    Oben  ist  weiter  ahd.  hruoh  herangezogen. 

Auffällig  ist  an  diesen  beiden  Worten  das  suffix.  Indog. 
p  oder  hh  lässt  sich  hier  kaum  wahrscheinlich  machen.  Ich 
leite  daher  hud)0  und  hrabo  aus  indog.  ^gnomno-  und  *h-9nmo- 
ab,  mit  dem  Übergang  von  wn  in  hn,  den  ich  für  gemein- 
germanisch halte. 

Ahd.  stracchen  'ausgedehnt  sein',  ahd.  sfrach  'ausgestreckt, 
gerade,  straff  u.s.w.  ist  noch  nicht  recht  erklärt.  Denn  die 
annähme,  dass  es  zu  recken  gehöre  (wie  Kluge,  Et.  Avb.^  s.  v. 
vermutet),  ist  doch  nur  ein  notbehelf.  Ich  stelle  die  stufe  stra 
zur  wurzel  sierö^,  gr.  orgtoroc,  otqojvvvhi  'ausbreiten',  lat.  .v/t';-- 
nere,  ai.  strnämi  In  der  wurzelstufe  entspricht  stra  gr.  öxQaroc, 
ai.  -strtas,  das  nur  unbetont  vorkommt.  Das  suffix  -k,  indog.  -g 
ist  zwar  selten,  aber  doch  genügend  belegt.  Dieselbe  stufe 
und  dieselbe  wurzel  zeigt  auch  mhd.  strant,  ags.  Strand,  das 
Kluge   ebenfalls   als   unaufgeklärt   bezeichnet.    Es  ist  mit  nt- 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  307 

sufflx  gebildet.    Die  vollstufe  dieser  wurzel  steckt  wahrschein- 
lich in  alid.  stirna  'stirn'. 

Ahd.  cMa-fja  stelle  ich  zu  ai.  (jlä  "Widerwillen  empfinden', 
lit.  gvlti  •schmerzen",  abulg".  irtZr  'leid',  gr.  ßcuAco  {liXr})  'werfen, 
treffen';  dass  auch  ßXrjxri  'geblök'  mit  Prellwitz,  Et. wb.  s.v. 
hierher  zu  ziehen  ist.  scheint  mir  nicht  sicher. 

Got.  mal>a  "made.  wurm',  ags.  maöa,  as.  niatho,  ahd.  mado, 
an.  madh-  möchte  Klug-e.  Et.  wb.^  s.  v.  made  als  'nager'  deuten. 
Etwas  ähnliches  mag  wol  darin  stecken,  nur  kann  man  schwer- 
lich an  die  wurzel  ''''me  •mähen'  anknüpfen.  Ich  möchte  es 
mit  der  ai.  set -wurzel  am  'schädigen'  verbinden.  Zu  ann-shi 
V.B..  aml-vaX.  *drangsal,  plage,  dränger,  plag-egeist',  dmatish 
'armut,  dürftigkeit"  gehört  eine  Schwundstufe  m3.  Der  be- 
deutungsvermittlung  steht  nichts  im  weg-e.  Auch  mlid.  motte 
könnte  mit  weiterer  ablautsform  m  hierher  gezogen  werden. 

Got.  frapi  'einsieht',  frapjun  'verstehen'  gehört  zunächst 
natürlich  zu  got.  fröps  'weise',  frudei  'einsieht'.  Wenn  wir 
aber  an  die  bedeutungsentwickelung  unseres  erfahren  denken 
(vgl.  auch  lit.  tirt'i  'erfahren'),  so  wird  man  gr.  jisgäm  'durch- 
bohren, durchfahren',  abulg.  pem,  prati  'fahren'  als  erste  voll- 
stufe heranziehen  dürfen. 

Ags.  hltec,  nd.  hlak,  ahd.  hlacli  bedeutet  'tinte',  ursprüng- 
lich natürlich  'schwarz',  was  es  ja  als  adjectivum  auch 
heisst.  Eine  etj'mologie  ist  mir  nicht  bekannt.  Nun  hat  Jo- 
hansson. Beitr.  15,  226,  um  got.  hleips  zu  erklären,  einen  Über- 
gang von  indog.  ml  zu  germ.  hl  angenommen,  gegen  den  nichts 
einzuwenden  ist,  da  mr  zu  hr  wii'd.  Ich  sehe  daher  in  hla- 
die  regelrechte  zweite  Schwundstufe  zu  gr.  fitXa-g,  ai.  mali-?ids 
'schmutzig,  unrein'.  Denkt  man  dann  weiter  an  die  beliebte 
griechische  ausdrucksweise  wie  fitXav  aifia,  so  kann  man  auch 
vermuten,  dass  got.  blöp,  ahd.  hluot  'blut'  nichts  anderes  als 
'das  schwarze'  bedeutet.  Das  neutrale  geschlecht  erklärt  sich 
daraus,  dass  der  indogermanische  ausdruck  für  'blut'  ai.  asrj, 
gr.  euQ,  lat.  assir,  gr.  aifia,  lat.  (veraltet)  sanguen  n.  neutralen 
geschlechtes  war.     Was  das  Suffix  betrifft,  so  vgl.  lit.  yel-tas. 

Das  auffallende  A-suffix  in  hlaJc  lässt  sich  vielleicht  aus  m 
herleiten;  indessen  bleibt  dies  unsicher,  so  lange  der  Übergang 
von  u  in  k  nicht  lautgesetzlich  festgelegt  ist. 

Got.  afidapan,  an.  Jduöa,  ags.  hladan,  afr.  hlada,  a]id. hladan 

2ü* 


308  HIRT 

nebst  ags.  hlöd  'beute,  häufe,  schar,  menge',  and.  hlntha  'beute' 
stellt  man  zu  abulg-.  Ihida  'lege,  stelle'.  Die  differierenden  end- 
consonanten  beruhen  avoI  auf  verschiedenen  praesensbild enden 
elementen.  Der  stamm  ist  also  Jtla,  hlö,  den  man  in  lit.  Möju, 
Jcloti  'hinbreiten'  widerzufinden  glaubt.  Mö  weist  aber  auf 
eine  zweisilbige  set-wurzel,  die  wir  in  lit.  Icelti  'etwas  heben' 
antreffen,  das  widerum  eine  sehr  weite  verwantschaft  hat. 

Ahd.  jlado  'oi)ferkuchen',  gr.  jiXäfhavov  'opferkuchen'  ge- 
hört zunächst  zu  lit.  i)Zo7/  'breit  schlagen';  die  erste  vollstufe 
liegt  vor  in  gr.  jttXa-vog  'opferkuchen'.  vielleicht  auch  in  sriXa- 
yoc  n.  'meer,  das  ausgebreitete',  das  genau  ahd.  flah  'flach, 
glatt',  nl.  vlah  'eben'  entspricht.  Zu  gründe  liegt  eine  wurzel 
pelä'',  die  im  wesentliclien  'eben,  flach'  bedeutet.  Erste  voll- 
stufe jreXa-i^oc,  jitka-yog,  zweite  vollstufe  lit.  ^)7o//,  ^j/owp 
'fladen',  lat.  planus  'eben',  air.  Idr  'estrich',  mhd.  rinor,  vgl. 
Prellwitz,  Et.  wb.  s.  v.  jisXaroc. 

Ahd.  rahho  für  älteres  *hrahho  'rächen',  ags.  hrace,  -n  f. 
'kehle'  ist  bisher  unklar.  IMan  kann  es  verschieden  beurteilen. 
Die  wurzelstufe  Jim  kann  man  zu  Jif!r(V  in  xt^ag,  lat.  cere- 
brum,  ai.  giras  oder  zu  gr.  x^icc^a)  'schreien'  stellen.  Genau 
entspricht  gr.  xQayor  'laut  schi'eiend'.  Dann  wäre  die  bedeu- 
tung  'kehle'  ursprünglich.  Auch  x(>«^a>  gehört  zu  einer  zwei- 
silbigen basis,  die  wir  oben  bei  hraho  erörtert  haben. 

D.   Germ,  ü,  %  als  schwundstufenformen. 

Dem  ero,  eh,  emd,  etio  stehen  t  und  U  als  schwundstufen- 
formen zur  Seite,  insofern  schon  im  indog.  ep,  eu9  zu  7  und  n 
contrahiert  wurden. 

Auch  diese  t,  ü  sind  nur  in  set -wurzeln  berechtigt,  wie 
längst  de  8aussure  nachgewiesen  hat.  Im  folgenden  stelle  ich 
die  germanischen  beispiele  die  ich  mir  notiert  habe,  zusammen. 
Da  *  nicht  von  ei  zu  scheiden  ist,  beginne  ich  mit  u,  das  im 
wesentlichen  allein  in  betracht  kommt,  ü  ist  im  germanischen 
ein  ziemlich  häufiger  laut,  der  in  zahlreichen  fällen  unerklärt 
ist.  Möglicherweise  steckt  noch  etwas  anderes  darin  als 
indog.  ü. 

Got.  pnsundi  gehöi't  zu  ai.  iari-,  wie  ich  IF.  (5,  344  ff.  nach- 
gewiesen zu  haben  glaube.  Vgl.  ai.  tav'iti  RV.,  fdrish  RV.,  tdvh 
yas  V.    Zur  selben  wurzel  gehört  auch  ahd.  dümo,  ags.  püma 


GEAMMATISCHES   UND   ETYÄIOLOGISCHES.  309 

u.s.w..  das  einem  Ri.'^tariniä  entsprechen  würde.  Verkürzung 
des  i<  ist  in  -aw.  ])io)iaU  einjjetreten.  das  mit  seiner /-ahleitun«? 
dem  ind.  tmurasX.  "feist,  kräftig'  entsprechen  Avürde,  falls  es 
alt  ist.  Wegen  der  kürze  des  u  ist  letzteres  wahrscheinlich 
richtig.  Oben  haben  wir  auch  got.  gajm-asfjan  zur  gleichen 
Avurzel  gestellt,  mit  der  zweiten  Schwundstufe.  Ich  halte  dabei 
ü  und  u9  für  coordinierte  schwundstufenformen.  u  ist  dagegen 
erst  aus  u  in  neuer  Schwächung  entstanden. 

Got.  hrü])s  haben  Tlilenbeck,  Beitr.  22, 188  und  ich  a.  a.  o. 
s.  234  gleichzeitig  zu  ai.  hrdvimi  gestellt.  Der  ablaut  ist  auch 
hier  in  Ordnung. 

Got.  fräs  'faul*  ist  verwant  mit  Mi.  imtl  'faulen',  ptdiai 
^eiter',  ?i\.püyati  'wird  faul'  u.s.  w.  Als  wurzel  müssen  wir 
*peMä  ansetzen,  die  in  ai.  pundti,  pavi-twn  mit  der  bedeutung 
'reinigen'  vorliegt.  Dazu  lat.  pürus  u.s.w.  Die  bedeutungen 
divergieren  nun  allerdings,  und  der  einwand  liicus  a  non  lu- 
cendo  wäre  vielleicht  zu  erwarten,  wenn  einer  die  worte  ver- 
mitteln wollte.  Das  trifft  indessen  nicht  zu.  Nach  alter  an- 
schauung  reinigt  sich  vielmehr  die  wunde  durch  die  eiterung. 
So  lange  der  eiter  nicht  zersetzt  wird,  ist  er  ja  auch  rein 
weiss,  und  wird  erst  durch  zersetzungskeime  zur  stinkenden 
jauche. 

Nd.  düne  f.,  an.  dünn  m.  'daune',  engl,  doum  'daune,  weiche 
feder'  ist  nicht  erklärt.  Xun  verbindet  man  \'a\.  pltinui  mit 
unserm  fli'e(je)i,  und  feder  leitet  man  von  der  wnrztl 2>ct  'fliegen' 
ab.  Daher  könnte  auch  in  drm-  etwas  ähnliches  stecken.  Ich 
knüpfe  daher  zunächst  an  aisl.  di/ja  (dada)  'bewegen,  schütteln' 
an,  das  widerum  dem  ai.  dhtinoti  'schütteln'  (tut.  dhavishyati), 
gr.  ß^oaCoj  'in  schnelle,  heftige  bewegung  versetzen,  schnell 
bewegen'  entspricht.  Sollte  die  hei'anziehung  von  an.  dünn 
nicht  richtig  sein,  so  entspricht  doch  dyja  genauer  der  ind. 
set -wurzel. 

Got.  hlrärs  'rein',  ahd.  hlaUn-  stellt  man  zu  gr.  xXv^^o) 
'spüle,  reinige'.    Die  zweisilbige  basis  liegt  vor  in  lat.  cloäca. 

Der  stamm  hü  in  zahlreichen  Worten,  ahd.  bfian,  hur,  ge- 
h((it  zu  dii.  hitavi-f um  u.s.w. 

Ahd.  Stada  'staude,  Strauch,  busch'  verbindet  man  mit  gr. 
orvXoQ  ' Säule',  das  weiter  zu  ai.  sthürds,  sthülds  'dicht,  grob, 
gross,  dick,  i)lump'  gehört.     Die  zweisilbige  basis  liegt  vor  in 


310  HIRT 

sthdvi-ras  'fest,  derb,  massig,  stark,  volhvüchsig.  alt',  sthdvima 
n.  'das  dicke  ende,  die  breite  seite'. 

Alid.  mu  'zäun,  garten',  ags.  tun  'das  umzäunte,  ort',  an. 
tun  'eingehegtes,  gehöft'  entspricht  air.  dun  'bürg,  Stadt'. 
Weitere  anknüpfung  fehlt.  *dn-nom  sieht  nun  zweifellos  Avie 
ein  altes  no-particip  aus,  und  wir  können  dazu  eine  wurzel 
*deuä  erschliessen.  die  im  Sii.  dunöti  A\ . -\- .  dunds  A\.  mit  der 
bedeutung  'brennen'  vorliegt.  Die  bedeutungsvermittlung  ist 
möglich,  wenn  man  an  lat.  aedes  denkt.  Mit  unserm  wort 
kann  auch  die  thrakische  ortsnamenbezeichnung  dava,  deva 
zusammenhängen,  in  Pidpudeva,  MovQidtßa,  ZixiSeßa,  2ixaideßa; 
vgl.  Kretschmer,  Einl.  s.  222,  der  es  von  der  wurzel  dhc  ableitet. 
Aisl.  snua  'wenden,  kehren,  drehen,  winden'  verbinde  ich 
mit  ahd.  senawa,  ai.  snävan. 

Ahd.  chfimön  'klagen,  beweinen'  stellt  man  mit  recht  zu 
gr.  yö/og  'totenklage'.  Dies  war  eine  set -wurzel,  wie  aus  hom. 
yorjfitvai,  yodoisv  hervorgeht. 

Got.  ahd.  hns  zu  hütte  und  zu  gr.  xEvf^co  'verbergen'  zu 
stellen,  ist  wegen  der  länge  des  u  bedenklich,  xiv&co  ist  zweifel- 
los eine  anit -wurzel  und  muss  daher  fern  bleiben.  Den  laut- 
lichen anf orderungen  entspricht  die  Verbindung  mit  lat.  caverna 
'die  höhle'.  Da  man  vielfach  in  höhlen  wohnte,  ist  die  glei- 
chung  auch  semasiologisch  unbedenklich,  caverna  lässt  sich 
aus  *cavcsina  erklären. 

Ahd.  5ß?  ' Säule'  u.s.av.  verbindet  Kluge  mit  -dM.  sivelli  n. 
'schwelle',  was  nach  den  ablautsverhältnissen  sehr  wol  angeht. 
Got.  Saids  f.  wäre  die  erste  vollstufe  dazu.  Sonst  kann  ich 
die  wurzel  nicht  nachweisen. 

Ahd.  scür  m.  ' Unwetter,  hagel'  ist  ablaut  zu  lit.  sziaurys 
'nordwind'.  abulg.  scveru  'norden',  lat.  canrus;  hier  liegt  aber 
eu  zu  gründe. 

Aisl.  ryja,  rüöa  'vellere  lanam'  gehört  zu  lit.  rdiiju,  rdiiti 
'eine  pflanze  mit  der  wurzel  aus  der  erde  ziehen'.  Dazu  könnte 
man  auch  ahd.  ruh  'behaart,  rauh,  struppig',  eigentlich  "gerupft, 
gezaust'  stellen. 

Ich  will  mit  diesen  gleichungen  durchaus  nicht  sagen,  dass 
man  worte  mit  n  und  ü  unter  keinen  umständen  etymologisch 
verbinden  dürfe:  giebt  es  doch  verwante  formen  mit  u  und  ü 
neben  einander  in  liinreichender  anzahl.    AVas  ich  nochmals 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  311 

betonen  möchte,  ist  dass  man  vorlänfig  ein  wort  mit  u  nicht 
auf  eine  anit-AVurzel  bezielien  darf.  Ich  kenne  eigentlich  nur 
eine  sichere  ausnähme  von  diesem  satz:  ahd.  Int,  ags.  Jdad,  das 
zu  ai.  gru  gehört.  Das  ist  zweifellos  eine  anit-wurzel,  aber  es 
sind  auch  spuren  des  /  vorhanden:  rrdvishtha  kommt  vom  AV. 
an  vor;  im  KV.  lieisst  es  rnrrüyds.  Hier  standen  also  Avalir- 
scheinlich  zwei  wurzeln  neben  einander.  Man  beachte  dabei, 
dass  germ.  VdnÖaz  eine  bestimmte,  abweichende  bedeutung  hat. 

Germ,  i,  das  wir  zu  zAveit  betrachten  wollen,  ist  leider  nicht 
sicher  von  ei  zu  scheiden.  Aber  die  möglichkeit,  ein  an  sich 
zweifelhaftes  germ.  t  als  entsprechung  eines  ursprünglichen  ei 
aufzufassen,  muss  überall  da  in  betracht  gezogen  werden,  wo 
wir  es  mit  einer  anit-wurzel  zu  tun  haben. 

Es  kann  daher  altes  i  nicht  stecken  in  ahd.  hellban,  ai. 
alijyat  u.s.w.  (Osthoff,  MU.  4,  4),  in  got.  frmceitan,  wenn  dies 
zu  vidäx  U.S.W,  gehört  (Osthoff  s.  6).  in  ags.  sniiveö,  in  ahd. 
wis,  ahd.  liwls,  ai.  gvit  und  überhaupt  in  dem  meisten,  was  bei 
Osthoff.  MU.  4  und  bei  Xoreen.  iTg.  lautl.  s.  75  f.  angeführt  wird. 
Sichere  fälle,  in  denen  l  zu  einer  set-wurzel  gehört,  sind  nicht 
gerade  häufig.  Got.  lei])u(s)  würde  ein  solches  sein,  wenn  es 
mit  lit.  lytiis  zu  verbinden  wäre,  vgl.  le'ti  'giessen'.  Ferner 
got.  frcidjan  'schonen',  an.  fricfr,  ags.  frW  'hübsch'  u.s.w.  zu 
ai.  prltds. 

Ahd.  rim  'reihe,  reihenfolge,  zahl',  kann  zu  ai.  rinäii  'fluten, 
fluten  lassen'  gehören,  also  auch  mit  rinnau  verwant  sein. 

Zum  Schlüsse  dieses  aufsatzes  möchte  ich  noch  ein  paar 
für  den  ablaut  der  set-Avurzeln  im  germanischen  typische  fälle 
zusammenstellen.  Wir  unterscheiden  zwei  vollstufen  und  zwei 
sch^\Tindstufen. 

Aus  der  wurzel  ycncju  wii'd  I)  bei  betonung  der  ersten 
silbe  ^t'w3,  2i\\^.chlnd  {gY.y£V£Oic,Vdt.(/enitor,-di.jaui-ta);  —  II) 
bei  betonung  der  zweiten  silbe  gcne^o,  got.  hiöps  'geschlecht', 
as.  Icnösal,  ahd.  chnuosal. 

Bei  unbetontheit  der  beiden  ersten  silben  entsteht  —  III) 
die  erste  Schwundstufe  ßeiid-,  germ.  lain,  got.  himinakunds,  Icuni 
'geschlecht',  lat.  natus,  und  —  IV)  die  zweite  Schwundstufe 
ynd,  ahd.  hnabo. 


312  HIRT 

Wz.  genejö  ^kennen':  I)  got.  Tiann-^  —  11)  ahd.  chnäan,  ags. 
cnäwan,  ahd.  einchmadil  'insignis',  cnuodelen  'ein  erkennungs- 
zeichen  geben';  —  III)  rjakunds,  Tmnpi,  Jcnnps;  —  IV)  — . 

Wz.  merä^:  I)  ahd.  maraivi\  —  II)  ahd.  brätan;  —  IIT) 
murmvi;  —  IV)  — . 

II. 
Zur  vertretiing  der  labiovelare. 

1.  Gegen  die  von  Zupitza,  Die  germ.  gutt.  s.  97  f.  auf- 
gestellte lehre,  dass  indog.  anlautendes  ghv  im  germanischen 
durch  g  vertreten  werde,  hat  ühlenbeck  in  diesen  Beitr.  22,  543 
mit  recht  einsprach  erhoben,  worauf  Zupitza,  Beitr.  23,  237  ff. 
geantwortet  hat.  Ich  halte  auch  seine  jetzigen  ausführungen 
nicht  für  beweisend.  Weshalb  wir  auf  die  zukunft  hoffen 
sollen,  die  vielleicht  noch  sichere  beispiele  für  den  wandel  von 
gM  zu  g  bringen  werde,  kann  ich  nicht  erkennen.  Vorläufig 
müssen  Avir  uns  mit  dem  begnügen  was  vorliegt. 

Zunächst  spricht  doch  die  behandlung  des  inlautenden,  im 
Silbenanlaut  stehenden  ghu  auch  mit,  wenn  wir  den  anlaut 
betrachten.  Und  da  hier  von  Zupitzas  regel  nichts  zu  spüren 
ist,  ist  dies  ein  schwerwiegendes  moment. 

Sicherer  ist  es,  sich  auf  das  etymologische  material  zu 
stützen. 

Zupitza  bestreitet  die  beweiskraft  der  alten  gleichung: 
got.  ivarms,  ai.  ghannus  'hitze',  av.  garemu,  ap.  ganna  'warm', 
apreuss.  gorme  'hitze',  air.  gorm,  lat.  formus,  gr,  ö^tp/zdc.  Wenn 
wir  ein  wort  so  durch  alle  sprachen  mit  demselben  suffix  und 
derselben  bedeutung  hindurchgehen  sehen,  so  hat  ein  solches 
wort  zweifellos  eine  grosse  beweiskraft.  Daran  kann  es  auch 
nichts  ändern,  dass  des  öfteren  wurzeln  mit  anlautendem  labio- 
velar  und  tv  neben  einander  stehen.  Bezzenberger  hat  BB. 
16,257  das  germanische  wort  mit  lit.  aV^«,  abulg.  vrcti  'sieden, 
fervere',  variti  'koclien',  varü  'glut',  armen,  varem  'anzünden' 
verglichen.  Die  heranziehung  des  armenischen  Wortes  begleitet 
Hübschmann,  Arm.  gramm.  s.  494  mit  einem  f ragezeichen,  nach- 
dem schon  Bugge,  KZ.  32,  50  auf  die  Verschiedenheit  der  bedeu- 
tungen  hingewiesen  hatte.  T^nd  sind  denn  nun  die  lit.  slav. 
Worte,  die  zweifellos  'kochen'  heissen,  so  ohne  weiteres  in 
ihrer  bedeutung  mit  dem  germanischen  tvarm  zu  vermitteln? 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  313 

Ich  glaube  nicht.  Von  'koclien'  zu  'warm'  ist  ein  grosser 
Sprung  der  begriffe,  und  ich  habe  bisher  kein  beispiel  gefunden, 
in  dem  auf  anderem  Sprachgebiet  dieser  Übergang  stattgefunden 
hätte.  Schliesslich  kommt  noch  hinzu,  dass  lit.  virti  (verein) 
und  abulg.  rreft  (serb.  vreti)  auf  eine  set-wnrzel  weisen,  wäh- 
rend die  Wurzel,  zu  der  gr.  {)-eQfi6g  u.s.  w.  gehört,  eine  anit- 
wnirzel  war.  So  zerfällt  bei  näherem  zusehen  das  angebliche 
nebeneinander  einer  wurzel  *ghuer  und  *uer  in  nichts,  und  so 
wie  hier  ist  es  mit  mehreren  anderen  der  von  Zupitza  an- 
geführten fälle.  Ausserdem  mnss  bei  solchen  Wortpaaren  noch 
nachgewiesen  werden,  dass  ihre  Urbedeutung  die  gleiche  ist, 
dass  nicht  die  gleichen  bedeutungen  erst  im  laufe  der  zeiten 
entstanden  sind.  So  ist  ags.  civelcm  'sterben',  avahi  'tod'  mit 
dem  bestimmten  sinn  entschieden  jung,  wegen  ahd.  quälet,  lit. 
gelfi  'wehe  tun*,  abulg.  zalt  'leid';  in  an.  ralr  'die  leichen  auf 
dem  Schlachtfeld"  liegt  offenbar  eine  metonj'mie  örtlich  causaler 
natur  vor  wie  in  hragen,  ärmel,  frauenzimmer,  hacle,  bände, 
bein  u.  v.  a.  valr  heisst  eigentlich  das  Schlachtfeld  und  dann, 
was  sich  darauf  befindet,  ival  selbst  ist  aber  der  ort  des 
Untergangs  wegen  ahd.  tvuol  'niederlage',  Rgs.wöl  'pest,  seuche'. 
Wo  besteht,  Avenn  wir  so  w'eit  gekommen  sind,  noch  eine  mög- 
lichkeit  die  worte  zu  vereinigen?  Lit.  velys  'verstorbener' 
kenne  ich  nicht:  ich  finde  es  weder  bei  Kurschat,  noch  bei 
Xesselmann  und  Leskien.  Ich  will  auf  die  übrigen  fälle  nicht 
eingehen,  da  es  auf  die  saclie  selbst  nicht  ankommt,  und  nur 
noch  darauf  hinweisen,  dass  sich  auch  noch  andere  'reim- 
wöiter'  finden,  in  denen  scheinbar  am  anfang  ein  consonant 
hinzugefügt  ist.  Darüber  hat  bekanntlich  Meringer,  WSB. 
125,2,  s.  35ff.  gehandelt,  ohne  zu  überzeugenden  ergebnissen 
kommen  zu  können.  Jedenfalls  ist  das  Avort  ivarms  so  gut 
wie  nur  irgend  eins  geeignet,  die  behandlung  der  lautgruppe 
ghv  im  anlaut  klarzulegen. 

Kin  zweites  beispiel  ist  ahd.  ivalis  'scharf,  das  von  Fick 
Vgl.  wb.  1<,  417.  Prellwitz.  Et.  wb.  348  mit  gr.  (pogöq  'spitz'  ver- 
glichen wird.  Die  gleichung  ist  tadellos  und  jedenfalls  der 
heranziehung  von  ai.  rdci  'axt',  die  Zupitza  s.  3.S  vorgeschlagen 
hat,  vorzuziehen. 


')  Vgl.  dazu  Thomas.  Ueber  die  mügliclikeiteu  des  bedeutniigswandels, 
Blätter  für  das  gymuasialweseu  3U  (1894),  710. 


314  HIRT 

Gr.  g^atrioif  siQozffiXtc.,  i^öv,  got,  ivöpeis  lässt  Ziipitza 
nicht  gelten,  worin  ihm  vielleicht  beizustimmen  ist.  Er  ver- 
gleicht ir.  hdid  'süss'  mit  dem  griechischen  wort,  wobei  er 
für  das  griechische  umspringen  der  aspiration  annehmen  muss. 

Ist  das  material  für  die  bisher  geltende  annähme  immer- 
hin nicht  sehr  reicli,  so  spricht  doch  auch  nichts  dagegen.  Das 
einzige  beispiel  Zupitzas  ist  aisl.  (jandr  'rute',  sm.ggndoU  'virga 
virilis',  das  er  zu  ai.  hdnfi,  gr.  fhlrm,  fpövog  stellt.  Zur  ent- 
kräftung von  A\'adsteins  deutung  IF.  5,  30  hat  Z.  nichts  vor- 
gebracht, und  so  muss  sein  Widerspruch  auf  sich  beruhen  bleiben. 
Und  wenn  man  auch  aisl.  [/andr  nach  Liden,  BB.  21, 98  mit 
air.  fjeind  'a  wedge',  ng-del.  gcinu  'a  wedge,  cuneus;  a  large, 
thick  piece  of  anything'  verbinden  wollte,  so  bliebe  doch  die 
Vereinigung  dieser  worte  mit  gr.  &dvco  u.s.w.  unsicher. 

2.  Auch  die  frage  nacli  dem  verlust  des  labialen  nach- 
klangs  ist  durch  Zupitzas  arbeit  nicht  ganz  ins  reine  gebracht, 
wie  z.  b,  der  einspruch  Solmsens,  Journ.  of  germ.  phil.  1.  387 
beweist.  Ich  stimme  indessen  Zupitza  darin  bei,  dass  vor 
indog.  0  ein  Schwund  des  u  nicht  eingetreten  ist.  Aber  ob 
dies  auch  für  die  Stellung  vor  indog,  ö  gilt,  lässt  sich  bezwei- 
feln. Das  einzige  sichere  beispiel  ist  gr.  ßovq,  ahd.  laio,  und 
dies  genügt  auch.  Wenn  man  auch  die  «-formen,  aisl.  Icyr,  ags. 
cü  zu  liilfe  ruft,  um  den  schwund  zu  erklären,  so  bleibt  es 
doch  auffällig,  dass  nirgends  ein  "^lacö  überliefert  ist. 

Daher  halte  ich  in  diesem  punkte  die  alte  anschauung 
für  noch  nicht  widerlegt.  Zu  beachten  ist,  dass  indog.  o  im 
germ.  zu  a  geworden  ist  in  einer  zeit,  die  wir  nicht  bestimmen 
können,  dass  dagegen  ö  stets  erhalten  blieb.  AA'as  übrigens 
got.  tuggö  gegenüber  lat.  lingua  betrifft,  auf  das  Solmsen  noch 
verweist,  so  kann  es  absolut  nicht  zum  beweise  dienen:  tuggö 
ist  entweder  erst  durch  metaplasnius  in  die  «-declination  ge- 
kommen (dieser  metaplasmus  ist  aber  doch  wol  bewirkt  durch 
den  zusammenfall  einiger  casus  der  a-  und  li  -  declination  zu 
einer  zeit  wo  indog.  ä  und  ö  im  germanisclien  nicht  mehr  ge- 
trennt waren),  oder  es  ist  ein  alter  wä- stamm,  bei  dem  in 
einigen  casus  n  berechtigt  war  (Rhxüg.  jt^zy-hu  kann  man  ahd. 
zimga-n  gleich  setzen),  und  dann  ist  der  Verlust  des  iv  ana- 
logisch zu  erklären. 

Wenn  ags.  cii,  wie  nicht  zu  bezweifeln,  aus  *A(7  und  weiter 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  315 

aus  *1ctvö  entstanden  ist,  so  kann  man  natürlich  auch  ags.  M 
dem  as.  hicö  g:leichsetzen.  Der  versuch  von  Joh.  Schmidt.  KZ. 
32.403,  ags.  ha  direct  mit  ai.  AvT  zu  verbinden,  bleibt  daher 
mindestens  unsicher.  Zwischen  wgerm.  hwö  und  got.  he  be- 
steht dieselbe  vocaldifferenz  wie  im  gen.  plur.  masc.  und 
anderen  fällen. 

III. 
Zu  den  f-praesenfien. 

Johansson  hat  KZ.  32, 434  ff,  überzeugend  gezeigt,  wie  im 
litauischen  die  praesensklasse  auf  -st  aus  der  dritten  person 
sg.  aor.  medii,  indog.  auf  -to  erwachsen  ist.  Der  gedanke,  dass 
aus  einzelnen  endungen  verbalsuffixe  entstehen  können,  ist  auch 
in  anderen  fällen  als  berechtigt  anerkannt.  Ich  möchte  dieses 
princip  anwenden,  um  einige  fälle  zu  erklären,  in  denen  im 
germanischen  ein  praesenssuftix  indog.  to  auftritt. 

Betrachtet  man  die  beispiele  für  das  praesenssuftix  -to  in 
Brugmanns  Grundr.  2, 1088  ff.  (§  679),  so  fällt  es  auf,  wie  spär- 
lich sie  in  den  einzelnen  sprachen  vertreten  sind,  so  dass  man 
hier  schwerlich  von  einem  productiven  suftix  reden  kann. 
Merkwürdig  ist  es  auch  hier,  dass  das  germanische  mit  dem 
lateinischen  hand  in  hand  geht,  z.  b.  in  plccfö  'flechte',  ahd. 
tlihtu  gegenüber  gr.  xXtxm.  Hom.  heisst  es  näy.oi  'kämmen, 
scheeren',  Wi.peszu,  aber  VsX.  pecto  und  germ.  fihtu  (vgl.  Brug- 
mann  2, 1089).  Jedenfalls  haben  wir  es  in  solchen  fällen  z.  t. 
mit  neubildungen  zu  tun,  z.  t.  liegt  aber  m.  e.  die  3.  sg.  medii 
zu  gründe.  Aus  dem  germanischen  ziehe  ich  hierher  got.  us- 
aljmns  'gealtert',  aisl.  aldenn  'gealtert',  gegenüber  aJa  'auf- 
wachsen'. Die  formen  mit  dem  /'-suffix,  die  leider  nur  im 
participium  belegt  sind,  haben  entschieden  intransitiv  medialen 
sinn.  Ein  indog.  "^alto  hätte  im  got.  zu  "^alj)  geführt,  und  da- 
von ist  das  participium  alpans  gebildet.  Aehnlich  lässt  sich 
vielleicht  das  merkwürdige  verbum  got.  standan,  stö]>  erklären, 
neben  dem  sich  im  ahd.  stcn  findet.  Zuletzt  hat  sich  Osthoff 
um  die  erklärung  bemüht  (vgl.  IF.,  Anz.  1,  82);  er  nimmt  eine 
besondere  i»raesensbildung  auf  -7ict  an.  Diese  auffassung  scheint 
mir  mit  Brugmann,  (-irundr.  2,  1043  anm.  2  nicht  überzeugend 
zu  sein.  Halten  wii-  uns  an  die  tatsachen,  so  steht  z.  b.  im 
ahd.  neben  dem  alten  praesens  sten  {stän)  ein  praeteritum  siuot 


olb  HTRT 

(arstuat  WK.,  vorstötun,  forstuotun  T.,  gistiiaf,  gistuatnn  0).  Die 
3.  pers  sing,  können  wir  ohne  weiteres  auf  *stöto  zurückführen, 
was  abgesehen  von  der  vocalstufe  einem  ai.  asthita  genau  ent- 
sprechen würde.  Allerdings  kommt  dem  aorist  nicht  eigent- 
lich die  starke  Stammform  zu.  aber  diese  unterschiede  im  ab- 
laut  sind  ja  schon  frühzeitig  ausgeglichen,  vgl.  ahd.  gitän. 
Im  praesens  der  verwanten  sprachen  finden  wir  weiter  sehr 
häufig  einen  nasal:  gr.  oratw),  armen,  sianam,  lat.  destinärc, 
abulg.  stanetu  neben  sfafi,  preuss.  stänintei,  adv.  des  part.  praes. 
Stand  nun  im  germ.  ein  *stanö  neben  *stö]),  so  konnte  sehr 
leicht  der  dental  auch  in  das  praesens  eingeführt  werden. 

Es  liegt  natürlich  nahe,  auch  die  übrigen  ^praesentien  des 
germanischen  auf  diese  weise  zu  erklären,  vor  allem  got.  tvinda, 
*gawaj),  doch  fehlt  hier  die  anknüpfung  an  die  verwanten 
sprachen. 

Es  liegt  ferner  nahe,  einige  ^-praesentien  aus  alten  aoristen 
zu  erklären.  So  z.  b.  got.  fraliusa  gegenüber  gr.  Xvm,  lat.  solvo 
aus  aor.  fra-lu-s-um,  der  ganz  genau  gr.  Uvoafitv  entspricht. 
Ueberhaupt  muss  doch  einmal  die  frage  aufgeworfen  werden, 
was  aus  den  zahlreichen  aoristbildungen  des  indogermanischen 
im  germanischen  geworden  ist.  Wenn  man  die  zweite  sing, 
perf.  ahd.  hü^i,  ags.  hite  mit  recht  für  eine  form  des  sogenanten 
aoristus  secundus  erklärt,  so  scheint  mir  eine  solche  form  in 
das  perfectsj'stem  nur  haben  hineinkommen  können,  wenn  in 
anderen  formen  ein  lautgesetzlicher  Zusammenhang  statt- 
gefunden hatte.  Dieser  ist  eingetreten  im  plural.  Formen  wie 
ai.  ddirani,  ddi^as,  ddicat,  ddiräma,  ddirata,  ddlgau  hätten 
wgerm.  "^tig,  tigi,  *tig,  tigimi,  *tigid,  tigan  ergeben.  Die  erste 
pluralis  fiel,  aber  nur  im  Avestgermanischen  (got,  dagam  =^  ahd. 
taguni),  mit  der  perfectform  zusammen.  Sie  wird  den  zusammen- 
fall veranlasst  haben.  Andere  fälle  mögen  noch  sein  *l)iti, 
*bikim,  ai.  dbhidas,  dbhidäma;  ai.  dsicas,  dsicäma  zu  sie  =  ahd. 
sthan;  gr.  sXijtsc,  aXixo(itv,  •dhd.lnvi,  Uwum;  dii.  dvrtas,dvrtmna, 
ahd.  ivurti,  ivurtum. 

Nicht  also  der  zusammenfall  mit  der  optativform  (wie 
V.  Fierlinger,  KZ.  27,  432  meinte),  ist  der  grund  der  erhaltung 
der  2.  sg.  im  wgerm.,  sondern  weil  sie  in  das  perfectsystem 
eindringen  konnten,  darum  haben  sich  diese  formen  erhalten. 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  317 

TV. 

Zur  Chronologie  germanischer  lautgesetze. 

Man  hat  sich  mit  recht  bemüht,  niclit  mir  die  relative, 
sondern  auch  die  absolute  Chronologie  der  lautgesetze  festzu- 
stellen, die  in  eine  vorliterarische  epoche  fallen.  In  neuerer 
zeit  ist  man  dieser  frage  wider  verschiedentlich  näher  getreten, 
und  Streitberg:  hat  in  seiner  Urgerm.  grammatik  an  den  be- 
treffenden stellen  verzeichnet,  was  sich  über  die  absolute  Chro- 
nologie einzelner  urgermanischer  lautvorg'änge  vorbringen  lässt. 
Dass  man  gegen  das  Avas  er  mit  anderen  anführt,  begründete 
einwände  erheben  kann,  hoffe  ich  im  folgenden  zeigen  zu 
können,  und  ich  bemerke  nur,  dass  derartige  bedenken  schon 
früher  geäussert  sind,  vgl.  Möller,  KZ.  24,  508.  Bremer,  IF.  4,  21. 
Da  sie  aber  nicht  beachtet  werden,  ist  es  nötig  sie  zu  wider- 
holen. 

Bei  der  bestimmung  der  absoluten  Chronologie  sind  wir 
geAvöhnlich  auf  die  erscheinungen  in  lehnworten  angewiesen. 
Diese  aber  leiden  an  einem  lecht  betiächtlichen  mangel,  denn 
man  niiiss  bei  iJmen  mit  dem  wichtigen  factor  der  lautsubsti- 
tution  rechnen,  und  daher  ist  ihr  Zeugnis  meistens  anfechtbar. 
PrüffU  wii-  nun  die  einzelnen  fälle: 

1.  Der  germanische  vocalismus  ist  charakterisiert  durch 
den  zusammenfall  von  «  und  o  in  a,  von  ä  und  ö  in  ö. 
Wann  ist  dies  eingetreten? 

'Die  alten  keltischen  lehnwörter  verwandeln  ihr  o  in  a, 
sind  also  vor  der  zeit  des  wandeis  von  indog.  o  zu  germ.  a 
aufgenommen.  Vgl.  Moyuntiacum,  ahd.  Mcujinza,  gall.  Voseyiis, 
ahd.  Wasconoivalt,  gall.  Volcae,  ahd.  Wullia.  Die  später  auf- 
genommenen lat.  lehnwörter  erhalten  im  germanischen  ihr  o 
unverändert.  Vgl.  coqucre,  ahd.  lochön  u.s.  av.'  Dasselbe  be- 
liaui)tet  Brugmann,  (irundr.  1  '\  145. 

Das  beispiel  beweist  nicht,  was  es  beweisen  soll.  Denn 
angenommen,  dass  o  schon  zu  a  geworden  war,  so  besassen 
die  (lermanen  kein  o  mehr  (vorausgesetzt,  dass  u  noch  niclit 
zu  o  gewoiden  war);  sie  substituierten  daher  ihr  a  für  das 
kelt.  0.  Als  sjjäter  ein  neues  o  aus  u  entstanden  war.  konnten 
sie  dieses  für  das  o  der  lateinischen  lehnworte  gebrauchen. 
Es  würden  also  diese  beispiele  nui-  zur  zeitlichen  bestimmung 


318  HIRT 

des  gerin.  a-iimlaiits  von  i(  dienen  können,  aber  selbst  dieses 
ist  niclit  ganz  sicher.  Bei  der  widergabe  fremder  vocale 
kommt  nämlicli  vor  allen  dingen  die  eigenliöhe  des  vocals  in 
betracht.  Serben,  denen  ich  deutsche  Wörter  mit  a  vorsprach, 
hörten  darin  ein  o  und  gaben  es  demnacli  mit  o  wider,  ob- 
gleich sie  selbst  ein  a  besitzen,  das  allerdings  bedeutend  höher 
liegt  als  unser  deutsches  a.  Aehnlich  war  es  auch  früher. 
Für  germ.  a  in  lehnwörtern  wird  im  slavischen  o  gesprochen, 
vgl.  z.  b.  serb.  grof  =  graf  u.  v.  a.  Die  Litauer  dagegen  setzen 
für  das  slav.  o  noch  heute  ein  a,  weil  die  Litauer  kein  o 
kennen,  vgl.  lit.  alyvä  'olive',  poln.  oliva;  lit.  altörius,  poln.  o?tor 
'altar',  Mi.  äsüas,  Ww  oscl,  poln.  os?"o? 'esel'  u.s.w.  mit  voll- 
ständiger regelmässigkeit.  ]\Ian  wird  daher  aus  den  germani- 
schen lehnworten  aus  dem  keltischen  nicht  das  schliessen 
können,  was  man  getan  hat.  Sie  sind  m.  e.  in  keiner  weise 
verwertbar. 

2.  'Indog.  ö  und  ä  sind  zur  zeit  Caesars  im  germanischen 
noch  geschieden  gewesen,  vgl.  silva  Bacenis,  ahd.  Bnochnnna^ 
Ebenso  Brugmann,  Grundr.  1-,  15L  Im  altirischen  und  im  galli- 
schen sind  indog.  ö  und  Ci  in  a  zusammengefallen.  Ist  dies 
aber  der  fall,  so  kann  in  Bacenis  keltische  lautsubstitution 
für  "^Böccnis  vorliegen.  Denn  (Jaesar  wird  doch  den  nanien 
aus  gallischem  munde  vernommen  haben.  Ebensowenig  be- 
weisen die  lehnworte,  gall.  hrdca,  aisl.  bröJc,  ahd.  hruoh,  Bänn- 
tms,  got.  Bönaici,  ahd.  Tnononwa.  Wie  hier  kelt.  ä  durch  ö 
widergegeben  wird,  so  wird  lat.  ö  durch  U  ersetzt,  vgl.  as. 
Piumnhurg.  In  diesem  falle  wird  wol  lautsubstitution  vor- 
liegen und  ö  für  ä  kann  man  dann  kaum  für  etwas  anderes 
halten.  Es  scheint  mir  nicht  richtig  zu  sein,  in  einem  falle 
wie  got.  Bümöneis  =  lat.  Bömäni  den  einen  vocal  anders  als 
den  andern  zu  beurteilen.  Wir  können  aus  den  keltischen 
lehnworten  widerum  nichts  anderes  schliessen,  als  dass  damals 
im  germ.  ein  ä  nicht  existierte.  Nun,  dass  ä  aus  rt  erst  ziem- 
lich spät  entstanden  ist,  das  wissen  wir,  und  ebenso,  wann  un- 
gefähr das  urgermanische  ä  zu  ä  geworden  ist.  Auch  hier 
sei  es  mir  gestattet,  auf  den  bekannten  Vorgang  in  den  lit. 
slavischen  sprachen  zu  verweisen. 

Das  litauische  kennt  nur  ein  ö,  das  slavische  nur  ein  ä, 
und  sie  substituieren  dementsprechend.  Man  vergleiche  folgende 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  319 

fälle:  lit.  ni6::e)-is,  nilid.  mascr,  lit.  nmerszlahas  'hamiuerschlag', 
Mi.  liolca  'pranger',  m\\&.  hak  'scliandpfalir  u.s.w.  Für  slav.  a 
stellt  gleichfalls  ö:  lit.  äönjti,  klr.  darytji  * umherjag^end  quälen', 
\\i.  iirömiata,  klr.  liramoia  (g;r.  yQafifiara);  lit.  (ironyre,  poln.  ryr«- 
nica  U.S.W.  So  wenig  man  hier  aus  den  lautsubstitutionen 
einen  schluss  auf  die  Chronologie  ziehen  kann,  so  wenig  ist 
das  im  germanischen  angängig. 

3.  lieber  die  Chronologie  der  germanischen  lautverschiebung 
hat  Much.  Beitr.  17,  62  f.  gehandelt.  Auch  in  diesem  falle  haben 
seine  resultate  bei  Kossinna,  W.,  Anz.  4,  49  beifall  gefunden.') 

Ebenso  bei  Streitberg,  Urgerm.  gramm.  §  126.  Aber  man 
kann  sich  bei  dieser  Chronologie  nur  auf  sehr  unsichere  beweis- 
punkte stützen.  Zunächst  konnnt  das  wort  alid.  hanaf,  ags. 
hccnep,  aisl.  hanpr  gegenüber  gr.  xavvaßig  in  betracht.  Much 
bemerkt   dazu  s.  63:   'diese   pflanze  wurde   den  Griechen   von 


1)  Ich  hatte  diesen  piiukt  z.  b.  mit  im  sinn,  als  ich  Beitr.  21,  144 
schrieb,  dass  sich  Much  auch  in  anderen  unbegründeten  punkten  des  bei- 
falls  von  Kossinna  erfreue.  Es  wird  in  den  IF.  ausdrücklich  gesagt:  'Als 
wichtigstes  ergebnis  der  Sprachwissenschaft  darf  endlich  die  festlegung  der 
ersten  (germanischen)  laiitverschiebung  in  die  zeit  um  300  v.  Chr.  nicht 
unerwähnt  bleiben.'  Seitdem  hat  Kossinna  selbst  dieses  datura  wider  um 
ein  jaliilinndert  verrückt  (Beitr.  20,  297),  und  er  hat  auch  die  Verteidigung 
von  Aluchs  deutuug  der  volkeruamen  übernommen  (IF.  7, 302),  wie  mir 
scheinen  will  mit  wenig  glück.  Ich  bestreite  durchaus  nicht,  dass  einzelne 
vülkernamen  aus  spott-  oder  tiernamen  entstanden  sein  können:  ich  be- 
streite nur,  dass  Muchs  deutungen  irgendwie  wahrscheinlich  sind.  Sehr 
charakteristisch  auch  für  Kossinna  sind  die  IF.  7,  304  angefiihrten  beispiele : 
Piceutes  (picus)  'specht'  und  Hirpini  (Jtirimii)  'wolf.  M.  e.  müssteu  die 
betreft'enden  stamme,  wenn  sie  tiernamen  trügen,  Fici  und  Hirpi  heissen, 
und  die  Warnaii  in  Mecklenburg  müssten  Varnl  genannt  sein,  wenn  sie 
'krähen"  wären.  Zwar  könnte  in  dem  -avi  die  endung  der  »-stamme 
stecken,  aber  ebensogut  auch  das  suftix  -uv,  das  z.  t.  die  herkunft  bedeutet. 
Wtniavi  könnten  also  die  nachkommen  eines  Vani  sein,  und  ebenso  bedeutet 
llirpini  nichts  anders  als  zu  einem  llirpus  gehörig.  Der  wichtige  gesichts- 
liunkt,  dass  überall  in  Europa  grosse  geschlechtsverbände  als  grundlage  der 
Stämme  existieren,  und  dass  wir  in  den  den  namen  deutlich  patronymische 
endungen  treften,  findet  bei  Kossinna  und  Much  nicht  die  gebührende  be- 
rücksichtigung.  Allerdings  genügen,  'um  alte  völkernamen  richtig  erklären 
zu  können,  nicht  einmal  die  besten  kenntnisse  der  lautsysteme  der  alten 
Sprache,  sondern  e.s  bedarf  dazu  noch  ethnologischer  und  urgeschichtlicher 
kenntnisae.'  (iewis.  Aber  sprachliche  kenntnisse  und  richtige  Vorstellungen 
von  dem  leben  der  spräche  sind  doch  die  notwendige  Vorbedingung,  ohne 
die  die  übrigen  kenntnisse  wertlos  sind. 


320  HIRT 

Skj'tliien  her  (von  wo  sich  ihre  cultiir  über  Europa  aus- 
breitete) erst  im  5.  jh.  bekannt:  Herodot  4,  74  beschreibt  ihre 
Verwendung  seinen  lesern  noch  als  etwas  neues.  Kaum  früher 
aber  als  die  Griechen,  die  mit  der  nordküste  des  Schwarzen 
meeres  in  lebliaften  beziehungen  standen,  lernten  die  Germanen 
sie  kennen.'  Wenng-leich  diese  annähme  nichts  weniger  als 
sicher  ist  und  auch  mit  einigem  vorbehält  vorgetragen  wird, 
so  steht  in  der  anzeige  Kossinnas  IF,,  Anz.  4,  49  schon  die  'tat- 
sache  von  der  einfülirung  des  hanfes  in  Osteuropa  im  5.  jh.' 
fest.  Sehen  wir  uns  diese  Tatsache'  etwas  genauer  an.  Die 
betreffende  stelle  bei  Herodot  lautet:  "Eon  de  öqi  (Sxvd-an;) 
xdvvaßig  (pvo^EVi]  Iv  rij  ymQy,  jtX?jv  jia/^vrrixoQ  xal  fisyad^Eog 
xä)  Xlvcp  ifi<f)i:Q£Otdriy  ravTt]  öh  jtoXXco  vjtsq(/e()Si  //  xdvi>aßig' 
avTtj  xal  avTOfidn^  xal  OJttiQo^evrj  (pvETai,  xal  ig  amrjq 
0Q/'ftxeg  f/fv  xal  Hfiara  jtouvvxai  roloi  Xivtoiöi  ofjoioxaxa, 
ovo'  ar,  ooxig  fi?j  xdgxa  ZQißcov  shj  avxyq,  öiayi'o'ui,  Xhov  rj 
xavväßiog  eöri. . .  ^ 

I^nzweifelhaft  beschreibt  hier  Herodot  den  hanf  als  eine 
in  Griechenland  nicht  einheimische  pflanze,  die  bei  den  Skythen 
wild  und  culti viert  wuchs,  die  aber  auch  bei  den  Thrakern 
vorkam.  Denn,  sagt  er,  die  Thraker  bereiten  daraus  gewänder, 
die  Skythen  (so  muss  man  ergänzen)  aber  nicht.  Dass  der 
anbau  erst  kürzlich  eingeführt  wäre,  davon  steht  bei  Herodot 
kein  wort.  Vielmehr  sind  die  Skythen  und  Thraker  mit  der 
Verwendbarkeit  der  hanffaser  und  der  berauschenden  kraft 
der  samen  wol  bekannt,  und  sie  können  die  pflanze  schon  seit 
langer  zeit  culti  viert  haben.  Nicht  alles,  was  Herodot  be- 
schreibt, war  seinen  landsleuten  unbekannt.  Erzählt  er  doch 
ausführlich  die  anschauungen,  die  die  pontischen  Griechen  von 
der  lierkunft  der  Skythen  hatten,  und  liegt  doch  seinem  vierten 
buch  zu  einem  teil  eine  ältere  griechische  quelle  zu  gründe.  Die 
art,  wie  Herodot  hier  den  hanf  beschreibt,  ist  für  ihn  fast 
typisch  und  übei-all  zu  belegen. 

In  den  südlichen  halbinseln  fand  der  hanf  kein  günstiges 
fortkommen.  Bei  den  Römern  erwähnt  ihn  (nach  Hehn,  Cultui*- 
pflanzen"  s.  187)  der  Satiriker  Lucilius  um  100  v.  Chr.  zum 
ersten  male.    Wann  er  bei  den  Germanen  angebaut,  oder  wann 


*)  Das  ist  auch  heute  noch  der  fall.     Experto  crede. 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  S21 

er  ihnen  wenigstens  bekannt  geworden  ist,  darüber  lässt  sich 
einfach  nichts  anssagen.  Anch  die  untersuclmng  der  funde  hat 
nichts  ergeben.  Huschan  sagt,  Vorg-eschiclitl.  botanik  s.  11(3: 
'In  dem  ganzen  mittleren  nnd  westliclien  Europa  war  die  hanf- 
pfianze  zur  jüngeren  stein-  und  broncezeit  und  aucli  wol  noch 
zur  eisenzeit  unbekannt;  das  erste  hänfene  gewebe,  das  in 
jenen  gegenden  gefunden  ist,  stammt  nach  meinen  Unter- 
suchungen aus  der  Völkerwanderungsperiode.'  Indessen  dürfen 
wir  aus  dem  mangel  an  funden  nichts  schliessen.  Wichtig  ist 
eine  von  Helin  a.  a.  o.  angeführte  nachricht:  'Als  Hiero  II.  von 
SjTakus,  269 — 215  v.  Chr.  sein  bei  Athenaeus  5,  206  beschrie- 
benes ungeheures  praclitschiff  baute,  zu  dem  er  von  allen 
hindern  je  das  beste  in  seiner  art  kommen  Hess,  wurden  hanf 
und  pecli  vom  flusse  Rhodanus  in  Gallien  bezogen.'  Es  liegt 
kein  grund  vor,  mit  Buschan  die  richtigkeit  dieser  nachricht 
zu  bezweifeln.  A\^enn  der  hanfbau  spät  in  die  südlichen  halb- 
inseln  vorgedrungen  ist,  so  kann  dies  seinen  grund  darin  haben, 
dass  hier  die  wollenkleiduug  stets  die  linnene  und  hänfene  über- 
wogen hat.  Man  bedurfte  daher  keines  ersatzes.  Wie  es  aber  im 
norden  gewesen  ist,  das  vermögen  wir  einfach  nicht  zu  sagen. 

Aber  noc^h  etwas  anderes  ist  zu  erwägen.  Allgemein  und 
mit  recht  zerlegt  man  die  erste  germanische  lautverschiebung 
in  verschiedene  acte;  von  diesen  Vorgängen  ist  die  Verschie- 
bung der  medien  jünger  als  die  der  tenues.  Es  muss  dem- 
nach im  germanischen  eine  zeit  gegeben  haben,  in  der  man 
y,  5  und  (j  U.S.W,  sprach,  in  der  also  keine  tenues  vorhanden 
waren.  In  dieser  epoche  hätten  die  Germanen  für  ein  fremdes 
k  sicher  cli  substituiert,  ebenso  wie  sie  in  Kreks  ein  k  für  g 
eingesetzt  haben,  weil  sie  kein  (j  besassen.  Das  wort  hanf 
würde  demnach  nur  beweisen,  dass  die  Verschiebung  dei-  medien 
noch  nicht  eingetreten  war,  als  es  aufgenommen  wurde,  es  würde 
also  nur  für  diesen  Vorgang  chronologisch  bedeutsam  sein. 

Ebenso  steht  es  auch  mit  dem  worte  *Walhö^.  'Sofern 
Caesar  von  den  Volcae  Tectosages  mit  recht  erzählt,  dass  sie 
durch  die  grosse  Keltenwanderung  nach  Germanien  und  an 
den  erkynischen  wald  geraten  seien,  so  bestätigt  sich  damit, 
dass  jenes  germanische  Sprachgesetz  nach  dem  Sigovesuszuge 
in  kraft  getreten  ist.'  Muchs  'soferne'  ist  es,  woran  alles 
hängt.  Caesars  nachi  iclit  kann  aber  ebensogut  falsch  als  richtig 

Beiträgu  zur  güHchichte  der  iluut^uhtiu  spräche.      XX UI.  21 


322  HIRT 

sein.  Im  allgemeinen  sind  wir  doch  heute  nicht  so  ohne  wei- 
teres geneigt,  an  diese  einwanderungstheorie  zu  glauben,  die 
Caesar  BG.  6.  24  ausspricht.  Wir  werden  yieliuehr  mit  grösse- 
rem recht  die  Volcae  in  der  provinz,  die  auf  ligurisch-iberischem 
boden  sitzen,  für  einwanderer  halten,  und  die  Yolcae  in  Ger- 
manien für  zurückgebliebene  ansehen  [vgl.  jetzt  Niese,  Zs.  fda. 
42, 142  f.]. 

Dass  auf  den  namen  Vacalus  bei  Caesar  kein  gewicht  zu 
legen  ist,  und  dass  in  diesem  falle  Muchs  auseinandersetzungen 
unzutreffend  waren,  ist  bereits  durch  v.  Grienberger,  Beitr, 
19,  531  und  durch  Kossinna,  Beitr.  20,  294  gezeigt  worden. 

Auf  den  nach  Müllenhoff,  1  )A.  2,  234  aus  g-AW.  penn  'köpf 
entlehnten  bergnamen  Finne,  auf  den  Kossinna,  Beitr.  20, 296 
wider  hinweist,  ist  natürlich  ebenfalls  kein  beweis  zu  bauen. 
Er  könnte  höchstens  für  die  bestimmung  der  medienverschie- 
bung  in  betracht  kommen. 

Kossinna  will  auch  got.  fairynni  u.s.w.  aus  dem  keltischen 
entlehnt  sein  lassen  (IF.  7, 284).  Wir  können  ihn  bei  dieser 
annähme  ruhig  belassen  und  abwarten,  ob  er  den  beifall  der 
fachgenossen  finden  wird.  Ehe  wir  ihm  glauben  sollen,  muss 
Kossinna  noch  einige  andere  worte  nachweisen,  die  vor  der 
Wirkung  des  Yernerschen  gesetzes  entlehnt  sind.') 

M.  e.  ist  bisher  noch  kein  beweispunkt  angeführt,  der  uns 
gestattete,  die  erste  germanische  lautverschiebung  chronologisch 
festzulegen.  Allenfalls  lässt  sich  die  Verschiebung  der  medien, 
aber  ohne  sicheren  beweis,  ins  vierte  jh.  setzen.  Und  ich 
möchte  in  dieser  beziehung  auf  den  litauischen  volksnamen 
Giidal  verweisen.  Kurschat  sagt  im  Wb.  s.  v.:  'von  den  hiesigen 


')  Wenn  sich  Kossinna  auf  das  gebiet  der  giamniatik  begibt,  ist  er 
meistens  wenig  glücklich.  Hier  möchte  ich  vor  allem  noch  die  tatsache 
feststellen,  dass  er  Mnchs  etymologische  dentungen  in  der  hauptsache  ge- 
billigt liat,  diese  etymologischen  deutungeii,  <lcren  letztes  ergebnis  es  war, 
dass  Ptolemaeus  seine  völkernameu  von  herumziehenden  händlern  erhalten 
habe,  während  Holz  die  sehr  gelehrte  arbeitsweise  des  antiken  geographen 
aufdeckte.  Kossinna  hätte  besser  getan,  auf  seine  anzeige  von  Holz, 
Deutsche  zs.  f.  geschieh tsw.  n.  f.  1,  monatsbl.  76  ff.  nicht  zu  verweisen,  denn 
sie  zeigt  doch  jedem  der  sich  mit  diesen  fragen  beschäftigt  hat,  dass 
Kossinna  in  diesem  punkte  zum  mindesten  befangen  ist.  Ich  halte  Holzens 
buch  für  eine  viel  solidere  grundlage  für  weitere  forschung  als  Fluchs  ety- 
mologien  und  stehe  damit  nicht  allein. 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  323 

Litauern  werden  die  polnischen  Litauer,  von  den  Samogiziern 
aber  die  südliclieren  AWissrussen  GiidaJ  (etwa  (lOten?)  genannt.' 
Icli  brauche  wol  kaum  auseinanderzusetzen,  dass  diese  Ver- 
mutung- riclitig-  sein  kann,  falls  die  (joten  vor  der  Verschiebung 
der  medien  zu  tenuis  an  die  A\'eichselininidung  übergesiedelt 
sind,  was  sich  nach  Kossinuas  ausführungen  IF.  7,270  ff.  viel- 
leicht begründen  Hesse. 

V. 
Zum  spiranteiiweclisel  im  gotischen. 

Durch  Thurnej'sens  aufsatz  IF.  8,  208  ff.  ist  die  frage  nach 
dem  grammatischen  Wechsel  im  germanischen,  speciell  im  goti- 
schen, aufs  neue  angeregt.  Durch  den  nachweis,  dass  sich  der 
Wechsel  zwischen  tönenden  und  tonlosen  Spiranten  in  unbetonter 
silbe  nicht  nach  der  stelle  des  indog.  accentes,  sondern  nach 
einem  ganz  anderen  i)rincip  richtet,  sind  eine  ganze  reihe  von 
Schwierigkeiten,  die  sich  der  durchführung  der  accenthypothese 
entgegenstellten,  auf  das  einfachste  beseitigt,  und  die  zweifei. 
die  ich  in  meinem  Lidog.  acc.  in  betreff  der  verwertbarkeit 
germanischer  formen  für  die  bestimmung  des  indog.  accents 
ausgesjjrochen  habe,  vollständig  gerechtfertigt  worden.  Auch 
Kluge,  der  in  seiner  anzeige  meines  buches  Lit.-bl.  1895,  s.  331 
seinen  Widerspruch  gerade  gegen  diesen  punkt  richtete,  hat  in 
der  neuen  aufläge  von  Pauls  (IrUndrIss  die  meisten  früher  an- 
geführten beispiele  für  accentwechsel  gestrichen. 

Indessen  finde  ich,  dass  mit  Thurneysens  aufsatz  die  sache 
selbst  keineswegs  erledigt  ist.  Abgesehen  davon  dass  eine 
anzahl  vun  beispielen  übrig  bleiben,  die  sich  dem  gesetz  nicht 
zu  fügen  scheinen,  fehlt  auch  eine  erklärung  des  lautphysio- 
gischen  und  historischen  Vorgangs  der  gleich  zu  nennenden 
erscheinungen. 

Thurneysens  regel  lautet:  'unmittelbar  hinter  unbetonten 
(nicht  haupttonigen)  vocalen  erscheinen  stimmhafte  si»iranten. 
wenn  im  anlaut  der  unbetonten  silbe  ein  stimmloser  consonant 
steht;  dagegen  stimmlose,  wenn  jene  silbe  mit  einem  stimm- 
haften consonanten  anlautet  (-tuh-,  aber  -duf-).  Stehen  zwei 
consonanten  im  silbenanlaut,  so  wirkt  stimmloser  consonant  -|- 
liquida  wie  stimmhafter  anlaut;  vgl.  \mttn  aiihjödus,  tveifiröd-, 
aber  hröprahans,  niu/daJis.      Im    letzteren    fall   hebt    also   die 

21* 


324  HIRT 

dazA\ischensteliende  stimmhafte  liquida  die  wirkimg  des  vorher- 
gehenden lautes  auf.' 

Hier  dräng-en  sich  sofort  verschiedene  fragen  auf,  die  eine 
beantwortung-  erfordern.  Wie  verhält  sich  diese  regel  zum 
Yernerschen  g-esetz?  Hat  dieses  zunächst  gewirkt,  und  sind 
dann  die  tönenden  Spiranten  tonlos,  tonlose  tönend  geworden, 
oder  haben  wir  im  gotischen  in  unbetonten  silben  nur  tönende 
Spiranten  vorauszusetzen,  die  dann  nach  tinienden  consonanten 
im  anlaut  der  vorhergehenden  silbe  tonlos  geworden  sind,  oder 
ist  etwa  das  umgekehrte  eingetreten?  Ist  diese  erscheinung 
specifisch  gotisch  oder  ist  sie  gemeingermanisch? 

Ich  will  versuchen,  hier  einen  schritt  weiter  zu  kommen. 
Ich  gehe  von  den  beispielen  aus,  die  auch  Thurneysens  aus- 
gangspunkt  gebildet  haben,  den  eigentümlichen  bil düngen  auf 
-nhn-,  -nfn-.  Es  heisst  fraistuhni,  fastuhni,  icituhni,  aber  ual- 
äufni,  wundufni. 

Ich  halte  hier  mit  Thurneysen  a,  a.  o.  und  Brugmann, 
Grundr.  1, 383  an  der  alten  Sieversschen  herleitung  dieses 
Suffixes  aus  -itmni-  fest,  und  glaube  nicht,  dass  Joh.  Schmidts 
zurückführung  auf  -iqm-  (Kritik  der  sonantentheorie  s.  132  ff.) 
viel  beifall  finden  wird.  Abgesehen  davon,  dass  Avir  dieses 
Suffix  -upn-  schwer  irgendwo  anknüpfen  können,  ist  der  Über- 
gang von  -nin-  in  -dn-  auch  in  Wurzelsilben  belegt,  vgl.  Brug- 
mann a.  a.  o.,i)  und  wir  gewinnen  mit  der  herleitung  aus  -nmni- 
eine  tadellose  erklärung.  Bei  dem  Übergang  von  m  vor  ti  in 
einen  Spiranten  muss  nun  zunächst  ein  tönender  spirant  ent- 
standen sein,  wie  ein  solcher  ja  auch  in  got.  siihna  vorliegt. 
In  diesem  falle  kann  der  Wechsel  von  h  und  f  zweifellos  nichts 
mit  dem  Yernerschen  gesetz  zu  tun  haben,  und  es  folgt  daraus, 
dass  im  gotisclien  unter  der  von  Thurneysen  gefundenen  be- 
dingung  tönende  sjjiranten  zu  tonlosen  geworden  sind.  Es  ist 
dies  auch  verständlich.  Wurde  ein  wort  wde  tvdlchdni,  wün- 
diibni  im  gotischen  mit  starkem  exspiratorischem  accent  ge- 
sprochen, so  konnte  die  Spannung  der  Stimmbänder  am  schluss 
der  zweiten  silbe  sehr  wol  nachlassen,  während  sie  in  frai- 
stuhni, fasttihni,  ivituhni  u.  s.  w.  erst  bei  dem  u  wider  einsetzen 
musste,  und  nun  das  h  tönend  blieb. 


')  Zu  den  tlnrt  aii^''efiihrten  beispielen  habe  ich  obeu  s.  300  einige  neue 
gefügt. 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  325 

Die  e^'-stänime  waren  im  iiidog.  wurzelbetoiit.  ^^'i^  müssisen 
daher  zunächst  tönendes  s  voraussetzen.  Wenn  wir  rimisa,  agisa 
finden,  so  erklärt  sich  das  sehr  leicht  nach  Thurnej'sens  gesetz 
aus  *rmi/>a  U.S.  Av.  A\'ir  haben  es  also  mit  einer  rück  Verwand- 
lung zu  tun. 

Dass  auch  lautgesetzlich  berechtigte  tonlose  Spiranten 
tönend  geworden  sind,  wird  sich  schwerlich  nachweisen  lassen. 
Leider  sind  die  fälle,  in  denen  wir  im  indog.  betonung  der 
zweiten  silbe  eines  dreisilbigen  Wortes  anzunehmen  haben,  dünn 
gesät.  Am  sichersten  sind  noch  fälle  wie  fnja])wa,  fuijnva,  für 
die  ich  Indog.  accent  s.  251  eine  betonung  fnjdjjica  erschlossen 
habe,  während  Jriivachv  wegen  •di.devatvdm,  gatrutvdm, priyatvdm, 
russ.  bozestvö,  vmcesfvö  auf  endbetonung  weist. 

Wenn  uns  nun  auch  die  verwanten  sprachen  im  stich 
lassen,  so  haben  wir  in  den  übrigen  germanischen  dialekten 
stützen,  die  Thurneysen  merkwürdigerweise  gar  nicht  heran- 
gezogen hat.  So  lange  er  nicht  nachgewiesen  hat,  dass  sein 
gesetz  auch  in  den  übrigen  mundarten  gilt,  so  lange  können 
formen  nicht  benutzt  werden,  die  im  übrigen  germanischen 
eine  entsprechung  finden.  So  sind  denn  unsicher  oder  über- 
haupt zu  streichen:  got.  agisa  wegen  ahd.  egiso,  got.  menöpimi 
wegen  ahd.  mänöd;  auch  avoI  got.  hajöpum  wegen  ahd.  beide; 
liuhad-  Avegen  ahd.  lioJit:,  naqad-  Avegen  ahd.  nahhut;  fnimaj)- 
Avegen  2i\\di.  fremidi;  magajj  Avegen  ahd.magad;  zu  den  abstracten 
auf  -i/>a  ist  .ä-u  bemerken,  dass  auch  im  ahd.  -ida  ganz  allgemein 
ist.  Dass  jemals  ein  -ida  bestanden  habe,  lässt  sich  aus  aupi-da, 
tvairpida  schwerlich  folgern,  tvitöd  weicht  von  ahd.  ivizzöd 
ab,  doch  kann  hier  Verallgemeinerung  des  suffixes  -üd  vor- 
liegen.   Der  Avechsel  -üdus,  -Ulms  ist  auch  im  ahd.  vorhanden. 

Dass  im  gotischen  It  und  g  nicht  mehr  mit  einander 
wechseln  können,  ergibt  sich  aus  der  behandlung  des  g  im 
auslaut.  Sollte  Avirklich  h  für  g  in  mittelsilben  eintreten,  so 
müsste  dieses  lautgesetz  recht  alt  sein.  Indessen  lassen  die  von 
Thurneysen  angeführten  erscheinungen  auch  eine  andere  erklä- 
rung  zu,  die  ich  Indog.  acc.  s.  288  schon  gegeben  habe.  Dem 
got.  Suffix  in  huirgahei,  bröprahans  entspricht  das  ahd.suffix  -ahi, 
Avährend  den  got.  adjectiven  auf  -g  ebensolche  im  ahd.  gegen- 
überstehen. Es  ist  nun  nicht  zu  kühn,  die  got.  adjective  Avie 
stainahs  u.s.  av.  ihr  h  von  collectiven,  Avie  sie  in  ahd.  steinaki 


326  HIRT 

vorliegen,  beziehen  zu  lassen.  Auf  ainaha  ist  sclnverlicli  ^iel 
zu  geben,  n'mldahs  ist  vielleicht  comi)Ositum,  pan'hs  ganz  un- 
klar. Die  enditicae  -idi,  -h  und  -Imu  kommen  als  einst  selb- 
ständige Worte  vielleicht  nicht  in  betracht.  Lassen  sich  also 
einerseits  die  fälle,  in  denen  li  im  gotischen  auftritt,  anders 
erklären  als  es  Thurneysen  tut,  so  bleiben  andrerseits  doch 
zahlreiche  ausnahmen  mit  <j.  (jcihigs  und  handiigs  konnten 
sich  doch  schA\'erlich  so  leicht  an  die  übrigen  adjectiva  auf  (j 
anschliessen.  Alid.  lieisst  es  ebenfalls  hantac.  In  fällen  wie 
sincigs,  andancnieigs,  gatviznc/gs,  iishcisneigs,  ivanrshvcigs,  w'do- 
deigs,  audags  und  zahlreichen  anderen  könnte  man  ja  Über- 
tragung annehmen,  was  mich  indessen  nicht  sonderlich  befrie- 
digt. Eher  dürfte  in  erwägung  gezogen  werden,  dass  hier  wie 
im  auslaut  g  auch  den  entsprechenden  tonlosen  Spiranten  be- 
zeichnet, das  auftretende  h  aber,  wie  eben  angedeutet,  auf 
anderen  Ursachen  beruht. 

Thurneysens  gesetz  lässt  aber  auch  ausserdem  eine  reihe 
von  ausnahmen  zurück,  die  er  selbst  zusammengestellt  hat, 
nämlich  harizeins,  ubistva,  arhaidim,  lianhida,  fdigri,  tivalihim, 
sihibr,  siluhreins,  frmnadei,  pkvadw.  Mag  man  auch  einigen 
seiner  versuche,  diese  formen  zu  deuten,  zustimmen,  so  bleiben 
doch  andere  ganz  rätselhaft,  und  ich  möchte  daher  nach  einem 
lautgesetzlichen  gründe  suchen. 

Nehmen  wir  zunächst  hauhida.  h  geht  doch  hier  höchst 
wahrscheinlich  auf  indog.  2^  zurück,  wenn  auch  das  Verhältnis 
zu  lat.  Caput,  ai.  kapüccliala  noch  nicht  genügend  aufgeklärt 
ist.    Wir  erhalten  also  eine  ursprüngliche  betonung  hauhidd. 

Got.  ubisiva  'halle,  vorhalle'  weist  auf  dieselbe  betoining, 
falls  es,  wie  man  mit  Johansson,  Beitr.  15, 239  und  Elirismann, 
Beitr.  18, 227  f.  annehmen  darf,  zu  indog.  up  gehört. 

Worte,  mit  dem  suffix  -ino  gebildet,  sind  auf  dem  /  betont, 
vgl.  ai.  apädnas,  anjastnas,  navinas,  gr.  dyxiorlroc,  tQi^&Qivog, 
xoQaxivoc,  ahd.  magatin,  lit.  Jcaimynas,  vgl.  Indog.  acc.  s.  278. 
Wir  haben  also  vorgot.  ^harizems,  ^siluhreins  anzusetzen.  Ebenso 
\WM  Jiiivadw  auf  dem  ende  betont,  wie  schon  oben  bemerkt  ist. 
Dasselbe  für  frumadei  anzunehmen  hindert  nichts.  Wir  würden 
nach  diesen  beispielen  Thurneysens  regel  dahin  ergänzen  müssen, 
dass  der  Übergang  des  tönenden  Spiranten  in  den  tonlosen  nicht 
eintrat,  wenn  der  ton  unmittelbar  dahinter,  also  auf  der  dritten 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  327 

Silbe  lag-.  Oder  wir  können  ancli  sagen :  der  Übergang  ist  nur 
eingetreten,  wenn  seit  indog.  zeit  anfangsbetonung  liersclite. 

Icli  glaube  durch  diese  fassung  erledigen  sich  nocli  eine 
ganze  reihe  von  fällen,  die  Tliurneysen  durch  ausgleichung 
erklärt. 

Auf  die  adjectivendungen  -aizös,  -aize,  -aizü  will  ich  kein 
allzu  grosses  gewicht  legen.  Da  aber  die  adjectiva  meistens 
endbetont  waren,  und  es  zweifellos  *J)izüs,  *J)(zc,  *])izö  geheissen 
hat,  so  liegt  eine  ursprüngliche  betonung  hlinäaizös  sehr  nahe. 
Die  endungen  -za,  indog.  -sai,  und  -da  waren  im  indog.  in  vielen 
fällen  betont.  Setzen  wir  dies  auch  für  das  germanische  voraus, 
so  konnten  sich  niemals  -sa  und  -J)a  einstellen.  Ebenso  können 
die  angehängten  Partikeln  in  pizözei,  iztcizci,  Jvarjizuli,  amlizuh, 
tvilcizH  den  ton  getragen  haben,  wie  in  anderen  indog.  sprachen, 
vgl.  ai.  id-dm,  gr.  arkad.  rco-v'i  'huius',  dor.  £//£-/,  rii,  ovtoö-i, 
oiyi,  lit.  fasüT,  abulg.  Mtö.  Bei  dem  comparativsufflx  -iza,  -öza 
haben  wir  in  der  überwiegenden  mehrzahl  der  fälle  lautgesetz- 
lichen tönenden  Spiranten,  da  ja  ausser  den  sonoren  nur  p,  t,  k 
oder  /■  J),  h  am  schluss  der  ersten  silbe  stehen  konnten.  Wenn 
auch  dieses  Verhältnis  frühzeitig  verwischt  ist,  so  war  doch 
der  tonlose  spirant  in  mehr  fällen  vorhanden,  als  sie  historisch 
vorliegen. 

Das  schw^ache  part.  war  zweifellos  auf  dem  ende  betont, 
daher  wären  die  formen  wie  hnhaid-,  salböd-  vollständig  laut- 
gesetzlich, und  das  schwache  praet.  hat  sich  nach  dem  part. 
gerichtet,  falls  es  etwa  wurzelbetont  "war.  Wenn  Thurneysen 
meint,  das  zw^eite  d  von  dedum  u.s.^v.  sei  deshalb  erhalten, 
weil  das  wort  als  compositum  gefühlt  sei,  so  stimme  ich  ihm 
darin  vollkommen  bei.  Ich  habe  ja  schon  früher,  um  das  -e 
zu  erklären,  eine  betonung  hdbaidedimi  erschlossen,  und  es. ist 
klar,  dass  nach  einem  nebenton  das  d  nicht  tonlos  werden 
konnte. 

Dass  die  adjectiva  auf  -y  ihr  y  erhalten  haben,  würde  sich 
ebenso  aus  der  endbetonung  erklären  lassen,  die  für  sie  ziem- 
lich feststeht,  wenn  man  nicht  den  oben  gegebenen  ausweg 
einzuschlagen  vorzieht.  Für  die  adverbialendung  -ha  würde 
ich  consequenterweise  endbetonung  ansetzen.  Falls  das  suffix 
mit  den  slavischen  abstracten  auf  -ha  zusammenhängt,  würde 
diese  durch   die  slavischen  dialekte  gestützt,   vgl.  Indog.  acc. 


328  HIRT 

s.  285.  üeber  got.  ainlihm,  tivalibim  weiss  ich  allerdings  nichts 
plausibles  zu  sagen.  Ich  habe  darüber  schon  IF.  7, 131 1  ge- 
schrieben. Mir  scheint  im  gegensatz  zu  Tliurneysen  got.  h 
alt  zu  sein.  Die  endbetonung  ist  mir  nicht  gerade  wahrschein- 
lich, wenn  sie  auch  möglich  ist.  Diesen  rest,  der  sich  auch 
bei  T'hurneysen  findet,  muss  ich  also  lassen.  Im  übrigen  er- 
klärt meine  fassung  der  regel  viel  mehr,  so  dass  man  ilir  wol 
den  Vorzug  vor  dei-  Tliurne3'senschen  geben  wird.  Entgegen- 
stehende Instanzen  wüsste  icli  nicht  anzufüliren.  Wir  werden 
also  das  gesetz  so  fassen:  lag  seit  indog.  zeit  der  accent  auf 
der  ersten  silbe,  so  gehen  im  gotischen  die  lautgesetzlich  ent- 
standenen tönenden  si»iranten  in  unbetonten  mittelsilben  in 
tonlose  über,  wenn  im  anlaut  der  unbetonten  silbe  ein  tönender 
laut  steht. 

Im  weiteren  mag  diese  erscheinung  auf  demselben  princip 
beruhen,  wie  die  spätere  synkopierung  der  mittelvocale,  die 
man  sich  doch  vollzogen  denken  muss  durch  einen  Übergang 
der  vollstimmigen  vocale  zu  tonlosen  durch  die  murmelstimme 
hindurch.  Nur  ist  das  gotische  auch  in  diesem  punkte  seine 
eigenen  bahnen  gewandelt. 

Thurneysen  lässt  es  im  zweifei,  ob  dieses  gesetz  auch  in 
den  übrigen  germanischen  dialekten  gewirkt  habe.  Es  ist  sehr 
schwer,  hier  ein  sicheres  urteil  abzugeben,  da  einigermassen 
isolierte  formen  selten  sind.  Es  heisst  ahd.  scefful  'schöpf er', 
aber  leitid  'führer'  und  helid  "held';  gegenüber  got.  aive])i  aus 
*aweÖi  steht  ahd.avit,  ouiuiti;  es  heisst  egiso,  Rgs.byrcs  'bohrer', 
ahd.  burissa,  ags.  lynes,  and.  lunisa  'wagenlünse',  ahd.  hulisa 
•hülse',  mild,  bremse  'hemmschuh',  aber  auch  slamjura,  slengira 
'Schleuder*,  doch  lässt  sich  gerade  hier  das  auftreten  des  ton- 
losen Spiranten  erklären. 

Im  allgemeinen  bin  ich  nicht  geneigt,  die  gotische  regel 
auf  die  übrigen  germanischen  dialekte  auszudehnen,  doch  ist 
hier  noch  nicht  das  letzte  wort  gesprochen. 

In  einer  beziehung  bedarf  Tliurneysens  beobaclitung  wol 
auch  noch  der  berichtigung.  Der  gegensatz  von  aiihjödus, 
weitwöd-  und  bröj)rahans,  niuklahs  ist  vielleicht  nur  zufällig. 
Die  beiden  letzten  fälle  sind,  wie  ich  sehe,  die  einzigen,  auf 
die  sich  die  regel,  dass  tonloser  laut  -f  liquida  wie  tönender 
anlaut  wirkt,  gründet.    Wir  haben  aber  oben  angenommen, 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  329 

dass  g  und  h  übeiliauiit  nicht  dieser  regel  unterliegen,  und  so 
wild  man  diese  bescliränkung  ablehnen  dürfen. 

In  einer  anmerkung  kommt  Tliurneysen  auch  auf  die  frage 
nach  der  behandlung  der  auslautenden  si)iranten  zu  sprechen, 
eine  frage,  die  ja  in  mehr  als  einer  hinsieht  wichtig  ist. 

Die  gotischen  auslautenden  -s  sind  zum  grossen  teil  erst 
aus  tönenden  entstanden,  und  da  auch  im  nordischen  im  nom. 
sing,  durchweg  r  ei-scheint,  so  nimmt  man  wol  an,  dass  einst 
die  meisten  auslautenden  -s  i\e,^  germanischen  tönend  gewesen 
sind.  Ks  fragt  sich  dabei  nur,  ob  sie  es  lautgesetzlich  oder 
durch  analogische  beeinflnssung  waren.  Der  fälle  die  hier  zur 
entscheidung  in  betracht  kommen,  sind  wenige,  und  zw^ar  in 
erster  linie  die  lautverbindung  -rs.  Bekanntlich  stehen  wir 
in  der  frage,  wie  diese  im  got.  auslaut  behandelt  wird,  noch 
vor  einem  ungelösten  rätsei,  Teils  sclnvindet  nämlich  das 
nominativ-.s',  teils  bleibt  es.  Ohne  eine  reihe  von  analogie- 
bildungen  kommen  weder  Brugmann  noch  Braune  aus. 

An  und  für  sich  liegt  es  sehr  nahe  anzunehmen,  dass  rs 
blieb,  rz  aber  zu  r  wurde,  denn  mit  einer  assimilation  haben 
wir  es  entschieden  zu  tun. 

1.  -rs  bleibt  in  ahs  m.  'acker',  gr.  ajQoq..  fif/f/rs  'finger' 
wird  doch  wol  mii  penhiie  '5'  zusammenhängen,  und  weist  also 
auf  *penhos.  Die  adjectiva  auf  -ro  dürfen  wir  als  endbetont 
ansetzen:  Iwrs,  lat.  cärus  (ai.  cärnsli  ist  nicht  damit  zu  ver- 
binden), indog.  *lär6s,  skeirs  'klar,  sivers  'geehrt',  (jdtirs  'be- 
trübt', ai.  (jhörds  'schrecklich',  hlutrs  'lauter,  rein'.  Gen.  sing. 
fadrs,  gr.  jiaxQÖi;.     Doch  ist  dieser  fall  natürlich  unsicher. 

2.  -rz  wird  zu  r.  anjxir  'zweite'  lässt  eine  betonung  dn- 
])uraz  erschliessen,  ebenso  hapar,  gr.  n6x£Qo<;.  f\divör,  ai.  cat- 
vdras.  stiur  'stier'  Xeh.  5. 18  hängt  zweifellos  mit  gr.  ravQoc 
zusammen.  Genauer  entspricht  ai.  sthdviras  'dick,  derb,  voll- 
wüclisig'.    Der  accent  von  haür  lässt  sich  nicht  bestimmen. 

Als  einzige  ausnähme  bleibt  ivair  übrig,  dem  im  indischen 
virds  gegenübersteht.  Auf  lit.  vyras  ist  w'egen  des  stosstons 
nichts  zu  geben,  es  kann  aus  *vyrds  entstanden  sein.  Diese 
ausnähme  würde  in  einem  ganz  anderen  licht  erscheinen,  w^enn 
auf  kiimgot.  fers  'mann'  sicher  zu  bauen  wäre.  Hier  wäre 
tatsäclilich  das  -s  erhalten,  das  im  gotischen  aus  unbekannten 


330  HIRT 

gründen  verloren  sein  müsste.  Aber  dies  wort  geliört  schwer- 
licli  zu  got.  ivüir.  ]\ran  darf  zur  not  auch  eine  betonung  viras 
ansetzen,  die  sogar  walirscheinlicli  wird,  falls  der  bettlername 
iQoq  in  der  Odyssee  gleich  viros  Aväre. 

VI. 

Zu  den  gernianischen  lelnnvörloni  im  slavischeu 

und  baltischen. 

Welch  grossen  einfluss  die  germ.  dialekte  auf  die  baltisch- 
slavischen  ausgeübt  haben,  ist  im  allgemeinen  bekannt.  Kluge 
hat  in  Pauls  (irundr.  1,  321  zuerst  wider  auf  dieses  wenig  be- 
achtete capitel  hingewiesen.  Seitdem  hat  IHilenbeck  die 
germanischen  Wörter  im  altsla vischen  im  Arch.  f.  slav.  phil.  15, 
481  ff.  noch  einmal  zu  sammeln  versucht,  indem  er  den  älteren 
versuch  von  Miklosich,  Die  fremdwörter  in  den  slavischeu 
sprachen  (Denkschr.  der  kais.  akademie  d.  wiss.  zu  Wien  bd,  15) 
ergänzte.  Ich  kann  aber  auch  diese  letzte  arbeit  aus  ver- 
schiedenen gründen  nicht  für  abschliessend  halten.  Denn 
erstens  hat  Uhlenbeck  in  seine  liste  nur  solche  Wörter  auf- 
genommen, die  auf  grund  lautlicher  kriterien  zweifellos  entlehnt 
sind.  Die  bei  denen  diese  kriterien  versagen,  fehlen.  Nun 
sagt  uns  aber  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung,  dass  auch  von 
den  Wörtern  die  lautlich  genau  übereinstimmen,  viele  entlehnt 
sein  können,  ja,  dass  sie  mit  derselben  Wahrscheinlichkeit  von 
Vi  unverwant  und  entlehnt  sein  dürften.  In  solchem  fall 
werden  erst  andere  gründe  die  wagschale  nach  der  einen  oder 
anderen  richtung  sinken  lassen.  In  dieser  beziehung  möchte 
ich  seine  ausführungen  ergänzen.  Zweitens  mangelt  uns  aber 
eine  lautlehre  der  germanischen  leliuAvörter,  und  auch  in  diesem 
punkte  will  ich  versuchen,  einiges  hinzuzufügen. 

Als  sichere  kriterien  der  entlehnung  kommen  nicht  allzu 
viel  in  betracht.  Das  slavische  ch  für  germ.  h  ist  das  wich- 
tigste. Das  slavische  ch  bezeichnet  zweifellos  einen  reibelaut. 
Man  darf  aber  daraus  nichts  für  die  natur  des  germ.  Ji  er- 
schliessen.  Denn  noch  heute  setzen  die  Russen  für  unser  h  ein 
X  ein.  Ausserdem  verdienen  die  gutturale  aufmerksamkeit.  ^^'o 
die  baltisch -slavischeu  sprachen  den  verschlusslaut  an  stelle 
des  Zischlautes  zeigen,  da  ist  in  den  meisten  fällen  entlehnung, 


GKAMMATISCnES    UND    ETYMOLOGISCHES.  331 

wenn  auch  uiclit  gerade  iiiiiuer  aus  dem  geruuinisclien  anzu- 
nelinieu.  Ich  kann  hier  meine  speciellen  g'ründe,  die  sich  auf 
eine  Untersuchung'  der  indog'.  gutturalreihcn  slützen,  nicht 
näher  ausführen.  Hier  genüge  die  bemerkung-,  dass  die  über- 
wieg-ende  anzalil  der  Wörter  mit  A'ersclilusslaut  in  der  f- reihe 
ohne  jede  scliwierijgkeit  als  entlehnt  ang-esehen  werden  kann. 
Oft  zeigten  auch  die  slavisclien  und  g'ermanisclien  W()rter  die- 
selbe articulationsart,  die  nicht  auf  eine  indog-.  einheit  zurück- 
gehen kann.  ]\ran  hilft  sich  hier  mit  der  annähme  von  indog, 
Wechsel  von  media  und  tenuis,  vielfach  geAvis  ohne  genügenden 
grund.  Die  Vermutung  der  entlehnung  ist  mindestens  mit  in 
betracht  zu  ziehen. 

Bei  der  frage  der  entlehnung  dürfen  natürlich  die  baltisch- 
slavischen  siu-achen  nicht  als  eine  einheit  behandelt  werden, 
da  wir  es  mit  ganz  verschiedenen  epochen  zu  tun  haben. 

A.   Die  germanischen  lehnwijrter  im  altslavischen. 

Abulg.  almuzlno,  neuslov.  almosua,  kroat.  idmuhio  ist  aus 
dem  deutschen  entlehnt,  und  zwar  erst  zu  ahd.  zeit,  da  dem 
got.  das  wort  mangelt,  dafür  armaiö.  Auch  im  abulg.  heisst 
es  gewöhnlich  müostyni.  almuzino  stammt  aus  einer  cechischen 
quelle.  Ahd.  cd  ist  deshalb  auch  durch  al  und  nicht  durch  la 
widergegeben. 

Xhwlg.  hediti  'zwingen',  serb.  iyee^i^/' 'accusare',  vws,^.hediii 
aus  got.  hdidjan.  Xach  T'hlenbeck,  Et.  wb.  s.  v.  urverwant.  Die 
genau  übereinstimmende  bedeutung  scheint  mir  für  entlehnung 
zu  sprechen.  Lit.  haidyti  heisst  'scheuchen'  und  ist  wahrschein- 
lich urverwant. 

Serb.  höh,  LoIm,  russ.  bo/cü,  boka  ' Seite'  aus  got.  "^bak-,  ahd. 
bah,  aengl.  boec  'rücken'. 

Abulg.  bolt  'krank',  boU  'ki-ankheit',  serb.  böl,  boli,  boleti 
ieiden',  got.  balivjan  'quälen'.  Die  möglichkeit  der  entlehnung 
möchte  ich  offen  halten. 

Serb.  bor,  bbra  (bora),  russ.  borü,  bora  'föhre',  ags.  bearu 
'Avald.  hain'.     Nach  Uhlenbeck  urverwant, 

Abulg.  brusnio  'speise',  serb.  6m.vwo,  russ.  dial.  börosno 
'roggenmehr,  got.barizeins.  Urverwant  nach  H.Pedersen,  IF.  5, 54. 

Abulg.  bravü,  serb.  hdv,  russ.  börovu  aus  germ.  "'banc-,  vgl, 
ahd.  baruy,  bar/i,  an.  bynjr. 


332  HIRT 

Abulg.?;>-t^H 'ufer',  serb.  Z; >•■«}'(?</,  mss.  beregu,  goi.hmrgaJiei. 
Nach  ausweis  von  arm.  hardzr  'hoch',  avest,  beremnt  hatte  das 
wort  pahital.  und  ist  deshalb  als  entlehnt  anzusehen.  Nach 
Uhlenbeck  urverwant. 

Abulg.  hrega  'bewahre,  behüte',  got.  hairgan.  Urverwant 
nach  Uhlenbeck  und  anderen. 

Abulg.  et'?»,  serb.  cto,  cijHa,  russ.  celii,  ccld^  goi.Jiails,  apr. 
Imilüstihan.  Urverwant  nach  I^hlenbeck.  ]\Iir  ist  die  gleiche 
bedeutung  im  germ.-slav.  trotz  Brugmann,  Die  ausdrücke  für 
den  begriff  der  totalität  s.  41  ff.,  verdächtig,  vgl.  abulg.  cclovati 
'grüssen,  küssen'  mit  ?igs.  hälettan,  s,is\.heilsa  'grüssen'. 

Abulg.  crcda  'reihe,  tagesfolge,  herde',  got.  hairda  'herde', 
alid.  hcrta  'Avechsel'.  Vgl.  lit.  Jcerdzius  aus  got.  hairdeis.  Nach 
Uhlenbeck  urverwant.  Die  sippe  hatte  aber  palatal,  vgl  ai. 
(;drdhas  'schar'. 

Abulg.  crmm  'zeit',  ahd.  chräm,  Kluge,  (4rundr.  2  a.a.O. 
Sie  gehören  wol  nicht  zusammen.  Man  erwartete  Vcremü. 
Eher  aus  ahd.  scirm,  scerm,  mit  dem  es  nach  Joh.  Schmidt, 
Verwantschaftsverh.  s.  41,  urverwant  ist.  Doch  ist  auch  dies 
sehr  unsicher.  Anders,  aber  nicht  überzeugend,  Johansson,  IF. 
8, 171,  der  ahd.  chräm  wol  richtig  mit  ai.  gräma-  verbindet. 

Abulg.  delü  'teil',  serb.  dw,  dtjcla,  got.  dails  f.  'anteil', 
abulg.  deliti  'teilen',  got.  dailjan.  Nach  Uhlenbeck  und  Kluge, 
Et.  wb.''  s.  V.  teil  urverwant,  was  jedenfalls  nicht  zu  be- 
weisen ist. 

Abulg.  dlügu  'schuld',  serb.  düg,  düga,  russ.  dölgü,  dölga, 
got.  dulgs.  Die  bedeutung  spricht  mir  für  entlehnung.  Urver- 
want nach  Uhlenbeck. 

Abulg.  dolü  'loch,  grübe,  tal',  got.  dal  n.  'tal'.  Urver- 
want nach  Kluge,  Et.  wb.'^  s.  v.  thal.  Die  bedeutung  stimmt 
überein  gegenüber  gr.  {}-6Xoq. 

Abulg.  ärusükü  'kühn',  f/m^«<< 'kühn  sein',  goi.  gadaihsau 
'wagen'.  Das  slavische  ^  kann  nicht  aus  slavischen  laut- 
gesetzen  erkläi't  A\'erden,  wol  aber  aus  germanischen.  Anders 
Nehring,  IF.  4,  401. 

Abulg.  dunavX,  dunaj  'Donau',  got.  *Dönavi.  Müllenhof f, 
DA.  2, 362  ff. 

Ahulg.  g(]Lsi,  'dhd.gans,  got.  *gan.s,  vgl.  lit.  z\(s}s  mit  palatal. 
Entlehnt  nach  Kluge,  Et.  wb.^  s.  v.  Brugmann,  Grundr.  1, 345. 


GRAMMATISCHES    UND    ETYMOLOGISCHES,  333 

Russ.  glazü  'äuge',  iiilid.  f/larcn.     Xehring,  IF.  4,  102. 

Xbxüg.  (/odn  "o-ünstig-e  zeit',  (jodhin  'ang-enelim',  'A\\i\.  (i'Kjat 
.  'passend'.    Nach  Kluge,  Kt.  wb.^  s.  v.  gätlich  ui'verwant. 

Abulg.  (fostt  'g-ast',  gut.  gasts.  Das  slavische  wort  hat  die 
bedoutung  des  geinianischen  gegenüber  lat.  hostls.  Urverwant 
nach  Kluge,  Et.  wb.^  s.  v.  gast 

Ahiüg.gosjwdr,  vielleicht  aus  got.  *gastifa])S,  vgl.  lüthosjyes. 
Dass  der  zweite  teil  des  rätselhaften  shivischen  wertes  mit 
*potis  zusammenhängt,  hat  man  längst  vermutet,  aber  das  d 
blieb  unerklärt.  Vielleicht  hilft  also  die  annähme  von  ent- 
lehnung  aus  dem  germanischen. 

Abulg.  gradu,  serb.  gräd,  gräda,  russ.  gorodn,  göroda,  got. 
gards.  Für  diese  auch  von  Uhlenbeck  angenommene,  aber 
häufig  bestrittene  entlehnung  sprechen  vor  allem  die  composita 
abulg.  vinogradü,  got.  icehiagards,  abulg.  rriitogradn,  got.  anrti- 
gards.  aurti  stammt  ja  selbst  erst  aus  lat.  horfi,  so  dass  in 
diesem  falle  die  entlehnung  zweifellos  ist. 

Abulg.  grebq,  got.  grahan,  abulg.  grohn  'grab',  alid.  grah. 
Sind  eher  als  urverAvant  aufzufassen. 

Xsl.  grcdel,  kroat.  gredelj  'pflugschar',  russ.  gradül,  ahd. 
grindd,  grhidil  'obex,  pessula'.  Wird  auch  zu  abulg.  gri^da 
'trabs'  gezogen.     Entlehnt  nach  Miklosich. 

Abulg.  cliotarX '■\m\\\^\  ahd.  himfari  'abteilung  eines  gaues'. 
Miklosich,  Et.  wb.  s.  80.  G.  Meyer,  Alb.  stud.  3,  48. 

Ahvilg.  chlocJioiati  'strepere'  vielleicht  aus  got.  /tlahjan;  s, 
Meyer  a.  a.  o. 

Abulg.  chrahrü  'krieger',  serb.  clirdbar,  chrahm,  chruhro 
aus  got.*harva-  'herb'  nach  G.Meyer  a.a.O.  Das  ist  kaum 
richtig,  da  das  got.  wort  *chravü  ergeben  hätte.  Nach  H.  Pe- 
dersen,  IF.  5,  63  ist  es  nicht  entlehnt.  Ob  aus  got.  gajyraßtjan? 
Jn-  zu  ehr  wie  in  abulg.  chrasti  'käfer'  aus  got.prmustei. 

Abulg.  chrütü  'hund',  serb.  ehrt,  ehrfa,  klruss.  ehort,  ehorta, 
ahd.  rnd{e)o,  got.  *hrujfja,  ags.  hrydda.  Der  anlaut  kr  ist  für 
das  germanische  nicht  gesichert,  wird  aber  durch  das  slav. 
festgelegt. 

Slov.  chriqi  'tumult',  got.  hrüi)s  'geschrci'.  Uhlenbeck, 
Beitr.  20,  38. 

Abulg. /«/<  'ein',  goi.ains  und  abulg.  ?5Ä-«//j  \\t.jeszl-6ti,  ahd. 
eiscön  sind  nach  gewöhnlicher  annähme  urverwant.    Doch  sind 


334  HIRT 

dies,  wie  mir  Brug-mann  mitteilt,  vgl.  jetzt  Berichte  d.  k.  säclis. 
g'es.  d.  wiss.  vom  G.  febr.  1897,  s.  37,  die  beiden  einzig-en  fälle,  in 
denen  indog.  oi  im  slavisclien  anlaut  durch  /  vertreten  sind, 
während  die  regelrechte  Vertretung  ja  ist.  ishati  ist  auch 
wegen  der  behandlung-  des  gutturals  verdächtig- .  vgl.  Brug-- 
mann,  (Trundr.  1,  306  anm..  und  hui,  wofür  die  Slaven  sonst  jedinn 
*  eins 'gebrauchen,  kann  der  kirchlichen  terminologie  entnommen 
sein,  vgl.  inoc^dU  ' ftovoysr/jq'  =  got.  ainabaür  (baür  'das  kind' 
=  slav.  c^dü  'kind'). 

Russ.  iva,  serb,  wa,  ahd.  iwa.    M. 

Abulg.  Idadn  'lege,  stelle',  got.  Majxin.  Die  urverwantschaft 
ist  nur  möglich  bei  der  annähme  von  Wurzelvariation,  \g\. 
Uhlenbeck  unter  afhiapan,  Kluge,  Et.  -w  b.^  s.  v.  laden. 

Xhiüg.lwiojdja,  got.*Jiqnaps,  Vdt.  cannahis,  gr.  xdvvaßig.  M. 

Abulg.  kotora  'kämpf,  mhd.  liader  'zank,  streit',  vgl.  ai. 
Qdtrush.    Nach  Kluge,  Et.  wb.^  s.  v.  urverwant. 

Serb.  IxH,  hrta,  russ.  hotn,  h-otd  'maulwurf,  ahd.  chroia, 
chre'ta  'kröte'. 

Serb.  h-aj},  russ.  JcoropU,  ahd.  larjw  'karpfen'. 

Abulg.  hrüsno  'vestis  pellicea',  ahd.  chiirsina.   M. 

Abulg.  Jcujni,  serb.  Jcllp,  hnpa,  lit.  hiäpas,  ahd.  hoiif,  vgl. 
Kluge  s.  V.  häufen. 

Abulg.  Jcnrüva,  got.  ^hörwa-  von  hörs.  Entlehnt  nach  Tlilen- 
beck  s.  V.  hors  und  Kluge  s.  v.  hure: 

Abulg.  laja  'belle,  schmähe',  got.  Haian  'schmähen'.  Unsicher. 

Abulg.  lasta,  mhd.  lanze,  lat.  lancea.    ]\I. 

Abulg,  listX  'betrug',  Itstlti  'betrügen',  got.  lists.  Nach 
Uhlenbeck  kann  das  abulg.  wort  entlehnt  sein.  Vgl.  noch  Kluge 
s.  V.  list. 

k\>\\\g.JXvu  aus  goi.^lkva-,  ahd.  leo,  leivo.  Abulg.  Tivu  kann 
nicht  aus  lat.  leo  stammen.  Als  lehnwort  aus  dem  got.,  in  dem 
leo  zu  Hiwa-  werden  musste,  wäre  es  verständlich. 

Abulg.  liee,  serb.  lice,  russ.  lico  'antlitz',  aus  Hihiom  tax  got. 
leiks.    sülo-llka  'boshaft'  --  got. -lelks;  llhlenbeck  s.v. 

Abulg.  likti  ' Chorus',  likovati,  got,  laikan  'salire',  got.  laiks, 
lit.  aber  Idiyijti  'wild  umherlaufen'.  Das  slav.  wort  entlehnt 
nach  M. 

Aruss.  lohüzati  'osculari',  ahd.  lefsa  M. 

Abulg.  Ijidni,  got.  Ikifs,  abulg.  Ijidjy  ==  got.  Hiuhö.   Urver- 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES,  335 

want  nach  Uhlenbeck.  Naoli  Kluge,  VA.  wl).--  s.  v.  lieh  entlelint. 
Doch  gellt  seine  ansieht  nicht  ganz  deutlich  aus  seinen  Worten 
hervor. 

Abulg.  Ijudii,  Ijiiclije,  alul.  Jiuf.  T^verwant  nach  Kluge,  Et. 
wb.s  s.  V.  Icufe. 

Abulg.  losi  'mager',  serb.  los  'schlecht',  got.  lasiws.  Nach 
Joh.  Schmidt.  Verwantschaftsverhältnisse  s.  39  und  Uhlenbeck 
s.  Y.  urverwant. 

Abulg.  U((jatl  'lügen',  Ii(zi,  serb.  laJlf,  lazi,  russ.  lozi,  Ui. 
Urverwant  nach  Uhlenbeck. 

Abulg.  hig  'lauge',  ahd.  lotiga  ls\.  'hinge'.  Nach  Kluge  s.v. 
lauge  urverwant. 

Abulg.  m(^so,  got.  mimz.  An  entlehnung  denke  ich  Avegen 
der  betonung  serb.  meso,  vgl.  verf.  Indog.  accent  s.  1-iO,  und  weil 
auch  Wörter  wie  got.  hlaifs,  müuks,  hiuds  entlehnt  sind. 

Abulg.  meniti  'meinen',  ahd.  oneinen.  Nach  Kluge  ur- 
verwant. 

Abulg.  rncru,  got.  mers.  Urverwant  nach  Uhlenbeck.  Vgl. 
aber  die  Verwendung  in  namen  wie  Vladimcra. 

Abulg.  misa  'patina',  got.  mes,  ahd.  mcas,  mias.   M.    . 

Abulg.  imzda,  got.  mizdö  m.  Urverwant  nach  gewöhnlicher 
annähme.  Man  erwartete  bei  directer  entlehnung  *nuzdg.  Doch 
ist  das  wort  in  einzelnen  germ.  dialekten,  wie  ursprünglich 
überhaupt,  starkes  femininum. 

Abulg.  nioga,  got.  mag,  aliulg.  mosH,  serb.  moc,  moci,  riLSs. 
gen.  9nöci,  got.  mahts.  Die  sippe  hat  i)alatal.  Vgl.  apreuss. 
massi.    Urverwant  nach  gewöhnlicher  annähme. 

Abulg.  uiora  •incubus',  serb.  möra,  ahd.  mani.  ]\I.  Urver- 
want nach  Kluge,  Et.  wb.^  s.  a'.  mah:  Docli  vgl.  das  aus  dem 
germ.  entlehnte  frz.  canchemar  'al})drücken'. 

Abulg.  mräzcti,  mriiznaii  'verabscheuen',  got.  marzjan  'är- 
gern, anstoss  geben'.  Entlehnt  wegen  des  z;  aus  einer  form 
mit  aar,  die  vielleicht  in  nhd.  murrest,  iil.  morrcn  'murren' 
vorliegt. 

Abulg.  mUnogü,  got.  munags.  Nach  Uhlenbeck  urverwant. 
Doch  erwartete  man  im  slav.  monogu. 

Abulg.  ncprijazni  ist  die  Übersetzung  des  ahd.  unliold,  und 
wol  erst  mit  der  kirchlichen  Übersetzungsliteratur  zu  den  Slaven 
gekommen. 


336  iiiiiT 

Abulg.  oIh  'sicera',  lit.  alus,  an.  ol,  ags.  ealu.  M.  Kluge 
s.  V.  hier. 

Abiilg.  oradijc  •negotiuin,  iiistrumentum,  apparatus',  alid. 
ärunti.    M. 

Abiilg.  osUn,  g-ot.  asiJus.    M. 

A\)\\\g.  pl(isat} ,  got.  plinsjcm  'tanzen'.  Walirsclieinlieh  aus 
dem  slav.  entlehnt. 

Serb.  2^tr,  pira  'hoclizeit',  russ.  pira,  pira  'schmaus',  ahd. 
firatac. 

Abulg.  plahati  'sich  die  brüst  schlagen',  got.  flülian  'be- 
klagen'. 

Serb.  pldtno,  russ.  polotnö  'leinwand",  nihd.  valte  st.  swf. 
u.  a.  'tuch  zum  einschlagen  guter  kleider'. 

Abulg.  o-pona  'Vorhang',  got.  fana  m.  'stück  zeug'. 

Abulg.  j>mw  'navis  genus',  ahd.  faram.  M.  Nach  Kluge 
s.  V.  pralim  urverwant. 

Abulg. jjnj/aii  'günstig  sein',  got.frijön,  sibvilg.prijatelt,  ahd. 
friudil,  got.  ^frijöjnls,  abulg.  prijaziü,  got.  *frijö.~ns. 

Abulg. kroat.jj>?u/ni. 'hierum',  mhd.  fntot  'gedeihen,  klugheit'. 

Abulg.  rokü  'termin',  serb.  rö/,;  roka,  russ.  gen.  röha,  ags. 
racu,  as.  rula,  ahd.  rahha  'rede,  rechenschaft,  sache'.  rolui 
scheint  allerdings  zu  abulg.  reka  'sagen'  zu  gehören.  Aber 
reka  gehört  wol  mit  ahd.  rehhanön  zusammen,  die  man  nur 
unter  der  annähme  von  wurzehariätion  vereinigen  kann. 

Abulg.  snikd,  sraky  f.  'tunica',  mlat.  sarca,  an.  serkr  (st. 
*sarki-),  ags.  serce  (st.  *sarkjön-),  got.  *sarkö.    M. 

Abulg.  stcnca  'unfruchtbare  kuh',  got.  stairU  'unfruchtbar', 
vgl.  nhd.  stärke.     Urverwant  nach  l'hlenbeck. 

Abulg.  stena  'mauer',  serb.  stifena,  russ.  stend,  got.  stains 
'stein'.  Urverwant  nach  Uhlenbeck.  Vgl.  aber  abulg.  stnihtü 
'steinig,  felsig',  got.  staincins. 

Abulg.  sMklo  'vitrum',  serb.  stäklo,  got.  stikJs  m.  'becher, 
kelch'.  M.  Uhlenbeck  si)riclit  sich  jetzt  Beitr.  22, 191  für  slav. 
Ursprung  des  Wortes  aus,  aber  kaum  mit  recht,  da  7  als  schwä- 
cliung  von  e  im  slavischen  zwar  einige  male  vorzuliegen  scheint, 
aber  absolut  nicht  als  bewiesen  gelten  darf.  Gewis  ist  ent- 
lehnung  aus  dem  slav.  möglich,  aber  kaum  zu  beweisen. 

Abulg.  svckrü,  sveknj,  got.  swaihra,  sivaihrö.  Nach  gewöhn- 
licher annähme  urverwant.    Schwierigkeiten  bereitet  der  slav. 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES,  337 

versclilusslaut.  für  den  wir  zisclilaiit  erwarten.  Doch  sprechen 
schwerwiegende  culturhistorische  gründe  gegen  die  annähme 
von  entlelmnng,  wenngleicli  die  herübernahme  von  verwant- 
schaftswürtern  nicht  nnerhürt  ist. 

Xhiüg.  stidiU,  sei'h.  tiiclj,  tnclja  'fremd',  got  piuda.   M. 

Abulg.  trcha  'negotinnr,  trehu  'notwendig',  hrhovati  'be- 
dürfen; got.  Jjmirban,  ahd.  ihirfan.  Urverwant  nur  bei  der 
annähme  von  Wurzelvariation.  Docli  ist  die  stufe  perb-  im 
germanisclien  nicht  belegt. 

Abulg.  valiti,  got. afwalwjan  'abwälzen'.  l^r\'erwant  nach  M. 

Abulg.  varovati  sg.  'cavere',  got.  ivarcl  'cautio'.    M. 

Abulg.  vedro  n.  'gutes  wetter',  aengl.  iveder,  ahd.  iciitar 
'wetter',  falls  man  dieses  mit  abulg.  vetrii  'luft,  wind'  vergleicht. 

Abulg.  rcni  "glaube',  .serb.  vjera,  russ.  vcra,  got.  tuziverjan. 
l^rverwant  nach  Uhlenbeck. 

Abulg.  vcsU  'ding,  sache',  got.  ivaihts  f.  'ding,  sache'.  Ur- 
verwant nach  gewöhnlicher  annähme. 

Abulg.  vlada,  got.  ivaldan.  Von  Uhlenbeck  wird  die  ent- 
lehnung  bezweifelt.  Für  fi'ühe  entlehnung  Kluge,  Et.  wb.^  s.  v. 
walten. 

Aserb.  vlachü,  serb.  vluch,  vlaclia,  russ.  volöclm,  volöclia,  ahd. 
walah.    M. 

Serb.  vldJcno,  russ.  volokno  'flachs',  vielleicht  aus  ahd.  ival- 
clian  'schlagen,  prügeln,  walken',  vldhio  'das  geschlagene',  vgl. 
den  flachs  hlimven. 

Abulg.  vosa,  serb.  osa,  lit.  rapsä,  ahd.  ivafsa  gegenüber  lat. 
vespa.    Gewöhnlich  als  urverwant  angesehen. 

Abulg.  voslca,  lit.  väszhas,  ahd.  icahs  n.  Vielleicht  entlehnt 
nach  Kluge  s.  v.  ivahs. 

Abulg.  vimuTiu  'enkel',  ahd.  enenkel.  Das  abulg.  wort  führt 
auf  ein  *anökas  zurück.     Auffällig  ist  das  Ic. 

Ich  füge  nunmehr  eine  kurze  Übersicht  der  Wörter  hinzu, 
die  Uhlenbeck  behandelt  hat,  w^obei  ich  aber  von  seinen  bei- 
spielen  aus  ahd.  zeit  absehe. 

k\m[g.hljudo,hljudü,  got.biups]  brady,  germ.*&arrfö 'Streit- 
axt'; brüdo,  russ.  berdo,  got.  baurd;  bugti,  ahd.  bouff:  bnly,  got. 
*böJcö;  c^ta,  got.  kintus;  cesarT,  kaisar;  crüky,  ahd.  chirihka,  c^dl, 
ahd.  chind;  chabiti  se  'abstinere',  ochaba  'eigentum',  got.  haban; 

Belträfte  zur  gescbiolite  der  deutschen  apraobo.     XXIII.  22 


338  HIRT 

serb.  cÄara/? 'spoliare,  devastare',  s^n.herja;  nhiüg.  chqdogn,  got 
hcmdugs;  sibiüg.  chladu  'kühle'  stammt  nicht  aus  germ.  *A«Wa ; 
cJdaJiü  'caelebs',  got.  haUs  'arm',  -cldastati  •freiiare'.  ahd.  hlast; 
chUhu,  got.  hlaifs;  chlevii  'stall',  chUvina,  got.  ""hlaiws,  hlija; 
cMujati,  *flöjan;  cJdümü,  an.  Jwlm;  abulg.  chmeli  'hopfen',  an;  himdi, 
Jmmall;  cJioragij,  got.  hrugga:  chrqsti  ^kä.ter\  got.  Jirani.stei;  Cech. 
ehvüe  'zeit',  poln.  chn-ila,  got.  keda;  ihvrastn  'wald,  eiclie',  ahd. 
Jiorst]  chyzü,  got  hüs;  dumati  ^denkeTi\  duma  ^r^V,  got.  dönijan, 
döms;  ghimti  ^sceim\  glmna  'Unverschämtheit',  an.  glaumr;  go- 
hidzü,  got.  gabeigs;  godarabll  'saide\  ahd.  gotatvehhi]  gonesti, 
gomsti,  gomznati  'errettet  werden',  got.  gamsan;  gonozifi,  ga- 
nasjan;  gonäi,  got.  ganah?;  gorazdii,  got.*garazds;  goiovü,  got. 
*gataus,  gataujan;  halezt  'kelch',  klad(^z1,  got.  *haldigga\  Jcrult, 
karl;  kofilü,  katüs;  kupiti,  got.  *kaupön;  kusiii  'kosten',  kausjan; 
künegü,  kün^dzY,  kuning;  Ukü,  got.  lekcis;  lichva  'wiicher',  got. 
leiJoan  'leihen';  abulg.  lokg  'lache',  ahd.  laMia;  lukü,  ahd.  louh] 
mtci,  got.mekeis;  mleko;  got.müuks;  abulg. w^i/^ö 'lohn,  gewinn', 
got.  möta;  navi,  got.  naus;  nuta  'rind',  an.  nmit;  ocUü,  akeit\ 
pen^gu,  *penning;  pigy  'feige',  got.^'feigö;  a\i\Wg.  plosky,  ahd. 
flasca;  jüugü,  an.  ^;Zo^>-;  idüchn,  ahd.  pdih;  pluku,  ahd.  folc; 
postü,  ahd.  fasta:,  raka  'grab',  *raky,  got.  *arkö;  *raty,  *rattö; 
*sakn,  got.  sakktis;  skotü  'vieh',  got.  skalts;  skutü,  got.  skauts; 
smoky,  got.  *smakkö  (stnakka);  sokü  'ankläger',  got.  sakan; 
strükü,  an.storkr;  sytii,  got.söps\  slemü,  got.  hilms;  abulg.  6'//r«, 
got.  skeirs;  tynii,  an.  tun:  user^gii,  got.  ausahrigga;  ranti  ^ante- 
vertere',  got.u-arjan;  varovati  'hüten',  got.  ivars,  ivarei,  warjan; 
velihqdu,  got.idbandus;  vino  'wein',  got. wein;  vinogradü,  weina- 
gards;  vrüct,  got.tmrkeis;  vriitu  ^gavten\  rrntogntdn,  got.  aihii 
gards]  zUdq,  got.  gddan. 

Zweifellos  wird  sich  diese  liste  noch  vermehren  lassen. 
Was  ich  angeführt  habe,  sind  teils  offenbare  lehnwörter,  die 
von  Uhlenbeck  nur  übersehen  sind,  teils  andere,  bei  denen  die 
frage,  ob  sie  entlehnt  sind,  mindestens  aufgeworfen  werden 
muss.  Ich  will  durchaus  nicht  behaupten,  dass  wir  in  allen 
fällen  gezwungen  wären,  dies  zu  bejahen. 

Die  grosse  zahl  der  germ.  worte  im  sla^•.  mag  billig  in 
erstaunen  setzen.  Sie  weisen  nicht  auf  einen  blossen  grenz- 
verkehr hin,  sondern  darauf,  dass  ^■iele  JSlaven  germanisch  ge- 
lernt haben,  und  nun  die  deutschen  Wörter  in  ihre  rede  mischten. 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  339 

Vgl.  Über  diesen  punkt  Wiudiscli,  Zur  tlieorie  d.  mischsprachen 
und  lelinw(>rter.  Ber.  der  sächs.  g-es.  d.  wiss.  1897.  101  ff.  Man 
kann,  glaube  ich,  ohne  allzu  grosse  kühnheit  annehmen,  dass 
einzelne  slav.  stamme  direct  unter  der  herschaft  der  Goten 
gestanden  haben,  als  diese  nach  dem  Schwarzen  meer  vor- 
drang:en.  Umgekehrt  wird  es  dadurch  auch  verständlich,  dass 
sich  keine  slav.  lehnwörter  aus  alter  zeit  im  germ.  finden. 

Wir  werden  gut  tun,  nunmehr  die  regelmässigen  laut- 
entsprechungen  zusammenzustellen,  bei  denen  noch  manches 
unklar  ist.     Dabei  nehme  ich  Fhlenbecks  material  mit  auf. 

Vocalismus. 

1.  Got.  ü  ist  slav.  durch  u  vertreten:  got.  ^hukü,  abulg. 
hulnj;  got.  dönis,  abulg.  dumati]  got.  *Dönavi,  abulg,  dunavi; 
got.  hrö2)s,  s]o\.  hrujy,  got.  Iiörs,  ahnig.  luriiva;  Pihd.  phluog,  an. 
2^lö(j)\  abulg.  jüiKj;  mhd.  fruot,  krönt,  jimd. 

2.  Got.  ö  ist  slav.  durch  ij  vertreten,  zunächst  in  der 
endung  //  ^-=  got.  ö.  worüber  ^röller.  Beitr.  7,  487  gehandelt  hat. 
Vgl.  al)ulg.  cn'dy,  rahy,  brady,  loly,  hnhy,  svelry.  Setzt  man 
Imky  =  got.  *bö}iö,  SO  springt  die  eigentümliche  differenz  in 
der  behandlung  der  beiden  o  in  die  äugen.  Den  grund  kann 
man  in  verschiedenen  momenten  sehen.  Entweder  sind  in- 
und  auslaut  verschieden  behandelt,  oder  die  beiden  u  des 
gotischen  waren  verschieden.  Dürften  wir  für  das  gotische 
eine  nasalierte  endung  ansetzen,  so  wäre  alles  in  Ordnung. 
Aber  nach  meiner  auffassung  der  auslautsgesetze  geht  das  nicht, 
wol  aber  müssen  wir  o  für  das  westgerm.  und  nordische  an- 
nehmen.   Ein  solches  hätte  zweifellos  im  slav.  zu  y  geführt. 

Auch  in  Wurzelsilben  tritt  y  für  u  ein  in  abulg.  myto, 
got.möta.  Ahd.  heisst  es  aber  mrda  'abgäbe'.  I^nd  das  wort 
könnte  auch  aus  diesem  dialekt  stammen  oder  aus  einem 
anderen,  in  dem  ö  zu  u  geworden  war.  Dazu  darf  man  wol 
mit  l  'hlenbeck  .sv//h  aus  got.  söjis  herleiten.  Ein  ä  ist  in  dieser 
Wurzel  sonst  nicht  nachgewiesen,  und  rein  lautlich  lässt  sich 
das  slav.  y  schwerlich  erklären.  Dies  müsste  jedenfalls  später 
entlehnt  sein  aus  einem  dialekt,  in  dem  germ.  ö  zu  a  geworden 
war,  vgl.  die  Schreibung  n  für  o  der  bibelhandschriften  des 
gotischen. 

3.  Ob  germ.  ö  durch  a  vertreten  ist,  ist  sehr  zweifelhaft. 

22* 


340  HIRT 

^ran  wird  zugeben  müssen,  dass  abulg.  plakati  und  prijati  nicht 
entlehnt  zu  sein  brauchen.  Jedenfalls  müssten  diese  beiden 
aus  sehr  früher  zeit  stammen. 

4.  Wie  u  wird  auch  au  behandelt.  Ihm  entspricht  regel- 
recht slav.  n.  Ahd.  bottc,  kroat.  bugü,  got.  lampön,  abulg.  lupiti; 
got.  kaus^jan,  abulg.  hisiti,  ahd.  lotih,  abulg.  luk\  ahd.  nüz,  abulg. 
nutd]  got.skauts,  abulg.  6'A-m/«;  got.ausa,  abn\g.user^(jH\  abulg. 
glumü,  an.  glaumr.  Hier  fragt  sich,  lag  im  gotischen  schon  ö 
vor,  oder  ist  im  slav.  au  direct  zu  u  geworden  durch  laut- 
substitution,  oder  fällt  der  Übergang  des  slav.  diiihthongen  ou 
in  u  in  die  zeit  nach  der  entlehnung.  Eine  antwort  ist  schwer- 
lich zu  geben.  Mit  der  annähme  der  letzten  möglichkeit  muss 
man  sehr  vorsichtig  sein,  da  ja  ö  durch  u  widergegeben  wird, 
was  nur  eine  lautsubstitution  sein  kann. 

5.  Got.  u  wird  slav.  zu  y.  Got.  lius,  abulg.  fhyzü,  ags, 
tun,  got.  ^tun,  russ.  tynü,  serb.  f«»;  got.pUsundi,  abulg.  tyscßti. 

6.  Germ,  u  wird  slav.  zu  u  in  abulg.  hnmatmü,  ahd.  brfin; 
abulg.  strusü,  ahd.  strUs;  \to\\\.  russ.  serb.  slov.  ruta,  ahd.  rrda\ 
diese  Wörter  müssen  einer  jüngeren  schiebt  angehören  als  die 
ersten,  was  ja  durch  struzü  sicher  erwiesen  wird.  Ausserdem 
könnte  man  schliessen,  dass  zur  zeit,  als  jene  entlehnt  wurden, 
entweder  slav.  u  noch  nicht  zu  y  geworden  war,  oder  ou  noch 
nicht  zu  u.  Falls  nämlich  kein  u  bestand,  Avurde  y  für  u  sub- 
stituiert. Aber  beides  könnte  auch  täuschen,  da  y  im  munde 
der  Slaven  dem  germ.  n  vielleicht  näher  lag,  als  das  aus  ou 
entstandene  u.  Und  schliesslich  könnten  auch  verschiedene 
accente  in  betracht  kommen. 

7.  Got.  m  wird  abulg.  zwju.  Got.  hiuds,  abulg.  bljudo;  ahd. 
Hut,  a.h\x\g.ljudu,  got.lmfs,  •dhiüg.ljubu;  got.])iuda,  'dhiilg. stuMt 
Anders  erklärt  Zupitza,  Die  germ.  guttui-ale  s.  145  diese  Avörter. 
Er  hält  im  anschluss  an  Joh.  Schmidt,  KZ.  23,  348  ff.  slav.  ju 
für  Vertretung  von  indog.  eu.  A^'ie  mir  scheint  mit  recht. 
Trotzdem  halte  ich  die  Wörter  für  entlehnt.  Ich  mache  übri- 
gens auf  die  länge  des  slav.  u  aufmerksam.  Man  müsste  für 
iu  eigentlich  xü  >  i  erwarten.  Slav.  jn  setzt,  wie  mir  scheinen 
will,  eine  steigende  betonung  des  diphthongen  m,  also  wol  iü 
voraus. 

8.  (jot.  ai  und  c  werden  zu  e.  Got.  kaisar,  abulg.  cesarlt; 
got.  baidjan,  abulg.  bediti]   got.  hails,  abulg.  cclu;   abulg.  chlevü 


GRAMMATISCHES   UND   ETYMOLOGISCHES.  341 

aus  got.  *}tJaiira]  got.  lelxis,  abulg.  Ukii;  ahd.  meinan,  abulg. 
meniti;  got.  m^rs,  abiilg.  merü;  got.  -tver-,  abulg.  vera;  got.  hlaifs, 
abulg.  chlehu. 

0.  Got.  c  wird  zu  /  in  got.  mcs,  abulg.  misa.  Hier  haben 
wir  es  mit  c'^  zu  tun,  vgl.  ahd.  mias.  Got.  ai  wird  zu  /  im 
anlaut,  abulg.  /.s7.y///,  inU.  In  abulg.  lil-U,  got.  ?«/ä:5  könnte  wol 
eine  andere  stufe  vorliegen.  Die  mittelstufe  i  wird  auch 
vorausgesetzt  für  die  fälle,  in  denen  e  und  ai  zu  X  geworden 
sind;  abulg.  mu'X,  got.  mckeis,  aruss.  dsari,  got.  hdsar,  denen 
sich  (johlni  aus  gaheigs  und  oc^^h  aus  a/^e^Y  anreihen.  Offenbar 
ist  die  Verkürzung  durch  tonentziehung  entstanden. 

10.  Die  lautgruppen  e,  a  -f  liquida  +  consonant  erleiden 
die  urslavischen  Verwandlungen,  im  abulg.  also  die  metathese 
mit  dehnung  des  vocals;  got.  hairijan,  abulg.  hrega,  got.  hairg-, 
abulg. &>7'(/r<,  russ. &ercr/«;  got*bar(lö,  ?ih\\\g.hrady;  germ.*banv-, 
abulg.  hravü;  got.  gards,  abulg.  gradü;  got.  halJcs,  abulg.  chlakü 
u.  s.  w. 

11.  Die  lautgruppen  /,  k,  o  +  liquida  +  consonant  W' erden 
behandelt  wie  urslav.  /,  ii  +  liquida,  erleiden  also  alle  Ver- 
änderungen der  einzelnen  dialekte;  abulg,  crükg,  ahd.  chirihha; 
abulg.  chlümü,  an.  höhn,  got.  *hulm,  abulg.  *mrüky,  ahd.  morha; 
•dhiilg, striiJiU,  Sihä.storalt;  s})\üg.vrHci,  got.aürkeis\  ?Lb\i[g.vrtitü, 
got.  ath-fl-  mit  Vorschlag  von  tv. 

Auffällig  sind  einige  formen.  Abulg.  sletnü  ist  nach  Uhlen- 
beck  nicht  aus  got.  hilms,  sondern  aus  einem  Vielma-  entlehnt, 
und  zleda  stammt  nicht  aus  got.  gildan,  sondern  aus  einem 
*geldan.  Letzteres  halte  ich  indessen  nicht  für  entlehnt.  Diese 
Voraussetzung  würde  keine  Schwierigkeiten  bereiten,  nur  müsste 
bemerkt  werden,  dass  sie  nicht  bewiesen  ist.  Ueber  abulg, 
mUko  aus  melko  hat  sich  Uhlenbeck  nicht  geäussert. ,  Got.  heisst 
es  miluks,  ahd.  miluh.  Aus  beiden  könnte  die  form  nicht  stam- 
men. Aber  es  fehlt  jedes  beispiel  für  die  behandlung  des  aus 
germ.  el  entstandenen  gotischen  il  Wir  dürfen  nicht  ohne 
weiteres  das  von  der  lautgruppe  id  gewonnene  auf  il  über- 
tragen, denn  il  ist  ja  aus  cl  hervorgegangen.  Schon  Scherer 
hat  vermutet,  dass  got.  i  für  zwei  verschiedene  laute  geschrieben 
werde  (ZGDS.'^  51  anm.,  vgl.  dazu  Braune,  Beitr.  9,  548)  und 
Wrede  hat  dies  QF.  68, 162  weiter  begründet,  und  das  slav. 
unterstützt  seine  annähme  entschieden.    Denn  weshalb  sollten 


342  HIRT 

gerade  diese  zwei  oder  drei  Wörter  aus  einem  nicht  got.  dia- 
lekt  entlehnt  sein? 

Ebenso  wenig  kann  icli  ühlenhecks  ansieht  beistimmen, 
dass  got.  baiü-d  im  abulg.  hrad  ergeben  hätte.  Er  führt  selbst 
die  entscheidenden  fälle  an,  indem  er  abulg.  chlümü  aus  germ. 
liolma-,  plüliü  aus  ahd.  folc  entlehnt  sein  lässt.  hanrd  hätte 
also  im  abulg.  hrüdo  ergeben,  wie  es  wirklich  vorliegt.  Auf- 
fallend ist  die  russische  form  hcrdo,  die  auf  ein  urslav.  hirdo 
weist.  Derselbe  fall  liegt  aber  in  abulg.  strüldi  'storch'  vor, 
urslav.  ^sttrku.  Es  scheint  fast,  als  ob  ur,  or  regelrecht  durch 
ir,  ul  dagegen  durch  ül  reflektiert  werde.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung könnte  man  abulg.  ^^mw,  serb.  prsi,  russ.  persi,  aus 
deutsch  bmst,  got.  hrusts,  an.  trünü,  russ.  ternu  aus  got.paunius 
entlehnt  sein  lassen,  hrusts  und  prasa  gehören  wol  zusammen, 
können  aber  kaum  urverwant  sein. 

Auffallend  ist  noch,  dass  das  slav.  wort  abulg.  Irali  *der 
könig'  die  regelrechte  entwicklung  des  volllautes  zeigt,  russ. 
Jiorolj.  Dies  stammt  aus  dem  namen  Karls  des  grossen,  und 
kann  also  erst  während  dessen  lebenszeit  entlehnt  sein.  In 
unsern  abulg.  quellen  ist  der  volllaut  vollständig  durchgeführt. 
Er  muss  ja  überhaupt  viel  älter  sein  als  unsere  Überlieferung, 
da  er  gemeinslavisch  ist.  Man  kann  unmöglich  annehmen, 
dass  er  erst  nach  der  zeit  Karls  des  grossen  eingedrungen  sei. 
Beachtenswert  ist  ahnuzno  gegenüber  ralcy  aus  *a7-Aö.  Jenes 
wird  später  entlehnt  sein,  wol  erst  aus  dem  ahd.  Freilich 
heisst  es  dort  alaniuosan  mit  mittel vocal,  der  aber  in  andern 
Wörtern  nichts  ausmacht, 

12.  Vocal  +  nasal  +  consonant  wird  regelrecht  zum  nasal- 
vocal,  vgl.  ceta,  got.  kintus;  gast,  ahd.  yans;  chadogü,  got.  han- 
dags;  choniyy,  got.  hriiyya]  Idadqzl,  got.  *kaldiyys.  In  abulg. 
chotan,  ahd.  huntari  müsste  eine  si)ätere  entlehnung  vorliegen. 

13.  Germ,  a  wird  zu  o,  abulg.  ho}%  ags.  hearu,  serb.  hök, 
got.  *hali\  abulg.  yosü,  got.  gasts;  abulg.  yorazdü,  got.  *yarazds 
U.S.W.  Dies  ist  die  regelrechte  Vertretung.  Daneben  stehen 
unzweifelhafte  fälle,  in  denen 

14.  germ.  a  durch  a  widergegeben  ist,  krositalnmmo,  russ. 
glazu,  mhö.. glaren;  •dhvdg.chahiti  ag.,  got.gahahan  siJc;  nhiüg.sakü, 
got.  sakkus;  abulg.  valitt,  got.  afwalicjan;  abulg.  varovati,  got. 
warei\  russ.  valii,  urgerm.  ivall.    Diese  Wörter  müssen  aus  emer 


GRAMMATISCHES    UND   ETYMOLOGISCHES.  343 

späteren  zeit  stammen.  Denn  man  wird  diese  Vertretung  nicht 
abweisen  kininen.  Ein  besonderer  fall  liegt  voi-  in  abulg.  navX, 
gut.  nans,  abulg.  dunaci  Sehr  auffällig  ist  abulg.  (jorazda,  das 
aus  einem  got.  garazäs  stammen  soll. 

15.  In  drei  fällen  scheint  germ.  a  auch  durch  ü  vertreten 
zu  sein,  in  miuiogii,  got.  manags,  buru,  got.  hariz,  vimuJcii.  Nach 
slav.  lautgesetzen  ist  das  li  hier  schwerlich  ei'klärbar,  aber 
auch  die  annähme  der  entlehnung  ist  nicht  bewiesen  und  nicht 
ohne  Schwierigkeiten  durchzuführen. 

Sonst  ist  im  vocalismus  noch  auffallend  die  widergabe  von 
ahd.  ärunti  diu'ch  oradije,  und  abulg.  pen^gii  mit  langem  e. 

lieber  den  consonantismus  ist  weniger  zu  bemerken. 
/■  Avird  anfänglich  durch  ^),  später  durch  l  widergegeben,  J) 
durch  t.  Bemerkenswert  für  die  Sprachgeschichte  ist  yonoziti 
mit  z,  got.  ganasjan,  abulg.  chjzu,  got.  hus  u.  s.  w.  Zweifellos 
gibt  slav.  z  ein  germ.  z  Avider. 

Auffallend  ist  die  behandlung  von  germ.  h.  Es  wird  in 
der  überwiegenden  anzahl  der  fälle  zu  eh.  Beispiele  s.  oben 
s.  337  f.  Vor  hellen  vocalen  wird  cJi  zu  s,  slemü  aus  *helmaz. 
Es  wurde  so  schwach  gesprochen,  dass  es  in  uscregü  ausfiel. 
In  einigen  beispielen  wird  es  aber  durch  k  widergegeben. 

Ueber  abulg.  konojilja,  das  aus  got.  Vianaps  zu  stammen 
scheint,  habe  ich  schon  oben  in  anderem  sinne  gehandelt.  Man 
würde  hier  ja  gern  die  annähme  von  entlehnung  ablehnen,  da 
der  hanf  doch  vermutlich  eher  zu  den  östlicher  wohnenden 
Slaven  als  zu  den  Germanen  gekommen  ist.  Aber  das  j»)  gegen- 
über dem  b  in  gr.  xdr)'ai:i(g,  lat.  caiinubis  bereitet  vorläufig 
unüberwindbare  Schwierigkeiten.  Der  einzige  ausweg  bliebe, 
slav.  honoplja  aus  einer  spräche  stammen  zu  lassen,  die  wie 
das  germ.  die  medien  zu  tenues  verschoben  hätte.  Aber  bis 
jetzt  ist  eine  solche  nicht  nachgewiesen. 

Abulg.  hnriiva  kann  auch  nicht  ohne  Schwierigkeiten  aus 
got.  liörs  abgeleitet  werden,  denn  woher  stammt  das  «t?  Abulg. 
hotora  aus  einer  form,  die  in  mhd.  hader  noch  vorliegt.  Abulg. 
hipü,  ahd.  houf.  Mit  Wandlung  in  den  Zischlauten  finden  wii- 
abulg.  celu,  got.  hails,  abulg.  cnklu,  got.  hairda. 

Sollten  diese  Wörter  vielleicht  nicht  direct  zu  den  Slaven 
gekommen  sein,  etwa  durch  Vermittlung  der  Balten? 


344  HIRT 

h  wird  durch  h,  vor  liellen  vocalen  durch  c  und  c  vertreten. 
Man  vergleiche  ccsan,  cqta,  lice,  crulcij  und  a'do,  crcsuja,  nüci, 
vruci  und  slde^zl,  IcunczL  Im  allgemeinen  repräsentiert  wol  c 
die  ältere  Schicht. 

Leider  lässt  sich  nicht  feststellen,  in  welche  zeit  die  frühe- 
sten entlehnungen  fallen.  Aber  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
dürfen  wir  doch  die  Goten  als  die  ersten  ansehen,  die  einen 
nachhaltigen  einfluss  auf  die  slav.  sprachen  ausgeübt  haben. 

Vielleicht,  so  könnte  man  denken,  böte  uns  die  betonung 
ein  kriterium  für  die  entlehnung.  Die  aus  dem  germanischen 
entlehnten  wörtei-  müssten  den  ton  auf  der  ersten  silbe  tragen. 
Das  ist  aber  durchaus  nicht  immer  der  fall.  Es  heisst  ccsdrX, 
russ.  cisari,  car;  abulg.  mUi  lautet  im  serb.  mac,  müca,  aus 
älterem  macä.  Kroat.  heisst  es  ühoraJc  für  *uhuraJc  aus  ahd. 
eimhar;  in  chuning  geht  die  erste  silbe  verloren,  und  es  heisst 
serb.  knez,  Icneza,  russ.  hijdzü. 

Wir  können  demnach  aus  der  betonung  keinen  schluss 
ziehen.  Das  slav.  hat  die  fremden  Wörter  offenbar  unter  ge- 
wisse accentschemata  eingestellt. 

Im  allgemeinen  bin  ich,  wie  man  sieht,  sehr  dazu  geneigt, 
entlehnungen  anzunehmen,  und  zwar  aus  dem  gründe,  weil  ich 
keine  besonders  nahe  verwantschaft  zwischen  germanisch  und 
slavisch  anerkennen  kann.  Neuerdings  hat  Uhlenbeck,  Beitr. 
22,  539  eine  anzahl  von  Wörtern  zusammengestellt,  die  nur  im 
germ.  und  slav.  voi'kommen.  Es  sind  nicht  allzu  viel,  und  so 
recht  significante,  denen  man  einen  culturhistorischen  wert 
beilegen  müsste,  sind  nicht  darunter.  Bei  einigen  habe  ich  be- 
denken. Ah^.harü,  russ. /.or^;?/«/:/ s. unten  s. 351.  B^i  goi.hairpra 
'eingeweide',  abulg.  cresla  'lende'  stimmt  die  bedeutung  nicht, 
abgesehen  davon,  dass  die  gutturale  Schwierigkeiten  bereiten, 
wie  ich  aber  hier  nicht  ausführen  kann.  Zu  ags.  idfetu,  ahd. 
elhiz,  aksl.  lehedt  vgl.  jetzt  Osthoff,  IF.  8,  64  ff.  Ahd.  hemera 
'nies würz',  abulg.  ccmcri  'gift',  cenierica  'helleborus'  vermag 
ich  wegen  der  gutturale  ebenfalls  nicht  ohne  bedenken  zusammen 
zu  stellen. 

B.   Die  altgermanischen  lehnwörter  im  baltischen. 

Das  baltische  zerfällt  bekanntlich  in  drei  dialekte,  in  das 
ausgestorbene  preussische,  in  das  litauische  und  in  das  lettische. 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  345 

Ich  will  hier  nicht  auf  eine  genaue  bestimmung  der  alten 
Sprachgrenzen  eingehen,  da  es  feststeht,  dass  die  alten  Preussen 
am  westlichsten  gesessen  haben.  Bei  ihnen  darf  man  daher 
am  ehesten,  vielleicht  ausschliesslich  germ.  einlluss  voraus- 
setzen. Von  wem  dieser  ausgegangen  ist,  das  kann  nicht 
zweifelhaft  sein.  Die  geschichte  kennt  die  (ioten  am  unter- 
lauf der  ^^'eichsel,  etwa  von  der  einmündung  des  Bug  bis  zur 
Ostsee  hin.  Im  Weichseldelta  sass  der  got.  stamm  der  Gepiden. 
Auch  die  zeit  ihrer  anwesenheit  in  dieser  gegend  lässt  sich 
annähernd  bestimmen.  'Der  letzte  zeitgenössische  zeuge,  der 
der  Goten  noch  als  bewohner  der  alten  geschichtlich  bezeugten 
sitze  gedenkt,  ist  Ptolemaeus  in  der  ersten  hälfte  des  zweiten 
jh.'s.  Um  die  mitte  dieses  jli.'s  mögen  die  züge  der  Goten 
nach  dem  Süden  begonnen  haben.  Um  200  müssen  die  Goten 
die  Gegend  am  Pontus  erreicht  haben:  bereits  214  findet  bei 
dem  Orientzuge  des  Caracalla  ein  erster  zusammenstoss  mit 
den  Römern  statt'  Sievers,  Pauls  Grundr.  1',  407  f.  Hat  das 
gotische  also  auf  das  altpreussische  gewirkt,  so  kann  das  nur 
im  ersten  und  zweiten  jh.  n.  (Jhr.  oder  früher  geschehen  sein. 
Man  kann  allerdings  daran  denken,  dass  reste  von  Goten  im 
lande  geblieben  wären,  dass  sich  nicht  alle  den  zügen  an- 
geschlossen hätten,  aber  eine  solche  annähme  können  wir  vor- 
läufig nicht  beweisen.  Dass  aber  irgend  welche  menschen  als 
träger  einer  historischen  tradition  zurückgeblieben  sind,  das 
geht  aus  einer  reihe  von  indicien  hervor,  von  denen  ich  nur 
die  neueste  besprechung  des  namens  'Danzig'  von  Kossinna, 
IF.  7, 285  ff.  namhaft  machen  will.  Ob  die  Goten  wirklich  mit 
den  Pi'eussen  in  berührung  gekommen  sind,  das  wage  ich  auf 
grund  anderer  momente  nicht  zu  entscheiden,  und  will  daher 
nur  die  spräche  als  zeugin  anrufen.  Allerdings  haben  wir 
hier  mit  gewissen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen.  Der  slav.  ein- 
fluss  auf  die  balt.  spräche  ist  ungeheuer  gross  gewesen;  den 
germ.  von  ihm  sauber  zu  trennen,  ist  oft  unmöglich.  Doch 
glaube  ich  einiges  wenigstens  mit  Sicherheit  feststellen  zu 
können.  Wo  uns  lautliche  kriterien  im  stich  lassen,  da  gibt 
m,  e.  ein  punkt  den  ausschlag.  Stimmt  ein  preussisches  wort 
in  flexion,  Stammbildung  und  bedeutung  genauer  zum  germ. 
als  zum  baltisch-slav.,  so  ist  es  der  entlehnung  dringend  ver- 
dächtig. 


346  HIRT 

I.  Die  lelnnvörter  im  altpreiissischen. 

Ich  stütze  mich  hier  auf  Berneker,  Die  preussische  spräche. 

aclions  ^granue'  Yocabular  (V.)  277  stimmt  j2:enauer  zu  got. 
ahana  'spreu'  als  zu  Mi. aMdas,  X^Xi.ahüts.  Es  steht  für  *aclans 
mit  0  statt  a  nach  guttiu-al,  vgl.  Berneker.  Welche  casusform 
in  achms  steckt,  ist  unklar.     Sehr  unsicher. 

alu  V.  892  'met',  lit.  alhs,  lett.  alus  aus  germ.  ^alu-,  aengl. 
eaJu  n..  an.  (jl  n.  Dies  wort  wird  gewöhnlich  zum  balt.-germ. 
Wortschatz  gerechnet.  Doch  kann  es  ebenso  gut  entlehnt  sein. 
Da  ein  lautliches  kriterium  fehlt,  so  gibt  vielleicht  lit.  mldus 
'met'  den  ausschlag.  Dem  ai.  mddhu  n.  'süssigkeit,  honig, 
süsser  trank",  gr.  f{ei)-v  'wein',  abulg.  mcdU  'honig'  entspricht 
regelrecht  lit.  medhs  •honig',  preuss.  meddo  V.  391  "honig".  Da- 
neben gibt  es  ein  Mi.midiis  'met'.  Nun  tritt  allerdings  im 
lit.  in  einzelnen  fällen  ein  i  statt  eines  indog.  e  auf  (vgl.  Les- 
kien, Der  ablaut  der  Avurzelsilben  im  lit.,  Abh.  d.  phil.-hist.  cl. 
d.  Sachs,  ges.  d.  wiss.  9,  270.  Wiedemann,  Das  lit.  praeteritum 
s.  8),  aber  die  fälle  sind  zu  unsicher,  um  mit  ihnen  rechnen  zu 
können.  Das  lit.  midus  'met'  erklärt  sich  aber  sehr  einfach 
aus  einem  im  got.  zufällig  nicht  belegten  ""midus  'met'.  Hier 
haben  wir  einerseits  an  dem  i,  andrerseits  an  der  bedeutung 
ein  kriterium  der  entlehnung,  denn  germ.  *mcdus  hat  auf  dem 
ganzen  gebiete  unseres  sprachzweig;es  die  bedeutung  "mef, 
und  nicht  mehr  die  von  'honig'. 

Als  dritter  fall  auf  dem  gebiete  des  'getränkes'  kommt  hinzu 
preuss.  drmjios  'liefen'  an.  dreyg,  pl.  drecjijjar  (st.  ^dragjä-).  Das 
got.  wort  fehlt,  müsste  aber  wol  *dragjös  lauten.  Auch  hier 
können  wir  die  entlehnung  nicht  beweisen,  und  im  allgemeinen 
gelten  die  worte  für  ui-verwant,  vgl.  Kluge,  Pauls  Grundr.  1,  820. 
Berneker  s.'  287.  Für  entlehnung  dagegen  G.  Meyer,  Alb.  wb. 
s.  V.  drä  f.  und  mit  recht. 

Pr.  ankstan  'butter'.  Grünau  ancte  zu  ahd.  ancho  'butter', 
lat.  unguen  'salbe'  u.  s.  w.  Die  formen  des  preuss.  stimmen 
nicht  genügend  überein,  um  die  annähme  von  entlehnung  zu 
sichern.  Auffallend  ist  mir  die  gleiche  bedeutung.  Die  aus- 
drücke für  'butter'  gehen  sonst  nicht  in  die  urzeit  zurück. 
Jedenfalls  ist  vorsieht  geboten. 

assanis  V.  13  'herbst',  got.  asans  'erntezeit'.  Abulg.  jesewi 
zeigt  in  beiden  silben  e-vocalismus.    Doch  können  die  preuss. 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES,  347 

a  für  e  stehen,  was  im  anlaut  im  Vocabular  sogar  regel  ist. 
Unsicher. 

asilis  V.  436  'esel',  \ii.  äsilas,  ?ih\\\^.  osllü  aus  got.  asilus. 
Berneker  s.  281  nach  anderen.  Prellwitz  hält  es  für  ein  mo- 
dernes lehnwort.  aber  das  tier  wurde  schon  in  vorchristlicher 
zeit  in  Nordeuropa  bekannt. 

bnmyosYAld  'brustharnisch',  Itit.  hrunas,  ?i\)n\g.  hrnnja 
entlehnt  aus  got.  brmijö.  Prellwitz  hält  es  für  entlehnung 
aus  dem  mhd.  brürijc,  hroniyen,  was  mir  nicht  wahrscheinlich 
ist.  Bekanntlich  ist  das  germ.  in  waffennamen  und  heerwesen 
füi-  das  baltisch -slav.  vorbildlich  gewesen.  Aus  dem  preuss. 
gehören  noch  hierher: 

sanvis  Y.  41  f.  'wofen',  lit.  szarvat  aus  got.  sariva  'rüstung'. 
Unzweifelhaft. 

salmis\A20  'heim',  Mi.  szatmas,  abulg.  s?mtf,  got.hüms, 
ahd.  heim.  Doch  kann  das  preuss.  wort  nicht  direct  aus  dem 
germ.  stammen. 

Unmittelbar  ist  preuss.  l'elmis  '  liut '  V.  474,  chelmo  Grünau 
'hut'  entlehnt.  Hier  beweisen  die  gutturale,  da  got.  hilms  zu 
ai.  rarman  gehört. 

Preuss.  kalahian  V.  424  'seh wert',  lit.  kalavljas  ' Schwert, 
eisbock,  eisbrecher',  hdavijäd'u-is  'ein  Waffenschmied,  schwert- 
feger'.  Das  wort  ist  nicht  aufgeklärt  und  sieht  unlitauisch 
aus.    Man  könnte  an  ahd.  lialh,  haldb  'handhabe,  stiel'  denken. 

huccareisi.<i  V.  598  'buchecker',  huccmvarne  \.  723  'holz- 
krähe', lit.  hiiha,  got.  höl:ö,  aber  kaum  direct  aus  dem  got. 

f/a^/rt?6-m^ 'bereiten',  \\t.  gätavas,  lett.  (/a^az^'s  'fertig',  lit. 
(jatänjti,  s.hii\g.<jotoviti  'bereiten',  got.  (/afcmjan.  Nach  Brückner, 
Die  slav.  lehnworte,  stammt  das  halt,  wort  aus  dem  slav.;  das 
ist  möglich,  aber  nicht  sicher.  Von  Berneker  s.  290  wird  es 
zu  alban.  gaf  'bereit',  gatuan  'bereite  zu'  gestellt  nach  G.Meyer, 
Alb.  wb.  s.  V.  gat,  aber  schwerlich  mit  recht. 

instran  Y.  193  'schmer',  an.  istra  'fett,  schmer'.    Unsicher. 

haüüstikan  'gesundheit'  nebst  abulg.  celü,  ctlostt  entlehnt 
aus  got.  hails.  Wegen  des  h  nicht  aus  dem  slav.  Die  ent- 
lehnung ist  mii'  vor  allem  wegen  der  bedeutung  wahrschein- 
lich, vgl.  Sigs.  hcel  n.  'gesundheit*. 

cayntis  Y.197  'dorf,  cayme  (4r.  "dorf,  lit.  henias  aus  got. 
huims.    Ygl.  noch  kaitna  luke  'sucht  heim'.    Die  Wörter  können 


348  HIRT 

aucli  urverwant  sein,  doch  gehört  haims  vielleicht  mit  gr. 
x(6firj  zu  preuss.  seimlns  'gesinde',  lit.  szeimyna,  abulg.  semtnu, 
vgl.  Zupitza,  Die  germ.  gutturale  s.  49. 

ca^<7*"  Y.  355 'kessel',  Mi.kätüas,  \%ii.liatls,  abulg. /lO^i^w  aus 
got.  TmUIs. 

Mnpishin  'handel'  kann  natürlich  nicht  trotz  Brückner 
und  Prelhvitz  aus  i)oln.  Mpcc  entlehnt  .sein.  Denn  woher  sollte 
der  diphthong  stammen?  Ebensowenig  kann  es  aus  dem  nieder- 
deutschen herübergenommen  sein.  Es  bleibt  als  quelle  nur  ahd. 
und  got. 

/.•err/aw 'zeit',  abulg.  cVeda  ' Wechsel',  got.  hairda,  -dM.herta 
iierde.  Wechsel'.  Die  annähme  der  entlehnung  bereitet  wegen 
der  bedeutung  des  preuss.  Wortes  einige  Schwierigkeiten,  doch 
hatte  die  sippe  nach  ausweis  von  ai.  ^drdha  'schar,  herde' 
palatalen  guttural.  Vgl.  noch  das  sicher  entlehnte  lit.  lierdzius, 
got.  hairdeis.    Das  alte  lit.  wort  für  'liirt'  heisst  pemü. 

kJauslton,  Mausemai,  lit.  Mausaü,  Idausyti,  lett.  Mausit  'hören, 
gehorchen ;  man  hat  dies  wort  stets  mit  abulg.  sluchü,  ai.  cra- 
vanam  verbunden.  Wegen  des  verschlusslautes  muss  das  wort 
entlehnt  sein.  Es  gibt  aber  im  deutschen  kein  wort  Maus-, 
und  man  hat  daher  diese  Vermutung  abgewiesen.  Ich  nehme 
an,  dass  im  lit.-preuss.  secundärer  ablaut  vorlegt,  und  wir  die 
entlehnte  form  in  preuss. ^jokliismai,  jioldiismingisJiai  'gehorsam', 
lit.  Jclustü,  paklusniis  zu  sehen  haben.  Lit.  Jdustk  'jemandem 
gehör  geben,  gehorchen'  kann  auf  einer  germ.  form  beruhen, 
die  etwa  in  ags.  Idystan  'aufhorchen,  zuhören'  vorliegt.  Der 
aorist  klusaü  berührt  sich  mit  ahd.  Jdosen,  hlosön.  Secundärer 
ablaut,  d.  h.  die  entstehung  ablautender  form  auf  grund  einer 
einzigen  form,  ist  etwas  ganz  gewöhnliches  in  allen  sprachen. 

auklipts  'verborgen'  aus  got.*hUfts,  Miftus.  Man  vergleicht 
das  preuss.  wort  mit  gr.  xXijixm,  lat.  depo,  got.  hlifan,  ohne  sich 
um  die  erklärung  des  /  zu  kümmern.  Auch  bei  Eerneker  finde 
ich  nichts.  Indog.  e  kann  es  nicht  sein,  und  l  auch  nicht,  da- 
her wird  man  entlehnung  annehmen  müssen. 

knaplos  V.  268  'hanf,  lit.  kanäpes,  lett.  kanepe  aus  got. 
Vianaps.    Vgl.  oben. 

cui/lis  V.  683  'eher',  lit.  kmhjs  'zahmer  eher',  lett.  kudis, 
nhd.  keder,  keuler.  Eine  entlehnung  des  deutschen  aus  dem 
lit.,  wie  sie  Kluge  im  Et.  wb.  vermutet  hat,  ist  mir  wegen  des 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  349 

lit.  vocalismus  nicht  gerade  wahrscheinlich.  Wie  verliält  sich 
hdlys  zu  kidnle? 

miütan  'malz'  in  phvamultan  aus  dem  deutschen  'malz'. 

nantin,  nmitien  'not',  got.  naups.    Wol  entlehnt. 

panno  V.  33  'feuer',  paniistaclan  V.  370  'vuerj'sen'.  staclan 
=  ahd.  stahal,  g-ot.  *sfahla-  n.  Letzteres  ist  vielleicht  entlehnt, 
und  auch  wol  panno,  da  man  g"ot.  fon,  fiinins  seinem  ablaut 
nach  nicht  mit  dem  preuss.  Avort  vereinig-en  kann. 

pcclcu  'vieh'.  Mi.  pehus,  []  Kurschat.  mit  gutturalem  ver- 
schlusslaut geg-enüber  ai.  pden,  entlehnt  aus  got.  faihu.  Davon 
abgeleitet  jyecküt,  popeclcfd  'behüten'. 

rilxis  'herre'  V.  404,  ril;s  'reich'.  Das  wort  kann  nicht  aus 
dem  slav.  stammen,  da  es  dort  nicht  vorhanden,  und  kann  auch 
kaum  in  späterer  zeit  aus  dem  germ.  entlehnt  sein,  da  riks 
nicht  mehr  die  bedeutnng  'herr,  könig'  hat.  In  spätere  zeit 
gehört  IconcujisYAOi)  'könig'  gegenüber  der  alten  entlehnung 
von  lit.  Ihningas  'pfarrer',  lett.  kmigs  'herr'. 

saltan  Y.  376  'speck'  braucht  man  wol  nicht  in  paltan  zu 
bessern,  da  es  mit  deutsch  sali  zusammenhängen  könnte. 

stiMo  'glas',  got.  stilds.    Möglicherweise  aus  dem  slav. 

fiddlsnan  'freude',   got.  dullhs  'fest',  ahd.  didt  'Jahrmarkt'. 

tcanijiis  V.  588  'damerau',  got.  ivaijgs  'paradies',  an.  vangr 
'feld'.  Gegen  amiahme  von  entlehnung  lässt  sich  nichts  ein- 
wenden. Gehörte  waggs  mit  gr.  oyxoq  'biegung'  zusammen, 
so  wäre  sie  sogar  sicher. 

Die  lehnwörter  sind  im  preuss.  weniger  gut  und  sicher  zu 
erkennen  als  im  slav.  Obgleich  vieles  sehr  zweifelhaft  ist, 
glaube  ich  doch  as'dis,  sanvis,  rihis,  laupishan, pecku,  tiddlsnan 
direct  auf  das  gotische  zurückführen  zu  dürfen. 

II.   Die  germanischen  lebnwüiter  im  li t aitisclien. 

Die  zahl  der  altgerm.  lehnwörter  im  lit.  ist,  wie  wir  schon 
oben  vermutet  haben,  in  der  tat  ziemlich  gering,  doch  sind  in 
einigen  fällen,  wie  mir  scheinen  will,  entlelinungen  zweifellos 
anzuerkennen. 

Die  angeführten  fälle  beruhen  nicht  auf  einer  sj-stemati- 
schen  durchforschung  des  lit.  Wortschatzes,  sondern  auf  gelegent- 
licher notierung. 

Lit.  «/ä.v  'hausbier'  s.  oben  s.  34C. 


350  HIET 

Lit.  äsilas  s.  oben  s.  347. . 

lÄt.  nana  'g-enug'  soll  aus  got.  ganah  stammen.  Das  ist 
zwar  nicht  sicher,  aber  doch  möglicli. 

Lit.  gar  das  'bürde',  abulg".  gradü  'raauer,  garten',  got.gards. 

Lit.  jeszl-öti,  abd.  eiscön  s.  oben  s.  334. 

Lit.  Jiätüas,  got.  katils.  Das  lit.  wort  wird  kaum  aus  dem 
poln.  stammen. 

Lit.  hmgurys,  Icangure  'ein  mit  sandg-ras  bewachsener  bügel' 
steht  neben  kaukarä;  vgl.  an.  haugr. 

■     Lett.  hmns  'schände,  schäm,  höhn',  got.  hauns  'niedrig,  de- 
mütig'. 

Lit.  kaupas  'ein  häufen  von  erde',  abulg.  hqyu,  ahd.  hon  f. 
Abulg.  Jiupü  kann  nicht  die  quelle  sein.  Gegen  urverwantschaft 
spricht  die  mangelnde  lautverschiebung. 

Lit.  kemas  s.  oben  s.  347. 

Lit.  kerdzms  'hirt',  got.  liairdeis  s.  oben  s.  348. 

Lit.  kirmytl,  mhd.  hirmen.  Die  sippe  hat  palatal,  vgl.  ai. 
grämyati,  doch  kann  das  lit.  wort  aus  bekannten  gründen  nicht 
aus  dem  historischen  got,  stammen. 

Lett.  klai];)s  'brot'  kann  nicht  aus  dem  slav.  entlehnt  sein, 
sondern  nur  aus  dem  got. 

Lit.  klausyti  s.  oben  s.  348. 

Lit.  khningas  'pfarrer,  herr'  muss  altes  lehn  wort  sein. 

Lit.  kuprä,  ahd.  hovar  können  auch  urverwant  sein. 

Lit.  kvetys,  got.  kalt  eis  wegen  des  t  und  des  gutturals 
zweifellos  entlehnt. 

Lit.  mklks  s.  oben  s.  346. 

lÄi.mundras  'munter',  ahd.mtmtor,  gotmundrei.  Vielleicht 
spät  entlehnt. 

Lit pröias  'verstand',  got.  frö])-. 

Lit.  2)utkas,  ahd.  fok,  got.  *fulk. 

Lit.  stodas,  zem.  eine  herde  vieh,  besonders  pferde'  wird 
wol  eher  aus  slav.  stado  als  aus  germ.  ^sföda  stammen. 

Lit.  szarvaT,  got.  sarva  s.  oben  s.  347. 

AVie  man  aus  dieser  liste  sieht,  ist  die  zahl  wirklich  alter 
lehnwörter  sehr  klein  gegenüber  der  im  slavischen.  Man  kann 
daher  mit  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  auch  die  an- 
geführten nicht  direct,  sondern  durch  das  preuss.  in  das  lit. 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  351 

g-ekommen  sind.  Das  eine  steht  ahov  fest:  ein  o:uter  teil 
dieser  Wörter  kann  zweifellos  nnr  ans  dem  altg-enii.  stannnen, 
denn  später  sind  ja  anf  Jahrhunderte  hinaus  die  beziehungen 
zwischen  Litauern  und  Germanen  untei'brochen. 

VII.  Etyinologieu. 

1.  Ahd.  hart!  'Schulterblatt'. 
Ahd. //«>-^/ 'Schulterblatt'  g-ehört  mit  ^w.  heröar  pl.  'schul- 
tern' zusammen  und  ist  bei  Zupitza,  Die  germ.  gutturale  mit  russ. 
kortißki  'schultern'  verglichen.  Dem  schliesst  sich  jetzt  IJhlen- 
beck,  Beitr.  22,  539  an,  indem  er  es  als  germ.-baltoslav.  glei- 
chung  in  anspruch  nimmt.  Indessen  kann  man  auch  lat.  car- 
tilägo  'knorpel  am  tierischen  körper'  hierher  ziehen. 

2.  mare. 
Das  deutsche  mare,  nachtmare,  dial.  mart  hat  schon  A.  Kuhn, 
Zs.  fda.  5, 488  f.  mit  ai.  marut  und  mit  lat.  mori  verbunden.  Mogk 
hat  sich  Pauls  Grundr.  D,  1013  dem  angeschlossen  und  daraus 
eine  anzahl  von  folgerungen  abgeleitet.  Die  Verbindung  mit 
lat.  mori  ist  aber  zu  beanstanden,  da  man  jetzt  ai.  marut  kaum 
von  \?it.mavors,  mavorüs  trennen  kann,  vgl.  Wackernagel,  Aind. 
gramm.  §  184:  hier  ist  durch  zahlreiche  beispiele  ein  indog. 
gesetz  belegt,  nachdem  aus  ur,  nl  unter  gewissen  bedingungen 
rit,  lii  wurde.  Die  lautgesetzliche  erklärung  ergibt  sich  auf 
grund  von  zwei  indog.  Schwächungsstufen  der  gruppen  er,  el. 
Denn  es  ist  klar,  dass  aus  indog.  '''mauert  nichts  anderes  als  lat. 
mavort  werden  konnte,  während  *tuaitrt  zu  marut  führte. 
Ebenso  gehen  ai.  vr'lris,  abulg.  vlitkü,  lit.  vitkas,  got.  ivulfs,  lat, 
vidpes  auf  indog.  *Uelkos,  lat.  hqnis,  gr.  Xvxog  dagegen  auf 
*ijlkos,  woraus  *lukos,  zurück.  Wir  besitzen  also  einen  indog. 
ausdruck  maujf,  marut  für  ein  gespenstiges  wesen,  über  dessen 
eigentliche  bedeutung  wir  nicht  ins  klare  kommen  können.  Ob 
slav.  mora,  serb.  mora  'alp'  entlehnt  oder  urverwant  ist,  lässt 
sich  nicht  feststellen;  ich  vermute  das  erstere. 

3.    Got.  qairriis. 
Got.  ryaeVnLS- 'sanftmütig',  a.n.  kvirr,  kyrr  'still,  ruhig',  mhd. 
klirre  'zahm,  milde'   hat  Bezzenberger  mit   Vit  gurüs  ^lockar, 


352  HIRT 

bröckelig'  verbimdeii  (BB.  3.  81).  Noch  besser  scheint  mir  aber 
lit.  geras  'gut'  dazu  zu  stimmen.  Letzteres  hat  Bezzenberger 
mit  gr.  (ftQxtQo^  verglichen,  was  indessen  wegen  des  labials 
einige  Schwierigkeiten  bereitet,  da  wir  ^  erwarten  müssten. 
Unaufgeklärt  bleibt  das  doppelte  ;•.  Ist  obige  gleichung  richtig, 
so  muss  natürlich  die  Verbindung  von  lit,  geras  mit  gr.  f/tQTtQog 

aufgegeben  werden. 

4.   Got.  qistjan. 

Got.  qistjan  'verderben',  an.  kvista  •verstümmeln',  mnd. 
quisten,  ixM.quistan,  chicisten  'verderben,  vernichten"  bezeichnet 
Uhlenbeck,  Et.  wb.  als  unaufgeklärt.  Zu  gründe  liegt  ahd. 
quist  'Vernichtung'.  Das  wort  gehört  zu  einer  in  den  indog. 
sprachen  weit  verbi-eiteten  wurzel  gi<es,  vgl.  'di.jas  'erschöpft 
sein,  totmüde  sein,  erschöpfen,  entkräften',  nijas  'vergehen, 
verschwinden',  jdsush  f.  'erschöpfung,  mattigkeit',  lit.  gesaU, 
gesyti  'löschen',  gestu,  gesti  'erlöschen',  gr.  ößtvvvfii  aus  zgt(es- 
' auslöschen',  übertr.  'stillen,  dämpfen,  massigen'. 

5.  Got.  -friks. 
Got.  faihu-friJcs  enthält  ein  wort  friks,  das  in  an.  frekr 
'gierig,  kühn',  ags.  free  'verwegen',  ahd.  freh  'habsüchtig'  vor- 
liegt. Dies  dürfte  doch  trotz  der  nicht  übereinstimmenden 
schlussconsonanten  zu  lat.  jrrecäri,  procus  u.  s.  w.  gehören.  Die 
form  "^preg  verhält  sich  zu  "^iwek  wie  '^äeig  in  taikns  zu  "^deik 

in  teihan. 

6.  Ahd.  gispanst. 

Ahd.  gispanst  'lockung'  gehört  zu  ahd.  as.  spanan  'locken, 
reizen',  das  man  zu  gr.  öjiäoj  'ziehen'  stellt.  Noch  näher  liegt 
aber  lit.  spendziu,  sp^sti  'fallen'  oder  'f allstricke  legen'. 

7.   Ahd.  narro. 

Ist   ahd.  wan-o  'verrückter'   ein  deutsches  wort,   so  kann 

man  es  mit  lit.  narsas  'zorn',  nirsti  'starrköpfig,  starrsinnig  etc.' 

vergleichen. 

8.    Ahd.  hehara. 

Ahd.  hehara,  ags.  hi^ora  m.,  an.  heri,  hegri  m.  'häher'  ist 
noch  nicht  erklärt.  Denkt  man  an  die  eigentümliche  gestalt 
dieses  vogels  mit  seinem  auf  dem  köpf  verschmälerten  und 
tollenartig  verlängerten  gefieder,  so  könnte  man  daran  denken, 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  353 

dass  der  vogel  luicli  seinem  ausselien  benannt  wäre.  Die 
grundform  des  germ.  wortes  ist  unzweifelhaft  *kikoros,  und 
dieser  entspricht  g-anz  g-enau  ai.  rikharas  'spitzig',  abgeleitet 
von  oihhü  f.  'haai'busch,  pt'auenkamm.  spitze',  rikharas  bedeutet 
also  eigentlich  'mit  einem  haarbusch,  federbusch  versehen', 
und  das  passt  ausgezeichnet  als  bezeichnung  für  den  häher. 

9.  Ahd.  hirso. 

Die  hirse  gehört  bekanntlich  zu  den  ältesten  cultur- 
gewächsen  Europas,  und  es  ist  daher  von  vornherein  anzu- 
nehmen, dass  ihr  name  auch  bei  den  Germanen  uralt  ist. 
Sehr  ansprechend  ist  Brätes  heranziehen  von  lat.  ceres,  cereris 
(BB.  13,  48).  wenngleich  nicht  ganz  sicher.  Ich  verbinde  weiter 
mit  dem  germ.  wort  ai.  (■ashpam,  das  auf  t-arsli  zurückgeht.  Die 
bedeutungen  'junges  gras'  —  'hirse'  sind  leicht  zu  vermitteln, 

10.  Ahd.  hodo. 

Ahd. /iodo,  mvX.liode,  a.h'mi^.hotJia  'hode'  weisen  auf  ablauts- 
formen  Jiont,  htf,  deren  erklärung  noch  aussteht.  ]\lit  lat.  cöleus 
'hodensack'  (Kluge)  weiss  ich  die  formen  wegen  des  vocalismus 
nicht  zu  vereinigen.  Dass  das  wort  uralt  ist,  ist  wegen  des 
alters  ähnlicher  bezeichnungen  von  vornherein  zu  vermuten. 
Ich  verbinde  unser  wort  mit  lat.  cunnus  aus  ^cutsnos.  Um 
den  bedeutungsübergang  zu  erklären,  verweise  ich  auf  mhd. 
n// 'cunnus,  Vulva",  gegenüber  -di.  putn  m.  dual,  'hinterbacken', 
jwtas  'junges',  lit.  ^>a<7to6'  'ei',  ^;aH^«/  'hoden,  hodensack',  die 
lautlich  mit  dem  germ.  wort  genau  übereinstimmen.  Auch  ai. 
iöfhus  'anschwellung'  könnte  man  mit  dem  in  der  Überschrift 
genannten  worte  verbinden, 

11.  Ahd.  sclnan. 
Ahd.  scman  'glänzen,  erscheinen,  sich  zeigen',  got.  skeinan 
'leuchten,  scheinen"  stellt  man  zu  gr.  öxiä  'schatten',  ai.  chmjä 
'glänz,  schatten'.  Es  mag  sein,  dass  hier  eine  wurzel  sket  zu 
gründe  liegt.  Immerhin  wird  man  auch  eine  andere  etymologie 
vorschlagen  dürfen,  die  absolut  genau  übereinstimmt.  Got. 
skeinan  entspricht  abulg.  simiti,  sin(i,  sinesi  'illucescere',  sinX 
'hell,  licht'.    Weiter  gehört  hierher  alb.  si,  stamm  sin  'äuge'. 

Beiträge  zur  guscLilcbtu  der  deutBcüeu   uprauhe.     XXllI.  23 


354  HIRT 

sk  in  sl-einan  muss  auf  indog.  sie  zurückgehen,  und  daraus  liat 
sich  ganz  regelrecht  abulg.  s,  alb.  s  entwickelt. 

12.   Got.  sair. 
Got.  sair  'schmerz'  stellt  Uhlenbeck,  Et.  wb.  s.  v.  zu  air. 
sdeth  'leid,  mühe,  krankheit'.    Ist  dies  richtig,   so  kann  man 
diese  worte  weiter  mit  ai.  kshä  'brennen',  gr.  ^tjgög  'trocken' 
verbinden,  indem  man  von  einer  e/-wurzel  ausgeht. 

13.  Ahd.  wer  ah. 
Ahd.  tverah  und  werch  n.  'werg'  möchte  man  gern  mit  tverJc 
'f'pyoa''  zusammenbringen.  Doch  bleiben  dabei  immerhin  einige 
Schwierigkeiten  der  bedeutungsentwicklung.  Dass  diese  selbst 
schon  alt  ist,  scheint  mir  aus  gr.  Q/j-yoc  'ein  gefärbter  teppich, 
eine  bunte  decke'  hervorzugehen,  das  ich  direct  mit  dem  germ. 
Worte  vergleiche.  Prelhvitz,  Et.  wb.  stellt  es  zu  Qtuo  'färbe', 
was  mir  nicht  notwendig  zu  sein  scheint. 

14.  Ahd.  hlio. 
Ahd.  blw,  bUwes  'blei'  bezeichnen  die  etymologen  als  völlig 
unaufgeklärt.  Schade  hat  es  mit  ahd.  Ml  st.  n.  'färbe'  zu- 
sammengebracht, was  schwerlich  angeht,  und  ebensowenig  kann 
ein  Zusammenhang  mit  lat.  plmnhnm  bestehen.  Und  doch  fühlt 
man  eine  gewisse  ähnlichkeit  im  klänge  dieser  Wörter,  der  ja 
täuschen  könnte,  vielleicht  aber  doch  auf  einen  alten  zusammen- 
hang  hinweist.  Das  ahd.  wort  kommt  ausser  in  diesem  dialekt 
nur  noch  im  an.  als  hly  vor.  Dass  wir  daraus  nicht  die  exi- 
stenz  eines  urgerm.  Wortes  erschliessen  dürfen,  ist  bei  der 
weiten  und  rätselhaften  Wanderung  der  meisten  metallnamen 
selbstverständlich.  Als  grundform  für  unser  wort  gewinnen 
wir  ein  Vdnvan  (got.  *blehv),  und  dies  können  wir,  einen  neuen 
fall  zu  den  alten  fügend,  auf  "mlucam  zurückführen.  Das  er- 
innert uns  sofort  an  gr.  (loXtßnc,  fioXvßog,  fioXvßöog;  die  erste 
form  liegt  11.11,237,  die  letzte  11.24,80  vor.  Ein  indog.  wort 
liegt  hier  natürlich  nicht  ^or,  obgleich  sich  iiöXißoi;  auf  moli- 
giios,  *mllwam  aber  auf  *mle{ghvom  zurückführen  lassen,  zwei 
formen,  die  sich  nur  durch  einen  regelrechten  ablaut  und  den 
häufigen  Wechsel  ^'on  media  und  media  asi)irata  unterscheiden. 
Wir  haben  es  viel  eher  mit  lehn  Wörtern  zu  tun.    Im  griech. 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES,  355 

weist  darauf  schon  die  verschiedene  gestalt  der  zweiten  silbe. 
AVenn  aber  hier  wirklich  ein  vorläufij?  noch  nicht  näher  zu 
bestimmender  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  wr)rtern 
bestellt,  so  wird  man  die  heimat  derselben  nicht  mit  O.Schrader, 
Sprachvergleichung-  und  urgesch.  s,312  in  Spanien  suchen  dürfen, 
sondern  in  dem  alten  gebiet  der  Hallstadtcultur.  also  in  Oester- 
reich-rngarn;  und  dann  werden  wir  auch  \Rt.  j^hmihuni  nicht 
von  dem  griech,-germ.  worte  trennen  wollen,  wenn  wir  gleich 
die  art.  wie  das  lat.  wort  seine  lautgestalt  gewonnen,  nicht  zu 
bestimmen  vermögen. 

Die  ältere  forschung,  z.  b,  Curtius,  Grundr.^  s.  370,  verbindet 
auch  slav.  olovo  'blei',  lit.  alvas  'zinn'  apr.  ahci.s  mit  dem  griech. 
wort,  was  aber  aufgegeben  werden  muss.  Dass  die  halt,  Wörter 
aus  dem  slav.  entlehnt  sind,  wie  Brückner,  Die  slav.  lehnworte 
s.  67  annimmt,  kann  nicht  bewiesen  werden.  Darf  ich  eine 
Vermutung  wagen,  so  ist  slav.  öloro,  lit.  akas  das  lat,  album, 
sc,  lüumhum. 

Das  engl.-deutsche  wort  für  hlei,  inhd.  löt,  ags.  Und  'blei' 
entspricht  zunächst  ir.  limide.  Dass  die  beiden  Wörter  urver- 
want  seien,  lässt  sich  freilich  kaum  wahrscheinlich  mächen. 
"Weiter  darf  man  aber  auch  ai.  lohdm  vergleichen,  dessen  be- 
deutung  (kui)fer  oder  eisen?)  allerdings  nicht  ganz  feststeht. 
Gewöhnlich  verbindet  man  löliam  mit  lat.  raudiis,  sieht  also 
in  l  ein  indog.  r,  weil  im  ind.  löhitas  neben  rühitas  steht. 
Aber  sicher  kann  man  darauf  nicht  bauen.  Dass  hier  eine 
alte  gleichung  vorliegt,  ist  durchaus  nicht  undenkbar,  da  die 
Völker  Europas  zweifellos  eine  viel  grössere  kenntnis  ver- 
schiedener metalle  hatten,  als  man  bisher  annimmt.  Eine 
kenntnis  setzt  natürlich  noch  keinen  ausgedehnten  wirtschaft- 
lichen gebrauch  voraus,  und  die  metalle  haben  doch  zunächst 
als  Schmuckgegenstände  Verwendung  gefunden,  die  leicht  ebenso 
entbehrt  werden  konnten,  wie  sie  beliebt  waren.  Es  ist  daher 
auch  sehr  w ol  möglich,  dass  die  von  Lottner,  KZ,  7, 183  auf- 
gestellte gleichung  lat.  ferrum,  ags,  hrms  zu  recht  besteht, 

15.  Ahd,  hlat. 
Der  für  ahd.  hläo,  ags.  hhic^  ahd.  Jdlo  angenommene  wandel 
von  anlautendem  ml  zu  bl  verhilft  uns,   glaube  ich,   auch  zu 

23* 


35G  HIRT 

einer  annehmbaren  etymologie  des  alid.  hJat  u.  s.  w.  Kluge 
verbindet  es  zweifelnd  mit  lat.  foliiim,  gr.  q^vllor.  So  genau 
auch  die  bedeutung  stimmt,  so  vermag  ich  die  Stammformen 
vorläufig  noch  nicht  zu  vereinigen,  namentlich  da  man  hJat 
schwerlich  von  ahd.  hluoma  und  der  dazu  gehörigen  sippe 
trennen  kann.  Dies  weist  alsdann  auf  eine  set-wurzel,  mit  der 
sich  gr.  (pvXXov,  lat.  folium  schlechterdings  nicht  vereinigen 
lassen,  hlat  und  hluoma  lassen  sich  auf  eine  indog.  wurzel 
*hliclö  oder  melö  zurückführen.  In  beiden  fällen  lässt  sich 
lat.  flös,  flörere  vergleichen,  lieber  die  Vertretung  von  ml  im 
lat.  wissen  wir  noch  nichts  genaues,  vgl.  darüber  Brugmann, 
Grundr.  1^,  370  anm.  4.  Solmsen,  KZ.  34, 11.  A  priori  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  ml  wie  mr  behandelt  wird,  und  aus  dem 
entsteht  fr,  vgl.  fräces  *ölhefe',  fracidus  'mülsch,  überreif',  air. 
mra'ch  'malz',  lat.  marcidus\  fretum,  gr.  ßgärtm  'siede,  brause'; 
lat.  fremo,  gr.  ßgefico.  Als  ein  zweites  beispiel  Hesse  sich  viel- 
leicht noch  lat.  flaccus  'welk,  schlapp'  anführen,  das  man  zu 
gr.  fiaXaxog  'weich,  sanft'  stellen  könnte.  Dagegen  steht  es 
zweifellos  fest,  dass  ml  im  griech.  zu  hl  geworden  ist.  Es 
entspricht  daher  ß/Laözarco  'von  pflanzen  keimen,  empor- 
sprossen', ßXdör?]  'keim,  spross',  ßXaorog  'keim,  trieb,  junges 
blatt  und  zweig,  schuss'  ganz  genau. 

Das  griech,  wort  ist  vollständig  unaufgeklärt.  Die  ältere 
forschung  verglich  ai.  vdrdhami  'grösser  machen',  was  ganz 
unmöglich  ist,  während  Prell witz  zweifelnd  auf  ßäXXa),  ßkico 
verweist,  was  in  mehr  als  einer  beziehung  schwerlich  angeht. 
Das  griech.  zeigt  dieselbe  5-erweiterung  des  Stammes,  die  auch 
in  lat,  flös  und  mhd,  hluost  und  anderen  Wörtern  vorliegt,  und 
die  gerade  bei  set -wurzeln  häufig  ist.  Liegt  aber  eine  wurzel- 
stufe mld  zu  gründe,  so  kann  diese  kaum  zu  einem  anderen 
wort  gehören  als  zu  gr,  f/oJitlv,  ßXojoxco  'gehen,  kommen'  mit 
einer  bedeutungsentwicklung,  die  sehr  wol  verständlich  ist. 

16,  Got,  himma  u,s. w, 
Uhlenbeck  stellt  den  pronominalstamm  got,  Id  u,s.  w.  zu 
\it.  s/ts,  abulg.  5i,  lat,  t'is  u.s,w.,  während  Kluge  l'dt.hlc  'hier' 
u,  s,  w,  heranzieht  und  diese  beiden  formen  unter  indog.  Jch 
vereinigt.  Ich  glaube,  dass  beide  forscher  zu  einem  teile  recht 
haben. 


GRAMMATISCHES   UND    ETYMOLOGISCHES.  357 

Die  einzige  spräche,  die  noch  zwei  pronominalstämme  hi 
und  hhi  zeigt,  ist  das  lat..  und  das  muss  daher  auch  zum  aus- 
gangspunkt  dienen.  Naturgemäss  Avird  man  got.  himma  daga, 
ahd.  hhitagu  mit  lat.  hödie  vergleichen,  ebenso  got.  her  mit 
lat.  Mc  aus  *heic,  dagegen  Mdrc  eher  mit  lat.  citrä.  Ags.  he 
U.S.W,  wird  ebenso  lat.  hic  wie  slav.  sY,  lit.  szJs  entsprechen, 
falls  indog.  kh  im  slav.-lit.  durch  5  und.  S2  vertreten  ist. 

LEIPZIG-GOHLIS.  H.  HIRT. 


STUDIEN 
ZU  REINFRIED  VON  imAUNSCHWEIG. 

Erster  abschnitt.    Der  (lichter. 

Ist  uns  auch  der  name  des  Verfassers  des  Eeinfried  von 
Brauiischweig  unbekannt,  so  k(Jnnen  wir  uns  doch  von  seiner 
person  einigermassen  ein  bild  machen.  Oft  genug-  tritt  er  ja 
bei  g-elegenheit  von  excursen  mit  seinem  ich  liervor,  und  so 
erfahren  wir  denn  einiges  über  ihn  direct  durch  seine  eigenen 
werte,  anderes  lässt  sich  aus  seinen  äusserungen  wenigstens 
mit  ziemlicher  Sicherheit  erschliessen. 

Nächst  der  heimatsfi'age  —  aus  der  spräche  ergibt  sicli 
ohne  weiteres,  dass  der  dichter  dem  alemannischen  gebiet  an- 
gehört —  ist  die  wichtigste  die  nach  der  lebensstellung  des 
mannes.  Hier  gehen  die  ansichten  auseinander.  Baechtokl  (Ge- 
schichte d.  deutsch,  litteratur  in  der  Schweiz  s.  134  ff.)  möclite  ihn 
für  einen  geistlichen  halten.  Dem  gegenüber  betont  K.  Eich- 
horn (Reinfriedstudien,  teil  1,  einladungsschrift  zur  feier  des 
Henflingschen  gedächtnistages  am  gymnasium  zu  Meiningen, 
1892)  im  anschluss  an  Bartsch  den  bürgerlichen  stand  unseres 
dichters. 

Wer  Baechtold  folgen  will,  kann  als  einziges  argument 
für  den  geistlichen  beruf  des  dichters  nur  seine  umfassende 
gelehrte  bildung  in  anspruch  nehmen.  Ergibt  sich  nun  aber 
aus  sicheren  gründen,  dass  Baechtolds  auffassung  irrig  ist, 
dann  lässt  sich  doch  andererseits  die  reiche  belesenheit  des 
dichters  nicht  gegen  eine  bürgerliche  Stellung  in  die  wagschale 
werfen.  Sorgfältige  erziehung  in  einer  guten  klosterschule, 
bemerkt  Eichhorn  mit  recht,  erklärt  vollkommen  die  genaue 
bekanntschaft  mit  der  vulgata  und  die  kenntnis  sonstiger 
lateinischer  literatur,  die  der  dichter  wirklich  besitzt. 


STUDIEN   ZU    REINFRIED   VON    BRAUNSCHWEIG.  359 

Ich  halte  es  für  durchaus  gesichert,  dass  der  dichter,  wenn 
ich  mich  vorerst  einmal  negativ  ausdrücken  darf,  nicht  geist- 
licher war,  und  ich  folgere  das  1.  aus  seinen  eigenen  äusse- 
rungen  und  2.  aus  dem  stoffe  seines  Werkes,  wie  aus  formellen 
eigentümlichkeiten  seines  Stiles. 

1.  Beweis  aus  den  eigenen  äusserungen 
des  dichters. 
Obenan  steht  hier  was  der  Verfasser  über  sich  selbst  be- 
merkt. Dass  er  nicht  ritter  ist,  versichert  er  deutlich  v.  12820 ff.: 

dar  zuo  so  bin  ich  äue 
geburt  und  elleuthafte  kraft, 
daz  ich  niht  von  der  ritterschaft 
weiz,  wan  diu  ist  mir  verzigen. 

Was  er  aber  von  seiner  armut  sagt  (vgl.  Eichhorn  s.  5. 
Bartsch,  ausg.  s.  807),  ist  an  sich  noch  nicht  beweisend  für 
nichtgeistlichen  stand.  Jedoch  scheinen  mir  die  äusserungen 
über  seine  Stellung  zu  den  frauen  und  zur  minne  entscheidend. 
Er  hat  selbst  eine  fi"au  geliebt  —  Else  heisst  sie  (vgl.  v.  12802 
tvent  ir  si  lioeren  nennen:  Min  Liep  Suez  Edel  sunder  schäm 
ist  ir  minneclicher  nam)  —  und  liebt  sie  noch,  mit  blutendem 
herzen,  denn  sie  verschmäht  ihn.  Aber  sie  trägt  ihm  unver- 
schulten  haz.  Und  wenn  er  sie  deshalb  auch  schelten  muss, 
so  hat  si  doch  mit  senke  sich  in  sin  herz  gedrungen.  Von  ihr 
hat  er  ja  das  dichten  gelernt. 

Es  unterliegt  in  der  tat  wol  keinem  zweifei,  dass  er  sich 
auch  in  der  lyrik  versucht  hat  Oft  genug  noch  werden  wir 
durch  wirklich  schöne  und.  hochpoetische  stellen  daran  erinnert, 
wie  tief  den  dichter  die  minne  berührt  hat.  Er  kennt  die 
macht  der  liebe  aus  eigener  erfahrung  und  weiss  sie  uns  im 
vergleich  zu  seiner  sonst  ruhigen  erzählung  mit  wahrem  feuer 
und  echter  leidenschaft  darzustellen. 

Von  ausserordentlich  feiner  beobachtung  zeugt  z.  b.  folgende 
scene.  Als  Reinfried  im  tui"nier  Yrkanes  kuss  errungen  hat  — 
übrigens  ein  schönes  bild,  wie  die  liebliche  Jungfrau  in  freu- 
digem erröten  vor  dem  herzog  steht,  um  ihm  den  süssen  lohn 
zu  reichen,  und  in  diu  minnecUche  so  ruoziy  under  ougen  sach 
(v.  2074  f.,  vgl.^^'olfr.  Wh.  229,  26)  —  da  führt  ihn  Yrkane  under 
ein  swache  hüttelin  und  lie  niemen  hi  ir  sin  uan  ir  juncfroutven 


360  GEREKE 

eine.  Beider  liebenden  herz  ist  zum  zerspringen  voll,  sie  haben 
einander  so  viel  zu  gestehen  und  zu  sagen,  und  doch  wagt 
keiner  zu  sprechen. 

V.  3018.  V.  3062. 

swä  sich  zwei  herzen  schon  in  ein        zno  gelicher  wise 
mit  den  gedenken  einent,  geschiht  den  sinnen  alle  frist, 

so  daz  si  beide  meinent  als  da  ein  hns  erfüllet  ist 

ein  dinc,  ein  ein.  ein  liep,  ein  leit,       mit  liuten  also  daz  ein  man 
und  doch  dewederz  hat  geseit  niht  ine  da  hin  in  körnen  kan. 

dem  andern  sines  herzen  pin,  diz  bispel  ich  geliche  spür, 

diu  herzen  müezent  beide  sin  nu  stänt  Hute  vor  der  tür 

verdäht  nä  süezer  minne.  me  denne  in  dem  hftse  sin. 

Jen  Avent  her  üz  und  dis  hin  in 
und  dringent  vast  an  der  getät. 
der  üzern  also  vil  da  stät 
daz  jene  belibent  dinne. 

Ich  sollte  meinen,  solche  worte  könnten  nur  aus  einem 
natürlich  empfindenden  herzen  kommen,  das  selbst  den  zauber 
der  liebe  gefühlt  hat. 

Ich  denke,  wenn  wir  die  vielen  stellen,  in  denen  die  minne 
gepriesen  wird,  richtig  beurteilen,  müssen  wir  gestehen,  dass 
das  alles  zu  der  Stellung  eines  geistlichen  schlechterdings  nicht 
passt.  Auch  der  ausweg,  das  seien  nur  Jugenderinnerungen 
des  dichters,  ist  verlegt;  denn  v.  2868  erfahren  wir,  dass  er 
noch  jetzt  bi  jungen  jären  ist,  und  die  worte  v.  4074  ff.  lassen 
immerhin  erkennen,  dass  er  noch  keineswegs  mit  der  minne 
abgeschlossen  hat: 

ein  man  muoz  sich  under  daz  im  wol  in  muote  lit, 

wilent  von  minne  ziehen  ald  er  wirt  eteliche  zit 

und  mit  gedenken  fliehen  von  minne  missehandelt. 

Was  hätte  er  als  geistlicher  für  Ursache  gehabt,  v.  10860  ff. 
die  ehe  als  göttliche  einrichtung  zu  preisen  und  umständlich 
für  ihre  nichtSündhaftigkeit  einzutreten?  A\'as  konnte  ihn  wol 
als  geistlichen  bewegen,  bei  jeder  möglichen  gelegenheit  auf 
papst,  cardinäle,  Patriarchen,  bischöfe  und  pfaffen  zu  schelten, 
deren  schände  er  offen  aufdeckt,  deren  habgier  er  unter  den 
schärfsten  ausdrücken  an  den  prangei-  stellt?  vgl.  v.  16870  ff. 
V.  17648  ff. 

V.  17G76.  den  text,  wan  si  bindent 

si  vindent  niuwe  fünde  daz  reht  hin  ze  unrehte. 

mit  glösen  unde  vindent  daz  krump  machent  si  siebte, 


STUDIEN   ZU    REINFKIED    VON    BBAUNSCHWEIG, 


361 


daz  sieht  si  künnent  krumben. 
got  solt  in  verstnmben 
die  Zungen  in  dem  munde. 

Grossen  wert  lege  ich  endlich  mit  Eüchhorn  auf  die  worte 
V.  17841  ff.,  mit  denen  der  besiegte  persische  fürst  den  herzog 
Eeinfried  überredet,  ilin  von  seinem  in  todesnot  gegebenen 
taufgelübde  zu  entbinden: 

erlant  mich  des  gelonben, 

wan  er  könde  ronben 

mich  an  miner  ere 

und  mohte  niemer  mere 

gewinnen  relites  künges  namen. 

diu  kröne  mües  sich  ieraer  schämen 

nä  mir  ewecliche. 

werder  fürste  riebe, 

ob  iuch  so  misselunge 

daz  man  iuch  betwunge 

ein  beiden  sin  an  dirre  vart, 


iuwer  künne  und  iuwer  art 

het  sin  iemer  mere 

laster  und  unere, 

und  wper  diu  arbeit  doch  verlorn. 

swä  der  mensche  ist  geborn, 

in  swelber  band  gelonben, 

swer  in  des  wil  rouben 

mit  twinclicher  Sicherheit, 

der  verliust  vil  arbeit, 

wan  er  sich  selben  triuget 


(vgl.  dazu  Parton.  2748:  swd  der  mensche  wirt  erzogen,  weis- 
got,  da  strebet  im  der  sin  ie  ze  jungest  wider  hin).  Das  sind 
Worte  einer  toleranz,  wie  sie  damals  ein  geistlicher  schwerlich 
ausgesprochen  hätte. 

Zugleich  mit  den  pfaffen  tadelt  der  dichter  aber  auch  alle 
weltliche  obrigkeit;  dem  kaiser,  den  fürsten  und  der  ritter: 
Schaft  sagt  er  bittere  Wahrheiten.  Als  geistlicher  hätte  er 
sich  vielleicht  des  Zweckes  wegen  über  die  gründe  hinweg- 
täuschen lassen,  die  deutsche  edle  zur  fahrt  in  das  heilige 
land  in  bügerines  pfliht  bewogen;  aber  als  bürgerlicher,  der 
die  not  seines  Vaterlandes  kennt,  empfindet  er  schmerz  darüber, 
dass  solche  leute  gewissermassen  aus  feigheit,  um  sich  den 
aufgaben  zu  entziehen,  die  ihrer  im  Vaterland  und  in  ihrem 
hause  warten,  in  wallers  wise  sunder  wer  gen  Kriechen  oder 
über  mer  fahren: 

15514    eins  edeln  maunes  mervart 
^.         in  bilgerines  wise 

ich  lasterliche  prise 

mit  hinderredelicher  pfliht. 

ich  tar  es  vor  in  sprechen  niht. 

Der  dichter  kennt  alle  schaden  der  fürsten,  er  weiss  wie 
schlimm  es  mit  ihnen  selbst  und  ihren  ratgebern  steht.    Er 


362  GEREKE 

beklagt  aufs  tiefste  den  verfall  der  ritterschaft.  —  Das  alles 
spricht  gegen  einen  geistlichen  Verfasser  und  bringt  uns  zu- 
gleich auf  die  richtige  spur. 

Dem  verderbten  rittertum  seiner  zeit  stellt  der  dichter  als 
Idealbild  seinen  beiden  Reinfried  gegenüber.  Eine  seiner 
fugenden,  die  er  mehrmals  lobt,  ist  die  mute;  widerholt  hebt 
er  hervor,  dass  Reinfried  nie  versäumt,  der  gernden  diet  zu 
spenden;  vgl.  v.  1890  ff.  2630  ff.  4392  ff.  11420  ff.  12589  ff.  — 
V.  26594  ff.  entwickelt  er  ausführlich  seine  ansieht  über  die 
gaben  des  'milten'  und  des  'kargen'. 

Und  das  führt  mich  auf  den  gedanken,  in  dem  dichter 
einen  mann  zu  sehen,  der  wol  selbst  zur  gernden  diet  gehört. 
So  urteilt  auch  Eichhorn  (s.  6),  der  sehr  richtig  auf  die  verse 
327 — 356  hinweist,  in  denen  sich  der  dichter  über  die  aufgaben 
der  fahrenden  äussert. 

Zu  dieser  Stellung  des  dichters  würde  alles  trefflich  passen, 
was  wir  sonst  über  ihn  erfahren;  besonders  seine  dürftigen 
Verhältnisse  fänden  auf  diese  weise  leicht  erklärung.  Eine  so 
genaue  bekanntschaft  ferner  mit  allen  ständen  im  reiche,  mit 
ihren  mangeln  und  schwächen,  die  stark  pessimistische  auf- 
fassung  der  ganzen  Zeitverhältnisse  ist  begreiflich  bei  einem 
angehörigen  der  gernden  diet,  der  im  lande  herumkommt  und 
manche  trübe  lebenserfahrung  machen  muss. 

Der  dichter  hat  zwar  eine  gelehrte  bildung  erhalten  und 
ist  wol  anfangs  zu  etwas  besserem  bestimmt  gewesen,  aber, 
durch  widrige  Verhältnisse  seines  guts  beraubt,  zu  dem  leben 
eines  fahrenden  genötigt  worden,  üeber  seine  abhängigkeit 
vgl.  V.  25474  ff.  Er  sucht  also,  wie  Eichhorn  mit  recht  aus 
V.  12752  ff.  folgert,  'aus  dem  dichten  capital  zu  schlagen': 

12758    do  mich  gelücke  geltes  floch, 
(16  reis  mir  zuo  an  muote 
und  nam  ab  au  dem  guote. 
ich  dien  min  selbes  muot  hie  an, 
Sit  ich  des  guotes  lützel  hän. 

Wenn  er  übrigens  als  grund  für  sein  dichten  v.  12752  f. 
und  V.  13992  f.  angibt,  dass  er  sich  urdrütze  stvcere  damit  ver- 
treiben wolle,  so  folgt  er  hierin  seinem  vorbilde  Konrad  von 
AViirzbui-g,  der  sich  im  eingang  des  Partonopier  und  des  Tro- 
janerkriegs  ganz   ähnlich   über   die   motive   seiner   dichtung 


STUDIEN    ZU   REINFRIED   VON    BRAUNSCHWEIG. 


363 


äussert..     Eine  gegenüberstellung  wird  die  abhängigkeit  des 
Verfassers  des  Reinfried  zeigen. 


Reinfr.  13088. 

mir  sol  gewiu  und  ouch  verlust 

beliben  ungeteilet, 

Sit  sich  luiu  sin  durchgeilet 

an  disem  selben  insere, 

wan  urdrütze  swfere 

ich  mir  hie  mit  vertribe. 

ob  ich  hie  von  belibe 

von  swacher  diete  dankelos, 

nu  wol,  daz  wunder  ist  niht  groz: 

des  trag  ich  kleinen  riuweu. 

doch  wil  icli  wol  getriuwen, 

wirt  ez  gedihtet  und  bereit, 

ez  werde  etesAvenn  gespreit 

für  reiner  sinne  merken, 

den  ez  vil  liht  kan  sterken 

liep  und  fröude  sunder  wanc. 

ist  mir  von  den  ein  habedanc 

beschert  oder  gefüeget, 

umb  daz  so  benüeget 

mich,  wan  ich  ger  anders  niht. 

ob  eins  schalkes  zunge  gibt 

mir  spot,  daz  län  ich  also  sin, 

wau  diu  uufuoare  ist  niht  min. 


Part.  ]. 

Ez  ist  ein  gar  vil  nütze  dinc, 

daz  ein  bescheiden  jungelinc 

getihte  gerne  hoere 

und  er  niemen  stoere, 

der  singen  unde  reden  kan. 

da  lit  vil  hohes  nutzes  an 

und  ist  ouch  guot  für  urdrutz. 

104    swaz  aber  nu  der  tumben  si, 

die  getihten  wellen  noch, 

ein  meister  sol  niht  läzen  doch 

dar  umbe  sprechen  imde  sanc. 

swie  lützel  man  imwizzedanc 

siner  meisterlichen  kunst, 

sokere  doch  herze  und  vernunst 

fif  edeledoene  und  edeliu  wort. 


diu  nahtigale  singet, 
ir  sanc  vil  oft  erklinget, 
da  niemen  hoeret  sinen  klanc, 
si  lät  darumbe  niht  ir  sanc 
daz  man  sin  da  so  lützel  gert 


(vgl.  Troj.  174  ff.) 


2.   Beweis  aus  dem  stoff  des  gediclites  und  aus 
formellen  eigentümlichkeiten  des  stils. 

Als  ein  mann  gelehrter  bildung  weiss  der  dichter  genau 
bescheid  im  ritterlich-höfischen  epos,  und  als  fahrender  kennt 
er  die  volks-  und  Spielmannsdichtung.  Ueberwiegt  im  all- 
gemeinen in  seinem  werke  aucli  das  ritterlich-höfische  element, 
so  sind  doch  andererseits  unverkennbar  eine  reihe  von  zügen 
vorhanden,  die  wii'  vergebens  im  höfischen  epos  suchen. 

Der  erste  teil  des  Eeinfried  eiitliält  eine  brautfahrt,  im 
gründe  eine  regelrechte  entführungsgeschichte,  nur  in  höfischem 
gewande.  In  der  eigentlich  höfischen  epik  findet  sich  dieses 
motiv  nicht,  wol  aber  ist  es  sehr  beliebt  in  der  ganzen  Spiel- 
mannsdichtung. Ich  erinnere  an  Rother,  Nibel.,  Gudrun,  Ortnit, 
Wolfdietrich,  Orendel,  Oswalt,  Salman  und  Morolf  u.s.w.    Und 


364 


GEREKE 


in  der  tat  lassen  sich  im  R.  mannigfache  anklänge  an  alle 
diese  epen  feststellen,  besonders  aber  an  die,  die  in  gewisser 
beziehung  zu  der  alemannischen  heimat  des  dichters  stehen 
und  selbst  vom  höfischen  epos  beeinflusst  sind. 

Wol  kaum  zufällig  dürfte  die  ähnlichkeit  der  brautfahrt 
im  E.  mit  der  im  Ortnit  sein. 


Der  Ortnit  (DHB..n)  beginnt: 

3,1 
ez  wuohs  in  Lamparten  ein  gewalte- 
ger  künic  rieh, 


dem  was  bi  den  ziten  dehein  künec 
gelich. 
5,1 
durch  künicliche  wirde  gap  man  im 

den  pris. 
geheizen  was  er  Ortnit,  ze  stürme 
was  er  wis. 

Brissen  nnde  Berne  was  im  undertän. 

(6,4 
im  diente  mit  gewalte  Rome  unde 
Lateran). 

Dem  könig  Ortnit  wird  von  den 
seinen  geraten,  sich  ein  weib  zu 
nehmen.  Sein  oheim  Ilias  von  Eiu- 
zen  nennt  ihm  eine  seiner  würdige 
künigin.  Er  weiss  ihre  Schönheit  so 
zu  rühmen,  dass  Ortnit  erklärt: 

18,4 
ez  erge  mir  swie  got  welle,  ich  muoz 
nach  ir  hin  über  mer. 


Reinfr. 

65 
hie  vor  ein  werder  fürste  was. 

178 
daz  fif  der  weit  kein  herre 
lept  an  wirde  sin  genoz. 

106 
. .  hörte  man  in  prisen. 

man  nante  den  selben  herzogen 
Reinfrit  von  Brilneswic. 

102 
Westeväl  und  Sahsen 

dienden  beidiu  siner  haut. 

Der  knappe  aus  Dänemark  lädt 
Reinfried  zum  turnier  und  schildert 
die  Schönheit  Yrkanes  so,  dass  Rein- 
fried sich  zur  reise  entschliesst : 

398 
zehant  im  aber  brähte 
der  sin  ander  unmuoze, 
wie  er  sich  na  ir  gruoze 
solt  erbeiten  ftf  die  vart, 
der  er  dur  niht  wendic  Avart. 


Wie  Ortnit  schon  von  der  künftigen  braut  angezogen  wird, 
ohne  sie  vorher  gesehen  zu  haben,  ebenso  ergeht  es  Reinfried, 


69,2 
niwan    von    sagenden    dingen 
der  meide  schcene  in  twauc. 
im  het  ouch  ir  minne  vil  näcli  be- 
nomen  den  sin. 


488 
diu  süeze  minuecliche 
im  nie  kam  üz  den  sinnen, 
sin  herze  muose  minnen 
die  doch  sin  ouge  nie  gesach. 


Ortnit  fordert  seine  mannen  auf, 


Ebenso  später  Reiufried,  als  Yr- 


STUDIEN   ZU   REINFRIED   VON    BRAUNSCHWEIG. 


3G.^ 


Oitnit. 

ihm  bei  der  gefährliclien  brautfalirt 
zu  folgen  nud  verspricht  dem  mit- 
ziehenden seine  nnterstützung-,  droht 
aber  dem  bleibenden. 

24 
swer  mir  der  reise  hilfet,  dem 

bin  ich  immer  holt, 
im  si  ouch  mit  geteilet   min   silber 

und  min  golt; 
laut  und  bürge,  darzuo  Hute  und  guot. 
ich  wil  im   immer  danken,  swer  ez 
willeclichen  tuot. 
25 
dem  bin  ich  immer  wsege,  die  wile 
unde  ich  lebe 


Reinfr. 

kane,  von  dem  dänischen  grafen  be- 
schuldigt, an  ihn  einen  boten  sendet, 
der  ihn  zum  streite  mit  jenem  für 
ihre  Unschuld  auffordern  soll. 

7S44 
swer  mir  siner  helfe  gebe 
hie  mit  dienest  n  i  h  t  verseif,') 


der  wizze,  swä  in  iemer  leit 
kumber  oder  not  bestät 


daz  er  mich  da  ze  helfe  hat, 
die  wile  daz  ich  einen  tac 
mit  eren  leb  und  leben  mac.^) 


50,2 
swer  hinder  mir  beübet.  dem  wirde 
ich  nimmer  holt. 


7874 
swer  mich  in  disen  noeten  lät 
und  mir  sin  helf  wol  wser  bereit, 
dem  si  iemer  widerseit 
min  rät  min  helfe  für  diz  zil  etc. 


Nun  erklären  sicli  die  einzelnen  fürsten  der  reihe  nach 
bereit,  ihn  mit  mannen  und  mit  ihrer  eigenen  person  zu  unter- 
stützen (vgl.  auch  Vogt,  Salman  und  Morolf  s.  cxxxiv).  Ebenso 
im  Reinfried,  z.  b. 


3G 
do   sprach   der  marcgräve  Helmnot 

von  Tuscan 
'so   iiiiii  von  mir  ze  stiure  fünf  tft- 

sent  küener  man: 
die  wil  ich  mit  dir  senten,  herr,  über 

den  wilden  se. 
sol  ich  selbe  mit  dir  liiezen,  so  wirt 
ir  lilite  me.' 
39—40 
Der  herzog  Gerwart  von  Troyen 
sendet  500  beiden   mit,  bleibt  aber 
auf  Ortuits  rat  selbst  daheim : 


»)  Vgl.  140'J21f. 

>)  Vgl.  7882  ff.  7910  f. 


794i; 
von  Mizeulant  der  sprach  'ich  var 
und  ahzic  ritter  sunder  wer 
mit  iuch,  went  ir  über  mer.' 


7949 
von  Hrandenburc  der  sprach  'ich  wil 
niht  mit  iuch  der  reise  zil, 
wau  mich  irret  ander  pliiht. 


366 


GEREKE 


Ortuit. 

40,4 

'du  solt  hie  heime  selbe  des  herge- 
birges  pflegen.' 

51 

si  wären  alle  willic  dem  riehen  kü- 

nege  her. 
durch  des   guotes  willen  wägten  si 
daz  leben. 


Rein  fr. 

doch  län  ich  iuch  an  helfe  niht, 
ich  wil  iuch  in  einer  schar 
ahzic  ritter  lihen  dar.' 

7962 
sns  wart  diu  reis  gemeret 
von  luangeni  ellenthaften  degen, 
der  der  vart  sich  wol  bewegen 
torste  durch  den  fürsten  rieh. 
. .  wan  ir  einer  niht  beleip, 
und  fuorent  alle  sament  dar. 


Vielleicht  ist  auch  in  den  näheren  umständen  der  ent- 
führung-  der  braut  selbst  ein  Zusammenhang  zwischen  Ortuit 
und  R.  zu  finden.  Beide  ritter  schwingen  die  braut  auf  ihr 
ross  und  reiten  davon: 


439,4 
er  spranc  in  sin  gereite,  die  meit 

nara  er  für  sich: 
von  der  burcliten  si  do  beidiu  riten. 
ir  res  gienc  enschüfte,  niemens  si 
da  biten. 


9270 
wan  er  si  bi  der  haut  begreif 
und  huop  si  von  der  erden  dan 
üf  daz  ors.    der  werde  man 
die  reinen  vor  im  fuorte. 
ob  erz  mit  sporne  ruorte? 
des  wfen  ich  wol. . . 
niht  lauger  er  da  hapte 
und  kerte  sich  sä  üf  die  vart. 

Sie  werden  verfolgt,  doch  gelingt  es  ihnen,  da  ihnen  ihre 
mannen  zu  hilfe  eilen,  die  feinde  zu  besiegen.  Als  Reinfried 
durch  seine  Verfolger  in  höchste  gefahr  geraten  ist,  bläst  er 
in  sein  hörn,  und  auf  dieses  verabredete  zeichen  kommen  seine 
im  versteck  liegenden  mannen  herbei:  ein  motiv,  das  in  der 
spielmannsepik  durchaus  gebräuchlich  ist;  vgl.  z.  b.  Rother 
4177  ff.  Alph.  862  ff.,  Salm.  u.  Morolf  2G54  ff.  2756  ff. 

Mir  scheint  es  keines  weiteren  be weises  zu  bedürfen,  dass 
der  Reinfrieddichter  das  thema  der  brautfahrt  nach  dem  niuster 
des  volksepos  gewählt  und  vielleicht  sogar  speciell  den  Ortnit 
vor  äugen  gehabt  hat.  In  der  näheren  ausführung  folgt  er, 
wie  an  einer  anderen  stelle  dargelegt  werden  soll,  Konrads 
Engelhard. 

1  )och  sehen  wir  uns  nach  weiteren  volkstümliclien  motiven 
um.    In  der  nacht,  da  Reinfried  der  Jungfrau  Maria,  die  ihni 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  307 

im  träume  erscheint,  eine  fahrt  ins  heilig'e  land  gelobt,  hat 
auch  Yrkane  einen  träum;  hier  dürfte  dem  dicliter  bei  seiner 
Schilderung  Kriemhilds  träum  vorgeschwebt  haben.  Beide 
frauen  träumen  nämlich,  dass  ihnen  ein  falke,  den  sie  auf- 
gezogen, von  zwei  adlern  zerrissen  wird, 

Nib.  L.  13  R. 13520 

ez  troumde  Kriemhilte  iu  tilgenden      si  hatte  einen  valken, 

der  si  pflac,  als  si  iu  släfe  düht,  erzogen 

wie   si   einen   valken    wilden   züge  (folgt  breite  ausführung). 

mauegen  tac,  13566 

den  ir  zweu  arn  erkrummen.  so  koraent  girdeclicheu  her 

in  snellen  flucken  schier  gevarn 
zwen  ungefüege  gröze  arn 
und  wolten  uf  in  ziehen. 

Ganz  genau  passt  nun  aber  der  träum  Kriemhilds  doch 
nicht  für  die  zwecke  unseres  dichters,  denn  sein  held  soll  ja 
glücklich  zurückkehren.  Als  ihm  diese  erkenntnis  kommt,  da 
hilft  er  sicli  in  ziemlich  naiver  weise.  Er  lässt  Yrkane  er- 
wachen, ehe  der  träum  zu  ende  ist,  so  dass  sie  glauben  muss, 
der  falke  sei  eine  beute  der  adler  geworden:  hätte  sie  aber 
weiter  geträumt,  meint  der  dichter,  so  würde  sie  gesehen  haben, 
wie  der  falke  seinen  Verfolgern  entkommt. 

Yrkane  hat  auch  noch  einen  zweiten  träum,  ganz  wie 
Kriemhild;  in  beiden  fällen  wird  uns  dieser  nicht  ausführlich 
berichtet,  sondern  die  frauen  erzählen  ihn  in  kurzen  andeu- 
tungen  ihren  männern  (Nib,  L.  864.  E.  14945  ff.). 

Reinfried  erhält  von  Yrkane  beim  abschied  einen  wunder- 
baren ring,  der  die  kraft  hat,  ihn  vor  gefahren  zu  schützen, 
mit  speise  zu  versorgen  und  fröhlich  zu  machen.  Einen  anderen 
ring  zerbricht  er  und  lässt  seiner  gattin  die  eine  hälfte  zurück 
mit  der  Weisung,  wenn  jemals  ihr  ein  böte  die  künde  von 
seinem  tode  bringen  sollte,  nur  dem  zu  glauben,  der  ihr  die 
andere  hälfte  übergäbe.  Diese  ringmotive  finden  sich  zwar 
auch  in  der  höfischen  epik, ')  das  ändert  aber  nichts  an  ihrer 


')  Vgl.  z.  b.  Iwein  2945  ft". 

Iw.  2947  R.  15059 

ich  wart  nie  manne  so  holt  ein  viugerlin,  daz  selbe  golt 

dem  ich  ditz  selbe  golt  du  fürste  mit  dir  füereu  solt. 

wolde  lihen  unde  geben. 


368  GEREKE 

Volkstümlichkeit,  und  darum  sind  sie  nirgends  häufiger  an- 
gewant  als  eben  in  der  volkstümlichen  dichtung.  Es  darf 
wol  als  sicher  gelten,  dass  die  teilung  eines  ringes  mit  zur 
braunschweigischen  lüwensage  gehörte,  die  natürlich  die 
grundlage  für  den  R.  bildet.  Hätten  Avir  das  gedieht  voll- 
ständig, so  würde  das  noch  deutlicher  sein.  IVbrigens  spielt 
das  zerbrechen  des  ringes  auch  im  Ortnit  eine  nicht  unwesent- 
liche rolle.  Ich  stelle  die  betreffenden  partien  aus  dem  Ortnit 
und  R.  im  folgenden  zusammen: 

Ortuit  545,  3  R.  14778 

swaz  dir  die  Hute  sagen,  ob  dir  min  sterben  lernen  sage, 

des  solt  du  nibt  gelouben,  du      swer  daz  in  der  weite  si, 

solt  nibt  sere  klagen.  des  solt  du  weseu  sorgen  fri, 

künigiune  und  frouwe,  gip  mir  din      minneclicbe  reine. 

vingerlin.  du  solt  gelouben  kleine 

swer  dir  daz  widerbringe,   dem  ge-      min  bitter  sterben  sunder  haz, 
loube  den  tot  min.  ez  si  denn,  süeze  frouwe,  daz 

swer  dir  daz  viugerl  bringet,  dem  ist      icb  dir  üz  dem  eilende 
vil  wol  gescbeben :  daz  ander  stucke  sende 

der  uimet  mir  etewaz  mere  und  bat      daz  an  daz  diue  beeret, 
micb  toten  gesebeu.  wizzest,  so  bat  zerstoeret 

der  tot  min  ellendez  leben. 
swaz  man  dir  sag  an  daz  geben 
des  stückelins  Wortzeichen, 
so  mäht  du  erbleichen 
niemer  von  keiner  riuwe. 

In  den  erzählungen  von  den  wundern  des  morgenlandes 
treten  riesen  und  zwerge  auf.  Wie  schon  Bartsch  (in  der  ein- 
leitung  zum  Herzog  Ernst)  gezeigt  hat,  ist  hier  für  den  Rein- 
irieddichter  der  Herzog  Ernst  vorbild.  Ist  aber  nicht  auch 
der  Herzog  Ernst  eine  Spielmannsdichtung?  Widerum  also 
treffen  wir  unseren  dichter  auf  ihm  bekannten  bahnen. 

Doch  noch  weiter.  Nirgends  ist  mehr  von  riesen  und 
Zwergen  die  rede  als  in  den  epen  des  deutschen  heldenbuches, 
und  dass  der  Verfasser  des  R.  sicher  wenigstens  mit  einem 
teil  dieser  vertraut  war,  beweisen  schon  die  verse  25266  ff., 


Iw.  21)53  R.  15072 

sines  Steines  kraft  ist  guot:  des  Steines  kraft 

er  git  gelücke  und  senften  muot.         ist  so  kreftic  und  so  guot 
er  ist  a«lec  der  in  treit.  daz  er  sta-te  froelicb  tuot 

den  der  iu  an  der  heude  hat. 


STUDIEN   ZU    KEINFRIED    VON    BKAUNSCIIWEIG. 


369 


WO  er  ausser  den  rieseii  des  König'  Rotlier  auch  Kui)ii;ui  und 
Ülsenbrant,  sowie 

die  rison  mit  den  rroltleniar. 
(laz  rifhe  keiserlich  getwerc, 
den  walt  vervalte  und  den  berc 
hie  vor  den  Wülfingen. 

nennt.     Es  wird  also  nicht  auffallen,   Avenn  sich  in  seiner  er- 
zählung-  auch  ankläng-e  an  die  genannten  epen  finden. 

Ich  hebe  besonders  den  kämpf  Wolfdietrichs  mit  dem 
riesen  Baldeniar  hervor,  wie  er  im  alemannischen  Wolfdietrich 
D  dargestellt  ist,  und  vergleiche  ihn  mit  dem  kämpf  zwischen 
Reinfried  und  dem  riesenboten  bei  den  zwergen. 

Wolfd.  D  7,  32  Kein  fr. 

in  dem  seilten  walde  vor  der  bürge 

plan 
da  erblicte  der  helt  balde  den  aller 

groesten  man  181)98 

der  im  vor  sinen  oug-en  ie  was  wor-      alrest  dem  fürsten  veilet 

den  kunt:  in     sorgen     gröz     sin    jungez 

umb  sinen  lip  er  sorgte  an  der  leben 

selben  stunt. 

33  1 yo60 

über     alle     boume    gienc    sin  des  riseu  lenge  was  so  hoch 

leuge   gar.  daz  si  für  alle  boume  schein, 
er  nam   sin   gnote  goume.    der  rise 

hiez  Baldeniar.  l',)14Ü 

ein  brünje  vest  von   hörne  het  dö  hat  der  ungefüege  man  ... 

er  geleit  an  sich.  an  sich  ein  hüruin  wurnies  hfit 

drin  stuout  der  üz  erkorne  eim  beide  über  diu  wäfen  schön  geleit. 
vil  gelich. 

34  18926 

er  truoc   eine  stangen  wol  aht      er  fuorte  eine  staijgen 

cläftern  lanc,  daz  ich  ir  swjBre  nihttar  sagen 

(1917() 
si  sähen  siner  wunden  slac 
wol  kläfters  lanc  und  halbe  wit.) 
18908 
einen  schilt  vor  siner  hende,  der      er  truoc  einen  swseren  schilt 

was  niht  ze  kranc:  höher  breiter  denn  ein  tor. 

einer  gebelwende  was  er  vil  gelich. 

19140 
'der  tiuvel  dich  hie  sehende!"  sprach       .  ..  der  ungefüege  man, 
Wolf  her  Dieterich. 

Beiträge  zur  geacliichtu  der  duutschou  epraclie.     XXIU.  24 


370  GEREKE 

Wolfd.  D35,  1  Reinfr. 

'du  bist  des  tiiivels  bruoder.  du  der  lasterhafte  tiuvels  trüt. 
ungefüeger  zage.' 

36.1  1S951 
'waz  sprichestu,  kint  daz  tuiiibe':"  du  bist  ein  kiiit. 

38,  1  1 SO-V.) 

'du   redest  tumpliche,  dir  wonet  durch  dinen  tumpliclien  niuot. 

iiiht  witze  bi.  18974 

Krist    von    hinielriclie   macht   mich  got  der  den  sinen  nie  verlie, 

wol  sorgen  fri.'  ruoche  mir  eilenden 

ouch  sine  gnade  senden. 

39,  1  18939 

'wie   wiltu,   kint    daz    kleine,    diu  ist  dir  din  leben  veile  ...? 

leben  danne  ernern'?'  1897.') 

des   antwurt   im  der  reine   'da  wil  wer  dich  reht,  wan  ich  bin  hie. 
ich  mich  vaste  wem'. 

40.2  19106 

der  fürste  unverzeit  sin  manheit  überm?eze 

lief  do  zornicliche  den  grozen  lief  den  grozen  risen  an. 
risen  an. 
42  19000 

der  rise  mit  der  stangeu  vaste  wan  der  rise  siege  bot 

üf  in  sluoc.  mit  siner  swseren  Stangen. 

44  19028 

er      schriet      im      die     stange  da  von  er  dem  risen  sluoc 

schiere  von  der  hant,  sin   Stangen   vor  der   haut   en- 
daz  si  ze  zweiu  stücken  viel  nider  zwei, 

üf  daz  laut. 

19034 

do   zöch    er   von  den  siten  ein  ein    swert     er    von    der    siten 

swert  unmäzen  breit  brach 

daz   ze  sinen  ecken  gar  freis-  lanc  und  wol   zweiger  schuohe 
liehen  sneit.  breit, 

daz  an  allen  orten  sneit 
reht  als  ein  gewetzet  sahs. 

45  19042 

do  lief  er  zornicliche  den  wer-  den  höhgemuoten  wisen 

den  Kriechen  an.  lief  er  do  grimmeclichen  an. 

Wolfdieterich    der    küene    im    also 

nähen  kam. 

19072 

underlialj)     den     knie  wen     be-  der  fürste  rieh  hat  im  gegeben 

guud  ers  risen  pflegen 

mit  also  herten  streichen  ...  wunden  vil  in  sin  in  bein. 


STUDIEN   ZV   KEINFRIED    VON   BUAUNSCHWEIG.  371 

Wolfd.  D  Reinfr. 

•Iti.  2  19111) 

er  sluoc  im  ein  wiindo.   daz   im  er  traf  in  und  zertranden 

do  zeliant  von  dem  nabel  hin  ze  tal 

daz    kra>se    ziio    den    stunden  daz  allez  sin  gebütte  val 

bracli  üz  des  libes  want.  nani  nider  ze  der  erden. 

Icli  glaube,  dass  bei  derartigen  übereinstimmung-en  aucli 
ein  sehr  skeptisclier  beui'teiler  einen  Zusammenhang  zwischen 
beiden  stellen  niclit  wird  leugnen  können. 

Von  demselben  riesen,  den  Reinfried  hier  besiegt,  erzählt 
der  dichter  eine  krafttat,  wobei  er  offenbar  eine  scene  aus 
dem  König  Kotlier  vor  äugen  hat,  den  er  ja.  wie  oben  schon 
erwähnt  ist,  selbst  v.  25281  citiert, 

Roth  er  (Eückert)  Reinfr. 

1146  18892 

dö  zöch  man  vor  Constantinis  disch  er  nam  von  rehtem  zorne 

einin  leweu  vreissam,  ein  ungefüeg-ez  kemeltier 

derne  wolde  niemanne  vor  niht  hau.  und     warf    ez    gen    der    bürge 
her  nam  den  knehten  daz  brOt,  schier 

her  teten  over  deme  tisclie  groze  not.  mit  eins  armes  swanke, 

Aspriän   begreif   eue    mit    der  der  starke,  niht  der  kranke, 

haut  daz  ez  kam  für  die  zinuen  in. 

uude  warp  eu  an  des  sales  want,  swaz  ez  traf,  daz  rauose  sin 

daz  her  al  zebrach.  ende  da  von  kiesen, 

we    leide    eme    der   kuninc   dö  des  sach  man  Verliesen 

sazi  mangen  höher  fröuden  sin. 

Da  ich  nun  einmal  den  König  Rother  herangezogen  habe, 
so  sei  es  erlaubt,  gleich  noch  eine  andere  stelle  in  parallele 
zu  R.  zu  setzen: 

Rother  909  R.  1892« 

do  solden  zwene  grävin  er  fuorte  eine  standen 

Aspriänis  stangin  int  fähin.  daz  ich  ir  swsere  niht  tar  sagen, 

da  was  so  vil  stälis  zö  geslagin,  mit  isen  was  si  so  beslagen 

sie  ne  mochtin  sie  hebin  noch  getragin.  daz    v  i  e  r  z  i  c    man    die    Stangen 
an  iren  da nc  viel  sie  dar  nider,  lanc 

sie  liezin  sie  durch  not  ligen.  niüezen  lazen  sunder  danc 

äne  wegen  län  gelegen. 

Ich  bin  weit  entfernt  zu  glauben,  dass  dei-  Reinfried- 
dichter mit  bewu.sster  absieht  diese  stellen  des  Kliiiig  Kother 
nachgeahmt  hat:   aber  er  war  jedenfalls  so  in  allen  solchen 

24* 


372 


GEREKE 


spielmännischen  scenen  und  Wendungen  zu  hause,  dass  er  ge- 
wissermassen  unbewusst  fast  dieselben  worte  brauclien  konnte, 
Und  das  ist  alles  leicht  erklärlich,  wenn  man  in  dem  dichter 
einen  fahrenden  sieht. 

Ich  stimme  deshalb  auch  Rückert  zu,  der  (in  der  einleitung- 
zum  König-  Rother  s.  vii— ix)  darauf  hinweist,  wie  unter  solchen 
Verhältnissen  Vermischung  ähnlicher  Situationen  und  namen 
mehrerer  gediclite  und  sagen  erfolgen  musste.  So  lassen  sich 
die  im  Reinfiied  vorkommenden  riesen  Orte  und  Velle  (Orte 
ist  noch  ganz  unbekannt,  Velle  nur  in  einer  jungen  Wolf- 
dietrichrecensiou  nachweisbar)  neben  den  richtig  citierten 
Witolt,  Grimme  und  Aspriän  als  undeutliche  erinnerungen 
auffassen  (vgl,  Grimm,  D.  heldens,  no.  80), 

In  ähnlicher  weise  möchte  ich  auch  die  folgende  neben- 
einanderstellung zweier  partien  des  Wolfdietrich  I)  und  des  R. 
verstanden  wissen: 


Wo  lfd.  D 

140 

ein    viiigerliu   von   golde   khioc 

und  wol  getan 
an  einer  snüere  sidin  vor  den  rittern 

üf  den  plan 
was  gehenket  schöne  für  die  frouwe 

hin. 
dar  zuo  sie  justierten  durch  daz  nie- 
getin. 
141 
swer    au    den    seihen    stunden 
stach  durch  daz  golt  so  rot, 
diu    edele  juncfrouwe    im    dö 
ein  küssen  hot. 
142 
hie  mite  von  den  Kriechen  der  werde 

helt  gemeit 
üf  dem   anger  grüene   gen   in   ver- 

wäfent  reit, 
in  hegnnde   an   scheu  wen    manec 

hochgelohter  mau, 
dar  zuo  die  edelen  frouweu  sähen 
in  geraeiulich  an. 


Eeinfr. 

254 
und  swer  der  hest  ist  mit  dem  swert, 
dem  ist  euch  hohez  lop  hereit. 
diu  junge  küneginne  treit 
ein  küssen  an  ir  mündelin: 
daz  sol  er  nen,  wan  ez  ist  sin 
swer  ez  mit  lop  erring:et. 
ein  vi ng- erlin  so  git  diu  schon 
im  ouch  an  siuen  vinger. 

»)28 
diu  liut  gemein  lieh  alle 
durch  schon  wen  warn  geloufen 

dar. 


Die  zwerge  im  R.  erinnern  an  Lauiin, 


STUDIEN   ZU   REINFEIED   VON   BRAUNSCHWEIG 
Lau  rill 


373 


(Lanrin)  ist  knnie  (hier  spauueii 
lanc. 

r>anriii  führt  Piotrich   niul  seine 
mannen  in  den  beif^-,  damit  sie  sehen, 

846 
waz  wüiine  in  dem  herg:e  ist. 

"Jtiit 
(16  fuorte  Laurin  daz  getwerc 
mit  im  die  fürsteu  iu  den  berc. 

Darinnen   ist   eine  grosse  anzahl 
zwerge : 

die  truogeu  an  daz  hoste  gewant 
daz  mau  in  allen  landen  vant: 

Ton  golde  gap  ez  liebten  scbin. 


Die  fürsten  werden  gut  empfangen, 
aufs  beste  unterhalten  und  mit  speise 
iu  kostbaren  geschirreu  bewirtet. 

1040 
den  fürsteu  was  diu  wile  unlanc. 

lO.iO 
daz  was  ir  kurz  wile  unde  ir  spil. 

Es  folgt  Laurins  treubruch,  ge- 
fangennähme und  die  befreiuug  der 
fürsteu. 

1336 
(daz  getwerc)  blies  lute  ein  her- 

horn 
daz  ez  in  dem  berge  erhal: 
daz  erhörten  diu  tw(;rc  überal. 

1490 
ez  erschalte  lüte  ein  hörn. 

Endlich  sei  aucli   noch  die 
stimme  eines  riesen  lieisst  es: 


Reinf  r. 

18524 

ir  keiuz  wau  drier  schuohe  lanc 

was. 

Wie  Dietrich  den  Laurin  vor  dem 
berge  gefangen  nimmt,  so  verstellen 
auch  Reinfried  und  seine  begleiter 
dem  zwergkönige  den  Zugang  zu  der 
höhle  im  berge. 

18606 
hin  in  die  burc  man  fuorte 
die  herreu  ellentriche. 
diu  was  so  keiserliche 
über  die  inäze  gezieret  etc. 

18528 
golt  und  steine  lohte 
ab  sumelicher  houbet. 

18532 
so  durliubteclichen  fin 
mit  hoher  koste  schöne 
kleider  unde  kröne 
von  ir  kleinen  liben  scheiu. 

(tanz  wie  im  Lauriu. 

Von  der  zwergkönigiu  heisst  es : 

18672 
kurze  wile  machet 
si  vil  den  werden  fürsteu  hie. 


1 8500 
ein  hörn  uain  er  au  die  haut 
und  blies  daz  kref tecliche. 
berg  und  tal  geliche 
dem  hörne  gäben  wider döz. 


Virginal  angeführt.     \'oii  der 


374 


GEKEKE 


Virginal 
22 
eiu  stimme  hörte  er  Hiltebrant, 
diu  was  in  beiden  iinbekant: 
ob  si  von  menschen  gieuge 
oder  von  eines  wurmes  munt, 
daz  was  in  beiden  gar  unkunt, 
und  obe  den  ienian  vieuge. 
der  galni  in  daz  gebirge  doz, 
in  walt  und  üf  gevilde 
ieze  kleine  und  danne  groz. 
diu  stimme  duhtes  Avilde, 
wau    si  ir  Jiiht  nie   heten   ver 
nomen. 
23,7 
wiez  umb  die  stimme  wsere  getan, 
diu  wunder  Avolde  er  schouwen. 


Rein  fr. 
18696 
diu  griuweliche  stimme  geben 
kond  über  berg  und  über  tal 
also  jämerlichen  schal 
daz  si  fröude  störte 
allem  so  ez  hörte 
und  muose  dannen  ziehen, 
diu  stimm  von  vorhten  Hieben 
tet  klein  gröz  zam  und  wilde, 
wan  von  menschen  bilde 
wart  solich  wunder  nie  gehört, 
diu  stimme  vor  der  bürge  dort 
döz  als  ein  starkez  ungewiter. 


Reinfried  sagt  zu  den  zwergen: 

18810 
ich  wil  wenden  iuwer  leit 
ald  ich  muoz  drumbe  sterben. 


Hildebrant  fragt: 

24,11 
'von  wem  duldent  ir  dise  not? 
klagent  ir  mirs,  ich  rihtes  in 
odr  ich  gelige  dar  umbe  tot.' 

Das  mag-  g-enügen,  um  die  viUlige  Vertrautheit  des  Reiu- 
frieddicliters  mit  den  Stoffen  der  spielmannsdiclitung  zu  zeigen. 
—  Ich  wende  mich  nunmehr  zu  dem  nachweis,  inwieweit  der 
formelschatz  im  R.  die  hypothese,  dass  wir  in  dem  dicliter 
einen  fahrenden  zu  sehen  haben,  zu  stützen  vermag-.  A^'ir 
werden  natürlich  bei  einem  so  späten  dichter  wie  dem  Ver- 
fasser des  R.  niclit  mehr  erwarten,  den  alten  spielmännisch- 
volkstümlichen  Charakter  deutlich  ausgeprägt  zu  finden,  hat  ja 
doch  auch  schon  den  epen  des  deutschen  heldenbuches  der 
einfluss  der  höfischen  gedichte  einen  durchaus  h(>fischen  an- 
strich gegeben.  Der  dichter  des  R.  vollends  hat  durch  sein 
intensives  Studium  Konrads  von  Würzburg  sich  so  in  die  manier 
des  höfischen  epos  hineingearbeitet,  dass  vom  formelschatz  und 
von  der  ausdrucksweise  der  spielmännisch-volkstümlichen  dich- 
tung  bei  ihm  nur  noch  sehr  wenig  zu  spüren  ist. 

Ich  halte  mich  hauptsächlich  an  den  vergleich  mit  ^^'olf- 
dietrich  D.  weil  ich  hier  vielfach  auf  Jänickes  anmerkungen 
zurückgreifen  kann.  Freilich  ist  auch  gerade  auf  A\'olfdietrich 
D  Konrad  von  grossem  einfluss  gewesen,  und   so  kann  man 


STUDIKN   ZU    KEINFRIED   VON    BRAUNSCHWEIG.  375 

bisweilen  schwanken,  ob  im  E.  gewisse  formein  spielmännisch 
sind  oder  aus  Konrad  stammen. 

Ortnit  C  195,  4  ich  Koltc  c  sterben  tot  (vgl.  Jänicke,  ferner 
Grimm,  Gramm.  4,  593.  Lichtenstein  zu  Eilhart  104).  —  llölGl. 
15154.  20219. 

Ortnit  C  224,2  ivie  das  im  geschach  (vgl.  Jänicke).  —  R. 
4044.  12726.  12810.  16622  n.  ö.  Ebenso  Wolfd.  D  öfters,  Virg. 
297,  7.  Gold.  2,  4.    Im  älteren  mhd.  nur  tvie  oder  stvie  ohne  das. 

A\'olfd.  B  372,  3  er  sluoc  im  üf  das  houhet  einen  stvinden 
slac,  das  der  heiser  Ortnit  vor  im  gestreeJcet  lac.  —  R.  9040  f. 
9114  f.  17529  f.  (wo  allerdings  gestrecket  fehlt).  Ueber  die 
Verbreitung  dieser  formel  in  der  spielmannsepik  vgl.  Jänicke 
DHB  4.  292.  Vogt.  Salm.  u.  lilorolf  s.  cxlvi  f. 

"\^'olfd.  B  666.  2  uns  im  sin  guot  ros  vor  müede  gar  erlac 
(vgl.  Jänicke).  —  R.  8968  f. 

Wolfd.  D  3.  65, 1  dö  der  riclie  heiser  die  boten  ane  sacli,  er 
emjyfienc  sie  also  schöne:  nu  hairent  tvie  er  sprach.  Ebenso 
6, 120, 1.  220, 1.  7, 143, 1  etc.  Virg.  131, 1.  178,  2.  526, 1  (vgl. 
Jänicke).  —  R.  5445  f.  Diese  formel  findet  sich  nach  Jänicke 
nirgends  in  den  höfischen  epen  der  guten  zeit,  eine  behaup- 
tung,  die  Vogt  etwas  einschränkt  (Salm.  u.  Mor.  cxli;  hier  auch 
beispiele). 

4,85,2.  die  siege  vaste  hullen.  ein  übel  nächgcbiir 
was  er  in  dö  allen.  R.  20502  ff.  (vgl.  Martin  zur  Kudrun  650, 4. 
Jänicke  zu  Biter.  1578).  —  (Konr.  Troj.  25657). 

5,  216,  2  dö  valte  er  üs  blechen  manegen  herten  nagel  (vgl. 
Jänicke).  —  R.  20084  ff.  20484. 

7,  74,  2  mit  armen  umherüeret  (vgl.  Jänicke).  —  R.  9398. 
10983. 

7, 159,  3  ane  stegereife  er  in  den  satel  spranc  (vgl.  Jänicke). 
—  R.  9198  f.  17235  f. 

9. 102.  2  er  gienc  vor  in  hoiiwcn  also  ein  ebersivtn.  —  R. 
9028  f.  18821.  (Troj.  5040);  vgl.  Lichtenstein  zu  Eilhart,  QF.  19, 
CLii.  Biter.  12138  f.  Reinbot  Geo.  430. 

[8,  343, 4  (R.  2701  f.).  9.  56.  4  (R.  6882.  7106.  25432).  10,  34, 3 
(R.  16165  f.  12067.  14144.  20603)]. 

Vii'ginal  72,  4  nu  lasen  wir  si  riten  hie  und  sagen  tvies 
demßerncere  ergie  130, 1.  218, 1.  975, 1  etc.  Laur.  1758  (Engelli. 


376  GEREKE 

1629  ff.).  —  R.  377.  1896.  4451.  8129.  12056.  12363.  15359. 
23212  (vgl.  Steinmeyer,  Gott.  gel.  anz.  1887,  806  f.). 

V.  54, 4  von  ir  sircrtcn  rouch  ein  tunst.  182,7  sant  er 
von  sivertc  nianegen  tunst  üf  gegen  des  ivaldes  tolden,  daz 
ich  des  ivände  es  iceere  ein  hrunst.  — •  E.  11298  von  dem 
schintpfliehcn  strite  huop  sich  cm  ivolkenlicher  tunst,  daz  von 
ir  siegen  gie  ein  hrunst.  1042.  17316.  Hier  scheint  speciell 
ein  auj^drnck  der  sidelmannspoesie  vorzuliegen,  belegt  noch 
weiter  in  Dietr.  11.,  Laur.,  Eab.,  Eckenl. 

V.  168, 13  dar  nach  schöz  von  hluote  ein  hach.  205, 12.  — 
R.  9116  f. 

Laur.  214  diu  naht  wart  nie  so  tunJcel,  ez  lühte  als  der 
Hellte  tac  vom  gesteine  daz  am  helme  lac.  Walb.  854  ff.  (vgl. 
Jänicke  z.  Staufenb.  252).  —  R.  18586  diu  naht  tmrt  nie  so 
tunkel,  man  hettc  lieldes  überlast  da  funden  von  der  steine  glast. 

L.  6.  196.  210  in  stürmen  und  in  striten.  Virg.  82, 10.  Gudr. 
725,  3.  730, 4.  Alph.  99,  4.  Bit.  265.  Roseng.  (Holz)  D  36,  2.  55, 1; 
auch  bei  Konr.  v.  Würzb.  (vgl.  Jänicke  z.  Staufenb.  334).  —  R. 
957.  22230. 

L.  371  gegen  ein  ander  si  dö  stuhen  als  ztvene  vallten  die 
da  fingen.  —  R.  884  f.  17338  f. 

L.  1372  daz  hluot  durch  die  ringe  ran.  1474  f.  Yirg.  205, 12  f. 
(Parton.  14358  f.).  —  R.  17490  f.  (204121). 

lieber  andere  aus  der  volkstümlichen  dichtung  stammende 
redewendungen  und  formein  vgl.  unten  im  dritten  abschnitt  A.  2. 

Nach  diesen  ausführungen  glaube  ich  mich  bci'echtigt,  den 
dichter  des  R.  dem  fahrenden  stände  zuweisen  zu  dürfen.  Die 
hauptmasse  seines  Stoffes  hat  er  vielleicht  aus  alten  liedern 
geschöpft,  seine  darstellungsform  aber  erscheint  infolge  des 
intensiven  Studiums  Konrads  von  Würzburg  mehr  höfisch  als 
spielmännisch. 

Zweiter  abschnitt.    Quellen  und  Vorbilder. 

Es  gehört  in  der  mhd.  zeit  zu  den  notwendigen  f orde- 
rungen, die  man  an  einen  epiker  stellt,  dass  er  für  seine 
dichtung  eine  quelle  nenne.  Daher  unterlässt  es  denn  keiner 
sich  widerholt  auf  eine  solche  zu  berufen,  mag  er  nun  Avirk- 
lich  eine  haben  oder  mag  er  sie  nur  fingieren. 


STUDIEN   ZU   REINFRIED   VON    BRAUNSCHWEIG.  377 

Audi  im  I\.  linden  wir  derartige  angaben,  und  zwar 
verhältnismässig  häufig,  allerdings  nach  spielmannsmanier 
meist  ziemlich  unbestimmter  art.  Doch  beruft  sich  der 
dichter  daneben  auch  genauer  auf  bestimmte  quellen. 

Ich  stelle  zunächst  die  allgemeinen  angaben  zusammen: 

1.  Mündliche  quelle:  so  man  seit  412,  als  man  seit  11887, 
als  man  uns  seit  12307.  12402,  als  mir  ouch  tvart  cjcscit  18266, 
ist  mir  geseit  22597;  —  so  ha'r  ich  jchcn  952,  als  ich  liän  (je- 
liört  25319;  —  ]ia:r  ich  die  wtsen  sagen  16,  uns  sagcnt  auch 
die  ivisen  18052,  ich  hör  die  ivisen  alten  dick  in  ganzer  ivär- 
heit  jehen  19880  f. 

2.  Schriftliche  quelle:  als  ich  ez  las  923.  962.  1510.  6242. 
12500.  17180.  26775,  als  ich  hdn  gelesen  20978.  10884.  26717. 
26749,  daz  hän  ich  von  im  eigenlich  gelesen  182581;  —  als  ich 
von  im  geschriben  las  16765,  schribet  man  26718,  von  den  vil 
grözer  ivundcr  sint  geschriben  26756;  —  als  uns  für  war  diz 
mwre  seit  146,  als  daz  mcerc  seit  15418;  —  als  uns  diu  även- 
tiure  seit  927.  16706,  mir  seit  diu  ä.  für  war  5900,  ?iäch  der 
ä.  sage  11490,  von  der  diu  ä.  sagt  11882,  uns  seit  diu  ä.  .13812, 
als  diu  ä.  seit  15431,  als  mir  diu  ä.  stvuor  18158,  sus  seit  diu 
ä.  27071;  —  nä  der  buoche  sage  26783. 

Directe  berufungen  auf  die  bibel  sind  folgende:  13094  ob 
ich  hin  der  schrifte  tvort  erkennen  (Samuels  geburt),  15868 
als  ich  da  hdn  gelesen  an  der  buoche  schrift  ((Ttideon),  15904 
als  ich  geschriben  vinde  in  dem  ivären  buoche  (Macca- 
bäer),  20960  daz  man  Jriuf  und  icmer  mir  da  von  Ust  in  der 
wären  schrift  (tempelbau),  15916  als  diu  bibliä  noch  seit 
(Maccabäer),  26994  diu  bibliä  bewiset  uns  dirre  sache  baz  dan 
ich  (himmelsbrot). 

Genauer:  10893  als  wirz  am  eivangeljen  hän  (hochzeit 
zu  Cana),  13124  sicer  welle  daz  im  werd  bekant  diz  dinc  üf 
ein  ende,  ze  den  fünf  buochen  sende  ich  in  die  man  Moy- 
senen  git  (Juden  in  der  wüste),  15815  als  uns  diu  buoeh  noch 
tuont  bekant  (Ägyi)ter  ertrinken  im  Roten  meer),  15819  als 
Ich  hän  von  Abirön  und  Dathän  in  der  rihter  buoch  ver- 
nomen  (irrtümlich  für  Xum.),  25002  gewisheit  uns  der  wisc  tuot 
Salomon  in  siner  schrift,  26818  Machabeörum  buoch 
daz  seit. 


378  GEREKE 

Berufungen  auf  eine  clironik:  17976  «7*^  in  der  cröniJi  ist 
geschihen  (kaiser  Friedrichs  wunderbares  ende),  18143  als  crö- 
nicä  diu  icäre  seit  (Zerstörung'  Jerusalems);  vgl.  Enikels  ^^'elt- 
chr.  28945  ff.  24331  ff.  s.  unten). 

Andere  quellen:  10421  «7^  Wolferau  von  Eschilhach  in 
Titurclles  hiioche  sprach  (vgl.  10584  ff.),  1(3678  hiz  daz  der 
Jdärc  Farziüäl  im  sine  helfe  tet  erhint,  als  ich  in  sime  buoche 
vant  von  dem  von  Eschilhach  yeschriben,  18017  diu  icunder 
. . .  diu  in  dem  huoch  der  hintheit  von  gote  noch  schöne  stänt 
geschriben  (s.  unten),  21056  />  haut  u-ol  gchwret  ivic  ein  her- 
zog iizer  Beigerlant,  Ernest  so  ivas  er  genant,  und  gräve 
Wetzet  sin  man  hie  vor  oiich  zuo  dem  steine  hau,  als  ich  von 
in  gelesen  hahe. 

Quellen  aus  dem  classischen  altertum:  3216  Virgilius  seit 
über  al,  22590  siver  üf  ein  ort  ivil  tvizzen  daz  von  anevanc  unz 
an  daz  drum,  der  sol  lesen  Statium  Achilleides,  da  er  hie 
von  vint  sines  hergen  gcr,  22488  als  man  an  Claudiänö  seit. 
Ovid  wird  genannt  10772.  24563. 

Sehr  interessant  sind  zwei  ausführliche  äusserungen  des 
dichters  über  sein  Verhältnis  zu  seiner  quelle,  bez.  zu  seinen 
quellen: 

5fi  iTud  Avürd  diu  rede  ouoh  lilit  ze  lanc. 

ich  sag  iucli  als  mir  wart  geseit  des  läz  ich  ir  vil  under  wegen 

sHiider  lougen  äiie  trüge.  und  wil  eiuvalteclichen  stegeu 

daz  icli  mit  worten  umbe  rtüge,  üf  der  aveutime  wän 

da  zuo  so  ist  min  sin  ze  kranc,  der  ich  mich  uuderwunden  hau. 

Sehr  naiv  kling-t  das  andere  bekenntnis: 

19922  ich  sag  ez  iuch  euch  sunder  sparu. 

da  von  mich  nieman  strafen  sol  swers  niht  geloube,  der  läz  varn, 

umb  lüge,  ich  wa'ue  ez  sige  war.  wan  ich  geloub  an  disem  zil 

ob  ez  joch  wjer  erlogen  gar,  dar  an  so  vil  ouch  als  ich  wil, 

daz  wolt  ich  doch  kleine  klagen.  und  mag  ez  sicher  oftenbrir 

ich  sach  sin  niht,  ich  hört  ez  sagen,  allez  samt  wol  wesen  war. 

Zu  all  den  directen  berufungen  auf  quellen  kommen  nun 
noch  zahlreiche  anspielungen  auf  die  lu)fisclie  literatur.  auf  die 
Volks-  und  spielmannseitik.  auf  mittelalterliche  sagen  und  fabe- 
leien,  auf  die  dicht ungen  der  alten,  so  dass  wir  also  bei  dem 
dichter  des  R.  eine  grosse  belesenheit  finden.  Es  dürfte  sich 
demnach  wol  verlohnen,  diesen  beziehungen  einmal  nachzu- 
gehen; denn  durch  sie  hat  der  R.,  wenn  man  seinen  poetischen 


STUDIEN   ZU    REINFRIED    VON    HRAUNSCHWEIG. 


379 


wert  auch  gering'  aiLsclilageii  mag,  docli  cntscliieden  eine  ge- 
wisse bedeutung  für  die  niittelliochdeutsclie  literaturgescliiclite. 
Ich  fasse  also  in  den  folgench'ii  (iiicllemiiitcisiicliungen  das 
wort  quelle  nicht  in  seinem  engen  sinn,  sondern  stelle  mir  die 
aufgäbe,  die  literarischen  beziehuiigen  überhaupt  zu  verfolgen. 


I.    Höfische  epen. 
1.  Konrad  von  Würzburg, 
a)  Reinfried  und  Kngelhard. 
l)er  plan  des  R.  umfasst  drei  teile:    die  brautfahrt  Rein- 
frieds nach  Dänemark  (v.  1 — 12()58),   des  herzogs  zug  in  den 
Orient    (v.  12G59 — 27200)    und   seine    rückkehr   (v.  27207    bis 
schluss).    Nur  die  ersten  beiden  teile  sind  erhalten  und  vom 
dritten  der  anfang.    Das  motiv  der  brautfahrt  hat  der  dichter, 
wie   wir  schon  gesehen  haben,   der  spielmannsepik  entlehnt; 
auch  schliesst  er  sich  ihr  in  der  ausführung  einzelner  züge  an. 
Für  die  composition  des  ganzen  aber  ist  ihm  in  weit  höherem 
masse  Konrads  Engelhard  Vorbild  gewesen. 

Im  eingang  des  R.  und  Engelhard  heisst  es  nach  der  all- 
gemeinen einleitung: 

R.  65 
hie  vor  ein  werder  fürst e  was 
der  zuht  «ud  er  ie  an  sich  las 
mit  milt  und  ritterlicher  tat. 


118 
er  pinte')  leben  nnde  U\^ 
dur  ere  in  werder  rittcrschaft. 

122 
ze  swerte  sper  nnd  schilte 
stuont  sin  sin  nnd  der  gedanc, 
wan  er  nä  ritterschaft   ie  ranc 


Der  ort  der  handlung 
ist  überwiegend  Dänemark, 
königstöchter.     Engeltrauts 


E.  221 

do  lebte  in  Burguntriche 
vil  getriuwecliche 
ein  herre  von  gebürte  fri. 
dem  wonte  zuht  und  ere  bi, 
milte  und  ganziu  sttete. 

240 
sus  hiete  er  sich  gepinet') 
üf  tugent  für  die  bruoder  sin. 

248, 
üf  alliu  sieleclichiu  dinc 
stuont  sin  es  h'erzen  girde. 
sin  inuot  nach  höher  wirde 
künde  ringen  unde  streben. 

im   ersten  teil  des  R.  und  im  E. 

Yrkane  und  Engeltraut  .sind  die 

mutter  i.st  tot  (v.  17(37):  auch  Vr- 


'J  Hkh  innen  (</  noch  R.  Uli.  'J'JO.  14:iü2.  —  Part.  8700.  'J554. 


380  GEREKE 

kanes  miitter  haben   wir  uns  wo)   als  verstorben  zu  denken, 
da  sie  nirgends  erwähnt  wiid. 

Reinfried  erhält  durch  einen  knappen  die  auffordeiung-  zum 
turnier  nach  Dänemark.  Die  Schilderung  des  knappen  von  der 
Schönheit  Yrkanes  lässt  ihn  sogleich  in  liebe  zu  ihr  entbrennen. 
Der  dichtei'  äussert  seine  Verwunderung  darüber,  da  Reinfried 
die  Jungfrau  Ja  noch  gar  nicht  gesehen  hat.  Er  spricht  hier 
einen  ähnlichen  gedanken  aus  wie  Konrad,  als  Engeltraut  mit 
ihrer  liebe  zwischen  Engelhart  und  Dietrich  schwankt. 

R.  49«  E.  1(»42 

Sit  nach  des  ougeu  wilde  daz  herze  rauoz  empfäheii 

ein  herz  uf  minn  sich  rihtet,  liep  oder  leit  vil  drate 

daz  ouge  miioz  gepfiihtet  al  nach  der  ougen  rate: 

ze  boten  an  daz  herze  sin.  wan  swaz  den  ougen  sanfte  tuot, 

und  swie  si  went,  der  ougen  schin.       daz  danket  uuch  daz  herze  guot 
da  volget  sin  und  herze  nach.  und  ist  im  zwäre  avoI  da  mite. 

herze  und  ougen  hänt  den  site 
daz  si  gehellent  under  in. 

Der  Reinfrieddichter  fügt  dann  aber  zur  erklärung  noch 
hinzu: 

V.  534 
ein  oug  sich  mac  vergähen  dick  wider  sinen  Avillen  tuot 

so  daz  ein  herze  umbehuot  an  unbesinter  minne. 

Engelhard  findet  auf  seiner  reise  nach  Dänemark  unter- 
wegs an  Dietrich  einen  gefährten;  beide  schliessen  innige 
freundschaft. 

E.  805    si  wären  zallen  stunden 
zesaraene  gebunden 
mit  hoher  minne  stricke. 

Aehnlich  heisst  es  später  von  Reinfried  und  Yrkane: 

R.  30ö(i    wan  minne  mit  gedenken  bint 
si  beidiu  in  der  minne  stric. 

Die  Schönheit  Yrkanes  wird  wie  die  Engeltrauts  in  über- 
einstimmender weise  ausführlich  geschildert.  Doch  zeigt  sich 
hier  eine  herübernahme  von  gleichsam  formelhaften  Wendungen, 
in  denen  sich  Konrad  ])ei  darstellung  ähnlicher  Situationen 
gleich  bleibt.  Wir  können  nämlich  hier  auch  die  Schilderung 
der  Irekel  im  Partonopier  heranziehen. 


STUDIEN    ZU    REINFRIED    VON    HRAUNSCHWEIG. 


381 


R.  220 
ir  spilet  üz  <len  ougen 
diu  luinue  mit  ir  stricke. 

H)12 

Willi  (laz  küssen  hetzet 
mich  iii  den  tot  mit  senfter  gift, 
sam  diu  Syreue,  so  mau  schift 
bi  ir.  tuot  mit  der  stimme. 

2110 
ir  reidez  här  ir  under 
der  vil  riehen  kröne  schein 
dnrliuhteclicheu  reht  als  ein 
schön    durwünscht    gespunnen 

golt 
(vgl.  22510). 

2117 
fiz  wizer  Stirnen  glizzcn, 
reht  als  si  dar  gerizzen 
waereu,  brüne  bräwen. 

212.'} 
...  ir  goltvarwez  här. 
üf  dem  schein  durlinhtic  klär 
golt  und  drin  gewieret 
edel  stein 

(schapel  v.  2178.  2247j. 


2144 

laiw  uiiil  als  ein  sidc  gel 
was  ir  här.  daz  verrc  hienc 
für  den  gürtel,  swar  si  gienc. 

vgl.  26176 
gerispelt  reit  und  da  bi  val 
was  ez  reht  als  ein  side. 


E.  2231 
ein  spilender  ougen  blic 
da  von  ich  in  der  minnen  stric 
also  krefteclichen  viel. 

2216 
si  tuot  als  diu  Sirene, 
der  stimme  ist  also  schoene  . . . 
(Troj.  2()(!8  ff.  u.  ö.) 

vgl.  P.  8638 
ir  här  als  ein  gespunnen  golt 
schein  ilurliuhtic  über  al; 

vgl.  135().5 
sin  här  schein  als  gesp.  g. 


E.  2982 
da  swebeten  brüne  bräwen  obe. 

3010 
man  sach  von  golde  ir  eine  snuor 
z  einem  schapel  nfe  ligen, 
diu  über  al  was  wol  gerigen 
vol  edeles  gesteines; 

vgl.  P.  8650 
sieht  und  wiz  diu  stirne. 

S66T 
zwo  smale  brüne  bräwen. 

S6S3 
ir  goltvarwen  häres  ... 

vgl.  P.  8640 
für  den  gürtel  hin  ze  tal 
sluogen  ir  die  zöpfe  lanc ; 

vgl.  Troj.  23244.  Part.  1)430. 
.Jänicke  zu  Wolfd.  T)  8,  323,  3. 


2152 
diu  minnecliche  blüete 
durliuhter  denn  ein  mandel. 
au  ir  .so  wart  kein  wandel- 
flecke  nie  beschouwet 
(vgl.  3844  f.;. 


E.  2998 
ir  lip  nach  edeles  herzen  gir 
in  höher  wunne  bluote; 

vgl.  P.  3348 
so  wsere  an  im  kein  breste  nie 
gewesen  noch  kein  wände  1. 
sin  jugent  als  ein  mandel- 
boum  in  eren  bluote: 


382 


GEREKE 


R.  2156 
ir  lip  den  hat  betouwet 
alliu  stelde  touoen. 


2194 
Yrkaiie  üliertrift't  Jescliute  de  la 
Lander  an  sciuinheit  des  niundes. 

220bi 
fiz  dem  mündel  wart  gesehen 
zeue  nä  helfeubeine. 
wize  dünne  und  kleine 
si  gewünschet  wären  dar. 
saiu  die  wilden  rosen  var 
lühten  lieht  ir  wen  gel, 
und  hienc  des  hares  strengel 
ein  löckel  reit  da  bi  zetal. 


vgl.  Gold.  sm.  432 
von  dir  kam  der  mandel- 
kerne  durch  die  schalen  ganz. 

E.  21»9G 
diu  siel  de  was  vil  manicvalt 
der  ein  wunder  lac  an  ir. 

vgl.  P.  75(i2 
mit  s  fei  den  ist  betouwet 
iuwer  nam  und  iuwer  li]). 
E.  2991 
Engeltraut    übertrifft    Isolde   an 
weisse  der  zahne. 

E.  2989 
unde  stuonden  kleine  zeue. 

vgl.  P.  8672 
dar  inne  sani  ein  helfenbein 
stuonden  kleine  zene  wiz. 

ir  wen  gel  wären  beide 
rot  als  am  ein  rosen  blat. 


da  hiengen  zwene  locke  reit 
ir  goltvarwen  häres  für. 

E.  2986 
ir  wangen  roeselehten  schin 
beide  gäben  alle  stunt. 

2970 
und  was  ir  här  genöte 
brnn  unde  reit  bi  disen  zwein. 

2966 
schoene  und  rainneclichgevar 
gemischet  als  milch  unde   als 
was  ir  liehtiu  varvve  guot.     [bluot 

3684 
reht  als  ein  milcli   uml  als  ein 

bluot 
vil  wol  gemischet  under  ein; 

vgl.  P.  8656 
reht  alse  milch  unde  bluot 
wiz  unde  rot  ir  varwe  schein; 
diu  zwei  gemischet  under  ein 
stuonden  wüuneclichen  da 
(vgl.  Troj.  3024). 

Vgl.  Jäuicke  zu  Wolfd.  D  6, 100,  3.  Wackernagel,  Kl.  sehr.  1, 155. 
Wackerneil  zu  Hugo  v.  Moutfort  5,  35. 


2220 
rainneclicher  schoener  lip 
wart  nie  so  süezer  noch  so  guot 
als    da    man   milch   und   da   zuo 

bluot 
in  rehter  mäze  mischet. 


STUDIEN    ZU    REINFRIED   VON   BRAÜNSCIIWEIG. 


383 


2236 
da  bi  ein  kerz  ir  sieht iu  kel 
wizer  ileuu  ein  liermel. 


2248 
stirne  bräweii  öugel  klar 
nase  raUudel  tinne, 
hilf  fei  wengel  kinne. 


2258 
so  durliuhtic  libes  vel 
wart  nie  noch  so  reine 
von  fleische  noch  gebeine 
swä  si  schein  vor  der  wsete. 

2266 
hoch  und  kleine  brüste 
reht  als  ein  apfel  sinewel. 
wizer  denn  ie  kridemel ') 
waen  ich  daz  ez  wsere. 


E.  2994 
dnrlinhtic  wiz  ir  kele  schein. 

vgl.  :i0ü2 
ir  wären  bein  und  arme  sieht, 
gewollen  als  ein  kerze; 
vgl.  P.  12502 
ir  stirne  ir  ongen  nnde  ir  ke! 
ir  nase  ir  niunt  ir  tinne, 
ir  Wangen  nnde  ir  kinne; 

vgl.  Trist.  '.123 
ir  liar  ir  stirne  ir  tinne 
ir  wange  ir  niunt  ir  kinne. 

E.  3039 
daz  man  dar  durch 
I  durch  das  hemde]  ir  wize  hut 

sach  liuhten  bi  den  ziteu. 

3044 
ir  senften  brüstelin 

als  ez  zwen  epfel  wteren; 

vgl.  P.  15GS 
unde  rnorte  ir  süezen  brüst 
diu  sam  ein  apfel  was  gedrät. 


Die  (larstellung-  der  Schönheit  Helenas  im  Troj.  19865  ff. 
bietet  ferner  sehr  viel  ähnliche  züge. 

Als  Reinfried  im  furnier  g-esiegl  und  als  preis  turteltaube 
und  kuss  von  Yrkane  empfangen  hat,  führt  sie,  die  g-leichfalls 
in  liebe  zu  ihm  brennt,  ihn  in  ein  zeit,  wo  sie  dann  beide  mit 
süssem  minneg-eplauder  die  zeit  verbringen.  Bei  ihnen  ist  noch 
eine  treue  dienerin.  Vorsiclitig-  verlassen  alle  drei  nacheinander 
in  ge^^^ssen  z^^ischenräumen  das  zeit.  Dennoch  hat  sie  ein 
dänischer  g^raf  beobachtet,  und  aus  dem  verwirrten  haar  Yr- 
kanes  ahnt  er  das  vorgefallene;  nui-  geht  er  zu  weit  in  seinen 
Vermutungen,  indem  er  als  sicher  annimmt,  Yrkane  habe  ihr 
magdtum  preisgegeben. 

Auch  Engelhart  und  Engeltraut  bekennen  .sich,  als  sie 
allein  sind,  ihre  liebe  und,  nachdem  Engelhard  in  einem  furnier 
in  der  Normandie  sich  als  siegreicher  ritter  gezeigt  hat,  gibt 


')  Dieser  vergleich  nur  noch  Troj.  14000.  19989. 


384 


GEliElCE 


sicli  Engeltraut   ilini   hin.     Hierbei  werden  beide  vom  grafen 
Ritschier  entdeckt. 

Beide  grafen  sind  natüilich  im  höchsten  grade  eifersüclitig. 
machen,  was  sie  gesehen  liaben.  bekannt  und  erklären  sich 
bereit,  für  die  Wahrheit  ihrer  behauptung  mit  dem  Schwerte 
im  gottesgericht  einzustehen: 


E  2422 
ü  f  eine  m  g  r  ü  e  n  e  ii  p  1  a  n  e  w  i  t 
ein  rieh  ffestüele  wart  bereit. 


luid  wart  der  kämpf  gesprochen 
schier  über  sehs  woclien, 


als  ez  was  l)illich  nnde  reht. 


R.  6602 
ze  vekle  wart  der  tac  geleit 
üffen  einen  witeu  plan, 
gestüelet  wart  dö  snnder  wan 
nach  küneclicher  pflihte. 

Die  übliche  frist  von  sechs  wochen  vom  tage  der  fest- 
setzung  des  gottesgerichtes  an  wird  in  beiden  fällen  angegeben : 

6814  4119 

mit  urteillicher  lere 
wart  der  kämpf  gesprochen 
von  der  zit  sehs  wochen 
und  drige  tage,  s6  man  seit, 
nä  kampfes  gewonheit, 
als  ie  dö  was  und  noch  ist 

(vgl.  übrigens  Iwein5756: 
nu  wart  der  kämpf  gesprochen 
über  sehs  wochen). 

Ein  gottesgericht  stellt  Konrad  von  Würzburg  auch  im 
Schwanritter  dar.  Mit  der  darstellung  im  Schwann  zeigt  der 
R.  manche  berührungen.  Die  ankläger  —  im  R.  der  dänische 
graf,  im  Schwanr.  der  fürst  von  Sachsen  —  sind  beide  so  her- 
vorragend tapfere  und  berühmte  ritter,  dass  sich  keiner  finden 
will,  der  es  wagt,  in  einer  so  heiklen  sache  ihnen  gegenüber- 
zutreten: 

K.  6754 
nu  lepte  in  den  ziten 
niht  reschers  ritters  denne  er  was. 
da  von  ei*  vil  kleine  entsaz 
daz  in  ieman  bestüende. 


6760 
dö  diz  beschach,  der  künic  saz 
in  sorgen  järaerliche. 

...  in  der  zit  nie  ritter  swert 


Schwanr.  590 
der  Sahsen  fürste  hoch 
schein  also  krefte  riche 
daz  niender  sin  geliche 
lebt  über  allez  Jsiderlant 
und  man  dekeinen  ritter  vant 
als  elleiithaft  ze  Sahsen. 

604 
der  künec  selber  tnirec  wart, 
daz  mau  dö  kempfen  solde, 
wan  er  gelouben  wolde, 


STUDIEN   ZU    REINFRIED    VON    BHAUNSCHWEIG.  385 

umb  den  lip  begurte,  daz  nieman  würde  fmiden 

den  man  ze  bnbnrte  so  frecher  bi  den  stunden, 

der  für  die  fronweu  vi^hte. 

bezzeru  fnnde  denne  er  was. 

Kummervoll  und  fnig-end  lassen  die  trauen  ihre  blicke 
umgehen,  ob  sich  denn  niclit  ein  kämpfer  für  ihie  Unschuld 
finde,  vgl.  R.  6854— G875  und  Schwanr.  639—664. 

Im  R.  wie  im  Engelhart  kommen  die  kämpt'er  für  Yrkane 
und  Kngeltraut  im  letzten  augeublick  noch  eben  rechtzeitig 
an.     Heide  sind  ganz  weiss  gekleidet: 

R.  S5(59 
ein  ballier  wizer  denn  ein  swan. 
da  mit  so  was  ros  unde  man 

verdecket  an  der  zite.  E.  4G88 

mit  wizem  semite  der  fuorte  von  samite  blanc 

er  aller  in  ein  ander  schein.  decke  und  kurstt  wol  gesniten. 

Der  kämpf  beginnt ;  er  wird  im  R.  wie  alle  anderen  ganz 
in  Kom-ads  weise  mit  denselben  formelhaften  Wendungen  dar- 
gestellt, lieber  diese  allgemeinere  nachahmung  später!  Jetzt 
möchte  ich  hier  nur  die  beiden  stellen  im  R.  und  E.  verglei- 
chen, in  denen  sich  doch  auch  charakteristische,  sie  von  den 
übrigen  kampfesschilderungen  unterscheidende  züge  finden. 

8897  4848 

die  schilt  si  für  sich  druhteu,  die  Schilde  für  sich  huobeu 

diu  swert  si  höhe  zuhten.  ze  schirmen  die  vil  küenen. 

4830 
diu  swert  begunden  si  zehant 
zücken. 

8908  4876 

die  fiures  blicke  sprangen  üz  dem  gevegeten  isen 

nach  der  siege  duzze,  des  fiures  blic  höh  üfe  stoup. 
als  ob  der  donre  schuzze  4S15 

öf  ir  beider  helraes  tach.  daz  des  braches  klac 

golt  und  edel  stein  man  sach  iftte  alsam  ein  donerslac. 
risen  von  den  starken  siegen.  .^^-^ 

daz  von  den  stahelringen 
geschach  ein  michel  risen. 
9032  48.51 

mit  starken  siegen  Ionen  ir  siege  wären  also  grOz 

wolt  er  mit  grimmer  herte  daz  üf  einen  aneböz 

dem  der  üf  in  berte  ge.schach  nie  grcezer  tengeln. 

alsam  er  wser  ein  aneböz. 

Beiträge  zur  geachtchte  dor  deutachen  gpraclie.     XXIII,  25 


386  GEREKE 

AVie  Reinfried  von  seinem  gegner.  so  Avird  Dietrich-Engel- 
hard  von  Ritschier  zuerst  niedergeworfen  (R.  9U38  ff.  — 
E.  4908  ff.). 

Aber  Reinfried  und  Dietrich-Engelhard  erheben  sich  wider 
(R.  9046  ff.  —  E.  4921  ff.). 

Es  gelingt  ilinen  ihre  gegner  vJillig  zu  besiegen,  deren 
leben  in  beiden  fällen  nur  durch  das  einschreiten  des  königs 
gerettet  wird.  Als  preis  fällt  jedem  sieger  die  dänische  königs- 
tpchter  zu. 

Reinfried  führt  nun  seine  geliebte  heim.  Ihr  abschied 
von  ihrem  vater  Fontanagris  (v.  11555  ff.)  erinnert  deutlich 
an  den  abschied  Engelhards  von  seinem  vater  (v.  338 — 383), 
als  er  seine  reise  nach  Dänemark  antritt.  Beide  väter  geben 
ihren  kindern  gute  ratschlage,  insbesondere  den,  schlechte 
gesellschaft  zu  meiden:  R.  11730  vor  allen  dingen  fliehen  soll 
du  hcps  geselleschaft. 

Engelhards  vater  gibt  seinem  söhne  drei  äpfel;  wenn  ihn 
jemand  um  gesellschaft  bittet,  soll  er  ihn  damit  prüfen.  Er 
soll  ihm  einen  apfel  anbieten :  isst  er  diesen  ganz  allein,  ohne 
ihn  mit  seinem  geber  zu  teilen, 

E.  350 
so  mit,  vil  lierzelieber  knabe, 
alle  sine  g-eselleschaft. 
R.  11748  3(18 

luin  killt,  ilu  solt  mit  ganzer  kraft       dar  niuler  ich  dich  biteii  wil, 
dich  stseter  tugent  flizen.  daz  dn  getriuwe  gerne  sist. 

in  demuot  verslizen  hie  mite  dn  dir  selben  gist 

solt  du  din  minnecliche  zit.  vil  maneger  hande  werdekeit. 

zulit  bescheideuheit  diu  git  trinw  ist  daz  beste  ereu  kleit 

dir  hühgelopte  wirde.  daz  den  friuntlosen  man 

bis  milt  in  herzen  girde:  in  dem  eilende  kan 

stsete  kiusche  triuwe  erfrüuweu  unde  erhoehen  wol. 

sol  din  herze  niuwe 
mit  der  erbermde  halten. 

Beide  väter  sichern  ihren  kindern  zu,  dass  es  ihnen  gut 
gehen  wird,  wenn  sie  ihren  rat  befolgen. 

11714  .3»>4 

wilt  du  in  diu  herze  graben  und  hast  du  die  bescheideuheit 

min  lere,  daz  bringet  dir  heil.  daz  du  behaltest  min  gebot, 

ez  birt  dir  hulde,  sam  mir  got, 
und  bringet  dir  noch  seiden  vil. 


STUDIEN   ZU    KEINKKIEI)    VON    HUAUNSCHVVEIG.  387 

Die  kindei"  verspreclien  auch  ihren  viltern  gehorsam: 

R.  117S5  E.  37»; 

si  sprach  'veterlin,  ich  wil  'vater'  —  sprach  er  —  'ich  eusol 

dir  üf  mines  tödes  zil  niht  zebrechen  diuen  rät.' 

volgen  ieiner  sunder  haz. 
swaz  du  hast  geraten,  daz 
wirt  von  mir  vollendet'. 

Was  der  dichter  von  Reinfried  und  Yrkane  nach  ihrer 
Vermählung*  sagt,  lässt  sich  vergleichen  mit  Kng-elh.  900  ff. : 

107S8  900 

swä  wip  üz  herzen  rüme  Avan  swä  daz  wip  beginnet  wegen 

tuot  schäm  gen  liebem  manne  in  ir  herzen  mannes  tugent 

und  sich  diu  minne  danne  und  mit  gedenken  sine  jugent 

den  gilt  mit  glicher  schanze,  wil  mezzen  und  ergründen, 

da  hat  der  minne  lanze  da  kan  diu  minne  enzünden 

getroffen  und  beheftet.  herze  und  muot  dem  wibe 

nach  des  mannes  libe. 

R.  12658  ist  ein  förmlicher  abschluss  des  ersten  teiles,  und 
es  scheint  fast,  als  ob  der  dichter  ursprünglich  auch  nur  diesen 
ersten  teil  zu  dichten  beabsichtigt  hat: 

R.  12650  E.  ()4ö3 

ir  muot  ir  herze  klepten  gelücke  in  hohe  stiure  bot. 

ein  ander  in  dem  sinne  si  lebeten  beide  unz  an  den  tot 

mit  ungemischter  minne  froelichen  unde  schone, 

in  ganzer  liebe  schone.  diz  heil  gap  in  ze  lone 

da  von  wart  in  ze  löne  ir  triuwe  der  si  wielden. 

hie  der  weite  pris  gegeben,  wan  si  ze  herzen  vielden 

und  dort  vor  got  daz  ewic  leben  gar  lüterliche  stsetekeit, 

daz  fro  frisch  iemer  me  gestät,  so  wart  in  sselde  vil  bereit 

so  erde  und  himelrich  zergät.  in  himele  unde  uf  erden. 

Ich  halte  es  auf  grund  dieser  parallele  für  g'esichert,  dass 
der  Reinfi4eddichter  bei  der  composition  der  Vorgeschichte 
seines  beiden  sich  Konrads  Engelhard  zum  muster  genommen 
hat.  Kr  hat  die  brautfahrt  in  allen  wesentlichen  zügen  mit 
motiven  aus  diesem  epos  ausgestaltet  und  hierbei  engen  an- 
schluss  an  Konrad  gesucht. 

Selbständig  eingeführt  hat  er  eine  ganze  reihe  von  königen 
und  fürsten.  die  am  turnier  in  Dänemark  teilnehmen.  Deien 
namen  nun  wiift  er  beständig  durcheinander,  ich  führe  die 
betreffenden  stellen  an. 

V.  740  mit  im  der  künic  I'alarei, 

die  hat  gefüeret  über  mer  des  herze  ie  nä  triuwcn  schrei, 

25* 


388 


GEREKE 


wall  im  kein  laster  was  bekant. 
dar  was  der  künc  von  Eugellaiit 
ouch  komeii  hin  mit  grozer  luaht, 
Fluriii,  der  ie  nä  ereu  vaht. 


938 
der  junge  kiinic  Palarei, 
an  schänden  gar  der  traege, 
(er  was  ze  NorwsRge 
gewaltic  kiinic  unde  vogt), 
kam  uf  die  heide  ouch  gezogt. 


Hier  ist  also  Palarei  könig  von  Norwegen  (ebenso  564. 
1859.  2725)  und  Florin  (oder  Floris)  könig  von  England  (ebenso 
1178.  1813.  2728);  nichtsdestoweniger  heisst  es  v.  912  nti  hm 
dort  nf  der  heide  Palarei,  künc  von  Enyellant. 

Total  verwirrt  aber  sind  die  namen  an  folgenden  stellen: 
V.  288  ff.  von  Schotten  den  h'inc  Löris,  Lerän  von  Berhester 
[s.  Troj.  23921:  Lerant  von  Schotten;  der  name  Berbester  stannnt 
wol  aus  Wolfr.  Wli.  329, 15.  397, 17;  vgl.  AVolfi\  Tit.  42,  2],  ein 
herzog  von  Wintsester  Parlus  der  fürste  ziere,  v.  575  ff.  Loris 
der  Schotten  vo(jt,  Parlus  ein  vil  werder  degen,  der  herzog  uz 
Berhester,  Jörän  von  Wintsester,  v.  750  ff.  Löris  der  h'inc  ge- 
hiure  von  Schotten,  Fontänägrts  von  Tenemark,  Jörän  von  Ber- 
hester, der  herzog  Hz  Wintsester,  v.  1057.  1417.  2729  Parlus  von 
Schotten,  V.  1507  Parlus  von  Wintsester,  v.  1529  Turnis  von 
Berbester. 

Schliesslich  möchte  ich  hier  noch  die  Übereinstimmung  des 
Schlusses  des  K.  mit  einer  grösseren  partie  des  Engelhard  con- 
statieren.  Die  insel  nämlich,  an  die  Reinfried  auf  der  heim- 
fahrt vom  Sturme  verschlagen  wird,  ist  ganz  ähnlich  geschil- 
dert wie  die,  auf  der  der  miselsüchtige  Dietrich  sich  aufiiält. 
Beide  inseln  sind  mit  den  herrlichsten  bäumen  und  kräutern 
bewachsen,  die  vögel  singen  ihre  schönste  sommerweise;  denn 
der  mai  ist  gekommen. 

Uebrigens  finden  sich  ähnliche  Schilderungen  auch  in  der 
Klage  der  kunst,  im  Partonopier  und  im  Trojanerkrieg: 


R.  27514 
manic  vogel  suoze 
sin  stimme  lie  da  hoereii, 
wan  der  meige  enboeren 
von  abrellen  wolte; 

vgl.  Kl.  2,  7 
der  meie  het  da  wol  sin  gras 
geroeset  und  geblüeniet. 


E.  5326 
der  liebte  siieze  meie 
was  komen  dö  mit  siner  inalit. 


STUDIEN   ZU   EEINFRIED   VON    BRAUNSCHWEIG. 


389 


R.  27524 
kleiner  vogel  zungen 
sich  rüsten  vif  ein  singen, 
die  des  winters  twingen 
tet  in  sorgen  swigen : 
die  hörte  man  üf  stigen 
nu  in  hohem  hifte 
mit  fröuden  richem  gufte, 
wan  ir  sorge  was  da  hin ; 

vgl.  Kl.  3,  7 
da  säzen  vogel  üfe  gnot 
und  sungen  siieze  wise; 

Troj.  Iti504 
da  niange  süeze  wise 
diu  vögellin  üf  singent. 


R.  27544 
üz      grüeuen     hellen     schöne 

k  1 0  u  p 
sich  manic  nii  uneclichiu  hluot. 
swaz  ougeu  ören  sanfter  tuet, 
des  sach  und  hörte  man  hie  kraft 

[vgl.  17155 
Sit  herzen  ougen  sanfter  tuot]; 

vgl.  Kl.  3,  3 
man  sach  da  lachen  wize  hluot 
üf  dem  grüenen  rise; 

Lied  (Bartsch)  20,  3 
üzer  hellen  schöne  sliufet 
raanger  lösen  hlüete  kluft. 

R.  27588 
ein  küeler  hrunne  flöz  da  nä 
des  runs  gap  klingelenden  val. 
dur  hürst  und  stüden  hin  ze  tal 
er  sich  wünneclichen  He. 
Reinfrit  der  höchgehorne  gie 
durch  kurzewil  dem  wazzer  nach. 

27594 
im  was  ze  kapfende  so  gäch 
an  bluoraen  hluot  und  kriuter  smac. 


E. 5333 
und  hceten  sich   gehüset   drin    (im 

laube) 
diu  wilden  waltvogelin 
vor  der  hitze  durch  gemach. 

ir  niuwen  sumerwise 
erklancten  si  dar  under 
ze  wunnen  und  ze  wunder 
und  trihen  des  gnuoc  unde  vil; 

vgl.  P.  13284 
der  meie  hete  dö  gevröut 
mit  der  liehten  küufte  sin 
diu  wilden  waltvogelin, 
dar  umbe  aldä  ze  prise 
ir  süezen  sumerwise 
wurden  lüte  erklenket. 
si  heten  sich  gesenket 
in  die  schcenen  boumes  hluot 
und  liezen  süeze  stimme  guot 
des  mäles  hellen  über  al. 

E.  5330 
üz  grüenem  louhe  glesten 
sach  man  die  snewize  bluot. 

5342 
der  ören  und  der  ougen  spil 
was  da  vil  harte  manecvalt; 

vgl.  1045 
wan  swaz  den  ougen  sanfte  tuot 
(1198). 


E.  5322 
hie  mite  kam  er  durch  daz  gras 
geslichen  zuo  dem  brunnen  kalt. 

5344 
der  brunne  lüter  unde  kalt 
gienc  rüschende  unde  klingende. 

535« 
wazzer  bluomen  unde  gras 
sach  er  mit  vollen  ougen  an. 


390 


GriiiHElvri 


vgl.  Troj.  1R510 
ein  brunne  luter  unde  kalt 
uz  einem  velse  gät  derbi. 

16518 
ez  klingelt  üz  dem  steine 
ze  wimsche  in  unser  oren. 

R.  27(304 
sin  herz  und  sines  libes  lider 
hatten  von  der  arbeit, 
so  er  ftf  dem  wazzer  leit, 
groze  müede  an  sich  genomen. 
da  von  ein  släf  begunde  im  kernen 
daz  er  in  die  bluomen  seic. 


vgl.P.  1327r, 
ein  herberg  unde  ein  obetach 
was  ime  aldä  gewannen 
bi  eime  kalten  brunnen, 
da  grüene  boume  stuonden  obe. 

E.  5422 
und  was  von  deme  gange 
den  er  zuo  dem  brunnen  gie 
so  gar  unmehtir  worden  hie 
daz  er  entslief  nach  siner  klage. 


alsus  der  fürst e  wert  entslief. 


b)  Kampfesschilderungen  im  Reinfried 
und  bei  Konrad. 

Bevor  Konrad  seine  ritter  zum  turnier  oder  zum  kämpfe 
reiten  lässt,  werden  wir  erst  bis  aufs  g-enaueste  über  ihre 
rüstung'  informiert.    Ebenso  ist  es  im  R. 

Wir  besitzen  von  Konrad  ein  gedieht,  dessen  hauptinhalt 
eigentlicli  solche  Schilderungen  des  Avaffenschmuckes  der  ritter 
ausmachen;  icli  meine  das  turnier  von  Nantes,  das  ja  auch  die 
spätere  Wappendichtung  einleitet.  Die  Übereinstimmung  mit 
den  entsprechenden  partien  des  R.  ist  ausserordentlich. 


R.  832 
man  sach  daz  in  die  schilte 
geteilet  waren  in  zwei  vach, 
von  obene  dur  des  randes  tach 
gehalbieret  dur  den  spiz. 
von  Aräbi  gap  liebten  gliz 
daz  ein  vach  von  drin  stücken, 
daz  golt  sich  underdrücken 
niht  lät  mit  keinem  glaste. 
von  zobel  glizzeu  vaste 
driu  ander  stucke  gezilt. 
so  fuorten  si  den  halben  schilt 
geworht  mit  hohem  flize. 
von  finen  berlen  wize 
was  daz  ander  überleit, 
und  was  nä  wünsch  dar  in  gespreit 
von  rubiu  rot';  ein  halber  ar; 


T.  398 
der  herzog  einen  tiuren  schilt 
von  zweier  varAve  stücken 
für  sich  begunde  drücken 
nach  ritterlichem  rehte. 
sin  halbez  teil  strifehte 
von  zobel  und  von  golde  was; 
daz  ander  stücke,  als  ich  ez  las, 
erschein  durliuhtic  wiz  hermin, 
und  was  von  roten  kelen  drin 
geleit  ein  halber  adelar: 


STUDIEN    ZU   REINFRIED   VON    HRAUNSCHWEIG. 


391 


vgl.  T.  434 
den  schilt  den  fnorte  er  nnde  tnioc      ein  glänz  er  adelar  sich  bot, 
verdecket  mit  hermine,  der  was  von  lichten  kelen  rot,') 

dar  üz  in  liehteni  schine  nnd  schein  daz  velt  wiz  als  ein  sne. 


R.  8Hfi 
sins  helnies  tach  zwen  wedele 
von  pliäwen  hänt  bedecket, 
in  schränke«  wis  gestrecket 
heteu  si  sich  bevangen. 
von  golde  lieht  die  stangen 
nf  den  wedeln  glizzen. 


922 
uz  Aräbie  wa.s  sin  schilt 
von  glanzem  golde,  als  ich  ez  las. 
von  rubin  lägen  drin  gespreit 
entwerhes  dri  leparten. 
man  sol  dem  herren  zarten, 
der  alsus  keiserlichen  vert. 


R.  1008 
da  von  er  sich  bekleidet  hat 
in  stsete  varwe  läsürblä.*) 

R.  1482 
von  golt  ein  liehter  pfelle 
was  sin  covertinre, 
und  was  nä  höher  stiure 
von  kelen  rot  dar  in  geleit 


E. 2522 
eins  phäwen  zwene  wedele 
fuort  er  uf  sinem  helme  guot. 

T.  408  =  Schwanr.  91t) 
der  fürste  wol  gezieret  gar 
üf  sirae  glänzen  helme  kluoc 
üz  eines  phäwen  zagele  truoc 
zwo  wünnecliche  stangen 
bedaht  und  umbevangen 
mit  golde  lieht  und  edele 
biz  an  die  zwene  wedele 
der  phäwenspiegel  viderin, 
die  glänzen  wunneclicheu  schin 
üf  der  planie  baren, 
die  Stangen  beide  wären 
üf  den  heim  durch  liebten  pris 
geschrenket  schone  in  criuze- 

wis. 

T.  310 
mit  golde  lieht  von  Ar  ab  in 
was  im   [dem  Schilde]   sin  velt   be- 
decket, 
und  wären  drin  gestrecket 
entwerhes  dri  leparten, 
der  glaste  muoz  ich  zarten 
und  ir  gezierde  reine  . . . 
und  wären  üz  rubin en 
nach  hoher  wirde  lone 
geleit  zein  ander  schone. 


T.  360 
er  fuorte  von  samite 
liehtiu  wäpenkleider  an, 
dar  üz  golt  und  gesteine  brau 
kostbciere  und  üzer  mäzen  fin. 


'^  Vgl.  R.  1485  von  kelen  rdt.      T.  377  von  rubintn  rdt.      Part.  2053fi 
von  röten  kelen  tvas  dar  in  yesniten  manec  adelar. 

'^)  läsurblä  und  läsiirvar  bei  Konrad  sehr  beli«bt;   vgl.  E.  2507.  2540. 
T.  251.  479.  026.  670.  Part.  808.  5214  u.  ö. 


392 


GEREKE 


üf  schiltes  tach  und  wäfenkleit 

eins  löwen  bilde  grimraende 

und  üf  ze  berge  klimmende 

reht  alsam  er  lepte. 

umb  den  löwen  swepte 

einsmal  gezieret  schiltes  rant. 

von  golde  rieh  der  strich  erkant 

was 

urab  des  schiltes  renke, 
die  des  löwen  pflügen, 
von  Saphiren  lägen 
liljen  klein  dar  in  geworht. 


von  dem  striche  rüeren 

sach  man  die  bluomen  üz  und  in. 

1522 
von  golde  lieht  sins  heim  es  tach 
zwei  hörn  häten  bedecket. 

1706<; 
von  golt  ein  liehter  ciclät 
mit  edeln  steinen  schon  durbriten 
was  sin  covertiur  gesniten. 


zwivalteclioher  varwe  schin 
mit  golde  sinen  schilt  hevienc. 
ein  rant  geblüemet  drumbe  gienc 
so  rot  als  ie  kein  rose  erkant. 
ouch  was  enmitten  üf  den  rant 
geleit  ein  güldin  strickelin. 
die  bluomen  sach  man  üz  und 
die  von  dem  rande  lüliten  [in, 

und  alse  liljen  düliten 
gestellet  an  ir  bilden, 
der  schilt  mit  einem  wilden 
löuAven  stuout  verdecket, 
der  was  in  golt  gestrecket 
und  lühte  von  rubinen  rot. 

T.  488 
sin  heim  was  mit  zwein  liornen 
gezieret  wol  in  füi-sten  wis. 

T.  302 
er  fuorte  liebten  cyclät 
der  mit  golde  was  gebriten, 
dar  üz  sin  wäpenroc  gesniten 
und  sin  covertiure  was. 


Von  den  rossen  lieisst  es:  E.  1010  ein  (jrözez  ros,  tvas  apfd- 
grä;  dazu  vgl.  Part.  11820  dn  vanve  diu  ivas  apfelgrä,  Scliwanr. 
864  vil  schöne  grls  und  apfelgrä,  so  schein  daz  ros  von  snellcr 
art;  ferner  K.  414  f/röziu  ros  sivarz  als  ein  hech,  ein  vergleicli, 
den  ich  häufig  nur  bei  Konrad  belegt  finde,  vgl.  SchAvanr.  904 
(das  ross)  lüJite  alsam  ein  stvarzez  hech;  sonst  von  der  rüstung 
gesagt:  E.  4692.  T.  447.  P.  21004.  Troj.  11992,  einmal  auch  vom 
baren:  P.  18258;  vgl.  auch  Veldekes  Kneide  5265  (vom  schwänz 
des  rosses),  und  Heini",  v.  Neustadt,  Von  gottes  zukunft  6517 
(vom  teufel). 

In  allen  turnier-  und  kami)t's('hilderungen  bedient  sich  der 
dichter  des  R.  derselben  formelhaften,  typischen  Wendungen, 
die  er  aus  Konrad  entlehnt  hat. 

Das  ansi)rengen  der  kämpf  er  wird  wie  folgt  dargestellt: 

E. 2572 
des  wart  üf  den  vil  klären 
genuoc  und  vil  gekapfet. 
swenne  er  kam  gestapfet, 
so  sprächens  algemeine  . . . 
kapfen  :  stapfen  Part.  16089.  Troj.  12775, 


R.  1024 
und  als  der  wandeis  frie 
üf  in  gehört  das  kapfen, 
man  sach  in  dräte  stapfen 
gen  im  üf  ein  tjoste. 


STUDIEN   ZU   EEINFBIED    VON    BRAÜNSCHWEIG. 


393 


R.  1714 
schone  g-ettörieret 
sach  mau  si  zemen  stai)fen. 
ez  solte  niemeii  kapfen 
dem  anderu  dö  dar  füeren. 
2011.  23075  gekapfet :  gestapfet. 
1730(i 
und  kämen  geleisieret  her, 
niht  als  si  riten,  als  si  fingen. 

1086 
diu  ors  zesameu  dr?Rten 
reht  als  ob  si  beide  fingen. 

17142 

sin  vart  niht  gie,   er  kam  geflogen. 

vgl.  884  f.  1044  ff.  17338  f. 

20144 

er  fuor  in  dem  strite 

alsam  in  rör  diu  windes  brüt. 

8864 
von  ietweders  ringes  ort 
sach  man  si  bede  sprengen, 
den  orsen  bede  hengen 
si  künden  gen  dem  juste. 

886 
diu  bein  sach  man  si  biegen 
da  neben  zno  den  lenken. 

17308 
in  orses  sprunc  diu  bein  si  bugen. 

892 
man  sach  diu  ors  erspringen 
sam  in  dem  walde  hirzetier. 

1011 
daz  (ors)  lief  in   sprungen   sam 
ein  tier. 

1720 
ir  hurtedichez  riten 
tet  anger  plan  erzittern. 

17312 
wan  daz  man  beide  und  anger  wagen 
spurt  von  dem  starken  loufe. 

1732 
dö  wurden  liebte  rosen 
und  bluomen  vil  zertrettet. 


E. 4770 
diu  ros  diu  liefen  nilit,  si  fingen 
noch  vaster  danne  ein  windes  brüt. 
E.  2774  f.  Part.  20720  f.  Troj.  12.i27. 
18935.  24716  vergleich  mit  der  Winds- 
braut. 

T.  742 
man  horte  banier  snurren 
als  ein  ror,  daz  in  den  bruoch 
der  wint  mit  stürme  neiget 
(Vgl.  Part.  15948  ff.  20676  ff.). 

E. 2700 
dö  wart  vil  snellecliche 
den  rossen  wol  verbeuget 
und  uf  das  velt  gesprenget 
von  den  zwein  werden  rotten. 
Troj.  3890  ff.  12213  f.  Part.  5()81  f. 
T.  748 
i'if  und  zetal  begonde  sich 
vil  raanic  schenke!  biegen. 
P.  13798  f.  16116  f. 

Schwanr.  905 

lief  ez  (das  ross)  als  ein  snellez 

T.  942.  P.  13711.  19423.         [wilt. 

Troj.  3793 

und  gienc  in  sprungen  sara  eiu 

tier. 

Schwanr.  954 
der  plan  der  mohte  erkracheu 
durch  der  snellen  rosse  louf. 


E. 2592 
die  bluomen  und  daz  grüne  gras 
vertreten  wurden  sere  dö. 


394 


G£IlEiK£ 


8940 
liehte  bluomen  roeten 
si  mit  bluote  künden. 

17490 
bluomen  gras  betouwet 
von  bluote  swar  si  träten. 
2O430  f. 

1828 
diu  ors  begunden  roten 
von  bluote  zuo  den  siten. 

8942 
wan  si  vil  scharpfer  wunden 
sluogen  bi  den  ziten 
den  orsen  in  die  siten. 

1036 
für  sich  er  druht  des  schiltes  tach. 

1066 
den  schilt  er  zuo  der  brüste 
gar  ritterliche  druhte. 
8897. 

888 
ii-  sper  si  künden  senken. 
1038  f.  8872.  17304  f. 

Jetzt  prallen  die  kämpfer 
splittern: 

897 
rae  dan  in  tusent  stücken 
sach  man  die  sprizen  flücken 
höh  lif  in  den  lüften. 

1048 
und  stächen  daz  die  schefte 
in  kleine  sprizen  hohe  fingen. 

1089 
si  beid  vertäten 
diu  sper,  dazs  hölic  waten 
in  den  lüften  klein  zerschivert 
und  man  die  trunzen  gar  zerrivert 
sach  ob  den  helmen  fliegen. 

7332 
den  luft  mit  trunzen  zieren 
sach  man  von  dürrer  schefte  krach. 
8876  ff.  17324  f. 


T.  756  f.  Troj.  3986  ff. 
Part.  6174 
daz  grüene  gras  mit  bluote  rot 
wart  geverwet  und  daz  mos. 

14528  f. 


E. 4766 
daz  in  daz  bluot  zen  siten 
üz  begunde  dringen. 
T. 206.  763.   P. 5258.  13668.  14219. 
15868.  Troj.  3895.  12216.  12636. 


Schwanr.  906 
der  herzog  einen  tiuren  schilt 


do  für  sich  künde  drücken. 

T.  200 
die  sper  si  vornen  sancten. 

aufeinander;  ihre  Speere  zer- 

E.  2603 
daz  diu  kleinen  stückelin 
üf  in  der  liebten  sunnen  schin 
begunden  stieben  als  ein  melm. 

Schwanr.  982 
die  schefte  in  kleiniu  stückelin 
unde  in  spsene  sich  zercluben, 
so  daz  ab  in  ze  berge  stuben 
die  schivern  und  die  sprizen. 

P.  13674 
.  .  .     daz  diu  sper 
kluben  sich  ze  sprizen, 
daz  da  von  die  wizen 
schivern  in  die  lüfte  flugen. 
20022.  21348.    Troj.  3933.  12230 
U.  ö. 


STUDIEN   ZU    KEINB'RIED    VON    BRAUNSCHWEIG. 


395 


11308 
si  gäben  unde  leisten 
herter  siege  swsereu  zius. 
8924  ff. 


P.  20020 
si  gäben  herteclichen  zins 
ein  ander  mit  den  scheften. 


Bei  dem  heftifren  anitrall  stürzen  die  ritter  meist  von  den 
rossen;  bisweilen  aber  hält  doch  einer  den  stoss  aus: 


T.  840 

als  ob  da  stüende  e  i  n  s  t  e  i  n  e  s  w  a  n  t, 
alsus  enthielt  er  imder  in. 


1012 
der  Averde  ritter  zier 
saz  alsam  ein  vestiu  Avant. 

11278 
von  dem  satel  er  sich  wegen 
liemiure  denne  ein  Steines  waut. 
17095.   17330. 

Wenn  sie  die  Speere  vertan  haben,  greifen  sie  zu  den 
Schwertern: 

8898  E.  4830  [zücken, 

diu  swert  si  hohe  znhten.  diu  swert  begunden  si  zehant  | 

Des  kämpf  es  getöse  ist  gewaltig: 


902 
reht  als  der  dunre  schuzze, 
so  Avart  ein  schal  und  oucli  ein  krach. 

8910 
als  üb  der  donre  schuzze 
üf  ir  beider  helmes  tach. 

17352 
Avan  ir  sticli  gap  krache 
heller  denn  ein  doureslac. 
7.354  ff.  20370  f. 

1784 
sine  siege  helle 
dur  die  Avolken  duzzen. 
2872  f. 

1800 
man  liät  in  kurzer  lenge 
von  im  ein  groz  geteugel. 


9034 
dem,  der  üf  in  berte 
alsara  er  Avter  ein  aneböz. 


E.  4814 
si  diu  sper  zerstächen 
so  vaste  daz  des  bruches  klac 
lüte  alsara  ein  donerslac 
der  spaltet  daz  geböume. 
Troj.  12242  f. 


T.  818 
daz  in  den  AA'olken  Avider  hal 
der  SAverte  griuAA'elicher  doz. 

E. 4852. 
iif  einen  aneboz 
geschach  nie  grcezer  t  eng  ein. 

2728  ff.  T.  812 
do  hnob  sich  groz  getengel. 
T.  794  ff.  Troj.  4076.  12804. 
P. 14327 
mit  SAverten  und  mit  bcngeln 
hnob  sich  ein  solich  tengelu 
und  slahen  üf  in  also  groz, 


396 


GEREKE 


sam  sich  iif  einen  aneboz 
erhebet  in  der  smitten 
(Parz.  152,  .■>.  537,27.   112,28.  21(t,  4.  j.  Tit.  :{897.  420:0. 

Auf  lielm  und  schild  sausen  die  schwertscliläge  nieder: 


17f)C. 
ftz  helmen  lieht  geliouwen 
wurden  fiiires  blicke. 

178» 
von  den  helmen  schiizzen 
des  wilden  fiures  gneisten. 

11304 
des  wilden  fiures  blicke 
sach  man  uz  helmen  dringen, 
von  siegen  höhe  springen 
flammeliche  gneisten. 

20482 
von  wildem  fiure  manic  brunst 
üz  helmen  hert  von  swerten  stoup. 
9016  f.  20402  f. 

20508 
man  moht  an  dem  fiure, 
daz  si  üz  helmen  sluogen 
mit  swerten  diu  si  truogen, 
schoube  hän  anbrennet. 

17354 
vinster  wart  der  liehte  tac 
in  beiden  under  helme, 
wan  si  von  dem  raelme 
ein  ander  lützel  sahen. 

17368 
ob  ir  helmen  huob  sich  tampf 
alsam  ein  starker  dicker  nebel. 
daz  wilde  fiur,  als  ez  von  swebel 
wser  enpfangen  und  enbrant, 
wart  üf  helmen  dicke  erkant. 

(zu  melm  vgl.  am  Schlüsse  unter 
Wortschatz). 

1752 
golt  und  gestein  unwerde 
ftz  Schiiten  wart  gekloezet. 

1808 
ei  waz  sin  swert  verrerte 
sideu  golt  und  steine! 


E.  4T7(; 
ftz  herten  steinen  wart  geslagen 
daz  wilde  fiur  an  manegen  steten. 

4876 
uz  dem  gevegeten  isen 
des  fiures  blic  höh  üfe  stoup. 

T.  794 
dö  Sprüngen  fiures  flammen 
uz  helmen  also  groze. 
P.  5310.    14460.  21725.   Troj.  3958. 
12584. 


E.  4780 
da  waere  ein  kerze  wol  enzunt 
von  den  ganstern  unde  ein  schoup. 


E.  4782 
ei  wie  nach  in  beiden  stoup 
daz  fiur  und  der  vil  starke  melml 

T.  854 
stoup  und  oucli  gesteine  mel 
um  in  ein  vinsternisse  gap. 
1038. 

P.  21734 
do  wart  von  stoube  ze  der  zit 
ein  trüebez  wölken  unde  ein  nebel. 

15180 
wan  diu  malie  wart  so  groz 
und  des  dicken  stoubes  melm, 
daz  man  enweder  schilt  noch  heim 
erkennen  mohte  drunder. 

E.  4874 
daz  von  den  stahelringen 
geschach  ein  raichel  risen. 

T.  798 
golt  und  gesteine  risen 
begonde  nider  uf  den  plan. 


STUDIEN   ZU    UEINFUIED    VON    BKAUNSCHWEIG. 


397 


Sil  12 
golt  und  edel  stein  man  sach 
.  risen  von  den  starken  siegen. 
17434  ff.  17462  ff. 
17460 
ab  b§den  schilten  spaeue 
wurden  d;i  "eliuuwen. 


P.  15492 
gesteine  purpur  unde  golt 
wart  verreret  und  versniten. 
14f)3ll.  21730.  Trqj.  12740. 
E.  4SS0 
so  viel  (lä  uiiler  balde 
von  den  Schilden  nianic  spän. 
F.  20052.  T.  910.  Troj.  3972.   12748. 


Findet  ein  inassenturnier  statt,  so  bilden  sich  zwei  Par- 
teien, deren  jede  ilireii  füliier  wählt:  K.  1450  ff.  P.  14054  ff. 
T.  256  ff. 

Bevor  das  turuier  beginnt,  wird  eine  messe  gehalten: 


1446 
vil  schiere  wart  gesungen 
in  ein  schoeuiu  messe, 
dar  nach  vil  manic  presse 
sich  rüste  üf  den  turnei. 
(zu  presse  vgl.  am  Schlüsse  unter 
Wortschatz). 


T.  252 
dö  wart  gesungen  schiere  da 
mit  llize  ein  schoeniu  messe 
der  ritterlichen  presse. 

P.  14046 
da  sanc  ein  werder  kapelän 
in  eime  gezelte  messe 
der  kristenlichen  presse. 


Der  kämpf  entwickelt  sich: 

172S 
bi  ellenthafter  krefte 
sich  schar  und  schar  verwurren. 
man  hört  die  siege  snurren 
und  in  den  lüften  dösen. 

20150 
er  kerte  hin  da  sich  diu  w5p 
vast  ze  strite  wurren. 
sin  siege  hört  man  snurren 
mit  ritterlichem  gufte 
höh  üf  in  dem  lutte. 


1724 
man  sach  die  rotten  flehten 
sich  vaste  in  ein  ander. 


E.  2704 
die  Eiuzen  und  die  Schotten 
zein  ander  sich  do  wurren. 

T.  740 
die  schar  nach  hoher  wirde  lobe 
ze  samene  sich  da  wurren. 
man  horte  banier  snurren  (vgl. 760). 

Troj.  12233 
banier  sach  man  da  snurren 
des  sich  die  rotten  wurren. 

P. 15433 
kämen  alle  zuo  geflogen, 
als  man  die  pf'ile  von  dem  bogen 
siht  riuschen  unde  snurren. 
si  flähten  unde  wurren 
zein  ander  sich  mit  hoher  kraft. 

Troj.  12322 
die  schar  sich  underdrungen 
und  flähten  in  ein  amler  sich. 
T.  10061". 


398 


GRllEKE 


Dem  tapferen  ritt  er  gelingt  es  sicli  balin  zu  brechen  durch 
die  kämpfenden  scharen: 


180(1 
ez  wart  ein  witiii  sträze 
in  enge  swar  er  kerte. 

1864 
er  künde  uz  engem  fürte 
oncli  hon  wen  wite  gazzen. 

11297 
in  engen  hiifen  machen 
sach  man  in  gröze  wite. 


1878 
da  sach  man  spalten 
die  rotten  siinder  biteii. 

1S02 
alsam  die  hanfstengel 
sach  man  die  rotten  spalten. 


E.  2738 
Engelhart  reit  under  in 
slahende  nnde  stechende 
und  eine  sträze  brechende 
durch  die  ritterlichen  schar. 

Troj.  1259S 
da  wart  von  im  ein  straze 
geh ou wen  dur  die  ritterscliaft. 

T.  77(i 
mit  orse  und  ouch  mit  handen 
mäht  er  im  selben  witen  rüra. 
erspielt  die  schar  alsam  den  schfim. 

890 
die  schar  zecloup  er  und  zespielt. 


Mit  grossem  eifer  wird  auf  beiden  seilen  gefochten: 


T.  820 
dö  wart  vil  raanic  stegereif 
erlseret  unde  satelboge. 


175Ü 
man  sach  da  mangen  vellen 
von  orse  uf  die  erde. 

1754 
vil  setel  mau  enbloezet 
moht  uf  dem  plane  schouwen. 

7;i3(5 
vil  setel  wart  gel;«ret 
von  der  jtonder  juste. 

1804  f.  11 354  f.  12378  f.  etc. 

So  ist  es  auch  das  ende  eines  Zweikampfes,  dass  einer  der 
beiden  ritter  zu  boden  stürzt: 

P.  15918 
des  nam  er  einen  swinden  val 
ab  dem  orse  küene. 


1054 
der  frouAven  ritter  der  lac  da 
von  dem  orse  wol  hin  dan 
und  was  gevallen  uf  den  plan 


11348 
so  sach  man  jenen  hinder  sich 
über  den  satel  bürzen. 

20361 
und  valte  vil  unwerde 
mangen  ze  der  erde. 


1 3885 

.  .  .  valte  in  uf  den  anger  dö. 

13898  f. 

T.  216 

. . .  daz  er  zehant  geuicket 

wart  uz  dem  satele  hinder  sich 

und  in  der  ungefüege  stich 

mit  kraft  und  mit  gewalte 

zuo  der  plänie  valte. 


STUDIEN   ZU    REINFRIED   VON    BRAUNSCHWEIG. 


390 


Wie  der  diclitei-  uns  öfter  nach  gewolinlieit  aller  höfischen 
dichter  versichert,  es  habe  auf  erden  nichts  dem  erzählten 
ähnliches  g-eg-eben,  so  erinnert  er  uns  g-anz  besonders  hier, 
dass  man  nie  einen  besseren  und  grimmigeren  streit  gesehen 
habe  als  den  eben  geschilderten: 


S920 
daz  e  noch  sit  den  ziten 
so  hertez  keinpfen  nie  geschach. 

ich  wsene  daz  mit  swerten 
ie  geschaehe  so  guot  kämpf. 

1749-1.  20092.  20468.  20535.  25536.  25582 


P.  20062 
daz  man  nie  zwene  ritter 
gesach  ze  keinen  ziten 
so  «rimmeclichen  striteu. 


c)  Sonstige  anklänge. 
Ueber  die   entlehnung-  von   bildern   und  vergleichen   aus 
Konrad  vgl.  unten  abschn.  III,  A,  I,  i. 

Partonopier. 

Von  anklängen  vereinzelter  stellen  im  R.  und  im  P.  nenne 
ich  folg-ende: 


R. 6496 
wie  sol  ez  armen  mir  ergän, 
Sit  daz  der  schänden  riche 
also  lugeliche 
msere  üf  mich  stempfet? 
wird  ich  überkempfet,  .  .  . 


l:n73 
sns  lihte  klage  sunder  nit 
und  hete  treip  si  alle  zit 
tac  und  naht  iin  uuderläz     |sträz. 
ze   bett    ze    tisch    ze    weg    ze 
si   gie,    si   stuont,    si  lac,    si 

saz, 
daz  si  der  bete  nie  vergaz 
eine  kleine  stunde. 


P.  4036 
wan  derselbe  tac  dar  zuo 
von  alter  ist  gerihtet, 
daz  man  gerne  vihtet 
an  im  unde  kempfet. 
mit  lügen  ist  gestempfet 
niht  diz  wäre  msere.  *) 

5576 
si  künden  wol  gebären 
als  uz  erweite  kempfen. 
die  rede  wil  ich  stempfen 
nilit  mit  lügenmseren. 

2900 
vor  ilisen  dingen  allen 
«febiutp  ich  unde  rate  dir. 
daz  du  sist  getriuwe  mir 
und  du  min  niht  vergezzest. 
du  trinkest  oder  ezzest, 
du  seit  an  mich  gedenken 
und  niht  von  mir  enwenken. 


')  Schon  bemerkt  von  Bartsch,  aum.  zu  K.  649b. 


400 


GEREKE 


i32i(; 

er  enwachete  noch  slief 

wan  daz  er  lac  in  twalnies  art. 


604 
Uli  wachet  uude  slief  er 
sam  der  in  einem  twalnie  lit. 


Zwei  sceiien  liaben  im  R.  und  im  P.  eine  überraschende 
älniliclikeit  in  der  ausfülirung'.  Der  junge  persisclie  fürst  hat 
einen  Zweikampf  ausgeboten,  den  Reinfiied  annimmt;  nun  lässt 
sich  der  Persän  durch  keine  bitten  seines  gross vaters  von 
diesem  kämpfe  abbringen.  Ebenso  dringt  Partono])ier  darauf, 
unter  allen  umständen  mit  dem  sarrazenischen  fürsten  Sorna- 
giur,  der  zum  Zweikampf  hei-ausgef ordert  hat,  zu  fecliten  und 
ist  durch  nichts  zum  verzieht  zu  bewegen: 


R. 17025 
sus  der  fürst  genendic 
wült  des  kampfes  wendic 
unib  keine  sache  werden. 
' i c li  1  i e z  mich  in  die  erden', 
sprach  er,  'e  1  e  b  e  n  d  i  c  b  e  g-  r  a  b  e  n" 

17010 
man  hiez  an  allen  orten 
wit  durch  die  rotten  schrien, 
swel  künige  fürsten  frien 
dur  minne  und  werde  frouwen 
ein  kempfen  wolten  schouwen, 
daz  die  alle  ktemen. 

17004 
der  kämpf  also  bestsetet  do 
wart  ze  beiden  siten, 
daz  er  einic  s triten 
solte  und  niemen  mere 
helfe  da  zuo  kere 
mit  werken  noch  mit  worten. 


P.  4910 
'ich  w  0 1 1  e  u  a  m  e  1  i  c  h  e  n  e 
ze  den  toten  sin  gezelt, 
dan  ieuien  anders  würde  erweit, 
der  vehten  solte  disen  wie' 

5061 
also  gebot  er  euch  hie  sä 
den  liuten  sin  gemeine  dil, 
daz  si  des  morgens  alle  sich 
mit  wäpenkleiden  wunniclich 
vil  schone  zieren  solten,  . . . 
Partouopier  der  kaerae  dar 
und  wolte  mit  im  striten. 

5094 
do  wart  ein  Sicherheit  genomen 
unde  ein  fride  also  gesworn, 
SO  die  kempfen  ftz  erkorn 
mit  einander  va^hteu 
und  sich  mit  strite  braehten 
ze  grimmer  uoete  bitter, 
daz  b  e  i  d  e  n  t  h  a  1  p  die  r  i  1 1  e  r 
s  ti  1 1  e  e n t  h  i  e  1 1  e  n  u  f  d e  r  w  i s  e  n 
unde  ir  keiner  hülfe  disen. 

Es  folgt  eine  genaue  beschreibung  der  rüstungen,  worin 
sich  manche  Übereinstimmung  zeigt.  Die  kampfesschilderung 
im  R.  ist  natürlich  ganz  analog  den  sonstigen  im  anschluss 
an  Konrad  ausgestaltet;  doch  verdienen  folgende  stellen  beson- 
ders hervorgehoben  zu  werden: 


17254 
vil  jämerlicher  blicke 
si  ftf  ze  ffote  täten. 


5242 
der  künec  von  Kärliugen 
mante  got  vil  tiure, 


STUDIEN   ZU    REINl'RIEI)    VON   BRAUNSCHWEIG. 


401 


si  fleliten  nude  baten  daz  er  g-ernochte  stiure 

dem  werden  helt  oeliinre  mit  helfericlien  heiiden 

siner  helfe  stinre  Partonopiere  senden. 
mit  manges  trehenes  regne. 

(Ileich  beim  ersten  aiilauf  zersplittern  Reinfrieds  und  Par- 
tonopiers Speere : 


17388 
dfi  von  si  beide  wnrben 
unib  höhin  jitunt  für  .sterben. 

17504 
daz  swert  ze  beiden  hendeu  nan 
der  helt  nnverzagte. 

17370 
daz  wilde  fiur  als  ez  von  swebel 
wser  empfangen  tind  enbrant. 

17440 
wan  sin  wer  diu  niuost  im  nern 
daz  leljeii  für  ein  sterben. 


5708 
si  vahten  angestliche 
mit  ein  ander  umb  daz  leben. 

5750 
sin  akkes  er  mit  zorne 
ze  beiden  hendeu  schiere  bot. 

57S2 
üf  in  so  bran  er  als  ein  swebel. 

5842 
daz  leben  und  den  lip  genern 
wolte  der  getriuwe. 


Weiterhin  stelle  ich  folgende  scenen  zusammen: 
Der  dänische  graf  wird  mit         Partonopier  hat  Meliurs  g-e- 
seiner   Werbung-   von    Yrkane     bot   übertreten;    deshalb   ent- 
abgewiesen;   sie    fordert    ihn     zieht  sie  ihm  ihre  gunst  und 
auf:  fordert  ihn  auf: 


5-2H7 
strich  von  minen  ougen. 
wizzest  sunder  lougen, 
ob  min  lij)  dich  iemer  siht 
für  dis  stunt,  daz  dir  beschiht 
daz  dir  iemer  füeget  leit. 


8592 
stricli  bald  üz  minen  ougen, 
daz    ich    dich    n i e ra e r    m e   ge- 
sehe, 
e    daz    dir    wirs    von   mir   ge- 
schehe. 


Der  dänische  g-raf  und  Partonopier  sind  sehr  betrübt  über 
die  ihnen  zu  teil  «gewordene  Ungnade: 

'J176    ; 
vil  manec  heizer  traheu  viel 
uz  siuen  ougen  IGter.') 

Alle  bitten  Irekels  vermögen 
nicht,  Meliurs  vorwürfe  zu  ent- 
kräften : 

908(5 
den  zepter  und  die  kröne  geben 
wolt  ich  e  üz  der  hende  min, 


5280 
man  sach  sin  ougen  reren 
heizer  trehen  tropfen. 

Alle  bitten  des  grafen  helfen 
nichts;  Yrkane  ist  nicht  zu 
erweichen : 

4788 
ich  1  iez  e  schetzen, 
sprach  ai,  mich  von  dem  übe, 


1)  Vgl.  9183  f. 

Beiträge  zur  geachiclite  der  ileutBclien  spräche.    XXII 1. 


26 


402 


GEREKE 


e  daz  min  lip  ze  wibe 
i u c h  würde  a  1  d  z e  a ini e n . 
ich  lieze  mich  e  t'rien 
libes  unde  guotes. 


4770 
und  hänt  an  mir  zerbrochen 
ritterliche  wirde. 

4798 
zwar  ez  würd  gerochen 
an  iucli. 

Trojan 

Von  Reinfried  und  Yrkane 
heisst  es: 

8704 
diu  nätüre  twinget  dich 
daz  diu  sin  muoz  minuen  dar 
da  si  iender  wirt  gewar 
daz  ir  gelich  näture  lit. 

8786 
si  sint  worden  dort  gewar 
gelich  der  ir  näture. 

8798 
so  minnet  sin  geliehen 
ein  ieclich  creätiure. 
diz  kunt  von  der  n  ä  t  i  u  r  e , 
von    irre    mäht    und    ouch    ir 
kraft. 


e  daz  im  solte  werden  schin 
min  lüterlichiu  friuntschaft. 

9094 
ich  hin  des  worden  über  ein 
daz  ich  benamen  stürbe, 
e  daz  er  mich  erwürbe 
zeiner  ganzen  friundin. 

9090 
Sit  daz  er  siner  triuwen  kraft 
hat  wider  mich  zeb rochen,') 
so  muoz  an  im  gerochen 
werden  sin  vil  hoher  mein. 

erkrieg. 

Von  Jason  und  Medea  sagt 
Konrad: 

7798 
swa  rehtiu  liebe  fundeu 
von  der  natüre  künste  wirt, 
weizgot,  da  bringet  unde  birt 
diu  miune  snellen  urspriuc. 

7805 
natüre  ist  also  liste  rieh; 
wä  si  m  a  c  v  i  n  d  e  n  i  r  gelich  ... 

7813 
da  Jason  und  Medeä 
von  der  natüre  krefte  .sä 
begunden  merken  under  in 
daz  gelich  ir  beider  sin 
an  rehter  liebe  künde  wegen. 


2.    Rudolf  von  Ems. 
Dass  der  dicliter  des  R.  Rudolf  von  Ems  kennt,  beweisen 
die  verse  15300  ff.: 

Als  man  von  Amelien 
der  schoenen  seit  uz  Engcllant. 
swie  bitterlichez  leit  si  bant, 
daz  leit  so  zühteclich  si  treip 
daz  ir  ir  leben  doch  beleip. 

Amelie  von  England  ist  bekanntlich  die  lieldin  in  Rudolfs 
Wilhelm  von  Orlens. 


')  Vgl.  8961  ff. 


STUDIEN   ZU   REINFRIEl)    VON    BRAUNSCHWEIG. 


403 


Da  uns  von  diesem  roniane  Rudolfs  wie  von  seinem  Alex- 
ander leider  nur  sehr  wenig-  gedruckt  vorliegt,  war  mir  natür- 
lich eine  genauere  Untersuchung*  über  das  Verhältnis  des  R.  zu 
jenen  werken  nicht  niiiglich.  (Gerade  der  erstgenannte  roman, 
der  von  allen  diclituiigen  Rudolfs  st()ffli(;h  ja  die  meisten  be- 
liihrungeii  mit  R.  haben  dürfte,  würde  vielleicht  manche  paral- 
lelen bieten,  wie  ich  aus  der  vero:leichung-  einer  ((T!erm.21.197ff.) 
von  Palm  veröffentlichten  partie  schliesse. 

Reinfried  bittet  nämlich,  als  er  aus  dem  kämpfe  mit  dem 
dänischen  g-rafen  siegreich  hervorg-egangen  ist,  den  könig-  Fon- 
tanagiis  um  seine  tochter,  da  er  diese  nicht  ohne  die  ein- 
willigung  des  vaters,  wie  er  gekonnt  hätte,  mit  sich  führen 
will.  Fontanagiis  berät  sich  mit  seinem  gefolge,  ob  er  dem 
lierzog  von  Biaunschweig  Yrkane  geben  solle.  Eine  ganz 
ähnliche  scene  enthält  das  genannte  stück  aus  Rudolfs  v.  E. 
Wilhelm. 


H.  1014S 
so  sol  man  im  äne  wanc 
die  reinen  willeclichen  geben, 
sin  gelt  sin  guot  .sin  lip  sin  leben 
sin  liut  sin  mag  sin  art  sin  lant 
sint  so  breit  so  wit  erkant 
(laz  er  der  reinen  wirdic  ist. 

10141 
dö  dirre  rät  alsus  ergie. 

lulüt; 
als  er  diz  sprach,  dö  vander 
die  volge  von  in  allen, 
in  muose  wol  gevallen 
daz  dinc. 

Vgl.  auch: 

978Ü 
ncment  mines  rät  es  war, 

ob  min  mnnt  incli  rate  reht, 
da  sehent  endeliclien  zno  .  . . 

.     .     .     wizz  iemen  baz, 
swenn  ich  gerät,  der  rät  onch  daz. 

97(11 
er  was  der  fürsten  luehster  rät, 
wan  er  also  gewfirljen  hat, 
daz  man  im  höher  ereu  sprach. 


W.  I.  45 
sit  daz  der  knnig  witikin 
ere  hat  lip  nnde  gut, 
wirdikeit  und  hohen  mut 
und  in  so  rehter  wirde  lebet 
daz  ir  im  uwer  dohter  gebet. 

71 
do  der  rat  also  geschach. 

81 
do  die  den  rat  vernamen  do, 
er  geviel  in  allen  wol, 
als  man  den  wisen  volgen  sol. 


an  den  rat  wart  do  genomen 
her  Wilhelm  der  furste  do 
der  riet  sns,  den  andern  so, 
iegelichen  als  er  künde, 
do  suhte  an  der  selben  stunde 
der  kunig  wilhelmes  rat, 
der  riet  im  ane  missetat 
den  besten  rat  der  do  geschach. 


2ü* 


404 


GEKEKE 


9824 
IUI  rät  ich,  ob  ich  raten  kau, 
ob  ir  mins  rätes  ruochent. 

10739 
und  oiuh  diu  wandeis  eine 
diu  minnecliche  reine 
diu  süeze  wol  getane 
diu  sselden  rieh  Yrkane.') 


10798 
ein  lip  zwo  sele  wirt  den  zwein 
und  ein  einlich  liden.-) 

11706 
bi  leide  solt  du  tragen  leit, 
bi  liebe  liep,  bi  guote  guot, 
bi  hohgemuoten  hohgemuot. 

10901 
da  von  ein  glicher  will e  schein, 
ein    einlich    herze    an    disen 
zwein. 

Vgl.  den  rat  den  Keinfried 

1-1320 
er  sprach  'frowe,  du  solt  leben 
gen  höhen  höh,  die  armen 
solt  du  dich  län  erbarmen 
und  in  ir  jämer  troesten. 
den  besten  und  den  boesten 
gip  senftecliclien  dinen  gruoz. 
den  armen  solt  du  sorge  buoz 
mit  diner  gäbe  maclien. 
du  bis  an  allen  sachen 
diemüetic  vest  und  da  bi  reht. 


222 

die  süezen  Amelyen 

die  edelen  wandeis  vrien. 

n.  1 
die  edele  kuueginne 
die  süeze  Amelynne, 
die  kiusche  wandeis  vrie 
die  reine  uude  gute. 

9 
zu  allen  ziten  nuwen 
trugen  si  beide  under  in 
einen  mut  und  einen  sin, 
einen  mut  under  in  zwein, 
da  zweier  seien  naraen  schein, 
der  werde  man  sin  liebez  wip 
mit  zwein  seien  ein  lip 
trugen  under  in  beiden, 
eines  libes  ungescheiden 
waren  sie  in  dem  mute, 
da  was  gut  bi  gute; 
zuht  bi  hohgemüete 
was  ie  mit  werder  güete 
gelich  an  den  gelieben  zwein. 
ir     mut     in      einem      willen 
schein. 


Yrkane  beim  abschied  gibt: 


30 
er  was  mit  mit  seliglicher  kraft 
an  allen  seiden  sigehaft 
mit  zuhten  wise  unde  gut, 
werhaft  kusche  hochgemut 
getruwe  miltebere, 
ein  rehter  rihtere, 
den  armen  demut  unde  gut. 
er  neigte  sinen  hohen  mut 
nid  er  zu  den  guten, 
obe  den  hochgemuten 


')  So  wird  Yrkane  öfters  bezeichnet;  bei  Konrad  habe  ich  derartiges 
nicht  gefunden. 

■■')  Vgl.  V.  12009. 


STUDIEN   ZU   REINFRIKD    VON    BRAÜNSCHWEIG. 


405 


daz  krumme  solt  dn  machen  sieht, 
swä  dir  diu  mäze  fuoge  git. 

14341 
inide  imtugeiitliche  art, 
fliuhe  swache  hohvart, 
bis  geil  nide  und  gen  liaz 
mit  sinnen  und  mit  eien  laz: 
daz  kau  dir  sorge  sto-ren. 
von  swem  du  nmgest  hcereii 
hinderrede  mit  klaft'e, 
iiz  dinem  hove  schaffe 
in  flüchteclichen  stricheu. 

14364 
swä  dir  werde  untriuwe  kunt, 
da  von  solt  du  dich  ziehen. 

14368 
dar  da  man  triwen  wirt  ge  war, 
däsoltdudichhinueigen. 

Eine  andere  stelle  ans  Endolfs  Wilhelm  hat  Massmann 
in  V.  d.  Hasrens  Germ.  10, 110  ff.  veröffentlicht: 


trug  er  den  mut  vil  hohe  em- 
sin  lob  lief  in  allen  vor,  [p^  r- 

swen  er  zu  einem  male  sach. 
dem  man  dekeiner  wirde  jach 
der  was  im  iemer  mer  unkant. 
an  wem  er  zuht  und  ere  vant, 
den  minnete  ir  von  hertzen  ie. 
untruwen  minnete  er  nie 
und  trug  in  zu  allen  ziten  haz. 
dienstes  er  nie  vergaz 
an  dekeiner  slahte  man. 


K. 19193 
unreht  ze  rehte  schicken 
und  reht  in  unreht  stricken, 
unreht  mit  rehte  meren. 


s.  115,  19 
swie  du  rehte  rihtes 
unreht  zuo  rehte  slihtes; 


noch  eine  andere  Zupitza,  Zs.  fda.  18, 89  ff.: 

R.  900  188 

ein  ritterlichez  güften.  durch  ritterlichen  guft. 

Der  anfang  von  Kudolfs  \\'eltchronik  (Yilmar,  Die  zwei 
recensionen  etc.  s.  60ff.),  der  grosse  ähnlichkeit  mit  der  ein- 
leitung  des  Barlaam  und  mit  G.  Gerh.  326^411  hat,  findet  seine 
genaue  entsprechung  im  Eeinfr.  in  der  rede  des  Fontanagris 
(v.  10589  ff.): 


R.  10589 
got^der  alliu  dinc  vermac, 
der  vinster  naht  und  liebten 

tac 
mit  siner  kraft  gemachet  hat 
und  nach  des  geböte  stät 
daz  firmanient.  der  speren  kreiz, 
der  Sternen  louf.  und  der  ouch  weiz') 


Weltchr.  (Vilmar)  19 
mit  der  (wisheit)  din  gotelichiu  raaht 
vinster  lieht  tac  unde  naht 
gescheiden  hat. 

47 
wan  aller  geschepfede  geschaft 
ervüllet  hat  din  eines  kraft. 


')  Vgl.  R.  129'(4— 12981. 


406 


GEBiEKEi 


10595 
aller  herzen  meine, 
nieraen  wan  er  eine, 
der  alliu  dinc  von  nihte 
g e s c h u 0 f  und  o u c h  b e r ih t e 
den  Inft  wazzer  erde  fiur, 

10600 
von  dem  alle  creätinr 
getempert  und  gemaehet  sint, 
nach  des  geböte  sich  der  wint 
mnoz  biegen  und  da  zuo  der  luft, 
der  himels  trön  und  erden  kruft 
(=  10972). 

10605 
in  siner  hant  b  e  s  I  i  u  z  e  t , 


von  des  genäde  fliuzet 

aller  creätiure  leben: 

in  wazzer  fiur,  in  lüfte  swe- 

mac  niht  an  sinen  hohen  rät ;     [ben 

10610 
swaz    fliuget   fliuzet   loufet 

stät,  (=10970) 
loup    gras    tier    vogel    wilde 

und  zame, 
wint  regen  donre  kau  sin  name 
binden  und  entstricken, 
des  wilden  donres  blicken 

10615 
und  aller  ougen  schouwe. 
von  rifen  tuft,  von  touwe, 
von  regen  sne  und  ise 
hat  er  mit  hohem  prise 
geeret  sich,  der  weite  hie 

10620 
ze  nutz  den  er  dem  menschen  lie. 
swaz  der  tac  beliuhtet, 
swaz  menge  tou  erfiuhtet, 
von  aller  slahte  würzen  fruht, 
daz  liez  sin  gotelichiu  zuht 

1 0625 
allez  hie  üf  erden 
ze  dienst  dem  menschen  wer- 
den. 


25 
als  ez  diu  witze  berndiu  kraft 
alrest  von  nihte  tihte, 
geschuof  und  gar  berihte. 

56 
also  getempert  häts  din  list 
mit  der  vier  elementen  kraft, 
diu  natiircnt  alle  ge schaff. 

32 
aller  h  i  m  e  1  t  u  g  e  n  t ,   aller  h  i  - 
mel  schar 


nigent  diner  herschaft, 

din 

die  tiefe  der  abgründe 
hat  in  kuntliclier  künde 
1)  e  s  1 0  z  z  e  n  und  gemezzen. 

40 
din  kraft  hat  besezzen 
elliu  leben,  dar  nach  si  lebent, 
i }i  lüften  und  in  w a z z e r n  s w e - 

beut, 
ü  f  e  r  d  e  n  1  e  b  e  n  t  v  1  i  e  g  e  n  t  g  ü  n  t, 
w  u  r  z  e  n  t     w  a  h  s  e  n  t     v  1  i  e  z  e  n  t 

s  t  ä  n  t : 
diu  nigent  dime  geböte. 

231 
tiere  gevügel  Avilt  und  zam 
niaht  in  got  gehorsam. 


239 
ze  uutzelicher  lipnar. 

242 
ze  niezen  aller  siner  geschaft. 

235 
und  swaz  üf  erden  krütes  wirt 
und  an  im  bernden  sämen  birt 
und  elliu  holz,  diu  mit  genuht 
in  ir  gesiebte  bringent  vruht. 

229 
den  (menschen)  mähte  got  mit 

siner  kraft, 
undertän  alle  geschaft. 


STUDIEN   ZU   KEIN  FRIED    VON    BRAUNSCHWEIG. 


407 


Vgl.  Bari.  2,  3  ff. 

erde  viur  wazzer  liift 

(R.  10599  ff.) 
kelte  rege»  hitze  tnft 

(R.  lOtilG) 
getempert  (K.  10601)  hat  dm  eines 

kraft.  — 
din  eines  vürdjehtlich  gewalt 
hat  genennet  unde  gezalt 
d e r  s  t e  r u  e n  ni  e n e g e  uudo  genant 
ir  aller  naraen  unde  erkant 
ir  unibelouf.  ir  umbevart. 

(R.  10594) 
ouch  muoz  in  siuem  loufe  gän 


daz  f  i  r  ni  a  ni  e  n  t  nnz  an  daz  zil 

(R.  10593).  — 
von  nihte  hat  getihtet  (R.  10597) 
din  wiser  gotlicher  list 
swaz  sihtic  unde  unsihtic  ist. 
den  d  u  n  r  e  und  diu  hlicschöz 

(R.  10t>14) 
von  viurinem  lüfte  lät 
din  kraft,  diu  sie  getempert  hat. 
du    sihst   durch   aller   herzen 

tor    (R.  10594  f.) 
in  menschlicher  sinne  grünt 
dir  sint  elliu  herzen  kunt. 


Das  Vorbild  für  diese  stellen  ist  jedenfalls  Wolfr.  Wh.  2, 2  ff. 
215, 11  ff.  25a  6  ff. 

Das  paradies  mit  seinen  vier  Aussen  beschreibt  der  dichter 
des  E.  gleichfalls  im  anschluss  an  Rudolfs  \V.,  die  in  diesem 
punkte  nach  Doberentz  (Zs.  fdph.  13,207  ff.)  auf  Honorius  Augu- 
stodunensis  und  Isidor  zurückgeht.  Wir  werden  später  sehen, 
wie  auch  unser  dichter  sich  direct  an  diese  als  quellen 
anlehnt. 


R.  2191S 
er  hat  alliu  laut  durvarn, 
da  dur  diu  wazzer  fliezen 
diu  au  mitten  schiezen 
mit  gütlichem  prise 
üz  dem  paradise. 
21830 
wie  er  geboren  waere 
tiz  dem  laut  ze  Ejulät. 
dur  daz  selbe  lant  ouch  gät 
üz  dem  paradise 
mit  f  r  ü  li  t  e  c  1  i  c  li  e  m  prise 
Phisön  des  werden  wazzers  duz. 
b  i  rl  e  11  i  u  m  den  stein  sin  f  1  u  z 
und  ouch  onichium  da  treit. 
daz  beste  golt,  als  man  uns  seit, 
daz  uf  erd  ie  funden  wart, 
treit  ouch  hie  des  fluzzes  art. 

21924 
Gyou  Ethiop  Mörenlant, 
Tigris  Assiriam  dur  gät. 


Weltchr.  (Vilmar  s.  61)  283 
ein  wazzer  michel  unde  gröz 
von  der  selben  mitte  vloz, 
daz  dem  paradise  gar 
viuhte  und  süeze  fruht  gebar, 
daz  teilte  in  vier  teile  sich. 

290 
der  teil  eiuer  ist  genaut 
Physon  daz  wazzer,  daz  noch  gät 
durch  elliu  lant  in  Eiulät, 
des  V 1  u  z  daz  beste  golt  b  i  r  t , 
daz  iendert  uf  der  erde  wirt, 
und  daz  edel  berdellum, 
daz  guot  ist,  edel  unde  vrum, 
daz  diu  schritt  uns  nennet  sus. 
der  edel  stein  onichilus 
da  wahset  ouch,  in  birt  daz  laut, 
daz  ander  wazzer  ist  genant 
Geon,  des  vluz  tuot  sich  bekant 
über  Etiopiara  daz  lant. 
daz  dritte  heizet  Tigris, 
voa  dem  tuot  uns  diu  schrift  gewis, 


408 


GEREKE 


swaz  Eufrates  daz  wazzer  hat  daz  ez  siu  vliezeii  Avande 

durgaugen  laut,  diu  wären  kimt  gein  Assiriä  dem  lande 

im  eigeulichen  nf  den  grünt.  daz  vierde  heizet  Eiifrates.') 

Der  geograi)liiscli-etliiiogTai)lii.sclie  abschnitt  der  Welt- 
chronik  Rudolfs  bietet  noch  weitere  parallelen. 

Rudolf  Aveiss  von  den  greifen,  die  das  gold  auf  dem  Kau- 
kasus bewachen: 


mit  wüiinedichem  schiiie  hänt. 
grifen  noch  tracken  nieman  länt 
daz  selbe  golt  gewinnen  da, 


Doberentz  a.a.O.,  v.  161 
dil  ligent  berge  guldin 
die  nach  golde  liebten  .schin 

verglichen  mit  R.  18224  ff.;  dazu  vgl.  Bartsch,  Herzog  Ernst 
s.  xLiv.  Seine  wundermenschen  hat  der  Reinfrieddichter  meist 
aus  dem  Herzog  Ernst,  zum  teil  jedoch  aus  Rudolf: 


R.  21935 
und  seit  den  herreu  mtere 
wie  in  eim  lande  wgere 
ein  site  ungemseze, 
Avie  ie  der  mensche  jeze 
sin    rauoter    und     ouch    sinen 
vater. 


Doberentz  244 
da  bi  haut  disiu  selben  laut 
ein  Hut  daz  solhe  site  hat, 
daz  ir  deheiuer  daz  niht  lät, 
guoter  nocli  unguoter. 
si  slahen  vater  und  muoter, 
so  si  beginneut  alteu, 
ir  krefte  widerwalten, 
und  gesteut  sich  ze  Wirtschaft 


Vgl.  Honorius,  Imago  mundi  1, 11. 


mite. 


19348 
er  fuort  ein  kreftecliche  schar 
mit  im  an  der  stunde, 
houbter  sam  die  hunde 
hat  al  sin  massenie. 

20444 
daz  volc  daz  sam  die  hunde 
grinen  unde  bullen. 

Vgl.  Honorius  a.  a.  o.  1, 12. 

19312 
ein  volc  daz  kan  gäben 
mit  loufe  sueller  denn  eiu  tier, 
bräht  mit  im  der  fürste  zier 
mit  helfelicher  meine, 
niht  wau  üf  eime  beine 
daz  volc  loufet  unde  stät. 


280 


da  bi  siut  ander  Hute,  die 

ze  houpteu  huudes  houbet  baut. 

niht  anders  si  gekleidet  gänt 

wau  mit  wilder  tiere  hinten. 

disen  selben  Hüten 

ist  menschen  rede  niht  verlän, 

man  hört  si  hundes  stimme  hau. 


316 
.  .  .    Cenopodes: 
daz  ist  ein  wildez  Hut;  daz  hat 
einen  fuoz,  dar  lif  ez  gät. 

331 
dise  selben  liute  siut 
snel  und  drsete  alsam  der  wint. 


0  Vgl.  Zs.fdph.  13,  naft'. 


STUDIEN   ZU   EEINFRIED   VON    BKAUNSCHWEIG.  409 

Honoriiis  (1, 12),  dem  Rudolf  hier  folgt,  wirft  mit  diesem 
A'olk  die  'platfüeze'  zusammen;  der  Reiufrieddic-liter  kombi- 
niert die  einfüssigen  mit  den  einäugigen,  die  er  au.s  dem  Hei'zog 
Ernst  entnimmt: 

19322  :\M\ 

ein  w\iii(U'ilicher  schar,  die  da  lantliute  .siiit  genant, 

die  wären  äue  houbet.  die  sint  äne  houbet 

an  den  ahseln  offenbar  und  hoiibetes  beroubet, 

siht  man  sunder  lougen  und  in  stänt  änelougen 

stän  des  volkes  ougen.  an  der  ahseln  vor  diu  ongeu; 

vorn  an  der  brüste  stät  ir  niunt.  für  nase  und  niuut  haut  sie  zwei 

vor  an  der  brüst.  [loch 

Vgl.  Honorius  1, 12. 

Der  Reinfrieddicliter  berichtet  ferner  noch  von  einem 
Volke,  das  nicht  isst  noch  trinkt: 

21948 
daz  laut  dem  paradise  lac  die  liute  von  des  smackes  trehen 

so  nähe,  als  er  horte  jehen,  so  danueii  kam  sns  lebten  u.s.iv. 

Die  genaue  entsprechung  hierfür  zu  finden  ist  mir  nicht 
gelungen.    Ich  lese  bei  Rudolf  nur  von  einem  volke, 

350  (Doberentz) 
daz  lebt  deheiner  genist  sin  spise  und  al  sin  fuore  gar 

ze  spise  noch  ze  lipnar;  an  eines  apfels  smacke  lit. 

Vgl.  Hon.  1, 12  solo  odore  cumsdam  pomi  vivunt  Hierauf 
kann  unsere  stelle  also  wol  kaum  zurückgehen.  AVir  hören 
(hiiiii  von  denselben  leuten  ausser  manchem  anderen  noch,  dass 
sie  beständig  in  freuden  leben 

21959  sunder  missewende 

an  aller  slahte  trure,  sleiz  uf  ein  rehtez  ende 

biz  daz  ir  iiäture  und  stürben  denn  äu  allez  we. 

Das  macht  offenbar  die  nähe  des  paradieses.  Vgl.  j.  Tit.  6052: 

der  luft  ist  so  gesüezet,  von  paradis  betouwet, 

daz  er  wol  kumber  büezet.  si  sint  da  von  geheret  und  gefrouwet 

in  den  landen,  die  iler  luft  bedrsehet. 

Auf  Rudolfs  W.  dürfte  teilweise  wol  auch  die  ausführliclie 
erzählung  von  den  Amazonen  im  R.  (v.  19429  —  v.  19610)  be- 
ruhen. Zwar  sind  wesentliche  abweichungen  vorhanden,  nament- 
lich in  der  Vorgeschichte  der  Amazonen,  doch  teilt  Rudolf  diese 
differenzen  zwischen  ilim  uiul  R.  mit  allen  anderen  überliefe- 


410  GEKEKE 

rungen  über  diese  kriegerischen  weiber.  Icli  glaube  daher, 
dass  derartige  Varianten  auf  die  rechnung  des  dichters  selbst 
kommen. 

Während  nämlich  sonst,  wo  überhaupt  von  der  Vorgeschichte 
der  Amazonen  die  rede  ist,  wie  also  bei  Rudolf  (vgl.  J.  Zingerle, 
WSB.r)0,432.  O.Zingerle,  Die  quellen  z.  Alex,  des  Kud.v.E.,  s.ll8) 
erzählt  wird,  dass  den  Amazonen  einst  in  einem  kämpfe  mit 
nachbarviUkern  ihre  männer  erschlagen  seien,  weshalb  sie  sich 
genötigt  gesehen  hätten,  selbst  kriegerkleidung  und  waffen 
anzulegen,  lieisst  es  im  R..  die  Amazonen  hätten  ihre  männer 
eigenhändig  getötet,  weil  diese  auf  anstiften  des  königs 

19495     ir  wip  ze  laster  brähteu. 
si  schauten  nude  siiuihteu 
si  ze  allen  stunden. 

Vielleicht  hat  der  dichter  in  irgend  einer  lateinischen 
quelle  die  geschichte  der  Hypsipyle  und  der  lemnischen  weiber 
gelesen  und  diese  mit  der  Amazonensage  combiniert. 

E.  19529  Weltchron.  (Zingerle)  104 

.  .  .    diu  reinen  wip  maunes  wäpen  legten  si  an 

leiten  harnesch  an  ir  lip  und  lerten  ser  da  mite 

und  lerneten  sit  riten,  striten  nach  nianlichem  site. 
mit  schilt  und  swerte  striten. 

Rudolf  berichtet  weiter,  die  Amazonen  seien  so  tapfer,  dass 
niemand  mit  ihnen  zu  kämi)fen  wage;  in  einem  streite  mit  den 
männern  in  der  nachbarschaft  hätten  sie  diese  alle  erschlagen  : 

126  als  ich  die  schrift  hoere  sagen, 

die  man  verluren  dö  den  strit  und    liezen   ir   einen  niht  ge- 

und  wurden  von  in  dö  erslagen,  nesen. 

Diese  worte  stimmen  merkwürdig  zu  R.  19524  ff.,  wo  es 
von  der  ermordung  der  männer  der  Amazonen  durch  ihre  eigenen 
frauen  heisst: 

ir  keine  diu  lie  schouwen  daz  ein  mau  lebendic  nie  genas 

für  die  naht  lebendic  ir  man.  der  eht  in  den  landen  was. 

diz  wart  dur  alliu  laut  getan, 

Was  der  Reinfrieddichter  sonst  über  die  Amazonen  sagt, 
von  ihrem  geschlechtlichen  verkehr  mit  benachbarten  männern, 
von  der  verschiedenen  behandlung  der  knaben  und  mädchen 
nach  der  geburt,  stimmt  zu  Rudolf  und  stimmt  auch  zu  allen 
übrigen  berichten  (z.  b.  Konrad,  Troj.  42235  ff.). 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON    HRAUNSCHWEIG.  411 

Abweichend,  aber  jedenfalls  auf  eigene  erfindung  des  dich- 
ters  —  vielleicht  infolge  eines  Irrtums  —  zurückzuführen,  ist 
nur  noch  die  angäbe  v.  19536  ff. 

ir  lingge  brüst,  ist  mir  bekaut,  dur  daz  si  mügeu  lideu 

heizent  si  damieu  siiiden,  des  schiltcs  leger  vor  der  haut. 

Sonst  erfahren  wir  nämlich  überall,  dass  die  Amazonen 
die  rechte  brüst  abgeschnitten  hätten,  um  nicht  beim  gebrauche 
des  bogens  behindeit  zu  sein. 

Schliesslich  möchte  ich  noch  die  Vermutung  aussprechen, 
dass  der  dichter  durch  die  verse  183  ff.  (Zingerle)  bei  Rudolf : 

dö  liezen  si  sicli  zehant  und  mit  gebirge,  als  ich  las 

nider  in  ein  witez  laut,  au  Alexanders  buocli 

daz  mit  dem  mer  beslozzeu  was 

ZU  der  angäbe  veranlasst  ist:  19^47  Gog  und  3Iagog  der  jtiden 
lant  stCit  in  der  küneginne  [der  Amazonen]  liant,  die  ja  Alexander 
heslöz  })üt  berge  und  mit  nn'iren  gröz  und  oiich  mit  dem  grienigen 
mer.  —  Es  besteht  jedoch  die  möglichkeit,  wie  ich  aus  den 
zuletzt  genannten  Worten  Rudolfs  schliesse  (Konrad  beruft  sich 
V.  42239  f.  gleichfalls  auf  ein  huoch  ro?i  Alexander),  dass  auch 
der  Reinfrieddichter  aus  irgend  einem  Alexandergedicht  [aus 
Rudolfs?]  schöpft. 

Wie  dem  auch  sei,  sicherlich  kannte  und  benutzte  er 
Rudolfs  "^^^  in  seinen  anspielungen  auf  biblische  geschichten 
ist  die  quelle  zwar  immer  die  bibel  selbst,  doch  gibt  es  stellen, 
wo  er  daneben  Rudolfs  werk  berücksichtigt  zu  haben  scheint. 
Als  er  von  der  wunderbaren  hilfe  ei'zählt,  die  gott  Gideon  in 
dem  kämpfe  gegen  die  Midianiter  leistete,  beruft  er  sich  aller- 
dings ausdrücklich  auf  die  bibel  (v.  158G8  f.  =  Jud.  7),  aber  die 
Übereinstimmung  zwischen  v.  15874  ff.  mit  Rudolf  lässt  doch 
auch  einen  Zusammenhang  mit  diesem  vermuten.  ■ 

Schütze  (Die  histor.  bücher  etc.)  1, 

s.  36 
weihe  man  dö  trinken  sach 
R.  15S74  uude  die  dir  werden  kuut 

und    swel    daz    wazzer    in    dcu      daz  si  daz  wazzer   in  den  muut 

iiiuiit  üf  werfen  mit  der  haut, 

würfen  mit  den  h enden,  die  suln  dir  sin  da  von  bekant 

daz  wären  die  eilenden  daz  si  au  den  ziten 

die  got  bi  den  ziten  den  sie  dir  suln  erstriten. 

erwelet  hat  ze  striteu. 


412  GEREKE 

(Bei  Rudolf  fehlt  die  andere  partei,  die  ligeUngen  trunlcen, 
E.  15872). 

Im  allgemeinen  jedoch  wird  man  sich  hüten  müssen,  falls 
etwa  irgendwelche  zu  biblischen  berichten  gemachte  zusätze 
dem  R.  und  Rudolfs  W.  gemeinsam  sind,  nun  behaupten  zu 
wollen,  Rudolf  sei  hier  für  unseren  dichter  die  quelle  gewesen ; 
denn  derartige  ausschmückungen  sind  durchaus  traditionell. 

Wenn  wir  also  z.  b.  im  R.  lesen,  dass  Lots  weib  als  Salz- 
säule noch  heute  in  einer  höhle  zu  sehen  sei  (27100  f.  Rudolfs 
W.,  Zs.fda.  18, 102.65),  und  weiter  27102  da  Sodom  und  Gomorre 
was  (jeleyen,  da  sivebet  daz  mer  (vgl.  Rudolfs  W.  a.  a.  o.  74  f.),  so 
berichten  dasselbe  auch  andere  dichter  und  schriftsteiler  der 
zeit,  die  sich  gerade  mit  solchen  Stoffen  befassen  (vgl.  Strauchs 
anm.  zu  Enikels  W.  4193);  reisebeschreibungen  vergessen  selten 
davon  zu  erzählen  (vgl.  z.  b.  Johann  von  Montevilla). 

Aehnlich  steht  es  mit  der  geschichte  vom  turmbau  zu  Babel 
(R.  27042  ff.).  Die  angäbe  der  teilung  der  spräche  (in  zwo  und 
sihennc  zungen  (27051)  ist  ganz  traditionell  (vgl.  Strauchs  anm. 
zu  Enikels  W.  3367).  Von  Enikel  weicht  übrigens  unser  dichter 
insofern  ab,  als  jener  von  Babel  als  dem  erbauer  des  turmes 
spricht,  dieser  davon  nichts  weiss. 

Eine  nähere  beziehung  zu  Rudolfs  W.  lässt  sich  vielleicht 
aus  dem  gemeinsamen  reime  spräche  :  räche  vermuten  (vgl.  R. 
27045  f.  Rudolfs  AV.  [ZingerleJ  7  f.);  aber  ich  möchte  darauf 
keinen  wert  legen. 

Eigentümlich  ist  der  erzählung  im  R.  die  angäbe: 

27058 
mit  zwein  und  sibenzic  eggen  der  turn  daz  er  verre  zoch 

was  gebüwen  also  hoch  iu  den  luft  über  sich  enbor. 

Endlich  vergleiche  noch  über  den  tempelbau  Salomos 

E.  20954  ff.  und  Weltchr.,  Germ.  27, 63 

daz  krfit  künc  Salaraones  sider  (Mogk,  Kopenh.  fragm.)  v.  14 

wart;  swaz  er  da  mit  bestreich,  sie  naraen  eynes  wurmes  blot 

swie   liart    daz    was,    ez    wart  doch  der  liiz  tliamnr  als  ich  iz  las 

weich,  eyn  kr>U  auch  sus  gehej'zen  was 

wan  ez  sich  nä  dem  krntc  spielt.  des  saf  mishzeten  sie  dar  in 

daz  krfit  künc  Salamon  behielt  uude  bestrichen  her  unde  hin 

und  bftt  da  mit  den  tempel  her.  die  steyne  besneden  sie  zö  haut. 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON    IJRAUNSCHWEIG.  413 

Petrus  Comestor,  Hist.  scliol.  lib.  reg.  3, 8  berichtet  nur  von 
sanguis  vermiculi  (nicht  von  einem  kraute')),  dessen  gewinnung- 
er abei-  ebenso  erzählt  wie  der  Reinfrieddichter  die  des  krautes: 
Erat  K>üJomoui  strutJiio  hahcns  pullum,  cf  mclusus  est  X)ulhis 
snh  vase  vitreo.  Quem  cum  videret  struthio,  scd  habere  nequiret, 
de  dcserto  tidit  vermicidum,  cuius  sanguine  linivit  vitrutn  et 
fractum  est.  Videns  aiitem  Salomon  cacmncn  montis  Moria, 
nhi  acdificavit  templum  augustum,  deiecit  illud,  et  in  arcam 
spatiis  a))ipliorihi{S  diffudit. 

Aus  Rudolfs  übrig-en  werken,  aus  dem  Guten  Gerhard  und 
Barlaam  und  Josai)hat,  wüsste  ich  nur  weniges  anzufühlen, 
was  auf  R.  bezug  haben  könnte. 

Von  zwei  liebenden  heisst  es: 

R.  2443  Gerb.  4740 

(lii  ist  iiiht  wan  ein  einlich  eiu.  ein  wip  ein  man,   ein  mau  ein  wlp, 

ein  liep,  ein  leit.  ein  ja,  ein  nein.  ein  sin,  ein  muot,  eiu  ei  nie  ein, 

3021  ein  lip,  ein  liep,  ein  herze  an  zvvein, 

ein  iliuc,  eiu  eiu,  ein  liep,  eiu  leit.  eiu  minue  und  eiu  geselleschaft. 

Doch  sind  derartige  Schilderungen  nicht  eben  selten.  — 
"Wie  Rudolf  spielt  auch  der  dichter  des  R.  auf  das  bekannte 
lied  MF.  3,1  ff.  an: 

R.  4223  Gerh.  478« 

ich  bin  din,  so  bist  du  miu,  du  raiu,  ich  diu,  ich  Avil  diu  sin. 

ich  wil  bi  dir,  du  bi  mir  sin 
in  herzen  und  in  sinnen. 

Im  Barlaam  und  im  R.  findet  sich  in  gleicher  weise  das 
biblische  gleichnis  von  dem  reichen  (Luc.  18,  25),  im  Barlaam 
allerdings  in  der  paraphrase  dei-  evangelischen  erzählung  selbst: 

R.  1(5793  Bari.  135,.  1(5 

als  ich  wol  sprechen  beere,  durch  einer  nudel  «re  gät 

dur  einer  nädel  oere  ein  olbende  senfteclicher, 

ein  kemeltier  e  gieuge,  denne  eiu  weltlich  richer 

e  daz  in  got  enplienge  ze  gotes  riebe  müge  komen. 
ze  siner  gnaden  tröne. 


')  Das  kraut  führt  zurück  auf  eine  antike  traditiou  von  der  spriug- 
wurzel,  s.  Zs.  fda.  35,  lb3.  —  Enikel  (W.  12031  ff.)  berichtet  nichts  ülicr  die 
gewiunung  des  wurmes;  ein  kraut  keuut  er  nicht. 


414 


GEREKE 


3.    Gottfried  von  Strassburg. 

Haben  ^vir  bisher  unsern  dichter  in  den  spuren  Konrads 
von  A^'ürzburg  und  Rudolfs  von  Ems  wandeln  sehen,  so  werden 
wir  auch  erwarten,  einen  einfluss  des  lehrers  dieser  beiden, 
Gottfrieds  von  Strassburg-,  im  R.  zu  finden. 

Tristan  und  Isolde  sind  mehrmals  genannt,  so  Tristrant 
V.  20162  in  einer  aufzählung'  der  vortrefflichsten  beiden,  Isolde 
V.  9238,  ferner  sie  zusammen  mit  ihrer  mutter: 


min  sin  der  hat  gezellet 
killt  imioter  ieffenote 


V.  2;nio 

ze  Ysöt  und  Ysote 

den  zwein  von  Yrlanden. 


Nun  scheint  allerdings  die  namensform  Tristrant  mit  be- 
stimmtheit  auf  Eilhart  hinzuweisen  (vgl.  Lichtenstein,  ausg. 
s.  cxcii);  andererseits  aber  heisst  Tristrants  geliebte  bei  Eil- 
hart Isalde,  nicht  wie  im  R.  Ysöt  (so  bei  GottMed).  Ich  meine 
also,  aus  der  form  Tristrant  ist  weiter  nichts  zu  schliessen, 
als  dass  der  dichter  eben  diese  namensform  kannte;  jedenfalls 
aber  hat  er  hier  durchaus  nur  Gottfrieds  roman  im  sinne. 

Aber  es  zeigt  sich,  dass  Gottfried  mehr  formell  als  inhalt- 
lich auf  R.  gewirkt  hat.  Für  die  stoffliche  anlehnung  unsers 
dichters  an  den  Tristan  weiss  ich  eigentlich  nur  ein  ganz 
sicheres  beispiel  anzuführen.  Auf  Tristans  seite  im  kämpfe 
gegen  Morolt,  der  die  stärke  von  vier  männern  hat,  streiten 
gott,  recht  und  williger  mut  (v.  6883  ff.).  So  steht  auch  Rein- 
fiied  gegen  den  dänischen  grafen  nicht  allein: 

9106 
wan  sin  lip  selpdritter  vaht,  mit  den  zwein  was  diu  minne 

er  und  diu  küneginne.  ouch  in  den  strit  gesprungen. 


R. 1404 
ir  sinne  wären  trehtic 
dar  da  si  meisterinne  was 
und  gewaltecliclien  saz 
in  sins  herzen  klüse. 

4!)Ü1 
sin  herze  seit  im  von  den  zwein 
nilit   wan   ein  jA   und   ouch   ein 
nein. 
Vyl.  2444. 


Trist.  724 
er  was  in  ir  herze  komen. 
er  truoc  gewaltecliche 
in  ir  herzen  künicriche 
den  Zepter  und  die  kröne. 

Vgl.  807  ff. 

Trist.  13014 
ir  beider  sin,  ir  beider  muot. 
daz  was  allez  ein  und  ein, 
ja  unde  ja,  nein  \inde  nein, 
ja  unde  nein,  nein  unde  ja. 

Vgl.  lC328ff. 


STUDIEN   ZU    KEINFRIED    VON   BRAUNSCHWEIG. 


415 


Der  Reinfrieddichter  kennt  übrigens  ancli  die  fortsetzung- 
von  Gottfrieds  Tristan: 

15288 
sam  diu  miunenclich  Ysöt  daz  si  jämerlicb  erstarp 

dixi  so  kle^elicheii  warj)  iiiuli  Tiistrande  dem  werden  degen, 

und  zwar  höchst  wahrscheinlich  das  gedieht  Uh'ichs  von  Tür- 
heim (v.  3422  ff.),  da  ihm  Heini'ich  von  Freiberg  wol  kaum 
schon  bekannt  war. 


4.    Hartmann  von  Aue. 

V.  8931  und  v.  20161  nennt  der  dicliter  den  Iwein,  v.  201G1 
Kalogriant;  er  kennt  also  Hartmann,  was  man  auch  ohne  diese 
citate  als  sicher  annehmen  würde. 

Reminiscenzen  aus  Hartmann  dürften  demnach  folgende 
stellen  sein: 


R.  i:{422 
ich  lioer  die  wiseu  jehen, 
daz  tröurae  dicke  triegeu 
und  trugenliche  liegen. 

17390 

ir  ritterlichez  werben 

moht  got  gerne  hän  gesehen, 

solt    ein    kämpf    vor    im    be- 

scheben. 

r2519 

bezigen. 

man  sacb  den  fürsten  nibt  verligen. 
Vgl.  14ti74. 

14616  ff. 
Lange  aufzäblnng:  der  eine,  der  an- 
der, der  dritte  bis  der  iiiunde. 
G30 
zwei  hundert  wa.s  der  ersten  schar, 
schiltknebte,  die  mit  gnoten  siten 
ie  zwene  bi  ein  ander  riten: 
die  fuorteu  .sper  und  kreiger  da. 
den  kam  zebaut  geritcn  na 
ein  jungiu  schar  gesundert, 
der  was  wol  üf  hundert 
zwei  und  zwei  der  schoensten  knaben 
so  edel  art  ie  moht  gehaben 
über  allez  Sahsen  laut, 
ieclicbcr  fuort  uf  sin  er  baut 
ein  sprinzelin  dur  uiuotes  guft. 


Iw.  3547 
swer  sich  au  troume  keret, 
der  ist  wol  guneret. 

Iw.  1020 
hie  buop  sich  ein  striten, 
daz  got  mit  eren  möhte  sehen, 
solte    ein    kämpf    vor    im    ge- 
schehen. 
Vgl.  R.  11384  ff.  Trist.  6869. 
Iw.  2789 
die  des  werdent  gezigen 
daz  si  sich  durch  ir  wip  verligen. 
Vgl.  2863.  Erec  2970. 

Erec  8260—8286 

Lange  aufzählung  von  1 — 20.    Vgl. 

Part.  836  ff.  1  —6.    1 1 834  ff.  1  —4. 

Im  Erec  reiten  zu  einem  turnier  eine 
reihe  könige. 

1944 
besunder  bäten  si  sich 
gesellet  ritterlichen, 
die  jungen  zuo  ir  glichen, 
die  alten  zuo  den  alten. 

Von  den  jungen  nun 
1964 
ir  ieciicb  fuorte  iif  der  bant 
vier  müze,  ein  sparw*re. 


416 


GEREKE 


5.    Wolfram  von  Eschenbach. 

Wie  schon  o-Taen  bemerkt,  citiert  der  dichter  v.  16678  ff. 
den  Parziviil;  er  kennt  aber  auch  den  Willehahn.  ^^'enn  ei' 
sich  ferner  v.  10421  f.  und  v.  16584  ff.  auf  A\'olfranis  Titurel 
beruft,  so  wird  sich  ergeben,  dass  er  damit  den  jüngeren 
Titurel  meint;  vdn  einer  beziehung-  auf  Wolframs  echte  dich- 
tung"  findet  sich  dagegen  keine  spur. 

Für  directe  nachahmung  Wolframscher  scenen  im  R.  gibt 
es  verhältnismässig  nur  sehr  wenige  beispiele. 

So  ist  es  vielleicht  nicht  ganz  zufällig,  wenn  sich  an  der 
stelle,  wo  der  dichter  den  kämpf  zwischen  Reinfried  und  dem 
dänischen  grafen  mit  dem  streite  Parzivals  und  seines  Stief- 
bruders Feirefiz  vergleicht,  gewisse  anklänge  zwischen  beiden 
scenen  constatieren  lassen. 


R.  8968 
biz  daz  diu  ors  erlägen 
beide  von  der  müede. 

9002 
ir  beider  sin  gereizet 
was  üf  ein  niuwez  kempfen. 

9000 
nu  hatten  an  der  stunde 
die  herren  oueh  erbeizet. 

8934 
hie  vaht  kiusche  mit  der  zulit. 
manheit  mit  der  niilte. 


Parz.  739,  19 
diu  ors  vor  niüede  wurden  heiz, 
si    versnobten    manegen     niwen 
kreiz. 


si  bede  ab  orsen  sprungen. 

741,21 
da  streit  der  triwen  hiterheit: 
eröz  triwe  aldä  mit  triwen  streit. 


Die  art  und  weise,  wie  der  Reinfrieddichter  die  entstehung 
der  menschlichen  abnormitäten  und  wundererscheinungen  er- 
klärt, erinnert  so  sehr  an  Parz.  518, 1  ff.,  dass  man  wol  in 
dieser  stelle  das  vorbild  sehen  kann  (zu  Parz.  vgl.  Pniower, 
Zur  Wiener  Gen.  s.  85.  Sattler,  Die  religiös,  anschauungen  AVolf- 
rams  s.  63  ff.).  Nur  hat  der  Reinfrieddichter  die  erzählung  viel 
breiter  ausgeführt. 

Als  nämlich  gott  den  Adam  erschaffen  hat, 

R.  19702  Parz.  518,  1 

dö  gap  got  wisliche  gir  unser  vater  Adam 

Adamen  siner  bautgetät  die  kunst  er  von  gote  nam, 

für  alliu  wunder  diu  er  hat  er  gaj)  allen  dingen  uamen, 

geschaft'en  nf  der  erden.  beidiu  wilden  unde  zamen: 

swaz  gotes  kraft  lie  werden,  er  rekant  euch  iesliches  art, 


STUDIEN    ZU    REINFRIEl)    VON    BRAUNSCHWEIG. 


417 


daz  wart  Adamen  gar  l)okaut 
und  wart  von  im  micli  du  yenant, 
als  ez  nocli  hiut  gelieizen  ist. 
sin  höher  meisterlielier  list 
marht  und  bekande  alle  mäht, 
der  würzen  und  der  kriuter  kraft. 


dar  zuü  der  Sterne  umbevart, 

der  siben  pläneten, 

waz  die  krefte  beten: 

er  rekaut  ouch  aller  würze  mäht, 

und  waz  ieslicher  was  geslabt. 


Viele  dieser  kräutei 
kraft,  dass  sclnvang-ere  fi 
unmtnsddich  figCire  gebär 

R. 19732 
diz  seit  offenlichen  do 
Adam  sinen  kinden 
und  bat  si  des  erwiudeu 
da  mit  ir  forme  ende  uam. 


•  bewirken  durcli  ihre  wunderbare 
auen,  wenn  sie  die  kräiiter  ansehen, 
en: 

Parz.  518,  11 
du  siniu  kint  der  järe  kraft 
gewunnen,  daz  si  berhaft 
wurden  menneschlieher  fruht, 
er  (Adam)  widerriet  in  ungenuht. 
swä  siner  tohter  keiuiu  truoc, 
vil  dicke  er  des  gein  in  gewuoc, 
den  rät  er  selten  gein  in  liez, 
vil  würze  er  se  miden  hiez 
die  menschen  fruht  verkerteu 
und  sin  geslähte  unerten. 


Die  neugierde  jedoch  lässt  ihnen  keine  ruhe: 


Parz.  518,  25 
diu  Avip  täten  et  als  wip. 
etslicher  riet  ir  brfjeder  lip 
daz  si  diu  werc  volbrähte, 
des  ir  herzen  gir  gedäbte. 


R.  19830 
do  die  frowen  horten  jehen 
daz  ouch  stuont  geschriben  dö, 
diu  kiTit  schatten  sus  und  so, 
do  wären  si  so  niugern 
daz  ir  sin  uiht  wolt  eubern, 
si  wolten  sin  geruochen 
und  eudelich  versuochen 
ob  ez  also  wsre. 

So  sind  also  die  missg-eburten  entstanden.  Vgl.  übrig-ens 
noch  die  g-anz  ähnliche  erzählung  im  deutschen  Lucidarius, 
Schorbach,  QF.  74, 193. 

rnter  den  wunderbai-en  menschen  befindet  sich  eine  schar 
von  Taburnit  (lOOöG.  19404.  20440);  der  name  stammt  ent- 
weder aus  Parz.  316,  30  odei-  aus  dem  jung-.  Tit.  1398. 

Bei  der  erwähnung-  Nabuchodonosors  macht  der  dichter 
eine  angäbe,  die  in  der  bibel  t'elilt: 


R.  2G7-1G 
für  got  solt  man  iu  beten  an, 
wart  üz  geschriben  in  diu  laut. 


vgl.  Parz.  102,  ü 
der  an  trügelichen  buocheu  las, 
er  solte  selbe  sin  ein  got 
(vgl.  jung.  Tit.  791— 794). 

Beiträge  zur  geacUictite  der  deiitücheii  «prttcbe.     XXIil.  27 


418  GEREKE 

Aus  dem  Willelialm  scheinen  die  hürnenen  leute  zu  stammen: 

R.  1963«  Wh.  35,  1 1 

swaz  in  dem  lande  kehie  stunt  .  .  .    künec  (lorliant 

von  wibes  libe  wirt  geboni, 

daz  ist  allez  sanient  liorn.  des    volc    was    vor    und    binden 

wip  kint  nnd  ouch  die  man.  35,20               [born. 

da  von  diz  volc  in  strite  kan  des  künec  Gorhandes  her 

uieman  überwinden.  mit  stähl  inen  koll)en  streit. 

an  alten  nnd  au  kiuden  395,  •23 
siht  man  noch  g-rifet  niht  denn  born.      ir  vel  was  born  in  grüeuem  schin : 

alsus  werdent  si  geborn  die  trnogen  kolben  stälielin 

\md  vehtent  algeliche  (vgl.  jung.  Tit.  3311  ff.), 
mit  kolben  ritterliche. 

Keminiscenzen  aus  Wolfram  sind  vielleicht  auch  folgende 

stellen : 

R.  19000  Wh.  85,  25 

er  muose  swsere  siege  geben  Arofels  ors  Yolatin 

ze  bürgen  für  sin  sterben.  und  Scboj'us  daz  swert  sin 

da  wurden  bürgen  für  sin  leben. 

10391  Wb.  11,  Iti.   18,28.  20,  11.  44,25 

Terviant  als  gott  der  beiden  u.  s.  w. 
vom  bäruc  angerufen. 

Im  folgenden  führe  ich  nun  sämmtliche  anspielungen  des 
Eeinfrieddichters  auf  Wolframs  werke  mit  den  entsprechenden 
belegstellen  an.  Da  es  sich  aber  nicht  immer  sicher  entscheiden 
lässt,  ob  der  dichter  in  gewissen  fällen  sich  auf  den  Parzival 
oder  den  jung.  Titurel  bezieht,  nehme  ich  die  citate  aus  letz- 
terem hier  gleich  mit  hinzu. 

780  ff.  Die  turteltaube,  das  wappen  des  grals  —  Parz.  474. 
1—11.  540,  26  f.    Keuschheit  der  gralsritter  ~  Parz.  285,  28  ff. 

2078  lebt  llischaude  die  der  gräl  sich  von  erste  tragen  lie  . . . 
Hier  liegt  eine  Verwechslung  mit  Repanse  de  Schoye  vor  (vgl. 
Bartsch,  anm.  zu  R.  2078);  denn  es  heisst  Parz.  235,  25  liepansr 
de  sclioij  si  Mes,  die  sich  der  grdl  tragen  liez.  Ebenso  im  jung. 
Tit.  Aber  diese  Verwechslung  ist  zu  erklären;  denn  Rischaude 
wird  vom  gral  dem  ersten  gralkünig  Titurel  zur  gemahlin  ge- 
geben (j.  Tit.  418  ff.). 

2194  swaz  man  von  Jeschüte  de  la  Lander  mündel  seit; 
vgl.  Parz.  130,  5  ff. 

8921  ff.  Kampf  zwischen  Parzival  und  Ferevins  —  Parz.  xv. 

8931  Gaivein.     9240  Herzelond.     9242  Gijhiirc. 


STUDIEN   ZU   REINFKIED    VON    HEAUNSCHWEIG.  419 

10418  ff.  Der  gral,  cm  wnnscli  an  Uplicher  nar  —  j.  Tit. 
490.  598  (Parz.  238,  28). 

11920  ff.  und  24946  f.  Reiclitum  des  köiiigs  Artus  —  j.  Tit. 
1403.  1408. 

14854  ff.  A^^illelialni  verg"isst  den  schmerz  übei'  den  tod 
seiner  getreuen  ]\lile  und  ^'ivianz.  wenn  er  in  (ij^burgs  armen 
rulit  —  \\\\.  94.  95.  100  ff. 

15238  ff.  Sig'üne  Scliinaldelandcrs  tot  mit  fade  galt  —  j.  'J'it, 
5776. 

15276  ff.  alsani  der  nurrinne  von  Zazamanc,  der  (jrvnime 
not  si  räricet  jämerlkheu  tot  nach  dem  erweltvn  Gahmurcten 
—  Parz.  750,  24  ff.  j.  Tit.  1000.  2545. 

15282  ff.  /;•  Iq)  zc  tödc  het  (jetreten  vil  UJit  mit  frtgem  ivillen 
sam  daz  licrs  SccundiUen  dar  Fereviz  den  Ansclievin  — ? 

15306  ff.  Gyburg-  leidet  not  um  den  abwesenden  Willelialm, 
ebenso  wie  CondAviramurs  um  Parzival. 

16146  ff.  Die  beiden  hatten  nie  so  grosse  Verluste  erlitten 
an  allein  dö  si  verliirn  so  niangen  helt  df  Alischanz. 

16585  ff.  Wolfram  spricht  in  ^Titureles  huoche'  ivol  von 
ziveilmndert  hänge  nanicn;  vgl.  j.  Tit.  1547  zu  heider  sU  zivei- 
hundert,  die  gein  strite  ivären  in  der  meine. 

j.  Tit.  1974 — 2083  ff.  folgt  dann  eine  lange  aufzählung  von 
namen.  Der  Reinfrieddichter  bemerkt  16590  ff.,  das  sei  bei 
der  gelegenheit  geschehen,  als  die  hruoder  üzer  Babilon,  Pom- 
pcms  nnd  Ypomedön  (vgl.  Parz.  14,  3  ziven  hruoder  von  Bahildn, 
Fompeius  und  fyomidon  101,  28  f.;  vgl.  noch  R.  19945  ff.) 

mit  her  urliuges  pflägen  den  im  dur  riehen  prisant 

nnd  keiserliclien  h'igeu  durch  liebe  und  durch  miniie 

mit  ofteiilicher  melde  diu  swarze  küneginne 

üf  Florischanz  dem  velde  von  Zazamanc  dem  t'ürsten  gap. 

gen  dem  . . .  fürst en  rieh  von  Baldac, ...     ir  laut  ir  namen  ich  niht  hab 

swie  daz  der  fUrste  riebe  gekennet  und  ir  nnderscheit: 

hette  schedelich  verlorn,  da  von  wirt  iuch  niht  geseit 

do  vor  im  der  hobgeborn  noch  kunt  von  mir  ir  namen  gar. 

<iahmuret  wart  erslagen  ir  laut  ir  wäfen  offenbar 

mit  bockes  bluote,  ho-r  ich  sagen, ')      muoz  ich  durch  not  verswigen. 

an  den  hertcn  adamant 

Diese  ganze  gescliichte  hat  der  dichter  nur  aus  dunkler 
erinnerung  eingetlochten.     Dafür  spricht,   dass   ei-  den  namen 


')  (j.  Tit.  916.  Parz.  IÜ5). 

27" 


420  GEREKE 

der  königin  von  Zazamanc  nicht  kennt,  wie  er  ihn  denn  sehr 
wol  bei  der  grossen  zahl  von  namen  im  j.  Tit.  vergessen  liaben 
konnte.  Dafür  spricht  aber  auch  die  angäbe,  dass  Pompeius 
mit  Ypomedon  auf  dem  felde  zu  Florischanz  gegen  den  fürsten 
von  Baldac  gekämpft  hätten,  während  auf  Florischanz  nach 
dem  j.  Tit.  nur  das  grosse  furnier  des  Königs  Artus  stattfand. 
Derselbe  Irrtum  passiert  dem  Keinf rieddichter,  wenn  er  sagt: 
16648  die  pavilün  die  Secureis  üf  Florischanz  der  heiden  liez, 
denn  Secureis  tritt  auf  Florischanz  gar  nicht  auf;  er  kämpft 
vielmehr  auf  seifen  der  babylonischen  brüder  in  der  schlacht 
bei  Plenanze. 

Von  den  eben  genannten  zelten  heisst  es  weiter 

V.  10650  die  Fereviz  der  vebe  hat 

die  von  Baldac  der  fürste  hiez  ervohten  sit  mit  strite 

Schyonabtelandern  neu   [j.  Tit.  3333],      durch  der  von  Taburnite 
daz  gelichnisse  gen  küueginnen  willen, 

konde  Thasme  der  rieben  stat,  der  süezeu  Secundillen  [j.  Tit.  5320  ff.] 

(vgl.  R.  1(5(382  ff.). 

Dieselbe  Secundille  sante  dem  Anfortas  den  l-ostrricJien 
Iran  [j.  Tit.  4850  ff.  Parz.519, 10—12. 18—80.  Wh.  279, 13-23], 
der  Sit  ze  teile  der  schoenen  Orgelüsen  wart  [Parz.  616, 15  ff.j. 

Es  folgt  nun  die  erzählung  von  des  Anfortas  Verwundung 
und  seiner  heilung  durch  Parzival;  16680  ah  ich  in  sime  huoche 
rant  von  dem  von  EscMhach  gcsclirihen. 

16756  ff.  Aroffels  tod  auf  Alischanz  —  Wh.  81, 12  ff.  Von 
Aroffel  stammt  der  Persän,  mit  dem  Reinfried  kämpft. 

16766  daz  ijoltgehirye  KauJcasas  diende  slner  niilten  haut 
—  gefolgert  aus  Wh.  80, 22  ff.,  wo  Aroffel  Willehalm  lösungs- 
geld  bietet:  oh  allez  gebirge  Kauhisas  dtner  hand  ze  gehen 
zceme,  daz  golt  ich  gar  niht  nwnie;  vgl.  R.  17552  si  tvoUen  so 
vil  goldes  gehen  und  me  denn  Aroffel  bot  {if  Aliscltanz  für 
stnen  tot. 

17 106 ff.  Aroffels  schild  nimmt ^\■illelullm  an  sich  — Wh. 82,7. 

17333  cvw  rofrln  sper  von  Agram  —  Parz.  335,  20.  384,  30. 
703,  24. 

17378  ff.  Der  könig  Gramoflanz  ist  so  stark,  vier  ald  fünf 
er  tvolte  zemdl  hestän  alleine  —  Paiz.  604,  12  ff. 

18438  ff.  Thesereysens  tod  auf  Alischanz  —  Wh.  87, 27  ff. 


STUDIEN   ZU    REINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  421 

19958  Ter  ramer.  20158  ff.  Ferevis,  Parzivdl,  Gawän,  Gah- 
muret  etc. 

20406  Scliionalitelander  besiegte  zwanzig  fürsteii  an  der 
von  Bahilune  her  ~  j.  T.  1897. 

21930  Gog  Mago</  drl  Tndiä  ivärcn  alle  im  heJcant,  priester 
Juhan  und  sin  lant,  sivei  und  sihenzic  Idlnicrich  —  j.  T.  6032. 
6033.  6034.  6058. 

22946  Artus. 

Die  verse  16156  ff.  19952  f.  beweisen,  dass  der  Eeinfried- 
dicliter  aucli  die  vorgeschiclite  zu  Wolframs  Willelialm  von 
Ulrich  von  dem  Türlin  kannte. 

6,    Der  jüngere  Titurel. 

Sind  bisher  nur  die  citate  aus  dem  jung.  Tit.  berücksich- 
tigt, so  sollen  im  folgenden  die  reminiscenzen  und  directen 
entlehnungen  daraus  zusammengestellt  werden. 

Yrkanes  erstes  auftreten  wird  ähnlich  dargestellt  wie  im 
jung.  Titurel  das  der  atmerinne: 

R.  792  j.  Tit.  2799 

man  sach  üf  höhe  reichen  golt  riche  seidin  lachen 
ein  pur  pur  von  vier  scheften,        fürt  man  da  hundert  swebende 

daz  wart  gefüert  mit  kreften  ob  den  Imndert  kunigen  zu  obedachen 

enbor  von  gräven  vieren.  ie  vier  iuncherren  eins  an  schef- 
dar  under  bi  den  zieren  ten  vieren 

reit  diu  minnecliche  magt.  und  ob  der  atmerinne. 

Wie  Reinfried  und  Yrkane,  so  bleiben  Titurison  und  Eli- 
zabel  anfangs  ohne  erben: 

E.  12956  j.  Tit.  137 

wan  ir  süeze  miune  sie  vorhten  sunder  fr uhtbeliben, 

blüete  fruht  an  ir  verbar.  an  erben  alle  ir  riche 

des  sach  man  si  jämervar  daz  must  nu  hohe  freude  von  in 

gar  ze  manger  stunde.  triben, 

fröude  in  herzen  gründe 
künde  ez  in  verderben, 
daz  si  got  an  erben 
so  lange  hat  geläzen. 

Deshalb  widmen  Titurison  und  P^lizabel  (138  ff.)  gott  ein 
bild  von  golde  als  oi^fer  nach  Jerusalem,  damit  er  ihnen  ein 
kind  schenke.    Ebenso  im  R.: 

13188 
er  bat  got  und  enthiez  ze  opfer,  ob  er  wolde 

im  ein  kint  von  golde  erfüllen  sineu  willen. 


422 


GEREKE 


Ueber  die  greifen,  die  das  gold  auf  dem  Kaukasus  be- 
wachen (E.  18244  ff.  j.  Tit.  3346—3348)  vgl.  Bartsch,  Herzog 
Ernst  s.  cliv  f. 

Die  grosse  auseinandersetzung  im  R.  über  die  vier  elemente 
und  die  in  ihnen  lebenden  geschöpfe  zeigt  wesentliche  berilh- 
rungen  mit  einer  ähnliclien  partie  im  jüngeren  Titurel: 


R.  2t;4U-i 
der  eleiaenten  viere  sint, 
von  der  coniplexen  stiure 
hat  alle  creatiure 
lip  und  lebeliche  pfiiht. 
an  ir  teraporuuge  nilit 
niac  lebende  sin  iif  erden. 


2(3410 
ez  muht  noch  kond  üf  werden 
krüt  holz  loixp  noch  stein 
an  diu  elementen  rein 
diu  so  in  ein  sich  flehtent 
daz  si  sttete  vehtent 


2(5415 
mit  zwilicher  natiure. 
dürr  heiz  ist  an  dem  fiure, 
fiuht  und  kalt  daz  wazzer  hat, 
kalt  und  dürr  diu  erde  stät, 
heiz  und  fiuht  so  hat  der  luft. 


20420 
iecliches  elementen  kruft 
pfligt  einer  lebendigen  art 
diu  lebendes  muoz  werden  schart, 
swenn  ez  in  ein  anderz  kunt. 
ein  herinc  in  des  nieres  grünt 


j.  Tit.')  2756 
got  alle  creature  mit  creften  hat  so 

geordent 
mit  wazzer  und  mit  feure  luft  und 

erde  dise  viere  hordent 
mit  solher  craft  daz  niht  an  sie  ist 

lebende 
danne    vier    hande    geschepfe 
der  einer  ist  ie  ir  eines 
leben  gebende. 
2757 
die  viere  niht  gemeine  lebent  der 

elemente 
feur   erde  wazzers  eine  gamaniol 

vil  hoch  gelente 
vierzehen  mile  oberhalp  der  erde 
und   lebt   niht   wan    luft  es.    der 
drier  hat  er  zu  einer  slaht  begerde. 
2  71)0 
die  ander  creature  ist  niht   wann 

wazzers  lebende 
der  erden  luft  noch  feure  ist  nach 

disen  drin  zu  nihte  strebende 
daz  ist  der  bering  weder  groz  noch 

kleine 
ist  er  nihtes  lebende  danne  besuuder 
wazzers  gar  al  eine. 
2761 
der  muolwerf  ist  daz  dritte  weder 

wirs  noch  liezzer 
der  hoch  noch  der  mitte  begert   er 

Avcder  luft  feur  noch  wazzer, 
wan   zu   allen  ziten   in   der   erde 

louzzen 
sin  leben   ist  verkoufet  swenn  man 
in  ob  der  erde  siht  hie  ouzzen. 


')  Ich  gebe  den  text  nach  Hahn,  ohne  Verbesserung. 


STUDIEN   ZU   REINFßlED    VON    liliAUNSCHWEIG. 


423 


2ti425 
lebt  snnder  sterben  ane  not. 
luft  tiiir  erde  siiit  sin  tot, 
ieclichez  sunder,  bin  ich  wer. 
in  der  erden  lebt  ein  scher 
lange  sunder  uoete. 


2(i-i:<(> 
luft  wazzer  tiur  in  tcete, 
an  diu  so  lebt  er  schöne. 
in  luft  gamaleöne 
ist  wol  an  erden  wazzer  finr. 
so  lebt  diu  vi  erde  creatiur 

2(;4.3.5 
an  wazzer  erden  uude  luft 
und  hat  lebelichen  guft 
in  fiure  und  niht  anders. 


2762 
so  ist  doni  saloniandor  immer  leben 

teure 
sweun   er  niht  sam   ein   zander  zu 
allen  ziten  brinuet  in  dem  feure 
dem  ist  luft  wazzer  erde  niht  ge- 

mezze 
wau  so  vil  daz  er  erde  bi  dem  feure 
muz  i)flegen  eben  sezze. 

2768 
wan   sie   [die  elemente)  gar  uii- 
geliclie  sust  kriegent  mit  ir 
alite 
daz    ein    ist    hitze   riebe   so   ist 
daz  ander  ringe  und  kalter 
s  Iahte 
daz    dritte   ist   swer   kuole   und 

darzu  trucken 
das   vierd  swer  und  feuhte  und 
kan  ie  eins   dem  andern   craft 
wol  zucken. 

Die  g'emeiiisame  quelle  für  R.  und  j.  Tit.  .sclieint  Honoiitis 
zu  sein;  in  einigen  punkten  ist  die  beziehung  zwischen  R.  und 
Honorius  näher  als  zwischen  R.  und  j.  Tit.  Honorius,  De  philo- 
sophia  mundi.  1.21  De  elenientis:  nachdem  er  im  anfang  des 
capitels  entwickelt  hat,  dass  die  sogenannten  vier  elemente 
eigentlich  keine  elemente  sind  ^  denn  elcmentum  est  simpla 
et  minima  pars  —  fährt  er  fort  (Migne  172,491)):  cum  ergo 
illae  simplac  et  minimae  x>articidae  elementa  sint,  quae  est  fri- 
gida  et  sicca,  terra  est:  quae  frigida  et  humida,  aqua 
est:  quae  calida  et  humida,  aer:  quae  calida  et  sicca, 
ignis  (R.  26416/9);  vgl.  Image  mundi  2,  58. 

AVeiter  sagt  er  (50  B):  sunt  alii  qui  dicunt  quae  videntur 
esse  eletnenta,  comprohantes  hoc  autoritate  Juvenalis,  qui  de 
gidosis  loquens  ait: 

'interea  gustus  elementa  per  omnia  quaeruut' 

(Sat.  11,14), 

scilicet  in  terra  venationes,  in  aqua  pisces,  in  aere  aves. 

(50  D):  in  unoquoque  illorum  [feuer,  wasser,  luft,  erde]  ali- 
quid de  aliis  est  (R.  26 108  f.). 

(52  D):  cum  cnim  sint  elementa  quatuor  et  quatuor  illorum 


424 


GEREKE 


qualitates,   inde  fnint  sex  complexioncs  (R.  26405),   quarum 
quatiior  sunt  possibiles,  duae  imjwssibiks. 

Aus  dem  j.  Tit.  ist  ferner  der  ausführliche  excurs  über  die 
gewiniiung  der  kostbaren  gewänder  geflossen,  die  die  Salamander 
im  feuer  spinnen: 

j.  Tit.  mvo 

ein  wider  glast  der  snniien  ist  vou 

der  pfelle  wehe 
und  wirt  mit  not  j^ewunnen  in 
dem  f eure  wurkent  sie  den  spelie 
bi  den  ist  alle  side  und  golt  zu  nihte 
wie  man  die  wan  die  gewinnet  da 
inalit  man  hufen  drie  von 
holtze  die  rihte. 


vil. 


R.  26458 
man  mnoz  mit  grözer  witze 
uz  dem  starken  brinnen 
här  und  daz  tier  gewinnen 
mit  grözer  kost  und  noetc 

26450 
wan  diu  wolle  gesinxnnen  wart 
vou  der  creätiure 
in  dem  Avilden  fiure 
mit  liitze  und  mit  brinnen. 

26464 
ein  grozen  hüfen  machen 
mit  dürres  holzes  stiure. 

26472 
von  dem  wirt  aber  eine 
gemachet,  doch  unverre  dan. 
vier  ald  tünfe  machet  mau. 

26492 
der  hftf  verbrinnet,  der  ander 
hilf  da  uä  enpfähet. 


26485 
so  ziuht  er  dur  die  hitze  dar, 
wan  daz  belle  fiur  in  gar 
tuot  an  allem  libe  frisch  etc. 


26498 
ez  würket  unde  spinnet 
alsam  die  würme  siden. 

26440 
swenn  daz  kleit  an  schnene  laz 
von  keiner  slaht  unreinekeit 
wart,  der  ez  denn  schone  leit 
in  ein  grozez  fiur,  zehant 


t;066 
von    ein    ander   niht   verre    den 

man  da  feuret 
er  want  daz  im  niht  wei-re  au  sineu 

kampel  freuden  ez  in  steuret 
der    ander    brinnet    sweu    der 

erste  vellet 
vou  dem   ez   aber  gaget   und   zum 
dritten  hoivfen  sich  gesellet. 
6067 
den  wurm  also  zohet  mit  feure 

drier  houfen 
dem  berge  er  sus  empflohet  wirt  wil 

er  gahes  wider  loufen 
nach  gaher  wirt  die  vart   im  under 

gangen 
dur   daz    die  ersten   erloschen   sint 
da  mit  ist  er  gevangeu. 

6068 
vil    siden    ist   er  tragende   dar 

inne  ist  er  verwunden 
sie   sint   durch    behagende    in    dem 

berge  gevangeu  und  gebunden 
wan  sie  kein  feur  nimmer  kan  ver- 
brennen 


STUDIEN   ZU    REINFRIED    VON    BRAüNSCHWEIG.  425 

diu  nnreiuekeit  s'e^^rant  wer  molit  al  solche  wniuler  an  richeit 

wirt  (lii  von  gar  suiider  sclirauz.  onch  erkennen. 

2«525  60G9 

si  darf  nieman  wesclien  durch  reht  nuiu  ez  vergoldet  und  ist 

mit  lougen  noch  mit  eschen,  zu  })fellen  wegende 

uiht  wau  in  fiur  ez  reinet  sich.      gar    lylicn    wiz    getoldet    Avirt   sin 

craft  .sin  glast  sus  wernde  ge- 
bende 
vil  mange  werdekeit  derpfelle  wählet 
daz  feur  iu  machet  newe  davon 
er  nimmer  veraldet. 

7.    Sonstige  höfische  epen. 

Zur  Vervollständigung  unseres  bildes  von  der  belesenlieit 
des  Keinfrieddicliters  in  der  zeitgenössisclien  höfischen  literatur 
dient  es,  wenn  wir  v.  8930  f.  und  v.  201G0  AMgalois  und  Lan- 
zelet  genannt  finden.  Der  dichter  kannte  also  auch  Wirnt  von 
Gravenberg  und  Ulrich  von  Zazichofen. 

Ob  er  Yeldekes  Eneide  gelesen  hat,  lässt  sich  aus  v.  3210  ff. 
und  152(30  ff.  nicht  erkennen,  da  er  v.  3216  Virgil  citiert,  und 
wir  keinen  grund  haben,  ihm  nicht  zu  glauben, 

li.   Spielmannsdichtung. 

In  der  hauptsache  verweise  ich  hier  auf  die  früheren  aus- 
f ührungen  über  die  person  des  dichters.  Ich  habe  dort  (s.  363  ff.) 
festzustellen  gesucht,  dass  der  Zusammenhang  des  E.  mit  der 
Spielmannsdichtung  ein  fundamentaler  ist  und,  wenn  ich  so 
sagen  darf,  einen  inneren  grund  hat. 

Ich  erinnere  ferner  hier  noch  einmal  an  Bai'tsch'  einleitung 
zum  Herzog  Ernst  (s.  cxxx  ff.),  wo  er  den  beweis  der  nach- 
ahmung  dieses  gedichtes  durch  den  R.  fülirt,  und  mache  kui;z 
einige  nachtrage. 

Wenn  wir  im  R.  lesen: 

19370 
ein  volc  was  ungehiure.  si  wären  an  den  füezen 

des  wir  .sprechen  niüezen:  breit  alsam  die  wannen, 

in  beziehuiig  auf  Ernst  4674  f.: 

den  warn  die  füeze  vil  breit 
und  also  den  swanen  gestalt, 

SO  ersetzt  der  Reinfrieddichter  hier  einen  ungewöhnlichen  ver- 


426  GEREKE 

gleich  durch  einen  gebräuchlicheren;  vgl.  Iw.  443  orcuhrcit  alsam 
ein  wanne;  Krone  9381  (vgl.  Lexer  3,  682), 

Der  fürst  von  Ascalon,  auf  dessen  seite  Eeinfried  im 
kämpfe  gestanden  hat,  erweist  sich  ihm  (hmkbar.  Ebenso 
wird  Ernst  vom  fürsten  der  Arimaspen  für  seine  hilfe  belohnt : 

R.  2ü66ß  Ernst  4702 

•lip  und  ouch  daz  leben  min  er  sprach  'jnngelinc  gemeit, 

rauoz  iuAver  eigenlichen  wesen.  du  hast  mir  manliche 

ich,  liut  und  laut,  wir  sin  genesen  und  also  frumliche 

von  iuch',  sprach  er,  'iuwer  trost  ere  und  lip  hehalden. 

hat  uns  ritterlicli  erlost  du  solt  ienier  mer  gewalden 

von  iemer  wernder  swsere'.  niins  landes  swaz  dus  haben  wil.' 

20670  4708 

'swaz  ich  üf  al  der  erden  'des  sol  ich  dir  liheu  also  vil 

ieze  hän  ald  ie  gewan  durch  liebe  die  ich  zuo  dir  han 

und  iemer  me  gewinnen  kau,  daz  du  selbe  mäht  avoI  hau 

sol  iuwer  eigentlichen  sin.'  beide  ere  unde  ruom.' 

Wie  herzog  Ernst,  so  besucht  natürlich  auch  Reinfi'ied 
Jerusalem  und  das  heilige  grab: 

R.  17938  Ernst  5078 

der  fürste  riebe  aldä  opferte  der  wigant 

und  al  sin  kristenlichiu  schar  gote  ze  eren  üf  sin  grap. 
brahten  gröziu  opfer  dar.  5684 

17944  ze  dem  tempel  gap  er  ouch  genuoc 

(er  hiez)  mit  riehen  Sachen  und  swä  er  heilige  stete  vaut. 
daz  grap,  den  tempel  kleiden. 

Die  frage  nun,  welche  bearbeitung  der  Ernstsage  dem 
Reinfrieddicliter  vorgelegen  hat,  muss  offen  bleiben.  Von  den 
uns  erhaltenen  fassungen  scheint  direct  keine  in  betracht  zu 
kommen  (vgl.  Bartsch,  H.  E.  s.  (;xxxviii). 

Widerholt  wird  im  R.  die  AI  ex  and  er  sage  berührt.  Diese 
ist  ja  im  mittelalter  sehr  verbreitet,  und  unser  dichter  kannte 
sie  gewis  aus  verschiedenen  quellen.  Speciell  angelehnt  haben 
mag  er  sich  an  die  Überlieferung,  wie  wir  sie  in  Enikels 
Weltchronik  lesen,  da  er  wahrscheinlich  bei  seinem  zweimaligen 
citat  einer  chronik  eben  diese  meint: 

R.  17970  Enikels  "W.  2S9I5 

sider  ich  gehoeret  hab  (abweichend  von  der  Kaisercluonik) 

daz  diu  stat  daz  grap  daz  laut  dar  nach  der  keiser  wart  verholn, 

kam  aber  in  der  kristeu  haut  den  kristen  allen  vor  verstoln; 

bi  keiser  Frideriche.  wau  niemau  west  diu  maere 


STUDIEN   ZU    KEINFRIED    VON   BRAUNSCHWEIG.  427 

und  do  der  fiirste  riclie  w;i  er  liiii  komou  wa're  etc. 

so  wnnderliclien  wart  vertribcii,  (vgl.  »Strauclis  aiini.  zu  dieser 

als  in  der  crönik  ist  geschribeu.  stelle). 

18140  EuikelsW.  21:131  ff. 

do  Titas  und  Vespasian 
gotes  marter  rächen 
und  Jerusalem  zerbrachen, 
als  cronica  diu  wäre  seit. 

Von  Alexanders  wunderbaren  reisen  kennt  der  dichter 
zuerst  die  nieerfalirt  (v.  15156  ff.;  vg-l.  aucli  v.  225;)ü  f.)  und  zwar 
die  Version  der  sag"e,  wonacli  sicli  Alexander  an  einer  kette,  die 
seine  geliebte  hält,  in  das  meer  hinablässt  (Knikels  ^\^  19251  ff. 
und  daraus  auch  im  Baseler  Alex.  s.  4247  ff.).  Die  g-eliebte  lieisst 
hier  Landanne,  während  sich  sonst  höchstens  der  nanie  Iloxane 
findet.  Den  namen  Laudavine,  der  sich  nirgends  nachweisen 
lässt,  hat  sich  wol  der  dichter  selbst  zurechtgemacht,  aus 
Lmidine  und  Lavine  (Lavinia). 

V.  21850  ff.  \^^rd  Alexanders  fahrt  zum  paradiese  erwähnt. 
Die  angaben  treffen  insofern  mit  dem  bericht  Enikels  (19010  ff., 
vgl.  auch  l^aseler  Alex.  4154  ff.)  zusammen,  als  an  beiden  stellen 
keine  andeutung  zu  linden  ist  von  dem  weisen  Juden,  der  dem 
Alexander,  erst  nach  der  rückkehr,  in  Griechenland  offenbart, 
was  es  mit  dem  icimderlichen  stein  auf  sich  habe.  So  nämlich 
ist  die  Version  in  Lamprechts  Alexander,  nach  dem  Iter  ad 
paradisum.  Es  fehlt  jedoch  in  Enikels  W.,  was  im  R.  unmittel- 
bar vorhergeht: 

21b4(i 
er  seit  im  daz  er  wsere  kernen  mit  sinnen  in  der  wise 

mit  strenger  noete  süre  daz  si  dem  paradise 

au  die  höhe  müre  und  dirre  erd  geh  underscheit. 

da  al  diu  weit  ein  ende  nint.  für  war  niemen  niht  da  von  seit 

sumeliche  liute  sint  mit  siebten  worten  blözcn. 

Diese  niauer  könnte  der  dichter  ja  nun  ebensogut  aus  einer 
anderen  quelle  als  einer  Alexandersage  haben  (vgl.  z.  b.  Luci- 
darius,  Hall,  univ.-bibl.  Af  2048.  a  IIDl:  der  mcistcr  sprach  also 
die  buclier  sagent  so  mag  nientant  in  dz paradeifs  kommen  dan 
mit  gUtten  wercke.  wan  darumh  gcet  ein  feurin  maur  die  reychet 
bifs  an  de  }iimel)\  abei'  Avir  finden  sie  z.  b.  bei  Lamprecht 
(6850  ff.)  und  im  Iter  ad  paradisum  (auch  bei  Ulrich  v.  Eschen- 
bach 24444  ff.)  Also  dürfen  wir  wol  annehmen,  dass  der  dichter, 


428  GEEEKE 

wenn  er  auf  die  Alexandersage  anspielt,  liier  in  der  erinnerung 
aus  verschiedenen  quellen  conibiniert. 

Der  scliiffsherr  aus  Ejulat,  dei'  dem  herzog  Eeinfried  von 
dieser  fahrt  Alexanders  zum  paradiese  erzählt,  da  er  selbst 
dort  gewesen  ist,  berielitet  weiter,  Avie  er  auf  seiner  reise 
das  ende  der  weit  erreicht  habe,  wo  einst  k;>nig  Hercules  zwei 
ertn  (so  wird  statt  erlhi  v.  21907  zu  lesen  sein)  siul  errichtete, 
zum  Avahrzeichen,  da.z  nie  kein  mensche  fürhaz  mohte  komen. 
In  den  Strassburger  drucken  der  Historia  de  preliis  werden 
nach  Kinzel,  Lampr.  Alex.  s.  xxv  die  säulen  des  Hercules  ge- 
nannt, vgl.  Hist.  de  prel.  (hsg,  von  0.  Zingerle)  c.  91. 

Als  dritte  der  wunderbaren  reisen  Alexanders  nennt  der 
Eeinfrieddichter  die  greifenfahrt  22514  ff.  Vgl.  Enikels  W. 
19441  ff.  (Baseler  Alex.  4381  ff.).  In  der  luft  habe  Alexander 
den  vogel  gamaleon  gesehen: 

22523  swenn  er  sich  missehüetet 

der  vog:el  siuiu  eiger  birt,  daz  er  uäcli  zuo  der  erden  kuut, 

und  wie  im  üf  dem  rugge  wirt  so  ist  er  tot  der  selben  stunt, 

sin  fruht  schon  uz  gebrüetet.  wan  er  üf  erden  hat  kein  ner. 

Ueber  das  nur  in  der  luft  lebende  chamaeleon  vgl.  Laudiert, 
Geschichte  des  Physiologus  s.  202.  Freidank  38, 109, 14  ff.  Eein- 
bot,  Georg  3874 — 3880.  Im  jüngeren  Titurel  lesen  wir  str.  4755, 
dass  Alexander  in  der  luft  den  vogel  galadrot  gesehen  habe: 
ivie  der  in  den  lüften  yet  nu  sivebende  und  sine  junge  brütet, 
hiz  das  sie  mit  im  schone  fliegent  lebende.  Str.  2759  heisst  es 
vom  gamaniol:  swenne  er  sine  jungen  tvillen  hat  zu  meren  von 
im  ivirt  hoch  gesungen  wenn  er  legt  daz  ey  zu  hant  so  Jean 
er  keren  und  tut  dem  ey  so  not  mit  nider  drucJie  untz  daz  ez 
ivirt  zu  vögele  so  kan  ers  danne  füercn  uf  sinem  rucke,  und 
von  demselben  2757  imd  lebt  niht  ican  luftes  (vgl.  s.  422). 

Ueber  die  einschliessung  von  Gog  und  Magog  sagt  der 
Reinfrieddichter: 

19547  wie  Alexander  si  besloz 

Gog  und  Magog  der  Juden  laut  mit  berge  und  mit  müren  gröz 

stät  in  der  küneginne  [der  Amazonen]  und  ouch  mit  dem  grienigen  nier 

da  mit  die  roten  Juden  sint,    [hant,  daz  äne  wazzer  sunder  wer 

als  man  noch  geschriben  vint.  fliuzet  stsetecliche. 

Dasselbe  berichtet  nach  Zingerle  (Die  quellen  z.  Alex,  des 
Rudolf  v.  E.  s.  86)   Rudolf   in   seinem   Alexander   (v.  1587G— 


STUDIEN    ZU    REINFRIEl)    VON    BRAUNSCHWEIG.  429 

17395),  mit  fälschlicher  beruf img  auf  Josephus  [vgl.  auch  Baseler 
Alex.  4108  ff.]. 

Ooo-  und  ;Mao;og-  neben  den  roten  Juden  werden  erwähnt 
im  j.  Tit.  (.)057  f.  An  derselben  stelle  h(>ren  wir  auch  von  dem 
meer:  6056  da  hi  so  ligt  hesunder  gar  ane  ivazzer  trucken  ein 
mcr\  6059  ditz  mcr  von  sandc  durch  lavt  gar  ane  zuld  ez  rinnet. 
Das  sandmeer  stammt  wahrsclieinlich  aus  dem  brief  des  priesters 
Johannes  c.  31:  mare  harenosum  sine  aqua.  Jiarena  movetur  et 
tuniescit  in  nndas  ...  et  numquam  est  tranquillum. 

Wenn  v.  19941  f.  und  v.  26772  ff.  von  Alexanders  kämpf 
mit  Darius  berichtet  wird,  so  geht  diese  kenntnis  im  zweiten 
falle  sicher  auf  die  bibel  zurück.  Jedoch  enthält  eben  diese 
stelle  einen  zusatz,  den  die  bibel  nicht  hat.  Alexander  hat 
den  Darius  besiegt  und  die  ganze  erde  sich  untertänig  ge- 
macht; aber 

25784 
niht  langer  wan  uf  <li1ge  tage  in  tut  .sin  vil  werdez  leben, 

wert  sin  keiserlicli  gewalt.  wan  er  starp,  im  Avart  vergeben 

mit  untriuwen  wart  gevalt  mit  arger  gifteclicher  pfiiht. 

Da  in  v.  26784  f.  eine  textverderbnis  ausgeschlossen  ist 
{tage  reimt  auf  sage),  so  kann  die  stelle,  wenn  sie  sinn  haben 
soll,  allein  so  gefasst  werden,  dass  Alexander  nur  drei  tage 
auf  dem  gipfel  seiner  macht  stand.  Diese  angäbe  weiss  ich 
jedoch  durch  nichts  zu  belegen.  Daher  glaube  ich,  dass  der 
dichter,  der  die  eben  genannte  partie  mitten  in  einen  biblischen 
excurs,  also  wol  sicher  aus  dem  gedächtnis,  einlegt,  hier  bei 
den  drei  tagen  eine  Verwechslung  begeht.  Drei  tage  weilt 
Alexander  z.  b.  auf  dem  meeresgrunde.  üeber  Alexanders  tod 
vgl.  Enikels  W.  19652  ff.  Baseler  Alex.  4441  ff.  0.  Zingerle,  Die 
quellen  z.  Alex,  des  Rud.  v.  Ems  s.  50,  a.  3. 

Enikel  berichtet  uns  auch  (23779  ff.)  die  erzählung  von 
Virgil,  wie  er  zu  Rom  von  einem  listigen  mädchen  in  einem 
korbe  aufgehängt  wird.  Darauf  spielt  der  Reinfrieddichter 
15176  ff.  an  und  nennt  hierbei  wider  einmal,  wie  bei  Alexan- 
ders meerfahrt,  für  das  mädclien  einen  namen,  Äthanatä,  den 
wir  sonst  vergebens  suchen.  Vgl.  Massmann,  Kaiserchronik 
3,  451  ff.  V.  d.  Hagen.  GA.  3,cxlix.  Strauch  zu  Enikels  AV.  6173. 
Germ.  4,  273.  Athauais  lässt  sich  als  ähnlidiklingend  aus  dem 
Eraclius  allenfalls  anführen. 


430  GEREKE 

Im  anscliluss  hieran  erwäliiie  ich  gleicli  noch,  dass  im  R. 
auf  diese  geschieh te  unmittelbar  die  anekdote  von  dem 
weisen  Aristoteles  folgt,  der  sich  von  einem  mädchen  reiten 
lässt  (15182  f.).  In  v.  d.  Hagens  GA.  1,  2  ist  das  mädclien  Ale- 
xanders geliebte,  Phj^llis  (vgl.  dazu  GA.  1,  einleitung  s.  lxxv  ff.). 
]\rerk würdigerweise  führt  sie  im  E.  den  namen  Silariti.  Wir 
haben  denselben  fall  wie  oben:  der  name  ist  anderweitig  nicht 
nachzuweisen.  Ich  glaube  deshalb  aber  noch  nicht,  dass  wir 
daraus  auf  besondere,  uns  unbekannte  quellen  schliessen  müssen, 
sondern  möchte  lieber  dem  dichter  selbst  die  erfindung  dieser 
namen  zutrauen. 

Etwas  länger  verweilen  muss  ich  jetzt  bei  der  episode 
vom  Zauberer  Zabulon  und  von  dem  magnetberge,  die  im 
E.  einen  ziemlich  beträchtlichen  räum  einnimmt.  Diesen  Zau- 
berer, der  in  unserem  epos  übrigens  Savilon  heisst,  und  seine 
taten  kennt  auch  der  Wartburgkrieg,  dessen  6.  teil  Simrock 
'Zabulons  buch*  überschreibt.  Vergleichen  wir  nun  beide  er- 
zählungen,  so  ergeben  sich  bei  zahlreichen,  teilweise  fundamen- 
talen abweichungen  doch  viele  wörtliche  anklänge.  Und  daraus 
schon  folgt,  dass  ein  directer  Zusammenhang  zwischen  E.  und 
Wrtbgkr.  nicht  besteht,  sondern  dass  beide  vermutlich  aus 
derselben  oder  aus  verwanten  quellen  schöpfen. 

Ich  gebe  zunächst  eine  kurze  Übersicht  über  beide  fassungen. 
Zabulon  oder  Savilon,  heisst  es: 

R.  21328  W.  156,9 

was  der  ftrste  dem  ie  wart  wa.s  der  erste  der  sich 

astronomie  bekaiit.  astrouoraie  ie  underwant. 

21344  15G,  11 

nu  sach  der  selbe  jungeliuc  eins  nalites  er  an   den   Sternen 
mit  zeichen  offenbaren  vant, 

daz  nä  zwelf  hundert  jären  daz  bi  zwelif  hundert  jären 

har  üf  dise  erden  wurde  ein  kint  geborn, 

ein  kint  solte  werden  daz    alle   Juden    gar    von    eren 
von  einer  megede  geborn.  stiez. 

von  dem  kinde  solt  verlorn 
werden  jüdische  diel. 

2135G  156, 15 

er  gie  behendecliche  erz  uiht  enliez, 

und  seit  ez  der  muoter  sin,  wie  schier  het  erz  der  muoter 

wan  diu  was  ein  Jüdin,  sin  geseit. 

sin  vater  was  ein  beiden. 


STUDIEN   ZU    REINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG. 


431 


213C3 
wau  si  sin  iuneclich  eisclirac. 

Auf  der  inntter  i'ut  forscht  Savi- 
lon  weiter  in  den  Sternen  und  er- 
fährt dnrcli  den  Satunuis.  ilie  gefahr 
für  die  jnden  könne  verhütet  ■wer- 
den, wenn  er  ein  Ideinez  hrierel  mit 
höhen  paragraff'en  und  mit  worten 
beschriebe,  die  ouch  icol  du  zuo  hör- 
ten, und  dann  diesen  brief  so  ver- 
bärge, dass  ihn  niemand  fände. 

2N3(i 
über  daz  wilde  nier  und  tief 
fuor  er  i'if  den  agesteiu. 

Es  folgt  eine  ausfülu'liche  Schil- 
derung der  von  Savilon  auf  dem 
magnetberg-  g-etroft'enen  eiuridi- 
tungen.  Unter  anderem  verfertigt 
Savilon  folgendes: 

21-18(5 
ez  was  ein  er  in  bilde 
und  hat  ei n  h a \n e r  i u  d e r  haut 
erzogen. 

Das  eherne  bild  hat  eine  ganz 
andere  bestimmung  als  im  Wrtbgkr. 
Zwar  handelt  es  sich  hier  auch  um 
ein  buch,  aber  um  ein  niyroviunzie 
buocJi,  mit  dem  Savilon,  um  ewig  zu 
leben ,  einen  geist  in  seineu  leib 
bannt,  indem  er  seine  füsse  auf  das 
Ijuch  setzt.  Die  übrigen  teufel  hat 
er  mit  drei  anderen  büchern  be- 
zwungen, die  er  in  eine  wand  ein- 
.schliesst.  —  Sonst  spielt  Savilon  im 
R.  selbst  die  rolle  des  eherneu 
bildes  des  \\'rtbgkr. 

21508 
er  hatte  an  dei'  stunde 
mit  angestrichen  sorgen 


150,7 
er  was  ein  Jude  von  muoter  art, 
ein  beiden  vaterhalp. 

157, 1 
diu    frouwe    wart    in    schricken 

rOt. 

Zabulon  koninit  selbst  vermöge 
seiner  my.stischen  kenntnisse  auf  den 
gedankeu,  das  unheil  dadurch  abzu- 
wenden, dass  er  nach  der  Juden  kür 
ein  bucli  dichten  will.  Wie  er  das 
buch  nun  mit  allen  nigromantischen 
künsten  anfertigt,  wird  ausführlich 
berichtet.  Ein  jähr  und  zwölf  Wo- 
chen arbeitet  er  daran. 

159,15 
einen  geist  er  twanc, 
daz  er  imz  üf  dem  agetsteine  be- 

Davou  niclits  im  Wrtbgkr. 


KiO,  3 

der   meister  da   ein   bilde  üz   ere 

der  Schrift  ez  hüeten  sol.  [göz: 

100,7 

einen    klüpfel    truoc  ez  in    der 

der  stuont  ze  swterem  zil.  [haut. 


432 


6E)REK.E 


den  kleinen  brief  verborgen 
im  selben  in  daz  ore. 


Savilou  bannt  ferner  einen  teiifel 
in  ein  g-las  (vgl.  Zs.  t'da.  35,  1  tu)  f.)  und 
verbirgt  dies  imden  an  des  steines 
pfut. 


Ein  hell  ze  Lamperten,  fürst  und 
berr  zu  Mantomve,  Yirgil,  der  grosse 
reichtümer  besass,  gieng  mit  seinem 
gelde  so  verschwenderisch  freigebig 
um,  dass  er  gänzlich  verarmte. 


Virgil  hört  von  Savilon  und  macht 
sich  mit  elf  begleitern  auf  nach  dem 
magnetberg.  Er  findet  den  geist  im 
glase  und  gewinnt  mit  seiner  hülfe 
den  brief  Savilons  und  das  vic/ro- 
manz/e  huoch  unter  dessen  füssen. 
Nun  schlägt  das  eherne  bild  mit  dem 
hammer  zu  und  tütet  den  Savilon. 
Zu  derselben  zeit  wird  Christus  ge- 
boren. 

Virgil  lässt  den  Savilon  von  den 
teufein,  die  er  befreit,  begraben. 

Darauf   stürzen    die    teufel    sich 

alle   ins  meer.     Nur  den  gei.st,   der 

in  dem  glase  war,  bannt  ^'irgil  mit 

list  wider  hinein 

(vgl.  Massmann,  Kaiserchr.  3,  43S  f. 

K.  L.  Roth,  Germ.  4,  27b  f.;. 


Ifii),  0 
der  meister  sehoub  im  einen  brief 
inz  houbet  da  zer  nase. 

Wo  hier  mit  einem  male  der  brief 
herkommt,  von  dem  vorher  noch  nicht 
die  rede  gewesen  ist,  bleibt  unklar. 

Eine  fliege  in  einem  glase  aber 
verrät  dem  Virgil  das  buch.  Aristo- 
teles hat  diese  da  hineingesteckt, 
indem  er  seinen  gesellen  Klestronis, 
um  ihn  vor  der  höllenpein  zu  be- 
wahren, 'als  fliege  verwandelt  in 
den  rubiu  eines  ringes  bannte.  Aus 
diesem  ring  war  Klestronis  nachmals 
dem  künig  Tirol  mit  seinem  rat  beim 
Schachspiel  behülflich,  als  dessen 
haupt  zu  pfand  stand'  (Sinirock 
s.  302  f.). 

Iü3,  5 
ze  Röme  ein  rieh  gesiebte  hiez, 
daz  was  in  armuot  komen 
durch  ir  edelen  milten  muot 

(Simrock  meinte,  die  erinnerung 
an  dieses  verarmte  geschlecht  hätte 
sich  im  R.  nicht  bewahrt). 

Dieses  geschlecht  will  die  schätze 
der  am  magnetberg  gescheiterten 
schiffe  auf  des  Aristoteles  rat  ge- 
winnen und  sendet  deshalb  unter 
Fabian  eine  schar  aus,  der  der  Zau- 
berer A'irgil  den  weg  zeigen  niuss. 

Damit  endet  die  geschichte  im 
Wrtbgkr.  Nach  Simrock  hat  die 
Kolmarer  liandschrift  noch  eine  fort- 
setzung:  Fabian  wird  von  einem 
greifen  verschlungen,  Virgil  gewinnt 
das  buch  Zabulons  und  befreit  erst 
den  geist  aus  dem  glase,  zwingt  ihn 
aber  dann  Avider  hinein. 


STUDIEN   ZU    liEINFKIED   VON   BRAUNSCHWEIG.  438 

Comparetti  (Virgiliu  nel  iiiedio  evo  1872,  deutsch  von 
Dütsclike  1875)  versucht  es  (s.  268)  aus  beiden  fassungen  die 
ursitiün,i>-liche  sage  zu  reconstruieren.  In  einer  sich  mehr  der 
fassung-  im  K.  näliernden  form  erzählt  dieselbe  sage  Heinrich 
von  I\nigeln  in  einem  gedieht  auf  den  zauberer  Virgil,  das 
Zingerle  (lerm.  5,  368  ff.  veröffentlicht  hat.  Comparetti  führt 
ferner  (s.  264  f.)  aus  der  Image  du  monde  (ed.  du  ^leril,  i\Ielanges 
archeol.  s.  456  ff.)  die  erzählung-  von  einem  besuche  des  apostels 
Paulus  an  Virgils  grabe  an.  die  gleichfalls  ähnliche  züg-e 
enthält. 

Das  buch  Zabulons  ist  nach  ihm  aus  dem  buche  über  die 
ars  notoria  entstanden,  das,  wie  Gervasius  von  Tilbur}'  weiss, 
von  einem  ?]ngländer  im  grabe  Yirgils  gefunden  sein  soll.  Im 
wesentlichen  wird  Comparettis  reconstruction  der  ursprüng- 
lichen sage  das  richtige  treffen. 

Simrock  vermutet,  dass  das  uns  verlorene  gedieht  vom  könig 
Tii-ol  die  grundlage  bildet. 

Erwähnt  sei  endlich  noch,  dass  Sahulon  auch  in  einem 
liede  der  Kolmarer  meisterliederhandschrift  (Bartsch  28,.  54) 
vorkommt,  das  nach  Bartsch  jedenfalls  jünger  ist  als  1308. 

\\'as  übrigens  die  bemerkung  im  R.  betrifft:  21720  wol 
fünfhundert  rnile  in  dem  agestein  man  sach  sivaz  iender  üf 
dem  mer  hescJiach,  so  vgl.  dazu  Comparetti  s.  256,  der  für 
Spiegel  von  solcher  Wirkung  belege  bringt.  Ich  füge  noch 
hinzu  Parz.  592,  wo  von  einem  warthaus  auf  der  wunderburg 
Klinschors  berichtet  wird,  in  dem  eine  säule  steht,  die  alles 
abspiegelt,  was  sechs  meilen  in  der  runde  geschieht. 

III.   Mittelalterliche  lateinische  Schriftsteller. 

Die  unter  dieser  Überschrift  behandelten  stellen  des  R. 
sind  leider  nicht  derart,  dass  sie  zuliessen,  ihre  quellen  zweifel- 
los und  bestimmt  anzugeben.  Das  liegt  in  der  natur  der 
Sache.  Es  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  behaupten,  woher 
der  dichter  z.  b.  seine  kenntnis  des  heiligen  landes  oder  sein 
naturwissenschaftliches  wissen  schöpft.  Er  hatte  dafür  viel- 
leicht gar  keine  directe  quelle.  Denn  was  er  berichtet,  und 
wie  er  es  bei-ichtet,  das  ist  meist  gemeinsames  wissen  der 
zeit.     Erzählungen  der  kreuzfahrer,   reisebeschreibungen,   ge- 

Uuiträge  iüt  guucbiclite  der  iluutiicheu  »praube.     XXllL,  2b 


434  GEREKE 

lehrte  compendien  fleissig  aus-  und  zusammenschreibender 
geistlicher  u.s.w.  haben  dafür  gesorgt,  die  bekanntschaft  mit 
solchen  dingen  allgemein  zu  machen. 

Dennoch  möchte  ich  glauben,  dass  der  E einfrieddichter  in 
einem  teile  seiner  angaben  wenigstens  sich  seine  Weisheit 
direct  aus  den  in  der  zeit  meistgelesenen  Schriften  des  Hono- 
rius  von  Antun  und  des  Yincenz  von  ßeauvais  geholt  habe. 
Ich  will  damit  nicht  behaupten,  diese  beiden  müssten  nun  für 
jeden  einzelnen  der  im  folgenden  behandelten  fälle,  wo  sie  als 
gewährsmänner  herangezogen  werden,  wirklich  (luelle  gewesen 
sein  —  und  ich  füge  darum  oft  auch  noch  andere  belegstellen 
hinzu  — ,  aber  ich  meine,  es  dürfte  immerhin  wahrscheinlicher 
sein,  dass  der  dichter  im  wesentlichen  alles  aus  einer  oder 
aus  zwei  quellen  schöpfe,  als  dass  ei-  seine  mannigfaltigen 
kenntnisse  von  überall  her  zusammengesucht  habe. 

Unter  den  statten,  die  herzog  Reinfried  in  Palästina  be- 
sucht, ist  natürlich  vor  allem  das  heilige  grab: 

181 38  uä  laugen  verreu  jären  sider, 

daz  grap  bi  der  selben  zit  do  Helena  lebte, 

stuont  vor  der  stat  ein  teil  liindan.      diu  nach  dem  krinze  strebte, 
do  Titus  und  Vespasiäu  diu  Constantinus  muoter  was. 

gotes  marter  rächen  nu  büte  man  die  stat  s6  daz 

und  Jerusalem  zerbrächen,  [vgl.  s.  427]      daz  grap  nu  in  der  kilchen  lit, 
als  cronicä  diu  wäre  seit,  und  da  diu  stat  bi  alter  zit 

do  wart  ez  von  der  kristenheit  lac,  da  lit  nu  buwes  niht, 

gebüwen  vestecliche  wider  wan  man  ez  noch  verwüestet  silit. 

Dazu  vgl.  Honorius  Augustodunensis,  Spec.  eccl.:  de 
inventione  sanctae  crucis  (Migne  172,  947):  Helena  (niater  Con- 
stantini)  sanctae  crucis  amore  accensa,  Hierosolimam  properat; 
convocatis  Judaeis  locum  Calvariae  sibi  demonstrari  poshdat, 
quem  tum  densitas  vepritim  atque  virguUorum  operuerat,  et  ideo 
incognitus  erat.  Nam  transactis  de  passio7ie  Domini  XL  annis 
Momani  Hierosolimam  funditiis  destruxerant,  et  aliam 
civitatem  Helius  Ädrianus  post  longo  tempore  in  alio  loco 
construxerat,  quam  suo  nomine  Heliam  appellaverat.  Do- 
minus enim  extra  portam  j^assus  et  sepnltus  legitur; 
qui  uterque  locus  quae  nunc  est  Hierusalem  hodie  ab  omnibns 
cernitur. 

Sicherlich  ist  für  die  geschichte  der  kreuzesauffindung 
Honorius  dem  dichter  nicht  einzige  quelle  gewesen;  denn  dieses 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON    BRAÜNSCHWEIG.  435 

tliema  ist  in  der  damalig"eii  literatur  (vgl.  Maissnianii,  Ivaiser- 
clironik  3,  849  ff.),  aucli  in  deutschen  predigten  (vgl.  Zs.  fdph. 
27. 195)  nnd  jedenfalls  in  i-eisebesclireibungen  viel  behandelt; 
für  die  mündlichen  berichte  der  kreuzfahrer  und  i>ilger  ferner 
niusste  natürlich  das  heilige  grab  den  niittelpunkt  bilden, 

A\'as  mich  aber  bewogen  hat,  dennoch  hier  den  Honorius 
zu  eitleren,  ist  die  mit  1\.  übereinstimmende  ziemlich  ausführ- 
liche angäbe  über  die  firtlichkeiten.  wie  ich  sie  in  den  sonstigen 
berichten  nicht  gefunden  habe. 

Reinfi'ied  sieht  ferner  die  stelle  da  <jot  ze  himelriclte  fiior: 

18159     (lä  siiuT  fiu'ze  zeichen  stät 
iu  (lern  steine  da  er  hat 
ze  jungest  ftf  ertrich  getreten. 

Honorius,  Spec.  eccl.  (Migne  172,  958):  vestigium  . . .  quod  ascen- 
ilens  hurenae  hnpressit,  adhuc  locus  ille  retinet.  Vgl.  auch  Vin- 
cenz  Bellov.,  Spec.  bist.  7,  G4  aus  Petrus  Comestor.  Beda,  De  locis 
sanctis  (.Migne  98, 1184). 

Legenden,  deren  im  R.  erwähnung  geschieht,  sind  folgende: 
1)  V.  13000  ff.  ]\rariä  gebiirt.  —  Honorius,  Spec.  ecclesiae:  de 
nativitate  :\[ariae  (Migne  172, 1000).  Alt.  pass.  (Hahn)  s.  5,  63  ff.; 
vgl.  Anz.  fda.  2,  233.  —  2)  v.  15942  ff.  Märtyrertod  des  heiligen 
]\Iauricius.  —  Honorius,  Spec.  eccl.:  de  sancto  Mauricio  et  sociis 
eins  (Migne  172, 1005).  ]\rassmann,  Kaiserchronik  3,  779  ff.  — 
3)  V.  2(3998  ff.  Wunderbare  Wirkung  des  leichnams  der  heil. 
Katharina.  —  Jacob,  de  Yoragine,  Leg.  aurea  c.  172.  Pass. 
(Köpke)  s.  088  f.  Im  übrigen  vgl.  Piper,  Geistl.  dichtung  des 
ma.  2,  81  f.  Knust,  Geschichte  der  legenden  der  heil,  Katha- 
rina (Halle  1889).  Im  anschluss  an  diese  legende  erzählt  der 
dichter  von  einem  kloster,  in  dem 

27008 
niht  nie  was  wie  zwelf  liehter  über  al 

ilenn  zwelf  herren  an  der  zal,  .scliön  lirinnent  nnde  reine. 

Wenn  eins  dieser  lichter  erlischt,  muss  von  den  zwölf 
mönchen  einer  sterben;  ist  dann  aber  die  zahl  der  mönche 
wider  ergänzt,  so  entzündet  sich  das  erloschene  licht  von 
selbst.  Dazu  vgl.  H,  Schiltbei-gers  Keisebuch  (hsg.  von  Lang- 
mantel, Lit.  ver.  no.  172)  s.  71.  Johann  von  Montevilla  I  (etwas 
abweichend). 

rnbekauiit   ist   mii-  die  (juelle  zu  v.  21042  ff.:  Sahmio  habe 

28* 


436  GEREKE 

aller  tiuvel  l:ruft   in    ein   gias   venvärket  (nach  Pass.  [Köpke] 
331, 35  ff.  in  ein  vas\   vg;!.  Wiese,   Zur  Marg-aretenleg-ende,   in 
den  Abhandlungen   .  .  .   A.  Tobler  dargebracht   [Berlin  1895J, 
s.  129  f.)  und  dieses  glas  aufgehängt  in  des  tempels  kröne, 
unz  die  von  Babilöne  und  wänden  diune  vinden  golt. 

sich  au  den  Juden  rächen.  dö  was  dez  grözen  guotes  solt  .  .  . 

daz  glas  si  dö  zerbrächen  (lücke) 

Vgl.  Vogt,  Beitr.  1,  286. 

Betreffs  der  benutzung  des  Honorius  s.  auch  oben  s.  423  f. 
Honorius  hat  aus  Isidor  unter  anderem  den  bericht  über  die 
sämmtlichen  wundermenschen  und  fabelhaften  tiere  entlehnt, 
und  es  ist  möglich,  dass  der  Ta einfrieddichter  neben  dem 
Herzog  Ernst  und  Rudolf  von  Ems  auch  hierin  Honorius  be- 
rücksichtigt. 

Was  er  über  die  planeten  und  über  Saturn  und  Jupiter 
speciell  sagt,  stammt  vielleicht  gleichfalls  aus  Honorius; 
sicher  ist  das  bei  der  undeutlichen  kürze  der  betreffenden 
stellen  nicht  zu  entscheiden: 

18G24 
ir    [der    planeten]    sibenvalteclicher      si  gar  wunderliche, 
die  berge  gar  durchlühten.      [schin      dö  in  einem  striche 
die  werden  herreu  dühten  iegelicher  sunder  schein. 

(Hon.,  Imago  mundi  1,  68  [Migne  172, 138]). 

Saturnus  zornecliche  mein  Jovis  des  loufes  güete 

tet  hie  kein  ungemüete  mit  senfteclicher  wise. 

(Hon.,  Philos.  mundi  2, 17—18  [Migne  172, 62  f.]). 

21383 
nam  aber  des  sternen  war  vollendet  hat  sin  loufeu  sus. 

der  da  nä  über  drizic  jär  man  seit  ez  wier  Saturnus. 

(Hon.,  Philos.  mundi  2, 17  [Migne  172.  62  f.]). 

Ausser  Honorius  benutzt  der  Reinfrieddichter  wahrschein- 
lich den  Yincenz  von  Beauvais.  Beide  haben  nämlich  über 
die  elephanten  solche  eigentümlich  besonderen  angaben,  dass 
ein  Zusammenhang  mir  ziemlich  sicher  erscheint. 

Wir  lesen  im  R.  von  den  elephanten,  die  der  könig  von 
Indien  dem  herzog  als  geschenk  sendet:  26230  an  ketten 
fuort  man  unde  zoch  si  fjezoycnliehe.  Dazu  vgl.  Vincenz,  Spec. 
nat.  19,  39  (aus  Plinius):  qtii  tumuliuantem  {^t.  elepliantem)  ca- 
tenis  coerceant. 


STUDIEN   ZV   REINFRIED    VON   BRAUNSCHWEIG.  437 

26241  f.  wild  erzählt,  dass  der  elephaiit  seine  jungen  im 
Wasser  gebiert.  Dazu  vgl.  Vincenz  a.  a.  o.  19,  44  (aus  dem  PI13'- 
siologus):  tempore  vero  partus  ingreditur  aquam  usque  ad  iibera 
et  ibi  x)arit  super  aquam. 

Entscheidend  ist  aber  nun  der  bericht,  wie  die  elephanten 
gefangen  und  gezähmt  werden. 

Zwar  beruft  sich  der  dichter  v.  2(3267  f.  (als  ich  wol  habe 
gehoeret)  auf  eine  mündliche  riuelle;  ich  glaube  aber  nicht, 
dass  man  den  ausdruck  hier  so  wörtlich  nehmen  darf.  Vgl. 
Viiic.  19,  49.  Eleplias  in  tihiis  iuncturas  non  habet,  nt  legitur  in 
besfiario*  dormientes  clephanti  numquam  recumbunt,  sed  cum 
labore  dcfatigati  sunt,  arboribus  magnis  applicati  se  recreant 
et  in  ijjsis  sujfulti  dormiunt.  qiiod  eorum  venatores  attendcntes 
locum  et  arbores  notant  casque  paene  succidimt.  quibus  cum 
elephantcs  inniti  secundum  consuetudinem  suum  putant,  rumit 
arbores  et  clephanti  cum  eis  ad  tcrram  prosternuntur  sicque 
capiuntur.  cum  enim  elephas  ceciderit,  surgere  non  calet.  sed 
ad  eins  barritum  elephantcs  plerumque  ceteri  currunt 
et  cum  sc  incurvare  ac  sociuni  erigerc  non  possunt, 
gemunt  pariter  et  barriunt  (dazu  E.  26276 — 26289).  {2)ar- 
vuli  vero  elephantcs  prout  valent  se  secum  sua  promuscide 
supponentes  cdiquando  erigunt  sicque  de  manu  venatorum  libe- 
rant).  ideo  aiitem  maior  elephas  cadens  surgere  non  valet  quia 
ossa  solida  sine  iuncturis  Imbet,  unde  tibias  et  crura  flectere 
non  imtest  (dazu  R.  26254—26260). 

*19,  39  (aus  dem  Ph3'siologus):  elephas  dum  arte  hominum 
succisis  arboribus  ingentia  membra  committit,  tanto  pondere 
supinatus  propriis  viribus  surgere  nequit,  quod  pedes  eius  nullis 
instituuntur  articulis.  sed  humano  solatio  surgit,  cuius 
arte  iacuit.  Itaque  helua  suis  gressibus  restituta  memor 
esse  beneficii  novit  in  magistrum,  quem  sibi  subvenisse  ag- 
noscit.  ad  ix^sius  arbitrium  gressus  movet,  eiusdem  voluntate 
cibos  capit  (R.  26290—26304). 

19,50  (ex  libro  de  nat.  rer.):  itaque  venatores  in  deserto 
quaerentes  elephantos  silvestres,  cum  cos  inveniunt,  domesticis 
praecipitmt  iUos  persequi  ac  percuterc  quousquam  oboediant  et 
defatigati  stando  quiescant.  tunc  venatores  illos  ascendunt  et 
percutiunt  ac  pungunt  et  movent  cos  ad  hoc,  ut  homines  timeant 
(R.  26326  ff.). 


438  GEEEKE 

19,42  (aus  Isidor) :  in  Ins  enim Persae  et  Lull  liyneis  turri- 
hus  coUocant:  tamquam  de  muro  iaculis  dimicant  (R.  26344  ff.). 

Aelinliclies  erzählt  Bartliolomaeus  Ang-licus,  De  proprie- 
tatibus  rerum  18, 4;!  (Xünibeig-  1492),  aber  einmal  fehlt  bei 
Bartholomaeus,  der  übrigens  älter  als  Vincenz  ist,  die  ang^abe 
des  Vincenz  19,  39  ^^  E.  26230  1;  ferner  hat  er  abweichend 
von  Vincenz  und  l\.  18,  42:  eleplias  autem  cum  sedct  flcctit  pcdcs, 
sed  non  imtest  fledcrc  pcdes  qnatuor  propter  pondtis  corporis, 
dormit  staute  corpore  et  pcdes  posteriores  flcctit  sicut  homo; 
endlich  fehlt  Vincenz  19,  39  (aus  dem  Physiolog-us)  ^=  R.  26290 
— 26304  und  der  bericht  von  der  Zähmung,  Vincenz  19,  50  = 
R.  26326  ff. 

Ungefähr  ebenso  wie  mit  Bartholomaeus  steht  es  mit  den 
angaben  des  Jacobus  de  Vitriaco  in  seiner  Historia  Hierosoly- 
mitana  (Bongars,  Gesta  dei  per  Francos  s.  1101). 

Alle  sonstigen  berichte  über  die  elephanten,  die  ich  kenne, 
erzählen  nichts  von  fang  und  Zähmung,  und  so  glaube  ich  hier 
mit  ziemlicher  Sicherheit  den  Vincenz  als  quelle  für  R.  an- 
setzen zu  dürfen,  zumal  der  dichter  bei  ihm  alle  die  einzelnen 
angaben  der  verschiedensten  quellen  vereinigt  fand,  die  er  sich 
andernfalls  aus  diesen  (Plinius,  Isidor,  Physiologus  u.  s.  w.)  erst 
hätte  zusammenholen  müssen. 

Die  dromedare,  erzählt  der  Reinfrieddichter,  laufen  so 
schnell,  26956  daz  man  einz  hundert  mtle  het  eins  tayes  wol 
geriten.  Dazu  vgl.  Vincenz  (aus  Isidor)  a.a.O.  18,45  centuni 
enim  et  amplius  miliaria  uno  die  pcryere  solet. 

In  demselben  Speculum  naturale  30,  16  findet  sich  aus 
Augustin  die  angäbe  Adam  ibi  quoque  de  diluvio  futuro  ac  de 
iudicio  per  iyncm  coynovit  et  libcris  suis  indicavit. 

Darauf  geht  direct  allerdings  R.  19750  ff.  wol  nicht  zurück: 

nii  hatte  Adam  offenbar  vei'derben  iiude  toeten. 

vor  langen  stunden  daz  geseit,  von  disen  grözen  noeten 

got  wolt  alle  menscheit  «eit  sin  wise  güete 

und  alle  creätiure  lang  vor  der  sintflüete. 
mit  wazzer  alil  mit  fiurc 

Hieran  schliesst  sich  nämlich  im  R.  die  erzählung,  wie  die 
menschen  vor  anbruch  der  sintflul  den  plan  fassten,  zwei 
Säulen  aufzustellen,  die  eine  aus  marmor,  damit  ihr  das  wasser 
nicht  schaden  kann,  die  andere  aus  Ziegelstein,  damit  sie  vor 


STUDIEN   ZU   BEINFUIED   VON   BRAUNSClIWElG.  439 

feuer  geschützt  ist.     Auf  diesen  säuleii  sollen  dann  die  taten 
der  menschen  für  künftige  geschlechter  aufgezeichnet  werden. 

Diese  meik\\ ürdige  geschichte  überliefert  Goropius  Be- 
canus  in  seinen  Hieroglyphica  (Antwerpen  1580)  1,11:  scribit 
...  Joscphus^)  ex  suoruHi  honnnuni,  nt  fullur,  traditione,  diias 
ante  düuvium  a  Scfhinis  columnas  erectas  fuissc;  alteram  late- 
ritiam,  tie  ignc  dissilirct;  alteram  lapkleani,  nc  aquis  corrum- 
peretur:  quaruni  utrique  astrono)mam  inticripserunt.  accepisse 
enim  ah  Adanio  geminam  totius  orbis  eversionem  futuram,  alteram 
per  vim  ignis,  alteram  per  vastam  aquarum  inimdationem;  et 
idcirco  eavisse,  iit  utrovis  modo  mimdns- periret,  caelestium  saltem 
motionum  doctrina  superesset 

Die  combination  nun,  dass  die  menschen  auf  diesen  säulen 
auch  die  warnenden  lehren  aufgezeichnet  hätten,  die  Adam 
seinen  kindern  betreffs  der  wunderbaren  kräuter  gab,  stammt 
natürlich  aus  dem  kojjfe  des  dichters  selbst.  Offenbar  hatte 
er  daran  anstoss  genommen,  wie  es  denn  möglich  sei,  dass 
in  folge  der  Übertretung  von  geboten  Adams  die  misgeburten 
entstanden  sein  sollen,  da  doch  die  Sintflut  ausser  Noah  und 
seiner  familie  alles  lebende  vernichtet  hat.  Da  hilft  er  sich 
denn  ganz  geschickt  mit  der  einfügung  der  geschichte  von  den 
beiden  säulen.  Ob  er  diese  aber  aus  derselben  quelle  schöpft 
wie  Goropius,  und  welches  jene  quelle  ist  —  denn  schwerlich 
geht  Becanus  direct  auf  Josephus  zurück  —  vermag  ich  nicht 
zu  sagen. 

Bei  der  erwähnung  der  arclie  Noahs  im  R.  sind  mir 
übrigens  immer  folgende  worte  aufgefallen.  Die  arche,  so 
heisst  es,  wird  vom  wasser  getrieben,  19747  mit  hmh  für  aller 
berge  jocli,  die  üf  der  erde  ligent  noch.  Was  soll  dieser 
sonderbare  zusatz:  die  berge,  die  noch  auf  der  erde  liegen? 
Zum  mindesten  gibt  es  zu  denken,  wenn  wir  bei  Honorius, 
Im.  mundi  1. 19  []\Iigne  172, 127]  (bei  Isidor  u.  a.  in  ähnlicher 
weisej  lesen:  mons  Arath,  super  quem  arca  Noe  post  diluvium 
requievit,  cuius  usque  ho  die  ligna  ibi  vidcntur.  Mir  will 
scheinen,  als  ob  es  sich  an  der  genannten  stelle  im  R.  um  ein 
misverständnis  handelt. 

Des  Vincenz  von  Beauvais  zweites  grosses  Sammelwerk, 

';  Josephus,  Auli<iu.  lud.  1,  2,  ;j. 


440  GEREKE 

das  Speculum  liistoriale,  kommt  vielleicht  noch  für  einige 
andere  angaben  im  R,  in  betracht. 

13102  ff.:  in  der  (jclnheäe  arlx;  die  sich  im  tempel  unter 
der  aufsieht  des  propheten  Hell  befindet,  liegen  verschlossen 
Moyscs  tvünschelruote,  Aarönes  dürres  ris,  die  steinernen  ge- 
setzestafeln  und  ein  eimer  mit  himmelsbrot.  In  der  bibel  ist 
von  dieser  aufbe Währung  nur  in  der  epistel  an  die  Ebräer 
(c.  9, 4)  die  rede  (Moses'  Wünschelrute  fehlt).  Ich  glaube  aber 
nicht,  dass  der  dichter  seine  kenntnis  aus  dieser  stelle  des  ihm 
wol  sicher  so  genau  nicht  bekannten  Ebräerbriefes  hat.  Er 
wird  vielmehr  auf  Yincenz,  Spec.  bist.  2, 17  oder  Petrus  Co- 
mestor,  Hist.  schob  (Migne  198,  1365  f.)  zurückgehen.  Aber 
auch  hier  fehlt  Moses'  Wünschelrute;  diese  hat  also  der  dichter 
selbst  hinzugetan.  Vgl.  übrigens  Kolmarer  meisterlieder,  Bartsch 
6,  200  ff. 

Der  Reinfrieddichter  erklärt,  wie  wir  schon  gesehen  haben, 
im  anschluss  an  Wolfram  die  entstehung  menschlicher  mis- 
gestaltungen  aus  der  macht  gewisser  wunderliarer  kräuter. 
Er  weiss  aber  auch  von  einem  einfluss  der  sterne: 

19858  der  frech,  der  zage,  der  iniuueclich  etc. 

al  irdenisch  figure  der  siech,  gesunt,  der  siis,  der  so, 

sich  rilltet  nä  der  sterneu  kreiz,  da  nach  die  sterneu  sint  geriht 

daz  man  noch  kiintlich  wol  weiz.  imder  den  ir  gebürte  pfliht 

der  wirt  ein  diep,  der  arm,  der  rieh,  mit  rehtem  loufe  hat  gezogen. 

Dazu  eitlere  ich  Hrabanus  Maurus,  De  magicis  artibus 
(Migne  110, 1098  f.):  geneses  enim  Jiominum  per  XII  coeli  signa 
descrihimt,  sidcrumqiie  cursti,  nascenthim  mores,  actus  et  eventa 
praedicare  conantur,  id  est,  quis  qiiall  signo  fuerit  natiis,  aut 
quem  effectum  habeat  vidae,  qui  nascitur  etc. 

Ferner  Albertus  Magnus,  De  secretis  mulierum,  II:  de 
foetus  formatione,  der  zuerst  im  allgemeinen  vom  einfluss  der 
Sterne  auf  die  menschlichen  geburten  spricht  und  dann  die 
besonderen  Wirkungen  der  einzelnen  sterne  der  reihe  nach 
durchgeht;  z. b.  Saiurnus  ...  facit  natum  qui  suh  co  nascitur, 
fuscum  in  colore  . . . ,  capiit  turhidum  et  hene  harhatiim,  . . . 
secundum  vero  animam  malus  est,  midtum  perfdus  et  mali- 
tiosus  . . . ,  Venerem  minimc  diligens  etc.  . . . ;  3Iars  facit  natum 
simm  ruhei  coloris  . . . ;  secundum  animam  vero  fallax,  incon- 
stans,  irascihilis  etc.;  vgl.  Parz.  454, 15  f. 


STUDIEN   ZU   EEINFRIED   VON    BRAÜNSCHWEIG.  441 

Ueber  Petrus  Comestor  vgl.  s.  il3. 

Auf  irgend  eine  mittelalterliche  lateinische  quelle  dürfte 
endlich  wol  das  ausführlich  erzählte  Sircncnahenteuer  zurück- 
gehen (22010  ff.).  Durch  den  bericht  des  schiffsherrn  aus  Kjulat 
verlockt,  Avagt  es  Keinfried  mit  zwei  begleitern  die  Sirene  auf- 
zusuchen, und  nur,  indem  er  sich  genau  derselben  list  Avie  einst 
Odysseus  bedient,  entkommt  er  glücklich  aus  ihrer  macht. 
Odysseus  erlebte  dieses  abenteuer  damals,  als  er  den  Achilles 
bei  Lycomedes  suchte  (22509—71  und  22595—98).  Die  Sirene, 
heisst  es  weiter,  zieht  hinter  Reinfrieds  schiff  her: 

22()10 
ir  was  ze  singende  so  gäch,  daz  ir  in  dem  übe  brach 

do  si  daz  schif  entrinnen  sacb.  von  iUterdon  daz  herze. 

Dieser  letzte  zug  beruht  A\alirscheinlich  auf  freier  erfindung 
des  dichters.  Dass  er  aber  eine  ganz  besondere,  eigentümliche 
quelle  über  Odysseus  gehabt  haben  muss,  wenn  nicht  etwa 
hier  ein  Irrtum  zu  gründe  liegt,  geht  aus  v.  24541  f.  hervor: 
der  hänste  riche  starp  üf  dem  mer  da  er  verdarp. 

Die  homerischen  beiden  des  trojanischen  krieges,  um  das 
hier  gleich  anzufügen,  kannte  der  dichter  sowol  aus  lateinischen 
quellen,  als  auch  aus  mittelhochdeutschen  dichtem,  die  die 
Trojanersage  behandelt  haben,  so  u.  a.  aus  Konrad  von  A\'ürz- 
burg.  Auffällig  ist  es  daher,  wenn  wir  gegen  alle  Überliefe- 
rung lesen: 

1994& 
Agamemnon  der  vor  Troie  pflac  wol  nffen  drizehen  jär, 

rehtes  legers  oifeubär  bräht  nie  so  manio  rotten  dar. 

Ich  möchte  deshalb  für  drizelicn:  diu  zelien  schreiben,  so 
dass  also  gelesen  Averden  muss:  ivol  nffen  diu  zehen  jär ,  eine 
betonungsAveise,  die  im  R.  nichts  anstössiges  hat  (vgl.  Jänicke, 
Zs.fda.  17,510). 

iV.    Bibel. 

Dass  der  dichter  eine  grosse  kenntnis  der  bibel,  besonders 
auch  des  alten  testamentes  hat,  geht  aus  zahlreichen  stellen 
seines  Averkes  hervor,  wo  er  scenen  aus  der  biblischen  ge- 
schichte  erzählt  oder  nur  berührt,  sei  es  um  diese  als  analoge 
fälle  für  irgend  Avelche  im  R.  vorkommenden  ereignisse  anzu- 
führen,  sei   es   um   bei  der  Schilderung  von  örtlichkeiten  des 


442  GEKEKE 

morgenlandes  ihrer  Vergangenheit  zu  gedenken.  Solche  ge- 
legenheiten  benutzt  er  dann  bisweilen  zu  ziemlich  weitläufigen 
excursen.  bei  denen  sich  oft  enger  anschluss  an  den  Wortlaut 
der  vulgata  zeigt.  Er  beruft  sich  melirfach  direct  auf  die 
bücher  der  bibel,  aus  denen  er  gesclujpft  hat  (vgl.  s.  377). 

Der  dichter  behersclit  den  biblischen  stoff  vollständig, 
wie  sicli  daraus  ei'gibt,  dass  er  oft  anspielungen  macht,  wo 
der  Zusammenhang  an  sich  das  nicht  nahe  legt. 

Ich  folge  bei  der  besi)reclning  der  biblischen  citate  der 
reihenfolge  ihrer  anführung  im  R. 

V.  8458  Susanna  —  Dan.  13. 

V.  10877  gott  Stifter  der  ehe.  AVäre  die  ehe  nicht  eine 
heilige  Ordnung,  so  hätte  ja  auch  gott  (d.h.  Christus)  und 
seine  mutter  nicht  an  der  hochzeit  teilgenommen,  bei  der 
Jesus  w^asser  in  wein  verwandelte. 

V.  10893  als  tvirz  am  eivamjcljcn  käu  —  Joh.  2.  Nacli  ur- 
alter tradition  (vgl.  Schönbach,  Altdeutsche  predigten,  anm.  z. 
1, 259, 19  ff.)  wird  diese  hochzeit  als  sant  Jöhans  hnUlouf 
(v.  10892)  bezeichnet. 

Da  die  ehe  zwischen  Reinfried  und  Yrkane  lange  zeit 
kinderlos  geblieben  ist,  fleht  Yrkane  in  einer  nacht  zu  gott, 
er  möge  ihr  ein  kind  schenken,  und  erinnert  den  herrn 
gleiclisam  an  ähnliche  fälle,  wo  er  auch  noch  spät  die  ehe 
gesegnet  liat,  so  u.  a.  an  die  geburt  des  Johannes  und  des 
Samuel. 

V.  1304G  ff.  erzählt  der  dichter  nach  Luc.  1  ausführlich 
die  geschichte  von  Elisabeth  und  Zacharias,  v.  13082  ff.  nach 
1.  Sam.  1  die  von  Anna  und  Elchanä. 

Samuel,  Annas  söhn,  weiht  den  Saul  zum  könig  (v.  13153 
—  1.  Sam.  10). 

In  derselben  nacht,  in  der  Yikane  so  betet,  hat  Keinfried 
einen  träum;  er  meint  an  der  walnlieit  dessen,  was  ilnn  im 
träume  offenbart  ist,  nicht  zweifeln  zu  dürfen;  denn 

13428 
wir  hall  gelesen  offenbar,  daz  er  daz  erscheiiule 

swaz  got  wilent  iiieinde,  dicke  in  sliife  tougen. 

So  hat  Ezechiel  im  schlafe  ivunderlich'm  dinc  gesehen 
(v.  13434  —  Ezech.  1, 1). 

Wie  dem  Reiiifried  das  traumbild  dreimal  erschienen  ist, 


STUDIEN    ZU   KEINFKIEl)    VON   BRAUNSCHWEIG,  443 

SO  hat  gott  den  juiigt'ii  J^aimu'l  dieiiiial  gerufen  (v.  13446  — 
1.  Sam.  3). 

Audi  Yrkane  hat  einen  träum  p:ehal)t  und  erzählt  ihn 
ihrem  gemahl.  Er  wünscht  deshalb  ihr  diesen  deuten  zu 
können  (v.  13691)  wie  Joseph  dem  Pharao  ((len.  41)  und  Daniel 
dem  Nabuchodonosor  (Dan.  4).  Merkwürdig-erweise  heisst  es 
13601  alsam  Joscp  tct  Salaniou,  offenbar  ein  Schreibfehler  des 
abschreibers  der  handschrift  statt  Fharaön,  da  dem  dichter 
bei  seiner  grossen  bibelkenntnis  solch  ein  irrt  um  nicht  zu- 
getraut werden  darf. 

¥A\\  ganz  ähnliches  versehen  muss  angenommen  werden: 

26732 
dem  Joachim  nam  er  sit  ze  ludiä,  waii  Jerusalem 

zepter  uiide  dyadem  vou  im  ouch  zerstoeret  wart. 

Statt  Indiä  ist  Jmleä  einzusetzen;  vgl.  Dan.  1,  1  anno 
tertio  rcijni  Joaliim  rcgis  Juda,  veiiit  Nabuchodonosor  rex  Ba- 
hylonis  in  Jerusalem  et  obsedit  ea)n  (vgl.  Zs.  f da.  17,  518). 

Yrkane  ist  ihrem  gemahl  treu  und  verrät  ihn  nicht,  v^ie 
Dalidä  Samsönen  (v.  15167  —  Jud.  16). 

Als  h'einfried  im  lieiligen  lande  sich  von  der  Übermacht 
der  beiden  bedrängt  sieht,  da  vertraut  er  auf  gott,  der  die 
kinder  Israel  vor  den  Aegyptern  und  Pharao  rettete,  indem  er 
diese  im  Koten  meer  ertrinken  liess  (v.  15804  ff.;  vgl.  v.  26988 
—  Ex.  14),  der  Moses  und  Aaron  erlöste,  15819  als  ich  hau 
10)1  Abirön  und  Datlidn  in  der  rihter  buoch  vcrnomen.  Die 
berufung  auf  das  Buch  der  richter  ist  allerdings  irrtümlich; 
denn  die  geschieh te  findet  sich  Num.  16. 

Der  herr  liess  dem  Josua  zu  liebe  sonne  und  mond  stille 
stehen  (v.  15834  —  Jos.  10);  dem  Gideon  gibt  er  ein  zeichen 
seiner  nähe  dadurch,  dass  er  das  Schaffell  üf  truJcener  erden 
mäht  von  totiwe  naz  (v.  15842  ff.  —  Jud.  6,  36 — 40);  er  führt  ihn 
trotz  seiner  geringen  schar  zum  siege  über  die  Midianiter 
(v.  15855—15883  —  Jud.  7). 

Die  Scheidung  der  schar  am  brunnen  wird  mit  ausdrück- 
licher berufung  auf  der  bnochc  schrift  (15869)  weitläufig  er- 
zählt (vgl.  s.411j. 

Mathathias  und  seine  fünf  söhne  vertrauten  auch  dem 
herrn,  und  er  schützte  sie  gegen  Antiochus  (v.  15904  ff.  — 
1.  Macc.  2j. 


444  GEREKE 

Judith  tötete  im  vertrauen  auf  gottes  hilfe  den  Holofernes 
(v.  15928;  vgl.  v.  26748  —  Jud.  13). 

Der  Fermn,  Eeinfrieds  treuer  begleitei".  ist  ein  freigebiger 
fürst  und  hängt  nicht  habgierig  an  seinem  gute: 

16790 
swer  aber  stsetecliohe  durch  einer  nadel  oere 

ist  siuem  giiote  luulertrui  ein  kemeltier  e  gienge 

nnd  im  dienet  sunder  wän,  e  daz  in  got  empüenge 

als  ich  wol  sprechen  hoere,  ze  siner  gnaden  trone. 

Vgl.  Luc.  18,  25  —  s.  413. 

den  muten  ist  diu  krOne  in  der  üzern  vinster  bant 

der  hohen  ewekeit  bereit.  da  niht  wanjämer  ist  erkant. 

die  argen  kargen  sint  geleit  U?iiÜ\.  25,  30.  8,  12. 

Als  Eeinfried  all  die  heiligen  statten  besucht,  an  die  sich 
Jesu  geschichte  knüpft,  erneuert  der  dichter  bei  jedem  ort  die 
erinnerungen  aus  des  heilandes  leben,  von  Nazareth  und  Beth- 
lehem an  bis  zum  Oelberg  und  zum  grabe  (v.  17981  ff.). 

Dabei  beruft  er  sich  einmal,  v.  18016  ff.,  auf  das  huoch 
der  kintheii.  Welches  der  apokryphen  kindheitsevangelien  er 
aber  meint,  ob  er  vielleicht  das  gedieht  Konrads  von  Fusses- 
brunnen  im  sinne  hat,  lässt  sich  aus  seinen  wenigen  allgemeinen 
angaben  nicht  constatieren. 

Zu  dem  geschlechte  der  riesen,  die  im  R.  mehrfach  auf- 
treten, gehört  auch  Goliath  (v.  18912),  der  erworfen  wart  von 
dem  ivcrden  reinen  Daviden  dem  Meinen  —  l.Sam.  17. 

Auf  seiner  reise  kommt  Reinfried  nach  Susa.  Diese  Stadt, 
bemerkt  der  dichter,  habe  könig  Aswerus  gebaut. 

249.52  unz  au  Ethiopiam 

des  gewalt  und  siniu  rieh  

sich  witenen  zertrande.  moht  sin  gebiet  geleite  gen 

von  Indiä  dem  lande  den  landen  gar  gewalteclich. 

Vgl.  Esther  1, 1  in  diebus  Assueri  qiii  reynavit  ah  India 
usqtie  ad  Aethiopiam. 

über  hundert  künge  rieh  truog  er  kröne  offenbar, 

drin  und  zweinzic,   daz  ist  war,  tuot  uns  diu  bibliä  wol  schin. 

Ebenso  v.  26718  ff. 

Die  zahl  dreiundzwanzig:  XXIII  ist  offenbar  aus  XXVII 
verlesen;  denn  in  der  vulgata  heisst  es,  Esther  1, 1  super  cen- 
tum  viginti  Septem  provincias. 


STUDIEN   ZU    REINFRIED    VON    BKAUNSCHWEIG.  445 

V.  24960  wirel  dann  von  dem  feste  erzählt,  das  Aswerus 
veranstaltete,  und  an  dt-ni  er  seine  gemalilin  (Vasthi)  verstiess, 
weil  sie  seinem  wort  nicht  gefolgt  war  —  P^sther  1. 

In  derselben  Stadt  Susa  wird  nun  eine  hkliffezU  insceniert, 
die  freilich  durch  einen  bösen  Zwischenfall  unterbrochen  wird. 
Das  veranlasst  den  dichter  zu  der  benierkung: 

25002 

gewisheit  uns  der  wise  tuot  ein  herze  dick  erluehe. 

Salamüu  in  silier  sehrift  bi  fröudeii  rielier  z(tlie 

daz  sich  von  des  valles  trift  lit  jaiiieis  aiigel  dicke. 

Vielleicht  bezieht  er  sich  hier  auf  Prov.  14, 13:  ristis  do- 
lore miscehitur  et  extrema  gaudii  litctus  occupat. 
In  Susa  regiert  nach  Aswerus  Arfaxät: 

2(i722 
iiä  im  der  küiiic  Arfaxät,  Assiriam  daz  rieh  du  hat 

der  Medeii  küuic,  über  laue  und  Ninive  die  grözeu  stat, 

uiauic  witez  riche  twane  da  von  er  gröze  mäht  ouch  truoc. 

und  werte  daz  iuz  zwelfte  jär.  den  künic  Arfaxät  er  sluoe 

Nabuehodouosor  für  war  uf  Eagan  dem  veWe  wit. 

Dazu  halte  man  Judith  1, 1  Arphaxad  itaque  rex  Mace- 
donnm  suhiugaverat  multas  gcnfcs  imperio  suo.  5.  anno  igitur 
XII  regni  siii  Nahuchodonosor  rex  Assyriorum,  qui  regnabat 
in  Ninive  civitate  magna,  pugnavit  contra  Arphaxad  et  ohtinuit 
cum    6.  in  campo  magno  qui  apiiellatur  liagaii. 

Nahuchodonosor  führt  die  Juden  gefangen  nach  Babylon 
und  hält  sie  dristunt  zivcnzc  und  zehen  jär  fest  (v.  2(3730  ff.). 
Seinen  hauptmann  Holofernes  tötet  Judith  (v.  26748  ff.). 

26754 
nä  im  Nahuchodonosor  starj)  von  den  vil  grözer  wunder  sint 

der  Dauieln  und  diu  zwei  kint.  geschriben,  weit  verderben  gar. 

Dan.  1,  0  fnerunt  ergo  inter  eos  de  filiis  Juda  Daniel  Ana- 
nias  Misael  et  Azarias;  es  wird  also  v.  20755  drt  statt  zwei 
zu  lesen  sein. 

Dem  Nabuchodonosor  folgt  sein  söhn  Balthasar, 

26759 
der  ouch  unlange  künic  beleip. 
nianes  thechel  phares  im  sdireip 
uiisilitediche  an  eine  want 
in  siiii-r  huhgezit  ein  haut  etc. 

Dan.  5, 


446  GEREKE 

2H7f.8 

da  von  in  der  selben  naht  der  der  erste  forste  was 

kam  Darins  von  Persiä  dem  Kriechen  ie  wart  undertan, 

und  .sluo<i;-  in  tot:  diu  lant  da  na  in  sluoc  snnder  valschen  wän 

dieuden  im  mit  friger  "er,  mit  stritlicher  werde, 

unz  daz  Alexander,  dem  wart  al  diu  erde 

der  zepter  und  der  kröne  gemeinlicli  undertsenic 

truoc  ze  Macedöne,  und  was  herren  senic 

Philippen  sun,  als  ich  ez  las.  unz  an  in  na  der  buoche  sage. 

267S4 
niht  langer  wan  uf  drige  tage  die  von  jungen  jären 

wert  sin  keiserlich  gewalt.  wirde  erwünschet  wären, 

mit  untriiiwen  wart  gevalt  den  dienden  Hut  und  richiu  lant. 

in  tot  sin  vil  werdez  leben.  die  zwelf  knaben  alle  sant 

wolten  klinge  sin  als  er. 

der  werde  künic  hat  kinde  niht  zepter  und  dyademeu  ger 

von  rehter  arte,  doch  der  helt  leiten  si  mit  schalle 

het  zwelf  knaben  üzerwelt  gemeine  üf  sich  alle 

und  wolten  haben  küuges  uameu. 

1.  Maccab.  1,  1.  et  factum  est,  postquam  percussü  Alexander, 
FJälippi  Macedo,  qui  primus  regnavit  in  Graecia,  . . .  Darhim 
regem  Persarum  et  Medorum,  constititif  proelia  mnlta  et  ohti- 
nuit  oniniuni  mimitiones,  et  interfecit  reges  terrae,  3,  et  per- 
transiit  usque  ad  fines  terrae  et  accej)it  spolia  multitudinis 
gentium.  8.  et  regnavit  Alexander  annis  XII  et  mortuus  est 
(vgl.  s.  429).  9.  et  ohtinuerunt  pueri  eins  regnum  tmusquisque 
in  loco  suo,  10.  et  imposuerunt  omnes  sihi  diademata  post 
mortem  eius  et  filii  eorum  post  eos  annis  muliis. 

Die  zwölf  knaben,  die  Alexanders  nachfolger  werden, 
dürften  aus  einer  Verwechslung-  mit  den  zwölf  regierungs- 
jaliren  Alexanders  entstanden  sein. 

26812 

die  zwelf  künge  allesaut  zerstoeret  und  zerteilet  sus 

gewunnen  kint,  da  von  ir  rieh  von  der  stunt  nf  Anthyochus 

aber  wurden  wendellich  dem  wurzel  aller  bösheit. 

1.  Macc.  1,11  et  exiit  ex  iis  radix  peccatrix  ÄntiocJms. 

Macchabeorum  buoch  daz  seit, 

waz  er  tet  oder  ie  begie, 

wie  er  die  siben  bruoder  vie  etc. 

2.  Macc.  7. 

Der  dichter  wirft  hier  die  beiden  Antiochi  zusammen, 
Antiochus  IV  Epiphanes  und  Antiochus  V  Eupator. 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON   BRAUNSCHWEIO.  447 

Reinfried  gelangt  auf  seiner  ri'ise  mit  dem  persischen 
fürsten  an  den  berg-  Sinai,  wo  gott  dem  Moses  die  gesetzes- 
tafeln  gab  (v.  2()072).  und  an  den  berg  Horeb.  vor  dem  die 
Juden  das  goldene  kalb  machten  (v.  2(3976).  Die  bibel  versteht 
unter  Horeb  und  Sinai  ein  und  denselben  berg  (combination 
aus  zwei  verschiedenen  fassungen);  unser  dichter  redet  aus- 
drücklich von  zwei  bergen:  v.  2(3972  da.?  (jcbirgc  Sßnul,  v.  2(3970  f. 
ze  Oreh  . . .  nf  dem  berge  underJialp. 

Reinfried  sieht  den  felsen,  aus  dem  Moses  mit  seinem 
Stabe  Wasser  schlug  (v.  26980  —  Ex.  17),  er  kommt  in  die 
wüste,  wo  die  kinder  Israel  das  hiinmelsbrot  fanden  (v.  26990  ff. 
—  Kx.  16).  Endlich  erblickt  er  auch  das  (jeheizen  lant,  in 
tlem  milch  und  honig  tliesst,  und  die  trauben  so  gross  sind, 
dass  sie  zwei  männer  tragen  müssen  (v.  27026  ff.  —  Num.  13, 
24.  28).  Babylon  besucht  er,  27043  da  BfAhcl  der  turn  stät, 
von  dem  alliu  sumje  liät  noch,  tcandclUclie  spräche  —  Gen.  11 
(vgl.  s.  412). 

Er  sieht  die  statte  von  Sodom  und  Gomorra,  bei  deren 
brande  (v.  27071  ff.)  allein  Lot  und  seine  beiden  töchter,  mit 
denen  er  nachher  kinder  zeugte  (v.  27085  ff.  —  Gen.  19,  30—36), 
gerettet  wurden,  und  erblickt  in  einer  höhle  sogar  die  Salz- 
säule, die  einst  Lots  weib  gewesen  war  (v.  27091  ff.  —  Gen. 
19,  26;  vgl.  oben  s.  412). 

V.  Altlateinische  dichter. 

Die  beiden  römischen  dichter,  die  im  mittelalter  das 
grösste  ansehen  genossen,  und  am  meisten  bekannt  waren, 
sind  unzweifelhaft  Virgil  und  Ovid. 

l'nd  so  hat  sie  denn  auch  der  Verfasser  des  R.  gelesen. 
Er  kennt  die  Schicksale  des  Aeneas  und  der  Dido  (v.  3210  ff. 
und  V.  15260  ff.)  und  citiert  v.  321()  ausdrücklich  Yirgil  (Aen. 
4,  641  if.). 

Dass  Ovid  besonders  von  der  minne  gesungen  hat,  sagt 
er  v.  24562  f.  und  ^  1,^-72 

ich  wn-ii  und  lebt  Uvidius,  wie  si  mit  blozeii  üben 

er  müht  ez  iiiht  volschriben,  sich  uiub  einander  wunden. 

Dabei  denkt  er  gewis  an  die  Ai's  amandi. 
Die  im  mittelalter  bekannteste  erzählung  aus  den  Meta- 
morphosen  ist   die  geschichte  von  Pyramus  und  'J'hisbe  (Met. 


448  GEREKE 

4,  55 — 166);  auf  sie  spielt  der  Reinfrieddichter  v.  15266  ff.  an 
(vgl.  Bartsch,  einleitung-  zur  ausg-abe  Albrechts  von  Halberstadt 
s.  Lxff.). 

Aus  den  Metamorphosen  (5,  385  ff.)  kennt  er  wol  auch  die 
erzählung-  vom  raub  der  Proserpina  (v.  16442):  er  hat  aber 
daneben  Claudians  gedieht  De  raptu  Proserpinae  gfelesen,  wie 
wir  gleich  sehen  werden. 

AVenn  er  v.  25284  ff.  die  erstürmung-  des  himmels  durch 
die  giganten  Atlas  und  P^nschelades  und  ihre  bestrafung-  durch 
Jupiter  erwähnt,  so  beruft  er  sich  zwar  auf  eine  andere  quelle 
als  auf  Ovid:  25292  als  Fhenstis  fabellichen  sprach  gm  der 
ivandels  fricn  jimcfromven  Älac'ien,  d.  h.  auf  Theodul  (ecl.  85  ff.), 
wie  Laistner  (Germ.  26,  420  ff.)  nachgewiesen  hat  {Fhenstis 
fälschlich  statt  Pseustis).  Aber  in  dieser  ekloge  fehlen  die 
namen  Atlas  und  Enschelades:  Theod.  ecl.  85 

surrexere  viri,  terra  geuitrice  creati, 

pellere  caelicolas  fuit  oninibus  uua  voluutas: 

inons  cumulat  montem,')  sed  totiim  Mvilciber  hostem 

fulmiue  deiectum  Yulcani  trusit  in  aiitrum. 

Diese  namen  wird  der  dichter  vielmehr  aus  Ovids  Met. 
1. 151  ff.  haben  (Bartsch,  Albr.  v.  Halb.  s.  lxxiii).  Ich  erinnere 
noch  daran,  dass  Claudian  gleichfalls  eine  Gigantomachia  ge- 
dichtet hat. 

Ferner  finden  sich  im  R.  mannigfache  anspielungen  auf 
die  Herolden.  In  v.  24534  ff.  zählt  sie  der  dichter  fast  alle  der 
reihe  nach  auf  (Bartsch,  Albr.  v.  Halb.  s.  xviii):  24534  ff.  Bene- 
lope  de7}i  helt  ülixes  brief  unt  boten  sante,  Her.  1;  —  24544  ff. 
Dido  schreibt  an  Aeneas,  Her.  7;  —  24548  ff.  Briseida  schreibt 
an  Achilles,  Her.  3  (die  form  Briseida  statt  Briseis  findet  sich 
zuerst  bei  Dares  Phrygius,  vgl.  Dunger,  Die  sage  vom  trojan. 
kriege  s.  9);  —  24552  Pillis  großer  liebe  aht  schrei})  dem  helt 
JDemestico,  Her.  2  {Bemesticus  sagt  der  dichter  irrtümlich  statt 
Bemophoon);  —  24554  f.  Helena  schreibt  an  Paris,  Her.  IG; 
24556  f.  Medea  an  Jason,  Her.  12.    Auf  Her.  15  beziehen  sich 

jedenfalls  die  verse 

15184  ff. 
si  gap  oucb  discm  niide  dem  als  man  von  der  reinen 

niht  trost  mit  sinnes  meinen,  Helenen  seit  üz  Kriechenlant. 


')  R.  25290  berc  üffen  berge  büfeu. 


STUDIEN   ZU   REINFUIED   VON   BKAUNSCHWEIG.  449 

Vgl.  Ars  am.  2.  359: 

dum  Meuelaus  abest,  Heleue,  ne  sola  iaceret, 
bospitis  est  tepido  iiocte  recepta  sinu. 

Für  die  erzälilung  von  des  Achilles  aufenthalt  bei  Lyco- 
niedes,  seiner  liebe  zur  Deidanna  und  auffindung  durch  Ulixes 
nennt  der  dichter  v.  22592  des  Statius  Achilleis  als  quelle. 
Obwol  ilim  diese  geschieht e  auch  von  anderswoher  bekannt 
sein  konnte  und  auch  wol  sicher  wirklich  bekannt  war,  z.  b. 
aus  Konrads  von  Würzburg  Trojanerkrieg,  haben  wir  doch 
keinen  grund  ihm  nicht  zu  glauben,  dass  er  den  Statius  ge- 
lesen hat.  Die  angäbe  v.  22574  {icie  Schyron  zöch  den  heren) 
ein  lialp  ros,  ein  halber  man  fehlt  im  Statius;  also  ist  hier 
daneben  eine  andere  quelle  benutzt  (vgl.  Strauch  zu  Enikels 
W.  14551). 

Endlich  citiert  der  dichter  noch  v.  22488  den  Claudian 
für  Ori)heus.  und  zwar  bezieht  sich  dieses  citat  auf  das  gedieht 
De  raptu  Proserpinae;  vgl.  Claud.  34,  25  vicinumque  lupo  prae- 
huit  ayna  latus:  E.  2248G  der  ivolf  daz  schäf  dar  ftiorte  fridelich 
du  arheit. 

Dritter  abschnitt.     Stil  und  spräche. 

A.    Stil. 

K.  Eichhorn  hat  in  seinen  Reinfriedstudien  (teil  2,  Pro- 
gramm des  gymnasiums  zu  Meiningen  1892)  die  hauptsäch- 
lichsten stilistischen  eigentümlichkeiten  des  dichters  zusammen- 
gestellt, ohne  jedoch  zu  untersuchen,  ob  er  in  seinem  stil 
irgend  einem  bestimmten  vorbilde  gefolgt  ist. 

Aus  unseren  bisherigen  ausführungen  hat  sich  ergeben, 
dass  der  Verfasser  des  R.,  was  den  Inhalt  seines  werkes  be-. 
trifft,  ausser  durch  die  Spielmannsdichtung  besonders  stark 
])eeinflusst  ist  von  Konrad  von  Würzburg  und  Rudolf  von 
Kms.  Beide  sind  seine  landsleute,  beide  durch  quantität  und 
qualität  ihrer  productionen  in  hohem  ansehen  stehend,  zwar 
selbst  nur  epigonen,  aber  doch  ihre  mitepigonen  weit  über- 
ragend. Sie  haben  ihre  kunst  von  Gottfried  von  Strassburg 
gelernt;  von  allen  dreien  lernt  der  Reinfrieddichter,  ihren  stil 
bildet  er.  wie  sich  zeigen  wird,  bis  ins  einzelnste  nach.  Bei 
der  nahen  berührung  der  drei  lässt  sich  natürlich  nicht  immer 

Beitrüge  zur  t'eücbichte  der  deutBcliuu  spraolic.    XXIll.  29 


450  GEREKE 

mit  völliger  w«jiclieiiieit  constatiereii,  was  im  E.  aus  Konrad, 
was  aus  Rudolf  und  was  aus  Gottfried  stammt.  Bei  weitem 
das  meiste  jedoch  —  so  viel  stellt  fest  —  geht  auf  Konrad 
zurück;  denn  dieser  hat  unsern  dichter  auch  stofflich  am 
stärksten  beeinflusst. 

I.    stilistische  eigentümlichkeiten  im  sprachlichen 
ausdruck. 

1.  In  der  formulierung  des  einzelnen  ausdrucks  und 
gedankens. 

Unter  den  stilistischen  mittein  des  Reinfrieddichters  sind 
Eichhorn  am  auffallendsten  die  erschienen,  durch  die,  wie  er 
sich  ausdrückt,  die  darstelhmg  zum  verharren  genfitigt  wird. 

Diese  gewisse  breite  und  Avortreiche  fülle  des  stils  möchte 
ich  als  besonders  charakteristisches  merkmal  Konrads  in  an- 
spruch  nehmen.  Fast  alle  erscheinungen,  die  hierher  gehören, 
ziehen  sich  schon  als  ein  sanfter  bacli  durch  den  Tristan  hin ; 
bei  Konrad  schwillt  der  bacli  zum  fluss,  und  im  R.  wird  er 
gar  zum  ström.    Der  nachfolger  übertreibt  seinen  Vorgänger. 

a)  Tautologien. 

Die  häufung  verwanter  begriffe  in  zweigliedrigen, 
durch  und  verbundenen  tau tologien  lässt  einen  gewissen 
parallelismus  der  anordnung  erkennen. 

Ich  verzichte  natürlich  darauf,  alle  beispiele  aus  den  ca. 
28000  versen  hier  aufzuzählen  und  begnüge  mich  für  diesen 
punkt  sogar  nur  mit  der  anführung  einiger  weniger  Verbin- 
dungen, indem  ich  in  der  hauptsache  hier  auf  Eichhorns 
Zusammenstellungen  verAveise. 

Entweder  werden  zwei  begriffe  verbunden,  die  nur  nach 
ihrem  bedeutungsinhalte  zusammen  gehören,  also 

substantiva:  3951  mündel  unde  ivcngel,  5143  truren 
unde  leit,  5293  leides  unde  sorgen  (6709),  9298  lasier  unde 
schände;  adjectiva:  41(33  fraelich  unde  sclioßne,  X121  unlidic 
unde  hitter,  8684  vest  und  ellentrich,  oft  lidic  unde  fri  (1289. 
1587.  3231.  8388);  verba:  3741  sckiuhen  unde  fliehen,  3863 
prueven  unde  schouwen,  4548  prüeve  unde  l'cnne,  4769  meren 
tinde  wdhsen,  5341  siufzen  unde  truren,  8962  vuhien  unde 
riinyen  (11270.  15769),  17256  flehten  unde  bäten  (6258.  9958). 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON   BRA.UNSCHWEIG.  451 

Oder  beide  g-lieder  haben  stamnihafte  allitteration:  15969  fro 
unde  frccUch,  25583  fnelich  und  fro  15129.  14754.  23823  (beide 
Wörter  von  demselben  stamm;  vgi.  Trist.  (5581.  12382.  14367). 

Natürlich  sind  die  alten  formelhaften  Wendungen  vertreten: 
39  liep  unde  leit,  118  leben  unde  lip,  134  ivitiven  unde  iveisen 
(140).  138  schirm  unde  scliilt,  198  singet  unde  saget,  6120  Inife 
unde  Innt  (20684.  20716). 

Am  häutigsten  ist  der  fall,  dass  beide  giieder  durch  gleiche 
präfixe  alliterierend  verknüpft  sind  (für  Grottfried  s.  Preuss, 
Strassb.  stud.  1.  7  f.). 

Yerba:  9214  geUüemet  und  gerceset  (19226;  —  Kngelh. 
478.  Part.  3646.  Silv.  68.  835.  Gold.  schm.  618.  Troj.  16194.  35912. 
Kl.  d.  kl.  2.  8),  4820  erniuivet  und  erfrischet  (7047.  14680;  — 
Part.  12539.  14723),  5783  versigelt  und  vcrsloszcn  (5845;  — 
Trist.  17822).  Die  beispiele  sind  überaus  zahlreich  (vgl.  Eich- 
horn). Bisweilen  tritt  zu  den  zw'ei  gliedern  noch  eins  am 
schluss  des  voraufgehenden  verses  hinzu.  Ich  nenne  zu  den 
bei  Eichhorn  aufgeführten  Verbindungen  noch  folgende:  17335 
gedrceget,  geflogen  und  geivceget,  21123  erahien,  erdenken  noch 
ertrcüiten,  24813  versigelt,  verslozzen  und  verrigelt,  27409  ge- 
slihten,  geJceren  noch  gerihten; 

substantiva:  675  von  hmden  und  von  gesten,  14351  gen 
l'imden  und  gm  gesten  (sehr  häufig  bei  Konrad.  Trist.  6297. 
12541),  11648  ze  bette  und  ze  tische  (Engelh.  1947.  Trist.  15394). 
Ich  zähle,  w'eil  sie  Eichhorn  nicht  hat,  die  Wendungen  noch 
besonders  auf,  in  denen  sich  ausser  gleichen  präfixen  auch 
noch  stammhafte  aliiteration  findet:  12602  an  milte  und  an 
)iii(ote,  12724  an  manheit  und  an  milte,  17272  an  gelte  utid  an 
guote,  21659  mit  buoche  und  mit  bilde,  24603  das  Magen  und 
daz  klömven,  17009  mit  werken  und  mit  tvorten  (15197;  — . 
Mngelh.  746),  957  in  stürmen  und  in  striten  (22230;  —  aus 
der  Spielmannspoesie;  vgl.  oben  s.  376). 

Beliebt  vor  allem  sind  Verbindungen  wie:  1102  Iq)  und 
herze  (6193.  6696),  1909  sin  sin  und  sin  gedanc  (4228),  2393 
an  herzen  und  an  sinnen  (2417.  4175.  4209.  4225.  4359.  4590. 
6850.  17272  etc.),  3674  sin  und  herze  {■i2'Sl.  4272.  4478.  5222. 
5336  etc.),  4565  der  sin  und  ouch  der  muot  (4717.  6695),  4713 
herze  und  gcmiiete,  4722  herze  und  die  gedenke  (6304),  5328 
)itln  lijj  und  ouch  der  muot. 

29* 


452  GEREKE 

Tritt  nun  ein  epitlieton  zu  den  beiden  so  gepaarten  be- 
griffen hinzu,  so  lässt  sich  constatieren.  dass  der  dichter  hier 
der  weise  Konrads  folgt,  d.  h.  das  epitheton  tritt  zum  zweiten 
begriff,  wenn  es  inlialtlich  auch  schon  zum  ersten  begriffe  mit 
gehört  (vgl.  Joseph,  QF.  54,  45  ff.):  151  an  ere  und  an  tcerden 
siten,  2511  fröude  und  höhe  ivunne  (bei  Konrad  fast  stehende 
formel),  5359  an  urloup  und  an  alle  sage,  10558  durch  ere 
und  durch  iverdiu  ivip,    12133  Idag  und  jämerltchiu  not. 

üeberhaupt  verträgt  das  zweite  glied  viel  eher  eine  be- 
schwerung  als  das  erste:  625  durch  ere  und  iverder  ivthe  segen, 
2813  lop  und  miner  eren  pris,  5413  den  hünc  und  al  das  riche. 
1546  ir  lande  noch  ir  namen  pfliht,  10545  diu  mmre  und  des 
liampfes  vart,  12744  mm  sin  und  mtnes  herben  Jcunst,  14067 
mit  Up  und  mit  dem  guote,  14084  dur  guot  und  dur  die 
hünegin,  14179  mit  guot  und  mit  des  Ithes  lider;  vgl.  auch 
4481  so  vil  und  also  lange,  4859  .90  vil  und  also  dicke,  8957 
so  groz  und  also  mehtic,  14990  so  liep  und  also  leide  (Eugelh. 
935.  1257.  1286.  1499.  1666.  1991.  4663.  Part.  1111.  1863.  1941. 
4403.  8525  etc.). 

Besonders  häufig  ist  folgender  fall:  sollen  zwei  synonyme 
oder  überhaupt  begrifflich  verwante  Wörter  (verba)  gepaart 
werden,  so  werden  sie  auf  zwei  verse  verteilt,  und  das  zweite 
erhält  irgend  einen  erweiternden  zusatz  (Joseph  a.a.o.  s.  70): 
1912  siis  wart  sin  kraft  erfrischet  und  lüterlich  erniuivct,  3448 
miiese  schiere  heilen  und  minnecUch  verwahsen,  6463  sus  lert 
diu  minne  liegen  und  wandelUchen  biegen  (5879  f.  6975  f.  14139  f. 
23551  f.  23647  f.);  505  des  tvil  ich  iuch  iiz  rihten  und  üf  ein  ende 
slihten,  3399  iuch  einen  knappen  rüemen  und  so  mit  ivorten 
hliiemen,  4251  die  dar  uz  vielen  und  üf  von  herzen  wielen 
(4273  f.  5337  f.). 

Natüi'lich  finden  sich  auch  ausnahmen;  aber  die  fälle,  in 
denen  das  erste  glied  erweitert  ist,  sind  wie  bei  Konrad  ver- 
hältnismässig selten  (2409.  2431.  3353.  3458.  7181;  —  8949. 
2485.  12391.  12473). 

Der  parallelismus  der  anordnung,  der  in  diesen  ZAveiglied- 
rigen  tautologien  hervortritt,  ist  nicht  mehr  vorhanden  in  den 
mehr  als  zweigliedrigen  Verbindungen.  Namentlich 
häufig  sind  Zusammenstellungen  von  drei  gliedern,  deren 
letztes   mit   und   angereilit   ist:     225  ir  herze  ir  leben  und  ir 


STUDIEN   ZU   REINFRIED   VON   BRAUNSCHWEIG.  453 

muof,  3219  mm  sin  min  herze  und  min  gedanc,  3338  herz  lip 
sin  und  da  zuo  muot,  9383  lip  sin  herz  und  ouch  ir  muoi, 
3599  herze  leben  unde  sin,  5001  diu  lip  din  leben  und  din  sin, 
8859  ir  sin  ir  lip  und  ir  gedanc.  Beliebt  vor  allem  bei  Rudolf 
von  Ems:  Gerli.  7.  88.  127.  1029.  3971.  5055.  Bari.  39,  39.  276,6. 
341,37.  Ich  erwähne  besonders  beide  herze  sin  und  muot 
und  stelle  dazu:  Bari.  9,5.  26,20.  Weltchr.  Rudolfs,  Schütze 
2, 115,  35.  Stricker,  Dan.  33.  373;  Karl  1507.  4828.  6298.  Ausser- 
dem vgl.  Zingerle,  Germ.  6,224.  Jänicke  zu  Staufenb.  1112.  — 
Weiter:    918  zuht  er  und  miltelceit,    2609  guot  scelde  und  cre\ 

—  6179  lip  leit  unde  Iclagen,   8186  ir  leit  ir  sorge  und  ir  tve\ 

—  9947  lip  guot  friunt  und  mäge,  11825  gelt  guot  Hut  und 
lant,  11586  art  guot  gelt  lant  und  Hute:,  —  123  ze  swerte  sper 
und  sehnte  (4417.  7012). 

1691  troest  hilf  und  gib  mir  rät,  7285  hiez  flehte  unde  bat, 
11800  merke  prüeve  unde  sjjüre,  12513  birsen  beizen  unde 
jagen. 

2210  uize  dünn  und  Ideine,  25232  leidic  trüric  und  unfro; 

—  26381  brün  rot  gel  ivtz  grüen  unde  blä  (Part.  12248.  13446. 
14186.  15506.  21342.  21700.   Troj.  1410). 

Sehr  ausgedehnt  ist  im  R.  nun  endlich  noch  der  gebrauch 
der  asyndetischen  Verbindungen.  Entweder  reiht  der 
dichter  die  begriffe  an  einander,  indem  er  zu  jedem  einzelnen 
artikel,  pronomen  oder  präposition  hinzusetzt:  176  din  nam 
din  ivirde,  180  din  er  din  lop,  4376  sin  mäht  sin  gelt,  6408 
min  sin  min  herze  (6508.  9392),  6907  diu  turteltüb  daz  golt 
der  kus,  10150  sin  gelt  sin  guot  sin  lip  sin  leben  sin  Hut  sin 
mag  sin  art  sin  lant,  13176  ze  bett  ze  tisch  ze  weg  ze  sträz 
u.  s.  w.,  oder  ohne  solche  präfixe:  696  ritter  gräven  frigen  (27ol. 
6582.  8324.  9135.  12711.  14023),  4204  tanzen  ballen  springen 
singen  schallen  sivigen  harpfen  rotten  gigen  pfifen  hei  tamburen 
(die  zuletzt  genannten  Verbindungen  sind  auch  sonst  sehr  häufig, 
namentlich  bei  Gottfried  und  in  seiner  schule);  11122  triuwe 
mäze  milte  zuht  schäm  kiusche  bescheidenheit  demuot  gcdult 
stcetekeit  (122201  12269  f.);  —  10611  loup  gras  tier  vogel  iv int 
regen  donre;  417  orse  kleider  liehtiu  ivut,  453  mit  kleinet  har- 
nesch  lichter  wät,  9935  bürge  stet  gelt  witiu  lant. 

Bisweilen  mit  amplificatorischem  abschluss:  15665  naht  tac 
alle  stunt,  15809  ros  man  wegen  alle  diet;  2247  kröne  schappel 


454  GEREKE 

gehvez  här  stirne  hräiven  öugel  klär  nase  mündcl  tinne  hüffel 
ivengel  Mnne  Icele  neclcel  dl  der  Up  (Trist.  923.  Part.  12562). 

Rudolf  von  Ems  verwendet  ganz  besonders  häufig  solche 
asyndetischen  Verbindungen.  Zum  beweise  stelle  ich  nur  die 
aus  dem  Barlaam  in  betracht  kommenden  zusammen:  35,38. 
36,28.  54,15.17.  65, 13  f.  98,15.  111, 13  f.  112,  32  f.  115,35. 
149,281  155,27.  160,8.  162,26.  202,27.  221,7.  219, 3  f.  266,17. 
271, 2.  273,  29  f.  32.  285, 19  f.  297,  29.  310,  27.  363,  33. 

Dasselbe  stilmittel,  häufung  des  gleichartigen,  erkennen 
wir  in  der  manier  des  dichters,  verschiedene  hü Ifsverba 
zu  verbinden,  lediglich  aus  dem  gründe,  um  den  ausdruck 
voller  zu  gestalten:  6040  nu  Jcond  er  noch  enmohter,  6300  er 
tvolt  und  muose  minnen  (7895.  8853.  10182.  11889.  12539);  — 
12989  gelchen  mac  und  leben  sol  (13460.  13925.  14177.  14180. 
14258.  15641.  16779.  20306.  26568.  27125);  —  1598  min  Up  sol 
unde  muoz  arheiten  üf  die  zuovcrsild,  2424  da  von  sol  ein  iec- 
Itch  mimt  und  muoz  ein  icärer  böte  sin,  15008  sU  daz  du  niht 
wilt  bi  mir  sin  noch  getarst  noch  soll  noch  mäht.  Freilich 
treffen  wir  diesen  gebrauch  ausser  bei  Gottfried  und  seinen 
nachfolgern  auch  sonst  in  der  höfischen  epik  an,  doch  nirgends 
in  so  ausgedehntem  masse. 

In  ganz  ähnlicher  weise  werden  verschiedene  tempora 
desselben  verbs  aneinander  gereiht,  wo  dem  sinne  nach 
eine  form  ausreichen  würde  (Eichhorn  wendet  dafür  den  aus- 
druck polyptoton  an):  3015  beschehen  ist  —  beschiht  —  beschach, 
3590  ist  beschehen  und  beschiht  (5638),  4058  des  ich  niemer 
hct  gedeiht  noch  gedcehte,  5123  dienet  und  gedienet  hat,  11104 
minne  dm  gewalt  ivas  ie  und  ist  und  muoz  icmer  sin,  13454 
got  hat  getan  ze  manger  stunt  und  tet  ie  und  tuot  noch  (3456. 
4284.  6048  f.  8413.  11981  etc.). 

Auch  orts-,  zeit-,  conditionalpartikeln  etc.  werden 
so  gehäuft:  6872  sivenn  und  sivä  (7672),  7031  ivie  und  ivd 
(10547),  8029  ivie  ald  tvä  ald  war  (9191),  9555  ivie  —  wer  — 
wie  tvar  umbe  oder  tvä  von  (12075).  4640.  9601.  12180.  13729. 
15437.  15455.  15921  etc. 

b)  Antithesen. 

Das  dem  vorigen  entgegengesetzte  verfahren  ist  dies: 
gegensätzliche  begriffe  zusammenzustellen  oder,  wo  ein  be- 


STUDIEN   ZU    REINFRIED    VON   BKAUNSCHWEIG.  455 

stimmter  ausdruck  erfordert  wird,  zugleich  das  gegenteil  hin- 
zuzufügen. —  Die  anwendung  der  antithese  ist  mannigfach 
variiert. 

Am  einfachsten  ist  die  form,  dass  ein  Substantiv  mit 
seinem  attribut  in  Widerspruch  tritt:  12QQ  süezer  tvundcn 
tvunt,  12(37  ir  süezer  smerze,  1288  diu  säeze  strenge  niinne 
(1988),  1295  silezez  ungemac\  1399  minnecUcJie  sivcere. 

Oder  das  Substantiv  tritt  mit  seinem  prädicat  in 
Widerspruch:  4948  er  ivolte  in  dem  fiure  lieizer  minne  erfrieren, 
4954  sin  süeze  fröude  süren  Jcund  im  mit  höhen  riiuven  (Trist. 
11889),  4710  diu  süeze  Jean  mir  süren,  16866  ir  süeze  diu  Jean 
süren,  ir  liehe  diu  Imn  leiden.     Dazu  vgl.  Preuss  a.  a.  o.  1, 1  ff. 

Der  ausdruck  bekommt  so  zuweilen  das  aussehen  eines 
Paradoxon:  1800  in  kurzer  lenge  (11190.  14275.  20084), 
11065  mit  fraudem  richem  leide,  13357  tvachender  sldf,  18490 
der  lebende  töte  (Trist.  1845  tmd  ist  ein  lebelicher  tot,  18234 
sin  lebender  tot  [18472];  —  7741.  7788.  9596),  11746  bezzers 
bcesers  nie  niht  wart,  13022  ir  leben  was  des  todes  tot,  ir  höher 
fiint  der  helle  vlust,  16124  des  tvart  ir  senftez  släfen  unsenf- 
teclich  erwecket  (Trist.  12194.  19031),  20088  diu  swert  ze  beiden 
handen  diu  icip  univiplich  nämen.  Solche  Oxymora  liebt  natür- 
lich Konrad  auch  (vgl.  Joseph  s.  43). 

Weiter  werden  gegensätzliche  ausdrücke  gepaart: 
8242  Verlust  und  ouch  getvinne,  8868  geivin  und  ouch  Verluste, 
8264  sorgen  unde  minne,  9093  mit  übel  noch  mit  guote  {10087); 
3780  ivinter  unde  sumer,  13167  tac  unde  naht  (13175.  16732 
etc.),  4952  dient  unde  morgen  (5204.  6165.  7146.  7849.  8254. 
15644.  16748.  24336),  5380  dbent  unde  fruo;  —  8245  trüret 
nu  und  ivas  nu  fro,  10613  binden  und  entstricken,  11149  bindet 
und  entbindet,  verliurct  unde  rindet,  si  schiUet  unde  grüezet,  si 
siuret  unde  süezet,  si  leidet  unde  fröuwet  u.  s.  w.  -^  11163;  — 
9428  beide  arm  und  da  zuo  rieh,  ze  orse  und  zc  fuoz  gelich, 
veriväpent  nacket  unde  blöz,  ivip  und  man,  klein  und  gröz, 
12664  der  witzic  und  der  tumbe,  der  arme  und  der  riche,  junc 
und  alt  geliche,  klein  gröz,  edel  stvachiu  art,  14257  den  minsten 
und  den  meisten,  14334  den  minsten  und  den  merren  (17666), 
8995  stille  und  offenbar  (Part.  1835.  4359.  8591.  9633.  11620. 
17059.  Troj.  12943.  19002.  19294.  Silv.  213.  Welt  lohn  50; 
vgl.  Jänicke  z.  Staufenb.  1188);     11517    off'enlich   und   iougen 


456  GEREKE 

(1153.  9404;  —  Part.  2097.  6733.  8591.  15339.  18537.  Silv.  1326. 
Trist.  8117.  11510.  16349),  20780  stille  und  üherlüt  (Engelh. 
4354.  5008.  5078.  Part.  7068.  Silv.  5207  [Gold,  sclim.  1919].  — 
Bari.  260,  6  [383,  31];  vgl.  Jänicke  z.  Staufenb.  760). 

Ganz  wie  bei  Gottfried  werden  zuweilen  beide  begriffe 
anfangs  zusammengestellt  und  dann  jeder  für  sich 
behandelt:  17166  von  Babilön  dem  vogte  was  dirre  mmre 
linder scheit  beidiu  liep  und  da  zuo  leit,  lieh  umb  die  fro'lich 
angesiht,  leid  umb  die  Immpflichc  pfliht;  vgl.  2808  ff.  4009  ff. 
Trist.  937  ff.  3149.  4705.  8658.  15538.  16758  (Preuss  s.  24). 
Etwas  anders  24338  so  daz  der  junge  Minie  relit  von  Assyrie 
solle  nen  ivtp,  und  solle  im  die  gen  von  Asclialön  des  landes 
tvirt.  gen  und  nen  man  nilit  verbirt. 

Es  werden  aber  nicht  nur  einzelne  ausdrücke,  sondern  auch 
ganze  gedanken  antithetisch  gegenübergestellt,  in- 
dem entweder  der  erste  gedanke  im  zweiten  gliede  einfach 
umgekehrt  wird  (spiel  des  gegensatzes):  2230  als  ir  schin  dem 
golde  bot  und  daz  golt  dem  scJüne  icider,  2966  da  Jean  minn 
ere  heren  und  liert  oucli  ere  minne,  12846  ivie  leit  daz  liebe 
pfändet  und  liep  daz  leide  stoeret,  13760  in  vinden  ich  verloren 
Jiän:  so  vind  ich  in  Verluste,  17680  daz  hrump  machent  st 
sichte,  daz  sichte  st  künnent  hrumhcn  (Trist.  30.  2019.  9874. 
9878  etc.,  Preuss  s.  27),  oder  indem  überhaupt  zwei  entgegen- 
gesetzte gedanken  zusammentreten:  49  im  himel  dort,  üf  erden 
hie  (10935),  10903  gen  gote  dort,  der  weite  hie  (12647.  13863. 
14355);  11103  vor  gote  dort  üf  erden  hie,  23499  hie  der  tvelt 
und  dort  vor  got\  —  12443  den  gesten  liep,  dem  wirte  leit, 
12573  dem  Jmehte  hie,  dem  ritter  dort;  —  11414  der  tue  zergie, 
der  abcnt  an  vie  sunder  misseivende,  16081  diu  naht  diu  kan, 
der  tac  verswein  (7420  f.  11168  ff.);  —  1318  si  störten  senden 
riuwen  und  brähten  lustic  girdc,  7018  sin  herz  an  schänden 
leeret  und  üffet  an  den  eren  (2100  f.  118501  118661  168601); 
—  2390  ez  frömvet  in  dem  leide  und  smirzet  in  der  liebe,  4727 
in  fmres  gluot  ich  zitier  und  switze  in  Jcaltem  froste,  14880 
si  siuret  in  der  güete  und  liebet  in  den  leiden. 

Sehr  beliebt,  wie  auch  sonst,  ist  es  im  E.,  zAvei  personen 
und  das  von  ihnen  ausgesagte  antithetisch  darzu- 
stellen: 3792  sivaz  er  ivolt,  daz  vander  an  ir  nä  eren  hröjie. 
diu  minnecUche  schöne  vant  ouch  stves  si  gerte  an  im,  ivun  er 


STUDIEN    ZU    EEINFRIED    TON    BRAUNSCHWEIG.  457 

gciverte  si  mit  stcetes  herzen  sin,  sivcs  si  muotcn  moht  an  in 
(vgl.  Part.  1725  ff.);  3848  .<?/  ivas  siner  fröiiden  glänz,  er  irs 
herzen  liehter  schhi.  sin  munt  an  ir  nuindelln,  ir  wange  an  sin 
wange  etc.,  11005  er  was  ir  u'unsch,  si  was  sin  heil,  er  tvas 
ir  lip,  si  ivas  der  teil  an  dem  sin  hoehste  fröiide  lac.  er  tcas 
der  sorgen  niderslac,  si  was  sins  herzen  icunnc  etc.  (3774  ff.  0258. 
12783.  129341).  Oder:  1896  ivie  jenen  dort  gelinge  und  discm 
hie,  daz  läzen  sin,  9283  sprach  einer  hie,  der  ander  da,  11406 
u'ic  jene  dise  twingcn  und  disc  jene  verseren. 

Häufig  sind  die  aiititliesen  hin  —  her,  har  —  dar,  sus  — 
so:  5662  alsus  fuor  si  har  und  dar  mit  den  gcdenJcen  sus  und 
so,  2463  nu  tvendet  hin  und  denne  har,  6885  har  noch  dar. 

Meist  tritt  noch  anapliora  hinzu:  4869  nu  sus,  nu  so,  nu 
hin,  nu  her,  11267  nu  hin,  nu  har,  nu  dort,  nu  hie  (11333), 
15675  nu  hie,  nu  dort,  nu  dort,  nu  hie;  2664  nu  wil  er  hin, 
nu  ivil  er  her,  nu  wil  er  sus,  nu  ivil  er  so,  nu  ist  er  triiric, 
nu  denn  frö,  nu  teil  er  diz,  nu  teil  er  daz,  nu  liehet  im,  nu 
treit  er  haz  (6645.  10076  f.  12120  f.). 

Oft  werden  zwei  eigenschaften  entgegengesetzt, 
fast  immer  mit  anaphorischer  gliederung:  8791  cz  si 
iihel,  ez  si  guof,  ez  si  trüric,  hohgemuot,  ez  si  leidic,  ez  si  frö, 
ez  si  nider,  ez  si  ho,  ez  si  sivoch,  ez  si  gesunt;  16280  waz  wcer 
tunJicl,  wcer  niht  Mär?  tvaz  tva^r  He}),  wwr  kein  Icit?  waz  ivwr 
ruow  an  archeit  u.  s.  w.  —  16293. 

Eine  ganz  besondere  art  der  antithese  endlicli  findet  noch 
anwendung,  wenn  eine  eigenschaft  dadurch  hervor- 
gehoben wird,  dass  sie  erst  positiv,  dann  negativ 
ausgedrückt  wird  (vgl.  Kinzel,  Zu  Wolframs  stil,  Zs.  fdph. 
5,12):  9088  der  rösche,  niht  der  lazze,  18896  der  starke,  niht 
der  kranke,  20120  diu  freche,  niht  diu  kranke,  20236  der  ivise, 
niht  der  tumhe. 

Hierher  gehören  auch  Wendungen  wie  1213  einhelleclichen 
sunder  haz,  9919  stände  sunder  kniuiven,  11874  mit  eren  sunder 
schände,  12052  7nit  fröuden  sunder  schände,  15543  tougcnlichen 
sunder  braht,  24675  fraglich  sunder  riuwe,  25097  snelle  sunder 
trägen-  —  7475  snelleclich  unträge  (11324. 11456.  13936.  23729), 
11845  offenlich  untougen,  25074  offenlich  niht  stille  (vgl.  Kinzel, 
Zs.  fdph.  5, 13). 


458  GEREKE 

c)  Umsclireibiiiigoii. 

Ein  weiterer  g-rund  für  den  breiten  Charakter  des  stils  im 
R  ist  der,  dass  der  dichter  sich  oft  nicht  mit  der  einfachen 
bezeichnnng  einer  person,  eines  gegenständes,  einer  handlung 
U.S.W,  begnügt,  sondern  dafür  einen  umschreibenden  oder 
irgendAvie  erweiternden  ausdruck  anwendet. 

Ganz  wie  Konrad  vermeidet  er  'den  einfachen  sub- 
stantivischen begriff,  indem  er  ihn  'von  einem  anderen 
Substantiv  als  einem  umschreibenden  begriff  ab- 
hängig' macht  (vgl.  Joseph  a.a.O.  s.  33ff.;  hier  auch  zahl- 
reiche beispiele  aus  Konrad). 

Es  wird  z.  b.  der  eine  begriff  abhängig  gemacht  von  einem 
inhaltlich  übergeordneten  oder  gleichgeordneten:  557  mit  hohes 
hrahtes  dön,  1428  Schalles  hraht  (4213.  6991);  645  sam  eins 
diüires  dö^;  —  547  7)iit  geivaltes  mäht]  —  200  sunder  vorhtes 
zitier  (758.  10092),  1006  sunder  vorhtes  Up,  13611  sunder 
rorhte  schrecken;  —  339  haszes  nit  (12735),  22773  sunder 
hazzes  Mp\  —  12771  sunder  spottes  schimpfe  —  1841  sunder 
zivivels  ivanhe,  13039  an  zivtvels  meine,  13225  sunder  zwivels 
zadel;  —  14973  sunder  meines  schände,  21335  sunder  meines 
tragen;  —  301  ^e  mitter  meigen  zU,  1197  üf  des  abents  zit, 
12941  manges  järes  zit;  —  2497  üf  der  ivisen  velt,  7377  üf 
des  veldes  plane;  —  3501  üf  iväges  flücte,  15421  üf  des  wilden 
eueres  fluot,  16419  iif  des  ivilden  meres  vart;  —  15375  in  des 
ivindes  luft;  —  15824  sunder  strites  vehten,  15892  mit  siges 
strit;  —  195  in  aller  lande  kreiz  (4275.  4434  etc.),  1063  üf 
des  ringes  kreiz,  1564  iif  der  plante  kreiz;  —  4409  durch  aller 
lande  rinc,  10646  in  der  weite  rinc. 

Beliebt  sind  die  Umschreibungen  mit  ^///M:  llbO  mit  siner 
ougen  pfliht,  1546  ir  namen  pfliht  (1963.  1950.  2264.  2515. 
2623.  3041.  3172.  4019.  4030.  4708.  5881.  6073.  6734.  6748 
etc.;  —  Engelh.  800.  4798.  5371.  Part.  7907.  9207),  und  mit 
stiiire:  1243  nä  höher  eren  stiure,  7294  nä  höher  koste  stiure 
(3826.  5231.  5441.  7263.  7386.  7775  etc.);  ferner  solche  wie 
552  in  keins  herzen  sinne,  1097  manges  herzen  sin  (1285.  1423. 
1962.  2453.  2670.  3402.  5931  etc.),  1149  vor  sins  herzen  an- 
gesiht,  305  in  shis  herzen  grünt  (1265.  1398.  5498.  6913  etc.; 
—    Engelh.  2143),     79   sines  vesten  herzen  brüst   (Troj.  2726). 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  459 

Zweimal  umschrieben:  4677  mit  herzen  grunäcs  sinne,  471  mit 
ungewiters  dunres  krach  (Engelli.  1950  sines  muotes  herzen  (jir). 

Häufig  wird  ein  begriff  abhängig  gemacht  von  einem 
charakteristischen  merkmal:  851  der  rufe  gliz,  804  sunder 
ruomcs  gliz]  —  404  nä  hoher  ivirde  gelt;  —  808  der  lichten 
sunnen  glast,  7421  (7^5  morgens  glast,  8272  f.  der  sternen  glast 
verborgen  lac  von  der  tvolJcen  decken,  14899  des  Hellten  morgcn- 
sternen  glast,  14897  des  vil  lieht en  tnorgetis  brehen;  —  1110 
diner  gneisten  funken.  1787  des  u-ilden  fiures  gneisten;  —  767 
üf  des  schiltes  lach  (908.  1030.  1486.  1513.  99(35  etc.),  834  des 
randes  lach,  866  sins  helmes  tach  (1505.  1915);  —  1616  in  des 
todes  grimme  (22448),  13395  von  sorgen  quäle-,  —  1652  des 
jdmers  überflilzze,  3272  durch  mines  dienstes  innen,  4730  des 
jämers  koste;  —  599  näcli-  des  ivunsches  sagen,  2265  nä  ivun- 
schcs  luste,  2047  der  minnc  tivingcn,  5039  mit  trostes  gingen. 

Umsclu^eibung  durch  metaphorische  ausdrücke:  221  der 
minne  stricke  (444.  1395.  2002.  5187),  6526  der  sorgen  stricke, 
15311  todes  stricke;  —  327  dankes  gruoz,  1597  kusses  gruoz;  — 
1757  fiures  blicke,  13382  in  jämers  fiur;  —  2399  leides  angel 
(6325.  11522),    3703  untrimven  angel,    5391  der  minne  angel; 

—  6164  des  jämers  flecke,  15476  lasters  flecken;  —  8649  von 
iveinens  regene;  —  13194  üz  jämers  fürte,  16762  in  eren  fürte; 

—  22042  leides  orden,  22958  von  strengen  jämers  orden. 

Das  wort  pfliht,  das,  wie  oben  bemerkt,  gern  bei  dieser 
ausdrucksweise  Verwendung  findet,  Avird  auch  oft  mit  einem 
adjectiv  verbunden,  um  den  in  dem  adjectiv  liegenden  begriff 
als  Substantiv  zu  bezeichnen.  Und  zwar  gebraucht  der  dichter 
für  diesen  fall  adjectiva  auf  -lieh,  von  denen  er  eine  zahllose 
menge  hat:  3297  mit  dienestlicJier  xyfliht,  3504  mit  cineclichcr 
pfl.,  4897  nä  wirdeclicher  pfl.,  6010  zornliche  pfl.,  6605  nä  künec- 
lichcr  pfl.,  7208  jämerliche  pfl.,  8077  mit  tougenllcher  pfl.,  8477 
mit  urteilUcher  pfl.,  10494  mit  snellecUchcr  pfl.,  13502  in  släf- 
licher  pfl.,  15517  mithinderredelicher  pfl.,  11 11 Q  kämpf  liehe  pfl., 
22800  iscnliche  pfl.,  25112  mit  gevancUcher  pfl. 

Für  })fliht  kann  ein  anderer  allgemeiner  oder  specieller 
begriff  eintreten:  5401  mit  volleclicheni  rate,  bb91  mit  lobelicher 
t(ete,  0249  die  mortUchen  tat,  6262  mit  twinclicher  frage,  (5204 
kebcsliche  vart,  0411  gunstlichez  grüezen,  0814  mit  urteillicher 
lere,  6836  daz  kämpf  liehe  striten,  7125  7nit  klegelicher  schomve, 


460  GEREKE 

7240  mit  helfelicher  güete,  7291  7nif  snelledicher  ile,  7362  in 
engellicher  wtse,  7543  helfeltchen  muot,  7873  helfeltchen  rät, 
8191  2ivlvellicher  wdn,  8424  urteilUche  spor  (8653.  8679.  10084. 
10300.  11455.  13349  etc.). 

Dieser  letzteren  art  der  Umschreibung  weiss  ich  aus  Konrad 
oder  aus  seiner  richtung  nichts  ähnliches  —  wenigstens  in  dem 
umfange  —  an  die  seite  zu  setzen. 

Wol  aber  ist  Konrads  vorbild  widerzuerkennen  in  der 
ersetzung  eines  hülfszeitworts  durch  sinnliche  be- 
griffe oder  in  der  Umschreibung  eines  einfachen  ver- 
bums durch  einen  verbalen  ausdruck  (vgl.  Joseph  s.  41). 
Hier  spielt,  wie  anderswo  pfliht,  das  verbum  pflegen  eine 
grosse  rolle:  1587  sol  der  smerze  tvonen  ht  mir  alleine,  ich 
hin  tot;  6792  uns  muoz  iemer  lasier  hi  tvonen  umb  die  schände; 
—  5439  (diu  sache)  diu  im  nähe  in  herzen  lac;  —  2342  da  von 
lasters  müese  pflegen  min  ere,  4800  pflegent  von  mir  fluht, 
5094  pflegent  fliehte,  6292  für  die  not  der  er  nu  p)flegen  miiose, 
6345  (minne)  diu  so  hohes  namen  pfligt;  —  718  das  diu  sunne 
lüidergliz  nam  von  dem  golde;  836  von  Arahi  gap  liehten 
gliz  daz  ein  vach  (849.  1516.  1543.  7364  etc.);  17200  daz  diu 
liehte  sunne  an  im  ividerglenzen  hos;  —  1562  si  täten 
hohe  tüirde  seh  in,  1839  er  tet  mit  geivalte  schin  (1898.  7250. 
7574  etc.);  —  2674  nu  gap  im  minne  lere;  —  2972  stvä  diu 
minne  here  von  eren  hat;  —  19113  nam  val  zuo  der  erden. 

Sehr  gewöhnlich  ist  die  ersetzung  des  persönlichen 
Pronomens  durch  sinnliche  begriffe,  ein  stilmittel,  das 
schon  Wolfram  ausgiebig  verwendet  und  Konrad  bevorzugt 
(vgl.  Joseph  s.  37):  durch  lip:  114  sin  lip  üf  vier  und  zwenzic 
jär  an  alter  hat  die  zU  vertriben  (120.  184.  1004.  1598.  4452. 
6250.  6897.  6905  etc.),  durch  herz:  212  sit  daz  ir  herze  nie 
gewan  ämis  noch  wart  ämie  (420.  862.  1152.  1156.  1305.  1906, 
2115.  3975.  5596  etc.).  854  ir  herze  gar  an  sorgen  hlös  sus  üf 
den  hof  leisierten;  durch  sin:  688  sin  sin  so  höher  koste  pflac 
(2704.  6252.  6284  etc.);  durch  muot:  279  daz  sich  sin  muot 
ellendet  dar  (4644);  durch  band  hingen:  1234  ir  liepUch 
smieren  sach  in  an,  9420  sin  vart  vil  gähe  snuorte,  15309  sin 
ritterUehez  eilen  reit,  16214  ir  stritliehez  werben  sazte  sich  ze 
grözer  iver. 

In  ähnlicher  weise,  ganz  wie  bei  Konrad  (vgl.  Joseph  s.  38), 


STUDIEN   ZU   REINFRIED    VON    BUAUNSCHWEIG.  461 

werden  die  zeit-  und  ortsadverbia  umschrieben:  958  ^mo 
den  siten  (1533),  306  se  disen  ziten  (7810.  7003),  6835  U  den 
ztten  (8943.  9454.  9530),  6754  in  den  zUen,  8401  an  den  ztfen 
(11398);  —  7037  an  der  selben  stunde,  8643  an  den  selben 
stunden,  10208  an  den  stunden,  11200  an  der  sfunt;  —  15374 
«w  dem  zu,  14690  an  dem  selben  zil;  —  4927  ze  mdngen 
tagen,  4696  zc  allen  zUen,  652  vor  den  ztten  (8047),  7031  ze 
tvclher  stunf;  —  10251  alle  frist  (16423),  10286  alliu  zu,  13218 
alle  varf. 

Umschrieben  wird  bisweilen  auch  die  conditional- 
conjunction  durch  einen  ganzen  satz:  5632  ist  aber  daz 
ez  also  stät  (9737.  13297.  16024.  25376),  15025  und  si  daz 
got  dir  gnade  tue,  22451  ivcer  daz  daz  schif  het  gebiten. 
Hierin  ahmt  der  dichter  Gottfried  nach;  vgl.  Trist.  6098.  6103. 
6151.  6174  etc.  (aucli  Part.  2128.  4508.  4748.  10960  etc.). 

Endlich  ist  hier  noch  anzufügen  die  bildliche  Verstär- 
kung- uder  Umschreibung  der  negation,  die  sich  unter 
allen  mhd.  dichtem  am  häufigsten  zuerst  bei  Gottfried  findet 
(vgl.  Zingerle,  Ueber  die  bildliche  Verstärkung  der  negation  bei 
mhd.  dichtem,  WSB  39):  2177  niht  als  umb  ein  bappel  (Zingerle 
s.  459),  8394  er  ahte  niht  üf  einen  bast  (Zingerle  s.  429),  9417 
ahte  alliu  dine  als  einen  stoup  (Zingerle  s.  436),  9747  umh  ein 
liär,  14305  u.  ö.  umb  ein  Jcleinez  här  (Zingerle  s.  438  ff.),  18412 
niJit  ein  linse  geben  umb  (Zingerle  s.  421),  20837  umb  ein  bönen 
niht  gedenJcen  (Zingerle  s.  417),  22393  als  ein  wicke  (Zingerle 
s.  420),  22355  umb  ein  bräwe,  22407  umh  einen  snal,  24989 
daz  eines  punkten  niht  enbrast. 

d)  Widerholuugen  und  Wortspiele. 

Einiges  von  dem  hierher  gehörigen  hat  Eichhorn  unter 
der  Überschrift  'epizeuxis'  zusammengestellt.  Dahin  sind  also 
Wendungen  zu  setzen  wie  262  watig  an  wange  (2352  u.  ü.),  1099 
von  ring  ze  ringe,  1397  uz  oug  in  ougen,  2353  munt  an  munde 
(3840  u.  ö.),  2167  herz  in  herz,  sin  in  sin,  2183  gedenke  iht  zuo 
gedenken;  —  1729  sich  schar  und  schar  verwur reu,  \\2iS^  rotte 
in  rotte,  schar  in  schar.  Die  beispiele  sind  überaus  zahlreich, 
2635  gap  und  gap  (12589.  14661),  5987  bat  und  bat,  6148  er 
bat  und  bat  und  ich  verseil  lang  und  lang  und  mange  stunt, 
26039   er  lech   und  lech  und  Itch    (9489.  15765.  23909.  23455; 


462  GEBEKE 

—  Turn.  86  er  (jap  und  fjap  und  (jap  et  dar),  8432  timh  nnd 
imibe  (22054.  22802.  22349),  8663  dicke  und  dick  Gleichsam 
ein  ganzes  füllhorn  schüttet  der  dichter  aus  12  bi  guotem  giiot, 
so  hcßr  ich  jehen,  bt  siiesen  siiez,  bi  argem  arc,  bt  miltem  milf, 
In  kargem  karc,  bi  frechem  frech,  bi  sagen  sagen  icirt  man,  hwr 
ich  die  wisen  sagen.  Ebenso  184  f.  10710.  10903.  11706  ff. 
12606  ff.  12260  ff.'  17285  ff.  17742  ff. 

Anderes  nennt  Eichhorn  annominatio;  doch  gibt  seine  auf- 
zälilung  niclit  entfernt  einen  begriff  von  der  reichhaltigkeit, 
über  die  der  dichter  in  der  anwendung  dieses  stilmittels  verfügt. 

Er  setzt  z.  b.  einem  Substantiv  ein  adjectiv  von  demselben 
stamm  hinzu:  777  gm  minnecUcher  minne  (1690.  2461.  3613. 
10990  etc.),  3895  nä  kusUchem  hisse,  7588  frinntlich  friunt, 
11014  trütlich  trtit,  13312  wunderUchiu  ivunder. 

Oder  er  rückt  Substantiv  und  verbum  desselben  Stammes 
eng  an  einander:  3582  sioas  din  güete  giietct  (Trist.  8301  ir 
schijRne  diu  schanet),  7430  die  schar  geschart  in  glicher  pfliht^ 
13292  ein  rart  rarest  über  mer,  10343  manic  slös  entslossen, 
oder  irgend  welche  anderen  Wortklassen:  1266  süeser  wunden 
tvtint  (4959),  7995  an  ivirde  ivirdecltche,  11021  trätUch  getriutet. 

Die  beiden  stammverwanten  Wörter  stehen  nicht  eng  neben 
einander,  sondern  sind  durcli  Zwischenglieder  getrennt:  1082 
,  die  kriger  liefen  üf  ir  slä  mit  manger  lüten  krige,  1374  ich 
tvmie  das  sin  herse  wem  künne  höhen  dienest  tvol  froinven 
den  er  dienen  sol  und  den  sin  herse  dienest  treit,  1744  ein 
ritter  moht  dö  siniu  lider  ritterlich  erstvingen  (8390  f.  8668  f. 
90981),  2000  er  suohte  blic,  so  vander  an  ir  tvid erblicke, 
die  blicke  in  minne  stricke  ir  beider  herse  kmipften,  2297  mit 
urteil  hie  erteilet  (6811),  2580  j6  ivart  ich  der  wir  de  ge- 
lüirdet  nie,  so  mir  beschach,  2982  minne  in  minnecUcher 
gir,  4382  und  ivarp  mit  wirdekeit  da  nach  eren  und  nä 
werdekeit,  des  sin  nam  noch  tvirde  treit.,  4457  des  sin  s-ich 
so  versinte,  8471  das  wolt  erteilen  ir  ein  teil,  8476  und 
ein  ander  urteil  kam  also  mit  urteilltcher  pfliht,  8694  und 
minnten  gerne  minneclich,  10924  ivip  und  ivixüich  minnen 
ist  alles  hör  des  üb  er  hört. 

Klangvoll  verdienen  die  formen  der  annominatio  genannt 
zu  werden,  in  denen  die  stammverwanten  Wörter  einen  Wechsel 


STUDIEN   ZU   REINFRTED   VON   RRAUNSCHWEIG.  463 

des  vocals  (namentlich  ablaut  und  unilant)  zeigen:  808  daz 
da  diir  nicht  (jelcsten  molii  der  licltfcn  suniicn  (/last,  llO-i 
ei  süeziu  mi)inc,  dlniu  hant  hindent  sunder  Jieften,  2213 
lullten  licht  ir  tcengel,  2229  nie  luhtc  lichter  morijcnrot,  2821 
liehten  tac  üf  Vmhten,  13222  durcliliuliteclicUen  li%hte\  —  2880 
ja  mit  mangem  sivanlic  ir  ougen  zemen  swungen,  3004  ja 
der  sinne  senJce  sich  sancten  su  ze  gründe,  4871  mit  sivanhe 
übersivenkcnt,  5548  so  das  diu  x^fat  und  al  der  stic  so  in 
ir  herze  mohte  st c gen,  5932  sicenn  ir  hlicJce  schoz  üf  in  mit 
schüzzen  an  geverde,  9936  so  starläu  Iclien  liht  mhi  hant, 
11056  diu  kraft  mac  üherlcreftet  mit  keinen  Sachen  werden, 
13133  die  klag  in  klegelicher  art,  13230  in  dem  schin  er- 
scheinde. 

Bei  "^^^[derllolter  anwendung  desselben  Wortes  oder  stamm- 
verwanter  AvfJrter  entstehen  Wortspiele,  wie  sie  Rudolf  von 
Ems  besonders  liebt:  82  ein  vester  f rinnt  ht  friundes  rät,  96 
den  knehten  knehtes  reht  er  liez  (12540.  12554.  12568),  1145 
der  schoen  für  alle  schoene  tvac,  2471  und  friundet  friunt  in 
friundes  triff,  2957  waz  liep  mit  liehe  liebes  kan,  da  liep  cht 
liehe  liehes  gan  (Konr.  lied  22, 19  liep  noch  liehe  liehes  gan), 
3075  stvä  liep  ist  liebem  liehe  bi,  9824  nu  rät  ich,  ob  ich  raten 
kan,  oh  ir  mins  rätes  ruochent-  10780  stvä  liep  cz  liehe  hiutet 
liepUch  sunder  vorhte  schäm;  —  623  inl  und  vil  me  danne  vil, 
4429  ie  me  und  nie  und  aber  me  (Trist.  8079  wol  und  tvol  und 
alze  tvol)]  —  357  der  gerndc  kneht  tet  sinem  lop  mit  lohe  reht, 
wan  siver  sin  lop  ze  lobe  treit,  da  stät  nach  lobe  der  eren  kleit 
(ebenso  364 — 371),  15532  und  als  der  filrste  rieh  vernam  daz 
ez  friunde  ivären,  ir  friuntlicli  gebären  galt  er  mit  friundes 
gruoze.  vil  friuntllcher  unmuoze  huop  sich  ze  beden  slten  (vgl. 
Gerh.  1—115.  383—392.  1667—1679.  2422— 2425.  .2901—2907). 

Der  dichter  spielt  mit  mehrei-en  begriffen:  70  ist  im  der  lip 
erstorben,  tvel  nöt'f'  sin  lop>  doch  höhe  sucpt.  tre  dem  verzagten 
der  so  lept  sivenn  im  der  lip  alhie  verstirbt,  daz  sin  lo])  mit 
dem  Üb  verdirbt;  —  4454  do  im  der  lip  mit  leben  erstarp,  so 
lept  sin  lop  doch  iemer  me  (vgl.  Rol.  5447  f.,  zum  gedanken:  Parz. 
471, 13,  Iw.  16);  —  128  ein  man  der  mac  dort  und  hie  eriverben 
ritterlichen  solt.  ritters  ordcn  dem  ist  holt  got,  ob  er  ritterliehen 
stät  als  in  got  selbe  gordent  hat;  —  1110 — 1121  herz,  sin, 
minne;  2962—2973  minne,ere;  3504 — 3512  €in{en),  meine{n). 


464  6EREKE 

e)   Negative  aiisdnicksweise. 

Fast  alle  mittelliochdeutsclieii  dicliter  seit  Wolfram  kennen 
das  Stilmittel,  einen  positiven  ausdiaick  negativ  zu  gestalten, 
etwa  um  die  betreffende  stelle  liumoristiscli  oder  ironisch  zu 
färben,  oder  um  überhaupt  etwas  lebhaftig-keit  in  den  gleich- 
massigen  gang  der  erzählung  zu  bringen.  Es  mögen  also  hier 
aus  dem  R.  einige  beispiele  platz  finden:  45  diu  (iverJc)  wären 
an  untcete  las,  ivan  er  der  eren  nie  veryaz,  86  sin  stoite  triwe 
sich  nie  verharc,  286  ein  hünic  den  schände  yar  verhirf,  743 
tvan  im  kein  lasier  ivas  heJcant,  857  des  herze  ie  schände  ßöch 
(959),  917  des  herze  ie  schände  meit  (1219;  —  703.  1899.  1479), 
862  sin  herze  nie  ühertretten  hat  heine  stunt  der  mäze  riz, 
1230  shi  lip  lind  oiich  sin  leben,  sich  an  eren  nie  versneit;  — 
647  daz  cz  im  leit  zerstörte,  726  man  sach  da  niemen  triiren 
noch  haben  Iceine  stvcerc,  937  des  ivas  sin  sorge  gar  enzivei, 
2015  diz  tet  im  sorge  kranlcen-  —  706  giuden  brehten  was 
niht  tiiir,  3824  licplich  umberähen  mähten  si  untiure.  hoher 
sorgen  stiure  ivas  in  beiden  tvilde,  4938  fröude  ivart  im  wilde; 
—  604  so  daz  in  hoste  niht  enbrast,  614  dö  ivart  niht  langer 
dö  gebiten,  12946  der  eren  und  der  soliden  tor  ivas  in  beiden 
unverspart,  18190  daz  bitten  wart  niht  übertreten,  18458  ein 
smieren  ivart  da  niht  vermiten  von  den  fürsten  beiden  u.s.w. 

Eine  besondere  art  der  negativen  ausdrucksweise  haben 
Konrad  und  seine  nachahmer  in  die  epische  poesie  eingeführt 
(vgl.  Jänicke  DHE  4  zu  Wolfdietrich  D  5, 103,  2),  nämlich  die 
negierung  durch  äne,  fri  etc.  Den  Ursprung  dieses  stilmittels 
bei  Wolfram  zeigt  Kinzel  (Zs.  fdph.  5,  4  f .) :  214  diu  siieze  wan- 
deis frie  (1182  u.  ö.),  9698  diu  valsches  fri\  —  939  an  schänden 
gar  der  trcege  (1187),  2726  Palarei  den  troegen  an  allen  houbet- 
schanden;  —  1323  der  lauschen  wandeis  hranhen  (1842.  20200. 
20351);  —  1866  den  schänden  lazzen,  6192  der  veige  an  eren 
laz;  —  6208  der  eren  leere,  9008  an  zageheit  die  siechen  u.s.w. 

f)  Hyperbeln. 

Von  den  hyperbeln,  deren  verschiedene  arten  Eichhorn  im 
allgemeinen  vollzählig  besprochen  hat,  möchte  ich  hier  nur  eine 
besonders  charakteristische  klasse  hervorheben,  die  ich  bei 
Eichhorn  vermisse.  Der  dichter  hat  sie  zweifellos  seinem  vor- 
bilde Konrad  nachgebildet.     Es  handelt  sich  um  übertreibende 


STUDIEN    ZU    KKINFUIKI)    VOX    MKAUNSCIIWEIG,  1(55 

Versicherungen,  die  er  seinen  personen  in  den  niund  legt .  von 
der  art:  'elie  das  geschieht ,  ehe  soll  das  und  das  geschehen' 
(meist  'ehe  will  ich  tot  sein'):  2522  nein,  mich  müez  r  2)fenden 
der  tot  an  dem  übe,  c  min  munt  Jceinem  ivibe  ze  Jctis  sich  icmer 
biete;  4300  ich  tvolt  e  das  ich  wcere  tot,  c  ich  mit  sinnen  icmer 
ivolte  minnen  ald  meinen  andersivar  denn  iuch;  4762  ich  liez 
mich  in  die  erden  e  lebendigen  telben,  ich  tvolt  den  tot  mir  selben 
e  füegen  unde  schielten,  e  daz  ich  ...  (4786  ff.  4992  ff.  5160  ff. 
6118  ff.  etc.,  vgl.  Engelh.  3755  daz  ich  schiere  stürbe,  e  duz 
ich...;  4010.  4142.  5528.  5938.  6040.  Herzm.  210.  Sclnvanr.  629. 
Part.  2824.  6056.  6434.  7370.  9087.  9097.  9872.  10062.  11242. 
12944.  17352.  19322  etc.);  7668  ich  ivolte  mich  zersniden  e 
Idzen  und  zerhomven,  c  ...  (6562  ff.  8358  ff.  9734  ff.  9974  ff. 
10800  ff.,  vgl.  Engelh.  6058  ich  lieze  e  mich  zersniden  [vgl.  Jä- 
nicke  z.  Staufenb.  703]);  2762  e  wolt  ich  von  dem  lande  gän 
daz  mich  üf  geerbet  hat,  c  . . . ;  3704  c  ivold  ich  haben  mangel 
liebes  nnz  üf  minen  tot,  e  . . .  (vgl.  Engelh.  3745  e  daz  ich  ge- 
dcehte  ...  e  ivolte  ich  fröude  nimmer  noch  sceleJceit  geschouwen; 
5616.  6048). 

Von  all  den  übertreibenden  fornieln,  wonach  bisher  auf 
erden  nichts  dem  erzählten  ähnliches  zu  finden  ist  (vgl.  Eich- 
horn a.  a.  0.),  nenne  ich  besonders  folgende:  802  diu  ivelt  so 
hinnen  scheidet  daz  niemer  solich  hof  ergät,  11496  diu  ivelt 
sich  also  endet  daz  liep  bl  solhem  leide  von  einer  hinscheide 
so  gröz  geliche  niemer  ivirt. 

Endlich  erwähne  ich  noch  die  formein:  165  me  dan  genuoc 
(419.  25551),  623  vil  und  ril  me  danne  vil,  1307  me  denn  ze 
vil  (27117),  10425  me  vil  denne  gnuoc,  11907  vil  me  denne  gnuoc 
(15932.  24304),  24861  me  denne  vil. 

g)  Anaphorische  gliederuugr. 

Ueber  die  anaphora  bei  Gottfried  vgl.  Preuss  s.  28  ff. 

Dass  die  anaiihora  im  E.  bei  den  antithesen  häufige  an- 
wendung  findet,  haben  wir  schon  oben  (s.  457  f.)  gesehen;  und 
zwar  hat  die  widerholung  hier  meist  innerhalb  desselben  verses 
statt.  Dahin  gehören  noch  folgende  stellen:  6666  ...  nmh  al 
sin  tverben,  umb  sin  trüren,  um  sin  Idagen,  umb  sin  leif,  um 
ir  versagen,  umb  sin  dröuwen  . . . ;  9317  ald  waz  ich  tnoti  tdd 
uaz   ich    läu]     11106    vor  tac  vor  naht  vor  sunnen  sdiiti,    vor 

Beiträge  zur  gescUichte  der  deutecUen  spräche.     XXlll.  3U 


466  GEREKE 

Mmel  erde  ivazzer  luftg  vor  speren  trön,  vor  helle  hriift,  vor 
muneti  scMn,  vor  Sternen  hreis.  S.  Tristan  2387.  3744.  4051. 
4262  etc. 

Am  anfang  mehrerer  verse  findet  sicli  anapliora:  1)  eines 
nomens:  3624  minne  diu  Txan  linden  sorge  herter  denn  ein 
fl'ins.  minne  diu  glt  sivmren  sins  iren  besten  friunden  etc.  (im 
ganzen  12  mal;  s.  Troj.  2214  ff.  2540  ff.);  11002 ff.  minne  (22  mal), 
10916  ff.  w?j;(25mal);  —  2)  des  artikels  oder  eines  prono- 
mens:  3666  miner  fröiiden  anger,  mines  tröstes  ivirde,  mhies 
liistes  girde,  mtnes  herzen  ivunne  n. s.w.;  4418  ein  hruft  der 
rehten  milte,  ein  herndes  zun  der  zülde,  ein  ivurze  reiner  friüite, 
ein  stein  rehter  triuive,  ein  slöz  der  stcete  nimve;  —  3)  eines 
form  wort  es:  2904  so  nnirfcn  jene  dort  den  stein,  so  zngen 
dis  srhuhzahels2)il  eta.  (älinlicli  11328— 11331),  9680  tcie  (2  m.), 
23649  ff.  23658  ivic,  24230  tcie  (11  m.)  recapitulierend  (s.  Trist. 
4241  ff.);  10824  ff.  oh...  oh  . . .  ald  oV  . . .  uld  oh...  oh;  —  4)  meh- 
rere Wörter  zugleich:  C)02tf.  dar  nach  man  (2  m.),  5182  ff.  so 
sach  man  (2  m.;  113481),  5414  ff.  man /m;^  (2  m.),  5616  ff.  wilt 
du  (2  m.),  5660  ff.  wil  ich  (2  m.),  8816  ff.  ez  kilfet  (2  m.),  9388  ff. 
ach  got  ivie  (2  m.),  11 130  f.  ez  u-art  nie  herze  (2  m.). 

li)  Alliteration. 

Des  schmuckes  der  alliteration  bedient  sich  bekanntlich 
Gottfried  in  ausgedehntem  masse.  Rudolf  von  Ems  folgt  ihm 
hierin  mehr  als  Konrad,  und  im  i\.  finden  sich  alliterierende 
Verbindungen  ziemlich  häufig. 

Die  alten  formelhaften  Verbindungen  habe  ich  schon  oben 
(s.  451  ff.)  behandelt,  desgleichen  die  mit  alliterierendem  präflx. 

Nicht  formelhaft  sind:  2518  ran  und  ruoz,  6206  f.  grtsen 
und  grätven,   8938  Icraft  noch  Jcunst,   18312  schint  unde  scliirt. 

Es  alliteriert  ferner  ein  Substantiv  mit  seinem  attribut: 
797  diu  minnecllche  magt,  2333  holder  herze,  2685  sender  sorgest 
(3203.  3530),  2856  ivaldes  wilde,  2892  ir  minncclicher  munt, 
3331  mit  minnecUcher  meine,  3382  senden  sinne,  3861  sunder 
sorge  siveichen,  5065  uz  snren  sorgen  striclcent,  5281  heizer 
trehen  tropfen  (7043),  5348  der  minne  marterwrc  (6372),  6531 
in  wildes  waldes  vorste,  8975  onit  grözer  grimme,  9641  üfrehtc 
rede,  10039  iveltlicher  ivunne,  10543  starJccr  grüse  gröz,  17471 
mit  manges  sivertes  sivanlce  etc.; 


STUDIEN   ZU   IIEINFRIED    VON   BRAUNSCHWEIG.  467 

ein  verbuni  mit  seiner  bestimmnn^:  2170  vestcclkhen  vehen, 
2213  Uüitcn  lieht  (2229),  4348  warp  so  wirdedlchen  (4370), 
8361  ivolte  tviUecltchc,  9132  vasfe  vaht,  11146  lutcrUch  crlmJitef; 
—  1830  durch  die  rotten  rlten  (7303),  2223  in  rehter  mäze 
mischet,  2827  in  den  wolhen  tvcegen,  9289  mit  ivazzer  über- 
wallen  etc.; 

ein  Substantiv  mit  seinem  verbum  (subject  oder  object  mit 
prädicat) :  2061  höhe  fürsten  fuorten,  2566  al  min  sin  hesenget, 
3289  ich  merl-e  iuiver  meinen,  4680  liehte  vartve  vehvet,  8489 
die  ir  guotes  yunden  etc.; 

andere  Wörter:  450  üfsiben  soiimer  sunder  sein,  2019  sorge 
uz  dem  sinne,  2309  het  er  Mut  hie  verliuhen,  2388  daz  senen 
senftet  smerzen,  3344  in  so  ivunderlichiu  tverch  hat  minne  mich 
getvorren,  3358  ei  dö  si  so  süeze  sleich,  3802  leit  hi  liehe 
dicke  lit,  4064  minne  mit  ir^  mugende  ivürhet  wunderlichiu  dinc, 
5658  die  mir  zuo  gemuotet  hat  sin  miint  uf  minne  iverhen, 
6934  so  was  der  ören  ivünne  sin  tvildiu  tverch  diu  er  hegienc, 
7036  ir  sin  hegimde  senken  sich  an  der  selben  stunde,  8270 
die  lerchen  man  in  lüften  hoch  . .  . ,  8552  troeste  mhien  trüeben 
sin,  8676  der  ritter  ritterlichen  saz,  der  ivise  ivirdecUchen  hielt, 
9080  den  lip  er  liitzel  sparte  und  lief  in  ritterlichen  an,  9084 
da  von  er  sunder  lougen  an  hrefte  wart  geletzet,  15481  in 
waJlers  trise  sunder  teer,  20117  in  starken  stürmen  hcrtcn, 
heim  und  schilte  scherten  sach  man  mit  sivertes  swanke  etc. 

i)  Metaphern  und  bilder. 

Ein  gut  teil  der  Schönheit  der  poetisclien  spräche  beruht 
auf  ihrem  bilderreichtum,  denn  die  aufgäbe  der  poesie  ist  es, 
unsere  phantasie  zu  beschäftigen.  A\'er  also  ein  guter  dichter 
sein  will,  muss  über  einen  gewissen  Vorrat  von  bildern  ver- 
fügen können,  und  dazu  gehört  lebendige  anscliauungskraft 
und  phantasievolle  auffassungsgabe.  Nun  werden  ja  manche 
bilder,  die  wegen  ihrer  Schönheit  oder  ihrer  bequemen  anschau- 
lichkeit  öfter  anweiiduiig  finden,  schliesslich  allgemeingut.  Die 
bedeutung  eines  dicht ers  kann  also  nur  darin  sich  zeigen,  was 
er  hier  aus  eigener  kraft  neues  zu  schaffen  vermag. 

Unter  unseren  mittelhochdeutschen  dichtem  ist  die  zahl 
solcher  wirklich  originalen  dichter  nicht  allzu  gross,  und  diese 
sind  dann  für  ihre  minder  beanlagten  nachfolger  tonangebend 

3U* 


468  GEKEKE 

geblieben.  So  kann  es  denn  aucli  niclit  wunder  nehmen,  wenn 
der  im  Stoff  wenig  selbständige  dichter  des  R.  sich  in  seinen 
bildern  in  der  hauptsache  an  seine  niuster  anlehnt  und  sich 
in  den  herkömmlichen  bahnen  bewegt. 

An  erster  stelle  mögen  als  die  am  wenigsten  ausgeführten 
bilder  einige  metaphern  stehen.  ]\fehrere  davon  sind  von  der 
pflanze  und  ihren  teilen  hergenommen:  1304  mit  des  lohes  rtse 
yezieret  (Engelh.879),  9308  niinnecUche  fnüit  u.  ö.  (Engelh.  1487. 
4359.  4419.  Part.  286.  1543.  2947  etc.  Schwanr.  279.  1225  etc.), 
10782  da  hat  der  süezen  minne  stam  (10959;  —  Parz.  128,  28. 
j.  Tit.  721.  1326.  1065  etc.)  nä  hoher  fruht  (/avürzet,  119b9  der 
stceten  triuwe  ein  frühtic  stam;  —  2294  lif  in  hat  geziviget  ere 
ir  frühtic  lohes  ris,  11952  bitter  leit  mit  senden  Magen  hatte 
üf  si  geziviget  (2386.261361;  —  Engelh.  234  f.  878  f.  Troj. 
6655  f.  Bari.  353, 13  f.). 

Andere  metaphern  sind:  775  des  umnsches  Jcint,  der  scelden 
hört  (Engelh.  732.  5102.  5449.  5837.  6449.  Part.  1408.  1728. 
1948.  2444.  7270.  11032  etc.);  —  865  der  Iren  sedele,  2455 
des  herzen  tür  (Klage  d.  kunst  22,  7);  —  12946  der  eren  und 
der  scelden  tor  ivas  in  beiden  unverspart,  12998  den  auch  höher 
frühte  tor  ivas  versetzet  und  verspart,  13081  entslozzen  miner 
frühte  tor  (Part.  5768.  Parz.  649,  28);  —  10931  aller  scelden 
obetach,  11012  er  was  ir  fröuden  übertach  (ein  bei  Konrad  sehr 
beliebter  vergleich;  vgl.  Haupt  zu  Engelh.  454);  —  2556  der 
gnaden  schibe,  10834  der  smlden  schtbe,  13084  der  frühte  schihe 
(Engelh.  4400) ;  —  3198  der  minne  geiselruote,  12950  der  fröuden 
ivünschelruote  (Engelh.  3000);  —  1853  mit  mcmges  ruomes  kränze, 
4349  höher  eren  Icranz,  17377  lohes  Icranz  (Troj,  444.  15341. 
Part.  13531.  Parz.  260,  8.  343,  25.  394, 12.  632,  28.  Gerh.  6406. 
6605);  —  3579  der  sorgen  schür  (Engelh.  5401.  Parz.  313,  6. 
371,  7.  587, 13),  der  fröuden  schilt,  13073  der  seien  tröst,  der 
Sünder  schilt  (Gerh.  6331.  Wolfr.  Wh.  15, 15);  —  1395  in  minne 
striche  (2002  u.  ö.),  6526  der  sorgen  stricJce,  15311  tödes  stricke 
(Part.  7059.  7273.  12700.  Parz.  811,  4);  —  2399  des  leides  angel 
(6325.  11522),  3703  untriuwen  angel,  5391  der  minne  angel 
(Engelh.  1657.  Part.  8218);  —  8649  von  weinens  regene,  17259 
mit  manges  trehenes  regene  (Parz.  191,29);  —  VS194:  üz  jämers 
fürte,  16762  in  eren  fürte  (Parz.  114,4.  Wh.  177, 14);  —  2576 
minne  ir  scharpfen  wäfen  hat  über  mich  geivetzet;  —  3688  mit 


STUDIEN    ZU    REINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  4^9 

der  sorgen  lande  hat  miune  mich  gcse'dct  (Engelh.  0138  f.  Virg. 
340. 12  f.);  —  4489  . . .  trürcn.  in  sine  sinne  er  müren  hmde 
hitter  sorgen,  5341  siufzcn  nnde  irnren.  des  sach  man  so  ril 
müren  in  in  shis  herzen  sinne  (Konrad:  Engelh.  2142  ff.  Part. 
709.  3767.  Troj.  17052.  Herzm.  244  f.  Lied  14, 16  f.);  —  4512 
sin  sin,  sin  herze  waren  gar  in  der  not  versteinet  (Part.  1266. 
8314);  - —  2564  mir  Jiät  der  minnc  glüete  min  herze  so  em- 
pfanget daz  al  min  sin  besenget  ist  von  minne  fiure  (Engelli. 
975  f.);  —  4414  er  ist  ein  ivünschelruoie  an  ritterlicher  hrefte, 
. . .  ein  Txrnft  der  rehten  milte,  ein  herndez  zivi  der  zühte,  ein 
würze  reiner  friihte,  ein  stam  rehter  triutve,  ein  slöz  der  stoete 
nimve,  schäm  und  niäze  ein  ingesigel,  der  cre  ein  vester  houhet- 
rigel  (vgl.  Engelh.  472  als  da  zivei  ivahs  gedrücJcet  sint  in  ein 
vil  schcencz  ingesigel  [Part.  1308],  st  ivären  trimven  gar  ein 
rigel,  ein  vestez  slöz  der  st(vte):  ähnlich  10928  ff.  10958  ff. 

Von  den  eigentlichen  bildern  bezieht  sich  ein  gut  teil  auf 
die  Schilderung  der  kämpfe.  Manche  davon  sind  deshalb  schon 
früher  bei  der  vergleichung  solcher  darstellungen  im  K.  und 
in  seinen  quellen  zur  spräche  gekommen.  Darüber  darf  ich 
also  jetzt  mit  kurzen  andeutungen  hinweggehen. 

Die  rosse  sind  schwarz  "wie  pech  (414),  ein  vergleich  der 
sich  häufig  nur  bei  Konrad  findet  (Engelh.  4692.  Part.  18258. 
21004.  Troj.  11992.  Turn.  447;  vgl.  s.  392);  —  8390  der  ritter 
als  ein  engel  sttiont  geiväpent  ritterliche  (Engelh.  2644  ff.);  — 
8569  ein  hanier  tvizer  denn  ein  swan  (17181;  —  Engelh.  2525. 
Gerh.  785);  —  8587  (er)  schein  als  ein  zigenmilch  (sonst  nicht 
zu  belegen),  18908  er  triioc  einen  stviercn  schilt  höher  breiter 
denn  ein  tor  (21180  f.).  —  Die  ritter  brausen  auf  den  rossen 
heran  479  sam  daz  Wnotes  her,  oder  wie  die  Windsbraut 
(20144  f.  —  Engelh.  4770  f.  2774  f.  Part.  15948  ff.  20720  f. 
Troj.  3900),  oder  wie  die  falken  (884  f.  17338.  —  Laur.  371  f.), 
oder  wie  pfeile  (18985.  26171.  —  Part.  725.  15434.  Virg.  77,  4  f.); 
17335  nd  zirhels  mez  gedrwget  treffen  die  ritter  auf  einander 
(8880  ff.);  17402  reht  als  der  st  mit  zangen  zesamen  wolle 
heften,  so  sach  man,  si  mit  hreften  üf  ein  ander  dringen.  Die 
rosse  springen  wie  tier,  wie  hirzetier  (1011.  892  f.  —  Part. 
13711.  19423.  Troj.  3793.  Turn.  942.  Schwanr.  905).  —  Das 
krachen  und  splittern  der  Speere,  das  klirren  der  Schwerter 
und   das   dröhnen   der   schlage  wird  dem  donner  verglichen 


470  GEEEKE 

(902.  8910.  17353.  20376.—  Engelh.  4814.  Troj.  12242);  17316 
i'on  ir  fjoste  gie  ein  tunst  als  vor  dem  donre  ein  hlixen.  Die 
kämpfer  aber  sitzen  wie  eine  wand  von  stein  (1013.  11279. 
17095.  17330.  —  Turn.  846).  —  Als  ob  in  der  schmiede  die 
liämmer  auf  den  amboss  tengeln,  so  klingt  das  kanipfgetöse 
(1800  f.  9034  f.  —  Engelli.  2728  ff.  4852  f.  Turn.  794  ff.  812. 
Part.  14327  ff.  Troj.  4076  f.  12804.  32209.  37250.  —  Parz.112.  28. 
152,  5.  210, 4.  537.  27.  j.  Tit.  3897.  4203).  So  viel  feuer  schlagen 
die  ritter  aus  den  helmen.  8904  tccer  der  tac  erloschen,  man 
mohte  doch  da  hän  gesehen  von  der  liehfen  gneisten  hrehen; 
20508  ff.  man  hätte  schotihe  damit  entzünden  können  (Engelh. 
47801).  Die  ritter  kämpfen  mit  grosser  erbitterung:  9028 
unde  vaht  als  cm  wildez  ebersivin  (Wolfd.  D  9,  102;  vgl.  s.  375; 
18821  er  grein  als  ein  eberswm  ■ —  Troj.  5040);  1802  alsam 
die  hanfstengel  sach  man  die  rotten  spalten  (Turn.  778);  11308 
si  gäben  unde  leisten  herter  siege  sivmren  sins  (Turn.  857);  25678 
man  warf  und  schöz  cht  iemer  dar  in  si  reht  als  in  ffden  mist 
(Roseng.  [Grimm]  1934  f.  1937  f.);  8902  man  sach  die  helde  hliu- 
tven  einander  sam  die  droschen  (Part.  14463);  9004  von  müede 
sach  man  tempfen  man  und  ors,  ist  mir  hehant,  als  da  man 
holen  hat  gebrant  und  man  die  stat  siht  riechen;  vgl.  8670  f. 
(j.  Tit.  1535);  9116  daz  hluot  im  üz  der  ivunden  viel  alsam  ein 
grözer  vollic  lach  (Virg.  168,13.  205,13.  Roseng.  [Gr.]  1173); 
11310  von  Mizen  herter  denn  ein  flins  tvart  des  marldses  güftcn 
(2302.  10850;  Turn.  858.  Troj.  8693  [vgl.  Lexer  3,  405].  Wolfr. 
Wh.  76,  7.  j.  Tit.  5259);  17520  minn  und  ir  fiur  sertranden  sin 
siege  als  ein  riiebe  enztvei]  18995  sin  ors  reht  als  ein  ei  ze 
Studien  tvart  zerteilet  (Trist.  5691.  Engelh.  557.  Troj.  10672. 
Part.  8325.  Wolfd.  D  6, 176,  4). 

Eine  fülle  von  vergleichen  findet  sich  bei  der  Schilderung 
körperlicher  Schönheit.  Die  meisten  davon  sind  schon  be- 
sprochen, als  wir  den  R.  in  bezug  auf  seine  abhängigkeit  von 
Konrads  Engelhard  untersucht  haben. 

Das  haar  scheint  2112  durchliuhteclichen  reht  als  ein  schön 
durivünsclit  gespunncn  goli,  22510  als  ein  gespunnen  golt  ir  här 
(Part.  8638.  13565.  Troj.  3022  [Erec  1551]);  2120  gelivcr  denn 
ie  Tdäiven  tvürden  oder  sigen  eines  u-ilden  ivigen,  so  n-as  ir 
goltvarivez  här;  2134  so  gar  minnccUrhe  schein  ir  sclwitel  sam 
ein  Tiride\  —  2144  lanc  und  als  ein  slde  gel  was  irhdr,  26176 


STUDIEN   ZU    REINPRIED    VON   BRAUNSCHWEIG.  471 

gerispelt  reit  und  da  In  ral  icas  ez  rcht  als  ein  sidc  (vp;l.  ,Tä- 
nicke  DHB  4,  337;  —  Pai-t.  9430.  9722.  20244.  Troj.  23244);  — 
2152  diu  minnecUche  hliide  durliuhter  denn  ein  mandcl,  3844 
ivang  hl  liehten  ivangen  sam  ein  niandelliihfcn  (Part.  3350);  — 
2187  ir  miindel  tcart  gesellen  schon  durlinhieclichcn  hrclicn  sam 
ein  rose  in  fouwe;  224  der  scelden  tou  (Part.  295.  2092.  8520. 
j.  Tit.  3335) ;  —  2204  ze  mäzen  dicke  ir  lefsen  sam  ein  zunder 
brnnnen  (Part.  18415);  —  2212  sam  die  wilden  rösen  var  luhien 
lieht  ir  wemjel;  3840  mtint  hl  munde  bliiofe  alsam  ein  liehter 
rose  rot;  18G64  man  het  ze  mitter  nahte  von  ir  schoene  wol 
gesehen  . . .  manic  zunder  wirt  enzunt  niht  an  so  heizen  fiinJien 
so  nz  ir  miindel  sunJicn  mit  rede  sicenn  si  lachet. 

Ehre  und  riilim.  tilgenden  und  affecte  werden  gleichfalls 
gern  unter  vergleichen  dargestellt.  Die  bei  Konrad  so  sehr 
beliebten  bilder  von  Spiegel  und  glas  (vgl.  Joseph  a.a.O.  s. 42), 
lassen  sich  auch  im  1\'.  mehrfach  nachweisen:  2475  ir  küssen 
was  geliutert  alsam  ein  glas,  3562  si  {diu  trütschaft)  muoz  liiter 
linde  ganz  helihen  sam  ein  Spiegelglas,  7630  daz  ir  lip  den 
Spiegel  treit  oh  aller  hohen  schomre  (11003.  11528).  —  11958 
der  fr  (Jude  ein  liiter  Spiegelglas,  der  stceten  triuice  ein  frühtic 
stam.  da  von  ir  tvirde  unde  ir  nam  durliuht  als  ein  karfunkel- 
stein (Engelh.  5303  ff.  Part.  8758  f.);  —  75  sin  lehen  ivas  ge- 
hertet  sam  ein  adamas  (1508  f.  14465;  —  Part.  6340.  Troj.  6566. 
9583  etc.  Gerli.  802.  Rud.  Wh.,  v.  d.  Hagens  Germ.  10, 111, 12.  — 
Erec8426.  8923.  Iw.  3257.  a.  Heinr.  62);  —  364  sivä  man  den 
der  lohes  fri  ist,  mit  lohe  bekleidet  hat,  reht  als  der  siuive  ein 
satel  stdt,  so  gut  er  ander  lohes  sonn  (vgl.  Part.  8466  der  tum- 
hen  leihe  klärheit  gedihet  unde  ir  schocnez  dinc  reht  als  iiz  golde 
ein  edel  rinc,  der  eime  steine  tvirt  geleit  an  sinen  grans);  — 
368  sin  lop  zergät  alsam  der  troun  der  blinden  troamct  umh 
ir  sehen  (j.  Tit.  47.  [Parz.  1,  20]);  —  4782  als  hi'dem.  scharpfcn 
dorne  stät  liehter  rösen  hlüete,  also  ivas  bl  ir  güete  scharpfes 
Zornes  läge;  6926  sin  lop  unverdorben  alsam  ein  rose  hliieget, 
20742  der  alsam  ein  rösen  zicic  in  höhen  cren  hluofc  (7022  f.; 
—  Part.  4860  f.  6314.  20318.  Troj.  584.  Turn.  16.  Klage  d.  k. 
10,  7  [vgl.  .länicke  zum  Staufenb.  14tiJ).  11682  {diu  ivirde)  wirret 
unde  slihtet  in  cren  warf  der  kiusche  ivevel  (Part.  21687  f.  Turn. 
792  f.  Konr.  lied  1,  30  f.);  —  9166  ir  herze  in  höher  fröude  cnbor 
alsam  ein  frtger  vogel  flouc,     1646  alsam  (in  jinnjez  vcdcrspil 


472  GEEEKE 

claz  man  mit  Inodcr  reizet,  e  mit  im  ivcrd  geheizet  (22022  ff. 
2671  ff.;  Engelh.  19261);  —  23222  ze  frönden  brmjge  wec  und 
stic  ivaff  ir  rericüestct  und  rcrhagt  (23632  f.  24600  f.;  Part. 
21981  4914.  71601);  —  1316  (7m  irort  diir  sines  ören  duz 
reht  als  ein  mezzer  hiuiven,  2440  die  gedenhe  snident  heident- 
ludhen  sam  ein  swert  (6162  ff.;  Part.  8222  f.);  —  2552  als  isen 
von  dem  roste  gekrenJcet  wirt,  so  er  ez  regt,  also  ist  ouch  mir  rer- 
zegt  min  herze  in  minem  Übe  (62041  11740  fl);  —  3348  ich 
miioz  als  ein  äsptn  loup  von  sorgen  gröz  erzittern  (Part.  1234. 
Troj.  20697);  —  3470  rcht  alsam  diu  sunne  den  tou  von  tolden 
zücket,  also  würd  geliicJcet  mm  sin  ziio  hohgemüete;  6472  so 
der  lüge  gunterfeit  smilzet  sam  des  rifen  tuft  von  der  n-armen 
sunnen  luft;  —  3650  (minne)  du  fiierest  unde  trihest  mich  umh 
und  umh  als  einen  Jclöz;  6436  si  hm  an  mir  iv ecken  släfendes 
hundes  reizen;  10810  minn  ist  ein  sache  hwle  alsam  ein  scJiale- 
lösez  ei;  —  5068  iuiver  ive  gät  mir  ze  herzen  reht  als  ein 
wazzer  in  den  herten  stein,  der  da  von  nilit  erfiuhtet.  mit  nazzen 
schouhen  liuhtet  man  e  und  vazzet  mänen  schtn  in  secken,  e 
iuch  iemer  mm  hulde  werd  ze  teile;  8238  ein  uilder  hase  tvenken 
niht  kan  vor  den  hunden  so  tvol  ze  allen  stunden  als  ir 
herzen  sinne. 

Die  zuletzt  aufgeführten  bilder  die  ich  sonst  nicht  zu  be- 
legen weiss,  zeichnen  sich  entschieden  durch  eine  gewisse 
originelle  färbung  aus. 

Das  aussehen  von  sprüchwörtern  und  allgemeinen  Sentenzen 
haben  folgende  vergleiche:  4912  fl  55601  117321  12232  ff. 
12886  fl  14532 1  (vgl.  Lachmanns  Walther  106, 17.  Grimm,  Frei- 
dank s.  xc).  25472  1 

Als  völlig  ausgeführte  vergleiche  (allegorien)  mögen  fol- 
gende genannt  werden:  518  ff.  3062  ff.  8803  ff.  12903  ff. 

k)  Humor. 

Seine  ernsthafte  erzählung  versucht  der  dichter  bisweilen 
durch  witzige  bemerkungen  zu  unterbrechen,  die  in  ihrer  ganzen 
art  und  weise  an  A\'olframs  manier  erinnern.  Es  sind  scherz- 
hafte äusserungen,  die  er  an  irgend  welche  geschilderten  Situa- 
tionen anknüpft. 

Der  lärm  der  zum  turnier  anrückenden  ritter  war  so  gross, 
818  ezn  dorfte  nicmen  kosen  dem  andern  in  sin  örc.     Bei  der 


STUDIEN    ZU    RETNFBIED    VON    RRAUXSniWETG.  473 

Schilderung-  von  ^'rkanes  gewand  bemerkt  der  dicliter  schel- 
misch: 2262  ivas  si  dar  minder  hcete,  das  iceiz  si  wol,  ich  sack 
sin  niht.  Eine  grosse  schar  kommt  zum  turniere  dur  haaren 
und  dur  scJwuwen:  1332  ich  wcen  daz  ez  dem  rogtc  von  Born 
gewesen  wcer  ze  ril.  Als  Reinfried  und  Yrkane  ihre  braut- 
nacht  feiern,  scherzt  der  dichter:  10700  swcr  in  (jcirünschct 
hete  guoter  naht,  daz  ivcere  war  worden,  iveiz  ich  offenbar,  wan 
si  was  an  wünschen  da;  14834  ich  ivcen  daz  si  unlange  mit 
cinayider  rdhtcn  (ähnlich  sagt  Kourad  von  Partonoi)ier  und 
MeliiU'  Part.  1700:  oh  da  der  frönden  ril  gespart  von  im  irürde:' 
nein  ez,  nein).  Von  seiner  unbekanntschaft  mit  der  minne 
klagt  er:  12814  ich  sag  von  siiezer  minne  und  hevant  ir  silczc 
nie.  ich  tuon  reht  als  alle  die  sagent  n-iez  ze  Börne  stät  der 
ouge  ez  nie  gesehen  hat  (vgl.  ]\[arner  [Strauchj  178  f.  Uliland, 
Schriften  3,  227  f.).  Von  den  scharf  gegen  einander  auf  ihren 
rossen  ansprengenden  rittern  heisst  es:  1741G  ich  u-^n  mit 
hunden  hirsen  het  in  beiden  baz  getan;  17424  an  im  siegen  ich 
wol  spür  das  der  l'öwe  niht  lehte  der  nf  des  schilt  da  swcbte 
in  rubin  von  mergriezen  lac.  so  mangen  stielt,  so  mangen  slac, 
als  üf  in  dö  wart  geslagen,  het  er  lebend  niht  vertragen  dne 
widerJcrctzen;  —  20502  si  hatten  umbe  sich  geißelt  töten  sam  ein 
müre.  ein  solich  ndchgcbüre  wcer  mir  In  mir  unmanx  (vgl.  s. 375; 
Troj.  25657.  Wolfd.  D  4,  85,  2.  j.  Tit.  1952). 

2.   Widerholte  anwendung  gewisser  formeln. 
a)  Uebergang'sformeln. 

"Wenn  der  dichter  von  einer  episode  seiner  erzälilung  zu 
einer  anderen  übergeht,  so  bedient  er  sich  oft  einer  bestimmten 
formel,  die  er  der  Spielmannsdichtung  entlehnt  zu  haben  scheint 
(allerdings  auch  sonst  nicht  selten;  vgl.  Steinmeyer,  GiUt.  gel. 
anz.  1887  s.  807  und  note.  Diemer,  Deutsche  gedichte  zu  84,  20). 

Z.  b.  als  der  knappe  aus  Dänemark  an  den  herzog  von 
Braunschweig  seine  einladung  zum  turnier  ausgerichtet  hat, 
lässt  ihn  der  dichter  wider  abziehen:  377  nu  läzen  got  des 
liuappen  iiflegen.  ivie  er  gefüere  under  icegen,  daz  läzen  sin 
und  hcerent  ivie  von  Brünestvic  der  fürste  an  vie  sich  rihten 
üf  die  selben  vart.  Ebenso  heisst  es  4451  nu  läzen  got  des 
fiirsten  pflegen.  Aehnlich  8129  nu  läzen  wir  si  lägen  hie. 
harent  wie  ez  dort  ergie;     15359  nu  läzen  wir  die  reinen  hie. 


474  GEREKE 

hoerent  wie  ez  dort  ergie\  12056  nu  läsen  tvir  si  rlten  mit 
fröuden  ivnnneclichen  hie.  nu  hcerent  ivie  es  dort  ergie  (19217. 
23212).  Aus  Koiirad  weiss  ich  nur  Kugelli.  ir>29  ff.  anzuführen; 
sonst  Virg.  72, 4.  130, 1.  218, 1.  Laur.  1758;  vgl.  Steinmeyer  a.  a.o. 
Eine  andere  überg-angsformel  die  in  ihrem  ersten  teil  auf 
das  vorausg-eliende,  in  dem  zweiten  auf  das  folgende  zielt  und 
so  beides  verknüpft,  lautet:  5991  dis  muoste  sin,  ican  ez  heschach, 
6578  daz  muoste  sin,  ez  ivart  getan,  8331  daz  wart  getan,  wan 
ez  heschach  (10067.  10261.  11491.  12414.  19521.  24329;  — 
Trist.  5324.  Part.  4029.  5695.  9171.  11947.  17968.  Bari.  277,  9). 

1»)  Formeln  zur  wideranfiiahine  der  erzähluiig  nach  exctirseu. 

Der  dichter  liebt  es  seine  erzählung  ab  und  zu  durch 
excurse  über  Zeitverhältnisse  zu  unterbrechen,  in  deren  auf- 
fassung  er  sich  meist  als  starker  pessimist  zeigt.  Dem  treiben 
der  Zeitgenossen  gegenüber  stellt  er  die  personen  seiner  erzäh- 
lung  in  idealem  lichte  dar.  So  z.  b.  rühmt  er  den  herzog 
Reinfried,  der  nach  hohen  ehren  und  nach  ritterschaft  ringt 
und  dabei  doch  immer  gott  vor  äugen  hat:  133  des  ist  iez 
aber  leider  niht,  sit  daz  man  wittven  weisen  siht  in  allen  landen 
machen  von  ritterschefte  Sachen,  des  tet  er  niht  (75.  357.  431); 
12587  diz  tet  der  iverde  fürste  niht  (14538.  17716);  12633 
des  tet  der  hcrre  niht  (15230.  15519);  2475  diz  tvas  niht  hie. 

c)  Formeln  zum  abbrechen. 

ünterlässt  der  dichter  etAvas  genauer  darzustellen,  so  bricht 
er  ab  mit  rede  Wendungen  die  an  die  volkstümliche  epik  er- 
innern. Entweder  gibt  er  dafür  gar  keinen  grund  an,  sondern 
erklärt  einfach:  6988  von  den  ich  niht  sagen  wil,  17295  des 
hm  ich  leider  niht  gesagen,  17311  han  ich  ze  rehtc  niht  gesagen, 
25056  des  ivil  mins  herzen  meine  verswtgen.  Oder  er  erklärt, 
seine  kraft  reiche  nicht  aus  gegenüber  der  schAvere  der  auf- 
gäbe: 1422  des  möht  ich  hiindcn  niht,  und  het  ich  eine  tüscnt 
herzen  sin,  18636  da  zuo  ist  ze  trcege  min  zunge  in  dem  munde, 
23129  des  sage  ich  niht,  mir  ivoir  ze  laz  min  zunge,  soll  ich 
künden  daz,  25044  daz  ivcer  ein  gröziu  bürde  ze  sagende  der 
Zungen  min.  Er  fürchtet  die  leser  zu  langweilen:  2853  ich 
iveiz  ez  iuch  verdruzze,  9178  daz  Milde  iuch  Ithte  bringen  den 
sinnen  gros  urdriitze  und  ivcer  da  zuo  unnütze,  24934  ez  möhte 
niht  gehclfcn  daz  ich  iuch  seite  mcere.    Er  will  die  erzählung 


STUDIEN    ZU    REINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  475 

nicht    zu   lang   ausspinnen:     7335   da::   tccpr  zc   lanc  hemoeret, 
11400  diu  rede  tvürd  ze  lanc,  12321  es  wnrdc  gar  se  vil  (13971). 

d)  Rhetorische  fra^reii  und  ausrufe. 

Geht  schon  aus  dem  eben  angefüluten  liervor.  dass  dci- 
dichter  sich  im  beständigen  zusammenwirken  mit  seinem  publi- 
cum fühlt,  so  wird  das  aus  dem  folgenden  noch  deutlicher 
werden.  Ganz  wie  Gottfried  nimmt  er  seinen  hörern  fragen: 
die  er  sich  von  ihnen  gestellt  denkt,  gleichsam  aus  dem  mund 
und  beantwortet  sie  selbst;  entweder  mit  ja  oder  mit  nein  — 
dann  leitet  er  die  fragen  mit  oh  ein:  466  oh  ienien  da  iran- 
(jerndc  umh  vre  guot?  ja,  der  was  vil  (882.  1052.  1060.  1080. 
1370.  1570.  1718.  1734.  1844.  2876.  0562.  10366.  16302.  17472); 
1336  ob  iemen  da  [lepfendet  an  fröudcn  ivärde  dnr  den  nitY 
nein  . . .  (1302.  0516.  10746.  17308);  oder  er  lässt  bejahungs- 
und  Verneinungspartikel  weg  —  dann  leitet  er  die  frage  mit 
wie  oder  einem  fragepronomen  ein:  1766  ivie  sich  der  wandeU 
frie  von  Brmiesivic  yehüehe?  in  dem  genihel  trüehe  ...  (8276. 
9008.  10290.  15386);  1836  ives  er  in  nu  geniezen  lät  daz  er  in 
niht  her  under  tvarf?  niemen  mich  des  fragen  darf  (0548. 
9790.  27288;  —  vgl.  über  diesen  gebrauch  bei  "Wolfram:  Foerster, 
Ueber  spräche  und  poesie  Ws.  s.  35 — 38). 

Zu  solchen  rhetorischen  stilmitteln  gehören  ferner  ausrufe, 
die  der  dichter  nach  der  manier  der  volksmässigen  epik  ein- 
streut, um  die  erzählung  lebendiger  zu  machen,  ^feist  be- 
ginnen sie  mit  der  interjection  ei  (vgl.  Erec  8856.  Trist.  0160. 
Parz.  133, 21.  525,  24.  Borchling,  Zum  jung.  Tit.  s.  122):  222  ei 
got,  tvaz  strenger  hlicJcc  si  girdecUche  schiuzet!  (624.  056.  1418. 
1808  etc.);  668  we  ivel  ein  vingerzeigen  huop  sicJi  von  den 
Hüten!  (2030.  2058  etc.);  2116  ach  ivie  schön  gehöugct  üz  ivlzer 
stirne  glizzen,  reht  als  si  dar  gerizzen  iccercn,  hriinc  hräweu! 

e)  Anreden  an  die  znhörer. 

Sich  bisweilen  direct  an  ihre  zuhörer  zu  wenden,  pflegen 
fast  alle  mittelhochdeutschen  dichtei':  Killiaid  tut  es  (s. Liechten- 
stein, QF.  10,  CLXxviii),  Veldeke,  Hartmann,  vor  allem  aber 
Wolfram,  der  ja  überhaupt  der  subjectivste  unter  seinen  dich- 
tenden Zeitgenossen  ist.  Ganz  besonders  ist  es  sittc  in  den 
spielmannsei)en. 

Der  dichter  fordert  z.  b.  seine  hörer  zur  uufmerksamkeit 


476  GEREKE 

auf:  8322  tvajs  nu  der  Mnc  gebiete,  daz  hcprent  (9184.  9816. 
10170  etc.).  Er  erinnert  sie  an  etwas  was  er  vorher  erzählt 
hat:  9359  ah  ir  da  vor  hnnf  rernomen  (9427.  9492.  9682.  9744. 
11222.  12079  etc.),  10244  als  ir  da  vor  hortent  jehen,  12159 
als  ir  haut  gehört  (10537.  12418);  8384  als  da  vor  ist  ge- 
sprochen, 9452  als  iuch  diu  moer  geh'hidet  sinf,  12101  ah  ich 
da  vor  hän  gcseit,  12165  als  da  vor  geschribcn  stät. 

Er  kommt  ihrem  Verständnis  erklärend  zu  hülfe:  584  si 
fnoren  suo  dem  h'ingc  dar,  ich  mein  Foniänägrlsen  (564. 
1188.  2805;  —  Trist.  2969.  4782.  4805.  4989  etc.  Part.  3292). 

Er  versichert  ihnen  die  Wahrheit  des  erzählten:  13380 
gelouhent  mirs,  15332  oh  ir  mirs  gelouhent,  19S2-i  stv er  des  niht 
geloubet,  des  mag  ich  nihf,  ez  ist  ie  tvär. 

Etwas  ähnliches,  wenn  auch  nicht  analoges,  das  aber  doch 
am  besten  an  dieser  stelle  erwähnt  werden  mag,  ist  es,  wenn 
der  dichter  viele  ereignisse  nicht  einfach  objectiv  erzählt:  'so 
und  so  geschah  das'  oder:  'das  und  das  geschah',  sondern  das 
zu  berichtende  nach  spielmannsmanier  gleichsam  aus  der  Wahr- 
nehmung anderer  darstellt,  d.  h.  also  abhängig  macht  von  Wen- 
dungen wie  man  sach,  man  hörte,  man  vant.  Derartiges  finden 
wir  ja  auch  bei  anderen  dichtem,  so  bei  Wolfram  (vgl.  Foerster 
a.  a.  0.  s.  26  f.)  und  in  etwas  stärkerem  masse  bei  Konrad.  In 
manchen  partien  des  E.  —  mir  sind  besonders  die  kämpf-  und 
turnierschilderungen  in  dieser  beziehung  aufgefallen  —  wird, 
man  möchte  beinahe  sagen  jeder  satz  von  einer  solchen  Wen- 
dung abhängig  gemacht.  In  den  versen  11297 — 11554  z.  b. 
zähle  ich  13  man  sach  und  5  man  hörte;  und  solche  fälle  ge- 
hören durchaus  nicht  zu  den  Seltenheiten. 

3.   In  der  composition  des  ganzen. 
Teiiiältnis   von    epischer  erzälilung'   und   reden. 

Eine  sehr  auffällige  erscheinung  der  darstellung  ist  das 
starke  hervortreten  der  reden,  vor  allem  des  dialogs,  und  zwar 
haben  die  gespräche  meist  eine  ganz  respectable  länge.  Ich 
hebe  z.  b.  die  Zwiesprache  Reinfrieds  und  Yrkanes  in  der  hütte 
hervor,  als  sie  sich  beide  ihre  liebe  bekennen.  Sie  umfasst 
800  verse  (v.  2940 — 3745).  Ich  erinnere  an  den  abschied  Yr- 
kanes von  ihrem  vater,  der  seiner  tochter  gute  lehren  mit  auf 
den  weg  gibt,  die  allein  200  verse  ausmachen  (v.  11588 — 11784). 


STUDIEN    ZU    REINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  477 

Mehrmals  redet  der  dichter  die  trau  ]\riiiiie  au  und  lässt  sie 
antworten  (v.  6310—6318.  8687—8718.  8752—8800.  26140— 
26148).  —  Ein  beträchtliclier  teil  der  handlang  wird  in  den 
gespi'ächen  abg■e^\■ickelt. 

Auch  monologe,  in  denen  uns  der  dichter  den  seelenzustand 
der  Personen  zu  entwickeln  sucht,  sind  nicht  selten.  Yrkane, 
von  liebe  zu  Keiufried  ergriffen,  strömt  ihre  empfindungeu  in 
Selbstgesprächen  aus  (v.  1655—1692.  1698—1706).  Reinfried 
hat  sich  im  furnier  ihren  kuss  verdient,  nun  steht  er  rnozni 
vor  der  errötenden  Jungfrau,  seines  lohnes  harrend  —  da  lässt 
der  dichter  Yrkane,  ehe  sie  den  mund  bietet,  erst  reflexionen 
anstellen  (v.  2077— 2101).  Der  ritter  der  Reinfried  und  Yrkane 
hat  aus  der  hütte  kommen  sehen,  erwägt  in  mehreren  mono- 
logen,  wie  er  das  geschaute  auffassen  und  Tvie  er  sich  dazu 
verhalten  soll. 

Bisweilen  werden  solche  Selbstgespräche  so  lang  aus- 
gedehnt, dass  der  dichter  völlig  den  Zusammenhang  vergisst 
und  den  personen  worte  in  den  mund  legt,  die  ganz  und  gar 
aus  dem  rahmen  der  rede  herausfallen  und  die  Illusion  zer- 
stören. Das  auffallendste  beispiel  ist  dies:  Yrkane  wendet 
sich  an  gott  mit  der  bitte  um  ein  kind  und  erinnert  ihn  in 
einem  langen  gebete  (v.  12974 — 13172)  an  ähnliche  fälle,  in 
denen  er  auch  noch  spät  wider  erwarten  sich  gnädig  erwiesen 
hat;  sie  erzählt  in  aller  ausfiihrlichkeit  die  geschichten  von 
Anna  und  Joachim,  Elisabeth  und  Zacharias,  endlich  Samuels 
geburt,  wie  dessen  mutter  Anna  zum  priester  Hell  in  den 
tempel  kommt,  wo  der  gelühede  arJce  mit  Mopses  ivünschel- 
riiote,  Aarons  reis,  den  gesetzestafeln  und  einem  eimer  voll 
himmelsbrot  aufbewahrt  wird.  Dabei  heisst  es  mitten  im  gebet: 
13124  siver  ivelle  daz  im  tverd  hekant  diz  dinc  uf  ein  ende, 
ze  den  fünf  buocheti  sende  ich  in  die  man  Moysenen  <jit  u.  s.  w. 
Aehnlich  15904  ff. 

II.  Stilistische  eigentümlichkeiton  in  der  grammatischen 

construction. 

1.  Wideraufnahme  eines  vorausgeschickten  begriffes: 

aj  eines  Substantivs  durch  den  artikel  oder  ein  pronomru. 

Das  ist    im  wesentlichen  ein  stilmittel  Gottfrieds,   woiin  ihn 

Komad  mehr  als  Rudolf  nachahmte.    Der  dichter  des  Reinfr. 


478  GEREKE 

verwendet  es  in  einfacher  Aveise  häufig,  wenn  nämlich  das 
vorausgeschickte  Substantiv  und  der  dieses  wider  aufnehmende 
artikel  unmittelbar  neben  einander  stehen:  subject:  120  shi  lip 
der  hat  ivol  riücrs  liraft,  128  ein  man  der  mac  . . .  (50G.  074. 
686.  944.  1000.  1054.  1156.  1256.  1846.  1889.  2276.  2518  etc.); 
—  object:  1030  sm  sper  daz  sluoc  er  wider  (1354.  1886.  2156. 
8670  etc.).  Seltener  bei  eingeschobenem  relativsatz :  4532  dm 
not,  diu  mich  getroffen  hat,  diu  muos  ir  iverden  Tiunt  (8408  f. 
9708  f.). 

Vereinzelt  nur  sind  solche  fälle,  wie  sie  Konrad  liebt,  in 
denen  das  nominale  subject  aus  einem  conjunctionalnebensatz 
herausgenommen,  als  Vordersatz  absolut  vorangestellt  und  dann 
an  der  ihm  gebührenden  stelle  durch  ein  pronomen  ersetzt 
wird:  13644  diu  reine  sceldenbwre,  dö  si  sinen  tvillen  sach, 
zuo  im  si  rette  imde  sprach  (Engelh.  1267.  Part.  365.  444.  885. 
10492.  12576.  Troj.  4808.  9529.  19640.  SchAvanr.  64.  Pant.  1965. 
2073.  Otte  69). 

Eine  art  von  prolepsis  nach  antiker  art  entsteht,  wenn  das 
subject  eines  abhängigen  satzes  (meist  eines  indirecten  frage- 
satzes)  aus  diesem  herausgenommen  und  in  die  construction 
des  regierenden  satzes  eingefügt  wird:  1078  er  sach  Parlüsen 
ivie  er  hielt,  10443  fragte  in  umnder  mcere  umh  ir  vart  wie 
diu  wcere,  11439  . . .  ivart  in  hurzer  pflihte  gemachet  ein  ge- 
rihte  . . . ,  der  aventiure  Jcrone  iver  sie  hett  errungen  (12129  ff. 
17668  ff.). 

Bisweilen  wird  dabei  die  construction  überhaupt  über  bord 
geworfen,  so  dass  das  absolut  voi-angestellte  Substantiv,  auf 
das  ein  besonderer  nachdruck  fallen  soll,  einfach  ausser  Satz- 
zusammenhang steht :  1480  sin  IcünecUchez  ivufenldeit,  siver  daz 
priiefen  ivelle,  von  golt  ein  lichter  jyfelle  ivas  sin  covcrtiure; 
16696  manic  hreftic  adamast,  onichil  und  JcarfunJcel,  oh  diu 
naht  tvas  tunhel,  diu  tvart  von  in  crliiiMct;  21504  diu  huoch 
diu  er  vcrslozzen  hat  vor  menschlicher  iver,  den  sUizzel  warf  er 
in  daz  mer  (18982  f.  1959(5  f.  20320  ff.). 

b)  irgend  welcher  orts-,  zeit-,  Verhältnis-  oder  Umstands- 
bestimmungen durch  die  partikel  so:  4952  ähent  unde  morgen 
so  wiiohs  daz  bitter  trCiren  (16732);  5500  an  shiem  anehlicke 
so  moht  man  . . . ;  5670  dar  al  daz  riche  so  ivirt  schier  diz 
mcere  hint  (12178.  12240.  13570.  22218.  22342.  23476);  186  da 


i 


STUDIEN   ZU   UEINFRIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  479 

von  SO  bin  ich  ...  (()871.  693().  10858.  1141()  etc.);  8029  hi 
duz  so  u-as  ...-  12404  da  nä  so  wart  . . .  (12416.  12572.  15049. 
1G554.  17580.  1794G.  20528  etc.).  Auch  diese  construction  fülirt 
auf  Gottfried  und  seine  scliule  zurück;  s.  Trist.  11152.  11475. 
Eng-elh.  2057.  3488.  3918.  GOOO  {da  von  .w).  5080.  5096.  Part. 
1396.  1750.  1908.  1926.  2494  etc.  Aelinlich  ist:  6104  hl  der 
stunt  do  marhfe  ...,  14498  hie  vor  da  gie  ...,  s.  Trist.  7418. 
12476.  18837.  19129. 

2.  Widerauf  nähme  eines  vorausg-escliickten  satze.s 
durcli  das  demonstrativi)rononien. 
Es  wird  z.b.  ein  substantiA'ischer  rehitivsatz  vorausgeschickt : 
12386  .s"?r«^  vo)i  ninsic  ie  dunic  ron  vor  und  seifen  irart  gehört,  daz 
hört  man  hie,  12516  sives  üf  erde  ie  fürst  geivan  teil,  des  hat 
er  rolle  Icraff  (12400.  13732.  15()4().  16250).  Konrad  kennt  diese 
construction  gleichfalls;  ich  citiei'e  nur  Kngelh.  1914.  5878. 

Proleptisch  wird  der  relativsatz  bisweilen  aus  einem  dass- 
satz  herausgenommen  und  mit  nachdruck  vorangestellt:  2238 
ich  weis  ivol,  stvcn  ir  crmel  seit  liepUcJi  umheräJien,  daz  dem 
müese  nähen  fröude  und  höchgemüete  (17726  ff.  21122  ff.). 

Ein  anderes  mal  weist  das  demonstrativpronomen  auf  einen 
vorausgehenden  dass-satz:  2108  daz  sin  herze  niht  enhrast  von 
fröuden,  daz  ivas  wunder,  14912  daz  niht  der  reinen  herze  spielt, 
daz  was  ein  grözez  wunder,  24084  daz  sin  herze  niht  enhrach 
ron  leiden,  daz  was  ivunder.  Dieselbe  fast  formelhafte  Wen- 
dung findet  sich  Trist.  16673.  18476.  Engelh.  1980.  3596.  Part. 
7912.  11966. 

Steht  nun  ein  hauptsatz  (a)  mit  zwei  nebensätzen  (b  und  c) 
in  einem  Satzgefüge,  in  der  weise,  dass  in  prosa  das  ganze  die 
form  bac  oder  cbca  haben  würde,  so  ist  dafür  im  R.  oft  die 
Stellung  bca.  weshalb  dann  meist  b  in  c  und  c  in  a  durch  ein 
demonstratiAum  oder  sonst  irgendwie  wider  aufgenommen 
werden  muss.  Wir  erhalten  eine  schachtelconstruction ,  wie 
wir  sie  z.  b.  bei  Wolfram  nicht  selten  lesen  (vgl.  Paul,  Mhd. 
gr.  §  376):  4070  sicer  .<iineu  icillen  zinhet  an  allez  daz  des  er 
hegert,  icirt  der  wilent  missewert,  des  enist  Icein  wunder;  5632 
ist  aher  daz  ez  also  stät  in  zornes  gelimpfe,  daz  er  sich  mit 
schimpfe  gen  dir  hat  missehüetet,  ivirt  daz  ron  mir  gcgüctef,  des 
seit  du  versprechen  niht  (1114  ff.  1132  ff.  2106  ff.  8828  ff.  etc.). 


480  GEllEKE 

3.  Fehlen  des  subjects. 

Im  zweiten  gliede  eines  satzes,  dessen  beide  g-lieder  ver- 
schiedene subjecte  haben,  wird  das  subject  öfters  nicht  beson- 
ders ausgedrückt,  sondern  muss  aus  irgend  einem  worte  des 
ersten  gliedes  oder  aus  dem  zusammenliang  erraten  werden 
(Paul,  ]\Ihd.  gr.  §  381):  904  iettveders  sdiilt  da  nider  brach  und 
ivurden  oucJi  der  hclme  har,  5750  man  vant  in  se  Parise  und 
hat  rerjämcrt  sich  also,  8602  für  in  halde  tcart  gerant  und  bot 
im.  an  der  stunde  den  brief  (1036.  3217.  4156.  6716.  6964.  7022. 
8574.  8662  etc.). 

Aus  der  volkstümlichen  ei)ik  stammen:  1010  ein  grözez 
ros  tvas  apfelgrä,  1465  ein  Ireftic  ros  ivas  stark,  21896  daz  tet 
ein  hiinc  hiez  Hercules  (construction  ajco  xoivov;  vgl.  Paul,  Mhd. 
gr.  §  385). 

4.   Wortstellung. 

Wo  sidi  im  R.  erhebliche  abweichungen  von  dei-  Wort- 
stellung der  natürlichen  rede  finden,  sind  diese  meist  aus 
metrischen  gründen  zu  erklären.  So  geht  z.  b.  einige  mal  im 
hauptsatze  das  object  dem  regierenden  zeitwort  voraus:  2576 
minne  ir  scharpfen  träfen  luit  über  mich  gciuetzet  (12022  ff. 
26648  f.  u.  ü.).  Das  verbum  finitum  steht  im  hauptsatz  hinter 
dem  participium  verbi:  1284  ir  senftcr  blic  durgangen  hat  gar 
sines  herzen  sin  (4470  ff.,  auch  4722  f.  u.  ö.);  oder  ein  hülfsverb 
hinter  dem  von  ihm  abhängigen  zeitwort:  3236  hOchgcdenh-e 
bringen  mir  Minnent  tiefe  siucere  (4954  f.  u.  ö.).  In  zwei  fällen 
ist  in  sehr  auffälliger  weise  das  verbum  von  den  ihm  zu- 
gehörigen Satzteilen  durch  eine  reihe  von  eingeschobenen 
Sätzen  getrennt;  vgl.  10418—10423.  11876—11884. 

Die  fragende  Wortstellung  in  einem  mit  und  angereihten 
Satze,  die  ja  im  mhd.  an  sich  durchaus  nichts  incorrectes  hat 
(Paul,  Mhd.  gr.  §  330,  2)  ist  eine  sehr  beliebte  redeweise  Kon- 
rads,  und  der  Reinfrieddichter  ahmt  auch  hierin  seinen  meister 
nacli:  976  dar  an  ein  scgel  tvas  gestraht  ...  tmd  Icund  der 
undcn  sliezen  u. s.w.;  1156  sin  herz  daz  hat  gebildet  si  nach 
stner  girde  und  tjvas  ir  höhiu  tvirde  alsus  in  slnem  sinne  (1294. 
1512.  1587.  1998.  4113.  5254.  5532.  5940.  7123  etc.). 


STUDIEN    ZU    KEINFKIED    XOti    15KAUNSCHWEIG.  481 

B.   Sprache. 

Die  folgende  uiitersucliiing-  beschränkt  sich  auf  einige 
bemerkungen  zum  Wortschatz  des  R.  Der  wertschätz  verrät 
die  alemannische  heimat  des  dichters  und  zeigt  also  neben 
dem.  was  allen  verwanten  epen  gemeinsam  ist,  specielle  be- 
lührungen  mit  der  spräche  der  übrigen  alemannischen  dichter. 
Doch  finden  sich  auch  ausserdem  noch  eine  ziemliche  anzalil 
von  seltenen  ausdrücken,  die  höchst  spärlich  oder  sogar  über- 
haupt nicht  weiter  zu  belegen  sind.  Bartsch  hat  am  schluss 
seiner  ausgäbe  alles  was  ihm  dem  dichter  eigentümlich  zu  sein 
schien,  in  einem  reichhaltigen  Wörterverzeichnis  zusammen- 
gestellt. Ich  greife  nun  davon  heraus,  was,  wie  ich  glaube, 
sich  der  dichter  bei  dem  Studium  seiner  Vorbilder  aus  diesen 
angeeignet  hat.  Es  wird  sich  ergeben,  dass  besonders  Konrad 
von  Würzburg  von  einfluss  gewesen  ist, 

116  muotyelust  (10949.  13987.  14599.  14G07.  14638.  16961); 

—  besonders  oft  bei  Konrad:  Silv.  4542.  Part.  5893.  Troj.  9825. 
16959.  17353.  20552.  Lied  32,  51  und  312;  sonst  noch:  Yirg. 
151,  2.  269,  9.  554, 12  (einfluss  Konrads). 

221  gestcn  (2051.  4352.  4436.  4407.  6889.  11395);  —  spe- 
cifisch  alemannisch  und  darum  natürlich  bei  Konrad  nicht 
selten  (s.  Haupt  zu  Engelli.  301). 

461  keiserUch  (161.  171.  478.  618.  665.  716  etc.)  und  zwar 
in  der  abgeblassten  bedeutung  'prächtig,  herrlich';  zuerst  im 
Trist.  690.  708.  1026.  1317.  6622.  11216,  dann  häufig  bei  Kon- 
rad: Silv.  147.  Herzm.  140.  297.  Engelh.  864.  Schwanr.  279. 
1225.  Gold.  schm.  260.  947.  1757.  Part.  286.  1534.  2219.  8542 
etc.  (vgl.  Preuss  s.  62.  Haupt  zu  Engelh.  863). 

481  melm  (1932.  17356);  —  ein  lieblingswo]('t  Konrads: 
Engelh.  2605.  4783.  Turn.  388.  441.  867.  919.  Part.  5312.  5736. 
13818.  15181.  19058.  20682. 

712  durchschrenzen  (1770;  scliranz  7546.  10748.  11138). 
20075  f.  enyenzet  :  zerschrcnzd  2(3249  f.;  —  Engelh.  2601  f.  Silv. 
4915  f.  Pant.  347  f.  1547  f.  Troj.  17781.  Part.  6148.  8265.  18270. 
18352.  21702. 

735  sich  rüsten  uz  ze  velde  mit  offenltcher  melde  (74131 
15627  f.  16219  f.  16595  f.  17264  f.  24285  f.  —  11203  f.  16324  f.); 

—  Schwanr.  894  f.  Troj.  25564.  30175  f.  Part.  3413  f.  Turn.  188  f. 

Beiträge  zur   geschiciitc  dt-r  doutschuu  Hpraclio      XX 111.  31 


482  GEEEKE 

960  siüef  (17132);  —  nur  noch  Parton.3321.  7458.  21087. 
Troj.  25579.  30603.  39193. 

1418  {süeze)  notten  (10366.  11472.  22017.  22273.  22394. 
26092.  27539)  aus  Trist,  bekannt  (3515.  3521.  3532.  7612.  7999). 
Hierbei  möclite  icli  bemerken,  dass  sich  im  E.  eine  merkwür- 
dig-e  bekanntschaft  mit  musikalischen  fachausdrücken  zeigt. 
Abgesehen  von  der  auch  sonst  nicht  seltenen  Zusammenstellung 
harpfcn,  rotten,  (ßgen,  pfifen,  tamhüren  etc.  "werden  weiter  ge- 
nannt V.  23294  ravennc  (sonst  unbekannt)  und  zitollen  (noch 
Erlös.  1085.  Frl.  256,5;  vgl.  auch  Schmeller,  B.  wb.  2, 1164); 
V.  22390  ich  ivmne  wol  daz  alle  hunst  von  armonte  (Frl.  18,  2. 
318, 15.  862,  5.  Erloes.  950.  9187)  und  süeze  simpfonie  hie  gen 
was  ah  ein  icicke.  Besonders  hervorzuheben  sind  aber  die 
verse  23080  ff.  Da  werden  genannt  quinte,  discante,  falsete, 
octäv,  quarte,  hedure  und  hemolle. 

1448  presse  {=  schar  7956.  11198.  11250);  —  häufig  nur 
bei  Konrad:  Otte37.  Turn.  254.  Troj.  31337.  31770.  32655.  32955. 
33632.  34201  u.s.w. 

1575  Wünscheiris  (4150);  4414  ivünsclielruotc  (6352.  12950. 
13106);  —  Engelh.  3000.  Gold.  schm.  664.  1312.  Troj.  2217.  Lied 
11,43  (j.  Tit.  1247.  3629.  4146.  4692.  4980). 

1787  ^wmi^  (11307);  —  Pant.  256.  Schwanr.  1001.  Troj. 
410.  3958.  12584. 

1852  rasen  (2094);  9214  gcUüemet  und  gerceset  (19226)  = 
Part.  3646.  Silv.  835.  Engelh.  478.  —  Troj.  16194.  24478.  Konr. 
lied  1,231.  10,8.  31,11. 

1921  maUe  (11275.  15758);  —  beliebt  bei  Konrad:  Part. 
15180.  15483.  Turn.  933.  1062.  Troj.  32592.  32939.  34310  u.  ö. 

3300  lantvarcere;  —  Engelh.  2830. 

4760  gihtic;  —  Pant.  638.  Turn.  13. 

5235  spellen;  —  Trist.  4059.  8618.  17566.   Bari.  267,  80. 

6056  endeUch  (6065.  6166.  7616.  7706.  19837.  20388  u.ö.) 
findet  sich  zwar  bei  AVolfr.,  Walt.,  Nib.  etc.,  auch  im  Trist.,  nir- 
gends aber  so  häufig  wie  bei  Konrad:  Engelh.  166.  1336.  1437. 
1703.  2180.  4260  u.  ö.  Part.  1457.  2873.  3085.  12605.  13815. 
14858.  14946.  15620.  17035.  17674.  17746.  19977.  20858.  21193. 
Silv.  1503.  Troj.  161.  1942.  23682  u.  ö. 

6160  gezic  (6173.  8627.  10538);  —  nur  noch  Engelh.  4019 
(vgl.  Haupts  anm.).  4494. 


STUDIEN    ZU    HEINFUIED    VON    BRAUNSCHWEIG.  483 

68C9  widersache  (1129G.  22905);  —  nach  Jänicke  (zu  Wolfd. 
D  4,  52,  2)  ein  bei  Koiirad  sehr  beliebtes  wort. 

70G9  (lasters  ril)  gehrimven  (12487);  —  Eng-elh.  5427.  Part. 
17704.  Gold.  schm.  371.  Otte  563.  567.  Silv.  3967.  Troj.  1294. 
1489.  10520.  10728.  23597  u.  ö. 

7335  hemceren  (19438);  —  Trist.  125.  17231. 

8442  anspräche  {^  anklage);  —  Trist.  15420  (Rechts- 
denkni.). 

8870  {ir  liöhez  ailel)  crtic  (11163.15083);  —  Engelh.  2787. 
Gold.  schm.  1438. 

10909  durchtiehtic-  —  Trist.  10235.  12452.  16968.  Pant.340. 
477.  Part.  3115.  6297.  6346.  6557  u.  ö.  Troj.  4719  u.  ö.  (sonst 
noch  Pass.). 

11606  enpflcehen,  14852  floehen;  —  lieblingswort  Konrads: 
Engelh.  4341.  6207.  Gold.  schm.  20.  Troj.  2013.  2881.  3417.  8819. 
10425.  12172.  23099.  Part.  4662.  Schwanr.  405. 

nS-il  jämcnoige  (26129);  —  Part.  18639.  Troj. 525.  Herzm. 
521  (Virg.55,8.  Pass.  K.  590,  3). 

11999  {sunder  zwlrels)  undcrhint  (10230.  26621);  —  Engelh. 
1067.  1112.  1240  (vgl.  Haupt,  anm.  zu  1067).  Gold.  schm.  1630. 
Silv.  3026.  Part.  6521.  8403.  9449.  9901  etc.  Troj.  437.  528.  3210. 
10187.  15430.  18714  etc. 

16564  nmbetüllet;  —  nur  noch  Engelh.  1916.  Troj.  20652. 

18396  lantriviere-  —  nur  noch  Part.  9112.  11103.  19857. 
2453.  2503.  Troj.  11913.  37509.  Schwanr.  417.  531.  791. 

23610  kielgesinde;  —  Trist.  2385. 

27542  verldüttern;  —  Trist.  11627. 

Die  adjectivbildungen  auf  -hoere,  die  Konrad  bevorzugt, 
sind  auch  im  R.  häufig:  einbcere  4234,  frühteboere  13160,  fröude- 
hcere  15351. 18538,  Jdugebcere  4584,  minneboere  4254. 5436,  soelden- 
bcere  9498,  senebcere  4584,  siufzebcere  4520.  4608.  9564,  sorgen- 
beere 2270,  strithmre  16409,  tröstbeere  14437.  15458,  wandelbcere 
19471   (13804). 

HALLE  a.  S.  PAUL  GEREKE. 


W 


DER  /^-UMLAUT  UND  DER  AVECHSEL  DER 

ENDVOCALE  A  :  I(E)  IN  DEN  ALTNORDISCHEN 

SPRACHEN. 

I.  Der  Wechsel  der  endvocale  a  :  i{e). 

Wie  bekannt,  haben  die  an.  sprachen  den  endungsvocal  v(e) 
in  partt.  wie  isl.  hundinn,  aschw.  Imndin,  obgleich  die  ent- 
sprechende form  z.  b.  im  got.  den  endungsvocal  a  hat :  hundans 
etc.  Aehnlich  verhält  sich  die  sache  in  gewissen  Substantiven. 
So  ist  der  name  des  vornehmsten  gottes  der  isl.  mythologie 
Opinn;  derselbe  name  ist  ein  bestandteil  des  aschw.  Opinsdagher, 
während  er  z.  b.  im  ahd.  Wuotan  mit  -an-  lautet.  Auf  der 
anderen  seite  wird  auch  in  den  an.  sprachen  die  ableitungs- 
silbe  -an-  verwendet,  z.  b.  isl.  aschw.  aptan{n),  isl.  mannlihan, 
aschw.  btmdan  neben  hundin  'garbe'  etc. 

Worauf  beruht  der  Wechsel  -in-  :  -an-  in  isl.  hundinn  :  got. 
hundans  etc.? 

Bei  der  beantwortung  dieser  frage  müssen  wir  vor  allem 
die  passiven  partt.  untersuchen;  später  werden  wir  in  kürze 
auch  andere  kategorien  von  Wörtern  mit  -an- :  -in-  beleuchten. 
Arkiv  1, 150  ff.  hat  Noreen  die  hier  aufgeworfene  frage  zu  be- 
antworten gesucht.  Nach  ihm  dürfte  man  in  isl.  hundinn  etc. 
durchaus  nicht  eine  entwickelung  von  a  zu  /  annelimen,  son- 
dern der  endungsvocal  /  in  diesen  und  ähnlichen  formen  müsste 
immer  auf  ein  germ.  /  zurückzuführen  sein.  Zum  beweis 
dafür  führt  er  einige  wenige  würter  aus  den  alten  sprachen 
mit  i-umlaut  an,  wie  das  isl.  adj.  hrösinn,  aschw.  ypin,  sowie 
verschiedene  partt.  pass.  aus  modernen  (besonders  norwegi- 
schen)  mundarten,  z.  b.   hynni^)   {=^  ial.  hundit),  grevi  {==  isl. 

')  n  =  palatales  n. 


DER   yl-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNOIil).    SPUACHEN.         485 

graßt)  etc.  Er  meint  (s.  160).  dass  die  alte  spräche  nach  dem 
Zeugnis  dieser  modernen  dialektformen  im  part.  einmal  einen 
Wechsel  himdinn  :  ^bytidinn  etc.  gehabt,  dass  *byndinn  sich 
aus  hundin-  in  den  casus  mit  dem  germ.  suffix  -in-  entwickelt 
habe,  dass  aber  der  wurzelvocal  in  bnudinn  ursprünglich  in 
den  casus  zu  hause  sei,  die  nicht  den  suffixvocal  i,  sondern 
entweder  den  vocal  a,  u  oder  möglicherweise  keinen  ableitungs- 
vocal  besassen  (vgl.  a.  a.  o.  s.  152i)). 

Diese  hj'pothese  Noreens  gründet  sich  also  wesentlich  auf 
einige  formen  aus  ganz  modernen  mundarten;  desgleichen  sieht 
er  sich  genötigt,  analogische  ausgleichungen  in  unendlich  grosser 
ausdehnung  anzunehmen. 

Ich  kann  mich  dieser  seiner  auffassung  durchaus  nicht 
anschliessen. 

Schon  Söderberg  hat  Forngutn.  Ijudlära  s.  9  anm.  richtig 
hervorgehoben,  dass  verschiedene  an.  Wörter  das  germ.  suffix 
■in-  haben,  das  in  gewöhnlicher  weise  /-umlaut  bewirkt  hat, 
z.  b.  aschvv.  ^j9m  'offen".  Ein  beispiel  von  dem  suffix -m-  liegt 
wahrscheinlich  in  dem  urnord.  part.  haitinaR  auf  dem  Tanum- 
steine  vor,  wie  Bugge  hervorhebt  (Arkiv  1, 152,  anm.  1),  und 
wir  werden  unten  sehen,  dass  man  in  einer  gruppe  starker 
verba  vielleicht  in  den  partt.  pass.  das  suffix  -in-  hat  (part. 
hitinn  etc.). 

Von  hier  aber  ist  es  ein  gewaltiger  schritt  zu  Noreens 
annähme,  dass  ein  an.  -in-  immer  ein  germ.  -in-  repräsentiere; 
eine  auffassung  die  Streitberg,  Urgerm.  gramm.  s.  195  zu  teilen 
scheint. 

.Ich  Avill  zuerst  nachzuweisen  suchen,  dass  die  hier  refe- 
rierte auffassung  nicht  richtig  sein  kann,  und  später  die  regel 
aufstellen,  nach  der  germ.  -an-  (unter  gewissen  umständen)  in 
an,  -in-  übergieng. 

Die  germ.  schwestersprachen  got.,  as.  und  ahd,  haben  im 
part.  pass.  ein  germ.  -an-,  z.  b.  got.  hundans,  as.  (jihundan,  ahd. 
(jihuntcm.''-)  Schon  dieser  umstand  spricht  ki-äftig  dafür,  dass 
auch   die   alten   nord.  s^irachen   im  pai't.  pass.   ein  germ.  -an- 


1)  S.  152  z.  2  1111(1  z.  (!  steht  —  offenbar  diiroli  druck-  oder  Schreibfehler 
verschuldet  —  omljudda  statt  oomljudda. 

'^)  Ueber  ags.  bunden  vgl.  uuten  s.  497  fussnote. 


486  KOCK 

liaben,  d.  li.  dass  isl.  huudinu  aus  einem  älteren  *bimdanaR 
entstanden  ist. 

Aber  vor  allem  zeigen  die  eigenen  lautverhältnisse  der 
an.  spraclien,  dass  der  suffixvocal  nicht  i  gewesen  sein  kann, 
sondern  a  gewesen  sein  muss.  Ich  erinnere  an  verschiedene 
kategorien  isländischer  participia  pass. 

Verba  vom  typus  hrcsta  :  hrast  :  hrustii  :  hrostinn  haben 
im  part.  pass,  o,  das  nach  der  allgemeinen  ansieht  durch  a-um- 
laut  aus  u  entstanden  sein  muss.  Das  part,  hrostinn  hat 
lange  Wurzelsilbe;  also  würde  ein  urnord,  part,  *hrustinan 
mit  suffixvocal  i  mit  notwendigkeit  in  allen  casus  /-umlaut 
erhalten  haben:  *brystmn,  *hrystms,  ^hrystnum  etc.  Es  findet 
sich  aber  kein  *bnjsthin.  Doch  nicht  genug  hiermit.  Dem 
part.  hrostinn  fehlt  nicht  nur  der  /-umlaut,  sondern  es  hat 
a-umlaut.  Dies  zeigt,  dass  hrostinn  aus  einem  älteren  *hro- 
stanan  <  *hrustana2  mit  dem  suffixvocal  a  entstanden  ist. 
Sollte  nun  wirklich  die  geringste  Wahrscheinlichkeit  dafür 
vorhanden  sein,  dass  hrostinn  eine  compromissform  aus  einem 
verlorenen  *hrystinn  und  einem  verlorenen  *hrostann  (bez. 
einer  urnord.  form  *hrostn-  ohne  suffixvocal)  wäre? 

Natürlich  gibt  es  in  den  sprachen  vereinzelte  compromiss- 
formen,  entstanden  durch  das  zusammenwirken  zweier  später 
verlorener  formen.  Aber  hier  an  compromissforraen  zu  denken, 
scheint  mir  unmöglich  zu  sein.  Man  möge  sich  nämlich  er- 
innern, dass  Noreen  zu  der  annähme  gezwungen  ist,  die  aller- 
meisten isl.  und  aschw.  partt.  pass.  seien  als  ein  compromiss- 
product  aus  formen  entstanden,  die  in  den  alten  sprachen 
nirgends  nachgewiesen  sind. 

Dies  sollte  z.  b.  in  der  gruppe,  zu  der  hrcsta  gehört,  auch 
mit  folgenden  partt.  der  fall  gewesen  sein:  holginn,  dottinn, 
gollinn,  holfinn,  sorjnnn,  skoUinn,  sliroppinn,  sloppinn,  snortinn, 
sjyrottinn,  solginn,  sollinn,  soltinn,  sorfinn,  ollinn,  orpinn,  ])orrinn, 
borginn,  goldinn,  holpinn,  sJcolßnn. 

Ebenso  aber  oder  im  wesentlichen  ebenso  verhält  es  sich 
mit  den  meisten  anderen  gruppen  von  starken  verben. 

Verben  vom  typus  bera  :  bar  :  biiru  :  horinn  haben  gleich- 
falls im  part.  pass.  {horinn)  a-umlaut  und  keinen  i- umlaut. 
Nach  Noreens  hypothese  würden  die  lautgesetzlichen  formen 


DKR   /1-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    AliTNOKD.    SPRACHEN.         487 

*horanti  und  "^hyrinn  g-ewesen  sein,  aber  keine  von  beiden  ist 
nachgewiesen.  Hierher  gehören  die  partt.  slcorinn,  stolinn, 
stropinn,  ofinn,  trophin  {korninn,  sofinn). 

Verba  wie  h'mda  :  hatt  :  hundn  :  htmäinn  können,  wie 
bekannt,  im  part.  pass.  keinen  «-unihuit  liaben,  weil  dem  u 
ein  nasal  -f  consonant  folgt.  Da  aber  die  Wurzelsilbe  lang 
ist,  würde  das  suffix  -in-  in  allen  casus  umlaut  bewirkt  haben. 
Nichtsdestoweniger  findet  sich  in  der  alten  spräche  nur  hun- 
dinn,  bimdnir  etc.,  niemals  *byndmn  etc.  Hierher  gehören  die 
})artt.  sjninnhm,  hrimdinn,  sprunglnn,  stwKj'mn,  summinn,  un- 
dinn,  unn'mn,  hrunninn,  driiJckinn  älter  *drunkinn,  runninn, 
simginn^),  fumiinn^),  sliinginn,  Jjrimginn.  Hierher  gehören 
auch  hroJikimi  (zu  Are/./rr«),  stoliliinn  (zu  stekkra),  sokkinn  (zu 
sekkva),  welche  o  aus  älterem  u  bei  der  assimilation  von  nk 
zu  kk  bekommen  haben;  älter  ^hrunkiveuR  etc. 

Partt.  wie  cd/nn  zu  ala  :  61  :  ölu  :  alinn  haben,  wie  be- 
kannt, niemals  /-umlaut,  wo  dem  wurzelvocal  ein  anderer  con- 
sonant als  k,  g  folgt:  farinn,  galinn,  grafinn  etc.  Bei  Wimmer, 
Fornnord.  formlära  §  120  werden  13  derartige  participia  auf- 
gezählt, wenn  man  duinn,  älter  ^dmvcnn,  mitrechnet.  Dagegen 
haben  hierher  gehörige  verba  palatalumlaut  (worüber  unten 
mehr),  wenn  dem  wurzelvocal  k,  g  folgt:  ekinn,  skekinn,  tekinn, 
drcginn,  flcginn,  gneginn,  Idcginn,  kleginn,  slcginn,  pvegmn. 
Schon  längst  hat  man  den  umlaut  von  ä  zu  e  in  diesen  par- 
ticipien  mit  den  palatalen  consonanten  k,  g  in  causalzusammen- 
hang  gebracht.  Arkiv  1, 152  ff.  bezweifelt  Xoreen  die  richtig- 
keit  dieser  ansieht,  und  Aisl.  gr.-  §  426,  verglichen  mit  §  67, 
meint  er,  tekinn  etc.  habe  ?- umlaut  nicht  in  folge  des  dem 
wurzelvocal  folgenden  i)alatalen  consonanten,  sondern  weil 
diese  partt.  das  urgerm.  suffix  -in-  gehabt  hätten.  ' 

Diese  annähme  ist,  soweit  ich  sehe,  nicht  möglich.  Nach 
Noreens  annähme  würden  die  lautgesetzlichen  formen  gewesen 
sein  nom.  sg.  *elinn,  *elin,  *elit,  in  synkopierten  casus  nom.  pl. 
etc.  alnir;  nom.  sg.  tekinn,  tekin,  tekit,  nom.  pl.  etc.  *taknir. 
Wäre  dies  aber  so  gewesen,  so  bleibt  es  ganz  unbegreiflich, 


1)  Die  bisweilen  begegTiende  wechselform  si/infhui  hat  y  aus  dem  praes. 
syngca,  vgl.  unten  s.  49fi.  Ueber  die  möglicherweise  vorkommende  äusserst 
seltene  anorw.  form  fynninu  siehe  ebenfalls  uulcn  s.  495  aum. 


488  KOCK 

weshalb  alle')  verben  mit  /.-,  g  die  umg:elaiiteteii  formen 
{tekinn  etc.),  dagegen  alle  verben  ohne  k,  g  die  unnmgelauteten 
formen  {al'mn  etc.)  gewählt  haben. 

Nein,  es  gibt  keine  andere  möglichkeit  als  die  allernächst 
liegende,  und  die  ist:  den  nmlaut  in  tcklnn  etc.  mit  ihrem 
palatalen  consonanten  in  causalzusammenhang  zu  bringen, 
während  al'mn  etc.  nicht  umgelautet  sind,  weil  sie  keinen 
palatalen  consonanten  haben.  Dies  aber  will  mit  anderen 
Worten  sagen,  dass  weder  tekinn  etc.  noch  alinn  etc.  ein  germ. 
Suffix  -in-  enthalten,  sondern  vielmehr  das  germ.  suffix  -an-. 

Dass  dies  mit  partt.  wie  bland inn,  faldinn,  fallinn,  haldinn, 
hanginn,  vaxinn,  d.  h.  mit  partt.  mit  ä  und  langer  Wurzel- 
silbe der  fall  ist,  ist  womöglich  noch  klarer.  Denn  wenn 
diese  von  urnord.  *blandinaR  etc.  ausgegangen  wären,  so  würden 
sie  in  allen  casus  i-umlaut  erhalten  haben,  und  hier  ebenso- 
wenig wie  bei  himdinn  etc.  kann  man  compromiss  aus  den 
nicht  nachgewiesenen  formen  *blandann  und  *hlendinn  an- 
nehmen. 

Partt.  mit  langem  a  in  der  Wurzelsilbe:  bldsinn,  grdtinn, 
Idtinn,  rdpinn  sind  mit  jenen  gleichzustellen.  Desgleichen 
partt.  mit  anderen  langen  vocalen  oder  diphthongen  in  der 
Wurzelsilbe:  blötinn,  buinn,  aukinn,  atisiiui,  Idaupiun. 

Dass  die  allermeisten  partt.  pass.  nicht  das  germ.  suffix 
-in-  haben,  wird  auch  durch  solche  partt.  wie  skroppinn, 
hrokkinn,  stokkinn,  sokkinn  mit  der  entAvickelung  von  u  zu  o 
bei  der  assiuiilation  des  nasals  mit  dem  folgenden  consonanten 
(<  *skruni2)cnn  etc.)  bestätigt,  denn  wie  ich  Arkiv  n.  f.  7,  315  ff. 
nachzuweisen  gelegenheit  hatte,  tritt  diese  entwickelung  von 
u  zu  0  nicht  ein,  wenn  die  folgende  silbe  /-laut  hat. 

Wenn  endlich  die  partt.  pass.  das  germ.  suffix  -in-  gehabt 
hätten,  so  würden  partt.  zu  verben  vom  tj^pus  drepa  :  f?raj)  : 
driijni :  drepinn  den  sog.  germanischen  /-umlaut,  also  *dripinn 
etc.  gehabt  haben.  Das  isl.  hat  aber  dnplun,  gefinn,  gdinn, 
kvepinn  etc.  ^\'innner,  Fornnord.  forml.  §  116  verzeichnet  10 
derartige  partt. 

Ich  glaube  kein  voreiliges  urteil  zu  fällen,  wenn  ich  sage, 


•)  Ein  von  Nnreen,  Aisl.  gr:^  §  428,  anm.  3  angeführtes  au.  gnaget  hat 
natürlich  a  vom  Inf.  iiiul  iiraes.  fjnatjd,  ebenso  wie  das  aschw.  gnncihin. 


DKK  .-l-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    AI.TNORD.    SPRACHEN.  489 

es  wäre  ein  verzweifelter  aiisAveg;,  in  allen  den  jetzt  discutierten 
participien  das  suffix  -in-  sehen  zu  wollen,  wodurch  man  zur 
annähme  von  compromissformen  im  colossalsten  umfang  ge- 
nötigt wird. 

Dagegen  stellt  sich  die  sache,  so  viel  ich  sehe,  sehr  ein- 
fach, wenn  man  annimmt,  dass  a  in  silben  mit  infortis  unter 
einer  gewissen  Voraussetzung  lautgesetzlich  in  e,  jünger  i 
übergieng. 

Zuerst  erinnere  ich  an  ein  paar  bereits  bekannte  tatsachen. 

Im  gegensatz  zu  Noreen,  Wadstein  u.  a.,  die  der  ansieht 
waren,  isl.  noni.  sg.  -a  in  Stiirla,  Ulla,  Urekia,  Kempa  etc.  bilde 
die  unmittelbare  fortsetzung  des  urnord.  nom.  sg.  auf  -a,  habe 
ich  im  Skand.  archiv  1  (1891)  1  ff.  gelegenheit  gehabt,  diese 
frage  zu  erörtern.  In  den  urnoi'd.  inschriften  hat  man  eine 
recht  grosse  zahl  männernamen,  die  wie  w- stamme  flectiert 
werden  und  im  nom.  sg.  immer  auf  -a  endigen:  wiwila,  erla, 
niuwila,  liari^ya,  fauauisa  etc.  Da  nun  die  normale  endung 
entsprechender  masc.  li-stämme  in  den  nord.  literatursprachen 
-i{-e)  ist:  timi,  spini,  aschw.JterZc  etc.,  so  muss  das  -a  im  nom. 
sg.  der  masc.  /?- stamme  lautgesetzlich  in  -i{-e)  übergegangen 
sein.  Sturla,  üreJda  sind  ursprünglich  nicht  masc.  «-stamme, 
sondern  feminine  nomina  actionis,  die  man  erst  in  si)äter 
zeit  auf  männer  anzuwenden  begonnen  hat.  Sturla  z.  b.  be- 
deutete ui^sprünglich  'Störung'  (vgl.  infin.  sturla  'stören'); 
später  wurde  es  als  beiname  in  der  bedeutung  'störer',  d.h. 
in  der  bedeutung  eines  nomen  agentis  verwendet.  Vom  bei- 
namen  gieng  es  wie  verschiedene  andere  beinamen  dazu  über, 
ein  Vorname  zu  werden.  Ungefähr  gleichzeitig  hat  auch  Bugge 
im  Arkiv  n.  f.  4, 18  f.  die  ansieht  ausgesprochen,  dass  urnord.  -a 
im  nom.  sg.  masc.  der  «-stamme  in  den  nord.  literatursprachen 
zu  -i(-e)  geworden  sei,  und  er  meint,  dass  das  urnord.  -a  im 
nom.  tvnvila  etc.  'ein  helles  a'  gewesen  sei,  das  sich  dem  w 
näherte. 

Der  a-laut  in  der  paenultima  der  urnord.  partt.  *bun(lanan 
hat  natürlich  ganz  anderen  Ursprung  als  das  -a  im  nom.  sg. 
wiu-ila  etc.;  es  ist  jedoch  für  unsere  frage  von  interesse,  dass  das 
-a  im  nom.  sg.  der  masc.  «-stamme  in  -i  (-c)  übergegangen  ist. 

Nach  Bugge  a.  a.  o.  ist  «  aucli  in  urnord.  nom.  su:c.star 
(Opedalj  :  isl.  .systir  in  i  (e)  übergegangen. 


490  KOCK 

Ferner  erinnere  ich  daran,  dass  das  e  der  Wurzelsilbe  vor 
nasal  +  consonant  geraeing-erm.  in  /  übergieng  (also  eine  g  e  - 
schlössen  er  e  ausspräche  bekam),  z.  b.  *denctan-  >  Vinctan-  etc. 

Eine  hiermit  verwante  erscheinung  begegnet  in  den  an. 
literatursprachen.  Das  anorw.  unterscheidet  zwischen  ce  (=  ent- 
standen durch  /-Umlaut  des  a)  und  e  (:=  germ.  e-laut).  Aber 
vor  u  +  consonant  ist  w  in  e  übergegangen,  z.  b,  brmnna  > 
hrcnna;  auch  w  ist  in  dieser  Stellung  zu  c  gev/orden,  z.  b. 
frwnda  >  frenda;  s.  Bugge  in  den  Smäst3'kker  udg,  af  samfund 
til  udg.  af  gammel  nord.  litt.  110.  Wadstein,  Fnorska  hom.-bokens 
Ijudlära  51. 

In  Übereinstimmung  mit  diesen  Verhältnissen  stelle  ich  für 
die  gemeinnord.  spräche  folgendes  lautgesetz  auf:  «  ist  in 
iufortissilbe  vor  n  +  consonant  in  e  (später  /)  über- 
gegangen. 

Wie  in  gemeingerm.  zeit  das  e  der  Wurzelsilbe  vor  nasal 
+  consonant  in  einen  mehr  palatalen  vocal  (i)  und  wie  im 
anorw.  ce  der  Wurzelsilbe  vor  n  -\-  consonant  in  einen  mehr  pala- 
talen vocal  (e)  übergieng,  so  ist  in  gemeinnord.  zeit  das  a  der 
iufortissilbe  vor  n  +  consonant  in  einen  mehr  })alatalen  vocal 
(e,  i)  übergegangen.  Da  diese  lauteutwickelung  niu'  in  infortis- 
(nicht  in  fortis-  und  semifortis-)  silben  eintrat,  so  ist  hiermit 
zusammen  zu  stellen,  dass  wie  bekannt  lautentwickelungen 
leichter  und  deshalb  oft  n  u  r  in  relativ  unaccentuierten  silben 
eintreten. 

Ich  erinnere  z.  b.  daran,  dass  in  den  nord.  sprachen  nur 
in  relativ  unaccentuierter  silbe  y  zu  i  wurde,  wenn  die  fol- 
gende Silbe  ein  i  enthielt,  z.  b.  in  der  relativ  unaccentuierten 
praep.  ?//?;•  >  isl.  ifir,  ascliw. /<f/r ;  n^diw.  liosbyggiar  >  neuschw. 
Eospiggar;  dagegen  isl.  aschw.  hijggia  etc.  mit  y/-laut  (s.  Kock, 
Arkiv  4, 163ff.).  In  ähnlicherweise  geht  im  aschw.  oe  nur  in 
relativ  unaccentuierter  silbe  in  i  über,  wenn  ein  gutturaler 
(palataler)  consonant  -f  i,  i  folgt,  z.  b.  annattivceggia  >  unnat- 
Uviggia,  dagegen  üvceggia  (Kock  a.  a.  o.  s.  171  ff.). 

Mit  hülfe  des  hier  aufgestellten  lautgesetzes  für  die  be- 
handlung  von  gemeinnord.  a  in  iufortissilbe  werden  partt.  wie 
bundinn,  brostinn,  borinn  etc.  leicht  erklärlich. 

Das  part.  brostinn  z.  b.  hat  das  suffix  -an-.  Während  der 
a- Umlautsperiode  bekam  es  deshalb  in  allen  casus  a-umlaut: 


DER  ^-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNOKD.    SPRACHEN.         491 

*hrustanaz  >  *bros{anaa  etc.  Dieses  *brostanaii,  jünger  ''brostauR 
wurde  in  sremeinnord.  zeit  so  flectiert: 


sg- 

nom. 

*brostanR 

*broston         *brostant 

gen. 

'^brosicnis 

*brostanRaR  *brostans 

dat. 

*brostHom 

*b7-ostanRe     *brostno 

acc. 

'^'brostanH 

*brost)ia         *brostant 

pl. 

nom. 

*brostneR 

*brostnaR       *bruston 

(nom.  und  acc.) 

gen. 

*brostunRa 

*brostanRa    *brostanRa 
u.  s.  w. 

Nach  unserem  lautgesetz  gieng-  a  in  c  (/)  über  im  nom.  sg. 
m.  *brosfanK  >  brostenn,  nom.  acc.  sg.  neutr.  *brostant  >  bro- 
ste{n)t,  gen.  sg.  m.  und  neutr.  *brostans  >  brostens,  acc.  sg.  m. 
*brostami  >  brostenn,  gen.  sg.  f.  *brostanmR  >  brostennar,  dat. 
sg.  f.  %rostanRe  >  brostcnne  und  im  ganzen  gen.  pl.  *brostanna 
>  brosfenna,  also  in  elf  casus,  unter  denen  sich  die  ausser- 
ordentlich oft  vorkommenden  nom.  und  acc.  sg.  masc.  und  neutr. 
befinden.  Nui*  in  drei  casus  (nom.  sg.  fem.,  nom.  acc.  pl.  neutr.) 
fand  sich  -on.  Es  ist  deshalb  ganz  in  der  Ordnung,  dass  das  e  (?) 
aus  den  elf  casus,  wo  e  (i)  lautgesetzlich  entstanden  war,  in 
jene  drei  casus  eindrang,  so  dass  man  erhielt:  brostenn  (-inn), 
brosten  {-in),  brostet  (-it)  etc. 

In  ganz  ähnlicher  weise  ist  z.  b.  nom.  sg.  %undanR,  *bundon, 
*bnndant,  nom.  pl.  ^bundncR,  *bundnaR,  bundou  etc.  zu  bundcnn 
{-inn),  bundcn  {-in),  bundct  {-it);  biindmr,  bundnar,  bunden  {-in) 
etc.  geworden,  aber  hier  ist,  wie  bekannt,  kein  a-umlaut  ein- 
getreten. 

Es  findet  sich  aber  ein  interessantes  beispiel  der  erhalt ung 
des  lautgesetzlichen  -on,  -an  in  einem  participium.  Die  nord. 
sprachen  haben  einige  wenige  beispiele  substantivierter  neu- 
traler adjectiva  ohne  -t  im  nom.  acc.  sg.,  z.  b.  fiill;  vgl.  got. 
füll  (im  gegensatz  zu  fullata).  Ein  solches  ist  auch  aschw. 
bundan,  bundon,  bundin  n.  'garbe'.')  Nom.  acc.  sg.  neutr.  vom 
part.  bundinn  heisst  gotisch  bundanata  und  bundan.  Die  letz- 
tere form  sollte  lautgesetzlich  -an  beibehalten,  da  ja  dem  n 
kein  consonant  folgte,  und  sehr  richtig  findet  sich  dieses  got. 
hundan  in  aschw.  bundan  'garbe'  wider.     Das  nunmehr  (auch) 


')  Belegstellen  für  die  verschiedenen  formen  bei  EydqvLst,  Sv.  spr.  lagar 
2,115. 


492  KOCK 

als  sing.  A'erwendete  aschw.  hundon  ist  die  unmittelbare  fort- 
setzung  des  lautgesetzlichen  nom.  acc.  pl.  neutr.  gemeinnord. 
hundon,  während  aschw.  hundin  'garbe'  -in  aus  dem  part. 
masc.  hnndinn,  gen,  sg.  m.  und  neutr.  hundins  etc.  bekommen 
hat.  Dagegen  entspricht  dem  got.  hnndanata  in  üblicher  weise 
nord.  *hunde{n)t  isl.  aschw.  hundit  mit  lautgesetzlicher  ent- 
wickelung  von  a  zu  c,  i. 

Während  -an-  im  part.  pass.  in  -en-,  -in-  übergieng,  weil 
ihm  in  allen  casus  ein  consonant  folgt,  bleibt  -an-  in  infortis- 
silbe  erhalten,  wenn  n  im  auslaut  steht,  oder  Avenn  ihm  ein 
vocal  folgt. 

Ich  erinnere  an  folgende  formen  mit  -au  in  infortissilbe. 

Adverbia  auf  -an:  innan,  ntan,  ofan,  ne^an,  Iwapan, ])a])an, 
hepan,  undan,  sialdati,^)  sunnan  etc. 

Acc.  sg.  masc.  vom  adj.:  göpan,  hlindan  etc.  (vgl.  got. 
hlindana). 

Fem.  subst.  auf  -an  (bez.  im  :  gen.  -anar),  z.  b.  skijian,  loK-Jcan, 
hrapan,  hlötan  etc.  2) 

Neutrale  a- stamme:  isl.  mannlikan^  gaman,  aschw.  (/«««a«, 


*)  Im  isl.  ist  sialdan  immer  adverb.  Im  aschw.  ist  siceldan  ebenfalls 
so  gut  wie  immer  adverb.  Söderwalls  Wörterbuch  führt  jedoch  ein  beispiel 
(aus  Bernhard)  an,  wo  skddon  (sie)  als  nom.  pl.  neutr.  verwendet  wird: 
varin  th/'n  oräh  faa  oc  HHfldon.  Dies  kann  die  völlig  lautgesetzliche  form 
eines  gemeinnord.  adj.  *sialda)iR  sein;  vgl.  das  oben  über  aschw.  hundon 
gesagte.  In  tholkin  thankc  (vr  siiddan  i  iordJin'ke  (Birg.)  kann  s/a'ldan  ad- 
verb sein.  Wenn  es  (wie  es  Söderwall  fasst)  adjectiv  ist,  hat  es  in  dieser 
äusserst  seltenen  Verwendung  -an  aus  dem  adverb  sia>ldan  bekommen. 

'•')  Dagegen  hat  isl.  aschw.  alin,  agutn.  ein  das  suffix  -in-  (vgl.  Söder- 
berg,  Forngutn.  Ijudl.  s.  9)  oder  -m-  gehabt.  Ein  ahn  :  nom.  pl.  *alinaR 
kann  lautgesetzlich  *('///*  :  <dnaii  und  durch  ausgleichung  nom.  alin,  ein 
geworden  sein.  Der  unumgelautete  vocal  in  isl.  asclnv.  alin  kann  jedoch 
auch  auf  einem  älteien  (din  (vgl.  got.  aleina)  beruhen,  da  langes  i  keinen 
Umlaut  erzeugt  (Kock,  Sv.  landsm.  12,  no.  7  s.  27  anm.  2.  Arkiv  n.  f.  10,  223). 
Svenskt  dipl.  n.  s.  2,  no.  1358  (Uppsala  1410)  wird  drei  mal  aliin  geschrieben. 
Ich  lasse  dahingestellt,  ob  das  wort  möglicherweise  mundartlich  hat  den 
alten  l-laut  lang  beibehalten  können,  oder  ob  l  in  aliin  auf  späterer  mund- 
artlicher Verlängerung  in  Wörtern  mit  kurzer  Wurzelsilbe  beruht;  vgl.  Kock, 
Arkiv  4,  87  ff.  N.  f.  10,  223.  Auch  das  fehlen  des  /-Umlauts  in  isl.  lansn  (got. 
lauseins),  förn,  niösn  etc.  kann  vielleicht  darauf  beruhen,  dass  gewisse  casus 
(wie  nom.  acc.  sg.)  Avährend  der  jüngeren  umlautsperiode  in  der  zweiten 
Silbe  langes  i  hatten  (Hausin).  Eine  andere  erklärung  habe  ich  Br-itr. 
15,  266  vorgetragen. 


DER  .4-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNOUD.    SPRACHEN.         493 

ynlfmgran,  systkan,  lelcan,  satan  (thceJcan).  Da  das  aschw.  aucli 
lelon,  saton  (tcekon)  hat,  so  war  diese  endung  -on  ursprüng-licli 
nur  im  nom.  acc.  pl.  zu  liause;  ebenso  wie  auch  in  systicon. 
Hierher  g-ehört  auch  das  im  späten  aschw.  (vg-1.  R3'dqvist  2. 115) 
begegnende  aullan  :  aschw,  aldon,  allon. ') 

Das  part.  praes.  auf  -andi:  hinäandi  etc.  spriclit  natürlich 
nicht  gegen  das  von  mir  aufgestellte  lautgesetz.  Wie  a  xoy 
nd  in  band  etc.  mit  fortis  bestehen  blieb  (und  nicht  in  e,  i 
übergieng).  so  blieb  es  auch  in  hlndandi  etc.  mit  semifortis 
auf  der  zweiten  silbe.  Dass  Wörter  auf  -andi  diese  accentuie- 
rung  hatten,  geht  aus  mehreren  umständen  hervor.  So  hat 
pl.  yefendr  (von  gefand i)  /-unilaut.  welcher  in  silben  mit  in- 
fortis  nicht  eintritt.  In  aschw.  Schriften,  die  a  in  silben  mit 
infortis  zu  ce  werden  lassen,  wird  die  endung  -ande  unverän- 
dert beibehalten:  eyhande  (nicht  eghoende)  etc.  (Kock,  Fornsv. 
Ijudl.  2,  367  f.). 

Die  von  Xoreen,  Arkiv  1, 158  f.  angeführten  partt.  hynni 
(isl.  hundit),  grevi  (isl.  grafit)  etc.  aus  einigen  modernen  nor- 
wegischen (und  schwedischen)  mundarten  haben  keine  beweis- 
kraft  für  seine  hypothese. 

Sich  in  dieser  weise  auf  das  zeugnis  moderner  mundarten 
gegen  die  alte  spraclie  zu  berufen,  ist,  so  viel  ich  sehe,  ganz 
und  gar  unberechtigt.  Da  das  aschw.  und  isl.  z.  b.  ausschliess- 
lich hundin{n),  hundit  (nicht  *byndinn,  *hyndit)  haben,  so  ist 
man  nach  meiner  auffassung  verpflichtet  zu  untersuchen,  ob 
sich  hynni,  das  in  dem  einen  oder  anderen  durchaus  modernen 
dialekt  begegnet,  nicht  in  relativ  später  (vielleicht  in  ganz 
später)  zeit  aus  hundinn,  urnord.  *bnndanaR  entwickelt  haben 
kann.  Erst  v/enn  sich  dies  als  durchaus  unmöglich  erwiesen 
hat,  ist  man  berechtigt,  zu  einem  so  entlegenen  notbehelf  zu 
greifen  wie  der  erklärung,  das  ganz  moderne  hynni  repräsen- 
tiere die  uralte  lautgesetzliche  form  (urnord.  %undinaR\  wäh- 
rend isl.  aschw.  hnndin{n)  auf  analogiebildung  beruhe.  Es  ist 
doch  nicht  ohne  gewicht  für  die  Sprachgeschichte,  ob  eine  form 
7U0  jähre  früher  oder  später  nachweisbar  ist. 

*)  Dagegen  hat  isl.  aschw.  uldin  das  siiffix  -in-  (vgl.  Hellqui.st,  Arkiv 
n.  f.  3,  7),  was  dadurch  bestätigt  wird,  dass  das  wort  keinen  /-uinlaut  hat 
(s.  oben  s.  492  anm.  2).  Dasselbe  suffix  -in-  liegt  in  isl.  aschw.  sys(t)kiH 
sowie  in  aschw.  unurw.  yul(l)lingrin  vor  (vgl.  Jlellquist  a.  a.  o.  a.  5  f.). 


494  KOCK 

Es  ist  nicht  sicher,  dass  alle  die  von  Xoreen  angeführten 
part.- formen  aus  getrennten,  teilweise  wenig  untersuchten 
iniiudarten  auf  dieselbe  Aveise  erklärt  werden  müssen;  mehrere 
\ou  ihnen  können  sehr  leicht  durch  analogieeinwirkung  ent- 
standen sein. 

Ich  will  aber  eine  erklärung  anführen,  die  auf  sie  alle 
angewendet  werden  kann.  Es  ist  für  viele  norwegische 
mundarten  charakteristisch,  dass  sie  in  grosser  ausdehnung 
palatale  consonanten  haben,  auch  palatales  n  (liier  durch  n 
bezeichnet),  sowie  dass  dieses  palatale  n  auf  einen  vorher- 
gehenden vocal  sowol  in  fortis-  wie  in  infortissilbe  palatalisie- 
rend  wirkt;  so  wird  z.  b.  iriajin  {^^  M.  mann)  >  mceh'in  (Gud- 
brandsdalen),  hcestann  (isl.  hestarnir)  >  Jtcestcehin  (Gudbrands- 
dalen)  (Joh.  Storm,  Norvegia  1, 122, 124).  Die  mundarten  in 
Viken  haben  in  der  regel  nur  3  zum  endvocal;  eine  ausnähme 
hiervon  machen  die  partt.  pass.  starker  verba,  welche  -hm 
haben,  z.  b.  herinn  (<  isl.  horinn)  (Amund  B.  Larsen,  De  norske 
bygdemäl  s.  37).  Das  (ehemals)  palatale  w  des  part.  borenn, 
horinn  hat  hier  den  «-laut  der  ultima  conserviert,  bez.  eine 
entwickelung  von  e  zu  i  hervorgerufen.  Dies  ist  um  so 
sicherer,  als  man  in  neudän.  mundarten  (Djursland)  z.  b.  kathi 
'die  katze'  (älter  kattinn)  mit  i  und  palatalem  n  findet,  dagegen 
z.  b.  stfndn  'der  stern'  (ohne  artikel  sti^n)  mit  o  und  dentalem  -n 
(K.P.  Thorsen,  Bidrag  til  nörrejysk  lydlaere  s.65;  vgl.  auch  Villi. 
Thomsen,  Forhandl.  paa  det  fjerde  nord.  filologmode  s.  215  ff.). 
Schon  in  altdän.  schritten  (z.  b.  Mandevilles  reise)  begegnet  ein 
ähnlicher  Wechsel,  z.  b.  delin  'der  teil',  d.i.  delinn  mit  i  und 
palatalem  ««,  dagegen  grafven  mit  e  und  dentalem  -w  (Thomsen 
a.  a.  0.). 

In  Übereinstimmung  mit  diesen  tatsachen  ist  der  Wechsel 
hynni :  funni  (isl.  bimäit :  funnit)  et(^  innei'halb  desselben  dia- 
lekts  leicht  zu  erklären,  ein  Wechsel,  den  Noreen  für  seine 
auffassung  besonders  beweisend  findet. 

Im  part.  masc.  hunäenn  ist  das  -nn  in  den  betreffenden 
dialekten  palatal  gewesen.  Dies  wird  dadurch  bestätigt,  dass 
man  gerade  in  den  partt.  pass.  sprulclcinn  etc.  im  amte  Süd- 
Drontheim  und  in  Nordmöre  (A.  B.  Larsen  a.  a.  o.  s.  89),  also  in 
gegenden,  welche  denen  wo  hymii  :  funni  etc.  begegnen,  geo- 
graphisch  benachbart  sind,   stets   palatales  n  hat.    Deshalb 


DER  ^-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNOKD.    SPRACHEN.         495 

wurde  hnndenn  zu  hundinn  (bez.  huntlni/i  mit  /-laut  in  der 
ultima  blieb  bestehen,  obwol  i  sonst  zu  c  wurde).  Hierauf 
gieng  hundinn  (durch  eine  art  /-umlaut)  in  hj/ndinn  über. 
Nom.  pl.  ni.  bundncr,  nom.  pl.  f.  hundnar  etc.  behielten  dagegen 
natürlich  das  u  bei.  Hierdurch  entstand  innerhalb  desselben 
dialekts  ein  Wechsel  hipidinn  :  hundinn,  und  in  einem  verb 
(hi/nni)  konnte  y,  in  einem  anderen  {fw'ini)  konnte  u  durch- 
geführt werden.  •) 

A\'ahrscheinlich  ist  die  entwickelung  hundinn  >  hynni  etc. 
relativ  jung,  jünger  als  die  eigentlich  alte  spräche.  Doch  will 
ich  die  möglichkeit  nicht  bestreiten,  dass  sie  relativ  alt  sein 
könnte.  ^Möglicherweise  ist  i n  den  b  e t  r e f  f  e n d e n  d i a  1  e k t e n 
das  aus  *bnndanaR  entstandene  *bundcn^,  hundenn  durch  ein- 
wirkung  des  palatalen  -nn  schon  vor  dem  ende  der  jüngeren 
'/-Umlautsperiode  in  hundinn  übergegangen.  In  diesem  falle 
wurde  hundinn  in  diesen  dialekten  während  der  jüngeren 
?-unilautsperiode  zu  hyndinn,  während  hundneR  etc.  bestehen 
blieb,  wodurch  der  Wechsel  hjndinn  :  hundinn  in  diesen  dia- 
lekten entstand.  Aber  wol  zu  merken:  auch  in  diesem  falle 
ist  hyndinn  nur  eine  mundartliche  form  und  hat  niemals 
in  der  Vorstufe  der  an.  literatursprachen  mit  hundinn  ge- 
wechselt, und  auch  das  mundartliche  hyndinn  ist  aus  einem 
urnord.  Hundanan  (nicht  aus  urnoi'd.  *htindinaR)  entstanden. 

Im  übrigen  ist  es  leicht  möglich,  dass  gewisse  unter  den 
von  Xoreen  angeführten  partt.,  z.  b.  hynni,  in  irgend  einem 
dialekt  den  palatalen  vocal  der  Wurzelsilbe  durch  den  einfiuss 
des  unmittelbar  folgenden  palatalen  nasals  n  (nicht  durch  den 
einfiuss  des  i  der  ultima)  bekommen  haben:  hu7mi  wurde  hynni 
wie  mann  zu  mce'nn  wurde  etc. 

Die  aus  dem  dialekt  von  Dalekarlien  in  Schweden  an- 
geführten partt.  können  ebenso  wie  die  partt.  der  norw.  mund- 
arten  erklärt  weiden.  Die  mundarten  von  Dalekarlien  liegen 
geographisch  den  norweg.  nicht  sehr  fern   und   repräsentieren 


'j  Nach  Noreen,  Aisl.  gr.-  §  422  anm.  5  koimnt  im  anorw.  neben  dem 
gewübnlichen  part.  I'nnninn  'eine  seltene  nebeuform'  ft/nniiin  vor.  Ich 
weiss  nicht,  aus  welcher  quelle  dies  f'ynninn  stammt,  vielleicht  ist  es  nur 
einmal  angctroften  worden.  Wenn  es  nicht  Schreibfehler  ist,  so  ist  es  als 
eine  dialekttonii  zu  •  ikläreii  uml  mit  neunorw.  byiini  gleichzustellen. 


,.  J 


496  KOCK 

in  mehreren  beziehmigen  ein  übergangsstadiuni  zwischen  nor- 
wegischen und  schwedischen  dialekten. 

Ausser  den  partt.  mit  palatalunilaut  (isl.  elinn  etc.)  erüb- 
rigt nur  noch,  die  von  Xoreen  angefühlten  partt.  aschw.  Uetin, 
rasxin,  breten  (Westmannagesetz  einmal)  zu  erörtern. 

Neben  lata  (isl.  Idtu)  hat  das  aschw.  oft  liBta  mit  ce  aus 
dem  praes.  sg,  Imttr.  Nun  ist  es  äusserst  gewöhnlich,  dass 
partt.  pass,  auf  analogischem  wege  denselben  wurzelvocal  wie 
das  praes.  annehmen.  So  sind  im  neuschw.  die  älteren  frusit, 
nusit  etc.  (von  frysa  :  fräs  :  frusit  etc.)  im  weichen  begriffen 
vor  den  neubildungen  fn/sit,  nysit  etc.  Schon  im  aschw.  trifft 
man  in  vereinzelten  fällen  part.  similin,  siungm,  giutin  (in- 
giutit),  statt  simJcin,  sungin  etc.  durch  einwirkung  von  siunha, 
shinga,  giuta,  und  im  neuschw.  sind  sjunlcen,  sjungen,  gjuten 
alleinherschend;  so  hat  das  aschw.  auch  einmal  part.  gioWiet 
mit  i  aus  gicelda  und  normal  hwivin  (vgl.  isl.  haßnn)  mit  cb  aus 
hwfia.  In  Viken  in  Norwegen  bekommt  das  part.  pass.  den- 
selben vocal  wie  der  inf.,  z.  b.  frysi  (ial.  fror inn;  nach  frysa), 
fmni  (isl.  funnit;  nach  ßnna)  etc.  Da  man  nun  lata  :  Iwta,  aber 
part.  lätin  hatte,  so  wurde  ■ —  was  Noreen  ebenfalls  als  mög- 
lich zugibt  —  dieses  lätin  facultativ  zu  Iwtin  (Icetit)  umgebildet. 
Das  aschw.  verwendet  neben  raxa  auch  oft  vcexa  (mit  ce  aus 
praes.  sg,  vcex  oder  von  einem  älteren  inf.,  der  dem  got.  wahsjan 
entspricht);  das  part.  vcexin  hat  ce  aus  dem  praes.  Auch  im 
späten  aschw.  (1505)  findet  sich  einmal  das  part.  hretheth;  in 
Hert.  Fredr.  kommt  hrytin  zweimal  vor.  Auch  im  adän.  be- 
gegnet part.  bretcen  (Flensborg  bylov),  hret  (AM.  453,  Hert.  Fr. 
nach  L}' ngb}',  Udsagns  -  ordenes  böjn.  i  jyske  lov  22  anm.  2). 
Part,  hrytin  hat  y  aus  dem  inf.  hryta.  In  hreten,  hret  und  das 
einmal  um  etwa  1500  belegte  hUjfwen  ist  0  wol  aus  praet.  sg, 
hret,  Idef  übernommen;  vgl.  dass  umgekelirt  0  bisweilen  aus 
dem  part.  in  das  praet,  sg.  starker  verba  eingeführt  wurde: 
isl.  /.Zo/"  statt  Mauf(Yg\.  part,  Jdofmn),  anorw,  folc  statt  fauk  (vgl, 
part.  fokinn),  isl.  Iwlp ')  statt  hali)  (vgl.  part.  liolpinn).  Zur  ein- 
führung  von  0  in  hret  {hreten)  hat  wahrscheinlich  auch  das 
verb  aschw.  hreta  'bryta  mark'  (part.  breiter),  isl.  hreyta  *op- 
bryde,  gjere  fremkommelig'  beigetragen. 

*)  Diese  praet. -formen  erwähnt  Noreen,  Aisl.  graram."  §  413  anm.,  jij  422 
anm.  5,  ohne  eine  erkläniug  für  sie  zu  geben. 


DER  ^1-UMLAUT   ETC.    IN    DEN    ALTNOKD.   SPRACHEN.         497 

Eine  gTUppe  von  i);irtt.  bedarf  speciell  einiger  worte  der 
erläuterung.  Die  verben  vom  typus  Uta  :  heit  :  hitu  :  hitinn 
haben  alle  in  dei-  paennltinia  des  part.  i  (ausser  hejnnn  von 
bipa).  Dies  ist  aber  in  völliger  Übereinstimmung  mit  der 
vocalisation  der  entsprechenden  partt.  im  alid.,  as.  und  ags.; 
man  findet  alul.  hizzan,  as.  hitan,  ags.  hitcn^)  etc.  Da  diese 
partt.  in  den  anderen  germ.  dialekten  trotz  dem  -an-  im  ahd. 
und  as.  keinen  «-umlaut  von  /  haben,  so  ist  es  durchaus  nicht 
überraschend,  dass  ein  nord.  *bitanuR,  isl.  hitimi  auch  keinen 
a-umlaut  von  i  hat. 

Ich  denke  mir,  dass  das  fehlen  des  a-umlauts  in  diesen 
partt.  der  germ.  sprachen  auf  eine  der  folgenden  weisen  er- 
klärt werden  kann. 

Durch  einwirkung  des  praet.  pl.  mit  /  (vgl.  isl.  hüu  etc.) 
konnte  i  in  den  germ.  dialekten,  in  denen  hier  «-umlaut  von  i 
eintreten  sollte,  im  part,  bitaii-  bestehen  bleiben  (vgl.  unten 
und  Paul,  Beitr,  6,  84).  Ich  erinnere  daran,  dass  in  den  ost- 
nord.  sprachen  der  TViirzelvocal  des  part.  pass.  oft  nach  dem 
wurzelvocal  des  praet.  pl.  verändert  worden  ist  (floghin  >  fluf/km 
nacli  praet.  pl.  fhigJm  etc.,  s.  unten  s.  503  ff.).  Ist  diese  annähme 
richtig,  so  ist  isl.  bitinn  aus  *bitanaR,  %itanas  entstanden. 

]\Ian  kann  aber  das  i  der  partt.  pass.  bitinn  etc.  sehr  wol 
auch  auf  folgende  weise  erklären.  Das  urnord.  part.  haitinaii 
(Tanumstein)  scheint  zu  zeigen,  dass  das  part,  pass.,  wenn 
auch  selten,  das  suffix  -in-  haben  konnte.  Nun  findet  sich  in 
gewissen  neunorw.  mundarten  eine  tendenz  bei  der  wähl  der 
endungsvocale  a  :  i  in  masc,  m- stammen  (isl.  timi,  bahki  :  obl. 
casus  tima,  balka).  die  hier  von  interesse  ist.  In  den  dialekten 
von  Fosen  und  Xamdalen  hat  teils  der  isl.  nom.  auf  -/,  teils 
iler  isl.  acc.  auf  -a  den  sieg  davongetragen,  aber  gewöhnlich 


*)  So  viel  ich  sehe,  muss  der  endungsvocal  e  der  meisten  partt.  pass. 
im  ags.  (eheusö  wie  in  den  nord.  sprachen)  aus  einem  germ.  o  entstanden 
sein;  dies  scheint  mir  deutlich  daraus  hervorzugehen,  dass  das  ags.  in 
Loden  etc.,  holpeii  etc.,  boren  etc.  a-umlaut  und  in  hunden  etc.,  faren  etc. 
keinen  t- umlaut  hat.  Ich  will  mich  nicht  darüber  aussprechen,  wie  die 
regel  formuliert  werden  muss,  nach  welcher  -on-  der  partt.  pass.  im  ags. 
in  -en  übergieng.  Sievei-s,  Ags.  gr.'' §  45,  3.  §128,2.  §  3Gü  scheint  eben- 
falls der  ansieht  zu  sein,  dass  ags.  -en  im  part.  pass.  ein  germ.  -an-  re- 
präsentiere. Dagegen  meint  Streitberg,  Urgenu.  gr.  s.  195,  dass  ags.  hunden 
etc.  ein  germ.  -in-  enthalte. 

Beiträge  zur  tfescUiclite  der  deutaclieu  epraobe.    XXUl.  32 


498  KOCK 

dergestalt,  dass  die  Avahl  zwischen  a  und  i  sich  nach  dem 
vocal  der  paenultima  richtet,  z.  b.  nom.  acc.  ttmi  mit  -i,  aber 
nom.  acc.  haJil-a  mit  -a  (A.  B.  Larsen,  De  norske  by^demäl  s.  84). 
In  iirgerm.  zeit  ist  eine  teilweise  ähnliche  tendenz  bei  der 
wähl  der  suffixform  -an-  und  der  suffixform  -in-  für  das  part. 
pass.  bestimmend  gewesen.  In  der  regel  entschied  man  sich 
für  -an  :  ^Tjundanaz,  *faranaz  etc.,  aber  -m-  wurde  gewählt, 
wenn  die  Wurzelsilbe  einen  2-laut,  d.  h.  i  oder  den  diphthong  ai, 
enthielt,  z.  b.  *difinaz,  ^haitinaz,  urnord.  haitinan.  Die  form 
hifin-  mit  /  in  der  zweiten  silbe  bestand  noch  zur  zeit  der 
durchführung  des  a-umlauts  in  den  getrennten  germ.  sprachen 
(vgl.  unten).  Später  wurde  in  den  continentalen  westg.  dia- 
lekten  ahd.  und  as.  und  im  got.  (in  folge  der  einwirkung  der 
grossen  menge  von  partt.  pass.  mit  der  suffixform  -an-)  das 
-in-  mit  -an-  vertauscht  (ahd.  hizzan,  as.  hitan,  got.  hitans). 

Noch  in  urnord.  zeit  hatte  das  part.  haitinaa  sich  einer 
derartigen  beeinflussung  seitens  der  partt.  mit  -an-  entzogen, 
und  isl.  heitinn  kann  eine  unmittelbare  entwickelung  aus  ur- 
nord. haitinaa  sein.  In  ähnlicher  weise  kann  isl.  hitinn  die 
unmittelbare  fortsetzung  von  urnord.  *bitinaM,  germ.  *hitinaz  sein. 

Man  pflegt  isl.  hepinn  (von  hij)a)  als  beispiel  des  a-umlauts 
in  diesen  partt.  anzuführen.  Vorausgesetzt  dass  litimi  aus 
*hitanaz  (nicht  ^hitinaz)  entstanden  ist,  enthält  bejyimi  a-umlaut. 
Soweit  ich  mich  erinnere,  ist  aber  nicht  hervorgehoben  worden, 
weshalb  in  diesem  einzigen  particip  a-umlaut  von  /  fortbestehen 
sollte.  Die  sache  ist  die,  dass  hejjinn  part.  nicht  nur  zu  MJ>a 
praes.  hip-,  sondern  auch  zu  isl.  bipia,  praes.  bipr  ist.  Dagegen 
hat  im  aschw.  sowol  das  part.  zu  blpa  wie  das  zu  bipia  die 
form  hipin.  Dies  zeigt  deutlich,  dass  das  part.  bepinn  (von 
bip)ia)  im  isl.  das  part.  bepinn  (von  Upa)  beeinflusst  hat. 

Entweder  hat  ein  ursprüngliches  (*bedanaR  >)  bepinn  zu 
bipa  das  e  unter  dem  einfluss  von  bepinn  zu  bipia  beibehalten, 
oder  auch  es  ist  das  e  von  bepinn  zu  bipia  auf  {^bidinaR>)  biÖinn 
zu  blpa  übertragen  worden,  so  dass  dieses  zu  bepinn  Avurde. 

Hier  mögen  die  aschw.  partt.  bipin  (zu  bipia),  sitit  (zu 
sitia),  h'gliat^)  (zu  lujyia),  pigliat  (zu  pigyia)  erörtert  werden. 
Ihnen  entsprechen   die   isl.  bepinn,  setinn,  leginn,  peginn,  die 


»)  Aber  ajütläud.  for  Iceghcen. 


DER  ^-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    AT/PNORD.    SPRACHEN.         409 

normalerweise  c  in  der  paemiltima  haben,  da  die  Wurzelsilbe 
germ.  e  (iirnord.  *beÖanaR  etc.)  hat.  Die  älteren  (isl.)  bepinn, 
setinn  haben  im  aschw.  {hijiin,  sitit)  i  aus  dem  inf.  bekommen, 
vgl.  oben  s.  49G  über  den  einfluss  des  inf.  auf  das  part.  pass. 
Zu  den  schwach  flectierten  Jrighia  'schweigen',  sighia  'sagen' 
lautet  das  part.  J)i(jhat,  siglmt,  formen  welche  ihr  /  aus  dem 
praes.  ]>iijhia,  siyhia  bekommen  haben  (die  älteren  partt.  sind 
isl.  ]m(){a)t,  aschw.  thaht-^  aschw.  siujhaper,  isl.  aschw.  f>ag{]i)at, 
isl.  sag]))',  aschw.  saghjjcr).  Neben  liggia  kommt  auch  lighia 
vor.  Nach  pighia  'schweigen'  :  Jnghaf,  sighia  :  sigJiat  ist  zu 
ligkia  (liggia)  das  part.  lighat,  zu  Jnggia  das  part.  pighat  ge- 
bildet worden,  i)  Also  ist  -at  in  lighaf,  pighat  eine  ganz  junge 
analogiebildung,  und  man  darf  in  diesen  formen  nicht  mit 
Noreen  in  Pauls  Grundr.  l^.  641  und  Brate,  Runverser  s.  345 
uralte  repräsentanten  des  erhaltenen  germ.  suffixes  -an-  mit 
a  sehen. '^) 

Ich  gehe  von  den  partt.  pass.  zu  anderen  wortkategorien 
über.  In  ihnen  findet  sich  schon  von  alters  her  sowol  das 
germ.  sufflx  -in-  wie  das  germ.  suffix  -an-.  Aber  sie  interes- 
sieren uns  hier,  da  das  suffix  -an-  unter  denselben  umständen 
wie  im  part.  pass.  lautgesetzlich  in  -cn-,  -in-  übergegangen  ist. 

Gewisse  masc.  a-stämme  haben  das  germ.  suffix  -an-,  andere 
das  germ.  suffix  -in-.  Da  der  langsilbige  name  Opinn  keinen 
/-Umlaut  enthält,  so  hat  er  (wenigstens  unbedingt  in  der  regel; 
vgl.  s.  500  aum.),  entsprechend  dem  ahd.  Wuotan,  das  suffix  -an- 
gehabt.   Das  wort  ist  also  so  fliectiert  worden: 

nom.  *OdanR  dat.  Oöne 

gen.  *Odans  acc.  Odan. 

Gab  es  zu  jener  zeit  noch  den  vocativ  als  einen  besonderen 


1)  Streng  lautgesetzlich  hätten  die  partt.  im  aschw.  wol  *li(jhin, 
*pi(jhiii  lauten  sollen.  Denn  ebenso  wie  ein  aus  a  durch  /-umlant  ent- 
standenes (£  im  aschw.  vor  gh  +  /  weiter  zu  /  wurde  (Kock,  Arkiv4,  175), 
so  musste  wahrscheinlich  ein  germ.  e  in  dieser  Stellung  dieselbe  eutwicke- 
lung  bekommen. 

'"ä)  Das  auf  dem  Yttergärdsstein  einmal  begegnende  takat  für  takit 
ist  wahrscheinlich  fehlritzung.  Dies  ist  glaublicher  als  dass  takat  =  takant 
gelesen  werden  müsse  (mit  auslassung  des  Zeichens  für  n,  wie  auch  sonst 
öfter),  und  dass  in  takant  mit  dem  germ.  suftix  -an-  a  noch  nicht  in  e,  i 
übergegangen  sei. 

32* 


500  KOCK 

casus,  so  hiess  dieser  ebenfalls  *Ödan.  Im  nom.  und  gen.  bekam 
man  lautgesetzlich  OJjenn  {-inn),  OJ)ens  (-ins),  im  acc.  (und  voc.) 
dagegen  0])an.  Isl.  OJnnn,  asclnv.  o])insda(jher,  älteres  neu- 
scliw.  odensdag  haben  ihre  vocalisation  aus  dem  nom.  und  gen., 
während  das  äusserst  seltene  aschw.  Odhansdayhin  (Sv.  riks- 
archivets  pergamentbref  no.  2697  vom  jähre  1393;  vgl.  Lund- 
gren,  Spräkliga  intyg  om  hednisk  gudatro  i  Sverige  s.  28)  mit 
a  in  der  zweiten  silbe  vom  acc.  (und  voc.)  *Odan^)  aus- 
gegangen ist. 

Das  nebeneinander  isl.  dröttinn,  aschw.  drotin  ohne  umlaut, 
aber  aschw.  dretning  (neben  drotning),  agutn.  drytning  mit  /-um- 
laut spricht  dafür,  dass  dröttinn  das  suffix  -an-  gehabt  hat. 
Hier  ist  es  die  vocalisation  des  Suffixes  im  nom.  und  gen.,  die 
den  sieg  davongetragen  hat. 

Dagegen  ist  in  dem  namen  Heriann  und  mpiöpann  'könig' 
der  a-vocal  im  acc.  (und  voc.)  durchgeführt  worden;  zur  ein- 
führung  des  a  in  Heriann  trug  auch  der  dat.  {Heriani)  bei, 
der  in  diesem  worte  nicht  synkopiert  wird. 

Die  Worte  für  'morgen'  und  'abend'  scheinen  von  alters 
her  sowol  das  suffix  -m-  wie  das  suffix  -an-  neben  -un-  gehabt 
zu  haben:  isl.  myrginn,  alt.  neuschw.  mörnar  mit  «"- umlaut  : 
aschw.  morghan,  isl.  morginn  :  isl.  morgunn,  aschw.  morglioti; 
isl.  eptann  mit  i-umlaut  (?)  :  isl.  aptann,  aschw.  aptan,  aftin  : 
aschw.  afton  (vgl.  Noreen,  Aisl.  gr.2  §  150,  5.  Aschw.  gr.  §  180,  3). 
Doch  enthalten  isl.  morginn,  aschw.  aftin  mit  /  in  der  ultima, 
aber  ohne  i- umlaut  in  der  paenultima  nicht  das  suffix  -in-, 
sondern  das  suffix  -an-,  dessen  a  im  nom.  und  gen.  lautgesetz- 
lich in  e,  i  übergegangen  ist  i^morgann  >  morginn,  *morgans 
>  morgins  etc.). 


')  In  einer  nrkunde  ans  Dalekarlien  begegnet  einmal  ejj/nsäaghin 
(Dipl.  4142  vom  jähre  1347).  Wenn  dies  e  nicht  schreibfeliler  ist,  kann 
epin  eine  mundartliche  form  sein,  die  ebenso  zu  erklären  ist  wie  die  oben 
s.  495  besprochenen  mundartlichen  partt.  pass.  ans  modernen  dalekarlischen 
dialekten.  Ich  finde  es  wenig  glaublich,  dass  man  in  diesem  vereinzelten 
epinsdayhin  ein  beispiel  eines  sonst  nirgends  nachgewiesenen  germ.  *\Vüdinaz 
habe.  Da  die  Verwendung  der  endungsvocale  im  Hels.-gesetz  höchst  regel- 
los und  inconsequent  ist,  kann  auf  das  einmal  (.E.  16  pr.)  im  Hels.-gesetz 
vorgefundene  opiimdayh  kein  gewicht  gelegt  werden,  und  man  kann  also 
aus  diesem  opunzdayh  nicht  die  sclilnssfolgerung  ziehen,  dass  öpinu  ur- 
germ.  auch  die  suflixi'orm  -un-  gehabt  hätte. 


DER  yl-ÜMLAUT   ETC.   IN   DEN   ALTNORD.   SPRACHEN.         501 

Isl.  aptann,  ascliw.  apfan  hat  -an-  vom  acc.  affan,  wobei 
der  umstand  eine  rolle  spielte,  dass  die  ausdrücke  of  apfan, 
um  aptan,  i  gcer  aptan  besonders  gebräuchlich  waren.  Das 
aschw.  morghan  hat  dieselbe  vocalisation.  Isl.  epfann  kann 
eine  compromisform  von  aptann  und  *eptmn  sein,  da  aber  ein 
*eptmn  nicht  nachgewiesen  ist,  ist  es  auch  sehr  möglich,  dass 
aptann  durch  ein  Wirkung  der  praep.  eptir  und  des  comp,  eptri 
bisweilen  zu  cptann  geworden  ist;  vgl.  dass  im  aschw.  das 
adverb  aptan  'hinten'  durch  ein  Wirkung  von  ceptir,  mptre  die 
form  ceptan  erhalten  hat. 

Das  suffix  -in-  findet  sich  in  dem  kiu'zsilbigen  aschw.  cerin, 
isl.  arinn  {a  aus  pl.  arnar  etc.;  vgl.  neuschw.  äril  mit  dem  suffix 
-/7-)  und  in  isl.  aschw.  liimm{n)  (vgl.  got.  Mmins),  wahrschein- 
lich auch  in  Beginn;  vgl.  neutr.  regin  'götter'. 

Wie  die  adjectiva  teils  das  suffix  -il,  z.  b.  heimill,  teils  das 
suffix  -al-,  z.  b.  atall  haben,  so  haben  sie  teils  das  suffix  -in-, 
teils  das  suffix  -an-,  hier  und  da  Wechsel  -in-  :  -an-  in  dem- 
selben adjectiv.  Der  «-umlaut  in  isl.  yfrinn,  aschw.  yfrin,  efrin, 
isl.  heppinn,  neuschw.  yllen  zeigt,  dass  die  Wörter  das  suffix  -m- 
gehabt  haben;  aschw.  ullin  'wollen'  kann  u  vom  subst,  td  haben. 
Aus  den  nord.  lautverhältnissen  geht  nicht  hervor,  ob  eiginn 
das  suffix  -an-  oder  -in-  hat.  aber  got.  aigins  spricht  für  das 
letztere.  Dagegen  haben  z.  b.  isl.  aschw.  loJnn{n),  rotin(n),  isl. 
ropinn,  snoJ)inn,  aschw.  snorkin  'zusammengeschrumpft'  mit 
rt-umlaut  das  suffix  -an-.  In  isl.  opinn,  aschw.  opin,  upin,  ypin, 
epin  hat  sich  am  ehesten ')  ein  uralter  Wechsel  -an-  :  -in-  ge- 
funden, da  das  wort  sowol  «-umlaut  {opinn  <  "^opanaR  <  *upa- 
naz)  als  /-umlaut  hat  (nom.  ypin  <  *upinaR;  nom.  02)in  <  *opi- 
nuR  mit  0  vor  dem  ende  der  jüngeren  i-umlautsperiode  aus 
nom.  *opanaR  übertragen).  Ohne  grund  hat  man  aschw.  gyllene 
als  beispiel  eines  nord.  Wortes  mit  dem  suffix  -in-  angeführt. 
Aschw.  neuschw.  gyllene  ist  nämlich  ein  deutsches  lehen  (vgl. 
mild,  giildin,  plattd.  gülden);  dies  geht  teils  daraus  hervor,  dass 
das  e  der  paenultima  in  aschw.  nschw.  gyllene  nicht  synkopiert 
wird,  wie  es  mit  i,  e  im  suffix  -in-  der  fall  ist  {mcdh  gyllene 
uiunnen,  dagegen  z.  b.  dat.  sg.  upno,   nicht  *iq>cno,  von  upin\ 


•)  Dies  ist  wahrscheinlicher  als  dass  das  wort  nur  das  suffix  -in-  ge- 
habt habe,  und  dass  o  in  opinn  z.  b.  aus  nom.  pl.  f.  ojutar  «*»<;>»««< 
*upinüji)  übertragen  worden  sei. 


502  KOCK 

teils  daraus,  dass  das  wort  (jylJcne  im  aschw.  (fast  immer)  und 
im  nscliw.  unflectierbar  ist;  vgl.  das  silfverne  (nlid.  silbern, 
mnd.  sulveren)  der  Volkslieder,  Welches  suftix  isl.  guUinn  ur- 
sprünglich gehabt  hat,  kann  kaum  entschieden  werden,  da  das 
wort  an  das  subst.  giiU  angeschlossen  (bez.  in  später  zeit  nach 
ihm  gebildet)  werden  konnte.')  Das  seltene  isl.  Jiräsinn  ist  wol 
in  später  zeit  nach  hrösni  gebildet  worden. 

Bei  der  beurteilung  der  lautentwickelung  *brostanR  >  hro- 
stenn,  hrostinn  etc.,  OdanR>  OÖenn,  OÖinn  etc.  von  einem  all- 
gemeineren gesichtspunkt  muss  man  beachten,  dass  die  con- 
sonanten,  welche  dem  -an-  folgen,  factisch  r,  s,  t  sind.  Der 
laut  R  hatte  in  der  alten  spräche  ein  ^■-element,  da  er  palatal- 
umlaut  bewirkt:  Mr  >  leer  etc.  In  den  nord.  sprachen  hat 
auch  s  ein  «-element.  Joh.Storm,  Norvegia  1,  89  anm.2  bemerkt: 
'der  Zischlaut  s  hat  etwas  das  an  den  vocal  i  erinnert',  und 
das  neudän.  verwendet  einen  /-ähnlichen  laut  vor  -s  in  silben 
mit  infortis:  liaves,  gives  etc.  (Jespersen,  Dania  1, 70).  Im  jüngeren 
aschw.  bleibt  das  ältere  i  in  levissilbe  vor  s  erhalten  und  geht 
nicht  wie  sonst  in  e  über,  z.  b.  Iceris  (Kock,  Fsv.  Ijndl.  2,  272); 
das  ältere  neudän.  verwendet  die  endung  -is,  z.  b.  dragis,  obwol 
es  sonst  in  infortissilbe  e  hat  (bürde  etc.,  Kock,  Arkiv  n.f.  1,86). 
Auch  vor  -t  bleibt  im  jüngeren  aschw.  der  endvocal  i  erhalten, 
z.  b.  funnit  (Fsv.  Ijudl.  2, 272  f.).  Unter  diesen  umständen  ist 
es  leicht  möglich,  dass  die  hier  hervorgehobene  natur  des  r,  s,  t 
eine  rolle  spielte,  als  a  mit  infortis  vor  nR,  ns,  nt  zu  c,  i  wurde. 

Ich  glaube  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden  zu  können, 
inwieweit  das  w  in  gemeinnord.  zeit  in  dieser  Stellung  pa- 
latal  oder  dental  war. 2)  Arkiv  n.f.  5,  254  ff.  (vgl.  teilweise 
schon  Äström,  Sv.  landsm.  6,  no.  6,  s.  109  ff.)  habe  ich  gelegen- 
heit  gehabt  nachzuweisen,  dass  die  alte  nord.  spräche  in  be- 
stimmten Stellungen  supradentales  n,  in  anderen  nicht  supra- 
dentales n  hatte,  sowie  dass  der  w-laut  in  silben  mit  infortis 
nicht  supradental  war.    Gegen  die  annähme,  dass  dieses  nicht 


')  [Docli  wahrsclieinlich  -in-,  das  sieb  vielleicht  ancli  in  ullin  findet; 
s.  jetzt  z.  t.  Torp  og  Falk,  Lydhist.  s.  97  f.] 

^)  Vielleicht  ist  die  eutwickehing  a  >  <e  im  pronomeu  hann  >■  hcen, 
cen  im  aschw.  (Westgötagesetz)  entstanden,  Avenn  das  wort  infortis  hatte,  in- 
dem dem  a  ein  palatales  n  bez.  n  +  r  {*hanR)  nachfolgte.  Man  beachte 
auch  isl.  an  :  en{n),  aschw.  ccn  'quam'. 


DER  ^-UMLAUT   ETC.   IN   DEN    ALTNORD.   SPRACHEN,         503 

Slipradentale  n  in  infortissilbe  vor  n,  s,  t  palatal  war,  spricht 
wol,  dass  das  l  in  entsprechender  Stellung  schwerlich  palatal 
gewesen  sein  kann;  man  hat  nämlich  isl.  nom.  afall  (<  *afaJn) 
gen.  afals  etc.  (nicht  *afiU,  "^atils  etc.).  ^^^enn  hinwiderum  der 
w-laiit  schon  in  urnord.  *brosfanR  etc.  palatal  war,  so  ist  die 
gemeinnord.  entwickelung  *hrosfanR  >  hrostenn  ausserordentlich 
nahe  verwant  mit  der  in  norwegischen  mundarten  begegnenden 
entwickelung  hcestaiin  (isl. hestarnir)  >  hcestce'tin,  horenii  >  herinn. 
Diese  frage,  inwieweit  der  nicht  supradentale  w-laut  in 
gemeinnord.  zeit  palatal  oder  dental  war,  ist  aber  für  die 
eigentlich  hier  behandelte  frage  von  untergeordneter  bedeutung, 
denn  nach  dem  oben  angeführten  dürfte  constatiert  sein,  dass 
a  in  infortissilbe  vor  n  +  consonant  zu  e,  i  wairde.  In  dieser 
Stellung  war  der  >i-laut  nicht  supradental. 

Excurs  1. 
Der  Wechsel  u  :  o  im  part.  pass.  der  ostnord.  sprachen. 

Es  muss  erörtert  werden,  warum  viele  partt.  pass.  welche 
im  isl.  rt- Umlaut  von  u  zeigen,  im  ostnord.,  und  besonders  im 
aschw^,  unumgelauteten  vocal  bez.  einen  Wechsel  von  unum- 
gelautetem  und  umgelautetem  vocal  haben,  z.  b.  isl.  sloppimi  : 
neuschw.  sluppen. 

Der  w-laut  solcher  ostnord.  formen  ist  späten  Ursprungs, 
und  er  ist  wenigstens  wesentlich  auf  analogischem  wege  ent- 
standen. Dies  geht  schon  daraus  hervor,  dass  das  isl.  (welches 
wie  bekannt  im  allgemeinen  einen  altertümlicheren  Standpunkt 
als  das  aschw.  einnimmt)  den  vocal  o  hat,  während  sich  im 
aschw.  oft  ein  Wechsel  o  :  n,  im  neuschw.  nur  u  findet. 

Dies  ist  der  fall  z.  b.  in 

isl.  aschw.  nschw. 

sloppinn  sloppin,  sluppin  sluppen 

horginn  horghin,  tniryhin  bürgen  (adj.) 

holpinn  halpiii,  hidpin  hulpen 

brotinn  brotin,  brutin  brüten 

flotitm  flotiu,  jlutin  fluten 

frosin  frosin,  frusin  frusen 

bopinn  bojiin,  bupin  buden  (bjuden^)) 

gotinn  gotin,  gutin  gjuten*) 

kropinn  kropin,  krupin  krupen 


•)  Das  j  ist  aus  bjuda,  gjuta  übertragen  worden. 


504 


KOCK 


isl. 

aschw. 

nschw. 

notinn 

notit,  nutit 

njutit  1) 

sopinn 

sopin,  supin 

s(j)uden 

skotimi 

sJcotin,  skiiiin 

skjuten^) 

horinn 

borin,  huri'n 

huren 

skorinn 

skorin,  skurin 

skuren 

stoUnn 

stoh'n,  stulm 

Stuten. 

Von  anderen  verben  ist  schon  im  aschw.  nur  die  it-form 
belegt,  z.  b.  isl.  hoginn,  aschw.  niperhughm,  isl.  floginn,  aschw. 
flughin,  nschw.  fingen,  isl.  lotinn,  aschw.  lutit,  nscliw.  Ijutit,  isl. 
lostimi,  aschw.  lustin,  isl.  loginn,  aschw.  lughin,  nschw.  Ijugit, 
isl.  soginn,  aschw.  nschw.  sug{ji)it,  isl.  sirokinn,  aschw.  strukin, 
nschw.  struken,  isl.  sopinn,  aschw.  supin,  nschw.  supen,  isl.  hro- 
stinn,  aschw.  brustin,  nschw.  brüsten,  isl.  soUinn,  aschw.  suitin, 
nschw.  svidtit.  Nur  selten  ist  im  aschw.  die  o-form  allein  belegt, 
z.  b.  isl.  Jcloßnn,  aschw.  Moiv'm,  nschw.  klufren. 

Dass  das  n  in  diese  partt.  analogisch  eingeführt  worden 
ist,  geht  aber  vor  allen  dingen  aus  einer  musterung  der  vocale 
dieser  partt.  in  den  verschiedenen  ostnord.  dialekten  hervor.^*) 

Das  altjütl.  (Jyske  lov)  hat  im  allgemeinen  in  denselben 
partt.  wie  das  isl.  das  o  beibehalten:  stolcen,  borcen,  sJcorcen  — 
floghcen,  brotcen  (brot),  skotcen  {vt  skot),  bothcen.  Eine  ausnähme 
macht  das  einzige  hergehörige  verb  mit  dem  ablaut  e  :  a  :  u  :  o 
im  isl.,  nämlich  das  altjütl.  part.  tvrthen.  Dies  beruht  natürlich 
auf  analogischem  einfluss  seitens  der  zahlreichen  verben  von 
dem  typus  braun  :  brumm  :  brunninn,  fann  :  funnu  :  funninn 
etc.  Da  man  neben  diesen  varp  :  ur]iu  :  orpinn  hatte,  so 
vertauschte  man  orpinn  gegen  urpinn  (ivrthen). 

Im  altschonischen  bleibt  o  in  den  verben  dieses  typus 
(isl.  bera  :  bar  :  b^ru  :  borinn)  erhalten:  aschon.  boret,  skorit, 
stolcen.    Sowol  in  den  verben  des  typus  verpa  wie  auch  in  den 


')  Das  j  ist  aus  njnta  übertragen  worden. 

'■')  Das  j  aus  skjtita  übertragen. 

3)  Vgl.  betreffs  der  factischeu  mitteihmgen  Lyngby,  Antiqvarisk  tid- 
skrift  1858 — 60  s.  247.  Udsagnsordenes  böjning  i  jyske  lov  og  i  den  jyske 
sprogart  s.  15ff".  Collin-Schlyters  glossare.  Zetterberg,  Bjärköarättens  Ijud- 
och  böjningslära  s.  9:^  ff.  Machule,  Die  lautlichen  Verhältnisse  und  die  ver- 
bale flexion  des  schouischen  land-  und  kirohenrochtes  s.  'M  ff.  Diese  gelehrten 
ziehen  aber  aus  dem  materiale  nicht  dieselben  schlussfolgerungeu  wie  ich. 


DER  ^4-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNORD.    SPRACHEN.         505 

Verben  des  typus  hm])a  ist  das  o  gegen  u  vertauscht  worden: 
aschon.  iir])it,  hurghit,  buj)it,  hrutin,  Intit,  hdif.^) 

Das  altwestgötische  nimmt  wesentlich  dieselbe  Stellung 
wie  das  altschonische  ein.  rollin-SchlA'ters  glossar  zum  West- 
götagesetz  verzeichnet  nämlich  folgende  partt.:  horin,  stolet, 
stolin  (und  shdin),  svoren  {svoret,  s[v\ornum),  soven  'dormiens', 
aber  sowol  gnldin,  giddit,  hidpit,  vurpin  wie  hiiden,  hd'in,  lugliin, 
lusiin.  Die  für  Lödöse  in  Westergötland  geschriebene  hs.  des 
Biaerkearaetter  hat  hornir  (zu  bcera),  skornir  (und  vt  skurin  zu 
skcera),  siolnom,  piufstolit  (neben  stndif,  das  fehlerhaft  statt 
stulit  zu  stifela  steht)  und  einmal  in  fidghit,  aber  ausschliess- 
lich mit  u  sowol  ivrpit,  tnatburghit  wie  hupin,  hupit,  bridit. 

Im  altschonischen  und  altwestgötischen  ist  die  analogische 
einwirkung  einen  schritt  weitergegangen  als  im  altjütländischen. 
Nach  brunnu  :  brunninn,  funnu  :  funninn  etc.  sind  in  den  verben 
bu])u  :  bo])inn  etc.  mit  kurzer  Wurzelsilbe  die  partt.  bojrinn  gegen 
bupiii  etc.  vertauscht  worden.  2)  Dabei  hat  natürlich  auch  die 
analogie  von  urpu  :  urpinn  etc.  eine  rolle  gespielt.  Da  aber 
das  praet.  pl.  zu  bcera  nicht  *büru,  sondern  bäru  lautete,  so 
blieb  im  aschon.  und  awestgöt.  bäru  :  borit  erhalten,  und  borit 
wurde  nicht  durch  burit  ersetzt.  Dies  gilt  auch  von  skorit, 
stolit.  Das  part.  soivin  ist  geblieben,  weil  das  praet.  pl.  söwo 
hiess  (und  der  inf.  söwa). 

Im  Östgötagesetz  dagegen  werden  nach  dem  glossar  von 
Collin-Schlyter  participien  mit  u  gebraucht:  sowol  stnlin,  burin, 
surin  (zu  swwria)  wie  hurghit,  hurivit  (zu  hwcerwa),  vurpit  und 
hrutin,  ruicit,  lukin.  Hier  hat  die  analogie  noch  weiter  um  sich 
gegriffen,  indem  auch  borin  etc.  gegen  hurinn  etc.  vertauscht 
worden  sind.  Nur  ganz  wenige  verben  gehören  dieser  gruppe 
an  (partt.  borit,  skorü,  stolit,  sowit).  Nachdem  man  in  der 
soeben  dargelegten  weise  varp  :  {w)urpin,  halp  :  Jmlpin,  galt  : 
guldin  etc.   bekommen  hatte,  wurden  nach  diesen  mustern  in 

')  Die  uendäu.  reichssprache  stimmt  in  dieser  beziehung  hauptsächlich 
mit  dem  aschon.  überein:  neudän.  haaren,  skaaren,  stjaalen  «  stolen),  aber 
bilden,  Inidt,  hrwJt  (als  adjectiv  hrtiden,  hroddcn),  skudt;  doch  (rossen, 
\vorden\ 

2)  In  dieser  weise  erklären  sich  audi  die  seltenen  anorw.  hupinn, 
hitinn,  isl.  liikinn,  welche  von  Noreeu,  Aisl.  <rr.3  ij  412  aiini.  2.  i;  11 1  aniii.  1 
erwähnt,  aber  nicht  erklärt  werden. 


506  KOCK 

den  verbell  har  :  horit,  slmr  :  sJcorit,  stal  :  stolit,  sivaf  :  soivit 
die  partt.  horit  etc.  gegen  hurit  etc.  vertauscht.  Hiermit  ist  zu 
vergleichen,  dass  die  analogische  Umbildung  im  nschw.  noch 
Aveiter  gegangen  ist.  Nach  halp  :  hidpo  :  liulpen  etc.  sind  in 
har  :  hdro  :  huren  etc.  die  praett.  pl.  bäro  etc.  durch  huro  etc. 
ersetzt  worden.') 

Im  schwedischen  ist  das  ältere  o  auch  in  den  als  adj. 
benutzten  isl.  lojnnn  :  aschw.  lopin,  lupin  :  nschw.  luden,  isl. 
rotinn  :  aschw.  rotin,  rutin  :  nschw.  rutten  durch  das  Jüngere  « 
ersetzt  Avorden.  Auch  dies  kann  durch  analogischen  einfluss 
erklärt  Averden.  Da  man  einen  Avechsel  horin  :  burin,  flotin  : 
flutin  etc.  in  grosser  ausdehnung  hatte,  bildete  man  zu  hpin, 
rotin  die  nebenformen  lujrin,  rutin,  Avelche  nachher  (ebenso 
Avie  huriii,  flutin  etc.)  den  sieg  davontrugen.  Das  ndän.  aber 
hat  immer  lodden,  rodden  erhalten. 

Möglicherweise  hat  bei  freier  wähl  zAAäschen  o  :  m  in 
der  Avurzelsilbe  der  umstand,  dass  die  ultima  der  discutierten 
participien  einen  i-laut  enthielt,  die  durchführung  des  u  be- 
fördert; A^gl.  Aström,  Sv.  landsm.  6,  no.  6,  s.  41.  Kock,  Arkiv  n.  f. 
2,  U.  5,  245. 

Excurs  2. 
Zur  frage  nach  dem  palatalumlaut. 

Schon  oben  habe  ich  hervorgehoben,  dass  kein  zweifei 
darüber  obAvalten  kann,  dass  die  palatalen  consonanten  bei  der 
hervorbringung  des  /-umlauts,  z.  b.  in  isl.  part.  ehinn  etc.,  eine 
rolle  gespielt  haben.  Durch  die  erörterung  des  Übergangs 
*brostanR  >  hrostcnn,  brostinn  ,etc.  dürfte  dies  noch  mehr  be- 
stätigt Avorden  sein. 

GeAvisse  fragen  betreffs  des  palatalumlauts  sind  aber  bis 
jetzt  nicht  in  genügender  Aveise  erörtert  AVorden. 


')  In  älmlicher  weise  erklären  sich  die  seltenen  praet.  pl.  isl.  syngum 
statt  sungum  (zu  syngva),  anorw.  vorßum  statt  vurpum  (zu  verpa),  aschw. 
sloppom  statt  sluppom  (zu  sUppa):  die  wurzelvocale  sind  aus  den  partt. 
synginn,  orpiun,  sjnjjpin  übertragen  worden.  Im  aschw.  praet.  pl.  vurpo, 
part.  ?-?o;/)/<t  >>  nschw.  rordo,  rorden  wurde  das  u  vor  rd  lautgesetzlich  zu  o 
(Kock,  Arkiv  n.f.  h,  247).  Durch  den  oinflnss  des  praes.  sofca  hat  das  part. 
sofvit  in  der  nschw.  reichssprache  noch  immer  sein  o  erhalten.  Ueber  das 
part.  ajütl.  komcan,  aschon.  kummin,  kommit,  awestgöt.  kummin,  komen, 
aostgöt.  kumin,  komin  s.  unten. 


DER  .4-üMLAUT    ETC.    IN    DEN    AI/rNOKD.    SPRACHEN.         507 

Eine  solche  frage  ist  die,  ob  der  palatalumlaut  in  der- 
selben ausdehnung  im  Avestnord.  wie  im  ostnord.  durchgefülirt 
worden  ist.  Eine  zweite,  ob  der  palatalumlaut  gleichzeitig 
mit  dem  gewöhnlichen  (jüngeren)  /-unilaut  oder  zu  einer 
anderen  zeit  eingetreten  ist.  Eine  dritte  endlicli,  ob  es  der 
palatal  als  solcher  ist,  der  den  umlaut  hervorgerufen,  oder  ob 
der  palatal  (z.  b.  in  alccnn)  einen  frühen  Übergang  des  end- 
vocals  e  in  i  (aJcinn)  veranlasste,  wonach  dieser  /-laut  ebenso 
wie  andere  /-laute  in  gewöhnlicher  weise  «-nmlaut  bewirkte. 

Die  erste  dieser  fragen  muss,  so  viel  ich  sehe,  dahin  be- 
antwortet werden,  dass  im  westnord.,  oder  Avenigstens  in  den 
dialekten,  aus  welchen  sich  die  isl.  literatursprache  entwickelt 
hat.  nur  a,  nicht  aber  andere  gutturalen  vocale  palatalumlaut 
bekommen  haben;  dagegen  waren  im  ostnord.,  wenigstens  dia- 
lektisch, auch  andere  gutturale  vocale  dem  palatalumlaut 
unterworfen. 

Die  regel  für  das  isl.  ergibt  sich  aus  den  umgelauteten 
partt.  eJiinn,  dregmn  etc.  (vgl.  s.  487)  im  vergleich  mit  den 
nicht  umgelauteten  sprunginn,  sttmginn,  drukkinn,  holginn, 
solglnn,  horginn,  folginn,  hrngghin,  linugghm,  tugginn,  slunginn, 
snnginn,  primginn,  liroJckinn,  sohkinn,  hoginn,  fJokinn,  foJcinn, 
loginn  etc.,  atikinn. 

Wie  bekannt  haben  die  verschiedenen  formen  der  starken 
A-erben  sich  sehr  oft  gegenseitig  beeinflusst,  und  die  vocalisation 
des  praes.  ist  besonders  oft  auf  andere  formen  übertragen 
worden  (vgl.  s.  496).  Wenn  sich  im  isl.  neben  part.  simginn 
zu  sgngva  auch  synghin  findet,  so  hat  diese  form  ihr  y  aus 
dem  praes.  bekommen.  Tmgekehrt  rührt  das  a  im  part.  han- 
ginn,  fanginn  (neben  fenginn)  teils  aus  hanga,  fanga.^)  teils 
aus  den  synkopierten  casus  hangnir,  fangnir  etc.  her. 

Der  palatalumlaut  von  a  findet  sich  ausserdem  in  isl. 
drcki,  fleki  (neben  flaki),  afreki  (neben  afraki),  wol  auch  in  dat. 
sg.  degi  (zu  dagr),  vielleicht  in  scgi  (vgl.  aschw.  saghi:  im  isl. 
jedoch  auch  sigi,  vgl.  teils  Kock,  Medeltidsordsprak  2,  {^>>,  teils 
Bugge,  Arkiv  n.  f.  6, 87).    Ursprünglich  flectierte  man  wie  be- 


>)  Im  aschw.  findet  sicli  frnuja  neben  fä,  und  die  existenz  eine.s  isl. 
ffdilja  geht  aus  dein  praes.  eonj.  /'(nuji  hervor;  vgl.  Noreen,  Aisl.  gr.'-'  t;  431 
aniu.  1. 


508  KOCK 

kannt  fleki :  fJala  etc.;  später  ist  das  a  auch  in  den  nom.  flaJci 
analogisch  eingedrungen. 

Neben  den  isl.  partt.  genginn,  fenginn  kommen  auch  gin- 
ginn,  finginn,  und  in  praes.  sg.  kommt  neben  gengr  auch  ghigr 
(Jon  Thorkelsson,  Beyging  sterkra  sagnon^a  s.  143)  vor.  In  der 
Aisl.  gr.2  §  431  anm.  1  und  5  ist  Noreen  der  ansieht,  dass  die 
partt.  ginginn,  finginn  die  inff.  *gniga,  *finga  voraussetzen,  und 
dass  das  praes.  gingr  mit  lit.  zengiu  zusammenzustellen  sei.  Ich 
kann  mir  diese  auffassung  nicht  zu  eigen  machen.  Schon 
Bugge  hat,  Arkiv  2,  224,  bemerkt:  Mas  durch  /-umlaut  aus  a 
entstandene  c  in  forengi  [<  *forgengi]  ist  in  /  in  foringi  ebenso 
wie  in  finginn,  ginginn  übergegangen.  Bei  forengi  >  foringi 
wirkte  der  umstand  mit,  dass  e  nicht  den  hauptton  hatte'. 

Ich  bin  der  meinung,  dass  ein  durch  /-umlaut  (es  sei  durch 
gewöhnlichen  i-umlaut  oder  durch  palatalumlaut)  entwickeltes 
e  vor  ng  in  semifortis-  und  infortissilbe  weiter  zu  i  wurde; 
es  ist  vielleicht  auch  eine  bedingung  für  diese  lautentwicke- 
lung,  dass  der  laut  Verbindung  -eng-  entweder  ein  g  vorbei - 
gieng  oder  ein  ?  nachfolgte.  Dagegen  bleibt  e  in  der  fortis- 
silbe  unter  im  übrigen  gleichen  bedingungen  erhalten.  Bei- 
spiele: *forgengi  (vgl.  got.  faüragaggja)  >  "^forgingi  >  foringi; 
*unngengi  >  *unngingi  >  unningi,  ^värgengi  >  *värgingi  > 
vceringi,  *ofrgcngi  >  *ofrgingi  >  ofringi.  In  gleicher  weise 
entwickelte  sich  -genginn  zu  -ginginn  im  zweiten  gliede  der 
zahlreichen  composita  (juxtapositionen)  :  up}}-,  ä-,  fram-,  um- 
genginn  >  uppginginn  etc.  Dass  solche  juxtapositionen  auf 
dem  ersten  (nicht  auf  dem  zweiten)  juxtapositionsglied  fortis 
hatten,  geht  aus  der  (dialektischen)  acc.  1  von  utgängcn,  in- 
gängen  etc.  im  nscliw.  hervor.  Als  simi)lex  blieb  dagegen 
genginn  erhalten.  Nachher  konnten  genginn  und  ginginn  durch 
gegenseitige  beeinflussung  sowol  als  simplex  wie  in  der  com- 
position  benutzt  werden. 

Der  Wechsel  gingr  :  gengr  ist  in  derselben  weise  zu  er- 
klären. Heutzutage  accentuiert  man  im  nschw.  gär  üt  etc. 
mit  infortis  auf  gär  und  fortis  auf  nt  (vgl.  nhd.  er  geht  aus). 
In  den  isl.  juxtapositionen  gengr-iit,  gengr-inn  etc.  wurde  gengr 
lautgesetzlicli  zu  gingr;  als  simplex  blieb  aber  gengr  erhalten. 

Im  zweiten  gliede  der  juxtapositionen  ist  -fenginn  zu  -fin- 
ginn entwickelt  worden. 


DEE  J.-UMLAUT   ETC.    IN   DEN   ALTNORD.   SPRACHEN.         509 

Der  palatalumlaut  von  a  findet  sicli  in  einigen  ostnord. 
Wörtern  wider:  part.  drwtihin  (neben  drmjhin),  slcecihin  (neben 
slaghm),  OpwwiihinsPorp  (\\e\)e\\  JucayJi  in),  giengin  {nahen  gang  in), 
part.  fmgiti  (<  "^fa'ugin;  neben  fang  in),  i)raes.  conj.  toiki  (<  tali 
zn  tala),  dat.  sg.  (heghi  (zn  dagher). ')  Der  gen.  Dregha-  (Drcegha-) 
im  Ortsnamen  Dreghastadha  kann  sicli  zn  Dragha  (nom.  Braghi) 
verlialten  wie  isl.  fleh  zu  jlaki  etc.  Auch  in  dem  seltenen 
ncekin  (Birg.  IV)  statt  nahin  kann  palatalumlaut  vorliegen. 
Dagegen  ist  das  ältere  ce  in  den  asclnw  jjartt.  akin,  jlughin, 
gnagin,  talin  durch  den  einfluss  der  synkopierten  casus  alnir 
etc.  und  der  praess.  aka,  gnaga,  taka  von  a  verdrängt  worden. 
Das  adän.  (wenigstens  das  altjütländische  und  altschonische) 
hat  in  den  partt.  dragwt,  fangwt,  gungcet,  ajütl.  taluen  keinen 
Umlaut.  Im  aschon.  dagegen  heisst  das  part.  neben  talcit  auch 
twlxit,  twkin  (infin.  takm  und  üekce).  Der  ce-laut  ist  in  üeka 
(neben  taka)  aus  dem  praes.  sg.  twkcer  (vgl.  isl.  tekr)  ein- 
gedrungen. Das  part.  toßkit  kann  palatalumlaut  enthalten,  kann 
aber  auch  sein  ce  analogisch  aus  tcelicer  (tcekai)  bekommen  haben. 

Im  ostnord.  findet  aber  der  palatalumlaut  (wenigstens  dia- 
lektisch) auch  bei  u  und  o  statt,  z.  b.  in  aschw.  adän.  Tykc  (vgl. 
das  nicht  umgelautete  latinisierte  Tuco)  und  wol  auch  (vor  rk, 
rg)  in  aschw.  adän.  Therkil,  Thorkel,  aschw.  Thyrkü,  der  adän. 
frauenname  Tgrckel,  aschw.  adän.  (latin.)  Thyrgerus  (<  Pur- 
geirr).  Thyrkil,  Therkil  sind  aus  Pürkcetil  bez.  Pörkcetil  ent- 
standen. Hierher  können  auch  gerechnet  werden  die  partt.  aschw. 
drykkith  (einmal  in  SGG.  st.  des  normalen  drukkit),  brygget 
(einmal  in  BSH.  aus  dem  jähre  1502;  statt  hruggit),  [kaum 
thryskit,  einmal  im  Cod.  bildst.  neben  thrmkin].  adän.  (aschon.) 
heggiet  (einmal  statt  hoggit).'^)  Der  gebrauch  des  part.  drykkin 
neben  drukkin  scheint  durch  ascliw.  drykkinskaper  (neben 
drukkinskaper),  nschw.  dryckenskap  bestätigt  zu  werden   (vgl. 


';  Vgl.  z.  t.  Noreeu,  Aikiv  1,  15;{  aiuu.  Er  ist  jedoch  dort  geneigt  die 
Wörter  anders  zn  erklären,  nnd  in  der  jüngst  erschienenen  Ascliw.  graiuiu. 
heft  1  scheint  er  der  ansieht  zu  sein,  dass  sie  gewöhnlichen  /-ninlant  ent- 
halten. Adj.  fd-yliin  gehört  nicht  hierher;  es  hat  gewöhnlichen  /-unilant, 
der  durch  das  suftix  -//;-  (vgl.  got.  (agiuU)!)  bewirkt  worden  ist. 

*)  Das  zweimal  belegte  aschw.  i>lyng(h)u  (3.  pl.  praet.  zu  aliioiya)  statt 
slungo  setzt  vielleicht  ein  part.  *slyHtjin  (neben  slunyin)  voraus,  aus  wel- 
chem y  in  das  praet.  pl.  übertragen  worden  ist;  vgl.  s.  5UÜ  aum. 


510  KOCK 

Tamiii,  Avledningsändelser  lios  svenska  Substantiv  s.  14).  Doch 
muss  bemerkt  werden,  dass  der  wurzelvocal  der  partt.  hrygget, 
ihryshit,  hegf/wf  aus  den  infin.  ascliw.  Iryggki,  pryslcin,  adän. 
(asclion.)  lieggia  hat  entlelint  Averden  können. 

In  den  Verhandl.  der  28.  Versammlung  deutscher  philologen 
und  Schulmänner  (Leipz.  1873)  s.  192  spricht  sich  Sievers  über 
den  Umlaut  von  ä  in  isl.  sleginn  etc.  folgenderuiassen  aus:  'es 
muss  ...  in  der  natur  der  guttui-ale  etwas  den  umlaut  beför- 
derndes geleg-en  haben;  denn  bekanntlich  besitzt  unursprüng-- 
liches  d.  h.  erst  nach  dei'  trennung  der  einzelnen  germanischen 
sprachen  aus  a  etc.  geschwächtes  /  sonst  nicht  die  fähigkeit 
umzulauten,  oder  mit  anderen  Worten,  es  war  die  periode  des 
eintritts  der  mouillierung  bereits  vorüber,  als  jene  Schwächungen 
eintraten.'  Dagegen  opponiert  Läffler,  Tidskr.  f.  fll.  NR.  2,  274 
anm.  und  Om  f-omljudet  af  t,  l  och  ei  s.  5f.  Er  ist  der  an- 
sieht, dass  der  palatale  consonant  den  nachfolgenden  vocal  so 
beeinflusst  habe,  dass  er  schon  vor  dem  ende  der  /-umlauts- 
periode  in  i  übergegangen  sei,  wonach  der  gewöhnliche  /-um- 
laut in  slaginn  >  sleginn  etc.  sei  durchgeführt  worden.  Nach 
ihm  ist  also  der  umlaut  nicht  unmittelbar  von  dem  consonanten 
hervorgerufen  worden. 

Ich  glaube  (im  gegensatz  zu  meiner  bemerkung  Beitr.  18,425 
anm.),  dass  Sievers  betreffs  dieser  frage  das  richtige  gesehen 
hat,  wenigstens  sofern  unsere  Jetzige  kenntnis  des  palatal- 
umlauts  im  isl.  für  die  beurteilung  hinreicht. 

Der  gewöhnliche  jüngere  ?- umlaut  betrifft  im  west-  und 
ostnord.  soavoI  das  u,  o  (z.  b.  pl.  *suniR  >  synir,  *soniii  >  senir) 
wie  das  a  (z.  b.  pl.  *wandiR  >  vendir).  Der  palatalumlaut  aber 
wird  im  isl.  (wenigstens  soweit  wir  bis  jetzt  wissen)  nur  bei  ä 
(nicht  bei  i(,  o)  z.  b.  gangenn  >  genginn  durchgeführt.  Wenn 
der  /-laut  der  ultima  von  genginn  und  der  in  synir  zu  gleicher 
zeit  eingetreten  und  dui'ch  den  /-laut  der  ultium  hervorgerufen 
worden  wären,  so  hätte  der  (/-laut  in  spninyenn  den  vocal  der 
ultima  in  ähnlicher  weise  beeinflussen  müssen,  so  dass  man 
sprunginn  mit  /  in  der  ultima  \ov  dem  ende  der  gewöhnli{;hen 
jüngeren  /-umlautsperiode  bekonnnen  hätte,  und  dies  sprunginn 
hätte  dann  zu  *sprynginn  werden  müssen.  Dies  ist  aber  nicht 
der  fall.    Der  umlaut  in  synir  und  der  in  genginn  müssen  also 


DER  ,1-rMLAüT   ETC.    IN    DEN    ALTNORD.    SPRACHEN.         511 

ZU  verschiedenen  zeiten  durcligefülirt  und  \  on  z.  t.  verschiedenen 
factoren  bewirkt  worden  sein. 

Nach  der  durchführung"  des  gewölmlicdien  jüngeren  i-iim- 
hiuts  in  simia  >  synir  etc.  hat  der  zwischen  /.-,  (/  und  einem 
folgenden  palatalen  vocale  (e,  ce)  entwickelte  y-laut  den  unilaut 
bei  ä  im  isl.  (z.  b.  gamjlenn  >  r/cnglcnn,  später  gcmpnn)  hervor- 
gerufen. "Wenn  dieser  unilaut  im  isl.  nur  bei  a  (nicht  bei  ii,  6) 
bewirkt  wurde,  so  ist  hiermit  zu  verg-leichen,  dass  der  ?-umlaut 
im  ahd.  zuerst  nur  bei  a  (nicht  bei  den  anderen  gutturalen 
vocalen)  durcligefülnt  wurde  (Kauffmann,  (iescliichte  d.  schwä- 
bischen mundart  s.  152).  Im  ostnord.  dagegen  bewirkt  der  nach 
k,  <i  entwickelte  f-laut  umlaut  auch  bei  u,  o.  Das  latinisierte 
Thyryerus,  welches  ein  ostnord.  Pyryer  <  ^Pnryeirr  voraus- 
setzt, macht  wahrscheinlich,  dass  ein  /-laut  der  folgenden 
silbe  keine  notwendige  bedingung  für  das  eintreten  des  palatal- 
umlauts  ist,  sondern  Puyyer,  Pnryicr  ausgesi)rochen,  ist  in 
Pyryer(us)  umgelautet  worden.  Denn  es  ist  wol  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  Pyryer{us)  y  analogisch  aus  Pyryisl,  PyrVwrn 
etc.  bekommen  habe. 

II.  Zur  frage  uacli  dem  ff-iiiiilaut  von  u  in  den 
altuord.  sprachen. 

Wie  bekannt  fasst  man  gewöhnlich  den  «-umlaut  von  u 
gänzlich  als  eine  urgerm.  erscheinung  auf,  und  man  formuliert 
die  regel  folgendermassen:  'vor  ä,  ö,  it.  in  der  folgenden  silbe 
wird  II  urgerm.  zu  o,  sofern  nicht  entweder  nasal  -f  consonant 
oder  i  zwischen  den  beiden  vocalen  steht.' 

Ich  will  unten  darzulegen  versuchen,  dass  nach  dem  zeugnis 
der  au.  sprachen  eine  solche  generelle  regel  in  urgerm.  zeit 
nicht  gegolten  hat. 

Dass  wirklich  der  a- umlaut  unter  gewissen  bedingungen 
in  einer  sehr  frühen  periode  der  urnord.  spräche  (vielleicht 
sogar  in  urgerm.  zeit)  eingetreten  ist,  lehren  einige  beispiele 
des  «-Umlauts  in  den  urnord.  runeninschriften.  So  liest  man 
z.  b.  auf  dem  goldenen  hörne  acc.  sg.  horna  (<  */iurna)  und 
HoltinyaR,  sei  es  dass  dieser  personenname  eine  ableitung  von 
einem  personennamen  nom.  *Iliilta  :  gen.  '''Holtann,  sei  es  da.ss 
er  eine  ableitung  von  einem  neutr.  subst.  */<o//«  (isl.  hult)  ist. 
Der  Tunestein  hat  tvorahto  (1.  sg.  praet.  =  isl.  ortu).   Aus  später 


512  KOCK 

urnord.  zeit  finden  sich  hajmtvolafa  (Gommor),  hajmivolafn,  hari- 
u'olafR,  horuniR  (Stentofta),  orte  (By).>) 

Die  vocalisation  der  folgenden  Wörter  zeigt  aber,  dass  der 
a-umlaut  wenigstens  nicht  in  allen  Stellungen  in  früher  ur- 
nord. (oder  gar  urgerm.)  zeit  eingetreten  ist. 

Das  isl.  hat  als  compositionsglied  frum-,  z.  b.  in  fnimhurpr, 
frumferül,  frumyiof,  frumldaup  etc.  Diesem  isl.  frum-  ent- 
spricht got.  fruma-  in  frumahaür  'der  erstgeborene';  vgl.  auch 
got.  fnims  m.  'anfang',  fruma  'der  erste'.  Da  das  -a-  des 
ersten  compositionsgliedes  urnord.  noch  erhalten  ist,  z.  b.  hle- 
wagastin  (goldenes  hörn),  fauauisa  (seeländ.  bracteat),  ski[n\- 
paleuhaR  (Skärkind),  so  muss  frumldaup  urnord.  ^frunmJilaupa 
geheissen  haben.  Wenn  nun  das  a  in  fruma-  in  urgerm.  oder 
urnord,  zeit  umlaut  bewirkt  hätte,  so  hätte  man  isl.  *fromhlaup 
etc.  (nicht  frumldaup)  haben  müssen,  und  dies  ist  um  so  not- 
wendiger, als  es  kein  simplex  gibt,  aus  welchem  der  z<-laut 
auf  frumldaup  etc.  hat  übertragen  werden  können. 

Isl.  liumarr  m.  ist  früher  flectiert  worden:  nom.  *humaraR, 
gen.  *liumaras,  dat.  ''humare,  acc.  '^humara,  pl.  nom.  '^humarUR, 
gen.  *humarö,  dat.  ^humarom-,  acc.  Viumarann.  Ohne  zweifei 
wird  niemand  annehmen  wollen,  dass  der  vocal  der  zweiten 
Silbe  in  dat.  sg.  und  nom.  gen.  dat.  pl.  (isl.  dat.  sg.  Immri,  vgl. 
sumri  zu  sumarr  etc.)  vor  der  zeit  verloren  gegangen  sei,  wo 
z.  b.  die  inschrift  des  goldenen  hornes  eingeritzt  wurde.  Dass 
dies  auch  nicht  der  fall  gewesen  ist,  geht  übrigens  zur  genüge 
aus  dem  folgenden  hervor. 

Die  u-  und  /-stamme  verloren  im  urnord.  (gemeinnord.) 
als  erste  compositionsglieder  mit  fortis  den  u-  bez.  /-laut  früher 
als  u,  i  in  den  entsprechenden  simplicia  verloren  giengen.  So 
wurde  z.  b.  "^qsumund-  früher  zu  asmund  als  z.  b.  der  acc.  sg. 
wqU  (vqU)  aus  '^tvallu  entstand;  ^kiväni-fany  wurde  früher  zu 
hvänfang  als  der  acc.  sg.  Vaväni  zu  kvwn  (ßugge,  Bidrag  til 
den  seldste  skaldedigtnings  historie  s.  8  ff.   Kock,  Arkiv  n.  f.  8, 


*)  otclJjupeivaR  (Torsbjserg)  braucht  nicht  statt  icolpupewüR,  das  (ana- 
logischen) «-unilant  enthalten  würde,  geritzt  zu  sein.  Da  in  dem  mit  den 
alt.  runen  geritzten  teile  der  Rökinsclmft  die  o-rune  den  «'-laut  Uiour  = 
hwan),  die  iü-rune  aber  den  w-laut  {sagwm  =  sagum)  ausdrückt  (Bugge, 
Yitterhets  akadeniiens  handlingar  31  no.  3  s.  53.  41),  so  kann  ouIßnßcicaR 
die  ausspräche  ivulpupewuR  bezeichnen. 


i 


DEU  .1-UMLAUT    KTC.    IN    DEN    ATiTNOllD.    SPRACHEN.         513 

249  ff.).  Deshalb  hat  auch  z.  b.  der  a-stamm  hlcica-  \\\  hlcwa- 
gastiü  (isl.  Vilegestr)  den  a-laut  fi'üher  als  das  simplex  *lileiva 
>  isl.  hJe  verlieren  müssen.  Da  sich  nun  auf  dem  goldenen 
hörne  Ideica-yastiR  findet,  auf  dem  Seeland,  bracteaten  faua-uisa 
etc.,  so  muss  zu  dieser  zeit  der  a-laut  der  zweiten  silbe  in 
allen  casus  von  hmnarr  erhalten  gewesen  sein  (nom.  sg. 
Viiwiamn,  dat.  sg.  *]mmare,  nom.  pl.  Vmmaru^  etc.).  Bei  der 
gewöhnlichen  auffassung  des  «-umlauts  ist  es  aber  dann  un- 
begreiflich, warum  man  isl.  hinnarr  (nicht  *homarr)  hat;  vgl. 
honia  auf  dem  goldenen  hörne,  isl.  Jiorn.  Dass  der  o-laut  im 
pl.  ^humaröR  etc.  relativ  lange  erhalten  Avurde,  wird  auch  durch 
das  erhaltene  /  in  fawido  (gold.  hörn),  faihklo  (Einang),  dalidun 
(Tune),  hlaaiivido  (Strand)  bestätigt. 

Isl.  sumarr  m.,  aschw.  sumar  m.  kann  in  derselben  weise 
wie  isl.  hmnarr  beurteilt  werden.  Da  das  wort  aber  ursprüng- 
lich ein  neutrum  ist  (Joh.  Schmidt,  Neutra  s.  207),  und  das  isl. 
immer  sumar  n.  neben  sumarr  m.  hat,  so  ist  es  vielleicht  auch 
möglich,  dass  der  w-laut  aus  dem  nom.  acc.  pl.  sumur  n.  auf 
sumarr  m.  übertragen  worden  ist. 

Neben  den  gewöhnlichen  composita  mit  Por-  {Porhioru  etc.) 
gibt  es  im  ostnord.  einige  damit  et5miologisch  identische  Wörter 
auf  Thur-  und  (mit  /-umlaut)  Pyr-:  Thuryerus  (latinisiert), 
Thurhernus  (latinisiert),  Tliyrhwrn,  Pyryils  etc.  (vgl.  oben 
s.  509).  Isl.  Ponarr  (Pörr)  ist  früher  flectiert  worden:  nom. 
*IhinaraR,  gen.  *Punaras,  dat.  '^Ihinare,  acc.  ^Ihmara,  und  das 
compositum  (lat.)  Tlmryerus,  gemeinnord.  Puryeirr  ist  aus 
*J)unara-gaiRaR  entstanden.  Wenn  der  «-umlaut  zu  gleicher 
zeit  in  *Jmrna  >  horna  und  in  ^punaraR  >  *ponaraR  (Ponarr), 
*punara-  >  *])onara-  eingetreten  wäre,  so  ist  es  unmöglich, 
die  formen  mit  I^ur-,  Pyr-  (Thurgerus,  I^yrgils  etc.)  zu  er- 
klären; man  hätte  dann  nämlich  in  allen  casus  von  Ponarr 
ebenso  wie  im  compositionsglied  Ponar-   o  bekommen  müssen. 

Während  die  isl.  partt.  folginn,  tropinn,  sofinn,  ofinn  a-um- 
laut  haben,  fehlt  der  a-umlaut  in  den  partt.  numinn  (zu  noua), 
suminn  (zu  svima),  obgleich  nema,  svima  derselben  verbalclasse 
wie  tropa  etc.  angehören.  Die  partt.  numinn,  suminn  müssen 
ebenso  wie  die  allermeisten  anderen  i)artt.  pass.  das  suffix  -an- 
gehabt  haben:  urnord.  nom.  sg.  *numanaR,  *sumanaR,  nom.  \)\. 
*numanai,  *sumanai  etc.     Während  aber  *trudanaR  {^truöanaz) 

Beitr&ge  zur  gescbiclite  der  duutBcIiea  spräche.     XXIII.  33 


514  KOCK 

zu  trojnnn  etc.  wurde,  haben  unminn,  suminn  keinen  a-umlaut.') 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  part.  aschw.  hmiin,  adän. 
hinimi,  wälirend  isl.  l-ominn  (aschw.  facultativ  auch  Icomin)  o 
bekommen  hat,  das  aus  praes.  Jcoma  hat  übertragen  werden 
können  (dagegen  praes.  ncma,  svhmi  mit  den  wurzelvocalen 
e,  i;  vgl.  auch  unten  s.  515). 

Isl.  sumr  hat  immer  den  wurzelvocal  u  (aschw.  aber  nom. 
acc.  sg.  neutr.  somt  etc.  neben  swuher).  Auch  diese  vocalisa- 
tion  von  isl.  sumr  ist  schwierig,  wenn  auch  nicht  ganz  unmög- 
lich zu  erklären,  wenn  der  M-umlaut  zu  gleicher  zeit  in  *hurna 
>  Jiorna  und  in  nom.  sg.  "^suman  {*sumas)  eingetreten  wäre.^) 

Man  würde  möglicherweise  annehmen  wollen,  dass  der 
?<-laut  in  isl.  suniurr,  frmn-,  aschw.  Thurgerus  etc.  von  einer 
in  den  an.  sprachen  eingetretenen  entwickelung  o  >  ii  vor 
nasal  herrühre,  und  zwar  in  der  weise,  dass  zuerst  z.  b.  "^hu- 
maraz  zu  *]iomaraz,  *homarr  würde  und  nachher  Viomarr  in 
Immarr  übergienge.  Eine  solche  annähme  wäre  aber  nicht 
möglich.  Die  an.  sprachen  haben  nämlich  recht  oft  die  laut- 
verbindungen  -on-,  -om- ;  ich  erinnere  z.  b.  an  isl.  sonr,  gen. 
sonar,  lonn,  lonr,  Iconimgr,  gen.  sg.  Jconar,  monvit,  shona 
'dienen',  homa,  broma  'bruchstück';  aschw.  son,  kona,  kommger, 
kotna,  somt  etc.,  somliker,  hrujtkome  (neben  hru])gnmi)  etc. 

Ich  erkläre  das  Verhältnis  in  folgender  weise. 

Wie  bekannt  tritt  der  a-umlaut  nicht  ein,  wenn  die  Ver- 
bindung nasal  +  consonant  dem  u  nachfolgt,  z.  b.  isl.  acc.  sg. 
dumban,  inf.  kunna,  acc.  sg.  ungan. 

Die  annähme  liegt  deshalb  sehr  nahe,  dass  ein  nasal  ohne 
nachfolgendem  consonanten  das  eintreten  des  a-umlauts  zwar 
nicht  ganz,  aber  vorläufig  verhinderte.  In  urnord.  zeit 
wird  u  nicht  zu  o  vor  folgendem  a,  wenn  m  oder  n 
dem  u   nachfolgt;    erst   nachdem   der   mit  levissimus 

*)  lieber  anorw.  nomenn  s.  unten  s.  515  f. 

^)  Ich  erinnere  an  folgende  äusserung  von  Job.  Schmidt  anlässlich  des 
ahd.  isl.  sumar:  'das  «  vor  folgendem  «  ist  allein  durch  das  m  bedingt. 
Im  an.  steht  vor  m  stets  u,  nicht  o  (Grimm  1*.  443.  Holtzmann,  Altd.  gr. 
s.  73  f.),  desgleichen  im  ags.  (Grimm  1^,  340.  Holtzmann  s.  1S4.  Sievers-'  §  70), 
ebenso  mehrfach  im  as.  (Grimm  1 ",  237.  Holtzmann  s.  139.  Heyne,  Kl.  as.  gr. 
s.  11).  Ohne  auf  diese  dinge  näher  einzugehen,  begnüge  ich  mich  ein  wort 
anzuführen,  welches  in  allen  germanischeu  sprachen  n  hat,  an.  sumr,  ags. 
as.  ahd.  sum  =  ufiöq,  skv.  sama-s  euklit.'  (Neutra  s.  208). 


DER  J.-UMLAUT   ETC.   IN    DEN   AT/l'NOUn.   SPRACHEN.         515 

accentuierte  «-laut  der  zweiten  silbe  vei'loreii  ge- 
gangen war.  wurde  der  (f-uiulaut  in  den  laut  Verbin- 
dungen -um-,  -un-  durchgeführt. 

Als  der  rt-unilaut  in  '^hnnia  >  Itorna,  *hi(lta  'wald'  >  *hoUa 
(vgl.  HoUimjaR)  etc.  durchgeführt  wurde,  blieb  das  u  in  sg. 
*sumaraR,  pl.  "^sumaröR  etc.  wwXx  erhalten. 

Erst  nachdem  die  s3'nkopierten  formen  dat.  sg.  sumre, 
nom.  pl.  sumriiR  etc.  sich  entwickelt  hatten,  gieng  der  nom.  sg. 
sumarR  in  somarR,  somarr  (vgl.  aschw.  somar,  nschw.  sommar) 
über.  In  den  synkopierten  sumraR  etc.  konnte  jetzt  ein  a-um- 
laut  nicht  eintreten,  weil  er  überhaupt  fehlt,  wenn  nasal  + 
consonant  dem  u  nachfolgt;  auch  der  dat.  sg.  sumre  bekam 
natürlich  keinen  umlaut. 

Aus  den  synkopierten  casus  {mmraR,  sumre  etc.)  hat  das 
isl.  sumarr,  aschw.  simiar  den  wurzeh'ocal  bekommen,  während 
aschw.  so »^ö/-,  nschw.  sommar  die  lautgesetzliche  fortsetzung  von 
dem  nom.  sg.  somarR  etc.  ist. 

Wie  sumarr  sind  isl.  Immarr,  neuisl.  Immall  aufzufassen; 
der  Wechsel  M.  Jmmall  :  •dsc]i^\.])0mal(finger)  erklärt  sich  in 
derselben  weise  wie  sumarr  :  somar. 

In  "^fruma-hlaupa  etc.  war  der  a-laut  des  ersten  compo- 
sitionsgliedes  verloren  gegangen,  ehe  der  «-umlaut  relativ  spät 
in  den  lautverbindungen  -um-,  -un-  eintrat;  daher  isl.  frum- 
Idaup  etc. 

In  urnord.  zeit  wurde  ein  umlaut  im  nom.  sg.  *numanaR, 
nom.  pl.  m.  *numanai,  nom.  acc.  pl.  f.  *niimanöR  etc.  nicht  durch- 
geführt, aber  die  partt.  isl.  numinn,  aschw.  numin,  isl.  suminn, 
aschw.  6i<»tvY,  Sisch^y.  htm  in,  adäw.kumcen  können  jedoch  auf  zwei 
etwas  verschiedene  weisen  aufgefasst  werden.  Der  «-umlaut 
in  z.  b.  sumarR  >  somar  kann  so  spät  eingetreten  sein,  dass 
*numanR  damals  schon  zu  ^numenR  (numenn)  geworden  war. 
In  diesem  falle  haben  numinn,  suminn,  humin  lautgesetzlich  u 
in  allen  casus.  Isl.  aschw.  komin(n)  hat  dann  das  o  aus  dem 
inf.  loma  bekommen  (vgl.  oben  s.  514),  und  der  o-laut  in  anorw. 
nomenn,  aschw.  nomin  (neben  mimin)  ist  auch  analogisch  zu 
erklären.  Nach  den  verben  praet.  sväfu  :  part.  sofinn,  väfu  : 
ofmn,  kvämu  :  kominn  ist  das  part.  des  verbs  nämu  :  numinn 
gegen  nomenn  vertauscht  worden. 

Es  ist  wol   aber  auch  möglich,    dass   der  «-umlaut   in 

33* 


510  KOCK 

*sumarR  >  somarR  vor  der  zeit  eintrat,  wo  *nummiii  zu  *nunienR 
{numenn)  wurde,  aber  nachdem  sich  die  synkopierung  in  nom. 
acc.  pl.  fem.  ^nmnanöR  >  numnar  etc.  schon  vollzogen  hatte. 
Wenn  dem  so  ist,  so  trat  der  «-unilaut  lautgesetzlich  in  *ni(- 
mann  >  nominn  ein,  und  numhin  hat  u  aus  den  synkopierten 
casus  nuninir,  numnar  etc.  bekommen;  so  kann  auch  Tiominn  : 
himin  erklärt  werden.') 

Urnord.  *Jmna)'a  -  (jaiRaR  gab  (vgl.  VmmaröR  >  Immrar), 
*piinr-gaiRR ,  sei  es  dass  die  entwickelung  *])unara-gaiRaR  > 
*])mira-gaiRR  >  *pimr-gainR,  sei  es  dass  sie  *pi(nara-gaiRaR  > 
*]mnar-gmRR  >  *Jnmr-gaiRR  war.  Aus  ^Jnmr-gaiRR  wurde  laut- 
gesetzlich *PürgeiRR,')  Sischw.  Purger  (latin.  Thurgerus),  Pyrger 
(latin.  Thgrgerus,  vgl.  s.  509).  Purgisl  entmckelte  sich  durch  den 
«■-Umlaut  zu  Pyrgils  etc. 

Es  sei  hier  hervorgehoben,  dass  man  bei  freier  wähl 
zwischen  o  :  u  in  gewissen  isl.  Wortklassen  den  nicht  umgelau- 
teten  vocal  u  gewählt  hat,  wenn  m  oder  n  nachfolgte;  sonst 
aber  meistenteils  o.  Unter  den  verben  welche  wie  isl.  valca 
(got.  haban)  flectieren,  haben  hrosa,  glotta,  horfa,  lopa,  skolla, 
slvorta,  tolla,  pola,  pora  das  umgelautete  o  (vgl.  auch  aschw. 
tlogha  :  isl.  aschw.  dug(}i)a),  aber  dagegen  una,  luma  das  nicht 
umgelautete  u.  Ebenso  verhält  es  sich  bei  den  masc.  n-stämmen. 
Sie  haben  im  isl.  gewöhnlich  o  (nicht  w),  z.  b.  isl.  flott,  spori,  losti, 
loghi,  stolpi  etc.;  dagegen  findet  sich  u  in  gumi,  sJcumi,  hruni, 
spuni,  runi. 

Der  vocalwechsel  im  isl.  Jmnang  n.,  aschw.  hiinagh  n., 
hunagher  m.  :  aschw.  honagh  n.,  honayher  m.  ist  in  folgender 


»)  Das  seltene  isl.  kuma  und  die  ostnord.  wechselform  kuma  (neben 
koma)  haben  ihr  u  aus  dem  praes.  sg.  *kii)niji  und  dem  part.  kunünn  bekommen. 

^)  Bei  dem  gemeinuord.  Verluste  von  n  in  der  lantvcrbindung;  im  vor 
s,  r  etc.  wurde  un  zu  ü  (nicht  zu  o,  wie  Noreen,  Aisl.  gr.  §  83  mit  anm.  2 
und  noch  Aschw.  gr.  §  84,  2b  meint);  vgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  1,  57  if.  Bewei- 
send ist  besonders  aschw.  füs,  isl.  /«*'s  «  *fuHs),  aber  aschw.  främfös,  run. 
Eopfos,  isl.  ölßss  mit  der  entwickelung  i7  >-  ö  in  der  semifortissilbe.  Das 
wort  heisst  nämlich  aschw.  nicht,  wie  Noreen,  Aisl.  gr.  §  83  anm.  2  angibt, 
Jos,  sondern  (fast  immer)  fus:  s.  Söderwalls  Wörterbuch.  Uebrigens  ist  die 
frage  nach  der  behandlung  von  -un-  vor  s,  r  etc.  eigentlich  ohne  belang 
für  die  erklärung  des  u  in  Thurgerus  etc.  Denn  wenn  aiich  -un-  vor  r  in 
ö  übergegangen  wäre,  so  wäre  damit  nicht  erklärt  worden,  wie  u  in  Thur- 
gerus {Thyrgerus)  aus  einem  lu'germ.  o  in  *Ponara-  hätte  entstehen  können. 


DER  ^-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNORD.    SPRACHEN.         517 

weise  zu  erklären.  In  der  lautverbindung  -un-  wurde  der  a-wm- 
laut  vorläufig:  nicht  durchgeführt.  Zu  einer  zeit  wo  der 
rt-umlaut  in  Jwna  eintrat,  ruhte  facultativ  fnrtis  auf  der  ultima 
von  hundng,  ebenso  wie  die  ableitungsendungen  -im),  -ung  im 
an.  oft  facultativ  fortis  hatten:  isl.  ten(n)ingr  etc.  (Kock,  Fsv. 
Ijudlära  1.  50.  Svensk  akcent  2,  318  f.  Arkiv  4, 1(35;  ib.  n.  f.  1,  67 
anm.  2).  Ebenso  wie  ein  /  oder  u  in  der  fortissilbe  keinen 
Umlaut  bewirkte,  so  konnte  auch  durch  das  a  der  fortissilbe 
kein  umlaut  bewirkt  werden;  daher  himdng  (nicht  *hondng). 
Durch  dissimilation  gieng  hunang  in  aschw.  Imnagh  über 
(Noreen,  Pauls  Grundr.  1^,  §  189,  6).  Da  aber  hutiang  facultativ 
fortis  auf  der  paenultima  hatte,  so  wurde  es  durch  den  «-um- 
laut zu  *honang,  aschw.  honagh. 

In  diesem  Zusammenhang  sei  auch  erwähnt,  dass  vor  der 
lautverbindung  ggic  nicht  der  umgelautete  vocal  o,  sondern  u 
steht.  Während  die  masc.  w- stamme  sonst  oft  einen  Wechsel 
0  :  u  haben  (z.  b.  isl.  oxi  :  uxi,  aschw.  oxe  :  uxe,  isl.  aschw. //o^2  : 
aschw.  ßuti  etc.),  entspricht  isl.  skuggi,  aschw.  skugge  dem  got. 
skuggica.  In  Übereinstimmung  hiermit  findet  sich  u  in  den 
isl.  partt.  hnugginn  (zu  Jineggva),  tugginu  (zu  tyggva),  gugginn 
(zu  gyggva),  hrugginn  (vgl.  ags.  hreowan),  obgleich  der  a-umlaut 
in  den  partt.  gollinn,  solt'mn  etc.  durchgeführt  worden  ist;  vgl. 
Kock,  Arkiv  n.f.  7,  317  anm. 2.  8,  241.  A.a.O.  ist  dargelegt  wor- 
den, dass  skuggi,  hnnggimi  etc.  lautgesetzlich  aus  *skuggwi, 
*hnugginnn  etc.  entstanden  sind.  Hier  sind  noch  zu  beachten 
isl.  rugga  (praet.  -api)  'hin  und  her  bewegen,  wiegen'  und  das 
wie  vaka  flectierte  isl.  ugga  mit  u.  Nicht  nur  tv,  sondern  auch 
gg  waren  stark  labiale  consonanten,  weshalb  g  im  ostnord. 
vor  gg  in  u  übergegangen  ist:  hggg  >  aschw.  hug  etc.  (Kock, 
Fsv.  Ijudlära  2,  476  ff.).  Diese  eigenschaft  von  ggiQ  ist  es,  die 
den  a-umlaut  in  *brnggicanJi  >  hrugginn  etc.  verhindert  hat. 
Doch  ist  es  vielleicht  auch  möglich,  dass  der  a-umlaut  auch 
in  hrugginn  etc.  einmal  durchgeführt  worden  ist,  obgleich  sich 
0  später  vor  ggw  zu  u  entwickelte;  in  diesem  falle  wäre  die 
entwickelung  *hniggivanaa  >  *hroggivann  >  *bri(ggwcnR  > 
hrugginn  gewesen,  i) 

*)  Einmal  findet  sich  im  aKchw.  ■•^koyya  statt  xkuyya.  Das  o  kann 
hier  darauf  bfrnlHii,  dass  w  in  skuyg(w)u  in  irgend  einem  dialekt  vor  dem 
ende  der  a-umlautsperiode  verloren  g;egangen  ist,  und  das«  skugyu  nachher 


518  KOCK 

A\"egen  der  oben  erwähnten  nnd  jetzt  erörterten  Wörter 
humarr,  frumldauj}  etc.  kann,  wie  schon  gesagt,  der  a-umlaut 
im  ganzen  genommen  nicht  eine  urgerm.  erscheinnng  sein, 
sondern  er  ist,  wenigstens  zum  teil,  in  den  verschiedenen  germ. 
sprachen  durchgeführt  worden,  nachdem  sich  die  germ.  sprach- 
einlieit  gespalten  hatte. 

Ich  will  auch  andere  momente  heranziehen,  welche  dar- 
tun, dass  die  gewöhnliche  auffassung  des  a-umlauts  nicht 
richtig  ist. 

Nach  dieser  soll  urgerm.  auch  ce  «-umlaut  bewirkt  haben. 
Soweit  ich  sehe,  haben  jedoch  die  an.  sprachen  keinen  durch  ce 
hervorgerufenen  a-umlaut  von  u. 

Hierbei  kommen  besonders  die  masc.  w-stämme  in  betracht. 
Es  findet  sich  bei  einer  menge  solcher  Wörter  ein  Wechsel  u  :  o, 
z.  b.  isl.  uxi^  aschw.  uxe  :  isl.  oxi,  aschw.  oxe,  isl.  aschw.  gumi, 
aschw.  bni])gumi :  bni])Jcome,  aschw.  fluti :  isl.  aschw.  floti,  aschw. 
luste  :  loste,  isl.  losti,  aschw.  dnqn  :  isl.  aschw.  droj^i,  aschw. 
highi  :  isl.  aschw.  log{h)i,  aschw.  sar])idi :  sarpoli,  stülpe  :  Stolpe, 
isl.  stolpi,  aschw.  spiiri  :  isl.  aschw.  spori,  aschw.  drusi :  drosse, 
musi  :  isl.  aschw.  mosi,  aschw.  pusi  :  isl.  aschw.  posi,  aschw. 
hruti  :  isl.  aschw.  broti,  aschw.  spruti  :  isl.  aschw.  sprofi  etc. 

Der  nom.  sg.  der  masc.  w-stämme  ist  in  den  urnord.  runen- 
inschriften  oft  belegt,  und  er  hat  dort  die  endung  -a  :  tviwUa 
etc.  Sie  entspricht  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  griech. 
endung  -tjv,  und  fluti  :  floti  etc.  hatten  also  in  urgerm.  zeit  den 
endvocal  ce;  vgl.  Heinzel,  Anz.fda.  12,48.  ßugge,  Arkiv  n.f.  4, 18. 
Kock,  Skandinavisches  archiv  1, 1  ff. 

Der  gen.  sg.  findet  sich  im  urnord.  prawivan  (Tanum),  der 
dat.  sg.  im  urnord.  ivitadalialaihan  (Tune),  wo  -an  aus  älterem 
-on-  entwickelt  ist.  Auch  der  ui'nord.  gen.  pl.  scheint  -an- 
aus  alt.  -on-  gehabt  zu  haben  :  arbijano  (Tune;  vgl.  got.  kanane). 
Ohne  allen  zweifei  hatte  der  acc.  sg.  (flota)  urnord.  die  endung 
-an  (vgl.  got.  lianan),  alt.  -on-.  Im  plur.  ist  die  ursprüngliche 
nom.-form  *flutan[iz\  mit  alt.  -on-  in  den  acc.  eingedrungen 
(isl.  acc.  flota,  nom.  flotar  mit  anal,  -r;   vgl.  got.  hanans,  Streit- 


zu  skogga  wurde.  Aber  dies  vereinzelte  skogga  kann  wol  auch  analogisch 
entstanden  sein;  nach  der  analog-ie  von  ».»/  /  o.ra,  flidi :  flota  etc.  kann  man 
zu  nom.  skugge  den  acc.  skogga  neu  geschaffen  haben. 


DER  ,4-UMLAUT   ETC.    IN   DEN   ALTNORD.    SPRACHEN.         519 

berg,  l'rgerm.  gramm.  s.  256).  Aus  den  rt-stämmen  ist  om-  auf 
dat.  pl.  flotiwi  übertragen  worden. 

In  allen  diesen  formen  hatte  also  z.  b.  flnfi :  floti  in  urgerm. 
zeit  die  endvocale  w,  a  oder  o.  Wenn  aber  alle  diese  end- 
vocale  den  a-umlaut  bewii'kten,  so  bleibt  das  u  in  fluti  etc. 
unerklärt.  Die  saclie  ist  natürlich  in  der  weise  aufzufassen, 
dass  in  den  an.  sprachen  der  «-umlaut  zwar  durch  den  aus 
indog.  0  entwickelten  a-laut  bewirkt  worden  ist,  nicht  aber 
durch  das  germ.  ä',  das  urnord.  zu  einem  hellen,  «-ähnlichen 
«-laut  (nom.  Kiivila  etc.)  geworden  war,  und  das  in  den  an. 
literatursprachen  in  e,  i  {fluti  etc.)  übergieng.  Der  a-umlaut 
ist  also  z.  b.  nicht  in  nom.  sg.  *fh(tw,  urnord.  *fluta,  gemeinnord. 
'^flute,  ascliw.//?<^/  eingetreten;  in  den  obl.  casus  *tlntan>*fhtan, 
isl.  aschw.  flota  ist  er  aber  durchgeführt  worden.  Hierdurch 
wird  die  ansieht  Bugges,  Arkiv  4, 19  bestätigt,  dass  der  a-laut 
in  nom.  sg.  whvila  etc.  ein  ä-älmliches  a  war. 

Gegen  diese  auffassung  kann  nicht  eingewendet  werden, 
dass  das  u  in  fluti  etc.  aus  solchen  urnord.  oder  urgerm.  casus 
herrühre,  welche  in  den  an.  literatursprachen  verloren  gegangen 
wären.  Am  ehesten  könnte  man  wol  an  eine  form  auf  -in{n) 
für  gen.  und  dat.  sg.  (vgl.  got.  gen.  hanins,  dat.  hanin)  denken. 
Xoreen  hat  nämlich  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  der 
/- Umlaut  einiger  wenigen  nord.  w- stamme  auf  eine  solche 
endung  zuiiickzuführen  sei,  z.  b.  aschw.  ^re^e  :  M.  gröpi  (Sv. 
landsm.  1,  696  anm.  3;  738.  Pauls  Grundr.  l^,  613).  Dies  ist  viel- 
leicht richtig.  Ein  urnord.  *tlutin  muss  aber  in  den  an. 
literatursprachen  *tlyti  (nicht  fluti)  ergeben  haben,  und  es  ist 
gewis  nicht  möglich,  dass  der  «-laut  in  einer  so  grossen 
menge  Wörter  (gumi,  fluti  etc.)  dadurch  gerettet  worden  wäre, 
dass  er  vor  der  «-umlautsperiode  aus  dem  gen.  dat.  sg.  in  den 
nom.  acc.  sg.  übertragen  worden  wäre.  Dass  dies  nicht  der 
fall  gewesen  ist,  geht  vor  allen  dingen  daraus  hervoi-.  dass 
die  umgelauteten  formen  '*gi/mi,  *flyfi  etc.  sich  nicht  einmal 
neben  gumi,  fluti  etc.  finden. 

^^>nn  der  a-laut  der  ultima  von  brosa  etc.  (wie  t'aÄ-a,  got. 
hahan  flectiert)  aus  urgerm.  ce  entstanden  ist,  so  ist  doch  der 
a-umlaut  in  brosa  erst  nach  der  zeit  bewiikt  worden,  wo  (ü 
in  a  übergieng. 

Die  umlautsveihältnisse   dieser  verben    {broaa,  duya  etc.) 


520  KOCK 

dürften  nämlicli  die  frage  zum  teil  aufklären,  wann  der 
a- Umlaut  von  u  durchgeführt  wurde. 

Man  flectiert  bekanntlich  im  got.  praes.  haha,  liabais,  lia- 
haij),  habam,  liahaip,  hahand,  inf.  liahan,  part.  praes.  hahands. 
Betreffs  der  ziemlich  umfangreichen  literatur  über  die  geschicht- 
liche erklärung  dieser  verben  verweise  ich  auf  Streitberg,  Ur- 
germ,  gramm.  s.  306.  Es  dürfte  aber  als  sicher  gelten,  dass  die 
flexion  dieser  verben  auf  einem  älteren  Stadium  des  an.  mit 
der  got.  in  der  weise  übereinstimmte,  dass  sich  der  diphthong 
ai  fand,  wo  das  got.  diesen  diphthong,  aber  der  endvocal  a, 
wo  das  got.  diesen  laut  hatte.') 

Wenn  nun  der  diphthong  ai  während  der  a-umlautsperiode 
erhalten  gewesen  wäre,  und  wenn  überhaupt  jeder  «-laut 
a-umlaut  bewirkt  hätte,  so  hätte  auch  der  a-laut  des  diphthongs 
ai  Umlaut  bewirken  müssen;  vgl.  dass  der  i-laut  des  brechungs- 
diphthongs  io,  ebenso  wie  andere  /-laute,  /-umlaut  bewirkt,  z.  b. 
Pyrhiorn  (<  Purbiorn).  Unter  diesen  Verhältnissen  hätten  alle 
formen  (oder  fast  alle  formen)  dieser  verben  mit  dem  w^irzel- 
vocal  u  a-umlaut  bekommen  müssen. 

Während  aber  mehrere  verben  dieser  flexion  «-umlaut 
haben  (isl.  brosa,  glotta  etc.),  fehlt  der  umlaut  in  anderen  immer 
oder  oft:  isl.  ima,  luma,  duga  :  aschw.  dogha  (neben  dugha). 

Wie  bekannt  geht  der  germ.  diphthong  ai  der  infortis- 
silbe  im  nord.  in  e,  i  über  (vgl.  2.  3.  sg.  praes.  vakir  etc.).  Man 
ist  deshalb  zu  der  Schlussfolgerung  berechtigt,  dass  der  a-um- 
laut in  z.  b.  aschw.  dogha  ( :  isl.  duga)  erst  nach  der  zeit  durch- 
geführt worden  ist,  wo  ai  in  der  endung  zu  c  oder  wenigstens 
zu  d  wurde.  In  der  3.  pers.  pl.  "^dit^an  (vgl.  über  diese  form 
Kock,  Arkiv  n.f.  10,  232  ff.),  in  inf.  *di(^an  etc.  wurde  der  a-iun- 
laut  durchgeführt  {*do^an),  in  der  2.  3.  sg.  *dnseR,  *du$ed  etc. 
aber  nicht.  Isl.  duga  hat  die  vocalisation  dieser,  aschw.  dogha 
die  vocaüsation  jener  formen  bekommen. 

Ich  will  noch  ein  paar  umstände  hervorheben,  welche 
dartun,  dass  im  an.  zwar  a,  nicht  aber  ö  (wie  auch  nicht  ce) 
a-umlaut  bewirkte. 

In  mehreren  einsilbigen  masc.  a- stammen  findet  sich  ein 


')  Mit  ausnähme  der  1.  pers.  sg.  praes.   (Noreeii  in  Pauls  Grundr.  1  *. 
§  249). 


DER  .1-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNORD.   SPRACHEN.         521 

Wechsel  u  :  o.  z.  b.  ascliw.  ufcr,  iiscliw.  aficr  :  isl.  o/r,  ascliw. 
oter,  ascliw.  nddcr,  nscliw.  ndd  :  isl.  oddr,  aschw.  odder,  aschw. 
luJcler  :  isl.  Jol-Jcr,  aschw.  lold-cr,  aschw.,  alt.  nscliw.  his{s)  :  isl. 
Iwss,  aschw.  Ixos,  nscliw.  tupp  :  isl.  ioppr,  aschw.  topper,  aschw. 
flulxlxcr  :  isl.  floMi;  aschw.  flohker.  Ausserdem  findet  sich  ein 
solcher  in  mehreren  gleicliarti(*-en  Wörtern,  wo  der  dem  wurzel- 
vocal  vorhergehende  consonant  bei  freier  wähl  zwischen 
u:o  den  ?<-laut  begünstigt  hat,  z.  b.  isl.  aschw.  hnM{e)r  : 
holiTx{e)r,  hnlst{e)r  :  holst{e)r,  fu(j(h)l  :  fog{h)l,  aschw.  knqrper  : 
isl.  aschw.  'kropp{e)r  etc.;  vgl.  unten  s.  527  ff.  Isl.  idfr,  aschw. 
tilwer  hat  sogar  ausschliesslich  u\  nur  als  zweites  compositions- 
glied  wird  -olfr  in  isl.  Eyiolfr  etc.  verwendet;  vgl.  urnord. 
hapuwolafa  (Gommor),  hapuivolaß  (Stentofta)  neben  hariwulafci, 
liapuumlcifR,  haeruwidafiR  (Istaby). 

Bekanntlich  enthielt  urnord.  die  zweite  silbe  solcher  Wörter 
in  allen  casus  ausser  dem  dat.  sg.  a,  o  oder  ö  (sg.  *utraR,  *utras, 
*utre,  *utra.,  pl.  *iitröR,  "^utrö,  *utrom-,  *utrami).  Also  hätte 
nach  der  gewöhnlichen  auffassung  des  «-umlauts  dieser  in  allen 
casus  ausser  dem  dat.  sg.  durchgeführt  sein  sollen.  Zu  einer 
noch  früheren  zeit  hätte  der  «-umlaut  auch  in  dat.  sg.  ein- 
treten müssen,  wenn  er  überhaupt  einer  so  frühen  periode 
angehörte;  die  urnord.  dat.-endung  e  dürfte  nämlich  (vgl. 
Streitberg,  Trgerm.  gramm.  s.  227)  aus  germ.  ai,  indog.  öl  ent- 
standen sein.  Wäre  es  nun  möglich,  dass  der  w-laut  so  vieler 
Wörter  aus  dem  dat.  sg.  allein  herrühre,  sogar  in  Avörtern,  die 
wegen  der  bedeutung  nur  äusserst  selten  im  dat.  sg.  haben 
vorkommen  können?  üiese  frage  muss  jedenfalls  mit  nein 
beantwortet  werden. 

Die  Sache  stellt  sich  dagegen  ganz  einfach,  wenn  man  an- 
nimmt, dass  der  a-umlaut  nicht  urgerm.  ist,  und  da?s  in  urnord. 
zeit  nur  ä  (nicht  aber  ö)  den  o-umlaut  bewirkte.  (Tleichzeitig 
mit  der  entwickelung  Viurna  >  horna  wurde  dann  der  a-um- 
laut in  vier  casus  von  z.  b.  uter  :  otr  durchgeführt  (sg.  nom. 
*otraR,  gen.  *otras,  acc.  '^otra,  acc.  pl.  *otrmm),  aber  u  blieb 
vorläufig  in  vier  casus  (dat.  sg.  *utre,  pl.  nom.  *ufröR,  gen. 
*utrö,  dat.  *utroni-)  erhalten.  Nachdem  das  mit  levissimus 
accentuierte  a  in  nom.  sg.  *otraR  >  otr{R),  acc.  sg.  *otra  >  otr 
etc.  verloren  gegangen  war  (bez.  nachdem  der  o-lant  der  ultima 
so   reduciert   worden    war,   dass   er   nicht  mehr  eigentliciien 


522  KOCK 

a-klang  hatte  und  deshalb  auch  niclit  mehr  a-umlaut  bewirken 
konnte;  vgl.  dass  der  a- ähnliche  a-laut  des  nom.  sg.  *fluta  > 
flufi  keinen  umlaut  bewirkt')),  wurde  der  nicht  umgelautete 
vocal  u  aus  dem  dat.  sg.,  nom.  gen.  dat.  pl.  {*utre,  *i(tröR,  *utrö, 
*t(trom-)  in  die  casus  mit  lautgesetzlichem  o  eingeführt,  und 
man  bekam  also  nom.  sg.  utr{ii)  neben  oty{R),  gen.  sg.  utrs  neben 
otrs,  acc.  sg.  utr  neben  otr.  Erst  nachdem  nom.  pl.  *utröR,  gen. 
pl.  *utrö  zu  utraR,  utra  geworden,  bewirkte  a  auch  in  diesen 
casus  umlaut  {otraR,  otra).  Jetzt  hatte  man  aber  schon  den 
Avechsel  utr{R)  (aschw.  uter)  :  otr{n)  (isl.  aschw.  ot{e)r). 

Unter  den  für  diese  frage  beweisfähigen  masc.  w-stämmen 
habe  ich  aschw.  nschw.  ugn  :  isl.  aschw.  ofn,  isl.  ogn,  aschw. 
oghn,  onm,  dän.  ovn  nicht  erwähnt.  Im  aschw.  dürfte  nämlich 
eine  lautgesetzliche  entwickelung  o  >  u  vor  dem  gutturalen 
nasal  durchgeführt  worden  sein.  Nachdem  oglm  zu  ogn,  ongn 
geworden,  gieng  o  in  ii  {ongn  >  ungn,  aber  noch  ugn  ge- 
schrieben) ebenso  wie  in  (isl.)  logn  >  aschw.  nschw.  lugn  über. 
Beachte  auch  isl.  lirogn,  aschw.  (sike)ronipn,  nschw.  rom  :  aschw. 
rughn. 

Der  Wechsel  aschw.  sJcop  'spass'  :  dat.  pl.  skupum  spricht 
auch  dafür,  dass  nur  ä  den  a-umlaut  bewirkte;  vgl.  aschw.  hop, 
nschw.  hopp  'sprung'  :  aschw.  dat.  liupi.  Auch  aschw.  liop  'hoff- 
nung'  (das  jedoch  wol  ein  mnd.  lehen  ist,  vgl.  mnd.  hope)  hat 
in  der  regel  (vgl.  nschw.  hopp)  o;  nur  im  aschw.  dat.  hupi 
(jung,  hupe)  ist  u  belegt.  Die  angeführten  Wörter  sind  kurz- 
silbig,  und  solche  haben  im  aschw.  den  alten  lautgesetzlichen 
Wechsel  u  :  o  länger  als  die  langsilbigen  erhalten;  vgl.  Kock, 
Tidskrift  f.  fil.  n.  r.  8,  295  (Arkiv  n.  f.  2,  U  f.).  Derselbe  laut- 
gesetzliche Avechsel  kann  aber  auch  ausnahmsweise  in  lang- 


*)  Der  Istabystein  spricht  möglicherweise  für  die  zweite  alter- 
native. Dieser  stein  hat  nämlich  den  acc.  sg.  harhvnlqfq,,  wo  das  q,  der 
nltima  einen  reducierten  o-laut  auszudrücken  scheint  (vgl.  Noreen,  Aisl.  gr.* 
s.  2.59),  aber  schon  den  acc.  pl.  runaR  «  runoR).  Da  sich  aber  dort  auch 
der  nom.  hoßuivulqfR  mit  verloren  gegangenem  <i  «  *hapnwulnf(i r)  findet, 
so  ist  die  insclirift  für  diese  frage  nicht  beweisfähig.  Es  ist  zu  beachten, 
dass  hariwiüq,fq,,  ?iapuwi'lq.fR  composita  sind,  und  dass  die  endvocale  der 
composita  lautgesetzlich  etwas  früher  als  die  der  simplicia  verloren  gehen. 
Man  liegt  aber  wie  bekannt  den  verdacht,  dass  die  Istabyinschrift  eine  aus 
relativ  späterer  zeit  herrührende  nicht  ganz  gelungene  nachahmnng  der 
älteren  ruuensprache  sei. 


DER  .1-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNORD.    SPRACHEN.         523 

silbigen  Wörtern  verspürt  wei'den.  Es  findet  sich  asclnv.  lopt 
•Solarium'  :  dat.  lupte.  holmber  hat  fast  überall  o;  doch  in 
zwei  lat.  diplomen  iii  orholiidm  (aus  dem  Jahre  1287)  <  dat. 
-kühne  und  dat.  pl.  liulmum  (aus  dem  Jahre  1811). 

Ferner  zeugt  der  Wechsel  der  umgelauteten  und  der  nicht 
umgelauteten  formen  bei  den  fem.  w- stammen  dafür,  dass 
zw^ar  a  niclit  aber  ö  den  a-umlaut  bewirkte.  In  gewissen 
altschwedischen  Schriften  findet  sich,  wie  bekannt,  ein  regel- 
mässiger Wechsel  nom.  liona  :  obl.  casus  kunu,  noni.  hola  :  obl. 
casus  hi(h(\  zu  beachten  ist  auch  aschw\ /bra  :  nsdiw.  af  fnru. 
Vgl.  isl.  koiia  :  Juma,  aschw.  loha  :  liika,  aschw.  flogha  :  isl.  aschw. 
flug(h)a,  isl.  aschw.  hosa  :  aschw.  kusa,  isl.  stofa,  aschw.  stowa  : 
sfmva,  alt.  nschw.  sola  :  aschw.  sida,  aschw.  skrohha  (als  beiname 
benutzt,  Lundgren,  Sv.  landsm.  10,  no.6,  s.  66)  :  shruhha  'höhle'. 
Isl.  luhha  'grosser  dorsch'  hat  sogar  nur  u, 

Der  gen.  sg.  Ig'won  auf  dem  Stenstadstein  lehrt,  dass  die 
fem.  «-Stämme  urnord.-öw(>i)  in  der  ultima  liatten,  was  vollständig 
mit  der  got.  flexion  gen.  tuggöns,  dat.  tuggön  etc.  übereinstimmt. ^) 


')  Dieser  ansieht  ist  auch  Bugge,  Norges  indskrifter  s.  180.  Ohne  ge- 
nügenden gnmd  nimmt  Noreen,  z.  b.  in  Pauls  Grnndr.  P  s.  014  an,  dass  der 
gen.  sg.  isl.  wiku  etc.  aus  urnord.  ^wikün  entstanden  sei.  Nirgends  ist 
aber  ein  urnord.  gen.  auf  -ün  oder  dgl.  belegt  (in  Iqkmiiprku  [acc.  pl.]  der 
relativ  späten  [nicht  urnord.]  Kärnboinschrift  ist  -h  natürlich  aus  alt. 
-önn  entstanden).  Der  endvocal  -u  des  gen.  sg.  viku  (vgl.  got.  tuggöns) 
trotz  dem  -a  in  inf.  kalhi  (vgl.  got.  salbön)  erklärt  sich  in  folgender  weise. 
Nom.  acc.  pl.  aschw.  eghon,  eghun  und  wol  auch  isl.  augti  entsprechen  dem  got. 
augöHft  (s.  Kook,  Beitr.  1.5.  244  ff.).  Also  ist  im  nom.  acc.  pl.  *au^ön-  (mit 
vocal  nach  h)  der  endvocal  als  o,  u  erhalten  (vgl.  aschw.  eghon,  eghun, 
isl.  uugn),  während  urnord.  '^kallön  mit  auslautendem  kurzem  n  zu  isl. 
aschw.  kalla  geworden  ist.  Die  entwickelung  *kallön  >>  kalla  ist  deutlich 
durch  den  relativ  frühen  verlust  des  -n  bedingt;  vgl.  dagegen  aschw. 
eghon  mit  o  und  erhaltenem  n.  Der  gen.  sg.  viku,  der  nom.  acc.  pl.  *wiku 
(vgl.  Iqknniprku  auf  dem  Kärnbosteine;  später  anal.  loikuR,  viknr)  sind  aus 
urnord.  *wikönn  mit  langem  n,  *wikönji,  wikonz  (vgl.  got.  lungons)  ent- 
standen. Musste  nun  b  in  *icikonn  mit  langem  -n  in  derselben  weise  wie 
ö  in  *knUön  mit  kurzem  -n  oder  wie  o  in  *au^on-  (got.  augöna)  mit  vocal 
nach  n  behandelt  werden?  Weil  der  n-laut  in  *u-tkonn  lang  war,  niuss  er 
später  als  das  kurze  n  in  *kallön  verloren  gegangen  sein,  wenn  er  auch 
(wie  aschw.  gen.  sg.  viku  :  eghon  lehrt)  früher  als  in  *au,i;nn-  wegfiel.  Man 
hat  also  während  einer  periode  *kallo  (wahrscheinlich  mit  nasaliertem  ö) 
neben  ^wikbnin)  gehabt.  Deshalb  entwickelte  sich  ^kallo  zu  kalla  (vgl. 
nom.  urnord.  *icikl)  >■  isl.  aschw.  viku),  aber  *wiköii{n)  zu  viku  vgl.  *au^un- 


524  KOCK 

Eine  flexion  nom.*huIö,  gen.ViuIönn,  dat.  acc. *A«7öm,  ])\.*hulönn, 
*lmlöm  hätte  aber  nur  sg.  hola  :  holu,  pl.  Iiolur  etc.  (nicht  gen, 
linlu,  \\\.}mh(r  etc.  mit  u  in  der  Wurzelsilbe)  geben  müssen,  wenn 
a-umlaut  auch  durch  u  bewirkt  worden  wäre.  Wenn  dagegen 
nur  ä  (nicht  ö)  «-umlaut  bewirkte,  so  ist  der  Wechsel  nom.  Jiola : 
gen.  hulu,  pl.  huhir  etc.  vollständig  in  Ordnung.  Erst  nachdem 
urnord.  nom.  *hulö  7AI  hula^)  und  urnord.  gen.  *Jndön(n)  zu  hulo 
oder  hulu  geworden  waren,  wurde  in  solchen  Wörtern  der 
a-umlaut  durchgeführt;  nom,  hula  wurde  dann  zu  hola  ent- 
wickelt, während  der  wurzelvocal  in  gen.  hulo,  hulu  etc.  er- 
halten wurde.  2) 

Da  im  an.  nur  ä,  nicht  0,  rt-umlaut  bewirkte,  so  ist  der 
a-umlaut  in  ivorahto  (Tune)  von  dem  zwischen  r  und  h   ent- 


>  aschw.  eghim,  eghon,  isl.  augu).  Streng  lantgesetzlioh  hätten  dat.  und 
acc.  sg.  *tvikön  (vgl.  got.  tuggön)  zn  *vika  (vgl.  inf.  kalla)  entwickelt 
werden  müssen.  Dnrch  den  einflnss  der  drei  casus  gen.  sg.,  nom.  acc.  pl. 
*iciköH{n)  (vgl.  got.  tuggöns)  wurde  aber  das  auslautende  -n  im  dat.  acc.  sg. 
*wikön  (vorläufig)  erhalten.  Auch  dies  *tvikön  gab  deshalb  viku  ebenso  wie 
gen.  sg.,  nom.  acc.  pl.  *iinkön{n)  zu  viku  wurden. 

')  Für  diese  frage  ist  es  ohne  belang,  ob  */n<7n  streng  lautgesetzlich 
zu  hula  (ebensowie  nom.  *}nkö  zu  tnika  etc.)  wurde,  oder  ob  ö  in  Vmlö 
(wegen  des  t<- lautes  der  paenultima)  lautgesetzlich  sollte  erhalten  bleiben 
(vgl.  Kock,  Beitr.  15,  254  ff.);  in  diesem  falle  ist  -a  sehr  früh  in  nom.  sg. 
hula  aus  nom.  sg.  vika  etc.  übertragen  worden. 

^)  Diese  Schlussfolgerung  hat  wegen  des  wechseis  aschw.  skrohba  : 
skrubba,  isl.  kona  :  kuna,  aschw.  flogha  :  isl.  fhtga  und  wegen  isl.  Ixhha  mit  ti 
ihre  gültigkeit,  auch  wenn  das  nebeneinander  0  :  u  in  aschw.  kurz  silbigen 
fem.  M- Stämmen  vielleicht  zum  teil  auf  einer  aschAv.  dialektischen 
lautgesetzlichen  eutwickelung  0  >■  u  vor  u  der  folgenden  silbe  beruht; 
Avenn  dem  so  ist,  so  wäre  z.  b.  gen.  stüivu  durch  s.  g.  'tilljämning'  (zum 
teil)  lautgesetzlich  aus  stöivu  entstanden.  —  Es  braucht  kaum  bemerkt  zu 
werden,  dass  ghioronon  hideRrunono  auf  dem  Stentoftastein  nicht  gegen 
meine  obige  auffassung  angeführt  werden  kann.  -rotioR  in  ginoronoR  kann 
nämlich  entscliieden  nicht  mit  Noreen,  Aisl.  gr.^  s.  2t)3  als  eine  (rt-umgelau- 
tete)  form  aus  neuisl.  runa  'linea,  stria'  aufgefasst  werden.  Eher  ist  -ronoR 
aus  -rünoR  'runen'  (vgl.  ginarünaR  auf  dem  Björketorpstein)  entstanden 
und  als  ein  beispiel  der  lautentwickelung  ü  >  o  in  semifortissilbe  aufzu- 
fassen (vgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  1,  57  ff.).  Uebrigens  ist  bekanntlich  der  ganze 
Charakter  dieser  Inschrift  der  art,  dass  man  auf  ihr,  wenigstens  vorläufig, 
nichts  aufliauen  darf.  Es  ist  sehr  leicht  möglich,  dass  sie  (wie  Wimmer 
annimmt  und  Hugge  wenigstens  früher  annahm)  eine  schlechte  copie  einer 
älteren  inscbrift  bez.  mehrerer  älteren  Inschriften  ist,  die  der  .Steinmetz 
nicht  oder  nur  mangelhaft  verstand. 


DER  -<1-UMLAUT   ETC.   IN   DEN   ALTNOllD.   SPRACHEN.         525 

wickelten  parasitvocal  a  hervorgerufen  worden,  wobei  vielleicht 
aucli  der  r-laut  und  möglicherweise  auch  der  Ä-laut  eine  rolle 
spielte.  Wie  bekannt  hat  der  >--laut  iiberliaui)t  eine  tendenz 
dem  vorhergehenden  vocale  eine  offenere  ausspräche  zu  gebtMi ; 
vgl.  z.  b.  die  entwickelung  */mrw  >  hautn  etc.  im  got.,  dass  im 
aschw.  r  bei  freier  wähl  zwischen  n  :  o  den  o-laut  begünstigte, 
und  dass  im  späteren  aschw.  u  vor  dem  hohen  supradentalen  r 
in  den  lautverbindungen  rö,  rt  etc.  in  o  Ubergieng  (spurjje  > 
spordhe  etc.;  s.  unten  s.  527).  Zu  beachten  ist  auch  der  Über- 
gang n  >  0  (au)  vor  h  sowol  im  got.  (z.  b.  ''''suhts  >  saühts) 
wie  im  an.  (z.  b.  sott). 

Nach  den  obigen  erörterungen  kann  die  frage  aufgeworfen 
werden:  ist  der  a-umlaut  von  u  gänzlich  eine  einzelsprach- 
liche erscheinung,  so  dass  z.  b.  die  entwickelung  *hurna  >  horna 
nicht  in  urgerm.  zeit  durchgeführt  worden,  sondern  teils  früh- 
urnordisch  teils  urwestgermanisch  ist?  Soviel  ich  sehe,  kann 
die  frage  nicht  mit  voller  Sicherheit  beantwortet  werden.  Doch 
spricht  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  der  «-umlaut  gänzlich 
eine  einzelsprachliche  entwickelung  ist. 

Wie  bekannt  hat  das  got.  Wulfllas  überall  u.  In  der 
letzten  zeit  ist  die  scharfsinnige  Vermutung  ausgesprochen 
worden,  dass  man  in  dem  durch  die  klassischen  autoren  über- 
lieferten namen  der  Goten  Got{h)ones  (neben  Gutones)  eine 
spur  des  «-umlauts  aus  der  vorwulfilanischen  zeit  habe  (Osthoff 
und  Streitberg,  IF.  4, 308  f.  Streitberg,  l^rgerm.  gramm.  §  71 ;  Got. 
elementarbuch  §  5).  Nach  dem  aufsatz  von  Collitz,  Journal  of 
Germ,  pliil.  1,  220  ff.  dürfte  man  aber  der  Schreibweise  der  klas- 
sischen autoren  kein  eigentliches  zeugnis  in  dieser  beziehung 
beimessen  können. 

Dabei  ist  aber  auch  ein  anderer  umstand  zu  beachten. 
Die  möglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  das  nebeneinander 
Got{h)ones  :  Gutones  darauf  hindeute,  dass  bei  den  Goten  der 
a-umlaut  in  einer  bestimmten  Stellung  eingetreten,  aber 
sonst  nicht  durchgeführt  worden  ist.  In  Arkiv  n.  f.  8, 138  ff. 
habe  ich  gelegenheit  gehabt  darzutun,  dass  ein  stehengeblie- 
benes u  im  anorw.  (d.h.  in  gewissen  anorw.  dialekten)  nur 
in  semifortissilbe,  nicht  aber  in  fortissilbe  umlaut  bewirkte,  z.  b. 
Jj'iödy^tu  {nom. JjiöÖyata),  aber  simplex  yatur  ohne  umlaut.    lu 


526  KOCK 

Übereinstimmung  hiermit  ist  der  ?-umlaut  in  der  spräche  des 
Ecksteines  nur  in  der  silbe  mit  semifortis,  nicht  in  der  fortis- 
silbe  von  einem  stehengebliebenen  i  hervorgerufen  worden, 
z.  b.  mogmini,  d.  h.  moymenni,  aber  narin  ohne  umlaut  (Kock, 
Arkiv  n.  f.  10, 249  ff.).  Da  nun  der  Gotenname  vor  allem  im 
zweiten  compositionsgliede  der  namen  'Ostgoten'  und  'West- 
goten' {Ostroijothm  und  Wisiyotlm  bei  Jordanes,  vgl.  Streitberg, 
IF.  4, 300  ff .),  vorkommt,  so  ist  es  nicht  unmöglich,  dass  bei 
den  Goten  der  «-umlaut  nur  in  semifortissilbe  eingetreten  ist, 
und  dass  die  Schreibung  Gntones  bei  den  klassischen  autoren 
die  vocalisation  des  simplex  giitans,  Got{h)ones  aber  die  der 
composita  -gotans  reflectiert. 

Wie  dem  auch  sei,  so  kann  das  got.  nicht  als  eine  stütze 
für  die  annähme  herangezogen  werden,  dass  der  a- umlaut  in 
urgerm.  zeit  in  der  t'ortissilbe  durchgeführt  worden  sei. 

Nun  ist  oben  dargetan  worden,  dass  der  «-umlaut  der  an. 
sprachen  z.  t.  ziemlich  spät  eingetreten  ist.  In  sumar  >  somar 
etc.  wurde  der  «-umlaut  erst  bewirkt,  nachdem  der  «-laut  der 
zweiten  silbe  des  nom.  pl.  ^sumaröR  >  sumraR  etc.  synkopiert 
worden  war.  Im  nom.  sg.  Jmla  >  hola,  kuna  >  Jcona  etc.  wurde 
er  durchgeführt  nach  der  zeit,  wo  -ö  des  nom.  sg.  in  -a  über- 
gieng.  Unter  diesen  umständen  ist  es  wenig  glaublich,  dass 
die  «-Umlautsperiode  schon  in  urgerm.  zeit  angefangen  habe; 
dann  würde  sie  nämlich  eine  zu  lange  epoche  umspannt  haben. 
p]s  ist  viel  wahrscheinlicher,  dass  der  «-umlaut  von  *huma  > 
Jiorna  ebenso  wie  derjenige  von  hula  >  hola  der  nord.  sprach- 
einheit  angehört. 

Ich  gehe  zu  der  fi'age  über,  inwieweit  ein  vorhergehender 
consonant  in  den  an.  literatursprachen,  besonders  im  aschw.,  die 
wähl  von  o  oder  u  begünstigte,  wenn  diese  vocale  seit  alters 
in  verschiedenen  formen  ein  und  desselben  wortes  wechselten. 

Im  Arkiv  n.  f.  5, 244  ff.  habe  ich  die  frage  nach  dem  einfluss 
eines  unmittelbar  folgenden  consonanten  (bez.  einer  unmittel- 
bar folgenden  consonantenverbindungj  auf  u  sowie  auf  ein  durch 
a-umlaut  aus  u  entwickeltes  o  behandelt;  vgl.  auch  Brate,  Äldre 
Vestmannalagens  Ijudlära  s.  23.  R.  Larsson,  Södermaunalagens 
spräk  1,  32.  Hultman,  Finländska  bidrag  tili  svensk  sprilk-  och 
folklifsforskning  s.  120.  Noreen,  Aschw.  gramm.  §  111, 2. 


DER  ^-UMLAUT   ETC.   IN   DEN    ALTNORD.   SPRACHEN.         527 

Aber  auch  ein  den  vocalen  o  -.  n  unmittelbar  vorlier- 
g-ehender  consonant  hat  einfluss  auf  sie  ausüben  können. 
Dies  o'elit  besondei-s  aus  einer  niusteruiifi-  des  in  Sclilyters 
glossar  zum  Titphiudsgesetz  (l^L.)  verzeichneten  wortscliatzes 
liervor. 

Die  tatsäcliliclien  angaben  ül)er  den  spi-aclig-ebraucli  dieses 
gesetzes  rüliren  meistenteils  aus  jenem  werke  her,  das  zwar 
niclit  immei-  alle  w^echselformen  der  Wörter  verzeichnet,  aber 
ohne  Zweifel  die  normalforni  immer  corre.i^t  anführt. 

In  meinem  soeben  citierten  aufsatz  dürfte  dargelegt  worden 
sein,  dass  aschw.  w  vor  dem  hohen  supradentalen  r  der  laut- 
vei'bindungen  rÖ,  rt,  rn,  rs,  rl  (spurpc  >  s^wrjxi  etc.)  in  o  über- 
gegangen, und  dass  im  aschw.  der  o-laut  bei  freier  w^ahl 
zwischen  o  :  u  vor  supradentalem  /,  n  {foli  etc.)  beg-ünstigt 
worden  ist.  Im  altgutn.  ist  n  vor  r  überhaupt  zu  o  geworden 
(Söderberg,  Forngutnisk  Ijudl.  s.  16). 

Es  findet  sich  im  Upplandsgesetz  o  in  horJ>  (auch  fore 
horpc  oh  hry(](ihi  sporlw),  niorj),  viorjxjwld,  mor])ceri,  orp,  norpcen, 
skorke,  honi,  körn,  körn  lubrlxvrghi,  forn  —  horghce,  horghmn, 
morghin,  morghon  goef,  torgli,  torghkop,  orkce,  porp,  porjxekarl, 
porwoe  (verb),  vip  porum,  vipwr  porwce,  orf,  torf,  torwce  —  porce, 
sporgceld,  for-  (in  forman,  forfcepcer  etc.),  horin  (part.  zu  bcera), 
inhorit,  oskorin  (zu  skcera). 

Dagegen  hurghis  (s.  228,  9  <  burghits),  purwu  (3.  pl.  praes.), 
\)vaeX.  piirfti,  di'Ai.  \)\.  durum  und  dorum  (zu  <7«/r 'für'). 

Vor  supradentalem  l  in  den  Verbindungen  Ik,  Im  steht  o 
in  molkce,  folk,  folkvapn,  folkland,  husscetis  folk  —  holmbeer, 
th>tho[l]mbibr,  j  stokholmi  (6,  3).  Dagegen  findet  sich  «  vor  dem 
supradentalen  l  der  Verbindungen  Ip,  Igh  in  stidpi,  obl.  casus 
grindce  stuljyce  —  dulghosdrap,  daghfulghit. 

Hieraus  ergibt  sich,  dass  in  der  spräche  des  Upplands- 
gesetzes  bei  freier  wähl  zwischen  u  :  o  eine  bestimmte  ten- 
denz  durchgeführt  worden  ist,  den  o-laut  vor  rÖ,  rt,  rn  (und 
meistenteils  auch  sonst  vor  r)  ebenso  wie  vor  //.-,  Im  zu  benutzen. 
Dagegen  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  schon  in  diesem  dialekte  eine 
lautgesetzliche  ent Wickelung  u  >  o  vor  rÖ,  rt,  rn  {rs,  rl) 
durchgeführt  worden  ist. 

Sofern  o  nicht  nach  dieser  tendenz  (d.  h.  vor  r,  Ik,  Im)  ge- 
fordert wird,  verwendet  aber  UL.  den  vocal  u  unmittelbar 


528  KOCK 

nach  h,f,m,g  (und?  r,li)  in  Wörtern,  die  sonst  gewölin- 
lich  im  aschw.,  bez.  in  den  an.  sprachen,  einen  Wechsel 
0  :  u  haben. 

Es  finden  sich  also  z.  b,  hiikher  (vgl.  aschw.  hiücker :  holiker), 
bulster  (vgl.  aschw.  holster  :  hulster),  hup,  forhiij),  forhups  vitni, 
forhulm,  tilhup,  hupkafli,  hupsicapcer  (vgl.  aschw.  hup  :  hop,  hup- 
skap  :  hopskap  etc.). 

fughl  (vgl.  aschw.  fuglil :  fogJd),  fughlceren  (vgl.  aschw.  fugh- 
laren  :  foghlaren\  f'uldcer  (doch  acc.  sg.follcen  112,  7;  vgl.  aschw. 
fulder  :  folder),  fidfene,  fullce  (==  fyllce),  fuUsceri,  fidt,  fidncepwr. 

sivincesmughce  221,  14,  grisoe  smughce  221,  15  (vgl.  aschw. 
sniugha),  at  muni  (dat.  sg.  zu  aschw.  mon  :  nmn),  mun  (praes. 
sg.;  vgl.  aschw.  mon  :  mun).    Dagegen  part.  moghandi. 

gup  (vgl.  isl.  gop  :  gup,  aschw.  gup  •) ),  gupsificer,  gupsiivoi- 
lagh,  afgup,  gul  (subst.;  vgl.  isl.  goll :  gull]  aschw.  gul,  nur  sehr 
selten,  wol  durch  deutschen  einfluss,  goT),  gidsmipcer,  gidgcerning, 
gutar  (vgl.  aschw.  gutar  :  gotar),  part.  giddin,  giddit,  oguldin  (vgl. 
isl.  goldinn  :  aschw.  giddin).  Es  ist  für  die  beurteilung  der  frage 
von  belang,  dass  UL.  hruplwme  'bräutigam'  106, 13  mit  o  nach  h 
verwendet  (vgl.  afhoma,  aterloma,  koma  neben  kuma).  Da  hrup- 
kome  aus  brupgome,  hruPgumi  entstanden  ist  (Kock,  Arkiv  n.f. 
5, 161  ff.),  so  ist  der  gebrauch  von  u  nach  g  in  UL.  erst  nach 
der  zeit  durchgeführt  worden,  wo  hruPgomi  sich  in  hrupkome 
entwickelte. 

hrid  (vgl.  aschw.  hrut :  hrot),  hyce-,  hen-,  ra-,  dorn-,  frip-, 
hcelghudaghm-,  skriptw-hrut,  hrutUkcer  (vgl.  aschw.  hnäliker  : 
hrotUker),  henhrutin  (adj.,  vgl.  aschw.  part.  hriUin  :  brotin),  subst. 
ruf  (vgl.  isl.  rof:  aschw.  ruf),  Iceghu  ruf,  vcernce  ruf,  gritp  (vgl. 
aschw.  grup\  rughcer  (vgl.  aschw.  rogher  :  riigher,  isl.  riigr),  rupce 
'reute'  (vgl.  aschw.  rupa  :  obl.  casus  rupu).    Dagegen  adj.  rotin. 

hughcer  (vgl.  aschw.  hugher  :  hogher),  athughi :  obl.  casus  at- 
huglue  5, 14  (vgl.  aschw.  hughi  :  hoghi),  um  huxce  sdc  (vgl.  aschw. 
huxa :  hoxa),  hulsceri  (vgl.  aschw.  Jnd :  hol),  subst.  huld  (vgl.  aschw. 
huld  :  hold),  part.  hidpit  (vgl.  aschw.  hidpin  :  holpin). 

Die  Ursache  dafür,  dass  sich  nach  b,  f,  m'^)  in  der  regel  u 
(nicht  o)  findet,  ist  natürlich,  dass  diese  consonanten  ebenso  wie 


*)   Das   im   Biaarkearaetter   vorkommende  gozpceningar  hat   u   durch 
deutscheu  eiufluss  (mnd.  ijudcsptunink). 
'^)  Beispiele  fehlen  zufällig  für  p-. 


DER  J.-UMLAUT   ETC.   IN   DEN    ALTNOKD.   SPUACHEN.         529 

der  Vücal  u  stark  labial  sind.  Dass  auch  (/  im  asclnv.  labialisiert 
war.  gellt  daraus  hervor,  dass  nach  der  entwickelung  Gautstdwer 

>  Gotstdu'cr  mit  fortis  auf  dem  zweiten  compositionsglied  der 
o-laut  nach  //  weiter  in  u  {Gu{t\stdivcr,  nschw.  Gustaf)  über- 
g-egangen  ist.  Wie  bekannt  gehörte  im  aschw.  auch  r  den 
labialisierten  consonanten  an;  dies  ergibt  sich  z.  b.  daraus,  dass 
aschw.  i  zwischen  labial  und  r  in  y  übergeht,  z.  b.  virpa  > 
vyrpa,  nschw.  vörda,  Birghir  >  Byrghir,  nschw.  Börje  etc.  (Kock, 
Sv.  spräkhist.  s.  22  f.).  Es  mag  möglicherweise  auf  den  ersten 
blick  befremden,  dass  UL.  vor  r  den  o-laut,  aber  nach  r  den 
w-laut  verwendet.  Das  befremdende  schwindet  aber,  wenn  man 
bedenkt,  dass  r  zu  gleicher  zeit  ein  supradentaler  und  ein 
labialisierter  consonant  war.  Ueberhaupt  findet  sich  im  schwed. 
die  tendenz,  vor  (aber  nicht  nach)  supradentalen  consonanten 
offene  vocale  zu  verwenden  (und  o  ist  offener  als  m;  vgl.  Kock, 
Arkiv  n.  f.  5,  244  ff.).  Wenn  aber  ein  consonant  labial  oder 
labialisiert  ist,  so  beeinflusst  er  auch  den  nachfolgenden  vocal. 
Wahrscheinlich  war  auch  das  h  im  aschw.  labialisiert,  da  i 
zwischen  li  und  r  oft  in  y  übergeht,  z.  b.  hirl)e  >  hyrdhe  etc. 
(Kock,  Sv.  spräkh.  s.  25). 

Ich  erblicke  im  subst.  skot  eine  weitere  gute  stütze  dafür, 
dass  ein  vorhergehender  laut  bei  der  vocalisation  ti :  o  einen 
einfluss  ausgeübt  hat.  UL.  hat  sJwt,  matshot,  süelfsJwt  mit  o, 
aber  utsJcut,  utskutstola  mit  u\  in  diesen  Wörtern  findet  sich  u 
auch  in  der  ersten  silbe.  Hiermit  ist  zu  vergleichen,  dass, 
während  das  aschw\  im  subst.  holmber  fast  immer  o  (nicht  u) 
verwendet,  man  im  Westmannagesetz  B.  17  pr.  (textcodex) 
fluf  hundhcer  statt  flut  Imlmhcer  mit  u,  im  codex  C  fhähulmar 
auch  mit  u  liest.  Dies  beruht  darauf,  dass  auch  die  erste  silbe 
des  compositums  flut-hulmber  ein  u  enthält. 

Es  ist  eine  andere  frage,  ob  in  der  spräche  des  UL.  ii 
nach  den  erwähnten  consonanten  durch  eine  laut  gesetzliche 
entwickelung  aus  o  entstanden  ist  (z.  b.  urnord.  nom.  sg.  ^huhhaR 

>  *bolihaR  [durch  a-umlaut]  >  hokkr  >  biiJckr),  oder  ob  der 
w-laut,  bei  freier  wähl  zwischen  u  :  o,  am  liebsten  gewählt 
w'orden  ist,  wenn  der  vorhergehende  consonant  labial  bez. 
labialisiert  war.  Es  ist  möglich,  dass  eine  lautgesetzliche  ent- 
wickelung 0  >  n  nach  irgend  einem  der  erwähnten  laute 
(z.  b.  b)  durchgeführt  worden  ist ;  da  sich  aber  moghandi,  rotin 

Boltrilfiu  zur  goitchichto  der  deutschen  spraobo.     XXIII.  34 


530  KOCK 

mit  0  finden,  so  zeugen  sie  dafür,  dass  ein  lautgesetzliclier 
Übergang  o  >  «  nicht  nach  allen  den  angeführten  lauten  ein- 
getreten ist.  Wenigstens  vorläufig  ist  es  deshalb  am  vorsich- 
tigsten, das  Verhältnis  in  der  weise  darzustellen,  dass  nach  den 
erwähnten  consonanten  der  vocal  u  wenigstens  meistenteils 
gewählt  worden  ist,  dass  aber  eine  lautgesetzliche  entwickelung 
oy-  II  vielleicht  nach  irgend  einem  dieser  consonanten  ein- 
getreten ist. 

Das  oben  für  UL.  dargelegte  Verhältnis  findet  sich  Avenig- 
stens  teilweise  in  gewissen  anderen  aschw.  Schriften  wider. 
Sogar  im  altgutn.,  das  vor  r  in  der  regel  o  verwendet,  lässt 
sich  ein  einfluss  des  vorhergehenden  consonanten  verspüren. 
Trotz  dieser  regel  finden  sich  nämlich  im  altgutn.  hunjhan, 
hurg,  deren  ^<-laut  mit  dem  vorhergehenden  labialen  b-  in  causal- 
verbindung  zu  setzen  ist. 

Das  isl.  verwendet  wenigstens  zum  teil  u  :  o  nach  derselben 
norm  wie  das  aschw.  Es  findet  sich  nämlich  o  vor  rJ,  rt,  rn 
z.  b.  in  isl.  orp,  morp,  horj),  norpan,  skorpa, ')  skort,  skorta,  ortet, 
orti  ( praet.  von  yrl-ia),  hörn,  lorn,  porn,  forn  etc.  Also  ist  der 
o-laut  bei  einem  Wechsel  o  :  u  vor  diesen  lautverbindungen  mit 
hohem  supradentalem  r  (vgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  5, 247),  wenig- 
stens in  der  regel,  gewählt  worden.  Dagegen  isl.  htrjr  'bie- 
gung',  hugi  =  bugr,  huga  'biegen',  huhkr  (selten  hokkr),  hulstr  : 
holstr  mit  h  vor  dem  wurzelvocal;  fullr,  fullna,  fiiUnapr  etc., 
fugl :  fogl  mit  /"vor  dem  wurzelvocal;  snmga,  mmir,  anorw.  muga 
=  mega  mit  m  vor  dem  wurzelvocal;  ial.  gustr,  gusfa,  gussa, 
gumi  :  guma,  gulr,  gugna,  gup  :  gop,  gidl :  goll  mit  anlauten- 
dem g ;  hugna,  hugsa  (auch  hugr)  mit  anlautendem  h. 

Wenn  das  isl.  ulfr,  das  aschw.  uhver  nur  u  (nicht  o)  hat, 
so  beruht  auch  dies  darauf,  dass  früher  das  stark  labiale  iv 
dem  ti  vorhergieng  (tvulfR).  Im  zweiten  compositionsglied 
findet  sich  dagegen  -olfr  (Eyiolfr  etc.)  mit  «-umlaut;  vgl.  ur- 
nord.  hapuuolafa  etc.  (s.  521).  Es  ist  möglich,  dass  in  der 
lautverbindung  ?r«//-  der  eintritt  des  a-umlauts  in  der  fortis- 
silbe  durch  die  umgebenden  labialen  consonanten  verhindert 
worden  ist,   obgleich  der  a-umlaut   in  dieser  laut  Verbindung 


')  Dagegen  z.  b.  urp  f.   'felsiger,  steiniger  ort'  (/-stamm:   ^\.  nrßir), 
burpr  (ist),  skurpr  (i-st.). 


DER  yl-UMLAUT   ETC.   IN   DF.N   ALTNORD.   SPRACHEN.         531 

durclig-efülirt  wurde  {liajiu iroJafa ,\i>\.-oIfr),\yeim  sie  mit  semifortis 
accentuiert  wurde.  In  diesem  falle  ist  der  nom.  sg.  idfr  die 
lautgesetzlidie  entwickeluiio-  aus  urnord.  *?r»7/Wß.  Y^l.  s.525f. 
über  Umlaut  in  der  semii'ortissilbe,  aber  niclitumlaut  in  der 
fortissilbe.  Es  ist  aber  auch  möglich,  dass  a-umlaut  auch  im 
Simplex  ^indfaR  >  *ivoIfaR  lautgesetzlich  eingetreten,  obgleich 
nachher  der  «-laut  bei  freier  wähl  zwischen  u  :  o  gewählt 
worden  ist;  vgl.  auch  s.  521  f. 

In  diesem  Zusammenhang  verdient  auch  erwähnt  zu  werden, 
dass  sich  im  alt.  nschw.  ein  Wechsel  rumpa,  aber  -rompa  findet. 
Das  Lexicon  lincopense  (1640)  verzeichnet  nämlich  nimpa  (so- 
wol  im  schwed.-lat.  teile  wie  auch  im  lat.-schwed.  teile  s.  v. 
caudd);  aber  dagegen  nmscrompa  (ein  gewächs,  s.v.  aizoon), 
Hästarompa  (s.  v.  miahasls).  Bäfica  rompa  (s.  V.  alopecurus). 
Zwar  wüi'de  man  auch  hier  daran  denken  können,  dass  der 
a-umlaut  in  der  semifortissilbe  lautgesetzlich  eingetreten 
sei,  obgleich  nasal  +  consonant  dem  u  nachfolgte.  Aber  es  ist 
"wol  wahrscheinlicher,  dass  -rompa  durch  einen  dialektischen 
aschw.  Übergang  u  >  o  vor  nasal  +  consonanten  in  der  semi- 
fortissilbe zu  erklären  ist.  Dialektisch  ist  nämlich  vor  nasal 
+  consonanten  u  schon  aschw.  zu  o  geworden,  besonders  in 
der  provinz  AVestmanland,  z.  b.  lezond  {<lcj)-si(nd  ^meerenge^ 
Westmannagesetz  BB.  ind.  22),  ondan  (<  tmdan),  onde  (<  undir 
Ki\  26  pr.),  sonnodagh  (Kr.  B.  5, 4;  12  pr.  etc.),  misconna  cona 
(.E.  1.  2),  cotino  ('können'  Kr.  8  pr.),  conne  ('konnte'  Kr.  18), 
nach  dem  Vorworte  Schlyters  auch  fonnen;  vgl.  dass  in  dieser 
Schrift  die  ableitungsendung  -ung  oft  die  form  -ong  hat,  z.  b. 
enonga  bot  (Kr.  23,  2),  fiorjjong  (Kr.  24, 12),  cononger  (Kr.  26 
pr.)  etc.  In  einem  westmanl.  diplom  (aus  dem  jähre  1399) 
finden  sich  KomUa  (Styffe,  Bidrag  tili  Skandinaviens  historia 
2, 82  bis),  konno  'können'  (ib.  84).  Die  entwickelung  scheint 
in  Westmanland  hauptsächlich,  aber  nicht  ausschliesslich,  in 
relativ  unaccentuierter  silbe  eingetreten  zu  sein;  wenigstens 
in  irgend  einer  gegend  der  provinz  ist  sie  also  auch  in  der 
fortissilbe  durchgeführt  worden.  Hiermit  sind  auch  zu  ver- 
gleichen die  aus  runeninschriften  verzeichneten  purmontr 
(Lilj.  475,  Uppland),  erinmontr  (Lilj.  591,  Uppland)  aus  -mundr; 
vgl.  Brate.  Run  verser  100  anm.  9. 


34* 


532  KOCK 

Resultat. 

Der  a-umlaut  von  u  ist  nicht  (wenigstens  nicht  gänzlich) 
eine  urgerm.  entwickelung.  AVahrscheinlich  ist  er  erst  einzel- 
sprachlicli  (also  im  urnord.  und  im  westgerm.)  eingetreten. 

Als  der  a-umlaut  in  früher  urnord.  zeit  in  z.  b.  */mrw«  > 
liorna  durchgeführt  wurde,  blieb  u  vorläufig  vor  m,  n  erhalten 
(z.  b.  in  ^sumaraR).  Erst  nachdem  das  a  der  ZAveiten  silbe 
von  nom.  pl.  "^sumaröR  >  sumraR  etc.  synkopiert  worden  war, 
wurde  der  «-umlaut  spät  urnord.  in  den  lautverbindungen  -iim-, 
-im-  {^siwiarR  >  somam  etc.)  durchgeführt. 

In  den  an.  sprachen  ist  der  a-umlaut  nur  von  einem  wirk- 
lichen ä  bewirkt  worden  (nicht  aber  von  ö,  cb  oder  von  dem 
aus  cB  entwickelten  ä-ähnlichen  laute,  der  in  den  an.  literatur- 
sprachen  zu  e,  i  wurde,  z.  b.  in  nom.  sg.  ^luti).  Der  Wechsel 
0  :  w  in  den  fem.  w-stämmen  erklärt  sich  daraus,  dass  z,  b.  nom. 
liola  aus  Inda  <  ^liulö  (nicht  aus  Violo),  gen.  kiilii  aus  *hiilön?i 
sich  entwickelt  hat. 

Vor  ggtv  (hrugginn  etc.)  findet  sich  kein  o.  Ueber  idfr  : 
-olfr  siehe  s.  530  f. 

Nachdem  ein  Wechsel  o  :  u  in  demselben  worte  (stamme) 
entstanden  war,  wurde  der  gebrauch  dieser  vocale  im  aschw. 
(wenigstens  dialektisch,  UL.)  in  folgender  weise  geregelt.  Man 
hatte  eine  bestimmte  tendenz,  o  vor  hohem  supradentalem  r 
in  rö,  rt,  rn  (und  meistensteils  auch  sonst  vor  r)  sowie  vor  Ik, 
Im  zu  benutzen.  Wenn  o  nach  dieser  regel  nicht  gefordert 
wurde,  so  machte  sich  eine  andere  tendenz  geltend:  bei  freier 
wähl  zwischen  o  :  u  findet  sich  u  gern  nach  den  labialen  h, 
f,  m  und  dem  labialisierten  g  {r,  h?).  Im  isl.  wird  der  Wechsel 
0  :  u  z.  t,  in  derselben  weise  normiert. 

Excurs. 

Die  behandlung  des  germ.  diphthongs  cu  und  der 

Wechsel  iü  :  iö  in  den  au.  sprachen. 

Die  aus  urnord.  Inschriften  belegten  sJiiJxdeuhaR  (Skärkind) 

und   AleugaR   (Skaäng)   mit  eu  (nicht  eo)   vor  dem  a-laut  der 

folgenden  silbe  lehren,  dass  der  diphthong  eu  in  urgerm.  oder 

urnord.  zeit   nicht   in   eo   übergieng,   wenn  die  folgende  silbe 

ein   a  enthielt.     Dies   ist  lautphysiologisch   leicht   erklärlich: 

ebenso  wie  der  a-umlaut  überhaupt  nicht  durchgeführt  wurde. 


DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOED.  SPRACHEN.    533 

wenn  das  palatale  /  zwischen  u  und  dem  folgenden  «-laut 
stand,  so  wurde  er  in  den  an.  sprachen  auch  nicht  bewirkt, 
wenn  der  palatale  vooal  r  dem  n  unmittelbar  vorherg-ieng-, 
d.  h.  im  diphthonge  ei<.  Bugge  hat  im  Arkiv  n.  f.  4. 23  die 
bedeutung  jener  urnord.  Wörter  für  die  «-umlautsfrage  hervor- 
gehoben, und  unabhängig  von  ihm  hatte  ich  vermutet,  dass 
der  diphthong  cu  dem  a-umlaut  nicht  unterlegen  sei. 

Die  regeln  für  die  Verwendung  der  diphthonge  m  :  iö  in 
den  an.  sprachen  sind  nämlich  einer  revision  bedürftig. 

Es  ist  allbekannt,  dass  der  diphthong  eu  in  der  aschw. 
literatursprache  im  allgemeinen  zu  iu  geworden  ist.  In  der 
Tidskrift  f.  fil.  n.  r.  8,  288  anm.  habe  ich  die  ausnahmen  von 
dieser  regel:  tio])er  (neben  tiuj)cr),  liomher  (neben  li umher)  etc. 
angeführt.  Noreen,  der  die  soeben  referierte  ansieht  nicht 
billigt  (vgl.  Aschw.  gramm.  §  163  anm.  3),  vermutet  ib.  §  82, 
dass  diese  aschw.  Wörter  mit  iö  {liömher  etc.)  aus  solchen 
dialekten  stammen,  wo  eu  in  allen  Stellungen  zu  iö  geAvorden, 
oder  dass  iö  vielleicht  einem  urnord.  eo  entspricht,  das  durch 
rt-umlaut  von  eu  entstanden. 

Schon  längst  ist  es  bekannt,  dass  das  isl.  iö  vor  'dentalen' 
und  interdentalen  {hiö])a,  siön  etc.)  verwendet.  In  Pauls  Grundr. 
12§  HO  formuliert  Noreen  die  regel  dahin,  dass  iu  nur  vor 
^,  f,  S>  h  1>  ^iiid  ini  auslaut  erhalten  worden,  vor  r  zu  y  (di/r 
etc.),  sonst  aber  zu  iö,  z.  b.  siön,  liömi  geworden  sei.  In  seiner 
Aisl.  gi-amm.'-  §  98  wird  pl.  hiü  als  beispiel  für  iii  im  auslaut 
angeführt,  und  er  meint  dort,  dass  «-umlaut  in  {h)li6mr,  J)i6fr 
(selten  piüfr),  miökr  (gewöhnlich  miükr)  vorliege. 

Ich  fasse  die  sache  dagegen  in  folgender  weise  auf. 

Bei  der  behandlung  dieser  frage  muss  man  diejenigen 
Wörter,  wo  der  diphthong  in  (iö)  durch  das  zusammenstossen 
des  wurzelvocals  mit  dem  vocal  der  endung  (z.  b.  ])riu  <  *]>riu) 
entstanden  ist,  von  denen  mit  dem  gerni.  diphthong  eu  (isl. 
biöj)a  etc.)  scharf  sclieiden. 

Dass  im  isl.  der  germ.  und  urnord.  diphthong  cn  nicht  nur 
vor  'dentalen'  und  interdentalen,  sondern  auch  vor  m  laut- 
gesetzlich  zu  iö  wurde,  geht  aus  isl.  hliomr,  lilioma,  liömi,  liöma 
hervor.  Aber  auch  im  aschw.  (oder  wenigstens  in  den  meisten 
aschw.  dialekten)  ist  der  germ.  und  urnord.  dii)hthong  eu 
vor   m   lautgesetzlich   in    iö   übergegangen.    Es  finden 


534  KOCK 

sich  nämlich  aschw.  lidm'm  'lau',  liömhet  'lauheit',  Iwmajter 
,lau  gemacht,  lau',  liömber  'lau'  (dies  ist  die  aschw.  iiormal- 
foim).  Noch  das  Neue  testament  von  1526  hat  lyöni,  die  bibel 
von  1541  und  die  von  1703  liöm.  Das  alt.  nschw.  verwendet 
liom{m)  'dumpfer  laut',  liomma  'dumpf  lauten'  (mehrere  bei- 
spiele  in  dem  handschriftlichen  Wörterbuch  des  alt.  nschw.  von 
F.  A.  Dahlgren),  Uomhörd  'harthörig'.  Noch  ^^'estes  Wörterbuch 
(1807)  verzeichnet  Ijomhörd.  Mit  dieser  entwickelung  eu  >  iö 
vor  m  ist  die  behandlung  des  endvocals  ii  im  jüngeren  asclnv. 
zu  vergleichen.  In  kurzsilbigen  Wörtern  ist  der  alte  endvocal  u 
in  der  regel  erhalten  (gätn  etc.);  vor  m  ist  er  aber  zu  o  ge- 
worden: vinmn  >  vYnom  etc.  (Kock,  Fsv.  Ijudlära  1,  211  ff.). 

Nur  seltener  sind  im  aschw.  beispiele  des  adj.  liömber 
mit  iu  (liumber)  belegt;  nschw.  aber  Ipim.  Ausserdem  hat  das 
aschw.  einmal  liumske  (neben  dem  gewöhnlicheren  liuske), 
nschw.  Ijtimske.  Das  alt.  nschw.  verwendet  adj.  liumsk  'falsch', 
bisweilen  lium,  Inmima  statt  liom(m)  'dumpfer  laut',  liomma 
'dumpf  lauten'  und  auch  Ijumhörd  statt  Ijomhörd.  Aus  dem 
angeführten  geht  hervor,  dass  das  jetzige  nschw.  ausschliess- 
lich ßi  verwendet,  während  das  aschw.  öfter  iö  als  iu  hatte. 
Dies  ist  jedenfalls  so  zu  erklären,  dass  im  jüngeren  aschw. 
und  alt.  nschw.  eine  lautgesetzliche  entwickelung  iö  >  iu 
durchgeführt  wurde,  welche  vielleicht  in  Zusammenhang  mit 
der  Verkürzung  des  ö- lautes  (liöm  >  Hamm)  steht.  Hiermit 
kann  man  vergleichen  sowol  dass  im  ostnord.  ö  bei  Verkürzung 
zu  ü  wurde  (z.  b.  aschw.  Jicegöme  >  hcegiimme  etc.,  Kock,  Arkiv 
4, 176  ff.),  als  auch  dass  im  aschw.  der  diphthong  iu  in  den 
endungen  langsilbiger  Wörter  erhalten  bleibt,  obgleich  der  end- 
vocal u  in  anderen  langsilbigen  Wörtern  in  o  übergeht,  z.  b. 
MrUu,  aber  {gingu  >)  gingo  (Kock,  Arkiv  n.  f.  7,  334  ff.). 

Diese  Wörter  {liömber  etc.)  mit  iö  im  isl.  und  mit  iö  {in) 
im  aschw.  sind  aus  dem  adän.  nicht  belegt. 

In  den  an.  sprachen  dürfte  aber  der  gerni.  dii)hthong  eu 
auch  in  gewissen  anderen  Stellungen  sich  lautgesetzlich  zu  iö 
entwickelt  haben,  obgleich  nur  äusserst  wenige  Wörter  in  be- 
tracht  kommen. 

Das  isl.  hat  iö  in  piö  n.  'the  thigh'  (vgl.  ags.  töoh),  fiöa 
'helfen'  (praes.  tiöar,  Hör;  praet.  tiöa])i,  tiöpi);  ausserdem  findet 
sich  iö  in  aschw,  *liö  'lau',  das  zweimal  im  neutr.  liöt  belegt 


DER  ^-UMLAUT   ETC.    IN    DEN   ALTNORD.   SPRACHEN.         535 

ist,  und  in  ascliw.  lirjc  iau',  einem  äjr.  Xty.,  das  (wenn  kein 
Schreibfehler  vorliegt)  die  bestimmte  form  von  *liö  'lau'  ist. 
Aus  dem  alt.  ndän.  ist  aber  neutr.  Hut  4au'  einmal  belegt. 

Möglicherweise  würde  isl.  tiöa  daraus  erklärt  werden 
können,  dass  iü  im  praes.  tiör,  praet.  tiöj>i  lautgesetzlich  vor 
r,  p  entstand.  Da  das  verb  aber  auch  tioar,  tioapi  flectiert, 
so  ist  diese  annähme  sehr  unsicher,  und  jedenfalls  kann  das 
iö  der  anderen  Wörter  nicht  in  dieser  weise  erklärt  werden. 

Es  ist  vielmehr  wahrscheinlich,  dass  das  eu  in  den  an. 
sprachen  lautgesetzlich  zu  iö  wurde  1)  im  auslaut,  z.  b.  isl,  })i6, 
2)  unmittelbar  vor  vocal  (wenigstens  vor  a;  kaum  vor  ?/),  z.  b. 
isl.  pioa,  aschw.  liöe,  obl.  casus  Hiöa.  Im  adj.  liö  'lau'  ent- 
stand dann  iö  in  mehreren  casus,  z.  b.  nom.  sg.  fem.,  nom. 
acc.  pl.  neutr.  liö,  acc.  sg.  niasc.  liöan,  fem.  liöa  etc.  Das 
alt.  ndän.  lirä  ist  die  lautgesetzliche  form  in  nom.  acc.  sg. 
neutr.,  während  aschw.  liöt  sein  iö  aus  anderen  formen  be- 
kommen hat. 

Mit  der  entw'ickelung  eu  >  iö  vor  vocal  (wenigstens  vor  d) 
darf  zusammengestellt  werden,  dass  ü  vor  vocal  (wenigstens 
vor  a)  im  ostnord.  lautgesetzlich  zu  ö  wurde  (Kock,  IF.  2, 332  ff.). 

Nach  dieser  Veränderung  der  regeln  für  die  behandlung 
des  germ.  diphthongs  eu  brauchen  nur  noch  folgende  Wörter 
besprochen  zu  werden. 

Gemeinnord,  ist  u  in  der  semifortissilbe  zu  ö  gew^orden, 
z.  b.  isl.  füss,  aschAV.  fus,  aber  aschw.  öfös,  isl.  Olföss  (Kock, 
Arkiv  n.  f.  1,  57  ff.;  vgl.  oben  s.  516  anm.  2).  Nach  diesem  laut- 
gesetz  sind  auch  zu  erklären: 

die  im  aschw.  recht  gewöhnlichen  personennamen  auf 
-niöt{e)r,  z.  b.  run.  sikniot  (d.  i.  Sighniot),  ouniot,  aschw.  Gwde- 
niot    Das  aschw.  verb  niüta  hat  dagegen  immer  m; 

aschw.  iosnibiöijher,  aber  z.  b.  hifujhhcdta;  vgl.  h\.hiH<ja\ 

aschw.  öliöwer  (mit  iö  an  den  zwei  stellen  geschrieben, 
w'o  das  wort  sich  findet),  aber  limver,  seltener  liöwer  mit  iö 
aus  öliöwer  übertragen.  Auch  das  adän.  verwendet  liöf  neben 
dem  gewöhnlicheren  Hilf. 

Neben  7nlulr  findet  sich  im  isl.  selten  niiöJcr;  ich  vermute, 
dass  es  iö  aus  dem  compositum  ümiökr  bekommen  hat.  Das 
wort  'dieb'  wird  als  zweites  compositionsglied  einer  menge 


536  KOCK 

zusammensetzung'en  verwendet.  So  verzeichnet  Eydqvist,  Sv. 
spräkets  lagar  6  aus  dem  ascliw.  fislia-,  gor-,  humbla-,  hwinsku-, 
JiirJiiu-,  ncetia-,  run-,  sJcafl-,  vipertaht-Jmitver,  n])imva,  urpinwa; 
vgl.  noch  z.  t).  isl.  hrossaju'öfr,  sanpalriöfr,  rmmnunc/npiöfr.  In 
solchen  compositis  wurde  -Jjiufr  lautgesetzlich  zu  -])iöfr,  und 
aus  ihnen  wurde  das  iö  auf  das  simplex  isl.Jnnfr  übertragen, 
so  dass  ])iöf>-  auch  als  simplex  die  normale  form  ist.  Zur  be- 
festigung  von  J)iüfr  hat  auch  der  umstand  mitgewirkt,  dass 
das  isl.  eine  menge  personennamen  auf  -piöfr:  Valpiufr,  Geir- 
Inöfr,  Hnnliiöfr,  Gunnpiöfr  etc.  verwendet,  welche,  wie  Bugge, 
Arkiv  2, 225  ff.  dargelegt  hat,  Umbildungen  von  ags.  namen  auf 
-l)eoiv  (mit  ]ieo7v  'servant,  slave'  zusammengesetzt)  sind.  Später 
fasste  man  aber  solche  namen  als  mit  Iriöfr  'dieb'  zusammen- 
gesetzt auf. 

Das  aschw.  hat  bisweilen  sJciöter  statt  skirder  'schnell', 
nicht  selten  icemsket  neben  icemslcyt  (adv.)  und  auch  fulsJcet 
neben  fulskyt  (adv.).  ^MmsknUt,  ^fülskiütt  mit  fortis  auf  dem 
ersten  compositionsglied  giengen  lautgesetzlich  in  *icemskwtt, 
*fullskiött  (vgl.  isl.  iafnsJdött,  fullsldött)  etc.  über,  welche  später 
lautgesetzlich  zu  icemskHt,  fullshett  etc.  wurden,  ebenso  wie 
sJciütt,  ^mmsMutt  zu  skptt,  ioemshytt  {sJcyf,  ioßmshyt  geschrieben; 
Kock,  Arkiv  n.f.  7,  324')).  Aus  den  compositis  auf  -skioter  ist 
das   iö  bisweilen   auf  das  simplex  skirder  (skiöfer)  übertragen 


^)  Das  aschw.  adverb  sket  'schuell'  kann  nicht  (wie  Karsten,  Studier 
öfver  de  nord.  spräkens  primära  nomiualbildniug  1, 110  und  Noreen,  Aschw. 
gramra.  §  99  anm.  meinen)  aus  einem  iiltoren  ''skei/tt  entstanden  sein.  Ein 
simplex  *skeytr,  ^akeytr  gibt  es  nämlich  nirgends;  es  lindet  sich  nur  ein 
compositum  isl.  an.  Af  y.  hcinskcytr  '  wer  fähig  ist  das  ziel  mit  dem  schusse 
zu  treffen',  vgl.  auch  isl.  bräpskeyttr  'schnell'.  Dass  das  aschw.  skett  (sket 
geschrieben)  sich  aus  skiött,  skiött  entwickelt  hat,  geht  daraus  hervor,  dass 
0  sich  fast  ausschliesslich  im  neiitr.  bez.  im  adv.  sket  findet  (sonst  skndei; 
skiöter  mit  iü,  io),  d.h.  mir  in  der  form,  wo  ein  langer  consonant  dem  io 
nachfolgte,  und  wo  das  iö  deshalb  zu  /ÖX08  verkürzt  wurde.  Hiermit 
stimmt  vollständig  überein,  dass  das  isl.  als  adverb  skiött '  schnell '  (nie  aber 
*skeytf)  verwendet.  Gleichzeitig  mit  der  entwickelung  skiött  >  skiött^ skett 
(skM  in  dem  s.  g.  Westgötagesetz  TV,  hs.  um  1325)  ist  die  entsprechende  ent- 
wickelung skintt^  skiütt^  ski/t  (skyt  im  Södermaiinagcsetz  cod.  B  um  1335) 
eingetreten.  Aus  dem  sehr  gewöhnlichen  67i-0/^  ist  e  ausnahmsweise  auf  die 
sehr  seltenen  sketare  (compar.  statt  skintare,  skiötarc),  sketast  (superl.  statt 
skintast,  skiutast)  übertragen  worden.  Noreens  bemerkung,  Aschw.  gramm, 
§  99  anm.,  ist  also  ganz  unberechtigt. 


DER  vl-ÜMLAüT    ETC.   TN    DEN    AT.TNORP.    SPRACHEN.         537 

worden.     Das  subst.  d/nt  n.  'pferd.  stnte"  und  <las  verb  sl-iuta 
'scliiessen'  haben  aber  immer  in. 

Asclnv.  liUijlincMvr  wurde  durcli  die  pewidinliclip  enl- 
wickehmg-  (jhn  >  r/«  >  min  zu  lii(n(/nd(Je>\  wol)ei  //<  wenig- 
stens dialektisch  verkürzt  Avnrde:  liüngnelder.  Ebenso  wie 
der  brechnng'sdiphthoniG::  in  vor  n<j  dialektisch  in  io  übergieng 
{siunga  >  sioiKja  etc.),  so  entAvickelte  sich  auch  id  in  liüngn- 
elder vor  ng  dialektisch  zu  iö:  liongnelder.  Hiermit  ist  zu- 
sammenzustellen, dass  das  lelmwort  iunkhcerra  (mm\.  jutilcr) 
dialektisch  zu  ionlxarc,  ionJxcr  wurde;  vgl.  den  dialektischen 
Übergang  simil-a  >  siönJca  etc.  •) 

Statt  der  normalen  aschw.  tiu])er  'tüder'.  tinjrra  'tüdern' 
finden  sich  im  A^^estmannagesetze  das  compositum  tiopcer  stahl 
und  das  verb  twjyra  mit  iö.  Da  dieses  gesetz  mehrere  dialek- 
tischen Züge  enthält,  Avelche  mit  dem  jetzigen  dialekte  in 
Dalarna  übereinstimmen  (Kock,  Fsv.  Ijudl.  2,  519  ff.),  und  da 
germ.  eu  im  dalekarlischen  überall  zu  iö  geworden  ist  (Noreen, 
Aschw.  gramm.  §  82  anm.  1),  so  sind  piöpcer-,  piöpra  im  West- 
mannagesetze eine  dialektische  (dalekarlische)  form. 

Als  eine  westgötländische  dialektform  kann  das  einmal 
im  älteren  Westgötagesetze  belegte  stiornfast  (aus  *stiurn  = 
is\.  stiörn  'rüder'  und /asf er 'fest' zusammengesetzt)  aufgefasst 
werden.  Die  alte  spräche  Westgötlands  steht  nämlich  in 
mehreren  beziehungen  dem  anorw.  sehr  nahe  (Kock,  Fsv.  Ijudl. 
2, 502  ff.),  und  im  anorw.  geht  eu  bekanntlich  vor  r  in  iö 
über  (stiöm).  Möglicherweise  rührt  jedoch  das  iö  in  .stiornfast 
aus  der  accentuierung  {*stiurnfdstcr  >)  stiörnfdster  her. 

Wenn  das  isl.  neben  dem  gewöhnlicheren  iol  auch  itU 
verwendet,  so  vermute  ich,  dass  das  wort,  welches  pl.  tantum 
ist,  etwas  früher  nom.  acc.  iöl,  gen.  iöla,  aber  dat.  iiUnm  f!ec- 
tierte,  d.h.  dass  iil  (in)  vor  dem  n  der  ultima  erhalten  blieb. 
Der  dativ  findet  sich  oft  in  den  ausdrücken  at  iötnm,  i  iolum, 
möt  iölmn.    Hiermit  ist  zusammenzustellen,  dass  (vgl.  Brate, 


1)  In  den  aschw.  lehnwörtern  diost  :  diust,  diosfera  :  diu.'itera  (v^M. 
mnd.  diost,  diosteren,  diusteren),  io  :  in  (vgl.  mud.  jo,  ju),  iudhv  :  indhc 
(vgl.  mhd.  Jude  :  mnd.  jode)  rührt  der  Wechsel  io  :  iu  von  den  fremden  spra- 
chen her,  aus  welchen  sie  entlehnt  worden  sind.  Aschw.  hiook  (d.  i.  hiok), 
&(lü,n.hio(ß  'scherz'  entliält  kein  gern),  f»;  vgl.  >//:  mit  ja  in  nsdnv.  dia- 
lekteu. 


538  KOCK 

Aldre  Vestmannalagens  Ijudlära  s.  41.  Kock  in  Tidskr.  f.  fil.  n.r. 
8, 284  ff.  Noreen,  Aisl.  gr.^  §  90  anm.)  der  brechungsdiplithong  iu 
vor  einem  ti  der  folgenden  silbe  erhalten  bleibt  (z.  b.  finghur, 
fiugurra  trotz  iorl)  etc.  mit  ^o);  vgl.  auch  dass  u  vor  einem 
assimilierten  nasal  bleibt  (und  nicht  zu  o  wird),  wenn  die 
nächste  silbe  u  enthält,  z.  b.  nom.  sg.  f.  *imhir  >  aschw.  uJchir, 
aber  nom.  sg.  m*unkarr  >  aschw.  okkar  (Kock,  Arkiv  n.f.  7, 315 ff.). 
Wenn  diese  erklärung  von  iül :  iöl  die  richtige  ist,  so  ist  eu 
im  isl.  Avenigstens  vor  l  zu  ia  geworden,  wenn  die  folgende 
silbe  ein  u  enthielt.') 

Die  cardinalzahl  isl.  fiorir,  aschw.  fiurir,  agutn.  dat.  fiaurum 
enthält  nicht  den  germ.  diphthong  eu,  sondern  den  brechungs- 
diphthong  eu.  Dieser  hat  aber  bei  der  entwickelung  *fe^urai 
>  *feudreR  >  *feureR  dieselbe  quantität  wie  jener  bekommen 
und  ist  deshalb  in  den  verschiedenen  dialekten  in  derselben 
weise  behandelt  worden  (s.  Kock,  Beitr.  20, 125  ff.  Arkiv  n.  f. 
10,  252  ff.;  betreffs  ^  in  *fedfurai  vgl.  Noreen,  Svenska  etymolo- 
gier  s.  39  ff.).  Da  sich  fiöri  (neben  fiüre)  im  Dalagesetze  und 
im  Westmannagesetze  findet,  so  ist  fiöri  ebenso  wie  tiöpmr-, 
tiöpra  im  Westmannagesetze  zu  erklären. 

Im  agutn.  ist  wie  bekannt  der  germ.  diphthong  eu  immer 
zu  iau  geworden,   z.  b.  hiatf])a  (isl.  hiöpa),  drimigr  (isl.  drhigr). 

Ich  gehe  zur  behandlung  der  diphthonge  eu,  io  (iu)  über, 
wenn  sie  durch  das  zusammenstossen  des  wurzelvocals  mit  dem 
endvocal  entstanden  sind.  Wir  werden  sehen,  dass  der  Wechsel 
iü  :  iö  der  an.  literatursprachen  (besonders  des  aschw.)  einen 
vorgeschichtlichen  Wechsel  u  :  o,  ö  in  den  endungen 
reflectiert. 

Noch  in  der  jüngst  erschienenen  Aschw.  gramm.  §  122,  1 
findet  Noreen  es  auffallend,  dass  agutn. /»ry/  ('drei'  nom.  acc.  neutr.) 
trotz  isl.  priü  verwendet,  obgleich  isl.  iü  {äriügr  etc.)  sonst  dem 
agutn.  iau  (driaugr  etc.)  entspricht:  'auffallender  weise  steht 
ntr.  ])ry  'drei',  das  also  vielleicht  nicht  genau  dem  aisl.  priü 
entspricht'. 

Meiner  ansieht  nach  entspricht  dagegen  agutn.  aschw.  pry 


*)  In  Übereinstimmung  hiermit  fasse  ich  auch  den  von  Noreen,  Aisl. 
gramm.'*  §  55  anm.  3  nicht  erklärten  Wechsel  isl.  föa  :  orknüisch  ßa  auf: 
mau  hat  früher  nom.  *fuha  >■  föa,  aber  gen.  '^fuha  >•  füu  flectieit. 


DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN.    539 

vollständig  dem  it^l.Jin'n  trotz  Rguin.  drimigr  =^  is\.  (Irii'iijr  etc. 
Der  Widerspruch  ist  nur  scheinbar  und  erklärt  sich  daraus, 
dass  agutn.  driamir.  isl.  drimir  den  g-erni.  di{)litlionf^  cu  ent- 
hält, während  isl.  Jyrin,  agutn.  aschw.  pnj  dem  gut.  Itrija  ent- 
spricht. 

Wie  bekannt  wird  das  'umspringen  des  accents'  bei  dem 
zusammenstossen  eines  palatalen  wurzelvocals  und  eines  guttu- 
ralen endvocals  in  weit  grösserer  ausdehnung  im  westnord. 
als  im  ostnord.  durchgeführt.  Wenn  das  umspringen  des 
accents  auch  im  ostnord.  eingetreten  ist,  so  muss  es  als  eine 
relativ  alte  (gemeinnord.)  entwickelung  aufgefasst  werden, 
z.  b.  urnord.  *seTnm  >  *se(;w)un  >  aschw.  siü,  isl.  aschw.  hwii, 
\s\.])riü  (nom.  acc.  neutr.)  aschw.  *])rm  >  ßrf/. 

Wenn  das  umspringen  des  accents  aber  nur  im  westnord. 
und  in  gewissen  gegenden  des  ostnord.  Sprachgebietes  durch- 
geführt worden  ist  (vgl.  Kock,  Arkiv  n.  f.  1,382  ff.),  so  ist  diese 
entwickelung  in  späterer  (einzelsprachlicher)  zeit  eingetreten, 
z.  b.  isl.  treoni  >  triöm.  Ueber  die  bedingung  für  das  um- 
springen des  accents  s.  Kock,  Arkiv  n.f.  10,  213  ff. 

Die  Wörter  welche  uns  hier  eigentlich  interessieren,  sind 
solche,  wo  das  umspringen  des  accents  sich  sowol  im  ostnord. 
■wie  im  westnord.  vollzogen  hat. 

Für  sie  gilt  folgende  regel:  'wenn  in  vorgeschichtlicher 
zeit  ein  palataler  vocal  (e,  f)  mit  dem  endvocal  ti  bez.  ö,  o 
zusammenstiess,  und  wenn  ein  umspringen  des  accents  dabei 
eintrat,  so  haben  die  an.  literatursprachen  den  diphthong  ia 
(oder  einen  daraus  entwickelten  laut)  bez.  iö.'  Der  vorgeschicht- 
liche endvocal  u  wird  also  durch  ein  in  der  literatursprache, 
der  vorgeschichtliche  endvocal  ö,  o  durch  ein  io  der  literatur- 
sprache reflectiert.  Aus  leicht  ersichtlichen  gründen  sind  die 
beispiele  sehr  selten. 

Der  nom.  sg.  der  fem.  ö-stämme  und  der  nom.  acc.  i)l.  der 
neutr.  «-stamme  haben  einmal  die  endung  -ö  gehabt,  welche 
aber  in  sehr  früher  urnord.  zeit  in  -u  übergegangen  ist,  z.  b. 
nom.  sg.  fem.  Huhu,  minu  (Opedal,  um  4()(i  nach  Bugge,  Arkiv 
n.f.  4,  82),  nom.  acc.  pl.  neutr.*(jlaöu  (>  ial glg])).  Folglich  hiess 
der  nom.  acc.  pl.  neutr.  von  'drei'  um  400  *]in'u.  Dies  wurde 
nach  dem  umspringen  des  accentes  zu  isl.  priK,  und  daraus 
entwickelte  sich  schon   im  älteren   aschw.  J»ij  zufolge   der 


540  KOCK 

von  mir  Arkiv  n.f.  2, 42  ff.  dargestellten  regel  'm  >  y  nach  con- 
sonant  +  r\  Agutn.7»i7  lehrt,  dass  die  regel  auch  für  das  agutn. 
gegolten  hat,  wenn  der  di])hthong  in  durch  das  zusammenstossen 
des  wurzeh-ocals  /  mit  dem  endvocal  u  entstanden  ist. 

Urnord.  *sedim  (vgl.  got.  sibun)  wurde  durch  die  entwicke- 
lung  tt  >  w  zu  *se(w)un  (vgl.  Noreen,  Arkiv  1, 163),  das  in  aschw. 
siü  übergieng.  Die  entsprechende  Ordinalzahl  ist  aschw.  sitmcle; 
auch  im  isl.  findet  sich  bisweilen  siündi  (belege  bei  Fritzner  ■^). 
Beitr.  15, 252  habe  ich  isl.  siaii  besprochen.  Durch  anschluss 
an  *ahtau  (got.  ahtan)  bekam  *seun  die  nebenform  *seau,  welche 
aber  den  diphthong  au  erhielt,  weil  fortis  (ebenso  wie  in  *seun 
>  sin)  auf  den  zweiten  vocal  (sedti)  versetzt  worden  war. 
Agutn.  stau  ist  in  derselben  weise  zu  erklären,  i) 

Wenn  isl.  hiü,  augu,  eyru,  wie  Noreen,  Pauls  Grundr.  V-, 
§  195,  7  annimmt,  urspr.  die  endung  -\m  (vgl.  ahd.  pl.  herzun) 
haben,  so  ist  isl.  hiü  aus  einem  älteren  *hiwun  mit  u  in  der 
ultima  entstanden.  Die  Voraussetzung  ist  aber  sehr  unsicher 
(s.Kock,  Beitr.  15,2461). 

Dagegen  findet  sich  iö  im  isl.  aschw.  pl.  Mön.  Das  got. 
verwendet  -öna  im  nom.  acc.  pl.  augUna  etc.,  und  dass  dies 
-ön-  den  ö-laut  noch  zu  der  zeit  unverändert  erhielt,  wo  -ö  in 
nom.  sg.  fem.  und  nom.  acc.  pl.  zu  -u  {liubu  auf  dem  norwegi- 
schen Opedalstein)  wurde,  ergibt  sich  aus  Igiuon,  gen.  sg. 
eines  fem.  jj- Stammes,  auf  dem  norwegischen  Stenstadstein. 
Der  nom.  acc.  pl.  Vmvön  wurde  zu  *hwn,  und  aus  diesem  ent- 
stand durch  umspringen  des  accentes  isl.  aschw.  liiöu. 

Wahrscheinlich  hatte  isl.  hiü  (und  auch  augu,  eyru)  die- 
selbe endung  wie  got.  augöna,  aschw.  eghon,  aschw.  isl.  hiön 
etc.  (Kock  a.  a.  o.).  Der  Wechsel  isl.  hiü  :  isl.  aschw.  hiön  ist 
in  diesem  falle  folgend ermassen  zu  erklären.  Im  pl.  Vilwön 
(>  Vtiön  >  hiön)  gieng  das  tv  vor  o  zwar  lautgesetzlich  ver- 


')  Die  im  isl.  iinsnahrasweise  verwendeten  siü  'sieben',  siöndi 'siebente^ 
erkläre  ich  folgcudermassen.  Ebenso  wie  gen.  sg.  *sun(n(R  zu  *si(hör  (später 
sonar)  wurde,  so  gieng  der  diphthong  au  in  *seau  mit  fortis  auf  e  in  irgend 
einer  gegend  in  ö  (*seö)  über,  ehe  fortis  auf  den  zweiten  vocal  versetzt 
wurde.  Erst  später  wurde  *seö  zu  siö.  Möglicherweise  könnten  jedoch  siö, 
siöndi  auch  so  erklärt  werden,  dass  der  diphthong  iü  in  sin,  siündi  dialek- 
tisch im  auslaut  und  vor  dental  in  iö  übergieng;  vgl.  dass  der  germ. 
diphthong  eu  in  diesen  Stellungen  zu  io  {piö,  siön  etc.)  wurde. 


DER  ^-UMLAUT    ETC.   IN   DEN    ALTNOllD.   SPRACHEN.         541 

loren,  aber  durch  beeinflussiing-  vom  sg-.  *Mna  mit  (Mlialtenem  w 
blieb  der  ?r-laut  im  pl.  *hiu'ön  vorläufig  facultativ  erhalten. 
In  Viiicön  ruhte  fortis  natürlich  fortwährend  auf  der  paen- 
ultima,  und  die  endung-  -un  wurde  deshalb  in  gewöhnlicher 
weise  {vgl.  *m(gön  >  isl.  augti)  zu  -u  entwickelt  {*lnwu).  In 
relativ  später  zeit  gieng  aber  jetzt  w  vor  u  in  *hl{ir)u  ver- 
loren, und  hin  wurde  nachhei-  durch  das  umspringen  des 
accents  zu  isl.  kuiJ)  Dass  die  an.  sprachen  während  einer 
Periode,  die  nur  kurz  vor  der  literarischen  zeit  lag-,  den  end- 
vocal  u  (nicht  o)  verwendeten,  geht  aus  den  in  ags.  Urkunden 
vorkommenden  an.  namen  (Sievers,  Beitr.  12, 482  ff.)  und  aus  der 
(aschw.)  vocalbalance  (Kock,  Fsv.  Ijudlära  2,  340  ff.)  hervor. 

Das  isl.  kii'm  ist  eine  contaminationsform  aus  h/6n  und  hii(. 

Ich  füge  eine  bemerkung  über  die  isl.  w'örter  hinzu,  wo 
das  umspringen  des  accents  relativ  spät  durchgeführt  worden 
ist  (bez.  hat  durchgeführt  werden  können),  also  über  Wörter, 
die  im  ostnord.  in  der  regel  fortis  auf  dem  ersten  vocal  haben. 

Im  isl.  finden  sich  1.  pl.  siom  (und  skim)  zu  sid  (vgl.  aschw^ 
sea,  nscliw.  se),  1.  pl.  liöni  (und  licim;  vgl.  Wimmer,  Fnord.  form- 
lära  s.  142)  zu  lid  (vgl.  aschw.  lea),  dat.  pl.  triöm  (und  triam)  zu 
tre  (vgl.  aschw.  trtB,  gen.  pl.  trea),  dat.  pl.  kniom  (und  Imidm) 
zu  hi6  (aschw.  hice),  obl.  casus  vil)sw  zu  vipsid  (vgl.  das  aschw. 
verb  äsea,  aber  auch  das  dial.  äsiö,  obl.  casus  eines  fem.  w-stam- 
mes,  Kock,  Arkiv  n.  f.  1,383).  AMe  bekannt  verwenden  die  äl- 
testen isl.  hss.  den  endvocal  o  (nicht  u).  Das  umspringen  des 
accents  kann  in  diesen  w^örtern  (*seom  >  siöm  etc.)  sehr  wol 
so  spät  vor  sich  gegangen  sein,  dass  der  o-laut  in  siöm  etc. 
eine  unmittelbare  fortsetzung  des  endvocals  o  in  der  ältesten 
isl.  literatursprache  ist.  Wenn  der  nom.  acc.  pl.  von  tre,  hie 
bisweilen  triö,  kniö  heisst,  so  ist  iö  natürlich  aus  dat.  pl.  triöm, 
hiiöm  entlehnt  worden,  und  man  darf  nicht  mit  Noreen,  Aisl. 
gramm.2  §  298  anni.  2  alternativ  daran  denken,  dass  das  o  in 
triö,  kniö  das  vorgeschichtliche  u  des  nom.  acc,  pl.  (*barnu  > 
h{>rn)  vertrete.  Dies  vorgeschichtliche  -u  findet  sich  nämlich 
im  literarischen  isl.  als  ü  (priu),  nicht  als  ö,  wider.    Inigekcdirt 

*)  Es  ist  zweifelhaft,  ob  die  von  Noreen,  Svenska  etyinologior  s.  Ib  f. 
vorgeschlagene  etymologie  vom  nschw.  fjun  'äaum'  richtig  ist.  Wenn  es 
aus  pl.  *fmnn  entstanden  ist,  so  ist  der  ?<-lant  in  derselben  weise  wie  in 
isl.  hiü  aufzufassen. 


542  KocK 

ist  id  analogisch  in  dat.  pl.  triam,  hiidm  (aus  gen.  pl.  trld, 
hnid,  Noreen  a.a.O.)  und  in  l.pl.  sidm,  lidm  (aus  3.pl.  und  inf. 
sid,  lid)  eingedrungen;  vgl.  dat.  pl.  Mkim  (zu  Jd(^,  lidm  (zu  U\ 
fidm  (zu  fe)  mit  analogiscliem  iä  aus  nom.  pl.  !didr,  lidr  etc., 
gen.  1)1.  fid  etc. 

Es  dürfte  in  diesem  Zusammenhang  angemessen  sein,  auch 
den  diphthong  iö  der  praett.  iös,  iöh,  liliöp  (zu  ausa,  aiika,  Maupa) 
zu  besprechen.  Das  praet,  pl.  dieser  verben  heisst  bekanntlich 
iösu,  iusti;  iöJiU,  ndm;  hliopn,  hlupu\  praet.  conj.  ysa,  esa;  yla, 
0ka\  hlypa,  lüepa  mit  kurzem  wurzelvocal  (vgl.  Wimmer,  Forn- 
nord.  formlära  §  132). 

Ljungstedt,  Anmärkningar  tili  det  starka  preteritum  i  germ. 
spräk  s.  128  ff.  Brugmann,  IF.  6,  89  ff.  und  Noreen  in  Pauls 
Grundr,  1 2,  §  240  sind  der  ansieht,  dass  iös  etc.  einen  aus  indog. 
eu  entwickelten  germ.  diphthong  eii  enthalte.  Nach  Hoffory, 
KZ.  27, 597  ist  dagegen  iös  aus  "^mus  in  der  weise  entstanden, 
dass  *t'm(5  mit  fortis  auf  e  sich  zu  ^eös  mit  langem  ö  ent- 
wickelte (vgl.  gen.  sg.  "^sunauR  >  "^sunöa),  wonach  *eUs  durch 
das  umspringen  des  accents  zu  iös  wurde,  iök  hat  sich  nach 
ihm  in  derselben  weise  wie  iös  entwickelt,  und  aus  iök,  iös 
wurde  iö  auf  hliö})  übertragen. 

Die  praett.  iös,  iöh,  hliöp  können  gewis  nicht  ein  indog. 
eu,  germ.  eu  enthalten,  denn  germ.  eu  gibt  vor  /.-,  p  isl.  iü 
(nicht  iö\  vgl.  siühr,  drinpa  etc.).  Hierzu  kommt  aber  noch 
ein  anderer  umstand  von  nicht  geringerer  Wichtigkeit.  Der 
«■-Umlaut  des  germ.  eu  wird  im  isl.  von  langem  y  (vgl.  lysa  : 
liös  etc.)  vertreten;  das  praet.  conj.  hätte  also  ^ysa,  *yka,  *hlypa 
heissen  müssen,  heisst  tatsächlich  aber  ysa,0sa  etc.  mit  kurzem 
wurzelvocal. 

Die  von  Hoffory  vertretene  auffassung  befriedigt  besser, 
aber  auch  sie  kann  nicht  richtig  sein,  denn  falls  *m«.s  zu  *t'ös 
mit  langem  0  geworden  wäre,  so  hätte  das  praet.  conj.  '''ösa 
mit  langem,  nicht  esa  mit  kurzem  0  heissen  müssen. 

Ich  fasse  die  sache  folgendermassen  auf. 

Tydning  af  gamla  svenska  ord  (1881)  s.  1  ff.  Svensk  akcent 
2,329  f.  habe  ich  gelegenheit  gehabt  darzutun,  dass  der  diphthong 
au  der  semifortissilbe  gemeinnord.  in  kurzes  0  übergieng,  z.  b. 
hrüJiJdaup  >  hrupiop,  ivindauga  >  aschw.  vindogha.  Das  praet. 


DEE  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNOUD.  SPRACHEN.    543 

von  (üda  lieisst  got.  amul-  uiul  inuss  uniord.  aucli  ''^raiil,-,  ])!. 
*eauJiun  mit  fortis  auf  der  ersten,  semifortis  auf  der  zweiten 
Silbe,  also  mit  der  accentuierung-  eines  compnsitums.  p-elieissen 
haben.  Dies  entwickelte  sich  nach  der  soeljcn  erwähnten  ivgel 
zu  *eoJi;  pl.  *eoku  mit  kurzem  o.  Schon  ehe  der  diphthong 
CO  durch  das  umsprinjjen  des  accents  zu  üi  mit  lang-em  o  ge- 
worden,  wurde  das  praet.  conj.  '''eoklö  {^'eolcia)  zu  ""iolca  >  uka 
mit  kurzem  0.  S})äter  giengen  *eoÄ-,  ^eoku  bei  dem  umspringen 
des  accents  in  iok,  iöku  mit  langem  0  über;  vgl.  Heu^an  > 
liüga  etc. 

Nach  den  zahlreichen  mustern  des  praet.  sg.  straiik  :  pl. 
sfrul-n,  hnint  :  hritiu  etc.  wurde  zu  praet.  sg.  *eanJi  der  pl, 
*cHku  neugebildet,  welcher  durch  den  einliuss  der  erwähnten 
pluralformen  strulm,  hnitu  etc.,  bei  dem  umspringen  des  accents 
den  ?<-laut  kurz  erhielt:  isl.  inhu.  Vom  praet.  pl.  *eiiJii(,  iuhi 
wui'de  ganz  regelmässig  praet.  conj.  *etikiö,  yka  mit  kurzem 
wurzelvocal  gebildet ;  vgl.  praet,  pl,  struku  :  pi'aet.  conj.  stryka  etc. 

Praet.  sg.  lös,  pl.  iusu,  praet.  conj.  esa,  ysa  sind  in  derselben 
weise  zu  erklären.  Praet.  liliöp  ( :  Jilanpa)  ist  eine  neuschöpf ung 
nach  iok  (:  aitka),  iös  (:  ausa). 

Dagegen  finden  sich  im  ostnord.  praet.-formen  von  Idaupa 
(lepa),  welche  lautgesetzlich  entwickelt  worden  sind,  nämlich 
aschw.  löp,  Up.^)  Urnord.  ""livldaup  wurde  lautgesetzlich  zu 
*hehlöp  ebenso  wie  *cauk  zu  '""eök.  Nachdem  fortis  auf  die 
Wurzelsilbe  versetzt  worden  war  i^hehUp).  gieng  die  redupli- 
cationssilbe  lautgesetzlich  verloren:  '""hlop,  aschw.  lop.  hp 
(=  isl.  *hlaup,  ngutn.  lanj))  ist  aber  die  lautgesetzliche  ent- 
wickelung  aus  urnord.  *ltehlanp  mit  fortis  auf  der  ultima.  Zu 
dem  sg.  ""hlaup  wurde  der  pl.  isl.  hlupu  nach  dem  muster  sg. 
Strunk  :  pl.  struku  etc.  neu  geschaffen.  ; 

Kesultat. 

Die  regeln  für  die  behandlung  des  germ.  diphthongs  eu 
in  den  an.  sprachen  sind  folgendermassen  zu  formulieren. 

Im  isl.  ^^ird  eu  zu  io  vor  m  sowie  vor  dentalen,  supra- 
dentalen und  intei'dentalen  (wenn  u  in  der  nächst t^n  silbe-  nach- 
folgt, wird  eu  zu  iü  wenigstens  vor  /),  ausserdem  wahrscheinlich 


')  Noreen,  Pauls  Gnuidr.  1-  §  240  fasst  Jop  wie  ich  auf,  findet  aber  lup 
'uuklar". 


544  KOCK 

im  auslaut  und  unmittelbar  vor  vocal  (wenigstens  a;  kaum 
vor  w);  sonst  geht  eu  in  iu  über. 

Im  aschw.  (wenigstens  in  den  meisten  dialekten)  entwickelt 
sich  eu  zu  lö  vor  m  sowie  wahrscheinlich  auch  im  auslaut  und 
vor  vocal  (wenigstens  a;  kaum  vor  k);  sonst  mrd  es  zu  in. 

Durch  palatalumlaut  wird  cn  zu  y. 

Unabhängig  von  den  obigen  regeln  ist  ein  in  der  semi- 
fortissilbe  sowol  im  isl.  wie  im  aschw.  zu  iö  geworden. 

Die  vorgeschichtlichen  endvocale  u,  o  werden  in  den  an. 
literatursprachen  bez.  von  dem  diphthong  iu  (z.  b.  '""sedun  > 
aschw.  siü,  *])riu  >  isl.  priü,  aschw.  agutn.  pry)  und  von  dem 
diphthong  iö  (z.  b.  *hi{tv)ön  >  isl.  aschw.  hiön)  reflectiert. 

Die  praett.  des  typus  iök  sind  aus  *cauk  durch  die  laut- 
entwickelung  au  >  ö  in  der  semifortissilbe  entstanden. 

in.  Zur  frage  nach  dem  «umlaut  von  i  in  den 
altnord.  sprachen. 

Die  ansichten  über  den  a-umlant  von  i  in  den  germ. 
sprachen  gehen  weit  auseinander,  obgleich  nach  dem  aufsatz 
Pauls,  Beitr.  6, 82  ff.,  nunmehr  alle  darin  einig  sind,  dass  es 
einen  solchen  umlaut  gibt. 

Nach  Noreen,  Urgerm.  lautl.  s.  20  und  Streitberg,  Urgerm. 
gramm.  §  68  ist  i  urgerm.  vor  ä,  u,  cB  zu  e  geworden,  wenn 
es  nicht  durch  l  oder  nasal  +  consonanten  davon  getrennt  war. 
Brugmann,  Grundr.  1 2,  99  äussert  sich  vorsichtiger;  doch  ist 
auch  er  geneigt,  diese  ansieht  zu  acceptieren.  \g\.  auch  Ost- 
hoff, Beitr.  13, 417f.  In  der  jüngst  erschienenen  Laut-  und 
formenlehre  der  altgerm.  dialekte,  hg.  von  Dieter,  ist  Bethge 
der  meinung,  dass  der  «-umlaut  von  i  (ebenso  wie  der  von  w) 
in  allen  Stellungen  diu'chgeführt,  dass  er  aber  einzelsprachlich 
und  nicht  im  got.  eingetreten  sei.  Nach  Kluge  in  Pauls  Grundr. 
12,  410  f.  ist  der  wandel  von  indog.  T  zu  germ.  c  sehr  selten 
und  die  genaue  regel  für  das  urgerm.  noch  nicht  gefunden. 
Braune,  Ahd.  gramm.^  §  31  anm.  1  scheint  auch  etwa  dieser 
ansieht  zu  huldigen. 

Die  eigentliche  Ursache  dafür,  dass  mehrere  forscher  die- 
selbe regel  für  den  «-umlaut  von  i  wie  für  den  von  u  auf- 
gestellt haben,  ist  wol  die,  dass  man  meint,  der  «-umlaut  müsse 
notwendig  in  derselben  ausdehnung  auf  /  und  u  wirken,  obgleich 


DER  ^-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNORD.    SPRACHEN.         545 

man  aus  gewissen  germ.  dialekten  (besonders  dem  ags.),  wo  der 
a- Umlaut  von  u  reichlich  vertreten  ist,  nur  äusserst  wenige 
beispiele  für  a-umlaut  von  i  hat  anführen  können. 

A  priori  darf  man  jedoch  gar  nicht  als  ausgemacht  an- 
nehmen, dass  der  «-unilaut  in  derselben  ausdehnung  auf  i  und 
auf  u  habe  wirken  müssen.  Ich  erinnere  z.  b.  daran,  dass  im 
isl.  die  regel  für  den  ?/-umlaut  von  a  und  diejenige  für  den 
«<-umlaut  von  /  ganz  verschieden  sind.  Der  jüngere  «-unilaut 
ist  nämlich  bei  a  ohne  beschränkung  durchgeführt  worden, 
z.  b.  tahou  >  tolum  etc.,  bei  dem  /-laut  aber  nur,  wenn  ein 
labialer  consonant  dem  i  vorhergeht,  z.  b.  sivistur  >  s{iv)ystur 
etc.,  aber  dagegen  rifum  (nicht  *ryfum)  etc.  Im  aschw.  werden 
die  endA-ocale  u,  i  zwar  wesentlich,  aber  doch  nicht  ganz 
nach  denselben  regeln  behandelt;  so  bleibt  z.  b.  in  der  aschw. 
reichssprache  das  i  in  der  geschlossenen  silbe  langsilbiger 
Wörter  erhalten,  z.  b.  part.  hnndin  (nicht  bimden),  während  das 
M  in  dieser  Stellung  in  o  übergeht,  z.  b.  hundun  >  lundon. 

Unter  diesen  umständen  ist  der  verdacht  vollberechtigt, 
dass  der  a-umlaut  von  i  nicht  in  derselben  ausdehnung  wie 
der  a-umlaut  von  «  durchgeführt  worden  ist,  oder  dass  wenig- 
stens z.  t.  andere  tendenzen  sich  bei  dem  umlaut  von  i  geltend 
gemacht  haben. 

Ich  will  zu  erörtern  versuchen,  nach  welchen  regeln  (oder 
tendenzen)  der  a-umlaut  von  i  in  den  an.  sprachen  ein- 
getreten ist. 

Es  findet  sich  i  z.  b.  in  isl.  aschw.  skij)  (ahd.  aber  skef 
neben  sJcif),  sJcin  n.  (vgl.  sJcina),  aschw.  *skina  in  dem  compo- 
situm skinuhen  (vgl.  ahd.  skena  neben  skina  'Schienbein'),  isl. 
gil  n.  'kluft'  (vgl.  geil  f.  'kluft'),  gin  n.  (vgl.  gina);  zu  beachten 
sind  auch  isl.  aschw.  skipa,  isl.  skim  n.  'Schimmer'.  Ueberhaupt 
ist  aus  den  an.  sprachen  der  a-umlaut  von  i  in  keinem  worte 
mit  k,  g  vor  dem  wurzelvocal  constatiert  worden.  Ich  ziehe 
hieraus  die  Schlussfolgerung,  dass  der  a-umlaut  von  i  in  dieser 
Stellung  lautgesetzlich  nicht  durchgeführt  worden  ist,  oder 
wenig.stens  dass  bei  freier  wähl  zwischen  /  und  umgelau- 
tetem  e  dieser  laut  in  jener  Stellung  begünstigt  wurde.  Der 
lautphysiologische  grund  dafüi'  ist  selbstverständlich. 

Folgendes  ist  von  gi-össerer  Wichtigkeit. 

Wie  oben  s.  528  hervorgehoben  worden  ist,  findet  sich  in 

Beiträge  zur  gencliichte  dur  deulsclieu  Bjjruclje.     XXIII.  35 


546  KOCK 

gewissen  aschw.  Schriften  ein  regelmässiger  Wechsel  o  :  u  in. 
der  Wurzelsilbe  kurzsilbiger  Wörter  (kona  :  kiinu  etc.),  aber 
nicht  in  der  langsilbiger  Wörter.  In  mehreren  modernen  nor- 
dischen dialekten  findet  eine  sog.  'tilljämning'  (angleichung)  in 
kurzsilbigen  (nicht  aber  in  langsilbigen)  Wörtern  statt. 
Unter  'tilljämning'  versteht  man  in  diesem  falle,  dass  die 
Qualität  des  wurzelvocals  sich  derjenigen  des  endvocals  nähert, 
bez.  dass  jene  dieser  gleichgemacht  wird.  So  sind  in  einigen 
dialekten  z.  b.  isl.  anorw.  lifa  zu  Idfa,  isl.  anorw,  Icsa  zu  läsa 
geworden.  In  gewissen  nnorw.  dialekten  ist  ein  /-laut  kurz- 
silbiger  Wörter  vor  a  in  ce  übergegangen,  z.  b,  isl.  anorw.  vTta 
>  nnorw.  vwta  (A.  B.  Larsen,  Oversigt  over  de  norske  bj^gde- 
raäl  s.  41). 

Ich  stelle  folgende  regel  auf:  'in  den  an.  sprachen  ist  der 
a-umlaut  von  i  nur  in  kurzen  (nicht  aber  in  langen)  silben 
mit  fortis  eingetreten'.  Alternativ  ist  möglicherweise  die  regel 
folgendermassen  zu  formulieren:  bei  freier  wähl  zwischen  i 
und  einem  durch  a-umlaut  entwickelten  e  (welche  laute  laut- 
gesetzlich in  verschiedenen  formen  wechselten)  wurde  das  um- 
gelautete  e  fast  nur  in  kurzsilbigen  Wörtern  gewählt.  Ich  sehe 
jedoch  kein  hindernis  dafür,  der  regel  die  erste  formulierung 
zugeben.  Ob  der  a-umlaut  von  /  auch  in  einer  langen  silbe 
mit  semifortis  eintrat,  hängt  von  der  beurteilung  des  wortes 
lerept  ab  (s.  unten  s.  550  f.). 

Es  findet  sich  kein  a-umlaut  z.  b.  in  den  langsilbigen  isl. 
&sc\i\\.  fisk{e)r  (a-stamni;  ygl.  l&t  piscis),  nschw.  r/s^  (a-stamm; 
vgl.  lat.  virga),  isl.  adj.  bitr,  aschw.  hiter,  acc.  hitran  (vgl.  hitd), 
isl.  vitr,  aschw.  viter,  acc.  vitran  (vgl.  vita  :  veit),  isl.  vitra  'ver- 
stand', isl.  aschw.  vissa  f.  'gewisse  kenntnis',  isl.  vissa  (praet.  zu 
vita;  vgl.  ahd.  fränk.  wessa,  westa  neben  oberd.  wissa,  ivista  nach 
Braune,  Ahd.  gramm.^  §  31  anm.  2),  adj.  isl.  f%r,  aschw.  digher, 
acc.  dig{h)ran  (vgl.  deigr). 

Während  das  kurzsilbige  isl.  he]>an,  aschw.  luepan  um- 
gelautet ist,  ist  der  umlaut  in  dem  langsilbigen  liipni  'hier' 
(vgl.  got.  hidre),  im  ältesten ')  isl.  nicht  durchgeführt;  erst  später 
findet  sich  hejrra  mit  e,  das  aus  he2)an  übertragen  ist. 


•)  Ueber  hipra  (nicht  hepru)  im  ältesten  isländischen  s.  Sievers,  Beitr. 
lü,  241. 


DER  ^-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    AliTNORD.    SPRACHEN.  547 

Die  kurzsilbigen  i»\.nej)an,  a^'Chw.ncrJymi,  \ii\.nrjKin;  ncpari, 
neparla,  neparliga,  pl.  taiitimi  ucJhü-  'abnelnnender  niond'  (neben 
nipar\  ascliw.  ncej)ar  (neben  nipar)  haben  umlaut;  nicht  aber 
die  langsilbigen  isl.  aschw.  ni]>ra  (praet.  -a})-),  isl.  mj>ran  f. 
Das  i.sl.  verwendet  nipri  und  nejm,  das  asclnv.  nipre  und  ncepro-^ 
der  umgelautete  vocal  ist  aus  nepan  etc.  übertragen  worden. 
Umgekehrt  liat  isl.  aschw.  nipar  'abnehmender  mond'  (neben 
nepar,  napar)  i  von  nip  n.  mit  derselben  bedeutung,  nipri  etc. 
bekommen.  —  Doch  können  nipri  etc.  mit  ?  in  der  Wurzelsilbe 
auch  aus  vorgeschichtlichen  formen  mit  /  in  der  paenultima 
*mdira  etc.  (vgl.  ahd.  nidiri  neben  nidari)  entstanden  sein. 

Das  aschw.  hat  umlaut  in  dem  kurzsilbigen  lce2n,  obl.  casus 
Icepa  'lippe',  nicht  aber  in  den  langsilbigen  lip2)e  m.,  obl.  casus 
lip2m;  lippa  1  'lippe'. 

Zu  beachten  ist  noch  das  nschw.  kurzsilbige  häpen  'ver- 
dutzt' im  gegensatz  zu  dem  dialektischen  langsilbigen  hippcn. 

In  seiner  Urgerm.  lautl.  s.  20  ff.  und  Aschw.  gramm.  s.  151  f. 
hat  Noreen  in  verdienstlicher  weise  Wörter  mit  a-umlaut  von  i, 
besonders  aus  den  nord.  sprachen,  gesammelt.  Mehrere  der 
nord.  beispiele  sind  jedoch  äusserst  zweifelhaft;  andere  gehören 
ohne  zweifei  nicht  hierher.  Ich  werde  die  von  ihm  aus  den 
nord.  sprachen  angeführten  beispiele  prüfen  und  noch  andere 
hinzufügen. 

Folgende  kurzsilbigen  Wörter  haben  umlaut,  oder  wenig- 
stens findet  sich  in  ihnen  wahrscheinlich  a-umlaut:  isl.  veya 
(vgl.  vuj),  isl.  lurap,  aschw.  hcemp  <  Vuiva-  (vgl.  got.  heitva-, 
Brate,  Arkiv  n.f.  5, 130  ff.),  isl.  verr  'mann',  alt.  nschw.  verhrodcr 
'bruder  des  ehemannes',  versyster  '  Schwester  des  ehemannes' 
(vgl.  lat.  vir),  isl.  lieyri  (<  Vic^ara).  hcri  (<  Viehara,  vgl.  ahd. 
heliara,  Sigii.hi^ora,  gr.xiooa,  Osthoff,  Beitr.  13,  416  ff.),  isl.  slcpi, 
aschw.  slcepi :  isl.  aschw.  sUpi  (urspr,  nom.  sliöi :  obl.  casus  sleöa), 
isl.  stegi  :  isl.  aschw.  stig(h}i,  isl.  seli  :  isl.  aschw.  sili,  aschw. 
pivcena  (vgl.  nisl.  nschw.  tvlna),  nschw.  näjien  (vgl.  nisl.  tiipr 
'nett',  nnorw.  nipper  'nett'),  isl.  glepa  'weih'  (vgl.  ags.  (jlida, 
Hellquist.  Etymologische  bemerkungen  s.iiii)).  Hierher  können 
auch  gehören  die   kurzsilbigen   ndän.  flcehe  (vgl.  nnorw.  flij^a 


»)  Das  aschw.  ylupa  mit  derselbeu  bedeutuut'  bleibt  jedoch  dunkel; 
die  vou  Hellquist  vorgeschlagene  erklärung  befriedigt  meiner  uuiuuiii,' 
nach  nicht. 

35* 


548  KOCK 

•weinen'),  adän.  trcefficen,  aschw.  o/»-öBe<?m  (otrwtvin;  vgl.  aschw. 
prnvm),  isl.  gen.  Hallfrepar  etc.  (vgl.  Bugge,  Arkiv  2,251;  s. 
jedoch  auch  unten  s.551). 

Auch  in  folgenden  von  Xoreen  nicht  erwähnten  Wörtern 
dürfte  a-umlaut  vorliegen:  isl. Hepinn  (vgl.  Sievers,  Beitr.  16, 242), 
agutn.  seil  (<  sej)an,  Kock,  Sv.  landsm.  15,  no.  4,  s.  27),  alt.  nschw. 
sädhan  (vgl.  isl.  sipan,  aus  sldan  verkürzt),  isl.  svena  (neben 
svina  'stumpf  werden';  vgl.  ahd.  stvinan  'schwinden'),  aschw, 
Proeiva  (vgl.  is\.  Jjn'fa,  preifa  'nehmen,  greifen'),  M.  sef,  aschw. 
swf  (vgl.  dän.  sir),  isl.  slcref,  dän.  sJcrwv  'schritt',  isl.  skrefa,  dän. 
skrosve  'schreiten'  ( :  isl.  dat.  sg.  shifi  zu  skref,  nnorw.  skriv, 
aschw.  hicerghskrnva  'felsenkluft'). 

Die  folgenden  sind  sehr  unsicher. 

Wenn  isl.  flekkr '  fleck,  Stückchen'  mit  ßk  'zipfel'  zusammen- 
zustellen ist,  so  ist,  wie  Tanim,  Etym.  ordbok  bemerkt,  (das 
ui"spr.  kurzsilbige)  *flikan-  zu  *flekan-  geworden,  während  in 
anderen  casus  ^flikk-  entstand;  durch  contamiuation  bekam 
man  dann  flekk-.  Diese  etymologie  ist  aber  sehr  zweifelhaft. 
Das  wort  kann  auch  mit  isl.  skipflak  'wi-eck',  isl.  aschw.  tlaki 
etc.  zusammengebracht  werden;  vgl.  Tamm  a. a. o. 

Es  ist  auch  sehr  unsicher,  ob  isl.  kvekva  'anzünden'  a-um- 
laut enthält;  da  aber  das  dem  wurzelvocal  nachfolgende  k  in 
kvikr,  kvekva  etc.  secundär  ist  (Bugge,  Beitr.  13,  515),  so  haben 
auch  diese  Wörter  in  einem  älteren  Stadium  kurze  Wurzelsilbe 
gehabt.  Aber  die  folgende  auffassung  dürfte  vorzuziehen  sein. 
Neben  kve'tkia  findet  sich  kveykra,  aber  nur  selten  kvekva  (z.  b. 
imp.  qvecPu,  inf.  qvekva  in  AM.  645,  Larsson,  Ordförrädet)  und 
kvekva  {qiiecqua,  quequa).  Ebenso  wie  *eittki  zu  etki,  ekki,  *ne- 
weit-ek-hverr  zu  nekkverr  etc.  wurden,  so  haben  sich  part.  kveikt, 
imp.  kveikpu  etc.  zu  kvekt,  kvekpu  etc.  entwickelt.  Nachdem 
das  in  dieser  weise  entstandene  e  auf  den  inf.  kvekva  über- 
tragen worden  war,  wurde  dies  durch  ir-umlaut  zu  kvekva; 
vgl.  nekkverr  >  nekkverr  etc.  Vielleicht  kann  e  in  dem  seltenen 
kvekva  auch  dadurch  entstanden  sein,  dass  das  part.  kveykt 
(zu  kveykva)  zu  kvekt  wurde,  wesentlich  in  derselben  weise 
wie  "^eitki  zu  etki  etc.  Durch  diese  auffassung  wird  gewonnen, 
dass  die  verben  kveikia,  kveykva,  kvekva,  kvekva  nicht  von 
einander  getrennt  werden,  sondern  identisch  bleiben. 

Ueber  isl.  part.  bepinn  s.  s.  498. 


DER  ^-UMLAUT   ETC.   IN   DEN   ALTNORD.   SPRACHEN.         540 

Obgleich  folgende  von  Xoreen  ei'Avälinte  Wörter  kurzsilbig 
sind,  gehören  sie  nicht  hierher.  Aschw.  Iceiva,  betva  (vgl.  mnd. 
hevcti).  sJcepa  {mw^. sJepen).  hJf/'Jc  in  hla'lsJicella  (mm\.hlcrl-\  spcßJc 
(mnd.5j9eZ:'))  sind  deutsche  lehn  Wörter.  Nach  Xoreen  soll  nschw. 
lämna  (im  gegensatz  zu  nschw.  lemna,  isl.  lifna)  a-umlaut  ent- 
halten und  aus  "■'h'danUn  entstanden  sein.  Dies  soll  auch  mit 
nschw.  rämna  (im  gegensatz  zu  nschw.  rcmna,  isl.  rifna)  der 
fall  sein,  und  wahrscheinlich  denkt  er  sich  *redanön  als  grund- 
form.  "\\'enn  dies  richtig  wäre,  so  wären  auch  diese  Wörter 
beispiele  für  das  eintreten  des  a-umlauts  in  kurzen  Wurzel- 
silben. Die  nschw.  lämna,  ränma  sind  aber  ganz  anders  zu 
erklären;  s.  Kock,  Sv.  landsm.  15,  no.  8,  s.  15  f. 

Die  drei  Wörter  isl.  heppr,  tvennir,Jirennir,  welche  allein 
nach  Noreen  a-umlaut  in  langer  Wurzelsilbe  mit  fortis  ent- 
halten sollen,  sind  in  ganz  anderer  weise  aufzufassen. 

Aschw.  Imppcr,  nschw.  Icäpp  ist  als  api)ellativum  nur  zwei- 
mal im  isl.  {Iceppr)  belegt.  Schon  längst  hat  man  (z.  b.  Dalin, 
Svensk  handordbok)  das  wort  als  ein  lehn  wort  aufgefasst  und 
es  mit  dem  fi^anz.  ccp,  lat.  cippus  zusammengestellt.  Tiiden 
spricht  in  den  Uppsalastudier  s.  89  zweifelnd  die  Vermutung  aus, 
dass  isl.  Iceppr,  aschw.  Iccepper  diu'ch  a-umlaut  aus  "^Mppa-  ent- 
standen sei,  das  eine  andere  ablautsstufe  als  isl.  heipr  reprä- 
sentiere. AVegen  der  ziemlich  weit  auseinander  gehenden 
bedeutungen  der  Wörter  spricht  diese  etymologie  nicht  an. 
Fritzner-  übersetzt  nämlich  keipr  'krummholz,  in  dessen  winkel 
das  rüder  sich  während  des  ruderns  bewegt'.  Das  nnorw.  Iceip 
wird  von  Aasen  übersetzt  'klotz  in  form  eines  winkeis  zu- 
geschnitten, worin  das  rüder  ruht,  während  man  rudert'.  Die 
von  Liden  gegebene  Übersetzung  'ruderdulle'  ist  also  kaum 
correct.  Mit  recht  opponiert  also  "W'adstein,  Beitr.  22,  215  ff. 
gegen  Lidens,  von  Noreen  angenommene  etymologie.  Wadstein 
schliesst  sich  der  alten  etymologie  von  Iceppr  =  franz.  cep, 
mlat.  cepus  'truncus,  stipes',  lat.  cippus  an.    Auch  im  as.  etc. 


')  Auch  Noreen,  Aschw.  gramin.  s.  152  meiut  uuumolir,  ihiss  sixvk  waln- 
scheinlich  ein  deutsches  leheu  ist.  Dies  ist  auch  mit  aschw.  an.  ley. 
frcesker  (vgl.  nnd.  fress)  der  fall,  sofern  es  nicht  nur  Schreibfehler  für 
fcersker  ist.  Betreifs  aschw.  raformber,  isl.  reformr  s.  Kock.Zs.  fda.  40,  20«;. 
Das  nur  einmal  (Westmannagesetz  M.  18,4)  aus  dem  aschw.  belegte  frwUo 
harn  ist  sclireibfehler  für  friUo  harn;  vgl.  isl.  aschw.  fn'pla,  frillu. 


550  KOCK 

findet  sich  hip  'stipes'.  Isl,  leppr,  ascliw.  licepper  'ein  (ab- 
geschnittener) zweig,  stock'  kann  übrigens  auch  der  (von 
Kluge,  Et.  "wb.  unter  happen  aufgestellten)  germ.  wurzel  Icep, 
Icapp  angehören;  vgl.  z,  b.  fries.  Jcäpen,  Jcepen  'kerben,  schneiden' 
(Doornkaat-Koolman,  Wb.  der  ostfries.  spräche). 

Im  isl.  finden  sich  fuipr  {tvinnan,  tvinn)  und  tuejyr,  pl. 
tiiennir;  ])ri])r  und  prepr,  pl.  prennir  (vgl.  L.  Larsson,  Ordför- 
rädet).  Neben  twcenne,  Prcenne  verwendet  das  aschw.  (awest- 
göt.)  tivanne,  pranne  mit  a  in  der  Wurzelsilbe.  Es  mag  etwas 
zweifelhaft  sein,  wie  alle  diese  wechselformen  zu  erklären  sind; 
es  ist  aber  sicher,  dass  tvennir,  Prennir  nicht  a-umlaut  ent- 
halten. Der  wurzelvocal  von  tvennir  kann  aus  älterem  -ih- 
(vgl.  got.  tweilmai)  durch  den  gewöhnlichen  Übergang  -ih-  >  e 
entstanden  sein,  wonach  e  verküi'zt  worden  ist,  und  der  wurzel- 
vocal von  prennir  kann  einen  ähnlichen  Ursprung  haben  oder 
analogisch  aus  tvennir  übertragen  sein.  Uebrigens  hat  Noreen 
selbst,  Aisl.  gramm.2  §  56  (vgl.  auch  Aschw.  gramm.  §  83,  3,  a) 
versucht,  isl.  tvenn,  Prenn  in  dieser  weise  zu  erklären. 

Wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  ist  isl.  lerept,  aschw.  Icerept 
vielleicht  ein  beispiel  dafür,  dass  der  a-umlaut  von  i  in  einer 
langen  silbe  mit  semifortis  eingetreten  ist;  vgl.  dass  in 
gewissen  auorw.  dialekten  der  jüngere  einfache  «-umlaut  nur 
in  der  semifortis-,  nicht  aber  in  der  fortissilbe  durchgeführt 
wurde  {piodggtu  :  gatur  etc.),  und  dass  in  der  Eökinschrift  der 
jüngere  i-umlaut  sich  nur  in  der  semifortissilbe  findet  {rnog- 
menni :  uarin  etc.,  s.  s.  525  f.).  Schon  längst  hat  man  (s.  z.  b. 
lED.  s.v.)  isl.  lerept  mit  rijjt  f.  'a  kind  of  clotli  or  linen  jerkin' 
zusammengestellt,  und  nach  Liden,  Uppsalastudier  s.  81  soll 
der  e-laut  der  ultima  durch  a-umlaut  von  i  in  gen.  sg.  riptaR 
>  reptar  entstanden  sein.  Da  das  simplex  nur  den  wurzel- 
vocal i  verwendet:  isl.  ript,  nnorw.  rift  'riss,  stück',  ndän.  rift 
'spalte',  sich  aber  in  dem  compositum  isl.  lerept,  aschw.  Iceript, 
Icerept,  selten  Icermft  der  vocal  e  {ce)  neben  /  findet,  so  ist  dies 
mit  der  accentuieruug  in  causalzusammenhang  zu  bringen.  Gen. 
riftaR  hatte  natürlich  fortis,  gen.  -riftiiR  als  zweites  composi- 
tionsglied  aber  semifortis:  deshalb  blieb  riftaR  erhalten,  wäli- 
rend  -riftaR  in  -reptar  (lerept)  umgelautet  wurde.  Der  a-umlaut 
wurde  aus  dem  gen.  auf  die  anderen  casus  übertragen,  weil 


DER  .1-UMLAUT    ETC.    IN    DEN    ALTNORD.    SPRACHEN.         551 

der  gen.  in  solchen  ausdrücken  wie  dtta  dlnar  lere])tar  (später 
lerepf^)  sehr  oft  vorkam. 

Der  Wechsel  ript :  h'npt  kann  wol  aber  auch  folgender- 
massen  aufgefasst  Averden.  Bugge  bemerkt  Arkiv  2,  243,  dass 
i  in  einer  silbe  ohne  hauptton  im  an.  zu  c  werden  kann,  und 
er  leitet  deshalb  öfrcsJcr  'wer  geister  sehen  kann'  aus  ^ufriJskr 
her.  Isl.  namen  auf  -fre]»-  :  Hallfre])r  etc.  haben  in  ähnliclier 
weise  aus  -fripr  entwickelt  Averden  können  (anders  Bugge, 
Arkiv  2,  251).  Jedenfalls  ist  ein  älteres  i  des  zweiten  com- 
positionsgliedes  in  e  übergegangen  in  personennamen  auf  -rilr 
>  -reh;  z.  b.  isl.  Eirikr,  Eireh;  aschw.  Erllcer,  Ereicer,  isl.  Hä- 
reh-  (vgl.  ahd.  Höhrlh  etc.).  Airehr  etc.,  sowie  in  adj.  auf  aschw. 
-liher  >  aschw.  dial.  -Ichcr,  isl.  -legr,  z.  b.  aschw.  gu])MiCr  :  guj)- 
leher,  isl.  gojüegr  etc.  Im  anorw.  findet  sich  oft  auch  -Icegr, 
z.  b.  gudlcegr  (s.  Kock,  Arkiv  n.  f.  8,  245  ff.).  Es  ist  möglich, 
dass  die  entwickelung  ^  >  e  in  öfreshr,  Eireh-,  HaUfreJjr  etc. 
z.  t.  von  dem  vorhergehenden  r-laut  abliängt.  In  Übereinstim- 
mung hiermit  gieng  leript  mit  fortis  auf  der  paenultima,  semi- 
fortis  bez.  infortis  auf  der  ultima  in  isl.  lerept,  aschw.  Iwrept 
über.  Das  sehr  seltene  aschw.  Icercept  mit  ce  in  der  ultima 
ist  mit  dem  anorw.  gudlcegr  etc.  zu  vergleichen;  übrigens  findet 
sich  im  aschw.  bisweilen  ce  statt  e  in  der  infortissilbe  beson- 
ders nach  'dentalen'  consonanten,  z.  b.  ncercer  statt  ncerer,  Jccercer 
statt  kcerer  (Kock,  Arkiv  n.  f.  8,  248). 

Da  der  a-umlaut  von  ti  vor  m,  n  vorläufig  nicht  durch- 
geführt wurde  (s.  514  ff.),  und  da  der  «-umlaut  von  i  überhaupt 
eine  kleinere  Verbreitung  als  der  von  u  hat,  so  kann  man  die 
frage  aufwerfen,  ob  der  a-umlaut  von  i  vor  m,  n  überhaupt 
eintrat.  So  viel  ich  sehe,  gibt  es  in  den  an.  sprachen  kein 
beispiel  für  a-umlaut  von  i  vor  m.  Wenn  dagegen  die  oben 
erwähnten  isl.  svena,  aschw.  pitoena  a-umlaut  enthalten,  so 
wui'de  er  vor  n  durchgeführt.  Unter  diesen  umständen  kann 
das  fehlen  von  beispielen  für  a-umlaut  von  /  vor  m  zufällig 
sein.  Auf  jeden  fall  ist  es  sehr  leicht  möglich,  dass  der  a-um- 
laut von  /  vor  n  und  (wenn  er  in  dieser  Stellung  überhaupt 
eintrat)  auch  vor  m  später  als  vor  anderen  consonanten  durch- 
geführt wurde. 

Ebenso  wie  im  an.  nur  der  ^-laut  a-umlaut  von  n  be- 
wirkte, so  hat  wahrscheinlich  nur  ein  rf-laut  (nicht  ein  Ö-  oder 


552  KOCK 

^-laut)  a-umlaut  von  i  bewirkt.  Da  der  pl.  und  die  obl.  casus 
des  sg,  von  den  fem.  w- stammen  urnord.  ö  (nicht  n)  in  der 
ultima  hatten  (s.  s.  523  f.),  so  sind  z.  b.  folgende  Wörter  für  diese 
fi'age  von  belang:  isl.  aschw.  viJca  (vgl.  ags.  ivlce  'wechseldienst'), 
aschw.  hmrglishriwa,  hceUashrhca  (vgl.  oben  s.  548),  isl.  aschw, 
svipa  (vgl.  isl. sveqjci  'mit  einer  schwingenden  bewegung  werfen'), 
isl.  bipa  'erwartung',  fita  'fett',  rifa,  s/irijja,  slita  etc.  Bei  einer 
flexion  von  *wikö,  obl.  casus  *wikön{n),  pl.  nom.  acc.  *tvikön{n) 
etc.  hätte  der  a-umlaut  in  allen  casus  durchgeführt  werden 
müssen,  wenn  ö  a-umlaut  bewirkt  hätte.  Wenn  aber  a-um- 
laut nur  von  ä  bewirkt  wurde,  so  ist  alles  in  Ordnung.  Erst 
nachdem  *wiJiU :  *ivi]iön(n)  zu  wiJia  :  tvihu  geworden,  sollte  der 
a-umlaut  in  ivika  eintreten;  nom.  sg.  vika  hat  aber  *  von  den 
obl.  casus  des  sg.  und  vom  pl.  bekommen. 

Wie  bekannt  findet  sich  im  got.  kein  a-umlaut  von  i. 
Aus  dem  ags.  haben,  so  viel  ich  weiss,  nur  äusserst  wenige 
beispiele  für  diesen  umlaut  {wer,  nesf)  angeführt  werden 
können.  Durch  die  soeben  erörterten  Verhältnisse  der  an. 
sprachen  dürfte  bestätigt  worden  sein,  dass  in  urgerm.  zeit 
wenigstens  keine  generelle  regel  'i  wird  zu  e  vor  einem  a,  ö, 
m  der  folgenden  silbe'  gegolten  hat. 

Da  die  ags.  Wörter  mit  a-umlaut  von  /  so  wenige  sind,  so 
ist  man  berechtigt  einen  besonderen  grund  für  ihren  umlaut 
zu  suchen. 

Dui'ch  den  concurrierenden  einfluss  eines  vorhergehenden 
^(;- lautes  und  eines  nachfolgenden  >•- lautes  sind  in  den  an. 
sprachen  e,  c  zu  ce,  ce  geworden.  So  ist  z.  b.  im  anorw.  germ.  e 
nach  IV  in  geschlossener  silbe  und  besonders  vor  r  in  ce  über- 
gegangen: verk  >  vcerk  etc.  (Sievers,  Tübinger  bruchstücke  der 
alt.  Frostuthingslög  s.  9). 

Im  isl.  ist  c  zwischen  iv  (v)  und  r  dialektisch  zu  ce  ge- 
worden, z.  b.  ver  >  vcbv  (Kock,  Arkiv  n.f.  7, 140  ff.).  Hiermit 
ist  zu  vergleichen,  dass  im  aschw.  die  lautverbindung  -ner- 
in  einer  silbe  mit  semifortis  sich  zu  -rar-  entwickelt  liat,  z.  b. 
natvcBr])er  >  natvar^er  (Kock,  Svensk  spräkhist.  s.  88  ff.).  Also 
haben  die  vocale  zwischen  w  (r)  und  /•  eine  offenere  aus- 
spräche bekommen.  Ein  ähnliclies  verliältnis  kann  auch  aus 
anderen  sprachen  dargelegt  werden. 


DER  ^-UMLAUT   ETC.   IN   DEN   ALTNORD.    SPRACHEN.         553 

Die  Ursache  dafür,  dass  germ.  *iviraz  zu  ags.  teer  geworden, 
ist  nicht  nur,  dass  a  dem  i  nachfolgte,  sondern  auch  dass  der 
«■-laut  zwischen  iv  und  r  stand,  vielleiclit  auch  dass  die  Wurzel- 
silbe kurz  war.  Auch  im  alid.  und  as.  findet  sich  wer  mit 
rt-umlaut. 

Das  wort  nest  (vgl.  lat.  nldus)  ist  in  dieser  form  dem  ags., 
ahd.  und  ndl.  gemeinsam.  Mhd.  findet  sich  auch  nisf.  Ebenso 
wie  die  umlaute  im  an.  zu  gewissen  Zeiten  nur  in  einer  silbe 
mit  semifortis  durchgeführt  worden  sind  (s.525f.),  so  erklärt 
sich  der  «-unilaut  im  ags.  nest  daraus,  dass  dieses  Avort  beson- 
ders oft  als  zweites  compositionsglied  benutzt  wurde.  Unter 
nest  versteht  man  (um  die  definition  des  Grimmschen  wb.'s  an- 
zuführen) eine  jede  von  tieren  zum  hecken  der  jungen  und  zur 
lagerung  gebaute  wohnstätte,  besonders  das  Vogelnest.  Wegen 
dieser  bedeutung  kann  das  wort  mit  einer  grossen  menge 
tiernamen  zusammengesetzt  werden.  Ich  erinnere  z.  b.  nur  an 
nhd.  adler-,  eulen-,  finJcen-,  lerchen-,  schtvalben-,  rdben-,  hühner- 
nest  etc.  und  besonders  an  mhd.  nhd.  voyehiest  (vgl.  auch  neu- 
engl.  hirds-nest,  bird-nest);  ferner  an  nhd,  hienen-,  drachen-, 
mause-,  ratten-.,  raupen-,  spinnen-,  ivespen-,  tvurm-nest  etc.,  auch 
Jcatzennest  (vgl.  Grimms  wb.).  Es  ist  selbstverständlich,  dass 
*-nistaz  auch  in  urwestgerm.  zeit  besonders  oft  im  zweiten  com- 
positionsglied mit  semifortis  vorkam.  In  dieser  Stellung  Avurde 
es  zu  *-nestaz,  obgleich  zu  dieser  zeit  in  der  regel  der  w-umlaut 
von  /  nicht  in  der  fortissilbe  durchgeführt  wurde.') 

Ich  fasse  also  den  a-umlaut  von  /  in  folgender  weise  auf. 

In  urgerm.  zeit  ist  er  niclit  eingetreten,  und  im  got.  wurde 
er  nicht  durchgeführt.  Dagegen  findet  er  sich  im  westgerm. 
und  im  nord. 

Urwestgerm.  wurde  er  in  einer  silbe  mit  semifortis  {-nest) 
durchgeführt,  sowie  in  einer  (wenigstens  kurzen)  fortissilbe, 
wenn  dem  i  ein   iv  vorhergieng  und  ein  r  nachfolgte  {wer). 


*)  Nach  Osthoif,  Beitr.  l'(,  417  und  Noreen,  rrgenn.liintl.  s.  21  soll  ancli 
mengl.  neÖer,  nengl.  nether  a-umlaut  enthalten.  Da  aber  das  ags.  nipcrra, 
neoperra  'lower',  «//)(f >re  '  below ',  n?/>e/- 'downwards'  hat,  so  ist  das  e  des 
mengl.  neöer  ohne  zweifei  eine  späte  entwickelung.  Das  ags.  (mengl.)  wort 
konnte  sehr  leicht  von  adiin.  lufpm',  anorw.  iicörc,  xedan  etc.  beeinflnsst 
werden, 


554       KOCK,  DER  ^-UMLAUT  ETC.  IN  DEN  ALTNORD.  SPRACHEN. 

Nachdem  das  westgerm.  sich  in  verschiedene  sprachen  gespalten, 
trat  der  a-umlaut  von  /  im  ahd.-as.  auch  in  anderen  Stel- 
lungen ein. 

In  urnord.  (bez.  gemeinnord.)  zeit  wurde  der  a-umlaut 
von  i  durch  ä  bewirkt.  Eine  bedingung  für  das  eintreten 
des  rt-umlauts  wenigstens  in  der  fortissilbe  ist,  dass  die  Wurzel- 
silbe kurz  war  (alternativ  ist  die  regel  vielleicht  in  folgender 
weise  zu  formulieren:  bei  freier  wähl  zwischen  /  und  einem 
durch  «-Umlaut  entwickelten  e  wurde  dieses  fast  nur  in  kurz- 
silbigen  Wörtern  gewählt),  ^i-umlaut  von  i  findet  sich  nicht 
in  Wörtern  mit  k,  g  vor  dem  wurzelvocal. 

LUND,  im  fi'ühjahr  1898.  AXEL  KOCK. 


DIE  CHRONOLOGIE  DES  UEBERGANGS  VON 
GERIMANISCH  E  ZU  /  VOR  n  +  K,  G,  X. 

Als  eine  der  frühesten  Wandlungen  im  germanischen  voca- 
lisnius  wird  der  Übergang  von  e  >  i  vor  w  angesehen.  In 
seinem  aufsatz  über  relative  sprachchronologie,  IF.  4  setzt  ihn 
Bremer  s.  18  fürs  erste,  s.  30  (in  der  tabelle)  fürs  zweite  jh. 
vor  Chr.  als  gemeingermanisch  an. 

Ich  glaube  dass  wir  zu  einem  so  fi'ühen  ansatz  nicht  be- 
rechtigt sind.  Der  wandel  von  enli  >  ih  zwingt,  wie  Bremer 
s.  16  f.  zugiebt,  nicht  dazu,  da  die  entwicklung  statt  evh  >  inli 
>  ih  ebensogut  auch  enh  >  ^h  >  ih  gewesen  sein  kann.  Wenn 
er  sich  dagegen  s.  14  auf  die  von  ihm  schon  Zs.  fdph.  22,  251 
zusammengestellten  ältesten  germanischen  eigennamen  als  die 
stützen  seiner  ansieht  beruft,  so  ist  dagegen  einzuwenden,  dass 
diese  alle  aus  nachchristlicher  zeit  stammen:  aus  Plin.,  Tac, 
Ptolem.,  lul.  Cap.  und  Dio  Cassius.  Man  kann  deshalb  aus 
ihnen  nur  den  schluss  ziehen,  dass  vor  »  gegen  ende  des 
ersten  nachchristlichen  jh.'s  /  bereits  regel  war,  während  vor 
sonstigem  gedeckten  nasal  e  noch  überwog  (vgl.Tacitus:  Mallo- 
vendus  Xm\.2.2h^  ^'cwnowes  Ann.  2,  45,  Fc«n<  Germ'.  46 ;  aber 
einmal  Brinno  Hist.  4, 15);  in  letzterem  fall  ist  der  Übergang 
also  jünger.  In  dieser  form  ist  der  schluss  ja  allgemein  an- 
erkannt, und  man  kann  wol  dabei  bleiben,  wenn  auch  nicht 
vergessen  werden  darf,  dass  immei'hin  die  möglichkeit  eines 
Zufalls  besteht. 

Der  einzige  name  der  aus  vorchristliclier  zeit  für  den 
Übergang  f«  >  iti  geltend  gemacht  Averden  könnte,  ist  Tulingi 
bei  Caesar,  Bell.  gall.  4, 15.  Derselbe  gibt  aber  zu  mehrfachen 
bedenken  anlass.  Erstens  liandelt  es  sich  bei  ihm  nicht  um 
haupttoniges,  sondern  um  suffixales  -imj,  und  ich  glaube  dass 
diese  beiden  fälle  von  einander  streng  zu  trennen  sind.  Wie 
wir  wissen,  wurde  c  in  unbetonter  silbe  überhaupt  zu  /,  und 
zwar  noch  etwas  früher  als  vor  n  -}-  cons.  Ks  folgt  dies 
daraus,  dass  bei  Plinius  und  Tacitus  zwar  vor  n  -f  cons.  noch 


556  HELM 

regelmässig  e  steht,  in  unbetonter  silbe  dagegen  /  das  immer- 
hin noch  häufige  e  bereits  überwiegt  (vgl.  Zs.  fdph.  22, 251), 
Wir  sind  danach  wol  berechtigt  zu  schliessen,  dass  in  un- 
betonter silbe  vor  w  +  gutt.  der  wandel  auch  früher  eintrat 
als  in  betonter,  da  hier  zwei  factoren  der  palatalisierung  zu- 
sammenwirkten. 

Sodann  ist  es  aber  auch  fraglich,  ob  wir  in  Tidingi  wirk- 
lich die  echte  germanische  form  vor  uns  haben.  Da  das  lat. 
seinerseits  sowol  vor  gedecktem  nasal  als  in  unbetonter  silbe 
ebenfalls  c  zu  i  wandelt,  so  Hesse  es  sich  leicht  denken,  dass 
ein  geschlossenes  e,  wie  es  in  diesen  fällen  als  Vorstufe  von  i 
im  germanischen  zu  Caesars  zeit  gewis  anzusetzen  ist,  im 
munde  des  Römers  bereits  völlig  als  i  gefärbt  erscheint  und 
dann  so  auch  in  die  schritt  eindringt. 

Aber  selbst  wenn  man  Tulingi  als  vollgültigen  beleg  für 
eng  >  wg  anerkennen  wollte,  müsste  man  sich  darauf  be- 
schränken daraus  den  schluss  zu  ziehen,  dass  zur  zeit  Caesars 
ein  teil  (vielleicht  nur  ein  sehr  kleiner)  der  Germanen  bereits 
i  sprach.  Dies  widerspräche  freilich  der  theorie  Bremers,  dass 
der  Übergang  von  e  >  i  von  norden  nach  Süden  vorgeschritten 
sei;  danach  müssten  die  Tulinger  als  einer  der  südlichsten 
Stämme  auch  als  einer  der  letzten  den  wandel  vollzogen  haben. 
Da  Bremers  theorie  aber  ausserordentlich  viel  Wahrscheinlich- 
keit hat  und  wir  andererseits  bestimmte  belege  dafür  haben, 
dass  damals  andere  Germanen  noch  c  sprachen,  so  erhebt  sich 
von  dieser  seite  aus  ebenfalls  begründeter  zweifei  an  der 
beweiskraft  der  form  Tulingi. 

Der  eine  beleg  für  c  vor  wj  ist  das  bekannte  finnische 
rengas,  welches  zeigt,  dass  die  den  Finnen  benachbarten  Ost- 
oder Nordgermanen  noch  e  hatten,  als  bereits  der  Übergang 
von  0  >  a  in  unbetonter  silbe  eingetreten  war.  Damit  wird 
dieses  mit  bestimmtheit  für  nachchristliche  zeit  gesichert  (vgl. 
Noreen,  Utkast  §  6  anm.  2);  denn  es  ist  bei  dem  conservativen 
Charakter  der  finnisch -lappischen  spräche  ganz  unstatthaft 
anzunehmen,  dass  sie  entlehntes  ing  tm.  eng  zurück-  oder  ent- 
lehntes 0  zu  a  weitergebildet  hätte. 

Der  zweite  beleg,  dem  westen  angehörend,  ist  der  name 
der  Tenderer,  als  Tcnytercr  anzusetzen.  Diesen,  wie  Bremer 
(Zs.  fdph.  22, 251)  tut,  als  keltisch  von  vornherein  auszuschliessen 


GERM.  E>  I  VOR  W  +  GUTTURAL.  557 

gellt  durchaus  nicht  an.  Allerdings  ist  seine  germanische  her- 
kunft  trotz  Muchs  deutungsversuch  (Beitr.  17,  144  ff.)  keines- 
wegs gesichert  (vgl. Hirt, Beitr. 21, 148 ff.);  auch  der  lautcomplex 
yj  (durch  Caesars  Schreibweise  -chth-  gesichert)  ist  kein  beweis 
für  seinen  germanischen  Charakter,  denn  auch  das  keltische 
wandelt  Jet  (und  j;^  zu  yJ  (vgl.  Brugmann,  (irundr.  1,  §  515.  517). 

Aber  andererseits  ist  der  keltische  Ursprung  des  namens 
auch  durch  nichts  erwiesen.  Ich  glaube  nun,  dass  wir  wol 
berechtigt  sind,  den  namen  eines  germanischen  volkes  als 
germanisch  anzusehen,  wenn  uns  auch  seine  etymologie  nicht 
klar  ist  —  so  lange  das  gegenteil  nicht  bewiesen  ist.  Die 
last  des  beweises  liegt  auf  dem,  der  das  wahrscheinliche  und 
naturgemässe  negiert. 

Dass  die  Tencterer  aber  ein  germanisches  und  kein  kel- 
tisches Volk  sind,  daran  ist  kein  zweifei.  Dies  bestätigt  uns 
ausdrücklich  Caesars  Zeugnis,  der  ja  in  die  allernächste  be- 
rührung  mit  ihnen  gekommen  ist.  Bell.  gall.  4, 1  sagt  er  Usi- 
petes  Germani  et  item  Tencteri,  und  so  spricht  er  auch  in 
seinem  ganzen  bericht  stets  von  Germanen  und  geht  mit  den 
Worten  Germanico  hello  confecto  (4, 16)  zur  weiteren  erzählung 
über.  Als  er  dann  von  den  Sugambrern  die  auslieferung  der 
zu  ihnen  gefloheneu  reste  der  T.  fordert,  bezeichnen  auch  diese 
dieselben  in  ihrer  antwort  wenigstens  indirect  als  Germanen 
mit  den  Worten  si  se  invito  Germanos  in  Galliani  transire  non 
aequum  aestimaret . ..  (4,16).  Dazu  vgl.  man  noch  die  stellen 
Tac.  Ann.  13,  50.  Hist.  4,  21.  64.  Germ.  32.  38. 

Nehmen  wir  nun  einmal  als  gewis  an,  der  nanie  der  T. 
sei  germanisch,  so  sichert  er  bestimmt  e  vor  «/  für  das  jähr  55 
V.  Chr.  Das  e  bei  Tacitus  ist  weniger  beweiskräftig,  da  er  eine 
ältere  form  die  nicht  mehr  lebte  aufgenommen  haben  mag,  weil 
sie  durch  Caesar  nun  einmal  dem  Römer  geläufig  geworden 
war.  IJmsomehr  grund  zu  diesem  verfahren  konnte  vorliegen, 
je  weiter  sich  der  name  damals  schon  von  der  ursprünglichen 
form  entfernt  hatte.  Es  ist  sehr  leicht  möglich,  dass  die  Römer 
zur  zeit  des  Tacitus  den  alten  namen  in  der  neuen  form  (er 
hless  wol  *Tlhtrös)  gar  nicht  widererkannten. 

Dasselbe  gilt  für  die  foi-men  bei  späteren  autoren.  Auf 
TivxtQoi  bei  Ptolemäus  ist  nach  den  Untersuchungen  vun  Holz 
über  die  germanische  vülkertafel  des  Ptolemäus  (Beiträge  zur 


558        HELM,  GERM.  E>  I  VOR  W  +  GUTTURAL. 

deutschen  altertumskunde  lieft  1)  gar  kein  gewicht  zu  legen 
(vgl.  auch  Hirt,  Beitr.  21,  129  ff.).  Tsyxrt]Qoi  bei  Dio  Cassius 
beruht  natürlich  nur  auf  dessen  schriftlichen  quellen. 

Setzen  wir  nun  aber  auch  den  andern  fall,  es  gelänge 
den  namen  der  Tencterer  als  keltisch  zu  erweisen.  Ich  glaube 
nicht,  dass  die  Sachlage  dadurch  wesentlich  geändert  wäre; 
denn  es  ist  klar,  dass  der  name  von  dem  moment  an,  in  wel- 
chem er  von  einem  germanischen  volke  übernommen  wurde, 
den  germanischen  lautgesetzen  unterworfen  ist  wie  jedes  be- 
liebige lehnwort.  Nun  wird  niemand  behaupten  wollen,  diese 
Übertragung  sei  so  jungen  datums,  dass  der  Übergang  ew/  > 
WX  bereits  vollzogen  gewesen  sei.  Ist  sie  aber  älter,  so  muss 
der  name  den  lautwandel  mitmachen.  Mithin  ist  die  form 
Tenyteri  auch  wenn  sie  ursprünglich  keltischer  herkunft  wäre, 
doch  ein  ebenso  sicheres  zeugnis  für  germanisch  ew/  zu  Caesars 
zeit,  als  wenn  sie  rein  germanisch  ist. 

Gegen  Bremers  datierung  spricht  meines  erachtens  endlich 
ein  nicht  zu  verachtender  innerer  grund.  Setzt  man  nämlich 
mit  ihm  den  Übergang  e«  >  m  im  2.  jh.  v.  Chr.  als  gemein- 
germanisch an,  so  liegen  zwischen  diesem  lautwandel  und 
dem  von  e  >  «  vor  sonstigem  gedeckten  nasal  rund  250  jähre. 
Nun  sind  aber  gewis  diese  beiden  fälle  des  Übergangs  e  >  ?' 
ihrem  Avesen  nach  nicht  so  verschieden,  dass  sie  durch  so 
grosse  Zeiträume  getrennt  werden  dürften.  Auch  diese  Schwierig- 
keit fällt  nun  mit  unserer  datierung  hinweg.  Darnach  herschte 
also  in  der  letzten  vorchristlichen  zeit  jedenfalls  e  vor  w  noch 
in  einem  grossen  gebiete.  Vielleicht  begann  der  Übergang  da- 
mals in  unbetonter  silbe.  Vollendet  war  er  zur  zeit  des  Plinius 
und  1'acitus,  also  in  der  zweiten  hälfte  des  ersten  jh.'s  nach  Chr., 
während  zu  derselben  zeit  vor  sonstigem  gedeckten  nasal  noch  e 
überwiegt,  das  in  der  ersten  hälfte  des  zweiten  jh.'s  nach  Chr. 
dann  dem  i  weichen  niusste. 

Es  fi'agt  sich,  ob  nach  dieser  datierung  nun  nicht  das  ver- 
klingen des  V  vor  x  i^^d  die  nasalierung  des  vocals  für  älter 
zu  gelten  hat  als  der  Übergang  in  i.  Ich  sehe  jedoch  keine 
möglichkeit  dies  zu  entscheiden. 

HEIDELBERG,  november  1897.  KARL  HELM. 


MEERRETTICH. 

Ueber  den  urspruiio;  und  die  bedeutung  dieses  sclieinbar 
so  durchsiclitigen  namens  sind  seit  länger  als  einem  Jahrhundert 
die  allerverschiedensten  Vermutungen  ausgesprochen  woi'den, 
und  doch  gelten  noch  heute  die  worte,  die  der  alte  Xemnich 
vor  über  Inmdert  jähren  schrieb:  'von  den  namen  meerrettig 
etc.  lässt  sich  kein  sicherer  Ursprung  angeben;  wenn  man 
einen  entdeckt  zu  haben  glaubt,  so  wird  man  in  einer  anderen 
spräche  wieder  anstoss  finden. '*) 

Mögen  zunächst  die  wichtigsten  dieser  erklärungsversuche 
hier  zusammengestellt  werden. 

Die  auffassung,  dass  meerrettich  'mährenrettich,  pf  erde- 
rettich'  bedeute,  ist  heute  wol  die  verbreitetste.  Man  begegnet 
ihr  -vielfach  auch  in  laienkreisen.  Sie  stützt  sich  teils  auf  die 
anscheinende  Sinnlosigkeit  des  Wortes  mecr-,  teils  auf  eine  ver- 
gleichung  besonders  der  nd.  namensform  marredik  mit  dem  engl, 
namen  der  pflanze  horse-radish.  Diese  erklärung  ist  übrigens 
schon  ziemlich  alt.  Sie  stammt,  so  viel  ich  sehe,  von  dem  be- 
kannten Hamburger  musikschriftsteller  und  componisten  Joh. 
Mattheson  (1681 — 1764),  der  neben  seiner  Stellung  als  musik- 
dii'ector  und  capellmeister  lange  jähre  das  amt  eines  gross- 
britannischen legationsrats  bekleidete  und  'sich  auch  bej-  mehr 
als  einer  gelegenheit  über  die  teutsche  sprach -künde  aus- 
gebreitet' hat.  Seine  erklärung  des  Wortes  meerrettich  wurde 
zuerst  1755  in  der  zweiten  aufläge  von  Michael  Kiche3's  Idio- 
ticon  Hamburgense  veröffentlicht,  zu  der  ^^fattheson  zahlreiche 
beitrage  lieferte.  Hier  lesen  wir  s.  159  unter  mähre:  ^mahr- 
reddick:  die  einfalt  saget  mar-etick  und  vermeinet  es  hoch- 
teutsch  gar  fein  zu  nennen  meer-essig.  Selbst  die  Ober-Sachsen 
schreiben  unrecht  meer-rettich,  als  wüchse  er  am  meere. 
Eigentlich  heilTt  der  nähme  so  viel  als  pferdc-rettich  (von 
der  mähre,  wie   marschall,  marstall  etc.   also  marrettich,   und 


')  AUgem.  polyglotteu-leiikou  d.  natur-gesch.  1  (ITüa),  1093. 


560  Hoops 

nicht  vom  meere.  Aiigl.  horse-radish,  weil  diese  wurtzel  den 
pferden  heilsam  ist.    M. ')    B^Xg.  maer-rad^JS.' 

Dieser  hinweis  auf  den  anscheinenden  parallelismus  der 
nd.  und  engl,  benennungen  hat  ohne  zweifei  auf  den  ersten 
blick  etwas  bestechendes,  und  wir  verstehen  es  vollkommen, 
dass  Eichey  die  erklärung  seines  gelehrten  freundes  zu  der 
seinigen  machte.  Indessen  hat  er  sie  später  wider  aufgegeben 
und  eine  eigene  neue  etj'mologie  aufgestellt.  Im  nachtrag  zu 
seinem  buche  sagt  er  (s.  367):  ^maar- reddick  (denn  so  ist  es 
auszusprechen,  an  stat  des  einfältigen  maar-etick):  meer-rettich. 
Das  nieder -sächsische  kommt  hier  dem  wahren  m^sprunge 
näher,  weil  dieser  rettich  nicht  im  meere,  sondern  im 
maar-  oder  moor-lande  wachset'.  Letztere  erklärung, 
die,  so  dilettantisch  sie  ist,  einen  sehr  beachtenswerten,  rich- 
tigen kern  enthält,  hat  sich  noch  durch  einige  der  folgenden 
Wörterbücher  weiter  geschleppt,  um  dann  in  Vergessenheit  zu 
geraten.  Die  deutung  'mährenrettich'  trug  den  sieg  davon 
und  ist  bis  heute  die  herschende  geblieben. 

Schon  die  Verfasser  des  Bremisch-niedersächsischen  Wörter- 
buchs (1767 — 1771)  entscheiden  sich  für  Matthesons  auslegung, 
nehmen  aber  zugleich  von  Richeys  ansieht  notiz:  ^mar-reddik, 
meerrettig.  Welches  der  gemeine  mann  hier  in  Bremen,  eben 
so,  wie  in  Hamburg,  mar-etih  ausspricht.  Von  dem  alten  mar, 
pferd:  weil  diese  wurzel  den  pferden  gesund  sejm  soll.  Wes- 
wegen sie  auch  bey  den  Engländern  horse-radish,  pferde- 
rettig,  genannt  wird.  Richey  meint,  mar-reddiJc  sey  so  viel, 
als  moor-reddik,  weil  er  gern  im  moorlande  wachset.  Holl. 
mierik-ivorteV  (3, 129). 

Adelung  in  seinem  Grammatisch-kritischen  Wörterbuch  der 
hochdeutschen  mundart  (1777)  führt  beide  ansichten  an,  er- 
wähnt sogar  noch  eine  dritte,  ohne  sich  indes  für  eine  der- 
selben bestimmt  zu  entscheiden.  'Da  dieses  gewächs',  sagt  er 
(3, 433  f.)  in  den  Wassergräben  und  bächen  einheimisch  ist, 
so  scheint  meer  hier  für  moor,  morast  zu  stehen,  obgleich 
andere  es  von  dem  lat.  amariis  ableiten,  und  dieses  wort  daher 


')  Dass  damit  Mattheson  gemeint  ist,  ergibt  sich  aus  der  vorrede 
(s.  XXXVIII  f.),  wo  der  Verfasser  bemerkt,  er  habe  alles  was  sein  freund 
Mattheson  beigesteuert,  'mit  dem  nahraens-zeichen  M.  auf  die  Rechnung 
desjenigen  geschrieben,  dem  es  zugehörte'. 


MEEKUETTICII.  561 

mär}-eUi(j  schreiben.  l);i  indessen  dieses  g-ewäclis  im  nieders. 
marredik  lieisst,  so  -wird  in  dem  Bremiscli-niedersächsisclien 
wörterbnelie  niclit  nnwahrscheinlieli  genintlimasset,  dass  die 
erste  hält'te  das  alte  mar,  ein  pferd  sey,  weil  die  wnrzel  den 
pferden  sehr  gesund  ist,  daher  sie  aucli  im  engl,  horscradish 
lieisst.  Ihr  holländ.  nanie  ist  mierih-icortel.  Im  oberdeutschen 
wild  der  meerrettig-  yrän,  Icrän,  grien,  Irien  genannt,  im 
russischen  ehren,  ohne  zweifei  von  dem  noch  bey  den  krai- 
nerischen  wenden  üblichen  grcnal;  bitter'. 

Eine  teilweise  wiirtliche  widerholung  dieser  bemerkungen 
Adelungs  finden  wir  in  Yoigtels  Hochdeutschem  handwörter- 
bucli  (Halle  1794).  Auch  er  gedenkt  neben  der  deutung 
•mährenrettich'  noch  der  ableitungen  von  moor  bez.  amarus. 
—  Heyse  (Handwb.  d.  deutsch,  spr.,  1849)  erwähnt  die  letzteren 
überhaupt  nicht  mehr;  er  schreibt  einfach:  'wahrscheinlich 
nicht  von  meer,  sondern  von  mar,  mähre,  pferd;  daher  niederd. 
marrettig,  gem.  merrettig;  angl.  liorse-radish ,  weil  die  wurzel 
den  pferden  gesund  ist'.  —  Auch  0.  Schrader  in  seiner  neu- 
ausgabe  von  Victor  Hehns  Culturpflanzen  u.  haustieren  (s.  485) 
meint:  'meerrettieh  ist,  worauf  engl,  horse-radish  weist,  wohl  so 
viel  wie  pferderettich'. 

Diese  auslegung  des  meer-  als  mähre  und  die  Zusammen- 
stellung mit  dem  engl,  horse-radish  ist  nun  aber  in  neuerer 
zeit  von  verschiedenen  gelehrten  zurückgewiesen  worden.  Sie 
fassen  das  erste  compositiousgiied  als  'meer,  see'.  Hinsicht- 
lich des  grundes  freilich,  warum  die  pflanze  meerrettieh  ge- 
nannt sein  soll,  harscht  unter  den  Vertretern  dieser  ansieht 
keine  Übereinstimmung.  Es  stehen  sich  hier  unbewusst  Sprach- 
forscher und  botaniker  gegenüber. 

Die  Philologen,  soweit  sie  sich  für  die  bedeutung  'meer- 
rettieh' gegenüber  'pferderettich'  entscheiden,  fassen  das  wort 
als  'über  das  meer  gekommener,  überseeischer  rettich'. 
So  sagt  Weigand  (Deutsch,  wb.  2):  ^Sihdi.meriratich  =  übersee- 
ischer, über  das  meer  (ahd.  meri)  zu  uns  gekommener  rettig 

rnmöglich  kann  das  wort  mit  mähre  (ahd.  meriha)  =  stute, 
oder  gar  mit  marah,  march  =  pferd  zusammengesetzt  sein, 
obgleich  die  Engländer  horse-radish,  d.i.  ross-,  pferderettig, 
sagen.  Es  erscheint  dies  eben  nur  als  eine  andere  benenn ung'. 
—  Ihm  schliesst  sich  Heyne  (in  Grinnns  wb.)  an:  'der  ahd. 

Beiträge  zur  geacliichte  der  duutBuhcu  upraclio.     XXIII.  3G 


562  Hoops 

name  meri-ratich,  mer-ratich,  mer-reUch  (Graff  2,  492)  tliut  dar, 
dass  das  gewächs  als  ein  fremdes,  über  meer  gekommenes 
aufgefasst  worden  ist  ...  und  dass  demnacli  ein  Zusammenhang 
des  Wortes  mit  mähre  equa,  ahd.  meriha,  später  merhe,  mere 
nicht  besteht,  trotz  der  engl,  bezeichnung  horse-radish,  die 
demnach  auf  anderm  boden  wurzelt'.  —  Auch  Kluge  (Et.  wb.^) 
entscheidet  sich  für  'überseeischer  rettich',  nimmt  aber  in  hin- 
blick  auf  das  engl,  horseradish  zugleich  von  der  möglichkeit 
.  der  deutung  'pferderettich'  notiz. 

Eine  andere  erklärung  versuchen  zwei  botaniker,  ohne 
auf  diese  philologischen  auslegungen  bezug  zu  nehmen.  Der 
bekannte  Genfer  gelehrte  Alphonse  de  Candolle')  äussert  sich 
über  den  Ursprung  des  Wortes  meerrettidi  folgendermassen: 
'wahrscheinlich  entstand  es  daher,  dass  die  art  in  der  nähe 
des  meeres  gedeiht,  eine  eigenschaft,  welche  sie  mit  vielen 
cruciferen  teilt,  und  welche  sich  gerade  für  sie  darbieten  muss, 
wo  sie  im  östlichen  Eussland  mit  seinen  vielen  salzigen  ter- 
rains  spontan  vorkommt'.  —  Weniger  bestimmt  spricht  sich 
Fischer-Benzon  in  seiner  Altdeutschen  gartenflora  (1894;  s.  115) 
aus:  'die  deutung  mährrettich  (pferderettich)  ist  sprachlich 
unmöglich;  sie  stammt  auch  erst  aus  diesem  Jahrhundert  oder 
frühestens  aus  dem  ende  des  vorigen.  Wie  kommt  die  pflanze 
zu  dem  namen  meerrettidi?  Weil  sie  in  der  nähe  des  meeres 
besonders  gut  gedeiht?  Es  wäre  immerhin  möglich,  aber  sie 
könnte  auch  wohl  ursprünglich  eine  küstenpflanze  Italiens  und 
Griechenlands  gewesen  sein,  wie  sie  denn  jetzt  noch  die  küsten 
des  Schwarzen  meeres  bewohnt'. 

Zum  schluss  sei  noch  eine  auffassung  erwähnt,  die  Victor 
Hehn  in  seinem  bekannten  buche  Culturpflanzen  u.  liaustiere 
(6.  aufl.  1894,  s.  484)  ausspricht:  dass  das  wort  mcerrdtich  aus 
dem  lat.  armoracia  entstellt  sei.  Diese  erklärung  ist  nach 
Fischer -Benzons  angaben  (a.a.O.)  neuerdings  wider  in  der 
Heimat  bd.  3  (Kiel  1893),  s.  44  vorgetragen  worden,  wo  'die 
plattdeutschen  namen  des  meerrettichs:  marraJc,  marcffig, 
7narrdig,  marretiy,  als  angleichungen  [sie]  an  armoracia  auf- 
gefasst  sind,  die  ilirerseits  wieder  als  meerrcUich  verhoch- 
deutscht  worden  seien'.    Fischer-Benzon  lehnt  diese  erklärung 


^)  Geographie  botanique  raisoiinee,  1855,  s.  054.     Neu  abgedruckt  in 
seinem  buche  über  den  Ursprung  der  culturpflanzen,  Leipzig  1884,  s.  44. 


MEERRETTICH.  563 

nicht  direct  ab,  weist  aber  doch  darauf  hin,  dass  'die  nanien 
merradich,  merrefich  etc.  schon  vor  dem  12.  Jahrhundert'  vor- 
Ivommen.  also  älter  als  die  nd.  fcu'inen  sein  können. 

Dieser  einwurf  ist  richtig-.  Schon  in  alul.  glossaren  aus 
dem  9.  und  10.  jh.  tritt  der  name  in  der  foi'm  mcri-ratich  auf; 
aus  dem  11.  jh.  haben  wir  mcrratkli,  aus  dem  12.  nierref/ch 
(Graff  2,  492).  Letzteies  ist  die  gewöhnliche  mhd.  und  früh- 
nhd.  form;  die  mnd.  ist  mcrredik  (Schiller-Lübben  3,76.  Lübben- 
Walther,  :\Ind.  handwb.  s.  226). 

Damit  fallen  die  ableitung-en  aus  aiuarus  und  armoracia^) 
ohne  weiteres  in  sich  zusammen.  Durch  das  ahd.  meriratich 
wird  aber  auch  der  erklärung  von  meerrettich  als  mährenrettich 
der  boden  entzog-en.  Die  ahd.  form  des  wortes  mähre  ist 
meriha,  marhc,  mcrhu\  mhd.  nierhe.  Dass  mer{i)Ua  als  erstes 
glied  eines  compositums  schon  im  9.  und  10.  jh.  zu  meri-  con- 
trahiert  sein  sollte,  während  sich  das  h,  sonst  dui-ch  die  ganze 
ahd.  und  mhd.  zeit  erhalten  hat,  ist  durchaus  unwahrschein- 
lich (vgl.  auch  das  ahd.  merihün-sun).  Dazu  kommt,  dass 
mähre-  als  bestimmungswort  zusammengesetzter  pflanzennamen 
in  alter  \xie  in  neuer  zeit  überhaupt  unerhört  ist;  nur  ross- 
oder  ^j/erd-  kommen  in  dieser  function  vor. 

Wie  steht  es  aber  mit  dem  engl,  horse-radish?  De  Can- 
doUe  (Ursprung  der  culturpfl.  s.  44)  sagt:  'der  englische  name 
horse  radish  (pferderadies)  hat  nichts  ursprüngliches  an  sich, 
was  zu  der  annähme  berechtigen  könnte,  dass  die  art  vor 
der  angelsächsischen  herrschaft  im  lande  aufgetreten  sei. 
Man  will  eben  nur  die  stärke  des  radies  damit  andeuten. 
Der  wallisische  name  rlmddtjijl  maurth  ist  nur  die  Übersetzung 
des  englischen,  woraus  man  schliessen  kann,  dass  die  Kelten 
von  Grossbritannien  keinen  besondern  nanien  hatten  und. die 
art  nicht  kannten'. 

De  CandoUe  hat  mit  dieser  Vermutung  das  richtige  getroffen. 


')  Der  lat.  name  armorucia,  der  ül)rij^eiis  ursinünglith  nicht  den  meer- 
rettich, sondern  eine  andere,  pontische  crucifere  hezeichncte,  hat  auch  sonst 
Unheil  in  der  nomenclatiir  des  meerrettichs  angerichtet.  iMan  braclite  den 
namen  fälschlich  mit  Ärmorica  zusammen  und  nennt  infolgedessen  in  Frank- 
reich den  meerrettich  zuweilen  cran  oder  crunson  de  BreUtyne,  obwol  die 
cochlearia  armorucia  in  der  Bretagne  sicher  nicht  wild  wäciist  (vgl.  liier- 
über  De  Candolle,  Ursprung  der  cultiu-pÜ.  s.  42;. 

3Ü* 


564  Hoops 

Die  alten  Briten  wie  die  Angelsaclisen  kannten  den  meerretticli 
noch  nicht.  Selbst  im  16.  jh.  war  die  pflanze  in  England 
noch  nnbekannt.  William  Turner  in  seinem  buche  The 
Names  of  Herbes  vom  jähre  1548  sagt'):  ^Armoracia'^)  is  named 
in  greke  llaplmnis;  it  groweth  not  in  England  that  I  wotte 
of,  but  it  groweth  in  Italy,  and  it  is  called  Larmoratia'^);  it 
mj^ght  be  called  in  englislie  if  we  had  it,  iv^jld  Badish;  it  is 
hote  of  complexion'.  —  In  dem  Teutsch- englischen  lexikon 
von  Fritschen  aus  dem  jähre  1716  ist  horseradish  bereits  als 
englischer  name  des  meerrettichs  aufgeführt.  Frühere  belege 
habe  ich  nicht  finden  können.  In  Skinners  Etymologicon  lin- 
guae  anglicanae  von  1671  fehlt  das  wort,  was  aber  nicht  zu 
dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  es  damals  noch  nicht  vorhanden 
war.  A^ermutlich  wurde  die  pflanze  zwischen  1550  und 
1650  nach  England  eingeführt.  Heute  ist  sie  auf  den 
Britischen  inseln  vollkommen  heimisch.  Sie  kommt  vielfach 
verwildert  vor  und  setzt  sich,  wo  sie  einmal  boden  gefasst 
hat,  leicht  so  fest,  dass  sie  schwer  wider  auszurotten  ist  und 
fast  das  aussehen  einer  wildwachsenden  art  hat.  Doch  verrät 
ihr  Standort  stets  den  verwilderten  fremdling.  "*)  Ein  volkstüm- 
liches genussmittel  in  dem  masse,  wie  z.  b.  in  Süddeutschland, 
ist  der  meerrettich  in  England  bis  heute  nicht  geworden. 

Gleichzeitig  mit  dem  auf  tiefen  der  pflanze  wird  auch  der 
name  horse-radish  entstanden  sein,  zu  dem  wir  einen  ansatz 
bereits  in  der  Turnerschen  benennung  tvyld  radish  haben. 
Seine  eigentliche  bedeutung  ist  von  De  Candolle  ziemlich 
richtig  erkannt,  wenn  er  meint,  man  wolle  damit  nur  die 
stärke  des  radies  andeuten.    Wedgwood  fi-eilich  (Dict.  of  Engl. 


^)  Hg.  V.  Britten,  Engl.  dial.  soc.  34,  s.  15. 

^)  Im  raittclalter  gilt  rapharms  ri(sticus  oder  vulgaris  als  die  gewöhn- 
liche lat.  heueummg  des  meeiTettichs.  Vom  16.  jh.  au  Avird  armoracia, 
das  im  mittelalter  verschiedene  cruciferen  bezeichnet  hatte,  immer  all- 
gemeiner in  diesem  sinne  verwant.  Camerarius  (1580)  sagt:  'raphamis 
rusticus:  vnlgo  armoracia''  (vgl.  Fischer- Benzon,  Altdeutsche  gartenflora 
s.  115). 

^)  Noch  heute  heisst  der  meerrettich  in  Italien  armoraccio  oder  ramo- 
laccio;  daneben  rafano,  ravano  grosso  (vgl.  Nemnich,  Allgem.  polyglotten- 
lex.  d.  natur-gesch.  1,  1093. 

*)  Watson,  Cybele  Britannica  1, 129.  3, 381.  Watson,  Compendium  of  tlie 
Cyb.  Brit.  s.  481.  De  Candolle,  Ursprung  der  culturpfl.  s.  43. 


MEERRETTICH.  565 

etymol.,  2^1  ed..  1872,  s.  349)  sagt:  'liorse-radish,  plattd.  mur- 
reddiJi,  from  tlie  ancient  mar,  a  liorse,  from  some  notion  of 
tlie  plant  being  wliolesome  for  horses'.  Aber  diese  aiislegung 
stammt  augensclieinlich  aus  Adelung,  mit  dessen  bemerkungen 
sie  fast  wörtlich  übereinstimmt.  Auch  Donald  in  Chambers'  Ety- 
mological  dictionary')  und  andere,  die  diese  erklärung  des  engl. 
horse-radish  geben,  widerholen  nur,  Avas  frühere  gesagt  haben. 
Dass  pferde  meerrettich  fressen,  ist  mir  nicht  bekannt;  dass  er 
ihnen  gelegentlich  als  medicin  beigebracht  wird,  ist  möglich;  auf 
keinen  fall  aber  ist  in  einer  solchen  medicinischen  Verwendung 
die  Ursache  der  namengebung  zu  suclieii:  diese  auffassung  be- 
ruht sicher  auf  einer  jüngeren,  gelehrten  misdeutung  des  namens. 
Pflanzennameii  mit  Jiorse  bez.  ross,  pferd  als  erstem 
element  dienen  im  engl,  wie  im  deutschen  mit  Vorliebe  zur 
bezeich nung  unechter,  besonders  gröberer,  oft  auch 
wildwachsender  und  ungeniessbarer  arten  gegenüber 
den  echten,  feineren,  cultivierten.  So  schon  ags.  hors- 
minte  als  bezeichnung  der  A\ilden  minzen  und  minzenähnlichen 
pflanzen  gegenüber  den  zarteren  garten -species;  im  gleichen 
sinne  nengl.  Iiorsemint;  ebenso  ahd.  rosses-minza  (schon  im 
9.  Jh.),  mhd.  rosseminz,  -myntsa,  rosmintze,  nhd.  rossminz,  pferde- 
münze\  mnd.  rosmynte,  perdeminte,  -mynte,  und.  pierdmünt, 
pärmint.'-)    Hierher  gehören  ferner  nengl. /^or^e  cres^,  veronica 


')  '  So  named  from  a  uotiou  of  its  beiiig-  wholesome  for  horses '  (s.  238). 
Chambers'  Etym.  dict.  erschien  .1867  und  hat  nach  seiner  eignen  angäbe 
u.  a.  auch  aus  der  ersten  aufl.  von  Wedgwood  geschöpft. 

2)  Graff"!,  819.  Steinmeyer -Sievers,  Ahd.  glossen  3,475,41.  555,54. 
Pritzel-Jessen,  D.  deutsch,  volksnamen  d.  pflanzen  s.  234  ff.  Fischer-Benzon, 
Altdeutsche  gartentiora  s.  188.  210.  —  Wenn  Weigand  (Deutsch,  ^^'b.  2) 
meint:  -auch  der  mittellat.  narae  die  eqnimcnta,  welcher  im  9.,  11.  u.  12.  jh. 
wörtlich  durch  rosses  ininza,  rosscminza ,  rosmhize  d.  i.'  rossminze  ver- 
deutscht wurde,  scheint  von  einer  Verwendung  des  krautes  als  pferdeheil- 
mittel  seineu  Ursprung  zu  haben',  —  so  ist  er  in  mehrfacher  hinsieht  auf 
dem  holzwege.  Erstens  ist  das  ahd.  rosses  minza  ganz  sicher  keine  Ver- 
deutschung des  mittellat.  equimenia,  sondern  dieses  ist  umgekehrt  (wie 
Steinmeyer  riclitig  vermutet)  eine  Übersetzung  des  germ.  namens,  der  ja 
auch  im  ags.  vorhanden  ist;  zweitens  ist  von  einer  Verwendung  dieser 
kräuter  —  denn  'rossminze'  ist  eine  generelle  benennung  für  verschiedene 
wilde  minzenarten  und  minzenähuliche  pflanzen  —  als  pferdeheilmittel 
nichts  bekannt;  und  endlich  hat  Weigaud  die  bedeutung  der  volkstüm- 
lichen namenbildungeu  mit  ross-  nicht  verstanden. 


566  Hoops 

beccabunga  L..  g-egenüber  der  gartenkresse;  Iwrse  üaisy^)  für 
chrysautliemiim  leucantliemum  L.,  die  weisse  Avucherblume, 
antlieniis  cotiila  L.,  die  liundskamille  und  ähnliclie  arten  gegen- 
über dem  zarten  gänseblümclien  oder  maasliebclien,  bellis 
perennis  L.,  mit  dem  jene  in  ihrem  liabitus  ähnliclikeit  haben; 
im  gleichen  sinne  stehen  in  Schottland  goivan  und  Jiorse  goivan 
einander  gegenüber.  Das  duftlose  hundsveilchen,  viola  canina, 
wird  zum  unterschied  von  viola  odorata  in  Essex  horse  violet 
genannt;  in  Augsburg  nennt  man  es  hundsvcigeln  oder  ross- 
veigehi.  —  Auch  sonst  sind  in  Deutschland  diese  bildungen 
nicht  minder  beliebt  als  in  England:  ross-eppich  für  heracleum 
sphondylium  L.,  bärenklau  und  ähnliche  pflanzen  im  gegensatz 
zum  wirklichen  eppich;  ross-erhs,  ein  St.  Galler  name  für  pha- 
seolus  multiflorus  Lamk.,  die  türkische  oder  prunkerbohne,  die 
nur  als  ziergewächs  wegen  ihrer  bunten  bluten,  nicht  der 
fruchte  wegen  gezogen  wird;  rossfcnchel  für  verschiedene 
fenchelartige,  rossldinimcl  für  entsprechende  kümmelähnliche 
wilde  umbelliferen;  rosspappel  für  die  wilde  malve  u.  s.  w. 
(vgl.  Pritzel-Jessen  a.  a.  o.  s.  620  f.).  Auch  der  name  ross-  oder 
Pferdebohne  dürfte  hierher  gehören. 

Ungleich  häufiger  noch  als  Jiorsc  und  ross  "wird  engl,  dog, 
nhd.  himds-  zur  bezeichnuug  des  unechten  gebraucht.  Z.  b. 
dogherry  für  verschiedene  nicht  essbare  beeren;  dogcherry,  dog 
dßisy  bez.  dog  goivan  (synonj^m  mit  den  oben  erwähnten  horse 
daisy,  horse  goivan),  dog  eller-),  dog  fennel  (wie  oben  das  nhd. 
rossfenchel),  dog  nettle,  dogrose,  dog  roivans.^)  —  In  Deutsch- 
land sind  solche  bildungen  ausserordentlich  häufig:  hundshecre, 
-dille,  -Jcamille,  -Jcirschen,  -hiohlauch,  -Mrhs,  -laucli,  -milch,  -peter- 
silie,  -reben,  -rose,  -rieben,  -veilchcn,  -weisen,  -ziviebel  u.  s.  w. 
(Pritzel-Jessen  s.  550  f.),  überall  im  sinne  von  'unecht,  pseudo-'. 
—  Auch  andere  tiernamen  werden  manchmal  in  der  gleichen 
function  verwant. 


')  'From  its  size  and  coarseness',  sagen  Britten  iind  HollaiKl  in  ihrem 
Dictiouary  of  English  plant -uames  mit  recht  (Engl.  dial.  soc.  22.  20.  45; 
s.  141).  Ans  ihren  belegen  geht  hervor,  dass  der  name  in  dieser  bedentnug 
über  ganz  England  verbreitet  ist. 

2)  Britten-Holland  s.  154  bemerken  unter  diesem  namen  sehr  richtig: 
'dog  is  apiilied  here,  as  in  manj' other  cases,  as  raeaning  spnrious,  not  the 
right  thing'. 

^)  Ueber  die  botan.  bedeutung  dieser  namen  vgl. Britten-Holland  s.  154  ff. 


MEERRETTICH.  567 

Nach  diesen  zahlreichen  parallelen  kann  wul  kein  zweifei 
mehr  darüber  herschen,  dass  horse-radish  weiter  nichts  als 
'unechter,  grober  rettich'  bedeutet  —  eine  erklärung-,  auf 
die  übrigens  schon  das  Turnersche  ivijld  radish  hinweist.  Und 
ähnlich  wie  in  Turners  Herbarium  wird  in  dem  ziemlich  gleich- 
zeitigen Kreutterbuch  von  Hieronymus  Bock  (f  1554)  zwischen 
dem  meerrettich  und  dem  zahmen  rettich  unterschieden:  'der 
meerrhetich  ist  mit  geschmack  und  geruch  sterker  dann  der 
zam'  (s.  280).  Der  umstaiul,  dass  schon  bei  'I'urner  1548  der 
in  England  damals  noch  unbekannte  meerrettich  als  wilder 
rettich  aufgefasst  wird,  zeigt  zugleich,  dass  der  nanie  horse- 
radish  jedenfalls  vcUlig  unabhängig  von  dem  deutschen  namen 
meerrettich  oder  nd.  marrcdik  entstand,  dass  er  eine  ganz  spon- 
tane engl,  bildung  ist,  die  erst  später  unter  verkennung  der 
ui-s})rimgliclien  Verhältnisse  mit  meerrettich  in  beziehung  ge- 
setzt wurde. 

Damit  fällt  auch  die  letzte  stütze  der  deutung  von  meer- 
rettich als  'mährenrettich'.  Es  kann  demnach  kein  zweifei  mehr 
darüber  sein,  dass  wir  in  dem  ersten  compositionsglied  tatsäch- 
sächlich  unser  wort  meer,  ahd.  meri,  zu  erblicken  haben.  In 
den  dialektischen  formen  merrcttich,^)  mcrredeh,  mcrch  etc. 
hat  sich  die  alte  kürze  vor  dem  doppelconsonanten  bewahrt; 
in  den  nd.  marreddil;  marreik,  mark,  marrettig  ist  das  e  vor  r 
in  geschlossener  silbe,  wie  auf  nd.  und  engl,  gebiet  so  sehr 
gewöhnlich,  in  a  übergegangen  (vgl.  mnd.  sterven  :  nnd.  starven, 
her  fest  :  harvst,  herte  :  hart  etc.;  mengl.  kerven  :  nengl.  carve,  fer  : 
far,  sterre  :  star,  bern  :  barn  etc.). 

Jedoch  was  bedeutet  meerrettich?  'Ueber  das  meer 
gekommener  rettich'?  So  wird  es,  wie  wir  gesehen  haben, 
von  verschiedenen  philologen  erklärt.  Aber  was  haben  die- 
selben sich  dabei  gedacht?  Der  name  war  schon  im  0.  und 
10.  jh.  vorhanden.  Amerika  war  dazumal  noch  nicht  entdeckt; 
in  England  war  der  meerrettich  überhaupt   nicht   bekannt; 


*)  Tu  der  Schriftsprache  tritt  schon  im  10.  jh.  die  form  meerrettich 
auf;  der  erste  beleg,  den  Weigaud  anführt,  stammt  aus  dem  jähre  153S. 
Andererseits  haben  sich  die  formen  mit  alter  kürze  in  den  würterbücheru 
noch  ziemlich  lange  erhalten.  Weigand  citiert  hierfür  Adam  Lonicerus 
(f  1586),  aber  noch  in  Stielcrs  Teutschem  .«jirachschatz  von  KlOl  (p.  1G05) 
lesen  wir  merrettich. 


568  Hoops 

eine  entsprechende  lat.  benenniing",  aus  der  das  alid.  wort  über- 
setzt sein  könnte,  existiert  nicht.  lieber  welches  meer  soll 
also  damals  die  pflanze  nach  Deutsclihuid  g-ebracht  sein?  Ich 
glaube,  durch  diese  einfache  historische  erwägung  wird  jene 
allzu  philologische  erklärung  von  selbst  gerichtet. 

Die  Sache  wird  noch  zweifelloser,  sobald  wir  nach  der 
wirklichen  heimat  des  meerrettichs  forschen.  De  Candolles 
gründliche  Untersuchungen  haben  erwiesen,  dass  der  meerrettich 
von  Osten  her  zu  uns  gekommen,  dass  seine  eigentliche 
heimat  das  östliche  Europa  ist. i)  'Die  cochlearia  armo- 
racia',  sagt  er,  'ist  von  Finland  bis  nach  Astrachan  und  der 
wüste  am  Kuma  verbreitet.  Grisebach  führt  sie  auch  für 
mehrere  localitäten  der  europäischen  Türkei  auf,  z.  b.  in  der 
nähe  von  Enos,  wo  sie  am  meeresstrande  liäufig  ist.  Je  mehr 
man  sich  dem  westen  Europas  nähert,  um  so  weniger  scheinen 
die  autoren  von  floren  über  die  einheimische  eigenschaft  sicher 
zu  sein,  um  so  zerstreuter  und  verdächtiger  werden  die  Stand- 
orte. In  Norwegen  ist  die  art  seltener  als  in  Schweden,  auf 
den  Britischen  inseln  seltener  als  in  Holland,  wo  man  keinen 
fremden  Ursprung  mutmasst.  Die  namen  der  art  bestätigen 
einen  ursprünglichen  wohnsitz  eher  im  osten  als  im  westen 
Europas:  so  findet  sich  der  russische  name  ehren  in  allen 
slavischen  sprachen  wieder:  henai  im  litauischen,  c]ire)i  im 
illyrischen.  Derselbe  hat  sich  in  einigen  deutschen  dialekten, 
z.  b.  in  der  nähe  von  ^Men,  eingebürgert,  oder  ist  auch,  trotz 
einführung  der  deutschen  spräche,  dort  verblieben.  Auch  das 
französische  wort  cran  oder  cranson  wird  davon  abgeleitet.' 

Die  Verbreitung  dieses  namens  über  das  ganze 
slav.-balt.  Sprachgebiet  ergibt  sich  noch  deutlicher  aus 
der  Zusammenstellung  der  verschiedenen  dialektformen  bei  Mi- 
klosich  (Et.wb.90):  aslov./weww,  nslov.Are»,  hiüg.hren,  seYh.hren, 
czech.  ehren,  poln.  chrzan,  klruss.  ehr  in,  russ.  chrcnu  oder  ehrehti; 
lit.  krenas.  Der  name  ist  etymologisch  bislang  nicht  erklärt.  Er 
macht  jedenfalls  einen  sehr  altertümlichen  eindruck;  ob  er  aber 
urslav.  sprachgut  oder  vielleicht  aus  einer  nichtindog.  spräche 
entlehnt  ist,  lässt  sich  vorläufig  niclit  entscheiden.  Er  drang 
schon  im  12.  jh.  ins  deutsche,  zunächst  als  chrene,  krene,  kren] 

1)  DeCandoUe,  Geographie  botanique  raisormee,  1855,  s.  654f.  Ursprung 
der  ciüturpfl.  s.  43  f.    Ferner  "Watson,  Cybele  Britannica  3,  381. 


MEERRETTICH.  569 

daneben  erscheint  vom  15.  jli.  an  l-ricnJ)  Iren,  h-icn,  fp-än, 
grien  ist  anch  heute  noch  die  gewöhnliche  benennung-  für  den 
meerrettich  in  den  südöstliclien  provinzen  des  deutschen  Sprach- 
gebiets und  nur  in  diesen.  Sie  erstreckt  sich  von  Siebenbürg-en 
durch  Oesterreich  über  i^idimen  nacli  Schlesien;  in  Süddeutsch- 
land ist  sie  durch  Bayern  l)is  nacli  Augsburg  vorgedrungen."^) 

Dies  nebenbei.  Von  den  oben  angefülirten  deutungen  des 
deutschen  namens  meeyrettich  bleiben  jetzt  nur  noch  zwei  be- 
stehen: die  De  Candollesche  und  die  von  Richey.  Beide  gehen 
übereinstimmend,  im  gegensatz  zu  den  übrigen,  vou  der  an- 
nähme aus,  dass  das  bestimnningswort  meerrettich  den  Standort 
der  pflanze  angebe.  Sie  sind  damit  auf  der  richtigen  bahn, 
obschon  im  übrigen  auch  ihre  ausleguiigen  unzureichend  sind. 

Gegenüber  der  erklärung  De  Candolles,  wonach  die  pflanze 
so  genannt  wäre,  weil  'die  art  in  der  nähe  des  meeres 
gedeiht',  erhebt  sich  sofort  wider  die  frage:  welches  meer  ist 
denn  damit  gemeint?  An  irgend  eine  nichtdeutsche  see,  etwa 
das  Mittelländische  oder  Schwarze  meer,  zu  denken,  hat  keinen 
sinn:  einen  lat.,  gr.  oder  slav.  namen,  der  'meerrettich'  be- 
deutete, gibt  es  nicht.  Die  deutsche  bezeichnung  ist  aus  keiner 
fi'emden  spräche  übersetzt,  sondern  specifisch  deutschen  Ur- 
sprungs und  ist  sicher  aus  der  unmittelbaren  anschauung 
geschöpft.  Für  Deutschland  aber  können  von  meeren  offenbar 
nur  Xord-  und  Ostsee  in  betracht  kommen,  und  dass  der  meer- 
rettich an  deren  ufern  besonders  häufig  wachse,  wird  niemand 
behaupten  wollen.  Das  ahd.  meri-ratich  kann  somit  nicht  'der 
am  meere  wachsende  rettich'  bedeutet  haben. 

Nach  Richeys  ansieht  endlich  hätten  wir  in  dem  nd.  maar- 
reddick  die  ursprünglichere  form  zu  erblicken,  w'eil 'dieser 
rettich  nicht  im  meere,  sondern  im  umar-  oder  moor- lande 
wachset'.  Hiergegen  lässt  sich  botanisch  nichts  einwenden. 
Man  kann  in  jedem  botanischen  handl)uch  finden,  und  jeder 
gärtncr  wird  es  bestätigen,  dass  der  uieerrettich  an  feuchten 
stellen,  an  graben,  teichen,  sümpfen,  flüssen  u.  dgl. 
wächst.    Aber  die  philologische  seite  von  Richej's  erklärung 


')  Lexer  1,  1720.  MLd.  \vb.  1,  S7S.  Konriul  Megenhcrg  in  seinem  liiich 
der  natur  (418,  25)  sagt:  diu  vurz,  diu  etsirä  merretich  hnizt  und  amUrswä 
leren. 

2)  Pritzel-Jcssen,  D.  deutsch,  volksn.  d.  iill.  s.  241. 


570  HOOPS,   MEERRETTICH. 

ist  unhaltbar;  der  dilettantisnius  steht  ihr  auf  der  stirn  ge- 
schrieben, weshalb  sie  von  den  neueren  forschern  seit  beginn 
des  jh,  überhaupt  nicht  mehr  beachtet  ist.  Die  nd.  form  mit  a, 
wie  wir  gesehen  haben,  ist  nicht  die  ursprünglichere;  und  selbst 
wenn  sie  es  wäre,  würden  maar  und  ynoor  immer  noch  nicht 
identisch  sein. 

Damit  wären  die  bisher  aufgestellten  erklärungen  wol 
erschöpft,  und  es  scheint  nun  wirklich  fast,  als  ob  Nemnich 
recht  behalte,  dass  sich  kein  sicherer  Ursprung  des  namens 
raeerrettich  angeben  lasse,  weil  gegen  jeden  deutungsversuch 
gleich  wider  schwere  bedenken  erstehen.  Wie  kommen  wir 
aus  diesen  Schwierigkeiten  heraus? 

Nur  eine  vernünftige  Vereinigung  botanischer  und  philo- 
logischer forschuug  kann  uns  hier,  wie  bei  allen  Untersuchungen 
über  pflanzennamen,  zum  ziele  führen.  Der  fehler  aller  früheren 
erklärer  war,  dass  sie  von  der  heutigen  hd.  oder  nd.  form  des 
namens  ausgiengen,  während  sie  sich  zunächst  an  die  älteste 
bezeugte  form,  das  ahd.  meri-raticJi,  hätten  halten  sollen.  Ahd. 
meri,  wie  as.  meri  und  ags.  mere  bedeuten  aber  in  erster  linie 
nicht  'meer',  sondern  'stehendes  binnengewässer,  weiher, 
tümpel,  sumpf.  Vgl.  afries.  mar  'graben,  teich';  anl.  maere, 
maer,  mer  'sumpf,  see',  ags.  mer{i)sc  =  nengl.  marsh,  nd.  marsch 
'sumpfige  niederuug';  ferner  gr.  dficcQa  'graben,  kloake'.  Nur 
auf  hochdeutschem  gebiet  hat  das  wort  die  bedeutung  'meer' 
angenommen,  im  nl.  und  engl,  bedeutet  es  noch  heute  'land- 
see,  sumpf.  Erinnern  wir  uns  jetzt  daran,  dass  der  meer- 
rettich  feuchte  Standorte  an  graben,  teichen,  sümpfen  u.  dgl. 
liebt,  so  wird  uns  der  ui'sprüngliche  sinn  des  ahd.  meri-ratich 
sofort  klar  werden:  es  bedeutet  weiter  nichts  als  'sumpf- 
rettich'.  Das  ist  des  rätseis  sehr  einfache  lösung.  Der  alte 
Eichey  mit  seiner  dilettantischen  auffassung  des  Wortes  als 
moor-reükli  ist  also  'in  seinem  dunkeln  dränge'  tatsächlich  von 
allen  der  Wahrheit  am  nächsten  gekommen. 

HEIDELBEEG,  18.  märz  1898.        JOHANNES  HOOPS. 


WERWOLF. 

An  der  bekannten  stelle  in  den  gesetzen  Cnuts  (Sclimid, 
Gesetze  der  Angelsachsen-  s.  270)  bieten  die  liss.  die  form  werc- 
wulf  statt  des  zu  erAvartenden  wcnvulf.  Dieser  umstand  hat 
nun  Kögel  veranlasst,  die  landläufige  deutung  des  wortes  als 
'mannwolf  anzuzweifeln  und  eine  neue  erklärnng  zu  ver- 
suchen. *)  Indem  er  den  ersten  teil  des  compositums  mit  got. 
wasjan  'kleiden'  zusammenbrachte,  deutete  er  das  wort  als 
'wolfskleid",  und  diese  erklärung  ist  unter  anderen  auch  von 
Kluge  in  der  letzten  aufläge  seines  Etymologischen  Wörter- 
buchs angenommen  worden.  In  den  Beitr.  21,  574  ist  Mogk 
indessen  wider  für  die  alte  ansieht  und,  wie,  ich  glaube,  mit 
recht  eingetreten.  Er  macht  geltend,  dass  das  in  den  Gesetzen 
vielfach  belegte  wort  iver^ild,  dessen  erster  teil  unzweifelhaft 
'inann'  bedeutet,  in  Cnuts  dömas  zweimal  in  der  form  tvere- 
^ild  vorkommt,-)  und  zieht  daraus  den  schluss,  dass  das  nur 
einmal  begegnende  ucreivulp)  in  ähnlicher  weise  für  wenvidf 
verschrieben  sei. 

Es  lässt  sich  aber  noch  anderes  zur  stütze  von  ]\rogks 
ansieht  beibringen:  aus  den  folgenden  belegen  geht  nämlich 
hervor,  dass  seit  dem  anfang  des  11.  jh.'s  die  Schreibung  icere 
für  iftr  nicht  nur  in  den  Zusammensetzungen,  sondern  auch 
als  Simplex  vorkommt. 


1)  Vgl.  Beitr.  21,  574  und  Pauls  Grmidr.  1,  1017  anm. 

*)  Dies  sind  aber  nicht  die  einzigen  belege:  vgl.  Ine  15  (Liebermann, 
Die  gesetze  der  Angelsachsen,  1898,  s.  90),  wo  die  hss.  Bu  (ll.jh.)  und  H 
(r2.jh.)  iccre^ihl  bieten;  und  Alfred  7,  1  (1.  c.  s.  54),  wo  die  hs.  E  (ca.  950) 
iceregilde  hat.  Alfred  4,  1  (1.  c.  s.  50)  haben  die  aengl.  hss.  irer-,  und  in  den 
Quadripartitus  ist  das  wort  als  iceregildum  aufgenonuuen  worden. 

ä)  In  meinem  Wulfstan  s.  191,  IG  wird  ebenfalls  icereirulf  geschrieben: 
die  betreffende  stelle  ist  aber  nur  ein  auszug  aus  diesem  gesetz  Cnuts. 


572  NAPIER 

Die  ang-efülirten  belege  sind  sänimtlicli  nom.  bez.  acc.  sg. 
Die  westsäclisischen  Evangelien  (ca.  1000)  bieten  zweimal  den 
acc.  sg-.  tvere  (Marc.  10,12.  Luc.  1,34):  nur  eine  lis.  hat  an 
beiden  stellen  iver. 

In  Eadwines  Canterbury  psalter  (ed.  Harsley),  der  nach 
Wanley  'circa  tempora  Stephani'  (1135 — 1154)  geschrieben 
wurde,  steht  die  form  tvere  zweimal  (Ps.  1, 1.  5,  7)  neben  häu- 
figerem wer.  Belege  aus  der  um  die  mitte  des  12.  jh.'s  ge- 
schriebenen Cottonschen  lis.  Vespasian  D  14  finden  sich  in  der 
Angiia  3, 106, 27.  108,  73.  109, 91  ])es  (se)  halse  were.  Anglia  11, 
370,  46  stva  p  se  tvere  ne  g^'d  his  wif,  ne  p  tvif  liire  tvere. 
390,2  Eadis  hyd  se  tvere.  Kluge,  Ags.  leseb.^  s.  88,  37.  Die 
31.  zeile  des  Poema  morale,  ed.  Lewin  (ca.  1170)  lautet:  Ne 
hopie  ivif  to  liire  ivere,  ne  tvere  to  his  tvife,  während  das  Or- 
mulum  (ca.  1200)  stets  die  form  tvere,  nie  tverr  bietet,  i) 

Weitere  belege  für  tvere  aus  der  ersten  hälfte  des  13.  jh.'s 
sind:  Juliana,  ed.  Cockayne  s.  14, 13.  Hali  meidenhad,  ed.  Co- 
ckayne  s.  31, 18.  Owl  and  Nightingale,  ed.  Stratmann  1341 
(ivere  reimt  mit  copenere).  1522.  Genesis  and  Exodus,  ed. 
Morris  3977.  Man  kann  sogar  behaupten,  dass  seit  dem  an- 
fang  des  13.  jh.'s  were  die  allein  herschende  form  sei;  mir  ist 
seit  dem  j.  1200  kein  sicherer  fall  von  tver  bekannt. 

Mogk  überlässt  es  den  anglisten  zu  entscheiden,  wie  dieses 
unorganische  e  zu  erklären  sei:  ich  meine,  es  liegt  nahe,  an  be- 
einflussung  durch  die  zweisilbigen  nomina  here,  mere,  spere, 
here,  pere  zu  denken.-)  Freilich  stehen  diesen  fünf  zwei- 
silbigen Wörtern  vier  einsilbige  auf  er  gegenüber:  ausser  tver 
noch  htver,  {^e)ner,  jefer;  doch  sind  diese  abgesehen  von  tver 
verhältnismässig  selten,  während  liere,^)  mere,  spere,  here  in 
täglichem  gebrauch  waren. 

Namentlich  aber  bei  den  sehr  zahlreiclien  und  häufig  ge- 
brauchten mit  here-,  mere-,  spere-  gebildeten  compositis  würde 
sich  ein  solcher  einfluss  geltend  machen  können:  diese  konnten 


1)  Vgl.  Ormithim  2558.  4604.  4614.  7615.  1)129.  13S90,  auch  Sachse,  Das 
unorganische  e  im  Ornmhmi,  1881,  s.  7. 

-)  Auch  einfluss  seitens  der  nomina  agentis  awf -cre  {sceawere,  ßrötcere 
U.S.W.)  ist  nicht  ausgeschlossen;  doch  scheint  mir  einfluss  von  here  u. s. w, 
wahrscheinlicher. 

^)  Vgl.  auch  die  mit  Ilcrc-  zusammengesetzten  eigennameu. 


WEEWOLF.  573 

die  fast  isoliert  dast eilenden  /rc^-composita  leicht  nach  sich 
ziehen,  denn  von  den  übrig-en  tv- Wörtern  wnrden  so  gut  wie 
keine  Zusammensetzungen  gebildet. 

Dadurch  wird  das  vorkommen  von  /rcn;:^il((  bereits  im 
10.  jh.  leicht  verständlich  ;^)  etwas  später  hängt  man  auch  dem 
Simplex  das  e  an,  und  diese  neue  form  wiid  im  laufe  der  zeit 
die  vorhersehende. 


*)  In  ganz  iilniliclipr  weise  ist  ans  jccrwöf? 'werrant'  ein  iceremöä  ge- 
worden: "Wiight-Wülker  290,  24  (11.  Jb.).  Cockayne,  Leechdonis  1,21G,  H) 
MS.  0  (12.  Jh.).  3,  124,  26.  134,  13  (12.  Jh.).  Dieses  scliwanken  zwischen  iccr- 
und  ivere-  wurde  wol  nunmehr  der  grund,  weshall)  in  späterer  zeit  formen 
wie  herpad  u.s. w.  neben  herepaö  auftreten;  vgl.  Crawford  charters,  ed. 
Napier  and  Stevenson,  s.  42. 

OXP^ORD,  Januar  1898.  A.  S.  NAPIER. 


ZUM  OPUS  IMPERFECTUM. 

Fr.  Kauf f mann  befasst  sich  Zs.  fdpli.  30,  431  mit  einem 
passus  meines  Dresdener  Vortrags  über  das  Opus  imperfectum 
(vg'l.  Verh.  d.  44.  vers.  deutsch,  pliilol.  u.  scliulra.  s.  1211)  und  nimmt 
Veranlassung-,  mir  bei  dieser  geleg'enheit  den  Vorwurf  mangelnder 
Sorgfalt  zu  machen. 

Ich  hätte  wol  erwarten  dürfen,  dass  Kauffmann  mit  seiner 
beschuldigung  gewartet  hätte,  bis  die  von  mir  versprochene 
Untersuchung  erschienen  wäre,  anstatt  gegen  mich  zu  polemi- 
sieren, ohne  mein  beweismaterial  zu  kennen.  Auch  hätte  ich 
alle  Ursache  die  frage  aufzuwerfen,  warum  Kauffmann  in  seinem 
aufsatz  über  das  Opus  imperfectum  (Beilage  zur  Allg.  ztg.  vom 
24.  febr.  1897)  zwar  der  von  mir  als  nicht  beweiskräftig  ab- 
gelehnten stelle  über  den  gladius  separationis  (sp.  767  f.)  ganze 
22  Zeilen  einräumt,  dagegen  jene  stelle  auf  sp.  896,  die  heute 
sein  hauptbew^eisstück  bildet,  mit  absolutem  stillsclnveigen  über- 
gangen hat.  Der  herkömmlichen  art  der  beweisführung  ent- 
spricht ein  solches  verfahren  jedenfalls  nicht,  selbst  dann  nicht, 
wenn  Kauffmann  nur  auf  leser  rechnen  sollte,  die  das  ganze 
Opus  imperfectum  ad  hoc  durchzuarbeiten  willens  wären. 

Wie  dem  auch  sein  mag,  mir  genügt  es  festzustellen,  dass 
die  behauptung,  mir  sei  die  stelle  auf  sp.  896  entgangen,  un- 
i'ichtig  ist.  Ich  habe  sie  vielmehr  in  meinem  Vortrag  ausführ- 
lich erörtert,  wie  ich  durch  mein  manuscript  jederzeit  zu  be- 
weisen im  Stande  bin.  Ich  sollte  denken,  mit  demselben  recht, 
mit  dem  Kauffmann  fordert,  dass  man  ihm  eine  nicht  citierte 
stelle  gutschreibe,  hätte  auch  ich  beanspruchen  können,  dass 
man  voraussetze,  nicht  alle  von  mir  in  dem  auf  ein  minimum 
reducierten  referat  übergangenen  stellen  seien  mir  unbekannt. 

Was  die  sache  selbst  anlangt,  so  kann  ich  in  der  von 
Kauffmann  nachträglich  beigebrachten  stelle  ebensowenig  eine 


ZUM   OPUS  IMPERFECTUM.  575 

anspielimg-  auf  die  ausMaiideruiio-  ihn-  wulfilani.schen  (.lOteii 
erblicken  wie  in  der  xom  (/lad ins  separationis.  Dem  wider- 
spriclit  vollständig-  der  Zusammenhang-.  Der  ganze  passus  lautet 
nämlich:  Ut  autem  et  hatrcticis  hacc  cadem  coapte- 
mus,  Jerusalem  hie  scmpcr  Ecelcsiam  hitellige,  qtiae  dicitur 
civitas  pacis,  cuins  fundamenta  posita  sunt  su})cr  montes  Scrip- 
turarnm.  Sicut  ergo  Uli  ludaei,  qui  fuerant  Jerusalem  spiri- 
tualis,  ingressi  crediderunt  in  Christum,  Uli  autem,  qui  erant 
Jerusalem  corporalis,  manentes  in  eorporali  Judaismo,  perse- 
quehanfur  spirituales  Judaeos,  i.  e.  apostolos  cacterosque  ex 
circumcisione  credentes:  sie  et  de  ista  nova  Jerusalem  i.  e.  de 
Ecclesia,  qui  spirituales  Christiani  fuerunt,  relicta  eorporali 
JEcclesia,  quam  perfidi  occupaverant  violentia,  exierunt  ah 
Ulis.  Magis  autem  Uli  exierunt  a  nohis,  sicut  Joannes  exponit 
(1.  Joan.  2,  19). 

Exire  de  Ecclesia  quis  dicatur.  —  Non  enim  ille  de 
Ecclesia  exire  videtur,  qui  corporaliter  exit,  sed  qui 
spiritualiter  veritatis  ecclesiasticae  fundamenta  relin- 
quit.  Nos  enim  ah  Ulis  exivimus  corpore,  Uli  autem  a  nohis 
animo.  Kos  ah  Ulis  exivimus  loco,  Uli  a  nohis  fide.  Kos  äpud 
illos  reliquimus  fundamenta  parietum,  Uli  apud  nos  reliquerunt 
fundamenta  Scripturarum.  Nos  ah  Ulis  egressi  sumus  secun- 
dum  aspectum  homimim,  Uli  autem  a  nohis  secundum  iudicium 
Dei.  Jdeo  et  Uli  corporales  Christiani  persequuntur 
nostros  spirituales,  specie  colorata,  varictate  fundata.  Prop- 
terea  quae  siiperius  Dominus  commemoraverat,  ad  illam  Jeru- 
salem corporalem  dicta  esse  videntur:  Jerusalem,  lerusalcm, 
quae  occidis  2yrophetas  d  lapidas  eos  qui  ad  te  mittuntur.  Non 
dixit:  quae  occidisti  et  lapidasti,  sed:  quae  occidis  et  lapidas, 
i.  e.  quae  hoc  proprium  et  quasi  naturalem  consuetucjUnem  hahes, 
ut  occidas  et  lapides  sanctos.  Non  enim  occidit  aut  lapidavit 
sanctos  ante  Christum  et  cessavit  facere  post  Christum  quae 
fecit  aliquando  prophetis,  sed  eadem  ipsa  facit  apostolis,  quae 
fecit  aliquando  prophetis.  Sic  et  haercticorum  Ecclesia 
non  solum  persecuta  est  patres  nostros,  et  perseqtii 
cessavit:  sed  eadem  filii  eorum  faciunt  nohis,  quae 
patribus  nostris  feccrunt  patres  aar  um. ^) 


*)  Man  vergleiclie  hiermit  foif^cnde  sätze  auf  sp.  bUS:    llacrcticonim 
Ecclesia  denlkta  a  JJco  et  omnibus  sunctis.  —  lidicia  est  autem  et  deserta, 


576  STREITBERG,   ZUM    OPUS   IMPEEFECTUM. 

Man  sieht,  Kauffmann  liätte  besser  getan  sicli  nicht  auf 
diese,  angeblich  'einer  hervorhebung  überhaupt  nicht  bedür- 
fende' stelle  zu  berufen.  Denn  sie  handelt  von  der  occupation 
der  arrianischen  kirchen  durch  die  übermächtigen  ortho- 
doxen, von  der  Verfolgung  der  Arrianer  durch  ihre  ortho- 
doxen gegner.  Sie  stimmt  also,  wie  für  jeden  aufmerksamen 
leser  von  vornherein  klar  war,  aufs  beste  zu  jener  stelle  auf 
sp.  7G7  f.,  wo  von  mfideles  und  nicht  von  gentiles  die  rede  ist. 
So  wenig  wie  diese  kann  sie  daher  auf  die  Verfolgung  und 
Vertreibung  der  wulfilanischen  Goten  durch  ihre  'heidnischen 
Volksgenossen'  bezogen  werden.  Vielmehr  enthält  sie  nichts 
anders  als  den  alten  lieblingsgedanken  des  Verfassers,  der  in 
immer  neuen  Varianten  widerkehrt:  dass  die  starke  orthodoxe 
partei  dem  äussern  anschein  nach,  die  schwache  und  bedrängte 
arrianische  dagegen  in  Wahrheit  die  kirche  Christi  repräsentiere. 


ex  quo  de  illa  corporali  Ecdesia  spirituah's  exivii  i.  c.  de  popido  suo,  qui 
ridehatur  Chr/stianus  et  non  erat,  poptdits  iste  exivit,  qui  non  videbatur 
et  erat:  et  magis  autem,  secundum  quod  dtximus,  Uli  a  nobis  exierunt  quam 
nos  ab  Ulis. 

WIESBADEN,  2.  april  1898. 

WILHELM  STREITBERG. 


Halle  n.  S.,  Druck  von  Elirhardt  Karras. 


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