BEITRÄGE
ZUR
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEYERS.
XXIII. BAND.
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEINSTRASSE
1898
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INHALT.
Seite
Ueber Hartmaun von Aue. Von F. Sara n 1
Aüglosaxonica. IV. Von P. J. Cosijn 109
Die dehnimg- der mhd. kui'zen stammsilbenvocale in den volks-
mundarten des hocbdeufschen Sprachgebiets auf grund der
vorbandeneu dialektliteratur. VouA. Kitzert 131
Kleine beitrage zur deutseben Wortforschung. Von B. Liebicb 223
Zur altwestfriesiscben lexikologie. Von W. van Helfen . . . 232
Zu Beitr. 22, 543 ff. Von E. Zupitza 237
Gotes. Eine bemerkung zur altdeutschen Wortstellung. Von
I. Harczyk 240
Zum NaiTenscbiff. Von A. Goetze 245
Brunhildenbett. Von W.Braune 246
Aprikose. Von W. Hörn 254
Zu den labialisierten gutturalen. Von Th. Siebs 255
Ueber die ausgäbe der Bevers saga. Von G. Cederschiöld . . 257
Grammatisches und etymologisches. Von H. Hirt 288
(I. Zum ablaut der set -wurzeln: s. 288. — 11. Zur Vertretung
der labiovelare: 8.312. — DI. Zu den t-praesentien: s. 315.
— IV. Zur Chronologie germanischer lautgesetze: s. 317, —
V. Zum spirantenwecbsel im gotischen : s. 323. — VI. Zu den
germ. lehn Wörtern im slaviscben und baltischen: s. 330. —
Vn. Etymologien: s. 351)
Studien zu Reinfried von Braunscbweig. Von P. Gereke . . 358
Der a-umlaut und der Wechsel der endvocale a : i{e) in den alt-
nord. sprachen. Von A. Kock . . 484
(I. Der Wechsel der endvocale a:i(e): s. 484 [Ekcui*s 1:
Der Wechsel u : o im part. pass. der ostnord. sprachen : s. 503.
— Excurs 2: Zur frage nach dem palatalumlaut : s. 506]. —
n. Zur frage nacli dem a-umlaut von u iu den altnord.
INHALT.
Seite
sprachen: s. 511 [Excurs: Die behaudhmg- des gerra. diphthougs
eu und der Wechsel iü : iü in den altnord. sprachen: s. 532].
m. Zur frage nach dem o- Umlaut von i in den altnord.
sprachen: s. 544)
Die Chronologie des Übergangs von germ. e zu i vor v -f- k, g, y.
Von K. Helm 556
Meerrettich. Von J. Hoops 559
Werwolf. Von A. S. Napier 571
Zum Opus imperfectum. Von W. Streitberg 574
UEBER HARTMANN VON AUE.
Die ergebnisse meiner dissertation •Hartmann von Aue als
l}Tiker' (Halle 1889) sind in den letzten jähren von verschie-
denen Seiten her angefochten worden. F. Vogt hat in einer
eingehenden besprechung (Zs.fdi)h.24,237) mancherlei bedenken
erhoben. Andere machte dann E. Henrici im Jahresber. f.
germ. phil. 13, 263 geltend, und neuerdings hat noch A. Schön-
bach in seinen Untersuchungen über Hartmann von Aue (bes.
s. 343 ff.) meine arbeit einer scharfen kritik unterzogen.
Obwol ich trotzdem nach wie vor überzeugt bin, dass die
resultate meines buches in allem wesentlichen unerschüttert
stehen, so wiegt doch nicht weniges von dem was jene gelehiten
beibringen, schwer. Es sind von ihnen, besonders von Vogt,
in der tat mängel meiner beweisführung bloss gelegt worden,
so dass eine ergänzung am platze ist, wenn anders die ergeb-
nisse der arbeit bestehen bleiben sollen.
Aus anderen gründen empfiehlt es sich, die Untersuchung
übei-haupt noch einmal aufzunehmen, wenigstens zum teil.
Diese gründe sind vorzugsweise rhythmischer natur. Ich
stand 1889 in dieser beziehung auf einem Standpunkt, den ich
jetzt nach mehrjährigem Studium der musikalischen und
poetischen i'hythmik als ungeniigend erkannt und darum ver-
lassen habe. Aendert sich auch — wie ich vorweg bemerken
will — bei der neuen, richtigeren betrachtung an dem schluss-
resultat nichts von belang, so ist es doch notwendig, bei
besserer einsieht das finihere nachzuprüfen.
Ich habe in meiner schritt von 1889 nachzuweisen ver-
sucht, erstens eine Chronologie der lieder Hartmanns und des
er-sten büchleins (H.'s klage), zweitens die unechtheit des so-
genannten zweiten büchleins, des künstliclien Schlusses des
ersten und weniger lieder, die schon andere ^'ur mir beanstandet
Beiträge zur geschlchte der deutacheu epracUe. XXIII. 1
2 SARAN
haben. Diese ergebnisse zu sichern werde ich im folgenden
meine frühere Untersuchung ergänzen, wo es nötig ist, und
verteidigen, wo ich gegenüber Vogt, Henrici und Schönbach
im recht zu sein glaube.
Die lieder.
I. Zur kritik und erklärung.
Vogt tadelt a. a. o. s. 241 die weitgehende Zerlegung, die
ich mit den liedern Hartmanns vorgenommen habe. In der
tat ist das was ich H. v. A. s. 5 ff. darüber vortrage, einzu-
schränken und zu berichtigen.
Schon Lachmann hat zu Walther 53,83 und 74,20 da-
rauf hingewiesen, wie schwer es ist, aus den Strophenreihen
die die handschriften überliefern, lieder mit einleuchtendem
gedankenf ortschritt herzustellen. Dann hat besonders Wil-
nianns, Zs. fda. 13, 229 ff. auf diesen punkt geachtet: er zerlegt
einige der lieder Walthers, die Lachmann angenommen, A\1der
in einzelne von einander unabhängige Strophen. In seiner
ausgäbe des dichters (2. aufl.) s. 61 sagt er darüber: 'fi^eilich
stehen zuweilen einzelne Strophen mit anderen desselben
tones nicht in unmittelbarem, engeren Zusammenhang, aber
sie können doch zugleich mit diesen entstanden und vor-
getragen sein. Der fall, dass zwei selbständige in sich ab-
geschlossene lieder nach derselben weise gehen, begegnet nur
einmal: 63,8 und 112, 17'. Nur zuweilen also fehlt nach Wil-
manns der Zusammenhang. Dies und der umstand, dass es
Lachmann (ifters für nötig hält die überlieferten strophen
gegen alle handschriftliche autorität, rein nach eigenem er-
messen anzuordnen, und dass dann Wilmanns mehrfach solche
lieder Lachmanns wider zerschlagen muss, beweist, dass beide,
Lachmann sowol als AVilmanns, an die reihe der überlieferten
Strophen eines tones zunächst den massstab dessen anlegen
was man heutzutage unter einem liede versteht. Andernfalls
hätten versuche sie zu ordnen keinen zweck. Offenbar fordert
Lachmann für die strojdien eines tones inneren zusaunnenhang
und gedankenf ort seh ritt. Wo sich ein solcher aus der über-
lieferten folge nicht ergibt, sucht er durch mnstellung nach-
zuhelfen. Erst wenn auch dies mittel versagt, entschliesst er
sich, solche strophen von den andern zu trennen. Diese fälle
UEBER HARTMANN VON AUE. 3
AA^erden im druck durch breiten Zwischenraum kenntlich ge-
mächt.
Er und Haupt verfaliren in MF. ganz ebenso. Ich glaube
nicht dass man beider absiebten verkennt, wenn man annimmt :
die Strophen eines tones welche im druck eng an einander
geschlossen sind, soll der leser als einheitliches lied mit be-
stimmtem gedankenfortschritt ansehen, wenn dieser auch oft
schwer zu erkennen sein mag. Nur diejenigen Strophen stehen
ausserhalb des Zusammenhanges, welche auch im text isoliert
bleiben. Vgl. Hartm. 206, 10. 208, 32. 210, 35—211, 8.
So fassen auch diejenigen die Sachlage auf, die im anschluss
an MF. Untersuchungen angestellt haben. Denn die zahlreichen
vorschlage, hier die Strophenordnung zu verändern, dort eine
oder mehrere Strophen selbständig zu machen, haben doch nur
dann einen sinn, wenn ihre Urheber von eben den Voraus-
setzungen ausgehen, die ich oben betreffs der ausgäbe an-
genommen habe.
Gerade diese tatsache nun, dass so häufig anlass ist, über
umfang und gedankengang von minneliedern zu schwanken,
lehrt, dass Lachmanns und Haupts ausätze nicht überall über-
zeugen, dass nicht immer ein gedankenfortschritt in den
Strophen aufgefunden werden kann, die der text von MF. in
der weise eines liedes zusammenstellt. Diese erkenntnis hat
Paul zu der ansieht geführt, die er Beitr. 2, 510 ff. ausspricht.
Er macht hier den mangel an innerem gedankenfortschritt
geradezu zum princip der mhd. IjTik. 'Die lieder Eeinmars
■wie die der meisten minnesinger haben in der regel keine
durchgeführte gedankenent Wickelung. Ein logischer zusammen-
liang zwischen den einzelnen Strophen ist sehr oft kaum oder
gar niclit zu bemerken, jede strophe könnte für sich ein ganzes
bilden, w(jher es auch kommt, dass die liss. in der strophen-
ordnung so oft von einander abweichen. Wenn Avir überall
da. wo der zusauniieiiliang fehlt, teilen wollten, so würden wir
noch eine menge eiustropliiger lieder bekommen. Aber schwer-
licli w iirde dies verfahren richtig sein. Wir müssen vielmehr
annehmen, dass auch solche eines inneren Zusammen-
hanges entbehrende Strophen doch äusserlich zu
einem liede aneinandergereiht waren, d.h. zusammen
vorgetragen wurden. Ueber den umfang und die grenzen
4 SARAN
eines solchen liedes in jedem einzelnen falle zu entscheiden,
haben Avir kein mittel mehr.'
Das was die Strophen zu liedern zusammenhält, ist also
nach Pauls ansieht mehr der äussere umstand dass sie zu-
sammen yorgetrao'en wurden, als das band des gedankens.
Die gleichheit in strophenbau und melodie hat seiner meinung
nach mindestens eben so grosse bedeutung für das verketten
einzelner Strophen zu einem ganzen wie der Inhalt. Vgl. auch
Paul, Waltherausgabe-, einl. s. 24. Schönbach, Untersuchungen
s. 357 stimmt ihm darin bei. Folgerechter weise hätten unter
diesen umständen anordnungsversuche nur sehr bedingten wert.
Wie weit Pauls ansieht richtig ist, kann nur die durch-
arbeitung eines grossen materiales ergeben. Jeder minnesinger
muss einzeln darauf hin geprüft werden. Für Hartmann bin
ich jedenfalls in der annähme von völlig selbständigen einzel-
strophen zu weit gegangen. Ich glaube jetzt, dass zusannnen-
hang von Strophen eines tones beabsichtigt sein kann, auch
wenn ein eigentlich logisch greifbarer fortschritt der ge-
danken nicht zu linden ist. Ich halte es darum nicht für richtig,
dass Bech in der dritten aufläge seines zweiten bandes meinem
Vorgang öfters genau folgt und die Verbindung in mehreren
tönen auch äusserlich gänzlich löst. Er versieht Strophen die
ich abgesondert habe, mit besonderen nummern und einleitungen
(z. b. 211, 2 ff. 206, 19 ff. 205, 1 ff. 209. 25 ff.) und verleiht ihnen
dadurch grössere Selbständigkeit als der dichter wirklicli
gewollt.
Dass die weitgehende Zerlegung der töne von MF. zu
unwahrscheinlichen conseciuenzen führen würde, habe ich
übrigens selbst schon während des druckes meiner arbeit er-
kannt und darum die im text vorgetragene ansieht nach-
träglich in einer anmerkung etwas verändert (H. v. A. s. 13
unten). Ich schlage dort für Strophenreihen, deren glieder
sich im Inhalt folgerichtig aneinander anschliessen, gegen
einander also unselbständig sind, den namen strop henke tte
vor. Solche deren glieder, wenigstens gegen einander, selb-
ständig sind und nur durch die beziehung auf ein gemeinsames
thema zusammen hängen, nenne ich Strophenkreis. Die
Zusammengehörigkeit muss in allen fällen kenntlich gemacht
werden; zum besseren Verständnis würde es aber dienen, wenn
UEBER HARTMANN VON AUE. 5
sich ein nicht zu auffallendes mittel finden Hesse, fiio;ung-en
der zweiten ai-t auch im druck anzudeuten. Der leser bleibt
dann über den mang-el streng- logischer folge keinen augen-
blick im zweitVl und verliert seine zeit nicht mit unnützen
constructionen.
Eis ist zweckmässig, einmal rein theoretisch die Verhält-
nisse aufzustellen, welche im inhalt zwischen den Strophen
eines tones obwalten können. Wie viele von diesen logischen
möglichkeiten wirklich praktische bedeutung haben, kann nur
die einzelforschung ermitteln. Es sind folgende.
I. Die Strophen eines tones enthalten einen durch-
laufenden ged ankengang (strophenketten).
a) Die gedanken schreiten streng an einander geschlossen
vorwärts, eine Strophe nimmt den gedanken da auf, wo ihn
die vorausgehende hat fallen lassen. So ]\IF. 218. 5 oder Walth.
39. 11. Jede einzelne Strophe ist also in hohem grade unselb-
ständig.
b) Die Strophen geben gleichsam nur die hauptmomente
einer handlung, eines gedankenganges oder stimmungs verlauf es.
Das dazwischen liegende ist als minder wesentlich fort-
gelassen, kann aber bei aufmerksamer lectüre ergänzt werden..
Auch hier ist ein regelmässiger f ortschritt vorhanden, nur dass
er nicht continuierlich, sondern sprungAveise erfolgt.
Die Strophen solcher reihen sind gegen einander minder
unselbständig, sie können sogar, isoliert betrachtet, oft ab-
geschlossen scheinen.
Zu dieser kategorie geh()ren z. b. Wechsel Avie MF. 4, 17.
8, 1 — 9, 29. Beispiele bei Hartmann Avei'de ich unten erörtern.
c) Formen die sich aus a) und b) mischen. Hier sind
combinationen verschiedener art denkbar.
IL Die Strophen eines liedes enthalten keinen durcli-
laufenden g e d a n k e n g a n g (strophenkreise).
a) Die stroi)hen sind ihrem inlialt nach völlig unabhängig
von einander. Jede hat ein besonderes thema. Dass fälle
dieser art vorkommen, ist mir etwas zAveifelhaft. Sclnverlich
hat je ein minnesinger stiophen von ganz hetei-ogeneiii inlialt
in ein lit^d zusammengepferclit.
6 SARAN
b) Die Strophen sind völlig- selbständig und abgeschlossen,
entspringen aber insgesammt demselben ereignis oder derselben
Stimmung. Im übrigen ist der Inhalt verschieden, ein gemein-
sames thema nicht naclnveisbar. Strophenreihen des Schemas
a) und b) könnte man 'aggregate' nennen.
c) Die Strophen sind formell völlig selbständig und ab-
gerundet, behandeln aber alle denselben grundgedanken. Sie
sind gleichsam Variationen über ein bestimmtes thema. Diese
art ist mit Ib nicht zu verwechseln: dort bilden die Inhalte
der Strophen eine fortlaufende reihe, nur dass die vermittelnden
gedanken nicht ausgedrückt werden; hier in II c bilden sie
keine reihe und gibt es keine gedankenvermittlung z^dschen
ihnen. Theoretisch wäre ihre anordnung gleichgiltig, nur dass
sich in solchen tönen gewisse Strophen besser zur einleitung,
andere besser zum abschluss eignen. Trotz innerer Unabhängig-
keit braucht also doch die Stellung der einzelnen strophe nicht
willkürlich zu sein. Beispiele für diesen fall sind häufig.
Einige auch bei Hartmann.
d) Mischformen; z. b. von drei Strophen hängen 1 und 2
nach c zusammen, no. 8 ist selbständiger, 2 : 3 dabei nach
a oder b.
III. Kreuzungen von I und II.
Ich zähle nur einige fälle auf:
a) Von 3 (5) Strophen können 1 — 2 (1 — 4) nach la oder
Ib logisch zusammenhängen, no. 3 (5) ist loser damit nach IIa,
b oder c verknüpft.
b) Von 6 Strophen können 1 — 3, 4 — 6 oder 1 — 4, 5 — (5
nach I oder II in sich als zwei gruppen zusammenhängen, in
dem ton aber als kleine ganze doch nach IIa, b oder c aus-
einanderfallen u. s. w.
lieber die art des Zusammenhangs kann zunächst nur die
schärfste textinte rpretation auskunft geben. Die reihen-
folge in den hss. ist immer mit vorsieht aufzunehmen. Es
gibt aber doch noch eine reihe von kennzeichen, die das ge-
schäft der Strophenordnung sehr erleichtern können. Hierher
gehört die erscheinung der responsion, auf die Er. Schmidt,
Reinm. v. Hag. s. ü ff. und dann mit nachdruck Burdacli, Reinm.
u. Walth. s. 84 ff. hinweist. Vgl. H. v. A. s. G ff. Ferner die
Strophenverkettung, über die (-iiske, Zs. fdph. 20, 189 ff.
_j
UEBER HARTMANN VON AUE. 7
handelt. Es kommen rein formale kriterien dazu. Kr»rner
weist Giske Zs. fdpli. 18, 57 ff. nach. Eefrain findet sich ge-
leg'entlich. Auf analyse des inhalts und der g-edankenent-
Avicklung- darf aber nie verzichtet werden, wie das z. b. Giske
allzu sehr tut.
Auch die anzahl der in einem ton vereinigten Strophen
scheint keineswegs gleichgiltig zu sein. Es ist schon oft ge-
sagt worden, dass in der späteren zeit des deutschen minne-
sangs mit Vorliebe lieder von 3, 5 oder 7 Strophen gedichtet
seien, eine regel die nach "^^^ackernagel aus der frz. kunstl^Tik
übernommen sein soll (AVackernagel. Lit.-gesch. 12,298. Afrz.
lieder und leiche 124. 224). v. d. Hagen bemerkt darüber MS. 1,
einl. s. 33, meister Konrad habe fast lauter gedritte lieder,
Nifen und Wintersteten fast ebenso viel gefünfte. Lichtenstein
meist gefünfte und gesiebente. 'Manchmal vervollständigen sich
die zahlen dui'ch vergleichung der hss., und die manessische
lässt häufig gerade so viel räum für das fehlende'. Auch die
meistersänger bevorzugen lieder von drei und fünf Strophen.
Vgl. J. Grimm, Meistergesang s. 46. 47.
Die gewohnheit der manessischen hs., platz zu lassen, wo
ein ton weniger als fünf oder drei Strophen umfasst, hat man
bereits benutzt, um an der Überlieferung kritik zu üben. Vgl.
Haupt, vorrede zu Nifen. W. Uhl, Unechtes bei Neifen, Gott,
diss. 1888. Vgl. darüber rec. Vogt, Zs. fdph. 24, 247 ff. Mir ist
nur so viel wahrscheinlich, dass die Schreiber der hs. C der
nieinung waren, drei oder fünf Strophen sei der reguläre um-
fang eines liedes. Da sie aus erfahrung wussten, wie weit
einzelne Strophen solcher lieder im laufe der zeit versprengt
werden konnten, so Hessen sie hinter tönen von geringerem
umfang platz für künftige nachtrage, gewis oft mit unrecht,
oft mit recht. Jene regel werden sie aus der poetischen
Tradition geschöpft haben, und ihre bedeutung scheint in der
tat grösser gewesen zu sein als man jetzt meint, nicht nur
für die späteren minnesinger, sondern auch für die früheren.
In Walthers minneliedern (vgl. Pauls ausg. abt. 1) z. b. über-
wiegen die lieder von drei, fünf und sechs (3 + 3, 4 + 2?)
sti-o])]ien entschieden. Wie es scheint auch bei Reinmar. Man
wird auch an Scherers fünfei'gi'ui)pen beim anonynms Spervogel
denken, fcli bin übei'zeugt, dass man bei benutzung aller diesei*
■8 SARAN
mittel noch zu bestimmten grimdsätzen hinsichtlich der strophen-
folg-e kommen wird. Es scheint — die folgende Untersuchung-
wird das bestätigen — gewisse typen für die weise des strophen-
zusanimenhanges im lied zu geben, die es im einzelnen nach-
zuweisen gilt. Natürlich muss die Untersuchung für jeden
Sänger besonders geführt werden. Für Hartmann möge sie
hier folgen.
]\r. e. enthalten folgende lieder Hartmanns sicher einen
wirklich folgerechten gedankengang: MF. 209, 5 (2 Strophen),
212,37 (3). 214,12 (2). 216,1 (4). 216,29 (3). 217,14 (3). 218,5 (3).
Diese sieben töne wären also strophenketten. Man beachte,
dass davon die mehrzahl, nämlich vier, dreistrophig ist. Von
allen anderen Strophenreihen habe ich in meinem buch be-
hauptet, dass sie keinen erkennbaren gedankenfortschritt auf-
wiesen. Vogt widerspricht dem und bespricht zunächst aus-
führlich ton III (207, 11 ff.): H. v. A. s. 11 ff.
Die Strophen dieses tones werden in folgender Ordnung
von den hss. überliefert:
('
B
A
MF.
5
3
—
208,8
(*)
4
7
207, 71
7
5
—
207, ro
S
—
10
208, 32
9
6
8
207, 23
XO
9
9
208, 20
Vogt erkennt an, dass die reihenfolge in MF. nicht befriedigt
und stellt eine neue her, in der er logischen gedankenfort-
schritt findet. Er ordnet MF. 207,11. 207,35. 208,8. 207,23.
208,20. 208,32. Aber schon 207,11 und 207,35 lassen sich
auf keinen fall verbinden.
In jener strophe nimmt der dichter ein früher gegebenes
versprechen zurück, seiner dame immer leben zu wollen. Er
hat, wie er versichert, sein herz von ihr genommen; jenes ver-
sprechen bezeichnet er nun als tumhcn antheis, den er noch
rechtzeitig aufgegeben, ehe ihm das vergebliche werben sincr
järe, d. i. wol seiner Jugendjahre (Schönbach s. 284) gänzlich
beraubt habe. Von nun an will er einer andern seinen dienst
zuAvenden.
Stimmung und gedanken dieser worte kann man unmög-
lich anders verstehen, als dass sich Hartmann soeben {ßr dise
UEBER HARTMANN VON AUE. V
sit\ 207, 21) von seiner danie losgesagt hat. Oh er es Avirklich
und namentlich offenkundig- getan, ob er nur in augenl)licklicher
erreg'ung für sich den entschluss gefasst, ob er alles nur fin-
giert, ist eine andere ft-age.
Die Verbindung der strophe mit 207, 35 stellt nun Vogt
folgendermassen her: 'man darf mich deshalb nicht treulos
schelten". Den Inhalt der letzteren umschreibt er mit den
■\vorten: "untreue war mir stets verhasst; lediglich meine treue
hat mich nicht schon eher, so viel ich auch zu leiden hatte,
aus ihrem dienste scheiden lassen. Jetzt schmerzt mich, dass
sie mich ohne lohn lassen will'. Vogt legt Hartmann damit
den etwas spitzfindigen gedanken in den mund: 'ich bin des-
Avegen nicht untreu: im gegenteil, ich bin sehr treu, denn
sonst hätte ich ihr schon längst den dienst gekündigt'. Ich
bezAveifle aber, dass dies der sinn der strophe ist. Zunächst
ist e V. 38 nicht überliefert, sondern zusatz von MF. Der
sinn fordert die partikel keineswegs, und darum hat man es
wider zu streichen. Ich übersetze: ich bin der untreue immer
feind gew'esen (sc. und bin es noch). Und doch würde mir
untreue, wollte ich untreu sein, weit mehr vorteil bringen als
der umstand, dass micli meine treue, die mir befohlen in ihrem
(hVnst zu verharren, nicht hat von ihr scheiden lassen'. 1). h.
untieut- würde mir nützlicher sein als meine beständigkeit in
ihrem dienst. Es folgt der grund. 'Es bringt mir nämlich
nun schmerz, dass sie mir nicht lohnen will'. 'Aber trotzdem',
fährt er fort, 'werde ich bloss gutes von ihr sagen'.
So kann doch nur einer sprechen, der seiner dame seit
langem — wenn auch ohne lohn — treu und ergeben dient
und der das einseitige minneverhältnis trotz trüber erfalirungen
weiter fortsetzen will. A\'as bedeutet v. 38 ff. anders als die
Ijehauptung unwandelbar treu geblieben zu sein? Nun hat
sich aber der dichter von 207, 11 soeben von der dame los-
gesagt, wenigstens in diesem poetischen erguss. Also ist es
unmöglich, mit Vogt in 207, 35 die unmittelbare und genaue
fortsetzung von 207, 11 zu sehen. Beide Strophen sind zudem
in der Stimmung ganz verschieden. Die erste ärgerlich und
fast gi'ob. diese resignierend und sentimental.
Auch die crklärung die Vogt von 208, 20 ff. gibt, kann
icli iiiii' iiii'lit aneignen. Er schi'cibl 208,23 gegen die über-
10 SAB AN
lieferiuig (A tröstet, BC trcestet) tröste. Aber die änderiing: ist
nur für den nötig, der alle Strophen dieses tones zu einer
stroplienkette von enger bindung vereinigt und sie mit einer
aiifkündigimg beginnen lässt. Für den sinn der Strophe an
sich ist sie überflüssig. IMese schildert, wie 207, 35. eine
gegenwärtige Stimmung. Ich übersetze also: 'mir sind die
jähre die ich ihr gewidmet habe, dm-chaus nicht verloren.
Denn ist mir auch minnelohn von ihr bis jetzt nicht zu teil
geworden, so gibt mir doch angenehme hoffnung darauf trost.
(Daran kann ich mir genügen lassen.) Ja auch meine "«iinsche
würden sich sogar nicht höher versteigen als dazu dass ich
sie nach wie vor als meine dame bezeichnen, d. i. als dass ich
mich nach wie vor als ihren diener betrachten dürfte. Es
stirbt ja mancher mann, ohne dass ihm je erluaung zu teil
wird, nur immer hoffend, es werde doch noch geschehen —
und diese hoffnung genügt ihn froh zu machen'. Die zeilen
24 — 26 enthalten einen gedanken. der den von 23 noch über-
bieten soll. Zu als e {= so wie früher) ist nicht mit Heinzel
s. 127 anm., Vogt und H. v. A. s. 12 anm. 1 -wider' sondern
'jetzt' zu ergänzen. Bei jener auffassung wäre das Verhältnis
gelöst und alsdann hätte v. 23 keinen sinn: lieber uäu wäre
dann eben ausgeschlossen. Auch würde diese lesart voraus-
setzen, dass dem dichter das Verhältnis aufgesagt ist. Davon
steht aber in dem ganzen ton kein wort: im gegenteil. überall
wird vorausgesetzt, dass aufhören oder fortsetzen des dienstes
im belieben des dichters liegt (207, 11 ff. 208, 32 ff.) und dass
die dame den dienst hinnimmt (208. 12 ff.), oline freilich gnade
zu üben.
Bei meiner erklärimg der beiden Strophen ist der dichter
von seinem in 207. 11 kund gegebenen entschluss längst zurück-
gekommen. Man kann nicht bescheidener wünschen als es
der dichter in 208, 24 ff. tut. Damit ist nun aber wider die
Strophe 208, 32 ff., in welcher jene erste ausdrücklich Avider-
rufen wird, für einen genauen gedankenzusammenhang nicht
passend. 208, 20 würde offenbar besser dahinter als davor stehen.
Somit sclieint mir diese neue anordnung und erklärung
Vogts ebenso wenig haltbar als die zahlreichen andern, die
vorgebracht sind. Gleichwol enthält der selir ansprechende
gedanke den Vogt seiner darlegung zu gründe legt, einen
UEBER HARTMANN VON AUE. 11
berechtigten kern. Vogt meint nämlich. Hartmann schiklere in
diesem ton, wie er — freilich nnr in gedanken — von der
anfkündigimg- ans dnrch eine Stufenleiter vers()hnlicher betrach-
tuug-en hindurch zur ffirmlichen zurücknähme jener aufsage
geführt sei.
Die sechs Strophen darf man nämlich nicht, wie ich früher
getan, schlechthin isolieren, sondern sie ordnen sich, wie ich
jetzt glaube, dem inhalt nach in zwei gruppen von je drei.
Die erste gruppe umfasst :\IF. 207, 11. 208, 32. 208, 20, die
andere 208, 8. 207, 35. 207. 23.
Die Strophenordnung in der ersteren dürfte so wie ich
sie gegeben, sicher sein. 207, 11 fällt sicher vor 208, 32, weil
sich diese auf jene bezieht (207,22 : 209,4). Auch sonst
nimmt die zweite Strophe auf die erste bezug. Dort mrd als
grund dafür dass der dichter sich von der dame abgewendet
hat. angegeben: ein so vergebliches werben raube dem mann
seine besten jähre:
der läze in (sc. den tumlien antlieiz) e der tage
e in der strit
beroube siner järe gar.
Hier wird dies ausdrücklich zurückgenommen und dabei das
gegenteil behauptet:
208, 37 ff. .swer von der siner strebet,
der habe im daz;
in betraget siner järe vil (so die hss.),
<1. li. wer von seiner dame loszukommen trachtet, der mag es
tun; seine Jugendjahre werden ihm sehr freudlos dahinfliessen.
\\'aliren genuss seines lebens hat man eben nur im minne-
dienst. Vgl. 2. Büchl. 65 ff. Uebrigens erklärt Naumann s. 47
den vers 208, 36 nicht richtig. Vgl. dazu 205, 26. Die dame
lebt so, dass sie nur auf ihren guten ruf bedacht ist. Sie Avill
sich nur nicht compromittieren und darum allein versagt sie
dem dichter ihre gunst.
Die gedanken dieser Strophe 208, 32 kehren nun in 208, 20
wider. So
20S, 20 mir sint diu jär vil un verlorn
diu ich an si gewendet hän,
d. h. meine jähre, die ich im minnedienst wenn auch vei'geblich
verbraclit habe, sind nicht unnütz angewendet. Auch ich habe
12 SARAN
die freude, die sich ein mann wünscht, wenn auch nur als tvän
und gcdiuffe. 208, 24 ff. weist auf 208, 32 f. zurück, wo in v. 33
die zu betonen ist: 'ihr und keiner anderen zu ehren'.
Diese drei Strophen lassen sich nun in der tat als ein lied
(strophenkette Ib) auffassen, durch welches sich der gedanke
hinzieht, den Vogt als thenia des ganzen tones angibt. Drei
hauptmomente eines Stimmungsverlaufs w^erden herausgehoben
und dargestellt, die verbindenden mittelglieder fehlen. 207, 11 ff.:
irgend etwas erregt den dichter, er widerruft im zorn sein
versprechen 'ihr' immer zu dienen, er nimmt sein herz zurück,
das er ihr geschenkt hat. Der dienst scheint ihm eine torheit,
die dem Jüngling seine schfhisten jähre kostet. Von nun an
will er einer anderen dienen. Diese Stimmung hält nicht
lange an. Er sieht ein, dass die dame nicht anders handeln
kann, wenn sie ihren ruf nicht aufs spiel setzen will, dass sie
ihn nicht hasst, sondern sich bloss nicht compromittieren will.
Nun widerruft er. 208,32: nicht einer anderen (andersivar)
will er dienen, sondern eben der der er bisher gedient hat.
Er ist nun überzeugt, dass sie nicht launisch handelt, sondern
nicht anders kann. Nun ist der dienst nicht mehr eine tor-
heit die die Jugend raubt, sondern es wird im einklang mit
den andern minnesingern behauptet, nur im minnedienst
könne der mann seiner Jugend froh werden. Es ist nicht
mehr klugheit, solchen gelübdes sich zu entledigen (207, 15 ff.),
sondern falschheit (209, 1 ff.): so kommt er zu der erklärung
209,4 von ir ich niemer komen wil (vgl. 207,11).
Man sieht, beide Strophen sind in ihren gedanken einander fast
genau entgegengesetzt.
Die letzte 208, 20 begründet nun den neuen entschluss
und geht schwärmerisch ebenso weit über das rechte hinaus,
als die erste ärgerlich dahinter zurückgeblieben war. Die
Jugendjahre, deren Verlust 207, 18 beklagt wurde, sind nicht
verloren. Hat der dichter auch keinen lohn von der geliebten
empfangen, so hat er doch als tröstliche fi-eude noch immer
die angenehme aussieht auf erhörung, in der ihn der dienst
erhält. Damit erklärt er alle seine wünsche für erfüllt, ja
er würde, wenn man ihm einen wünsch freistellte, nichts
weiter begehren als eben die fortdauer dieses schon lange
bestehenden Verhältnisses. Gehe es doch auch vielen anderen
UEBER IIARTMAXN VON AUE. 13
nicht besser, als tlass sie iiui- walinfreiule geiiössen — und
doch wären sie befriedigt.
Dieser gruppe steht die der übrigen drei stroplien ganz
selbständig: g-eg-enüber. Die hss. lassen sie in der Ordnung-
208, 8. 207. 85. 207, 23 folg"en und es ist nicht nötig dieselbe
zu ändern. Denn die drei Strophen gleichen sich im Inhalt
so sehr, dass ich wenigstens darin keinen logischen g-edanken-
fortschritt erkenne. Sie bilden m. e. einen strophenkreis (II c,
oben s. 6). Das thenia, das dreimal variiert wird, lautet: ob-
wol sie mir lohn versagt und mir dadurcli leid antut, will
ich ihr nicht böses mit bösem vergelten. Die beiden ersten
Strophen bringen es negativ, die letzte wendet es positiv.
Besonders älmlicli sind 208.8 und 207,35. Sie enthalten
die gedanken
208,8 — 11 vgl. 208,4: ich werde nichts böses von ihr
ausbringen.
208, 12—15 vgl. 207,38—208,3: ich diene ihr treu, aber
sie lohnt mir nicht.
208, IG— 19 vg-1. 208, 5—7: die schuld ist mein.
Die dritte Strophe enthält den letzten gedanken nicht. Ihre
beiden ersten Zeilen (207, 23. 24) fassen den zweiten kurz zu-
sammen, aller nachdruck liegt auf der positiven Versicherung :
ich werde böses mit gutem vergelten. So schliesst die Strophe
mit einem heileswunsch für die geliebte und ist darum zum
abschluss der gruppe sehr geeignet.
P>s enthält also meiner ansieht nach ton III eine Strophen-
kette und einen strophenkreis. Jede dieser gruppen besteht
aus drei gliedern, von denen wider die beiden ersten durch
parallelismus oder contrastierung der gedanken enger zu-
sammenhängen, also nach dem Schema (1 -\- 2) + 3 oder 1, 2. 3.
Was ich über abweichende Voraussetzungen in den ein-
zelnen Strophen des toues II (20G, 10 ff.) H.v. A. s. 9 f. vor-
Iniiige, hält Vogt für unzutreffend, ohne freilich sein urteil
zu begründen. Ich lialje in dei- tat die Situation der strophe
20t). 29 unrichtig aufgetasst. wenn ich sage: *in ihr wird bei
der dame, von der der dichter wol durch merlacre fern gehalten
wurde, ein gewisses wol wollen vorausgesetzt'. Dies liegt nicht
in den woiten. Die str(jph(^ schildert nui" die besondere art,
wie der diditei' der dame seine sedanken offenbaren muss.
14 SARAN
Er muss sich, wenn er ihr sein leid klagen will, des liedes
bedienen, da ihm persönliche ausspräche nicht mög-lich ist.
Was diese verhindert, wird nicht gesagt, aber v. 32 'nun ist
mir das glück nicht so hold, dass ich ihr meine gesinnung
selbst darlegen könnte' kann sich verbunden mit v. 35 ff. wol
nur auf räumliche trennung beziehen, die vielleicht rein
äussere gründe hat. Von merkern Avird nichts berichtet. Man
übersetze also: 'könnte ich der schönen, was ich emi)finde, so
wie ich wünsche d.i. persönlich sagen, so Hesse icli meinen
sang. Nun aber ist mein glück nicht so gut: darum bin ich
genötigt ihr im gesange meine leiden zu klagen. (Das tue
ich auch, denn) wenn ich ihr auch noch so fern bin, so schicke
ich ihr doch diesen boten, mein lied, zu, den sie gar wol hören
wird und doch nicht sieht. Der wird mich dort (wo meine
dame weilt) nicht verraten'.
Den Inhalt dieser Strophe setzt 207, 1 ff. passend fort.
Gleich zeile 1 nimmt bezug auf 206, 33. 34. Die leiden werden
übrigens für die geliebte 'erneuert', weil sie der dichter
gleichsam von neuem durchnmcht, indem er sie dem liede
anvertraut. Vgl. MF. 187, 32. Bechs Übersetzung scheint mir
den sinn nicht genau zu treffen. Es liegt nicht in den Worten,
dass der dichter schon öfter lieder gesaut hat. Also: 'das
lied nun, in dem ich der edeln meinen schmerz kund tue,
ist eine klage und nicht ein gesang'. V. 207, 4 — 6 führt genau
aus, Avas 200, 34 nur andeutet: 'ich bitte sie um erhörung und
sie versagt; diese schwere zeit dauert schon allzu lange (als
dass ich noch fröhlichen sang ertönen lassen könnte)'. Aus
dieser trüben Stimmung ergibt sicli von selbst der leise wünsch,
der in den versen 7 — 10 beschlossen liegt: 'wem es möglich
wäre, solchen kamjjf (solche bemühungen), der kunnner und
nie freude gibt, aufzugeben - mir ist es aber nicht möglich
(Mhd. wb. 1,806 b) — der wäre ein glücklicher mensch'.
Die beiden Strophen hängen also selir gut zusammen.
Die noch übrige ist freilich mit ihnen nur lose verknüpft.
MF. stellt sie mit AC' an den anfang. Dahin i)asst sie aber
keinesfalls, Avenn man den ton mit MF. als eine strophenkette
betrachtet. Denn die Zeilen 206, 27 und 28 bilden einen ent-
schiedenen schluss. Nun steht der Inhalt dieser Schlusszeilen
doch Avol mit 207, 7 — 10 in beziehung: der leise Avunsch, den
UEBER IIAKTMANN VON AUE. 15
diese verse enthalten, wenn er auch mit einem des ich nicne
lan sofoi't unterdrückt wird, dieser leise wünsch wird 206,
27. 28 ausdrücklich ins g-egenteil gewendet und der inlialt von
207, 4 — 6 (auch der ausdruck (jnddcn hiten) kehrt wider in
206, 24—26. A^'ir werden also in 2ü6, 19 den abschluss des
Strophenpaares 206, 29 und 207, 1 erblicken dürfen; sie bringt
eine ai't paliiiodie für den schluss der zweiten von ihnen;
Freilich muss man festhalten, dass diese Strophe den gedanken
nicht scharf aufnimmt und fi)lg(^ri('litig weiter führt: sie kommt
nach einer besonderen allgemeinen erwägnng (200, 19 — 23), in
der V. 20 ein neues niotiv anschlägt, zu ihrem endresultat.
Doch wird auch hier das unglückliche liebesverhältnis voraus-
gesetzt, von dem str. 1 und 2 eine besondere Situation ausmalten.
Dafür dass die Strophe 206, 19 den schluss des kreises
bildet, spricht auch der umstand, dass die erste zeile von
ton III 207, 11 direct an sie anknüpft: die pointe des ganzen
tones II wird darin zunächst negiert. Man sieht ferner leicht,
dass sich dieser ton II im Inhalt mit der strophenkette aus III
sehr nahe berührt. Abgesehen von der eben erwähnten, un-
mittelbaren hindeutung von III auf II ist das in rede stehende
lied nichts anderes als eine Aviderholung des wesentlichen in-
lialts von II, nur in stärkerer potenz: der wünsch von 207, 7 ff.
wird in 207, 11 wenigstens vorübergehend zum entschluss. In
beiden die neigung den dienst aufzugeben, in beiden der wider-
ruf. Beide lieder sind darum wol zeitlich benachbart.
In dem fünfstro})higen ton 205, 1 ff. haben die heraus-
geber von MF. die letzte Strophe abgesondert: mit recht. Sie
ist mit dem was vorausgeht zwar verwant, weil auch sie
voraussetzt, dass der dichter mit seinem werben bei der dame
kein glück hat, sie löst sich aber ab, weil sie als neues motiv
den tod des dienstherren mit aufnimmt. Die hss. überliefern
folüfende reihe:
c
B
MF.
1
1
205,1
2
»
:$
2
205,10
200, 1 0
4
—
200, S
11
—
205, lil
Die letzte Strophe ist durch ein verweisungszeiclien hinter C2
angebracht. Sie wird in einem der von C benutzten lieder-
16 ßARAN
l)ii('her vei'mutlicli hinter 205. 10 g-estanden haben. Oder hat
der Schreiber über den g-edankeng-ang- nachgedacht? In der
tat lässt sich, was ich frülier niclit erkannt habe, ein solcher
nachweisen, wenn man 205, 19 nicht mit C hinter 205, 10,
sondern an die zweite stelle, also hinter 205, 1 rückt. Die
vier Strophen bilden dann, ganz ähnlich wie es in ton III der
fall ist, die hauptmomente eines stimmungsverlanfs, der mit
fast zornig-er erregung gegen die dame einsetzt und damit
endet, dass der dichter ihre hantllungsweise als die einzig-
mögliche anerkennt und schliesslich nicht die dame, sondern
sich selbst tadelnd zurecht weist. Es ist ein winterlied.
205, 1. Meine treue bringt mir keine freude, denn ich
habe meiner dame leben und dienst vergeblich gewidmet und
lange vergeblich gehofft. Ich müsste ihr darum eigentlich
liuchen, doch will ich meinem zorn keinen andern ausdruck
verleihen als den: 'sie hat nicht schön an mii- gehandelt'.
AVürde der dichter seiner erregung nachgeben, so würde er
ihr einen fluch wegen ihrer untreue zuschleudern.
205, 19. Bald kommt ihm das törichte solches zornes zum
bewusstsein. Er macht sich den einwurf: 'damals als ich ihr
diente, ohne dass es auf sie eindruck machte (d. h. den somnier
durch), schien es mir aber doch ganz angemessen, dass sie die
edle sich mir versagte, und dieser ihr entschluss ist in der
tat ganz berechtigt gewesen. Zürne ich nun, so wird sie
darüber spotten und mich macht es (vorzeitig) alt. (Nein, ihre
Zurückhaltung verdient meinen zorn nicht.) Sie hat sich vor
den vielen mangeln, die mir anhaften, gescheut und sich von
mir zurückgezogen, mehr um dem gerede zu entgehen als weil
sie mir übel wollte. Sie meint offenbar, sie werde sich so ihren
ruf besser wahren'. V. 205, 23 nimmt 205, 8. 9 zurück. Vgl.
auch V. 19 und 7, 19—22 und 6—7.
205, 10. Die person die meinen zorn verdient, ist also
niclit meine dame, vielmehr: "wollte ich den hassen der mir
leid zufügt, so hätte ich guten grund mein eigener feind zu
sein. Viel ist an meinem äusseren und meinem geist (bildung?)
zu tadeln: das hat eben mein Unglück offenbart. Dass also
meine dame nichts von mir wissen will, davon ist die schuld
mein. Denn da nur lebensklugheit den mann glücklich macht,
torheit aber nie ein dauerhaftes glück erlangt, so bin ich daran,
UEIiER IIAUTMANN VON AUE. 17
falls icli wiiklicli nicht mit verstand zu dienen weiss, eben
ganz allein schuld'. V. 18 da — an geht auf v. 11. Die Strophe
gibt zugleich genauer an, was unter n-andd zu verstehen ist.
Es fehlt dem dichter offenbar an äusserer g'ewantheit und
Sicherheit im auftreten, wie an innerer reife. Er ist wol etwas
ungeschickt und harmlos, jedenfalls noch recht jung. Die
dame die seinen dienst annähme und ihm (hidurch ohne wei-
teres ihren n-crdtu lip als belohnung in aussieht stellte, würde
sich dem aussetzen, dass sie der jugendliche liebhaber gelegent-
lich einmal durch irgend eine Ungeschicklichkeit in das gerede
brächte (205,26.27). Nur weil er im minnedienst noch zu
unerfahren ist, findet er mit seiner Werbung kein gehör.
206. 1. Also darf ich nicht zürnen oder mich auch nur
über mein misgeschick verwundern: ich muss sogar ganz zu-
frieden sein. 'Sie hatte mich nur oberflächlich gekannt, als
sie sich zuerst meinen dienst gefallen liess: dadurch dass sie
si)äter an mir so viel zu tadeln fand, haben mich dann meine
fehler und ihi'e einsieht wider fortgestossen. Sie liat wirklich
erfüllt, was sie mir in aussieht gestellt hat, alles was sie mir
schuldig gewesen ist, habe ich auch l)ekommen — : ein tor,
der etwas anderes (sc. als das ihm zukommende) verlangt!
Sie liat mir gelohnt dem wert entsprechend, den sie mir bei-
legte: mich trifft nichts anderes als mein eigen scliwert'.
u-isheit ist wol kenntnis höfischen lebens und wesens, lebensart.
gehics (206, 5) setzt kein bestimmtes versprechen voraus. Die
dame die sich einen dienst gefallen lässt oder gar ausdrück-
lich annimmt, stellt damit ohne weiteres lohn in aussieht. Zur
bedeutung vgl. Trist. 1405. Hinter 206, 5 ziehe ich einen punkt
V(ji-. Vgl. die Stellung des fünften verses in den andern Strophen.
Von den vier Strophen hängen 1 und 2 enger zusammen:
beide beschäftigen sich mit dem zorn des dichters (v. 205, 8
und 205, 23). Ebenso :{ und 4, in denen über wert und unwert
seiner person gehandelt wird (205, 12. 206, 3).
Der gedankengang ist also kurz der. In der ersten strophe
wild die erregung des dichters geschildert uiul ihr grund: ei-
hat am ende des sommers den gehofften lohn, den tverdcn Up
dei' dame nicht genossen. In der zweiten erkennt er das
törichte und grundlose seines zornes: die handlungsweise der
dame wird milder beurteilt. In der dritten sieht er ein, dass
Beitrüge zur g/eschiclite dor deutHchcu Binache. XXIII. 2
18 SAKAN
die uisaclit' iliivr abiit'iiiuiiu- in ilnii selbst liegt, er also selber
die Sfliuld an seinem uii.diick trä<it. hie vierte kommt sogar
zu dem er,<iel)uis. dass er alles von der dame erlangt habe.
Avas er habe vernünftig-er weise fordern können: 206.5 nimmt
•205. 9 zurück.
Wir haben also in diesem ton eine Strophenkette und eine
melir selbständige schlussstrophe. nach dem sehema (1 + 2) +
(;> + 4). 5.
Ich habe nun H.v. A. s. 30 nach dem Vorgang Bechs und
anderer angenommen, die strojdien dieses tones I setzten die
fürmlitdie aufgäbe des minnedieustes voraus, von dem sie
handeln, leh habe die Wendung 20G. IG (jenäde tviderseit so
verstanden, als verbitte sich damit die dame fih-mlich den dienst
des dichters, den sie sich bis dahin gefallen lassen. Diese
auffassung ist aber nicht richtig. Schon Heinzel liat Zs. fda.
15, VM) darauf hingewiesen, dass jene woi-te nichts von einem
plötzlichen brucli oder gar von einer 'aufkündigung" melden.
Genäde tvider sagen bedeutet 'jemandem eine gunst, um die er
bittet, nicht gewähren'. Vgl. Iw. 5G54. Es bedeutet nicht,
'ihm ein wolwolleu, dessen er sich bis dahin erfreut hat, ent-
ziehen'. Die stelle besagt also nur, dass llartmann seiner ver-
ehrten einmal eine bitte vorgetragen hat und abschlägig be-
schieden ist. Die Worte meinen etwa dasselbe wie v. 205, 14
min vrouwe gert nun niht (= will nichts von mir wissen).
Es ist darum ganz wol möglich, dass Hartmann
auch nach diesem liede, trotz jenes abschlägigen be-
scheides, üf genäde weiter dient, wie er es vorher
getan. Die Situation von ton I ist darum nicht wesentlich
verschieden von der welche ton III schildert, nur dass jenes
lied auf einen specieUen Vorfall hindeutet, da die versagung
und der tod der lierren als zwei historische facta neben
einander erwähnt werden. Wann der Vorfall sich ereignete,
ist eine zweite fi-age. Er kann längere zeit zurückliegen.
Man wird kaum fehl gehen, wenn man den Inhalt des
ersten büchleins hierher bezieht. Jenes ereignis von ton I
dürfte dasselbe gewesen sein, was zur Klage anlass ward.
Hartmann liebt eine dame und
H. Klage <J9 if.
uuz ich si luiueu muot versweic geiii ir ginoze ich dicke neie
UEBER IIARTMANN VON AUK. 19
1111(1 liet uiicli tlö als (.'iiioii iiiiui swciiii ich si innen liraOite
(lern ein Avip ir linlde iian. daz ich uz al der werlt ein wip
dö wände ich hezzern min heil: ze frowen über miuen lip
do geviel mir daz wirser teil. für si hsete niht erkorn:
ich wände mich ir uselite da mite hän ich si verlorn.
Dazu vgl. ebda.:
14 do si im des niht g'uiide
daz er ir wsere undertäii
(si sprach er solte si erläii),
doch versuochte crz zaller zit.
V. 99—102 gibt die realen gTundlageii zu MF. 205,5—7. V. 10;} ff.
erläutert recht gut 205, 14 mm crouive gert min niht (vgl. auch
Riuhl. V. 16). Die gedanken 205. 15—18 und 205. 24 ff. bilden
in breiter ausführung den Inhalt von C)0-'> ff. 1281 ff. Trotz der
anfänglichen misstimmung wird der dienst nachher wider auf-
genommen.
Jedenfalls steht wol so viel fest, dass das minneverhältnis,
worin wir Hartmann in ton I finden, einseitig war, und dass
also von einer 'aufkündigung' seitens der dame keine rede
sein kann. Durch den tod des lierrn und den kreuzzug schloss
diese episode im leben Hartmanns von selbst ab.
Die sechs Strophen des ton es V (209,25) sind in der
folge überliefert, in welcher sie ^IF. bringt. Sie sind da auf
zwei lieder verteilt: 1 — 4, 5 + 6. Dass die Strophen ihrem
inhalt nach in dieser weise nicht zusammen passen, habe ich
schon H. V. A s. 19 erkannt und halte an dieser ansieht fest.
Gleichwol sind sie nicht, wie ich dort getan, zu isolieren, son-
dern es gehören, wie ich jetzt glaube, immer je drei zusammen,
so dass der ton aus zwei Strophenkreisen besteht.
Der erste kreis umfasst 209,25. 210,11. 210,35. Zu-
nächst einiges zur texterklärung. 209, 25 ist hriuze natürlich
das kreuzeszeichen, das symbol dafür dass sich sein träger
gott geweiht hat, das symbol der heiligung. Schönbach (s. 157)
legt dem wort hier die bedeutung "kreuzfahrf bei, aber dies
würde der strophe gerade die anschaulichkeit rauben, die sie
auszeichnet. Der eigentliche sinn ist durchaus gewahrt. Vgl.
V. 3;} — 36. — Die lesart von 210, 15 ist bekanntlich strittig.
Die hss. haben (J dtr hacchen, B her hacchen und stellen
ausserdem 210, 15-18 vor 210, 11—14. Die überlieferte lesart
2*
20 SARAN
ZU halten habe icli iiiicli H. v. A. s. 18 einer Vermutung- Höfers
ang-eschlossen, der wie MSH. 4, 2(5;^ in //^frr//r>?- den namen eines
(lämonischen wesens vermutet. Daizcüen i)oh'misiert Sehönbach
s. 150. um\ seine bemerkungen trett\Mi (lurcliaus zu. Ich lasse
also die annähme fallen, "^chr.nbach sell)st kehlt zu der Haujjt-
schen (K'Utung (]\1F. anm. z. st.) '/lacJan d. i. angelhaken der
Avelt" zurück, eine deutung die auch Bech nur etwas anders
g'Bwendet {haclccn (hit. \A\w. 'lockung-en") festhält. Was aber
Schünbach sie zu stützen voibringt. ist keineswegs beweisend.
Ob man unter dem haken einen angelhaken oder einen fang-
haken für raubtiere versteht, ist wirklich ganz gdeich: das
mancyoi fac nach loufen passt zu keine)' von beiden bedeu-
tung-en. Denn in der A'orstellung- des nachlaufens liegt hier
doch inbegriffen, dass sich der gegenständ dem der dichter
nachläuft, vor ilim her bewegt: das trifft aber bei keinem
haken zu. A\'enn ferner auch der teufel kurzweg Jianms heisst,
so bezweifle ich sehr, dass die sinnliche bedeutung des wortes
schon ganz verschAvunden ist. ^lir scheint, dass sich der stelle
durch ein einfaches mittel aufhelfen lässt. Man behalte die
Umstellung der stollen mit MF. bei und lese statt der hacchen
der lachen, d. i. deren (der weit) lächeln bin ich nachgelaufen.
Y. 15 würde alsdann passend auf den gedankeu von v. 11 zu-
rückweisen. — V. 17 da — mac ist nur eine Umschreibung für
'weit'; süete nimmt das trieycni v. 1 1 wider auf und bedeutet
also einfach die Unbeständigkeit der weit, die anders lohnt als
sie verspricht. ISchönbach versteht darunter (s. IGO) die reli-
giöse tugend der perseverantkr. aber diese fügend kann man
doch unmöglich an der weit vermissen. Zu v. 19 ff. vgl. Schön-
bach s. 160. IGl.
210,35 ist froide die fröhliche teilnähme an dem was die
weit, besonders das ritterlich-höfische treiben in der schr>nen
Jahreszeit angenehmes bietet, und die daraus entspringende
Stimmung. Während Hartmann sich der weltfreude hingibt,
ist er innerlich nicht wirklich ruliig und froh: die sorge inu
das Seelenheil (v. 35j mischt sich stets ein und stört den vollen
genuss. Reine fi-eude und ungetrübte heiterkeit des gemütes
geniesst er erst jetzt, wo er sich zur annähme des kreuzes-
zeidiens bez. der kreuzeszeichen (.Scliönb. s. IGo) entschlossen
hat und sie nun auf seinem gewande erblickt.
UEBEk HARTMANN VON AUE. 21
Die sorg-eii des verses 35 sind also gewis nicht weltliche,
wie Schönbacli s. 164 aus v. 211. 14 vermutet. Das würde nicht
passen. Der hinweis auf eine Sommerzeit, die in jeder be-
ziehung- (gar) eine weide der äugen sein wird und der aus-
dnick Kristes hluonicn (37), die solchen sommer voraus-
V er künden, zeigen m. e. deutlich, dass diesen versen die
sinnliche anschauung einer frühjahrssituation zum hintergrunde
dient. Der dichter denkt bei den oben hervorgehobenen Worten
an die bescheidenen blumen des frühlings, die den reicheren,
schöneren blütensehmuck des sommers vorausdeutend anzeigen.
Zu diesen blumen des frühlings stellt der dichter die blumen
Christi, d.i. die kreuzeszeichen, in gegensatz: z"\visclien beiden
hat er seine wähl treffen müssen {l-ös v. 37). Kristes (v. 210,37)
ist zu betonen. Die beiden arten von blumen sind natürlich
nur sj'mbole. ^lit blumen schmückten sich herren und damen
bei den geselligen Unterhaltungen und schmückte man die
hallen bei festen. Das aufspriessen der blumen im frühjahr
bedeutete somit für jene zeit die w'iderkunft des fröhlichen
treibens. dem man sich nur im sommer wirklich hingeben
konnte und an dem der dichter auch schon oft teilgenommen.
Diese blumen verkünden also eine fröhliche und schöne Sommer-
zeit. Aber dieser sommer kann dem dichter doch nicht wahre,
A'olle freude geben, sondern nur eine gemischte, eine freude,
die von sorge um das Seelenheil getrübt wird (210, 35). Jene
volle freude vermag nur der paradiesessonuner zu spenden, der
uho (jar in ^äczer oiigeniccidc Ut. Die Vorboten dieses sommers
sind die blumen Christi, die zu der zeit im lande aufspriessen,
als die kreuzpredigt ertr>nt. Wer nun die blumen der natur
wählt, der folgt dem heiteren ruf der weit: blumen sind ja
Symbole ihrer geselligen freuden. Wer Christi blumen wählt
folgt dem ruf gottes und entsagt der weit: das kreuz ist das
Symbol der ent sagung.
Da nun also der dichtei' seine lossagung von der weit und
seine hinwendung zu gott unter dem bild einer überlegten
wähl {kos 210, 37) zwischen den blumen des frühlings und denen
Christi darstellt, so ist doch klar, dass sich ihm die bluten
der natnr und das kreuz zu gleicher zeit zur wähl dai'geboten
hal)en. dass also die kreuznahme (und damit wol auch die
ablas^ung der Strophe) in einen frühling fällt, wo Hartmann
22 SARAX
wirklicli zwisclieii hlumenkianz und kreuz, zwisclien weit und
gott wählen konnte. Die angelu-nde .^^onimerlust hätte ilim
dann das seh(>ne motiv an die liand gegeben. Andernfalls
wäre das g-anze nur ein witziges gedankenspiel. Wenn also
Schönbach tadelnd anmerkt (s. 1G3), ich zöge meinen schluss
auf die datierung "nicht aus den genau ^-erstandenen worten
des dichters. sondern aus meiner eignen Umschreibung der-
selben', so kann ich das nicht gelten lassen. Ausserdem habe
ich H. V. A. s. 21 diesen schluss keineswegs als sicher hin-
gestellt. — Das uns v.211.3 will Schönbach s. 163 auf die
guten menschen iiberhaupt, die in y. 7 erwähnt werden, be-
zielien. Das scheint mir wenig passend, überhaupt ist mir
der sinn seiner einAvendung nicht recht deutlich. Ich ziehe
meine fiiihere erklärung (H. v. A. s. 19) noch immer vor.
211, 7 dient mit 5. 6 nur zur näheren beschreibung des zehnten
Chores: es steht statt eines relativsatzes (Paul, ^Flid. gr." § 346).
iüis ist gleich 'mir und euch, die ihr mein lied hört'. Da nun
Hartmann unter dem frischen eindruck der krenznahme dichtet
und auf das kreuz an seinem gewande hinweist, so denkt man
bei den zuhörern doch zunäclist an eine Versammlung von
kreuzrittern. Sicher ist das natürlich nicht, Hartmann kann
auch an seinem hofe gesungen haben.
Die eben besprochenen Strophen 209, 25. 210, 11 und 210, 35
haben das gemein, dass in jeder von ihnen auf das kreuz an
des dichters gewand hingewiesen wird. Vgl. 209,35. 210,22.38.
Sodann wird (hiiin ganz deutlicli die Stimmung unmittelbar
nach der kreuznalime gescliildert. Denn es liandelt sich in
allen dreien um die sittlichen Wirkungen die von dem
zeichen des kreuzes ausgehen bez. um die sittlichen
pflichten die seinem träger erwachsen. Dies thema
wird in bezug auf den dichter durchgeführt und zwar so,
dass sicli ein fortschritt der gedanken nicht verkennen lässt.
Hartmann beginnt mit einem allgemeinen gedanken. 'Das
kreuzeszeichen verlangt lauteren sinn und entsagung: nur so
kann man dadui'ch die Seligkeit und alles gute was es ver-
lieisst (Schönbach s. 157) erwerben.' Jetzt kommt eine spe-
cielle amvendung. um die beziehung auf den jungen dichter
vorzubereiten. 'Daduich ist es auch ein nicht geringer halt
fiir den Jüngling, der sich nicht selbst zu zügeln weiss. Es
UEBER HARTMANN VON AUE. 23
will iiiclit. (lass der mit iliiu Ix-zciclinete nach sciiiciii lirlicben
haudlf. Kr soll t'iilsa.i;uii<i' üben, denn Avas nützt es auf dem
klfid. wenn nicht gleichsam anch das herz (himit bezeichnet ist?'
-Ilii. 11 zieht nun der dichter darans die t'olg;eriinp:en, die
sich tili' iim erucben. Kr hat das kreuz «genommen und will
nun auch diesem zeichen gemäss leben, er will nun auch seine
weltlust züg-eln. Aber das ist schwer, und darum erbittet er
Christi hilfe, seinen entschluss auszufiilncii. '{»iewelt lächelt
mich trüglich an unil winkt mir. Nun bin ich ihr zAvar bis
jetzt, wie das ein junger mensch eben tut (vgl. 209, 30), ge-
folgt. Ihrem lächeln bin ich manchen tag nachgelaufen, ihr,
der wankelmütigen, unbeständigen imchgeeilt. (Jetzt aber in
diesem entscheidenden moment, avo sich die weltfreude wider
ankündigt, will ich ihr nicht wider folgen), nun hilf mir, herr
Christus, dass ich mich durch das kreuzeszeichen hier auf
meinem ge wände vom teufel losmache'.
Str. 210, 11 zeigt also den mit dem kreuz bezeichneten
dichter noch schwankend zwischen der weit, die ihm wider
einmal lockend erscheint, und Christo, der von seinem christ-
lichen beiden hilfe verlangt. Die absage an die weit wird
ihm, dem lebenshistigen Jüngling, schwer. Darum ruft er
Christum selbst in seiner bedrängnis an. Sehen wir Hartmann
hier noch zAvischen der nachfolge der frau Welt und der nach-
folge i'hrisii schwanken, so verkündet die letzte strophe. dass
der dichter den sieg über seine weltlust errungen hat: der
Jüngling hat sich t'üi' clnisiuiii entschieden. Das bild von der
wähl zwischen well und Christus wird beibehalten: nur treten
statt der personen der zweiten Strophe {icdt v. 11; Kristl9) ihre
sj'mbole ein: blunien und kreuzeszeichen. Uebrigens hängt die
Strophe loser an der zweiten, als diese an der ersten. Das
Schema ist (1 + 2). 3.
Auf das kreuz wird mit denselben werten wie in v. 22
hingewiesen (v. 38). Seine Wirkungen machen sich bereits
geltend. Das kurze gebet in 211, 3 ff., worin die anwesenden
mit eingeschlossen werden, gibt einen vortrefflichen abschluss
des ganzen.
Das eben zu.sainniengest eilte lied zeigt den dichtci- tiotz
der kreuzesnahme noch im streit mit seiner weltlust: er macht
sich vor unsern aujren von der weit los, er entscheidet sich
24 SAKAN
eben erst für das kreuz und entsagl den blunien. In den noch
übri^-en drei ist der kamiif von vorn herein entschieden, ^^'ar
dort das tlimia •kreuzeszeiclu'n und weltleben', so lautet ei>
hier 'rittertaten und kreuzfalirt', • weltdienst — g-ottesdienst
Am besten rundet sich der strophenkreis, wenn num ordnet:
209,37. 210.23. 211,8.
In allen dreien wird auf die kreuzfahrt selbst hinge Aviesen :
210, 8 das er da wol gevcrt
210,32 min vart die ich hän genomen
211, 18. 19 sicenn ich in Kristes schar
mit fröiden ivünncclicJien var.
Ferner wird überall das thenia hervorgehoben:
weit und gott: 210,3 und 5. 211,8 und 12,
weltfreude und Seelenheil: 210,10. 210, 25 und 29,
Hartmanns völlige abkehr von der weit: 210,25. 211,8.
Dass 210, 23 ff. sich gut an 210. 11 ff. anschlösse, wie Schön-
bach s. 161 meint, finde ich nicht. Hier genügt der tod des
herrn. Hartmann die weit zu verleiden, dort entsagt er ihr
unter schweren kämpfen, weil es das kreuzeszeichen verlangt.
Dass ferner die sorge, von der Hart mann 211, 14 spricht, nicht
mit Schönbach mit der sorge in 210, 35 zusammenzustellen ist,
habe ich schon oben angedeutet. Die beziehung auf Friedrichs
Verordnung, die ich H. v. A. s. 2:) annehme, gebe ich nach Scliön-
baclis einwendungen s. 165 auf. Aber \\arum übersetzt dieser
211, 18. 19 "wann immer (also nicht gerade jetzt) ich in der
heer,schar Christi mit wonne und in freuden ausfahre'? Die
verse deuten doch ohne zweifei auf die künftige abreise, und
sweiiue kann bei ereignissen, die in der zukunft liegen, ganz
Avol auch bei einmaligen handlungen verwendet werden: Paul,
Mild, gr."* § 348. 2. Also "wenn ich dahin reisen Averde'. Sorge
steht ganz allgemein, man denke einfach an Avirtschaftliche
nöte, die manchen in der lieimat zurückhielten. Ueber die
schwache flexion vgl. Lm. z. Iw. 1534.
Auch in dieser strophengruppe hängen die ersten zwei
glieder eng zusammen. Hartmann beginnt mit der allgemeinen
aufforderung an die ritter, indem er die kreuzfahrt empfiehlt.
Sie brauchten bei der kreuzfahrt auf der ivcrlte lop nicht zu
verzichten, und der sHe heil sei ihnen sicher. 210, 23 stellt
UEBEU HAUTMANN VON AUE. 25
er an iccrJtc (v. 10) anknüpfend diesem gedanken seine persön-
liche stelhing' gegenüber: "wie es ancli mit der weit (ist zn
betonen) nach dem tode meines herren stehen mag, ist mii-
freilich gleichgiltig. Dieser hat den besten teil meiner frende
mit dahingenommen". Der tcerUe lop kann nnd will er nicht
mehr erwerben, aber der sclc heil, darum will er sich nun
kümmern. Der inhalt der strophe wendet deutlich die ge-
danken von 210, 10 auf den besonderen fall des dichters an.
Dagegen nimmt die dritte strophe die begriffe icerU und (jof
aus 210, 8 und 5 wider auf. Sie hängt loser an der zAveiten.
Das Schema wäre (1 -f- 2). o.
Ton VII (211,27) enthält drei stiophen. von denen zwei,
nämlich 211,35 und 212.5, gut zusammenhängen. 211,27 ist
selbständiger, wenn sie auch in stimnumg und gedanken den
andern nicht fremd ist. Es sind beziehungen zu 212, 5 er-
kennbar: vgl. 211. 28 und 32 mit 212,8. Vielleicht stellt man
(hirum am besten die in MF. vorausgesetzte strophe an dritte
stelle. Man gewönne (himit wider das Schema (1 ^- 2). 3, das
schon öfter ermittelt worden ist.
Ton VII (212,13) sind wider drei stroidien. 1 und 2
haben dieselbe Situation (trennung von der geliebten) zui*
Voraussetzung und hängen dadiu'ch etwas enger zusammen.
Die dritte steht allein: Schema 1, 2. 3.
Ton IX (212,37) halte ich jetzt für unzweifelhaft echt.
Dies resultat ergab sich mir schon H. \. A. s. 79 als wahr-
scheinlich.
Ton X (213, 29) sind zwei unzusammenhängende strophen.
Sollte eine in der mitte fehlen und das ganze alsdann zu be-
urteilen sein wie die strophenkettc; von toii lü?
Den sinn der verse MF. 34 ff. versteht^ ich nicht. Ich
setze hinter v. 34 ein komma, hinter 35 einen i)unkt und
hinter 38 ein komma. Statt ,tc v. 35 1. e,s, d.h. meine an-
wesenheit bei ihr. I )ie stelle v. 36 — 39 ist nach" Paul, Mhd.
gr.^ § 338 und 30(J anm. 1 zu beurteilen. 214. 10 1. mit Bech
nach in cerderhen.
Ton XI (214, 12) schlägt Hecker, Altheim, minnesang
s. 130 für z. 25. 20 vor: von friumle . . . M der. Das fehlen des
aitikels wäre zu begi'eifen: Paul, Mhd. gr." §223,1.7. Die
besserung scheint mir in der tat nötig wegen v. 33.
26 SA RAN
Ton XII (215. 14). Es gehören 215, 14 nnd 215, 30 eng-
znsjunnien. Str. 215, 22 stellt für sich und hat auch in den
liss. die letzte stelle. Vgl. H. v. A. s.l7. Sie ist aber in Stim-
mung und Inhalt den vorausgelK^nden Acrwant. Also "wider
das Schema (1 + 2). 3.
Ton XVI (218, 5). Die zweite der bedeutungen, die ich
H. V. A. s. 26 für niinnc in ansprnch nehme, verwirft Schön-
bach s. 166. Seine bedenken sind berechtigt: icli nehme jene
auffassung zurück. In 218, 27 und 28 stehen sich nicht sowol
die gegenstände der liebe gegenüber, als vielmehr die arten
des liebeswerbens: ihr liebt unglücklich, ich glücklich. Die
von mir unter no. 3 angesetzte bedeutung minne = Caritas
(liebe gottes zum menschen) bezeichnet Schönbach als nicht
katludisch. Es sei vielmehr die liebe des menschen zu gott.
Darin wird er ohne zweifei recht haben. Dadurch wird der
gedankengang auch klarer, da nun überall minne als liebe
des dichters zu jemandem gefasst werden kann. Somit spielt
Hartmann hier mit folgenden bedeutungen des wortes: 1) minne
zur geliebten. 2) minne zu dem verstorbenen herrn. 3) minne
zu gott. In Str. 1 denkt der hörer zunächst an die erste be-
deutung. der dichter hat natürlich auch 2) und 3) dabei im
sinn. In str. 2 tritt die zweite heraus. Hartmann hat ja nach
210, 31 ff. nicht nur für sein Seelenheil, sondern auch für das
seines herrn den kreuzzug gelobt. Darauf spielt er hier v, 17 ff.
an. 'Seht wie die minne (zu meinem herrn) mich über das
meer führt. Und doch: lebte mein herr noch, so würde mich
keine macht der erde aus dem abendlande fortbringen.' Hier
steht für den dichter von den drei bedeutungen die zweite im
Vordergründe. Den hörer, der immer noch an die minne in
erster bedeutung denkt, muss die erklärung der zeilen 19 und
20 überraschen, und das ist auch der zweck des geistreichen
Spieles. Die letzte strojdie sjiitzt sich auf die dritte bedeu-
tung zu.
An dei- Schreibung lebte min herrc, Salattn . . . muss ich
trotz Schönbachs Widerspruch s. 361 festhalten. Min her Sa-
latin ■= monsieur S. ist für Hartmann unmöglich, weil bei
ilim das min nie seine eigentliche bedeutung verliert, wie ich
H. V. A. s. 25 gezeigt habe. Und selbst wenn man es als mög-
lich erweisen könnte, so wäre es hier nicht stilgemäss. Das
UEBER HAUTMANN VON AUE. 27
einfache Salatin ist unter allen umständen das einzig- slil-
gerechte. Solange mau diese beiden gründe, den gTanimatisclieu
und stilistischen nicht widerlegt, nützen alle uuischreihungen
uiul deutuugen der stelle im anschluss an ]\1F. gar nichts.
Audi Vogt hätte s. 238 darauf eingehen sollen, (k^nn "wesent-
licli diese beiden gründe und nicht die vergleichende heran-
zieliuug der liistorischen literatur ist für mich bei der datie-
rung des liedes ausschlaggebend gewesen. VranJccn erkläre
ich jetzt mit Martin als bezeichnung des abcMidlandes.
A\'as den umfang der lieder Hartmanns anbetrifft, so haljen
meine betraehtungen zu folgendem ergebnis geführt:
einst i'oi)liiii-: ton VI 211.20 (nicht vollständig)
zweistrophig: .. IV 2()'J, 5 + 1.5 (strophonkette)
„ X 213,29. 214, 1
„ XI 214, 12 + 2.3 (strophenkette)
<li-eistroi>hig: ,. II 206,29 + 207, 1. 206, 19 (stroplionkreis)
„ III' 207, 1 1 + 208, 32 + 208, 20 (strophenkette)
„ IIP 208, 8. 207, 35. 207, 23 (strophenkreis)
V 209, 25 4- 210, 11 + 210, 35 (strophenkette)
V'' 209, 37 + 210, 23. 211, 8 (strophenkreis)
„ VII 211, 35 + 212, 5. 211, 27 (desgl.)
„ VIII 212.13: 212,21. 212,29 (desgl.)
„ IX 212, 37 + 213, 9 + 213, 19 (strophenkette)
„ XII 215, 14-1-215, 30. 215, 22 (stroplienkreis)
.. XIV 216. 29 + 2I(;, 37 + 217, 6 (.strophenkette)
,. XV 217.14 + 217, 24 4- 21 7, 34 (desgl.)
,, XVI 21S, 5 + 218, 13 + 218, 21 (desgl.)
vierstrophig : „ XIII 21(;. 1 + 216, 8 + 216, 15 + 216,22 (,str.-kette)
fünfstrophig: „ I 2(».'i. 1 + 205, 19 + 205, lo + 306, 1. 206, 10
(strophenkreis),
d. h. von 18 liedern, die sich aus der betrachtung des metrums
und Inhaltes ergeben, sind
dreistrojjhig 12
fünfstropliig 1
vierstrophig 1
zweistrophig 3
[einstropliig 1 1.
Da nun (his einstrophige lied sicher unvollständig ist. so
stehen 18 drei- und fünfstro})hige lieder gegen vier zwei- bez.
viei'stroi)hige. Es sind also die gruppen mit ungei'ader strophen-
anzahl weitaus in der majorität.
28 SARAN
AVas nun die coniposition der lieder anbetrifft, so sind
von den zwei- und vierstroidiigen drei ketten und nur eins
(ton X) ein kreis. Avenn man bei zwei Strophen so sagen darf.
Selir möglich dass dies unvollständig auf uns gekommen ist
(vgl. oben s. 25). Von den l:> drei- und fünfstrophigen sind
6 ketten, 2 (nämlich 111- und VHI) reine Strophenkreise nach
der oben gegebenen detinition. Die übrigen 5 sind 'misch-
formen", d. h. sie sind nach dem scliema (1 + 2). 3 oder (1 -f- 2)
+ (3 + 4). 5 gebaut. Von den beiden reinen Strophenkreisen
gilt aber auch, dass ihre beiden anfangsstrophen einander
näher stehen als der dritten. AVenn man also die liedertypen
Hartmanns angeben will, so wird man sich, glaube ich, auf
zwei beschränken dürfen:
1) reine Strophenketten von 2, 3 und 4,
2) Strophenkreise von 3 und 5 gliedern, Avobei ich auch
die Schemata (1 + 2). 3 und (1 -f 2) -f- (3 + 4). 5 einstweilen
schlechthin mit diesem namen belegen will.
Es ist sehr möglich, dass dieser 'mischtypus' der eigentlich
berechtigte ist, während die 'reinen' Strophenkreise secundär
entwickelt sind. Darüber kann nur eine umfangreiche Unter-
suchung licht verbreiten.
Mit dem was hier rein durch analj^se des liedinhalts er-
mittelt ist, stimmen nun sehr auffällig gewisse beobachtungen
Giskes. Aus dessen arbeit über die körner ergibt sich, dass
in drei- und füiifstrophigen liedern entweder alle Strophen
durch kitrner gebunden sind (s. 59 — 61), oder aber die grup-
pierung (1 + 2). 3 bez. (1 H- 2 + 3 -f 4). 5 vorliegt. Letztere ist
besonders beliebt (s. Gl ff.). Ganz ähnliches beobachtet Giske
bei der strophenverkettung. Auch hier (Zs. fdph. 20, 101 ff.) die
Schemata 1 + 2 |- 3 bez. (1 + 2). 3. Entsprechend s. 197 ff.
(2 -f 2). 1 odei' 4. 1. Allerdings kommen noch andere typen
vor, abei- jene scheinen ganz besonders beliebt zu sein. Wie
weit übrigens jene anderen formen berechtigt sind, wäre zu
untersuchen. Auf den Inhalt geht (jiske leider nicht ein.
Aus dieser übereinstimnuing nuMuer resultate mit denen Giskes
ergibt sich miiulestens so viel mit Sicherheit, dass die von mir
am inhalt nachgewiesene typische Strophenordnung nicht zu-
fällig ist.
^^'enn lum der lypus \on drei oder fünf Strophen mit
UEBEE HARTMANN VON AUE. 29
lose augeliäiig'ter letzten nicht zufällio-, sondern beabsichtigt
ist nnd daran kann man niclit wol zweifeln — . so ergibt
sicli ein interessanter ansblick auf das in'oldeni, mit dem sich
rill bei Nifen beschäftigt, l'lil nimmt als riclitschnur für
seine liederkritik die regel (s. 17): 'dann aber müssen wir. wie
überall, so besonders gegen das ende der fünfstrophigen lieder
den fortgang der g-edanken aufs schärfste verfolgen und da.
wo sich uns eine logische scliwäche. ein abirren vom tliema
zu zeigen scheint, ohne rücksicht das kritische messer an-
setzen'. Auf grund dieser regel Averden dann die fünften
strojihen vieler lie(U"r Xifens füi' unecht erklärt. Aber etwas
mehi' rücksicht auf die Überlieferung wäre doch angebracht.
Warum sollte Nifen nicht wie Hartmann in ton I den typus
4. 1 bez. (2 + 2). 1 gebraucht haben? Dann wäre die son(h'r-
stellung der Schlussstrophe nicht auffallend und metrische
freiheiten in ihr niclit ohne weiteres als kriterien für die un-
echtheit zu verwerten. Der grund der Sonderstellung der
fünften bez. dritten strophe kann melodisch -rhj'thmisch sein.
Vgl. Strophe — antistrophe. epode in der antiken chorpoesie.
II. Chronologie. Kritik ihrer principien.
Liter.at ur.
W. Wilma 11 HS, Zu Hiirtmaiius von Aue liedeni und büchlein, Zs. fda.
14, 144. — F. Bech, Iweiu» ISßS (-'1S73. ="1888) eiiü. s. viff. — R. Heiuzel,
lieber die lieder Hartmanns von Aue, Zs. fda. 15, 125 ff. — Sclireyer, Unter-
.suchun^-en überleben und dicbteu Hartmanns von Aue, Progr., Pforta 1874.
— L. S c h m i d , Des minnesäugers H. v. A. stand, beiniat und gesclileeht 1 874
(s. 53 ff.). — Lungen, AVar H. v. A. ein franke oder schwabe? Diss., Jena
1876. — H.Paul, Beitr. 1,535. 2, 476 ff. — Naumann, Teber die reihon-
folge der werke H.'s v. A., Zs. fda. 22, 25 ff'. — Jacob, Das II. büdilein ein
Hartmanniscbes, Diss., Leipzig 1879. — Greve, Leben u. werke H."s v. A.,
Progr., Fellin 1879. — Kauffmann, Ueber H."s Lyrik, Diss., Leipzig 1884.
— Rec. von Burdach, Anz. fda. 12, ISÜ ff. — F. Saran, H. v. A. als lyriker.
Halle 1889. — Rec. von Vogt, Zs. fdpli. 24, 237. — A. Schönbach, Ueber
H. V. A.. Graz 1894, s. 355. — P. Piper, Höfische epik TL H. v. A. und seine
nachaliiiier. 1894 (s. 16 ff.).
llaitiiiaiiüs lied(M' ilirer Zeitfolge nach zu ordnen hat man
die verschiedensten methoden teils angewendet, teils vor-
geschlagen. Der welcher die arbeit zuerst in angriff nahm,
war Wilma uns. Er gieng rein vom Inhalt der lieder aus.
Er versuchte aus den andeutungen des dichters die tatsäch-
30 SARAN
liehen gruiidlagcii seines liebeslehens zu erscliliessen, das er-
mittelte mit einaiuler in bezieliiing' zu setzen und so den
historischen verlauf festzustellen. Auf diesem weg'e gelangte
er dazu, zwei minneverhält nisse anzunehmen, eines, welches
noch vor der kreuzesnalinie gelöst, ein anderes, welches bald
nach ihr begonnen wurde. Kine gewähr für diese teilung-
schien ihm auch die Überlieferung- zu bieten. Denn von den
liederbüchern. die er aus ihr herausschälte, umfasst no. 1 lieder
die sich auf das erste, no. 3 solche die sich auf das zweite
beziehen. No. 2 enthält wesentlich werke der übergang-speriode,
no. 4 Strophen aus verschiedenen zelten. Das I. büchleiu fällt
zum ersten, das IT. zum anderen Verhältnis. A^'ilmanns' ergeb-
nisse wären in übersichtlicher Zusammenstellung-:
Erstes Verhältnis:
ton 205, 1. 206,19. 207,11. 200,5. 213,29. I. büchleiu.
Uebergangszeit:
ton 216,29. 209,25. 211.20 (kreuznahnie 1195).
Zweites Verhältnis:
214, 34. 215, 14. 212, 13. 216, 1. 217, 14. 218, 5. 214. 12.
II. büchleiu.
211,27 ist ein g-edankenspiel und ohne realen hintergrund.
Gegen die annähme mehrerer minneverhältnisse und gegen
das priucip, die handschriftliche Überlieferung für chronologische
zwecke zu benutzen, sprach sich alsbald Bech aus (a.a.O. s.xl).
Er für seine persun meint. Hartmann habe seine lieder nur
einer dame ge-^vidmet. Die Ordnung der Strophen in den hss.
ist nach seiner ansieht für das problem der Chronologie schwer-
lich von bedeutung.
Anders als AMlmanns geht Heinzel vor. Er legt wert
darauf, dass in A zwei auch innerlich zusammenhängende
lieder in der richtigen reihenfolge stehen, während Bl' ab-
weichen. Diese zwei lieder (206, 19. 207, 11) sind seiner Über-
zeugung nach der kern eines liederbuehes, woran sich später
noch andere töne angeschlossen hätten. Die gedichte des
liederbuehes beziehen sich auf ein langjähriges erstes minne-
verhältnis, was dann vor der kreuznahnie gelöst wird (s. 130).
Dieser zeit rechnet Heinzel zu die töne 205, 1. 206, 19. 207, 11.
209,5. 209,25. 211,20. 213,29. 214,12. 215,14.216,1. IL büchl.
UEBER II ARTMANN VON AUE. 81
217.11. I. liiiclil. Ihiiaiif ciilsiianii sicli ein /wcilcs xciliältiiis,
iiiul dieser iieiiode liclKMcii an: 210. oä. 214, o4. 212, IM. 212,37.
211.27. 218,5. Dies veiliältiiis fällt nach dem kreuzzng von
1197. 212.9 deutet niüglichenveise auf ein drittes Verhältnis.
21(3. 29 wird ehen dahin g-estellt (s. 13G). Heinzel gelit also,
umgekehrt wie A\ilmauiis. von der ül)ei'lieferung- aus. Kr zer-
legt sie in liederhüchcr und Hiidet dann, dass diese lieder ent-
halten die auch inhaltlich zusammengehören.
Dagegen polemisiert Schreyer von einem standi)unkt ans,
welcher dem Bechs nahe liegt. Hart mann lebte nur einer
dame. Die lieder die er in ihrem dienst dichtete, fallen vor
und nach dem kreuzzng von 1197. Das princii) wonach Schreyer
verfälirt, ist lediglich betrachtung des Inhaltes. Auf die Ord-
nung in den hss. legt er keinen wert.
8chmid glaubt, Hartmami habe zwei kreuzzüge mit-
g-emacht, den von 1189 (auf ihn gehe 209, 25 und 211, 20) und
den von 1197 (auf ihn 218,5). Er trennt also die kreuzlieder
von einander. Dies billigt Lungen, der wider zwei minne-
verhältnisse annimmt. Die liederbüchertheorie misbilligt er
mit Schreyer und Bech.
Seit Pauls einschneidender kritik ist diese nicht mehr
für die feststellung der Chronologie benutzt worden. Die Über-
zeugung, dass allein innere gründe für die anordnung mass-
gebend sein können, ist seitdem wol allgemein dui'chgedrungen.
Von denen die sich weiterhin mit dem problem beschäf-
tigt haben, bringen wieder Naumann (s. 73), noch Jacob (s. 25),
noch Kauffmann (s. 42 f.) etwas neues. Sie combinieren die
angaben die Hartmann über seine liebe macht, und entscheiden
sich bald für ein, bald für zwei Verhältnisse.
Unter hinweis auf sein buch "Keinmar der alte und Wal-
ther von der Vogelweide' sprach nun Burdach in seiner recen-
sion von Kauffmanns sclirift nachdrücklich die ansieht aus,
dass die princii>ien, auf denen die bisher besi»rochenen arbeiten
beruhen, unrichtig seien. Die biogra])liische ausdeutung der
minnelieder sei mit wenigen ausnahmen unfruchtbar, ebenso
nütze es fast nie etwas, die handschriftliche Überlieferung zu
berücksichtigen. Es sei zunächst allein von der künstlerischen
gestaltung des Inhaltes auszugehen. Aus dieser müsse man
eine Chronologie gewinnen, indem man genau und kritisch
32 SARAN
analj'siere, was der diclitcr darstelle und wie er das Tue. Man
habe sich also an die wähl der niotive und an die teclmik
zu halten.
\\'ie subjectiv die aut'stellungen der g-elehrten sind die
wesentlich vom inhalt der Strophen ausgehen, ist auch mir
nicht verlxng-en geblieben, ich habe dai'um a. a. o. versucht,
eine chrunologie auf ganz objectiven kriterien aufzubauen.
Abgesehen von den historischen anspielungen welche die ge-
fliehte bieten, und den sicheren beziehungen worin einige von
ihnen zu eimmder stehen, verwende ich statistisch dargelegte
beobachtung-en über die entwicklung der rln'thmik Hartmanns.
Die richtigkeit dieser methode wird nicht im princip. wol
abei- im einzelnen von Vogt bestritten.
Die neuste einschlägige arbeit ist die von Sclunibach.
Er erkennt durchaus die richtigkeit der bemerkungen an, die
Burdach gemacht hat. Trotzdem zieht er es vor — meinen
versuch berücksichtigt er überhaupt nicht — zu dem älteren
verfahren zurückzukehren, nicht ohne dass er besorgt, man
werde es vielleicht 'brutal" nennen (s. 365). Er gruppiert die
gedichte. von denen die kreuzlieder zunächst ausgeschlossen
bleiben, nach ch^r beschaffenheit der minneverhältnisse, auf die
sie sich beziehen und die nach seiner meinung einige deutliche
kennzeichen besitzen (s. 357). A\'orin diese bestehen wird nicht
angegeben; die lieder werden, Avie dies zuerst Wilmanns getan,
schlechthin nach den andeuttmgen geordnet die Hartmann über
sein minneleben gibt. Das resultat ist folgendes. Hartniann
sind zwei minneverhältnisse nachzuAveisen. Zum ersten ge-
hören die folgenden töne, etwa in der Ordnung wie sie auf-
gezählt Averden: 200,19. ].büchlein. 213,29. 215,14. 207,11.
205, 1, auch 209, 5. Hartmann ist noch nicht ritter. Vor der
kreuznahme (für den zug von 1189) Avird das Verhältnis gelöst.
Es folgen zwei kreuztöne: 209,25. 211,20. Dem zAveiten ver-
liältnis entspringen die lieder: 214,12. 212,3. 212,37. Il.büch-
lein. 21(3,1. [210, 29?]. Hartmaim ist ritter. Nicht sicher ein-
zuordnen sind: 214,34 (Schönbach hält es für echt). 211,27.
210, 29 (dies vielleicht zum zAveiten Verhältnis gehörend). 217, 14.
218,5 (geht auf den kreuzzug von 1197).
Mir scheint, dass »Schönbach bei seiner Verteilung der
lieder auf ZAvei minneAerhältnisse etAvas von dem gedanken
UEBER llAirniANN VON AUE. 33
beeinflusst Avorden ist, jedem der büclileiii entspreche ein be-
sondei'es veiiiältnis und diese niüssten sicli aucli in den liedern
widersi»ieg'eln. Wenigstens liat er manche g-edanken erst aus
dem zweiten büchlein in die lieder hineing-elegt, gedanken die
niclit darin zu finden sind, wenn man den text rein für sich
betrachtet. Denn dass Hartmann ritter sei kann aus keinem
einzig-en seiner lieder bewiesen werden. 214, 34 ist von Paul
und mir als unecht nachg-ewiesen, wird übrigens auch von
Schönbacli nicht zur construction verwendet. Darüber dass er
durch Imote von der g-eliebten fern g-ehalten werde, klagt der
dichter nie in den liedern. Nur das Tl. büchlein kennt diese
Situation. Hartmann braucht das wort linofe in seiner lyrik
bloss einmal: 215,25, in einem liede das Hchönbach jedoch zum
ersten Verhältnis rechnet; klag-en ül)er die hüte bringt er
nirgends. Es wäre doch sonderbai'. wenn sich der dichter
dies beliebte und fruclitbare motiv hätte entgehen lassen, falls
es ilnii tut' Wirklichkeit an die liand gab.
Auch die gründe halten nicht stich mit denen Schönl)ac]i
die oben aufgezählten trme dem andern Verhältnis zuweist.
T'^nzweifelhaft, sagt er s. 359, müsse 214, 12 einem zweiten
minnedienst zugehören, denn es werde im zweiten l)üchlein.
der reiten, poetischen frucht dieses zweiten Verhältnisses citiert.
^^'arnm soll denn aber der dichter dieses büchleins, wenn es
Hartmann war, nicht ein lied aus seiner früheren zeit citiert
haben? L'nd mit welchem recht bezeichnet Schönbacli das
II. büchlein als eine frucht des zweiten Verhältnisses? Ausser-
dem enthalten die Voraussetzungen jenes liedes 214, 12 nichts
\(m huotf. eine trennung irgend welcher art ist sein anlass,
mehr wird nicht angedeutet. Warum soll ferner Hartmann,
so lange er im gedankengang des T. büchleins lebte, unfähig
gewesen sein, 216, 29 zu dichten (s. 360)? Das büchlein be-
ginnt ja gerade damit, dass der leib seine unlust am minne-
dienst ausdi'ückt. T^nd wer, wie Schönbach annimnlt, zu jener
zeit 207,11 dichten kann, der kann gleichzeitig, meine ich.
auch 216, 29 singen. Auch die Verteilung der kreuzlieder auf
zwei kreuzzüge, nämlich 209,25. 210,35 auf 1189 und 218,5
auf einen si)äteren (1197?), ist doch wenig glaublich (s. 361).
Ich vermag mich mit Schönbachs anordnung ebenso wenig
zu befreunden wie mit den anderen die nach demselben princip
Beitrage zur guiichichte der deutschen BpmcUo. XXllI. 3
34 SARAX
hergestellt sind, und g-laube nicht, (hiss durch sie die lösung-
des Problems wirklich gefördert ist. ^^'e\\\\ Schöiibach betont
(s. 8<U unten), er sei im ganzen zu gleichen resultaten gelangt,
wie A\'ihnanns und Heinzel so trifft das weder zu, noch wäre
es, wenn es zuträfe, ein beweis für die richtigkeit seiner Chro-
nologie. Heinzel rechnet die töne 216, 1. 214, 12 nebst dem
IL büchlein zum ersten Verhältnis, weist also beide biichleiu
einer epoclie zu (s. 135. 136, besonders s. 139 oben), Schön-
bach verteilt sie auf beide: dies ist ein wichtiger unterschied.
Andererseits ist zu bedenken, dass ^Mlmanns und Heinzel
im wesentlichen dasselbe princip der anordnung wie Schönbach
angewendet haben, dass also von vornherein Übereinstimmung
der resultate erwartet werden muss. A\'enn nun trotzdem
die anwendung dieses princips bei Schönbach wider zu einer
neuen, z. t. sehr abweichenden Ordnung führt, so scheint
mir das eher ein beweis gegen als für seine brauchbarkeit
zu sein.
Ich sehe also keinen grund, warum ich den Standpunkt
verlassen sollte, den Burdach a. a. o. einnimmt und auf den
ich mich seiner zeit auch gestellt habe. Ich halte es im
gegenteil für notwendig, alle die c(inse(iuenzen solcher be-
trachtungsweise zu ziehen. Es ist mir natürlich nicht zweifel-
haft, dass die lyriker jener zeit — wie die aller zelten — die
Stimmungen welche sie überzeugend (h'irzustellen vermögen,
auch alle durchh'bt und durchemi)funden liaben. Aber der
inhalt der Situationen die sie zur künstlerischen darstel-
lung solcher stinnnungen benutzen, brauclit im einzelnen falle
nicht die mindeste realität gehabt zu haben. Diese Situationen
gehören, wie die metra, die foimeln. auf anderem gebiet die
dramatischen fabeln u. ä. zu den mittein des poetischen aus-
drucks, die nicht zum kleinsten teil traditionell waren, und
die sich dem dichter zunächst darboten, wenn er für seine
eigenen inneren erlebnisse nach ausdruck lang. 'Diese kunst
des dichters können Avir auch bei Hartniann objectiv erkennen . . .,
seine person, sein leben, seine Intentionen — all dies liegt im
nebel, und wenn im glücklichen fall einzelne umi'isse hindurch-
scheinen, so werden sie inmier schwankend und schwer flxierbar
bleiben' (Burdach a.a.O. s. 191). Kin versuch, die lieder
Hartmanns zu ordnen, muss darum von ihrer kunst-
UEBTIK flAKTMANN VON ATK. 85
form auso-elieii: vme cliroiiologie die sidi wesentlich oder
ausscliliesslicli auf die biographisclie verweiidimg- des Inhaltes
beschränkt, ist nach meiner Überzeugung- von vornheiein
verfehlt.
Aus dem ganzen minneleben Hartmanns ist durch die lieder
Avol nur dies eine bezeugt, dass ihm eine ihime, die er umworben,
Avii'klich ihre huld versagt. Dies wird in 206. 16 mir hat ein
ivip (jendde ividerseit, der ich (jedicnef hau mit stceteJceit . . .
ausdrücklich gesagt, und da der dichter kurz vorher auch den
tod seines herrn beklagt, so wird wie dies unglück so auch
jenes eine tatsache sein. Denn man kann doch kaum an-
nehmen, dass hier ein historisch wirkliches mit rein fingiertem
verbunden sei.
A\'ill man darüber hinaus über die art dieses Verhältnisses
etwas erfahren, so empfiehlt es sich vielleicht, mehr nach dem
zu forschen was der dichter nicht sagt, als die positiven an-
gaben die er scheinbar macht, zu pi-essen.
Aus dem was oben über das Verhältnis von H. kl. (I. büchl.)
zu ton I gesagt ist, würde folgen, dass die dame zunächst von
Haitmanns 'dienst" nichts wusste. EbensoAvenig natürlich
andere leute. Als er sie schliesslich bittet, sich seinen dienst
gefallen zu lassen, weist sie ihn ab. Ich glaube die Wirklich-
keit wird dem entsprochen haben. Denn hätte sie um seine
neigung gewusst. hätte sie ihn hingehalten und dann schliess-
lich doch abgewiesen, so würde sich der dichter dies stärkere
poetische motiv gems nicht haben entgehen lassen.
Ebensowenig hat Hartmann gewagt, sich seiner dame in
irgend einer weise zu nähern die nicht der sitte entsprach.
Denn wenn er nie über hiwte klagt (215,25 ist keine klage),
so hat er wol auch nie von der hitote wirklich zu leiden ge-
habt. Das wäre aber nicht ausgeblieben, wenn er mit oder
gegen den willen seiner dame versucht hätte, zu ihr zu dringen.
Dies jtasst ganz zu der läge, in der die einleitung des I. büch-
leins den dichter zeigt: hier ist für den neid der merker kein
räum, und darum ertönt dies motiv auch nicht in den liedern.
Alles andere liegt im dunkeln. Es ist sehr möglich, dass
Hartmanns ganze minnelyrik oder wenigstens fast die ganze
aus diesem einzigen, wirklich beglaubigten noch dazu ganz
einseitigen liebesverhältnis geflossen ist. Ich halte es sogar
3*
36 SARAX
für Avalirsclieinlich, weil ich giuiid habe aiizunehnien, (h\ss die
lieder dieses dichters sich in ganz wenige jähre zusammen-
drängen (vgl. unten). Warum soll auch Hartmann nicht
Strophen wie 211, 27 ff. 213. 29 ff. 216, 29 ff. g-edichtet haben,
wenn ilnu die dame minder freundlich schien als sonst, oder
warum soll er nicht trüben stimmung'en bei reiferer kunst in
liedern wie 212, 37 ff. ausdruck verliehen haben? Ich halte
es geradezu für unzulässig, aus einer Strophe wie 212, 5 ff.
auf eine untreue Hartmanns zu schliessen. Das gedieht ist
ein stimnuingsbild mit humoristischem anfing, dessen reale
Ursache nicht erkennbar ist — wenn es überhaupt eine solche
hat. Selbstverständlich darf man andeutungen eines minne-
sängers über liebeserlebnisse nicht vernachlässigen, aber sie
kommen, wie Burdach mit recht betont, erst in zweiter linie.
Es sind momente von secundärer beweiskraft, deren wert ei'st
gesichert werden muss.
Unter den kriterien nach denen man beurteilen kann, wie
weit ein dichter bereits in seiner entwickelung zu höherem
kr»nnen fortgeschritten ist, steht in vorderster reihe die metrik.
Namentlich in einer zeit des aufblühens ist es von hohem wert
und nicht schwer, zu beobachten, wie die kunst zu immer
vollkommneren formen fortschreitet. Hier heben sich die
verschiedenen stufen deutlicher von einander ab, als wenn die
entwickelung bis zur Vollendung gediehen ist. Ich habe darum
den nachdruck auf die betrachtung de]- metrischen technik
Hartmanns gelegt und die Chronologie seiner lieder auf eine
Statistik ihrer auftaktverhältnisse gegründet. Die berechtigung
so zu A^erfahren wurde vorher nachgewiesen, indem zunächst
rein aus dem Inhalt mehrerer töne und aus deutlichen be-
ziehungen zwischen ihnen eine kleine reihe ermittelt wurde,
die als chronologisch ziemlich sicher angesehen werden darf
(H. V. A. s. 29 ff.). Das resultat ist von Becli in vollem umfang
angenommen und in seiner ausgäbe (3. aufl.) verwendet. Paul
erkennt (Trundr. 2', 1, 937 wenigstens das princip als richtig
an. Ebenso Vogt (s. 24ü).
Icli habe schon in meiner schritt betont und widerhole es
hier, dass ich die reihenfolge die ich gewonnen, keineswegs
für sicher und bis ins einzelne genau ausgeben will (H. v. A.
S.31 anm. s. 39 oben). Ich habe das princip nur darum streng
UEBER HARTMANN VON AUE. 37
duichg'efülirt , um zu seilen, eb sich dabei widerspriiclie er-
g:äben. Dies ist nicht der fall gewesen, im gegenteil. Eben
in diesem erfolg sehe ich eine biirgschaft für die richtigkeit
der methode.
H. V. A. s. 35 gebe ich folgende anordnimg der töne:
X
213
29
xni
21R
1
vm
212,
13
vn
211,
27
XIV
216.
29
IT
209.
■5
XV
217.
14
IX
212.
37
XI
214, 12
II
20B. 19
in
207,11 .
205, 1 j
I
V
209, 25
VI
211. 20 > krenzlieder
XVI
2 IS. 5
Das ergebnis bestätigt, dass die drei kreuztöne einander
zeitlich nahe stehen und gewis nicht auf zwei kreuzzüge ver-
teilt werden dürfen. Dass dies zugleich das wahrscheinlichste
ist, wird niemand bezweifeln. Aus der tabelle folgt weiterhin,
dass die töne I, II, III zusammenzustellen sind. Auch dies
bestreitet niemand: sie werden stets ein und demselben minne-
verhältnis zugewiesen. Ilire Ordnung bestimmt Schönbach
überdies genau so wie ich getan, nur dass er zwischen II und
III. I noch einige andere gedichte einschiebt. Dass sie vor
bez. kurz vor die kreuznahme fallen, wird anch allgemein
angenommen. Drittens ergibt mein princip einen nenen grund
für die unechtheit von MF. 318, an dei' wol niemand ernstlich
zweifelt, und für die von 214, 34. welche wenigstens von Paul
nachdrücklicli verfochten wird. A\'enn also meine Chronologie
dem nicht widerspricht was man aus gi'ünden des Inhalts und
des Stiles, jedenfalls aus rein objecti'S'en gründen annimmt,
sondern dies im gegenteil bestätigt, wenn sie hingegen nur
mit dem streitet was man unter biographischer ausdeutung der
lieder combiniert hat, so sehe ich darin keinen grund, sie für
unrichtig zu halten und ihr princip zu verwerfen. Ich finde
darin nur einen beweis für die richtigkeit des Standpunktes
den ich nach Vorgang Burdachs eingenommen habe.
^lag man auch über die einzelheiten abweichender ansieht
sein — vollkommene genauigkeit steht natürlich nicht zu er-
warten — , so viel glaube ich doch nachgewiesen zu liaben,
dass in den liedern Hartmanns eine starke tendenz zur
auftaktregulierung waltet, mithin die lieder welche darin
38 SARAN
am reg-elniässig'steii sind, ancli als die letzten lyrischen erzeug'-
nisse des dichters zn gelten haben.
Freilich gebe ich ohne Aveiteres zu, dass meine alte be-
Aveisfühning in H. \. A. manche mängel hat. Zum teil weist
schon Vogt auf sie hin. zum andern teil sind sie mir selbst
l)ei meinen Untersuchungen über musikalische und poetische
rhythmik sichtbar geworden.
Das sclnverste bedenken welches Vogt erhol)en hat. näm-
lich (bis gegen die ansetzung so vieler Strophen als einzel-
strophen. ist von mir, Avie ich hoffe, im ersten abschnitt
dieser Untersuchung beseitigt worden, im sinne meiner H. v. A.
s. 12 eingefügten anmerkuug und im sinne Pauls und Vogts.
Es hat sich herausgestellt, dass in den tönen der Zusammen-
hang der Strophen verhältnismässig eng ist, enger als ich
früher zugestanden.
Die einbeziehung von ton 211,20 in die Statistik ist
nicht zu billigen, weniger aus dem gründe den Vogt s. 238
voi'bringt als deshalb, weil das lied offenbar nicht vollständig
auf uns gekommen ist. Sein inhalt macht aber die einordnung
nicht zweifelhaft.
Wie weit mehrsilbige Senkungen anerkannt werden
müssen, lasse ich dahingestellt. Lachmann und Haupt haben
ihre anzahl zu beschränken gesucht: im gegensatz zu ihnen
hat Paul für ^^'alther viele der beseitigten wider auf-
genommen. Die entscheidung dieser für die herausgäbe mhd.
texte sehr wichtigen frage kann nur eine genaue metrisch-
statistische Untersuchung eines grossen materiales geben, die
ebenso sehr die gesetze der systematischen wie historischen
rhythmik zu berücksichtigen hat. Mir scheint, dass die
herausgeber von MF. die grenzen zu eng gezogen haben.
Aber auf die autorität der hss. in diesem punkte zu bauen,
halte ich entschieden für unzulässig. Auch über die möglich-
keit von 'kürzungen' denke ich anders als Paul (Fkiti. 8, 181 ff.),
da ich von derexistenz einer mhd. dicht erspra che überzeugt bin.
Man hat vor allem streng zu scheidcMi zwischen gesungenen
liedern (vocaltexten) uml gesagten gedichten. Der rhythmus
folgt, Avie ich anderswo schon oft hervorgehoben habe, in
beiden gattungen ganz verschiedenartigen gesetzen: dort denen
der musik, hier denen der poesie. Diese arbeitet mit den
UEBER HARTMANN VON AUE. 39
mitt'.'lii welclie ihr der spracliton an die liaiid gibt, jene mit
zeitverhältni^;sen die dem lebendigen A\'ort fremd sind und es
bis zu einem g-ewissen grade sogar verg-ewaltigen. Wo also
zur erreicliung- einer bestimmten Wirkung in der poesie eine,
zwei oder mehr Senkungen vielleicht nötig sind, können sie im
gesang überflüssig sein, ja stören — und umgekehrt. Gesang
und poesie sind auf jeden fall gesondert zu behandeln.
Im gesang ist nun eine zweisilbige Senkung (arsis) an
sich Aveder schön noch hässlich. Der eindruck den man beim
lesen von minnesängertexten empfängt, ist natürlich für die
ästhetische beurteilung ihres i-hythmus in keiner weise mass-
gebend: diese werke sind eben nicht zum lesen bestimmt.
Metrisch sind zweisilbige Senkungen an sich ebenfalls gänzlich
unauffällig: statt _!__ steht einfach L^^. Im reihenauftakt
sind sogar drei silben möglich (^^^ I -). 0 b freilich und wie
weit die sänger von diesen m()glichkeiten gebrauch gemacht
haben, ist eine andere frage. Sie ist nicht mit theoretischen
erörterungen. sondern allein auf dem wege der Statistik zu
lösen. Eine solche aber wird zweckmässig nur mit grösserem
material unternommen und so dass man dabei die sprach- und
Schreibgewohnheiten der hss. berücksichtigt. Ich muss hier
darauf verzichten. Dass sich für die Chronologie der Hart-
mannischen lieder daraus ein kriterium ergeben werde, glaube
ich nicht. Darin ist die regelung doch schon zu weit durch-
geführt.
Innere zusammenziehung (tliesis -\- arsis = i-i-; nach
Westphal 'synkope der Senkung") nehmen die herausgeber von
MF. in Hartmanns liedern nirgends an, meiner Überzeugung
nach mit recht, ^^'o sie überliefert ist, lässt sie sich durch
ganz leichte und unbedenkliche änderungen beseitigen. So
205, o mnc siile (so die hss.), ]\1F. ohne zweifei richtig: ensüle.
205,4 (1(12 salbe tiiot ouch, MF. (Idz selbe daz tuot oiick, wo
vielleicht Beclis emendation daz selbe tuot ouch der min s. m.
Aorzuziehen ist. 210, 11 lese ich mit Haupt. Nimmt man an
der Umstellung anstoss, so könnte man aucli an iverdt denken,
eine zweisilbige form, die in älteit^i liedertexten aufzunehmen
sich zuweilen emiifiehlt. Füi' den lesei' ist Haupts besserung
entschie(h^n gefälliger, die musikalische liiythmik winde da-
gegen keinen anlass haben, zweisilbige arsis hinter der zweiten
40 SAKAN
thesis des Vordersatzes (_ 1 .^^- - ) zu tadeln, da
sie, gerade an dieser stelle öfters vorkommt und rhj'tlimiscli
begründet ist. Yg-1. abschnitt IIT. Entscheiden kann wider
nur die Statistik. Von bedeutung- für die Chronologie Hartmanns
ist also auch die erscheinung der zusammenziehung- nicht.
Den ausschlag gibt die beobachtung der auftakt-
verhältnisse. Die bedenken welche Vogt dagegen erhebt,
dass ich die auftaktfrequenz in procentzahlen umgerechnet für
die Chronologie verwerte, kann ich nicht teilen. Denn wenn
in den 45 versen des tones 205, 1 der auftakt einmal fehlt, in
den 24 von 215, 14 aber auch nur einmal, so ist das doch ein
grosser unterschied. Da jenes lied fast doppelt so viel verse
hat als dieses, so fehlt der auftakt dort natürlich um die
hälfte seltener als hier. Umreclmung in procente ist darum
keineswegs ein 'aufbauschen' (Vogt s. 239): im gegenteil wäre
es falsch die Ziffern direct mit einander zu vergleichen. jMan
würde in diesem fall ihre bedeutung verschleiern und ^on den
wirklichen Verhältnissen ein ganz schiefes bild erhalten. Dass
ich den abstand von 205,1 und 214, 12 H. v. A. s. 36 für be-
deutsamer gehalten als er wirklich ist, leugne ich nicht, um
so mehr als ich jetzt das 'daktylische' lied dort einstelle.
Der oder die verlornen leiche Hartmanns sind wol kreuzleiche
gewesen. Sie würden, wenn dieses richtig ist, unter die krenz-
lieder einzureihen sein.
S. 239 bemerkt Vogt: 'der Verfasser hat bei der auf Stellung
seiner tabelle entweder ganz vergessen, dass dieselbe die fort-
schreitende regelung des auftaktes veranschaulichen soll oder
er sieht diese regelung ausschliesslich in dem gleichmässigen
setzen, nicht auch in dem gleichmässigen fehlen des auftaktes
und ebensowenig in dem bestinunten Wechsel \o\\ versen mit
und ohne auftakt; denn nach seiner Übersicht steigen unter-
schiedslos mit der zahl der auftaktlosen verse eines tones auch
jene procentzahlen, deren allmäliliches anwachsen nur immer
weiter zurück auf die stufen geringerer kunstfertigkeit des
dichters führen soll; die denkbar niedrigste stufe derselben
würden wir demnach mit der denkbar h()clisten procentzahl
erreichen, d. h. in einem conseciuent ganz ohne auftakt gebauten
gedieht! Kin solches findet sich nun allerdings bei Hartmann
nicht, wol aber gebraucht er Strophenschemata Avelclie das
UEBER HA KIM ANN VON AUE. 41
fehlen des auftaktes an bestiiinnter stelle erlieisdien'. Die
gerügte vergessliclikeit wird mir Vogt hoffentlich nicht im
ernst zutranen. Von den beiden niöglichkeiten die er offen
lässt, ist die zweite richtig. Ich habe mit bewusstsein nur
ein princip in der auftaktregulierung anerkannt und halte
auch jetzt daran fest, dass das von mir ermittelte durchaus
die ent Wickelung belierscht. Neben ihm kommt kein anderes
wirklich zur geltung. Gleich wol hat Vogt richtig gesehen,
dass meine ausführungen an dieser stelle der ergänzung be-
dürfen. In einigen liedern fehlt allerdings der auftakt ent-
schieden nicht ohne absieht. Doch widerspricht dies, wie sich
zeigen wird, meinem princip keineswegs, fügt sich ihm vielmehr
auf das 1)este. Vgl. abschnitt VI.
Auf einen mangel meiner Statistik muss ich selbst auf-
merksam machen, da ihn niemand bemerkt hat. Er liegt auf
rein rln'thmischem gebiet und zwar in der kolotomie. Die
mild, liedertexte werden so gedruckt, dass im allgemeinen eine
reimzeile auch eine druckzeile ausfüllt. Dass damit der bau
der Strophen nur unvollkommen widergegeben werde, haben
sich die herausgeber von MF. nie verhehlt. In den meisten
fällen ist nun die reimzeile gleich einer rhythmischen reihe,
oft aber beträgt sie weniger (bei binnenreim u. s. w.), oft mehr
(bei waise und reihenverschleifung). Der rhythmische wert
einer druckzeile in MF. kann somit im einzelnen falle drei-
fach sein: 1) reihe, 2) reihenabschnitt, 3) zwei oder mehr reihen
bez. eine ganze periode. Als erstrebenswert muss ein druck-
scliema bezeichnet werden, worin jede zeile den wert einer
rhythmischen reihe hat, und worin die anfange der perioden
durch grosse buchstaben deutlich gekennzeichnet sind. Alles
andere ergibt sich daraus dem kundigen leser von selbst.
Entwirft man nun nach dem princip, das ich verwendet,
eine statistische tabelle der auftakte, so muss man vor allem
die fuUctionen genau scheiden. Man darf also nur die auftakte
am reiheiianfang mit einander vergleichen, man muss sich da-
gegen hüten •l)inneiiauftakte' mit in die i'echnnngeinzubeziehen.
KerntM- liat man. um wirklich genaue zahlen zu bekommen,
die anzahl der kola einer strophe rhythmisch zu bestinnnen
und <larf sich nicht nach (hMi uniichtigen sdiematen der drucke
richten. So habe ich z, b. MF. 211, 27 im anschluss an den
42 SAKAX
text als eine Strophe von 8 reihen ang-eselien nnd die procente
auf diese zahl berechnet. Dies ist falsch, denn die Zeilen 211. 28
und 30 sind notwendig-er weise in je zwei kola zu zeileg-en,
während 211,32. 33 ebenso notwendig- in eines zusammengezogen
werden müssen. Die strophe besteht also nicht aus 8, sondern
aus 9 reihen und damit ändert sich aucli der statistische wert
der auftakt Ziffer etwas. Ferner fällt damit der auftakt von
211,33 ausser betracht, denn er ist nicht die erste arsis einer
reihe, sondern nur erste arsis eines abschnittes (reihenteiles),
also vom Standpunkt des kolons aus gesehen ein 'binnenauftakt'.
Es bedarf also meine frühere arbeit vorzugsweise im punkte
der rhythmik einer revision. Denn die grundlage einer Unter-
suchung, wie die ist welche ich geführt habe, muss vor allem
eine genaue kolotomie sein. Ich will diese kolotomie und
überhaupt die rh3thmisierung der lieder, so weit sie für meinen
unmittelbaren zweck von nöten ist, liier nacliholen.
III. Zur rhythmik von MF.
Was einem wirklichen Verständnis der lyrik der minne-
singer bisher im wege gestanden hat und noch immer im wege
steht, ist der umstand, dass man die überlieferten denkmäler
dieses kunstzweiges niclit als das behandelt was sie sind und
allein sein sollen: vocal texte. Wdw nimmt sie für poetische
Averke, für gedichte und beurteilt sie im wesentlichen ebenso,
wie man es mit gedichten moderner lyriker tut. Man vergisst,
dass sie nur mit der melodie zusamnien Avalirliaft lebten, dass
also beim lesen ein grosser teil ihrer ästhetisclien Wirkungen
schwinden muss. Eine erotische deutsche buchljTik gab es
damals nicht. Es gab keine gedichte, sondern nur lieder.
Macht sich dieser fehler der betrachtung schon bei der
literarischen beurteilung oft recht störend geltend, so nocli
mehr bei der rhythmischen. Man stellt hier die Strophen
dieser sänger auf eine stufe mit den reimdichtungen der er-
zähler, man überträgt beobachtungen die man an sprechversen
gemacht, auf gesangsverse , kurzum mau lässt den grossen
unterschied ausser acht, der tatsächlich zwischen musikalischen
und poetischen rhythmen besteht. Dadui'ch Avird eine befrie-
digende auffassung der minnelieder unmöglich.
Es ist für die metrik der minnesinger unbedingt festzu-
UEHKIJ IIAUT.MANX VUN AUE. 43
halten: das für den ästhetischen cindriuk massgebende, das
formende element ist der musikalische rhj'thmns. Dessen
formen hat sirh der text sowol im accent wie in der g-liederung-
anzuheiiuemen. Diese musikalisch -rhythmischen formen sind
aber ilirem weseu und ihrer entstehung- nach von der spräche
und ihren accentverhältnissen als solchen g-änzlich unabhängig,
sie kihinen z. b. in der instrnmentalmusik eine existenz ohne
Sprachtext führen. A^^eil sich nun aber der text dem musika-
lischen rhythmus fügen muss, weil er von diesem geformt wii'd,
soweit es die natur der s})rache nicht hindert, so wird er da
Avo die melodie nicht erhalten ist. die mfjglichkeit bieten, den
rhythmus zu erkennen den er begleitet. Ans den eindrücken
die der rhythmus im text hinterlassen, kann man also um-
gekehrt seine form reconstruieren. Aber dies ist nur dann
möglich, wenn man sich über wesen und gesetze des musika-
lischen rhythmus unterrichtet hat: ohne kenntnis dessen was
in musikalischen rhythmen m()glich ist, kann die rhythmi-
sierung der texte nicht gelingen. Denn der text spiegelt
eben nicht alle Wirkungen des rhythmus ab, sondern nur einige.
Ja selbst dann, wenn uns die melodien der alten minnelieder
erhalten wären, würde aus text und melodie allein die rhyth-
mische form nicht construiert werden können. Denn die notie-
rung alter melodien jener epoche bedarf, wie mich ein kenner
der mittelalterlichen notenschrift, H. Riemann, versichert, selbst
erst der rhythmischen deutung auf grund des textes.
Die einzige möglichkeit in das wesen der alten kunst
einzudringen ist also die, dass man an modernen musikstücken
verwanter art, d.h. an einfachen liedern, die formen und ge-
setze des musikalischen rhythmus studiert, danach die erhal-
tenen texte rhythmisiert und dann die resultate durch statis-
tische vergleichung corrigiert. Man wird so, wie ich überzeugt
bin, wenn nicht völlig, so doch hinreichend genauen aufscliluss
erlangen, zumal die sache verhältnismässig recht einfach liegt:
Ich werde im folgenden nach diesei- methode verfahren. Die
grundsätze die ich im einzelnen befolge, werde ich vorher an-
geben. Icli muss dies in dogmatischer form tun. erhebe aber
hier nicht den anspruch darauf, etwas endgiltiges zu geben.
Doch möchte ich bemerken, dass meine art der behandluug
und die folgende kurze rhythmische Übersicht sich auf die
44 SARAN
clurcharbeitimg- eines reichen materiales stützt. Ich habe taii-
sende von musikalischen compositionen aller g-attun^en und
grossen anal3-siert und die gewonnenen regeln an sämmtlichen
liedern aus MF., den meisten Walthers und zahlreichen späterer
säng-er erprobt und als stichhaltig- erfunden. Ich glaube ihnen
darum einigen wert beilegen zu dürfen. Im einzelnen hoffe
ich meine grundsätze bald in einer systematischen darstellung-
der allg-emeinen musikalischen rhythmik rechtfertigen zu können.
Einstweilen verweise ich auf K. ^^'estphals 'Allgemeine theorie
der musikalischen rhythmik seit Bach' und ebendessen 'Aristo-
xenos" bd. 1 (von mir bearbeitet und herausgegeben), wo sich in
den prolegomena ein abriss der musikalischen rhythmik findet.
Beide Schriften zusammen genügen im ganzen zur rhythmisie-
rung der minnelieder, so viel verfehltes auch darin enthalten
ist. AVill man sich die Schemata der minnelieder beleben, so
nehme man dazu choralmelodien. Deren rhythmik steht —
von dem feierlichen tempo natürlich abgesehen — ungefähr
auf dem Standpunkt der lieder in MF. Von der heranziehung
der kinderlieder sieht man am besten ab, da diese eine Sonder-
stellung einnehmen.
Die rhythmik der minnelieder in MF.
1. Der rliytlninis innl seine factoreii.
§ 1. Lässt man ein monodisches oder unisones (ev. be-
gleitetes) lied auf sich wirken, z. b. das bekannte 'Frisch auf,
kameraden, aufs pferd, aufs pferd' und zwar gesungen so Avie
es an seiner stelle sinn- und stilgemäss gesungen Avei'den muss.
so findet man dabei im bcAvusstsein — wenn man einmal von
andern Wirkungen absieht — die Vorstellung einer gewissen
zeitlichen gliederung, die zugleich als angenehm gefühlt wird.
Dies ist der rhythmus des liedes, die ästhetisch wolgefällige
Zeitform des akustischen Vorgangs.
§ 2. Anal^'siert man nun diesen Inhalt des bewusstseins,
so enthüllt er sich als tlie Wahrnehmung eines sj^stems von
Zeitbeziehungen, das die tonreihe in uns entstehen lässt, und
zwar eines Systems, das sich in mehreren Ordnungen aufbaut,
die so zu sagen über einander stehen. Sie folgen diesem
Schema :
UEBER HARTMANN VON AUE. 45
4. _]•_ : _1'_
:{. r : V r : r
und dann auf jeder Seite weitei':
;<. r : r
2. :i : ii a : a
1. f : f f : "f r : f f : t'
0. s:.s .s:s s:s f;:s s:s s:s s:s s:s
D. li. diese tonreilie ist so beschaffen, dass ilire teile, naclidem
sie ins bewusstsein setreteu siiul. nicht vereinzelt bleiben, son-
dern nacli dem mitgeteilten scheuui auf einaiuler bezog-en, also
vom geist zu grupi)en vereinigt Aveiden, von denen eine immer
die nächst niederen einschliesst.
§ 'i. Jede einzelne rhytlimo])öie ist also in rhythmische
gruppen verschiedener Ordnungen zerlegbar. Diese sind \tin
unten nach oben gerechnet:
1) der f uss (f) bestehend aus zwei schlagen (s). die arsis
und thesis (aufschlag und niederschlagj heissen,
2) der abschnitt (a),
3) die reihe (r),
4) die periode (p);
eventuell kommen hinzu
5) der absatz,
6) die Strophe.
Jede gruppe höherer Ordnung zerlegt sich zuei'St in die der
nächst niederen und dann so fort. Die folge der schlage, diese
ohne beziehung zu einander gedacht, heisse das rhj'thmische
niveau (im Schema mit 0 angedeutet).
§ 4. Dies wolgefällige zeitensystem ist ps3''chologisch be-
trachtet eine leistung des bewusstseins. Die mittel die die seele
anregen, es zu erzeugen, d. li. die factoren des rhythmus sind
1) das metrum, d. h. alle die festen Verhältnisse worin
die dauerwerte der einander beigeordneten t()ne und tongruppen.
in den verschiedenen Ordnungen stehen. ^letrum ist also der
Inbegriff der mathematiscli festgestellten dauerverhältnisse in
der tonbewegung. ]\Iit 'rhythmus' darf der begriff nicht ver-
wechselt werden.
2) die dynamik, d.h. der Inbegriff der Stärkeabstufungen,
die in einer tonreihe bemerkt werden,
46 SAUAN
3) das temifo.
4) die agogik. d. li. kleine delniimoen oder kürziing-en
die die normaldauer eines wertes erleidet, ohne dass die g*rimd-
proportion für das bewnsstsein gestcirt wii'd.
5) die tonarticulation (legato, staccato u.s. w.),
G) die tote pause, d.h. irrationale leere Zeiten, die als
grenzen gebraucht werden.
7) die melodie mit ihren bedeutungsvollen intervall-
schritten und Schlüssen,
8) der text, der durch syntaktische gliederung und den
Wechsel accentuierter und nicht accentuierter silben die rhj'th-
•niische gruppenbildung wesentlich fördert,
9) das euphonische des text es, z. b. reim, alliteration
u. dgl., was ebenfalls den i'ln^thmus stützt.
§ 5. Nur das zusammenwirken aller oder doch dei- meisten
dieser factoren erzeugt den rhytlimus. Es brauchen aber nicht
alle in gleicher richtung zu wirken. Einige können wider-
streben, die dann durch stärkere Wirkung anderer in ihrer
tätigkeit compensiert werden. In solchen fällen — und es sind
wol alle — ist das ideale rhythmische system mehr oder weniger
verschleiert. Orade in der feinen Verwendung der gegensätze
in den factoivn besteht die kunst der rhj'thmischen arbeit.
2. Die i)r niidforiiieii der rli ytlun isclieu ynippeii.
Es folge nun eine kurze Charakteristik der einzelnen rhyth-
mischen gruppen, soAveit sie für meinen zweck nötig ist.
§ 6. Der fuss. Für den minnesang, soweit dessen texte
in MF. vorliegen, kommen nur vier in betracht:
_1 anapäsf) (J | J) | 1 _ daktylus') (| JJ)
^.'_ Jambus (}|J) | -^ trochäus (|j}).
Die füsse kennen also entweder das gerade (1 : 1) oder das
ungerade (1:2, 2: 1) Verhältnis. Analysiert man eine rhythmo-
pöie nach takten, d.h. von thesis (hebung) zu thesis ohne rück-
sicht auf das fusssystem, so erhält man für MF. natürlich nur
zwei einfache taktformen: den geraden | 1_ | = | JJ | und
den ungeraden L^ = \ j ^ \. Bei anaiiästen und Jamben heisst
dann die erste arsis der i-eihe -auftakt'.
') leb briinclK.' difsou iiaineii in etwas audereni sinn als die antike.
UUBKK IIARTMANN VON AUK. 47
4j 7. Die reihe. Iss ,iiil)t in ili'v imtsikalisclieii rliyiliniik
iilterliauiit mir fünf i-t'ilH-nfoniit'ii: den zwei-, drei-, vier-, fiiiif-
iind set'lisfüsscr (bez. -takter. wenn man nacli takten zählt).
Es empfiehlt sich die neutralen uanien "zweier, dreier, vierer,
fünfer und sechser" zu benutzen, die schon das 18. jh. brauchte.
Meist sagt man: dipodie, tripodie, tetrapodie. pentapodie, hexa-
podie. Von diesen reihen kennt ]\rF. nni' di(n:
1. den vierer (tetrapodie). weitaus die beliebteste und
häufigste; z. b.
_jL_--_1_- ana])äst. )
I 1 f 1 \ vierer,
1 _:.___- j_ daktyl. )
2. den sechser (hexapodie). nächst (h'in vieier die belieb-
teste reihe und auch sehr häufig-; z. b.
_^_j__l'_-^_i_- (anap. sechser),
3. den zweier (dipodie), selten und vielleicht nirgends
anzuerkennen. Durch Verbindung- mit nachl)arzeilen kann ei-
wül immer vermieden werden. Dieser reihentypus ist überhaupt
in der musikalischen rhythmik einer der seltensten.
Dreier und fünfer sind in MF. nicht anzunehmen, Aveil
man ohne sie g-latt auskommt und diese reihen jederzeit sehr
selten gewesen sind. Man darf sie nur da ansetzen, wo sie
l)ositiv nachgewiesen werden können.
Am schhiss jeder reihe steht eine cäsur, die durch die
Verwendung der rhythmischen factoren in sehr verschiedener
weise zum bewusstsein gebracht werden kann. In der vocal-
niusik pfiegt des atniens wegen tote pause mit ihr verbunden
zu s(dii.
§ 8. Der abschnitt. Jede reihe, der zweier ausgenommen,
zerfällt in zwei rhythmische abschnitte, die sich mehr oder
weniger von einander abheben. Hei deutliidier Scheidung steht
biunencäsur. die icli im sclicnia durch ein Semikolon bezeichne.
Der vierer zerlegt sich so: _1_ • ; _.'__•, der sechser
entweder 1_^; _i'_^ _^_ ■ oder __!-'__I_;_l_-
d.h. iiacli dem reihenverhältnis 1:2 oder 2:1. nie nach dem
Verhältnis 1:1, alsd nie -JL_ • _1; _J._ • _1. Solche bil-
dungen sind niclit reihen, sondern zweigliedrige ]>eriotlen!
Da der sechser rhythmisch eine enge Verbindung des
Zweiers und Vierers ist, so enthält sein langer teil (der \ier-
48 SAEAN
füssige absclnütt) zwei unterabscliiiitte, die zuweilen auch
durch untercäsur deutlicli getrennt werden.
Man hat also haupt- und Unterabschnitte zu scheiden.
Von den zwei typen des Sechsers ist der nach v = 2 : 1
(also mit dem langen teil voran) stets der seltenere, darum
nur dann anzusetzen, wenn dazu positive veranlassung' ist.
Die normalen binnencäsuren der reilien sind die zwischen
den abschnitten; doch sind sie meist verdeckt, besonders im
vierer, so dass sie nicht ins bewusstsein fallen.
Anm. 1. Icli bemerke hier, dass vierer und seehser mit anapästisclion
fassen ( — '-) der germauischon rliythmik von alters lier eignen. Anf den
ersten gehen, wie ich gezeigt hal)e (vgl. Sievors, Altgerm. metrik cap. Vll ),
die 'normalverse' der altgermanischen alliterationspoesie zurück. Anf den
Sechser (die hexapodie) anapästisclier form dagegen weisen, wie ich hier nur
mitteilen will, die ' schwellverse ' hin. Deren einzelne formen lassen sich
ans dem seehser in ganz analoger weise ableiten wie die normalverse ans
dem vierer. Und zwar geht der westgerm. schwellvers anf die form zweier
+ vierer (v = 1 : 2) zurück, also anf den seehser mit schliessendem langen
teil. Der nordische schwellvers im drottkvsett aber ist aus der form vierer
+ zweier (v = 2 : 1) entwickelt. Auch die langzeile des Ijößahättr gehoi-t
hierher. Luicks complicierte theorie ist unmöglich. Die fonuanalj'se des
textes die Sievers zuerst gegeben, entspricht durchaus dem genetischen
Sachverhalt. Wie der ursprünglich vierhebige musikalische vierer in folge
seiner deutlich dipodischen structur zum wesentlich zweihe))igen poetischen
uormalvers umgewertet wird, so der musikalisch sechshebige rhythmus zum
dreiliebigen schwellvers. Die von Sievers festgestellte gliedorung in ein
X — + uormalvers oder normalvers + _ x ist nichts weiter als der letzte
Aviderschein der musikalischen gruppierung nach 1 : 2 oder 2:1. Die regeln
über die 'Senkungen' und eventuelle 'nebentöne' im schwellvers können
denen des norraalverses analog entwickelt werden.
§ 9. Die Periode. Es ist eine für das Verständnis von
rhythmopöien höchst wichtige tatsache, dass in der musik der
culturvölker. jedenfalls in der des abeiullandes von der wir
etwas Avissen, reihen für sich allein nicht vorkommen, ver-
schwindend geringe ausnahmen abg'erechnet. Es müssen immei-
mindestens zwei zu einer gruppe höherer Ordnung, der periode
zusammentreten. Isoliert konnnen reilien nach meinen beob-
achtungen nur als signale u. ä. vor. Die kunst kennt sie nur
da wo sie solche signale nachahmt. Die reihe als bestandstück
der periode heisst glied (kolonj.
UEBER HARTMANX VON AUE. 10
4^ 10. Die ui's}trrm,ij;licli(' fonu der i)erio(le ist die zwei-
gliedrige. Sie bestellt aus Vordersatz (a) und nachsatz (b).
Sind mehr g-lieder vorhanden, so haben sie entweder (in MF.
immer!) die function von Vordersätzen (a', a" u.s.w.) oder aber
die von nachsätzen (b', b" u.s.av.). Letztere tragen den Cha-
rakter von schlusswiderholung-en und schlussbekräftigung-en.
Es ergeben sich also folgende Schemata:
dreigliedi'ige periode: a — a' — b oder a — b — b',
viergliedrige periode: a — a' — a" — b, a — a'— b — b'
a — b — b' — b" u. s. ^v.
Die periodengliedel" werden durcli die cäsuren getrennt. Hier
ist im text der hiatns stets erlaubt.
^ 11. Für die gliederfolge gilt die specialregel: zwei
dipodien können nie in der function Aon reihen auf einander
folgen. Wo dies scheinbar der fall ist, hat man es mit einem
vierer zu tun, dessen binnencäsur scharf ausgeprägt ist. Die
zweier sind, in solchen fällen also abschnitte, nicht glieder.
§ 12. Hinter der periode ist ein starker rhythmischer
einschnitt, den ich diäresis nennen will. Zeichen: || (doppel-
strich).
§ 13. Wie die reihen zur periode zusammentreten müssen,
so können sich wenigstens die perioden zu absätzen ver-
einigen.
§ 14. Die absätze, wo solche vorhanden sind, andernfalls
die Perioden unmittelbar, treten zu Strophen zusammen. Auch
eine periode kann schon strophische function übernehmen (z. b.
im lied 'Es zogen drei burschen'. Periode = a — b — b' =
Strophe). Als Strophenteile heissen die absätze im nünnesang
aufgesang und abgesang, die Strophe ist also ev. zweiteilig
zu analysieren, nicht dreiteilig.
'^. I)ie rbythmischen sprossformen.
Die unter no. 2 aufgestellten grundformen können nun
modificiert werden durch rhythmische Veränderungen. Ich führe
nur die wichtigsten davon an.
i^ 15. Auflösung. Jede normale thesis (1) kann in zwei
hälften gespalten werden: l = ww(J = J'J^). Eine halbe,
leine thesis heisst schlechtweg kürze (niore). Ebenso kann
Beiträgt zur gi:sohicUte (ItT deiiteuheu ipr.iclif. XXI II. 4
V-/ V_-'V— '
^.y^y v-^
50 SARAN
eine arsis gespalten werden, wenn sie von der dauer einer
tliesis (1) ist: _ = , , ( J = SI")- Die zeit der reinen thesis,
dann auch die einer gleich langen arsis, nennt man gewöhn-
lich sclilechtweg eine länge. Daher die bekannte regel: eine
länge ist gleich zwei kürzen.
§ 16. Eine arsis von dem wert ^ (J"), also die arsis der
Jamben und trochäen, darf im minnesang nicht gespalten werden.
Die kürze ist also wie im griech. und hit. die kleinste mög-
liche rhythmische zeit {yQoi'oc. jiQwrog, mora, masszeit).
Es gilt also auch für MF. die regel von der Unteil-
barkeit der kürze (der masszeit mz.).
§ 17. Die füsse können in MF. daruui nur in folgenden
artformen auftreten:
anapäst: -- . ,- ^^ ^.y^l^
daktylus: 1_ ^_ 1.^^ ^~
Jambus : ^ L
trochäus: -^
Es gibt also in MF. höchstens viersilbige takte. Füllen vier
Silben den takt, so müssen die beiden ersten (die thetischen
Silben) 'verschleif bar' sein, d. h. sprachlich die form ^x haben.
Anm. 2. Für die moderne iiiusik gilt diese regel nicht mehr. Nur
der gemeiudechoral befolgt sie noch.
Anm. 3. Die stellen wo auflösung stattfindet, sind nicht schlechthin
willkürlich. Die rhythmische gruppierung kann durch sie bedeutend ge-
fördert werden. Darum ist autlösuug beliebt im 'auttakf, z. b. ^^-^ :-
'-, um den reiheueiugang zu markieren. Im inneren der reihe steht
sie gern auf der dritten arsis (anfang des zweiten abschnittes), z. b. — ^
v.yv-/ -, bes. passend für die hexapodie ww ww - — ~ —- '- .
Ferner steht sie gern auf 'nebenhebungen', da durch auflösung die kraft
des ictus gebrochen wird : _ -^ _ Ow — '- — Ov^.
§ 18. Zusammenziehung. Die zeit einer thesis kann mit
der der arsis die unmittelbar folgt, vereinigt werden. Dann
entstehen üb erlangen, vier- bez. dreizeitige takte.
Die rhythmischen Symbole sind: 1 (J) = 4 ^ = 1 -f _ (J J)
:.(J.)^3^ = l + ^(j;).
Durch diese zusammenziehung fallen arsen (ohne Zeitverlust)
aus. Westphal nannte den Vorgang unzweckmässig 'synkope
UEBEU 11 ARTMANN VON AUE. 51
der Senkung''. Eeilien mit zusamnienzieliung heissen 'as3^nar-
tetisch', solche ohne zusamnienziehung- 'synartetisch'.
Anm. 4. Die znsiuiinii'uzifliuiiy- dient wie die aurtüsung auch zur
förderuug der rhytliniiscluMi irruppievuu!^. Sie dient dazu, den scliluss der
reilien zu markieren, tindet sicli darum besondtn's um die letzte arsis
(katalexis):
analog ^ — ^ . ^ 1. ^ und —^-^ —^j^.
Sie ist ferner ein gutes mittel haupticten zu verstärken. Beliebt sind darum
in MF. formen wie —L\ — l.^-, bei typus C (Sievers) —1 — ^1 1 oder
— ' — ^^1 . Entsprechend im kurzen und langen teil der hexapodie:
_ Z. ^ ; _ ^' ^ _ ^ • u. s. w.
§ 19. Verschiebung der einschnitte. Am ende jedes gliedes
oder jeder periode ist normaleiweise cäsur (|) bez. diäresis (||):
l.'^ _1_^_JL__^ I »> _1 L_- II
2.'* _-L_-^_l_^ I ^ _l_j^_l_j^ II .
Die cäsur und diärese kann aber verschoben werden um eine
stelle nach vorwärts (so oft in MF.) oder um eine zurück. Ein
komma zeigt die neue cäsurstelle. punktierte striche die alte
an. Im Schema:
^ a, '_ . _'_ ■ : _ '^ _! • '_•■'■
2., 1__._1_^ I b'_l__^_l_^ ll"
bez.
1 a ' . ' . ' . '
X . . . — .
2.^ ^ ;i _1_^_1_^ I _1_-L_1_^ ||.
Der zweite fall ist überhaupt seltener, weil dadurch die zahl
der thesen und damit der grundcharakter der glieder verändert
wird. Der erste fall ist beliebt. Dadurch bekommen die
glieder am schluss 'überschlagende arsen', d. h. sie Averden
hyperkatalektisch, entsprechend werden andere dadurch
auftaktlos.
Anm. 5. Tritt auflösung dazu, so complicieren sich die' Verhältnisse,
z. b. aus ^-'^ I ^^^ ^^^ II
wird gern z. b.
I^_J j K^ .
^__._1_- |_1_._^_- ||.
Bei zurücktreten der cäsur und diäresis entsteht z. b.
52 SARAN
1a'.'- b f. f.
2» ^_j: ! l|'*_J.__-_1._- II
also dreiwertige auftakte! Die schliessenden kürzen von l.a und '> sind dann
der agogischen dehmuig- ziigäiiglicli , treten im text darum als 'anceps;
(^) auf.
§ 20. Aelinlicli steht es mit der binnencäsur. Deren
normale stellnng-, soweit überlianpt binnencäsur beabsielitigt
ist. befindet sich zwisclien den abschnitten. Also im vierer
nach der zweiten tliesis (bei absteigenden füssen: arsis) z. b.
_l__i; _1_^ oder :_•_._; 1_^_
im Sechser ebenso:
Sie rückt nnn entweder eine stelle nach vorwärts: z. b.
_1_^_; 1-- bez. _1_^_; ^__:,_1_^
oder zurück: z. b.
_1_; ^_1__^ bez. _1_; ^_Z'_.:__1_^.
Das letztere ist minder häufig-.
Anm. (). Combinatiouen mit arsenauflösung kommen oft vor, z. b.
/ . . '
— y^ j \^ — — '— '
Im Sechser z. b.
§ 21. Verdeckung der einschnitte. (Glieder-, periodenver-
schleifung). Der normale zustand ist, dass cäsur und diärese
deutlich ins bewusstsein tritt. Besondere Wirkungen werden
dadurch erzielt, dass über die einschnitte hinweg-gegangen wird.
In solchen fällen pflegt einschnitt (wortschluss) im text zu
fehlen; z. b. ,
§ 22. Perioden- und absatzbrechung. 1 )as normale ist, dass
die diäresis stärker ist als die cäsur und der endfall des ab-
satzes stärker ist als der nach der Vorderperiode. Besondere
Avirkungen werden erzielt, wenn das Verhältnis umgekehrt
wird. Dann bekommt die periode und der absatz eine neigung
auseinander zu fallen. Die beweg-ung wird freier, prosa-
ähnlicher. Sparsame Verwendung- dieses kunstmittels ist für
das lied wesentlich, da andernfalls das rhythmische System
zerrüttet würde. Im Sologesang, der ohnehin freiere bewegung
ÜEBER HARTMANN VON AUE. 53
verträgt, ist die ersclieiiiiiug leichter zu ertragen als im
chorlied.
Anm. 7. Die poesie, die auf die gcsetze des musikalisclieii iliytlinms
nicht zu achten braucht, liebt es in gewissen stilarten (bes. erzählender
dichung), die strophenbrechnng- durchzuführen. Sie schreitet oft bis zur
l)eriodenbrechnnt;- fort. Vol. Saran. Z. metr. Otfr. v. Weisseuburg s. 193 ff.).
§ 23. Rhythmische pause. Das normale ist, dass eine
rhythmopöie ihre rhythmen alle mit tönendem stoff erfüllt.
Es kinmen aber auch rhythmische werte ihrem Inhalt nach aus-
fallen und durch eine leere zeit von gleicher dauer ersetzt
M'erden. Diese 'leeren zeiten" sind die pausen, die 'rhythmisch'
heissen, weil ihre Zeitdauer wesentlicher liestandteil des rhyth-
mischen Systems ist, weil sie tönenden werten gleich stehen
und als solche teile rhythmischer gruppen, glieder metrischer
Verhältnisse sind. Sie sind nicht zu verwechseln mit den
'toten pausen', die nur die bedeutung von grenzen, nicht von
Inhalten haben (§ 4). Das symbol der rhythmischen pause
ist A (wert = ^), der toten p. Je nach dem wert, den sie ver-
treten, sind die pausen ferner zweizeitig (7\), dreizeitig Q\),
vierzeitig (/\). Andere kommen in MF. nicht vor.
Anm. 8. Auch die pausen können zur Verdeutlichung des rhyth-
mischen Systems dienen. Sie werden besonders am reihenschhis.s ge-
braucht, mit ähnlicher Wirkung wie die zusammenziehung. Z. b.
------A
(sclieinl)ar austall eines ganzen fusses = brachykatalexis); ferner
fpausenkatalexisj. Dann im iunern:
1_ • ä; 1_---ä
(mittelpause zur markierung der binueucäsur) und am anfang:
(pause statt des auftaktes zum verstärken des reiheneinsatzes).
4. Regeln für die rliy tlim isierung von miuueliedern.
Hat man die aufgäbe, ein lied modernen Ursprungs, etwa
aus dem 18. oder 19. jh., rhythmisch zu analysieren, so ist das
nicht schwer. Aus der notierung im verein mit der betrach-
tung des textes kann ein musikalischer mensch im wesent-
lichen die absiebten des componisten erkennen, kann er sich
das bild das diesem vorschwebte, sinn- und stilgemäss recon-
struieren und rhythmisch betrachten. Das problem ist sodann,
54 SARAN
die rln'thmische form des Werkes zu bestimmen, und aufzu-
zeig'en. wie die rhytlimu^;factoren jeder für sich zur gesammt-
wirkung beitragen.
In dem fall der uns vorliegt, steht es weit ungünstiger.
Von dem ganzen kunstwerk des minneliedes haben wir nichts
weiter als den text zur reconstruction der form, es felilt die
melodie und das was man heute vortragsan Weisung, taktein-
teilung und taktvorzeiclinung nennt. Von den neun factoren
des rhj'thmischen eindruckes entziehen sich also mindestens
sechs (metrum, tempo, agogik, tonarticulation, tote pause, me-
lodie) der beobachtung. Es bleiben textgliederung (durch
accent und sj-ntaktischen Zusammenhang) und das euphonische.
Bis zu einem gewissen grade auch die djmamik, da diese im
deutschen sich einigermassen an den sprachaccent anschliessen
muss. Im fi'anzösischen fällt auch sie aus. Vgl. abschn. V.
Es ist mithin unsere aufgäbe, aus der beobachtung der
textgliederung, des euphonischen (reim) und der gegebenen
djTiamischen punkte (wortaccente) die rhythmische form zu
erschliessen, die das kunstwerk beherscht.
Wie weit hat nun der rhythmus im text des minneliedes
seine spuren hinterlassen?
"Wollte man rein aus dem texte von motetteu z. b. des
Palestrina, Orlando di Lasso oder aus den texten von Otts
Liederbuch den rhythmus des ganzen herstellen, so würde man
weit hinter der A\irklichkeit zurückbleiben. Auch in der vocal-
musik unserer zeit würde der wirkliche rhythmus nicht rein
aus dem text ermittelt werden können. Denn in der modernen
musik höheren Stils ist die melodie und die rhythmische form
ihre eigenen wege gewandelt und schaltet mit der sprachlichen
form des textes sehr frei. Melodie und rhythmus herschen
über den text: jene sind die hauptsache, dieser nur das substrat.
Auch bei R. Wagner ist das nicht anders, nur dass dieser aus
hier nicht zu erörternden gründen, wie überhaupt die neuesten
componisten, das wort melir schont als die frühei-en. Man
kann also sagen: da wo die melodie die hauptsache ist, der
text i, w. nur als ilir träger und {h^linetscher wert liat, ist
eine reconstruction des musikalischen rhythmus im einzelnen
aussichtslos. Hier kann nur die kenntnis der genau notierten
melodie helfen.
UEBER HARTMANN VON AUE. 55
Anders lieg't aber die sache da wo der Schwerpunkt im
textinlialt lieg't und die melodie niclit zweck, sondern — wie
Aristoteles sagt — mehr ein 7]dvOfia des Wortes ist. So Avar
es in der antiken musik etwa bis zur hellenistischen zeit, so
war es offenbar auch in den ältesten zeiten des minnesangs,
also mindestens bis in den anfang- des 13. jh.'s. Wir können
das daraus mit Sicherheit schliessen, dass die texte der ältesten
minnesänger, die uns besonders MF. bietet, an sich wertvoll
und lesbar sind. Fehlt auch den liedern des Kürenbergers,
Hausens. Reinnu\rs eine gewisse sprödigkeit, teihveise trocken-
heit der form niclit. die jedem echten und guten vocaltext
eigen ist. .so sind es doch immerhin an sich geistreiche und
gehaltvolle dichtungen. Das ist nur so zu verstehen, dass die
alten dichtercomponisten den nachdruck auf das wort legten
und ihm die weise unterordneten, wie es die antiken dichter
auch getan. Sie konnten es, weil gleichwertigkeit von wort
und weise, dichter und componist als eine person vorausgesetzt,
überflüssig, ja unmi)glich ist; sie mussten es, weil die musik
damals noch auf primitiver stufe stand und die ausdrucks-
fähigkeit des wortes bei weitem nicht erreicht hatte.
Das Verhältnis von wort und weise wird sich aber bald
geändert haben. Das zeigt eine betrachtung der liedertexte
des 13. jh.'s. Diese sind formell z. t. so künstlich, inhaltlich
so dürftig und leer (Nifen, Konrad von AVürzburg). dass man
annehmen niuss, dass hier bereits die musik anfängt zur haupt-
sache zu werden und der text zurücktritt. Denn die behaup-
tung vom fortgesetzten 'verfall' des minnesangs ist angesichts
der glänzenden technik dieser lieder wenig glaublich. Offenbar
verscliiel)t sich nur der Schwerpunkt in das musikalische.
Wenn also, wie nicht zweifelhaft ist, im alten minnesang
das wort über die weise herschte, so muss sich auch der
rhythmus der spräche möglichst angei^asst haben: Verrenkungen
und Zerrungen der wortform werden nur so w^eit erlaubt sein,
als sie das olir nicht beleidigen. Rhythmische und sprach-
liche form müssen sich so weit nur möglich durch-
drungen halten: diese muss jene, so weit es überhaupt
angeht, spiegeln. Dass dies der fall ist, liegt auf der band:
die technik des minnesangs ist nach der sprachlichen seite
hin sclKjn um 1190 fast tadellos. Ueberall die feinste abwägung
56 SARAN
der Silben, überall die peinlichste rücksiclit auf die spräche.
Eben darum sind die üblichen scansionen der sog-enannten
'daktylen' unmöglich: sie Verstössen gegen dies vornehmste
gesetz der mhd. liedkunst.
Wir dürfen also an die texte von MF. mit der voraus-
setzimg herantreten, dass sie, so weit dies möglich ist,
den rhythmus des ganzen widerspiegeln.
Prüft num von diesem Standpunkt aus die überlieferten
texte, so wird man bald merken, dass sich aus den reim-
beziehungen, syntaktischen gliederungen und dem accent,
namentlich wenn man alle Strophen eines tones vergleicht,
ziemlich leicht ein gruppensystem ermitteln lässt, das man
allen grund hat als reflex des rhythmischen anzusehen.
Gleichwol beantwortet die textanalyse nicht alle fragen.
Ja blosse textbetrachtung ergibt ein viUlig schiefes bild von
der rln'thmischen structur der lieder, weil sie zu formen führt,
die rhythmisch unmöglich sind. Derart sind z. b. die sieben-,
acht- und mehrhebigen 'verse', die man ansetzt. Solche gibt
es nicht, wenn man 'reihen' damit meint. Also die reihen-
abteilung (kolotomie) kann auf grund des textes allein nicht
überall mit Sicherheit vorgenommen Averden. Ebensowenig
kann man bloss aus dem text heraus den rhythmischen wert
der einzelnen reimzeilen bestimmen. MF. 209, 21 ja niöhtc ich
etesivar ist sprachlich x-x-X-^? ^^^i' rhythmisch ist es kein
dreif üsser _ _L _ i ^ | , sondern ein brachykatalektischer vierer
Zur textanalyse und reimbetrachtung muss also kenntnis
der allgemeinen musikalischen rhythmik hinzukonnnen, wenn
die rhythmisierung gelingen soll. Was etwa davon für den
vorliegenden fall von nfUen ist, gibt der obige kurze abriss.
I^m nun die rhythmisierung von minneliedertexten zu er-
leichtern, stelle ich hier in form von praktischen regeln die
grundsätze zusammen, die dabei zu beobachten sind. Sie folgen
aus der anwendung der gesetze der allgemeinen rhythmik auf
die überlieferten texte von MF.
1. Taktart. Sind in einem ton die binnensenkungen des
textes streng einsilbig, die reihenauftakle hik-hstens zweisilbig,
so ist nicht zu entscheiden, ob der takt gerade (^_) oder
ungerade {L S) ist. Zweisilbige Senkung und dreisilbiger auftakt
UEBER HARTIMANN VON AUE. 57
beweisen dagegen für geraden takt. Dies folgt ans Jilivtlim.
§ 17. Vgl. anch Sa ran. Otfr. v. Weissenb. s. 181 ff.
2. Reihe. Der regel nach ist jede reimzeile eine reihe,
der reim markiert also eine cäsnr. Aber:
a) Reimzeilen die mehr als sechs hebnngen haben, müssen
geteilt Averden. da sechs füsse oder takte der grösste umfang
ist, den eine reihe haben kann. Im allgemeinen ist 5 ^, die
längste textreihe die ]\[F. kennt; 0 ist seltener.
b) 2 zweier hinter einander müssen zum vierer vereinigt
werden; überhaui)t ist die alleinstehende (Ii]i(Hlie möglichst zu
vermeiden. Rh. § 7. 11.
c) Vierer und sechser sind die reihen die — von un-
sicheren fällen der zweier abgesehen — • allein in ]\1P. vor-
kommen. Sie sind also durch annähme von dehnungen (§ 18),
rhythmischen pausen (§ 23) und durch geeignete teilung von
überlangen reimzeilen überall herzustellen. Dreifüsser und
fünfer gibt es in :\rF. nicht. Rh. § 7.
d) Sechser mit binnencäsur nach der dritten thesis gibt
es nicht. Rh. § 8. 20.
e) Die reihe hat meist keine binnencäsur, aber sie wird
stets von einer cäsur abgegrenzt. Auf dieser ist liiatus er-
laubt; hiatus ist also gelegentlich ein mittel, die reihenteilung
zu sichern.
f) Verdeckung der cäsur und diäresis ist selten. Im text
fehlt dann der einschnitt. Man muss aber erwägen, dass durch
eintreten der anderen rhythmusfactoren trotzdem der reilien-
schluss deutlich gemaclit werden kann.
g) Eine reihe darf nie isoliert stehen: mindestens zwei
müssen zur periode zusammentreten (Rh. § 9). AMderhohmg
der nachsät ze (b', h") kommt in MF. nicht vor (Rh. § 10).
3. Die Periode ist nach reim und bes. starkem syntak-
tischen einschnitt meist leicht abzugrenzen. Die diäresis ist
immer stärker als die cäsur, mindestens ebenso stark. Aus-
nahm^^n (l^h. § 22) sind selten.
4. Die stro})he umfasst durchschnittlich drei bis vier
}ierioden. In ^IF. konnnen stroithen = einer periode (Rh. § 14),
so viel ich sehe, nicht vor. Strophen zu zwei und fünf, auch
mehr sind dagegen nachzuweisen.
58 SARAN
5. Die rhythmische entsprechung der Strophen
erstreckt sich nicht bis ins einzelne, wie in der griecliischen
chorlj^'ik. Grundform, auflösung, zusammenziehung, wechsehi
im takt, doch ist bei jüngeren dichtem das bestreben sichtbar,
genaue responsion durchzufüliren. Auch die syntaktische glie-
derung der stroplien, darum aucli die interpunction, pflegt im
ganzen und grossen zu entsprechen. Abweichungen scheinen
wenigstens z. t. mit den in absclmitt I (s. 29) besprocheneu
Strophenzusammenhängen in Verbindung zu stehen. Ebenso
rliytlimische freiheiten.
Hiernach werde icii nun die lieder Hartmanns rhythmi-
sieren. Ich wähle durchweg die gerade taktart, da sich der
beweis für die ungerade in "SIY. nicht führen lässt. Für meinen
besonderen zweck kommt auch auf die entscheidung dieses
Problems nichts an.
IV. Die rhythmik der lieder Hartmanns.
Für das Verständnis der folgenden Schemata bemerke ich:
schematisiert wird jedesmal nur die erste Strophe jedes tones
in MF. Yorkommendenfalls sind für die andern die nötigen
änderungen vorzunehmen. Die perioden der Strophe werden
mit arabischen Ziffern numeriert und so weit als möglich auf
eine zeile gesetzt. Die absätze bleiben unbezeichnet; sie ergeben
sich von selbst. — Die accente sollen nicht die wirkliche
ictenabstufung bezeichnen, sondern dienen nur zur beriuemeren
Orientierung über den wert der reihe. Die wirkliche icten-
abstufung (z. b. nach Sievers'schen t3'pen beim Kürenberger u. a.)
lasse ich hier ganz aus dem spiel, da für meinen zweck nichts
darauf ankommt. Ich werde später im Zusammenhang darauf
zurückgreifen.
Der text der den strophenschematen zu gründe liegt, ist
genau der von MF.: abweichungen davon Averden jedesmal
angemerkt. Die kritischen bemerkungen zu strophen die nicht
anfange von tönen bilden, sollen nur die aufmerksamkeit auf
das Verhältnis von rhythmus und text lenken, sie machen
keineswegs den ansprucli darauf, endgiltige ent Scheidungen zu
sein. Finige Sicherheit in der behandlung der zweisilbigen
arsen u. ä. kann nur durcliarbeitung eines grossen materials
und statistische bearbeitung desselben geben. Ueberhaupt
UEBER HARTMANN VON AUE. 59
bitte ich die constructionen dieses absclmittes nur als einen
versucli anznselien. der mehr fragen auf werfen als definitiv
beantworten soll.
Für den druck von minneliedern muss als regel gelten:
jede druckzeile darf nur eine reihe enthalten. Der reihen-
anfang wird durch kleinen, der periodenanfang durch grossen
buchstaben bezeichnet. Auf- und abgesang, wo so zu scheiden
ist, ergibt sich daraus von selbst. Für ton YII und X\I wird
je eine Strophe als beispiel abgedruckt werden.
Ton I (MF. 205, 1 ff.).
1
--A 1
2. _
v^yv_/
-^A 1
8
' A 1
/\ 1
' A
4
/\
A 1
Reimschema :
a — b
a - 1) .
b — c — c
c — c
~A
-A
-A
A
Die reihe 3 a ist stets durch starke interpunction begrenzt.
So setzt der abgesang immer deutlich und kräftig ein. 3 a ist
gleichsam der hCdiepunkt jeder Strophe. Str. 5 steht wie oben
gezeigt dem Inhalt nach allein. Mit dieser Sonderstellung
hängt vielleicht die freiheit im auftakt von 206. 11 zusammen.
205, 7 schreibt ]^rF. dienst (so auch die hss.). 205, 19 und
209,5 ist dienest überliefert und notwendig. An der ersten
stelle wäre die Schreibung dienest immerhin in betracht zu
ziehen, weil die dadurch entstehende zweisilbige Senkung auf
die dritte arsis fallen würde. Vgl. Rh. § 17 anm.3. V. 205, 13
würde durch Streichung des entbehrlichen icorden Aveit besser
werden: daz ist an minem (so BC) ungeUicl'e schin.
Dass in diesem liede nicht fünf er, sondern sechser mit
pause angesetzt werden dürfen, folgt schon aus dem gehal-
tenen, wenn auch erregten ton des ganzen. Die atemlose
hast der pentapodie w'ürde hier gar nicht möglich sein.
Ueberdies weisen die starken sinneseinschnitte hin auf ent-
sprechende pausen (die z. t. auch durch Überdehnung aus-
gefüllt werden können; das ist natürlich nicht auszumachen).
60 SARAN
Ton II (206, 19 ff.).
1. -1 — ^— I _^___lA I --- — -A
2. _^___1__ U1___1X i -- — -A
3._-L__- 1' l__l_l !L
AI-- — ^-A
Reimschenia : a — b — c
a — 1) — c ,
d + d — e
Die sA'ntaktische gliederung von ,str.206,29 nnd 207, 1 entspricht
dem rliythniischen System ganz genan. Die erste, liier analy-
sierte stroi)lie weicht ab. Denn y. 24 : 25 + 26 findet sich
periodenbrechung (Rh. § 22). Man beachte dazn, dass 206, 19
die schlnssstrophe des liedes bilden muss (s. 14) nnd nnr lose
an den vorausg-ehenden hängt.
Ton III (207, 11 ff.).
1. _^ L-^ I _1 !__.
2. _1 -L-ww I -L 1-^^^
3. -i___:^X 1 -^ — ^XT-- — ; -^-_-^ —
4 ' 'VI' ' 'x' I ' • " '
Eeimschema : a — b
a — b.
c — c — (J + e
Die anfangsstrophen der lieder III' nnd III^ (207, 11 und 208, 8)
zeigen das System rein. Periodenbrechung: 208, 3o : 34. 35 : 36.
207, 26 : 27. 207, 38 : 39. 208, 27 : 28. Sogar reihenbrechung: 208,
26. 38. Es fragt sich aber, ob man die sechser von 3 und 4 nicht
doch in einen zweier und einen vierer zerlegen soll. Möglich
ist es in fällen wie dieser. 208, 39 ist zu lesen in heträ(/ct
siner järe vil. Die zweisilbige arsis also bei hexapodie nach
der binnencäsur (- — -^ • ; ww -" - ), bei tetrapodie im
auftakt. 208, 27 ABC manic, also dieselbe erscheinung.
Ton IV (209, 5 ff.).
1. _1 L I ^L L-
2. Äl -'- I -1- i-
3. __!._^^; _^_v>w I -wv^ IX i -A
. A ww__ I I A
Reimscheraa : a — b
a — b.
? + c — (1 — d
e — w — e
UEBElt UAKTMANN VON AUE. 61
209, 0 4- 10 vgl. Rh. § 7. 200, 7 str. wan. 200. 14 icorhe mit
elision des -e. 209, 15 mit BC /e^c 6/? Die zweisilbige Senkung-
stände dann auf der binnencäsur. Periodenbrecliung 209, 12 : 13.
Ist diese stroplie sc'lilussstroi)lie des liedes und felilt die erste?
Ton V (209. 25 ff.).
"I " ' . ' 1 " ' • '
2. __^ 1 ; _!._:_ I __-" 1. ; _^_1"
3. ---— 'A I--— 'A
4. _1___1XI -'—-- —
Reimscliema : a + b — a + \)
e — e
f — f
209. 25 und 87. die anfangsstroplien der beiden lieder von Y,
prägen das scliema am klarsten aus. Die beiden sclilussstroplien
weichen ab: reihenbrechung- 211, 2 : 3; 9 : 10; 15 : 16. Perioden-
brechung 211. 5 : 6. V. 210, 22 mit B(^ zeichen das ich ..., d. h.
zweisilbige arsis nach der zweiten tliesis? Rh. § 17 anm. 3.
Ton VI (211, 20 ff.).
1 ' ' I ' '
2. _1 1__|_^ _L__
Q ' ' 1 ' ' I ' t
O.
Eeimschema : a — b
a - b .
(' — w — c
211,20 1. mit BC sendet ir. Die ZAveisilbige arsis nach der
zw^eiten tliesis! Periodenbrechung 211, 23 : 24. Der ton ist
sicher unvollständig: wol mindestens eine Strophe muss wegen
V. 21 voraus gehen. Also ist diese stroplie gewis nicht die
anfangsstrophe.
Ton VII (211, 27 ff.).
1. -1 '--_ I _1 i_ I äL L
--— ----- ^-a""
Reimscliema : a — \v — b
a — w — b .
c — d + d — c
62
SARAN
211, 28 und 30 müssen in 2 vierer zerlegt werden. Man kann
die glieder durcli pause trennen, wie ich getan (dadurch hebt
sich die Strophe a'ou den andern beiden ab), oder verschleifen
also : 1 a' -f b _ .'„ _ jL _ i ^L_ •_ _ 1 _ _•_ . Dies niuss in den
andern beiden Strophen geschehen. Der reihenschluss kann
durcli modulation sehr wol bemerklicli gemacht werden. In
noten würden sich die verschleiften glieder so darstellen:
JNJl JJU U i JJI JJ I JJI J.
Periodenbrechung 211,38:212,1. liier in der anfangsstrophe
des liedes. Denn 211,27 bildet doch wol den schluss (vgl.
§ 25). Im druck würde z. b. strophe 211, 35 so zu ordnen sein:
Swer anders gibt, der misseseit,
wau daz man st?etin wip mit
stsetekeit erwerben muoz.
Des bat mir min unstsetekeit
ein stsetez wip verlorn, diu
bot mir alse schoenen gruoz
Daz si mir erougte lieben wän.
dö si erkos micb stpetelos,
do muose oucb diu genäde ein ende bän.
Ton VIII (212, 13 ff.).
1.
Ä_
M
t
1 1
wv> —
ti 1
2.
7^
rr
1
. 1 '
II 1
3.
TV
rr
>
1 '
II 1
4.
n
1
1 t
II 1
Reimscbema : a —
-b
a —
-b.
c —
d-
- c
-d.
Ton IX
(212, 37
ff.).
1. -L.
r
_ 1
2. Ä '
1
3. _1.
4. _1.
5. __L.
t
1
1
-- 1 Ä -
-L-
Reimscbema: a-
a-
c-
c —
c-
-b
-b.
-d
-d
-d
unter
212,38 setze
ich punkt, liintei
• 213
, 1 komma.
UEBER HARTMANN VON AUE.
63
Ton X (213, 29 ff.).
1. äL--.
2. Äl-_.
.3. Ä-i'--.
4. äA-_.
A
A
Reimschema: a — b
a — b.
? + c - c
(l — e — e — d
213, 34 hinter da ein konima. Y. 35 1. gH ez nä, dahinter punkt.
Hinter verjcehe (v. 38) konima. V. 37 1. äaz ich si (hs, das si
mit ansfall von ich durch einflnss der folgenden zeile). 214, 10
1. mit Bech nach in verderben. — Reihe 4^" ist hyperkatalek-
tisch. Vgl. Rh. § 19 anm. 5.
Ton XI (214, 12 ff.).
A
Reinischema :
a — b
a — 1) .
c — c
d — e
d — e — e
1^, 2^> sind h3'perkatalektisch. In 214,24 ist 6^ir«?>-tMvegen des
auftaktes von v. 25 als 1^ zu messen.
1.
2.
o
«J.
4.
Ton XIa (214, 34 ff.).
Reimschema : a
a
c-
w — d — d
Die Strophen sind nicht von Hartmann.
64 SARAN
Ton XII (215. Uff.) vgl. abschnitt V. ende.
Ton XIll (216. 1 ff.).
1. -L
2. -L
3. __'.
A
A
Reiniscliema : a — b
a — b .
c — c — c .
216. 1 zweisiU)io-e Senkung- nach der zweiten thesis.
Ton XIV (216, 29 ff.).
1. Äv!.^ 1 I -1 ^--
2. ä"-^ ^-
3. _ 1 ^_
4. _ L 1_
Periodenbrechung in der schlussstrophe 217,11:12
Ton XV (217, 14 ff.).
1. -1 --^ I -l-----w^
. — ^w I v^v,/
3. "^ ~
4.
5.
Keimschema :
a — b
a — b .
c — c
c — c
A
A
■-A
Reiniscliema : a
a
b
b
c — d
c — d
e — e
Periodenbrechung 217, 17 : 18. 27 : 28. 39 : 218, 1.
Ton XVI (218. 5 ff.).
1. ^
;; t
1
2.
II 1
1
— ; w 7 w —
3
1 ' ■■ '
' A
4. ^_
1
/\
-' -A
5
II 1
1 '
Reimsebenia:
a — b
a — b .
w — c
w — d
d — c
A
A
3. 4 Perioden mit verdeckter cäsui' (i-eilienverschleifung, Rh. §21).
UEBER HARTMANN VON" AUE. 65
Die letzte stroplie dieses lieiles wäre so zu drucken:
21 Ir miunesingser, iu niuoz ofte misselingeu :
daz iu den schaden tuot daz ist der wän.
Icli wil micli rüemen, ich mac avoI von niiiine singen,
Sit mich diu minne hat und ich si han.
25 Daz ich da wil, seht daz wil al-
se gerne hahen midi:
So müezt ab ir Verliesen un-
der wilen Avänes vil.
li' ringeut umbe liep daz iuwer niht enwil:
30 wan müget ir armen minnen solhe minne als ich?
V. Die daktylen im deutschen minnesang, nebst einem
versuch über die grundlagen der romanischen rhythmik.
Die aualj'se des toues XII (215. 14 ff.) bietet ganz beson-
dere Schwierigkeiten. Seine rhj^tlnnen gehören zu einer gruppe
für die die mhd. Verslehre noch keine befriedigende erklärung
gefunden hat. Auch ich bin noch nicht im stände, das problem
endgiltig zu hisen. "N^'as ich hier bringe, soll darum mehr auf
gewisse tatsachen hinweisen, die man bisher teils übersehen,
teils nicht richtig gewürdigt liat, als eine volle lösung geben.
Notwendig ist es. um meinen Standpunkt zu rechtfertigen, auf
die theorie der provenzalisch- französischen verse einzugehen,
die freilich m. e. noch ganz im argen liegt. Was man roma-
nische rhythmik nennt, ist tatsächlich keine, namentlich fehlt
es noch ganz an der erkenntnis der fundamentalen Wahr-
heiten, die eine musikalische und poetische rhj'thmik des
romanischen erst möglich machen. Gerade darauf w^erde ich
also besonders hinweisen.
Es ist natürlich nicht meine absieht, der romanischen
rhythmik hiermit eine völlig zureichende grundlage zu geben.
Was ich biete, soll nur meine behandlung der mhd. sog. 'dak-
tjien' rechtfertigen. Immerhin ist es vielleicht geeignet, dem
romanisten eine andere art der rhythmischen arbeit nahe zu
legen. Ich bemerke, dass sich die ansieht über die romanischen
verse, die ich hier entwickle, auf die analyse zahlreicher franzö-
sischer vocalcompositionen älterer und neuerer zeit — darunter
aller melodien zu Berangers liedern — gründet. Dazu habe ich
bei gelegenheit eines längeren aufenthaltes in Paris gelegen-
heit gehabt, die moderne Vortragsweise des alexandriners zu
Beitrüge zur geschiciite dir deutHcbeu spräche. X&III. 5
66 SARAN
beobachten und mir durch Unterricht bei einem recitator ein-
zupräg-en. Also auch da kann ich aus erfahrung sprechen.
Die gruppe von nihd. rhythmen die liier untersucht Averden
soll, pflegt man 'daktylen" zu nennen. Der name soll das
rhythmische fornii)rinci]) andeuten, das zu gründe liegt. Denn
während sich die takte der übrigen reihen im regelmässigen
Wechsel von hebung nnd Senkung — die fälle der zusammen-
ziehung ausgenommen — bewegen, ist hier dies princip durch-
brochen. Die form L^^ soll die norm des taktes sein. Es
wären also verse, in denen zweisilbige Senkung beabsichtigt
ist, während sie sonst nur geduldet erscheint. Spondeus für
daktylus wird zugestanden.
Woher stammen nun diese rhythmen?
Man dachte zunächst an Ursprung aus der lateinischen
poesie. Diese kennt daktylische tetrapodien. Dann aber wurde
durch K. Bartsch eine andere ansieht verbreitet. Er meinte,
die betr. verse seien nachahmungen des romanischen zehn-
silblers (mit männlichem oder weiblichem schluss), und wie in
den romanischen metren, so sei auch in diesen versen das
l)rincip der silbenzählung herschend. Der eigentliche dakty-
lische rhythmus erkläre sich aus der natur des romanischen
Vorbildes: dieses habe öfter einen daktylisch geflügelten
rhythmus gehabt, während es gewöhnlich 'iambisch' gegangen
sei. Eben jenen daktylischen rhythmus hätten die Deutschen
in ihren daktylen nachgeahmt (Zs. fda. 11, 161). Pfaff führte
die ansieht von Bartsch weiter. Er sagt, die minnesinger
hätten beabsichtigt, mit dem romanischen vers auch dessen
silbenzählung (ohne berücksichtigung des worttons) zu über-
nehmen. Da aber dies bald unstatthaft erschienen, so seien
sie zu dem grundsatz zurückgekehrt, dass die versbetonung
sich nach dem wort ton richten müsse. Das al^er habe sie
gezwungen, den romanischen zehnsilbler teils als vierhebig-dak-
tylisch oder fünfliebig-iauil)isch nachzubilden (Zs. fda. 18, 52 f.).
Auf dem gleichen Standpunkt steht A\'eissenf eis (Der dak-
tylische rhythmus s.2 f.). Er meint, ursprünglich seien die Vor-
bilder ohne bestimmten rhythmus nachgeahmt (nach dem
princip der silbenzählung), die rhythmuslosigkeit habe sich
dann zum daktylischen rhylhmus entwickelt, bis dieser end-
UEBER HARTMANN VON AUE. 67
licli ganz rein aiisi>-epräg1 Avorden sei. Aolnilirli "W'iliiianiis.
Beitr. z, gesell, d. alt. deutschen lit. 4, s. 28 ff.
Aber alle diese constructionen schweben in der luft. weil
sie es unterlassen, die niUige grundlage zu schaffen. nJüulicli
festzustellen, was denn eigentlich der romanische zehnsilbler
in der yrov.-frz. troubadourpoesie für einen rli3'thmus hat.
Im anschluss an die französische schultradition ist die
anschauung verbreitet, als sei die silbenzahl für den roma-
nischen vers was etwa die zahl der hebungen für den deut-
schen, nämlich bildungsprincip. Den' rhythmus sei frei bez.
indifferent und hänge von der silbenzahl ab. Diese anschauung
ist ganz unrichtig. Silbenzälilung ist nie rhythmisches princip,
sie ist immer nur festhalten einer begleiterscheinung. ISilben-
zählung ergibt sich überall da als ein äusserliches, bequemes
mittel, verse zu benennen und zu unterscheiden, wo es eine
kunst zu festen reihen typen gebracht hat, die als solche
rhythmisch starr und unverändei'lich sind. So hatte sich die
technik der lesbischen h'rik entwickelt: der sapphische elf-
silbler ' ^_^^ ' ^^ ' .. ' v^, der alcäische elfsilbler ^r^l^
' ww ' ^ 's der alcäische zehnsilbler L^^ ' w^-i^ '>', der ado-
nius ' ww ' w sind solche unveränderliche, feste t3^pen, die man
nun äusserlich, oline über ihren ili.ythmischen wert auch nur
das geringste auszusagen, nach der silbenzahl benannte. Die
reihen der tragischen chorlyrik der Griechen hat niemand
nach der silbenzahl benannt, weil die üblichen formen durch
autiösung, zusannnenziehung, cäsurverschiebung u. ä. immer in
der anzahl ihrer silben wechselten. Man kann mit Sicherheit
sagen: wo eine kuusttradition die verse nach der silbenzahl
benennt, muss zu der zeit wo dieser gebrauch in aufnähme
gekommen ist, der formenschatz aus wenigen, fest bestimmten
reihentjqien bestanden haben. Aus der silbenzahl folgt jedoch
für den rhythmischen wert der verse nicht das geringste, denn
eine reihe von z. b. acht silben kann in vielen rhythmischen
formen auftreten. Z. b.:
1-JL_1_1_ daktylischer vierer
_1_-!._1_JL anapästischer vierer
-i,^-LL^L ders. asynartetisch
_.Z,l_-l_-->^ ders. hyperkatalektisch u.s.w.
Es gilt dai'um vor allem den rhythmischen wert solcher leeren
68 SARAN
iiameii wie aclit-, zelinsilbler festzustellen. Das ist die vor-
nehmste aufgäbe der romanischen rhythmik.
Welche wege und mittel hat sie, diese aufgäbe zu lösen?
Zunächst dieselben wie die deutsche: textbetrachtung und
die gesetze der allgemeinen musikalischen rh3thmik. Dazu
kommen noch die reste der technischen Überlieferung aus der
alten zeit (z. b. die Lej^s d'amors). die betrachtung von mhd.
liedern, die im Inhalt und der form nachweislich romanische
dichtungen nachahmen, und die analyse moderner romanischer
Chansons. Ob die betrachtung der überlieferten noten der trou-
badours weiter hilft, vermag ich nicht zu beurteilen. Vermut-
lich ebensowenig wie in der deutschen minnepoesie.
Die hauptfrage ist: welche silben des t ext es tragen
thesen (hebmigen), welche arsen (Senkungen)? Für die
beantwortung dieser frage ist zuerst zu beachten: die alte
prov.-frz. troubadourlyrik ist liederpoesie, also gesang. Die
überlieferten verse sind gesangsverse, keine sprechverse.
Es ist darum ein verhängnisvoller Irrtum, die rhythmen
die Becq de Fouquieres und Lubarsch für die frz. verse auf-
stellen, als die rhythmen der romanischen verse schlechthin
zu betrachten. Abgesehen davon dass die ansieht dieser ge-
lehrten nicht zu billigen ist (vgl. Wulff, »Scand. archiv bd. 1, s. 839),
so würden ihre tyi)en, auch wenn sie richtig wären, nur für
den gesprochenen vers gelten. Für den gesungenen gelten
sie nachweislich nicht, wie man aus der vergleichung z. b. der
melodierhythmen bei Beranger mit den rhythmen die nach
Bec(i und Lubarsch zu erAvarten wären, ohne weiteres sieht.
Die Becq - Lubarsch'schen alexandrinerrhythmen, die man in
französischen theatern allerdings hört, nur bei weitem nicht in
der menge und grundsätzlich, Avie jene beiden metriker an-
nehmen: diese formen sind itroducte, deren factoren ein alter
in der modernen recitation noch durchaus vorwaltender seclis-
hebiger jhytlimus und gewisse forderungen de^ sprachaccentes
sind (Vermeidung von l)e1oiiiiiig('ii \\\(j jilre, (liuieat, merveiUe
U.S.W., ausfall des stuniiiien -c im anschluss an die moderne
Sprache). Es sind Umwertungen ') des alten sechshebigen
') S. Verf., Zur metrik Otfrids von \\'oisi>euburg, in den riiilol. stiulien.
festg. f. E. Sievers, Halle 1S9(), s. 105 f.
UEBER II AKTMANN VON AUE. 60
rhytlimiis unter dem zwauft' des accents. auf die hier iiiclit ein-
gegangen zu werden braucht.
A\'enn sich also Weissenfeis § 47 auf Lubaischs scansionen
beruft, um den rhytlimus des zelinsilbh'i's zu bestimmen, wenn
er im anschluss an den typus (bei Lubarscli)
ierre (remis d'allegresse et de craiiUe
-xx-xx- xx-x
auch thni zehnsilblern der troubadours solchen "springenden
cliarakter' zuweisen will, so geht er fehl. Diese und die
andern formen bei Lubarscli sind moderne sprechformen, die
weder für die moderne noch gar für die alte musik irgend
welche bedeutung- haben. Also die ansieht von der rhyth-
mischen Indifferenz des zehnsilblers, die es erlaube aus ihm
vierhebig-daktylische oder fünfliebig-iambische reihen zu ent-
wickeln, ist ganz und gar unrichtig. Die romanischen gesangs-
verse sind genau so rhythmisch wie die deutschen, nur dass
das Verhältnis von rhytlimus und sprachtext darin minder
durchsichtig ist als hier, also die bestimmung des hinter dem
text stehenden rhythmus mehr Schwierigkeiten macht: Auf
Becq-Lubarschs constructionen ist für die musikalische roma-
nische rhythmik durchaus zu verzichten.
Wo liegen nun aber die thesen der musikalischen roma-
nischen reihen? Man findet sie, wenn man von der oder den
festen "tonsilben' der A'erse an rückwärts Senkung und hebung
wechseln lässt. Die alten romanischen rhythmen beruhen
nämlich nicht auf dem wortaccent, sondern auf dem regel-
mässigen Wechsel ^on thesis und arsis, der nur in besonderen
fällen durchbrochen werden darf. Sie kennen ursprünglich
auflösung gar nicht und zusammenziehung nur an ge-
wissen typischen stellen. Die moderne französische vocal-
musik hat dies princip fi-eilich aufgegegeben, aber die formen
der gesprochenen poesie beruhen noch völlig darauf. Vor
allem die der lyrik. aber auch der dramatische alexandriner,
trotz des oben berührten zerrüttenden einflusses des accentes.
Die prov.-frz. liederdichtung steht also in ihren i-hythmischen
formprinciitien fast genau auf dem Standpunkt den die mlid.
minnelyrik im 13. jh, erreicht hat. Eben durch den einfiuss
jener hat sich ja die ältere teclmik eines Kürenbergers und
anonymus Spervogel zur modernen eines Waltlier umge])ildet
70 SARAN
und seilen wir an Hausen, Eeinmar, Hartmann die entwicke-
lung vorschreiten.
Dass die prov.-frz. kunst dies wichtig-ste g'esetz von dem
Wechsel der arsis und thesis ausgebildet hat und dabei den
wortaccent vernachlässigte, liegt mit an der natur der spräche.
Diese hat den hauptton auf der letzten oder vorletzten silbe
des w^ortes: würden nun im rlij-thnuis die accentsilben zugleich
träger der thesen, so würde die reihe fast stets in aufsteigende
gruppen mit thetischem schluss auseinander fallen : z. b. oui, je
riens \ dans son temple \ adorer \ Veternel \ und der vers da-
diu'ch ein auf die dauer unerträglich lärmendes und heftiges
wesen bekommen. Das prov.-frz. vermeidet diesen übelstand
dadurch, dass es den w^ortaccent stark vernachlässigt: nur so
wird eine feinere rhj'thmische arbeit möglich. Denn die rliyth-
niik verlangt, dass normalerweise thesis -|- arsis gebunden werde,
nicht arsis + thesis, einschnittstellen natürlich ausgenommen.
Wesentliches mittel der rhythmischen bindung ist nun der text:
daher die norm, durch syntaktische phrasierung oder Unter-
bringung in einem w^ort die arsische silbe möglichst mit der
vorausgehenden thetischen zu verketten.
In der harmonie waltet ein ganz ähnliches gesetz, das
H. Riemann im Katechismus der compositionslehre 1, s. 41 ff.
bespricht. Es lautet nach seiner formuliei-ung: die zeit-
momente, auf welche vorzugsweise neue harmonien eintreten,
sind die Schwerpunkte der motive, gruppen und halbsätze
(d,h. die thesen), oder m. a. w.: die arsis setzt in der harmonie
der vorausgehenden thesis ein. Riemann bemerkt sehr richtig,
dass einbeziehung des auftaktes in die neue harmonie (schema
'arsis + thesis' statt 'thesis + arsis') sehr aufregend Avirke.
Besonders seit Schumann sei diese art der harmonischen bin-
dung üblich geworden.
Genau so aufi-egend und lärmend wde diese harmonischen
gruppen bei Schumann (nach dem schema 'arsis + thesis')
wirken die entsjjrechenden rhythmischen. Sie sind darum als
mittel, gelegentlich solche Wirkungen hervorzubringen, sehr
brauchbar: als typische elemente des rliytlinuis wären sie
höchst unerfreulich.
Cebrigens ist der Wechsel von thesis und arsis bez. Ver-
meidung der auflösung und inneren zusammenziehung füi'
UEBER II AKTMANN VON AUE. 71
jede rliytliHiik dei- älteste zustand, der erst später verlas.seii
wird. ^laii darf daruiii iiiclit eigentlieh, me ich oben getan,
sagen, das prov.-frz. liabe diesen zustand 'ausgebildet'; man
muss vielnielir sagen: es hat ihn durcli besondere gründe ge-
zwungen festgelialten, während z. b. das deutsclie zu mannig-
facheren bildungen fortgeschritten ist. Eine armut der kunst
wird durch dies gesetz natürlicli nicht bedingt, da der mangel
auf anderen gebieten des ästlietischen eindrucks völlig aus-
geglichen werden kann.
Dass das gesetz in der tat für die prov.-frz. troubadour-
poesie galt, zeigen nachahmungen romanischer lieder durch
mhd. dicht w nach Inhalt, reimgebäude und taktzahl. Nur
bilden diese deutschen Sänger die reihen principiell auftaktig,
da die deutsche rhythmik von haus aus nur anapästische
reihen ( ' _ ' L ) kennt. Die folge davon ist, dass z. b.
daktylische') romanische reilien im mhd. anapästisch ') auf-
treten. Z. b. Penis MF. 84, 10 = Peire Vidal (Bartsch, Prov.
chrest.4 108,33):
1 ' . ' . ; ' . ' .
X. _ w, w
3 1 t . \ r , I .
v^ '- \_J^ I .
4. _ L-j^ -L^ir _v!^_^__l_.w._.|v^v^l_-:-_l_ww
1. 84, 12 geivalte, Ihgrözen gewalt (schwebender Vortrag), 18 getvalt
Peire Yidal:
1. 1_^_1_^_ I L_^_1_^Ä
2. .L_^_1_^Ä I l_.:-_l_-:-_
3. 1__-__1._^Ä i -:._._i_^.Ä
Peii-e Vidals rhythmen sind daktylische vierer (' u.s.w.)
akatalektisch oder katalektisch (Eh. § 23 a.8). Fenis macht
die reihen durch auftakte im schematischen sinn anapästisch
( '). Dadurch werden natürlich die akatalektischen dakty-
lischen reihen Peires anai)ästisch-hyperkatalektiscli, die kata-
lektisch-daktylischen akatalektisch-anapästisch.
Gemeinsam ist beiden alles übrige.
'j Vg'l. lüiytliiii. s- c, oben s. 4ti.
72 SARAN
Das reimgebäudo ist a — b
b — a.
c — d
d — e — (l .
Ein fraiizö^isclies beisi)iel: Horlieim 112, 1 ff. ^^ Clirestieu
Y. Troyes (Bartsch, Afrz. ehrest. 158, 12):
Horheim:
n r r \ r f l / r
O. — wv^» '- '- \ '- '- I ^ '-
Chrestien:
■ 1. _-l_,^_A_^ I _!__: _1_^,
q '.'.1 '.'.I '.'.
Das reimgebäude ist: a — b
a — b .
b — a — a
b — a .
Besonders interessant wegen der rhj'thmischen mannigfaltigkeit
ist Hausen 45, 37 ff. = Folquet v. Marseille (Bartsch, Prov. ehrest.
121,26). Hier sind die reihen gleich, nur dass Hausen nach
deutscher gepflogenheit im auftakt auch pause und überhaupt
auflösung zulässt.
Hausen:
1. Äl-^^L^^ I ^I_^_^_..
2. _1_ • _^_^_^X I ---^ I --- • -----
3. _^_ • _JZ_^_1X I -^-- I --- -^-^
4. _i_._^__._iA i -----::----A
Folquet:
2. -^-^-~ ■ -;-A I -y-- 1 -7-^-7-"
4.' :i:.::^:.:zx i iiii-^-r_Tx~~
Die reimstelhmg ist : a — a
b — b-c
c — d — d
e — e .
UEBEK hartmann VON AUE. 73
Die Strophen unteisclieidcn sich nur in der belian(llunj2: fl<"^
auftaktes und der auflösung. Die dipodie liabe ich der selb-
ständig-keit des inhalts wegen als reihe genommen. Zielit man
2 a' und 2i\ ebenso 8»' und 3'> zusammen, so werden die perioden
2 — 4 rhythmisch gleich, jede gleich zwei sechsern. Die ent-
sclieidung kann nur durcharbeitung eines grösseren materials
geben.
Diese beispiele zeigen, dass die prov. und frz. lieder nicht
anders behandelt werden dürfen als die deutschen. Die regel
vom weclisel der liebung und Senkung, sowie die oben mit-
geteilten gesetze der allgemeinen musikalischen i-liythmik
reichen offenbar liin, um die texte im ganzen richtig zu
rh}i:hmisieren. Z. b. Bartsch, Eom. u. past. 196, 1 ff.:
1. 1_-._1aä \1-.-^^ä
2. ^_ ■ --^AÄ I l----^-vÄ
3. 1_ ---AÄ I 1- --^---Ä
4. A_^_1aä I l_--_z.^Ä
6. 1_-_1_^_ I 1_^_1_^A
7. 1__.._Z.__^, _ ; ^_^_^^Ä
Sind -vielleicht 1 — 4 lauter tripodien:
1_._^A !'-----•■'
Dies ist nur durcli vergleichung auszumachen. Der text duldet
beide messungen. Oder wurde die pause durch einen ruf aus-
gefüllt? Vgl. das folgende beispiel ebda. 235, 1 ff.:
1. ^_ 1 _Z._
- ■ - 1
•.
-1.- 7\
2. 1_^_1_
-•-1
/
_i^Ä
3. J._^_;l
1 r
^-L.-- 7\
4. ^__;I
_^__
1---
- -L:^7\
5. L-;^L
_^,
t
1
A
6. J._;_l
--;
1
1
7\
7. ^_:_;^
_^-, .
1
-:-Lä-
t
[NB.|
8. J._ • _^_
. ^ ,
1 1
^--AÄ
9. -L_j __!_
.-:- Ä
1 t
•--AÄ
In
5-
-7
Verschiebung der
cäsur
nac])
rückwärts
74 SARAN
Keimsciienia : a — 1)
a — b.
? + c — 1)
rf+d-b.
f 4- e — e
y + g — e
e — h
W — h .
Duicli isolclie rliytlimisieruiig- ganzer Strophen wird man un-
schwer die Avahren werte für die niclitssagenden namen 6. 7.
8. 9, 10 U.S.W. -silbler ermitteln können. Man wird dann auch
die wirkliche rhythmische verwantschaft der verse entdecken,
die durch die äusserliche nomenclatur verhüilt wird. So ge-
hören zusammen
_^_^_I._^ 8
------- A \ -siiijier = anap. vierer
_ „ , -silbler = dakt. vierer
^- A 5
.1__L_^_^ _ 8
(hyperkatalektisch)
._^_1_^_ 7
.__:__^_^Ä 7
n. s. w.
Die taktart {- _ oder 1 S) kann aus dem text romanischer
lieder natürlich noch weniger erschlossen werden als aus
dem mhd.
Aus dem gesagten ist wol klar, dass auch die prov.-
frz, reihen einen klaren und scharfen rhythmus hatten.
Nach den mitgeteilten regeln ist es nicht schwer den
rhythmus des zelmsilblers festzustellen.
Einen fünfer _1_^_^_^_1 darf man nicht darin
suchen, da diese reihenform überaus selten ist (Rh. § 7). Also
kann es nur ein sechser sein, dessen letzter fuss durch pause
oder durch zusammenzieliung gefüllt wird, der also brachy-
katalektisch oder katalektisch ist. Der zclmsilbler hätte also
den rhythmus _1_ • ; _^^ ■ -IX (inännlich)
oder __'__•; __^_ -„i,^ (weiblich).
Dass diese form wirklich vorkommt, beweist die vergleichung
der Strophe Hausens mit der Folquets. Der sechser ist darin
für das provenzalische an vier stellen gesichert.
UEBEK HARTMANN VON AUE, 75
Daiiadi wäre z. b. Fol(iuet hei I^artscli. Prov. ehrest. 128, 7
so zu aiialj^siereii:
1. _!_.; _^_ • _^x I --- • ; --- ■ -^ •-
Reimsclienia : a — b
1) — a .
c — c
W — c
^\' = waise, die im verlauf des tones aber als koru auftritt.
El)eiis(i die cliaiisou pieuse, Bartsch, Afi^z. ehrest, 147, 19 ff,:
1, _^_ ■ • ^IL-^_^, \ _1_^;_ ^_^_^-^ I
2, _1_- _^_^_^-: I Äl-^-lA
Reimscliema: a — a — a .
Nun wird aber das gesetz von der regelmässigen folge der
hebungen und Senkungen gerade im zehnsilbler, wie es scheint,
durchbrochen.
Die romanze bei Bartsch (Rom. u. past, 3, 1 ff.) enthält verse
wie que Franc de France repairent de roi cort (vgl. auch 3, 3.
9, 11. 17 u. (■■).). Hier würde hinter der vierten silbe (2. thesis)
zweisilbige arsis angesetzt werden müssen:
' • " . ' ^
damit also auflösung für den zehnsilbler erwiesen sein. Aber
diese annähme ist nicht nfUig. Wie sie zu vermeiden ist, lehrt
eine neuerdings erschienene arbeit von Eickhoff, Der Ursprung
des roman.-germanischen elf- und zehnsilblers (des fünffüssigen
Jambus), 1895.
Eickhoff zeigt durcli Untersuchung zalilreicher alter und
neuer melodien, dass es im französischen seit Jahrhunderten
einen scharf ausgei)iägten rliythnuis gibt, der im text als zehn-
silbler ersclicint und folgende form zeigt:
I JJJU-JI JJJJ IJ['A2i).]|
Rhythmisch geschrieben wäre er I- v.^ ^ ; ^l.^^^ L. Ich selbst
bin vor Jahren zu demselben ergebnis gelangt: die lieder Be-
rangers, deren melodien icli, wie bemerkt, sämmtlicli rhytlimiscli
76 SAKAN
dmcligeai'lx'itet habe, zeigen, soweit sie aus zeliiisilhleni be-
stehen, alle diesen eliarakteristisclien rhythmus, der freilich
diu'cli die entwickelung- nianclie z. t. beträchtliche modificationen
erlitten hat. Ich will diese typische A'on Eickhoff beobachtete
rhythniische form schlechtAveg 'dekasyllabon' nennen.
Dies dekasyllabon tritt nun in vier formen auf. Es ist
seiner natur nach eine daktylische tetraijodie mit scharfer
binnencäsur, und kommt vor: katalektisch (mit pause) oder
akatalektisch , ferner mit dem wert J. = J. vor der binnen-
cäsur oder statt dessen JJ = .1^.. Sein Schema ist also:
UJJU- II Jl JJJJ NUp-J I --^^^ : ||^:.^.^lÄ
U'JJUJJM Jl JJJJ u; J I -:-w^i^; lU^^^^^-
Dieses Schema des dekasyllabons macht nun alle die formen
der text-zehnsilbler ohne weiteres verständlich, in denen hinter
der binnencäsur (die romanisten nennen sie nicht correct 'cäsur')
eine 'überschlagende weibliche silbe' stehen oder fehlen kann.
Die romanze bei Bartsch 1,1 wäre dann so zu analysieren:
1' '• ' 'T^I' '• ' ' 7\ \
2' t . ' ' 7- \ ' t . I ' -Ä- I ' ' -s- "-r-'
Eeimschema : a — a — h .
a — b — W .
Der refrain ist entweder = i_^_i.ÄX ^^^^' ^^^\', was ich
wegen des Zusammenhangs mit dem dekasyllabon vermute,
— L^^L Ä. Doch ist letzteres nicht Avahrscheinlich.
AVie ist nun dieses dekasyllabon entstanden? Eickhoff
glaubt, im anschluss an eine beliebte ansieht der französischen
tradition, es habe sich aus dem Horazischen versus sapphicus
entwickelt. P'iir die musikalische rhythmik ist diese ansieht
Eickhoffs überhaupt nicht discutabel. Der sapphicus ist nach
dem Zeugnis der grammatiker eine logaödische pentapodie, das
dekasyllabon ist aber eine tetrapodie, genetischer Zusammen-
hang damit ausgeschlossen. Etwas anderes ist die annähme,
dass man im mittelalter sapphische öden auf dekasyllaben ge-
sungen habe: dagegen ist nichts einzuwenden. Das zusammen-
passen ist durch den text vermittelt und zufällig.
Der Ursprung des dekasyllabon wird in Frankreich
liegen. Dann ist auffällig, dass dieser rhythmus auflösung
ÜEHER IIAKTMANN VON AUE. 77
der arsis und thesis tyi)isc'li duiclifülirt. wäluviid die loma-
nisclie metrik sie wenigstens im silbensclienia nie ausprägt,
also mindestens meidet (lig-aturen sind möglich). Denn
--^w-v^; wv!^w^-7\ scheint zunächst durch auflösung-en und
Verschiebung- der binnencäsur aus der gi-undlnrm 1 _ • _; 1 _ ■ 7\
hervorg'esprosst zu sein. Nun fällt aber an der reihe dreierlei
auf: erstens die fülle und schwere der melodie, die sich von
der der aufg:elösten vierer ganz charakteristisch unterscheidet.
Zweitens die eig-entümliche binnencäsur. Denn ^ ; ist die i-egel,
-Lv_ ; die man nach Rh. § 20 anm.O als norm erwartet, die aus-
nähme, und -L ^^ -1 _ ; oder L^^L\ ^^^^, die weitaus zunächst
läg-en. kommen nur höchst selten, sichtlich ganz secundär vor.
Endlich ist auffallend, dass überhaupt eine so überaus starke
binnencäsm- vorhanden ist. Denn die reihe besteht normaler-
weise ohne oder doch nur mit leicht ang-edeuteter binnencäsur,
im dekasyllabon aber ist sie so stark wie sonst die cäsur (z. b.
im alexandriner _l_Z._z.^_) | _^_l_i(_)).
Alle diese eigenschaften des dekasyllabons werden sofort
erklärlich, wenn man es zu einer klasse von rhythmen rechnet,
die ich 'pressrhythmen' nennen will und über die ich später
im Zusammenhang' einer allgemeinen musikalischen rhythmik
handeln werde. Pressrhythmen sind rhythmen die einer art
zusammenpressung ihr dasein verdanken. Eine periode von
acht füssen bez. takten
kann durch Veränderung der stärkegrade, lebhafteres tempo
und andere führung- der melodie so vorgetragen werden, dass
sie nui- die function einer reihe hat: aus den acht einfachen
takten werden vier einfache, indem eine thesis um die andere
ausfällt, d. h. zur arsis degradiert wird, also
l)anii wild iiatüilidi die alte cäsur zur binnencäsur und die
alte diärese zur cäsur. Solche pressreihen aber machen be-
greiflicherweise immer einen volleren, schwereren eindruck
als nicht gepresste und Aerraten sich dadurch meist.
Da nun die rhythmische Schreibung von der thesenbestim-
mung abhängt, so darf man solche pressreihen nicht wie oben,
sondern so übertrafen: ^^^ ^1.^^: ^^^^ ^^^^ 11. widjei der
78 SARAN
schein von lauter auflüsimgen erweckt wird, obwol tatsächlich
keine vorliegen.
Diese gepressten reihen sind in der modernen nmsik. so-
weit sie instrumental ist oder instrumentalen Charakter trägt,
die normalen: für eine kunststufe, auf der die vocalnuisik
herscht. sind sie nur vereinzelt vorauszusetzen.
Es können nun zu solchen reihen perioden jeder art ver-
arbeitet werden. Z. b.
oder
oder
Die letzten sind die formen des normalen dekasyllabons. Dies
ist also entstanden aus einer alten, achttaktigen periode, die
auf der ersten thesis zusamuienziehung- hatte und deren glieder
katalektisch bez. brachykatalektisch waren,
Es folgt daraus, dass das dekasyllabon ein seitenverwanter
des alexandriners ist, der sich allerdings in neuer richtung
weiter entwickelt hat. Die wurzel beider rhythmen liegt im
anapästischen tetrameter
Dessen beide reihen sind im alexandriner im Innern synarte-
tisch und am schluss katalektisch bez. brach j^katalektisch:
IIIIIIaJI ------ A
Die periodische urfoi-m des normalen dekasyllabons ist:
Ä^:-l .| I _l_._i...
Sicher ist nur der nachsatz syuartetisch, der Vordersatz asyn-
artetisch.
Diese formen des dekasyllabons sind die normalen. Es
kann noch vorkommen:
UEBER HARTMANN VON AUE. 79
z. b. et a Lcugres servic niaUia/llis (Tobler. Versb.^ 85). Tu
modernen nielodien habe ich auch gefunden:
*_!-- ^ Ä I .^-._1a >----; ^^^^^-^Ä.
Es würden also alle niöglichkeiten mit zwei und mehr über-
langen im erster g-lied der alten periode zu belegen sein, nur
dass die form <* ä ~L~-l. 7\ \ ... weitaus die häufigste ist.
Die tatsache, dass das dekasyllabon im gegensatz zum son-
stigen Charakter der romanischen metra auf einen asynarte-
tischen ersten teil zurückAveist, beweist sein hohes alter. Ist
die form vielleicht in Xordfrankreich entwackelt, da sie ja der
rhythmus der chansons de geste ist? Weist die binnen-
zusammenziehung der urform auf germanischen (fränkischen)
Ursprung oder wenigstens germanischen eintiuss hin? Denn
zusammenziehung war ein kunstmittel, das der Charakter der
germanischen spräche empfahl, die romanischen sprachen da-
gegen nicht nahe legten (vgl. Saran, Zur metrik Otfrids von
Weissenburg s. 198).
Aus diesen betrachtungen ergibt sich, wie ich glaube, mit
Sicherheit, dass sich unter dem 'zehnsilbler' der roma-
nischen metrik zwei grundverschiedene rhythmen
verbergen und vermutlich von alters her verborgen
haben:
1) der anapästische sechser _ 1 _ • ; __!!_•_ 1 y\ (bez. L -:-),
2) der daktylische vierer (pressreihe) l^^i; ^-L^^^-Ä
(bez. L ) [norm].
A\'elcher ist nun im einzelnen falle gemeint? Hier kann
nur eine umfassende Untersuchung licht schaffen. Einiges
merke ich an, um die arbeit zu erleichtern. Sicher hat man
es mit dem dekasyllabon zu tun, wo hinter der dritten oder
vierten (betonten) silbe. vor der binnencäsur eine 'weibliche,
überschlagende' silbe erscheint. Also stets im frz. epos, in
der frz. lyrik öfters (Tobler, Versbau- s. 85). Im übrigen
dürfte höchstens die beobachtung der binnencäsur weiterhelfen.
I )ie binnencäsur des Sechsers ist nämlich als echte binnen-
cäsiu- nacji der zweiten thesis (vierten silbe) ihrer natur nach
schwächer als die des dekasylhibons. die ehedem eine cäsur war.
Sie ist mehr ein wortschliLSS als wirklicher einschnitt. Darum
scheint sie auch veisdiiebunii- zu leiden. weni"stens sind fälle,
80 SÄRAN
wie sie Tobler s. 86 bringt, leicht so zu deuten: qnencor ne die
je ma desirance = _1_l_; l_^_i^.
Aus dem dekasyllabon kann man dergleiclien nur mit
scliwierig-keit ableiten. Cäsurlose secliser, wie man sie nach
Tobler s. 86 f. ansetzen kann, haben kein bedenken, dekasyllaben
ohne binnencäsur sind im g-esang- kaum zu verteidigen, im
Sprechvers nur als ausnähme zuzulassen. ]\[an beachte, dass
auch Hausen in seiner nachahmung die sechser ohne binnen-
cäsur, nur g'eleg-entlich mit syntaktischem einschnitt an den
betr. stellen bildet.
Mit dem zehnsilbler, der immer eine reihe ist, darf nicht
die aus zwei fünf silbern zusammengesetzte periode verwechselt
werden (vgl. bei Tobler s. 89). Rom. und past. 1, no. 33 ist zu
analysieren:
1. 1-.--1AÄ i L^^^L^-K
3. 1_^_1Xä I ----^^Ä
4. l_^_i-XÄ I L_-_L^Ä
5. 1_-__1Xä I L^- _L^7\
6. 1_-__1Xä I 1--— ^-.Ä.
Oder sind es tripodien: 1_^_^ä | 1_ •__!-_?
Man darf nicht vergessen, dass ein sechser nur nach v. = 1 : 2
oder = 2:1. nie aber v. = 1 : 1 geteilt werden kann. Ist der
Vordersatz weiblich (Tobler s. 89), so ist die form katalektisch
(;_^_^-.Ä).
Wenn nun Pio Rajna (Gröbers Grundr. 2, 26) und Eickhoff
behaupten, dass der französische zehnsilbler das vorbild für
den aller anderen Romanen abgegeben habe, so ist das so aus-
gedrückt schwerlich richtig. Wahrscheinlich ist es aber für
die eine der formen, die sich unter dem text- zehnsilbler ver-
bergen, für das dekasyllabon. Denn dies weist — wie mir
wenigstens aus dem s. 79 mitgeteilten gründe wahrscheinlich
ist — auf Nordfrankreich als Ursprungsland, auf einen boden,
wo sich Germanen und Ronmnen mischten. Der sechser ist
gewis den Provenzalen ebensogut eigen gewesen wie er es
den Franzosen und Germanen war. Diese form bietet nichts
besonders charakteristisches dar. Der italienische endecasillabo
kann wegen der schwachen binnencäsur nur der sechser sein.
UEBER HARTMANN VON AUE. 81
Ebenso die entsprechenden verse in Spanien und Portug-al.
"Wir haben also in allen romanischen ländern den sechser.
Dazu kommt von Frankreich her das dekasyllabon, dessen
Verbreitung- aber erst noch im einzelnen nachzuweisen wäre:
dass es überall in gebrauch gewesen, darf man nicht ohne
weiteres annehmen. —
Wenn man nun behauptet, die deutschen minnesinger
hätten den zehnsilbler nachgebildet, so ist damit zunächst gar
nichts gesagt. ]\ran hat zu bestimmen, ob sie den sechser oder
den vierer nachahmen, die einfache reihe oder die gepresste.
Nun ist klar, dass die nachahmung des Sechsers nicht die
mindeste Schwierigkeit machen konnte. Er war schon von
alters der germanischen vocalmusik eigen (vgl. die Streckverse
der alliterationspoesie, die schlussglieder der strophe des ano-
nymus Spervogel). Wir sehen auch, dass Hausen bei der nach-
ahmung Folquets die sechser wol gelingen. Also kann es sich
im mhd. höchstens um die nachahmung des dekasyllabons han-
deln, dessen charakteristischer rliytlimus Schwierigkeiten be-
reiten mochte. Denn pressreihen kannten die mhd. Sänger in
der alteinheimischen kunst nicht.
Setzen wir nun den fall, die mhd. minnesinger hätten
wirklich beabsichtigt, das dekasyllabon nachzuahmen, setzen
wir zugleich voraus, dass es auch im provenzalischen wie im
fi-z. bekannt gewesen, dann müsste man doch erwarten, das
bestreben zu sehen, den typus
7^7 : j v.7^^^lÄ(bez.I_)
nachzubilden.
Es müsste also der erste takt als daktylus mit aufgelöster
arsis (1 v ,) erscheinen, die binnencäsur nach einer thesis ein-
treten (selten nach der arsis) und im zweiten teil des verses,
im texte Avenigstens, hebung und Senkung wechseln. Man
wird dabei voraussetzen dürfen, dass die deutschen minnesinger
die reihe mit auftakt versahen und diesen nach heimischer weise
behandelten.
Untersucht man nun — ohne Voraussetzungen — den
überlieferten text der betr. lieder, so kommt man zu sehr
eigentümlichen ergebnissen. Ich schliesse mich dabei an
^\'ilnianns' gründliche und vorsichtige arbeit an (Beiträge zur
Btiiirigu zux guacliicUte dur deutgcUeu bpruobe. XXIIX. (j
82 SARAN
gesell, d. alt. deutsch, litt., lieft 4: Fnterss. z. mlid. nietrik no. 1).
Nach Wilmanns § 1 ff . haben die voll entwickelten daktylischen
reihen (NB. der zehnsilbler ist nicht wie Wilmanns § 2 be-
hauptet ein lang-yers, d. h. eine periode, sondern eine reihe. Er
hat keine cäsur, sondern nur feste binnencäsur) folgende
eigenschaften : 1) meist weibliche binnencäsur (das dekasylla-
bon fast nur männliche), 2) diese 'plussilbe' kann oft zum
zweiten teil der reihe geschlagen werden (so nie im text des
dekasjilabons), 3) im zweiten teil der reihe steht auch ein
daktjius (nie im dekasj' Ilabon) , 4) der 'daktylus' im zweiten
reihenabschnitt ist durch die structur des textes weit besser
gesichert als der im ersten (ebda. § 9). Ferner bemerkt Weissen-
fels § 46, dass der rhythmus bis zur binnencäsur meist ganz
wol Hrochäisch' aufgefasst werden könne, erst auf der binnen-
cäsur und im vorletzten takt trete der daktylische rhythmus
deutlich heraus.
Construiert man aus diesen angaben den nilid. normal-
typus, so würde er sein:
Dagegen halte man die normalform des roman. dekasyllabons:
Welche beziehungen haben diese reihen? Ausser der vier-
hebigkeit keine. Eine ist beinahe das genaue gegenteil der
andern. An eine nachahmung des dekasyllabons ist also nicht
zu denken.
Daraus folgt, dass die behauptung, die minnesingei' hätten
den zehnsilbler der Romanen nachgebildet, nicht zu beAveisen
ist. Weder der romanische sechser noch der gepresste vierer
kann in den 'daktylen' stecken. Will jemand behaupten, es
könnten ja die minnesinger eine dritte, von mir nicht gefundene
form des zehnsilblers nachgeahmt haben, so fällt ihm der
beweis zu, dass es eine solche gegeben. So lange dieser nicht
geführt wird, so lange schweben solche annahmen in der luft.
Was ist nun eigentlich der grund gewesen, der zur an-
nähme romanischen Ursprungs der daktylen geführt hat? Vor
allem die tatsache, dass die 'daktj'len' erst bei denjenigen
miunesingern auftreten, die nachweislich oder wahrscheinlich
unmittelbar oder mittelbar vom romanischen minnesang beein-
ÜEBER HAETMANN VON AUE. 83
flusst worden sind. Tor allem Fenis und Hausen. Es kommt
hinzu, dass für den inlialt verschiedener 'daktylischer lieder'
die romanischen originale nachgewiesen sind, ja directe be-
ziehungen der form vorliegen, z. b. für Fenis 80, 9 = Folquet,
Bartsch, Prov. ehrest. 123, 9.
Nun folgt aus alledem noch keineswegs, dass die minne-
singer Tvii-klich romanische rhj^thmen haben nachahmen wollen.
Die citierte Strophe Folquets enthält höclist wahrscheinlich
hexapodien (vgl. oben s. 74). Solche kannte auch das deutsche
seit alters. Wenn also Fenis dies lied nach Inhalt, strophen-
form und ev. melodie hätte ganz nachahmen wollen, so konnte
ihm das keine Schwierigkeiten machen. Nun weicht die be-
schaffenheit der reihen völlig ab. Daraus folgt, dass er eben
das original nicht bis ins einzelne nachahmte, sondern nur
verändernd benutzte. Wer sagt uns, dass er es völlig habe
nachbilden wollen? Um so mehr als dasselbe lied noch den
Inhalt eines formell abweichenden liedes von Folquet verwertet,
also contaminiert. Das einzige was man auf grund jener be-
ziehung mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen darf, ist, dass man
in den reihen des mhd. liedes zunächst sechser suchen muss.
Ueber deren form lässt sich nur auf grund des deutschen
textes urteilen.
Will man die 'daktylenfi-age' mit aussieht auf erfolg be-
handeln, so hat man folgendes zu erwägen:
1) I^s treten im minnesang neben den bekannten und ge-
wohnten rhythmen andere auf, die der aualyse Schwierigkeiten
machen. Ueber ihre form wissen wir nichts. Wenn man
sie mit lateinischen 'daktylen' oder romanischen versen zu-
sammenbringt, so ist das eine annähme, deren richtigkeit erst
zu beweisen ist. Die beweise die man versucht hat, sind mis-
lungen. Wir stehen der Überlieferung also völlig ratlos gegen-
über. Es erhebt sich die fi'age: welches sind die rhythmischen
formen die in den texten stecken?
2) Es ist eine verfrühte annähme, wenn man glaubt, die
verse die wir nicht rhythmisieren können, müssten eine
gattung bilden. Es können sich sehr verschiedene rliythmen
in ihnen verbergen. Darum ist zunächst jedes lied für sicli
zu bearbeiten.
3j Die herausgeber von MF. und andere, die sich ihnen
84 SAUAN
anschlössen, liaben die Überlieferung stark angegriffen, um
die Strophen zu ordnen. Da sie aber die richtigkeit ihrer
rhythmischen theorie nicht erwiesen haben, so ist ihre text-
herstellung nicht verbindlich.
4) Da wir über die rhythmik der fraglichen Strophen
nichts wissen, so ist zunächst nur ein text herzustellen, der
den auf orderungen des sinnes und der grammatik entspricht:
jede änderung metri causa ist so lange verwerflich, als nicht
das metrum mit einiger Sicherheit ei'kannt ist.
5) Der augenschein lehrt, dass die minnesinger bei ihren
liedern den sprachaccent nach müglichkeit schonten. Ehythmus
und spräche dmxhdringen sich bei ihnen in fast vollendeter
weise. Darum ist von vornherein jede rhythmisierung der
nach no. 4 hergestellten texte unwahrscheinlich, die den sprach-
accent stärker antastet, als es der rhythmus in den anderen
liedern tut. Schonung des accentes ist die erste f orderung,
die man an eine rhythmische construction dieser töne zu
machen hat.
6) Für die rhythmisierung sind allein textanalyse und die
gesetze der allgemeinen rhythmik von bedeutung. Es ist also
z.b. nicht im mindesten nötig, dass die zu ermitteln-
den rhythmen lesbar seien: sie müssen nur, dies aber
auf jeden fall, singbar sein.
Tritt man mit diesen anschauungen an die 'daktylen'
heran, die Weissenfeis in seinem buche zusammengestellt hat,
so ist nicht schwer zu sehen, dass unter den besprochenen
liedern gruppen zu sondern sind.
A. Eists tagelied (MF. 39, 18) ist durch den reichlichen
gebrauch aufgelöster arsen (_ = ^^) merkwürdig. Sie
stehen vor allem im ersten takt, einmal im zweiten der hexa-
podie, wo sie rhythmisch leicht erklärbar sind (v. 25 swaz du
gebiutest, duz leist ich friimdin min).
Släfest dix, Medel ziere?
wan wecket uns leider schiere
Ein vogellin so wol getan:
daz ist der linden an daz zwi g'egän.
1. Äl-ww ^- I -^^^—L-
Reimschema : a — a
UEBER HARTMANX VON AUE. 85
Der text von C ist im ganzen beizubehalten, nur v. 27 hinne
zu streichen. Y. 29 ist wol zu lesen we, du fuerest mine froide
sdment dir. Y. 25 vgl. oben.
Ausserdem gibt es noch andere lieder. wo der 'daktylische'
eindruck des gelesenen textes durch arsenauflösung bewirkt wird.
So Lichtenstein, Lni. s. 134 (x. weise):
. ^^5 \^ — \_/\«^ — ^^ j ^y \^\^ \^f^^
9 ' . ' ' '
O ' . ' I TT ' • ' I '" • '
Keimscliema : a + a — b
i; + c - b .
Ebd. 394, no. xii : j + d - f + e - f + e .
9 TT ' • • ' • ' • • ' '
■ \.-'^w/ i— ' —
Eeimscheraa : a + b — a + b
^+C — ? + /9 + d-(f + b.
Die Zeilenschreibung Lachmanns ist zu ändern.
B. In einer anderen gruppe von liedern wird der 'dakty-
lische rhythmus' durch grundsätzliche anwendung der
zusammenziehung erzeugt. Hierher gehören töne der thü-
ringischen dichter Morungen und Hezbolt.
Morungen MF. 129, 1411:
L Äl- — i.- I Ä^ — ^- I Ä^_ — lA
2. Ä- L- I Ä^__^_ I Ä- -X
4. Ä^ i- I -l1~-L- I Ä^ -A
Reimschema: a — a — b
c — c — b .
W — d
d _ d _ b .
In den zusammenziehungen stimmen alle drei Strophen überein:
nui- 129,33 dm liehe und diu leide fällt aus der responsion heraus.
130, 7 1. si an. Die a^cente von MF. sind entsprechend zu ändern.
Hezbolt ahmt MSH. 2. no. 74, vi Morungens rhythmus nach.
Xo. vii ist zu rhythmisieren:
1. i__JL^Ä I L--J.-7\ I L--^y\
2. ^__i..^Ä I 1.--L ■ 7\ I i__^A
3. i.__^ • Ä I i__i A
4. JL___^.Ä |1 — -lA
86 SARAN
Die übrigen Strophen entsprechen nicht immer genau; eben
das bürgt für die richtigkeit der obigen rliytlimisierung. Den
rhythmiis des liedes kann man sich leicht zu gehör bringen,
wenn man es — mit den nötigen änderungen — auf die me-
lodie 'Ach wie ist's möglich dann' zu singen versucht.
C. Eine dritte klasse der 'daktj'lischen' rhythmen ergibt
sich, wenn zweisilbige arsis und zusammenziehung
typisch verwendet mrd. Hierher ist ein lied Morungens zu
stellen, das in MF. sowol im text wie im metrum nicht richtig
behandelt ist. Ich gebe eine herstellung, die die lesarten
von A mehr heranzieht, ohne damit etwas endgiltiges bieten
zu wollen. Es kommt hier nur auf den rhythmus an.
MF. 127, 1 ff.:
1. Wist ich obe ez mölite wol verswigen sin
ich lieze iuch seu') mine lieben frouwen.
Der euzwei brjfeche mir das herze min,
der möhte sie schöne drinne schoiiwen.
Sie kam her dür diu ganzen ougen min (körn)
sunder tür gegangen:
Ouwe, solt ich von ir reinen minnen sin
also werdecliche enpfangen.
1
- '
it
1
It
?,
Ä '
r
/ 1
1
ir
1
3.
r
n
--A i
A —
1
4.
t
— A
i Ä.-
It
- Z^
^-A
2. Der also vil geriefe in einen toubeu walt,
ez antwurte ime dar üz eteswenne.
Nu ist der schäl dicke vor ir manicvalt
von miner not, wil si die bekennen?
Doch klägete ich ir manigen kumber min {kon^
vil dicke mit gesange:
Owe ja hat si gesläfen allez her
oder geswigen alze lauge.
*) Diese thür. form darf mau wol ohne weiteres einführen. Vgl. MF.
122, 8. 126, 8. 9. 33 u. ö. — Ich weise hier noch einmal auf das hin was ich
im anfang von abschnitt IV (s. 58) gesagt habe. Die accente in den
scheraaten dienen nur zur schnellen Orientierung über den
rhythmischen wert der reihen. Sie sagen über die wirkliche
gegenseitige abstufung der icten gar nichts aus. Dasselbe gilt
für die accente in abschnitt lU.
UEBER IIAKTMANN VON AUE. 87
• NwA»-*
1. -L i: L I _
3_ _i_ j^ 'j~r I __; ^_
4. ^^ /\ I A ^^ ^_A
Zusaninieiizieliung und zweisilbige arsis (diese vor dem langen
teil des Sechsers in 4 a, vgl. Rh. § 17 anm. 3) entsprechen genau,
mit ausnähme von Ib, wo in str. 1 die zusammenziehung auf
der zweiten, in str. 2 auf der dritten thesis steht.
3. "Wajr ein sitich oder ein star, die mehteii sit
geleniet han däz si spraechen 'rainne'. {vgl. 132,9).
Ich Iiän ii' gedienet her vil lange zit:
mac si sich doch miuer rede versinuen?
Nein, sin eutüot, got enwelle ein wunder sin (körn)
vil verre an ir erzeigen.
Ja möhte ich häz einen hönni mit miiier bete
sunder Aväfen nider geneigen.
l 7\_^ ^^ _;_ I _!__^!1_ i_
Die nachsätze stimmen zu str. 1. In 2a fehlt zusammenziehung;
in 3 a steht zweisilbige Senkung zur einführung des langen
teiles im sechser. Die tendenz im ton scheint, die Vordersätze
synartetisch zu bilden. Im lied Morungen 129, 14 bildeten die
asynarteten die mittelglieder. Das eigentümlich abfallende
Schlussglied der Strophen ist rhythmisch äusserst charakte-
ristisch für rhythmische endfälle: vgl. die entsprechenden
Schlüsse der vierer beim Kürenberger, z. b. 7, 20. 22 u. ö. Das
zu gründe liegende reimschema ist:
a — b
a — b .
K — c
W — c.
In 4a setzt Morungen also regelmässig, unverkennbar zur
cliarakteristik der Schlussperiode, zweisilbige Senkung. Nur
einmal taucht diese in 3 a (strophe 3) auf.
\\>nn nun zweisilbige Senkung vor dem langen teil des
sechsei's mit zusammenziehung auf der dritten tliesis coinbiiiieit
wird, so entstehen formen wie
öö SARAN
a. ^^ — / _j^
oder mit ziisammenzielnmg auf der A'ierten tliesis:
{f .
r
Nun können nach den regeln über die Verschiebung der binnen-
cäsur Rh. § 20 die zwei silben hinter der zweiten these ver-
schieden verteilt werden, entweder nach dem Schema
' • • — " oder ' . . "
d. h. die binnencäsur. wenn solche überhaupt beabsichtigt ist,
kann vor beide kürzen oder zwischen sie fallen. Das letztere
ist rhythmisch gefälliger, weil dadurch die reihe weniger aus-
einander gerissen wird.
Es ist ohne weiteres klar, dass die form a im text, d.h.
für den lesenden in folgender gestalt erscheinen muss:
X-X-XX-XX-(X) i^-s.w.
Mit andern Worten: gelesen werden solche verse vierhebig
scheinen und zwar mit bevorzugung "zweisilbiger Senkung'
hinter der zweiten und gesetzmässigem gebrauch nach der
dritten liebung. Da sich ferner in dem ersten 'daktylus* eine
aufgelöste arsis {^^), in dem zweiten dagegen eine zusammen-
ziehung nebst folgendem vollen takt (- ■ -), also zwei thesen
verbergen, so werden die textsilben des ersten dreisilbigen
taktes die form -xx haben, die des andern aber nach dem
accentschema -xx streben, d.h. auf der ersten 'senkungs-
silbe' nebenton suchen. Man vergleiche nun damit die all-
gemeine beschreibung des vierhebigen 'daktylischen' verses,
die Wilmanns § 2 ff. gibt. 1) § 7: Wörter der accentform
-XX Qcincstcete) stehen weitaus in den meisten fällen im
dritten, selten im ersten, nicht im zweiten takt; 2) der dak-
tylische rhythmus ist im stück bis zur binnencäsur durcli
den wortaccent sehr schlecht bezeugt, weit besser im zweiten
abschnitt (§ 15); 3) die binnencäsur ist normaler weise
weiblich und übt auf die länge des längeren abschnitts ver-
kürzenden einfluss aus (§ 3); 4) die 'daktylischen' verse
bilden in den Strophen den 'fünfhebig iambischen' gegenüber
UEBER TTAKTMANN VON AUE. 89
die minderzahl. wenn man rohe betonung-en meidet (§ IG).
Man sieht, die beschreibnng" passt ganz vortreftlich zur text-
gestalt des auf s. 87 unter a mitgeteilten rliythmus. Darum
liegt der schluss sehr nahe: unter vielen sog. daktylen verbirgt
sich die form _^_ • . ,^ ■ _i ■
in den verschiedenen arten, die durch zweisilbige arsis, auf-
lösung der zweizeitigen thesen, pause im auftakt und akata-
lektischen bez. brachykatalektischen schluss möglich sind. Dass
neben der form a noch andere von gleicher eigenschaft stehen,
ist sehr wahrsclieinlicli. Der schein daktylischer vierer wird
also durch combiuation von arsischer auflösung und von zu-
sammenziehung erweckt, eine ganze zahl der sog. daktylen
enthüllt sich so als rhythmen in denen zweisilbige arsis
und zusammenziehung gesucht wird, freilich unter be-
vorzugung gewisser, rhythmisch besonders wolgefälliger typen
(bes. a, vgl. oben). Diese reihen wären dann sechser, keine
vierer. Zu beachten ist, dass der sechser mit zusammenziehung
auf der dritten thesis schon vom anonymus Spervogel als schluss-
glied typisch verwendet wird; z. b. MF. 25, 26 imd niht i'ör den
eren verspürte = 7\ 1- --J1 ■ -^ ■ . Vgl. 25, 33. 26, 26. 33.
27, 5. 19 u. ö.
Aus den beispielen bei Morungen und Hezbolt hat sich
ergeben, dass eine tendenz zu genauer rhythmischer respon-
sion in den Strophen bemerkbar, aber noch niclit völlig zum
ziel gelangt ist. Wir werden darum, je älter die dichtungen
sind, um so weniger Strophenentsprechung erwarten dürfen:
eine gewisse regellosigkeit ist vorauszusetzen.
In der tat hat mich nun die durcharbeitung der texte
von ]\1F. überzeugt, dass mit den verschiedenen formen des
Sechsers bei den meisten 'daktylen' wirklich durchzukommen
ist. Man kann airf diese weise nicht nur harte betonungen
vermeiden, sondern vor allem die überliefei'ung sehr conser-
vativ behandeln. Von der gestalt die MF. den liedern gegeben,
ist dabei abzusehen, da die herausgeber den überlieferten text
stark haben verändern müssen, um ilir vorausgesetztes dak-
tylisches versmass durchführen zu können.
Ich gebe einige beispiele dieser rhythmengattung, oline
auch hier irgendwie darauf anspiuch zu machen, ninen
endgiltigen text zu liefern.
90 SARAN
Die abweichungeil von MF. bedeuten meist rückkehr zur
Überlieferung. MF. 43, 28 (Hausen).
1. Au der genädeu al iniu fröide stät,
da cnmäc mu" gewerreu Imote noch lüt.
Mich enhilfet dienst noch miner Munde rät,
und daz si mir ist liep alsam min selbes lip.
Mir- erwendet ir hulde uieman wan si selbe,
si tuet mir aleine den kumber den ich trage:
Wes sölde ich dän von den merkscreu klagen,
nu ich ir hfiote also lützel engeldeV
1 ' " 'VI ' " • ' V
9 ' " ' "T^" I ' " ' ^
3. WX-. 1 ww - l'-l _ 1 ^w - ww - w^ A
4 ' "-'VI
. v.>\_^ '
Reimschema : a — b
a — b .
c — d
d — c.
2. Hangen herzen ist von der huote we,
und jehent ez si in ein angeslichiu not:
So engerte daz mine allei* richheit niht me
wan mües ez si liden unz au minen tot.
Wer möhte hau groze fröide äue kumber?
nach solher swpere so rang ich alle zit.
Done mäht ich leider uüit komen in den nit :
des hat gelücke getan an mir wunder.
1. Ä^--^
3. Einer grözen swaere ich leider seuic bin,
die doch erturhtet vil mänic saelic man.
Unbetwüngeu von huote so ist daz herze min;
mir ist leit von ir, daz ich den fride le gewan.
Wand ich die not wold iemer güetlich liden,
het ich von schulden verdienet den haz.
Nit ümb ir minue daz t«te mir baz
danne ich si beide süs rauoz lau beliben.
2' " ' '-r' I ' " ' '~r'
3. _1 !1 L- I _l^_^^i ■ _^X
4 _J_ ^^Jl: --1a1 -- - '^-
A
-ww- /\
- ■— -A
-L^^-^1 1/\
t 1
L^^^^l 1/\
UEBER HARTMANN VON AUE. 91
Mit Sechsern kommt man bei Gutenburg 77, 36 ff. aus.
Er liebt die form ' ^^z: _ i._, auflösung öfters auch
vor der fünften thesis. d. h. auf der stelle nach der untercäsur
des langen abschnitts. wenn sie ausgeprägt wäre.
Dass diese rhj'thmisierung berechtigt ist, kann m. e. aus
dem ersten lied des Neuenb urgers (80, 1 ff.) gefolgert werden.
Es ahmt in reimstellung, z. t. auch im inhalt ein lied P'olquets
nach, das oben s. 74 anal3'siert worden ist. Folquets rh^'tlimen
sind Sechser (brachjivat. und katal.), und eben denselben rliytli-
mus ergibt die unbefangene betrachtung der Überlieferung, von
der sich freilich der text von ]\1F. sehr entfernt. Ich gebe
meinen text zur vergleichung — auch hier unter vorbehält.
1. Gewau icli ze Minnen ie güoteu wiin,
nu hän ich von ir weder trost noch g-edingen,
Wan ich enwelz wie mii' süle gelingen,
Sit ich si mac weder hlzen noch liän.
Mir ist alse dem der üf den bouni da stiget
lind niht hoher mac und da mitten belibet
Und ouch mit nihte widerkomen kan
und also die zit mit sorgen hine vertrihet.
3_ _ _;_ ^^ 2[Z ^ — I ww - ww " -^ -
2. Mir ist alse deme der da hat gewant
sinen muot an ein spil und er da mite verlinset
Unde erz verswert: ze späte erz doch verkiuset.
also hän ich mich ze späte erkaut
Der grozen liste die Minne wider mich häte.
mit schcenen gebserden si mich zuo ir brähte
Und leitet mich älse der boese geltsere tnot
der wöl geheizet und geltes nie gedähte.
I K..^^ — •— '
1 ' " 'VI
2. _1 1' i_ I Äl-^-l'_-----lX
Q ' " ' I ' " f
3. Min vrouwe sohle län nu den gewin
daz ich ir diene: ich raäc es niht miden.
ledoch bite ich sie däz siz gerüoche lideu:
s6 wirret mir niht diu not die ich lidendo bin.
92 SARAN
Wil aber si mich von ir vertriben,
ir s\yacher gTuoz der scheidet mich von ir libe.
Noch dauiioch fürhte ich mere . . .
daz si mich von minen freüdeu vertribe.
1. -L 1 '_X I -- " --
2 7\ ' " ' I ' • " • ' '/t
Q ' // T I ' " t
O. !_. i_i I v_/\_y ^
4 _>_ ^_ I '__ jf ^_
Dies lied des Fenis ist also eine naclialimimg- auch der reihen
Folquets. nur dass hier nicht die gewöhnliche rhj^thmengattung
mit regelmässigem Wechsel von arsis und thesis, sondern eine
andere mit mannigfacher Senkungsbehandlung gebraucht ist.
Der Prüfstein jeder 'daktj^lentheorie' dürften die lieder
kaiser Heinrichs sein. Ihre metrik spottete bisher aller
versuche. Es sind nach ausweis des metrums wol zwei ver-
schiedene töne; im reimgebäude ist nur der unterschied, dass
der erste ton vor dem schliessenden reim eine waise hat.
Erster ton: 5, IG— 29.
1. Ich grüeze mit gesänge die süezen
die ich vermiden niht wil noch enmac.
Daz ich sie von munde rehte mohte g-rüezen,
ach leides, des ist manic tac.
Swer disiu liet nu*) singe vor ir,
der ich so gar imsenftecliche enbii-,
ez sl wip oder man,
der habe sie gegrüezet von mir.
1. -1 11 ^- I -L 1' IX
2. ^L 1 i-|Ä ^ - 1a
3. _l___^__i-X 1 -1 — 1 — IX I
Äi-^-j— I _i___^-.-ix
2. Mir sint diu ri'che und diu laut ündertän
svv'enne ich bi der minneclichen bin,
Unde swenne ich gescheide von dan,
so ist mir äl min gewalt und min richtüom da hin.
Wan senden kumber den zel ich mir danne ze habe
sus kan ich an vröuden stigeu uf und-) abe
und bringe den wehsel
als ich wjfene durch ir liebe ze grabe.
*) C swer nu d. l.
2) C und ouch. Das ouch ist dem sinn zuwider.
UEBER HARTMANN VON AUE. 93
1. _i___^__iA i Ä-1— ::- — iX
. A V.Xv^ L /\ I WV_/ — V_/^ — WW — /\
3 ' " ' 'TT' I ' " ' 'x' '
Zweiter ton: 5,30 — 6,4.
1. Daz ich si so herzeclicheii minne
unde si äne wenken trage
Beide in herzen und in sinne
underwilent mit vil maniger klage:
Waz git niii- darunibe diu liebe ze löne?
da biutet si mirz so rehte schone,
e ich mich ir verzige, ich verzige mich e der kröne.
1 "TT ' " r \ -r ' " ' '~r'
1. A '-^-l A , ^-^A
3. _i^^_.^i.'__i_ I _L _::_T_^_ I
2. Er sündet sich swer des uiht geloubet,
ich möhte geleben manigen lieben tac,
Ob joh niemer ki-6ne kteme üf min houbet,
des ich mich äne si niht vermezzen enmac.
Verlüi'e ich si, wäz hete ich dauueV
da töhte ich ze vröuden noch wibe noch manne
und wa;re min bester tröst*) ze ähte mide ze banne.
2. wv_. L i! L_ I v.^^ JL > , _ ^.^^ j.' 1 V
3. -L-_"--L- I _1^^_ IL--L- I
Man sieht, wie ohne erhebliche abweichung- von der Über-
lieferung durch anwenduiig- der hexapodie die vermisste rh3'th-
inische regelmässigkeit hergestellt wird. Zugleich ist zu
bemerken, dass hier akatalektische, katalektische und brachy-
katalektische reihen correspondieren, wie z. b. beim Kürenberg.
Man wird daraus schliessen dürfen, dass diese reihen mit ab-
sichtlich gesetzter zweisilbiger arsis und mit zusammenziehung
(deutlich an typischen stellen), also die sogenannten 'daktylen'.
^) BC beidiu ze aide. An sich ist auch diese lesart möglich. Aber
der vers wird durch Streichung von beidiu weit besser, so dass sie wol
zweckmässig ist. Den zusatz des geläufigen wortes anzunehmen ist un-
bedenklich.
94 SARAN
niclit der romanischen kunst, sondern aus der weiterentwicke-
liing heimischer formen entsprossen sind.
Ob noch andere rliythmengattungen in den 'daktj'len'
verborgen liegen, lasse ich dahingestellt. Es ist mir wahr-
scheinlich. So möchte ich im leich des von Kolmas 'press-
rhythmen' sehen; vgl. s. 77 ff.. Auch ist an sich nicht unmög-
lich, dass das frz. dekasyllabon gelegentlich nachgeahmt ist,
wenn ich auch kein beispiel dafür zur hand habe.
Man sieht leicht aus dem hier ei'örtei'ten, dass die ganze
daktylenfrage lediglich aus der annähme fliesst, die mhd. minne-
singer hätten einsilbigkeit der Senkung als norm aufgestellt,
zweisilbigkeit und zusammenziehung principiell vermieden. Die
texte geben zu dieser annähme keinen anlass, vielmehr ist
zweisilbigkeit der Senkung und zusammenziehung oft gesucht
worden. Die mhd. Verslehre hat also nicht die aufgäbe, diese
art der arsenbehandlung möglichst zu beschränken oder zu
verschleiern, sondern festzustellen, unter welchen bedingungen
sie stattfindet. Eine betrachtung der verschiedenen stilarten
der rhythmik der minnesinger ist m. e. das ziel dem zu-
gestrebt werden muss. Die grundsätze die Lachmann und
Haupt aufgestellt haben, sind dabei principiell aufzugeben:
die textherstellung der minnelieder hat auf einer neuen rhyth-
mischen basis zu erfolgen, zu der ich im vorausgehenden
wenigstens das programm aufgestellt haben möchte. Ich
widerhole hier aber nochmals, dass ich nicht etwas endgiltiges
damit geben, sondern einstweilen nur meine behandlung der
Hartmannischen lieder rechtfertigen will.
Nach dem gesagten glaube ich mich berechtigt, den ro-
manischen Ursprung der "daktylen' schlechtweg zu leugnen.
Ihr wesen widerspricht dem der romanischen rhythmen durch-
aus. Also müssen sie specifisch deutsche formen sein. "Warum
tauchen sie nun aber erst im minnesang auf, als der romanische
einfluss merkbar ist? Warum kommt man nicht in die Ver-
suchung, die lieder des Kürenbergers daktylisch zu nehmen?
Ich glaube, dass die ganze technik dieser 'daktylen' eben
erst durch den gegensatz der alten und der neuen richtung
des minnesangs möglich wurde. Die alte, ritterliche lyrik,
diejenige die vom 'minnedienst' noch nichts weiss, braucht
zusammenziehung und zweisilbige Senkung durchaus (letztere
UEBER HARTMANN VON AUE. 05
meist bei ^versclileifbareif sill)en. aber aiicli bei andern, wenn-
gleich selten): gewisse t.ypen der reihen (_ ^ ■ _ i. • , _ 1 _ ^ .'.
--, _ -i _ •- _ ^' ■ _ z. -•- u. a.) sind dabei nicht zu verkennen.
Die neue, aus Frankreich eingefülirte, verlangt grundsätzlich
den regelmässigen Wechsel von arsis und thesis. d. h. die ein-
silbigkeit aller rhythmischen werte. Damit sind ohne weiteres
zwei stilarten der rhytlnnik gegeben, die nun teils neben einan-
der hergehen, teils sich durchdringen. Der minnesänger versucht
zunächst, die neuen formen nachzubilden. Dabei geht er von
der heimischen technik aus und das resultat sind verse wie
wir sie z. b. bei Hartmaun finden, verse die dem neuen form-
ideal zustreben, aber noch manches (z. b. fi-eiheit der silbenzalil)
von der alten technik haben. Der Sänger versucht aber auch,
sich die kunstmittel der alten technik (zusammenziehung und
auflösung) zu erhalten und den neuen formenschatz durch ihre
grundsätzliche verw^endung noch zu bereichern. So entstehen
producte, die in geist und Stimmung modern sind, in der
technik aber auch die älteren kunstmittel nicht verschmähen.
Es ist die gruppe der 'daktylen'. Das moderne prägt sich be-
sonders darin aus. dass die zweisilbigkeit der Senkung un-
beschränkt ist, dass also die engeren regeln der alten zeit
aufgegeben werden. Je nach der dichterpersönlichkeit neigt
der eine mehr zum neuen (romanische technik) : z. b. Hart-
mann, Eeinmar, Walther, andere zum älteren: Morungen und
die Thüringer,
Somit sind also unter den rhythmen in MF. mindestens
drei stilarten strengstens zu scheiden: 1) der strenge alt-
ritterliche Stil: Kürenberg, anonymus Spervogel u. a.; 2) der
strenge neuhöflsche stil (minnelied) und die formen die ihm
nachstreben, wenn auch noch nicht gleich erreichen (z. b.
Hartmanns meisten gedichte); 3) der gemischte neuhöfische
Stil. Darin etw^a drei Unterarten: a) reihen mit" absichtlich
verwendeter zweisilbigkeit der arsis; b) reihen mit absicht-
lich verwendeter zusammenziehung; c) reihen, wo auflösung
der arsis und zusammenzieluing conibiniert sind. A'ielleiclit
kommt hinzu: 4) die pressreihen: Kolmas, Walthers elegie (?).
^^'ie weit dieselben dichter sich mehrerer stilarten neben
einander bedient haben, wäre in jedem falle zu untersuchen.
Namentlich in der zeit wo die romanische kunst eingang
96 SARAN
fand, A\'ird man einem und demselben dichter Übergang vom
altritterlichen zum nenhöfischen stil zutrauen dürfen. Auch
Goethe hat nicht gleich die schönen g-edichte der letzten Frank-
furter und der Weimarer zeit geschrieben: er hat auch das
Leipziger liederbuch gedichtet.
Solchen Übergang finden wir z. b. beim kaiser Heinricli
4, 17 ff. : 5, IG ff. Er braucht Stil 1 und 3, wobei die neuhöfi-
schen gedichte gerade dieses hohen herrn in der behandlung
der reihenschlüsse noch ihren Ursprung aus der alten kunst
verraten (oben s. 93). "Wie Aveit auch bei andern dichtem von
MF. zwei Stile nebeneinander liegen, bedarf stets besonderer
Prüfung. No. 2 und 3 nebeneinander ist ganz geläufig: Hausen
und auch Hartmann. Die echtheitsfragen werden dadurch
schwieriger, als man bisher annahm.
Dass für die Scheidung der stilarten die weise zu beachten
ist, wie die dichter den vers mit wortinhalt füllen, möge noch
betont werden. Sievers hat ausdrücklich auf diesen umstand
hingewiesen. Man hat stets zu erwägen, wie weit sich die
icten nach den Sievers'schen typen abstufen ('dipodisch' ver-
teilt sind) oder diese alte accentvert eilung fallen lassen ('mo-
nopodisch' folgen). Es muss dabei bedacht werden, dass der
gegensatz von "monopodisch' und 'dipodisch' auch rein als
mittel des ausdrucks, also stilistisch (Sievers weist Festgabe
für R. Hildebrand, Leipzig 1894, s. 14 f. auf die einleitung des
Tristan hin) verwendet werden kann und darum den drei arten
des mischstiles no.3 vielleicht noch eine neue: 'd) reihen mit ab-
sichtlich »dipodischer« ictenabstufung' hinzugefügt werden muss.
Das lied Hartmanns, um dessentwillen dieser excurs nötig
war, ist nun einfach hexapodisch.
215, 14:
^ _j_ ^' ^_ I __; ^_^^ ^/ ^ _
2 __; ^^ i_ I __^ _^ j__
4. Ä - »» / I ' „ t
Y. 15 1. ereste.
■ vyv.y ^-j ^-1 ■
215, 22:
2. _1_.
• v-/^-' <— ' •— ' —
v>^^
V-^N^-/ — 1— '
UKHER IIARTMANN VON AUE. 97
M ' " 'VI' " 'V
4 ' ri I \ ' " ,
V. 28 1. (hz cnpfic (0). str. so (mit C). 29 mit ( ' und hinoz icnicr.
215, 30:
1. _1
2. _:'.
4_ _;_ ^ L- \ ^- dl L —
V. o;3 1. cd. 37 1. rfer Ze^; und ere ir hch'icte. So ist der vers
weit besser als in der — an sich ebenfalls möglichen — Über-
lieferung: (fot si der ir lip und erf hehüete. —
Für Hartmanns rhytlimische technik ergibt sich also nach
den Untersuchungen des abschnitts IV und \ folgendes:
1) Hartmann braucht nur vierer und sechser. Zweier sind
nicht anzuerkennen, da sie sich ohne Schwierigkeit durch Ver-
einigung mit nachbarzeilen vermeiden lassen.
2) Die reihen Hartmanns schliessen mit der thesis und
zwar akatalektisch, katalektisch oder brachykatalektisch. Es
finden sich bei ihm im ganzen nur 12 reihen die mit einer
arsis (senkung) enden; diese sind aber keineswegs daktylisch
{L- . . . L ._), sondern erweisen sich aus dem strophenzusammen-
hang als hyperkatalektische anapästische glieder (_ l -)•
Es sind 214. 13. 15 -L L ; ^ (ebenso 24. 26), also am
periodenschluss. Dann 218, 5. 7 _ 1 _ Z_ I' _1 _ _ ^ (ebenso
18. 15. 21. 23) und 213, 38 ä- Aw^-^ (ebenso 214, 10).
3) Es fangen weitaus die meisten reihen mit auftakt an,
der auch zweisilbig (nie dreisilbig) auftritt. "Wo in einer strophe
der auftakt fehlt, wird er meist in den andern desselben tones
gesetzt, so dass über die auffassung der reihen kein zweifei
obwalten kaun.
Demnach kennt Hart mann nur anapästische reihen
{-L. L) in ihren verschiedenen modificationen: reihen die
gi-undsätzlicli thetisch beginnen, hat er nicht. Hartmann steht
in dieser beziehuiig also noch auf dem boden der hergebrachten
nationalen kuustübung, die keine andern als anapästische, d.h.
thetisch schliessende formen braucht. Es ist für die Würdigung
des folgenden abschnitt es wichtig, das festzuhalten. Denn wenn
Hartmann, wie gezeigt werden wird, allmählith alle unregel-
Beitrüge zur guscbicbte der deutschen spräche. XXIII. 7
98 SARAN
mässigkeiteii im auftakt vcrmeitleii lernt und ilm schliesslich
regelmässig" und einsilbig' setzt, so bedeutet das nichts anderes,
als dass er sich bestrebt, die von ihm gebrauchten anapäs-
tischen reihen auch wirklich ganz zu füllen, dass er es meidet,
durch pause werte ausfallen zu lassen. Das gesetz von der
auftaktregelung bedeutet also (ebenso wie das von der Ver-
meidung der zusammenziehung) ein streben nach grösserem
tonreichtum. Zugleich nähert sich die rhythmik Hartmanns
damit der der Romanen innner niehi-, die ja auf dem regel-
mässigen Wechsel von arsis und tliesis beruht. Darum wird diese
tendenz zur regulierung Wirkung der romanischen technik sein.
VI. Die Chronologie der lieder.
Beziehen sich die lieder eines Sängers eins auf das andere
oder enthalten sie historische anspielungen, die gedeutet werden
können, so ist dies von grössteni wert für die aufstellung einer
Chronologie. Fehlen solche beziehungen, so muss man seine
aufinerksamkeit der kunstform zuwenden und seine Schlüsse
aus ihr ziehen. Die reihenfolge, die die hss. den liedern geben,
und die biographische ausdeutung ist für dies problem ohne
wert. Das war das ergebnis der erörterungen im abschnitt II:
darnach muss auf das strengste verfahren werden.
Es ist von vornherein am wahrscheinlichsten, dass die
drei kreuztöne Hartmanns zeitlich zusammen gehören, mag
man sie auf einen kreuzzug beziehen, den man will. Der letzte
derselben ist gewis ton XVI (218, 5), vorher liegen V (209, 25)
und VI (211,20). Es ist ganz unwahrscheinlich, sie auf zwei
kreuzzüge zu verteilen, obendrein, weil die töne V und XA'I
durch die erwähnung des todes von Hartmanns dienstherrn
zusammen gehalten werden (210, 24. 218, 19).
Allgemein ist anerkannt, dass die töne I. II. III einander
nahe stehen. II muss vor III fallen, weil 206,28 in 207, 11
widerrufen wird. Von den zwei in III vereinigten liedern
dürfte III > (207,11. 208,32. 208,20) dem andern II] 2 voraus-
gehen, eben wegen jener beziehung. 1 1 1 ist gewis älter als I :
das folgt aus dem Inhalt (H. v. A. s. 30 — 32). So ergibt sich
die reihe II. III. I. Diese hält neuerdings auch Sch(»nbach
für richtig.
Hierher stellt Schönbach auch XII (215, 14). AAVgen der
UEBER HARTMANN VON AUE. 99
beziehung- von 215. 20 zu 206, 18 scheint mir das riclitig. Nach
inlialt und stimnning- wäre es vor IT zu verlegen.
Dass nun diese zweite gruppe vor die erste, die kreuz-
lieder fällt, bestreitet auch niemand. Das folgt aus dei- ver-
gleichnng von 210,23 und 218,19 mit 206,14 (H. v. A. s. 80).
Dass auch XII vor dem tod des herrn anzusetzen ist, lehrt
ein vergleich von 210. 11 ff. 35 ff. 211,8 ff. und 215. 19 ff. Die
reihe XII. IL III. I. V. VI. XYI
dürfte mitliin so gut wie sicher sein.
Ich habe nun in meinem buch gezeigt, dass dieser Zu-
sammengehörigkeit nach dem Inhalt auch eine in der form
aufs beste entspricht: jene tihie sind eben die, in deren gliedern
mit wenigen ausnahmen durcliweg der auftakt steht. In XVI
fehlt er nie, in V auch niclit, in V- einmal (210, 29), in I
einmal (206.11). in III > nie. IIP einmal (207,38), in II nie,
in XII wie ich jetzt hinzufügen kann - einmal (215, 20).
Da nun die andern lieder den auftakt weit freier behan-
deln, so habe ich daraus auf ein bestreben des dichters ge-
schlossen, den anfangs ganz freien, bald vorhandenen, bald
fehlenden, oft zweisilbigen auftakt zu regulieren, bis endlich
mit gelegentlichen Schwankungen das ziel: einsilbigkeit und
regelmässigkeit erreicht wird (H. v. A. s. 33). Darum habe ich
ton X^T als das letzte uns von Hartmann bekannte lied be-
zeichnet und seine auftakttechnik als das erstrebte ziel an-
gesehen.
\^ogt bezweifelt, dass das richtig sei. Er meint, die Ver-
vollkommnung der technik . könne nicht bloss in dem gleich-
massigen setzen, sondern ebensogut in dem gleichmässigeu
fehlen des auftaktes und in dem regelmässigen Wechsel von
Versen mit und ohne auftakt bestehen. Dies wäre an sich
wol möglich. Für Hartmann könnten sich also im lauf der ent-
wickelung drei Idealformen des tones herausbilden: 1) Strophen,
wo jede reihe, 2) Strophen, wo keine reihe auftakt hat, 3) stro-
jdien. wo die auftakte nach bestimmter regel stehen und fehlen.
Will man die lieder ordnen, so muss jedes an dem idealschema
gemessen werden, dem es zustrebt.
Prüft man die auftaktverhältnisse der Strophen, so ist
zunächst zweifellos, dass unter ihnen die folgenden dem ersten
ideal — regelmässig auftakt — zustreben: I ("" 206. 11). II. III
100 SABAN
(ä 207,38). V(- 210.29). IX (ä 213,1.8.15). XI (214, 12. 14).
XII (ä 215, 20). XIY (ä 216, 31. 32. 217, 2). XVI. Von 16 tönen
waltet also in 9 die tendeuz von no. 1.
Betrachten wir vorerst diese gruppe allein. Procentualiter
ergibt sich folgende reihe:
10 \ ,0
II. m>. (VI), yi. XVI 0,0 xn (215, i4ff.) . . . 4,1 r.
1(205,1) 2,2 I XI (214, 12 ff.) . . . !)
m^ (208, 8 ff.) . . . 3,3 IX (212, 37 ff.) ... 10
V2 (209, 37 ff.) . . . 4,10 -XIV (21(!, 29ff.) . • . Iti.OO.
Nimmt man die lieder von III und V zusammen, so ergibt sich
die reihe: XVI. (VI). II (0,0 o/„). m (1,66). V (2,1). I (2,2).
XII (4,16). Diese weicht von jener etwas ab, doch verschlägt
das niclits, da eine solche Statistik nie bis ins einzelne genau sein
wird, sondern nur anzeigt, welche lieder einander näher stehen.
Prüfen wir nun die sieben töne, die noch übrig sind. In
der tat hat Vogt, wie ich gern zugebe, richtig gesehen, dass
Hartmann den auftakt zuweilen mit absieht an bestimmten
stellen fehlen lässt. Man sieht das klar, wenn man die auf-
taktstellen in bezug auf das rhj^thmische System der Strophen,
wie es abschnitt IV und V aufgestellt, betrachtet.
In ton IV fehlt der auftakt in beiden Strophen im anfang
der letzten periode. 209, 23 erhält dadurch das diz eine be-
tonung, die seiner bedeutung ganz angemessen ist (Rh. § 23
anm. 8). Ebenso in 209, 13, wenn auch weniger evident. Da-
gegen ist das fehlen des auftaktes in 209, 7 entschieden un-
beabsichtigt. Die entsprechende reihe der andern Strophe
setzt ihn.
In ton VII fehlt der auftakt in allen drei Strophen wider
wie in IV am anfang der Schlussperiode 211, 31. 212,1.9, doch
wol mit absieht. Dagegen ist nach ausAveis von str. 2 und 3
(212,2.10) im zweiten Vordersatz von periode 3 (d.h. in 3a')
auftakt nötig: 211, 32 ist also unregelmässig.
In VIII fehlt der auftakt regelmässig in la (212, 13.21.29).
in 2 a (212,15.23.31), also allemal im periodenanfang, offenbar
um den einsatz kräftiger zu machen. In 3a fehlt er nur zwei-
mal (212, 17. 25), 212, 33 steht er. Dass das fehlen im auf-
gesang beabsichtigt ist, kann man annehmen: aber auch im
abgesang? Nehmen wir an, es sei beabsichtigt, so haben wir
UEBER HARTMANN VON AUE. 101
jedenfalls in 212, 33 einen Verstoss g'egen das idealscliema,
einen zweiten in 34 (geg-enüber 18 und 2(3), also nicht bloss
eine unreg-elmässig-keit, wie Vogt s. 240 meint, sondern zwei.
Das fehlen des anftaktes ist meist durch gründe der declama-
tion bedingt.
In ton X (213, 29) fehlt der auftakt in den meisten reihen.
— Das idealsehema wäre: periode 1 — 3 durch Aveg- auf taktlos,
4a ohne, 4a', a", b mit auftakt. Gegen dies Schema finden sich
drei Verstösse: 213,38. 214,5.9. Legt man ein anderes zu
gründe, so bleibt diese zahl doch als minimum bestehen. In
procenten 15.
In XIII ist fehlen möglicherweise in 3 b (216,7.14.28)
beabsichtigt. Im übrigen erkennt man kein princip. Setzung
ist offenbar das ideale. Gegen das idealsehema hätten wii' also
neun Verstösse.
In XY soll der auftakt offenbar fehlen in 3 a (217,18.28.
38), d. h. im periodenanfang. Das fehlen hat hier für den sinn
bedeutung. denn alle die hinter der j)ause stehenden proncmiina
bedürfen der hervorhebung, die ihnen auch durch das fehlen
des anftaktes zu teil wird. 217, 30 ist aber Verstoss.
Berechnet man die procente der Verstösse gegen das jedes-
malige idealsehema, so ergibt sich folgende zweite reihe:
XV (217, 14) . .
10
. . 3,3
VII (211,27) . .
. . 3,3
IV (2ü9, 5) . .
. . 5,0
VIII (212, 1.3) .
. . 8,3
X (213, 29) . .
. . 15,0
XIU (2H), 1) . .
. . 32,1
Vergleicht man diese reihe mit meiner früheren (H. v. A.
s. 35). so ergibt sich, dass diese töne in ihr fast in gleicher
relativer Ordnung folgen. Dort war die folge: XV. IV. VII.
VIII. XIII. X (rückw^ärts).
Die töne beider gruppen würden, gesondert und genau nach
ihren auftaktverhältnissen ireordnet, folgende reihen bilden:
IL IIP. V. (VI;. XVI 0,0 2)
I (205, 1) . . . , . 2,2 ;
III^ C208, S) . . . . 3,3
XV (217, 14> \
VII (211,27) j '
102
SAEAN
Y-^ (209, 37) \
XII (215, 14) j
/o
4.1 C.
XI (214, 12) ... . 0,1
IX (212.37) .... 10.0
XIV (218,29).
1 (;,t;6
"/o
IV (209,5) 5,0
VIII (212, 13) . . . 8,3
15.0
X (213, 29) . .
Xni (21t;, 1) . . . . 32. 1
Folg-te man nun den g-rniidsätzen die Vogt für die Chro-
nologie Hartmanns aufstellt, so müsste man die beiden reihen
auf gTund der procentzahlen zusammenschieben und hätte
dann eine reihe, in der die lieder tatsächlich darnach auf-
träten, inwieweit eine auftaktregulierung- erfolgt ist. 213, 29
(X) und 214, 12 (XI) würden sich dann zwar nicht, Avie Vogt
will, gleich verhalten (s. 239), aber doch einander weit nähei-
rücken müssen als in meiner ersten tabelle (H. v. A. s. 35).
Diese combinierte tabelle würde aber den wahren Sach-
verhalt nicht darstellen, sondern geradezu verkehren. Man
vergleiche, um sich das klar zu machen, die auftaktbehand-
handlung unter berücksichtigung- der rhythmischen örter, wo
auftakt fehlt. Man unterscheide Vordersatz (a), zweiter (bez.
dritter) Vordersatz (a'. a") und nachsatz (b). Dann ergibt sich
für reihe 1) folgende tabelle, in der s die summe aller reihen
der Strophe, a' (a") + b die summe aller der giieder bedeutet
die nicht im periodenanfang stehen. Das Verhältnis der anzahl
vorhandener stellen zu den auftaktpausen ist danach:
Absolute zahlen der reihe 1:
XIV IX
XI
XII V2
m^
I n 1 IUI
VI XVI
(HI) (V)
a
12:3 15:2 10:2 12:1
12:0 12:0,20:(l Vt:U 12:0
12:0 15:0
24:0 24:0
a', a"
2:0
6:0
5:0
9:0
6:0
12:0
b
12:1
15:1
10:0
12:0
12:1
12:1
20:1
9:0
12:0
12:0
15:0
24:1 24:1
s
24:4
30:3 22:2
24:1 24:1 'sO:! 45:1 27:0
30 : 0
24:0 30;0
00:1
48:1
a', a" + b
12:1
15:1
12:0
12:0
12:1
18:1
25:1
18:0
18:0
12:0
15:0
36:1
24:1
UEBER IIAUTMANX VON AUE.
103
Tn proceiite iinifrereclinet g-ibt die tahelle an wie oft der
Huftakt fehlt im verliältnis zur g-esamiutzalil der auftaktstellen
jeder der (durch a: a', a"; b; s; a', a" + b unterscliiedenen) arten.
Procentzahleii der reihe l:
XIV
TX ' XT XII V2
III2
I
II
IIP v 'xvi
(III)
(V
'VI)
a
25 i:i,3;^| 20 S,33 0.(1 0,(1
(1.(1
(M) (1.(1 0.(1 0,0
0,0
0,0
0.0
a'. a"
0,0 , 0.0
0,0
0,0 0.0 0,0 0,0
0,0
0.(1
h
8,33
6,66.! 0,0 0,0 8,33 8,33
1 . : i
5
0,0
0,0 0,0 0,0
4,16
4,16
0.0
s
16,66
10 9,1 4,16 4,16
3,33
2,22
0,0
1
0,0 0,0 0,0
1,66
2,1
0,0
a'. a" + b
8,33
6,66 ; 0,0 1 0,0 8,33
5,55
4,0
0,0
0,0 0,0 0,0
2,77
4,16
0,0
Ton VI nnvollständis:.
Au.s diesen tabellen .sieht man. dass in den liedern der
gruppe 1 auftaktpause zunächst und gleicli von vornherein sehr
energisch im innern der periode, d.h. an den stellen a'. a" und b
vermieden wird: kein ton hat hier mehr als einmal auftakt-
pause. In sechs von den elf liedern findet sich überhaupt
keine. Am periodenanfang- (a) fehlt auftakt häufig-er, doch ist
die tendenz ihn zu setzen dafür auch um so lebhafter und
führt schon in V- zum ideal.
Man betrachte nun auch die zweite gruppe von demselben
Standpunkt aus. d.h. man b(-rechn(^ wie oft überliaui)t im Ver-
hältnis zu den verschiedenen stellen auftakt fehlt.
'i'abelle der absoluten zahlen
für reihe 2:
XIII X VIII IV
VII I XV
a 12:5 S:7 12 :S S : :5 i) : 3 15:4
a', a" ; 4:1 4:2 4:0 9:1
b i 12:7 I 8:6 12 : 1 8:0 9:0 ; 15:0
S 28:13120:15 ! 24:9 2'i : 3 | 27:4! 3» : 4
a'.a" + b lü:b 12:S 12:1 12 : 0 | 18 : 1 15 : 0
104
SAKAN
Proceiitzalileii der reihe 2:
xm
X
vm
TV
vn
XV
a
41,66
87,5
66,66
37,5
33,33
26,66
a', a"
•25,00
50,00
0,0
11,11
b
58,33
75,00
8,33
0,0
0,0
0,0
s
46,42
75,00
37,5
15
14,81
13,33
a', a" 4- b
50,00
75,00
8,33
0,0
5,55
0,0
Auf den ersten blick ist klar, auch diese lieder durchzieht
das streben, zunächst die auftaktpause im Innern der perioden
zu beseitigen. ]\Iit YIII steht die gruppe in dieser beziehung
schon auf der hiUie, die in der ersten no. XIV einnimmt. Das
folgt aus betrachtung der rubriken a', a". b und a', a" + b.
Aber sehr energisch ist auch in dieser reihe das streben,
die auftaktpause von a zu beseitigen (rubrik a). Sieht man von
XIII ab, so ist die Ordnung, die rein aus betraclitung der
auftaktregulierung in a folgt, dieselbe wie die die ich oben
durch beurteilung nach dem jedesmaligen idealschema gewonnen
habe. Beide weisen der betraclitung ergeben also dasselbe
resultat.
Man mag also Hartmanns lieder behandeln -wie man will,
immer ergibt sicli, dass eine starke tendenz zur Vermeidung
de^ auftaktpause da ist, die sich zunächst im periodeninnern,
dann am periodenanfang lebhaft betätigt. Je jünger in beiden
reihen das lied, um so seltener die auftakt[)ause.
Da also offenbar beide gruppen die ich unterschieden,
von demselben streben beherscht werden, da ferner zwar die
gruppe 1 zu liedern gelangt, die das zugeli(»rige idealschema
wirklicli eweichen, nicht aber gruppe 2, und da drittens die
lieder von gruppe 2 zu den früheren erzeugnissen Hartmanns
gehören, mag man sie mit Vogt nacli der tabelle oben s. 101 f.
oder nach den eben aufgestellten beurteilen, so muss geschlossen
werden: das jtrincip, überall die auftaktpause zu vermeiden,
ist durchaus das lierscliende. Die regelung des auftaktes im
sinne der gruppe 2 ist niclit, wie Vogt will, ein zweites princip,
das dem ersten gleich mächtig gegenüber träte, sondern es ist
UEBEK HAKIMANN VON AUE. 105
nur eine art. das erste princii) durclizufüliren. sie ist
nur ein specialt'all des ersten princips. \\'ir werden an-
neliuien dürfen, dass der dichter die g-anze regelung- unbewusst
aus dem rliytlimiselien gefiihl lieraus unternalini, niclit aufjirund
einer theorie. Daher auch gelegentlicli die selnvankuugeu.
Das gesetz von der auftaktreg-ulierung- bei Hartniann
deute icli also folg-enderniassen. I)em rhytlnnischen gefiihl
Hartnianns, das schon 'wesentlich durch die alternieienden
rhythmen der neuhöfischen minnepoesie, vielleicht geradezu
durch franziksische lyrik bestinnut war. sagte die freiheit
nicht zu. mit der die einheimische technik die anapästischen
reihen (__!_... _^) behandelte. Er beginnt — zunächst wol
unbewnsst — nach regelmässigkeit zu streben. Die auftakt-
pause -wird darum allmählich auf stellen beschränkt, wo sie
die declamation unterstützt, v.o sie also dazu dient, einen
kräftigen reiheneinsatz zu bewirken. Ferner wird nach re-
sponsion im ganzen ton getrachtet. Die reihe 2 bringt diese
versuche .statistisch zum ausdruck. Vor allem wird auftakt-
pause im periodeninnern gemieden. Das ist rhythmisch sehr
begreiflich. Denn dui'cli solche inneren pausen wird die periode
immer auseinander gei'issen: inneier continuierliiher zusannnen-
liang ist aber für sie wünschenswert. Durch pause am perioden-
anfang heben sich dagegen die perioden von einander ab. die
ohnehin einander relativ sell)ständig gegenüberstehen.
Ton Xlli erweist sich, von diesem Standpunkt aus be-
trachtet, als eins der frühsten lieder Hartmanns. Hier wird
lieriodenanfang" und -inneres gleich behandelt, und ob im zu-
lassen der auftaktpause wirklich i>riiicip ist und nicht der zufall
waltet, ist unklar. Das fehlen des auftakts am beginn des
schlussgiiedes der stroidie ist sachlich nicht zu begründen.
Auf giund dieser erwägungen glaube ich nicht, dass \'ogt
recht hat. wenn er annimmt, ton IV (5 »/y) gehr»re'eng mit XII
(4,16 "/„,). Vin (8,3%,) und XI (9,1 «/oj zusammen. Für die
technik dieser töne ist, Avie das eben erörterte lehrt, weniger
von bedeutung, dass das entsitrechende idealschema mit 5, 4.16
8,:J und 9 » „ uin'egelmäs.sigkeiten eireicht ist. als vielmehr die
tatsache, dass in IV der auftakt fehlt für s -^ 15, in XII tiii
s = 4,10, in VMI für s — 37.5 und Xl für s - 9,1 fällrn auf
liundert.
10(3 SARAN
A^'elln man also eine Chronologie der lieder Hartnianns
sucht, so hat man sich an das leitende, von mir schon früher
richtig erkannte princip zu halten: eine anordnung im sinne
Vogts ist nicht möglich, ohne den tatsachen unrecht zu tun.
]\lan kann sich im einzelnen mehr an die procentzahlen für s
(so ich fiiiher) oder an die von a halten: das ergebnis ist in
beiden fällen wesentlich gleich.
Man gewinnt auf grund der s- zahlen folgende endgiltige
Chronologie, in der die inhaltsbeziehungen der lieder mit ver-
wendet sind:
XYI (218, 5) .
0/
. 0,0
XI (214.12) .
9,1
VI (211,20) .
. —
IX (212. 37) . .
10,0
yi (209, 25) .
. 0,0
XY (217, 14) .
13,33
Y2 (209,37) .
. 4,16
VII (211,27)
14,81
I (205, 1) . .
. 2,22
TV (209,5) . .
15,00
IIP (208, 8) .
. 3,33
XIY (216, 29) .
16,66
mi (207,11) .
. 0,00
Vm (212, 13)
37,50
II (206, 19) .
. 0,00
XIII (2U, 1)
46,42
Xn (215,14)
. 4.16
X (213, 29) .
75,00
Diese Ordnung weicht etwas von der ab die ich H. v. A.
s. 35 gegeben habe. Das erklärt sich aus der neuen kolotomie,
die ich erst in dieser arbeit geben konnte. Daraus erklären
sich auch die zahlen die gelegentlich von den früheren in
H. V. A. abweichen.
Ich bemerke, dass diese reihenfolge nicht die zeit-
beziehungen der lieder bis einzelne darstellen soll. Schon die
abweichungen der inhaltschronologie von der i-hythmischen in
den jüngsten werken lassen eine solche annähme niclit zu.
Die reihe soll nur im grossen und ganzen gelten. 31an wird
der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man grui)pen von
liedern aufstellt, die einander zeitlich besonders nahe stehen.
Ich würde folgende vorschlagen:
1) yi V2 VI XVI kreuzlieder.
2) XIV. IV. VII; XV IX XI; XII II III' m"^ I liebes-
glück und liebesnot (im anschluss an das naclnveisbare
Verhältnis, das auch die 'Klage' behandelt).
Das — übrigens einseitige — minneverhältnis wird nicht förm-
lich gelöst, sondern lu'irt durch Hartmanns kreuzzug wol von
selbst auf, ]\Ian kann in dieser gruppe wider Untergruppen
FEBEK HARTMANN VON AUE. 107
erkennen: XIV IV VII sehr flott, mit einer gewissen npjxisition
g-egen den minnedienst, der ja der älteren ritterlichen zeit
unbekannt war. Solche oppositionslustigen gedanken begegnen
später seltener: IIT' wo der widerruf sclmell folgt. XV TX XT
sind schon H. v. A. s. 102 als eng zusammengehörig erkannt
worden. Formell liaben sie gemein, dass es neben X\'l die
einzigen Strophen bei Hai'tmann sind, die fünf jjcrioden um-
fassen. Der dichter verbindet meist nur ;> und 4. Xii II hoff-
nungsvollere Stimmung, III I resignation.
3) X XIII VIII. P'.s sind die frühesten lieder, vor und
Avährend der reise Hartmanns nach Xordfrankreich. VIII geht
doch wol auf diese. XIII ist reine nachahmung Hausens.
Die Klage (das I. büclil.) dürfte melir ans ende von gruppe 2
fallen. Doch wäre auch möglich, dass es iu die mitte fiele.
Das ist nicht auszumachen.
Wie weit es nun nittig ist, die lieder unter no. 2 auf das-
selbe Verhältnis zu beziehen, kann nicht entschieden werden.
Ich habe H. v. A. mehr erlebtes in den liedern gesucht als ich
jetzt tue. Es ist wol möglich, dass nuuiche töne reine phan-
tasiestücke sind, ohne specielle beziehung.
Mag man nun meine Chronologie billigen oder nicht, eines
geht aus ihr. glaube ich, mit Sicherheit hervor: die lieder der
gruppe 1 sind die letzten, die uns von Hartmann überliefert
sind. Die der gruppen 2 und 3 liegen vor ihnen. Haitmanns
lyrik schliesst mit der kreuzzugspoesie, also 1189 ab.
Daraus folgt: wer etwa Hartmann zwei oder mehr minne-
verliältnisse zuschreibt, darf keines davon nach der grupiie 1
(nach 1180) ansetzen und muss die töne III und I als solche
des letzten Verhältnisses ansehen. Andernfalls hat er die
pflicht, meine beobachtungen über die auf taktent Wickelung als
falsch nachzuweisen. DesAvegen ist auch Schönbachs versuch
abzulehnen, weil er meine ergebnisse weder widerlegt noch
übeihaupt beachtet.
Es folgt weiter: wer wie A\'ilmanns und Heinzel das
I. büchl. mit dem Verhältnis zusannnenbringt, das den tönen
III und I zu gründe liegt, darf das II. l)üchl. nun nicht mehr
mit ii-gend welchen liedern Haitmanns in vei-l)indung bringen
— er müsste es denn voi- das erste setzen. Das hat abei-
noch niemand versucht. Somit fällt auch das was Schön bacli
108 SARAN. UEBER HARTMANN TON AUE.
(s. 359. 368 ff.) über das zweite büchleiii und seine beziehimgen
zu Hartmanns liedern sagt.
Endlich: ist die g-esammte liebeslj'rik dem I. biiclilein un-
g-efähr gleichzeitig-, .so fällt sie in ihrer gesammtheit in des
dichters jugend, wol seine knappenzeit. Denn dass jenes
biiclilein sehr früh anzusetzen ist, habe ich schon H. v. A. s. 52
nachgewiesen, dass es von Hartmann vielleicht im alter von
18 — 21 Jahren verfasst ist, hat Schönbach wahrscheinlich ge-
macht. So drängt sich die ganze lyrik Hartmanns in wenige
jähre zusammen, denn im allgemeinen stehen sich die lieder
formell ziemlich nahe. W«nn man 1187 und 1188 annimmt,
dürfte man das rechte so ziemlich treffen.
Nach alle dem muss ich meine ansieht, die ich in H. v. A.
über des dichters lyrik ausgesprochen habe, gegen die polemik
Scluinbachs und z. t. auch Vogts, wenigstens in ihren haupt-
ergebnissen aufrecht erhalten.
HALLE a. S. FRANZ SARAN.
ANGLOSAXONICA IV.
Crist.
14a. Die nämliclie constructioii unten v. ooa.
20. Hier scheint mir ein vers aust>ef allen, wie }>l<hi<1 in
hciuhoii -\- halb vers: vg-l. y. 147.
40. 1. mit Grein semcnuns, vgl v. 75 und Blickl. lioni.
143,24: Juet he hoäi^e Ms .s'^'^c^o^iincsse d'- hire gefacimn^e.
Gerade diese semcnimg war das de^ol dryhtnes ^eryne von v. 41.
42. s^ondspreot {eo =^ ea) v. -sprütan., nl. spruHcn.
69. senedde ist unsinn: 1. mit Grein ,s<'n(idde.
73. sundbüend ein poetisches fabrikat wie Jx'odhuend 610.
1173 und 1372, um einmal eoröhnend, foldhnend, grundbuend,
landhüend zu variieren und ganz bequem mit s zu alliteriei'en.
Es bedeutet niclit ninris nccolac und hat mit nl. de see bomven
nichts zu tun.
97. /l9>-^«/w(Zef/. Vgl. 8ievers, Beitr. 11, 351 und Blickl. hom.
7. 14: l)d;r trces Euan irop nie hdyned JnirJi Jxere d eJdimm
fcemncm [hlisse?).
153. Sievers' unzweifelhaft richtige besserung for ofcr-
Jiearfum findet man. wie seine übrigen besserungen und be-
merkungen granimatischei- odei" metrischer art, bloss in der
fussnote, wenn ihrer überhaupt erwähnt wiitl. ^fan vgl. weiter
El. 521 und Heow. 2220; nur setze man is sco bot ^elotiÄ ccd
(et Jie dmim in parenthese. denn for oferpearfum gehch't zu
tvope forcijmcnuiit, hitnim brynetearnnt. Anders, aber ni. e.
weniger überzeugend. IF. 4, 384.
107. Die einteilung des dialogs ist niclit in Ordnung. Erst
mit i'ala fmnne ^eon^ v. 175 fängt Josephs rede (bis v. 195)
an und darum ist v. 109 for ]u' in forjyy und v. 175 frasreuftne
in fi'asfcdffc zu bessern. Auch lese man v. 109 mit Thorpe
1 1 0 COSIJN
H-onla. Ein scliluss mla fcemne ^eong, mcesd Maria ist un-
inöglicli, und g-erade dies mla weist uns hier den weg.
183. 1. pe Iddisan 'dicli reinigen' ld])an sprcece 'dessen
was man dir vorwirft'; vgl. C. past. 308, 7.
189. Imrh ndtlnvißces sc. scyld oder ein ähnliches wort.
241. Aehnlich IVA. 2, 1.
257. Wie Beow. 160 der Grendel, so wird hier liipus qui
rapit et disper<id oves (Joli. 10, 12) deorc dcaöscüa 'tenebrae et
uinbia mortis' genannt.
264. sc ivites (i. e. helle) hona passt hier wol nicht so gut
wie se tvittes bona -- gdsthona; vgl. (Trein, Gloss. 2, 722.
270. 1. forti'ah d- fortyhte; Id ist aus ht verlesen.
304. 1. mit Thorpe^tpr, welche partikel bei verba movendi
öfters vorkonniit; s. Grein, Gloss. 2, 564. Ein beispiel anderer
art V. 307.
364. 1. Jiet{o)lan helscea])a{n). Hetol ist ein gebräuchliches
epitheton des teufeis: Beda-AVlieloc s. 300. Saints 3, 406, und s.
weiter Toller s. v.
377. sePeon. Das \)Y'A(i{. Jn'odon El. 403 {\\f>. ])eoden).
421. Dies md statt iSievers' nidru charakterisiert diese
ausgäbe.
469. ivitsena icord ist object zu /uefde gefylled, also nach
sun^on komma! ^eoiid ivoridd innau ])ild(Mi drei worte. wie
Panther v. 4, wo richtig abgeteilt ist.
, 471. 1. leofwendne, vgl. v. 400 lofiaÖ Uoflicnc. Die Ver-
wechslung von lofian und lufkm kommt auch sonst vor, z. b.
Beda- Miller 212, 7 var.; v. 504 steht richtig heredun, lofedun.
490. gehivdre\ die richtige lesart natürlich in der fuss-
note. An anderen stellen ist der nämliche fehler mit diesem
pronomen gemacht: das weiter zu bemerken halte ich für
überflüssig; vgl. Sievers, Beitr, 10, 485.
494. 1. Cynins iip geivdt. Was aber JiurJi Jxvs tnuplcs
hrof bedeuten muss, weiss ich nicht: ofer hrofas v. 528 ist vei-
ständlicli. Vgl. aber v. 535.
511. on hivearfte 1. an htvearfe =^ on Jircate.
519. ^cdryt nach deui richtigen ^r(/ry///^ v. 515! Fussnote:
^edryht.
564 tviperhrdsan. Was sind ' widerschrecken'? Ich lese
tvijx'ihrcoran, welche auch aus (Tii)dac 265 bekannt sind (s.
ANGLOSAXONICA. 111
weiter (irein. (üloss. \. \.) und inuli in den lUickl. liuni. 1 7r), 7
A'orkoninien. Brccan (denn iviöerbreca ist synonym mit and-
sdca) bedeutet hier "streiten', g'Ot. hrilmn, brakja athlttv, jiaXii.
587. hals, nein hdlr, hdlorl Vax eft, das man mir nicht
vorwerfe, vgi. v. 614.
621. Lies doch mit Rieger of statt ofer, wie die antitliese
to pcere ilcan scealt eft ^nvcoröan v. 624 deutlich beweist.
625. wyrmiim äiveallen. Vgl. .Elfric, Hom. 1, 86: Imt his
gesccapn niaÖan ivrollon und 472: siva pcet liim tvioUon ntudan
Äcond eahtc iJone llchamun. \^\. auch an. vella.
644. Hier hätte der herausgeber Fruclits mislicn (vgl.
Jul. 268) in den text aufnehmen sollen (Fr. s. 78): nion/Ä midie
ist metrischer fehler.
()79. stcelsne, 1. sfce^/ne: wenigstens dünkt mich die meta-
these verdächtig", denn die volle form ist sid'^il. Man erwartet
sfeapne =-- heanne.
704. (efyllendra fasse ich auf als g'en. subj., also fyllan =
fellan, vgl. Kl. \i)-i{) .sedirohin fylde. iittrihte ce\ vgl. auch unten
V. 700, Avo bhklgyte tcorliian (708) einzuklammern ist.
7()0. hordseldc, lindseldc, lindple^a bedeuten einfach 'sti'eit',
eigentlich ^ehic (plesa) hord-, lindluehhendra. Ich Aerwerfe
Greins deutung- •clypeorum impugnatio'.
784. Ich lese siva ive üs ividefeorh tveorciim hUdun, weil
das object zu Idadan mir unentbehrlich scheint.
804. Ich constatiere hier bloss, dass über Sievers' aufsatz
Anglia 13, 1 kein w'ort g-esagt Avird; s. 246 teilt uns Assmann
bloss mit, dass S. a.a.O. 'über die rätsel' gehandelt hat. Aber
Gollancz' autorität scheint so schwer zu wiegen, dass sogar
seine schiefe Übersetzung (v. 806 ur 'long since'!) citiert wird;
was dieser aber über ar s. 181 mitteilt, wird verschwiegen.
Die feststellung dei- bedeutung der rune «7/^« in Sievers'
'notable article" war doch bei (jollancz s. 180 zu finden; und
dass die Anglia gewissen deutschen anglisten eine terra in-
cognita ist, darf man doch nicht annehmen?
828. Zur abwechslung wiid im text ein niclit allite-
rierender vers mit falscher interpunction geboten, während
(Jreins l)esserung in der fussnote zu finden ist (hatte das
original hchofiaö, wie ,sehotu für seoln Erf. 1064 u. s. w.V). Sc»
bilden die noten einen katalog von richtigen, evidenten und
112 cosr.TN
falschen, antiquierten lesarten, was sich aHerdings zum teil
entscliuldigen oder verteidigen Hesse, wenn \\ir es mit einem
diplomatisch genauen textabdrucke zu tun hätten. Dies ist
aber nicht der fall, denn öfters wird gebessert (oder ver-
schlimmert), wo man es nicht erwartet. Eine emendation die
^'on dem herrn lierausgeber selbst herrührte, habe ich noch
nicht angetroffen.
836. civdmendra cirm soll ein vers sein. Aber langsilbige
schwache verba der 2. und 3. klasse bilden regelmässig partt.
l)raes. ohne /: mit / sind sie metrisch unbrauchbar. [In den
nachtragen ist Fruchts besserung, wie ich jetzt sehe, auf-
genommen.]
843. ])(Er hiö . . . leofra (nsn.), wie Guplac 1294 pcer wces
chilicra dt tt^i/nsumra etc. Ebenso sö])ra Guj'l. 1096 und bei-
spiele für die weibliche endung -a sind sivcerra ('rist 1490,
heardra 1489, Icohfra 1652, sylfa Guj'l. 964, hdncopa 998 (?).
Darf man dies alles ändern? Was die bedeutung unsrer stelle
betrifft, vgl. Sal. 30: Jtonne him hiö Icofre Iwnne eall Jx'os Uohte
^esceaft . . . sif /'« dfre Jxes orsanes ötcihf ende; Beow. 2651
steht ]i(i't, was aber mit ,K;if synonym ist, wie mit ])cer, wes-
halb Kttmüllers änderung v. 844 unnötig ist.
853. Komma hinter siindhensestum, denn fernem ist trans-
itiv. Aber tilge das Semikolon WAdxliolmas \.^^)^\ aber nach
^eldd stark interpungieren.
867. Ijies mit Ettmüller ]id he io heofommi äsfd,s, wie
V. 737 (vgl. auch El. 188) vorkommt.
870. 1. hildcummed, denn das mm ist organisch, s. ^^'alüsch
61 und 76 und vgl. weiter hlimman, hlemm, got. hlamma u.s.w.
884. iviö tim^la ^o'^S (hlj/dad), wie sprecan ivid — con-
struiert: = iciö gongende tunsl, i. e. wiö hcofones ivcard.
889. 1. ejesUce.
901. S/ijHin mstan, vgl. Gen. 668 und Beitr. 19,447. Darf
man letztere stelle sachlich mit dieser vergleichen?
934. triime d- torhte beziehe ich Siwtheofonas; vgl. v. 969.
Also nach torhte komnm.
961. Gyn gehört zum folgenden verse, wie auch die hs.
andeutet. Welcher metrik folgt Assmann?
976. lüoriild mid eallc 'die ganze weit'. Vgl. Saints6, 285:
lils ivderas nceron divlcettc mid callc.
ANGLOSAXONICA. 113
980. scchdun ist ein undiiig', scehtun (kenticismus für
scylitun) sinnlos. Also ist die 'Vermutung' sceldun = scildun
nicht abzuweisen, weil hier ein verbum mit der bedeutung*
•schützen" stehen niuss.
999. se hreotv? Man vg'l. 1148.
104(3. 1. on c{u)c)ie (-~ i'accnne) eard, denn das e beruht
auf palatalumlaut: vgl. Beow. 1621 mcne eardas. Openc weorJ)aJ
U.S.W, illustrieren j)a ojjenc tid v. 1571.
1048. hord "das verborgene', denn schätze verbirgt man:
warum aber immer diese 'schätze' in den Übersetzungen an-
gebracht?
1074 a. Vgl. Blickl. hom. 95, 19.
1084. 1. ealljjt'odum, wie 1337, = yrmenjx'oditnr, besser
noch vergleicht sich ealwilite.
1144. e^san tnyrred? aber der ausdruck ist unbelegt.
1155. Man folge Grein.
1185. cupen 'haberent'; vgl. Gen. 357.
1266. ^«/«wa gehört zu synne, ist aber von tu fela <itol-
earfoda attrahiert.
1273. I. earfede.
1301. 1. on pd.
1302. 1. healodceda, denn der plural wird hier gefordert
und s^scomian regiert einen genetiv.
1308. he i. e. se scrift; hi^ced 'nachgeht' kommt sonst nur
vor in Öone cecer he^dn (Toller), plantan, impan hegan C. past.
381, 17.
1313. £"«7« U.S.W. Interpungiert man wie Assmann, dann
bedeutet pcer hier 'utinam', wie El. 979. Jul. 570 und 8eel. 141
(vgl. got. ij) tcissedeis tl tyvmq Luc. 19, 42). Aber dann nuiss
ivüle V. 1318 in scyle geändert werden: sonst wäre pdir hypo-
thetisch zu fassen, nach m^eponcas komma zu setzen und würde
V. l;U7 in i)rosa lauten: pcet biÖ iinäsecsendlic. Aber Assmanns
text bietet (mit ausnähme von ivilli') wol hier das richtige,
wie auch c(dd wahrscheinlich macht.
1320. forJ adolian. Lächerlich: weder ein apolian 'to
endure' noch ein ahd. 'adaljan' hilft uns hiei- aus der not;
fot() ist Jen) (vgl. v. 1361 und Kä. 74,5) und adolian, das man-
chem den köpf irre machte, hat selbst den köpf verloren und
Ueiträge zur ijeschiclitu der cleutsclieii apritche. XXIII. g
114 COSTJN
ist verstümmelt aus staöolian: ferö st. ist bekannt genug-. Aber
vor ferö komma!
1321. Jnvmn zweisilbig, prean einsilbig- ist merkwürdig.
1323. pc her lifes sij. Vgl. Beda-Miller 4G2, 7 (v. 20) ]>(et
he lifes wces. Später hc lifon heon Thorpe An. - 112; mehr bei-
spiele bei Toller.
1348. hivonne gehört zu searo.
1361. ford ist ferö, vgl. oben v. 1320.
1429. Der punkt hinter wonn, also Nms ('es war nicht')
neuer satz, macht den vers fast unverständlich. Aendere den
punkt in komma und lies , nees me for mode 'und nicht meinet-
wegen aus Übermut'; vgl. v. 1442 ie ]>cel scir for de purh ea(J-
medu call gepolade.
1436. Ein anwldta citiert Toller 1.46 aus Leechd. 1, 356;
es kann dem Zusammenhang nach nur «-loser acc. plur. sein.
Einen nom. sg. and{w)laia 'antlitz' nach dem Liber scint. hier
anzunehmen hilft nichts.
1444. heurdeunde ändere man in liearmetvide.
1483. ft'de synnc muss acc. plur sein, regiert von ]mrh\
also lese man frrenlusta.
1506. ceshivces v. 1505 steht nicht attributiv; also hinter
hyse komma.
1563. 1. fyrcna äfylled = firenfidl.
1584. Wie sonst leoht = ivortdd, hi hier tvoridd = leoht;
dajmm steht scinan.
1593. 1. weorjjüö.
1601. htvcet gehört zum folgenden vers und leitet den von
giman abhängigen indirecten fi-agesatz ein; auf man muss ein
verbum wie fremmaö (döaö?) folgen.
1607 b. 1. synna tö wrace, vgl. 1602 und 1623.
1632. äbidan ist 'bleiben', folglich hinter sinnehte komma.
Das verbum ist nie transitiv.
1653. 1. entweder ende oder mit Sievers (dem wol Mu-
spilli 14 li}) äno töd vorschwebte) deacfe. Lif htitan ended(e^e,
das einem sofort einfällt, ist metrisch verwerflich und wird
nicht gestützt durch die zweite vershälfte in 1654. 1655. 1656.
1657. 1658. 1659.
1665. Hier endet der domdceses abschnitt, der v. 779 ein-
geleitet mit V. 868 anhebt. Was folgt ist ein selbständiges
ANGLOSAXONICA. 115
stück Über das Schicksal der frommen seele, welche die irdische
herrliclikeit, ])ds eorJ)cm ivijnnc, verlässt: dass dieser ausdruck
nach dem weltbrande sinnlos ist, leuchtet ein: die begnadigten
am letzten tage werden en masse selig (v. 1635): hier wird
nur eine fromme seele von ihrem Schutzengel himmehvärts
gefühi't. In der Schilderung der himmlischen wonne stimmen
beide stücke überein : vgl. v. 1640 Imd is se ejjel und v. 1683
Öcet sind pd ^etimhrn. Lächerlich scheint es mir, ein umfang-
reiches gedieht Cj'newulfs v. 1694 mit einem fragezeichen en-
digen zu lassen; ganz verwerflich ist Gollancz' meinung, dass
der Guj^lac v. 1666 anfängt, statt mit dem feierlichen Mani^e
sinäon, wie der Heleand mit manega iräron und der Pantlier
mit demselben verse.
1674. tidfara. Vielleicht tida fara{n), oder, weil ti{^)da
c. gen. construiert "\nrd: tida fare; aber to Jidm hdlsan hdm
passt besser bei einem Infinitiv.
1682 und 1685. Cynin^a cynin^ ohne ealra als erster halb-
vers und liuseh während die besserungen in den fussnoten
paradieren, charakterisieren diese ausgäbe. Ich hebe hervor,
dass die lesart hu sei von mir schon längst vor Gollancz vor-
geschlagen ist. Dietrichs "abendmals Jugend' widerspricht nicht
nur dem nietrum!
GiiHac.
1. Derselbe vers Panther 1.
2. Die einleitung bietet viele Schwierigkeiten. Hddas
übersetzt Grein mit 'stände', interpretiert es aber im glossar
mit 'personae': es wird hier aber wol 'geistliche orden' be-
deuten (vgl. V. 31); dann aber ist pd ])e ot und mcht pd pe
in ev oig; auch braucht man dann nicht ärisad in äriseÖ zu
ändern. Ich glaube dass der satz bloss diesen sinn hat: 'es
gibt auf erden viele orden welche ein heiliges leben führen',
und verweise auf v. 462. Vielleicht verstehe ich den dichter
liier nicht; jedenfalls bleibt mir der sinn von v. 5 dunkel.
Audi die s'^^i^'^i tida v. 7 contrastieren merkwürdig mit v. 20
ofer pd nipas pje ive nü drto^ad.
19. he = heo.
22, he, i. e. der dryhten, welcher erst v. 25 genannt A\'ird!
75. sceolde, 'it is said' Gollancz. Besser 'sollte', nämlich
1 16 COSIJN
durch weltliclie gelüste {ivonddc ivynnum) dazu gebracht. Die
ags. prosa lautet s. 12 lui ^emimde he ])d stransan dmJa J)dra
unmanna (lies nmianna 'priscorum heroum') etc.
81. fri'cnessa fcla 'viele gefährliche abenteuer'; vgl. v. 99
Jmrli nepinsc.
132. pröivere ist, wie martyrc, nicht im strengsten sinne
'blutzeuge', sondern im sinne von v. 443 und 485 'confessor'.
140. ])('san i. e. Jx'oscm 'servire'; nebenform peoivan: peo-
ivad V. 62, ]>cou-de v. 712. Aber v. 432 widerum pi^ad, was
freilich auch als Jyüiud gedeutet werden kann. Sonst erscheint
nur öcoivian, ganz regelmässig nach der ö-klasse: alles reste
der dritten klasse von Sievers (got. -Jnwan nur transitiv).
149b. Melleicht bloss ausgefallen ivcddendes tdcn; Grein
vermutet ])d he traldendes hcacen. Es ist natürlich Cristes
rode tdcn hier gemeint,
154b. 1. eac dryhtnc cennaö 'nächst gott'.
158. 1. (Bfcestne.
206. Man lese doch deadyeddl nach v. 936 'scheidung
durch den tod' oder ein tautologisches compositum; deaöa als
gen. sg., rest eines ?/- Stammes, begegnet uns nirgends und der
gen. plur ist unsinnig: auch würde dies gerade das gegenteil
ausdrücken.
239. in ^elhnpe. Vgl. C. past. 39, 14 for his gelimpe 'lor
his success, prosperit}-' und Saints 16, 251 äsöer ^c on ^elimjye
se on imselimpe. Das glück macht übermütig.
271. ividor. Vgl. Beitr. 10, 453 und Beow. 1340 {feor).
279. earda; lies doch earfoda mit Grein oder earmda nach 418.
288. sealdun, vgl. C. past. 342, 15 seid im. Es bedeutet hier
wie an. sjaldan Y9I. 30, 3 'niemals'.
294. siva modgade erinnert an swa healdode Beow. 2178,
322. wercdon i. e. tvearedon, waredon.
342. und ])ds Icencm sesceaft, zu der auch mein körper ge-
hört; vgl. V. 344 stva peos eorde und 352. Was Gollancz sagen
mll, verstehe ich nicht: 'in face of all this frail creation'l
Gedcelan tvid ist 'trennen von'.
345. fyres tvylme; vgl. öd sona tefter Jion he geseah eall
his hus mid fyre äfylled, aber erst in dem sechsten capitel der
ags. prosa (s. 42), während die cap. 5 geschilderten quälen in
unserm gedichte erst v. 383 folgen.
ANGLOSAXONICA. 117
348. scirurn forsccan auch El. 933. Für cg statt 6 vgl.
hisäce V. 188.
353. ])(er he fcegran. Aber solche vershälfteii mit allite-
ration in der vierten hebimg (s. Sievers' Metrik ^ § 19,2) sind
selten und — verdächtig: A'gl. Eä. 4, 3(3 und 56,14. Greins
fcegerran (vgl. v. 720b htvylc wces fde^erra) bringt alles ins
reine: der himmel wird pisses heor^es seile entgegengestellt.
362. ivoÖ operne taugt nicht, weil ivöÖ weiblich ist; also
muss ne zum folgenden vers gezogen werden: iie lythivön, vgl.
cordre ne hjtle Crist 578. Gollancz ergänzt pcer nach oper,
wol richtig. Lcodode ist also acht und die erste vershälfte
ein D-typus mit eingangssenkung (vgl. v. 197 a). S. weiter
Sievers, Beitr. 10, 304.
382. cC- pcet friö ist in ac pcet ferd zu ändern und hjfde
bis mosten einzuklammern. Vgl. 407 und 412.
430. Ich verstehe hier weder Grein noch Gollancz und
wage es dies niyrcels (= tcicn 'zeichen' Blickl. hom. 87, 16) auf
die tonsur zu beziehen, die das zeichen des edlen freien mannes,
das wallende haupthaar. entfernt hat. Also deute ich J)e
V. 429 -dhpy (vgl. v. 472) und fasse den folgenden vers (431) so
auf: 'mit diesem äussern leben manche welche jedoch sündigen'.
446. ealdfeonda, füge hinzu fela.
449. forscddene. Die bedeutungen der (\ past. 134, 16 und
469, 11 passen hier nicht. 'Abgeschieden' von der himmlischen
Seligkeit?
471. cetivist ist hier 'wesen'.
481. ^estahmi nicht 'in tlieft', denn die teufel haben nichts
zu stehlen, sondern mit Grein 'in hinterhalten ", vgl. v. 1113
und 505.
483. Paläograi)hisch möglich wäre me{c)ponne scildep, scüfit
scinn on ivej, aber unglaublich.
577. peanum <(• ^epaHcum findet man Gen. 2413. Thorpes
gejjeahtum empfiehlt sich weniger als ,«r^7'^^'''^''''^'; denn 'consiliis'
ist hier weniger passend als 'cogitationibus'.
585. h'oht, sonst 'weit', bezeichnet hier den himmel, wie
Crist V. 1464 und in lifes leohff'nona \. fiSl, wenn dies nicht
eine tautologie ist, da Iro/it auch mit Uf synonym ist.
586. Vielleicht on dmÖe oder deaö i. e. sdnie dniö, wie
V. 607.
118 COSIJN
580. 1. hehban: Jierenisse hebhan ist Inf hebban.
592. 1. lofian, parallel mit weorjyian im vorigen verse.
596. lege bisencte (vgl. flöde b. Crist 1169) sc. mjjwtsusl,
vgl. V. 639.
622. )mne, wol mirce 'schwarze', vgl. stvearfe v. 597 und 623.
Vgl. V. 881, wo statt minne ebenfalls mirce zu lesen ist. Auch
die Aetliiopier heissen ealmyrce. Endlich vergleiche man Andr.
1315 und Ps. 120, 6 {minne 1. mirce?).
643. Die einfachste besserung ist wcergnysse.
656. dugtiö &• drohtad i. e. ärohtaÖ on wuldre. Weder
Grein noch Gollancz stimme ich bei.
664. oferm(ec,^a muss bis auf weiteres stehen bleiben,
aber die Vermutung drängt sich auf, dass ofermmsne das ur-
sprüngliche ist. Wenigstens vermisst man hier ungern eine
adverbiale bestimmung bei sprcee, als gegenstück von dceshluttre
bei scdn.
683. 1. fore cefestum metri causa.
706. Ich lese monigra mckgirliia mcagliim reordum freo-
fugla tüddor, dahinter komma. Es muss ein fehler vorliegen ;
die erklärung Hiere von mancherlei aussehen' ist gewis falsch:
es sind hier nur vögel (vgl. auch v. 888) gemeint und der copist
hat den nom. eingesetzt um ein subject zu bletsadon zu schaffen.
708. (kte. Man muss Bugge recht geben, wenn er aus an. dt
(Beitr. 12, 108) auf das sächliche geschlecht des ags. Wortes
schliesst. Für das männliche kenne ich keinen beleg, und das
fem. ninnnt man nur hier und Dan. 506 an. Vgl. aber Ps. 103, 25
liefe sjfddan him bismere brdde healdan, wo die nämliche con-
struction von healdan vorliegt, so dass nichts uns nötigt an
unsrer stelle einen andern casus als den instrumental sg. an-
zunehmen.
713. tu ivddrum (so zu lesen), also mit Inbegriff der vögel,
welche Dan. 513 den andern tieren entgegengesetzt sind.
716. ^ear, das neue jähr, also den frühling.
781a. Vgl. Beow.1758.
791. Hier fängt Guplac II an. Warum keine neue ab-
teilung? Man vgl. besonders v. 706 und 888 ff. Die beiden
stücke behandeln die leiden, wunder und taten des heiligen G.,
hier wird aber der tod ausfühilich geschildert.
807. (eldd ist hier ^= ^Ido, gen. sg. von eld "senectus";
ANGLOS AXONICA. 119
llldc fid 'senectus" liest man Ps. 70. 8. \\'as sicli (iieiii und
(Tollancz in ihren Übersetzungen bei dieser stelle gedacht haben,
ist nur nicht recht deutlich.
808. fcerestan ist jedenfalls als spätere ws. form der be-
achtung- wert. Durch das anfgeben der cursiven buchstaben,
welche bei Wülkei- die abAveichungen von der handschriftlichen
lesung getreu angeben, erschwert Assmann die lectiire dem
kritischen leser.
824. üd^enge. Das nämliche wort, aber verstümmelt,
Blickl. hom. 185, 14.
832. synwrcece fasse ich auf als shiwrcece 'ewige strafe'.
Ich construiere: sodscylcl^e ma^^d A' mcec^as sceoldon sipjmn
purh gce.stscddl on^ijldun (leiden) gyrn pcere symvrcecc morjyres
(den schmerz der fortwährenden strafe für ihre sünde); deoiwa
fircna = morJ)res.
845. J)(er Jii, oi? Yg\. pcer Rä. 5, 9: se — pcer, is qiii; auch
Gen. 2837? aber das bezweifle ich doch, weil ^cer sonst
nur nach sc pe {sc pe ])a'i\ oc,: vgl. Cnra i)ast. 75, 13. 425,22),
nach Jxer {pcer Jjcer, Juer par 'ubi" C. past. 220,24. Boeth.-Fox
56,11. .Elfr. Hom, 1, 86, 21 u.s.w., wie pdpd 'qunm') und sivä
{sivä der Ps. 36, 19) stellt. Also lese ich v. 845 pe hi.
859. of sidivegum (nicht mit ö\) auch El. 282.
895. Note. Grein hat in seinem glossar die 'Vermutung'
furdum zurückgenommen.
923. pä se lelmiht^a Ict his hond cutiian u.s.w. \gl. die
ags. prosa XX: he söna on^eat pcer him tvces godes hand to
sended (s. 78).
944. AVenn nur fylUui die bedeutung des afries. fella hätte!
Nach sceolde kein komma, wol nach cyme v. 945.
998. "Weder Ettmüllers 'ossium morbus' noch 'erysipelas'
sind hier am platz.
1007. pces ist hier Zeitbestimmung und sivice sdivlgeddUs
bedeutet hier das ausbleiben des todes; also nach sivice kein
konuna. Vgl. Öces ymh h'ftcl fwc, dies oii merken, f'ul rade
dies etc.
1011. cm pisse . . . dces seripende ist instrumental, s. iSievers'
Gr.2 § 2;'.7 anm.2. § 305 und § 338 anm.3.
1015. siiii,sra\ vgl. Ph(tenix 024. (Vä. 2 und für die bedeu-
tung alid. ii(C(indli/( 'jucundis, dulcis' (iraff 1,608. Der acc.
120 COSIJN
bei folgian ist selten; ist Umher der lautgesetzliche dativ (statt
Icmher)'^
1030. \.ivce{n)säropan nach Jileordropan y. 1315? aber 1314
stellt tea^or ydum weol.
1045. sceolon 'die tenfeP, durch fdcnes frnmhearn v. 1044
vertreten, wie sonstwo.
1061. Auch fast wörtlich in Andr. 294 efne fö ]mm lande
Jjcer J)e liist myned tö ^esecanne. Ein drittes beispiel von nnjnian,
goi. ifiunan, -aida (also Sie versjo-, o«-klasse) in den Engl. stud.
18, 332, 7 menige in kentischer form. Das von Grein angesetzte
^emynian existiert nicht, weil die drei im Gloss. 1, 433 an-
geführten beispiele conjunctive von semunan sind.
1070. nihtrim, d. h. höchstens feoiver nilit (v. 1107) der
vorher v. 1008 und später 1114 genannten scofon niht. Also
bedeutet sicdmode nicht 'grew dark". sondern "wälzte sich":
vgl. mhd. siveimen 'sich schwingen', and. stveimen 'schweben',
an. sveima 'to soar'. Das compositum äsirdmian 'weichen,
schwinden' nur in der as. Genesis; äsivcenmn (et — , fram —
'weichen von, fortgehen' (abgewiesen werden) Blickl.hom.41,34.
Wulf stau 185,8 und 258,2; und Saints 17, 203 se sccocca sceall
äsivceman cet us. Endlich äsicwtnau = ponan htveorfan unten
V. 1326. Man hat das wort mis verstanden.
1075. onwald, weder 'potens' (Grein) noch 'omni])oteut'
(Gollancz), sondern 'princeps' wie Or. 254, 22 (C anwcaU(a) und
284, 20.
1121. univmne von umvene (nicht tiniven) 'hoffnungslos,
dem tode rettungslos nahe'. Vgl. Saints 6, 103 cft hc ^chceldc
on öörc stowe dnre ivydeivaii stmu ])e umvene öd ke^. Die
volle form umvene his lifes .Elfr. Hom. 2, 514. Also umvene
^= (feores) orwena.
1125. Vgl. Beitr. 21, 13 zu v. 848.
1127. Vgl. Wulf stau 214, 13 mid dcofles strceliim Ciiveccen,
wie 225, 5. Weiter unten v. 1260.
1153. on lon^ne tveg, vgl. up mine langlie vaert Reinaert
1, 2205 und on longne siÖ Phoenix 555.
1168. in penstercofan. Ebenso El. 833; also nicht ^ on
])d ])rüh der prosa, sondern = in sondhofe "im grabe'. Aehn-
lich heolstorcofa Phoenix 49.
1214. On ]jone cefteran verbinde man nicht, wie (jrein,
ANGLOSAXONICA, 121
mit dnsdd, weil seid neutriim ist. Auch (jollaiicz übersetzt
Hills second hermitag-e', aber davon ist nichts bekannt. Die
prosa s. 86 beweist dass das alles falsch ist: Jan (pftcran ^c<ire
])e ic J)is Westen eardode: also gehören on J)one cefteran und
seargemearces zusammen: man erinnere sich dass ^t'a/- auch
männlich ist.
1305. ofer hur^scdo, bei der Seereise! und das gcldwstcd
V. 1307! curios!
1313. kirn, dativ bei ^cmonian wie C. ])ast. 370. 1 1. Aber
an beiden stellen sind wol Schreibfehler anzunehmen.
1320b. Vgl. Crist 623. Beow. 1424. Auch v. 1323a und
1333 erinnern an den Reowulf.
Phoenix.
4. nis niongum "ist nicht manchem' (Grein). Unrichtig:
litotes für "ist keinem". Die herrliche gegend denkt sich der
dichter mit anschluss an Lactantius v. 15 — 20 bewohnt, vgl.
^■. 1 1 i'ad^um und v. 50 — 60.
25. Tgl. Beitr. 10, 502. Aber 6 (oo) gibt keinen genügenden
sinn: ower ist hier das passende Avort; vielleicht bedeutet Jdeo-
)i(id hier 'senkt sich'.
47. hideä, wie seomad v. 19. Vgl. Altsächs. Gen. 323.
62. hjfte ^ehi/ssad i. e. uinde ^efijscd. Lyft 'wind" auch
Crist 991 imd Rä. 11, 9.
72. nu — 6, 1. ne — o.
77. ofett 1. ofete (vorlag-e: ofeti). Falsch Grein, Gloss. 1, 412.
Das kduima imch gehladene ist zu streichen.
103. ofer suhle s<B, nach der altgermanischeii Vorstellung
(Vgl. auch V. 115), aber hier der läge des berglandes nicht ent-
sprechend. \'gl. besonders Sievers, Anglia 1, 578 und El. 972.
121. se hasiva fi(scl, v. 153 Jidsnu^feJru] das ist der
Phoenix aber nur, wenn er widergeboren ist, in seiner erneuten
Jugend. Erwachsen ist er bunt genug (v. 291 — 313) und wird
mit einem pfau verglichen; bei Lactantius v. 74 heisst er ^nir-
2)11 n- US.
136. Tilge (bis komma hinter dt^m genitiv (/rsanan. Uebri-
gens ist Assmanns al)tt'ilung besser als die \o]\ mir Hcili. 21. 25
übernommene.
148. hisensa isl n-loser dativ.
122 cosiJN
151. püsende, 1. piisend nach dem niüle annos von Lac-
tantius y. 59. Vgl. weiter unten v. 364.
170. Die 'lieklen' sind hier die vögel, denen der Phoenix
entfloli.
179. hitres wiht, aber bei Lactantius ganz verständlich
nocens animal. Scyldum v. 180 kann nur auf ein icütt als
lebendiges 'wesen' sich beziehen. p]s niuss ein Verderbnis
vorliegen: ndn bitter tviht klingt aber zu fremdartig.
191. ])urh sßwittes ivylm 'durch witzes wallen' (Grein),
also durch feurigen instinct? Bright bringt auch nichts be-
friedigendes. Das steht aber fest, dass tqihu hier im eigent-
lichen sinne 'brand' bedeuten muss, denn nur durch Verbren-
nung erneut sich der Phoenix (bildlich se ivielm dws mödes
C. past. 1G8, 24). Also 'brand. durch seine Vernunft, d.h. ver-
nünftig, klug gestiftet'?
233. Man erwartet wscs gen. sg. zu scylle. Ein alter gen.
(Eueres A\'äre hier hochinteressant; vgl. lomher Guld. 1015. Alcede
ist hier intransitiv wie v. 251 (178).
240. hrmd = flcesc v. 259.
258. edniive möchte ich als instrum. auf flcksce beziehen.
266. feprum deal, v. 86 fejyrum stron^, v. 847 feprum stiel.
Deal ist aber synonym mit wlonc oder mödi^ und wol ein nur
halb verstandenes erbstück der agerm. poesie. Eine bedeutung
'schön, passend' taugt hier nicht: weder das dalidim des steines
von Tune noch nüid. y et eile beweisen etwas für die bedeutung
des ags. wortes.
284. In gottes namen komma hinter fbrjnjlmdel denn ascau
tö eacan gehört zu hdn gehrinj;e(}, vgl. v. 271. Nur ausnahms-
weise, wo es unerlässlich ist, führe ich interpunctionsfehler an.
Auch Grein verstand unsre stelle nicht.
301. gebyrd i. e. gf^'cynde; v. 360 in sexueller bedeutung.
302. stdne 'hj^acintho', das auch in der C. past. nicht über-
setzt ist.
304. biseted "eingesetzt'; der eine waffe zierende stein
erscheint als Imnden, searobunden (Rä. 21, 3 sivylce beorld seomad
ivir ynd) pone ircels'nii pc nie ircddcnd ^^eaf).
306. bre,sden als hra\sdcn \)Avt. perf. ])ass. von Inendem ist
unglaublich. Lies tn-o^sdcn: der copist Hess sich durch s/rylrc
täuschen und setzte einen conj. praes. ein.
ANGI;OSAXONirA. 123
322. siva i. e. öviiu f</ra, poiinc; vgl. v. Ü und Or. 116,27
In- . . . pdm tivdm dmlum hchaid. ,s7va hie fcohtmi un^nnncn,
J)wf hie u'id his fluten.
330. ofer nach dem conipaiativ auch Or. 34, 1 ^U'aivra ofer
hi ealle; C. past. 75, 3 J)a's hisrcj)es iveorc sceolon hion ofer
Odra monna iveorc sua miclc heteran siia etc.
331. Tiies doch ou ^tvr>v7»>» und vgl. Lactantius v. 151.
Auch V. 125? Feher ond i. e. on hat Sweet (C. past. s. 486 zu
277. 15) gehandelt.
343. icildnc vgl. 201. 466 und 520: er ist ein dnlni^a
(v. 87, 346).
364. nrnen 1. äurncn.
373. ed,seon,s icese]}\ \^\. cd^con,s wcsan \A^?>h. Ich kenne
bloss wcsaj) "erunf Blickl. hom. 153. 11.
300b. Vgl. 450b, Avas wol auf die anfechtung des teufeis
deutet.
512. 1. hi/)\s('inui>}i mit Beitr. 10.462.
581. pcer, zu allgemein gefasst. Lies ]>dr hiw.
613. Vgl. Rä. 44,'3.
624. ^eongra ■;yfena] s. oben zu (^ujd. 1015.
647. Eine andere deutung gibt .Elfric in seiner Gr. 70, 12
(Xa]der).
Julia na.
27. fyrini •Ungeduld", vgl. v. 40.
33. injrd 'wie sich die sache verhielt", 'factunr: nicht
•geschick".
44. ckhte 1. dhtr.
00. ijn'JmrorJt ist eine vox niliili: Jt/rcorh bildet keine coni-
püsita als zweites glied, und t/rc kann unniügli<:h i/rrc sein,
weil dies unmittelbar folgt. Bcpe zu vermuten liegt nahe, aber
erklärt die handschriftliche lesart nicht: ein zweiter hauptstab
W(d mit vocalischem anlaut wird gefordert.
01. 1. ^loidmode; denn wer yrre gebol;;en ist. kann nicht
^:hedmod heissen.
104. f'ce ('adlufüH wird mit moderner Sentimentalität durch
•ewigdauernde liebe", 'lasting luve' erklärt. Aber der vater
sucht nui' einen steiiiicichen. vninehmen eiihiiii: er (h-iikt nur
an (las "liebe geld".
126. Jtlii^rctdcn jitii^^u/is ( P>e(lii- .MiUer 17(', 23j bvn,
124 cosijN
welche man mittelst einer andern person an jemand richtet.
Grein erklärt es frei, aber sinng-emäss mit 'brautwerbung-'.
133. bi me Ufyendre; vgl. Schmid. flesetze he lifimdre pSre
bei lebzeiten derselben' ^thered 6, 5 § 1. Tilge das komma
hinter lif^endre.
160. in (Bringe, die lat. vita hat düiicido. Vgl. Mc. 1, 35
on (Bring, Eushw. on (Bringe 'dihiculo'.
190. Der lateinische text lautet (^ccc principium qunestlonis.
202. dohvülen, eig. ein adjectiv wie druncenwülen 'ebriosus'
C. past. 401, 29, hier aber substantiviertes neutrum.
204. 1. on J)<J ])d grimmestan etc.
255. 1. sigortifr, denn onsecgan ist transitiv.
302. 1. nedde und hiswdc, wie im vor. A'erse mit Sievers drys.
309. on Manne heam i. e. on gcdgan (v. 310); vgl. Schicks.
V. 16—22.
313. Bessere das nichtswürdige asmgan in äsccgan, wie
in der note angegeben ist.
352. Lies mit Sievers ea(Jfe nuBg (vgl. z. b. Rä. 56, 7) und
natürlich v. 353 gecyöan.
358. Glaubt Assmann wirklich an die existenz xowgeponcs?
467. ])% 1. pe, das relativum, womit es Grein auch übersetzt.
474. Ich übersetze 'so dass sich (dort) ihre letzte spur
zeigte', denn der hryne vernichtete sie. Gesyne ivoes oder ivcarp
steht absolut, wie Beowulf 2947 und 1403. Anders Grein.
479. Bessere mit Frucht (s. nachtrage und vgl. Eä. 34, 1)
Oßf'ter tv(Bge = cefter tvdsum.
482. Vgl. Heleand 4155 drorag sterhan.
492. peak k. Unsinn; 1. pe ic. Die vorläge hatte vielleicht
Pe ih (= pe ic), was zur Schreibung und einf ügung von ic ver-
anlasste.
505. Hinter sivu (v. 504) komma, denn niircast mdniveorcii
ist in dieser rührenden teiüelsbeichte apposition.
521. 7}mi. Nur drei beispiele (hivon in Greins (ilossar
2,252! iltfm'?
560. Dass Holthausens aufsatz IF. 4, 385 in diesem bände
nicht erwälmt wird, begreift sich leicht. Fr substituiert ircorc,
metrisch vortrefflich. Belegt ist nur nach hdiiÄ von einsilbigen
Worten bloss ward, und das passt hier recht gut, weil es sich
auf Julianas predigt bezieht.
AN(JI.0SAXONK"A. 12-^
')10. Jic'r, \'.l;1. Crist \'-'A'\ (»bcii iiihl l-",l. !'7".' iiih! äiidfrc
nic'lits! Vgl. meine Aaiiteekeniiif^vii dp den licnwulf v. ;!2.
Also meahie mit ;uisnifuii<iszeiclieu.
678. XXX. In dt^r note: Ettm. 7^^"'Y^/"ir. Merkwiiidif^t' Va-
riante! Vgl. Kä. 2;i. 1 'LX, VAXm. sixtis'\ 23,4 ^IIII. Kttm.
ftoicir' n.s. w.
Bi iiionna era'fliiiii.
7. 1. onfoan (Beitr. 10. 476). ^^as tiir das altei" unseres
gedichtes nicht indifferent ist. Man vergleiche weiter die
übereinstimnmngen mit dem Crist : ( ". (MVo scow, Crä. tosdutMJ 110;
C. Sänger imd redner 667. Crä. 35b, 36 und 41—43; ('. hartner
668. C'rä. 49; ('. schriftkenner 670. Crä. 94; C. Schreiber 672.
l'rä. 95b. 96; (\ kriegsmann ()74. (Yä. 39a. 40; C. schiffer 676.
Crä. 53b — 58; ('. gymnast 678. Crä. 82 — 84a; C. Waffenschmied
679. Crä. 61 — i)(S. Bloss der astronom Crist 671 und geograph
Crist 680b fehlen hier. Endlich vergleiche man Crist 684 Jif/
Id-s Itini .sielp scc])J)c mit Crä. 24 /;// Ices he for tvlnicc u.s.w.
18. c/y, ebenso C.past. 87, 11.
29. leopocneftas. Aber das erste beisjtiel dritte ist unglück-
lich gewählt, sonst sind die gliedermässig verteilten fähigkeiten
und künste ziemlich geschickt angefühlt.
61. 1. näpenprcecc -^ ivise tö ni/ttc.
65. Tilge das komma hinter rond und lies v. 66 ^efcÄcd.
Bi inaniia luode.
10. 1. sc jic li/ne ne Iceted.
25. 1. uHÄeniete, adv.
28. bod, aber Liber scint. (Rhodes) 152, 2 se pe hyne hoguö
*qui se jactat', wahrscheinlich eine falsche form aus hogian
(äI'^j) gebildet. Das wort ist auch nelfredisch, aber corrupt
überliefert: Boetli. 66, 29 (Cardale 102) for])dm he hine swa or-
.st'lli'rr upiÜKJf d'- höde (Cod. bodode) öies Jnet he uöwita ivcere.
■\x. ftäfe; vgl. Zs. fda. 31, 21 /We^e fedus (obscenus, tui pis).
55. 1. neds/Jnon; vgl. nedfaru OVJV.
63. beryfan, wol berffpftn, ^(>X.hii-ui(})jan, Saints3,444'spoliare'.
Hl iiianna wyrdiiin.
7. fciÄüJ in dci' bedeutung nou /^r/7< J befiemdet ; fn'o^siuT^
43. Man la.s.se jedenfalls as. üpenylan aus dem spiele; äptccim
126 cosiJN
ist mög-licli imd\])ccean 'consumere'. s. y.47. Beow. 3015. Plioeiiix
216 und 365.
55. dryhthealo nach folc-, ])eodhealo?
56. sylfcu'ola im sinne von selfhona ßioihavaroQ ersclieint
in Log-enians New Aldhelni glosses, Anglia 18, 33 no. 142. Hier
begegnet ein sijlfctcalu 'selbsmord'; für nemnan tö s.Boeth. 120.21
und Ps. 67, 4.
63. Nach AeZ/ertZJaw ausrufungszeichen.
73. soldsimj) ist an. fjullsmid 'goldschmiedkunst'. Bedeutet
liier Äeanvad 'beschenkt' (s. Grein, Gloss. unter ^e^^earwian),
so lese man sunt: sunmm ist dann wol durch sunie böceras
beeinflusst.
90. dcedum sc. liis frean'^
93b. 1. iveoroda nervend und vgl. folca ne)\send Crist 420.
Wunder der scliöpfiiiig.
69. \. ou hra{h)J)e? onheapo 'in mare' (Beitr. 21, 10) taugt
hier, auch aus metrischen gründen, nicht und on lieape ist
sinnlos.
77. spcd 'power' Blickl. hom. 179, 9.
Walfisch.
— Vgl. Zs. fda. 9, 422 a halenam, ran, diaholum.
8. hreofum stdne, aber steine, sind weder schorfig noch
lepros. Lies hreowum.
10. sceryric wird mit alid. rörahi 'arundinetum' verglichen.
Aber ein ags. rcor = got. raus existiert nicht, und von rcor
kann eine coUectivbildung auf -ic (vgl. nl. esterik von estere
'stoppen'; wenigstens nach Verdam, Tijdschr. 16, 8) nur rcoric
lauten. Dass au^ö zu eare ward, nicht zu core, liegt an der
Silbenteilung ca-re. Man erwartet hier eher eine bildung von
scewdr: die walfischbarten haben damit einige ähnlichkeit.
22. celed, und dann celeä, worauf Juded folgt, erregt den
verdacht, dass das zweite celc(} aus ivcalleö verdorben ist. Das
ist, wie ich hoffe, kein majestätsverbrechen gegen die unver-
letzbiire doppelte alliteration.
28. mid pä nöJMöJje 'mit der wagehalsigen schar'? Gewis
eine wagehalsige conjectur!
39. jeJnvylc, nein hwylc 'einer', nicht 'jeder'!
ANGLOSAXONICA. 127
40. (>)/ ]i/s lir/)i,sr. AlxT der waltiscli ist ficradc dein mit
einem sioinan hrins«' gezierten Phoenix ento'egeng-esetzt: 1. (»i
Ins liric^c: sie setzen sicli anf seinen rücken.
lli (loines du'ixe.
114. JMn intere.ssantes oticncötot ersclieint Anglia 2. ;?73
(vitn A\'ii]ker citiert): omnis innocans cnpit muliri, elipicndni
^ehuifJr ((•()](}(■ /)(i;f lii)i/ man onaccedc.
Höllenfalirf.
1. Jli»! ist felilei'haft; es sullte Jrir sein, weil \krwan
transitiv ist. Vielleicht aber rührt es wirklich vom dichter
her. der bei glerurm tö ^on^c an ^on,s(in dachte: denn on^itnnon
him son^an ist correct.
2. Cremers nnd 'i'rautmans dentnng- ist gekünstelt (s. Anglia
19, 15V>); das siibject von icisfon nuiss a'])eJcunde ?;we<s J sein (vgl.
auch V. 16 a). Nach ^iiniena ^emöt ist wol ein ganzer vers aus-
gefallen — oder Äoiiof ist verdorben.
0. Kichtig bessert man reonge; vgl. auch El. 1088. wo es
mit ri'otdii verbunden ist. Acölad andre man nicht in das
sinnlose ^eddad: die lagerstätte 'das bett' des toten war dcohid
wie das llc selbst (Seel. 125).
17. HC bedeutet in nicht -westsächsischen stücken auch
'denn'. Vg:l. Rä. 6, 7 u. s.w. Passim im Beowulf.
22. mwÄcnJjrynnne? doch vgl. 74b.
35. forhy^an 'niederwerfen', denn hysan ist hier das cau-
sativ von hu^an 'fallen'.
»51. So g-eraten metrisch falsche ergänzungen in den text.
Vgl. weiter Anglia 19, 163 und IF. 4, 384.
69. 1. dre ^ehjfad, vgl. v. 114 und Beowulf 1272.
71. cnd. Wer an end g-laubt, kann darüber auch Scherer,
ZGdDS.105 (erste ausgäbe) nachlesen: seine berufung auf Otfrid
5,8,55 taujgt nicht, weil dort onti 'lebensende' bedeutet.
105. nalcs. Die ergänzung ist falsch; Sievers, der auch
v. 78 .snottor gebessert hat, warnte uns davor. Lies, ohne er-
gänzung. wddcs i.e. noldes statt mdes, denn nur ein A-tyjius
ist hier brauchbar.
106. mosfan, 1. nc »lostait und v. 115 iptdtfotin und trenne
V. 124 iiitdi und stondnö.
128 cosiJN
135. gä Johannis d. li. 'du und ieli, Johannes'. Warum
darf der Sprecher sicli selbst nicht nennen?
Rsitsel.
11,10. höhne, nein helme:. heim heisst die 'corona' eines
baumes.
n, 11. 1. ivrecen.
IIL 4. 1. famose Kcalcan. Also doch wider ein beispiel dieses
seltsamen Wortes; vgl. Beitr. 21, 19 zu Andr. 1524. Für fdmis
vgl. Rä. 4, 19.
lY, 5. Vielleicht hdiste {on enge) = Jmrh hcest Rä. 16, 28.
Wenn wir einen alemannischen text vor uns hätten, würde heorö
einen trefflichen sinn geben; lies aber jetzt heard.
IV, 41. sceo 1. sceor und vgl. Andr. 512.
IV, 62 a. Vgl. Panther 7?
IX, 8. 1. sittad suigende.
IX, 9. Der sceaivend ist der sceawere 'scurra' Wr.-Wü. 519, 3;
die sciercnige ist in sciernicge zu ändern: scericge 'mima' Shrine
140, scearecge hje.
X, 4. Nicht nur die interpunction, sondern auch die rich-
tige t rennung der worte ändert oft den sinn. Man lese tvel
hold megc iveduni ]>eccan; der vogel welcher den kukuk ver-
sorgt, ist dessen mege, denn beide gehören zum fugolcynne:
nur ihm gesibh ist er nicht (v. 8), weil er eben kein kukuk
ist. Vgl. dnre mugan Rä. 44, 14.
X, 6. 1. sue drlice (cod. snearlice).
X, 10. Hs. ividdor, im text ividor, aber Rä. 61, 17 hs. und
text beide ividdor. Ebenso bleiben bisweilen nach der laune
des herausgebers anglische e ungeändert, dann wider liest man
ein de im texte, während die fussnote das ursprüngliche 6 ent-
hält. Varietas delectat.
XII, 6. mödc hestolene, vgl. Gen. 1579 ferhöe forstolen.
XII, 9. hringeö 1. lirmgeö. llorda deorast ist die sonne.
XIII, 11. deorcum nihtuni, opp. fcegre. Vgl. fegre 'diluculo'
Luc. 24, 1 Rushw.
XIV, 1. ecdra 'im ganzen'; die i-aufe hat also 6 + 4 füsse.
XIV, 6. 1. 7ie siö jnj sdrra.
XVI, 4. 1. her sivylce suge.
XVL 11. h'im, -Axd geosndenösle bezogen? Sonst wäre die
ANGLOSAXONICA. 129
flucht des dachses ganz iiuniotiviert: erst später fühlt er sich
sicher.
XVI, 15. Entweder liine hreost henid — oder etwas anderes;
keinesfalls was der text bietet.
XVl, 24. Die in den text g-esetzte besserung sif se ist
vortrefflich und ,sifre metrisch falsch. Der alte Thorpe hatte
bisweilen vortreffliche gedanken. Hinter seceß v. 25 komma.
XVIII, 11. Zwischen men und ^emunan fehlt ein wort,
z. b. off oder ]xe(.
XX, 5. )d(l ist der runenname, der mit de und ^/fu den
gar bezeichnet.
XX, 6. eh und u-i/un kfinnen, wenn ein B-tj^pus vorliegt,
stehen bleiben: die alliteration lulit dann, wie mehrfach in
den rätseln, auf der zweiten hebung. Aber besser scheint mir
die Umstellung in ivynneh, weil damit (h\s ross bezeichnet wird,
der ivkUust fcrede etc.
XXII. 3. hdr holtes fcond, eine vortreffliche kenning für
das eisen, das in der form eines heiles den bäum anfeindet;
hier bezeichnet sie das pflugeisen.
XXII, 4. Weder Sievers' on ivöh, noch seine besserungen
24.9 dror: 29.12 hycson; 40,22 secscin u.s. w. finden wir auf-
genommen; überhaupt sind keine seiner grammatischen und
metrischen entdeckungen benutzt. Auch ein System!
XXII, 5. Natürlich ]nXh)e^ wie 13, 8 und hjhed (teheiS) 35, 4.
63, 6, wie 7je(o)/<e 45^ 1.
XXII, 15. hindeweardrc. Genau nimmt der dichter das
geschlecht des zu ratenden gegenständes (hier Öcßve sylh) in
acht. Abweichungen sind verdächtig; lies darum 24, 7 Zewöm;
25, 7 bezieht sich aber glado nicht direct auf den higoran,
sondern auf tviht von 'S'. 1.
XXV, 9. Vor oder nach hcegl d- is fehlt ein stab; vgl. auch
Runenverse 20,5 a und 65,2 a. wo d- einzufügen ist.
XXX, 5. Walde scheint im ags. nicht zu existieren: wir
finden es hier in wolde 'gebessert'! Auch 49.1 und 50,11 wie
51.4 wird f'er in for geändert!
XXXII, 4, 1. nöhwcedre statt no; vgl. v. 8.
XXXIV. 7. ]\[an erwartet onbond nach Beow. 501.
XXXV1I.9. 1. foldaesa.s.
XL1I1.7. bre -buchstaben', wie Dan. 735 (Beitr. 20, 115)?
Huitiutji.- zur yeHcliicIite der deutaulieu apraclie. XXlil. 9
130 COSIJN. ANGr.dSAXONICA.
Aber der sclireiber selirieb den text seiner rätsei gewis nicht
in rnnen, nur die zu erratenden Avörter.
XLIV, 4. 1. yldo ne ddl ,x:if Mm drlicc und v. 5 emc Jx'nai)
sc ])€ he d^an sceal Die eingeschalteten halbverse tilge man.
Se ])€ = ])one ])e.
LH. 4. 1. //rV),s' i. e. flea^ an lyfte, wie "Rä. 74. 3 lehrt. Yoi'
^(■o,s Semikolon.
LIII, 6. Die Wealas heissen stvearte, wie die Wale 13.8
tvonfeax. Lies also hier u'onf{e)ahs.
LYI. 15. 1. onmede 'sich vermesse'. Vgl. onn/cdltt und
geamnettan im Orosius.
LVIII. 3. röwe statt röfe? Vgl. C. past. 71. 10.
LX, 14. 1. un^efidlodrd, gen. plur.
LXXIV, 5. 1. ferd r.ivieu; vgl. feorh nciro ll.() und 14.3;
endlich Crist 1320 forä -^^ ferd.
LEIDEN, 12. juli 1897. P. J. OOSLJN.
DIE DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMM-
SILBENVOCALE IN DEN VOLKSMUNDARTEN
DES 11()(11DEUTS(^HEN SPRACHGEMETS AUF
GRUND DER VORHANDENEN DIALEKT-
LITERATUR.
Einleitung.
Die untersucliungen über die frage nach der entsteliung-
und den grundlagen der nlid. scliriftspraclie erstrecken sicli
natürlicher weise auch auf die in ihr geltenden quantitäts-
vei'liältnisse der stamuisilbenvocale. Eine der wichtigsten
hierlier gehörigen fragen ist nun die, festzustellen, auf welcher
mundart oder welchen niundarten die quantitäten des nhd.
beruhen. Ausser der grundlegenden arbeit Pauls, Yocaldehnung
und vocalkürzung 9, 101 ff. befasst sich K. v. Bahder mit dem
einen teile dieser frage: der erhaltung der vocalkürzen in
seinen Grundlagen des nhd. lautsystems, Strassburg 1890, 85 ff.
Die frage ist aber erst dann vollständig zu lösen, wenn wir
uns über die quantitätsverhältnisse der hochdeutschen dialekte
ausreichend zu unterrichten vermögen. Bis jetzt hat es jedoch
an einer zusammenfassenden darstellung gefehlt; nur für ein-
zelne grössere gebiete haben wir die notwendigen, nachweise,
am vollständigsten für das schwäbische in H. Fischers Geo-
graphie der Schwab, ma., l'übingen 1895. Einige zusammen-
fassende bemerkungen gibt Behaghel in seiner Gesch. d. d. spr.
§ 22 (Pauls Grundr. 1. 558).
Meine arbeit will nun versuchen, das material in dieser
hinsieht aus der vorliegenden dialektliteratur zu sammeln, und
zwar soll ausschliesslich festgestellt werden, in welchem um-
fange die mild, kurzen stammsilbenvocale in den einzelnen
dialekten gedehnt worden sind. Dies unternehmen scheint auf
132 RITZE KT
den ersten blick nicht allzn scliwierig. und wäre es auch uicht.
wenn unsere dialektliteratur in dieser beziehung- ausgiebiger
wäre. Jedocli lassen uns die meisten dialektai'beiten hier im
Stiche; nur wenige, darunter einige schweizerische, geben in
zusammenfassenden gesetzen vollständigen aufscliluss. Dazu
kommt, dass erst die neueren, nach Pauls aufsatz erschienenen
arbeiten mehr unsei- thenia berücksichtigen; abei- auch von
diesen stellen nur w'enige die dehnungserscheinungen zusammen-
hängend dar (vgl. die recensionen im TJt.-bl., im Anz. fda. etc.).
So ist mir nichts anderes übrig geblieben, als zunächst selbst
die dehnungsgesetze für die untermundarten — soweit sie lite-
rarisch behandelt sind — zu construieren. Zieht man aber
einerseits die mangelhafte phonetische Schreibweise, besonders
älterer erscheinungen, und andererseits die vielfach spärliche
und gleichgiltige auswahl der beispiele in betracht, so ist gewis
ersichtlich, dass das vordringen zu einigernmssen reinlichen
resultaten nicht immer einfach Avar. Ich kann indessen die
Versicherung geben, dass ich alles was sich mir auch hinsicht-
lich meines themas geboten hat, gewissenhaft geprüft habe.
^Ian(;hes, z. t. solches das ich erst auf umwegen erhalten hatte,
nmsste ich ohne gewinn wider aus der band legen: für man-
chen dialekt wäre es mir liebei- gewesen, wenn die (juellen
reichlicher geflossen wären.
Wie sich aus den unten mitgeteilten quellen ergibt, habe
ich auch dialektwr)rterbücher und -dichtungen benützt, aller-
dings nur solche, deren Schreibweise zweifellosen aufscliluss
geben konnte. Die zahl dieser ist freilich nicht gross: einige
haben mir aber gute dienste getan. ]\ranchnial habe ich zu
Firmenichs Germaniens Völkerstimmen gegriffen, und zA\'ar
besonders dann, wenn ich über den einen oder anderen punkt
einer dialektarbeit zweifei liegen musste. Grossen nutzen
haben mir F. Wredes berichte über G. Wenkers Sprachatlas
im Anz.fda.18ff. gewährt; icli habe sie treulich benützt, nament-
lich zur bestimmung der geographischen ausbreitung mancher
einzelheiten.
Was speciell das rheinfi'änkische betrifft, so habe ich auch
meine eigenen Sammlungen, die sich auf mehrere orte beziehen,
verwertet; anders hätte ich manche erscheinung dieses dialekts
nicht genügend erörtern können (ich verweise auf die erhaltung
DEHNUNG DTAl MIID. KTKZEN STAMMSILBENVOCALE. 1?)0
der kürze vor /. die dehniing vor y, n + dental), zumal ausser
einer abliaudlung- über eine rlieinfr.-ostfi\ mischmundart nicht
eine einzige iler hierher gelifirigen . übrigens wenigen litera-
rischen erscheinungen diegesetze über vocaldelmung zusammen-
hängend l)ehandelt. Letzteres gilt ancli vom niittelfränkischen.
tlie arbeit von Rabies über die Birkent'eldei' ma. abgerechnet:
doch sind hier die arbeiten an zalil reidier.
Bei der grossen Verschiedenheit unserer dialektliteratur
an innerem werte konnte es nicht ausbleiben, dass mir viele
Unrichtigkeiten und schiefe anfstellungeu begegnet sind : w(dlte
ich jede derselben beleuchten und richtig stellen, so würde
meine arbeit zu sehi' iu die breite geraten. Ich beschränk*^
mich deshalb lediglich (hiraut. die tatsachen zusammenzustellen.
Nur an wenigen stellen weiche ich hieivon ab. namentlich
dann, wenn es neuere arbeiten betrit'i't.
AVo ich dazu in den stand gesetzt bin. gebe ich für meine
aufstelhmgen die selten- (manchmal auch, und das ist (hmn
besonders bemerkt, die §-) zahl meiner quellen. Oft, sehr oft.
ist dies unmöglich: wo mir die literatur nur beispiele bot, aus
denen ich die gesetze zu abstrahieren hatte, musste ich von
diesem \'erfahren abstehen.
Für die gruppierung des Stoffes benütze ich die übliche
teiliing nach den hauptdialekten des hoclid. Sprachgebiets; hin-
sichtlich des thüringischen bin ich L. Hertel, des ostfränkischen,
obersächsischen und schlesischen C. Franke gefolgt. Die ergeb-
nisse rechtfertigen dies verfahren. Fs zeigt sich nämlich, dass,
wenn auch für das ganze hochd. Sprachgebiet mit ausnähme
des hochalenmnnischen das gesetz der dehnung der mlid. vocal-
kürzen vor einfacher consonanz giltigkeit hat, bestimmte aus-
imhnien vorkommen, deren ausbreitung mit der gewöhnlichen
dialektbegreiizung zusammenfällt: ebenso ist ein zweites
(Udmungsgesetz. die vocallängung in urs))rünglich einsilbigen
Avörtei-n. auf ganz bestimmte dialekte beschränkt; fernei' zeigt
die aller orten voi'kommende dehnung in folge c(msonantischer
ein Wirkung ganz bestimmte dialektische färbungen. Auch ihinu
wenn ich eine delmuugsei-scheinung nach der anderen als ganzes
zur darstellnng bi'ingen w(dlte. bliebe mir nichts anderes übiig.
als von dialekt zu dialekt zu waiuhMU. um die besou(b*ren
charakteristica zu zeichnen. .Manche eischeinung spottet tVeilich
134 RITZERT
der dialektischen begTenzimg: dies betrifft aber nur dinge ge-
ringeren umfang-s, einzellieiten. Freilich ist zu beachten, dass
die dehnung- der mhd. kürzen eine verhältnismässig junge er-
scheinung ist und es deshalb nicht ausbleiben kann, dass, 'da
die ursprünglichen stammesgrenzen in den wenigsten fällen
verkehrsgrenzen geblieben sind', an den grenzen benachbarter
dialekte ein beständiger kämpf der vocalquantitäten herscht
und die Vorposten des einen in die bezirke des andern dringen.
C. Franke besonders weist in Bayerns maa. 1, 20 auf die tat-
sache hin, Mass es übergangsmaa. gibt, die sich in annähernd
ebenso vielen punkten zu dem einen wie zu dem anderen
hauptdialekte stellen'.
Dass die stadtmaa. wie in anderen dingen so auch in der
behandlung der vocalquantität eine ausnähme von der reinen
ma. machen, bedarf nur des hinweises.
Ueberblicke ich das ganze mir zu geböte stehende material,
so kann ich mich selbstredend der erkenntnis nicht verschliessen,
dass es von allen selten her ergänzt und bereichert werden
kann. Das ist bei allen diesen arbeiten der fall. Jedoch
glaube ich, dass die ergebnisse im wesentlichen dieselben
bleiben werden. Dass manche einzellieiten auf grund völlig
ausreichenden materials genauer bestimmt werden können,
liegt auf der band. Dieses kann aber erst dann geschehen,
wenn die dialektarbeiten mehr als bisher ihr augenmerk auch
auf den quantitativen lautwandel und nicht — wie bis jetzt
so häufig — ausschliesslich oder doch fast ausschliesslich auf
die qualitativen lautverhältnisse richten und wenn ferner beide
reinlich getrennt behandelt werden, wie es in unseren besseren
dialektarbeiten geschehen ist.
Gerade auch in dieser beziehung dürfte es an der zeit
gewesen sein, dass die vorliegende arbeit gemacht wurde. Sie
könnte vielleicht manche Verfasser von dialektgrannnatiken
veranlassen, diesem gebiete mehr aufmei-ksamkeit zu widmen,
sei es zur berichtigung oder ergänzung des hier gebotenen.
Dies ist auch deshalb notwendig, weil die ({uantitäten in
den dialekten mehr und mehr dem schriftsprachliclien gebrauche
zu weichen beginnen. Diese erscheinung wird häufig con-
statiert. Anstatt vieler eitlere ich AA'olff, der in seinem Con-
sonantismus s. 77 sagt: -aus liuudtMi (aiiälcn dringen sitradi
DEHNUNG DER MIID. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 135
eiiiflÜ8se in manclier gestalt auf unsere niaa. ein und langsam
Iji'ck'kelt ein Stückchen von dem uralten bau nach dem andern
ab Grosser erfolge haben sich natürlich die für das nlid,
arbeitenden kräfte zu rühmen und ihre eroberung-en waclisen
von jähr zu jähr. Seine besten bnndesg-enossen hat das hoch-
deutsche von heute am katheder, an kanzel und presse.' Nament-
lich wird durch die gTündlichere allgemeine Schulbildung- der
phonetische sinn für kürze und läng-e der vocale g-estört; dazu
kommen die antorität der städte, die gesteigerte Industrie, der
regere liandel und verkehr, der bedeutende einfluss unseres
niilitärs. Auch H. Fischer erkennt in seiner Geogr. d. schwäb.
lua. vj 7 den einfluss der Schriftsprache an, will ihn aber
nicht in princii)iellen dingen gelten lassen; er sei nur auf den
Wortschatz beschränkt. Ich muss aber bekennen — und dies
wird von vielen forschern bestätigt — , dass hinsichtlich der
vocahiuantität die schriftsprachliche beeinflussnng doch weiter
geht. Häufig finde ich angegeben, dass das jüngere geschlecht
die mundartliche quantität nicht beachtet (beispiele uiiten).
Auch aus der ma. meiner heimat (Bischofsheim an der Main-
mündung) kann ich beispiele hiei'zu anführen und zwar aus
den letzten beiden decennien. So lächelt dort jetzt das heran-
wachsende geschleclit über die vocallänge in den worten rdt'aj
und satt, und doch w^ar sie vor zw^anzig jähren noch allgemein
gebräuchlich. — Am ehesten gleicht sich die quantität in der
lialbma., "dem compromiss zwischen Schriftsprache und ma.', aus,
und von da rückt die ausglei.chung in die ma. selbst. — Wenn
es so häufig scheint, als ob eine ma. eine regel nicht consequent
durchführe, so haben wir öfters die antorität der Schriftsprache
als vei-anlassung anzusehen, die löcher in die einheitlichen ge-
setze reisst.
An wenigen platzen ist unter bestinnnten Verhältnissen
die mild, kürze erst bis zur halblänge gedehnt: ich bemerke
dies unten besonders.
Tn den alleimeisten fällen sind in meinen quellen diphthonge
und lange vocale gleichgesetzt: vereinzelt kommen diphthonge
vor. deivn (juantität der vini kurzi-n vocalen entspi'icht. Zur
(•haiaktciisit-rung setzeich über dieselben das kürzezeichen .
das sonst nur veivinzell anwendung- Hndcl. da die kürze durch
Unbezeicllliele Vocale gekeinizelclilict i^t. Im i'lld igi-ll IiJU ich bei
der anführung von belegen der Schreibweise meiner quellen getulgl.
136 RITZERT
I. teil.
Die dehnungserscheinungen in den einzelnen dialekten.
1. Hochalemannisch.
Qnelleu: A.Birlinger, Die aleinaimische spräche rechts des Rheins
seit dem 13. jh. Berlin 1868. — H. Blattner, Ueber die maa. des cantons
Aargau. Vocalismus der Schinznacherma. Leii)zig-. diss. 1890. — H.Fischer,
Geographie der schwäb. ma. Tübingen 1S95. — Chr. Hauser, Die alanian-
nische mu. in Cialtür (im Paznaunthal , einem seitenthale des oberen Inn)
in: Eechtsrheinisches Alamannien etc. von A.Birlinger 1890 (Forschungen
zur deutschen h\ndes- und Volkskunde 4, 3()9ff.)') — J. Huuziker, Aar-
gauer wb. in der lautform der Leerauer ma. .\aran 1877 (mit einleitung,
die in einen phonetischen und etymologischen teil zerfällt). — J. Meyer,
Das gedehnte a in nordostalemannischen maa., Schweiz. Schulzeitung 1872,
no. 18 u. 19: in no. 44— 47 das gedehnte q. — J. Meyer, Das gedehnte c
in nordostalem. maa., Frommanns maa. 7, 177. — V. Perathoner, Ueber
den vocalismus einiger maa. Vorarlbergs. Feblkirchor programm 1883. -
P.Schild. Brienzer ma. 1. teil: die allgeni. lautgosetze u. vocalismus.
Göttinger diss. 1891 : 2. teil : consonantismus, Beiti-. 18, 301 ff. — Schweizer-
Sidler, Becensiou von Weinholds (Tramniatik, Zs. f. vgl. spracht. 13, 373 ff.
— F. J. Stalder, D. landessprachen d. Schweiz. Aaraul819. — Fr. Staub,
Ein schweizerisch-alemannisches Lautgesetz, Fronimanns ma. 7, 18 ff. 191 ff".
393 ff". — Fr. Staub u.L.Tobl er, Schweizerisches Idiotikon. 3 bde. Frauen-
feld 1881. 8t). 92. — H. Stickelberger (1), Lautlehre der lebenden ma.
der Stadt Schaff'hausen. Leipziger diss. 1881. — H. Stickelberger (2).
Consonantismus der ma. von Schaffhausen, Beitr. 14,381 ff'. — K.Wein-
hold, Alemannische granimatik. Berlin 1863. - .1. W inteler. Die Ke-
renzer ma. des cantons Glarus. Leipzig-Heidelberg 187(i.
§ 1. Während im nhd. mhd. kurzer vocal in offener silbe
gedehnt ist, gilt für das hoclialeni. gebiet das g-esetz, dass die
vocale der Stammsilben. Aerglichen mit denen des mhd., keine
wesentlichen Veränderungen aufweisen: alte kürzen sind g-röss-
tenteils gewahrt (Wint. 120. Stick. 2, 410. Schild 1. § 11. Per.
36. 37. Hauser 370. Birl. 45. 58. 68. 73. Weinh. § 81—87. bischer
§ 13 u. karte 1. Blattn. 66 ff.).
Dieses gesetz gilt wie vom links- so auch vom rechts-
rheinischen Alemannien. SSo rein, so echt wie unser rechtsrh.
gebiet diese quantitätische messung- einhält, findet man sie selbst
linksrheinisch nicht'. Birl. 45.
') Die altgaltürer ma. wird jetzt nur noch von einigen hochbetagten
leuten gesprochen, während voi- fünfzig Jahren noch allgemein alenninnisch
gesprochen wurde.
DEHNUNG DER MTIP. KFK'ZEN STAMMSILBENVOCALE. 1.")7
Die grenze im X und NO für diesen 'vest mittelalterlicher
([uantität' (Avie Rapp bei Frommann 2. 477 sagt) hat Fischer
in karte 1 seines Sprachatlas geg-ehen. Der n()rdlichste punkt
für sdgeti, legen, hjel ofcn, hdsen, Iwseu ist Epfing-en am oberen
Neckar; von hier bildet die nordwestgrenze eine nach S'\^'
ziehende linie. welche die r)onan(inelle gerade noch freilässt.
])ie nordostg-renze verläuft von Fi)fingvn in südr)stliclier ricli-
timg, die Donau unterhalb Fridingen und den Schüssen ober-
halb Ravensburg- überschreitend, bis auf das linke ufer des
vSchussen; hier wendet sich die grenzlinie dann nach S und
bildet somit den abschluss g'eg-en 0. Bei allen sechs wiUiern
läuft die grenze 'im selben sinne, aber mit gWisseren und
kleineren abweichungen im einzelnen". So hat Ravensburg
läng-e in sagen und Jegeu: i\\v letzteres wort zielit die grenze
vom Schüssen unterhalb Ravensburg weiter nach 0 bis nahe
an die liier und wendet sicli dann erst südAvärts. doch so. dass
Hier- und Lec]i(|uellen nocli eing-eschlossen werden. A\'eiter
nördlich verläuft die grenze für rr/r«; s. u. v< 2;!.
ij 2. Fast allgemein aber, in Brienz nur selten, ist in der
alem. ma. dehnung des a in offener silbe vor r eingetreten:
färe, hctväre. Nur der canton (llarus hat kürze (Schweiz, id.
1, 888. AVint. 77. Birl. 47. Fischer 21. Schild 1,53. 2.870. Per. 8).
— Der Kerenzerbezirk im canton (-Jlarus hat aber einige mal
auch länge; so steht neben farte Qr-fära'; gedehnt ist in K.
der vocal ausserdem noch in xoirce zu ahd. karön, beri got. basi,
(h-i 'älire' und sePrce "lärmen'.
Meistens, im canton (41arus jedoch nicht und in Brienz
nur vereinzelt, sind auch die übrigen vocale vor r gedehnt
(A\'int. 78 [für Toggenburg]. Hunz. cvi. Schild 1, 50. GO. 68. 2,870.
Per. 16.27. Stick. § 18. Birl. 78. Weinh. § 83. 38. 40. 43). Diese
fassung schliesst es schon in sich, dass überall ausnahmen vor-
kommen.
^\■o die lautverbindungen r + cons. svarabhaktivocal ent-
wickelt haben, tritt ebenfalls dehiiung ein. da ja der vorvocal
in offene silbe zu stehen konniit. Auch K'erenzeii hat. (d)wol
es eine ausnähme v(»n unsei-er erscheinung macht, in einigen
solchen fällen dehnung. wie arc))! (dazu (-(unp. rntier) und einige
andere: aber famu •darm". stnrein etc. \ielfacli ist sogar vor
altem inlautendem n-. das in dei' ma. vereintachl wii'd. vei-
1B8 RITZERT
längerung- des yorgelienden vocals eingetreten (vgl. ^A'illt. 79.
vStick. 2, 388 auni. Hunz. cvi. Blattn. 68. Per. 16. 21).
§ o. Eine ausnähme von obigem gesetze (§ 1) macht die
Fricktaler ma. (das Fricktal ist der nordwestliche teil des
cantons Aargau); hier sind die vocale gedehnt, die in den
übrigen Aargauer maa. als kürzen erhalten sind (Blattn. 80:
ho'de, wwsp -wesen', ro'fjQl < royd. Nach Blattn. 38 wird im
Fr. langer vocal in starker silbe fast immer — wenn mit
emphatischem accent belastet stets — mit zweigipfeliger ex-
spiration gesprochen (zeichen ' ). — Ferner neigt die Züricher
ma. zur dehnung; s. Schweiz. - Sidler 374 375. 378. 379: [irähc,
labe, nere, sere etc.. aber ähe, vater, chrgel, i (jWe, tölc < doln etc.
Schaffhausen dehnt den vocal in offener silbe vielfach vor
liquiden und nasalen; s. Stick. 2, § 13. 14 smehr comp., hremj
< hreme, spüdr plur. v. s^nl, fän>) < vane: aber verb. spild, nani.)
•name', ivdno 'wohnen' etc. — Die wenigen fälle wo in Brienz
vor inlautender lenis dehnung eingetreten ist, lassen sich auf
analogiewirkungen oder nlid. einfluss zurückführen; s. Schild
1, § 111 und 2, 377.
Zahlreicher sind die Verlängerungen in zweisilbigen Avör-
tern in Leerau (canton Aargau). Hier ^ird ausser vor in-
lautendem r die alte kürze gedehnt vor ii, jedoch nicht immer:
Hunz. xcv. vor / ausnahmsweise, xcix, und \'or m nur in zwei
fällen, Lxxiii: hräiiri < hrem und räiiic < rani. Letzteres ge-
hört also eigentlich nicht hierher, da es sich um urspi'ünglich
auslautendes m handelt (s. u.). "Weiter haben in L. eine anzahl
nomina und verba mit inlautendem //, d, h und auch vereinzelt
mit s länge eines vorhergehenden a und e, nur ganz selten
eines andern vocals: siüjc "sagen*, mager (auch mit kurzem «),
lese 'lesen', iväye < ivegen, rehe < rebe, uäse, (jlöbe < (jeloben;
in den flexionsformen auf st und t der verba grabe, lade, .tage
etc. erscheint der vocal wider kurz; s. Hunz. xxiv ff.
In Galtür ist in offener silbe mlid. e öfter gedehnt: fäderj
< vedere, läs:j < lesen etc. Von den Yorarlberger maa., 'in
denen der hochton die alte kürze nur in beschränktem niasse
zu verdrängen vermochte', nimmt der Bi-egenzer wähl und
besondei'S dei- Innerwald desselben eine Sonderstellung ein. d;i
er die unecliten längen in bedeutendem umfange begünstigt;
s. Per. 36: Idda -.^ h(dn/, /((dut -^ li'bin (regelmässig ist e vev-
DEHNUNG DER MHD, KlTltZKN STAMMSILPENVOCALE. IP.O
treten (liircli ca), Jioso < hose, liujol "kug-er, stüho •stii1)e* etc.;-
aber kurz bleiben legen, scgen "sagen' {sega im Bregenzer wald).
zeUa < zeljan, gegen, kegel u. a.
Anm. Die dehimng des nihd. / erstreckt sicli hier iiocli über dfu
uiiifiino: der delniung- im schriftdentscheii : schräid •scliritf . schU'oz 'sclilitz',
brt'ocht 'bricht', fisch, fieschier, reriera: ebenso ro/, /-ö.s 'ross"; /v^cs 'besser".
Das Walserthal duklet wie der Innerwald kui'zes a im
allg-emeinen fast nur da wo es auch nlid. erhalten ist. ^Fon-
tavon dehnt a in offener silbe ausser vor r auch vor /: .mia,
niila, aber nicht immer; (hisselbe gilt für den A\'algau. nur
dass hier auch e regelmässig' ha wird: seagas < segense, auch
vor ch: leacha < Wehen: 'ausnahmen wie epper < etiver stehen
jSfanz vereinzelt da.' Im Walgau und ^Fontavon wird "dann
und wann, hier und da. auch in anderen Wörtern mit <i länge
gehört' (s. Per. 12. anm. 4).
§ 4. ¥'\\y alle die schweizerischen dialekte welche vocal-
kürze im iiilaut bewahrt haben, gilt das gesetz, dass in ein-
silbigen Substantiven und adjectiven mit stammauslautender
nasaler und liciuider lenis der vocal gedelmt wird (^\'int. ()8 (2j
und 7<). Blattn. t3(). Hunz. xxiv. lxxiii. Stick. 2, 410. Birl. 47.
Per. 10. 11 ff.; s. auch Heusler. ( 'onsonantismus von Baselstadt
s. 14). Es ist liierbei gleichgiltig-, ob die lenis ursprünglich
auslautete oder erst durch abstossung eines vocals auslautend.
geAvorden ist ( Wint. 82. Hunz. lxxiii). Der gedehnte vocal
behält seine (luantität in der flexion und in den ableituiigen.
Blattn. hol ■hohl*, höli f.; hQg(h- < heger, higm-g; sUil, aber
ib'der, sUil^: Wiiit. ßh aber fdixt:, läm 'lahm', lemi (in Leerau
aber der comp. lemer); täl, aber pl. teli;r.,
Anstatt der Verlängerung des vocals tritt in einigen Wör-
tern verdopi)elung der li([uida ein; in Kerenzen xell n. "kehl-
stück'; in Toggenburg auch fdl 'viel', tromm < ahd. drum "eiid-
stück des fadens', daneben tröndl dim., tdl neben Hl ni. < ahd.
ddo\ Wint. 69. In T. haben ferner die betonten dative imm,
icemni. drmtn ihm, wem, dem, kurzen vocal (^\'int. 70: vgl.
hierzu Heusler, Beiträge zum con.sonantismus s. 13).
\\'t'nn auch eine fast durchgehende regelmässigkeit in
bezug auf das bestehenbleiben dei- vocallänge in der tl«'xi(tn
herscht. so stösst man in dei' abh^itung und Zusammensetzung
(IikIi (itt auf w'diltoiint'ii dif d<')- regcl widcrspi-eflicii. .Nanieiil-
140 RITZE RT
•licli hat sich in Zusammensetzungen, deren hestandteile nicht
mehr klar erkannt werden, die alte kürze erhalten, wo sie
dem einfachen worte abhanden g-ekommen ist: sar-tveyfdr —
aber sär 'schar', mw — aber säme. In dieser beziehung ent-
scheidet alter und herkunft; vgl. AVint. 68: was aus der zeit
vor der delniung- stammt oder mit anlehnung an erhaltene
kürzen gebildet ist. hat die kürze bewahrt; was von bereits
gedehnten formen gebildet ist. zeigt die dehnung; ebenso Blattn.
68 und 69. der darauf hinweist, dass analogiebildungen und
accentverhältnisse — auch tonische: es kommt darauf an, ob
ein wort im satzanfang oder aber im satzausgang zu stehen
pflegt in jedem einzelnen falle den ausschlag geben. Für
die Schinznacher ma. kommt zudem der einfluss der zur deh-
nung neigenden F'ricktaler ma. in betracht.
In Brienz ist vor auslautender sonorleiiis hauptsächlich
nur a gelängt, doch nicht durchgängig; dehnung des e findet
sich sehr selten (Schild 1.85). Tebrigens tritt diese dehnung
fast nur vor auslautendem r ein (Schild 2. :>67. :^70); wenn sich
ganz vereinzelte fälle vor / und }i finden, so beruhen diese
auf nhd. einflusse (Schild 2, 366. 376). Einzelne ausnahmen
kommen überhaupt an jedem orte vor.
In der (ialtürer ma. tritt die dehnung in einsilbigen Wör-
tern besonders dann ein. wenn der stamm auf r oder l schliesst.
Auf verbalformen hat das gesetz der dehnung vor aus-
lautender einfacher liquider oder nasaler lenis keine anwendung
{Wmt. 69. Hunz. lxxiii. xcvi. c. Stick. 2, 412. 413. Blattn. 66).
— Da in Leerau nach Hunz. cvii auslautendes r in betonter
silbe aber 'ausnahmslos' dehnung der vorangegangenen kürze
bewirkt, so also auch in diesen formen.
§ 5. Aus der neigung der alem. ma., den vocal Aor aus-
lautender lenis zu dehnen, erklärt es sich, dass in einer nicht
grossen anzahl von Avörtern auch alte li([uide und nasale fortis
wie lenis behandelt wird ; s. auch § 2 am schluss. — Diese eigen-
lieit überträgt sich ebenfalls auf den inlaut, doch nicht immer:
AMnt. 70. 76 fal "fair, fi, pl. /c?fy; stäiii, \\\. st(hn(r\ ma •mann",
aber pl. mannce; st in l'oggenburg, aber »hin in Kerenzen (vgl.
ferner Stick. 2, 385. 386. Blattn. 67. 68. Hunz. xrv. c. cvii. Birl.
47. 59. Schild 2.366. 370. 3,71). — Am seltensten wird der vocal
vor altem mm gelängt: mit der dehnung vor nn ist schwiind
UKllNlNCi DEl! MIID. KITKZKN S TAMMSl MJKNVOCAI.K. 111
(lesisellu'U verbiindtMi. rbeiisd wie \ov ciiilaclicin ir. die kürze
bleibt, wenn im bleibt. - Dass vor inlautender liquider und
nasaler fortis. parallel zu ;/■, verläng-erung" eintritt, kommt auch
vor. jedoch sehr selten: vgl. Hunz. xcix Idk iallen'. xcv päne
•bannen'. Im rechtsrheinischen Alemannien wei-den die alten
// (//) in den sclnv. verben scharf g-esprochen. so dass r alte
kürze zeigt: sclidla "schälen" (Birl. 52).
§ (). Auch Wörter auf andere (als li(|uide und nasale)
einfache lenis dehnen in cinsinjigen formen den staninivocal.
Im gegensatze zu J^ 4 zeigen sie die kürze meist in den mehi'-
silbigen tlexionsformen. ferner in enger Verbindung mit anderen
Wörtern, sei es in Zusammensetzungen oder stereotypen Wen-
dungen. Die dazu gehörigen ableitungen haben teils kui'zen.
teils langen vocal. Beisidele: (irah \)\. (/rrher: stitid \)\. smid.)-^
.iU'ki •klage", aber verb. xJuij.i (in Schinznach mit langem a)
und .diger m.: (jlds j»l. (/Icscr. dim. (/Ics/i: I/o/', dim. Iiöfl/ (in
Kerenzen mit langem vocale) etc.
Für die Kiienzer ma. gilt, was Schild 1, 85 sagt: 'die ma.
gehölt zu der kleinen sprachsip])e. welche den vocal vor aus-
lautstellung der geräuschlenis nicht gedehnt hat.
In Kerenzen haben mehrere Wörter auch in der liexion
gedehnten \ocal (Wint. 82). In Leerau tritt nach Hunz. xxiv
ilann dehnung im einsilbigen worte ein. wenn es am ende des
Satzes steht oder doch den hauptaccent im satze hat; die kürze
erscheint iiäutig" ^^ider beim antritt weiterer silben durch
ziLsammensetzung. ableitung oder flexion, ja schon das .y im
genitive. — In Schaffhausen finden wir diese erscheinung vor-
zugsweise in Wörtern mit a und c, seltener in solchen mit
anderen vocalen und zwar durchgängig nur in pausastellung
des Wortes, während im Satzzusammenhänge und in Zusammen-
setzungen die urspi-üngliche quantität erscheint (.Stick. 2, 414
— 41Gj. — In der Schinznacher ma. erleidet unser gesetz vor
explosiver lenis nur sehr wenige ausnalimen. dagegen ist vor
sjdrantischer lenis die dehnung nur in wenigen Wörtern (an-
getreten: hör "hof" etc. (Biattn. 67. GS).
Im \\'algau und be.sonders in Montavon begegnet eben ta 11s
länge in einsilbigen Wörtern, wenngleich nicht allgemein, da-
gegen wider die küize in den fällen wie oben (Per. 10 f.). I'ür
das leehtsrhein. Alemannien stellt Hirl. 45. 52. 58. ü^. 74 das
1^2 UI'IZKUT
g'esetz auf, dass sich in eiii.silbigen Avörtern nur selten 'spuren-
weise' die kürze erhalten hat; vgl. auch Wrede, Anz.fda. 22,324:
einige orte am nordwestrande des Bodensees haben kürze in
hof. Ebenso ist nach P'ischer s. 19 die formel - gegen --^ : i saij
aber sägd für jene gegend gesichert. Wenn Fischer s. 19, anm. 1
sagt, dass öfters auch sag, häs 'hase' angegeben sei und ferner
hinzusetzt: 'wie weit das richtig ist. kann ich nicht consta-
tieren', so finden wir die erklärung bei Stick. 2, 414 — 416 (s. o.).
Schliesslich sei noch bemerkt, dass Stammheim im canton
Zürich bei den hierher fallenden Wörtern durchweg auch in
der einsilbigen form die alte kürze bewahrt (^Mnt. 82).
§ 7. Bis jetzt haben wir den einfluss auslautender lenis
auf den vorvocal A'erfolgt, der für die hochalem. maa. klar vor
äugen liegt. Durch ihn werden moderne dehnungen geschaffen,
die wir als ausnahmen von dem hauptgesetze zu fassen haben,
dass die organischen quantitätsverhältnisse dort noch die des
ahd. und nilid. sind. ^\'eiterliiii Avirken aber auch gewisse
consonantengruppen, in erster linie liquid- und nasal Verbin-
dungen, verlängernd auf den vorhergehenden vocal ein.
§ 8. Wir wenden uns zunächst zu den r - Verbindungen,
deren dehnender eigenschaft A\'ir im ganzen gebiete begegnen,
fi^eilich nicht überall im gleichen umfange. In der Schinz-
nacher ma. ist die dehnung vor r -f consonanz 'fast immer'
eingetreten; s. Blattn. 68, der auch die nicht zahlreichen aus-
nahmen verzeichnet, an denen alle vocale und fast alle r- Ver-
bindungen beteiligt sind.
Hunz. cvi und cvii unterscheidet, ob die r- Verbindung in-
oder auslautend ist, obwol für beide fälle die regel gilt, dass
der vorvocal häufig gedehnt wird, fast ebenso häufig aber
nicht. Im einzelnen gilt für Leerau folgendes: vor in- wie
auslautendem rcli erscheint nur die kürze mit ausnähme von
werch < werc\ vor inlautendem rtsch, rsf, rpf, rdl, rdn und rhl
erscheinen nur lange, vor rsch und //" nur kurze vocale; vor
anderen r- Verbindungen schwankt die quantität: vor auslauten-
dem rg, rst, rz, rsch (seh = scharfes seh), rd, rs, rpf gilt nur
länge, vor rn unterbleibt die dehnung mehrfach, ebenso in
herpst, und schwankend ist die quantität vor rt, rh, rm, rf,
rgg, rsch. Wo in folge der flexion, ableitung oder Zusammen-
setzung die auf r + cons. auslautende silbe aufhört die letzte
DEHNUNG DER MllD. KlIKZEX STAMMSlIiHENVOCAIiE. 143
ZU sein, auch in altcMi formelhaften redensarten, ersclieint häufig
wider die alte kürze: heni, aber henJöpfcl, mrf, aber werter,
schwärz (auch kurz), aber schwerser.
In der Brienzer nia. Averden mit einziger ausnähme von
)iiori/än = niane o und ö durcliweg gelängt (besonderes cha-
lakterisficum der ma.): (i. dessen umlaut ä, sowie e sind ge-
dehnt worden, ddcli nicht durchgängig: ii und i erfahren
(higegen \ov r -Verbindungen niemals dehnung (Schild 1, 85.
2.371 ff.). Nicht ist aber gedehnt der vocal vor nc (Schild 2, 373).
Tn Kerenzen veranlasst r + cons. ' häutig' dehnung des
voraufgehenden kurzen vocals und in Toggenburg noch häufiger;
so bietet T. vor rni und r» durchaus dehnung; vgl. Wint. 79:
•dabei gehören die beti'effeuden dehnungen in T. zu der kate-
gorie derjenigen langvocale, die eben den ersten schritt über
die kürze hinaus zur dehnung getan haben und nicht immer
leicht von dieser zu unterscheiden sind." 'Manche einzelfälle'.
sagt AVint. 80. 'welche aber wider nicht zu andern stimmen,
legen die Vermutung nahe, dass die erhaltung der kürze in
den betr. fällen durch einen frühern hilfsvocal zwischen dem >•
und dem ihm folgenden consonanten bedingt gewesen sei' (s.o.
i; 2). Wint. fühlt .s. 81 auch einige fälle an, wo r vor cons.
geschwunden ist; von diesen hat nur ftph 'ferkel' dehnung.
Bei der dehnung vor r + cons. kommen in Schaffhausen
nach Stick. 2, 380 ff. abweichend von den meisten andern
Schweizer niaa. nur die vocale a, h (sei dies durch umlaut oder
brechung entstanden, nicht aber r), o (nicht aber 6) und dessen
umlaut ö in betiacht. Ein stiiktes gesetz über diese verlänge-
i-ung lässt sicli iiidit feststellen; doch gilt als regel, dass der
umlaut in ein und demselben worte die gleiche quantität hat
wie sein grund vocal, abgesehen V(m dem umlaut ' c des r/;
lautet a in r um, .so hat das grund wort länge, das umgelautete
küi'ze: mrff' — .scyff'Ji: Dasselbe Verhältnis waltet beim ablaut
ob: tar/f' — för/fb. Fast durchgängig werden a, h vor r + nasal
gedehnt, während in der Verbindung orn, wo die meisten
Schweizer maa. gedehnten vocal haben, kürze herscht; doch
lieisst es fsörn "zonr, möni neben mory.) und oniiün "Ordnung".
Auch andere consonanzen bewiikcn iji verbhidung mit >• deh-
nung von vocalen. ohne dass sich indes gemeinsame grui)i>en
hei-ausfind^n lassen. Stick. o-i],t dcsliall) a.a.O. 392 ff. in (M'-
144 UlTZKKT
maugeluiig fester g-esetze in tabelleii ein bilil des verhalten»
der vocale.
Für das reclitsrliein. Aleniannien gilt das gesetz, dass a
vor ;• + cons. regelmässig verlängert wird (Birl. 47. Fischer 21).
Auch andere vocale erscheinen gedehnt, aber keineswegs immer
(Birl. 52. 53. 59. 60. 69. 76). Häufig fällt y aus: hüt 'hurde',
ivit 'wirf. — In den Vorarlberger niaa. zeigt sich das be-
streben den vocal zu dehnen, ^freilich ohne strenge consequenz*
(Per. 8. 11. 15. 21. 27. 29. 30). In betracht kommen hier die
\'erbindungen rh, rch, rf\ rg, rh, rm, rn, rst, rt, rw, rs. Am
weitesten geht auch hier der Bregenzer wald (bes. der innere),
in welchem r regelmässig schwindet (Per. 11).
Auch für die Galtürer ma. gibt Hauser beispiele mit und
ohne dehnung; das material ist aber nicht umfangreich genug,
um besondere gruppen zusammenstellen zu können.
§ 9. Nunmehr erörtere ich eine dehnungserscheinung, über
die Staub bei Frommann 7 gehandelt liat und die er s. 377 in
folgenden worten zusammenf asst : 'im hochalem. Sprachgebiete
verschwindet der nasal (w, auch m und w) vor den siiiranten
f, s, seh, ch und ihren verwanten lauten, immerhin so, dass
die vocalisierung vor der gutturalspirans ch vorzugsweise von
den sog. burgundischen Alemannen (Bern, Freiburg, "Wallis
und teilw. Bündten) gepflegt wird. Dem verschwinden des
nasals ist dehnung des vocals durch denselben vorausgegangen
und zwar Averden a, ä, e, e hier zu a, ä, e, dort zu au und ei.
Auch aus i, u, ü ersprossen in einem beschränkten geographi-
schen gebiete, in dem nordwestlichen vierteile, diphthonge;
dagegen hält die Gebirgsschweiz namentlich an altertümlicher
einfachlieit fest. In einzelnen maa. sind die lautverhältnisse
complicierter. Unser lautprocess konnnt nicht in activität
vor s der declination und nicht in den nebensill)en; in der
composition nur dann, falls diese ihren ursprünglichen Cha-
rakter aufgibt und den schein der ableitung annimmt. Auch
übt später eingeschobener (unorganischer) nasal die geschil-
derte wii'kung auf den vorangehenden vocal nicht aus ' (s. auch
Wint. 73 (2) und 123. Schild 2, 378 ff. Hunz. lii ff.). Beispiele:
häf oder häuf 'hanf, pfist^r oder ])fcistp- 'fenstei*', he.st oder
heist 'hengst', triyän 'trinken'.
In der stadtma. des cantons Aargau gilt obiges gesetz
DEHNUNG DKK MIID. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 145
nii'lit (Blattn. 49). — Die Leerauer lua. vciwandelt die gruppe
-inif regelmässig' in -umf: feruantft.
Für (las rechtsrlieiu. Aleniannien luit unser g-esetz ebenfalls
giltigkeit. nur fiiulen wir hier den gedehnten vocal nasaliert,
während die Schweizer niaa. mit ausnähme von Simmental,
Inner-Klioden mit einem teile des Eheintales die nasalierung
nicht kennen (vgl. Staub '^m. 367. Fischer 22. Birl. 48. 59. 70.
IVr. 8. 9. 17.22.31. Hauser).
Durch diese nasalierung l)erilhrt sich das rechtsrheinische
Aleniannien mit dem schwäbischen; es ist aber scharf geschieden
von ihm durch den umstand, dass ersteres einfache länge, letz-
teres aber mit ausnähme des NO diphthongierung hat. Cha-
rakteristisch ist. dass die grenze dieser erscheinung mit der
grenzlinie füi' sägen (§ 1) im selben sinne verläuft (vgi. Fischers
karten 1 und 5). Auch hier ist Epfingen am oberen Neckar
der nürdlicliste punkt für die einfache alem. länge; von hier
zieht die grenze einerseits nach kürzerem rein westlichen ver-
laufe nach S^^' und andererseits nach SO. Zwischen Donau
und oberem Schüssen zeigen die einzelnen beispiele einzelne ab-
weichungen. Erwähnt sei noch, dass die grenzen für Icip und
zls so ZU sagen ganz zusammenfallen, abweichungen von wenigen
kilometern an einzelnen punkten abgerechnet.
Nach Fischers karte 5 können wir den abschluss unserer
dehnungserscheinung im 0 zum grossen teile feststellen; für
sTs läuft die grenze bis nahe an die Hier (südwestlich von
Kempten) ; hier bricht sie direct nach S ab. Für die übrigen
beispiele bildet der Lech die grenze; östlich von ihm, sein
quellgebiet bis zu dem knie abgerechnet, von welchem ab er
nach N fliesst, findet sich diese Verlängerung nicht.
Eine ausnähme macht im rechtsrhein. Aleniannien a vor
n + spir.: das Kheintal mit Schaffhausen (s. auch Stick. 2, 402),
^'oral■lberg^ quellgebiet von Hier und Lech haben hierbei nicht
'ersatzdehnung', dagegen aber der Oberlauf der Loisach, also
ein gebiet, das sich am oberlaufe des Lech, quelle ausgeschlossen,
östlich von ihm bis an die obere Isar erstreckt.
Ferner findet das gesetz in Schaffhausen keine anwendung
bei c vor n H- spir.: also fenstdr, und ebenso nicht ^•or n +
gutturaler Spirans, da diese nach n nicht vorkommt (Stick.
2,402). Dagegen wird hier a vor }i + flexions-d- gedehnt:
Beiträge zur gcsohichte dei dcutuclieu Spruche. XXlIl. lU
146 RlTZERT
/(7.S'; •kannst', was aber neubildung- zur 1. sing-, yä sein kann
(Staub a.a.o!347). Nach Stick. 2, 403 hat Buch im schaft-
liauserischen Hegau dehnung' vor ss\ tvüsso 'wünschen'.
Aniu. Für die Vorarlberger maa. sagt Per. 11, amn. 4: 'vor s ist
Schwund des n geAvöhuliclr: Beispiele, wo es nach a schwindet: Icaht
'kannst', tCisa 'danse' (= milchbntte) ; Häuser gibt freilich die form /«)(«/«■
neben fßter (/^nasales/). In Galtür und Vorarlberg wird k im gegen-
satze zu Schaffhausen aspiriert: deicha 'denken' (Per.), Irkh.) 'trinke«'
(Hauser).
Ein teil des seeg'ebietes, nämlicli am Schüssen bis ober-
halb Eavensburg-, und der dem Bodensee nächstliegende teil
des Ostens (aber Lindau nicht) hat gongs oder gangs 'gans'
(Fischer karte 4. Birl. 59). In Hittisau, östlich vom Bodensee,
erscheint zings 'zins'. ebenso in Ring-genweiler; Albersfeld hat
hrnngst 'brunst' (die beiden letzteren orte liegen westlicli von
Ravensburg).
Nach Schild 2, 379 findet sich der Schwund des nasals vor
guttiu-aler spirans nur ganz localisiert; 'er vereinigt maa.
unter sich, die nicht nur in formeller beziehung, sondern auch
mit rücksicht auf ihre lexikalisclien schätze zu einer näheren
verwantschaft sich zusammenschliessen. Es sind dies die maa.
des südlichen teils des cantons Bern, des Wallis, sowie des
Graubündnerlandes'. Im Lit.-bl. 10, 89 gibt Schild noch die
vereinzelten orte der Schweiz an, wo vor gutturaler spirans
Schwund des nasals statt hat: Davos, Schanfiggthal. liinteres
Prättigau, südlich von Cliur in Malix, Ohurwalden und Parpan.
§ 10. Im anschlusse hieran betrachte ich nun einige fälle,
wo der nasal auch vor anderen consonanten als der spirans sich
vocalisiert.
Im Vorderwald des Bregenzerwaldes (Hittisau) verschwindet
n vor (/, t, /.■ und di vor pf; der vorhergehende vocal ^^'ird
diphthongiert (s. Staub 380 und das genauere bei Per. 9. 18. 21):
sau'd 'sand', dcihi 'denken', dci]>f(i <C ilcmpfen, r/r/ h^)/' 'dampf.
Nach i schwindet n gewöhnlich nur in nd: hlioud 'blind', —
Aus dem Berner Oberland g'sivld 'klug'; Staub 381.
Im Innerwald hinter den Stieglen (Schnepfau, Au, Schop-
pernau) wird in dieseu Verbindungen a zu du gedehnt, olnie
dass der nasal schwindet: nidiotfol 'mantel', ddunqjf {Vt'vA't).
Nach Fiscliers karte 4 schliesst die 'eVsatzdehnung' vor k
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 147
im \ mit Hittisau ab. Ein weiteres jo-ebiet befindet sich in
der Baar nnd an der oberen Donan (Birl. 51. 70). Das nähere
liieriiber s. u. § 28. Das g-ebiet zwischen oberem Neckar nnd
der Donan von Tnttlingen abwärts liat häd 'band' wie das
scliwäbische (Fischer, karte 1).
In gewissen gegenden ist u vor tv vocalisiert nnd gedehnt,
so in Lnzern: Ihcl < Luvpl; nm Zni'zacli bauert <hanmvart\
im canton Züricli: JIcueJ <honnil 'Hohenwil' (Staub 381).
ij 11. Dcdniung- vor l -\- consonant ündet sich nnr in be-
grenztem nmfang-e. Am weitesten verbreitet ist die verlänge-
rnng vor l und dentalverschluss. Fischers karte 20 hat die
beis])iele hälä und hhälts westlicli vom Bodensee bis über die
Thur und nördlicli vom Rhein bis zum oberen Neckar (s. auch
Birl. 47. Fischer 21 und anm.2, Meyer, Schw.-schnlz.l42ff. 149 ff.).
AVrede gibt im Anz. 19, 102 für sfih an: am Bodensee und west-
lich von ihm.
Für die Brienzer nia. (Schild 2, 366) kommt liauptsächlich
a und dessen umlaut in betracht. In Schaffhausen gilt dasselbe
(docli nur für umlaut e, nicht für e), s. Stick. 2, 387. 388: ivälä
und pl. weldor, alt, aber comp, eltdr; Seh. macht scharfen unter-
schied zmschen //,v und Is; vor letzterem wird a (e) nicht
gedehnt.
Anm. In Seh. wird a auch vor hu gedehnt: Cdmöse.
In den Yorarlberger maa. mit ausnähme vom Walsertal,
■\om Innerwahl vor den Stieglen wird a vor l + (7, i, ts gedehnt,
im \\'algau und in ]\fontavon 'freilich ohne strenge consequenz';
im Innerwald wird a zu au: häuld, scmh. Galtür dehnt auch
mild, e vor l + verschlusslaut: fäld < velt\ nach Häuser findet
auch vor Ich dehnung statt: hofcUcho, mälclio < melken. — Im
Vorderwald schwindet das l nach allen vocalen in den Verbin-
dungen /(/, it. h, Avährend der vocal diphthongiert wird: änt
'alt', .sclnneim 'schmelzen', (joud 'gold', hönzle •hölzlein' (Per.
9. 16. 21. 28). Vor l -\- d, z : (jold, holz wird nach Fischers karte 1
0 in einem gWisseren gebiete im SO des Bodensees gedehnt;
im AV berührt das gebiet nicht den liliein, im 0 schliesst es
liier- nnd Lechquelle noch ein.
Eine ähnliche erscheinung findet sich in der Westschweiz
zwischen Keuss und .Iura. Dort wird nämlich / vor conso-
nanten (und im auslaut) so 'gequetscht', dass es einem n- ähn-
10*
148 RtTZERT
lieh Avircl uiul dadureli dem vorang-ehenden vocale eine lialb
diplitliongisclie beimiscliung verleiht (Staub 384). Die Leeraiier
lua. bildet nach Hunz. cii in dieser hinsieht den Übergang
zAvisehen Ost- und Westsehweiz.
§ 12. Nur für das reehtsrheinisehe Alemannien gilt die
yoeal Verlängerung vor cht und clis.
Dehnung des a vor cht hat der 0 und X des Bodensees
und das gebiet zwisehen Rhein und Donau (Fisehers karte 1
und Birl. 47). Kurz vor dem ausflusse des Rheins aus dem
Bodensee wendet sieh die grenzlinie Avestnordwestlieli. so dass
ein breiter streifen des Rheintals keine dehnung hat. Der
()stliehe teil des gebiets mit voeallänge hat -at, und zwar bildet
eine linie. die von Tuttlingen nach S auf obige linie zieht,
die scheide; von Tuttlingen zielit die linie zur Neckarquelle
und begleitet dann den Neckar bis Ei)fingen. von wo sie nach
SO verläuft; sie überschreitet die Donau einige kilometer
unterhalb der linie für my^), lässt am Schüssen nur dessen
quelle frei und umfasst den Osten des Bodensees in einem
bogen. Ebenso fällt ch nach a auf dem Schwarzwald und
Heuberg aus (Birl. 118). Fast ganz mit diesem -a^- gebiete
fällt das zusammen, in welchem eh nach e und i ausfällt,
doch erstreckt sieh auf dem linken lllerufer (die liier selbst
nicht berührend) noch ein breiterer streifen nach N bis west-
lich von I'nterdettingen. Nach Birl. 120 wird alsdann c häufig
di{)hthongiert zu ca\ für l vor ausgefallenem ch gibt schon
Birl. die bestimnnmg Aon Schwarzwald bis Bregenzerwald
(s. 120). Das gebiet für gedehntes o mit ausfall des ch ist
räumlieh begrenzter: die Avestgrenze fällt mit -ät zusammen,
die ostgrenze bildet der Schüssen; ferner bleibt die nord- wie
südgrenze teils mehr teils \\'eniger von der -«^- linie entfernt
(s. auch Birl. 74 und 121, wo freilich, wie oft, die genauere be-
stimmung' fehlt). "\'erläugerung des u findet sich am oberen
Neckar und an der Donau. Ton Mühlingen (südwestlieh von
Sigmaringen) verläuft die grenzlinie einerseits rein westlich
zum Schwarzwald und andererseits südiistlieh zum Bodensee,
den sie in Sehnetzenhausen berührt ; hierauf zieht sie auf dem
rechten Schussenufer , ihn selbst nicht berührend, nach N bis
zu dessen quelle und dann zur Hier, die sie unterhalb Inter-
dettingen trifft. Zwei bezirke in diesem g'ebiete haben ausfali
DEHNUNG DER MHD. KURiiEN STAMMSILBEN VOC ALE. 149
des ch: der eine zwischen (»berem Neckar und obei'er Donau
(greuzorte: Eplingen, Tuttlingen, Irrendorf a. d. Donau), der
andere westlich von Eavensburg (grenzorte: Schnetzenhausen
iin S und KönigseggAvald im N); s. auch Birl. (58 und 121. —
l'^ür den Bregenzerwaki bestätigt Per. 22 die vocaldelinung
nach ausfall von eh.
^ 1:>. Dehnung vor ursprünglichem hs ist durchaus mit
Schwund der gutturalspirans verbunden. Diese erscheinung
die auch der ganze S^^' des schwäbischen hat (Fischer 21),
linden wir für a im 0 und N des Bodensees (Lindau aber aus-
genonunen), an der oberen Donau und am oberen Neckar.
l)ie betr. linie wendet sich kurz vor dem ausHusse des Klieins
aus dem Hodensee westnordwestlich, so dass auch hierbei auf
dem rechten l^heinufer ein breiter streifen ohne Verlänge-
rung bleibt.
A\'ie weit auch andere Aocale voi- ausgefallener guttural-
spiraus im rechtsrheinischen Alemannien gedehnt werden,
vermag ich nicht anzugeben: nach Fischers karte 20 findet
sich dort weder o.v 'oclis' noch /hs 'büchse'. Birlingers angaben
s. 120f. sind zu unbestimmt: er bezeichnet zwar össnerin 'un-
irächtige kuh" als alemannisch, bezeugt aber össnen 'nach dem
stier begelu'en' für den mittleren Neckar, also schw^äbisch (s. u.
§ 20): ausdrücklich bemerkt er aber s. 121: 'heute ßs »fuclis^^
nicht mehr bekannt"; ferner sagt er s. 120: 'echt alem. wiussla';
ob hier länge oder kürze gemeint ist, bleibt unbestimmt.
Für den Bregenzerwald gilt die dehnung auch für andere
vocale: häs •büchse". ilcsol < dehsel 'hacke* (Per. 22); für Galtür
sind nur belege für d angegeben.
i; U. Es bleibt nur noch übrig, einige einzelheiten zu
erwähnen.
Wo am ende eines wortes der consonant abfällt, ist Ver-
längerung des vorangehenden vocals eingetreten (s. o. § 5: mä,
u- un- etc.); besonders kommt dies häufig bei ch vor (Birl. 124.
Fischer 18. 19 und karte 1. Per. 11. 22. 28). Der osten des
Bodensees vom Schüssen bis zum Lech hat länge in dach, loch,
das gebiet westlich vom Schüssen mit ausnähme des rechten
ufcrs kürze. — In Leerau fällt ch nicht ab, aber trotzdem
findet .sich öfter dehnung des vocals (Hunz. xxxl xxxiv. xlii.
XLVi. IL. cxvij: tjmnch u., aber (/mach adj., stich 'stich', bUch
150 RITZEKT
u. a. Auch ff' erscheint hier 'bisweilen' zu / geschwäclit: so
scMf neben scliif 'schiff', (frif neben griff \\. a.; ferner his <
gehis, kröpfe < Jcrapfe, bäs < ha^, ris < rh. Hunz. lülirt ausser-
dem noch das eine und andere wort mit dehnung vor doppel-
consonanz an; auch an den anderen genannten orten finden
sich solche, aber immer ganz vereinzelt. Es würde viel zu
weit führen, diese einzelfälle aufzuzählen; dass solche überall
vorkommen, sei ein für allemal gesagt,
2. Niederalemannisch-elsässisch.
Quellen: 0. Heilig, Zum vocalismus des alemannischen in rler ma.
von Forbach im Murgthal, Alemannia 24, 17 ff. — K. Heimburger, (4ram-
matische darstellung der ma. von Ottenheim. Beitr. 13, 211 ff. — Andr.
Heusler, Beitrag ziim consouantismuis der ma. von Baselstadt. Freiburger
diss. 1888. — Ed. Hoffmann, Der mundartliche vocalismus von Baselstadt.
Baseler diss. 1890. — W. Kahl, Ma. und Schriftsprache im Elsass. Zabern
1893. — J. F. Kräuter, Untersuchungen zur Elässer grammatik, Alemannia
5, 186 ff. — H. Lienhart, Die ma. des mittleren Zornthaies (Zabern bis
Brumath), Jahrbuch für gesch., spr. u. lit. Els.-Lothr. 2, 112 ff. 3, 23 ff. 4, 18 ff.
(Lienh. 1). — H. Lienhart, Laut- und flesionslehre der nia. des mittleren
Zornthaies, Alsat. Studien, 1. lieft. Strassburg 1891 (Lienh. 2). — W. Mankel.
Die ma. des Münsterthaies, Strassb. Studien 2, 113 ft'. (M. 1). — W. Mankel,
Laut- und flexionslehre der ma. des Münsterthaies. Strassburger diss. lSS(i
(M. 2). — H. Menges, Volksma. und Volksschule im Elsass. Grebweiler 1893.
— Charles Schmidt, Wörterbuch der Strassburger ma. Strassburg 1890.
— J. Spieser, Zillinger sprachproben, Jahrbuch für gesch., spr. u. lit. Els.-
Lothr. 5, 133 ff. — J. Spieser, Mundartl. sprachproben, aus den dörfern
AViebersweiler etc., ebda. 8, 143 ff. — J. Spieser, Sprichwörter in "Wald-
hambacher ma., ebda. 9, 93 ff'. — J. Spieser, Münsterthäler sprachproben.
Sprichwörter, ebda. 2, KlO ff'. 0, 144 ff". ^ J. Spieser, Münsterthäler auek-
doten, ebda. 9, 87 ff", lu, 243ff'. — Ad. Sütt erlin, Laut- und flexionslehre
der Strassburger ma. in Arnolds Plingstmontag, Alsat. Studien 2. Strassburg
1892. — K. Weiuhold, Alemannische grammatik. Berlin 1863.
§ 15. Im niederalemannisch-elsässischen ist im allgemeinen
vocaldehnung in offener silbe eingetreten (Heusler ö7. Hof fm.o().
Heimb. 228. Lienh. 2, 25. Mankel 2,25. Sütt. 25. Weinhold § 115.
120. 122). Die übrigen oben angeführten arbeiten bestätigen
durch ihre beispiele das gesagte.
Nach Heusler o7 hat Baselland diese dehnung gleichfalls
mitgemacht.
In Baselstadt sind dieser dehnung einzelne als interjec-
tionen gebrauchte wörtchen wie iq)ä 'acli wasi", j(^ lebhaftes
DEHNUNG DER MIID. KURZEN STAMMSIL15ENV0CALE. 151
•ja' ontsanii'cii; Hcusler l^»7 sielit die Veranlassung- liierzu in dem
stets mit diesen veibundenen energischen accent. Dagegen
erfälirt der vocal in icUhnd "widmen', höfiiiä 'Hoff mann' etc.
stets delinung. da die consonantengruiiite (h)i, fni zur folgenden
gruppe gezogen Avird.
§ IG. Scheinbare ausnahmen Aon unserem gesetze liegen
bei den Wörtern auf -el, -er, -em, -en vor, doch lierscht in dieser
liinsicht keine Übereinstimmung.
Im ganzen gebiete bleibt die kürze in den Wörtern, in
Avelchen n, iii vor l, r, m, u stand: hhnl, semd 'schämen', namo
< nauie, flectiert nanien. Die als l, r, m, n gesprochenen end-
silben konnten bei folgendem vocal in der flexion und im Satz-
zusammenhang als nicht silbenbildend erscheinen, wodurch
der stammhafte sonorconsonant vor ihnen in silbenauslaut zu
stehen kam und die delinung des vocals, da in geschlossener
silbe stehend, unterblieb, z. b. der him{e)l ist < him-l iM.
Hierher gehören auch die fälle wie tsimlüj, nenil/g etc. (s.
hierzu Heusler 88. 39. Heimb. 280).
Anm. lu Baselstadt wiirde der sonorconsonant znr fortis (d. i. ge-
dolint): himml^; 'für das elsä.ssische ist jede spätere mitlanterdehnnug- als
luibewiesen zu betrachten' (Kräuter 194).
A\'ährend in Basel bei nicht sonorem stammauslaut diese
enduiigen nie (schärfung zur fortis und) erhaltung der kürze
veranlassen, so dass es immer (mit lenis) lautet: fäcl) < vadcm,
nagl, ääfdld und auch nicht icidder, troddel etc., was sich ein-
fach daraus erklärt, dass, wenn jene endungen consonantisch
fungieren, die gruppen dm, gl, fl naturgemäss zur folgenden
silbe fallen und nicht silbe schliessen (Heusler 39. 46), ist in
Otteiihcim auch in den meisten Wörtern auf -hcl und -her die
(lehnung iiidit eingetreten (Heimb. 229. 280); ferner haben hier,
von den wintern mit <j diejenigen auf -igel : -egl kürze be-
wahrt; ausserdem noch icydr 'wider' und odr 'oder'.
Aus den für Forbach (nahe der rheinfr. grenze) ge-
gebenen beispielen ergibt sich, dass häufig die delinung auch
dann unterblieben ist, wenn der stamm ausser auf m, n auf
media oder Spirans ausgeht: dsedl "zetter, fo(jl und pl. fegl,
/l?^Z>> 'feder', efd 'öfen', /iM55 'hosen' u.v.a.; doch (/?t't'6o 'gläser',
'(jreeicu m. 'gräber', schlaag.) 'schlagen', scha-erfl 'schwefel' u. a.
Auch diese fälle finden ihre Pikläiung darin, dass cimiial
152 RITZERT
doppelförmeii mit kürze und iMiiev iieheneinauder bestanden
haben, je naclidem die endungen /. i\ m, u ihr vocalisches
elemeut bewahrten oder niclit. und dass bald die eine, bald
die andere durch ausg-leichung beseitigt ist (vgl. Paul. Reitr.
9,118). Hierher gehören auch folgende fälle aus Furbach:
/«'mVi; 'könig'', ZerfiZ; 'ledig' u.a., deren kürze aus den synkopierten
formen der obliquen casus stammt.
Die elsässischen nuia. zeigen unter allen diesen Verhält-
nissen in ausgedehntem niasse die ursprüngliche kürze (Lienh.
2.25. Mankel2.2r>. Sütt. 25. 30. 31. Kahl 10. 11. 12. Menges 18.
Weinhold § 115. 120). Obwol diese fälle sehr zahlreich vor-
kommen, so lässt sich, die unten (§ 17. 18) zu besprechenden
ausnahmen hinzugerechnet, doch nicht mit Sütt. 25. 27 behaup-
ten, dass die mhd. quantitätsverhältnisse im allgemeinen die-
selben geblieben und vorkommende dehnungen als ausnahmen
zu betrachten seien (s. auch Mankel 2. 25,).
Auf frühzeitige vocalsynkope in sufhxen und tiexiimssilben
gründet sich die im ganzen gebiete vorkommende kürze in
folgenden fällen:
a) jayd, niac/d, vogt, ohst, iitaf/samc, (ehkndicn etc.;
b) in der verl)alflexion und im satzsandhi: hcps, -t 2. und 3.
pers. praes, zu hßo 'halten', JcejJt part. praet.; Iie2)ti 'halte dich',
he^Js 'halte es', neben hehmi 'halt mich' und hrhm 'halt ihn';
ebenso de -rcts, or ref zu mb 'reden"; / salfjr 'ich sage dir",
aber / sägm 'ich sage ihm' (Heusler 42); ähnliche belege in
den übrigen (luellen. — In diesen fällen kann freilich auch
kürzung einer secundären länge vorliegen. — Vm- das Münster-
tal s. Mankel 2, 31.
§ 17. Im alem.-els. gebiete ist vor altem einfachen f die
dehnung nicht eingetreten, da dasselbe als geminata behandelt
wird (Heusler 46. 49. Hoffm. 80. Heimb.230. Kahl 12. Lienh.
2, 28. Mankel 2, 10. 11. Sütt. 27, 30. Ki-äuter 190). Beispiele: bot
m., beten, gebet, ivatcn etc. Nach Lienh. 2, 28 heisst es in den
evangelischen orten des Zorntales pätd 'beten', in den katho-
lischen pat9.
In den maa. des Elsass erstreckt sich obige ausnähme
häufig auch auf Wörter mit d : freto < vride, ret m. 'rüde', wet
<tvide, ret 'rede' u. s. f.; in Wiebersweiler und Waldhambaclr
heisst es Met 'glied', rat 'rad', in Rosteig aber klit, rät. In
DEHNUNG DEE MIIO. KURZEN SrAMMSILBENVOCAT.E. 153
anderen wintern ei'sclieint die reisvlivclilc dehnnns": so haben
z. h. im Zorntal die auf -ade, -udcit und einige auf -id, gen.
-adcs läng-e des A'ocals: s6U 'schaden', pföt 'pfad'; ebenso in
Strassburg, Zillingen und im ]\!ünst,ertal.
Tm niederalemannisclien werden Wörter A\ie rdd < rat
nicht \(in obiger ausnalimeregel betroffen: es miiss deshalb
mit Hoffm. 30 eine verschiedene ausspräche des / in mlid. nd
und trit angenommen werden.')
§ 18. a) In (h'U elsässischen iiiaa. und ebenso in Otten-
heim ist ferner die kürze eilialten in den meisten Wörtern auf
})( und n (s. die Zusammenstellung bei Kahl 12: launii Mahnr
etc.; Lienh. 2. 26): doch heisst es allgemein im i^Isass (.sfuii
•zahnf (Heimb. 230). Auch Basel hat kürze in / nimm u. a,
(Heusl. 38. 30). Für Forbach gibt Heilig wem, bin < haue
•Speicher", aber (/room 'gram', loom 'lahm' (über die zwei-
silbigen mit ni und )i s. oben § IG).
b) In folge energischer betonuug ist bisweih^n die kürze
erhalten, so in .m-ck -weg' < cvAci.r im ganzen gebiete; für
Basel gilt ferner (jip (nicht imp., sondern ausruf); jo tvoU (be-
kräftigender ausi'uf) steht sonstigem ivol gegenüber: eine Wir-
kung des verschiedenen accents (s. hierzu Heusl. 13. 23).
c) Die genannten Wörter haben keine flectierten formen
neben sich; in anderen hat die ({uantität der unflectierten form
den sieg davongetragen trotz der danebenstellenden flectierten
formen, in denen der stammvocal in offener silbe steht; so iu
vil 'viel' (Elsass), r/ras "gras' (j\lünstertal, Forbach), sdiq)
•Stube" und f/roj) (P^lsass, Forbach, Ottenheim), Iwf (Elsass,
Ottenlieim; im Elsass findet sich südlich des 48. breitegrades
einzelne höf, Wrede, Anz. 2"2, 324), se}) 'sieb* (Zorntal, Strass-
burg) und einzelnen andern. — Einige mal zeigt sich die kürze
selbst in den flectierten fennen; so heisst es in Ottenheim
sduwe "Stuben", (jroicr 'grober',
§ 10. Ich ei-iirtere nunmehr die dehnungserscheinungen,
die durch benachbarte consonanten verursacht werden.
') Bisweilen erscheineu luiter den belegen für die dehnung in offener
«ilbe die einsilbigen nominative, in denen also der vocal in geschlossener
silbe steht und stand. Es ist natürlich daran festzuhalten, dass in diesen
fällen die ausgleichung nach den obliquen casus analog dem schriftsprach-
lichen gebrauche bereits vollzogen ist.
154
RITZERT
Vocaldelineiideii einfliuss haben im niederaleiu.-els. zunächst
die Verbindungen >• + consonant. Obenan steht Basel, wo vor
r + consonant ausnahmsk^s längung- eintritt (Heusl. 41. Hoffm.
30). — Ottenheim hat delinung- vor r + t, d, z, s, sf: Jißrt
•hirt', clürst 'durst' etc. Doch konnnen hier auch ausnahmen
vor, so in den isolierten formen dert 'dort', fiirt -fort'; ferner
in hert 'hart', .swards, herds 'herz'. Schwankungen, wie in
Mrds — hirds, ort — ort u. a. schreibt Heimb. 232 dem einflusse
der schule zu; 'es zieht die ältere generation die länge, die
jüngere die kürze vor'. Ferner erscheint in 0. länge vor rl
in Karl, erl, fori: also mit svarabhaktientwickelung und dem-
gemäss offener silbe; dagegen aber herl -kerl": ebenso dri
'arg'. Vor den übrigen r- Verbindungen ist in 0. durchweg
kürze erhalten.
Für Forbach sind nur wenige belege angegeben: ivaadif
'warten', gaad.) 'garten", auch iveendilc 'Werktag' (also mit
assimilation des A).
Im Zorntal ist vor rt und gelegentlich auch vor rs, rst
und zwar in Wörtern mit mlid. stannnvocal a und (" delinung
eingetreten (Lienh. 2, 26). In Zusammensetzungen tritt vielfach
die alte kürze Avider ein: ärt 'erde', aber aper 'erdbeere'.
Sonstige vocale werden vor den betreffenden Verbindungen
nicht gedehnt: Kert {<^herte), hert 'hirt'.
In den Zillinger (bei Pfalzburg) sprachproben finde ich
einzelne Wörter auf rm, ru mit länge; vor rt hat nur hart
'herde" delmung, nicht karte 'garten', zart etc. Waldhambach
hat länge des a und e vor rt, ferner in murld, gern, AMebers-
weiler auch in tsör 'zorn'. Strassburg hat nach Sütt. 29 und
Ch. Schmidt dehimng des a und e vor r + t, d: wärt) etc.;
auch drs ist angegeben.
Im grossen und ganzen haben also die Elsässer maa. a
und e vor r + t, d gelängt, aber nicht conseqnent, vereinzelt
auch vor »■ und ganz vereinzelt A'or anderen >-verbindungen.
§ 20. a) Dehnung \ov l + consonant findet sich nach
AA'rede 21, 275 (idtc) vereinzelt im Klsass. Nach meinen quellen
ist dieselbe nur für das Münsiertal (Mankel 2, 38) und für
das Zorntal in pal < halde und häl < haldc (Lienh. 2, 37) an-
gegeben. Im ^lünstertal fällt in den Ortschaften ]\rülilbach.
Bi'eitenbach, Metzeral und Sandernach in der Verbindung l
DEHNUNG DER MIID. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 155
und ebenso ni. ii + versclilusslaut dieser ab und die urs})riing-lich
kurzen vocale werden diplitliongiert. Dieser vorg-ang- tritt in
der regel nur dann ein, Avenn l -\- versclilusslaut im inlaut
stehen: liuil < hcddc, iceil < wilde (eine ausnähme maclit fad
'fehl'); päin 'bände', Jihimjr < kumher, ichin • wunde'.
b) Ebenfalls auf das Münstertal ist die erscheinung be-
schränkt, dass vor nasal -f spirans vocaldehnung- mit Schwund
des ersteren eintritt (Mankel 2, 37. 38): räi'f 'ranft', fai'^tor
•fenster', «-«Vr* Svunsclr . — Auch die Spieserschen sprachi^roben
des ^lünstertales bieten belege für diese erscheinung-; nach
denselben wird in Mühlbach der vocal vor den genannten
consonantengTuppen wol gedehnt, aber meistens, namentlich a,
nicht diphthongiert.
§ 21. Vor ursprüngliclier liquid- und nasalgeminata ist
in folgenden fällen vocaldehnung erfolgt:
a) Vor )■)■ ist in Basel regelmässig- der vocal gelängt
(Heusl. 41. Hoffm. 30): iiar 'narr', dir "dürr'.
b) Ferner ist in Basel in ein paar vereinzelten fällen vor
auslautendem U delmung eingetreten: fal 'fall' (pl. frl. aber
faU>)); stäl 'stall', doch auch dim. s^li u.a. — Ottenheim hat
!jn-räl, das auch für Basel und Elsass gilt. Das Münstertal
liat liicäl 'wallen' = sieden machen, Strassburg baal (frz. h
h(d) und wmd 'festungswair (aber baUc 'spielball', tvcdl "auf-
wallen des Wassers 'j. Für das Zorntal bezeugt Lienh. 2, 7
dehnung in all.
c) Für Ottenheim finde ich vor mm aus mhd. mh in einigen
fällen dehnung bezeugt: ijmds < imhiz, ßm < imhe u. a.; in an-
deren ist kürze erhalten: dum < tumji, dsijmr- < simhcr- etc.
(Heimb. 230. i^ (31). — Für das Münstertal s. oben § 20, a.
d) Vor auslautendem un ist in einem teile des'niederale-
mannisclien dehnung eingetreten (Heusl. 15 und A\'rede, Anz.
10.201: mann). Für Basel betrifft dies die Wörter mä 'mann',
aber pl. mi^nnor; Jcä 'kann', dazu auch 2.pers. //«.v.v; hau 'bann'.
\'on letzterem abgesehen schwindet also nu und der vocal
(nur«';:') tritt in offene silbe. AVrede gibt a.a.O. die grenz-
linie für den abfall des nn in mann, mit welchem 'in der regel
delmung iWii stammvocals verbunden ist'. Die hauptorte dieser
linie sind: Hiiningen, Lörrach, Schönau, Todtnau (Fi-eiburg),
Völii'enltacli, Ti-iberg, Hornberg, Hausach, Freudenstadt,
156 EITZERT
Leoiiberg', Bömiighfim. Boltwar, Munliardt. Biu-lieii und dann
die grenze des ostfränkisclien. Das gel)iet im SO diesei- linie
hat Yocaldehnung-.
i^ 22. Delmung vor urspriingliclieni Itt und hs. a) Mit
ausnalinie von Basel findet sieh an allen o])en angeführten
orten dehnung- vor ursprüng-licheni ht , aher in verschiedenem
umfanu-. Ottenheim hat bei allen vocalen dehnung, einzelne
frenRhv(>rter ausgenommen wie h rächt -pracht', imcht, (echt
(doch daneben auch (echt, Heirab. 231). P'iir Forbach sind naacht
und (jneqct 'kneclit' (c = palat. ch) gegeben.
im Zorntal zeigt sich nach Lienli. 2, 29 vor cht dehnung
des a und e\ äyjt num. card., fäxt^ < vehtcn\ neben rcxtd "richten'
kommt auch rcyh) vor. — Das Miinstertal kennt ausserdem
auch dehnung des u: früxt -fi-ucht' (Mankel2, 25. 37). — Strass-
burg hat ausser a und e auch o gedehnt: cJoochder 'tocliter';
dazu \)\. (Iccchder und dim. dcechdcrle (vSütt. 29). — Ferner
geben die sprachproben Spiesers beispiele dieser art; in Hirscli-
land sind die formen ndt 'nacht' und hni'ä 'knecht' veraltet;
dort wird jetzt kürze gesprochen: in nacht hat auch Rosteig
kurzen vocal.
A\'as speciell die dehnung des c vor ht betrifft, so ist
hiermit zu vergleichen, was Wrede im Anz. 19, 162 unter rechte
sagt: 'im nördlichen und mittleren Elsass ist dehnung desselben
häufig'.
b) Vor ursprünglichem hs hat in manchen fällen a dehnung
erfahren. wol)ei die gutturalsi)irans geschwunden ist. Wrede
gibt im Anz. 21, 2()1 unter uHichscn für diese erscheinung die
geographische begrenzung. Zunächst hat das gebiet, das süd-
östlich folgender linie liegt, vocaldelnning: Thengen, Löffingen.
Neustadt, (Freiburg), Elzacli, Schiltach, (Wolf ach), obere Murg;
ferner haben drei orte zwischen Rastatt und Seltz gedehntes a
in ivachscn, dann die gegend inmitten Bischweiler, Hagenau.
Ingweiler, Zabern, Maursmünster, A\'asselnheim. Molsheim,
Mutzig, Rosheim, Ob.-Ehnheim, Erstein, Strassburg, Kehl,
Renchen, Achern, die aber alle ausserhalb des gebiets bleiben,
und endlich fünf orte westlich von Münster. S. hierzu auch
Lienh. 2, 23 für das Zorntal und Mankel 2, 26 für das
Münstertal.
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 157
3. Sclnväbiscli.
Quelle: Teber ilie (lelniiuis'serscheinungen iiu scinväbischoii haben wir
jetzt eine zusaimnonfosseiulo darstelluiio- in H. Fischers (leographie iler
selnväbijicheu nia. mit atlas von 28 karten. Tül)in<ien lS9ö. Fischer behan-
delt unser theiua in den § 13 — 17; in l)etracht kommen die karten 1. 4. 5.
(i. IS. 20. 23. — In erster linie fnssen Fischers resultate auf dem materiale
von frag-ebügen aus gegen anderthalbtauseud Ortschaften; andererseits sind
auch die arbeiten anderer herbeigezogen, so Schmellers Maa. des könig-
leichs Bayern, "Weinholds grammatiken, Kauffmauns Geschichte d. schwäb.
ma., Bohnenbcrgers Gesch. der schAväb. ma. im 15. Jh., Bojips Vocalisraus
des schwäb. in der ma. von Münsingen. "Wagners GegeuAv. lautbestand des
Schwab, in der ma. von Kcutlingeu, und ^\'red{'S Berichte über den Sprach-
atlas. Pas gel)iet ist so weit gewählt, Mass es übei- das, was heutzutage,
auch im weitesten sinne, schwäbisch genannt wird, nach allen selten hinaus-
reicht": zugleich sollte für das jetzige Württemberg eine vollständige
Sprachgeographie gegeben werden. Wir finden deshalb ausser Württemberg
(und Hohenzolleru) aucli die angrenzenden teile Baierns, Badens, der
Schweiz und Vorarlbei'gs in den kreis der betrachtung gezogen.
Auf diese weise hat Fischer einen grossen teil des ostfräukischen mit
behandelt, nämlich dessen ganzen S^^': das hohenhdiische am Kocher und
Jagst, den Taubergrund und das ansbachische am oberlaute der Wörnitz,
Altmühl und fränk. Eezat und den südwestlichen teil des oberijfälzisehen
an der mittleren Altmühl; ferner das ganze nordostalemannische (nördlich
und östlich vom Bodeusee); weiter vom rlieinfränkischen die maa. an der
Enz und am Neckar von der mündung der Enz bis zu der von Kochei' und
Jagst: schliesslich den westlichen streifen des bairischen.
Die ergebnisse von Fi.schers arbeit verwerte ich bei der besprechung
der einzelnen dialektc. Was das eigentlich schwäbische betrifft, so gelten
dafür die folgenden gesetze (ich führe sie der Vollständigkeit halber an;
im einzelneu verweise ich auf den atlas).
§ 23. "Vor einfacher coiisouaiiz ist im allgemeinen ver-
läugerung eingetreten (F. § 13). A^reinzelte ausnahmen kommen
local beschränkt oder allgemeiner vor: tveg 'fort' neben ive£_
•via'; himl 'himmel' (im SW; vgl. Kauffmann, Gesch. d, seh w.
ma. s. 158), anderswo html; besonders vor t: bot 'böte', r/of 'gott'
((istlich yöf), fatdr (im NO fätdr), Iota 'geboten'. Bohnenberger
fügt Alem. 24, 28 zu dieser hauptsächlichsten ausnähme vor t
noch secundär entstandenes ph < h -\- h (dem an dieser stelle
ausgesprochenen wünsche B.'s nach einer karte über die gebiete
mit kürze bez. länge vor t schliesse ich mich ganz an). Con-
sequent ist die Verlängerung eingetreten, wo ein von haus aus
oder später einsilbiges wort zufolge abfalls consunantischeu
158 RITZERT
auslauts vocaliscli endig-t: ä *ab', sä 'sage' (dasselbe gilt auch
bei abfall von doppelter consonanz).
'Wo nun innerhalb eines paradigmas ein- und mehrsilbig-e
form wechseln, ist gleichheit beider eingetreten: sag, stu/d,
bot, hötd.
Fischer erklärt die ent stehung der 'aus dem NO g-ekom-
menen' dehnung vor einfacher consonanz in den zweisilbigen
formen durch Übertragung aus den einsilbigen: in diesen sei
im ganzen gebiete zuerst Verlängerung alter kürze erfolgt
(im NO des gebiets — da näher dem Ursprung — auch vor
doppelter consonanz; s. unten § 25). Glegen diese annähme
müssen wir front machen: die dehnung ist vielmehr zuerst in
zweisilbigen Wörtern (mit obigen ausnahmen) eingetreten, in
denen der vocal in ungedeckter silbe stand, und aus diesen
ist sie auf die einsilbigen übergegangen. Es ist keineswegs
mit F. annehmbar, dass die für das alemannische giltige deh-
nung einsilbiger Wörter mit auslautender lenis und die unten
zu besprechende dehnung einsilbiger Wörter mit doppelconso-
nanz im NO des schwäbischen unter einen hut gebracht werden
können. Dort haben wir den klar vor äugen liegenden einfluss
der folgenden bestimmten einfachen consonanz, hier Verlänge-
rung vor jeglicher doppelconsonanz, zwischen beiden aber ein
breites gebiet, in dem alt einsilbiges wort vor doppelconsonanz
die kürze bewahrt, einige wenige ausnahmen abgerechnet.
Von der Wirkung eines einheitlichen gesetzes kann somit hier
absolut keine rede sein (s. hierzu Bohnenberger, Alem. 24, 29 f.,
der derselben ansieht ist).
Die grenze für die nordostalemannische formel - gegen ^^ :
i säg, aber sdgo, ist in § 1 gegeben; weiter nach N erstreckt
sich das gebiet von tsch; 'zählen', 'so dass es sich fragen kniiii.
ob hier nicht die kürze aus altem icllcii abzuleiten sei"; mir
erscheint dies als das einzig mögliche (s. auch Heusler, Con-
sonantismus etc. 39). Die grenze für tselo geht von der oberen
Kinzig über Ostdorf in südöstlichri' richtung an Sigmaringen
vorbei, hierauf in ziemlich östliclier lichtung bis l'nterdettingen
an der Hier, dann nach S bis über Memmingen, worauf sie
bald ostwärts bis zum Lech verläuft.
§ 24. a) 'Tor doppelter consonanz ist alt- oder neu-ein-
silbiges wort lang geworden, sobald der consunantisclK^ nuslauv
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 159
abgefallen ist: mä •manu*, da 'dach' (aber dax, wo x erhalten
ist)' (F. § 14); ebenso bei dem südlichen pl. mä, wä < altem
pl. man. — Die Verlängerung musste in diesen fällen eintreten,
da der vocal in offene silbe zu stehen kam; principiell gehört
deshalb diese erscheinung zu dem vorhergehenden paragi-aphen.
Ueber das gebiet des abfalls von -mi im schwäb. s. § 21, c.
b) 'Sonst ist bei alt-einsilbiger form kürze im SW, länge
im XO des gebiets, so dass im SAV das ganze paradigma
kürze, im NO gesetzmässigen Wechsel hat: SW Jcöjjf, köpf,
XO l^opf, l'opf, auch nom. löj)/', dat. löpf < Iwpfc' Die ein-
zelnen Paradigmen haben wol abweichungen im verlaufe ihrer
grenzen, doch sind dieselben so gering, dass die einheit des
gesetzes erkannt werden kann. Die grenze läuft von N her
kommend ca. 10 — 15 kilometer östlich vom Neckar in südlicher
richtung über Jagst, Kocher, Rems und Fils bis Bissingen,
dann in süd(»stlicher richtung die Donau etwas oberhalb lim
überschreitend und auf ca. 80 kilometer der Hier entlang bis
Unterdettingen, hierauf nach 0 bis zur Wertach und dann
südöstlich über den Lech. ]\rit dieser linie stimmen auch 'dach'
und "loch', nur dass im S durch ansfall des ch notwendig Ver-
längerung eingetreten ist; auch "gold' und 'holz' stimmen,
ausser im S. — Nach F. beAvahrt der dativ liopf die kürze;
leider fehlt die angäbe, wie weit sich diese erhaltung der
kürze trotz apokope des endungs-e erstreckt; für die dative
tisch, hiß (überwiegend) und feld wenigstens gilt auch im
schwäbischen NO vocaldehnung (Wrede, Anz.22,325. 19,278.285).
Zwischen einer linie, die im grossen und ganzen zu der
von köpf stimmt, einerseits und Altmiihl, Lech, Ammersee und
oberer Ammer andererseits ist in den Wörtern mit r + nasal:
-ni, -rni, auch -Im svarabhakti eingetreten und der auslautende
nasal abgefallen, ich stelle diese fälle hierher, (hi die alt-
zweisilbigen formen kurz sind: hörntr, arm. Fischer hält den
Zusammenhang für zweifelhaft. Freilich könnte es nahe liegen,
die länge in ivurd < tcuiiH aus der zweisilbigkeit zu erklären,
wodurch die tonsilbe eine offene \\urde. Da aber an der Rezat
und mittleren Altmülil (vgl. § 45) die altzweisilbigen formen
trotz svarabhakti kurz geblieben sind, im gegensatze zu den
alteinsilbigen, .so möchte ich annehmen, dass — wie dort —
auch in unserem falle die alte foniiel irnrm : triirm.i vorliegt
160 UITZERT
und dass !>icli erst nach entwickelung dieses Unterschiedes
ivürm > ivürd gebildet hat.
§ 25. Principiell wie bei lupf : löpf liegt der fall in den
Wörtern auf nä und cht (s. F. 19 und karte 1); auch hier sind
die altzweisilbigen formen kurz, also häd {händ), aber heml
(was im NO und in der mitte auch für nom. und acc. mit-
g-ebraucht ist), icTd (tcind) : tvhid; nacht {ndt), frücht (frnt).
Aber wir finden ein viel grösseres verbi'eitungsgebiet als dort;
'die gTOSse abweichung kann nnr auf rechnung der consonanz
kommen'.
Das gebiet dieser dehnungserscheinung ist folgendes:
ausser dem 0 der Knie Löj^f : löpf hat ganz Württemberg länge
in liäd (lidud) mit ausnähme der maa. an der Enz und auf
beiden ufern des Neckars von Pleidelsheim abwärts; kürze
findet sich ausserdem im SAV an dem oberlaufe der Kinzig
und Donau bis Tuttlingen. Auf dem rechten ufer der letz-
teren besteht ein grösserer dehnungsbezirk: von Riedlingen
an der Donau läuft die betr. Knie südöstlich bis Hummerts-
ried und dann nördlich bis zur Hier. — An der Verlängerung
ivTd {ivtnd) nehmen nicht teil die maa. an der Enz und am
unteren Neckar, an der Nagold, am oberlaufe des Neckars
(bis einige kilometer oberhalb Tübingen) und der Donau bis
Zwiefaltendorf ; auf dem rechten ufer derselben findet sich hier
nur ein kleines gebiet mit vocallänge. — Die grenzlinie für
hitd {hnnd) entfernt sich nicht erheblich von der linie köpf :
köpf; sie berührt nur zweimal den Neckar ohne ihn zu über-
schreiten (vgl. hierzu auch Wrede, Anz. 19, 104 p>fund, 107 kund,
111 lind).
In nacht dehnen die maa. am unteren Neckar nicht (bei
frucht schon von der Remsmündung ab nicht) und ein gebiet
von grösserem umfange auf beiden ufern der Hier bis Unter-
dettingen: sonst das ganze schw^äbische. Die linie für friiclil
(früt) geht nicht so weit südlich als die für nacht, welche den
ganzen 0 des Bodensees umfasst, ohne jedoch bis zur Hier zu
gehen (vgl. oben § 12).
§ 26. 'Ein einfluss von Verbindungen r -\- dental auf Ver-
längerung des vorausgehenden vocals ist zwar nicht zu leugnen,
aber auch nicht gesetzmässig zu fassen. Nur a wird hier regel-
mässig verlängert: bdrt, Ichüftj, ijaru' (s. F. 20 und karte 18).
DEHNUNG DER MHl). KURZEN S TAMMSILBKNVOCALE. 161
Verla n;2:enuip- vor r + dental ohne unterschied zwischen
ein- und zweisilbiger form zeigt das grosse hauptgebiet mit
ausnähme des oberen Neckars (bis Irslingen), der oberen Donau
(bis Irrendorf) und eines gebietes, das sich in einer breite von
ca. oO — 45 kilometern im N^^' von Ulm bis zur Rems erstreckt:
ivirt, Mrsclu schürz. Im S der Donau, von Sigmaringen bis
Donaustetten auch auf ihrem linken ufer, also an Schüssen,
Hier, "S^'ertach und Lech, findet sich die svarabhaktiform wi9rt,
die F. aus dem spiele lässt, 'weil sie weder für kürze noch
für länge beweist'. Ebenso sind die fälle uuprt 'wort' und
fedrs 'vers' zweifelhaft; 'ob diese kurz oder lang seien, ist
schwer zu erkennen und w^ürde lauter sehr genaue beobachter
erfordern'.
Zwischen schürz und Jcirsch besteht ein unterschied im N
des gebiets; die grenze für ersteres zieht von der Enzmündung
an den Kocher (etwas unterhalb von Hall), dann nach 0 bis
zur mittleren Altmühl und hierauf den Lech hinauf, von dem
sie zum Ammersee abbiegt; dann zieht sie von Wessobrunn
in westlicher richtung. Kempten in einem bogen umschliessend,
zur Schussenquelle und endlich nach NW über Epfendorf bis
zur oberen Kinzig. Dagegen verläuft die grenze für Mrsch
(altzweisilbig) vom unterlaufe der Enz östlich, schliesst Kocher-
und Jagstiiuelle ein, wendet sich nordöstlich nach der oberen
A\'örnitz, von wo sie, auf dem rechten ufer derselben bleibend,
zum Lech zieht; im S tritt die form 'kriese' ein.
In arm hat auch der SW gebiete mit länge.
§ 27. 'Die lautverbindung n + Spirans hat im schwäbischen
länge des vocals mit Verlust des n bewirkt. Im schwäbischen
hauptgebiet (zwischen Schwarzwald, Welzheimer wald, Wörnitz
und Lech) herscht die forniel yäs : ges u. s. f. ohne unterschied
von sing, und pl, hier also Verlängerung durch n + Spirans
bei ein- und mehrsilbiger form' (F. 22 und karte 4). Noch
deutlicher ist dies bei den beispielen in karte 5: zlns, fünf,
hr linst, uns = z%s, ftf etc.; hier zeigt sich das hauptgebiet im
A\'. N und 0 von kurzvocalischen formen umgeben, und zwar
sind die grenzen, vom NO abgesehen, auch Avie bei (juris.
§ 28. Dehnung vor n -f verschlusslaut findet nur im ^^'
des hauptgebiets statt (F. 23 und karte 4. 6). Das gebiet für
cH 4- ver.schlus.slaut: et 'ente', im äussersten SA\' ült, ist am
lieitrüge zur geBcbicbta dt-r deutiioben apraohe. XXIII. ] 1
162 RITZERT
umfassendsten; ausser der Enznia. nimmt nur nocli das obere
Douaugebiet bis 'i'uttling-en nicht daran teil. Die grenze im
0 bildet eine linie. die von der Eemsmündung- zur Donau zieht,
auf dem rechten Donauufer haben nur zwei kleine gebiete
länge, das eine bei Tuttlingen und das andere etwas unterhalb
Sigmaringen. — Die grenzlinie für dek^ 'denken', im äussersten
S^^' dälkd, reicht im A\^, X und 0 nicht ganz so weit. — Ver-
längerung in mkscli 'mensch' findet sich zwischen oberem
Neckar und der Donau von Tuttlingen abwärts (zwischen
Neckarquelle und Donau malt seh). 'Fast immer ist ts, nicht
blos s angegeben; ein »mensch« würde sich wie njänse« ent-
wickelt haben; der einschub des t muss also alt sein' (F. 23,
anm. 8). In ivhiter erscheint Verlängerung zu wlter in einem
kleinen gebiete zwischen Tuttlingen, Donau- und Neckarquelle
und zu lüäiter in einem kleinen bezirke zwischen dem ober-
laufe der Donau und des Neckars, der Ostdorf, Bitz, IMess-
stetten und Erzingen als grenzorte hat (s. auch Birl. 51. Bohnen-
berger, Alem. 24, 28).
§ 29. Dehnung vor chs mit ausfall der gutturalspirans
(F. 21 und karte 20). 'Soweit urspr. lis zu s geworden ist, ist
der vocal ohne unterschied ein- oder mehrsilbiger form ver-
längert: flas 'flachs', ös 'ochs', his 'büchse'. Das gebiet dieser
Verlängerung ist dem von Mpf geographisch gerade entgegen-
gesetzt. Daraus geht hervor, dass die einwirkung der conso-
nanz von jenem allgemeinen prosodischen gesetz verschieden
— und mit lun so grösserer Sicherheit, dass sie wirklich vor-
handen ist.'
Am kleinsten ist das gebiet für 6s: es umfasst den Ober-
lauf von Murg, Kinzig und Nagold und das gebiet zwischen
letzterer und Enz. Ausgedehnter ist die Verlängerung his:
quellgebiet der Murg, Kinzig und Nagold und beide ufer des
Neckars von Wittershausen bis Kirchentellinsfurt (unterhalb
Tübingen). Am verbreitetsten ist die länge wäsd: von der
oberen Murg zieht die grenze über die untere Nagold, südlich
an Stuttgart vorbei, überschreitet den Neckar bei ]\Iittelstadt,
läuft von Zwiefaltendorf die Donau aufwärts, überschreitet sie
unterhalb Sigmaringen und wendet sich dann nach SO, den 0
des Bodeusees umfassend.
DEHNUNCi DHU MHl). KURZEN STAMMSlliUKNVOCAliE. 103
I. H;nris('li-()sten'ei(*liiscli.
Quellen: Xng. Hartniann, Volks-scliauspiele. In Baiern und Oester-
reich-Ungaru g-esauimelt. Mit glossar. Leipzig- 1880. — M. Hinimelstoss,
Ans dem Zairischen wald. Bay(>rns mnndarten 1. (11 ff. 239 ff. 36-i ff. 2, HS ff.
24.3 ff'. 445 ff. — Val. Hintner, Beiträge zur tirolischen dialekttbrsclinng.
Her Deferegger dialekt. Wien 187S. — Joh. Krassnig, Versuch einer
lautlehre des oherkärntischen dialekts. Progr. von Villach 1S7Ü (Kr. hat
•allein die ma. des mittleren Gailtales im äuge'). — M. Lex er, Kärnti-
sches wörterhnch. Leipzig 18(i2 (s. viii — xiv gibt L. einen 'überblick der
lautverhältuisse".) — E. v. Muth, Die bairisch-österreichische ma. Progr.
von Krems 1S73. — Seb. Mutzl, Die bairische ma., Bavaria 1.339 — 3H3.
München IStiO. — H. "\^'. Nagl, (irammatische analyse des niederösterreiclii-
scheu dialektes im anschlnss an den 0. gesang des Eoanad. AVien 188(1. —
H. K. Xoe, Beiträge zur keniitnis der nia. der Stadt Iglau, J'rommanus maa.
5, 201 ff. 310 ff. 459 ff. — A. Prinzinger, Die baierisch- österreichische
Volkssprache und die Salzburger maa., Mitteil. d. gesellsch. f. salzb. landesk.
22 (1882), 178 ff". — J.Schatz, Die ma. von Imst. Strassburg 1897. —
J. A. Schmeller. T'eber die quantität im bairischen und andern deutschen
dialckten, Abhandl. d. bair. acad. 1830. — J. A. Sc hm c Her, Die maa. Bayerns
grammatiscli dargestellt. München 1821. — J.B. Schöpf, Ueber die deutsche
volksma. in Tirol. Progr. von Bozen 1852—53. (Schöpf 1). — J.B. Schöpf,
Zur lautlehre des oberdeutschen in der bairisch-österr. volksma. von Tirol,
Frommanns maa. 3, 15 ff". 89 ff'. — J.B. Schöpf, Tirolisches Idiotikon. Nach
dessen tode vollendet von A.J. Hofer. Innsbruck 18H(j. — K. Weinhold,
Bairische grammatik. Berlin 1807.
§ 30. Mhd. kurzer vocal in offener silbe wird im bair.-
österr. dialekt stets gedehnt: göd 'gott', hüder 'butter', sümer
* Sommer'; s. Schmeller § 672. Mutzl 343. Schöpf 2, 89 ff . Noe 206.
Krassnig 12. Schatz 10*9 ff. Weinhold § 7. 36. 43. 48. 51. 55. 57.
<)1. 141; ferner sehr zahlreiche belege bei Hartmann im glossar,
Nagl. Lexer viii — xiv und in den übrigen angeführten werken;
für den Bair. wald s. auch die einleitung zu Himmelstoss von
0. Brenner in Bayerns maa. 1, 61 — 64; für den vorderen teil des
Paznauntales gibt Hauser in den Forsch, z. d. land- u. volksk.
4,381—386 belege.
§ 31. Durch vocals3mkope in suffixen und flexionssilben
bedingte ausnahmen konnnen allenthalben vor, am häufigsten
in Tirol und Kärnten; Tirol: hämniel, n'cpl 'nebel', doch auch
)irljl: Kärnten: näyl 'nagel', ösl 'tiieV, Jcünik 'könig'; die für
Imst im Oberinntale Tirols geltenden kürzen s. bei Schatz 114.
— Zahlreich sind daneben die fälle, in denen dei- regelrecht
gedehnte \'Ocal erscheint: sf/fl, Ujl, liöniiuir *luimmer' etc.
11*
164 RITZERT
Im liauptgebiete sind diese (sclieiiil)ai'en) ausnalimeii selir
selten; vgl. Weiiili. 50: "die zahl der heute erhaltenen kurzen a
vor einfachen consonanten ist sehr g-ering'; hierher zu zählen
sind vater, hamer, Icanier, in denen nach Schmeller 1, 755 die
quantität schwankt. Kürze in vater finde ich ausser in Tirol
und Kärnten (s. unten § 33) nur noch bei Muth 16; bei Xagl
und ISchmeller 2, § 072 hat das wort gedehnten vocal. — Nach
Weinh. s. 60 erhält sich vor m zuweilen die kürze c: nemmen,
hemmen (= 'nehmen, kommen'); für beide worte ist aber als
quelle nur Luterotti, Gedichte im Tiroler dialekt (Innsbruck
1848) gegeben, während Weinhold s. 65 selbst als allgemein
für den bair. dialekt geltend: gnomen, hörnen anführt. Be-
stätigt und ergänzt werden diese angaben durch eine der
neuesten dialektarbeiten; nach Schatz 114 haben beide Wörter
in Imst in allen formen die kürze, in der Umgebung aber ist
die dehnung durchgeführt. Auch die Salzburger ma. hat nach
Prinz. 193 höhemma, doch smna 'sommer'; ferner gibt Hartm. 583
kemmä'. Kurzes / findet sich nach Weinh. 61 in cimlich, wider
adv.; leider fehlt genauere Ortsbestimmung.
Mutzl 343 hat als kürzen nur gettä 'götter', hlddl dim.
zu bläd 'blatt', wetta 'wetter'; auch bei Noe findet sich nur
sehr selten kürze: schathi, gleppn 'kleben', gihM u. a. Im
Bair. wald finden sich nach Bayerns maa. 1, 62 neben einander:
hredsr und hredor 'bretter', wedor und wcddr 'wetter'.
Wenn in einzelnen fällen mit stammhaftem f allgemeiner
die kürze erscheint wie in hetn 'beten', schmitn, scUütn, noten
pl. 'noten', dretn 'treten' (vgl. zu letzterem Schatz 112), so
gehören diese ebenfalls zu diesem capitel. Vgl. Weinh. s. 293
und 311. Schatz 112.
In der verbalflexion begegnet uns die alte kürze häufig.
Im ganzen gebiete findet bei stammen auf (/ oder / in der
3. sing, und 2. pl. praes. und bei den schw. verben in der 1.
und 3. sing, und 2. pl. praet. und im part. praet. stets synkope
des flexionssilbenvocals statt, Avodurch gemination mit kürzung
des vorvocals entsteht (Weinh. 290. 308). Nach p (b) und //
und h fällt in der 3. sing, und 2. pl. praes. / regelmässig ab,
der Stammauslaut wird verschäi'ft, der stammvocal gekürzt
(Weinh. 147. 290. 308; s. ferner Schmeller 2, § 675.678. Mutzl 361.
Lexer xiv. Xagl 26. Noe 319. 321. Schöpf 2, 102. Prinz. 191).
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSÜLBENVOCALE. 165
Für die 2. mig. praes. sagt A\'einh. 289: 'der endvocal
uiiterlieg:t der sjmkope'. Mit dieser erscheinung ist nach Nagl
s. 10 (§ 3. 4) kürze des stammvocals verbunden. Schöpf fasst
(2, 102) alles hierher gehörige in den allgemeinen satz: 'tritt
in der flexion zu dem einfachen consonanten ein anderei-, so
bleibt die kürze: i sä(j, aber du sägst, er sägt (und sät), gsagt
(g'satt, gsöt).
§ 32. Die erhaltung der kürze des vorhergehenden vocals
findet im bair.-österr. gebiete auch dann statt, wenn in der
composition oder im satzzusammenhange zwei verwante con-
sonanten sich anziehen und wechselseitig verstärken; s. Nagl
s. 27: glös 'glas", aber glöffiuis. Xagl hat hierüber sehr aus-
führlich in dem ungemein interessanten capitel ' assimilation '
gehandelt und den satz aufgestelllt (s. 10, § 3. 4), dass die in-
tensivität der consonantenaussprache mit der länge des vorher-
gehenden vocals in verkehrter proportion steht. AVährend die
assimilation im worte stets kürze bedingt, da die die assimi-
hition hervorrufenden consonanten nie von einander getrennt
werden : solc aus sögt, gip aus gibt, Iv/pa (mit kurzem diphthong)
aus lehv-ta "lebtag" — , hört man im satze überall auch die
niclit assimilierte form sprechen, trotzdem diese assimilationsart
im ganzen gebiete des bajuwarischen dialekts gebräuchlich ist
( a. a. 0. s. 26) — Zu dieser durch assimilation hervorgerufenen
lautlichen Veränderung gehört es, wenn v. Muth 16 sagt, der
bair.-("»sterr. dialekt habe den hang, die im hochdeutschen lange
Stammsilbe zu verkürzen, und \\'einhold 112, im bair. werden
(alle im gemeinen deutsch geschärften stanmisilben gedehnt,
lind umgekehrt) die gedehnten geschärft; unser gesetz von der
dehniing in offener silbe wird durch diese assimilation nicht
alteriert.
§ 33. A^'irkliclle ausnahmen von obigem gesetze begegnen
uns in den maa. von Tirol und Kärnten. Von Tirol gilt, was
Schöpf 1, 8 sagt: 'einzelne ursprüngl. laut Verhältnisse, manche
kürzen hat die ma. bewahrt'; ferner s.516: 'Oberinntal, besonders
aber Paznaun hat unverkennbar viel schweizerische demente;
die ma. im Lechtal sclieint den Übergang zum alem. zu bilden'.
Kürze vor t habe zahlreiche Wörter in Tirol: hrctt und dim.
hrittl, statt, sitf 'sitte' (an der oberen Etsch und Eisack sit),
glatt, gesotten u. a.; neben krotfu steht Icrot 'kröte'; andere
1(1(1 RITZERT
haben nur länge: bot 'böte" u. a. (s. die beispiele bei Scliöi»f
und Hintner); nach Weinh. 65 kommt im bair. auch hott und
hotten vor: ich finde die kürze in diesen nirgends belegt.
In der erklärung* der Verschiedenheit der quantität vor t
stimme ich Schatz 111 f. zu: das t war in inlautenden formen
zur zeit der dehnung anlaut der schwachtonigen silbe, so dass
der stammvocal schwachgeschnittenen accent hatte, die Vor-
bedingung der nhd. dehnung (Paul, Beitr. 9, 102), Der kleinere
teil der Wörter mit auslautendem t hat nun die dehnung aus
dem inlaut übernommen; griisstenteils aber wurde die aus-
lautende kürze in den inlaut übertragen: got 'gott', mit 'mit',
srit 'schritt', (jlgt 'glatt' etc. Die ma. (Imst) dehnte vor aus-
lautender verschlussfortis den vocal nicht, während vor aus-
lautender lenis die dehnung — m. e, in folge Übertragung aus
dem inlaut — eingetreten ist; vor auslautendem / aber wurde
der schwachgeschnittene accent gesetzmässig durch den stark-
geschnittenen ersetzt, wie die überzahl der beispiele beweist.
Oestlich von Imst erscheint die länge: mit, srit, ebenso im
Unterinntale von Telfs abwärts. S. auch Sievers, Phonetik^,
§ 792.
Auch in Kärnten erscheint nicht selten vor t kürze: götc
= 'pate', statt, räda (nur in Unter-K.) u. a.; im kämt. ]\Iöll-
tale, wo dehnung in weiterem umfange als im übrigen K.
stattfindet, aber blat 'blatt' u.s. w. (Lexer viii).
In Tirol und Kärnten erscheint auch einige mal vor d
kürze: T.: ystätt 'gestade*, jud 'Jude', röd neben ral "rede";
K.: lit, aber Ud'l !■ g\\%^\ pdt *bad', iväde und iväd'l 'wade' u. a.
Aum. 1. Die ShIzI». lua. (riiizgau, Zillertal, roiiyau, Erixciital)
kennt kürze voi' t nicht: raiida 'vater", (/ada 'gatter", schrid 'schritt'
(Prinz. 1S7 it.).
Ausserdem ist in Tirol und Kärnten in manchen ein-
silbigen Wörtern die kürze erhalten; T.: hlm < haue, toll
'tüchtig', müll 'mühle" u.a. (Schöpf 1, 11. Erklärung bei Heusler,
Conson. 13). — Für K. sind bei Lexer mehr hierher gehörige
fälle zu finden; in manchen tritt in den flectierten formen
die gesetzmässige länge ein: tdJ: 'tag', aber i)l. td(/e: f/rdss
'gras', aber dim. (/räsl; mU 'mehP und tudivik "uiehlig", lioff
•hof neben honf u. a. •
DEHNUNG DER MllD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 167
All in. 2. Nach Schraeller 1, 755 ist die quaiitität sclnvaukfinl in sdl,
f(tl, Achiran, bJad, (/las, gras; es fehlt zwar die aiio-abe, wo in diesen Wörtern
die kürze erscheint, doch hatte Schm. jedenfalls die eben genannten gebiete
im ange.
§ 34. Als zweites haiiptdeliming'sgesetz g-ilt für unseren
(lialekt mit ausnähme des südliclien 'i'irols und Kärntens, dass
der vocal in mlid. einsilbigen Wörtern vor doppelconsonanz
gedehnt wird. In der ableitung und flexion erscheint wider
die alte kürze;; die consonantenverstärkung (und die damit ver-
bundene schärfung des vorvocals) tritt ein, wenn eine endsilbe
folgt, selbst wenn sie aus einem unausgesprochen bleibenden
vocal bestünde' (Schmeller 2, § 403). Hiermit stimmt folgende
tatsache des "Wenkerschen Sprachatlas: südlich der linie Lech-
mündung. Donau. Ingolstadt, Neumarkt. Eger hat der dativ
sing, tisdt kurzen vocal. nördlich gedehnten (Wrede, Anz. 22,
325); ferner gibt Brenner in Baj'erns maa. 1, 62 hrös 'ross',
aber dat. hros; Aveitere beispiele tis, pl. tis; trüzm., aber trutzeg;
stiKj 'stück', pl. ebenfalls stng, da auf mhd. einsilbige neben-
form zurückgehend (s. Schmeller 2, §691; ferner § 111.115.
1 16. 422. 453. 457. 508. 617. 640. 665—667. 690. Weinhold .§ 7.
36. 43. 48. 51. 55. 57. 61. Mutzl 343. 345. 351. Noe 208. Nagl
442 (§ 10. 12). 358. Baj^erns maa. 1, 62 ff.; ferner zahlreiche bei-
spiele bei Hartmann). Wie weit die Salzburger ma. beteiligt
ist, vermag ich nicht genau zu bestimmen; Prinz, hat avoI
ivi'iuscht "wursf, schauts 'schätz', saulc 'sack' u.a., aber roch,
lojif u. a.
In Tirol zeigt das gesetz erst von Telfs abwärts nach Hall
und um Innsbruck seine Wirkung (Schöpf 2, 90 ff.); doch hat
die Imster ma. in einer reihe von Wörtern mit auslautender
spii'ans-fortis den kurzen vocal gedehnt: ^/W/' 'griff', J;^5 'biss',
stix 'stich' u. a. (Schatz 109 f.). Nach karte 1 in Fischers atlas
setzt sich die linie für /.o/;/' : Jiö2)f, die bei Epfach den Lech
überschreitet, in südöstlicher richtung fort bis Ohlstadt an
der Loisach (der weitere verlauf ist nicht mehr zu sehen):
der Oberlauf der Loisach liat also keinen anteil. Für iviud
ist die grenzlinie bis zui' Isar verzeichnet: im S der linie
Epfach. Wessobiuiin, Loisaclmiiindung gilt kürze. — Von den
iiiaa. Kärntens o-eh<irt das Mr»lltal hierhei': hond 'band'. nU
•nicht ■; Lexei' \ iii.
168 RITZERT
§ 35. Ausnahmen des vorstehenden gesetzes linden sich
bei bestimmten consonantengriippen:
a) Fast allg'emein unterbleibt die dehnung vor urspr. hs
= Jis : flachs, fuchs; Schmeller 2, § 423; auch Nagl gibt bei-
spiele dieser art; s. ferner Bayerns maa. 1,62.
b) Zuweilen lautet im ostlechischen dialekte am ende
gewisser nicht flectierten formen fs wie ff : ha ff, im ff (Schm.
2, § 648. 194).
c) Nach Schm. 2, § 666 bewahrt seh in einigen unflectierten
formen den scharfen laut: falfch, hirfch.
d) In Niederösterreich tritt vor n^ nur in wenigen fällen
dehnung ein: schivänns, pl. schtvunz; 'die dehnung wird durch
consonantenverhärtung, die hier durch consonantenhäufung be-
dingt ist, verhindert'; ^ntf ist von dauernder inhärierender
schärfe'.
Anm. 1. In Niederösterreicli bleiben nomina auf sc/ luul chd 'am
liebsten' ai;ch im pl. nngeschärft : /pechrJ, \t\. /pf'eJuhi; lösd, \)\. lörMhi, aber
neisd, pl. ne/fda; doch behalten diejenigen, die ein historisches e verloren
haben, scharfes -ft: (jrift 'gerüste' (Nagl 195), Avie überhaupt alle luhd. nicht
einsilbigen Wörter kurz bleiben, wenn sie auch im dialekte einsilbig er-
scheinen (Nagl 442, § 12).
Anm. 2. Hin und wider kommt es vor. dass die quantität des nom.
sing, in flectierte formen eindringt; s. Schmeller 2, § «UO: (luc/s 'gewiss' und
zuweilen auch a g-icisf, 3"n g-wisn; Bayerns maa. 1, ()2 für den Bair. wald :
khrefdn 'kraft und kräfte', khrefd/g.
§ 36. Einen weitgehenden dehnenden einfluss auf den
vorausgehenden vocal haben im bair.-österr. dialekte die li-
({uiden l, r und die nasale m, n, >j (s. Schmeller § 542. 627. 555.
568. 613. Nagl 27. 442). Nach beiden forschem sind diese laute
einer Verstärkung fast nicht fähig, so dass meistens die gemi-
iiaten II etc. wie einfache laute ausgesprochen werden 'und
also den vorhergehenden vocal nicht schärfen' (Schm. 2, § 111).
Beispiele: fällen: tälla sing, und pl. 'teller'; pfoarä 'pfarrer',
pl. pfXra; läm 'lamm'; Jchaü'l 'kännlein'; pfa^hiiu 'pfennig'.
Belege zu dieser erscheinung geben auch die übrigen quellen.
Schm. macht in den citierten paragraphen die bemerkung,
dass diese 'eigenheit' von eingeborenen auch auf die ausspräche
des schriftdeutschen übertragen wird.
In der Imster ma. ist nur in der lautgruppe -irr vocal-
dehnung eingetreten: /->/;> 'iireif, ks'ur 'geschirr' (Schatz 114);
DEHNUNG DER MHT). KURZEN STAMMSTLBENVOCALE. It^O
ausserdem noch in »lOri 'mann", fl'cd "feH" (auch im [A. f\'(d,yy)
und Icyroüm 'krampf (mhd. hram, gen. Jcrammes); s. Schatz 113.
§ 37. Für die niederitsteiTeichisclie ma. liaben aucli die
verbindung-en liquida und nasal + consonant dehnenden ein-
tiuss, besonders » vor /.: und / vor dental- und palatalmuten
(s. Nagl 358): gedmM pl. 'gedanken', zaumlwlldn 'zusammen-
Imlten", Idwlldar comp, zu Ihölld: aber hölhj 'balg', pl. hdU/,: u.a.
Die hierher gehörigen Verbindungen r + consonant be-
wirken fast regelmässig vocaldehnung: Ididiiw 'korb', \A.lchRiiv]
stmm 'sterben': gmidn 'garten' — nicht aber gewöhnlich r + h
(Naglir2) und r -\- spirans (Xagl 358): Molik 'stark', schmms
'schmerz'; in Wien auch nicht die Verbindung rt (Nagl 71),
während der Neunkircher dialekt vor rt nur selten kürze hat
wie in ydin 'gerte"; neben faidi 'fertig* steht fmdi, das die
jetzt gebräuchlichste form ist (Nagl 81).
Dagegen hat in Niederösterreich nd die neigung zur
härtung im inlaute (Nagl 419), d.h. nur im \i\. der dA\i -nd
auslautenden Substantive und in allen formen der starken
verba (Nagl 358): >;ind 'sünde', aber pl. slntn: fintn 'finden";
eine anzahl hat aber auch in mehrsilbigen dehnung: baünd und
pl. hända, länd und dim. ländl (s. hierzu Nagl 421).
Anm. Das bairische südlich der Donau, feiner im Bair. wald nud am
(ibereu Regen, vereinzelt an der Altmühl, hat mouillierung des /: soiz 'salz'.
Die grenze dieser erscheinnug im W bildet der untere Lech und dann eine
liuie. die nördlich an Augsburg vorbei nach SO zieht zwischen Ammer-
mid \\'ürmsee durdi, um westlidi von Mitteu\\ald die reichsgrcuze zu
treffen: s. Wrede, Anz. fda. 1!1, 102. Schmeller § 5*23— 5'25.
Ol) die durcli die Verbindungen von li([U. oder nasal +
cons. bewirkten längungen für weitere gebiete giltigkeit liaben,
vermag ich nicht zu entscheiden, da aus den vereinzelten bei-
spielen der mir vorliegenden arbeiten sichere Schlüsse nicht
zu ziehen sind. Nur was die Verbindungen von r + cons. be-
trifft, lässt sich noch folgendes sagen.
Die Wortsammlung aus dem Bair. wald in J^ayerns nma. 1
und 2 von Himmelstoss hat sehr zahlreiche beispiele mit länge
vor /• 4- cons.: düDtu^ 'türmer', fdrln 'ferkel werfen', fid^rsn
, ferse* u. a.; selten ist der vocal kurz: (idrt 'gerte', nic9>'L>'
'merken'.
in Tirol lind Käiiiien iindet häutig vor r -\- n vocaldehnung
170 RITZERT
statt: (järn, turn •türm" und pl. Um u. a.: voi' r -f /, d haben
in Tirol die meisten Wörter kürze, nur einige auf mlid. a und e
sind g-edelmt: ärt ' geschleckt ' und ärtlich, ercVn 'erde', herd <
herf m.; allgemein we«>- 'werde'; auch oar^ 'ort' und pl. ear/er,
tvoart imd dim. tvertl.
Für Imst gilt dehnung des / vor r + dental, cons., des e
vor r + dentaler lenis und des o vor r -j- dental; vereinzelt
sind ort *art', tswi 'zart', fort (aber förtig), grs, h^öirtsd 'kerze',
niöirts, liföirt 'fahrzeug", gepürt 'geburt' (s. Schatz 114 f.). Die
maa. westlich von Imst haben e und / auch vor r + lab. und
gutt. cons. gedehnt (s. Schatz § 40. 43).
Die dehnung vor r + consonant ist mithin nach den ein-
zelnen vocalen und consonanten in der einzelma. wie unter
den verschiedenen maa. Tirols eine verschiedene; ebenso ist
es in Kärnten. Im kärntischen C-rail- und Drautal erscheint
vor r -f cons. aber häufiger die länge (s. Lexer ix); ebenso im
Mölltal; im Lavanttal wird r und der ihm vorausgehende vocal
gedehnt gesprochen (s. Lexer xii).
§ 38. Als einzelheiten erwähne ich noch folgendes:
a) In Niederösterreich ist vocaldehnung vor ck eingetreten
in biKjl 'buckel', ivogln 'wackeln', snga 'zucker' u. a.; ferner
vor tz in mizn 'mutze' und Idesn schw. m. = 'gedörrte obst-
spalte'. Vereinzelt kommen diese fälle auch sonst vor; so hat
Kärnten spötze und dim. späts'l 'spatz'; für Iglau gibt Noe hükl.
b) Vor doppelspiranten ist in der kärntischen Gnesau
dehnung eingetreten; vgl. Lexer in s. überblick: g-sess'n, ess-n,
trefn. Nach Prinz. 182 findet sich diese erscheinung auch in
einem 'teil von Kärnten' und in dem Salzb. Lungau: ecs'n
'essen', ivaasa 'wasser'.
in diesen fällen lag bei eintritt der dehnung keine gemi-
nation mehr vor, so dass der vocal im silbenauslaut stand;
dieselben sind deshalb principiell wie die in § 30.
5. Ostfränkisch.
Quellen: H. Bauer, Der ostfränkische dialekt zu Künzelsau, im Wir-
temberg. Franken, Zs. d. bist. ver. f. d. wirt. Franken (>, 3 (1864), 369 ff. —
0. Felsherg-, Die Kolmrger ma., Mitteilungen der geogr. gesellschaft zu
Jena 6 (1888), 127 ff. — E. Fentsch, Die oberpfälzische ma., Bavaria 2,
abt. 1 (München 1 863), 193—217.. — C.Franke. Die unterschiede des ost-
fränkisch-uberpfälzischeu u. obersächsischeu dialekts, Bajerns maa. 1, 19 — 36,
DEHNUNG DKK MHP. KUKZEN STAMMSlLBENVüCALF.. 171
■2(il— 290. 374— 3S9 und 2,73—03. 317—343. — G. K. F rommaiin. (iram-
matischer abriss der Nürnberger ma., in ,T. W. Weikerts Ansgew. gedichten
(Nürnberg 1872), 289 ff. — (1. K. P'ronnnann. Kurze gramniatik der Nürn-
berger raa. und Glossar zu Grübels siinitliclien Averkon (Nürnl). 1873), 221 ff.
(icb citiere letztere arbeit, da sie die ausfübrlicbere ist). — E.G opfert,
Die ma. des sächs. Erzgebirges. Leipzig 187S. — H. Gradl, Die raaa. West-
böbniens, Bayerns luaa. 1, 81— 111. 401—444. 2, 95—117. 207—242. 31)4-383,
aucli sep. .Alünclien 1895 (Gradl liat ausser zalilreicluni beantwortungen von
umfassenden fragebogen in seiner arlieit die literarischen ersclieinungen
benutzt, die die maa. Westböhmens betreffen : es sind dies u. a. : I(j. l'fttcrf<.
Bemerkungen über deutsche dialektforsch, in Böhmen, PraglSt)2, und An-
deutungen zu einer Stoffsammlung in d. deutsch, maa. Böhmens, Prag 1864:
J. XafixI. Die laute d. Tepler ma., 1803: F. Mfoiiil, Die spr. d. eliem. her-
schaft Theusing^ Pilsen 1880; J. KcKfiaiicr, Ein beitrag z. erforsch, d. Eger-
länder ma., 1889; Jox. Kuferl, Der polit. bezirk Tachau, 1890; ferner seine
eigenen abhandlungen in der Zs. f. vgl. sprachf. 17. 18 [Zum ostfr. vocalis-
niusj, 19 [Der ostfr. dialekt in Bhm.] und 17. 19. 20 [Zur künde deutscher
maa. (ostfräukisch)], sein Egerländisches Wörterbuch, 1883, u.a.: s. Bay.
maa. 1, 108). — Haupt, Die ma. der drei Franken, Bavaria 3. abt. 1, 191 ff".
— B.Hedrich, Die laute der ma. von Schöneck im Vogthuide. Leisniger
Progr. 1891. - 0. Ht'ilig, Beiträge zi; einem Wörterbuch der ostfr. ma.
des Taubergruudes. Heidell)ergei' itrogr. 1894 (ausserdem habe ich von herrn
jirof. 0. H., der demnäclist eine grammatik der maa. d. T. herausgibt, brief-
liche mitteilungen über d. dehuungserscheinungen seiner ma.). — L.Hertel,
Die Greizer ma., Mitteilungen der geogr. gesellsch. zu Jena 5 (1887), 132 ff.
— 0. Hertel, Die Pfersdorfer ma. (bei Hildburghausen; manuscript). —
E. Keichhardt, E.Koch und Th.Storch, Die Wasunger ma., in den
Schriften des Vereins für meiningische geschichte u. landeskuude, lieft 17
(Mein. 1895). — J. B. Sartorius, Die ma. der Stadt Würzburg. Würzburg
1802. — Aug. Schleicher, Volkstümliches aus Sonneberg im Mein. Ober-
lande. Weimar 1858. — A.Stengel, Beitrag zur kenntnis der raa. an d.
Schwab. Rezat und mittl. Altmühl, Froramanns maa. 7, 389 ff'. — B. Spiess,
Die fränkisch-henuebergische ma. Wien 1873. — Für das württenib. und
bair. Ostfranken wurden ferner benutzt: H.Fischer, Geographie d. , seh wäb.
ma. und ,i. A. Schmeller, Maa. Bayerns. München 1821.
§ 39. Mild, kurzer vocal in offener silbe wird im ostfr.
.stets g-edelint: schlUen, Id-te 'kette', (jeliten, hätner •hamnier"
(s. Fentsch 193, Frommaim § 29. 30. 32. 34. 49. Heilig-, brieH.
initT. 0. Hertel 32. Haupt 252. (iradl in Bay. maa. 2,209. Hed-
ricli iL L.Hertel 13t3. Felsber^ 128. Sclileiclier 25, Göpfert 19.
20. Fischer § 13. Schmeller § 111). In den übrigen genannten
iiuellcii sind die belege zerstreut; im bes. verweise ich auf
Franke, der in Bay. maa. 1, 28 ff. znlibciclie beisjiiele aus dem
ganzen gebiete g-ibt.
172 RITZERT
Wo durch abfall der endconsonanz der vocal auslautend
wurde, ist lautgesetzlich delinuiig- eing-etreten; dieses gilt
namentlich für -n fast im ganzen gebiete: U 'bin' (im Yogtl.
hin, bei Oradl und Schleicher aber bin); M 'kinn' im Henne-
berg; de 'denn' im Erzgeb.; ö 'ab': Rhön, Würzburg, Ebrach,
Bamberg, Vogtland; u- = un- u. a. (s. Franke 34—36. Gradl
210. L. Hertel U3. Felsberg 140).
In manchen fällen ist aucli vor urspr. doppelconsonanz
der vocal in offener silbe gelängt; dieses war aber erst m()g-
lich. als durch consonantenausfall einfache consonanz entstanden
oder die geminata vereinfacht war, so dass hier derselbe fall
vorliegt wie oben. Hierher gehört «•y?w^r 'wunder' in Ochsen-
furt in Unterfi'. und in Eger, stmln 'schimmeln" in Theusing
< ahd. scimhalön (aber schon mhd. schimelen); risl 'rüssel' in
Welletschin (Böhmen); büfjl 'buckel' in der Tepler ma.; tvögeln
im Erzgeb.; ferner vor g {tz) allgemein in den maa. West-
böhmens in dehn 'zu essen geben', struhl 'gebäck', hüdsl (< hu-
tzele), stidsn (< stütze) 'traggefäss' (s. Gradl 211). Vor ts er-
scheint vocallänge auch sonst in vereinzelten fällen; s. die-
selben bei Franke 29 ff. Hedrich. Spiess.
§ 40. Die vorkommenden abweichungen sind mit aus-
nähme eines falles nur scheinbare. Dieser fall betrifft einige
Wörter mit /, die im hennebergischen, in Sonneberg (Schleicher
s. 26), Bamberg, Schöneck und teilweise in Westböhmen (Gradl
s. 212) kürze haben: ß 'viel', spil 'spiele' und dazu spilcr m.,
suhl 'sohle', dol 'toll'; in Henneberg auch in /.vj?« "kohle', ri\t-
kele 'rotkehlchen" u. a.; für Scluineck ist es ausserdem bezeugt
in huln 'holen', kstuln 'gestohlen', ivul 'wol'; für das Erzgebirge
finde ich huln belegt. — Fast ausschliesslich haben wir es
also in. diesen fällen mit kurzem / und o zu tun; ferner ist
beachtenswert, dass nur der nördliche teil des gebiets die-
selben kennt.
Vereinzelt erscheint die kürze in einsilbigen Wörtern, so
öfter in f/ott 'gott' (schriftsprachlicher einfluss); ferner sind
bezeugt für das Erzgebirge bin sg. und pl. 'biene', griV) 'grob',
stod 'Stadt'; für Schöneck ^>e;- 'birne' (auch in Greiz), häno
'hahn', mät 'matt' u. a. Gradl gibt für Westböhmen matt,
trup (< frupe). In Künzelsau erscheint hier häufiger die kürze
DEHNUNG DER MIIl). KURZEN STAMMSILBEN VOCAI.E. 173
60/ 'böte'. s(i/f. rc(] neben ir'd "ivde'. (/red* Tabe' u. a.; s. Bauer
s. 39(5: •manche eiiij^ilbige werden gescliärft'.
Das adverb iveg, das wie in allen dialekten auch in Ost-
tranken weg-en des stets mit ihm verbundenen energischen
accentes vocalkürze hat, erscheint in Triebel und Schönbrunn
im Vogtland mit langem e (Franke 81).
§ 41. Die oben erwähnten scheinbaren ausnahmen nun
betreffen eine nicht grosse anzahl mehrsilbiger Wörter auf
-eJ und -er, seltener auf -en oder andere suffixe. in denen
nach erfolgter vocalsjukope in den endungen der stammsilben-
^■()cal nicht in den silbenauslaut zu stehen kam. In einigen
maa. ist die zahl dieser 'ausnahmen' sehr gering, wie z. b. in
A\'estbölimen. wo die kürze nur in fattar 'vater' (städtisch),
allar 'adler' (Theusing), heffm 'hefe' (Eger, aber anderwärts
hefhi), nhnma 'nehmen' (fast allgemein). Jdehhm 'kleben', stinimar,
scmml, Ixhummad (< komat) erscheint (in den drei letzten Wör-
tern nimmt Gradl vordringen schriftsprachlichen gebrauches an);
ebenso selten sind die 'ausnahmen' im Erzgebirge, in Sonne-
berg, Pfersdorf, Henneberg, Nürnberg (Fromm. § 8. 30a. 32. 45).
Im W des gebietes treten diese kürzen wol etwas zahl-
reicher auf (s. Bauer 374 und 396; auch Heilig bestätigt es),
doch bleiben sie in der niinderheit gegenüber den regelrechten
längen ; zudem zeigt sich, dem wesen dieser analogiebildungen
entsprechend, ein sehwanken der quantität in der ma. wie in
nachbarmaa.; nach ])rof. Heiligs mitteilungen heisst im Tauber-
grund das participium yridt 'geritten', flectiert aber hat es
kurzes i; gridtnor; in Künzelsau stehen wider und suivid(^r
neben einander, im Erzgebirge owr und owr \\. a.
Wenn die stadtmaa. häufiger kürze haben und zwar vor-
iielnnlicli in solchen Wörtern, die auch im nlid. dieselbe zeigen,
w'w in sxtfeJ, somnier, donner, so muss sicher schriftsprachliche
])eeint1ussung angenommen werden; beispiele bei Sartorius,
L. ilertel, Felsberg, Hedrich.
rnterblieben ist die dehnung fei-n<'i' im ganzen gebiete
vor den erst durch vocalsynkope entstandenen geminaten bei
den Verben auf / und d und ebenso vor den auf gleiche weise
entstandeneu (lojipelcoiisonanzen bei den verben, deivn stamm
auf \ersclilusslaut ausgeht (s. Gradl 212. Stengel 394. Felsberg
12b. Hedrich 12, y. Schleicher 57. 58. Göpfert 80. 81. 85. Frunim.
171 RITZERT
§ 24. 29. 30 a. 88). Beispiele: rct "redet, redete'; <i9ret 'geredet',
retn 'redeten', retst 'redest, redetest'.
§ 42. Im g-esammten ostfränkisclien gebiete ist in mhd.
einsilbigen Wörtern vor doppelconsonanz delinnng eingetreten.
Bei antritt einer flexionssilbe oder ableitung tritt die alte
kürze wider ein, s. Gradl 210. Spiess 14. 15. Hedrich 11. Hanpt
252. Felsberg 129. 132. Pantsch 193. Stengel 890. Sclileiclier 25.
Göpfert 20. Schmeller § 111. 117. Fischer § 14. Fromm. § 18.
30. 32. 34. 40. 43. 44. Bauer 396. Noe 208. 311. 0. Hertel und
0. Heilig bestätigen das gesetz für ihre maa. Franke gibt in
Bay. maa. 1, 29 ff. sehr zahlreiche beispiele aus dem gesammt-
gebiete. Sartorius hat nur wenige beispiele: einmal bietet er
in seiner Sammlung wesentlich 'städtische ausdrücke' und dann
bezeichnet er auch die Quantität nur selten. Vgl. ferner die
grenzbestimmung für vocaldehnung in mann bei Wrede, Anz.
fda. 19, 201; dieselbe stimmt im wesentlichen mit der für das
ostfränkische (gegen das thüringische und obersächsische) von
Hertel und Franke gegebenen grenze überein.
Anin. In solchen Wörtern, die erst durcli Unterdrückung eines älteren e
einsilbig geworden sind, ist die dehnung unterblieben: koi^Kilcoste, heii
<; bette; hierher zu zählen sind auch die dialektischen noniinativformen,
die m-spr. gen. dat. sg. waren: heut '■\va\\ü\ heule 'bank'.
§ 43. Während dieses gesetz im hauptgebiete fast aus-
nahmslos wirkt, gilt es für die nördlichen maa. Henneberg.
Pfersdorf, Koburg, Sonneberg, Scluineck, Erzgebirge wol auch
als regel, doch finden sich hier nicht selten ausnahmen (in
Greiz am nördlichen rande des ostfi-änkischen wirkt es über-
haupt nicht; hier ist nach L. Hertel 'kurzer vocal vor doppel-
consonanz erhalten'). Beisi)ielsweise hat Henneberg kürze vor
rm und rn; ferner vor cht (aber hiächt), ft und in anderen
Wörtern; in Sonneberg steht ort, Jiorn u.a. neben tvirt, Mm;
auch in Westböhmen steht vor chs, cht, ft, st und ähnlichen
harten consonanten Verbindungen 'häufig auch' kurzer vocal
(Gradl 212). Vor chs bleibt die kürze ausseidem in Henne-
berg, Sonneberg (hier hat allein floo,>s 'flachs' länge), an Rezat
und Altmühl und im Taubergrund ; doch haben verschiedene
nachbarmaa. des letzteren langen vocal: dogs 'dachs', fljys
"tiachs' (nach Heilig).
In der regel sind ausnahmen im liauptgebiete selu' selten
DEHNUNG DER MUD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 175
und ei'kläreii sidi dadiircli. dass die hetr. Av<"irter uiclit urspr.
inundartlich sind, oder dass die (luaiitität der flectierenden
tonnen den sieg- davon getragen hat (wie z. b. auch in sivam
im Taubergiund). oder aber, dass das wort in Verbindungen
erscheint, in denen es nicht den hauptton trägt: -fach; ferner
-lach in Ortsnamen u. a.
§ 44. rrsi>rüng-lic]i liatte der dativ obig'ei' W(»rter (§ 42),
ti'otzdem er frühzeitig' einsilbig war. die kürze bewahrt. So
ist es noch im westböhmisclien. wo kürze 'in allen flexions-
fornien' gilt (Gradl 211). Im grössten teile des gebietes hat
jedoch jetzt auch der dativ gelängten vocal. Ein schwanken
zeigt sich in der A\'asunger ma.; heute ist aber die gedehnte
form vorwiegend im gebrauche; die ursprüngliche kurze ist im
absterben (s. Reichardt HO); doppelte formen haben in Wa-
sungen u. a. such, griff, hiopf, lainwi, tvald. Auch bei Spiess
finde ich nur drei beispiele mit kurzem vocal: zvall dat. zu
•wald', fass neben fäss, (bä) desch ('bei) tische' (a. a. o. 50).
Wie mir ferner prof. Heilig mitteilt, gilt die kürze im dativ
fiii- den Taubergrund nur für stall, icall 'wald' und fall.
Die übrigen ostfi'änkischen dialektarbeiten haben weiteres
liierher gehiiriges material nicht angegeben, doch leistet Wen-
kei-s s})rachatlas willkommene hilfe: s. die berichte Wredes
über die dative von tisch (Anz. 22, 325), luft (Anz. 19, 278) und
feld (Anz. 19, 285). Hiernach gilt im dat. tisch langer vocal
in einem grossen mittel- und oberdeutschen bezirke, den man
ganz ungefähr abgrenzen mag gegen XW durch die linie
Wasungen, ]\reiningen, Fladungen, Nordheim, Tann, Fulda,
Schlüchtern, Brückenau. Steinau, Salmünster, Orb; gegen W
durch die Verbindungslinie Orb, P^berbach a. X., Löwenstein,
\\'eilheim, Ehingen, Füssen; gegen 0 durch den Lech, die Donau
bis Ingolstadt und etwa Ingolstadt, Xeumarkt, Eger; gegen XO
durch Thüringerwald und Frankenwald, von dessen südostende
aus i noch die reichsgrenze längs den abhängen des Erz-
gebirges begleitet. Ausser dem XO des scliwäbischen dialekts
hat also auch der grösste teil des ostfränkischen im dat. tisch
langen Aocal. — Für dat. Inft wiid gedehnter vocal seltner
von der obeien Pegnitz bis zum I'ichtelgebirge. häufiger zwi-
schen diesem und dem Erzgebirge überliefert; dann aber über-
wiegt Iftft im grossen schwäbisch-fränkischen gebiete, das gegen
176 RITZERT
S zwischen den unterlaufen von Hier und Lech beginnt, gegen
NO von Donauwörth bis zum ]\Iittelmain. gegen 8W von Ulm bis
Stuttgart, Adelsheim, Miltenberg sich ausdehnt; endlich ist am
Frankenwald louft bezeugt. — Gedehntes e im dat. fehl findet
sich namentlich östlich der Rhön, im meiningischen, sowie im
länglichen streifen vom Spessart südöstlich auf die Lech-
mündung zu.
Aus diesen belegen ergibt sich, dass die dehnung im dativ
nicht auf die oben genannten orte beschränkt geblieben ist.
Es darf aus ihnen und den oben gegebenen tatsachen ge-
schlossen werden, dass der ganze Singular der einsilbigen nomina
auf doppelconsonanz im grössten teile des ostfränkischen ge-
dehnten vocal hat.
AMe weit damit Gradl (s. oben) in Übereinstimmung zu
bringen ist, vermag ich nicht zu entscheiden; Gradl spricht
ausdrücklich 'von allen flexionsformen'; immerhin ist auffallend,
dass in den nhd. Übersetzungen der dialektformen mit kurzem
vocale so weit ersichtlich nur der plural angegeben ist: napf
'näpfe', niemals der dativ.
Wenn übrigens die herausgeber der A^^asunger ma. ver-
muten, dass die vocaldehnung im dativ dadurch veranlasst
sei, dass das flexions-e hier eher abgefallen sei als bei den
pluralformen, so liegt gar kein grund zu dieser annähme vor:
wir haben es einfach mit einer ausgleichung nach der nom.-
acc.-form zu tun.
§ 45. Vereinzelt kommt auch in flectierten formen der
Wörter auf r -\- cons. dehnung vor, jedoch so selten, dass im
ostfi'änkischen von einem dehnenden einflusse dieser lautver-
bindungen keine rede sein kann. In den wenigen fällen dieser
art haben wir es mit ausgleichungen nach dem nom. zu tun.
Prof. Heilig gibt zwei beispiele: dshrddr 'zarter' und odrds
'arten'. Reichardt und 8piess: hart 'bärte' und dim. härdU,
aber hfärh, dim. zu hfär 'pferd'. Dehnung findet sich ferner
in ferse an mehrei'en orten, im Taubergrund auch in döorse
'salatstengeP; Heilig setzt für beide mhd. '^reresen und *torese
an: liegt aber nicht vielleicht analogiebildung nach den ein-
silbigen auf -rs oder aber beeinflussung des nahen rheinfr. (s.
unten § 51) vor? — Auch in der \\'asunger ma. erscheinen
einige zweisilbige Wörter mit rs mit langem vocale: müJrsal
'mörser' u. a., aber yärsda 'gerste' u. a.
DEHNUNG DER MIII). KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 177
Niclit selten sind im ostfränkischen einsilbige würter durcli
svarabhaktivocal zweisilbig geworden. Ks Hesse sich die deh-
mmg in diesen also anch auf grund der hierdurch entstandenen
offenen silbe erklären. Heilig lässt die frage offen: ich ver-
neine sie. da einmal in anderen ostfränkischen maa. (Stengel
s. 390) der plural trotz svarabhakti kürze behalten hat: hölich
'balg' und pl. hdlicli, ävdm 'arm' und pl. dvdm, und anderer-
seits in anderen ostfränkischen maa. in bestimmten Wörtern
trotz svarabhakti auch der Singular keine dehnung erfahren
hat: Schleicher 20: bolich 'balg', /ro//cA 'kalk'; Spiess: ivolef
"wolf" u.a.; auch Stengel hat «•?/rt'>« sing., stiirdm m\g. Beide
fälle ergeben also, dass die svarabhaktientwickelung jünger ist
als die vocaldehnung.
§ 46. Als vereinzelt auftretende dehnungserscheinungen
sind folgende zu nennen:
a) Dehnung vor nasalverbindungen, die sich auf alle
tlexionsformen erstreckt, kommt an der Werra vor; beispiele
bei Spiess und Reichhardt; das nähere s. unten § 75.
b) Ebenfalls an der Werra kommt — wie im angrenzen-
den südwestthüringischen — dehnung vor altem -st vor: bei-
spiele bei Spiess und Reichhardt: äst 'ast' und pl. est, dim.
esdld\ fast 'fasten' u. a.; aber last 'last', hast 'beste' u. a.
c) Ferner wird hier a vor h auch in mehrsilbigen Wörtern
gedehnt: sälzh, dim. zu salz u. a.
d) In den maa. Westböhmens tritt vor II, rr regelmässig
in ein- und, Avenn die zweite silbe ein altes e (nicht aber
andere vocale) barg, auch in zweisilbigen vocaldehnung ein:
///'alle'; srt? 'schall' und sd?n 'schallen'; bei rr tritt der Über-
gang eines oder beider r in a ein: iar 'irre', saqrn 'scharren'
(Gradl 210). — Nach Haupt hat auch Weischenfeld in Ober-
franken när < narre, die Oberpfalz erfült\ für das Erzgebirge
verzeichnet Göpfert 20 u. a. Tirüln subst. und verb.; Franke
gibt a. a. o. 30 ff. verschiedene beispiele dieser art von ver-
schiedenen orten Ostfraukens.
0. Rhein fränkisch.
Qucllfii: E. David, Die Wortbildung der raa. von Kiofdorf (Viel
Giessen;, Genn. 37, 377 ff. — E. Dittmar, Die Blankenheinier (bei T'.ebia)
ma., Jenaer di.ss. 1S91. — K. Hessel, Kreiznacli is tnnnp! r.ocalscbwank.
Beiträge zur geschichte der dcutBclicn Bpraclie. XXIII. ] 2
178 RITZERT
Mit einer abhandlmig über Kreuznacher art und iiia. n. einem Wörterbuch.
Kreuznach 1892. — J. Xehrein, Volkssprache u. volkssitte in Nassau.
3 bde. Bonn 1872. — J. Leidolf, Die Naunheimer ma. (bei Wetzlar).
Jenaer di.ss. 1891. • — Ph. Lenz, Der Handschulisheimer dialekt. 1. Kon-
stanz 1887. Nachtrag: (2), Dann.stadt 1892. — J.Salz mann, Die Hersfelder
nia. Marburger diss. 1888. — L. Schandein, (Tcdichte in AVestricher ma.
Stuttgart 1854. — L. Schandein, Ma. der Eheinpfalz, Bavaria 4, 2. abt.,
217 if. — W. Yietor, Die rheinfr. \imgangssprache in und um Nassau.
Wiesbaden 1875. — A. Vil.mar, Idiotikon von Kurhessen. Marburg und
Leipzig 1868. — v. Pf ister, Mundartliche und stammheitliche nachtrage
zum idiotikon von Hessen. Marbiirg 188(1. — t. Pfister, Ergänzungshefte
zum idiotikon von Hessen. Marburg 1889 und 1894. — Ct. Volk, Auf der
Ofenbank. Erzählungen in Odenwälder ma. Offenbach 1892. — H. Breunig,
Die laute der ma. von Buchen. Progr. von Taxiberbischofsheira 1891.
Anm. Die maa. der orte Bischofsheim bei Mainz und Eberstadt bei
Darmstadt sind mir genau bekannt. Ich habe sie deshalb mit zur ver-
gleichung herangezogen und eitlere sie mit Bisch, und Eh.; ferner habe
ich auf erkundigungeu bei bekannten hin zuverlässige angaben aus den
Ortschaften des kreises Homberg (bez. Cassel), aus Merxhausen (bei Fritzlar),
Erxhausen im kreise Eotenburg (Fulda) und Eod (bei Weilburg) erhalten,
die ich ebenfalls mit verwerte.
§ 47. Im rheiiifräiikisclien ist im allgemeinen mhd. kurzer
vocal in offener silbe g-edelmt worden.
Da in keinem der genannten werke ausser bei Breunig
(s, unten § 55 e) der quantitative lautwandel zum gegenständ
einer besonderen betrachtung gemacht worden ist. vermag ich
nicht auf beweissteilen hinzuweisen; zahlreiche beispiele aus
allen rheinfr. maa., wie folgende aus Handschuhsheim: fand
'faline', lärd m. 'laden', iceivd 'weben', sägd 'sagen' u. v. a.,
ergeben die richtigkeit des obigen satzes, der auch für die
mischmundart von Buchen gilt trotz Breunig 25.
§ 48. Zahlreich sind in Elieinf ranken die scheinbaren
ausnahmen, die durch vocalsynkope in suffixen verursacht
werden, vornehmlich im S (s. Lenz 1, 11. Hessel 65. Schmeller,
Die maa. Baierns § 439 [für die I^heinpfalz]. Schandein 2, 284 ff.).
]\Iit wenigen ausnahmen erscheint der vocal kurz, wenn der
stamm auf m, n schliesst: nemo 'nehmen', ham'o 'hammer' etc.;
ferner vor liquiden, Spiranten und medieii: Iwh 'holen', ivetvt)
'weber', heivV\\ebQ\\ oß^oteir, swcfl^adiweteV, bes9 )> i 'hesan\
glesn pl. zu (jläs, wagd 'wagen', geivd 'geben', glirn pl. zu glid
u. V. a. Im Westrich (der grösseren gebirgigen hälfte der
Rheinpfalz) begegnet die kürze seltener (Schandein 2, 233) :
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 179
öire •ofeii" u. a.; dasselbe .C'ilt für die maa. von JMsrli. und Kb.;
iimnerliin sind die fälle mit kürze liier noch zalilreicli. Auch
der X hat häufi,a" die ui'si)rüna-liclie kürze, doch wider seltner
als die mitte des gebiets; so haben Honiberg-, Hersfeld, ßlanken-
lieim, Merxhausen, Erxhausen, Naimheim und Rod wol him9l,
kam,))-, soni^r u. a. auf m, aber liäniar, hamal, ääniorn (Rod in
letzterem kurzen vocal). Für das schwanken der quantität
in den fällen dieser art seien nur einige beispiele angeführt.
Kürze in nabd, gehen, nehmen hat der 8; länge finde ich be-
zeugt für Blankenheim, Erxhausen, j\Ierxliausen, Homberg,
Hersfeld (in beiden letzteren doch nicht in nehmen)-^ ziemlich
hat. so viel ich finde, nur in Erxhausen langen vocal; die
jiartt. geblichen, geschrieben u. a. haben in Bisch, und Eb. kürze,
im X länge; gedehnten vocal hat h-ehs in Homberg und Rod,
sonst kurzen, dagegen erscheint magd und ohst stets mit länge;
honig erscheint in Blankenheim als hiwlc, in Xaunheim als
lihilc, sonst wie im nhd. Diese beispiele Messen sich ins un-
endliche vermehren; sie bew^eisen zur genüge, dass wir es
hier mit verschiedenartiger ausgleichung zu tun haben (s. Paul,
Beitr.9. 118).
Aniu. In Buchen haben öfters pl. und ableitung von solchen Wörtern
vocalkürze, die im sing, die regelrechte länge zeigen: Wjl, pl. aber htip\
hO(h •boden", dim. aber becbmb; nüma, aber nemli u. a.
In der verbal flexion kommt die kürze in folge sj-nkope
des fiexionssilbenvocals nur vereinzelt vor; aus der mir ge-
läufigen ma. von Bisch, kenne ich sie nur in den verbal-
formen von särd 'scliaden' : md 'schadet' und gdsad part.; aber
1)äd 'badet' und part. gdhekl; in Eb. auch in ligd 3. sg. praes.
zu 'liegen' und in legd und galegd zu 'legen'. Vietor führf
sie für Xassau ausser ersterem an in liehst, licht 'liegst, liegt'
und suchst, sacht, gesacht 'sagst' etc.; letzteres auch im S. —
Die kürze in dem für alle drei orte giltigen a in sad, gosad
ist sicher durch den umstand, bedingt, dass diese formen häufig
im reime zu hadd < baten sw. v., das kurzen stammvocal hat
fs. unten § 49), gebraucht werden.
sj 49. Eine ausnähme von unserem gesetze machen im
ganzen gebiete die meisten Wörter auf t, welche die alte
küi-ze bewahrt haben. "Während aber in den aleni. maa. hierbei
die küizc duichweg erscheint, zeigt sich im rheinfiänkischen
12*
180 RITZERT
ein mehr oder minder g-rosses schwanken. Fast überall haben
kürze gott, pate, mati, quitt, schnitt, kette, geratter, ivetter,
dotter, Sattel, schatten, gesotten, geritten, hettel, tritt siibst. nnd
3. sg. von treten u. a.; gedehnten vocal haben hlatt (= hJCid).
hrett, satt, gebet n.. hetcn, treten, kneten. Was die übrigen
betrifft, so finden wir mannigfache scli wankungen: sfadt, glatt,
vater, katcr haben kürze im S (s. Lenz 1, 11. 12. 2(3 etc.), länge
in Naunheim, Homberg, Merxhausen, Erxhausen, Blankenheim,
Hersfeld (doch hat letzteres fat^r 'vater'). Bisch., das meistens
wie der Ö kürze vor / hat, kennt dieselbe ausser obigen nicht
in der 3. sg. praes. von treten, nicht in Schlitten, schnitte] Eod
dehnt ausnahmsweise in schatten — auch Eb. hat säro — ■ .
gesotten, verboten; böte erscheint im N mit langem vocal, doch
hat Erxhausen hier übereinstimmend mit dem S kürze, Avie
Merxhausen in getreten. Hersfeld hat länge in kette, bettet,
ivetter, gelitten, aber kürze in tmgetvitter; in Homberg haben
pfote, gote, verboten, geboten kurzen vocal, doch gläd 'glatt'
u. a.; schritt und tritt haben langes / in Erxhausen; in Blanken-
heim erscheint in ersterem länge und kürze neben einander.
Der pl. von blatt, brett ist meistens kurz, doch gibt es auch
hierbei Schwankungen; so hat Erxhausen länge in blätter, und
Rod in bretter. Die mischma. von Buchen und Umgebung hat
vor t einige mal kürze bewahrt: bod 'böte', gabods 'geboten',
gesodd 'gesotten', grod 'kröte', i bed 'bete' neben bed; aber
grido 'geritten', glido 'gelitten', brtd 'brett' u. a. — Wie gross
auch dieses schwanken zwischen den einzelnen maa. sein mag,
so zeigt sich doch im ganzen gebiete das starke bestreben,
t als geminata und darum silbeschliessend zu behandeln: nur
im äussersten NO überwiegt die regelrechte delmung. Für die
Rheinpfalz vgl. Schmeller § 671 und Schandein 241.
Auch vor d ist nicht selten kürze erhalten: sniid 'schmied',
red 'rede' und red{r)j 'reden', jud und pl. jndd (jurd) 'Jude',
doch (/??^cZ 'glied' u.a.; ebenso in zweisilbigen: leder, feder u. a,.;
doch lässt sich die kürze hier durch ausgieichung nach syn-
kopierten formen erklären. Für die Rheinpfalz s. Schmeller
§ 439. Buchen hat jüt 'Jude', j^otd 'boden' etc.
§ 50. Ausserdem begegnen uns im rheinfränkischen einige
wenige Wörter (meist in einsilbiger form) mit erhaltenem
kurzen stammvocal. Erklärung bei Heimburger (Beitr. 13,
DEHNUNG DEK MHD, KUKZEN STAMMSILBENVOCALK. 181
211 t'f.) § 57. Es sind dies: sdub (im N sdotvo) 'stube* und
pl. sdutVQ; sitb < schtqy, (ß'oh, flectiert fjroicr (in Rod (jrötvr);
ivis (im N wesj und in Hersfeld n-es) 'wiese'; ferner fromm,
sinn, toll, weg (adv.): vereinzelt kommen vor: sib *sieb' in
Xaunlieim; dsug 'zug' und dim. dsügolp in Eb. und Rod; nacli
Sflimeller § (345 lautet s an der Queicli in einzelnen Wörtern
wie //': (jlaff 'glas', gm ff -gras'.
Vor l zeigt sich einige mal kurzes / und o; so in Rod: vil
'viel', ))iil 'mülile'. dil 'diele'; Blankenlieim: mel 'miUile'; Hers-
feld: fd, mvJ, Jihol < Jwl, felo 'füllen'; kürze in Iwldc findet
sich auch im kreise Homberg.
§ 51. Von der qualität benachbarter consonantengruppen
sind die dehnungserscheinungen verursacht, die ich in den
folgenden paragraphen erörtere.
^'or ^--Verbindungen und zwar hauptsächlich vor r + dental
werden mhd. a, e gedehnt und nur vereinzelt auch andere vo-
cale. Hinsichtlich der einzelnen Verbindungen dieser art be-
steht aber keine gleichmässigkeit des dehnenden einflusses..
Durchweg ist a, e vor r + t, d in einsilbigen Wörtern ge-
längt: bdrd'hMV, iverd 'werV; auch mrrf 'scharte; «erscheint
auch in zweisilbigen gedehnt mit ausnähme Nassaus: gärde
•garten", jedoch hat auch Naunheim go^adj 'garten', ivo'add
.warten". Länge in iverdcn hat Handschuhsheim. Blankenheim,
Homberg: w^r\ sonst (Rheinpfalz [s. Schandein 241], Nassau,
Bisch.. Eb. u. a.) gilt kurzer vocal, aber irdd 'erde'. Ver-
einzelt, so in Rod, Krofdorf, Bisch., Eb., erscheint dehnung in
gjhürd 'geburt'.
Vor rz ist nur a gelängt: Mrds 'harz' u. a., aber hcards
•schwarz' (Buchen mit a); Handschuhsheim hat auch pentsl-
'bürzel' (doch auch kurz), stqnts (< ste'rz), stÖDtso (< sturzel).
An der Enz wird u in scJiiirz gedehnt; s. Fischers atlas, karte 18.
Vor rs und rsd ist immer dehnung von a, e eingetreten:
kärsd 'karst', gersd 'gerste', im S MM, ge.okl; Handschuhsh.
hat auch pemt 'bürste' (aber nur bei älteren leuten), töo.st
•durst', töDK.) (< torse)] auch Bisch, hat /a».vrf • f orst , als nanie
eines gemarkungsteiles, der fri'iher wähl war; diese einzelfällc
lassen den schluss zu, dass sich in früherer zeit die dehnung
\or rs auch auf andere vocale erstreckte. Tür die Enzma.
Ix'zeugt Fischers karte 18 kirs 'kirsclie'.
182 KITZERT
Vor rn isiiid a und e sehr häufig- gedehnt : gä(r)n "g-arn',
gern {gemi}^ gern u.a.. (h)ch lieisst es überall warnen; ander-
wärts tritt vor r)i die längung' nur in einzelnen Wörtern ein.
so in Hersfeld, Blankenh., Erxh. Kcxl uiul Xannli. haben
(ausser go^an 'garn') vor rn stets kürze. Das linksrheinische
g-ebiet entwickelt svarabhakti: gcrj 'g-ern'; hier ist auch Kärdl
•Karr üblich. \\o\ in folge dieser erscheinung-.
Dehnung- des a und e vor r + labial und guttural ist
häufig zu constatieren, aber nicht allgemein; hierher geh()rt
dehnung- des a vor nn in cmu subst. und adj., ärmuf, ivärnr.
wol überall; (■)fter ist länge in dann und erbarmen ang-eg-eben,
dag-eg-en niemals in ärmel, ivärme. Handschuhsh. und das
linksrheinische gebiet entwickeln in rm svarabhaktivocal:
ivärdni] ebenso in ärix 'arg-', das sonst — mit ausnähme von
Krofdorf — kurz ist.
Vor rl) erscheint mhd. e gelängt in sterben in Bisch., Eb.,
Homberg, Hersfeld, Blankenheim; in den beiden ersten orten
auch hqub f. 'kerbe', eüiad 'erben', aber goMgrtvd ^gestorben',
s§nb 'scherbe' etc. In Bisch, und Eb. heisst es auch eimod
'arbeit', wie im linksrh. gebiete ärwdd neben artccit; Hersfeld
hat erwJS < enveiz.
Mhd. e ist vor rg im ganzen g-ebiete — mit ausnähme
des S auf beiden Eheinufern — gedehnt in berg, /rerg-, die
häufig vorkommende länge in weü-däg ' Werktag' ist entstanden
nachdem Je sich dem t assimiliert hatte; Hersfeld hat auch
nu/rk *mark" und sdörg 'storch'.
§ 52. Dehnung vor l-^t,d wird im rheinfränkisclien für
a bezeugt und zwar für das gebiet östlich und nördlich der
linie, die von Weilburg über Idstein, ]\lainz, Dreieichenhain,
Babenhauscn, Seligenstadt weiter nach Lohr zieht (die cursiv
gedruckten orte haben vocalkürze); s. AVrede, Anz. 21, 275: alte.
Hierbei fällt der dentale verschlusslaut in der regel aus. so
dass a (sofern es sich um zweisilbige formen dreht) in offene
silbe zu stehen kommt. In dem bogen zwischen der ge-
nannten linie und der, die von Weilburg über Herborn, Staufcn-
berg, Schweinsberg, Kirtorf, Neustadt, Alsfeld, Herbstein,
Schotten, Wenings. Büdingen nach AMndecken zieht, kommen
alt und äl neben einander vor. Mit alte stimmt kalte (s. Anz.
21, 279) im grossen und ganzen überein. Vereinzelte ausnahmen
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCAT.E. 183
kommen liiii und wider vor; allgemein aber bleibt iler umlaut
von a kurz : Jicl f. 'kälte'.
1 )ie orte Biscli. und Eb., die im S au obige linie grenzen,
haben nur in Jidl^ 'halten' und häl 'bald' gedehnten vocal;
dasselbe gilt für den Odenwald.
Länge des a vor Its (s. Wrede, Anz. 19, 102: saU) findet
sich in wesentlich demselben gebiete wie vor It : die westgrenze
zieht von Hilchenbach über Haiger. Braunfels nach König-
stein, die südgrenze bildet der Main. Ferner findet sich ein
kleineres gebiet mit länge östlich und südlich vom Odenwald
mit Miltenberg, Waldürn, Adelslieim.
In Blankenh. ist auch e in frld gedehnt; doch heisst es
i/vld. Hersfeld hat in beiden Wörtern länge, aber nicht im
pl.. ferner in ,smcl(ls 'schmelzen'; andere Wörter mit mhd. e
zeigen kürze: seklo 'selten', meld 'melden'.
§ 53. a) Vor der lautgruppe nasal + verschlusslaut wird
im XO des gebiets der vocal häufig gedehnt. Das nähere
hierüber ist beim thüringischen erörtert; s. unten § 75.
b~) Delmung vor n -\~ spirans mit schwund des nasals findet
sich nach Kehrein 22 (§ IGO) 'hier und da' am Taunus. Nacli
^^■rede. Anz. 18, 406 hat ferner die Lahngegend um Driedorf,
W'eilburg, Staufenberg. (4iessen, Nidda, bad Nauheim, A\'etzlar
[icis für den pl. (jänse. Für Xaunheim gibt Leidolf einige
hierher gehörige beispiele, wie hrats 'kränz'; doch pl. Irents,
lanisol "kanzel'.
An in. Für X;iniilieiin <;ilt auch had 'liaiid", förMi'Cd] doch land,
wund etc.
Die für das schwäbische charakteristische 'ersatzdehnung'
mit nasalieruiig des vocals vor u + sjtirans erstreckt ihi-e aus-
läufei- an die Knz. Verlängerung des a findet sich auf beiden
ufern derselben und in einem schmalen streifen auf dem linken
Xeckarufer nch-dlich der Enzuiündung: auch / wird an der Knz
vor H + .spir. gelängt; sein gebiet erstreckt sich jedoch nicht
so weit westlich als das für d und zwar fff wider nicht so
weit als zi's. I)ie linie für ä~s 'uns' bleibt einige kilometer
\()n der Knz entfernt und geht erst kurz vor ihrer quelle
auf das linke ufer; noch weiter entfernt bleibt die linie für
dit' dehnunji- in braust: s. Fischers karten 4 und 5.
184 KITZEET
§ 54. Vor urspr. Id ist mlid. a imd e ausser dem links-
rliein. teil im g-aiizen gebiete gedeliiit; nur wenige Wörter sind
davon ausgenommen, wie acht num. (das aber im N länge hat
gegenüber achtzig) und fechten^ auch specht hat hin und wider
A'ocalkürze. Das fi^mdwort j)at7/if hat teils langen, teils kurzen
vocal; echt und pracltt haben stets küi'ze.
Nach Wredes bericht im Anz. 21, 162 zieht die grenze der
Yocaldehnung in recht den Neckar abwärts, weiter den Rhein
entlang bis Bingen und dann der Nahe und Glan aufwärts.
Wie weit damit Riehls angäbe (Die Pfälzer, Stuttg. 1858,
s. 277), gedehnte aussj^rache des e in schlecht sei ein charak-
teristicum des Pfälzer dialekts, in einklang gebracht werden
kann, vermag ich nicht zu beurteilen; für das Westrich gilt
vocalkürze, und ebenso, nach meiner erfahrung, für die hes-
sische Rlieinpfalz.
In Blaukenh. und im kreise Homberg ist auch / gedehnt
in trichter. Für die Enzma. ergibt Fischers karte 1 länge in
frucht.
§ 55. Nur für kleinere bezirke, und zwar in erster linie
für grenzgebiete, gelten folgende dehnungserscheinungen:
a) Vor urspr. hs ist a in einem gebiete nördlich des Mains
gedehnt; dabei schwindet die gutturalspirans. Von Ems (cursiv
gedruckte orte auf der .r-seite) zieht — nach Wrede, Anz. 21,
261: ivachsen — die südgrenze desselben über Eunkel, Cam-
herg, Usingen, Homburg, AMndecken bis llannu; von hier bildet
den abschluss gegen 0 und N die linie Büdingen, Ortenherg,
Wenings, Schotten, Herhstein, Lauterhach, Homberg a. d. Ohm,
Kirtorf, Schweinsberg, Kirchhain, Marhurg, Biedenliopf, Dillen-
biirg, Haiger, Ederkopf; vgl. unten § 67. Rod, das an der
grenze des genannten gebiets liegt, hat länge nur in wachsen
und flachs, aber nicht in icachs, dachs, achsel.
Ferner ist an der Enz in Übereinstimmung mit dem schwäb.
a vor hs gedehnt (s. Fischers karte 20); auf ihrem linken ufer
aber hat nur am unterlaufe ein kleiner bezirk länge (die
grenzlinie für 6s 'ochs' reicht nicht bis an die Enz).
Mhd. (i ist nur ganz vereinzelt vor hs gedehnt: Naunh.
hat weasd7i 'wechseln' und Krofdorf ivf;osdl 'Avechsel'.
Dehnung des o vor hs ist nach Wrede, Anz. 21, 264 eben-
falls für das gebiet nördlich des Mains bezeugt, nur zieht die
DEHNUNG DER MHD. KÜEZEN ST AMMSILBEN VOC ALE. 185
südgreiize iu einem kleinen abstand nördlicli xon der für
wachsen gegebenen linie bis Hofheim, von wo sie mit der-
selben zusammenfällt; ausgenommen bleibt ferner an der Lahn
die weite halbinsel AVeilbuig, Braunfels, Herborn. Biedenkopf.
]\Iarburg. Kauschenberg.
b) In Hersfeld und Blankenh. ist wie in Westthüringen a
und e vor st gedehnt (vgl. § 78, a): sw^schr 'Schwester', Msd,)
'kästen'. In Hersfeld heisst es ferner feshdr 'vesper'. Länge
in nest hat auch Homberg.
c) Das pronomen ich hat in Handschuhsh. und in der
(ilan- und Donnersberggegend (Schandein 252) langen vocal;
ferner in einem grösseren gebiete an der Lahn und in der
AVetterau bis Herborn, Biedenkopf, Eauschenberg im N, Taunus
und ]\lain im S, Herbstein und Gelnhausen im 0, ^^'esterburg
und Nassau im A\': liier wechselt aich mit icli, betonte und
unbetonte form; s. ^\'rede. Anz. 18,308.
d) Vor n erscheint einige mal länge des a, so häufiger
(Bisch., Eb., Rheinpfalz, Odenwald) in überall, in der Pfalz
auch in ball = frz. le hal; Handschuhsh. hat auch wal "auf-
kochen' < ival, -lies.
e) Buchen auf der grenze zwischen Ehein- und Ostfranken
delmt wie letzteres den vocal in mhd. einsilbigem worte vor
doppelconsonanz (s. Breunig 16 ff.). Hiermit erklärt sich die
unbestimmte angäbe bei Breunig 25: 'das von Paul aufgestellte
gesetz, dass in geschlossener silbe die kürze bleibt, in offener
dagegen dehnung eintritt, hat in unserem dialekt nicht un-
bedingt statt' (in offener silbe hat Buchen mit ganz wenigen
ausnahmen — vor f — dehnung; vgl. Br. 16; auch sonst hat
Br. zahlreiche hierher gehörige belege).
7. Mittelfränkisch.
Qnelleu: Bahles, Die Birkeufelder raa. Vocalismns. BirkenfeUler
]\)i<gr. 18!j5. — Tli. Buesch, Ueber den Eifeldialekt. Ein beitrag zur
kenntnis des mittelfr. Progr. von Malmedy 1888. — F. M. Follmann,
Iiie ma. der Deutsch-Lothringer und Luxemburger. 1. Consonantismus.
Mt-tzer progr. 188t>. 2. Vocalisnius. Metzer progr. 1890. — M. Hardt.
Vocalisnius der Sancnna. Echtcrnacher progr. 1843. — .1. Heinz erling,
Ueber den vocalismns und ronsonantismus der Siegerläuder ma. Jlarburger
diss. 1871. — F. Honig. Wörterbiuh der Kölner ma. Köln 1877 Olazu
einleituug: Ueber die laute der kölnischen ma. und deren bezeichuung von
186 lilTZERT
"W. ^^'alllellbel•g). — Hecking, Die Eifol in iliior ma. J'iiini ISÜO. —
A. Jardou, (Traiiimatik der Aachener ma. Laut- und fonnenlehre. Aachen
1S91. — (t. Keintzel, Lautlelire der raaa. von Bistritz und Sächsiscli-
Keg-en, Archiv d. ver. f. siehenb. landesk. N. f. 20 (1S94), 133 ff. — J. Kehr-
ein, Volkssprache und volkssitte in Nassau. Bonn 1872. — Kisch, Die
Bistritzer ma. verglichen mit der moselfränkischen, Beitr. 17, 347 ft". —
Ph. Laven, Gedichte in Trierischer ma. Trier 1S5S (mit lautübersicht u.
glossar). — Eottmann, Gedichte in Hunsrücker ma. Kreuznach 1874. —
A. Scheiner, Die Mediascher ma., Beitr. 12, 113 ff. — B. Schmidt, Der
vocalismus der Siegerläuder ma. Halle 1894. — K. Chr. L. Schmidt,
Wcsterwäldisches Idiotikon. Hadaniar und Herhorn 1800. — J. "Wegeier ,
Coblenz in seiner ma. und seinen hervorragenden persönlichkeiten. Coblenz
187(1. — J. Wolff, Der consonantismus des siebenbürgisch- sächsischen.
Mühlbacher progr. 1873 (1). — J. Wolff, Ueber die natur der vocale im
siebenb.-sächs. dialekt. Mühlliacher progr. 1875 (2).
§ 56. Im mittelfr. ist mhd. kurzer vocal in offener silbe
stets gedehnt worden; in den nördlichen maa. (KCdn, Aachen)
jedoch nur im allgemeinen (s. Baldes 7. Buescli 8. Jardon 15.
Hardt4 Laven ix. Follm.2,23f. B. Schmidt 16.31. 43. Kehrein
[für den Westerwald] 3 und § 12; für Siehenbürgen s. AVolff 2. 60).
Zahlreiche belege sind in allen genannten arbeiten zu finden;
ich führe an: hänwr, ts^sämd 'zusammen', hdstätd = 'sich mit
einer statte versehen, daher heiraten', hätd < haten, Mten
'kette'.
. Wo altes j) = hoclid. //' erhalten ist, findet sich lautgesetz-
lich länge des Yorhergehenden vocals: cq), pl. aj>e 'äffe'; in
diesem worte hat der nördliche teil des mittelfi\ auf beiden
K heinufern unverschobenes j;; die genaue grenze dafür gibt
Wrede im Anz. 20, 324.
§ 57. Von weitgehendem schützenden einflusse für die
erlialtung der urspr. vocalküi'ze sind auch im mfr. die suffixe
-el, -er, -em, -en und ferner -i(j, -et u. a.; hierzu vgl. § 16. Die
Wirkung dieses einflusses ist nicht allerorts die gleiche. Obenan
stellt die kölnische ma., wo unter den angegebenen Verhält-
nissen fast ausnahmslos die kürze erscheint, mag der stamm
auf nasal, liiiiiida, spirans oder media ausgehen: iconc 'wohnen',
liamel, hole 'holen', kiining 'kömg', u-evrer 'wehar', igel, hesem,
ledder 'leder', faddem 'faden'. In der Eifelma. ist die kürze
'regelmässig" erhalten, wenn die Stammsilbe auf liquida oder
nasal schliesst: /a>T/i 'fahren', jes/ö7e;i 'gestohlen' (s. BueschO);
aber auch vor anderen consonanten bleibt die kürze häufig:
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 187
di.'icn "dieser', jczoijcn, böedciii u. a.; aber jafd 'g-aber, hä^scni
'besen', Jiaiel 'kegel', Mätcl • flache schüssel' u. a. Ebenso
haben die maa. Siebenbürgens in selir zahh-eichen fällen die
kürze bewahrt, so fast regelmässig-, wenn die Stammsilbe auf
nasal, und sehr häufig-, wenn sie auf stimmhaften verschlnsslaut
ausgeht (s. Keintzel 145. 159. 150. 153. 157).
Bei weitem nicht in demselben umfange, aber immerhin
noch häufig erscheint vocalkürze in folge vocalsynkope in den
Suffixen in den übrigen maa. Aus den an den angeführten
orten verzeichneten beispielen ergibt sich die tatsache, dass
sich die kürze am häufigsten dann erhält, wenn der stamm
auf )ii, n, IC < Ik und nicht selten, wenn er auf (j, d ausgeht.
Im Siegerland bleibt z. b. die kürze vor dem aus g nach /
erweichten j in reil "riegel'. Vgl. B. Schmidt 89, der hier Verkür-
zung aus sehr früh eingetretenem i annimmt; zu feü heisst
aber der sg. /o^? 'vogel', also mit erhaltener kürze. E^s liegt
deshalb m. e. viel näher, jene durchgangsstufe überhaupt nicht
anzunehmen. Bemerkt sei noch, dass in Siegen a vor ni -\-
suffix stets gedehnt wird: sosänid etc., die übrigen vocale aber
meist nicht: y?«;><6' "nehmen', himel, somer; doch A-mi "kümmel';
auch donner hat kürze. Ferner hat Aachen kämer, zesämc
neben schömcl "Schimmer, n^me "nehmen" etc.: doch auch hamd.
Hin und wider, so in der Eifel, kommt es vor. dass in
den flexionsformen der verben auf dentalexplosiv, in denen
durch ausfall des e der flexionssilbe geminata entsteht, die alte
kürze zum Vorschein konmit: sat, bat = 3. sg. praes. 7ai sädcu,
häden. Leider sind die quellen zur ausreichenden behandlung
dieser erscheinung nicht genügend.
§ 58. Erhalten ist die kürze vor altem einfachen t fast
ausnahmslos in Köln: (/ehcti 'gebet', hott "böte', j^aH 'pate' etc.;
länge vor t finde ich in der Wörtersammlung bei Honig nur
in jj?«a^ "platte', plaate verb., aber hlatt, pl. hlätter und verb.
hlädderc] bäte (< baten); Staats (< an-stete); yäder 'gattertüre'
und in hrCit "kröte'; neben letzterem aber hrott 'kleiner junge';
neben vatter kommt vädcr und rar vor.
Ebenso ist hier vor d kürze bewahrt: ratt "lad" und pl.
rädder, ylidd n., redd f. 'rede', patt 'pfad' und &m\. pättche etc.
Von einer beeinfiussung des kölnischen als einer stadtnm.
durch die schrill spräche kann also hierbei keine rede sein.
f!
188 KITZE KT
In Aachen steht nach Jardon die kürze namentlich vor
auslautendem dentalexplosiv: sat 'satt', flat "glatt', hlat 'blatt',
aber pl. hlär, hö" 'böte* etc.; ferner rat 'rad', aber pl. rar, hat
n. 'bad', aber verb. hddc. Vgl. hierzu § 33.
In den maa. Siebenbürgens erscheint ebenfalls nicht selten
kürze vor t und d (belege bei Keintzel; s. ferner yScheiner 126.
127. 128. 132).
In den übrigen nifr. niaa. findet sich vor t nur selten
kürze; in der Eifel kommt jvitt "pfote,' vor', in Siegen badib
(< baten, s. B. Schmidt 18, aber auch 31); in Birkenfeld liaben
einige Wörter kurzen vocal zur Unterscheidung von gleich-
lautenden, so u. a. blad f. 'jdatte' neben bläd n. 'blatt', kub
(< schate) neben sädd m. 'schaden'; s. Baldes 11.
Kürze vor d begegnet in wenigen fällen auch an anderen
als den vorhin genannten orten; fast durchweg erscheint sie
in ret f. 'rede', jut m. 'Jude', smit m., glit n.; in einigen maa.
besteht daneben gedehnter vocal.
B. Schmidt 47 vermutet, dass in jut sehr früh dehnung
eingetreten und dann u gesetzmässig zu n verkürzt worden
sei (nach s. 75 a. a. o.). Die sache verhält sich m. e. aber um-
gekehrt. Das kurze u blieb und analog dazu wurden auch
lange u vor t kurz wie in brutt aus brüt. Ganz dasselbe liegt
vor in sltt 'sieht' und gefdt "geschieht' (a. a. o. 40).
§ 59. Erhaltene kürze in folge Verallgemeinerung der
quantität der unflectierten formen hat eine anzahl einsilbiger
Wörter in fast allen oben angeführten maa. des mfr.; dasselbe
gilt auch für Siebenbürgen; ausgenommen ist der Hunsrück.
Es betrifft dies zunächst die auf liquida auslautenden
Wörter mit /, o, ü: st'd 'stiel', spil m. 'spiel', miil f. 'mülile".
/fo^ f. 'kohle', ftoH'. 'bohle' etc. Aachen und Siegerland haben
hier länge, doch hat letzteres bol 'bohle'. Auf r: bir (< bir,
pirus), dir (< tür\ Köln jedoch beer, aber pl. birre) etc.; so auch
bei Wolff, Keintzel, Kisch, Scheiner.
Kürze vor auslautendem nasal zeigt sich meist in from
•fromm', tsin n. 'zinn', schin oder sehen 'Schienbein", son und
pl. HÖH m. 'söhn", in der Klznia. auch in bun f. 'bahn; bei
Keintzel: iviui 'wohnen', lum 'lahm' tsuni •zahm'; doch gräm,
fän f. 'falme'.
Von sonstigen Wörtern liabun kürze: cicech {<emvec);
DEHNUNG DER MIID. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 189
(< emcec): ferner mehrere auf /' und .s^: hof, hcf f. 'liefe', grof
'grob', stuf f. -Stube", sef 'sieb", Jios f. 'liose', wis f. 'wiese';
bei Hardt auch vis m. 'riese'. Hin und wider findet sicli in
dem einen oder andern aiicli vocallän.o-e.
In der Aachener ma. zeigt sich im \)\. oft die alte kürze
und zwar durchaus bei solchen, die plural-e verloren haben:
(lach m. "tag", aber pl. dach. Jardon sagt a. a. o. s. 32: 'das /
der pluralendung (der /-decl.) ist überall geschwimden, der
stammvocal womöglich gekürzt.' Ebenso wird in der compara-
tion des adj. 'der stammhafte vocal meist gekürzt' (s. Jardon 34).
§ ()0. Viel häufiger als in anderen dialekten bewirken
im mfr. doppelconsonanzen dehnung mhd. kurzer vocale.
Von gesetzmässigem dehnenden einüusse auf den voraus-
gehenden vocal sind hier zunächst die Verbindungen r + con-
sonant; in mehreren der oben angeführten maa. wdrkt dies
gesetz fast ausnahmslos; so in Luxemburg und Deutschlotli-
ringen (s. Follm. 1, 17. 2, 10. 11. 13); ferner zahlreiche belege
bei Hardt ; auch Birkenfeld gehört hierher (s. Baldes 7). Auch
Aachen hat meistens länge (Jardon 3. 28, 29). Vor r -\- dental:
(/, t, z, n, s, seh, l, dehnen Köln (s. Honig 30), Trier (s. Laven
287), Coblenz und die Eifel. Stadtmaa. aber haben öfters
vocalküi'ze. ^^'o sonst in durchaus dehnenden maa. fälle mit
kurzem vocale vorhanden sind, ist schriftsprachliche beein-
tlussung zu constatieren oder das betr. wort ist aus dem nhd.
entlehnt. P'ür ersteres gibt Baldes einen treffenden beleg:
in der Birkenfelder ma. erscheint die kürze in had 'hart', sivads
'schwarz', heods n. 'herz', phesl f. 'perle'; hierzu bemerkt B. 11:
'dass auch hier, wenigstens in kvads, die länge vorhanden war,
das zeigt die ausspräche des Ortsnamens Schwarzenbach, der-
im munde der Birkeuf eider swädsohax lautet.' Ein beleg für
den zweiten fall bei Hardt 21: harscht 'bursche' und morsch
"böse, morsch" "sind beide aus dem hochd. entlehnt."
Für die maa. Deutschlothringens und Luxemburgs sagt
Follmann, dass nur selten und zwar nur an der Mosel vor
einigen r- Verbindungen kürze vorkommt: berrech'hevg', herrebst
•herbst', dorref^ dorV. An der Mosel scheint also dehnung nur
voi" ;• -f dental zu gelten.
Buesch und Hecking geben für die Eifelma. die kürzen
sorgen '.sorgen', dazu sorech f. 'sorge'; für t 'furche'; <ir(j;
190 EITZERT
harg = porcus; daneben aber die läng-en mor 'morgen', wärek
(< tverch und iverfc).
Während auf dem Westerwald die küi'ze nur ausnahms-
weise erscheint, werden in der Siegerländer ma. vor r-verbin-
dung-en nur a (doch nicht dessen umlaut) und c < e gelängt
und zwar fast durchgängig. Schmidt 16 f. nimmt mit Heinzer-
ling 14 als Ursache dieser dehnungserscheinung die entwicke-
lung eines svarabhaktivocals an, 'wodurch der vorhergehende
vocal gewissermassen in offene silbe zu stehen kam.' ^Yem\
auch ein solcher oft noch deutlich fühlbar ist und in drich
'arg' klar zu tage tritt, so muss es doch auffallend erscheinen,
dass sich derselbe nicht wie z. b. im scliwäb. und ostfr. auch
da entwickelt hat, wo dem r ein umlauts-e, i, o, u vorausgeht.
Im siebenbürgischen sind die Verhältnisse vor r -\- cons.
weniger einfach. Doch gilt hier, was Wolf f 2, 28 sagt: 'wo die
kürze der hochtonigen silbe nicht geschützt war durch Posi-
tion, da war sie in den meisten fällen unrettbar verloren';
ferner: 'kurzes a bleibt aber in den Verbindungen r + cons.
fortis.' — Die Verbindungen rsch und rscht dehnen den voraus-
gehenden vocal fast regelmässig (s. Wolff 1, 20). In der Bi-
stritzer ma. ist a, sein umlaut, e vor r + cons. gedehnt, jedoch
nicht immer; ferner tritt oft dehnung ein in mundartlich ein-
silbigen Wörtern mit i, mitunter auch mit tc: Mrt, hurt; ferner
ist vor rd und rn fast durchweg o gelängt, während nach ^Volff
1, 20 andererseits in der gruppe rn das r oft geminirt wird.
Keintzel hat für Bistritz und Regen auch die beispiele; (jir/iij
'gürten', girkol m. 'gürtel', irt = rechnung.
Mit Bistritz stinmit Mediasch im wesentlichen überein: a
und sein umlaut sind gedehnt vor rn, rd, rs, rni (vor letzterem
der umlaut nicht); e ist gedehnt vor rs und rst und einige
mal vor rt, so in i'^ort f. ^ arde' ; o ist gedehnt vor rn, rd, doch
ist der umlaut mitunter kurz; / erscheint einige mal gelängt
in mundartlich einsilbigen Wörtern.
§ Gl, Ueber vocaldehnung vor l + consonant im mfr. gilt
folgendes. Vor U (d) wird a nördlich einer linie gedehnt, die
etwas westlich parallel der Nied über Merzig, Saarburg, den
Hochwald, Bernkastei und dann etwa Mosel und Tjahn entlang
zieht (vgl. Wrede, Anz.21, 275 ff.: alte). Hierbei assimiliert sich
immer das t dem l, so dass a bei zweisilbigen formen in offene
DEHNUNG DER MIID. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 101
silbc zu stellen kam. In den Wörtern in denen / {d) g'eblieben
ist, bleibt auch die kürze; es finden sich deren mehrere im
Sieg"erland und auch sonst: wdld, (fpivalt, ferner öfters die ein-
silbio-en formen der Wörter, die in zweisilbig'en gedehnt er-
scheinen: alt, aber äle 'alt'; halt imp., aber hälc 'halten' (s.
Heinzerling 110). Die kürze bleibt auch dann, wenn das ver-
längerte a umgelautet ist: cd 'alt', aber comp, aller. Für die
P2ifelnia. iJstlich von Prüm gibt Buesch auch Mit und alt: also
erhaltenes t.
Im NW des gebiets besteht übrigens nach Wrede, Anz. 21,
275 ff. 279 ein schmaler streifen längs der belgischen und hol-
ländischen grenze mit erhaltenem -It-, dessen südgrenze für
alte von ]\Ialmedy ostwärts nicht ganz bis Blankenheim und
dessen ostscheide von hier gegen N (istlich vorbei an Schieiden,
Gemünd, Stolberg über TJnnich und Erkelenz weiter zieht.
Für das beispiel J:alte ist das gebiet der -?f-formen noch weiter
ausgedehnt, so dass man die grenze bis Erkelenz ganz ungefähr
ersetzen mag durch St. Yith, Daun, Remagen, Erkelenz, 'Doch
beweisen noch zahlreiche Ä-a?-ausnahmen die priorität der alte-
linie.' Ausgenommen ist für beide Wörter der grenzsaum von
Eupen bis Straelen, wo der dental schwindet und l vocalisiert
ist; für hdte schliesst der säum im S noch Cornelimünster ein,
in seinem südzipfel ist öfters alt bezeugt. Für Aachen be-
stätigen .Tardons beispiele das gesagte: aiC'e 'alte', /aM"'e 'fal-
ten'; in einsilbigen formen bleibt der dental o"i 'alt'.
In den maa. Deutsclilothringens, Luxemburgs und der Eifel
^^•ird auch e vor It gedehnt: seien 'selten', gelen 'gelten'; Wrede
gibt im Anz. 19, 285: f'äl dat. sg. 'felde' um Prüm und Witlich.
Bei Firmenich 1, 502 finde ich für den kreis Prüm auch schould
'schuld' neben schölligJieet, jähld n. 'geld' neben tvelf.
Für den Westerwald gibt K. Chr. Schmidt goold n. 'gold*.
Vor -Its "\\ird a gedehnt in einem streifen zu beiden selten
des Kheins von Düren über Köln bis zur lautverschiebungs-
linie, sowie häufiger nördlich der Mosel im westlichen teile
der Eifel. Vocalisation des l erscheint auch hier im west-
lichsten teile der Kheinprovinz mit (Tangelt und ^\'aldfeucht
(s. A\'rede, Anz. 19, 102), Auch Buesch gibt sah. Firmenich hat
fernei' hahls für die Eifel (1, 508). Ebenso hat der Westerwald
saaLr (aber salzhorjcr) und sclonaah.
192 KITZEKT
Allgemeiner ist vor l + cons. in Aachen und auch in
Siebenbürg-en Verlängerung eingetreten; in A, ist in einer an-
zahl von fällen l ausgefallen und der vocal diphthongiert:
/i-pw/"''kalb'; oft findet sich nach l svarabhaktivocal : kätl: 'kalk',
Jahn 'qualm', mePch 'milch' und verb. m^l^ke; oft nicht: p^ls!,
hclt 'bild'. Von den maa. Siebenbürgens dehnt ]\rediasch con-
seciuent den vocal vor Z- Verbindungen (s. Scheiner 131). Bistritz
und Regen dehnen a und in der regel e; einige mal ist in
Regen auch o gedehnt: hnlts n. 'holz', fülle 'volk' etc. Nach
y\\)\it 2, IG findet sich in den dorfmaa. Siebenbürgens vor It
sehr häufig diphthongier ung: awZ^'alt', houlz 'holz', foullc 'volk',
neben alt, hfdz, ffdk; anderwärts hat doppelconsonanz in S.
eine dehnung des vocals nicht zugelassen. Im nösnischen ist
t (d) nach l häufiger verloren: schälen 'schelten'.
§ 62. a) Verlängerung vor nasal -}- cons. findet sich im
A\' des mfrk. In Aachen tritt vor den vei'bindungen mjj, ul;
nts, ns und in einigen fällen vor nt (d), das selbst aber v^'egen
des wandeis zu itJc nur sporadisch vorkommt, vocaldehnung ein:
wempel 'wimpel', länk 'lang', hUnk 'blind', öns 'uns', mö^nz
'minze', schiväns (aber pl. sdnv^nz), zQuke 'zanken'. Der plural
zeigt meistens wider die kürze.
In der Eifelma. wird nur a vor nt, nk und mp gedehnt.
'Bei hinzutritt einer flexionsendung sträubt sich die spräche
gegen eine Vermehrung der laut- und tonmasse', so dass meistens
der urspr. kurze vocal mder hervortritt (s. Buesch 9). Die an-
geführten beispiele wie lämp 'lamm', pl. lammer, länk, flectiert
lange, sänt, dat. sann, zeigen aber, dass in den flectierten
formen die consonanz sich ändert. Ich sehe deshalb hierin
die Ursache der (luantitätsveränderung in der flectierten form.
In den Wörtern, die« jetzt a für mhd. / haben, ist die deh-
nung unterblieben: kant 'kind', uant 'wind'. Hecking und
Firmenich haben ebenfalls hierher gehörige beispiele.
Für die Trierer ma. sagt Laven viii und xxv: 'in vielen
Worten ist die ausspräche von m und n (auch l und teilweise r)
eine gedehnte und der diesen lauten vorausgehende vocal Avird
schwebend, d. h. etwas gedehnt, ausgesprochen.'
In der Sauerma. steht e vor der Vereinfachung des m, n
aus mp{h) und nt{d): lencr pl. von lant; also offene silbe.
Honig gibt für die Kölner ma. beispiele mit vocaldehnung
DEHNUNG DER MUD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 19^
vor n.i: fruau.-briiikhc 'milchbrötclien". /ircu.rele "sich zieren',
liönzel 'stadielbeereir, doch Frans nom. pr., uns.
Für Siebeiibürg-en sagt ^Volt'f 1. 28: *vor m(,nf.n.i- wird a
liäutig gedehnt'; s. auch Scheiner 124.
In Kegen wird ausser a auch e vor n + d, sowie vor u
gedehnt; letzteres gilt auch für Bistritz (s. Keintzel 143. 149);
voi- u wii'd in beiden orten auch u gelängt (s. Keintzel 102).
In Mediasi-li wird u vor nt, nd, nh, wj gedehnt, sein umlaut
aber niclit.
Aiim. Zu § (50. (il. 62, a vgl. E. Maurmann, Die buite der ma. von
Miillieim (Marliurger fliss. 1SS9) § 137 imd 14.5; in dessen niederfr., an das
mfr. grenzenden ma. sind die knrzen vocale vor v + alveolar, vor Id und
It nnd vor mh, mp, nd, rü gedehnt worden.
b) Vereinzelt tritt im mfr. der fall ein, dass n vor der
Spirans *■ oder /' schwindet. Avodurch der vorausgehende vocal
gedehnt wird. Für die Sauerma. erwähnt Hardt nur Is 'uns'.
Follmann constatiert diese dehnung' in einigen fällen: späsel
'spannseir. ddsen 'geschwind laufen', (jös 'gans' und pl. (jeis
(hierzu vgl. Wrede. Anz. 18. 40(): 'in der nordwestlichsten ecke
von Lothringen', ferner überall, mit ausnähme der Elzma., m
[e's, is\ 'uns".
Hecking bezeugt für die Eitel haf'cl "handvoir, heischen
•liandschuh", ohsen 'der unsrige'; Ruesch auch ntöfel "mund-
voir, sdft 'sanft'. Bei Rottmann finde ich sähft 'sanft', nhs
'uns', fiesfer 'fenster' (daneben finstenjlas). Auch auf dem
Westerwald und im Siegerland begegnen wir dieser erschei-
nung; Kehrein 22: t'is 'uns', (jas 'gans', schtväs 'sclnvanz'. lise
'linse', sdft 'sanft', Wrede a.a.O.: 'um Uriedorf findet sich
dehnung in gättsc mit ausfall der sjjirans. Im Siegerland ver-
liert sich unsere erscheinung im laufe der zeit: Jcöst f. 'kunst'
ist der name eines alten Wasserwerks bei Siegen, doch sonst
heisst das wort im heutigen gebrauche immer kon.i'f\ ferner
neben ijds, [d. ijaese schon <jan2, tjäiuc.
Für Siebenbürgen sagt Wolff 1,28: 'vor ns wird n gewöhn-
lich synkopiert und der vorausgehende vocal zum ersatz ge-
dehnt: liisf -kainist', gas 'gans', doch /ccnst 'kennst', honst f.
kunst". I^)('i Keintzel 156. 162, Kisch und Scheiner 131. 134
er.scheiiien i und u nach schwand eines n (d) vor .s-, /" gelängt ;
Keintzel gibt auch /lal.sf m. •hengst'. In manchen Ortschaften
Beitrüge /tir gosnliichte der deutuclieu bpruche. XXIIl. 1 ;{
194 filTZERt
fällt n nicht aus. so z. b. in Klein -Bistritz: fsent.s 'zins'.
ßndf 'fünf,
§ 63. Auch A'or urspr. geminaten von liquiden und nasalen
findet sich hin und wider dehnung des vocals. Die Ursache
dieser erscheinung- liegt darin, dass dieselben nicht als gemi-
naten behandelt werden. Im einzelnen gilt hierüber folgendes :
In den maa. Deutschlothr., Luxemburgs. Triers, also im S^^'
des mfrk., wird rr 'stets aufgelöst" (Follmann 1, 15) und der
vorausgehende vocal gedehnt: f/cscJnr 'geschirr', nör 'narr'.
Selten finden sich ausnahmen. Jedenfalls erstreckt sich das
gebiet dieser erscheinung viel weiter, da auch aus anderen
linksrhein. maa. mit ausnähme des S vereinzelte belege vor-
liegen; so bei Buesch Ivr f. 'karre', schären 'scharren'; bei
Hecking hikr 'karre'; bei .IsivdonjcscM")- 'geschirr', auch Honig
hat kdi; aber gescharrt in der Coblenzer ma. erscheint fahre-
schwänz zu mhd. var, -rrcs.
Vor U findet sich dehnung des a in Ti'ier, Luxembui^g.
Lothringen: schal m. 'schall', irdlen 'wallen'; vgl. Hardt 11,
der auch gescJ m. 'geselle' gibt. In Bistritz und Eegen wird
a vor urspr. auslautender doppelli(iuida gedehnt; umlauts-^;
erscheint vor U bald lang, bald kurz in Bistritz. in Regen
immer lang: kuiz bleibeu aber die übrigen vocale. In der
liia. von Mediasch sind vor Jl alle vocale ausser a gedehnt.
Für den Hunsrück gibt Eottmann meräl 'überall'.
Vor mm und nn hat Luxemburg und Lothringen nach
Follmann und Hardt länge von a und dessen umlaut r. In
der Sauerma. sind ' vor geminationen nur wenige a und c kurz
geblieben' (s. Hardt 11, 16); ferner Wrede, Anz. 19.201: man
wird gehört in einem grösseren gebiete, das südwärts etwa
durch Mosel von 'J'rier bis Cochem begrenzt wird und nord-
wärts noch Prüm, Blankenheim, Ahrweiler, Adenau. Dann
umfasst, das aber seine unsicheren südausläufer längs der
reichsgrenze noch bis Diedenhofen und Busendorf vorschickt:
ausserdem gilt man für die umgegend von Hachenburg, wäh-
rend östlich davon ein streifen landes, der den "Westerwald
durchkreuzt und von Hilchenbach über Siegen und AVester-
burg bis Montabaur-Hadamar reicht, mä hat. Von Siebenbürger
maa. dehnen Bistritz und Regen a vor urspr. auslautendem
doppelnasal; in Regen wird auch umlauts-r vor nn stets, in
BEIINrNO DER M]\T>. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 195
Bistiitz nur in Aercinzflteii fiilU'ii ,'>(*(U'liiit , durchweg' aber
vor ii/))i (in- und nuslaut ). In Mediascli erfährt a vor mm
dehnuii.o'. docli nicht sein umUuit (s. Seheiner 124).
sj (U. \'or den gvminaten 2W> f^- f'l' i^^ ^'H <l^i' ^It'^el und
in der Kifel a. c. o .cedelmt worden. I )a im infr. p in der
j»emination i>anz olme verscliiehung l)leil)t und eljenso /.,, so
findet sicli diese erscheinung' in zahh-eiclien beispielen (s. die-
selben bei Follmann. Hardt 11. Hecking. Buesch, Laven): ('qjel
'aiifel' (Trier liat im pl. aber ähhel, dim. ühhelcJtcn). sdl: 'sack',
i/cicdt 'gewettet', döj) "topf, rök "rock', u-clcn 'wecken', drek,
bei Buesch drecl: Bei Wegeier finde icli nur (/eschääkt 'ge-
scheckt'; Laven gibt als kölnisch an: sfreeckcn "stricken' und
fleecken 'flicken"; Honig selbst aber hat diese beispiele nicht.
Die bei letzterem angeführten Wörter haben durchweg kürze:
appel, droppc m. 'tropfen', sack, klock etc.
^lit dem moselfr. stimmen die niaa. Siebenbürgens überein;
nur bleibt mhd. a hier kurz. Der umlaut von a zeigt wie e, o
und dessen mnlaut dehnung (s. Keintzel 141. 147. 152. 158. 159;
fei-ner belege bei Kisch. Scheiner, Wolff); also apel, nkorn
'ackern", aber kldpdr (< klepfel), bat (< bette), dk (< ecke) etc.
^litunter kommen auch ausnahmen vor. so heisst es in Bistritz
klop))i "klopfen', in Bistritz und Regen bok 'bock', fus.sok f.
'socke", opfenr. letzteres "wahrscheinlich' aus dem nhd. entlehnt.
Rechtsrheinisch wird unsere ersclieinung für den Wester-
wald (besomlers im amte Hachenburg und Rennerod) und den
nassauischen l'uterrhein (besonders im amte St. Goarshausen)
bezeugt (s. Kehrein 3); die hier angeführten belege sind aus
K. Chr. Schmidt: sehten 'zetten', S2n;hk m. 'speck', drekk 'dreck',
haag f. "hacke"; doch hat Schmidt latt f. 'latte' und krabbeln:
§ 65. Charakteristisch für den grösseren nördlichen teil
des mfr. ist (iie längung vor doppelspiranten und spiranten-
verbindungen. Die räumliche ausdehnung dieser erscheinung
ist bei den einzelnen vocalen nicht die gleiche; i und u werden
nur ganz vereinzelt gelängt, ^\'eitere Verschiedenheiten er-
geben sich ferner durch die art der spirantischen consonanz
(s. Kehrein 12. Follmann 1,23 und 2,5. 7. 8. 11. Hardt 11. 14.
16. 21). In den übrigen arbeiten sind die belege zerstreut.
Beisi)iele: machen, dazu 3. sg. praes. maicht, stächen 'stechen'.
lourh und loch und pl. löücher (lecher); näs *nass', escn (eisen)
13*
196 UIT2ERT
'essen', schlös und pl. scJdöüser {schlcser); Ihife 'klaffen', Ufel
und laifcl 'löffel', scldmf ni. 'stoff' ; ivaischcn 'waschen', drai-
sclien 'dreschen', frü{ai)sch m. 'fi'osch' und \A. fr(\ön)sch{c)\
raisten 'rasten', ru(ou)st m. 'rost', ncist 'nest' und pl. n^ister;
hnift, häspel, tvaispel f. ^\yes^e\ kal? 'katze", hxotsm 'kotzen',
sähen 'setzen' etc. Ausnahmen finden sicli überall.
Für einzelne hierher gehörige fälle gibt Wenkers Sprach-
atlas die genauere begrenzuug. Vocaldehnung in muchm (s.
Wrede, Anz. 20, 207) wird im 0 und S durch eine linie be-
grenzt, die von Freudenberg- südwärts zieht auf Driedorf am
Westerwald und von hier westlich auf Linz, den Rhein auf-
wärts und daun südwestlich etwa dem Hunsrück, Idarwald
und Hoch^\•ald folgt. Die grenze für gedeliuten vocal in yc-
hrochcn (Anz. 22, 98 f.) ist im S ungefähr einzuengen bis Linz-
Adenau-Trarbach-Merzig-Luxemburg. Gedehntes a in wasscr
ist nacli Anz. 19, 283 zu erwähnen für das linke Kheinland von
Remagen-Montjoie nordwärts und besonders consequent für die
beiden .Moselufer aufwärts bis zur Schneeeifel einerseits, dem
Hoch- und Idarwald andereiseits, eistreekt sich also keines-
wegs so weit als ä vor eh. Dehnung in hesser findet sich
nach Anz. 20, 829 im ripuarischen linksrheinisch durchgängig,
reclitsrheinisch fast nur in der nähe des flusses; so hat nach
Firmenich Stieldorf am Siebengebirge freissen 'fi^essen', ver-
(jc/ssen und Büscliei'hof bei ^^'aldbrö^ rergäsen. Nach Kehrein 8
hat der Westerwald und nassauische Unterrhein ^j^^^r m. -petz",
/rcÄ/m. 'treff'.
In den maa. Siebenbürgens begegnet uns diese dehnungs-
erscheinung ebenfalls, jedoch bleibt ausser i, u auch altes a
kurz bis auf vereinzelte ausnahmen : tvasdr, plnts, sax 'sache'.
((/' 'äffe', gast etc.; doch nast z. b. in Bistritz, flösi^y u. a. in
Bistritz und Regen; ferner hat Bistritz bäx und däx, Regen
möxd 'machen', box, döx. In Mediasch wird aber a vor eh
gedehnt (s. Scheiner 125. 128. 181). Der umlaut des a, ferner
e, 0 und dessen umlaut erfahren delmung: (jnst (<<jesti), hräftix,
/,äsi)l m. 'kesser, gäsf.n- 'gestern", Mos n. 'schloss', löx 'loch'
und pl. li'pr, 6fn 'offen'. Idöfs m. 'klotz' etc. (s. Keintzel 141.
142. 147. 152. 158. 159; ferner belege bei Kisch, Scheiner, W'olff).
In Aachen erscheint auch IM f. 'lisf, m^is m. 'mist', mH"t
'musste', aber le^.s{t) f- 'kiste', le.sf 'lust' etc. Der id. zu Irdft
DEHNUNG DER MHP. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 107
heiiSst hier Irrffc: ebenso ist in der Sauerma. der uinlaiit des
d vor ff in einigen fällen knrz: ln:ftcch, sc ff ich, doch auch
sdffccJi.
Aus den beis]>ielen bei l^aven ergibt sich für die Trierer
nia.. dass a vor allen oben angeführten Spiranten und si)iranten-
verbindungen gedehnt wird: in den wenigen ausnahmen liegt
sicher nhd. einfluss vor wie in kass f. 'kasse' etc.; vor ch und
SS ist auch c gedehnt, o jedoch nur in Joch, pl. lächcr, dim.
lächcJchc})\ auch spiclisKj ist "\erzeichnet, jedoch in übertragene!-
bedeutung 'schmal aussehend ". Zu den letzteren fällen ist zu
vergleichen, was Laven xix sagt: 'die Trierer ma. bietet nicht
selten den fall, dass ein wort mehrere formen hat. Je nach
dem jedesmaligen Charakter des gedichts ist bald die eine,
])ald die andere form gebraucht. Von diesen formen ist ge-
wöhnlich die eine die plattere, welche in der nähe von Trier
unter der ländlichen bevölkerung angetroffen wird'. Jeden-
falls darf dai-aus der schluss gezogen werden, dass die ma. bei
Trier in Übereinstimmung mit der benachbarten Sauer- und
Moselma. Luxemburgs auch o dehnt.
In der ma. von Köln erstreckt sich die besprochene deh-
nungserscheinung nur auf «; ausnahmen sind auch hier zu
finden. Nach Wrede. Anz. 22, 325 erscheint im dat. sg. tische
im Roergebiete circunifiectiertes oder diphthongiertes öe, öl, öü,
im südlich sich anschliessenden e- gebiete bis Montjoie-Sinzig
weniger oft c, doch ebenso oft ci. c'i.
Vocallänge in ich findet sich zu beiden selten der Mosel
bis Saarlouis, St. A\'endel, Kusel. Wolfstein. Sobernheim, Sim-
mern, Zell; dieses gebiet wechselt bunt zwischen diphthon-
gierten formen und ich. cch, öch\ nördlich von der linie Prüm,
Daun. Cochem. Bop])ard findet keine dehnung statt (s. Wrede,
Anz. 18. :)08j. Auch in Sie])enbingen sagt man mitunter aiy,
mciiy etc.. abei- nur dann, wenn nnf diese pronomina ein be-
sondeier narlidiuck gelegt wird (s. Keintzel L54). Vgl. hierzu
Maurmann § 14t), der für ^Mülheim dehnung vor den stimmlosen
reibelauten f\', x, ss, s constatiert.
Die P)irkenfHlder ma. dehnt den vocal in seltenen fällen
vor sf (.s. Baldes 7j.
§ 66. Vocal Verlängerung vor ursj»)-. hf und hs.
Im hauj)tgeV)iete des mtV. wird mhd. kui'zei' vocal fast
198 RITZERT
diircligeliend vor altem lit g-edeliiit. Ausiiahineii sind zwar
allerorts zu constatiereii. doch nirgends zalilreicli; namentlich
erscheinen acld nnm. card. und fechten ohne gedehnten vocal,
sicherlich in folge nlid. einflusses. Ynr Trier liat Laven die
•plattere' form nolididcn, pl. zn noliclnl, neben knrzem nächl.
Wredes beisi)iele recht im Anz. 21, 102 und schlecht, ebenda 104,
bestätigen obiges gesetz; ferner lucht 'luft', Anz. 19, 278. Für
nichts folge hier, was "Wrede, Anz. 19, 205 gibt: innerhalb des
folgenden wesentlich mfr. gebiets lassen sich die herschenden
dialektformen zurückführen auf urspr. '^'näst; wir finden dort
die dijdithonge eu, ei, ferner // und /: Eupen, Aachen (orte
mit *// cursiv gedruckt), Düren, Lechcnich, Brühl, Köln, ]\Iül-
heim, Gladbach, Wipperfürth, Blanhenherg, Altenkirchen, Ijikel,
Bcmagen, Linz, S'mzuj, der Rhein von Andernach bis Bacha-
rach, Simmern, Stromberg, Gemüuden, Sobernheim, Kusel,
St. Wendel, Ottweiler, Saarloiüs, Forbach, St. Acold, Saaralben
(s. auch Hardt 23).
Nicht allgemein, aber immerhin 'häufig' tritt dehnung vor
hl in der Birkenfelder ma. ein (s. Baldes 7). Im Siegerland
sind im wesentlichen nur a und e gedehnt; doch findet sich
auch du"chder neben g^fochdo. In Siebenbürgen werden nur
a, e, 0 gedehnt (s. Keintzel 144. 147. 151 [hier auch einige bei-
spiele mit kurzem e in Bistritz]. 158). Auch Kisch, Sclieiner
und Wolff haben keine fälle mit langem / und u.
§ 67. Dehnung vor altem hs mit Schwund der guttural-
spirans gilt für das ganze Mittelfi-anken und ebenso für Sieben-
bürgen (jedoch mit ausnähme des / und u); in Aachen tritt
sie nur teilweise ein, da sich hier ch (h) vor s 'meist' zu /.:
verhärtet (s. Jardon 25). Auf dem Hunsrück findet sich die
erscheinung selten; flds (< rhihs), die mfr. form, herscht noch
in der ländlichen Umgebung Birkenfelds, während die durch
das hd, hervorgerufene form flags in der stadt selbst in der
jüngsten zeit die alte form fast verdrängt hat. Dieser um-
stand hat an mehreren oi'ten ausnahmen verursacht, was deut-
lich daraus liervorgeht, dass alte und neue formen neben
einander bestehen. Wenn aber fast durchweg die formen
fnJis (< ruhs), scks (< sehs) und hiks (< hühse) erscheinen, so
muss mit Heinzerling schriftsprachliche beeinflussung an-
genommen werden. Keintzel liat für Bistritz ses (< sehs),
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 199
aber :.t'^/^.) und zvsfaix i'J m^l -<^*; Iiit*i' li«gt eiiiwirkiiiig der
gehäuften consonanz vor; liegen hat ^hst^w.
Die grenzlinien für einige hierlier geliörige heisi)iele er-
gehen sich aus '\\'enkers sjirachatlas; für ivachscn (s. "NA'rede,
Anz. 21,201) zielit die südgrenze dei- voealdehnung von AS'«r/r-
(jemüml (orte mit Is < lus und voealkürze cursiv) über Saar-
huiis. OHireiler, Sf.Would, 01)erstein, Kini, Oherifr,sel,M'dynn,
Andernach, Bcudorf nach Ems und setzt sich im rlieinfr. fort.
Die ostgrenze zielit von Gummersbach über Hilclienbacli und
wendet siel» dann südwärts über den Kderkopf und Haiger in
rheinfränkisclies gebiet. Die (luantität des stammsilbenvocals
iu ocJisen (s. Wrede, Anz.21, 264) ist im grossen und ganzen
der von tvachscn analog; die südgrenze beginnt liier westlich
von Trier und zieht zwischen Bifhiirg, Prüm, Gerolstein, Cochem
weiterhin in einem kleinen abstand nördlich der für ivachseu
gegebenen linie (s. auch Follmann 1, 15. Hardt28).
8. Thüringisch.
Qnelleu: E. Braudis, Zur lautlebre der Erfurter mu. 1. Vocalisiuus.
2. Cousonaiitismui?. Programm von Erfurt 1892 f. — E. Flex, Beiträge z.
erfbrschung der Eis^enacher ma. Progr. von Eisenach J893. — Bi Haus-
halter, Vocalif^mus der Eudolstädter raa. Eiidolstadt 1882. — L. Hertel,
Die Salzunger ma. üisi«. vou Jena 1888. — L. Hertel, Thüringer Sprach-
schatz. "Weimar 1895. — HerAvig, Idiotismen aus Thüringen. Progr. von
Eislebeu 1893 (eigenwörter aus der Vogtei, südöstlich von Mühlhausen). —
E.Jecht, Wörterbuch der Mansf eider ma. Görlitz 1888. — S. Kleeraann,
Beiträge zu einem nordthür. Idiotikon. Progr. von Quedlinburg 1882. —
Fr. Liesenberg, Die Stieger ma., ein idiom des Unterharzes. Diss. von
Göttingen 1890. — K. Eegel, Die Euhlaer ma. Weimar 1868. —
]\r. Schnitze, Idiotikon der nordthür. ma. (grafschaft Hohnstein und Stadt
Nordhausen). Nordhausen 187-1. — K. Scliöppe, Naumburgs ma. Naum-
burg 1893. — U.Weise, Die Altenburger ma., Mitteilungen des gesch.- u.
altertumsforschenden verein« zu Eisenberg, 4. heft (1889).
§ 68. Im thüringischen wird mlid. kurzer vocal in offener
silbe, einzelne ab weichungen abgerechnet, durchaus gedehnt
(s. Brandis 5. G. 18. Flex 8. Hertel 1,11. Liesenberg 37); weitere
belege in allen genannten «luellen ; s. auch Kegel 6. 38. Sjuess
14 f.). Beispiele: sledn •Schlitten', cßäd "glatt", dazu comp, (jlüder,
hämel 'hammel', Mmel 'kümmel' etc. Die fast durchweg er-
scheinenden formen hrepel 'krüppel', rehe {reive) 'rippe' gehen
auf mild, hräpd (nbf. zu hrUppel) und rihc (nbf. zu i-ippe) zu-
200 RITZERT
rück. <[ic auf mlid. efjedc. Häufig erscheint der vocal iu dem
Worte 'höckeriu' gedelint: laujcn, hcken, hökciifran; dies ist
eingetreten, nachdem (•/,• nicht mehr als geminata l)ehandelt
wurde; dasselbe liegt in einigen anderen fällen wie .sjms
*spass' vor.
§ 69. Kürze des stamm vocals findet sich in den maa. Süd-
westthüringens einige mal vor l (s. Hertel 13): meUe 'mühle",
i:ilt 'viel', bbitl 'plaudern', fvuhla hat .sollen f. "sohle', mUllen
'mühle*, (jestollen "gestohlen' u. a. (s. Regel 3). Kürze in miihlc,
kohle, sohle begegnet nicht selten auch in den übrigen maa.
Tliür.; in Stiege ausserdem in icol (mangel an tlectierten
formen) neben feie "viel', hol adj.; für Rudolstadt ist nur in
hol kürze angegeben.
Ebenso erscheint fast überall kürze in stuhe und häufig
in srhiie (doch schon mhd. senne neben smetvc) und schiene,
in letzterem besonders in dem compositum .srhienheru und zwar
auch da wo die form schienehein erhalten ist. Altenburg hat
sfohc, aber (nach erfolgter Umwandlung der offenen in ge-
schlossene silbe) stmumdaere; Naumburg hat auch im compos.
länge, fernei- in sehihnebehn, daneben aber schimmhehn.
Da, den SW abgerechnet, in anderen als den obigen schw.
Substantiven auf l die gesetzmässige länge erscheint, so liegt
es nahe, die Ursache der kürze in den obliquen casus zu suchen
mit annähme von vocals3rnkope in der endung und hierdurch
entstandener einsilbigkeit: solen > soln\ dies liegt um so näher,
als jene Substantive häufig im nom. in der form der obl. casus
erscheinen: holn, sohl, auch stubn (sdomm); hinzuzuzählen wäre
dann das ebenfalls häufig vorkonnnende riklden, redde 'rüde".
Kürze vor t kommt vereinzelt vor; sieht man aber von
fällen ab, in denen sie auf rechnung der vocalsynkope in
Suffixen kommt, wie z. b. kätl 'kittel*. hatlman 'bettelmann'
in der Yogtei und auch sonst, so gehih-en nur ganz wenige
fälle aus dem mansfeldischen und Naumburg hierher, wie hrätt
'brett', schatte, kette. Noi'dthüringen hat wol i'/cf/i' 'stadt', aber
steete pl.; jehotten, jesotten sind zu erklären \\\e jesehohbcn 'ge-
schoben', jesehräbben " geschrieben'. Stiege kennt kürze in sät
'satt' und jlät 'glatt', 2i\>^Y pode 'böte', prät 'brett' etc.; ferner
im id. yn\iet. und ])ai-t. praet. der stai'ken verba der ersten
DEHNUNG DER MHP. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 201
ablautsreihe. deren .staiinn auf /. (/ ausjjvlit: lrd')i,'][{{m.j<'U:<l'n
•irelitleir: med'» •mieden '. jrmi'd'ii •<>eniie(len".
§ 70. ]ilanclie einsilbige nomina bewahren, trotzdem sie
fiectierte formen neben sich haben, in denen der vocal in
offene silbe zu stehen kam. ancli im tliür. die alte kürze; es
sind dies u. a. im mansfeldisehen hoff iiof (aber gen. höwcs),
svinncdd 'Schmied' (verb. aber schneden); ebenso am Unter-
harz. wo abei- das verb. schmcden mit lang-em nnd kurzen
voeal erscheint: liier i\\\i'\\ jroh, comp, j>-o?f'cr. Xordhausen hat
kürze in (ßas. nid, bad (pl. mit länge), sah n. 'sieb* (pl. mit 1.;
am l'nterharz sc})), fann 'fahne', rilid 'glied". schmid. Nach
Kleemann kommt hier neben wcd (< wide) auch n-cft vor
(immer in Jarnju-üfi ' verbind ungsstange am wagen'; nebenton).
Vereinzelte fälle erscheinen auch sonst, so manchmal sclmid.
^^'enn durchweg (jott und fromm kurzen vocal haben, so liegt
sicher schriftsprachlicher einfluss vor. Der dehnung nicht
unterworfen ist fast im ganzen gebiete der imp. der '2. sing,
der Verben, deren stamm auf verschlnsslaut ausgeht, als iso-
lierte form (s. Schnitze 12. Schöppe 28); ferner das adv. {d)iväh,
in Nordthüringen auch die partikeln hin und für.
Aiim. Für den fiiterliarz sagt ZAvar Liesculjerg 4. 0. S: '»las urspr. i
ist im ganze« in demselbeii umfange wie im mlul. erhalten — hierdureli
steht die nia. nälier dem ndd. nnd in anttallendem gegensatze zu der im
thür. so stark verl)reiteten neigung. das / durch dehnung zu i zu verändern
— auch bei (f zeigt sich im ganzen wider im gegensatze zum thür. eine
grössere Vorliebe für erhaltung des urspr. «", doch ergeben nicht wenige
beispiele: j'n- 'gier", rese 'riese', /rerfe 'friede', flüye dat. 'finge ",,/(> j/e/t* u. a.
die geltung des gesetzes der vocaldehnung in offener silbe auch für den
Unterharz. Die vorhandenen zahlreichen ausnahmen finden iln'e erkläi'ung
im folgenden paragraphen.
§ 71. Auch im thür. zeigt sich die erscheinung, dass
durcli vocalsynkopc in suftixen (meistens betrifft sie -el, -er,
-tm, -en) der vocal der stannnsilbe nicht in den silbenauslaut
ti'eten koinit(\ wodurch denn die urspr. kürze bewahrt woi-den
ist. Die Verteilung dei- fälle diesei' art ist in unseiem gt-biete
verschieden. Am seltensten begegnen sie im S und SA\'. In
der Salzunger ma. bctiifft es nur eine geringe anzalil solclier
Wörter, deren .stamm auf h, d, t schliesst: scwice 'sieben", (jc-
vädder, eivivet^ nheV, aber ijrdice, öwe, bödcn, näwet (s. Hertel
1,13). Mit Salznngen stimmt Ruhla fast ganz überein; doch
202 • HITZERT
haben liier beit^pielsweise auch hodcn und doniur kürze (8.
Keg'el 8). Ivudolstadt hat kürze in tvcder conj., /cldcr praep.,
zusammen, dagegen länge in dljcr, öder, iber "üher*.
In den niaa. des mittleren gebiets (Vogtei, Eisenach, Er-
furt. Altenburg) erscheinen schon mehr kürzen. Damit kann
und soll aber nicht gesagt sein, dass an den einzelnen orten
die fälle dieselben seien. Manche kürzen sind ZAvar an fast
allen orten zu constatieren wie in fhldel, läddvr, boddcn. faddcm,
wüddcr "wider*, ctnvel, ,sfäicn-ti "stiefer. ijcraddcr (ratcr ersclieint
dagegen mir ausnahmsweise mit kurzem vocale) u. ü. In an-
deren aber schwankt die quantität. was eben das wesen dieser
analogiebildungen dartut; divr aber in Erfurt neben an-r ist
sicher schriftsprachlich.
Der N des gebiets hat zahlreiche hierher gehörige fälle,
doch stehen ebenso zahlreiche mit regelrechter dehnung da-
neben; kurz ist z. b. der vocal in feder, edel, schäbhcr ^schiefer',
jdicel 'gabel'. kaminer, irö.s.sel 'wieset'; also vor media, Spirans
und nasal. Häutig sind im ^' die plurale der neutra rad, <jlied,
glas, gras kurzvocalisch, doch hat das mansfeldische rädc neben
redder, der Unterharz jreser neben jräser, jleser \)\. zu jlds,
abei' dim. jläsel: hier auch pletter, pl. von plät. In der von
Schmidt geschilderten ma. haben nicht selten die partt. praet.
kürze, so jestoUcn, hefollen, jeniimmeu, jeschobben (auch im
msinst), jeschräbbeti u.a., -dher jebooren,jczoogen,jefloogen. In
den nördl. maa. hat houlg durchweg kürze, die auch für Eise-
nach bezeugt ist. Kurzen vocal in Jcönig finde ich bei Schnitze
und Kleemann; letzterer gibt auch hafitch 'habicht'. Der Iliter-
liarz hat ledig \\m\ nämlich, -dhev .itmlich, Mansfeld rocht {<vogef),
aber j«cM *jagd". Fälle letzterer art finde ich auch sonst:
sibzch 'siebzig; aber sim 'sieben', und räddch 'rettig' in Er-
furt, brätcht f. 'predigt* in der Vogtei, marradch' "merrettig'
und nilche 'lilie' in Altenburg; barhs 'barfuss" hat ausser im
SW iibei'all kurzen vocal.
In der verbalflexion ist vor den durch synkojie entstan-
denen geminaten und doppelconsonanzen im tliür. sehr häufig
kürze zu constatieren (s. .Schnitze 11. Schuppe 27. 28). Beispiele:
butt 'betet' in Altenburg; sehadde "schadete" in Erfurt, aber
bwde 'betete', </e&rf^^ 'gebetet', jeschott part. zu schetcn 'schütten'
im mansf, etc.; Aveitere belege geben die genannten quellen.
DEHNUNG DER MHD. KUEZEN STAMMSILBKNVOCAIjE. 203
Regd und Hertel unter.sclieicU'ii für das i>r;u's. liiniiadi hesoii-
dere gTUiidfürnieii (s. I\. 100 und H. 11.")).
§ 72. Vocaldelinung' A'or doi)i)elconsoii;niz f>ilt für das tliiir.
in folgenden fällen.
in den dem ostfr. benaclil)arten niaa. IJulila und Salzungen
ist "das streben Aveitg-i-eifend' nilid. einsilbigv ncnnina mit
doppelconsonanz zu dehnen. J^ei antritt der Üexionsendung
tritt die urspr. kürze wider ein (s. Hertel 11. Keg'el 38 ff.).
Beispiele: ivald, aber dat. null und pl. iväUer; fiiscJi. aber
dat. fösch und pl. fösch- söpf, aber dat. supf und ]>1. .läpf; all,
al)er dar nll man 'der alte mann", de (dien imuuier etc. .\us-
nalimen: (/efd 'g\f\'. friic/nl iverd m. 'wirV, dorn, arm u.a.
(s. Hertel 13. 14. 98. Keg-el 37: "vor positionalem r pflegt das
rulilaisclie die alte kürze (( rein zu bewahren).
§ 73. Vor ;• + dental ist im tliür. a und e gedehnt; gegen-
über dem schriftsprachlichen gebrauche haben auch die zwei-
silbigen auf -art- delinung: (jürtcn, warten, doch findet sich im
N nach Kleemanu ivortcn 'warten' und Barfei nom. propr.; auch
Hertel 11 gibt für Salzungen gdrde, scJncdrde. Vor r^ ist nur
a gelängt, jedoch nicht in sehicar.-:; neu entstandenes dialek-
tisches a bleibt aber kurz: warze f. "würze* (Altenburg);
Schultze gibt auch staer^' 'hinterteil des vogels", aber (wie
sonst) lier^e, schmerz. Vor rs wird der vocal auch in nursel
'mörser', hersen 'hirse*. herkn 'börse' (bei Schnitze und Brandis)
und in hcrsch 'wirsing' gedehnt; kurz ist der vocal in Icarst
im N und in Erfurt (der familienname Karst hat aber in E.
langen vocal), in fersch 'vers* im N und in jerschte 'gerste'
am Unterharz. Dehnung vor rn findet sich ausser in göru
'garn', gäm 'gerne* (in Rudolstadt aber (jdrue u.a.); ferner
in dum 'dorn' und sfjuru 'sporn'; dagegen heisst es lianier
'hörner*; kürze hat auch larn 'lernen*. Das nmnsfeldische
liat teils ärtn, teils ärnt f. 'ernte*, ferner ärend m. 'ernst',
aber ärensthaftuj adj.
Vor rw ist ausschliesslich a gedehnt in der Vogtei, Eise-
nach und am Unterharz; vor rl haben Mansfeld und Altenburg
vocalläng(^ in Karl. Eisenach hat länge in säerl^ 'sarg* und
stmrk 'storch* und die Vogtei in baaric 'berg'.
A nni. Die dehnnug- vor r + auderer coiisonaiiz im 8W gehört /n der
genanntoii dehnmig' mhd. einsilbiger ^vörter mit doppelfdiiconaiiz: ihiirf
'doif , aber \A. darf er etc.
204 RITZE RT
§ 71. \'or / f /. r/ ^^•ir(l im grössteii teile des gebiets a
gedehnt, mir der SO liat kürze: dabei scliwindet der dental-
explosiv. Beispiele in allen angeführten arbeiten ausser bei
Schöppe. Y\\Y Stiege s. Liesenberg 37. Weise sagt zwar s. 8:
*es scheint, als ob die liquiden längende kraft haben', doch
fehlen genügende belege hierfür; er gibt nur midc 'mulde',
seil 'sollte' und iväl "wollte' (doch erscheinen die beiden prae-
terita auch als mll und ivaü). Das fehlen weiterer belege
deckt sich mit dem ergebnis des A\'enkerschen Sprachatlas;
nach "W'rede, Anz. 21. 275 ist nämlich nur westlich der folgenden
linie vocaldehnung in alt eingetreten: (Suhl). Ilmenau (cursiv
gedruckte orte haben vocalkürze), Gehren, Saalfeld, Blanken-
burg, Uudolsfaclt, Eemda, Tannroda, Kranichfeld, Weimar,
Haßtenbenj, AMehe. Nebra, Lancha, Xaumhurfj. Im S"\A' ist
in den einsilbigen auf It dehnung vorhanden, die flectierten
formen aber haben kürze. Damit stimmt Wredes bericht:
•zwischen A\'altershausen, dem Eennstieg einer- und der Fulda,
Hersfeld andererseits macht für alte ein gebiet mit all- eine
ausnähme'.
Für vocaldehnung in saU (s. Wrede, Anz. 19, 102) bildet
folgende, im grossen und ganzen wie obige verlaufende linie
die grenze: (Hildburghausen), Blankenburg. Berka, Sömmerda,
Cölleda, Wiehe, Querfurt, Schafstädt (und weitei'hin südost-
wärts ins obersächsische): dieselbe erstreckt sich also im 0
nicht ganz so weit als a in alf.
Ausnahmen finden sicli nur selten; so z. b. oWe/- n. "alter'
und olfern verb. bei Liesenberg, abei" 'n ölder m. "ein altei"',
speien 'spalten' bei Jecht und Kleemann. Der umlaut des.«
bleibt auch im thür. kurz.
La A\' des gebiets erstreckt sich die dehnung vor l -f
dentalexi)losiv auch auf andere vocale; für Eisenach ist sie
bezeugt in <)<i'ld und f<Ud, für die A'ogtei ausserdem in sailt-
säuni "seltsam', häil: "liolz". srldäi/-- 'stolz". sehhd,v "schulze",
Sc/im/ahen flurname.
§ 75. Charakteristiscli füi' das westthüi. ist vocahlehnung
vor nasalverbindungen. A\ie schon § 40. a und 53, a erwähnt,
gilt diese auch für das ostfr. an der Werra und den NO des
rheinfi*. Ich erörtere diese erscheinung deshalb hier im zu-
sammenhange.
DEHNUNG DER MIID. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 205
Die in betraclit kommenden lautgTUppen sind n -\- t, d, ts, k
und m -\- ]K pf. also nasal -}- verschlusslaut (s. Hertel 12. Regel
15. 37). Beispiele: JhuhI, leind 'kind'. ivchiter 'winter", liointi
'liund'. roinzel • runzer, loumhc •lumpen', jehnpfer •jungier'.
Hertel bemerkt zu seinen beispielen mit }i(l s. 07: "diese formen,
auf den düi'fern bei Salzungen einzig- üblich, werden in dei-
Stadt allmählich von den gemeindeutschen aufgezehrt'.
Anm. lulauteml wird iid in Salznuyeu stets zu nf/ oder /;/( mit kürze
des vorvocals: haiiuel "liander, henger (<C inlid. hiiukr), aber nuhuhl « lulid.
waiitel).
Für die Vog-tei gibt Herwig viele belege; weiterhin be-
zeugt Flex diese erscheinung für Eisenach. Für das nordöst-
liche Rheinfi'anken finden sich zahlreiche belege bei Salzmann
und Dittmar: während aber im tliür. 'eine beachtenswerte
regelmässigkeit* unserer erscheinung vorliegt, gilt sie hier nur
'häufig'. Nach W hin nimmt sie an umfang ab: in stadt und
kreis Homberg zeigt sich ihre Wirkung nur in der grujipe an
-f verschlusslaut: kind und dat. länd,), dänds<m "tanzen", yänd^
gans', aber pl. (jendsd, änJiO (< anke) 'genick'. Wie Aveit die
vocallängung noch weiter nach '\\' reicht . Aermag ich nicht
gänzlich zu constatieren; für Merxhausen bei Fritzlar wurde
mir auk) bezeugt: weiteres konnte nicht angegeben werden.
Doch ist folgendes bei Wrede, Anz. 19, 111 zu vergleichen: für
kind ist eigentümlich ein kleiner neun Ortschaften umfassender
bezirk im SA\' von ('assel mit keind (in Grossenritte bei K..
Besse bei Fritzlar etc.).
Für das ostfi-. s. die belege bei Spiess 14 f. und Reichardt
33. 35. In Henneberg begegnen nicht selten ausnahmen; so
hat hier namentlich der pl. öfters wider die alte kürze: dänz,
aber pl. dänz; neben 2)flän.ie und wänze erscheinen lanzc und
schanze (in Pfersdorf heisst es aber sfjuiso f. 'schanze'); doch
dank m.; (jedänkc, pl. gedänkene, vei'b. Imlankr u. a.
Anm. In .Sonneberg (s. Sehleiclier :iO) und Coburg (s. Felsberg 141)
hat der'sg. der liierher gehörigen Wörter delinuug unter Schwund des na-
sals; die liectierten formen und ableitungen zeigen aber vocalkürze. so dass
wir es hier mit delinung narh S; 72 zu tun haben.
Für einige Wörter mit nasalverbindungen gibt der Sprach-
atlas die genauere geographische Verbreitung der vocaldehnnng.
Aiuh aus diesem niaterial ergibt sich, dass die Wirkung des
206 RITZERT
(leimenden eintlusses der uasah'erbindung- für die einzelnen
voeale verschieden ist: ja, es zeigt sich nicht einmal bei einem
und demselben Aocale in verschiedenen Wörtern völlige Über-
einstimmung. So zieht die grenze der dehnung- in pfund nach
Anz. 19. 103 im W von der Fuhbuiuelle bis Vaclia, lässt T.eng-s-
feld und Salzungen gerade noch nordwärts liegen, verläuft
weiter im NO mit dem Eennstieg- und schliesst gegen SO
Zella. A^'asung•en und Hadungen ein. Suhl. ^Feiningen und
Ostheim aus. Um Treffurt und Mühlhausen findet üdipfuind,
nördlich von Hersfeld pe^ind, südlich punnd, ferner bei Bischofs-
heim in der Rhön pfannd. Dagegen geht lioind (^^>ede. Anz.
19.107: kund) mit pfoind nur gegen NO bis zum Kennstieg
zusammen, hingegen gegen AV und N beträchtlich weiter, so
dass es auch für Fulda, Hünfeld. Hei^sfeld. Yacha, Tiengsfeld,
Salzungen noch gilt; bei Grebenau (südwestlich von Hersfeld)
findet sich haund.
Das zerstreute auftreten von pfoind ausserhalb der obigen
enclave lässt den schluss zu, dass die längung früher verbrei-
teter war, jedoch durch den gebrauch des Avortes als marktwort
einbusse erlitten hat, worauf auch "\\^rede mit recht hinweist.
Für irinter bemerkt Wrede, Anz. 19, 108: wenn hess.-thür.
hoind sich weiter ausdehnte als p{f)omd, so geht entsprechendes
iveinter noch über jenes hinaus bis in das nordthür.; grenzorte:
Sontra, Kreuzburg. Treffurt. Wanfried, Mühlhausen, Dingel-
stedt, Schlotheim, Tennstedt, Gebesee, Gotha, Ohrdruf, Flaue,
Schmalkalden, Zella, Suhl, Wasungen, Meiningen, ]\relrichstadt,
Ostheim. Fulda, Herbstein, Lauterbach, Grebenau. Alsfeld,
Hersfeld, Rotenburg.
Vocaldelmung in kind erstreckt sich im N bis Treffurt,
im S reicht sie aber etwas weiter als für winfcr: AFelrichstadt,
Ostheim, Bischofsheim (Khön), Neustadt, Brückenau, Schlüchtern.
Hierbei ist zu beachten, dass im ostfr, die dehnung in kind
gemäss dem gesetze der dehnung einsilbiger nomina mit doppel-
consonanz erfolgt; in diesem sinne ist auch zu verstehen, was
AVrede a.a.O. 111 sagt: 'die bei ivinter fehlende, bei pfund und
hiind aber vorhandene vocaldelnning nordAvärts vom schwäb.
nasalierungsgebiete bis Spessart und Rhön gilt auch für Idnd.
Ebenso haben die pfound und hound ihre ÄT?»r^-entsprechung
im Franken wald'.
DEHNUNG DEl? >rill). KURZEN fiTAMMSILBENVOCALE. 207
Vereinzelt tiitt obig-e erselieiimng auch sonst auf; so gilt
für Alteuburg- dndc f. 'ente' und tjanscrt m. •gänserich'; letz-
teres auch füi' Erfurt; für den Tuterharz jmücr, während
Mansfeld jmuri liat.
§ 7G. VcH'aldehnun«!' vor cht ist zu erwähnen füi- nihd. e
im ^^' des g-ebiets. Belege bei Hertel. Kegel. Flex. Vgl. hierzu
AVrede, Anz. 21. 162: "die grenze des grossen westdeutschen
complexes mit dehnung des c in recht zieht von Heilig-enstadt
über Hainich den 'l'hüringerwald entlang und wendet sich
dann ostwärts zum Erzgebirge. Dehnung des a vor cht gilt
für Nordthüringen; Kleemann gibt nacht und Schnitze auch
aachte mim. und sauchtc 'sachte'.
§ 77. Vor chs bezeugt nur Schnitze für Nordthüringen
dehnung des a: rvaa/csc 'wachsen', ivaals n. 'wachs'; dieselbe
ist aber verbreiteter. Avie sich aus A\'redes bericht, Anz. 21. 261.
ergibt: vocaldehnung vor -x- in wachsen ist thüringisch zwischen
der s/.-t'- grenze (die von Eisenach. Kreuzburg. Treff urt. Mühl-
hausen. Dingelstedt. AVorbis. Bleicherode, Sachsa, Beneckenstein.
Quedlinburg. ( 'ochstädt. Stassfurt weiter nach ^Magdeburg zieht)
und etwa Beneckenstein — Kindelbrück — Gräfenthal (südlich von
Saalfeld): im nöi-dlichen drittel (etwa bis ]\Iühlhausen — Kindel-
brück) vorwiegvnd -irfix- (s. auch Schultze), im mittleren (etwa
bis Waltershausen^ — P^rfurt) n-oax-, im südlichen ivuax-'.
§ 78. Dehnungserscheinungen geringeren umfangs sind
ferner folgende: a) vor -st (mit altem .s) tritt im SW vocal-
dehnung ein: (jasd und pl. (ir.sd . flasder 'pflaster' u. a.; aber
last 'last" von taden: brüst, tust u. a. (s. Hertel 11). Ebenso in
Euhla. Für Eisenach ist nur laesdn 'kästen' angegeben, für
Erfurt nwst 'nest'. aber flasder; auch Schultze hat naest, Lie-
senberg daneben pläster.
b) In der lautgruiipe vocal + nf fällt im SA\' des gebiets
n aus mit 'ersatzdehnung* des vocals. Ruhla: ruft m. 'rand',
faußen 'fünfzehn": Salzungen: säfd 'sanft' und comp, saefdcr
und säfder, sup. säfdsd.
Auch der NO des rlieinfi\ kennt diese erscheinung; so
Blankenheim: rdfd. In Hersfeld tritt dehnung mit erhaltung
des nasals ein: rümfd und dim. remfdyj).
c) In Kuhla tritt 'ersatzdehnung' ein auch in der grujjpe
-aVr. Ul, 'kalb', hid, 'halb'.
208 RITZERT
(l) Vor // ist in Altenburg- einige mal dehnung eingetreten:
ihlural 'iibeiair. IxV m. 'hnW und verb. hdJe 'ballen'.
9. Obersäch.sisch.
Quellen: K. AUueclit, Die Leijjziiiev ma. Leipz. 18S1. — C. Pranke.
Der obersiichsische dialekt. Programm von Leisnig- 1884 (citiert Fr. 1). —
C. Franke, Grundzüge der .Schriftsprache Luthers. Görlitz 1888 (Fr. 2). —
C.Franke, Die unterschiede des ostfiiinkisch-oherpfälzischen und ohersächsi-
.«chen dialekts etc., Bayerns maa. 1. 2. — F. Weidling, Telter .rohannes
("lajus" Deutsche grammatik. Freiburger diss. 1894.
§ 79. Das obersäclisische dehnt im allgemeinen mhd. kurzen
vocal in offener silbe (s. Franke 1, r.G). Beispiele: rnle, hhlx
'ledig', öbsd (< obe.?), rfl -Aiel' (jedoch rll in dem grösseren
nördlichen teile des Osterlandes). Nach Bay. maa. 1, 29 haben
auch Iriippd und egge- langen vocal; auf die md. nebenform
t{(1)ruge weist ilreye (drceix_e) 'trocken'. Ferner haben spät.-j
und sdimniz vocallänge. in Leipzig aucli musclic, rle "eile' (< mhd.
(■l(;) und zuweilen die bildungssilbe -scdu.
§ 80. Scheinbare ausnahmen, die nicht gegen obiges gesetz
Verstössen (s. § 16), liegen in den Wörtern auf -el, -er, -cm, -en
vor; es haben nun nicht allein diejenigen, in denen auf den
stammvocal m, n folgen, die kürze (wie in der schriftsiirache).
sondern auch solche, deren stamm auf iv (< b,f) und d, einige
mal auf .s- und / {<g) auslautet. Zu den ersteren gehören:
s(je'))t{ 'semmeF. hnnl, hamr, doiir; ferner auch jenr u. a. Da
Franke bei der aufzählung der abweichungen der quantitäten
des obers. \"om schriftdeutschen keine von diesem ab\\"eichenden,
hierher gehörigen beis^yiele (ausser den genannten) gibt, so
muss ei'schlossen werden, dass unser dialekt hierin mit dem
nhd. zusammenfällt; die in Bay. maa. 1, 29 ff. genannten fälle
stehen dem nicht entgegen. Mit der schriftspr. hat das obers.
kürze auch in zappeln und krabbeln (s. Bay. maa. 1, 31. 32);
über dieselbe hinaus aber ist die kürze vor den übrigen ge-
nannten consonanten erhalten: schdiul^{schdciuel) 'stiefel", niirr
'hinüber' (neben mwcer), drim 'drüben', ^e^c/w/m 'geschrieben'
etc.; bei Albrecht auch aiir 'aber', gabl. siviicl u. a. Länge
haben /<«?<'/ •hobel', (hu 'eben" u.a. Auf d, s, •/_: ««;yWr 'wider'
(daneben mit i)\, bei Albrecht feder, leder, neder 'nieder' (andei-
wärts nidr\ edcUtecne, tadel m., fidel f. (auch mit i), .wdel m.
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 209
u. a.: Iiaselnüsse, wisel; reyl m. 'rieg-el', mcyn 'mög-en'; doch hoisn
'besen", dsögn 'zog-en". /ik'/^Z 'voger u.a. (s. Fr. 1, ;>H).
Ferner geli()ren folgende beispiele mit erhaltener kürze
hierher: sihdsn 'siebzehn', sihdsy. aber5^6n; Zfe«t'CBW(i;f 'lebendig';
zuweilen het/rcehnls, auch haby 'habe ich" und einige andere;
aber redlic/i, hredyß f. '\)ved\gt' etc.
Schliesslich bleibt urspr. kurzer vocal in der verbalflexion
in den formen der schw. verben auf d, t, in denen durch s^-n-
kope in der flexionssilbe gemination entstanden ist: schmid
'sclmüedet'. yebed 'gebetet'; zuweilen auch schlced 'schlägt'.
Auch die präsensformen mit / der verben ychen und sehen
haben kürze (s. Franke 2, 26); ebenso Usd 'liesest, liest'.
§ 81. Eine wirkliche ausnähme liegt vor in Wörtern mit
altem /: in den meisten derselben bleibt, wie im nhd., die
urspr. quantität erhalten. S. hierzu Franke 1.36, wo als ab-
weichungen von der schriftsprachlichen quantität nur brdtd
'brett' und schdwde ' Städte' angegeben sind. Hiermit stimmen
auch die beispiele überein, die Franke in Ba}*. maa. 1, 29 — 35
gibt; 'dieselben werden im obers. der schriftsprachlichen regel
entsprechend nur mit kurzem vocal gesprochen: schritt, tritt m..
Matt, satt, glatt, stadt, statt, gott, kette, hüttel, hettel, ivetten,
gcratter, sattel, sclditten, gesotten, geritten, gelitten, geschnitten,
gestritten. Bei Albrecht ist auch für geboten kurzer vocal
angegeben. Länge vor t findet sich also in den fällen wie im
schriftdeutschen: fader "vater' etc.
Vor (/ ist die kürze nur in schmid und pl. schmide erhalten
(s. Franke 2. 26).
In einigen einsilbigen Wörtern hat die quantität des nomi-
nativs den sieg davongetragen: dsug 'zug' (und dat. dsuche),
beschlak, grob; zuweilen in f/r/Z; 'tag'; ferner allgemein in kär-
ifreidäch) ; nach Albrecht auch in hof, grab n., schmal (nur in
der 'bauernsprache'). Kürze haben ferner ivol, mag praet.-
praes., wcec 'weg' adv. und (nach Albrecht) statvwe 'stube';
Franke gibt, als für das ganze gebiet geltend, schdumdtr
' Stubentür'.
§ 82. Von doppelconsonanzen haben im obei'S. die Verbin-
dungen >• -H cons. und l + dentalexplosiv vocaldehnenden eintiuss.
Vor r + d, t, ts wird übereinstimmend mit dem nhd. a und e
gelängt: erde, ivAre 'werde', harz etc.; über die Schriftsprache
Bfilrüge zur geachicbte der deutacUen spracht'. XXill. l\
210 RITZE RT
hinaus zeigt sicli delinuug in gehurt, gärten und nach Albrecht
§ 1 in Leipzig aucli in tvärten. Vor rs hat allgemein hrrschr
(lehnung, während gerate, ivurst etc. kurzen vocal 1 iahen.
Ferner tritt häufig vor rm, rh, rf, rg, rch dehnung eiu.
In seinem programm s. 35 sagt Franke, dass durch einwirkuug
des r besonders bei gaumenvocalen eine niedere Stellung der
zunge eintrete und i, ii, e, ö, namentlich wenn diese kurz sind,
regelrecht zu w wei'den und dass diese (e jetzt 'vielfach' zu (P
werden. Die dehnung vor den genannten r -Verbindungen bleibt
aber nicht auf dieses ce beschränkt, wie die folgenden beispiele
zeigen:
rm: arm und pl. wrme, terml, ivörm 'wurm" uud {A. tvctmier,
dorm 'türm', scluerm 'schirm'.
rh: (trhd 'arbeit', Jcörh.
rf: dörf und pl. dwrfer; drerf, dtWfsd, dwrfti, dttrfd 'darf,
darfst, dürfen, dürft'; wih'ft 'wirft'.
rg: hterg 'berg', sarg.
rch: rthye 'kirche', fihydn 'fürchten', gefur/d 'gefürchtet',
hörx 'bürg' und hd'ryer m., för'/ß 'furcht', dörx 'durch',
mür/n 'morgen', gehwrye 'gebirge*.
§ 83. Dehnung des a vor l + t, d mit scliwund des dental-
explosivlautes findet sich in cd (< alt), flectiert äle\ Ml, flec-
tiert Mle\ hcdn "halten', venväln 'verwalten', bCile 'bald'; aber
u-ald (s. Franke, Bay. maa. 1, 34). Auch Albrecht constatiert
diese erscheinung, beschränkt sie aber auf die 'bauernsprache'.
Nach Wrede, Anz. 21, 275 bildet die Knie Naumburg a. S. bis
Geising (südlich von Dresden an der reichsgrenze) die süd-
grenze der vocaldehnung in alte: dasselbe gilt für l;alte\ s.
Anz. 21, 279.
Auch vor U wird a im obers. gelängt, jedoch nicht im S;
s. Wrede, Anz. 19, 102: 'die südgrenze für die dehnung in sah
bildet die etwaige Knie Schafstädt, Frohburg, Dresden, Schandau'.
10. Schlesisch-lausitzisch.
(■Quellen: Kiessling, Blicke iu die ma. der südlichen Oberlansitz.
Zschoppau 1883. — A. Kl esse, Zur grammatik des in der grafschaft Glatz
gesprochenen deutschen dialekts, Yierteljahrsschrit't f. gesch. u. heiniatskde.
der grafsch. Glatz, :}. heft (1883/84), 148—159. — P. Kupka, Die ma. des
kreises Guben, Niederlaus, niitteil. 3, 275—282 (vocalisinus) und 3t)7— 377
(cunsonautismus). — R.Michel, Die ma. von Seifheuuersdorf (an dir süd-
DKHNlfN(4 DEli MIID. Kl'KZKN STAMMSl MiKNVOCAIiK. 211
grenze der säclis. Oberlrtusitz), Bcitr. 15, 1 ff. — H. rtiukert, Zur Charak-
teristik der deutschen maa. in Sclih'sien, Zs. fdph. 1, 191». 4, 322. 5, 125 ff. —
U. Waniek. Zum vocalisnius der schles. ma. (W. behandelt liier die nia.
an der Biala im östl. teile des österr. Schlesiens und westl. CTaliziens). ]»ie-
litz ISSO. — K. Weinhold, Ueb. deutsche dialektforschung. Die laut- und
Wortbildung und die formen der schles. ma. Wien 1853. — K.Wein hold,
Die Verbreitung und die herkunft d. Deutschen in Schlesien, Forschungen z.
d. laiid- n. volkskde. 2, 21 4 ff.
§ 84. Im sfliles.-laiis. wird lulid. kurzer vocal in offener
Silbe stets gedehnt (s. Weiiili. 1, 88. 39(1). Waniek 21. Micliel 25.
Kupka 377. Kiessling 6). Beispiele: göt und ymit 'gotV, stdt
und stuoadt 'Stadt', nim imp. zu 'nehmen', ivätr 'wetter', sät
und suoat 'satt', Mtel 'kittel'. Inte 'bütte'. nkler und neiäcr
'nieder' u. a. (die an zweiter stelle angeführten formen sind
niederschlesisch: das charakteristische des 'Neiderlandes' ist
seine neigung zu ei und au; s. AVeiiih. 20). Laus.: tontä "dotter',
fcäta 'wetter', du'te 'kette', sitn 'sitte'.
§ 85. Ausnahmen kommen nur selten vor. Erhalten ist
die kürze in den uiiliectierten formen einiger einsilbigen Wörter:
fluJi 'flug', .cid- "/A\g\ (jms, siJi 'sieg', frmmn 'fromm'; aber tau
(bei Weinh. und ^\'aniek), (jröh etc. Birlingers angäbe, Rechts-
rhein. Alemaiinien 45 f. (fussnote): 'das schles. behält die mhd.
quantität ganz rein, bloss in einsilbigen aber nicht in mehr-
silbigen Wörtern', ist also nicht stichhaltig. Die ma. an der
Biala hat schwanken zwischen kürze und halblänge in ylott,
tjlott; aber hrät 'brett' u. a. In Seifhennersdorf ist vü 'viel'
stets kurz, meist auch luaJ^ praet.-praes.; ferner die 'fremdlinge'
mat, d«^ 'glatt', Ao^ 'gott'; für letzteres ist das gesetzmässige
erhalten in koiipehitjl 'gott behüt euch!' (in den benachbarten
böhm. maa. ist kaut die übliche form, geschützt durch die po-
litische grenze; Michel 26). Coschen und Wellmitz im kreise
Guben haben seff 'sieb', Stargardt hat vill; ferner erscheint
dort schtot ' Stadt'.
§ 86. Sonstige abweiclmngen von unserem gesetze sind
nicht eigentliche ausnahmen; sie führen sich auf den ausfall
des vocals in Suffixen zurück. Ihre zahl ist gering; s. Weinh.
1,88: 'einige alte kürzen haben sich gerettet, die aber in der
Sprache der gebildeten weichen mussten". l'ebrigeiis zeigt sich
auch hier, dem wesen dieser verschiedenen ausgleichung eines
älteren Wechsels zwischen formen mit und oliiie länge ent-
212 RITZERT
sprechend, keine einlieitliclikeit; 'der schles. dialekt scliwankt
t'ortwälu'end niclit nur im allgemeinen, sondern auch in den
lücalmaa." (]\iickert. Entwurf einer system. darstellung- der schles.
ma. im mittelalter, hg-, von Pietsch, Paderborn 1878. s. 177). Die
hierher gehörigen heispiele sind meist solche mit m oder t im
stannue: lihnmel, liammer, hmnner, sumn/er, schamniel 'schemel'.
aber näin 'nehmen"; hatteln "betteln". <ieritfen, sottet, vatter
(nur in manchen gegendeii; an der Biala nur in städten). retfcr
und einige andere. In der Bielitzer ma. scliwankt kürze und
halblange in msohnma, Jiohnmer; länge haben hPmer "hammer',
sämfl 'semmel'; halblänge liegt A'or in (/csneffa 'geschnitten'.
srett m. 'schritt', he^mmel und hemcl 'himmel". während nur
hatteln entschiedene kürze hat. Sonst kommen u. a. noch vor:
äininer, tiifel 'tafel', swippel, weder 'wider', oder. Für Seif-
hennersdorf ist zu erwähnen tunä (nach gen. dunres) neben
toimä (nach nom. acc. donar); ferner ceritn 'geritten', eemitn
'geschnitten', neben cezoutn 'gesotten' etc.
In der verbalflexion ist die kürze erhalten, wo durch Syn-
kope des tonlosen flexions-c geminata oder doppelconsonanz
entstanden ist; bei Weinhold scliatt 'schadet'; gitt 'gibt', yatt
'gebt', geliatt 'gehabt' (s. auch Kupka 871. Michel § 58e und
s. 26. Weinhold 1, 78).
§ 87. Als zweites dehnimgsgesetz gilt für das schles.-
laus., dass in der i-egel der vocal in mlid. einsilbigen Wörtern
mit doppelconsonanz gedehnt wird; bei antritt einer üexions-
silbe oder ableitung erscheint wider die alte kürze. Diese
erscheinung darf wol mit als beweis gelten für die verwant-
schaft des schles. mit dem ostfr., die W'einhold 2, 21-1 f. betont.
Belege zu unserem gesetze bieten die angeführten quellen;
im bes. verweise ich auf IVIichel § 59. 69. Kiessling 6 f. Waniek
25. 31,5. 34, a. 38,2. 41, § 22, 3. 44, 3. Klessel49f. Weinhold
26,3. 27,5. 28,2. 29,1. 36,9. 37,3. 42,2. 45,7. 46,8. 48. 51,2.
59,5. 60,9. 61.5. 64.8. Belege für die erhaltung der kürze in
der flexion und ableitung bei Weinh. 23. 32, 5. 33, 12 f. 59, 5.
AVaniek 25. 42, § 23, 1.
Ausnahmen finden sich local beschränkt und allgemein;
s. Weinh. 23, 4. 25, 1. 31,4. 49,2. 52,2: 'neben den längen auf o:
lop 'köpf, &oZ'bock', loch, 5c/?7o.s 'schloss' etc. kommt im ge-
meinschlesischen an denselben orten das kurze u (s. A\'einh. 56)
DEHNirNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 213
vor narli einem Wechsel, der g-esetzlos erscheint". An der Biala
zeig-t sich in manclien einsilbigen Avörtern nur halblänge (s.
AVaniek 34. b. 38,3); in anderen bleibt die kili-ze (s. \\'aniek
31,6. 34,4.5. 37 [§20,1]).
§ 88. Ausserhalb des raluuens des zweiten dehnungs-
gesetzes stehen die dehnungserscheinungen, die durch die
natur benachbarter consonanten bedingt sind.
In erster linie haben im schles.-laus. >-verbinflungen deh-
nenden einfluss. In .Schlesien wird nach Hückert, Zs. fdpli.
4, 381 der vocal vor jeder Verbindung von r mit muten und
Spiranten gedehnt: für die Bielitzer ma. sagt Waniek 21,3
dasselbe.
Nach den von \\'einhold mitgeteilten belegen hat diese
erscheinung jedoch nicht in dieser allgemeinheit giltigkeit;
ich verweise auf 23,4. 24,5. 25,1. 30,2.3. 31,4. 32.5. 33,8.
39,3. 49,2. 56,8. 57,11. 58,4. An der Biala kommen aus-
nahmen allerdings nur vereinzelt vor, zum teile nur an be-
stimmten orten; so in /re-rfu 'werfen', stiußrch 'storch', buo'-rsta,
sicHo'^rz (die lautverbindung m ist vor mehrfacher consonanz
prägnant kurz nach ^^^aniek 39), yeh/uf u. a. Halblänge liegt
vor in liar^' iierz' und smars 'schmerz". Beispiele für dehnung
vor r -\- cons.: y arten, ytPrte f. 'gerte", borte f., hör sehte f.,
yärschte u. a.
In der Bielitzer ma. tritt nicht selten auch vor r -\- iv, ni, ii
delmung ein: .S7>7f« /scherbe', wirnn (\)\. inrntcr). Mm 'kern'
u. a.: doch .seh-m 'schii^m'. dnorn 'dorn' und diiii. (lie-rula u. a.
In der Oberlausitz ist dagegen nur vor r + d, t, s, z deli-
ining eingetreten und zwar in nur wenig mehr Wörtern als in
der Schriftsprache; s. Michel § 67: kharte 'karte', hmtn 'garten',
härste 'gerste'. cehart 'gehurt' (aber cPhyrtj). ivfirt 'wort', nrt
'ort', c^rte f. 'gerte'. meriZ "mörser', ^^(fri/ 'schöpf'.' /»«rie 'liirse'.
§ 89. Vor der lautgruppe l -f t, d, z wird im schles.-laus.
a gedehnt (s.AVeinhold 27. 05. Rückeit. Zs. fdph. 4. 331. AVaniek
21 f. 38. Kupka 375. Michel § 65. Wre(h'. Anz. 21. 275). Im
gi'össten teile des gebiets auf dem linken Oderufer schwindet
dei- dentalexi)losiv; erhalten ist ei' nach Wenkers atlas in einem
gebiete, das im A\' etwa durdi die linie (toIsscu— Kuhland,
gegen X ganz ungefähr duirli die ///rA- linie begi-enzt ist:
im S iimfassl die gi-enze die Wendei, ziidil weiter V(»ii .Muskau
214 RITZERT
Über Sommerfeld nach Grünberg- und dann ungefälir der Oder
aufwärts. Oestlicli der Oder läng-s der Id- grenze gilt in
schmalem säume äl Hiermit stimmt Waniek 21 und Kupka
s. 375 überein. die beide für ihre maa. erhaltung des explosivs
bestätigen; letzterer fügt hinzu, dass in dem benachbarten
Sorauer kreise aber derselbe schwindet; ebenso im Sprach-
atlas. Auch Seifhennersdorf hat erhaltenes f, d; ^Michel con-
statiert, dass die dehnung des a vor l -\- ä, t völlig durch-
gedrungen ist: nicht von der dehnung wird das a betroffen,
das westgerm. e oder den späteren umlaut von a vertritt:
/a?^ 'feld' etc.; ferner in fremd Wörtern: «7^« 'altar". salin ' \)Q>>i-
schalter". Kürze in salz ist erhalten in einer enklave im süd-
lichen Schlesien mit Schweidnitz. Zobten. Reichenbach, ^^'arthaJ
Ottmachau, s. Wrede, Anz. 19, 102.
Dem nordschles. ist dehnung des e vor l + t eigen. Wein-
hold 45, 6. 7: (laiüä 'geld*. süilten "selten'. Vereinzelt trifft man
diese erscheinung auch im gebirge. Manchmal wird auch ein
anderer vocal gedehnt; ich finde als hierher gehörige beispiele:
schauldr 'schulter'. scJumld 'schuld", rjcdauld; im Kuhländchen
bei Oderau in Mähren auch gould 'gold'.
§ 90. Dehnung vor nasalverbindungen, besonders vor )t +
verschlusslaut, ist dem X eigen; vereinzelt findet sie sich auch
in der gebirgsmundart, besonders im Kuhländchen. Diese
dehnungserscheinung betrifft e und seltner i (s. AA'einliold 69.
Kupka 375). Beispiele: eindc 'ende', mein^ch 'inensch', se/nzc
■sense'. Vgl. auch Wrede, Anz. 19, 108: "gedehntes / in ivinter
wird bezeugt für Schlesien".
§ 91. a) Vor cht wird nach Wrede, Anz. 21, 162 c gedehnt
innerhalb des dreiecks Bautzen — Schwiebus— Hirschberg a. R.;
ferner um Olilau und Falkenberg und an der obersten Glatzer
Neisse; s. auch Weinhold 27, 5. 45, 6. 7.
An der Biala ei'scheint c nur halblang; so in knucht etc.:
hier ist auch a vor urspr. ht gedehnt in nacht, iceinächta.
Auch Seifhennersdorf hat dehnung des c vor cht: räjt
'recht', näjtn 'gestern abend' etc.; aber fdjtn 'fechten'; s.
Michel § 66. "
b) Vor Jcs < hs wird an der Biala a gedehnt: iräksa
'wachsen', äJcs^l, tväks u. a.; aak's^hi "wechseln' und sak''s haben
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 215
]i;ill)langeii vocal (s. AVaniek 34. 88). Xacli Wrede, .\nz. 18. 41:!
zeigt sicli in sechs diplithongierimg' im Odergebiete von F'rank-
furt bis Beuthen.
II. teil.
Zusammenfassung der dehnungserscheinungen
und vergleichung mit den quantitätsverhältnissen der
Schriftsprache.
Xaclidem ieli im vorhergehenden den qnantitativen lant-
wandel in den liani»tdialekten des hochd. spracligebiets nacli
seiner hauptseite: der dehnung- der mhd. kurzen stammsilben-
vocale. zur darstellung- gebracht habe, will ich im folgenden
versuchen, die resultate zusammen zu fasseil. Dabei werde
ich gleichzeitig die entsprechenden (luantitätsverhältnisse der
Schriftsprache zur vergleichung heranziehen und die frage er-
(»rtern. auf welchem dialekte die schriftsprachlichen quanti-
täten beruhen. ]Mein augenmerk habe ich, gemäss den obigen
ergebnissen. dabei nach zwei seilen zu richten: wo ist die
dehnung spontan entstanden und wo durch benachbarte con-
sonanten bedingt?
1. Dehnung in offener silbe.
Sj>ontan ist die dehnung mhd. kurzer stammsilbenvncale
in urspr. offener silbe eingetreten. Sehen wir vom hochale-
mannischen ab, in welchem im grossen und ganzen die ursjir.
Verhältnisse bewahrt sind (A'gi. § 1) und, wenige zui' nlid.
dehnung neigende gegenden (s. § 3) abgerechnet, vocaldehnung
in offener silbe nur dann eingetreten ist, wenn die folgende
silbe mit /• anlautet (s. § 2), so finden wir dieses gesetz für
alle dialekte giltig; s. § 15. 23. 30. 39. 47. 50. 68. 79. 84.
Paul hat Beitr. 9, 102 nachgewiesen, dass diese quantitäts-
veränderung mhd. kurzer vocale mit dem silbenaccente, und
zwar mit einer bestimmten form desselben, dem schwach-
geschnittenen, zusammenhängt; s. auch Sievers, Grundzüge der
Phonetik^ § 790.
Die frage, weshalb nun die mhd. kurzen vocale mit schwach-
geschnittenem accente der dehmnig unteiworfen waren, ist
gewiss keine müssige. Mich hat sie immer interessiert. Ihre
beantwortung findet sie m. e. in der füi- so viele fälle zu-
216 RITZERT
treffenden annähme des natürlichen strehens. mit möglichst
wenig mnskelanstrengung- nnd atemauf-wand denselben zweck
zu erreichen Avie mit viel (Max ]\rüller); s. Kussmaul, Die
Störungen der spräche 243.
Auch J. \\'olff betont in seiner vortrefflichen abhandlung
Ueber die natur der vocale etc. (progr. von Mühlbach 1875),
s. 63 das bestreben nach physischer erleichterung der arbeit,
welches auch auf sprachlichem gebiete mehr und mehr zur
geltung gekommen ist. Dies ist zweifellos richtig; dagegen
aber nicht, was Wolff über die ausspräche der langen vocale
sagt, und damit komme ich zur begründung meiner ansieht.
'\\'olff meint nämlich a. a. o., dass die anhaltende muskelaction,
mit welcher die ausspräche langer vocale verbunden ist, eine
grössere phj'sische anstrengung erfordere als die bildung eines
kurzen vocals.
Die erfahrungen beim Sprachunterrichte taubstummer
sprechen direct dagegen. Das gedehnte sprechen der vocale
fällt dem sprechschüler leicht, keineswegs aber die ausspräche
der betonten vocalkürzen. Das üben der letzteren bedarf
unendlich mehr zeit, und noch lange nach absolvierung des
ersten sprecliunterrichts tritt die neigung auf, die kurzen vocale
gedehnt zu sprechen. Für die technischen Sprechübungen der
späteren Schuljahre bildet deshalb das üben der kurzen vocal-
aussprache ein stehendes capitel.
Diese tatsache bildet für mich den grund zu der annähme,
die in den dialekten wie in der Schriftsprache eingetretene
dehnung der alten kurzn vocale mit der physisch leichteren
gedehnten ausspräche zu erklären.
Häufiger kommt es vor, dass urspr. liquid- und nasal-
gemiuaten als einfache laute behandelt werden, so dass der
vocal vor denselben in den silbenauslaut zu stehen kommt;
s. § 2 (am Schlüsse). 5. 21. 36. 47, d. 55, d. 63. 78, a.
Dieselbe erscheinung begegnet uns vor explosivgeminaten
im mfr. (s. § 64) und vereinzelt auch sonst (s. § 38, a).
Das gesetz der vocaldehnung in offener silbe erleidet nun
nach zwei seifen hin abweichungen, die aber nur eine schein-
bare Willkür bedeuten und ihre erklärung in der "annähme
einer verschiedenen ausgleichung eines älteren wechseis'
finden.
DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 217
Einmal betrifft dies solche Wörter, in denen anf den stamm
noch ein snffix folgt, meistens -eJ, -er, -cm, -cn: dann auch -et,
■i(j u. a. Unter diesen Verhältnissen zeig-t sich nun in allen
dialekten die neig-nng-, die iirspr, kürze zu bewahren (erklärung
s. § 16). und zwar besonders dann, wenn der stamm auf nasal
ausgeht (s. § IG. 23. 81. 41. 48. 57. 71. 80. 86).
Auch die Schriftsprache hat in den meisten fällen vor m
\n zweisilbigen Wörtern auf -en, -el, -er die kürze erhalten:
ausgenommen sind nur nehmen, seliämen, ziemen, name (flect.
namen), schemel\ mit n steht donner dem part. (/eschienen
gegenüber. K. v. Bahder führt dies auf den einfluss süd west-
deutscher dialekte zurück (Grundlagen des nhd. lautsystems
s. 88). Es ist jedoch gar nicht nötig, so weit zu gehen. A^'ol
zeigen die alemannischen maa. vor m + suffix consequent die
alte kürze; doch steht beispielsweise der grösste teil des
rheinfi'. der schriftspi-ache nicht nach: nur der N desselben
dehnt hier a, aber nicht die übrigen vocale. Ebenso liegt es
im mfi\ Ganz besonders aber muss die Übereinstimmung des
obersächsischen mit dei- Schriftsprache in dieser hinsiclit hervor-
gehoben werden (s. oben § 80).
Gegen den schriftsprachlichen gebrauch, wo wir fast aus-
nahmslos länge finden, zeigt sich be Währung der kürze in
vielen dialekten öfters auch dann, wenn der stamm auf liquida,
einfache spirans oder media ausgeht. Ich verweise auf die
A(nliin genannten paragraphen. Die mehrzahl dieser maa.
zeigt nun nicht allein den anderen gegenüber, sondern auch
in den einzelnen fällen die grössten Schwankungen. Viele
maa. haben aber in der regel länge oder doch in den meisten
fällen: zu ersteren gehören Basel, zu letzteren die ostschwäbi-
sclien. bairischen, ostfränkisclien. südthüringischen, schlesischen
und besonders auch die obei'sächsischen; Avenn nach Albrecht
Leipzig auch zahlreiche kürzen erscheinen lässt, so gilt für das
ganze obersächsisclie gebiet doch die i-egel, dass die kürze nur
•zuweilen" bewahrt ist (vgl. Franke, Der obers. dialekt 36).
(Gegenüber dem mundartlichen schwanken in den einzelnen
fällen behandelt die Schriftsprache diese wr)iter aber con-
sequent.
Wälueiid die .scliriftsjirache in i\i'V vcibalflexion auch in
d<'n formen, in welchen duicli synkope des fiexions-e geminaten
218 RITZERT
oder doppelconsoiiaiizen entstanden sind, in Übereinstimmung
mit den übrigen formen die länge durchgeführt hat (aus-
genommen sind nur die 2. und 3. sg. praes. von nehncn und
treten), zeigen viele maa. hier die kürze (s. § 16. 31. 41. 48. 57.
71. 80. 86). Zur zeit des eintritts der dehnung stand also der
stammsilbenvocal in folge der vorausgegangenen vocalsynkope
nicht mehr in offener silbe.
Die zweite abweichung von unserem gesetze zeigt sich bei
vielen dialekten in manchen einsilbigen nominibus und im imp.
sing. In der Schriftsprache ist auch in diesen dehnung ein-
getreten, indem die vocaldauer der tlectierten casus in die-
selben eingedrungen ist; sie zeigt also stets die fertigen er-
gebnisse der ehemaligen ausgleichung. In den dialekten
dagegen erscheinen mitunter solche fälle, in denen die aus-
gleichung noch nicht erfolgt ist, zuweilen hat sogar die (}uan-
tität der unflectierten casus den sieg davon getragen in dem
ganzen paradigma (s. § 17. 33, b. 40. 50. 59. 70. 81. 85).
Häufiger kommt es hierbei vor. dass die kürze bewahrt
wird, wenn der stamm auf liquida (besonders l) oder nasal
schliesst; s. § 18. 33. 40. 55. 59. 69. 85. Vgl. hierzu Heusler,
Beitrag zum consonantismus etc. 13.
Aus der Schriftsprache gehören hierher fromm (< vrom,
rram), zirm (< zin) und toll (< toi)- letzteres kommt freilich
mhd. auch schon als toll vor.
^\'ährend das unterbleiben der ausgleichung (wie in ^ik
ni. 'sieg', aber flectiert sige im scliles.) in den hoclid. dialekten
nur in seltenen fällen zu constatieren ist, bildet es für das
niederdeutsche mit ausnähme derjenigen einsilbigen Wörter, die
auf l und ;• endigen, die regel: treg, aber ivcges: nemcn, aber
näm. In der niederfränk. ma. von Mülheim a. d. Ruhr, in der
die kurzen voc^ale in offener silbe stets gedelmt worden sind,
ti'itt auch bei den kurzsilbigen, die auf urspr. p, t, k, sowie
auf l, m, n, r ausgehen, der gedehnte vocal aus den obliquen
casus in den iiominativ (s. Maurmann, Die laute der ma. von
M. § 128).
Ausgenonmien von der dehnung sind in der Schriftsprache
mit wenigen ausnahmen die wöi'ter mit t, sowol ein- wie zwei-
silbige: Ijlatt, Schlitten. Die erklärung dieser erscheinung s.
bei Sievers, Phonetik^ § 792. Bahder sieht auch hierin einfluss
DEHNUNG DEE MIID. KUKZEN STAMMSILBENVOCALE. 219
alemanniscli-scliwäbisclier maa. (Grundlagen s. 88), jedoch nicht
mit recht. Es stehen nämlich die alem. maa. (s. oben § 17. 23)
in der erhaltnng- der kürze vor t nicht allein; wir finden die-
selbe erscheinung im liieinfr. (§ 49), im N des mfr. (§ 58), im
gebiete des südbair. dialekts (§ 33) und, abgesehen von ver-
einzeltem auftreten, vor allem wider im obersächsischen (§ 81).
Gegeniiber den Schwankungen des rheinfr. zeigt letzteres nahezu
vollständige Übereinstimmung mit dem schriftdeutschen: nur in
hreü und städte (pl.) weicht es ab. Für die erhaltnng der
kürze vor / im o])ers. vgl. auch die reimtafel bei J. P. Titz,
Zwei hücher von der kunst hoclid. verse zu machen 1, cap. xiii,
mitgeteilt von v. Hahder a.a.O. s. 99. Nimmt man mit v. Bahder
einfluss des alemannischen mit seiner consequenten kürzeerhal-
tung vor i an, so bleibt unverständlich, aus welchem gründe
trotzdem in einigen w()rtern dehnung eingetreten ist und zwar
in solchen, die auch sonst in vielen maa. die alte kürze be-
w^ahren, wie in vafer, pate, hote. Noch eher wäre an eine
beeinflussung seitens des rheinfr. zu denken, das. wie oben
gesagt, in den meisten fällen die dehnung nicht kennt, in
anderen aber dehnt; jedoch stimmen die einzelnen fälle nicht
mit dem schriftdeutschen, was aber im obers. der fall ist.
Aus diesem und dem obigen zusammentreffen der schrift-
si)rache mit dem obers. glaube ich den schluss ziehen zu müssen,
dass die quantitäten des nhd. auf diesem dialekte beruhen. Ich
befinde mich also im gegensatze zu v. Bahder und stimme Paul
zu, der a. a. o. 103 allgemein sagt, dass unsere Schriftsprache
doch nicht so sehr eine mischung aus verschiedenen maa. ist,
dass sie nicht im wesentlichen auf einer einheitlichen grund-
lage ruht.
Die annähme dieses Verhältnisses zwischen Schriftsprache
und obersächsischem dialekte ist um so wahrscheinlicher, als
die si)rache Luthers, in der die meissnischen (obers.) elemente
dominierten und welche die grundlage der nhd. Schriftsprache
ist. in dieser bezieh ung vorbildlich wurde und zwar in der
form, die sie in seinen gedruckten schritten, namentlich der
bibelübersetzung, erhalten hat (über das vorkommen der kürze
vor / in der l^ibel von 1545 vgl. v. Bahdei- a.a.O. s. 9(). und
über den gebrauch von tt gemäss TiUthers Vorbild in and«'ien
denkmälern a. a. o. s. 99).
220 EITZERT
2. Dehnung- in geschlossener silbe.
a) Yocakielinnng- in g'eschlossener silbe haben in allen
dialekten. Avie in der Schriftsprache diejenig-en Wörter, die auf
r auslauten: er. der etc.. abei" nur dann, wenn sie betont sind:
unter dem eintiusse der accentlosigkeit zeigen sie kürze; Da
diese keine flectierten formen neben sich haben, in denen die
länge lautgesetzlich eintreten konnte, substituiert Paul a. a. o.
s. 110 deshalb für den wortauslaut das ende eines satztaktes
im satzzusammenhange. Für meinen heimatsdialekt liegt die
Sache einfacher; da r hier durch einen kurzen c<-laut (^ w)
ersetzt wird, bleibt die silbe nicht mehr geschlossen, und es
muss lautgesetzlich dehnung eintreten: rptvä < gdtvan = 'ge-
wahr'. Dasselbe gilt auch für andere dialekte. so für Hand-
sclmhsheim. Seifhennersdoi-f: ha 'er u.a. Für die alemannischen
maa. fällt die dehnung vor r unter das capitel des dehnenden
einflusses auslautender lenis.
b) In einem grossen teile des hochd. Sprachgebiets tritt
ausserdem in allen schon mhd. einsilbigen Wörtern mit doppel-
consonanz dehnung ein; es betrifft dies das ostschwäbische
(§ 25), bairisch-österreichische (§ 84), ostfränkische (§ 42), das
an letztei'es grenzende südwestthüringische (i^ 72) und schle-
sische (§ 87). Die alte kürze kommt wider l)ei antritt einer
weiteren silbe zum Vorschein; im ostschA\äb. und ostfr. hat
auch der dat. sg. dieser Wörter gedehnten vocal (s. § 24 b. 44),
im bairisch-österr. und südwestthür. aber kürze (s. § 34. 72).
Ueber die erkläi'ung dieser erscheinung vgl. Kauffmann,
Geschichte der schwäb. nia. § 127. Fischer, (Teographie der schw.
ma. § 12. 0. Brenner, IF. 3, 297 ff. Streitberg, ebda. 305 ff. Bohneu-
berger, Alemannia 24. 21» und besondei-s Zs. fdph. 28, 515 ff. ^lit
Kauffmann, Fischer und Bohnenberger ist daran festzuhalten,
dass die Stellung in tonsilbe, zumal in pausa, zur Verlängerung
des vocals führt. Dagegen scheint es auch mir nicht wahr-
scheinlich, dass die dehnung ein ersatz für den Verlust der
germanischen nominativendungssilbe sei, wie Brenner glaubt.
3. Dehnung in folge consonant ischen einflusses.
\'on den durch die qualität der dem vocale folgenden
consonanz bedingten längungen sind zunächst die im hoch-
DEHNUNG DER MHD. KURZEN ST AMMSILBEN VOCALE. 221
alem. vorkommenden vor lenis zu erwähnen (s. § 4. G). Kauff-
mann. der delinun^' auf conto folgender consonanz zu setzen
iiberliauitt niclit für anneliiHl)ar hält (a.a.o. 155, anni.2). eiklärt
auch diese hochalem. erscheinung- durch die Stellung- in satz-
pause (so auch Fischer). Für Schaffhausen tritt nach Stickel-
berg"er, Beitr. 14, 414 ff. dehnung' vor spirantischer und explo-
siver lenis freilich nui' in pause ein (vor liquider und nasaler
aber immer); das verfahren der masse der hochalem. maa.
bleibt davon aber unberührt; dasselbe lässt sich nur durch
die dehnende Wirkung- der folgenden auslautenden lenis er-
klären.
Allgemeiner verbreitet sind die dehnungserscheinungen,
die durch den einfluss von li(iuida oder nasal + consonant (in
den weitaus meisten fällen dentalexplosiv) verursacht werden,
(-legen Kauffmann a.a.O. 155 muss diese consonantische be-
einflussung- besonders betont werden, denn anders lassen sich
die betreffenden läng-ung-en nicht erklären.
Am häufigsten wird a vor den genannten consonänten-
gruppen gedehnt, dann c (mlid. e) und seltener die ülnigen
vocale. Im übrigen verweise ich auf das obige matei'ial und
füge die betr. paragraphenzahlen an.
a) Dehnung vor r -Verbindungen: § 8. 19. 26. 37. 51. GO.
73. 82. 88. Für das ostschwäbische, bairische, ostfränkische
kommt zudem in betracht, dass in allen mhd. einsilbigen Wör-
tern auf r 4- consonant dehnung eingetreten ist. Die schrift-
sprachliche dehnung von a und e vor r -f cons. (die einzige
delmungserscheinung vor doppelconsonanz, s. Paul, Grundriss
1. 559) hat also ihre entsprechungen im ganzen hochdeutschen
Sprachgebiete. Allerdings gehen nahezu alle dialekte weiter
als die Schriftsprache.
b) Dehnung vor l -f- cons. (meist in der gruppe a -\- l -\-
dentalverschluss mit fast regelmässigem Schwunde des letz-
teren): § 11. 20, a. 37. 46, c. 52. Gl. 74. 83. 89.
c) Dehnung vor nasal + verschlusslaut: § 10. 20, a. 25. 28.
37. 46. 53, a. 62, a. 75. 90;
ferner vor nasal -f- Spirans mit schwand des ersteren: i; 9.
20, b. 27. 53, b. 62, b. 78, b.
Von dehnendem einfiusse sind ferner urspr. Iit und hs;
222 RITZEllT, DEHNUNG DF.K MIID. KIRZKN STAMMSILBENVOCALE.
für die delinuiig- vor lit s. § 12, 22, a. 25. 54. 66. 76. 91 und
vor /<5; wobei die gutturalspirans ausfällt: § 13. 22, b. 29. 55, a.
67. 77. 91, b.
Dehnung- vor doppelspiranten und spirantenverbindungen
beg-eg-net uns im nifrk. (s. i< 65); ausserdem vor erstei-en in
einem beschränkten gebiete in Kärnten (s. § 38, bj und vor st
in einem mitteldeutschen bezirke an der Werra (s. § 46. b.
55, b. 78, a).
HOMBERG (bez. (^issel). A. RITZER^r.
KLKTNE BElTPvÄOK ZUR DEU^rsCllKN
AVOirrFOKSCHUNG.
1. ahgemerydt, aus(/eniergclt
ziehen Klug-e. He3'iie und Paul übereinstimmend zu war/,- n.,
wobei sie an bildliclie redensarten wie einem das mark aus-
saugen anknüpfen. Hierbei bleiben lautliche Schwierigkeiten;
wenn sich aucli das // des Stammes aus der älteren wortform
zur genüge erklärt, so bleibt das /-suffix auffällig; man würde
*-margen erwarten. Dass der nächstlieg-enden ableitung- von
mcrgel 'argilla*, mergeln 'mit mergel düngen' von den genannten
forscliern und ihren Vorgängern ausgewichen wurde, beruht
wol auf der erwägung, dass eine düngung Verbesserung des
bodens bedeute, also grade das gegenteil von dem was man
bei ((bgeiiiergelf, ausgemergelt emi)findet. Dennoch ist hier das
nächstliegende zugleich das richtige. Jeder landwirt weiss,
dass mei'geldüngung eine reihe vortrefflicher ernten ergibt,
dass aber schliesslich der boden davon schlechter wird als er
vorher war; die baueriu'egel: mergeln macJd reiche väter und
arme söhne drückt das verliältnis zutreffend aus. Der grund
davon liegt in dem kalkgehalt des mergels, der den boden
energisch aufschliessst und die i)flanzen veranlasst, alle im
boden irgend vorhandenen nalirungsstoffe lierauszuzielien, wo-
durch natürlich ein an sich armer boden bald genüg gründlich
erschüiift wird. Vgl. noch das von Heyne unter ausnutzen
angeführte citat aus Maaler (1561): ausznutsen, ein erdtrieh
auszmürglen und ersaugen.
2. ammer f. 1)
'ein Singvogel", spätahd. amero, mhd. ainer (Heyne). Idc \()U
Kluge und Hej'ne zweifelnd gegebene ableitung von alid. amar
•sommeidiiiker. die lautlich tadellos ist. scheint mir aiicli in
224 LIEBTCH
hinsieht auf die lebensweise des vogels und auf andere vogel-
namen wie disfelfml-, hänfliuii annehmbar. Das von Heyne
auch angefiilirte s.ynonyni äiiniicrliiu/ ist sog"ar eine genaue
parallelforni zu hänfUng. Der mlat. und zoologische nanie
emherisa ist nur widerg-abe eines anderen Synonyms, des jetzt
veralteten deutschen cninieniz, das Kluge unter stieylifz auf-
führt. Hinzuzufügen wäre nur, dass auch ahd. amar heute
noch fortlebt, als amnicr in der Sch^veiz und Hessen, enier,
cmmer im schwäbischen u. s. w.; vgl. Pritzel und Jessen. Die
deutschen volksnamen der pflanzen (1882). Die botaniker
nennen die i)Hanze friticum dicoccum.
3. ammer f. 2)
'eine kirschenart' (Hejme). Es ist die Sauerkirsche, prmins
cemsus, die in Mittel- und Niedei'deutschlantl auch amareUc,
marille etc. heisst, namen. die alle auf das von Heyne an-
geführte mlat. (nnurdlimi zurückgehen; und zwar stehen sich
ammer und marille ebenso gegenüber wie oberd. ampcl und
nd. pulle, die beide aus ampuJla, diminutivum von ampJwra
stammen. Mlat. amarelhon selbst aber ist wol nicht entstellung
aus armeniaciüH, wie Heyne u. a. vermuten, sondern nach dem
gleichbedeutenden it. amarasco, amaraschino (davon unser
maraseh'ino, eig. kirschenliqueur) zu schliessen, ableitung von
lat. ahiarns. Die Verbreitung des Wortes dui'ch die mundarten
und seine Übertragung auf die aprikose im südöstlichen gebiet
verdiente wol eine genauere darstellung.
4. ausverschämt
stammt aus dem plattdeutschen oder ist vielmehr nur eine
Übertragung des plattd. 'ufverschamt; eine dem hd. ninvei--
schämt' genau entsprechende negierende bildung gibt es im
plattdeutschen nicht.
5. haekbord, sfenerhord
= 'linke, rechte seite des schiff es'. Die begriffe 'links' und
'rechts' w^erden mit Vorliebe durch concretere bezeichnungen
ersetzt, die gewöhnlich sehr gut gewählt sind. Warum das
rechte wagen})ferd handpferd, das linke saüelpfcrd heisst, be-
greift man sofort: wenn der kutscher reitet, so legt er den
Sattel stets auf (his iderd zur linken, um den andern gaul mit
KL. BEITltÄGE ZIK DEUTSOHEN WORTFORSCHUNG. 225
der recliten liand regieren zu können. Schwerer ist es zu
verstellen, warum unsere seeleute die obigen bezeichnungen
gewälilt haben, und sie selbst wissen keinen grund dafür an-
zugeben.
Fragen wir unsere wörterl)ii('her um rat, so suchen wir
steuerbord vergebens. Zu harkbord bemerkt Heyne: 'aus dt^m
niederdeutschen aufgenommener Schifferausdruck, linke hinter-
seite des schiffes: eigentlich seite, die der Steuermann im
rücken (niederd. engl. }>ack) hat'; Kluge: 'eig. der rand, die
Seite, welche dem mit der rechten band das Steuer lenkenden
Steuermann links im rücken liegt, die linke hinterseite des
Schiffes'; Paul: 'aus nl. bacboord, linke hinterseite des schiffes,
eig, rand, der dem Steuermann im rücken liegt'.
Was die von Paul allein angenommene entlehnimg aus
dem niederländischen anlangt, so ist diese abzulehnen wegen
des hohen alters der betr. worte, die, wie unten gezeigt wird,
schon lange im gebrauch waren, bevor sich das nl. als eigne
Sprache vom mnd. ablöste. Zu dem allen dreien gemeinsamen
tt^il der erklärung ist zweierlei zu bemerken: erstens ist back-
hord nicht die linke hinterseite, sondern die ganze linke seite
des schiffes, und zweitens sitzt oder steht der Steuermann gar
nicht schräg, sondern \\\^ bekannt mit dem gesiebt nach vorn.
Für das von mir behauptete hohe alter der beiden worte
spricht zunächst ihre weite Verbreitung in den heutigen germ.
und rom. sprachen, die aus folgender Zusammenstellung her-
vorgeht:
nl. bakboonl — stuurboord
(län. bagbord — styrbord
schwell, babord — styrbord
engl.
—
Starboard
franz.
bäbord -
- tribord
Span.
babor —
estribor
portng.
babordo
— estibordo
it.
babordo
— tribordo.
Die reihe ist vollständig bis auf das englische, in dem heute
nur das zweite der beiden worte fortlebt, aber grade hier tritt
das angelsächsische mit btecbord und steorbord in die lücke
und beweist uns zugleich, dass beide Wörter schon vor einem
Jahrtausend auf germanischen meeren in gebrauch waren. Auf
noch höheres alter weist die form der entlehnung in den
Beitrüge zur guüchichte der «leutsclieii apraclie, XXIII, 15
i
226 LIEBICH
romanischen sprachen, da trihoni etc. sich nur aus einer nicht
überlieferten, aber auch für das germanische vorauszusetzenden
älteren form '■'stiuriboyd oder "^stijnhord befriedigend herleiten
lassen, unter Verschiebung des accentes auf das zweite glied
der zusannnensetzung. Damit sind wir schon bis in die
Wikingerzeit gelangt, und wenn wir deren reste betrachten,
so löst sich das rätsei in überraschender weise: sowol das alt-
sächsische boot in Kiel (zeit 2. — 4. jli. n. Chr.) als das wikinger-
schiff in riiristiania (aus dem 9. jli.) haben das Steuer nicht
wie unsere heutigen schiffe am hinterste ven, sondern an der
rechten seite, und dieselbe construction zeigen sehr alte dar-
stellungen von schiffen in Skandinavien (vgl. Boehmer, Pre-
historic naval architecture. Smithsonian report 1891, fig. 112
— 115). Das Steuer hieng freischwebend in einem lederringe
und musste mit beiden bänden geführt werden, wodurch der
Steuermann genötigt war, so zu sitzen, dass er der linken
Seite des schiffes den rücken zukehrte.. Für ihn konnte es
also keine näher liegende bezeichnungsart der beiden selten
geben, und da die ämter des Steuermanns und capitäns ur-
sprünglich wol in einer person vereinigt waren, so teilten sich
dui'ch seine commandos diese namen auch der übrigen mann-
schaft mit. Die einmal eingeführten bezeichnungen aber
pflanzten sich von einer generation auf die andere fort und
überdauern die eiiniclitung, der sie ihren Ursprung verdanken.')
(3. bugsieren,
nl. boefjseeren, ist nicht eine verdunkelte Zusammensetzung mit
hug, wie Heyne vermutet, sondern entlehnt ans portug. j^hä;«»-
'ziehen, schleppen' (Kluyver, Tijdschr. v. ned. taal- en letterk.
13 (1894), 158. Da dieses selbst aber = lat. pulsarc ist, so ist
higsieren am nächsten mit unserem jf?i(fe verwant.
7. driise, druse f.
Kluge unterscheidet (ebenso Heyne und Paul):
dntse^ 'verwittertes erz', nur nlid.; dunkler abkunft;
[>) Vgl. hierzu jetzt auch Eeiiih. Werner, Ofött. gel. anz. 1897. 'MW (vom
28. raai 1897): '<ler nanie steuerbord für die rechte Seite des schill'es dürfte
mit grösster Wahrscheinlichkeit wol daher stannneu, dass alle antiken
schiffe bis zu der Hotte Wilhelms des eroberers das Steuerruder an der
rechten seite des schiffes aufgehängt hatten". E. S.J
Kl;. HEITKÄGE ZUR DKUTSCllEN WORTFOUSCHUNG. 227
(Irufic- 'eine kranklieit des pferdes'. iilul.; identisch mit drüse,
(Jrasc aus nilid. dri/rsc, dniosc (daher nlid. die nebenform druse^
nur mit specialisierter bedeutung).
Die doppelformen drüsc — dnise, mhd. drüese — dniose,
sind nur mundartliclie dotihletten wie säule und sdiilr, und
zwar ist die form mit umlaut oberdeutsch, die ohne umlaut
mitteldeutsch (vgl. A\'einhold, Mhd. gramm.^ s. 140). Noch heute
sind drüse und dnisc beg-rifflich nicht überall geschieden; im
allg-emeinen spricht man von drusen als kranklieit bei den
pferden, \o\\ drüsen bei den menschen (in beiden fällen han-
delt es sich um eine Schwellung- der lymphdrüsen); doch hörte
ich in der Niederlausitz auch die skrofelkrankheit der kinder
als drusen bezeichnen.
Als grundbeg-riff des Wortes ergibt sich aus den ahd. und
mhd. belegen: anschwellung- am körper, gewöhnlich krank-
hafter art, mit Hüssigem Inhalt. Heute bezeichnen die ana-
tomen als drüse alle sackartigen secernierenden ausbuchtungen
im tierischea körper und sprechen nicht nur von lymphdrüsen,
Speicheldrüsen, tränendrüsen, sondern fassen selbst die leber,
die milz. die lunge als grosse drüsen auf (vgl. Eanke, Der
mensch V-. 42). Die botaniker sprechen von (/>7V5e^^/iaarc«, haaren
mit kulbig erweiterter spitze, die eine flüssigkeit ausscheiden,
wie beim Sonnentau (drosera), aber auch von drüsenschuppen,
drüsenzoüen etc. Unter diesen umständen scheint es mir nicht
gerechtfertigt, druse im mineralogischen sinne für ein anderes
wort anzusehen, zumal die definition 'verwittertes erz' sehr
unzulänglich ist: drusen sind blasenf örmige hohlräume in
plutonischen gesteinen, die gewöhnlich reichlich krystalle ent-
halten. Die wähl der namensform ohne umlaut erklärt sich
zur genüge daraus, dass die deutschen mittelgebirge, in denen
sich der bergbau entwickelte, im bereich der mitteldeutschen
mundarten liegen.
8. UeP m. (Kluge).
Als älteste überlieferte form führen die Wörterbücher and.
und ahd. kiol auf, während Kluge als mutmassliche altgerma-
nisclie form *kiula- ansetzt. Diese von ihm auf grund der
lautgesetze erschlossene form ist aber überliefert und das
Sternchen dalier zu streichen. Vgl. Gildas ed. San-Marte (1844)
228 LIEBICH
s. 132: qudliter (jens Saxonica cum fribns hyulis Britannimn
appulerit; ebda. s. 151 (= Moinnisen s. 38): trihiLs, ut lingua
ejiis ('/. e. Saxonis) exprhuitur, cijulis, nostra lingua longis
navibus (die zweite stelle sclion bei Ducange unter ceolä); vgl.
ferner die entsi)rec]iende stelle bei Xennius ed. San-Marte s. 47
(= Mommsen s. 171): inicrea vcncrunt tres ciulae a Gerniania
expidsae in exilio u. s. w. Eine noch ältere lautstufe liegt vor
in finnisch l:ciila 'steven'.
9. lügen, und fragen.
Von 23 starken verben der /«-reihe, die Wihnanns fürs
nhd. aufzählt, zeigen nur diese beiden im praesens ü gegenübei-
dem ie von bieten, biegen u. s.w. Fragen wir. Avie das ge-
kommen ist. so lautet die antwort für frügeu: 'durch anleli-
nung an trug und an lügen, womit es oft formelhaft Aerbunden
Avird' (Paul); für lügen: 'durch anlehnung an lug und lüge'.
Beides ist zweifellos richtig: aus den historischen angaben bei
Heyne erfahren wir. dass lügen für liegen schon im 17. jh.
emporkommt, um 1770 allgemein angenommen ist. während
trügen noch von Adelung zurückgewiesen und erst von Campe
(1707) durchgeführt wird. Der process ist also von lügen
ausgegangen. Auch die anlehnung an lug, lüge liegt auf der
band, und es bleibt nur noch die frage offen, warum die gleiche
erscheinung sich nicht auch bei anderen verben dieser klasse
gezeigt liat. warum man z. b. nicht auch nach f^ug "pflügen
und nach schub -"Schüben bildet.
Ich denke mir den hergang folgendermassen: durch das
monophthongierungsgesetz Avurde aus mhd. liegen Ugen, durch
das nhd. dehnungsgesetz aus mhd. ligen 'jacere' ebenfalls ligen.
Es trafen also von verschiedenen selten kommend gcAvisser-
massen ZAvei parteien auf einem ininkte zusammen, und es
begann ein kämpf, der Avie überall mit der Verdrängung des
scliAvächeren teiles endete, ligen "mentiri* Avar scliAvächei-, Aveil
Ugen "jacere" nicht nur selbst häufiger gebraucht, sondern auch
durch eine zahlreiche verAvantschaft {läge, lager, legen etc.)
gehalten Avurde. Bei diesem kami)fe gieng das praesens von
Ugcii 'mentiri' fast zu gründe; am längsten hielten sich noch
die formen du leugst, er leiigt, die mit den entsprechenden von
ligen 'jacere' lautlich nicht zusammenfallen: Lessing gebraucht
KT.. BEITRÄGE ZUR DKrTSCTIEN WORTFORSCHrNG. 229
sie noch geleg'eiitlicli und im schlesischen gebirge kann man
sie heute noch liören. Sonst kam an seiner steHe eine jüngere
neubiklung auf. die auch von der alten wurzel abstanunte und
den veränderten Verhältnissen besser angepasst war.
Ist diese erklärung- richtig, so liefert sie uns den Schlüssel
für das Verständnis einer ganzen reilie ähnlicher fälle. Es ver-
dient jedenfalls beachtung, dass wir so oft. wo wir ein wort
scheinbar ohne grund absterben sehen, ein anderes g'leich-
lautendes naclnveisen können, das ihm überlegene concurrenz
zu machen scheint. Hier noch einige beispiele:
aue 'schafmutter', indog. ovis, zurückgehend neben aiie
•wasserland*;
ahd. püicläri 'bilder'. noch in Schillers glocke gebraucht,
heute etwa noch in Zusammensetzungen wie essiffbilder, sah-
hilder, sonst gewichen vor hildner, mhd. hüdemerc. da jenes im
nhd. mit der mehrzahl von hild zusammenfällt;
enkelV) •fnssknöcher und enlcel2) 'kindeskind' schliessen
sich in der mundartlichen Verbreitung gegenseitig aus (vgl.
Kluge);
got. ßhan, ahd. felahan, heute noch in hefehlen, emj)ßhl€n,
scheint als simplex gewichen zu sein vor dem im mhd. ein-
gedrungenen/i:7<?e>» = h\faülir;
geisel f. ist in den östlichen mundarten verdrängt durch
das slavische peitsche, vielleicht wegen geisel 'kriegsgefangener'.
Die form (jeissel, historisch unberechtigt, würde dann einen
älteren differenzierungsversuch darstellen. Dagegen scheint
(jei.sel f. auf das geschlecht von (jeisel 'kriegsgefangener' störend
zurückgewirkt zu haben, das im ahd. und mhd. nur m. oder n.,
nicht f. ist;
mild. <ßht -geständnis", (jkhtUj 'geständig' (bis ins 17. jL),
untergegangen wegen yicht 'arthritis', !jichti(j "paralyticus';
grus 'Schutt' hat die eigentlich hd. form yrauss nahezu ver-
drängt, weil dieses mit (jmns 'schreck' lautlich zusammenfällt;
"haber, der gemeineurop. name des Ziegenbocks, an. Itafr,
lat. caper, gr. xdjiQoc, neben heiler, Jiafer 'avena'; nlid. noch in
hahergeiss, n. einer schnepfenart. die zur begattungszeit einen
meckernden ton hören lässt, luiherhart 'tragopogün. geissbart",
haherschUhr 'prunus insititia, bocksschlehe' (nach der bock-
hodenähnlichen gestalt der fruchte) u. a.;
230 LIKIUCII,
waium hat bei luift 'duius" die adverbiale form die adjec-
tivisclie (mild. /«t/c) verdräiig't. im g-egensatz zu fest, schön,
süss u. a.? Zwei umstände dürften damit in Zusammenhang-
stehen: einerseits die besondere Verwendung- der adverbia fast,
sclion, andererseits dass als abstractum dort nur luirte in ge-
brauch ist, während hier in nicht gehobener rede nur festig-
Jceit, Schönheit, süssigkeit gebraucht werden;
ahd. mhd. himt 'centum' neben htmt 'canis'; neben jenem
kommt am ende der ahd. zeit das compositum hundert auf,
das heute allein den platz behauptet;
Jceller 'cellarius' verdrängt durch hellner 'cellenarius', zur
Unterscheidung von heller ^cellariunr; bei letzterem sclion im
ahd. geschlechtswechsel (vgl. geisel);
nhd. Idssen n, gegen mhd. Hissen, nl. küssen aus mlat.
cussinus. Das mundartliche / für n hat in die hochsprache
eingang gefunden, weil man dadurch eine Unterscheidung von
dem verbum küssen 'osculari" gewann;
lecken 'mit dem fuss ausschlagen' bei Luther neben lecken
•lambere'; die im vorigen jh. eingeführte Schreibung mit un-
organischem ö ist für die erhaltung ohne einfluss geblieben.
Ein drittes lecken -undicht werden' ist nur nd.;
mhd. lit, im nhd. durch glied ersetzt, weil hier mit mhd.
liet ' zusammenfallend ;
ahd. nnmd f. -Imnd" neben mnnd'm. 'mund', nhd. nur noch
in mündig, mündel, rornmnd, mundtot; keine von diesen bil-
dungen hat eine entsi)rechende von dem m. Diund neben sich;
sänle 'alile; nlid. noch m pinselt) (vgl. den naclnveis bei
Heyne) und in mundarten, aber zurückgeliend, neben säule
'columna';
'"t räche (engl, drake) •männliche ente', nur noch in enfrich
= ahd. antrelilio für anut-trehho, neben drache, ahd. trahlio,
aus gr. ÖQäxcov: im engl., wo letzteres dragon lautet, fällt
diese concurrenz weg;
ahd. wihan 'kämpfen" neben tclhaii •weihen', nlid. nur noch
in geweih, weigand, tveigern und vielen eigennamen.
Man wird nun vielleicht einwenden, dass es noch lieute
homonyme gibt, die ruhig neben einander fortbestehen, ohne
dass eines von ihnen spuren des Verfalls zeigte, "wie malen
und mahlen, treide 'futtei'" und n-r/dc 'salix'. Ich glaube, (his-;
KL. BEITBÄGE ZUR DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG. 231
sich dieser einwand duicli die betraclitung entkräften lässt.
dass in einer lebenden si)ra(']ie ehensoAvenig- als in der natur
die bewegung- zum abschliiss gekommen ist. Auch handelt es
sich hier nicht um einfache, gleichmässige vorg-änge, sondern
um das zusammenwirken mehrerer factoren, die für jeden fall
von verscliiedencm werte sind, häufigkeit des gebrauchs. Vor-
handensein eines ersatzes u. a. So bildet man ein nomen
ag'entis auf -er nur von malen, nicht von mahlen, weil sich
hier das fremdwort molinarius = müller als ersatz bot. Auch
die Unterscheidbarkeit durch die schritt wird einen gewissen
conservierenden einfluss ausüben.
So einschneidende lautgesetze, wie sie den Übergang vom
mild, zum nhd. kennzeichnen, haben für tausende von Wörtern
neue Verhältnisse geschaffen, die die spräche seither in stiller
arbeit mit einander in einklang zu setzen sucht. Neu auf-
genommene Wörter, aus den mundarten wie aus der fremde,
nehmen ständig am Avettbewerb teil, verui^sachen aber nur
kleinere Störungen. Und noch ehe die nivellierenden und aus-
lesenden kräfte ihr werk beendet haben, werden neue laut-
gesetze neue revolutionen bewirken, worauf dann das alte spiel
von vorn beginnen wird.
Natürlich beruht die erscheinung nicht auf einem mysti-
schen, selbständigen leben der si)rache. Diese ist nur das
äussere abbild des denkens. das selbst nur eine function der
menschlichen seele ist. Vielmehr Averden wir den grund in
einer mehr oder weniger unbewussten auslese von Seiten des
sprechenden zu suchen haben. Dieser Avünscht in erster linie
verstanden zu Averden, und Avenn er die Avalil hat ZAvischen
ZAvei ausdrücken, so Avird er den beA-orzugen, der bei dem
andern sicher den geAvünschten begi'iff hervorruft und keine
gegenfi'age zur folge hat. Aber es ist doch von hohem Inter-
esse zu beobachten, wie sich selbst in diesen äusseren abbildern
dieselben gesetze Aviderspiegeln, denen alles lebende ohne aus-
nähme unterAVorfen ist.
BRESLAl'. 10. mal 1897. B. LIEBICH.
(No. y vervollständigt am 17.i1l-(.j
Zri? ALTWE8TFRIESI8CHEN LEXIKi^LOGlK.
Siebs hat im Literaturblatt für germ. und rom. pliil. 1897.
s. 219 ff. einigen in meiner schrift Zur lexikologie des altwest-
friesischen vorgeschlag-enen fassungen eine abweichende deutung
gegenüber gestellt. i) Ob mit recht oder unrecht, möchte ich
hier in der kürze untersuchen.
S. weist für statt regelrechtes tvrhlet stehendes ivrlüsttcn
'berüchtigt' auf nwfiies. hretn 'gebraten' hin, eine compromiss-
bildung aus regelrechtem %reden (nwfiies. hrlddn) und nach
analogie von %let etc. (p. praet. zu hleüa 'bluten' etc.) gebil-
detem "^hrEt (uM^fries. hret); es sei in ähnlicher weise auch
-hletten entstanden aus -iiWt und nach analogie von ^hreden
etc. (p.praet. zu %reda 'braten' etc.) gebildetem "^-hlcdcii (n'wfries.
hlisdn). Diese fassung ist gewis plausibler zu nennen als die
von mir vorgeschlagene: wrhletteii für wrlilct durch einfluss
von ''"icrhlrdcn gravatus. — Xacli S. soll hcmc in Ha-ecrso cen
ivedue manneth and se da hcni to haelmond sette, so nyme hio
dat kerne und dut l-aepldnd Jiälff' witJia bvrn nicht subst. =
'ernte', sondern pron. poss. fem. sein ('so nehme sie (his ihrige')
und das he der parallelstellen nicht 'ernte' (= as. heo). son-
dern 'unbewegliche habe' (= ags. hu 'wohnung') bedeuten
(dass Zur lexik. s. 5 z. 13 ' unbeAvegliche habe' druckfehler ist
für 'bewegliche habe', leuchtet dem leser des artikels Be so-
fort ein). Er vergisst dabei: 1. dass hernp, das (nicht öfters,
wie S. behauptet, sondern nur einmal) im ms. Roorda bezeugt
ist, an der belegstelle als acc. sg. masc. steht {dat di fader
aegli syne dochter neen man to jaen irr herne iriUa), also -i/c
') Nach anlass von Siebs' betlaneni, dass Zur lexikologie an niclit Uidil
zngäni^lichein orte erschienen sei, bemeike ich, dass alle die im auftrage
der Koninklijke akadeniie van wctenscba])i)en erscheinenden werke im
bände] sind.
ZIK AI.TWKSTKIMKS. M'A IK(»I,( )(4TK. -.>■)
als siiftix des er\\äliiit('ii casus enthält (va'l. auch hirrcs cr/rcn-
scJiijis Ag')160. ont herre hede tviUe Ag\ 104, hiärer sted gen.
Seh 772. etc.); 2. dass hc als 'imbewegliclie hahe' sich an den
beleg'stellen nicht mit der Zur lex. s. 5 ausdrücklich hervor-
gehobenen rechtsregel reimen liesse. — Biferdia wäre, wie 8.
meint, schon von v. Riclithofen. "Wb. 750 richtig- als 'fredus
zahlen' erklärt. Aus der Verwendung- des Avortes an der frag-
lichen stelle Als dy frucht (die durch ein tier beschädigte
feldfrucht) hyferdeth icirtJi nn/f acht ponden fan dis rincJites
tvegena, d. h. aus den hinzugefügten \\'orten fan dis rinchtes
tvegena ergibt sich jedoch zur genüge, dass hier nur eine
Übersetzung durch "'mit fredus belegen' am platze ist. — ]\Iit
hcreived schip soll nach S."s ansieht vielleicht "ein aufgetakeltes,
fahrtbereites schiff* gemeint sein, indem das p. p. mit plattd.
hereren, ndl. rvcf in Zusammenhang stände. Die bedeutung
von reef 'Vorrichtung zur Verkürzung des segeis' spricht in-
dessen keineswegs zu gunsten solcher annähme; und dass
übrigens hrrcwed schip "mit waaren geladenes schiff" und
nichts anderes bedeutet, geht ganz klar aus der betreffenden
belegsteile hervor: Hivaeso faert ti ene bu-eweda schq)e . . .
aldeer di man leyt omme riöchta neringha ende niiHth
kirn zyn goed of, de er hi sculde zyn lyf fan feda etc. —
Formen wie westfries. hedle neben bidle, hedl'mze F neben hir-
Icnze, hirnzc lassen bei S. [der auch eine Schreibung (?) wie
icernsdei für "^icedenesdei vergleicht] keinen zweifei aufkommen
an der Verbindung von buienzc, birnze 'aussteuer' mit nihcdla
'aussteuern'. ^Vie lautet aber, möchte man fragen, ein hierher
gehöriges gesetz für r aus d vor ?? A\'ie liesse sich diese
lautent Wickelung gegenüber der sonstigen erhaltung von d
vor l erklären? Die von 8. ins feld geführten saterl. be'dn
aus bern, badnj^) aus ''barnia (?) k(»nnen hier ja schwerlich
dienen. Und ausserdem sollte das auf assi1)ilierung hinweisende
z von birlenze, birnze ausdrücklich vor der annähme einer form
mit (/- bez. ,y-losem) suffix -inga warnen. — Für dreice in ief
hi sine bannena iccy nact icirtza (repariei'en) fielle ende hyt
dretve leie ieer ende dcy will S. statt an. drei fr "zerstreut'
as. dröbi lieranziehen und ]>erufl sich dabei auf nwestHäm.
■ ) Wegen tlei' liitT veiwauten sigelu s. Beitr. l'J, .'$45 auni.
234 AAN HELTEN
drocvc Jcosf, clrocf ivcrh, ccne drocre tvoiiliu/, cen droef hiiis mit
f7>-oe/"' elend' (man vgl. auch mnl. droerc nmglückselig-. elend').
Liegt es aber nicht näher, für unsere stelle an einen 'lockeren,
unfesten" als an einen 'elenden' weg zu denken? — Für dzic
oder dzic 'ja' glaubt S. (der die (luantität des vocals unent-
schieden lässt) an die mögliclikeit einer entstehung aus jcjc
oder aus 't (aus thet) + s'ie 'sei' oder släe 'geschehe' oder aus
je + sU bez. «Zve; enf-wickelung von dzw aus dz (für des gen.
sg, ntr. des dem.) und je lehnt er ab mit rücksicht auf die
Sehreibung dzye (Jurispr. Fris. 63, 7), deren y auf eine compo-
sition mit sie oder släe als zweitem element hinweisen soll.
Hier drängen sich uns eine reihe fi-agen auf. ^^'as berechtigt
zur annähme eines in folge starker aspiration aus j entstan-
denen dzj? Wie soll die Schreibung dzye auf eine aussi^rache
dzye hinweisen, wo doch bekanntlich in der hs. der Jurispr.
y auf schritt und tritt als zeichen für unsilbischen halbvocal
begegnet (vgl. hlyUiva, dryruven, foerlyoest, foerlyest, hyeda,
syaende, syUcht, hyaere etc. etc.)? Wie wäre wol die ansetzung
von optati^•formen sie, skw statt der unzweideutig durch die
tatsachen er\viesenen sie, sl-jc zu begründen? Wie liesse sich
in eventuellem, aus f + sie oder skie hervorgegangenem dzie
der stimmhafte anlaut begreifen? Kurzum keine von Siebs'
möglichkeiten ist aus plionetischen gründen für möglich zu
halten. Hingegen ist die (durch mnl. Jae.^^, s. ^Mnl. wb. 3, 075 f.,
gestützte) deutung aus des -\- je lautgesetzlich unanfechtbar.
— Das nomen eederscip vergleicht S. nicht mit an. ceära,
sondern mit ahd. atar 'sagax. celer' und erklärt es als 'un-
gestüm, falirlässigkeif; die von mir vorgeschlagene (und be-
gründete) Übersetzung durch 'furcht' soll keinen sinn geben.
Für die letztere behauptung vermisst man eine begründung;
für die erstere wäre deutung der sonderbaren begriffsent Wicke-
lung ('scharfsinnig' : 'ungestüm' : 'fahrlässig') erwünscht. —
l'nrichtig ist ferner Siebs" l)ehau}»tung. dass die erkläi'ung von
awfries. yare schon in Schiller-Lübbens A\'b. 2, 13 gegeben sei.
— Für (jette 'machte übereinstinnnend ' setzt Siebs nicht ein
erschlossenes '^yedda (zu ahd. (jryat ' übereinstimmend') an.
sondern ein mit ahd. yiiuien, mlul. yiieteu zu vei'gleicliendes
"^yeda aus *yödja7i (einem factitiv zu yadia). Mit welchem
recht? Doch \V(d nicht auf grund von ahd. yiyuaten {slh)
ZUR AI-TVVESTFKIKS. LKX IK< )I,üfnK. 'JoO
■sicli als gut bewälircn". mlid. (/ifctci/ "g'ut maclicii. als g'iit er-
weisen' etc.? — Für to, fe icctande 'eidlich zu beauspruclien,
gerichtlich zu entscheiden' beansprucht S. eine herkunft aus
icaitjan (avoI causativ zu w/fan 'strafen', vgl. Heck. l)i(i alt-
friesische g-erichtsverfassung- s. 427). ^^'enn aber to, te wetande
gleichbedeutend ist mit dem i)raeteritoi)raes. ?r/to, -ande etc.
'eidlich beans[>ruchen. gerichtlich entsclunden u. s. w.' (s. Zur
lexik. s. 24 anm. 2) und der Wechsel von c und / liier audi
grade keine Schwierigkeit bietet, so dürfte es wo] geboten sein.
icctande mit iritundc etc. zu identificieren, zumal wo die be-
deutungen 'eidlich beanspruchen, gerichtlich entscheiden' sich
nicht so leicht mit einer gedachtem wditjan eventuell beizu-
messenden factitiven bedeutung in einklang bringen Hessen.
— Ob die meinung. dass für regelrechtes gö^e'^d in folge einer
durch quad veranlassten accentverschiebung gelegentlich eine
ausspräche (juc'd eingetreten wäi'c, so sonderl)ar ist, dass sich
nach S. wol sclnverlich jemand dazu bekehren möchte, sei dem
urteil anderer überlassen. Sicher ist es, dass S., als er die
Worte ^Gtveed ist statt des häutigen giied (vgl. fuet 'fuss') nur
in Ro bezeugt und darf durch Unkenntnis des Schreibers ei-
klärt werden' niederschrieb, weder genügend das überaus
häutige ue von <jaed gegenüber sonstigem nur selten mit uc
oder u{ii) wechselndem o {oo) oder oc für aus germ. o ent-
wickelten laut (vgl. Beitr. li>. 397 anm.) beachtet, noch auch
der tatsache rechnung getragen hat, dass, indem iv + vocal-
zeichen eine gewöhnliche awfries. Schreibung ist für diphthong
mit unsilbischem u als erstem element, das häulige tj/r(:{c)(l
unbedingt auf einen diphthong mit solchem componenten hin-
weist. — Die fassung von clcs/c (-clisz/c) als 'brutzeif soll
nach S. sachlich unm()glich sein, weil an der betreffenden
belegsteile die erwähnung eines festen termins erforderlich
wäre. Man beachte jedoch, dass aus der am schluss des
artikels ch.sic citierten bestimmung- ausdrücklich die not-
weiuligkeit heivorgeht. in dem ausdruck die bezeichnung eines
ungefähren teimins zu erblicken. Wenn S. sich abei' uutei'
berufung Mm thri l/dsc des Apographons gegen die anknüpfung
von dfsie, thccliszie an an. Jdclja 'eiei- legen, biüten" ausspricht
und meint, jenes ds weise eher auf assibilierung der media
als der it'uuis hin. so sei bciiicrki. dass eine offenbar verdi'ibtc
236 TAN lIKT/rEX. ZUK AL TWESTFRIES. r,EXIKOLOGTK.
lesart liier scliweiiicli ins gewicht fallen kann. — Das epi-
theton des s6i)tuag-esinia-sonntags sumjwyand. dem die bedeutung-
'den sang- sistierend" beiznmessen ist (s. Znr lexik. s. 40), habe
ich in sangsivyund 'den sang- zum schweigen bringend' ge-
ändert; S. eraclitet diese einschaltung von .s' eine 'sehr geAvalt-
same' änderung und giaul)t, dieselbe hätte sich dadurch ver-
meiden lassen, dass ein afries, *?r«« 'conficere' =■-- mlid. n-ilien
angenommen wäre. "Was wäre hier aber mit einem verbum
anzufangen, das nach mhd. erivlhen 'erschöpfen, schwächen'
bedeuten müsste ? — Für tvängede in Hweerso een wyff her hjnd
myt u'dnhoed off ntyt ivnngede ... naet halbe hywareAh will
S. die bedeutung 'Schlechtigkeit' gelten lassen; ob hier aber
neben fahrlässig-keit (tvänhoed) Schlechtigkeit als factor für
mangelhaften schütz am platze wäre, düi-fte fraglich sein.
AVenn das subst. wirklich auf *-göd'i zurückzuführen ist (und
die berechtigung dazu möchte ich jetzt nicht mehr bestreiten),
dann verdient wol eine Übersetzung durch 'ungeschicktheit
(zur gewährung des mütterlichen Schutzes)' den vorzug. —
Für das schlusswort von alle da XL nachte, deer God mit
Moyse uppa (auf dem berg) högade (wohnte) ende hem alle
riüchte leerde ende ivegade zieht S. statt an. ivcjgr 'stütze'
ahd. ivegöii heran. Diesem Vorschlag ist m. e. beizupflichten,
nicht aber indem mau mit S. für dieses verb. eine bedeutung
'den weg weisen' annimmt (Otfr. 1, 7, 26 'thaz' sl, d.h. Maria,
uns uUo (i'orolfi si zirn sime ivegüntV stellt 57 wegönti be-
kanntlich = 'sich verA\ende für'), sondern insofern man dem
ahd. Zeitwort die für das mhd. belegte bedeutung 'beistellen"
neben bezeugten 'intercedere (interpellare). adliinnire' beilegt.
— Zum Schlüsse behauptet S., in Worten wie ziele 'seele', hälff
'halb', rirwht 'recht', byhöt 'behütet', wäUende 'wallend' Hessen
sich die längen nicht stützen. Hier möchte ich bitten Beitr.
20, 510 f. zu beachten und die Schreibungen haelf (Zur lexik.
s. 32), rjueclit (Beitr. 19, 389), faclle, faele 'falle' Ag 102. 160,
faelt 'fällt' 8ch655. 709. 715, to falen gerund. 8ch 612 zu be-
rücksichtigen. Nur für das p. p. zu bihoeda wäre vielleicht
nach dem Beitr. 19, 409 erörterten byhöt anzusetzen.
GRONINGEN. W. VAN HKT/PEN.
zu BEITR. 22, 543 ff.
An dem angegebenen orte sucht Uhlenbeck nachzuweisen,
dass die labiovelare media aspirata im germanischen anlautend
durch tv vertreten wird, ausgenommen vor u und consonanz.
Icli würde es als erster mit freude begrüssen, wenn es ihm
gelungen wäre, klarheit in die sache zu bringen, mochte sicli
auch meine ansieht nicht bewähren. Ich finde aber denn docli,
dass auch nach riilenbeck von einer sicheren entscheidung,
zumal in seinem sinne, noch keine rede ist. Für got. fmgildan
und aisl. gecJ will ich keine lanze brechen; der Zusammenhang
des ersteren mit gr. TD.{)-og ist wegen rtXoc so unsicher wie
nur mitglich, und wenn jemand gr. jiöd^og lieber mit \it. bädas
•hunger" identiticiert als mit (jed, so ist er nicht wol dai-an zu
hindern. Audi der gleichung mhd. gampen : gr. d&tfißovoa
wohnt nur eine minimale beweiskraft inne, wenn auch das
griechische wort gewis nichts mit artfißco zu tun hat. Aber
aisl. gandr und gondoU hat lliienbeck nicht beseitigt. Ihr d
braucht kein suffix mit instrumentalbedeutung zu sein, es
findet sich ausser in ir. geinn 'keil', bret. genn 'coin de bois
ou de fer pour fendre le bois ou la pierre', genna 'faire entrer
un coin etc." (man erinnere sich der bedeutung des aisl. gondoll
Fritzner 12. 671 und des aind. ahunti gahhe pasah YS.) in lat.
offendo, ist also vermutlich verbalen Ursprungs.
Uhlenbeck führt drei gegenbeispiele an: ahd. ivarm, got.
wamba, got. ivö])eis. Von diesen ist das älteste, ivarm, auch
das beste. Wenn man aus anderen beispielen sicher wüsste,
dass germ. iv = anlautendem guli ist, würde man keinen moment
zögern, warm = aind. gharmä- u.s.w. zu setzen. Selbst diese
lautentsprechung beweisen kann es nicht. A\'ir müssen stets
darauf gefasst sein, neben wuizeln mit anlautendem labiovelar
solche mit r zu finden, ^\'ie das kummt. wissen wir noch nicht,
238 zunTZA
die tatsache steht fest. Derai-tiffe (loppellieiteii sind: aiiid.
khui- : lat. veniiis; gr. li^tXco, (paXiCti : g'ot. iviljan; 'dind. (/d-
yafe 'singt', lit. gedoti, got. qainon : gr. aeiöco, alid. iveinön,
ir. foid, kymr. (jivaedd 'schrei'; aengl. civinan 'liinschwinden',
aind. jinnfi 'altert' : alid. stvlnan. sivintan 'schwinden', ahg.
-vennti, -srenqti 'Avelken', lit. tvysti:, got. (lij)an : kjmr. dyivcdyd
'sprechen"; lit. (lulik 'kann', k3'mr. gallaf : lat. valeo; gr. jiöXoc
'achse'. abg. loh 'rad', olcoh 'ringsnm', ir. tinimdidl 'umkreis" :
aind. vdlatr 'wendet sich', ral'da- 'gebogen', valaya- 'armband,
umkreis', ir. f'dlim 'drehe, wende', kymr. clnvelyd 'wenden'
i^svel,-), ir. faü 'ring', fdl 'zäun'; got. qairrus : kymr. yu-ar
'sanft'; aengl. civdan 'sterben', civalu 'tod' : lit. ivelys 'ver-
storbener', aisl. valr 'leichen auf dem schlachtfelde'; gr. (pogöa
'zugespitzt' : ahd. ivahs u. s. w. So liegt neben *guhcr- ein
'""ver- (lit. iverdn, abg. rar«), und zu diesem gehört vermutlich
tcarm (vgl. auch Brugmann I2, § 680 anm.). Ob man apr.
ivarmun, urminan, klr. vermjdnyj 'rot' vergleichen darf, ist
nach Zubatys ausführungen freilich unsicher; vielleicht ist
aber Grünaus warniun doch in Ordnung und slav. rumcnü 'rot'
nach Brugmann, ftrundr. P, §279,2 zu beurteilen, wodurch
Zubatys deutung hinfällig würde. Es sei wenigstens darauf
hingewiesen, dass in einer anderen ableitung von *rer- der
begriff 'rot' deutlich zu tage tritt, ich meine kymr. ywrido
'erröten', wozu aind. rrujyati 'schämt sich' (eigentlich 'wird
scliamrot') gehören wird (es steht [halb] prakritisch für '^rrit-,
vgl. pad'i = prati] andei's, mir unwahrscheinlich, Johansson,
TF. 2, 49, anm. 2).
Was got. tvaniha betrifft, so lässt sich kein grund bei-
bringen, weshalb es nicht zu altkymr. gumhelauc ' Uterus', bret.
(jtvamm mit indog. r gehören sollte. Aind. yahhd- "vulva' ge-
hört zu einer ganz anderen wortsipi)e. Es wird im Peters-
burger Wörterbuch richtig zu aind. ydhhasti- 'gabel, deichsel'
gestellt, gehört somit des weiteren zu ahd. yahala, aengl. seafnl,
ir. yahid 'gabel', kymr. yafl 'feminum [)ars inferior'. Ich ziehe
ferner hierher lit. gdhals 'verhältnismässig grosses stück fleisch,
brot 0. dgl.', lett. gubals 'abteilung, stück' (Thomsen, Beroringer
mellem de finske og de baltiske sprog 78. 170 hält die worte
für möglicherweise entlehnt aus liv. kabäl\ sein grund [etymo-
logische Isoliertheit j ist abei- nicht stichhaltig), ii-. gidxtif (dual^
zu HKITK. 22. 54:( ff. 2B0
'zwei stücke* (häufig' in kämpf schilderuug'eii. z.h. \v. t. 2. 1. /.*.>02
CO tarat bulle do chhtidih du, co ndernai da yahait de "er ver-
setzte ihm einen sclilag; mit dem Schwerte, dass er zwei stücke
aus ihm maclite'), guihti pl. (z. b. LL. 72 a 36). Ein primäres
verbum mit der bedeutung- 'spalten' scheint zu fehlen.
.So bleibt got. u-öpeis : g"r. g^cöriov. Das letzteres für
'^(pcödiov verschrieben sei, brauchen wir gai- nicht anzunehmen,
um den von mir ^)e^■()rzug•ten vergleich mit ir. bäid (wol zu
unterscheiden von air. hdith, mir. bdefh, nir. baofh 'einfältig,
närrisch'; neuir. wird das wort bdidh geschrieben, bn gesprochen.
td bdidh agam tat bedeutet "ich habe dich lieb') zu ermöglichen.
(fcöxiov steht für ^(/röfhov wie (fdrvf] für ^cpäü-r?] (vgl. jkcO-v?/).
es hat ein umsitringen der aspiration stattgefunden, wie in
yixmv : xid-cöv, ii^Qr/xöo. : Tgiy/öq u. s. w., Vgl. U. Meyer, (Ir.
gl". § 209.
Einreissen ist leichter als aufbauen. Die lehre, dass (juh
auch vor anderen vocalen als u zu // geworden sei, stützt sich
vorläufig nur auf aisl. (jandr. ^^lr müssen hier auf die zukunft
hoffen, ^'or allen dingen wäre zu wünschen, dass die be-
dingungen, unter Avelchen gh der palatalen und velaren^ reihe
durch lat. /' vertreten wird, völlig aufgeklärt würden. Zweierlei
steht fest: gh erscheint als /' vor u und u {ferus, fiindo) und
dialektisch (sab. fircus, auch alat. folus u. s. w.). Aber weshalb
heisst es fei : xoXr'j, fauces : yaoq, yavvoz^ Vorläufig können
wir daher die gleichung mhd, garst : lat. fdstidimn noch nicht
mit voller Zuversicht ins treffen führen.
BERLIN. E. ZUPITZA.
GOTES.
EINE ANMERKUNG ZUR ALTDEUTSCHEN WORTSTELLUNG.
]\rüllenlioff hat in den Denkmälern XXXVIII im 40. vers
des Arnsteiner Marienleiclis das liandscliriftliche du godes craft
ohne weitere bemerknng in die craft godes geändert. Er hielt
also eine Verbesserung der Wortstellung für unanstössig und
selbstverständlich geboten, und zwar aus einem metrischen
gründe; denn offenbar sollte das daktylische versmass durch
van ime sal sie die craft godes entfern richtig und hörbarer
zum ausdruck gelangen und durch die ictuszeichen verdeutlicht
werden.
Nun braucht man nicht so weit wie Paul zu gehen, der
in dem ganzen gedieht nur die gewöhnlichen unregelmässigen
Zeilen sieht (Grundr. 2. 1, 939 in.); man kann nach gewöhnlicher
annähme in den etwa sechzig ersten zeilen ausätze eines dak-
tylisierenden metrums anerkennen und braucht doch nicht
Müllenhoffs änderung für nötig oder richtig zu halten. Man
kann wol, ohne gegen die rohe versart des gedichtes zu Ver-
stössen, bequemlich lesen: rdn inte sdl sie die godes craft entfern.
Ich meine, dies könnte genügen, um die an sich geringfügig
scheinende änderung des textes zurückzuweisen. Aber es gibt
auch einen tiefern innern grund, aus dem jene vermeintliche
besserung fast unmöglich wird. Zum beweise dieser behaup-
tung muss ich etwas weiter ausgreifen.
Bei dem religiösen inhalt eines grossen teils der altdeut-
schen literatur ist es nicht auffällig, dass der genitiv gotes
wol das am häufigsten vorkommende wort ist, dessen Stellung
im satze ein systematisch arbeitender herausgeber nicht aus
den äugen lassen kann. So setzt Sievers im Heliand 1977
gegen Ootton. und Monac. for ogon godes, far ogun godes statt
des überlieferten godes ogon; also wird auch hier der abhängige
GOTES. 241
genitiv liiiiter den regierenden casus gestellt. Ein gleiches
geschielit v. 2309, wo gocles harn des Monacensis in das vom
Oottonianus gegebene barn godes umgewandelt wird. Um-
gekehrt nimmt Sievers v. 5730 statt des überlieferten huni
(/odcs in den text (lodes harn auf. Im Heliand nun sind diese
änderungen unbedingt richtig und von zwingender not wendig-
keit , und wenn Sievers v. 5738 harn godes statt des allein
richtigen godes harn im text stehen liess, so ist das nur ein
versehen, das in den anmerkungen wider gut gemacht ist
(nmn vergleiche auch v. 2290 das irrige drohtines sunii des
Monac). Im Heliand steht godes mehrere hundert mal hinter
und nur ein viertel oder fünftel der fälle vor dem regierenden
Worte. Aber von einer willkür kann da nirgends die rede
sein: der genitiv godes steht im unlöslich festen bann des
ausnahmslos wirkenden stabreimgesetzes. Nur wo godes
alliteriert, muss es voranstehen, andernfalls muss es nach-
folgen. Nach diesem unverbrüchlichen grundsatz, der die
Riegersche regel durchweg bestätigt, hat Sievers an jenen
stellen ändern müssen, und ich weiss nicht, warum Hej'ne in
der dritten aufläge anders verfahren ist.
Für die hochdeutsche reimdichtung gibt es keinen so
zuverlässigen anhält, nach dem die Stellung von gotes un-
bedenklich fest bestimmt werden könnte. Hier ist das Ver-
hältnis weniger einfach und muss für jedes denkmal von fall
zu fall untersucht werden: aber eine richtschnur lässt sich
doch finden.
Nehmen wir z. b. den Otfi'id, so zeigt sich, dass an den
etwa 170 stellen, wo gotfs voi'kommt, es überall voranstellt,
mit der fast verschwindenden ausnähme von nur zwei versen,
die dazu noch ganz nalie bei einander, in einem capitel stehen:
3. 4, 11 Eugil gofcs giiato und v. 45 ginada gotes tldglta. Natür-
lich geben diese vereinzelten erscheinungen zu denken, und
mancliei-lei Vermutungen Hessen sich leicht aufstellen, aber doch
wul schwer begiünden. Gegen die mehrfache, sichere Über-
lieferung zu ändern, ist hier doch nicht gut möglich. ^Metrisch
wäi-e gotes engil guato fi'eilich anstandslos, wenn sich aucli
gotrs engil bei Otfrid sonst nicht finden sollte. An der zweiten
stelle wäre gote.s ginada thigita rhythmisch auch nicht unmög-
lich, wenn mau es vergleicht mit 4, 12, 47 ISmne fttnamnn iz
Beiträge zur gedcbicbte der deutscbcu spräche X.Xlll. l(j
242 HARCZYK
in t1ias\ 3, 26, 34 thurith then sinan einan fal; 4, 30, 27 oha tJm
unser Jcuning sis; 4, 19, 47 thuriih tlicn Jiiniilisfjcn got u. a.
Nicht unerwähnt darf ich lassen, obwol es nicht ausschlag-
gebend ist, dass Otfrid gotes ginada sonst nicht aufweist, wol
aber druhtines ginada. — Unter diesen umständen vermag ich
für die zwei regelwidrigen erscheinungen keine stichhaltige
erklärung zu geben und kann sie nur als höchst auffällige
abnormitäten betrachten, die die sonst ausnahmslose beobach-
tung der voranstellung von gutes bei Otfrid unangenehm
durchbrechen. — Dass aber die voranstellung von gotes
durchaus nicht eine luu- dichterische eigenart ist, zeigen auch
die prosadenkmäler.
Im Tatian findet sich gotes über hundert mal vor dem
regierenden wort, während die nachstelhmg sich auf wenige
fälle beschränkt, die sich ausserdem grossenteils leicht erklären
lassen: 4, 18 thuruh innuovüu miltida unsares gotes = per
viscera misericordiae dei nostri; hier sind die genitive gehäuft-
und gotes noch mit einem zusatz versehen; vgl. 53, 6 sim thes
hohlsten gotes = fdi dei altissimi; 00, 2 sun gotes lebentiges
= filius dei vivi. — Im 82. capitel, das zu einem auch sonst
eigentümlichen abschnitt gehört, treffen wir v. 6 und 9 hrot
gotes = panis enini dei; lirige gotes = docibiles dei (gen. obj.).
Sonst aber kommt in der umfangreichen, von verschiedenen
Übersetzern herrührenden schritt nachgestelltes gotes nur ganz
am ende vor, wenige zeilen vor dem schluss, 244, 2 in ceso
gotes = a dextris dei, wobei zu erinnern ist, dass diese formel
sehr beliebt, aber nicht notwendig war; Notker wenigstens
schreibt ze gotes zeseuuim, des (dmaJdigen fater. Hiermit
wären die wenigen ausnahmefälle im Tatian abgetan, die, Avie
man sieht, gegen die sonstige regel nicht schwer ins gewicht
fallen. — Das in der ersten Tatianausgabe von Sievers zu
205, 2 aus B erwähnte tempal gotes für einfaches tempal G be-
ruht sichtlich auf einer modernen ergänzung durch Fr. Junius.
Im altern Isidorus liegt das Verhältnis Avesentlich anders:
gotes konnnt hier einige dreissig mal vor und davon sechs mal
mit naclisetzung des genitivs, oline dass die veranlassung immer
deutlich erkennbar wäre.
In MSD. sind fälle des nachgestellten gotes äusserst selten.
Erst in uo. XXXIV, Summa theologiae, zeigen sie sich: 12,0
GOTES. 243
■sun <j(>fis; I2h, 4: (JikhU (/(it/s: 21.8 (1/ <in(((li (/ot/s. Diesen drei
stellen geg-enüber tritt in dem stücke fünfzehn mal Vorstellung
ein. — Das nächste nachgesetzte (jotcs taucht erst auf in
XLni, 3, 1 diu vorhte des ohristen gotes, wo die beifügung des
eigenschaftswortes die Stellung erklärlich macht; sonst nämlich
enthält das gedieht zwölf mal vorangestelltes <jotcs. In den
poetischen stücken von MSD. kommen andere fälle von nach-
gesetztem gotcs nicht vor. Auch in den prosaischen stücken
ist es sehr dünn gesät. Wir stossen darauf nur in no. LVI
und LVII, wo es sich in der schon oben erwähnten formel
ci cesuun gotes fateres ahnahtigcs drei mal zeigt, aber aussei'-
dem noch in richi gotes und lamp gotes = agnus dei auftritt.
Damit Avären aber auch alle fälle aufgezählt, die sich in dieser
umfangreichen, mehrere Jahrhunderte umfassenden Sammlung
finden lassen. Grammatisch sorgfältige und streng geschulte
sclu'iftsteller, wie Notker, scheinen die nachstellung von gotes
zu meiden. Das lehrt ein vergleich seiner psalmenübersetzung,
auch nach der A\'iener handschrift.
Das ergebnis meiner beobachtungen glaube ich ohne be-
deutenden iiTtum folgendermassen zusammenstellen zu können:
I. Die gotische bibel stellt den abhängigen genitiv be-
kanntlich gern hinter das regierende wort; s. Wilmanns, Gr.
2,517; aber der gebrauch ist nicht in allen teilen der Über-
setzung gleichmässig. Die evangelien haften am urtext fester
als die episteln an ihrer in gedanken und form schwierigem
vorläge. Dies scheint sich auch bei der Stellung des genitivs
zu zeigen. Wenn aber in den gotischen episteln die genitive
öfter voranstehen als in den evangelien, so ist zu beachten,
dass dieses schon durch den griechischen text gegeben war;
z. b. Rom. 10, 3 gn]is garaihtein; 13, 2 g. garaideinai] 13, 4 g.
undbaJäs; 13,14 leiJcis mtm; 1. Cor. 1,24 gujjs maJit jah gt(Jis
Jiandugein; 2. Cor. 1, 19 g. sunus; 11, 2 g. aljana; 11, 7 g. anvag-
geljon; Eph, 2, 8 gups giba; 3,2 gups anstais. Um so inter-
essanter sind alsdann die seltenen fälle der abweichungen,
Zusätze und Umschreibungen, aus denen hei'vorgeht, dass auch
im gotischen die Voranstellung des abhängigen genitivs in allen
einfachen ^'erbindungen dem sjjrachgeiste durchaus gemäss war:
Mic. 11, 18 gtidjane aukuniistans ^= uQ'/UQtlq., 12, 28 idlulzo
unahusnt fnmiista = TtQOiXTj jiÜvtojv Lvroh]; Joh. 9, IG sabbate
244 HARCZYK
daga = x6 oaßßarov: Rom. 9, 4 ivitodis garaideins = vono-
&soia; 1. Cor. 8, 10 in galinge stada = tv ddcoXdor, 9,21 tvitodis
laus = ävofiog; — iva ^co/jv alcöviov xXijQoi'Ofo'jöco wird drei-
mal Mrc. 10, 17. Luc. 10, 25. 18,18 widergegeben mit ei lihainais
aiireinons arhjo wairjxm; Mt. 26, 75 faur hanins hruk ^= jtqiv
aXixxoQa (pcovrjoca.
Die annähme, dass die voranstellimg des abhängigen
genitivs der ungezAVungenen gotischen spräche eigen war, wird
durcli die Skeireins gestützt, die im gegensatz zur bibelüber-
setzung mehr vor- als nachsetzungen aufweisen; allerdings
stehen aucli hier dem du gujjs kimpja 43 b gegenüber sechs
stellen 87 b. 38 c. 39 a. 40 c. 46 d. 52 c. — Der beste beweis
für die im gotischen gewöhnliche voranstellung liegt jedenfalls
in den substantivischen compositis, deren erster teil, in appel-
lativen und eigennamen, genitivische function hat.
IL Wenn auch die altsächsische dicht ung godes meist
voranstellt, so folgt daraus nicht, dass dies auch in ungebun-
dener rede geschah; denn die kleinen prosadenkmäler setzen
das wort voran, während in der dichtung die Wortstellung sich
nach dem Stabreim richten musste.
IIL Im althochdeutschen überwiegt seit dem neunten
Jahrhundert in dichtung und prosa die voranstellung so stark,
dass eine ausnähme wirklicli eine rara avis vorstellt.
IV. Je mehr sicli das mittelhochdeutsche herausbildet,
desto seltener hat man gelegenheit, gotes nachgestellt zu sehen.
In der blütezeit der klassiker herscht unbedingt und ohne
einschränkung die voranstellung. Abweichungen sind anzeichen
der noch rolien, ungelenken oder bereits verrohenden si)rach-
kunst; z. b. Orendel 578 in dem namen gottes; daz rehf gotes
Bücher Mosis bei Diemer 72, 27; der minstcn hieJite gotes einer
AVolfdietrich DVII, 38, 3; die minne godes Marienlieder 12216;
reimnot zwingt mitunter zur ungewöhnlichen Umstellung. —
Andere beispiele liefern die mystiker, die kirchenlieder und
die altdeutschen predigten bei Koth (besondern in neuem hss.),
Leyser und Schönbach. Bei dem letztern wird man z. b. im
zweiten bände auf den ersten 75 seiten über achtzig mal voran-
gesetztes gotes lesen, nachgestelltes jedoch über dreissig mal,
aber nur da, wo gotes noch einen zusatz bei sich hat, wie
70, 31 ;ze der minn des almceJitigen gotes.
G0TE8. 245
Killt' von iiiir übersehene stelle treffe ich im ]\I1k1. wh. ein
armiu (Herne gotes Mai 76. 35.
Dass die stelliinj? des genitivs in der höhern kritik be-
rücksichtignng- verdient, ist schon oben beim Tatian angedeutet
worden. Zu einem völlig- einwand sfreien Zeugnis wird sie dort
im cap. 77. Die Übersetzung ist ja auch sonst einfach, recht
und schlecht; aber nur ein unbehilflicher anfänger und arm-
seliger Stümper, der sich von den andei-n mitarbeitern, nicht
zu seinem vorteile, unverkennbar abhebt, konnte vier mal
hinter einander rihhi hin/ilo leisten.
Wenn ich nun auf den ausgangspunkt dieser bemerkungen
zurückgehend schliesslich hinzufüge, dass im Arnsteiner ]\rarien-
leich zehn mal vorangestelltes godes handschriftlich feststeht,
so wird wol kein zweifei mehr möglich sein, dass in v. 40 die
änderung von MSD. unerlaubt und unmöglich ist.
BREjSLAU. . IGNAZ HARCZYK.
ZUM NARRENSCHIFF.
Zu Brants Narrenschiff 10, 21
Keiu fyndt man Moysi jetz gelich
Der andre lieh hab, als selbst sich
bemerkt Zarncke im commentar: 'hier und namentlich beim
folgenden verse muss Brant eine bestimmte stelle der bibel
im äuge haben, die ich nicht kenne*. Auch Bobertag bemüht
sich in seiner ausgäbe des Xarrenschiffs (Kürschners national-
litteratur 16, 33), bibelstellen beizubringen, nach denen Moses
andre so lieb gehabt haben soll als sich selbst.
Vielmehr wird gelich hier wie auch Narrenschiff 111, 17
'entsprechend, genügend' bedeuten und Moysi etwa mit 'dem
gesetz, der Vorschrift des Moses' zu umschreiben sein. Unsere
stelle bezieht sich dann auf 3. Mos. 19, 18: diliges aniicum
timm sicuf de ipsnni. Darauf führen auch die vorausgehenden
\ ei se i / t. Keiner so lieb syn uechsten hat
Als dan jm g'satz geschriben stat.
LEIPZIG. ALFRED GOETZE.
BRUNHILDENBETT.
In seiner jüngst veröffentlichten antritts Vorlesung über
die germanische heldendichtnng hat E, Mogk ') sich auf den
von Golther eingenommenen Standpunkt gestellt, dass die Sieg-
fried-Brunhildsage der Edda im wesentlichen nordische weiter-
dichtung sei, und hat die echteren gestalten des Siegfried und
der Brunhild in der deutschen Überlieferung des Nibelungen-
liedes und der Thidrekssaga Juden wollen. Danach soll
mj^thisches in der sage nicht vorhanden und die gestalt der
Brunhild von haus aus die kampfesfrohe menschliche kiuiigs-
tochter sein, nicht aber die göttliche v/alküre, die auf dem
felsen von Siegfried aus dem schlafe erweckt wird.
Nun will ich nicht leugnen, dass ich die skeptische be-
trachtung der eddischen Überlieferung für einen fortschritt
halte gegenüber der früher herschenden tendenz, alles ohne
weiteres als urgermanisches eigentum hinzunehmen. Aber
weiui es feststeht, dass die nordische Siegfriedsage auf einer
deutschen form beruht, die um mindestens vier Jahrhunderte
älter ist als Nibelungenlied und Thidrekssaga. also einer zeit
entstammt, in der die germanische götterweit auch in Deutsch-
land noch im volksbewusstsein lebte, so muss es von vorn-
herein als möglich zugegeben wei'den, dass die nach dem norden
gewanderte sage mythische elemente enthalten hat. Es wird
jetzt niemand mehr die gesammte nordische mythologie der
eddischen dichtungen unbesehen auch für Deutschland in
anspruch nehmen. Aber dass es in Deutschland mehr mytho-
logie gegeben hat, als unsere spärlichen, zufällig erhaltenen
deutschen Zeugnisse direct beweisen, und dass manches nur
aus dem nordischen belegte auch bei uns vorhanden gewesen
') Neiu- julirliiiclici- lii,^. von lUterg' und liiclitor l,tiSfl'.
BRÜNHILDENBETT. 247
sein kann, das wird doch auch niemand leugnen wollen.
Schon wenn die ^Merseburger Zaubersprüche nicht zu tag'e
»•ekommen wären, wäre des sicher belegten viel weniger, selbst
wenn man vom Balder absieht, dessen deutsche existenz hat
weggedentet werden sollen — mit unrecht wie ich glaube.
Für die Siegfriedsage haben wir ja nun leider keine deutsche
fassung aus dem 8. jh., und man muss den Standpunkt des-
jenigen Avelcher nur das direct belegte als deutsch gelten
lassen will, als methodisch berechtigt anerkennen. Aber damit
ist doch nicht bewiesen, dass es ein mehreres nicht gegeben
haben könne. Es kann sein- wol vieles von der eddischen
Siegfriedsage nordische zudichtung und ausschmückung sein.
So macht es Mogk s. 76 recht wahrscheinlich, dass die * waber-
lohe" im norden zu hause ist. Aber deswegen kann doch
immer noch die deutsche Brunhild eine walküre sein,') auch
in der deutschen sage kann sie auf einem felsen im schlafe
liegend von Siegfried erweckt worden sein. Man wird diese
möglichkeit schon an sich zugeben müssen. Wenn aber noch
ein dii^ectes zeugnis aus alter zeit auf diese sagenform deut-
lich hinweist, so wird man sich dagegen nicht weiter sträuben
dürfen. Das zeugnis, welches ich hier meine, ist nun freilich
längst bekannt, es ist sogar gegen Golthers auf fassung schon
einmal von Henning (D. lit.-ztg. 1890, s.229) beiläufig angezogen
worden. Aber man hat es doch seiner bedeutung nach bisher
nicht recht gewürdigt oder ganz verkannt. Es ist dies das
B r u n h i 1 d e n b e 1 1 auf dem grossen Feldberg im Taunus. Aeusser-
lich gehört dieses zeugnis zusammen mit einer reihe von orts-
bezeiclmungen wie Brunhildenstein, Brunhildenstuhl u. dgl.^)
^) Die Walküren sieht jetzt freilich Mogk mit Golther auch für rein
skandinavisch an, während er in der ersten aufläge von Pauls Grundr. 1,
s. 1014 noch anders urteilte. Aber das in ags. glossen des 8. jh.'s als namc
göttlicher wesen bezeugte iculcijr^e als entlehnuug aus dem nordischen zu
betrachten ist doch reine willkür. Mit dem gleichen rechte könnte man
alle mythologischen nameu des 2. Merseburger sitruchs als nordische ent-
lehnungen abtun wollen. Ich unterschreibe vollständig-, was gegen Golther
hierüber Kögel GGA 1897, s. 651 f. bemerkt und meine, dass das ags. zeugnis
hinreicht, nm die walküren als westgermanische und deutsche gottheiten
zu erweLsen.
^) S. hierübfr schon W. Grimm, Heldensage s. 155. Weitere literatur-
nachweise bei W. Miilh-r, Mythologie der deutschen heldensage s. 85,
248 BRAUNE
T^nd Mook verwahrt sich in seiner Vorbemerkung' ansdriicklicli
dagegen, dass man den " Brunliiklenstuhl" eine rolle spielen
lasse: 'alles das ist von mir widerholt geprüft, aber nicht aus
seinem g'eschichtlichen zusammenhange herausgerissen und des-
halb für die mythische grundlage unserer heldensage als gehalt-
loses material erfunden worden'. Nun gebe ich Mogk gern die-
jenigen Zeugnisse preis, die jünger als unser Nibelungenlied sind,
sie mag man immerhin den verschiedenen Siegfriedsbrünnlein
beireclmen, die sich jetzt im Odenwald um die ehre streiten,
schaui)latz der ermordung Siegfiieds gewesen zu sein. Es
könnte möglicherweise nach unserem Nibelungenliede in älterer
oder jüngerer zeit eine örtlichkeit Brunhildenstein oder Brun-
hildenstuhl benannt worden sein.') Aber die älteren Zeugnisse
sind doch anders zu beurteilen. Selbst wenn man mit \\. Grimm
a.a.O. zugibt, dass örtlichkeiten mit 'Siegfried', ja selbst ein
Sivrides hnmno, bei der häufigkeit des namens Siegfried auch
nach irgend einem Siegfried benannt sein können,-) so trifft
das gleiche doch nicht bei Zusammensetzungen mit dem viel
seltneren namen Brunhild zu, besonders wenn das zweite glied
so bezeichnend ist wie in 'Brunhildstein', wo eine beziehung
auf die Brunhild der heldensage nicht abzuweisen ist. Denn
dass an verschiedenen orten schon in alter zeit gerade felsen
mit dem namen der Brunhild belegt worden sind, kann doch
nur aus der sagenhaften rolle derselben erklärt werden.^)
Das wird auch Mogk nicht in abrede stellen wollen, sondern
zugeben, dass auch in der deutschen sagenform die kämpf es-
jungfrau Brunhild ihre wohnung auf einer felsenburg gehabt
haben möge, wie ja noch im Nibelungenliede Iseustein als ihr
sitz genannt wird. Aber weiteres noch beweist das Brunhilden-
bett auf dem Feldberg.
Das Zeugnis stammt aus dem jähre 1043 und findet sich
in einer Urkunde des erzbischofs Bardo von Mainz. ^) welche
') Vgl. hierzu Heimiiig', Anz. tVla. 4. 74 f.
2) Für sicher möchte ich diese aiiffassung- erklären bei uanieu wie den
von F. (rrininie, Germ. 32, (19 beigehracliteii Sifiefn'desrode, Sifrähusun etc.
■'■) Die alteu iirknndlicheu Zeugnisse hierfür hat zuletzt John Meier,
Beitr. KJ, 81 f. zusammengestellt.
\) Vgl. Boehmer, Kege.sta archiei)isc. Magniitinensiuni 1, 172 t. Sauer,
Cod. dii)lom. Xassoicns 1, (iO ff. Die Originalurkunde l)e»indet sich jetzt hier
in Heidell)erg im besitz der Universitätsbibliothek.
BRUNHILDENBETT. 249
die gTenzeii des sprengcls der kiiclie in Ihrmnon (Sclilossborn
bei T\()iiiffsteiii i. T.) festsetzt. In dieser orenzbeschreibung'
stellt die bekannte stelle: et inde in medium montcm veUberc
ad cum lapideni qui vidgo didhir lectulus Brunihild^.
Daraus geht also mit voller siclierheit hervor, dass dieser fels
in der mitte des 11. jli.'s im volksmunde 'das bett der Brim-
hild" hiess. ') Was beweist das mm für die g-eschichte der
sage? Wer an der alten auffassung der Brnnliild festhält,
wird ohne weiteres folgern, dass die auf einem felsen schlafende
Walküre, welche die nordische sagenform kennt, auch in der
deutschen sage vorhanden gewesen sei. Wer auf dem Stand-
punkte von Golther und Mogk steht, wird versuchen müssen,
dieses zeugnis zu entkräften. ^^^ Müller ist hierin vorangegangen:
er meint a. a. o. s. 85, dass der fels auf dem Feldberge nichts
beweise, da an ihn sich keine sagen knüpfen: — ein wunder-
licher eiiiwurf, da die Brunhildsage jetzt freilich im volks-
bewusstsein geschwunden ist, während jenes alte zeugnis doch
*) Ein späteres zeugnis dafür gibt es nicht. Denn wenn nach W. (irinini
und J. Meier a. a. o. dieser felsen in einer Urkunde des jalires 1221 als ßrnnc-
hiklestein vorkommen soll, so ist das ein irrtum. Diese Urkunde (hg. am besten
von Sauer, Cod. dipl. Nass. 1, s. 265 ff.; vgl. dazu Schliephake, Gesch. von
Nassau 1,406 ff.) beschreibt die grenze der gemarkung von Sonn enl)erg und
Bierstadt (SO von Wiesbaden). Die grenze geht von AMesbaden nordwärts
auf den Taunus und es heisst da pastea ad viam qiKie ducii Bruneli/ldc-
ste/1), postea IJnechitdiagin ad aquum. Letzteres ist das heutige Engen-
hahu (ca. 10 km nördlich Wiesbaden). Der Brunhildenstein ist danach süd-
lich von Engenhahn auf der höhe des Taunus zu suchen. Das ist aber der-
selbe felsen, welcher in einer Urkunde des klosters Bleidenstadt (bei Langen-
schwalbach) vorkommt. Die Urkunde (hg. von Sauer, Cod. dipl. Nass. 1,
s. 14 ff.) ist allerdings nur in einer abschrift des 16. jh.'s erhalten, in welcher
die Orthographie der namen teilweise modernisiert ist. Die fassung der
Urkunde stammt jedoch aus der zeit des Willegis (975—1011), und der die
markbeschreibung enthaltende teil derselben führt sogar auf die Stiftung
des klosters im jähre 812 zurück. Vgl. Sauer a. a. o. und besonders Schliep-
hake 1,114 ff. Darin heisst es inde ad Brunhildenstein und die läge des-
selben stimmt zu den angaben der Urkunde von 1221. Schon v. Preuschen,
Correspondenzblatt d. deutschen geschichts-u. altertumsvereine 4 (1856) s. 123
hat als ort dieses Brunbildeiisteins die jetzige 'Hohe kanzel" (596 m) SO
von Engenhahn erkannt und Sciiliephake a. a. o. s. 119 ff. hat dies au.sführ-
lich erörtert und festgestellt. Den auf der Hohen kanzel zu tage tretenden
felsen beschreibt Schliephake s. 121. Aus späterer zeit als 1221 ist der
name Brunhildenstein für denselben nicht mehi- überliefert.
250 BRAUNE
unzweifelhaft die damals daran jrekniipfte sag-e erweist. Ferner
sucht Müller das wort 'bett' umzudeuten, indem er anführt.
Grimm habe T>V\'h. 1, 1722 gezeigt, dass hctt früher auch
•altar' bedeutete. Und allerdings führt Grimm daselbst
'altar' als erste bedeutung- von bett auf unter berufung- auf
ags. 'vcohhed\ ahd. kotapeffi; und diese bedeutung sei auch in
BrunMldehett erhalten. Aber dass hett Je die bedeutung 'altar'
gehabt habe, ist absolut unrichtig. Es ist zwar für das wort eine
glaubhafte indogermanische sippe nicht gefunden.') Aber die
Übereinstimmung aller altgermanischen dialekte vom gotischen
an beweist, dass die grundbedeutung nur 'lager, lagerstatt,
sitzstatt* gewesen ist. Diese bedeutung hat sich schon in
alter zeit besonders in der richtung 'polsterlager, polster' ent-
wickelt.2) Aus der bedeutung "lager. lagerstatt, sitzstatt" ist
denn auch im Avestgermanischen die schon im ahd. und ags.
vorhandene bedeutung 'Standplatz von pflanzen, gartenbeet'
hervorgegangen, wie sie im nhd. heet, engl, hed noch heute
vorliegt :=') sie konnte zunächst nur in compositis vorkommen,
') Vgl. Uhlenbeck, Etym. \vb. d. got. spr. s. 20.
^) Got. badi = xQäßßazoq. 'ruhebett', einmal auch = xkivi^iov. an.
/>cör (poetisch = prosaisch sa'/iifi) 'polsterlager', ags. öerW 'hetf, in ahd. glossen
belti meist entsprechung von lat. Stratum, culcita, cubile, aber auch einmal
von thronus.
^) Es ist nicht richtig, wenn Kluge im Etym. \vb. (s. v. beet iind bett)
wegen des gartenbeets bett zu fodio 'graben' stellt. Die altwestgerra.
bedeutung 'beet' ist entschieden eine abgeleitete. Zwar ist im ahd. betti
'beef (das GraffS, f)! fälschlich von betti 'bett' trennt) auch als simplex
schon in glossen als Übersetzung des lat. areola belegt, neben dem deiuin.
pettili und dem bei Will, vorkommenden tvurzbette. Aber die bedeutung
areola muss neu sein, so neu wie die gartencultiu' überhaupt bei den
Deutschen. Denn betti bedeutet nicht etwa ein stück gegrabenes, abgeteiltes
ackerland überhaupt, sondern ist eben nur technischer ausdruck für den
neuen begriff' eines gartenbeets, lat. areola. Dass es für diesen neuen
culturbegriff angCAvant werden konnte, geht aus seiner eigentliclien bedeu-
tung 'Standquartier, lager, staiulplatz" hervor. Das ist noch deutlich er-
kennbar aus dem ags. gebrauch. Im ags. (vgl. Bosworth-Toller 72) wird
es in dieser bedeutung nur in den compositis tmjrtbed, hreodbed, riscbed
gebraucht. Von diesen entspricht wyrtbed dem ahd. wurzbette 'pflanzen-
standplatz', kann also vielleicht schon den culturbegriff' bezeichnen. Da-
gegen hreodbed (noch ue. reedbed) heisst 'rohrdickicht', also ein platz, avo
röhr, ried beisammen steht; ebenso ist riscbed ein Standplatz von binsen.
Da haben wir nodi die alte bedeutung, mit welcher eine herleitung von
BRÜNHILDENBETT. 251
deren erster teil einen pflanzennamen enthielt (s. nnteii die anni.)
und g:ieng erst daraus auf das simplex über. Ganz ähnlicli
steht es nun mit den compositis. aus denen Cirinim für das
wort hdti die bedeutung- "altar' erscliliesst. Auch in ihnen
heisst hetti nur 'lager. ruhebett, sitz' und nur durch die com-
position hätte allenfalls die bedeutung- -altar' zu stände kommen
können. Das ist ganz klar bei ahd. (jotopdti Das wort kommt
in den Prudentiusglossen vor, wo es an zwei verschiedenen
stellen das VaX. pnlrinar P. Vinc. 179 \m& pulrinarmni P. Rom.
1056 übersetzt. Das bedeutet aber nicht 'altar', sondern
'polster', auf welche von den Römern die götterbilder bei
einem lectisternium gesetzt wurden. Wenn dafür ahd. gotopetti
gesetzt wird (Ahd. gl. 2, 428, 21. 468,60. 476,49. 480,10; 455.1.
583, 19), so ist es selbstverständlich, dass petti hier eben nur
'ruhebett. polster' bedeutet und von fTrimm daraus die bedeu-
tung 'altar' nicht hätte entnommen werden sollen. Da dieses
pulvinar von den niederd. Prudentiusglossen (2, 584, 13) mit
usaro (jodo rastun übersetzt wird, so könnte man mit dem-
selben rechte schliessen, dass auch rasta 'altar' heisse! Es
bleibt sonach für Grimms behauptung nur noch das ags.
tvi(s)hed, tvi'ofod etc., welches in der tat 'altar' heisst. Ist
dieses wirklich mit -hcd zusammengesetzt, so könnte die
grundbedeutung auch nur 'ruheplatz, sitz der götter' sein.
Aber diese Zusammensetzung ist nicht einmal sicher: Kluge.
Beitr. 8, 527 (vgl. Sievers, Ags. gr.'- s. 17) hat das wort viel
wahrscheinlicher als "^ivth-hcod 'tempeltisch' gedeutet.
]\Iit der von Grimm angesetzten 'heidnischen' bedeutung
von bdfi 'altar' ist es also nichts. Es kann daher auch in
Brunhildcnhett kein altar verborgen stecken, ganz abgesehen
davon, dass einerseits altäre der Brunhilde mythologisch höchst
unwahrscheinlich wären und dass andererseits das deutsche
dem begriffe des grabeus ganz unvereinbar ist. ^'on da ans wurde erst hett
auf die von der gartencultur künstlich geschaffenen ürupponweisen Stand-
plätze gewisser pflanzen, wie sie die gartenheete sind, übertragen. Man
darf also nicht diese alte technische anwendnng des Wortes heit zum aus-
gangspnnkt der etymologie machen, ebensowenig wie man etwa dem heu-
tigen forst technischen Schonung (aus vollständigerem ßchtenschommg,
faiinetittchominy etc.) die yrundbedentung 'pflanznng' beilegen und daraus
die et^'mologie des verburas schonen gewinnen könnte.
252 BRAUNE
wort "bett" hier iiiilit einmal überliefert ist, sondern nnr das
nnmisverständliclie lat. Icchdus. ;Man k()nnte nun hett, welches
doch ohne zwei fei die deutsche grundlage des ledidus gewesen
ist, als 'lag-erplatz, sitz' fassen wollen und es dann — ebenso
wie den Brunhildstein — als wohnsitz der Br. deuten.
Aber es ist schon unwahrscheinlich, dass hetti jemals für
'wohnsitz' gebraucht worden sei, wenn es auch in der bedeu-
tung eines gelegentlichen sitzes oder lagerplatzes angewant
worden sein mag. Dass aber der felsen auf dem Feldberge
nichts anderes als *bett' im gewöhnlichen sinne des Wortes,
'lagerstätte eines liegenden' bedeuten kann, das ergibt am
deutlichsten der augenschein.
Ich glaube nicht, dass dies jemand leugnen wird, der
selbst auf dem Feldberge gewesen ist und die merkwürdige
felsbildung betrachtet hat. Der Feldberg, der höchste berg
des Taunus (880 m) ist bis obenhin mit schönem hochwald
bestanden. Nur der gipfel selbst ist frei und bildet eine
prächtige, geräumige und ebene kreisfläche, die mit gras be-
wachsen ist. Von dieser fläche hat offenbar auch der berg
seinen namen. ') Aus dem grasplateau erhebt sich nun nahe
dem nördlichen rande desselben eine etwa 4 m hohe felsbildung
von eigentümlicher form, welche schon von weitem das äuge
auf sich lenkt und den vergleich mit einem ruhelager unwill-
kürlich wachruft. Die nebenstehende abbildung, welche nach
einer Photographie gefertigt ist, wird dies genügend verdeut-
lichen.
Auch die Kheinf ranken vor 1000 jähren haben diesen
vergleich gezogen und in dem felsen ein riesenbett gesehen.
Der im jähre 1043 als volkstümliche bezeichnung bezeugte
name ledulus Brimihüd^ wird natürlich schon lange gegolten
haben. Und wenn das volk ein riesenhaftes felsbett auf der
spitze eines hohen berges als 'bett der Brunhild' bezeichnete,
*) Das lob des Feldbergs verkündet Erasmus Alberus in seiner
25. fabel: speciell vom gipfelplatean sagt er (v. 76ff.): Und auff' dem Feldt-
herg hoch dort oben, Wann man nicht höher kommen kan, Da steht ein
(frosser %veiter plan, Der hat ein solchen breiten räum, (Wann ichs nicht
icist, so glaubt ichs kaum) Ein grosse Stadt kündt droben stahn. Als
Franckfurdt, ist kein zweivel an, Und cmfj' dem selben breiten plan, Siht
man schier bisz gen Cöln hinan etc.
BRUNHILDENBETT.
253
SO kann dies meines erachtens iiiclit anders erklärt werden,
als dass man glaubte. Brunliild liabe auf einem hohen berge
geschlafen. Es wird also dadurch vollkommen sicher gestellt,
dass damals am Rhein eine form der Brunhildsage lebte, welche
der nordischen fassung in diesem wichtigen i)unkte entsprach.
Dass die Brunhildsage bei den alten Rheinfranken des
Taunnsgebiets lebendig war, dafür ist nun auch der Biun-
hildenstein auf der Hohen kanzel (s. oben s. 240 anm.) ein
weiterer beweis. Die Hohe kanzel, welche vom Feldberg in
der hrftlinie ca. 17 km entfernt ist, liegt auf dem kämme des
Taunus, ca. 8 km nordlich von Wiesbaden. Sie gleicht dem
Feldberg darin, dass sie die höchste erhebung in Aveitem um-
kreise ist. Wenn die Franken der Frankfurter gegend den
schlaf der Brnnhild auf dem Feldberge localisierten, so wählten
die der Wiesbadener gegend den höchsten berg ihrer Umgebung
zu diesem zwecke. Sie hatten dabei freilich lücht den vor-
teil, einen so bettälmlichen felsen zu besitzen und begnügten
sich daher mit dem namen Brunhildenstein, während jene
sogar von einem bett der Brunhilde reden konnten.
heidelbp:rg.
WILHELM BRAFNE.
APRIKOSE.
Franz. abricot ist durch niederländische vermittelung" (nl.
ahriJxoos) zu uns gekommen. .T. Franck sagt in bezug auf die
auffällige lautform des nl. Wortes (.s^ für franz. t) in seinem Et.
woordenboek der nederlandsche taal: 'De nl. en hd. vormen
komen liet fra. abricot het meest nabij en kunnen zelfs recht-
streeks daarvan gevornul zijn, Indien men mag aannemen, dat
de ^^^jziging der laatste lettergreep op misverstand (misschien
wel van geleerden) berust.'
Ich möchte dieser erklärung gegenüber, die wol wenig
anspruch auf Wahrscheinlichkeit machen kann, die Vermutung
aussprechen, dass ein altfranzösischer noniinativ ahricots, bez.
abricos (älteres fs wird im franz. regelrecht zu s), die quelle
des nl. Wortes ist.
Das weibliche geschlecht von nhd. aprikose, nl. abrikoos,
woneben im nl. auch männliches geschlecht in Übereinstimmung
mit dem franz. gebräuchlicli ist, beruht auf Übertragung aus
dem plural : vgl. nhd. die träne < der trahen, die zälire < der
saher, Schweiz, die frösch == der froseh, elsäss. hess. mfrk. die
rab = der rabe, ahd. bira aus dem rom. plural pira (vgl. franz.
la poire) u. s. w. Einfluss des plurals zeigt sich auch in dem
e von aprikose: das nhd. wort ist eine neue singularbildung
aus der pluralform.
Der scheinbare wandel von t > s findet sich auch in
matrose, nl. niatroos = franz. mafelot. Auch hier ist von einer
franz. nominativform auf -s auszugehen. Das wort llectiert
im deutschen schwach nach analogie der vielen schwachen
masculina mit pers(>nlicher bedeutung; der nom. matrose ist
gebildet nach dem niuster von böte : boten.
Dem mnd. banros, mnl. baenrootse, baenrits liegt franz.
banneret -\- s zu gründe.
GIESSEN. 1. nov. 1897. WILHELM HÖRN.
zu DEN LABIALISIERTEN GUTTURALEN.
Zur entscheidung der frage nach der entwickelung' reinei-
labiale aus labialisierten gutturalen sind natürlich die
seltenen fälle die den anlaut betreffen, die wichtigsten; und
unter ihnen hat das nebeneinander von aengl. hweol u.s.w.
und afiies. fial 'rad' ganz besondere Schwierigkeiten gemacht.
Kluge, der Beitr. 11, 561 kurzweg 'fries. fial aus grundform
"^'peqlo für "^qeqlo- = skr. calra-' erklärt hatte, erwähnt das
wort in der zweiten aufläge von Pauls Grundr. (s. 375) nicht.
Vielleicht hat ihn der zweifei Noreens dazu bewogen, der
(Urgerm. lautlehre s. 149) nach angäbe von 'aengl. kweohl
{*hehlo-), aisl. hiöl (Vve^tde-) : afries. ßal (zunächst aus *feul-y
firagt, ob die worte etwa unverwant seien. E. Zupitza (Die
germ. gutturale s. 6) trifft ganz das richtige, wenn er eine so
verschiedene ent Wickelung bei gleichen bedingungen nicht
gelten lassen will; aber auch er kann sich nicht entschliessen,
die verwantschaft der beiden formen aufzugeben und sucht
sich mit der gewagten annähme einer contamination zu helfen.
In afiies. ßal soll ein germ. *keula- = cakra- vermischt sein
mit germ. *fefla- bez. *fedla- aus indog. "^peplo- bez. "^peplo-, zu
dessen ansetzung' VaX. poples 'kniekehle', gr. jrt Af///Ca> 'schwin-
gen' berechtigen sollen. Ich gebe zu, dass Zupitza in feiner
weise die bedeutungsent Wickelung von 'rad' zu 'knie' durch
hinweis auf ahd. Inicrado, span. rodilla, lett. skremelis an-
nähernd plausibel gemacht hat; aber die lautverhältnisse
widersprechen durchaus. Afries. Viwel und seine neufries.
entsprechungen (wanger. iväil, saterld. iveH, harling. wei/lil,
icayl Cadovius; nordfi'ies. wel [Amrum-Föhr ivül\\ westfries.
tvil) weisen keineswegs auf geini. *}veula-, sondern allem
anscheine nach auf *lce^la- zurück; und aus einem germ. *('ella-,
""fthla- wäre afries. *fefl bez. *fevd, niemals aber ßcd abzuleiten.
_ I
256 SIEBS, zu DEN LABIALISIERTEN GUTTURALEN.
Die reguläre weiterentwickelung- dieses afries. fial liegt in
saterld. jöl (harling. fiauJd Cadovius), nordfries. fü, fiV vor (so
auf dem festlande; auf den inseln ist das wort unbekannt);
wang-er. fiidhäint 'radgebeint, krummbeinig-' setzt g-erm. '•feuli-
voraus. Dass nun dieses fial vollkommen von *hn-el zu
trennen ist. wird durch das westfries. erwiesen. Hier
ist afries. *thial, a westfries. tial anzusetzen. In der hand-
sclirift Jus municipale s. 86b (ed. Hettema s. 148) lese ich so
aeyhma Inm ictur diLx toe ferane ende deer en hoem toe f'erane,
en tial toe hrenyane, deer eer oen 'wayne ne home, Mm deer
02) ti settane, hi zyn eynde deerop ti nymane; im manuscr.
Eoorda (Hettema, Jurisprud. frisica 2, 182): so aeyh ma hyna
hiifa dyeJi to feren, ende aen baem myt hem ende een tyel
aldeer op to sitten, deer eer in neen ivayn Jcaem ende liyne
aldeer op to selten. Neuwestfries, tjille s. Halbertsma, Lex.
fris. s. 652, vgl. tstdl, tsjil Siebs, Engl.-fiies. spr. s. 300. Wir
haben also eine doppelheit g-erm. ^petda- neben *feula-
anzunehmen und damit einen weiteren jener fälle geAVonnen,
die durch an. fei : ])cl 'feile', an. fle : pdc 'diele', hoclid. fernen :
nd. diemen 'häufen', ahd. fmstar : dinstar u.a.m. belegt sind,
\g\. Noreen, Urgerm. lautlehre s. 197. Letzteres setzt ja sicher-
lich indog. t {*te)tisr6s) voraus; zu diemen : fernen (ahd. fhna)
vergleiche ich lit. sty}na 'häufen, schwärm A^on iischen'. Und
ebenso darf man wol germ. ^Jicula-, ^feula- aus indog. '^tetdo- zu
gl'. Tvhj "wulsf stellen, vgl. rvÄiooto 'aufrollen'.
GRP:IFSWAL1), 6. november 1897.
THEODOE SIEBS.
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
In dieser Zeitschrift bd. 19, 1 ff. veröffentlichte prof. E. Köl-
bing iin lierbst 1894 einen aufsatz, betitelt 'Studien zur Bevis
saga', der von der art ist, dass er meinerseits eine antwort
erheischt. Wenn diese antwort auch zum grossen teile als
Verteidigung- oder detailkritik auftreten muss, wird sie doch
auch principielle fragen von allgemeinerem Interesse berühren.
Diese antwort soll im folgenden gegeben werden. Dass
ich nicht früher mit der er widerung fertig geworden, beruht
teils auf andren arbeiten, die keinen aufschub duldeten (haupt-
sächlich in Verbindung mit einem neuangetretenen amte), teils
auf einer schweren augenerkrankung, die meine arbeitskraft
sehr herabsetzte.
Dieser aufschub •) dürfte jedoch, wie ich hoffe, keine grös-
seren unzuträglichkeiten mit sich führen. Nur wenige leute
interessieren sich für fragen dieser art — die textkritik der
romantisclien isländischen sQgur — , und diese wenigen spe-
cialisten sind nicht gewohnt, dass äusserungen in diesen fragen
rasch auf einander folgen.
Auch Kölbings Untersuchungen über die betreffende saga
(= Bev.) sind sehr lange nach meinen arbeiten auf diesem
felde erschienen.
Wie gross der zeitliche abstand ist, hat eine gewisse
bedeutung für die gerechte beurteilung der frage, und ich
muss deshalb zunächst einige worte darüber sagen.
Im jalire 1878 bereitete ich den text der Bev. saga zur
herausgäbe vor. Im sommer desselben Jahres unternahm ich
') Die Schwierigkeit, hier in Gotenburg' mein schwedisches manuscript
ins deutsche übersetzt zu bekommen, bat die Veröffentlichung des anfsatzes
wider um ein jähr versiiätet [geschrieben im Januar 1S98J.
Beiträgt) zur gcaohiuhte iler deutscheu bpruche. XXIII. 17
258 CEDERSCniÖLD
eine reise ins ausländ, während der icli auf bibliotheken und
durcli Unterredung- mit faclileuten mir auskunft über die aus-
ländisclie literatur zu verschaffen suchte, die sich auf die
isländischen sqgwr bezog, mit denen ich mich damals beschäf-
tigte.') Im jähre 1879 gab ich in den Acta Universität is Lun-
densis den text der Bev. s. heraus. Das manuscript der ein-
leitung zu den FSS. schloss ich im Januar 1884 ab. Seit dem
jähre 1882 hatte ich mich hier in Gotenburg aufgehalten, wo
es zu der zeit sehr schwierig war, sich kenntnis von neu-
erschienener philologischer fachliteratur zu verschaffen. Ich
führe dies an, weil mich K. scharf tadelt, dass ich in den FSS.
nicht mit allem innerhalb des jahres 1884 erschienenen bekannt
gewesen; in der tat hatte ich nach dem sommer 1878 nur in
einzelnen fällen meine kenntnis der ausländischen fachliteratur
vervollständigen können.
Der lange Zeitraum, der zwischen meiner arbeit an der
Bev. s. und K.'s Studien auf demselben gebiete liegt, hat es
mir, wie ich zeigen werde, unbequemer gemacht, die dis-
cussion aufzunehmen, während derselbe K. seine besten waffen
lieferte.
Was mich betrifft, so habe ich mich nach der herausgäbe
der FSS. fast gar nicht mit den romantischen S9gur beschäf-
tigen können, sondern habe ganz andre aufgaben übernommen,
die meine ungeteilte arbeitskraft erforderten. Auch jetzt kann
ich K.'s aufsatz keine so umfassende prüfung angedeihen lassen,
wie ich getan hätte, wenn er erschienen wäre, während ich
noch mit dem Studium der romantischen sogur beschäftigt war.
In dem einen oder andern fraglichen falle dürfte ich wol auch
vergessen haben, welche gründe mich besonders bewogen, bei
der redaction der FSS. so oder so zu verfahren. 2)
•) Ausser den in den Fornsqgur Suörlanda (= FSS.) aufgenommenen
auch die Erex saga und die Clarus saga. Ich untersuchte natürlich auch
die wenigen in ausländischen bibliotheken (besonders auf dem Britischen
museum) befindlichen isländischen hss., die meinem damaligen arbeitsgebiete
angehörten, u. a. eine hs. der Lilja. Vgl. Külbing, Stud. s. 39. note 2.
*) Es mag im übrigen zu entschuldigen sein, dass man vergisst, was
man selber geschrieben. So etwas passiert auch K.: in demselben augen-
blick, wo er (s. 39) mir vorwirft, dass ich eine kurze notiz über die Bev. s.,
die er in einer abhandlung über die Elis saga (Beiträge zur vergl. gesch.
d. rom. poesie etc.) mitgeteilt hat, übersehen (richtiger wäre vergessen),
ÜEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 259
Was K. betrifft, so haben die jähre, die seit meiner aus-
gäbe der Bev. s. verflossen sind, ilnn einij^e vortreffliche waffen
geliefert. Er hat durch seine ausgäbe des Sir Beues of Ham-
toun für die Early English Text Society veranlassung gehabt,
die englischen redactionen des sagenstoffes bis in die kleinsten
einzelheiten kennen zu lernen. Im Zusammenhang mit dieser
arbeit hat er die gälische redaction studiert. T^nd schliess-
lich — was für die beurteilung der isländischen texte das
allerwichtigste ist — , hat er durch das entgegenkommen
von prof. Stimming in G()ttingen dessen mit emenda-
tionen versehenen copien der altfranz. hss. benutzen
können, deren text dem original der altisl. saga sehr
nahe steht.
Besonders dieser zuletzt genannte umstand muss stärker
betont werden, als K. es getan hat (er erwähnt ihn nur ganz
kurz am ende seines aufsatzes). Denn durch das neben-
einanderlegen dieser beiden copien mit den nordischen texten
hat K. einen unvergleichlich sichreren ausgangspunkt als ich
für die beurteilung der ursprünglichkeit der verschiedenen
handschriftlichen lesarten gehabt. Ich dürfte wol nicht fehl-
greifen, wenn ich gerade in dem entleihen dieser copien den
eigentlichen entstehungsgrund von K.'s strenger kritik meiner
ausgäbe erblicke.') I^nd ich kann nicht umhin, seine art,
sich über meine ausgäbe zu äussern, mit der übermütigen
kritik zu vergleichen, die ein schüler mit hülfe des in seine
bände gelangten schlüsseis des lehrers an der von einem mit-
schüler ohne dieses unschätzbare hülfsmittel angefertigten
Übersetzung übt.
Wäre der Übermut das einzige gewesen, das mich in
K.'s Studien zur Bevis saga verletzte, so hätte ich nicht
genügende veranlassung gehabt, zu antworten. Aber K. gibt
eine in der hauptsache tendenziöse und schiefe darstellung
in demselben angenblicke erzählt er (anni. 1 s. .39), dass er selbst in seiner
ausgäbe des Sir Beues diese notiz vergessen und Pio Rajna das verdienst
der entdeckung zugeschrieben habe.
') Denn dass K., ehe die franz. texte in seine bände gelangt waren
(und während er sich also in keiner besseren läge befand als ich), meine
ausgäbe auf eine weit wohvollendere weise beurteilte, geht aus seiner
anzeige in der Deutschen lit.-ztg. Ibbö hervor.
17*
260 Cederschiöld
von der bescliaffenheit meiner ausgäbe und bringt eine menge
unrichtiger detailangaben vor. Das verlangt eine antwort.
Für den der ohne vorgefasste meinung K/s aufsatz liest,
dürfte seine absieht, meine ausgäbe als vollkommen wertlos
hinzustellen, deutlich hervortreten.
Dagegen bedarf es einer genaueren Untersuchung der tat-
sachen, um einzusehen, dass K. zur erreichung seiner absieht
verschiedenes verschweigt, was ich in der einleitung zu den
FSS. geäussert, und mir ansprüehe zuschreibt, die ich niemals
gemacht habe; dass er weiter grundsätze aufstellt, deren
richtigkeit teilweise recht zweifelhaft ist, und dass er schliess-
lich einzelheiten vorbringt, die auf Irrtum oder Unkenntnis
beruhen.
Was K. verschweigt, ist vor allem der grundsatz, nach
welchem alle in die FSS. aufgenommenen SQgur (mit ausnähme
von Fl.) veröffentlicht worden sind und worüber ich in der
einleitung s. lxii — v ausführliehe rechenschaft abgelegt habe.
An der genannten stelle habe ich (mit motivierung) als
meinen hauptzweck hingestellt, von jeder saga bloss eine ein-
zige redaction mitzuteilen,') obgleich ich in ein paar fällen
es für zweckmässig gehalten habe, etwas weiter zu gehen.
Die beschränkung des Variantenapparates, die sieh aus
diesem meinem prineip ergab, wurde von K. in seiner recen-
sion der FSS. (Deutsehe lit.-ztg. no. 3, sp.82) mit folgenden
Worten erwähnt: 'dies verfahren befördert unzAveifelhaft die
Übersichtlichkeit und wird von vielen faehgenossen gebilligt
werden'; und obwol er seinerseits bemerkt, dass der varianten-
apparat vollständiger gewesen sein könnte, liegt es ihm doch
so fern, deswegen ein Verdammungsurteil auszusprechen (ähn-
lich dem das er in dem vorliegenden aufsatz fällt), dass er
statt dessen seine bemerkung mit den worten einleitet: 'das
im folgenden ausgesprochene bedenken soll in erster linie nur
mein warmes Interesse an dem wertvollen-) und mit auf-
wendung jahrelanger mühen hergestellten buche bekunden.'
Und er schliesst seine besprechung mit den worten: 'wir
') Dass einige worte K.'s auf s. ;J7 keineswegs eine genügende auf-
klärung hierüber geben, soll weiter unten gezeigt werden.
'^) Von mir gesperrt.
ÜEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 20 1
können zum Schlüsse nur wünsclien, dass es herrn C. auch
weiterhin verg-ünnt sein möge, in so fruchtbarer weise')
im dienste der nordischen philologie zu wirken.'
So urteilte K. im jähre 1885, als er schon eine langjährige
bekanntschaft mit den romantischen s^gur hatte. Aber 1894
erklärt er das was er neun jähre vorher gerühmt hatte, für
untauglich. Er erwähnt 2) nicht einmal, dass die herausgäbe
einer einzigen redaction als ziel aufgestellt werden könne (und
von mir im vorliegenden falle tatsächlich aufgestellt worden
ist). Die einzig zulässige art, auf die eine solche isl. saga,
welche Übersetzung oder bearbeitung eines ausländischen ori-
ginales ist oder sein dürfte, ist nach seiner meinung (s. 4 f.) die
folgende: *[die ausgäbe niuss] das [handschriftliche] material
so vollständig wie irgend möglich vorlegen, also keine einzige
sachliche Variante irgend einer hs. von selbständiger bedeutung
unerwähnt lassen'; — denn der letzte zweck der herausgäbe
einer solchen altisl. Übersetzung (oder bearbeitung) soll nämlich
der sein, zur textkritik des ausländischen originales beizutragen.
^\'ie K. seinen grundsatz in an Wendung bringt, werden
wir gleich sehen. Aber zuerst müssen wir bei dem grundsatz
selbst etwas verweilen.
Obgleich K. ausser betraclit lässt, dass auch von roman-
tischen (übersetzten) sogur verschiedene redactionen existieren
können, ist dies eine tatsache, die nicht verneint werden kann.
Um nur bei der publication zu bleiben, von der die Bev. s.
ein teil ist, so enthält die einleitung zu den FSS. reichhaltige
beitrage zur beleuchtung der freiheit, womit die isländischen
Schreiber bei der behandlung der übersetzten SQgur verfuhren;
s. besonders cap. I, spec. s. xiv ff., sowie cap. VI (Om Flovents
saga). — K. selbst hat in seinen älteren arbeiten das vor-
kommen verschiedener isl. redactionen der nämlichen roman-
tischen sagaübersetzung nicht verkannt; s. z. b. Elis s. (Heilbr.
1881) s. XXV, wo er hervorhebt, dass die gemeinsame vorläge
der liss. C und B der El. s. 'eine stellenweise durch einen Is-
länder stark überarbeitete redaction der saga' repräsentiere,
und wo auch die hs. D eine 'vielfach gekürzte und durch die
*) Von mir gesperrt.
^) Bezüglich seiner äusserungen auf a. 37 s, weiter unten,
262 CEDERSCHIÖLD
liand eines Isländers stark veränderte nnd versclilecliterte be-
arbeitung einer alten hs.' sein soll (vgl. s. xxxviii a. a. o.), und
s. XL sagt er wider, dass wir 'in C B und D nicht sowol andere
hss. der saga vor uns haben, als vielmehr andere, stark über-
arbeitete Versionen'.
Auch nur durch das verschweigen der von mir beabsich-
tigten beschränkung auf eine geAvisse redaction (nämlich der
durch die hs. B repräsentierten) kann K. (s. 6) zwei meiner
bemerkungen zum Variantenapparat in der Bev. s. als einander
widersprechend bezeichnen, was sie freilich auch, aus ihrem
Zusammenhang gerissen, scheinen können. Für den der den
ganzen Zusammenhang an beiden stellen liest, dürfte es nicht
schwierig sein, meine meinung zu erkennen; ich habe die von
der hs. B repräsentierte redaction so vollständig wie nur mög-
lich mitteilen wollen;') dahin gehört, dass ich aus anderen hss.
(bes. der red. C) solche lesarten aufgenommen habe, die mir
geeignet schienen, versehen in der red. B zu berichtigen (A'gl.
FSS. s. LXiv). Aber da ich fand, dass die hs. C an und für
sich von grossem werte war und meinem textcodex B relativ
nahe stand, habe ich bezüglich der Bev. s. (wie auch der
Konr. s.) die angegebene beschränkung meiner aufgäbe über-
schritten und eine hauptsächlich vom nordisch -philologischen
Standpunkte aus einigermassen vollständige Sammlung der
abAveichenden lesarten der hs. C (ev. yö) sowie auch — was
die Bev. s. betrifft — der fragmente A und D zu geben ge-
') Eine consequeiiz dieser meiner absieht und zugleicli ein äusserer
beweis derselben ist, dass ich den nanien der hauptperson in der von der
hs. B (und zugleich von dem uorweg. diplom; vgl. FSS. s. ccxxxviii) ge-
gebenen form Beters beibehalten habe, obgleich ich wol einsah, dass die
form Bevis der hs. C ursprünglicher war, was ich auch ausdrücklich FSS.
s. CCXLI gesagt habe. Dies hätte K. also nicht zu widerholen brauchen
(s. 67). — Hätte ich gleich K. die fonn widerherzustellen gesucht, die am
ehesten dem ursprünglichen (norw. oder) isl. texte augehört haben dürfte,
so würde ich mich kaum mit der form Bevis begnügt, sondern mich eher
für die form Beves entschieden haben. Für diese form spricht nämlich,
teils dass sie den franz. formen näher steht, teils dass man gerade aus ihr
alle die formen ableiten kann, die in den isl. hss. vorkommen. Die ent-
wickelung wäre also: 1) Beves^ Bef(ii)es D, 2) Beves^ Bevis C, 'i) Beves
> Bevess > Beters B, N. Dipl. (vgl. ßess "^ pers, ßessi ';;> persi u.s. w.),
4) Beves >■ Bevus {Befus) >• Bievus (Biefus) papierhss.
ÜEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 263
sucht.') Und da es aucli von diesem gesiclitspunkt aus nicht
eben leiclit war, die richtig-e grenze zwischen dem wichtigen
und minder wichtigen zu ziehen, so äusserte ich s. ccxl in
der anmerkung, dass ich vielleicht noch etwas ausführlicher
hätte sein können.
Beim eitleren meiner äusserung an der letztgenannten
stelle sucht K. einen Widerspruch mit s. lxiv dadurch herbei-
zuführen, dass er die worte: 'also nur diese' einschiebt; dies
ist nicht berechtigt, wenn ich mich auch lieber ausführlicher
und ohne die möglichkeit einer misdeutung hätte ausdrücken
sollen. 2)
Doch die hier zuletzt berührten Verhältnisse können wol
von allzu privater natur scheinen, um ausführlicher hier be-
handelt zu werden. Ich gehe daher zu fragen von allgemeiner
bedeutung über.
Wie soll man bei der Veröffentlichung einer ins (norwe-
gische oder) isländische übersetzten saga verfahren, wenn
diese in mehreren redactionen (handschriftklassen) vorliegt,
von denen keine der eigene text des Übersetzers ist, sondern
wo alle mehr oder weniger überarbeitet sind?
]\[einerseits gebe ich gern zu, dass das von K. s. 3 — 5
skizzierte verfahren principiell für das beste gehalten werden
kann. Aber ich behaupte, dass auch ein anderes verfahren
erlaubt und nützlich sein kann, und ich behaupte ferner, dass
die art und weise, wie K. selbst von seinem princip gebrauch
macht, viel zu wünschen übrig lässt.
Es dürfte wol für selbstverständlich gelten, dass das
') Das ganze material zu bieten, das möglicherweise zur vergleichung
mit den franz. texten nötig werden könnte, hatte ich weder beabsichtigt,
noch versprochen.
*) In Verbindung liiennit möchte ich bemerken, dass K. aucli sonst
nicht immer ganz loyal citiert; so z. b. vertauscht er oiine weiteres in der
anm. zu s. 6 die worte: 'die unwesentlichsten' (also einen relativen aus-
druck) mit 'ganz unwesentlich' (also einem absoluten ausdruck); — s. 61
übersetzt er meinen ausdruck (s. ccxxxix) 'yanska (= ziemlich) noggrant
afskrifna' mit 'ganz genaue abschriften ' ; — weniger bedeutend ist es,
da88 K. s. 6 z. 7 mit den worten 'im werke selbst' meine worte i själfva
cerket (= in der tat) widergibt; vgl. unmittelbar vorher (s. 5 anm.), wo K.
versichert hat, dass er die citate aus meinem schwed. texte 'in mög-
lichst genauer Übersetzung' gebe.
264 CEDERSCHIÖLD
lierausgeben ssicli ziemlicli verscliieden gestaltet, je iiaclidem
das ausländische original der (norweg.-)isl. saga für den lieraus-
geber vorhanden ist oder nicht. Der ausdruck 'original' wird
dabei nicht ganz wörtlich genommen. Denn natürlich kann
es kaum vorkommen, dass eben die ausländische (z. b. afranz.)
hs., die dem nordischen Übersetzer vorgelegen hat, oder eine
mit dieser hs. ganz übereinstimmende noch vorhanden ist ; aber
man kann doch behaupten, dass man das 'original' besitzt,
wenn dieses durch eine oder mehrere nahestehende hss. in
derselben spräche repräsentiert wird. Alte Übersetzungen oder
bearbeitungen in anderen sprachen können auch einigermassen
das original repräsentieren, sind aber natürlich an und für
sich weniger zuverlässige zeugen.')
Also: besitzt man das fremde original einigermassen wol
repräsentiert, so wird die kritische behandlung der nord. Über-
setzung in hohem masse erleichtert. Man ist dann im stände —
wie auch K. in seinem aufsatze getan — in einer menge von
fällen zu entscheiden, was in den nord. texten ursprünglich
ist oder nicht, wo ein redactor etwas hinzugefügt, ausgelassen
oder umgestaltet hat, und man kann ein sichereres urteil über
den verschiedenen grad von Zuverlässigkeit der einzelnen
redactionen fällen. Auf der anderen seite können dann auch
die nord. texte einen beitrag zur textkritik des ausländischen
originales liefern. Mit einem wort: man hat dann mittel zur
band, um zu entscheiden, welche Varianten der nord. redac-
tionen von wert für die textkritik der Übersetzung und des
originales sind und welche nicht.
Aber wie viele soll man dann in den Variantenapparat
seiner ausgäbe aufnehmen? Vielleicht bloss die welche man
als für die textkritik wichtig befunden hat, mit hinzufiigung
derjenigen die von nordisch -philologischem gesichtspunkt aus
wirklichen wert haben? Oder alle?
Herr K., der das grosse wort führt, dürfte wol durch seine
behandlung der Bev. s. uns ein muster geben, wie die sache
zu machen ist. Wir wollen daher sein verfahren untersuchen.
*) Die engl, bearbeitungen von Sir Bevis, die mir 1878 im druck zu-
gänglich waren, zeigten allzuviel abstand von den isl. texten, um allein
bei der beurteilung der hss.-verhältnisse von besonderem nutzen zu seinj
vgl. meine äusserung darüber FSS. s. ccxvi.
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 2G5
Folgende zahlen müssen vorausgeschickt werden. In meiner
ausgäbe werden in den fussuoten ungefähr GOO vom texte ab-
weichende lesarten verschiedener liss. (besonders von C und den
diesem sehr nahestehenden 7 d) angeführt. Zu diesen fügt K.
(s. 7 — 37) eine liste von solchen, die er ausserdem für nötig
hält (wolgemerkt auch jetzt noch, nachdem das franz. original
verglichen ist); diese liste bringt ungefähr 3000 Varianten.
Aber von diesen 3000 sind es nach K.'s eigener berechnung
(vgl. s. 52) nur 131, die K. auf grund der vergieichung mit
den ausländischen texten (besonders den afranz.) für ursprüng-
licher als die entsprechenden lesarten in meinem texte hält.')
Nun, diese ungefähr 3000 ab weichungen von dem ge-
druckten texte, die ich nach K.'s meinung mit unrecht aus
meinem Variantenapparat ausgelassen habe, nennt er s. 7
'sachliche ab weichungen'. Hierzu stimmt schlecht, was er
s. 37 behauptet, nämlich: 'hier (d.h. bez. der Bev. s.) handelt
es sich nicht um verschiedene bearbeitungen,^) sondern nur um
verschiedene von einander unabhängige liss. desselben textes.'
Ich kann nur annehmen, dass hier ein Widerspruch vor-
liegt. ^^'enn nun 'sachliche ab weichungen' zwischen den hss.
Bunde (bez. 7(^)3) an so vielen stellen existieren, und man
trotzdem nicht berechtigt sein sollte, von verschiedenen redac-
tionen zu sprechen, so müsste man ja schliessen, dass un-
freiwillige Verderbnis des textes an allen diesen stellen
in einer der hss. vorliegt; willkürliche und absichtliche
abweichungen von der vorläge könnten es ja nicht sein, denn
es sind ja eben solche, die (wenigstens wenn sie qualitativ
') Die zalil l.'M düifte in Wirklichkeit allzu hoch gegriffen sein, wie
nnten gezeigt werden wird, in welchem umfange übrigens K. richtig ge-
rechnet hat, habe ich nicht nachgeprüft. Zufällig habe ich 'bemerkt, d^ss
K. s. 48 no. 157 eine Variante als in meiner ausgäbe fehlend bezeichnet
hat, die sich dort wirklich findet.
'^) Dies ist die einzige stelle, die ich in K.'s aufsatz gefunden habe,
die auf meine in den FSS. offen ausgesiirochene absieht, mich auf eine ge-
wisse redaction zu beschränken, bezogen werden kann. Aber K.'s äusserung
ist hier nicht gegen meine in den FSS. dargelegten principien, die conse-
quent verschwiegen werden, sondern gegen einige worte Heinzeis (im Anz.
fda. 11,1 30) gerichtet.
■') Die mehrzahl sowol der üOü wie der 3000 betrifft eben das Ver-
hältnis zwischen diesen h.ss.
2G6 CEDEBSCHIÖLD
oder quantitativ bedeutend sind) eine besondere redaction
constituieren.
Aber man brauclit die unterschiede zwischen B und C
nicht lange zu mustern um zu begreifen, dass die grosse
mehrzahl eben willkürlich und absichtlich ist. Und schon
quantitativ scheinen sie mir hinlänglich bedeutend, um mein
in den FSS. s. lxiv abgegebenes urteil zu begründen, nämlich
dass C, obgleich B nahestehend, nicht als derselben redaction
wie B angehörig bezeichnet werden kann.
Der qualitative wert der ab weichungen ist indessen im
allgemeinen gering,') zum teil so gering, dass es mir höchst
merkwürdig scheint, dass K. so viel gewicht auf deren mit-
teilung gelegt hat. Der leser mag selbst über den wert der
folgenden 'sachlichen ab weichungen' urteilen, die ich aus
K.'s nachtragen gesammelt habe; ich habe es nicht für nötig
gehalten mehr als ein jjaar kleine stücke im anfang der saga
und ein paar aus den Schlusspartien zu untersuchen, im ganzen
ungefähr ein zehntel des ganzen textes.
Den wichtigsten unterschied zwischen B und C (bez. y d),
nämlich bezüglich des titeis, der Bevers' Stiefvater beigelegt
wird, habe ich ausdrücklich hervorgehoben in FSS. ccxl und
habe dabei mitgeteilt, dass der unterschied consequent durch-
geführt wird. Nichtsdestoweniger notiert K. gewissenhaft jede
stelle, wo die abweichung vorkommt (z. b. zu s. 209, 16. 20. 37.
40. 210, 6. 10. 14. 15 u. s. w.). Wozu dies sonst dienen soll, als
um das Verzeichnis desto länger zu machen und mein angeb-
liches verschulden desto schwärzer hervortreten zu lassen,
dürfte schwer zu begreifen sein.
Aber sonst ist es ziemlich selten, dass die unterschiede
zwischen den hss. solche sind, die verschiedene bedeutungen
mit sich führen (wie man aus K.'s ausdruck 'sachliche ab-
weichungen' schliessen sollte); besonders in K.'s nachtragen
bilden diese eine verschwindende minderzahl.
*) Wichtigere abweichwngen , wie z. b. absichtliche kürzimgen und
Veränderungen mit bezug auf den inhalt, fehlen keineswegs (wie man aus
den noten in FSS. und aus K.'s darstellungen ersehen kann), und sind
natürlich in erster reihe von bedeutung, wenn es gilt, verschiedene
rcdactionen festzustellen; aber sie sind verhältnismässig gering au zahl.
ÜEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 267
Was K. hauptsächlich zu meinem vanantenverzeichnis
liiuzuzufügen liat, besteht in solchen ausdrücken, die mit dem
gedruckten texte gleichbedeutend sind.
Wenn eine person (bez. ein pferd, schwert u. s. w.), über
dessen Identität der Zusammenhang nicht den mindesten zweifei
erlaubt, entweder mit 1, namen oder 2. titel (bez. anderer
appellativer bezeichnung) oder 3. sowol namen wie titel (bez.
anderer appellativer bezeichnung) oder 4. nur pronomen be-
zeichnet wird, so nimmt K. in seineu nachtragen die wechseln-
den bezeichnungen auf; s. z. b. zu s. 209, 11. 18. 210, 2. 16. 44.
52. 211.27. 216,27 u.s.w. Fortgesetzte vergleichungen zwischen
den isl. und den ausländischen texten haben K. schliesslich
darüber belehrt, dass, wie er am schluss von s. 60 zuzugeben
genötigt ist, in dergleichen fällen 'auf das schwanken . . .
wenig gewicht zu legen ist' — und das hätte K. wol im voraus
wissen können, nachdem er sich so viele jähre lang mit isl.
hss. beschäftigt hatte. Aber wenn er in diesem Zusammenhang
(s. 60) behauptet, solche stellen in seinen nachtragen nicht auf-
genommen zu haben, so ist dies nicht richtig; nicht genug
damit, dass solche Varianten (wie wir eben gesehen) in der
grossen Variantenliste (s. 7 — 37) besonders zahlreich sind,')
selbst unter den 131 stellen, 'wo die lesart von C oder yd,
bez. D oder A, sich durch vergleich mit den anderen Versionen
als dem archetypus angehörig erweisen Hess,' die aber von
mir nicht verzeichnet waren, sondern erst von K. hinzugefügt
worden sind (vgl. K. s. 52), — selbst unter diesen stellen, w^o-
rauf K. so viel gewicht legt, finden sich mehrere, die gerade
der eben erwähnten kategorie angehören, s. z. b. die anmer-
kungen 8. 66. 99. 114. 129. 136. 158. 166 auf s. 40 ff., vgl.
ausserdem 79. 172.
Von der grossen anzahl übriger gleichbedeutender, aber
in bezug auf den ausdruck mehr oder weniger abweichender
lesarten, die K. als 'sachliche ab weichungen' anführen zu
müssen glaubt, will ich nur auf die folgenden hinweisen. 2)
') In dieser liste dürften Varianten der genannten art sich bis auf
ein oder mehrere hundert belaufen.
*) Bei der anführung' isländischer textstellen normalisiere ich nach
demselben princip, das K. s. 7 anm. befolgt zu haben behauptet, nämlich
268 CEDEKSCHIÖLD
Die synonymen ausdrücke hestr und ess werden in Bev.
(wie sonst) proniiscue angewant; K. hat sich die mühe g-emacht,
an einer menge stellen den Wechsel zu notieren; so z. b. die
nachtragsliste zu s. 257 — 260.
Den Wechsel zwischen den ganz gleichbedeutenden sem
und er notiert K. s. 209, 24 210.4. 215.59 u.s.av., zwischen er
und at s. 209,29.36.38. 210,2 u.s.w., zwischen Enn und Oh
(einen neuen satz einleitend) s. 215, 41, zwischen den adverbien
fijrri und fyrr s. 209, 18, zwischen den verneinenden adverbien
eigi und ehU s. 215, 43, zv/ischen eda und edr s. 214, 51. 257, 31.
258,13'); der Wechsel zwischen medal, milli, d milli, i milli
wird s. 259, 13, zwischen möti und i möt s. 260, 13, zwischen
Jbeima und pessttm s. 215, 46, zwischen den masc. nom.-formen
eingtnn und eirnjl s. 215, 35, zwischen der umgelauteten form
hJQpünn und der unumgelauteten hjaptinn s. 216, 7, zwischen
dem altertümlichen (c/i) mcetta und dem jüngeren {elc) mcetü
s. 216, 18 angemerkt, u.s.w.-)
Angesichts solcher beispiele drängt sich einem die frage
auf: wenn K. diese und ähnliche für 'sachliche ab weich ungen'
hält, was versteht er dann unter formellen? Vielleicht nur
die rein orthographischen? — Aber wir fahren fort.
Abwechslungen in der Wortstellung, sogar die allergewöhn-
lichsten, werden von K. angemerkt. So z. b. die Stellung des
attributs vor oder nach seinem subst.: liest sinn oder sinn liest
s. 216, 4 f., lid mikit oder mikit liö s. 216, 52, tvd riddara oder
riddara tvd s. 214, 21 f., Jians liest oder liest lians s. 260, 24, vgl.
s. 214, 41. 58. 215, 31. 216, 5. 260, 15. 24 u.s.w. 3)
'in der allgemein üblichen weise'; mein resnltat wird zwar demjenigen K.'s
recht unähnlich — aber das ist nicht meine schuld.
•) An diesen stellen, und wahrscheinlich an vielen anderen, hat K. es
sich augelegen sein lassen, dem leser die tatsache mitzuteilen, dass die
jüngeren hss. (/, rf, IJ) die formen eör haben, während mein nach der älteren
membrane B gedruckter text eöa hat; nur schade, dass er nicht zugleich
mitgeteilt hat, dass das wort in membranen gewöhnlich abgekürzt ge-
schrieben wird ('e.').
'^) Dass die relativpartikeln er oder at (gemäss dem jüngeren Sprach-
gebrauch) in den jungen papierhss. yS fehlen, wird zu s. 212, 35. 213,25
angemerkt, ebenso zu s. 211,45, dass yd die jüngere form kvinnu haben,
Avährend B die ältere komi hat.
^) Aber zu s. 209, 19 uuterlässt es K. darauf hinzuweisen, dass der
UEBER DIE AI\SGABE DER BEVERS SAGA. 269
Die Stellung des subj. vor oder nach dem praed. wird an-
gemerkt s. 214, 58: er heitir Ilamtim oder er Hamtün heitir,
s. 257. 421: Hann för mi oder För kann nit; die wechselnde
Stellung des praed. und des adv. wird angemerkt s. 215, 26:
Nu liÖa (svd fram shmdir) oder Liäa nü; vgl. s. 209, 8 f. (wo
zwei adv. die Stellung miteinander tauschen), s. 215, 10 u.s.w.
Manche der lesarten, die K. in seinen nachtragen auf-
genommen hat, geht bloss darauf aus zu zeigen, wie weit das
eine oder andere, gewöhnlich so gut wie bedeutungslose wört-
chen sich in der einen oder andern hs. vorfindet. So z. b. wird
s. 212,31. 39. 213,62. 214,63.64. 215,11. 260,19 u.s.w. ver-
zeichnet, ob der nachsatz (apodosis) mit pd eingeleitet wird
oder nicht.
Eine andere grosse gruppe Varianten erhält K. dadurch,
dass er verzeichnet, wie weit im erzählenden stile das praet.
oder das praes. histor. angewant wird, z. b. s. 210, 2. 49. 57.
211,3. 212,31. 214,28. 216,29. 257, 28. 260, 8. 9 u.s.w.
Ein jeder der sich nur ein wenig mit isl. sagas (sei es
originalen oder übersetzten) beschäftigt hat, weiss ganz genau,
dass der in rede stehende tempuswechsel zu den allergewöhn-
lichsten erscheinungen gehört, und versteht, dass dergleichen
'Varianten' für solche von minimalem werte angesehen werden
können. Aber noch unnötiger sind die 'Varianten' in folgendem
fall: in meinem abdruck von B habe ich (wie ich ausdrück-
lich in den FSS. s. lxxii gesagt) die in der hs. regelmässig
vorkommenden zweideutigen abkürzungen fv. und /". mit
praes ensformen (in der regel sing., also entweder st-arar oder
se'^/ir) widergegeben; wenn nun zufällig eine der andern hss.
ein ausgeschriebenes praet eritum hat, so wird dies von K.
vermerkt, z. b. bei s. 211,1. 18. 215,8. 258,10 u.s.w.»)
"\^'enn eines unter den am häufigsten vorkommenden Sub-
stantiven (z. b. konyr, jarl) in einer von den hss. ii-gendwo sich
in bezug auf das Vorhandensein oder fehlen des angehängten
artikels von den andern hss. unterscheidet, hat K. auch diese
erscheinung verzeichnen zu müssen geglaubt. Irgend welche
lesart von B: dottiir aina ein sina döttur in yd entspricht, zu s. 214,5b,
dass auch D die Wortstellung möÖir min hat.
') Dass A auf s. 257,41 sayöi schreibt, hat K. jedoch zu notieren
vergessen.
270 CEDERSCHTÖLD
anleitung zur bestimmimg des ursprünglichen textes liefern
indessen diese 'sachlichen abweichungen' nicht, denn in den
älteren hss. wurden diese und ähnliche Wörter sehr oft durch
eine abküizung ang-eg-eben, die nicht angab, ob eine form mit
oder ohne artikel beabsichtigt war; vgl. FSS. s. lxxiii — v, wo
ich auch mein eignes verfahren bei der widergabe derartiger
abkürzungen auseinandergesetzt habe. K. hat wahrscheinlich
die genannten selten meiner einleitnng nicht gelesen, sonst
hätte er wol kaum seine liste mit solchen bemerkungen wie
z.b. s. 210, 59. 211,1. 3 vermehrt, dass die papierhss. yd jarl
schreiben; mein text hat zwar an diesen stellen jarlinn, aber
da ich s. lxxiv anm. 3 bemerkt, dass die lis. B an den ge-
nannten stellen (und vielen andern) die abkürzung j. zeigt,
dürfen wol hier die abweichungen eher graphisch als sach-
lich genannt werden.
Wozu soll nun das aufzählen dieser und derartiger Varianten
eigentlich dienen?
Von wert für die reconstruction des ursprünglichen saga-
textes und für die kritik der franz. texte könnten ja, gemäss
K.'s eigener meinung, bloss eine geringe anzahl sein.')
Aber auch für die beurteilung des Verhältnisses zwischen
den isl, hss. untereinander müssen ähnliche abwechslungen, wie
die hier oben angeführten, mit der grössten vorsieht behandelt
werden. Von der mehrzahl derselben gilt ohne zweifei, was
K. selbst in seiner vorrede zur Elis saga (s. xxvii — viii) über
'abweichungen' äusserte, 'auf die die betr. abschreiber sehr
leicht selbst gekommen sein können'; dahin gehören:
a) abweichungen in der Wortfolge ...2); b) hinzufügung
oder weglassung des artikels ...; c) an wendung verschiedener
tempora ...; d) schwanken zwischen sing, und plur ; e) kleine
ändei'ungen in der construction ...; f) Wechsel zwischen ge-
bräuchlichen synonymen ...; g) hinzufügung von dem sinne
nach naheliegenden Worten . . . '
1) Dass K. bei der bercchnimg- dieser anzalil reelit optimistisch ge-
wesen, haben wir z. t. bereits gesehen nnd werden wir weiter nnten noch
in einigen andern fällen nachweisen.
2) Ich lasse K.'s beispiele aus; jeder der es wünscht, kann sich davon
überzeugen, dass sie gleichartig mit denjenigen sind, die ich hier oben
angeführt habe.
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 271
Hierauf gibt K. folgendes gesammturteil: 'es darf mit eiit-
schiedenheit behauptet werden, dass alle derartigen Varianten
unser urteil über das handschriftenverhältnis in keiner weise
beeinflussen kiinnen.'
Aus speciell nordisch-philologischem Interesse hat K. offen-
bar eine solche niasse Varianten nicht aufnehmen wollen. A\Me
ein nordischer philologe in derartigen fragen denkt, diirfte
wol im allgemeinen bekannt sein; aber für den fall, dass ein
zeuge verlangt wird, will ich einen herausgeber eitleren, dessen
autorität nicht leicht verworfen werden dürfte, den docenten
Plnnur Jonsson.
In der vorrede zu seiner kritischen ausgäbe der Egils
saga Skallagrimssonar (Kobenhavn 188G — 88) s. xxvi, sagt
dieser: 'jeg [har] ikke eller meget sjaelden . . . taget liensyn
til sädanne varianter, der kun bestär i, at ordene i en saetning
er ordnede pa en forskellig mäde uden nogen sserlig syntak-
tisk Interesse (f. ex. för kann f. kann för og lign.). Den slags
varianter har sjaelden nogen videre betydning, og for Egilssagas
vedkommende, savidt jeg har kunnet skönne, slet ingen . . .
Heller ikke har jeg taget hensyn til sädanne varianter, som
kun bestär i, at et ganske almindeligt ord stär for et ligesä
almindeligt (f. ex. för f. feröaöiz el. geUi og lign.).'
Und es ist zu bemerken, dass die Egils saga von nordisch-
philologischem gesichtspunkt weit grössere bedeutung besitzt
und in viel älteren hss. bewahrt ist als die Bev. s.
Nun kann man zwar sagen: 'man kann nicht im voraus
wissen, zur lösung welcher fragen eine zukünftige forschung
material aus den hss. zu schöpfen gezwungen sein wird; denn
diese hss. können leicht abhanden kommen oder zerstört wei'den;
oder äussere Verhältnisse können, auch Avährend si^ noch vor-
handen sind, viele forscher verhindern, sie direct zu benutzen.
Es ist daher notwendig, dass, wenn eine saga (oder ein anderes
literaturdenkmal) veröffentlicht wird, die lesarten der hss.
(oder wenigstens der von einander unabhängigen hss.) so voll-
ständig wie möglich veröffentlicht werden.'
Dies raisonnement lautet ja sehr vernünftig, aber wir
können es doch nicht ohne weiteres acceptieren. "Will man
wirklich all das material liefern, das zukünftige forsciier für
verschiedene (vielleicht noch nicht geahnte) zwecke möglicher-
272 CEDERSCHIÖLD
weise gebrauchen können, so muss man natürlicli auch für die
Vorführung- aller orthographischen und graphischen
Varianten sorgen (denn diese können für einige zwecke wich-
tiger werden als 'sachliche abAveichungen'). und da findet sich
kein anderer ausweg als der, möglichst genaue photographische
abbildungen von allen betreffenden hss. zu liefern. Aber
nicht einmal dies wäre ausreichend. Eine von den am sorg-
fältigsten ausgeführten photographischen abbildungen, die wir
von nordischen hss. haben, dürfte wol die abbildung der
grossen Eddahs. sein, die Wimmer und F. Jönsson i. j, 1891
veröffentlicht haben; am schluss ihrer einleitung (s. lxxv)
heben die herausgeber hervor, dass ihre lange beschäftigung
mit der arbeit sie gelehrt habe, dass keine widergabe je-
mals das original vollständig wird ersetzen können.
Der grund ist, dass die subjective auffassung des herausgebers
immer einigermassen auf die beschaffenheit der abbildung ein-
wirkt.') Selbst in dem falle dass die hss. photographiert
werden, bleibt der leser von der genauigkeit, der einsieht und
dem urteil des herausgebers abhängig.
Gerade diese eigenschaften eines herausgebers sind am
unentbehrlichsten bei jeder art von herausgäbe. Und diese
eigenschaften zeigen sich nicht am wenigsten in dem ver-
mögen des herausgebers, sich klar und bewusst zu beschrän-
ken; er muss verstehen das wesentliche von dem unwesent-
lichen zu unterscheiden; er muss nichts mit aufnehmen was
für seine speciellen zwecke unnötig ist; er darf nicht das
unnütze das nützliche verdecken lassen. So z. b. hat die eben-
genannte Photographie der Eddahs. verschiedene zufällige flecke
oder wegen der dünnheit des pergaments durch dieses sicht-
bare buchstaben etc. nicht aufgenommen, die beim lesen
störend wirken würden. ■•^)
Nun muss wol auch K. einen speciellen zweck mit
seinem aufsatz über die Bevers saga gehabt haben, denn
nach allen selten über die hss. bescheid gegeben zu haben
kann er nicht beanspruchen — : dazu fehlt allzu viel. Dass
') Vgl. Arkiv für nordisk filologi 8, 19()tt'.
*) Dass sie im commeiitar notiert werden, ist etwas anderes; dort
tun sie keinen schaden.
UEBEE DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 273
es sein specieller zweck war, polemiscli gegen meine ausgäbe
aufzutreten, wird er wol nicht einräumen wollen, und das
wird Avol auch nicht der fall sein. Avenn es auch zuweilen so
aussieht. Dagegen dürfte man K, nicht unrecht tun, wenn
man aus seiner früheren Wirksamkeit, aus dem wertvollsten
im vorliegenden aufsatz und vor allem aus der Zusammen-
fassung, die K. selbst gegen ende der abhandlung s. 127 ff.
macht, den schluss zieht, dass sein eigentlicher und spe-
cieller zweck gewesen ist, das Verhältnis zwischen
den isl. texten (bez. dem norw. — oder möglicherweise isl.
— text, von dem sie abstammen) auf der einen seite, un'd
den ausländischen (bes. den franz.) texten auf der andern
Seite zu beleuchten. Aber welche massen von für diesen
zweck nutzlosem, ja geradezu hinderlichem stoff häuft er nicht
zusammen !
Für mich konnte natürlich der zweck nicht derselbe sein
wie für K., da mir ja die franz. texte nicht zugänglich waren.
Ich hätte daher unmöglich die beschränkung des Stoffes durch-
führen können, die für K. leicht und ungesucht gewesen wäre,
obgleich «er es verschmäht hat sie anzuwenden. Und da ich
meine ausgäbe nicht mit einer masse solcher unnützer, will-
kürlicher kleinigkeiten belasten wollte, die in der regel völlig
bedeutungslos zu sein pflegen, befolgte ich (worauf ich so wol
hier oben als schon in den FSS. hinwies) den plan, die redac-
tion der ältesten erhaltenen hs. herauszugeben und erweiterte
den plan insofern, als ich aus den andern redactionen (vor
allem aus Cs) die abweichungen hinzufügte, die ich von meinem
standi)unkt aus als 'sachliche' betrachtete.
Nun meint K. (s. 4), dass ich unter solchen Verhältnissen
(da die franz. texte mir nicht zugänglich waren) mich gar
nicht mit der herausgäbe von Bev. hätte befassen sollen; und
an mehreren stellen in seinem aufsatz bemüht er sich zu be-
weisen, dass meine ausgäbe — wegen der beschränkung, die
ich hinsichtlich des Variantenapparates beobachtet habe —
gänzlich wertlos sei.
Hierüber mögen andere urteilen I Ich fürchte nicht, dass
unparteiische und vollauf comi)etente beurteiler ein so hartes
urteil fällen. Meinesteils will ich nur, ehe ich zur nach-
weisung verschiedener fehlerhafter und irreführender angaben
Beiträge zur geschicUtc der doutsclicu Bprache. XXlIl. ]^
274 CEDERSCmÖLD
in K.'s auf Satz übergehe (angaben, auf die er zum teil sein
urteil über meine ausgäbe stützt), an einige Verhältnisse all-
gemeinerer art erinnern.
Zunächst ist es klar, dass, wenn die herausgäbe der
Bev. s. aufgeschoben wäre, bis die franz. texte durch prof.
Stimmings arbeit zugänglich geworden waren, Fritzner für
die ausarbeitung der zweiten aufläge seines Wörterbuchs (deren
Veröffentlichung bereits i. j. 1883 begann) schwerlich den text
dieser saga auf eine solche weise hätte ausbeuten können, wie
dies jetzt der fall gewesen ist. Durch vergleichung der ersten
und zweiten aufläge des Wörterbuchs findet man leicht, dass F.
für die erste bloss eine geringe anzahl excerpte aus den
hss. B und 6 zur Verfügung hatte, dass er dagegen in seiner
zweiten aufläge an einer grossen menge von stellen meinen
text citiert. •) In briefen an mich (citiert FSS. lxxix) äusserte
im übrigen Fr. selbst, dass er besonders viel für sein Wörter-
buch aus den texten in den FSS. habe schöpfen können.
Weiter: aus K.'s eignem aufsatz geht hervor, dass meine
ausgäbe der Bev. s. und die einleitung zu den FSS. nicht ohne
wert als Vorarbeit für K.'s eigne Untersuchungen gewesen ist.
K. sagt (s. 64, anni. 1): 'die hs. B habe ich nicht nacli-
verglichen.' Er hat somit nicht geglaubt auf die hs. zurück-
gehen zu müssen, sondern meinen abdruck für völlig zuverlässig
gehalten und der bequemlichkeit halber diesen an stelle der
alten, teilweise etwas schwer lesbaren membran benutzt. Wenn
nun meine ausgäbe in erster reihe gerade den zweck hatte,
die redaction mitzuteilen, die durch die hs. B vertreten wird,
so hat K. also indirect zugegeben, dass mir dies gelungen ist.
Aber anstatt dankbar den vorteil anzuerkennen, den er von
meiner ausgäbe gehabt, weiss er nur unfreundliches darüber
zu sagen.
Weiter: K. muss meine ausführungen (FSS. s. ccxxxviii f,)
über die vier hss, AM, 179 und 181, fol, Kask 31, 4", Stockholm
Chart. 4(3, fol., gebilligt haben, denn, soweit ich habe finden
können, sagt er in seinem aufsatz kein wort über deren
1) K.'s behauptung (s. 63), dass meine ausgäbe für lexikograpbeu unzu-
reichend sei, wird weiter unten nach ihrem richtigen geluilt beleuchtet
werden; ich werde an derselben stelle etwas auf K.'s behauptung (s. 03 f.)
von der Unzulänglichkeit für grammatiker zu antworten haben.
UEBER DIE AUSGARE DER BEVERS SAGA. 275
bescliaffenlieit. Es muss doch, wenigstens einigermassen, eine
erleichterung für K. gewesen sein, über diese liss. nicht zu
bericliten zu brauchen.
Bloss in einer hinsiclit hat K. (s. 64) anerkennen wollen,
dass ich in meiner ausgäbe eine Vorarbeit zur bestimmung des
'verhalten[s] des sagaschreibers zu seiner vorläge' geliefert habe,
nämlich durch die in der einleitung zu den FSS. (s. vii — xxxiii)
gemachte Zusammenstellung von formelhaften Wendungen,
Schilderungen u. dergl., entnommen aus romantischen sagas
(Übersetzungen oder freieren bearbeitungen von ausländischen
originalen). — Aber ich muss mich dagegen verwahren, dass
K. (s. 64) sagt, diese Sammlung sei 'nur einer kleineren aus-
wahl von texten entnommen'. Wie man aus FSS. s. iv anm. 2
sieht, ist die Sammlung nach sechs zehn romantischen sagas
gearbeitet, darunter der ganzen Karlamagnus saga: die ge-
sammte Seitenzahl des (norw.-) isl. textes in diesen sagas be-
trägt 1443. Eine besonders grosse Vermehrung der quellen
hat K. dui'ch diejenigen nicht zu stände gebracht, die er s. 64
anm. 2 (vgl. s. 65) als von ihm weiter excerpiert anführt. ')
Weiter hat K. (s. 128) nicht umhin können, die folgerung
über das alter der Bev. s. anzuerkennen, die ich aus meinen
Untersuchungen über die stereotypen gezogen habe. Auch den
Zusammenhang, den ich zwischen der Bev. s. und der erzählung
von Olif und Landres nachgewiesen habe, erkennt K. s. 128
an, wenn er auch, durch das Studium der franz. texte belehrt,
über diesen Zusammenhang etwas mehr zu sagen weiss. 2)
1) In seine liste ist die pjalar-J6ns saga aufgenommen, die aber
als 'Ij'gisaga' (vgl. FSS. s. clxvi) wol kaum verglichen zu werden verdient
hätte; dasselbe gilt wahrscheinlich von der Samsonar saga fagra (vgl.
Versious nordiques etc. s. 90 f. ; was die Islenzk peventyri betrifft (die un-
gefähr gleichzeitig mit cap. I der einleitung der FSS. veröffentlicht wurden),
so ist nur ein kleinerer teil dieser texte im stil mit den romantischen
sagas zu vergleichen. K. hat im übrigen seine ergänzungsliste dadurch
vervollständigt, dass er vier nummern aufgenommen hat, die bereits zu
meiner liste gehtirten : Möttuls saga, Olif ok Landres (als teil der Karla-
magnus s.), Partalopa saga, Valvers ]?ättr.
'^) Meine Vermutung (FSS. ccxvi f.), dass Bev. aus dem französischen
übersetzt sei, hat sich seit dem zugänglichwerden der franz. hss. als richtig
erwiesen. Indessen will K. (s. 113 f.) den versuch nicht anerkennen , den
ich (a. a. 0.) gemacht habe , das vorkommen des wertes Frunzeisar in der
1&*
276 CEDERSCHIÖLD
Facile est inventis addere ist jedoch eine Sentenz, deren
berechtigung K. einigermassen hätte anerkennen sollen. Auch
einer anderen sentenz humanen inhalts: mishunnar imm hverr
d sinn mdli J)urfa, hätte sich K. erinnern können, zumal er
(s. 63f.) sich anstrengt zu beweisen, dass meine ausgäbe von
Bev. wissenschaftlichen lesern keineswegs genüge leisten
könne. Denn genau genommen dürfte auch K.'s aufsatz den
ansprüchen der Wissenschaft nicht genügen. Hier wie in
seinen früheren arbeiten ist K. nämlich zu sehr geneigt zu
übersehen, dass wissenschaftlichkeit Zuverlässigkeit und ge-
nauigkeit — oder wie K. es selbst etwas spöttisch nennt:
akribie — erfordert. Obgleich sich meine Untersuchung nur
auf einen kleineren teil der angaben K.'s bezieht, liabe ich
doch eine verhältnismässig grosse anzahl fehler in seinem
aufsatz entdeckt.
saga s. 2R3, 20. 24 psychologisch zu erklären. Gegen K.'s eigene erklärungs-
weise will ich bemerken, dass während meine erklärung ans einer hypo-
these bestand, K.'s aus dreien besteht, von denen jede folgende mit der
vorausgehenden fällt. Ich will meine bedenken gegen eine jede derselben
vorbringen: 1) dass C'm7e = Sevilla, ist zwar nicht unmöglich, aber durch-
aus nicht gewiss (vgl. 'sicherlich' K.); die geographie ist ja sonst in der
erzählung sehr phantastisch ; 2) auch wenn Civile = Sevilla, so ist es des-
halb noch nicht wahrscheinlich, dass die bewohner dieser stadt und ihrer
Umgegend von dem Verfasser der erzählung (ca. 1250?) für Franzosen
gehalten worden und so genannt wären; wenigstens erscheint Civile con-
sequent als ein selbständiges reich, welches von einer 'Jungfrau' regiert
wird und in keiner Verbindung mit Frankreich steht. Ob wirklich, wie K.
(s. l]3f.) annimmt, das vorkommen von Frangois in dem franz. gedieht
V. 3158 einen tatsächlichen beleg für seine hypothese bildet, kann ich nicht
beurteilen, da ich die franz. stelle nicht im Zusammenhang gesehen habe
(dass ich nicht die ' hülfstruppen ' aus Civile, wie K. s. 114 sagt, 'vergesse',
zeigen meine eigenen worte die K. übersetzt); 3) auch wenn die 15000
mann aus Civile welche unter der anführung Terris am kämpfe gegen die
beiden teilnahmen, vom Verfasser als Franzosen betrachtet worden wären,
so handelt es sich doch s. 203, 20. 24 keineswegs lim Terri und seine leute;
im gegenteil wird in diesem Zusammenhang der junge könig von Ägj'pten
Guion (z. 14) erwähnt und gleich darauf sein vater, Bevers selbst, der min-
destens sieben jähre (s. 258, 34) bei dem söhne in Ägypten geweilt hat. Es
erscheint mir demnach immer noch als das wahrscheinlichste, dass der Ver-
fasser bei den kämpfen zwischen Christen und beiden (= Muhammedaneru)
im Orient die Christen ohne weiteres mit den Franzosen ('Franken') iden-
tificiert. Reminiscenzen aus den berichten über die historischen kreuzzüge
konnten dieser Verwechslung ja auch eine gewisse berechtigung geben.
UEBEK DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 2t t
Ich will nun einige einzelbemerkungen gegen K.'s aufsatz
machen und bekomme so zugleich gelegenheit einiges auf diesen
oder jenen der von K. gegen mich gerichteten angriffe zu ent-
gegnen. Aber ich betone ausdi-ücklich. dass ich es weder für
nötig noch geeignet halte, in diesen meinen bemerkungen Voll-
ständigkeit anzustreben. ')
Sollte es sich als wünschenswert oder notwendig erweisen,
so kann ich oder ein anderer ohne Schwierigkeit eine ebenso
grosse (oder eher noch grössere) liste von fehlem aufstellen.
Zuerst muss ich auf einige mängel in der von K. angefer-
tigten liste von Zusätzen zu meinem Variantenapparat hinweisen.
Nur etwa den zehnten teil dieser liste habe ich mit den
hss. verglichen; die anzalil stellen jedoch, wo K. entweder
falsch gelesen oder die angaben incorrect formuliert
oder solche ausgelassen hat. die er, um consequent zu sein,
hätte mitberücksichtigen sollen, ist nicht so ganz gering.'^)
200, 4 7 d sollen nach K.'s angäbe die lesart haben hanu
hafdi ■imdir unnit oh lagt; tatsächlich haben yö Jiann haföi
undir sik unnit ok lagt. 6 riddari om. yö (von K. nicht ver-
merkt). 36 ö hat wahrscheinlich nicht nü (wie K. angibt),
sondern mJQk (geschrieben mi<^). 213, 60 shuld D (von K. nicht
vermerkt). 65 hann D (nicht hans, wie K. behauptet). 214, 19
skuld D (von K. nicht vermerkt). 26 hcemi {^UcemV) D (nicht
kcemiz, wie K. vorgibt). 42 K.'s angäbe, dass D en htm hin-
zufüge (zu B.'s Worten er hdöi rar), ist fehlerhaft; D hat cu
him var bceöi. 45 tmer add. D (nach K.'s formulierung der
lesart von D erhält man die bestimmte angäbe, dass moer fehlt).
0 Besonders muss ich noch darauf liinweisen, dass die einzelbemer-
kungen welche K. gegen meine ausgäbe gemacht hat, von mir deswegen
durchaus nicht als ganz oder teilweise begründet anerkannt werden, weil
ich hier nichts zn ihrer entgegnung anführe. Wie ich schon am anfaug
dieses meines aufsatzes angedeutet habe, fehlte es mir an zeit, den ganzen
Stoff durchzunehmen (es ist dies nur mit einem kleinen teil geschehen);
ausserdem würde die erörterung verschiedener einzelfragen in dieser zs.
mehr räum erfordern als ich beanspruchen kann. Ich muss mich liier auf
beispiele beschränken.
^) Einige derartige fehler, die von mir schon oben in einem andern
Zusammenhang vermerkt worden sind, übergehe ich hier.
278 CEDEESCHIÖLD
215,4 tu om. yd D (nach K.: om. yö B).i) 13 horin om. D
(von K. nicht vermerkt). 14 ydvart D (von K. nicht vermerkt).
31 i köngs kird om. D (von K. nicht vermerkt). 30 C hat
nicht, wie K. angibt, nur at Jnirfti, sondern at JnirfÜ at.
39 land D (von K. nicht vermerkt). 216, IG Jwat T) (von K.
nicht vermerkt). Icenipa D (nicht shepna, Avie K. behauptet).
17 i\ Ok D (von K. nicht vermerkt). 28 ok add. D (^ C;
von K. nicht vermerkt). 31 J)at add. D (= C; von K. nicht
vermerkt). 39 sd C (nicht sau, wie K. behauptet). 43 fd]
nd D (von K. nicht vermerkt). 257, 51 ok] Hann A (von K.
nicht vermerkt). 258, 1 varä\ nü mjgk add. A (nicht nur mjißc,
wie K. angibt). 10 « sunär add. A (von K. nicht vermerkt).
26 i hrottu om. A (von K. nicht vermerkt). 27 segir hann
om. A (von K. nicht vermerkt). 32 Munkhrank A (von K.
nicht vermerkt). 259, 7 sjd] hestinn add. A (von K. nicht ver-
merkt). (18 7>«] ok A, aber undeutlich; K. liest 7jem) (19 liuerr]
hvat manna A, aber undeutlich; K. liest hvat tnamii.) 25 hann]
köngrinn A (von K. nicht vermerkt). 26 svd reidr, at A (nicht
svd reidr, svd at, wie es nach K.'s angäbe sein müsste). 34 Nü
tök hann A (von K. nicht vermerkt). 37 J)d nött] nöttina A
(von K. nicht vermerkt). 43 Ok einn A (= /d; nicht Einn,
wie K. behauptet). (261, 1 f. K.'s angäbe betreffs der lesart
in A scheint nicht richtig zu sein; statt hinn dr\epa], wie
K. angibt, lese ich: hinutn [ült?] gera.) — Dies ist doch eine
nicht ganz kurze liste, besonders wenn es sich nur um ein
zehntel des textes handelt.
Die von K. vergessenen Varianten, die ich hier oben auf-
gezählt habe, gehören zwar zu denjenigen welche für mich
keinen wert haben, aber von seinem Standpunkte hätte K.
diese ebensogut anführen sollen, wie er es mit hunderten von
anderen derselben art getan hat. Schlimmer ist schon, wenn er
(wie bei s.209,4. 213,65. 214,26. 42. 45. 215,36. 258,1. 259,26. 43)
den leser durch fehlerhafte oder falsch formulierte mitteilungen
irreleitet; am schlimmsten aber ist der fehler bei s. 216, 16, wo
er behauptet, dass die schlechte lesart in C skepna (übrigens
in C undeutlich geschrieben) auch D angehören solle.
*) Gewiss ein handgreiflicher dnickfehler , aber K. (s. 64anra. 1) ver-
merkt auch einen solchen {ßeir statt picr).
ÜEBER DIE AUSGABE DER BEVEIiS SAGA. 279
Andrerseits geht K. in seinem eifer bisweilen so weit,
dass er in seiner zusatzliste Varianten aufnimmt, die in meinen
fussnoten schon angeführt Avorden waren. So hätte er z. b.
s. 259, 13 nicht zu bemerken brauchen, dass die lesart priksta-
finn in yd vorkommt; das habe ich schon in anm. 7 (zu s. 259)
mitgeteilt, und ich bin insofern exacter als K. gewesen, als ich
die Schreibweise in 7, welche vielleicht als pilcstafinn gedeutet
werden kann, angegeben habe.
K. sagt (8. 37), er habe umsonst nach bestimmten kritischen
grundsätzen für aufnähme oder verschweigung der einzelnen
Varianten in meiner ausgäbe gesucht. Ich bezweifle nun keines-
wegs, dass es anderen nicht an der fähigkeit (oder dem guten
willen) gebricht, meine grundsätze in dieser beziehung zu er-
kennen. Aber besondere aufmerksamkeit verdienen doch teil-
weise die beispiele, mit denen K. seine behauptung be-
legen will.
Da sich, wie bekannt, mit völliger Sicherheit von den
Varianten keine aus wähl treffen lässt und die grenzen immer
eiuigermassen fliessend bleiben müssen, so scheint es, als ob
K., wenn er seinen lesern die sache mit einigen wenigen bei-
spielen beleuchten wollte, leichtes spiel haben müsste. Aber
wenn K.'s tendenz auch aus seiner beispielsammlung erhellt
(denn er hält sich am liebsten an die grenzgebiete) und er
auch seine beispiele natürlich durchaus nicht so gewählt hat,
wie ich oder ein wolwollender beurt eiler sie wählen würde,
um meine grundsätze am besten zu beleuchten, so verrät er
doch bei der wähl einiger beispiele eine Unkenntnis des (nor-
wegischen und) isländischen Sprachgebrauchs, die bemerkt
werden muss, da sie sonst irreführen könnte.
Eine so gleichgiltige und unbedeutende abwechslung ganz
gewöhnlicher synonyme wie drla\ snemmu, liardlu] stötiiga,
hestr] ess hält K. für ebenso wichtig wie z. b. folgendes:
231,64 hat mein textcodex (B) forrcd; der gebrauch des
verbs forruöa ist in einer so alten isländischen lis. beson-
ders auffallend (vgl. Fritzners Wörterbuch, Yigfussons Dict.);
entweder stammt es aus einem norwegischen archet3'pus,
oder auch, wenn es als isländisch zu gelten hat (zuerst ge-
braucht von dem Schreiber von B oder sogar von seiner
nächsten vorläge), ist die stelle merkwürdig als ältester beleg
280 CEDERSCHIÖLD
für das vorkommen des Wortes im isländisclieii; jedenfalls lag
mir daran darauf hinzuweisen, dass forrcö in der hs. C nicht
vorkommt, sondern dass diese hs. das gewöhnliche isl. wort
sveih hat, 232, 53 hat B Bihilant^ hröölr ydvarr, var ])ar
(d, h. i Icastdlanum Äbilant) inui Icestr oh allt lians f6lh\ inni
Icesa bedeutet liier 'cernieren', ein gebrauch des verbs, wie
ich ihn an keiner anderen stelle gefunden habe; und da B
an der entsprechenden stelle vorher (232, 31) luJdr hat, d. h.
den ausdruck den man am ehesten auch 232, 53 erwartet hätte,
so dient der hinweis darauf, dass hildr die lesart von C an
der letzteren stelle ist, dazu, die autorität der überraschenden
lesart Iccstr zu schwächen.')
Auch in anderen fällen ist K. mit seinen beweisen für
meine vermeintliche principienlosigkeit weniger glücklich. Ob-
gleich er (s. 38) erwähnt, dass ich für den abschnitt, wo auch
A zur Verfügung steht (s. 257 — 60), erheblich reichere Varianten
mitteile [natürlich weil das fragment A das älteste ist, was
vom hss,-material der saga aufbewahrt geblieben ist], so wun-
dert er sich doch kurz vorher (s, 37) darüber, dass ich gerade
auf den genannten selten solche Varianten anführe, die ich
sonst übergehe. — Und wenn es sich darum handelt, ob Ivo-
rius 15 oder 12 unterkönige hatte und ob das gefolge Bran-
damons aus 300 oder 4000 mann bestand, so dürften das doch
wol Varianten von grösserer bedeutung sein, als bei der frage
dai^nach, ob Bevers 11 oder 12 ritter angriffen.
K. führt (s. 38) drei stellen in meiner ausgäbe an, wo ich
durch zu grosse knappheit (oder unvollständige formulierung)
in meinem Variantenapparat 'den arglosen benutzer irreführe".
Ich bedaure diese irrtümer sehr und brauche zu meiner ent-
schuldigung wol nur anzuführen, dass sich solche irrtümer
leicht einschleichen können. In dem zehntel der zusatzliste
K.'s, welches ich soeben untersucht habe, habe ich neun solcher
') Was den Wechsel von järnvidjum] järnrekendiim betriift, sei daran
erinnert, dass beide Wörter von besonderem interesse sind — järnridjar
eigentlich eine katachresis, järnrekcndr durch flexion — und dass keines
von diesen beiden werten so allgemein vorkommt, dass der hinweis auf
ihren synonymen gebrauch unnötig erscheinen könnte. Die anführnng der
Variante pälmari \o\i jnlagrmr ist offenbar dadurch motiviert, d&ss jiälmari
weniger in dieser bedeutung vorkommt.
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 281
felller nachgewiesen. Lächerlich ist es aber, dass K. betreffs
einer der drei stellen, bei denen er meine nachlässigkeit tadelt,
selbst den nämlichen fehler begeht. Nach meiner angäbe in
anm. 14 zu s. 257 hätten Xyd die Avortfolge: sem sjdlfr vilt Jm
hufa; und K. behauptet, dass A/d die Wortfolge haben: scm
pi( vilt sjdJfr hafa. Tatsache ist aber, dass wir beide verall-
gemeinert haben: die von mir angegebene Avortfolge gehört
Avirklich der alten pergamenths. A an, die von K. angeführte
dagegen den jüngeren papierhss. yd. Sein befremden über
•die bemerkenswerte Wortstellung', welche A hier bietet, mag
K. also selbst verantworten; wenn er das citat aus der Tröju-
mannasaga, welches er in seinem aufsatz s. 117 anführt (srd
mikit fc, scm sjdlfr hann vill), verglichen hätte, so wäre sein
befremden vielleicht geringer gewesen.
K."s listen (s. 40 — 60) der stellen wo diese oder jene hs.
mit den franz. (bez. engl, oder celt.) texten näher überein-
stimmt, würden wahrscheinlich bedeutend modificiert werden,
wenn sie einer gründlichen revision unterzogen würden. Schon
oben habe ich darauf hingewiesen, dass K. (trotz seines Vor-
behaltes auf s. 60) "das schwanken zwischen eigennamen bez.
titeln . . . und i)ersonal[)ronominibus der dritten person oder
sonstigen allgemeinen bezeichnungen' oft als beweiskräftig
anführt. Aber der leser findet leicht, dass auch andere ziem-
lich unwesentliche Wechsel zwischen den isl. liss. (abweichungen,
wie sie sich jeder Schreiber in älterer zeit zu erlauben pflegte)
als beweise gelten dürfen; daher wird einem der wert von
bemerkungen wie z. b. auf s. 40 ff. no. 2. 6. 9. 23. 26. 45. 89.
134. 137. 142. 144. 150. 162. 171. 205. 206 recht zweifelhaft.
Völlig verunglückt dürften K.'s 'beweise' aber in folgenden
fällen sein.
No. 20 behauptet K., dass die lesart dylja yd dem ccler
des französischen textes besser entspricht als sijnja B; er hat
übersehen, dass die beiden isl. verben in der hier angewanten
construction (mit object-nebensatz) ganz synonym sind (vgl.
z. b. Fritzner). — No. 25 sagt K. von der lesart in I): hdls-
hQijgva, sie sei 'eine genaue Übersetzung vom franz. v. 324
decoler; die anderen hss. haben das seltene wort in verschie-
dener weise geändert'. B hat jedoch ho<j(jvu, was eine ebenso
'genaue Übersetzung' ist, wie halshggyva, wenn es die hier
OÖ-7
CEDERSCHIÖLD
vorkommende constructiou (blosses personalobject im acc.) hat;
vgl. Fritzner 22, 176. — No. 73. Wenn K. behauptet, dass
(Iniga üt sceröit dem franz. trere le hrauuc besser entspricht
als hregda sinu svcröi B, so muss er wol (weil er zugleich das
engl, is swerd out teilte citiert) meinen, dass draga üt besser
als hn'(jöa dem trere (=^ talce out) entspreche. ^\'eiss K. denn
nicht, dass draga üt und hregda völlig synon3'm sind? Der
unterscliied ist nur der, dass hregda der allgemeinere und
ältere ausdruck ist. ■ — Xo. 7(5. Wenn sich K. vorstellt, dass
Xnnnar C dem franz. inkcs besser entspricht als pilur B, so
kommt das wol daher, dass er nur von Vigfussons (unvoll-
ständigen) angaben über püa kenntnis genommen, aber nicht
bei Fritzner 2 oder in Jon porkelssons Suppl. 2 nachgesehen
hat ; dass er vom gebrauch auf die bedeutung schliessen könne,
wie es diese beiden lexikographen getan haben, wäre wol zu
viel verlangt.
Ob einige der bei K. s. 52 — 60 vorkommenden bemerkungen
(wie die hier oben von s. 41 und 44 angeführten) von seiner
ungenügenden kenntnis des (norwegisch-) isländischen stammen,
habe ich nicht untersucht.
Ich komme nun zu K.'s versuch (s. 63), zu beweisen, dass
meine ausgäbe für lexikalische zwecke nicht hinreichend
sei. 'Der lexikograph', sagt K., 'hat Ursache, sich zu beklagen,
dem der herausgeber u. a. folgende ccjtag Xeyögtva oder wenig-
stens sonst selten vorkonmiende worte in C verschwiegen hat',
und dann folgt eine liste von 12 Wörtern.
Diese behaui)tung K.'s und sein beweismaterial sind in
hohem grade beachtensAvert; es ist wirklich der mühe wert
dieselben zu untersuchen.
Zunächst findet man durch vergleich mit K.'s eigner zusatz-
liste, dass von den 12 Wörtern nicht weniger als 8') gar nicht
der hs. C, sondern vielmehr den papierhss. yd (einer oder
beiden) entnommen sind. Dies ist ja schlimm genug — aber
vielleicht ist in K.'s aufsatz 'in C nur ein druckfehler statt
'in 7, 6 oder C?
Und wie verhält es sich mit der grossen Seltenheit der
') einvirdätga, fgÖurarfr, hjartanliga, ncerMoeÜi, smänarligr, ühvän-
gaÖr, väpnagangr, vcegÖarlauss.
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 283
von K. aufg-ezälilten 12 Wörter? Von vornherein muss man
ja staunen über die ausserordentliche gek^hrsamkeit, auf wekdie
K. anspruch machen muss, um eine solche behauptung wagen
zu dürfen. Sonst ist noch kein nordischer philologe im stände
gewesen, eine so positive angäbe zu machen, eine so grosse
anzahl Wörter, welche so jungen prosatexten entnommen, und
ausserdem (so gut wie alle) Zusammensetzungen oder ableitungen
von ganz gewCdinlichen einfachen Wörtern sind, seien '«jr«^
Xtyöf/n'a oder wenigstens selten vorkommend'.
Zur beurteihmg solcher Verhältnisse reichen natürlich, wie.
jeder nordische philologe weiss, die Wörterbücher nicht aus;
dieselben sind ja schon in bezug auf die gedruckte literatur
sehr unvollständig und nehmen nur ausnahmsweise auf die
vielen isl. texte rücksicht, welche noch ungedruckt sind;
ebensowenig hat man recht zu behaupten, dass unsere Wörter-
bücher die Wörter des heutigen isländischen aufnehmen, welche
aus alter zeit stammen, obgleich sie zufällig nicht gedruckt
oder geschrieben auftreten.
So eine ganz ausserordentliche kenntnis der gedruckten
und ungedruckten quellen, sowie des heutigen isländischen, die
erforderlich wäre, um die Wörterbücher vervollständigen zu
können — besitzt K. wirklich eine solche? 0 nein, er hat es,
wie wir sehen werden, nicht einmal verstanden, von allen an-
gaben der Wörterbücher vollständig kenntnis zu nehmen. Und
er liat eine so geringe erfahrung im gebrauch der Wörter-
bücher, dass er z. b. dröttinsvihi und f\)durarfr als 'selten' an-
führt, obgleich er selbst von beiden sagt, sie seien vorher schon
'viermal belegt'! Diese beiden Wörter sind ja zusammengesetzt
aus wolbekannten bestandteilen, deren bedeutung völlig klar
und ohne Wechsel ist; unter solchen umständen pflegt weder
Fritzner noch Vigfusson mehr als ein paar belegstellen anzu-
führen; wer glaubt, dadurch sei bewiesen, dass das wort in
der literatur nicht öfter vorkomme, der zeigt nur seine eigene
Unwissenheit. •)
A'on besonders grossem Interesse wäre es, zu erfahren,
welche von diesen Wörtern K. als ajra§ Xeyöfitva betrachtet
«) Das wort drötihisviki kommt z. b. vor FSS. 47, 16. 68, 36 (vgl.
anm. 23;.
284 CEDERSCHIÖLD
hat; nach seinen einleitenden Worten erwartet man, dass die
mehrzalil der Wörter, die er anfülirt, äjta^ Xhyö^ifva sein sollten,
d. h. dass manches von ihnen vorher ganz unbekannt sein solle
und nur an der stelle in hs. C [oder richtiger: C,7,d] zu treffen
sei, welche er citiert.
Man ist daher erstaunt, zu finden, dass er sich gleich selbst
widerlegt, da er sie offenbar in den Wörterbüchern alle auf-
gefunden hat ausser einem — hjartanliga — welches sich
übrigens nicht in C, sondern in yd findet. Und leider kann
K. auch diesem einzigen nicht das teure recht vindicieren,
äjiu^ Xi-yöf/tvov zu sein: Jon porkelsson, Suppl. 2, führt zwei
belegstellen an aus den jähren 1599 und 1601 (also ältere als
yd); derselbe Verfasser hat im Suppl. 3 drei beispiele für das
wort aus neuester zeit; ferner treffen wir das wort an bei
Gislason (dänisch -isländisches Wörterbuch unter hjcrtelig), bei
Erik Jonsson, sowie sogar bei Yigfusson.
Das wort ühvmigaör scheint K. (zwar nicht als ein äji.
Xty., aber) als ein ölg Zty. hinstellen zu wollen, da er zu ver-
stehen gibt, dass sich das wort ausser in Bev. (yd, nicht C)
nur einmal nachweisen lasse: ^bei Vigf. einmal belegt'. Jedem,
welcher einige isländische sagas gelesen hat, kommt die an-
gäbe, ükvdngadr solle so äusserst selten sein, ohne zweifei sehr
überraschend. Aber weshalb verschweigt K. das wort welches
Vigf. unmittelbar nach der belegstelle hinzufügt: 'passim^'^
Wenn K. die sache auch besser beurteilen zu können glaubt,
als Vigf., so hätte er die äusserung Vigfussons doch loyaler-
weise mitteilen müssen. Uebrigens hätte K. das wort bei L.
Larsson, Ordförrädet i de älsta isl. liss. zweimal aus dem Stock-
holmer Homilienbuch citiert finden können.
Ueber die anderen acht Wörter werde ich mich kürzer
fassen.
hrddllgr, vgl. Erik Jonsson. — einvirdiliga oder einviröu-
liga, vgl. Björn Halldörsson, Erik Jonsson, Vigfusson, Isl. ?even-
tyri (Glossar), dürfte 262,6 {yd) nicht bedeuten 'im einzelnen,
besonders', sondern 'mit fleiss, genau' (= vandliga B); vgl.
übrigens innvirdlliga {-dul-). — hreystiverk, vgl. Björn Halldorss.,
Erik Jonsson. — ncerklcedi {yö) ist wahrscheinlich eine corruptel
der vorläge (vgl. var Tdoedi BC); oder hält es K. für wahrschein-
lich, dass Bevers dem gesanten der prinzessin seine unter-
UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA. 285
kleider geben und dieser sie dann (vg-l. 221,3 — 5) der Prin-
zessin vorzeigen würde? Karllcedi ist übrigens nicht 'nur bei
B.Halldurss. erwälint', vgl. Erik Jonsson; Jon porkelsson, Suppl.3.
— skadligy, vgl. Björn Halldurs., Erik Jonsson; vgl. auch sla-
Öaligr. — smdnarligr {yd), vgl. Jon porkelsson, Suppl. 2 (zwei-
mal vom jähre 1599 belegt). Suppl. 3. — vdpnagangr (y6);
ausserdem zweimal belegt bei Fritzner 2; vgl. auch FSS, 188, 1;
K.'s Übersetzung 'waff engeklirr' dürfte kaum richtig sein, eher
wörtlich: ' Waffenbewegung'. — vmjäarlauss (yd) kann nicht
gut 'selten' genannt werden: es wird, um von Egilssons poeti-
schen beispielen zu geschweigen, bei Fritzner 2 und Vigf. als
adj. vier- (oder fünf-) mal belegt, und ausserdem wenigstens
viermal im neutr. als adv.
Auf wie nichtige gründe K. seine behauptungen von dem
vermeintlichen verlust des lexikographen gebaut hat, wird
durch das vorstehende einigermassen dargetan sein.
Etwas unklar ist K.'s Standpunkt, wenn er (s. 63 f.) mich
deshalb tadelt, dass ich an vier stellen wo B 'merkwürdige
Satzfügungen' bietet, nicht die entsprechenden lesarten aus C
oder yd vorgelegt habe, die in grammatischer (syntaktischer)
hinsieht ganz regelmässig sind. Nach dem was K. an andrer
stelle (s. 106) über eine dieser stellen (s. 248, 34 f.) äussert —
'die ganz unmögliche satzconstruction' — scheint er mit 'merk-
würdigen satzfügungeu' solche zu meinen, die nur von lapsus
calami herrühren und also hätten corrigiert werden müssen.
Diese 'merkwürdigen satzfügungeu' sind folgender art:
S. 214, 13. Der nachsatz wird mit ok (statt ^J«) eingeleitet;
s. 73 scheint K. diesen gebrauch des oJc schon etwas w^eniger
'merkwürdig' zu finden.')
S. 265, 40. Anakoluthie : nach dem conjunctionalsatze steht
im hauptsatze das verbum nach dem subject.
S. 248, 34 f. l^nvermittelter Wechsel der subjecte in drei
aufeinander folgenden Sätzen (A — B — A); honum — hann — ho-
nian bezeichnen dabei diesell)e person.
.S, 256, 49 f. Partitive apposition; vgl. K. s. 116.
K. hätte in demselben Zusammenhang s. 216, 39 erwähnen
') Eine gute beispielsaniinluiig für diesen sprachgebraucli tiudtl sieb
bei Fritzner 2», 8&(j.
286 CEDERSCmÖLD
können, "\vo die lesart in B eine etwas ungenaue anwendung-
des prononiens J)cir enthält, das hier nicht alle die vorher-
genannten (ritter) bezeichnet, sondern gleichbedeutend ist mit
})eir IUI, er eptir liföu C D. Die lesart in B nennt K. s. 42,
no. 20 'sinnlos'.
Dass solche lesarten keineswegs unbedingt corruptelen in
B zuzuschreiben sind, hätte K. z. b. aus s. 216, 32 f. ersehen
können: hier hat nicht nur B, sondern auch C und Ü Ijessir
fjörir menn = 'vier von diesen männern'. Auch diese stelle
nennt K. (s. 75) 'ganz unverständlich'.
K. hat offenbar nicht genügend bedacht, dass der altislän-
dische prosastil nicht an der modernen, schulgerechten, logischen
und correcten ausdrucksweise gemessen werden darf, sondern
dass er sich eng an die freie und ungezAvungene, ja zuweilen
nachlässige Umgangssprache anschliesst. ') Wenn von zwei liss.
mit gleichem text die eine den logisch correcteren ausdruck
hat, so darf man sie doch nicht eo ipso für die ursprüng-
lichere halten.
Was besonders die fälle von incongruenz (partitive appo-
sition u.dgl.) betrifft, welche in den von K. getadelten fällen
vorkommen, so kann man vergleichen: Lund, Oldn. ordf. § 59
anm. 3. Holthausen, Altisl. elementarbuch § 396 a; verschiedene
beispiele in den artikeln flestr und sumr bei Fritzner 2. Einige
interessante altschwedische beispiele eines solchen Sprach-
gebrauchs habe ich aus der ältesten reimchronik ('Erikskrö-
nikan') v. 1651. 1682. 2345. 3216. 4168 verzeichnet.
S. 64 anm. bringt K. fünf besserungen eines aus hs. C in
meiner ausgäbe abgedruckten Stückes. 2) Von diesen ist peir
(für ]>ier) ein correcturfehler, welcher kaum jemand irreführen
kann; yiorazt ist dagegen durchaus nicht aus 'versehen' für
herausgeschrieben worden: C liat hier (fast, und ich habe die
Verkürzung nach der schieibweise der hs. in unverkürzten
formen des verbs aufgelöst. Die behauptung K.'s, C hätte
s. 219, 9 (O/i) svo sem statt (Ok) sem, habe ich bei erneuter
Prüfung der stelle in der hs. nicht richtig befinden können.
') Vgl. Lund, Oldnord. ordfejningslsere § 187. Holthauseu, Altisl. ele-
mentarbuch § 514.
*) 'Die wenigen in ahsclmitt I gesperrt gedruckten besserungen', von
welchen K. in derselben anmerkung spricht, habe ich nicht geprüft.
UEBER DTE AÜSGAHE DER BEVERS SAGA. 287
Dagegen will ich die mögliclikeit nicht in al)rede stellen,
dass z. 34 // über der zeile geschrieben stehen kann, auch nicht
die richtigkeit bestreiten, dass z. 40 rcidu (nicht reid) aus-
geschrieben ist; aber K. hätte hinzufügen sollen, dass Jj" —
wenn es wirklich so dasteht — schmal wie ein strich ist, so
dass man die bedeutung aus dem Zusammenhang erraten muss,
sowie dass das r in rcidn fast ganz abgenutzt ist.
Man sieht, dass K. auch in solchen kleinigkeiten die feind-
liche tendenz verrät, auf deren Vorhandensein in wichtigeren
fi"agen ich hingewiesen habe und welche — nebst zahlreichen
Irrtümern — seinen sonst in mehrfacher hinsieht lehrreichen
aufsatz verunstaltet.
GÖTEBORG, Januar 1897. G. CEDERSC'HIÖLD.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
I.
Zum ablaiit der set -wurzeln.
Das ziel und die aufgäbe jeder Wissenschaft muss es sein,
Ordnung- in die fülle der ersclieinungen zu bringen. Dies kann
nur geschehen mit hilfe von hypothesen, deren wert nach dem
umfang dessen zu bemessen ist, was sie ordnen und was sie
erklären. Das hauptproblem, das sich jetzt der indogermani-
schen Sprachwissenschaft bietet, ist die darlegung und erklärung
des ablauts, und man kann wol behaupten, dass wir in diesem
punkte mder in einer neuen zeit stehen. Auf die ei)0che, in
der das ablautssystem A'erhältnismässig sehr einfach angesetzt
wurde, ist eine reaction gefolgt, deren berech tigung nicht zu
verkennen ist. Denn es stellten sich immer mehr tatsachen
ein, die sich nicht in das alte einfache Schema einfügen Hessen,
und so hat man sich in der letzten zeit auf die feststellung
der vorhandenen ablautsformen beschränkt und dabei auf jede
hypothese verzichtet. Als typisches beispiel für diese art kann
Noreens Urgermanische lautlehre gelten, deren grundgedanken
im wesentlichen auch Brugmann in der neuen bearbeitung
seines grundrisses gefolgt ist. Die ungeahnte erweiterung
unserer erkenntnis aber, die wir mit dem Verständnis der
litauisch -slavischen accentqualitäten und mit der aufhellung
der dehnstufe gewonnen haben, ermöglicht es, auch in der lehre
vom ablaut weiterzukommen.
Ich habe meine anschauungen über diese dinge IF. 7, 138 ff.
185 ff. niedergelegt, und habe bisher keinen punkt gefunden,
der mich veranlassen könnte, von dem dort gesagten abzugehen.
Das dort ausgeführte ist indessen nur ein kurzer abriss, bei
dem ich das material nur in massigem umfange anführen konnte,
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 280
und dalier will ich es versuchen, nunmehr auf dem boden der
einzelsprache vorzugehen, um hier neue beispiele anzuführen,
alte in neue beleuchtung- zu rücken. Es handelt sich hier in
erster linie um die altindischen udätta- oder set- (sait-) wurzeln,
die man auch kui'z die zweisilbig^en zu nennen pfleg-t, ein aus-
druck der aber besser zu vermeiden ist, da er zu misverständ-
nissen führt.
Zum Aveiteren Verständnis widerhole ich hier kurz die
g:rundgedanken meiner auffassuug-, deren begründung- ich in
jenem artikel nachzulesen bitte.
Es gibt im indischen zahlreiche wurzeln, die hinter der
Wurzelsilbe ein / = indog. d aufweisen. Da aber Hübschmann
in seinem Indog. vocalsystem schon vor jähren nachgewiesen
hat, dass indog. a nur die Schwundstufe eines langen vocals
ist (wovon auch trotz Bartholomae, BB. 17, 108 ff., nicht abzu-
gehen ist), so müssen wir für die vollstufen der lautgruppen
ei'd, eh, emd, end, eio, eud (ai. ari, ami u.s. w.) notwendig erä',
elä' U.S.W, ansetzen. Von diesen beiden silben musste not-
wendig eine immer reduciert werden. Lag der ton auf
der ersten, so trat als erste vollstufe er9, eh, emd, end, eia, m9
ein; als zweite erscheint {e)rä',{e)lä'= u.s.w., wobei das e einen
gemurmelten oder tonlosen vocal bezeichnet, der zum teil steht,
zum teil fehlt, was sich zweifellos nach betonungsverhältnissen
richtete. Beide vollstufen sind auch im germanischen vor-
handen, wobei zu bemerken ist, dass das d der ersten unter
unbekannten bedingungen auch fehlt.
Als Schwundstufe solcher set -wurzeln setzt man bisher
r, l, m, n, f, a an. A. a. o. habe ich mich gegen die vier ersten
formen erklärt, und an deren stelle mit Joh. Schmidt ero, eh,
emd, end erschlossen, die im germanischen als iir, ul, um, un
auftreten.
Aber auch hier gibt es eine zweite Schwundstufe. Wie
nämlich in der lautgruppe ercV das e stehen und fehlen kann,
so ist es auch mit crd u. s. w. der fall, neben denen sich rd, h,
md, nd, p, ud finden, wenn auch nicht allzuhäufig. Diese zweite
Schwundstufe, die im germanischen als ra, la u.s.w. erscheinen
müsste, ist bisher schwach belegt. A. a. o. habe ich angeführt
mhd. hraye zu lit. yürkli (acc), s. yrlo, gr. ßißQcooxco, ahd. chranuh
KeltrHKo zur ((e^cliiohte der deutschen upriiohe. XXlIl. 19
290 HIRT
zu gl", ytgavoq, lit. gerve, mhd. sivacJi zu got. shüis. Unten werde
ich weitere fälle geben.
Wie man in früheren Zeiten bei etymologieu die vocale
niclit genügend beachtete, so fehlt bis zum heutigen tag eine
genügende soi-gfalt in der vergleichung ein- und zweisilbiger
Avurzeln. Auf grund von Osthoffs ansatz einer nebentonigen
tiefstufe (MU. 4) hält man sich für berechtigt, worte mit i und i,
u und ü ohne weiteres zu vergleichen.
Statt dessen sollen uns hier folgende principien leiten.
Anit- und set -wurzeln müssen auf das genaueste unterschieden
Averdeu. i und ü, die sogenannten r, /, m, n sind nur Schwund-
stufen der set -wurzeln, i, u, r, l, in, n dagegen gehören zu
anit-wurzeln. Allerdings wecliseln auch i und u mit I und n,
aber doch nur so, dass i und u weitere, in enklitischer Stellung
entstandene ablautsformen sind (neben Jdutös steht ein ^so-
xXvTog).
Es kommt nun vor allem darauf an, die mittel zu kennen,
die es uns ermöglichen, die set -wurzeln genau festzulegen.
Dazu dient das indische mit seinem -i, das lit.-slavische mit
seinem stosston {hernas zu ai. hharlman, gerti, giirldi zu gr.
ßißQcööxco), das griechische und lateinische, wo der zweite
vocal erhalten ist. Ebenso wird eine set-wurzel erwiesen,
wenn sich die stufe II ^9?«^, trä'^ (gr. ßißQcöoxoj u.s. w.) findet.
Auf grund dieser Voraussetzungen bitte ich das folgende
zu prüfen.
A. Die zweite vollstufe trä, ptä.
Ich werde im folgenden das alte material sowie eine reihe
neuer etymologien zusammenstellen. Im indischen lauten fast
alle set-wurzeln vocalisch aus. In den europäischen sprachen
finden wir dagegen häufig Weiterbildungen mit consonantischen
dementen, die man als wurzeldeterminative bezeichnet hat.
Ich bin der ansieht, dass es sich hier um suffixale Weiter-
bildungen handelt, und werde versuchen, dies im einzelnen falle
zu begründen, soweit es mir möglich ist.
Got. 7twö/>s f. 'geschlecht', nhd. chmiat, ?Lgs.cnösl, as.hiösal,
ahd. chnuosal enthalten die stufe hnU, die die zweite vollstufe
ist zu der indog. wurzel gcne, genö. Vgl. ai. aor. djani-shla
GRAMM ATISCiHES UND ETYMOLOGISCHES. 291
V.,') tutjani-shydHY., xevh.jani-tös Y.B.S., \)M't. jä-tds, jnä-
tish 'verwanter' (dieses entspricht dem germanisclieii worte
ganz genau), gv. t-ytvö-iit^v, yei't-TcoQ, lat. geni-tor, gr. yi'7'jöiog,
yvcüTÖc; lat. nätiis und nätio enthalten die Schwundstufe -eno,
got.-kunds,hhHinahinds u.s. w. Schwierig ist das s von Jinuo-
sal Uhlenbeck (Et. wb.) deutet es aus Vcnöt-tlom. Das ist
aber unmöglich, denn -tlo- ist doch kein secundärsuffix, und es
ist daher suffix -sJa- anzusetzen, vgl. got. ])reihsl, Imnsl.
Ahd. ruodar aus *r6trom gehört zu ai. ari-tram, gr. sQtoooj,
eQE-TfH)c, lat. remus. SchAvundstufe in lit. irti, irldas 'rüder'.
Got. dröhjan 'auf rühr erregen', ahd. truohi gehört zu gr.
raQay/j 'Verwirrung' (aga = indog. erd), {hgaooco 'beunruhige',
lit. dirJcstn, dirlii (dirgnu) 'von mechanismen, in Unordnung
geraten", lit.di'rgia, dt'rlii 'schlecht wetter sein, stürmend regnen'.
Der Wechsel von gh und hh ist häufig im wurzelauslaut, vgl.
die reiche beispielsammlung bei Zupitza, Die germ. gutturale
s. 35 ff. In unserem falle wird man für das germanische von
einem *dhrö-bhä-, einem verbalabstractum mit dem suffix -bh-
ausgehen dürfen (vgl. \it. da rhas 'arbeit' zu darijti ' im\\ garbe
'ehre' zu giriii 'loben'), während für das griechisch -litauische
ein sufflLX -gha- zu gründe liegt, vgl. lit. iszeiga 'ausgang' u.s. w.
(Leskien, Xominalbildung s. 523).
Got.gredus 'hunger' stellt Uhlenbeck (Et.wb.) zu Mi. gardus
'würzig, wolschmeckend', ai. grdhyati 'ist gierig'. Da dA. grdh
eine leichte wurzel ist, und das litauische wort schleifton hat,
so geht das schwerlich an, jedenfalls für den nicht, der auf
eine etwas strengere beobachtung der ablautsverhältnisse hält.
Man wird zunächst gre-dus teilen und darin- ein altes ^«-abstrac-
tum sehen. In gre- aber steckt die zweite vollstufe zu der
indog. Wurzel *</Äere 'verlangen, begehren', die vorliegt in ai.
hary-atc 'gefallen finden, befriedigt werden', gr. -/[^aigco 'sich
fi-euen', aor. yaQ7,vca (x«(>?;- ist die nebenform zu gre), umbr.
heriest, osk. herest 'er Avird wollen', got. gairnei 'begehr', gairnjan
'begehren'. Die wurzel ist eigentlich eine ev- wurzel, die ich
demnächst ausführlich besprechen werde (abulg. •zlüdeti 'be-
gehien' hat gar nichts mit unserm wort zu tun). Man beachte
übrigens die bedeutungsübereinstimmung zwischen italisch und
') Die citate für die indischen texte sind nach der iu Whitneys Wur-
zeln augewanten weise abgekürzt.
19*
292 HIRT
germanisch. Der griechisch-indische begriff des 'wolgefallens'
ist hier zu dem des 'begehrens' weiter entwickelt.
Got. hrö-peigs 'ruhmreich, siegreich' zeigt den stamm hrü,
der zu ai. h- 'gedenken, erwähnen' (aor. aMri-sham EV., Mrtish
y.) in regelrechtem ablautsverhältnis steht. Zu gründe liegt
ein f ? - abstractum, d^w.hrödr, ahd. /w«öcZ- 'rühm', ablaut zu ai.
hirtish. Ahd. hriiom ist mit sufflx -?no weitergebildet (got.
hröpeigs mit E. Schröder, Zs. fda. 42, 68 zu got. harchis zu stellen,
kann ich mich nicht entschliessen).
Got. höpan 'prahlen, sich rühmen', höftuli 'prahlerei, rüh-
men' bezeichnet Uhlenbeck als unerklärt, hu lässt auf eine
Schwundstufe ku schliessen, die ich in gr. xvöog n. 'rühm, ehre
u. s. w.' belegt sehe. Was die verschiedenen schliessenden con-
sonanten betrifft, so bemerke ich, dass wir es, da alle diese
schweren zweisilbigen wurzeln eigentlich vocalisch auslauten,
mit verschiedenen antretenden formativen elementen zu tun
haben, j^ erscheint noch in hröpjan, tvöpjan, klaupan u. a. und
ist hier unerklärt. Ich möchte trotz Zupitza an eine herleitung
aus indog. gii denken. Die erste vollstufe liegt nicht vor.
Got. höta 'drohung', Jvötjan 'drohen' wird mit got. gahatjan
'wetzen, anreizen' verbunden. Doch ist mir dies zweifelhaft.
Als Schwundstufe stelle ich dazu gr. xvöäC,a) 'schmähen, be-
schimpfen'.
Zu got. slepan 'schlafen' gehört ahd. slaf 'schlaff, träge,
kraftlos', und dies verbindet man mit recht mit abulg. slahü
'schlaff, schwach' aus *slöhos. Dass aber lat. läbi 'gleiten'
hierher gehört, ist mir sehr zweifelhaft. Schon die bedeutung
scheint mir nicht sehr gut zu stimmen. Das wesentliche
hindernis liegt aber im ablaut. Denn ich kann mich nicht
von der existenz eines alten ablautes e — a überzeugen. Wir
lassen das lat. wort daher besser aus dem spiel. Dagegen
kann man sle-pan als zweite vollstufe zu lit. silpstu, süpti
'kraftlos werden' betrachten. Das lit. ^j ist wol durch annähme
von entgleisung zu erklären.
Got. snörjö 'fiechtwerk, korb' gehört zu ai. snävan, sndyush
'band, sehne'. Weiter gehört aber ahd. sena-wa 'sehne' als
erste vollstufe hierher, ') und schliesslich auch wol ne-pia u. s. w.
[') Aber ags. sinu, obl. simve weist auf iudog. i hin: die gewölmliclie
annähme, germ. e gehe vor n ags. in i über, ist falsch. E. S.J
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 293
Got. ])rö])jan 'üben', uspröpjan 'jemanden gründlicli unter-
weisen', usp'öpeins 'Übung-' ist nach Ulilenbeck unerklärt.
Das verbum ist secundär, wir kämen also auf *])ruj>-, eine
^ableitung der wurzel pro. ICine solche liegt vor im ai. tr
'übersetzen, überschreiten'. Sie war schwer: tlrnds V., aor,
tärisliat Y. B. S. u. s. w. Im griechischen hängt damit xQrj ■ y.a
'bohrung', rixQaa) 'bohren' zusammen. Ferner: xiqtxQov 'boh-
rer'. Ich glaube, daraus lässt sich die germanische bedeutung
verstehen, indem man von dem 'durchdringen' ausgeht. Im
slav. entspricht formell irat'di 'verbrauchen' ganz genau, und
auch hier ist die abweichende bedeutung zu begreifen, wenn
man an unser 'aufreiben' denkt.
Got. u'röhjan 'anschuldigen, anklagen', tvrühs 'anklage' ist
unerklärt. Sämratliche übrigen germanischen dialekte weisen
g auf, vgl. an. roegja 'verleumden', ags. tvregan, afries. ivrügja,
as. ivrUgian, ahd. mögen, so dass vielleicht die Vermutung nicht
abzuweisen ist, das got, li sei secundär. Dann aber würde
sich ungesucht zur vergleichung got. ivargipa ' Verdammnis',
wargs 'geächteter Verbrecher' bieten. Aus dem lit. gehört
hierher vergas 'sklave', während vargas 'not, elend' vielleicht
entlehnt ist. Ist aber das h alt, so dürfen wir ein altes *tvröM
voraussetzen, das zu gr. fgi] in fQtjxcoQ 'redner' u.s.w. ge-
hören könnte. Vgl. die bedeutungsentwicklung unseres 'zeihen'.
Suffix -ha me in gr. d-T]-xi]. Zu indog. *ure kann übrigens
got, waürd, lat, verhum, lit, varclas nicht unmittelbar gehören.
Ahd. (Iräjan 'drehen', an. präör 'faden' gehört zu gr.
TQTjxoc, xtQEfjvov 'bohrer', air. tarathar s. o.
Ahd. grät 'gräte, hervorstehende spitze an ähren, disteln,
Unebenheit, rückgrat, bergrücken' gehört wol zu gr. xf^Q^oocu
'spitze, kerbe, scheide ein', lit. zirUes 'schere, krebsschere'. Die
wurzel hat verscliiedene erweiterungen.
In ags. krüf ' dach des hauses, spitze, cacumen ', engl, roof
'dach, decke' stellt hrö vermutlich die zweite vollstufe dar zu
gr. xtQuq, ai. (jiras, lat. cerehrum. Dazu auch wol as. hrüst
'dachgesperre'. Rg^Jiröst, vielleicht auch got hröt 'dach'.
Ags. hrör 'rührig, lebendig', ahd. ruora 'bewegung, er-
regung', krörjan, ruoren 'rühi'en, in bewegung setzen, antreiben'
ist bis jetzt unaufgeklärt. Denn die Verbindung mit got.
hrisjan 'schütteln', die Kluge annimmt, scheint mir mehr als
294 HIRT
zweifelhaft. Die stufe hrö ist m. e. deutlicli die zweite voll-
stufe zu g\\ xtQa-^ai, xsQavvvfii 'mische' diis xeQaö-vvfii, das
weiter in ai. rrlndii 'mischen', rrä 'kochen, braten', part. rrätds
u. s. w. vorliegt. Ahd. hruorjan ist wol aus "^hrüsjan entstanden
(s. besonders auch Bugge, Norges indskrifter med de seldre runer
s. 98), wobei das ,9 mit dem 0 von gr. xsQccvvvfu zu ver-
gleichen ist.
Ahd. hruoh 'krähe, häher', ags. hröc hängt mit gr.xoQa^,
U.S.W, zusammen, vgl. unten rabe.
Ahd. chrön 'garrulus', chrönnan 'garrlre, plaudern, schwa-
tzen', stellt sich zu ahd. queran und weiter zu ai. gr 'singen',
grnätiY., -garitrB.S., \it. girti.
Ahd. miiodi habe ich Beitr. 22, 229 mit gr. xc'maxoq ver-
glichen: eine Vermutung, die übrigens auch früher schon geäussert
ist. Die zweisilbige wurzel ist sicher.
Ahd. gräo, grüives, ags. grcBj, aisl. grär 'grau' führt auf
einen urgermanischen stamm greiva, dessen erklärung noch
aussteht. Wir dürfen ohne bedenken gre-wa trennen, und dieses
gre gehört zu einer wurzel, die in gr. xaQOJtoa 'strahläugig',
lit. zereti 'strahlen', abulg. sircti 'glänzen, sehen' vorliegt. Die
bedeutung dürfte sich aus der natur der dinge erklären. Auch
wir sprechen von 'grauem' haar dann, wenn sich weisse glän-
zende haare einmischen. Das suffix ist das bekannte farben-
SUffix -MO.
Mhd. vluor mit seinen entsprechungen im germ. stellt sich
zunächst zu air. Zar 'estrich'; weiter zu apr. ^jZow/* 'tenne', lit.
Xilonas 'flach', lat. planus. Als erste vollstufe ist dazu zu
rechnen gr. jiiXavoc, jitXayog und vielleicht ahd. fehl n. 'fehl,
boden, fläche, ebene'.
Ahd. brätan 'braten', bräto 'weiches essbares fleisch' ver-
bindet Kluge, Et. wb.^ mit gr. jTQfjOco 'verbrennen', wogegen
sich aber bedenken erheben. jTQr/iho müsste nämlich aus
*rpQddco, *bhre-clhö entstanden sein, was unmöglich ist, da
j[QT]lho7 nicht von jüimQina getrennt werden kann. Ich brauche
also nicht auseinanderzusetzen, dass die bedeutungen eigentlich
nicht stimmen und schwerlich zu vermitteln sind. Man muss
daher eine andere anknüpf ung suchen. Als altertümlichste form
dieser sippe scheint mir ahd. hrät n. 'weisses essbares fleisch',
ags. brced f., an. bräd angesehen werden zu müssen, und dies
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 295
sieht dann offenbar wia eine ^-ableitung einer wurzel *br6
aus. Da wir aber germ. *hre auf "^mre zurückführen können,
so halte ich *mre für die zweite vollstufenforni zu alid. maraivl,
muruivl, das längst mit gr. fiaQcdvco zusammengestellt ist, vgl.
unten s. 299. /jaQah'co heisst 'das brennende auslöschen, er-
sticken, von krankheiten ausdörren, aufreiben, verzehren, ver-
nichten', sozusagen also 'mürbe machen", was auch hräten be-
deuten müsste.
Ahd. hläo, gen. hläwes 'blau' wird gewöhnlich mit \a,t.flävus
'blond, gelb' verbunden, indem man anninnnt, dass es wie so
viele farbennamen seine bedeutung geändert habe. Ein solcher
Wechsel kommt gewiss vor, sogar ziemlich häufig, aber immer-
hin hält er sich innerhalb gewisser grenzen. Die bedeutungen
'grün und gelb', 'schwarz und blau', 'rot und schwarz' gehen
wol in einander über, aber zwischen 'blond', 'gelb' und 'blau'
liegt eine kluft, die nicht so leicht zu überbrücken ist. Geht
man näher auf das lateinische wort ein, so wird man es
schwerlich von hclvns 'gelb' und fidvus trennen können. Es
ist hier nicht der ort diese ausdrücke zu behandeln. Ich be-
merke nur, dass es zwei indog. wurzeln yhel und gJmel gibt
mit ähnlicher bedeutung, und zu diesem gehört auch lat. fläviis.
Aber auch davon abgesehen ist die Übereinstimmung zwischen
lat. flävus und ahd. hläo gar nicht vollständig. Denn letzteres
geht doch auf *bk'iva zurück, und lat. flävus muss auf *//ät'o
oder *fel9uo zurückgeführt werden. Ersteres halte ich für aus-
geschlossen, da ein alter ablaut e — ä nicht existiert, letzteres
wäre möglich. Aber es bietet sich jetzt auch ein anderer
weg, das germanische wort seiner bedeutung mehr entsprechend
zu erklären, indem man in hie ein indog. mlc sieht (über diesen
lautübergang s. u.), und das wort mit gr. fiiXag 'schwarz' ver-
gleicht. Vgl. unten hlak Die entsprechung des griechischen
Wortes im preuss., meine, bedeutet 'blauer flecken', hit melynas
'blau', nieline 'blauer flecken', gehört auch hierher, so dass
also die bedeutung tadellos erklärt ist.
Ahd. ivät f. 'kleidung, rüstung' gehört zu \it. liuclmi, diisti
'weben' aus ciubcI. Zu diesem ansatz stimmt nun die 'avestische
Wurzel vacV 'sich kleiden' nicht, von der Kluge in allen auf-
lagen des Et. wb. das germanische wort ableitet. Diese wurzel
vad existiert aber gar nicht, Bei Spiegel, ^'ergl. grainm, der
296 HIRT
altiranischen sprachen s. 127 heisst es: 'streichen möchte ich
2. vad, kleiden, das Justi für fravadhemna (Yast 5, 126) an-
genommen und mit skr. vad, vdndatc zweifelnd verglichen hat;
ich lese an der genannten stelle fravaedhemna und betrachte
es als causativum von vid, ebenso Harlez.' Um ganz sicher
zu gehen, wante ich mich um auskunft an dr. W. P^oy, der mir
die richtigkeit der vorstehenden ausfülirung völlig bestätigte.
'An der einzigen stelle, wo nach Justi eine wz. vad »kleiden«
vorliegen soll, Yast 5, 126, ist mit den besten handschriften
(F 1, Pt 1, E 1) fravaeddnina zu lesen, während nur ganz flüch-
tige fravaddmana haben, fravaeödmna fem. »die kundige«, wie
sonst vaeddmna, auf ArdvT Süra Anähita bezüglich.' Germ, tvät
und lit. diidmi stehen in ganz regelrechtem ablautsverhältnis.
Got. wöhrs 'zunähme, gewinn, wucher' ist die zweite voll-
stiife zu got. ivahsjan, aukan, lit. dugu. Im ablaut entspricht
genau ai. väjas m. 'ki^aft'.
Ags. wröt 'rüssel', ahd. *ruosü, ags. ivrutan 'wühlen, auf-
wühlen', ahd. riiozjan 'aufwühlen, der pflüg, die erde', lässt
eine vorgerm. wurzel iü-ä''d erschliessen. Den Zusammenhang
mit ^tvurseV bezeichnet Kluge im Et. wb. s. v. als unwahrschein-
lich. Da indessen dieses wegen lat. rädix eine set- wurzel
voraussetzt deren zweite stufe uröd wäre, so ist die morpho-
logische Übereinstimmung tadellos. Und auch die bedeutungs-
vermittlung bereitet keine Schwierigkeiten, wenn man an unser
zinken oder hakennase denkt. Auch unser haken, ahd. hake
'haken' (aus häkke) gehört wol zu lit. smkms 'wurzel'.
Got. wöds 'besessen, wütend', ahd. tvuot (germ. st. *tvödi-)
'wut, raserei' verbindet man mit lat. vätes 'gottbegeisterter
Sänger', air. fdith 'dichter'. Wegen ags. ivöd (germ. st. ^ivöpa-)
'stimme, gesang', an. öör 'poesie, gesang', wird sich die bedeu-
tung 'wut' erst aus der von 'religiöser raserei' entwickelt
haben. Llhlenbeck stellt das wort zu avest. aipi-vat, ai. api-vat
'geistig anregen, verstehen', ebenso Kluge. Dagegen erheben
sich aber verschiedene bedenken. Zunächst ist ai. cat eine
leichte wurzel. Wegen lat. vätes haben wir es aber mit altem
a zu tun, wir müssten also im indischen ein *vit finden.
Darüber komme ich nicht liinweg. Auch die bedeutung maclit
Schwierigkeiten, vat kommt nur in der Verbindung mit api vor
und bedeutet 'geistig empfangen' als caus. 'geistig einflössen',
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 207
'anregen, beleben'. Die grundbedeutung von vat kennen wir
also gar nicht. Denn so wenig wir aus deutsch 'verstehen'
ein Simplex 'stellen' mit einer geistigen bedeutung erschliessen
k()nnen, so wenig dürfen wir das für das indische. Und wie
soll man von der bedeutung 'geistig empfangen' zu der euro-
päischen kommen? Diese vergleichung ist also jedenfalls auf-
zugeben. Und das würde auch nichts schaden, selbst wenn
wir keine andere erklärung aufstellen könnten. Das folgende
möchte ich mit aller reserve vortragen. Wir haben im indi-
schen eine wurzel, zu der das germanische wort in der bedeu-
tung ganz genau stimmt, das ist M.livä, hu 'rufen'. Ein *hvätas,
das im indischen allerdings nicht belegt ist (dafür hatds) Avürde
dem germanischen *wöj)a- genau entsprechen, da im germ. ghi
zu tv wii'd. Dann müssten wir aber lat. vätes, air. fdith vom
germanischen trennen, wegen lit. zveris, lat, feriis, wozu man
sich schwer entschliessen wird. Möglich wäre es ja, dass man
für das lat. und kelt. noch einmal besondere bedingungen fände,
nach denen sich der schwund des gli erklären Hesse, aber eher
wird man annehmen dürfen, dass im germanischen zwei wur-
zeln zusammengefallen sind.
Ags. hlöwan, ahd, hlöjan 'brüllen' gehört zu gr. xixXi^oxm,
xi-xXtj-f/ai, lat. clämo, und weiter zu gr. xaXlw, lat. calendae,
w. halä'^, ahd. halön.
Nhd. sprühen, ahd. ^spruojen, dazu spreu, gehört zu lat.
sprcvi, gr. ojieiQw, aöjräQtjv, lit. spirti, sjnriü 'mit dem fuss
stossen'.
Gotjer, abulg. järü 'fi'ühling' mag mit aier in av. ayare
'tag', gr. ctQioxov {djiQLOxov) 'frühstück', got. air zusammen-
gehören.
Dies sind die beispiele die ich mir gelegentlich .notiert habe.
Dass bei angestrengtem suchen noch zahlreiche andere zu
finden sind, das scheint mir zweifellos zu sein. Diese werden
vorläufig genügen.
B. Die erste Schwundstufe erd, eh u.s.w\ {f, V).
Streitberg hat IF. 6, 141 zu zeigen versucht, dass die indog.
sogenannten kui'zen und langen silbischen nasale und liquidae
im germanischen unterschiedslos zusammengefallen seien. Wenn-
gleich ich von der richtigkeit dieses satzes zweifellos überzeugt
298 HIRT
bin und IF. 7, 193 ff. auch den grund angegeben habe, weslialb
die saclie so sein muss, so hat ihn doch Brugmann in der neuen
aufläge seines Grundrisses nicht angenommen. Er hält viel-
mehr ar, al, am, an für die regelrechten Vertreter der im titel
angeführten lautgruppe, und lässt daneben 'vielleicht' ur, ul,
um, KU als entsprechungen zu. Da Streitberg nur ein paar
beispiele herausgegriffen hat, so ist er selber daran schuld,
wenn ihm Brugmann nicht glaubt. Im folgenden werde ich
das zur beleuchtung der frage dienende material anführen,
das ich gesammelt habe, und dann auf die von Brugmann an-
geführten beispiele eingehen,
1. Indog. erj (f) liegt vor in got.Jcaürn, \?it. (jrämtm, lit.
iirnis, serb. zrno.
Got. waürts, lat, rädix. Mit gr. gadafirog 'schoss' kann
got. waürts nicht verglichen werden, da Qa hier gleich indog.
rd ist, wie in vielen anderen fällen. Jedenfalls würden, wollte
man sie doch zusammenstellen, zwei verschiedene formen der
Schwundstufe vorliegen. Als zweite vollstufe gehört wahr-
scheinlich ags. «tTö^ 'rüssel' (oben s. 296) hierher.
Got. liaürds 'tür', ahd. hurt 'flechtwerk', lat. crätcs. Gr.
xc'iQTaloQ 'korb' liegt in der bedeutung schon ferner, während
haürds und crätes sogar in der flexion stimmen. Als vollstufe
könnte man got. hröt 'dach' dazustellen, für das aber auch
andere deutungen möglich sind,
Got gatailrps, ahd, ^orw, Sii.vi-dlrnas 'geborsten, gespalten',
lit. dürti 'in etwas stechen';
ahd, liornaz, lat. crähro, lit, szirszlius (acc, plur.), serb.
srsljen;
ahd. soraga f. zu lit. sergiu, sergmi 'hüten', sdrgas 'hüter*,
russ. storoza 'wache', ai. sürlish 'sich kümmern', praes. sürlcshati
B. S., sUrJcsJiga B.;
got, maurgins, ahd, morgan zu lit. merJcti 'mit den äugen
blinzeln', gr. dfiaQvoao) 'funkeln, schimmern', lit. hrelszta 'es
tagt", mirlcsnis 'der blick, ein einmaliges blicken mit den äugen',
mirJcsiu 'blinzeln'. Dazu als zweite Schwundstufe got, hrah
'blinken, zwinken';
ags. forma, lit. pirmas gegenüber got. fnima, gr, jr^a^j/oc;
oder ist fr am gleich dem griech. wort?
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 200
got. (jafaürds zu gr. jctQam, jcoqevw, riiss. porömu, poröma,
serb. prdm, präma 'scliiff' ;
got. paih-p könnte zu lit. trohä -gebäude' gehören und
würde alsdann auf "^tcv^b zurückgeben. Doch ist dies nicht
sicher, da auch andere etymologien möglich sind, vgl. Uhlen-
beck, Et. wb. s. v. (immerhin bleibt es für mich die wahrschein-
lichste erklärung);
ahd. muruivi neben maraivi 'mürbe' zu gr. fiagaivo) 'ver-
zehren, liinschwinden'. Dass in gr. fiagcuvo) eine zweisilbige
basis zu gründe liegt, ergibt sich aus ftaQct-Oftoq; ob ai. mrnäti
'zermalmt', mürnds hierher gehört, ist zM^eifelhaft, da ai. r auch
indog. l sein kann. S. o. s.294 hräten;
ahd. duruh, as. thurh, ahd. diirhil 'durchlöchert', gotpairh.
Hierher gehört auch got.pairkö 'loch' = gr, TQcöyXr], das also
auf eine zweisilbige schwere basis zurückgeht. Zu gründe liegt
die indog. wurzel terä'' 'durchbohren', gr. rirQtjfti, von der mit
suffix -ka {gv.d-r'j-xr], ?ii. dhä-kas) ein substantivum abgeleitet
ist, von dem in Jxiirh und *J)urh ein casus vorliegt.
2. Indog. el^ (l) liegt vor in got. fulls, ai. pürnds, lit.
pünas, serb. jH(w;
got. icülla, ai. ürnä, lit. vilna, serb. vuna, lat. läna^
'dM. (jidulf, lat. latus, gr. ril/yroc,') lit. tüti 'still werden';
ags. molcen n. zu got. müuks, lit. meUu, serb. nmza 'das
melken" aus nnl;"^)
ahd. folma, air. läm, gr. jraXdf/7j\
^) Ich möchte mich jetzt mit grösserer entschiedenheit dafür aus-
sprechen, dass im griechischen rü, lä (die ja auch von der theorie gefordert
werden) die Vertreter von ers, eb sind neben «(>«, «A«. Wenn man in
O^ävaroQ und ö-v»/to'§, in aü/uazog und -x/utjtÖq dieselbe ablautsstufe sieht,
so muss man auch rä/.aq und no/.vx'/Mi einander gleichsetzen. Dazu kommt,
dass got. ßulan ein e-verbum ist, womit lit. tyle'ti 'schweigen' überein-
stimmt. Ein ablaut e — ä ist aber m. e. im indogermanischen nicht vor-
handen gewesen, und das lit. -germ. wort hat altes ?. Man vgl. ferner
xQüuiog, ai. rlrshatäs neben i^uQU, gr. iQÜvi'jq zu T()tji(K, ahd. gedrät, gr.
i}(füvoc, lat. fritus (Bechtel. Hauptprobleme s. 213. H)2).
*) Dass got. miluks zu gr. yäXa, yülaxxoq gehört, ist für mich un-
zweifelhaft. Das m des germ. kann von ahd. meldian entlehnt sein, während
das gr. y alt wäre. Gehören ahd. «ie?c7tan, X&i.rmdgere, gr. d/ue?.yeiv, ai.märj
zusammen, so ist der Zusammenhang mit milukn bedenklich, weil mcJg eine
leichte wurzel ist.
300 HIRT
ags. molda 'köpf, gr. ßXoi^QÖQ 'hochgewachsen', ai. mur-
dlidn 'höhe';
ahd. woZfo, got. mnlda 'staub' zu \it. ni alt i 'mahlen', russ.
molöfi, lit. 7)iütai 'raehl';
&n. sJculd, SLS. shuld, ai. 5/Ji«Z/-to B +. 'taumeln, stolpern',
lit. sMti 'in schuld geraten';
got. kulj)s 'hold, gnädig', eigentlich 'geneigt', lit. hdlnas
'hügel';
ahd, ivolcha f. 'wölke', lit. vilgau, vihjyti 'befeuchtend glät-
ten', serb. vtaga ' feucht igkeit';
aisl. fold f. 'grasfeld, triff, ags. folde f., as. folda 'erde,
land' gehört zu ^M. feld, das wir oben zu /?ttor gestellt haben.
3. Indog. eud, emo (n,m) liegt vor in got. Jcmijjs, lit.
paiintas;
got. himinakunds, lat. nätus, lit. zcntas, serb. zet;
ahd. gimd 'kämpf, lit. ginti 'wehren', ai. ghätds 'tötend'.
Hier kann auch ii angenommen werden, vgl. ai. hatds, lit ginczas
'kämpf, gr. ^arög;
B,n.])ungr, lit. tingüs, daneben aber tinkstu, tingau 'träge
werden', serb. üSki und Uski, comp, tezi, aber Usak, tesko; un-
sicher;
mhd. gespiinst, lit. pinti 'flechten';
ahä.wtmsc 'wünsch', Sii. väüchatiY. 'wünschen';
ahd. tvunna, ai. -vätas Y.B., aor. vani-shat AY ., fut. vani-
shyate S.;
ahd. zunft ist verbalabstractum zu zeman, das man nebst
zahm mit lat. domäre, gr. öafiäco, ai. dam verbinden muss. Die
indog. Wurzel dam ist aber eine sct-wurzel, vgl. lat. domitor,
gr. dccf/arcüQ, ai. dami-tr RV. Der stufe zun entspricht ai. däm-
tdsB-\-, gr. d-öä^ia.xoc, bez. 6fi7jT6g. Auch wenn das wort
zur Wurzel 'bauen', gr. ötfico gehörte, so würde es ebenfalls
auf zweisilbigkeit zurückweisen, vgl. gr. difiag, lat. dome-sticus;
ahd. sumhir, mhd. siunhcr 'korb, getreidemass', lit. scmti
'schöpfen'.
Damit ist vorläufig mein material erschöitft, und ich denke,
es genügt auch. Es liegt eine solche fülle zweifelloser bei-
spiele vor, dass sicher die Vertretung von indog. ero u. s. w. durch
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 301
ur, ul, im, um anzuerkennen ist. Könnte man im einzelnen
fall auch annehmen, es hätten doppelformen bestanden, geg-en-
über der menge der auftretenden beispiele versagt diese mög--
lichkeit.
Wenden wir uns nun zu Brugmanns fällen und dem was
man noch weiter beigebracht hat.
Zunächst wird es sich nie beweisen lassen, dass in germ.
ar, al, am, an indog. f, l, m, n stecken, da ja a der Vertreter
von 0, a, d, ö und a sein kann. Wir haben also so viel mög-
lichkeiten, gegebene formen mit ar u.s.w. zu erklären, dass
wir immer darauf verzichten können, auf die andere instanz
zu recurrieren. Wir würden letztere vielmehr nur dann an-
erkennen müssen, wenn wir eine reihe evidenter gleichungen
anträfen. Solche aber finden wir nicht.
1. Germ. ar.
Got. arms, arm. armukn, lat. armus, abulg. ramo, serh.i'amo,
ai. Irmas, av. aromö, preuss. irmo. Brugmann erklärt alle diese
formen aus einer einzigen ablautsstufe, indem er auch in abulg.
ra den Vertreter von f sieht. Letzteres ist nun ganz ent-
schieden abzulehnen. Der annähme von ablaut steht hier
ebensowenig etwas im wege wie bei lit. htrzas gegenüber ai.
hhürjas, lit. dntis, ahd. anut, lat. anas gegenüber ai. ätish, gr.
VTJoöa. In dem a von lat. armus sehe ich altes a bez. d für
den fall, dass die grundform dieses Wortes *örmos wäre.
Ebenso geht aisl. gröiigr, gall. Ärduenna, lat. ardtms auf
indog. "^ardh oder *drdh zurück.
Ahd. art 'art und weise', lat. ars, artis, zu ai. rtdm 'rechte
art, gebühr'. Das beispiel stimmt nicht, da im indischen kurzes
r vorliegt. I^nd ausserdem fragt es sich, ob man das germa-
nische wort nicht mit an. arJr 'pflüg', got. arjan, lat. aräre,
gr. agoM zusammenbringen muss. Im ahd. ist art in der oben
von Brugmann angegebenen bedeutung unbelegt. Es erscheint
art f. 'ackerung, pflügung'; dazu arton 'bewohnen, bebauen',
ferner as. ard m. 'wohnort', ags. eard m. 'wohnung, lieimat',
an. (^rö 'ernte, ertrag'. Aus der bedeutung 'grund und boden'
hat sich dann ganz natürlich die der 'herkunft, der art' ent-
wickelt, wie schon das Mhd. wb. richtig annimmt.
Ahd. fart 'fahrt' gegenüber got. yafaürds 'Zusammenkunft'
302 HIRT
kann gewiss nicht in betraclit kommen, da es selir walirscliein-
licli eine neubildung ist. Die beiden Wörter verhalten sich
genau wie ahd. slaht zu got. slaühts, wie mhd. traht zu älterem
truht, vgl. darüber v. Bahder, Verbalabstracta s. 65. Da ein u
in der ablautsreihe der sechsten verbalklasse nicht mehr vor-
kam, traten neubildungen nach dem participium ein.
Ahd. zart 'lieb, fein, schön' würde wider nicht direct zu
ai. ä-drtas 'rücksichtsvoll, mit rücksicht behandelt, geehrt'
stimmen. Die beiden Wörter verhalten sich vielmehr wie ai.
mrtcis zu mär las 'sterblicher, mensch', gr. fiogrog, wie gr.
u-ioto^ 'unbekannt, unkundig' zu abulg. vestu 'bekannt', wie
*it6s zu ai. Mas 'eilend', gi\ olroc; 'geschick' u.v.a.
Ahd. garha 'garbe' zu lit. grepti, gröpti 'fassen, raffen'
kann ebenso wie sparhe, ags. spearca 'funke' zu ai. sphürjati
'prasselt, zischt' o-vocalismus haben, der ihnen als ä-stämmen
auch zukommt.
Das sind Brugmanns beispiele, zu denen man noch andere
hinzufügen könnte: ich tue dies, indem ich dem leser die rich-
tige erklärung überlasse.
Ahd. harn, daneben -hern, lit. hernas.
An. hgrh; ndd. horke zu ai. hhürjas, lit. herzas. Gerade
birkenrinde wii'd im haushält der Litauer und Slaven noch
heute vielfach benutzt, so dass diese gleichung culturhistorisch
tadellos ist.
Nhd. garn, lit. zdrna 'darm'.
2. Germ. al.
Ags. wielm, wylm, QhA..ivallu, ai.Urmish 'woge', m-varomish
'woge', aber lit. vünis.
Got. untüa-malsks 'unbesonnen', ai. mUrJchäs 'stumpfsinnig,
dumm, unverständig', lit. lett. mülkis 'einfältiger, tropf. Man
kann natürlich malsks ebenso wie tvalm auf o- stufe zurück-
führen.
Ahd. spaltu zu got. spilda 'schreibtafel', ai. spUufaU, phd-
lati 'er birst', nbret. /att^ 'fissura' ist ganz unsicher; m. phalati
kommt erst im epos vor, daher ist auf phalita kein verlass.
Das nbret. wort kann ich nicht beurteilen.
k\\i\.. scaltu 'ich stosse' zu sciltu 'ich schelte' kann natür-
ÖEAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 303
lieh 0-vocalismus haben. Ebenso g'ot. ivaliki, alul. ?ra?/^tf 'ich
walte, liersche', lit. veldn 'ich regiere' {veldii nach Nesselmann).
Ahd. ivahii 'ich drehe mich', lit. velih, velti 'walken'.
Got. Tcalds, ahd. halt zu aisl. Iculde, lat. gelidns; Jcalds ist
ein participium zu dem in an. lala, ags. calan 'frieren' yüi--
liegenden starken verbum, und unterliegt daher im gegensatz
zu aisl. hdde dem verdacht einer neubildung-.
Wie man sieht, haben wir es abgesehen von den beiden
ersten beispielen durchaus mit verben zu tun, und ehe daher
die g:anze bildung dieser verben nicht aufgeklärt ist, können
wir sie schwerlich als hinreichende stütze benutzen. Da Brug-
mann auch bei n sich zum teil auf verben stützt, verschieben
wir die erörterung dieser praesensbildung-, bis wir alle beispiele
zusammen haben.
Hierzu noch galla, gr. x^^-
3. Germ, an, am.
Ahd. hamma 'Schenkel', ags. hamm 'kniekehle', nd. hamm
'bergwald' zu gr. xvriurj 'Unterschenkel, Schienbein', xvtjfioc;
'bergwald', air. cnähn 'knochen'. Es kann natürlich ablaut
vorliegen (aus dem lit. gehört wol noch llnJca in Samog. 'knie-
kehle, hesse' hierher).
Ebenso in ahd. sant, aisl. sandr, gr. a^a&oc
Got. (jayyan, ahd. yanyan 'gelien', lit. zenyiü 'ich schreite'.
Letzteres hat kurzen vocal, vgl. zeükti, zinksnis 'schritt'.
Ebenso Sii.javyha 'bein'.
Dasselbe gilt von got. blandan, ahd. Uantan 'mischen', got.
Wmds 'blind', lit. hlendziü's 'ich verfinstere mich'. Diese beiden
beispiele sind also überhaupt zu streichen.
Die wurzelstufe der oben genannten und einiger andrer
verba bietet nun in der tat ein noch ungelöstes problem, aber
mit dem ansatz von f, l, n werden wir diesen knoten nicht
lösen. Zweifellos haben aw es in einigen fällen mit e/o- wur-
zeln zu tun. Wie kommen aber diese zu ihrem o-vocalismus
im praesens ? Weshalb heisst es got. nicht *yiyyan entsprechend
lit. zeükti, weslialb nicht hlindan entsprechend lit. hlendzius?
Von der verbalflexion aus kommen wir zu keim:!r lösung, wir
müssen uns also an das nomen wenden.
304 HIRT
Got. saltan, lat. sdllere gehört nun unzweifelhaft zu lat. sdl,
got. Salt, und seiner ganzen art nach können wir dies verbum
nicht anders denn als denoniinativ fassen. Audi Brugmann
hat Grundr. 2, 1038 schon auf den Zusammenhang hingewiesen,
der zwischen den nominalen bildungen auf io, t und den yerben
mit i)raesenssufiix -to besteht. Man vergleiche z. b. ai. dyu-t-änas
neben dyötate 'leuchtet' mit dem nomen dyut, d-ceti, cifänas
neben cetati mit dem nomen elf, ydtänas, yatänds mit yat. Da
aber nacli der einleuchtenden erklärung von Streitberg, IF. 3,
340 ff. diese nomina uralt sind, so werden die verben denomi-
nativ sein. Ich glaube daher dieses auch für die germanischen
verben aimehmen zu dürfen.
Zu lit. zengiü 'schreite' gehört ganz regelrecht mit o-voca-
lismus got. gaggs 'gang', an. gangr, as. ahd. gang. Davon ab-
geleitet oder beeintlusst got. gaggan, eig. 'einen gang tun'.
Zu gr. jttQäv 'durchdringen, hindurchgehen' gehört regel-
recht gr. :to(>oc 'gang, durchgang, Übergang', ahd. far, mhd. var
n. 'ort am meere, see oder ströme', wo man an-, aus- oder
überführt; davon abgeleitet far an 'sich von einem ort zum
andern bewegen, gehen, ziehen, wandern' u.s.w.
Zu abulg. greha 'grabe, schabe' gehört regelrecht abulg.
grobü, ahd. grab 'grab', as. grab, ags. srcef. Wegen got. gröba
liegt aber der verdacht nahe, dass wir es im abulg. mit einer
entgleisung zu tun haben.
Ebenso dürfte dies bei got. Icalds in erwägung zu ziehen
sein, wegen ahd. cJmoli Wir hätten es mit ablaut ö — 3 zu tun.
Got. mahn, lat. molere gegenüber abulg. mclja müsste durch
ein "^mala veranlasst sein; vgl. aber auch lii.mdlti
Ahd. spaltan 'spalten' würde ich mit Schade von sjmlt 'der
spalt' ableiten; ahd. walzan von ivalza 'pedica, decipula'; ahd.
scaltan von scalta 'schiebestange'.
Die eine tatsache, glaube ich, können wir feststellen, dass
neben den meisten der genannten verben ein nomen steht,
dessen o-vocalismus wir erklären k()nnen, und die annähme
einer angleichung des verbums an den vocalismus dieses nomens
würde die ansetzung eines langen r, n, l umgehen lassen.
Sollte es nun ein zufall sein, dass von den meisten dieser
verben im gotischen das perfectum gar nicht belegt ist? Von
gaggan fehlt es bekanntlich ganz, aber auch zu hlandan, faran,
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 305
nialan, sdltan ist keins belegt; spalian, scaltan, ivaUan stammen
übeiiiaupt erst aus dem alid.
Ich glaube, man wird daher die ergebnisse des aufsatzes
von V. Fierlinger, KZ. 27, 436, auf den sich Brugmann haupt-
sächlich stützt, als verfehlt bezeichnen dürfen. Die wenigen
beispiele die nach abzug der verben noch übrig bleiben, können
ninnnermelir erweisen, dass ar, al, am, an im germanischen
die Vertreter von indog. f, l, fn, n sind. Auch der ausweg, den
Uhlenbeck, Beitr. 18, 501 eingesclilagen hat, ist für mich nicht
gangbar, da ich Bartholomaes lehre, dass » auch in der e-reihe
anzuerkennen sei, nicht für richtig halte; wol aber kann germ.
a in einigen fällen ein a vertreten, es ist indessen dann die
Schwundstufe eines langen vocals.
C. Indog. r9, h, md, no, jd, ip als Schwundstufe
der set -wurzeln.
Unter welchen bedingungen diese Schwundstufe ins leben
getreten ist, lässt sich noch nicht sicher ermitteln. Ein factor
ist jedenfalls die enklise gewesen. Da ich IF. 7, 211 nur wenige
belege gegeben habe, so sei es mir gestattet diese lücke etwas
auszufüllen.
Zu jTtTafiai, artjträv, ai. pati-ids AV., ahd. feda-ra gehört
gr. tjtra-TO, jtzäfiti'og, ai. pa-pti-ma\ zu telä, gY.rsXa-fKov, erXfjV
stellt sich Tk-rXa-d^i, n^-rXa-f/trai, zu fhihm-rog, i^i^r^-xoc, —
xi i>va-d^i, Tt-i>rä-f/ti'ai; OxQa-xöq zu öxoQt-i^vvfii, OxQcoxög; gr.
^ä-öaiivog zu lat. rüdix, got. ivaürts] d-güodco zu xaga-'/ii', Oaoq
aus *tip-u6s zu ai. tavi; gr. yväd^oq zu lit. zdndas; lat. glatjs
zu gr. ßäXa-voq, abulg. seladi; lat. gla-cks zu geli-dns; lat. gra-
vis zu ai. guriish, gr. ßagvg, got. Jcaiirus.
Aus dem germanischen habe ich a. a. o, angeführt: mhd.
Är«^6' 'hals" zuMt. gar Jdl^, atrh. grlo, gr. ßißQojOxco; mhd. swach
zu got. siuks; ahd. chramih zu gr. ytQavog.
Weitere beispiele sind:
Got. ivahsjan, ahd. icalisan, gr. aftseiv, lit. dngti, lat.
augere.
]\Ihd. swadem, ags. sivaöul zu ahd. siodan. Ich ziehe dies
zu ai. sü 'in bewegung setzen, erregen', das zweifellos eine
set-wurzel ist, vgl. srddsX., sdvlnia n. 'antrieb', savita 'an-
treiber, erreger'. Anders erklärt Brugmann, Grundr. 1, 790
Beiträge zur geschichte der deutscheu spräche. XXIII. 20
306 HIRT
das germanische wort. Er geht von hpcut- aus, und vergleicht
lit. szunth 'schmore', und weiter ai. kvdfhati aus *k])iva mit mhd.
swadem. Sollte man dies vorziehen, so ist die sippe als eine
leichte wurzel aufzufassen: ^y.l])euc.
Got. (fojnvasfjan 'stark, fest, sieher \\mdien\ pn-ast/Jm 'festig-
keit, Sicherheit' ist nach Uhlenbeck, Et. wb. unaufgeklärt. Ich
beziehe es auf die altindische wurzel tu 'stark sein', ai. tdvas
'stärke', tavishds 'stark', tdvisJfi 'kraft, stärke', zu der auch got.
pfmmdi gehört. Die bedeutungsentwicklung bedarf keiner vei*-
niittlung. Auch im griechischen liegt, woran mich Brugmann
erinnert, diese ablautsstufe vor in oaog 'heil, gesund', das Prell-
witz, Et. wb. aus ^tuaiws erklärt, vgl. Brugmann. Totalität s.r)5.
Prellwitz zieht auch schon das got. gajnrdstjan heran, wie icii
nachträglich sehe.
Ahd. chnabo hat man von jeher mit der wurzel '^gemV
'erzeugen' verbinden wollen, ohne dass man indessen übei* die
ablautsverhältnisse ins reine gekommen wäre. Es stellt sich
nun ganz einfach dazu. vgl. lat. f/eni-tor, gr. yivFOiQ, vd.jfiä, got.
hiöjts, hmds.
Ahd. hra-ho stellt sich ebenso zu gr. xÖQa-S,, xoqcö-vi), lat.
cormx aus *cor^m, lit. smrlca 'elster', russ. soroka, serb. si-raka
dass. Als zweite vollstufe gehört dazu lat. crö-cio 'krächzen',
gr. y.Qcö^m, die wir wol als reduplicierte bildungen auffassen
dürfen. Oben ist weiter ahd. hruoh herangezogen.
Auffällig ist an diesen beiden Worten das suffix. Indog.
p oder hh lässt sich hier kaum wahrscheinlich machen. Ich
leite daher hud)0 und hrabo aus indog. ^gnomno- und *h-9nmo-
ab, mit dem Übergang von wn in hn, den ich für gemein-
germanisch halte.
Ahd. stracchen 'ausgedehnt sein', ahd. sfrach 'ausgestreckt,
gerade, straff u.s.w. ist noch nicht recht erklärt. Denn die
annähme, dass es zu recken gehöre (wie Kluge, Et. Avb.^ s. v.
vermutet), ist doch nur ein notbehelf. Ich stelle die stufe stra
zur wurzel sierö^, gr. orgtoroc, otqojvvvhi 'ausbreiten', lat. .v/t';--
nere, ai. strnämi In der wurzelstufe entspricht stra gr. öxQaroc,
ai. -strtas, das nur unbetont vorkommt. Das suffix -k, indog. -g
ist zwar selten, aber doch genügend belegt. Dieselbe stufe
und dieselbe wurzel zeigt auch mhd. strant, ags. Strand, das
Kluge ebenfalls als unaufgeklärt bezeichnet. Es ist mit nt-
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 307
sufflx gebildet. Die vollstufe dieser wurzel steckt wahrschein-
lich in alid. stirna 'stirn'.
Ahd. cMa-fja stelle ich zu ai. (jlä "Widerwillen empfinden',
lit. gvlti •schmerzen", abulg". irtZr 'leid', gr. ßcuAco {liXr}) 'werfen,
treffen'; dass auch ßXrjxri 'geblök' mit Prellwitz, Et. wb. s.v.
hierher zu ziehen ist. scheint mir nicht sicher.
Got. mal>a "made. wurm', ags. maöa, as. niatho, ahd. mado,
an. madh- möchte Klug-e. Et. wb.^ s. v. made als 'nager' deuten.
Etwas ähnliches mag wol darin stecken, nur kann man schwer-
lich an die wurzel ''''me •mähen' anknüpfen. Ich möchte es
mit der ai. set -wurzel am 'schädigen' verbinden. Zu ann-shi
V.B.. aml-vaX. *drangsal, plage, dränger, plag-egeist', dmatish
'armut, dürftigkeit" gehört eine Schwundstufe m3. Der be-
deutungsvermittlung steht nichts im weg-e. Auch mlid. motte
könnte mit weiterer ablautsform m hierher gezogen werden.
Got. frapi 'einsieht', frapjun 'verstehen' gehört zunächst
natürlich zu got. fröps 'weise', frudei 'einsieht'. Wenn wir
aber an die bedeutungsentwickelung unseres erfahren denken
(vgl. auch lit. tirt'i 'erfahren'), so wird man gr. jisgäm 'durch-
bohren, durchfahren', abulg. pem, prati 'fahren' als erste voll-
stufe heranziehen dürfen.
Ags. hltec, nd. hlak, ahd. hlacli bedeutet 'tinte', ursprüng-
lich natürlich 'schwarz', was es ja als adjectivum auch
heisst. Eine etj'mologie ist mir nicht bekannt. Nun hat Jo-
hansson. Beitr. 15, 226, um got. hleips zu erklären, einen Über-
gang von indog. ml zu germ. hl angenommen, gegen den nichts
einzuwenden ist, da mr zu hr wii'd. Ich sehe daher in hla-
die regelrechte zweite Schwundstufe zu gr. fitXa-g, ai. mali-?ids
'schmutzig, unrein'. Denkt man dann weiter an die beliebte
griechische ausdrucksweise wie fitXav aifia, so kann man auch
vermuten, dass got. blöp, ahd. hluot 'blut' nichts anderes als
'das schwarze' bedeutet. Das neutrale geschlecht erklärt sich
daraus, dass der indogermanische ausdruck für 'blut' ai. asrj,
gr. euQ, lat. assir, gr. aifia, lat. (veraltet) sanguen n. neutralen
geschlechtes war. Was das Suffix betrifft, so vgl. lit. yel-tas.
Das auffallende A-suffix in hlaJc lässt sich vielleicht aus m
herleiten; indessen bleibt dies unsicher, so lange der Übergang
von u in k nicht lautgesetzlich festgelegt ist.
Got. afidapan, an. Jduöa, ags. hladan, afr. hlada, a]id. hladan
2ü*
308 HIRT
nebst ags. hlöd 'beute, häufe, schar, menge', and. hlntha 'beute'
stellt man zu abulg-. Ihida 'lege, stelle'. Die differierenden end-
consonanten beruhen avoI auf verschiedenen praesensbild enden
elementen. Der stamm ist also Jtla, hlö, den man in lit. Möju,
Jcloti 'hinbreiten' widerzufinden glaubt. Mö weist aber auf
eine zweisilbige set-wurzel, die wir in lit. Icelti 'etwas heben'
antreffen, das widerum eine sehr weite verwantschaft hat.
Ahd. jlado 'oi)ferkuchen', gr. jiXäfhavov 'opferkuchen' ge-
hört zunächst zu lit. i)Zo7/ 'breit schlagen'; die erste vollstufe
liegt vor in gr. jttXa-vog 'opferkuchen'. vielleicht auch in sriXa-
yoc n. 'meer, das ausgebreitete', das genau ahd. flah 'flach,
glatt', nl. vlah 'eben' entspricht. Zu gründe liegt eine wurzel
pelä'', die im wesentliclien 'eben, flach' bedeutet. Erste voll-
stufe jreXa-i^oc, jitka-yog, zweite vollstufe lit. ^)7o//, ^j/owp
'fladen', lat. planus 'eben', air. Idr 'estrich', mhd. rinor, vgl.
Prellwitz, Et. wb. s. v. jisXaroc.
Ahd. rahho für älteres *hrahho 'rächen', ags. hrace, -n f.
'kehle' ist bisher unklar. IMan kann es verschieden beurteilen.
Die wurzelstufe Jim kann man zu Jif!r(V in xt^ag, lat. cere-
brum, ai. giras oder zu gr. x^icc^a) 'schreien' stellen. Genau
entspricht gr. xQayor 'laut schi'eiend'. Dann wäre die bedeu-
tung 'kehle' ursprünglich. Auch x(>«^a> gehört zu einer zwei-
silbigen basis, die wir oben bei hraho erörtert haben.
D. Germ, ü, % als schwundstufenformen.
Dem ero, eh, emd, etio stehen t und U als schwundstufen-
formen zur Seite, insofern schon im indog. ep, eu9 zu 7 und n
contrahiert wurden.
Auch diese t, ü sind nur in set -wurzeln berechtigt, wie
längst de 8aussure nachgewiesen hat. Im folgenden stelle ich
die germanischen beispiele die ich mir notiert habe, zusammen.
Da * nicht von ei zu scheiden ist, beginne ich mit u, das im
wesentlichen allein in betracht kommt, ü ist im germanischen
ein ziemlich häufiger laut, der in zahlreichen fällen unerklärt
ist. Möglicherweise steckt noch etwas anderes darin als
indog. ü.
Got. pnsundi gehöi't zu ai. iari-, wie ich IF. (5, 344 ff. nach-
gewiesen zu haben glaube. Vgl. ai. tav'iti RV., fdrish RV., tdvh
yas V. Zur selben wurzel gehört auch ahd. dümo, ags. püma
GEAMMATISCHES UND ETYÄIOLOGISCHES. 309
u.s.w.. das einem Ri.'^tariniä entsprechen würde. Verkürzung
des i< ist in -aw. ])io)iaU einjjetreten. das mit seiner /-ahleitun«?
dem ind. tmurasX. "feist, kräftig' entsprechen Avürde, falls es
alt ist. Wegen der kürze des u ist letzteres wahrscheinlich
richtig. Oben haben wir auch got. gajm-asfjan zur gleichen
Avurzel gestellt, mit der zweiten Schwundstufe. Ich halte dabei
ü und u9 für coordinierte schwundstufenformen. u ist dagegen
erst aus u in neuer Schwächung entstanden.
Got. hrü])s haben Tlilenbeck, Beitr. 22, 188 und ich a. a. o.
s. 234 gleichzeitig zu ai. hrdvimi gestellt. Der ablaut ist auch
hier in Ordnung.
Got. fräs 'faul* ist verwant mit Mi. imtl 'faulen', ptdiai
^eiter', ?i\.püyati 'wird faul' u.s. w. Als wurzel müssen wir
*peMä ansetzen, die in ai. pundti, pavi-twn mit der bedeutung
'reinigen' vorliegt. Dazu lat. pürus u.s.w. Die bedeutungen
divergieren nun allerdings, und der einwand liicus a non lu-
cendo wäre vielleicht zu erwarten, wenn einer die worte ver-
mitteln wollte. Das trifft indessen nicht zu. Nach alter an-
schauung reinigt sich vielmehr die wunde durch die eiterung.
So lange der eiter nicht zersetzt wird, ist er ja auch rein
weiss, und wird erst durch zersetzungskeime zur stinkenden
jauche.
Nd. düne f., an. dünn m. 'daune', engl, doum 'daune, weiche
feder' ist nicht erklärt. Xun verbindet man \'a\. pltinui mit
unserm fli'e(je)i, und feder leitet man von der wnrztl 2>ct 'fliegen'
ab. Daher könnte auch in drm- etwas ähnliches stecken. Ich
knüpfe daher zunächst an aisl. di/ja (dada) 'bewegen, schütteln'
an, das widerum dem ai. dhtinoti 'schütteln' (tut. dhavishyati),
gr. ß^oaCoj 'in schnelle, heftige bewegung versetzen, schnell
bewegen' entspricht. Sollte die hei'anziehung von an. dünn
nicht richtig sein, so entspricht doch dyja genauer der ind.
set -wurzel.
Got. hlrärs 'rein', ahd. hlaUn- stellt man zu gr. xXv^^o)
'spüle, reinige'. Die zweisilbige basis liegt vor in lat. cloäca.
Der stamm hü in zahlreichen Worten, ahd. bfian, hur, ge-
h((it zu dii. hitavi-f um u.s.w.
Ahd. Stada 'staude, Strauch, busch' verbindet man mit gr.
orvXoQ ' Säule', das weiter zu ai. sthürds, sthülds 'dicht, grob,
gross, dick, i)lump' gehört. Die zweisilbige basis liegt vor in
310 HIRT
sthdvi-ras 'fest, derb, massig, stark, volhvüchsig. alt', sthdvima
n. 'das dicke ende, die breite seite'.
Alid. mu 'zäun, garten', ags. tun 'das umzäunte, ort', an.
tun 'eingehegtes, gehöft' entspricht air. dun 'bürg, Stadt'.
Weitere anknüpfung fehlt. *dn-nom sieht nun zweifellos Avie
ein altes no-particip aus, und wir können dazu eine wurzel
*deuä erschliessen. die im Sii. dunöti A\ . -\- . dunds A\. mit der
bedeutung 'brennen' vorliegt. Die bedeutungsvermittlung ist
möglich, wenn man an lat. aedes denkt. Mit unserm wort
kann auch die thrakische ortsnamenbezeichnung dava, deva
zusammenhängen, in Pidpudeva, MovQidtßa, ZixiSeßa, 2ixaideßa;
vgl. Kretschmer, Einl. s. 222, der es von der wurzel dhc ableitet.
Aisl. snua 'wenden, kehren, drehen, winden' verbinde ich
mit ahd. senawa, ai. snävan.
Ahd. chfimön 'klagen, beweinen' stellt man mit recht zu
gr. yö/og 'totenklage'. Dies war eine set -wurzel, wie aus hom.
yorjfitvai, yodoisv hervorgeht.
Got. ahd. hns zu hütte und zu gr. xEvf^co 'verbergen' zu
stellen, ist wegen der länge des u bedenklich, xiv&co ist zweifel-
los eine anit -wurzel und muss daher fern bleiben. Den laut-
lichen anf orderungen entspricht die Verbindung mit lat. caverna
'die höhle'. Da man vielfach in höhlen wohnte, ist die glei-
chung auch semasiologisch unbedenklich, caverna lässt sich
aus *cavcsina erklären.
Ahd. 5ß? ' Säule' u.s.av. verbindet Kluge mit -dM. sivelli n.
'schwelle', was nach den ablautsverhältnissen sehr wol angeht.
Got. Saids f. wäre die erste vollstufe dazu. Sonst kann ich
die wurzel nicht nachweisen.
Ahd. scür m. ' Unwetter, hagel' ist ablaut zu lit. sziaurys
'nordwind'. abulg. scveru 'norden', lat. canrus; hier liegt aber
eu zu gründe.
Aisl. ryja, rüöa 'vellere lanam' gehört zu lit. rdiiju, rdiiti
'eine pflanze mit der wurzel aus der erde ziehen'. Dazu könnte
man auch ahd. ruh 'behaart, rauh, struppig', eigentlich "gerupft,
gezaust' stellen.
Ich will mit diesen gleichungen durchaus nicht sagen, dass
man worte mit n und ü unter keinen umständen etymologisch
verbinden dürfe: giebt es doch verwante formen mit u und ü
neben einander in liinreichender anzahl. AVas ich nochmals
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 311
betonen möchte, ist dass man vorlänfig ein wort mit u nicht
auf eine anit-AVurzel bezielien darf. Ich kenne eigentlich nur
eine sichere ausnähme von diesem satz: ahd. Int, ags. Jdad, das
zu ai. gru gehört. Das ist zweifellos eine anit-wurzel, aber es
sind auch spuren des / vorhanden: rrdvishtha kommt vom AV.
an vor; im KV. lieisst es rnrrüyds. Hier standen also Avalir-
scheinlich zwei wurzeln neben einander. Man beachte dabei,
dass germ. VdnÖaz eine bestimmte, abweichende bedeutung hat.
Germ, i, das wir zu zAveit betrachten wollen, ist leider nicht
sicher von ei zu scheiden. Aber die möglichkeit, ein an sich
zweifelhaftes germ. t als entsprechung eines ursprünglichen ei
aufzufassen, muss überall da in betracht gezogen werden, wo
wir es mit einer anit-wurzel zu tun haben.
Es kann daher altes i nicht stecken in ahd. hellban, ai.
alijyat u.s.w. (Osthoff, MU. 4, 4), in got. frmceitan, wenn dies
zu vidäx U.S.W, gehört (Osthoff s. 6). in ags. sniiveö, in ahd.
wis, ahd. liwls, ai. gvit und überhaupt in dem meisten, was bei
Osthoff. MU. 4 und bei Xoreen. iTg. lautl. s. 75 f. angeführt wird.
Sichere fälle, in denen l zu einer set-wurzel gehört, sind nicht
gerade häufig. Got. lei])u(s) würde ein solches sein, wenn es
mit lit. lytiis zu verbinden wäre, vgl. le'ti 'giessen'. Ferner
got. frcidjan 'schonen', an. fricfr, ags. frW 'hübsch' u.s.w. zu
ai. prltds.
Ahd. rim 'reihe, reihenfolge, zahl', kann zu ai. rinäii 'fluten,
fluten lassen' gehören, also auch mit rinnau verwant sein.
Zum Schlüsse dieses aufsatzes möchte ich noch ein paar
für den ablaut der set-Avurzeln im germanischen typische fälle
zusammenstellen. Wir unterscheiden zwei vollstufen und zwei
sch^\Tindstufen.
Aus der wurzel ycncju wii'd I) bei betonung der ersten
silbe ^t'w3, 2i\\^.chlnd {gY.y£V£Oic,Vdt.(/enitor,-di.jaui-ta); — II)
bei betonung der zweiten silbe gcne^o, got. hiöps 'geschlecht',
as. Icnösal, ahd. chnuosal.
Bei unbetontheit der beiden ersten silben entsteht — III)
die erste Schwundstufe ßeiid-, germ. lain, got. himinakunds, Icuni
'geschlecht', lat. natus, und — IV) die zweite Schwundstufe
ynd, ahd. hnabo.
312 HIRT
Wz. genejö ^kennen': I) got. Tiann-^ — 11) ahd. chnäan, ags.
cnäwan, ahd. einchmadil 'insignis', cnuodelen 'ein erkennungs-
zeichen geben'; — III) rjakunds, Tmnpi, Jcnnps; — IV) — .
Wz. merä^: I) ahd. maraivi\ — II) ahd. brätan; — IIT)
murmvi; — IV) — .
II.
Zur vertretiing der labiovelare.
1. Gegen die von Zupitza, Die germ. gutt. s. 97 f. auf-
gestellte lehre, dass indog. anlautendes ghv im germanischen
durch g vertreten werde, hat ühlenbeck in diesen Beitr. 22, 543
mit recht einsprach erhoben, worauf Zupitza, Beitr. 23, 237 ff.
geantwortet hat. Ich halte auch seine jetzigen ausführungen
nicht für beweisend. Weshalb wir auf die zukunft hoffen
sollen, die vielleicht noch sichere beispiele für den wandel von
gM zu g bringen werde, kann ich nicht erkennen. Vorläufig
müssen Avir uns mit dem begnügen was vorliegt.
Zunächst spricht doch die behandlung des inlautenden, im
Silbenanlaut stehenden ghu auch mit, wenn wir den anlaut
betrachten. Und da hier von Zupitzas regel nichts zu spüren
ist, ist dies ein schwerwiegendes moment.
Sicherer ist es, sich auf das etymologische material zu
stützen.
Zupitza bestreitet die beweiskraft der alten gleichung:
got. ivarms, ai. ghannus 'hitze', av. garemu, ap. ganna 'warm',
apreuss. gorme 'hitze', air. gorm, lat. formus, gr, ö^tp/zdc. Wenn
wir ein wort so durch alle sprachen mit demselben suffix und
derselben bedeutung hindurchgehen sehen, so hat ein solches
wort zweifellos eine grosse beweiskraft. Daran kann es auch
nichts ändern, dass des öfteren wurzeln mit anlautendem labio-
velar und tv neben einander stehen. Bezzenberger hat BB.
16,257 das germanische wort mit lit. aV^«, abulg. vrcti 'sieden,
fervere', variti 'koclien', varü 'glut', armen, varem 'anzünden'
verglichen. Die heranziehung des armenischen Wortes begleitet
Hübschmann, Arm. gramm. s. 494 mit einem f ragezeichen, nach-
dem schon Bugge, KZ. 32, 50 auf die Verschiedenheit der bedeu-
tungen hingewiesen hatte. T^nd sind denn nun die lit. slav.
Worte, die zweifellos 'kochen' heissen, so ohne weiteres in
ihrer bedeutung mit dem germanischen tvarm zu vermitteln?
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 313
Ich glaube nicht. Von 'koclien' zu 'warm' ist ein grosser
Sprung der begriffe, und ich habe bisher kein beispiel gefunden,
in dem auf anderem Sprachgebiet dieser Übergang stattgefunden
hätte. Schliesslich kommt noch hinzu, dass lit. virti (verein)
und abulg. rreft (serb. vreti) auf eine set-wnrzel weisen, wäh-
rend die Wurzel, zu der gr. {)-eQfi6g u.s. w. gehört, eine anit-
wnirzel war. So zerfällt bei näherem zusehen das angebliche
nebeneinander einer wurzel *ghuer und *uer in nichts, und so
wie hier ist es mit mehreren anderen der von Zupitza an-
geführten fälle. Ausserdem mnss bei solchen Wortpaaren noch
nachgewiesen werden, dass ihre Urbedeutung die gleiche ist,
dass nicht die gleichen bedeutungen erst im laufe der zeiten
entstanden sind. So ist ags. civelcm 'sterben', avahi 'tod' mit
dem bestimmten sinn entschieden jung, wegen ahd. quälet, lit.
gelfi 'wehe tun*, abulg. zalt 'leid'; in an. ralr 'die leichen auf
dem Schlachtfeld" liegt offenbar eine metonj'mie örtlich causaler
natur vor wie in hragen, ärmel, frauenzimmer, hacle, bände,
bein u. v. a. valr heisst eigentlich das Schlachtfeld und dann,
was sich darauf befindet, ival selbst ist aber der ort des
Untergangs wegen ahd. tvuol 'niederlage', Rgs.wöl 'pest, seuche'.
Wo besteht, Avenn wir so w'eit gekommen sind, noch eine mög-
lichkeit die worte zu vereinigen? Lit. velys 'verstorbener'
kenne ich nicht: ich finde es weder bei Kurschat, noch bei
Xesselmann und Leskien. Ich will auf die übrigen fälle nicht
eingehen, da es auf die saclie selbst nicht ankommt, und nur
noch darauf hinweisen, dass sich auch noch andere 'reim-
wöiter' finden, in denen scheinbar am anfang ein consonant
hinzugefügt ist. Darüber hat bekanntlich Meringer, WSB.
125,2, s. 35ff. gehandelt, ohne zu überzeugenden ergebnissen
kommen zu können. Jedenfalls ist das Avort ivarms so gut
wie nur irgend eins geeignet, die behandlung der lautgruppe
ghv im anlaut klarzulegen.
Kin zweites beispiel ist ahd. ivalis 'scharf, das von Fick
Vgl. wb. 1<, 417. Prellwitz. Et. wb. 348 mit gr. (pogöq 'spitz' ver-
glichen wird. Die gleichung ist tadellos und jedenfalls der
heranziehung von ai. rdci 'axt', die Zupitza s. 3.S vorgeschlagen
hat, vorzuziehen.
') Vgl. dazu Thomas. Ueber die mügliclikeiteu des bedeutniigswandels,
Blätter für das gymuasialweseu 3U (1894), 710.
314 HIRT
Gr. g^atrioif siQozffiXtc., i^öv, got, ivöpeis lässt Ziipitza
nicht gelten, worin ihm vielleicht beizustimmen ist. Er ver-
gleicht ir. hdid 'süss' mit dem griechischen wort, wobei er
für das griechische umspringen der aspiration annehmen muss.
Ist das material für die bisher geltende annähme immer-
hin nicht sehr reicli, so spricht doch auch nichts dagegen. Das
einzige beispiel Zupitzas ist aisl. (jandr 'rute', sm.ggndoU 'virga
virilis', das er zu ai. hdnfi, gr. fhlrm, fpövog stellt. Zur ent-
kräftung von A\'adsteins deutung IF. 5, 30 hat Z. nichts vor-
gebracht, und so muss sein Widerspruch auf sich beruhen bleiben.
Und wenn man auch aisl. [/andr nach Liden, BB. 21, 98 mit
air. fjeind 'a wedge', ng-del. gcinu 'a wedge, cuneus; a large,
thick piece of anything' verbinden wollte, so bliebe doch die
Vereinigung dieser worte mit gr. &dvco u.s.w. unsicher.
2. Auch die frage nacli dem verlust des labialen nach-
klangs ist durch Zupitzas arbeit nicht ganz ins reine gebracht,
wie z. b, der einspruch Solmsens, Journ. of germ. phil. 1. 387
beweist. Ich stimme indessen Zupitza darin bei, dass vor
indog. 0 ein Schwund des u nicht eingetreten ist. Aber ob
dies auch für die Stellung vor indog, ö gilt, lässt sich bezwei-
feln. Das einzige sichere beispiel ist gr. ßovq, ahd. laio, und
dies genügt auch. Wenn man auch die «-formen, aisl. Icyr, ags.
cü zu liilfe ruft, um den schwund zu erklären, so bleibt es
doch auffällig, dass nirgends ein "^lacö überliefert ist.
Daher halte ich in diesem punkte die alte anschauung
für noch nicht widerlegt. Zu beachten ist, dass indog. o im
germ. zu a geworden ist in einer zeit, die wir nicht bestimmen
können, dass dagegen ö stets erhalten blieb. AA'as übrigens
got. tuggö gegenüber lat. lingua betrifft, auf das Solmsen noch
verweist, so kann es absolut nicht zum beweise dienen: tuggö
ist entweder erst durch metaplasnius in die «-declination ge-
kommen (dieser metaplasmus ist aber doch wol bewirkt durch
den zusammenfall einiger casus der a- und li - declination zu
einer zeit wo indog. ä und ö im germanisclien nicht mehr ge-
trennt waren), oder es ist ein alter wä- stamm, bei dem in
einigen casus n berechtigt war (Rhxüg. jt^zy-hu kann man ahd.
zimga-n gleich setzen), und dann ist der Verlust des iv ana-
logisch zu erklären.
Wenn ags. cii, wie nicht zu bezweifeln, aus *A(7 und weiter
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 315
aus *1ctvö entstanden ist, so kann man natürlich auch ags. M
dem as. hicö g:leichsetzen. Der versuch von Joh. Schmidt. KZ.
32.403, ags. ha direct mit ai. AvT zu verbinden, bleibt daher
mindestens unsicher. Zwischen wgerm. hwö und got. he be-
steht dieselbe vocaldifferenz wie im gen. plur. masc. und
anderen fällen.
III.
Zu den f-praesenfien.
Johansson hat KZ. 32, 434 ff, überzeugend gezeigt, wie im
litauischen die praesensklasse auf -st aus der dritten person
sg. aor. medii, indog. auf -to erwachsen ist. Der gedanke, dass
aus einzelnen endungen verbalsuffixe entstehen können, ist auch
in anderen fällen als berechtigt anerkannt. Ich möchte dieses
princip anwenden, um einige fälle zu erklären, in denen im
germanischen ein praesenssuftix indog. to auftritt.
Betrachtet man die beispiele für das praesenssuftix -to in
Brugmanns Grundr. 2, 1088 ff. (§ 679), so fällt es auf, wie spär-
lich sie in den einzelnen sprachen vertreten sind, so dass man
hier schwerlich von einem productiven suftix reden kann.
Merkwürdig ist es auch hier, dass das germanische mit dem
lateinischen hand in hand geht, z. b. in plccfö 'flechte', ahd.
tlihtu gegenüber gr. xXtxm. Hom. heisst es näy.oi 'kämmen,
scheeren', Wi.peszu, aber VsX. pecto und germ. fihtu (vgl. Brug-
mann 2, 1089). Jedenfalls haben wir es in solchen fällen z. t.
mit neubildungen zu tun, z. t. liegt aber m. e. die 3. sg. medii
zu gründe. Aus dem germanischen ziehe ich hierher got. us-
aljmns 'gealtert', aisl. aldenn 'gealtert', gegenüber aJa 'auf-
wachsen'. Die formen mit dem /'-suffix, die leider nur im
participium belegt sind, haben entschieden intransitiv medialen
sinn. Ein indog. "^alto hätte im got. zu "^alj) geführt, und da-
von ist das participium alpans gebildet. Aehnlich lässt sich
vielleicht das merkwürdige verbum got. standan, stö]> erklären,
neben dem sich im ahd. stcn findet. Zuletzt hat sich Osthoff
um die erklärung bemüht (vgl. IF., Anz. 1, 82); er nimmt eine
besondere i»raesensbildung auf -7ict an. Diese auffassung scheint
mir mit Brugmann, (-irundr. 2, 1043 anm. 2 nicht überzeugend
zu sein. Halten wii- uns an die tatsachen, so steht z. b. im
ahd. neben dem alten praesens sten {stän) ein praeteritum siuot
olb HTRT
(arstuat WK., vorstötun, forstuotun T., gistiiaf, gistuatnn 0). Die
3. pers sing, können wir ohne weiteres auf *stöto zurückführen,
was abgesehen von der vocalstufe einem ai. asthita genau ent-
sprechen würde. Allerdings kommt dem aorist nicht eigent-
lich die starke Stammform zu. aber diese unterschiede im ab-
laut sind ja schon frühzeitig ausgeglichen, vgl. ahd. gitän.
Im praesens der verwanten sprachen finden wir weiter sehr
häufig einen nasal: gr. oratw), armen, sianam, lat. destinärc,
abulg. stanetu neben sfafi, preuss. stänintei, adv. des part. praes.
Stand nun im germ. ein *stanö neben *stö]), so konnte sehr
leicht der dental auch in das praesens eingeführt werden.
Es liegt natürlich nahe, auch die übrigen ^praesentien des
germanischen auf diese weise zu erklären, vor allem got. tvinda,
*gawaj), doch fehlt hier die anknüpfung an die verwanten
sprachen.
Es liegt ferner nahe, einige ^-praesentien aus alten aoristen
zu erklären. So z. b. got. fraliusa gegenüber gr. Xvm, lat. solvo
aus aor. fra-lu-s-um, der ganz genau gr. Uvoafitv entspricht.
Ueberhaupt muss doch einmal die frage aufgeworfen werden,
was aus den zahlreichen aoristbildungen des indogermanischen
im germanischen geworden ist. Wenn man die zweite sing,
perf. ahd. hü^i, ags. hite mit recht für eine form des sogenanten
aoristus secundus erklärt, so scheint mir eine solche form in
das perfectsj'stem nur haben hineinkommen können, wenn in
anderen formen ein lautgesetzlicher Zusammenhang statt-
gefunden hatte. Dieser ist eingetreten im plural. Formen wie
ai. ddirani, ddi^as, ddicat, ddiräma, ddirata, ddlgau hätten
wgerm. "^tig, tigi, *tig, tigimi, *tigid, tigan ergeben. Die erste
pluralis fiel, aber nur im Avestgermanischen (got, dagam =^ ahd.
taguni), mit der perfectform zusammen. Sie wird den zusammen-
fall veranlasst haben. Andere fälle mögen noch sein *l)iti,
*bikim, ai. dbhidas, dbhidäma; ai. dsicas, dsicäma zu sie = ahd.
sthan; gr. sXijtsc, aXixo(itv, •dhd.lnvi, Uwum; dii. dvrtas,dvrtmna,
ahd. ivurti, ivurtum.
Nicht also der zusammenfall mit der optativform (wie
V. Fierlinger, KZ. 27, 432 meinte), ist der grund der erhaltung
der 2. sg. im wgerm., sondern weil sie in das perfectsystem
eindringen konnten, darum haben sich diese formen erhalten.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 317
TV.
Zur Chronologie germanischer lautgesetze.
Man hat sich mit recht bemüht, niclit mir die relative,
sondern auch die absolute Chronologie der lautgesetze festzu-
stellen, die in eine vorliterarische epoche fallen. In neuerer
zeit ist man dieser frage wider verschiedentlich näher getreten,
und Streitberg: hat in seiner Urgerm. grammatik an den be-
treffenden stellen verzeichnet, was sich über die absolute Chro-
nologie einzelner urgermanischer lautvorg'änge vorbringen lässt.
Dass man gegen das Avas er mit anderen anführt, begründete
einwände erheben kann, hoffe ich im folgenden zeigen zu
können, und ich bemerke nur, dass derartige bedenken schon
früher geäussert sind, vgl. Möller, KZ. 24, 508. Bremer, IF. 4, 21.
Da sie aber nicht beachtet werden, ist es nötig sie zu wider-
holen.
Bei der bestimmung der absoluten Chronologie sind wir
geAvöhnlich auf die erscheinungen in lehnworten angewiesen.
Diese aber leiden an einem lecht betiächtlichen mangel, denn
man niiiss bei iJmen mit dem wichtigen factor der lautsubsti-
tution rechnen, und daher ist ihr Zeugnis meistens anfechtbar.
PrüffU wii- nun die einzelnen fälle:
1. Der germanische vocalismus ist charakterisiert durch
den zusammenfall von « und o in a, von ä und ö in ö.
Wann ist dies eingetreten?
'Die alten keltischen lehnwörter verwandeln ihr o in a,
sind also vor der zeit des wandeis von indog. o zu germ. a
aufgenommen. Vgl. Moyuntiacum, ahd. Mcujinza, gall. Voseyiis,
ahd. Wasconoivalt, gall. Volcae, ahd. Wullia. Die später auf-
genommenen lat. lehnwörter erhalten im germanischen ihr o
unverändert. Vgl. coqucre, ahd. lochön u.s. av.' Dasselbe be-
liaui)tet Brugmann, (irundr. 1 '\ 145.
Das beispiel beweist nicht, was es beweisen soll. Denn
angenommen, dass o schon zu a geworden war, so besassen
die (lermanen kein o mehr (vorausgesetzt, dass u noch niclit
zu o gewoiden war); sie substituierten daher ihr a für das
kelt. 0. Als sjjäter ein neues o aus u entstanden war. konnten
sie dieses für das o der lateinischen lehnworte gebrauchen.
Es würden also diese beispiele nui- zur zeitlichen bestimmung
318 HIRT
des gerin. a-iimlaiits von i( dienen können, aber selbst dieses
ist niclit ganz sicher. Bei der widergabe fremder vocale
kommt nämlicli vor allen dingen die eigenliöhe des vocals in
betracht. Serben, denen ich deutsche Wörter mit a vorsprach,
hörten darin ein o und gaben es demnacli mit o wider, ob-
gleich sie selbst ein a besitzen, das allerdings bedeutend höher
liegt als unser deutsches a. Aehnlich war es auch früher.
Für germ. a in lehnwörtern wird im slavischen o gesprochen,
vgl. z. b. serb. grof = graf u. v. a. Die Litauer dagegen setzen
für das slav. o noch heute ein a, weil die Litauer kein o
kennen, vgl. lit. alyvä 'olive', poln. oliva; lit. altörius, poln. o?tor
'altar', Mi. äsüas, Ww oscl, poln. os?"o? 'esel' u.s.w. mit voll-
ständiger regelmässigkeit. ]\Ian wird daher aus den germani-
schen lehnworten aus dem keltischen nicht das schliessen
können, was man getan hat. Sie sind m. e. in keiner weise
verwertbar.
2. 'Indog. ö und ä sind zur zeit Caesars im germanischen
noch geschieden gewesen, vgl. silva Bacenis, ahd. Bnochnnna^
Ebenso Brugmann, Grundr. 1-, 15L Im altirischen und im galli-
schen sind indog. ö und Ci in a zusammengefallen. Ist dies
aber der fall, so kann in Bacenis keltische lautsubstitution
für "^Böccnis vorliegen. Denn (Jaesar wird doch den nanien
aus gallischem munde vernommen haben. Ebensowenig be-
weisen die lehnworte, gall. hrdca, aisl. bröJc, ahd. hruoh, Bänn-
tms, got. Bönaici, ahd. Tnononwa. Wie hier kelt. ä durch ö
widergegeben wird, so wird lat. ö durch U ersetzt, vgl. as.
Piumnhurg. In diesem falle wird wol lautsubstitution vor-
liegen und ö für ä kann man dann kaum für etwas anderes
halten. Es scheint mir nicht richtig zu sein, in einem falle
wie got. Bümöneis = lat. Bömäni den einen vocal anders als
den andern zu beurteilen. Wir können aus den keltischen
lehnworten widerum nichts anderes schliessen, als dass damals
im germ. ein ä nicht existierte. Nun, dass ä aus rt erst ziem-
lich spät entstanden ist, das wissen wir, und ebenso, wann un-
gefähr das urgermanische ä zu ä geworden ist. Auch hier
sei es mir gestattet, auf den bekannten Vorgang in den lit.
slavischen sprachen zu verweisen.
Das litauische kennt nur ein ö, das slavische nur ein ä,
und sie substituieren dementsprechend. Man vergleiche folgende
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 319
fälle: lit. ni6::e)-is, nilid. mascr, lit. nmerszlahas 'hamiuerschlag',
Mi. liolca 'pranger', m\\&. hak 'scliandpfalir u.s.w. Für slav. a
stellt gleichfalls ö: lit. äönjti, klr. darytji * umherjag^end quälen',
\\i. iirömiata, klr. liramoia (g;r. yQafifiara); lit. (ironyre, poln. ryr«-
nica U.S.W. So wenig man hier aus den lautsubstitutionen
einen schluss auf die Chronologie ziehen kann, so wenig ist
das im germanischen angängig.
3. lieber die Chronologie der germanischen lautverschiebung
hat Much. Beitr. 17, 62 f. gehandelt. Auch in diesem falle haben
seine resultate bei Kossinna, W., Anz. 4, 49 beifall gefunden.')
Ebenso bei Streitberg, Urgerm. gramm. § 126. Aber man
kann sich bei dieser Chronologie nur auf sehr unsichere beweis-
punkte stützen. Zunächst konnnt das wort alid. hanaf, ags.
hccnep, aisl. hanpr gegenüber gr. xavvaßig in betracht. Much
bemerkt dazu s. 63: 'diese pflanze wurde den Griechen von
1) Ich hatte diesen piiukt z. b. mit im sinn, als ich Beitr. 21, 144
schrieb, dass sich Much auch in anderen unbegründeten punkten des bei-
falls von Kossinna erfreue. Es wird in den IF. ausdrücklich gesagt: 'Als
wichtigstes ergebnis der Sprachwissenschaft darf endlich die festlegung der
ersten (germanischen) laiitverschiebung in die zeit um 300 v. Chr. nicht
unerwähnt bleiben.' Seitdem hat Kossinna selbst dieses datura wider um
ein jaliilinndert verrückt (Beitr. 20, 297), und er hat auch die Verteidigung
von Aluchs deutuug der volkeruamen übernommen (IF. 7, 302), wie mir
scheinen will mit wenig glück. Ich bestreite durchaus nicht, dass einzelne
vülkernamen aus spott- oder tiernamen entstanden sein können: ich be-
streite nur, dass Muchs deutungen irgendwie wahrscheinlich sind. Sehr
charakteristisch auch für Kossinna sind die IF. 7, 304 angefiihrten beispiele :
Piceutes (picus) 'specht' und Hirpini (Jtirimii) 'wolf. M. e. müssteu die
betreft'enden stamme, wenn sie tiernamen trügen, Fici und Hirpi heissen,
und die Warnaii in Mecklenburg müssten Varnl genannt sein, wenn sie
'krähen" wären. Zwar könnte in dem -avi die endung der »-stamme
stecken, aber ebensogut auch das suftix -uv, das z. t. die herkunft bedeutet.
Wtniavi könnten also die nachkommen eines Vani sein, und ebenso bedeutet
llirpini nichts anders als zu einem llirpus gehörig. Der wichtige gesichts-
liunkt, dass überall in Europa grosse geschlechtsverbände als grundlage der
Stämme existieren, und dass wir in den den namen deutlich patronymische
endungen treften, findet bei Kossinna und Much nicht die gebührende be-
rücksichtigung. Allerdings genügen, 'um alte völkernamen richtig erklären
zu können, nicht einmal die besten kenntnisse der lautsysteme der alten
Sprache, sondern e.s bedarf dazu noch ethnologischer und urgeschichtlicher
kenntnisae.' (iewis. Aber sprachliche kenntnisse und richtige Vorstellungen
von dem leben der spräche sind doch die notwendige Vorbedingung, ohne
die die übrigen kenntnisse wertlos sind.
320 HIRT
Skj'tliien her (von wo sich ihre cultiir über Europa aus-
breitete) erst im 5. jh. bekannt: Herodot 4, 74 beschreibt ihre
Verwendung seinen lesern noch als etwas neues. Kaum früher
aber als die Griechen, die mit der nordküste des Schwarzen
meeres in lebliaften beziehungen standen, lernten die Germanen
sie kennen.' Wenng-leich diese annähme nichts weniger als
sicher ist und auch mit einigem vorbehält vorgetragen wird,
so steht in der anzeige Kossinnas IF,, Anz. 4, 49 schon die 'tat-
sache von der einfülirung des hanfes in Osteuropa im 5. jh.'
fest. Sehen wir uns diese Tatsache' etwas genauer an. Die
betreffende stelle bei Herodot lautet: "Eon de öqi (Sxvd-an;)
xdvvaßig (pvo^EVi] Iv rij ymQy, jtX?jv jia/^vrrixoQ xal fisyad^Eog
xä) Xlvcp ifi<f)i:Q£Otdriy ravTt] öh jtoXXco vjtsq(/e()Si // xdvi>aßig'
avTtj xal avTOfidn^ xal OJttiQo^evrj (pvETai, xal ig amrjq
0Q/'ftxeg f/fv xal Hfiara jtouvvxai roloi Xivtoiöi ofjoioxaxa,
ovo' ar, ooxig fi?j xdgxa ZQißcov shj avxyq, öiayi'o'ui, Xhov rj
xavväßiog eöri. . . ^
I^nzweifelhaft beschreibt hier Herodot den hanf als eine
in Griechenland nicht einheimische pflanze, die bei den Skythen
wild und culti viert wuchs, die aber auch bei den Thrakern
vorkam. Denn, sagt er, die Thraker bereiten daraus gewänder,
die Skythen (so muss man ergänzen) aber nicht. Dass der
anbau erst kürzlich eingeführt wäre, davon steht bei Herodot
kein wort. Vielmehr sind die Skythen und Thraker mit der
Verwendbarkeit der hanffaser und der berauschenden kraft
der samen wol bekannt, und sie können die pflanze schon seit
langer zeit culti viert haben. Nicht alles, was Herodot be-
schreibt, war seinen landsleuten unbekannt. Erzählt er doch
ausführlich die anschauungen, die die pontischen Griechen von
der lierkunft der Skythen hatten, und liegt doch seinem vierten
buch zu einem teil eine ältere griechische quelle zu gründe. Die
art, wie Herodot hier den hanf beschreibt, ist für ihn fast
typisch und übei-all zu belegen.
In den südlichen halbinseln fand der hanf kein günstiges
fortkommen. Bei den Römern erwähnt ihn (nach Hehn, Cultui*-
pflanzen" s. 187) der Satiriker Lucilius um 100 v. Chr. zum
ersten male. Wann er bei den Germanen angebaut, oder wann
*) Das ist auch heute noch der fall. Experto crede.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. S21
er ihnen wenigstens bekannt geworden ist, darüber lässt sich
einfach nichts anssagen. Anch die untersuclmng der funde hat
nichts ergeben. Huschan sagt, Vorg-eschiclitl. botanik s. 11(3:
'In dem ganzen mittleren nnd westliclien Europa war die hanf-
pfianze zur jüngeren stein- und broncezeit und aucli wol noch
zur eisenzeit unbekannt; das erste hänfene gewebe, das in
jenen gegenden gefunden ist, stammt nach meinen Unter-
suchungen aus der Völkerwanderungsperiode.' Indessen dürfen
wir aus dem mangel an funden nichts schliessen. Wichtig ist
eine von Helin a. a. o. angeführte nachricht: 'Als Hiero II. von
SjTakus, 269 — 215 v. Chr. sein bei Athenaeus 5, 206 beschrie-
benes ungeheures praclitschiff baute, zu dem er von allen
hindern je das beste in seiner art kommen Hess, wurden hanf
und pecli vom flusse Rhodanus in Gallien bezogen.' Es liegt
kein grund vor, mit Buschan die richtigkeit dieser nachricht
zu bezweifeln. A\^enn der hanfbau spät in die südlichen halb-
inseln vorgedrungen ist, so kann dies seinen grund darin haben,
dass hier die wollenkleiduug stets die linnene und hänfene über-
wogen hat. Man bedurfte daher keines ersatzes. Wie es aber im
norden gewesen ist, das vermögen wir einfach nicht zu sagen.
Aber noc^h etwas anderes ist zu erwägen. Allgemein und
mit recht zerlegt man die erste germanische lautverschiebung
in verschiedene acte; von diesen Vorgängen ist die Verschie-
bung der medien jünger als die der tenues. Es muss dem-
nach im germanischen eine zeit gegeben haben, in der man
y, 5 und (j U.S.W, sprach, in der also keine tenues vorhanden
waren. In dieser epoche hätten die Germanen für ein fremdes
k sicher cli substituiert, ebenso wie sie in Kreks ein k für g
eingesetzt haben, weil sie kein (j besassen. Das wort hanf
würde demnach nur beweisen, dass die Verschiebung dei- medien
noch nicht eingetreten war, als es aufgenommen wurde, es würde
also nur für diesen Vorgang chronologisch bedeutsam sein.
Ebenso steht es auch mit dem worte *Walhö^. 'Sofern
Caesar von den Volcae Tectosages mit recht erzählt, dass sie
durch die grosse Keltenwanderung nach Germanien und an
den erkynischen wald geraten seien, so bestätigt sich damit,
dass jenes germanische Sprachgesetz nach dem Sigovesuszuge
in kraft getreten ist.' Muchs 'soferne' ist es, woran alles
hängt. Caesars nachi iclit kann aber ebensogut falsch als richtig
Beiträgu zur güHchichte der iluut^uhtiu spräche. XX UI. 21
322 HIRT
sein. Im allgemeinen sind wir doch heute nicht so ohne wei-
teres geneigt, an diese einwanderungstheorie zu glauben, die
Caesar BG. 6. 24 ausspricht. Wir werden yieliuehr mit grösse-
rem recht die Volcae in der provinz, die auf ligurisch-iberischem
boden sitzen, für einwanderer halten, und die Yolcae in Ger-
manien für zurückgebliebene ansehen [vgl. jetzt Niese, Zs. fda.
42, 142 f.].
Dass auf den namen Vacalus bei Caesar kein gewicht zu
legen ist, und dass in diesem falle Muchs auseinandersetzungen
unzutreffend waren, ist bereits durch v. Grienberger, Beitr,
19, 531 und durch Kossinna, Beitr. 20, 294 gezeigt worden.
Auf den nach Müllenhoff, 1 )A. 2, 234 aus g-AW. penn 'köpf
entlehnten bergnamen Finne, auf den Kossinna, Beitr. 20, 296
wider hinweist, ist natürlich ebenfalls kein beweis zu bauen.
Er könnte höchstens für die bestimmung der medienverschie-
bung in betracht kommen.
Kossinna will auch got. fairynni u.s.w. aus dem keltischen
entlehnt sein lassen (IF. 7, 284). Wir können ihn bei dieser
annähme ruhig belassen und abwarten, ob er den beifall der
fachgenossen finden wird. Ehe wir ihm glauben sollen, muss
Kossinna noch einige andere worte nachweisen, die vor der
Wirkung des Yernerschen gesetzes entlehnt sind.')
M. e. ist bisher noch kein beweispunkt angeführt, der uns
gestattete, die erste germanische lautverschiebung chronologisch
festzulegen. Allenfalls lässt sich die Verschiebung der medien,
aber ohne sicheren beweis, ins vierte jh. setzen. Und ich
möchte in dieser beziehung auf den litauischen volksnamen
Giidal verweisen. Kurschat sagt im Wb. s. v.: 'von den hiesigen
') Wenn sich Kossinna auf das gebiet der giamniatik begibt, ist er
meistens wenig glücklich. Hier möchte ich vor allem noch die tatsache
feststellen, dass er Mnchs etymologische dentungen in der hauptsache ge-
billigt liat, diese etymologischen deutungeii, <lcren letztes ergebnis es war,
dass Ptolemaeus seine völkernameu von herumziehenden händlern erhalten
habe, während Holz die sehr gelehrte arbeitsweise des antiken geographen
aufdeckte. Kossinna hätte besser getan, auf seine anzeige von Holz,
Deutsche zs. f. geschieh tsw. n. f. 1, monatsbl. 76 ff. nicht zu verweisen, denn
sie zeigt doch jedem der sich mit diesen fragen beschäftigt hat, dass
Kossinna in diesem punkte zum mindesten befangen ist. Ich halte Holzens
buch für eine viel solidere grundlage für weitere forschung als Fluchs ety-
mologien und stehe damit nicht allein.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 323
Litauern werden die polnischen Litauer, von den Samogiziern
aber die südliclieren AWissrussen GiidaJ (etwa (lOten?) genannt.'
Icli brauche wol kaum auseinanderzusetzen, dass diese Ver-
mutung- riclitig- sein kann, falls die (joten vor der Verschiebung
der medien zu tenuis an die A\'eichselininidung übergesiedelt
sind, was sich nach Kossinuas ausführungen IF. 7,270 ff. viel-
leicht begründen Hesse.
V.
Zum spiranteiiweclisel im gotischen.
Durch Thurnej'sens aufsatz IF. 8, 208 ff. ist die frage nach
dem grammatischen Wechsel im germanischen, speciell im goti-
schen, aufs neue angeregt. Durch den nachweis, dass sich der
Wechsel zwischen tönenden und tonlosen Spiranten in unbetonter
silbe nicht nach der stelle des indog. accentes, sondern nach
einem ganz anderen i)rincip richtet, sind eine ganze reihe von
Schwierigkeiten, die sich der durchführung der accenthypothese
entgegenstellten, auf das einfachste beseitigt, und die zweifei.
die ich in meinem Lidog. acc. in betreff der verwertbarkeit
germanischer formen für die bestimmung des indog. accents
ausgesjjrochen habe, vollständig gerechtfertigt worden. Auch
Kluge, der in seiner anzeige meines buches Lit.-bl. 1895, s. 331
seinen Widerspruch gerade gegen diesen punkt richtete, hat in
der neuen aufläge von Pauls (IrUndrIss die meisten früher an-
geführten beispiele für accentwechsel gestrichen.
Indessen finde ich, dass mit Thurneysens aufsatz die sache
selbst keineswegs erledigt ist. Abgesehen davon dass eine
anzahl vun beispielen übrig bleiben, die sich dem gesetz nicht
zu fügen scheinen, fehlt auch eine erklärung des lautphysio-
gischen und historischen Vorgangs der gleich zu nennenden
erscheinungen.
Thurneysens regel lautet: 'unmittelbar hinter unbetonten
(nicht haupttonigen) vocalen erscheinen stimmhafte si»iranten.
wenn im anlaut der unbetonten silbe ein stimmloser consonant
steht; dagegen stimmlose, wenn jene silbe mit einem stimm-
haften consonanten anlautet (-tuh-, aber -duf-). Stehen zwei
consonanten im silbenanlaut, so wirkt stimmloser consonant -|-
liquida wie stimmhafter anlaut; vgl. \mttn aiihjödus, tveifiröd-,
aber hröprahans, niu/daJis. Im letzteren fall hebt also die
21*
324 HIRT
dazA\ischensteliende stimmhafte liquida die wirkimg des vorher-
gehenden lautes auf.'
Hier dräng-en sich sofort verschiedene fragen auf, die eine
beantwortung- erfordern. Wie verhält sich diese regel zum
Yernerschen g-esetz? Hat dieses zunächst gewirkt, und sind
dann die tönenden Spiranten tonlos, tonlose tönend geworden,
oder haben wir im gotischen in unbetonten silben nur tönende
Spiranten vorauszusetzen, die dann nach tinienden consonanten
im anlaut der vorhergehenden silbe tonlos geworden sind, oder
ist etwa das umgekehrte eingetreten? Ist diese erscheinung
specifisch gotisch oder ist sie gemeingermanisch?
Ich will versuchen, hier einen schritt weiter zu kommen.
Ich gehe von den beispielen aus, die auch Thurneysens aus-
gangspunkt gebildet haben, den eigentümlichen bil düngen auf
-nhn-, -nfn-. Es heisst fraistuhni, fastuhni, icituhni, aber ual-
äufni, wundufni.
Ich halte hier mit Thurneysen a, a. o. und Brugmann,
Grundr. 1, 383 an der alten Sieversschen herleitung dieses
Suffixes aus -itmni- fest, und glaube nicht, dass Joh. Schmidts
zurückführung auf -iqm- (Kritik der sonantentheorie s. 132 ff.)
viel beifall finden wird. Abgesehen davon, dass Avir dieses
Suffix -upn- schwer irgendwo anknüpfen können, ist der Über-
gang von -nin- in -dn- auch in Wurzelsilben belegt, vgl. Brug-
mann a. a. o.,i) und wir gewinnen mit der herleitung aus -nmni-
eine tadellose erklärung. Bei dem Übergang von m vor ti in
einen Spiranten muss nun zunächst ein tönender spirant ent-
standen sein, wie ein solcher ja auch in got. siihna vorliegt.
In diesem falle kann der Wechsel von h und f zweifellos nichts
mit dem Yernerschen gesetz zu tun haben, und es folgt daraus,
dass im gotisclien unter der von Thurneysen gefundenen be-
dingung tönende sjjiranten zu tonlosen geworden sind. Es ist
dies auch verständlich. Wurde ein wort wde tvdlchdni, wün-
diibni im gotischen mit starkem exspiratorischem accent ge-
sprochen, so konnte die Spannung der Stimmbänder am schluss
der zweiten silbe sehr wol nachlassen, während sie in frai-
stuhni, fasttihni, ivituhni u. s. w. erst bei dem u wider einsetzen
musste, und nun das h tönend blieb.
') Zu den tlnrt aii^''efiihrten beispielen habe ich obeu s. 300 einige neue
gefügt.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 325
Die e^'-stänime waren im iiidog. wurzelbetoiit. ^^'i^ müssisen
daher zunächst tönendes s voraussetzen. Wenn wir rimisa, agisa
finden, so erklärt sich das sehr leicht nach Thurnej'sens gesetz
aus *rmi/>a U.S. Av. A\'ir haben es also mit einer rück Verwand-
lung zu tun.
Dass auch lautgesetzlich berechtigte tonlose Spiranten
tönend geworden sind, wird sich schwerlich nachweisen lassen.
Leider sind die fälle, in denen wir im indog. betonung der
zweiten silbe eines dreisilbigen Wortes anzunehmen haben, dünn
gesät. Am sichersten sind noch fälle wie fnja])wa, fuijnva, für
die ich Indog. accent s. 251 eine betonung fnjdjjica erschlossen
habe, während Jriivachv wegen •di.devatvdm, gatrutvdm, priyatvdm,
russ. bozestvö, vmcesfvö auf endbetonung weist.
Wenn uns nun auch die verwanten sprachen im stich
lassen, so haben wir in den übrigen germanischen dialekten
stützen, die Thurneysen merkwürdigerweise gar nicht heran-
gezogen hat. So lange er nicht nachgewiesen hat, dass sein
gesetz auch in den übrigen mundarten gilt, so lange können
formen nicht benutzt werden, die im übrigen germanischen
eine entsprechung finden. So sind denn unsicher oder über-
haupt zu streichen: got. agisa wegen ahd. egiso, got. menöpimi
wegen ahd. mänöd; auch avoI got. hajöpum wegen ahd. beide;
liuhad- Avegen ahd. lioJit:, naqad- Avegen ahd. nahhut; fnimaj)-
Avegen 2i\\di. fremidi; magajj Avegen ahd.magad; zu den abstracten
auf -i/>a ist .ä-u bemerken, dass auch im ahd. -ida ganz allgemein
ist. Dass jemals ein -ida bestanden habe, lässt sich aus aupi-da,
tvairpida schwerlich folgern, tvitöd weicht von ahd. ivizzöd
ab, doch kann hier Verallgemeinerung des suffixes -üd vor-
liegen. Der Avechsel -üdus, -Ulms ist auch im ahd. vorhanden.
Dass im gotischen It und g nicht mehr mit einander
wechseln können, ergibt sich aus der behandlung des g im
auslaut. Sollte Avirklich h für g in mittelsilben eintreten, so
müsste dieses lautgesetz recht alt sein. Indessen lassen die von
Thurneysen angeführten erscheinungen auch eine andere erklä-
rung zu, die ich Indog. acc. s. 288 schon gegeben habe. Dem
got. Suffix in huirgahei, bröprahans entspricht das ahd.suffix -ahi,
Avährend den got. adjectiven auf -g ebensolche im ahd. gegen-
überstehen. Es ist nun nicht zu kühn, die got. adjective Avie
stainahs u.s. av. ihr h von collectiven, Avie sie in ahd. steinaki
326 HIRT
vorliegen, beziehen zu lassen. Auf ainaha ist sclnverlicli ^iel
zu geben, n'mldahs ist vielleicht comi)Ositum, pan'hs ganz un-
klar. Die enditicae -idi, -h und -Imu kommen als einst selb-
ständige Worte vielleicht nicht in betracht. Lassen sich also
einerseits die fälle, in denen li im gotischen auftritt, anders
erklären als es Thurneysen tut, so bleiben andrerseits doch
zahlreiche ausnahmen mit <j. (jcihigs und handiigs konnten
sich doch schA\'erlich so leicht an die übrigen adjectiva auf (j
anschliessen. Alid. lieisst es ebenfalls hantac. In fällen wie
sincigs, andancnieigs, gatviznc/gs, iishcisneigs, ivanrshvcigs, w'do-
deigs, audags und zahlreichen anderen könnte man ja Über-
tragung annehmen, was mich indessen nicht sonderlich befrie-
digt. Eher dürfte in erwägung gezogen werden, dass hier wie
im auslaut g auch den entsprechenden tonlosen Spiranten be-
zeichnet, das auftretende h aber, wie eben angedeutet, auf
anderen Ursachen beruht.
Thurneysens gesetz lässt aber auch ausserdem eine reihe
von ausnahmen zurück, die er selbst zusammengestellt hat,
nämlich harizeins, ubistva, arhaidim, lianhida, fdigri, tivalihim,
sihibr, siluhreins, frmnadei, pkvadw. Mag man auch einigen
seiner versuche, diese formen zu deuten, zustimmen, so bleiben
doch andere ganz rätselhaft, und ich möchte daher nach einem
lautgesetzlichen gründe suchen.
Nehmen wir zunächst hauhida. h geht doch hier höchst
wahrscheinlich auf indog. 2^ zurück, wenn auch das Verhältnis
zu lat. Caput, ai. kapüccliala noch nicht genügend aufgeklärt
ist. Wir erhalten also eine ursprüngliche betonung hauhidd.
Got. ubisiva 'halle, vorhalle' weist auf dieselbe betoining,
falls es, wie man mit Johansson, Beitr. 15, 239 und Elirismann,
Beitr. 18, 227 f. annehmen darf, zu indog. up gehört.
Worte, mit dem suffix -ino gebildet, sind auf dem / betont,
vgl. ai. apädnas, anjastnas, navinas, gr. dyxiorlroc, tQi^&Qivog,
xoQaxivoc, ahd. magatin, lit. Jcaimynas, vgl. Indog. acc. s. 278.
Wir haben also vorgot. ^harizems, ^siluhreins anzusetzen. Ebenso
\WM Jiiivadw auf dem ende betont, wie schon oben bemerkt ist.
Dasselbe für frumadei anzunehmen hindert nichts. Wir würden
nach diesen beispielen Thurneysens regel dahin ergänzen müssen,
dass der Übergang des tönenden Spiranten in den tonlosen nicht
eintrat, wenn der ton unmittelbar dahinter, also auf der dritten
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 327
Silbe lag-. Oder wir können ancli sagen : der Übergang ist nur
eingetreten, wenn seit indog. zeit anfangsbetonung liersclite.
Icli glaube durch diese fassung erledigen sich nocli eine
ganze reihe von fällen, die Tliurneysen durch ausgleichung
erklärt.
Auf die adjectivendungen -aizös, -aize, -aizü will ich kein
allzu grosses gewicht legen. Da aber die adjectiva meistens
endbetont waren, und es zweifellos *J)izüs, *J)(zc, *])izö geheissen
hat, so liegt eine ursprüngliche betonung hlinäaizös sehr nahe.
Die endungen -za, indog. -sai, und -da waren im indog. in vielen
fällen betont. Setzen wir dies auch für das germanische voraus,
so konnten sich niemals -sa und -J)a einstellen. Ebenso können
die angehängten Partikeln in pizözei, iztcizci, Jvarjizuli, amlizuh,
tvilcizH den ton getragen haben, wie in anderen indog. sprachen,
vgl. ai. id-dm, gr. arkad. rco-v'i 'huius', dor. £//£-/, rii, ovtoö-i,
oiyi, lit. fasüT, abulg. Mtö. Bei dem comparativsufflx -iza, -öza
haben wir in der überwiegenden mehrzahl der fälle lautgesetz-
lichen tönenden Spiranten, da ja ausser den sonoren nur p, t, k
oder /■ J), h am schluss der ersten silbe stehen konnten. Wenn
auch dieses Verhältnis frühzeitig verwischt ist, so war doch
der tonlose spirant in mehr fällen vorhanden, als sie historisch
vorliegen.
Das schw^ache part. war zweifellos auf dem ende betont,
daher wären die formen wie hnhaid-, salböd- vollständig laut-
gesetzlich, und das schwache praet. hat sich nach dem part.
gerichtet, falls es etwa wurzelbetont "war. Wenn Thurneysen
meint, das zw^eite d von dedum u.s.^v. sei deshalb erhalten,
weil das wort als compositum gefühlt sei, so stimme ich ihm
darin vollkommen bei. Ich habe ja schon früher, um das -e
zu erklären, eine betonung hdbaidedimi erschlossen, und es. ist
klar, dass nach einem nebenton das d nicht tonlos werden
konnte.
Dass die adjectiva auf -y ihr y erhalten haben, würde sich
ebenso aus der endbetonung erklären lassen, die für sie ziem-
lich feststeht, wenn man nicht den oben gegebenen ausweg
einzuschlagen vorzieht. Für die adverbialendung -ha würde
ich consequenterweise endbetonung ansetzen. Falls das suffix
mit den slavischen abstracten auf -ha zusammenhängt, würde
diese durch die slavischen dialekte gestützt, vgl. Indog. acc.
328 HIRT
s. 285. üeber got. ainlihm, tivalibim weiss ich allerdings nichts
plausibles zu sagen. Ich habe darüber schon IF. 7, 131 1 ge-
schrieben. Mir scheint im gegensatz zu Tliurneysen got. h
alt zu sein. Die endbetonung ist mir nicht gerade wahrschein-
lich, wenn sie auch möglich ist. Diesen rest, der sich auch
bei T'hurneysen findet, muss ich also lassen. Im übrigen er-
klärt meine fassung der regel viel mehr, so dass man ilir wol
den Vorzug vor dei- Tliurne3'senschen geben wird. Entgegen-
stehende Instanzen wüsste icli nicht anzufüliren. Wir werden
also das gesetz so fassen: lag seit indog. zeit der accent auf
der ersten silbe, so gehen im gotischen die lautgesetzlich ent-
standenen tönenden si»iranten in unbetonten mittelsilben in
tonlose über, wenn im anlaut der unbetonten silbe ein tönender
laut steht.
Im weiteren mag diese erscheinung auf demselben princip
beruhen, wie die spätere synkopierung der mittelvocale, die
man sich doch vollzogen denken muss durch einen Übergang
der vollstimmigen vocale zu tonlosen durch die murmelstimme
hindurch. Nur ist das gotische auch in diesem punkte seine
eigenen bahnen gewandelt.
Thurneysen lässt es im zweifei, ob dieses gesetz auch in
den übrigen germanischen dialekten gewirkt habe. Es ist sehr
schwer, hier ein sicheres urteil abzugeben, da einigermassen
isolierte formen selten sind. Es heisst ahd. scefful 'schöpf er',
aber leitid 'führer' und helid "held'; gegenüber got. aive])i aus
*aweÖi steht ahd.avit, ouiuiti; es heisst egiso, Rgs.byrcs 'bohrer',
ahd. burissa, ags. lynes, and. lunisa 'wagenlünse', ahd. hulisa
•hülse', mild, bremse 'hemmschuh', aber auch slamjura, slengira
'Schleuder*, doch lässt sich gerade hier das auftreten des ton-
losen Spiranten erklären.
Im allgemeinen bin ich nicht geneigt, die gotische regel
auf die übrigen germanischen dialekte auszudehnen, doch ist
hier noch nicht das letzte wort gesprochen.
In einer beziehung bedarf Tliurneysens beobaclitung wol
auch noch der berichtigung. Der gegensatz von aiihjödus,
weitwöd- und bröj)rahans, niuklahs ist vielleicht nur zufällig.
Die beiden letzten fälle sind, wie ich sehe, die einzigen, auf
die sich die regel, dass tonloser laut -f liquida wie tönender
anlaut wirkt, gründet. Wir haben aber oben angenommen,
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 329
dass g und h übeiliauiit nicht dieser regel unterliegen, und so
wild man diese bescliränkung ablehnen dürfen.
In einer anmerkung kommt Tliurneysen auch auf die frage
nach der behandlung der auslautenden si)iranten zu sprechen,
eine frage, die ja in mehr als einer hinsieht wichtig ist.
Die gotischen auslautenden -s sind zum grossen teil erst
aus tönenden entstanden, und da auch im nordischen im nom.
sing, durchweg r ei-scheint, so nimmt man wol an, dass einst
die meisten auslautenden -s i\e,^ germanischen tönend gewesen
sind. Ks fragt sich dabei nur, ob sie es lautgesetzlich oder
durch analogische beeinflnssung waren. Der fälle die hier zur
entscheidung in betracht kommen, sind wenige, und zw^ar in
erster linie die lautverbindung -rs. Bekanntlich stehen wir
in der frage, wie diese im got. auslaut behandelt wird, noch
vor einem ungelösten rätsei, Teils sclnvindet nämlich das
nominativ-.s', teils bleibt es. Ohne eine reihe von analogie-
bildungen kommen weder Brugmann noch Braune aus.
An und für sich liegt es sehr nahe anzunehmen, dass rs
blieb, rz aber zu r wurde, denn mit einer assimilation haben
wir es entschieden zu tun.
1. -rs bleibt in ahs m. 'acker', gr. ajQoq.. fif/f/rs 'finger'
wird doch wol mii penhiie '5' zusammenhängen, und weist also
auf *penhos. Die adjectiva auf -ro dürfen wir als endbetont
ansetzen: Iwrs, lat. cärus (ai. cärnsli ist nicht damit zu ver-
binden), indog. *lär6s, skeirs 'klar, sivers 'geehrt', (jdtirs 'be-
trübt', ai. (jhörds 'schrecklich', hlutrs 'lauter, rein'. Gen. sing.
fadrs, gr. jiaxQÖi;. Doch ist dieser fall natürlich unsicher.
2. -rz wird zu r. anjxir 'zweite' lässt eine betonung dn-
])uraz erschliessen, ebenso hapar, gr. n6x£Qo<;. f\divör, ai. cat-
vdras. stiur 'stier' Xeh. 5. 18 hängt zweifellos mit gr. ravQoc
zusammen. Genauer entspricht ai. sthdviras 'dick, derb, voll-
wüclisig'. Der accent von haür lässt sich nicht bestimmen.
Als einzige ausnähme bleibt ivair übrig, dem im indischen
virds gegenübersteht. Auf lit. vyras ist w'egen des stosstons
nichts zu geben, es kann aus *vyrds entstanden sein. Diese
ausnähme würde in einem ganz anderen licht erscheinen, w^enn
auf kiimgot. fers 'mann' sicher zu bauen wäre. Hier wäre
tatsäclilich das -s erhalten, das im gotischen aus unbekannten
330 HIRT
gründen verloren sein müsste. Aber dies wort geliört schwer-
licli zu got. ivüir. ]\ran darf zur not auch eine betonung viras
ansetzen, die sogar walirscheinlicli wird, falls der bettlername
iQoq in der Odyssee gleich viros Aväre.
VI.
Zu den gernianischen lelnnvörloni im slavischeu
und baltischen.
Welch grossen einfluss die germ. dialekte auf die baltisch-
slavischen ausgeübt haben, ist im allgemeinen bekannt. Kluge
hat in Pauls (irundr. 1, 321 zuerst wider auf dieses wenig be-
achtete capitel hingewiesen. Seitdem hat IHilenbeck die
germanischen Wörter im altsla vischen im Arch. f. slav. phil. 15,
481 ff. noch einmal zu sammeln versucht, indem er den älteren
versuch von Miklosich, Die fremdwörter in den slavischeu
sprachen (Denkschr. der kais. akademie d. wiss. zu Wien bd, 15)
ergänzte. Ich kann aber auch diese letzte arbeit aus ver-
schiedenen gründen nicht für abschliessend halten. Denn
erstens hat Uhlenbeck in seine liste nur solche Wörter auf-
genommen, die auf grund lautlicher kriterien zweifellos entlehnt
sind. Die bei denen diese kriterien versagen, fehlen. Nun
sagt uns aber die Wahrscheinlichkeitsrechnung, dass auch von
den Wörtern die lautlich genau übereinstimmen, viele entlehnt
sein können, ja, dass sie mit derselben Wahrscheinlichkeit von
Vi unverwant und entlehnt sein dürften. In solchem fall
werden erst andere gründe die wagschale nach der einen oder
anderen richtung sinken lassen. In dieser beziehung möchte
ich seine ausführungen ergänzen. Zweitens mangelt uns aber
eine lautlehre der germanischen leliuAvörter, und auch in diesem
punkte will ich versuchen, einiges hinzuzufügen.
Als sichere kriterien der entlehnung kommen nicht allzu
viel in betracht. Das slavische ch für germ. h ist das wich-
tigste. Das slavische ch bezeichnet zweifellos einen reibelaut.
Man darf aber daraus nichts für die natur des germ. Ji er-
schliessen. Denn noch heute setzen die Russen für unser h ein
X ein. Ausserdem verdienen die gutturale aufmerksamkeit. ^^'o
die baltisch -slavischeu sprachen den verschlusslaut an stelle
des Zischlautes zeigen, da ist in den meisten fällen entlehnung,
GKAMMATISCnES UND ETYMOLOGISCHES. 331
wenn auch uiclit gerade iiiiiuer aus dem geruuinisclien anzu-
nelinieu. Ich kann hier meine speciellen g'ründe, die sich auf
eine Untersuchung' der indog'. gutturalreihcn slützen, nicht
näher ausführen. Hier genüge die bemerkung-, dass die über-
wieg-ende anzalil der Wörter mit A'ersclilusslaut in der f- reihe
ohne jede scliwierijgkeit als entlehnt ang-esehen werden kann.
Oft zeigten auch die slavisclien und g'ermanisclien W()rter die-
selbe articulationsart, die nicht auf eine indog-. einheit zurück-
gehen kann. ]\ran hilft sich hier mit der annähme von indog,
Wechsel von media und tenuis, vielfach geAvis ohne genügenden
grund. Die Vermutung der entlehnung ist mindestens mit in
betracht zu ziehen.
Bei der frage der entlehnung dürfen natürlich die baltisch-
slavischen siu-achen nicht als eine einheit behandelt werden,
da wir es mit ganz verschiedenen epochen zu tun haben.
A. Die germanischen lehnwijrter im altslavischen.
Abulg. almuzlno, neuslov. almosua, kroat. idmuhio ist aus
dem deutschen entlehnt, und zwar erst zu ahd. zeit, da dem
got. das wort mangelt, dafür armaiö. Auch im abulg. heisst
es gewöhnlich müostyni. almuzino stammt aus einer cechischen
quelle. Ahd. cd ist deshalb auch durch al und nicht durch la
widergegeben.
Xhwlg. hediti 'zwingen', serb. iyee^i^/' 'accusare', vws,^.hediii
aus got. hdidjan. Xach T'hlenbeck, Et. wb. s. v. urverwant. Die
genau übereinstimmende bedeutung scheint mir für entlehnung
zu sprechen. Lit. haidyti heisst 'scheuchen' und ist wahrschein-
lich urverwant.
Serb. höh, LoIm, russ. bo/cü, boka ' Seite' aus got. "^bak-, ahd.
bah, aengl. boec 'rücken'.
Abulg. bolt 'krank', boU 'ki-ankheit', serb. böl, boli, boleti
ieiden', got. balivjan 'quälen'. Die möglichkeit der entlehnung
möchte ich offen halten.
Serb. bor, bbra (bora), russ. borü, bora 'föhre', ags. bearu
'Avald. hain'. Nach Uhlenbeck urverwant,
Abulg. brusnio 'speise', serb. 6m.vwo, russ. dial. börosno
'roggenmehr, got.barizeins. Urverwant nach H.Pedersen, IF. 5, 54.
Abulg. bravü, serb. hdv, russ. börovu aus germ. "'banc-, vgl,
ahd. baruy, bar/i, an. bynjr.
332 HIRT
Abulg.?;>-t^H 'ufer', serb. Z; >•■«}'(?</, mss. beregu, goi.hmrgaJiei.
Nach ausweis von arm. hardzr 'hoch', avest, beremnt hatte das
wort pahital. und ist deshalb als entlehnt anzusehen. Nach
Uhlenbeck urverwant.
Abulg. hrega 'bewahre, behüte', got. hairgan. Urverwant
nach Uhlenbeck und anderen.
Abulg. et'?», serb. cto, cijHa, russ. celii, ccld^ goi.Jiails, apr.
Imilüstihan. Urverwant nach I^hlenbeck. ]\Iir ist die gleiche
bedeutung im germ.-slav. trotz Brugmann, Die ausdrücke für
den begriff der totalität s. 41 ff., verdächtig, vgl. abulg. cclovati
'grüssen, küssen' mit ?igs. hälettan, s,is\.heilsa 'grüssen'.
Abulg. crcda 'reihe, tagesfolge, herde', got. hairda 'herde',
alid. hcrta 'Avechsel'. Vgl. lit. Jcerdzius aus got. hairdeis. Nach
Uhlenbeck urverwant. Die sippe hatte aber palatal, vgl ai.
(;drdhas 'schar'.
Abulg. crmm 'zeit', ahd. chräm, Kluge, (4rundr. 2 a.a.O.
Sie gehören wol nicht zusammen. Man erwartete Vcremü.
Eher aus ahd. scirm, scerm, mit dem es nach Joh. Schmidt,
Verwantschaftsverh. s. 41, urverwant ist. Doch ist auch dies
sehr unsicher. Anders, aber nicht überzeugend, Johansson, IF.
8, 171, der ahd. chräm wol richtig mit ai. gräma- verbindet.
Abulg. delü 'teil', serb. dw, dtjcla, got. dails f. 'anteil',
abulg. deliti 'teilen', got. dailjan. Nach Uhlenbeck und Kluge,
Et. wb.'' s. V. teil urverwant, was jedenfalls nicht zu be-
weisen ist.
Abulg. dlügu 'schuld', serb. düg, düga, russ. dölgü, dölga,
got. dulgs. Die bedeutung spricht mir für entlehnung. Urver-
want nach Uhlenbeck.
Abulg. dolü 'loch, grübe, tal', got. dal n. 'tal'. Urver-
want nach Kluge, Et. wb.'^ s. v. thal. Die bedeutung stimmt
überein gegenüber gr. {}-6Xoq.
Abulg. ärusükü 'kühn', f/m^«<< 'kühn sein', goi. gadaihsau
'wagen'. Das slavische ^ kann nicht aus slavischen laut-
gesetzen erkläi't A\'erden, wol aber aus germanischen. Anders
Nehring, IF. 4, 401.
Abulg. dunavX, dunaj 'Donau', got. *Dönavi. Müllenhof f,
DA. 2, 362 ff.
Ahulg. g(]Lsi, 'dhd.gans, got. *gan.s, vgl. lit. z\(s}s mit palatal.
Entlehnt nach Kluge, Et. wb.^ s. v. Brugmann, Grundr. 1, 345.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES, 333
Russ. glazü 'äuge', iiilid. f/larcn. Xehring, IF. 4, 102.
Xbxüg. (/odn "o-ünstig-e zeit', (jodhin 'ang-enelim', 'A\\i\. (i'Kjat
. 'passend'. Nach Kluge, Kt. wb.^ s. v. gätlich ui'verwant.
Abulg. (fostt 'g-ast', gut. gasts. Das slavische wort hat die
bedoutung des geinianischen gegenüber lat. hostls. Urverwant
nach Kluge, Et. wb.^ s. v. gast
Ahiüg.gosjwdr, vielleicht aus got. *gastifa])S, vgl. lüthosjyes.
Dass der zweite teil des rätselhaften shivischen wertes mit
*potis zusammenhängt, hat man längst vermutet, aber das d
blieb unerklärt. Vielleicht hilft also die annähme von ent-
lehnung aus dem germanischen.
Abulg. gradu, serb. gräd, gräda, russ. gorodn, göroda, got.
gards. Für diese auch von Uhlenbeck angenommene, aber
häufig bestrittene entlehnung sprechen vor allem die composita
abulg. vinogradü, got. icehiagards, abulg. rriitogradn, got. anrti-
gards. aurti stammt ja selbst erst aus lat. horfi, so dass in
diesem falle die entlehnung zweifellos ist.
Abulg. grebq, got. grahan, abulg. grohn 'grab', alid. grah.
Sind eher als urverAvant aufzufassen.
Xsl. grcdel, kroat. gredelj 'pflugschar', russ. gradül, ahd.
grindd, grhidil 'obex, pessula'. Wird auch zu abulg. gri^da
'trabs' gezogen. Entlehnt nach Miklosich.
Abulg. cliotarX '■\m\\\^\ ahd. himfari 'abteilung eines gaues'.
Miklosich, Et. wb. s. 80. G. Meyer, Alb. stud. 3, 48.
Ahvilg. chlocJioiati 'strepere' vielleicht aus got. /tlahjan; s,
Meyer a. a. o.
Abulg. chrahrü 'krieger', serb. clirdbar, chrahm, chruhro
aus got.*harva- 'herb' nach G.Meyer a.a.O. Das ist kaum
richtig, da das got. wort *chravü ergeben hätte. Nach H. Pe-
dersen, IF. 5, 63 ist es nicht entlehnt. Ob aus got. gajyraßtjan?
Jn- zu ehr wie in abulg. chrasti 'käfer' aus got.prmustei.
Abulg. chrütü 'hund', serb. ehrt, ehrfa, klruss. ehort, ehorta,
ahd. rnd{e)o, got. *hrujfja, ags. hrydda. Der anlaut kr ist für
das germanische nicht gesichert, wird aber durch das slav.
festgelegt.
Slov. chriqi 'tumult', got. hrüi)s 'geschrci'. Uhlenbeck,
Beitr. 20, 38.
Abulg. /«/< 'ein', goi.ains und abulg. ?5Ä-«//j \\t.jeszl-6ti, ahd.
eiscön sind nach gewöhnlicher annähme urverwant. Doch sind
334 HIRT
dies, wie mir Brug-mann mitteilt, vgl. jetzt Berichte d. k. säclis.
g'es. d. wiss. vom G. febr. 1897, s. 37, die beiden einzig-en fälle, in
denen indog. oi im slavisclien anlaut durch / vertreten sind,
während die regelrechte Vertretung ja ist. ishati ist auch
wegen der behandlung- des gutturals verdächtig- . vgl. Brug--
mann, (Trundr. 1, 306 anm.. und hui, wofür die Slaven sonst jedinn
* eins 'gebrauchen, kann der kirchlichen terminologie entnommen
sein, vgl. inoc^dU ' ftovoysr/jq' = got. ainabaür (baür 'das kind'
= slav. c^dü 'kind').
Russ. iva, serb, wa, ahd. iwa. M.
Abulg. Idadn 'lege, stelle', got. Majxin. Die urverwantschaft
ist nur möglich bei der annähme von Wurzelvariation, \g\.
Uhlenbeck unter afhiapan, Kluge, Et. -w b.^ s. v. laden.
Xhiüg.lwiojdja, got.*Jiqnaps, Vdt. cannahis, gr. xdvvaßig. M.
Abulg. kotora 'kämpf, mhd. liader 'zank, streit', vgl. ai.
Qdtrush. Nach Kluge, Et. wb.^ s. v. urverwant.
Serb. IxH, hrta, russ. hotn, h-otd 'maulwurf, ahd. chroia,
chre'ta 'kröte'.
Serb. h-aj}, russ. JcoropU, ahd. larjw 'karpfen'.
Abulg. hrüsno 'vestis pellicea', ahd. chiirsina. M.
Abulg. Jcujni, serb. Jcllp, hnpa, lit. hiäpas, ahd. hoiif, vgl.
Kluge s. V. häufen.
Abulg. Jcnrüva, got. ^hörwa- von hörs. Entlehnt nach Tlilen-
beck s. V. hors und Kluge s. v. hure:
Abulg. laja 'belle, schmähe', got. Haian 'schmähen'. Unsicher.
Abulg. lasta, mhd. lanze, lat. lancea. ]\I.
Abulg, listX 'betrug', Itstlti 'betrügen', got. lists. Nach
Uhlenbeck kann das abulg. wort entlehnt sein. Vgl. noch Kluge
s. V. list.
k\>\\\g.JXvu aus goi.^lkva-, ahd. leo, leivo. Abulg. Tivu kann
nicht aus lat. leo stammen. Als lehnwort aus dem got., in dem
leo zu Hiwa- werden musste, wäre es verständlich.
Abulg. liee, serb. lice, russ. lico 'antlitz', aus Hihiom tax got.
leiks. sülo-llka 'boshaft' -- got. -lelks; llhlenbeck s.v.
Abulg. likti ' Chorus', likovati, got, laikan 'salire', got. laiks,
lit. aber Idiyijti 'wild umherlaufen'. Das slav. wort entlehnt
nach M.
Aruss. lohüzati 'osculari', ahd. lefsa M.
Abulg. Ijidni, got. Ikifs, abulg. Ijidjy == got. Hiuhö. Urver-
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES, 335
want nach Uhlenbeck. Naoli Kluge, VA. wl).-- s. v. lieh entlelint.
Doch gellt seine ansieht nicht ganz deutlich aus seinen Worten
hervor.
Abulg. Ijudii, Ijiiclije, alul. Jiuf. T^verwant nach Kluge, Et.
wb.s s. V. Icufe.
Abulg. losi 'mager', serb. los 'schlecht', got. lasiws. Nach
Joh. Schmidt. Verwantschaftsverhältnisse s. 39 und Uhlenbeck
s. Y. urverwant.
Abulg. U((jatl 'lügen', Ii(zi, serb. laJlf, lazi, russ. lozi, Ui.
Urverwant nach Uhlenbeck.
Abulg. hig 'lauge', ahd. lotiga ls\. 'hinge'. Nach Kluge s.v.
lauge urverwant.
Abulg. m(^so, got. mimz. An entlehnung denke ich Avegen
der betonung serb. meso, vgl. verf. Indog. accent s. 1-iO, und weil
auch Wörter wie got. hlaifs, müuks, hiuds entlehnt sind.
Abulg. meniti 'meinen', ahd. oneinen. Nach Kluge ur-
verwant.
Abulg. rncru, got. mers. Urverwant nach Uhlenbeck. Vgl.
aber die Verwendung in namen wie Vladimcra.
Abulg. misa 'patina', got. mes, ahd. mcas, mias. M. .
Abulg. imzda, got. mizdö m. Urverwant nach gewöhnlicher
annähme. Man erwartete bei directer entlehnung *nuzdg. Doch
ist das wort in einzelnen germ. dialekten, wie ursprünglich
überhaupt, starkes femininum.
Abulg. nioga, got. mag, aliulg. mosH, serb. moc, moci, riLSs.
gen. 9nöci, got. mahts. Die sippe hat i)alatal. Vgl. apreuss.
massi. Urverwant nach gewöhnlicher annähme.
Abulg. uiora •incubus', serb. möra, ahd. mani. ]\I. Urver-
want nach Kluge, Et. wb.^ s. a'. mah: Docli vgl. das aus dem
germ. entlehnte frz. canchemar 'al})drücken'.
Abulg. mräzcti, mriiznaii 'verabscheuen', got. marzjan 'är-
gern, anstoss geben'. Entlehnt wegen des z; aus einer form
mit aar, die vielleicht in nhd. murrest, iil. morrcn 'murren'
vorliegt.
Abulg. mUnogü, got. munags. Nach Uhlenbeck urverwant.
Doch erwartete man im slav. monogu.
Abulg. ncprijazni ist die Übersetzung des ahd. unliold, und
wol erst mit der kirchlichen Übersetzungsliteratur zu den Slaven
gekommen.
336 iiiiiT
Abulg. oIh 'sicera', lit. alus, an. ol, ags. ealu. M. Kluge
s. V. hier.
Abiilg. oradijc •negotiuin, iiistrumentum, apparatus', alid.
ärunti. M.
Abiilg. osUn, g-ot. asiJus. M.
A\)\\\g. pl(isat} , got. plinsjcm 'tanzen'. Walirsclieinlieh aus
dem slav. entlehnt.
Serb. 2^tr, pira 'hoclizeit', russ. pira, pira 'schmaus', ahd.
firatac.
Abulg. plahati 'sich die brüst schlagen', got. flülian 'be-
klagen'.
Serb. pldtno, russ. polotnö 'leinwand", nihd. valte st. swf.
u. a. 'tuch zum einschlagen guter kleider'.
Abulg. o-pona 'Vorhang', got. fana m. 'stück zeug'.
Abulg. j>mw 'navis genus', ahd. faram. M. Nach Kluge
s. V. pralim urverwant.
Abulg. jjnj/aii 'günstig sein', got.frijön, sibvilg.prijatelt, ahd.
friudil, got. ^frijöjnls, abulg. prijaziü, got. *frijö.~ns.
Abulg. kroat.jj>?u/ni. 'hierum', mhd. fntot 'gedeihen, klugheit'.
Abulg. rokü 'termin', serb. rö/,; roka, russ. gen. röha, ags.
racu, as. rula, ahd. rahha 'rede, rechenschaft, sache'. rolui
scheint allerdings zu abulg. reka 'sagen' zu gehören. Aber
reka gehört wol mit ahd. rehhanön zusammen, die man nur
unter der annähme von wurzehariätion vereinigen kann.
Abulg. snikd, sraky f. 'tunica', mlat. sarca, an. serkr (st.
*sarki-), ags. serce (st. *sarkjön-), got. *sarkö. M.
Abulg. stcnca 'unfruchtbare kuh', got. stairU 'unfruchtbar',
vgl. nhd. stärke. Urverwant nach l'hlenbeck.
Abulg. stena 'mauer', serb. stifena, russ. stend, got. stains
'stein'. Urverwant nach Uhlenbeck. Vgl. aber abulg. stnihtü
'steinig, felsig', got. staincins.
Abulg. sMklo 'vitrum', serb. stäklo, got. stikJs m. 'becher,
kelch'. M. Uhlenbeck si)riclit sich jetzt Beitr. 22, 191 für slav.
Ursprung des Wortes aus, aber kaum mit recht, da 7 als schwä-
cliung von e im slavischen zwar einige male vorzuliegen scheint,
aber absolut nicht als bewiesen gelten darf. Gewis ist ent-
lehnung aus dem slav. möglich, aber kaum zu beweisen.
Abulg. svckrü, sveknj, got. swaihra, sivaihrö. Nach gewöhn-
licher annähme urverwant. Schwierigkeiten bereitet der slav.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES, 337
versclilusslaut. für den wir zisclilaiit erwarten. Doch sprechen
schwerwiegende culturhistorische gründe gegen die annähme
von entlelmnng, wenngleicli die herübernahme von verwant-
schaftswürtern nicht nnerhürt ist.
Xhiüg. stidiU, sei'h. tiiclj, tnclja 'fremd', got piuda. M.
Abulg. trcha 'negotinnr, trehu 'notwendig', hrhovati 'be-
dürfen; got. Jjmirban, ahd. ihirfan. Urverwant nur bei der
annähme von Wurzelvariation. Docli ist die stufe perb- im
germanisclien nicht belegt.
Abulg. valiti, got. afwalwjan 'abwälzen'. l^r\'erwant nach M.
Abulg. varovati sg. 'cavere', got. ivarcl 'cautio'. M.
Abulg. vedro n. 'gutes wetter', aengl. iveder, ahd. iciitar
'wetter', falls man dieses mit abulg. vetrii 'luft, wind' vergleicht.
Abulg. rcni "glaube', .serb. vjera, russ. vcra, got. tuziverjan.
l^rverwant nach Uhlenbeck.
Abulg. vcsU 'ding, sache', got. ivaihts f. 'ding, sache'. Ur-
verwant nach gewöhnlicher annähme.
Abulg. vlada, got. ivaldan. Von Uhlenbeck wird die ent-
lehnung bezweifelt. Für fi'ühe entlehnung Kluge, Et. wb.^ s. v.
walten.
Aserb. vlachü, serb. vluch, vlaclia, russ. volöclm, volöclia, ahd.
walah. M.
Serb. vldJcno, russ. volokno 'flachs', vielleicht aus ahd. ival-
clian 'schlagen, prügeln, walken', vldhio 'das geschlagene', vgl.
den flachs hlimven.
Abulg. vosa, serb. osa, lit. rapsä, ahd. ivafsa gegenüber lat.
vespa. Gewöhnlich als urverwant angesehen.
Abulg. voslca, lit. väszhas, ahd. icahs n. Vielleicht entlehnt
nach Kluge s. v. ivahs.
Abulg. vimuTiu 'enkel', ahd. enenkel. Das abulg. wort führt
auf ein *anökas zurück. Auffällig ist das Ic.
Ich füge nunmehr eine kurze Übersicht der Wörter hinzu,
die Uhlenbeck behandelt hat, w^obei ich aber von seinen bei-
spielen aus ahd. zeit absehe.
k\m[g.hljudo,hljudü, got.biups] brady, germ.*&arrfö 'Streit-
axt'; brüdo, russ. berdo, got. baurd; bugti, ahd. bouff: bnly, got.
*böJcö; c^ta, got. kintus; cesarT, kaisar; crüky, ahd. chirihka, c^dl,
ahd. chind; chabiti se 'abstinere', ochaba 'eigentum', got. haban;
Belträfte zur gescbiolite der deutschen apraobo. XXIII. 22
338 HIRT
serb. cÄara/? 'spoliare, devastare', s^n.herja; nhiüg. chqdogn, got
hcmdugs; sibiüg. chladu 'kühle' stammt nicht aus germ. *A«Wa ;
cJdaJiü 'caelebs', got. haUs 'arm', -cldastati •freiiare'. ahd. hlast;
chUhu, got. hlaifs; chlevii 'stall', chUvina, got. ""hlaiws, hlija;
cMujati, *flöjan; cJdümü, an. Jwlm; abulg. chmeli 'hopfen', an; himdi,
Jmmall; cJioragij, got. hrugga: chrqsti ^kä.ter\ got. Jirani.stei; Cech.
ehvüe 'zeit', poln. chn-ila, got. keda; ihvrastn 'wald, eiclie', ahd.
Jiorst] chyzü, got hüs; dumati ^denkeTi\ duma ^r^V, got. dönijan,
döms; ghimti ^sceim\ glmna 'Unverschämtheit', an. glaumr; go-
hidzü, got. gabeigs; godarabll 'saide\ ahd. gotatvehhi] gonesti,
gomsti, gomznati 'errettet werden', got. gamsan; gonozifi, ga-
nasjan; gonäi, got. ganah?; gorazdii, got.*garazds; goiovü, got.
*gataus, gataujan; halezt 'kelch', klad(^z1, got. *haldigga\ Jcrult,
karl; kofilü, katüs; kupiti, got. *kaupön; kusiii 'kosten', kausjan;
künegü, kün^dzY, kuning; Ukü, got. lekcis; lichva 'wiicher', got.
leiJoan 'leihen'; abulg. lokg 'lache', ahd. laMia; lukü, ahd. louh]
mtci, got.mekeis; mleko; got.müuks; abulg. w^i/^ö 'lohn, gewinn',
got. möta; navi, got. naus; nuta 'rind', an. nmit; ocUü, akeit\
pen^gu, *penning; pigy 'feige', got.^'feigö; a\i\Wg. plosky, ahd.
flasca; jüugü, an. ^;Zo^>-; idüchn, ahd. pdih; pluku, ahd. folc;
postü, ahd. fasta:, raka 'grab', *raky, got. *arkö; *raty, *rattö;
*sakn, got. sakktis; skotü 'vieh', got. skalts; skutü, got. skauts;
smoky, got. *smakkö (stnakka); sokü 'ankläger', got. sakan;
strükü, an.storkr; sytii, got.söps\ slemü, got. hilms; abulg. 6'//r«,
got. skeirs; tynii, an. tun: user^gii, got. ausahrigga; ranti ^ante-
vertere', got.u-arjan; varovati 'hüten', got. ivars, ivarei, warjan;
velihqdu, got.idbandus; vino 'wein', got. wein; vinogradü, weina-
gards; vrüct, got.tmrkeis; vriitu ^gavten\ rrntogntdn, got. aihii
gards] zUdq, got. gddan.
Zweifellos wird sich diese liste noch vermehren lassen.
Was ich angeführt habe, sind teils offenbare lehnwörter, die
von Uhlenbeck nur übersehen sind, teils andere, bei denen die
frage, ob sie entlehnt sind, mindestens aufgeworfen werden
muss. Ich will durchaus nicht behaupten, dass wir in allen
fällen gezwungen wären, dies zu bejahen.
Die grosse zahl der germ. worte im sla^•. mag billig in
erstaunen setzen. Sie weisen nicht auf einen blossen grenz-
verkehr hin, sondern darauf, dass ^■iele JSlaven germanisch ge-
lernt haben, und nun die deutschen Wörter in ihre rede mischten.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 339
Vgl. Über diesen punkt Wiudiscli, Zur tlieorie d. mischsprachen
und lelinw(>rter. Ber. der sächs. g-es. d. wiss. 1897. 101 ff. Man
kann, glaube ich, ohne allzu grosse kühnheit annehmen, dass
einzelne slav. stamme direct unter der herschaft der Goten
gestanden haben, als diese nach dem Schwarzen meer vor-
drang:en. Umgekehrt wird es dadurch auch verständlich, dass
sich keine slav. lehnwörter aus alter zeit im germ. finden.
Wir werden gut tun, nunmehr die regelmässigen laut-
entsprechungen zusammenzustellen, bei denen noch manches
unklar ist. Dabei nehme ich Fhlenbecks material mit auf.
Vocalismus.
1. Got. ü ist slav. durch u vertreten: got. ^hukü, abulg.
hulnj; got. dönis, abulg. dumati] got. *Dönavi, abulg, dunavi;
got. hrö2)s, s]o\. hrujy, got. Iiörs, ahnig. luriiva; Pihd. phluog, an.
2^lö(j)\ abulg. jüiKj; mhd. fruot, krönt, jimd.
2. Got. ö ist slav. durch ij vertreten, zunächst in der
endung // ^-= got. ö. worüber ^röller. Beitr. 7, 487 gehandelt hat.
Vgl. al)ulg. cn'dy, rahy, brady, loly, hnhy, svelry. Setzt man
Imky = got. *bö}iö, SO springt die eigentümliche differenz in
der behandlung der beiden o in die äugen. Den grund kann
man in verschiedenen momenten sehen. Entweder sind in-
und auslaut verschieden behandelt, oder die beiden u des
gotischen waren verschieden. Dürften wir für das gotische
eine nasalierte endung ansetzen, so wäre alles in Ordnung.
Aber nach meiner auffassung der auslautsgesetze geht das nicht,
wol aber müssen wir o für das westgerm. und nordische an-
nehmen. Ein solches hätte zweifellos im slav. zu y geführt.
Auch in Wurzelsilben tritt y für u ein in abulg. myto,
got.möta. Ahd. heisst es aber mrda 'abgäbe'. I^nd das wort
könnte auch aus diesem dialekt stammen oder aus einem
anderen, in dem ö zu u geworden war. Dazu darf man wol
mit l 'hlenbeck .sv//h aus got. söjis herleiten. Ein ä ist in dieser
Wurzel sonst nicht nachgewiesen, und rein lautlich lässt sich
das slav. y schwerlich erklären. Dies müsste jedenfalls später
entlehnt sein aus einem dialekt, in dem germ. ö zu a geworden
war, vgl. die Schreibung n für o der bibelhandschriften des
gotischen.
3. Ob germ. ö durch a vertreten ist, ist sehr zweifelhaft.
22*
340 HIRT
^ran wird zugeben müssen, dass abulg. plakati und prijati nicht
entlehnt zu sein brauchen. Jedenfalls müssten diese beiden
aus sehr früher zeit stammen.
4. Wie u wird auch au behandelt. Ihm entspricht regel-
recht slav. n. Ahd. bottc, kroat. bugü, got. lampön, abulg. lupiti;
got. kaus^jan, abulg. hisiti, ahd. lotih, abulg. luk\ ahd. nüz, abulg.
nutd] got.skauts, abulg. 6'A-m/«; got.ausa, abn\g.user^(jH\ abulg.
glumü, an. glaumr. Hier fragt sich, lag im gotischen schon ö
vor, oder ist im slav. au direct zu u geworden durch laut-
substitution, oder fällt der Übergang des slav. diiihthongen ou
in u in die zeit nach der entlehnung. Eine antwort ist schwer-
lich zu geben. Mit der annähme der letzten möglichkeit muss
man sehr vorsichtig sein, da ja ö durch u widergegeben wird,
was nur eine lautsubstitution sein kann.
5. Got. u wird slav. zu y. Got. lius, abulg. fhyzü, ags,
tun, got. ^tun, russ. tynü, serb. f«»; got.pUsundi, abulg. tyscßti.
6. Germ, u wird slav. zu u in abulg. hnmatmü, ahd. brfin;
abulg. strusü, ahd. strUs; \to\\\. russ. serb. slov. ruta, ahd. rrda\
diese Wörter müssen einer jüngeren schiebt angehören als die
ersten, was ja durch struzü sicher erwiesen wird. Ausserdem
könnte man schliessen, dass zur zeit, als jene entlehnt wurden,
entweder slav. u noch nicht zu y geworden war, oder ou noch
nicht zu u. Falls nämlich kein u bestand, Avurde y für u sub-
stituiert. Aber beides könnte auch täuschen, da y im munde
der Slaven dem germ. n vielleicht näher lag, als das aus ou
entstandene u. Und schliesslich könnten auch verschiedene
accente in betracht kommen.
7. Got. m wird abulg. zwju. Got. hiuds, abulg. bljudo; ahd.
Hut, a.h\x\g.ljudu, got.lmfs, •dhiüg.ljubu; got.])iuda, 'dhiilg. stuMt
Anders erklärt Zupitza, Die germ. guttui-ale s. 145 diese Avörter.
Er hält im anschluss an Joh. Schmidt, KZ. 23, 348 ff. slav. ju
für Vertretung von indog. eu. A^'ie mir scheint mit recht.
Trotzdem halte ich die Wörter für entlehnt. Ich mache übri-
gens auf die länge des slav. u aufmerksam. Man müsste für
iu eigentlich xü > i erwarten. Slav. jn setzt, wie mir scheinen
will, eine steigende betonung des diphthongen m, also wol iü
voraus.
8. (jot. ai und c werden zu e. Got. kaisar, abulg. cesarlt;
got. baidjan, abulg. bediti] got. hails, abulg. cclu; abulg. chlevü
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 341
aus got. *}tJaiira] got. lelxis, abulg. Ukii; ahd. meinan, abulg.
meniti; got. m^rs, abiilg. merü; got. -tver-, abulg. vera; got. hlaifs,
abulg. chlehu.
0. Got. c wird zu / in got. mcs, abulg. misa. Hier haben
wir es mit c'^ zu tun, vgl. ahd. mias. Got. ai wird zu / im
anlaut, abulg. /.s7.y///, inU. In abulg. lil-U, got. ?«/ä:5 könnte wol
eine andere stufe vorliegen. Die mittelstufe i wird auch
vorausgesetzt für die fälle, in denen e und ai zu X geworden
sind; abulg. mu'X, got. mckeis, aruss. dsari, got. hdsar, denen
sich (johlni aus gaheigs und oc^^h aus a/^e^Y anreihen. Offenbar
ist die Verkürzung durch tonentziehung entstanden.
10. Die lautgruppen e, a -f liquida + consonant erleiden
die urslavischen Verwandlungen, im abulg. also die metathese
mit dehnung des vocals; got. hairijan, abulg. hrega, got. hairg-,
abulg. &>7'(/r<, russ. &ercr/«; got*bar(lö, ?ih\\\g.hrady; germ.*banv-,
abulg. hravü; got. gards, abulg. gradü; got. halJcs, abulg. chlakü
u. s. w.
11. Die lautgruppen /, k, o + liquida + consonant W' erden
behandelt wie urslav. /, ii + liquida, erleiden also alle Ver-
änderungen der einzelnen dialekte; abulg, crükg, ahd. chirihha;
abulg. chlümü, an. höhn, got. *hulm, abulg. *mrüky, ahd. morha;
•dhiilg, striiJiU, Sihä.storalt; s})\üg.vrHci, got.aürkeis\ ?Lb\i[g.vrtitü,
got. ath-fl- mit Vorschlag von tv.
Auffällig sind einige formen. Abulg. sletnü ist nach Uhlen-
beck nicht aus got. hilms, sondern aus einem Vielma- entlehnt,
und zleda stammt nicht aus got. gildan, sondern aus einem
*geldan. Letzteres halte ich indessen nicht für entlehnt. Diese
Voraussetzung würde keine Schwierigkeiten bereiten, nur müsste
bemerkt werden, dass sie nicht bewiesen ist. Ueber abulg,
mUko aus melko hat sich Uhlenbeck nicht geäussert. , Got. heisst
es miluks, ahd. miluh. Aus beiden könnte die form nicht stam-
men. Aber es fehlt jedes beispiel für die behandlung des aus
germ. el entstandenen gotischen il Wir dürfen nicht ohne
weiteres das von der lautgruppe id gewonnene auf il über-
tragen, denn il ist ja aus cl hervorgegangen. Schon Scherer
hat vermutet, dass got. i für zwei verschiedene laute geschrieben
werde (ZGDS.'^ 51 anm., vgl. dazu Braune, Beitr. 9, 548) und
Wrede hat dies QF. 68, 162 weiter begründet, und das slav.
unterstützt seine annähme entschieden. Denn weshalb sollten
342 HIRT
gerade diese zwei oder drei Wörter aus einem nicht got. dia-
lekt entlehnt sein?
Ebenso wenig kann icli ühlenhecks ansieht beistimmen,
dass got. baiü-d im abulg. hrad ergeben hätte. Er führt selbst
die entscheidenden fälle an, indem er abulg. chlümü aus germ.
liolma-, plüliü aus ahd. folc entlehnt sein lässt. hanrd hätte
also im abulg. hrüdo ergeben, wie es wirklich vorliegt. Auf-
fallend ist die russische form hcrdo, die auf ein urslav. hirdo
weist. Derselbe fall liegt aber in abulg. strüldi 'storch' vor,
urslav. ^sttrku. Es scheint fast, als ob ur, or regelrecht durch
ir, ul dagegen durch ül reflektiert werde. Unter dieser Voraus-
setzung könnte man abulg. ^^mw, serb. prsi, russ. persi, aus
deutsch bmst, got. hrusts, an. trünü, russ. ternu aus got.paunius
entlehnt sein lassen, hrusts und prasa gehören wol zusammen,
können aber kaum urverwant sein.
Auffallend ist noch, dass das slav. wort abulg. Irali *der
könig' die regelrechte entwicklung des volllautes zeigt, russ.
Jiorolj. Dies stammt aus dem namen Karls des grossen, und
kann also erst während dessen lebenszeit entlehnt sein. In
unsern abulg. quellen ist der volllaut vollständig durchgeführt.
Er muss ja überhaupt viel älter sein als unsere Überlieferung,
da er gemeinslavisch ist. Man kann unmöglich annehmen,
dass er erst nach der zeit Karls des grossen eingedrungen sei.
Beachtenswert ist ahnuzno gegenüber ralcy aus *a7-Aö. Jenes
wird später entlehnt sein, wol erst aus dem ahd. Freilich
heisst es dort alaniuosan mit mittel vocal, der aber in andern
Wörtern nichts ausmacht,
12. Vocal + nasal + consonant wird regelrecht zum nasal-
vocal, vgl. ceta, got. kintus; gast, ahd. yans; chadogü, got. han-
dags; choniyy, got. hriiyya] Idadqzl, got. *kaldiyys. In abulg.
chotan, ahd. huntari müsste eine si)ätere entlehnung vorliegen.
13. Germ, a wird zu o, abulg. ho}% ags. hearu, serb. hök,
got. *hali\ abulg. yosü, got. gasts; abulg. yorazdü, got. *yarazds
U.S.W. Dies ist die regelrechte Vertretung. Daneben stehen
unzweifelhafte fälle, in denen
14. germ. a durch a widergegeben ist, krositalnmmo, russ.
glazu, mhö.. glaren; •dhvdg.chahiti ag., got.gahahan siJc; nhiüg.sakü,
got. sakkus; abulg. valitt, got. afwalicjan; abulg. varovati, got.
warei\ russ. valii, urgerm. ivall. Diese Wörter müssen aus emer
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 343
späteren zeit stammen. Denn man wird diese Vertretung nicht
abweisen kininen. Ein besonderer fall liegt voi- in abulg. navX,
gut. nans, abulg. dunaci Sehr auffällig ist abulg. (jorazda, das
aus einem got. garazäs stammen soll.
15. In drei fällen scheint germ. a auch durch ü vertreten
zu sein, in miuiogii, got. manags, buru, got. hariz, vimuJcii. Nach
slav. lautgesetzen ist das li hier schwerlich ei'klärbar, aber
auch die annähme der entlehnung ist nicht bewiesen und nicht
ohne Schwierigkeiten durchzuführen.
Sonst ist im vocalismus noch auffallend die widergabe von
ahd. ärunti diu'ch oradije, und abulg. pen^gii mit langem e.
lieber den consonantismus ist weniger zu bemerken.
/■ Avird anfänglich durch ^), später durch l widergegeben, J)
durch t. Bemerkenswert für die Sprachgeschichte ist yonoziti
mit z, got. ganasjan, abulg. chjzu, got. hus u. s. w. Zweifellos
gibt slav. z ein germ. z Avider.
Auffallend ist die behandlung von germ. h. Es wird in
der überwiegenden anzahl der fälle zu eh. Beispiele s. oben
s. 337 f. Vor hellen vocalen wird cJi zu s, slemü aus *helmaz.
Es wurde so schwach gesprochen, dass es in uscregü ausfiel.
In einigen beispielen wird es aber durch k widergegeben.
Ueber abulg. konojilja, das aus got. Vianaps zu stammen
scheint, habe ich schon oben in anderem sinne gehandelt. Man
würde hier ja gern die annähme von entlehnung ablehnen, da
der hanf doch vermutlich eher zu den östlicher wohnenden
Slaven als zu den Germanen gekommen ist. Aber das j») gegen-
über dem b in gr. xdr)'ai:i(g, lat. caiinubis bereitet vorläufig
unüberwindbare Schwierigkeiten. Der einzige ausweg bliebe,
slav. honoplja aus einer spräche stammen zu lassen, die wie
das germ. die medien zu tenues verschoben hätte. Aber bis
jetzt ist eine solche nicht nachgewiesen.
Abulg. hnriiva kann auch nicht ohne Schwierigkeiten aus
got. liörs abgeleitet werden, denn woher stammt das «t? Abulg.
hotora aus einer form, die in mhd. hader noch vorliegt. Abulg.
hipü, ahd. houf. Mit Wandlung in den Zischlauten finden wii-
abulg. celu, got. hails, abulg. cnklu, got. hairda.
Sollten diese Wörter vielleicht nicht direct zu den Slaven
gekommen sein, etwa durch Vermittlung der Balten?
344 HIRT
h wird durch h, vor liellen vocalen durch c und c vertreten.
Man vergleiche ccsan, cqta, lice, crulcij und a'do, crcsuja, nüci,
vruci und slde^zl, IcunczL Im allgemeinen repräsentiert wol c
die ältere Schicht.
Leider lässt sich nicht feststellen, in welche zeit die frühe-
sten entlehnungen fallen. Aber mit grosser Wahrscheinlichkeit
dürfen wir doch die Goten als die ersten ansehen, die einen
nachhaltigen einfluss auf die slav. sprachen ausgeübt haben.
Vielleicht, so könnte man denken, böte uns die betonung
ein kriterium für die entlehnung. Die aus dem germanischen
entlehnten wörtei- müssten den ton auf der ersten silbe tragen.
Das ist aber durchaus nicht immer der fall. Es heisst ccsdrX,
russ. cisari, car; abulg. mUi lautet im serb. mac, müca, aus
älterem macä. Kroat. heisst es ühoraJc für *uhuraJc aus ahd.
eimhar; in chuning geht die erste silbe verloren, und es heisst
serb. knez, Icneza, russ. hijdzü.
Wir können demnach aus der betonung keinen schluss
ziehen. Das slav. hat die fremden Wörter offenbar unter ge-
wisse accentschemata eingestellt.
Im allgemeinen bin ich, wie man sieht, sehr dazu geneigt,
entlehnungen anzunehmen, und zwar aus dem gründe, weil ich
keine besonders nahe verwantschaft zwischen germanisch und
slavisch anerkennen kann. Neuerdings hat Uhlenbeck, Beitr.
22, 539 eine anzahl von Wörtern zusammengestellt, die nur im
germ. und slav. voi'kommen. Es sind nicht allzu viel, und so
recht significante, denen man einen culturhistorischen wert
beilegen müsste, sind nicht darunter. Bei einigen habe ich be-
denken. Ah^.harü, russ. /.or^;?/«/:/ s. unten s. 351. B^i goi.hairpra
'eingeweide', abulg. cresla 'lende' stimmt die bedeutung nicht,
abgesehen davon, dass die gutturale Schwierigkeiten bereiten,
wie ich aber hier nicht ausführen kann. Zu ags. idfetu, ahd.
elhiz, aksl. lehedt vgl. jetzt Osthoff, IF. 8, 64 ff. Ahd. hemera
'nies würz', abulg. ccmcri 'gift', cenierica 'helleborus' vermag
ich wegen der gutturale ebenfalls nicht ohne bedenken zusammen
zu stellen.
B. Die altgermanischen lehnwörter im baltischen.
Das baltische zerfällt bekanntlich in drei dialekte, in das
ausgestorbene preussische, in das litauische und in das lettische.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 345
Ich will hier nicht auf eine genaue bestimmung der alten
Sprachgrenzen eingehen, da es feststeht, dass die alten Preussen
am westlichsten gesessen haben. Bei ihnen darf man daher
am ehesten, vielleicht ausschliesslich germ. einlluss voraus-
setzen. Von wem dieser ausgegangen ist, das kann nicht
zweifelhaft sein. Die geschichte kennt die (ioten am unter-
lauf der ^^'eichsel, etwa von der einmündung des Bug bis zur
Ostsee hin. Im Weichseldelta sass der got. stamm der Gepiden.
Auch die zeit ihrer anwesenheit in dieser gegend lässt sich
annähernd bestimmen. 'Der letzte zeitgenössische zeuge, der
der Goten noch als bewohner der alten geschichtlich bezeugten
sitze gedenkt, ist Ptolemaeus in der ersten hälfte des zweiten
jh.'s. Um die mitte dieses jli.'s mögen die züge der Goten
nach dem Süden begonnen haben. Um 200 müssen die Goten
die Gegend am Pontus erreicht haben: bereits 214 findet bei
dem Orientzuge des Caracalla ein erster zusammenstoss mit
den Römern statt' Sievers, Pauls Grundr. 1', 407 f. Hat das
gotische also auf das altpreussische gewirkt, so kann das nur
im ersten und zweiten jh. n. (Jhr. oder früher geschehen sein.
Man kann allerdings daran denken, dass reste von Goten im
lande geblieben wären, dass sich nicht alle den zügen an-
geschlossen hätten, aber eine solche annähme können wir vor-
läufig nicht beweisen. Dass aber irgend welche menschen als
träger einer historischen tradition zurückgeblieben sind, das
geht aus einer reihe von indicien hervor, von denen ich nur
die neueste besprechung des namens 'Danzig' von Kossinna,
IF. 7, 285 ff. namhaft machen will. Ob die Goten wirklich mit
den Pi'eussen in berührung gekommen sind, das wage ich auf
grund anderer momente nicht zu entscheiden, und will daher
nur die spräche als zeugin anrufen. Allerdings haben wir
hier mit gewissen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der slav. ein-
fluss auf die balt. spräche ist ungeheuer gross gewesen; den
germ. von ihm sauber zu trennen, ist oft unmöglich. Doch
glaube ich einiges wenigstens mit Sicherheit feststellen zu
können. Wo uns lautliche kriterien im stich lassen, da gibt
m, e. ein punkt den ausschlag. Stimmt ein preussisches wort
in flexion, Stammbildung und bedeutung genauer zum germ.
als zum baltisch-slav., so ist es der entlehnung dringend ver-
dächtig.
346 HIRT
I. Die lelnnvörter im altpreiissischen.
Ich stütze mich hier auf Berneker, Die preussische spräche.
aclions ^granue' Yocabular (V.) 277 stimmt j2:enauer zu got.
ahana 'spreu' als zu Mi. aMdas, X^Xi.ahüts. Es steht für *aclans
mit 0 statt a nach guttiu-al, vgl. Berneker. Welche casusform
in achms steckt, ist unklar. Sehr unsicher.
alu V. 892 'met', lit. alhs, lett. alus aus germ. ^alu-, aengl.
eaJu n.. an. (jl n. Dies wort wird gewöhnlich zum balt.-germ.
Wortschatz gerechnet. Doch kann es ebenso gut entlehnt sein.
Da ein lautliches kriterium fehlt, so gibt vielleicht lit. mldus
'met' den ausschlag. Dem ai. mddhu n. 'süssigkeit, honig,
süsser trank", gr. f{ei)-v 'wein', abulg. mcdU 'honig' entspricht
regelrecht lit. medhs •honig', preuss. meddo V. 391 "honig". Da-
neben gibt es ein Mi.midiis 'met'. Nun tritt allerdings im
lit. in einzelnen fällen ein i statt eines indog. e auf (vgl. Les-
kien, Der ablaut der Avurzelsilben im lit., Abh. d. phil.-hist. cl.
d. Sachs, ges. d. wiss. 9, 270. Wiedemann, Das lit. praeteritum
s. 8), aber die fälle sind zu unsicher, um mit ihnen rechnen zu
können. Das lit. midus 'met' erklärt sich aber sehr einfach
aus einem im got. zufällig nicht belegten ""midus 'met'. Hier
haben wir einerseits an dem i, andrerseits an der bedeutung
ein kriterium der entlehnung, denn germ. *mcdus hat auf dem
ganzen gebiete unseres sprachzweig;es die bedeutung "mef,
und nicht mehr die von 'honig'.
Als dritter fall auf dem gebiete des 'getränkes' kommt hinzu
preuss. drmjios 'liefen' an. dreyg, pl. drecjijjar (st. ^dragjä-). Das
got. wort fehlt, müsste aber wol *dragjös lauten. Auch hier
können wir die entlehnung nicht beweisen, und im allgemeinen
gelten die worte für ui-verwant, vgl. Kluge, Pauls Grundr. 1, 820.
Berneker s.' 287. Für entlehnung dagegen G. Meyer, Alb. wb.
s. V. drä f. und mit recht.
Pr. ankstan 'butter'. Grünau ancte zu ahd. ancho 'butter',
lat. unguen 'salbe' u. s. w. Die formen des preuss. stimmen
nicht genügend überein, um die annähme von entlehnung zu
sichern. Auffallend ist mir die gleiche bedeutung. Die aus-
drücke für 'butter' gehen sonst nicht in die urzeit zurück.
Jedenfalls ist vorsieht geboten.
assanis V. 13 'herbst', got. asans 'erntezeit'. Abulg. jesewi
zeigt in beiden silben e-vocalismus. Doch können die preuss.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES, 347
a für e stehen, was im anlaut im Vocabular sogar regel ist.
Unsicher.
asilis V. 436 'esel', \ii. äsilas, ?ih\\\^. osllü aus got. asilus.
Berneker s. 281 nach anderen. Prellwitz hält es für ein mo-
dernes lehnwort. aber das tier wurde schon in vorchristlicher
zeit in Nordeuropa bekannt.
bnmyosYAld 'brustharnisch', Itit. hrunas, ?i\)n\g. hrnnja
entlehnt aus got. brmijö. Prellwitz hält es für entlehnung
aus dem mhd. brürijc, hroniyen, was mir nicht wahrscheinlich
ist. Bekanntlich ist das germ. in waffennamen und heerwesen
füi- das baltisch -slav. vorbildlich gewesen. Aus dem preuss.
gehören noch hierher:
sanvis Y. 41 f. 'wofen', lit. szarvat aus got. sariva 'rüstung'.
Unzweifelhaft.
salmis\A20 'heim', Mi. szatmas, abulg. s?mtf, got.hüms,
ahd. heim. Doch kann das preuss. wort nicht direct aus dem
germ. stammen.
Unmittelbar ist preuss. l'elmis ' liut ' V. 474, chelmo Grünau
'hut' entlehnt. Hier beweisen die gutturale, da got. hilms zu
ai. rarman gehört.
Preuss. kalahian V. 424 'seh wert', lit. kalavljas ' Schwert,
eisbock, eisbrecher', hdavijäd'u-is 'ein Waffenschmied, schwert-
feger'. Das wort ist nicht aufgeklärt und sieht unlitauisch
aus. Man könnte an ahd. lialh, haldb 'handhabe, stiel' denken.
huccareisi.<i V. 598 'buchecker', huccmvarne \. 723 'holz-
krähe', lit. hiiha, got. höl:ö, aber kaum direct aus dem got.
f/a^/rt?6-m^ 'bereiten', \\t. gätavas, lett. (/a^az^'s 'fertig', lit.
(jatänjti, s.hii\g.<jotoviti 'bereiten', got. (/afcmjan. Nach Brückner,
Die slav. lehnworte, stammt das halt, wort aus dem slav.; das
ist möglich, aber nicht sicher. Von Berneker s. 290 wird es
zu alban. gaf 'bereit', gatuan 'bereite zu' gestellt nach G.Meyer,
Alb. wb. s. V. gat, aber schwerlich mit recht.
instran Y. 193 'schmer', an. istra 'fett, schmer'. Unsicher.
haüüstikan 'gesundheit' nebst abulg. celü, ctlostt entlehnt
aus got. hails. Wegen des h nicht aus dem slav. Die ent-
lehnung ist mii' vor allem wegen der bedeutung wahrschein-
lich, vgl. Sigs. hcel n. 'gesundheit*.
cayntis Y.197 'dorf, cayme (4r. "dorf, lit. henias aus got.
huims. Ygl. noch kaitna luke 'sucht heim'. Die Wörter können
348 HIRT
aucli urverwant sein, doch gehört haims vielleicht mit gr.
x(6firj zu preuss. seimlns 'gesinde', lit. szeimyna, abulg. semtnu,
vgl. Zupitza, Die germ. gutturale s. 49.
ca^<7*" Y. 355 'kessel', Mi.kätüas, \%ii.liatls, abulg. /lO^i^w aus
got. TmUIs.
Mnpishin 'handel' kann natürlich nicht trotz Brückner
und Prelhvitz aus i)oln. Mpcc entlehnt .sein. Denn woher sollte
der diphthong stammen? Ebensowenig kann es aus dem nieder-
deutschen herübergenommen sein. Es bleibt als quelle nur ahd.
und got.
/.•err/aw 'zeit', abulg. cVeda ' Wechsel', got. hairda, -dM.herta
iierde. Wechsel'. Die annähme der entlehnung bereitet wegen
der bedeutung des preuss. Wortes einige Schwierigkeiten, doch
hatte die sippe nach ausweis von ai. ^drdha 'schar, herde'
palatalen guttural. Vgl. noch das sicher entlehnte lit. lierdzius,
got. hairdeis. Das alte lit. wort für 'liirt' heisst pemü.
kJauslton, Mausemai, lit. Mausaü, Idausyti, lett. Mausit 'hören,
gehorchen ; man hat dies wort stets mit abulg. sluchü, ai. cra-
vanam verbunden. Wegen des verschlusslautes muss das wort
entlehnt sein. Es gibt aber im deutschen kein wort Maus-,
und man hat daher diese Vermutung abgewiesen. Ich nehme
an, dass im lit.-preuss. secundärer ablaut vorlegt, und wir die
entlehnte form in preuss. ^jokliismai, jioldiismingisJiai 'gehorsam',
lit. Jclustü, paklusniis zu sehen haben. Lit. Jdustk 'jemandem
gehör geben, gehorchen' kann auf einer germ. form beruhen,
die etwa in ags. Idystan 'aufhorchen, zuhören' vorliegt. Der
aorist klusaü berührt sich mit ahd. Jdosen, hlosön. Secundärer
ablaut, d. h. die entstehung ablautender form auf grund einer
einzigen form, ist etwas ganz gewöhnliches in allen sprachen.
auklipts 'verborgen' aus got.*hUfts, Miftus. Man vergleicht
das preuss. wort mit gr. xXijixm, lat. depo, got. hlifan, ohne sich
um die erklärung des / zu kümmern. Auch bei Eerneker finde
ich nichts. Indog. e kann es nicht sein, und l auch nicht, da-
her wird man entlehnung annehmen müssen.
knaplos V. 268 'hanf, lit. kanäpes, lett. kanepe aus got.
Vianaps. Vgl. oben.
cui/lis V. 683 'eher', lit. kmhjs 'zahmer eher', lett. kudis,
nhd. keder, keuler. Eine entlehnung des deutschen aus dem
lit., wie sie Kluge im Et. wb. vermutet hat, ist mir wegen des
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 349
lit. vocalismus nicht gerade wahrscheinlich. Wie verliält sich
hdlys zu kidnle?
miütan 'malz' in phvamultan aus dem deutschen 'malz'.
nantin, nmitien 'not', got. naups. Wol entlehnt.
panno V. 33 'feuer', paniistaclan V. 370 'vuerj'sen'. staclan
= ahd. stahal, g-ot. *sfahla- n. Letzteres ist vielleicht entlehnt,
und auch wol panno, da man g"ot. fon, fiinins seinem ablaut
nach nicht mit dem preuss. Avort vereinig-en kann.
pcclcu 'vieh'. Mi. pehus, [] Kurschat. mit gutturalem ver-
schlusslaut geg-enüber ai. pden, entlehnt aus got. faihu. Davon
abgeleitet jyecküt, popeclcfd 'behüten'.
rilxis 'herre' V. 404, ril;s 'reich'. Das wort kann nicht aus
dem slav. stammen, da es dort nicht vorhanden, und kann auch
kaum in späterer zeit aus dem germ. entlehnt sein, da riks
nicht mehr die bedeutnng 'herr, könig' hat. In spätere zeit
gehört IconcujisYAOi) 'könig' gegenüber der alten entlehnung
von lit. Ihningas 'pfarrer', lett. kmigs 'herr'.
saltan Y. 376 'speck' braucht man wol nicht in paltan zu
bessern, da es mit deutsch sali zusammenhängen könnte.
stiMo 'glas', got. stilds. Möglicherweise aus dem slav.
fiddlsnan 'freude', got. dullhs 'fest', ahd. didt 'Jahrmarkt'.
tcanijiis V. 588 'damerau', got. ivaijgs 'paradies', an. vangr
'feld'. Gegen amiahme von entlehnung lässt sich nichts ein-
wenden. Gehörte waggs mit gr. oyxoq 'biegung' zusammen,
so wäre sie sogar sicher.
Die lehnwörter sind im preuss. weniger gut und sicher zu
erkennen als im slav. Obgleich vieles sehr zweifelhaft ist,
glaube ich doch as'dis, sanvis, rihis, laupishan, pecku, tiddlsnan
direct auf das gotische zurückführen zu dürfen.
II. Die germanischen lebnwüiter im li t aitisclien.
Die zahl der altgerm. lehnwörter im lit. ist, wie wir schon
oben vermutet haben, in der tat ziemlich gering, doch sind in
einigen fällen, wie mir scheinen will, entlelinungen zweifellos
anzuerkennen.
Die angeführten fälle beruhen nicht auf einer sj-stemati-
schen durchforschung des lit. Wortschatzes, sondern auf gelegent-
licher notierung.
Lit. «/ä.v 'hausbier' s. oben s. 34C.
350 HIET
Lit. äsilas s. oben s. 347. .
lÄt. nana 'g-enug' soll aus got. ganah stammen. Das ist
zwar nicht sicher, aber doch möglicli.
Lit. gar das 'bürde', abulg". gradü 'raauer, garten', got.gards.
Lit. jeszl-öti, abd. eiscön s. oben s. 334.
Lit. Jiätüas, got. katils. Das lit. wort wird kaum aus dem
poln. stammen.
Lit. hmgurys, Icangure 'ein mit sandg-ras bewachsener bügel'
steht neben kaukarä; vgl. an. haugr.
■ Lett. hmns 'schände, schäm, höhn', got. hauns 'niedrig, de-
mütig'.
Lit. kaupas 'ein häufen von erde', abulg. hqyu, ahd. hon f.
Abulg. Jiupü kann nicht die quelle sein. Gegen urverwantschaft
spricht die mangelnde lautverschiebung.
Lit. kemas s. oben s. 347.
Lit. kerdzms 'hirt', got. liairdeis s. oben s. 348.
Lit. kirmytl, mhd. hirmen. Die sippe hat palatal, vgl. ai.
grämyati, doch kann das lit. wort aus bekannten gründen nicht
aus dem historischen got, stammen.
Lett. klai];)s 'brot' kann nicht aus dem slav. entlehnt sein,
sondern nur aus dem got.
Lit. klausyti s. oben s. 348.
Lit. khningas 'pfarrer, herr' muss altes lehn wort sein.
Lit. kuprä, ahd. hovar können auch urverwant sein.
Lit. kvetys, got. kalt eis wegen des t und des gutturals
zweifellos entlehnt.
Lit. mklks s. oben s. 346.
lÄi.mundras 'munter', ahd.mtmtor, gotmundrei. Vielleicht
spät entlehnt.
Lit pröias 'verstand', got. frö])-.
Lit. 2)utkas, ahd. fok, got. *fulk.
Lit. stodas, zem. eine herde vieh, besonders pferde' wird
wol eher aus slav. stado als aus germ. ^sföda stammen.
Lit. szarvaT, got. sarva s. oben s. 347.
AVie man aus dieser liste sieht, ist die zahl wirklich alter
lehnwörter sehr klein gegenüber der im slavischen. Man kann
daher mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch die an-
geführten nicht direct, sondern durch das preuss. in das lit.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 351
g-ekommen sind. Das eine steht ahov fest: ein o:uter teil
dieser Wörter kann zweifellos nnr ans dem altg-enii. stannnen,
denn später sind ja anf Jahrhunderte hinaus die beziehungen
zwischen Litauern und Germanen untei'brochen.
VII. Etyinologieu.
1. Ahd. hart! 'Schulterblatt'.
Ahd. //«>-^/ 'Schulterblatt' g-ehört mit ^w. heröar pl. 'schul-
tern' zusammen und ist bei Zupitza, Die germ. gutturale mit russ.
kortißki 'schultern' verglichen. Dem schliesst sich jetzt IJhlen-
beck, Beitr. 22, 539 an, indem er es als germ.-baltoslav. glei-
chung in anspruch nimmt. Indessen kann man auch lat. car-
tilägo 'knorpel am tierischen körper' hierher ziehen.
2. mare.
Das deutsche mare, nachtmare, dial. mart hat schon A. Kuhn,
Zs. fda. 5, 488 f. mit ai. marut und mit lat. mori verbunden. Mogk
hat sich Pauls Grundr. D, 1013 dem angeschlossen und daraus
eine anzahl von folgerungen abgeleitet. Die Verbindung mit
lat. mori ist aber zu beanstanden, da man jetzt ai. marut kaum
von \?it.mavors, mavorüs trennen kann, vgl. Wackernagel, Aind.
gramm. § 184: hier ist durch zahlreiche beispiele ein indog.
gesetz belegt, nachdem aus ur, nl unter gewissen bedingungen
rit, lii wurde. Die lautgesetzliche erklärung ergibt sich auf
grund von zwei indog. Schwächungsstufen der gruppen er, el.
Denn es ist klar, dass aus indog. '''mauert nichts anderes als lat.
mavort werden konnte, während *tuaitrt zu marut führte.
Ebenso gehen ai. vr'lris, abulg. vlitkü, lit. vitkas, got. ivulfs, lat,
vidpes auf indog. *Uelkos, lat. hqnis, gr. Xvxog dagegen auf
*ijlkos, woraus *lukos, zurück. Wir besitzen also einen indog.
ausdruck maujf, marut für ein gespenstiges wesen, über dessen
eigentliche bedeutung wir nicht ins klare kommen können. Ob
slav. mora, serb. mora 'alp' entlehnt oder urverwant ist, lässt
sich nicht feststellen; ich vermute das erstere.
3. Got. qairriis.
Got. ryaeVnLS- 'sanftmütig', a.n. kvirr, kyrr 'still, ruhig', mhd.
klirre 'zahm, milde' hat Bezzenberger mit Vit gurüs ^lockar,
352 HIRT
bröckelig' verbimdeii (BB. 3. 81). Noch besser scheint mir aber
lit. geras 'gut' dazu zu stimmen. Letzteres hat Bezzenberger
mit gr. (ftQxtQo^ verglichen, was indessen wegen des labials
einige Schwierigkeiten bereitet, da wir ^ erwarten müssten.
Unaufgeklärt bleibt das doppelte ;•. Ist obige gleichung richtig,
so muss natürlich die Verbindung von lit, geras mit gr. f/tQTtQog
aufgegeben werden.
4. Got. qistjan.
Got. qistjan 'verderben', an. kvista •verstümmeln', mnd.
quisten, ixM.quistan, chicisten 'verderben, vernichten" bezeichnet
Uhlenbeck, Et. wb. als unaufgeklärt. Zu gründe liegt ahd.
quist 'Vernichtung'. Das wort gehört zu einer in den indog.
sprachen weit verbi-eiteten wurzel gi<es, vgl. 'di.jas 'erschöpft
sein, totmüde sein, erschöpfen, entkräften', nijas 'vergehen,
verschwinden', jdsush f. 'erschöpfung, mattigkeit', lit. gesaU,
gesyti 'löschen', gestu, gesti 'erlöschen', gr. ößtvvvfii aus zgt(es-
' auslöschen', übertr. 'stillen, dämpfen, massigen'.
5. Got. -friks.
Got. faihu-friJcs enthält ein wort friks, das in an. frekr
'gierig, kühn', ags. free 'verwegen', ahd. freh 'habsüchtig' vor-
liegt. Dies dürfte doch trotz der nicht übereinstimmenden
schlussconsonanten zu lat. jrrecäri, procus u. s. w. gehören. Die
form "^preg verhält sich zu "^iwek wie '^äeig in taikns zu "^deik
in teihan.
6. Ahd. gispanst.
Ahd. gispanst 'lockung' gehört zu ahd. as. spanan 'locken,
reizen', das man zu gr. öjiäoj 'ziehen' stellt. Noch näher liegt
aber lit. spendziu, sp^sti 'fallen' oder 'f allstricke legen'.
7. Ahd. narro.
Ist ahd. wan-o 'verrückter' ein deutsches wort, so kann
man es mit lit. narsas 'zorn', nirsti 'starrköpfig, starrsinnig etc.'
vergleichen.
8. Ahd. hehara.
Ahd. hehara, ags. hi^ora m., an. heri, hegri m. 'häher' ist
noch nicht erklärt. Denkt man an die eigentümliche gestalt
dieses vogels mit seinem auf dem köpf verschmälerten und
tollenartig verlängerten gefieder, so könnte man daran denken,
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 353
dass der vogel luicli seinem ausselien benannt wäre. Die
grundform des germ. wortes ist unzweifelhaft *kikoros, und
dieser entspricht g-anz g-enau ai. rikharas 'spitzig', abgeleitet
von oihhü f. 'haai'busch, pt'auenkamm. spitze', rikharas bedeutet
also eigentlich 'mit einem haarbusch, federbusch versehen',
und das passt ausgezeichnet als bezeichnung für den häher.
9. Ahd. hirso.
Die hirse gehört bekanntlich zu den ältesten cultur-
gewächsen Europas, und es ist daher von vornherein anzu-
nehmen, dass ihr name auch bei den Germanen uralt ist.
Sehr ansprechend ist Brätes heranziehen von lat. ceres, cereris
(BB. 13, 48). wenngleich nicht ganz sicher. Ich verbinde weiter
mit dem germ. wort ai. (■ashpam, das auf t-arsli zurückgeht. Die
bedeutungen 'junges gras' — 'hirse' sind leicht zu vermitteln,
10. Ahd. hodo.
Ahd. /iodo, mvX.liode, a.h'mi^.hotJia 'hode' weisen auf ablauts-
formen Jiont, htf, deren erklärung noch aussteht. ]\lit lat. cöleus
'hodensack' (Kluge) weiss ich die formen wegen des vocalismus
nicht zu vereinigen. Dass das wort uralt ist, ist wegen des
alters ähnlicher bezeichnungen von vornherein zu vermuten.
Ich verbinde unser wort mit lat. cunnus aus ^cutsnos. Um
den bedeutungsübergang zu erklären, verweise ich auf mhd.
n// 'cunnus, Vulva", gegenüber -di. putn m. dual, 'hinterbacken',
jwtas 'junges', lit. ^>a<7to6' 'ei', ^;aH^«/ 'hoden, hodensack', die
lautlich mit dem germ. wort genau übereinstimmen. Auch ai.
iöfhus 'anschwellung' könnte man mit dem in der Überschrift
genannten worte verbinden,
11. Ahd. sclnan.
Ahd. scman 'glänzen, erscheinen, sich zeigen', got. skeinan
'leuchten, scheinen" stellt man zu gr. öxiä 'schatten', ai. chmjä
'glänz, schatten'. Es mag sein, dass hier eine wurzel sket zu
gründe liegt. Immerhin wird man auch eine andere etymologie
vorschlagen dürfen, die absolut genau übereinstimmt. Got.
skeinan entspricht abulg. simiti, sin(i, sinesi 'illucescere', sinX
'hell, licht'. Weiter gehört hierher alb. si, stamm sin 'äuge'.
Beiträge zur guscLilcbtu der deutBcüeu uprauhe. XXllI. 23
354 HIRT
sk in sl-einan muss auf indog. sie zurückgehen, und daraus liat
sich ganz regelrecht abulg. s, alb. s entwickelt.
12. Got. sair.
Got. sair 'schmerz' stellt Uhlenbeck, Et. wb. s. v. zu air.
sdeth 'leid, mühe, krankheit'. Ist dies richtig, so kann man
diese worte weiter mit ai. kshä 'brennen', gr. ^tjgög 'trocken'
verbinden, indem man von einer e/-wurzel ausgeht.
13. Ahd. wer ah.
Ahd. tverah und werch n. 'werg' möchte man gern mit tverJc
'f'pyoa'' zusammenbringen. Doch bleiben dabei immerhin einige
Schwierigkeiten der bedeutungsentwicklung. Dass diese selbst
schon alt ist, scheint mir aus gr. Q/j-yoc 'ein gefärbter teppich,
eine bunte decke' hervorzugehen, das ich direct mit dem germ.
Worte vergleiche. Prelhvitz, Et. wb. stellt es zu Qtuo 'färbe',
was mir nicht notwendig zu sein scheint.
14. Ahd. hlio.
Ahd. blw, bUwes 'blei' bezeichnen die etymologen als völlig
unaufgeklärt. Schade hat es mit ahd. Ml st. n. 'färbe' zu-
sammengebracht, was schwerlich angeht, und ebensowenig kann
ein Zusammenhang mit lat. plmnhnm bestehen. Und doch fühlt
man eine gewisse ähnlichkeit im klänge dieser Wörter, der ja
täuschen könnte, vielleicht aber doch auf einen alten zusammen-
hang hinweist. Das ahd. wort kommt ausser in diesem dialekt
nur noch im an. als hly vor. Dass wir daraus nicht die exi-
stenz eines urgerm. Wortes erschliessen dürfen, ist bei der
weiten und rätselhaften Wanderung der meisten metallnamen
selbstverständlich. Als grundform für unser wort gewinnen
wir ein Vdnvan (got. *blehv), und dies können wir, einen neuen
fall zu den alten fügend, auf "mlucam zurückführen. Das er-
innert uns sofort an gr. (loXtßnc, fioXvßog, fioXvßöog; die erste
form liegt 11.11,237, die letzte 11.24,80 vor. Ein indog. wort
liegt hier natürlich nicht ^or, obgleich sich iiöXißoi; auf moli-
giios, *mllwam aber auf *mle{ghvom zurückführen lassen, zwei
formen, die sich nur durch einen regelrechten ablaut und den
häufigen Wechsel ^'on media und media asi)irata unterscheiden.
Wir haben es viel eher mit lehn Wörtern zu tun. Im griech.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES, 355
weist darauf schon die verschiedene gestalt der zweiten silbe.
AVenn aber hier wirklich ein vorläufij? noch nicht näher zu
bestimmender Zusammenhang zwischen den beiden wr)rtern
bestellt, so wird man die heimat derselben nicht mit O.Schrader,
Sprachvergleichung- und urgesch. s,312 in Spanien suchen dürfen,
sondern in dem alten gebiet der Hallstadtcultur. also in Oester-
reich-rngarn; und dann werden wir auch \Rt. j^hmihuni nicht
von dem griech,-germ. worte trennen wollen, wenn wir gleich
die art. wie das lat. wort seine lautgestalt gewonnen, nicht zu
bestimmen vermögen.
Die ältere forschung, z. b, Curtius, Grundr.^ s. 370, verbindet
auch slav. olovo 'blei', lit. alvas 'zinn' apr. ahci.s mit dem griech.
wort, was aber aufgegeben werden muss. Dass die halt, Wörter
aus dem slav. entlehnt sind, wie Brückner, Die slav. lehnworte
s. 67 annimmt, kann nicht bewiesen werden. Darf ich eine
Vermutung wagen, so ist slav. öloro, lit. akas das lat, album,
sc, lüumhum.
Das engl.-deutsche wort für hlei, inhd. löt, ags. Und 'blei'
entspricht zunächst ir. limide. Dass die beiden Wörter urver-
want seien, lässt sich freilich kaum wahrscheinlich mächen.
"Weiter darf man aber auch ai. lohdm vergleichen, dessen be-
deutung (kui)fer oder eisen?) allerdings nicht ganz feststeht.
Gewöhnlich verbindet man löliam mit lat. raudiis, sieht also
in l ein indog. r, weil im ind. löhitas neben rühitas steht.
Aber sicher kann man darauf nicht bauen. Dass hier eine
alte gleichung vorliegt, ist durchaus nicht undenkbar, da die
Völker Europas zweifellos eine viel grössere kenntnis ver-
schiedener metalle hatten, als man bisher annimmt. Eine
kenntnis setzt natürlich noch keinen ausgedehnten wirtschaft-
lichen gebrauch voraus, und die metalle haben doch zunächst
als Schmuckgegenstände Verwendung gefunden, die leicht ebenso
entbehrt werden konnten, wie sie beliebt waren. Es ist daher
auch sehr w ol möglich, dass die von Lottner, KZ, 7, 183 auf-
gestellte gleichung lat. ferrum, ags, hrms zu recht besteht,
15. Ahd, hlat.
Der für ahd. hläo, ags. hhic^ ahd. Jdlo angenommene wandel
von anlautendem ml zu bl verhilft uns, glaube ich, auch zu
23*
35G HIRT
einer annehmbaren etymologie des alid. hJat u. s. w. Kluge
verbindet es zweifelnd mit lat. foliiim, gr. q^vllor. So genau
auch die bedeutung stimmt, so vermag ich die Stammformen
vorläufig noch nicht zu vereinigen, namentlich da man hJat
schwerlich von ahd. hluoma und der dazu gehörigen sippe
trennen kann. Dies weist alsdann auf eine set-wurzel, mit der
sich gr. (pvXXov, lat. folium schlechterdings nicht vereinigen
lassen, hlat und hluoma lassen sich auf eine indog. wurzel
*hliclö oder melö zurückführen. In beiden fällen lässt sich
lat. flös, flörere vergleichen, lieber die Vertretung von ml im
lat. wissen wir noch nichts genaues, vgl. darüber Brugmann,
Grundr. 1^, 370 anm. 4. Solmsen, KZ. 34, 11. A priori ist es
wahrscheinlich, dass ml wie mr behandelt wird, und aus dem
entsteht fr, vgl. fräces *ölhefe', fracidus 'mülsch, überreif', air.
mra'ch 'malz', lat. marcidus\ fretum, gr. ßgärtm 'siede, brause';
lat. fremo, gr. ßgefico. Als ein zweites beispiel Hesse sich viel-
leicht noch lat. flaccus 'welk, schlapp' anführen, das man zu
gr. fiaXaxog 'weich, sanft' stellen könnte. Dagegen steht es
zweifellos fest, dass ml im griech. zu hl geworden ist. Es
entspricht daher ß/Laözarco 'von pflanzen keimen, empor-
sprossen', ßXdör?] 'keim, spross', ßXaorog 'keim, trieb, junges
blatt und zweig, schuss' ganz genau.
Das griech, wort ist vollständig unaufgeklärt. Die ältere
forschung verglich ai. vdrdhami 'grösser machen', was ganz
unmöglich ist, während Prell witz zweifelnd auf ßäXXa), ßkico
verweist, was in mehr als einer beziehung schwerlich angeht.
Das griech. zeigt dieselbe 5-erweiterung des Stammes, die auch
in lat, flös und mhd, hluost und anderen Wörtern vorliegt, und
die gerade bei set -wurzeln häufig ist. Liegt aber eine wurzel-
stufe mld zu gründe, so kann diese kaum zu einem anderen
wort gehören als zu gr, f/oJitlv, ßXojoxco 'gehen, kommen' mit
einer bedeutungsentwicklung, die sehr wol verständlich ist.
16, Got, himma u,s. w,
Uhlenbeck stellt den pronominalstamm got, Id u,s. w. zu
\it. s/ts, abulg. 5i, lat, t'is u.s,w., während Kluge l'dt.hlc 'hier'
u, s, w, heranzieht und diese beiden formen unter indog. Jch
vereinigt. Ich glaube, dass beide forscher zu einem teile recht
haben.
GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 357
Die einzige spräche, die noch zwei pronominalstämme hi
und hhi zeigt, ist das lat.. und das muss daher auch zum aus-
gangspunkt dienen. Naturgemäss Avird man got. himma daga,
ahd. hhitagu mit lat. hödie vergleichen, ebenso got. her mit
lat. Mc aus *heic, dagegen Mdrc eher mit lat. citrä. Ags. he
U.S.W, wird ebenso lat. hic wie slav. sY, lit. szJs entsprechen,
falls indog. kh im slav.-lit. durch 5 und. S2 vertreten ist.
LEIPZIG-GOHLIS. H. HIRT.
STUDIEN
ZU REINFRIED VON imAUNSCHWEIG.
Erster abschnitt. Der (lichter.
Ist uns auch der name des Verfassers des Eeinfried von
Brauiischweig unbekannt, so k(Jnnen wir uns doch von seiner
person einigermassen ein bild machen. Oft genug- tritt er ja
bei g-elegenheit von excursen mit seinem ich liervor, und so
erfahren wir denn einiges über ihn direct durch seine eigenen
werte, anderes lässt sich aus seinen äusserungen wenigstens
mit ziemlicher Sicherheit erschliessen.
Nächst der heimatsfi'age — aus der spräche ergibt sicli
ohne weiteres, dass der dichter dem alemannischen gebiet an-
gehört — ist die wichtigste die nach der lebensstellung des
mannes. Hier gehen die ansichten auseinander. Baechtokl (Ge-
schichte d. deutsch, litteratur in der Schweiz s. 134 ff.) möclite ihn
für einen geistlichen halten. Dem gegenüber betont K. Eich-
horn (Reinfriedstudien, teil 1, einladungsschrift zur feier des
Henflingschen gedächtnistages am gymnasium zu Meiningen,
1892) im anschluss an Bartsch den bürgerlichen stand unseres
dichters.
Wer Baechtold folgen will, kann als einziges argument
für den geistlichen beruf des dichters nur seine umfassende
gelehrte bildung in anspruch nehmen. Ergibt sich nun aber
aus sicheren gründen, dass Baechtolds auffassung irrig ist,
dann lässt sich doch andererseits die reiche belesenheit des
dichters nicht gegen eine bürgerliche Stellung in die wagschale
werfen. Sorgfältige erziehung in einer guten klosterschule,
bemerkt Eichhorn mit recht, erklärt vollkommen die genaue
bekanntschaft mit der vulgata und die kenntnis sonstiger
lateinischer literatur, die der dichter wirklich besitzt.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 359
Ich halte es für durchaus gesichert, dass der dichter, wenn
ich mich vorerst einmal negativ ausdrücken darf, nicht geist-
licher war, und ich folgere das 1. aus seinen eigenen äusse-
rungen und 2. aus dem stoffe seines Werkes, wie aus formellen
eigentümlichkeiten seines Stiles.
1. Beweis aus den eigenen äusserungen
des dichters.
Obenan steht hier was der Verfasser über sich selbst be-
merkt. Dass er nicht ritter ist, versichert er deutlich v. 12820 ff.:
dar zuo so bin ich äue
geburt und elleuthafte kraft,
daz ich niht von der ritterschaft
weiz, wan diu ist mir verzigen.
Was er aber von seiner armut sagt (vgl. Eichhorn s. 5.
Bartsch, ausg. s. 807), ist an sich noch nicht beweisend für
nichtgeistlichen stand. Jedoch scheinen mir die äusserungen
über seine Stellung zu den frauen und zur minne entscheidend.
Er hat selbst eine fi"au geliebt — Else heisst sie (vgl. v. 12802
tvent ir si lioeren nennen: Min Liep Suez Edel sunder schäm
ist ir minneclicher nam) — und liebt sie noch, mit blutendem
herzen, denn sie verschmäht ihn. Aber sie trägt ihm unver-
schulten haz. Und wenn er sie deshalb auch schelten muss,
so hat si doch mit senke sich in sin herz gedrungen. Von ihr
hat er ja das dichten gelernt.
Es unterliegt in der tat wol keinem zweifei, dass er sich
auch in der lyrik versucht hat Oft genug noch werden wir
durch wirklich schöne und. hochpoetische stellen daran erinnert,
wie tief den dichter die minne berührt hat. Er kennt die
macht der liebe aus eigener erfahrung und weiss sie uns im
vergleich zu seiner sonst ruhigen erzählung mit wahrem feuer
und echter leidenschaft darzustellen.
Von ausserordentlich feiner beobachtung zeugt z. b. folgende
scene. Als Reinfried im tui"nier Yrkanes kuss errungen hat —
übrigens ein schönes bild, wie die liebliche Jungfrau in freu-
digem erröten vor dem herzog steht, um ihm den süssen lohn
zu reichen, und in diu minnecUche so ruoziy under ougen sach
(v. 2074 f., vgl.^^'olfr. Wh. 229, 26) — da führt ihn Yrkane under
ein swache hüttelin und lie niemen hi ir sin uan ir juncfroutven
360 GEREKE
eine. Beider liebenden herz ist zum zerspringen voll, sie haben
einander so viel zu gestehen und zu sagen, und doch wagt
keiner zu sprechen.
V. 3018. V. 3062.
swä sich zwei herzen schon in ein zno gelicher wise
mit den gedenken einent, geschiht den sinnen alle frist,
so daz si beide meinent als da ein hns erfüllet ist
ein dinc, ein ein. ein liep, ein leit, mit liuten also daz ein man
und doch dewederz hat geseit niht ine da hin in körnen kan.
dem andern sines herzen pin, diz bispel ich geliche spür,
diu herzen müezent beide sin nu stänt Hute vor der tür
verdäht nä süezer minne. me denne in dem hftse sin.
Jen Avent her üz und dis hin in
und dringent vast an der getät.
der üzern also vil da stät
daz jene belibent dinne.
Ich sollte meinen, solche worte könnten nur aus einem
natürlich empfindenden herzen kommen, das selbst den zauber
der liebe gefühlt hat.
Ich denke, wenn wir die vielen stellen, in denen die minne
gepriesen wird, richtig beurteilen, müssen wir gestehen, dass
das alles zu der Stellung eines geistlichen schlechterdings nicht
passt. Auch der ausweg, das seien nur Jugenderinnerungen
des dichters, ist verlegt; denn v. 2868 erfahren wir, dass er
noch jetzt bi jungen jären ist, und die worte v. 4074 ff. lassen
immerhin erkennen, dass er noch keineswegs mit der minne
abgeschlossen hat:
ein man muoz sich under daz im wol in muote lit,
wilent von minne ziehen ald er wirt eteliche zit
und mit gedenken fliehen von minne missehandelt.
Was hätte er als geistlicher für Ursache gehabt, v. 10860 ff.
die ehe als göttliche einrichtung zu preisen und umständlich
für ihre nichtSündhaftigkeit einzutreten? A\'as konnte ihn wol
als geistlichen bewegen, bei jeder möglichen gelegenheit auf
papst, cardinäle, Patriarchen, bischöfe und pfaffen zu schelten,
deren schände er offen aufdeckt, deren habgier er unter den
schärfsten ausdrücken an den prangei- stellt? vgl. v. 16870 ff.
V. 17648 ff.
V. 17G76. den text, wan si bindent
si vindent niuwe fünde daz reht hin ze unrehte.
mit glösen unde vindent daz krump machent si siebte,
STUDIEN ZU REINFKIED VON BBAUNSCHWEIG,
361
daz sieht si künnent krumben.
got solt in verstnmben
die Zungen in dem munde.
Grossen wert lege ich endlich mit Eüchhorn auf die worte
V. 17841 ff., mit denen der besiegte persische fürst den herzog
Eeinfried überredet, ilin von seinem in todesnot gegebenen
taufgelübde zu entbinden:
erlant mich des gelonben,
wan er könde ronben
mich an miner ere
und mohte niemer mere
gewinnen relites künges namen.
diu kröne mües sich ieraer schämen
nä mir ewecliche.
werder fürste riebe,
ob iuch so misselunge
daz man iuch betwunge
ein beiden sin an dirre vart,
iuwer künne und iuwer art
het sin iemer mere
laster und unere,
und wper diu arbeit doch verlorn.
swä der mensche ist geborn,
in swelber band gelonben,
swer in des wil rouben
mit twinclicher Sicherheit,
der verliust vil arbeit,
wan er sich selben triuget
(vgl. dazu Parton. 2748: swd der mensche wirt erzogen, weis-
got, da strebet im der sin ie ze jungest wider hin). Das sind
Worte einer toleranz, wie sie damals ein geistlicher schwerlich
ausgesprochen hätte.
Zugleich mit den pfaffen tadelt der dichter aber auch alle
weltliche obrigkeit; dem kaiser, den fürsten und der ritter:
Schaft sagt er bittere Wahrheiten. Als geistlicher hätte er
sich vielleicht des Zweckes wegen über die gründe hinweg-
täuschen lassen, die deutsche edle zur fahrt in das heilige
land in bügerines pfliht bewogen; aber als bürgerlicher, der
die not seines Vaterlandes kennt, empfindet er schmerz darüber,
dass solche leute gewissermassen aus feigheit, um sich den
aufgaben zu entziehen, die ihrer im Vaterland und in ihrem
hause warten, in wallers wise sunder wer gen Kriechen oder
über mer fahren:
15514 eins edeln maunes mervart
^. in bilgerines wise
ich lasterliche prise
mit hinderredelicher pfliht.
ich tar es vor in sprechen niht.
Der dichter kennt alle schaden der fürsten, er weiss wie
schlimm es mit ihnen selbst und ihren ratgebern steht. Er
362 GEREKE
beklagt aufs tiefste den verfall der ritterschaft. — Das alles
spricht gegen einen geistlichen Verfasser und bringt uns zu-
gleich auf die richtige spur.
Dem verderbten rittertum seiner zeit stellt der dichter als
Idealbild seinen beiden Reinfried gegenüber. Eine seiner
fugenden, die er mehrmals lobt, ist die mute; widerholt hebt
er hervor, dass Reinfried nie versäumt, der gernden diet zu
spenden; vgl. v. 1890 ff. 2630 ff. 4392 ff. 11420 ff. 12589 ff. —
V. 26594 ff. entwickelt er ausführlich seine ansieht über die
gaben des 'milten' und des 'kargen'.
Und das führt mich auf den gedanken, in dem dichter
einen mann zu sehen, der wol selbst zur gernden diet gehört.
So urteilt auch Eichhorn (s. 6), der sehr richtig auf die verse
327 — 356 hinweist, in denen sich der dichter über die aufgaben
der fahrenden äussert.
Zu dieser Stellung des dichters würde alles trefflich passen,
was wir sonst über ihn erfahren; besonders seine dürftigen
Verhältnisse fänden auf diese weise leicht erklärung. Eine so
genaue bekanntschaft ferner mit allen ständen im reiche, mit
ihren mangeln und schwächen, die stark pessimistische auf-
fassung der ganzen Zeitverhältnisse ist begreiflich bei einem
angehörigen der gernden diet, der im lande herumkommt und
manche trübe lebenserfahrung machen muss.
Der dichter hat zwar eine gelehrte bildung erhalten und
ist wol anfangs zu etwas besserem bestimmt gewesen, aber,
durch widrige Verhältnisse seines guts beraubt, zu dem leben
eines fahrenden genötigt worden, üeber seine abhängigkeit
vgl. V. 25474 ff. Er sucht also, wie Eichhorn mit recht aus
V. 12752 ff. folgert, 'aus dem dichten capital zu schlagen':
12758 do mich gelücke geltes floch,
(16 reis mir zuo an muote
und nam ab au dem guote.
ich dien min selbes muot hie an,
Sit ich des guotes lützel hän.
Wenn er übrigens als grund für sein dichten v. 12752 f.
und V. 13992 f. angibt, dass er sich urdrütze stvcere damit ver-
treiben wolle, so folgt er hierin seinem vorbilde Konrad von
AViirzbui-g, der sich im eingang des Partonopier und des Tro-
janerkriegs ganz ähnlich über die motive seiner dichtung
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
363
äussert.. Eine gegenüberstellung wird die abhängigkeit des
Verfassers des Reinfried zeigen.
Reinfr. 13088.
mir sol gewiu und ouch verlust
beliben ungeteilet,
Sit sich luiu sin durchgeilet
an disem selben insere,
wan urdrütze swfere
ich mir hie mit vertribe.
ob ich hie von belibe
von swacher diete dankelos,
nu wol, daz wunder ist niht groz:
des trag ich kleinen riuweu.
doch wil icli wol getriuwen,
wirt ez gedihtet und bereit,
ez werde etesAvenn gespreit
für reiner sinne merken,
den ez vil liht kan sterken
liep und fröude sunder wanc.
ist mir von den ein habedanc
beschert oder gefüeget,
umb daz so benüeget
mich, wan ich ger anders niht.
ob eins schalkes zunge gibt
mir spot, daz län ich also sin,
wau diu uufuoare ist niht min.
Part. ].
Ez ist ein gar vil nütze dinc,
daz ein bescheiden jungelinc
getihte gerne hoere
und er niemen stoere,
der singen unde reden kan.
da lit vil hohes nutzes an
und ist ouch guot für urdrutz.
104 swaz aber nu der tumben si,
die getihten wellen noch,
ein meister sol niht läzen doch
dar umbe sprechen imde sanc.
swie lützel man imwizzedanc
siner meisterlichen kunst,
sokere doch herze und vernunst
fif edeledoene und edeliu wort.
diu nahtigale singet,
ir sanc vil oft erklinget,
da niemen hoeret sinen klanc,
si lät darumbe niht ir sanc
daz man sin da so lützel gert
(vgl. Troj. 174 ff.)
2. Beweis aus dem stoff des gediclites und aus
formellen eigentümlichkeiten des stils.
Als ein mann gelehrter bildung weiss der dichter genau
bescheid im ritterlich-höfischen epos, und als fahrender kennt
er die volks- und Spielmannsdichtung. Ueberwiegt im all-
gemeinen in seinem werke aucli das ritterlich-höfische element,
so sind doch andererseits unverkennbar eine reihe von zügen
vorhanden, die wii' vergebens im höfischen epos suchen.
Der erste teil des Eeinfried eiitliält eine brautfahrt, im
gründe eine regelrechte entführungsgeschichte, nur in höfischem
gewande. In der eigentlich höfischen epik findet sich dieses
motiv nicht, wol aber ist es sehr beliebt in der ganzen Spiel-
mannsdichtung. Ich erinnere an Rother, Nibel., Gudrun, Ortnit,
Wolfdietrich, Orendel, Oswalt, Salman und Morolf u.s.w. Und
364
GEREKE
in der tat lassen sich im R. mannigfache anklänge an alle
diese epen feststellen, besonders aber an die, die in gewisser
beziehung zu der alemannischen heimat des dichters stehen
und selbst vom höfischen epos beeinflusst sind.
Wol kaum zufällig dürfte die ähnlichkeit der brautfahrt
im E. mit der im Ortnit sein.
Der Ortnit (DHB..n) beginnt:
3,1
ez wuohs in Lamparten ein gewalte-
ger künic rieh,
dem was bi den ziten dehein künec
gelich.
5,1
durch künicliche wirde gap man im
den pris.
geheizen was er Ortnit, ze stürme
was er wis.
Brissen nnde Berne was im undertän.
(6,4
im diente mit gewalte Rome unde
Lateran).
Dem könig Ortnit wird von den
seinen geraten, sich ein weib zu
nehmen. Sein oheim Ilias von Eiu-
zen nennt ihm eine seiner würdige
künigin. Er weiss ihre Schönheit so
zu rühmen, dass Ortnit erklärt:
18,4
ez erge mir swie got welle, ich muoz
nach ir hin über mer.
Reinfr.
65
hie vor ein werder fürste was.
178
daz fif der weit kein herre
lept an wirde sin genoz.
106
. . hörte man in prisen.
man nante den selben herzogen
Reinfrit von Brilneswic.
102
Westeväl und Sahsen
dienden beidiu siner haut.
Der knappe aus Dänemark lädt
Reinfried zum turnier und schildert
die Schönheit Yrkanes so, dass Rein-
fried sich zur reise entschliesst :
398
zehant im aber brähte
der sin ander unmuoze,
wie er sich na ir gruoze
solt erbeiten ftf die vart,
der er dur niht wendic Avart.
Wie Ortnit schon von der künftigen braut angezogen wird,
ohne sie vorher gesehen zu haben, ebenso ergeht es Reinfried,
69,2
niwan von sagenden dingen
der meide schcene in twauc.
im het ouch ir minne vil näcli be-
nomen den sin.
488
diu süeze minuecliche
im nie kam üz den sinnen,
sin herze muose minnen
die doch sin ouge nie gesach.
Ortnit fordert seine mannen auf,
Ebenso später Reiufried, als Yr-
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
3G.^
Oitnit.
ihm bei der gefährliclien brautfalirt
zu folgen nud verspricht dem mit-
ziehenden seine nnterstützung-, droht
aber dem bleibenden.
24
swer mir der reise hilfet, dem
bin ich immer holt,
im si ouch mit geteilet min silber
und min golt;
laut und bürge, darzuo Hute und guot.
ich wil im immer danken, swer ez
willeclichen tuot.
25
dem bin ich immer wsege, die wile
unde ich lebe
Reinfr.
kane, von dem dänischen grafen be-
schuldigt, an ihn einen boten sendet,
der ihn zum streite mit jenem für
ihre Unschuld auffordern soll.
7S44
swer mir siner helfe gebe
hie mit dienest n i h t verseif,')
der wizze, swä in iemer leit
kumber oder not bestät
daz er mich da ze helfe hat,
die wile daz ich einen tac
mit eren leb und leben mac.^)
50,2
swer hinder mir beübet. dem wirde
ich nimmer holt.
7874
swer mich in disen noeten lät
und mir sin helf wol wser bereit,
dem si iemer widerseit
min rät min helfe für diz zil etc.
Nun erklären sicli die einzelnen fürsten der reihe nach
bereit, ihn mit mannen und mit ihrer eigenen person zu unter-
stützen (vgl. auch Vogt, Salman und Morolf s. cxxxiv). Ebenso
im Reinfried, z. b.
3G
do sprach der marcgräve Helmnot
von Tuscan
'so iiiiii von mir ze stiure fünf tft-
sent küener man:
die wil ich mit dir senten, herr, über
den wilden se.
sol ich selbe mit dir liiezen, so wirt
ir lilite me.'
39—40
Der herzog Gerwart von Troyen
sendet 500 beiden mit, bleibt aber
auf Ortuits rat selbst daheim :
») Vgl. 140'J21f.
>) Vgl. 7882 ff. 7910 f.
794i;
von Mizeulant der sprach 'ich var
und ahzic ritter sunder wer
mit iuch, went ir über mer.'
7949
von Hrandenburc der sprach 'ich wil
niht mit iuch der reise zil,
wau mich irret ander pliiht.
366
GEREKE
Ortuit.
40,4
'du solt hie heime selbe des herge-
birges pflegen.'
51
si wären alle willic dem riehen kü-
nege her.
durch des guotes willen wägten si
daz leben.
Rein fr.
doch län ich iuch an helfe niht,
ich wil iuch in einer schar
ahzic ritter lihen dar.'
7962
sns wart diu reis gemeret
von luangeni ellenthaften degen,
der der vart sich wol bewegen
torste durch den fürsten rieh.
. . wan ir einer niht beleip,
und fuorent alle sament dar.
Vielleicht ist auch in den näheren umständen der ent-
führung- der braut selbst ein Zusammenhang zwischen Ortuit
und R. zu finden. Beide ritter schwingen die braut auf ihr
ross und reiten davon:
439,4
er spranc in sin gereite, die meit
nara er für sich:
von der burcliten si do beidiu riten.
ir res gienc enschüfte, niemens si
da biten.
9270
wan er si bi der haut begreif
und huop si von der erden dan
üf daz ors. der werde man
die reinen vor im fuorte.
ob erz mit sporne ruorte?
des wfen ich wol. . .
niht lauger er da hapte
und kerte sich sä üf die vart.
Sie werden verfolgt, doch gelingt es ihnen, da ihnen ihre
mannen zu hilfe eilen, die feinde zu besiegen. Als Reinfried
durch seine Verfolger in höchste gefahr geraten ist, bläst er
in sein hörn, und auf dieses verabredete zeichen kommen seine
im versteck liegenden mannen herbei: ein motiv, das in der
spielmannsepik durchaus gebräuchlich ist; vgl. z. b. Rother
4177 ff. Alph. 862 ff., Salm. u. Morolf 2G54 ff. 2756 ff.
Mir scheint es keines weiteren be weises zu bedürfen, dass
der Reinfrieddichter das thema der brautfahrt nach dem niuster
des volksepos gewählt und vielleicht sogar speciell den Ortnit
vor äugen gehabt hat. In der näheren ausführung folgt er,
wie an einer anderen stelle dargelegt werden soll, Konrads
Engelhard.
1 )och sehen wir uns nach weiteren volkstümliclien motiven
um. In der nacht, da Reinfried der Jungfrau Maria, die ihni
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 307
im träume erscheint, eine fahrt ins heilig'e land gelobt, hat
auch Yrkane einen träum; hier dürfte dem dicliter bei seiner
Schilderung Kriemhilds träum vorgeschwebt haben. Beide
frauen träumen nämlich, dass ihnen ein falke, den sie auf-
gezogen, von zwei adlern zerrissen wird,
Nib. L. 13 R. 13520
ez troumde Kriemhilte iu tilgenden si hatte einen valken,
der si pflac, als si iu släfe düht, erzogen
wie si einen valken wilden züge (folgt breite ausführung).
mauegen tac, 13566
den ir zweu arn erkrummen. so koraent girdeclicheu her
in snellen flucken schier gevarn
zwen ungefüege gröze arn
und wolten uf in ziehen.
Ganz genau passt nun aber der träum Kriemhilds doch
nicht für die zwecke unseres dichters, denn sein held soll ja
glücklich zurückkehren. Als ihm diese erkenntnis kommt, da
hilft er sicli in ziemlich naiver weise. Er lässt Yrkane er-
wachen, ehe der träum zu ende ist, so dass sie glauben muss,
der falke sei eine beute der adler geworden: hätte sie aber
weiter geträumt, meint der dichter, so würde sie gesehen haben,
wie der falke seinen Verfolgern entkommt.
Yrkane hat auch noch einen zweiten träum, ganz wie
Kriemhild; in beiden fällen wird uns dieser nicht ausführlich
berichtet, sondern die frauen erzählen ihn in kurzen andeu-
tungen ihren männern (Nib, L. 864. E. 14945 ff.).
Reinfried erhält von Yrkane beim abschied einen wunder-
baren ring, der die kraft hat, ihn vor gefahren zu schützen,
mit speise zu versorgen und fröhlich zu machen. Einen anderen
ring zerbricht er und lässt seiner gattin die eine hälfte zurück
mit der Weisung, wenn jemals ihr ein böte die künde von
seinem tode bringen sollte, nur dem zu glauben, der ihr die
andere hälfte übergäbe. Diese ringmotive finden sich zwar
auch in der höfischen epik, ') das ändert aber nichts an ihrer
') Vgl. z. b. Iwein 2945 ft".
Iw. 2947 R. 15059
ich wart nie manne so holt ein viugerlin, daz selbe golt
dem ich ditz selbe golt du fürste mit dir füereu solt.
wolde lihen unde geben.
368 GEREKE
Volkstümlichkeit, und darum sind sie nirgends häufiger an-
gewant als eben in der volkstümlichen dichtung. Es darf
wol als sicher gelten, dass die teilung eines ringes mit zur
braunschweigischen lüwensage gehörte, die natürlich die
grundlage für den R. bildet. Hätten Avir das gedieht voll-
ständig, so würde das noch deutlicher sein. IVbrigens spielt
das zerbrechen des ringes auch im Ortnit eine nicht unwesent-
liche rolle. Ich stelle die betreffenden partien aus dem Ortnit
und R. im folgenden zusammen:
Ortuit 545, 3 R. 14778
swaz dir die Hute sagen, ob dir min sterben lernen sage,
des solt du nibt gelouben, du swer daz in der weite si,
solt nibt sere klagen. des solt du weseu sorgen fri,
künigiune und frouwe, gip mir din minneclicbe reine.
vingerlin. du solt gelouben kleine
swer dir daz widerbringe, dem ge- min bitter sterben sunder haz,
loube den tot min. ez si denn, süeze frouwe, daz
swer dir daz viugerl bringet, dem ist icb dir üz dem eilende
vil wol gescbeben : daz ander stucke sende
der uimet mir etewaz mere und bat daz an daz diue beeret,
micb toten gesebeu. wizzest, so bat zerstoeret
der tot min ellendez leben.
swaz man dir sag an daz geben
des stückelins Wortzeichen,
so mäht du erbleichen
niemer von keiner riuwe.
In den erzählungen von den wundern des morgenlandes
treten riesen und zwerge auf. Wie schon Bartsch (in der ein-
leitung zum Herzog Ernst) gezeigt hat, ist hier für den Rein-
irieddichter der Herzog Ernst vorbild. Ist aber nicht auch
der Herzog Ernst eine Spielmannsdichtung? Widerum also
treffen wir unseren dichter auf ihm bekannten bahnen.
Doch noch weiter. Nirgends ist mehr von riesen und
Zwergen die rede als in den epen des deutschen heldenbuches,
und dass der Verfasser des R. sicher wenigstens mit einem
teil dieser vertraut war, beweisen schon die verse 25266 ff.,
Iw. 21)53 R. 15072
sines Steines kraft ist guot: des Steines kraft
er git gelücke und senften muot. ist so kreftic und so guot
er ist a«lec der in treit. daz er sta-te froelicb tuot
den der iu an der heude hat.
STUDIEN ZU KEINFRIED VON BKAUNSCIIWEIG.
369
WO er ausser den rieseii des König' Rotlier auch Kui)ii;ui und
Ülsenbrant, sowie
die rison mit den rroltleniar.
(laz rifhe keiserlich getwerc,
den walt vervalte und den berc
hie vor den Wülfingen.
nennt. Es wird also nicht auffallen, Avenn sich in seiner er-
zählung- auch ankläng-e an die genannten epen finden.
Ich hebe besonders den kämpf Wolfdietrichs mit dem
riesen Baldeniar hervor, wie er im alemannischen Wolfdietrich
D dargestellt ist, und vergleiche ihn mit dem kämpf zwischen
Reinfried und dem riesenboten bei den zwergen.
Wolfd. D 7, 32 Kein fr.
in dem seilten walde vor der bürge
plan
da erblicte der helt balde den aller
groesten man 181)98
der im vor sinen oug-en ie was wor- alrest dem fürsten veilet
den kunt: in sorgen gröz sin jungez
umb sinen lip er sorgte an der leben
selben stunt.
33 1 yo60
über alle boume gienc sin des riseu lenge was so hoch
leuge gar. daz si für alle boume schein,
er nam sin gnote goume. der rise
hiez Baldeniar. l',)14Ü
ein brünje vest von hörne het dö hat der ungefüege man ...
er geleit an sich. an sich ein hüruin wurnies hfit
drin stuout der üz erkorne eim beide über diu wäfen schön geleit.
vil gelich.
34 18926
er truoc eine stangen wol aht er fuorte eine staijgen
cläftern lanc, daz ich ir swjBre nihttar sagen
(1917()
si sähen siner wunden slac
wol kläfters lanc und halbe wit.)
18908
einen schilt vor siner hende, der er truoc einen swseren schilt
was niht ze kranc: höher breiter denn ein tor.
einer gebelwende was er vil gelich.
19140
'der tiuvel dich hie sehende!" sprach . .. der ungefüege man,
Wolf her Dieterich.
Beiträge zur geacliichtu der duutschou epraclie. XXIU. 24
370 GEREKE
Wolfd. D35, 1 Reinfr.
'du bist des tiiivels bruoder. du der lasterhafte tiuvels trüt.
ungefüeger zage.'
36.1 1S951
'waz sprichestu, kint daz tuiiibe':" du bist ein kiiit.
38, 1 1 SO-V.)
'du redest tumpliche, dir wonet durch dinen tumpliclien niuot.
iiiht witze bi. 18974
Krist von hinielriclie macht mich got der den sinen nie verlie,
wol sorgen fri.' ruoche mir eilenden
ouch sine gnade senden.
39, 1 18939
'wie wiltu, kint daz kleine, diu ist dir din leben veile ...?
leben danne ernern'?' 1897.')
des antwurt im der reine 'da wil wer dich reht, wan ich bin hie.
ich mich vaste wem'.
40.2 19106
der fürste unverzeit sin manheit überm?eze
lief do zornicliche den grozen lief den grozen risen an.
risen an.
42 19000
der rise mit der stangeu vaste wan der rise siege bot
üf in sluoc. mit siner swseren Stangen.
44 19028
er schriet im die stange da von er dem risen sluoc
schiere von der hant, sin Stangen vor der haut en-
daz si ze zweiu stücken viel nider zwei,
üf daz laut.
19034
do zöch er von den siten ein ein swert er von der siten
swert unmäzen breit brach
daz ze sinen ecken gar freis- lanc und wol zweiger schuohe
liehen sneit. breit,
daz an allen orten sneit
reht als ein gewetzet sahs.
45 19042
do lief er zornicliche den wer- den höhgemuoten wisen
den Kriechen an. lief er do grimmeclichen an.
Wolfdieterich der küene im also
nähen kam.
19072
underlialj) den knie wen be- der fürste rieh hat im gegeben
guud ers risen pflegen
mit also herten streichen ... wunden vil in sin in bein.
STUDIEN ZV KEINFRIED VON BUAUNSCHWEIG. 371
Wolfd. D Reinfr.
•Iti. 2 19111)
er sluoc im ein wiindo. daz im er traf in und zertranden
do zeliant von dem nabel hin ze tal
daz kra>se ziio den stunden daz allez sin gebütte val
bracli üz des libes want. nani nider ze der erden.
Icli glaube, dass bei derartigen übereinstimmung-en aucli
ein sehr skeptisclier beui'teiler einen Zusammenhang zwischen
beiden stellen niclit wird leugnen können.
Von demselben riesen, den Reinfried hier besiegt, erzählt
der dichter eine krafttat, wobei er offenbar eine scene aus
dem König Kotlier vor äugen hat, den er ja. wie oben schon
erwähnt ist, selbst v. 25281 citiert,
Roth er (Eückert) Reinfr.
1146 18892
dö zöch man vor Constantinis disch er nam von rehtem zorne
einin leweu vreissam, ein ungefüeg-ez kemeltier
derne wolde niemanne vor niht hau. und warf ez gen der bürge
her nam den knehten daz brOt, schier
her teten over deme tisclie groze not. mit eins armes swanke,
Aspriän begreif eue mit der der starke, niht der kranke,
haut daz ez kam für die zinuen in.
uude warp eu an des sales want, swaz ez traf, daz rauose sin
daz her al zebrach. ende da von kiesen,
we leide eme der kuninc dö des sach man Verliesen
sazi mangen höher fröuden sin.
Da ich nun einmal den König Rother herangezogen habe,
so sei es erlaubt, gleich noch eine andere stelle in parallele
zu R. zu setzen:
Rother 909 R. 1892«
do solden zwene grävin er fuorte eine standen
Aspriänis stangin int fähin. daz ich ir swsere niht tar sagen,
da was so vil stälis zö geslagin, mit isen was si so beslagen
sie ne mochtin sie hebin noch getragin. daz v i e r z i c man die Stangen
an iren da nc viel sie dar nider, lanc
sie liezin sie durch not ligen. niüezen lazen sunder danc
äne wegen län gelegen.
Ich bin weit entfernt zu glauben, dass dei- Reinfried-
dichter mit bewu.sster absieht diese stellen des Kliiiig Kother
nachgeahmt hat: aber er war jedenfalls so in allen solchen
24*
372
GEREKE
spielmännischen scenen und Wendungen zu hause, dass er ge-
wissermassen unbewusst fast dieselben worte brauclien konnte,
Und das ist alles leicht erklärlich, wenn man in dem dichter
einen fahrenden sieht.
Ich stimme deshalb auch Rückert zu, der (in der einleitung-
zum König- Rother s. vii— ix) darauf hinweist, wie unter solchen
Verhältnissen Vermischung ähnlicher Situationen und namen
mehrerer gediclite und sagen erfolgen musste. So lassen sich
die im Reinfiied vorkommenden riesen Orte und Velle (Orte
ist noch ganz unbekannt, Velle nur in einer jungen Wolf-
dietrichrecensiou nachweisbar) neben den richtig citierten
Witolt, Grimme und Aspriän als undeutliche erinnerungen
auffassen (vgl, Grimm, D. heldens, no. 80),
In ähnlicher weise möchte ich auch die folgende neben-
einanderstellung zweier partien des Wolfdietrich I) und des R.
verstanden wissen:
Wo lfd. D
140
ein viiigerliu von golde khioc
und wol getan
an einer snüere sidin vor den rittern
üf den plan
was gehenket schöne für die frouwe
hin.
dar zuo sie justierten durch daz nie-
getin.
141
swer au den seihen stunden
stach durch daz golt so rot,
diu edele juncfrouwe im dö
ein küssen hot.
142
hie mite von den Kriechen der werde
helt gemeit
üf dem anger grüene gen in ver-
wäfent reit,
in hegnnde an scheu wen manec
hochgelohter mau,
dar zuo die edelen frouweu sähen
in geraeiulich an.
Eeinfr.
254
und swer der hest ist mit dem swert,
dem ist euch hohez lop hereit.
diu junge küneginne treit
ein küssen an ir mündelin:
daz sol er nen, wan ez ist sin
swer ez mit lop erring:et.
ein vi ng- erlin so git diu schon
im ouch an siuen vinger.
»)28
diu liut gemein lieh alle
durch schon wen warn geloufen
dar.
Die zwerge im R. erinnern an Lauiin,
STUDIEN ZU REINFEIED VON BRAUNSCHWEIG
Lau rill
373
(Lanrin) ist knnie (hier spauueii
lanc.
r>anriii führt Piotrich niul seine
mannen in den beif^-, damit sie sehen,
846
waz wüiine in dem herg:e ist.
"Jtiit
(16 fuorte Laurin daz getwerc
mit im die fürsteu iu den berc.
Darinnen ist eine grosse anzahl
zwerge :
die truogeu an daz hoste gewant
daz mau in allen landen vant:
Ton golde gap ez liebten scbin.
Die fürsten werden gut empfangen,
aufs beste unterhalten und mit speise
iu kostbaren geschirreu bewirtet.
1040
den fürsteu was diu wile unlanc.
lO.iO
daz was ir kurz wile unde ir spil.
Es folgt Laurins treubruch, ge-
fangennähme und die befreiuug der
fürsteu.
1336
(daz getwerc) blies lute ein her-
horn
daz ez in dem berge erhal:
daz erhörten diu tw(;rc überal.
1490
ez erschalte lüte ein hörn.
Endlich sei aucli noch die
stimme eines riesen lieisst es:
Reinf r.
18524
ir keiuz wau drier schuohe lanc
was.
Wie Dietrich den Laurin vor dem
berge gefangen nimmt, so verstellen
auch Reinfried und seine begleiter
dem zwergkönige den Zugang zu der
höhle im berge.
18606
hin in die burc man fuorte
die herreu ellentriche.
diu was so keiserliche
über die inäze gezieret etc.
18528
golt und steine lohte
ab sumelicher houbet.
18532
so durliubteclichen fin
mit hoher koste schöne
kleider unde kröne
von ir kleinen liben scheiu.
(tanz wie im Lauriu.
Von der zwergkönigiu heisst es :
18672
kurze wile machet
si vil den werden fürsteu hie.
1 8500
ein hörn uain er au die haut
und blies daz kref tecliche.
berg und tal geliche
dem hörne gäben wider döz.
Virginal angeführt. \'oii der
374
GEKEKE
Virginal
22
eiu stimme hörte er Hiltebrant,
diu was in beiden iinbekant:
ob si von menschen gieuge
oder von eines wurmes munt,
daz was in beiden gar unkunt,
und obe den ienian vieuge.
der galni in daz gebirge doz,
in walt und üf gevilde
ieze kleine und danne groz.
diu stimme duhtes Avilde,
wau si ir Jiiht nie heten ver
nomen.
23,7
wiez umb die stimme wsere getan,
diu wunder Avolde er schouwen.
Rein fr.
18696
diu griuweliche stimme geben
kond über berg und über tal
also jämerlichen schal
daz si fröude störte
allem so ez hörte
und muose dannen ziehen,
diu stimm von vorhten Hieben
tet klein gröz zam und wilde,
wan von menschen bilde
wart solich wunder nie gehört,
diu stimme vor der bürge dort
döz als ein starkez ungewiter.
Reinfried sagt zu den zwergen:
18810
ich wil wenden iuwer leit
ald ich muoz drumbe sterben.
Hildebrant fragt:
24,11
'von wem duldent ir dise not?
klagent ir mirs, ich rihtes in
odr ich gelige dar umbe tot.'
Das mag- g-enügen, um die viUlige Vertrautheit des Reiu-
frieddicliters mit den Stoffen der spielmannsdiclitung zu zeigen.
— Ich wende mich nunmehr zu dem nachweis, inwieweit der
formelschatz im R. die hypothese, dass wir in dem dicliter
einen fahrenden zu sehen haben, zu stützen vermag-. A^'ir
werden natürlich bei einem so späten dichter wie dem Ver-
fasser des R. niclit mehr erwarten, den alten spielmännisch-
volkstümlichen Charakter deutlich ausgeprägt zu finden, hat ja
doch auch schon den epen des deutschen heldenbuches der
einfluss der höfischen gedichte einen durchaus h(>fischen an-
strich gegeben. Der dichter des R. vollends hat durch sein
intensives Studium Konrads von Würzburg sich so in die manier
des höfischen epos hineingearbeitet, dass vom formelschatz und
von der ausdrucksweise der spielmännisch-volkstümlichen dich-
tung bei ihm nur noch sehr wenig zu spüren ist.
Ich halte mich hauptsächlich an den vergleich mit ^^'olf-
dietrich D. weil ich hier vielfach auf Jänickes anmerkungen
zurückgreifen kann. Freilich ist auch gerade auf A\'olfdietrich
D Konrad von grossem einfluss gewesen, und so kann man
STUDIKN ZU KEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 375
bisweilen schwanken, ob im E. gewisse formein spielmännisch
sind oder aus Konrad stammen.
Ortnit C 195, 4 ich Koltc c sterben tot (vgl. Jänicke, ferner
Grimm, Gramm. 4, 593. Lichtenstein zu Eilhart 104). — llölGl.
15154. 20219.
Ortnit C 224,2 ivie das im geschach (vgl. Jänicke). — R.
4044. 12726. 12810. 16622 n. ö. Ebenso Wolfd. D öfters, Virg.
297, 7. Gold. 2, 4. Im älteren mhd. nur tvie oder stvie ohne das.
A\'olfd. B 372, 3 er sluoc im üf das houhet einen stvinden
slac, das der heiser Ortnit vor im gestreeJcet lac. — R. 9040 f.
9114 f. 17529 f. (wo allerdings gestrecket fehlt). Ueber die
Verbreitung dieser formel in der spielmannsepik vgl. Jänicke
DHB 4. 292. Vogt. Salm. u. lilorolf s. cxlvi f.
"\^'olfd. B 666. 2 uns im sin guot ros vor müede gar erlac
(vgl. Jänicke). — R. 8968 f.
Wolfd. D 3. 65, 1 dö der riclie heiser die boten ane sacli, er
emjyfienc sie also schöne: nu hairent tvie er sprach. Ebenso
6, 120, 1. 220, 1. 7, 143, 1 etc. Virg. 131, 1. 178, 2. 526, 1 (vgl.
Jänicke). — R. 5445 f. Diese formel findet sich nach Jänicke
nirgends in den höfischen epen der guten zeit, eine behaup-
tung, die Vogt etwas einschränkt (Salm. u. Mor. cxli; hier auch
beispiele).
4,85,2. die siege vaste hullen. ein übel nächgcbiir
was er in dö allen. R. 20502 ff. (vgl. Martin zur Kudrun 650, 4.
Jänicke zu Biter. 1578). — (Konr. Troj. 25657).
5, 216, 2 dö valte er üs blechen manegen herten nagel (vgl.
Jänicke). — R. 20084 ff. 20484.
7, 74, 2 mit armen umherüeret (vgl. Jänicke). — R. 9398.
10983.
7, 159, 3 ane stegereife er in den satel spranc (vgl. Jänicke).
— R. 9198 f. 17235 f.
9. 102. 2 er gienc vor in hoiiwcn also ein ebersivtn. — R.
9028 f. 18821. (Troj. 5040); vgl. Lichtenstein zu Eilhart, QF. 19,
CLii. Biter. 12138 f. Reinbot Geo. 430.
[8, 343, 4 (R. 2701 f.). 9. 56. 4 (R. 6882. 7106. 25432). 10, 34, 3
(R. 16165 f. 12067. 14144. 20603)].
Vii'ginal 72, 4 nu lasen wir si riten hie und sagen tvies
demßerncere ergie 130, 1. 218, 1. 975, 1 etc. Laur. 1758 (Engelli.
376 GEREKE
1629 ff.). — R. 377. 1896. 4451. 8129. 12056. 12363. 15359.
23212 (vgl. Steinmeyer, Gott. gel. anz. 1887, 806 f.).
V. 54, 4 von ir sircrtcn rouch ein tunst. 182,7 sant er
von sivertc nianegen tunst üf gegen des ivaldes tolden, daz
ich des ivände es iceere ein hrunst. — • E. 11298 von dem
schintpfliehcn strite huop sich cm ivolkenlicher tunst, daz von
ir siegen gie ein hrunst. 1042. 17316. Hier scheint speciell
ein auj^drnck der sidelmannspoesie vorzuliegen, belegt noch
weiter in Dietr. 11., Laur., Eab., Eckenl.
V. 168, 13 dar nach schöz von hluote ein hach. 205, 12. —
R. 9116 f.
Laur. 214 diu naht wart nie so tunJcel, ez lühte als der
Hellte tac vom gesteine daz am helme lac. Walb. 854 ff. (vgl.
Jänicke z. Staufenb. 252). — R. 18586 diu naht tmrt nie so
tunkel, man hettc lieldes überlast da funden von der steine glast.
L. 6. 196. 210 in stürmen und in striten. Virg. 82, 10. Gudr.
725, 3. 730, 4. Alph. 99, 4. Bit. 265. Roseng. (Holz) D 36, 2. 55, 1;
auch bei Konr. v. Würzb. (vgl. Jänicke z. Staufenb. 334). — R.
957. 22230.
L. 371 gegen ein ander si dö stuhen als ztvene vallten die
da fingen. — R. 884 f. 17338 f.
L. 1372 daz hluot durch die ringe ran. 1474 f. Yirg. 205, 12 f.
(Parton. 14358 f.). — R. 17490 f. (204121).
lieber andere aus der volkstümlichen dichtung stammende
redewendungen und formein vgl. unten im dritten abschnitt A. 2.
Nach diesen ausführungen glaube ich mich bci'echtigt, den
dichter des R. dem fahrenden stände zuweisen zu dürfen. Die
hauptmasse seines Stoffes hat er vielleicht aus alten liedern
geschöpft, seine darstellungsform aber erscheint infolge des
intensiven Studiums Konrads von Würzburg mehr höfisch als
spielmännisch.
Zweiter abschnitt. Quellen und Vorbilder.
Es gehört in der mhd. zeit zu den notwendigen f orde-
rungen, die man an einen epiker stellt, dass er für seine
dichtung eine quelle nenne. Daher unterlässt es denn keiner
sich widerholt auf eine solche zu berufen, mag er nun Avirk-
lich eine haben oder mag er sie nur fingieren.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 377
Audi im I\. linden wir derartige angaben, und zwar
verhältnismässig häufig, allerdings nach spielmannsmanier
meist ziemlich unbestimmter art. Doch beruft sich der
dichter daneben auch genauer auf bestimmte quellen.
Ich stelle zunächst die allgemeinen angaben zusammen:
1. Mündliche quelle: so man seit 412, als man seit 11887,
als man uns seit 12307. 12402, als mir ouch tvart cjcscit 18266,
ist mir geseit 22597; — so ha'r ich jchcn 952, als ich liän (je-
liört 25319; — ]ia:r ich die wtsen sagen 16, uns sagcnt auch
die ivisen 18052, ich hör die ivisen alten dick in ganzer ivär-
heit jehen 19880 f.
2. Schriftliche quelle: als ich ez las 923. 962. 1510. 6242.
12500. 17180. 26775, als ich hdn gelesen 20978. 10884. 26717.
26749, daz hän ich von im eigenlich gelesen 182581; — als ich
von im geschriben las 16765, schribet man 26718, von den vil
grözer ivundcr sint geschriben 26756; — als uns für war diz
mwre seit 146, als daz mcerc seit 15418; — als uns diu även-
tiure seit 927. 16706, mir seit diu ä. für war 5900, ?iäch der
ä. sage 11490, von der diu ä. sagt 11882, uns seit diu ä. .13812,
als diu ä. seit 15431, als mir diu ä. stvuor 18158, sus seit diu
ä. 27071; — nä der buoche sage 26783.
Directe berufungen auf die bibel sind folgende: 13094 ob
ich hin der schrifte tvort erkennen (Samuels geburt), 15868
als ich da hdn gelesen an der buoche schrift ((Ttideon), 15904
als ich geschriben vinde in dem ivären buoche (Macca-
bäer), 20960 daz man Jriuf und icmer mir da von Ust in der
wären schrift (tempelbau), 15916 als diu bibliä noch seit
(Maccabäer), 26994 diu bibliä bewiset uns dirre sache baz dan
ich (himmelsbrot).
Genauer: 10893 als wirz am eivangeljen hän (hochzeit
zu Cana), 13124 sicer welle daz im werd bekant diz dinc üf
ein ende, ze den fünf buochen sende ich in die man Moy-
senen git (Juden in der wüste), 15815 als uns diu buoeh noch
tuont bekant (Ägyi)ter ertrinken im Roten meer), 15819 als
Ich hän von Abirön und Dathän in der rihter buoch ver-
nomen (irrtümlich für Xum.), 25002 gewisheit uns der wisc tuot
Salomon in siner schrift, 26818 Machabeörum buoch
daz seit.
378 GEREKE
Berufungen auf eine clironik: 17976 «7*^ in der cröniJi ist
geschihen (kaiser Friedrichs wunderbares ende), 18143 als crö-
nicä diu icäre seit (Zerstörung' Jerusalems); vgl. Enikels ^^'elt-
chr. 28945 ff. 24331 ff. s. unten).
Andere quellen: 10421 «7^ Wolferau von Eschilhach in
Titurclles hiioche sprach (vgl. 10584 ff.), 1(3678 hiz daz der
Jdärc Farziüäl im sine helfe tet erhint, als ich in sime buoche
vant von dem von Eschilhach yeschriben, 18017 diu icunder
. . . diu in dem huoch der hintheit von gote noch schöne stänt
geschriben (s. unten), 21056 /> haut u-ol gchwret ivic ein her-
zog iizer Beigerlant, Ernest so ivas er genant, und gräve
Wetzet sin man hie vor oiich zuo dem steine hau, als ich von
in gelesen hahe.
Quellen aus dem classischen altertum: 3216 Virgilius seit
über al, 22590 siver üf ein ort ivil tvizzen daz von anevanc unz
an daz drum, der sol lesen Statium Achilleides, da er hie
von vint sines hergen gcr, 22488 als man an Claudiänö seit.
Ovid wird genannt 10772. 24563.
Sehr interessant sind zwei ausführliche äusserungen des
dichters über sein Verhältnis zu seiner quelle, bez. zu seinen
quellen:
5fi iTud Avürd diu rede ouoh lilit ze lanc.
ich sag iucli als mir wart geseit des läz ich ir vil under wegen
sHiider lougen äiie trüge. und wil eiuvalteclichen stegeu
daz icli mit worten umbe rtüge, üf der aveutime wän
da zuo so ist min sin ze kranc, der ich mich uuderwunden hau.
Sehr naiv kling-t das andere bekenntnis:
19922 ich sag ez iuch euch sunder sparu.
da von mich nieman strafen sol swers niht geloube, der läz varn,
umb lüge, ich wa'ue ez sige war. wan ich geloub an disem zil
ob ez joch wjer erlogen gar, dar an so vil ouch als ich wil,
daz wolt ich doch kleine klagen. und mag ez sicher oftenbrir
ich sach sin niht, ich hört ez sagen, allez samt wol wesen war.
Zu all den directen berufungen auf quellen kommen nun
noch zahlreiche anspielungen auf die lu)fisclie literatur. auf die
Volks- und spielmannseitik. auf mittelalterliche sagen und fabe-
leien, auf die dicht ungen der alten, so dass wir also bei dem
dichter des R. eine grosse belesenheit finden. Es dürfte sich
demnach wol verlohnen, diesen beziehungen einmal nachzu-
gehen; denn durch sie hat der R., wenn man seinen poetischen
STUDIEN ZU REINFRIED VON HRAUNSCHWEIG.
379
wert auch gering' aiLsclilageii mag, docli cntscliieden eine ge-
wisse bedeutung für die niittelliochdeutsclie literaturgescliiclite.
Ich fasse also in den folgench'ii (iiicllemiiitcisiicliungen das
wort quelle nicht in seinem engen sinn, sondern stelle mir die
aufgäbe, die literarischen beziehuiigen überhaupt zu verfolgen.
I. Höfische epen.
1. Konrad von Würzburg,
a) Reinfried und Kngelhard.
l)er plan des R. umfasst drei teile: die brautfahrt Rein-
frieds nach Dänemark (v. 1 — 12()58), des herzogs zug in den
Orient (v. 12G59 — 27200) und seine rückkehr (v. 27207 bis
schluss). Nur die ersten beiden teile sind erhalten und vom
dritten der anfang. Das motiv der brautfahrt hat der dichter,
wie wir schon gesehen haben, der spielmannsepik entlehnt;
auch schliesst er sich ihr in der ausführung einzelner züge an.
Für die composition des ganzen aber ist ihm in weit höherem
masse Konrads Engelhard Vorbild gewesen.
Im eingang des R. und Engelhard heisst es nach der all-
gemeinen einleitung:
R. 65
hie vor ein werder fürst e was
der zuht «ud er ie an sich las
mit milt und ritterlicher tat.
118
er pinte') leben nnde U\^
dur ere in werder rittcrschaft.
122
ze swerte sper nnd schilte
stuont sin sin nnd der gedanc,
wan er nä ritterschaft ie ranc
Der ort der handlung
ist überwiegend Dänemark,
königstöchter. Engeltrauts
E. 221
do lebte in Burguntriche
vil getriuwecliche
ein herre von gebürte fri.
dem wonte zuht und ere bi,
milte und ganziu sttete.
240
sus hiete er sich gepinet')
üf tugent für die bruoder sin.
248,
üf alliu sieleclichiu dinc
stuont sin es h'erzen girde.
sin inuot nach höher wirde
künde ringen unde streben.
im ersten teil des R. und im E.
Yrkane und Engeltraut .sind die
mutter i.st tot (v. 17(37): auch Vr-
'J Hkh innen (</ noch R. Uli. 'J'JO. 14:iü2. — Part. 8700. 'J554.
380 GEREKE
kanes miitter haben wir uns wo) als verstorben zu denken,
da sie nirgends erwähnt wiid.
Reinfried erhält durch einen knappen die auffordeiung- zum
turnier nach Dänemark. Die Schilderung des knappen von der
Schönheit Yrkanes lässt ihn sogleich in liebe zu ihr entbrennen.
Der dichtei' äussert seine Verwunderung darüber, da Reinfried
die Jungfrau Ja noch gar nicht gesehen hat. Er spricht hier
einen ähnlichen gedanken aus wie Konrad, als Engeltraut mit
ihrer liebe zwischen Engelhart und Dietrich schwankt.
R. 49« E. 1(»42
Sit nach des ougeu wilde daz herze rauoz empfäheii
ein herz uf minn sich rihtet, liep oder leit vil drate
daz ouge miioz gepfiihtet al nach der ougen rate:
ze boten an daz herze sin. wan swaz den ougen sanfte tuot,
und swie si went, der ougen schin. daz danket uuch daz herze guot
da volget sin und herze nach. und ist im zwäre avoI da mite.
herze und ougen hänt den site
daz si gehellent under in.
Der Reinfrieddichter fügt dann aber zur erklärung noch
hinzu:
V. 534
ein oug sich mac vergähen dick wider sinen Avillen tuot
so daz ein herze umbehuot an unbesinter minne.
Engelhard findet auf seiner reise nach Dänemark unter-
wegs an Dietrich einen gefährten; beide schliessen innige
freundschaft.
E. 805 si wären zallen stunden
zesaraene gebunden
mit hoher minne stricke.
Aehnlich heisst es später von Reinfried und Yrkane:
R. 30ö(i wan minne mit gedenken bint
si beidiu in der minne stric.
Die Schönheit Yrkanes wird wie die Engeltrauts in über-
einstimmender weise ausführlich geschildert. Doch zeigt sich
hier eine herübernahme von gleichsam formelhaften Wendungen,
in denen sich Konrad ])ei darstellung ähnlicher Situationen
gleich bleibt. Wir können nämlich hier auch die Schilderung
der Irekel im Partonopier heranziehen.
STUDIEN ZU REINFRIED VON HRAUNSCHWEIG.
381
R. 220
ir spilet üz <len ougen
diu luinue mit ir stricke.
H)12
Willi (laz küssen hetzet
mich iii den tot mit senfter gift,
sam diu Syreue, so mau schift
bi ir. tuot mit der stimme.
2110
ir reidez här ir under
der vil riehen kröne schein
dnrliuhteclicheu reht als ein
schön durwünscht gespunnen
golt
(vgl. 22510).
2117
fiz wizer Stirnen glizzcn,
reht als si dar gerizzen
waereu, brüne bräwen.
212.'}
... ir goltvarwez här.
üf dem schein durlinhtic klär
golt und drin gewieret
edel stein
(schapel v. 2178. 2247j.
2144
laiw uiiil als ein sidc gel
was ir här. daz verrc hienc
für den gürtel, swar si gienc.
vgl. 26176
gerispelt reit und da bi val
was ez reht als ein side.
E. 2231
ein spilender ougen blic
da von ich in der minnen stric
also krefteclichen viel.
2216
si tuot als diu Sirene,
der stimme ist also schoene . . .
(Troj. 2()(!8 ff. u. ö.)
vgl. P. 8638
ir här als ein gespunnen golt
schein ilurliuhtic über al;
vgl. 135().5
sin här schein als gesp. g.
E. 2982
da swebeten brüne bräwen obe.
3010
man sach von golde ir eine snuor
z einem schapel nfe ligen,
diu über al was wol gerigen
vol edeles gesteines;
vgl. P. 8650
sieht und wiz diu stirne.
S66T
zwo smale brüne bräwen.
S6S3
ir goltvarwen häres ...
vgl. P. 8640
für den gürtel hin ze tal
sluogen ir die zöpfe lanc ;
vgl. Troj. 23244. Part. 1)430.
.Jänicke zu Wolfd. T) 8, 323, 3.
2152
diu minnecliche blüete
durliuhter denn ein mandel.
au ir .so wart kein wandel-
flecke nie beschouwet
(vgl. 3844 f.;.
E. 2998
ir lip nach edeles herzen gir
in höher wunne bluote;
vgl. P. 3348
so wsere an im kein breste nie
gewesen noch kein wände 1.
sin jugent als ein mandel-
boum in eren bluote:
382
GEREKE
R. 2156
ir lip den hat betouwet
alliu stelde touoen.
2194
Yrkaiie üliertrift't Jescliute de la
Lander an sciuinheit des niundes.
220bi
fiz dem mündel wart gesehen
zeue nä helfeubeine.
wize dünne und kleine
si gewünschet wären dar.
saiu die wilden rosen var
lühten lieht ir wen gel,
und hienc des hares strengel
ein löckel reit da bi zetal.
vgl. Gold. sm. 432
von dir kam der mandel-
kerne durch die schalen ganz.
E. 21»9G
diu siel de was vil manicvalt
der ein wunder lac an ir.
vgl. P. 75(i2
mit s fei den ist betouwet
iuwer nam und iuwer li]).
E. 2991
Engeltraut übertrifft Isolde an
weisse der zahne.
E. 2989
unde stuonden kleine zeue.
vgl. P. 8672
dar inne sani ein helfenbein
stuonden kleine zene wiz.
ir wen gel wären beide
rot als am ein rosen blat.
da hiengen zwene locke reit
ir goltvarwen häres für.
E. 2986
ir wangen roeselehten schin
beide gäben alle stunt.
2970
und was ir här genöte
brnn unde reit bi disen zwein.
2966
schoene und rainneclichgevar
gemischet als milch unde als
was ir liehtiu varvve guot. [bluot
3684
reht als ein milcli uml als ein
bluot
vil wol gemischet under ein;
vgl. P. 8656
reht alse milch unde bluot
wiz unde rot ir varwe schein;
diu zwei gemischet under ein
stuonden wüuneclichen da
(vgl. Troj. 3024).
Vgl. Jäuicke zu Wolfd. D 6, 100, 3. Wackernagel, Kl. sehr. 1, 155.
Wackerneil zu Hugo v. Moutfort 5, 35.
2220
rainneclicher schoener lip
wart nie so süezer noch so guot
als da man milch und da zuo
bluot
in rehter mäze mischet.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAÜNSCIIWEIG.
383
2236
da bi ein kerz ir sieht iu kel
wizer ileuu ein liermel.
2248
stirne bräweii öugel klar
nase raUudel tinne,
hilf fei wengel kinne.
2258
so durliuhtic libes vel
wart nie noch so reine
von fleische noch gebeine
swä si schein vor der wsete.
2266
hoch und kleine brüste
reht als ein apfel sinewel.
wizer denn ie kridemel ')
waen ich daz ez wsere.
E. 2994
dnrlinhtic wiz ir kele schein.
vgl. :i0ü2
ir wären bein und arme sieht,
gewollen als ein kerze;
vgl. P. 12502
ir stirne ir ongen nnde ir ke!
ir nase ir niunt ir tinne,
ir Wangen nnde ir kinne;
vgl. Trist. '.123
ir liar ir stirne ir tinne
ir wange ir niunt ir kinne.
E. 3039
daz man dar durch
I durch das hemde] ir wize hut
sach liuhten bi den ziteu.
3044
ir senften brüstelin
als ez zwen epfel wteren;
vgl. P. 15GS
unde rnorte ir süezen brüst
diu sam ein apfel was gedrät.
Die (larstellung- der Schönheit Helenas im Troj. 19865 ff.
bietet ferner sehr viel ähnliche züge.
Als Reinfried im furnier g-esiegl und als preis turteltaube
und kuss von Yrkane empfangen hat, führt sie, die g-leichfalls
in liebe zu ihm brennt, ihn in ein zeit, wo sie dann beide mit
süssem minneg-eplauder die zeit verbringen. Bei ihnen ist noch
eine treue dienerin. Vorsiclitig- verlassen alle drei nacheinander
in ge^^^ssen z^^ischenräumen das zeit. Dennoch hat sie ein
dänischer g^raf beobachtet, und aus dem verwirrten haar Yr-
kanes ahnt er das vorgefallene; nui- geht er zu weit in seinen
Vermutungen, indem er als sicher annimmt, Yrkane habe ihr
magdtum preisgegeben.
Auch Engelhart und Engeltraut bekennen .sich, als sie
allein sind, ihre liebe und, nachdem Engelhard in einem furnier
in der Normandie sich als siegreicher ritter gezeigt hat, gibt
') Dieser vergleich nur noch Troj. 14000. 19989.
384
GEliElCE
sicli Engeltraut ilini hin. Hierbei werden beide vom grafen
Ritschier entdeckt.
Beide grafen sind natüilich im höchsten grade eifersüclitig.
machen, was sie gesehen liaben. bekannt und erklären sich
bereit, für die Wahrheit ihrer behauptung mit dem Schwerte
im gottesgericht einzustehen:
E 2422
ü f eine m g r ü e n e ii p 1 a n e w i t
ein rieh ffestüele wart bereit.
luid wart der kämpf gesprochen
schier über sehs woclien,
als ez was l)illich nnde reht.
R. 6602
ze vekle wart der tac geleit
üffen einen witeu plan,
gestüelet wart dö snnder wan
nach küneclicher pflihte.
Die übliche frist von sechs wochen vom tage der fest-
setzung des gottesgerichtes an wird in beiden fällen angegeben :
6814 4119
mit urteillicher lere
wart der kämpf gesprochen
von der zit sehs wochen
und drige tage, s6 man seit,
nä kampfes gewonheit,
als ie dö was und noch ist
(vgl. übrigens Iwein5756:
nu wart der kämpf gesprochen
über sehs wochen).
Ein gottesgericht stellt Konrad von Würzburg auch im
Schwanritter dar. Mit der darstellung im Schwann zeigt der
R. manche berührungen. Die ankläger — im R. der dänische
graf, im Schwanr. der fürst von Sachsen — sind beide so her-
vorragend tapfere und berühmte ritter, dass sich keiner finden
will, der es wagt, in einer so heiklen sache ihnen gegenüber-
zutreten:
K. 6754
nu lepte in den ziten
niht reschers ritters denne er was.
da von ei* vil kleine entsaz
daz in ieman bestüende.
6760
dö diz beschach, der künic saz
in sorgen järaerliche.
... in der zit nie ritter swert
Schwanr. 590
der Sahsen fürste hoch
schein also krefte riche
daz niender sin geliche
lebt über allez Jsiderlant
und man dekeinen ritter vant
als elleiithaft ze Sahsen.
604
der künec selber tnirec wart,
daz mau dö kempfen solde,
wan er gelouben wolde,
STUDIEN ZU REINFRIED VON BHAUNSCHWEIG. 385
umb den lip begurte, daz nieman würde fmiden
den man ze bnbnrte so frecher bi den stunden,
der für die fronweu vi^hte.
bezzeru fnnde denne er was.
Kummervoll und fnig-end lassen die trauen ihre blicke
umgehen, ob sich denn niclit ein kämpfer für ihie Unschuld
finde, vgl. R. 6854— G875 und Schwanr. 639—664.
Im R. wie im Engelhart kommen die kämpt'er für Yrkane
und Kngeltraut im letzten augeublick noch eben rechtzeitig
an. Heide sind ganz weiss gekleidet:
R. S5(59
ein ballier wizer denn ein swan.
da mit so was ros unde man
verdecket an der zite. E. 4G88
mit wizem semite der fuorte von samite blanc
er aller in ein ander schein. decke und kurstt wol gesniten.
Der kämpf beginnt ; er wird im R. wie alle anderen ganz
in Kom-ads weise mit denselben formelhaften Wendungen dar-
gestellt, lieber diese allgemeinere nachahmung später! Jetzt
möchte ich hier nur die beiden stellen im R. und E. verglei-
chen, in denen sich doch auch charakteristische, sie von den
übrigen kampfesschilderungen unterscheidende züge finden.
8897 4848
die schilt si für sich druhteu, die Schilde für sich huobeu
diu swert si höhe zuhten. ze schirmen die vil küenen.
4830
diu swert begunden si zehant
zücken.
8908 4876
die fiures blicke sprangen üz dem gevegeten isen
nach der siege duzze, des fiures blic höh üfe stoup.
als ob der donre schuzze 4S15
öf ir beider helraes tach. daz des braches klac
golt und edel stein man sach iftte alsam ein donerslac.
risen von den starken siegen. .^^-^
daz von den stahelringen
geschach ein michel risen.
9032 48.51
mit starken siegen Ionen ir siege wären also grOz
wolt er mit grimmer herte daz üf einen aneböz
dem der üf in berte ge.schach nie grcezer tengeln.
alsam er wser ein aneböz.
Beiträge zur geachtchte dor deutachen gpraclie. XXIII, 25
386 GEREKE
AVie Reinfried von seinem gegner. so Avird Dietrich-Engel-
hard von Ritschier zuerst niedergeworfen (R. 9U38 ff. —
E. 4908 ff.).
Aber Reinfried und Dietrich-Engelhard erheben sich wider
(R. 9046 ff. — E. 4921 ff.).
Es gelingt ilinen ihre gegner vJillig zu besiegen, deren
leben in beiden fällen nur durch das einschreiten des königs
gerettet wird. Als preis fällt jedem sieger die dänische königs-
tpchter zu.
Reinfried führt nun seine geliebte heim. Ihr abschied
von ihrem vater Fontanagris (v. 11555 ff.) erinnert deutlich
an den abschied Engelhards von seinem vater (v. 338 — 383),
als er seine reise nach Dänemark antritt. Beide väter geben
ihren kindern gute ratschlage, insbesondere den, schlechte
gesellschaft zu meiden: R. 11730 vor allen dingen fliehen soll
du hcps geselleschaft.
Engelhards vater gibt seinem söhne drei äpfel; wenn ihn
jemand um gesellschaft bittet, soll er ihn damit prüfen. Er
soll ihm einen apfel anbieten : isst er diesen ganz allein, ohne
ihn mit seinem geber zu teilen,
E. 350
so mit, vil lierzelieber knabe,
alle sine g-eselleschaft.
R. 11748 3(18
luin killt, ilu solt mit ganzer kraft dar niuler ich dich biteii wil,
dich stseter tugent flizen. daz dn getriuwe gerne sist.
in demuot verslizen hie mite dn dir selben gist
solt du din minnecliche zit. vil maneger hande werdekeit.
zulit bescheideuheit diu git trinw ist daz beste ereu kleit
dir hühgelopte wirde. daz den friuntlosen man
bis milt in herzen girde: in dem eilende kan
stsete kiusche triuwe erfrüuweu unde erhoehen wol.
sol din herze niuwe
mit der erbermde halten.
Beide väter sichern ihren kindern zu, dass es ihnen gut
gehen wird, wenn sie ihren rat befolgen.
11714 .3»>4
wilt du in diu herze graben und hast du die bescheideuheit
min lere, daz bringet dir heil. daz du behaltest min gebot,
ez birt dir hulde, sam mir got,
und bringet dir noch seiden vil.
STUDIEN ZU KEINKKIEI) VON HUAUNSCHVVEIG. 387
Die kindei" verspreclien auch ihren viltern gehorsam:
R. 117S5 E. 37»;
si sprach 'veterlin, ich wil 'vater' — sprach er — 'ich eusol
dir üf mines tödes zil niht zebrechen diuen rät.'
volgen ieiner sunder haz.
swaz du hast geraten, daz
wirt von mir vollendet'.
Was der dichter von Reinfried und Yrkane nach ihrer
Vermählung* sagt, lässt sich vergleichen mit Kng-elh. 900 ff. :
107S8 900
swä wip üz herzen rüme Avan swä daz wip beginnet wegen
tuot schäm gen liebem manne in ir herzen mannes tugent
und sich diu minne danne und mit gedenken sine jugent
den gilt mit glicher schanze, wil mezzen und ergründen,
da hat der minne lanze da kan diu minne enzünden
getroffen und beheftet. herze und muot dem wibe
nach des mannes libe.
R. 12658 ist ein förmlicher abschluss des ersten teiles, und
es scheint fast, als ob der dichter ursprünglich auch nur diesen
ersten teil zu dichten beabsichtigt hat:
R. 12650 E. ()4ö3
ir muot ir herze klepten gelücke in hohe stiure bot.
ein ander in dem sinne si lebeten beide unz an den tot
mit ungemischter minne froelichen unde schone,
in ganzer liebe schone. diz heil gap in ze lone
da von wart in ze löne ir triuwe der si wielden.
hie der weite pris gegeben, wan si ze herzen vielden
und dort vor got daz ewic leben gar lüterliche stsetekeit,
daz fro frisch iemer me gestät, so wart in sselde vil bereit
so erde und himelrich zergät. in himele unde uf erden.
Ich halte es auf grund dieser parallele für g'esichert, dass
der Reinfi4eddichter bei der composition der Vorgeschichte
seines beiden sich Konrads Engelhard zum muster genommen
hat. Kr hat die brautfahrt in allen wesentlichen zügen mit
motiven aus diesem epos ausgestaltet und hierbei engen an-
schluss an Konrad gesucht.
Selbständig eingeführt hat er eine ganze reihe von königen
und fürsten. die am turnier in Dänemark teilnehmen. Deien
namen nun wiift er beständig durcheinander, ich führe die
betreffenden stellen an.
V. 740 mit im der künic I'alarei,
die hat gefüeret über mer des herze ie nä triuwcn schrei,
25*
388
GEREKE
wall im kein laster was bekant.
dar was der künc von Eugellaiit
ouch komeii hin mit grozer luaht,
Fluriii, der ie nä ereu vaht.
938
der junge kiinic Palarei,
an schänden gar der traege,
(er was ze NorwsRge
gewaltic kiinic unde vogt),
kam uf die heide ouch gezogt.
Hier ist also Palarei könig von Norwegen (ebenso 564.
1859. 2725) und Florin (oder Floris) könig von England (ebenso
1178. 1813. 2728); nichtsdestoweniger heisst es v. 912 nti hm
dort nf der heide Palarei, künc von Enyellant.
Total verwirrt aber sind die namen an folgenden stellen:
V. 288 ff. von Schotten den h'inc Löris, Lerän von Berhester
[s. Troj. 23921: Lerant von Schotten; der name Berbester stannnt
wol aus Wolfr. Wli. 329, 15. 397, 17; vgl. AVolfi\ Tit. 42, 2], ein
herzog von Wintsester Parlus der fürste ziere, v. 575 ff. Loris
der Schotten vo(jt, Parlus ein vil werder degen, der herzog uz
Berhester, Jörän von Wintsester, v. 750 ff. Löris der h'inc ge-
hiure von Schotten, Fontänägrts von Tenemark, Jörän von Ber-
hester, der herzog Hz Wintsester, v. 1057. 1417. 2729 Parlus von
Schotten, V. 1507 Parlus von Wintsester, v. 1529 Turnis von
Berbester.
Schliesslich möchte ich hier noch die Übereinstimmung des
Schlusses des K. mit einer grösseren partie des Engelhard con-
statieren. Die insel nämlich, an die Reinfried auf der heim-
fahrt vom Sturme verschlagen wird, ist ganz ähnlich geschil-
dert wie die, auf der der miselsüchtige Dietrich sich aufiiält.
Beide inseln sind mit den herrlichsten bäumen und kräutern
bewachsen, die vögel singen ihre schönste sommerweise; denn
der mai ist gekommen.
Uebrigens finden sich ähnliche Schilderungen auch in der
Klage der kunst, im Partonopier und im Trojanerkrieg:
R. 27514
manic vogel suoze
sin stimme lie da hoereii,
wan der meige enboeren
von abrellen wolte;
vgl. Kl. 2, 7
der meie het da wol sin gras
geroeset und geblüeniet.
E. 5326
der liebte siieze meie
was komen dö mit siner inalit.
STUDIEN ZU EEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
389
R. 27524
kleiner vogel zungen
sich rüsten vif ein singen,
die des winters twingen
tet in sorgen swigen :
die hörte man üf stigen
nu in hohem hifte
mit fröuden richem gufte,
wan ir sorge was da hin ;
vgl. Kl. 3, 7
da säzen vogel üfe gnot
und sungen siieze wise;
Troj. Iti504
da niange süeze wise
diu vögellin üf singent.
R. 27544
üz grüeuen hellen schöne
k 1 0 u p
sich manic nii uneclichiu hluot.
swaz ougeu ören sanfter tuet,
des sach und hörte man hie kraft
[vgl. 17155
Sit herzen ougen sanfter tuot];
vgl. Kl. 3, 3
man sach da lachen wize hluot
üf dem grüenen rise;
Lied (Bartsch) 20, 3
üzer hellen schöne sliufet
raanger lösen hlüete kluft.
R. 27588
ein küeler hrunne flöz da nä
des runs gap klingelenden val.
dur hürst und stüden hin ze tal
er sich wünneclichen He.
Reinfrit der höchgehorne gie
durch kurzewil dem wazzer nach.
27594
im was ze kapfende so gäch
an bluoraen hluot und kriuter smac.
E. 5333
und hceten sich gehüset drin (im
laube)
diu wilden waltvogelin
vor der hitze durch gemach.
ir niuwen sumerwise
erklancten si dar under
ze wunnen und ze wunder
und trihen des gnuoc unde vil;
vgl. P. 13284
der meie hete dö gevröut
mit der liehten küufte sin
diu wilden waltvogelin,
dar umbe aldä ze prise
ir süezen sumerwise
wurden lüte erklenket.
si heten sich gesenket
in die schcenen boumes hluot
und liezen süeze stimme guot
des mäles hellen über al.
E. 5330
üz grüenem louhe glesten
sach man die snewize bluot.
5342
der ören und der ougen spil
was da vil harte manecvalt;
vgl. 1045
wan swaz den ougen sanfte tuot
(1198).
E. 5322
hie mite kam er durch daz gras
geslichen zuo dem brunnen kalt.
5344
der brunne lüter unde kalt
gienc rüschende unde klingende.
535«
wazzer bluomen unde gras
sach er mit vollen ougen an.
390
GriiiHElvri
vgl. Troj. 1R510
ein brunne luter unde kalt
uz einem velse gät derbi.
16518
ez klingelt üz dem steine
ze wimsche in unser oren.
R. 27(304
sin herz und sines libes lider
hatten von der arbeit,
so er ftf dem wazzer leit,
groze müede an sich genomen.
da von ein släf begunde im kernen
daz er in die bluomen seic.
vgl.P. 1327r,
ein herberg unde ein obetach
was ime aldä gewannen
bi eime kalten brunnen,
da grüene boume stuonden obe.
E. 5422
und was von deme gange
den er zuo dem brunnen gie
so gar unmehtir worden hie
daz er entslief nach siner klage.
alsus der fürst e wert entslief.
b) Kampfesschilderungen im Reinfried
und bei Konrad.
Bevor Konrad seine ritter zum turnier oder zum kämpfe
reiten lässt, werden wir erst bis aufs g-enaueste über ihre
rüstung' informiert. Ebenso ist es im R.
Wir besitzen von Konrad ein gedieht, dessen hauptinhalt
eigentlicli solche Schilderungen des Avaffenschmuckes der ritter
ausmachen; icli meine das turnier von Nantes, das ja auch die
spätere Wappendichtung einleitet. Die Übereinstimmung mit
den entsprechenden partien des R. ist ausserordentlich.
R. 832
man sach daz in die schilte
geteilet waren in zwei vach,
von obene dur des randes tach
gehalbieret dur den spiz.
von Aräbi gap liebten gliz
daz ein vach von drin stücken,
daz golt sich underdrücken
niht lät mit keinem glaste.
von zobel glizzeu vaste
driu ander stucke gezilt.
so fuorten si den halben schilt
geworht mit hohem flize.
von finen berlen wize
was daz ander überleit,
und was nä wünsch dar in gespreit
von rubiu rot'; ein halber ar;
T. 398
der herzog einen tiuren schilt
von zweier varAve stücken
für sich begunde drücken
nach ritterlichem rehte.
sin halbez teil strifehte
von zobel und von golde was;
daz ander stücke, als ich ez las,
erschein durliuhtic wiz hermin,
und was von roten kelen drin
geleit ein halber adelar:
STUDIEN ZU REINFRIED VON HRAUNSCHWEIG.
391
vgl. T. 434
den schilt den fnorte er nnde tnioc ein glänz er adelar sich bot,
verdecket mit hermine, der was von lichten kelen rot,')
dar üz in liehteni schine nnd schein daz velt wiz als ein sne.
R. 8Hfi
sins helnies tach zwen wedele
von pliäwen hänt bedecket,
in schränke« wis gestrecket
heteu si sich bevangen.
von golde lieht die stangen
nf den wedeln glizzen.
922
uz Aräbie wa.s sin schilt
von glanzem golde, als ich ez las.
von rubin lägen drin gespreit
entwerhes dri leparten.
man sol dem herren zarten,
der alsus keiserlichen vert.
R. 1008
da von er sich bekleidet hat
in stsete varwe läsürblä.*)
R. 1482
von golt ein liehter pfelle
was sin covertinre,
und was nä höher stiure
von kelen rot dar in geleit
E. 2522
eins phäwen zwene wedele
fuort er uf sinem helme guot.
T. 408 = Schwanr. 91t)
der fürste wol gezieret gar
üf sirae glänzen helme kluoc
üz eines phäwen zagele truoc
zwo wünnecliche stangen
bedaht und umbevangen
mit golde lieht und edele
biz an die zwene wedele
der phäwenspiegel viderin,
die glänzen wunneclicheu schin
üf der planie baren,
die Stangen beide wären
üf den heim durch liebten pris
geschrenket schone in criuze-
wis.
T. 310
mit golde lieht von Ar ab in
was im [dem Schilde] sin velt be-
decket,
und wären drin gestrecket
entwerhes dri leparten,
der glaste muoz ich zarten
und ir gezierde reine . . .
und wären üz rubin en
nach hoher wirde lone
geleit zein ander schone.
T. 360
er fuorte von samite
liehtiu wäpenkleider an,
dar üz golt und gesteine brau
kostbciere und üzer mäzen fin.
'^ Vgl. R. 1485 von kelen rdt. T. 377 von rubintn rdt. Part. 2053fi
von röten kelen tvas dar in yesniten manec adelar.
'^) läsurblä und läsiirvar bei Konrad sehr beli«bt; vgl. E. 2507. 2540.
T. 251. 479. 026. 670. Part. 808. 5214 u. ö.
392
GEREKE
üf schiltes tach und wäfenkleit
eins löwen bilde grimraende
und üf ze berge klimmende
reht alsam er lepte.
umb den löwen swepte
einsmal gezieret schiltes rant.
von golde rieh der strich erkant
was
urab des schiltes renke,
die des löwen pflügen,
von Saphiren lägen
liljen klein dar in geworht.
von dem striche rüeren
sach man die bluomen üz und in.
1522
von golde lieht sins heim es tach
zwei hörn häten bedecket.
1706<;
von golt ein liehter ciclät
mit edeln steinen schon durbriten
was sin covertiur gesniten.
zwivalteclioher varwe schin
mit golde sinen schilt hevienc.
ein rant geblüemet drumbe gienc
so rot als ie kein rose erkant.
ouch was enmitten üf den rant
geleit ein güldin strickelin.
die bluomen sach man üz und
die von dem rande lüliten [in,
und alse liljen düliten
gestellet an ir bilden,
der schilt mit einem wilden
löuAven stuout verdecket,
der was in golt gestrecket
und lühte von rubinen rot.
T. 488
sin heim was mit zwein liornen
gezieret wol in füi-sten wis.
T. 302
er fuorte liebten cyclät
der mit golde was gebriten,
dar üz sin wäpenroc gesniten
und sin covertiure was.
Von den rossen lieisst es: E. 1010 ein (jrözez ros, tvas apfd-
grä; dazu vgl. Part. 11820 dn vanve diu ivas apfelgrä, Scliwanr.
864 vil schöne grls und apfelgrä, so schein daz ros von snellcr
art; ferner K. 414 f/röziu ros sivarz als ein hech, ein vergleicli,
den ich häufig nur bei Konrad belegt finde, vgl. SchAvanr. 904
(das ross) lüJite alsam ein stvarzez hech; sonst von der rüstung
gesagt: E. 4692. T. 447. P. 21004. Troj. 11992, einmal auch vom
baren: P. 18258; vgl. auch Veldekes Kneide 5265 (vom schwänz
des rosses), und Heini", v. Neustadt, Von gottes zukunft 6517
(vom teufel).
In allen turnier- und kami)t's('hilderungen bedient sich der
dichter des R. derselben formelhaften, typischen Wendungen,
die er aus Konrad entlehnt hat.
Das ansi)rengen der kämpf er wird wie folgt dargestellt:
E. 2572
des wart üf den vil klären
genuoc und vil gekapfet.
swenne er kam gestapfet,
so sprächens algemeine . . .
kapfen : stapfen Part. 16089. Troj. 12775,
R. 1024
und als der wandeis frie
üf in gehört das kapfen,
man sach in dräte stapfen
gen im üf ein tjoste.
STUDIEN ZU EEINFBIED VON BRAÜNSCHWEIG.
393
R. 1714
schone g-ettörieret
sach mau si zemen stai)fen.
ez solte niemeii kapfen
dem anderu dö dar füeren.
2011. 23075 gekapfet : gestapfet.
1730(i
und kämen geleisieret her,
niht als si riten, als si fingen.
1086
diu ors zesameu dr?Rten
reht als ob si beide fingen.
17142
sin vart niht gie, er kam geflogen.
vgl. 884 f. 1044 ff. 17338 f.
20144
er fuor in dem strite
alsam in rör diu windes brüt.
8864
von ietweders ringes ort
sach man si bede sprengen,
den orsen bede hengen
si künden gen dem juste.
886
diu bein sach man si biegen
da neben zno den lenken.
17308
in orses sprunc diu bein si bugen.
892
man sach diu ors erspringen
sam in dem walde hirzetier.
1011
daz (ors) lief in sprungen sam
ein tier.
1720
ir hurtedichez riten
tet anger plan erzittern.
17312
wan daz man beide und anger wagen
spurt von dem starken loufe.
1732
dö wurden liebte rosen
und bluomen vil zertrettet.
E. 4770
diu ros diu liefen nilit, si fingen
noch vaster danne ein windes brüt.
E. 2774 f. Part. 20720 f. Troj. 12.i27.
18935. 24716 vergleich mit der Winds-
braut.
T. 742
man horte banier snurren
als ein ror, daz in den bruoch
der wint mit stürme neiget
(Vgl. Part. 15948 ff. 20676 ff.).
E. 2700
dö wart vil snellecliche
den rossen wol verbeuget
und uf das velt gesprenget
von den zwein werden rotten.
Troj. 3890 ff. 12213 f. Part. 5()81 f.
T. 748
i'if und zetal begonde sich
vil raanic schenke! biegen.
P. 13798 f. 16116 f.
Schwanr. 905
lief ez (das ross) als ein snellez
T. 942. P. 13711. 19423. [wilt.
Troj. 3793
und gienc in sprungen sara eiu
tier.
Schwanr. 954
der plan der mohte erkracheu
durch der snellen rosse louf.
E. 2592
die bluomen und daz grüne gras
vertreten wurden sere dö.
394
G£IlEiK£
8940
liehte bluomen roeten
si mit bluote künden.
17490
bluomen gras betouwet
von bluote swar si träten.
2O430 f.
1828
diu ors begunden roten
von bluote zuo den siten.
8942
wan si vil scharpfer wunden
sluogen bi den ziten
den orsen in die siten.
1036
für sich er druht des schiltes tach.
1066
den schilt er zuo der brüste
gar ritterliche druhte.
8897.
888
ii- sper si künden senken.
1038 f. 8872. 17304 f.
Jetzt prallen die kämpfer
splittern:
897
rae dan in tusent stücken
sach man die sprizen flücken
höh lif in den lüften.
1048
und stächen daz die schefte
in kleine sprizen hohe fingen.
1089
si beid vertäten
diu sper, dazs hölic waten
in den lüften klein zerschivert
und man die trunzen gar zerrivert
sach ob den helmen fliegen.
7332
den luft mit trunzen zieren
sach man von dürrer schefte krach.
8876 ff. 17324 f.
T. 756 f. Troj. 3986 ff.
Part. 6174
daz grüene gras mit bluote rot
wart geverwet und daz mos.
14528 f.
E. 4766
daz in daz bluot zen siten
üz begunde dringen.
T. 206. 763. P. 5258. 13668. 14219.
15868. Troj. 3895. 12216. 12636.
Schwanr. 906
der herzog einen tiuren schilt
do für sich künde drücken.
T. 200
die sper si vornen sancten.
aufeinander; ihre Speere zer-
E. 2603
daz diu kleinen stückelin
üf in der liebten sunnen schin
begunden stieben als ein melm.
Schwanr. 982
die schefte in kleiniu stückelin
unde in spsene sich zercluben,
so daz ab in ze berge stuben
die schivern und die sprizen.
P. 13674
. . . daz diu sper
kluben sich ze sprizen,
daz da von die wizen
schivern in die lüfte flugen.
20022. 21348. Troj. 3933. 12230
U. ö.
STUDIEN ZU KEINB'RIED VON BRAUNSCHWEIG.
395
11308
si gäben unde leisten
herter siege swsereu zius.
8924 ff.
P. 20020
si gäben herteclichen zins
ein ander mit den scheften.
Bei dem heftifren anitrall stürzen die ritter meist von den
rossen; bisweilen aber hält doch einer den stoss aus:
T. 840
als ob da stüende e i n s t e i n e s w a n t,
alsus enthielt er imder in.
1012
der Averde ritter zier
saz alsam ein vestiu Avant.
11278
von dem satel er sich wegen
liemiure denne ein Steines waut.
17095. 17330.
Wenn sie die Speere vertan haben, greifen sie zu den
Schwertern:
8898 E. 4830 [zücken,
diu swert si hohe znhten. diu swert begunden si zehant |
Des kämpf es getöse ist gewaltig:
902
reht als der dunre schuzze,
so Avart ein schal und oucli ein krach.
8910
als üb der donre schuzze
üf ir beider helmes tach.
17352
Avan ir sticli gap krache
heller denn ein doureslac.
7.354 ff. 20370 f.
1784
sine siege helle
dur die Avolken duzzen.
2872 f.
1800
man liät in kurzer lenge
von im ein groz geteugel.
9034
dem, der üf in berte
alsara er Avter ein aneböz.
E. 4814
si diu sper zerstächen
so vaste daz des bruches klac
lüte alsara ein donerslac
der spaltet daz geböume.
Troj. 12242 f.
T. 818
daz in den AA'olken Avider hal
der SAverte griuAA'elicher doz.
E. 4852.
iif einen aneboz
geschach nie grcezer t eng ein.
2728 ff. T. 812
do hnob sich groz getengel.
T. 794 ff. Troj. 4076. 12804.
P. 14327
mit SAverten und mit bcngeln
hnob sich ein solich tengelu
und slahen üf in also groz,
396
GEREKE
sam sich iif einen aneboz
erhebet in der smitten
(Parz. 152, .■>. 537,27. 112,28. 21(t, 4. j. Tit. :{897. 420:0.
Auf lielm und schild sausen die schwertscliläge nieder:
17f)C.
ftz helmen lieht geliouwen
wurden fiiires blicke.
178»
von den helmen schiizzen
des wilden fiures gneisten.
11304
des wilden fiures blicke
sach man uz helmen dringen,
von siegen höhe springen
flammeliche gneisten.
20482
von wildem fiure manic brunst
üz helmen hert von swerten stoup.
9016 f. 20402 f.
20508
man moht an dem fiure,
daz si üz helmen sluogen
mit swerten diu si truogen,
schoube hän anbrennet.
17354
vinster wart der liehte tac
in beiden under helme,
wan si von dem raelme
ein ander lützel sahen.
17368
ob ir helmen huob sich tampf
alsam ein starker dicker nebel.
daz wilde fiur, als ez von swebel
wser enpfangen und enbrant,
wart üf helmen dicke erkant.
(zu melm vgl. am Schlüsse unter
Wortschatz).
1752
golt und gestein unwerde
ftz Schiiten wart gekloezet.
1808
ei waz sin swert verrerte
sideu golt und steine!
E. 4T7(;
ftz herten steinen wart geslagen
daz wilde fiur an manegen steten.
4876
uz dem gevegeten isen
des fiures blic höh üfe stoup.
T. 794
dö Sprüngen fiures flammen
uz helmen also groze.
P. 5310. 14460. 21725. Troj. 3958.
12584.
E. 4780
da waere ein kerze wol enzunt
von den ganstern unde ein schoup.
E. 4782
ei wie nach in beiden stoup
daz fiur und der vil starke melml
T. 854
stoup und oucli gesteine mel
um in ein vinsternisse gap.
1038.
P. 21734
do wart von stoube ze der zit
ein trüebez wölken unde ein nebel.
15180
wan diu malie wart so groz
und des dicken stoubes melm,
daz man enweder schilt noch heim
erkennen mohte drunder.
E. 4874
daz von den stahelringen
geschach ein raichel risen.
T. 798
golt und gesteine risen
begonde nider uf den plan.
STUDIEN ZU UEINFUIED VON BKAUNSCHWEIG.
397
Sil 12
golt und edel stein man sach
. risen von den starken siegen.
17434 ff. 17462 ff.
17460
ab b§den schilten spaeue
wurden d;i "eliuuwen.
P. 15492
gesteine purpur unde golt
wart verreret und versniten.
14f)3ll. 21730. Trqj. 12740.
E. 4SS0
so viel (lä uiiler balde
von den Schilden nianic spän.
F. 20052. T. 910. Troj. 3972. 12748.
Findet ein inassenturnier statt, so bilden sich zwei Par-
teien, deren jede ilireii füliier wählt: K. 1450 ff. P. 14054 ff.
T. 256 ff.
Bevor das turuier beginnt, wird eine messe gehalten:
1446
vil schiere wart gesungen
in ein schoeuiu messe,
dar nach vil manic presse
sich rüste üf den turnei.
(zu presse vgl. am Schlüsse unter
Wortschatz).
T. 252
dö wart gesungen schiere da
mit llize ein schoeniu messe
der ritterlichen presse.
P. 14046
da sanc ein werder kapelän
in eime gezelte messe
der kristenlichen presse.
Der kämpf entwickelt sich:
172S
bi ellenthafter krefte
sich schar und schar verwurren.
man hört die siege snurren
und in den lüften dösen.
20150
er kerte hin da sich diu w5p
vast ze strite wurren.
sin siege hört man snurren
mit ritterlichem gufte
höh üf in dem lutte.
1724
man sach die rotten flehten
sich vaste in ein ander.
E. 2704
die Eiuzen und die Schotten
zein ander sich do wurren.
T. 740
die schar nach hoher wirde lobe
ze samene sich da wurren.
man horte banier snurren (vgl. 760).
Troj. 12233
banier sach man da snurren
des sich die rotten wurren.
P. 15433
kämen alle zuo geflogen,
als man die pf'ile von dem bogen
siht riuschen unde snurren.
si flähten unde wurren
zein ander sich mit hoher kraft.
Troj. 12322
die schar sich underdrungen
und flähten in ein amler sich.
T. 10061".
398
GRllEKE
Dem tapferen ritt er gelingt es sicli balin zu brechen durch
die kämpfenden scharen:
180(1
ez wart ein witiii sträze
in enge swar er kerte.
1864
er künde uz engem fürte
oncli hon wen wite gazzen.
11297
in engen hiifen machen
sach man in gröze wite.
1878
da sach man spalten
die rotten siinder biteii.
1S02
alsam die hanfstengel
sach man die rotten spalten.
E. 2738
Engelhart reit under in
slahende nnde stechende
und eine sträze brechende
durch die ritterlichen schar.
Troj. 1259S
da wart von im ein straze
geh ou wen dur die ritterscliaft.
T. 77(i
mit orse und ouch mit handen
mäht er im selben witen rüra.
erspielt die schar alsam den schfim.
890
die schar zecloup er und zespielt.
Mit grossem eifer wird auf beiden seilen gefochten:
T. 820
dö wart vil raanic stegereif
erlseret unde satelboge.
175Ü
man sach da mangen vellen
von orse uf die erde.
1754
vil setel mau enbloezet
moht uf dem plane schouwen.
7;i3(5
vil setel wart gel;«ret
von der jtonder juste.
1804 f. 11 354 f. 12378 f. etc.
So ist es auch das ende eines Zweikampfes, dass einer der
beiden ritter zu boden stürzt:
P. 15918
des nam er einen swinden val
ab dem orse küene.
1054
der frouAven ritter der lac da
von dem orse wol hin dan
und was gevallen uf den plan
11348
so sach man jenen hinder sich
über den satel bürzen.
20361
und valte vil unwerde
mangen ze der erde.
1 3885
. . . valte in uf den anger dö.
13898 f.
T. 216
. . . daz er zehant geuicket
wart uz dem satele hinder sich
und in der ungefüege stich
mit kraft und mit gewalte
zuo der plänie valte.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
390
Wie der diclitei- uns öfter nach gewolinlieit aller höfischen
dichter versichert, es habe auf erden nichts dem erzählten
ähnliches g-eg-eben, so erinnert er uns g-anz besonders hier,
dass man nie einen besseren und grimmigeren streit gesehen
habe als den eben geschilderten:
S920
daz e noch sit den ziten
so hertez keinpfen nie geschach.
ich wsene daz mit swerten
ie geschaehe so guot kämpf.
1749-1. 20092. 20468. 20535. 25536. 25582
P. 20062
daz man nie zwene ritter
gesach ze keinen ziten
so «rimmeclichen striteu.
c) Sonstige anklänge.
Ueber die entlehnung- von bildern und vergleichen aus
Konrad vgl. unten abschn. III, A, I, i.
Partonopier.
Von anklängen vereinzelter stellen im R. und im P. nenne
ich folg-ende:
R. 6496
wie sol ez armen mir ergän,
Sit daz der schänden riche
also lugeliche
msere üf mich stempfet?
wird ich überkempfet, . . .
l:n73
sns lihte klage sunder nit
und hete treip si alle zit
tac und naht iin uuderläz |sträz.
ze bett ze tisch ze weg ze
si gie, si stuont, si lac, si
saz,
daz si der bete nie vergaz
eine kleine stunde.
P. 4036
wan derselbe tac dar zuo
von alter ist gerihtet,
daz man gerne vihtet
an im unde kempfet.
mit lügen ist gestempfet
niht diz wäre msere. *)
5576
si künden wol gebären
als uz erweite kempfen.
die rede wil ich stempfen
nilit mit lügenmseren.
2900
vor ilisen dingen allen
«febiutp ich unde rate dir.
daz du sist getriuwe mir
und du min niht vergezzest.
du trinkest oder ezzest,
du seit an mich gedenken
und niht von mir enwenken.
') Schon bemerkt von Bartsch, aum. zu K. 649b.
400
GEREKE
i32i(;
er enwachete noch slief
wan daz er lac in twalnies art.
604
Uli wachet uude slief er
sam der in einem twalnie lit.
Zwei sceiien liaben im R. und im P. eine überraschende
älniliclikeit in der ausfülirung'. Der junge persisclie fürst hat
einen Zweikampf ausgeboten, den Reinfiied annimmt; nun lässt
sich der Persän durch keine bitten seines gross vaters von
diesem kämpfe abbringen. Ebenso dringt Partono])ier darauf,
unter allen umständen mit dem sarrazenischen fürsten Sorna-
giur, der zum Zweikampf hei-ausgef ordert hat, zu fecliten und
ist durch nichts zum verzieht zu bewegen:
R. 17025
sus der fürst genendic
wült des kampfes wendic
unib keine sache werden.
' i c li 1 i e z mich in die erden',
sprach er, 'e 1 e b e n d i c b e g- r a b e n"
17010
man hiez an allen orten
wit durch die rotten schrien,
swel künige fürsten frien
dur minne und werde frouwen
ein kempfen wolten schouwen,
daz die alle ktemen.
17004
der kämpf also bestsetet do
wart ze beiden siten,
daz er einic s triten
solte und niemen mere
helfe da zuo kere
mit werken noch mit worten.
P. 4910
'ich w 0 1 1 e u a m e 1 i c h e n e
ze den toten sin gezelt,
dan ieuien anders würde erweit,
der vehten solte disen wie'
5061
also gebot er euch hie sä
den liuten sin gemeine dil,
daz si des morgens alle sich
mit wäpenkleiden wunniclich
vil schone zieren solten, . . .
Partouopier der kaerae dar
und wolte mit im striten.
5094
do wart ein Sicherheit genomen
unde ein fride also gesworn,
SO die kempfen ftz erkorn
mit einander va^hteu
und sich mit strite braehten
ze grimmer uoete bitter,
daz b e i d e n t h a 1 p die r i 1 1 e r
s ti 1 1 e e n t h i e 1 1 e n u f d e r w i s e n
unde ir keiner hülfe disen.
Es folgt eine genaue beschreibung der rüstungen, worin
sich manche Übereinstimmung zeigt. Die kampfesschilderung
im R. ist natürlich ganz analog den sonstigen im anschluss
an Konrad ausgestaltet; doch verdienen folgende stellen beson-
ders hervorgehoben zu werden:
17254
vil jämerlicher blicke
si ftf ze ffote täten.
5242
der künec von Kärliugen
mante got vil tiure,
STUDIEN ZU REINl'RIEI) VON BRAUNSCHWEIG.
401
si fleliten nude baten daz er g-ernochte stiure
dem werden helt oeliinre mit helfericlien heiiden
siner helfe stinre Partonopiere senden.
mit manges trehenes regne.
(Ileich beim ersten aiilauf zersplittern Reinfrieds und Par-
tonopiers Speere :
17388
dfi von si beide wnrben
unib höhin jitunt für .sterben.
17504
daz swert ze beiden hendeu nan
der helt nnverzagte.
17370
daz wilde fiur als ez von swebel
wser empfangen tind enbrant.
17440
wan sin wer diu niuost im nern
daz leljeii für ein sterben.
5708
si vahten angestliche
mit ein ander umb daz leben.
5750
sin akkes er mit zorne
ze beiden hendeu schiere bot.
57S2
üf in so bran er als ein swebel.
5842
daz leben und den lip genern
wolte der getriuwe.
Weiterhin stelle ich folgende scenen zusammen:
Der dänische graf wird mit Partonopier hat Meliurs g-e-
seiner Werbung- von Yrkane bot übertreten; deshalb ent-
abgewiesen; sie fordert ihn zieht sie ihm ihre gunst und
auf: fordert ihn auf:
5-2H7
strich von minen ougen.
wizzest sunder lougen,
ob min lij) dich iemer siht
für dis stunt, daz dir beschiht
daz dir iemer füeget leit.
8592
stricli bald üz minen ougen,
daz ich dich n i e ra e r m e ge-
sehe,
e daz dir wirs von mir ge-
schehe.
Der dänische g-raf und Partonopier sind sehr betrübt über
die ihnen zu teil «gewordene Ungnade:
'J176 ;
vil manec heizer traheu viel
uz siuen ougen IGter.')
Alle bitten Irekels vermögen
nicht, Meliurs vorwürfe zu ent-
kräften :
908(5
den zepter und die kröne geben
wolt ich e üz der hende min,
5280
man sach sin ougen reren
heizer trehen tropfen.
Alle bitten des grafen helfen
nichts; Yrkane ist nicht zu
erweichen :
4788
ich 1 iez e schetzen,
sprach ai, mich von dem übe,
1) Vgl. 9183 f.
Beiträge zur geachiclite der ileutBclien spräche. XXII 1.
26
402
GEREKE
e daz min lip ze wibe
i u c h würde a 1 d z e a ini e n .
ich lieze mich e t'rien
libes unde guotes.
4770
und hänt an mir zerbrochen
ritterliche wirde.
4798
zwar ez würd gerochen
an iucli.
Trojan
Von Reinfried und Yrkane
heisst es:
8704
diu nätüre twinget dich
daz diu sin muoz minuen dar
da si iender wirt gewar
daz ir gelich näture lit.
8786
si sint worden dort gewar
gelich der ir näture.
8798
so minnet sin geliehen
ein ieclich creätiure.
diz kunt von der n ä t i u r e ,
von irre mäht und ouch ir
kraft.
e daz im solte werden schin
min lüterlichiu friuntschaft.
9094
ich hin des worden über ein
daz ich benamen stürbe,
e daz er mich erwürbe
zeiner ganzen friundin.
9090
Sit daz er siner triuwen kraft
hat wider mich zeb rochen,')
so muoz an im gerochen
werden sin vil hoher mein.
erkrieg.
Von Jason und Medea sagt
Konrad:
7798
swa rehtiu liebe fundeu
von der natüre künste wirt,
weizgot, da bringet unde birt
diu miune snellen urspriuc.
7805
natüre ist also liste rieh;
wä si m a c v i n d e n i r gelich ...
7813
da Jason und Medeä
von der natüre krefte .sä
begunden merken under in
daz gelich ir beider sin
an rehter liebe künde wegen.
2. Rudolf von Ems.
Dass der dicliter des R. Rudolf von Ems kennt, beweisen
die verse 15300 ff.:
Als man von Amelien
der schoenen seit uz Engcllant.
swie bitterlichez leit si bant,
daz leit so zühteclich si treip
daz ir ir leben doch beleip.
Amelie von England ist bekanntlich die lieldin in Rudolfs
Wilhelm von Orlens.
') Vgl. 8961 ff.
STUDIEN ZU REINFRIEl) VON BRAUNSCHWEIG.
403
Da uns von diesem roniane Rudolfs wie von seinem Alex-
ander leider nur sehr wenig- gedruckt vorliegt, war mir natür-
lich eine genauere Untersuchung* über das Verhältnis des R. zu
jenen werken nicht niiiglich. (Gerade der erstgenannte roman,
der von allen diclituiigen Rudolfs st()ffli(;h ja die meisten be-
liihrungeii mit R. haben dürfte, würde vielleicht manche paral-
lelen bieten, wie ich aus der vero:leichung- einer ((T!erm.21.197ff.)
von Palm veröffentlichten partie schliesse.
Reinfried bittet nämlich, als er aus dem kämpfe mit dem
dänischen g-rafen siegreich hervorg-egangen ist, den könig- Fon-
tanagiis um seine tochter, da er diese nicht ohne die ein-
willigung des vaters, wie er gekonnt hätte, mit sich führen
will. Fontanagiis berät sich mit seinem gefolge, ob er dem
lierzog von Biaunschweig Yrkane geben solle. Eine ganz
ähnliche scene enthält das genannte stück aus Rudolfs v. E.
Wilhelm.
H. 1014S
so sol man im äne wanc
die reinen willeclichen geben,
sin gelt sin guot .sin lip sin leben
sin liut sin mag sin art sin lant
sint so breit so wit erkant
(laz er der reinen wirdic ist.
10141
dö dirre rät alsus ergie.
lulüt;
als er diz sprach, dö vander
die volge von in allen,
in muose wol gevallen
daz dinc.
Vgl. auch:
978Ü
ncment mines rät es war,
ob min mnnt incli rate reht,
da sehent endeliclien zno . . .
. . . wizz iemen baz,
swenn ich gerät, der rät onch daz.
97(11
er was der fürsten luehster rät,
wan er also gewfirljen hat,
daz man im höher ereu sprach.
W. I. 45
sit daz der knnig witikin
ere hat lip nnde gut,
wirdikeit und hohen mut
und in so rehter wirde lebet
daz ir im uwer dohter gebet.
71
do der rat also geschach.
81
do die den rat vernamen do,
er geviel in allen wol,
als man den wisen volgen sol.
an den rat wart do genomen
her Wilhelm der furste do
der riet sns, den andern so,
iegelichen als er künde,
do suhte an der selben stunde
der kunig wilhelmes rat,
der riet im ane missetat
den besten rat der do geschach.
2ü*
404
GEKEKE
9824
IUI rät ich, ob ich raten kau,
ob ir mins rätes ruochent.
10739
und oiuh diu wandeis eine
diu minnecliche reine
diu süeze wol getane
diu sselden rieh Yrkane.')
10798
ein lip zwo sele wirt den zwein
und ein einlich liden.-)
11706
bi leide solt du tragen leit,
bi liebe liep, bi guote guot,
bi hohgemuoten hohgemuot.
10901
da von ein glicher will e schein,
ein einlich herze an disen
zwein.
Vgl. den rat den Keinfried
1-1320
er sprach 'frowe, du solt leben
gen höhen höh, die armen
solt du dich län erbarmen
und in ir jämer troesten.
den besten und den boesten
gip senftecliclien dinen gruoz.
den armen solt du sorge buoz
mit diner gäbe maclien.
du bis an allen sachen
diemüetic vest und da bi reht.
222
die süezen Amelyen
die edelen wandeis vrien.
n. 1
die edele kuueginne
die süeze Amelynne,
die kiusche wandeis vrie
die reine uude gute.
9
zu allen ziten nuwen
trugen si beide under in
einen mut und einen sin,
einen mut under in zwein,
da zweier seien naraen schein,
der werde man sin liebez wip
mit zwein seien ein lip
trugen under in beiden,
eines libes ungescheiden
waren sie in dem mute,
da was gut bi gute;
zuht bi hohgemüete
was ie mit werder güete
gelich an den gelieben zwein.
ir mut in einem willen
schein.
Yrkane beim abschied gibt:
30
er was mit mit seliglicher kraft
an allen seiden sigehaft
mit zuhten wise unde gut,
werhaft kusche hochgemut
getruwe miltebere,
ein rehter rihtere,
den armen demut unde gut.
er neigte sinen hohen mut
nid er zu den guten,
obe den hochgemuten
') So wird Yrkane öfters bezeichnet; bei Konrad habe ich derartiges
nicht gefunden.
■■') Vgl. V. 12009.
STUDIEN ZU REINFRIKD VON BRAÜNSCHWEIG.
405
daz krumme solt dn machen sieht,
swä dir diu mäze fuoge git.
14341
inide imtugeiitliche art,
fliuhe swache hohvart,
bis geil nide und gen liaz
mit sinnen und mit eien laz:
daz kau dir sorge sto-ren.
von swem du nmgest hcereii
hinderrede mit klaft'e,
iiz dinem hove schaffe
in flüchteclichen stricheu.
14364
swä dir werde untriuwe kunt,
da von solt du dich ziehen.
14368
dar da man triwen wirt ge war,
däsoltdudichhinueigen.
Eine andere stelle ans Endolfs Wilhelm hat Massmann
in V. d. Hasrens Germ. 10, 110 ff. veröffentlicht:
trug er den mut vil hohe em-
sin lob lief in allen vor, [p^ r-
swen er zu einem male sach.
dem man dekeiner wirde jach
der was im iemer mer unkant.
an wem er zuht und ere vant,
den minnete ir von hertzen ie.
untruwen minnete er nie
und trug in zu allen ziten haz.
dienstes er nie vergaz
an dekeiner slahte man.
K. 19193
unreht ze rehte schicken
und reht in unreht stricken,
unreht mit rehte meren.
s. 115, 19
swie du rehte rihtes
unreht zuo rehte slihtes;
noch eine andere Zupitza, Zs. fda. 18, 89 ff.:
R. 900 188
ein ritterlichez güften. durch ritterlichen guft.
Der anfang von Kudolfs \\'eltchronik (Yilmar, Die zwei
recensionen etc. s. 60ff.), der grosse ähnlichkeit mit der ein-
leitung des Barlaam und mit G. Gerh. 326^411 hat, findet seine
genaue entsprechung im Eeinfr. in der rede des Fontanagris
(v. 10589 ff.):
R. 10589
got^der alliu dinc vermac,
der vinster naht und liebten
tac
mit siner kraft gemachet hat
und nach des geböte stät
daz firmanient. der speren kreiz,
der Sternen louf. und der ouch weiz')
Weltchr. (Vilmar) 19
mit der (wisheit) din gotelichiu raaht
vinster lieht tac unde naht
gescheiden hat.
47
wan aller geschepfede geschaft
ervüllet hat din eines kraft.
') Vgl. R. 129'(4— 12981.
406
GEBiEKEi
10595
aller herzen meine,
nieraen wan er eine,
der alliu dinc von nihte
g e s c h u 0 f und o u c h b e r ih t e
den Inft wazzer erde fiur,
10600
von dem alle creätinr
getempert und gemaehet sint,
nach des geböte sich der wint
mnoz biegen und da zuo der luft,
der himels trön und erden kruft
(= 10972).
10605
in siner hant b e s I i u z e t ,
von des genäde fliuzet
aller creätiure leben:
in wazzer fiur, in lüfte swe-
mac niht an sinen hohen rät ; [ben
10610
swaz fliuget fliuzet loufet
stät, (=10970)
loup gras tier vogel wilde
und zame,
wint regen donre kau sin name
binden und entstricken,
des wilden donres blicken
10615
und aller ougen schouwe.
von rifen tuft, von touwe,
von regen sne und ise
hat er mit hohem prise
geeret sich, der weite hie
10620
ze nutz den er dem menschen lie.
swaz der tac beliuhtet,
swaz menge tou erfiuhtet,
von aller slahte würzen fruht,
daz liez sin gotelichiu zuht
1 0625
allez hie üf erden
ze dienst dem menschen wer-
den.
25
als ez diu witze berndiu kraft
alrest von nihte tihte,
geschuof und gar berihte.
56
also getempert häts din list
mit der vier elementen kraft,
diu natiircnt alle ge schaff.
32
aller h i m e 1 t u g e n t , aller h i -
mel schar
nigent diner herschaft,
din
die tiefe der abgründe
hat in kuntliclier künde
1) e s 1 0 z z e n und gemezzen.
40
din kraft hat besezzen
elliu leben, dar nach si lebent,
i }i lüften und in w a z z e r n s w e -
beut,
ü f e r d e n 1 e b e n t v 1 i e g e n t g ü n t,
w u r z e n t w a h s e n t v 1 i e z e n t
s t ä n t :
diu nigent dime geböte.
231
tiere gevügel Avilt und zam
niaht in got gehorsam.
239
ze uutzelicher lipnar.
242
ze niezen aller siner geschaft.
235
und swaz üf erden krütes wirt
und an im bernden sämen birt
und elliu holz, diu mit genuht
in ir gesiebte bringent vruht.
229
den (menschen) mähte got mit
siner kraft,
undertän alle geschaft.
STUDIEN ZU KEIN FRIED VON BRAUNSCHWEIG.
407
Vgl. Bari. 2, 3 ff.
erde viur wazzer liift
(R. 10599 ff.)
kelte rege» hitze tnft
(R. lOtilG)
getempert (K. 10601) hat dm eines
kraft. —
din eines vürdjehtlich gewalt
hat genennet unde gezalt
d e r s t e r u e n ni e n e g e uudo genant
ir aller naraen unde erkant
ir unibelouf. ir umbevart.
(R. 10594)
ouch muoz in siuem loufe gän
daz f i r ni a ni e n t nnz an daz zil
(R. 10593). —
von nihte hat getihtet (R. 10597)
din wiser gotlicher list
swaz sihtic unde unsihtic ist.
den d u n r e und diu hlicschöz
(R. 10t>14)
von viurinem lüfte lät
din kraft, diu sie getempert hat.
du sihst durch aller herzen
tor (R. 10594 f.)
in menschlicher sinne grünt
dir sint elliu herzen kunt.
Das Vorbild für diese stellen ist jedenfalls Wolfr. Wh. 2, 2 ff.
215, 11 ff. 25a 6 ff.
Das paradies mit seinen vier Aussen beschreibt der dichter
des E. gleichfalls im anschluss an Rudolfs \V., die in diesem
punkte nach Doberentz (Zs. fdph. 13,207 ff.) auf Honorius Augu-
stodunensis und Isidor zurückgeht. Wir werden später sehen,
wie auch unser dichter sich direct an diese als quellen
anlehnt.
R. 2191S
er hat alliu laut durvarn,
da dur diu wazzer fliezen
diu au mitten schiezen
mit gütlichem prise
üz dem paradise.
21830
wie er geboren waere
tiz dem laut ze Ejulät.
dur daz selbe lant ouch gät
üz dem paradise
mit f r ü li t e c 1 i c li e m prise
Phisön des werden wazzers duz.
b i rl e 11 i u m den stein sin f 1 u z
und ouch onichium da treit.
daz beste golt, als man uns seit,
daz uf erd ie funden wart,
treit ouch hie des fluzzes art.
21924
Gyou Ethiop Mörenlant,
Tigris Assiriam dur gät.
Weltchr. (Vilmar s. 61) 283
ein wazzer michel unde gröz
von der selben mitte vloz,
daz dem paradise gar
viuhte und süeze fruht gebar,
daz teilte in vier teile sich.
290
der teil eiuer ist genaut
Physon daz wazzer, daz noch gät
durch elliu lant in Eiulät,
des V 1 u z daz beste golt b i r t ,
daz iendert uf der erde wirt,
und daz edel berdellum,
daz guot ist, edel unde vrum,
daz diu schritt uns nennet sus.
der edel stein onichilus
da wahset ouch, in birt daz laut,
daz ander wazzer ist genant
Geon, des vluz tuot sich bekant
über Etiopiara daz lant.
daz dritte heizet Tigris,
voa dem tuot uns diu schrift gewis,
408
GEREKE
swaz Eufrates daz wazzer hat daz ez siu vliezeii Avande
durgaugen laut, diu wären kimt gein Assiriä dem lande
im eigeulichen nf den grünt. daz vierde heizet Eiifrates.')
Der geograi)liiscli-etliiiogTai)lii.sclie abschnitt der Welt-
chronik Rudolfs bietet noch weitere parallelen.
Rudolf Aveiss von den greifen, die das gold auf dem Kau-
kasus bewachen:
mit wüiinedichem schiiie hänt.
grifen noch tracken nieman länt
daz selbe golt gewinnen da,
Doberentz a.a.O., v. 161
dil ligent berge guldin
die nach golde liebten .schin
verglichen mit R. 18224 ff.; dazu vgl. Bartsch, Herzog Ernst
s. xLiv. Seine wundermenschen hat der Reinfrieddichter meist
aus dem Herzog Ernst, zum teil jedoch aus Rudolf:
R. 21935
und seit den herreu mtere
wie in eim lande wgere
ein site ungemseze,
Avie ie der mensche jeze
sin rauoter und ouch sinen
vater.
Doberentz 244
da bi haut disiu selben laut
ein Hut daz solhe site hat,
daz ir deheiuer daz niht lät,
guoter nocli unguoter.
si slahen vater und muoter,
so si beginneut alteu,
ir krefte widerwalten,
und gesteut sich ze Wirtschaft
Vgl. Honorius, Imago mundi 1, 11.
mite.
19348
er fuort ein kreftecliche schar
mit im an der stunde,
houbter sam die hunde
hat al sin massenie.
20444
daz volc daz sam die hunde
grinen unde bullen.
Vgl. Honorius a. a. o. 1, 12.
19312
ein volc daz kan gäben
mit loufe sueller denn eiu tier,
bräht mit im der fürste zier
mit helfelicher meine,
niht wau üf eime beine
daz volc loufet unde stät.
280
da bi siut ander Hute, die
ze houpteu huudes houbet baut.
niht anders si gekleidet gänt
wau mit wilder tiere hinten.
disen selben Hüten
ist menschen rede niht verlän,
man hört si hundes stimme hau.
316
. . . Cenopodes:
daz ist ein wildez Hut; daz hat
einen fuoz, dar lif ez gät.
331
dise selben liute siut
snel und drsete alsam der wint.
0 Vgl. Zs.fdph. 13, naft'.
STUDIEN ZU EEINFRIED VON BKAUNSCHWEIG. 409
Honoriiis (1, 12), dem Rudolf hier folgt, wirft mit diesem
A'olk die 'platfüeze' zusammen; der Reiufrieddic-liter kombi-
niert die einfüssigen mit den einäugigen, die er au.s dem Hei'zog
Ernst entnimmt:
19322 :\M\
ein w\iii(U'ilicher schar, die da lantliute .siiit genant,
die wären äue houbet. die sint äne houbet
an den ahseln offenbar und hoiibetes beroubet,
siht man sunder lougen und in stänt änelougen
stän des volkes ougen. an der ahseln vor diu ongeu;
vorn an der brüste stät ir niunt. für nase und niuut haut sie zwei
vor an der brüst. [loch
Vgl. Honorius 1, 12.
Der Reinfrieddicliter berichtet ferner noch von einem
Volke, das nicht isst noch trinkt:
21948
daz laut dem paradise lac die liute von des smackes trehen
so nähe, als er horte jehen, so danueii kam sns lebten u.s.iv.
Die genaue entsprechung hierfür zu finden ist mir nicht
gelungen. Ich lese bei Rudolf nur von einem volke,
350 (Doberentz)
daz lebt deheiner genist sin spise und al sin fuore gar
ze spise noch ze lipnar; an eines apfels smacke lit.
Vgl. Hon. 1, 12 solo odore cumsdam pomi vivunt Hierauf
kann unsere stelle also wol kaum zurückgehen. AVir hören
(hiiiii von denselben leuten ausser manchem anderen noch, dass
sie beständig in freuden leben
21959 sunder missewende
an aller slahte trure, sleiz uf ein rehtez ende
biz daz ir iiäture und stürben denn äu allez we.
Das macht offenbar die nähe des paradieses. Vgl. j. Tit. 6052:
der luft ist so gesüezet, von paradis betouwet,
daz er wol kumber büezet. si sint da von geheret und gefrouwet
in den landen, die iler luft bedrsehet.
Auf Rudolfs W. dürfte teilweise wol auch die ausführliclie
erzählung von den Amazonen im R. (v. 19429 — v. 19610) be-
ruhen. Zwar sind wesentliche abweichungen vorhanden, nament-
lich in der Vorgeschichte der Amazonen, doch teilt Rudolf diese
differenzen zwischen ilim uiul R. mit allen anderen überliefe-
410 GEKEKE
rungen über diese kriegerischen weiber. Icli glaube daher,
dass derartige Varianten auf die rechnung des dichters selbst
kommen.
Während nämlich sonst, wo überhaupt von der Vorgeschichte
der Amazonen die rede ist, wie also bei Rudolf (vgl. J. Zingerle,
WSB.r)0,432. O.Zingerle, Die quellen z. Alex, des Kud.v.E., s.ll8)
erzählt wird, dass den Amazonen einst in einem kämpfe mit
nachbarviUkern ihre männer erschlagen seien, weshalb sie sich
genötigt gesehen hätten, selbst kriegerkleidung und waffen
anzulegen, lieisst es im R.. die Amazonen hätten ihre männer
eigenhändig getötet, weil diese auf anstiften des königs
19495 ir wip ze laster brähteu.
si schauten nude siiuihteu
si ze allen stunden.
Vielleicht hat der dichter in irgend einer lateinischen
quelle die geschichte der Hypsipyle und der lemnischen weiber
gelesen und diese mit der Amazonensage combiniert.
E. 19529 Weltchron. (Zingerle) 104
. . . diu reinen wip maunes wäpen legten si an
leiten harnesch an ir lip und lerten ser da mite
und lerneten sit riten, striten nach nianlichem site.
mit schilt und swerte striten.
Rudolf berichtet weiter, die Amazonen seien so tapfer, dass
niemand mit ihnen zu kämi)fen wage; in einem streite mit den
männern in der nachbarschaft hätten sie diese alle erschlagen :
126 als ich die schrift hoere sagen,
die man verluren dö den strit und liezen ir einen niht ge-
und wurden von in dö erslagen, nesen.
Diese worte stimmen merkwürdig zu R. 19524 ff., wo es
von der ermordung der männer der Amazonen durch ihre eigenen
frauen heisst:
ir keine diu lie schouwen daz ein mau lebendic nie genas
für die naht lebendic ir man. der eht in den landen was.
diz wart dur alliu laut getan,
Was der Reinfrieddichter sonst über die Amazonen sagt,
von ihrem geschlechtlichen verkehr mit benachbarten männern,
von der verschiedenen behandlung der knaben und mädchen
nach der geburt, stimmt zu Rudolf und stimmt auch zu allen
übrigen berichten (z. b. Konrad, Troj. 42235 ff.).
STUDIEN ZU REINFRIED VON HRAUNSCHWEIG. 411
Abweichend, aber jedenfalls auf eigene erfindung des dich-
ters — vielleicht infolge eines Irrtums — zurückzuführen, ist
nur noch die angäbe v. 19536 ff.
ir lingge brüst, ist mir bekaut, dur daz si mügeu lideu
heizent si damieu siiiden, des schiltcs leger vor der haut.
Sonst erfahren wir nämlich überall, dass die Amazonen
die rechte brüst abgeschnitten hätten, um nicht beim gebrauche
des bogens behindeit zu sein.
Schliesslich möchte ich noch die Vermutung aussprechen,
dass der dichter durch die verse 183 ff. (Zingerle) bei Rudolf :
dö liezen si sicli zehant und mit gebirge, als ich las
nider in ein witez laut, au Alexanders buocli
daz mit dem mer beslozzeu was
ZU der angäbe veranlasst ist: 19^47 Gog und 3Iagog der jtiden
lant stCit in der küneginne [der Amazonen] liant, die ja Alexander
heslöz })üt berge und mit nn'iren gröz und oiich mit dem grienigen
mer. — Es besteht jedoch die möglichkeit, wie ich aus den
zuletzt genannten Worten Rudolfs schliesse (Konrad beruft sich
V. 42239 f. gleichfalls auf ein huoch ro?i Alexander), dass auch
der Reinfrieddichter aus irgend einem Alexandergedicht [aus
Rudolfs?] schöpft.
Wie dem auch sei, sicherlich kannte und benutzte er
Rudolfs "^^^ in seinen anspielungen auf biblische geschichten
ist die quelle zwar immer die bibel selbst, doch gibt es stellen,
wo er daneben Rudolfs werk berücksichtigt zu haben scheint.
Als er von der wunderbaren hilfe ei'zählt, die gott Gideon in
dem kämpfe gegen die Midianiter leistete, beruft er sich aller-
dings ausdrücklich auf die bibel (v. 158G8 f. = Jud. 7), aber die
Übereinstimmung zwischen v. 15874 ff. mit Rudolf lässt doch
auch einen Zusammenhang mit diesem vermuten. ■
Schütze (Die histor. bücher etc.) 1,
s. 36
weihe man dö trinken sach
R. 15S74 uude die dir werden kuut
und swel daz wazzer in dcu daz si daz wazzer in den muut
iiiuiit üf werfen mit der haut,
würfen mit den h enden, die suln dir sin da von bekant
daz wären die eilenden daz si au den ziten
die got bi den ziten den sie dir suln erstriten.
erwelet hat ze striteu.
412 GEREKE
(Bei Rudolf fehlt die andere partei, die ligeUngen trunlcen,
E. 15872).
Im allgemeinen jedoch wird man sich hüten müssen, falls
etwa irgendwelche zu biblischen berichten gemachte zusätze
dem R. und Rudolfs W. gemeinsam sind, nun behaupten zu
wollen, Rudolf sei hier für unseren dichter die quelle gewesen ;
denn derartige ausschmückungen sind durchaus traditionell.
Wenn wir also z. b. im R. lesen, dass Lots weib als Salz-
säule noch heute in einer höhle zu sehen sei (27100 f. Rudolfs
W., Zs.fda. 18, 102.65), und weiter 27102 da Sodom und Gomorre
was (jeleyen, da sivebet daz mer (vgl. Rudolfs W. a. a. o. 74 f.), so
berichten dasselbe auch andere dichter und schriftsteiler der
zeit, die sich gerade mit solchen Stoffen befassen (vgl. Strauchs
anm. zu Enikels W. 4193); reisebeschreibungen vergessen selten
davon zu erzählen (vgl. z. b. Johann von Montevilla).
Aehnlich steht es mit der geschichte vom turmbau zu Babel
(R. 27042 ff.). Die angäbe der teilung der spräche (in zwo und
sihennc zungen (27051) ist ganz traditionell (vgl. Strauchs anm.
zu Enikels W. 3367). Von Enikel weicht übrigens unser dichter
insofern ab, als jener von Babel als dem erbauer des turmes
spricht, dieser davon nichts weiss.
Eine nähere beziehung zu Rudolfs W. lässt sich vielleicht
aus dem gemeinsamen reime spräche : räche vermuten (vgl. R.
27045 f. Rudolfs AV. [ZingerleJ 7 f.); aber ich möchte darauf
keinen wert legen.
Eigentümlich ist der erzählung im R. die angäbe:
27058
mit zwein und sibenzic eggen der turn daz er verre zoch
was gebüwen also hoch iu den luft über sich enbor.
Endlich vergleiche noch über den tempelbau Salomos
E. 20954 ff. und Weltchr., Germ. 27, 63
daz krfit künc Salaraones sider (Mogk, Kopenh. fragm.) v. 14
wart; swaz er da mit bestreich, sie naraen eynes wurmes blot
swie liart daz was, ez wart doch der liiz tliamnr als ich iz las
weich, eyn kr>U auch sus gehej'zen was
wan ez sich nä dem krntc spielt. des saf mishzeten sie dar in
daz krfit künc Salamon behielt uude bestrichen her unde hin
und bftt da mit den tempel her. die steyne besneden sie zö haut.
STUDIEN ZU REINFRIED VON IJRAUNSCHWEIG. 413
Petrus Comestor, Hist. scliol. lib. reg. 3, 8 berichtet nur von
sanguis vermiculi (nicht von einem kraute')), dessen gewinnung-
er abei- ebenso erzählt wie der Reinfrieddichter die des krautes:
Erat K>üJomoui strutJiio hahcns pullum, cf mclusus est X)ulhis
snh vase vitreo. Quem cum videret struthio, scd habere nequiret,
de dcserto tidit vermicidum, cuius sanguine linivit vitrutn et
fractum est. Videns aiitem Salomon cacmncn montis Moria,
nhi acdificavit templum augustum, deiecit illud, et in arcam
spatiis a))ipliorihi{S diffudit.
Aus Rudolfs übrig-en werken, aus dem Guten Gerhard und
Barlaam und Josai)hat, wüsste ich nur weniges anzufühlen,
was auf R. bezug haben könnte.
Von zwei liebenden heisst es:
R. 2443 Gerb. 4740
(lii ist iiiht wan ein einlich eiu. ein wip ein man, ein mau ein wlp,
ein liep, ein leit. ein ja, ein nein. ein sin, ein muot, eiu ei nie ein,
3021 ein lip, ein liep, ein herze an zvvein,
ein iliuc, eiu eiu, ein liep, eiu leit. eiu minue und eiu geselleschaft.
Doch sind derartige Schilderungen nicht eben selten. —
"Wie Rudolf spielt auch der dichter des R. auf das bekannte
lied MF. 3,1 ff. an:
R. 4223 Gerh. 478«
ich bin din, so bist du miu, du raiu, ich diu, ich Avil diu sin.
ich wil bi dir, du bi mir sin
in herzen und in sinnen.
Im Barlaam und im R. findet sich in gleicher weise das
biblische gleichnis von dem reichen (Luc. 18, 25), im Barlaam
allerdings in der paraphrase dei- evangelischen erzählung selbst:
R. 1(5793 Bari. 135,. 1(5
als ich wol sprechen beere, durch einer nudel «re gät
dur einer nädel oere ein olbende senfteclicher,
ein kemeltier e gieuge, denne eiu weltlich richer
e daz in got enplienge ze gotes riebe müge komen.
ze siner gnaden tröne.
') Das kraut führt zurück auf eine antike traditiou von der spriug-
wurzel, s. Zs. fda. 35, lb3. — Enikel (W. 12031 ff.) berichtet nichts ülicr die
gewiunung des wurmes; ein kraut keuut er nicht.
414
GEREKE
3. Gottfried von Strassburg.
Haben ^vir bisher unsern dichter in den spuren Konrads
von A^'ürzburg und Rudolfs von Ems wandeln sehen, so werden
wir auch erwarten, einen einfluss des lehrers dieser beiden,
Gottfrieds von Strassburg-, im R. zu finden.
Tristan und Isolde sind mehrmals genannt, so Tristrant
V. 20162 in einer aufzählung' der vortrefflichsten beiden, Isolde
V. 9238, ferner sie zusammen mit ihrer mutter:
min sin der hat gezellet
killt imioter ieffenote
V. 2;nio
ze Ysöt und Ysote
den zwein von Yrlanden.
Nun scheint allerdings die namensform Tristrant mit be-
stimmtheit auf Eilhart hinzuweisen (vgl. Lichtenstein, ausg.
s. cxcii); andererseits aber heisst Tristrants geliebte bei Eil-
hart Isalde, nicht wie im R. Ysöt (so bei GottMed). Ich meine
also, aus der form Tristrant ist weiter nichts zu schliessen,
als dass der dichter eben diese namensform kannte; jedenfalls
aber hat er hier durchaus nur Gottfrieds roman im sinne.
Aber es zeigt sich, dass Gottfried mehr formell als inhalt-
lich auf R. gewirkt hat. Für die stoffliche anlehnung unsers
dichters an den Tristan weiss ich eigentlich nur ein ganz
sicheres beispiel anzuführen. Auf Tristans seite im kämpfe
gegen Morolt, der die stärke von vier männern hat, streiten
gott, recht und williger mut (v. 6883 ff.). So steht auch Rein-
fiied gegen den dänischen grafen nicht allein:
9106
wan sin lip selpdritter vaht, mit den zwein was diu minne
er und diu küneginne. ouch in den strit gesprungen.
R. 1404
ir sinne wären trehtic
dar da si meisterinne was
und gewaltecliclien saz
in sins herzen klüse.
4!)Ü1
sin herze seit im von den zwein
nilit wan ein jA und ouch ein
nein.
Vyl. 2444.
Trist. 724
er was in ir herze komen.
er truoc gewaltecliche
in ir herzen künicriche
den Zepter und die kröne.
Vgl. 807 ff.
Trist. 13014
ir beider sin, ir beider muot.
daz was allez ein und ein,
ja unde ja, nein \inde nein,
ja unde nein, nein unde ja.
Vgl. lC328ff.
STUDIEN ZU KEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
415
Der Reinfrieddichter kennt übrigens ancli die fortsetzung-
von Gottfrieds Tristan:
15288
sam diu miunenclich Ysöt daz si jämerlicb erstarp
dixi so kle^elicheii warj) iiiuli Tiistrande dem werden degen,
und zwar höchst wahrscheinlich das gedieht Uh'ichs von Tür-
heim (v. 3422 ff.), da ihm Heini'ich von Freiberg wol kaum
schon bekannt war.
4. Hartmann von Aue.
V. 8931 und v. 20161 nennt der dicliter den Iwein, v. 201G1
Kalogriant; er kennt also Hartmann, was man auch ohne diese
citate als sicher annehmen würde.
Reminiscenzen aus Hartmann dürften demnach folgende
stellen sein:
R. i:{422
ich lioer die wiseu jehen,
daz tröurae dicke triegeu
und trugenliche liegen.
17390
ir ritterlichez werben
moht got gerne hän gesehen,
solt ein kämpf vor im be-
scheben.
r2519
bezigen.
man sacb den fürsten nibt verligen.
Vgl. 14ti74.
14616 ff.
Lange aufzäblnng: der eine, der an-
der, der dritte bis der iiiunde.
G30
zwei hundert wa.s der ersten schar,
schiltknebte, die mit gnoten siten
ie zwene bi ein ander riten:
die fuorteu .sper und kreiger da.
den kam zebaut geritcn na
ein jungiu schar gesundert,
der was wol üf hundert
zwei und zwei der schoensten knaben
so edel art ie moht gehaben
über allez Sahsen laut,
ieclicbcr fuort uf sin er baut
ein sprinzelin dur uiuotes guft.
Iw. 3547
swer sich au troume keret,
der ist wol guneret.
Iw. 1020
hie buop sich ein striten,
daz got mit eren möhte sehen,
solte ein kämpf vor im ge-
schehen.
Vgl. R. 11384 ff. Trist. 6869.
Iw. 2789
die des werdent gezigen
daz si sich durch ir wip verligen.
Vgl. 2863. Erec 2970.
Erec 8260—8286
Lange aufzählung von 1 — 20. Vgl.
Part. 836 ff. 1 —6. 1 1 834 ff. 1 —4.
Im Erec reiten zu einem turnier eine
reihe könige.
1944
besunder bäten si sich
gesellet ritterlichen,
die jungen zuo ir glichen,
die alten zuo den alten.
Von den jungen nun
1964
ir ieciicb fuorte iif der bant
vier müze, ein sparw*re.
416
GEREKE
5. Wolfram von Eschenbach.
Wie schon o-Taen bemerkt, citiert der dichter v. 16678 ff.
den Parziviil; er kennt aber auch den Willehahn. ^^'enn ei'
sich ferner v. 10421 f. und v. 16584 ff. auf A\'olfranis Titurel
beruft, so wird sich ergeben, dass er damit den jüngeren
Titurel meint; vdn einer beziehung- auf Wolframs echte dich-
tung" findet sich dagegen keine spur.
Für directe nachahmung Wolframscher scenen im R. gibt
es verhältnismässig nur sehr wenige beispiele.
So ist es vielleicht nicht ganz zufällig, wenn sich an der
stelle, wo der dichter den kämpf zwischen Reinfried und dem
dänischen grafen mit dem streite Parzivals und seines Stief-
bruders Feirefiz vergleicht, gewisse anklänge zwischen beiden
scenen constatieren lassen.
R. 8968
biz daz diu ors erlägen
beide von der müede.
9002
ir beider sin gereizet
was üf ein niuwez kempfen.
9000
nu hatten an der stunde
die herren oueh erbeizet.
8934
hie vaht kiusche mit der zulit.
manheit mit der niilte.
Parz. 739, 19
diu ors vor niüede wurden heiz,
si versnobten manegen niwen
kreiz.
si bede ab orsen sprungen.
741,21
da streit der triwen hiterheit:
eröz triwe aldä mit triwen streit.
Die art und weise, wie der Reinfrieddichter die entstehung
der menschlichen abnormitäten und wundererscheinungen er-
klärt, erinnert so sehr an Parz. 518, 1 ff., dass man wol in
dieser stelle das vorbild sehen kann (zu Parz. vgl. Pniower,
Zur Wiener Gen. s. 85. Sattler, Die religiös, anschauungen AVolf-
rams s. 63 ff.). Nur hat der Reinfrieddichter die erzählung viel
breiter ausgeführt.
Als nämlich gott den Adam erschaffen hat,
R. 19702 Parz. 518, 1
dö gap got wisliche gir unser vater Adam
Adamen siner bautgetät die kunst er von gote nam,
für alliu wunder diu er hat er gaj) allen dingen uamen,
geschaft'en nf der erden. beidiu wilden unde zamen:
swaz gotes kraft lie werden, er rekant euch iesliches art,
STUDIEN ZU REINFRIEl) VON BRAUNSCHWEIG.
417
daz wart Adamen gar l)okaut
und wart von im micli du yenant,
als ez nocli hiut gelieizen ist.
sin höher meisterlielier list
marht und bekande alle mäht,
der würzen und der kriuter kraft.
dar zuü der Sterne umbevart,
der siben pläneten,
waz die krefte beten:
er rekaut ouch aller würze mäht,
und waz ieslicher was geslabt.
Viele dieser kräutei
kraft, dass sclnvang-ere fi
unmtnsddich figCire gebär
R. 19732
diz seit offenlichen do
Adam sinen kinden
und bat si des erwiudeu
da mit ir forme ende uam.
• bewirken durcli ihre wunderbare
auen, wenn sie die kräiiter ansehen,
en:
Parz. 518, 11
du siniu kint der järe kraft
gewunnen, daz si berhaft
wurden menneschlieher fruht,
er (Adam) widerriet in ungenuht.
swä siner tohter keiuiu truoc,
vil dicke er des gein in gewuoc,
den rät er selten gein in liez,
vil würze er se miden hiez
die menschen fruht verkerteu
und sin geslähte unerten.
Die neugierde jedoch lässt ihnen keine ruhe:
Parz. 518, 25
diu Avip täten et als wip.
etslicher riet ir brfjeder lip
daz si diu werc volbrähte,
des ir herzen gir gedäbte.
R. 19830
do die frowen horten jehen
daz ouch stuont geschriben dö,
diu kiTit schatten sus und so,
do wären si so niugern
daz ir sin uiht wolt eubern,
si wolten sin geruochen
und eudelich versuochen
ob ez also wsre.
So sind also die missg-eburten entstanden. Vgl. übrig-ens
noch die g-anz ähnliche erzählung im deutschen Lucidarius,
Schorbach, QF. 74, 193.
rnter den wunderbai-en menschen befindet sich eine schar
von Taburnit (lOOöG. 19404. 20440); der name stammt ent-
weder aus Parz. 316, 30 odei- aus dem jung-. Tit. 1398.
Bei der erwähnung- Nabuchodonosors macht der dichter
eine angäbe, die in der bibel t'elilt:
R. 2G7-1G
für got solt man iu beten an,
wart üz geschriben in diu laut.
vgl. Parz. 102, ü
der an trügelichen buocheu las,
er solte selbe sin ein got
(vgl. jung. Tit. 791— 794).
Beiträge zur geacUictite der deiitücheii «prttcbe. XXIil. 27
418 GEREKE
Aus dem Willelialm scheinen die hürnenen leute zu stammen:
R. 1963« Wh. 35, 1 1
swaz in dem lande kehie stunt . . . künec (lorliant
von wibes libe wirt geboni,
daz ist allez sanient liorn. des volc was vor und binden
wip kint nnd ouch die man. 35,20 [born.
da von diz volc in strite kan des künec Gorhandes her
uieman überwinden. mit stähl inen koll)en streit.
an alten nnd au kiuden 395, •23
siht man noch g-rifet niht denn born. ir vel was born in grüeuem schin :
alsus werdent si geborn die trnogen kolben stälielin
\md vehtent algeliche (vgl. jung. Tit. 3311 ff.),
mit kolben ritterliche.
Keminiscenzen aus Wolfram sind vielleicht auch folgende
stellen :
R. 19000 Wh. 85, 25
er muose swsere siege geben Arofels ors Yolatin
ze bürgen für sin sterben. und Scboj'us daz swert sin
da wurden bürgen für sin leben.
10391 Wb. 11, Iti. 18,28. 20, 11. 44,25
Terviant als gott der beiden u. s. w.
vom bäruc angerufen.
Im folgenden führe ich nun sämmtliche anspielungen des
Eeinfrieddichters auf Wolframs werke mit den entsprechenden
belegstellen an. Da es sich aber nicht immer sicher entscheiden
lässt, ob der dichter in gewissen fällen sich auf den Parzival
oder den jung. Titurel bezieht, nehme ich die citate aus letz-
terem hier gleich mit hinzu.
780 ff. Die turteltaube, das wappen des grals — Parz. 474.
1—11. 540, 26 f. Keuschheit der gralsritter ~ Parz. 285, 28 ff.
2078 lebt llischaude die der gräl sich von erste tragen lie . . .
Hier liegt eine Verwechslung mit Repanse de Schoye vor (vgl.
Bartsch, anm. zu R. 2078); denn es heisst Parz. 235, 25 liepansr
de sclioij si Mes, die sich der grdl tragen liez. Ebenso im jung.
Tit. Aber diese Verwechslung ist zu erklären; denn Rischaude
wird vom gral dem ersten gralkünig Titurel zur gemahlin ge-
geben (j. Tit. 418 ff.).
2194 swaz man von Jeschüte de la Lander mündel seit;
vgl. Parz. 130, 5 ff.
8921 ff. Kampf zwischen Parzival und Ferevins — Parz. xv.
8931 Gaivein. 9240 Herzelond. 9242 Gijhiirc.
STUDIEN ZU REINFKIED VON HEAUNSCHWEIG. 419
10418 ff. Der gral, cm wnnscli an Uplicher nar — j. Tit.
490. 598 (Parz. 238, 28).
11920 ff. und 24946 f. Reiclitum des köiiigs Artus — j. Tit.
1403. 1408.
14854 ff. A^^illelialni verg"isst den schmerz übei' den tod
seiner getreuen ]\lile und ^'ivianz. wenn er in (ij^burgs armen
rulit — \\\\. 94. 95. 100 ff.
15238 ff. Sig'üne Scliinaldelandcrs tot mit fade galt — j. 'J'it,
5776.
15276 ff. alsani der nurrinne von Zazamanc, der (jrvnime
not si räricet jämerlkheu tot nach dem erweltvn Gahmurcten
— Parz. 750, 24 ff. j. Tit. 1000. 2545.
15282 ff. /;• Iq) zc tödc het (jetreten vil UJit mit frtgem ivillen
sam daz licrs SccundiUen dar Fereviz den Ansclievin — ?
15306 ff. Gyburg- leidet not um den abwesenden Willelialm,
ebenso wie CondAviramurs um Parzival.
16146 ff. Die beiden hatten nie so grosse Verluste erlitten
an allein dö si verliirn so niangen helt df Alischanz.
16585 ff. Wolfram spricht in ^Titureles huoche' ivol von
ziveilmndert hänge nanicn; vgl. j. Tit. 1547 zu heider sU zivei-
hundert, die gein strite ivären in der meine.
j. Tit. 1974 — 2083 ff. folgt dann eine lange aufzählung von
namen. Der Reinfrieddichter bemerkt 16590 ff., das sei bei
der gelegenheit geschehen, als die hruoder üzer Babilon, Pom-
pcms nnd Ypomedön (vgl. Parz. 14, 3 ziven hruoder von Bahildn,
Fompeius und fyomidon 101, 28 f.; vgl. noch R. 19945 ff.)
mit her urliuges pflägen den im dur riehen prisant
nnd keiserliclien h'igeu durch liebe und durch miniie
mit ofteiilicher melde diu swarze küneginne
üf Florischanz dem velde von Zazamanc dem t'ürsten gap.
gen dem . . . fürst en rieh von Baldac, ... ir laut ir namen ich niht hab
swie daz der fUrste riebe gekennet und ir nnderscheit:
hette schedelich verlorn, da von wirt iuch niht geseit
do vor im der hobgeborn noch kunt von mir ir namen gar.
<iahmuret wart erslagen ir laut ir wäfen offenbar
mit bockes bluote, ho-r ich sagen, ') muoz ich durch not verswigen.
an den hertcn adamant
Diese ganze gescliichte hat der dichter nur aus dunkler
erinnerung eingetlochten. Dafür spricht, dass ei- den namen
') (j. Tit. 916. Parz. IÜ5).
27"
420 GEREKE
der königin von Zazamanc nicht kennt, wie er ihn denn sehr
wol bei der grossen zahl von namen im j. Tit. vergessen liaben
konnte. Dafür spricht aber auch die angäbe, dass Pompeius
mit Ypomedon auf dem felde zu Florischanz gegen den fürsten
von Baldac gekämpft hätten, während auf Florischanz nach
dem j. Tit. nur das grosse furnier des Königs Artus stattfand.
Derselbe Irrtum passiert dem Keinf rieddichter, wenn er sagt:
16648 die pavilün die Secureis üf Florischanz der heiden liez,
denn Secureis tritt auf Florischanz gar nicht auf; er kämpft
vielmehr auf seifen der babylonischen brüder in der schlacht
bei Plenanze.
Von den eben genannten zelten heisst es weiter
V. 10650 die Fereviz der vebe hat
die von Baldac der fürste hiez ervohten sit mit strite
Schyonabtelandern neu [j. Tit. 3333], durch der von Taburnite
daz gelichnisse gen küueginnen willen,
konde Thasme der rieben stat, der süezeu Secundillen [j. Tit. 5320 ff.]
(vgl. R. 1(5(382 ff.).
Dieselbe Secundille sante dem Anfortas den l-ostrricJien
Iran [j. Tit. 4850 ff. Parz.519, 10—12. 18—80. Wh. 279, 13-23],
der Sit ze teile der schoenen Orgelüsen wart [Parz. 616, 15 ff.j.
Es folgt nun die erzählung von des Anfortas Verwundung
und seiner heilung durch Parzival; 16680 ah ich in sime huoche
rant von dem von EscMhach gcsclirihen.
16756 ff. Aroffels tod auf Alischanz — Wh. 81, 12 ff. Von
Aroffel stammt der Persän, mit dem Reinfried kämpft.
16766 daz ijoltgehirye KauJcasas diende slner niilten haut
— gefolgert aus Wh. 80, 22 ff., wo Aroffel Willehalm lösungs-
geld bietet: oh allez gebirge Kauhisas dtner hand ze gehen
zceme, daz golt ich gar niht nwnie; vgl. R. 17552 si tvoUen so
vil goldes gehen und me denn Aroffel bot {if Aliscltanz für
stnen tot.
17 106 ff. Aroffels schild nimmt ^\■illelullm an sich — Wh. 82,7.
17333 cvw rofrln sper von Agram — Parz. 335, 20. 384, 30.
703, 24.
17378 ff. Der könig Gramoflanz ist so stark, vier ald fünf
er tvolte zemdl hestän alleine — Paiz. 604, 12 ff.
18438 ff. Thesereysens tod auf Alischanz — Wh. 87, 27 ff.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 421
19958 Ter ramer. 20158 ff. Ferevis, Parzivdl, Gawän, Gah-
muret etc.
20406 Scliionalitelander besiegte zwanzig fürsteii an der
von Bahilune her ~ j. T. 1897.
21930 Gog Mago</ drl Tndiä ivärcn alle im heJcant, priester
Juhan und sin lant, sivei und sihenzic Idlnicrich — j. T. 6032.
6033. 6034. 6058.
22946 Artus.
Die verse 16156 ff. 19952 f. beweisen, dass der Eeinfried-
dicliter aucli die vorgeschiclite zu Wolframs Willelialm von
Ulrich von dem Türlin kannte.
6, Der jüngere Titurel.
Sind bisher nur die citate aus dem jung. Tit. berücksich-
tigt, so sollen im folgenden die reminiscenzen und directen
entlehnungen daraus zusammengestellt werden.
Yrkanes erstes auftreten wird ähnlich dargestellt wie im
jung. Titurel das der atmerinne:
R. 792 j. Tit. 2799
man sach üf höhe reichen golt riche seidin lachen
ein pur pur von vier scheften, fürt man da hundert swebende
daz wart gefüert mit kreften ob den Imndert kunigen zu obedachen
enbor von gräven vieren. ie vier iuncherren eins an schef-
dar under bi den zieren ten vieren
reit diu minnecliche magt. und ob der atmerinne.
Wie Reinfried und Yrkane, so bleiben Titurison und Eli-
zabel anfangs ohne erben:
E. 12956 j. Tit. 137
wan ir süeze miune sie vorhten sunder fr uhtbeliben,
blüete fruht an ir verbar. an erben alle ir riche
des sach man si jämervar daz must nu hohe freude von in
gar ze manger stunde. triben,
fröude in herzen gründe
künde ez in verderben,
daz si got an erben
so lange hat geläzen.
Deshalb widmen Titurison und P^lizabel (138 ff.) gott ein
bild von golde als oi^fer nach Jerusalem, damit er ihnen ein
kind schenke. Ebenso im R.:
13188
er bat got und enthiez ze opfer, ob er wolde
im ein kint von golde erfüllen sineu willen.
422
GEREKE
Ueber die greifen, die das gold auf dem Kaukasus be-
wachen (E. 18244 ff. j. Tit. 3346—3348) vgl. Bartsch, Herzog
Ernst s. cliv f.
Die grosse auseinandersetzung im R. über die vier elemente
und die in ihnen lebenden geschöpfe zeigt wesentliche berilh-
rungen mit einer ähnliclien partie im jüngeren Titurel:
R. 2t;4U-i
der eleiaenten viere sint,
von der coniplexen stiure
hat alle creatiure
lip und lebeliche pfiiht.
an ir teraporuuge nilit
niac lebende sin iif erden.
2(3410
ez muht noch kond üf werden
krüt holz loixp noch stein
an diu elementen rein
diu so in ein sich flehtent
daz si sttete vehtent
2(5415
mit zwilicher natiure.
dürr heiz ist an dem fiure,
fiuht und kalt daz wazzer hat,
kalt und dürr diu erde stät,
heiz und fiuht so hat der luft.
20420
iecliches elementen kruft
pfligt einer lebendigen art
diu lebendes muoz werden schart,
swenn ez in ein anderz kunt.
ein herinc in des nieres grünt
j. Tit.') 2756
got alle creature mit creften hat so
geordent
mit wazzer und mit feure luft und
erde dise viere hordent
mit solher craft daz niht an sie ist
lebende
danne vier hande geschepfe
der einer ist ie ir eines
leben gebende.
2757
die viere niht gemeine lebent der
elemente
feur erde wazzers eine gamaniol
vil hoch gelente
vierzehen mile oberhalp der erde
und lebt niht wan luft es. der
drier hat er zu einer slaht begerde.
2 71)0
die ander creature ist niht wann
wazzers lebende
der erden luft noch feure ist nach
disen drin zu nihte strebende
daz ist der bering weder groz noch
kleine
ist er nihtes lebende danne besuuder
wazzers gar al eine.
2761
der muolwerf ist daz dritte weder
wirs noch liezzer
der hoch noch der mitte begert er
Avcder luft feur noch wazzer,
wan zu allen ziten in der erde
louzzen
sin leben ist verkoufet swenn man
in ob der erde siht hie ouzzen.
') Ich gebe den text nach Hahn, ohne Verbesserung.
STUDIEN ZU REINFßlED VON liliAUNSCHWEIG.
423
2ti425
lebt snnder sterben ane not.
luft tiiir erde siiit sin tot,
ieclichez sunder, bin ich wer.
in der erden lebt ein scher
lange sunder uoete.
2(i-i:<(>
luft wazzer tiur in tcete,
an diu so lebt er schöne.
in luft gamaleöne
ist wol an erden wazzer finr.
so lebt diu vi erde creatiur
2(;4.3.5
an wazzer erden uude luft
und hat lebelichen guft
in fiure und niht anders.
2762
so ist doni saloniandor immer leben
teure
sweun er niht sam ein zander zu
allen ziten brinuet in dem feure
dem ist luft wazzer erde niht ge-
mezze
wau so vil daz er erde bi dem feure
muz i)flegen eben sezze.
2768
wan sie [die elemente) gar uii-
geliclie sust kriegent mit ir
alite
daz ein ist hitze riebe so ist
daz ander ringe und kalter
s Iahte
daz dritte ist swer kuole und
darzu trucken
das vierd swer und feuhte und
kan ie eins dem andern craft
wol zucken.
Die g'emeiiisame quelle für R. und j. Tit. .sclieint Honoiitis
zu sein; in einigen punkten ist die beziehung zwischen R. und
Honorius näher als zwischen R. und j. Tit. Honorius, De philo-
sophia mundi. 1.21 De elenientis: nachdem er im anfang des
capitels entwickelt hat, dass die sogenannten vier elemente
eigentlich keine elemente sind ^ denn elcmentum est simpla
et minima pars — fährt er fort (Migne 172,491)): cum ergo
illae simplac et minimae x>articidae elementa sint, quae est fri-
gida et sicca, terra est: quae frigida et humida, aqua
est: quae calida et humida, aer: quae calida et sicca,
ignis (R. 26416/9); vgl. Image mundi 2, 58.
AVeiter sagt er (50 B): sunt alii qui dicunt quae videntur
esse eletnenta, comprohantes hoc autoritate Juvenalis, qui de
gidosis loquens ait:
'interea gustus elementa per omnia quaeruut'
(Sat. 11,14),
scilicet in terra venationes, in aqua pisces, in aere aves.
(50 D): in unoquoque illorum [feuer, wasser, luft, erde] ali-
quid de aliis est (R. 26 108 f.).
(52 D): cum cnim sint elementa quatuor et quatuor illorum
424
GEREKE
qualitates, inde fnint sex complexioncs (R. 26405), quarum
quatiior sunt possibiles, duae imjwssibiks.
Aus dem j. Tit. ist ferner der ausführliche excurs über die
gewiniiung der kostbaren gewänder geflossen, die die Salamander
im feuer spinnen:
j. Tit. mvo
ein wider glast der snniien ist vou
der pfelle wehe
und wirt mit not j^ewunnen in
dem f eure wurkent sie den spelie
bi den ist alle side und golt zu nihte
wie man die wan die gewinnet da
inalit man hufen drie von
holtze die rihte.
vil.
R. 26458
man mnoz mit grözer witze
uz dem starken brinnen
här und daz tier gewinnen
mit grözer kost und noetc
26450
wan diu wolle gesinxnnen wart
vou der creätiure
in dem Avilden fiure
mit liitze und mit brinnen.
26464
ein grozen hüfen machen
mit dürres holzes stiure.
26472
von dem wirt aber eine
gemachet, doch unverre dan.
vier ald tünfe machet mau.
26492
der hftf verbrinnet, der ander
hilf da uä enpfähet.
26485
so ziuht er dur die hitze dar,
wan daz belle fiur in gar
tuot an allem libe frisch etc.
26498
ez würket unde spinnet
alsam die würme siden.
26440
swenn daz kleit an schnene laz
von keiner slaht unreinekeit
wart, der ez denn schone leit
in ein grozez fiur, zehant
t;066
von ein ander niht verre den
man da feuret
er want daz im niht wei-re au sineu
kampel freuden ez in steuret
der ander brinnet sweu der
erste vellet
vou dem ez aber gaget und zum
dritten hoivfen sich gesellet.
6067
den wurm also zohet mit feure
drier houfen
dem berge er sus empflohet wirt wil
er gahes wider loufen
nach gaher wirt die vart im under
gangen
dur daz die ersten erloschen sint
da mit ist er gevangeu.
6068
vil siden ist er tragende dar
inne ist er verwunden
sie sint durch behagende in dem
berge gevangeu und gebunden
wan sie kein feur nimmer kan ver-
brennen
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAüNSCHWEIG. 425
diu nnreiuekeit s'e^^rant wer molit al solche wniuler an richeit
wirt (lii von gar suiider sclirauz. onch erkennen.
2«525 60G9
si darf nieman wesclien durch reht nuiu ez vergoldet und ist
mit lougen noch mit eschen, zu })fellen wegende
uiht wau in fiur ez reinet sich. gar lylicn wiz getoldet Avirt sin
craft .sin glast sus wernde ge-
bende
vil mange werdekeit derpfelle wählet
daz feur iu machet newe davon
er nimmer veraldet.
7. Sonstige höfische epen.
Zur Vervollständigung unseres bildes von der belesenlieit
des Keinfrieddicliters in der zeitgenössisclien höfischen literatur
dient es, wenn wir v. 8930 f. und v. 201G0 AMgalois und Lan-
zelet genannt finden. Der dichter kannte also auch Wirnt von
Gravenberg und Ulrich von Zazichofen.
Ob er Yeldekes Eneide gelesen hat, lässt sich aus v. 3210 ff.
und 152(30 ff. nicht erkennen, da er v. 3216 Virgil citiert, und
wir keinen grund haben, ihm nicht zu glauben,
li. Spielmannsdichtung.
In der hauptsache verweise ich hier auf die früheren aus-
f ührungen über die person des dichters. Ich habe dort (s. 363 ff.)
festzustellen gesucht, dass der Zusammenhang des E. mit der
Spielmannsdichtung ein fundamentaler ist und, wenn ich so
sagen darf, einen inneren grund hat.
Ich erinnere ferner hier noch einmal an Bai'tsch' einleitung
zum Herzog Ernst (s. cxxx ff.), wo er den beweis der nach-
ahmung dieses gedichtes durch den R. fülirt, und mache kui;z
einige nachtrage.
Wenn wir im R. lesen:
19370
ein volc was ungehiure. si wären an den füezen
des wir .sprechen niüezen: breit alsam die wannen,
in beziehuiig auf Ernst 4674 f.:
den warn die füeze vil breit
und also den swanen gestalt,
SO ersetzt der Reinfrieddichter hier einen ungewöhnlichen ver-
426 GEREKE
gleich durch einen gebräuchlicheren; vgl. Iw. 443 orcuhrcit alsam
ein wanne; Krone 9381 (vgl. Lexer 3, 682),
Der fürst von Ascalon, auf dessen seite Eeinfried im
kämpfe gestanden hat, erweist sich ihm (hmkbar. Ebenso
wird Ernst vom fürsten der Arimaspen für seine hilfe belohnt :
R. 2ü66ß Ernst 4702
•lip und ouch daz leben min er sprach 'jnngelinc gemeit,
rauoz iuAver eigenlichen wesen. du hast mir manliche
ich, liut und laut, wir sin genesen und also frumliche
von iuch', sprach er, 'iuwer trost ere und lip hehalden.
hat uns ritterlicli erlost du solt ienier mer gewalden
von iemer wernder swsere'. niins landes swaz dus haben wil.'
20670 4708
'swaz ich üf al der erden 'des sol ich dir liheu also vil
ieze hän ald ie gewan durch liebe die ich zuo dir han
und iemer me gewinnen kau, daz du selbe mäht avoI hau
sol iuwer eigentlichen sin.' beide ere unde ruom.'
Wie herzog Ernst, so besucht natürlich auch Reinfi'ied
Jerusalem und das heilige grab:
R. 17938 Ernst 5078
der fürste riebe aldä opferte der wigant
und al sin kristenlichiu schar gote ze eren üf sin grap.
brahten gröziu opfer dar. 5684
17944 ze dem tempel gap er ouch genuoc
(er hiez) mit riehen Sachen und swä er heilige stete vaut.
daz grap, den tempel kleiden.
Die frage nun, welche bearbeitung der Ernstsage dem
Reinfrieddicliter vorgelegen hat, muss offen bleiben. Von den
uns erhaltenen fassungen scheint direct keine in betracht zu
kommen (vgl. Bartsch, H. E. s. (;xxxviii).
Widerholt wird im R. die AI ex and er sage berührt. Diese
ist ja im mittelalter sehr verbreitet, und unser dichter kannte
sie gewis aus verschiedenen quellen. Speciell angelehnt haben
mag er sich an die Überlieferung, wie wir sie in Enikels
Weltchronik lesen, da er wahrscheinlich bei seinem zweimaligen
citat einer chronik eben diese meint:
R. 17970 Enikels "W. 2S9I5
sider ich gehoeret hab (abweichend von der Kaisercluonik)
daz diu stat daz grap daz laut dar nach der keiser wart verholn,
kam aber in der kristeu haut den kristen allen vor verstoln;
bi keiser Frideriche. wau niemau west diu maere
STUDIEN ZU KEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 427
und do der fiirste riclie w;i er liiii komou wa're etc.
so wnnderliclien wart vertribcii, (vgl. »Strauclis aiini. zu dieser
als in der crönik ist geschribeu. stelle).
18140 EuikelsW. 21:131 ff.
do Titas und Vespasian
gotes marter rächen
und Jerusalem zerbrachen,
als cronica diu wäre seit.
Von Alexanders wunderbaren reisen kennt der dichter
zuerst die nieerfalirt (v. 15156 ff.; vg-l. aucli v. 225;)ü f.) und zwar
die Version der sag"e, wonacli sicli Alexander an einer kette, die
seine geliebte hält, in das meer hinablässt (Knikels ^\^ 19251 ff.
und daraus auch im Baseler Alex. s. 4247 ff.). Die g-eliebte lieisst
hier Landanne, während sich sonst höchstens der nanie Iloxane
findet. Den namen Laudavine, der sich nirgends nachweisen
lässt, hat sich wol der dichter selbst zurechtgemacht, aus
Lmidine und Lavine (Lavinia).
V. 21850 ff. \^^rd Alexanders fahrt zum paradiese erwähnt.
Die angaben treffen insofern mit dem bericht Enikels (19010 ff.,
vgl. auch l^aseler Alex. 4154 ff.) zusammen, als an beiden stellen
keine andeutung zu linden ist von dem weisen Juden, der dem
Alexander, erst nach der rückkehr, in Griechenland offenbart,
was es mit dem icimderlichen stein auf sich habe. So nämlich
ist die Version in Lamprechts Alexander, nach dem Iter ad
paradisum. Es fehlt jedoch in Enikels W., was im R. unmittel-
bar vorhergeht:
21b4(i
er seit im daz er wsere kernen mit sinnen in der wise
mit strenger noete süre daz si dem paradise
au die höhe müre und dirre erd geh underscheit.
da al diu weit ein ende nint. für war niemen niht da von seit
sumeliche liute sint mit siebten worten blözcn.
Diese niauer könnte der dichter ja nun ebensogut aus einer
anderen quelle als einer Alexandersage haben (vgl. z. b. Luci-
darius, Hall, univ.-bibl. Af 2048. a IIDl: der mcistcr sprach also
die buclier sagent so mag nientant in dz paradeifs kommen dan
mit gUtten wercke. wan darumh gcet ein feurin maur die reychet
bifs an de }iimel)\ abei' Avir finden sie z. b. bei Lamprecht
(6850 ff.) und im Iter ad paradisum (auch bei Ulrich v. Eschen-
bach 24444 ff.) Also dürfen wir wol annehmen, dass der dichter,
428 GEEEKE
wenn er auf die Alexandersage anspielt, liier in der erinnerung
aus verschiedenen quellen conibiniert.
Der scliiffsherr aus Ejulat, dei' dem herzog Eeinfried von
dieser fahrt Alexanders zum paradiese erzählt, da er selbst
dort gewesen ist, berielitet weiter, Avie er auf seiner reise
das ende der weit erreicht habe, wo einst k;>nig Hercules zwei
ertn (so wird statt erlhi v. 21907 zu lesen sein) siul errichtete,
zum Avahrzeichen, da.z nie kein mensche fürhaz mohte komen.
In den Strassburger drucken der Historia de preliis werden
nach Kinzel, Lampr. Alex. s. xxv die säulen des Hercules ge-
nannt, vgl. Hist. de prel. (hsg, von 0. Zingerle) c. 91.
Als dritte der wunderbaren reisen Alexanders nennt der
Eeinfrieddichter die greifenfahrt 22514 ff. Vgl. Enikels W.
19441 ff. (Baseler Alex. 4381 ff.). In der luft habe Alexander
den vogel gamaleon gesehen:
22523 swenn er sich missehüetet
der vog:el siuiu eiger birt, daz er uäcli zuo der erden kuut,
und wie im üf dem rugge wirt so ist er tot der selben stunt,
sin fruht schon uz gebrüetet. wan er üf erden hat kein ner.
Ueber das nur in der luft lebende chamaeleon vgl. Laudiert,
Geschichte des Physiologus s. 202. Freidank 38, 109, 14 ff. Eein-
bot, Georg 3874 — 3880. Im jüngeren Titurel lesen wir str. 4755,
dass Alexander in der luft den vogel galadrot gesehen habe:
ivie der in den lüften yet nu sivebende und sine junge brütet,
hiz das sie mit im schone fliegent lebende. Str. 2759 heisst es
vom gamaniol: swenne er sine jungen tvillen hat zu meren von
im ivirt hoch gesungen wenn er legt daz ey zu hant so Jean
er keren und tut dem ey so not mit nider drucJie untz daz ez
ivirt zu vögele so kan ers danne füercn uf sinem rucke, und
von demselben 2757 imd lebt niht ican luftes (vgl. s. 422).
Ueber die einschliessung von Gog und Magog sagt der
Reinfrieddichter:
19547 wie Alexander si besloz
Gog und Magog der Juden laut mit berge und mit müren gröz
stät in der küneginne [der Amazonen] und ouch mit dem grienigen nier
da mit die roten Juden sint, [hant, daz äne wazzer sunder wer
als man noch geschriben vint. fliuzet stsetecliche.
Dasselbe berichtet nach Zingerle (Die quellen z. Alex, des
Rudolf v. E. s. 86) Rudolf in seinem Alexander (v. 1587G—
STUDIEN ZU REINFRIEl) VON BRAUNSCHWEIG. 429
17395), mit fälschlicher beruf img auf Josephus [vgl. auch Baseler
Alex. 4108 ff.].
Ooo- und ;Mao;og- neben den roten Juden werden erwähnt
im j. Tit. (.)057 f. An derselben stelle h(>ren wir auch von dem
meer: 6056 da hi so ligt hesunder gar ane ivazzer trucken ein
mcr\ 6059 ditz mcr von sandc durch lavt gar ane zuld ez rinnet.
Das sandmeer stammt wahrsclieinlich aus dem brief des priesters
Johannes c. 31: mare harenosum sine aqua. Jiarena movetur et
tuniescit in nndas ... et numquam est tranquillum.
Wenn v. 19941 f. und v. 26772 ff. von Alexanders kämpf
mit Darius berichtet wird, so geht diese kenntnis im zweiten
falle sicher auf die bibel zurück. Jedoch enthält eben diese
stelle einen zusatz, den die bibel nicht hat. Alexander hat
den Darius besiegt und die ganze erde sich untertänig ge-
macht; aber
25784
niht langer wan uf <li1ge tage in tut .sin vil werdez leben,
wert sin keiserlicli gewalt. wan er starp, im Avart vergeben
mit untriuwen wart gevalt mit arger gifteclicher pfiiht.
Da in v. 26784 f. eine textverderbnis ausgeschlossen ist
{tage reimt auf sage), so kann die stelle, wenn sie sinn haben
soll, allein so gefasst werden, dass Alexander nur drei tage
auf dem gipfel seiner macht stand. Diese angäbe weiss ich
jedoch durch nichts zu belegen. Daher glaube ich, dass der
dichter, der die eben genannte partie mitten in einen biblischen
excurs, also wol sicher aus dem gedächtnis, einlegt, hier bei
den drei tagen eine Verwechslung begeht. Drei tage weilt
Alexander z. b. auf dem meeresgrunde. üeber Alexanders tod
vgl. Enikels W. 19652 ff. Baseler Alex. 4441 ff. 0. Zingerle, Die
quellen z. Alex, des Rud. v. Ems s. 50, a. 3.
Enikel berichtet uns auch (23779 ff.) die erzählung von
Virgil, wie er zu Rom von einem listigen mädchen in einem
korbe aufgehängt wird. Darauf spielt der Reinfrieddichter
15176 ff. an und nennt hierbei wider einmal, wie bei Alexan-
ders meerfahrt, für das mädclien einen namen, Äthanatä, den
wir sonst vergebens suchen. Vgl. Massmann, Kaiserchronik
3, 451 ff. V. d. Hagen. GA. 3,cxlix. Strauch zu Enikels AV. 6173.
Germ. 4, 273. Athauais lässt sich als ähnlidiklingend aus dem
Eraclius allenfalls anführen.
430 GEREKE
Im anscliluss hieran erwäliiie ich gleicli noch, dass im R.
auf diese geschieh te unmittelbar die anekdote von dem
weisen Aristoteles folgt, der sich von einem mädchen reiten
lässt (15182 f.). In v. d. Hagens GA. 1, 2 ist das mädclien Ale-
xanders geliebte, Phj^llis (vgl. dazu GA. 1, einleitung s. lxxv ff.).
]\rerk würdigerweise führt sie im E. den namen Silariti. Wir
haben denselben fall wie oben: der name ist anderweitig nicht
nachzuweisen. Ich glaube deshalb aber noch nicht, dass wir
daraus auf besondere, uns unbekannte quellen schliessen müssen,
sondern möchte lieber dem dichter selbst die erfindung dieser
namen zutrauen.
Etwas länger verweilen muss ich jetzt bei der episode
vom Zauberer Zabulon und von dem magnetberge, die im
E. einen ziemlich beträchtlichen räum einnimmt. Diesen Zau-
berer, der in unserem epos übrigens Savilon heisst, und seine
taten kennt auch der Wartburgkrieg, dessen 6. teil Simrock
'Zabulons buch* überschreibt. Vergleichen wir nun beide er-
zählungen, so ergeben sich bei zahlreichen, teilweise fundamen-
talen abweichungen doch viele wörtliche anklänge. Und daraus
schon folgt, dass ein directer Zusammenhang zwischen E. und
Wrtbgkr. nicht besteht, sondern dass beide vermutlich aus
derselben oder aus verwanten quellen schöpfen.
Ich gebe zunächst eine kurze Übersicht über beide fassungen.
Zabulon oder Savilon, heisst es:
R. 21328 W. 156,9
was der ftrste dem ie wart wa.s der erste der sich
astronomie bekaiit. astrouoraie ie underwant.
21344 15G, 11
nu sach der selbe jungeliuc eins nalites er an den Sternen
mit zeichen offenbaren vant,
daz nä zwelf hundert jären daz bi zwelif hundert jären
har üf dise erden wurde ein kint geborn,
ein kint solte werden daz alle Juden gar von eren
von einer megede geborn. stiez.
von dem kinde solt verlorn
werden jüdische diel.
2135G 156, 15
er gie behendecliche erz uiht enliez,
und seit ez der muoter sin, wie schier het erz der muoter
wan diu was ein Jüdin, sin geseit.
sin vater was ein beiden.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
431
213C3
wau si sin iuneclich eisclirac.
Auf der inntter i'ut forscht Savi-
lon weiter in den Sternen und er-
fährt dnrcli den Satunuis. ilie gefahr
für die jnden könne verhütet ■wer-
den, wenn er ein Ideinez hrierel mit
höhen paragraff'en und mit worten
beschriebe, die ouch icol du zuo hör-
ten, und dann diesen brief so ver-
bärge, dass ihn niemand fände.
2N3(i
über daz wilde nier und tief
fuor er i'if den agesteiu.
Es folgt eine ausfülu'liche Schil-
derung der von Savilon auf dem
magnetberg- g-etroft'enen eiuridi-
tungen. Unter anderem verfertigt
Savilon folgendes:
21-18(5
ez was ein er in bilde
und hat ei n h a \n e r i u d e r haut
erzogen.
Das eherne bild hat eine ganz
andere bestimmung als im Wrtbgkr.
Zwar handelt es sich hier auch um
ein buch, aber um ein niyroviunzie
buocJi, mit dem Savilon, um ewig zu
leben , einen geist in seineu leib
bannt, indem er seine füsse auf das
Ijuch setzt. Die übrigen teufel hat
er mit drei anderen büchern be-
zwungen, die er in eine wand ein-
.schliesst. — Sonst spielt Savilon im
R. selbst die rolle des eherneu
bildes des \\'rtbgkr.
21508
er hatte an dei' stunde
mit angestrichen sorgen
150,7
er was ein Jude von muoter art,
ein beiden vaterhalp.
157, 1
diu frouwe wart in schricken
rOt.
Zabulon koninit selbst vermöge
seiner my.stischen kenntnisse auf den
gedankeu, das unheil dadurch abzu-
wenden, dass er nach der Juden kür
ein bucli dichten will. Wie er das
buch nun mit allen nigromantischen
künsten anfertigt, wird ausführlich
berichtet. Ein jähr und zwölf Wo-
chen arbeitet er daran.
159,15
einen geist er twanc,
daz er imz üf dem agetsteine be-
Davou niclits im Wrtbgkr.
KiO, 3
der meister da ein bilde üz ere
der Schrift ez hüeten sol. [göz:
100,7
einen klüpfel truoc ez in der
der stuont ze swterem zil. [haut.
432
6E)REK.E
den kleinen brief verborgen
im selben in daz ore.
Savilou bannt ferner einen teiifel
in ein g-las (vgl. Zs. t'da. 35, 1 tu) f.) und
verbirgt dies imden an des steines
pfut.
Ein hell ze Lamperten, fürst und
berr zu Mantomve, Yirgil, der grosse
reichtümer besass, gieng mit seinem
gelde so verschwenderisch freigebig
um, dass er gänzlich verarmte.
Virgil hört von Savilon und macht
sich mit elf begleitern auf nach dem
magnetberg. Er findet den geist im
glase und gewinnt mit seiner hülfe
den brief Savilons und das vic/ro-
manz/e huoch unter dessen füssen.
Nun schlägt das eherne bild mit dem
hammer zu und tütet den Savilon.
Zu derselben zeit wird Christus ge-
boren.
Virgil lässt den Savilon von den
teufein, die er befreit, begraben.
Darauf stürzen die teufel sich
alle ins meer. Nur den gei.st, der
in dem glase war, bannt ^'irgil mit
list wider hinein
(vgl. Massmann, Kaiserchr. 3, 43S f.
K. L. Roth, Germ. 4, 27b f.;.
Ifii), 0
der meister sehoub im einen brief
inz houbet da zer nase.
Wo hier mit einem male der brief
herkommt, von dem vorher noch nicht
die rede gewesen ist, bleibt unklar.
Eine fliege in einem glase aber
verrät dem Virgil das buch. Aristo-
teles hat diese da hineingesteckt,
indem er seinen gesellen Klestronis,
um ihn vor der höllenpein zu be-
wahren, 'als fliege verwandelt in
den rubiu eines ringes bannte. Aus
diesem ring war Klestronis nachmals
dem künig Tirol mit seinem rat beim
Schachspiel behülflich, als dessen
haupt zu pfand stand' (Sinirock
s. 302 f.).
Iü3, 5
ze Röme ein rieh gesiebte hiez,
daz was in armuot komen
durch ir edelen milten muot
(Simrock meinte, die erinnerung
an dieses verarmte geschlecht hätte
sich im R. nicht bewahrt).
Dieses geschlecht will die schätze
der am magnetberg gescheiterten
schiffe auf des Aristoteles rat ge-
winnen und sendet deshalb unter
Fabian eine schar aus, der der Zau-
berer A'irgil den weg zeigen niuss.
Damit endet die geschichte im
Wrtbgkr. Nach Simrock hat die
Kolmarer liandschrift noch eine fort-
setzung: Fabian wird von einem
greifen verschlungen, Virgil gewinnt
das buch Zabulons und befreit erst
den geist aus dem glase, zwingt ihn
aber dann Avider hinein.
STUDIEN ZU liEINFKIED VON BRAUNSCHWEIG. 438
Comparetti (Virgiliu nel iiiedio evo 1872, deutsch von
Dütsclike 1875) versucht es (s. 268) aus beiden fassungen die
ursitiün,i>-liche sage zu reconstruieren. In einer sich mehr der
fassung- im K. näliernden form erzählt dieselbe sage Heinrich
von I\nigeln in einem gedieht auf den zauberer Virgil, das
Zingerle (lerm. 5, 368 ff. veröffentlicht hat. Comparetti führt
ferner (s. 264 f.) aus der Image du monde (ed. du ^leril, i\Ielanges
archeol. s. 456 ff.) die erzählung- von einem besuche des apostels
Paulus an Virgils grabe an. die gleichfalls ähnliche züg-e
enthält.
Das buch Zabulons ist nach ihm aus dem buche über die
ars notoria entstanden, das, wie Gervasius von Tilbur}' weiss,
von einem ?]ngländer im grabe Yirgils gefunden sein soll. Im
wesentlichen wird Comparettis reconstruction der ursprüng-
lichen sage das richtige treffen.
Simrock vermutet, dass das uns verlorene gedieht vom könig
Tii-ol die grundlage bildet.
Erwähnt sei endlich noch, dass Sahulon auch in einem
liede der Kolmarer meisterliederhandschrift (Bartsch 28,. 54)
vorkommt, das nach Bartsch jedenfalls jünger ist als 1308.
\\'as übrigens die bemerkung im R. betrifft: 21720 wol
fünfhundert rnile in dem agestein man sach sivaz iender üf
dem mer hescJiach, so vgl. dazu Comparetti s. 256, der für
Spiegel von solcher Wirkung belege bringt. Ich füge noch
hinzu Parz. 592, wo von einem warthaus auf der wunderburg
Klinschors berichtet wird, in dem eine säule steht, die alles
abspiegelt, was sechs meilen in der runde geschieht.
III. Mittelalterliche lateinische Schriftsteller.
Die unter dieser Überschrift behandelten stellen des R.
sind leider nicht derart, dass sie zuliessen, ihre quellen zweifel-
los und bestimmt anzugeben. Das liegt in der natur der
Sache. Es lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, woher
der dichter z. b. seine kenntnis des heiligen landes oder sein
naturwissenschaftliches wissen schöpft. Er hatte dafür viel-
leicht gar keine directe quelle. Denn was er berichtet, und
wie er es bei-ichtet, das ist meist gemeinsames wissen der
zeit. Erzählungen der kreuzfahrer, reisebeschreibungen, ge-
Uuiträge iüt guucbiclite der iluutiicheu »praube. XXllL, 2b
434 GEREKE
lehrte compendien fleissig aus- und zusammenschreibender
geistlicher u.s.w. haben dafür gesorgt, die bekanntschaft mit
solchen dingen allgemein zu machen.
Dennoch möchte ich glauben, dass der E einfrieddichter in
einem teile seiner angaben wenigstens sich seine Weisheit
direct aus den in der zeit meistgelesenen Schriften des Hono-
rius von Antun und des Yincenz von ßeauvais geholt habe.
Ich will damit nicht behaupten, diese beiden müssten nun für
jeden einzelnen der im folgenden behandelten fälle, wo sie als
gewährsmänner herangezogen werden, wirklich (luelle gewesen
sein — und ich füge darum oft auch noch andere belegstellen
hinzu — , aber ich meine, es dürfte immerhin wahrscheinlicher
sein, dass der dichter im wesentlichen alles aus einer oder
aus zwei quellen schöpfe, als dass ei- seine mannigfaltigen
kenntnisse von überall her zusammengesucht habe.
Unter den statten, die herzog Reinfried in Palästina be-
sucht, ist natürlich vor allem das heilige grab:
181 38 uä laugen verreu jären sider,
daz grap bi der selben zit do Helena lebte,
stuont vor der stat ein teil liindan. diu nach dem krinze strebte,
do Titus und Vespasiäu diu Constantinus muoter was.
gotes marter rächen nu büte man die stat s6 daz
und Jerusalem zerbrächen, [vgl. s. 427] daz grap nu in der kilchen lit,
als cronicä diu wäre seit, und da diu stat bi alter zit
do wart ez von der kristenheit lac, da lit nu buwes niht,
gebüwen vestecliche wider wan man ez noch verwüestet silit.
Dazu vgl. Honorius Augustodunensis, Spec. eccl.: de
inventione sanctae crucis (Migne 172, 947): Helena (niater Con-
stantini) sanctae crucis amore accensa, Hierosolimam properat;
convocatis Judaeis locum Calvariae sibi demonstrari poshdat,
quem tum densitas vepritim atque virguUorum operuerat, et ideo
incognitus erat. Nam transactis de passio7ie Domini XL annis
Momani Hierosolimam funditiis destruxerant, et aliam
civitatem Helius Ädrianus post longo tempore in alio loco
construxerat, quam suo nomine Heliam appellaverat. Do-
minus enim extra portam j^assus et sepnltus legitur;
qui uterque locus quae nunc est Hierusalem hodie ab omnibns
cernitur.
Sicherlich ist für die geschichte der kreuzesauffindung
Honorius dem dichter nicht einzige quelle gewesen; denn dieses
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAÜNSCHWEIG. 435
tliema ist in der damalig"eii literatur (vgl. Maissnianii, Ivaiser-
clironik 3, 849 ff.), aucli in deutschen predigten (vgl. Zs. fdph.
27. 195) nnd jedenfalls in i-eisebesclireibungen viel behandelt;
für die mündlichen berichte der kreuzfahrer und i>ilger ferner
niusste natürlich das heilige grab den niittelpunkt bilden,
A\'as mich aber bewogen hat, dennoch hier den Honorius
zu eitleren, ist die mit 1\. übereinstimmende ziemlich ausführ-
liche angäbe über die firtlichkeiten. wie ich sie in den sonstigen
berichten nicht gefunden habe.
Reinfi'ied sieht ferner die stelle da <jot ze himelriclte fiior:
18159 (lä siiuT fiu'ze zeichen stät
iu (lern steine da er hat
ze jungest ftf ertrich getreten.
Honorius, Spec. eccl. (Migne 172, 958): vestigium . . . quod ascen-
ilens hurenae hnpressit, adhuc locus ille retinet. Vgl. auch Vin-
cenz Bellov., Spec. bist. 7, G4 aus Petrus Comestor. Beda, De locis
sanctis (.Migne 98, 1184).
Legenden, deren im R. erwähnung geschieht, sind folgende:
1) V. 13000 ff. ]\rariä gebiirt. — Honorius, Spec. ecclesiae: de
nativitate :\[ariae (Migne 172, 1000). Alt. pass. (Hahn) s. 5, 63 ff.;
vgl. Anz. fda. 2, 233. — 2) v. 15942 ff. Märtyrertod des heiligen
]\Iauricius. — Honorius, Spec. eccl.: de sancto Mauricio et sociis
eins (Migne 172, 1005). ]\rassmann, Kaiserchronik 3, 779 ff. —
3) V. 2(3998 ff. Wunderbare Wirkung des leichnams der heil.
Katharina. — Jacob, de Yoragine, Leg. aurea c. 172. Pass.
(Köpke) s. 088 f. Im übrigen vgl. Piper, Geistl. dichtung des
ma. 2, 81 f. Knust, Geschichte der legenden der heil, Katha-
rina (Halle 1889). Im anschluss an diese legende erzählt der
dichter von einem kloster, in dem
27008
niht nie was wie zwelf liehter über al
ilenn zwelf herren an der zal, .scliön lirinnent nnde reine.
Wenn eins dieser lichter erlischt, muss von den zwölf
mönchen einer sterben; ist dann aber die zahl der mönche
wider ergänzt, so entzündet sich das erloschene licht von
selbst. Dazu vgl. H, Schiltbei-gers Keisebuch (hsg. von Lang-
mantel, Lit. ver. no. 172) s. 71. Johann von Montevilla I (etwas
abweichend).
rnbekauiit ist mii- die (juelle zu v. 21042 ff.: Sahmio habe
28*
436 GEREKE
aller tiuvel l:ruft in ein gias venvärket (nach Pass. [Köpke]
331, 35 ff. in ein vas\ vg;!. Wiese, Zur Marg-aretenleg-ende, in
den Abhandlungen . . . A. Tobler dargebracht [Berlin 1895J,
s. 129 f.) und dieses glas aufgehängt in des tempels kröne,
unz die von Babilöne und wänden diune vinden golt.
sich au den Juden rächen. dö was dez grözen guotes solt . . .
daz glas si dö zerbrächen (lücke)
Vgl. Vogt, Beitr. 1, 286.
Betreffs der benutzung des Honorius s. auch oben s. 423 f.
Honorius hat aus Isidor unter anderem den bericht über die
sämmtlichen wundermenschen und fabelhaften tiere entlehnt,
und es ist möglich, dass der Ta einfrieddichter neben dem
Herzog Ernst und Rudolf von Ems auch hierin Honorius be-
rücksichtigt.
Was er über die planeten und über Saturn und Jupiter
speciell sagt, stammt vielleicht gleichfalls aus Honorius;
sicher ist das bei der undeutlichen kürze der betreffenden
stellen nicht zu entscheiden:
18G24
ir [der planeten] sibenvalteclicher si gar wunderliche,
die berge gar durchlühten. [schin dö in einem striche
die werden herreu dühten iegelicher sunder schein.
(Hon., Imago mundi 1, 68 [Migne 172, 138]).
Saturnus zornecliche mein Jovis des loufes güete
tet hie kein ungemüete mit senfteclicher wise.
(Hon., Philos. mundi 2, 17—18 [Migne 172, 62 f.]).
21383
nam aber des sternen war vollendet hat sin loufeu sus.
der da nä über drizic jär man seit ez wier Saturnus.
(Hon., Philos. mundi 2, 17 [Migne 172. 62 f.]).
Ausser Honorius benutzt der Reinfrieddichter wahrschein-
lich den Yincenz von Beauvais. Beide haben nämlich über
die elephanten solche eigentümlich besonderen angaben, dass
ein Zusammenhang mir ziemlich sicher erscheint.
Wir lesen im R. von den elephanten, die der könig von
Indien dem herzog als geschenk sendet: 26230 an ketten
fuort man unde zoch si fjezoycnliehe. Dazu vgl. Vincenz, Spec.
nat. 19, 39 (aus Plinius): qtii tumuliuantem {^t. elepliantem) ca-
tenis coerceant.
STUDIEN ZV REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 437
26241 f. wild erzählt, dass der elephaiit seine jungen im
Wasser gebiert. Dazu vgl. Vincenz a. a. o. 19, 44 (aus dem PI13'-
siologus): tempore vero partus ingreditur aquam usque ad iibera
et ibi x)arit super aquam.
Entscheidend ist aber nun der bericht, wie die elephanten
gefangen und gezähmt werden.
Zwar beruft sich der dichter v. 2(3267 f. (als ich wol habe
gehoeret) auf eine mündliche riuelle; ich glaube aber nicht,
dass man den ausdruck hier so wörtlich nehmen darf. Vgl.
Viiic. 19, 49. Eleplias in tihiis iuncturas non habet, nt legitur in
besfiario* dormientes clephanti numquam recumbunt, sed cum
labore dcfatigati sunt, arboribus magnis applicati se recreant
et in ijjsis sujfulti dormiunt. qiiod eorum venatores attendcntes
locum et arbores notant casque paene succidimt. quibus cum
elephantcs inniti secundum consuetudinem suum putant, rumit
arbores et clephanti cum eis ad tcrram prosternuntur sicque
capiuntur. cum enim elephas ceciderit, surgere non calet. sed
ad eins barritum elephantcs plerumque ceteri currunt
et cum sc incurvare ac sociuni erigerc non possunt,
gemunt pariter et barriunt (dazu E. 26276 — 26289). {2)ar-
vuli vero elephantcs prout valent se secum sua promuscide
supponentes cdiquando erigunt sicque de manu venatorum libe-
rant). ideo aiitem maior elephas cadens surgere non valet quia
ossa solida sine iuncturis Imbet, unde tibias et crura flectere
non imtest (dazu R. 26254—26260).
*19, 39 (aus dem Ph3'siologus): elephas dum arte hominum
succisis arboribus ingentia membra committit, tanto pondere
supinatus propriis viribus surgere nequit, quod pedes eius nullis
instituuntur articulis. sed humano solatio surgit, cuius
arte iacuit. Itaque helua suis gressibus restituta memor
esse beneficii novit in magistrum, quem sibi subvenisse ag-
noscit. ad ix^sius arbitrium gressus movet, eiusdem voluntate
cibos capit (R. 26290—26304).
19,50 (ex libro de nat. rer.): itaque venatores in deserto
quaerentes elephantos silvestres, cum cos inveniunt, domesticis
praecipitmt iUos persequi ac percuterc quousquam oboediant et
defatigati stando quiescant. tunc venatores illos ascendunt et
percutiunt ac pungunt et movent cos ad hoc, ut homines timeant
(R. 26326 ff.).
438 GEEEKE
19,42 (aus Isidor) : in Ins enim Persae et Lull liyneis turri-
hus coUocant: tamquam de muro iaculis dimicant (R. 26344 ff.).
Aelinliclies erzählt Bartliolomaeus Ang-licus, De proprie-
tatibus rerum 18, 4;! (Xünibeig- 1492), aber einmal fehlt bei
Bartholomaeus, der übrigens älter als Vincenz ist, die ang^abe
des Vincenz 19, 39 ^^ E. 26230 1; ferner hat er abweichend
von Vincenz und l\. 18, 42: eleplias autem cum sedct flcctit pcdcs,
sed non imtest fledcrc pcdes qnatuor propter pondtis corporis,
dormit staute corpore et pcdes posteriores flcctit sicut homo;
endlich fehlt Vincenz 19, 39 (aus dem Physiolog-us) ^= R. 26290
— 26304 und der bericht von der Zähmung, Vincenz 19, 50 =
R. 26326 ff.
Ungefähr ebenso wie mit Bartholomaeus steht es mit den
angaben des Jacobus de Vitriaco in seiner Historia Hierosoly-
mitana (Bongars, Gesta dei per Francos s. 1101).
Alle sonstigen berichte über die elephanten, die ich kenne,
erzählen nichts von fang und Zähmung, und so glaube ich hier
mit ziemlicher Sicherheit den Vincenz als quelle für R. an-
setzen zu dürfen, zumal der dichter bei ihm alle die einzelnen
angaben der verschiedensten quellen vereinigt fand, die er sich
andernfalls aus diesen (Plinius, Isidor, Physiologus u. s. w.) erst
hätte zusammenholen müssen.
Die dromedare, erzählt der Reinfrieddichter, laufen so
schnell, 26956 daz man einz hundert mtle het eins tayes wol
geriten. Dazu vgl. Vincenz (aus Isidor) a.a.O. 18,45 centuni
enim et amplius miliaria uno die pcryere solet.
In demselben Speculum naturale 30, 16 findet sich aus
Augustin die angäbe Adam ibi quoque de diluvio futuro ac de
iudicio per iyncm coynovit et libcris suis indicavit.
Darauf geht direct allerdings R. 19750 ff. wol nicht zurück:
nii hatte Adam offenbar vei'derben iiude toeten.
vor langen stunden daz geseit, von disen grözen noeten
got wolt alle menscheit «eit sin wise güete
und alle creätiure lang vor der sintflüete.
mit wazzer alil mit fiurc
Hieran schliesst sich nämlich im R. die erzählung, wie die
menschen vor anbruch der sintflul den plan fassten, zwei
Säulen aufzustellen, die eine aus marmor, damit ihr das wasser
nicht schaden kann, die andere aus Ziegelstein, damit sie vor
STUDIEN ZU BEINFUIED VON BRAUNSClIWElG. 439
feuer geschützt ist. Auf diesen säuleii sollen dann die taten
der menschen für künftige geschlechter aufgezeichnet werden.
Diese meik\\ ürdige geschichte überliefert Goropius Be-
canus in seinen Hieroglyphica (Antwerpen 1580) 1,11: scribit
... Joscphus^) ex suoruHi honnnuni, nt fullur, traditione, diias
ante düuvium a Scfhinis columnas erectas fuissc; alteram late-
ritiam, tie ignc dissilirct; alteram lapkleani, nc aquis corrum-
peretur: quaruni utrique astrono)mam inticripserunt. accepisse
enim ah Adanio geminam totius orbis eversionem futuram, alteram
per vim ignis, alteram per vastam aquarum inimdationem; et
idcirco eavisse, iit utrovis modo mimdns- periret, caelestium saltem
motionum doctrina superesset
Die combination nun, dass die menschen auf diesen säulen
auch die warnenden lehren aufgezeichnet hätten, die Adam
seinen kindern betreffs der wunderbaren kräuter gab, stammt
natürlich aus dem kojjfe des dichters selbst. Offenbar hatte
er daran anstoss genommen, wie es denn möglich sei, dass
in folge der Übertretung von geboten Adams die misgeburten
entstanden sein sollen, da doch die Sintflut ausser Noah und
seiner familie alles lebende vernichtet hat. Da hilft er sich
denn ganz geschickt mit der einfügung der geschichte von den
beiden säulen. Ob er diese aber aus derselben quelle schöpft
wie Goropius, und welches jene quelle ist — denn schwerlich
geht Becanus direct auf Josephus zurück — vermag ich nicht
zu sagen.
Bei der erwähnung der arclie Noahs im R. sind mir
übrigens immer folgende worte aufgefallen. Die arche, so
heisst es, wird vom wasser getrieben, 19747 mit hmh für aller
berge jocli, die üf der erde ligent noch. Was soll dieser
sonderbare zusatz: die berge, die noch auf der erde liegen?
Zum mindesten gibt es zu denken, wenn wir bei Honorius,
Im. mundi 1. 19 []\Iigne 172, 127] (bei Isidor u. a. in ähnlicher
weisej lesen: mons Arath, super quem arca Noe post diluvium
requievit, cuius usque ho die ligna ibi vidcntur. Mir will
scheinen, als ob es sich an der genannten stelle im R. um ein
misverständnis handelt.
Des Vincenz von Beauvais zweites grosses Sammelwerk,
'; Josephus, Auli<iu. lud. 1, 2, ;j.
440 GEREKE
das Speculum liistoriale, kommt vielleicht noch für einige
andere angaben im R, in betracht.
13102 ff.: in der (jclnheäe arlx; die sich im tempel unter
der aufsieht des propheten Hell befindet, liegen verschlossen
Moyscs tvünschelruote, Aarönes dürres ris, die steinernen ge-
setzestafeln und ein eimer mit himmelsbrot. In der bibel ist
von dieser aufbe Währung nur in der epistel an die Ebräer
(c. 9, 4) die rede (Moses' Wünschelrute fehlt). Ich glaube aber
nicht, dass der dichter seine kenntnis aus dieser stelle des ihm
wol sicher so genau nicht bekannten Ebräerbriefes hat. Er
wird vielmehr auf Yincenz, Spec. bist. 2, 17 oder Petrus Co-
mestor, Hist. schob (Migne 198, 1365 f.) zurückgehen. Aber
auch hier fehlt Moses' Wünschelrute; diese hat also der dichter
selbst hinzugetan. Vgl. übrigens Kolmarer meisterlieder, Bartsch
6, 200 ff.
Der Reinfrieddichter erklärt, wie wir schon gesehen haben,
im anschluss an Wolfram die entstehung menschlicher mis-
gestaltungen aus der macht gewisser wunderliarer kräuter.
Er weiss aber auch von einem einfluss der sterne:
19858 der frech, der zage, der iniuueclich etc.
al irdenisch figure der siech, gesunt, der siis, der so,
sich rilltet nä der sterneu kreiz, da nach die sterneu sint geriht
daz man noch kiintlich wol weiz. imder den ir gebürte pfliht
der wirt ein diep, der arm, der rieh, mit rehtem loufe hat gezogen.
Dazu eitlere ich Hrabanus Maurus, De magicis artibus
(Migne 110, 1098 f.): geneses enim Jiominum per XII coeli signa
descrihimt, sidcrumqiie cursti, nascenthim mores, actus et eventa
praedicare conantur, id est, quis qiiall signo fuerit natiis, aut
quem effectum habeat vidae, qui nascitur etc.
Ferner Albertus Magnus, De secretis mulierum, II: de
foetus formatione, der zuerst im allgemeinen vom einfluss der
Sterne auf die menschlichen geburten spricht und dann die
besonderen Wirkungen der einzelnen sterne der reihe nach
durchgeht; z. b. Saiurnus ... facit natum qui suh co nascitur,
fuscum in colore . . . , capiit turhidum et hene harhatiim, . . .
secundum vero animam malus est, midtum perfdus et mali-
tiosus . . . , Venerem minimc diligens etc. . . . ; 3Iars facit natum
simm ruhei coloris . . . ; secundum animam vero fallax, incon-
stans, irascihilis etc.; vgl. Parz. 454, 15 f.
STUDIEN ZU EEINFRIED VON BRAÜNSCHWEIG. 441
Ueber Petrus Comestor vgl. s. il3.
Auf irgend eine mittelalterliche lateinische quelle dürfte
endlich wol das ausführlich erzählte Sircncnahenteuer zurück-
gehen (22010 ff.). Durch den bericht des schiffsherrn aus Kjulat
verlockt, Avagt es Keinfried mit zwei begleitern die Sirene auf-
zusuchen, und nur, indem er sich genau derselben list Avie einst
Odysseus bedient, entkommt er glücklich aus ihrer macht.
Odysseus erlebte dieses abenteuer damals, als er den Achilles
bei Lycomedes suchte (22509—71 und 22595—98). Die Sirene,
heisst es weiter, zieht hinter Reinfrieds schiff her:
22()10
ir was ze singende so gäch, daz ir in dem übe brach
do si daz schif entrinnen sacb. von iUterdon daz herze.
Dieser letzte zug beruht A\alirscheinlich auf freier erfindung
des dichters. Dass er aber eine ganz besondere, eigentümliche
quelle über Odysseus gehabt haben muss, wenn nicht etwa
hier ein Irrtum zu gründe liegt, geht aus v. 24541 f. hervor:
der hänste riche starp üf dem mer da er verdarp.
Die homerischen beiden des trojanischen krieges, um das
hier gleich anzufügen, kannte der dichter sowol aus lateinischen
quellen, als auch aus mittelhochdeutschen dichtem, die die
Trojanersage behandelt haben, so u. a. aus Konrad von A\'ürz-
burg. Auffällig ist es daher, wenn wir gegen alle Überliefe-
rung lesen:
1994&
Agamemnon der vor Troie pflac wol nffen drizehen jär,
rehtes legers oifeubär bräht nie so manio rotten dar.
Ich möchte deshalb für drizelicn: diu zelien schreiben, so
dass also gelesen Averden muss: ivol nffen diu zehen jär , eine
betonungsAveise, die im R. nichts anstössiges hat (vgl. Jänicke,
Zs.fda. 17,510).
iV. Bibel.
Dass der dichter eine grosse kenntnis der bibel, besonders
auch des alten testamentes hat, geht aus zahlreichen stellen
seines Averkes hervor, wo er scenen aus der biblischen ge-
schichte erzählt oder nur berührt, sei es um diese als analoge
fälle für irgend Avelche im R. vorkommenden ereignisse anzu-
führen, sei es um bei der Schilderung von örtlichkeiten des
442 GEKEKE
morgenlandes ihrer Vergangenheit zu gedenken. Solche ge-
legenheiten benutzt er dann bisweilen zu ziemlich weitläufigen
excursen. bei denen sich oft enger anschluss an den Wortlaut
der vulgata zeigt. Er beruft sich melirfach direct auf die
bücher der bibel, aus denen er gesclujpft hat (vgl. s. 377).
Der dichter behersclit den biblischen stoff vollständig,
wie sicli daraus ei'gibt, dass er oft anspielungen macht, wo
der Zusammenhang an sich das nicht nahe legt.
Ich folge bei der besi)reclning der biblischen citate der
reihenfolge ihrer anführung im R.
V. 8458 Susanna — Dan. 13.
V. 10877 gott Stifter der ehe. AVäre die ehe nicht eine
heilige Ordnung, so hätte ja auch gott (d.h. Christus) und
seine mutter nicht an der hochzeit teilgenommen, bei der
Jesus w^asser in wein verwandelte.
V. 10893 als tvirz am eivamjcljcn käu — Joh. 2. Nacli ur-
alter tradition (vgl. Schönbach, Altdeutsche predigten, anm. z.
1, 259, 19 ff.) wird diese hochzeit als sant Jöhans hnUlouf
(v. 10892) bezeichnet.
Da die ehe zwischen Reinfried und Yrkane lange zeit
kinderlos geblieben ist, fleht Yrkane in einer nacht zu gott,
er möge ihr ein kind schenken, und erinnert den herrn
gleiclisam an ähnliche fälle, wo er auch noch spät die ehe
gesegnet liat, so u. a. an die geburt des Johannes und des
Samuel.
V. 1304G ff. erzählt der dichter nach Luc. 1 ausführlich
die geschichte von Elisabeth und Zacharias, v. 13082 ff. nach
1. Sam. 1 die von Anna und Elchanä.
Samuel, Annas söhn, weiht den Saul zum könig (v. 13153
— 1. Sam. 10).
In derselben nacht, in der Yikane so betet, hat Keinfried
einen träum; er meint an der walnlieit dessen, was ilnn im
träume offenbart ist, nicht zweifeln zu dürfen; denn
13428
wir hall gelesen offenbar, daz er daz erscheiiule
swaz got wilent iiieinde, dicke in sliife tougen.
So hat Ezechiel im schlafe ivunderlich'm dinc gesehen
(v. 13434 — Ezech. 1, 1).
Wie dem Reiiifried das traumbild dreimal erschienen ist,
STUDIEN ZU KEINFKIEl) VON BRAUNSCHWEIG, 443
SO hat gott den juiigt'ii J^aimu'l dieiiiial gerufen (v. 13446 —
1. Sam. 3).
Audi Yrkane hat einen träum p:ehal)t und erzählt ihn
ihrem gemahl. Er wünscht deshalb ihr diesen deuten zu
können (v. 13691) wie Joseph dem Pharao ((len. 41) und Daniel
dem Nabuchodonosor (Dan. 4). Merkwürdig-erweise heisst es
13601 alsam Joscp tct Salaniou, offenbar ein Schreibfehler des
abschreibers der handschrift statt Fharaön, da dem dichter
bei seiner grossen bibelkenntnis solch ein irrt um nicht zu-
getraut werden darf.
¥A\\ ganz ähnliches versehen muss angenommen werden:
26732
dem Joachim nam er sit ze ludiä, waii Jerusalem
zepter uiide dyadem vou im ouch zerstoeret wart.
Statt Indiä ist Jmleä einzusetzen; vgl. Dan. 1, 1 anno
tertio rcijni Joaliim rcgis Juda, veiiit Nabuchodonosor rex Ba-
hylonis in Jerusalem et obsedit ea)n (vgl. Zs. f da. 17, 518).
Yrkane ist ihrem gemahl treu und verrät ihn nicht, v^ie
Dalidä Samsönen (v. 15167 — Jud. 16).
Als h'einfried im lieiligen lande sich von der Übermacht
der beiden bedrängt sieht, da vertraut er auf gott, der die
kinder Israel vor den Aegyptern und Pharao rettete, indem er
diese im Koten meer ertrinken liess (v. 15804 ff.; vgl. v. 26988
— Ex. 14), der Moses und Aaron erlöste, 15819 als ich hau
10)1 Abirön und Datlidn in der rihter buoch vcrnomen. Die
berufung auf das Buch der richter ist allerdings irrtümlich;
denn die geschieh te findet sich Num. 16.
Der herr liess dem Josua zu liebe sonne und mond stille
stehen (v. 15834 — Jos. 10); dem Gideon gibt er ein zeichen
seiner nähe dadurch, dass er das Schaffell üf truJcener erden
mäht von totiwe naz (v. 15842 ff. — Jud. 6, 36 — 40); er führt ihn
trotz seiner geringen schar zum siege über die Midianiter
(v. 15855—15883 — Jud. 7).
Die Scheidung der schar am brunnen wird mit ausdrück-
licher berufung auf der bnochc schrift (15869) weitläufig er-
zählt (vgl. s.411j.
Mathathias und seine fünf söhne vertrauten auch dem
herrn, und er schützte sie gegen Antiochus (v. 15904 ff. —
1. Macc. 2j.
444 GEREKE
Judith tötete im vertrauen auf gottes hilfe den Holofernes
(v. 15928; vgl. v. 26748 — Jud. 13).
Der Fermn, Eeinfrieds treuer begleitei". ist ein freigebiger
fürst und hängt nicht habgierig an seinem gute:
16790
swer aber stsetecliohe durch einer nadel oere
ist siuem giiote luulertrui ein kemeltier e gienge
nnd im dienet sunder wän, e daz in got empüenge
als ich wol sprechen hoere, ze siner gnaden trone.
Vgl. Luc. 18, 25 — s. 413.
den muten ist diu krOne in der üzern vinster bant
der hohen ewekeit bereit. da niht wanjämer ist erkant.
die argen kargen sint geleit U?iiÜ\. 25, 30. 8, 12.
Als Eeinfried all die heiligen statten besucht, an die sich
Jesu geschichte knüpft, erneuert der dichter bei jedem ort die
erinnerungen aus des heilandes leben, von Nazareth und Beth-
lehem an bis zum Oelberg und zum grabe (v. 17981 ff.).
Dabei beruft er sich einmal, v. 18016 ff., auf das huoch
der kintheii. Welches der apokryphen kindheitsevangelien er
aber meint, ob er vielleicht das gedieht Konrads von Fusses-
brunnen im sinne hat, lässt sich aus seinen wenigen allgemeinen
angaben nicht constatieren.
Zu dem geschlechte der riesen, die im R. mehrfach auf-
treten, gehört auch Goliath (v. 18912), der erworfen wart von
dem ivcrden reinen Daviden dem Meinen — l.Sam. 17.
Auf seiner reise kommt Reinfried nach Susa. Diese Stadt,
bemerkt der dichter, habe könig Aswerus gebaut.
249.52 unz au Ethiopiam
des gewalt und siniu rieh
sich witenen zertrande. moht sin gebiet geleite gen
von Indiä dem lande den landen gar gewalteclich.
Vgl. Esther 1, 1 in diebus Assueri qiii reynavit ah India
usqtie ad Aethiopiam.
über hundert künge rieh truog er kröne offenbar,
drin und zweinzic, daz ist war, tuot uns diu bibliä wol schin.
Ebenso v. 26718 ff.
Die zahl dreiundzwanzig: XXIII ist offenbar aus XXVII
verlesen; denn in der vulgata heisst es, Esther 1, 1 super cen-
tum viginti Septem provincias.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BKAUNSCHWEIG. 445
V. 24960 wirel dann von dem feste erzählt, das Aswerus
veranstaltete, und an dt-ni er seine gemalilin (Vasthi) verstiess,
weil sie seinem wort nicht gefolgt war — P^sther 1.
In derselben Stadt Susa wird nun eine hkliffezU insceniert,
die freilich durch einen bösen Zwischenfall unterbrochen wird.
Das veranlasst den dichter zu der benierkung:
25002
gewisheit uns der wise tuot ein herze dick erluehe.
Salamüu in silier sehrift bi fröudeii rielier z(tlie
daz sich von des valles trift lit jaiiieis aiigel dicke.
Vielleicht bezieht er sich hier auf Prov. 14, 13: ristis do-
lore miscehitur et extrema gaudii litctus occupat.
In Susa regiert nach Aswerus Arfaxät:
2(i722
iiä im der küiiic Arfaxät, Assiriam daz rieh du hat
der Medeii küuic, über laue und Ninive die grözeu stat,
uiauic witez riche twane da von er gröze mäht ouch truoc.
und werte daz iuz zwelfte jär. den künic Arfaxät er sluoe
Nabuehodouosor für war uf Eagan dem veWe wit.
Dazu halte man Judith 1, 1 Arphaxad itaque rex Mace-
donnm suhiugaverat multas gcnfcs imperio suo. 5. anno igitur
XII regni siii Nahuchodonosor rex Assyriorum, qui regnabat
in Ninive civitate magna, pugnavit contra Arphaxad et ohtinuit
cum 6. in campo magno qui apiiellatur liagaii.
Nahuchodonosor führt die Juden gefangen nach Babylon
und hält sie dristunt zivcnzc und zehen jär fest (v. 2(3730 ff.).
Seinen hauptmann Holofernes tötet Judith (v. 26748 ff.).
26754
nä im Nahuchodonosor starj) von den vil grözer wunder sint
der Dauieln und diu zwei kint. geschriben, weit verderben gar.
Dan. 1, 0 fnerunt ergo inter eos de filiis Juda Daniel Ana-
nias Misael et Azarias; es wird also v. 20755 drt statt zwei
zu lesen sein.
Dem Nabuchodonosor folgt sein söhn Balthasar,
26759
der ouch unlange künic beleip.
nianes thechel phares im sdireip
uiisilitediche an eine want
in siiii-r huhgezit ein haut etc.
Dan. 5,
446 GEREKE
2H7f.8
da von in der selben naht der der erste forste was
kam Darins von Persiä dem Kriechen ie wart undertan,
und .sluo<i;- in tot: diu lant da na in sluoc snnder valschen wän
dieuden im mit friger "er, mit stritlicher werde,
unz daz Alexander, dem wart al diu erde
der zepter und der kröne gemeinlicli undertsenic
truoc ze Macedöne, und was herren senic
Philippen sun, als ich ez las. unz an in na der buoche sage.
267S4
niht langer wan uf drige tage die von jungen jären
wert sin keiserlich gewalt. wirde erwünschet wären,
mit untriiiwen wart gevalt den dienden Hut und richiu lant.
in tot sin vil werdez leben. die zwelf knaben alle sant
wolten klinge sin als er.
der werde künic hat kinde niht zepter und dyademeu ger
von rehter arte, doch der helt leiten si mit schalle
het zwelf knaben üzerwelt gemeine üf sich alle
und wolten haben küuges uameu.
1. Maccab. 1, 1. et factum est, postquam percussü Alexander,
FJälippi Macedo, qui primus regnavit in Graecia, . . . Darhim
regem Persarum et Medorum, constititif proelia mnlta et ohti-
nuit oniniuni mimitiones, et interfecit reges terrae, 3, et per-
transiit usque ad fines terrae et accej)it spolia multitudinis
gentium. 8. et regnavit Alexander annis XII et mortuus est
(vgl. s. 429). 9. et ohtinuerunt pueri eins regnum tmusquisque
in loco suo, 10. et imposuerunt omnes sihi diademata post
mortem eius et filii eorum post eos annis muliis.
Die zwölf knaben, die Alexanders nachfolger werden,
dürften aus einer Verwechslung- mit den zwölf regierungs-
jaliren Alexanders entstanden sein.
26812
die zwelf künge allesaut zerstoeret und zerteilet sus
gewunnen kint, da von ir rieh von der stunt nf Anthyochus
aber wurden wendellich dem wurzel aller bösheit.
1. Macc. 1,11 et exiit ex iis radix peccatrix ÄntiocJms.
Macchabeorum buoch daz seit,
waz er tet oder ie begie,
wie er die siben bruoder vie etc.
2. Macc. 7.
Der dichter wirft hier die beiden Antiochi zusammen,
Antiochus IV Epiphanes und Antiochus V Eupator.
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIO. 447
Reinfried gelangt auf seiner ri'ise mit dem persischen
fürsten an den berg- Sinai, wo gott dem Moses die gesetzes-
tafeln gab (v. 2()072). und an den berg Horeb. vor dem die
Juden das goldene kalb machten (v. 2(3976). Die bibel versteht
unter Horeb und Sinai ein und denselben berg (combination
aus zwei verschiedenen fassungen); unser dichter redet aus-
drücklich von zwei bergen: v. 2(3972 da.? (jcbirgc Sßnul, v. 2(3970 f.
ze Oreh . . . nf dem berge underJialp.
Reinfried sieht den felsen, aus dem Moses mit seinem
Stabe Wasser schlug (v. 26980 — Ex. 17), er kommt in die
wüste, wo die kinder Israel das hiinmelsbrot fanden (v. 26990 ff.
— Kx. 16). Endlich erblickt er auch das (jeheizen lant, in
tlem milch und honig tliesst, und die trauben so gross sind,
dass sie zwei männer tragen müssen (v. 27026 ff. — Num. 13,
24. 28). Babylon besucht er, 27043 da BfAhcl der turn stät,
von dem alliu sumje liät noch, tcandclUclie spräche — Gen. 11
(vgl. s. 412).
Er sieht die statte von Sodom und Gomorra, bei deren
brande (v. 27071 ff.) allein Lot und seine beiden töchter, mit
denen er nachher kinder zeugte (v. 27085 ff. — Gen. 19, 30—36),
gerettet wurden, und erblickt in einer höhle sogar die Salz-
säule, die einst Lots weib gewesen war (v. 27091 ff. — Gen.
19, 26; vgl. oben s. 412).
V. Altlateinische dichter.
Die beiden römischen dichter, die im mittelalter das
grösste ansehen genossen, und am meisten bekannt waren,
sind unzweifelhaft Virgil und Ovid.
l'nd so hat sie denn auch der Verfasser des R. gelesen.
Er kennt die Schicksale des Aeneas und der Dido (v. 3210 ff.
und V. 15260 ff.) und citiert v. 321() ausdrücklich Yirgil (Aen.
4, 641 if.).
Dass Ovid besonders von der minne gesungen hat, sagt
er v. 24562 f. und ^ 1,^-72
ich wn-ii und lebt Uvidius, wie si mit blozeii üben
er müht ez iiiht volschriben, sich uiub einander wunden.
Dabei denkt er gewis an die Ai's amandi.
Die im mittelalter bekannteste erzählung aus den Meta-
morphosen ist die geschichte von Pyramus und 'J'hisbe (Met.
448 GEREKE
4, 55 — 166); auf sie spielt der Reinfrieddichter v. 15266 ff. an
(vgl. Bartsch, einleitung- zur ausg-abe Albrechts von Halberstadt
s. Lxff.).
Aus den Metamorphosen (5, 385 ff.) kennt er wol auch die
erzählung- vom raub der Proserpina (v. 16442): er hat aber
daneben Claudians gedieht De raptu Proserpinae gfelesen, wie
wir gleich sehen werden.
AVenn er v. 25284 ff. die erstürmung- des himmels durch
die giganten Atlas und P^nschelades und ihre bestrafung- durch
Jupiter erwähnt, so beruft er sich zwar auf eine andere quelle
als auf Ovid: 25292 als Fhenstis fabellichen sprach gm der
ivandels fricn jimcfromven Älac'ien, d. h. auf Theodul (ecl. 85 ff.),
wie Laistner (Germ. 26, 420 ff.) nachgewiesen hat {Fhenstis
fälschlich statt Pseustis). Aber in dieser ekloge fehlen die
namen Atlas und Enschelades: Theod. ecl. 85
surrexere viri, terra geuitrice creati,
pellere caelicolas fuit oninibus uua voluutas:
inons cumulat montem,') sed totiim Mvilciber hostem
fulmiue deiectum Yulcani trusit in aiitrum.
Diese namen wird der dichter vielmehr aus Ovids Met.
1. 151 ff. haben (Bartsch, Albr. v. Halb. s. lxxiii). Ich erinnere
noch daran, dass Claudian gleichfalls eine Gigantomachia ge-
dichtet hat.
Ferner finden sich im R. mannigfache anspielungen auf
die Herolden. In v. 24534 ff. zählt sie der dichter fast alle der
reihe nach auf (Bartsch, Albr. v. Halb. s. xviii): 24534 ff. Bene-
lope de7}i helt ülixes brief unt boten sante, Her. 1; — 24544 ff.
Dido schreibt an Aeneas, Her. 7; — 24548 ff. Briseida schreibt
an Achilles, Her. 3 (die form Briseida statt Briseis findet sich
zuerst bei Dares Phrygius, vgl. Dunger, Die sage vom trojan.
kriege s. 9); — 24552 Pillis großer liebe aht schrei}) dem helt
JDemestico, Her. 2 {Bemesticus sagt der dichter irrtümlich statt
Bemophoon); — 24554 f. Helena schreibt an Paris, Her. IG;
24556 f. Medea an Jason, Her. 12. Auf Her. 15 beziehen sich
jedenfalls die verse
15184 ff.
si gap oucb discm niide dem als man von der reinen
niht trost mit sinnes meinen, Helenen seit üz Kriechenlant.
') R. 25290 berc üffen berge büfeu.
STUDIEN ZU REINFUIED VON BKAUNSCHWEIG. 449
Vgl. Ars am. 2. 359:
dum Meuelaus abest, Heleue, ne sola iaceret,
bospitis est tepido iiocte recepta sinu.
Für die erzälilung von des Achilles aufenthalt bei Lyco-
niedes, seiner liebe zur Deidanna und auffindung durch Ulixes
nennt der dichter v. 22592 des Statius Achilleis als quelle.
Obwol ilim diese geschieht e auch von anderswoher bekannt
sein konnte und auch wol sicher wirklich bekannt war, z. b.
aus Konrads von Würzburg Trojanerkrieg, haben wir doch
keinen grund ihm nicht zu glauben, dass er den Statius ge-
lesen hat. Die angäbe v. 22574 {icie Schyron zöch den heren)
ein lialp ros, ein halber man fehlt im Statius; also ist hier
daneben eine andere quelle benutzt (vgl. Strauch zu Enikels
W. 14551).
Endlich citiert der dichter noch v. 22488 den Claudian
für Ori)heus. und zwar bezieht sich dieses citat auf das gedieht
De raptu Proserpinae; vgl. Claud. 34, 25 vicinumque lupo prae-
huit ayna latus: E. 2248G der ivolf daz schäf dar ftiorte fridelich
du arheit.
Dritter abschnitt. Stil und spräche.
A. Stil.
K. Eichhorn hat in seinen Reinfriedstudien (teil 2, Pro-
gramm des gymnasiums zu Meiningen 1892) die hauptsäch-
lichsten stilistischen eigentümlichkeiten des dichters zusammen-
gestellt, ohne jedoch zu untersuchen, ob er in seinem stil
irgend einem bestimmten vorbilde gefolgt ist.
Aus unseren bisherigen ausführungen hat sich ergeben,
dass der Verfasser des R., was den Inhalt seines werkes be-.
trifft, ausser durch die Spielmannsdichtung besonders stark
])eeinflusst ist von Konrad von Würzburg und Rudolf von
Kms. Beide sind seine landsleute, beide durch quantität und
qualität ihrer productionen in hohem ansehen stehend, zwar
selbst nur epigonen, aber doch ihre mitepigonen weit über-
ragend. Sie haben ihre kunst von Gottfried von Strassburg
gelernt; von allen dreien lernt der Reinfrieddichter, ihren stil
bildet er. wie sich zeigen wird, bis ins einzelnste nach. Bei
der nahen berührung der drei lässt sich natürlich nicht immer
Beitrüge zur t'eücbichte der deutBcliuu spraolic. XXIll. 29
450 GEREKE
mit völliger w«jiclieiiieit constatiereii, was im E. aus Konrad,
was aus Rudolf und was aus Gottfried stammt. Bei weitem
das meiste jedoch — so viel stellt fest — geht auf Konrad
zurück; denn dieser hat unsern dichter auch stofflich am
stärksten beeinflusst.
I. stilistische eigentümlichkeiten im sprachlichen
ausdruck.
1. In der formulierung des einzelnen ausdrucks und
gedankens.
Unter den stilistischen mittein des Reinfrieddichters sind
Eichhorn am auffallendsten die erschienen, durch die, wie er
sich ausdrückt, die darstelhmg zum verharren genfitigt wird.
Diese gewisse breite und Avortreiche fülle des stils möchte
ich als besonders charakteristisches merkmal Konrads in an-
spruch nehmen. Fast alle erscheinungen, die hierher gehören,
ziehen sich schon als ein sanfter bacli durch den Tristan hin ;
bei Konrad schwillt der bacli zum fluss, und im R. wird er
gar zum ström. Der nachfolger übertreibt seinen Vorgänger.
a) Tautologien.
Die häufung verwanter begriffe in zweigliedrigen,
durch und verbundenen tau tologien lässt einen gewissen
parallelismus der anordnung erkennen.
Ich verzichte natürlich darauf, alle beispiele aus den ca.
28000 versen hier aufzuzählen und begnüge mich für diesen
punkt sogar nur mit der anführung einiger weniger Verbin-
dungen, indem ich in der hauptsache hier auf Eichhorns
Zusammenstellungen verAveise.
Entweder werden zwei begriffe verbunden, die nur nach
ihrem bedeutungsinhalte zusammen gehören, also
substantiva: 3951 mündel unde ivcngel, 5143 truren
unde leit, 5293 leides unde sorgen (6709), 9298 lasier unde
schände; adjectiva: 41(33 fraelich unde sclioßne, X121 unlidic
unde hitter, 8684 vest und ellentrich, oft lidic unde fri (1289.
1587. 3231. 8388); verba: 3741 sckiuhen unde fliehen, 3863
prueven unde schouwen, 4548 prüeve unde l'cnne, 4769 meren
tinde wdhsen, 5341 siufzen unde truren, 8962 vuhien unde
riinyen (11270. 15769), 17256 flehten unde bäten (6258. 9958).
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRA.UNSCHWEIG. 451
Oder beide g-lieder haben stamnihafte allitteration: 15969 fro
unde frccUch, 25583 fnelich und fro 15129. 14754. 23823 (beide
Wörter von demselben stamm; vgi. Trist. (5581. 12382. 14367).
Natürlich sind die alten formelhaften Wendungen vertreten:
39 liep unde leit, 118 leben unde lip, 134 ivitiven unde iveisen
(140). 138 schirm unde scliilt, 198 singet unde saget, 6120 Inife
unde Innt (20684. 20716).
Am häutigsten ist der fall, dass beide giieder durch gleiche
präfixe alliterierend verknüpft sind (für Grottfried s. Preuss,
Strassb. stud. 1. 7 f.).
Yerba: 9214 geUüemet und gerceset (19226; — Kngelh.
478. Part. 3646. Silv. 68. 835. Gold. schm. 618. Troj. 16194. 35912.
Kl. d. kl. 2. 8), 4820 erniuivet und erfrischet (7047. 14680; —
Part. 12539. 14723), 5783 versigelt und vcrsloszcn (5845; —
Trist. 17822). Die beispiele sind überaus zahlreich (vgl. Eich-
horn). Bisweilen tritt zu den zw'ei gliedern noch eins am
schluss des voraufgehenden verses hinzu. Ich nenne zu den
bei Eichhorn aufgeführten Verbindungen noch folgende: 17335
gedrceget, geflogen und geivceget, 21123 erahien, erdenken noch
ertrcüiten, 24813 versigelt, verslozzen und verrigelt, 27409 ge-
slihten, geJceren noch gerihten;
substantiva: 675 von hmden und von gesten, 14351 gen
l'imden und gm gesten (sehr häufig bei Konrad. Trist. 6297.
12541), 11648 ze bette und ze tische (Engelh. 1947. Trist. 15394).
Ich zähle, w'eil sie Eichhorn nicht hat, die Wendungen noch
besonders auf, in denen sich ausser gleichen präfixen auch
noch stammhafte aliiteration findet: 12602 an milte und an
)iii(ote, 12724 an manheit und an milte, 17272 an gelte utid an
guote, 21659 mit buoche und mit bilde, 24603 das Magen und
daz klömven, 17009 mit werken und mit tvorten (15197; — .
Mngelh. 746), 957 in stürmen und in striten (22230; — aus
der Spielmannspoesie; vgl. oben s. 376).
Beliebt vor allem sind Verbindungen wie: 1102 Iq) und
herze (6193. 6696), 1909 sin sin und sin gedanc (4228), 2393
an herzen und an sinnen (2417. 4175. 4209. 4225. 4359. 4590.
6850. 17272 etc.), 3674 sin und herze {■i2'Sl. 4272. 4478. 5222.
5336 etc.), 4565 der sin und ouch der muot (4717. 6695), 4713
herze und gcmiiete, 4722 herze und die gedenke (6304), 5328
)itln lijj und ouch der muot.
29*
452 GEREKE
Tritt nun ein epitlieton zu den beiden so gepaarten be-
griffen hinzu, so lässt sich constatieren. dass der dichter hier
der weise Konrads folgt, d. h. das epitheton tritt zum zweiten
begriff, wenn es inlialtlich auch schon zum ersten begriffe mit
gehört (vgl. Joseph, QF. 54, 45 ff.): 151 an ere und an tcerden
siten, 2511 fröude und höhe ivunne (bei Konrad fast stehende
formel), 5359 an urloup und an alle sage, 10558 durch ere
und durch iverdiu ivip, 12133 Idag und jämerltchiu not.
üeberhaupt verträgt das zweite glied viel eher eine be-
schwerung als das erste: 625 durch ere und iverder ivthe segen,
2813 lop und miner eren pris, 5413 den hünc und al das riche.
1546 ir lande noch ir namen pfliht, 10545 diu mmre und des
liampfes vart, 12744 mm sin und mtnes herben Jcunst, 14067
mit Up und mit dem guote, 14084 dur guot und dur die
hünegin, 14179 mit guot und mit des Ithes lider; vgl. auch
4481 so vil und also lange, 4859 .90 vil und also dicke, 8957
so groz und also mehtic, 14990 so liep und also leide (Eugelh.
935. 1257. 1286. 1499. 1666. 1991. 4663. Part. 1111. 1863. 1941.
4403. 8525 etc.).
Besonders häufig ist folgender fall: sollen zwei synonyme
oder überhaupt begrifflich verwante Wörter (verba) gepaart
werden, so werden sie auf zwei verse verteilt, und das zweite
erhält irgend einen erweiternden zusatz (Joseph a.a.o. s. 70):
1912 siis wart sin kraft erfrischet und lüterlich erniuivct, 3448
miiese schiere heilen und minnecUch verwahsen, 6463 sus lert
diu minne liegen und wandelUchen biegen (5879 f. 6975 f. 14139 f.
23551 f. 23647 f.); 505 des tvil ich iuch iiz rihten und üf ein ende
slihten, 3399 iuch einen knappen rüemen und so mit ivorten
hliiemen, 4251 die dar uz vielen und üf von herzen wielen
(4273 f. 5337 f.).
Natüi'lich finden sich auch ausnahmen; aber die fälle, in
denen das erste glied erweitert ist, sind wie bei Konrad ver-
hältnismässig selten (2409. 2431. 3353. 3458. 7181; — 8949.
2485. 12391. 12473).
Der parallelismus der anordnung, der in diesen ZAveiglied-
rigen tautologien hervortritt, ist nicht mehr vorhanden in den
mehr als zweigliedrigen Verbindungen. Namentlich
häufig sind Zusammenstellungen von drei gliedern, deren
letztes mit und angereilit ist: 225 ir herze ir leben und ir
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 453
muof, 3219 mm sin min herze und min gedanc, 3338 herz lip
sin und da zuo muot, 9383 lip sin herz und ouch ir muoi,
3599 herze leben unde sin, 5001 diu lip din leben und din sin,
8859 ir sin ir lip und ir gedanc. Beliebt vor allem bei Rudolf
von Ems: Gerli. 7. 88. 127. 1029. 3971. 5055. Bari. 39, 39. 276,6.
341,37. Ich erwähne besonders beide herze sin und muot
und stelle dazu: Bari. 9,5. 26,20. Weltchr. Rudolfs, Schütze
2, 115, 35. Stricker, Dan. 33. 373; Karl 1507. 4828. 6298. Ausser-
dem vgl. Zingerle, Germ. 6,224. Jänicke zu Staufenb. 1112. —
Weiter: 918 zuht er und miltelceit, 2609 guot scelde und cre\
— 6179 lip leit unde Iclagen, 8186 ir leit ir sorge und ir tve\
— 9947 lip guot friunt und mäge, 11825 gelt guot Hut und
lant, 11586 art guot gelt lant und Hute:, — 123 ze swerte sper
und sehnte (4417. 7012).
1691 troest hilf und gib mir rät, 7285 hiez flehte unde bat,
11800 merke prüeve unde sjjüre, 12513 birsen beizen unde
jagen.
2210 uize dünn und Ideine, 25232 leidic trüric und unfro;
— 26381 brün rot gel ivtz grüen unde blä (Part. 12248. 13446.
14186. 15506. 21342. 21700. Troj. 1410).
Sehr ausgedehnt ist im R. nun endlich noch der gebrauch
der asyndetischen Verbindungen. Entweder reiht der
dichter die begriffe an einander, indem er zu jedem einzelnen
artikel, pronomen oder präposition hinzusetzt: 176 din nam
din ivirde, 180 din er din lop, 4376 sin mäht sin gelt, 6408
min sin min herze (6508. 9392), 6907 diu turteltüb daz golt
der kus, 10150 sin gelt sin guot sin lip sin leben sin Hut sin
mag sin art sin lant, 13176 ze bett ze tisch ze weg ze sträz
u. s. w., oder ohne solche präfixe: 696 ritter gräven frigen (27ol.
6582. 8324. 9135. 12711. 14023), 4204 tanzen ballen springen
singen schallen sivigen harpfen rotten gigen pfifen hei tamburen
(die zuletzt genannten Verbindungen sind auch sonst sehr häufig,
namentlich bei Gottfried und in seiner schule); 11122 triuwe
mäze milte zuht schäm kiusche bescheidenheit demuot gcdult
stcetekeit (122201 12269 f.); — 10611 loup gras tier vogel iv int
regen donre; 417 orse kleider liehtiu ivut, 453 mit kleinet har-
nesch lichter wät, 9935 bürge stet gelt witiu lant.
Bisweilen mit amplificatorischem abschluss: 15665 naht tac
alle stunt, 15809 ros man wegen alle diet; 2247 kröne schappel
454 GEREKE
gehvez här stirne hräiven öugel klär nase mündcl tinne hüffel
ivengel Mnne Icele neclcel dl der Up (Trist. 923. Part. 12562).
Rudolf von Ems verwendet ganz besonders häufig solche
asyndetischen Verbindungen. Zum beweise stelle ich nur die
aus dem Barlaam in betracht kommenden zusammen: 35,38.
36,28. 54,15.17. 65, 13 f. 98,15. 111, 13 f. 112, 32 f. 115,35.
149,281 155,27. 160,8. 162,26. 202,27. 221,7. 219, 3 f. 266,17.
271, 2. 273, 29 f. 32. 285, 19 f. 297, 29. 310, 27. 363, 33.
Dasselbe stilmittel, häufung des gleichartigen, erkennen
wir in der manier des dichters, verschiedene hü Ifsverba
zu verbinden, lediglich aus dem gründe, um den ausdruck
voller zu gestalten: 6040 nu Jcond er noch enmohter, 6300 er
tvolt und muose minnen (7895. 8853. 10182. 11889. 12539); —
12989 gelchen mac und leben sol (13460. 13925. 14177. 14180.
14258. 15641. 16779. 20306. 26568. 27125); — 1598 min Up sol
unde muoz arheiten üf die zuovcrsild, 2424 da von sol ein iec-
Itch mimt und muoz ein icärer böte sin, 15008 sU daz du niht
wilt bi mir sin noch getarst noch soll noch mäht. Freilich
treffen wir diesen gebrauch ausser bei Gottfried und seinen
nachfolgern auch sonst in der höfischen epik an, doch nirgends
in so ausgedehntem masse.
In ganz ähnlicher weise werden verschiedene tempora
desselben verbs aneinander gereiht, wo dem sinne nach
eine form ausreichen würde (Eichhorn wendet dafür den aus-
druck polyptoton an): 3015 beschehen ist — beschiht — beschach,
3590 ist beschehen und beschiht (5638), 4058 des ich niemer
hct gedeiht noch gedcehte, 5123 dienet und gedienet hat, 11104
minne dm gewalt ivas ie und ist und muoz icmer sin, 13454
got hat getan ze manger stunt und tet ie und tuot noch (3456.
4284. 6048 f. 8413. 11981 etc.).
Auch orts-, zeit-, conditionalpartikeln etc. werden
so gehäuft: 6872 sivenn und sivä (7672), 7031 ivie und ivd
(10547), 8029 ivie ald tvä ald war (9191), 9555 ivie — wer —
wie tvar umbe oder tvä von (12075). 4640. 9601. 12180. 13729.
15437. 15455. 15921 etc.
b) Antithesen.
Das dem vorigen entgegengesetzte verfahren ist dies:
gegensätzliche begriffe zusammenzustellen oder, wo ein be-
STUDIEN ZU REINFRIED VON BKAUNSCHWEIG. 455
stimmter ausdruck erfordert wird, zugleich das gegenteil hin-
zuzufügen. — Die anwendung der antithese ist mannigfach
variiert.
Am einfachsten ist die form, dass ein Substantiv mit
seinem attribut in Widerspruch tritt: 12QQ süezer tvundcn
tvunt, 12(37 ir süezer smerze, 1288 diu säeze strenge niinne
(1988), 1295 silezez ungemac\ 1399 minnecUcJie sivcere.
Oder das Substantiv tritt mit seinem prädicat in
Widerspruch: 4948 er ivolte in dem fiure lieizer minne erfrieren,
4954 sin süeze fröude süren Jcund im mit höhen riiuven (Trist.
11889), 4710 diu süeze Jean mir süren, 16866 ir süeze diu Jean
süren, ir liehe diu Imn leiden. Dazu vgl. Preuss a. a. o. 1, 1 ff.
Der ausdruck bekommt so zuweilen das aussehen eines
Paradoxon: 1800 in kurzer lenge (11190. 14275. 20084),
11065 mit fraudem richem leide, 13357 tvachender sldf, 18490
der lebende töte (Trist. 1845 tmd ist ein lebelicher tot, 18234
sin lebender tot [18472]; — 7741. 7788. 9596), 11746 bezzers
bcesers nie niht wart, 13022 ir leben was des todes tot, ir höher
fiint der helle vlust, 16124 des tvart ir senftez släfen unsenf-
teclich erwecket (Trist. 12194. 19031), 20088 diu swert ze beiden
handen diu icip univiplich nämen. Solche Oxymora liebt natür-
lich Konrad auch (vgl. Joseph s. 43).
Weiter werden gegensätzliche ausdrücke gepaart:
8242 Verlust und ouch getvinne, 8868 geivin und ouch Verluste,
8264 sorgen unde minne, 9093 mit übel noch mit guote {10087);
3780 ivinter unde sumer, 13167 tac unde naht (13175. 16732
etc.), 4952 dient unde morgen (5204. 6165. 7146. 7849. 8254.
15644. 16748. 24336), 5380 dbent unde fruo; — 8245 trüret
nu und ivas nu fro, 10613 binden und entstricken, 11149 bindet
und entbindet, verliurct unde rindet, si schiUet unde grüezet, si
siuret unde süezet, si leidet unde fröuwet u. s. w. -^ 11163; —
9428 beide arm und da zuo rieh, ze orse und zc fuoz gelich,
veriväpent nacket unde blöz, ivip und man, klein und gröz,
12664 der witzic und der tumbe, der arme und der riche, junc
und alt geliche, klein gröz, edel stvachiu art, 14257 den minsten
und den meisten, 14334 den minsten und den merren (17666),
8995 stille und offenbar (Part. 1835. 4359. 8591. 9633. 11620.
17059. Troj. 12943. 19002. 19294. Silv. 213. Welt lohn 50;
vgl. Jänicke z. Staufenb. 1188); 11517 off'enlich und iougen
456 GEREKE
(1153. 9404; — Part. 2097. 6733. 8591. 15339. 18537. Silv. 1326.
Trist. 8117. 11510. 16349), 20780 stille und üherlüt (Engelh.
4354. 5008. 5078. Part. 7068. Silv. 5207 [Gold, sclim. 1919]. —
Bari. 260, 6 [383, 31]; vgl. Jänicke z. Staufenb. 760).
Ganz wie bei Gottfried werden zuweilen beide begriffe
anfangs zusammengestellt und dann jeder für sich
behandelt: 17166 von Babilön dem vogte was dirre mmre
linder scheit beidiu liep und da zuo leit, lieh umb die fro'lich
angesiht, leid umb die Immpflichc pfliht; vgl. 2808 ff. 4009 ff.
Trist. 937 ff. 3149. 4705. 8658. 15538. 16758 (Preuss s. 24).
Etwas anders 24338 so daz der junge Minie relit von Assyrie
solle nen ivtp, und solle im die gen von Asclialön des landes
tvirt. gen und nen man nilit verbirt.
Es werden aber nicht nur einzelne ausdrücke, sondern auch
ganze gedanken antithetisch gegenübergestellt, in-
dem entweder der erste gedanke im zweiten gliede einfach
umgekehrt wird (spiel des gegensatzes): 2230 als ir schin dem
golde bot und daz golt dem scJüne icider, 2966 da Jean minn
ere heren und liert oucli ere minne, 12846 ivie leit daz liebe
pfändet und liep daz leide stoeret, 13760 in vinden ich verloren
Jiän: so vind ich in Verluste, 17680 daz hrump machent st
sichte, daz sichte st künnent hrumhcn (Trist. 30. 2019. 9874.
9878 etc., Preuss s. 27), oder indem überhaupt zwei entgegen-
gesetzte gedanken zusammentreten: 49 im himel dort, üf erden
hie (10935), 10903 gen gote dort, der weite hie (12647. 13863.
14355); 11103 vor gote dort üf erden hie, 23499 hie der tvelt
und dort vor got\ — 12443 den gesten liep, dem wirte leit,
12573 dem Jmehte hie, dem ritter dort; — 11414 der tue zergie,
der abcnt an vie sunder misseivende, 16081 diu naht diu kan,
der tac verswein (7420 f. 11168 ff.); — 1318 si störten senden
riuwen und brähten lustic girdc, 7018 sin herz an schänden
leeret und üffet an den eren (2100 f. 118501 118661 168601);
— 2390 ez frömvet in dem leide und smirzet in der liebe, 4727
in fmres gluot ich zitier und switze in Jcaltem froste, 14880
si siuret in der güete und liebet in den leiden.
Sehr beliebt, wie auch sonst, ist es im E., zAvei personen
und das von ihnen ausgesagte antithetisch darzu-
stellen: 3792 sivaz er ivolt, daz vander an ir nä eren hröjie.
diu minnecUche schöne vant ouch stves si gerte an im, ivun er
STUDIEN ZU EEINFRIED TON BRAUNSCHWEIG. 457
gciverte si mit stcetes herzen sin, sivcs si muotcn moht an in
(vgl. Part. 1725 ff.); 3848 .<?/ ivas siner fröiiden glänz, er irs
herzen liehter schhi. sin munt an ir nuindelln, ir wange an sin
wange etc., 11005 er was ir u'unsch, si was sin heil, er tvas
ir lip, si ivas der teil an dem sin hoehste fröiide lac. er tcas
der sorgen niderslac, si was sins herzen icunnc etc. (3774 ff. 0258.
12783. 129341). Oder: 1896 ivie jenen dort gelinge und discm
hie, daz läzen sin, 9283 sprach einer hie, der ander da, 11406
u'ic jene dise twingcn und disc jene verseren.
Häufig sind die aiititliesen hin — her, har — dar, sus —
so: 5662 alsus fuor si har und dar mit den gcdenJcen sus und
so, 2463 nu tvendet hin und denne har, 6885 har noch dar.
Meist tritt noch anapliora hinzu: 4869 nu sus, nu so, nu
hin, nu her, 11267 nu hin, nu har, nu dort, nu hie (11333),
15675 nu hie, nu dort, nu dort, nu hie; 2664 nu wil er hin,
nu ivil er her, nu wil er sus, nu ivil er so, nu ist er triiric,
nu denn frö, nu teil er diz, nu teil er daz, nu liehet im, nu
treit er haz (6645. 10076 f. 12120 f.).
Oft werden zwei eigenschaften entgegengesetzt,
fast immer mit anaphorischer gliederung: 8791 cz si
iihel, ez si guof, ez si trüric, hohgemuot, ez si leidic, ez si frö,
ez si nider, ez si ho, ez si sivoch, ez si gesunt; 16280 waz wcer
tunJicl, wcer niht Mär? tvaz tva^r He}), wwr kein Icit? waz ivwr
ruow an archeit u. s. w. — 16293.
Eine ganz besondere art der antithese endlicli findet noch
anwendung, wenn eine eigenschaft dadurch hervor-
gehoben wird, dass sie erst positiv, dann negativ
ausgedrückt wird (vgl. Kinzel, Zu Wolframs stil, Zs. fdph.
5,12): 9088 der rösche, niht der lazze, 18896 der starke, niht
der kranke, 20120 diu freche, niht diu kranke, 20236 der ivise,
niht der tumhe.
Hierher gehören auch Wendungen wie 1213 einhelleclichen
sunder haz, 9919 stände sunder kniuiven, 11874 mit eren sunder
schände, 12052 7nit fröuden sunder schände, 15543 tougcnlichen
sunder braht, 24675 fraglich sunder riuwe, 25097 snelle sunder
trägen- — 7475 snelleclich unträge (11324. 11456. 13936. 23729),
11845 offenlich untougen, 25074 offenlich niht stille (vgl. Kinzel,
Zs. fdph. 5, 13).
458 GEREKE
c) Umsclireibiiiigoii.
Ein weiterer g-rund für den breiten Charakter des stils im
R ist der, dass der dichter sich oft nicht mit der einfachen
bezeichnnng einer person, eines gegenständes, einer handlung
U.S.W, begnügt, sondern dafür einen umschreibenden oder
irgendAvie erweiternden ausdruck anwendet.
Ganz wie Konrad vermeidet er 'den einfachen sub-
stantivischen begriff, indem er ihn 'von einem anderen
Substantiv als einem umschreibenden begriff ab-
hängig' macht (vgl. Joseph a.a.O. s. 33ff.; hier auch zahl-
reiche beispiele aus Konrad).
Es wird z. b. der eine begriff abhängig gemacht von einem
inhaltlich übergeordneten oder gleichgeordneten: 557 mit hohes
hrahtes dön, 1428 Schalles hraht (4213. 6991); 645 sam eins
diüires dö^; — 547 7)iit geivaltes mäht] — 200 sunder vorhtes
zitier (758. 10092), 1006 sunder vorhtes Up, 13611 sunder
rorhte schrecken; — 339 haszes nit (12735), 22773 sunder
hazzes Mp\ — 12771 sunder spottes schimpfe — 1841 sunder
zivivels ivanhe, 13039 an zivtvels meine, 13225 sunder zwivels
zadel; — 14973 sunder meines schände, 21335 sunder meines
tragen; — 301 ^e mitter meigen zU, 1197 üf des abents zit,
12941 manges järes zit; — 2497 üf der ivisen velt, 7377 üf
des veldes plane; — 3501 üf iväges flücte, 15421 üf des wilden
eueres fluot, 16419 iif des ivilden meres vart; — 15375 in des
ivindes luft; — 15824 sunder strites vehten, 15892 mit siges
strit; — 195 in aller lande kreiz (4275. 4434 etc.), 1063 üf
des ringes kreiz, 1564 iif der plante kreiz; — 4409 durch aller
lande rinc, 10646 in der weite rinc.
Beliebt sind die Umschreibungen mit ^///M: llbO mit siner
ougen pfliht, 1546 ir namen pfliht (1963. 1950. 2264. 2515.
2623. 3041. 3172. 4019. 4030. 4708. 5881. 6073. 6734. 6748
etc.; — Engelh. 800. 4798. 5371. Part. 7907. 9207), und mit
stiiire: 1243 nä höher eren stiure, 7294 nä höher koste stiure
(3826. 5231. 5441. 7263. 7386. 7775 etc.); ferner solche wie
552 in keins herzen sinne, 1097 manges herzen sin (1285. 1423.
1962. 2453. 2670. 3402. 5931 etc.), 1149 vor sins herzen an-
gesiht, 305 in shis herzen grünt (1265. 1398. 5498. 6913 etc.;
— Engelh. 2143), 79 sines vesten herzen brüst (Troj. 2726).
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 459
Zweimal umschrieben: 4677 mit herzen grunäcs sinne, 471 mit
ungewiters dunres krach (Engelli. 1950 sines muotes herzen (jir).
Häufig wird ein begriff abhängig gemacht von einem
charakteristischen merkmal: 851 der rufe gliz, 804 sunder
ruomcs gliz] — 404 nä hoher ivirde gelt; — 808 der lichten
sunnen glast, 7421 (7^5 morgens glast, 8272 f. der sternen glast
verborgen lac von der tvolJcen decken, 14899 des Hellten morgcn-
sternen glast, 14897 des vil lieht en tnorgetis brehen; — 1110
diner gneisten funken. 1787 des u-ilden fiures gneisten; — 767
üf des schiltes lach (908. 1030. 1486. 1513. 99(35 etc.), 834 des
randes lach, 866 sins helmes tach (1505. 1915); — 1616 in des
todes grimme (22448), 13395 von sorgen quäle-, — 1652 des
jdmers überflilzze, 3272 durch mines dienstes innen, 4730 des
jämers koste; — 599 näcli- des ivunsches sagen, 2265 nä ivun-
schcs luste, 2047 der minnc tivingcn, 5039 mit trostes gingen.
Umsclu^eibung durch metaphorische ausdrücke: 221 der
minne stricke (444. 1395. 2002. 5187), 6526 der sorgen stricke,
15311 todes stricke; — 327 dankes gruoz, 1597 kusses gruoz; —
1757 fiures blicke, 13382 in jämers fiur; — 2399 leides angel
(6325. 11522), 3703 untrimven angel, 5391 der minne angel;
— 6164 des jämers flecke, 15476 lasters flecken; — 8649 von
iveinens regene; — 13194 üz jämers fürte, 16762 in eren fürte;
— 22042 leides orden, 22958 von strengen jämers orden.
Das wort pfliht, das, wie oben bemerkt, gern bei dieser
ausdrucksweise Verwendung findet, Avird auch oft mit einem
adjectiv verbunden, um den in dem adjectiv liegenden begriff
als Substantiv zu bezeichnen. Und zwar gebraucht der dichter
für diesen fall adjectiva auf -lieh, von denen er eine zahllose
menge hat: 3297 mit dienestlicJier xyfliht, 3504 mit cineclichcr
pfl., 4897 nä wirdeclicher pfl., 6010 zornliche pfl., 6605 nä künec-
lichcr pfl., 7208 jämerliche pfl., 8077 mit tougenllcher pfl., 8477
mit urteilUcher pfl., 10494 mit snellecUchcr pfl., 13502 in släf-
licher pfl., 15517 mithinderredelicher pfl., 11 11 Q kämpf liehe pfl.,
22800 iscnliche pfl., 25112 mit gevancUcher pfl.
Für })fliht kann ein anderer allgemeiner oder specieller
begriff eintreten: 5401 mit volleclicheni rate, bb91 mit lobelicher
t(ete, 0249 die mortUchen tat, 6262 mit twinclicher frage, (5204
kebcsliche vart, 0411 gunstlichez grüezen, 0814 mit urteillicher
lere, 6836 daz kämpf liehe striten, 7125 7nit klegelicher schomve,
460 GEREKE
7240 mit helfelicher güete, 7291 7nif snelledicher ile, 7362 in
engellicher wtse, 7543 helfeltchen muot, 7873 helfeltchen rät,
8191 2ivlvellicher wdn, 8424 urteilUche spor (8653. 8679. 10084.
10300. 11455. 13349 etc.).
Dieser letzteren art der Umschreibung weiss ich aus Konrad
oder aus seiner richtung nichts ähnliches — wenigstens in dem
umfange — an die seite zu setzen.
Wol aber ist Konrads vorbild widerzuerkennen in der
ersetzung eines hülfszeitworts durch sinnliche be-
griffe oder in der Umschreibung eines einfachen ver-
bums durch einen verbalen ausdruck (vgl. Joseph s. 41).
Hier spielt, wie anderswo pfliht, das verbum pflegen eine
grosse rolle: 1587 sol der smerze tvonen ht mir alleine, ich
hin tot; 6792 uns muoz iemer lasier hi tvonen umb die schände;
— 5439 (diu sache) diu im nähe in herzen lac; — 2342 da von
lasters müese pflegen min ere, 4800 pflegent von mir fluht,
5094 pflegent fliehte, 6292 für die not der er nu p)flegen miiose,
6345 (minne) diu so hohes namen pfligt; — 718 das diu sunne
lüidergliz nam von dem golde; 836 von Arahi gap liehten
gliz daz ein vach (849. 1516. 1543. 7364 etc.); 17200 daz diu
liehte sunne an im ividerglenzen hos; — 1562 si täten
hohe tüirde seh in, 1839 er tet mit geivalte schin (1898. 7250.
7574 etc.); — 2674 nu gap im minne lere; — 2972 stvä diu
minne here von eren hat; — 19113 nam val zuo der erden.
Sehr gewöhnlich ist die ersetzung des persönlichen
Pronomens durch sinnliche begriffe, ein stilmittel, das
schon Wolfram ausgiebig verwendet und Konrad bevorzugt
(vgl. Joseph s. 37): durch lip: 114 sin lip üf vier und zwenzic
jär an alter hat die zU vertriben (120. 184. 1004. 1598. 4452.
6250. 6897. 6905 etc.), durch herz: 212 sit daz ir herze nie
gewan ämis noch wart ämie (420. 862. 1152. 1156. 1305. 1906,
2115. 3975. 5596 etc.). 854 ir herze gar an sorgen hlös sus üf
den hof leisierten; durch sin: 688 sin sin so höher koste pflac
(2704. 6252. 6284 etc.); durch muot: 279 daz sich sin muot
ellendet dar (4644); durch band hingen: 1234 ir liepUch
smieren sach in an, 9420 sin vart vil gähe snuorte, 15309 sin
ritterUehez eilen reit, 16214 ir stritliehez werben sazte sich ze
grözer iver.
In ähnlicher weise, ganz wie bei Konrad (vgl. Joseph s. 38),
STUDIEN ZU REINFRIED VON BUAUNSCHWEIG. 461
werden die zeit- und ortsadverbia umschrieben: 958 ^mo
den siten (1533), 306 se disen ziten (7810. 7003), 6835 U den
ztten (8943. 9454. 9530), 6754 in den zUen, 8401 an den ztfen
(11398); — 7037 an der selben stunde, 8643 an den selben
stunden, 10208 an den stunden, 11200 an der sfunt; — 15374
«w dem zu, 14690 an dem selben zil; — 4927 ze mdngen
tagen, 4696 zc allen zUen, 652 vor den ztten (8047), 7031 ze
tvclher stunf; — 10251 alle frist (16423), 10286 alliu zu, 13218
alle varf.
Umschrieben wird bisweilen auch die conditional-
conjunction durch einen ganzen satz: 5632 ist aber daz
ez also stät (9737. 13297. 16024. 25376), 15025 und si daz
got dir gnade tue, 22451 ivcer daz daz schif het gebiten.
Hierin ahmt der dichter Gottfried nach; vgl. Trist. 6098. 6103.
6151. 6174 etc. (aucli Part. 2128. 4508. 4748. 10960 etc.).
Endlich ist hier noch anzufügen die bildliche Verstär-
kung- uder Umschreibung der negation, die sich unter
allen mhd. dichtem am häufigsten zuerst bei Gottfried findet
(vgl. Zingerle, Ueber die bildliche Verstärkung der negation bei
mhd. dichtem, WSB 39): 2177 niht als umb ein bappel (Zingerle
s. 459), 8394 er ahte niht üf einen bast (Zingerle s. 429), 9417
ahte alliu dine als einen stoup (Zingerle s. 436), 9747 umh ein
liär, 14305 u. ö. umb ein Jcleinez här (Zingerle s. 438 ff.), 18412
niJit ein linse geben umb (Zingerle s. 421), 20837 umb ein bönen
niht gedenJcen (Zingerle s. 417), 22393 als ein wicke (Zingerle
s. 420), 22355 umb ein bräwe, 22407 umh einen snal, 24989
daz eines punkten niht enbrast.
d) Widerholuugen und Wortspiele.
Einiges von dem hierher gehörigen hat Eichhorn unter
der Überschrift 'epizeuxis' zusammengestellt. Dahin sind also
Wendungen zu setzen wie 262 watig an wange (2352 u. ü.), 1099
von ring ze ringe, 1397 uz oug in ougen, 2353 munt an munde
(3840 u. ö.), 2167 herz in herz, sin in sin, 2183 gedenke iht zuo
gedenken; — 1729 sich schar und schar verwur reu, \\2iS^ rotte
in rotte, schar in schar. Die beispiele sind überaus zahlreich,
2635 gap und gap (12589. 14661), 5987 bat und bat, 6148 er
bat und bat und ich verseil lang und lang und mange stunt,
26039 er lech und lech und Itch (9489. 15765. 23909. 23455;
462 GEBEKE
— Turn. 86 er (jap und fjap und (jap et dar), 8432 timh nnd
imibe (22054. 22802. 22349), 8663 dicke und dick Gleichsam
ein ganzes füllhorn schüttet der dichter aus 12 bi guotem giiot,
so hcßr ich jehen, bt siiesen siiez, bi argem arc, bt miltem milf,
In kargem karc, bi frechem frech, bi sagen sagen icirt man, hwr
ich die wisen sagen. Ebenso 184 f. 10710. 10903. 11706 ff.
12606 ff. 12260 ff.' 17285 ff. 17742 ff.
Anderes nennt Eichhorn annominatio; doch gibt seine auf-
zälilung niclit entfernt einen begriff von der reichhaltigkeit,
über die der dichter in der anwendung dieses stilmittels verfügt.
Er setzt z. b. einem Substantiv ein adjectiv von demselben
stamm hinzu: 777 gm minnecUcher minne (1690. 2461. 3613.
10990 etc.), 3895 nä kusUchem hisse, 7588 frinntlich friunt,
11014 trütlich trtit, 13312 wunderUchiu ivunder.
Oder er rückt Substantiv und verbum desselben Stammes
eng an einander: 3582 sioas din güete giietct (Trist. 8301 ir
schijRne diu schanet), 7430 die schar geschart in glicher pfliht^
13292 ein rart rarest über mer, 10343 manic slös entslossen,
oder irgend welche anderen Wortklassen: 1266 süeser wunden
tvtint (4959), 7995 an ivirde ivirdecltche, 11021 trätUch getriutet.
Die beiden stammverwanten Wörter stehen nicht eng neben
einander, sondern sind durcli Zwischenglieder getrennt: 1082
, die kriger liefen üf ir slä mit manger lüten krige, 1374 ich
tvmie das sin herse wem künne höhen dienest tvol froinven
den er dienen sol und den sin herse dienest treit, 1744 ein
ritter moht dö siniu lider ritterlich erstvingen (8390 f. 8668 f.
90981), 2000 er suohte blic, so vander an ir tvid erblicke,
die blicke in minne stricke ir beider herse kmipften, 2297 mit
urteil hie erteilet (6811), 2580 j6 ivart ich der wir de ge-
lüirdet nie, so mir beschach, 2982 minne in minnecUcher
gir, 4382 und ivarp mit wirdekeit da nach eren und nä
werdekeit, des sin nam noch tvirde treit., 4457 des sin s-ich
so versinte, 8471 das wolt erteilen ir ein teil, 8476 und
ein ander urteil kam also mit urteilltcher pfliht, 8694 und
minnten gerne minneclich, 10924 ivip und ivixüich minnen
ist alles hör des üb er hört.
Klangvoll verdienen die formen der annominatio genannt
zu werden, in denen die stammverwanten Wörter einen Wechsel
STUDIEN ZU REINFRTED VON RRAUNSCHWEIG. 463
des vocals (namentlich ablaut und unilant) zeigen: 808 daz
da diir nicht (jelcsten molii der licltfcn suniicn (/last, llO-i
ei süeziu mi)inc, dlniu hant hindent sunder Jieften, 2213
lullten licht ir tcengel, 2229 nie luhtc lichter morijcnrot, 2821
liehten tac üf Vmhten, 13222 durcliliuliteclicUen li%hte\ — 2880
ja mit mangem sivanlic ir ougen zemen swungen, 3004 ja
der sinne senJce sich sancten su ze gründe, 4871 mit sivanhe
übersivenkcnt, 5548 so das diu x^fat und al der stic so in
ir herze mohte st c gen, 5932 sicenn ir hlicJce schoz üf in mit
schüzzen an geverde, 9936 so starläu Iclien liht mhi hant,
11056 diu kraft mac üherlcreftet mit keinen Sachen werden,
13133 die klag in klegelicher art, 13230 in dem schin er-
scheinde.
Bei "^^^[derllolter anwendung desselben Wortes oder stamm-
verwanter AvfJrter entstehen Wortspiele, wie sie Rudolf von
Ems besonders liebt: 82 ein vester f rinnt ht friundes rät, 96
den knehten knehtes reht er liez (12540. 12554. 12568), 1145
der schoen für alle schoene tvac, 2471 und friundet friunt in
friundes triff, 2957 waz liep mit liehe liebes kan, da liep cht
liehe liehes gan (Konr. lied 22, 19 liep noch liehe liehes gan),
3075 stvä liep ist liebem liehe bi, 9824 nu rät ich, ob ich raten
kan, oh ir mins rätes ruochent- 10780 stvä liep cz liehe hiutet
liepUch sunder vorhte schäm; — 623 inl und vil me danne vil,
4429 ie me und nie und aber me (Trist. 8079 wol und tvol und
alze tvol)] — 357 der gerndc kneht tet sinem lop mit lohe reht,
wan siver sin lop ze lobe treit, da stät nach lobe der eren kleit
(ebenso 364 — 371), 15532 und als der filrste rieh vernam daz
ez friunde ivären, ir friuntlicli gebären galt er mit friundes
gruoze. vil friuntllcher unmuoze huop sich ze beden slten (vgl.
Gerh. 1—115. 383—392. 1667—1679. 2422— 2425. .2901—2907).
Der dichter spielt mit mehrei-en begriffen: 70 ist im der lip
erstorben, tvel nöt'f' sin lop> doch höhe sucpt. tre dem verzagten
der so lept sivenn im der lip alhie verstirbt, daz sin lo]) mit
dem Üb verdirbt; — 4454 do im der lip mit leben erstarp, so
lept sin lop doch iemer me (vgl. Rol. 5447 f., zum gedanken: Parz.
471, 13, Iw. 16); — 128 ein man der mac dort und hie eriverben
ritterlichen solt. ritters ordcn dem ist holt got, ob er ritterliehen
stät als in got selbe gordent hat; — 1110 — 1121 herz, sin,
minne; 2962—2973 minne,ere; 3504 — 3512 €in{en), meine{n).
464 6EREKE
e) Negative aiisdnicksweise.
Fast alle mittelliochdeutsclieii dicliter seit Wolfram kennen
das Stilmittel, einen positiven ausdiaick negativ zu gestalten,
etwa um die betreffende stelle liumoristiscli oder ironisch zu
färben, oder um überhaupt etwas lebhaftig-keit in den gleich-
massigen gang der erzählung zu bringen. Es mögen also hier
aus dem R. einige beispiele platz finden: 45 diu (iverJc) wären
an untcete las, ivan er der eren nie veryaz, 86 sin stoite triwe
sich nie verharc, 286 ein hünic den schände yar verhirf, 743
tvan im kein lasier ivas heJcant, 857 des herze ie schände ßöch
(959), 917 des herze ie schände meit (1219; — 703. 1899. 1479),
862 sin herze nie ühertretten hat heine stunt der mäze riz,
1230 shi lip lind oiich sin leben, sich an eren nie versneit; —
647 daz cz im leit zerstörte, 726 man sach da niemen triiren
noch haben Iceine stvcerc, 937 des ivas sin sorge gar enzivei,
2015 diz tet im sorge kranlcen- — 706 giuden brehten was
niht tiiir, 3824 licplich umberähen mähten si untiure. hoher
sorgen stiure ivas in beiden tvilde, 4938 fröude ivart im wilde;
— 604 so daz in hoste niht enbrast, 614 dö ivart niht langer
dö gebiten, 12946 der eren und der soliden tor ivas in beiden
unverspart, 18190 daz bitten wart niht übertreten, 18458 ein
smieren ivart da niht vermiten von den fürsten beiden u.s.w.
Eine besondere art der negativen ausdrucksweise haben
Konrad und seine nachahmer in die epische poesie eingeführt
(vgl. Jänicke DHE 4 zu Wolfdietrich D 5, 103, 2), nämlich die
negierung durch äne, fri etc. Den Ursprung dieses stilmittels
bei Wolfram zeigt Kinzel (Zs. fdph. 5, 4 f .) : 214 diu siieze wan-
deis frie (1182 u. ö.), 9698 diu valsches fri\ — 939 an schänden
gar der trcege (1187), 2726 Palarei den troegen an allen houbet-
schanden; — 1323 der lauschen wandeis hranhen (1842. 20200.
20351); — 1866 den schänden lazzen, 6192 der veige an eren
laz; — 6208 der eren leere, 9008 an zageheit die siechen u.s.w.
f) Hyperbeln.
Von den hyperbeln, deren verschiedene arten Eichhorn im
allgemeinen vollzählig besprochen hat, möchte ich hier nur eine
besonders charakteristische klasse hervorheben, die ich bei
Eichhorn vermisse. Der dichter hat sie zweifellos seinem vor-
bilde Konrad nachgebildet. Es handelt sich um übertreibende
STUDIEN ZU KKINFUIKI) VOX MKAUNSCIIWEIG, 1(55
Versicherungen, die er seinen personen in den niund legt . von
der art: 'elie das geschieht , ehe soll das und das geschehen'
(meist 'ehe will ich tot sein'): 2522 nein, mich müez r 2)fenden
der tot an dem übe, c min munt Jceinem ivibe ze Jctis sich icmer
biete; 4300 ich tvolt e das ich wcere tot, c ich mit sinnen icmer
ivolte minnen ald meinen andersivar denn iuch; 4762 ich liez
mich in die erden e lebendigen telben, ich tvolt den tot mir selben
e füegen unde schielten, e daz ich ... (4786 ff. 4992 ff. 5160 ff.
6118 ff. etc., vgl. Engelh. 3755 daz ich schiere stürbe, e duz
ich...; 4010. 4142. 5528. 5938. 6040. Herzm. 210. Sclnvanr. 629.
Part. 2824. 6056. 6434. 7370. 9087. 9097. 9872. 10062. 11242.
12944. 17352. 19322 etc.); 7668 ich ivolte mich zersniden e
Idzen und zerhomven, c ... (6562 ff. 8358 ff. 9734 ff. 9974 ff.
10800 ff., vgl. Engelh. 6058 ich lieze e mich zersniden [vgl. Jä-
nicke z. Staufenb. 703]); 2762 e wolt ich von dem lande gän
daz mich üf geerbet hat, c . . . ; 3704 c ivold ich haben mangel
liebes nnz üf minen tot, e . . . (vgl. Engelh. 3745 e daz ich ge-
dcehte ... e ivolte ich fröude nimmer noch sceleJceit geschouwen;
5616. 6048).
Von all den übertreibenden fornieln, wonach bisher auf
erden nichts dem erzählten ähnliches zu finden ist (vgl. Eich-
horn a. a. 0.), nenne ich besonders folgende: 802 diu ivelt so
hinnen scheidet daz niemer solich hof ergät, 11496 diu ivelt
sich also endet daz liep bl solhem leide von einer hinscheide
so gröz geliche niemer ivirt.
Endlich erwähne ich noch die formein: 165 me dan genuoc
(419. 25551), 623 vil und ril me danne vil, 1307 me denn ze
vil (27117), 10425 me vil denne gnuoc, 11907 vil me denne gnuoc
(15932. 24304), 24861 me denne vil.
g) Anaphorische gliederuugr.
Ueber die anaphora bei Gottfried vgl. Preuss s. 28 ff.
Dass die anaiihora im E. bei den antithesen häufige an-
wendung findet, haben wir schon oben (s. 457 f.) gesehen; und
zwar hat die widerholung hier meist innerhalb desselben verses
statt. Dahin gehören noch folgende stellen: 6666 ... nmh al
sin tverben, umb sin trüren, um sin Idagen, umb sin leif, um
ir versagen, umb sin dröuwen . . . ; 9317 ald waz ich tnoti tdd
uaz ich läu] 11106 vor tac vor naht vor sunnen sdiiti, vor
Beiträge zur gescUichte der deutecUen spräche. XXlll. 3U
466 GEREKE
Mmel erde ivazzer luftg vor speren trön, vor helle hriift, vor
muneti scMn, vor Sternen hreis. S. Tristan 2387. 3744. 4051.
4262 etc.
Am anfang mehrerer verse findet sicli anapliora: 1) eines
nomens: 3624 minne diu Txan linden sorge herter denn ein
fl'ins. minne diu glt sivmren sins iren besten friunden etc. (im
ganzen 12 mal; s. Troj. 2214 ff. 2540 ff.); 11002 ff. minne (22 mal),
10916 ff. w?j;(25mal); — 2) des artikels oder eines prono-
mens: 3666 miner fröiiden anger, mines tröstes ivirde, mhies
liistes girde, mtnes herzen ivunne n. s.w.; 4418 ein hruft der
rehten milte, ein herndes zun der zülde, ein ivurze reiner friüite,
ein stein rehter triuive, ein slöz der stcete nimve; — 3) eines
form wort es: 2904 so nnirfcn jene dort den stein, so zngen
dis srhuhzahels2)il eta. (älinlicli 11328— 11331), 9680 tcie (2 m.),
23649 ff. 23658 ivic, 24230 tcie (11 m.) recapitulierend (s. Trist.
4241 ff.); 10824 ff. oh... oh . . . ald oV . . . uld oh... oh; — 4) meh-
rere Wörter zugleich: C)02tf. dar nach man (2 m.), 5182 ff. so
sach man (2 m.; 113481), 5414 ff. man /m;^ (2 m.), 5616 ff. wilt
du (2 m.), 5660 ff. wil ich (2 m.), 8816 ff. ez kilfet (2 m.), 9388 ff.
ach got ivie (2 m.), 11 130 f. ez u-art nie herze (2 m.).
li) Alliteration.
Des schmuckes der alliteration bedient sich bekanntlich
Gottfried in ausgedehntem masse. Rudolf von Ems folgt ihm
hierin mehr als Konrad, und im i\. finden sich alliterierende
Verbindungen ziemlich häufig.
Die alten formelhaften Verbindungen habe ich schon oben
(s. 451 ff.) behandelt, desgleichen die mit alliterierendem präflx.
Nicht formelhaft sind: 2518 ran und ruoz, 6206 f. grtsen
und grätven, 8938 Icraft noch Jcunst, 18312 schint unde scliirt.
Es alliteriert ferner ein Substantiv mit seinem attribut:
797 diu minnecllche magt, 2333 holder herze, 2685 sender sorgest
(3203. 3530), 2856 ivaldes wilde, 2892 ir minncclicher munt,
3331 mit minnecUcher meine, 3382 senden sinne, 3861 sunder
sorge siveichen, 5065 uz snren sorgen striclcent, 5281 heizer
trehen tropfen (7043), 5348 der minne marterwrc (6372), 6531
in wildes waldes vorste, 8975 onit grözer grimme, 9641 üfrehtc
rede, 10039 iveltlicher ivunne, 10543 starJccr grüse gröz, 17471
mit manges sivertes sivanlce etc.;
STUDIEN ZU IIEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 467
ein verbuni mit seiner bestimmnn^: 2170 vestcclkhen vehen,
2213 Uüitcn lieht (2229), 4348 warp so wirdedlchen (4370),
8361 ivolte tviUecltchc, 9132 vasfe vaht, 11146 lutcrUch crlmJitef;
— 1830 durch die rotten rlten (7303), 2223 in rehter mäze
mischet, 2827 in den wolhen tvcegen, 9289 mit ivazzer über-
wallen etc.;
ein Substantiv mit seinem verbum (subject oder object mit
prädicat) : 2061 höhe fürsten fuorten, 2566 al min sin hesenget,
3289 ich merl-e iuiver meinen, 4680 liehte vartve vehvet, 8489
die ir guotes yunden etc.;
andere Wörter: 450 üfsiben soiimer sunder sein, 2019 sorge
uz dem sinne, 2309 het er Mut hie verliuhen, 2388 daz senen
senftet smerzen, 3344 in so ivunderlichiu tverch hat minne mich
getvorren, 3358 ei dö si so süeze sleich, 3802 leit hi liehe
dicke lit, 4064 minne mit ir^ mugende ivürhet wunderlichiu dinc,
5658 die mir zuo gemuotet hat sin miint uf minne iverhen,
6934 so was der ören ivünne sin tvildiu tverch diu er hegienc,
7036 ir sin hegimde senken sich an der selben stunde, 8270
die lerchen man in lüften hoch . . . , 8552 troeste mhien trüeben
sin, 8676 der ritter ritterlichen saz, der ivise ivirdecUchen hielt,
9080 den lip er liitzel sparte und lief in ritterlichen an, 9084
da von er sunder lougen an hrefte wart geletzet, 15481 in
waJlers trise sunder teer, 20117 in starken stürmen hcrtcn,
heim und schilte scherten sach man mit sivertes swanke etc.
i) Metaphern und bilder.
Ein gut teil der Schönheit der poetisclien spräche beruht
auf ihrem bilderreichtum, denn die aufgäbe der poesie ist es,
unsere phantasie zu beschäftigen. A\'er also ein guter dichter
sein will, muss über einen gewissen Vorrat von bildern ver-
fügen können, und dazu gehört lebendige anscliauungskraft
und phantasievolle auffassungsgabe. Nun werden ja manche
bilder, die wegen ihrer Schönheit oder ihrer bequemen anschau-
lichkeit öfter anweiiduiig finden, schliesslich allgemeingut. Die
bedeutung eines dicht ers kann also nur darin sich zeigen, was
er hier aus eigener kraft neues zu schaffen vermag.
Unter unseren mittelhochdeutschen dichtem ist die zahl
solcher wirklich originalen dichter nicht allzu gross, und diese
sind dann für ihre minder beanlagten nachfolger tonangebend
3U*
468 GEKEKE
geblieben. So kann es denn aucli niclit wunder nehmen, wenn
der im Stoff wenig selbständige dichter des R. sich in seinen
bildern in der hauptsache an seine niuster anlehnt und sich
in den herkömmlichen bahnen bewegt.
An erster stelle mögen als die am wenigsten ausgeführten
bilder einige metaphern stehen. ]\fehrere davon sind von der
pflanze und ihren teilen hergenommen: 1304 mit des lohes rtse
yezieret (Engelh.879), 9308 niinnecUche fnüit u. ö. (Engelh. 1487.
4359. 4419. Part. 286. 1543. 2947 etc. Schwanr. 279. 1225 etc.),
10782 da hat der süezen minne stam (10959; — Parz. 128, 28.
j. Tit. 721. 1326. 1065 etc.) nä hoher fruht (/avürzet, 119b9 der
stceten triuwe ein frühtic stam; — 2294 lif in hat geziviget ere
ir frühtic lohes ris, 11952 bitter leit mit senden Magen hatte
üf si geziviget (2386.261361; — Engelh. 234 f. 878 f. Troj.
6655 f. Bari. 353, 13 f.).
Andere metaphern sind: 775 des umnsches Jcint, der scelden
hört (Engelh. 732. 5102. 5449. 5837. 6449. Part. 1408. 1728.
1948. 2444. 7270. 11032 etc.); — 865 der Iren sedele, 2455
des herzen tür (Klage d. kunst 22, 7); — 12946 der eren und
der scelden tor ivas in beiden unverspart, 12998 den auch höher
frühte tor ivas versetzet und verspart, 13081 entslozzen miner
frühte tor (Part. 5768. Parz. 649, 28); — 10931 aller scelden
obetach, 11012 er was ir fröuden übertach (ein bei Konrad sehr
beliebter vergleich; vgl. Haupt zu Engelh. 454); — 2556 der
gnaden schibe, 10834 der smlden schtbe, 13084 der frühte schihe
(Engelh. 4400) ; — 3198 der minne geiselruote, 12950 der fröuden
ivünschelruote (Engelh. 3000); — 1853 mit mcmges ruomes kränze,
4349 höher eren Icranz, 17377 lohes Icranz (Troj, 444. 15341.
Part. 13531. Parz. 260, 8. 343, 25. 394, 12. 632, 28. Gerh. 6406.
6605); — 3579 der sorgen schür (Engelh. 5401. Parz. 313, 6.
371, 7. 587, 13), der fröuden schilt, 13073 der seien tröst, der
Sünder schilt (Gerh. 6331. Wolfr. Wh. 15, 15); — 1395 in minne
striche (2002 u. ö.), 6526 der sorgen stricJce, 15311 tödes stricke
(Part. 7059. 7273. 12700. Parz. 811, 4); — 2399 des leides angel
(6325. 11522), 3703 untriuwen angel, 5391 der minne angel
(Engelh. 1657. Part. 8218); — 8649 von weinens regene, 17259
mit manges trehenes regene (Parz. 191,29); — VS194: üz jämers
fürte, 16762 in eren fürte (Parz. 114,4. Wh. 177, 14); — 2576
minne ir scharpfen wäfen hat über mich geivetzet; — 3688 mit
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 4^9
der sorgen lande hat miune mich gcse'dct (Engelh. 0138 f. Virg.
340. 12 f.); — 4489 . . . trürcn. in sine sinne er müren hmde
hitter sorgen, 5341 siufzcn nnde irnren. des sach man so ril
müren in in shis herzen sinne (Konrad: Engelh. 2142 ff. Part.
709. 3767. Troj. 17052. Herzm. 244 f. Lied 14, 16 f.); — 4512
sin sin, sin herze waren gar in der not versteinet (Part. 1266.
8314); - — 2564 mir Jiät der minnc glüete min herze so em-
pfanget daz al min sin besenget ist von minne fiure (Engelli.
975 f.); — 4414 er ist ein ivünschelruoie an ritterlicher hrefte,
. . . ein Txrnft der rehten milte, ein herndez zivi der zühte, ein
würze reiner friihte, ein stam rehter triutve, ein slöz der stoete
nimve, schäm und niäze ein ingesigel, der cre ein vester houhet-
rigel (vgl. Engelh. 472 als da zivei ivahs gedrücJcet sint in ein
vil schcencz ingesigel [Part. 1308], st ivären trimven gar ein
rigel, ein vestez slöz der st(vte): ähnlich 10928 ff. 10958 ff.
Von den eigentlichen bildern bezieht sich ein gut teil auf
die Schilderung der kämpfe. Manche davon sind deshalb schon
früher bei der vergleichung solcher darstellungen im K. und
in seinen quellen zur spräche gekommen. Darüber darf ich
also jetzt mit kurzen andeutungen hinweggehen.
Die rosse sind schwarz "wie pech (414), ein vergleich der
sich häufig nur bei Konrad findet (Engelh. 4692. Part. 18258.
21004. Troj. 11992. Turn. 447; vgl. s. 392); — 8390 der ritter
als ein engel sttiont geiväpent ritterliche (Engelh. 2644 ff.); —
8569 ein hanier tvizer denn ein swan (17181; — Engelh. 2525.
Gerh. 785); — 8587 (er) schein als ein zigenmilch (sonst nicht
zu belegen), 18908 er triioc einen stviercn schilt höher breiter
denn ein tor (21180 f.). — Die ritter brausen auf den rossen
heran 479 sam daz Wnotes her, oder wie die Windsbraut
(20144 f. — Engelh. 4770 f. 2774 f. Part. 15948 ff. 20720 f.
Troj. 3900), oder wie die falken (884 f. 17338. — Laur. 371 f.),
oder wie pfeile (18985. 26171. — Part. 725. 15434. Virg. 77, 4 f.);
17335 nd zirhels mez gedrwget treffen die ritter auf einander
(8880 ff.); 17402 reht als der st mit zangen zesamen wolle
heften, so sach man, si mit hreften üf ein ander dringen. Die
rosse springen wie tier, wie hirzetier (1011. 892 f. — Part.
13711. 19423. Troj. 3793. Turn. 942. Schwanr. 905). — Das
krachen und splittern der Speere, das klirren der Schwerter
und das dröhnen der schlage wird dem donner verglichen
470 GEEEKE
(902. 8910. 17353. 20376.— Engelh. 4814. Troj. 12242); 17316
i'on ir fjoste gie ein tunst als vor dem donre ein hlixen. Die
kämpfer aber sitzen wie eine wand von stein (1013. 11279.
17095. 17330. — Turn. 846). — Als ob in der schmiede die
liämmer auf den amboss tengeln, so klingt das kanipfgetöse
(1800 f. 9034 f. — Engelli. 2728 ff. 4852 f. Turn. 794 ff. 812.
Part. 14327 ff. Troj. 4076 f. 12804. 32209. 37250. — Parz.112. 28.
152, 5. 210, 4. 537. 27. j. Tit. 3897. 4203). So viel feuer schlagen
die ritter aus den helmen. 8904 tccer der tac erloschen, man
mohte doch da hän gesehen von der liehfen gneisten hrehen;
20508 ff. man hätte schotihe damit entzünden können (Engelh.
47801). Die ritter kämpfen mit grosser erbitterung: 9028
unde vaht als cm wildez ebersivin (Wolfd. D 9, 102; vgl. s. 375;
18821 er grein als ein eberswm ■ — Troj. 5040); 1802 alsam
die hanfstengel sach man die rotten spalten (Turn. 778); 11308
si gäben unde leisten herter siege sivmren sins (Turn. 857); 25678
man warf und schöz cht iemer dar in si reht als in ffden mist
(Roseng. [Grimm] 1934 f. 1937 f.); 8902 man sach die helde hliu-
tven einander sam die droschen (Part. 14463); 9004 von müede
sach man tempfen man und ors, ist mir hehant, als da man
holen hat gebrant und man die stat siht riechen; vgl. 8670 f.
(j. Tit. 1535); 9116 daz hluot im üz der ivunden viel alsam ein
grözer vollic lach (Virg. 168,13. 205,13. Roseng. [Gr.] 1173);
11310 von Mizen herter denn ein flins tvart des marldses güftcn
(2302. 10850; Turn. 858. Troj. 8693 [vgl. Lexer 3, 405]. Wolfr.
Wh. 76, 7. j. Tit. 5259); 17520 minn und ir fiur sertranden sin
siege als ein riiebe enztvei] 18995 sin ors reht als ein ei ze
Studien tvart zerteilet (Trist. 5691. Engelh. 557. Troj. 10672.
Part. 8325. Wolfd. D 6, 176, 4).
Eine fülle von vergleichen findet sich bei der Schilderung
körperlicher Schönheit. Die meisten davon sind schon be-
sprochen, als wir den R. in bezug auf seine abhängigkeit von
Konrads Engelhard untersucht haben.
Das haar scheint 2112 durchliuhteclichen reht als ein schön
durivünsclit gespunncn goli, 22510 als ein gespunnen golt ir här
(Part. 8638. 13565. Troj. 3022 [Erec 1551]); 2120 gelivcr denn
ie Tdäiven tvürden oder sigen eines u-ilden ivigen, so n-as ir
goltvarivez här; 2134 so gar minnccUrhe schein ir sclwitel sam
ein Tiride\ — 2144 lanc und als ein slde gel was irhdr, 26176
STUDIEN ZU REINPRIED VON BRAUNSCHWEIG. 471
gerispelt reit und da In ral icas ez rcht als ein sidc (vp;l. ,Tä-
nicke DHB 4, 337; — Pai-t. 9430. 9722. 20244. Troj. 23244); —
2152 diu minnecUche hliide durliuhter denn ein mandcl, 3844
ivang hl liehten ivangen sam ein niandelliihfcn (Part. 3350); —
2187 ir miindel tcart gesellen schon durlinhieclichcn hrclicn sam
ein rose in fouwe; 224 der scelden tou (Part. 295. 2092. 8520.
j. Tit. 3335) ; — 2204 ze mäzen dicke ir lefsen sam ein zunder
brnnnen (Part. 18415); — 2212 sam die wilden rösen var luhien
lieht ir wemjel; 3840 mtint hl munde bliiofe alsam ein liehter
rose rot; 18G64 man het ze mitter nahte von ir schoene wol
gesehen . . . manic zunder wirt enzunt niht an so heizen fiinJien
so nz ir miindel sunJicn mit rede sicenn si lachet.
Ehre und riilim. tilgenden und affecte werden gleichfalls
gern unter vergleichen dargestellt. Die bei Konrad so sehr
beliebten bilder von Spiegel und glas (vgl. Joseph a.a.O. s. 42),
lassen sich auch im 1\'. mehrfach nachweisen: 2475 ir küssen
was geliutert alsam ein glas, 3562 si {diu trütschaft) muoz liiter
linde ganz helihen sam ein Spiegelglas, 7630 daz ir lip den
Spiegel treit oh aller hohen schomre (11003. 11528). — 11958
der fr (Jude ein liiter Spiegelglas, der stceten triuice ein frühtic
stam. da von ir tvirde unde ir nam durliuht als ein karfunkel-
stein (Engelh. 5303 ff. Part. 8758 f.); — 75 sin lehen ivas ge-
hertet sam ein adamas (1508 f. 14465; — Part. 6340. Troj. 6566.
9583 etc. Gerli. 802. Rud. Wh., v. d. Hagens Germ. 10, 111, 12. —
Erec8426. 8923. Iw. 3257. a. Heinr. 62); — 364 sivä man den
der lohes fri ist, mit lohe bekleidet hat, reht als der siuive ein
satel stdt, so gut er ander lohes sonn (vgl. Part. 8466 der tum-
hen leihe klärheit gedihet unde ir schocnez dinc reht als iiz golde
ein edel rinc, der eime steine tvirt geleit an sinen grans); —
368 sin lop zergät alsam der troun der blinden troamct umh
ir sehen (j. Tit. 47. [Parz. 1, 20]); — 4782 als hi'dem. scharpfcn
dorne stät liehter rösen hlüete, also ivas bl ir güete scharpfes
Zornes läge; 6926 sin lop unverdorben alsam ein rose hliieget,
20742 der alsam ein rösen zicic in höhen cren hluofc (7022 f.;
— Part. 4860 f. 6314. 20318. Troj. 584. Turn. 16. Klage d. k.
10, 7 [vgl. .länicke zum Staufenb. 14tiJ). 11682 {diu ivirde) wirret
unde slihtet in cren warf der kiusche ivevel (Part. 21687 f. Turn.
792 f. Konr. lied 1, 30 f.); — 9166 ir herze in höher fröude cnbor
alsam ein frtger vogel flouc, 1646 alsam (in jinnjez vcdcrspil
472 GEEEKE
claz man mit Inodcr reizet, e mit im ivcrd geheizet (22022 ff.
2671 ff.; Engelh. 19261); — 23222 ze frönden brmjge wec und
stic ivaff ir rericüestct und rcrhagt (23632 f. 24600 f.; Part.
21981 4914. 71601); — 1316 (7m irort diir sines ören duz
reht als ein mezzer hiuiven, 2440 die gedenhe snident heident-
ludhen sam ein swert (6162 ff.; Part. 8222 f.); — 2552 als isen
von dem roste gekrenJcet wirt, so er ez regt, also ist ouch mir rer-
zegt min herze in minem Übe (62041 11740 fl); — 3348 ich
miioz als ein äsptn loup von sorgen gröz erzittern (Part. 1234.
Troj. 20697); — 3470 rcht alsam diu sunne den tou von tolden
zücket, also würd geliicJcet mm sin ziio hohgemüete; 6472 so
der lüge gunterfeit smilzet sam des rifen tuft von der n-armen
sunnen luft; — 3650 (minne) du fiierest unde trihest mich umh
und umh als einen Jclöz; 6436 si hm an mir iv ecken släfendes
hundes reizen; 10810 minn ist ein sache hwle alsam ein scJiale-
lösez ei; — 5068 iuiver ive gät mir ze herzen reht als ein
wazzer in den herten stein, der da von nilit erfiuhtet. mit nazzen
schouhen liuhtet man e und vazzet mänen schtn in secken, e
iuch iemer mm hulde werd ze teile; 8238 ein uilder hase tvenken
niht kan vor den hunden so tvol ze allen stunden als ir
herzen sinne.
Die zuletzt aufgeführten bilder die ich sonst nicht zu be-
legen weiss, zeichnen sich entschieden durch eine gewisse
originelle färbung aus.
Das aussehen von sprüchwörtern und allgemeinen Sentenzen
haben folgende vergleiche: 4912 fl 55601 117321 12232 ff.
12886 fl 14532 1 (vgl. Lachmanns Walther 106, 17. Grimm, Frei-
dank s. xc). 25472 1
Als völlig ausgeführte vergleiche (allegorien) mögen fol-
gende genannt werden: 518 ff. 3062 ff. 8803 ff. 12903 ff.
k) Humor.
Seine ernsthafte erzählung versucht der dichter bisweilen
durch witzige bemerkungen zu unterbrechen, die in ihrer ganzen
art und weise an A\'olframs manier erinnern. Es sind scherz-
hafte äusserungen, die er an irgend welche geschilderten Situa-
tionen anknüpft.
Der lärm der zum turnier anrückenden ritter war so gross,
818 ezn dorfte nicmen kosen dem andern in sin örc. Bei der
STUDIEN ZU RETNFBIED VON RRAUXSniWETG. 473
Schilderung- von ^'rkanes gewand bemerkt der dicliter schel-
misch: 2262 ivas si dar minder hcete, das iceiz si wol, ich sack
sin niht. Eine grosse schar kommt zum turniere dur haaren
und dur scJwuwen: 1332 ich wcen daz ez dem rogtc von Born
gewesen wcer ze ril. Als Reinfried und Yrkane ihre braut-
nacht feiern, scherzt der dichter: 10700 swcr in (jcirünschct
hete guoter naht, daz ivcere war worden, iveiz ich offenbar, wan
si was an wünschen da; 14834 ich ivcen daz si unlange mit
cinayider rdhtcn (ähnlich sagt Kourad von Partonoi)ier und
MeliiU' Part. 1700: oh da der frönden ril gespart von im irürde:'
nein ez, nein). Von seiner unbekanntschaft mit der minne
klagt er: 12814 ich sag von siiezer minne und hevant ir silczc
nie. ich tuon reht als alle die sagent n-iez ze Börne stät der
ouge ez nie gesehen hat (vgl. ]\[arner [Strauchj 178 f. Uliland,
Schriften 3, 227 f.). Von den scharf gegen einander auf ihren
rossen ansprengenden rittern heisst es: 1741G ich u-^n mit
hunden hirsen het in beiden baz getan; 17424 an im siegen ich
wol spür das der l'öwe niht lehte der nf des schilt da swcbte
in rubin von mergriezen lac. so mangen stielt, so mangen slac,
als üf in dö wart geslagen, het er lebend niht vertragen dne
widerJcrctzen; — 20502 si hatten umbe sich geißelt töten sam ein
müre. ein solich ndchgcbüre wcer mir In mir unmanx (vgl. s. 375;
Troj. 25657. Wolfd. D 4, 85, 2. j. Tit. 1952).
2. Widerholte anwendung gewisser formeln.
a) Uebergang'sformeln.
"Wenn der dichter von einer episode seiner erzälilung zu
einer anderen übergeht, so bedient er sich oft einer bestimmten
formel, die er der Spielmannsdichtung entlehnt zu haben scheint
(allerdings auch sonst nicht selten; vgl. Steinmeyer, GiUt. gel.
anz. 1887 s. 807 und note. Diemer, Deutsche gedichte zu 84, 20).
Z. b. als der knappe aus Dänemark an den herzog von
Braunschweig seine einladung zum turnier ausgerichtet hat,
lässt ihn der dichter wider abziehen: 377 nu läzen got des
liuappen iiflegen. ivie er gefüere under icegen, daz läzen sin
und hcerent ivie von Brünestvic der fürste an vie sich rihten
üf die selben vart. Ebenso heisst es 4451 nu läzen got des
fiirsten pflegen. Aehnlich 8129 nu läzen wir si lägen hie.
harent wie ez dort ergie; 15359 nu läzen wir die reinen hie.
474 GEREKE
hoerent wie ez dort ergie\ 12056 nu läsen tvir si rlten mit
fröuden ivnnneclichen hie. nu hcerent ivie es dort ergie (19217.
23212). Aus Koiirad weiss ich nur Kugelli. ir>29 ff. anzuführen;
sonst Virg. 72, 4. 130, 1. 218, 1. Laur. 1758; vgl. Steinmeyer a. a.o.
Eine andere überg-angsformel die in ihrem ersten teil auf
das vorausg-eliende, in dem zweiten auf das folgende zielt und
so beides verknüpft, lautet: 5991 dis muoste sin, ican ez heschach,
6578 daz muoste sin, ez ivart getan, 8331 daz wart getan, wan
ez heschach (10067. 10261. 11491. 12414. 19521. 24329; —
Trist. 5324. Part. 4029. 5695. 9171. 11947. 17968. Bari. 277, 9).
1») Formeln zur wideranfiiahine der erzähluiig nach exctirseu.
Der dichter liebt es seine erzählung ab und zu durch
excurse über Zeitverhältnisse zu unterbrechen, in deren auf-
fassung er sich meist als starker pessimist zeigt. Dem treiben
der Zeitgenossen gegenüber stellt er die personen seiner erzäh-
lung in idealem lichte dar. So z. b. rühmt er den herzog
Reinfried, der nach hohen ehren und nach ritterschaft ringt
und dabei doch immer gott vor äugen hat: 133 des ist iez
aber leider niht, sit daz man wittven weisen siht in allen landen
machen von ritterschefte Sachen, des tet er niht (75. 357. 431);
12587 diz tet der iverde fürste niht (14538. 17716); 12633
des tet der hcrre niht (15230. 15519); 2475 diz tvas niht hie.
c) Formeln zum abbrechen.
ünterlässt der dichter etAvas genauer darzustellen, so bricht
er ab mit rede Wendungen die an die volkstümliche epik er-
innern. Entweder gibt er dafür gar keinen grund an, sondern
erklärt einfach: 6988 von den ich niht sagen wil, 17295 des
hm ich leider niht gesagen, 17311 han ich ze rehtc niht gesagen,
25056 des ivil mins herzen meine verswtgen. Oder er erklärt,
seine kraft reiche nicht aus gegenüber der schAvere der auf-
gäbe: 1422 des möht ich hiindcn niht, und het ich eine tüscnt
herzen sin, 18636 da zuo ist ze trcege min zunge in dem munde,
23129 des sage ich niht, mir ivoir ze laz min zunge, soll ich
künden daz, 25044 daz ivcer ein gröziu bürde ze sagende der
Zungen min. Er fürchtet die leser zu langweilen: 2853 ich
iveiz ez iuch verdruzze, 9178 daz Milde iuch Ithte bringen den
sinnen gros urdriitze und ivcer da zuo unnütze, 24934 ez möhte
niht gehclfcn daz ich iuch seite mcere. Er will die erzählung
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 475
nicht zu lang ausspinnen: 7335 da:: tccpr zc lanc hemoeret,
11400 diu rede tvürd ze lanc, 12321 es wnrdc gar se vil (13971).
d) Rhetorische fra^reii und ausrufe.
Geht schon aus dem eben angefüluten liervor. dass dci-
dichter sich im beständigen zusammenwirken mit seinem publi-
cum fühlt, so wird das aus dem folgenden noch deutlicher
werden. Ganz wie Gottfried nimmt er seinen hörern fragen:
die er sich von ihnen gestellt denkt, gleichsam aus dem mund
und beantwortet sie selbst; entweder mit ja oder mit nein —
dann leitet er die fragen mit oh ein: 466 oh ienien da iran-
(jerndc umh vre guot? ja, der was vil (882. 1052. 1060. 1080.
1370. 1570. 1718. 1734. 1844. 2876. 0562. 10366. 16302. 17472);
1336 ob iemen da [lepfendet an fröudcn ivärde dnr den nitY
nein . . . (1302. 0516. 10746. 17308); oder er lässt bejahungs-
und Verneinungspartikel weg — dann leitet er die frage mit
wie oder einem fragepronomen ein: 1766 ivie sich der wandeU
frie von Brmiesivic yehüehe? in dem genihel trüehe ... (8276.
9008. 10290. 15386); 1836 ives er in nu geniezen lät daz er in
niht her under tvarf? niemen mich des fragen darf (0548.
9790. 27288; — vgl. über diesen gebrauch bei "Wolfram: Foerster,
Ueber spräche und poesie Ws. s. 35 — 38).
Zu solchen rhetorischen stilmitteln gehören ferner ausrufe,
die der dichter nach der manier der volksmässigen epik ein-
streut, um die erzählung lebendiger zu machen, ^feist be-
ginnen sie mit der interjection ei (vgl. Erec 8856. Trist. 0160.
Parz. 133, 21. 525, 24. Borchling, Zum jung. Tit. s. 122): 222 ei
got, tvaz strenger hlicJcc si girdecUche schiuzet! (624. 056. 1418.
1808 etc.); 668 we ivel ein vingerzeigen huop sicJi von den
Hüten! (2030. 2058 etc.); 2116 ach ivie schön gehöugct üz ivlzer
stirne glizzen, reht als si dar gerizzen iccercn, hriinc hräweu!
e) Anreden an die znhörer.
Sich bisweilen direct an ihre zuhörer zu wenden, pflegen
fast alle mittelhochdeutschen dichtei': Killiaid tut es (s. Liechten-
stein, QF. 10, CLXxviii), Veldeke, Hartmann, vor allem aber
Wolfram, der ja überhaupt der subjectivste unter seinen dich-
tenden Zeitgenossen ist. Ganz besonders ist es sittc in den
spielmannsei)en.
Der dichter fordert z. b. seine hörer zur uufmerksamkeit
476 GEREKE
auf: 8322 tvajs nu der Mnc gebiete, daz hcprent (9184. 9816.
10170 etc.). Er erinnert sie an etwas was er vorher erzählt
hat: 9359 ah ir da vor hnnf rernomen (9427. 9492. 9682. 9744.
11222. 12079 etc.), 10244 als ir da vor hortent jehen, 12159
als ir haut gehört (10537. 12418); 8384 als da vor ist ge-
sprochen, 9452 als iuch diu moer geh'hidet sinf, 12101 ah ich
da vor hän gcseit, 12165 als da vor geschribcn stät.
Er kommt ihrem Verständnis erklärend zu hülfe: 584 si
fnoren suo dem h'ingc dar, ich mein Foniänägrlsen (564.
1188. 2805; — Trist. 2969. 4782. 4805. 4989 etc. Part. 3292).
Er versichert ihnen die Wahrheit des erzählten: 13380
gelouhent mirs, 15332 oh ir mirs gelouhent, 19S2-i stv er des niht
geloubet, des mag ich nihf, ez ist ie tvär.
Etwas ähnliches, wenn auch nicht analoges, das aber doch
am besten an dieser stelle erwähnt werden mag, ist es, wenn
der dichter viele ereignisse nicht einfach objectiv erzählt: 'so
und so geschah das' oder: 'das und das geschah', sondern das
zu berichtende nach spielmannsmanier gleichsam aus der Wahr-
nehmung anderer darstellt, d. h. also abhängig macht von Wen-
dungen wie man sach, man hörte, man vant. Derartiges finden
wir ja auch bei anderen dichtem, so bei Wolfram (vgl. Foerster
a. a. 0. s. 26 f.) und in etwas stärkerem masse bei Konrad. In
manchen partien des E. — mir sind besonders die kämpf- und
turnierschilderungen in dieser beziehung aufgefallen — wird,
man möchte beinahe sagen jeder satz von einer solchen Wen-
dung abhängig gemacht. In den versen 11297 — 11554 z. b.
zähle ich 13 man sach und 5 man hörte; und solche fälle ge-
hören durchaus nicht zu den Seltenheiten.
3. In der composition des ganzen.
Teiiiältnis von epischer erzälilung' und reden.
Eine sehr auffällige erscheinung der darstellung ist das
starke hervortreten der reden, vor allem des dialogs, und zwar
haben die gespräche meist eine ganz respectable länge. Ich
hebe z. b. die Zwiesprache Reinfrieds und Yrkanes in der hütte
hervor, als sie sich beide ihre liebe bekennen. Sie umfasst
800 verse (v. 2940 — 3745). Ich erinnere an den abschied Yr-
kanes von ihrem vater, der seiner tochter gute lehren mit auf
den weg gibt, die allein 200 verse ausmachen (v. 11588 — 11784).
STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 477
Mehrmals redet der dichter die trau ]\riiiiie au und lässt sie
antworten (v. 6310—6318. 8687—8718. 8752—8800. 26140—
26148). — Ein beträchtliclier teil der handlang wird in den
gespi'ächen abg■e^\■ickelt.
Auch monologe, in denen uns der dichter den seelenzustand
der Personen zu entwickeln sucht, sind nicht selten. Yrkane,
von liebe zu Keiufried ergriffen, strömt ihre empfindungeu in
Selbstgesprächen aus (v. 1655—1692. 1698—1706). Reinfried
hat sich im furnier ihren kuss verdient, nun steht er rnozni
vor der errötenden Jungfrau, seines lohnes harrend — da lässt
der dichter Yrkane, ehe sie den mund bietet, erst reflexionen
anstellen (v. 2077— 2101). Der ritter der Reinfried und Yrkane
hat aus der hütte kommen sehen, erwägt in mehreren mono-
logen, wie er das geschaute auffassen und Tvie er sich dazu
verhalten soll.
Bisweilen werden solche Selbstgespräche so lang aus-
gedehnt, dass der dichter völlig den Zusammenhang vergisst
und den personen worte in den mund legt, die ganz und gar
aus dem rahmen der rede herausfallen und die Illusion zer-
stören. Das auffallendste beispiel ist dies: Yrkane wendet
sich an gott mit der bitte um ein kind und erinnert ihn in
einem langen gebete (v. 12974 — 13172) an ähnliche fälle, in
denen er auch noch spät wider erwarten sich gnädig erwiesen
hat; sie erzählt in aller ausfiihrlichkeit die geschichten von
Anna und Joachim, Elisabeth und Zacharias, endlich Samuels
geburt, wie dessen mutter Anna zum priester Hell in den
tempel kommt, wo der gelühede arJce mit Mopses ivünschel-
riiote, Aarons reis, den gesetzestafeln und einem eimer voll
himmelsbrot aufbewahrt wird. Dabei heisst es mitten im gebet:
13124 siver ivelle daz im tverd hekant diz dinc uf ein ende,
ze den fünf buocheti sende ich in die man Moysenen <jit u. s. w.
Aehnlich 15904 ff.
II. Stilistische eigentümlichkeiton in der grammatischen
construction.
1. Wideraufnahme eines vorausgeschickten begriffes:
aj eines Substantivs durch den artikel oder ein pronomru.
Das ist im wesentlichen ein stilmittel Gottfrieds, woiin ihn
Komad mehr als Rudolf nachahmte. Der dichter des Reinfr.
478 GEREKE
verwendet es in einfacher Aveise häufig, wenn nämlich das
vorausgeschickte Substantiv und der dieses wider aufnehmende
artikel unmittelbar neben einander stehen: subject: 120 shi lip
der hat ivol riücrs liraft, 128 ein man der mac . . . (50G. 074.
686. 944. 1000. 1054. 1156. 1256. 1846. 1889. 2276. 2518 etc.);
— object: 1030 sm sper daz sluoc er wider (1354. 1886. 2156.
8670 etc.). Seltener bei eingeschobenem relativsatz : 4532 dm
not, diu mich getroffen hat, diu muos ir iverden Tiunt (8408 f.
9708 f.).
Vereinzelt nur sind solche fälle, wie sie Konrad liebt, in
denen das nominale subject aus einem conjunctionalnebensatz
herausgenommen, als Vordersatz absolut vorangestellt und dann
an der ihm gebührenden stelle durch ein pronomen ersetzt
wird: 13644 diu reine sceldenbwre, dö si sinen tvillen sach,
zuo im si rette imde sprach (Engelh. 1267. Part. 365. 444. 885.
10492. 12576. Troj. 4808. 9529. 19640. SchAvanr. 64. Pant. 1965.
2073. Otte 69).
Eine art von prolepsis nach antiker art entsteht, wenn das
subject eines abhängigen satzes (meist eines indirecten frage-
satzes) aus diesem herausgenommen und in die construction
des regierenden satzes eingefügt wird: 1078 er sach Parlüsen
ivie er hielt, 10443 fragte in umnder mcere umh ir vart wie
diu wcere, 11439 . . . ivart in hurzer pflihte gemachet ein ge-
rihte . . . , der aventiure Jcrone iver sie hett errungen (12129 ff.
17668 ff.).
Bisweilen wird dabei die construction überhaupt über bord
geworfen, so dass das absolut voi-angestellte Substantiv, auf
das ein besonderer nachdruck fallen soll, einfach ausser Satz-
zusammenhang steht : 1480 sin IcünecUchez ivufenldeit, siver daz
priiefen ivelle, von golt ein lichter jyfelle ivas sin covcrtiure;
16696 manic hreftic adamast, onichil und JcarfunJcel, oh diu
naht tvas tunhel, diu tvart von in crliiiMct; 21504 diu huoch
diu er vcrslozzen hat vor menschlicher iver, den sUizzel warf er
in daz mer (18982 f. 1959(5 f. 20320 ff.).
b) irgend welcher orts-, zeit-, Verhältnis- oder Umstands-
bestimmungen durch die partikel so: 4952 ähent unde morgen
so wiiohs daz bitter trCiren (16732); 5500 an shiem anehlicke
so moht man . . . ; 5670 dar al daz riche so ivirt schier diz
mcere hint (12178. 12240. 13570. 22218. 22342. 23476); 186 da
i
STUDIEN ZU UEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 479
von SO bin ich ... (()871. 693(). 10858. 1141() etc.); 8029 hi
duz so u-as ...- 12404 da nä so wart . . . (12416. 12572. 15049.
1G554. 17580. 1794G. 20528 etc.). Auch diese construction fülirt
auf Gottfried und seine scliule zurück; s. Trist. 11152. 11475.
Eng-elh. 2057. 3488. 3918. GOOO {da von .w). 5080. 5096. Part.
1396. 1750. 1908. 1926. 2494 etc. Aelinlich ist: 6104 hl der
stunt do marhfe ..., 14498 hie vor da gie ..., s. Trist. 7418.
12476. 18837. 19129.
2. Widerauf nähme eines vorausg-escliickten satze.s
durcli das demonstrativi)rononien.
Es wird z.b. ein substantiA'ischer rehitivsatz vorausgeschickt :
12386 .s"?r«^ vo)i ninsic ie dunic ron vor und seifen irart gehört, daz
hört man hie, 12516 sives üf erde ie fürst geivan teil, des hat
er rolle Icraff (12400. 13732. 15()4(). 16250). Konrad kennt diese
construction gleichfalls; ich citiei'e nur Kngelh. 1914. 5878.
Proleptisch wird der relativsatz bisweilen aus einem dass-
satz herausgenommen und mit nachdruck vorangestellt: 2238
ich weis ivol, stvcn ir crmel seit liepUcJi umheräJien, daz dem
müese nähen fröude und höchgemüete (17726 ff. 21122 ff.).
Ein anderes mal weist das demonstrativpronomen auf einen
vorausgehenden dass-satz: 2108 daz sin herze niht enhrast von
fröuden, daz ivas wunder, 14912 daz niht der reinen herze spielt,
daz was ein grözez wunder, 24084 daz sin herze niht enhrach
ron leiden, daz was ivunder. Dieselbe fast formelhafte Wen-
dung findet sich Trist. 16673. 18476. Engelh. 1980. 3596. Part.
7912. 11966.
Steht nun ein hauptsatz (a) mit zwei nebensätzen (b und c)
in einem Satzgefüge, in der weise, dass in prosa das ganze die
form bac oder cbca haben würde, so ist dafür im R. oft die
Stellung bca. weshalb dann meist b in c und c in a durch ein
demonstratiAum oder sonst irgendwie wider aufgenommen
werden muss. Wir erhalten eine schachtelconstruction , wie
wir sie z. b. bei Wolfram nicht selten lesen (vgl. Paul, Mhd.
gr. § 376): 4070 sicer .<iineu icillen zinhet an allez daz des er
hegert, icirt der wilent missewert, des enist Icein wunder; 5632
ist aher daz ez also stät in zornes gelimpfe, daz er sich mit
schimpfe gen dir hat missehüetet, ivirt daz ron mir gcgüctef, des
seit du versprechen niht (1114 ff. 1132 ff. 2106 ff. 8828 ff. etc.).
480 GEllEKE
3. Fehlen des subjects.
Im zweiten gliede eines satzes, dessen beide g-lieder ver-
schiedene subjecte haben, wird das subject öfters nicht beson-
ders ausgedrückt, sondern muss aus irgend einem worte des
ersten gliedes oder aus dem zusammenliang erraten werden
(Paul, ]\Ihd. gr. § 381): 904 iettveders sdiilt da nider brach und
ivurden oucJi der hclme har, 5750 man vant in se Parise und
hat rerjämcrt sich also, 8602 für in halde tcart gerant und bot
im. an der stunde den brief (1036. 3217. 4156. 6716. 6964. 7022.
8574. 8662 etc.).
Aus der volkstümlichen ei)ik stammen: 1010 ein grözez
ros tvas apfelgrä, 1465 ein Ireftic ros ivas stark, 21896 daz tet
ein hiinc hiez Hercules (construction ajco xoivov; vgl. Paul, Mhd.
gr. § 385).
4. Wortstellung.
Wo sidi im R. erhebliche abweichungen von dei- Wort-
stellung der natürlichen rede finden, sind diese meist aus
metrischen gründen zu erklären. So geht z. b. einige mal im
hauptsatze das object dem regierenden zeitwort voraus: 2576
minne ir scharpfen träfen luit über mich gciuetzet (12022 ff.
26648 f. u. ü.). Das verbum finitum steht im hauptsatz hinter
dem participium verbi: 1284 ir senftcr blic durgangen hat gar
sines herzen sin (4470 ff., auch 4722 f. u. ö.); oder ein hülfsverb
hinter dem von ihm abhängigen zeitwort: 3236 hOchgcdenh-e
bringen mir Minnent tiefe siucere (4954 f. u. ö.). In zwei fällen
ist in sehr auffälliger weise das verbum von den ihm zu-
gehörigen Satzteilen durch eine reihe von eingeschobenen
Sätzen getrennt; vgl. 10418—10423. 11876—11884.
Die fragende Wortstellung in einem mit und angereihten
Satze, die ja im mhd. an sich durchaus nichts incorrectes hat
(Paul, Mhd. gr. § 330, 2) ist eine sehr beliebte redeweise Kon-
rads, und der Reinfrieddichter ahmt auch hierin seinen meister
nacli: 976 dar an ein scgel tvas gestraht ... tmd Icund der
undcn sliezen u. s.w.; 1156 sin herz daz hat gebildet si nach
stner girde und tjvas ir höhiu tvirde alsus in slnem sinne (1294.
1512. 1587. 1998. 4113. 5254. 5532. 5940. 7123 etc.).
STUDIEN ZU KEINFKIED XOti 15KAUNSCHWEIG. 481
B. Sprache.
Die folgende uiitersucliiing- beschränkt sich auf einige
bemerkungen zum Wortschatz des R. Der wertschätz verrät
die alemannische heimat des dichters und zeigt also neben
dem. was allen verwanten epen gemeinsam ist, specielle be-
lührungen mit der spräche der übrigen alemannischen dichter.
Doch finden sich auch ausserdem noch eine ziemliche anzalil
von seltenen ausdrücken, die höchst spärlich oder sogar über-
haupt nicht weiter zu belegen sind. Bartsch hat am schluss
seiner ausgäbe alles was ihm dem dichter eigentümlich zu sein
schien, in einem reichhaltigen Wörterverzeichnis zusammen-
gestellt. Ich greife nun davon heraus, was, wie ich glaube,
sich der dichter bei dem Studium seiner Vorbilder aus diesen
angeeignet hat. Es wird sich ergeben, dass besonders Konrad
von Würzburg von einfluss gewesen ist,
116 muotyelust (10949. 13987. 14599. 14G07. 14638. 16961);
— besonders oft bei Konrad: Silv. 4542. Part. 5893. Troj. 9825.
16959. 17353. 20552. Lied 32, 51 und 312; sonst noch: Yirg.
151, 2. 269, 9. 554, 12 (einfluss Konrads).
221 gestcn (2051. 4352. 4436. 4407. 6889. 11395); — spe-
cifisch alemannisch und darum natürlich bei Konrad nicht
selten (s. Haupt zu Engelli. 301).
461 keiserUch (161. 171. 478. 618. 665. 716 etc.) und zwar
in der abgeblassten bedeutung 'prächtig, herrlich'; zuerst im
Trist. 690. 708. 1026. 1317. 6622. 11216, dann häufig bei Kon-
rad: Silv. 147. Herzm. 140. 297. Engelh. 864. Schwanr. 279.
1225. Gold. schm. 260. 947. 1757. Part. 286. 1534. 2219. 8542
etc. (vgl. Preuss s. 62. Haupt zu Engelh. 863).
481 melm (1932. 17356); — ein lieblingswo]('t Konrads:
Engelh. 2605. 4783. Turn. 388. 441. 867. 919. Part. 5312. 5736.
13818. 15181. 19058. 20682.
712 durchschrenzen (1770; scliranz 7546. 10748. 11138).
20075 f. enyenzet : zerschrcnzd 2(3249 f.; — Engelh. 2601 f. Silv.
4915 f. Pant. 347 f. 1547 f. Troj. 17781. Part. 6148. 8265. 18270.
18352. 21702.
735 sich rüsten uz ze velde mit offenltcher melde (74131
15627 f. 16219 f. 16595 f. 17264 f. 24285 f. — 11203 f. 16324 f.);
— Schwanr. 894 f. Troj. 25564. 30175 f. Part. 3413 f. Turn. 188 f.
Beiträge zur geschiciitc dt-r doutschuu Hpraclio XX 111. 31
482 GEEEKE
960 siüef (17132); — nur noch Parton.3321. 7458. 21087.
Troj. 25579. 30603. 39193.
1418 {süeze) notten (10366. 11472. 22017. 22273. 22394.
26092. 27539) aus Trist, bekannt (3515. 3521. 3532. 7612. 7999).
Hierbei möclite icli bemerken, dass sich im E. eine merkwür-
dig-e bekanntschaft mit musikalischen fachausdrücken zeigt.
Abgesehen von der auch sonst nicht seltenen Zusammenstellung
harpfcn, rotten, (ßgen, pfifen, tamhüren etc. "werden weiter ge-
nannt V. 23294 ravennc (sonst unbekannt) und zitollen (noch
Erlös. 1085. Frl. 256,5; vgl. auch Schmeller, B. wb. 2, 1164);
V. 22390 ich ivmne wol daz alle hunst von armonte (Frl. 18, 2.
318, 15. 862, 5. Erloes. 950. 9187) und süeze simpfonie hie gen
was ah ein icicke. Besonders hervorzuheben sind aber die
verse 23080 ff. Da werden genannt quinte, discante, falsete,
octäv, quarte, hedure und hemolle.
1448 presse {= schar 7956. 11198. 11250); — häufig nur
bei Konrad: Otte37. Turn. 254. Troj. 31337. 31770. 32655. 32955.
33632. 34201 u.s.w.
1575 Wünscheiris (4150); 4414 ivünsclielruotc (6352. 12950.
13106); — Engelh. 3000. Gold. schm. 664. 1312. Troj. 2217. Lied
11,43 (j. Tit. 1247. 3629. 4146. 4692. 4980).
1787 ^wmi^ (11307); — Pant. 256. Schwanr. 1001. Troj.
410. 3958. 12584.
1852 rasen (2094); 9214 gcUüemet und gerceset (19226) =
Part. 3646. Silv. 835. Engelh. 478. — Troj. 16194. 24478. Konr.
lied 1,231. 10,8. 31,11.
1921 maUe (11275. 15758); — beliebt bei Konrad: Part.
15180. 15483. Turn. 933. 1062. Troj. 32592. 32939. 34310 u. ö.
3300 lantvarcere; — Engelh. 2830.
4760 gihtic; — Pant. 638. Turn. 13.
5235 spellen; — Trist. 4059. 8618. 17566. Bari. 267, 80.
6056 endeUch (6065. 6166. 7616. 7706. 19837. 20388 u.ö.)
findet sich zwar bei AVolfr., Walt., Nib. etc., auch im Trist., nir-
gends aber so häufig wie bei Konrad: Engelh. 166. 1336. 1437.
1703. 2180. 4260 u. ö. Part. 1457. 2873. 3085. 12605. 13815.
14858. 14946. 15620. 17035. 17674. 17746. 19977. 20858. 21193.
Silv. 1503. Troj. 161. 1942. 23682 u. ö.
6160 gezic (6173. 8627. 10538); — nur noch Engelh. 4019
(vgl. Haupts anm.). 4494.
STUDIEN ZU HEINFUIED VON BRAUNSCHWEIG. 483
68C9 widersache (1129G. 22905); — nach Jänicke (zu Wolfd.
D 4, 52, 2) ein bei Koiirad sehr beliebtes wort.
70G9 (lasters ril) gehrimven (12487); — Eng-elh. 5427. Part.
17704. Gold. schm. 371. Otte 563. 567. Silv. 3967. Troj. 1294.
1489. 10520. 10728. 23597 u. ö.
7335 hemceren (19438); — Trist. 125. 17231.
8442 anspräche {^ anklage); — Trist. 15420 (Rechts-
denkni.).
8870 {ir liöhez ailel) crtic (11163.15083); — Engelh. 2787.
Gold. schm. 1438.
10909 durchtiehtic- — Trist. 10235. 12452. 16968. Pant.340.
477. Part. 3115. 6297. 6346. 6557 u. ö. Troj. 4719 u. ö. (sonst
noch Pass.).
11606 enpflcehen, 14852 floehen; — lieblingswort Konrads:
Engelh. 4341. 6207. Gold. schm. 20. Troj. 2013. 2881. 3417. 8819.
10425. 12172. 23099. Part. 4662. Schwanr. 405.
nS-il jämcnoige (26129); — Part. 18639. Troj. 525. Herzm.
521 (Virg.55,8. Pass. K. 590, 3).
11999 {sunder zwlrels) undcrhint (10230. 26621); — Engelh.
1067. 1112. 1240 (vgl. Haupt, anm. zu 1067). Gold. schm. 1630.
Silv. 3026. Part. 6521. 8403. 9449. 9901 etc. Troj. 437. 528. 3210.
10187. 15430. 18714 etc.
16564 nmbetüllet; — nur noch Engelh. 1916. Troj. 20652.
18396 lantriviere- — nur noch Part. 9112. 11103. 19857.
2453. 2503. Troj. 11913. 37509. Schwanr. 417. 531. 791.
23610 kielgesinde; — Trist. 2385.
27542 verldüttern; — Trist. 11627.
Die adjectivbildungen auf -hoere, die Konrad bevorzugt,
sind auch im R. häufig: einbcere 4234, frühteboere 13160, fröude-
hcere 15351. 18538, Jdugebcere 4584, minneboere 4254. 5436, soelden-
bcere 9498, senebcere 4584, siufzebcere 4520. 4608. 9564, sorgen-
beere 2270, strithmre 16409, tröstbeere 14437. 15458, wandelbcere
19471 (13804).
HALLE a. S. PAUL GEREKE.
W
DER /^-UMLAUT UND DER AVECHSEL DER
ENDVOCALE A : I(E) IN DEN ALTNORDISCHEN
SPRACHEN.
I. Der Wechsel der endvocale a : i{e).
Wie bekannt, haben die an. sprachen den endungsvocal v(e)
in partt. wie isl. hundinn, aschw. Imndin, obgleich die ent-
sprechende form z. b. im got. den endungsvocal a hat : hundans
etc. Aehnlich verhält sich die sache in gewissen Substantiven.
So ist der name des vornehmsten gottes der isl. mythologie
Opinn; derselbe name ist ein bestandteil des aschw. Opinsdagher,
während er z. b. im ahd. Wuotan mit -an- lautet. Auf der
anderen seite wird auch in den an. sprachen die ableitungs-
silbe -an- verwendet, z. b. isl. aschw. aptan{n), isl. mannlihan,
aschw. btmdan neben hundin 'garbe' etc.
Worauf beruht der Wechsel -in- : -an- in isl. hundinn : got.
hundans etc.?
Bei der beantwortung dieser frage müssen wir vor allem
die passiven partt. untersuchen; später werden wir in kürze
auch andere kategorien von Wörtern mit -an- : -in- beleuchten.
Arkiv 1, 150 ff. hat Noreen die hier aufgeworfene frage zu be-
antworten gesucht. Nach ihm dürfte man in isl. hundinn etc.
durchaus nicht eine entwickelung von a zu / annelimen, son-
dern der endungsvocal / in diesen und ähnlichen formen müsste
immer auf ein germ. / zurückzuführen sein. Zum beweis
dafür führt er einige wenige würter aus den alten sprachen
mit i-umlaut an, wie das isl. adj. hrösinn, aschw. ypin, sowie
verschiedene partt. pass. aus modernen (besonders norwegi-
schen) mundarten, z. b. hynni^) {=^ ial. hundit), grevi {== isl.
') n = palatales n.
DER yl-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOIil). SPUACHEN. 485
graßt) etc. Er meint (s. 160). dass die alte spräche nach dem
Zeugnis dieser modernen dialektformen im part. einmal einen
Wechsel himdinn : ^bytidinn etc. gehabt, dass *byndinn sich
aus hundin- in den casus mit dem germ. suffix -in- entwickelt
habe, dass aber der wurzelvocal in bnudinn ursprünglich in
den casus zu hause sei, die nicht den suffixvocal i, sondern
entweder den vocal a, u oder möglicherweise keinen ableitungs-
vocal besassen (vgl. a. a. o. s. 152i)).
Diese hj'pothese Noreens gründet sich also wesentlich auf
einige formen aus ganz modernen mundarten; desgleichen sieht
er sich genötigt, analogische ausgleichungen in unendlich grosser
ausdehnung anzunehmen.
Ich kann mich dieser seiner auffassung durchaus nicht
anschliessen.
Schon Söderberg hat Forngutn. Ijudlära s. 9 anm. richtig
hervorgehoben, dass verschiedene an. Wörter das germ. suffix
■in- haben, das in gewöhnlicher weise /-umlaut bewirkt hat,
z. b. aschvv. ^j9m 'offen". Ein beispiel von dem suffix -m- liegt
wahrscheinlich in dem urnord. part. haitinaR auf dem Tanum-
steine vor, wie Bugge hervorhebt (Arkiv 1, 152, anm. 1), und
wir werden unten sehen, dass man in einer gruppe starker
verba vielleicht in den partt. pass. das suffix -in- hat (part.
hitinn etc.).
Von hier aber ist es ein gewaltiger schritt zu Noreens
annähme, dass ein an. -in- immer ein germ. -in- repräsentiere;
eine auffassung die Streitberg, Urgerm. gramm. s. 195 zu teilen
scheint.
.Ich Avill zuerst nachzuweisen suchen, dass die hier refe-
rierte auffassung nicht richtig sein kann, und später die regel
aufstellen, nach der germ. -an- (unter gewissen umständen) in
an, -in- übergieng.
Die germ. schwestersprachen got., as. und ahd, haben im
part. pass. ein germ. -an-, z. b. got. hundans, as. (jihundan, ahd.
(jihuntcm.''-) Schon dieser umstand spricht ki-äftig dafür, dass
auch die alten nord. s^irachen im pai't. pass. ein germ. -an-
1) S. 152 z. 2 1111(1 z. (! steht — offenbar diiroli druck- oder Schreibfehler
verschuldet — omljudda statt oomljudda.
'^) Ueber ags. bunden vgl. uuten s. 497 fussnote.
486 KOCK
liaben, d. li. dass isl. huudinu aus einem älteren *bimdanaR
entstanden ist.
Aber vor allem zeigen die eigenen lautverhältnisse der
an. spraclien, dass der suffixvocal nicht i gewesen sein kann,
sondern a gewesen sein muss. Ich erinnere an verschiedene
kategorien isländischer participia pass.
Verba vom typus hrcsta : hrast : hrustii : hrostinn haben
im part. pass, o, das nach der allgemeinen ansieht durch a-um-
laut aus u entstanden sein muss. Das part, hrostinn hat
lange Wurzelsilbe; also würde ein urnord, part, *hrustinan
mit suffixvocal i mit notwendigkeit in allen casus /-umlaut
erhalten haben: *brystmn, *hrystms, ^hrystnum etc. Es findet
sich aber kein *bnjsthin. Doch nicht genug hiermit. Dem
part. hrostinn fehlt nicht nur der /-umlaut, sondern es hat
a-umlaut. Dies zeigt, dass hrostinn aus einem älteren *hro-
stanan < *hrustana2 mit dem suffixvocal a entstanden ist.
Sollte nun wirklich die geringste Wahrscheinlichkeit dafür
vorhanden sein, dass hrostinn eine compromissform aus einem
verlorenen *hrystinn und einem verlorenen *hrostann (bez.
einer urnord. form *hrostn- ohne suffixvocal) wäre?
Natürlich gibt es in den sprachen vereinzelte compromiss-
formen, entstanden durch das zusammenwirken zweier später
verlorener formen. Aber hier an compromissforraen zu denken,
scheint mir unmöglich zu sein. Man möge sich nämlich er-
innern, dass Noreen zu der annähme gezwungen ist, die aller-
meisten isl. und aschw. partt. pass. seien als ein compromiss-
product aus formen entstanden, die in den alten sprachen
nirgends nachgewiesen sind.
Dies sollte z. b. in der gruppe, zu der hrcsta gehört, auch
mit folgenden partt. der fall gewesen sein: holginn, dottinn,
gollinn, holfinn, sorjnnn, skoUinn, sliroppinn, sloppinn, snortinn,
sjyrottinn, solginn, sollinn, soltinn, sorfinn, ollinn, orpinn, ])orrinn,
borginn, goldinn, holpinn, sJcolßnn.
Ebenso aber oder im wesentlichen ebenso verhält es sich
mit den meisten anderen gruppen von starken verben.
Verben vom typus bera : bar : biiru : horinn haben gleich-
falls im part. pass. {horinn) a-umlaut und keinen i- umlaut.
Nach Noreens hypothese würden die lautgesetzlichen formen
DKR /1-UMLAUT ETC. IN DEN AliTNOKD. SPRACHEN. 487
*horanti und "^hyrinn g-ewesen sein, aber keine von beiden ist
nachgewiesen. Hierher gehören die partt. slcorinn, stolinn,
stropinn, ofinn, trophin {korninn, sofinn).
Verba wie h'mda : hatt : hundn : htmäinn können, wie
bekannt, im part. pass. keinen «-unihuit liaben, weil dem u
ein nasal -f consonant folgt. Da aber die Wurzelsilbe lang
ist, würde das suffix -in- in allen casus umlaut bewirkt haben.
Nichtsdestoweniger findet sich in der alten spräche nur hun-
dinn, bimdnir etc., niemals *byndmn etc. Hierher gehören die
})artt. sjninnhm, hrimdinn, sprunglnn, stwKj'mn, summinn, un-
dinn, unn'mn, hrunninn, driiJckinn älter *drunkinn, runninn,
simginn^), fumiinn^), sliinginn, Jjrimginn. Hierher gehören
auch hroJikimi (zu Are/./rr«), stoliliinn (zu stekkra), sokkinn (zu
sekkva), welche o aus älterem u bei der assimilation von nk
zu kk bekommen haben; älter ^hrunkiveuR etc.
Partt. wie cd/nn zu ala : 61 : ölu : alinn haben, wie be-
kannt, niemals /-umlaut, wo dem wurzelvocal ein anderer con-
sonant als k, g folgt: farinn, galinn, grafinn etc. Bei Wimmer,
Fornnord. formlära § 120 werden 13 derartige participia auf-
gezählt, wenn man duinn, älter ^dmvcnn, mitrechnet. Dagegen
haben hierher gehörige verba palatalumlaut (worüber unten
mehr), wenn dem wurzelvocal k, g folgt: ekinn, skekinn, tekinn,
drcginn, flcginn, gneginn, Idcginn, kleginn, slcginn, pvegmn.
Schon längst hat man den umlaut von ä zu e in diesen par-
ticipien mit den palatalen consonanten k, g in causalzusammen-
hang gebracht. Arkiv 1, 152 ff. bezweifelt Xoreen die richtig-
keit dieser ansieht, und Aisl. gr.- § 426, verglichen mit § 67,
meint er, tekinn etc. habe ?- umlaut nicht in folge des dem
wurzelvocal folgenden i)alatalen consonanten, sondern weil
diese partt. das urgerm. suffix -in- gehabt hätten. '
Diese annähme ist, soweit ich sehe, nicht möglich. Nach
Noreens annähme würden die lautgesetzlichen formen gewesen
sein nom. sg. *elinn, *elin, *elit, in synkopierten casus nom. pl.
etc. alnir; nom. sg. tekinn, tekin, tekit, nom. pl. etc. *taknir.
Wäre dies aber so gewesen, so bleibt es ganz unbegreiflich,
1) Die bisweilen begegTiende wechselform si/infhui hat y aus dem praes.
syngca, vgl. unten s. 49fi. Ueber die möglicherweise vorkommende äusserst
seltene anorw. form fynninu siehe ebenfalls uulcn s. 495 aum.
488 KOCK
weshalb alle') verben mit /.-, g die umg:elaiiteteii formen
{tekinn etc.), dagegen alle verben ohne k, g die unnmgelauteten
formen {al'mn etc.) gewählt haben.
Nein, es gibt keine andere möglichkeit als die allernächst
liegende, und die ist: den nmlaut in tcklnn etc. mit ihrem
palatalen consonanten in causalzusammenhang zu bringen,
während al'mn etc. nicht umgelautet sind, weil sie keinen
palatalen consonanten haben. Dies aber will mit anderen
Worten sagen, dass weder tekinn etc. noch alinn etc. ein germ.
Suffix -in- enthalten, sondern vielmehr das germ. suffix -an-.
Dass dies mit partt. wie bland inn, faldinn, fallinn, haldinn,
hanginn, vaxinn, d. h. mit partt. mit ä und langer Wurzel-
silbe der fall ist, ist womöglich noch klarer. Denn wenn
diese von urnord. *blandinaR etc. ausgegangen wären, so würden
sie in allen casus i-umlaut erhalten haben, und hier ebenso-
wenig wie bei himdinn etc. kann man compromiss aus den
nicht nachgewiesenen formen *blandann und *hlendinn an-
nehmen.
Partt. mit langem a in der Wurzelsilbe: bldsinn, grdtinn,
Idtinn, rdpinn sind mit jenen gleichzustellen. Desgleichen
partt. mit anderen langen vocalen oder diphthongen in der
Wurzelsilbe: blötinn, buinn, aukinn, atisiiui, Idaupiun.
Dass die allermeisten partt. pass. nicht das germ. suffix
-in- haben, wird auch durch solche partt. wie skroppinn,
hrokkinn, stokkinn, sokkinn mit der entAvickelung von u zu o
bei der assiuiilation des nasals mit dem folgenden consonanten
(< *skruni2)cnn etc.) bestätigt, denn wie ich Arkiv n. f. 7, 315 ff.
nachzuweisen gelegenheit hatte, tritt diese entwickelung von
u zu 0 nicht ein, wenn die folgende silbe /-laut hat.
Wenn endlich die partt. pass. das germ. suffix -in- gehabt
hätten, so würden partt. zu verben vom tj^pus drepa : f?raj) :
driijni : drepinn den sog. germanischen /-umlaut, also *dripinn
etc. gehabt haben. Das isl. hat aber dnplun, gefinn, gdinn,
kvepinn etc. ^\'innner, Fornnord. forml. § 116 verzeichnet 10
derartige partt.
Ich glaube kein voreiliges urteil zu fällen, wenn ich sage,
•) Ein von Nnreen, Aisl. gr:^ § 428, anm. 3 angeführtes au. gnaget hat
natürlich a vom Inf. iiiul iiraes. fjnatjd, ebenso wie das aschw. gnncihin.
DKK .-l-UMLAUT ETC. IN DEN AI.TNORD. SPRACHEN. 489
es wäre ein verzweifelter aiisAveg;, in allen den jetzt discutierten
participien das suffix -in- sehen zu wollen, wodurch man zur
annähme von compromissformen im colossalsten umfang ge-
nötigt wird.
Dagegen stellt sich die sache, so viel ich sehe, sehr ein-
fach, wenn man annimmt, dass a in silben mit infortis unter
einer gewissen Voraussetzung lautgesetzlich in e, jünger i
übergieng.
Zuerst erinnere ich an ein paar bereits bekannte tatsachen.
Im gegensatz zu Noreen, Wadstein u. a., die der ansieht
waren, isl. noni. sg. -a in Stiirla, Ulla, Urekia, Kempa etc. bilde
die unmittelbare fortsetzung des urnord. nom. sg. auf -a, habe
ich im Skand. archiv 1 (1891) 1 ff. gelegenheit gehabt, diese
frage zu erörtern. In den urnoi'd. inschriften hat man eine
recht grosse zahl männernamen, die wie w- stamme flectiert
werden und im nom. sg. immer auf -a endigen: wiwila, erla,
niuwila, liari^ya, fauauisa etc. Da nun die normale endung
entsprechender masc. li-stämme in den nord. literatursprachen
-i{-e) ist: timi, spini, aschw.JterZc etc., so muss das -a im nom.
sg. der masc. /?- stamme lautgesetzlich in -i{-e) übergegangen
sein. Sturla, üreJda sind ursprünglich nicht masc. «-stamme,
sondern feminine nomina actionis, die man erst in si)äter
zeit auf männer anzuwenden begonnen hat. Sturla z. b. be-
deutete ui^sprünglich 'Störung' (vgl. infin. sturla 'stören');
später wurde es als beiname in der bedeutung 'störer', d.h.
in der bedeutung eines nomen agentis verwendet. Vom bei-
namen gieng es wie verschiedene andere beinamen dazu über,
ein Vorname zu werden. Ungefähr gleichzeitig hat auch Bugge
im Arkiv n. f. 4, 18 f. die ansieht ausgesprochen, dass urnord. -a
im nom. sg. masc. der «-stamme in den nord. literatursprachen
zu -i(-e) geworden sei, und er meint, dass das urnord. -a im
nom. tvnvila etc. 'ein helles a' gewesen sei, das sich dem w
näherte.
Der a-laut in der paenultima der urnord. partt. *bun(lanan
hat natürlich ganz anderen Ursprung als das -a im nom. sg.
wiu-ila etc.; es ist jedoch für unsere frage von interesse, dass das
-a im nom. sg. der masc. «-stamme in -i (-c) übergegangen ist.
Nach Bugge a. a. o. ist « aucli in urnord. nom. su:c.star
(Opedalj : isl. .systir in i (e) übergegangen.
490 KOCK
Ferner erinnere ich daran, dass das e der Wurzelsilbe vor
nasal + consonant geraeing-erm. in / übergieng (also eine g e -
schlössen er e ausspräche bekam), z. b. *denctan- > Vinctan- etc.
Eine hiermit verwante erscheinung begegnet in den an.
literatursprachen. Das anorw. unterscheidet zwischen ce (= ent-
standen durch /-Umlaut des a) und e (:= germ. e-laut). Aber
vor u + consonant ist w in e übergegangen, z. b, brmnna >
hrcnna; auch w ist in dieser Stellung zu c gev/orden, z. b.
frwnda > frenda; s. Bugge in den Smäst3'kker udg, af samfund
til udg. af gammel nord. litt. 110. Wadstein, Fnorska hom.-bokens
Ijudlära 51.
In Übereinstimmung mit diesen Verhältnissen stelle ich für
die gemeinnord. spräche folgendes lautgesetz auf: « ist in
iufortissilbe vor n + consonant in e (später /) über-
gegangen.
Wie in gemeingerm. zeit das e der Wurzelsilbe vor nasal
+ consonant in einen mehr palatalen vocal (i) und wie im
anorw. ce der Wurzelsilbe vor n -\- consonant in einen mehr pala-
talen vocal (e) übergieng, so ist in gemeinnord. zeit das a der
iufortissilbe vor n + consonant in einen mehr })alatalen vocal
(e, i) übergegangen. Da diese lauteutwickelung niu' in infortis-
(nicht in fortis- und semifortis-) silben eintrat, so ist hiermit
zusammen zu stellen, dass wie bekannt lautentwickelungen
leichter und deshalb oft n u r in relativ unaccentuierten silben
eintreten.
Ich erinnere z. b. daran, dass in den nord. sprachen nur
in relativ unaccentuierter silbe y zu i wurde, wenn die fol-
gende Silbe ein i enthielt, z. b. in der relativ unaccentuierten
praep. ?//?;• > isl. ifir, ascliw. /<f/r ; n^diw. liosbyggiar > neuschw.
Eospiggar; dagegen isl. aschw. hijggia etc. mit y/-laut (s. Kock,
Arkiv 4, 163ff.). In ähnlicherweise geht im aschw. oe nur in
relativ unaccentuierter silbe in i über, wenn ein gutturaler
(palataler) consonant -f i, i folgt, z. b. annattivceggia > unnat-
Uviggia, dagegen üvceggia (Kock a. a. o. s. 171 ff.).
Mit hülfe des hier aufgestellten lautgesetzes für die be-
handlung von gemeinnord. a in iufortissilbe werden partt. wie
bundinn, brostinn, borinn etc. leicht erklärlich.
Das part. brostinn z. b. hat das suffix -an-. Während der
a- Umlautsperiode bekam es deshalb in allen casus a-umlaut:
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOKD. SPRACHEN. 491
*hrustanaz > *bros{anaa etc. Dieses *brostanaii, jünger ''brostauR
wurde in sremeinnord. zeit so flectiert:
sg-
nom.
*brostanR
*broston *brostant
gen.
'^brosicnis
*brostanRaR *brostans
dat.
*brostHom
*b7-ostanRe *brostno
acc.
'^'brostanH
*brost)ia *brostant
pl.
nom.
*brostneR
*brostnaR *bruston
(nom. und acc.)
gen.
*brostunRa
*brostanRa *brostanRa
u. s. w.
Nach unserem lautgesetz gieng- a in c (/) über im nom. sg.
m. *brosfanK > brostenn, nom. acc. sg. neutr. *brostant > bro-
ste{n)t, gen. sg. m. und neutr. *brostans > brostens, acc. sg. m.
*brostami > brostenn, gen. sg. f. *brostanmR > brostennar, dat.
sg. f. %rostanRe > brostcnne und im ganzen gen. pl. *brostanna
> brosfenna, also in elf casus, unter denen sich die ausser-
ordentlich oft vorkommenden nom. und acc. sg. masc. und neutr.
befinden. Nui* in drei casus (nom. sg. fem., nom. acc. pl. neutr.)
fand sich -on. Es ist deshalb ganz in der Ordnung, dass das e (?)
aus den elf casus, wo e (i) lautgesetzlich entstanden war, in
jene drei casus eindrang, so dass man erhielt: brostenn (-inn),
brosten {-in), brostet (-it) etc.
In ganz ähnlicher weise ist z. b. nom. sg. %undanR, *bundon,
*bnndant, nom. pl. ^bundncR, *bundnaR, bundou etc. zu bundcnn
{-inn), bundcn {-in), bundct {-it); biindmr, bundnar, bunden {-in)
etc. geworden, aber hier ist, wie bekannt, kein a-umlaut ein-
getreten.
Es findet sich aber ein interessantes beispiel der erhalt ung
des lautgesetzlichen -on, -an in einem participium. Die nord.
sprachen haben einige wenige beispiele substantivierter neu-
traler adjectiva ohne -t im nom. acc. sg., z. b. fiill; vgl. got.
füll (im gegensatz zu fullata). Ein solches ist auch aschw.
bundan, bundon, bundin n. 'garbe'.') Nom. acc. sg. neutr. vom
part. bundinn heisst gotisch bundanata und bundan. Die letz-
tere form sollte lautgesetzlich -an beibehalten, da ja dem n
kein consonant folgte, und sehr richtig findet sich dieses got.
hundan in aschw. bundan 'garbe' wider. Das nunmehr (auch)
') Belegstellen für die verschiedenen formen bei EydqvLst, Sv. spr. lagar
2,115.
492 KOCK
als sing. A'erwendete aschw. hundon ist die unmittelbare fort-
setzung des lautgesetzlichen nom. acc. pl. neutr. gemeinnord.
hundon, während aschw. hundin 'garbe' -in aus dem part.
masc. hnndinn, gen, sg. m. und neutr. hundins etc. bekommen
hat. Dagegen entspricht dem got. hnndanata in üblicher weise
nord. *hunde{n)t isl. aschw. hundit mit lautgesetzlicher ent-
wickelung von a zu c, i.
Während -an- im part. pass. in -en-, -in- übergieng, weil
ihm in allen casus ein consonant folgt, bleibt -an- in infortis-
silbe erhalten, wenn n im auslaut steht, oder Avenn ihm ein
vocal folgt.
Ich erinnere an folgende formen mit -au in infortissilbe.
Adverbia auf -an: innan, ntan, ofan, ne^an, Iwapan, ])a])an,
hepan, undan, sialdati,^) sunnan etc.
Acc. sg. masc. vom adj.: göpan, hlindan etc. (vgl. got.
hlindana).
Fem. subst. auf -an (bez. im : gen. -anar), z. b. skijian, loK-Jcan,
hrapan, hlötan etc. 2)
Neutrale a- stamme: isl. mannlikan^ gaman, aschw. (/«««a«,
*) Im isl. ist sialdan immer adverb. Im aschw. ist siceldan ebenfalls
so gut wie immer adverb. Söderwalls Wörterbuch führt jedoch ein beispiel
(aus Bernhard) an, wo skddon (sie) als nom. pl. neutr. verwendet wird:
varin th/'n oräh faa oc HHfldon. Dies kann die völlig lautgesetzliche form
eines gemeinnord. adj. *sialda)iR sein; vgl. das oben über aschw. hundon
gesagte. In tholkin thankc (vr siiddan i iordJin'ke (Birg.) kann s/a'ldan ad-
verb sein. Wenn es (wie es Söderwall fasst) adjectiv ist, hat es in dieser
äusserst seltenen Verwendung -an aus dem adverb sia>ldan bekommen.
'•') Dagegen hat isl. aschw. alin, agutn. ein das suffix -in- (vgl. Söder-
berg, Forngutn. Ijudl. s. 9) oder -m- gehabt. Ein ahn : nom. pl. *alinaR
kann lautgesetzlich *('///* : <dnaii und durch ausgleichung nom. alin, ein
geworden sein. Der unumgelautete vocal in isl. asclnv. alin kann jedoch
auch auf einem älteien (din (vgl. got. aleina) beruhen, da langes i keinen
Umlaut erzeugt (Kock, Sv. landsm. 12, no. 7 s. 27 anm. 2. Arkiv n. f. 10, 223).
Svenskt dipl. n. s. 2, no. 1358 (Uppsala 1410) wird drei mal aliin geschrieben.
Ich lasse dahingestellt, ob das wort möglicherweise mundartlich hat den
alten l-laut lang beibehalten können, oder ob l in aliin auf späterer mund-
artlicher Verlängerung in Wörtern mit kurzer Wurzelsilbe beruht; vgl. Kock,
Arkiv 4, 87 ff. N. f. 10, 223. Auch das fehlen des /-Umlauts in isl. lansn (got.
lauseins), förn, niösn etc. kann vielleicht darauf beruhen, dass gewisse casus
(wie nom. acc. sg.) Avährend der jüngeren umlautsperiode in der zweiten
Silbe langes i hatten (Hausin). Eine andere erklärung habe ich Br-itr.
15, 266 vorgetragen.
DER .4-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOUD. SPRACHEN. 493
ynlfmgran, systkan, lelcan, satan (thceJcan). Da das aschw. aucli
lelon, saton (tcekon) hat, so war diese endung -on ursprüng-licli
nur im nom. acc. pl. zu liause; ebenso wie auch in systicon.
Hierher g-ehört auch das im späten aschw. (vg-1. R3'dqvist 2. 115)
begegnende aullan : aschw, aldon, allon. ')
Das part. praes. auf -andi: hinäandi etc. spriclit natürlich
nicht gegen das von mir aufgestellte lautgesetz. Wie a xoy
nd in band etc. mit fortis bestehen blieb (und nicht in e, i
übergieng). so blieb es auch in hlndandi etc. mit semifortis
auf der zweiten silbe. Dass Wörter auf -andi diese accentuie-
rung hatten, geht aus mehreren umständen hervor. So hat
pl. yefendr (von gefand i) /-unilaut. welcher in silben mit in-
fortis nicht eintritt. In aschw. Schriften, die a in silben mit
infortis zu ce werden lassen, wird die endung -ande unverän-
dert beibehalten: eyhande (nicht eghoende) etc. (Kock, Fornsv.
Ijudl. 2, 367 f.).
Die von Xoreen, Arkiv 1, 158 f. angeführten partt. hynni
(isl. hundit), grevi (isl. grafit) etc. aus einigen modernen nor-
wegischen (und schwedischen) mundarten haben keine beweis-
kraft für seine hypothese.
Sich in dieser weise auf das zeugnis moderner mundarten
gegen die alte spraclie zu berufen, ist, so viel ich sehe, ganz
und gar unberechtigt. Da das aschw. und isl. z. b. ausschliess-
lich hundin{n), hundit (nicht *byndinn, *hyndit) haben, so ist
man nach meiner auffassung verpflichtet zu untersuchen, ob
sich hynni, das in dem einen oder anderen durchaus modernen
dialekt begegnet, nicht in relativ später (vielleicht in ganz
später) zeit aus hundinn, urnord. *bnndanaR entwickelt haben
kann. Erst v/enn sich dies als durchaus unmöglich erwiesen
hat, ist man berechtigt, zu einem so entlegenen notbehelf zu
greifen wie der erklärung, das ganz moderne hynni repräsen-
tiere die uralte lautgesetzliche form (urnord. %undinaR\ wäh-
rend isl. aschw. hnndin{n) auf analogiebildung beruhe. Es ist
doch nicht ohne gewicht für die Sprachgeschichte, ob eine form
7U0 jähre früher oder später nachweisbar ist.
*) Dagegen hat isl. aschw. uldin das siiffix -in- (vgl. Hellqui.st, Arkiv
n. f. 3, 7), was dadurch bestätigt wird, dass das wort keinen /-uinlaut hat
(s. oben s. 492 anm. 2). Dasselbe suffix -in- liegt in isl. aschw. sys(t)kiH
sowie in aschw. unurw. yul(l)lingrin vor (vgl. Jlellquist a. a. o. a. 5 f.).
494 KOCK
Es ist nicht sicher, dass alle die von Xoreen angeführten
part.- formen aus getrennten, teilweise wenig untersuchten
iniiudarten auf dieselbe Aveise erklärt werden müssen; mehrere
\ou ihnen können sehr leicht durch analogieeinwirkung ent-
standen sein.
Ich will aber eine erklärung anführen, die auf sie alle
angewendet werden kann. Es ist für viele norwegische
mundarten charakteristisch, dass sie in grosser ausdehnung
palatale consonanten haben, auch palatales n (liier durch n
bezeichnet), sowie dass dieses palatale n auf einen vorher-
gehenden vocal sowol in fortis- wie in infortissilbe palatalisie-
rend wirkt; so wird z. b. iriajin {^^ M. mann) > mceh'in (Gud-
brandsdalen), hcestann (isl. hestarnir) > Jtcestcehin (Gudbrands-
dalen) (Joh. Storm, Norvegia 1, 122, 124). Die mundarten in
Viken haben in der regel nur 3 zum endvocal; eine ausnähme
hiervon machen die partt. pass. starker verba, welche -hm
haben, z. b. herinn (< isl. horinn) (Amund B. Larsen, De norske
bygdemäl s. 37). Das (ehemals) palatale w des part. borenn,
horinn hat hier den «-laut der ultima conserviert, bez. eine
entwickelung von e zu i hervorgerufen. Dies ist um so
sicherer, als man in neudän. mundarten (Djursland) z. b. kathi
'die katze' (älter kattinn) mit i und palatalem n findet, dagegen
z. b. stfndn 'der stern' (ohne artikel sti^n) mit o und dentalem -n
(K.P. Thorsen, Bidrag til nörrejysk lydlaere s.65; vgl. auch Villi.
Thomsen, Forhandl. paa det fjerde nord. filologmode s. 215 ff.).
Schon in altdän. schritten (z. b. Mandevilles reise) begegnet ein
ähnlicher Wechsel, z. b. delin 'der teil', d.i. delinn mit i und
palatalem ««, dagegen grafven mit e und dentalem -w (Thomsen
a. a. 0.).
In Übereinstimmung mit diesen tatsachen ist der Wechsel
hynni : funni (isl. bimäit : funnit) et(^ innei'halb desselben dia-
lekts leicht zu erklären, ein Wechsel, den Noreen für seine
auffassung besonders beweisend findet.
Im part. masc. hunäenn ist das -nn in den betreffenden
dialekten palatal gewesen. Dies wird dadurch bestätigt, dass
man gerade in den partt. pass. sprulclcinn etc. im amte Süd-
Drontheim und in Nordmöre (A. B. Larsen a. a. o. s. 89), also in
gegenden, welche denen wo hymii : funni etc. begegnen, geo-
graphisch benachbart sind, stets palatales n hat. Deshalb
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOKD. SPRACHEN. 495
wurde hnndenn zu hundinn (bez. huntlni/i mit /-laut in der
ultima blieb bestehen, obwol i sonst zu c wurde). Hierauf
gieng hundinn (durch eine art /-umlaut) in hj/ndinn über.
Nom. pl. ni. bundncr, nom. pl. f. hundnar etc. behielten dagegen
natürlich das u bei. Hierdurch entstand innerhalb desselben
dialekts ein Wechsel hipidinn : hundinn, und in einem verb
(hi/nni) konnte y, in einem anderen {fw'ini) konnte u durch-
geführt werden. •)
A\'ahrscheinlich ist die entwickelung hundinn > hynni etc.
relativ jung, jünger als die eigentlich alte spräche. Doch will
ich die möglichkeit nicht bestreiten, dass sie relativ alt sein
könnte. ^Möglicherweise ist i n den b e t r e f f e n d e n d i a 1 e k t e n
das aus *bnndanaR entstandene *bundcn^, hundenn durch ein-
wirkung des palatalen -nn schon vor dem ende der jüngeren
'/-Umlautsperiode in hundinn übergegangen. In diesem falle
wurde hundinn in diesen dialekten während der jüngeren
?-unilautsperiode zu hyndinn, während hundneR etc. bestehen
blieb, wodurch der Wechsel hjndinn : hundinn in diesen dia-
lekten entstand. Aber wol zu merken: auch in diesem falle
ist hyndinn nur eine mundartliche form und hat niemals
in der Vorstufe der an. literatursprachen mit hundinn ge-
wechselt, und auch das mundartliche hyndinn ist aus einem
urnord. Hundanan (nicht aus urnoi'd. *htindinaR) entstanden.
Im übrigen ist es leicht möglich, dass gewisse unter den
von Xoreen angeführten partt., z. b. hynni, in irgend einem
dialekt den palatalen vocal der Wurzelsilbe durch den einfiuss
des unmittelbar folgenden palatalen nasals n (nicht durch den
einfiuss des i der ultima) bekommen haben: hu7mi wurde hynni
wie mann zu mce'nn wurde etc.
Die aus dem dialekt von Dalekarlien in Schweden an-
geführten partt. können ebenso wie die partt. der norw. mund-
arten erklärt weiden. Die mundarten von Dalekarlien liegen
geographisch den norweg. nicht sehr fern und repräsentieren
'j Nach Noreen, Aisl. gr.- § 422 anm. 5 koimnt im anorw. neben dem
gewübnlichen part. I'nnninn 'eine seltene nebeuform' ft/nniiin vor. Ich
weiss nicht, aus welcher quelle dies f'ynninn stammt, vielleicht ist es nur
einmal angctroften worden. Wenn es nicht Schreibfehler ist, so ist es als
eine dialekttonii zu • ikläreii uml mit neunorw. byiini gleichzustellen.
,. J
496 KOCK
in mehreren beziehmigen ein übergangsstadiuni zwischen nor-
wegischen und schwedischen dialekten.
Ausser den partt. mit palatalunilaut (isl. elinn etc.) erüb-
rigt nur noch, die von Xoreen angefühlten partt. aschw. Uetin,
rasxin, breten (Westmannagesetz einmal) zu erörtern.
Neben lata (isl. Idtu) hat das aschw. oft liBta mit ce aus
dem praes. sg, Imttr. Nun ist es äusserst gewöhnlich, dass
partt. pass, auf analogischem wege denselben wurzelvocal wie
das praes. annehmen. So sind im neuschw. die älteren frusit,
nusit etc. (von frysa : fräs : frusit etc.) im weichen begriffen
vor den neubildungen fn/sit, nysit etc. Schon im aschw. trifft
man in vereinzelten fällen part. similin, siungm, giutin (in-
giutit), statt simJcin, sungin etc. durch einwirkung von siunha,
shinga, giuta, und im neuschw. sind sjunlcen, sjungen, gjuten
alleinherschend; so hat das aschw. auch einmal part. gioWiet
mit i aus gicelda und normal hwivin (vgl. isl. haßnn) mit cb aus
hwfia. In Viken in Norwegen bekommt das part. pass. den-
selben vocal wie der inf., z. b. frysi (ial. fror inn; nach frysa),
fmni (isl. funnit; nach ßnna) etc. Da man nun lata : Iwta, aber
part. lätin hatte, so wurde ■ — was Noreen ebenfalls als mög-
lich zugibt — dieses lätin facultativ zu Iwtin (Icetit) umgebildet.
Das aschw. verwendet neben raxa auch oft vcexa (mit ce aus
praes. sg, vcex oder von einem älteren inf., der dem got. wahsjan
entspricht); das part. vcexin hat ce aus dem praes. Auch im
späten aschw. (1505) findet sich einmal das part. hretheth; in
Hert. Fredr. kommt hrytin zweimal vor. Auch im adän. be-
gegnet part. bretcen (Flensborg bylov), hret (AM. 453, Hert. Fr.
nach L}' ngb}', Udsagns - ordenes böjn. i jyske lov 22 anm. 2).
Part, hrytin hat y aus dem inf. hryta. In hreten, hret und das
einmal um etwa 1500 belegte hUjfwen ist 0 wol aus praet. sg,
hret, Idef übernommen; vgl. dass umgekelirt 0 bisweilen aus
dem part. in das praet, sg. starker verba eingeführt wurde:
isl. /.Zo/" statt Mauf(Yg\. part, Jdofmn), anorw, folc statt fauk (vgl,
part. fokinn), isl. Iwlp ') statt hali) (vgl. part. liolpinn). Zur ein-
führung von 0 in hret {hreten) hat wahrscheinlich auch das
verb aschw. hreta 'bryta mark' (part. breiter), isl. hreyta *op-
bryde, gjere fremkommelig' beigetragen.
*) Diese praet. -formen erwähnt Noreen, Aisl. graram." § 413 anm., jij 422
anm. 5, ohne eine erkläniug für sie zu geben.
DER ^1-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOKD. SPRACHEN. 497
Eine gTUppe von i);irtt. bedarf speciell einiger worte der
erläuterung. Die verben vom typus Uta : heit : hitu : hitinn
haben alle in dei- paennltinia des part. i (ausser hejnnn von
bipa). Dies ist aber in völliger Übereinstimmung mit der
vocalisation der entsprechenden partt. im alid., as. und ags.;
man findet alul. hizzan, as. hitan, ags. hitcn^) etc. Da diese
partt. in den anderen germ. dialekten trotz dem -an- im ahd.
und as. keinen «-umlaut von / haben, so ist es durchaus nicht
überraschend, dass ein nord. *bitanuR, isl. hitimi auch keinen
a-umlaut von i hat.
Ich denke mir, dass das fehlen des a-umlauts in diesen
partt. der germ. sprachen auf eine der folgenden weisen er-
klärt werden kann.
Durch einwirkung des praet. pl. mit / (vgl. isl. hüu etc.)
konnte i in den germ. dialekten, in denen hier «-umlaut von i
eintreten sollte, im part, bitaii- bestehen bleiben (vgl. unten
und Paul, Beitr, 6, 84). Ich erinnere daran, dass in den ost-
nord. sprachen der TViirzelvocal des part. pass. oft nach dem
wurzelvocal des praet. pl. verändert worden ist (floghin > fluf/km
nacli praet. pl. fhigJm etc., s. unten s. 503 ff.). Ist diese annähme
richtig, so ist isl. bitinn aus *bitanaR, %itanas entstanden.
]\Ian kann aber das i der partt. pass. bitinn etc. sehr wol
auch auf folgende weise erklären. Das urnord. part. haitinaii
(Tanumstein) scheint zu zeigen, dass das part, pass., wenn
auch selten, das suffix -in- haben konnte. Nun findet sich in
gewissen neunorw. mundarten eine tendenz bei der wähl der
endungsvocale a : i in masc, m- stammen (isl. timi, bahki : obl.
casus tima, balka). die hier von interesse ist. In den dialekten
von Fosen und Xamdalen hat teils der isl. nom. auf -/, teils
iler isl. acc. auf -a den sieg davongetragen, aber gewöhnlich
*) So viel ich sehe, muss der endungsvocal e der meisten partt. pass.
im ags. (eheusö wie in den nord. sprachen) aus einem germ. o entstanden
sein; dies scheint mir deutlich daraus hervorzugehen, dass das ags. in
Loden etc., holpeii etc., boren etc. a-umlaut und in hunden etc., faren etc.
keinen t- umlaut hat. Ich will mich nicht darüber aussprechen, wie die
regel formuliert werden muss, nach welcher -on- der partt. pass. im ags.
in -en übergieng. Sievei-s, Ags. gr.'' § 45, 3. §128,2. § 3Gü scheint eben-
falls der ansieht zu sein, dass ags. -en im part. pass. ein germ. -an- re-
präsentiere. Dagegen meint Streitberg, Urgenu. gr. s. 195, dass ags. hunden
etc. ein germ. -in- enthalte.
Beiträge zur tfescUiclite der deutaclieu epraobe. XXUl. 32
498 KOCK
dergestalt, dass die Avahl zwischen a und i sich nach dem
vocal der paenultima richtet, z. b. nom. acc. ttmi mit -i, aber
nom. acc. haJil-a mit -a (A. B. Larsen, De norske by^demäl s. 84).
In iirgerm. zeit ist eine teilweise ähnliche tendenz bei der
wähl der suffixform -an- und der suffixform -in- für das part.
pass. bestimmend gewesen. In der regel entschied man sich
für -an : ^Tjundanaz, *faranaz etc., aber -m- wurde gewählt,
wenn die Wurzelsilbe einen 2-laut, d. h. i oder den diphthong ai,
enthielt, z. b. *difinaz, ^haitinaz, urnord. haitinan. Die form
hifin- mit / in der zweiten silbe bestand noch zur zeit der
durchführung des a-umlauts in den getrennten germ. sprachen
(vgl. unten). Später wurde in den continentalen westg. dia-
lekten ahd. und as. und im got. (in folge der einwirkung der
grossen menge von partt. pass. mit der suffixform -an-) das
-in- mit -an- vertauscht (ahd. hizzan, as. hitan, got. hitans).
Noch in urnord. zeit hatte das part. haitinaa sich einer
derartigen beeinflussung seitens der partt. mit -an- entzogen,
und isl. heitinn kann eine unmittelbare entwickelung aus ur-
nord. haitinaa sein. In ähnlicher weise kann isl. hitinn die
unmittelbare fortsetzung von urnord. *bitinaM, germ. *hitinaz sein.
Man pflegt isl. hepinn (von hij)a) als beispiel des a-umlauts
in diesen partt. anzuführen. Vorausgesetzt dass litimi aus
*hitanaz (nicht ^hitinaz) entstanden ist, enthält bejyimi a-umlaut.
Soweit ich mich erinnere, ist aber nicht hervorgehoben worden,
weshalb in diesem einzigen particip a-umlaut von / fortbestehen
sollte. Die sache ist die, dass hejjinn part. nicht nur zu MJ>a
praes. hip-, sondern auch zu isl. bipia, praes. bipr ist. Dagegen
hat im aschw. sowol das part. zu blpa wie das zu bipia die
form hipin. Dies zeigt deutlich, dass das part. bepinn (von
bip)ia) im isl. das part. bepinn (von Upa) beeinflusst hat.
Entweder hat ein ursprüngliches (*bedanaR >) bepinn zu
bipa das e unter dem einfluss von bepinn zu bipia beibehalten,
oder auch es ist das e von bepinn zu bipia auf {^bidinaR>) biÖinn
zu blpa übertragen worden, so dass dieses zu bepinn Avurde.
Hier mögen die aschw. partt. bipin (zu bipia), sitit (zu
sitia), h'gliat^) (zu lujyia), pigliat (zu pigyia) erörtert werden.
Ihnen entsprechen die isl. bepinn, setinn, leginn, peginn, die
») Aber ajütläud. for Iceghcen.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN AT/PNORD. SPRACHEN. 409
normalerweise c in der paemiltima haben, da die Wurzelsilbe
germ. e (iirnord. *beÖanaR etc.) hat. Die älteren (isl.) bepinn,
setinn haben im aschw. {hijiin, sitit) i aus dem inf. bekommen,
vgl. oben s. 49G über den einfluss des inf. auf das part. pass.
Zu den schwach flectierten Jrighia 'schweigen', sighia 'sagen'
lautet das part. J)i(jhat, siglmt, formen welche ihr / aus dem
praes. ]>iijhia, siyhia bekommen haben (die älteren partt. sind
isl. ]m(){a)t, aschw. thaht-^ aschw. siujhaper, isl. aschw. f>ag{]i)at,
isl. sag]))', aschw. saghjjcr). Neben liggia kommt auch lighia
vor. Nach pighia 'schweigen' : Jnghaf, sighia : sigJiat ist zu
ligkia (liggia) das part. lighat, zu Jnggia das part. pighat ge-
bildet worden, i) Also ist -at in lighaf, pighat eine ganz junge
analogiebildung, und man darf in diesen formen nicht mit
Noreen in Pauls Grundr. l^. 641 und Brate, Runverser s. 345
uralte repräsentanten des erhaltenen germ. suffixes -an- mit
a sehen. '^)
Ich gehe von den partt. pass. zu anderen wortkategorien
über. In ihnen findet sich schon von alters her sowol das
germ. sufflx -in- wie das germ. suffix -an-. Aber sie interes-
sieren uns hier, da das suffix -an- unter denselben umständen
wie im part. pass. lautgesetzlich in -cn-, -in- übergegangen ist.
Gewisse masc. a-stämme haben das germ. suffix -an-, andere
das germ. suffix -in-. Da der langsilbige name Opinn keinen
/-Umlaut enthält, so hat er (wenigstens unbedingt in der regel;
vgl. s. 500 aum.), entsprechend dem ahd. Wuotan, das suffix -an-
gehabt. Das wort ist also so fliectiert worden:
nom. *OdanR dat. Oöne
gen. *Odans acc. Odan.
Gab es zu jener zeit noch den vocativ als einen besonderen
1) Streng lautgesetzlich hätten die partt. im aschw. wol *li(jhin,
*pi(jhiii lauten sollen. Denn ebenso wie ein aus a durch /-umlant ent-
standenes (£ im aschw. vor gh + / weiter zu / wurde (Kock, Arkiv4, 175),
so musste wahrscheinlich ein germ. e in dieser Stellung dieselbe eutwicke-
lung bekommen.
'"ä) Das auf dem Yttergärdsstein einmal begegnende takat für takit
ist wahrscheinlich fehlritzung. Dies ist glaublicher als dass takat = takant
gelesen werden müsse (mit auslassung des Zeichens für n, wie auch sonst
öfter), und dass in takant mit dem germ. suftix -an- a noch nicht in e, i
übergegangen sei.
32*
500 KOCK
casus, so hiess dieser ebenfalls *Ödan. Im nom. und gen. bekam
man lautgesetzlich OJjenn {-inn), OJ)ens (-ins), im acc. (und voc.)
dagegen 0])an. Isl. OJnnn, asclnv. o])insda(jher, älteres neu-
scliw. odensdag haben ihre vocalisation aus dem nom. und gen.,
während das äusserst seltene aschw. Odhansdayhin (Sv. riks-
archivets pergamentbref no. 2697 vom jähre 1393; vgl. Lund-
gren, Spräkliga intyg om hednisk gudatro i Sverige s. 28) mit
a in der zweiten silbe vom acc. (und voc.) *Odan^) aus-
gegangen ist.
Das nebeneinander isl. dröttinn, aschw. drotin ohne umlaut,
aber aschw. dretning (neben drotning), agutn. drytning mit /-um-
laut spricht dafür, dass dröttinn das suffix -an- gehabt hat.
Hier ist es die vocalisation des Suffixes im nom. und gen., die
den sieg davongetragen hat.
Dagegen ist in dem namen Heriann und mpiöpann 'könig'
der a-vocal im acc. (und voc.) durchgeführt worden; zur ein-
führung des a in Heriann trug auch der dat. {Heriani) bei,
der in diesem worte nicht synkopiert wird.
Die Worte für 'morgen' und 'abend' scheinen von alters
her sowol das suffix -m- wie das suffix -an- neben -un- gehabt
zu haben: isl. myrginn, alt. neuschw. mörnar mit «"- umlaut :
aschw. morghan, isl. morginn : isl. morgunn, aschw. morglioti;
isl. eptann mit i-umlaut (?) : isl. aptann, aschw. aptan, aftin :
aschw. afton (vgl. Noreen, Aisl. gr.2 § 150, 5. Aschw. gr. § 180, 3).
Doch enthalten isl. morginn, aschw. aftin mit / in der ultima,
aber ohne i- umlaut in der paenultima nicht das suffix -in-,
sondern das suffix -an-, dessen a im nom. und gen. lautgesetz-
lich in e, i übergegangen ist i^morgann > morginn, *morgans
> morgins etc.).
') In einer nrkunde ans Dalekarlien begegnet einmal ejj/nsäaghin
(Dipl. 4142 vom jähre 1347). Wenn dies e nicht schreibfeliler ist, kann
epin eine mundartliche form sein, die ebenso zu erklären ist wie die oben
s. 495 besprochenen mundartlichen partt. pass. ans modernen dalekarlischen
dialekten. Ich finde es wenig glaublich, dass man in diesem vereinzelten
epinsdayhin ein beispiel eines sonst nirgends nachgewiesenen germ. *\Vüdinaz
habe. Da die Verwendung der endungsvocale im Hels.-gesetz höchst regel-
los und inconsequent ist, kann auf das einmal (.E. 16 pr.) im Hels.-gesetz
vorgefundene opiimdayh kein gewicht gelegt werden, und man kann also
aus diesem opunzdayh nicht die sclilnssfolgerung ziehen, dass öpinu ur-
germ. auch die suflixi'orm -un- gehabt hätte.
DER yl-ÜMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 501
Isl. aptann, ascliw. apfan hat -an- vom acc. affan, wobei
der umstand eine rolle spielte, dass die ausdrücke of apfan,
um aptan, i gcer aptan besonders gebräuchlich waren. Das
aschw. morghan hat dieselbe vocalisation. Isl. epfann kann
eine compromisform von aptann und *eptmn sein, da aber ein
*eptmn nicht nachgewiesen ist, ist es auch sehr möglich, dass
aptann durch ein Wirkung der praep. eptir und des comp, eptri
bisweilen zu cptann geworden ist; vgl. dass im aschw. das
adverb aptan 'hinten' durch ein Wirkung von ceptir, mptre die
form ceptan erhalten hat.
Das suffix -in- findet sich in dem kiu'zsilbigen aschw. cerin,
isl. arinn {a aus pl. arnar etc.; vgl. neuschw. äril mit dem suffix
-/7-) und in isl. aschw. liimm{n) (vgl. got. Mmins), wahrschein-
lich auch in Beginn; vgl. neutr. regin 'götter'.
Wie die adjectiva teils das suffix -il, z. b. heimill, teils das
suffix -al-, z. b. atall haben, so haben sie teils das suffix -in-,
teils das suffix -an-, hier und da Wechsel -in- : -an- in dem-
selben adjectiv. Der «-umlaut in isl. yfrinn, aschw. yfrin, efrin,
isl. heppinn, neuschw. yllen zeigt, dass die Wörter das suffix -m-
gehabt haben; aschw. ullin 'wollen' kann u vom subst, td haben.
Aus den nord. lautverhältnissen geht nicht hervor, ob eiginn
das suffix -an- oder -in- hat. aber got. aigins spricht für das
letztere. Dagegen haben z. b. isl. aschw. loJnn{n), rotin(n), isl.
ropinn, snoJ)inn, aschw. snorkin 'zusammengeschrumpft' mit
rt-umlaut das suffix -an-. In isl. opinn, aschw. opin, upin, ypin,
epin hat sich am ehesten ') ein uralter Wechsel -an- : -in- ge-
funden, da das wort sowol «-umlaut {opinn < "^opanaR < *upa-
naz) als /-umlaut hat (nom. ypin < *upinaR; nom. 02)in < *opi-
nuR mit 0 vor dem ende der jüngeren i-umlautsperiode aus
nom. *opanaR übertragen). Ohne grund hat man aschw. gyllene
als beispiel eines nord. Wortes mit dem suffix -in- angeführt.
Aschw. neuschw. gyllene ist nämlich ein deutsches lehen (vgl.
mild, giildin, plattd. gülden); dies geht teils daraus hervor, dass
das e der paenultima in aschw. nschw. gyllene nicht synkopiert
wird, wie es mit i, e im suffix -in- der fall ist {mcdh gyllene
uiunnen, dagegen z. b. dat. sg. upno, nicht *iq>cno, von upin\
•) Dies ist wahrscheinlicher als dass das wort nur das suffix -in- ge-
habt habe, und dass o in opinn z. b. aus nom. pl. f. ojutar «*»<;>»««<
*upinüji) übertragen worden sei.
502 KOCK
teils daraus, dass das wort (jylJcne im aschw. (fast immer) und
im nscliw. unflectierbar ist; vgl. das silfverne (nlid. silbern,
mnd. sulveren) der Volkslieder, Welches suftix isl. guUinn ur-
sprünglich gehabt hat, kann kaum entschieden werden, da das
wort an das subst. giiU angeschlossen (bez. in später zeit nach
ihm gebildet) werden konnte.') Das seltene isl. Jiräsinn ist wol
in später zeit nach hrösni gebildet worden.
Bei der beurteilung der lautentwickelung *brostanR > hro-
stenn, hrostinn etc., OdanR> OÖenn, OÖinn etc. von einem all-
gemeineren gesichtspunkt muss man beachten, dass die con-
sonanten, welche dem -an- folgen, factisch r, s, t sind. Der
laut R hatte in der alten spräche ein ^■-element, da er palatal-
umlaut bewirkt: Mr > leer etc. In den nord. sprachen hat
auch s ein «-element. Joh.Storm, Norvegia 1, 89 anm.2 bemerkt:
'der Zischlaut s hat etwas das an den vocal i erinnert', und
das neudän. verwendet einen /-ähnlichen laut vor -s in silben
mit infortis: liaves, gives etc. (Jespersen, Dania 1, 70). Im jüngeren
aschw. bleibt das ältere i in levissilbe vor s erhalten und geht
nicht wie sonst in e über, z. b. Iceris (Kock, Fsv. Ijndl. 2, 272);
das ältere neudän. verwendet die endung -is, z. b. dragis, obwol
es sonst in infortissilbe e hat (bürde etc., Kock, Arkiv n.f. 1,86).
Auch vor -t bleibt im jüngeren aschw. der endvocal i erhalten,
z. b. funnit (Fsv. Ijudl. 2, 272 f.). Unter diesen umständen ist
es leicht möglich, dass die hier hervorgehobene natur des r, s, t
eine rolle spielte, als a mit infortis vor nR, ns, nt zu c, i wurde.
Ich glaube nicht mit Sicherheit entscheiden zu können,
inwieweit das w in gemeinnord. zeit in dieser Stellung pa-
latal oder dental war. 2) Arkiv n.f. 5, 254 ff. (vgl. teilweise
schon Äström, Sv. landsm. 6, no. 6, s. 109 ff.) habe ich gelegen-
heit gehabt nachzuweisen, dass die alte nord. spräche in be-
stimmten Stellungen supradentales n, in anderen nicht supra-
dentales n hatte, sowie dass der w-laut in silben mit infortis
nicht supradental war. Gegen die annähme, dass dieses nicht
') [Docli wahrsclieinlich -in-, das sieb vielleicht ancli in ullin findet;
s. jetzt z. t. Torp og Falk, Lydhist. s. 97 f.]
^) Vielleicht ist die eutwickehing a > <e im pronomeu hann >■ hcen,
cen im aschw. (Westgötagesetz) entstanden, Avenn das wort infortis hatte, in-
dem dem a ein palatales n bez. n + r {*hanR) nachfolgte. Man beachte
auch isl. an : en{n), aschw. ccn 'quam'.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN, 503
Slipradentale n in infortissilbe vor n, s, t palatal war, spricht
wol, dass das l in entsprechender Stellung schwerlich palatal
gewesen sein kann; man hat nämlich isl. nom. afall (< *afaJn)
gen. afals etc. (nicht *afiU, "^atils etc.). ^^^enn hinwiderum der
w-laiit schon in urnord. *brosfanR etc. palatal war, so ist die
gemeinnord. entwickelung *hrosfanR > hrostenn ausserordentlich
nahe verwant mit der in norwegischen mundarten begegnenden
entwickelung hcestaiin (isl. hestarnir) > hcestce'tin, horenii > herinn.
Diese frage, inwieweit der nicht supradentale w-laut in
gemeinnord. zeit palatal oder dental war, ist aber für die
eigentlich hier behandelte frage von untergeordneter bedeutung,
denn nach dem oben angeführten dürfte constatiert sein, dass
a in infortissilbe vor n + consonant zu e, i wairde. In dieser
Stellung war der >i-laut nicht supradental.
Excurs 1.
Der Wechsel u : o im part. pass. der ostnord. sprachen.
Es muss erörtert werden, warum viele partt. pass. welche
im isl. rt- Umlaut von u zeigen, im ostnord., und besonders im
aschw^, unumgelauteten vocal bez. einen Wechsel von unum-
gelautetem und umgelautetem vocal haben, z. b. isl. sloppimi :
neuschw. sluppen.
Der w-laut solcher ostnord. formen ist späten Ursprungs,
und er ist wenigstens wesentlich auf analogischem wege ent-
standen. Dies geht schon daraus hervor, dass das isl. (welches
wie bekannt im allgemeinen einen altertümlicheren Standpunkt
als das aschw. einnimmt) den vocal o hat, während sich im
aschw. oft ein Wechsel o : n, im neuschw. nur u findet.
Dies ist der fall z. b. in
isl. aschw. nschw.
sloppinn sloppin, sluppin sluppen
horginn horghin, tniryhin bürgen (adj.)
holpinn halpiii, hidpin hulpen
brotinn brotin, brutin brüten
flotitm flotiu, jlutin fluten
frosin frosin, frusin frusen
bopinn bojiin, bupin buden (bjuden^))
gotinn gotin, gutin gjuten*)
kropinn kropin, krupin krupen
•) Das j ist aus bjuda, gjuta übertragen worden.
504
KOCK
isl.
aschw.
nschw.
notinn
notit, nutit
njutit 1)
sopinn
sopin, supin
s(j)uden
skotimi
sJcotin, skiiiin
skjuten^)
horinn
borin, huri'n
huren
skorinn
skorin, skurin
skuren
stoUnn
stoh'n, stulm
Stuten.
Von anderen verben ist schon im aschw. nur die it-form
belegt, z. b. isl. hoginn, aschw. niperhughm, isl. floginn, aschw.
flughin, nschw. fingen, isl. lotinn, aschw. lutit, nscliw. Ijutit, isl.
lostimi, aschw. lustin, isl. loginn, aschw. lughin, nschw. Ijugit,
isl. soginn, aschw. nschw. sug{ji)it, isl. sirokinn, aschw. strukin,
nschw. struken, isl. sopinn, aschw. supin, nschw. supen, isl. hro-
stinn, aschw. brustin, nschw. brüsten, isl. soUinn, aschw. suitin,
nschw. svidtit. Nur selten ist im aschw. die o-form allein belegt,
z. b. isl. Jcloßnn, aschw. Moiv'm, nschw. klufren.
Dass das n in diese partt. analogisch eingeführt worden
ist, geht aber vor allen dingen aus einer musterung der vocale
dieser partt. in den verschiedenen ostnord. dialekten hervor.^*)
Das altjütl. (Jyske lov) hat im allgemeinen in denselben
partt. wie das isl. das o beibehalten: stolcen, borcen, sJcorcen —
floghcen, brotcen (brot), skotcen {vt skot), bothcen. Eine ausnähme
macht das einzige hergehörige verb mit dem ablaut e : a : u : o
im isl., nämlich das altjütl. part. tvrthen. Dies beruht natürlich
auf analogischem einfluss seitens der zahlreichen verben von
dem typus braun : brumm : brunninn, fann : funnu : funninn
etc. Da man neben diesen varp : ur]iu : orpinn hatte, so
vertauschte man orpinn gegen urpinn (ivrthen).
Im altschonischen bleibt o in den verben dieses typus
(isl. bera : bar : b^ru : borinn) erhalten: aschon. boret, skorit,
stolcen. Sowol in den verben des typus verpa wie auch in den
') Das j ist aus njnta übertragen worden.
'■') Das j aus skjtita übertragen.
3) Vgl. betreffs der factischeu mitteihmgen Lyngby, Antiqvarisk tid-
skrift 1858 — 60 s. 247. Udsagnsordenes böjning i jyske lov og i den jyske
sprogart s. 15ff". Collin-Schlyters glossare. Zetterberg, Bjärköarättens Ijud-
och böjningslära s. 9:^ ff. Machule, Die lautlichen Verhältnisse und die ver-
bale flexion des schouischen land- und kirohenrochtes s. 'M ff. Diese gelehrten
ziehen aber aus dem materiale nicht dieselben schlussfolgerungeu wie ich.
DER ^4-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 505
Verben des typus hm])a ist das o gegen u vertauscht worden:
aschon. iir])it, hurghit, buj)it, hrutin, Intit, hdif.^)
Das altwestgötische nimmt wesentlich dieselbe Stellung
wie das altschonische ein. rollin-SchlA'ters glossar zum West-
götagesetz verzeichnet nämlich folgende partt.: horin, stolet,
stolin (und shdin), svoren {svoret, s[v\ornum), soven 'dormiens',
aber sowol gnldin, giddit, hidpit, vurpin wie hiiden, hd'in, lugliin,
lusiin. Die für Lödöse in Westergötland geschriebene hs. des
Biaerkearaetter hat hornir (zu bcera), skornir (und vt skurin zu
skcera), siolnom, piufstolit (neben stndif, das fehlerhaft statt
stulit zu stifela steht) und einmal in fidghit, aber ausschliess-
lich mit u sowol ivrpit, tnatburghit wie hupin, hupit, bridit.
Im altschonischen und altwestgötischen ist die analogische
einwirkung einen schritt weitergegangen als im altjütländischen.
Nach brunnu : brunninn, funnu : funninn etc. sind in den verben
bu])u : bo])inn etc. mit kurzer Wurzelsilbe die partt. bojrinn gegen
bupiii etc. vertauscht worden. 2) Dabei hat natürlich auch die
analogie von urpu : urpinn etc. eine rolle gespielt. Da aber
das praet. pl. zu bcera nicht *büru, sondern bäru lautete, so
blieb im aschon. und awestgöt. bäru : borit erhalten, und borit
wurde nicht durch burit ersetzt. Dies gilt auch von skorit,
stolit. Das part. soivin ist geblieben, weil das praet. pl. söwo
hiess (und der inf. söwa).
Im Östgötagesetz dagegen werden nach dem glossar von
Collin-Schlyter participien mit u gebraucht: sowol stnlin, burin,
surin (zu swwria) wie hurghit, hurivit (zu hwcerwa), vurpit und
hrutin, ruicit, lukin. Hier hat die analogie noch weiter um sich
gegriffen, indem auch borin etc. gegen hurinn etc. vertauscht
worden sind. Nur ganz wenige verben gehören dieser gruppe
an (partt. borit, skorü, stolit, sowit). Nachdem man in der
soeben dargelegten weise varp : {w)urpin, halp : Jmlpin, galt :
guldin etc. bekommen hatte, wurden nach diesen mustern in
') Die uendäu. reichssprache stimmt in dieser beziehung hauptsächlich
mit dem aschon. überein: neudän. haaren, skaaren, stjaalen « stolen), aber
bilden, Inidt, hrwJt (als adjectiv hrtiden, hroddcn), skudt; doch (rossen,
\vorden\
2) In dieser weise erklären sich audi die seltenen anorw. hupinn,
hitinn, isl. liikinn, welche von Noreeu, Aisl. <rr.3 ij 412 aiini. 2. i; 11 1 aniii. 1
erwähnt, aber nicht erklärt werden.
506 KOCK
den verbell har : horit, slmr : sJcorit, stal : stolit, sivaf : soivit
die partt. horit etc. gegen hurit etc. vertauscht. Hiermit ist zu
vergleichen, dass die analogische Umbildung im nschw. noch
Aveiter gegangen ist. Nach halp : hidpo : liulpen etc. sind in
har : hdro : huren etc. die praett. pl. bäro etc. durch huro etc.
ersetzt worden.')
Im schwedischen ist das ältere o auch in den als adj.
benutzten isl. lojnnn : aschw. lopin, lupin : nschw. luden, isl.
rotinn : aschw. rotin, rutin : nschw. rutten durch das Jüngere «
ersetzt Avorden. Auch dies kann durch analogischen einfluss
erklärt Averden. Da man einen Avechsel horin : burin, flotin :
flutin etc. in grosser ausdehnung hatte, bildete man zu hpin,
rotin die nebenformen lujrin, rutin, Avelche nachher (ebenso
Avie huriii, flutin etc.) den sieg davontrugen. Das ndän. aber
hat immer lodden, rodden erhalten.
Möglicherweise hat bei freier wähl zAAäschen o : m in
der Avurzelsilbe der umstand, dass die ultima der discutierten
participien einen i-laut enthielt, die durchführung des u be-
fördert; A^gl. Aström, Sv. landsm. 6, no. 6, s. 41. Kock, Arkiv n. f.
2, U. 5, 245.
Excurs 2.
Zur frage nach dem palatalumlaut.
Schon oben habe ich hervorgehoben, dass kein zweifei
darüber obAvalten kann, dass die palatalen consonanten bei der
hervorbringung des /-umlauts, z. b. in isl. part. ehinn etc., eine
rolle gespielt haben. Durch die erörterung des Übergangs
*brostanR > hrostcnn, brostinn ,etc. dürfte dies noch mehr be-
stätigt Avorden sein.
GeAvisse fragen betreffs des palatalumlauts sind aber bis
jetzt nicht in genügender Aveise erörtert AVorden.
') In älmlicher weise erklären sich die seltenen praet. pl. isl. syngum
statt sungum (zu syngva), anorw. vorßum statt vurpum (zu verpa), aschw.
sloppom statt sluppom (zu sUppa): die wurzelvocale sind aus den partt.
synginn, orpiun, sjnjjpin übertragen worden. Im aschw. praet. pl. vurpo,
part. ?-?o;/)/<t >> nschw. rordo, rorden wurde das u vor rd lautgesetzlich zu o
(Kock, Arkiv n.f. h, 247). Durch den oinflnss des praes. sofca hat das part.
sofvit in der nschw. reichssprache noch immer sein o erhalten. Ueber das
part. ajütl. komcan, aschon. kummin, kommit, awestgöt. kummin, komen,
aostgöt. kumin, komin s. unten.
DER .4-üMLAUT ETC. IN DEN AI/rNOKD. SPRACHEN. 507
Eine solche frage ist die, ob der palatalumlaut in der-
selben ausdehnung im Avestnord. wie im ostnord. durchgefülirt
worden ist. Eine zweite, ob der palatalumlaut gleichzeitig
mit dem gewöhnlichen (jüngeren) /-unilaut oder zu einer
anderen zeit eingetreten ist. Eine dritte endlicli, ob es der
palatal als solcher ist, der den umlaut hervorgerufen, oder ob
der palatal (z. b. in alccnn) einen frühen Übergang des end-
vocals e in i (aJcinn) veranlasste, wonach dieser /-laut ebenso
wie andere /-laute in gewöhnlicher weise «-nmlaut bewirkte.
Die erste dieser fragen muss, so viel ich sehe, dahin be-
antwortet werden, dass im westnord., oder Avenigstens in den
dialekten, aus welchen sich die isl. literatursprache entwickelt
hat. nur a, nicht aber andere gutturalen vocale palatalumlaut
bekommen haben; dagegen waren im ostnord., wenigstens dia-
lektisch, auch andere gutturale vocale dem palatalumlaut
unterworfen.
Die regel für das isl. ergibt sich aus den umgelauteten
partt. eJiinn, dregmn etc. (vgl. s. 487) im vergleich mit den
nicht umgelauteten sprunginn, sttmginn, drukkinn, holginn,
solglnn, horginn, folginn, hrngghin, linugghm, tugginn, slunginn,
snnginn, primginn, liroJckinn, sohkinn, hoginn, fJokinn, foJcinn,
loginn etc., atikinn.
Wie bekannt haben die verschiedenen formen der starken
A-erben sich sehr oft gegenseitig beeinflusst, und die vocalisation
des praes. ist besonders oft auf andere formen übertragen
worden (vgl. s. 496). Wenn sich im isl. neben part. simginn
zu sgngva auch synghin findet, so hat diese form ihr y aus
dem praes. bekommen. Tmgekehrt rührt das a im part. han-
ginn, fanginn (neben fenginn) teils aus hanga, fanga.^) teils
aus den synkopierten casus hangnir, fangnir etc. her.
Der palatalumlaut von a findet sich ausserdem in isl.
drcki, fleki (neben flaki), afreki (neben afraki), wol auch in dat.
sg. degi (zu dagr), vielleicht in scgi (vgl. aschw. saghi: im isl.
jedoch auch sigi, vgl. teils Kock, Medeltidsordsprak 2, {^>>, teils
Bugge, Arkiv n. f. 6, 87). Ursprünglich flectierte man wie be-
>) Im aschw. findet sicli frnuja neben fä, und die existenz eine.s isl.
ffdilja geht aus dein praes. eonj. /'(nuji hervor; vgl. Noreen, Aisl. gr.'-' t; 431
aniu. 1.
508 KOCK
kannt fleki : fJala etc.; später ist das a auch in den nom. flaJci
analogisch eingedrungen.
Neben den isl. partt. genginn, fenginn kommen auch gin-
ginn, finginn, und in praes. sg. kommt neben gengr auch ghigr
(Jon Thorkelsson, Beyging sterkra sagnon^a s. 143) vor. In der
Aisl. gr.2 § 431 anm. 1 und 5 ist Noreen der ansieht, dass die
partt. ginginn, finginn die inff. *gniga, *finga voraussetzen, und
dass das praes. gingr mit lit. zengiu zusammenzustellen sei. Ich
kann mir diese auffassung nicht zu eigen machen. Schon
Bugge hat, Arkiv 2, 224, bemerkt: Mas durch /-umlaut aus a
entstandene c in forengi [< *forgengi] ist in / in foringi ebenso
wie in finginn, ginginn übergegangen. Bei forengi > foringi
wirkte der umstand mit, dass e nicht den hauptton hatte'.
Ich bin der meinung, dass ein durch /-umlaut (es sei durch
gewöhnlichen i-umlaut oder durch palatalumlaut) entwickeltes
e vor ng in semifortis- und infortissilbe weiter zu i wurde;
es ist vielleicht auch eine bedingung für diese lautentwicke-
lung, dass der laut Verbindung -eng- entweder ein g vorbei -
gieng oder ein ? nachfolgte. Dagegen bleibt e in der fortis-
silbe unter im übrigen gleichen bedingungen erhalten. Bei-
spiele: *forgengi (vgl. got. faüragaggja) > "^forgingi > foringi;
*unngengi > *unngingi > unningi, ^värgengi > *värgingi >
vceringi, *ofrgcngi > *ofrgingi > ofringi. In gleicher weise
entwickelte sich -genginn zu -ginginn im zweiten gliede der
zahlreichen composita (juxtapositionen) : up}}-, ä-, fram-, um-
genginn > uppginginn etc. Dass solche juxtapositionen auf
dem ersten (nicht auf dem zweiten) juxtapositionsglied fortis
hatten, geht aus der (dialektischen) acc. 1 von utgängcn, in-
gängen etc. im nscliw. hervor. Als simi)lex blieb dagegen
genginn erhalten. Nachher konnten genginn und ginginn durch
gegenseitige beeinflussung sowol als simplex wie in der com-
position benutzt werden.
Der Wechsel gingr : gengr ist in derselben weise zu er-
klären. Heutzutage accentuiert man im nschw. gär üt etc.
mit infortis auf gär und fortis auf nt (vgl. nhd. er geht aus).
In den isl. juxtapositionen gengr-iit, gengr-inn etc. wurde gengr
lautgesetzlicli zu gingr; als simplex blieb aber gengr erhalten.
Im zweiten gliede der juxtapositionen ist -fenginn zu -fin-
ginn entwickelt worden.
DEE J.-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 509
Der palatalumlaut von a findet sicli in einigen ostnord.
Wörtern wider: part. drwtihin (neben drmjhin), slcecihin (neben
slaghm), OpwwiihinsPorp (\\e\)e\\ JucayJi in), giengin {nahen gang in),
part. fmgiti (< "^fa'ugin; neben fang in), i)raes. conj. toiki (< tali
zn tala), dat. sg. (heghi (zn dagher). ') Der gen. Dregha- (Drcegha-)
im Ortsnamen Dreghastadha kann sicli zn Dragha (nom. Braghi)
verlialten wie isl. fleh zu jlaki etc. Auch in dem seltenen
ncekin (Birg. IV) statt nahin kann palatalumlaut vorliegen.
Dagegen ist das ältere ce in den asclnw jjartt. akin, jlughin,
gnagin, talin durch den einfluss der synkopierten casus alnir
etc. und der praess. aka, gnaga, taka von a verdrängt worden.
Das adän. (wenigstens das altjütländische und altschonische)
hat in den partt. dragwt, fangwt, gungcet, ajütl. taluen keinen
Umlaut. Im aschon. dagegen heisst das part. neben talcit auch
twlxit, twkin (infin. takm und üekce). Der ce-laut ist in üeka
(neben taka) aus dem praes. sg. twkcer (vgl. isl. tekr) ein-
gedrungen. Das part. toßkit kann palatalumlaut enthalten, kann
aber auch sein ce analogisch aus tcelicer (tcekai) bekommen haben.
Im ostnord. findet aber der palatalumlaut (wenigstens dia-
lektisch) auch bei u und o statt, z. b. in aschw. adän. Tykc (vgl.
das nicht umgelautete latinisierte Tuco) und wol auch (vor rk,
rg) in aschw. adän. Therkil, Thorkel, aschw. Thyrkü, der adän.
frauenname Tgrckel, aschw. adän. (latin.) Thyrgerus (< Pur-
geirr). Thyrkil, Therkil sind aus Pürkcetil bez. Pörkcetil ent-
standen. Hierher können auch gerechnet werden die partt. aschw.
drykkith (einmal in SGG. st. des normalen drukkit), brygget
(einmal in BSH. aus dem jähre 1502; statt hruggit), [kaum
thryskit, einmal im Cod. bildst. neben thrmkin]. adän. (aschon.)
heggiet (einmal statt hoggit).'^) Der gebrauch des part. drykkin
neben drukkin scheint durch ascliw. drykkinskaper (neben
drukkinskaper), nschw. dryckenskap bestätigt zu werden (vgl.
'; Vgl. z. t. Noreeu, Aikiv 1, 15;{ aiuu. Er ist jedoch dort geneigt die
Wörter anders zn erklären, nnd in der jüngst erschienenen Ascliw. graiuiu.
heft 1 scheint er der ansieht zu sein, dass sie gewöhnlichen /-ninlant ent-
halten. Adj. fd-yliin gehört nicht hierher; es hat gewöhnlichen /-unilant,
der durch das suftix -//;- (vgl. got. (agiuU)!) bewirkt worden ist.
*) Das zweimal belegte aschw. i>lyng(h)u (3. pl. praet. zu aliioiya) statt
slungo setzt vielleicht ein part. *slyHtjin (neben slunyin) voraus, aus wel-
chem y in das praet. pl. übertragen worden ist; vgl. s. 5UÜ aum.
510 KOCK
Tamiii, Avledningsändelser lios svenska Substantiv s. 14). Doch
muss bemerkt werden, dass der wurzelvocal der partt. hrygget,
ihryshit, hegf/wf aus den infin. ascliw. Iryggki, pryslcin, adän.
(asclion.) lieggia hat entlelint Averden können.
In den Verhandl. der 28. Versammlung deutscher philologen
und Schulmänner (Leipz. 1873) s. 192 spricht sich Sievers über
den Umlaut von ä in isl. sleginn etc. folgenderuiassen aus: 'es
muss ... in der natur der guttui-ale etwas den umlaut beför-
derndes geleg-en haben; denn bekanntlich besitzt unursprüng--
liches d. h. erst nach dei' trennung der einzelnen germanischen
sprachen aus a etc. geschwächtes / sonst nicht die fähigkeit
umzulauten, oder mit anderen Worten, es war die periode des
eintritts der mouillierung bereits vorüber, als jene Schwächungen
eintraten.' Dagegen opponiert Läffler, Tidskr. f. fll. NR. 2, 274
anm. und Om f-omljudet af t, l och ei s. 5f. Er ist der an-
sieht, dass der palatale consonant den nachfolgenden vocal so
beeinflusst habe, dass er schon vor dem ende der /-umlauts-
periode in i übergegangen sei, wonach der gewöhnliche /-um-
laut in slaginn > sleginn etc. sei durchgeführt worden. Nach
ihm ist also der umlaut nicht unmittelbar von dem consonanten
hervorgerufen worden.
Ich glaube (im gegensatz zu meiner bemerkung Beitr. 18,425
anm.), dass Sievers betreffs dieser frage das richtige gesehen
hat, wenigstens sofern unsere Jetzige kenntnis des palatal-
umlauts im isl. für die beurteilung hinreicht.
Der gewöhnliche jüngere ?- umlaut betrifft im west- und
ostnord. soavoI das u, o (z. b. pl. *suniR > synir, *soniii > senir)
wie das a (z. b. pl. *wandiR > vendir). Der palatalumlaut aber
wird im isl. (wenigstens soweit wir bis jetzt wissen) nur bei ä
(nicht bei i(, o) z. b. gangenn > genginn durchgeführt. Wenn
der /-laut der ultima von genginn und der in synir zu gleicher
zeit eingetreten und dui'ch den /-laut der ultium hervorgerufen
worden wären, so hätte der (/-laut in spninyenn den vocal der
ultima in ähnlicher weise beeinflussen müssen, so dass man
sprunginn mit / in der ultima \ov dem ende der gewöhnli{;hen
jüngeren /-umlautsperiode bekonnnen hätte, und dies sprunginn
hätte dann zu *sprynginn werden müssen. Dies ist aber nicht
der fall. Der umlaut in synir und der in genginn müssen also
DER ,1-rMLAüT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 511
ZU verschiedenen zeiten durcligefülirt und \ on z. t. verschiedenen
factoren bewirkt worden sein.
Nach der durchführung" des gewölmlicdien jüngeren i-iim-
hiuts in simia > synir etc. hat der zwischen /.-, (/ und einem
folgenden palatalen vocale (e, ce) entwickelte y-laut den unilaut
bei ä im isl. (z. b. gamjlenn > r/cnglcnn, später gcmpnn) hervor-
gerufen. "Wenn dieser unilaut im isl. nur bei a (nicht bei ii, 6)
bewirkt wurde, so ist hiermit zu verg-leichen, dass der ?-umlaut
im ahd. zuerst nur bei a (nicht bei den anderen gutturalen
vocalen) durcligefülnt wurde (Kauffmann, (iescliichte d. schwä-
bischen mundart s. 152). Im ostnord. dagegen bewirkt der nach
k, <i entwickelte f-laut umlaut auch bei u, o. Das latinisierte
Thyryerus, welches ein ostnord. Pyryer < ^Pnryeirr voraus-
setzt, macht wahrscheinlich, dass ein /-laut der folgenden
silbe keine notwendige bedingung für das eintreten des palatal-
umlauts ist, sondern Puyyer, Pnryicr ausgesi)rochen, ist in
Pyryer(us) umgelautet worden. Denn es ist wol nicht wahr-
scheinlich, dass Pyryer{us) y analogisch aus Pyryisl, PyrVwrn
etc. bekommen habe.
II. Zur frage uacli dem ff-iiiiilaut von u in den
altuord. sprachen.
Wie bekannt fasst man gewöhnlich den «-umlaut von u
gänzlich als eine urgerm. erscheinung auf, und man formuliert
die regel folgendermassen: 'vor ä, ö, it. in der folgenden silbe
wird II urgerm. zu o, sofern nicht entweder nasal -f consonant
oder i zwischen den beiden vocalen steht.'
Ich will unten darzulegen versuchen, dass nach dem zeugnis
der au. sprachen eine solche generelle regel in urgerm. zeit
nicht gegolten hat.
Dass wirklich der a- umlaut unter gewissen bedingungen
in einer sehr frühen periode der urnord. spräche (vielleicht
sogar in urgerm. zeit) eingetreten ist, lehren einige beispiele
des «-Umlauts in den urnord. runeninschriften. So liest man
z. b. auf dem goldenen hörne acc. sg. horna (< */iurna) und
HoltinyaR, sei es dass dieser personenname eine ableitung von
einem personennamen nom. *Iliilta : gen. '''Holtann, sei es da.ss
er eine ableitung von einem neutr. subst. */<o//« (isl. hult) ist.
Der Tunestein hat tvorahto (1. sg. praet. = isl. ortu). Aus später
512 KOCK
urnord. zeit finden sich hajmtvolafa (Gommor), hajmivolafn, hari-
u'olafR, horuniR (Stentofta), orte (By).>)
Die vocalisation der folgenden Wörter zeigt aber, dass der
a-umlaut wenigstens nicht in allen Stellungen in früher ur-
nord. (oder gar urgerm.) zeit eingetreten ist.
Das isl. hat als compositionsglied frum-, z. b. in fnimhurpr,
frumferül, frumyiof, frumldaup etc. Diesem isl. frum- ent-
spricht got. fruma- in frumahaür 'der erstgeborene'; vgl. auch
got. fnims m. 'anfang', fruma 'der erste'. Da das -a- des
ersten compositionsgliedes urnord. noch erhalten ist, z. b. hle-
wagastin (goldenes hörn), fauauisa (seeländ. bracteat), ski[n\-
paleuhaR (Skärkind), so muss frumldaup urnord. ^frunmJilaupa
geheissen haben. Wenn nun das a in fruma- in urgerm. oder
urnord, zeit umlaut bewirkt hätte, so hätte man isl. *fromhlaup
etc. (nicht frumldaup) haben müssen, und dies ist um so not-
wendiger, als es kein simplex gibt, aus welchem der z<-laut
auf frumldaup etc. hat übertragen werden können.
Isl. liumarr m. ist früher flectiert worden: nom. *humaraR,
gen. *liumaras, dat. ''humare, acc. '^humara, pl. nom. '^humarUR,
gen. *humarö, dat. ^humarom-, acc. Viumarann. Ohne zweifei
wird niemand annehmen wollen, dass der vocal der zweiten
Silbe in dat. sg. und nom. gen. dat. pl. (isl. dat. sg. Immri, vgl.
sumri zu sumarr etc.) vor der zeit verloren gegangen sei, wo
z. b. die inschrift des goldenen hornes eingeritzt wurde. Dass
dies auch nicht der fall gewesen ist, geht übrigens zur genüge
aus dem folgenden hervor.
Die u- und /-stamme verloren im urnord. (gemeinnord.)
als erste compositionsglieder mit fortis den u- bez. /-laut früher
als u, i in den entsprechenden simplicia verloren giengen. So
wurde z. b. "^qsumund- früher zu asmund als z. b. der acc. sg.
wqU (vqU) aus '^tvallu entstand; ^kiväni-fany wurde früher zu
hvänfang als der acc. sg. Vaväni zu kvwn (ßugge, Bidrag til
den seldste skaldedigtnings historie s. 8 ff. Kock, Arkiv n. f. 8,
*) otclJjupeivaR (Torsbjserg) braucht nicht statt icolpupewüR, das (ana-
logischen) «-unilant enthalten würde, geritzt zu sein. Da in dem mit den
alt. runen geritzten teile der Rökinsclmft die o-rune den «'-laut Uiour =
hwan), die iü-rune aber den w-laut {sagwm = sagum) ausdrückt (Bugge,
Yitterhets akadeniiens handlingar 31 no. 3 s. 53. 41), so kann ouIßnßcicaR
die ausspräche ivulpupewuR bezeichnen.
i
DEU .1-UMLAUT KTC. IN DEN ATiTNOllD. SPRACHEN. 513
249 ff.). Deshalb hat auch z. b. der a-stamm hlcica- \\\ hlcwa-
gastiü (isl. Vilegestr) den a-laut fi'üher als das simplex *lileiva
> isl. hJe verlieren müssen. Da sich nun auf dem goldenen
hörne Ideica-yastiR findet, auf dem Seeland, bracteaten faua-uisa
etc., so muss zu dieser zeit der a-laut der zweiten silbe in
allen casus von hmnarr erhalten gewesen sein (nom. sg.
Viiwiamn, dat. sg. *]mmare, nom. pl. Vmmaru^ etc.). Bei der
gewöhnlichen auffassung des «-umlauts ist es aber dann un-
begreiflich, warum man isl. hinnarr (nicht *homarr) hat; vgl.
honia auf dem goldenen hörne, isl. Jiorn. Dass der o-laut im
pl. ^humaröR etc. relativ lange erhalten Avurde, wird auch durch
das erhaltene / in fawido (gold. hörn), faihklo (Einang), dalidun
(Tune), hlaaiivido (Strand) bestätigt.
Isl. sumarr m., aschw. sumar m. kann in derselben weise
wie isl. hmnarr beurteilt werden. Da das wort aber ursprüng-
lich ein neutrum ist (Joh. Schmidt, Neutra s. 207), und das isl.
immer sumar n. neben sumarr m. hat, so ist es vielleicht auch
möglich, dass der w-laut aus dem nom. acc. pl. sumur n. auf
sumarr m. übertragen worden ist.
Neben den gewöhnlichen composita mit Por- {Porhioru etc.)
gibt es im ostnord. einige damit et5miologisch identische Wörter
auf Thur- und (mit /-umlaut) Pyr-: Thuryerus (latinisiert),
Thurhernus (latinisiert), Tliyrhwrn, Pyryils etc. (vgl. oben
s. 509). Isl. Ponarr (Pörr) ist früher flectiert worden: nom.
*IhinaraR, gen. *Punaras, dat. '^Ihinare, acc. ^Ihmara, und das
compositum (lat.) Tlmryerus, gemeinnord. Puryeirr ist aus
*J)unara-gaiRaR entstanden. Wenn der «-umlaut zu gleicher
zeit in *Jmrna > horna und in ^punaraR > *ponaraR (Ponarr),
*punara- > *])onara- eingetreten wäre, so ist es unmöglich,
die formen mit I^ur-, Pyr- (Thurgerus, I^yrgils etc.) zu er-
klären; man hätte dann nämlich in allen casus von Ponarr
ebenso wie im compositionsglied Ponar- o bekommen müssen.
Während die isl. partt. folginn, tropinn, sofinn, ofinn a-um-
laut haben, fehlt der a-umlaut in den partt. numinn (zu noua),
suminn (zu svima), obgleich nema, svima derselben verbalclasse
wie tropa etc. angehören. Die partt. numinn, suminn müssen
ebenso wie die allermeisten anderen i)artt. pass. das suffix -an-
gehabt haben: urnord. nom. sg. *numanaR, *sumanaR, nom. \)\.
*numanai, *sumanai etc. Während aber *trudanaR {^truöanaz)
Beitr&ge zur gescbiclite der duutBcIiea spräche. XXIII. 33
514 KOCK
zu trojnnn etc. wurde, haben unminn, suminn keinen a-umlaut.')
Ebenso verhält es sich mit dem part. aschw. hmiin, adän.
hinimi, wälirend isl. l-ominn (aschw. facultativ auch Icomin) o
bekommen hat, das aus praes. Jcoma hat übertragen werden
können (dagegen praes. ncma, svhmi mit den wurzelvocalen
e, i; vgl. auch unten s. 515).
Isl. sumr hat immer den wurzelvocal u (aschw. aber nom.
acc. sg. neutr. somt etc. neben swuher). Auch diese vocalisa-
tion von isl. sumr ist schwierig, wenn auch nicht ganz unmög-
lich zu erklären, wenn der M-umlaut zu gleicher zeit in *hurna
> Jiorna und in nom. sg. "^suman {*sumas) eingetreten wäre.^)
Man würde möglicherweise annehmen wollen, dass der
?<-laut in isl. suniurr, frmn-, aschw. Thurgerus etc. von einer
in den an. sprachen eingetretenen entwickelung o > ii vor
nasal herrühre, und zwar in der weise, dass zuerst z. b. "^hu-
maraz zu *]iomaraz, *homarr würde und nachher Viomarr in
Immarr übergienge. Eine solche annähme wäre aber nicht
möglich. Die an. sprachen haben nämlich recht oft die laut-
verbindungen -on-, -om- ; ich erinnere z. b. an isl. sonr, gen.
sonar, lonn, lonr, Iconimgr, gen. sg. Jconar, monvit, shona
'dienen', homa, broma 'bruchstück'; aschw. son, kona, kommger,
kotna, somt etc., somliker, hrujtkome (neben hru])gnmi) etc.
Ich erkläre das Verhältnis in folgender weise.
Wie bekannt tritt der a-umlaut nicht ein, wenn die Ver-
bindung nasal + consonant dem u nachfolgt, z. b. isl. acc. sg.
dumban, inf. kunna, acc. sg. ungan.
Die annähme liegt deshalb sehr nahe, dass ein nasal ohne
nachfolgendem consonanten das eintreten des a-umlauts zwar
nicht ganz, aber vorläufig verhinderte. In urnord. zeit
wird u nicht zu o vor folgendem a, wenn m oder n
dem u nachfolgt; erst nachdem der mit levissimus
*) lieber anorw. nomenn s. unten s. 515 f.
^) Ich erinnere an folgende äusserung von Job. Schmidt anlässlich des
ahd. isl. sumar: 'das « vor folgendem « ist allein durch das m bedingt.
Im an. steht vor m stets u, nicht o (Grimm 1*. 443. Holtzmann, Altd. gr.
s. 73 f.), desgleichen im ags. (Grimm 1^, 340. Holtzmann s. 1S4. Sievers-' § 70),
ebenso mehrfach im as. (Grimm 1 ", 237. Holtzmann s. 139. Heyne, Kl. as. gr.
s. 11). Ohne auf diese dinge näher einzugehen, begnüge ich mich ein wort
anzuführen, welches in allen germanischeu sprachen n hat, an. sumr, ags.
as. ahd. sum = ufiöq, skv. sama-s euklit.' (Neutra s. 208).
DER J.-UMLAUT ETC. IN DEN AT/l'NOUn. SPRACHEN. 515
accentuierte «-laut der zweiten silbe vei'loreii ge-
gangen war. wurde der (f-uiulaut in den laut Verbin-
dungen -um-, -un- durchgeführt.
Als der rt-unilaut in '^hnnia > Itorna, *hi(lta 'wald' > *hoUa
(vgl. HoUimjaR) etc. durchgeführt wurde, blieb das u in sg.
*sumaraR, pl. "^sumaröR etc. wwXx erhalten.
Erst nachdem die s3'nkopierten formen dat. sg. sumre,
nom. pl. sumriiR etc. sich entwickelt hatten, gieng der nom. sg.
sumarR in somarR, somarr (vgl. aschw. somar, nschw. sommar)
über. In den synkopierten sumraR etc. konnte jetzt ein a-um-
laut nicht eintreten, weil er überhaupt fehlt, wenn nasal +
consonant dem u nachfolgt; auch der dat. sg. sumre bekam
natürlich keinen umlaut.
Aus den synkopierten casus {mmraR, sumre etc.) hat das
isl. sumarr, aschw. simiar den wurzeh'ocal bekommen, während
aschw. so »^ö/-, nschw. sommar die lautgesetzliche fortsetzung von
dem nom. sg. somarR etc. ist.
Wie sumarr sind isl. Immarr, neuisl. Immall aufzufassen;
der Wechsel M. Jmmall : •dsc]i^\.])0mal(finger) erklärt sich in
derselben weise wie sumarr : somar.
In "^fruma-hlaupa etc. war der a-laut des ersten compo-
sitionsgliedes verloren gegangen, ehe der «-umlaut relativ spät
in den lautverbindungen -um-, -un- eintrat; daher isl. frum-
Idaup etc.
In urnord. zeit wurde ein umlaut im nom. sg. *numanaR,
nom. pl. m. *numanai, nom. acc. pl. f. *niimanöR etc. nicht durch-
geführt, aber die partt. isl. numinn, aschw. numin, isl. suminn,
aschw. 6i<»tvY, Sisch^y. htm in, adäw.kumcen können jedoch auf zwei
etwas verschiedene weisen aufgefasst werden. Der «-umlaut
in z. b. sumarR > somar kann so spät eingetreten sein, dass
*numanR damals schon zu ^numenR (numenn) geworden war.
In diesem falle haben numinn, suminn, humin lautgesetzlich u
in allen casus. Isl. aschw. komin(n) hat dann das o aus dem
inf. loma bekommen (vgl. oben s. 514), und der o-laut in anorw.
nomenn, aschw. nomin (neben mimin) ist auch analogisch zu
erklären. Nach den verben praet. sväfu : part. sofinn, väfu :
ofmn, kvämu : kominn ist das part. des verbs nämu : numinn
gegen nomenn vertauscht worden.
Es ist wol aber auch möglich, dass der «-umlaut in
33*
510 KOCK
*sumarR > somarR vor der zeit eintrat, wo *nummiii zu *nunienR
{numenn) wurde, aber nachdem sich die synkopierung in nom.
acc. pl. fem. ^nmnanöR > numnar etc. schon vollzogen hatte.
Wenn dem so ist, so trat der «-unilaut lautgesetzlich in *ni(-
mann > nominn ein, und numhin hat u aus den synkopierten
casus nuninir, numnar etc. bekommen; so kann auch Tiominn :
himin erklärt werden.')
Urnord. *Jmna)'a - (jaiRaR gab (vgl. VmmaröR > Immrar),
*piinr-gaiRR , sei es dass die entwickelung *])unara-gaiRaR >
*])mira-gaiRR > *pimr-gainR, sei es dass sie *pi(nara-gaiRaR >
*]mnar-gmRR > *Jnmr-gaiRR war. Aus ^Jnmr-gaiRR wurde laut-
gesetzlich *PürgeiRR,') Sischw. Purger (latin. Thurgerus), Pyrger
(latin. Thgrgerus, vgl. s. 509). Purgisl entmckelte sich durch den
«■-Umlaut zu Pyrgils etc.
Es sei hier hervorgehoben, dass man bei freier wähl
zwischen o : u in gewissen isl. Wortklassen den nicht umgelau-
teten vocal u gewählt hat, wenn m oder n nachfolgte; sonst
aber meistenteils o. Unter den verben welche wie isl. valca
(got. haban) flectieren, haben hrosa, glotta, horfa, lopa, skolla,
slvorta, tolla, pola, pora das umgelautete o (vgl. auch aschw.
tlogha : isl. aschw. dug(}i)a), aber dagegen una, luma das nicht
umgelautete u. Ebenso verhält es sich bei den masc. n-stämmen.
Sie haben im isl. gewöhnlich o (nicht w), z. b. isl. flott, spori, losti,
loghi, stolpi etc.; dagegen findet sich u in gumi, sJcumi, hruni,
spuni, runi.
Der vocalwechsel im isl. Jmnang n., aschw. hiinagh n.,
hunagher m. : aschw. honagh n., honayher m. ist in folgender
») Das seltene isl. kuma und die ostnord. wechselform kuma (neben
koma) haben ihr u aus dem praes. sg. *kii)niji und dem part. kunünn bekommen.
^) Bei dem gemeinuord. Verluste von n in der lantvcrbindung; im vor
s, r etc. wurde un zu ü (nicht zu o, wie Noreen, Aisl. gr. § 83 mit anm. 2
und noch Aschw. gr. § 84, 2b meint); vgl. Kock, Arkiv n. f. 1, 57 if. Bewei-
send ist besonders aschw. füs, isl. /«*'s « *fuHs), aber aschw. främfös, run.
Eopfos, isl. ölßss mit der entwickelung i7 >- ö in der semifortissilbe. Das
wort heisst nämlich aschw. nicht, wie Noreen, Aisl. gr. § 83 anm. 2 angibt,
Jos, sondern (fast immer) fus: s. Söderwalls Wörterbuch. Uebrigens ist die
frage nach der behandlung von -un- vor s, r etc. eigentlich ohne belang
für die erklärung des u in Thurgerus etc. Denn wenn aiich -un- vor r in
ö übergegangen wäre, so wäre damit nicht erklärt worden, wie u in Thur-
gerus {Thyrgerus) aus einem lu'germ. o in *Ponara- hätte entstehen können.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 517
weise zu erklären. In der lautverbindung -un- wurde der a-wm-
laut vorläufig: nicht durchgeführt. Zu einer zeit wo der
rt-umlaut in Jwna eintrat, ruhte facultativ fnrtis auf der ultima
von hundng, ebenso wie die ableitungsendungen -im), -ung im
an. oft facultativ fortis hatten: isl. ten(n)ingr etc. (Kock, Fsv.
Ijudlära 1. 50. Svensk akcent 2, 318 f. Arkiv 4, 1(35; ib. n. f. 1, 67
anm. 2). Ebenso wie ein / oder u in der fortissilbe keinen
Umlaut bewirkte, so konnte auch durch das a der fortissilbe
kein umlaut bewirkt werden; daher himdng (nicht *hondng).
Durch dissimilation gieng hunang in aschw. Imnagh über
(Noreen, Pauls Grundr. 1^, § 189, 6). Da aber hutiang facultativ
fortis auf der paenultima hatte, so wurde es durch den «-um-
laut zu *honang, aschw. honagh.
In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass vor der
lautverbindung ggic nicht der umgelautete vocal o, sondern u
steht. Während die masc. w- stamme sonst oft einen Wechsel
0 : u haben (z. b. isl. oxi : uxi, aschw. oxe : uxe, isl. aschw. //o^2 :
aschw. ßuti etc.), entspricht isl. skuggi, aschw. skugge dem got.
skuggica. In Übereinstimmung hiermit findet sich u in den
isl. partt. hnugginn (zu Jineggva), tugginu (zu tyggva), gugginn
(zu gyggva), hrugginn (vgl. ags. hreowan), obgleich der a-umlaut
in den partt. gollinn, solt'mn etc. durchgeführt worden ist; vgl.
Kock, Arkiv n.f. 7, 317 anm. 2. 8, 241. A.a.O. ist dargelegt wor-
den, dass skuggi, hnnggimi etc. lautgesetzlich aus *skuggwi,
*hnugginnn etc. entstanden sind. Hier sind noch zu beachten
isl. rugga (praet. -api) 'hin und her bewegen, wiegen' und das
wie vaka flectierte isl. ugga mit u. Nicht nur tv, sondern auch
gg waren stark labiale consonanten, weshalb g im ostnord.
vor gg in u übergegangen ist: hggg > aschw. hug etc. (Kock,
Fsv. Ijudlära 2, 476 ff.). Diese eigenschaft von ggiQ ist es, die
den a-umlaut in *brnggicanJi > hrugginn etc. verhindert hat.
Doch ist es vielleicht auch möglich, dass der a-umlaut auch
in hrugginn etc. einmal durchgeführt worden ist, obgleich sich
0 später vor ggw zu u entwickelte; in diesem falle wäre die
entwickelung *hniggivanaa > *hroggivann > *bri(ggwcnR >
hrugginn gewesen, i)
*) Einmal findet sich im aKchw. ■•^koyya statt xkuyya. Das o kann
hier darauf bfrnlHii, dass w in skuyg(w)u in irgend einem dialekt vor dem
ende der a-umlautsperiode verloren g;egangen ist, und das« skugyu nachher
518 KOCK
A\"egen der oben erwähnten nnd jetzt erörterten Wörter
humarr, frumldauj} etc. kann, wie schon gesagt, der a-umlaut
im ganzen genommen nicht eine urgerm. erscheinnng sein,
sondern er ist, wenigstens zum teil, in den verschiedenen germ.
sprachen durchgeführt worden, nachdem sich die germ. sprach-
einlieit gespalten hatte.
Ich will auch andere momente heranziehen, welche dar-
tun, dass die gewöhnliche auffassung des a-umlauts nicht
richtig ist.
Nach dieser soll urgerm. auch ce «-umlaut bewirkt haben.
Soweit ich sehe, haben jedoch die an. sprachen keinen durch ce
hervorgerufenen a-umlaut von u.
Hierbei kommen besonders die masc. w-stämme in betracht.
Es findet sich bei einer menge solcher Wörter ein Wechsel u : o,
z. b. isl. uxi^ aschw. uxe : isl. oxi, aschw. oxe, isl. aschw. gumi,
aschw. bni])gumi : bni])Jcome, aschw. fluti : isl. aschw. floti, aschw.
luste : loste, isl. losti, aschw. dnqn : isl. aschw. droj^i, aschw.
highi : isl. aschw. log{h)i, aschw. sar])idi : sarpoli, stülpe : Stolpe,
isl. stolpi, aschw. spiiri : isl. aschw. spori, aschw. drusi : drosse,
musi : isl. aschw. mosi, aschw. pusi : isl. aschw. posi, aschw.
hruti : isl. aschw. broti, aschw. spruti : isl. aschw. sprofi etc.
Der nom. sg. der masc. w-stämme ist in den urnord. runen-
inschriften oft belegt, und er hat dort die endung -a : tviwUa
etc. Sie entspricht aller Wahrscheinlichkeit nach der griech.
endung -tjv, und fluti : floti etc. hatten also in urgerm. zeit den
endvocal ce; vgl. Heinzel, Anz.fda. 12,48. ßugge, Arkiv n.f. 4, 18.
Kock, Skandinavisches archiv 1, 1 ff.
Der gen. sg. findet sich im urnord. prawivan (Tanum), der
dat. sg. im urnord. ivitadalialaihan (Tune), wo -an aus älterem
-on- entwickelt ist. Auch der ui'nord. gen. pl. scheint -an-
aus alt. -on- gehabt zu haben : arbijano (Tune; vgl. got. kanane).
Ohne allen zweifei hatte der acc. sg. (flota) urnord. die endung
-an (vgl. got. lianan), alt. -on-. Im plur. ist die ursprüngliche
nom.-form *flutan[iz\ mit alt. -on- in den acc. eingedrungen
(isl. acc. flota, nom. flotar mit anal, -r; vgl. got. hanans, Streit-
zu skogga wurde. Aber dies vereinzelte skogga kann wol auch analogisch
entstanden sein; nach der analog-ie von ».»/ / o.ra, flidi : flota etc. kann man
zu nom. skugge den acc. skogga neu geschaffen haben.
DER ,4-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 519
berg, l'rgerm. gramm. s. 256). Aus den rt-stämmen ist om- auf
dat. pl. flotiwi übertragen worden.
In allen diesen formen hatte also z. b. flnfi : floti in urgerm.
zeit die endvocale w, a oder o. Wenn aber alle diese end-
vocale den a-umlaut bewii'kten, so bleibt das u in fluti etc.
unerklärt. Die saclie ist natürlich in der weise aufzufassen,
dass in den an. sprachen der «-umlaut zwar durch den aus
indog. 0 entwickelten a-laut bewirkt worden ist, nicht aber
durch das germ. ä', das urnord. zu einem hellen, «-ähnlichen
«-laut (nom. Kiivila etc.) geworden war, und das in den an.
literatursprachen in e, i {fluti etc.) übergieng. Der a-umlaut
ist also z. b. nicht in nom. sg. *fh(tw, urnord. *fluta, gemeinnord.
'^flute, ascliw.//?<^/ eingetreten; in den obl. casus *tlntan>*fhtan,
isl. aschw. flota ist er aber durchgeführt worden. Hierdurch
wird die ansieht Bugges, Arkiv 4, 19 bestätigt, dass der a-laut
in nom. sg. whvila etc. ein ä-älmliches a war.
Gegen diese auffassung kann nicht eingewendet werden,
dass das u in fluti etc. aus solchen urnord. oder urgerm. casus
herrühre, welche in den an. literatursprachen verloren gegangen
wären. Am ehesten könnte man wol an eine form auf -in{n)
für gen. und dat. sg. (vgl. got. gen. hanins, dat. hanin) denken.
Xoreen hat nämlich die Vermutung ausgesprochen, dass der
/- Umlaut einiger wenigen nord. w- stamme auf eine solche
endung zuiiickzuführen sei, z. b. aschw. ^re^e : M. gröpi (Sv.
landsm. 1, 696 anm. 3; 738. Pauls Grundr. l^, 613). Dies ist viel-
leicht richtig. Ein urnord. *tlutin muss aber in den an.
literatursprachen *tlyti (nicht fluti) ergeben haben, und es ist
gewis nicht möglich, dass der «-laut in einer so grossen
menge Wörter (gumi, fluti etc.) dadurch gerettet worden wäre,
dass er vor der «-umlautsperiode aus dem gen. dat. sg. in den
nom. acc. sg. übertragen worden wäre. Dass dies nicht der
fall gewesen ist, geht vor allen dingen daraus hervoi-. dass
die umgelauteten formen '*gi/mi, *flyfi etc. sich nicht einmal
neben gumi, fluti etc. finden.
^^>nn der a-laut der ultima von brosa etc. (wie t'aÄ-a, got.
hahan flectiert) aus urgerm. ce entstanden ist, so ist doch der
a-umlaut in brosa erst nach der zeit bewiikt worden, wo (ü
in a übergieng.
Die umlautsveihältnisse dieser verben {broaa, duya etc.)
520 KOCK
dürften nämlicli die frage zum teil aufklären, wann der
a- Umlaut von u durchgeführt wurde.
Man flectiert bekanntlich im got. praes. haha, liabais, lia-
haij), habam, liahaip, hahand, inf. liahan, part. praes. hahands.
Betreffs der ziemlich umfangreichen literatur über die geschicht-
liche erklärung dieser verben verweise ich auf Streitberg, Ur-
germ, gramm. s. 306. Es dürfte aber als sicher gelten, dass die
flexion dieser verben auf einem älteren Stadium des an. mit
der got. in der weise übereinstimmte, dass sich der diphthong
ai fand, wo das got. diesen diphthong, aber der endvocal a,
wo das got. diesen laut hatte.')
Wenn nun der diphthong ai während der a-umlautsperiode
erhalten gewesen wäre, und wenn überhaupt jeder «-laut
a-umlaut bewirkt hätte, so hätte auch der a-laut des diphthongs
ai Umlaut bewirken müssen; vgl. dass der i-laut des brechungs-
diphthongs io, ebenso wie andere /-laute, /-umlaut bewirkt, z. b.
Pyrhiorn (< Purbiorn). Unter diesen Verhältnissen hätten alle
formen (oder fast alle formen) dieser verben mit dem w^irzel-
vocal u a-umlaut bekommen müssen.
Während aber mehrere verben dieser flexion «-umlaut
haben (isl. brosa, glotta etc.), fehlt der umlaut in anderen immer
oder oft: isl. ima, luma, duga : aschw. dogha (neben dugha).
Wie bekannt geht der germ. diphthong ai der infortis-
silbe im nord. in e, i über (vgl. 2. 3. sg. praes. vakir etc.). Man
ist deshalb zu der Schlussfolgerung berechtigt, dass der a-um-
laut in z. b. aschw. dogha ( : isl. duga) erst nach der zeit durch-
geführt worden ist, wo ai in der endung zu c oder wenigstens
zu d wurde. In der 3. pers. pl. "^dit^an (vgl. über diese form
Kock, Arkiv n.f. 10, 232 ff.), in inf. *di(^an etc. wurde der a-iun-
laut durchgeführt {*do^an), in der 2. 3. sg. *dnseR, *du$ed etc.
aber nicht. Isl. duga hat die vocalisation dieser, aschw. dogha
die vocaüsation jener formen bekommen.
Ich will noch ein paar umstände hervorheben, welche
dartun, dass im an. zwar a, nicht aber ö (wie auch nicht ce)
a-umlaut bewirkte.
In mehreren einsilbigen masc. a- stammen findet sich ein
') Mit ausnähme der 1. pers. sg. praes. (Noreeii in Pauls Grundr. 1 *.
§ 249).
DER .1-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 521
Wechsel u : o. z. b. ascliw. ufcr, iiscliw. aficr : isl. o/r, ascliw.
oter, ascliw. nddcr, nscliw. ndd : isl. oddr, aschw. odder, aschw.
luJcler : isl. Jol-Jcr, aschw. lold-cr, aschw., alt. nscliw. his{s) : isl.
Iwss, aschw. Ixos, nscliw. tupp : isl. ioppr, aschw. topper, aschw.
flulxlxcr : isl. floMi; aschw. flohker. Ausserdem findet sich ein
solcher in mehreren gleicliarti(*-en Wörtern, wo der dem wurzel-
vocal vorhergehende consonant bei freier wähl zwischen
u:o den ?<-laut begünstigt hat, z. b. isl. aschw. hnM{e)r :
holiTx{e)r, hnlst{e)r : holst{e)r, fu(j(h)l : fog{h)l, aschw. knqrper :
isl. aschw. 'kropp{e)r etc.; vgl. unten s. 527 ff. Isl. idfr, aschw.
tilwer hat sogar ausschliesslich u\ nur als zweites compositions-
glied wird -olfr in isl. Eyiolfr etc. verwendet; vgl. urnord.
hapuwolafa (Gommor), hapuivolaß (Stentofta) neben hariwulafci,
liapuumlcifR, haeruwidafiR (Istaby).
Bekanntlich enthielt urnord. die zweite silbe solcher Wörter
in allen casus ausser dem dat. sg. a, o oder ö (sg. *utraR, *utras,
*utre, *utra., pl. *iitröR, "^utrö, *utrom-, *utrami). Also hätte
nach der gewöhnlichen auffassung des «-umlauts dieser in allen
casus ausser dem dat. sg. durchgeführt sein sollen. Zu einer
noch früheren zeit hätte der «-umlaut auch in dat. sg. ein-
treten müssen, wenn er überhaupt einer so frühen periode
angehörte; die urnord. dat.-endung e dürfte nämlich (vgl.
Streitberg, Trgerm. gramm. s. 227) aus germ. ai, indog. öl ent-
standen sein. Wäre es nun möglich, dass der w-laut so vieler
Wörter aus dem dat. sg. allein herrühre, sogar in Avörtern, die
wegen der bedeutung nur äusserst selten im dat. sg. haben
vorkommen können? üiese frage muss jedenfalls mit nein
beantwortet werden.
Die Sache stellt sich dagegen ganz einfach, wenn man an-
nimmt, dass der a-umlaut nicht urgerm. ist, und da?s in urnord.
zeit nur ä (nicht aber ö) den o-umlaut bewirkte. (Tleichzeitig
mit der entwickelung Viurna > horna wurde dann der a-um-
laut in vier casus von z. b. uter : otr durchgeführt (sg. nom.
*otraR, gen. *otras, acc. '^otra, acc. pl. *otrmm), aber u blieb
vorläufig in vier casus (dat. sg. *utre, pl. nom. *ufröR, gen.
*utrö, dat. *utroni-) erhalten. Nachdem das mit levissimus
accentuierte a in nom. sg. *otraR > otr{R), acc. sg. *otra > otr
etc. verloren gegangen war (bez. nachdem der o-lant der ultima
so reduciert worden war, dass er nicht mehr eigentliciien
522 KOCK
a-klang hatte und deshalb auch niclit mehr a-umlaut bewirken
konnte; vgl. dass der a- ähnliche a-laut des nom. sg. *fluta >
flufi keinen umlaut bewirkt')), wurde der nicht umgelautete
vocal u aus dem dat. sg., nom. gen. dat. pl. {*utre, *i(tröR, *utrö,
*t(trom-) in die casus mit lautgesetzlichem o eingeführt, und
man bekam also nom. sg. utr{ii) neben oty{R), gen. sg. utrs neben
otrs, acc. sg. utr neben otr. Erst nachdem nom. pl. *utröR, gen.
pl. *utrö zu utraR, utra geworden, bewirkte a auch in diesen
casus umlaut {otraR, otra). Jetzt hatte man aber schon den
Avechsel utr{R) (aschw. uter) : otr{n) (isl. aschw. ot{e)r).
Unter den für diese frage beweisfähigen masc. w-stämmen
habe ich aschw. nschw. ugn : isl. aschw. ofn, isl. ogn, aschw.
oghn, onm, dän. ovn nicht erwähnt. Im aschw. dürfte nämlich
eine lautgesetzliche entwickelung o > u vor dem gutturalen
nasal durchgeführt worden sein. Nachdem oglm zu ogn, ongn
geworden, gieng o in ii {ongn > ungn, aber noch ugn ge-
schrieben) ebenso wie in (isl.) logn > aschw. nschw. lugn über.
Beachte auch isl. lirogn, aschw. (sike)ronipn, nschw. rom : aschw.
rughn.
Der Wechsel aschw. sJcop 'spass' : dat. pl. skupum spricht
auch dafür, dass nur ä den a-umlaut bewirkte; vgl. aschw. hop,
nschw. hopp 'sprung' : aschw. dat. liupi. Auch aschw. liop 'hoff-
nung' (das jedoch wol ein mnd. lehen ist, vgl. mnd. hope) hat
in der regel (vgl. nschw. hopp) o; nur im aschw. dat. hupi
(jung, hupe) ist u belegt. Die angeführten Wörter sind kurz-
silbig, und solche haben im aschw. den alten lautgesetzlichen
Wechsel u : o länger als die langsilbigen erhalten; vgl. Kock,
Tidskrift f. fil. n. r. 8, 295 (Arkiv n. f. 2, U f.). Derselbe laut-
gesetzliche Avechsel kann aber auch ausnahmsweise in lang-
*) Der Istabystein spricht möglicherweise für die zweite alter-
native. Dieser stein hat nämlich den acc. sg. harhvnlqfq,, wo das q, der
nltima einen reducierten o-laut auszudrücken scheint (vgl. Noreen, Aisl. gr.*
s. 2.59), aber schon den acc. pl. runaR « runoR). Da sich aber dort auch
der nom. hoßuivulqfR mit verloren gegangenem <i « *hapnwulnf(i r) findet,
so ist die insclirift für diese frage nicht beweisfähig. Es ist zu beachten,
dass hariwiüq,fq,, ?iapuwi'lq.fR composita sind, und dass die endvocale der
composita lautgesetzlich etwas früher als die der simplicia verloren gehen.
Man liegt aber wie bekannt den verdacht, dass die Istabyinschrift eine aus
relativ späterer zeit herrührende nicht ganz gelungene nachahmnng der
älteren ruuensprache sei.
DER .1-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 523
silbigen Wörtern verspürt wei'den. Es findet sich asclnv. lopt
•Solarium' : dat. lupte. holmber hat fast überall o; doch in
zwei lat. diplomen iii orholiidm (aus dem Jahre 1287) < dat.
-kühne und dat. pl. liulmum (aus dem Jahre 1811).
Ferner zeugt der Wechsel der umgelauteten und der nicht
umgelauteten formen bei den fem. w- stammen dafür, dass
zw^ar a niclit aber ö den a-umlaut bewirkte. In gewissen
altschwedischen Schriften findet sich, wie bekannt, ein regel-
mässiger Wechsel nom. liona : obl. casus kunu, noni. hola : obl.
casus hi(h(\ zu beachten ist auch aschw\ /bra : nsdiw. af fnru.
Vgl. isl. koiia : Juma, aschw. loha : liika, aschw. flogha : isl. aschw.
flug(h)a, isl. aschw. hosa : aschw. kusa, isl. stofa, aschw. stowa :
sfmva, alt. nschw. sola : aschw. sida, aschw. skrohha (als beiname
benutzt, Lundgren, Sv. landsm. 10, no.6, s. 66) : shruhha 'höhle'.
Isl. luhha 'grosser dorsch' hat sogar nur u,
Der gen. sg. Ig'won auf dem Stenstadstein lehrt, dass die
fem. «-Stämme urnord.-öw(>i) in der ultima liatten, was vollständig
mit der got. flexion gen. tuggöns, dat. tuggön etc. übereinstimmt. ^)
') Dieser ansieht ist auch Bugge, Norges indskrifter s. 180. Ohne ge-
nügenden gnmd nimmt Noreen, z. b. in Pauls Grnndr. P s. 014 an, dass der
gen. sg. isl. wiku etc. aus urnord. ^wikün entstanden sei. Nirgends ist
aber ein urnord. gen. auf -ün oder dgl. belegt (in Iqkmiiprku [acc. pl.] der
relativ späten [nicht urnord.] Kärnboinschrift ist -h natürlich aus alt.
-önn entstanden). Der endvocal -u des gen. sg. viku (vgl. got. tuggöns)
trotz dem -a in inf. kalhi (vgl. got. salbön) erklärt sich in folgender weise.
Nom. acc. pl. aschw. eghon, eghun und wol auch isl. augti entsprechen dem got.
augöHft (s. Kook, Beitr. 1.5. 244 ff.). Also ist im nom. acc. pl. *au^ön- (mit
vocal nach h) der endvocal als o, u erhalten (vgl. aschw. eghon, eghun,
isl. uugn), während urnord. '^kallön mit auslautendem kurzem n zu isl.
aschw. kalla geworden ist. Die entwickelung *kallön >> kalla ist deutlich
durch den relativ frühen verlust des -n bedingt; vgl. dagegen aschw.
eghon mit o und erhaltenem n. Der gen. sg. viku, der nom. acc. pl. *wiku
(vgl. Iqknniprku auf dem Kärnbosteine; später anal. loikuR, viknr) sind aus
urnord. *wikönn mit langem n, *wikönji, wikonz (vgl. got. lungons) ent-
standen. Musste nun b in *icikonn mit langem -n in derselben weise wie
ö in *knUön mit kurzem -n oder wie o in *au^on- (got. augöna) mit vocal
nach n behandelt werden? Weil der n-laut in *u-tkonn lang war, niuss er
später als das kurze n in *kallön verloren gegangen sein, wenn er auch
(wie aschw. gen. sg. viku : eghon lehrt) früher als in *au,i;nn- wegfiel. Man
hat also während einer periode *kallo (wahrscheinlich mit nasaliertem ö)
neben ^wikbnin) gehabt. Deshalb entwickelte sich ^kallo zu kalla (vgl.
nom. urnord. *icikl) >■ isl. aschw. viku), aber *wiköii{n) zu viku vgl. *au^un-
524 KOCK
Eine flexion nom.*huIö, gen.ViuIönn, dat. acc. *A«7öm, ])\.*hulönn,
*lmlöm hätte aber nur sg. hola : holu, pl. Iiolur etc. (nicht gen,
linlu, \\\.}mh(r etc. mit u in der Wurzelsilbe) geben müssen, wenn
a-umlaut auch durch u bewirkt worden wäre. Wenn dagegen
nur ä (nicht ö) «-umlaut bewirkte, so ist der Wechsel nom. Jiola :
gen. hulu, pl. huhir etc. vollständig in Ordnung. Erst nachdem
urnord. nom. *hulö 7AI hula^) und urnord. gen. *Jndön(n) zu hulo
oder hulu geworden waren, wurde in solchen Wörtern der
a-umlaut durchgeführt; nom, hula wurde dann zu hola ent-
wickelt, während der wurzelvocal in gen. hulo, hulu etc. er-
halten wurde. 2)
Da im an. nur ä, nicht 0, rt-umlaut bewirkte, so ist der
a-umlaut in ivorahto (Tune) von dem zwischen r und h ent-
> aschw. eghim, eghon, isl. augu). Streng lantgesetzlioh hätten dat. und
acc. sg. *tvikön (vgl. got. tuggön) zn *vika (vgl. inf. kalla) entwickelt
werden müssen. Dnrch den einflnss der drei casus gen. sg., nom. acc. pl.
*iciköH{n) (vgl. got. tuggöns) wurde aber das auslautende -n im dat. acc. sg.
*wikön (vorläufig) erhalten. Auch dies *tvikön gab deshalb viku ebenso wie
gen. sg., nom. acc. pl. *iinkön{n) zu viku wurden.
') Für diese frage ist es ohne belang, ob */n<7n streng lautgesetzlich
zu hula (ebensowie nom. *}nkö zu tnika etc.) wurde, oder ob ö in Vmlö
(wegen des t<- lautes der paenultima) lautgesetzlich sollte erhalten bleiben
(vgl. Kock, Beitr. 15, 254 ff.); in diesem falle ist -a sehr früh in nom. sg.
hula aus nom. sg. vika etc. übertragen worden.
^) Diese Schlussfolgerung hat wegen des wechseis aschw. skrohba :
skrubba, isl. kona : kuna, aschw. flogha : isl. fhtga und wegen isl. Ixhha mit ti
ihre gültigkeit, auch wenn das nebeneinander 0 : u in aschw. kurz silbigen
fem. M- Stämmen vielleicht zum teil auf einer aschAv. dialektischen
lautgesetzlichen eutwickelung 0 >■ u vor u der folgenden silbe beruht;
Avenn dem so ist, so wäre z. b. gen. stüivu durch s. g. 'tilljämning' (zum
teil) lautgesetzlich aus stöivu entstanden. — Es braucht kaum bemerkt zu
werden, dass ghioronon hideRrunono auf dem Stentoftastein nicht gegen
meine obige auffassung angeführt werden kann. -rotioR in ginoronoR kann
nämlich entscliieden nicht mit Noreen, Aisl. gr.^ s. 2t)3 als eine (rt-umgelau-
tete) form aus neuisl. runa 'linea, stria' aufgefasst werden. Eher ist -ronoR
aus -rünoR 'runen' (vgl. ginarünaR auf dem Björketorpstein) entstanden
und als ein beispiel der lautentwickelung ü > o in semifortissilbe aufzu-
fassen (vgl. Kock, Arkiv n. f. 1, 57 ff.). Uebrigens ist bekanntlich der ganze
Charakter dieser Inschrift der art, dass man auf ihr, wenigstens vorläufig,
nichts aufliauen darf. Es ist sehr leicht möglich, dass sie (wie Wimmer
annimmt und Hugge wenigstens früher annahm) eine schlechte copie einer
älteren inscbrift bez. mehrerer älteren Inschriften ist, die der .Steinmetz
nicht oder nur mangelhaft verstand.
DER -<1-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOllD. SPRACHEN. 525
wickelten parasitvocal a hervorgerufen worden, wobei vielleicht
aucli der r-laut und möglicherweise auch der Ä-laut eine rolle
spielte. Wie bekannt hat der >--laut iiberliaui)t eine tendenz
dem vorhergehenden vocale eine offenere ausspräche zu gebtMi ;
vgl. z. b. die entwickelung */mrw > hautn etc. im got., dass im
aschw. r bei freier wähl zwischen n : o den o-laut begünstigte,
und dass im späteren aschw. u vor dem hohen supradentalen r
in den lautverbindungen rö, rt etc. in o Ubergieng (spurjje >
spordhe etc.; s. unten s. 527). Zu beachten ist auch der Über-
gang n > 0 (au) vor h sowol im got. (z. b. ''''suhts > saühts)
wie im an. (z. b. sott).
Nach den obigen erörterungen kann die frage aufgeworfen
werden: ist der a-umlaut von u gänzlich eine einzelsprach-
liche erscheinung, so dass z. b. die entwickelung *hurna > horna
nicht in urgerm. zeit durchgeführt worden, sondern teils früh-
urnordisch teils urwestgermanisch ist? Soviel ich sehe, kann
die frage nicht mit voller Sicherheit beantwortet werden. Doch
spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der «-umlaut gänzlich
eine einzelsprachliche entwickelung ist.
Wie bekannt hat das got. Wulfllas überall u. In der
letzten zeit ist die scharfsinnige Vermutung ausgesprochen
worden, dass man in dem durch die klassischen autoren über-
lieferten namen der Goten Got{h)ones (neben Gutones) eine
spur des «-umlauts aus der vorwulfilanischen zeit habe (Osthoff
und Streitberg, IF. 4, 308 f. Streitberg, l^rgerm. gramm. § 71 ; Got.
elementarbuch § 5). Nach dem aufsatz von Collitz, Journal of
Germ, pliil. 1, 220 ff. dürfte man aber der Schreibweise der klas-
sischen autoren kein eigentliches zeugnis in dieser beziehung
beimessen können.
Dabei ist aber auch ein anderer umstand zu beachten.
Die möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass das nebeneinander
Got{h)ones : Gutones darauf hindeute, dass bei den Goten der
a-umlaut in einer bestimmten Stellung eingetreten, aber
sonst nicht durchgeführt worden ist. In Arkiv n. f. 8, 138 ff.
habe ich gelegenheit gehabt darzutun, dass ein stehengeblie-
benes u im anorw. (d.h. in gewissen anorw. dialekten) nur
in semifortissilbe, nicht aber in fortissilbe umlaut bewirkte, z. b.
Jj'iödy^tu {nom. JjiöÖyata), aber simplex yatur ohne umlaut. lu
526 KOCK
Übereinstimmung hiermit ist der ?-umlaut in der spräche des
Ecksteines nur in der silbe mit semifortis, nicht in der fortis-
silbe von einem stehengebliebenen i hervorgerufen worden,
z. b. mogmini, d. h. moymenni, aber narin ohne umlaut (Kock,
Arkiv n. f. 10, 249 ff.). Da nun der Gotenname vor allem im
zweiten compositionsgliede der namen 'Ostgoten' und 'West-
goten' {Ostroijothm und Wisiyotlm bei Jordanes, vgl. Streitberg,
IF. 4, 300 ff .), vorkommt, so ist es nicht unmöglich, dass bei
den Goten der «-umlaut nur in semifortissilbe eingetreten ist,
und dass die Schreibung Gntones bei den klassischen autoren
die vocalisation des simplex giitans, Got{h)ones aber die der
composita -gotans reflectiert.
Wie dem auch sei, so kann das got. nicht als eine stütze
für die annähme herangezogen werden, dass der a- umlaut in
urgerm. zeit in der t'ortissilbe durchgeführt worden sei.
Nun ist oben dargetan worden, dass der «-umlaut der an.
sprachen z. t. ziemlich spät eingetreten ist. In sumar > somar
etc. wurde der «-umlaut erst bewirkt, nachdem der «-laut der
zweiten silbe des nom. pl. ^sumaröR > sumraR etc. synkopiert
worden war. Im nom. sg. Jmla > hola, kuna > Jcona etc. wurde
er durchgeführt nach der zeit, wo -ö des nom. sg. in -a über-
gieng. Unter diesen umständen ist es wenig glaublich, dass
die «-Umlautsperiode schon in urgerm. zeit angefangen habe;
dann würde sie nämlich eine zu lange epoche umspannt haben.
p]s ist viel wahrscheinlicher, dass der «-umlaut von *huma >
Jiorna ebenso wie derjenige von hula > hola der nord. sprach-
einheit angehört.
Ich gehe zu der fi'age über, inwieweit ein vorhergehender
consonant in den an. literatursprachen, besonders im aschw., die
wähl von o oder u begünstigte, wenn diese vocale seit alters
in verschiedenen formen ein und desselben wortes wechselten.
Im Arkiv n. f. 5, 244 ff. habe ich die frage nach dem einfluss
eines unmittelbar folgenden consonanten (bez. einer unmittel-
bar folgenden consonantenverbindungj auf u sowie auf ein durch
a-umlaut aus u entwickeltes o behandelt; vgl. auch Brate, Äldre
Vestmannalagens Ijudlära s. 23. R. Larsson, Södermaunalagens
spräk 1, 32. Hultman, Finländska bidrag tili svensk sprilk- och
folklifsforskning s. 120. Noreen, Aschw. gramm. § 111, 2.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 527
Aber auch ein den vocalen o -. n unmittelbar vorlier-
g-ehender consonant hat einfluss auf sie ausüben können.
Dies o'elit besondei-s aus einer niusteruiifi- des in Sclilyters
glossar zum Titphiudsgesetz (l^L.) verzeichneten wortscliatzes
liervor.
Die tatsäcliliclien angaben ül)er den spi-aclig-ebraucli dieses
gesetzes rüliren meistenteils aus jenem werke her, das zwar
niclit immei- alle w^echselformen der Wörter verzeichnet, aber
ohne Zweifel die normalforni immer corre.i^t anführt.
In meinem soeben citierten aufsatz dürfte dargelegt worden
sein, dass aschw. w vor dem hohen supradentalen r der laut-
vei'bindungen rÖ, rt, rn, rs, rl (spurpc > s^wrjxi etc.) in o über-
gegangen, und dass im aschw. der o-laut bei freier w^ahl
zwischen o : u vor supradentalem /, n {foli etc.) beg-ünstigt
worden ist. Im altgutn. ist n vor r überhaupt zu o geworden
(Söderberg, Forngutnisk Ijudl. s. 16).
Es findet sich im Upplandsgesetz o in horJ> (auch fore
horpc oh hry(](ihi sporlw), niorj), viorjxjwld, mor])ceri, orp, norpcen,
skorke, honi, körn, körn lubrlxvrghi, forn — horghce, horghmn,
morghin, morghon goef, torgli, torghkop, orkce, porp, porjxekarl,
porwoe (verb), vip porum, vipwr porwce, orf, torf, torwce — porce,
sporgceld, for- (in forman, forfcepcer etc.), horin (part. zu bcera),
inhorit, oskorin (zu skcera).
Dagegen hurghis (s. 228, 9 < burghits), purwu (3. pl. praes.),
\)vaeX. piirfti, di'Ai. \)\. durum und dorum (zu <7«/r 'für').
Vor supradentalem l in den Verbindungen Ik, Im steht o
in molkce, folk, folkvapn, folkland, husscetis folk — holmbeer,
th>tho[l]mbibr, j stokholmi (6, 3). Dagegen findet sich « vor dem
supradentalen l der Verbindungen Ip, Igh in stidpi, obl. casus
grindce stuljyce — dulghosdrap, daghfulghit.
Hieraus ergibt sich, dass in der spräche des Upplands-
gesetzes bei freier wähl zwischen u : o eine bestimmte ten-
denz durchgeführt worden ist, den o-laut vor rÖ, rt, rn (und
meistenteils auch sonst vor r) ebenso wie vor //.-, Im zu benutzen.
Dagegen bleibt es zweifelhaft, ob schon in diesem dialekte eine
lautgesetzliche ent Wickelung u > o vor rÖ, rt, rn {rs, rl)
durchgeführt worden ist.
Sofern o nicht nach dieser tendenz (d. h. vor r, Ik, Im) ge-
fordert wird, verwendet aber UL. den vocal u unmittelbar
528 KOCK
nach h,f,m,g (und? r,li) in Wörtern, die sonst gewölin-
lich im aschw., bez. in den an. sprachen, einen Wechsel
0 : u haben.
Es finden sich also z. b, hiikher (vgl. aschw. hiücker : holiker),
bulster (vgl. aschw. holster : hulster), hup, forhiij), forhups vitni,
forhulm, tilhup, hupkafli, hupsicapcer (vgl. aschw. hup : hop, hup-
skap : hopskap etc.).
fughl (vgl. aschw. fuglil : fogJd), fughlceren (vgl. aschw. fugh-
laren : foghlaren\ f'uldcer (doch acc. sg.follcen 112, 7; vgl. aschw.
fulder : folder), fidfene, fullce (== fyllce), fuUsceri, fidt, fidncepwr.
sivincesmughce 221, 14, grisoe smughce 221, 15 (vgl. aschw.
sniugha), at muni (dat. sg. zu aschw. mon : nmn), mun (praes.
sg.; vgl. aschw. mon : mun). Dagegen part. moghandi.
gup (vgl. isl. gop : gup, aschw. gup •) ), gupsificer, gupsiivoi-
lagh, afgup, gul (subst.; vgl. isl. goll : gull] aschw. gul, nur sehr
selten, wol durch deutschen einfluss, goT), gidsmipcer, gidgcerning,
gutar (vgl. aschw. gutar : gotar), part. giddin, giddit, oguldin (vgl.
isl. goldinn : aschw. giddin). Es ist für die beurteilung der frage
von belang, dass UL. hruplwme 'bräutigam' 106, 13 mit o nach h
verwendet (vgl. afhoma, aterloma, koma neben kuma). Da hrup-
kome aus brupgome, hruPgumi entstanden ist (Kock, Arkiv n.f.
5, 161 ff.), so ist der gebrauch von u nach g in UL. erst nach
der zeit durchgeführt worden, wo hruPgomi sich in hrupkome
entwickelte.
hrid (vgl. aschw. hrut : hrot), hyce-, hen-, ra-, dorn-, frip-,
hcelghudaghm-, skriptw-hrut, hrutUkcer (vgl. aschw. hnäliker :
hrotUker), henhrutin (adj., vgl. aschw. part. hriUin : brotin), subst.
ruf (vgl. isl. rof: aschw. ruf), Iceghu ruf, vcernce ruf, gritp (vgl.
aschw. grup\ rughcer (vgl. aschw. rogher : riigher, isl. riigr), rupce
'reute' (vgl. aschw. rupa : obl. casus rupu). Dagegen adj. rotin.
hughcer (vgl. aschw. hugher : hogher), athughi : obl. casus at-
huglue 5, 14 (vgl. aschw. hughi : hoghi), um huxce sdc (vgl. aschw.
huxa : hoxa), hulsceri (vgl. aschw. Jnd : hol), subst. huld (vgl. aschw.
huld : hold), part. hidpit (vgl. aschw. hidpin : holpin).
Die Ursache dafür, dass sich nach b, f, m'^) in der regel u
(nicht o) findet, ist natürlich, dass diese consonanten ebenso wie
*) Das im Biaarkearaetter vorkommende gozpceningar hat u durch
deutscheu eiufluss (mnd. ijudcsptunink).
'^) Beispiele fehlen zufällig für p-.
DER J.-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOKD. SPUACHEN. 529
der Vücal u stark labial sind. Dass auch (/ im asclnv. labialisiert
war. gellt daraus hervor, dass nach der entwickelung Gautstdwer
> Gotstdu'cr mit fortis auf dem zweiten compositionsglied der
o-laut nach // weiter in u {Gu{t\stdivcr, nschw. Gustaf) über-
g-egangen ist. Wie bekannt gehörte im aschw. auch r den
labialisierten consonanten an; dies ergibt sich z. b. daraus, dass
aschw. i zwischen labial und r in y übergeht, z. b. virpa >
vyrpa, nschw. vörda, Birghir > Byrghir, nschw. Börje etc. (Kock,
Sv. spräkhist. s. 22 f.). Es mag möglicherweise auf den ersten
blick befremden, dass UL. vor r den o-laut, aber nach r den
w-laut verwendet. Das befremdende schwindet aber, wenn man
bedenkt, dass r zu gleicher zeit ein supradentaler und ein
labialisierter consonant war. Ueberhaupt findet sich im schwed.
die tendenz, vor (aber nicht nach) supradentalen consonanten
offene vocale zu verwenden (und o ist offener als m; vgl. Kock,
Arkiv n. f. 5, 244 ff.). Wenn aber ein consonant labial oder
labialisiert ist, so beeinflusst er auch den nachfolgenden vocal.
Wahrscheinlich war auch das h im aschw. labialisiert, da i
zwischen li und r oft in y übergeht, z. b. hirl)e > hyrdhe etc.
(Kock, Sv. spräkh. s. 25).
Ich erblicke im subst. skot eine weitere gute stütze dafür,
dass ein vorhergehender laut bei der vocalisation ti : o einen
einfluss ausgeübt hat. UL. hat sJwt, matshot, süelfsJwt mit o,
aber utsJcut, utskutstola mit u\ in diesen Wörtern findet sich u
auch in der ersten silbe. Hiermit ist zu vergleichen, dass,
während das aschw\ im subst. holmber fast immer o (nicht u)
verwendet, man im Westmannagesetz B. 17 pr. (textcodex)
fluf hundhcer statt flut Imlmhcer mit u, im codex C fhähulmar
auch mit u liest. Dies beruht darauf, dass auch die erste silbe
des compositums flut-hulmber ein u enthält.
Es ist eine andere frage, ob in der spräche des UL. ii
nach den erwähnten consonanten durch eine laut gesetzliche
entwickelung aus o entstanden ist (z. b. urnord. nom. sg. ^huhhaR
> *bolihaR [durch a-umlaut] > hokkr > biiJckr), oder ob der
w-laut, bei freier wähl zwischen u : o, am liebsten gewählt
w'orden ist, wenn der vorhergehende consonant labial bez.
labialisiert war. Es ist möglich, dass eine lautgesetzliche ent-
wickelung 0 > n nach irgend einem der erwähnten laute
(z. b. b) durchgeführt worden ist ; da sich aber moghandi, rotin
Boltrilfiu zur goitchichto der deutschen spraobo. XXIII. 34
530 KOCK
mit 0 finden, so zeugen sie dafür, dass ein lautgesetzliclier
Übergang o > « nicht nach allen den angeführten lauten ein-
getreten ist. Wenigstens vorläufig ist es deshalb am vorsich-
tigsten, das Verhältnis in der weise darzustellen, dass nach den
erwähnten consonanten der vocal u wenigstens meistenteils
gewählt worden ist, dass aber eine lautgesetzliche entwickelung
oy- II vielleicht nach irgend einem dieser consonanten ein-
getreten ist.
Das oben für UL. dargelegte Verhältnis findet sich Avenig-
stens teilweise in gewissen anderen aschw. Schriften wider.
Sogar im altgutn., das vor r in der regel o verwendet, lässt
sich ein einfluss des vorhergehenden consonanten verspüren.
Trotz dieser regel finden sich nämlich im altgutn. hunjhan,
hurg, deren ^<-laut mit dem vorhergehenden labialen b- in causal-
verbindung zu setzen ist.
Das isl. verwendet wenigstens zum teil u : o nach derselben
norm wie das aschw. Es findet sich nämlich o vor rJ, rt, rn
z. b. in isl. orp, morp, horj), norpan, skorpa, ') skort, skorta, ortet,
orti ( praet. von yrl-ia), hörn, lorn, porn, forn etc. Also ist der
o-laut bei einem Wechsel o : u vor diesen lautverbindungen mit
hohem supradentalem r (vgl. Kock, Arkiv n. f. 5, 247), wenig-
stens in der regel, gewählt worden. Dagegen isl. htrjr 'bie-
gung', hugi = bugr, huga 'biegen', huhkr (selten hokkr), hulstr :
holstr mit h vor dem wurzelvocal; fullr, fullna, fiiUnapr etc.,
fugl : fogl mit /"vor dem wurzelvocal; snmga, mmir, anorw. muga
= mega mit m vor dem wurzelvocal; ial. gustr, gusfa, gussa,
gumi : guma, gulr, gugna, gup : gop, gidl : goll mit anlauten-
dem g ; hugna, hugsa (auch hugr) mit anlautendem h.
Wenn das isl. ulfr, das aschw. uhver nur u (nicht o) hat,
so beruht auch dies darauf, dass früher das stark labiale iv
dem ti vorhergieng (tvulfR). Im zweiten compositionsglied
findet sich dagegen -olfr (Eyiolfr etc.) mit «-umlaut; vgl. ur-
nord. hapuuolafa etc. (s. 521). Es ist möglich, dass in der
lautverbindung ?r«//- der eintritt des a-umlauts in der fortis-
silbe durch die umgebenden labialen consonanten verhindert
worden ist, obgleich der a-umlaut in dieser laut Verbindung
') Dagegen z. b. urp f. 'felsiger, steiniger ort' (/-stamm: ^\. nrßir),
burpr (ist), skurpr (i-st.).
DER yl-UMLAUT ETC. IN DF.N ALTNORD. SPRACHEN. 531
durclig-efülirt wurde {liajiu iroJafa ,\i>\.-oIfr),\yeim sie mit semifortis
accentuiert wurde. In diesem falle ist der nom. sg. idfr die
lautgesetzlidie entwickeluiio- aus urnord. *?r»7/Wß. Y^l. s.525f.
über Umlaut in der semii'ortissilbe, aber niclitumlaut in der
fortissilbe. Es ist aber auch möglich, dass a-umlaut auch im
Simplex ^indfaR > *ivoIfaR lautgesetzlich eingetreten, obgleich
nachher der «-laut bei freier wähl zwischen u : o gewählt
worden ist; vgl. auch s. 521 f.
In diesem Zusammenhang verdient auch erwähnt zu werden,
dass sich im alt. nschw. ein Wechsel rumpa, aber -rompa findet.
Das Lexicon lincopense (1640) verzeichnet nämlich nimpa (so-
wol im schwed.-lat. teile wie auch im lat.-schwed. teile s. v.
caudd); aber dagegen nmscrompa (ein gewächs, s.v. aizoon),
Hästarompa (s. v. miahasls). Bäfica rompa (s. V. alopecurus).
Zwar wüi'de man auch hier daran denken können, dass der
a-umlaut in der semifortissilbe lautgesetzlich eingetreten
sei, obgleich nasal + consonant dem u nachfolgte. Aber es ist
"wol wahrscheinlicher, dass -rompa durch einen dialektischen
aschw. Übergang u > o vor nasal + consonanten in der semi-
fortissilbe zu erklären ist. Dialektisch ist nämlich vor nasal
+ consonanten u schon aschw. zu o geworden, besonders in
der provinz AVestmanland, z. b. lezond {<lcj)-si(nd ^meerenge^
Westmannagesetz BB. ind. 22), ondan (< tmdan), onde (< undir
Ki\ 26 pr.), sonnodagh (Kr. B. 5, 4; 12 pr. etc.), misconna cona
(.E. 1. 2), cotino ('können' Kr. 8 pr.), conne ('konnte' Kr. 18),
nach dem Vorworte Schlyters auch fonnen; vgl. dass in dieser
Schrift die ableitungsendung -ung oft die form -ong hat, z. b.
enonga bot (Kr. 23, 2), fiorjjong (Kr. 24, 12), cononger (Kr. 26
pr.) etc. In einem westmanl. diplom (aus dem jähre 1399)
finden sich KomUa (Styffe, Bidrag tili Skandinaviens historia
2, 82 bis), konno 'können' (ib. 84). Die entwickelung scheint
in Westmanland hauptsächlich, aber nicht ausschliesslich, in
relativ unaccentuierter silbe eingetreten zu sein; wenigstens
in irgend einer gegend der provinz ist sie also auch in der
fortissilbe durchgeführt worden. Hiermit sind auch zu ver-
gleichen die aus runeninschriften verzeichneten purmontr
(Lilj. 475, Uppland), erinmontr (Lilj. 591, Uppland) aus -mundr;
vgl. Brate. Run verser 100 anm. 9.
34*
532 KOCK
Resultat.
Der a-umlaut von u ist nicht (wenigstens nicht gänzlich)
eine urgerm. entwickelung. AVahrscheinlich ist er erst einzel-
sprachlicli (also im urnord. und im westgerm.) eingetreten.
Als der a-umlaut in früher urnord. zeit in z. b. */mrw« >
liorna durchgeführt wurde, blieb u vorläufig vor m, n erhalten
(z. b. in ^sumaraR). Erst nachdem das a der ZAveiten silbe
von nom. pl. "^sumaröR > sumraR etc. synkopiert worden war,
wurde der «-umlaut spät urnord. in den lautverbindungen -iim-,
-im- {^siwiarR > somam etc.) durchgeführt.
In den an. sprachen ist der a-umlaut nur von einem wirk-
lichen ä bewirkt worden (nicht aber von ö, cb oder von dem
aus cB entwickelten ä-ähnlichen laute, der in den an. literatur-
sprachen zu e, i wurde, z. b. in nom. sg. ^luti). Der Wechsel
0 : w in den fem. w-stämmen erklärt sich daraus, dass z, b. nom.
liola aus Inda < ^liulö (nicht aus Violo), gen. kiilii aus *hiilön?i
sich entwickelt hat.
Vor ggtv (hrugginn etc.) findet sich kein o. Ueber idfr :
-olfr siehe s. 530 f.
Nachdem ein Wechsel o : u in demselben worte (stamme)
entstanden war, wurde der gebrauch dieser vocale im aschw.
(wenigstens dialektisch, UL.) in folgender weise geregelt. Man
hatte eine bestimmte tendenz, o vor hohem supradentalem r
in rö, rt, rn (und meistensteils auch sonst vor r) sowie vor Ik,
Im zu benutzen. Wenn o nach dieser regel nicht gefordert
wurde, so machte sich eine andere tendenz geltend: bei freier
wähl zwischen o : u findet sich u gern nach den labialen h,
f, m und dem labialisierten g {r, h?). Im isl. wird der Wechsel
0 : u z. t, in derselben weise normiert.
Excurs.
Die behandlung des germ. diphthongs cu und der
Wechsel iü : iö in den au. sprachen.
Die aus urnord. Inschriften belegten sJiiJxdeuhaR (Skärkind)
und AleugaR (Skaäng) mit eu (nicht eo) vor dem a-laut der
folgenden silbe lehren, dass der diphthong eu in urgerm. oder
urnord. zeit nicht in eo übergieng, wenn die folgende silbe
ein a enthielt. Dies ist lautphysiologisch leicht erklärlich:
ebenso wie der a-umlaut überhaupt nicht durchgeführt wurde.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOED. SPRACHEN. 533
wenn das palatale / zwischen u und dem folgenden «-laut
stand, so wurde er in den an. sprachen auch nicht bewirkt,
wenn der palatale vooal r dem n unmittelbar vorherg-ieng-,
d. h. im diphthonge ei<. Bugge hat im Arkiv n. f. 4. 23 die
bedeutung jener urnord. Wörter für die «-umlautsfrage hervor-
gehoben, und unabhängig von ihm hatte ich vermutet, dass
der diphthong cu dem a-umlaut nicht unterlegen sei.
Die regeln für die Verwendung der diphthonge m : iö in
den an. sprachen sind nämlich einer revision bedürftig.
Es ist allbekannt, dass der diphthong eu in der aschw.
literatursprache im allgemeinen zu iu geworden ist. In der
Tidskrift f. fil. n. r. 8, 288 anm. habe ich die ausnahmen von
dieser regel: tio])er (neben tiuj)cr), liomher (neben li umher) etc.
angeführt. Noreen, der die soeben referierte ansieht nicht
billigt (vgl. Aschw. gramm. § 163 anm. 3), vermutet ib. § 82,
dass diese aschw. Wörter mit iö {liömher etc.) aus solchen
dialekten stammen, wo eu in allen Stellungen zu iö geAvorden,
oder dass iö vielleicht einem urnord. eo entspricht, das durch
rt-umlaut von eu entstanden.
Schon längst ist es bekannt, dass das isl. iö vor 'dentalen'
und interdentalen {hiö])a, siön etc.) verwendet. In Pauls Grundr.
12§ HO formuliert Noreen die regel dahin, dass iu nur vor
^, f, S> h 1> ^iiid ini auslaut erhalten worden, vor r zu y (di/r
etc.), sonst aber zu iö, z. b. siön, liömi geworden sei. In seiner
Aisl. gi-amm.'- § 98 wird pl. hiü als beispiel für iii im auslaut
angeführt, und er meint dort, dass «-umlaut in {h)li6mr, J)i6fr
(selten piüfr), miökr (gewöhnlich miükr) vorliege.
Ich fasse die sache dagegen in folgender weise auf.
Bei der behandlung dieser frage muss man diejenigen
Wörter, wo der diphthong in (iö) durch das zusammenstossen
des wurzelvocals mit dem vocal der endung (z. b. ])riu < *]>riu)
entstanden ist, von denen mit dem gerni. diphthong eu (isl.
biöj)a etc.) scharf sclieiden.
Dass im isl. der germ. und urnord. diphthong cn nicht nur
vor 'dentalen' und interdentalen, sondern auch vor m laut-
gesetzlich zu iö wurde, geht aus isl. hliomr, lilioma, liömi, liöma
hervor. Aber auch im aschw. (oder wenigstens in den meisten
aschw. dialekten) ist der germ. und urnord. dii)hthong eu
vor m lautgesetzlich in iö übergegangen. Es finden
534 KOCK
sich nämlich aschw. lidm'm 'lau', liömhet 'lauheit', Iwmajter
,lau gemacht, lau', liömber 'lau' (dies ist die aschw. iiormal-
foim). Noch das Neue testament von 1526 hat lyöni, die bibel
von 1541 und die von 1703 liöm. Das alt. nschw. verwendet
liom{m) 'dumpfer laut', liomma 'dumpf lauten' (mehrere bei-
spiele in dem handschriftlichen Wörterbuch des alt. nschw. von
F. A. Dahlgren), Uomhörd 'harthörig'. Noch ^^'estes Wörterbuch
(1807) verzeichnet Ijomhörd. Mit dieser entwickelung eu > iö
vor m ist die behandlung des endvocals ii im jüngeren asclnv.
zu vergleichen. In kurzsilbigen Wörtern ist der alte endvocal u
in der regel erhalten (gätn etc.); vor m ist er aber zu o ge-
worden: vinmn > vYnom etc. (Kock, Fsv. Ijudlära 1, 211 ff.).
Nur seltener sind im aschw. beispiele des adj. liömber
mit iu (liumber) belegt; nschw. aber Ipim. Ausserdem hat das
aschw. einmal liumske (neben dem gewöhnlicheren liuske),
nschw. Ijtimske. Das alt. nschw. verwendet adj. liumsk 'falsch',
bisweilen lium, Inmima statt liom(m) 'dumpfer laut', liomma
'dumpf lauten' und auch Ijumhörd statt Ijomhörd. Aus dem
angeführten geht hervor, dass das jetzige nschw. ausschliess-
lich ßi verwendet, während das aschw. öfter iö als iu hatte.
Dies ist jedenfalls so zu erklären, dass im jüngeren aschw.
und alt. nschw. eine lautgesetzliche entwickelung iö > iu
durchgeführt wurde, welche vielleicht in Zusammenhang mit
der Verkürzung des ö- lautes (liöm > Hamm) steht. Hiermit
kann man vergleichen sowol dass im ostnord. ö bei Verkürzung
zu ü wurde (z. b. aschw. Jicegöme > hcegiimme etc., Kock, Arkiv
4, 176 ff.), als auch dass im aschw. der diphthong iu in den
endungen langsilbiger Wörter erhalten bleibt, obgleich der end-
vocal u in anderen langsilbigen Wörtern in o übergeht, z. b.
MrUu, aber {gingu >) gingo (Kock, Arkiv n. f. 7, 334 ff.).
Diese Wörter {liömber etc.) mit iö im isl. und mit iö {in)
im aschw. sind aus dem adän. nicht belegt.
In den an. sprachen dürfte aber der gerni. dii)hthong eu
auch in gewissen anderen Stellungen sich lautgesetzlich zu iö
entwickelt haben, obgleich nur äusserst wenige Wörter in be-
tracht kommen.
Das isl. hat iö in piö n. 'the thigh' (vgl. ags. töoh), fiöa
'helfen' (praes. tiöar, Hör; praet. tiöa])i, tiöpi); ausserdem findet
sich iö in aschw, *liö 'lau', das zweimal im neutr. liöt belegt
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 535
ist, und in ascliw. lirjc iau', einem äjr. Xty., das (wenn kein
Schreibfehler vorliegt) die bestimmte form von *liö 'lau' ist.
Aus dem alt. ndän. ist aber neutr. Hut 4au' einmal belegt.
Möglicherweise würde isl. tiöa daraus erklärt werden
können, dass iü im praes. tiör, praet. tiöj>i lautgesetzlich vor
r, p entstand. Da das verb aber auch tioar, tioapi flectiert,
so ist diese annähme sehr unsicher, und jedenfalls kann das
iö der anderen Wörter nicht in dieser weise erklärt werden.
Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass das eu in den an.
sprachen lautgesetzlich zu iö wurde 1) im auslaut, z. b. isl, })i6,
2) unmittelbar vor vocal (wenigstens vor a; kaum vor ?/), z. b.
isl. pioa, aschw. liöe, obl. casus Hiöa. Im adj. liö 'lau' ent-
stand dann iö in mehreren casus, z. b. nom. sg. fem., nom.
acc. pl. neutr. liö, acc. sg. niasc. liöan, fem. liöa etc. Das
alt. ndän. lirä ist die lautgesetzliche form in nom. acc. sg.
neutr., während aschw. liöt sein iö aus anderen formen be-
kommen hat.
Mit der entw'ickelung eu > iö vor vocal (wenigstens vor d)
darf zusammengestellt werden, dass ü vor vocal (wenigstens
vor a) im ostnord. lautgesetzlich zu ö wurde (Kock, IF. 2, 332 ff.).
Nach dieser Veränderung der regeln für die behandlung
des germ. diphthongs eu brauchen nur noch folgende Wörter
besprochen zu werden.
Gemeinnord, ist u in der semifortissilbe zu ö gew^orden,
z. b. isl. füss, aschAV. fus, aber aschw. öfös, isl. Olföss (Kock,
Arkiv n. f. 1, 57 ff.; vgl. oben s. 516 anm. 2). Nach diesem laut-
gesetz sind auch zu erklären:
die im aschw. recht gewöhnlichen personennamen auf
-niöt{e)r, z. b. run. sikniot (d. i. Sighniot), ouniot, aschw. Gwde-
niot Das aschw. verb niüta hat dagegen immer m;
aschw. iosnibiöijher, aber z. b. hifujhhcdta; vgl. h\.hiH<ja\
aschw. öliöwer (mit iö an den zwei stellen geschrieben,
w'o das wort sich findet), aber limver, seltener liöwer mit iö
aus öliöwer übertragen. Auch das adän. verwendet liöf neben
dem gewöhnlicheren Hilf.
Neben 7nlulr findet sich im isl. selten niiöJcr; ich vermute,
dass es iö aus dem compositum ümiökr bekommen hat. Das
wort 'dieb' wird als zweites compositionsglied einer menge
536 KOCK
zusammensetzung'en verwendet. So verzeichnet Eydqvist, Sv.
spräkets lagar 6 aus dem ascliw. fislia-, gor-, humbla-, hwinsku-,
JiirJiiu-, ncetia-, run-, sJcafl-, vipertaht-Jmitver, n])imva, urpinwa;
vgl. noch z. t). isl. hrossaju'öfr, sanpalriöfr, rmmnunc/npiöfr. In
solchen compositis wurde -Jjiufr lautgesetzlich zu -])iöfr, und
aus ihnen wurde das iö auf das simplex isl.Jnnfr übertragen,
so dass ])iöf>- auch als simplex die normale form ist. Zur be-
festigung von J)iüfr hat auch der umstand mitgewirkt, dass
das isl. eine menge personennamen auf -piöfr: Valpiufr, Geir-
Inöfr, Hnnliiöfr, Gunnpiöfr etc. verwendet, welche, wie Bugge,
Arkiv 2, 225 ff. dargelegt hat, Umbildungen von ags. namen auf
-l)eoiv (mit ]ieo7v 'servant, slave' zusammengesetzt) sind. Später
fasste man aber solche namen als mit Iriöfr 'dieb' zusammen-
gesetzt auf.
Das aschw. hat bisweilen sJciöter statt skirder 'schnell',
nicht selten icemsket neben icemslcyt (adv.) und auch fulsJcet
neben fulskyt (adv.). ^MmsknUt, ^fülskiütt mit fortis auf dem
ersten compositionsglied giengen lautgesetzlich in *icemskwtt,
*fullskiött (vgl. isl. iafnsJdött, fullsldött) etc. über, welche später
lautgesetzlich zu icemskHt, fullshett etc. wurden, ebenso wie
sJciütt, ^mmsMutt zu skptt, ioemshytt {sJcyf, ioßmshyt geschrieben;
Kock, Arkiv n.f. 7, 324')). Aus den compositis auf -skioter ist
das iö bisweilen auf das simplex skirder (skiöfer) übertragen
^) Das aschw. adverb sket 'schuell' kann nicht (wie Karsten, Studier
öfver de nord. spräkens primära nomiualbildniug 1, 110 und Noreen, Aschw.
gramra. § 99 anm. meinen) aus einem iiltoren ''skei/tt entstanden sein. Ein
simplex *skeytr, ^akeytr gibt es nämlich nirgends; es lindet sich nur ein
compositum isl. an. Af y. hcinskcytr ' wer fähig ist das ziel mit dem schusse
zu treffen', vgl. auch isl. bräpskeyttr 'schnell'. Dass das aschw. skett (sket
geschrieben) sich aus skiött, skiött entwickelt hat, geht daraus hervor, dass
0 sich fast ausschliesslich im neiitr. bez. im adv. sket findet (sonst skndei;
skiöter mit iü, io), d.h. mir in der form, wo ein langer consonant dem io
nachfolgte, und wo das iö deshalb zu /ÖX08 verkürzt wurde. Hiermit
stimmt vollständig überein, dass das isl. als adverb skiött ' schnell ' (nie aber
*skeytf) verwendet. Gleichzeitig mit der entwickelung skiött > skiött^ skett
(skM in dem s. g. Westgötagesetz TV, hs. um 1325) ist die entsprechende ent-
wickelung skintt^ skiütt^ ski/t (skyt im Södermaiinagcsetz cod. B um 1335)
eingetreten. Aus dem sehr gewöhnlichen 67i-0/^ ist e ausnahmsweise auf die
sehr seltenen sketare (compar. statt skintare, skiötarc), sketast (superl. statt
skintast, skiutast) übertragen worden. Noreens bemerkung, Aschw. gramm,
§ 99 anm., ist also ganz unberechtigt.
DER vl-ÜMLAüT ETC. TN DEN AT.TNORP. SPRACHEN. 537
worden. Das subst. d/nt n. 'pferd. stnte" und <las verb sl-iuta
'scliiessen' haben aber immer in.
Asclnv. liUijlincMvr wurde durcli die pewidinliclip enl-
wickehmg- (jhn > r/« > min zu lii(n(/nd(Je>\ wol)ei //< wenig-
stens dialektisch verkürzt Avnrde: liüngnelder. Ebenso wie
der brechnng'sdiphthoniG:: in vor n<j dialektisch in io übergieng
{siunga > sioiKja etc.), so entAvickelte sich auch id in liüngn-
elder vor ng dialektisch zu iö: liongnelder. Hiermit ist zu-
sammenzustellen, dass das lelmwort iunkhcerra (mm\. jutilcr)
dialektisch zu ionlxarc, ionJxcr wurde; vgl. den dialektischen
Übergang simil-a > siönJca etc. •)
Statt der normalen aschw. tiu])er 'tüder'. tinjrra 'tüdern'
finden sich im A^^estmannagesetze das compositum tiopcer stahl
und das verb twjyra mit iö. Da dieses gesetz mehrere dialek-
tischen Züge enthält, Avelche mit dem jetzigen dialekte in
Dalarna übereinstimmen (Kock, Fsv. Ijudl. 2, 519 ff.), und da
germ. eu im dalekarlischen überall zu iö geworden ist (Noreen,
Aschw. gramm. § 82 anm. 1), so sind piöpcer-, piöpra im West-
mannagesetze eine dialektische (dalekarlische) form.
Als eine westgötländische dialektform kann das einmal
im älteren Westgötagesetze belegte stiornfast (aus *stiurn =
is\. stiörn 'rüder' und /asf er 'fest' zusammengesetzt) aufgefasst
werden. Die alte spräche Westgötlands steht nämlich in
mehreren beziehungen dem anorw. sehr nahe (Kock, Fsv. Ijudl.
2, 502 ff.), und im anorw. geht eu bekanntlich vor r in iö
über (stiöm). Möglicherweise rührt jedoch das iö in .stiornfast
aus der accentuierung {*stiurnfdstcr >) stiörnfdster her.
Wenn das isl. neben dem gewöhnlicheren iol auch itU
verwendet, so vermute ich, dass das wort, welches pl. tantum
ist, etwas früher nom. acc. iöl, gen. iöla, aber dat. iiUnm f!ec-
tierte, d.h. dass iil (in) vor dem n der ultima erhalten blieb.
Der dativ findet sich oft in den ausdrücken at iötnm, i iolum,
möt iölmn. Hiermit ist zusammenzustellen, dass (vgl. Brate,
1) In den aschw. lehnwörtern diost : diust, diosfera : diu.'itera (v^M.
mnd. diost, diosteren, diusteren), io : in (vgl. mud. jo, ju), iudhv : indhc
(vgl. mhd. Jude : mnd. jode) rührt der Wechsel io : iu von den fremden spra-
chen her, aus welchen sie entlehnt worden sind. Aschw. hiook (d. i. hiok),
&(lü,n.hio(ß 'scherz' entliält kein gern), f»; vgl. >//: mit ja in nsdnv. dia-
lekteu.
538 KOCK
Aldre Vestmannalagens Ijudlära s. 41. Kock in Tidskr. f. fil. n.r.
8, 284 ff. Noreen, Aisl. gr.^ § 90 anm.) der brechungsdiplithong iu
vor einem ti der folgenden silbe erhalten bleibt (z. b. finghur,
fiugurra trotz iorl) etc. mit ^o); vgl. auch dass u vor einem
assimilierten nasal bleibt (und nicht zu o wird), wenn die
nächste silbe u enthält, z. b. nom. sg. f. *imhir > aschw. uJchir,
aber nom. sg. m*unkarr > aschw. okkar (Kock, Arkiv n.f. 7, 315 ff.).
Wenn diese erklärung von iül : iöl die richtige ist, so ist eu
im isl. Avenigstens vor l zu ia geworden, wenn die folgende
silbe ein u enthielt.')
Die cardinalzahl isl. fiorir, aschw. fiurir, agutn. dat. fiaurum
enthält nicht den germ. diphthong eu, sondern den brechungs-
diphthong eu. Dieser hat aber bei der entwickelung *fe^urai
> *feudreR > *feureR dieselbe quantität wie jener bekommen
und ist deshalb in den verschiedenen dialekten in derselben
weise behandelt worden (s. Kock, Beitr. 20, 125 ff. Arkiv n. f.
10, 252 ff.; betreffs ^ in *fedfurai vgl. Noreen, Svenska etymolo-
gier s. 39 ff.). Da sich fiöri (neben fiüre) im Dalagesetze und
im Westmannagesetze findet, so ist fiöri ebenso wie tiöpmr-,
tiöpra im Westmannagesetze zu erklären.
Im agutn. ist wie bekannt der germ. diphthong eu immer
zu iau geworden, z. b. hiatf])a (isl. hiöpa), drimigr (isl. drhigr).
Ich gehe zur behandlung der diphthonge eu, io (iu) über,
wenn sie durch das zusammenstossen des wurzelvocals mit dem
endvocal entstanden sind. Wir werden sehen, dass der Wechsel
iü : iö der an. literatursprachen (besonders des aschw.) einen
vorgeschichtlichen Wechsel u : o, ö in den endungen
reflectiert.
Noch in der jüngst erschienenen Aschw. gramm. § 122, 1
findet Noreen es auffallend, dass agutn. /»ry/ ('drei' nom. acc. neutr.)
trotz isl. priü verwendet, obgleich isl. iü {äriügr etc.) sonst dem
agutn. iau (driaugr etc.) entspricht: 'auffallender weise steht
ntr. ])ry 'drei', das also vielleicht nicht genau dem aisl. priü
entspricht'.
Meiner ansieht nach entspricht dagegen agutn. aschw. pry
*) In Übereinstimmung hiermit fasse ich auch den von Noreen, Aisl.
gramm.'* § 55 anm. 3 nicht erklärten Wechsel isl. föa : orknüisch ßa auf:
mau hat früher nom. *fuha >■ föa, aber gen. '^fuha >• füu flectieit.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 539
vollständig dem it^l.Jin'n trotz Rguin. drimigr =^ is\. (Irii'iijr etc.
Der Widerspruch ist nur scheinbar und erklärt sich daraus,
dass agutn. driamir. isl. drimir den g-erni. di{)litlionf^ cu ent-
hält, während isl. Jyrin, agutn. aschw. pnj dem gut. Itrija ent-
spricht.
Wie bekannt wird das 'umspringen des accents' bei dem
zusammenstossen eines palatalen wurzelvocals und eines guttu-
ralen endvocals in weit grösserer ausdehnung im westnord.
als im ostnord. durchgeführt. Wenn das umspringen des
accents auch im ostnord. eingetreten ist, so muss es als eine
relativ alte (gemeinnord.) entwickelung aufgefasst werden,
z. b. urnord. *seTnm > *se(;w)un > aschw. siü, isl. aschw. hwii,
\s\.])riü (nom. acc. neutr.) aschw. *])rm > ßrf/.
Wenn das umspringen des accents aber nur im westnord.
und in gewissen gegenden des ostnord. Sprachgebietes durch-
geführt worden ist (vgl. Kock, Arkiv n. f. 1,382 ff.), so ist diese
entwickelung in späterer (einzelsprachlicher) zeit eingetreten,
z. b. isl. treoni > triöm. Ueber die bedingung für das um-
springen des accents s. Kock, Arkiv n.f. 10, 213 ff.
Die Wörter welche uns hier eigentlich interessieren, sind
solche, wo das umspringen des accents sich sowol im ostnord.
■wie im westnord. vollzogen hat.
Für sie gilt folgende regel: 'wenn in vorgeschichtlicher
zeit ein palataler vocal (e, f) mit dem endvocal ti bez. ö, o
zusammenstiess, und wenn ein umspringen des accents dabei
eintrat, so haben die an. literatursprachen den diphthong ia
(oder einen daraus entwickelten laut) bez. iö.' Der vorgeschicht-
liche endvocal u wird also durch ein in der literatursprache,
der vorgeschichtliche endvocal ö, o durch ein io der literatur-
sprache reflectiert. Aus leicht ersichtlichen gründen sind die
beispiele sehr selten.
Der nom. sg. der fem. ö-stämme und der nom. acc. i)l. der
neutr. «-stamme haben einmal die endung -ö gehabt, welche
aber in sehr früher urnord. zeit in -u übergegangen ist, z. b.
nom. sg. fem. Huhu, minu (Opedal, um 4()(i nach Bugge, Arkiv
n.f. 4, 82), nom. acc. pl. neutr.*(jlaöu (> ial glg])). Folglich hiess
der nom. acc. pl. neutr. von 'drei' um 400 *]in'u. Dies wurde
nach dem umspringen des accentes zu isl. priK, und daraus
entwickelte sich schon im älteren aschw. J»ij zufolge der
540 KOCK
von mir Arkiv n.f. 2, 42 ff. dargestellten regel 'm > y nach con-
sonant + r\ Agutn.7»i7 lehrt, dass die regel auch für das agutn.
gegolten hat, wenn der di])hthong in durch das zusammenstossen
des wurzeh-ocals / mit dem endvocal u entstanden ist.
Urnord. *sedim (vgl. got. sibun) wurde durch die entwicke-
lung tt > w zu *se(w)un (vgl. Noreen, Arkiv 1, 163), das in aschw.
siü übergieng. Die entsprechende Ordinalzahl ist aschw. sitmcle;
auch im isl. findet sich bisweilen siündi (belege bei Fritzner ■^).
Beitr. 15, 252 habe ich isl. siaii besprochen. Durch anschluss
an *ahtau (got. ahtan) bekam *seun die nebenform *seau, welche
aber den diphthong au erhielt, weil fortis (ebenso wie in *seun
> sin) auf den zweiten vocal (sedti) versetzt worden war.
Agutn. stau ist in derselben weise zu erklären, i)
Wenn isl. hiü, augu, eyru, wie Noreen, Pauls Grundr. V-,
§ 195, 7 annimmt, urspr. die endung -\m (vgl. ahd. pl. herzun)
haben, so ist isl. hiü aus einem älteren *hiwun mit u in der
ultima entstanden. Die Voraussetzung ist aber sehr unsicher
(s.Kock, Beitr. 15,2461).
Dagegen findet sich iö im isl. aschw. pl. Mön. Das got.
verwendet -öna im nom. acc. pl. augUna etc., und dass dies
-ön- den ö-laut noch zu der zeit unverändert erhielt, wo -ö in
nom. sg. fem. und nom. acc. pl. zu -u {liubu auf dem norwegi-
schen Opedalstein) wurde, ergibt sich aus Igiuon, gen. sg.
eines fem. jj- Stammes, auf dem norwegischen Stenstadstein.
Der nom. acc. pl. Vmvön wurde zu *hwn, und aus diesem ent-
stand durch umspringen des accentes isl. aschw. liiöu.
Wahrscheinlich hatte isl. hiü (und auch augu, eyru) die-
selbe endung wie got. augöna, aschw. eghon, aschw. isl. hiön
etc. (Kock a. a. o.). Der Wechsel isl. hiü : isl. aschw. hiön ist
in diesem falle folgend ermassen zu erklären. Im pl. Vilwön
(> Vtiön > hiön) gieng das tv vor o zwar lautgesetzlich ver-
') Die im isl. iinsnahrasweise verwendeten siü 'sieben', siöndi 'siebente^
erkläre ich folgcudermassen. Ebenso wie gen. sg. *sun(n(R zu *si(hör (später
sonar) wurde, so gieng der diphthong au in *seau mit fortis auf e in irgend
einer gegend in ö (*seö) über, ehe fortis auf den zweiten vocal versetzt
wurde. Erst später wurde *seö zu siö. Möglicherweise könnten jedoch siö,
siöndi auch so erklärt werden, dass der diphthong iü in sin, siündi dialek-
tisch im auslaut und vor dental in iö übergieng; vgl. dass der germ.
diphthong eu in diesen Stellungen zu io {piö, siön etc.) wurde.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOllD. SPRACHEN. 541
loren, aber durch beeinflussiing- vom sg-. *Mna mit (Mlialtenem w
blieb der ?r-laut im pl. *hiu'ön vorläufig facultativ erhalten.
In Viiicön ruhte fortis natürlich fortwährend auf der paen-
ultima, und die endung- -un wurde deshalb in gewöhnlicher
weise {vgl. *m(gön > isl. augti) zu -u entwickelt {*lnwu). In
relativ später zeit gieng aber jetzt w vor u in *hl{ir)u ver-
loren, und hin wurde nachhei- durch das umspringen des
accents zu isl. kuiJ) Dass die an. sprachen während einer
Periode, die nur kurz vor der literarischen zeit lag-, den end-
vocal u (nicht o) verwendeten, geht aus den in ags. Urkunden
vorkommenden an. namen (Sievers, Beitr. 12, 482 ff.) und aus der
(aschw.) vocalbalance (Kock, Fsv. Ijudlära 2, 340 ff.) hervor.
Das isl. kii'm ist eine contaminationsform aus h/6n und hii(.
Ich füge eine bemerkung über die isl. w'örter hinzu, wo
das umspringen des accents relativ spät durchgeführt worden
ist (bez. hat durchgeführt werden können), also über Wörter,
die im ostnord. in der regel fortis auf dem ersten vocal haben.
Im isl. finden sich 1. pl. siom (und skim) zu sid (vgl. aschw^
sea, nscliw. se), 1. pl. liöni (und licim; vgl. Wimmer, Fnord. form-
lära s. 142) zu lid (vgl. aschw. lea), dat. pl. triöm (und triam) zu
tre (vgl. aschw. trtB, gen. pl. trea), dat. pl. kniom (und Imidm)
zu hi6 (aschw. hice), obl. casus vil)sw zu vipsid (vgl. das aschw.
verb äsea, aber auch das dial. äsiö, obl. casus eines fem. w-stam-
mes, Kock, Arkiv n. f. 1,383). AMe bekannt verwenden die äl-
testen isl. hss. den endvocal o (nicht u). Das umspringen des
accents kann in diesen w^örtern (*seom > siöm etc.) sehr wol
so spät vor sich gegangen sein, dass der o-laut in siöm etc.
eine unmittelbare fortsetzung des endvocals o in der ältesten
isl. literatursprache ist. Wenn der nom. acc. pl. von tre, hie
bisweilen triö, kniö heisst, so ist iö natürlich aus dat. pl. triöm,
hiiöm entlehnt worden, und man darf nicht mit Noreen, Aisl.
gramm.2 § 298 anni. 2 alternativ daran denken, dass das o in
triö, kniö das vorgeschichtliche u des nom. acc, pl. (*barnu >
h{>rn) vertrete. Dies vorgeschichtliche -u findet sich nämlich
im literarischen isl. als ü (priu), nicht als ö, wider. Inigekcdirt
*) Es ist zweifelhaft, ob die von Noreen, Svenska etyinologior s. Ib f.
vorgeschlagene etymologie vom nschw. fjun 'äaum' richtig ist. Wenn es
aus pl. *fmnn entstanden ist, so ist der ?<-lant in derselben weise wie in
isl. hiü aufzufassen.
542 KocK
ist id analogisch in dat. pl. triam, hiidm (aus gen. pl. trld,
hnid, Noreen a.a.O.) und in l.pl. sidm, lidm (aus 3.pl. und inf.
sid, lid) eingedrungen; vgl. dat. pl. Mkim (zu Jd(^, lidm (zu U\
fidm (zu fe) mit analogiscliem iä aus nom. pl. !didr, lidr etc.,
gen. 1)1. fid etc.
Es dürfte in diesem Zusammenhang angemessen sein, auch
den diphthong iö der praett. iös, iöh, liliöp (zu ausa, aiika, Maupa)
zu besprechen. Das praet, pl. dieser verben heisst bekanntlich
iösu, iusti; iöJiU, ndm; hliopn, hlupu\ praet. conj. ysa, esa; yla,
0ka\ hlypa, lüepa mit kurzem wurzelvocal (vgl. Wimmer, Forn-
nord. formlära § 132).
Ljungstedt, Anmärkningar tili det starka preteritum i germ.
spräk s. 128 ff. Brugmann, IF. 6, 89 ff. und Noreen in Pauls
Grundr, 1 2, § 240 sind der ansieht, dass iös etc. einen aus indog.
eu entwickelten germ. diphthong eii enthalte. Nach Hoffory,
KZ. 27, 597 ist dagegen iös aus "^mus in der weise entstanden,
dass *t'm(5 mit fortis auf e sich zu ^eös mit langem ö ent-
wickelte (vgl. gen. sg. "^sunauR > "^sunöa), wonach *eUs durch
das umspringen des accents zu iös wurde, iök hat sich nach
ihm in derselben weise wie iös entwickelt, und aus iök, iös
wurde iö auf hliö}) übertragen.
Die praett. iös, iöh, hliöp können gewis nicht ein indog.
eu, germ. eu enthalten, denn germ. eu gibt vor /.-, p isl. iü
(nicht iö\ vgl. siühr, drinpa etc.). Hierzu kommt aber noch
ein anderer umstand von nicht geringerer Wichtigkeit. Der
«■-Umlaut des germ. eu wird im isl. von langem y (vgl. lysa :
liös etc.) vertreten; das praet. conj. hätte also ^ysa, *yka, *hlypa
heissen müssen, heisst tatsächlich aber ysa,0sa etc. mit kurzem
wurzelvocal.
Die von Hoffory vertretene auffassung befriedigt besser,
aber auch sie kann nicht richtig sein, denn falls *m«.s zu *t'ös
mit langem 0 geworden wäre, so hätte das praet. conj. '''ösa
mit langem, nicht esa mit kurzem 0 heissen müssen.
Ich fasse die sache folgendermassen auf.
Tydning af gamla svenska ord (1881) s. 1 ff. Svensk akcent
2,329 f. habe ich gelegenheit gehabt darzutun, dass der diphthong
au der semifortissilbe gemeinnord. in kurzes 0 übergieng, z. b.
hrüJiJdaup > hrupiop, ivindauga > aschw. vindogha. Das praet.
DEE ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOUD. SPRACHEN. 543
von (üda lieisst got. amul- uiul inuss uniord. aucli ''^raiil,-, ])!.
*eauJiun mit fortis auf der ersten, semifortis auf der zweiten
Silbe, also mit der accentuierung- eines compnsitums. p-elieissen
haben. Dies entwickelte sich nach der soeljcn erwähnten ivgel
zu *eoJi; pl. *eoku mit kurzem o. Schon ehe der diphthong
CO durch das umsprinjjen des accents zu üi mit lang-em o ge-
worden, wurde das praet. conj. '''eoklö {^'eolcia) zu ""iolca > uka
mit kurzem 0. S})äter giengen *eoÄ-, ^eoku bei dem umspringen
des accents in iok, iöku mit langem 0 über; vgl. Heu^an >
liüga etc.
Nach den zahlreichen mustern des praet. sg. straiik : pl.
sfrul-n, hnint : hritiu etc. wurde zu praet. sg. *eanJi der pl,
*cHku neugebildet, welcher durch den einliuss der erwähnten
pluralformen strulm, hnitu etc., bei dem umspringen des accents
den ?<-laut kurz erhielt: isl. inhu. Vom praet. pl. *eiiJii(, iuhi
wui'de ganz regelmässig praet. conj. *etikiö, yka mit kurzem
wurzelvocal gebildet ; vgl. praet, pl, struku : pi'aet. conj. stryka etc.
Praet. sg. lös, pl. iusu, praet. conj. esa, ysa sind in derselben
weise zu erklären. Praet. liliöp ( : Jilanpa) ist eine neuschöpf ung
nach iok (: aitka), iös (: ausa).
Dagegen finden sich im ostnord. praet.-formen von Idaupa
(lepa), welche lautgesetzlich entwickelt worden sind, nämlich
aschw. löp, Up.^) Urnord. ""livldaup wurde lautgesetzlich zu
*hehlöp ebenso wie *cauk zu '""eök. Nachdem fortis auf die
Wurzelsilbe versetzt worden war i^hehUp). gieng die redupli-
cationssilbe lautgesetzlich verloren: '""hlop, aschw. lop. hp
(= isl. *hlaup, ngutn. lanj)) ist aber die lautgesetzliche ent-
wickelung aus urnord. *ltehlanp mit fortis auf der ultima. Zu
dem sg. ""hlaup wurde der pl. isl. hlupu nach dem muster sg.
Strunk : pl. struku etc. neu geschaffen. ;
Kesultat.
Die regeln für die behandlung des germ. diphthongs eu
in den an. sprachen sind folgendermassen zu formulieren.
Im isl. ^^ird eu zu io vor m sowie vor dentalen, supra-
dentalen und intei'dentalen (wenn u in der nächst t^n silbe- nach-
folgt, wird eu zu iü wenigstens vor /), ausserdem wahrscheinlich
') Noreen, Pauls Gnuidr. 1- § 240 fasst Jop wie ich auf, findet aber lup
'uuklar".
544 KOCK
im auslaut und unmittelbar vor vocal (wenigstens a; kaum
vor w); sonst geht eu in iu über.
Im aschw. (wenigstens in den meisten dialekten) entwickelt
sich eu zu lö vor m sowie wahrscheinlich auch im auslaut und
vor vocal (wenigstens a; kaum vor k); sonst mrd es zu in.
Durch palatalumlaut wird cn zu y.
Unabhängig von den obigen regeln ist ein in der semi-
fortissilbe sowol im isl. wie im aschw. zu iö geworden.
Die vorgeschichtlichen endvocale u, o werden in den an.
literatursprachen bez. von dem diphthong iu (z. b. '""sedun >
aschw. siü, *])riu > isl. priü, aschw. agutn. pry) und von dem
diphthong iö (z. b. *hi{tv)ön > isl. aschw. hiön) reflectiert.
Die praett. des typus iök sind aus *cauk durch die laut-
entwickelung au > ö in der semifortissilbe entstanden.
in. Zur frage nach dem «umlaut von i in den
altnord. sprachen.
Die ansichten über den a-umlant von i in den germ.
sprachen gehen weit auseinander, obgleich nach dem aufsatz
Pauls, Beitr. 6, 82 ff., nunmehr alle darin einig sind, dass es
einen solchen umlaut gibt.
Nach Noreen, Urgerm. lautl. s. 20 und Streitberg, Urgerm.
gramm. § 68 ist i urgerm. vor ä, u, cB zu e geworden, wenn
es nicht durch l oder nasal + consonanten davon getrennt war.
Brugmann, Grundr. 1 2, 99 äussert sich vorsichtiger; doch ist
auch er geneigt, diese ansieht zu acceptieren. \g\. auch Ost-
hoff, Beitr. 13, 417f. In der jüngst erschienenen Laut- und
formenlehre der altgerm. dialekte, hg. von Dieter, ist Bethge
der meinung, dass der «-umlaut von i (ebenso wie der von w)
in allen Stellungen diu'chgeführt, dass er aber einzelsprachlich
und nicht im got. eingetreten sei. Nach Kluge in Pauls Grundr.
12, 410 f. ist der wandel von indog. T zu germ. c sehr selten
und die genaue regel für das urgerm. noch nicht gefunden.
Braune, Ahd. gramm.^ § 31 anm. 1 scheint auch etwa dieser
ansieht zu huldigen.
Die eigentliche Ursache dafür, dass mehrere forscher die-
selbe regel für den «-umlaut von i wie für den von u auf-
gestellt haben, ist wol die, dass man meint, der «-umlaut müsse
notwendig in derselben ausdehnung auf / und u wirken, obgleich
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 545
man aus gewissen germ. dialekten (besonders dem ags.), wo der
a- Umlaut von u reichlich vertreten ist, nur äusserst wenige
beispiele für a-umlaut von i hat anführen können.
A priori darf man jedoch gar nicht als ausgemacht an-
nehmen, dass der «-unilaut in derselben ausdehnung auf i und
auf u habe wirken müssen. Ich erinnere z. b. daran, dass im
isl. die regel für den ?/-umlaut von a und diejenige für den
«<-umlaut von / ganz verschieden sind. Der jüngere «-unilaut
ist nämlich bei a ohne beschränkung durchgeführt worden,
z. b. tahou > tolum etc., bei dem /-laut aber nur, wenn ein
labialer consonant dem i vorhergeht, z. b. sivistur > s{iv)ystur
etc., aber dagegen rifum (nicht *ryfum) etc. Im aschw. werden
die endA-ocale u, i zwar wesentlich, aber doch nicht ganz
nach denselben regeln behandelt; so bleibt z. b. in der aschw.
reichssprache das i in der geschlossenen silbe langsilbiger
Wörter erhalten, z. b. part. hnndin (nicht bimden), während das
M in dieser Stellung in o übergeht, z. b. hundun > lundon.
Unter diesen umständen ist der verdacht vollberechtigt,
dass der a-umlaut von i nicht in derselben ausdehnung wie
der a-umlaut von « durchgeführt worden ist, oder dass wenig-
stens z. t. andere tendenzen sich bei dem umlaut von i geltend
gemacht haben.
Ich will zu erörtern versuchen, nach welchen regeln (oder
tendenzen) der a-umlaut von i in den an. sprachen ein-
getreten ist.
Es findet sich i z. b. in isl. aschw. skij) (ahd. aber skef
neben sJcif), sJcin n. (vgl. sJcina), aschw. *skina in dem compo-
situm skinuhen (vgl. ahd. skena neben skina 'Schienbein'), isl.
gil n. 'kluft' (vgl. geil f. 'kluft'), gin n. (vgl. gina); zu beachten
sind auch isl. aschw. skipa, isl. skim n. 'Schimmer'. Ueberhaupt
ist aus den an. sprachen der a-umlaut von i in keinem worte
mit k, g vor dem wurzelvocal constatiert worden. Ich ziehe
hieraus die Schlussfolgerung, dass der a-umlaut von i in dieser
Stellung lautgesetzlich nicht durchgeführt worden ist, oder
wenig.stens dass bei freier wähl zwischen / und umgelau-
tetem e dieser laut in jener Stellung begünstigt wurde. Der
lautphysiologische grund dafüi' ist selbstverständlich.
Folgendes ist von gi-össerer Wichtigkeit.
Wie oben s. 528 hervorgehoben worden ist, findet sich in
Beiträge zur gencliichte dur deulsclieu Bjjruclje. XXIII. 35
546 KOCK
gewissen aschw. Schriften ein regelmässiger Wechsel o : u in.
der Wurzelsilbe kurzsilbiger Wörter (kona : kiinu etc.), aber
nicht in der langsilbiger Wörter. In mehreren modernen nor-
dischen dialekten findet eine sog. 'tilljämning' (angleichung) in
kurzsilbigen (nicht aber in langsilbigen) Wörtern statt.
Unter 'tilljämning' versteht man in diesem falle, dass die
Qualität des wurzelvocals sich derjenigen des endvocals nähert,
bez. dass jene dieser gleichgemacht wird. So sind in einigen
dialekten z. b. isl. anorw. lifa zu Idfa, isl. anorw, Icsa zu läsa
geworden. In gewissen nnorw. dialekten ist ein /-laut kurz-
silbiger Wörter vor a in ce übergegangen, z. b, isl. anorw. vTta
> nnorw. vwta (A. B. Larsen, Oversigt over de norske bj^gde-
raäl s. 41).
Ich stelle folgende regel auf: 'in den an. sprachen ist der
a-umlaut von i nur in kurzen (nicht aber in langen) silben
mit fortis eingetreten'. Alternativ ist möglicherweise die regel
folgendermassen zu formulieren: bei freier wähl zwischen i
und einem durch a-umlaut entwickelten e (welche laute laut-
gesetzlich in verschiedenen formen wechselten) wurde das um-
gelautete e fast nur in kurzsilbigen Wörtern gewählt. Ich sehe
jedoch kein hindernis dafür, der regel die erste formulierung
zugeben. Ob der a-umlaut von / auch in einer langen silbe
mit semifortis eintrat, hängt von der beurteilung des wortes
lerept ab (s. unten s. 550 f.).
Es findet sich kein a-umlaut z. b. in den langsilbigen isl.
&sc\i\\. fisk{e)r (a-stamni; ygl. l&t piscis), nschw. r/s^ (a-stamm;
vgl. lat. virga), isl. adj. bitr, aschw. hiter, acc. hitran (vgl. hitd),
isl. vitr, aschw. viter, acc. vitran (vgl. vita : veit), isl. vitra 'ver-
stand', isl. aschw. vissa f. 'gewisse kenntnis', isl. vissa (praet. zu
vita; vgl. ahd. fränk. wessa, westa neben oberd. wissa, ivista nach
Braune, Ahd. gramm.^ § 31 anm. 2), adj. isl. f%r, aschw. digher,
acc. dig{h)ran (vgl. deigr).
Während das kurzsilbige isl. he]>an, aschw. luepan um-
gelautet ist, ist der umlaut in dem langsilbigen liipni 'hier'
(vgl. got. hidre), im ältesten ') isl. nicht durchgeführt; erst später
findet sich hejrra mit e, das aus he2)an übertragen ist.
•) Ueber hipra (nicht hepru) im ältesten isländischen s. Sievers, Beitr.
lü, 241.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN AliTNORD. SPRACHEN. 547
Die kurzsilbigen i»\.nej)an, a^'Chw.ncrJymi, \ii\.nrjKin; ncpari,
neparla, neparliga, pl. taiitimi ucJhü- 'abnelnnender niond' (neben
nipar\ ascliw. ncej)ar (neben nipar) haben umlaut; nicht aber
die langsilbigen isl. aschw. ni]>ra (praet. -a})-), isl. mj>ran f.
Das i.sl. verwendet nipri und nejm, das asclnv. nipre und ncepro-^
der umgelautete vocal ist aus nepan etc. übertragen worden.
Umgekehrt liat isl. aschw. nipar 'abnehmender mond' (neben
nepar, napar) i von nip n. mit derselben bedeutung, nipri etc.
bekommen. — Doch können nipri etc. mit ? in der Wurzelsilbe
auch aus vorgeschichtlichen formen mit / in der paenultima
*mdira etc. (vgl. ahd. nidiri neben nidari) entstanden sein.
Das aschw. hat umlaut in dem kurzsilbigen lce2n, obl. casus
Icepa 'lippe', nicht aber in den langsilbigen lip2)e m., obl. casus
lip2m; lippa 1 'lippe'.
Zu beachten ist noch das nschw. kurzsilbige häpen 'ver-
dutzt' im gegensatz zu dem dialektischen langsilbigen hippcn.
In seiner Urgerm. lautl. s. 20 ff. und Aschw. gramm. s. 151 f.
hat Noreen in verdienstlicher weise Wörter mit a-umlaut von i,
besonders aus den nord. sprachen, gesammelt. Mehrere der
nord. beispiele sind jedoch äusserst zweifelhaft; andere gehören
ohne zweifei nicht hierher. Ich werde die von ihm aus den
nord. sprachen angeführten beispiele prüfen und noch andere
hinzufügen.
Folgende kurzsilbigen Wörter haben umlaut, oder wenig-
stens findet sich in ihnen wahrscheinlich a-umlaut: isl. veya
(vgl. vuj), isl. lurap, aschw. hcemp < Vuiva- (vgl. got. heitva-,
Brate, Arkiv n.f. 5, 130 ff.), isl. verr 'mann', alt. nschw. verhrodcr
'bruder des ehemannes', versyster ' Schwester des ehemannes'
(vgl. lat. vir), isl. lieyri (< Vic^ara). hcri (< Viehara, vgl. ahd.
heliara, Sigii.hi^ora, gr.xiooa, Osthoff, Beitr. 13, 416 ff.), isl. slcpi,
aschw. slcepi : isl. aschw. sUpi (urspr, nom. sliöi : obl. casus sleöa),
isl. stegi : isl. aschw. stig(h}i, isl. seli : isl. aschw. sili, aschw.
pivcena (vgl. nisl. nschw. tvlna), nschw. näjien (vgl. nisl. tiipr
'nett', nnorw. nipper 'nett'), isl. glepa 'weih' (vgl. ags. (jlida,
Hellquist. Etymologische bemerkungen s.iiii)). Hierher können
auch gehören die kurzsilbigen ndän. flcehe (vgl. nnorw. flij^a
») Das aschw. ylupa mit derselbeu bedeutuut' bleibt jedoch dunkel;
die vou Hellquist vorgeschlagene erklärung befriedigt meiner uuiuuiii,'
nach nicht.
35*
548 KOCK
•weinen'), adän. trcefficen, aschw. o/»-öBe<?m (otrwtvin; vgl. aschw.
prnvm), isl. gen. Hallfrepar etc. (vgl. Bugge, Arkiv 2,251; s.
jedoch auch unten s.551).
Auch in folgenden von Xoreen nicht erwähnten Wörtern
dürfte a-umlaut vorliegen: isl. Hepinn (vgl. Sievers, Beitr. 16, 242),
agutn. seil (< sej)an, Kock, Sv. landsm. 15, no. 4, s. 27), alt. nschw.
sädhan (vgl. isl. sipan, aus sldan verkürzt), isl. svena (neben
svina 'stumpf werden'; vgl. ahd. stvinan 'schwinden'), aschw,
Proeiva (vgl. is\. Jjn'fa, preifa 'nehmen, greifen'), M. sef, aschw.
swf (vgl. dän. sir), isl. slcref, dän. sJcrwv 'schritt', isl. skrefa, dän.
skrosve 'schreiten' ( : isl. dat. sg. shifi zu skref, nnorw. skriv,
aschw. hicerghskrnva 'felsenkluft').
Die folgenden sind sehr unsicher.
Wenn isl. flekkr ' fleck, Stückchen' mit ßk 'zipfel' zusammen-
zustellen ist, so ist, wie Tanim, Etym. ordbok bemerkt, (das
ui"spr. kurzsilbige) *flikan- zu *flekan- geworden, während in
anderen casus ^flikk- entstand; durch contamiuation bekam
man dann flekk-. Diese etymologie ist aber sehr zweifelhaft.
Das wort kann auch mit isl. skipflak 'wi-eck', isl. aschw. tlaki
etc. zusammengebracht werden; vgl. Tamm a. a. o.
Es ist auch sehr unsicher, ob isl. kvekva 'anzünden' a-um-
laut enthält; da aber das dem wurzelvocal nachfolgende k in
kvikr, kvekva etc. secundär ist (Bugge, Beitr. 13, 515), so haben
auch diese Wörter in einem älteren Stadium kurze Wurzelsilbe
gehabt. Aber die folgende auffassung dürfte vorzuziehen sein.
Neben kve'tkia findet sich kveykra, aber nur selten kvekva (z. b.
imp. qvecPu, inf. qvekva in AM. 645, Larsson, Ordförrädet) und
kvekva {qiiecqua, quequa). Ebenso wie *eittki zu etki, ekki, *ne-
weit-ek-hverr zu nekkverr etc. wurden, so haben sich part. kveikt,
imp. kveikpu etc. zu kvekt, kvekpu etc. entwickelt. Nachdem
das in dieser weise entstandene e auf den inf. kvekva über-
tragen worden war, wurde dies durch ir-umlaut zu kvekva;
vgl. nekkverr > nekkverr etc. Vielleicht kann e in dem seltenen
kvekva auch dadurch entstanden sein, dass das part. kveykt
(zu kveykva) zu kvekt wurde, wesentlich in derselben weise
wie "^eitki zu etki etc. Durch diese auffassung wird gewonnen,
dass die verben kveikia, kveykva, kvekva, kvekva nicht von
einander getrennt werden, sondern identisch bleiben.
Ueber isl. part. bepinn s. s. 498.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 540
Obgleich folgende von Xoreen ei'Avälinte Wörter kurzsilbig
sind, gehören sie nicht hierher. Aschw. Iceiva, betva (vgl. mnd.
hevcti). sJcepa {mw^. sJepen). hJf/'Jc in hla'lsJicella (mm\.hlcrl-\ spcßJc
(mnd.5j9eZ:')) sind deutsche lehn Wörter. Nach Xoreen soll nschw.
lämna (im gegensatz zu nschw. lemna, isl. lifna) a-umlaut ent-
halten und aus "■'h'danUn entstanden sein. Dies soll auch mit
nschw. rämna (im gegensatz zu nschw. rcmna, isl. rifna) der
fall sein, und wahrscheinlich denkt er sich *redanön als grund-
form. "\\'enn dies richtig wäre, so wären auch diese Wörter
beispiele für das eintreten des a-umlauts in kurzen Wurzel-
silben. Die nschw. lämna, ränma sind aber ganz anders zu
erklären; s. Kock, Sv. landsm. 15, no. 8, s. 15 f.
Die drei Wörter isl. heppr, tvennir,Jirennir, welche allein
nach Noreen a-umlaut in langer Wurzelsilbe mit fortis ent-
halten sollen, sind in ganz anderer weise aufzufassen.
Aschw. Imppcr, nschw. Icäpp ist als api)ellativum nur zwei-
mal im isl. {Iceppr) belegt. Schon längst hat man (z. b. Dalin,
Svensk handordbok) das wort als ein lehn wort aufgefasst und
es mit dem fi^anz. ccp, lat. cippus zusammengestellt. Tiiden
spricht in den Uppsalastudier s. 89 zweifelnd die Vermutung aus,
dass isl. Iceppr, aschw. Iccepper diu'ch a-umlaut aus "^Mppa- ent-
standen sei, das eine andere ablautsstufe als isl. heipr reprä-
sentiere. AVegen der ziemlich weit auseinander gehenden
bedeutungen der Wörter spricht diese etymologie nicht an.
Fritzner- übersetzt nämlich keipr 'krummholz, in dessen winkel
das rüder sich während des ruderns bewegt'. Das nnorw. Iceip
wird von Aasen übersetzt 'klotz in form eines winkeis zu-
geschnitten, worin das rüder ruht, während man rudert'. Die
von Liden gegebene Übersetzung 'ruderdulle' ist also kaum
correct. Mit recht opponiert also "W'adstein, Beitr. 22, 215 ff.
gegen Lidens, von Noreen angenommene etymologie. Wadstein
schliesst sich der alten etymologie von Iceppr = franz. cep,
mlat. cepus 'truncus, stipes', lat. cippus an. Auch im as. etc.
') Auch Noreen, Aschw. gramin. s. 152 meiut uuumolir, ihiss sixvk waln-
scheinlich ein deutsches leheu ist. Dies ist auch mit aschw. an. ley.
frcesker (vgl. nnd. fress) der fall, sofern es nicht nur Schreibfehler für
fcersker ist. Betreifs aschw. raformber, isl. reformr s. Kock.Zs. fda. 40, 20«;.
Das nur einmal (Westmannagesetz M. 18,4) aus dem aschw. belegte frwUo
harn ist sclireibfehler für friUo harn; vgl. isl. aschw. fn'pla, frillu.
550 KOCK
findet sich hip 'stipes'. Isl, leppr, ascliw. licepper 'ein (ab-
geschnittener) zweig, stock' kann übrigens auch der (von
Kluge, Et. "wb. unter happen aufgestellten) germ. wurzel Icep,
Icapp angehören; vgl. z, b. fries. Jcäpen, Jcepen 'kerben, schneiden'
(Doornkaat-Koolman, Wb. der ostfries. spräche).
Im isl. finden sich fuipr {tvinnan, tvinn) und tuejyr, pl.
tiiennir; ])ri])r und prepr, pl. prennir (vgl. L. Larsson, Ordför-
rädet). Neben twcenne, Prcenne verwendet das aschw. (awest-
göt.) tivanne, pranne mit a in der Wurzelsilbe. Es mag etwas
zweifelhaft sein, wie alle diese wechselformen zu erklären sind;
es ist aber sicher, dass tvennir, Prennir nicht a-umlaut ent-
halten. Der wurzelvocal von tvennir kann aus älterem -ih-
(vgl. got. tweilmai) durch den gewöhnlichen Übergang -ih- > e
entstanden sein, wonach e verküi'zt worden ist, und der wurzel-
vocal von prennir kann einen ähnlichen Ursprung haben oder
analogisch aus tvennir übertragen sein. Uebrigens hat Noreen
selbst, Aisl. gramm.2 § 56 (vgl. auch Aschw. gramm. § 83, 3, a)
versucht, isl. tvenn, Prenn in dieser weise zu erklären.
Wie schon oben bemerkt wurde, ist isl. lerept, aschw. Icerept
vielleicht ein beispiel dafür, dass der a-umlaut von i in einer
langen silbe mit semifortis eingetreten ist; vgl. dass in
gewissen auorw. dialekten der jüngere einfache «-umlaut nur
in der semifortis-, nicht aber in der fortissilbe durchgeführt
wurde {piodggtu : gatur etc.), und dass in der Eökinschrift der
jüngere i-umlaut sich nur in der semifortissilbe findet {rnog-
menni : uarin etc., s. s. 525 f.). Schon längst hat man (s. z. b.
lED. s.v.) isl. lerept mit rijjt f. 'a kind of clotli or linen jerkin'
zusammengestellt, und nach Liden, Uppsalastudier s. 81 soll
der e-laut der ultima durch a-umlaut von i in gen. sg. riptaR
> reptar entstanden sein. Da das simplex nur den wurzel-
vocal i verwendet: isl. ript, nnorw. rift 'riss, stück', ndän. rift
'spalte', sich aber in dem compositum isl. lerept, aschw. Iceript,
Icerept, selten Icermft der vocal e {ce) neben / findet, so ist dies
mit der accentuieruug in causalzusammenhang zu bringen. Gen.
riftaR hatte natürlich fortis, gen. -riftiiR als zweites composi-
tionsglied aber semifortis: deshalb blieb riftaR erhalten, wäli-
rend -riftaR in -reptar (lerept) umgelautet wurde. Der a-umlaut
wurde aus dem gen. auf die anderen casus übertragen, weil
DER .1-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 551
der gen. in solchen ausdrücken wie dtta dlnar lere])tar (später
lerepf^) sehr oft vorkam.
Der Wechsel ript : h'npt kann wol aber auch folgender-
massen aufgefasst Averden. Bugge bemerkt Arkiv 2, 243, dass
i in einer silbe ohne hauptton im an. zu c werden kann, und
er leitet deshalb öfrcsJcr 'wer geister sehen kann' aus ^ufriJskr
her. Isl. namen auf -fre]»- : Hallfre])r etc. haben in ähnliclier
weise aus -fripr entwickelt Averden können (anders Bugge,
Arkiv 2, 251). Jedenfalls ist ein älteres i des zweiten com-
positionsgliedes in e übergegangen in personennamen auf -rilr
> -reh; z. b. isl. Eirikr, Eireh; aschw. Erllcer, Ereicer, isl. Hä-
reh- (vgl. ahd. Höhrlh etc.). Airehr etc., sowie in adj. auf aschw.
-liher > aschw. dial. -Ichcr, isl. -legr, z. b. aschw. gu])MiCr : guj)-
leher, isl. gojüegr etc. Im anorw. findet sich oft auch -Icegr,
z. b. gudlcegr (s. Kock, Arkiv n. f. 8, 245 ff.). Es ist möglich,
dass die entwickelung ^ > e in öfreshr, Eireh-, HaUfreJjr etc.
z. t. von dem vorhergehenden r-laut abliängt. In Übereinstim-
mung hiermit gieng leript mit fortis auf der paenultima, semi-
fortis bez. infortis auf der ultima in isl. lerept, aschw. Iwrept
über. Das sehr seltene aschw. Icercept mit ce in der ultima
ist mit dem anorw. gudlcegr etc. zu vergleichen; übrigens findet
sich im aschw. bisweilen ce statt e in der infortissilbe beson-
ders nach 'dentalen' consonanten, z. b. ncercer statt ncerer, Jccercer
statt kcerer (Kock, Arkiv n. f. 8, 248).
Da der a-umlaut von ti vor m, n vorläufig nicht durch-
geführt wurde (s. 514 ff.), und da der «-umlaut von i überhaupt
eine kleinere Verbreitung als der von u hat, so kann man die
frage aufwerfen, ob der a-umlaut von i vor m, n überhaupt
eintrat. So viel ich sehe, gibt es in den an. sprachen kein
beispiel für a-umlaut von i vor m. Wenn dagegen die oben
erwähnten isl. svena, aschw. pitoena a-umlaut enthalten, so
wui'de er vor n durchgeführt. Unter diesen umständen kann
das fehlen von beispielen für a-umlaut von / vor m zufällig
sein. Auf jeden fall ist es sehr leicht möglich, dass der a-um-
laut von / vor n und (wenn er in dieser Stellung überhaupt
eintrat) auch vor m später als vor anderen consonanten durch-
geführt wurde.
Ebenso wie im an. nur der ^-laut a-umlaut von n be-
wirkte, so hat wahrscheinlich nur ein rf-laut (nicht ein Ö- oder
552 KOCK
^-laut) a-umlaut von i bewirkt. Da der pl. und die obl. casus
des sg, von den fem. w- stammen urnord. ö (nicht n) in der
ultima hatten (s. s. 523 f.), so sind z. b. folgende Wörter für diese
fi'age von belang: isl. aschw. viJca (vgl. ags. ivlce 'wechseldienst'),
aschw. hmrglishriwa, hceUashrhca (vgl. oben s. 548), isl. aschw,
svipa (vgl. isl. sveqjci 'mit einer schwingenden bewegung werfen'),
isl. bipa 'erwartung', fita 'fett', rifa, s/irijja, slita etc. Bei einer
flexion von *wikö, obl. casus *wikön{n), pl. nom. acc. *tvikön{n)
etc. hätte der a-umlaut in allen casus durchgeführt werden
müssen, wenn ö a-umlaut bewirkt hätte. Wenn aber a-um-
laut nur von ä bewirkt wurde, so ist alles in Ordnung. Erst
nachdem *wiJiU : *ivi]iön(n) zu wiJia : tvihu geworden, sollte der
a-umlaut in ivika eintreten; nom. sg. vika hat aber * von den
obl. casus des sg. und vom pl. bekommen.
Wie bekannt findet sich im got. kein a-umlaut von i.
Aus dem ags. haben, so viel ich weiss, nur äusserst wenige
beispiele für diesen umlaut {wer, nesf) angeführt werden
können. Durch die soeben erörterten Verhältnisse der an.
sprachen dürfte bestätigt worden sein, dass in urgerm. zeit
wenigstens keine generelle regel 'i wird zu e vor einem a, ö,
m der folgenden silbe' gegolten hat.
Da die ags. Wörter mit a-umlaut von / so wenige sind, so
ist man berechtigt einen besonderen grund für ihren umlaut
zu suchen.
Dui'ch den concurrierenden einfluss eines vorhergehenden
^(;- lautes und eines nachfolgenden >•- lautes sind in den an.
sprachen e, c zu ce, ce geworden. So ist z. b. im anorw. germ. e
nach IV in geschlossener silbe und besonders vor r in ce über-
gegangen: verk > vcerk etc. (Sievers, Tübinger bruchstücke der
alt. Frostuthingslög s. 9).
Im isl. ist c zwischen iv (v) und r dialektisch zu ce ge-
worden, z. b. ver > vcbv (Kock, Arkiv n.f. 7, 140 ff.). Hiermit
ist zu vergleichen, dass im aschw. die lautverbindung -ner-
in einer silbe mit semifortis sich zu -rar- entwickelt liat, z. b.
natvcBr])er > natvar^er (Kock, Svensk spräkhist. s. 88 ff.). Also
haben die vocale zwischen w (r) und /• eine offenere aus-
spräche bekommen. Ein ähnliclies verliältnis kann auch aus
anderen sprachen dargelegt werden.
DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 553
Die Ursache dafür, dass germ. *iviraz zu ags. teer geworden,
ist nicht nur, dass a dem i nachfolgte, sondern auch dass der
«■-laut zwischen iv und r stand, vielleiclit auch dass die Wurzel-
silbe kurz war. Auch im alid. und as. findet sich wer mit
rt-umlaut.
Das wort nest (vgl. lat. nldus) ist in dieser form dem ags.,
ahd. und ndl. gemeinsam. Mhd. findet sich auch nisf. Ebenso
wie die umlaute im an. zu gewissen Zeiten nur in einer silbe
mit semifortis durchgeführt worden sind (s.525f.), so erklärt
sich der «-unilaut im ags. nest daraus, dass dieses Avort beson-
ders oft als zweites compositionsglied benutzt wurde. Unter
nest versteht man (um die definition des Grimmschen wb.'s an-
zuführen) eine jede von tieren zum hecken der jungen und zur
lagerung gebaute wohnstätte, besonders das Vogelnest. Wegen
dieser bedeutung kann das wort mit einer grossen menge
tiernamen zusammengesetzt werden. Ich erinnere z. b. nur an
nhd. adler-, eulen-, finJcen-, lerchen-, schtvalben-, rdben-, hühner-
nest etc. und besonders an mhd. nhd. voyehiest (vgl. auch neu-
engl. hirds-nest, bird-nest); ferner an nhd, hienen-, drachen-,
mause-, ratten-., raupen-, spinnen-, ivespen-, tvurm-nest etc., auch
Jcatzennest (vgl. Grimms wb.). Es ist selbstverständlich, dass
*-nistaz auch in urwestgerm. zeit besonders oft im zweiten com-
positionsglied mit semifortis vorkam. In dieser Stellung Avurde
es zu *-nestaz, obgleich zu dieser zeit in der regel der w-umlaut
von / nicht in der fortissilbe durchgeführt wurde.')
Ich fasse also den a-umlaut von / in folgender weise auf.
In urgerm. zeit ist er niclit eingetreten, und im got. wurde
er nicht durchgeführt. Dagegen findet er sich im westgerm.
und im nord.
Urwestgerm. wurde er in einer silbe mit semifortis {-nest)
durchgeführt, sowie in einer (wenigstens kurzen) fortissilbe,
wenn dem i ein iv vorhergieng und ein r nachfolgte {wer).
*) Nach Osthoif, Beitr. l'(, 417 und Noreen, rrgenn.liintl. s. 21 soll ancli
mengl. neÖer, nengl. nether a-umlaut enthalten. Da aber das ags. nipcrra,
neoperra 'lower', «//)(f >re ' below ', n?/>e/- 'downwards' hat, so ist das e des
mengl. neöer ohne zweifei eine späte entwickelung. Das ags. (mengl.) wort
konnte sehr leicht von adiin. lufpm', anorw. iicörc, xedan etc. beeinflnsst
werden,
554 KOCK, DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN.
Nachdem das westgerm. sich in verschiedene sprachen gespalten,
trat der a-umlaut von / im ahd.-as. auch in anderen Stel-
lungen ein.
In urnord. (bez. gemeinnord.) zeit wurde der a-umlaut
von i durch ä bewirkt. Eine bedingung für das eintreten
des rt-umlauts wenigstens in der fortissilbe ist, dass die Wurzel-
silbe kurz war (alternativ ist die regel vielleicht in folgender
weise zu formulieren: bei freier wähl zwischen / und einem
durch «-Umlaut entwickelten e wurde dieses fast nur in kurz-
silbigen Wörtern gewählt), ^i-umlaut von i findet sich nicht
in Wörtern mit k, g vor dem wurzelvocal.
LUND, im fi'ühjahr 1898. AXEL KOCK.
DIE CHRONOLOGIE DES UEBERGANGS VON
GERIMANISCH E ZU / VOR n + K, G, X.
Als eine der frühesten Wandlungen im germanischen voca-
lisnius wird der Übergang von e > i vor w angesehen. In
seinem aufsatz über relative sprachchronologie, IF. 4 setzt ihn
Bremer s. 18 fürs erste, s. 30 (in der tabelle) fürs zweite jh.
vor Chr. als gemeingermanisch an.
Ich glaube dass wir zu einem so fi'ühen ansatz nicht be-
rechtigt sind. Der wandel von enli > ih zwingt, wie Bremer
s. 16 f. zugiebt, nicht dazu, da die entwicklung statt evh > inli
> ih ebensogut auch enh > ^h > ih gewesen sein kann. Wenn
er sich dagegen s. 14 auf die von ihm schon Zs. fdph. 22, 251
zusammengestellten ältesten germanischen eigennamen als die
stützen seiner ansieht beruft, so ist dagegen einzuwenden, dass
diese alle aus nachchristlicher zeit stammen: aus Plin., Tac,
Ptolem., lul. Cap. und Dio Cassius. Man kann deshalb aus
ihnen nur den schluss ziehen, dass vor » gegen ende des
ersten nachchristlichen jh.'s / bereits regel war, während vor
sonstigem gedeckten nasal e noch überwog (vgl.Tacitus: Mallo-
vendus Xm\.2.2h^ ^'cwnowes Ann. 2, 45, Fc«n< Germ'. 46 ; aber
einmal Brinno Hist. 4, 15); in letzterem fall ist der Übergang
also jünger. In dieser form ist der schluss ja allgemein an-
erkannt, und man kann wol dabei bleiben, wenn auch nicht
vergessen werden darf, dass immei'hin die möglichkeit eines
Zufalls besteht.
Der einzige name der aus vorchristliclier zeit für den
Übergang f« > iti geltend gemacht Averden könnte, ist Tulingi
bei Caesar, Bell. gall. 4, 15. Derselbe gibt aber zu mehrfachen
bedenken anlass. Erstens liandelt es sich bei ihm nicht um
haupttoniges, sondern um suffixales -imj, und ich glaube dass
diese beiden fälle von einander streng zu trennen sind. Wie
wir wissen, wurde c in unbetonter silbe überhaupt zu /, und
zwar noch etwas früher als vor n -}- cons. Ks folgt dies
daraus, dass bei Plinius und Tacitus zwar vor n -f cons. noch
556 HELM
regelmässig e steht, in unbetonter silbe dagegen / das immer-
hin noch häufige e bereits überwiegt (vgl. Zs. fdph. 22, 251),
Wir sind danach wol berechtigt zu schliessen, dass in un-
betonter silbe vor w + gutt. der wandel auch früher eintrat
als in betonter, da hier zwei factoren der palatalisierung zu-
sammenwirkten.
Sodann ist es aber auch fraglich, ob wir in Tidingi wirk-
lich die echte germanische form vor uns haben. Da das lat.
seinerseits sowol vor gedecktem nasal als in unbetonter silbe
ebenfalls c zu i wandelt, so Hesse es sich leicht denken, dass
ein geschlossenes e, wie es in diesen fällen als Vorstufe von i
im germanischen zu Caesars zeit gewis anzusetzen ist, im
munde des Römers bereits völlig als i gefärbt erscheint und
dann so auch in die schritt eindringt.
Aber selbst wenn man Tulingi als vollgültigen beleg für
eng > wg anerkennen wollte, müsste man sich darauf be-
schränken daraus den schluss zu ziehen, dass zur zeit Caesars
ein teil (vielleicht nur ein sehr kleiner) der Germanen bereits
i sprach. Dies widerspräche freilich der theorie Bremers, dass
der Übergang von e > i von norden nach Süden vorgeschritten
sei; danach müssten die Tulinger als einer der südlichsten
Stämme auch als einer der letzten den wandel vollzogen haben.
Da Bremers theorie aber ausserordentlich viel Wahrscheinlich-
keit hat und wir andererseits bestimmte belege dafür haben,
dass damals andere Germanen noch c sprachen, so erhebt sich
von dieser seite aus ebenfalls begründeter zweifei an der
beweiskraft der form Tulingi.
Der eine beleg für c vor wj ist das bekannte finnische
rengas, welches zeigt, dass die den Finnen benachbarten Ost-
oder Nordgermanen noch e hatten, als bereits der Übergang
von 0 > a in unbetonter silbe eingetreten war. Damit wird
dieses mit bestimmtheit für nachchristliche zeit gesichert (vgl.
Noreen, Utkast § 6 anm. 2); denn es ist bei dem conservativen
Charakter der finnisch -lappischen spräche ganz unstatthaft
anzunehmen, dass sie entlehntes ing tm. eng zurück- oder ent-
lehntes 0 zu a weitergebildet hätte.
Der zweite beleg, dem westen angehörend, ist der name
der Tenderer, als Tcnytercr anzusetzen. Diesen, wie Bremer
(Zs. fdph. 22, 251) tut, als keltisch von vornherein auszuschliessen
GERM. E> I VOR W + GUTTURAL. 557
gellt durchaus nicht an. Allerdings ist seine germanische her-
kunft trotz Muchs deutungsversuch (Beitr. 17, 144 ff.) keines-
wegs gesichert (vgl. Hirt, Beitr. 21, 148 ff.); auch der lautcomplex
yj (durch Caesars Schreibweise -chth- gesichert) ist kein beweis
für seinen germanischen Charakter, denn auch das keltische
wandelt Jet (und j;^ zu yJ (vgl. Brugmann, (irundr. 1, § 515. 517).
Aber andererseits ist der keltische Ursprung des namens
auch durch nichts erwiesen. Ich glaube nun, dass wir wol
berechtigt sind, den namen eines germanischen volkes als
germanisch anzusehen, wenn uns auch seine etymologie nicht
klar ist — so lange das gegenteil nicht bewiesen ist. Die
last des beweises liegt auf dem, der das wahrscheinliche und
naturgemässe negiert.
Dass die Tencterer aber ein germanisches und kein kel-
tisches Volk sind, daran ist kein zweifei. Dies bestätigt uns
ausdrücklich Caesars Zeugnis, der ja in die allernächste be-
rührung mit ihnen gekommen ist. Bell. gall. 4, 1 sagt er Usi-
petes Germani et item Tencteri, und so spricht er auch in
seinem ganzen bericht stets von Germanen und geht mit den
Worten Germanico hello confecto (4, 16) zur weiteren erzählung
über. Als er dann von den Sugambrern die auslieferung der
zu ihnen gefloheneu reste der T. fordert, bezeichnen auch diese
dieselben in ihrer antwort wenigstens indirect als Germanen
mit den Worten si se invito Germanos in Galliani transire non
aequum aestimaret . .. (4,16). Dazu vgl. man noch die stellen
Tac. Ann. 13, 50. Hist. 4, 21. 64. Germ. 32. 38.
Nehmen wir nun einmal als gewis an, der nanie der T.
sei germanisch, so sichert er bestimmt e vor «/ für das jähr 55
V. Chr. Das e bei Tacitus ist weniger beweiskräftig, da er eine
ältere form die nicht mehr lebte aufgenommen haben mag, weil
sie durch Caesar nun einmal dem Römer geläufig geworden
war. IJmsomehr grund zu diesem verfahren konnte vorliegen,
je weiter sich der name damals schon von der ursprünglichen
form entfernt hatte. Es ist sehr leicht möglich, dass die Römer
zur zeit des Tacitus den alten namen in der neuen form (er
hless wol *Tlhtrös) gar nicht widererkannten.
Dasselbe gilt für die foi-men bei späteren autoren. Auf
TivxtQoi bei Ptolemäus ist nach den Untersuchungen vun Holz
über die germanische vülkertafel des Ptolemäus (Beiträge zur
558 HELM, GERM. E> I VOR W + GUTTURAL.
deutschen altertumskunde lieft 1) gar kein gewicht zu legen
(vgl. auch Hirt, Beitr. 21, 129 ff.). Tsyxrt]Qoi bei Dio Cassius
beruht natürlich nur auf dessen schriftlichen quellen.
Setzen wir nun aber auch den andern fall, es gelänge
den namen der Tencterer als keltisch zu erweisen. Ich glaube
nicht, dass die Sachlage dadurch wesentlich geändert wäre;
denn es ist klar, dass der name von dem moment an, in wel-
chem er von einem germanischen volke übernommen wurde,
den germanischen lautgesetzen unterworfen ist wie jedes be-
liebige lehnwort. Nun wird niemand behaupten wollen, diese
Übertragung sei so jungen datums, dass der Übergang ew/ >
WX bereits vollzogen gewesen sei. Ist sie aber älter, so muss
der name den lautwandel mitmachen. Mithin ist die form
Tenyteri auch wenn sie ursprünglich keltischer herkunft wäre,
doch ein ebenso sicheres zeugnis für germanisch ew/ zu Caesars
zeit, als wenn sie rein germanisch ist.
Gegen Bremers datierung spricht meines erachtens endlich
ein nicht zu verachtender innerer grund. Setzt man nämlich
mit ihm den Übergang e« > m im 2. jh. v. Chr. als gemein-
germanisch an, so liegen zwischen diesem lautwandel und
dem von e > « vor sonstigem gedeckten nasal rund 250 jähre.
Nun sind aber gewis diese beiden fälle des Übergangs e > ?'
ihrem Avesen nach nicht so verschieden, dass sie durch so
grosse Zeiträume getrennt werden dürften. Auch diese Schwierig-
keit fällt nun mit unserer datierung hinweg. Darnach herschte
also in der letzten vorchristlichen zeit jedenfalls e vor w noch
in einem grossen gebiete. Vielleicht begann der Übergang da-
mals in unbetonter silbe. Vollendet war er zur zeit des Plinius
und 1'acitus, also in der zweiten hälfte des ersten jh.'s nach Chr.,
während zu derselben zeit vor sonstigem gedeckten nasal noch e
überwiegt, das in der ersten hälfte des zweiten jh.'s nach Chr.
dann dem i weichen niusste.
Es fi'agt sich, ob nach dieser datierung nun nicht das ver-
klingen des V vor x i^^d die nasalierung des vocals für älter
zu gelten hat als der Übergang in i. Ich sehe jedoch keine
möglichkeit dies zu entscheiden.
HEIDELBERG, november 1897. KARL HELM.
MEERRETTICH.
Ueber den urspruiio; und die bedeutung dieses sclieinbar
so durchsiclitigen namens sind seit länger als einem Jahrhundert
die allerverschiedensten Vermutungen ausgesprochen woi'den,
und doch gelten noch heute die worte, die der alte Xemnich
vor über Inmdert jähren schrieb: 'von den namen meerrettig
etc. lässt sich kein sicherer Ursprung angeben; wenn man
einen entdeckt zu haben glaubt, so wird man in einer anderen
spräche wieder anstoss finden. '*)
Mögen zunächst die wichtigsten dieser erklärungsversuche
hier zusammengestellt werden.
Die auffassung, dass meerrettich 'mährenrettich, pf erde-
rettich' bedeute, ist heute wol die verbreitetste. Man begegnet
ihr -vielfach auch in laienkreisen. Sie stützt sich teils auf die
anscheinende Sinnlosigkeit des Wortes mecr-, teils auf eine ver-
gleichung besonders der nd. namensform marredik mit dem engl,
namen der pflanze horse-radish. Diese erklärung ist übrigens
schon ziemlich alt. Sie stammt, so viel ich sehe, von dem be-
kannten Hamburger musikschriftsteller und componisten Joh.
Mattheson (1681 — 1764), der neben seiner Stellung als musik-
dii'ector und capellmeister lange jähre das amt eines gross-
britannischen legationsrats bekleidete und 'sich auch bej- mehr
als einer gelegenheit über die teutsche sprach -künde aus-
gebreitet' hat. Seine erklärung des Wortes meerrettich wurde
zuerst 1755 in der zweiten aufläge von Michael Kiche3's Idio-
ticon Hamburgense veröffentlicht, zu der ^^fattheson zahlreiche
beitrage lieferte. Hier lesen wir s. 159 unter mähre: ^mahr-
reddick: die einfalt saget mar-etick und vermeinet es hoch-
teutsch gar fein zu nennen meer-essig. Selbst die Ober-Sachsen
schreiben unrecht meer-rettich, als wüchse er am meere.
Eigentlich heilTt der nähme so viel als pferdc-rettich (von
der mähre, wie marschall, marstall etc. also marrettich, und
') AUgem. polyglotteu-leiikou d. natur-gesch. 1 (ITüa), 1093.
560 Hoops
nicht vom meere. Aiigl. horse-radish, weil diese wurtzel den
pferden heilsam ist. M. ') B^Xg. maer-rad^JS.'
Dieser hinweis auf den anscheinenden parallelismus der
nd. und engl, benennungen hat ohne zweifei auf den ersten
blick etwas bestechendes, und wir verstehen es vollkommen,
dass Eichey die erklärung seines gelehrten freundes zu der
seinigen machte. Indessen hat er sie später wider aufgegeben
und eine eigene neue etj'mologie aufgestellt. Im nachtrag zu
seinem buche sagt er (s. 367): ^maar- reddick (denn so ist es
auszusprechen, an stat des einfältigen maar-etick): meer-rettich.
Das nieder -sächsische kommt hier dem wahren m^sprunge
näher, weil dieser rettich nicht im meere, sondern im
maar- oder moor-lande wachset'. Letztere erklärung,
die, so dilettantisch sie ist, einen sehr beachtenswerten, rich-
tigen kern enthält, hat sich noch durch einige der folgenden
Wörterbücher weiter geschleppt, um dann in Vergessenheit zu
geraten. Die deutung 'mährenrettich' trug den sieg davon
und ist bis heute die herschende geblieben.
Schon die Verfasser des Bremisch-niedersächsischen Wörter-
buchs (1767 — 1771) entscheiden sich für Matthesons auslegung,
nehmen aber zugleich von Richeys ansieht notiz: ^mar-reddik,
meerrettig. Welches der gemeine mann hier in Bremen, eben
so, wie in Hamburg, mar-etih ausspricht. Von dem alten mar,
pferd: weil diese wurzel den pferden gesund sejm soll. Wes-
wegen sie auch bey den Engländern horse-radish, pferde-
rettig, genannt wird. Richey meint, mar-reddiJc sey so viel,
als moor-reddik, weil er gern im moorlande wachset. Holl.
mierik-ivorteV (3, 129).
Adelung in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der
hochdeutschen mundart (1777) führt beide ansichten an, er-
wähnt sogar noch eine dritte, ohne sich indes für eine der-
selben bestimmt zu entscheiden. 'Da dieses gewächs', sagt er
(3, 433 f.) in den Wassergräben und bächen einheimisch ist,
so scheint meer hier für moor, morast zu stehen, obgleich
andere es von dem lat. amariis ableiten, und dieses wort daher
') Dass damit Mattheson gemeint ist, ergibt sich aus der vorrede
(s. XXXVIII f.), wo der Verfasser bemerkt, er habe alles was sein freund
Mattheson beigesteuert, 'mit dem nahraens-zeichen M. auf die Rechnung
desjenigen geschrieben, dem es zugehörte'.
MEEKUETTICII. 561
mär}-eUi(j schreiben. l);i indessen dieses g-ewäclis im nieders.
marredik lieisst, so -wird in dem Bremiscli-niedersächsisclien
wörterbnelie niclit nnwahrscheinlieli genintlimasset, dass die
erste hält'te das alte mar, ein pferd sey, weil die wnrzel den
pferden sehr gesund ist, daher sie aucli im engl, horscradish
lieisst. Ihr holländ. nanie ist mierih-icortel. Im oberdeutschen
wild der meerrettig- yrän, Icrän, grien, Irien genannt, im
russischen ehren, ohne zweifei von dem noch bey den krai-
nerischen wenden üblichen grcnal; bitter'.
Eine teilweise wiirtliche widerholung dieser bemerkungen
Adelungs finden wir in Yoigtels Hochdeutschem handwörter-
bucli (Halle 1794). Auch er gedenkt neben der deutung
•mährenrettich' noch der ableitungen von moor bez. amarus.
— Heyse (Handwb. d. deutsch, spr., 1849) erwähnt die letzteren
überhaupt nicht mehr; er schreibt einfach: 'wahrscheinlich
nicht von meer, sondern von mar, mähre, pferd; daher niederd.
marrettig, gem. merrettig; angl. liorse-radish , weil die wurzel
den pferden gesund ist'. — Auch 0. Schrader in seiner neu-
ausgabe von Victor Hehns Culturpflanzen u. haustieren (s. 485)
meint: 'meerrettieh ist, worauf engl, horse-radish weist, wohl so
viel wie pferderettich'.
Diese auslegung des meer- als mähre und die Zusammen-
stellung mit dem engl, horse-radish ist nun aber in neuerer
zeit von verschiedenen gelehrten zurückgewiesen worden. Sie
fassen das erste compositiousgiied als 'meer, see'. Hinsicht-
lich des grundes freilich, warum die pflanze meerrettieh ge-
nannt sein soll, harscht unter den Vertretern dieser ansieht
keine Übereinstimmung. Es stehen sich hier unbewusst Sprach-
forscher und botaniker gegenüber.
Die Philologen, soweit sie sich für die bedeutung 'meer-
rettieh' gegenüber 'pferderettich' entscheiden, fassen das wort
als 'über das meer gekommener, überseeischer rettich'.
So sagt Weigand (Deutsch, wb. 2): ^Sihdi.meriratich = übersee-
ischer, über das meer (ahd. meri) zu uns gekommener rettig
rnmöglich kann das wort mit mähre (ahd. meriha) = stute,
oder gar mit marah, march = pferd zusammengesetzt sein,
obgleich die Engländer horse-radish, d.i. ross-, pferderettig,
sagen. Es erscheint dies eben nur als eine andere benenn ung'.
— Ihm schliesst sich Heyne (in Grinnns wb.) an: 'der ahd.
Beiträge zur geacliichte der duutBuhcu upraclio. XXIII. 3G
562 Hoops
name meri-ratich, mer-ratich, mer-reUch (Graff 2, 492) tliut dar,
dass das gewächs als ein fremdes, über meer gekommenes
aufgefasst worden ist ... und dass demnacli ein Zusammenhang
des Wortes mit mähre equa, ahd. meriha, später merhe, mere
nicht besteht, trotz der engl, bezeichnung horse-radish, die
demnach auf anderm boden wurzelt'. — Auch Kluge (Et. wb.^)
entscheidet sich für 'überseeischer rettich', nimmt aber in hin-
blick auf das engl, horseradish zugleich von der möglichkeit
. der deutung 'pferderettich' notiz.
Eine andere erklärung versuchen zwei botaniker, ohne
auf diese philologischen auslegungen bezug zu nehmen. Der
bekannte Genfer gelehrte Alphonse de Candolle') äussert sich
über den Ursprung des Wortes meerrettidi folgendermassen:
'wahrscheinlich entstand es daher, dass die art in der nähe
des meeres gedeiht, eine eigenschaft, welche sie mit vielen
cruciferen teilt, und welche sich gerade für sie darbieten muss,
wo sie im östlichen Eussland mit seinen vielen salzigen ter-
rains spontan vorkommt'. — Weniger bestimmt spricht sich
Fischer-Benzon in seiner Altdeutschen gartenflora (1894; s. 115)
aus: 'die deutung mährrettich (pferderettich) ist sprachlich
unmöglich; sie stammt auch erst aus diesem Jahrhundert oder
frühestens aus dem ende des vorigen. Wie kommt die pflanze
zu dem namen meerrettidi? Weil sie in der nähe des meeres
besonders gut gedeiht? Es wäre immerhin möglich, aber sie
könnte auch wohl ursprünglich eine küstenpflanze Italiens und
Griechenlands gewesen sein, wie sie denn jetzt noch die küsten
des Schwarzen meeres bewohnt'.
Zum schluss sei noch eine auffassung erwähnt, die Victor
Hehn in seinem bekannten buche Culturpflanzen u. liaustiere
(6. aufl. 1894, s. 484) ausspricht: dass das wort mcerrdtich aus
dem lat. armoracia entstellt sei. Diese erklärung ist nach
Fischer -Benzons angaben (a.a.O.) neuerdings wider in der
Heimat bd. 3 (Kiel 1893), s. 44 vorgetragen worden, wo 'die
plattdeutschen namen des meerrettichs: marraJc, marcffig,
7narrdig, marretiy, als angleichungen [sie] an armoracia auf-
gefasst sind, die ilirerseits wieder als meerrcUich verhoch-
deutscht worden seien'. Fischer-Benzon lehnt diese erklärung
^) Geographie botanique raisoiinee, 1855, s. 054. Neu abgedruckt in
seinem buche über den Ursprung der culturpflanzen, Leipzig 1884, s. 44.
MEERRETTICH. 563
nicht direct ab, weist aber doch darauf hin, dass 'die nanien
merradich, merrefich etc. schon vor dem 12. Jahrhundert' vor-
Ivommen. also älter als die nd. fcu'inen sein können.
Dieser einwurf ist richtig-. Schon in alul. glossaren aus
dem 9. und 10. jh. tritt der name in der foi'm mcri-ratich auf;
aus dem 11. jh. haben wir mcrratkli, aus dem 12. nierref/ch
(Graff 2, 492). Letzteies ist die gewöhnliche mhd. und früh-
nhd. form; die mnd. ist mcrredik (Schiller-Lübben 3,76. Lübben-
Walther, :\Ind. handwb. s. 226).
Damit fallen die ableitung-en aus aiuarus und armoracia^)
ohne weiteres in sich zusammen. Durch das ahd. meriratich
wird aber auch der erklärung von meerrettich als mährenrettich
der boden entzog-en. Die ahd. form des wortes mähre ist
meriha, marhc, mcrhu\ mhd. nierhe. Dass mer{i)Ua als erstes
glied eines compositums schon im 9. und 10. jh. zu meri- con-
trahiert sein sollte, während sich das h, sonst dui-ch die ganze
ahd. und mhd. zeit erhalten hat, ist durchaus unwahrschein-
lich (vgl. auch das ahd. merihün-sun). Dazu kommt, dass
mähre- als bestimmungswort zusammengesetzter pflanzennamen
in alter \xie in neuer zeit überhaupt unerhört ist; nur ross-
oder ^j/erd- kommen in dieser function vor.
Wie steht es aber mit dem engl, horse-radish? De Can-
doUe (Ursprung der culturpfl. s. 44) sagt: 'der englische name
horse radish (pferderadies) hat nichts ursprüngliches an sich,
was zu der annähme berechtigen könnte, dass die art vor
der angelsächsischen herrschaft im lande aufgetreten sei.
Man will eben nur die stärke des radies damit andeuten.
Der wallisische name rlmddtjijl maurth ist nur die Übersetzung
des englischen, woraus man schliessen kann, dass die Kelten
von Grossbritannien keinen besondern nanien hatten und. die
art nicht kannten'.
De CandoUe hat mit dieser Vermutung das richtige getroffen.
') Der lat. name armorucia, der ül)rij^eiis ursinünglith nicht den meer-
rettich, sondern eine andere, pontische crucifere hezeichncte, hat auch sonst
Unheil in der nomenclatiir des meerrettichs angerichtet. iMan braclite den
namen fälschlich mit Ärmorica zusammen und nennt infolgedessen in Frank-
reich den meerrettich zuweilen cran oder crunson de BreUtyne, obwol die
cochlearia armorucia in der Bretagne sicher nicht wild wäciist (vgl. liier-
über De Candolle, Ursprung der cultiu-pÜ. s. 42;.
3Ü*
564 Hoops
Die alten Briten wie die Angelsaclisen kannten den meerretticli
noch nicht. Selbst im 16. jh. war die pflanze in England
noch nnbekannt. William Turner in seinem buche The
Names of Herbes vom jähre 1548 sagt'): ^Armoracia'^) is named
in greke llaplmnis; it groweth not in England that I wotte
of, but it groweth in Italy, and it is called Larmoratia'^); it
mj^ght be called in englislie if we had it, iv^jld Badish; it is
hote of complexion'. — In dem Teutsch- englischen lexikon
von Fritschen aus dem jähre 1716 ist horseradish bereits als
englischer name des meerrettichs aufgeführt. Frühere belege
habe ich nicht finden können. In Skinners Etymologicon lin-
guae anglicanae von 1671 fehlt das wort, was aber nicht zu
dem Schlüsse berechtigt, dass es damals noch nicht vorhanden
war. A^ermutlich wurde die pflanze zwischen 1550 und
1650 nach England eingeführt. Heute ist sie auf den
Britischen inseln vollkommen heimisch. Sie kommt vielfach
verwildert vor und setzt sich, wo sie einmal boden gefasst
hat, leicht so fest, dass sie schwer wider auszurotten ist und
fast das aussehen einer wildwachsenden art hat. Doch verrät
ihr Standort stets den verwilderten fremdling. "*) Ein volkstüm-
liches genussmittel in dem masse, wie z. b. in Süddeutschland,
ist der meerrettich in England bis heute nicht geworden.
Gleichzeitig mit dem auf tiefen der pflanze wird auch der
name horse-radish entstanden sein, zu dem wir einen ansatz
bereits in der Turnerschen benennung tvyld radish haben.
Seine eigentliche bedeutung ist von De Candolle ziemlich
richtig erkannt, wenn er meint, man wolle damit nur die
stärke des radies andeuten. Wedgwood fi-eilich (Dict. of Engl.
^) Hg. V. Britten, Engl. dial. soc. 34, s. 15.
^) Im raittclalter gilt rapharms ri(sticus oder vulgaris als die gewöhn-
liche lat. heueummg des meeiTettichs. Vom 16. jh. au Avird armoracia,
das im mittelalter verschiedene cruciferen bezeichnet hatte, immer all-
gemeiner in diesem sinne verwant. Camerarius (1580) sagt: 'raphamis
rusticus: vnlgo armoracia'' (vgl. Fischer- Benzon, Altdeutsche gartenflora
s. 115).
^) Noch heute heisst der meerrettich in Italien armoraccio oder ramo-
laccio; daneben rafano, ravano grosso (vgl. Nemnich, Allgem. polyglotten-
lex. d. natur-gesch. 1, 1093.
*) Watson, Cybele Britannica 1, 129. 3, 381. Watson, Compendium of tlie
Cyb. Brit. s. 481. De Candolle, Ursprung der culturpfl. s. 43.
MEERRETTICH. 565
etymol., 2^1 ed.. 1872, s. 349) sagt: 'liorse-radish, plattd. mur-
reddiJi, from tlie ancient mar, a liorse, from some notion of
tlie plant being wliolesome for horses'. Aber diese aiislegung
stammt augensclieinlich aus Adelung, mit dessen bemerkungen
sie fast wörtlich übereinstimmt. Auch Donald in Chambers' Ety-
mological dictionary') und andere, die diese erklärung des engl.
horse-radish geben, widerholen nur, Avas frühere gesagt haben.
Dass pferde meerrettich fressen, ist mir nicht bekannt; dass er
ihnen gelegentlich als medicin beigebracht wird, ist möglich; auf
keinen fall aber ist in einer solchen medicinischen Verwendung
die Ursache der namengebung zu suclieii: diese auffassung be-
ruht sicher auf einer jüngeren, gelehrten misdeutung des namens.
Pflanzennameii mit Jiorse bez. ross, pferd als erstem
element dienen im engl, wie im deutschen mit Vorliebe zur
bezeich nung unechter, besonders gröberer, oft auch
wildwachsender und ungeniessbarer arten gegenüber
den echten, feineren, cultivierten. So schon ags. hors-
minte als bezeichnung der A\ilden minzen und minzenähnlichen
pflanzen gegenüber den zarteren garten -species; im gleichen
sinne nengl. Iiorsemint; ebenso ahd. rosses-minza (schon im
9. Jh.), mhd. rosseminz, -myntsa, rosmintze, nhd. rossminz, pferde-
münze\ mnd. rosmynte, perdeminte, -mynte, und. pierdmünt,
pärmint.'-) Hierher gehören ferner nengl. /^or^e cres^, veronica
') ' So named from a uotiou of its beiiig- wholesome for horses ' (s. 238).
Chambers' Etym. dict. erschien .1867 und hat nach seiner eignen angäbe
u. a. auch aus der ersten aufl. von Wedgwood geschöpft.
2) Graff"!, 819. Steinmeyer -Sievers, Ahd. glossen 3,475,41. 555,54.
Pritzel-Jessen, D. deutsch, volksnamen d. pflanzen s. 234 ff. Fischer-Benzon,
Altdeutsche gartentiora s. 188. 210. — Wenn Weigand (Deutsch, ^^'b. 2)
meint: -auch der mittellat. narae die eqnimcnta, welcher im 9., 11. u. 12. jh.
wörtlich durch rosses ininza, rosscminza , rosmhize d. i.' rossminze ver-
deutscht wurde, scheint von einer Verwendung des krautes als pferdeheil-
mittel seineu Ursprung zu haben', — so ist er in mehrfacher hinsieht auf
dem holzwege. Erstens ist das ahd. rosses minza ganz sicher keine Ver-
deutschung des mittellat. equimenia, sondern dieses ist umgekehrt (wie
Steinmeyer riclitig vermutet) eine Übersetzung des germ. namens, der ja
auch im ags. vorhanden ist; zweitens ist von einer Verwendung dieser
kräuter — denn 'rossminze' ist eine generelle benennung für verschiedene
wilde minzenarten und minzenähuliche pflanzen — als pferdeheilmittel
nichts bekannt; und endlich hat Weigaud die bedeutung der volkstüm-
lichen namenbildungeu mit ross- nicht verstanden.
566 Hoops
beccabunga L.. g-egenüber der gartenkresse; Iwrse üaisy^) für
chrysautliemiim leucantliemum L., die weisse Avucherblume,
antlieniis cotiila L., die liundskamille und ähnliclie arten gegen-
über dem zarten gänseblümclien oder maasliebclien, bellis
perennis L., mit dem jene in ihrem liabitus ähnliclikeit haben;
im gleichen sinne stehen in Schottland goivan und Jiorse goivan
einander gegenüber. Das duftlose hundsveilchen, viola canina,
wird zum unterschied von viola odorata in Essex horse violet
genannt; in Augsburg nennt man es hundsvcigeln oder ross-
veigehi. — Auch sonst sind in Deutschland diese bildungen
nicht minder beliebt als in England: ross-eppich für heracleum
sphondylium L., bärenklau und ähnliche pflanzen im gegensatz
zum wirklichen eppich; ross-erhs, ein St. Galler name für pha-
seolus multiflorus Lamk., die türkische oder prunkerbohne, die
nur als ziergewächs wegen ihrer bunten bluten, nicht der
fruchte wegen gezogen wird; rossfcnchel für verschiedene
fenchelartige, rossldinimcl für entsprechende kümmelähnliche
wilde umbelliferen; rosspappel für die wilde malve u. s. w.
(vgl. Pritzel-Jessen a. a. o. s. 620 f.). Auch der name ross- oder
Pferdebohne dürfte hierher gehören.
Ungleich häufiger noch als Jiorsc und ross "wird engl, dog,
nhd. himds- zur bezeichnuug des unechten gebraucht. Z. b.
dogherry für verschiedene nicht essbare beeren; dogcherry, dog
dßisy bez. dog goivan (synonj^m mit den oben erwähnten horse
daisy, horse goivan), dog eller-), dog fennel (wie oben das nhd.
rossfenchel), dog nettle, dogrose, dog roivans.^) — In Deutsch-
land sind solche bildungen ausserordentlich häufig: hundshecre,
-dille, -Jcamille, -Jcirschen, -hiohlauch, -Mrhs, -laucli, -milch, -peter-
silie, -reben, -rose, -rieben, -veilchcn, -weisen, -ziviebel u. s. w.
(Pritzel-Jessen s. 550 f.), überall im sinne von 'unecht, pseudo-'.
— Auch andere tiernamen werden manchmal in der gleichen
function verwant.
') 'From its size and coarseness', sagen Britten iind HollaiKl in ihrem
Dictiouary of English plant -uames mit recht (Engl. dial. soc. 22. 20. 45;
s. 141). Ans ihren belegen geht hervor, dass der name in dieser bedentnug
über ganz England verbreitet ist.
2) Britten-Holland s. 154 bemerken unter diesem namen sehr richtig:
'dog is apiilied here, as in manj' other cases, as raeaning spnrious, not the
right thing'.
^) Ueber die botan. bedeutung dieser namen vgl. Britten-Holland s. 154 ff.
MEERRETTICH. 567
Nach diesen zahlreichen parallelen kann wul kein zweifei
mehr darüber herschen, dass horse-radish weiter nichts als
'unechter, grober rettich' bedeutet — eine erklärung-, auf
die übrigens schon das Turnersche ivijld radish hinweist. Und
ähnlich wie in Turners Herbarium wird in dem ziemlich gleich-
zeitigen Kreutterbuch von Hieronymus Bock (f 1554) zwischen
dem meerrettich und dem zahmen rettich unterschieden: 'der
meerrhetich ist mit geschmack und geruch sterker dann der
zam' (s. 280). Der umstaiul, dass schon bei 'I'urner 1548 der
in England damals noch unbekannte meerrettich als wilder
rettich aufgefasst wird, zeigt zugleich, dass der nanie horse-
radish jedenfalls vcUlig unabhängig von dem deutschen namen
meerrettich oder nd. marrcdik entstand, dass er eine ganz spon-
tane engl, bildung ist, die erst später unter verkennung der
ui-s})rimgliclien Verhältnisse mit meerrettich in beziehung ge-
setzt wurde.
Damit fällt auch die letzte stütze der deutung von meer-
rettich als 'mährenrettich'. Es kann demnach kein zweifei mehr
darüber sein, dass wir in dem ersten compositionsglied tatsäch-
sächlich unser wort meer, ahd. meri, zu erblicken haben. In
den dialektischen formen merrcttich,^) mcrredeh, mcrch etc.
hat sich die alte kürze vor dem doppelconsonanten bewahrt;
in den nd. marreddil; marreik, mark, marrettig ist das e vor r
in geschlossener silbe, wie auf nd. und engl, gebiet so sehr
gewöhnlich, in a übergegangen (vgl. mnd. sterven : nnd. starven,
her fest : harvst, herte : hart etc.; mengl. kerven : nengl. carve, fer :
far, sterre : star, bern : barn etc.).
Jedoch was bedeutet meerrettich? 'Ueber das meer
gekommener rettich'? So wird es, wie wir gesehen haben,
von verschiedenen philologen erklärt. Aber was haben die-
selben sich dabei gedacht? Der name war schon im 0. und
10. jh. vorhanden. Amerika war dazumal noch nicht entdeckt;
in England war der meerrettich überhaupt nicht bekannt;
*) Tu der Schriftsprache tritt schon im 10. jh. die form meerrettich
auf; der erste beleg, den Weigaud anführt, stammt aus dem jähre 153S.
Andererseits haben sich die formen mit alter kürze in den würterbücheru
noch ziemlich lange erhalten. Weigand citiert hierfür Adam Lonicerus
(f 1586), aber noch in Stielcrs Teutschem .«jirachschatz von KlOl (p. 1G05)
lesen wir merrettich.
568 Hoops
eine entsprechende lat. benenniing", aus der das alid. wort über-
setzt sein könnte, existiert nicht. lieber welches meer soll
also damals die pflanze nach Deutsclihuid g-ebracht sein? Ich
glaube, durch diese einfache historische erwägung wird jene
allzu philologische erklärung von selbst gerichtet.
Die Sache wird noch zweifelloser, sobald wir nach der
wirklichen heimat des meerrettichs forschen. De Candolles
gründliche Untersuchungen haben erwiesen, dass der meerrettich
von Osten her zu uns gekommen, dass seine eigentliche
heimat das östliche Europa ist. i) 'Die cochlearia armo-
racia', sagt er, 'ist von Finland bis nach Astrachan und der
wüste am Kuma verbreitet. Grisebach führt sie auch für
mehrere localitäten der europäischen Türkei auf, z. b. in der
nähe von Enos, wo sie am meeresstrande liäufig ist. Je mehr
man sich dem westen Europas nähert, um so weniger scheinen
die autoren von floren über die einheimische eigenschaft sicher
zu sein, um so zerstreuter und verdächtiger werden die Stand-
orte. In Norwegen ist die art seltener als in Schweden, auf
den Britischen inseln seltener als in Holland, wo man keinen
fremden Ursprung mutmasst. Die namen der art bestätigen
einen ursprünglichen wohnsitz eher im osten als im westen
Europas: so findet sich der russische name ehren in allen
slavischen sprachen wieder: henai im litauischen, c]ire)i im
illyrischen. Derselbe hat sich in einigen deutschen dialekten,
z. b. in der nähe von ^Men, eingebürgert, oder ist auch, trotz
einführung der deutschen spräche, dort verblieben. Auch das
französische wort cran oder cranson wird davon abgeleitet.'
Die Verbreitung dieses namens über das ganze
slav.-balt. Sprachgebiet ergibt sich noch deutlicher aus
der Zusammenstellung der verschiedenen dialektformen bei Mi-
klosich (Et.wb.90): aslov./weww, nslov.Are», hiüg.hren, seYh.hren,
czech. ehren, poln. chrzan, klruss. ehr in, russ. chrcnu oder ehrehti;
lit. krenas. Der name ist etymologisch bislang nicht erklärt. Er
macht jedenfalls einen sehr altertümlichen eindruck; ob er aber
urslav. sprachgut oder vielleicht aus einer nichtindog. spräche
entlehnt ist, lässt sich vorläufig niclit entscheiden. Er drang
schon im 12. jh. ins deutsche, zunächst als chrene, krene, kren]
1) DeCandoUe, Geographie botanique raisormee, 1855, s. 654f. Ursprung
der ciüturpfl. s. 43 f. Ferner "Watson, Cybele Britannica 3, 381.
MEERRETTICH. 569
daneben erscheint vom 15. jli. an l-ricnJ) Iren, h-icn, fp-än,
grien ist anch heute noch die gewöhnliche benennung- für den
meerrettich in den südöstliclien provinzen des deutschen Sprach-
gebiets und nur in diesen. Sie erstreckt sich von Siebenbürg-en
durch Oesterreich über i^idimen nacli Schlesien; in Süddeutsch-
land ist sie durch Bayern l)is nacli Augsburg vorgedrungen."^)
Dies nebenbei. Von den oben angefülirten deutungen des
deutschen namens meeyrettich bleiben jetzt nur noch zwei be-
stehen: die De Candollesche und die von Richey. Beide gehen
übereinstimmend, im gegensatz zu den übrigen, vou der an-
nähme aus, dass das bestimnningswort meerrettich den Standort
der pflanze angebe. Sie sind damit auf der richtigen bahn,
obschon im übrigen auch ihre ausleguiigen unzureichend sind.
Gegenüber der erklärung De Candolles, wonach die pflanze
so genannt wäre, weil 'die art in der nähe des meeres
gedeiht', erhebt sich sofort wider die frage: welches meer ist
denn damit gemeint? An irgend eine nichtdeutsche see, etwa
das Mittelländische oder Schwarze meer, zu denken, hat keinen
sinn: einen lat., gr. oder slav. namen, der 'meerrettich' be-
deutete, gibt es nicht. Die deutsche bezeichnung ist aus keiner
fi'emden spräche übersetzt, sondern specifisch deutschen Ur-
sprungs und ist sicher aus der unmittelbaren anschauung
geschöpft. Für Deutschland aber können von meeren offenbar
nur Xord- und Ostsee in betracht kommen, und dass der meer-
rettich an deren ufern besonders häufig wachse, wird niemand
behaupten wollen. Das ahd. meri-ratich kann somit nicht 'der
am meere wachsende rettich' bedeutet haben.
Nach Richeys ansieht endlich hätten wir in dem nd. maar-
reddick die ursprünglichere form zu erblicken, w'eil 'dieser
rettich nicht im meere, sondern im umar- oder moor- lande
wachset'. Hiergegen lässt sich botanisch nichts einwenden.
Man kann in jedem botanischen handl)uch finden, und jeder
gärtncr wird es bestätigen, dass der uieerrettich an feuchten
stellen, an graben, teichen, sümpfen, flüssen u. dgl.
wächst. Aber die philologische seite von Richej's erklärung
') Lexer 1, 1720. MLd. \vb. 1, S7S. Konriul Megenhcrg in seinem liiich
der natur (418, 25) sagt: diu vurz, diu etsirä merretich hnizt und amUrswä
leren.
2) Pritzel-Jcssen, D. deutsch, volksn. d. iill. s. 241.
570 HOOPS, MEERRETTICH.
ist unhaltbar; der dilettantisnius steht ihr auf der stirn ge-
schrieben, weshalb sie von den neueren forschern seit beginn
des jh, überhaupt nicht mehr beachtet ist. Die nd. form mit a,
wie wir gesehen haben, ist nicht die ursprünglichere; und selbst
wenn sie es wäre, würden maar und ynoor immer noch nicht
identisch sein.
Damit wären die bisher aufgestellten erklärungen wol
erschöpft, und es scheint nun wirklich fast, als ob Nemnich
recht behalte, dass sich kein sicherer Ursprung des namens
raeerrettich angeben lasse, weil gegen jeden deutungsversuch
gleich wider schwere bedenken erstehen. Wie kommen wir
aus diesen Schwierigkeiten heraus?
Nur eine vernünftige Vereinigung botanischer und philo-
logischer forschuug kann uns hier, wie bei allen Untersuchungen
über pflanzennamen, zum ziele führen. Der fehler aller früheren
erklärer war, dass sie von der heutigen hd. oder nd. form des
namens ausgiengen, während sie sich zunächst an die älteste
bezeugte form, das ahd. meri-raticJi, hätten halten sollen. Ahd.
meri, wie as. meri und ags. mere bedeuten aber in erster linie
nicht 'meer', sondern 'stehendes binnengewässer, weiher,
tümpel, sumpf. Vgl. afries. mar 'graben, teich'; anl. maere,
maer, mer 'sumpf, see', ags. mer{i)sc = nengl. marsh, nd. marsch
'sumpfige niederuug'; ferner gr. dficcQa 'graben, kloake'. Nur
auf hochdeutschem gebiet hat das wort die bedeutung 'meer'
angenommen, im nl. und engl, bedeutet es noch heute 'land-
see, sumpf. Erinnern wir uns jetzt daran, dass der meer-
rettich feuchte Standorte an graben, teichen, sümpfen u. dgl.
liebt, so wird uns der ui'sprüngliche sinn des ahd. meri-ratich
sofort klar werden: es bedeutet weiter nichts als 'sumpf-
rettich'. Das ist des rätseis sehr einfache lösung. Der alte
Eichey mit seiner dilettantischen auffassung des Wortes als
moor-reükli ist also 'in seinem dunkeln dränge' tatsächlich von
allen der Wahrheit am nächsten gekommen.
HEIDELBEEG, 18. märz 1898. JOHANNES HOOPS.
WERWOLF.
An der bekannten stelle in den gesetzen Cnuts (Sclimid,
Gesetze der Angelsachsen- s. 270) bieten die liss. die form werc-
wulf statt des zu erAvartenden wcnvulf. Dieser umstand hat
nun Kögel veranlasst, die landläufige deutung des wortes als
'mannwolf anzuzweifeln und eine neue erklärnng zu ver-
suchen. *) Indem er den ersten teil des compositums mit got.
wasjan 'kleiden' zusammenbrachte, deutete er das wort als
'wolfskleid", und diese erklärung ist unter anderen auch von
Kluge in der letzten aufläge seines Etymologischen Wörter-
buchs angenommen worden. In den Beitr. 21, 574 ist Mogk
indessen wider für die alte ansieht und, wie, ich glaube, mit
recht eingetreten. Er macht geltend, dass das in den Gesetzen
vielfach belegte wort iver^ild, dessen erster teil unzweifelhaft
'inann' bedeutet, in Cnuts dömas zweimal in der form tvere-
^ild vorkommt,-) und zieht daraus den schluss, dass das nur
einmal begegnende ucreivulp) in ähnlicher weise für wenvidf
verschrieben sei.
Es lässt sich aber noch anderes zur stütze von ]\rogks
ansieht beibringen: aus den folgenden belegen geht nämlich
hervor, dass seit dem anfang des 11. jh.'s die Schreibung icere
für iftr nicht nur in den Zusammensetzungen, sondern auch
als Simplex vorkommt.
1) Vgl. Beitr. 21, 574 und Pauls Grmidr. 1, 1017 anm.
*) Dies sind aber nicht die einzigen belege: vgl. Ine 15 (Liebermann,
Die gesetze der Angelsachsen, 1898, s. 90), wo die hss. Bu (ll.jh.) und H
(r2.jh.) iccre^ihl bieten; und Alfred 7, 1 (1. c. s. 54), wo die hs. E (ca. 950)
iceregilde hat. Alfred 4, 1 (1. c. s. 50) haben die aengl. hss. irer-, und in den
Quadripartitus ist das wort als iceregildum aufgenonuuen worden.
ä) In meinem Wulfstan s. 191, IG wird ebenfalls icereirulf geschrieben:
die betreffende stelle ist aber nur ein auszug aus diesem gesetz Cnuts.
572 NAPIER
Die ang-efülirten belege sind sänimtlicli nom. bez. acc. sg.
Die westsäclisischen Evangelien (ca. 1000) bieten zweimal den
acc. sg-. tvere (Marc. 10,12. Luc. 1,34): nur eine lis. hat an
beiden stellen iver.
In Eadwines Canterbury psalter (ed. Harsley), der nach
Wanley 'circa tempora Stephani' (1135 — 1154) geschrieben
wurde, steht die form tvere zweimal (Ps. 1, 1. 5, 7) neben häu-
figerem wer. Belege aus der um die mitte des 12. jh.'s ge-
schriebenen Cottonschen lis. Vespasian D 14 finden sich in der
Angiia 3, 106, 27. 108, 73. 109, 91 ])es (se) halse were. Anglia 11,
370, 46 stva p se tvere ne g^'d his wif, ne p tvif liire tvere.
390,2 Eadis hyd se tvere. Kluge, Ags. leseb.^ s. 88, 37. Die
31. zeile des Poema morale, ed. Lewin (ca. 1170) lautet: Ne
hopie ivif to liire ivere, ne tvere to his tvife, während das Or-
mulum (ca. 1200) stets die form tvere, nie tverr bietet, i)
Weitere belege für tvere aus der ersten hälfte des 13. jh.'s
sind: Juliana, ed. Cockayne s. 14, 13. Hali meidenhad, ed. Co-
ckayne s. 31, 18. Owl and Nightingale, ed. Stratmann 1341
(ivere reimt mit copenere). 1522. Genesis and Exodus, ed.
Morris 3977. Man kann sogar behaupten, dass seit dem an-
fang des 13. jh.'s were die allein herschende form sei; mir ist
seit dem j. 1200 kein sicherer fall von tver bekannt.
Mogk überlässt es den anglisten zu entscheiden, wie dieses
unorganische e zu erklären sei: ich meine, es liegt nahe, an be-
einflussung durch die zweisilbigen nomina here, mere, spere,
here, pere zu denken.-) Freilich stehen diesen fünf zwei-
silbigen Wörtern vier einsilbige auf er gegenüber: ausser tver
noch htver, {^e)ner, jefer; doch sind diese abgesehen von tver
verhältnismässig selten, während liere,^) mere, spere, here in
täglichem gebrauch waren.
Namentlich aber bei den sehr zahlreiclien und häufig ge-
brauchten mit here-, mere-, spere- gebildeten compositis würde
sich ein solcher einfluss geltend machen können: diese konnten
1) Vgl. Ormithim 2558. 4604. 4614. 7615. 1)129. 13S90, auch Sachse, Das
unorganische e im Ornmhmi, 1881, s. 7.
-) Auch einfluss seitens der nomina agentis awf -cre {sceawere, ßrötcere
U.S.W.) ist nicht ausgeschlossen; doch scheint mir einfluss von here u. s. w,
wahrscheinlicher.
^) Vgl. auch die mit Ilcrc- zusammengesetzten eigennameu.
WEEWOLF. 573
die fast isoliert dast eilenden /rc^-composita leicht nach sich
ziehen, denn von den übrig-en tv- Wörtern wnrden so gut wie
keine Zusammensetzungen gebildet.
Dadurch wird das vorkommen von /rcn;:^il(( bereits im
10. jh. leicht verständlich ;^) etwas später hängt man auch dem
Simplex das e an, und diese neue form wiid im laufe der zeit
die vorhersehende.
*) In ganz iilniliclipr weise ist ans jccrwöf? 'werrant' ein iceremöä ge-
worden: "Wiight-Wülker 290, 24 (11. Jb.). Cockayne, Leechdonis 1,21G, H)
MS. 0 (12. Jh.). 3, 124, 26. 134, 13 (12. Jh.). Dieses scliwanken zwischen iccr-
und ivere- wurde wol nunmehr der grund, weshall) in späterer zeit formen
wie herpad u.s. w. neben herepaö auftreten; vgl. Crawford charters, ed.
Napier and Stevenson, s. 42.
OXP^ORD, Januar 1898. A. S. NAPIER.
ZUM OPUS IMPERFECTUM.
Fr. Kauf f mann befasst sich Zs. fdpli. 30, 431 mit einem
passus meines Dresdener Vortrags über das Opus imperfectum
(vg'l. Verh. d. 44. vers. deutsch, pliilol. u. scliulra. s. 1211) und nimmt
Veranlassung-, mir bei dieser geleg'enheit den Vorwurf mangelnder
Sorgfalt zu machen.
Ich hätte wol erwarten dürfen, dass Kauffmann mit seiner
beschuldigung gewartet hätte, bis die von mir versprochene
Untersuchung erschienen wäre, anstatt gegen mich zu polemi-
sieren, ohne mein beweismaterial zu kennen. Auch hätte ich
alle Ursache die frage aufzuwerfen, warum Kauffmann in seinem
aufsatz über das Opus imperfectum (Beilage zur Allg. ztg. vom
24. febr. 1897) zwar der von mir als nicht beweiskräftig ab-
gelehnten stelle über den gladius separationis (sp. 767 f.) ganze
22 Zeilen einräumt, dagegen jene stelle auf sp. 896, die heute
sein hauptbew^eisstück bildet, mit absolutem stillsclnveigen über-
gangen hat. Der herkömmlichen art der beweisführung ent-
spricht ein solches verfahren jedenfalls nicht, selbst dann nicht,
wenn Kauffmann nur auf leser rechnen sollte, die das ganze
Opus imperfectum ad hoc durchzuarbeiten willens wären.
Wie dem auch sein mag, mir genügt es festzustellen, dass
die behauptung, mir sei die stelle auf sp. 896 entgangen, un-
i'ichtig ist. Ich habe sie vielmehr in meinem Vortrag ausführ-
lich erörtert, wie ich durch mein manuscript jederzeit zu be-
weisen im Stande bin. Ich sollte denken, mit demselben recht,
mit dem Kauffmann fordert, dass man ihm eine nicht citierte
stelle gutschreibe, hätte auch ich beanspruchen können, dass
man voraussetze, nicht alle von mir in dem auf ein minimum
reducierten referat übergangenen stellen seien mir unbekannt.
Was die sache selbst anlangt, so kann ich in der von
Kauffmann nachträglich beigebrachten stelle ebensowenig eine
ZUM OPUS IMPERFECTUM. 575
anspielimg- auf die ausMaiideruiio- ihn- wulfilani.schen (.lOteii
erblicken wie in der xom (/lad ins separationis. Dem wider-
spriclit vollständig- der Zusammenhang-. Der ganze passus lautet
nämlich: Ut autem et hatrcticis hacc cadem coapte-
mus, Jerusalem hie scmpcr Ecelcsiam hitellige, qtiae dicitur
civitas pacis, cuins fundamenta posita sunt su})cr montes Scrip-
turarnm. Sicut ergo Uli ludaei, qui fuerant Jerusalem spiri-
tualis, ingressi crediderunt in Christum, Uli autem, qui erant
Jerusalem corporalis, manentes in eorporali Judaismo, perse-
quehanfur spirituales Judaeos, i. e. apostolos cacterosque ex
circumcisione credentes: sie et de ista nova Jerusalem i. e. de
Ecclesia, qui spirituales Christiani fuerunt, relicta eorporali
JEcclesia, quam perfidi occupaverant violentia, exierunt ah
Ulis. Magis autem Uli exierunt a nohis, sicut Joannes exponit
(1. Joan. 2, 19).
Exire de Ecclesia quis dicatur. — Non enim ille de
Ecclesia exire videtur, qui corporaliter exit, sed qui
spiritualiter veritatis ecclesiasticae fundamenta relin-
quit. Nos enim ah Ulis exivimus corpore, Uli autem a nohis
animo. Kos ah Ulis exivimus loco, Uli a nohis fide. Kos äpud
illos reliquimus fundamenta parietum, Uli apud nos reliquerunt
fundamenta Scripturarum. Nos ah Ulis egressi sumus secun-
dum aspectum homimim, Uli autem a nohis secundum iudicium
Dei. Jdeo et Uli corporales Christiani persequuntur
nostros spirituales, specie colorata, varictate fundata. Prop-
terea quae siiperius Dominus commemoraverat, ad illam Jeru-
salem corporalem dicta esse videntur: Jerusalem, lerusalcm,
quae occidis 2yrophetas d lapidas eos qui ad te mittuntur. Non
dixit: quae occidisti et lapidasti, sed: quae occidis et lapidas,
i. e. quae hoc proprium et quasi naturalem consuetucjUnem hahes,
ut occidas et lapides sanctos. Non enim occidit aut lapidavit
sanctos ante Christum et cessavit facere post Christum quae
fecit aliquando prophetis, sed eadem ipsa facit apostolis, quae
fecit aliquando prophetis. Sic et haercticorum Ecclesia
non solum persecuta est patres nostros, et perseqtii
cessavit: sed eadem filii eorum faciunt nohis, quae
patribus nostris feccrunt patres aar um. ^)
*) Man vergleiclie hiermit foif^cnde sätze auf sp. bUS: llacrcticonim
Ecclesia denlkta a JJco et omnibus sunctis. — lidicia est autem et deserta,
576 STREITBERG, ZUM OPUS IMPEEFECTUM.
Man sieht, Kauffmann liätte besser getan sicli nicht auf
diese, angeblich 'einer hervorhebung überhaupt nicht bedür-
fende' stelle zu berufen. Denn sie handelt von der occupation
der arrianischen kirchen durch die übermächtigen ortho-
doxen, von der Verfolgung der Arrianer durch ihre ortho-
doxen gegner. Sie stimmt also, wie für jeden aufmerksamen
leser von vornherein klar war, aufs beste zu jener stelle auf
sp. 7G7 f., wo von mfideles und nicht von gentiles die rede ist.
So wenig wie diese kann sie daher auf die Verfolgung und
Vertreibung der wulfilanischen Goten durch ihre 'heidnischen
Volksgenossen' bezogen werden. Vielmehr enthält sie nichts
anders als den alten lieblingsgedanken des Verfassers, der in
immer neuen Varianten widerkehrt: dass die starke orthodoxe
partei dem äussern anschein nach, die schwache und bedrängte
arrianische dagegen in Wahrheit die kirche Christi repräsentiere.
ex quo de illa corporali Ecdesia spirituah's exivii i. c. de popido suo, qui
ridehatur Chr/stianus et non erat, poptdits iste exivit, qui non videbatur
et erat: et magis autem, secundum quod dtximus, Uli a nobis exierunt quam
nos ab Ulis.
WIESBADEN, 2. april 1898.
WILHELM STREITBERG.
Halle n. S., Druck von Elirhardt Karras.
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PF Beiträge zur Geschichte der
3003 deutschen Sprache und
B5 Literatur
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