HANDBOL'ND
AT THE
UNIVERSITY OF
TORONTO PRESS
BEITRÄGE
ZUR
^SCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEYERS.
XXYIII. IUM>.
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEINSTRASSE
1903
7
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INHALT.
Seite
Die inundart von Pernegg- in Kärnten. Von P. Lessiak. . . 1
Dialog von Luther und der botschaft aus der hülle. Von A. G oetze 228
Eine Vadianische flugsclirift. Von demselben 236
Zur relativen Chronologie urgernianischer lautgesetze. Von N.
van Wijk 243
Zur Scheidung der kurzen e- laute im niittolhochdeutschen. Von
T. E. Karsten 25-t
Mittelhochdeutsch Schemen. Von E. Sievers 260
Nachtrag (zu Beitr. 27, 565 ff.). Von W. Braune 26-i
Zur althochd. interlinearversion der Cautica; suueiga (Beitr. 27, 504).
Von J. H. Gallee • 265
Zum Beowulf (v. 48 f.). Von E. Sievers 271
Die spräche des jungen Schiller in ihrem Verhältnis zur nhd.
Schriftsprache. Von W. Pf leider er 273
Zum reimgebrauch Rudolfs von Ems. Von K. Zwierzina . . 425
Das Iweinfragmeut C. Von W. Niemeyer 454
Die rhythmik des Hans Sachs. Von Chr. A. Mayer 457
Grammatisches. Von W. van Helten 497
(LH. Zu der auf schleif- bez. stosstoniger ausspräche der end-
silben basierten auslauttheorie, s. 497. — LIII. Zur westgerm.
apo- bez. synkope von kurzem vocal der endsill)e, s. 522. —
LIV. Zur westgerm. dehnung von consonant und halbvocal \i
vor i, s. 530. — LV. Zur behandlung von -z und -s im west-
germanischen, s. 534. — LVI. Noch einmal zur frage 'gab es
westgenn. reflese von got. -ans, -iufi, -uns des acc. pl.?', s. 536.
— LVn. Zu den altgorm. endungen des gen. und dat. sg. der
INHALT.
Seite
l- und tt- Stämme und verwautes, 8.538. — LVIII. Zur ana-
logischen ai)okoi)e der endung im dat. sg. raasculiner und
neutraler substantiva, s. 542. — LIX. Zum westgerm. -i, -e
der 2*. sg. praet. ind., s. 545. — LX. Zu got. -au, -jatt, an. -a
etc. für die 1. sg. praes. und praet. opt., s. 540. — LXI. Zum
Prototyp von got. -iiui der 1. pl. praes. und praet. opt. und
verwantes, s. 548. — LXII. Zum got. iraperat. auf -Jau, -»m/öm,
s. 551. 1/XTII. Zur eutwickelung einiger altgenu. partikeln.
8. 552)
Zur althochdeutschen literatur: 1. Otfrid ad Ludowicum. Von
G. Ehrismanu .570
DIE MUNDART VON PERNEGG
IN KÄRNTEN.')
Die mundart. welclie dieser abliandhmo: zu gründe liegt,
ist die des sogenannten "Klotzen winkeis' {khh^atsmviukhl) süd-
westlich von Feldkirclien in Kärnten, d. li. des dorfes Pernegg
und der übrigen am nordabhang des vom Klammbacli (einem
Zuflüsse der Glan) durcliflossenen tales gelegenen Ortschaften
Dolientschig, Leiten, Adriach und St. Nikolai. Sie bilden nebst
ein paar andern weilern die pfarr- und schulgemeinde St. Nikolai
ob Pernegg und sind mit den kirchspielen Ossiach und Glan-
hofen zu der politischen gemeinde Ossiach vereinigt. Nennens-
werte unterschiede zwischen den mundarten der drei pfarreien
sind nicht vorhanden, nur ist in den beiden letzteren der fremde
einfluss in erheblich stärkerem masse fühlbar. Der verkehrs-
1) Yerzeichuis der wichtigsten benutzteu Schriften: A. Hauff en,
Die deutsche Sprachinsel Gottschee (Quellen und forschuugen zur geschichte,
literatur und spräche Oesterreichs und seiner kronländer 3). Graz 1895. —
A. Heusler, Der alemannische consonantismus in der mundart von Basel-
stadt. Strassburg 1888. — fr. Kauffmann, Geschichte der schwäb. mundart
im Mittelalter und in der neuzeit. Strassburg 1890. — Joh. Krassnig, Ver-
such einer lautlehre des oberkärntischcD dialektes. Erste Jahresschrift des
k. k. Unterrealgymnasiums zu Villach für das Schuljahr 1869,70. Villach
1870. — J. W. Nagl, Grammatische analyse des niederösterreichischen dia-
lektes im anschluss an den als probestück der Übersetzung abgedruckten
6. gesang des Roanad. Wien 188G. — Derselbe, Das hohe A in der bair.-
österr. mundart. In der Sammlung: Der vocalismus der bair.-österr. maa.
historisch beleuchtet. 1. cap. Wien 1895. — J. Schatz, Die mundart von
Imst. Strassburg 1897. — J. Schiepek, Der satzbau der Egerländer mund-
art. 1. Prag 1899. — J.A. Sc hm eil er, Die mundarten Baierns, grammatisch
dargestellt. München 1821. — E.Sievers, Grundzüge der phonetik.-' Leipzig
1901. — H. Stickelberger, Die derainutiva in der Berner ma. (Philo-
logische Studien, festgabe für E.Sievers) 1896. — K. Weinhold, Bairische
Beiträge zur geschichte der deutschen prache. XXVIU. 1
2 LESSIAK
mittelpuiikt der ganzen umo'ebung* ist der markt Feldkirchen,
dessen idiom, eine durch die mundarten der umgegend etwas
modificierte abart des genieinkänitnischen stadtdialekts (vgl.
dazu den anliang), die bauerndialekte der nachbarschaft immer
mehr zurückdrängt.
Die mundarten der im talboden zumal in unmittelbarer
nähe des marktes gelegenen orte haben schon ziemlich viel
von ihrer ursprünglichkeit eingebüsst, aber auch in den berg-
dörfern macht sich unter der Jugend in immer höherem masse
das bestreben geltend, höfaSr zu sprechen ('höfisch' = 'fein,
städtisch, herrisch', im gegensatze zu pceiros 'bäurisch'). Die
Pernegger selbst fühlen sich bereits erhaben über das pirgsrdä
oder gropinrgdrds, die urwüchsigere ausdrucksw^eise der pirgr,
d. h. der gebirgsbauern von der Görlitzen oder aus der Teichen,
denen man nachsagt, dass sie mehr khglbmp ('bellen') als rödnt.
Im ganzen und grossen bildet die Feldkirchner gegend
mit dem obersten Glantal und der östlichen hälfte des Ossiacher
seebeckens bis zur bezirksgrenze ein ziemlich einheitliches
dialektgebiet, nur unbedeutend sind die lautlichen abweichungen,
auch im Wortschatz sind die unterschiede nicht allzu gross;
etwas stärker treten die Verschiedenheiten des tonischen accents
zu tage. Im osten verbindet das Glantal das Feldkirchner
grammatik. Berlin 1867. — Derselbe, Mittelhochdeutsche grammatik.^
Paderborn 1883. — J. Winteler, Die Kerenzer muudart des cantons Glarus
in ihren grundzügen dargestellt. Leipzig und Heidelberg 1876.
Wörterbücher: 0. üutsmann, Deutsch-windisches Wörterbuch mit
einer Sammlung der verdeutschten windischen Stammwörter. Klagenfurt 1789.
— Fr. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen spräche.^ Strass-
burg 1899. — M. Lexer, Kärntisches Wörterbuch. Leipzig 1862. — J. A.
Schmeller, Baierisches Wörterbuch,'^ bearb. von G. K. Frommauu. München
1872 — 1877. — Desselben sogenanntes cimbrisches Wörterbuch, das ist
deutsches Idiotikon der VIT und XIII conimuni in den venetianischen Alpen.
Herg. von J. Bergmann. Wien 1855. — Schweizerisches Idiotikon.
Wörterbuch der schweizerdeutschen spräche. Ilerg. von Fr. Staub, L. Tobler
etc. Fraucnfeld 1881 ff. — Ant. U eher fehler, Kärutnerisches idiotikou,
herg. von S. M. Mayer. Klagenfurt 1862.
Arbeiten, denen ich einzelheiten entnommen habe, sind an der betr.
stelle angeführt. Die benutzung der gewöhnlichen germanistischen hilfs-
mittel, wie der grammatiken von Paul, Braune, Wilmanns, setze ich still-
schweigend voraus.
MUNDART VON PERNEGG. 3
mit dem St. Veiter beckeu, es fehlt dalier nach dieser richtung
eine natürliche grenze, wie denn auch eine schroffe dialekt-
scheide. Im Südosten bilden etwa die pfarren Radweg- und
Klein -St. Veit die grenze gegen die von der Klagenfurter stadt-
sprache ungemein stark beeinflussten dialekte des W()lfnitz-
tales. Eine scharfe grenzlinie besteht eigentlich nur iin norden
(nordosten, nordwesten) gegen die mundarteu des oberen (iurk-
tales {a/ga -Wnie, von der Gnesau westlich zugleich ö'/^-linie,
vgl. dazu die §§ 58. 71). Sie fällt mit der Avasserscheide zwischen
der Gurk und Glan zusammen. Die grenzgemeinden sind Steuer-
berg und Himmelberg. Die westgrenze bilden die nordöstlichen
ausläufer der Görlitzen bis zu ihrem gipfel, von da etwa die
bezirkshauptmannschaftsgrenze bis zur Sprachgrenze (grenz-
gemeinden Steindorf und Ossiach; im untern teile äulätv-lime,
vgl. § 68, anm.).
Im Süden liegt slowenisches bez. gemischtsprachiges ge-
biet. Die utraquistischen grenzgemeinden sind Köstenberg und
Techeisberg. Der ' Klotzenwinkel ' liegt demnach unmittelbar
an der Sprachgrenze (über deren verlauf gibt ziemlich richtige
auskunft Lexer, einl. zum Kämt. wb. s. xvi). Das nächstliegende
windische dorf Laas ist nur eine starke halbe stunde von Per-
negg entfernt. Doch ist der verkehr nach dieser seite hin wenig
rege. Die zahl der diesseits der Sprachgrenze ansässigen Slo-
wenen ist äusserst gering. Zweisprachigkeit ist auf deutscher
Seite verhältnismässig sehr selten, scheint aber früher, so lange
noch der sog. Wechsel, d. h. der gegenseitige austausch deutscher
und windischer kinder bestand, häufiger gewesen zu sein. Dass
wir uns in unserer gegend auf ursprünglich fremd si)rachigem
boden befinden, daran erinnern uns zahlreiche orts- und 11 ur-
namen, sowie eine anzahl haus- und familiennamen slawischen
Ursprungs. Vgl. die Ortsnamen Pernegg, ma. perne, urkundlich
(1290) Förnik, wind. j?)(>n2l/6'6' (zu j^onio offen, frei gelegen);
Dolientschig, ma. dol^antse {(bl4antse), wind. doWnisotsc; Del-
lach, ma. dedldx, wind, dwa^e (bez. loc. *dolea;,), beide zu dol tal;
flurnamen, z. b. Icummdts, larnitsn; hausnamen, wie {^({d^lits,
urwne, pnwdsnc [nc ^=^ ^nilc) u.a.m. Es ist mir bisher nicht
gelungen, auch nur den geringsten anhaltspunkt zu gewinnen,
um bestimmen zu kitnnen. wann der germanisierungs[)r()cess in
unserer gegend seinen abschluss erreichte. Es ist dies über-
1*
4 LESSIAK
haupt eine selir schwierige aufgäbe insofern, als wir, wie uns
Ortsnamen und Urkunden lehren, in Kärnten für die zeit vom
8. jli. angefangen und — zum teil wenigstens — noch bis spät
ins mitt.elalter hinein ein mosaikartiges durcheinanderwohnen
der beiden volksstämme, sowol für den deutschen als windischen
landesteil, anzunehmen haben, natürlich mit procentmässig
stärkerer bez. schwächerer Vertretung des einen oder anderen
Volkstums. Erst nachdem die minderheit gegenseitig aufgesogen
war, kann von einer festen Sprachgrenze die rede sein; eine
eigentliche veischiebung derselben hat in grösserem massstabe
kaum stattgefunden.
Leider ist es mir vorläufig nicht möglich gewesen, die
Urkunden des ehemaligen klosters Ossiach, die einzigen schrift-
lichen altertümer aus unserer gegend (das Feldkirchner
urkundenmaterial ist vor ein paar jähren auf rätselhafte weise
verschwunden) einer genaueren prüfung zu unterziehen. Ich
habe dagegen zur bestimmung der ursprünglichen aussprach-
verhältnisse häufig die lautsubstitution in lehnwörtern heran-
gezogen und muss daher einige darauf bezügliche bemerkungen
vorausschicken.
Die berührung der beiden Völker konnte natürlich nicht
ohne einfluss auf ihre spräche bleiben. Eine ausserordentlich
starke einwirkung von selten des deutschen erfuhr das win-
dische (ich gebrauche diesen ausdruck fortan der kürze halber
für die slowenischen niundarten Kärntens, obwol er ja eigent-
lich 'slowenisch' im allgemeinen bezeichnet, im gegensatz zu
slowenisch, worunter ich speciell die krainische Schriftsprache
verstehe) vor allem in bezug auf den Wortschatz, aber auch
die Syntax und lautentwicklung. Es ist durchaus nicht über-
trieben, wenn man behauptet, dass sich im windischen fast
ganze sätze aus deutschen fremdwörtern bilden lassen (ein
charakteristisches bei spiel für die starke Sprachmischung ist
unter anderem die nachbildung der trennbaren verbalcomposita,
entweder mit unmittelbarer entlehnung oder wenigstens ge-
nauer Übersetzung der partikel. Vgl. an-, höh-, näx-, tsud-, löz-
iötd an-, weg-, nach-, zu-, losgehen; tsi sou an, näx er gieng
nicht an, nach u.s.w.).
Was die zeit der entlehnung aus dem deutschen anbetrifft,
so lassen sich etwa zwei hauptperioden unterscheiden: der einen
MUNDART VON PERNEGG. 5
grossen gruppe von fremdwörtern liegt der mhd. laiitstand
zu gründe, die zweite spiegelt im allgemeinen die modernen
lautverliältnisse der deutschen grenzmundarten wider. Ich stelle
sie als 'ältere' und 'jüngere' einander gegenüber. Gelegent-
lich wird es notwendig sein, eine zwischengruppe einzuschieben
('entlehnungen der Übergangsperiode'), zumal mit rücksicht auf
die entAvicklung der diphthonge.
Umgekehrt ist der einfluss des windischen auf das deutsche,
vor allem was den eigentlichen Sprachschatz anbelangt, ein
auffallend geringer. Eine entschädigung für diesen 'mangel'
bieten die zahlreichen Ortsnamen slowenischer herkunft: frei-
lich nicht die beste, denn nicht in allen fällen lässt sich die
grundform mit bestimmtheit feststellen. Ich habe, um sicher
zu fahren, vor allem nur solche Ortsnamen zum vergleiche
lierangezogen, deren windische form bei den angrenzenden
Slowenen noch in Verwendung steht, oder sich zum mindesten
mit einiger gewisheit aus der älteren gestalt in den Urkunden
erschliessen lässt. In einzelnen fällen bin ich, um die zahl
der beispiele zu vermehren, über das beschränkte gebiet meiner
nnindart hinausgegangen, es gelten ja doch im wesentlichen
auch für die nachbarmundarten dieselben Substitutionserschei-
nungen. Auch die deutschen ortsbezeichnungen im slowenischen
grenzgebiet habe ich hier und da herangezogen, vor allem
deshalb, weil sie in folge ihrer teilweise erst später erfolgten
eindeutschung gewissermassen als Vertreter einer moderneren
gruppe von entlehnungen dienen können. Zu meinem bedauern
muss ich übrigens gestehen, dass es mit einer auf wissenschaft-
licher grundlage beruhenden ortsnamenforschung in Kärnten
recht schlecht bestellt ist, deren ergebnisse ich im weiteren
umfange hätte benützen können. Amtliche Verzeichnisse wie
das ortsrepertorium und die älteren autlagen des diöcesan-
schematismus mussten wegen ihrer zahlreichen Irrtümer und
geradezu bewussten fälschungen (falscher reconstructionen von
Ortsnamen slow. Ursprungs) beiseite gelassen werden. Ich be-
schränkte mich daher, so weit es angieng, auf selbstgehörte
namensformen; das nämliche gilt übrigens in bezug auf das
windische wortmaterial. Wo schriftliche quellen benutzt
wurden, ist dies stets ausdrücklich bemerkt.
Bei den übrigen, speciell romanischen, fremdwörtern kommt
6 LESSIAK
ausser der zeitlichen imterscheidung- noch der unterschied
zwischen mittelbarer und unmittelbarer entlehnung in be-
tracht. Unter 'unmittelbaren' entlehnungen verstehe ich
solche, die nicht auf dem umwege durch die schrift- (gelehrten-)
spräche oder fernstehende dialekte in unsere ma. gedrungen
sind, sondern direct, durch mündlichen verkehr, aus dem be-
nachbarten italienischen (friaulischen) übernommen wurden
(zum teil natürlich durch Vermittlung der engverwanten grenz-
mundarten).
Aum. Einen kleinen bruchteil des Wortschatzes hat die ma. der
spräche der sogenannten htirtslr (zu nihd. sterzen umherscliweifen), einer im
aussterben begriffenen, modernen abart der mittelalterlichen kaltsmide, ab-
geborgt. Diese leute (ßohnt (wandern) fast während des ganzen Jahres im
lande herum mitsammt ihren viühi (weibern) und hratsn (kindeni), indem
sie klempnerarbeiten besorgen, mit riemenzeug handeln {memjrn), sich
nebenbei aber auch aufs tirhn (betteln) und gelegentlich sogar aufs Snifn,
hturni oder fäsn (stibitzen) verlegen. E.s ist zu bemerken, dass es fast
durchweg einheimische familien sind; ihr rotwelsch zeigt kärntnerische
lautgebung.
Die mundarten des herzogtums Kärnten gehören sämmt-
lich der bair.-üsterreichischen dialektgruppe an. Das charak-
teristische merkmal, das die mehrzahl derselben unter einander
zu einer grösseren einheit verbindet, besteht darin, dass alle
ursprünglichen fortes von sonorconsonanten und reibelauten in-
lautend zwischen sonoren mit einfachen lenes zusammengefallen
sind. Ausgenommen sind davon nur einzelne dialekte des Ober-
landes und randdialekte, zumal das lesachtalerische, das auch
sonst eine weit grössere Übereinstimmung mit dem osttiroli-
schen aufweist, als mit der hauptmasse der übrigen Kärntner
mundarten.
Im allgemeinen steht das kärntnerische den mundarten
Tirols näher als denen Altbaierns und der nördlichen kron-
länder (Salzburg, Oesterreich ob und nid der Enns). Man wird
übrigens gut daran tun, das bair.-österr. dialektgebiet über-
haupt in zwei hauptgruppen, etwa 'nörd-' und 'südbaju warisch'
zu trennen. Auf diese weise würden sich die zahlreichen
misverständnisse, die auf Verallgemeinerung nordbajuwarischer
eigentümlichkeiten beruhen, bald klären. Eine genauere ab-
grenzuiig besonders mit rücksicht auf die steirischen mimd-
arten ist mir vorderhand nicht möglich. Ich möchte zur recht-
MUNDAKT VON PERNEGG. 7
fertig-ung des gesagten nur auf einige der wichtigsten unter-
schiede aufmerksam machen:
1) Der Süden hat im gegensatz zum norden altes e und 6
diphthongiert (südl. ea, oa, nördl. e, g).
2) l und*;- bleiben dort im allgemeinen unverändert, in
den' meisten nördlichen mundarten dagegen hat sich l nach
vocalen zu einem vocalischen, /-ähnlichen laut entwickelt (vgl.
Nagls II, l als vocalfärber, Roanad, einl. § 29 f.), während /•
postvocalisch vor consonanten und im wortauslaut fast durch-
gehends zu ■) geworden ist (daher konnte sich hier r als 'hiatus-
trenner' entwickeln, vgl. Roanad v. 77, s. 73 f.).
3) (West-) germ. kh und Ic, soweit dieses nicht zur spii'ans
verschoben wurde, erscheint im südbaju warischen in allen
Stellungen als aifricata bez. aspirata, in den nordbajuwarischen
ma. ist es nur anlautend vor vocalen als Ich 'erhalten'.
4) t (= germ. d) ist im Süden fast durchgehends von d
(= germ. ])) unterschieden, im norden ist es im anlaut und nach
länge ziemlich allgemein mit diesem zusammengefallen.
5) Der norden scheidet (zum teil?) im anlaut h und p (vgl.
Nagl briiadä bruder, hiici bub — prömv probe, pedä Peter), der
Süden kennt hier nur p.
6) Den südlichen ma. fehlen vor allem die sogenannten
'ender weichungen' bez. '-Verstärkungen', wie sie das nordbaju-
warisclie aufweist (z. b. sg. long, pl. beik bock — bücke, vgl.
Roanad, gramm. § 11 ff., s. 442).
Irgendwelche abhandlung über die Pernegger mundart ist
bisher nicht erschienen. Der Wortschatz der P'eldkirchner
gegend liegt teilweise zu gründe dem Kärntnerischen Idiotikon
von A. Ueberfelder, Klagenfurt 1862. Einzelne, aber vielfach
unrichtige angaben über die Glantaler dialekte finden sich in
M. Lexers Kärntischem wb. Der kurze aufsatz J. Krassnigs :
Versuch einer lautlehre des oberkärntischen dialektes, Villach
1870 (g3'mnasialprogramm), enthält die einzige zusammen-
hängende bearbeitung eines Kärntner dialektes.
Hinsichtlich der transscription habe ich mich im all-
gemeinen an .T. Schatz (Die mundart von Imst, Strassburg 1897)
angeschlossen, ') dem ich überhaupt in der anordnung des Stoffes
') Nur setze ich aus typograpbisclieu gründen v und x für ;/ und /.
8 LESSIAK § 1
etc. vielfach gefolgt bin. Auf den häufigen parallelismus ein-
zelner lauterscheinungen der Pernegger und Imster ma. ver-
weise ich gleich an dieser stelle, um mir die beständigen hin-
weise zu ersparen.
Zu' wärmstem danke fühle ich mich den herren hofi^at prof.
dr. Eichard Heinzel und prof. dr. C. Kraus verpflichtet, die die
anregung zu dieser arbeit gegeben haben und durch deren
befürwortung mir von selten des hohen k. k. ministeriums für
cultus und Unterricht die zu einer ausbildung auf dem gebiete
der phonetik nötige Unterstützung zu teil "wurde, sowie herrn
prof. dr. Eduard Sievers, der mit liebevoller teilnähme während
der zwei semester meines Leipziger aufenthaltes die arbeit
förderte, dem ich aufschlüsse über eine reihe wichtiger fragen,
wertvolle winke und die ausbildung meines wissens in phoneticis
verdanke. Auch den herren professoren M. H. Jellinek und
E. Much sei hier für die vielen auskünfte, die sie mir erteilt
haben, der herzlichste dank ausgesprochen.
Lautlehre.
1. Teil:
Laiitphysiologisches.
A. Allgemeines.
§ 1-
Beim gewöhnlichen, ruhigen atmen liegt der Vorderteil der
zunge in ziemlich wagrechter läge eingebettet zwischen den
zahnen des Unterkiefers, an den seitenrändern gegen diese hin
etwas abgewölbt. Die hauptmasse der zunge concentriert sich
mehr nach hinten, die Zungenspitze berührt noch den unteren
rand der unteren vorderzähne. Das gaumensegel hängt schlaff
herab, die beiden zahnreihen, sowie die lippen sind einander
bis auf einen geringen spalt genähert. Die articulation der
zunge sowol wie des kehlkopfs kann man nicht als besonders
kräftig bezeichnen. In dieser hinsieht wie besonders in bezug
auf die fast passive lippentätigkeit steht unsere mundart in
starkem gegensatze zu der energischeren articulationsweise der
windischen nachbardialekte, die sich auch durch einen höheren
kehlkopfstand und durch einen helleren, mehr palatalen laut-
§ 2 MUNDART VON PERNEGG. 9
Charakter von ihr unterscheiden.!) Die nasalierung- ist sehr
schwach (vgl. § 22). Das Sprechtempo ist langsam, bedächtig.
B. Die einzellaute.
§ 2, Einfache vocale.
a) Vordere:
/. Die Zungenmasse wird nach vorne geschoben. Das
zungenblatt stemmt sich gegen die unteren Schneidezähne, der
rücken articuliert gegen den vorderen harten gaumen. Die
Spannung erreicht eine mittlere Intensität. Die Unterlippe wird
etwas gesenkt und ein wenig gegen die unterzähne hingezogen,
die mundwinkel öffnen sich ganz, ohne sich indes seitwärts zu
bewegen. Der kieferwinkel ist hier am kleinsten.
e erhalten wir, wenn wir die zunge von der i- Stellung
ein wenig nach unten und rückwärts bewegen. Die lippen
articulieren in der vorhin angedeuteten richtung. Die Span-
nung der articulationsorgane ist äusserst schwach. Die klang-
farbe ist die eines sehr geschlossenen e {e kommt nur in neben-
toniger Silbe als Vertreter eines urspr. i vor).
ö. Der kieferwinkel ist grösser als beim e, die Spannung
der zunge sehr intensiv. Die mundwinkel sind halb geschlossen,
die lippen Öffnung nimmt eine etwas ovale gestalt an, wir haben
es mit schwachen ausätzen zur rundung zu tun. [In der ge-
bildeten Umgangssprache Kärntens und wol auch darüber hinaus
ist es der regelmässige substitutionslaut für schriftdeutsches
(bühnendeutsches) ö, mit dem es aber keineswegs verwechselt
werden darf.]
€, Die läge der zunge ist tiefer als beim ö, die Spannung
geringer. Die Unterlippe nimmt fast dieselbe Stellung ein wie
beim /, nur fehlt hier die bewegung gegen die unterzähne.
AVährend beim i und ö ein merkbarer unterschied zwischen
kürze und länge nicht besteht, ist er hier deutlich fühlbar.
Die länge e nähert sich der klangfarbe nach einem mittleren e,
^) Trotzdem erscheint die deutsche Sprechweise viel 'härter', 'kräf-
tiger'. Dies beruht aber auf dem gewaltigen gegensatz iu der accentuierung.
Das windische hat keinen ausgeprägten dynamischen wort- und satzaccent,
wol aber einen stark entwickelten musikalischen accent; es 'singt', wie man
zu sagen pflegt.
10 LESSIAK § 3
die weniger gespannte kürze hat einen ziemlicli ausgeprägt
offenen Charakter.
b) Hintere:
a entspricht dem liellen italienischen a. Die grosse der
lippenöffnung und des kieferwinkels ist hier am bedeutendsten.
Die vorderzälme stellen durchschnittlich etwas über 1 cm. von
einander entfernt. Die zunge bildet eine kaum merkbare Wöl-
bung nach dem weichen gaumen hin.
o, steht seiner klangfarbe nach dem o näher als dem a
(mittleres 6). Die zunge wird stark zurückgezogen, ihre Wöl-
bung ist intensiver als beim a. Die Öffnung der lippen hat
ungefähr dieselbe form wie beim ö, ist aber bedeutend kleiner.
o. Die zunge articuliert so ziemlich gegen denselben teil
des velums wie beim q, nur ist die engenbildung eine stärkere.
Die Spannung ist grösser als bei irgend einem anderen vocal.
Die lippenöffnung ist geringer als beim q, man merkt im ver-
lauf der articulation eine leise bewegung der lippen nach vorn.
Das 0 hat einen sehr geschlossenen Charakter.
u. Beim Übergang von o zu u bewegt sich die zunge
nach oben und zugleich etwas nach vorwärts. Die lippen-
öffnung ist ausserordentlich klein, aber im gegensatz zu o
nicht oval, sondern mehr spaltförmig; sie hat eine grosse ähn-
lichkeit mit der des w (s. unten). Vorstülpung kommt nicht
vor. In folge der schwachen beteiligung der lippen hat das u
trotz der beträchtlichen Spannung der zunge einen mehr
offenen klang.
' Kürzen und längen unterscheiden sich bei den letzt-
genannten vocalen nicht.
9, Yocai der indifferenzlage. Vor li {x) und n nähert es
sich stark dem a.
§ 3. Diphthonge,
a) Sog. unechte.
19, i unterscheidet sich hier nicht vom isolierten i. Die
zunge bewegt sich allmählich nach unten und rückwärts bis
fast in die ruhelage. Die Unterlippe vollführt dabei eine mini-
male Senkung.
e^a. q hat die klangfarbe eines sehr offenen e (ä), die
mundöffnung erreicht beinahe dieselbe grosse wie beim a. Die
§ 3 MUNDART VON PERNEGG. 11
beiden componenten stellen einander ziemlich nahe. Im ver-
lauf der bewegung werden die mundwinkel etwas seitAvärts
gezogen, die zunge senkt sich, erreicht jedoch nicht die «-Stel-
lung. Zu ej vgl. § 24.
o^a. Der diphthong setzt mit einem sehr offenen g ein, das
sich von dem geschlosseneren o in isolierter Stellung beträcht-
lich unterscheidet. Die Senkung des zungenkörpers ist grösser,
die lippenöffnuug hält so ziemlich die mitte zwischen der des
ö und e. Gegen das ende hin vergrössert sie sich sowol in
verticaler als in seitlicher richtung. Die zunge wird über die
«-Stellung hinaus nach vorn geschoben und gesenkt.
iia. Der grad der Spannung ist etwas geringer als beim
isolierten u. Die zunge bewegt sich in der beim oa angedeu-
teten richtung, bleibt jedoch in höherer läge und gelangt
weiter nach vorwärts. Die lippen machen dabei eine schwache
bewegung nach unten.
b) Sog. echte diphthonge.
fpi. Der erste component ist ein überoffenes ä, die liori-
zontallage der zunge ist höher als beim a, die lippenr>ffnung
geringer. Vom ä gleitet die zunge in die e-stellung hinüber;
die richtige transscription wäre demnach a?e* aus praktischen
gründen habe ich aber davon abgesehen, mich von dem her-
gebrachten Avortbild allzu weit zu entfernen,
au. Das a wird etwas weiter rückwärts gebildet, die
lippenöffnung ist kleiner. Der klangfarbe nach neigt es ganz
wenig nach ä hin. Den endpunkt der bewegung bildet ein
sehr weites u, mit der für (isol.) u charakteristischen li})pen-
stellung.
oi = geschlossenem o + /. Das o wird unter besonders
starker Spannung der lippen gebildet. Ihre Öffnung gleicht
der beim u. Die klangfarbe schwankt ein klein wenig nach
H hin. Die zungenarticulation entspricht der des isol. o. Das
i wird weiter rückwärts gebildet als sonst und ist etwas ge-
spannter. Da sich die lijjpenstellung während des Verlaufs nur
sehr wenig ändert, bekonnnt es eine etwas «^-ähnliche färbung.
iii kommt nur in ein paar interjectionen vor, z. b. pfui,
iui, hui. Die rundung des u ist hier stärker, das i entspricht
so ziemlich dem isol. i.
12 LESSIAK § 4
§ 4. Sonorconsonanten.
a) Halbvocale.
/. *Icli fasse unter diesem zeichen die palatalvocale in
unsilbischer function zusammen. Die klangfarbe scliwankt un-
gefähr zwischen halboffenem / und geschlossenem e. Vor u
neigt sie gegen ü^ (/'ijwl-x jung), vor den übrigen velarvocalen
klingt der halbvocal wie ö (ögJJd Jakob), vor ö wie weites i
{ifiSds Jesus), vor i wie mittleres i {iwgr jünger), vor e etwa
wie e (vgl. eegr Jäger, als schreibname).
it kommt nur im aulaut nebentoniger silben vor als zweiter
component eines urspr. Zwielauts, z. b. mä-ur mauer. Die
klangfarbe ist offener als die des u, die lippen()ffnung weiter,
die zungenarticulation weniger energisch (über den Übergang
zu w in den angrenzenden ma. vgl. § 68, anm.).
w hat ganz die von Schatz (Imster ma. § 10) beschriebene
articulation. Die einheitliche oder doppelseitige bildungsweise
hängt von der beschaffenbeit der lippenbildung der einzelnen
personen ab , d. h. von der mehr oder minder convexen form
der Oberlippe (vgl. Sievers, Phonetik'^ § 321). Ein reibungs-
geräusch fehlt, daher der sonore Charakter.
b) Liquidae.
l ist alveolar. Die zunge wird ziemlich stark zurück-
gezogen, daher der etwas gutturale klang des l, besonders in
der nachbarschaft dunkler vocale. Nach /.:, g findet zungen-
verschluss am harten gaunien statt, nach t, d, s ist l postdental.
Neben doppelseitigen h()rt man nicht selten einseitig gebildete l.
r. Der r-laut ist (wenigstens bei einem teil der älteren
Schicht der bevölkerung) vor labialen und gutturalen ungerollter
Zungenlaut. Der zungenrücken wird gehoben, der vordere teil
stark löffelartig ausgebreitet. Der zungensaum wird von unten
schwach an die oberen backenzähne angedrückt. Die spitze
ist aufgebogen und articuliert gegen die alveolen. Dadurch,
dass sie häufig recht nahe an diese herangebracht wird und
der verschluss an den backenzähnen weniger energisch erfolgt,
bekommt das r leicht eine Z-artige färbung (im nördlichen teil
der P^eldkirchner gegend, wo das zungen-r unter den erwähnten
bedingungen noch ziemlich allgemein verbreitet ist, hörte ich
§ 5 MUNDAKT VON PERNEGG. 13
kiuder bisweilen in der tat reines l dafür sprechen). In anderen
fällen, von der jiigeud zumeist auch vor labialen und guttu-
ralen, wird fast durchgehends ungerolltes zäpfchen-r gesprochen
(ganz ausnahmsweise bedienen sich manche Individuen nur des
zungen->). Das zäpfchen-r hat stark kratzenden Charakter,
so dass es oft einem ^ sehr nahe kommt, zumal in der Ver-
bindung -erer (Jiudtrs bez. hudtdrs für hiotrr 'Imterer', d.i. hut-
maclier). Ich unterscheide die° beiden qualitäten graphisch
durch r (zungen-r) und r (zäpfcheu-r). Kehlkopf- r hört man
öfter nacli dunklen vocalen vor l, z. b. Mgrl Karl, auslautend
und silbenbildend in der endung -er, z. b. fgtr vater. Ist das
knarrgeräusch sehr schwach, so nähern sich diese auslautenden
r stark einem a(a)-ähnlichen vocal, ohne jedoch ihren selbstän-
digen, von diesem verschiedenen Charakter aufzugeben.
c) Nasale.
ni ist bilabial, n schwankt zwischen postdentaler und
alveolarer articulation, die letztere herscht stets vor und nach
s, l (in der auslautenden Verbindung In hört man nicht selten
einen scliwachen c?-ähnlichen übergangslaut Idn. Dies erklärt
sich daraus, dass die nasenklappe erst geöffnet wird, nachdem
der seitliche zungenverschluss bereits vollzogen ist. Das n
ist hier von sehr kurzer dauer). In Verbindung mit /' ist der
mund verschluss ein doppelter: zum verschluss durch die zunge
kommt die anpressung der Unterlippe an den rand der ober-
zähne (es entsteht so ein dentilabialer nasal, in ermangelung
eines passenden buchstaben schreibe ich durchweg n).
§ 5. Lippenlaute.
Verschlusslaute sind (fortis) x) und (stimmlose lenis) h,
beide werden bilabial gebildet. Der reibelaut / schwankt
zwischen bilabialer und dentilabiolabialer articulation, d, h.
die reibeenge wird entweder durch die lippen allein hergestellt,
oder die Unterlippe berührt (wenigstens zum teil) auch die obere
zahnreihe. Dies ist der fall vor e und /, bei deren bildung sich
die lippen seitwärts öffnen bez. nach innen bewegen, ferner
in der Umgebung von dentalen, jenes besonders vor vocalen
mit rundöffnung. Bilabial ist f auch in der affricata pf. Die
Unterlippe wird dabei in der regel etwas hinaufgezogen, die
14 LESSIAK § 6. 7
Oberlippe massig- vorgestülpt. Der so entstaiideiie kesseiförmige
räum vor den oberen Schneidezähnen dient zur Verstärkung
des bliisegeräusches.
An IM. b kommt als historisch entwickelter laut in der muudart nicht
vor, sondern ist das ergebnis einer teilweisen assimilation des w an folgende
consonanten (vgl. § 28, a). Stimmhaftes b hört man in der gemischt-
sprachigen, nachbarschaft für deutsches w nicht selten.
§ 6. Zahnlaute.
Die verschlusslaute (fortis) t und (stimmlose lenis) d werden
häufig interdental, daneben postdental gebildet. In der nachbar-
schaft eines s, l sind t, d alveolar, vor n herscht faucale, vor
l seitliche explosion.
Der reibelaut s ist interdental. Die reibeenge liegt zwischen
dem zungenblatt und den oberen Schneidezähnen. Die lippen
bleiben dabei in der ruhelage. Lispelnde s (vgl. Sievers, Phon.^
§ 335) sind nicht selten. Irgendwelche ausgeprägte rinnen-
bildung habe ich beim s nicht beobachtet.
Beim « wird der zungenkörper nach rückwärts bewegt
und gehoben. Die Zungenspitze ist etwa 1 — l'/a cm. vom rande
der Schneidezähne entfernt und massig in der richtung gegen
die alveolen gehoben. Die lippenspalte ist etwas breiter als
beim s, die entfernung der Unterlippe von den unteren Schneide-
zähnen eine grössere.
§ 7. Kehllaute.
Die articulation der verschlusslaute (fortis) Je, stimmlose
(lenis) {/ ist je nach der vocalischen Umgebung eine verschiedene.
Vor und nach palatalen vocalen erfolgt der verschluss am mitt-
leren harten gaumen, sonst am weichen, nahe der übergangs-
steile von palatum und velum. Der kehlkopf ist offen; nur bei
starker Steigerung des druckes tritt unter umständen kehlkopf-
verschluss ein. Dies gilt übrigens für sämmtliche verschluss-
fortes (vgl. etwa das energische, ärgerliche, dabei etwas ge-
murmelte oder geflüstei'te du \)ist a tokkr a tummr du bist ein
tölpel, ein dummer. Häufig bei ka¥ hässlich, in der kinder-
sprache).
Das unaspirierte k wird mit geiingerer Spannung gebildet
als die reine tenuis etwa des slowenischen. Die lösung des
§ 8. 9 MUNDART VON PERNEGG. 15
versclilusses ist wenig-er energisch, erfolgt aber deshalb nicht
bei geringerem expirationsdruck. Es nimmt daher unser Je
eine mittelstellung zwischen eigentlichem sprenglaut und
lösungslaut ein (vgl. Sievers, Phon.'^ § 370). Dieselbe doppel-
heit wie bei Je, g herscht bei der bildung des stimmlosen Spi-
ranten X. Doch erfolgt die engenbildung des x^ weiter rück-
wärts als bei den entsprechenden verschlusslauten, nahe der
gaumenscheide (es unterscheidet sich daher noch immer ganz
wesentlich von einem palatalen norddeutschen x). Dasselbe
Verhältnis gilt von x''-. In der affricata l'x steht das x dem x^
näher als dem x- (zum unterschied von den Tiroler ma.).
§8-
Daran schliesse ich den hauchlaut h. Er unterscheidet
sich im wortanlaut nicht vom gemeindeutschen lt.. Bei der bil-
dung des inlautenden h wird der kehlkopf ganz schwach nach
unten bewegt, die zunge ein klein wenig zurückgezogen.
Zwischenvocalisch, zumal bei tieferer Stimmlage, ist es häufig
stimmhaft. Dazu kommen die aspiraten hh und Ä', die erstere
mit stärkerer, die letztere mit etwas schwächerer aspiration
{U ist der auslautende Vertreter für inlautendes unaspiriertes h,
vgl. § 116, 3).
C. Zur articulationsstärke der consonanten.
§9.
Ein kennzeichen fast sämmtlicher oberdeutscher mundarten
ist bekanntlich der mangel an stimmhaften verschluss- und
reibelauten. Damit steht teilweise im Zusammenhang die
Unterscheidung bestimmter (in der regel geschichtlich ver-
schiedener) lautgruppen allein auf grund der exspirationsstärke.
Bekanntermassen bezeichnet man den mit grösserer energie des
ausatniungsdruckes, stärkerer muskelspannung, energischerem
verschluss bez. engenbildung articulierten laut als fortis, die
schwächere parallele als lenis. Selbstverständlich kann es
dabei zahlreiche abstufungen geben. Mit rücksicht auf die
Verhältnisse in unserer ma. möchte ich etwa deren vier unter-
scheiden: fortes' — fortes^ — halbfortes (neutrale) — lenes,
Fortes* (d.h. fortes im eigentlichen sinne, wie sie z. b. die
benachbarten slawischen dialekte besitzen) kennt die ma. nur
16 LESSIAK § 10
im aiilaut und auch hier nur ausnalims weise, d. h. nur in der
emphase (ich bezeichne sie durch doppelschreibung der betref-
fenden consonanten). Vgl. etwa das ironisch -verächtliche d9s
pp'tjule 4lo das bilblein da!, das in aufregung- gesprochene
so a ttüle so ein stier! (bez. ssö a tfile so ein stier) oder ssau
(last üKsnl-lunist schau, dass du hinauskommst!, ffldt mr nit (Bin
fällt mir gar nicht ein!, ttg g(^ast her da gehst du her!, na
Hu pist sult nein, du bist schuld, Zyt« (ärgerlich) geh!, u.s.w.,
wobei, wie die letzteren beispiele zeigen, auch lenes zu der-
selben stärke gesteigert werden können wie fortes (der mangel
an historisch entwickelten fortes, wie sie in vielen obd. dia-
lekten im anlaut durch assimilierung der partikel ge- und des
artikels die hervorgegangen sind, erklärt sich aus dem unter-
bleiben derselben in unserer ma.). Wenn ich in dieser ab-
handlung ohne Aveitere bemerkung von 'fortes' rede, so sind
darunter allemal 'fortes-', d.h. laute von nicht bedeutend, aber
doch merklich geringerer intensität als die oben erwähnten zu
verstehen. Zwischen diesen und den eigentlichen lenes halten
die halbfortes ungefähr die neutrale mitte.
§ 10. Sonorconsonanten,
a) Im eingang sowol der stark- als der nebentonigen
Silben sind die liquiden und nasale {m zum teil ausgenommen,
s. unten) lenes. Dies gilt nicht nur für den reinen anlaut wie
in m^s mass, Igdn laden, ngs nass, röd rad, bez. fi-le viele,
fl-re vier, he-na henne, sondern auch für die anlautenden
copsonantengruppen wie in plgg plage, pröt brett, fns frisch,
slög schlag, bez. mi-gla möglich, slä-fre schläfrig. Ebenso im
wortauslaut: föl voll, iugr mürbe, mgn mann, u.s.w.
b) Halbfortes sind sie im auslaut starktoniger silben vor
spirantischen und sonoren consonanten und t: pem-sl pinsel,
gl-so also, khlr-fbt kirchfahrt, ham-la \ieim\idi, /mw-re hungrig,
win-tr winter, ivgr-tn warten. Desgleichen im wortausgang
vor reibelauten, vor g und sonoren: ggns gans, hgls hals, mars
marsch, iverx werg; — pglg balg, hglw halb, ggrn garn, Migrl
Karl, fgln fallen. Ferner r und l in den Verbindungen -Ihm,
-rhu. Doch ist in der Stellung vor g und sonoren die intensität
etwas geringer als vor reibelauten, zumal beim r.
c) Fortischarakter haben die sonore inlautend vor p, h:
§ 11. 12 MUND ART VON PERNEGG. 17
lumpm lumpen. IJielpr lialsband, murh} giirke; auslautend vor
allen verscblussfortes (ihre dauer ist in diesem falle sehr kurz):
'khgmp'kdimm, e>2^ende, morlix m'ixv\i, gelt gelö. (verhältnismässig
am schwächsten ist r vor t: tvirt mrt). Ferner m sowol in-
als auslautend nach q, o, u (vgl. § 14) und auslautend, wenn
gleich *-tm7 (nöm nehmen), ebenso -«?, wenn aus *-)jg^ {sw
singen).
§ 11. Die reibelaute 5, s, f.
a) Sie sind lenes im silbenanlaut: fgl fall, sün söhn, suw
Schub, Wö-fr käfer, ivg-sr wasser, grö-sn groschen.
b) Halbfort es vor folgendem verschlusslaut: oft oft, Qst ast,
drceislv dreissig, höftn heften, möstn mästen, liQspl liaspel. Im
auslaut nach sonoren: Iwns Hans, ligls hals, liirs hirsch; glgs
glas, gwis gewis, söf schaff. Nach (langen) vocalen sind, sie
zwar ein wenig schwächer als nach liquiden und nasalen, aber
von merklich grösserer energie und dauer als inlautend, z. b,
glö-sr gläser, so- fr schaff er.
c) Fortes nach verscblussfortes, also in den Verbindungen
vf, ps, ps, ts, ts, ks, l's.
§ 12. h, X.
Im anschluss daran möchte ich die Verhältnisse bei h und x
erörtern. Anlautend und inlautend zwischen sonoren fehlt der
ma. der reibelaut x. Alle ursprünglichen ch sind in dieser
Stellung zu h geworden (vgl. Krassnig s. 35). Es heisst also
pghn backen, ridhn riechen, pähle bächlein. x findet sich nur
vor geräuschlauten und im auslaut: u-oxtn 'wachten', wachen,
rcxt recht, mQxst machst, uqx}))- nachbar, 2^öx bacli, Digrx mark,
und zwar ist x durchweg lenis, nur in der auslautenden affricata
kx hat es etwa den Charakter einer halbfortis.
Eine gewisse parallele zur behandlung der Spiranten .9, 6-
und /" ergibt sich auch hier, wenn -wir das x dem blossen hauch
sozusagen als fortishauch gegenüber stellen: wo s, s, /'als lenes
auftreten, erscheint //, sonst x. "W^as die Verbindung kh an-
belangt, so ist zu bemerken, dass die aspiration am schwächsten
ist im anlaut vor vocalen: khint kind, khöJin kochen; stärker
vor l, n, r: kldög klage, khnext knecht, khrgtsn kratzen, und
inlautend in der gemination: tvöklin wecken; hier kann man
zweifeln, ob man kh noch als aspirata oder schon als affricata
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVlll. 9
18 LESSIAK § 13. 14
auzusebeu hat. Eine gewisse engenbildung ist entschieden
noch vorlianden.
§ 13. Yerschlusslaiite.
h, ä, g sind durchweg lenes. Zu bemerken ist jedoch, dass
d aushuitend nach sonorcons. und in der Stellung zwischen
zwei n stets zur fortis wird, vgl. Wmt kind, sult schuld, gopurt
geburt, aber Ihindr kinder, sidde schuldig, gdpirde gebürtig.
Ebenso flntn finden, dag. finde findig (vgl. §105,2). Zur
assimilation in der Umgebung von verschlussfortes und reibe-
lauten vgl. § 27 ff. i>, t, k sind in allen Stellungen fortes.
Nur anlautendes k vor sonorconsonanten, z. b. kriiok', ist halb-
fortis; es hält ungefähr die mitte zwischen g und k.
§ 14. Gemination.
Ich muss hier aus praktischen gründen ein capitel vorweg
nehmen, das eigentlich zur lehre von der Silbentrennung ge-
hört, die gemination. Die ma. kennt nur geminata von ver-
schlusslauten und m. Alle urspr. geminierten dauerlaute, m zum
teil ausgenommen, sind vereinfacht worden. Es fehlen also die
geminaten von f, s, s, x, l, r, n. Zugleich ist auch der fortis-
charakter derselben verloren gegangen, sie sind unter allen
umständen mit urspr. lenes zusammengefallen und werden ganz
so behandelt wie diese. Es heisst also süna sonne, gle alle,
ngrdt (mhd. narreht), pösr besser, sgfn schaffen (nigkn machen),
u-gsn waschen. Dasselbe gilt für die composition und zum teil
auch für das zusammentreffen im satze: prmiQgl brunnennagel,
st^lampdle stalllämpchen, Iceisuohn lause suchen, aiifgsn 'auf-
fassen', aufladen.
Dagegen sind geminiert die fortes p, k sowol allein als in
den Verbindungen pf, p>s, kh, ks nach kurzem vocal vor folgendem
sonor (ausgenommen im anlaut starktoniger silben, denen eine
schwache vorausgeht, z. b. hjkhän hat keinen, aber hgkkhun
hat keinen, niklg Nicolai, aber nikkl 'Nickel', Nicolaus). Bei-
spiele für die gemination: kligppm kappe, stQppfl stufe, snappsln
schnaps trinken, miikh) mücke, ligklilin hacken, wgkksn wachsen.
Nach dijdithoiig oder vocal + sonorconsonant unterbleibt häufig
die gemination, vgl. dazu den folgenden §.
t ist stets geminiert nach i und u: snittr Schnitter, 2^uttr,
und in der Verbindung ts unter den bei p, k angegebenen be-
§ 15 MÜNDART VON PERNEGG. 19
dingung'en: Jiattsn heizen, sniüsln schnitzeln, sonst ungeminiert:
grte artig", miintr munter, ligltr 'halter', hirte, rötn retten, sgtn
schatten, lätr leiter, sMurn stadtturm, pötrögn bett tragen.
m ist doppellaut nach den vocalen p, o, « : //ow»«r hammer,
tommos Thomas, summr sommer, tsommglin zusammen machen;
in allen anderen fällen einfach: stemon stemmen, 6'/?)»e' schlimme,
pämids baummoos, drimr trümmer, stemösn stamme messen.
Die verschiedene behandlung der beiden consonanten steht
offenbar im zusammenhange mit der articulationsweise der
vorausgehenden vocale. Von o, o, n, wo die lippenöffnung am
geringsten ist, beansprucht der Übergang zu m mit völligem
lippenverschluss weniger zeit und arbeit als von einem anderen
vocal. Die Verbindung der beiden laute kann sich bei der
teilweisen articulationsverwantschaft viel inniger gestalten als
sonst, eine etwaige Verschiebung der silbengrenze zu gunsten
des folgenden consonantischen teiles ist hier leichter möglich.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse beim t. i und u haben
unter allen vocalen den kleinsten kieferwinkel. Der Übergang
zum ^verschluss lässt sich in diesem falle am schnellsten und
leichtesten bewerkstelligen. Dazu kommt noch die neigung
des / und u zur kürze (vgl. § 36).
§ 15.
Hinter den echten fortisgeminaten, wie sie etwa das
italienisclie kennt, stehen die unsrigen an energie zurück.
Auch Heusler, Ma. von Baselstadt § 35, macht auf das relativ
schwächere gepräge der geminaten seines dialekts aufmerksam.
Mit der geringeren Intensität, mit der einsatz und lösung des
verschlusses erfolgt, hängt zusammen, dass bei den momentan-
lauten die pause weniger ins ohr fällt, auch die schueidung
des vorausgehenden vocals ist bei unseren geminaten eine ver-
hältnismässig schwächere. Eelativ am wenigsten entwickelt
ist die gemination des Ih, jedesfalls ist sie erheblich schwächer
als die des unaspirierten Ic. Bei vorausgehendem diphthong
bez. vocal -f liquida oder nasal ist es oft schwer zu entscheiden,
ob es sich noch um eine schwache geminata handelt, oder ob
wir es bereits mit einem einfachen laute zu tun haben. Ziem-
lich deutlich ist der doppellaut noch hörbar nach gleichartigem
sonor, z. b. stempiü Stempel, iveM:dt verbogen. In den übrigen
2*
20 LE8SIAK § 16. 17
fällen wird der versclilusslaut meist zur folgenden silbe gezogen:
r/j-j;? riipel, iol-lcdt 'dalket', töricht, besonders nach r: har-pfn
liarfe. ni)'r-lhn merken. Bei starker nebentonigkeit eines Wortes
wii'd die gemination aufgegeben, z. b. mitrnöxt mitternacht,
neben mittr mittler, prulihi brücke, aber holtspruha, nit stam-
pndij holzbrücke, nicht steinbrücke. Genauere grenzlinien
lassen sich sclnver abstecken. Die Klagenfurter stadtsprache
und die von ihr beeinflussten dialekte sind im aufgeben der
gemination unserer ma. weit voraus. Silbentrennung wieprü-hj
{prti-l-hu), th-mr (dummer) ist hier ganz gewöhnlich.
Zur transscription möchte ich bemerken, dass ich den
doppellaut nur bei einfacher consonanz nach kurzem vocal
schreibe. ^ .^ o i ■■ i
§ 16. Schwächung.
Schwächung erfahren a) die an- und auslautenden sonore,
indem sie zum teil ihren stimmton einbüssen. Im anlaut setzt
er erst im laufe des Übergangs zum vocal ein, im auslaut geht
er gegen das ende hin verloren. Was für den reinen anlaut
gilt, gilt auch für die Verbindung von stimmlosem consonant
4- sonor, z. b. glgs, slös.
b) Die anlautenden Spiranten, indem hier das reibungs-
geräusch stark vermindert wird. Bei dem unbetonten sint sind,
sQJcJir 'sagt er', tritt in schneller rede unter umständen völlige
reduction des s ein. Man hört statt dessen einen etwas modifi-
ciertcn hauch hnt, hgkr.
§ 17. Reduction.
Reduciert erscheinen: a) die auslautenden stimmlosen lenes
d, g (r^d rad, iog tag), indem die unmittelbare lösung des
verschlusses unterbleibt. Die zunge senkt sich in der regel
erst nach längerem verweilen in der Verschlussstellung und
ganz allmählich in die ruhelage zurück (in anderen mundarten
ist in solchen fällen zuweilen völliger Schwund eingetreten,
vgl. Nagl, Roanad, einl. § 41);
b) die h, d, g in den auslautenden consonantenverbindungen
hm, dn, gn. Die zunge geht von der articulationsstellung des
voraufgehenden sonors zwar in die Verschlussstellung über,
verbleibt aber in derselben. Gleichzeitig damit erfolgt die
Öffnung der nasenklappe. Der unterschied zwischen derartigen
Verbindungen und directem Übergang von vocal + nasal wii'd
§ 18 MUNDART VON PERNEGG. 21
besonders dadurch fühlbar, dass dort die nasalierung des vocals
unterbleibt. Dazu kommt, dass im ersteren falle der nasal
silbenbildend auftritt. Während bei der directen Verbindung-
die druckstärke vom silbengipfel ang-efangen gleichmässig ab-
schwillt, haben wir hier ein decrescendo des vocals und ein
crescendo -decrescendo des nasals. Allerdings ist der zweite
Silbengipfel dem ersten so sehr untergeordnet, dass man fast
den eindruck der einsilbigkeit erhält. Ich bezeichne diese
reduction, avo es notwendig ist, durch ein A : löbm, rödn, sggn
(vgl. dazu Nagl, Eoanad, einl. § 32).
Anm. In einigen fällen, wie sime 7 (neben seltenerem snvsne),
simtsen 17, simtsk 70, gmp abend, in (judtnomp guten abend, l^aivwerg
Liemberg (ortsn. iirk. Liebinbcrch), ist directer Übergang zum nasal und
damit nasalierung des vocals eingetreten. Dies ist stets der fall bei aus-
lautendem -ga in nebensilben: hceiliv heiligen (vgl. hceüiuMtgt aus hceüiv-
§/ö< Heiligenstatt; ort, fälschlich 'Heiliges gestade' genannt), fs^o^'f/w züchtigen.
§ 18. Secundäre stärkeunterschiede.
Die relativ stärkere oder schwächere schneidung eines
sonanten steht, AAie § 36 ff. zeigt, in regelmässigem zusammen-
liang mit der stärke des folgenden consonanten: alle einem
stark geschnitten sonanten folgenden, derselben drucksilbe an-
gehörigen consonanten sind fortes und umgekehrt. Im einzelnen
falle wird es sich oft kaum entscheiden lassen, was das primäre
ist, ob z. b. in einem worte wie h^nt hand, die starke sclmei-
dung des sonanten das ursprüngliche ist, also sie den fortis-
charakter des folgenden n bedingt oder, ob man diesen als
ausgangspunkt für jene zu betrachten hat, was mir übrigens
das wahrscheinlichere zu sein scheint.
Eine erscheinung zweifellos secundärer art ist die, dass
in unserer ma. alle dem sonanten einer stark geschnittenen
silbe unmittelbar vorausgelienden einfachen consonanten, ein-
schliesslich der Verbindung verschlusslaut + spirans, eine leise
Verstärkung erfahren. Die p in pit bitte, pgnt band, sind
etwas kräftiger als das in jnna bühne. Ebenso verhält sich
\ \ \ \
etwa tvij)2^e : tUsl, siqipm : suna, si^mp : sQcln, fipprn : fUe,
pf^lilcr : pfgf, tsökJcr : tsöhn, n(tm : wpr, diJcx : dln, gimpl : glndn.
Auf die ersten componenten der Verbindungen von geräusch-
laut + nasal oder liquida, oder Spirans -f verschlusslaut erstreckt
22 LESSIAK § 19
sich diese Vermehrung- der intensität jedoch nicht: p in pritsln
oder s in spits fühle ich nicht verschieden von dem in prmdn,
.^p'd ll.S.AV.
Auni. Zur fortis k wird, wenn die iu § 116,4 angcfülirten, etymo-
logisch leider ziemlich dunklen beispiele nicht trügen, das g im anlaut
einer stark geschnittenen silbe, wenn dem unmittelbar sich anschliessenden
souantcu die fortis (geminata) Je bez. Z;' folgt. Auch in der anlautenden
grnppc fl -\- souorcons. Avird es in diesem falle (im gegensatz zum oben
bemerkten) yerstärkt, doch nicht zur vollen fortis. Ich schreibe indes auch
hier k, vgl. § 13. Mir ist kein einziges mundartliches wort bekannt, das
vor tautosyllabischem k (¥) mit wirklicher lenis g anlautete.
Hier haben wir es neben der blossen Steigerung der intensität wol
bereits mit einer art assimilation zu tun. Einigermassen auffallend ist es,
dass dieselbe erscheinung nicht auch vor k.v eintritt: ggvkx gang (weitere
beispiele stehen mir übrigens nicht zu geböte). Ob etwa eine solche Ver-
stärkung unter gleichen Verhältnissen auch ein d vor folgendem tt erfahren
würde, ist fraglich; ich finde in der ma. kein einziges sicheres beispiel,
das diesen bedingungen entspräche.
D. Lautverbindungen.
§ 19. Ein- und absatz.
Die ma. kennt für gewöhnlich nur den leisen ein- und
absatz. Festen einsatz hört man zuweilen in der emphase
'auf auf!, V''' g^asUnr herunter gehst du mir!, 'ans-isgn eins
ist es schon! Fester absatz ist nicht selten in vocalisch aus-
lautenden einsilbigen Wörtern wie i(/ ja, n(/ na, sau' schau!,
und dient zum ausdruck des zweifeis oder ärgers. Eegel ist
er in der kurzform der negation na" nein (auch na'ä oder nd'a),
da^. na mit länge.
Gehauchter einsatz (vom historisch entwickelten, anlauten-
den h abgesehen) steht bei (urspr.) vocalischem anlaut in kidtsa
jetzt (mhd. iezuo), Jmlänr ulan, helement element. ') Alt ist er
in helfmpan elfenbein. Gehauchter absatz kommt vor in der
interjection ivüli puh, brr, neben tvr (mit lippen-r), und gh ah
(neben g), zuweilen auch bei energischerem mjh na! Verbindung
von festem und gehauclitem einsatz findet sich in der inter-
jection ^e', ''ö', auch ''a', ^'o', "/^ = merkwürdig, seltsam; daneben
'^e'' U.S.W, das mag ich nicht. Die verschiedensten combina-
tionen sind möglich bei hm (vgl. Sievers, Phon.'- § 397), das
') Vgl. auch halödre spitzbube, einer der 'allotria' treibt.
§ 20. 21 MÜNDART VON PERNEGG. 23
unter umständen einen ganzen satz vertreten kann, vgl. z. b.
'm 'm'm 'm'm, ng Igsmrs giidt seein na lassen wir's gut sein;
'm'tn 'm'm armes kind du! u.s.w.
§ 20. Berührung von vocalen.
Die ma. kennt nur den directen Übergang. Bei verwanten
vocalqualitäten ist der gleitlaut kaum hörbar. Etwas stärker
ausgeprägt ist er bei Verbindungen wie du{u)ä du auch, du(u)c)igl
du engel, wo die beiden laute einander ferner stehen. "Wenn
ein wort mit / schliesst oder das folgende mit i beginnt, stellt
sich gern ein i als übergangslaut ein, vgl. liQivr ich aber, g^a
du invre geh du hinüber. Ueber einige weitere erscheinungen
beim zusammentreffen von vocalen vgl. § 94.
Sonstige übergangslaute, wie z. b. r in den nordbajuwari-
schen dialekten oder n im schwäbischen, sind in unserer ma.
nicht vorhanden (die angäbe Lexers, KWb. einl. s. xii unter R
ist falsch; ein tiidri, tvidri tue ich, wie ich, ist in ganz Kärnten
unerhört).
In fällen, wo ein consonant im reinen auslaut geschwunden
ist, inlautend vor vocal dagegen sich erhalten hat, wo also ein
regelmässiger formenwechsel besteht, wie z. b. in flmse fleissig,
flect. ficeisige, simte Sonntag, pl. siintigr, fl vieh, pl. flhr, kann
sich der consonant bei vocalischem anlaut des folgenden Wortes
zwar einstellen, muss es aber nicht. Das letztere ist sogar
weit häufiger, vgl. afn suuti-gä am sonntag auch, flceisi-gis
fleissig ist, s fi-liis das vieh ist, gewöhnlicher sunte-a, flceisc-is,
fl-is. — Zu n vgl. § 112,3.
§ 21. Berührung von vocal -}- consonant.
a) Ueber den einfluss benachbarter vocale auf die conso-
nantenarticulation ist schon bei der besprechung der einzellaute
das wichtigste gesagt worden. Irgend welche ausgesprochene
form der palatalisierung oder rundung kennt die ma. nicht,
die Übergänge von und zu palatalen bez. labialen lauten er-
folgen durchweg durch gleitbewegungen (vgl. Sievers, Phon.'*
§ 469 ft'.j.
b) Umgekehrt werden auch vocale durch ihre consonan-
tisclie umge])ung modificiert. Consonanten, bei deren biklung
der Zungenrücken gehoben, ihre masse mehr nach vorn ge-
2i LESSIAK § 22
schollen, der resouanzraum also verkleinert wird, begünstigen
eine liellere (gesclilossenere), dagegen solche, bei denen die
ziinge zurückgezogen oder gesenkt wird, eine dunklere (offenere)
fiirbung des vocals. Da mit dem vorwärtsschieben der zunge
zugleich* eine kleine hebung des kehlkopfs verbunden ist, wdrd.
auch die läge der tonluilie etwas verändert: der helleren vocal-
färbung entspricht die höhere tonlage und umgekehrt. Zuden
lauten der ersten gruppe gehören vor allem unsere dentale,
ferner g\ lc\ zur zweiten besonders l, r, h. Consonanten mit
neutraler zungenlage wie die labialen zeigen eine verschiedene
Wirkung. Palatale vocale w'erden in der regel etwas herab-
gedrückt, umgekehrt velare etw^as gehoben. Vocale im reinen
anlaut haben (bei gleichbleibendem folgenden consonanten)
immer einen geschlosseneren Charakter als nach consonanten
der zweiten kategorie. In der folgenden anordnung der bei-
spiele gehen die mit hellerer vocalfärbung voran: iina — pina
— Una — rlna; sgnt — WQnt — lignt — Ignt — rgnt\ sldln
— fldln — ridhi] engl — pcagl] pgdn — gtn — Igbi] ösn
— öfn — öl\ gfn — gle. Besonders deutliche gegensätze er-
geben sich natürlich, wenn sich die beeinflussenden factoren
verstärken, vgl. sist : rixt. Auch wenn die consonanten ge-
schwunden sind, zeigen sich unter umständen noch unterschiede,
vgl. gegraß geographie : ß vieh, Qndr^a Andrä : rQa reh. Der
Zusammenhang mit dem Wechsel der tonlage erschwert vielfach
eine genauere Unterscheidung (vgl. dazu Sievers, Phon.'- § 478
und 665).
§ 22. Nasalierung.
Sie ist in der ma. sehr schwach entwickelt. Nasalvocale
kommen selbständig nicht vor, sondern nur in der Umgebung
eines nasalen consonanten. In den wenigen fällen, wo der
nasal geschwunden ist, ist die nasalierung aufgegeben worden,
z. b. dm, scei, a, kha (vgl. dazu § 112, 3). Die nasalierung ist
sowol regressiv als progressiv: 2^äm bäum, siän stein, nös nass,
nisa niss (dass die letztere nicht alt sein kann, beweist der
umstand, dass sie im gegensatz zur regressiven keinerlei wesent-
liche Veränderung der vocalqualität bewirkt hat). In beiden
fällen ist der nasale Charakter des vocals wenig ausgeprägt,
denn noch während seiner articulation schliesst sich die gaumeu-
klappe bez. sie öffnet sich erst während derselben. Es bleibt
§ 23 MUNDART VON PERNEGG. 25
dalier der ausgang bez. der eingang des vocals imnasaliert.
Stärker entwickelt ist er, Avenn der vocal zwischen zwei nasalen
steht. Hier bleibt das gaumensegel während der ganzen
articulationsdauer offen: nojn name. Im allgemeinen lässt sich
sagen, dass der nasalierte vocal einen etwas offeneren klang
besitzt als der nicht nasalierte. Da die nasalierung in der
Umgebung von nasalen unter allen umständen eintritt, lasse
ich sie in der regel unbezeichnet. Zu den wenigen fällen der
nasalierung vor urspr. -hm, -gis vgl. § 17, anm. Metathese hat
stattgefunden bei lungr (neben lugur) lügner, röuyon (neben
rögudn) regnen. Nasalentwicklung findet sich in pauganvt ba-
jonett, mangäre meinetwegen (nach Lexer zu ital. macari,
magari). Die fragende interjection Itä? scheint wol aus hm
hervorgegangen zu sein.
§ 23. Vocal + ;•. 'Brechung.'
Beim Übergang von vocal zu (zäpfchen-) >• {ar ausgenommen)
macht sich ein ganz leiser vocalischer übergangslaut bemerkbar,
wodurch der vocal etwas diphthongiert (gebrochen) erscheint :
mVr mir, ffrst fürst, ng'r narr, Wr uhr. Doch sind diese pseudo-
zwielaute so sehr verschieden von den eigentlichen diphthongen
i^, Qa, u9, die übergangslaute so schwach (individuell oft gar
nicht entwickelt), dass ich es vorgezogen habe, sie in der
transscription unbezeichnet zu lassen, «m so mehr, da ich die
beiden r-laute orthographisch scheide. Auch die m^sprünglichen
id, ud {^a, Qu) sind vor r zu /', u% e\ </ geworden und so mit
einfacliem i, u, e, q zusammengefallen (vgl. § 57. 64. 65. 76. 77.
78). Ob die diphthongierung in einer früheren sprachperiode
stärker ausgeprägt war, ob es sich also hier um eine rück-
läufige bewegung handelt (vgl. unten über die brechung vor //),
lässt sich schwer entscheiden. Der zusammenfall von einfachem
laut und diphthong vor r reicht auf bairischem boden bekannt-
lich schon in die mhd. zeit zurück (Paul, Mhd. gr.-» § 113).
Anm. Nur iu unbetonter Stellung vor starktoniger, consonantisch
anlautender folgesilbe, z. b. a 2^Qcn' «»a ein paar scbube, kommt iu folge der
scbwäcbereu articulation des r und der touurastellung (vgl. § 9-i) das voca-
lische Übergangselement stärker zur geltung.
Vor (zungen-)»- ist ein solcher übergangslaut nicht vor-
handen. Dagegen findet hier eine eigentümliche articulations-
26 LESSIAK § 24. 25
mischung- statt : die r-stelhmg der zunge wird (wenigstens zum
teil) schon wähi-end der bildung- des vocals vorausgenommen.
Die dadurch herbeigefülirte Veränderung des resonanzraums
ist von Rieht geringem einfliiss auf die klangfarbe des vocals:
/ bekommt einen etwas palatovelaren Charakter, d. h. die engen-
bilduug erfolgt weiter rückwärts. Umgekehrt wird das it
weiter vorn gebildet, die folge ist natürlich auch hier eine
schwache mixed-färbung. e verhält sich noch am passivsten.
Die velarvocale a, o (o vor r fehlt) werden gehoben. Die zunge
nimmt eine höhere läge ein als sonst, a erhält einen etwas «-,
{j einen «-ähnlichen klang. Dasselbe gilt für historisch voraus-
zusetzendes ö=*e. Es erreicht fast die klangfarbe eines offenen i.
Der ansatz zur rundung fehlt hier, die lippen werden eher etwas
auseinandergezogen (ich umschreibe diesen laut durch 'i, vgl.
dazu § 56, 2).
§ 24. e ((>) vor h.
Eine ähnliche brechungserscheinung wie vor / lässt sich
auch bei *e vor h beobachten; z. b. seoJin, Icsedlm u.s.w. (vgl.
§ 57, 3 c). Doch herscht daneben in allen fällen die ausspräche
mit unmittelbarem Übergang: sehn, Melm. Auch hier sind
urspr. e und e zusammengefallen, vgl. tseohnt und tsehnt zehe.
In Wörtern wie Jchncxt knecht, rext recht, wo der vocal kurz,
das h> X geschärft erscheint, hört man die brechung sehr selten
(formen wie Mmedxt, reozt werden als ^pirgdrds' angesehen). Zu-
Aveilen findet sie sich auch bei g: tgdxtr neben tgxtr tochter,
gdlir neben glir abher.
- Anm. Brechung des e scheint einmal auch vor l bestanden zu hahen,
das unterbleiben der diphthongierung des e (ae) lässt darauf schliessen.
Vereinzelt kommt sie vor bei tedl dunst (schwüle) neben tel (Lexer, KWb.
s. 56 stellt teil zu ahd. twelun), dedhx neben dehx Dellach (ortsn. ; es, e = *ce),
mihedl neben mihd Aiichael.
Berührung von consonanten.
1) Entwicklung von übergangslauten.
§ 25. Verbindungen von sonoren untereinander.
a) -nl > -ndl. Beispiele: andbfe 11 {mhd.einlif), andlötse
einzeln (mhd. einlüt^ec), ugrsceindla wahrscheinlich, spendlw
gelbe pflaume, Spilling (mhd. spenlinc), rceindlw reindling,
kuchen (zu rceina reine, eine art backmodel, Schüssel), Jchgndl
§ 25 MUNDART VON PERNEGG. 27
kanne (mlid. lanncle). manäl männleiii, prindl brünnlein. Indem
der scliliiss der gaumeiiklappe der Öffnung- des seitlichen ziingen-
versclilusses vorauseilt, der mundraum also für einen augenblick
völlig abgesperrt wird, wird beim Übergang zu l in folge der
explosion der inzwischen angesammelten luft ein ganz kurzer,
schwacher verschlusslaut hörbar, g für d erscheint in tsivwgl
{fswiugliu) Zwilling, mhd. sivinel{-inc). Die gemischtsprachige
nachbarschaft bietet noch andere fälle, z. b. l-hgugl, rceüjgli».
Voraussetzung ist eine angleichung des n an das gutturale l > w.
b) -nr > -ndr. Beispiele: tQudr donner, sendr senne (mhd.
senmerc); regelmässig in den pluralen auf -r: mandr männer,
pandr 'beine', knochen, r^andr raiue u.s.w. In der adjectiv-
flexion ist der übergangslaut fast überall analogisch beseitigt
worden. Man hört noch hie und da hhlandr kleiner, s^andr
schöner, häufiger andr einer, mceindr meiner, sceindr seiner
(neben Müänr, änr u.s.w.), dagegen nur dceinr deiner, wol wegen
des anlauts.
c) -Ir > -Idr. Beispiele: hUdm {*hülren) hohl hallen, ßdrn
1) vollstopfen, zu 'voll', 2) füllen werfen, tröldrn schütteln,
beuteln (intrans., vgl. Lexer, KWb. s. 66 irgUu poltern), poldrn
poltern (mhd. hollern), irröldrn (= tröldrn) zu 'prallen', oldrjx
Ulrich, Qldrlignt allerhand. Bei der ableitungssilbe -r {mglr
maier), in der flexion und in (jüngeren) Zusammensetzungen
unterbleibt der übergangslaut, z. b. niihöd mühlrad. Das letz-
tere gilt übrigens auch für nl, nr: tva^inlögr weinleger, gnrext
anrecht.
Für die fälle b) und c) muss die ausspräche des r als
Zungen -r vorausgesetzt werden, ndr erklärt sich aus dem
schluss der gaumenklappe vor lösung des vorderen verschlusses
der zunge, Idr aus vorzeitigem schluss ihrer seitlichen Öffnung,
d) -ml wird zu -mU, doch nur dann, wenn beide consonanten
derselben silbe angehören. Z.b. hirnhl himmel {^Ju-mlhez. kim-ml),
ebenso simhl schimmel (pferd), somhhi sammeln, mmnhln mum-
meln, mqamhl muhme (mhd. nu'icmlin), semhl semmel, drcmhl
prügel (mhd. dremel). Vergleiche dagegen liim-ldtsn wetter-
leuchten (mhd. MmeUitzen), stam-U stämmlein, nam-la 'nämlich',
sehr, ham-la heimlich. Wenn es hingegen auch stäml, jiäml
heisst, so liegt natürlich analogie nach den volleren deminutiv-
formen vor, umgekehrt steht rgmhla 'schwarze kuh' unter dem
28 LESSIAK § 26
eiiifluss von rgmhl 'schwarzer stier' (aucli ' Schmutzfink'). Auch
hier ist der voreilige schhiss des gaumensegels vor lösung des
lippenversclilusses die Ursache.
e) Die auslautenden Verbindungen -Im, -riu werden zu
'Ihm, -rhm (die gaumenklappe wird erst nach vollzogenem
lippenverseliluss geöffnet. Z. b. söIbtH 'schelm', dieb, helhm heim,
icilli{)Ibm AMlhelm (nilid. WiUchahn), ivnrbni wurm, d^rhrn dann,
fiirhm form.
Dieses -Ibm, -rhm fällt lautlich mit dem aus "^-Iben (-Iwen),
-rben {-rivcn) entwickelten zusammen. Daraus erklären sich
formen wie ivilhglivin {-halivin) die Wilhelmin (d.h. das weib
des vulgo iciUiolbm), fgriva farupflanze (sing, neubildung zu dem
als pl. gefühlten fgybm = mhd. varm farnkraut).
Dagegen inlautend (bei Verteilung der sonore auf zwei
Silben) ivirmr Würmer, 'iymr ärmer, hghndx stoppelklee (eig.
collectivum zu liglbm halm). Wird das r als Zäpfchen -r ge-
sprochen, so unterbleibt der übergangslaut, vgl. dgnn, tvurm
u. s. w.
Anm. Auffallend sind jJoZiw ball, und kh{)lhm hellen, für zu erwartendes
p^ln, khphi (nilid. bctUe, liallen). Im ersten falle lässt sich m für n durch
assirailation an das anlautende p erklären, bei Tih{>lbm dürfte formübertrag-ung
vorliegen (etwa 3. pl. khgibmp für hhglnt nach analogie von icölhmp sie
wölben).
f) Umgekehrt wird durch vorzeitiges öffnen der lippen
der verschlusslaut getilgt in der Verbindung nibr: Jchatcmr
quatember, setemr {septemr) September, detsemr december,
ngfcmr november, numrel {nimidrel) regenschirm (ital. omhrello),
gmrds Ambros.
§ 26. Sonor -f reibelaut.
118 > nts: menis mensch, icunts wünsch, wintsn wünschen,
flenUn herabhängendes stück fleisch einer wunde (zu mhd.
rlanscV^).
Dagegen bleiben ms, ns unverändert: pemsl pinsel, plgamsuox
'bluraensuche', gemeindeweide, (jgns gans, lianse Hans; ebenso
/•>, U: hglsn halsen, hgUh) hülse. Doch stehen nebeneinander
flintsn und flinsn ohrfeige, tsintsln und tsinsln empfindlich tun
(mhd. zinzdcn).
Vereinzelt findet sich einschiebung eines t zwischen spirant
H- h tipftl tüpfel (dem. zu iupf\ dazu tipftln tifteln), perstlw
§ 27 MUNDART VON PERNEGG. 29
barsch (inlid. hersicli, *hcrslinc). uruibi wedeln, mit einem tuclie
zuwinken (mlid. ivechcln, vgl dazu KWb. s. 248), saxtl Wäldchen
(dem. zu mhd. scliache). Vgl. diUoXi palditl ne^i^n palclil (dem. zu
PqTxx pack).
A n m. Zur svarabhaktibildung- in der Verbindung 1 4- h (.r) vgl. § 115, R, anra.
2) Assimilationen.
§ 27. Vollständige assimilation.
a) Inlautend-regressiv:
n + m > m {mm) : stämöts Steinmetz, sehmnös Seelenmesse.
w -{- p \ I lappüsn (auch läpusn) laubbuschen,
t -\- p \ > 1>P (p)- stQppJgtz stadtplatz,
d -\- p \ \ s rgprixt das rad bricht.
d + t> t(tt): Igtruyn ladtruhe.
t + Ic \ I prauhhQstn brautkasten,
d -^ h >l-Jc(k): 6-a/.7/p5^« getreidekasten,
<7 -\- k \ I mgJchän mag keinen.
Vereinzelt h (x) -\- f> f: liQafrt hoffart, hhirfdt kirchfahrt
(wallfahrt), raufgt) rauchfang.
}i{x) + s> s: ptos^pe«; buchstabe {nohexs. puMtQiv), pudsädn
Buchscheiden (ortsn., vgl. noch § 115,4b).
s -\- f> f: «-p/'mwc/r was für einer (doch vgl.Beitr.20,220f.).
b) Inlautend-progressiv :
t -\- d^ t (tt) : prätruhhn breit drücken.
f _^ (. \ I diMgn entgegen, on dö stgllc^an in
h -{- q \ ^^'^'(^')' die Stadt gehn, prmhQm bräutigam,
' I lildccru liegt gern.
Anm. Gegenseitige assimilation liegt vor in öppr etwa {*etwar), öppds
etwas (vgl. dagegen ?/•//«•« witwe, o/Zu-e/fe 'altweltig', altertümlich u.s.w.).
c) Auslautend-progressiv :
-mn > m: tsijm zusammen, ngni name (^ngmii), wöm nehmen.
Daneben jedoch ngnimdu, nömon u.s.w.
-vg > ü : ri}] ring, hsgu gesang. Inlautend dagegen rin(jl
ringlein, siwjr 'singer', sänger.
-w(/w>ü: .s'/w singen, 67>r/w springen (neben .s/w^jfj« etc.).
Das n hat hier eine längere dauer als oben.
-ht{'Wt) über^^>^: löp lebt, srceip schreibt, spceip speit
(inf, spceihm).
30 LESSIAK § 28
-dt > /: rät redet.
-gt über It > Ä': löJc' legt, spriulc' springt, igh' jagd, jagt.
Anm. Diese eigentlich mir im reiueii aiislaut berechtigte assimila-
tion von -It, -gt bleibt durchweg fest, auch vor folgendem sonor (oders):
gippän gibt einen, sgkkr sagt er, ioM jagt auch ; vgl. bes. § 160.
§ 28. Teilweise assimilation.
a) Inlautend-regressiv:
tv > h (fast lialbfortis) vor t, Je, f, s, s, z. b. srceilt^fl sclireib-
tafel, riidhlhösl rübenkessel, lidhsQft liebschaft, rceihsQiit reib-
sand, Qbfrösn abfressen.
« > m vor 2h ^^' '■ ylQnipgx Glanbach, khrampcry Krainberge
(Karawanken), Quiwarrndn anAvärmen, pnimicgsr brunnenwasser
(vor w jedoch auch niv. gnivarnmi u. s. w.).
n > « vor (j, k: guglceihn angleichen, ähnlich sein, ivcewJchelr
Weinkeller.
s + s > s: glQsisl glasschüssel.
(7 > / vor s, s: rgthi^ radschuh, l-smtscein (Hmd- seein) ge-
scheit sein.
g > k vor ]), t, f, s, s (k ist hier etwa lialbfortis): slQkpgr
schlagbar, khlgktgg klagtag, rinkfimjr ringfinger, gtikst angst,
sgksätn Sägespäne.
Zuweilen hört man auch ks, ks für kxs, kxs, z. b. ivöksaug'ti
für ivökxsaugtj wegschauen.
tf'i^t zu ;>/■ geworden in hgmpfl handvoll (sonst regelmässig:
pludtfuds 'blutfuss', ein gespenst, yotfgir gott vater; ebenso vor m:
mau tmil mautmühle).
b) Inlautend-progressiv :
d >^ nach^), Z;: tgp tg tappe da, er sgk-tr er sagt dir.
g > k nach^;: ^jpp kölm pappe geben (auch hier erreichen
t, k nicht die volle fortisstärke).
s> s vor s {s ist ein zwischen 5 und s die mitte haltender
compromisslaut; die zunge wird weiter nach vorn geschoben
und nimmt eine tiefere läge ein als beim s; die hebung der
Zungenspitze ist ganz minimal). Z. b. jlmisuppm fleischsuppe.
Doch kommt daneben auch gleitbewegung vor.
c) Auslautend-progressiv:
■hn, -wn > -hm: lähm leben, snceibm schneien.
§ 29 MUNDART VON PERNEGG. 31
-pn > -^»n: sngpiym schnappen.
■gn > -g)): trggu tragen.
-kn > -Ä"m: prulih) brücke.
-mt über -mpt > -mp: gmp amt, tsQnq) zusammt, ne^amp nie-
mand, s<^mp schände (mhd. schamede); ebenso -hnt (-icnt) > hnq):
trceibmp (sie) treiben, Qbnq) abend.
-gut > -gnJc: iUgnli Jugend, slggnh (sie) schlagen.
-rn > -ru: frlöjv verloren, gen3 gern (doch hört man da-
neben auch gern u.s.w.; es hängt dies mit der mehr oder minder
spirantischen ausspräche des r zusammen, vgl. § 4b).
Anm. Inlautend sind die assimilationen hm, 2)m, gv, ku nicht häufig,
fast durchweg- sind sie als Übertragungen aus den auslautenden formen auf-
zufassen, z. h. öhma ebene, kiilögur geschlagener (doch auch kMögur), htühmdn
seeundärer pl. zu Uühm stube. Selten hört man ivgcjur, yrähmr für tvggnr,
gräicnr M'agner, gräbner (grabenmacher). Anlautend heisst es stets gnönt
genannt, gngd gnade u.s.w. Allerdings haben diese n eine von dem ge-
wöhnlichen n etwas verschiedene klangfarbe, indem beim (g)n der zungen-
rücken eine höhere läge einnimmt als sonst, bei (w)n die lippen mehr ge-
schlossen bleiben.
E. Die präfixe ge- und 6e-.')
§ 29. ge-.
ge- verliert sein vocalisches element nur vor dauerlauten.
a) Vor sonoren (ausser r): ggtnt geatmet, gölclidt geeggt,
f/ö5w gegessen; ^^öY^^ gejätet, giäd (mhd. gejeide); givild wild n.
(mhd. getvüde), inguäd eingeweide; glglin gelacht, glidxt licht
adj. (^geliehte); gmösn gemessen, gmän gemeine, gemein; gnom
genommen, gn^at arbeitshäufung i^genocte). Ausnahmen: goiiüo
genug, gduäu genau; zu Icei i^gcUch) vgl. § 115,4b, anm. 1.
b) Vor den Spiranten f, s, s wird g zu /:: hfgr gefahr,
/.•/?o^^>^ gefunden, /r.9r/m gesehen, /.•6v.r^ geschichte, /üsyTh geschaue.
Ebenso vor h: Ichgt gehabt, Ichcn) gehören, Idigltn behalten (mhd.
gehalten), Jihatr heiter (*geheiter), hhceindn stossen, sich kümmern
(mhd. gchöuiren? vgl. KWb. s. 137).
c) Zu Ih wird g{c)- auch vor r (vgl. Krassnig s. 36. Wein-
hold, Bair.gr. § 172). Beispiele: Jchröt geredet, khrittn geritten,
') Es wären an dieser stelle eigentlich nur die assimilationen zu be-
sprechen, die infolge der synkope eintreten, ich benutze jedoch die gelegen-
heit zu einer übersichtlichen darstelluug der behaudlung der beiden Vor-
silben.
32 LESSIAK § 29
Txhraft gerauft, Ixhwin geraten (inf. und part.), Ihrextn in Ord-
nung bringen (^gerehten), Ihrist gerüst, JJirixt gericlit, Tihrmimp
gereimt, passend, lihrwit Kreuth (häufiger ortsname, mhd.
yeriute).'
Die ersch einung lässt sich folgendermassen erklären: in
einem grossen teile Oberkärntens mrd im wortanlaut noch
Zungen-;- gesprochen und zwar mit einem A-älmlichen einsatz,
also In-üs ross, hrödn reden, hrii3 ring. Desgleichen in der Zu-
sammensetzung, z. b. hceihröhn heurechen (vgl. KWb. s. xiv
unter Ch. Weinhold, Bair. gr. § 160). >) Wir müssen annehmen,
dass diese ausspräche des anl. r, so lange es noch zungen-r war,
auch für unsere ma. gegolten hat. Dann wäre die assimilation
einfach \\1e oben: g{c) + h> Ich.
Dass die ausspräche h?- eigentlich nur für den anlaut galt,
dass also ein nebeneinander von anlautenden und nicht an-
lautenden formen bestehen musste, damit diese assimilation
eintreten konnte, beweist das unterbleiben derselben in grgla
'koralle', perle, gritsdx Gritschach (slow, gorice).
Aiim. Unter dem einfluss der stadtsprache (s. anhang) bez. der analogie
hört man hie und da schon formen wie graft, grittn u. s.w.
d) Vor verschlusslauten bleibt dagegen der vocal erhalten:
gdp^lin gebacken, gdpöei gebäude, gopäx gebäck, gdtalt geteilt,
gdtUd getue, betragen, gdtqas getöse, gddräi gedreht, gddrei) ge-
dränge, gdkhert gekehrt, gdl-ltaft gekauft, gdgösn gegossen, gdgätr
gitter (coli, zu ^{?i!r) u.s.w.
Ausnahmen sind trad getreide, pridt neben gdpridt gebrüt,
2nrgr gebirgsbauer (neben gopirg gebirge), päur bauer {ngxpr
nachbar). Ferner die part. praet. göhni gegeben, ggi) gegangen,
JchriaU gekriegt (= bekommen; dagegen gokhridJv gescholten).
\Jchomdn gekommen, jyrgxt gebracht nebst trgrv geworden, sind
alte präfixlose i)articipia. Regelmässig sind auch glap geglaubt
und pjUbm geblieben, zu mhd. yeloithen, heliben]. Neben gotgn
getan, steht söttn (mhd. sogetän) solch. Auffallend ist das
unterbleiljen irgendwelcher Verstärkung des anlautenden g bei
göbtn, ggu: man würde Ic erwarten (vgl. dazu Schatz § 153).
') Wie mir herr k. k. landesgerichtsrat Joh. Steiner privatim mitteilte,
wird auch in einzelnen nordungarischen Sprachinseln (Kremnitz) im anlaut
hr für r gesprochen.
§ 30 MUNDART VON PERNEGG. 33
Ich bin der ansiclit, die synkope sei vor verschlusslauten
in der ma. gesetzmässig nnterblieben. Eine so weitgehende
restitution wäre (zumal bei collectivbildungen) wol kaum mög-
lich gewesen. In anderen mundarten des herzogtums, vor allem
Oberkärntens, ist das vocalische element in noch viel aus-
gedehnterem masse erhalten geblieben. So heisst es im oberen
Gurktal (Reichenau) bei anlautendem r des grundworts stets
(jiraion gereut (ahd. girüiran), giraft gerauft. Das Lesaclital
mit dem angrenzenden Osttirol und den Sprachinseln in Krain
und Oberitalien kennt fast nirgends einen ausfall des vocals;
vgl. lesachtalerisch giliilwe (mhd. gchilwe), gilidxte licht, gilaixe
gleich, U.S.W, (die paar ausnahmen wie gnüde gnade, glähn
glauben, l-fottr gevatter, Icse'l geselle, sind wol als entlehnungen
anzusehen; fraglicher ist dies bei träd, paur). Die möglichkeit,
dass unter umständen wirklich S3'nkope eintrat, ist ja nicht
ausgeschlossen. Bei söttn, nQxpr war wol der accent von
einfluss. In einzelnen fällen mag auch das grundwort mass-
gebend gewesen sein, Ygl.pirgr neben j;r^:>-(/rj)«.?. I-Jiriogn (und
damit auch seine flexion) scheint trotz seiner gegenwärtigen
Verbreitung importiert zu sein. Die alten sagen dafür fast
durchAveg pjlihömdn bekommen.
§ 30. he-.
Bei he- tritt synkope nur ein vor s, s, h. Z. b. psCal be-
scheid, j)5275n besitzen, jj5ioi(/r besonder, jw/pn^ 'bestand', pacht.
p + // geht \\\pf"\}i\)tv:])fi<)tn behüten, 7)/('«7 {pfcnte) behende.
Dagegen (wol unter fremden einfluss) p)Qli'ubm beheben, pDh(^ndhi
behandeln,^w/*m(j:>^w behaupten; vgl. auch j;aArt»i(Za) heimlich (adv.).
Aiim. Zur beliaiullung unseres (j{e) + r bieten eine parallele die bei
Weinhold, Bair. gr. § 12 1 angeführten pfreim, pfreit,pfri'ic)nen (pfmws *b[c\-hr).
Vor sonoren und auffallenderweise auch vor /" bleibt der
vocal erhalten: pomölin 'bemachen', umbringen, pdmant 'bemeint',
zugedacht, ponöiidn benennen, pdrödn bereden, pdlögn belegen,
pdivceisn beweisen; vgl. auch p)alQuksgm 'be-langsam', nach und
nach, jwwfl/iZa gemächlich (adv.); pdfkvtsii befleissen, pdfösn be-
fassen, U.S.W. — Ausnahmen :7)te/i?M bleiben, merkwürdig j>rcB<75
bereits, mit der bed. "beinahe', weil sicher entlehnt {cei = *ei).
— Desgleichen vor verschlusslauten: potriogn betrügen, pdlclilggn
beklagen, pdgrghm begraben.
Beitrage zur gcschichte der deutschen spräche. XXVIII. 3
34 LESSIAK § 31. 32
F. Besondere ersoheinungen.
1) Feruassimilation und -dissimilatioii.
§ 31. Assimilation.
a) Vollständige: Ichristwu kly stieren, luncjl hinge (alid.
hmgun), .ßnofl, fmdf fenchel {-l wurde als ableitungssilbe ge-
fasst und etwa nacli analogie des formenwechsels bei deminutiv-
bildungen fallen gelassen; vgl. dazu gmnids anisel, in anderen
m-ü. omsl\ doch sind beide Wörter masculina), /eü/i- weide (mhd.
vehver), l-nisld knorpelige Speiseüberreste (mlat. ernst ula; im
nachbarlichen Steindorf hörte ich mit secund. dissim. trns/d;
die stadtspraclie hat gnisjil).
b) Teilweise: spgwdt (neben spogot) spagat, pcmsl pinsel
(mhd. pensel), pumeldste gummi elastic(um). Vielleicht gehört
auch tc^afQm schmerz, hierher, wenn aus ^^iveatohm (mhd. tvetage,
doch vgl. auch mhd. ivetuom).
§ 32. Dissimilation.
a) Vollständige: mesr mörser, födry foi'dern, födr vorder,
l:hcdr köder (ahd. qucrdar), mödr marder (vgl. § 114), süehverg
Steuerberg (besser Steierberg), masiru marschieren, khwatir
quartier, khaprgl korporal (wenn es nicht direct auf das franz.
caporal zurückzuführen ist), ') hhospl Spülicht (mhd. Icarspuoh)^
fjmmdspihl Ameisbichl (ortsn., urk. Älnians^^nJid), Ichüivdsr käse-
wasser, molken (anders Behagliel-Horn, Beitr.22,220f.), tvoiiraux
Weihrauch, ivoeimixtn Weihnachten (dagegen ivwixprun weih-
brunn, ivmxivgsr Weihwasser), icceispiU < u-cvipspilt weibsbild,
trQSQlix < trolisglix tragsack, spotakhl spektakel, pröshgft brest-
haft. Vielleicht auch püd bube, knabe, Jchirfjt kirchfahrt (vgl.
dagegen hgafrt hoffart), Mnvc < liirwig < herherg herberge,
mgrgit Margareth.
bj 'l'eilweise: glmr schrank (lat. armarium), pglivin3 bar-
bieren, frakhdle kleines schnapsgläschen (bair. flaclidl, nach
Sclimeller, Bair. wb. 1, 786 aus franz. flacon), lilmaul knäuel
(*Jdüivel), hhnöfbx knoblauch (vgl. dagegen wind, kübudx mit
ho- < */.;Zo-), tesnter deserteur, slujgivUs sliwowitz (pflaumen-
') Eine andere meinung vertritt in bezug- auf diese fremdwörter Horu,
Zu. f. Ld. ma. 1, 27, doch vgl. ma. mari marsch, khwarlöl quartal.
§ 33. 34 MUND AKT VON PERNEGG. 35
sclinaps), pfiuJcstc < pfintste donuerstag (mlid. pf\n.ztac), humr'e
< liumhrig < hungrig liungTig (darnacli liummr Imnger), feldn
Velden (ortsn. "^felhni, zu nilid. veltve; vgl. slow. Vrha = weide),
t rahmte (daneben tramte) < *trägentig trächtig'. Vielleicht auch
IJuviivl kalb für '^kJtahcl (dagegen Idiölwl als hausname), scmwlb)
Saibling (ein fisch) WsXh. 2, 263.
c) Mehrfache Umgestaltung erfuhr ivarwl marmor: marmor
> marml > marivl > ivaricl (den Übergang von rml > rivl
zeigt auch 'irai ärmel, "^'irml bez. 'irmhl. Es unterblieb die
Öffnung der gaumenklappe). Aehnlich nudrstgrf Mattersdorf,
urk. Merteinsdorf (Martinsdorf).
Assimilation oder dissimilation kann man annehmen in
terpmtikhl perpendikel (pendel).
2) Unorganische t.
§ 33.
a) Nach Spiranten: Miist (neben Ichls) kissen (mhd. Jcüsse),
artst erz, purst bursche, pirst birsch, imlst puls, last f. geleise
(mhd. leis\ sist sonst (mhd. sus), pgpst papst, Uivdst obst, gndrst
anders, ondouJcst ohne Überlegung (mhd. Undankes), twixt teich,
s<?ft saft.
b) Nach n, r: tolmt thon (^tähen), tsedlint zehe, tölmt de-
chaut, nöhnt nahe (mhd. nähen), nQamp niemand, duliöguh {^ent-
gegent) entgegen, indrt (indrst) irgendwo (mhd. iender, inder).
c) Inlautend in Zusammensetzungen: döstivögu, tvöstwögv
des-, weswegen, nueint-, dwint-, sccintwögu meinet- u.s.w. wegen,
derniicögu deshalb, ?;«;-/a;Hörimmer einmal', zuweilen, üivrthgliv
oberhalb, gudrihgliv anderthalb.
Anm. Dagegen ist t abgefallen in moykx markt, sgvhr sankt, rxin-
früs reinfrost, pfantsl pfannkuclieu (mlul. pfanziilte), ödlpröx Adelbreclit
(haueuame).
Eine erklärung dieser erscheinung gibt Bremer, Deutsche
Phonetik § 56, anm.
3) Sandhierscheinungen.
§ 34.
Der unbestimmte artikel 'ein' lautet vor consonantisch
anlautenden Wörtern a, vor vocalisch anlautenden an. Wort-
3*
o6 LESSIAK § 34
anlautendes n konnte daher leicht als zum artikel gehörig-
aufgefasst werden. So erklären sich fälle wie gtr natter,
schlänge überhaupt (an-otr für a-nötr), uos rinne (mhd. 7iuosch),
ahm f. 'nabenstock (eig. pl. zu 'nabe'), arhui klammer (mhd.
nänrc), nra hode (ahd. niero in derselben bedeutung; für 'niere'
wird das comp. ridcJära 'rückenniere' verwendet). Häufig hört
man auch iuldole enkel, für nmlihdle (mit Verschiebung des
accents und abfall des anlautenden e aus ahd. eninchili). xlehn-
lich verhalten sich ädliv Nadling (aus dn-ädlw in Nadling;
die Nadlinger selbst sagen nädlw, auch urk. Nedlkh); okx für
Xock, häufiger bergname im benachbarten Nockgebiet, aus afn-
olxx auf dem Nock; dagegen nolhn kloss. Vgl. auch öhtn neben,
dies selbst wider aus cn-chcn. Gerade umgekehrt verhält es
sich bei m(jl igel, nöla ahle, nunorci schirm (ital. omhrello),
näwdx verkehrt (aus *cn-ebich). Auch niirin- hört man zu-
weilen neben urpr Zuchteber (^ur-hcr, zu ur- vgl. mhd. urgül,
■ml und Kluge, AVb. unter auerhaJm).
In däsn f. holzgestell an der küchendecke zum scheiter-
trocknen (mhd. äse) wurde das d- des artikels zum stamme
gezogen. Der fall ist insofern interessant, als die ma. heute
eine unsilbische kurzform des artikels 'die' nicht mehr kennt,
ausser etwa in der redensart ajJiwi g^'cm neben 9n da gcui g.
fortwandern (gcei = gau). Vielleicht gehört auch tsgxtl schachte!
hierher {^d'sQxtl). Umgekehrt wurde das mhd. dwehele, Hvehele
über d'ivehcle zu ^i•ö]^^ f. kleineres tischtuch. idtrastän Dietrich-
stein, lässt sich möglicherweise über ""d'idtrastänr die Dietrich-
steiner, erklären, fsgldrox hat sein t aus dem compositum
haUgldrdx für *heid-schalrach hülsen des buchweizens (hädn).
Dagegen scheint sich in hvev Tweng (ortsname, urk. in Weng'm)
das t phonetisch wie etwa in mceinhvögv meinetwegen, ent-
wickelt zu haben.
Das gemeinkärntnische dös (für *äs) ihr, dürfte seinen
dentalen anlaut der personalendung zu verdanken haben:
*hahet-te^ für habet- e^. d für t steht unter dem einfluss von
da du. Dem entsprechend haben auch die *ihr-dialekte' (Lesach-
tal, Osttirol, Sprachinseln) der, dr für ir (vgl. Lexer, KWb. s. 58
unter dess).
In einigen fällen gab die i)räp. ts(9) zu (mhd. ^e), anlass
zu einem misverständnis: der ortsname grwibts Greilitz, lautet
§ 34 MÜNDART VON PERNEGG. 37
im wind. sJcrile (als grundfonn für das deutsclie ist das demin.
*sJirlIitsc Yorauszusetzeii); nacli § 109, 1 miisste anl. slow, s zu
ts werden: ^tshnlits, Avas man zu ts-hmlits umdeutete. Die
beispiele sind nicht selten: vgl. göt^sigl Gottestal (urk. Scozidol,
GottzkM, mit volksetym. Umgestaltung aus slow. Skocidol),
r(vix Rajacli (wind, sröie), tents9x Tentscliach (slow. *stemtse)
U.S.W. Umgekelirt lieisst es gewöhnlich tsivean Wien {du, af
tsicean in, nach Wien).')
Die redensart mi{t) Miceit Igsn neben dn hlueit l. in ruhe
lassen, beruht auf falschei- auffassung des on als präp. on l'ha'it
geht auf "^'ungehöuwet {-luet?) zurück und gehört zum verb.
Ichceindn stossen, kümmern (vgl. KWb. s. 137 (jilieien). khceit
wurde als subst. betrachtet unter dem einfluss von on (mit)
ruo Igsu in (mit) ruhe lassen.
Der regelmässige Wechsel: n yoy vocalischem anlaut, fehlen
desselben vor consonantischem bei 'von' (s. §112, 3), z. b. fd
dir von dir, aber ßn-(^am (eig. fb-n^am) von ihm, ist analogisch
auch auf die vocalisch auslautenden präpositionen 'zu' und
'bei' übertragen worden: j>;a sön bei ihnen, tsd dir zu dir, da-
gegen pdn-irn bei ihr, tson-enJcx zu euch. Unterstützend wirkten
liierbei die formen j;9n, ts9n beim, zum. Die präp. 'gegen',
'zwischen' erscheinen in der form <jöyu, tsivisn und yöy, tsivis.
Massgebend für den Schwund des n werden vielleicht fälle
gewesen sein wie tvugv fotr wegen 'dem' vater (aus wögn n
fgtr), tstvisn jxrg)) zwischen den bergen (aus tswisn n pergu).
Die form um- für (negierendes) 'un-', z. b. ?f;>#(>r/« unartig,
umsauwr unsauber, umlliraiä unkraut, laimne unsinnig, umrext
unrecht, ist übertragen aus fällen wie mnpQr unpaar, ummigla
unmöglich, etc., wo n in folge assimilation zu m werden musste.
Anm. Ich fasse hier einige fälle zusammen, die sich unter keine der
besprochenen lauterscheinungen bringen lassen, -in > -hv in ^livlcv flinte
(vielleicht anlehnung an jUvlc'^ flink), molkki maXA.^ (Bair. wb. 1, 1595 «to//»);
bei titjkü wäre dissiniilation möglich (grundforni t/'ncla). k ist eingeschoben
in kspevkst gespenst (vielleicht dissimilation über kspentsl), i^kHpQlir neben
psp^tltr espe (mhd. aspe, zur ableituug vgl. Kluge, Wb. unter massholder),
plinWdw neben plintsliu blindschleiche. Anlautendes g erscheint in galaun
alaun, gra- für ga- hat gramila kamille (vgl. auch den Ortsnamen gramibx
Gramillach zu slow, gomilo). töfnt taffet, hat sein n tutsnt dutzend, taiisnt
^) Auf diese für die ortsnamenforschung wichtige erscheinuug machte
schon J. W. Nagl (das hohe '-d' s. 85, anm. 1) aufmerksam.
38 T.ESSIAK § 35. 36
tausend, etc., icixlr oder, poin ir dem correlativ niticödr zu verdanken. Die
meisten liierher gehörigen fälle beruhen auf volksetymologisclicr Umgestal-
tung: z. b. j^erg.vurtr barometer (pergament), tsimräi zu ebener erde (zimmer),
llwfrfil kerbelkraut (lat.«7T/b//»w; kilfer, fülle), rmnatigu ilieinanke (äugen),
sitprasttid, Superintendent (assistent?), luMokx liebstöckel (ital. htvistico;
stock), iylaim neben iihvin schleie (schleim), frisirnt vazierend (ver-).
4) Reste des mlid. auslaiitgesetzes.
§ 35.
Der iirspr. Wechsel: inlautend versclihisslenis, auslautend
versclilussfortis ist fast überall zugunsten der formen des inl.
consonanten aufgegeben worden; eine ausnähme bildet d nach
sonoren (s. § 13. § 105, 2). Im übrigen haben sich folgende
erstarrte auslautformen gehalten: *b — ^: JiqI^) axtstiel (mhd.
hal}), -hes); glp 'alp', gespenst, gedacht als feuriger, fliegender
strohschaub, vogel, rap (neben rä^(;) raub von bienen. *g — Ji:
für das bair.-österr. ist der Wechsel </ — /.'.^vorauszusetzen. Ein
lebender beweis dafür sind die ma., welche das mhd. auslaut-
gesetz fast noch in vollem umfange bewahrt haben, wie die
des Lesachtals mit den oben erwähnten Sprachinseln. Vgl. die
zarzerischen formen tcä/ix weg — dat. sg. und nom. acc. pl.
ifäiye; tQkx tag — iguge tage; parlix {pdrhx) berg — perge
berge u. s.w. Die ma. bietet folgende fälle: rwlxx\e\d\i (mhd.
rinc\ daneben riu). JgwLx lang (vom räume, dagegen h/u von der
zeit, mhd. adv. lange), Igwkxtvtdn langwiede; iiwJix jung; ggyl-x
gang (als räunilichkeit; dagegen ggu = reise), smwlcx schvvung,
rhjlxxmänr ringmauer, perkxn-crx bergwerk (auch ortsn.), wöJcx
weg (adv.), iaidcx Südwind (slow. j%). Vgl. auch die in § 116, 3
angeführten wfirter mit auslautendem Jix für k\
Anra. 1. AVährend rrvkr, Igolcx auch in den flecticrten formen hx
haben, heisst es gewöhnlich iuvge junge, iivgr jünger u. s. w.
Anm. 2. Aeltere lehnwörter des windisclien zeigen auslautendes k
in noch viel Aveitcrem umfange; vgl. raujlnlc rauchfang, j^dibrk Bleiburg,
r'nik ring, znhk schlag, nicbk neidig, zahk selig, u. a. Vgl. auch dhp, döup
dich, körji korb.
G. Vocalquantität und Silbentrennung.
§ 36.
Hinsichtlich der vocal- (bez. silben-) quantität zeigt die
ma. .'^tarke ausgleichungen, die in innigem Zusammenhang mit
^ 3fi MUNDAUT VON PERNEOG. 39
der sill)eiitreiiiiung" stellen, weshalb ich beides gemeinsam be-
handle. Zusammenfassend lässt sich sagen : die iirspriingiichen
(historischen) unterschiede zwischen kürze und länge haben
einem völlig neuen, phonetischen princip weichen müssen.
\\'eini ich im allgemeinen von 'kürze' und 'länge' rede, so sind
darunter nicht irgend welche absoluten grossen zu verstehen,
denn 1) sind die einzelnen vocale der nia. an nnd für sich
nicht alle von derselben dauer. Insbesondere beansprucht a
durchschnittlich eine längere zeit zu seiner articulation als
die übrigen vocale unter gleichen umständen. Im sg. strd stall,
ist das Q merklich kürzer als das a im pl. siäl, ebenso verhält
sich sg. ngxt zu pl. naxt. Langes ä neigt durchweg zur Über-
dehnung, in den taldialekten ist dies noch mehr ausgeprägt
als in unserer ma. Relativ am kürzesten sind / und u, die
übrigen vocale halten so ziemlich die mitte. Diese 'absolute'
vocahiuantität steht beiläutig in geradem Verhältnis zur grosse
des kieferwinkels, welche die articulation der einzelnen vocale
beansprucht und damit natürlich zu der zeit und arbeit, die die
Senkung und hebung des Unterkiefers erfordert [dazu scheint
eine erscheinung in der Zarzer ma. zu stimmen: i und u sind
hier stets kurz, während alle andern vocale in gewissen fällen
gelängt bez. diphthongiert sein können].
2) Kommt die anzahl der silben eines Sprechtaktes in be-
tracht. Sie steht in umgekehrtem Verhältnis zur silbenlänge
(vgl. Sievers, Phon.^ § 684 ff.). So unterscheiden sich die kür-
zeren a, i in siäU, tsify])lot deutlich von denen in sttü, islfr
u. s. w.
3) Was speciell die 'kürzen' anbelangt, so ist zwischen
Silben mit stark (stärker) und schwach (schwächer) geschnit-
tenem accent zu unterscheiden: je stärker der folgende con-
sonant bez. je stärker die schneidung, desto geringer ist die
dauer des vocals und umgekehrt. So ist das {> in (jst merklich
länger als in hgut. Jenes wäre etwa als 'unterkürze' zu be-
zeichnen.
4) Schliesslich sind natürlich auch die verschiedenen Stim-
mungsverhältnisse zu beachten. Die eindringlich belehrende,
ermahnende und klagende rede liebt die Überdehnung der
vocale, umgekehrt werden sie beim sprechen in erregter Stim-
mung über das normalmass hinaus verkürzt, vgl. dazu § 50.
40 LESSIAK § 37. 38. 3!)
1. Starktonige silbeii in nicht oxytonierten Wörtern.
§ 37.
^^'il• Jviamen zwei liauptregeln aufstellen: 1) in heute offener
Silbe sind urspr, kurze vocale regelmässig gedehnt, urspr. längen
haben ihre quantität bewahrt. — 2) In heute geschlossener
Silbe bleibt die quantität urspr. kurzer vocale erhalten, urspr.
längen werden gekürzt.
§ 38. Offene silben.
a) Sind die sonanten zweier silben durch einfache consonanz
getrennt, so wird diese in jedem falle zur zweiten silbe gezogen.
Aiun. Wenn ich von 'einfacher' consonanz spreche, so stehe ich
natürlich auf dem Standpunkt der heutigen Verhältnisse in der ma.; vgl.
hierzu § li.
Beispiele für die dehnung von einfacher consonanz:
a) vor r, l, n. Urspr. einf. lenis: .s^^z^r Spieler, jwmbirne;
urspr. geminata: Inla hülle, säU schälchen, pfgna pfanne.
ß) Vor Spiranten und h. Urspr. lenis: öfn ofen, st{)ld stahl.
Urspr. fortis: snfn schaffen, g^sn gasse, silir sicher, ivgsn waschen,
-/) Vor verschlusslenis: s{)än schaden, %w liegen.
b) Besteht die trennende consonanz aus verschlusslenis oder
reibelaut (und h) + sonorconsonant, so fällt die silbengrenze vor
dieselbe: pi-hndn beben, la-dh lädchen, mt-gla möglich, hp-fnr
hafner, mö-snr mesner, strl-läe strichlein.
Anm. Bei Verbindung von spirans + sonorcons. hört man daneben auch
die Silbentrennung hbj-nr, mös-nr. In diesem falle ist die silbe natürlich
geschlossen, der vocal kürzer.
§ 39. Geschlossene silben.
Steht zwischen den silbenträgern eine geminata oder eine
andere lautverbindung als die oben unter b) erwähnten, so
fällt die silbengrenze stets in die consonantengruppe. Die silbe
ist geschlossen, der vocal kurz. Nur Verbindungen mit t als
erstem componenten bilden zum teil eine ausnähme; isoliert
steht äpr aper, schneefrei.
a) Bei geminaten als silbentrennender consonanz sind die
silben stets stark geschnitten:
a) pp, kk: uQp-pl nabel, tsip-pfl zipfel, hop-psn hopsen, roh-hi
^ 39 MUNDART VON PERNEGG. 41
roo-o-en, nolc-lüidt nackt, icehlshi wechseln, ursprüngliche länge
ist gekürzt in l-hrQp-pfn krapfen, Mcq^pfn Stangenschlitten (mhd.
sleipfen) u.a.m.
/?) mm. Urspr. w???i: MÜQm-maW^awm {mhLldamme), prum-
niJii brummen (dagegen lilde-mDn klemmen, t-mr immer, giifri-mou
bestellen, zu mhd. vrämmen). Urspr. m nach kurzem vocal:
hgm-mr liammer, sgm-mdn schämen, sum-mr sommer (dagegen
ha-mrn hämmern, Icsä-me 'geschämig', schamhaft, he-mot hemd).
Kürzung urspr. länge: iom-mr Jammer {m\\^. jämcr), Jchrom-mr
krämer (mhd. Jirämcere; zu mm und tt \g\. § 14).
7) tf. Urspr. tt: smit-tn schmiede, hit-tn hütte, tut-ta brust-
warze (mhd. tutte\ dagegen lo-ta latte, mö-tn mette). Urspr. t:
slit-in Schlitten, tsit-tr zither, put-tn bütte, Ihut-trij kichern (mhd.
Icutercn), tut-tr dotter (dagegen sö-tn schatten, icö-tr wetter, fö-tr
Vetter, 'khrö-ta kröte). Affricata: Idirgt-tsn kratzen, söt-tsn setzen,
rot-tse rotzig; pQt-tsn filzschuhe, rut-tsn rutschen, plot-tsn grosses
pflanzenblatt. Kürzung urspr. länge: imt-tsn beizen, wat-tson
(mhd. ivekhi).
Eiue ausnähme bilden einige der stadtsprache entlehnten
Wörter und fremde eigennamen: stri-tse (neb. strit-tse) stromer,
««-fee'Ignaz, (/rrt-^5e Pankraz; Mianä-tse ?>\}i\z\)w\)Q^ scheint eine
art koseform zu 'canaille' zu sein; vgl. auch auslautend mards
Moritz (hausname).
Die Verbindung t + nasal oder liquida (in der Stellung
nach i, u natürlich ausgenommen) wird genau so behandelt
wie d 4- nasal oder liquida. Es heisst also prödrox collectiv
zu brett, stadle städtlein, Jisödne gesottene.
Nebeneinander hört man pddln mxd pe-tJn betteln; pet-ilr
hat regelmässig kürze. Fremdwort ist Indr Luther.
b) Vor Spirans oder sonorconsonant als erstem bestandteil
einer doppelconsonanz ist die silbe schwach geschnitten:
«) Spirans 4- verschlussfortis: höfdn heften, ivgx-tr Wächter,
fös-pr Vesper, kliQs-tn kästen, hm-lcr eidechse. Beispiele für
die kürzung urspr. länge: /7t/p/'-/fr klafter, liafdc {mM. hei ftec).
ß) Sonorcons. 4- verschlusslenis oder t, spirans oder sonor-
cons.: en-gl engel, tvun-dr wunder, pd-dr bilder, hgldn halten,
föl-sn felsen, f\n-fe fünf, stir-mds stürmisch, ler-ndn lernen, pamde
bäumchen.
42 TvESSIAK § 40. 41
c) Bei iiielii- als doppelter coiisonaiiz ist die silbe natür-
lich stets gesclilosseii, z. b. ay-Ua avtlicli, as-thi ästclieiij sirp-j)fn
{,iir-2)fii) schüi-feii (mild, i^chiirpfcn).
2) St'arktonige silben in oxytonis, bez. einsilbige
Wörter.
§ 40.
Die vocakiuantität verhält sich folgendermassen:
1) In offener silbe kennt die nia. nur lange vocale: du du,
so so, dö da, U.S.W.
2) In geschlossener silbe vor einfacher consonanz, bestehend
aus verschlusslenis oder dauerlaut {n stets, m zum teil aus-
genommen) ist der vocal lang: (jUd glied, tgg tag, siw sieb,
f'd viel, sncl schnell, man mann, nur narr, liöf hof, söf schiff,
sus scliuss, plöx blech.
3) Vor den verschlussfortes p, k, vor « und vor mehrfacher
consonanz ist der vocal stets kurz: a) Ichngp knappe, khrip
gerippe, snck' Schnecke; — tsopf v.o\)i, spgts spatz, irgts Schwätzer,
plil;x blick, alcs aclise, galcs plötzlich {m\\^.(jdhes\ sngps schnaps,
PQpst pabst, pgnt band, Igmp lamm, ivdt weit, mit stark ge-
schnittenem; — ß) Sri ft ^dmii, mlstmi^i, ^rpx^ tracht ; — ggns
gans, spr/" scharf, mgrx mark; — folg folge, 'irg arg; — harw
herbe, s/ö7n stellen; — W« ring, A'^p« gesang, mit schwach ge-
schnittenem accent. Isoliert steht fast feist.
4) Vor auslautendem m sind immer kurz die vocale g (o), xi,
alle übrigen lang, a) grgm 'gram', zorn, slgm schlämm, frum
fromm. Der accent ist in diesem falle stets stark geschnitten.
— ^) stlm stimme, stvem schwemme, läm lehm. Ausnahme:
m = *mn (nöm nehmen).
5) Vor t ist durchweg kurz das i. Alle anderen vocale
(auch u) sind lang. Die behandlung des u vor auslautendem t
steht also im gegensatz zu der vor inlautendem i. a) pit bitte,
mit schnitt, trit tritt, slt schütt (mit stark geschnittenem accent).
Ausnahme: stark betontes nd (auch mta) nicht. — ß) sät sud
(mhd. sut), füt Vulva (mhd. fut), stgt Stadt, plgt blatt, göt gott,
galtet gebet, möt met.
§ 41.
Dieselben quantitäts- bez. Silbentrennungsgesetze, wie sie
für die folge von vocal -\- sonorconsonant bestehen, gelten auch
§ 42. 43 MUNDART VON PERNEGG. 43
für die diphthonge: der uiisilbisclie bestandteil fungiert genau
so wie eine liquida oder ein nasal. Es heisst also fö-ir feuer,
Iw-h- leier, sä-ur 'schauer', liagel; — frcei frei, x)äu bau, nöi
neu, mit delinung des ersten componenten, dagegen mit kürze
desselben rml-in reiten, laii-tr lauter, Ichroi-ndn gereuen, xmhx
bauch, ncBid neid. Ebenso yerlialten sich fns früh, snqa schnee,
strga stroh. aber sio-hm schieben, nqa-in nötigen, igat tot u.s.w.
Nachtrag. Vor der auslautenden Verbindung -ru ist der
sonant sehr schwach geschnitten. Die quantität hält so ziem-
lich die mitte zwischen länge und kürze: ^)^>-w bohren, ^(rwgern,
daneben zweisilbig pQrn, genj.
3) Quantität in nebentonigen silben.
§ ^2.
In unterstarken oder mibetonten silben (vgl. § 44 f.) ist
der vocal stets kurz, der accent schwach geschnitten, z. b.
l.hrnnmvöt (mhd. Jcmnctritc), sjjiuairöta Spinnengewebe, tvcrlcstgt
Werkstatt, tsglpgr zahlbar, leronn lehrerin u.s.w\ Allerdings
sind je nach der stärke des nebentons unterschiede bemerkbar;
so ist das a in dem zweisilbigen pirpam birnbaum, entschieden
kürzer als in dem dreisilbigen öpflpam apfelbaum; fast zur
halblange wird es in dem pl. öpflpumr. Eventuell lang sind
•mittelstarke' nebensilben. Die vocalquantität ist nur um
weniges geringer als in der entsprechenden starktonsilbe: prun-
tröy brunntrog, icösrsgtj wassersäge, srccibfodr schreibfeder. Doch
beschränkt sich die länge nur auf die Stellung in pausa, bez.
am satzende. Im satzinnern wird zugleich mit dem nachdruck
auch die quantität vermindert, z. b. dr pruntrü-gis firte der
brunntrog ist fertig.
AVas für die ableitungssilben und scliwachtonigen compo-
sitionsglieder gilt, gilt im allgemeinen auch für die neben-
tonigen bez. unbetonten Wörter im satze. Vgl. dg tva-si niJcs
da weiss ich nichts (betont dg, icäs, t); ugnr nghr ivg-sggu
tat wenn er dann (et)was sagen würde (täte; betont icgn,
nghr, wgs, tat).
§ 43. Nachträge.
Da gewisse Wortklassen (partikeln, präpositionen. zum teil
auch die verba) im satze regelmässig einen schwächeren accent
44 T.ESSIAK § 43
tragen und demnacli statt der eventuellen länge kurzen vocal
besitzen, ist es begreiflich, dass dieser zuweilen auch auf die
Stellung der betreffenden wiirter in pausa übertragen wird.
So hört «man häutig / <ßic, i sqq, i rod für i (ßiv, sog u.s.w.
Hier kommt noch der einfluss der übrigen flexionsformen hinzu,
die in folge des antritts von consonanten regelmässig kurzen
vocal haben (vgl. du seiest, er soh, tvir sQgmr u.s.w.). Stets
kurz sind z. b. ivög, tstvis, gög, pcez, af wegen, zwischen, gegen,
bei, auf, wol, tvolivol, in Kärnten allgemein übliche beteuerungs-
partikel 'ja' (dagegen wul wol, adv. zu 'gut'), auch w^enn sie
mit besonderem nachdruck versehen sind. In energischem,
gebieterischem, ton gesprochene silben bez. Wörter werden
häufig verkürzt: stil still! dg da! so so! Durchweg kurzen
vocal haben die wirklich befehlenden imperative Igs lasse!, nim
nimm!, sau schau! Dagegen mehr bittend als befehlend Ige,
nun u.s.w. Andere ausnahmen sind durchaus analogischer
natur. So heisst das neutrum zu jm-«(! breit, Uirgd gerade, tvif
lebhaft, nicht 2^räts u.s.w., sondern präts, Jchrgts, ivifs. Man
hört neben einander Idpimsn und läpüsn (law + pUsn), glgshaus
und glgshaus glasliaus.
Je älter und fester die composition, bez. je isolierter die
form, desto mehr machen sich die allgemeinen regeln geltend;
vgl. gäxs jähes, aber gähs plötzlich (mhd. gähes).
Aiim. 1. In der älteren gnippe deutscher lehnwörter im windischen
spiegeln sich die ursprünglichen quantilätsverhältnisse mit ziemlicher con-
scqnenz wider. Der quantitativen Verschiedenheit im deutschen entspricht
eine Verschiedenheit der musikalischen accentuieruug im windischen: zwei-
uud mehrsilbige Wörter mit urspr. kurzem stammvocal sind musikalisch
oxytoniert, d.h. sie haben den hochton (') auf der letzten silbe; umgekehrt
haben solche mit urspr. langem stammvocal den hochton auf der Stammsilbe.
Einsilbige Wörter mit urspr. kurzem vocal sind kurz mit fallendem (') accent,
zuweilen auch lang mit steigendem accent ('), solche mit urspr. langem
vocal sind lang mit ebenem ton ('). Ich stelle die Avind. und rahd. formen
nebeneinander: a) hij.äUr — pjlasler, iämät — sumät, hähSx — habech,
häinf — humer, husatlt — vazztn, iäfatd — admffen, iösdx — ezzicli, Icr^hä
— kresse, hülä — hüt(e, ilnats — sinnen. Dagegen ma?,<aia — malen, papai
— bäbes, tsila — züe, Mlata — ilen, nftaS — *noßtesch, r^ia — rose, müta
— mute; — • h) hr^nt — grünt, bl^Jc — vlec, hnäx — smaeh, llcäf — schaf.
J-)agegen rät — rät, nid — nit, hyt — sehr 6t, rüt — *rüt (gereut). Die
ausnahmen beschränken sich so ziemlich auf die Stellung urspr. kürzen vor
l, T, h und deren Verbindungen.
§ U. 45 MUNDART VON PERNEGG. 45
Aum. 2. Zur silbcutreiniung wäre noch uachzutrageii, dass dieselben
regeln, wie sie für den wortinlaut festgestellt wurden, auch für den Satz-
zusammenhang gelten. Die sätze ts^n öhh is a pisl an öivdst ä giot zum
essen ist ein bischen (ein) obst auch gut, i pit in nü ich bitte ihn nicht,
wökx is i' weg ist er, werden demnach folgendermassen gesprochen: tS9 —
nö — sn — })/ — sa — p/s — Ja — nö — ivos — tä — guot, i — jjrt — ti — nit,
iröJc — Ih i — • s^-.
Schliesst ein wort mit silbischem nasal oder /, so wird dieser bei
vocalischem anlaut des folgenden wertes in zwei teile, einen silbischen
und einen unsilbischen aufgelöst, z. b. nödl — lis nadel ist, petn — rmnt
beten und, u.s.w. Bei r dagegen wird der silbische teil gewöhnlich durch
i ersetzt: fotr, aber futa-rä vater auch, seltener foti--rä.
II. Zui' kenntnis des aoeents.
1) Dj'iiamisclier acceut,
§ 44
Ueber den djmamisclien silbenaccent habe ich bereits ge-
legentlicli der besprechmig der Stärkeverhältnisse der conso-
nantenarticnlation nnd der silbentrennnng die notwendigsten
aufschlüsse gegeben. Ich wende mich daher zum d3'namischen
wortaccent. Es würde mich zu weit führen, auf eine er-
schöpfende behandlung desselben einzugehen. Die folgenden
angaben beschränken sich auf das aller wichtigste.
Die hauptregel ist: die Stammsilben tragen den haupt-
accent, die nebensilben sind verhältnismässig schwächer. Es
lassen sich im allgemeinen etwa vier stärkestufen unterscheiden,
die natürlich selbst wider schwankuugen unterworfen sind.
Ich bezeichne sie mit stark- oder haupttonig (1), mittelstark
(2), unterstark (3), schwach oder unaccentuiert (4). Unter
"nebentonig' fasse ich die stufen 2 und 3 zusammen. Gelegent-
lich verbinde ich die Zahlzeichen mit den exponenten a und b,
um die gr(3ssere oder geringere stärke der einzelnen stufen
ausdrücken zu können.
§ 45.
Von einfluss auf das relative Stärkeverhältnis der Stamm-
silbe zu den nebensilben ist:
a) Die schneidung der Stammsilbe. Je schwächer diese
geschnitten wird, bez. je grösser die dauer ihres sonanten und
je geringer die Intensität des (der) anlautenden consonanten
4(1 LESSIAK § 45
der uebensilbe, desto mehr wird die stärke der letzteren lierab-
gedrückt. So ist das -le (-lein) in hhapple stärker als in fisle,
und in diesem A\-ider kräftiger als in äle. Ebenso verhalten
sich die .-(', -n, -l in liansc — plöse, pittn — gtn, liitÜ — stall.
b) Die beschaff enheit der nebensilben selbst, d, h, ihre
quantität und die qualität des silbenträgers.
a) Schwach sind nebensilben mit silbischem nasal oder
liquida und d als sonanten: tgäl, iventn, folr, tämos, mibx, liir-
tvdst. Doch kann man auch hier unterschiede wahrnehmen;
so ist das -dt = *-olit, -eht etwas stärker als die verbalendung
-dt; vgl. öhlcdt eckig : öMdt eggt, neidet gestreift {*rkkht) : IcekUt
leidet. Die obere grenze der schwachtonigkeit bildet etwa das
-dn = *m^ z. b. Jiütson (mhd. hühin).
ß) Unterstark sind die nebensilben mit vollvocalen: Jiceifte
häufig, {)ld alle, anta ente, lianüa heimlich, ivirtm wirtin, mäniu
meinung, ceiliw uhu, Ig^iks^m langsam, anfgx einfach, poshgft
boshaft, fmntsgft feindschaft, srölixpQr schreckbar, rwJihceü
leichtigkeit. Die beispiele sind beiläufig nach den stärke-
graden der nebensilben geordnet. Am schwächsten sind -e, -a,
am stärksten -ligft, -sgft, -pgr, -Idiceit.
c) Der rhythmus. In dreisilbigen Wörtern hat bei un-
betonter zweiter die dritte silbe einen stärkeren nebenaccent
als eine silbe derselben art in zweisilbigen. Vgl. sauwrhJmit
(1:4:3a) zu s^anhcmt (1 : 3). Damit hängt die erscheinung
zusammen, dass compositionsglieder an zweiter stelle häufig
völliger abschwächung zum opfer fallen, während in folge des
rhythmischen nebentons an dritter stelle der vollvocal erhalten
bleibt: tL-fcimpr Weinbeere, .y«v>ri^.s;^>r schwarz- (= heidel-) beere,
prgmpr brombeere u.s.w., aber rüdlpir, stghlpir grosse und
kleine Stachelbeere, paslpir Sauerdorn; wcrxtc, lohte, suntc werk-,
leb-, Sonntag, aber föeirtgy, ngmnidnstgy feiertag, namenstag u.a.;
vgl. dazu das in § 89. 75, 2, anm. über -le, -l- -liceü, -Jut gesagte.
Steht in der zweiten silbe -Im, -fgx, -Sgft, -pgr, -Jchceit und
ähnl., so trägt diese, wenn die dritte ein -e, -a oder schwach-
tonig ist, den nebenaccent. Die silbenstärke verhält sich un-
gefähr wie 1:3:4: dnfojie, hersö/tn, stdndVmgr,p6s}iäfte, tüm-
hceitn. Indes ist er hier merklich schwächer als in dem ent-
sprechenden zweisilbigen worte. In fällen wie prduxpö^re Ideit
§ iG MUNDART VON PERNEGG. 47
brauchbare leiite, werden die beiden nebensilben zwar ziemlich
stark lierabgedrückt, aber die erste bewahrt stets die Über-
legenheit über die zweite. Dasselbe gilt z. b. auch noch in
lidhsoftn frgösn liebschaften vergessen, trotz des rhythmischen
nebentons auf der dritten. Das Verhältnis ist etwa 1 : 3b : 4a
: 4 : 1 b : 4. Steht eine der erwähnten schweren nebensilben
an dritter stelle, so ist ihr die zweite silbe immer unter-
geordnet: jirauxporlcliceit (1 : 4a : 3) brauchbarkeit. In fällen
"wie firtige fertige, pirlilmie birkene, gmisthne geistliche, icir-
iinon Wirtinnen, IcuJcsomr langsamer, haben die beiden neben-
silben ungefähr dieselbe silbenstärke. Folgt noch eine dritte
nebensilbe, so wird die erste schwachtonig, die zweite trägt
den nebenaccent; z. b. honse] firtigr pdli]i'öm{dn) habe sie] fertig
(als fertige) bekommen, etwa la:4:3b:4:lb: (4). In dem
viersilbigen liamlihhceitn heimlichkeiten, ngxprsoftn nachbar-
schaften, ist die dritte silbe kräftiger als in dem dreisilbigen
hamlikhmt, noxprsgft.
§ 46. Composita.
a) Das Verhältnis 1 : 3 bez. 1:4:3a, welches für die
schweren ableitungssilben gilt, herscht auch in solchen Zu-
sammensetzungen, ß) in denen der zweite bestandteil seine
Selbständigkeit verloren hat, d. h. als simplex nicht mehr vor-
kommt, aber doch seinen vollvocal erhalten hat. Hierher
gehören z. b. die composita mit -ukjI: noxtnwl nachtmahl,
mdVogmnl mittagmahl; -stow: gortstgiv (mhd. gartsiap) stachel-
stock zum treiben, ligntsUjw handstab bei der drischel; -tverx:
hjntwerx handwerk, tögwerx tagewerk, desgleichen in den
häufigen collectivbildungen wie sioivcrx menge von schuhen,
kJirödwerx gerede, khindnverx 'kinder', rumplivcrx gerümpel,
u. s. w.
Anm. In Wörtern wie lötslt lebzelt, Iceinsdt (mhd. linsät), rgapr erd-
(rot-) beere u. s.w., in denen völlige Schwächung des grundwortes ein-
getreten ist, sind natürlich die nebensilben durchweg uuaccentuiert. Drei-
silbige wie iva'iiuxtn Weihnachten, l/iäicasr 'käsewasser', entsprechen so
ziemlich den oben erwähnten firticjc, hnmbne.
ß) In welchen das grundwort nicht mehr in seiner eigent-
lichen bedeutung gebraucht wird oder doch in einer anderen
als das simplex. So die composita mit -stgt (=^ statte) : prontsUjt
48 LESSIAK § 46
bramlstätte. irerlshf Werkstatt, Wiöglstgt kegelbalin; -pQu: wisj^gn
eisbalin, a^isnpgn eisenbalm; -hof-.jifiyrhofi^tmTliof, fncithofhied-
hof; -l-hncxt: {röslchncxt rosskiiecht 1:2; dagegen dühUrldmext
(lieieckiges. beim dachdecken verwendetes gestelle, ngtrkhnext
heftkissen der näliterinnen, mit 1:4:3a), vgl. noch ä^anspot
dienstbote, lidxtmüs lichtmess (dagegen friomös frühmesse 1 : 2),
wauxprun weihbrunn (= wasser), fcülnjmp feierabend, h/nlcxivKil
langweile. Ferner gehören hierher:
7) Häufig gebrauchte Zusammensetzungen, die zu einer
gewissen einheit versclimolzen sind. So die zusannnensetzungen
mit -pani bäum: pirpam, Mierspam, nuspam, wispam, axpam
birn-, kirsch-, nuss-, wies-, eichbaum; -Icbü leute: liausloeit,
praüüwit, iccehvrlcBit haus-, braut-, weiberleute; -haus: mar-
haus, Wirtshaus, sudlhaus meier-, wirts-, schnlhaus; -stühm stube:
p<^tstiihm, marstuhm, rauxstul)m,prvhJstuhm bad-, meier-, rauch-,
brechelstube ; -kein: rngntsrnn, nceiswhi mond-, neuschein (= neu-
mond); -rngn: fiirnnm, tsnnrmori Mir-, z\mmeYm8iJiJi. Vgl. ferner
tisplot n. tischplatte, hcryot herrgutt, tctitsignt, nisJgnt Deutsch-
land, Kussland, peisnur betschnur.
ö) Moderne, der Schriftsprache entlehnte bezeichnungen wie
u-Qrts{tl Wartesaal, fgrplan fahrplan, sneltsug Schnellzug, lösepudx
lesebuch.
t) In übertragener bedeutung gebrauchte Wörter und
schelten: sicceinstgl = unsauberkeit (1:3; dagegen = 'schwein-
stair mit 1 : 2), holtsivög 'holzweg' (= irrtuni; dagegen trlwög
triebweg), satipud saukerl, rotspuo, saimiggti, saupartl u. a.
b) Dagegen ruht in Zusammensetzungen, in denen eine
solche Verschmelzung der beiden begriffe nicht stattgefunden
hat, das grundwort nicht wie in den obigen beispielen zu einem
weniger bedeutungsvollen bestandteil herabgesunken ist, auf
diesem ein starker nebenton. Das Verhältnis des hauptaccents
zum nebenaccent ist ungefähr das von 1 : 2 ('mittelstarke
Silben'). Es ist nicht zu verkennen, dass die mehrsilbigkeit
des grundworts dabei eine rolle spielt: zwei- oder mehrsilbige
grundwörter, zumal solche mit langer Stammsilbe, verlieren
nur selten ihren starken nebenaccent (vgl. dazu die angaben
über quantität und tonhöhe § 42. 52).
Beispiele: j>roa/a^ brotteig, spDtsirtvög s^SivAerweg, saudirw,
Jchiodirn sau-, kuhmagd, 6'/r(^aJta; Strohdach, A/mi/s/ö/kindstaufe,
§ 46 MUNDART VON PERNEGG. 4Ö
2)crJistoJiX berg'stock. wnsrsof/ wassersäge, ra'istusjris reistenspiess,
kvolhmnüst Schwalbennest, IM^apröhn kleebrache, tgmpfnncU
dampfnudel, hQr{n)möndt hornmonat (februar), Jchlevkhöfr hirsch-
käfer, spcnfalhl junges ferkel, tsontliüihdt zahnlückig, sivortsaucjdt
schwarzäugig, IwicrnUsl taubnessel, füdrwösr federmesser, pau-
liDnisindin bauchentzündung, u.s.w.
Die erwähnte betoniingsAveise herscht nur im Satzausgang
oder in pausa, im satzinnern verliert das grundwort bedeutend
an stäi'ke, vgl. on dr oastrivöJm 4:4:1:4:2:4, dagegen on
dy oastrwohn-nisr Jchömon 4 : 4 : 1 : 4 : 3 : 4 : 4a : 4 : Ib : 4 in
der osterwoche ist er gekommen.
c) In compositis mit mehr als zwei gliedern von der art
(a + b) + c verliert das zweite glied an nachdruck, das dritte
kommt dem ersten an stärke nahezu völlig gleich: tsinthöltsl
1:2:4, dagegen tsinthöltsUaxtsle 'zündhölzchen-schächtelein'
1:3:4: lb:4:3b; pamprüx beinbruch 1 : 2, dagegen pani-
pruxr(^asle 'beinbruchröslein', gänseblümchen 1 : 3b : Ib : 4a;
ähnlich aitfort auffahrt (d. i. himmelfalirt) 1 : 3, anfjrtMog 1
: 4a : 2. In Zusammensetzungen von der art a n- (b + c) tritt
aus rhythmischen gründen häufig accent Verschiebung ein:
piraufJögu (1:3: 2) biei'auflagen, lüxlgntsüitn licht anzünden,
lömpridftrhgr landbrief träger, feltmarsäl feldmarschall. Doch
Vgl. pdtsirhshanpmon (neben pDtsirlshdupmgn bezirkshauptmann,
frön tsprgntiva'in f ranzbranntwein , peltslchcrspam pelzkirsch-
baum, ähnlich crtspisof erzbischof.
d) Ungefähr gleich stark betont sind die compositions-
glieder in Zusammensetzungen mit Un-, irts-, haup-, mitrts-, risn-,
2)c)-)j; ents- {unents-), wenn diese nur zur Verstärkung des be-
griffs dienen, z.b. imtoifl niiteiiM, ^m/^^^c?r riesenf uder, irtsranwr
erzräuber, irtslunq) erzlump, murtsJchauijdmowMnild, haupingur,
haupsijlbm hauptlügner, -dieb, rlsnlakld, pcydulcld ein riesen-
haft, bärenmässig grosser mensch, cntsdrum riesenstück {ents
=^ 'endes'). Mit gewöhnlicher betonung dagegen etwa fixslcherl
'viehskerl', durchtriebener kerl, dröLunandl, ioijl{ü)mandl dreck-,
teufelsmännlein.
Schwebende betonung herscht auch bei adjectiven wie
Idiüsplax käsebleich, grgsgrqan grasgrün, lutfrcni, luttalän ganz
fremd, ganz allein, poitsnföl voll wie ein blutegel (poitsa), fut-
nglclidt ganz nackt, nürglt meeralt, stolcxla^Us, -irind.hs stock-
üeitriige zur gcschiclile Jci Jeuuclicii spräche. XXVlll. ^
50 LESSTAK § 47
deutsch, -wiiidiscli. unilJu-äx nudehveicli. Oft wird der accent
geradezu auf das zweite giied verschoben: stolixivindds. In
der flexion dagegen ist dieses nebentonig: a Idirmtspräfr ments
(1 : 2 : 4), snmicci'ise hör, a stwhrfanU lu,idr ein kreuzbraver
mensch, schneeweisse haare, ein stinkfaules luder.
" ^ 47. Hauptaccent auf nebensilben.
Accen turnst eilung.
a) Die hauptmasse der hierher gehörigen beispiele bilden
fremdworter bez. W(3rter mit fremder ableitungssilbe: lanir
lineal. pgxyir papier, l-haiiiöde komödie, maierc 'materie', eiter,
matrosinj 'maturescieren', eitern, fatcnkx isibiik, liidncei litanei,
srwkcDrcei Schreiberei, sinirn sinnieren. Dagegen mit Zurück-
ziehung des accents sobt salat, sjwfjdt spagat, mos anis. Zahl-
reiche beispiele liefern hiefür die Ortsnamen slow, herkunft,
z. b. tr^afn Treffen (wind, trchme), filox Mllach (wind, hlak,
^belaJ,-), pöbnits Polenitz (wind, polanitsa).
Fremde eigennamen haben als Ortsnamen in der Verbindung
mit 'sanct' fast durchweg den ursprünglichen accent bewahrt,
vgl. SQuJcx milwdl, itriugn, dndr^a, morgreain, madl^an, fdippm,
iohöns St. Michael, Urban, Andrä, Margarethen, Magdalena,
Filippen, Joliann (doch stets srmkx nmin St. ]\fartin). Diese
betonungsweise liegt auch den meisten volkstümlichen kose-
formen zu gründe: lij^, le/ma, n^asa, hids Philipp, Magdalena,
Agnes, Matthias, u.s.w. Als vornamen verwendet haben sie
den accent auf der ersten silbe: whan, fdip, mihi, urtvan, ödom
(Adam). Es scheinen hier rhythmische gründe ausschlaggebend
gewesen zu sein, vgl. sg^kx tniheal, aber 'Michael Köfler'.
b) Offenbar der Schriftsprache entlehnt sind hm ende leben-
dig (neben eclit mundartlichem löbmte), freln forelle (in nachbar-
dialekten findet sich nocli forhti = mhd. vorhen), faidcntsn
faulenzen. Etymologisch dunkel straicdntsn herumschlendern,
slmvduhr weiberrock.
\'on Zusammensetzungen mit accent auf dem zweiten
b(^st and teil wären zu erwähnen die ui'spr. adjectivischen Ver-
bindungen mdt()(j mittag, müruQxt mitternacht, saurgnipfr Sauer-
ampfer; Zeitbestimmungen wie oastrmonte Ostermontag, khgr-
frckitii karfreitag, gntbspfi nieste gründonnerstag (mhd. ''aniläz-
pjinztuc), /ihirhm^nte montag nach dem kirchtag.
§ 47 MUNDART VON PERNEGG. 51
Ferner firsfjrisoffnvsWn^diof. crishcrtsog erzherzog', rauwr-
huupmQU räuberliauptuianii, polcsire (neben })()ksire) naseweis
{'^büg-schirec streit-, prahlsücbtig), groasmexte, longmexte gross-,
langmäcbtig.
Composita mit negierendem un- (ma. um-) baben durdnveg
den ton auf diesem: ümmigla unmöglicb, ümfräqant unverdient,
ümgrte unartig. Eine ausnabme bilden dnäonlcst {mXi^.undanTxCS,
s. § 122 b) und dnlcha'it (s. § 34).
Bei zablwörtern von 20 — 100 bort man neben der regel-
mässigen betonung tswädgxtsJc 82 u. s. w. zuweilen auch tstca-
(Igxtsl-, doch nur ganz ausnahmsweise. Bei Zusammensetzungen
mit -kiindrt und -iausnt wechselt der accent je nach ihrer
syntaktischen Verwendung. Es heisst gewöhnlich tstvalnmdrt,
tsivatdusnt, dagegen in attributiver Stellung tsicdhundrt, tsivd-
täusnt guldn 200, 2000 gülden.
Zu Verbindungen wie mar-grogr Meier-Gregor, vgl. § 122 c, a.
c) Eine ausnahmestellung nehmen zum teil die zusammen-
gesetzten Ortsnamen ein:
a) Den accent auf dem bestimmungswort haben stets die
composita mit -herg, -lach, -dorf, -fehl, -hof, -iveg: Mmhliverg
Himmelberg, JchÖstm2)(rg Köstenherg, «n^/rjJOT/ Unterberg, ösdx-
pcrg Ossiachberg; — ivceismpox Weissenbach; — ^ö^nc/cv/ Satten-
dorf, j)/o/)if/o>/Pfaffendorf, ««7t?c7o,'/]\Iicheldorf; — Öbmfclt Eben-
feld, 67cp//(?2/6'?/ Schleichenfeld, zrfe/fji.s'/HnVeitensfeld; — söntlwf
Sandhof; — rcnuög Rennweg. Ebenso die mit -bürg zusammen-
gesetzten: möswurg Moosburg, plckmurg Bleiburg (die einzige
mir bekannte ausnähme ist Iharmpihg Karnburg [''Karanta-
burc]). P'erner solche auf -bühel, -graben, -iruitcn, -bodcn:
(nnmdspild Ameisbichl, grütsgrQbm Grilzgraben, mceitrQtn Mai-
tratten, kkunpodn Schaumboden; vgl. auch püosadn l^ucli-
scheiden, pälrggsu Patergassen. Desgleichen die Zusammen-
setzungen mit ober- und unter-, z.b. öwrtsern, üntrtsern (-Tschern).
Dagegen ruht der accent in Ortsnamen auf -cclc, -stein, -tal,
-tiiyn; — -liofcn, -Ic'nclicn, -liausen, -statten, -eben, -ivässcrn,
-brächen stets auf dem grundwort (die meisten sind urspr.
genetiv- oder adjectivverbindungen). Vgl. ghcohx Albeck, liga-
höhx Hochegg; — wtrastdn Dietrichstein, grUtan Arnoldstein,
rgatnstän Rotten- (besser Roten-) stein; — 6'r»/o/ Ehrenthal;
— rgatntnrn Rotcntnrn. fra'hntnrn Fr«nentuni: — stglhöfn
52 LES8IAK § 48. 49
Stallliofen, (ßanlwfn Glanliofen, Jchrantslköfn Kranzelliofen, oli-
liöfn Althofen; — feWiirhn Feldkirchen, tsivavhhirhn Zwei-
kirclieii; — crnhdusn Ehreuhaiisen; — pitsJstotn Pitzelstätteii;
?/aj7c>6?;?Liecliteben; — tswis{n)icasyn Zwisclieiiwässern, u.s.w.
Hierlier geliören ferner die dreisilbigen auf -au, z. b. rmi-
liDnau Eeiclienaii; vgl. dagegen tvolfa Wolfau, gneasa Gnesau.
Weiter geuetivverbindimgen : fridldx Friedlacli (urk. Fridelos-
ciche), jjer««a'Peniach ('Bäreneiclie'); ?/3&«/e7.s Liebenfels, lonts-
Jihr gan L^ndskroii; etj'mologisch dunkel ist l-Jdogufiirt K\sigen-
furt. Adjectiv Verbindungen: hrFtliulstot Reiligenstsitt (fälschlich
'Heiliges gestade'), pqasnJolckn Büsenlacken, p^asnökhi) Pess-
neggen (eigentl. Bösenecken), Igugölhr Langacker, mitewölt
Mittewald, gltnmörlcx Altenmarkt u. a.
Aum. Sonst kommt eine abnormale accentuieruug- nur in der ma.
(liclitung vor, bedingt durch den zwang- des rhythmus; vgl. etwa lidhm
h'jhm — oicr hamla hamlä — hei a liumhne Jiaw is shs — namla iimiüü
(lieben, lieben — , aber heimlich, heimlicli, nur eine heimliche liebe ist süss,
— freilich freilich!). Besonders reich daran sind die kinderreime.
§ 48. Satzaccent.
AVas den satzaccent anbelangt, so stimmt die ma. in den
grundzügen mit der accentuierungsweise der Schriftsprache
überein. Von einer speciellen erörterung der einzelnen ab-
weichungen sehe ich vorderhand ab, da sie in allzu enger
beziehung zur syntax stehen. Ln übrigen verweise ich auf
den folgenden abschnitt.
2) Tonischer accent,
§49.
Ich beschränke mich in diesen ausführungen darauf, die
richtung dei- tonbewegung im allgemeinen anzudeuten. L^gend-
welche absoluten angaben über tonhöhen zu machen, bin ich
in folge mangelhafter musikalischer Vorbildung nicht in der
läge. Eine genauere darstellung einzelner tatsachen, wie die
tonlage einzelner Wortklassen, casus u. s. w. behalte ich mir für
später vor, da sie bei den verwickelten Verhältnissen der ma.
tonführung einen besonders schwierigen gegenständ der Unter-
suchung bilden und vor allem einen längeren aufenthalt in der
heimat erfordern.
§ 50 MUNDART VOX PEKNEGG. 53
§ 50. Satzaccent.
Ich beginne mit dem satzaccent. Die ma. kennt zwei
arten der 'intonation'. ') Icli will sie als fallende (I) und
steigende (II) einander gegenüber stellen. Für die erste ist
es charakterist iscli, dass im gewöhnlichen aussagesatz alle
starken silben zugleich hochtonig, alle schwachen tieftonig
sind. Die zweite steht dazu in gerade umgekehrtem Ver-
hältnis: die starken silben sind tief, die schwachen hoch.
Die angaben Schiepeks (Der satzbau der Egerländer ma.
§ 4 ff.) über die musikalische betonung seiner ma. lassen, wenn
ich mich nicht täusche, auf eine ähnliche doppelheit der ton-
bewegung schliessen. Jedenfalls dürfte sie weit über unsere
ma. grenzen hinausreichen. Die Verteilung der beiden Systeme
beruht auf dem gefühlscharakter des gesagten bez. der ver-
schiedenen gemütsstimmung des sprechenden.
Intonation I. durchweg die gewöhnlichere, herscht sowol
in der ruhigen affeclloseu mitteilung, als auch beim berichte
interessanter begebenheiten, im befehl, in energischer selbst-
beAvusster rede, und dient ferner zum ausdruck einer besonders
freudigen oder ärgerlichen Überraschung (Verwunderung).
Intonation II (verhältnismässig seltener) wird gebraucht
zum ausdruck der gleichgiltigkeit, resignation, Verzweiflung,
des klagens, bedauerns, des wolmeinenden väterlichen rates,
milden tadeis und massiger Verwunderung. Sie wird weiter
häufig angewendet in der objectiven erzählung (märchen, sage),
bei gleichgiltiger widerholung der rede eines dritten, in pathe-
tisch gefärbter, würdevoller rede (feierlicher anspräche), in
der zurückhaltenden redeweise mit höher stehenden personen.
Das tempo ist hier weniger rasch, die intervalle kleiner,
die gesammttonlage tiefer.
Im allgemeinen lässt sich sagen: je subjectiver die rede,
desto mehr wird die erste art der intonation bevorzugt, je
ubjectiver, desto mehr neigt man zur zweiten. Es ist klar,
dass sich öfter kreuzungen ergeben, dass man während eines
gesprächs plötzlich umspringt u.s.w. Die Vorliebe für die
mehr oder minder häufige Verwendung der einen oder andern
•) Vgl. E. Sievers, Ueber sprachmelodisches in der deutschen diclituiig.
Leipziger rectoratsrede 1901.
54 LESSIAK § 50
art liängt vielfach yon der persönlichen Veranlagung (dem
teniperament) der individuen ab. Weiber bedienen sich der
Intonation II durchschnittlich wol liäufiger als männer, und
ausserhalb der ma. wird sie in der etwas abgetönten con-
versationssprache besserer kreise in sehr ausgedehntem masse
angewendet. Bei sinngemässem nicht pointierten vorlesen habe
ich sie in unseren gegenden recht häufig beobachten können.
Das gesagte mögen die folgenden beispiele verdeutlichen
(die hochtoustelle ist mit hochgestelltem, die tief tonstelle mit
tiefgestelltem punkt vor dem betr. wort bezeichnet),
/ 'Was nit iconr ivet Mwm{.m) \. Entschieden und be-
stimmt: 'ich weiss nicht, wann er kommen wird'. Dagegen
i Acas nit ivgnr ivet l-]iöm{9n) y, unsicher, zweifelhaft, etwa
*'ich weiss nichts bestimmtes, wann er wol kommen wird', oder
mit dem nebengedanken 'wie soll ich es denn wissen, was geht
das mich an?' Auf die frage 'was hast du gemacht?' erfolgt
entweder die bestimmte antwort mit hochtoniger Starktonsilbe,
z. b. 'pcmüan lion i ceinlcsötst "^ 'bäumchen hab' ich ein-
gesetzt' oder die mehr indifferente .pamlan hon i winlcsötst / ,
etwa 'nun, was soll ich denn gemacht haben, bäumchen hab'
ich halt eingesetzt'.
lud nr 'dg plceibm /\ 'bleibe nur hier', gewöhnliche auf-
forderung; ho nr .dg plceibm y, sanft, liebevoll ermahnend,
bittend, besänftigend. Barsch, gereizt heisst es i g^a 'hani x,
dn (jgntsn ghmp l<el 'spiln v, dos 'mgg i nit f\, 'ich gehe
Iheim, den ganzen abend bloss spielen, das mag ich nicht'.
Dagegen misgelaunt, verdriesslich / (jqa .ham "^j du gontsn
ghwj) la-l .spiln f\, dos .mgg i nit '\
\.
Den plötzlichen Übergang aus der einen tonführung in die
andere zeigt folgendes beispiel: is is tvol 'rixte a Jchneits af dr
ivclt — mon ivas sgn 'n^anir, tvgs mdn soll 'gnhöhm: .de/ins-
2)0 tn sint glivmil ivqanigr, s Jräd hglchan wert mer — ig ivohm
ivcmr den 'UiötU on gotsngm mitr tvml? 'es ist wol wirklicli
ein kreuz auf der weit, man weiss schon nimmer, was man
anfangen sollte: dienstboten sind alleweil weniger, das ge-
treide hat keinen wert mehr, ja wohin werden wir um gottes
willen mit der zeit kommen?'
§ 50 MUNDAKT VON PERNEGG. 55
Die tonbewegimg der sechs Sätze ist folgende:
1) /x 2 und 3) A. 4) . 5) . 6) a
\ A / ■ ./ \ .
1. 2. 3 und 6 haben fallende, 4 und 5 steig:ende tonbeweg'ung.
In jenen kommt die subjective erregung (ärger) zum ausdruck.
diese bilden sozusagen eine art parenthese, eine einfache hin-
deutung auf eine feststehende tatsache. Die Sprechweise ist
hier verhältnismässig langsamer.
Die umkehruug stimmt ziemlich genau bis auf den völligen
schluss eines satzes bez. zusammenhängenden Satzgefüges. Hier
kennt die ma. von der letzten starktonsilbe ab in der regel
nur fallenden accent.
Die grosse des Intervalls hängt ab vom affect der rede.
Je stärker der exspiratorische accent der einzelnen silbe, desto
mehr unterscheidet sie sich in der tonlage von der Umgebung.
Vgl. das aufgeregt gesprochene g(^ats 'häm, dö 'kJno is hin ivgr»
'^\^- Dagegen einfach aussagend du 'klina is mr hin tcorn
^^-"--^ 'geht heim, die kuh ist verendet!' — 'Die kuh ist
uiir verendet.'
Fragesätze haben im allgemeinen dieselbe richtung der
tonbewegung wie aussagesätze, sie unterscheiden sich von
ihnen nur durch die Verschiedenheit der Intervalle.
Im fragesatz ohne fragewort wird die mit nachdruck ver-
sehene silbe stark in die höhe getrieben (was ich durch hoch-
gestelltes ■■ bezeichne), die vorausgehenden silben (wörter)
habeu eine relativ etwas tiefere tonlage als im aussagesatz,
die nachfolgenden eine relativ höhere. Beim fragesatz mit
fragewort ist, vorausgesetzt dass dieses selbst unbetont bleibt,
die tonlage der starktonsilbe nur wenig höher als im aussage-
satze. In ungefähr demselben Verhältnis werden die voraus-
gehenden und nachfolgenden silben gehoben. Die Intervalle
sind also hier verhältnismässig am kleinsten; z. b. er g^at • fuH
er geht fort; g^atr "furi geht er fort? tvcr y^atn -fürt wer
geht denn fort? •ncr (je^ut fiirt wer geht fort? er wet -ham-
<je,an er wird heimgehn; ivetr " hamgean wird er heimgehn?
wer ivetn •hamgean wer wird denn heimgehn? •icer tcet ham-
gean wer wird heimgehn? Der zuletzt angeführte fall (frage-
■V
56 T.ESSIAK § 51
satz mit betontem fragewort) unterscheidet sich gar nicht von
einem gewöhnlichen aussagesatze mit betonter silbe an ent-
sprechender stelle. Die antwort "iiqamp ivct hamgqan 'niemand
Avird heimgehn', hat nicht nur dieselbe richtung der tonbewe-
gung, sondern auch die tonlagen der einzelnen silben entsprechen
sich vollkommen.
Intonation 11 ist in fragesätzen ihrem Charakter entspre-
chend, da sie ja das subjective interesse besonders in anspruch
nehmen, recht selten. In einer rede, die im allgemeinen mit
steigender tonbewegung gesprochen wird, springen die frage-
sätze regelmässig um. Doch vergleiche etwa das gedehnte bieder-
männisch-gemütliche 7i{> wio .geats ^ 'na, wie geht's?', neben
dem gewöhnlichen, in fröhlicher laune mit einer gewissen Zu-
versicht auf eine bejahende antwort gesprochenen no wio 'g^ats
/, das bittende, fast betrübt klingende g^ast öppr son Jiäm
\^ 'gehst du etwa schon heim? (ach bleibe noch ein wenig,
es ist ja noch zeit u.s. w.)' bez. werst öpin- son Juimgean
mit steigendem wortaccent in hämge^an, vgl. dazu unten.
Es ist natürlich eine ausserordentlich schwierige sache,
die Stimmungsverhältnisse, welche die einzelnen formen der
tonischen accentuierungsweise bedingen, durch blosse Schlag-
wörter richtig zu beleuchten. Eine häufung isolierter beispiele
würde die Verhältnisse wol kaum verständlicher machen. Am
besten wäre es vielleicht, sie an einem längeren Zwiegespräch,
das mit einer reihe von glossen und hilfszeichen versehen werden
müsste, näher zu erörtern, was jedoch über den rahmen dieses
aufsatzes hinausgienge.
§ 51. Tonischer wort- und silbenaccent.
Im isolierten wort fallen unter normalen bedingungen
stark- und hochton, neben- (schwach-) und tiefton zusammen.
Also Säle schälchen, mit hochton auf der ersten, tief ton auf
der zweiten silbe. Die tonhöhe der nebensilben richtet sich
nach dem gewicht der einzelnen silbe. Je grösser ihre dyna-
mische stärke, desto höher die tonlage. In göta patin, ist das
Intervall zwischen den tonhöhen der beiden silben bedeutend
grösser als etwa in saudinj saumagd: hier ist die zweite silbe
nicht nur exspiratorisch, sondern auch musikalisch nur wenig
von der ei'Sten veisdiieden. In nebensill)en, die ich als 'mittel-
§ 51 MUNDART VON PERNKGG. 57
stark' bezeichnet habe, tritt unter den obgenaunten umständen
regelmässig- tonumstellung ein; z. b. tver is drmisn? antwort:
(da) saudiru ^, (dr) pri^ftrögr h mit tiefton auf sau-, priof-
und hochton auf -din); -trö-. Der sinn ist etvra: 'wer sollte
es anders sein!, was fragst du denn?' (vgl. auch das obige
hämg^an /). Dagegen herscht bei einfacher angäbe, ohne
irgendwelchen nebengedanken fallender accent. Bei Wörtern
mit schwächeren nebensilben kommt eine solche umlegung in
der regel nicht "\'or. Auf dieselbe frage antwortet man unter
gleichen bedingungen etwa: dr fofr mit fallendem wortaccent.
Allerdings besteht auch hier ein unterschied von der gewöhn-
lichen aussage: die gesammttonlage ist höher, die erste silbe
wird etwas überdehnt, das intervall ist geringer.
Nur rufe bilden zum teil eine ausnähme, vgl. ßtr (fotr)
^ vater! neben ßtr "n, oder das drohende ncrg j (Nero, hunde-
name), mit griisserem intervall. In diesen fällen tritt zuAveilen
auch Verschiebung des dj-namischen accents ein.
Die einsilbigen fragen, z. b. tcus? was, ha? wie, was, du?
ihi, so? so, g^ast? gehst du, haben steigend-fallenden ton mit
äusserst geringem intervall; sie unterscheiden sich nur durch
eine höhere tonlage von dem sonst gleichartigen aussagenden
du, so, i^, nä. Die beiden letzten werden daneben aber auch
mit bloss steigendem accent gesprochen.
Zweigipfligkeit verbunden mit doppeltonigkeit dient zum
ausdruck verschiedener affecte. Häufig hftrt man doppelt fallen-
den ton zur bezeichnung der Ungeduld oder — bei grösserem
intervall — der starken freudigen übeiraschung, z. b. irffs "»v.,
d{) "-V. Doppelt steigend ist das Verwunderung und neugier
ausdrückende tcos ^^, so ^^. Fallend -steigend das elegische
io y, steigend-fallend (mit gi-ossem intervall) das ärgerliche h
als antwort auf lästiges drängen und betteln.
An 111. Auf die toiierhöliuug bedingt durch rein niechiiuisclic ursachou
habe ich bereits in §21b hingewiesen.
58 LESSIAK § 52. 53
2. Teil:
Geschichtliche entwickelung der laute.
* I. Der vocalismus starktoniger silben.
A. Mild, a, ä, ü, ce.
§ 52. Mhd. ä und ä > ö.
a) a > o: mgst mast, ^scjts schätz, prolcx mäiiiil. liimd (mhd.
hracl'e), ggriva garbe, Ihrgm krampf (mlid. Jcram), d{yuldin danken,
sf())jga Stange.
ß) a> g: swgl schwall, strxll stadel, fgsn fassen, gär gar,
wölr weis (mhd. ivaler). fösl m. rasse, zucht (mhd. vasel), ögn
flachsspreu (mhd. eigene), spgna spanne.
/) a>f>: sgm same, tglit doclit {m\\i\. iäJd), mipst papst,
l-Jirgpfn krapfen, ngxpr nachbar, trgm querbalken (mhd. träm).
d) ä > g: mgd mahd, trgr wahr, mos mass, ^)/p««; pfau, jj?p^r
blatter. blase, mgsl f. narbe (mlid. mäse), strgsn Strasse, mögu
mohn (mhd. ninge), rgln rade (mhd. rate), sjmn spahn.
Eine ausnähme bilden sof m. schaf , une ohne (letzteres
wol der schriftspraehe entlehnt), zi-n wo (mhd. ivä). Vgl. auch
Kolfgrt wallfahrt (anlehnung an 'wol'?).
All 111. Im gegensatz zur Schriftsprache sind umlaiitslos: »(/Zinsfreister
(mhd. a(jehier), orirdsa erbse Oiihd. areiceiz), golt gelt frahd. fialt), wodl wedel
(mhd. irruld), iomnidn schämen (mhd. schämen), §o?«/^Z schemel (mhd..s(7irtJHe/),
t'Ujghi dengeln, fßontsii glänzen, man inäline (mhd. mane, man), und die
meisten ableituugeu auf -cvrc, z. h. inuir Wächter, Ichmmmr krämer.
§ 53.
Der ^\■andel des ä zu einem dumpfern o-laut, der sich mit
ausnähme der dialekte der Sprachinseln an der tiiolisch-italier
nischen grenze heute über das ganze bair.-österr. Sprachgebiet
ei'streckt, tindet seinen reflex in der behandlung der fremd-
wörter. A\'ir unterscheiden, je nachdem das fremde a als g
oder a erscheint, ZAvei schichten: die erste ist aufgenommen,
als das einheimische u noch den ursprünglichen oder wenig-
stens einen diesem nahe stehenden lautwert besass. Der fremde
laut fiel also mit dem deutschen zusammen und wui-de wie
dieser zu g weiter entwickelt. Die zweite gruppe ist jüngeren
daturas. Das '''a war inzwischen zu g, das *ä zu reinem a
§ 53 MUND AKT VON PEKNEGG. 59
geworden. Es ist nun selbstverständlich, dass man jetzt den
diesem qualitativ gleicliwertig-en laut ohne weiteres beibehielt.
Es dürfte nicht unangebracht erscheinen, eine grössere anzahl
von beispielen für beide fälle anzuführen.
«) Fremd a > o: (iltor altar, gibs atlas (Seidenstoff), gtupl
ampel, ölefgnt elefant, fiotrgl futteral, gröla koralle, grötn kleiner
wagen (mhd. gratte), ggru karren, l-ohiids kalmus, Igfr kampfer,
lihgrnr beinhaus (mhd. Jcanicr), IhapJgn kaplan, Ihrgiiöt Kroate,
Jchgntsl kanzel, Ihlgr klar, Ichgppm kappe, lihapröl korporal,
Igmpm lampe, Igrfn larve, niDstrgnisn monstranz, mgutl mantel,
prgtsn branke (rom. hrasa). pgp kleister, pgppl pappel, p)^^'?st
palast, pgppDgcei papagei, x>lötn platte, prclgt prälat, pgs pass,
porlmt barchent, söht salat, spggdt {spgwdf) spagat, sgnts schanze
(glucks wurf), 5p/)-p)i. Safran, fgfntr taffetapfel, foJihgfn ducaten.
Eigennamen: gdom Adam, fi gnts Franz, iohgns Jolia.mies, [glikop
iipTi') Jakob, Ixgspr Kaspar, ^)?(7.9e' Blasius, tdmgs Thomas, ivglt-
hausr (tcgltdsr) Balthasar, urivun Urban, fglt{an) Valentin.
(3) Fremd a > a: ämDu amen, arniJcha arnica, cdht act
(Schriftstück), äre arie, entsian enzian, frahx frack, fgtdgräf
photograph, pUiantsn 'vacanzen', ferien, gendml general, hulänr
ulan, husär liusar, intrdsant interessant, hspäs spass, kJianäre
kanarienvogel, Ihanäl kanal, kldas klasse, Icliapsl kapsei, Ichäsa
kasse, Ichrauatl kravatte, hliatär katarrh, Iclirimdnid criminal,
TcheUräive kohlrabi, lahx lack, marJchn marke, inasa masse,
tmisdlchant musikant, mars marsch, misdrmd miserabel, olMaf
octave, präf brav, pätr pater, pauJcx {ivauk') wechselbank,
päs f. lauer, j^äsn passen, hglpart halbpart, plan plan, pasUi
pasta, x)raMdds praktisch, pranis h\'a\\c\\Q, rantse vawvA^, reträt
retirade (abort), rätn rate, rawiät rabiat, remätos rheumatisch,
sankhius sanctus, .säl shawl, Srimlarm gendarm, tcdsn 'fasse',
Untersatz (it. tazza), tcdcs faxe, fmkka tschako, iunt tante, töätr
theater, uäl ball (tanz), icanda bände, wähn verächtl. weib
(wind. haha). Hierher gehfiren ferner alle subst. auf -age:
pakas bagage (gesindel), karüs courage, moias menage, marm.s
mariage (spiel), fiidträs fourage (mit anlehnung an 'futter').
Eigennamen: ndne Anna, maks Max. marks Marcus, ivariva
Barbara u.s.w.
Anm. Wenn auth in einigen sicher jüngeren fremdwörteru wie z. lt.
kliglfgkhtr kalfakter, Iceiin^nt leutenaut. o erscheint, so ist dies wol darauf
60 LESSTAK § 54
zni-ückzuführeu. dass leute aus höheren gesellschaftskreiseii, also die eigent-
lichen Termittier dieses fremden Wortschatzes, die mit der ma. nicht völlig
vertraut sind, analogisch auch das o der fremdwörter vielfach als ä sprechen,
wenn sie sich der ma. zu bedienen suchen (auch der einfluss der schrift ist
hierbei niclit zu übersehen). So erklärt sich z. b. der gegensatz zwischen
städtisch igicöl-Ji tabak, und raa. imvalw. Die a-form ist entschieden die ältere.
Eine älniliclie doppellieit zeigen die lelmwin'ter im wind,
in der behandlung des deutschen ä. Die ältere gruppe hat
durchgehends reines a. Die beispiele sind sehr zahlreich, vgl.
etwa hTihn 'kragen', hals, imddr bader, stäud stall, ärtsdt
arzt, späratd sparen, tsäliaib zagen; — jp«ra bahre, jwato braten,
hnäda gnade, (sonnen-) Untergang, rätat9 raten. Die jüngeren
haben o, z. b. j;ona bahn, /«/o.' glattweg, &(M-fa/<3 warten (pflegen),
sQrf scharf. Da die Slowenen offenes <j besassen (vgl. mhd. ö
> wind, g, § 64, anm. 2), so wäre es nicht erklärlich, wie sie
dazu kamen, a zu substituieren, wenn der deutsche laut zur
zeit der entlehnung der ersten schiclit dem reinen a nicht sehr
nahe gestanden wäre.
§ 54. Mhd. (obd.) ü und ce > ä.
1) Der secundäre umlaut des kurzen a erscheint: a) vor
germ. h + cons. Qih,lit,lis)\ //«/iHiechel, naxtn nkohiow (gestern
abend), praxtn grosssprechen (mhd. hrähten), gmaxt n. gemächt
(glied), pslaxt n. beschlag, pfaxtn eine stute probieren (mhd.
2> fällten), haksn (haJis) m. bein (mhd. Iiähse), aks achse (mhd.
äkse), ]}ra]is m. brasse (alid. hrahsia, hralisina), täsn (neben
taJcsn) pl. nadelholzäste (mhd. dähscn), dazu cjddalis buschwerk,
icas (neben ivalis, mhd. wchse) schneidig. Etymologisch dunkel
sind prulcsn f. kleinere hacke, auch gewehr (vgl. BWb. 1, 344,
vielleicht zu 'brechen'), Ichrahsn f. gesteil zum tragen auf dem
rücken, hosenträger (mhd. Jcrähse), dazu wol JchraMn klettern. .
In den folgenden fällen kann secundärer umlaut auch aus
anderen gründen eingetreten sein (vgl. dazu unten): g92)äx ge-
bäck, gmäx schlechte oder unnütze arbeit (*gamahM), glaxtr ge-
lächter, givahs gewächs; /j^'wmAe' schmackhaft (mhd. '^gesmächic),
iivrnaxte übernächtig, iwlcslaxte ungeschlacht, tgridrslaxte vom
blitze getroffen, glceixtraxte gleiche tracht habend, gakslte in
hemdärmeln oder mit umgehängtem rocke, 'geachseltig', slaxt'm
schlachten (mhd. sichtigen), x^dmälila allmählich (^'bemächlich),
waxtl m. wedel, tvaxtln fächeln (vgl. BWb. 2, 833), naxt nachte,
§ 54 MUNDART VON PERNEGG. Gl
flaJcsn pl. zu fgls fleclise, das Kluge fälschlich als fremd wort
erklärt (lat. flcxus), vgl. L)A\'b. unter 'flachsader'.
Anm. Priniäreii umhiiit haben hö.rt beeilt, swöhot schwäche, swöhr
schwächer, ebenso vor einfachem h: ö/ir ähre (daneben auffallend e/t?'); «t-ö/;/
tischtuch (ahd. (hrehüa). Merkwürdig ist hhh-ld drehbarer türriegel, neben
khlähl vierschrötiger mensch (mhd. Idcchel, Idachd; vgl. ß'W'b. 1,132;J). /u
itrMext pocke, s. § 75, anm. 2.
b) Vor r + consonant: harira herbe, arhm klammer zum
befestigen des bogenschlosses (mhd. '^näncc, vgl. BWb. 1, 1756),
ivarmon wärmen (dag. u'irmdn wärme, iv-irnir wärmer), sivarnidn
schwärmen, jiarndn in der scheune die garben aufschichten (zu
pQrn banse, mhd. harn), pffu-Dx pferch (mhd. pferrkh), drhäru
aushalten (vgl. BM'b. 1, 1147 harren, harren), siär starr (BWb.
2, 775, mhd. starre), tsäru zerren, üarstiibm dörrstube (dag. dirv
dörren, mhd. derren), harpfn harfe, stangenhütte auf feldern
zum aufhängen von garben, liliarpfn karpfen (BW b. 1, 1295 Mrpf,
also auch umlaut), hartn kunnner, wehmut (dag. hirtn härte,
vgl. auch hQrt, comp, liartr schwierig, dag. liirt hart, mhd.
herte), dnvartn reflexiv schmerzen bekommen, besonders vom
Seitenstechen {s.\id. inccrfen), partsn sich recken (BWb. 1,284;
A&zu. portsQx Jungholz). Ferner nüros närrisch, tsartds 'zärtisch',
zimperlich, 'kkiriv n. aus blättchenweise geschnittenem, ge-
kochtem obst bestehendes futter (zu mhd. scharhen), farwin
färbein (dag. firbm färben), sivarüiu das erste oder letzte vom
stamme gesägte, auf der einen seite mit rinde versehene brett
(zu 'schwarte'), arliu pflugschar (zu grl ein leichterer pflüg
besonderer art), garliu karren = ggru. Die letzterwähnten
lassen sich ebensogut unter die folgenden abschnitte einreihen.
c) Vor l + consonant: u-üIjs \\ähdi (mhd. ivälhiscli), hcds
halse, pcd(j bälge, untrhaltla unterhaltend (das oben gesagte
gilt auch von diesen beispielen).
d) Wenn das i der dritten silbe angehörte: arM erz (ahd.
aruzzi), iagr Jäger, khränawöt wachholder (ahd. kranaivitu; dag.
lihrgnapir wachliolderbeere, mhd. *kraneher), tsähr m. zähre
(mhd. zäher; der umlaut stammt aus dem pl.); vielleicht gehört
hierher auch hägr (neben luujrla) hager (ja-stamm?)')
') Nach Kluge, ^^'b. wäre das wort ud., es ist aber (vgl. BWb. 1, 10G8.
KWb. 130) in den bair.-österr. ma. mit verschiedenen ableituugen stark ver-
breitet. Avährend es das 'höfische' nicht kennt.
&2 LESSIAK § 54
e) in neutralen collectivbildungen auf *-/: (pc/ätr gitter,
khräfl wertloses zeug (zu 'raffen'), Ihalx 'geliäck', häcksel,
gddräs gesell wätz (zu 'dreschen'), gnalcx genick (zu 'nacken'),
gdtrats geplauder (zu trgfsn), giväs 'gewäsclie', patsch wetter,
l-sats ansehen, bewertung (zu 'schätzen').
f) In einigen ableitungen auf -ig: säte schattig, släme
schlammig, ixjsluifte boshaft, saumscde saumselig, aste ästig,
guhhaue zudringlich {^'angehähig, zu 'haben'), dfle eiterig (zu
öjl, mhd. (7/H eiter), -/«Ae '-fächig' (t7r(c«/a/ie' dreifach u.s. w.),
t lähmte trächtig {^^ trügend ig). \g\. auch auJcstiu ängstigen;
auf ^-Ikh: ädla mit besonderem, aber ansprechendem be-
nehmen (mhd. ädelUch), mntla schändlich, namla (adv.) in der
tat, sehr (mhd. nämeVicli), tverxtägla werktägig;
auf -iscli: taiipds täppisch, ollcfatros altvaterisch i^'altgevä-
terisch);
auf *-m: stälddii stählern (mhd. stähelin), liätvrDn habern
(mhd. hüberin);
im masc. auf -ing: dräliu klotz (zu dr(d drall), ämrliv ammer
(vogel);
in einigen masc. auf d (*-ü7?): Jtcddd haken, pargl ferkel
(mhd. larc\ tamp^l Sauerteig (zu 'dampf'), liäivl henkel (zu
mhd. habe), khrcäsl reisigbündel zum abkratzen, tväsl (stroh)-
büschel zum abwaschen, slauJd Schlingel, Idiampl kämm, auch
starker, pfiffiger bursche (vgl.BWb. 1, 1251), laldd grosser, etwas
plumper mensch;
in einigen fem. auf -in: artstin ärztin, Ispänin genossin
{zwrlcsiiijn, mhd. gespan), sicägrin {sivägdrin) Schwägerin, Ifätdrin
gevatterin, naxporin nachbarin;
in den zahlreichen demin. auf -le, -l: ^7«.s/e gläslein, harnihle
wiesei (mhd. Jicynidin), nägdlc nelke, 'nägelein', mandle männ-
lein. tale tälchen, farfjle mehlklösschen (zu mhd. varvcT), tsaugl
kleine zange, gwanil kleidchen u.s. w.;
in einer reihe verbaler ableitungen auf d: tändln tändeln,
pantln 'bändeln', sich mit kleinigkeiten beschäftigen, mit jem.
'anbinden', nirddn zu 'machen', pastin zu 'hast', beides in der
bedeutung: wertlose arbeit verrichten, gartln im garten arbeiten,
tsartln zärtlich tun, prantln nach brand riechen, rädln fahren,
täfln täfeln, winsalddn einheimsen (zu 'sack'), oivldirägln ab-
stechen fzu 'klagen'), sägin sägen, snapsln gerne schnaps trinken,
§ 54 MUNDART VON PERNEGG, 63
pldün blättern, tauf sin tänzeln, vdnün in die wand keg-eln,
pähln "Wärmen (zu 2^ohn), fädln fädeln u. a. m.
g) In fällen, wo sich ein *i erst secundär aus anderen
vocalen entwickelte: gams m. gemse {ohd. gamii;s), näivox ver-
kehrt, im handumdrehen {dAid. ahuh), //««rr?^' habicht {?i\\^.halmli),
haute bitter (ahd. Jianiag), (antn ente, ahd. anut), antrox ente-
ricli (ahd. antrchlio, antrahho). aufm nachäffen (ahd. antarön),
häsn glatt (ahd. Jiasan), altn m. alant (ein fisch; ahd. alant,
ahmt, vgl. BWb. 1, 72), Ihamfn Kärnten (urk. Carantanum,
später Carintania; es ist kein zweifei, dass die zweite silbe
urspr. ein a oder o hatte, vgl. wind, l-oroskg, das zweite () = ^gn.
Melleicht gehört auch pfantsl eine art kuchen (mhd. pfan.zclte,
wind, fäntsüt) hierher. Ein derartiger secundärer wandel neben-
toniger vocale zu i muss jedesfalls vorgekommen sein. Wie
wäre anders der umlaut in schriftd. 'körper' und ma. Jiöne
honig, zu erklären?
h) In folgenden Verben: mtsn schätzen, gntsaj^fn unzsL^fen,
gatsn ätzen, .stähln mit heissem stahl erwärmen, hdilrn hadern,
zanken, iväsru wässern, liämrn hämmern, afhi eitern (vgl. oben),
grCuvnon graben auswerfen, tmtsn necken (mhd. tr ätzen), happrw
hapern, gampru horumhüpfen (zu mhd. gainpcn), stnmpru herum-
treten (vgl. 'stampfen'), lilinuudu herumklettern, -stöbern (vgl.
mhd. Jirammen), platsn weinen, schluchzen (zu 'platzen'?).
i) In vielen fällen ist es schwer zu entscheiden, warum
secundärer umlaut eingetreten ist; z. b. fratn Waldlichtung (vgl.
mhd. vrde, vrate wunde, ital. fratta 'hecke', wol zum adj. vrat
aufgerieben, bloss, dag. frötn sich plagen), taJcJin Strohmatte
(mhd. täcl-e), hanfs handschuh (vgl. Schatz s. 44), prama bremse
(fliege, mhd. brcme), pranisa angebrannte speise, grantnr unter-
läge für fässer (zu mhd. grant), rappm räude (mhd. rappe).
Etymologisch dunkel siiui .slats m. schlämm, guraln anschreien,
grajit m. Unwille (dazu graute verdriesslich), plakhnou stinken
(vgl. Schweiz. j>?«^eu modern, mM. j^fac, -ges aas), era« ^6- tüchtig,
fäsn, stüsn stehlen (beide scheinen der gaunersprache zu ent-
stammen), häsr 'armer teufel' (vielleicht zu mhd. heschcn
schluchzen), granta preissei beere.
k) .y-Umlaut scheint vorzuliegen in masn masche, asn asche
(äsche, ein fisch): jedoch gsn, insu, flgm asche, tasche, flasche
64 LESSIAK § 55
U.S. w.; — r/-umlaut in ganstnj schnelle bewegungen machen
(nihil, gancistcrn funken sprühen).
1) a als umlantsvocal erscheint in einer grossen anzahl
analogischer pluralbildungen: plats platze, al;lir äcker, taäl pl.
zu tödl 'tadel', gebrechen, abmtr abende u. s.w. (vgl. § 123 ft".).
2) Der umlaut des langen d {(v) erscheint durchweg als a:
IhCis käse, .sära schere, (/rata gräte, Jclirü krähe, sähr Schacher,
hdrli) häring, iarliu jähriges tier, rcdsl rätsel, rabx rettig (mhd.
rceticli), ivädn f. Schneeverwehung (vgl. alid. giiväkla), hfräs
schlechtes essen (mhd. gevrceze), Icsambx gesänie.
(jüx jäh, Icir leer, swär schwer, lud glatt (mhd. Imle)^ tsax
zähe, (ßägu ansteigend (zu ahd. lägi steil, vgl. Schatz s. 45),
Milt ruliig, drät schnell, gut (mhd. drcßte), tähon tönern (ahd.
'■'täJtm), iraga träge, räx ranzig, auch übersalzen (mhd. robhe),
gräw grau (^Ujrceive), täse sich ruhig verhaltend (mhd. dcesic),
Jcfare gefährlich (mhd. gevcenc), rälla massig (bedäclitig ab-
gemessen), knapp (mhd. '-^'neUich), guMiräle lästig, zudringlich
{*angcrcetec), tvoltäte wo\t?itig, tigxläse nsichläüsig, gnäde gnädig,
X)are trächtig (von Stuten, mhd. hcercc), strCifla schlecht (eig.
•sträflich'), släfre scliläfrig, tsnahst zunächst, fneigäive freigebig.
sündu säen, nmidn nähen, mmidn mähen, Diärn schwätzen
(mhd. mceren), dazu 7narl bes. gmigrmarl ^geiger märlein', erlogene
erzählung, harr) haare ausraufen (fahren lassen), sträln kämmen
(mild, s( reden), uunru jammern, druhslii drechseln, pstütn be-
stätigen, frsmähn verschmähen.
äs ässe, fi-gas{')l) vergässe, tat täte, praxi brächte u.s.w.
' Umlaut durch -m (mhd. 4e) erscheint in masxrcBl 'messerei',
das messen, mmdrm Sämerei (vgl. auch poeidrSei bäuerei).
Interessant ist gräfndorf Grafendorf (urk. Gravin-, Greven-
darf).
Als analogiebildungen sind zu betrachten plöw (wasch-)
bläue (auffallend ^fe(;9?6' blaumeise, wtdhtw plöwjle), .s^^öYr später
(zu Spot spät), nöhna (neben nahnu) nähe.
§ 55.
Als Vorstufe des heutigen ma. a ist überoffenes ä anzu-
nehmen, wie es noch die ma. einiger Sprachinseln (so Zarz in
0))erkrain, Bladen und die Zalire in Friaul, die 'Siben Kamaün'
und die angrenzenden südtirolischen Sprachinseln) kennen.
§ 55 MUNDART VON PEUNKGG. 65
p]iiiige alte wind, lelinwörter haben den offenen e-laiit
noch erhalten; z. b. i)r(!htjh prahlerisch (ma. praxte), drqta
schusterdraht, fl^tn gefällig-, lustig (mhd. vlcetec), p^tr (ma. gd-
pätr oberes Stockwerk in der scheiine; woher?), lehr neben i«/«r
Jäger (vielleicht auch öhöhtntsa aus *öhnQ]it7itsa Maria Verkün-
digung, zu mhd. chennehtc?). In der Stellung vor r und l er-
scheint jedoch schon in den ältesten entlehnungen a, z. b.
skärie schere (pl.), mär beachtenswert (mhd. nuere), Mlok selig
U.S.W. Der grund dürfte in den lautverhältnissen des windi-
schen zu suchen sein, das einen entsprechenden offenen e-laut
(aus *en) in dieser Stellung wahrscheinlich nicht besass.
Umgekehrt findet sich in Ortsnamen slow, herkunft a als
Vertreter des * wind. ^, z. b. tswcitndorf Zwattendorf (zu su^t
heilig), Ti{li)näsicög Knasweg {iviV "^hiqzeuHie zu A-n?*- fürst; vgl.
auch das steir. Gnasbach, urk. knesaha), lüdiu Lading (aus
*l§dma), auch ?r()Äw(/r>./-/' Wakendorf (slow. Vema ves, ortsrep.)
dürfte hierher gehören. Vgl. noch ma. (mts tand, wind, isetsa
puppe (zarz. tsütsc mädel). Diese Verhältnisse sind wol ein
sicherer beweis für die obige annähme. Wann allerdings der
Übergang des « zu a erfolgte, lässt sich nicht nachweisen: aus
den Urkunden lässt sich gar nichts erschliessen. Schon in sehr
alten stehen ä, e und a neben einander, und dieser Wirrwarr
dauert zum teil noch bis ins 18. jh. hinein fort. AVenn wir
für unsere mundarten eine ausspräche voraussetzen, wie sie
mir z.b. aus der Sprachinsel Zarz bekannt ist (ein überoffenes ä,
das nur ganz wenig weiter vorn articuliert wird als das reine d),
wenn wir ferner bedenken, dass das nicht umgelautete a seinem
ursi)r. lautwert zum mindesten noch sehr nahe stand, so lässt
sich die Unsicherheit der älteren Schreiber leicht begreifen. In
jüngeren Zeiträumen spielt natürlich die traditionelle Schreibung
eine rolle. Ohne zweifei trug auch die Verschiedenheit der aus-
spräche des lat.-rom. und des einheim. a viel zur Verwirrung bei.
Während ein wind, a, das nicht vor palatalen consonanten
bez. einem i der folgenden silbe stand, regelmässig zu {) wird
(vgl. Ortsnamen wie Igs Laas [wind, uäze für *la2e], klgnts Glanz
[wind. */.?a»Y.s' bez. klmicts], strön Stron [wind.*.s7rrt»], plös Plass
[wind. *2^laz], sakopi^r [wind. skopa.r\ yli^n Glan [wind. Jiudna
fnr *glana] kelt. urspr.] u.s.w.), bleibt es, wenn die obigen be-
dingungen vorhanden sind, erhalten; z.b. rädivög'Ra.ö.weg (wind.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIII. 5
^iO LESSIAK § 56
radöijtsc für *radouil-c), (jrädne GY?idie\\egg (für ""gradnilie), präse
Prascliig (für '^praS[_n]ike), j]atndtsY\2iiim.tL (für *blat)iitsa), flatsdx
Flatschach (für *hlatsax < Natjax) u. a. Daher auch grats Graz
(für "^(/radld bez. loc. gradlcc).
]\raii kann sich diesen unterschied nur dann erklären, wenn
man voraussetzt, dass im zweiten falle umlaut eingetreten ist,
der sich dann regelmässig- zu a weiter entwickelte (die urk.
Schreibung der Ortsnamen wechselt: Grednich und Gradnich,
Bcedetvich und JRadewik etc.).
Das letztere gilt auch A'on sonstigen alten fremdwr)rtern,
■\\ie i(dr teuer (it. tagliere), ampldts ein bes. jochriemen (mlat.
mnhlacium), tats abgäbe (it. dazio\ grändtsn grenze (slaw. gra-
nica). äs as (mhd. esse, lat. assis), fatm (in nachbarma. fäsn)
Windel (it. fascia). äpr schneefrei (wenn aus apricus, vgl. Schatz
s. 39, Kluge unter aber), ivarwl marmel (mhd. mermel), arJcr
'erker', dachlucke (zu den beiden letzteren vgl. §54, g); auch
martr marter (lat. martyrkim) dürfte hierher gehören. Sie sind
also nicht mit den in § 53, ß angeführten jüngeren fremdwörtern
auf eine und dieselbe stufe zu stellen, wie man dies gewöhn-
lich zu tun pflegt. Es handelt sich hier nicht um unmittelbare
Substitution des fremden a durch a, sondern es liegt eine periode
des Umlauts dazwischen; vgl. die schriftdeutschen formen teller,
grenze; cimbr. v^ssa = ma. fatsn, dets = ma. tats.
Aum. Mit entlehnungen aus der Schriftsprache haben wir es zu tun,
wo e statt des zu erwartenden a als umhiut erscheint: heks hexe, mexte
mächtig, prexte prächtig, teglix täglich, fche fähig, (jerbm gerben (dagegen
s\o\v. garbati), ^es^«? lästig, drnembhe der nämliche, lerbm, lerm Yärm, gertnr
gärtner, Meft geschäft (neben echt ma. k^aft eifer, kmfte geschäftig), lerhn
lärche (wol alle bair.-österr. ma. haben hier auftallenderweise e, auch das a
bei Schatz § 87 könnte auf f zurückgeführt werden), heiße hälfte (ma. holb-
ioeit; keifte wird meist adjcctivisch verwendet), dr selige der selige, aber
sälige fräu (volkssage). Desgleichen die plurale mit e als umlautsvocal :
pshr neben jMhr bäche, givles ablasse, loeldr wälder (icglt ist der ma. eigent-
lich fremd; ältere leute gebrauchen es nicht, dafür wird allgemein i^er^
'berg' gesagt. Auch wind, horä hat diese doppelbedeutung). Vgl. § 127, 3.
B. Mhd. e, e, e.
§ 56. Mhd. e.
Mhd. e (primärem umlaut des ä) entspricht in der ma.:
1) ö in allen fällen ausser vor r und nasalen: Aö^w« heben,
tröur pl. treber, o>/7 apfel (der umlaut stammt aus dem pl).
§ 56 MUNDART VON PERNEGG. 67
höfn liafen (mhd. lieven, alid. *hevin), Jchröftn kraft, strötv streu
(mhd. strewe), rödn reden, mötn mette, tsötn verstreuen (mhd.
ze'ttcn), flöts boden (mhd. vle'tze), lots schlecht (mhd. letze), als
subst. fem. abschied, mösr messer, ivös wasche, srög schräg, pöTxX
bäcker, becken (mhd. he'cl-e m. n.), högl m. stierkalb (zu mhd.
h(ifjcn). nö(jl \\d.gt\, ökJiU eggen, JihlöJiln genügen {nüid. Meelen),
ahnt elend, tswölfz-wolf, ö7welle; — vor II oder l + consonant:
söln schälen, n-öln wollen (mhd. wellen), Jchöln kelle, sivöl f.
Vorrichtung- zum eindämmen des wassers (mhd. sive'lle), givölte
im Stande {mhd.getve'ltec), öltn alter (mhd. e'lie), smöltsn schmelzen
(mhd. trans. snie'hen), möltsn mälzen, xwltsn pölzen, unterstützen
(zu pglts stütze, vgl. mhd. pfalzcn und lat. palitiitm), uölgu,
wölgru wälzen (zu wQlgn sich wälzen, mhd. ivalgen), pölgrv das
getreide von hülsen reinigen (zu 'balg'), gölsn schreien (mhd.
gehen), givölw ge wölbe, laden, ölwliu Elbling (Ortsname, zu
glbm albe).
2) i (i) vor r. Die älteren leute, die das /• vor guttural
und labial noch als zungen-r sprechen, unterscheiden vor diesem
den aus e entstandenen /-laut (0 durch offenere ausspräche von
dem i ^= *i oder ü (vgl. dazu § 23; ein ähnliches nebeneinander
bei Krassnig s. 24). Beispiele: wun wehren, -pir beere, irl erle,
Jchirtsn kerze, tsln) zelu'en (mhd. ze'rn), spuu sperren, ^rtn {kfirtn)
fährte, liirt hart (mhd. herte), ßrte fertig, tvirt Wörth (ortsname,
mhd. tve'rt), girtn gerte, mirfn Martin (dag. mätrstgrf, vgl. § 32, c;
die Ursache dieser differenzierung liegt wol darin, dass im
zweiten falle die accentverschiebung erst später erfolgte), irte
dienstag, 'erchtag', irts- erz- (dag. der Schriftsprache entlehnt
erts-liertsog, -pisof), hirtsndgrf Hörzendorf (urk. Herzogindorf
'Herzogsdorf'), irtsnon arzt sein (mhd. erzenen), mirts märz (mhd,
merze), s^?Visw vagabundieren {n\\\L sterzen); — liir wo st herhat,
'incl ärmel, 'iriv erbe (dag. auffallend arndgrf Arndorf, urk.
Ärhin-, Erbender f, \diX. Ueredltas), frd'irhmxevdeYhen, 'irmr ärmer,
sirfn schärfen, irg arg (mhd.eV^e), /)-s7/-yü verklagen (zu 'scherge'),
st'irJihn stärken, l'irgdt lärchenpech (BWb. 1, 1501; vgl. mlat. lar-
gatiun), lihirllir kerker. Auch in mir (neben mir) meer, wird
noch Zungen-;- gesprochen. Isoliert steht ö in gwör gewehr.
Aum. Sthriftsprachliche eutlehimugeu sind z. b. merkhwirdc mcrk-
würdig (neben mirJchn merken), utru uäbreu, hntticcr landwebr. Auffallend
perMliv barscb. vgl. nibd. heri^ich.
5*
G8 T.ESSIAK § 57
3) e" vor nasalen: .s'to^j^/'w stampfen (trans.), lenqmj lä,mmer
werfen, frem fremd, Ihcmpni zahne am Jch{>mprgd kammrad,
tcn tenne, rcndn rennen, spendn der mutterbrust entwöhnen
(mild, spenen), henWin hangen und henken, pcvgln sich ab-
mühen (mild. he'ngeJn), tsevgrJxhraut hahnenfuss (mhd. zenger).
— Ausnahmen s. § 57, 2, anm.
§ 57. Mhd. e.
A) In einheimischen Wörtern ist e ausser vor l, r und
germ. h fast durchweg mit *e* in ö, vor nasalen in e zusammen-
gefallen.
1) e > ö: göbm geben, swöwl schwefel, möt met, wötn zu-
sammenjochen (mhd. weten), födr feder, wösn wesen, nöst nest,
sivöstr Schwester, sösi sessel, pßög pflege, wog weg (subst.),
prüJin brechen, röhn rechen.
2) vor nasalen > e: senofsent, semhl semmel, fenstr tenster,
stren strähne, demrv dämmern, sensn sense (mit verlust des g).
Aiim. Als ö erscheint es dagegen, wenn es als länge zwischen Ich
oder nasal + nasal steht: Ihömdii kommen, nömdn nehmen. Unter den-
selben bedingnngen ist auch e zu ö geworden: Jchömatn 'kemenate', kammer,
khömn kennen, nötmi nennen. Ferner in dön dem, den, wön wenn, wen
(wem). Den grund dieser differenzierung vermag ich nicht anzugeben.
3) Als e erscheint es auch vor l, r und germ. h; in diesem
falle ist also der unterschied zwischen den beiden e-lauten be-
wahrt geblieben (vgl. dazu Zwierzina, Zs. fda. 44, 249 ff. Maurer,
Ma-. a. d. Hz s. 12. Krassnig s. 23):
a) mel mehl, gel gelb, stein stehlen (dag. stöhi stellen),
stiel schnell (dag. snöln schnellen), Ihelr keller, helfn helfen,
sclftr länglicher Splitter (vgl. mhä. schelfe und ^schilf), selhn
selchen, gelt geld, steltsa stelze, spelta Spaltholz für zäune (mhd.
Spelte)^ elsn traubenkirsche (vgl. Kluge unter erle\ nach aus-
weis unserer ma. ist *f' anzunehmen).
b) iver wer, Miern kehren == wenden (dag. Milrn [aus-]
kehren), lernen lernen, lehren, gerstn gerste, sterhm sterben,
gerbm germ, liefe (mhd. genve), hherl kerl, sterts sterz (kämt,
nationalspeise aus buchweizen, zu mhd. sterben steif empor-
ragen; zur bedeutungsent Wicklung vgl. strauhn strauben, zu
mhd. strüheu), scrtsn springen, wild herumlaufen (bes. vom vieh;
§ 57 MUNDART VON PERNEGG. 69
mhd.. scherten), se)is{l) ansclineidestück eines laibes {mhd.sclierse),
fertn voriges jähr (nihd. rert), -iverts -wärts.
c) Yor */i tritt häufig 'brechiing' des e> ed ein (vgl. dazu
§ 24): sedhn, selm sehen, Jiseohn, IcseJin geschehen, spedlin, spelm
spähen. Fast durchgehends unterbleibt die brechung in Iclinext
knecht, rext recht, slext schlecht, stets in fcxtn 'fechten', nur
in der bedeutuug 'betteln', ivelcsl Wechsel. Die beiden letztern
scheinen 'höfische' lehnwörter zu sein. Etymologisch dunkel
ist fedlis, felis trottel, fc9Jisn, feksn fechsen (nihd. vehsen).
4) Ein eigentümliches schwanken besteht vor gutturalen
(vgl. Schatz s. 50. Maurer s. 9. Krassnig s. 23). Es heisst einer-
seits Miökxkeck, drökxdYeok, spölx si)eck, isivökx zweck w.s.w.,
aber leJihn schaden (eig. 'riss', vgl. BWb. 1, 1433), lehaisn lechzen,
tsrUksnon in folge trockenwerdens den festen verschluss ver-
lieren, sleJilm schlecken, lekx n. leckfutter, Icklin lecken, tseMin
zecke, pehhn stechen, mit dem Schnabel darauf loshaueu, .sekhdt
scheckig, prehln flachs brechen, snek' Schnecke, sprekkl Sprenkel
(mhd. spreckel). fsekkdtsu zappeln, scherzen (mhd. zecken), regln
quacken (dazu khregln für * geregein plaudern, viell. zu 'regen'),
(g)legr lager (mhd. leger). Ferner haben e: fetsn fetzen, ^?eifs
m. kleine wunde, pletsn anhauen (dazu pletsr kleine hacke;
nihd. hletzen), pretsln prasseln, letn schlämm (mhd. leite), pctn
beten, ^)e/Zw {p>etün) betteln, snepf schnepfe, srefl kleinholz
(vgl. mhd. schrei- en), wedl widder (vgl. BWb. 2, 886 unter 'well'
zu ivejü-). Dunkler herkunft sind tcftn aus der fassung bringen,
tep dummkopf, letsdt weich, schlaff, tetsn ohrfeige, fes schmuck,
u. a. Häufig findet sich e in lautmalenden Wörtern, z. b. tseppru
rasseln, klüeppru klappern, pleppru {pl^apri)) plappern, mekkotsn
meckern.
Anm. 1. ^■- Umlaut des e ist anzuuehnien in jyölts (mhd. belliz, ralat.
peUicia), fölsn felsen (ahd. felis), öltas iltis (mhd. cites, i'Ms), sökse sechs
(dag. sextsen 16, se.ctsk 60), tsöhne zehn (vgl. Paul, Mhd. gr.-'^ § 43, anm. 3).
Anm. 2. Gegenüber schriftsprachlichem / haben den e-laut sei/' schiff
(daneben hlf), khrösn- (in Zusammensetzungen mit -gicgnt, -pfät taufkleid,
-licmd, ahd. cresamo chrisam), iö(jl tiegel (ahd. teyal), ierbm schirm, kherhi
kirsche, wanr oiterbläschen (mhd. irimmcr), tsem ochseurute (vgl. Kluge unter
Ziemer). Vgl. Braune, Ahd. gr. § 31, anm. 2.
B) Lehnwörter. Den Übergang von e> ö vor geräusch-
lauten, eine eigentümlichkeit der meisten baii\-österr. ma., haben
70 LESSIAK § 58. 59
auch die älteren lelmAvürter niitgemaclit. Vgl. 2^öx pecli, töhont
decliant, pühr beclier, süxtr secliter, jpröi/e' predigt, prösn pressen,
mos messe, tsödl zettel (mhd. scdele), löls Alex, stöf] stoß Stefan,
gpotölihtj »potlieke, öftujöl, {-ds) evangelium, (evangelisch), föspr
Vesper, trgmpötn trompete, (jrögr Gregor, föstr Silvester.
Jüngere fremd Wörter dagegen bewahren ihr e: rest rest,
regl rege],' elstra extra, fct fett, frcx frech, nct nett, ext echt,
speise ^s^eyA'', bnsenfreund, tcMn theke, planet planet, sep Josef
(vgl. sgnJcx xösep weben, iösef). Auffallend ist ontrösn 'Interessen',
Zinsen, beachtenswert slöppm schleppen, aber slep schleppe.
§ 58.
Die mehrzahl der Kärntner dialekte stimmt in der behand-
lung des e mit unserer ma. überein. Doch haben die mundarten
nördlich und nordwestlich von unserem dialektgebiet (grenz-
angabe s. einleitung), d. i. das obere Gurktal (Gnesau, Reichenau),
Kleinkirchheim, Radentein, Feld, den alten unterschied zwischen
den beiden e-lauten bewahrt; desgleichen das Lesachtal mit dem
angrenzenden Osttirol und die krainisch-italien. Sprachinseln.
Es heisst im oberen Gurktal also Ichm leben, Jcdr leder,
ivettr wetter, rc^w regen, stclm stechen, esn essen, dresn dreschen
U.S.W. Ausnahmen mit ö' statt e sind ausser den auf s. 69,
anm. 1 angeführten Wörtern: ö'bm eben, Vo'dig ledig, prö'dig
predigt; — sivö'sfr Schwester, gö'strn gestern, prö^sliQft brest-
haft (dag. liest nest), tsivö'spa zwetschke, fö'spr vesper, ferner
pyr'öH brett, pfläUj pflege, tö'gl tiegel, ö'ppds etwas, enttvö'dr ent-
weder, prö'sn pressen, mö's messe, pö'hr becher, sö^xtr sechter,
tö'Jmit dechant. Vor kx herscht merkwürdigerweise auch hier
ein ähnliches schwanken wie in unserer ma.; vgl. Jchö'Jcx, drü'kx,
aber s2)el-x, tsivekx, lelcx u. s. w., ebenso ivi'/kx adv. weg, dag. ivcg
subst, weg (dementsprechend gottscheerisch Jjekx — hakx, mit
a aus *e).
Anm. Die ursprüngliche differenzierung- spiegelt sich noch in den
älteren windischen lehnwörtcrn wider. Vgl. hVck fleck, tsuek zweck, dreh
dreck, fkuhr käfer, lerem kresse, mem messe, Udr leder, mit offenem e,
während umlauts-c fast ausnahmslos als ö erscheint, z. b. löUraU 'lästern',
ijiträh estrich, iösdh essig u.s. w. Doch uvilä 'wette', Steuer, für *uctja.
§ 59. Mhd. e.
Mhd. e > f«: fja ehe, IMi^a klee, wP^a m. weh, snf^a schnee,
§ 60. 61 MUNDART VON PERNEGG. 71
sfla see, auch iuterj. {= nihd. se), e,awe ewig, slqmve kränklich
(mhd. sUivic), gr(^acln holzschicht (mhd. grede), steandn stehen,
g^atidn gehen, ivqane wenig, pqade beide.
Vor r, l, Ji fällt es mit c in e (ed) zusammen (vgl. § 23. 24):
Icr lehre, mcr mehr, per eher (mhd. her), er. st erst, reru weinen
(mhd. reren) ; — sei seele ; — tsedhnt, tseJmt zehe, sedxtn, sextn
laugwäsche, verb. se(d)xtndn auslaugen, se{d)xttn gerne saufen
(BWb.2,218; zu 'seihen').
ea für lat. c steht in mgrgr(^atn Margareten, peatr Peter,
madlqan, leana Magdalena, ondrea Andrä, hhrqandl liammer
zum schärfen der mühist eine (zu lat. crena kerbe); — desgl.
für slaw. e in treafn Treffen (ortsn., wind, treh'ine, st. trch- roden),
fr^asn Fressen (zu hreza birke), khrean kren (zu xrenii), IqaJm
säereihe (zu lexa).
C. Mhd. i, l
§ 60. Mhd. /.
Mhd. i bleibt in seiner qualität erhalten: fldru entblättern,
abblättern (mhd. vidern zu 'feder'), pibnidn beben (mhd. bihenen),
iv'idn Strang aus zweigen (mhd. ivide), lign liegen, drisl drischel,
tsiäsl gabelförmiger ast (mhd. zicisel), frgixt n. gicht, prlndn
(intr.) brennen, gin9n 'gähnen', keuchen (mhd. ginen), stingl
Stengel (mhd. stingel), sirivdle lämpchen (zu ' Scherbe'), ksir ge-
scliirr, ^nra birue, hhirhn kirche.
Auffällig ist id in sridt schritt, eam, '^iem ihm, neben m.
§ 61. Mhd. l
Mhd. i > (ei (eig. (ee): ceiÜ "eitel', unwol, leer, geeit geiz,
fheithof friedhof (mhd. vrUJiof), tsceihn zeihen, ^Jde/a biene (mhd.
hie), fceifoltr (auch mit nebenformen wie spceilfgltr u.a.) Schmetter-
ling (mhd. vtvcdter), lueint heute (urspr. heute abends; mhd. Innt),
Jihrceistn stöhnen (mhd. hrlsten). keiln leite, halde (mhd. Ute),
rmdn biegung, Serpentine (zu mhä.riden), spceils^\itteY{mhd.spil).
Alte ablautsformen sind drsidr — drsceidr seither (mhd. dar-
sjdr); strit — strceit streit; drlfuds dreiiwsa — drcei drei; rtwmsn
i'eibeisen, rihtsceit 'reibzeit', Strichzeit der fische — reeihm reiben.
Dieselbe diphthongierung erfuhr l in fremdwörtern: fgln-
tcein Valentin, motceis Matthias, Ichatnein Katharina, mdrcein
72 LESSIAK g 62
Mareiii (ortsu.. eig. gen. Marien), prwims Primus. Häufig in
Ortsnamen, z. b. Ueilin Teuchen (besser Teichen, slow, "^tlxa
'stille'), psmn Psein (für "^pslnc 'Hundsdorf') etc.
Die «entAvicklung des l über ei > cei können wir mit liilfe
der lelmwörter im wind, verfolgen: a) Erste schiebt (mhd. » = *),
z. b. in in tsila zeile, hlisdlc fleissig, nid neid, hikJar Schneider,
if6'77<a gefähgnis (mhd. /.7c/ie, msi.hhceihn), ^/Ap/'Leikauf, Mix gleich,
ribato reiben, lihato leihen, sribatd schreiben, uitse fegefeuer
(mild, wi^e, vgl. BWb. 2, 1059). Die beispiele sind sehr zahl-
reich. — b) Zweite schiebt (mhd. i = öi bez. o): roitr reiter
(= sieb), zlöfatd schleifen, tsuhöin draht, 'zugeisen', tsöla keil,
zauböi Salbei, u. a. — c) Dritte schiebt (mhd. t = ai): hditdsn
geizig (ma. gceitos), hdisatj weiss tünchen, Mahn knapp (ma.
glmm, \\\\i(\.. (jelime), u.s.w.
D. Mhd. 0, ö und deren umlaut.
§ 62. Mhd. 0.
Es erscheint 1) als geschlossenes o ausser vor nasalen
und r: khröta kröte, gruw grob, höfn hoffen, lödn loden, rot
rost (mhd. rot), rots rotz, glösti glimmen (mhd. glasen), lösn
losen, horchen, lötr m. starker mensch, bursche (mhd. loter),
pötdx unterer teil des rumpfes, taille (mhd. botech), stotsn niederes,
weites schaff (mhd. stotse), liMopfn klopfen, poppm puppe (mhd.
poppe).
2) Als offenes q vor nasalen und r (h):
a) läiQmmdt kummet (mhd. Jiomet), Ignr lünse (vgl. Kluge,
Wb. unter lünse), tgnär donner (daneben als schelte tundr; mhd.
toner, tuner). Desgleichen in den fremd Wörtern tgn ton, j^^'^'spn
person, patrgna patrone, pasign passion, khangn kanone, Miaign
kujon. Eine ausnähme bilden gnom genommen (systemzwang)
und die fremdwörter tomnidle Thomas, ^öwe' Anton, grüne Hmco-
nymus (vgl. BWb. 1, 1000), üne ohne (dazu Lit.-bl. 1894, s. 77).
b) fgrxt furcht (mhd. vorhte), Jcstgrbm gestorben, dgrf dorf,
tsgrn zorn, tgr tor n., p)grv bohren. Dagegen mit verlust des r
födrn fordern, födre vordere (vgl. § 114), Geschlossenes o haben
die fremdwörter flöre Florian, pure 'porrum', lauch.
c) Vor */i nur in tgxtr, tgdxtr tochter. Dagegen ohs ochs,
7io{li) noch (vgl. dazu Maurer s. 31 f.). Zu hfloxtn vgl. § 171b.
§ 68 MUNDART VON PERNEGG. 73
Anm. 1. In einigeu rora. freradwörtcrn erscheint u für o: khnpfr
koffer {pf \\(A in anlehming- an 'kupfer'), pumrantm \\om(ixm\zQ {\i. poma-
rancia), muH(p)rel, it. omhrcllo; ferner fiirhiti (furw) form, tinintovte. Die
beiden letzteren stammen wahrscheinlich aus der stadtsprache, die o vor r
regelmässig- zu ud entwickelt hat, z. b. «sri ort, /j-Zwani verloren ; vgl. auch
murts- (höfisch miorts-) mords-, in Zusammensetzungen wie 7iiurt(s)iölbm
mordsdieb. Dagegen scheint fm-t eine alte nebenform zu 'fort' zu sein
[vgl. zarzerisch vurt. Auch Schmeller, BWb. 1, 7G2 führt nur fürt an].
Dasselbe gilt von fitnvnrt 'bes. wichtiges wort', neben /or vor, dur({a) dort.
Anm. 2. Nebentoniges o in fremdwörtern wie /i7«/(> kilo, függ, tremg
furcht, präivg hat offene ausspräche und geht zuweilen in a über: Ichila,
fnga, tkdJca tschako.
§ 63. Mhd. ö.
ÄXlid. ö > ma. ö, ausgenommen vor r. Es ist also in den
meisten fällen mit mhd. e zusammengefallen.
1) öl öl, tsüpfn Zöpfe flechten, pögln bügeln, pödn pl. zu
boden, pölix bocke, Icsröf felsen (coli, zu mhd. schrovc, daneben
hsyjftüY *gesch'üve), /'öTe' völlig', beinahe, sä fltr soxiel, Ihlölhln
flechten, klöppeln (zu mhd. Uoclicn), iöhm f. dunst, dampf (vgl.
Schweiz, top feucht), grösw junger bäum {ivcemdxtgrösw eine
art christbaum, mhd. grözsinc), lisnöpf gesicht (verächtlich; zu
'schnupfen', vgl. Schmeller unter schnopfen; möglich wäre es
auch, es zu 'schnabel' zu stellen, vgl. Kluge unter sclinabel).
Anm. 1. ö erscheint auch häufig als Vertreter von slow, o vor pala-
talen, z. b. pöliv Fölling (für *polanc), glö{d)n9ts Glödnitz (für *glodmtsa)
u. s.w. — Auffälliges e hat das fremdw. seps 'schöps' (schelte), iepssn schöpsern.
2) Vor h ist es zu e geworden : ertr örter (orte), wertr worte,
äerfr dörfer, sper rauh, schwierig {m\\^. spare), mcrl,me)-lw möhre;
vgl. auch inesr mörser. Ausnahmen: neben her» hört man sehr
häufig hävn pl. zu hgri) m. hörn, desgl. Ihnörtsl, Jchnirtsl neben
Ihncrtsl knirps (zu mhd. hiorre). Jenes ist wol analogiebildung,
vgl. sl{)g schlag, pl. slög, dieses dürfte eine compromissform
sein {Vinur^ü — hiorzil).
Vor h erscheint c {cd) für ö nur in textr, teoxtr töchter.
Anm. 2. Dem umlaut des (urspr. geschlossenen) slow, ö vor ;• ent-
spricht derselbe laut, der für mhd. e vor r auftritt, nämlich i bez. i; z. b.
pirtidx Pörtschach (wind. loc. pgrntMx für *pon'Üax), girtidx Görtschach
{*goritsax), girts Görz i*gorHsa), s'irg Sorg {*zoriJce) u.a.m. Das deutsche
ö bez. 0 muss demnach vor ;• offenbar schon sehr früh eine offene ausspräche
gehabt haben, sonst wäre die verschiedenlieit der behandlung nicht zu er-
klären.
74 LESSIAK § 64. 65. 66
§ 64. Mhd. ö.
Mild, ö > 0«: strga stroh, khlöa klaue (mhd. Mo), flga floh,
roat rot, tgad tod, Moas stoss, rgasa 'rose', bluine, slgas verschluss
(mhd. sZcJi'), Igas los, pgasn (herunter-) schlagen (mhd. hosen),
g))H)gas (neben gnipas) ambos, Iclügatsa gedörrte birne (mhd.
klöslire), gastnj ostern, /.7??(>«s/rkloster, Iganlohn, sganon sdionen.
Vor r erscheint es als () : gra olir, rör röhr, Igrivr lorbeer,
mgra schwarze kuh (mhd. mor mohr).
Anm. 1. Die stacltspraclie hat dafür fast durcliweg- geschlossenes v:
rot, not U.S.W. Daher stammcu (jrosfgtr grossvater (dag. groas gross; für
echt lua. eulce), löt lot, poshgft {-hafte) hoshaft (mit anlehnung au })ösn m.
heimtückisch zugefügter schaden), ftrmla'ihiiom frohnleichnam (statt des
sonst verbreiteten (jolslodmdstog gottsleichnamstag, dag. frganiclsn frohn-
wiese). Eine neue eutlehuiiug ist Idirma, Ihrnnc (münze), dag. Jchroan
kröne, IgntsJchrgan Landskron. Neben einander stehen trgast — trosl trost,
prgat (selten, als piygärfs betrachtet) — }yrdt brot, sehr üblich ist auch die
compromissforni pröt.
Anm. 2. Die lebnwürter im wind, bieten dafür fast durchgehends {>:
ngt not, ngn lohn, h-gt waldteil u. s.w.
§ 65. Mhd. oe.
Mhd. (ß > ea (es fällt also mit c zusammen): jleasn flössen
(zu ilgus floss), neatn nötigen, teadin 'tödin', todesfrau, r^atl
rötel (eine krankheit), snQada 'schnöde', unansehnlich, p^as böse,
seasl rockzipf (zu -schoss'), teasl dummkopf (zu 'tosen'), sl(>atn
Wäsche ausspülen (zu mhd. sUte schlämm), dr l^atiye teufel (zu
\\i\\i}i.lcetic, vgl. KWb. s. 181), si^asl stössel, pr^asl brosame, dr^asl
drossel (vgl. ahd. drösca), lieandn höhnen, heulen, s^an schön,
pqändln mit bohnen spielen.
Vor r erscheint es als e: hcru hören, Jcfrcrv sich gefrieren
(ti-ans. '*(jefroeren), ter unempfindlich (mhd. Hoerc), terds taub
(mhd. trerisch).
Vor l als e, eo: dedhx, deUx Dellach (slow. JDöle), hliel (nie
mit c:)) kolil (mhd. ho2le).
E. Mhd. u, ä und deren umlaut.
§ 66. Mhd. u.
Mhd. II > ü: sprüx Spruch, stühm stube, liüf hüfte (mhd.
Imf), 67«/" Schlupfwinkel (mhd. sluf), snmts schmutz, suU schuld,
iruts trotz (mhd. irut;^), p)runst feuersbrunst, tuhx m. tücke (mhd.
§ 07 MUNDART VON PEKNEGG. 75
tue), trutta alp (gespenst, mlid. trute), hwgl limge (mlid. hmgeT),
furx fiu'clie, sturhm stürm, san solin, nnna noime (mlid. UHune),
Sana sonne, summr sommer, Jistviinmmi geschwommen, gdpründn
gebrannt (mlid. gebrunnen), gfuidn gönnen.
§ 67. Mhd. iL
Mhd. ü > f: Ixhnmi m. knoten (mlid. hüihel), slfe süffig,
slwvu das heu in häufchen {söicrlcm) bringen (zu 'schober'),
sist sonst (mhd. süst), JcMs kissen, Mrit n. altes, verrostetes zeug
(zu mhd. rot rost), sprlsl sprosse (mhd. sjjrüzzeT), tslgl zügel, rasse
{mii^.zügel), fliga flügel (m\\(\..vlügc), IJnnon können, Mlnekömg,
Qnfrlmdn bestellen {m\\{\..vribnmen), milnr müller (mhd. mülncBre),
piln brüllen (mhd. hüllen), fir für, iir tür, sünj stöbern (mhd.
stüni), hie ührlein, rtJidln wiehern (mhd. rülielen).
Vor pf, pp, l-Ji, Ich, ts, Id, It, n und r + consonant ist der
nmlaut in vielen fällen unterblieben: slnpfn schlüpfen, stiqjfn
(mhd. stiipfen), strupfn zwischen den fingern durchziehen (mhd.
strupfen), hiipf'n hüpfen, tupfn tupfen, Supfn schupfen, stossen,
tsupfn zupfen (bes. haare, zu 'zopf'); — stupjmi f. pulver, staub
(mhd. stüppe), Wiluppm kluppe; — mitl:J;um\\Q\ie, r?^/.7i;j rücken,
prulJctj brücke; — stul-x stück, oustulhn au>;tückeln, lu/i/ui lücke,
tsudlulchn verschliessen (zu mhd. lüchen), nüdin rücken, smukhu
schmiegen (mhd. smücl-en), pulilin bücken, iulilin jucken, tuhlin
ducken (mhd. tüclien), drulihn drücken; — nuts nütze, nutsn
nützen; — ^«W^w golden, stiltsn ^\\\zq, i'^ZcZe schuldig, vgl. auch
icrdon aus wolle; — pdduulxhn bedünken; — purgr bürger, purn
bürde, purtsln purzeln, vgl. auch purndu aufheben (mhd. hürn).
— Dazu kommen ^)M^/« bütte, tuttln saugen (mhd. tüttcln), rutsn
rutschen, Muhl küche, lug f. lüge, lügu lügen.
Dagegen ist unter ähnlichen bedingungen der unilaut ein-
getreten z. b. in gliJcx glück (vgl. auch zarzerisch gdlikxe glück,
glücklich), trililma trockenheit, trikhndn trocknen, tiklm tückisch,
hhripfn hüsteln (zu * kröpf), tippl döbel (mhd. tühel), tsippl
büschel von heu, haaren etc. {m[\^. schüheJ); — spritsn spritzen,
pltsn lache, feuchte stelle (mhd. hütze), ritse mit 'rotz' (pferde-
krankheit) behaftet, s'ds schütze, psitsn beschützen; — liiltsjn
hölzern; — ivintsn wünschen, tsintn zünden, tinstn dünsten,
pwU m. gesch willst, bündel (jawwM. punhen); — ivirgu würgen,
stirtsBn stürzen, firhm getreide säubern (mhd. vürhen), hirt Hirt
76 LESSIAK § 68
(ortsii.. urk. Hnnli "liiirde'), (//rs/c' durstig (dag. durstndn dürsten)
u. ähul.
Zu den umlautlosen formen des conj. praet. wie tsuntot
zündete.* sun(pt sänge, slns^t schlösse, slnfdt schlöffe u.s.w.. vgl.
i; 170. f.
Aum. In älteren wind, lelinwöitern erscheint u als substitutiouslaut
für (lentsclies «, z. b. Mla füllsel (ma. füa), IcuhiU küssen, Imtä hütte, nün-
hai5 wün.schen, kmill knüttel.
§ 08. Mhd. ü.
Mhd. 11 > au: liamva haube, paunon bauen, raiidn räude
(mhd. rüde), sautcr sauber, gaiidn prahlen (mhd. (/nden), maudn
schnaufen (mhd. snüden), auir euter (mhd. ilter), IMausn klause,
/«?<Y5;i jauchzen {m\\^.jüwesen), Jp/Va^(>^ia pflaume, c?aMw^ daumen,
tsauu zäun, slautmi schlummern (zu mhd. slün = slür müssig-
gang; die nördl. ma. haben slaunon in der bedeutung 'von
statten gehen', mhd. sinnen). Auffallend ist glaum neben glmm
(mhd. geltme). — maurr maurer, traure traurig, säur hagel
(mhd. schür), säur sauer.
Aum. Die Silbentrennung vor silbischem r ist pa-uf bez. pä-rpr,
Tgl. § 41.
In den dialekten westlich von Ossiach und im 'Unteren Drautal' ist
das u in diesem falle zu lo geworden: päwr, $äwr, mäwr bauer, schauer,
mauer etc., dagegen nicht vor l. In unserer ma. schwankt man in der
ausspräche zwischen fä-iil und faul (einsilbig) faul , khnä-nl und khnaul
knäuel, jedoch fast ausschliesslich iä-uln heulen (mhd. *jülen zu jCi).
Dieselbe diphthongierung erfuhr n in fremdAVörtern : iausn
jause (.slow, jif/m«), «n//ij; Südwind (slow, j/lr/), tsauhn Z-dUchen
(ortsn., wind. suJid), saunidn rauschen (beim herannahen eines
gewitters; slow, sumeti).
Auch hier lassen sich an der hand der deutschen lehnwörter
im wind, die drei stufen der entwicklung w > ou > au ver-
folgen: a) Erste schiebt ü: mnta maut, murar maurer, puuatd
bauen, Jcüma kaum, hipaz taubenschlag (mhd. tübhüs), rät (ma.
raut) rodung (mlid. *rüt), sübua schaufei u.s.w. (eine noch
ältere stufe liegt vor in mir mauer, stsd für *xysa haus, mit
*y als Substitution für ü). — b) Zweite Schicht: für ou (geschl.
0 -{- u) sind mir nur die beiden beispiele fduöuz (für *foglouz)
Vogelhaus, und fürouz pfarrhaus, bekannt. Bei 0. Gutsmann
(Deutsch- wind, wb.) finden sich noch stros strauss, tror trauer-
§ 69. 70 MUNDART VON PERNEGG. 77
flor (mit 0 für *oh?). — c) Dritte scliiclit: zduhrn sauber, sncuha
schraube, u.s.w.
§ 69. Umlaut des mlid. ti.
Der umlaut des ü (mlid. tu) erscheint wie urspr. i als wi:
Ihrceits kreuz, ceüa eule, Jchceis schwach, gebrechlich (mhd.
kiusche), listrceis 'gesträuss', gesträuch, Iceitrtj läutern, j9(b?7Z
beutel {ahd.j^tUil, vgl. wind. j)/(/?a, pütli), ^w^^/f gemäuer, dceilin
dünken, däuchten, aufnüceindn auftauen (mhd. entlnmen). Da-
gegen unterbleibt der umlaut vor m: rannmi räumen, frsannmi
versäumen.
F. Die mhd. diphthonge ei, oii, in.
§ 70. Mhd. ei.
Mhd. ei > a (es fällt also mit a = mhd. ä, ce zusammen):
srä schrei, law laib, slapfn Schlittenkufen, pantoffel (mhd. sleipfe),
sirä/" schweif, sCifn) geifern, langsam rinnen (mhd. sei fern), liafte
erbittert (mhd. heiftic), mtn holzspäne (mhd. scheite), pfaf f.
hemd (mhd. i^/e^Y), fast feist, äs geschwür (mhd. eis), säs (mhd.
schein), snäsn reihe (mhd. sneise), mäs maische, fräs f. freisen,
rätl drehstange (mhd. reitel), nag neige, sivay 'schwaig', sennerei,
sträx streich, furtlähndn fortlocken (mhd. leichen), pän bein =
knochen, länon lehnen (mhd. leinen), läni lehm (mhd. leime),
fäm feim, pdhüm geheim, mal fleck, muttermal (mhd. meil),
fäl feil, mär nieier.
Für contraction aus -agi, -egi-: träd getreide, giäd jagd
(mhd. gejeide), mastr meister, ädn %g^% (mhd. eide aus *egede).
Vielleicht gehört auch nüwr bolirer (mhd. nagehcr < naheglr)
liierlier. madl mädel, scheint dem 'höfischen' entlehnt zu sein.
Anm. Die iiürdl. (;f<-(lialekle (Gurktiil etc.) uiitersclieideii iroad, (jioad,
moastr (aus *agi) und ädn (aus *c(ji).
Für fremdes oi steht ä in ändtsn gabeldeichsel (wind.
iwintse für *ojnice), slär Schleier (mhd. sloier); für fremdes
a -f / (bez. palatalj in Ihran (nördl. kJiroan) Krain (slow. kran).
Dagegen erscheint wi (vgl. Schatz s. 61) in geeist geist,
gceistlu geistlich, /laulc heilig (dag. hal heil), fkeis fleisch, roiin
rein, khwisr kaiser (aber khäsrpira kaiserbirne), poglceiin be-
gleiten (dag. lätn leiten), hceid beide m. neben hädn m. heide-
koni. f. beide, ceivkla eigentlich (dag. ägn eigen), dr tsivceite
78 LESSIAK § 71
der zweite (dag. tsirä 2), pneits 'bereits', fast, polceidw be-
leidigen (dag. lad leid), gtnceinde gemeinäe (neben gniän gemein,
nnigegend. gemeinweide). Alle diese cui sind anf fremden ein-
tluss zurückzuführen. Zu -hceit, -Jcceit -heit, -keit s. § 75, 2, anm.
Eine besondere bewantnis hat es mit dem cei in cöi ei, pl. ceir,
und mwi mai, mceidn schälen (von jungen, frischen zweigen
die rinde" ablösen; auch sich schälen), mceipn f., mceipam mai-
baum. Hier hat sich das urspr. geminierte i ebenso regelrecht
erhalten "wie das u in au = mhd. ouiv{e). Mhd. ei hätte
eigentlich zu ä werden müssen, aber im pl. mhd. ei-ier musste
das i erhalten bleiben (ä-rr)] durch ausgleicliung ist es aus
den flectierten formen auch auf den nom. acc. sing, übertragen
worden (vgl. die zarzerischen formen oäic ei, mgüie maibaum,
gegen sonstiges oä, z. b. l-hoa.mr kaiser).
Wenn es dagegen nie (demin.), arlhlgr (eierklar, eiweiss)
heisst, so erklärt sich dies daraus, dass vor folgendem con-
sonanten die gemination aufgegeben werden musste (vgl. unten
§ 73, 2 khräl).
§ 71.
Das a, w'elches unsere ma. im gegensatz zum pa der
meisten übrigen bair.-österr. ma. als Vertreter des mhd. ei be-
sitzt, erstreckt sich auf einen grossen teil der kärntnischen
dialekte. Wenn wir etwa durch die mitte des deutschsprechen-
den gebiets eine mit der Sprachgrenze parallel laufende linie
ziehen, so entspricht diese ungefähr der grenze zwischen den
«--und oa-dialekten. Die südliche hälfte (das Gailtal mit ein-
begriffen) spricht a, die nördliche qü. Auch das einst kärnt-
nische, jetzt tirolische Pustertal und die friaulischen Sprach-
inseln scliliessen sich dem a-gebiet an. Zarz-Deutschrut dagegen
hat QU, das Gottscheerländchen neben einander qi, gai, ga.
Die in der einleitung beschriebene nordgrenze des Feldkirchner
dialektgebiets bildet zugleich einen teil der a;ga-\m\%.
Ich kann Schatz nur beipflichten, w^enn er die meinung
Nagls, das a sei kein einheimisches, sondern ein durch cultur-
übertragung eingeschmuggeltes fremdes element,. für unhaltbar
erklärt. Es müssten sich unter dieser Voraussetzung denn
doch irgend AN'elclie reste mit altem ga vorfinden: so durch-
§ 72 MUNDART VON PERNEGG. 79
greifend kann diese bewegung- wol nicht gewesen sein, dass
sie jede spur eines urspr. ga getilgt hätte.')
Es scheint vielmehr eine im Verhältnis zu den (>a-ma.
gewissermassen conservativere entwicklung des diphthongs zu
dem heute vorliegenden ergebnis geführt zu haben. Wie
mhd, i in unserer ma. nicht zu ai mit hellem a (vgl. Schatz
s, 5) geworden ist, sondern bei cei (eigentlich oee) stehen blieb,
so, meine ich, hat sich dem parallel auch in ei der erste com-
ponent nicht über a hinaus verändert, sondern es ist als letzte
Vorstufe der gegenwärtigen entsprechung ai bez, ae anzunehmen,
dessen zweiter bestandteil sich allmählich dem ersten anglich,
während wir für die übrigen bair.-üsterr, dialekte wol eine
Weiterentwicklung etwa ai {ae) > äae (oae) > ga vorauszu-
setzen haben.
Die drei entwicklungsstufen ei — ai (ae) — a finden wir
in den lehnwörtern des wind, wider: a) Erste schiebt öl (ö):
JÖitra leiter (ma. latr), hmöitn froh (mhd. gemeit), holda heide-
korn, hoär eiter (ma. dir), zofa seife (ma, säfn), pluJia bleiche
(ma. plälin), tsöna handkorb (mhd. seine, ma, tsäna) u. a. m.
(wenn sich dagegen in oberkrainischen dialekten formen mit
gi finden, z. b. Igitra, so sind sie natürlich den 'oa- dialekten'
der ehemals zahlreichen deutschen siedelungen in Oberkrain
entlehnt, als deren letzten rest wir die Sprachinsel Zarz zu
betrachten haben). — b) Zweite schiebt ai: hmdhia wald (eig.
gemeinbesitz), raitatd, raitingd (mhd, reiten, reitimge\ ma. rätn,
rätin), hdiiua geissei (ma. gäsl), raizd reise (ma. ras), räi tanz
(mhd. reie), mäldr meier (ma. mär). — c) Dritte schiebt: t sälin
zeichen (ma. tsähn), stdnifs 'Steinmetz', maurer, täl teil u.s.w.
§ 72. Umlaut des ei.
Zum a < *ei gibt es auch einen umlaut ca; vgl. ivqahn
Weichheit, weiche (als körperteil), jrrt^atn (seltener j;m/«) breite,
mqasl dem. zu niäsa meise, sic^af pl. zu sicäf schweif, strqaf
pl. zu straf streifen, Jchr^as zu khräs kreis, m^asl zu mäsl meissel
tcögl^ast zu -last f. geleise. Nebeneinander stehen gas und g^asr
gaissen, rän und r^andr raine. tv^ats pl. zu icats hat die be-
deutung 'weizensorten, -f eider'.
^) Paindorf, ma. ix^andorf, bildet keine ansuahine. Der uame lautet
Ulk. Bondorf 'Bohnendorf .
80 LESSIAK § 72
Ferner die comparative Ihl^anr kleiner, xü^ahr bleicher,
pr^atr breiter, heasr heisser, ivealir weicher (daneben auch häsr,
ivCihr) zu IMdn, pläx etc.; analogisch j^>-fa/y- neben präfr braver.
Es ist zu bemerken, dass die plurale der neutra, vgl. scü{r)
seile, mäl{r) male, niemals umlaut liaben, und dass ausser j^räf
kein einziger fall von Übertragung desselben auf ein anderes a
als das aus ei entwickelte vorkommt (etwa a = *ä oder oii).
Schatz s. 62 erklärt dieses ?« als analogiebildung nach dem
umlaut des ga (mhd. o). Für ihn lag dies auf der hand, da in
seinem dialekte mhd. ei und ö in oa zusammengefallen sind.
Aehnlicli deutet es Nagl (Eoanad, einl. § IG). In seiner ma.
sind zwar *o und *ei geschieden, dagegen ist sowol *or als *ei
zu Qa geworden. Nach dem muster oa '^or > ea *ör sei auch
*ei umgelautet worden.
Indes für unsere ma. ist eine analogiebildung völlig aus-
geschlossen. Wir werden in diesem ea kaum etwas anderes
sehen dürfen, als wirklich eine art umlaut des ei; denn es
wäre wol sehr gewagt, anzunehmen, die nördlichen oa-dialekte
hätten das vorbild abgegeben. Dagegen würden sprechen fälle
wie ivats (ahd. iveizi), ymän (ahd. gimeini), tsäna (got. tainjö),
patsn (ahd. heiszen, für *baitjan), ratsn (ahd. reüzen), snätn
entästen (mhd. sneiten, für *snaidjan), lätn {*laidjan) u. ä.
Ich habe mir folgende erklärung zurechtgelegt: eine be-
einflussung des ei durch einen folgenden palatal konnte sich
erst geltend machen, als ahd. ei, das doch wol aus geschlossenem
(umlauts-) e + i bestanden haben dürfte, im bajuwarischen
wrder in cei, ae überzugehen begann. Denn ei als solches
konnte durch einen folgenden palatal wol nicht sonderlich
modificiert werden. AVir müssen nun annehmen, dass in dieser
zeit (12. jh.j die palatalität der consonanten in solchen fällen,
wo ein folgendes i geschwunden oder zu e geschwächt war,
sclion aufgegeben worden war, während z. b. in den fem.
abstractbildungen auf -i und in den deminutiven, wo das *
sich erhalten hatte, vor diesem der palatale Charakter des
consonanten gewahrt blieb, der den diphthougen an seiner
Weiterentwicklung zu *ae hinderte.') Während also das ei
'; Trat doch auch der umlaut des e nur da ein, wo das / der folge-
silbe sich länger erhielt (§ 57, 4, anm. 1).
§ 73 MUNDART VON PEKNEGG. 81
in hreit zu *ac wurde, blieb es in hreiti unverändert. Aus
einem solchen nebeneinander me hraet — hreiti musste sich —
nach dem Vorbild von rot — roeti u. s.w. — für das sprach-
g-efühl natürlich unbewusst der geg-ensatz von nicht umgelau-
tetem und umgelautetem ae herausbilden, der dann analogisch
auch auf die pluralbildung übertragen wurde. Was die Steige-
rung anbelangt, so kann er sich hier wol auch auf lautgesetz-
lichem wege entwickelt haben, denn es ist nicht sehr unwahr-
scheinlich, dass sich hier — zumal im Superlativ — das neben-
tonige / länger erhielt als unter ähnlichen bedingungen in
anderen nebensilben.
Dieses 'umgelautete' ei ist in der folge — wol über ee —
zu f« geworden und mit dem aus mhd. e entstandenen diphthong
zusammengefallen.
In pQade (neben seltenerem pääe) beide, tveane geht das
f« höchstwahrscheinlich auf r zurück (zu jenem vgl. Sievers,
Beitr. 10, 495, anm.).
§ 73. Mhd. ou.
Mhd, ou wurde vor gutturalen und *u zu au, sonst zu «.
1) o«t > a: gläbm glauben, stäw staub, law laub, säw schaub
(auch 'geld'), tsäivm zaubern, lahm vorhaus (mhd. louhe); traf
m. traufe, /«/"taufe, gäfn i-aum, gebildet durch die aneinander
gelegten hohlen bände (mhd. (joufe), räfn raufen, lüfn laufen,
sträfn streifen (mhd. stroufen: *02i nach ausAveis der pa-ma.),
llmäflu knitpfen (zu mhd. Jmouf); gäm gaumen, tsäm zäum,
täm dunst (mhd. totini), träm träum, säm säum, räm rahm
(mhd. roum).
Die ausnahmen iirlamv Urlaub, neben clrlähn erlauben,
Jihauf kauf, neben /:liafn kaufen, rauhm, ranwr rauben, räuber,
neben räw raub von bleuen (daher rappöeia raubbiene), haup-
mQn, -sglin hauptmann, liaui)tsache, neben happl krautkopf,
stück woUvieh, happotu pl. köpfende {'^hoiihethette), sind sicher
auf fremden einfluss zurückzuführen.
2) ou > au: auga äuge, laugmn leugnen, taugn taugen,
laugn lauge, ratix rauch, spaulhn herumschleichen, trans. ver-
jagen (vgl. Kluge, Wb. unter sjmJi, '^spank-), kauldn allerlei
bewegungen machen, 'gaukeln' (vgl. § 117, 1, c). — fräu frau,
du au, gonäu genau, tau tau m., liaundii hauen, saugv schauen,
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVllL (j
82 LESSIAK § 74
duM'c {amvea) ach (mlid. ouive). Die ausnahmen u auch, lax-
(jrean (^-L) unreif, 'lauchgrün', ivölfa Wolfau (urk. Wolfowe),
(jnmsa Gnesau (urk. Gnesoive), erklären sich aus der neben-
tonig-keit, bei ä ist die schwachtonige form verallgemeinert
Avorden. strä (neben ströiv) streu, tsr-, frsträndn zer-, ver-
streuen (neben gnströhn anstreuen), gehen auf die mhd. kurz-
formen slrou, stroun zurück, ebenso hhml kräuel (für "^Icrouwel,
gen. Vü-oules u.s.w.). Auch lfm lawine, scheint hierher zu
gehören.
Dass sich ou über au zu ä entwickelte, können wir aus
den lehn Wörtern im wind, ersehen: a) Erste Schicht: die ältesten
entlehnungen haben sehr geschlossenes ö. Es ist wol aus öu
hervorgegangen, wie denn im wind, auch sonst öu vor labialen
in ö übergeht: röp raub, sköpa schaub, nöpa iaube', Vorhalle,
tsöprato zaubern; daneben steht u in ^nww weberbaum, uüx
(für Hng) lauge. — b) Zweite schiebt: strcmfatd {== msi. sträfn),
tsaunidr \)Ya.ntt\\\\YeY (ma. tsämr,ti\Y'^^oumwre), drlauhatä (=:ma.
drlähni). — c) Dritte schiebt: ^;a»i bäum, zämdr (ma. sämr,
mhd. soumcere) u. a.
§ 74. Umlaut des ou.
Als Umlaut des ou erscheint mi in folgenden fällen: 1) Imi
lieu, hce'uß) heu machen, göei gau (gewöhnlich nur im pl. ge-
braucht; im sg. ist es weiblich, wol nach analogie des pl.),
fr(jeid freude, hfrceindn (ge-)f reuen; — 2) migle äuglein, frceiln
f. fräulein; — 3) pdüeibm betäuben, frkhceifr Verkäufer.
- Vergleiche dagegen j9«?«7«^/ö' beiläufig, {nus-)pmndn ('^höumm),
pamle bäumlein {pümr bäume), und die oben erwähnten glähm
{^galauhjan), sträfn (^^'straupjan), au (*awjö) u.s.w.
Wenn wir alle diese fälle überblicken, so können wir wol
mit Sicherheit annehmen, dass wir es nirgends mit einer laut-
gesetzlichen entsprechung des öir-umlauts in unserer ma. zu
tun haben. Die unter punkt 2 erwähnten fälle sind einfach
analogiebildungen nach dem umlaut des au aus '*ü {frmiln ist
übrigens der entlehnung sehr verdächtig), pjkcihm, frMiceifr
entstammen höchstwahrscheinlicli der schiiftsprache. Die unter
punkt 1 genannten Wörter sind als compromissformen zu be-
trachten, bedingt durch das nebeneinander von urspr. umgelau-
teten und nicht umgelauteten formen desselben Wortes.
§ 75 MUNDART VON PERNEGG. 83
§ 75. Mhd. iu.
]\Ili(l. hl (=g'erm. eu) > ma. oi, cei). 1) oi: urspr. mw ent-
spricht es in lihroindn gereuen, ploinou bläuen (mlid. hliutven),
Ichoindn kauen {xnh^.hiuiven; dazu Icliöia kinnlade, maul, Tilioipöx
kaupech), noimn stampfen (mhd. nimven). Es erscheint ferner
in füir teuer (selten fcnir). tvoishi wehklagen, wimmern (wol
zu 'weh': *^^•Mt•- als Schwundstufe zu *i.vanv-), Istoichidn ge-
rinnen, stocken (vgl.Nagl, Roanad v. 177 g/fuitn; indog. wz. steu-
[dli-\ s, Beitr. 26, 309); Ihrois krebs {m\i± krin 2, lcreus\ Nagl,
Festschr. f. P. H. Mareta, erklärt das ^eu aus eiv < eh)\ tröhn
trieb-, viehweg (in Pernegg fast unbekannt, bes. in den ober-
kärnt. ma. heimisch: vgl. KWb. s. 72. Schatz s. 65')).
Nebeneinander stehen toiß — iceiß teufel, tsoig — tsceigzeug
(Werkzeug, Stoff), nöi — ncei neu, töir — t^ir teuer, Jwir — hceir
heuer. Selten ist trol neben trcvi treu, und dröi (drei uhr,
mhd. drin) neben drcei. Die cei -tormeii sind gegenwärtig die
häufigeren.
oi erscheint ferner für wind, iu in poitsa blutegel (wind.
piuiiitsa), für wind, n mit vorausgehendem palatal in loibl Loibl
(slow. Ljiihelj] eig. luhel), loihn Leoben (Kärnten und Steier-
mark; urk. Linhina für ""hihina, luhjcma; Ortsnamen mit oi sind
nicht gerade selten, doch steht mir keine sichere erklärung
derselben zu geböte); für fremdes eu in hois Matthäus, für oi
in lois Alois, tsöia häher, tsoiga verdorbener maiskolben (wind.
söid) u. a.
Anm. Auffallend ist das « iu läwax Laibach (slow. Ljubljana für
*lubjana); die nördl. ma., ebenso Zarz haben ga, Gottschee oi = *ei).
2) (ei für ni erscheint, wenn diesem ein i oder j folgte,
d. h. wenn umlaut eintrat (r und w wirkten umlauthindernd,
vgl. oben noi, trui, töir): tceits deutsch, Iceit leute (dem. Iceitl
kommt auch im sg. vor), dceitn deuten, sirrceitsn spreizen (*spriut-
jan), nn'ine' neun (mhd. niunin), fceixin flehte (vgl. Kluge, Wb.
unter ficJtte), heixtn leuchten, grceipa griebe (*griubjön), Iceisn
leuchse, sceix scheu, sa^ihn feldscheuche, scheuen, h scheint also
in unserer ma. nicht umlauthemuiend gewesen zu sein.
Als 'höfische' lehnwörter sind zu betrachten frceint ver-
^) Zuletzt hat dieses wort besprochen V. Hintner, Zs. f. d. Wortforschung
1902, s. 129. Er erklärt es ans tn'ircy — << irihweg — triebweg.
84 LESSIAK § 75
wanter, freund (vg-1. Schatz s. 66 fnt^t), tsocig zeuge (die neben-
form tsceige weist direct auf entlehnung), stwir Steuer (die nördl.
ma. haben noch stuir)] prceidn brauen, ist sclion an seiner
endung- als fremdwort erkennbar; es müsste ma. zum mindesten
prce'mdn lauten; dasselbe gilt von rceidn reuen (neben khroindn).
plml bläuel, ist vielleicht auf %lüivil zurückzuführen. Bei
pceintn (vgl. Kluge, "Wb. unter heunde) liegt wol die form Mwende
zu gründe, während für die ma. mit oi, ui (vgl. Schatz puit)
hiwende mit t als grundform anzunehmen ist.
Das urspr. Verhältnis: o'i als Vertreter des nicht um-
gelauteten, «?/ des umgelauteten dii)hthongs iu, ist, wie aus den
angeführten beispielen hervorgeht, ziemlich stark getrübt
worden durch die grosse beeinflussung, die die ma. in jüngster
zeit \o\\ Seiten der stadtsprache erfährt. Doch schon der um-
stand, dass wi nur in den Wörtern auftritt, die auch das
'höfische' kennt, dagegen nicht in den ihm fremden wie nohidn,
ploimm, kkrois u.s.w.. beweist zur genüge, dass wir es hier
mit entlehnungen zu tun haben, die die echten formen zum
teil sch(jn verdrängt haben, in anderen fällen sie zu ver-
drängen suchen.
Was die flexion der starken Zeitwörter der zweiten klasse
anbelangt, so ist ?<9 im ganzen präsens verallgemeinert worden.
Man tlectiert also durchgehends i sidtv, du sidhst, er sidp u. s. w.,
imp. sidiv.
Entsprechend der urk. Schreibung des diphthongs (iu — eu)
erscheint in älteren fremd Wörtern des windischen teils iu: riua
trübsal, unglückliches weibsbild (mhd. riuwe), hriuato (für
*griimti) gereuen (vgl. auch slow, stihra Steuer, mit *v > h),
teils öu: tsöuh zeug, döup dieb.
Metathese von iu zu ui, wie Schatz s. 66 meint, ist kaum
anzunehmen. Die entwicklung dürfte wahrscheinlich folgender-
massen gewesen sein: iu > eü > öü, dieses mit dissimilation
zu oü und weiterhin zu oi bez. ui, während das umgelautete
iu über iü zu ü und weiterhin zu cei wurde.
Anm. Bemerkenswert sind die formen da die, nora. acc. \}\. und nom.
acc. fem. sg. '*dhi, so sie, nom. acc. \)\. '*sm, firmvö warum (für *für [ein':!]
wiu, vgl. KWh. s. 259 znw, zwoi). Das ö wird sich kaum anders als aus
*/n erklären lassen, und zwar dürfte es aus *öü, also einer Vorstufe des
heutigen oi, hervorgegangen sein. Der grund, warum die iu in diesen
wortformell in der entwicklung hinter den übrigen zurückgeblieben sind,
iis 76 MUNDART VON PERNEGG. 85
ist ihre eventuelle uebeiit»,.iiigkeit. Ursprüiiglicli müssen du (nebentonig)
— doi (starktonig-) n. s. w. nebeneinander gestanden haben. Diese wurden
allmählich verdrängt, indem man die nebentonigen formen verallgemeinerte.
In döge, do/ge 'diese", der adjectivischen Weiterbildung- zu *dh(, ist die
(loppelheit noch erhalten (die ansieht Lexers,' K^Yb. s. 4f), doige sei in dg-iye
'darige' aufzulösen, ist entschieden irrig).
Aehnliche fälle finden sich auch sonst, die beweisen, dass die diphtlionge
unter 'stärkerenr nebenton (d.h. so weit sie nicht völlig- abgeschwächt
wurden), eine im Verhältnis zu den Starktonsilben rückständigere entwick-
lung nahmen. "Während *ei in Stammsilben über (ce, ue zu « wurde, er-
scheint es in der ableitungssilbe -heit, -Ticit als ai (lee): fobihait falsch-
heit, tiwüia'it dummlieit, ksiinthceit gesundheit. r/vJiJueit. la'iatikhu'ä leichtig-
keit, eau-iklueit ewigkeit, samvrlihxt'it Sauberkeit (nebeneinander stehen JcroDk-
h(eit und khrovkhat krankheit ; stets heisst es vnvlot Wahrheit). Es ist nicht
anzunehmen, dass hier etwa schriftsprachlicher einfluss vorliege. Auffallend
ist es nur, dass in zweisilbigen Wörtern sich daneben abgeschwächte formen
vorfinden, doch müssen wir hiei- immerhin mit ausgleichungen rechnen.
Vgl. noch /«'/A-o/' Icikauf (mhd. IHkonf) mit o für *cm statt des zu erwarten-
den « (ähnlich urslcvin kuhpockeu. mhd. urslcht, mit e für «). Wahrschein-
lich ist auch die deminutivendung -k C'-U) aus -lei hervorgegangen, s. § 89.
G. Mhd. ie, uo, üe.
§ 76. Mhd. ie.
Mhd. ie > ij, vor r > 7, vor nasal > m: 1) dioiv dieb,
li9w\ieh, tidfüet Ihlidhm'kMeheYi, /7/<>r/a fliege, smiagtj »chmiegeu.
sidx hässlich, dazu sidlin sich scheuen (mhd. schiech, schiehen),
sidhn krankheit (zu 'siech'), lidlin Iwokt zum verscliliessen (zu
w\\\di.Uechen schliessen), ///»/r« fliehen; — j)/9/« bieten, nidtn met%
grids gries, sand, pi<^st biest, mios moos (mhd. ««es-), tsiotr deichsei
für ein Ochsengespann (mhd. zieter), frlidsn verlieren, tridl m.
lippe (mild, triel). — Urspr. geschlossenes e liegt zu gründe in
i'idivr fieber, tsidcjl ziegel, sind(jl Spiegel, pridf brief. Vgl. auch
wid wie, hi9tsa jetzt, an-iddr ein jeder, nid nie.
2) Vor r: stlr stier, Ür tier, cWru magd (mhd. (Herne), sllr
geschwür, bubo (mhd. slier).
3) \oYm,n: r^c/mriemen, j9/)-fajn pfriem, /i7i«^a«c)» knieen,
d^andn dienen; ferner .str^am Strieme, M(^an kien, neamr nimmer,
n(;amp niemand. Ebenso in dem fremdwort ddleantse (doJcanfsef)
Dolientschig (^"dolidutsilcc). ]\Iit ausfall des h\ l^amtvcrg Liem-
berg (urk. LiehinhcrcJi).
i für i9 erscheint (wie schon im mhd.) in mir immer, indrl
86 LESSIAK § 77. 78
(inclrst). nindrf (nindrsf) irgend, nirg-ends (mlicl. indert, nindert).
s'if schief, ist entlelint. mm ihm, setzt ein mlid. -^iem voraus.
§ 77. Mhd. uo.
Mhd. uo > iid, vor r > u, vor nasal > ga, vor l + cons. > o:
1) rüJ ruhe, plüd f. blute (mhd. hliio), rudwa rübe (mhd. riiobe),
mudtr mutter, fudtr futter, fuddr fuder, pruotn brüten, frudt m.
artig-keit, Sauberkeit (mhd. vruoi)] dazu frudU von blühendem
aussehen), piidsn busen, mudt gemüt, tvudst wüst, hhliidg 'klug',
sparsam, karg, pudhn buche, siidhn suchen, subst. fem. furche
(ahd. siioha), Sluoxtn Schlucht (zu mhd. sluoche graben; vgl. da-
gegen Kluge, Wb. unter schluckt), spudla spule, wuoln wühlen.
Etymologisch dunkel ist Jcsnuopr sauber, hübsch.
2) für führe, fahrgelegenheit, hur hure.
3) grganQn grünen, (jrgamdt grummet (mhd. gruomnät),
plQama 'blume' (als kuhname), tgan tun (daneben tän beson-
ders in den talma.).
4) oldrdxVh'ioh, ivolmaus m2i\x\\\m:i {vüh^.'^^tviwlmüs), moltr
längliclie holzschüssel (mM.muoUer; in den nordwestlichen ma.,
z. b. Radenthein, geht uo auch vor einfachem l in o über: stul
stuhl, söl schule, dag. stidb stühlchen).
§ 78. Mhd. üe.
Mhd. üe > id, vor r > i, vor nasal > ea. Es fällt also
durchweg mit *ie zusammen:
-' 1) mtd mühe, ^;>•^^ brühe, tridw trüb, rmve ruhig (mhd.
rüewec), ridfn rufen, middr mieder, kstiddl n. Webstuhl (zu mhd.
stuodel)yplidtn\)\\it&Q., wsZrüssel, ioksn achselhöhle {mhLüehse),
tidhon (mhd. tüechin), widha geil, fett (vgl. Schatz s. 106), nioin
aushöhlen (zu mhd. nüejel nuthobel), tioln Vertiefung (mhd. tüele).
2) rlrn rühren, ßru führen, wtra rinnsal mit dämm zum
ableiten des wassers (mhd. ivüere).
3) m^ama tante, muhme (dem. m^am&Z; aus *wmomja) ; grea-
nidtn grummeten, gre,an grün, h^andl liühnchen, plqandn blühen,
gleantc glühend (mhd. gläendic), pre^anon brühen, pdm^andn be-
mühen, le^midn brüllen (mhd. lüejen, lüen), khQcmfsl klette (vgl.
BWb. 1, 267 unter IdienM. DWb. 5, 2746), Iche^an dat. pl. kühen
neben analogischem hh'mi).
§ 79. 80 MUNDART VON PERNEGG. 87
Auiii. lu wiiulischeii lehnwörteru findet sich zuweilen ;« als Vertreter
des mhd. iie, z. b. 7nüia (niuoia) mülie, pnidlinlc (ma. prialiJ) friscliliug (zu
brühr).
§ 79.
Uebersicht der entsprecliungen der ma, vocale
und diplithonge im mhd.
(Von einigen ausnalinien habe ich in dieser Zusammenstellung abgesehen.)
ma. a = mhd. ä, oe, ei, ou vor labialen.
ma. ö = mhd. e (ausser vor nasalen und r); e (ausser vor
nasalen, r, l, h); ö (ausser vor r).
ma. e = mhd, e und e vor nasalen; e und c vor l, r, h
(vor h auch ea); ö vor r; <r vor r, l.
ma. i = mhd. i, ü; e vor r (hier auch i'); ic, äe vor r.
ma. 0 = mhd. 0 (ausser vor nasalen und r); iio vor ? + cons.
ma, 0 = mhd, a, a; 0 vor nasalen und ;•; 0 vor r.
ma, w = mhd, u; iio vor >•.
ma. cei = mhd. ?, iu (= «V, d. h, umlaut des 11 und <«), [öu\
ma, mt = mhd. ^'<; ow vor gutturalen und iv.
ma. öi = mhd. nicht umgelautetem iu.
ma. ^a = mhd. e (ausser vor r, l, /*); m (ausser vor r, l)\
umgelautetem ei; ie und üe vor nasalen.
ma. id ^= mhd. ie und üc (ausser vor nasal und r).
ma. ga = mhd. 0 (ausser vor r); uo vor nasalen.
ma. ?o = mhd. uo (ausser vor nasal, r, l + cons.).
II. Der vocalismus nebentoniger silben.
A. Auslautende vocale.
§ 80.
Mhd. -e (ahd. a, e, i, 0, u) ist durchweg geschwunden in
folgenden fällen:
1) Im nom. sg, der schwachen masc. soweit sie lebende
wesen bezeichnen, d, h, das flexions-;i nicht auch in den nom,
gedrungen ist: jjö^ böte, /<er lierr, /i7«7/' gehilf e, Apshase, (7/' äffe,
pföf \)i'AU^^ hsöl geselle, tirU 'J'ürke, prmis Preusse,
2) In den starken masc, auf -c (ahd, -/, -u) : Miäs käse, wats
Weizen (ahd, ?t'e?>^?), hirsm. hirse (ahd, /«>5?); — möt met (ahd.
metu).
88 LESSIAK § 81
3) In den starken neutris auf -c: pöt bett, stuJcx stück,
ent ende, nöts netz, 23ilt bild, Ihrwits kreuz, Jiirfj 'hirn', stirne.
4) In den neutralen collectivbildungen auf -e: gtvilkx ge-
wölk, Mwis gehäuse, l-hrixt gericlit, gmidt gemüt, gtvent 'ge-
wände", f eisen.
5) In -den zweisilbigen ableitungen auf (mhd.) -misse, -in(ne),
-imge, -cere, -oete u. ä.
6) Im sing, der starken fem. (n-ded.): m.s- reise, .sto? schule,
spröx spräche, frag frage, nag neige, stunt stunde, sint Sünde.
7) In der flexion: a) im dat. sg. der starken masc. und
neutra; — b) im nom. acc. pl. der starken masc. und der fem.
der i-decl.; — c) in der l.p. ind. und 3. p. conj. praes. aller verba,
im imp. sing, der schwachen verba, ferner in der 1. und 3. conj.
praet. und in der participialendung -ende (s. flexionslehre).
§ 81.
Dagegen hat sich der auslautende vocal erhalten:
1) als a:
a) Im sing, einer grossen anzahl schwacher bez. schwach
gewordener fem.: sola schale, Mla hülle, pir« birne, pfrauma
pflaume, sina schiene, Igiva laues wasser, ggnva garbe, tswöspa
Zwetschke, taiifa daube, häua haue, karst, grata gräte, rgasa
rose, blume, ivartsa warze, süeiga hühnersteige, fllga flügel,
tsgnga zange, hglclia hacke, smelha Schmiele. Indes werden
diese formen auf -a immer mehr durch die im 'höfischen' ge-
bräuchlichen «-formen verdrängt, deren sich die jüngere gene-
ration mit besonderer vorKebe bedient. Man hört also daneben
sehr häufig sgln, gorlmi, wartsn u.s.w., zumal bei dingbezeich-
nungen.
Festes a haben fast alle Wörter, die ein lebendes wesen
bezeichnen, z. b. hena henne, lieia ziege (vgl. BWb. 1, 1188),
Icgra mutterschaf, pmia biene, wöivosa wespe, aukha grosse kröte
(vgl. mhd. üche, ouJce), ceila eule, präma bremse, anta ente; —
wiUva witwe, gota patin, nmia nonne, m^ama muhme. — Ferner
schelten und Übernamen: isgra, trgla, tr^apa, mgia,^khuna un-
geschickte, blöde person, hauta 'arme haut' (nmsc. hceitr), poitsa
feistes weib (eig. 'blutegel') u.s.w.; — taufnamen: mgitsa, mitsa
Marie, «^«5« Agnes, .se/a Josef a etc.; — eigennamen dertiere:
§ 81 MUNDART VON PERNEGG. 89
kulniamen wie sp'oißa, sfenia mit einem weissen fleck (' Spiegel,
Stern') an der stirne, tsikha die weissgestreifte (zu 'zucken'),
riJila mit weissem streifen längs des rückens, sprelda die ge-
sprenkelte, semhla die semmelfarbige, mora 'mohrin', heJma
die behelmte (weissköpfige), mansa (zu mausdt ins graue spie-
lend), nusa die nussbraune, romma die schwarze, hirsa 'hirsch-
kuh', sQfsa 'sehatz'; stutennamen: prauna die braune, Ixhöla,
swQrtsa die schwarze, selcha die scheckige u. s. w. (die zu-
gehörigen masc. sind in der regel endungslos, z. b. tsilcx, sembl,
rücM, sivQrts, prmm). Ferner einzelne blumennamen:'6'/2eaA?oM"a
Schneeglöckchen (dag. Uolih) giocke), sanaivenfa 'sonnwend-
blume', orakelblume (dag. sunaiccnt Sonnenwende).
Fast durchweg haben nur die a-form auch solche^wörter,
welche in der stadtsprach e entweder gar nicht oder doch in
einer abweichenden gestalt vorkommen (zumal wenn sie im
'höfischen' im sing, nicht auf -n auslauten): ngla ahle, h{)wa
lienkel (mlid. habe), tsäna korb, äara abgedorrter stamm, plisa
baumnadel, fehlen der Stadtsprache, scira schere, khem rand-
furche (zu 'kehren'), f()la t'dWe, Jchröta kröte, m-cb/A« weihe (-act),
s öla Obstschale, f^Ia falte, lauten im höf. sär, Wier, fgl, Tiliröt,
wieix, sölr m., foltn. Hierher gehören ferner die subst, deren
stamm auf -n endigt: pfgna pfanne, süna sonne, rlna rinne
u. s. w. Nur selten hört man daneben das höfische pfgn, sUn, nn.
Im ganzen und grossen lässt sich sagen, dass (abgesehen
von den eben angeführten kategorien) bei bezeichnungen von
kleineren gegenständen, Werkzeugen, pflanzen, fruchten u.dgl.
die rt-formen bevorzugt werden. Dagegen haben Wörter mit
abstracterer bedeutung, ausdrücke für räum und zeit durchweg
die endung -n ; z. b. söhn sache, ivöhn woche, soeitn seite, strgsn
Strasse, ggsn gasse, wim wiese, Iccitn leite, halde, Idiirhn kirche,
priihhi) brücke, hiün hütte, stühm stube, smittu schmiede, nekhi
wegbiegung (aber Ihöslrwida drehstange, woran der kessel
hängt); die weiteren beispiele s. § 141.
Die Ursache dieser differenzierung ist mir nicht ganz klar.
Es mag sein, dass die zahlreichen abstracta auf -ii die anregung
zur Verallgemeinerung der «-form gegeben haben.
Ursprünglich drei- und mehrsilbige fem. n- stamme mit
suffixalem sonorconsonanten (ahd. -a?a, -am u. s. w.) sind in die
gemischte' decl. übergetreten, d.h. sie haben ihren auslautenden
90 LESSIAK § 82. 83
yocal verloren; vgl. otr iiatter, plötr blatter, dreasl drossel.
Eine ausnähme bilden die etyniologiscli dunklen Igdra schmu-
tziges Wasser (KWb. s. 171; in ähnlicher bedeutung palüdra,
vielleicht* zu it. jjrt?2a?e), ^wrfm art matrosenpfeife, 'mund' (vgl.
dazu K^^'b. s. 215. 339), Uiittra schnapsflasche, tsumpra vulva
(KWb. s. 227), pl^adra plauderin. Fremdwort ist numra num-
mer(o). Vgl. dazu noch § 85, 1, c.
§ 82.
b) Im sing, der schwachen neutra: ora ohr, auga äuge.
Sie werden wegen ihrer endung auch häufig als fem. gebraucht
(dö auga, dö gm). Nur fem. ist ivgnga wange (eine ausnähme
bildet lierts herz, das zum teil schon im mhd. nach der jö-decl.
flectiert wird, vgl. Paul, Mhd. gr. § 131).
Dazu kommen eine reihe neutraler ableitungen auf -dda:
waJihoda eingeweichtes futter (zu ivaJchn einweichen), smöUsdda
art eierschmarrn (zu smöltsn schmelzen), fnvceisdda zerlassenes
Schweinefett (zu fnvceisn 'verweissen', abschmalzen; entspr.
slow. 2a-heliti), smoltsdda zerlassenes schmalz, sgldt-giümglidda
•abgemachter', d.h. zubereiteter salat, frhokhdda kleingehacktes
Schweinefett, säJidda harnlache (zu sahn harnen, mhd. seichen),
Jvhöhdda etwas gekochtes, tuukhoda wo man hineintunkt, tunke,
tempfdda gedünstetes, 'gedämpftes' fleisch, misdda gemisch,
ritsoda gemengsei (KWb. s. 209, vgl. BAVb. 2, 191).
In folgenden beispielen überwiegen bereits die höfischen
kurzformen auf -dt: ivakhot, smöUsot, fnvmsdt, frhokhot, tempfdt,
rltsH (letzteres masc. und in etwas modificierter bedeutung:
gericht aus gerste und bohnen). Es ist bezeichnend, dass sie
in den übrigen fällen nicht vorkommen, da diese der stadt-
sprache unbekannt sind.
§ 83.
c) Als -a erscheint der auslautende vocal ferner in folgenden
ad jecti vischen ja -stammen: gawa fett, ausgiebig (mhd. gosbe),
hariva zu viel gesalzen, 'herbe', Jchihva bewölkt (zu Jchihv ge-
wölk, mhd. gehihve), e^ada geschmacklos, leer (mhd. vede, in ähn-
licher bedeutung ^Z^öc/a, mhd.6Z«ffc), x>rqada gebrechlich, spröde
(mhd. hroide), daneben auch spre^ada (anlehnung an die schrift-
deutsche form?), ivilda wild, Imda zu wenig gesalzen, auch
§ 84 MUNDART VON PEKNEGG. 91
Ihisa (yg-l. KWb. s. 180; sclnvilb. lina), lenda weicli, nicht durcli-
gebraten, siech (vgl. dazu l(^an weicli, von eiern), Iceisa leise, >)
Jasa lässig, träge (mhd. Hce^e), Jchceisa schwach, zart, gebrech-
lich (mild. Iciusche), fl^atsa flach, seicht (vom geschirr; vgl. ahd.
//aj flach; m fordert ein urspr. e oder aj), gcüia jäh {m\\L gcelie),
sidha schiech, garstig (mhd. sckieJie), tsülia zähe, ividha geil, fett
(vgl. KWb. s. 260. Schatz s. 106, cimbr. hüge mit g = *A), träga
träge, evga enge, sUla stille, lümdla kühl (neben WiidV), tera
unempfindlich, taub, verstockt (mhd. *t(ßre). Die «-formen sind
sozusagen ein curiosum der alten leute. Die Jugend gebraucht
mit Vorliebe die endungslosen formen ead, sn^ad, siox, hanv u.s.w.
Die übrigen adj. dieser klasse, wie lull schlüpfrig im\\([.hcele),
lär (mhd. leere), stat ruhig (mhd. stcete), fast (mhd. veste), sqan
(mhd. scJicene), dm (mhd. dünne) u. s. av., haben den auslautenden
vocal verloren.
Anm. Das adv. ahd. lulid. där-inne erscheint als dnua und drin.
2) Urspr. auslautendem vocal (bez. diphthong) entspricht
-c(-e) in folgenden fällen:
§ 84.
a) In deminutiven auf -le; — b) in koseformen auf -c\ —
c) in einigen fem. abstr. (ich behandle diese drei gruppeu der
Übersicht halber in besonderen paragr., s. u.); — d) im nom.
acc. sg. fem. und nom. acc. pl. aller geschlechter der starken,
im nom. sg. masc. und nom. acc. sg. fem. und neutr. der schwachen
adjectivflexion (s. flexionslehre, § 143 ff.); — e) in Zahlwörtern
von 3 bis (einschl.) 19, wenn sie nicht attributiv verwendet
werden: drceid 3, ftre 4, finfe b, andbß 11, simtsone 11 (dag.
flr §töJcx, wisndn, glösr vier stocke, wiesen, gläser); — f) ferner
vertritt es fremdes -/: a) lat. gen. von personennamen: tsn
fdippe, loscfc, martlne, george zu(m) Philippi, Josephi u.s.w.,
analogisch mihele, iohäne Michaeli(s), Johanni(s); — ß) masc,
lat. -ins: speise 'spezi', busenfreund (^spedus), nätse Iguatius,
iune juni, irde juli (daneben auch -i); — /) fem., lat.-/«, -ium:
1) In welcher beziehimg; diese ihrer bedeutung nach so nahe verwauten
Wörter zu einander stehen, ist mir nicht vüllig klar. A'ielleicht sind ver-
schiedene wurzeln durcheinander geraten. Vgl. Kluge. Wb. unter linde und
leise. Auch loide (weiche Ij und mhd. liicmc matt, milde, können zum ver-
gleich herangezogen werden.
02 LESSIAK § 85
famlJe faniilie. mafcre 'materie'. eiter, l-hamöde komödie, stüde
Studium, (jauclc g-audium, Stuäöre stübclien {studorium). [Vgl.
auch mödd mode, brauch, paräde parade, safläde (safoläde)
cerA'ehit-wnirst, lommie limone, citrone. mit -e = nhd. e.]
§ 85. Die deminutiva.
Es "Wären in diesem Zusammenhang- eigentlich nur die -le,
-Z-demin. und die koseformen zu behandeln; ich benutze jedoch
die gelegenheit zu einer übersichtlichen darstellung der demi-
nutivbildung- überhaujjt.
üeminutive sind in der ma. ungemein beliebt.
1) Z-suffix.
a) Am gebräuchlichsten sind die formen auf -le, -ale, ilec-
tiert (gen. dat. sg. und im ganzen pl.) -lan,-dlan: /?Ä;5?e füchslein,
Ichifhle kirchlein, pcriße berglein, ptsle sträusschen (zu pmn
strauss), rlmjle ringlein, dirndle (didndlo) 'dirnlein', mädchen,
r^asle röslein, blümchen, täsle täschchen, lalMe (zu l{)k}m lache),
wcehvle weiblein, (jäsle gässchen, witrle (zu autr euter), pilfrle
pülverchen, tsikkrlc 'zuckerchen', bonbon u. s.w.
Subst. auf (mhd.) -el bilden ihr deminutiv regelmässig auf
-die (die erklärung hierfür gibt Schatz s. 71): föfple vögelein,
täfdle täfeichen, nägole kleiner nagel, nelke, ampidle lämpchen
(zu Qmpl), fjäwdle kleine gabel, lwg,Jlan (pl. e. speise; zu Imsgl
hinge). Dagegen ist bei einsilbigen auf -l durchweg synkope
eingetreten: ^«?e tälchen, teilchen (mhd. täleli[n]j ic(leU[n]), stäle
kleiner stall, säle schälchen, grak betschnurkügelchen (zu grgld),
file füllen (zu fü), snäle kleine schnalle, Jchnceüe (zu Minaul
knäuel), grde kleine grille. Inconsequent ist die behandlung
der subst. mit suffixalem -n, -m, vgl. tvägole kleiner wagen,
Jiöfole töpfchen (zu höfn), wüfdle (mhd. *iväfenU[n], zu w^fa rüb-
hacke), paddle neben pödn{d)le kleiner boden; nur öfndle kl.
ofen, pösndle kl. besen. Nach analogie der übrigen fem. Jchötl{e)
kl. kette.
-die wird ferner gebraucht, um den begriff der kleinheit
zu verstärken oder zum ausdruck der Zärtlichkeit: pidwdle
'liebes büblein', fidsdle feines, zartes füsschen, sivalwdle kosend
'das liebe schwälbchen', a khlawintsiks gartole ein kleinwinziges
gärtchen, neben gewöhnlichem pinvle, fiosle u.s.w. Stets er-
§ 85 MÜNDART VON PERNEGG. 93
scheint es bei eigennamen: nmidle Anna, seppdle (zu sep Josef),
loisdle (zu lois Alois) u. s. w.
Es scheint in diesen fällen doppelte deminution vorzuliegen.
Als ausgang'spunkt sind die dem. kurzformen fidsl, liansl u.s.w.
zu betrachten. "\Me ilsl Schüssel, über sislle zu stsole, so hansl
Hänschen, über liansUe zu hansdle.
Anm. Besonders beliebt ist -ole in der kindersprache. Hier werden
die demiuutiva übrigens gewöhnlich nmlautslos gebildet, so z.h. pudicale
st. pi9icle, fuasale st. fidsle, huntsJe st. h/'ntle hündchen, hantele Qiantdle) st.
//«»f/e händchen, vi. s.w. Umlautslose formen wie äo^ss/c, ?wö;?37e schätzchen,
mäunchen, von erwachsenen angewendet, drücken den höchsten grad der
traulichkeit i;nd Zärtlichkeit aus.
b) -l (bleibt im sg. unverändert; der pl. lautet entweder
-In oder gewöhnlicher -lan wie bei der ersten gruppe): prindl
quelle (zujjriTJi brunnen), prCitl (zu jjr(>^w braten), j^aw/iA^ bänk-
chen, stuvl stübchen, (jrdtl (zu grutn art wagen), prcvinäl (zu
praun braunes pferd), mösl kleineres moos, hhrapfl kräpflein,
stritsl (zu struts wecken), paldd packet (zu pqIiX pack) u.s.w.
Was die Verteilung der beiden suffixformen anbelangt, so ist
zu bemerken, dass gewisse Wörter, zumal umlautsfähige, die
kurzform bevorzugen, während nicht umlautsfähige ihr demi-
nutivum fast durchAveg auf -le bilden. Das letztere ist stets
der fall bei mehrsilbigen Wörtern; formen wie fenstrl, sölsrl,
tvüsrl sind in der echten ma. unerhört, dafür nur fenstrle,
soksrle, wäsrle u.s.w.
In vielen fällen haben die bildungen auf -I ilu'en eigent-
lich deminutivischen Charakter verloren und dienen häufig nur
zur begrifflichen Unterscheidung. So bezeichnet tidhl nicht ein
'kleines tuch" an und für sich, sondern speciell das sack- oder
kopftuch; bei tirl denkt man an eine ofen- oder schranktüre,
bei rddl an ein uhrrad, mäsl bezeichnet ein bestimmtes mass
oder messgefäss (man spricht wol von einer m{>s mihx, sagt
aber stets a mäsl liQivr) u.s.w. In fällen, wo das grundwort
verloren gegangen ist, wie liaftl häckchen, marl erzählung,
märchen, wäsl waise, raftl ranft (eines laibes) u. a., kann natür-
lich von einer dem.-bedeutung schon gar nicht die rede sein.
Häufig stehen auch grundwort und -/-deminutiv ohne irgend-
welchen bedeutungsunterschied nebeneinander, ygl.pötstgt und
pntstritl Schlafstätte, triulchglos und lr)ij/,h(/JäsJ trinkglas. u.s.w.
94 LESSIAK § 85
Au in. Die abweiclieude form /"ra'/Zx fräiüein, ist wol entlehnt. 'Kleine
frau" heisst fräu^le.
"Was das g-eschlecht der Verkleinerungswörter auf -le, -l
anbetrifft«, so sind sie in der regel neutra. Nur eigennamen
bilden zum teil eine ausnähme. Stets männlicli bez. weiblich
werden gebraucht die personennamen auf -l, wie dilhtl, frantsl,
igkld Benedict, Franz, Jacob; — mitsl, sandl, tirsl Mizi, Susanna,
Ursula. Dagegen sagt man fast nur s tändle, s fgltdle, s andrle
das Antonchen, Yalentinchen, Andreaschen, u.s.w. Als vulgar-
namen sind jedoch auch die demin. auf -le regelmässig masc:
clr stöfdle, dr mötdle, dr urivolc (in diesem falle wird auch der
acc. auf -lan gebildet, z. b. i Itgn on möMan liselin ich habe
den Yulgo motole gesehen).
c) Die den deminutivbildungen auf -le bei männlichen
eigennamen entsprechenden weiblichen deminutiva haben eine
besondere form -la, z. b. ädla grossmutter (für *amla > ü{n)dla
mit Schwund des nasals; dass nicht mhd. eide zu gründe liegt,
beweisen die pa-ma., falls sie das wort nicht etwa selbst wider
aus den «-dialekten entlehnt haben; die nördl. ma. haben da-
neben anlidla)] miodla Marie (neben middl; vielleicht für *'me'rüa,
mit ausfall des r nach Übergang des e > i und entwicklung
des übergangslautes), sandla (neben sandl, s. oben), liautla neben
lianta (s. § 81). Kuhnamen: r^.aüa (^''rötild) die rote, tsiJdidla
neben tsikha u. a., hctla neben heta ziege.
2) Gutturalsuffix.
- a) -dJchle, -hhdle nur in götoJchle patenkind {*goti[n]kU) und
{n)lnMidle enkel (vgl. KWb. s. 85 unter önild). Beide sind neutra
und flectieren wie die dem. auf -le.
b) -/.•e'(masc.), -^■«(fem.); mit -Ze erweitert -/es ?e: enhegvo^^-
vater, anka grossmutter (letzteres mehr in den nördl. ma. ver-
breitet), sauka (zu sau 'sau', dazu smikole ferkelchen), mrkdle
junge henne, die bald legen wird (wol zu 'jähr'; vgl. KWb.
s. 150 mii^x järetde), mgnkole, mankdle männlein u.a. (vgl. auch
pitskij f., zu putsn apfelbutzen, und holskv f. hülse). Die formen
auf -ke, -ka haben mehr den Charakter von kosewürtern als
von eigentliclien deminutiven. Hierher dürften auch gehören
euphemistische bildungen wie snakke (zu 'schnaps'), tveske' (zu
'bestie'j, vielleicht auch toikds, twikös (zu 'teufel').
§ 85 MUNDART VON PERNEGG. 95
3) -ts-, -ts-siittix.
iQmpdtsa mntterschaf {6.2i7Ä\ tampotsle), iarl-otsle (zu obigem
xarJidlc] vgl. aucli mmiskdle neben maKhole Stachelbeere, Avenn
aus *müxits-).
■ Anm. Lexer, KWb. hat noch Felbazc {= Jchöhr9tse)'ka.\hm. Jampazn,
lampizn weibl. scliaf. lu Klagenfurt sind unter der Jugend männl. kose-
forinen auf -tse sehr beliebt, z. b. mcmise maikäfer, hiltse schuldiener, bes.
bei eigennamen: R-ce/n/se Weinländer, «ice/Hfse Meingast, ?fCE«s/se Weisinger,
iceintse Scheinigg, etc.
-dts haben poppois knospe (neben poppT), Mlfdts, Mifotsle
schlechter hut (neben kllßle). Formen wie trutsdU liebling,
tvauivautsdU wauwanchen, mautsdle "mäuschen' (zu Vi\\\(\..müclien),
gehören der kindersprache an. (Die stadtsprache kennt dieses
sufiix auch bei personennamen, z. b. tvilUe ^Mlhelm).
4) Koseformen auf -e.
göte pate (fem. göta), Iwppc (vgl. ahd. chappo), hone liahn,
Male rappe (zu Ihöl u. kohle), uTite Wiedehopf, täte (ate) vater,
mfde maultier, hiMe kuckuck. Ausserordentlich häufig sind
bildungen auf -e bei männl. personennamen: frantse (zu fronts
Franz), hanse (zu ligns Hans), möte Matthäus, lutte Ludwig,
prlme Primus, rudpe Eupprecht (neben riidp), JiJiQre Karl (vgl.
Schweiz. Jchari; das l in l-Jigrl wird als demin. suffix gefasst).
— Hausnamen: iVQÜse (•\\'alther'), tvccide ('\\'ido'), fgrhe. —
Uebernamen: tuppe, tsgre, tsiwke, tslne-hane, mauJcJw, Igle (sämmt-
lich in der bedeutung 'dummkopf, cretin').
Selten ist -c bei weibl. eigennamen: nüne Anna, Ihkire
Clara, warne Barbara.
Wie aus dieser Zusammenstellung hervorgeht, verwendet
unsere ma. fast dieselben suffixe zur bildung von deminutiven
und koseformen, wie sie auch im schweizerischen gebräuchlich
sind. Ich verweise da besonders auf den aufsatz von H. Stickel-
berger. Die deminutiva in der Berner ma. (Phil. Studien, festg.
für E. Sievers 1890, s. 819 ff.). Für das unter 2, b erwähnte
A-suffix weiss ich keine erklärung. Auch das gottscheerische
kennt ähnliche bildungen, zumal bei eigennamen. vgl. Jonl;c,
Hamkc, Vr'uiskdc. Mit ableitungen auf -dtsa können wol ahd.
formen wie Bichza etc. verglichen werden, freilich könnte das
suffix auch aus dem slawischen stammen (slow. -ica). Beson-
96 LESSIAK § 86. 87
ders nahe liegt die annalnne einer entlehnung- bei -dts (slow.
-iv, wind, -dts), doch vgl. schweizerisch -tsi. Zu -le, -l, -e s. § 89.
§ 86. Die weiblichen adjectivabstracta.
Sie erscheinen in vierfacher gestalt:
1) ohne endung: leti läng-e, gr^as grosse, Ma höhe, {lidio
liebe), prcein bräune, plöiv bläue;
2) auf -n (weitaus die meisten): ö7^w alter (mhd. e7^e), tidfn
tiefe, r^atn röte, swirtsn schwärze, glidxtn helligkeit, ojgti enge,
liirtn härte, Ixlilidgu Sparsamkeit (zu Iclüudg), sidsn süssigkeit,
dikhn dicke, smöln schmalheit, gentsn, ggutsn ganze, hantn
bitterkeit (zu hante bitter), wceitn weite, stirMm stärke (dag.
stirlix Stärkemehl), prqatn breite, u. a.;
3) auf -e: sceirc säure, /r«/?e faule (in munt-, strolfmle mund-,
Strahlfäule), mo^ge menge, sivöhe (neben swöhn) schwäche, nöse
(neben nösn) nässe;
4) auf -a: öhma ebene, fmstra finsternis, finstere, .stikhla
Steilheit (zu stikhl, mhd. stichel steil), triMina trockenheit (ahd.
truccJiani), näJma, nöhna nähe (zu mhd. adv. nähen, ma. n^Jmt),
tvirma wärme, {Iteitra abfalle beim zerlassen von fett; zu 'lauter').
§ 87. Die vocalischen auslautverhältnisse
in benachbarten dialekten.
]\rit dem gemeinbair.-österr. stimmt unsere ma. und mit
ihr die mehrzahl der übrigen Kärntner dialekte völlig überein
in- der apokope des mhd. -e in den unter § 80 angeführten
fällen. Doch steht sie hierin im gegensatz zu der gruppe
von dialekten, die ich schon öfter im zusammenhange genannt
habe und die ich dei' kürze halber unter der bezeichnung 'ihr-
dialekte' (s. § 34) zusammenfassen möchte: ich meine das
Lesachtal mit dem angrenzenden Osttirol, die beiden krainischen
Sprachinseln (Gottschee, Zarz-Deutschrut) und die friaulischen
Sprachinseln (Bladen, Zahre. Tischelwang schliesse ich aus,
da ich mit der ma. dieser enclave nicht hinreichend vertraut
bin). Diese dialekte haben das auslautende -e fast durchweg
erhalten. Nur im dat. sg. masc. und ntr. herschen z. t. Schwan-
kungen (so erscheint im zarzerischen die endung fast nur nach
sonorconsonant und verschlusslenis), desgl. in der verbalflexion
§ 87 MUNDAKT VON PERNEGG. 97
(Lesachtal, Zarz. Gottschee stimmen in diesem punkte nahezu
völlig mit unserer ma. überein, während die übrigen sich viel
conservativer verhalten).
Was die endung der schwachen fem. und neutra anbelangt,
so erscheint in den ilir-ma. durchgehends -e (bez. -9 mit einer
dem e ähnlichen klangfarbe) wie in den übrigen fällen. Der
ganze sing, bleibt unflectiert, es besteht demnach in der ilexion
der fem. kein unterschied zwischen den a- und «-st. In allen
Kärntner dialekten (mit ausnähme des Lesachtals) sind die
-a-fem. endungslos. Bei den -«-stammen ist in den meisten
ma. (auch in der stadtsprache) das flexions-M im ganzen para-
digma verallgemeinert worden, eine erscheinung, die wol als
gemeinbajuwarisch bezeichnet werden darf (nur eigennamen
nehmen vielfach eine Sonderstellung ein). Dagegen hat das
obere Gurktal und das Gailtal hier z. t. vocalisclien auslaut
wie Pernegg und die übrigen ma. der Feldkirchner gegend,
soweit sie von dem uniformierenden einfluss der stadtsprache
noch mehr verschont geblieben sind. Im oberen Gurktal er-
scheint der auslautende vocal als a ziemlich in denselben
fällen wie in unserer ma. Im gailtalerischen sind die «-formen
seltener. Die qualität des endungsvocals ist hier zwiefach:
die gewöhnlichen fem. haben -9 {^tiavd, lüiirhd, sünd, erdo u.s.w.),
weibliche eigennamen dagegen -a (mitsa, desgl. göUi patin, nU)ia
grossmutter). Als -o erscheint im Gailtal ferner die endung
der schwachen neutra {aug9, Qard), der abstracta (triJchno, fmih
u.s.w.) und der jo-adjectiva, soweit sie hier erhalten ist. Das
letztere gilt auch fürs obere Gurktal {qaib, pl^ado u.a.). Die
vollform des dem.-Z-suffixes (ma. -Iv) lautet im oberen Gurktal
-b, in den übrigen Kärntner ma. und in den ihr-dialekten -le
(indes kennen einzelne ma. des kronlandes nur die kurzform -V).
Denn ma. -e in koseformen wie göte etc. entspricht im oberen
Gurktal und Gailtal -i {göti, täti, lo^« Ulrich). Einigen Kärntner
ma. fehlen diese formen übrigens ganz.
In der adjectivflexion stimmen die meisten Kärntner ma.
mit Pernegg überein, so wol was die häufigkeit der endung als
was die qualität des endungsvocals anbelangt. Ob. Gurktal
hat auch hier -/ für ma. -e. Abweichend verhält sich das gail-
talerische mit seinem -<? (sowol in der starken als schwachen
deck). In den ihr-dialekten erscheint im nom. acc. sg. fem. und
Beiträge zur geschichte der deutseben spräche. XXVHI. 7
98 LESSIAK § 88
pl. iitr. (also mit einer ausnähme entsprechend dem mhd. -iu) -a
(Gottschee -«?), sonst -e (das Lesachtal und die friaul, Sprach-
inseln haben das -a auch auf den nom. acc. pl. masc. und fem.
der starken flexion ausgedehnt).
Die endung der Zahlwörter ist recht verschieden, je nach-
dem die mhd. -ht- oder -e-formen verallgemeinert wurden. Ob.
(jurktal hat -i.
Ich habe diese Zusammenstellung, die keineswegs anspruch
auf Vollständigkeit erheben darf, gemacht, erstens um einmal
darzutun, dass die südlichen randdialekte von der starken
apokopierung, wie sie im gemeinbajuwarischen schon verhältnis-
mässig früh eingetreten ist, mehr oder weniger verschont ge-
blieben sind, ferner um zu zeigen, wie verschiedenartig die
auslautenden nebentonigen vocale in dialekten eines verhältnis-
mässig nicht allzu ausgedehnten Sprachgebiets behandelt werden
konnten, und wie schwierig es für den dialektforscher ist, bei
einer solchen inconsequenz der entwicklung (die z. t. wol auf
dialektmischung beruhen dürfte), sichere aufschlüsse zu geben.
§ 88.
Ich will nun, so gut es eben geht, die einzelnen fälle zu
erläutern suchen.
Ein nebeneinander von -a und -n im sing, der schwachen
fem. findet sich auch in anderen bair.-österr. ma., zumal in
solchen, wo für die urspr. auslautende Verbindung von langem
vocal + n blosser nasalvocal erscheint. Doch sind die Verhält-
nisse in diesen dialekten von den unsrigen grundverschieden:
a tritt da auch für auslautendes -n der schwachen masc,
des inf. u.s.w. ein, und es ist diese vocalisierung des n von
bestimmten vorausgehenden consonanten abhängig (vgl. Eoanad,
V. 200, s. 164 f.). In unserer ma. (und es gilt dies für fast alle
kärntnischen dialekte, sowie auch für die ihr-dialekte: was zu
beachten ist) beschränkt sich der schwund des auslautenden
nasals ganz und gar auf die wenigen in § 112 angeführten fälle.
Es wäre ganz unverständlich, warum sich denn just im
sing, der schwachen fem. das -n anders entwickelt haben sollte
als sonst. Allerdings heisst es auch 2^^'9<^sa (pl. prgasn bro-
samen), f^rwa (pl. fgrlm farren), Unsa (pl. linsii linse) zu ahd.
brösina, varm, Unsi(n). Doch haben wir es hier nicht etwa
§ 88 MUNDART VON PERNEGG. 99
mit einem directen Übergang* des -n (-m) in a zu tun, sondern
es sind dies einfach analogische neubilduugen nach dem pl. (zu
fanva s. § 25, e). Bezeichnender weise Sind es gerade Wörter,
die fast immer im pl. gebraucht werden. Die übrigen bei-
spiele mit urspr. -n, wie l-hötn kette, Ihöstn kastanie, öln eile,
jmttn bütte, Ihinidn f. kümmel, mötn mette, lenttt 'lende', der
untere teil des rückens, arschbacken, haben durchweg festes -n.
Doch hört man zuweilen fer.sa ferse, neben fer.sn (alid. fersana).
[Vgl. die wind, lehnwörter tsötond {*ketina), tsdnidnd (^kimina),
möidnd, kdhind (für *kt(xina) küche, dag. zöfa seife, puähdhlsihe
u. s. w.].
Es ist auch ganz unmöglich, das -a der oben angeführten
adiectiva etwa auf die adverbialendung -en zurückzuführen.
Dagegen spricht schon der eine umstand, dass es lauter jo-
Stämme sind. Man würde doch bei anderen adverbien wie
naxtn (mhd. näJiten), mgrgw morgen, fertn voriges jähr, eine
parallele entwicklung erwarten. Auch das adj. liäsn glatt
(ahd. hasan), müsste dann als *häsa erscheinen (was das auf-
treten eines n in der flexion dieser adj. anbelangt, so verweise
ich auf die ausführungen in § 147).
Wenn wir also die möglichkeit einer entstehung des -a
aus silbischem -n bestreiten, so bleibt uns natürlich nichts
übrig, als erhaltung des urspr. auslautenden vocals anzunehmen.
Die ungleiche entwicklung der femininendung (schwund
des auslautenden vocals bei den «-stammen, bewahrung des-
selben bei den «-stammen), lässt sich nur unter der Voraus-
setzung begreifen, dass der endungsvocal in beiden fällen
ursprünglich quantitativ verschieden war. Auf eine solche
differenzierung lässt auch das cimbrische (die ma. der Sette
comuni) schliessen. Vergleiche einerseits sünte, Ulfe, varhc,
misse messe, segense sense, tmge truhe, vorte furcht, schante
schände, fröivede freude, gihc gäbe, hutc hut, vorgchonge, schc-
zonge, paine pein, pridcge predigt, andrerseits nasa, henna,
sunna, herza warze, niftela nichte, nc^^ela nessel, u. s.w. (die
beispiele sind dem Cimbr. wb. von Schmeller-Bergmann, Wien
1855, entnommen).
Dasselbe gilt natürlich auch in bezug auf die endung der
schwachen neutra (das cimbr. hat hier im gegensatz zu unserer
ma. -e, wol unter einfluss der zahlreichen neutralen j«-stämme).
UX> LESSIAK § 88
Ich wage also zu behaupten, dass das auslautende -a im
nom. sg. der schwachen fem. und nom. acc, sg. der schwachen
neutra wenigstens für einen teil der altbajuwarischen dialekte
als lang angesehen werden muss.
Nach der form des nom, wurden dann die übrigen casus
(beim fem. wol zuerst der acc.) uniformiert.
Die /«-formen der fem. beruhen natürlich auf dem um-
gekehrten Vorgang, ^^'arum in dem einen falle dieser, im
anderen jener process stattfand, ist, wie schon bemerkt, schwer
zu entscheiden. Es ist nicht unmöglich, dass die häufige Ver-
wendung der Wörter der letzteren gruppe in gewissen festen
dativischen präpositionalver])indungen ausschlaggebend war
für die Verallgemeinerung der n - formen (z, b, dn dr Jihirhn,
stuhm; af dr Mrgsn-^ af, dn dr ern in der kirche, stube; auf der
Strasse; auf, in der erde, etc). Begreiflich ist es, weshalb die
fremdwörter fast durchweg der «-gruppe angehören, wie z. b.
IdiQPpm kappe, iopimi joppe, silhm silbe, tivh) tinte, teldin theke,
marhhn marke, pippm pipe, fasshahn, u.s. w. Hier sind einfach
die 'höfischen' formen beibehalten worden.
"\^'as die endung der adj. J«-stämme anbelangt, so wäre
man geneigt anzunehmen, dass dieselben factoren die erhaltung
des auslautenden vocals in unserer ma. begünstigt haben, die
Wilmanns (Gramm. 1-, § 280, 3 f.) für die bewahrung des -c im
nhd. verantwortlich macht (wechsel von stimmhaften und stimm-
losen consonanten bez. von lenis und forti.s). Die mehrzahl
der fälle würde wol dazu stimmen. Doch wie A'erhält es sich
mii-läsa, khceiSa, flqutsu, silla, Idiudla, tera? Hier musste der
cons., ob in- oder auslautend, sich doch immer gleich bleiben.
Sehr merkwürdig ist der gegensatz von khudla und hhidl.
Jenes würde dem adv. (ahd. laiolo, mhd. h(ole), dieses dem adj.
(ahd, hioli, mhd. l-üelc) entsprechen. P^s ist nicht unmöglich,
dass wir es hier zum teil wirklich mit adverbialformen zu tun
haben. Freilich sind die meisten dieser adj. umgelautet, doch
es mag wol früh eine Vermischung der l)eiden formen statt-
gefunden haben (die «-formen beschränken sich auf die prädi-
cative und adverbielle Verwendung der Wörter, z. b. stlla pdn
ösn, lüiisa pdm pein still beim essen, leise beim beten, dö suppm
is plf^ada die suppe ist fad).
Mit den von verben abgeleiteten neutren auf -dda lassen
§ 80 MÜNDART VON PERNEGG. 101
sich am ehesten iiocli nhd. bildungen wie (jehrimäc, geMude,
(jemäldc vergleiclieii. Ob wir unser -odu auf nihd. -cde (ahd.
-idi) zurückführen dürfen, ist fraglich. Auffallend ist die con-
crete bedeutung dieser wr>rter. Vgl. dagegen mit Schwund des
auslautenden vocals licmot (mhd. hcmcde, nicht bes. gebräuclilich,
dafür pfät), gläd (mhd. gejeide), träd (mhd. getreide), Tiswistrot
n. geschwister (in der comp, hswistra-, auch hsivistraralchint
geschwisterkind), stimmt wol eher zu mhd. gesivistergU, als gc-
sicisterde (vgl. dazu BWb. 2, 651).
Nacli aus weis der übrigen ma. (s. § 87) liegen unserem -a
wahrscheinlich zwei urspr. verschiedene vocalqualitäten (.9 und a)
zu gründe. Wie es mit der Verteilung dieser beiden bescliaffen
Avar, lässt sich natürlich mit Sicherheit nicht mehr feststellen,
zumal da die anderen dialekte in dieser hinsieht selbst von
einander abweichen.
§ 89. -e.
AVenn Avir die einzelnen in § ^-i angeführten fälle über-
blicken, so ergibt sich daraus, dass wir in ma. -e (-e) den laut-
gesetzlichen Vertreter eines urspr. auslautenden 4 bez. -in vor
uns liaben. T'^rspr. -i entspricht es in den ersten drei fällen,
nrspi'. -in in den beiden folgenden.
-e r= *^^( war in der adjectivdeclination von haus aus natür-
lich auf den nom. fem. sg. und nom. acc. ntr. pl. der starken
Üexion beschränkt. Von da ist es in unserer ma. (und damit
stimmt ein grosser teil der bair.-österr. dialekte überein) auf
alle casus ausgedehnt worden, die im mhd. auf -e ausgiengen,
wo also lautgesetzlich schwund des flexionsvocals hätte eiii-
treten müssen (s. flexionslehre). Das -e der Zahlwörter ent-
spricht genau der mhd. neutralendung {rieriu, ftnfiu etc.).
Während auslautendes -in unabhängig von der silbenzahl, also
durchgehends, als -e bewahrt ist, scheint sich urspr. -i nur in
urspr. dreisilbigen Wörtern lautgesetzlich als -e erhalten zu
haben; in zweisilbigen dagegen ist es offenbar schon sehr früh
verkürzt worden, und musste daher abfallen. Dafür spricht
der umstand, dass in urspr. zweisilbigen Substantiven auf -i
durchweg schwund des vocals eingetreten ist. Vgl. feminina
wie 7nll mühle (ahd. nudt). miD mühe (ahd. muoi\ unsicher sind
täf taufe [ahd. toup und toufti] und Ing lüge, letzteres wegen
102 T.ESSIAK § 89
des unterbleibens des umlauts), oder (urspr.) nentra wie Idüs,
liMst m. kissen (ahd. clmsst), fll füllen (alid. fnU), Jchits kitze
(ahd. chiz^t), jml-x m. becken (alid. Vecclü). Dagegen Avürden
allerdings die zweisilbigen koseformen sprechen: sie entsprechen
genau ahd. formen wie Bodi, Tat/, Gunsi (vgl. Zs. fda. 43, 40),
deren -i sicherlich als lang anzusetzen ist.
Doch wir müssen hier in betracht ziehen, dass wir es mit
einer selbständigen ableitungssilbe zu tun haben, wodurch sich
diese ausnahmsstellung wol begründen lässt. Dasselbe gilt
von den (zweisilbigen) deminutiven auf -U (ahd. -li, flect. -lin).
Indes schon das nebeneinander der beiden formen -le und -/
lässt auf eine urspr. verschiedene Verteilung derselben schliessen.
-le scheint eigentlich nur bei zweisilbigem grundworte berech-
tigt zu sein, während bei einsilbigem durchweg -l zu erwarten
wäre. Das ursprüngliche Verhältnis ist noch insofern z. t. ge-
Avahrt, als zweisilbige grundwörter die kurzform des Suffixes
durchaus meiden.
Grössere Schwierigkeiten bietet die erklärung der ver-
schiedenen formen der abstracta. Das nebeneinander von gr^as
und düilin deutet darauf hin, dass doppelformen bestanden
haben müssen, wie sie ja im ahd. tatsächlich vorkommen. Dem
gri^as würde ein ahd. grö^i, dem dilchn ein dicchin entsprechen.
Allerdings sollte man im zweiten falle -on i^dilxhdn) erwarten,
vgl. § 90, 2, b. Indes die uniformierung nach den übrigen fem.
auf -n liegt auf der band. In den paar abstracten auf -c ist
das ahd. auslautende 4 erhalten geblieben. Das 'warum' lässt
sich natürlich schwer beantworten. Schriftsprachliche ent-
lehnung ist kaum anzunehmen, dagegen sprechen die übrigen
bair.-österr. dialekte, die solche formen mit auslautendem vocal
(in der regel -i) in noch weit ausgedehnterem masse bewahrt
haben als unsere ma. Was endlich die beispiele mit -a an-
belangt, ist es immerhin auffallend, dass ihnen fast durch-
gehends zweisilbige adjectivformen zu gründe liegen. Indes
es wird sich hier doch kaum um etwas anderes handeln als
um einfache analogie nach der grossen anzahl der übrigen
feminina auf -a. Eine Sonderentwicklung des -^ würde sich
durch nichts begründen lassen. Die stadtsprache mit ihrem -c
{finstre, trikhne) scheint hier das ursprüngliche gewahrt zu
haben (eine dreifache form der abstracta: endungslose, solche
§ 90 MUNDART VON PERNEGG. 103
auf -)i und solclie auf -/, kennt auch Nagl, Roanad. .s. 411. a. 8).
Hiusiclitlicli der (lualität des auslautenden -e ist zu bemerken,
dass es sich in der deminutivendung -le von den übrigen fällen
durch grössere Offenheit unterscheidet. P^s dürfte hiei' das
vorausgehende l den dumpferen Charakter verursacht haben,
ein unterschied in der entwicklung des vocals selbst ist kaum
anzunehmen. [Auffallend ist es, dass in wind, lehnwürtern
die endung der koseformen als öi oder il erscheint (z. b. utöi,
frantaöl bez. atä u. s. w, = ma. äte, frantse), während dem ma.
-le durchgehends -lo entspricht, das auf -It zurückgeführt werden
muss (z. b. liansald, nalidVo = ma. liansdU, nägdle). Das ober-
gurktalerische -h ist wol durch ausgleichung nach den flec-
tierten formen {-hn) entstanden.]
Als Vorstufe des heutigen -e ist wol -ei bez. -m anzunehmen,
vgl. dazu § 75, anm.
Zu beachten ist, dass in den ihr-dialekten (auch das gail-
talerische stimmt da zu dieser gruppe) das -in eine von -i ver-
schiedene entwicklung erfahren hat,
B. Inlautende vocale.
§ 90. Lebendige bildungssuffixe.
1) Kurzvocalige.
a) Vollvocal hat sich erhalten in
«) -/;;, -liu (ahd. -ing, -ling): pfenitj pfennig, grösiu junger
■w aldbaum (mhd. grö^pnc), arliu pflugeisen (zu grl, mhd. arl),
oiilin uhu (zu *eule'); — serivliu ein dahinsiechender (zu serhm,
mhd. scrivcii), .ipltsliu Spitzapfel, flotrliu 'flatterling', Schmetter-
ling, initliu {mittrlm) Verbindungsstange zwischen dem vorder-
uud hinterteil des wagens, irivluj ärmel, u. s.w.; urspr. -ang
entspricht es in f'Qsii) fasching (mhd. vaschanc). Zu -w = urspr.
■ih nach / und ;• vgl. § 117, 2 anm.
(i) -in im fem. (ahd. -unga, vgl. Kauffmann, Gramm, der
Schwab, ma. § 109): pri<>fuj jirüfung, firmlu firmung, niiiniu mei-
üung, tsceitiv zeitung, ratiu rechnung.
/) -in (ahd. -in, -inna): fiksin füchsin (dag. fidsin 'frau
Pouchs"), putin botin, jx'-irin bäurin, odlpralän (die vulgo mUprox),
gyäfin (die vulgo gr^f; dag. der Schriftsprache entlehnt greßn
gräfin), n^tdrin nähterin, puosdrin büsserin, su9stdrm schusterin.
104 LESSIAK § 90
6) -nus {^M. -ni(ssi): Icliamnus geheimni», irgmius 'ÄYgei'ms,
glmxnus gleiclmis, tsauc/nus zeugnis, fmstrnus finsternis. Doch
werden diese formen nur von der ältesten scliiclit der bevölke-
rung gebraucht; die jüngeren leute bedienen sich der ab-
geschAvächten form -nos {Jchamnos u.s.w.). Nur -n9s hörte ich
bei wüdnds 'wildnis' (eine art ausschlag), und it^^Jf/w^s wagnis.
Lautgesetzlich werden wol beide formen berechtigt sein: -nus
in dreisilbigen, -nds in zweisilbigen Wörtern.
£■) -e, flect. -/(/- (ahd. -mj, -ug, -ig, -ig): /^CB^76' heilig, söYesatt,
jironte brandig, luvifte häufig, sixte kränklich (mhd. sUhtic), sixtc
zornig (für *schühtic zu schiuhen), snitte schneidend, siddnVe sie-
dend. Substantiva: Mmekönig, Aöwehonig, u.a. (vgl. §116,2, b),
g) Ferner in -soft, -hgft, -fax, -som -Schaft, -haft, -fach, -sam
(vgl. § 44, c).
b) Urspr. vollvocal erscheint zu <> geschwächt in
a) -ds (ahd. -isc): stötds städtisch (auch stötndrds), poeirds
bäurisch, ter9s schwerhörig, taub (mhd. tcerisch), luddros ver-
dammt, verflixt (zu Inadt- luder), lHtr9s lutherisch (vgl. auch
fgbs falsch).
ß) -9st (superlativsuffix): seanost- schönst, gceitdsost- geizigst,
fgldsdst- fälschest (s. flexionslehre).
Anm. Auch die fremde endung -itsa ist iu zweisilbigen worttbriuen
zu -sts geschwächt worden, vgl. fceistrdts, flätnais = slow, bistrica, hlatnica.
Aber dreisilbig pöbnits, korhwäs etc.
y) -dx (ahd. -aJii, -ach): dilchox (gjdihhdx) dickicht, pirhhox
{wAiA.hirlmch), stauddx {m\\^.siüdach), prgmox brombeergesträuch,
hgshx haselgebüsch, hmiÜQam9x heublumen, JcJärdx kehricht,
hhneitlox 'kräutlich', grünzeug, fetsdx coli, fetzen, glumpdx coli,
lumpen, gwgmp^x, frgts9x (coli, zu icgmpm, frgts ränge), gsdx
geschirr (mhd. «s.§ac/i), spwiwdx Speichel (zu 'speien'), givmwrox
Weibervolk, gdpumprax beständiges pumpern, u.s.w.
d) -dt (ahd. -aht, -oht, -eht): pauhdt bauchig, /^ÖÄ7^^^ fleckig,
tsötdt zottig, misdt vermischt, pgtsdt patzig, spiogbt mit einem
Spiegel A'ersehen, slgmpH schlampig, hauhat gebückt, alters-
schwach (zu mhd. hüchen kauern), stvgrts-, rin-cmgot schwarz-,
triefäugig, sceiwolot rund, scheibenförmig (mhd. schibeloht),plgw9l9t
bläulich, n-ms:)ht weisslich, moiitsdUt schlecht aussehend (nach
überstandener krankheit; zu ahd. mü^^ön?), u.s.w.
ß 9() MUNDART VON PERNEGG. 105
t) -9tsn (alid. -azzcn, -ezzen): tropf Jtsn tröpfeln, pöli^tsn
pochen (vom puls), schnaufen, gamdtsn gähnen (vgl. tvcoi. (jQanidtsn
und ahd. geinön), täiptsn schwach regnen, pleniDtsn {pl^amdtsn)
blinzeln (vgl. KWb. s. 30), (jarDtsn girren (mhd. gurren), Ichotsn
lechzen, nopfjtsn einnicken, sitzend schlummern (vgl. mhd. nafzen
etc.), frttiipfotsn kleinweis verschwinden (zu mhd. zlpftn), stuk-
Txdtsn rülpsen, und zahlreiche andere. — Dagegen ist der vocal
geschAvunden in huntsn beschimpfen (zu 'hund'), rauntsn weiner-
lich tun (von hindern; zu 'raunen'), lautsn jauchzen (neben
jßlidtsn,iurldtsn\pnmtsn\iYmiZQ:\i, 5«/rfe« sickern (zu mhd.se?/er).
2) Langvocalige.
a) Der voll vocal hat sich erhalten in
rt) -la (ahd. -Uli): hamla heimlich, ivirlihla wirklich, rätla
seltsam, rätselhaft, adv. knapp bemessen (mhd. '^rceütch), untr-
sldla unterschiedlich, wgadla fett, ekel erregend (vgl. Schweiz.
ivüed geil), gceisfla geistlich, öfla etlich.
Die meisten bildungen auf -la können nur prädicativ oder
adverbial gebraucht werden, so frceila freilich, mastla 'meist-
lich', meistenteils, namla 'nämlich', freilich, ganz besonders (z. b.
ägs is namla gu^t das ist in der tat gut), crla 'ehrlich ge-
sprochen', wahrscheinlich, beinahe, neatla heikel, wählerisch
(mhd. metlich), goprauxla gebräuchlich, fwlntla 'feindlich', sehr
(z. b. i lign sc fmntla geru icli habe sie sehr gern). Für den
attributiven gebrauch bedient man sich anderer formen oder
Umschreibungen. Man sagt zwar g(^a drätla geh schnell, aber
a dräts gf^anan ein flinkes gehen (mhd. drcetc); d<js is rceunla
'reimlich', passend, srökhla schrecklich, Icfarla gefährlich, aber
a Jchrceimps dirndle ein passendes (liebes) mädchen, a .srölchpQre,
Ifärige söhn eine schreckliche, gefährliche sache. Zuweilen
werden in diesem falle auch 'höfische' formen auf -lix zum
ersatze herangezogen. p]s heisst dos is ummigla unmöglich, orntla
ordentlich, grausla grauslich, aber an ummöglihe Isixt eine un-
mögliche geschichte, an orntlixs, grauslixs ijsn ein ordentliches,
grausliches essen. Es ist wol nicht anzunehmen, dass die ver-
schiedene entwicklung des Suffixes lautgesetzlich begründet sei.
Entlehnt sind auch gwcndUx gewöhnlich, {dtrtimlox altertüm-
lich, enldx (enlix) ähnlich, natirldx natürlich.
Eegelmässig bilden zweisilbige adjectiva auf -l solche
106 LESSIAK § 90
adverbialfornien auf -la: aütl 'eiteF, leer, iinwol — cßitla; rögl
locker^ lose (mhä. royel) — rU(jla (adv. auch behutsam); stiMd
steil — stiJchla\ JmkJd heikel — haJda.
Zur 'flexion dieser und der adj. auf -la vgl. § 147; über
den Schwund des auslautenden x § 115, 4, b. Auffallend ist es,
dass -i sich hier zu -a entwickelt hat. Die Urkunden haben
fast durch w^eg -Icich. Es mag sein, dass das urspr. folgende
-ch von irgend welchem einfluss auf die gestaltung des voraus-
gehenden vocals gewesen ist. Andere ma, haben zum teil -fo.
Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass auch hier ein wandel
von (ausl.) -d zu -a vorliegt [die stadtsprache kennt nur die form
■Ux: hamlix, hakhlix, röylix; doch frceüiy neben frmlix].
ß) -j^jr (nhd. -har): denkhpgr denkbar, d{>ukhpoy dankbar,
tsglpor zahlbar; doch erwr (adv. erw-r^a) zimperlich, gallig (mhd.
erhcBre).
b) Der langvocal ist zu 9 geschwächt worden in -dn (ahd,
-hl): hiltsdn hölzern {mhLhiilzin), ^/^/^^w aus tuch {m\\^. tüecMn),
gamshceitdn gemsledern (-häuten), riipfm aus rupfn (gröbere
Sorte werg), (jiddon golden (dag. guldn gülden), Iceindn leinen,
nuspämon aus nussbaumholz, plölmi (neben plöJiryi) blechern,
silwrdn (neben silivrn) silbern. A\'ährend '^-en zu -n geworden
ist (z. b. puohn buche, rolclcn roggen), bleibt hier der vocal er-
halten (daher puohdn aus buchenholz, roWcdn aus roggen). Dies
lässt darauf schliessen, dass sich die länge des vocals geraume
zeit gehalten haben muss. Die urk, Schreibung -ein beweist
übrigens, dass in der älteren spräche hier diphthongierung ein-
trat. Wenn dagegen die 'schwerere' nebensilbe *-??m (s. § 85)
als -lan erscheint, so handelt es sich natürlich nur um einen
graduellen unterschied, denn auch das -o in -3n hat eine stark
«-ähnliche färbung.
c) Völliger Schwund des langvocals liegt vor im suffix r
(ahd. -an): «rox^/- Wächter, trogr träger, siugr Sänger, stoZrschüler,
hnugy brustfieck ('^hangcere), holir 'halter', hirte, khgltr hehälier,
inrnr türmer, hgndh- liändler, maiiinr mautner, fgrstnr förster,
mgdr mähder. — ]\Iit dopiteltem suffix: glgsrr glaser, hiidtrr
•huterer', hutmacher, kJdgmpfrr klemi)ner (mhd. klampfer). —
Vgl. auch trgxtr ti'ichter, khgrnr beinhaus (lat. carnarium), mesr
mörser.
§ 91 MUNDART \ ON PERNEGG. 107
Den unterschied zwisclien iirspr. -er und -wrc haben noch
die lehnwürter im \vind. bewalirt: vgl. hnämr glasei", siibar
schreiben täuarlidr tagelöhner (ma. iggiccrhr). pintdr binder,
mömdr mesuer, imkhhdr prediger, trfditdr trichter, mouzdr
mörser, u.s.w.. dag. prdr butter. poustr polster, huä^t'r pflaster,
wiüÄ^f muster, mudi'r mwiitv, etc.; auch m/w'- jäger (ma. m^r
mit Umlaut: es scheint dies darauf hinzuweisen, dass der um-
laut nur dann eintrat, wenn die kurzform des suflixes vor-
handen war).
Anm. Das suflix -/• ist uugemeiu fruchtbar. Fast von jedem verbum
rler beweguiig kann ein (mäunl.) Substantiv abgeleitet werden, das eine ein-
malige, momentane tätigkeit bezeichnet: vgl. paiilr, tsuJchr, rukhr, sitsr,
miifotur, himbUr, mekloisr, pfakkoii^r, woklr, rii77iph; 2>i''<>»i', 9f(>T) jiihafsr
U.S.W, ein einmaliges, rasches beuteln, zucken, rücken, sich-setzen, ein-
nicken, wetterleuchten, meckern, vorbeihuschen, Avackeln, rumpeln, brummen,
girren, jauchzen (vgl. Schatz § 108, anm.).
3) Diphthongische.
Zu -heit, -keit vgl. § 75, 2, anm,
Urspr. -kiom erscheint durchweg als -tum, z. b. pistum bis-
tum, rceixtnm reichtum, Jchristutum Christentum. Ks ist mög-
licherweise der Schriftsprache entlehnt.
§ Öl.
Sonst sind kurze vocale in nicht haupttoniger silbe meist
geschwunden. In einigen fällen jedoch hat sich der vocal als
3 erhalten, zumal in der Stellung zwischen sonorcons. (auch w)
oder reibelaut + folg. reibelaut, verschlusslaut + x. Vgl. mit
urspr. -«-: öwdst obst, ögbstr ehtev (mhd. aglaster), hgn^fhanf,
nendf senf, lihghx kalk (ahd. chalah); — mit urspr. -?'-: pilhx
bilch (ahd. Ijilih). tswlhx zwilcli, Möhx kelch, näwox verkehrt
(mhd. äbich), hmvdx habicht (mhd. häbich), hhinvds kiirbis, ösdx
essig, h'invdst herbst, rätdx rettich (mhd. netich). Vgl. auch
hcnut hemd, insUt unschlitt (mhd. insUf); — mit urspr. -u-:
mlbx milcli, khoivjs kappes, kraut (ahd. kahu^). nokhdt nackt.
Vgl. ferner Imrhsa hornisse (s. Kluge, Wb. unter horlitzen),
wöivdsa wespe, löwdsa lefze, lippe.
Dagegen ist der vocal geschwunden in ernst ernst, henkst
hengst, Qukst angst, tmisnt tausend, artst erz, iuguk fügend,
ahm eichhorn (mhd. eichorn).
108 LESSIAK § 02
Fast immer tritt syiikope ein bei der fremden endung -es,
-US nach sonorcons.. z. b, lohons Johannes, pnmms Primus. Vgl.
dagegen tampds •'tampus', rausch, rgwds 'rabus'. rabenvieh, kerl,
wauivds 'wauwus', wauwau u.a.m.
Gedeckte länge hat sich fast durchweg als -a- erhalten:
töhont dechant (ahd. dechän), sornnidt sammt, mündt monat und
mond, midt einöde, Mnidt heimat, tsimdt zimmet, Vimndn kümmel
(ahd. chumhi), ohjs anis (höf. omeis). urjsn Speisereste, verb.
wüsten (vgl. got. nzeta, ne. ort[s]). Der vocal ist geschwunden
in d^anst dienst (ahd. dionöst), ^rtst arzt (ahd. arzät\ wind, ärtsdt).
Als -9- erscheint auch urspr. -et- in gywdsa erbse (mhd.
arwei^), gmnidsa ameise, grwdt arbeit. Geschwunden ist es in
ganstrn hin- und herfahren (mhd. ganeistern). Urspr. -no- ist
erhalten in Qrmuot armut (vgl. auch d^amudt, demuot demut).
§ 92. Abschwächung von vocalen in nebentonigen
compositionsgliedern.
1) Schwächung zu 9.
a) Kurze vocale: -tag erscheint in zweiter silbe als -te;
als Zwischenstufe ist -tig anzunehmen: Miirxte kirchtag, lobte
lebtag, m(/nte montag, u.s.w.; analogisch mitte mittwoch (der
pl. lautet -tigr: Muyxiigy, mgntigr etc.); — -tveg als -we in ghve
allweg. — Vgl. ferner Iceibx leintuch (mhd. lilacli), antrdx ente-
rich (mhd. antrechc), (vceinoxtn Weihnachten, öp}''^^^ etwas, öhnt
elend (ölonte elendig), andldf elf (mhd. e'mlif).
- b) Lange vocale: grQamdt^'\immeiiva[\Lgruonmät),lminsJt
leinsamen (Imsdi), launiDtlemwcind (Unwät), lueirdt lieirat, hgaxtsdt
hochzeit, Qntbs- (mhd. antlä^ in Qntbspßiliste gründonnerstag,
gntldsäle osterei).
c) Diphthonge: Ihnöfhx knoblauch (stadtspr. khnöß), snitldx
Schnittlauch, hontdx handtuch, firtox 'fürtuch', schürze.
2) A'ölliger Schwund des vocals ist eingetreten bei folgen-
dem sonorconsonanten: öppr etwa i^etewär), pangrt (mhd. &ow«i-
gnrte), fgltr 'falltür', gatter, pQnldni bankert, waiimpr Weinbeere,
mapr 'rot-', erdbeere, ngxpy nachbar, imr immer, tQlivrts tal-
wärts (dag. auf-, aus-, hamwerts auf-, aus-, heimwärts), ^hr, aufr
U.S.W, 'abher', 'aufher'; — elil jenseits (mhd. cnhalp), söfl so-
"\'iel (auch tciafl neben 2fi9fil wieviel), liQmpfl handvoll, ioivl zu-
§ 93. 9J: MÜNDART VON PERNEGG. 109
weilen {*ieivU), icoJfl wolfeil, firü viertel, fgrtl vorteil, urtl urteil,
drispl schwelle (mlid. drischüheT); — aiifn, ahn, mhn etc. 'auf-,
ab-, einliin". Erhalten ist der vocal in sötdn {söttdn, söxtdn)
solch, derartig" (mhd. sogetän), ivoltm in der tat, sehr (mlid.
wolgetän). Hier scheint anlehnung an die adj. auf -m statt-
gefunden zu haben.
§ 93. Nebentonige vocale vor der starktonsilbe
erfahren häufig Schwächung, z. b. motög mittag, pongnär bei-
einander, fdldmntsn vacanzen, ferien, mdstrontsn (mit ausfall
des n) monstranz, mdärgtsn matratze, spdtgl spital, u.s.w.; — •
geschwunden ist der vocal in frgn voran, frans 'voraus', beson-
ders, fra 'füi'-ein', drum darum, drJiwtr dahinter, drfir dafiii-,
u. a. m.
Dunkle vocale (p, o) werden (zumal vor nasalen) gern zu a,
d.h. sie werden dem vocal der ruhelage (3) zwar genähert,
aber ohne viUlig in ihn überzugehen, z. b. pratscs process, pra-
fesr Professor, Ihamöde komödie, lanfomjn begleiten (gew. nur
atisn l: hinauswerfen; zu franz. convoi), praivirn probieren, ra-
söle rosoglio, glanhöfn Glanhofen, glanuhx Glanegg (dag. gJm
Glan), Jchaplgn kaplan (beachte das p der zweiten silbe). Doch
auch laicende lebendig, lamm linieren.
Eine art vocalharmonie zeigt sich bei polgnlisom, pahamla
(neben pDlouhsQm, pdliamla vgl. i^ 30).
An 111. Zuweilen ist auch der vocal in der compositionsfuge erhalten
geblieben, Tgl. «»««»Y'/^f Sonnenwende {\\\\\(\. mumirendc), Ihränaicöt wach-
holder (uihd. kruncwiii'), sjfinuirötd Spinnengewebe, spinne (inhd. sp/}ineicet),
Onairottd längsstreifen zu beiden selten eines ackers (wo der pflüg gewendet
wird; mhd. aneicemle). höleproiä 'höllebrand' (eine pflanze) [vgl. auch öle-
pügv eil bogen].
§ 94. Vocalismus mindertoniger Wörter.
In Wörtern, die im Satzzusammenhang in der regel neben-
tonig gebraucht werden, erfahren die vocale bez. diphthonge
nicht nur die in § 42 besprochene quantitätsverminderung,
sondern es sind hier weitere abschwächungen, mitunter auch
völliger schwund möglich.
Die sog. unechten diphthonge biissen zuweilen ihren zweiten
bestandteil ein, vgl. gqa gehe!, aber g^-her geh her!; s^aw schön,
'a\)qv piiiicn, pilxliorsen 'bitte schön, 'bitte gar schön' (in formel-
110 LKSSIAK § 94
hafter Verwendung' neben pitsean u. s. w.; auch ägnliscn danke
schön, neben donhs^cui); sgn schon, neben sgan (selten, auch
emphatiscli in der reg-el nur s^n); tud tue! aber oft tu-nitasö
tue nich't (al-)so; iig wihösten na, wie hast du denn, für hq
ivid . . . etc.
Dieser verlust tritt besonders dann ein, wenn das folgende
betonte wort mit einem vocal, zumal einem solchen dunkler
([ualität, anlautet; z. b. fruduf {= fruD-auf) früh auf, is dö Jdmd
Jmi {khud-a) ist die kuh auch hin (tot)?, is ni-dus (nio-aus)
ist nie aus, is dr snq-Q^irlcfQln (snea-öhr) ist der schnee herab-
gefallen?
Bei besonderer emphase des betonten Wortes kann in
nebentoniger silbe unter bestimmten bedingungen sogar accent-
verschiebung eintreten. Vor allem sind folgende zwei fälle
zu erwähnen:
1) Lautet die starktonsilbe mit einem vocal an, so lehnt
sich der auslautende vocal der voraufgehenden nebentonigen
silbe (a ausgenommen) unter verlust seines Charakters als
silbenträger an diesen an; z. b. du-ä (du-a) du auch?, dg geid
mit (dg g^a i ä mit) da gehe ich auch mit, hgt sedusn Mmtsn . . .
hat sie hinaus geworfen (dass sie nur so geflogen sind). Sogar
das obige beispiel khud kann zu khnd (einsilbig) werden, wenn
das ä den nötigen nach druck erhält.
2) 'Unechte' fallende diphthonge werden in der Stellung
vor der starktonsilbe leicht zu steigenden, d. h. der accent rückt
auf den zweiten bestandteil (dies gilt zum teil auch von Ver-
bindungen von vocal + r; das r verschwindet in diesem falle
fast ganz und der gleitlaut übernimmt die rolle des silben-
trägers); z. b. hQstsmr nm ksgJc (= nio k.) hast es mir nie ge-
sagt, is neamptg (= w^amp dg) ist niemand da?, tvo ivets dr
pua hernöm {= pUd h.) wo wird es der junge hernehmen?,
a hsnuaprs dirndle ein schmuckes {hsnudprs) niädel, a pga'' sud
ein paar {pgr) schuhe, a drcßi fta'' Ihrceitsr 'ein' (artikel) drei,
vier kreuzer {flr), fq.a'' Jchrixt vor (fgr) gericht, hca'' pfgrr
herr (Jier) pfarrer. Vgl. aucli i tuaso niks (= i tud asö niks)
ich mache sowieso nichts, a soa pud dg {= a so a piid dg
(ein) so ein 'schwacher kerl' da. Bei vorausgehender stark-
tonsilbe: rotspua (= rotspüd) emph. 'rotzbub'.
§ 94 MUNDAKT VON PERNEGG. 111
Bei einzelnen Partikeln, fürwörtern und hilfsverben haben
sich besondere schwachtonige formen entwickelt, die ich hier
übersichtlich zusammenstelle. Voraus stehen die entsprechen-
den Starktonformen. In einzelnen fällen sind diese verloren
gegangen und durch schwache ersetzt worden (seltene formen
stehen in runder, secundäre starkformen in eckiger klammer).
ich
i
i, e
mich
ml
me, mf
dich
dÄ.
de, dl
sich
{sxx entlehnt?)
se, Sf
sie (fem. sg.)
soBi [si\
se, sf
sie (pl.)
so
se
die (fem. sg. und pl.)
cU
dö, d}
du
du
du, i-td), -t
zu (mhd. ze)
{tsu3 nur adv.)
iS3, ts
bei
pa'i
|)3 (psn, pm)
er
er
er, X, -r-
der
dsr [df]
df, dr-
mir
mir
mt
dir
dir
dr
wir
iclr
wx
nur
[wf]
nx
für
nr
fir, fx, fr-
vor
far
f9>'> fr
ihm
§am [in]
in, du, n
ihn
m
in, an, ji
den
dön
(in), an, n
in
in
(in), an, n
uns
uns, i)is
(ans)
man
fehlt
man, ma (.stadtspr. mf]
xind
unt
ant, nt, (-e-, -o-)»)
sind
sint (saiint)
sant, snt, hnt
habe (mlul. lu'tn)
hm
Jwn, (an)
von
{fön adv.)
fan, fn, fa
auf
(auf adv.)
<'f
aus
aus
(as)
es
fehlt
9S, S
das
dgs
das, as, s
ihr (mhd. e^)
dös
dös, (as), s
weil
icceil
Oval)
tut
tust
(tat)
nicht
(nixf) [nH]
nit, (not), nt
wird
wert
2cet, (wat)
') Vgl. söÄ-seseci-isA'sechsundsechszig; — hinatndr bin und her ('wider').
112 LESSIAK § 95. 96
III. Der consonantismus.
A. Lippenlaute.
§ 95. Germ. p.
1) p > pf- a) Im anlaiit: pjlög \)^egQ, pfludg -^^wg, pfretigr
Zwinger (zu mhd. p)frcnyen, got. praggan). pfaxtn prüfen (mhd.
pfchten\pföw pfau, j)f?»A\s/e''pfinztag',donnerstag', pfendx pfenich
(lat. panicum), pfrauma pflaume, pfat hemd (mhd. pfeif), pfmde
finnig' (vom fleisch; m\\^. phindic, vg:l. Kluge, Wb. unter j^w«e^).
— b) In der Verbindung mp: ignipf dampf, tumpf m. tümpel
(vgl. mhd. tiimpfel), rimpfn rümpfen, runzeln, glimpfn folgsam,
rührig (mhd. gelimpf), strgmpfn strampfen, die füsse unruhig
hin und her bewegen (vgl. nd. strampeln), plumpfn plumpsen.
— Aus mf hat es sich entwickelt in trumpf trumpf. hliQmpfr
kampfer, ist dem höfischen entlehnt (echt ma. Iwfr). — c) In
der gemination pp : tsopf zopf, hhropf kröpf, tupf punkt, tupfn
mit etwas spitzigem berühren, coire, eintauchen (die letztere
bedeutung lässt auf verwantschaft mit 'tief schliessen, vgl.
Kluge, AM), unter tüpfel, KWb. s. 77 unter Tupf ein 'badeort' im
Lesachtale), slupfn schlüpfen, ivipfl wipfel, Jdmjpfn krapfen,
stQpfl stufe (mhd. stapfei), tsipf zipf el, topfn quark (mhd. topfe),
IcMpfm. runge (vgl. Kluge, AVb. unter l'tpfd, \2ii.cippus); — sirpfn
zuspitzen {m\\([. schiirpfen, dag. -sv)/« aufritzen, schürfen), harpfn
harfe, hharpfn karpfen.
2) Sonst p > /■ (inl. */f): söfn schaffen, anordnen, slgfn
schlafen, Miäfn kaufen, saufn saufen, ruf reif (band), swäf
schweif, tidftiet] — dgrf dorf, %/ scharf, wur f -wurf, terfn (s.
Kluge, Wb. unter dürfen, bei Schatz tarffd), helfn helfen.
§ 96. Germ. h.
\) h > p. a) Im anlaut: jwwi bäum, prUx bruch, prg'ngon
'prangen', an der frohnleichnamsprocession teilnehmen, plna
bühne, pgrtn ]m\, harte.
b) In der Verbindung mh: Ihgmp kämm (des hahns, ge-
birges), Ihampü haarkamm, Igmp lamm, lump lump, hode beim
stier (mhd. lumhe), ugmpm l)aucli {m\\()i.ivamhe), sumpru brummen
(daneben scmpru fortwährend jammern, keifen; zu mhd. smnher
§ 96 MUNDART VON PEUNEGG. 113
trommel korb: dazu wol aucli scnqn' dickbancli. wanst). tampr»
klupt'eii (zu mild, tamer lärm, tcmeren sclilagen, klopfen; dazu
vielleicht gntempru anschoppen).
Vergieiclie das nebeneinander in Wirump krumm, lilirgmpni
krampe, Spitzhacke, lihrcmpl 'kr&We und Z^rp^^^j/^krampf, neben
lihrgm (dazu /i7weme' krämpfig) ; strempfl und s^;-e;»ji9Z pflock (zu
obigem titrQmpfn, m]\d. sfrempfel); JiliJQmpr klRmmav, l-ldowpfrn
klempnern, dazu lüdempr}) herumtasten, klimpern; stampru
herumstampfen, -treten, ^tamprle kleines konisches gläschen,
stumpl Stummel, stompfn stampfen, abstossen, stumpf stumpf;
picmpru anschoppen, klopfen (in letzterer bed. auch piimpru),
pompf dicke breiartige masse, pgmpfn (sich) anfüllen; pimpln
baumeln {pimpdle penis), pim{p)f läpp, dummkopf; tampos
rausch, tgnqyf dampf, rausch (dazu wol tcmdn dunstig, schwül
sein, teme schwül).
Ferner slgnipa schlampe (zu mhd. slimp träge), gamprn
hüpfen (mhd. gampelen\ dazu gimpl gimpel), trgmpl schelte:
'dummkopf (zu mhd. tmmpelen), tsrlempru zu gründe richten,
g lemprl o Jammer! (vgl. nhd, (jelämmert, B^^'b. 1, 1474 lätnp
fetzen), plempm grosses volles bierglas (wol zu obigem plumpfn,
vgl. zarzerisch pjlumpf tümpel), <jrampdle graupe (vgl. BWb.
1, 995 gramcT).
m für ahd. mh erscheint in um um, tum dumm (neben
timip)dt stumpf, tiimpl kleiner mensch), tslmr zimmer (wol ent-
lehnt, dafür gew. stühm, vgl. wind, tslmpr bauholz, tswiprmdn,
ma. tslmrmgn Zimmermann), shm schlimm (ist ebenfalls der
entlehnung sehr verdächtig), simhl (vgl. § 25, d) schimmel (pferd),
dag. simp)l Schimmel (pilz). Nebeneinander stehen cmr 'eimer'
als flüssigkeitsmass, emp»- eimer als gefäss.
Das nebeneinander von formen mit oder ohne p (bez. p
und pf) vor l und r lässt sich wol daraus erklären, dass sich
schon im vorahd. (vorgerm.?) formen mit mbr (mhl) und mr (ml)
gegenüber standen, je nachdem die beiden sonorconsonanten
in unmittelbare berührung kamen oder nicht, bez. je nachdem
die Silbentrennung beschaffen Avar (vgl. dazu die heutigen
Verhältnisse in der ma. § 23. und Streitberg, Ui'germ. gramm.
§130,2).
c) In der gemination hh: Ichngp knappe, Ichrippm wagen-
korb (krippe; Kluge stellt es mit recht zu mhd. Icrehe korb),
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV 111. 8
114 LESSIAK § 96
rappm räiide (mlid. rappc), stnppm arzneipulver, blütenstaub
(mild, stüppe), sappm am unscliuldigenkiudertage mit ruten
schlagen (wol zu säw sclianb, 'rutenbünder?), stöppm steppen,
Soppm sciioppen (dazu /.soj)j)? Stöpsel?, vgl. auch ^Ä?a!yjw^ struppig,
niedergeschlagen, BWb. 2, 43G schaupen, schaiipecht), sQ)pm
blättchenweise schneiden (mhd. scharhen), sidpm schuppe (vgl.
Schatz s. 77), grcüipa griebe {^griubjön), lappm f. Überbleibsel
(vgl. mhd. leihe), troppm traben, Ichnoppr f. auswuchs, knopper
(vgl. nd. hiubhe), Igppe, Igppdht lau (ahd. lap brühe; dazu wol
lop läpp, tölpel, mhd. hippe), loöppdtsn schnell vorbeihuschen
(neben wöpfbtsn; vgl. Kluge, Wb. unter tvippcn, wz. ivih)\ —
vor l: /<)j^^ beule (^«iJ^^Z^JöiZn 'dübelboden', Zimmerdecke, tippln
mit fingern futter hineinstoi)fen, zu mhd. tühcl holznagel), ngppl
nabel, rippln fest abreiben (mhd. rippeln), nusMppl m. nuss-
schale (wol zu haben = 'halten', s. BWb. 1, 1036 unter höhel),
(jropplm herumtasten, -kriechen (zu graben, vgl. Schatz s. 77),
nöppln rauchen (mehr 'höfisch', zu nebel).
2) In- und auslautend zu w- zu h (b) in den in § 28, a, c
angeführten fällen. Beispiele: Qtv ab, kJiQhv kalb, tridw trüb,
gwr aber, hglivr halber, u-öivr weber, sivötvl Schwefel (mhd.
swebel), söwr schober, löhn leben, Jiu9hm hübe, iobm üben.
Nach sonoren erscheint auch das anlautende *b des zweiten
gliedes alter fester composita (wenn dieses in seiner eigent-
lichen bedeutung nicht mehr empfunden wird) als iv (vgl. dazu
AVeinhold, Baii\gr. § 136): Mn^^e' herberge, envr empfindlich,
gallig (mhd. erbwre), lonvr lorbeer. Zahlreiche beispiele bieten
die Ortsnamen: himblivcrg Himmelberg, ählivcrg Eichelberg,
ivermwerg Wernberg, plcenvurg Bleiburg, l^amwerg Liemberg,
umiverg Umberg, Jchrätverg Krallberg, stoinverg Steuer- (rich-
tiger Steier-) berg, mosiverg {-ivvrg) ]\roosburg (urk. Mosahurch).
Wo dagegen die bedeutung des zweiten compositionsteils noch
gefühlt wird, erscheint stets p. Dies tritt besonders beim ge-
brauch der Präpositionen deutlich zu tage. Man sagt afn Mwstm-
2)erg, iväsmperg etc. 'auf dem' Köstenberg, Wachsenberg (obwol
beide Ortsnamen), dagegen mi oder ts Jchrätverg in, zu Krahberg.
Geschwunden ist *b in lötslt lebzelt. Ms 'hübsch', ziemlich,
^hr, (jhn 'abher', 'abhin', glkera abkelir (wegrinne), auslautend
in eohl (ehl) drüben (mhd. enhalp). Zu püd, wceispiU vgl. § 32, a,
zu hon (habe) § 176. S. ferner § 17, anm.
§ 97. 98 MÜNDART VON PERNEGG. 115
§ 97. Germ. f.
Germ, f erscheint normalerweise als f, fällt also nach § 14
mit *//' zusammen: fämi%\m, fios tnss, /)•« frisch; — ö fn oten,
Möfr käfer, liöfn hafen (topf), khnofhx knoblauch (ahd. Jdovo-
louJi), saufl schaufei (vielleicht auch sraufa schraube, vgl. Kluge,
Wb. unter scJirauhe), cmdhfe elf, tswölfe zwölf, Iwf liof, (jrgf
graf, «-p;/ sensenstiel {m\\L icarf, wari)] die westl. nachbarma.
haben zum teil icgrp).
Anlautendes fn erscheint als pfn in pfnatsn niesen (zu ahd.
fnaslicizzen, fncsJcezzan). — xt für ft haben fuxtsen, fuxtslc (nach
Kauffmann, ßeitr. 12, 512, fussn. Streitberg, Urgerm.gr. § 117,4
wäre das x schon urgerm.; vielleicht liegt aber doch nur eine
art dissimilation vor; andere ma. haben fuftscn, fuftsk).
§ 98. Germ. u\
Germ, lu (u) > w; > h unter denselben bedingungen wie *h
(es sind demnach urspr. b und iv im in- und auslaut völlig zu-
sammengefallen): wceis weiss, zvelt weit, tvurtsa würze), sivär
schwer, sivits schweiss, sivgl schwall, tsivihlm zwicken, tsivä
zwei. — Inlautend sivgliva schwalbe, snceihm schneien, siKnihm
speien, ströiv streu (mhd. strewe), ridwe ruhig (nihd. rüewic),
M^aiiUi kränklich (mhd.sUtv ic), eaive evdg, law löw'e, gräiv gY?i\\,
pigw blau, Igw lau, khüw gewölk (mli([.gehllive), smirhm schmieren
{smiriv f. 'schmiere', salbe), gnvdsa erbse, serbm dahinsiechen,
Serben, fonv färbe, liariva herbe, arhm klammer (mhd. "^nänve).
Geschwunden ist ""iv diu'chweg in den anlautenden Ver-
bindungen wl, wr (wie bereits im ahd.). — *{ju erscheint als
kh in khökx keck, {khökxsilivr quecksilber), khömdn kommen (ahd.
fjueman; die stadtspr. hat khünmi), khcdr köüer (nüid.querder),^)
khit kitt, khittn quitte, khcrdtsn knirschen, knarren (mhd. kerren,
ahd. querem), klnr kirre (got. qairrus). Ferner im fremdwort
khatemr (doch daneben khivatemr) quatember; — als khw in
khiihln f. weichteil, lende (zu got.qijtus] dazuwol [sichj frkhufsn
im Schlünde stecken bleiben, klmttrn kichern, lachen, dass man
sich scliüttelt [mhd. kufteni], khiifflßökx kuttelfleck, s. Kluge,
Wh. unter kuiteln), khivöl quäl {khicüln (luälen). Vgl. auch das
wind, lehnwort kiiät kot (ahd. qtiät; das in der ma. höchst selten
') Vgl. slow, kvedro schulilappen ; mhd. querder hat dieselbe bedeutiing;.
8*
116 LESSIAK § 99
vorkommeiule Uüi ist entlehnt). Fremdwörter sind hhmt quitt,
l-Jncinfn pl. grillen (franz. quinte), lilitmlr iiuader, frMiwentsn ver-
schaclier;i (eig. quentclienweise verkaufen), /i/w<?a/ir quartier u.a.
Inlautend ist w gescliwunden in pJoinon bläuen, l-Jiroinon
gereuen, l-hohmi kauen, hamun hauen, imundn bauen, iäudtsn
•tauen', schwach regnen. — Auslautend in gel gelb (dag. gil-
ivdldi gelblich), mcl melil, mgr mürbe (mlid. mar, -ives\ ligr m.
haar (= flachs, mhd.Aar, -tves), rud ruhe, sfa see, Icldm klee, /./mta
knie, ?«ö/ neu, /«cb* heu, gm gau, iJ^^i blei {lümim bleiern),
g^imi gebäude (vgl. auch frcm, tau u.s.w., IMöa klaue, strga
Stroh, /'röa froh).
Es ist zu i/ ge^vorden in Imigis heuen, sawr/» schauen, noig-
neu (flect. z. b. noige, nwige sUd neue schuhe), tv^ag- wehtuend
(flect. z.b. « tvQagr fwgr ein kranker flnger, zu mhd. adv. tve;
es ist wol kaum anzunehmen, dass eine ableitung auf -ig,
*ive[iv]ig, zu gründe liegt), trog Drau (fluss; wind, dräud, lat.
DravHs, mlat. Traha, doch /rö/o? Drautal, tr^nvurg Drauburg). ')
Vgl. Schatz s. 80 und die dortigen angaben.
Zu felfr felber s. § 31, a, zu rgax, Igax s. § 118, 3.
Ich bin nicht der ansieht, dass wir als Vorstufe unseres
gegenwärtigen «t"-lauts stimmhaftes iv zu betrachten haben.
Für tv = *& w^äre eine solche annähme w^ol sehr bedenklich.
Aber auch die entwicklung des ""n zu heutigem iv lässt sich
leicht ohne eine solche Zwischenstufe verstehen (vgl. auch
Schatz s. 82).
§ 99. Germ. m.
Germ, m = m: ingkn machen, mösr messer, mos sumpf (mhd.
mos), nömdn nehmen, raimdn 'reimen', passen, sich fügen, stwi
stimme, sivom schwamm, träm träum, läm lehm, wurlm w'urm,
Qrhiii arm.
In nebentoniger silbe ist es auslautend zu n geworden:
pödn boden, ggdn getreidekasten, schrank, lihrösn {-gelt spende
des taufpaten), ntn atem, pudsn busen, fösn besen (zu mhd.
hodem, gadem, Iresem u. s. w.). Vgl. auch prgasa f. {^m\. iireasdle
bröselein; aus mhd. hrösme über prgasn, vgl. dazu § 88. Ueber
den dat. sg. der pron. und adj. s. § 143. § 152 ff.).
In turü türm, ist das n \\(A ursprünglich (vgl. Kluge, Wb.
») Vgl. gottscheeriscli icuß Sai\ (= slow. Sam).
§ 100 MUNDART VON PERNEGG. 117
unter türm), lilmi kalin (sclion mlid, hm., J:dn). Fraglicli ist
es, ob man gläii funke, zu mlid. glcim stellen darf. Geschwunden
ist m in pQlpusn palmbusch (am palmsonntagf geweihtes büschel
von Weidenruten); zu pfriddl vgl. § 112,2.
Aum. Als p erscheint urspr. m in prentln nächtliclie liebesbesuche
abstatten, zu dem in der ma. ausgestorbenen Z^rent, vesperbrot (BWb.s.361)
ans it. merenda. Das prenthi ist, zumal wenn mehrere burschen gemeinsam
ausziehen, häufig auch mit einer 'bewirtung' verbunden.
Entsprechungen fremder labiale.
§ 100. Behandlung der labiale in fremdwörteru der nia.
\)p.
a) In lehn Wörtern, die vor der lautverschiebung auf-
genommen wurden, hat es dieselbe entwicklung mitgemacht,
wie germ, p\ z. b. pfceifn pfeife, pföfr pfeffer, hlmpfr kupfer
(doch vgl. die beiden ersten unter c angeführten beispiele).
b) Als p erscheint es im anlaut später entlehnter Wörter
(es fällt also hier mit germ. h zusammen): pira birne, xiölts
pelz, pöx pech, pigl gallert aus gesottenen knochen (it. pegola,
lat. *picula), plQgn plagen, peltsn beizen, prösn pressen, pgr
paar, püsn 'pfütze', nässender ackergrund (alid. huzm, puzsi,
vgl. ii.pozzö), plgts platz. — In der regel auch im inlaut: kJiQppl
Kappel (häufiger Ortsname, lat. capella), pgppl pappel {saupQppl
malve), pippm fasshalm (it. pipa), poppm puppe (mhd. hoppe,
vgl. Kluge im Et. wb.).
c) Als IV (bez. V) erscheint es inlautend in kliQtvos kraut
(vgl. Kluge, Wb. unter Icappes), löivdsn huflattich (Haham, zu
lat. lapatnan^)), töivox teppich (mhd. te'bech), olbin (dem. alwl)
alpe, alm (mhd. albe), Icemndts Leibnitz (slow, lipnica), lö{h)mdx
Lebmach {iirk. Leheiikih, zu slaw.^ej^e/i- dunkel), preJcJi{miFveggSim
{*prdJioh€u bez. -wen, slow. *preJcopa; dazu prclhgwr [hausname]).
Die beispiele Hessen sich vermehren, doch sind sie etymologien
vielfach unsicher.
2) h.
a) h> p (nur im anlaut): purst bur.sche, pirstn birschen,
puhspam buchsbaum, priof brief, prcfa f;, dem. prefdle amulet
*) l'^iodsn gehört mehr der oberkärnt. ma. an. In iinserer gegeud sagt
man dafür lieber lapötika (mlat. lapatica).
118 LESSIAK § 100
(zu lat. hrcrc), prütsn t bretzel, j«(^^r butter, präfhrSiW, prenta
kübel (it. wind, brenta).
b) 6 > /': a) wind, lelmwörter, anlautend: fceistrQts Feistritz
(slow. Bistrica), flcitnots Flattnitz (Blatmca), firndts Fürnitz
{Brnca), flhx Villacli {Beljalc), fr^asn Fressen i^breza), ferhx
Ferlacli (Borovlje), f^ahx Vellach i^helax), flatsdx Flatsclmcli
(Blace), frdits Verditz (zu slow, hrdo), fölMirmgrlcx Völkermarkt
(wind, hlkämts, %olilcoudts\ die slow, bezeichnung Velilcovec be-
ruht auf falscher etymologie, vgl. urk. Volkin-, Volke-, Volchen-
marc]i[et]), u.s.w^ — Inlautend trQafn Treffen (wind, ^re&me),
rceifndts Eeifnitz (Bibnica), säfndts Saifnitz (Zabnice), grifn
Griffen (Grebinj), Ufn Tiffen (yjvüA. pgtum im *pod tibinlem]),
gfrdts Afritz (wind. tsgbrtsa\ etc.
Anm. Wenn jedoch dem h urspr. ein j oder r folgte oder ein in
vorausgieng, so ist, soweit ich die Terhältnisse bisher überblicken kann,
das h 'erhalten' geblieben und den lautgesetzen der ma. gemäss weiter
entwickelt Avorden. Vgl. loihm Leobeu (*iuhjina), töwrdx Döbriach {*do-
brijax), d^airr Debar (wind, na dchre), domra Dombra i^dd^mhraxia, abulg.
dqbrava), ghntsa Glantschach (urk. Glonhscujs, Glohzach, Glomsach, zu
*glöcmboJco, abulg. glqbolco), tdiviÜ Tobitsch {*döcmbitHe, zu dq.bü eiche).
ß) Romanische lelmwörter: tafern gasthaus (it. taberna),
fgltsn balzen (itbahare), fgstibn (dem.fostt) Sebastian, mglfd{r)(jet
Malborghet (it. 3Ialborghetto). Auch bei tstvtfl. zwiebel, scheint
eine roman. form mit b zu gründe zu liegen (vgl. wind, tsdbü
für *tsib6l und Kluge, AVb. unter ziviebeT).
q) b > w: iväl ball (it. ballo), ivanda (musik) bände (it.
bandd), wankmiötn banknoten, ivastt Sebastian, ivarwa Barbara,
iveske 'bestie', kerl, icglthdusr, ivgltdsr Balthasar (volksetym.
^Waldhauser'), wenedikht Benedikt, ivStldliem Bethlehem, wawi-
Ignds babylonisch (in oberkärnt. ma. auch tvaivügmis), wargn
baron, iväbm weib (verächtlich; wind, bäbd), t/lwots Tiebitsch
(wind, tibdtse), traivene Trabenig (wind, trabentse; beide Ort-
schaften liegen jenseits der Sprachgrenze).
3) Rom. V
erscheint (von uralten lehnwörtern, wie ivcein wein, etc., natür-
lich abgesehen) in der regel als f: fceit Veit, föspr vesper,
fcndrn schachern (mhd. vervendern, zu lat. vendere), fonöde
\'enedig, pulfr pulver, sglfe salbei (lat. salvia), salfn kurieren
§ 101 MUNDAKT VON PERNEGG. 119
(auch Übertragen 'züclitigen"; lat. salivarc durch speidielfluss
kurieren, vgl. BA\'b. 2, 271 unter salfern schnell, unverständlich,
mit ausspritzen des speicheis sprechen; wahrscheinlich gehört
auch nhd. salbadern hierher), taufa daube (rom. döva, vgl. Kluge,
Et. wb.); — nofcmr november, fifa vivat, tifdäln) dividieren,
f'itse vize-, facUum vadium, u. s. av.
tv haben tvlla villa, aivisg aviso, alaivante schnell vorwärts
(it. allo avanti), eiciivä (it. evviva), gaivlir cavalier, präivg bravo.
Anm. Wind, m ist ausnahmslos durch iv (Ijez. h) vertreten.
§ 101. Behandlung deutscher labiale in fremd-
wörteru des windischen.
1) pf wird anlautend stets durch f ersetzt, das vor *? in
h i^x) übergeht (uralte, gemeinslaw. lehnwörter wie jionva
pfanne, pmcz 'pfennig', geld, u.s.w. kommen dabei nicht in
betracht): färd pfarre, ßnt pfund, frenydr (= ma. pfreugr\
huäntsa pflanze, huästr pflaster.
In- und auslautend erscheint in älteren lelinwörtern 2h in
jüngeren /': sujui schuppen (ma. supfn f., mhd. schupfe\ staple
pl. stufen (ma. stQpfl), tsdp zipfel (ma. tsipf), h-äp krapfen; —
slnfatd schimpfen, Mfv kupfer, hiof knöpf, li-of kröpf. Auf-
fallend ist wind, hinlidstb (pl.) pfingsten. Das wort ist zweifel-
los aus dem deutschen entlehnt, und zwar setzt es eine form
mit anlautendem v (für pf) voraus, die vielleicht durch an-
lehnung an ein einheimisches Avort entstanden sein mag. Vgl.
Xotkers si finfckustin.
2) Germ. h. Es erscheint in den fällen, wo es in der
ma. durch p vertreten ist (im anlaut, in der Verbindung mh
und in der gemination) stets als p {hgx Speckseite, ma. pQlin,
m\\(}i.haclie, ist wol nicht entlehnt, sondern urverwant: v^^z.hhög?).
Inlautend hat eine sehr alte schiebt von lehnwörtern p, eine
zweite, jüngere h. Beispiele: nöpa (*/r7jja) 'laube', vorhalle in
der kirche, shöpa schaub, tsöpratd zaubern, röpato rauben, her-
pric pl. herberge (ma. h'ince), Mpos kraut (ma. Jchgwds), päpaz
papst (mhd. hähcs), zugpü schwefel {'^zucpel, ma. swöivl), si2)a
(Gutsm.) sclieibe; — sribatd schreiben, n'ia/«? reiben, plibrkB\^i-
burg {xi\di. plceiwurg), häbdx habicht, Muba salbe, u.s.w.
Auslautend wird es durch j; vertreten in den in § 3r>, anm. 2
120 LESSIAK § 102
augefiilirten Avörtern. Sonst erscheint h, z. b. püdh 'buhe', knabe,
nrJduh Urlaub.
3) */f = germ. ^ oder assimilationsproduct ersclieint durch-
weg als f: strdfaid strafen, safcd'd schaffen, öfn offen, hmfatb
•klaffen', unsittlich reden, 67i«/ schaff, tsirfdt wallfahrt (ma.
Jihirfat), öfart hoffart, etc.
Altes (germ.) /' erscheint dagegen in der regel als h. Nur
verhältnismässig späte entlehnungen haben durchweg f: a) hirt9x
'fürtuch', schürze, bUk fleck, bgs floss, bttla fülle, blis9Jc fleissig,
böhafo (*bol(jati) folgen, gehorchen, h(1i_<x (nia. föbx, s. § 115, 3),
bauä falte, birmat^ firmen, z-baratd erfahren (secundär daraus
gefolgert: ftara^a fragen), Jnlmaw fromm; — tsebr käter, Mbndr
liafner, sibra Splitter, glasscheibe (mhd. scJinwr), trlbös dreifuss
(ma.. dnfios), ^übua sch-diitel, Jiräbstöh Grsitenstem, pitlbr, purbl
pulver, u.a.m. — b) fdiratd feiern, fmgrdt üngerhnt, füotr futter,
töf'l tafel (= gastmahl, dag. fabua schreibtafel), pnofihga prü-
fung, U.S.W.
Auslautendes f erscheint als b nur in pridb brief, papier,
sonst stets als f: britof friedhof, fdrof (Gutsm.) pfarrhof, stäiif
(ortsn.) Stallhofen. Junge entlehnungen sind höf, hrbf hof, graf
(denn wären sie alt, so müssten sie Vigf, *hräf"bez. *hgb, "^hräb
lauten).
4) Deutschem tv entspricht in älteren lehn Wörtern durch-
weg u, in jüngeren b: a) uihatd weichen, mmip bauch (mhd.
wambc), uähta wacht, uidn Wien, uäratd se sich hüten (mhd.
tcarn), imitatd anwenden (gegen), uiki weise, uitse pl. fegfeuer
(mhd. ivitse, vgl. BAVb. 2, 1059 iveis), tsmh zweck (holznagel),
zuitsat'j schwitzen, bdrua färbe, täudrx tage werk, hantudrx
handwerk, htmart Hochwart, Iön löwe. — b) band wanne,
bdibotsa weiblein, bmidratd wandern, bQndlingd Wandlung, bök
weg (ma. ivölix), ebdJc ewig, frbözdr Verweser, firbdr färber,
u. s. w,
§ 102.
Wenn wir alle diese Verhältnisse im Zusammenhang über-
blicken, so gelangen wir mit ziemlicher Sicherheit zu folgenden
Schlüssen.
1) Germ, b muss im altbajuwarischen ein stimmloser
bilabialer verschlusslaut gewesen sein, wie dies ja schon aus
der Orthographie der ältesten denkmäler hervorgeht: sonst
§ 102 MUNDART VON PERNKGG. 121
wäre es unerklärlich, wie die SloAveneii, die ein stimmhaftes h
besassen, dazu gekommen" wären, es durch p zu ersetzen, und
umgekehrt die Deutschen, für fremdes stimmhaftes h einen
anderen laut (*i') zu substituieren. Die verschiedene entspre-
cluing in der heutigen ma. (anlautend p, inlautend iv) beruht,
wie dies bereits Schatz, Imster ma. s. 83 gezeigt hat, auf jüngerer
ent Wicklung; nur so ist es zu verstehen, wie das anlautende h
des zweiten teiles fester composita (s. § 96, 2) dieselbe behand-
lung erfahren konnte Avie die übrigen inlautenden h. Einen
sicheren beweis für die richtigkeit dieser annähme liefern auch
die fremdwörter, deren inlautendes p zu iv geworden ist
(s, § 100, 1 b). Hier scheint das p im gegensatz zu den fällen,
wo es heute als p {pp) erscheint (z. b. poppl), nicht als gemi-
nata übernommen worden zu sein. Die beispiele sind charak-
teristisch: *capiitium, lapdtium, ^tapetum, 'Hepmjax haben den
accent auf der folgesilbe. In ^prelcopa gehört das p einer
nebentonigen silbe an. In "^lipnitsa steht es nach länge und
vor folgendem consonanten (vgl. auch ahd. hohes, \?ii.papa mit
langem a). Bei "^alp- geht ein consonant voraus. ') Die er-
weichung zu iv muss bereits ziemlich früh stattgefunden haben,
jedesfalls schon zu einer zeit, wo das ma. ** noch annähernd
den lautwert eines langen l hatte, vgl. wind, srihatd, rihato.
Das allmähliche aufgeben der Schreibung p für inl. *& in bair.
Sprachdenkmälern vom 11. jh. ab entspricht demnach in der
tat einem wandel in der ausspräche.
2) An- und inlautendes altes f war in einer älteren periode
unserer ma. stimmhafte (wahrscheinlich labiodentale) lenis. Als
solche erscheint es noch heute in den ma. von Gottschee, Zarz-
Deutschrut und der si)racliinseln in Friaul und an der tirolisch-
italienischen grenze. Unsere ma. hat den urspr. unterschied
von fortis und lenis bei dauerlauten aufgegeben; dadurch ist
natürlich auch *// "^it */' zusammengefallen. Dass es sich
liierbei um eine verhältnismässig junge erscheinung handelt,
ist sclion an und für sich sehr wahrscheinlich, denn soweit
1) Vielleicht ist auch arndgrf Arndorf, für *a)i)m- (änccn-), wind.
»(iyjwulie für *arpou/ke hierherzustellen, falls hier nicht entlehnung aus
dem deutschen vorliegt (es ist nicht mit dem in § 56, 2 erwähnten Arn-
dorf, \&t. Hereditas, identisch; dieses heisst wind, nach dem ortsrepertorium
Verjyja ves).
122 LESSIAK § 102
ich die bair.-österr. dialekte kenne, scheiden im inlaut alle
streng ZAvischen fortis ff (= germ, p) und lenis f (= g-erm. /').
Das Vorhandensein einer ursprünglichen differenzierung be-
stätigt ohne weiteres die verschiedene entsprechiing der beiden
laute in älteren deutschen lehnwörtern des wind. Ohne zweifei
war auch in unserer ma. germ. f (im gegensatz zum verscho-
benen) lenis, fraglich ist es nur, ob wir für dasselbe stimm-
hafte ausspräche voraussetzen dürfen. Abgesehen davon, dass
sich eine ausgesprochene lenis stimmlosen Charakters am besten
als reductionsproduct eines ursprünglichen stimmhaften lautes
auffassen lässt, scheinen mir die substitutions Verhältnisse mit
grosser Wahrscheinlichkeit für ehemalige stimmhaftigkeit zu
sprechen. Ich muss daran erinnern, dass dem slow, die labiale
Spirans von haus aus fehlt. Mit ausnähme einiger onomato-
poetischer bildungen sind die heute allerdings sehr zahlreichen
Wörter, in welchen ein /' erscheint, durchweg fremden Ursprungs.
Eine gewisse abneigung gegen das fremde /' müssen wir daher
für das slow, wenigstens anfänglich sicher voraussetzen, und
diese äussert sich ja in der tat in der eigentümlichen behand-
lung des deutschen pf: inlautend, wo es stark geminiert ge-
sprochen wurde (schup-pfe), wo also der verschlusslaut gewisser-
massen über den folgenden Spiranten überwog, und im auslaut,
wo das f leicht reduciert werden konnte, haben die älteren
lehnwörter bezeichnender weise in der regel p, anlautend da-
gegen, wo eher der verschlusslaut eine gewisse Schwächung
erfahren konnte, erscheint immer f
Aber auch unter voller berücksichtigung der tragweite
dieses umstandes wäre es kaum möglich gewesen, dass die
Slowenen (germ.) f anders behandelt hätten als ff, wenn es
sich bloss um den unterschied von lenis und fortis gehandelt
hätte (dass sie sich auch heute nicht scheuen, deutsche lenis
als /' zu übernehmen, kann allerdings nicht als beweismittel
in anspruch genommen werden, denn heute hat sich f im slow,
ja volles heimatsrecht erworben). Unter dieser Voraussetzung
würde es auch ganz seltsam erscheinen, warum man deutscher-
seits beim versuche, den fremden stimmhaften verschlusslaut
zu ersetzen, der stimmlosen parallele mit solcher consequenz
aus dem wege gieng, die meines erachtens jenem immer noch
näher liegt als /' (auch wenn dieses bilabial articuliert wird).
§ 102 MUNDART VON PEKNEGG. 123
tv kommt in dieser periode natürlicli ausser betracht (s. unten).
Dagegen lassen sich alle Schwierigkeiten mit einem schlage
beseitigen, wenn wir annehmen, dass germ. /" zur zeit der
entlehnung der betreffenden Wörter im an- und inlaut
sthnmhaft gesprochen wurde.') Dann erscheint die Substitution
V für h, bez. b für v ganz natürlich. Die Wahrscheinlichkeit
dieser annähme wird um so grcisser, wenn wir die Verhältnisse
in den genannten Sprachinseln berücksichtigen. Das v ist
hier sicherlich nicht als secundäre entwicklung zu betrachten.
Es wäre doch höchst merkwürdig, wie in all diesen mit
einander in gar keiner berührung stehenden mundarten sich
derselbe process vollzogen haben sollte. Es liegt doch ent-
schieden näher, gemeinsame bewahrung der ursprünglichen
Verhältnisse anzunehmen. Auch die ma. nordungarischer
Sprachinseln zeigen vielfach dieselbe entsprechung.^)
Im auslaut war, solange in der ma. noch das mhd. aus-
lautgesetz (inlautend lenis, auslautend fortis) herschte, altes f
jedesfalls stimmlos. Doch es scheint da (zumal nach länge)
ziemlich früh ausgleichung nach den inlautenden formen statt-
gefunden zu haben (s. § 111. 118,3, b; vgl. auch wind, ntd neid),
so dass also auch auslautendes f zum mindesten mit stimm-
haftem einsatz gesprochen wurde. Dazu würde wind, pridh
brief, stimmen. 3)
Dass slow, h nach m und vor j, r nicht dieselbe entwick-
lung nahm me sonst, wird uns nicht befremden, wenn wir in
^) Vorahd. f wird wol stimmlos gewesen sein.
^) Ein beispiel für das wideraufgeben der stimmhaften ausspräche des
(germ.) f bietet die Sprachinsel Gottschee, wo in der Stadt und der nächsten
nmgebnug (wol unter fremdem eintiuss) altes /' vielfach schon stimmlos ge-
sprochen wird (f'anhtr fenstor), während sonst noch überall das v bewahrt
ist (raustr). Derselbe gegensatz zwischen städtischem /" und bäurischem v
herscht in der nordungarischen Sprachinsel Kremnitz.
ä) Allerdings könnten hier auch satzphonetische formen von einfluss
gewesen sein. Sicher liegt eine solche dem zweifellos alten flstn (mhd.
vlcetec) zu gründe. Vgl. die Verhältnisse im zarzerischen: dr viugr der
finger, mit stimmhaftem i', anlautend fviugr mit stimmlosen eingang, dfni
ii)}t fiufjr da sind finger, mit stimmlosen /' nach stimmlosem consonanten;
irolf-woU, dagegen icolcizekke Wolfseck, an icolv cni (jdzäihn den wolf habe
ich gesehen (Silbentrennung Kol-veni). Was den auslaut anbelangt, so ist
zu bemerken, dass das zarzerische zu den ma. gehört, die das mhd. aus-
lautgesetz noch fast in vollem umfange bewahrt haben.
124 LESSIAK § 102
betraclit ziehen, dass es gerade diesslben beding-ungen sind,
unter denen auch germ. l heute als p {pp) erscheint. Hier trat
eine gemsse Verschärfung ein, die Substitution erfolgte durch
den stimmtosen (niclit geminierten!) verschlusslaut (vgl. die urk.
Schreibung Liupina Leoben 904), der sich dann regelmässig zu
tv bez. h weiter entwickelte. Zur gemination kam es allerdings
nicht: die periode der westgerm. consonantendehnung war ja
schon vorüber, und ausserdem war das fremde h stimmhaft.
Die Qualität des v scheint labiodental gewesen zu sein, wie
sie es noch heute in den oben citierten Sprachinseln ist (vgl.
Braune, Ahd. gr.- § 137). Die urk. Schreibung vünve, cimnftich
(13. jh.) scheint dies zu bestätigen.
3) lü. Germ, w wurde bis ins 13. jh. hinein als unsilbi-
sches u gesprochen.
Eine Substitution war hier von selten des windischen
nicht nötig, da dieses qualitativ denselben laut besass (noch
heutzutage erscheint ja slaw. v im windischen als m). Die
heutige ausspräche iv für die ältere periode anzunehmen, ist
ganz unmöglich. Unter dieser Voraussetzung wäre ohne zweifei
im deutschen tv für das fremde h, im wind, umgekehrt h für
deutsches iv substituiert Avorden, wie dies ja gegenwärtig tat-
sächlich geschieht.
Zu ende des 13. jh.'s scheint germ. iv schon die heutige
ausspiache gehabt zu haben. Um diese zeit beginnt es in den
Urkunden mit inlautendem h (das, wie aus den oben angeführten
beispielen wie Mhatd etc. hervorgeht, schon etwa anderthalb
Jahrhunderte zuvor den gegenwärtigen lautwert bekommen
hatte) verwechselt zu werden. Vgl. Weinhold, Bair. gr. § 124
und § 136. Belege aus Kärntner Urkunden: ehichleich 1291,
piderive 1299, Stuhemvcrch (Stubenberg), JudenwurJcch (Juderi-
burg) 1351.
Sogar im anlaut wird von diesem jh, an öfter h für tv
geschrieben. Daraus geht nicht etwa hervor, dass dieser h
geschriebene laut als stimmhafter verschlusslaut gesprochen
wurde, sondern den Schreibern standen eben zwei gleichwertige
zeichen für ein- und denselben laut (ma. w) zur Verfügung,
Daher nebeneinander tveitver und beiher. Dass h für tv im
anlaut verhältnismässig seltener erscheint als im inlaut, ist
natürlich dem umstände zuzuschreiben, dass dieser buchstabe
§ 102 MUNDART VON TEKNEGG. 125
— sicheilicli iiacli nach fremdem (sclnväb. md.) muster — auch
für anlautendes bajuw. 2^ (= *h) gebraucht wurde. Dass dieses
zeichen aber dennoch, ohne dass man sich deslialb gerade viel
scrupel machte, für anl. w verwendet werden konnte, ist vor
allem dem einfluss der ortliog'raphie und ausspräche des lateins
zuzuschreiben. Das lat. anlautende b (und selbstverständlich
auch das inlautende) wurde auf bair.-österr. sprachboden, seit-
dem hier ein tv überhaupt existierte, vor vocalen ohne zweifei
als tv gesprochen. Dies beweist vor allem die (wol über das
gesammte bair.-österr. Sprachgebiet verbreitete) ausspräche des
b als IC in lat. personennamen wie tvencdikld Benedikt, ivar-
wara Barbara, scivastian Sebastian, etc. An eine direete Sub-
stitution für rom. b ist in solchen fällen natürlich nicht zu
denken. Diese Wörter entstammen ja alle der lat. gelehrten-
sprache. In Kärnten wird von einheimischen lateinsprechern
(zumal der älteren geistlichkeit) noch heute ziemlich regel-
mässig ivmg ibiho), favi (ubi), tvcne (bene), nvi (ibi) u. s. w. ge-
sprochen.') Vor consonanten dagegen erscheint im anlaut ^;:
IJreivis (brevis), planditsia {blanditia). Daher auch z. b. ma.
plgse Blasius.^)
Die frage, wie sich hier im Süden, bei den steten be-
ziehungen zu Italien, diese ausspräche überhaupt [festsetzen
konnte, ist nicht schwer zu beantworten, ic ist ja der natür-
lichste ersatzlaut für fremdes b, den unsere mundarten besitzen.
Ein ponus (= bonus) würde sich im vergleich zur ausspräche
der Italiener seltsam genug ausgenommen haben, und dass die
grosse masse der deutschen lateinsprecher wirklich stinnn-
haftes b gesprochen haben soll, ist wol so ziemlich aus-
geschlossen. Anlautendes tvl, ur war dagegen eine der ma.
nicht geläufige consouantenverbindung.
Die beispiele, in denen gegen Avärtig /' für fremdes b er-
') Vgl. dazu die latinisierende scbreibung des Ortsnamens 'Benesiruitz',
ra&. weane sirnsts, d. i. "Wenig-Siruitz. 'Wenig' bat bier die bedeutung von
'klein', Avie denn z. b. ancb das beutige 'Klein'-St. Veit urk. 'Wenig-' ge-
nannt wird, vgl. besonders BWb. 2, 1)22.
'■') In den nacbbarländern scbeint beute wol überall das lat. b aucb
vor vocalen und im inlaut als stimmloser verscblusslaut gesprocben zu
werden ; nur Deutscb-Südtirol soll, wie mir mitgeteilt wurde, mit Kärnten
übereinstimmen.
126 LESSIAK § 103
scheint, müssen natürlich sämmtlich zu einer zeit entlehnt
worden sein, da b noch als verschlusslaut gesprochen wurde
und einheimisches stimmhaftes v als nächstliegender substitu-
tionslaut erschien. Wenn namen solcher orte, die in heute
wind. Sprachgebiete liegen, zum teil tv (geschrieben h) für
slow, h haben, so erklärt sich dies jedesfalls daraus, dass sie
entweder erst später eine deutsche form erhielten oder dass
die slowenische namensform immer einen gewissermassen corri-
gierenden einfluss ausübte, bez. die alte deutsche bezeichnung
ganz verdrängte.')
Was die Wörter mit anlautendem j) für fremdes b anbelangt,
so sind sie, soweit sie nicht schon in voralid. zeit entlehnt wurden,
als 'mittelbare' entlehnungen zu betrachten (s. einleitung).
Der natürliche substitutionslaut für fremdes v ist heute tv
(vgl. alawante). Wenn es nun auch tifddlrw, fädium u.s.w.
heisst, so handelt es sich hier nicht um directen ersatz. Diese
zweifellos jungen lehnwörter entstammen offenbar der spräche
der gebildeten, in welcher für lat. v früher allgemein die
'traditionelle' (besser: 'historisch entwickelte') ausspräche f
üblich war. Anders verhält es sich hingegen mit dem v älterer
lehnwörter. Dieses hat sich natürlich wie heimisches *v ganz
lautgesetzlich zu f entwickelt.
B. Z a h n 1 a u t e.
§ 103. Germ, t
1) ^ > ^ in den Verbindungen tr, ft, st, ht: trötn treten,
ätr eiter, lautr lauter, ^j?Y^r bitter, tsittm zittern; — höftn heften,
möstn mästen, Ihxt licht.
2) t> ts: a) im anlaut: tsceit zeit, tsaun zäun, tsceUin zeiheil,
tswä zwei, tswimzwivw., ^sms^zwiesel (gabelförmiger ast), tswökx
zweck, tsivihld 7A\\QkQ\-^ — b) inlautend nach n, l, r: pjlgntsa
pflanze, pföfrminls pfeffermünze, khr<jnts kränz, S(jUs salz, holts
holz, smöltsn schmelzen, herts herz, sivgrts schwarz, furts furz,
sertm 'scherzen', springen, rennen; — c) in der gemination:
SQts schätz, rgts m. ratte, lots schlecht (mhd. letze), flöts m.
^) Die heutige deutsche namensform für wind. Buhla ist (um ein hei-
spiel hiefür anzuführen) Wuchel. Urkundlich lieisst der ort aber Fuchel,
Veuchel, dem lautgesetzlich ein modernes fceihl entspräche.
§ 104 MUNDART VON PERNEGG. 127
boden (mlid. vUtse), stots niederes, seichtes schaff (zu ^stutzen'),
tsuts sauglappen (mlid. zutzel, vgl. 'zitze'), struts wecken (zu
ahd. stredan aufwallen, vgl. auch 'strotzen', 'Strudel'), snits m.
spalte, Wallach (zu 'schneiden'), trutsn hartnäckig begehren
(mhd. trufzen), glitsn glänzen (mhd. glitten), hafsn heizen, wötsn
wetzen, ratsn reizen, fnnitsn vermissen {*mitjan), pitsn, pitsln
stechen, prickeln (zu 'beissen', dazu xyitse, pitsle jähzornig,
rasch auffahrend).
3) ^ > 5 (für '"^ss) nach vocalen: mos mass, sus schuss, gas
geiss, liäs heiss, sniis knallfaden bei der peitsche (zu smceisn
schmeissen, werfen), sprisl leitersprosse (mhd. sprüzzeT), strösn
Strasse, wosr wasser, ri9sl riissel (mhd. räeseT). Nebeneinander
stehen, mit etwas differenzierter bedeutung, päsn und patsn
beizen (dazu päs, pats beize).
Ausgefallen ist das ^ in einigen flexionsformen von midsn
müssen, Igsn lassen, s. § 175. 177, 5.
§ 104. Germ. d.
Germ. d> t bez. tt (vgl. § 14): anlautend: tag tag, tost tor,
tölpel (vgl. Kluge, Wb. unter thor^). Im gegensatz zur Schrift-
sprache haben anlautendes t wie im mhd.: tunst dunst, tompf
dampf, tQm dämm, tum dumm, tuft duft, tgngln dengeln, tuulxhl
dunkel, tglm dohle (mhd. tdlie), tuttr dotter (gew. tuttdrale, ahd.
iui(iyei), tftsl 'dusel', eine art fieber, Schwindel. — Inlautend,
auslautend: puttn bütte, stritte strittig, gritta der von beiden
beinen gebildete winkel, gritfr m. kreuzgestell (zu mhd. gritcn
grätschen), sZ<7^« Schlitten, f/zt'<Y^r gewitter, ^r(7/« 'tratte', Vieh-
trift (mhd. träte), tsidtr zieter, deichsei, hsötn gesotten, gelfn
gelten, girtl gürtel, j)röY brett, prät breit, 2'>öi hote, fort fahrt,
lh(jU kalt. — Urspr. geminata: mittr mittler, hittn hütte, fiitta
brustwarze (mhd. tutte), wötn wetten, tsötn verstreuen (mhd.
ze'tten), rötn retten, sötn quark (mhd. schotte).
Mit *dd ist *])J) zusammengefallen: ^mittn schmiede (mlid.
stnitte), Igln latte, spütn spotten (s. Kluge, Wh).
Eine gewisse Schwierigkeit bietet die gruppe *;«? (für
ahd. nt). Es entspricht ihr heute in den meisten fällen nt, in
einigen nd (dieselbe doppelheit herscht auch in der Imster
ma., vgl. Schatz s. 87 f.). Wie bereits oben § 13 bemerkt wurde,
erscheint im auslaut nach n und in dei- Stellung zwischen u -f- n
128 LESSIAK § 104
die dentale verschlusslenis stets als fortis. Demnach sind fälle
wie^Zm^ blind, sgnt sand, Jcsimi gesund; unfn unten, hinbi hinten,
smin schinden, isintn zünden, lintn linde, von einer vergleichen-
den zusanrmenstellung als selbstverständlich auszuschliessen.
1) nd erscheint vor vocal oder liquida in icgnäln wandeln
(bei der messe), tändln 'tändeln', trödeln (dazu tandir trödler),
liQndln handeln (vgl. dag. wind, häntöu handel), frtsandln (stadt-
spr. frsandln) verunstalten (zu 'schände'), sindlm. schale, rinde
(zu schinden), auch schindel (lat. scindida; letzteres heisst in
der stadtspr. sintl), ivundr wunder (bes. häutig in Zusammen-
setzungen [wie wundr-seltn, -lidiv, -lildgr u.s. w. wunderselten,
-lieb, -klar), lüundr habseligkeiten, plunder (dazu plindrn über-
siedeln), psundr besonder, Jmndrt hundert, Igndrds ländlich,
tceitslendr Deutschländer, ivQndn) wandern, frhvendr Verschwen-
der (dag. swentr roder), sindr Sünder, sindw sündigen, Mtendr
Ständer, pstende beständig, slanddt stünde (dag. stantrle Ständ-
chen), ont sindw entzündung, ngat-, ans-, ceimvende not-, aus-,
inwendig, anedgxtsh einundachtzig, umddum umundum (höfisch
umdtüm). — Neben Iharntnr (Kärntner) hört man zuweilen
auch liharnr mit Schwund des vorauszusetzenden d (vgl. mhd.
Kärnäenoere, Kärndcere). — In tvindds windisch, dürfte das d
wol auf */^ zurückgehen (vgl. ahd. Winkla pl.).
2) nt haben alle übrigen fälle: pÄintr blinder, plinU
blinde, l:sintr gesünder, Jisinidste gesündeste, Ighntr lachend,
rwisnfr reissend, ^anfr ehe (analogiebildung nach erstarrten par-
ticipialformen auf -r oder secundärer comparativ);i)ewfrbänder,
lentr länder, prentr brande; j:)m^r binder, sintr Schinder; hantle
händchen, hintle hündchen; ivantln 'wändein', in die wand
kegeln, tsintln 'zündeln', mit feuer spielen, gpprantlr 'abbränd-
1er', ein durch brand geschädigter, p)rantrle 'brandvogel', rot-
kelchen; hantliv handhabe beim pflüg; /taw^e bitter (ahd. hantag;
dazu hant m., hantn f. bitterkeit, groll), grante verdriesslich
{grantm. Unwille, vgl. BWb. 1, 1003), 6{^wfe' sandig, winte windig,
frcehitla freundlich, santla schändlich, saulentdt mit schwach
entwickeltem hinterteil (lentn), pentm bändigen. Ferner untr
unter, hintr hinter (zurück), muntr munter, wintr winter, tsiintr
Zunder; fremdwörter: mgntl raantel, hmtr etwas böswilliges
(mhd. hinder), l-anirle Wandschrank (vgl. § 117, 1, a). Vgl. noch
swintl Schwindel, taumel, dag. sivindl betrug.
§ 105 MUNDART VON PERNEGG. 129
Die gTOSse masse der beispiele mit nt scheint wol dafür
zu sprechen, dass wir nt im allgemeinen als die lautgesetzliche
entsprechung des germ. nd in unserer ma. zu betrachten haben.
Es ist indes zu beachten, dass die überwiegende mehrzahl der
fälle mit nd an und für sich oder wenigstens der bedeutung
nach isoliert ist, während den mit nt fast ausnahmslos aus-
lautende formen oder formen auf -ntn zur seite stehen. Es
würde daher nahe liegen anzunehmen, die fortis sei von diesen
auf die inlautenden formen übertragen worden. AVie kommt
es aber, dass dieselbe Verallgemeinerung sich nicht auch bei
nd aus *h7j vollzogen hat? (vgl. dazu den folgenden paragr.).
Andererseits ist es wider kaum möglich, das d in allen fällen
auf fremden einfluss zurückzuführen. Wir werden wol damit
rechnen müssen, dass ahd. nt sich wenigstens facultativ zu nd
entwickeln konnte, zumal vor r und l. wintr, munter haben
ursprüngliclie geniinata. Auch für tsiintr (vgl. ahd. euntra),
untr, hintr könnte man sie eventuell annehmen. Bei den beiden
letzteren könnte sie sich in den flectierten und abgeleiteten
formen entwickelt haben.')
§ 105. Germ. Jb.
1) J) > d. Anlautend: der der, drwi drei, dgnJcx dank,
drum trumm, stück, di?^ ding, dln dünn, dränon drehen, drcmhl
stück holz (ahd. dremil). — In- und auslautend: lödn bohle,
laden, sgdn schaden, n'idr nieder, fuddr fuder, modr mälider,
södr Schotter (vgl. Schatz § 69, anm.), stgdl stadel, flüdn liaden,
ödl edel, smüdln herumschmieren, beschmutzen (zu 'schmutz',
WZ. *smftj)-; dazu Mmaudlox unreinliche Speiseüberreste), fludr
Hügel eines mühlrads (vgl. mlid. cloder gerinne), gndr ander;
vgl. auch pfinde voll finnen (mhd. phindec neben pfmnec), winde
wütend, toll (mhd. windec neben ivinnec); — liod lied, 2^gd bad,
röd rad, hsceid gescheit (mhd. yescMde), schäd scheide, Igd n.
lade, tgad tod (aber igat tot) u.s.w.
2) l> > t. Wortanlautendes t erscheint für zu erwarten-
des d in tgxt docht, ighnt ton, tausnt tausend, tceits deutsch,
tgndr donner, tiwkhn tunken, trauwa traube (sämmtliche schon
mhd. mit t)\ tistl distel, tgasn tosen {gdt^as getöse), täsn pl.
•) Neben dem häufigen Ortsnamen hört Hart (wald) steht auffallendes
harclükx Hardegg.
Beiträge zur geschichte iler deutschen spraclie. XX VIII. 9
130 LESSIAK § 105
nadelliolzzweige (mlicl. r/f/^.sm; dag. [pdals n. dickielit, gestrüpp),
terfn dürfen, täse fügsam, nüiig (mlid. thescc; hielier gehört
auch das jetymologisch dunkle tristn holzschicht, etc.; die mehr-
zahl der übrigen nia. hat d im anlaut, vgl. KWb. s. 71. BWb.
1, 676). Fremdwörter: tats abgäbe (it. dazio), täum dauern
(durare), taufa daube, igxtl dachtel, töhdnt dechant, tixtn
•dichten', ausdenken, tösn dose, topplt doppelt, iutsnt dutzend,
iüdln dudeln, {iüdlsQhx dudelsack), tühnt federbett (cech.
duchna), tgUi) pl. eine speise (art grütze, cech. vdolek; vgl.
BWb. 1, 505), tdlxlighi (neben dQkhgtn) dukaten, tisiMim dis-
putieren, tisixdrirn discurieren, iesntcr deserteur.
Dagegen ddlelht dialekt, dil:ht~mj dictieren, dätdm (dätum)
datum, deJiha deka, detsemr december, doJchtr doctor, didmant
diamant, drutsln eine weiche masse hin und herrollen, ihr eine
wurstähnliche gestalt geben (it. druzzolare, Körting no. 9620),
däniel Daniel, u.a. Die Ortsnamen wind, herkunft haben ihr
anlautendes d in der regel bewahrt: dedhx Dellach, d^atvr
Debar, d^Ieanise Dolientschig, u. s. w. Doch vgl. töslh Tösch-
ling (wind, dosntse), trgg Drau, tgntsdx Damtschach (wind.
dgmatsand), iöivrdx Döbriach {*dobrijax). Wenn wir die er-
klärung von Behaghel und Schatz (Imster ma. s. 90) für unsere
ma. brauchbar machen wollen, so müssen wir annehmen, dass
auch hier einmal das gesetz von der satzanlautenden fortis
gegolten habe.
Fortis erscheint ferner im auslaut nach sonorconsonanten
und in der Stellung zwischen n + n: sult schuld — kdde
schuldig (der pl. sidin neben siddn ist analogisch); tvüt wild
— ivilde wilde, yolt gold — gulddn golden, frgoldn vergolden;
2nlt bild — jj«7c?r bilder {auspüdn ausbilden); rint rind — pl.
rindr\ Jchint kind — pl. Jckindr; tsfjnt zahn (ahd. zand) —
tsandle zähnlein; l.sivint geschwind — Jistvindr geschwinder;
frkhinin verkünden — frJdiindw verkündigen; funt fund, fintn
finden — finde findig, ßndlJchint findelkind; linfn mehl rösten
(der sterts wird ghmtn), zu linf bez. linda 'linde', ungesalzen;
zvert wert m., tvert adj. (nur prädicativ); hert herd; fiirt fort;
gdpurt geburt — gdfrirde gebürtig (^^gl. got. gahaürj)sy. Vgl.
auch swit (ahd. sid; dagegen drsldr, drsceidr seither. Wir
haben es hier wie etwa bei wökx weg, mit einer erstarrten
auslautsform zu tun;.
§ 106 MUNDART VON PERNEGG. 131
Anm. (pdult gediild (ahd. -lt\ dazu gdduldn gedulden, gedulde ge-
duldig, ist sicher entlehnt. Ebenso wird geldr gelder, der pl. zu gelt (ahd.
geh), schriftdeutschem einfluss zuzuschreiben sein. Auffallend ist der Wechsel
von t und d in fait Veit — »ouhv fceidr St. Vetter, fa^/dl (eig. dem. zu
Veit, aber in der bedeutung 'schlechtes taschenmesser'; vgl. BWb. 1, 692).
Zu fortis wird die lenis schliesslich im auslaut schwach-
toniger Silben: hcmot hemd^ ingndt monat (ethd.mänöd, vgl. zarz.
mgunade). Das t ist hier fest geworden: pl. hemdtr, mgndtr.
Hierher gehören auch die höfischen kurzformen auf -dt neben
altem -dda, s. § 82. Vgl. ferner die Ortsnamen piograt Pur-
grad (wind, püdhrad), pregrat Prägrad (wind, prshrad). i)
3) Geschwunden ist */? nach r in pürn bürde, ern erde,
(merkwürdig ertöpfl erdapfel, kartoffel), wern werden (in allen
formen: i iver ich werde, ivürdt 'würde-te', worn ge-worden).
Vgl. auch das lehn wort gmin Ordnung, {grutla ordentlich).
Nach l in föla, fgln falte (*/j wie in got. faipan), pgldstr in
bälde, eig. gen. zu pglt bald (zu -tr vgl. § 148, anm.). Nach
m in frem fi'emd. Der Schwund kam lU'sprünglich wol nur den
inlautenden formen zu, von diesen scheint er auch auf den
auslaut übertragen worden zu sein.
Anm. In fällen, wo das /• vor d durch dissimilation beseitigt wurde,
ist das d geblieben. Die beispiele s. § 32, a.
Anlautendes ]jw ist zu tsw geworden: tsiverx- zwerch-,
iswingti zwingen. Zu ivöhl (ahd. dweliila) vgl. i; 34. Ebenso
div. tstvergl zwerg. Slow, du erscheint als isw in isivgrtsn
Tschwarzen (ortsn., "^duortse höflein).
§ 106. Germ, s (ss).
1) 5 > s: scBi sie, sgt satt, sggv sagen, sgl saal; — (visti
eisen, rästi reisen, Iceisa leise, graiisn grausen, linsa linse, friosn
frieren, frlidsn verlieren, lösn losen, horchen, «fö^wwasen, rasen;
— </rp5gTas, ?aM5laus, ceisei^, ggns ^Mi^, /<p/5 hals; — ss > s:
mos messe, guts gewiss, rös ross, khrös kresse, püsn, pmln
'bussen', küssen, mösw messing.
2) s > s: a) anlautend vor consonanten: slidsn schliessen,
') Das a scheint hier nicht durch abschwächung aus *o entstanden
zu sein, es wird vielmehr umlaut vorliegen. Die wind. Ortsnamen sind in
der regel in der locati\'form übernommen worden. Wind. loc. u pre-,
ptiahrade, *pred-, podgrädc.
9*
132 LESSIAK § 106
sniöl schmal, snceid f. sclineide, miit, swpgr scliwagei", sfög Steg,
sjjöt spät, slij-nuts m. düte (it. scarnuzzo), skapollr scapiüier,
b) Iijlautend in der Verbindung- sp und sh: luspm lispeln,
Minospa knospe, Impl liaspel, rgspln raspeln, Idirispm die wasche
beim ausschwemmen auf steine schlagen (zu mhd. hrispen kräu-
seln?), zvispam heubaum (mhd. ivisboum), respehld respect, eM-
phtsirn explicieren, Mglspcrg Kaisberg ('Kalbsberg', urk.
Chalhersherg), dr^glsperg Drageisberg, tcdldsperg Techeisberg
(5 < 5 < ts, wind. iihöUsa), praimsperg Braunsberg; — muskl
muskel, h-nskl (s. § 31, a), xiiskötn biscuit {ii.hiscoUo, vgl. Kluge,
Wb. unter hiskuit), miskolants misculanz.
Vor t dagegen erscheint inlautend s: Igst last, glustn ge-
lüsten, hu9stn husten, rgstn rasten. Nur wenn in folge der
Silbentrennung inl. st in den anlaut einer haupttonigen oder
mit starkem nebenton versehenen silbe zu stehen kommt, wird
es zu 6^^: Mastraun kastraun (kha-straim), khristöf Christoph
(dag. /i'Am^? Christian). nmtrgntsnmQ\\^iY?aYLQ\ — restratsion re-
stauration (restaurant), khonstantlnüpl Konstantinopel (dagegen
Tihristlrti klystieren, pistoln pistole, pastätl bastard, doch instddüt
Institut, ?r^s7m»^e;^^nstrument);l) — Ztev^s/or/" Leinsdorf (Zcem-
stQrf), wglslQrf Ingelsdorf, pridflstgrf Brief elsdorf, pödnslgrf
Bodensdorf, rp/>j3i6'fpr/"Eabensdorf. Fremdwörter sind manestra,
maUstra etwas breiartiges, mischmasch (it. minestra), tvoste töli^el
(eig. 'Sebastian', wind, böstii).
c) Nach r: pfirs3x pfirsich, fersa ferse, hirs hirse (gleich-
lautend mit hirs hirsch, mit urspr, rz), first fürst, erst erst,
durst durst, gerstn gerste, ligrst harsch, gefrorener schnee (zu
mhd. harsten hart werden), gndrst änderst, hintrsa zurück (mhd.
hinder sich), ucrsa aufwärts, drüber hin (mhd. über sich), ursa,
ursl Ursula.
Dagegen nicht in der flexion: an gndrs ein anderes, wgs
psundrs was besonderes, tsuntrst, tsöwrst zu unterst, zu oberst,
fgrst fährst, vgl. auch frlurst verlust, kfrurst das gefrieren,
') Die Stadtsprache hat einerseits inUants, inUruJchtr, inUinkkt, Mgn-
istant, klupiUruidrn, restitutsiQn, diUants, suMtants, auguMin, andererseits
arestant, ministrgnt, postidrn, khastridrn, sistiarn, iustits, protastant, ab-
strakht, abstinentslr, Jchastroln (kastrol, kasserole). Daraus geht hervor,
dass bei jüngeren lat. freradwürtern das U im allgemeinen auf den anlaut
des Stammwortes beschränkt ist.
§ 107. 108 MÜNDART VON PERNEGG. 133
frostbeule, mit secimdärem r nach analogie der verbalformen.
fersl vers, ist fremd wort. Zu mesr mörser, s. § 114,
§ 107. 6' aus germ. sJc u. a.
Germ. sJc > s: sghm schaben, sroJix schrecken, Üs tisch,
frls frisch, ösn asche, flösn flasche, tclsn wisclien (dazu drivtsn,
dricUsn erwischen), dreasl drossel (vgl. ahd. drösca), flöm flösse,
flligel (vgl. BWb. 1,798; zu Qhä.jjenmilas, /?osw«,Alid.gl. 1,347,46,
ilascim 2, 302, 69, wenn hier dem sc gegenüber dem geläufigen
zz der glosse eine bedeutung zukommt).
Während sich Jis sonst regelmässig zu Ics entwickelte (vgl.
§ 118, 2), ist es in folgenden fällen wol durch metathese über
sl zu s geworden: Iceim leuchse (mhd. liulise vgl. Kluge, Wb.
unter leuchse), icäs wacker, scharf {a iväsr ments ein tüchtiger,
schneidiger mensch ; in anderen ma. kommt auch icalcs vor, vgl.
KAVb. s. 248; es entspricht viAiLu-alis, tvchse zu 'wachsen',')
das frühzeitig mit tvass, tcesse zu 'wetzen' vermischt worden
zu sein scheint. Vgl. dazu den Ortsnamen ma. wäsmperg
Wachsenberg, urk. Wessenberch), dräslp^x (ortsn.) Draschel-
bacli (urk. Dyehsiljjach).
Urspr. sj wurde zu s in neisn reuse {*rrisjön-; s. Kluge, Wb.
unter reiise, Schatz s. 108). Dazu vgl. bei Krassnig s. 27 gis
wolkenbruch (mhd, güsse für *gus[s]ja).
§ 108. ts.
In diesem zusammenhange will ich auch die oft schwer
deutbaren fälle anführen, in welchen die affricata ts erscheint.
1) Anlautendes ^s haben ^iö^)/" schöpf, dach vorsprang, tsq)})!
büschel (vgl. dag. nö. siju^l), tsippln bei den haaren packen,
isopplza,Y)ieii, Stöpsel (vgl.mhd.5c/i0j)), /srt«j»?;miedergesclilagen,
kränklich sein, tsaupot mit wirrem haar, kränklich aussehend
(vgl. KWb, tscliaup dichter büschel von haaren, federn), tsuttru
sicli vor lachen schütteln, tsuttra baucliige schnapsflasche, tsuMe
kleines kind, isödra, tsedra kleine hülzeine tabakspfeife mit nie-
derem bauchigem köpf und engem röhrchen, auch verächtlich für
'mund', tsödr wirres haar, iso]i2^l tölpel, tsgtrn prasseln, brodeln.
') Nach Sievers ist icachsen eine -sZ;o - ableitung zu icacheu, gruudf.
*-icaJcsko-. Die bedeutung 'wacker' würde wol dazu stimmeu.
134 LESSIAK § 108
tswerlln taumeln, tsine, tsmlie, fem. tsanka dumme person, tswkln
baumelnd einliergehen, tseldm klirren (zu 'schelle'), tsepprw rasseln
(BWb. 2, 354 schehern, scheppern), Uolpru schallen, klappern (zu
mhd. schdlbcere laut schallend?), tsindru klingen, klirren (interj.
isin-tsm), tserjln klappern (von schlecht angebrachten schuhen),
tscrfl schlechter schuh (BWb. 2, 464 scherfein), tsandm, frUandna
vertändeln, tshlin, tsidkln schielen (mhd. schiec schief), ghUapin)
sich davon machen, tsridp, tsirpr tölpel, tsr^apa Scherbe (interj.
tsräp, wenn etwas hinunterfällt und zerbricht, vgl. auch wind.
tsr^pua Scherbe), Uürn sich langsam herumbewegen, tsUre, tsgre,
fem. tsgra läppische person, tmra vulva (in derselben bedeutung
tsumpra, vgl. BAVb. 2, 420 schummel, schumpel, mhd. schiimpfe
buhlerin, s. Kluge, Wb. unter schimpf), tsafittl rockzipfel, etwas
wegstehendes (BWb. 2, 518 schlafittich für * schlag fUtich),
In einzelnen fällen wird sich das t wol durch sandhi er-
klären, z. b. tiot seldrij > tudt-tseldru, oder t-sumpra die s. >
isumpra. Zum teil sind es lautmalende bildungen. Auffallend
ist es, dass eine ganze wortsipi)e mit ts anlautet. Die ersten
fünf beispiele gehören jedesfalls ein und derselben wurzel an.
Die folgenden beispiele von tsuttru bis einschliesslich tswerJdn
sind insofern bemerkenswert, als sie eine auffällige berührung
mit Wörtern zeigen, die mit k bez. kw anlauten. Neben tsuttru
steht khuttru 'sich den bauch voll lachen' (Schmeller hat da-
neben kudern, auch in der bedeutung 'bauschen'). Ich habe
dieses oben § 98 zu got. cjijms gestellt, welches urspr. wol
'Schlund', 'Öffnung überhaupt' bezeichnet haben wird. In der
bedeutung 'innerer teil des Schlundes' begegnet es im eng-
lischen: ue. cud, quid, ags. cudu, vgl. Kluge, Wb.^ unter köder\
air. hei < indog. g^'etlo- heisst 'mund, lippe' (Streitberg, Ur-
germ. gr. § 125, 4, a); dazu got. qipan 'den mund auftun',
sprechen; vgl. auch nhd. maulen.^) tsödra mund (KWb. s. 215
tscheadriveit 'ganz offen') und tsuttra bauchige flasche,^)
würden der bedeutung nach wol dazu stimmen. Auch tsuhle
Hesse sich damit vereinigen. Zur bedeutungsentwicklung vgl.
') Dazu sind jedenfalls zu stellen ahd. quiti vulva, quoden femina;
nhd. koder unterkinn, kröpf, kutleln ausweiden, futkuten vulva. Sehr wahr-
scheinlich gehört auch kot, ahd. quat ' excrementa ' hierher. Ma. khwidn
schamleiste, lende, steht der bedeutung 'vulva' recht nahe.
2; Doch vgl. slow, cutaru, cotara (wind, ihüiru) feldMasche.
§ 108 MUNDART VON PERNEGG. 135
ma. WQmpm (mlid. wamhe) bauch, veräclitl. kind. Ma. tsödr
entspricht im slowenischen entlehntes lodcr, dazu schles. kudeln
verworrene haare (eig. gedärme?). Neben tsgppl steht höfisches
Jikwoppl Als entsprechung zu unserem Uiveykln, tsgtru hat
das DAVb. quergeln, quattern. Zu tsaup vgl. nhd. kaiipe feder-
büschel (Kluge unter l'oj^f). Es läge auch nahe, khopf köpf,
und tsopf schöpf, oberes ende (auch köpf, s. KWb.) zusammen-
zustellen, wenn jenes nicht lehn wort wäre. Sollte dem ts(w)
ein indog. sg' zu gründe liegen oder sind dies (was mich wenig
wahrscheinlich dünkt) nur zufällige berührungen? Vgl. übri-
gens auch den Wechsel von üv — kiv {sivelde — quehle).
In fremdwürtern erscheint anlautendes ts für fremdes s, ts
vor consonanten und (.y), ts, z. b. tsmcyld schmutz (wind, smrld
rotz), tsrngaka weiche, halbgedrückte birne (wind, tsmglma weiche
masse, kot, tsöm häher (wind.w/a), tsentsn langweilig schwätzen
(it. cianciare schwätzen, scherzen), u. a. m.
2) In- und auslautend ts. Nach Wintelers regel (Beitr.
14, 455 ff.) aus guttural + ts (durch Umstellung > tsk > tsk
bez. ts) lässt sich ts erklären in rutsn rutschen (W. ^ruckczzen).
ratsn plaudern (zu ahd. raskeszan, vgl. auch ma. regln schwä-
tzen), tatsln mit der flachen band widerholt sauft schlagen,
tctsn ohrfeige, tets m. beschädigung (vgl. ghtakkln prügeln, taitx
interj. des Schlages, bes. einer ohrfeige; IsSWh. s.49 toclui knallen),
(rätsln häufig fragen (meist aus f rätsln neugierige fragen stellen),
gratsn knirschen (vgl. nUsgrägl nusshäher, KWb. s. 120 graggczn
ein geschrei erheben), gnmtsii knistern, knirschen (KWb. s. 121
grgngge dürrer ast), hatsn knieweich einhergehen (Vuekezen,
d.i. mit hakenförmig gekrümmten füssen gehen), hatsht liätscheln,
zärteln (zu 'hegen'), turfsn zusammenstossen (zu mhd. tiirc
schwankende bewegung), tvatsn maulschelle (zu mhd. ivagen,
ma. wokkhi wackeln), ^>o/se' saubär (BWb. 1.312, botschl bock,
Schweiz, hot.'^cli widder, zu mhd. hockezen). pgts fiachsklopfer,
filzscliuh, pgts interj. des klatschens, plumpsens, pgtsn klatschen
(vgl. KWb. pgggn knicken, zerdrücken), pritsn hölzerne schlaf-
stätte, schmutziges wasser, prits tölpel, pritsn, 2)ritsln plätschern
(zu mhd. hrügc, nM. prägel), jlit.sn ausgelassenes mädel (zu fluggu,
s. K^^'b. s. 99), lets9t knieweich, schlotternd (vgl. lamlgkkdt weich
wie lelim). Imtsn schaukeln {Vmckezen, eig. sich durch auf- und
niederhocken in bewegung versetzen), pfutsn eine schnelle be-
136 LESSIAK § 109
Avegung- maclien (interj. fuis, pfuis), in derselben bedeutung
pfuklcdtsn, fulilotsn (aucli 'kichern'; dazu pfits ein unkraut,
fiüdlc sclileclites nmdclien, fiikpfmil pfeil), pQntsn pantschen
(zu dem nia. weit verbreiteten stamme panh-, pimh- stossen^
schlagen, krachen lassen; die bedeutungsentwicklung wäre dann
wie bei pritsln, das auch die bedeutung 'durcheinandergiessen'
hat), u-anß stattlich, beleibt (KAVb. s. 250 aufgedunsen; wol zu
Svange'). Der guttural hat sich noch erhalten in pfnaUba
neben pfuatsn niesen (zu alid. fnascaz^en), piitsn, dem. pHskdle
kleines bauchiges fässchen (zu 'biegen'; doch vgl. auch § 85,2),
moeitslidle dem. zu mauhole Stachelbeere, laus (s. § 85, 3; zu mhd.
mücJien verstecken).
In anderen fällen ist die erklärung unsicher, plotsa grosses,
breites pflanzenblatt (vgl. Kauffmaim § 153, 4, c), pflotsH auf-
gedunsen, aufgetrieben, hitsn mädel (meist verächtlich. Im
Lesachtal ist gitse die gewöhnliche bezeichnung für mädel,
vgl. DWb. 5, 869. Schweiz, id. 2, 578), frhiün verschachern,
Jiatsapats hagebutte (stadtspr. Jietsapets), tgrtsa kotfladen, un-
reine wunde, flacher runder hut (zu mhd. tartsche kleiner
Schild? vgl. BAVb. 1, 539 üdrlceln schmieren), pfl^atsn schlecht
knallen, platzen, tsurtm m. maiskolben, fruchtzapfen der wald-
bäume, flentsn läppen, wunde, verb. weinen (vgl. mhd. vlans,
flansch, KWb. s. 97 fUjnJie grosses stück von einem dinge),
trQtits m. weinerliche person (fem. tr^antsa mit ts), tr^antsn
weinen, sich besudeln (vgl. trinsn Speichel rinnen lassen),
prgnisn neben prantsa was sich beim anbrennen der speise in
der pfanne ansetzt, mats matt (BWb. 1, 1699). — Fremdwörter
sind faisn windel (it. fascia), Jcutsn kutsche, mutskdt muskat,
mgtsne brei, gemengsei (wind. mgUnbh mehlbrei, sterz), felüsdpe
velociped u. a.
Ueber -ts als deminutivsuffix vgl § 85, 3.
Entsprechungen fremder s- und 5-laute.
§ 109. Behandlung wind. Zischlaute.
1) Wind, s: a) anlautend s > ts: tsaulm Zauchen (suhd),
tswätndgrf Zwattendorf (zu stti^t heilig), tswmindts Zweinitz
{*suimtsa). Zum st. sedlo (siedelung) gehören tscdlne Zedelnig
(hausn., wind. sedlnoJc), tsedbtsdgyf Zedlitzdorf, ferner die
§ 110 MUNDART VON PERNEGG. 137
sclii'iftnamen Zedl, Zdsach, Zeltschach {\w:\.Zedelsacli). — Zmuln,
Zlnpp, Zlan, Zlatting beruhen auf slow. *smolno, *slap, *slano,
*slatin((. Vgl. auch die namen der beiden Sprachinseln tsäre
Zarz (slow. *soura), tsäre Zahre (it. bez. furlanisch Sauris).^)
■ Aum. Ortsnamen in wind, gegend bilden zum teil eine ausnähme,
vgl. Sckirn (wind, sotsmi; vgl. slow, selcira axt).
b) Inlautend s>s{*ss): üsox Ossiach (wind. loc. w(^sflirt.r).
In Urkunden wird vom 9. — 14. jli. in der regel zz, z {sz) dafür
geschrieben, nur für slow, st erscheint häufig st] z. b. Osze-
ivach, Ozziach, Oziach (vom beginn des 15. jh. an regelmässig
Ossiach), Wztriz(e), Fustriz (ma. fa^istrots Feistritz, ^bystriisa)]
Oztericiz, Osterwiz (Osterwitz, ^ostroidtsa).
2) Wind, s sowol an- als inlautend > s: saumdn (slow.
sumcti, vgl. § 68), jjjrä.vö'Praschig (;^2^rasiJ>c), tsrösn Tschröschen
(zu slow, crcsnja kirsche, urk. Cherzhovm). Niu' in der Ver-
bindung st ist s zu s geworden: g^sarest Gassarest i^lcozariste,
urk. Cosarist), grädes Grades (mit abfall des t für *grailisfc,
urk. Gradmist, Gradest). Vgl. dazu nhd. bistiim aus mlid.
bischtiioni.
3) AVind. z > s, anlautend vor cons. > .s: fr^asn fressen
i^Jjrcza), ?ö5Laas (wind. ?/«i'c) u. s.w.; swonmnSQ\w\?a\m\ (wind.
zuomnd).
4) Wind, z > s (anl. vor cons. > s): sitte Sittich (wind.
zotdtse), sirndts Sirnitz (wind, zirdntsd), säfnots Saifnitz (wind.
Mbntse), selprits Se\\)Yitsdi (wind, zöjrraise), su2Wne' {hsiusn., wind.
zu2)[n\e]i), dräsiu Drasing (wind, drazhi), psarndts Pusarnitz
{*2)ozarnitsa), rgsöJix Eosegg (wind, rgzdk), 'dds (hausn., wind.
lldz)\ vgl. noch Zedras (wind, sodrazauu), Mies (wind. miza).
Aum. Jüngere deutsche formen von ortsuamen in wind, gegend
haben zuweilen § für slow. i.
§ 110. Deutsche s- und s-laute im windischen.
1) Mhd. ^ (aus *^) ist durchweg durch s vertreten: basato
fassen, po-blisatd befleissen, puosa busse, iösbli essig, hdsa gasse,
hrüds gruss, hrios gries, mnpds ambos, bOs floss, pös'rnis3 besser
(mit slow, comparativsuffix), sliasa schliesse, pdisatd beissen,
') Ferner Zmidie, Zcrbst in Mitteldeutschland.
138 LESSIAK § HO
rceisntd reissen, fäsl (ma. fäsl) fässclien. Die letzten vier bei-
spiele sind sicher junge entlelinungen.
2) Mhd. s: a) in der Umgebung- von sonoren > z: zinatb
sinnen, zlhr sicher, zemud seinmel, zelda (ma. sextn) laugwäsche,
zida seide, fout krieg (mhd. solt sold), hmha salbe, zuäk schlag,
zudhta ver Avantschaft (mhd. 5Za/i^e), zmdx gesdim?ick {mhä.smach),
zmäuts schmalz, znäböu ' Schnabel', lippe, zmduöh Schnittlauch,
/m^5a ^9 schwitzen; — wl/a weise, tduznt t&xisend, ürzdx m'S?iche,
tseuzjx katarrh {mM.Jcelsuht), röza 'rose', blume, mözndr mesner;
— hndz glas, paraäiz paradies, färöuz pfarrhaus, hdnaz anis,
x'(twi Johannes, primaz {-oz)VY'm\\\!& {^oth. iöizas, ma. iösas Jesus,
kristas Christus [ma. Ichristds, -us\ marli'H Marcus).
b) > s in der gemination und in der Umgebung von stimm-
losen consonanten: a) '*ss: kuisnö gewiss, kresd kresse, mesd messe,
2}resd presse, husntb küssen, slow, vanjkus polster (mhd. wange-
liüsse). — ß) sp, st: spol spiel, pnspdn buchsbaum, strihato
streichen, püdstah buchstabe, komst kunst, ßmst dunst, köstatd
kosten (= prüfen), uüstii lustig, kmstr kloster, poustr polster,
tr^st trost, Ulsta kiste, miistr muster, u.s.w.
c) In jüngeren fremd Wörtern wird es vertreten: «) in voca-
lischer Umgebung durch z: zits sitz, zgtl sattel, zgld saal, zgft
saft, hdisl abort (ma. hceisl 'bauschen'), mgzl mal, narbe (ma.
niQsl), Jidnzii Hans (ma. hanse), luz los, räiz reis {oqv^ov), hirts-
hduz Wirtshaus; — ß) anlautend vor consonanten durch s: sldr
Schleier, sngld schnalle, smirha (ma. smirw) schmiere, sughl
Schnabel, sbgli'r Schwager; -- /) inlautend vor t und in der
gemination durch s: süostar schuster, häist geist (flüssigkeit),
südmastr Schulmeister (dag. tsöhmastr 'zechmeister', kirchen-
kämmerer), Uostatd wüsten; — päsat') passen, späs^ spashk spass,
spassig, trös zins (ma. ontrösn 'Interessen').
Anm. In moderneu lehnwörtern erscheint auch in vocalischer nach-
barschaft zuweilen s: lö^epMx lesebuch, tsüumli zausen, fräs (ma. /ras),
freisen, ipäjs (ma. spceis) Speisekammer, mnär siebener, sümrfrih Sommer-
frische, sdndla (raa. sandlet) Susanne.
Bei roraan. fremdwürtern wie sonälä sahit, saJcmmensko sackerment!
sQrta Sorte, ist wol direete entlehnung- aus dem it. anzunehmen; vgl. zakra-
ment Sakrament, mit 2, weil dem deutschen abgeborgt. . Auifällig ist Ht
(slow, ient) sanct, aus ahd. mhd. senie.
3) Ahd. sk erscheint in einigen alten lehnwörtern noch
als sk: .sMn'e pl. schere, s/.p/" bischof, skäf achsiif, sÄ-o/;a schaub.
§ 111 MÜNDART VON PERNEGG. 139
Vgl. noch slow, skrat waldgeist (nihd. schrat), skiin Schilling,
skinära rübenschale (ma. sindJ), skiliti schielen, [sk^dd schade,
ist wegen des q, vgl. § 53, jedesfalls vorahd. geraeinslaw. ent-
lehnung; sonst haben lehnwörter aus dem gerni. allerdings sk:
vgl. slow, skut schoss, saura, skedcnj (wind, skodin, *skudin)
Scheune, ahd. scugin].
In einer jüngeren gruppe wird es durch s vertreten: sl2)a
Scheibe, sribatJ schreiben, scmd maske, sclilechter hut (mhd.
scheme) etc. Für erhaltenes inlautendes sk bez. sk fehlt es an
belegen. ^)
§ 111.
Aus diesen Verhältnissen geht mit Sicherheit das eine
hervor, dass die beiden 5-laute in einer früheren sprachperiode
eine verschiedene qualität besassen, und zwar muss das alte
s eine weiter hinten liegende, 6-- ähnliche articulation gehabt
haben (etwa die des friaul. 6), während ^ wol coronal gebildet
wurde, wie das s unserer heutigen ma. oder des windischen
(vgl. Braune, Beitr. 1, 528 ff. Ahd. gr.- § 1G8). Seit dem ausgang
des 14. jh.'s wird in den Urkunden ziemlich regelmässig ss (s)
für mhd. ^j (^) geschrieben. Um diese zeit also dürfte germ. s
in vucalischer uachbarschaft seineu ^'-älinlichen Charakter be-
reits verloren haben, d. h. an derselben stelle articuliert worden
sein wie ^, bez. modern-ma. s. Vor t mag sich die ursprüng-
liche qualität des s vielleicht länger gehalten haben. Die
lieutige grenze zwischen dem .s-^/ 5^ -gebiet geht quer durch
Oberkärnten. Ein teil der westlichsten mundarten spricht noch
st bez. 6'^ (mit s bezeichne ich den schon oben § 28 b erwähnten
zwischen s und s in der mitte liegenden Zischlaut). Im Gailtal
wird strichweise weit herunter bis nahe an die slow. Sprach-
grenze st gesprochen. Ich bin vorderhand nicht in der läge,
die grenzlinie genauer zu bestimmen.
In vollem umfang haben den unterschied in der articulation
der beiden s-laute die krain. und nordital. Sprachinseln bewahrt.
Gottschee und Zarz haben für altes s iu der umge])ung von
sonoren z, auslautend und in der uachbarschaft stimmloser
consonanten s. Die friaul. enclaven haben dem entsprechend
') Slow, ^k bat sich im deutschen zu s entwickelt in hi9fliü schieHing,
wind, hki'ofatse (*sIco9fike zu hkof bischof).
140 LESSIAK § 111
's — 5 bez. / — s, letzteres vor consonanten und nach r. ') Mhd, $
erscheint hier durchgehends als ss bez. s.
Olme zweifei verhielt sich mhd. ^ : s (ausser vor stimm-
losen consonanten) wie fortis : lenis. Da in der ma. heute
Spirant, fortes durchweg mit entsprechenden lenes zusammen-
gefallen sind, so ist auch dieser unterschied zwischen §; und s
(ausgenommen da, wo sich dieses zu s entAvickelt hat) auf-
gehoben, während ihn die übrigen bair.-österr. dialekte wol
ohne ausnähme aufrecht erhalten haben.
Dass der zusammenfall der beiden laute jung ist, geht
ohne weiteres aus dem lehnmaterial im wind, hervor. Einzelne
dieser Fremdwörter haben ein so modernes gepräge, dass man
wol annehmen darf, noch vor ein paar menschenaltern werde
irgendwelcher unterschied bestanden haben. Einigermassen
auffallend ist die vreite Verbreitung dieser erscheinung. Die
mittelkärnt. dialekte, mit denen ich am besten vertraut bin,
stimmen hierin wol alle mit unserer ma. überein.
Wie altes f, so, meine ich, ist auch .s in der nachbarschaft
von sonoren früher stimmhaft gesprochen worden, wie noch
heute in den Sprachinseln, aber auch in anderen mund arten, so
z. b. im Pustertal [pustertalerisch goivQzn gewesen, aber m^ssn
messen, dem entsprechend natürlich auch finve bez. vinve fünf,
dag. soffn schaffen]. Die stimmhaftigkeit mag vielleicht sehr
gering gewesen sein, wie sie es auch heute in all diesen mund-
arten ist, welche stimmhafte Spiranten noch besitzen. Im ver-
gleich zu slow, s, z und it. v erscheinen diese deutschen z, k,
z, V wie lenes gegenüber fortes.
Dafür, dass sich der stimmhafte Charakter des s in unserer
ma. erst in jüngster zeit verloren haben muss, scheint mir das
verhalten der fremdwörter im wind, mit grösster Wahrschein-
lichkeit zu sprechen. Die oben § 110, 2, anm. angeführten bei-
spiele mit slow, s für deutsches s, die sich leicht vermehren
lassen, repräsentieren offenbar die allermodernsten entlehnungen
und zeigen, dass der gegenwärtige substitutionslaut für den
deutschen stimmlosen Spiranten s ist. Es wäre seltsam genug,
wenn er es nicht auch früher gewesen sein sollte, hätten sich
inzwischen die bedingungen nicht verändert.
') Was die beteiligung des stimmtons anbelangt, gelten hier im all-
gemeinen dieselben Verhältnisse wie beim v, s. § 102, 2, fussnote.
§ 111 MUNDART VON PERNEGG. 141
Für altes f haben wir wol eine parallele entmcklung
anzuuelinien. Die grosse anzalil wind, fremdwörter mit f statt
des zu erwartenden h ist einigermassen auffallend. Doch
müssen wir hier immer mit dem umstand rechnen, dass das
slow, stimmhaftes v gar nicht kennt, während f, wie bereits
bemerkt wurde, in folge der zahlreichen entlehnungen all-
mählich ein der spräche geläufiger laut geworden sein muss,
so dass man ihn später auch als substitutionslaut für deutsches
stimmhaftes v verwendete, weil er diesem offenbar näher stand
als h.
Im anlaut vor sonorconsonanten wird das 's, das sich hier
schliesslich zu 6- entwickelt hat, wol früher stimmlos geworden
sein als vor vocaleu. Darin, dass es die Slowenen in späteren
fremdwörtern nicht durch z ersetzten, obschon es hier gewis
innner lenis war, glaube ich einen weiteren beweis für meine
annähme zu finden, dass der stimmhafte substitutionslaut des
wind, einen stimmhaften laut im deutschen voraussetzt. Die
tatsache, dass auch auslautendes deutsches s im wind, fast
ausnahmslos als z erscheint, bestärkt mich sehr in der ansieht,
die ich schon oben § 102, 2 ausgesprochen habe, dass bei aus-
lautenden geräuschlauten sehr früh ausgleichungen nach den
inlautenden formen stattgefunden haben, so dass auch aus-
lautendes 's (partiell wenigstens) stimmhaft gesprochen wurde,
vorausgesetzt natürlich, dass in unserer ma. das mhd. aus-
lautsgesetz überhaupt je auch für inlautende geräuschlenes
geltung hatte.
Eines ist sicher ausgeschlossen, nämlich dass auslautendes
germ. 5 zur zeit der entlehnung als stimmlose fortis gesprochen
wurde (wie z. b. im zarzerischen gl{>s glas). In diesem falle
hätten die Slowenen offenbar s substituiert.
"Wenn im anlaut die affricata ts für wind, s erscheint,
so erklärt sich dies sehr einfach aus dem mangel einer an-
lautenden stimmlosen fortis im deutschen. Dem entsprechend
ist ja auch slow, anlautendes "^x im deutschen zu *lix ge-
worden (vgl. § 115, 4 b, anm. 2), und sicherlich wäre auch ein
anlautendes slow, f deutscherseits durch 7)/" substituiert worden,
wenn es im slow, vorhanden gewesen wäre und sich eine ge-
legenheit zur Substitution ergeben hätte.
142 LESSIAK § 112
§ 112. Germ. w.
Es ist fast überall erhalten. Die gemiiiata ist durchweg
vereinfacht worden: tiösf nest, n^gl nagel, prindn brennen,
nöndti nennen, Igan lohn, tgan tun, fm ^i. faline, dnn{a) darin,
tvirtin wirtin.
Geschwunden ist es mit verlust der vorauszusetzenden
nasalierung des voraufgehenden vocals:
1) Regelmässig vor germ. h: ceihr herein (*inher), ceihn
hinein {*inhin), eJil (edJil) jenseits, drüben (mhd. enhalp), ledlirt
Lienhart (Leonhard), dext, dextr dennoch {*denht < dennoht
mit secundärem t, vgl. D Wb. 2, 935 : die nebenform auf -r ist
zu erklären wie pgldstr u.s.w., vgl. § 143, anm.; dext ist mehr
in den nördl. und nordwestl. ma. üblich. In Pernegg sagt
man lieber dend). Zu fuxtsen 15, fuxtsk 50, s. § 97 (wäre der
ausfall des n alt, so würde hier sicherlich diphthongierung
eingetreten sein). In Zusammensetzungen wie prenhoUs brenn-
holz, stanhgrt steinhart, hat sich das n natürlich unter dem
einfluss der simplicia gehalten, desgl. in s^anhmit Schönheit.
2) Vereinzelt in raftl abschnitt von einem laibe, ranft,
ädla grossmutter (vgl. § 85, c), s^adni (in nachbarma. sendrv)
zudringlich um etwas bitten {"^senren, zu mhd. senen), stappihl
Steinbichl (ortsn.), loeildx leilach, leintuch (mhd. lin-, UlacJi),
vielleicht auch in wistä, wistdhg{r) 'links' (zuruf an Zugtiere),
wenn zu mhd. winster. Urspr. m ist über n geschwunden in
pfriddl fliete (eig. demin. zu "'pfriem'; andere ma. haben pfridndl).
Die nebensilbe -ing ist zu -e (*-ig) geworden in khme könig,
vgl. dagegen tsmwkhmmgle Zaunkönig, auch klänwglhgs ka-
ninchen (mhd. Idinildm). Das zarzerische hat Jchinönkh könig.
3) Auslautend vor consonantisch anlautendem folgendem
Worte in den fürwörtern mcei, dm, scei, a, kha mein, dein, sein,
ein, kein, wenn sie attributiv gebraucht werden: mcei fgtr
mein vater, scei wceiw sein weib, a röd eine rede (dag. mcein-
glte meine alte, dcein-ösn dein essen, khan-auga kein äuge;
dgs-is mwin, dmn, sadn das ist mein, dein, sein, alän allein).
Unter denselben bedingungen in den endungslosen formen des
nom. acc. neutr. einiger adjectiva (vgl. § 143).
Ferner in der präp. fo von, und in sg schon: fd dir von
dir (dag. fdn-etikx von euch), is so dg, sg fürt ist schon da,
§ 113. 114 MUNDART VON PERNEGG. 143
schon fort (dag. sQu-aus schon aus). Nebeneinander stellen
mD, nmi 'man' vor consonanten. vor vocalen heisst es stets
mon. Vgl. auch gdtpl, gdperg zutal, zuberg {^ijen- gegen).
Von haus aus war der Schwund des -n jedesfalls nur bei
neben- (schwach-) tonigkeit der Wörter berechtigt. Wenn es
nun auch mcei fötr mein vater, Jchä prgat kein brot, heisst, so
ist dies natürlich übertragen. Die negation nä nein, erscheint
stets ohne das auslautende n.
Andere hierher gehörige fälle sind bereits oben in den
§§ 31. 34 besprochen worden.
Anm. Formen wie cmfe, öice, tsiotce, ceine, aiise, umme hinauf,
hinab, hinzu, hinein, hinaus, hinüber (umhin), eig. auf-, ab- etc. hin, die
jetzt die echt mundartlichen cmfii, ohn, tsiohn, mhn, ausn, ummdn zu ver-
drängen beginnen, entstammen dem höfischen.
Auffallendes n hat östrndx estrich.
§ 113. Germ, l
Es ist fast ausnahmslos bewahrt (zur Vereinfachung der
geminata \g\. § 14): luodr luder (schelte), lösr leser, labmagen,
helfn helfen, polstr polster, poln samengehäuse (mhd. holle),
fgia falle, hol hölle. Ausgefallen ist es in as als, asö so, der-
art (mhd. also), dr sewige (häufiger dr sege) derselbige, jener,
schm damals {*selhen). 7a\ Ihoehvl, soehvliu vgl. § 32, b.
§ 114. Germ. r.
Es wird vor gutturalen und labialen vielfach noch als
zimgen-.r, sonst in der regel als Zäpfchen -r gesprochen: rceisin
reiste, ßrn führen, jH^^'^ bart, irl erle, dQrf dorf, j>e>7/ berg,
mer mehr. Mit urspr. geminata: dum dürrer ast, bäum, ggn}
karren. In den Wörtern fürt fort, her her, mir meer, jK^' bär,
wird häufig zungen-r gesprochen im gegensatz zur obigen regel.
Die beiden ersten fälle lassen sich wol aus der häufigen Ver-
bindung mit g^a7t erklären (furl-ean, hcrg^an), für die übrigen
vermag ich keinen grund anzugeben. Dass einmal durch-
gehends zungen-r gesprochen wurde, geht aus den in §§ 25 c.
29 c besprochenen erscheinungen hervor. Auch die erliöhung
des mhd. e zu i lässt sich wol nur unter dieser Voraussetzung
begreifen (s. § 56, 2).
Geschwunden ist auslautendes r in d{) da. ivö wo, rn ehe
144 LESSIAK § 115
(9n§a für *dem e). In unbetonter silbe dagegen erscheint mhd.
dar, ivar als dr, ivr: drfor davor, draussen, drpml dabei, drhäm
daheim, drividr dawider, drhintr dahinter, etc., glswr anderswo
(mhd. cdsivä bez. *alstcär), öppr etwa {*etwär). döhm, dimtn
droben, drunten (neben dröhm, druntn) scheinen spätere zu-
sammenrückungen von dö-öbm, dö-untn zu sein.
Inlautendes r wird häufig unterdrückt in didndle 'dirnlein',
mädel (doch sagen die alten fast durchweg dirndle), ferner in
piln neben pildr (stets im pl. gebraucht) kiefer (mhd. hilern).
Die beispiele mit schwund in folge dissimilation habe ich
in §32, a angeführt. Die erscheinung ist jedesfalls sehr alt:
in födr 'vorder', muss das r schon ausgefallen sein, bevor or
> gr wurde (die formen fgdr, fgadr, welche daneben vor-
kommen, stehen sicherlich unter dem einfluss des höfischen
fordr, födr). In mesr 'mürser', fand der Schwund des r zwar
später statt als der Übergang von ör zu er, doch früher als
die entwickluug des r's zu rs.
Neben farle ferkel (dem. zu ahd. varh) steht fädle. Im
Lavanttal (spr, Läfanttal, ma. IgfntgT) ist der Übergang des r
vor l, n zu d sehr verbreitet (stedn stern, khedl kerl), auch
im Unteren Drautal hört man zuweilen dn für rn (fedndgrf
Ferndorf). Vgl. auch Schatz § 72.
C. Gaumenlaute.
§ 115. Germ. Je.
1) k> Ich bez. Mh, lex (vgl. die §§ 12. 14. 15): a) Im anlaut:
hhgts katze, Mmd kuh, leidem klein, IMi^a klee, khlüw m. das
klieben, spalt, hhlaidmi klauben, Mtridg krieg, lihropf kröpf,
khrceistn kreisen (= stöhnen, mhd. Jcristen), Idirggt) kragen,
hals, khnölm knöchel, JcJmoln knolle, khnäß knöpf (dem. zu
'knauf').
b) In der Verbindung nk: dgwkx dank, srgnkx querhölzer
bei der säge (mhd. schranc), khrgvkx krank, schwach (a khrgwkhr
studl ein schwacher stuhl), siukhn Schenkel, siwkhn schinken,
swinkhl dreschflegel (zu mhd. sivinken, vgl. Kluge, Wb. unter
schtvingen), pddiwklm bedünken, khlgnkx schlinge (mhd. klanc^
■kes; dazu khlenkhn mit einer kleinen glocke läuten, auch
khlenkhln), stmkhn stinken, dazu stenkhn reizen, aufstacheln.
§ 115 MUNDART VON PERNEGG. 145
c) In der geminatlon (/.•/,): i^pöl-x speck, shd-x stück, sHJcx
riss, Sprung-, srikhn bersten (mlid. schrie, schricketi), tsikx leichter
schlag (mhd. zic\ slikJm schlucken (mhd. slicJcen), ivöklm wecken,
'prokkn pflücken (zu 'brechen'), tvaJcJm einweichen, eintunken
{^ivaikjan), olchr acker, Igklin lache (ahd. laccha), tokhn, dem.
töklüe rechteckiger klotz (bei der presse), docke (5 — 10 garben;
mhdJocZ;e),Ä7i?oÄ7?» klopfen (mhd.Z:/öc/tew), kkrökkn nüsse knacken
(eig. 'krachen machen', mhd. krccken), khlökhn ausreichen (mhd.
kleckcn), tsivikhn zwicken, luhlidt lückenhaft, rokhl spinnrocken-
stab, tseklin zecke, gnakx genick, nacken, noklin (dem. nökhle)
kloss, lokhn 'locken' d. h. ein kind 'auf dem arme tragen'
(der urspr. sinn war wol 'den arm biegen', vgl. Kluge, A\^b.
unter locke = 'gebogenes'; auch nhd. locken dürfte von haus
aus nichts anderes bedeutet haben als 'den finger bez. die band
krümmen' zum zeichen des lieranwinkens), tsceiklin anstacheln,
stechen (vgl. BWb. 2, 1137 zinken stechen, reizen, zu mhd. zinke
spitze, mit ausfall des nasals und dehnung des i), iceiklin jagen,
forttreiben (KA\'b. s. 151 jcmkn, vgl. mhd. jouchen jagen, trei-
ben, dazu 'jucken'?), inkhn kleben (trans. und intr., zu 'pech').
Interessant ist das nebeneinander von spalM und spähl rad-
speiche.
2) k>h inlautend nach vocalen, auslautend x: sghn sache,
p^hn backen (mhd. hachen), pudlm buche, tsidha zieche, ksmghn
geschmack, siolin krankheit (zu 'siech'), pröhn brechen, 7.7/6»//?
kachel, khühl küche, ;»/7Aniinterlistiger mensch (zumlid.;>//;(c//t7-),
wäx weich, wgx wach, xüöx block, ösdx essig, U{9)rdx wider-
gekäutes futter, zu ttrdlm widerkäuen (ahd. itruchan). ')
3) Germ. Ik, rk erscheint teils als Ih, rJi, teils als Ikh, rkh:
a) (urspr.) spirans haben mehhn, melhn melken, ivehx welk,
tvgldx f. Walkmühle, khgbx kalk, fgbx falber ochse, fem. fglha,
mgrlin grenze {morxstän markstein), ivcrx werk, werg {werx
= werk, kommt nur noch in Zusammensetzungen vor, vgl.
§ 46 a, a; in der bedeutung 'gutes werk' heisst es iverkx und
ist wol der Schriftsprache entlehnt; auch wcrkhl leierkasten,
werkhln werkeln, dürften kaum bodenständig sein), irx weiss-
gegerbtes leder (mhd. /VcA, zu V^i. hb-ciis?), 5;ip>7m schnarchen ;
b) (urspr.) affricata: pglkhn balken, tvolkhn wölke, gwilkx
') Davon ist zu trennen xlrnax gift, viell. sclnviuulstufe zu 'eiter'.
Beiträge zur geschichte Jer deutschen spräche. XXVllI. J^Q
146 LESSIAK § 115
gev.'ölk. foJhr volk. sforlx stark, st'irliX stärke, st'irl-Jm stärken,
pirlüm birke, inirMin merken, wirlhn weben, 'wirken'.
Fremdwörter sind pdtsirlxx bezirk, tsirldü zirkel, Idiirlihr
kerker, mgrlcx markt. Auch storx storcli, ist sicher entlehnt,
es müsste sonst zum mindesten stQvx lauten (slow. storMja
storch, zeigt, dass ursp]\ die /--form verbreitet war).
Wenn wir mit Schatz s. 99 f. annehmen, die spirans sei die
regelmässige entsprechung des urspr. einfachen k, dagegen kx
(kh) die des geminierten, so würden nur stgrkx, folkx als aus-
nahmen zu betrachten sein, denn für alle anderen fälle mit
affricata (aspirata) dürfen bez. müssen wir gemination voraus-
setzen, folkx könnte man schliesslich noch als schriftdeutsches
lehnwort betrachten, dagegen kann stgrkx doch unmöglich ent-
lehnt sein.
Die einzelnen dialekte weichen in diesem punkte übrigens
ziemlich stark von einander ab. So hat, um ein beispiel heraus-
zugreifen, das zarzerische unserer ma. entsprechend stgrkx,
ivolkxe, gcmörhc (gemarkung), dagegen abweichend von ihr
mörhn (merken), lüirlm, pirlie, vglkxe falbe kuh (vgl. zu diesem
Worte Beitr. 15, 180 und Zs. fda. 40, 295 ff.). Lexer, KWb. s. 259
führt ghvülche neben (jhvülkc an. Dieses nebeneinander scheint
dafür zu sprechen, dass es im gründe nicht auf den unterschied
von geminierten und nicht geminierten formen ankommt. Sehr
ansprechend ist die ansieht Kauffmanns (Gesch. d. schwäb. ma.
§ 176), der den Wechsel von x und kx auf formen mit und
ohne svarabhakti zurückführt (die je nach dem rh3'thmus bez.
der Silbenzahl in ein und demselben paradigma einander gegen-
über gestanden haben mochten). Analogisch wäre dann die
eine oder andere form verallgemeinert worden. Nach secundär-
vocalen hätte sich das k ebenso regelmässig zur spiraus ent-
wickelt wie etwa in mildx milch, khöUx kelch, tswildx zwilch,
lerx lerche (für *le-wra]iha, s. Kluge), kJiirhn kirche, wo der
z wischen vocal ursprünglich ist.
Eine form wie imsterisch, zarz. pirxe (bez. pirhe) setzt un-
bedingt svarabhaktibildung voraus {*J)irkjön musste ja west-
germ. zu lirkkj- werden). An ein nebeneinander von gemi-
nierten und ungeminierten formen ist hier nicht zu denken
da j durch das ganze paradigma hindurch geht, und doch
kann sich x nur aus einfachem k entwickelt haben. Durch
§ 115 MUNDART VON PERNEGG, 147
die eiitfaltung- eines secnndärvocals {*hinJd'a) kam die geminata
zwischen zwei nebentonige sonanten zu stehen und der anlass
zur Vereinfachung derselben liegt unter diesen umständen sehr
nahe (vgl. die Schwächung des hh > h in ahd. weliher, soliher).
Anm. Einen Wechsel von formen mit und olme zwischenvocal , wie
ihn das ahd. zum teil aufweist, kennt auch die gegenwärtige ma. hei
l + X (h). Es heisst zwar m'iJax, iccbx, khob.r, aber bei antritt einer
weiteren silbe viiUtc milchig-, icelhe welke, khoJhe kalkig. Wenn es neben
melhn melken, mclhnt sie melken, iveJhn welken, auch mcUhn, mehhnt,
u-übhn heisst, so haben wir es natürlich mit einer Übertragung des a aus
formen wie ^ msi9x ich melke, wehxt welkt, u. s. w. zu tun. Das part. praet.
von 'melken' lautet bezeichnenderweise nur gmolhn (vgl. auch sclahn § 118).
Es ist fraglich, ob es sich in diesen fällen um eine moderne svara-
bhaktibihlung handelt oder ob bewahrung des alten z wischen vocals vorliegt.
Ich möchte mich für das letztere entscheiden (vgl. § 91).
4) Geschwunden ist *x: a) inlautend in tcölr, dr ivöle
welcher, soldr, sölr solcher (vgl. Braune, Ahd. gr. § 145, anm. 7).
Doch hört man daneben häufig auch solhr, ivölhr (wol unter
fremdem einfluss). — Einige andere fälle habe ich bereits in
§ 27, a angeführt; — b) auslautend in % ich, ml mich, di dich,
untrsa {mhä.. unier sicJi), nvrsa {iiher sich), liintrsa (hinter sich),
ßrhosa vorwärts i^vürhin sich), ci auch, (jlcei sogleich (dag.
glceix gleich).
Anm. 1. Hierhergehört auch das in Wendungen wie Z;/mr«<w Z«?/-?«/,
laei tösn sprichwörtlich gewordene gemeinkärntnische, aber auch in einem
teile Osttirols übliche Icei. Es ist eine füUpartikel und hat etwa die be-
deutung 'nur, eben'. Häufig wird es durch Ji()lt hult, h^- nur, ?('oZ wol, ver-
stärkt; z. b. tios nr Icci losn lass es nur bleiben, is holt la'i a h-Jirceits (es)
ist halt eben ein kreuz, lai dos nit nur das nicht. Daraus, dass auch fihel
zuweilen in derselben bedeutung verwendet wird, geht hervor, dass es damit
identisch und aus mhd. gclich entstanden ist. Dafür sprechen auch Zu-
sammensetzungen wie Iceiwol 'gleich wol', endlich (Iceiivol ampl endlich ein-
mal), Iceisamr ebensowol {wgn ign gls hin is, Iceisdmr dgs ä nox wenn schon
alles verloren ist, nun so soll denn das auch noch sein). Es ist auf *gcUch
sü mare zurückzuführen (vgl. B^^■b. 1, 1123 glc/sowai; KWb. s. 186 leisimur).
Der Schwund des anlautenden g erklärt sich aus der nebentonigkeit dieser
Wörter. Die urspr. bedeutung lässt sich noch aus einzelnen Wendungen
erkennen, z. b. Icei fürt 'in derselben weise, ganz so fort, sc. wie bisher',
daraus 'nur so fort'.
Ferner in den adjectiven auf *-Uch (ma. -la), (s. § 90, 2, a, «)•
Sonst ist auslautendes x überall geblieben; ygl.rätox rettich,
häivdx habiclit, pötdx unterer teil des rumpfes (mhd. hotech).
lu*
148 LESSIAK § 115
Aucli in Personennamen auf ^-rich (urk, -rcicli): oldrdx Ulrich,
didtrox dietricli (nur in der bedeutung- ' naclisclilüssel'). In
den Zusammensetzungen oldrdspery IJlriclisberg, idtrastan Diet-
riclistein, liegt assimilation vor, wie in den in § 27, a an-
geführten fällen.
Aus den obigen beispielen geht klar hervor, wie die ver-
schiedene behandlung des auslautenden -x zu erklären ist. In
isolierten wortformen musste es schwinden, während es in
fällen, wo formen mit inlautendem x daneben standen, er-
halten blieb.
Die erstgenannten beispiele bedürfen keiner weiteren er-
örterung, nur zu glcei wäre vielleicht zu bemerken, dass die
adverbialendimg bei der facultativen nebentonigkeit des Wortes
früh geschwunden sein dürfte. Die nomina auf -lieh (urk.
-leich) waren, wie aus den ausführungen in § 90, 2 hervorgeht,
in der ma. von haus aus adverbia bez. nur prädicativ gebrauchte
adjectiva. "\\^enn sie heute zum teil auch attributiv verwendet
werden, so ist dies ohne zweifei etwas secundäres. Dafür
spricht deutlich die eigentümliche flexionsweise (s. § 147). Auch
hier mag die apokope des ursprünglich auslautenden vocals,
der in folge der absteigenden accentuierung dieser Wörter
(heimliche) eines nebenaccents völlig entbehrte und daher
einer abschwächung besonders ausgesetzt war, schon sehr früh
erfolgt sein.
Zu den formen slx, se, -sa sich, vgl. § 151.
- Anm. 2. Slow. *.r erscheint anlautend als A;/*, z. 1). Ä:/t{>?<.s3J? Kaltschach
(wind.7/,oyf§e), hhoiMdx Keutschach (wind. loc. höddiax für *xödihax >> deutsch
*kxüdüax; ö wurde durch n substituiert, da die ma. keinen langen ge-
schlossenen o-laut besass), khrgs Krass (*xmst), khywatn Krobathen (ortsn.),
khr^iivöt Kroate (wind, hr^ut). khrmn kren, meerrettich (wind. Ibvän aus
*xrenii). Inlautend ist es wie deutsches *x zu h geworden, vgl. tmhn
Teichen {Hixa). Auslautend erscheint es als x. Zahlreiche belege bieten
die Ortsnamen auf -ach (ma. -9x), wie ädrax Adriach, ostrdx Ostriach, raumx
Kaunach, etc., eig. locative pl. auf *-ex(w), -cuiü).
Die Substitution des anlautenden slow, x durch /c/t spricht mit grosser
Wahrscheinlichkeit dafür, dass unser (stark aspiriertes) kli ursprünglich kx,
d. h. echte affricata war, wie etwa die Tiroler ma. sie besitzen. Die ent-
wicklung zu kh scheint der des inlautenden x zu h parallel gegangen zu
sein. Hätte man zur zeit der Übernahme im anlaut kh gesprochen wie
heute, so wäre dieser ersatz nicht recht begreiflich, man würde da wol
eher zu einfachem /* gegriffen haben. Für die richtigkeit dieser annähme
§ 116 MÜNDART VON PERNEGG. 149
kann ein beweis durch moderne Substitution nicht erbracht werden, da die
slow. raa. Kärntens anlautendes x nicht mehr besitzen.
Slow. X für auslautendes deutsches kx findet sich in hpex speck.
§ 116. Germ, g.
1) Germ, g erscheint iu den meisten fällen als stimmlose
lenis g: göhm geben, ggrste garstig-, gäl 'geil', ergiebig, frgixt
giclit, (7?ösw glimmen {m\\L gloscn), gjgt 'glatt', glattweg, dnrcli-
■\veg, glontsn glänzen, gröiv grob, grünt grnnd, mggr mager,
tcögu wegen, wägen, xmgi) bogen, fwgr finger, liuigl hinge,
tsiwga zunge, ongl angel, Stachel, sog säge, ivög weg, slgg schlag.
Anm. Assimilationserscheiniuig-eu (g'^k) s. §. 27. 29. Ausl. g'^kx
s. § 35. *^ erscheint auslautend als x iu mgrx mark (ahd. marg), planx
unwol, kränklich (mhd. hluc, -ges). Eine erklärung hierfür gibt Schatz s. 104.
2) Geschwunden ist g: a) anlautend über j in 'irgij (St.)
Georgen, 'irgl Jörg, ilgij (St.) Aegiden (zu gründe liegt der lat.
Personenname Aegilius)] — b) inlautend in der gruppe -agi-,
-cgi-, s. § 70; — c) auslautend in der Verbindung vg {IMgn
klang), s. § 27, c, in gdnüo genug (vielleicht liegt hier dissimi-
lation vor). Eegelmässig in unbetonter silbe: A7ime'könig, liöne
honig, sunte sonntag, mgnte montag, sgmste samstag, tcerxte
Werktag (s. § 92), gltve allweg, immer, liirtce herberge, pröäe
predigt (neben jüngerem prödilit)\ — clirste durstig, pente
'bändig', parlre 'parierig' (beide in der bed. 'gehorsam'), motU
schimmelig (zu 'moder', vgl. mhd. mot), teme schwül (zu temon
schwül sein, wol zu 'dampf'), primtse, pruntsre pissbedürftig,
State stättig. nicht von der stelle gehend, u.s. w. In der flexion
kommt das g wider zum Vorschein, vgl. klfmigr könige, fnvitigr
freitage, dirstige durstige. — Unter derselben bedingung ist
auch das auslautende k in fremdwörtern gescliwundeu (vgl.
§ 117, 2), desgl. kx in frudste frühstück {fnustiu frühstücken).
Dagegen ist bei ausfall des vocals das -g als k' erhalten in
den Zahlwörtern auf -ig: tsivants¥, drceisk', firtsk' etc.
3) In der gemination (westgerm. gg) ist es inlautend durch
k (bez. /i7.) vertreten: ökku eggen,') ecke, hakkl hacken (ahd.
Jiäcko, häggo), hakkl heikel, lökku holzschicht (mhd. lecke, zu
'legen'), sngkkn f. eisensi)alin, -abfall, snakkdlc rülps (wol zu
nhd. Schnake, vgl. Kluge, Et. wb. und BWb. 2, 505 f.), priikku
') Das 'land", d.h. die talma., haben ögu (eggen).
150 LESSIAK § 116
brücke, rulku rücken, sprckld Sommersprosse (mlid. sprecJccT),
sprelikln sprenkeln, lalcld ungeschickter mensch (vgl. Schatz
s. 105), dazu lamlglihdt schlapp, knie weich (zu IglihH vgl. BWb.
1, 1432 Meli lau, matt), rehldn neben regln quacken, plaudern,
liosnakM (hausn., s. BWb. 1, 1721), riuTidle gabelring am Spinnrad,
ivökh) wecken, puH-l buckel, Jiökkrle heuhäufchen (vgl. Kluge,
Wb. unter höckcr), miiH-u mücke, wqMIu wackeln, tsglchr zwei-
rädriger karren mit (aus ruten geflochtener) krippe, dazu tsöMr
tragkorb (vgl. an. tag weidenzweig), mauhi nach eingesperrter
luft riechen, maulen übelriechendes geschwür am hufe, mauke
(vgl. BWb. 1, 1565, zu 'meuchel'), dazu mnuku heimlich tun,
liebeln (auch miwJdn, mimlidtsn), mwJcdle penis, brotrestchen,
rgMl ästige stange zum aufhängen von klee, getreide etc. (zu
mhd. rahe, ma. rähl Stange), raldiru sich abplagen (zu 'regen'),
tsidl'ln schielen (mhd. scJiiec schief), Jmohj f. gabelzinke, hiidkot
spitzig, mit zinken versehen (ablautsform zu obigem haMl
haken), ple})ld m. prügel, plenldpir tropfbier (zu mhd. hlenken
sich hin- und herbewegen, KWb. s. 30 plengT), piwJca fisten,
piuM beule, bündel (a.dj.piu'kdt] germ. wz. hing- stossen, schlagen;
vgl. Kluge, Wb. unter hengel, haclibunge. BWb. 1, 394 f. Schweiz,
id. 4, 1377 ff.), sleuhru dahinbaumeln, slawldn herumschweifen,
slankl Schlingel (mhd. slenkeren zu 'schlingen'), tvevhi f. krüm-
mung, ausbiegung am blechgeschirr, ivcnhdt verbogen, verzogen
(zu 'wange'), tsinhdle fetttropfen (ahd. cmco,mhd.^mZ-e 'albugo'),
fimh) einheizen, coire (schweiz. fnngge, vgl. auch KWb. s. 105
fiinggn pedere, funkeln, und Kluge, Wb. unter fimJce). Etymo-
logisch dunkel sind toJdcr tölpel (schweiz. toggeli), ivokkr in
derselben bed., ^Igaka liederliches weibsbild, stukkotsn rülpsen,
staukln herumschlendern, pfgkkr hilfloser mensch, ferkln, furkln
herumarbeiten, -wetzen, murku girren, ratwku eine in schmalz
geröstete mehlspeise, rmmkole ein gebäck (wol zu 'raunen',
wegen des brodelns beim backen), latikdle rechteckiger auf
pflöcken ruhender rahmen zum gehenlernen der kinder (zu
'lenken', oder deminutivbildung zu länon lehnen?), ghtakkln
durchprügeln, pdkdddn betrügen, x}dtakklt berauscht, plekkdtsn
(neben plckhofsn) blinzeln (dies hat sein kk wol nach analogie
ähnlicher bildungen wie mekkdtsn meckern, tsekkdtsn necken,
erhalten), Uinkln baumeln, u.a.m. (vgl. auch die deminutiva
auf -k- § 85, 2).
§ 116 MÜNDART VON PERNEGG. 151
Auslautend wird "^gg zu V in fällen, wo inlautende formen
daneben stehen: ö¥ n. eck, zipfel, m. eckkegel (pl. öhlw, öJd-r;
fem. ö/di) ecke), sneJc' m. Schnecke (pl. mekh)), fliuJc' flink
(flect./??w/iv; damit scheint rmcIi fJauUn, flanJcinj herumschweifen,
versippt zu sein), tenJc' link (flect. tei^Jcr, tevkds linkisch). ') —
In isolierten wortformen dagegen erscheint es als hx: qIwüJcx
Albeck (urk. ÄlheJxJie), glanölcx Glanegg (urk. Glanel-Jce), tsruhx
zurück. — Dieselben regeln gelten vom auslautenden fi-emden h,
s. unten.
4) Anlautendes /.• für g haben hiMi) gucken, Icenlce ein
traumiclmicht (KWb. s. 108 ggngge, 111 gcgl, 113 gengge; die
in den obd. ma. weit verbreitete wz. gi{n)g, die in allen mög-
lichen ablautformen auftritt, scheint die grundbedeutung
'baumeln' zu haben). l;ro]du pl. gliedmassen (dazu krakka,
krgkka spinne mit langen beinen; KWb. s. 120 graggln mit
krumm gestellten beinen gehen; Schweiz, id. 2. 725 ^ra^/^e«;
mit nasalinfix krcukl dürrer, krummer ast; dehnstufe liegt vor
in krudk' bein), krakkdtsn schreien, krächzen (dag. mit an-
lautendem g: nusgrägl nusshäher, gratsn knarren, knirschen),
klenkrn sich hin- und herbewegen, klinhie das sich bewegende
restchen im glase, zu klwikri) {m{\^.glunkern) baumeln, kikkdtsn,
kQkkdtsn stottern.
Es handelt sich hier um eine art assimilation des an-
lautenden g an das folgende k, vgl. § 18, anm. Dieselbe er-
scheiiniiifi- findet sich in einzelnen Schweizerma., man ver-
gleiche die bei Winteler, Kerenzer ma. s. 57 ff. angeführten
beispiele.
Anl. k für fremdes g erscheint in kölas, auch kholas, gulasch
(magy. gnhjas), kah'mperg Golinberg (wind, hglimie aus ""golimje),
kalQsn galoschen, kaUp galopp, kitär (auch khitär) guitarre.
Die Verstärkung scheint in diesen fällen von der betonung
abzuhängen, denn mit ausnähme des ersten beispiels haben
sämmtliche den Imuptaccent auf der zweiten silbe. Vgl. audi
kalandr meist in der Verbindung üfakalandr 'ofengeländer',
sparrwerk um den ofen. Sehr auffällig ist hier die erhaltung
des zwischenvocals.
') Das 7i ist hier in der regel schwächer aspiriert als sonst, doch herscht
individuell schwaukeu. Unter umständen bekommt mau sogar affricatii (öLl).
152 LESSTAK § 117
§ 117. Fremdes h.
Fremdes 1: erscheint 1) als lc\ a) anlautend in Tiultr decke
(fi-anz. coultre), liöfr kampfer (mhd. gaffer, it. cafura, v^l. Kluge,
Et. wb.), -K-antrle Stellage in der stubenecke (KWb. s. 108
ganterle, Schweiz, id. 2, 380 gänterli schrank; es scheint lat.
cantlierius zu gründe zu liegen, doch vgl. auch Kluge, AVb. unter
Mnsterlein), Jiolmds kalmus, hdsr kutscher (zu magy. Jcocsi),
JigJil Schafgarbe (DAVb. gauclilieü, gacheü, ghocheil etc.; ich
stelle es zu lat. cancalis, gr. y.avxa/Jg haftdolde, doldentragende
pflanze überhaupt; lat. cacalia kann wegen der bedeutungs-
verschiedenheit nicht in betracht kommen), hupf rundliche
erhebung, Impfdt über den rand voll (lat. cuppa\ Iwtr (daneben
lihötr) stall (slaw. kotor bürde), laeisn keusche, kleines bauern-
haus, bauschen, wo die 'auszügler', d.h. die vom ausgedinge
lebenden alten, wohnen (vgl. BWb. s. 952 getischen; wol späte
entlehnung aus sj^nonymen wind. Miia, das selbst wider auf
deutsches Ichceis gehäuse, zurückzugehen scheint; dazu die
merkwürdige ableitung kwislöJclr keuschler), koppot voll, in
ähnlicher bed. wie kuppt (rom. coppa, wind, köpdsf), hdräs,
kuras courage.
kupf und kglil sind sehr merkwürdig, da der inlautende
consonant verschoben ist. Krassnig s. 22 hat auch ggumpf
{=kumpf) wasserhorn, in Pernegg lautet dies wort khumpf
(Kluge stellt es zu mlat. cmnhia).
Slow, k in eigennamen erscheint meist als k: köseperg
Göseberg {^kozje bez. loc. kozjax, urk. Cösiach 'Ziegenort'), kgrl
Karl- (ortsn., winä.karön), kgilr (hausn., *koÜar 'kesselflicker')
u. s. w. Doch wird daneben da, wo amtlich /;; geschrieben wird,
auch kh gesprochen: kh(/rl, khnasicüg (s. § 55) u.s.w. ') Die
nördlichen ma. haben im anlaut in der regel g für slow, k,
z. b. gvQa Grai (^^kraj ort), gurhj Gurk (slow. krkd).
Unsicher ist die etymologie folgender Wörter: kceifn hündin,
kitsn mädel (meist verächtlich, vgl. DAVb. 5, 869, Schweiz, id.
2, 578), umkQmpr, umkgmprds nicht passend, nicht geschickt zu
etwas (man wäre geneigt, es zu lat. compar zu stellen, doch
*) Der einfluss der scbrift- imd sclmlaussprache macht sich aiich in
anderen fällen geltend. So wird ein fremder selten die einheimische form
Xjerne (Pernegg) hören. Man sagt ihm gegenüber licrnökx.
i} 117 MUNDAET VON PERNEGG. 153
Vgl. mhd. ungamper steif), Idündts trielxvveg, gnlcentsn 'angänzen',
anschneiden (viell. ans *an-entgcnzen), Txöra mntterschaf, hcrl
Widder, Tcumröhm gundelrebe (vgl. wind. Mnrödn), Jd'ifdle, Tdlfdts
schlechter hut, Müdr wamme (in nachbarma. kommen formen
ohne l vor, vgl. KWb. s. 117 ijuffe, giiffl verächtlich für 'hut'
und 'köpf, 117 goudr die fleischige haut unten am kimi; es
scheinen indes in beiden fällen Je zwei verschiedene Wörter zu
gründe zu liegen; zu jenem vgl. BWb. 1, 1325 klnfen, glufen,
gufen 'kopfnadel' und it. cuffia haube, KWb. s. 116 gUife Steck-
nadel, zu diesem DWb. 5, 1221 und 1569. Wir haben es hier
sicher mit contaminationsformen zu tun).
b) Inlautend in tsulikr zucker, tsolld holzschuh (it. zoccolo),
isalxka tschako, murh) gurke (vgl. Kluge, A\'b. unter gurJie), tnik»
tinte (Isit. tincta), arJcr 'erker', dachlucke, spelikdUru speculieren,
Qpdtölih) apotheke, frealcn liej'umschneiden, unnütze arbeit ver-
richten (nach Lexer, K^^'b. s. 102 zu it. fregare, lat. fricare?),
frakkdle (s. § 32, b), sakrds {sikrds) 'verflucht", zu sakra, sikra
sackerment!, iaukr rock, jacke (BWb.l, 1208. Schweiz, id. 3,49),
strgnka bohnenschote, demin. stnwkjJc (wind, strgk mit g für *on),
stoeikdle aufgestellte flachs-, buchweizengarbe (dem. zu gleich-
bedeutendem wind, staukd, "^stauika), nikkl Nikolaus, stokkMs
Stogglitz (ortsn., wind, stoklhse), tsirkdisn Zirkitzen (wind, tsir-
koutsd für *tsirkuitsa kirchlein), lukke Lucas, parokku perücke,
mask)), maskdra maske, maskerade, u. a. m. Dunkel ist sJtidkkl
kahn, slaivdnkr jacke mit längeren schössen.
c) In- und anlautend zugleich in kokh} m. kern einer eitern-
den geschwulst (lat. coccum kern, beere; vgl. Schweiz, id. 2, 178
goggc"), kaukkhi^gimke\n\ unruhig sein, allerlei gebärden machen,
kuukk.üc unruhiges kind (zu lat. caucula, gr. xavxa schale; vgl.
Du Cange 2,250a Caucidatores, cauclearii, codearii ... qui cau-
culis seit pocidis amatoriis . . . ita mentcs quornndam inficiunf,
nt in insaniam versi a plerisfj^iie iiidiccntur] dazu wol der
scherzhafte Zauberspruch kgkkgVörium, auch kgkkglgre gemüt-
licher tropf, und mit formeller anlehnung an dieses wort kgkkg-
lgre augengläser, lat. ocidaria), kakkä mahn (caccarc), klokku
glocke (mlat. clocca), kriiskl knorpel (mlat. crustula; nachbarma.
haben truskl, gruspl), kuskr m, grüne eidechse (wind, kustsdr).
kaiüik)) hütte. 'keusche', ist der spräche der stirtslr (s. s. 6, anm.)
entlehnt.
154 LESSIAK § 117
Im aiislaut starktoniger silbeii erscheint fremdes Je als //
unter denselben bedingungen wie germ. gg, z. b. tir¥ Türke
(pl. tidij; tirh) m. bedeutet mais), xqW Jakob (dem. iQlcld),
slgwa/v Slowake (pl. slgwal-Jw). Isolierte formen haben kx:
kolkx Golk (slow. *Jwlk-), Ignkx Lang (zu slow. Iglca mit q für
*on; beides ortsn.).
2) Fremdes /.• erscheint anlautend als g in gröla 'koralle',
perle, kügelchen, grgtn leiterwagen (mhd. gratte, Icratte, lat.
cratis). gort), garlw karren (lat. carrus), gramila kamille (s. § 34,
anm.), gmvdllr cavalier. Das g dürfte hier schon ziemlich alt
sein; vgl. wind. hrdUsa, lirgtc, häre, hahlir, während ma. h als
h erscheint: koutr (ma. hiltr), Icdfra (ma. Icgfr), Jcölmaz (ma.
liolmds) etc. Häufig hiu't man auch gridshatsn für hridshatsn
sonn wendf euer abbrennen (wind. hrUs aus "^kres Sonnenwende;
die form mit g beruht auf Volksetymologie: man bringt das
wort mit grids 'grüsse', wunschsprüclilein, in Verbindung, die
beim sonn wendf euer gesprochen werden).
In unbetonter, der starktonsilbe folgender silbe ist fremdes
k zu g geschwächt worden und muss im auslaut lautgesetzlich
schwinden (vgl. § 116, 2, c): Ortsnamen: penie Pernegg {^por-
nike), sitte Sittich {*£itike), mmislte Meiselding (urk. MizziUich\
maltse Maltschach (urk. 3Itlschik), dol^antse Dolientschig i^do-
Imitsike)]^) hausnamen: .s'/'it^;jwie' Stupnig, wi^^pswe Wippenig
('^'Mr.pnik etc.). Inlautend bleibt das g: pernigr Pernegger,
sittigr Sitticher, maltsigr Maltschacher, stuppnigos stupnigisch,
u. s. w.
Anm. Auslautendes ry (*^-) ist erhalten in fallen wie rafZ?üö(/ Radweg
{^rddouike), plsivög Pisweg (*2nsonike); slow, -uik ist hier zu ivög weg,
umgedeutet worden. — Nach l und r erscheint slow. *-ik{e) als -iu, z. b.
ü(jrii) Tigring (urk. Ti/(jrich, wind, ührüe), ädlm (urk. Nedlich, s. § 34),
unter dem einfluss deutscher Ortsnamen auf -liv, -ria wie Elbling, Fische-
ring u. a. Diese Übertragung findet sich auch sonst, vgl. töUiv Töschling
{*dohiike), hiafUv Schiefling (*skiofikc), pöliu Fölling (*polana, urk. Polan).
3) Als /i:Ä (kx) erscheint fremdes k: a) lautgesetzlich ent-
wickelt im anlaut solcher Wörter, die vor der lautverschiebung
^) Ich habe absichtlich diese fünf beispiele gewählt, um durch die
nebeneinanderstellung der mundartlichen und schriftsprachlichen formen
die grosse inconsequenz der modernen amtliclien Schreibung der Ortsnamen
zu beleuchten. Es liegt natürlich in allen füllen dasselbe slow, suffii
{-ike) vor.
§ 118 MUNDART VON PERNEGG. 155
aufgenommen wurden, wie lihupfr kupfer, Txhöhn kochen; —
h) in Wörtern, die durch vermitthing höherer gesellschafts-
kreise in die ma. gedrungen sind: Ixlignimr kammer, Ihöm^tn
gemach (mhd. kemenäte), Jchrceidn kreide, lihapeln kapelle,
lihornr beinhaus (mhd. l'arner, lat. carnarium), l'hgntsl kanzel,
Ihatöhs katholisch, Idigppm kappe, l:harfipl karfiol, {a)kJirät
accurat, Jikaperdöklm überdecke (it. coperta), khläs klasse,
selditn 'sekten', kennen, dokldr doctor, ärrelclitr (drelhtr) di-
rector, plQukhn planke, plankx blank, quIM grossvater (die
bedeutungsentwicklung scheint durch das ma. enhe grossvater,
l)eeinflusst worden zu sein; der begriff 'onkel' wird dui'cli fötr
'vetter' widergegeben).
Anm. Die stadtsprache hat unaspiriertes Tc in den meisten fällen
durch hh ersetzt: Ihceisn {ma.. Ire/'sn), khgimus (ma.Ävj/»i,?.s), khukhitJch kuckuck
(ma. kukke), ökhdt (ma. ökk3t), »iiikkn (ma. viukku), u. s. w. Es ist dies wol
auf gelehrten einiluss zmiickzuführen. Das k wird als 'windisch' em-
pfunden.
In welchem umfange die nachbarma. das anlautende fremde
k als solches bewahrt haben, weiss ich vorläufig nicht be-
stimmt anzugeben. Das untere Gailtal und die besagten
Sprachinseln stimmen zu unserer ma. In den übrigen bair.-
österr. ma. scheint es (wenn man sich auf die Wörterbücher
verlassen darf), soweit es nicht als kh erscheint, wol überall
mit g zusammengefallen zu sein (vgl. auch Schatz § 75). Sollte
denn bei uns und in den genannten dialekten die stete berüh-
rung mit dem fremden Volkstum von einfluss auf die erhaltung
gewesen sein?
§ 118. Germ. x.
\) Germ, x ist so wol anlautend (ausser vor consonanten)
als auch inlautend regelmässig als //, vor t als x erhalten: lio.s
hase, liunt himd, hgne halm, j9l/<? bühel, raJil bohnenstange
(mhd. rahe), sohr sumpfgras, schilf (mhd. saJicr). stghl stahl,
iöhnt ton (mhd. tähe), tsöhne zehn, tg/m do\i\e (mhd. tähe), fscolnit
zehe, j)/o//« blähe, tsähr zähre, ehr (öhr) ähre, tighnt nahe,
tsH9lcDhn zulehen, fsi.iJin ziehen, fliolin fliehen, auch fliegen,
■sehn sehen, kschu geschehen, tsau/ui beschuldigen, zeihen, hcilni
leihen, sceihn seihen, smelha Schmiele {mM. snielJie), sühn schielen
(mhd. schilhcn), foyhn führe (mhd. rorhe), vi'irhu mäliiv. dirue;
ivgxt wacht, slext schlecht, rixtu richten. Nebeneinander stehen
156 LESSIAK § 118
formen mit und ohne zwisclienvocal bei seldJin, sclhn selchen,
räuchern (aber stets selhr selcher). Urspr. Mi haben IgJm lachen,
isöhn zechen.
2) Zu Je ist es geworden in der Verbindung- hs: oJcs ochse,
iQjcsn achselhöhle (mhd. üchse), glcsl achsel, fulis fuchs, hqakste
höchste, nqliste nächste. In der verbaMexion steht sikst neben
sixst, sonst herschen durchweg- die analogieformen Igxst lachst,
tüceixst weihst, u. s. w.
3) Geschwunden ist h: a) inlautend in hgafri hoffart (s.
§ 27, a), ivceindxtn Weihnachten, wmraux Weihrauch (s. § 32, a),
ngmmdtgg nachmittag, täsn nadelholzzweige (mhd. äelisen, vgl.
§ 54, 1), ignsn sich durch zahlen von getränk loskaufen (für
Hghgnsn zu ^Johannes'; diese eigenartige sitte wird von Lexer,
KWb. s. 133 unter hgnsn beschrieben). — Nach consonanten:
farle {fädle) ferkel (dem. zu ahd. farh), merl, merlw m. möhre
(mhd. "^mörlicl, -ine), «t'äZ<?5 wälsch (mlid.?('«7Ä?5c//), n-fe'erchtag',
dienst ag, mnmr umher, mnnmi 'umhin', hinüber, aufr 'aufher',
aufti 'auf hin', mtsr 'ausher', ausn 'ausbin'. Vgl. hierzu die
'höfischen' formen öivr, aine etc. § 112, 3, anm. — Vor t in
unbetonter silbe, so in dem adjectivsuffix mhd. -cht, -oht: poMidt
bockig, sprelilcM gesprenkelt (mhd. sjn-ceJceleht), plqamdldt ge-
blümt, U.S.W. Bei mt, mta nicht, ist die schwachtonige form
verallgemeinert worden {nixt ist selten und wol neu entlehnt;
doch vgl. tsiiixt, frnixt 'zu, für nicht', nichtswürdig, schlecht;
tsnixt wird auch attributiv verwendet; 'nichts' ist über nixs
zu niks geworden). Ferner gmp amt (ahd. amhaht), hceint heute
(ahd. hinahf). Erhalten ist h in rudprdxt Ruprecht, und bei
abfall des t in gdlprgx Adelbrecht (ahd. Ädalpcraht).
b) Auslautend in flga floh (pl.//e«; dag. ausflgaJm SiU^üöhen),
süJ schuh (dem. shhlc), fl vieh (pl. fthr), hm höhe, sl^a schiebe,
rcei reihe. Nebeneinander stehen r^a, r(^ax reh, [Iga, Igax lohe].
'Noch' lautet vor consonanten in der regel nu, vor vocalen und
im reinen auslaut wird daneben nöx gesprochen.
Dagegen hat sich das auslautende x erhalten in wgsrwmix
wasserweihe (neben wmha weihe, tvoeihn weihen), hgux hoch,
raux rauh, 7-gax roh (flect. hgahe, rauhe, rgahe), . sidx unschön
(neben sidha), gäx jäh (neben gäha), tsäx zähe (neben tsäha),
ividx (neben ividha, vgl. § 83); i stx ich sehe, tsidx ziehe, säx
sähe, Jisäx geschähe, u.s.w. Es ist ohne weiteres klar, dass
§ 118 MUNDART VON PERNEGG. 157
wir es in diesen fällen mit ausg-leielmng"en nach den inlauten-
den formen zu tun haben, die in der adjectiv- und verballlexion
ja ganz bedeutend überwiegen.
Es ist ferner regelmässig- bewahrt in unbetonter silbe.
Hierher gehören die collectivbildungen auf -9x (ahd. -ahi, mhd.
-ach): snittdx häcksel, Ichräsdx reisig (zu mhd. rce^e), gratsox
knirschleder (zu gratsn knirschen), ridtdx eine pflanze (mhd.
rietach), u. s. w.; seUx schief (flect. seihe, ahd. scelah), s^hx
Sallach (ort ob Tiffen; zu ahd. salaha Salweide; es ist fem.:
af dr sgldx; dies beweist, dass das wort deutschen Ursprungs
ist; wäre es slawisch, so stünde die präp. on oder ts 'in', 'zu'
ohne artikel, z. b. du, ts adrdx, usox in, zu Adriach, Ossiach,
U.S.W.), furx furche (ahd. /wrw/i; es ist heute zwar einsilbig,
doch wird in einer früheren periode der zwischenvocal vor-
handen gewesen sein).
Einigermassen auffallend ist die bewahrung des -x in nöx
nach, durx durch. Doch müssen Avir bedenken, dass die beiden
Wörter sowol in i)räpositionaler als adverbialer Verwendung
liäufig in den inlaut zu stehen kommen: durhm durch ihn,
n^hm p^x "nach dem bache', längs des baches, durh-, nghlösn
durch-, nachlesen, -ökh) -eggen, etc. Zwischenvocal kann even-
tuell auch für durx vorausgesetzt werden. In proklitischer
Stellung als untrennbares verbalsuffix ist durch zu dr geworden:
drtQini es fertig bringen, drsöyn zu ende sagen, drisgln völlig
bezahlen, drpQrmon erbarmen, u.s.w. {dr- hat er- völlig ver-
drängt).
Trotz der zahlreichen ausnahmen werden wir den Schwund
des auslautenden h in haupttoniger silbe als das lautgesetz-
liche zu betrachten haben. Da auslautendes x (= *A') unter
denselben bedingungen, d. h. bei einem nebeneinander von
aus- und inlautenden formen niemals schwindet, dürfen wir
mit Sicherheit annehmen, dass es, ehe die Schwächung im in-
laut eintrat, sowol in- als auslautend eine vom alten h ver-
schiedene qualität besass und dass dieses im auslaut keinerlei
Verstärkung erfuhr, bez. dass die qualität des inlautenden h
frühzeitig auf den auslaut übertragen wurde. Dies würde
vollständig zu der in §§ 102,2. 111 ausgesprochenen ansieht
über das verhalten auslautender, spirantischer lenes in unserer
ma. stimmen. Die formen r(^ax, Igax sind avoI den nördlichen
158 LESSIAK § 119. 120
dialekten abgeborgt, die im gegensatz zu unserer ma. das aus-
lautende h fast durclnvegs als x bewahrt haben {kidx, fix etc.).
Für die Bewahrung des auslautenden h in schwaclitoniger silbe
weiss icli keine erklärung. Die erscheinung ist einigermassen
befremdend, w^enn man die Verhältnisse beim auslautenden x
in nicht haupttoniger silbe vergleicht (§ 115, 4, b). Sollte denn
die quantität des vocals der nebensilbe vom einfluss gewesen
sein? Unmöglich wäre es gerade nicht, dass in den ableitungen
auf -licli der schwächer geschnittene accent des Suffixes mit
zui' reduction des Spiranten beitrug (vgl. imsterisch starktonig
nn, schwachtonig miy 'mich' Schatz s. 102).
Anm. rgax, Igax haben secundäres */t; Tgl. die ausführungeu bei
Schatz s. 80. loa kann ohne weiteres zu mhd. lö gestellt werden ; eine
Zwischenstufe '^Igah ist indes nicht völlig ausgeschlossen, vgl. Igahn lohen
(färben).
§ 119. Germ. j.
Germ, j ist anlautend durch i vertreten: i'p/c' jagd, ipr jähr,
iüx joch, iötn jäten, iommr Jammer. Zu eJil, edJil (mhd. enhalp)
vgl. Sievers, Beitr. 18, 407 f. Geschwunden ist j inlautend zwi-
schen vocalen in verben wie sanon säen, nänon nähen, drändn
drehen, pl^andn blühen, u. s. w. (ahd. säian, hluoian etc., s. § 163),
ferner in Hin lilie. Es ist zu y geworden in sirya verklagen
(zu mhd. scherye, sche'rje), fridyr früher, fmiyl neben fmil Veil-
chen (mhd. viel bez. *vijcl), ilyu (^yiljen zu lat. Äeyilius, s.
§116,2,a).
nildöyr Nikolaier (zu niU{) Nikolai), ist wol nur analogie-
bildung etwa nach dem muster von perniyr Pernegger, zu perne
Pernegg.
§ 120.
Zur beleuchtung der relativen Chronologie der lautentwick-
lung durch die lehnwörter im windischen führe ich die folgen-
den charakteristischen beispiele an^):
Germ. h\ inl. ji > iv: -\- iiipa Scheibe, x rihato reiben.
Germ. /"], v > f: -\- tsohhis zu fleiss, + sr&uba schraube
{m?i. sraufa), + hirtox 'fürtuch' (beispiele mit & + p = *a fehlen).
1) Ein + vor dem werte soll ausdrücken, dass es zur bestimmung der
oberen grenze des alten, ein x, jener des neuen lautwertes dienen soll.
Die zeichen für die laute, auf die es beim vergleich ankommt, sind in
antiqua gesetzt.
§ 121 MUNDART VON PERNEGG. 159
nenn, w], u > tv: xh^na wanne, x frlülar verweser
(beispiele mit «-{-() = *«, + ai = *« fehlen).
Germ. 5], s > s: + frhözar, + /au&rw sauber, + rai/a
reise, + hrist gerüst, + k^st getreidekasten , + rs-izl kurze
Stange, stab (zu mlid. rts).
Germ. sJi], sk > s: x si])a, x ^iihua sdiaufel.
Flexionslehre.
A. Das Substantiv.
1) Das genus.
§ 121.
Bevor ich zur besprechung der einzelnen casus übergehe,
gebe ich eine Zusammenstellung der Wörter, welche in der ma.
ein vom nhd. bez. mhd. verschiedenes geschlecht haben.
1) Männlich gebraucht werden: a) die schriftsprachlichen
neutra ceis eis, .sof schaf, rar röhr, IcMs (Jchist) kissen, j^öZ.?;
becken, horv hörn, hhu 'hirn', stirne, dntin trumm, stück (mhd.
(Inim n.), flöts boden (mhd. vlct^e n.). Ferner häddx heidekraut,
ridtdx ein unkraut (mhd. *heidacJi, rietacli n.), tau tau, fQfnhis)'
Vaterunser. Wie im mhd. sind masc. aJiru eichhorn, w^a weh,
schmerz, pols& polster, mies moos {mhä.mies). Gegen das mhd.
gödn getreidekasten (mhd. (jadem n.). — b) Die schriftsprach-
lichen feminina tscolmt zehe (nach linger), spits spitze, nüdl
nudel, haks{-n) häclise, bein (nach 'fuss'), öhr, ehr ähre (mhd.
elier n.), Iceinsdt 'leinsaat', leinsamen (nach letzterem), frnunft
Vernunft (nach 'verstand'), ceinom einnähme, ^n-als brasse,
furhm (furm) form, rfis ruhe; dr^asl drossel, gmnids amsel, lerx
lerche, ggldstr, auch gylöstr elster (sämmtliche nach 'vogel'),
ivumhl liummel, strupfn strupfe, strippe (aus lat. struppus),
prüm 'brame', einfassung, ivQmpm 'wamme', bauch (nach diesem).
Ferner slapf schleifbaum, pautoffel (mhd. sleipfe f.), t^lmt thon
(mhd. iahe f.). "Wie im mhd. Idirös kresse (ahd. h-esso). tust
*lust', verlangen, luft luft, .skem schleie (ahd. sUo), tistl distel,
gams gemse {mhd. gamf) , ten tenne, rats ratte (ahd. ratto),
snepf sc]me\)ie (RM.sncpfo), fnniiüme. traftVc{\\ie{m]\([.iroi(f),
puttr butter, ^Igm flamme (mhd. f. m.; es wird auch in der bed.
'weichteile' gebraucht), tsw'i^l zwiebel, list list, tsälir zähre,
liirs hirse, §neV Schnecke, wön mahne (mhd. man m.), mötsn
160 LESSIAK § 121
metze (alid. mezzo). Vgl. auch l-spgr spur (mlid. gespor n.),
peatrsil petersilie (mlid. petersil m.).
2) Säclilicli gebraucht werden: a) hof hof, frceitJiof Meö.-
liof (doch zuweilen auch m.), trdr teller. Wie im mhd. hone
honig, Jcsr))j gesang, iroulcx trank, ätr eiter. Gegen das mhd.
lötslt lebzelt, foln fohlen, lihränaivöt wachholder (mhd. krane-
wite m.). — b) Igd lade, uhl eichel (im kartenspiel), tis2}lQt tisch-
platte (wol angelehnt an ^jfe^ blatt). Wie im mhd. khöl kohle,
mQil mahd.
3) Weibliches geschlecht haben: a) hudstn husten, srcein
Schrein (ahd. scrini m. n., vgl. wind, skrlnd f.), glmi ahorn, pulst
puls (nach 'ader'), IMr^a Idee (meist nur im pl. gebraucht),
(/(7i;r gatter, zauntor (nach 'tiir'). Ferner /t(e?6TöÄ;a; heuschrecke
(mhd. m.). Wie mhd. sgas sclioss, supfn schuppen, rgmma rahmen.
— b) gcei 'gäu' (meist pl.), fetn fett, era Öhr (mhd. wre n.).
Ferner wgfa riibhacke (mhd. tvdfen), ivöt wette, ivgnga wange
(meist auch auga äuge, gra ohr; vgl. § 82). AVie im mhd. mos
mass, Stift Stiftung.
4) Doppeltes geschlecht haben gltgr n. m. altar, tül n.,
selten m. teil, muds m. n. muss, tseJchn f., selten tsekx m. zecke,
äs n. f. ass (im kartenspiel, f. nach *sau'), söf, sif n. m. schiff,
tgl n., igln f. tal, stüfin m., stöfta f. stift, holznagel, sceitl n.,
selten m. seidel. Differenziert sind der bedeutung nach mittl
m. sensengriff, n. mittel; ments m. mensch, n. weibsbild; rngnot
m. mond, n. monat; multr, moltr m. backtrog, moltr f. läng-
liche holzschüssel; grt m. n. ort, nur n. ende; nokhn m. kloss,
f. fade Weibsperson; öMw f. ecke, öU n. zipfel, berg (in Zu-
sammensetzungen), öJv m. eckkegel.
Anin. Bei höite honig', luft, lust wird zuweilen schon das schrift-
deutsche geschlecht angewendet.
5) Fremdwörter haben nicht selten ein von dem in der
Ursprache abweichendes genus: z. b. numrcl n. regenschirm
(it. omhrcUo), tvwpt n. leitseil (wind, urüdt f.), Ichapsl n. kapsei,
retrüt m. retirade, abort, lUUnm m. datum, pergametr m. baro-
meter, prefa f. amulet (lat. hreve), deklia f. deka, kläla f. (n.)
kilo, tsakka f. tschako, gas f. gas, söfa f. sofa, tnagotsin f. ma-
gazin, paprikha f. paprika, terpmtikhl m. perpendikel, sp^täkhl
m. Spektakel, tcavrnähid m. tabernakel, onitf', iifc'm. endivie.
§ 122 MÜNDAKT VON PERNEGG. 161
2) Die casus.
§ 122.
a) Accusativ. Eine besondere vom nom. verschiedene
acc.-form ist nnr nocli bei den schwachen masc. (s. § 129) und
den männlichen deminutiven auf -le (s. § 137) erhalten.
b) Genetiv. Eine noch grössere einbusse als in der Tmster
ma. (Schatz s. 119) hat der gen. in unserem dialekte erfahren.
Der gen. pl. ist fast völlig verschwunden, auch im sg. haben
sich nur einige kümmerliche reste davon erhalten (vgl. Xagl,
Eoanad v. 93. v. 401, A).
ß) Feststehende syntaktische Verbindungen, adverbiale
Wendungen: dn gots nom in gottes namen, tim yots (khriste)
tviln um gottes (Christi) willen, um gots himhls wün um gottes
liimmels willen, dr ivceil hghm 'der weile', zeit haben, is nit
dr röd, dr mid ivert ist nicht der rede, der mühe wert, listolt
dr sglin 'gestalt der sache', je nachdem, frroltrstsceit{n) vor
alters-zeit(en), fd rexts ivögn von rechts wegen, onstgntshohvr
anstandshalber, diuls, fsceiJcs als aushilfswörter für einen augen-
blicklich nicht einfallenden begriff (z. b. dr divJcs dg, icgs is den
dg fra tsanks pdngndr; noch häutiger wird der acc. din, tsceig
so verwendet), timmir wceis dummer weise, ertnvceis 'örter-
weise', da und dort, stölmvceis stellenweise, gaJis plötzlich (mhd.
gdJies), fhiks flugs, -mls mit einem stosse (vgl. BWb. 2, 369
schucJcen mit kurzem schwunge in bewegung setzen), iivröJcs
quer durch {*üler cclces). unfriröks unterwegs, hglwöks halb-
wegs, hintDnd-s hinterrücks, iirrhaps oberflächlich, ohne ins
detail zu gehen {*überhoiihtes), dndgnkst ohne Überlegung (mhd.
tmdankes), icceitrs weiters, psundrs besonders, nvrinks übrigens,
srcms quer, schief (zu •schremmen', vgl. DWb. 9, 162G. 1731.
BWb. 2, 601), indrst irgendwo (*mders), -zverts -wärts (iwr-,
auf-, sceit- etc. -ivcrls). Zeitbestimmungen: untr tgks unter-
tags, ghmts abends (selten), suntiks, mgntiks, iverxtiks u.s.w.,
fgrtgks vor tagesanbruch; tsmgrgnstr des morgens, tsghmstr
des abends, öhmstr 'ebens', unterdessen, pgUstr in bälde (mhd.
haldes] zur endung -tr vgl. § 143, anm.). Auffallend ist föstaks
festtags, mit umlaut (wol unter dem einflusse des pl. fästag).
Vgl. noch gldrhgnt allerhand, gldrla, tsicädrla allerlei, zweier-
lei, etc. — Entlehnt ist hökstns höchstens (vgl. hcaksic höchste).
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIIl. J.1
162 LESSIAK § 122
Staudeu in derartigen adverbialen Verbindungen ursprüng--
lich zwei flectierte genetive nebeneinander, so ist beim zweiten
die endung- fallen gelassen worden: hceintikstpg 'heutiges tages',
heutzutage. hoJhmtäl 'halbenteils', zur liälfte, mastntäl meisten-
teils, anstäl einesteils, (jr^astntal grösstenteils.
ß) Zusammensetzungen: summrstsceit Sommerszeit, ngmmdns-
tog namenstag, Igntslceit landsleute, Wirtshaus Wirtshaus, rohms-
tgrf Eabensdorf, oldrdsperg Ulrichsberg, mätrstQrf Mattersdorf,
u. s. w.
Anm. Doch ist auch in Ortsnamen die genetivendung nicht selten
geschwunden, z. b. fridläx Friedläch (urk. Vrideloseiche, oft belegt), pillägrf
Pischeldorf {Fischolvesäorf), iMofperg Bischofsberg, u. a. m.
/) Genetiv bei persönlichen Substantiven. Reste einer freien
S3'ntaktisclien Verwendung des genetivs finden sich bei eigen-
namen und zwar speciell bei männlichen vulgarnamen. Eine
flexionsendung herscht nur bei 'schwach' flectierenden vulgar-
namen (es sind dies fast durchweg einsilbige bez. oxytonierte
oder solche mit starkem nebentou auf der letzten silbe) und bei
vulgarnamen auf -le (s. §85, b), z.b. s tsentsn, s grpfn, s hintr-
u'ögr), s marn glcJtr des vulgo tscnts, gröf, hintnvng, mär (meier)
acker; s mgtdlan, s stöfblan Jchud des vulgo mgtdle, stöfdle kuh.
Anm. Es ist zu bemerken, dass der gen. mxr dann angewendet wird,
wenn der vnlgarname sozusagen als Sammelbegriff fungiert, d. h. wenn die
Zugehörigkeit eines objects zur ganzen hausgenossenschaft, nicht aber zur
person des besitzers ausgedrückt werden soll. Man sagt zwar s marti äirndlc,
khnext, rös, Iceimdt, perg des vulgo mär mädel, knecht, ross, leiuwaud, wald,
eto., aber nicht s marn roJcx, pfmfn, pgrt des m. rock, pfeife, hart, etc.
Namen mit schwachtoniger nebensilbe flectierten ursprüng-
lich stark (vgl. Schatz a.a.O.). Sie entbehren heute jeglicher
flexionsendung, z. b. s nisl, s wceide, s drakslr, s pirgr, s hansl
ivlsn die wiese des vulgo msl, wceide etc.
Für den Schwund des -s werden wol mehrere factoren massgebend
gewesen sein, die sich gegenseitig förderten. Die endung konnte einmal
aus demselben 'praktischen' gründe aufgegeben werden, wie oben bei
mastntal etc.: der gen. des artikels l)ringt ja die abhängigkeit des Sub-
stantivs vom beziehungswort ohnehin deutlich genug zum ausdruck und
macht eine weitere endung entbehrlich. In einzelnen fällen, wenn der
stamm auf einen zischlaut endigte, musste nach synkope des vocals der
Schwund lautgesetzlich eintreten; dies konnte zu einer Verallgemeinerung
führen. Schliesslich darf doch auch die dissimilation nicht ganz ausser be-
tracht kommen.
§ 122 MUNDART VON PERNEGG. 163
Häufig wird der gen. durch das Possessivpronomen 'sein'
verstärkt, z, b. ••? irUhr swi holts, (s) serir scei ivögM, s mötdlan
scp't Jxhöc/lstgt, etc.
Mitunter hört man auch fügungen wie dr grgfn hunt, dr
marn gl;hr, dö tsentsn nnsn, wo also der gen. zwischen dem
zum beziehungsworte gehörigen artikel und diesem selbst steht;
sie beschränken sich natürlich auf die flexionsfähigen namen.
Es ist zwar wahrscheinlich, dass wir es hier mit hewahrung alter
Verhältnisse zu tun hahen, doch wäre seciindäre entAvicklung nicht gerade
unmöglich, etwa nach aualogie von .s marn rus, wo das .s sowol zum gen.
Avie auch zum heziehungswort gezogen werden kann.
Anm. Ein erstarrter gen. sg. m. bez. n. des artikels hat sich erhalten
hei den Präpositionen 'wegen', 'neben', raa. ivög{a), öhm, die mit dem dat.
des Substantivs verbunden werden. Neben ivögmn gelt wegen des geldes,
öbmon pöx neben dem bache, hört man häufiger wögnstn oder wögns-n gelt,
übvistn oder öhnis-m pgx. Auch bei femininis: wögnstr mmtr wegen der
mutter, ühmsir msn neben der wiese. Fast immer werden die s- formen
gebraucht, wenn dem 'wegen' ein 'halber' folgt, z. b. ivögns(t)n pudbm li^lwr
des knaben halber.
d) Der gen. pl. findet sich ab und zu in w^endungen wie
dr Iceit sönr rödarwi der leute (ihr) gerede, dr Miindr sönr
froeid der kinder (ihre) freude, dr ivcekvr sönr Heft der weiber
(ihr) geschäft. Das heziehungswort niuss ein persönliches Sub-
stantiv sein. Das Possessivpronomen ist unentbehrlich.
Derartige fügungen kommen besonders in der stadtsprache vor, werden
aber in der ma. recht selten und nur von den jüngeren gebraucht. Deshalb ist
hier eine (mittelbare) entlehiiuiig aus der scliriftsprache sehr wahrscheinlich.
Anm. Hierher gehören auch fügungen wie (clö) pernigr pudhinon
(die) Pernegger burschen, {da) tJfnr dirndlan (die) Tiffner mädeln, s glan-
hofnr glait das Glanhofner geläute, etc.
c) Genetiversatz. In den besprochenen fällen kann, in
allen anderen muss der gen. umschrieben werden. Die haupt-
möglichkeiten sind folgende:
a) Das abhängige Substantiv wird unflectiert zwischen
artikel und heziehungswort gestellt; der starkton ruht auf dem
regierenden Substantiv; z. b. dr ivirt sihi des vulgo tvirt söhn,
dr hanslpaur stgdl der stadel des vulgo hanslxmur, dö gratse'
u4sn die wiese des vulgo gratse, dö nmr s^fa die der haus-
genossenschaft des vulgo mär angehörige Josefa, etc.
Ohne zweifei ha1)en wir es hier einfach mit unüectierten genetiven
zu tun, darauf weist vor allem die art und weise der betonung; sie ist
genau dieselbe wie etwa oben bei s marn pcrg bez. dr marn ökhr. Die
11*
164 LESSTAK § 122
eutwicklimg ist, wenn Avir die oben unter b) besprochenen fälle überblicken,
leicht verständlich, vgl. die beiden letztgenannten beispiele, und Wendungen
wie s i'rcil feit des bez. das 'Jörgel' feld.
ß) Das attributive Substantiv steht im dat. vor dem mit
dem Possessivpronomen verbundenen beziehungswort: on töne
scei hudt 'dem Anton sein liut', d.i. Antons Init, 9n sudstr scei
orwdt 'dem schuster seine arbeit', dr stvöstr ir mgn 'der Schwester
ihr mann'., dr hhgts ir msdle 'der katze ihr schüsselchen', on
Iceün sünre rödn 'den leuten ihre reden', etc.
Als ausgangspunkt für die entwicklung dieser art von ersatz ist die
füguug : gen. + possessivpron. zu betrachten (s khränr scei ggrtn ' des vulgo
Krainer sein garten'). Die Vermittlung boten die feminina; in fällen wie
ilr mudtr ir frceintsgft 'der mutter ihre verwautschaft' wurde der gen. dr
mudtr nüsverständlich als dat. gefasst, dem er ja formell gleichlautet. Dies
wurde aualogisch auch auf die masc. und neutra übertragen. Fördernd
wirkten hierbei in erster linie syntaktische folgen wie i hon dn fgtr smine
hud proxt ich habe dem vater seine schuhe gebracht, etc. Der dat. kann
selbst wider durch die präp. ' in ' mit dem acc. umschrieben werden, s. unten.
/) Es kann die Vertretung durch die präp. 'von' {fdn, fn,
fd) mit dem dat. eifolgen: .s- wosr fm pgx 'das wasser vom
bache', dr rolx fn fgtr 'der rock vom vater', dö tsägr fd dr
nr 'die zeiger von der uhr', etc.
d) Durch adjectiva auf -dS: s märose'rös das ross des vulgo
Mar, d'j (jrgf9.se dirn die magd des vulgo Graf.
Anm. Die unter «) und rl) angeführten Umschreibungen werden fast
ausnahmslos nur bei vulgarnameu, die unter ß) behandelt, in der regel nur
bei persönlichen Substantiven, selten bei bezeichmmgen anderer lebewesen
angewendet.
d) Dativ. Vom nom. verschieden ist der dat. sg. in der
fiexion der schwachen masc, vom nom. und acc. bei den säch-
lichen verkleinerungsw()rtern auf -Je (vgl. die folgenden paragr.).
Im gegensatz zu den meisten bair.-üsterr. dialekten hat sich
in dat. pl. die flexionsendung -n durchweg erhalten. Die kärnt-
nische xoLr/j, das 'höfische', kennt sie nicht; eine beeinflussung
von dieser seite ist also ausgeschlossen.
Neben dem einfachen dat. besitzt die ma. eine mit der präp.
in' umschriebene form im dat. fem. sg. und dat. pl. aller ge-
schlechter. Für dr mudtr, dr Mmd der mutter, . der kuh, kann
man auch sagen on dr rntiatr, dn dr khu9. Für dn Iceitn, dn
flhrn den leuten, den tieren (viehern), auch en dö lceH{n), dn
dö f'ihr{v).
§ 123 MUNDART VON PERNEGft. 165
Diese umschreil)Uiig bernlit auf einer verwecbslnng- der abgescliw ächten
form des artikels 'dem', 'den' mit 'in' bez. 'im", 'in'n' (in den), die in der
ma. alle in an, n zusammengefallen sind. Vgl. an fötr dem vater, an lötro
den burscben (totr), 9)i tmur in trauer, 3» grgbm im graben, 9n rfandrv in
den rainen. Der artikel <?» in 3n fötr, onlötru kann demnach auch in 'in
dem", 'in den" aufgelöst werden. Diese auft'assung wurde auch auf das fem.
übertragen. Wenn es im pl. neben 9n irwiwvu den weiberu, auch an du
ircenrr (acc.) heisst, so erklärt sich dies daraus, dass die präp. 'in" im pl.
auch mit dem acc. verbunden werden kann. Vgl. 3» Uötn und jh du stöt
in den st<ädten. Daneben existiert die mischbildung an dö stötn.
Anm. Diese dreifache möglichkeit, den dat. pl. zu bilden, besteht bei
allen präpositionen, die den dat. regieren bez. regieren können : stgl, u-ög{i)),
aus, pcei (p^), mit, ikxc, sceif, pn {(<>), ts,y, öne, tsnmp (zusammt, sammt);
— af, liintr, an, (in), öb)ii (neben), oirr (oberhalb, über), untr, foi; tsirii(n)
(die letzten acht können auf die frage wohin? nur mit dem acc. verbunden
werden). ')
Es ist zu bemerken, dass der umschriebene dat. im all-
gemeinen seltener angewendet wird als der einfache. Seine
Verwendung beschränkt sich im allgemeinen auf die substantiv-
tiexion (vgl. dagegen Schatz § 144).
Vielleicht wurde er gar nicht in der ma. selbst ausgebildet, sondern
aus der stadtspraclie entlehnt, die im dat. pl. nur die iimschriebeneu formen
kennt, im dat. sg. fem. sie wenigstens bevorzugt.
3) Flexionsklassen. Pluralbildung,
a) Männliche hauptwörter.
§ 123.
Eine einteilung nach historischem gesichtspunkt wäre in
anbetracht der grossen verscliiebungen unangebracht. Im all-
gemeinen lässt sich über das Verhältnis der gegenwärtigen
gruppierung zur ursprünglichen folgendes sagen:
Die nicht umlautsfähigen /-stännue sind mit den o-stämmen
zusammengefallen. Die umlautsfähigen o- stamme sind mit
wenigen ausnahmen (§ 125, 1, b) zu den «-stammen übergetreten.
Von den jd-stämmen sind /»//>• hirse, /i7««.y käse, ivats 'weizen
') Die präp. 'an' kennt die ma. nicht. Der lautliche zusammenfall
mit 'in' (ßn) mag ihre beseitigung veranlasst haben. In der regel Avird sie
durch af und pcei ersetzt, z. b. af dr icnnt an der wand, af (/Dt (jläbm an
gott glauben, af dr sceita oder p9 dr sa;itn an der seite. — iicr (über) re-
giert stets den acc. Es wird nur in der bed. 'drüber hin' gebraucht; z. b.
iHTu pö.v hprivgan über den bach springen ; sonst wird immer oicr verwendet.
166 LESSIAK § 124
und die ableitungen auf *-än, -tiussl (soweit m.) stark geblieben.
u-öJclii) wecken, und ruJd-u rücken, sind scliwach geworden (doch
pl. rilJiij).^ 'Hirt' fehlt der ma., dafür hgltr.
Die ^rö- Stämme sind mit ausnähme des schwachen sobi
schatten, zu den o- bez. /-stammen übergegangen, desgl. die
kurzsilbigen «-stamme. Die drei verwantschaftsnamen auf -r:
fgtr,2)ru9dr,sicögr bilden ihi'en pl. mit wrnlant f(ltr,2^riMlr,m'ägr.
Eine anzahl urspr. starker masc. hat im pl. die schwache
endung angenommen. Fast durchweg sind es zweisilbige Wörter
auf -l, -r (s. § 131. 132 anm.). Desgleichen sind ein paar ur-
sprüngl. j^- Stämme stark geworden (§ 127, anm.). Von prak-
tischem Standpunkt aus muss den zweilbigen starken masc. auf
-n {*-n oder -m) die zweite gruppe der schwach flectierenden
(§ 130) völlig gleichgestellt werden. In diesem falle habe ich
jedoch den historischen Zusammenhang gewahrt und sie in ver-
schiedenen abschnitten behandelt.
«) Stark flectierende masculina.
§ 124.
Hierher gehören die alten o-, i-, jo-, wo- and w- stamme,
soweit sie stark geblieben sind, und einige urspr. w- stamme.
Flexion: sg. nom.acc.dat. endungslos: Jmot hiit, Mnext kriecht,
2)äni bäum; — pl. nom. acc. hidt, IcJmext, pämr; — dat. hidtn,
lilinextn, pämry.
Pluralbildung. Praktisch können wir unterscheiden: je
nach der endung: 1) endungslose plurale; — 2) plurale auf -r\
je nach der beschaff enheit des wurzelvocals: 1) umlautsfähige;
— 2) nicht umlautsfähige. Jene lassen sich, jenachdem der
umlaut eintritt oder unterbleibt, wider in 1) umgelautete, —
2) nicht umgelautete einteilen.
Zur qualität des umlauts wäre zu bemerken, dass der
primäre umlaut des ä ('ö') bei masc. verhältnismässig selten
anzutreffen ist. Nur vor nasalen erscheint er ziemlich häufig
als e. Die grosse masse der Wörter mit urspr. ä als sonanten
der Stammsilbe hat a als umlauts vocal (vgl. Schatz § 93). In
einigen fällen ist der schriftsprachliche umlaut e eingedrungen.
Der umlaut des a = *a ist Qa (vgl. § 72). a = ^ou betrachte
ich nicht als umlautsfähig (vgl. § 74).
Anm. Die iioniiiia ageutis auf *-«/•/ entbehren regehnässig des umlauts.
§ 125 MUNDART VON PERNEGG. 167
§ 125. Pliirale ohne enduiig.
1) ümlautsfäliig-e. a) Umgelautete: «) Mit o — ö:
(jQst gast — gast; sglix sack — s'ökx\ sgts (der gesprochene)
satz — söts\, slög schlag, (hieb) — slög (dag. sots sprang —
säts; slög liolzschlag — ■'^Iffg); i^ögl nagel — nögl. In öpfl
(pl. unverändert) apfel, ist die pluralform verallgemeinert worden.
(9) ]\Iit g — e: Ichrom, Jxhrgmpf kvsim^i — Jihrem, Idirempf;
tsgnt zahn — fsenU st gm stamm — stem\ Jchlg/} klang — llileu;
Ikrgnts kränz — Jihrenfs; tgmpfd-dm\)t — iempf; swgm schwamm
— sivem; IxlüguliX schlinge — ]Jilenlcx\ fgnts tanz — fents\ dag.
tants umständliche bewegungen.
/) Mit g — a: tgxt docht — taxt\ rgt rat — rat\ grut grat
— grät; frgs fr^ss — fräs; .s^;^;^^ span — spän: fr()m trambaum
— tram\ slöf schlafe — släf; ivgrf sensenstiel (mhd. ivarf) —
ivarf\ sivorhm sclRAarm — strarlm; morlcx markt — morJiX]
pgrt bart — ^?«r^; grs arsch — ars; pglg balg — pcdg] Itgls
hals — hals\ hglhm halm — halbm; swgl starker luftzug —
siväl] stgl stall — stäl\ ceinfgl einfall — (emfal; hol hall —
häl; Sgl saal — säl; pfgd pfad — pfäd; mgn mahne — man;
strga sträng — straf); kspon gespann. vertrauter — Icspän;
ggnkx gang — gauJcx; firhgu Vorhang — firhav; fgn fahne —
fän; sgts schätz — sats; plgts platz — plats; subst auf -l, -r, -n:
stgpfl stufe — stapfl; ngppl nabel — nappl; ivgdl wedel — umdl;
st^dl Stadel — städl; stghl stahl — staJd; snöivl Schnabel —
snmvl; sgmhl schemel — samU; sgtl sattel — sätl; tgdl 'tadel',
gebrechen — tädl; gjl eiter (mhd. ufel) — äfl; gugl Stachel —
a^gl; hgndl handel — handl: gJihr acker — al-Jtr; hgmmr hammer
— hänir; lommr Jammer — iämr; sghr sumpfgras, Schilf —
sähr; gngr anger — augr; ligugr brustfleck — licmgr; sponvr
sperbei" — spanvr; tsgl-kr eine art karren — tsaJckr; Ignr aclis-
uagel, lünse — länr (mit urspr. o); ivgg)j wagen — tvägu; ggdn
schrank, 'gaden' — gädn; fgdn faden — fädn.
6) Mit 0 — ö: poJix bock — pökx; tsopf zopf — tsöpf;
khnopf knöpf — khnöpf; tsopf schöpf — tsöpf; sokx schock —
sökx; khöx'koch. — khöx; />(7s frosch — frös; trog irog — trog;
wolfwolt — ivölf; zweisilbige: fögl yogel — fögl; khöglkegei-
förmiges gezimmer über dem offenen herd zum auffangen des
rauches, kegelförmige erhebung- überhaupt (iwM. koyel) — khöyl;
168 LESSIAK § 125
Möfl bergspitze, felswaiid — IhöfJ-, polstr polster — pölstr;
söwr scliober — sötvr; 'k(li)ötr abg-eplankter teil im stalle,
hundestall — l-(Ii)öfr: hitr erwachsener bursclie. starker mann,
geliebter '(zuweilen im veräclitl. sinne, mlid. loter) — lötr;
pödn boden — ^öd'w; öfn ofen — öfn.
t) ]\[it oa — ^a: stgas stoss — st^as\ flga floh — ft^a-, hjan
lohn — lqan\ trgast trost — tr(^ast (trostworte), desgl. gr — er
in rgr röhr — rer\ hhgrw korb — Mieriv. Vgl, noch fgrtl vor-
teil — fertl.
g) Mit u — /: sluf versteck — sltf\ süw Schub — siiv\
stumpf strumpf — stimpf: tumpf tümpel — timpf\ Jchumpf
kumpf — hkimp)t\ püf stoss — jnf] flus fluss — flls; gus
guss — gts; sUn söhn — sm\ liiint liund — liint; grünt
grund — grini; ivunts wünsch — tvinis; timst dunst — tinst;
spruu Sprung — sprw\ turu türm — tirn\ furhm form —
firhm; wurf wurf — n'irf'-, prUx bruch — prix\ stUx stich
— stlx-, tsUg zug — islg; tiiJcx tücke — tikx] f'uics fuchs
— fiks\ tsiits zulp — tsits; zweisilbige: summr sommer —
slrnr; Ä-?<7/>- kolt er. decke — Idltr; pulfr ^\\[\tv — pilfr\ tsüwr
zuber — tsmr.
rj) Mit iid — id: studl stuhl — stidl\ hudt hut — hidt]
gruds gruss — grids; ftos fuss — fios; hhrudg krug — khridg;
pfludg pflüg — pfli^g-
&) Mit au — wi: tsaun zäun — tscein; praun braun —
prcein; raus rausch — reeis] khastraun hammel — khastrcein',
praux brauch — prmix^ slaux schlauch — slceix] autr euter
— (eitr.
i) Mit a — qü: swäf schweif — sw^af; straf streifen —
str^af] khräs kreis — khrqas\ ivats weizen — tv^ats.
b) Nicht umgelautete: kspgr spur, suf schaf, gut gott,
siis schuss, SÜ9 schuh, srä schrei, sträx streich, last leisten,
räf reif(en), law laib; holdr holundr, wglr weis, plutsr Wärm-
flasche, fehler, kuskr eidechse, piudsn busen, ähij eichhorn.
Hierher geliören sämmtliche nomina agentis auf -r, ahd. -Cwi.
wgxtr Wächter, hgndlr liändler, pgdr bader, Igdr einlader, tsglr
Zahler, (>>•^f3^>' arbeiter, tnölr m&ler, etc.; vgl. auch suppmfg^jgr
•Suppenfänger', Schöpflöffel, latfgwjr 'leitfänger' (ein bestand-
teil des pferdegeschirrs). Ferner die nomina actionis auf -r
§ 126 MUNDART VON PERNEGG. 169
me löhy, liliTQtsr, JiJingh; lnq)fr, tupfr ein momentanes (plötz-
liches) auflachen, kratzen, knallen, hüpfen, tupfen, u. s. w. (vgl.
§90,2,c).
2) Nicht umlautsfähige: /*««^.s handschuh, /t/i«»«Z kanal
(daneben l-hancle), ml shawl, Miv scliaub, säm säum, träm
träum, traf traufe, ten tenne, flökx fleck, 2)crg berg, s^a see,
iv^a schmerz, trlu- trieb, strikr strick, fist fist, s2nts spitze,
wirt wirt, scain schein (heiligenschein), khceil keil, sriot schritt,
Ichridg ki'ieg, frceint freund, fmnt feind; khlahl plumper mensch,
arh- 'erker', dachlucke, arliu pflugschar, tsähr zälire, näicr
bohrer, grösi» junger waldbaum, i>>/t^^/yy pfennig, 5eyyÄ7/Z Schwengel,
grosser bauch, kröpf, sempr grosser bauch, pfreugr zwinger,
st(iasl stössel, eine falkenart, dr<^asl drossel, tsedhnt zehe, dri^pl
schwelle, Ichnnvl knoten, hif\{r) ästige stange (zu Inif hüfte),
ngl riegel, wegsteile, tstgl zügel, rasse, tistl distel, pinld beule,
bündel, ftugr finger, swwlM flegel bei der drischel, ridsl rüssel,
pceitl beutel, toif] teufel, (jöülr geier, u. a. m.
§ 126. Plurale auf -r.
Nebst einigen einsilbigen gehören hieher fast sämmtliche
zweisilbigen Wörter mit ausnähme derer die auf li(iuida oder
nasal auslauten.
1) Umlautsfähige, a) Umgelautete: 5p/ifsaft — saftr\
man mann — mandr; j^^V^t brand — prentr; auswgrt 'aus-
wart', frühling — ausivartr\ öhmp abend — ähmtr: liliommot
(() = *o) kummet — Jdiämotr; plöx block — plöhr; drum
grosses stück — drwir. — b) Nicht umgelautete: onqMS
ambos — gnipasr; sgldt salat — söldtr\ spggH spagat — spö-
gdtr: pötdx unterer teil des rumpfes — pötdhr; sunte sonntag
— suntigr; mgnte montag — nigntigr; SQmste samstag —
sgmstigr (ebenso bilden ihren pl. die namen der übrigen Wochen-
tage: irte dienstag, miW-' mittwocli, pflukste donnerstag, frceite'
freitag).
2) Nicht umlautsfällige: j)(7w bäum — pämr\ Jcliis
kissen — Wisr; s'dt sehild — siltr, sildr; mids moos — mi^sr;
gcßist geist — gceisir; Im'nv leib — Icehvr; rätdx rettich —
ratdhr; hnvox habicht — häivohr; däium (datwi) datum —
datiunr; pfirs9x pfirsich — pfir.s^hr] p'iUx bilch — pil9hr\
170 LESSIAK § 127
Ixhirivds kürbis — l-]nrivdsr\ IMne köuig* — khmigr; liirwdst
herbst — liiru'dstr\ ridtdx (mhd. rietach) — riotdlu:
Von .den ableitungen auf -11 u geboren hieher spitslw spitz-
apfel — spitslujgr-, spendlb) Spilling — spendliugr. Plurale
tantum ist standliur gestell zum steinefübren. Der stirzler-
(gauner-) spracbe geboren an sUslw bank — sitsliu{gr) ; tröiliu
'tretling'. scbub — trötlw{gr); riüw fuss — ritlin{gr), u. a. Die
übrigen subst. auf -lin bilden ihren pl. ohne endung: invliy)
ärmel, merlm möhre, pllntsldw {plintMhj) blindschleiche, sceirlw
Säuerling, u. s. w.
§ 127. Doppelformen.
1) Endungsloser pl, steht neben solchem auf -r bei tvurhm
wurm — tvirhm, wirmr\ pridf biief — jjris/", pri9fr\ präm
einfassung, braue — präm,prämr\ gst ast — öst, östr; stgut
stand — stant, stantr (stent in übertragener bed. 'stände');
stän stein — Man, standr\ ran rain — t^än, r^andr\ luf't
luft — lift, liftr; nds rinne, rinnsal mit holzbekleidung (mhd.
nuosch) — ids, idsr; stceig Steig — stceig, stctsigr; pöx bacli
— päx, pähr. Zuweilen hört man auch tscndr neben tsent
Zähne, ixeihr neben ixelx bauche. Sehr selten ist päm bäume,
für pämr, poppdgcei papageien. für poppdgceir.
2) Verschiedenen umlaut können haben hglp axtstiel —
hölp, halp; stöiv Stab (nur in Zusammensetzungen wie ligntstgiü
handstab bei der drischel, ggrt.stQiv stachelstock) — stötvr, stmvr;
mgygl mangel — maugl, tneugl; liorn, hgrij hörn — liön), her»,
auch herndr. Vgl. noch oben ran — reandr. raiit rodung, hat
im pl. raut, selten rwit; gghstr elster — ogldstr oder äghstr.
— Von den Wörtern mit g als stammvocal haben folgende den
schriftsprachlichen umlautsvocal e neben heimischem a: pgJcx
pack — paJix, pekx; x^glg balg — pulg, pelg; pgx bach —
pax, pähr und pex, pehr; fgtr vater — fätr, fetr. Nur e haben
Qivlgs ablass — gtvles; pgpst papst — pcj)5^. tgg tag, als zeit-
mass bleibt im pl. in der regel unverändert, z. b. firtsDtgg vier-
zehn tage, drceish tgg dreissig tage, daneben hört man, wenn-
gleich selten, schon das höfische teg. In der bedeutung 'zeiten'
lautet der pl. tag, z. b. lustige tag lustige tage.
3) Schriftsprachliche pluralendung findet sich bei fdrosin
verein — ßrceme, selten f9rcein; seein schein (zettel) — sceine;
§ 128.129 MUNDART VON PERNEGG. 171
wog weg, in der bed. 'gang- zur behörde' — ivöge, sonst ivög;
öfdtslr Offizier — öfdtsire. Vgl. auch die neutra lös loos (schein)
— löse neben lös\ Jcsöts gesetz — Isöts, ksötse; Iwft heft —
Jiöftr, liöfte.
Anm. Von urspr. n-stämineu sind stark geworden neifreit, invl ävmel,
hOiv r haber, /.-/o//- gevatter, paogrt baumgarten: pl. ra'if, h-irl, höicr (selten
hmv)-), kfätr (selten, meist kfötr[s]la'/t), paugrtr; — m(ei, m/rts, Qprll mai,
märz, april, kommen nur im sg. vor. — Vgl. ferner folgende Wörter mit
stammauslantendera nasal: ppru banse (ahd. hämo), fön fahne (ahd. /«»o),
prüH brunnen, gäm gaumen. hterü Stern, klieru kern, pl. paru, fün, pnn,
gäm, hterü, Icherv.
,?) Schwach flectierende masculina.
§ 128.
Wir können vier gruppen unterscheiden: 1) substantiva,
die nur im nom. sg. endungslos sind, in allen übrigen casus auf
-n auslauten; — 2) solche, die die flexionsendung über alle
casus ausgedehnt zeigen; — 3) solche die im ganzen sg. unflec-
tiert bleiben und nur im pl. die endung -u annehmen; — 4) die
hausnamen.
§ 129. Erste gruppe.
Hierher gehören fast sämmtliche niasc. -j^stämme, welche
lebende wesen bezeichnen. Weitaus die meisten sind einsilbig.
Flexion: nom. sg. pöt, dat. acc. sg. und der ganze pl. pötn böte.
Beispiele: j;ö7a? beck, bäcker, prints^Y'mz. päm-\)-A\\&\\ pföf
pfaffe, didiv dieb, frgts fratz (unartiges kind), first fürst, gr^f
graf, A-M/'gehilfe, /i-5ö7 geselle, Äerherr, iriv &c\)e, ments m&ü&oh,
nör narr, rls riese, sits schütze, sölhm 'schelm', dieb (flect. sölnwn),
tep, ^os^ dummkopf, trottel, tsceig zeuge. — Völkernamen: prceis
Preusse, rüs Russe, tirJc' Türke, frantsos Franzose, pcm Böhme,
Tscheche (doch hört man hier neben flectierten auch unflec-
tierte formen), jiolak' Polake. posnmJv Bosnier. Bosnjake, khrmcot
Kroate, ?<7(/ Jude, 6tt"w Schwabe. — Fremdwörter: 6-(>7r/öf soldat,
/aZö^ schlechter kerl, Spitzbube (franz. /i/ow?), /msärhusar. rcgrfit
rekrut, %ösmvit Jesuit, mnsdl'hant musikant, u.s.w.
Anm. Die wöiter auf -oi; nia. -/•, wie prafcsr, inijiekhtr professor,
inspector, etc., bleiben durch das ganze paradigma unverändert. Nur (Jokhtr
doctor, bildet den pl. zuweilen auf -». j^^'i'' Baier, pl. pmri; ist junge eut-
lehnung aus der Schriftsprache (vgl. jjan/o»-/" Baierdoif). Im gegensatz zum
nhd. haben -/•: khincsr Chinese, hulänr ulan, fdräur veteran.
172 LESSIAK § 130
Tiernameu: «/"äffe, s2)ots spatz, ßnl-x finke, Jm hase, hirs
liirsch, Icrx lerche, ohs ochse, i^/o?«? pfau, prohx bracke, praks
brasse, rgts^ ratte, rmv rabe. snepf sclinepfe, sneV Schnecke.
§ 130. Zweite gruppe.
Die zweite gruppe iimf asst fast alle unpersönlichen «-stamme.
Der flexion nach unterscheiden sie sich in nichts von den auf
-n auslautenden starken masc. wie siUju segen, tvQgn wagen,
rög}3 regen, pödn boden (pl. söyn, ivügn, rögn, pödn); wie diese
lauten sie (soweit sie umlautsfähig sind) im pl. meistens um.
a) Umlautsfähige. «) Umgelautete: pQWin balken —
irnUilm (neben pQlhlm)\ ])rötn braten — p>rätn] pghn Speck-
seite — pähn: pofsn batzen — patsn (nehen pgtsn); g^nlgiMn
gedanken — godaukhn; flgdn tladen — flädn: ggrtn garten
— gartn; grübm graben — grähm; gglgv galgen — galg'J',
grgtn karren — grdfn; lujU,» haken — halihr, Jchrög» kragen —
Jchrögu (auch lihregu)] Ichrompni m. krampe — khrampm\ Idiostn
kästen — klmstn, meist /c7<e.sY»; Zw/w laden, bohle — lädii] mügy
magen, mohn — magi)\ srögn schrägen — srägw; sgdn schaden
sädn\ slgmpm schlampige person — slampm (auch slgpmdn)\
ivgsn rasen — tväsn; wgrnpm wampe, bauch — ifampm\ pögn
bogen — pögu] roJdy roggen — rökk)3 (roggensorten, -f eider);
prokhn brocken — pröklin wehen prokhn; pnsn 'busch', strauss
(vgl. mhd. hasche swm.) — plsn; rukku rücken (urspr. stark)
— rikkn; haufn häufe — Ineifn. — (^) Nicht umgelautete
(pl. = sg.): rgntsn ranzen, pgln ballen (schwlele), pglhm ball;
tropfn tropfen, kholbm kolben, khlöbin kloben, pösn mutwilliger
streich, sokJin socken, pfostn pfosten, stotsn seichtes schaff, noklm
kloss, khnoln knollen, .^lohi Stollen, hufeisenhaken, hopfn hopfen,
2^ostn posten; itrupfn strippe, stutsn stutzen, .siiukhu Schinken,
tsurtsn maiskolben, )mtsn butzen, hädn 'beiden', buchweizen
(vgl. Schatz § 105j.
b) Nicht umlautsfähige: siMm Schenkel, fetsn fetzen,
stökhn stecken, etc. Vgl. auch kharpfn karpfen (neben khurpf).
Es ist dies einer der wenigen tiernamen, in welchen die tlexions-
endung über das ganze paradigma ausgedehnt worden ist; als
analoge fälle sind mir aus der ma. nur noch hiidhn buchen, und
ücein schleihe (ahd. slio) bekannt (der pl. lautet in beiden fällen
wie der sg.).
§ 131.132 MUNDART VON PERNEGG. 173
Aiiiu. Bei einzelnen Wörtern dieser gruppe wird im pl.. wenn er
nicht umgelautet ist, ein weiteres -}i angehängt, so dass der pl. eigentlich
mit doppelter endnng erscheint, z. b. pg}b}iid)i halle, l-holhmdu kolben, feisn^u
fetzen, polkhit.^n neben p(ßh»i etc. Vereinzelt landet sich diese erscheinung
auch hei Wörtern der ersten gruppe. Häufig hört man p>(,fhmdn hüben, bur-
schen (sg. pü9, fiect. piohm). Ziiweilen auch pursUmi burschen (vgl. dazu
§ 140), oT(m?n ochsen.
§ 131. Dritte gruppe.
Zur dritteu gruppe geliöreu von urspr. schwachen nur föir
•Vetter', onkel — fötm (neben fötr)] klwfr käfer — hhüfr)j
(neben Ä-Aö/r); swierfs schmerz — smertsn; pudstgiv, pu{d)listQiv
buchstabe — piidstobm etc.; lihrijs kresse (ahd. hresso) — Ihrösn.
Ferner einige deren stamm auf einen nasal endigt: daiim dau-
men — daimidn; flgm flamme, weichteile bei tieren — flgmmdn]
nom name — nämdn: hon hahn (selten, dafür lime, Icöppe)
— Jt(mdii.
Hier wäre eigentlich auch im pl. Hexionslosigkeit zu erwarten, da -mn,
nn sich regelmässig zu m assimiliert bez. vereinfacht wird, sofern es nicht
durch sj'stemzwang daran gehindert wird. Die oben § 127, 3, anm. an-
geführten beispiele veranschaulichen also die eigentlich regelmässige ent-
wicklung.
ream riemen, hat im pl. meist r^am, sehr selten rqamdn.
Hierher gehören noch das urspr. fem. lialcs 'hächse', bein
— halsn: h-udV in ders. bed. — hiohj; j^(»;/.7<>Y bankert —
PQnkhrin\ poppdts knospe — poppotsn. Bei den ersten drei
Wörtern hat man mitunter auch im dat. acc. sg. die «-formen.
Das hauptcontingent stellen einige urspr. starke masc. auf
•{> -!"■ hospl haspel — hgspln: nudl nudel — nudln. Ebenso
wumhl hummel, khr^andl mühlsteinhammer, roMd Spindel, griil
griffe], sllsl Schlüssel, räü drehstange (mhd. reitel), rödl quirl.
poppr unartiges kind, tolchr tölpel. — In einigen fällen herscht
schwanken. So stehen nebeneinander pndl — pudln pudel.
iimlr — undrn widder, p»^^;- — j)i</6w butter(striezel), tsglxh-»
— tsakh', sg. tsfMr zweirädriger karren mit korb. u. a.
i^ 132.
Eine Sonderstellung nehmen die 'schwach' flectierten haus-
namen ein: nom.acc.dat. tscnts, (jr()f, mär etc., aber gen. s tscntsn,
(jrofn, man) (s. § 122, b, 7). Doch hört man auch im dat. acc.
formen auf -n. Als standesbezeiclmung dagegen flectieren rjrnf
174 LESSIAK § 133. 134
graf, mär meier, grossknecht, ganz regelmässig: dat. acc. martj,
ebenso im pl. {mär war nrspr. stark, vgl. alid. meior).
Anm. . Ausser den oben genannten Wörtern sind von nrspr. starken
noch schwach geworden: per saubiir (nach analogie von per ursns), grtst
arzt (doch pl. zuweilen artst) ; Mr stier, flectiert nur im sg. regelmässig
schwach, im pl. ist es gewöhnlich endungslos. Ferner mn schatten —
Min; nikka rücken — rikkv; mitsn nutzen (pl. fehlt); fölsn felsen (pl.
gleich dem sg.). dgks dachs, flectiert im sg. meist schwach, der pl. lautet
(Jgksn, selten daks; dgrn dorn, hat im pl. dgrnon neben dgrnr.
khrist Christ, Jkaid heide, sind in die schwache declination übergetreten
wie im nhd. — pg2)st papst, ist im sg. schwach; zum pl. ^>cj:>st vgl. § 127,2.
b) Sächliche hauptwörter.
a) Starke flexion.
§ 133.
In folge des abfalls des endvocals sind die beiden klassen
der starken neutra zusammengefallen. Die flexion ist dieselbe
wie beim starken masc; eine besondere casusendung hat wie
dort nur der dat. pl.
Pluralbildung. Der pl. wird in den meisten fällen auf
-r gebildet, damit ist bei umlautsfähigen der eintritt des Um-
lauts verbunden. Seltener ist die endungslose pluralform. Was
die qualität des umlauts anbelangt, so ist zu bemerken, dass
dei' secundäre umlaut des ä fast gänzlich fehlt, a = urspr. ei
lautet bei neutren nie um.
§ 134. Plurale ohne endung.
Hierher gehören swcein seh wein (auch f.),, r^a reh, rös ross
(höfisch rösr), tir tier (selten), ^öf, sif schiff, hgr haar, lat leit-
seil, JchrcpÄts kreuz, rceis reis (ahd. hris), gwör gewehr, klmio
knie ; äM eichel (im kartenspiel), iwl übel, mittl mittel, wundr
wunder, tnlr teller, yogcär gitter, fuir feuer, oBisn eisen, tsähn
zeichen, trwkhn trank (substantivierter inf.). Vgl. auch foln
fohlen (urspr. masc).
Umlaut haben tor tor — tcr\ wo5r wasser — wasr\ Jiöf
hof — höf, selten höf) khlgastr kloster — Mil^astr; fu^dr fuder
— fiodr neben fuQdr; hsgn gesang — hsafj\ ior jähr — iär,
bei Zahlenangaben durchweg igr {tswa %gr zwei jähre).
§ 135 MÜNDART VON PERNEGG. 175
§ 135. Plurale auf -r.
a) Um gelautete: «) o — ö: so/' schaff — s6fr\ pgd bad
— pödr; rgcl rad — rödr; Igel lade — lödr\ dgx dach — döhr\
glgs glas — glösr: gros gras — grösr; grgw grab — gröivr\
pigt blatt — plötr\ lihgliv kalb — Jchöhvr; tgl tal — tölr
(töldr); spdtgl spital — spotölr (neben schriftspr. spdtelr); nigd
mahd — mödr (mhd. niät, vgl. Schatz § 121). — ß) g — e: Jgmp
lamm — lemp)-\ gmp amt — em{p)tr\ pfgnt pfand — pfentr;
pgnt band — pentr; Ignt land — lentr. — y) 9 — "• f9^ ^^ss
— fäsr neben fösr und /esr. — 6) o — ö: mos moos (sumpf)
— mösr\ hslös schloss — Jcslösr; ?pa; loch — löhr; ;(är joch
— iöhr; holts holz — höltsr; folkx volk — fölkhr. — t) gr
— er: ort ort — ertr\ dgrfäort — der fr. — C) u — i, ud — id:
h(hv deckel — liJchr neben luJchr] guot gut — gidtr; pudx buch
— pidlir: tudx tuch — tidhr\ heandr hühner. kommt nur im
pl. vor. — ?]) au — cei: haus haus — Jia'isr; maul maul —
mceilr; khraut kraut — Jchrceiir.
Aum. Von ixmlaixtfähigen sind nicht umgelautet mgyj- mark, liirii —
morhr; m önat monsit — mönatr; ösaj: (hölzernes) geschirr — ös.^kr; khläd
kleid — khlädr.
b) Nicht umlautfähige: Jchint kind — Jckindr; rint rind
— rindr; ivcenv weib — UKeiivr; ments n. weibsperson, dii'ne,
magd — mentsr; fil füllen — fildr\ fj vieh — flhr] Mits
Zicklein — l-Jiitsr; pilt bild — püdr; feit feld — feldr\ cei
ei — öBir. Ebenso gehen glid glied, lidd lied, sceit scheit, pöt
bett. nöts netz, ^yröt brett Ihxt licht, gdpet gebet, gicölw ge-
wölbe, gnakx genick (pl. gnalhr), lisnöpf Ifrls verächtl. gesicht,
gwixt gewicht, Ihrixt gericht, u. a. (kstiQt gestüt, gopirg gebirg,
hsöts gesetz. bilden den pl. ohne suffix). — Zweisilbige: hcmot
hemd — Itemdtr; hönc'homg — hönigr; firtdx 'fürtuch', schürze
— firidhr; Iceildx leintuch — Iceibhr. — Auch die neutra auf
•nos (bez. -nus) gehören hierher: Jcfevgnds gefängnis — kfetig-
ndsr\ Ixhamnds geheimnis (auch m.) — k/tamnosr; tsceigms
Zeugnis — tsceignosr. — Ferner eine reihe von fi-emdwörtern:
sahhrament (als schelte auch mlament, saprament) sacrament
— saJchramentr; instrdmcnt instrunient — mstrdmentr\ hclc-
ment 'element' (in mehreren redensarten und vergleichen) —
helcmcntr; testdment testament — tesfomenfr; khomphmcnt
compliment — klwmpldmentr: lanlr lineal — lanlrr; praslet
176 LESSIAK § 136.137
armband — prasletr] j>«>Yre porträt — purtrer; parpli para-
pluie — parplir (-m-); parisöl parasol — parisölr, u. a.
c) Dpppelformen: stulcx stück — stulix, stiJcJtr (einzelne
stücke); jj/««^ pfund — pfunt, pfunclr (gewichte); dw ding
— div, diuyr (einzelne dinge); ivgrt wort — tvgrt (worte),
ivertr (wörter); pan *bein', knoclien — pän, pandr; säl seil
— säl, sälr; mal mal, fleck, narbe (mlid. w?e?7) — mfd, mälr.
Neben erh- ortet-, orte, hört man zuweilen auch gri.
Z^) Schwache flexion.
§ 136.
Von urspr. w-stämmen gehören hierher: aiigaaiige, öraohr.
Im sg. ist die nom. acc.-form verallgemeinert worden. Der pl.
lautet augv, gnj. Das geschlecht der beiden Wörter schwankt
zwischen ntr. und fem. tvongn (mlid. ivange n.) ist nur fem.
(vgl. § 82).
Dies scheint daraiif hinzuweisen, dass wir das weihliche geschlecht
auch bei auga, ora als das eigentlich bodenständige anzusehen haben; das
sächliche dürfte iinter nhd. einfluss stehen.
lierts herz, hat im nom. acc. den auslautenden vocal ver-
loren. Der dat. lautet gewöhnlich hertsn, selten herts, der pl.
liertsn. In der bed. 'lebzeltherz' kommt ein pl. hertsr vor. Die
'herzen' im kartenspiel heissen lierts. lierts als fem. bedeutet
'herzkarte'.
Von urspr. starken neutren bilden einen schwachen pl.
ent ende — entn\ artst erz — artstn. Ferner folgende auf -r:
luddr luder (schelte) — hiddru; mösr messer — mösrfr, Igstr
laster — Igstm. fcnstr fenster. hat im i)l. meist die starke form
fenstr, seltener fenstru.
Dieser gruppe gehören auch sämmtliche deminutiva auf -l
an : gläsl gläschen — gläsin; fäsl fässchen — fäshi; uäsl weise
— iväsln etc. (vgl. § 85, 1, b). Doch geht der pl. auch auf -lan
aus (s. u.), zumal wenn diese bildungen noch als eigentliche
Verkleinerungen gefühlt werden.
§ 137. Flexion der deminutiva auf -le.
Nom. acc. sg. -le, (gen.) dat. sg. und der ganze pl. -lern; z. b.
2)älile bächlein: äRt. pählan, acc. j)«/iZe, \}\. päldan.
§ 138 MUNDART VON PEKNEGG. 177
Anm. 1. Die masc. bilden (nach analogie der persönlichen «-stamme,
wie pöhr bäcker — acc. pöklm) auch den acc. auf -lan ; z. b. motdle Matele
(vulgarname), gen. dat. acc. motslan.
Anm. 2. Die flexion dieser ableituugeu ents2)richt, vom gen. sg. ab-
gesehen, wo wir entweder analogie nach dem dat. anzunehmen haben, oder
wo das s nach demselben princip schwinden musste wie bei den übrigen
stark flectierenden masc. (vulgarnamen s. § 122, b, y), genau 'der ahd. obd.
dcclinatiousweise, sg.n.a. jjahhiU, [g.2>ah]iil/ues], ^. pahhiUne; \A. \\. -a. pahhi-
U{n), g. pahliiUno, d. palilulinum. Der dat. sg. und gen. pl. mussten nach
abfall der endvocale mit dem nom. acc. pl., für den wir die «-form voraus-
zusetzen haben, zusammenfallen. Der dat. pl. ist über -n{d)n zu -n verein-
facht worden.
Bei den oben erwähnten, mit der kurzform des -Z-suffixes gebildeten
deminutiven ist der dat. sg. dem nom. acc. angeglichen worden. Der pl.
hat das -n lautgesetzlich bewahrt. Vgl. dazu die ausführungen in § 89.
c) Weibliche hauptwörter.
Wii" können drei gnippen imtersclieiden:
I. gruppe.
§ 138.
Die hierher gehörigen Wörter bleiben im ganzen sg. und
nom. acc. pl. unflectiert; der dat. pl. endigt auf -n. Der pl.
ist mit wenigen ausnahmen umgelautet. Beispiele: sg. maus
maus, lihrä krähe; nom. acc. pl. mceis, Ihrä; dat. pl. mceisn, Mrän.
1) Umgelautete. Diese abteilung umfasst: a) die meisten
umlautfähigen z- stamme, ferner die u- und consonantischen
Stämme, die bereits im mhd. in die i-decl, übergetreten sind
(sivösir Schwester, gehört zur zweiten gruppe, pl. sicöstr)}): stgt
Stadt — stöt\ fiQxt nacht — naxt\ not naht — nät] ggns
gans — gens; hgnt band — hent] jjgnl^x bank — penlix; ivgnt
wand — ivent] ngat not — n^at; tgdxtr tochter — tedxtr;
2)runst brunst — prinsi] prust brüst — prist\ furx furche
— firx\ fruxi fleucht (selten) — frixt; /m/'hüfte — /«/'; Ixlmnst
kunst — Jchinst] Jchlxft kluft — khlift; suxt sucht (krank-
heit) — sixt\ uitrst wurst — ivirst; faiist faust — feeist;
praut braut, grobes gespinnst — pneit] haut haut — hceit;
laus laus — Iceis; p}n3 blute — pltd\ JchuJ kuh — Mw; niiotr
mutter — midtr. Die umgelauteten formen des gen. dat. der
i-stämme sind überall durch die umlautslosen des nom. acc.
verdrängt worden. Die subst. mit nicht umlautbarem stamm-
BeitrUge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIII. j^2
178 LES8IAK § 139
voca], aber aucli einige mit umlautfähigem flectieren nach der
zweiten bez. dritten gruppe.
b) Von nrspr, a-stämmen gehören hierher sgas schoss (ahd.
sco^a) — .s{'as; JchJöa klaue (ahd. Mäiva, chlöa) — JiJilea; holt
'halt', Weideplatz (mhd. lialte) — halt'^ sgg säge — säg; last
geleise (ähd. Icisa, mhd. leise, doch auch leis) — Iqast (das t
ist unorganisch); mCmr mauer — mceir (ahd. müra, muri).
Ferner das urspr. masc. ggtr gatter, zauntor — gätr. hglftr
halfter, gär ader, glnir almer, schrank, JMgftr klafter, haben
im pl. doppelformen: halftr — hglftnr, Cidr — gärt)] almr —
ghnrtj; Milaftr — Idügftn) (bei zahlangaben IMgftr).
Von schwachen fem. schliessen sich in folge ihres um-
gelauteten pl. dieser gruppe an: glhm albe, ahn — alhm\ mgdn
made — mächi; pntsn bauchiges fässchen — jj?7s«. sngMv
eisenspahn, hat im pl. snaMu und sngJdij.
2) Nicht um gelautete bez. nicht umlautbare die urspr.
cons. Stämme: säu sau — säu (selten scei); gas geiss — gas,
daneben g^asr.
Anm. Plurale auf -;• haben von fem. noch irgxt tracht — iraxtr;
pör bahre — i>«?-^-; höwii/:> hebamnie — höanwgr neben häufigerem Jiöivuvgdn.
Ferner die «-stamme Jihrd (ahd. h-äja, s. o.), dgrnsl^a dorn-
schlehe (ahd. sWui), hoUslög holzlege, sint sllnde (pl. sint neben
sintp), sindl schindel, schale (von gurken, rüben etc.). Ferner
der «-stamm -nösl nessel (prenösl brennessel, hrnvrnösl 'liaber-',
taubnessel), und sämmtliche mit -2)ir, -pr beere (ahd. heri n.)
componierte Wörter, z.]}. paslpir berberitze, Ichnmapir wach-
holderbeere, rgajrr erdbeere, m-grtspr heidelbeere, etc. Vgl.
auch dfrij 'dirne', magd, srcein schrein (pl. dfrn, srcmn) mit
stamm auslautendem n.
IL g nippe.
§ 139.
Flexion: der sg. ist endungslos, der pl. lautet auf -n aus;
z. b. sg. Hrgf strafe, pl. strgfn. Der pl, wird durchgehends ohne
Umlaut gebildet. Dieser gruppe gehören an:
a) Die meisten urspr. ä- und ja-stämme, zumal solche mit
mehr abstracter bedeutung: rgst rast, Jchwgl quäl, tvgl wähl,
tsgl zahl, wgx wache, wgxt wacht, strgf strafe, Igg läge, sprgx
§ 139 MUNDART VON PERNEGG. 179
spräche, Ips Überlassung, niessbraucli. l'för gefalir, tvög wage,
Ichlpg klage, frag frage, fgriv färbe, si)rg sorge, trgg traclit,
göiv gäbe, gnöd gnade, folg folge, siidl schule, 2m9s busse, für
führe, shtnt stunde, sult schuld, säd scheide, tcüd weide, ras
reise, mag schwaig, sennerei, mäs meische, päs, pats beize,
wgsrlät Wasserleitung, maiit maut, tsceil zeile, sjyceis Speise-
kammer, fräs fraisen (mhd. vreise), swöl 'schwelle', Vorrichtung
zum stauen des wassers, sei seele, mcml meile, hilf hilfe, pit
bitte, pflog pflege, lös lösche, sit erdauf schüttung, erdwall, smirw
schmiere, lots abschied (-schlag), ler lehre, er ehre, höts 'hetze',
vergnügen, alis achse, 7nös messe, ivceis weise, taf taufe; röd
rede, hol hölle. — Ableitungen auf -iti (ahd. -ung, -imga) : stiftin
Stiftung, pstäti^} bestattung, begräbnis, pridfw prüfung, frmin
firmung, loasitj 'losung', erlös, mäniu meinung, etc. — AVeiter-
hin die fem. auf -iios (-7ius): ßnstrniis finsternis, hintrnus
hindernis, pittrnus bitternis; — auf -in: 'kfat{d)rin gevatterin,
ar^5^m ärztin, /er^rm lehrerin, u.s.w.; — auf -/, -r (ahd. -a?a,
-ara, -ila etc., gleichgiltig ob urspr. ä- oder aw-stämme): tvgxtl
Wachtel, qJcsI achsel, fglchl fackel, gnipl ampel, mosl 'maser',
narbe (zu mhd. mäse), nödl nadel, ösl assel, töfl tafel, göivl
gabel, Ichöhl kachel, tsgxtl Schachtel, tgxtl dachtel, khQndl
kanne, ]}qpp^ pappel, hligntsl kanzel, Qrgl orgel, lungl hinge,
Tihulil küche. Ichiigl kugel, saufl Schaufel, gäsl geisel, peitsche,
sihl. Sichel, tceiksl deichsei, irl erle, hähl hechel, sisl Schüssel,
s^rmc/? Spindel, fZns^ drischel ; ö^r'natter', schlänge, ^?p^r blatter,
blase, moltr (s. §121,4), IhlQuq) fr (lihlompr) 'k\?im\\\^\% haar
fetzen, Irdr leiter, födr feder, löwr leber. — Ferner gehört
hierher eine reihe von fremdwörtern: tals taxe, prus brosche,
sQnts schanze, 2^f'öiv probe, Jihläs klasse, jwst post, taut taute,
panlix bank, prants brauche, plpg plage, pulst puls, Ur uhr,
atres adresse, mdsln maschine, fdslt visite, patrul patrouille,
sös sosse, faivrilix fabrik, repratur reparatur, trafilix trafik,
prömits primiz, okhtaf octave (messe), Ihasern kaserne, prsön
person, ptasign passion, pQrtsign portion, fotografl Photographie
(pl. fotDgrafon), khgntslm kanzlei (pl. khgntslwisn), litduwi
litanei, töhntmi dechantei. Ebenso gehen ngrotcei narretei,
lumpdrwi lumperei, raforcei rauferei, stroeitdrcei Streiterei, etc.
Anm. 1. Die fremdwörter auf -e wie Jchamöde 'koraödie', läi-m, durch-
einander. tsiVtörc cichorie, wöde mode, u.s.w. bleiben im pl. unverändert.
12*
180 LESSIAK § 140
Aum. 2. Von Jt- stammen sind in diese gnippe übergetreten: khots
katze (mild, katze sw. f.), ffäi< frau, hür hnve, fots vulva, maul (mlid. fofse
sw. f. ; vgl. dag. fotsn ohrfeige), r/p/ galle.
b) Die nicht iimlautfäliigen /-stamme: keix leiche, begräbnis,
tscBit zeit, lioaxtsdt hoclizeit, pceixt beichte, srift schritt, Icsixt
geschichte, sixt schiclite, rixt gericht (von speisen), pflixt pflicht,
ivelt weit; — die ableitungen auf -hceit (-hdt), -klmit und -sgft:
IhrQukhof krankheit, smnliceit Schönheit, frdridsloxJchceit ver-
driesslichkeit, ivcrksgft werkschaft, UohsQft liebschaft u. a.
Von umlautbaren gehören hierher sät saat, igF jagd (pl.
iglch) und xQJctn), gopurt geburt, orivdt arbeit, (jludt glut, grt
art, tügnU fügend (pl. tn,gntn\ Igst last, fgrt fahrt, tot tat,
slQxt Schlacht.
Die drei letzten Wörter werden nicht häufig gebraucht. Plurale von
gluat und ort, das (von der redensart af du grt auf die art, abgesehen), fast
nur in der bedeutung 'betragen' vorkommt, hört man sehr selten. Igst wird
stets in übertragenem sinne: 'beschwerde, Steuer' verwendet. Es ist wol
höchst wahrscheinlich, dass es sich hier zum teil um entlehnungen handelt
und dass die pluralbildung der meisten dieser Wörter unter nhd. einfluss
steht. o)jkst angst, hat im pl. -n trotz des Umlauts: eukstn (vgl. Schatz
§ 117)- '
III. gruppe.
§ 140.
Flexion: der sg. endigt auf -a oder -n, der pl. auf -n oder
-n9n, z. b. sg. p^^a biene, trmi tasche, pl. pmidn, igsn ; sg. stübm
stube, pl, stühmdn.
Zur endung des sg. vgl. § 81 und 88. Zur pluralbildung
ist zu bemerken, dass einige Wörter einen erweiterten plural
bilden, d. h. an die vorhandene endung -n noch ein -on antreten
lassen. In der regel sind dies solche substantiva, deren stamm
auf einen labial oder guttural auslautet, bei denen sich also
das auslautende n zu m bez. w assimilieren muss: S6e/6m scheibe
— sceihnidn; grudhm grübe — grudhmdn\ Jchgppm kappe —
ldigpimidn\ stiogu stiege — stioguen; i^irw/dw brücke — pruJc-
h)dn, etc. Doch kommen daneben auch dem sg. gleichlautende
pluralformen vor. stübm hat regelmässig stühmdn.
Die Ursache ist klar: als eigentliche pluralendung betrachtet man -n,
dagegen werden m und w als abweichend empfunden. Diese Unregelmässig-
keit sucht man zu beseitigen, indem man an die form des sg., die gewisser-
massen als grundform angesehen wird, nach analogie der subst. der zweiten
gruppe, die regelmässige endung anhängt.
§ Ul MUNDART VON PEHNEGG. 181
Indes ist nicht bei allen W(>rteru dieser art diese doppel-
bildung- in demselben grade beliebt. Insbesondere verhalten
sich subst., die im sg. häufiger die a-form haben, dagegen sehr
ablehnend. Vgl. söiva schabe, pl. suhm, nicht sghmon; (/(>rwa
gerbe, pl. ggrlm, nicht ggrlmm. Desgl. haben flidga fliege,
pga flügel, stceiga steige, im pl. nur flidgu, fligu, stceigu. Wenn
diese abweichende bildung des pl. zuweilen auch bei Wörtern
mit anderem stanimauslaut auftritt, .so ist dies natürlich über-
tragen. Vgl. flpsn flasche — flosudn; ösn esche — ösnon; ggsn
gasse — göS7i97i; iclsn wiese — wlS7i9n; Jihirtsn kerze —
l'hirtsndn; Mi stn kiste — khisindu; ^r/>-ö^^w bürste — pirstndn\
plötn platte — pigtnon; rceidn wegbiegung — rceidndn\ staucln
Staude — sfaudnon. Daneben gilt überall auch die einfache
pliu^alform (vgl. dazu § 130, b, anm. und Scliatz § 111 ff.).
§ 141.
Die dritte gruppe umfasst fast sämmtliche an- und jan-
stämme und einige «-stamme. Eine strenge Scheidung nach
der Stammeszugehörigkeit lässt sich nicht in allen fällen durch-
führen, da schon im alid. vielfach schwanken zwischen starker
und schwacher flexion besteht.
a) Von urspr. starken seien angeführt: mgrlia {-n) 'mark',
grenze, sara schere, fllga flügel, stceiga hühnersteige, tviinta
wunde, rintn rinde, rudiva rübe, griobm grübe, cm (selten cra)
erde, strpsn Strasse, hadit beide, pruliku brücke, rippm rippe,
Söhn Sache, hittn hütte, solhm salbe, staudn (selten sfauda)
Staude, Jchistn kiste, fuagu fuge, Ihlausn 'klause', engpass.
b) Eine grössere anzahl schwacher feminina habe ich be-
reits in § 81 angeführt; es wären noch folgende zu erwähnen
(ich gruppiere sie nach der häuflgkeit der singularformen;
selbstverständlich kann es sich dabei um keine feste grenz-
bestimmung handeln: das Verhältnis ist ja bei den einzelnen
alters- und Standesschichten der bevölkerung recht schwankend):
Gewöhnlich haben die singularendung -a: spudla spule,
n<jla ahle, fmla feile, röla mangel, glättrolle, stöla Stellage,
muhi schmolle, das weiche im brote, uira dämm zum ableiten
des Avassers, mara brombeere, plra birne, loiira leier (neben
^ffiir), wöna wanne, tsäna (buckel-) korb, p'ma bühne, rona
rande. rote rübe, seana i'otlauf (zu 'schön'), Jchrpaiin kröne,
182 LESSIAK § 142
Mlouinia klamm, lumma liamme, hmva 'habe', lienkel, swQliva
schwalbe, rudiva rübe, tsivöspa zwetsclike, grceipa griebe, tsr^apa
scberbe, lijügatsa gedörrte birne, föla (pult-) decke], (jritta beiii-
winkel, grätsche, stroulca bohnenschote, f(.üi(ja feige.
Häufiger -n als -a haben yrnla perle, sola sohle, sela schelle,
sngla schnalle, ivöla wolle, iidJa Vertiefung (mhd. tüele), JMuppa
kluppe, sratifa schraube, sliucja schlinge, khlwga klinge, klirukha
knicke, spelta geklobenes zaunbrett (mhd. spelte), ixjrta hacke,
harte, nidta niete, grata gräte, Iota latte, pflgntsa pflanze,
Ichrötsa kratze, ivgntsa wanze, taiiiva taube.
Sehr selten hört man die a-formen bei piiohn buche, fceixtn
tichte, piyJchn birke, leyJm lärche, siippm suppe, pitnj bürde,
sudhn erdrinne, furche, Jchglbm kalbin (mhd. kalbe), studtn stute,
m'irhn mähre, gürn gurre (sj-nonym mit dem vorigen).
Durchweg -n haben ään Qg^^ (pl. auch ädnon neben ädn),
hhrippm wagenkorb, krippe, tvgltsn walze, spritsn spritze, sensu
sense, u-iogu wiege, paukJin pauke, sivgrtn schwarte, pintn binde,
ngsn nase, gsn asche, lösn lasche, girtn gerte, sceihm Scheibe,
gr^adn holzdriste (mhd. grede), stuppm blütenstaub, pulver,
lelilin schaden, lahm 'laube', vorhaus, supfn schuppen, Wiceihn
gefängnis (mhd. lache), stiogn stiege, keixtn kleiner wandkamin,
ögrtn brache (mhd. egerte), fräfn waldblösse (mhd. vräte), rlsn
runse zur holzbeförderung, pr^lni brache, u.a.m. Dasselbe gilt
von den meisten modernen fremdwörtern, z. b. tsigäm cigarre,
poletn bollette, aprilchüsn aprikose, satiiln Schatulle, tatsn 'tasse',
Untersatz, präsentierteller (it. taz^a), partsein parzelle, khaputsn
kapuze, markhn marke. Doch vgl. mäsa masse, wäta watte;
hier hat auch die Stadtsprache -a. Bei khäsa kasse (cassa),
tvlla villa, imlklia polka, ist das -a natürlich direct entlehnt.
Anm. 1. Im allgemeinen gilt bei der übernähme fremder in der Schrift-
sprache auf -e endigender Wörter die regel, dass concreta nach dem muster
der schwachen fem. fiectiert werden, also die «-formen erhalten, während
bei Wörtern mit mehr abstracter bedeutuug das auslautende -e im sg. ab-
gestossen wird, d. h. sie werden der gruppc II angereiht (vgl. etwa khontröl
controle, ras [auch nits] rasse, Mrapats Strapaze, und die bereits in § 139
erwähnten taks, prmo etc.).
§ 142.
Von urspr. f-stämmen sind folgende zur schwachen decli-
nation übergegangen: anta ente, ftnvdsa erbse, nisa niss, nüsa
§ 143 MUNDART VON PERNEGG. 183
nuss, uioisa würz, wiirzel, ahn eiche, trötn tratte, Viehtrift
(mhd. trat), studtn Stute, kJiröftn ki'aft, vgl. auch hurhsa hornis.
smln Säule, hat im sg. die uebenform sceü.
In den meisten fällen dürften die flectierten formen des gen. dat. die
veranlassung zum übertritt gegeben haben; sicher ist dies bei khröftn, sceiln
(die uachbarma. kennen zum teil noch die alte nom.-acc.-form sauJ, mhd.
siiJ). Avahrscheinlieh auch bei anta der fall.
Die fem. abstracta auf -n (s. § 86) bleiben im sg. und pl.
unverändert. Sie sind also völlig mit den aw-stämmen zusammen-
gefallen. Uebrigens kommen plurale nur bei tvceitti Aveite, und
ti9fn tiefe, vor. Die endungslosen bleiben im sg. unflectiert.
Einen pl. bildet greas grosse — grcasn. Die übrigen absti'acta
werden nur im sg. gebraucht. Alle casus lauten gleichmässig
auf -e bez. -a aus.
Anm. Von den Wörtern mit n in der ableitungssilbe (ahd. -ana, -ina
etc.) bildet khötii kette, den pl. regelmässig auf -3/;: khöinax. pidtii bütte,
hat jmttndu neben 2n(ttH. Bei den übrigen fem. dieser art lautet der pl.
gleich dem sg. (die beispiele s. § 88).
B. Das adjectiv.
1) starke flexion.
§ 143.
Das adjectiv tiectiert ohne artikel f olgendermassen :
sg.
masc.
neutr. fem.
nom
. ffiotr
gu9ts (Jchla) giote
dat.
gudtn
guatn gustr
acc.
gtidtn
gu9ts {khla) giote
pl.
aller geschlechter: nom. giott
dat. giotn
acc. giott.
In Verbindung mit dem unbestimmten artikel flectiert das
adj. im sg. in der oben angegebenen weise bis auf den dat.
fem.: andr yuDtn einer guten.
Die flexion des sg. masc. und neutr. entspricht genau der des mhd.
— Das -m des dat. musste, weil im auslaut einer schwächt onigen silbe
stehend, zu -« werden (vgl. § 99). — Das -t^ des nom. sg. fem. ist die regel-
mässige entsprechung des mhd. -/?< (vgl. § 89). Der aec, der eigentlich ohne
endung erscheinen sollte, ist dem nom. angeglichen worden. — Im dat. sg.
fem. herscht nach dem unbestimmten artikel die schwache tlexion, die auch
im mhd. neben der starken gilt. — Ob wir auch für de)i dat. masc. und
184 LESSIAK § 143
iieutr. üi tliesem falle schwache formen vorauszusetzen haben, lässt sich von
rein lautlichem Standpunkt aus nicht mehr entscheiden, da hier die starke
und schwache form zusammengefallen sind. — Im nom. acc. pl. wurde die
neutralenduijg verallgemeinert.
Im dat. pl. hat das attributive adj. nacli präpositionen
in der regel die nom.-acc.-endung -e statt -n, z. b. mit plgase
fidsii mit blossen fassen, j^ce^ mere grtn an mehreren orten, fgr
änige stuntn vor einigen stunden, selten mit plgasn fidsn, etc.
Es ist daran zu erinnern, dass die präpositionen, welche im sg. den
dat. regiereu, im pl., wenn auch nicht gerade besonders häufig, so doch ab
und zu mit dem acc. verbunden werden. Man kann auch sagen mit plgase
fi9s, pcei mere ort, u.s. w. Die obgenannten fälle sind also wol als eine art
compromissbildung zu betrachten.
Die sog. 'unflectierte form' hat sich im neutr. (nom. und
acc.) einiger adjectiva, die in pausa auf -n auslauten, erhalten,
und zwar nur in Verbindung mit Substantiven, die consonan-
tisch anlauten. Es sind dies die adjectiva s(^an schön, JcJiJan
klein, und die mit dem suffix -tu gebildeten. Das auslautende
-n ist indiesem^falle geschwunden (vgl. § 112, 3); z. b. s^a wötr
schön wetter, a s^a dirndle ein schönes mädel, a IcJila pidwle
ein kleines bübleiu, a IMa {s^a) hceisle ein kleines (schönes)
bauschen, sivceina flceis schweinernes fleisch, liaivraprüt 'haber-
nes' brot, u. a.
Der gebrauch des adjectivs ohne artikel ist im sg. ziem-
lich beschränkt (vgl. Schatz s. 146). Er findet sich 1) in der
anrede: du tummr du dummer {du tummr tep du, du tep du
tiimmr), lidtvr fgtr, lidive mudtr, lidbs sgtsdle lieber vater, liebe
mutler, liebes schätzelein, ivinddSr Igle windischer querkopf,
icähsr Jchatslmghr JcuMu wälscher katzenmacher kucku! (spott-
ruf an die Italiener); — 2) in redensarten wie gudtr rgt is
Icei seltn guter rat ist nur selten, etc.; in kinderreimen, z. b.
grgase wähni, grgase tsent, JcJiindr tsdn tsdrmisn^ — 3) in Ver-
bindung mit gewissen Substantiven: Mrgivötdse Iceimdt kroa-
tische leinwand, slcxts ivötr schleclites wetter, sidse mihx
süsse milch, saurr räm saurer rahm, fmine, gudte wgr feine
gute waare, tirJcone pdlentn maispolenta, ivcPÄsr wcein (is pösr
icid rgatr oder dr rgate) weisser wein (ist besser als roter),
saurs Jchraut saures kraut, fns9s flceis frisches fleisch; mit grgasr
mid mit grosser mühe, mit hülr haut mit heiler haut, pd hsuntn
frstgnt bei gesundem verstand, mit rgatr tintn, fgriv mit roter
§ 144 MUNDAUT VON PERNEGG. 185
tinte, färbe, tiQx, fgr longr tscvlt nach, vor langer zeit, fo söthnr
ggtiu von solcher gattung, on grgasr iiQat in grosser not, u.a.m.
In adverbialer Verwendung kommt die erstarrte form des
nom. sg. masc. vor, z. b. tgatr h(^mp{t)se in l-funtn sie haben ihn
tot gefunden, ivänontr ise furhgu weinend ist sie fortgegangen,
plintr 'khQm{m)r se fg-ngon blind kann man sie fangen, er is
drhitstr tsicögn Miöm utit hots plr Jchglfr gdtnwJihn er ist er-
hitzt daher gekommen und hat das hier kalt (als ein kaltes)
getrunken, er hgts glqantigr gngdgrifn er hat es als ein glühen-
des angegriffen.
Anm. Von participialforinen wie st^antr ßt^an3ntr) stehend, löhntr
lachend, sitsntr sitzend, hlöfntr schlafend, hez. frprentr, drtsaustr in ver-
hranntem, zerzaustem zustande, etc., wurde das -r bez. -tr als selbständiges
bildungssuffix abstrahiert und auf wirkliche adv. (zumal erstarrte genetive)
übertragen; vgl. ondrUr änderst, polostr (mhi. baldes), /sö6ws/r (zu) abends,
söfltr soviel, sistr sonst (neben sist), u. s. w. (vgl. § 122, b).
2) Schwache flexion.
§ 144.
In Verbindung mit dem bestimmten artikel flectiert das
adj, im sg. in folgender weise: beisp. dr guote der gute.
masc.
ueutr.
fem.
nom. dr gudte
s gudU
dö giote
dat. 9n guain
dn gudtn
dr gu9tn
acc. an gudtn
s gndte
du gudU.
Im pl. hat das adj., sowol wenn es mit dem bestimmten
als mit dem unbestimmten artikel verbunden ist, durchweg die
endung -n.
nom. acc. du (ane) giidtn
dat. an {an bez. ane) gtutn.
Den mhd. Verhältnissen entsprechen eigentlich nur die n-formen. In
den übrigen fällen wäre mit ausnähme des acc. fem. sg. enduugslosigkeit
zu erwarten (vgl. Schatz § 129). Als ausgangspunkt für die Verallgemeine-
rung des -j müssen wir den nom. (und acc.) des starken fem. betrachten.
Sicherlich fand eine aiisgleichung zuerst beim weiblicheu geschlecht statt;
von hier wurde das -e auch auf das masc. und neutr. übertragen. Es ist
kaum anzunehmen, dass die Schriftsprache irgendwelchen eiufluss auf die
ausgestaltung der Verhältnisse genommen hat, wiewol ja die auffallende
Übereinstimmung mit der nhd. flexionsweise diese Vermutung sehr nahe
legt. Dagegen spricht vor allem die weite Verbreitung dieser erscheinung,
die unter der erwähnten Voraussetzung kaum begreiflich wäre; denn von
186 LESSIAK § 145.146
eiuer eiuwirkung seitens der Schriftsprache kann doch erst in allerjüngster
zeit die rede sein. Mit dem Perneggerischen stimmen in dieser hinsieht
nicht nur die meisten kärntnischen ma.. sondern auch ein bedeutender teil
der übrigen bair.-österr. dialekte überein, nur hat die mehrzahl -/ für unser -e.
Ich verweise da besonders auf den aufsatz von ^I. H. Jellinek, Ein capitel
aus der geschichte der deutschen granimatik (Abh. zur germ. philologie,
festgabe für E. Heinzel, s. 31 ff.).
Anm. In der Püttner ma. (Nagl, Koanad, v. 184, s. 150) stellen beide
formen, die auf -/ und die regelmässig entwickelte (mit apokope des end-
vocals und Verschärfung des auslautenden consonanten) nebeneinander.
§ 145. Abweichungen in der flexion.
1) Bei einigen adj. (pronominaladj.), deren stamm auf -n
auslautet, schiebt sich vor der endung -r ein d als übergangs-
laut ein. Die beispiele sind unter 25, b angeführt; vgl. auch
soldr solcher, gUrlignt allerhand; sonst ist bei -Ir der übergangs-
laut meist aufgegeben; docli zuweilen toldr toller, foldr voller.
2) Bei adj. auf -n verschmilzt das -n der flexionsendung
völlig mit dem stammauslaut. Es heisst also s^an, Jchlän, dm
für se^an{9)n, Ji]ilän{d)n, din{d)n schönen, kleinen, dünnen, etc.
Nur im pl. hört man hie und da die nach analogie der übrigen
adj. 'reconstruierten' zweisilbigen formen. Stets sagt man
engdn, Igngon engen, langen (zeit!.), nicht 'How, eh (vgl. dagegen
§27,c).
3) Adj. auf -s, -ts, -s und -lix wie grcjas gross, lots schlecht,
fris frisch, storlcx stark, bilden den nom. acc. neutr. sg. regel-
mässig auf -ds: groasds, lötsos, frwos, stgrlihos. Dasselbe gilt
vielfach auch von adj. auf -x: rmhds, ivähds neben rceixs,
ivaxs reiches, weiches. Selten hört man zweisilbige formen
bei adj. auf -iv. lidivds, grUivds, gewölinlicher lidbs, gröhs liebes,
grobes.
Der grund, warum hier der zwischenvocal erscheint, liegt im Charakter
der auslautenden consonanten. Im ersten falle müsste die endung schwinden,
im zweiten müsste das -kx zu Je werden, M'odurch eine differenz zwischen
dieser und den übrigen formen entstünde; ähnlich sind die übrigen fälle
zu beurteilen, xs ist eine ungewöhnliche Verbindung.
§ 146.
Von der flexion des gewöhnlichen attributiven adj. unter-
scheidet sich die der pron. a(n) ein, l-ha(n) kein, und aller
Possessivpronomina (vgl. § 152) dadurch, dass diese im nom.
§ 147 MUNDART VON PERNEGG. 187
sg. aller geschlechter und im acc. sg. neutr. und fem. unflectiert
bleiben (auslautendes -n fällt hier nach § 112,3 vor consonan-
tischem anlaut ab). Beispiele: ä{n) ein (als artikel kurz, als
Zahlwort lang), fr ihr, iinsr unser.
nom. masc. luid noiii. acc. fem. neutr. ä (an), ir, unsr.
dat. acc. masc. und dat. neutr. an, im, imsrn.
dat. fem. änr (andr). tri; misri:
In nicht attributiver Stellung, im pl. auch in attributiver,
flectieren sie wie gewöhnliche starke adj. In Verbindung mit
dem bestimmten artikel stimmt ihre flexion völlig mit der des
schwachen adj. überein [*«ww, *mcemn einen (einem), meinen
(meinem), erscheint nach obiger regel stets als an, mcein etc.].
Im dat. pl. wird nach präpositionen gewöhnlich die acc.-form
des attributiven pronominaladjectivs angewendet (vgl. § 143);
z. b. mit ane {mceine) Jchindm mit 'einen' (meinen) kindern,
statt mit an {mcein) Ihindrv. Dagegen heisst es stets mwin
Tihindrn meinen kindern, hin mcein Jihindru allen meinen k., dn
an Tihindva 'den einen', d.h. jenen k. Die umschriebenen
formen lauten dn mceine (oder mcein) Jchindr» bez. dn mceine
Jchinclr; dn ^le tnceine (oder gln mcein) Jchindrn bez. dn öle mceine
khindr; dn dö an ]ihindr{tj) (hier ist ane unmöglich, weil ja
der bestimmte artikel vorausgeht),
§ 147.
Eine besondere declinationsweise haben die adj. auf -la
{*-lich). Sie flectieren, als ob die pausaform auf -lan ausgienge.
Beispiel hamla heimlich: hamlanr heimlicher, hamlane heim-
liche, hamlans heimliches, hamlan heimlichen (heimlichem). Vgl.
noch dr gceistlanc bez. (jceistldn'e der geistliche (der suffixvocal
schwankt in der flexion zAvischen a und d).
Zu erwarten wäre eigentlich hamluhr, handahc etc. Da aber, wie ich
.schon oben in § 115, 4, b ausführte, diese Wörter ursprünglich nur adverbial
verwendet worden zu sein scheinen und das auslautende -x in isolierter
Stellung- überall abfiel, musste, weil eben formen mit inlautenden .<• fehlten,
das bewusstseiu für diesen laut schwinden, nachdem er einmal nicht mehr
vorhanden war. .Jedesfalls haben wir von der form hamla auszugehen.
Die Verallgemeinerung des it dürfte von den casus auf -/( (haiiila-)i heim-
lichen) ausgegangen sein. Wie iean 'schön' oder 'schönen' heissen kann,
so kann auch hamlan als hamla-n oder hamlan-n aufgefasst werden, d.h.
man kann nach dieser analogie das n auch als zum stamme gehörig be-
trachten. Uebrigens ist es auch möglich, dass man sich einfach die flexion
188 LESSIAK § 148
der pronomina a, Icha etc. zum Vorbild nahm, wo ja ebenfalls in demselben
paradigma formen mit und ohne n nebeneinander stehen. Vgl. anch a khla
plsl neben a Jchlans plsl ein kleines bisschen, n. ähnl.')
Die adj. auf -l bilden ihr adv. auf -(l)a (vgl. § 90, 2, a,«):
rögl — rögla locker, stiJchl — Stikhla steil, mtl — oeiüa leer,
fad. Die flexion kann entweder von der einen oder der anderen
form ihren ausgang nehmen. So gelten nebeneinander a stihhU
Iceitn und a stikJddne l. eine steile halde, a röglr tsgnt und a
rügldnr f. ein lockerer zahn, an ceitls (ceiths) ösn und an aitldns
ö. ein fades essen, etc.
Diese doppelheit gab die veranlassung, dass auch die adj.
auf -a (vgl. § 83) öfter so flectiert werden, als ob die grund-
form "^qadan, '^pl^adati etc. lautete. Neben an ^ads, a pl^ads
ein 'ödes', ein 'blödes', a läsr ein nachlässiger, hört man auch
an ^adans, a pl^adans, a läsdnr u. s. w. Nur die «-formen hat
das fremdwort eJcstra extra: an elistranr ments ein besonderer
mensch, an ekstrans ösn ein extrafeines essen. Auch nöwl
nobel, Mlöivr knapp, schwach, flectieren, obwol es dazu keine
adverbien *nöwla, *kJilötura gibt, gewöhnlich in dieser weise:
a nöwhnr her ein nobler herr, neben nöivlr\ a Mlöwr{d)ne' stunt
eine schwache stunde, neben JcJdöivre. Wir haben es also hier
mit ausätzen zur entwicklung einer neuen flexionsweise der
adj. zu tun.
Anm. Die Hexion der part. praes. und praet., der comparative und
Superlative deckt sich vollständig mit der des ge\Yühnlichen adj. Der
Superlativ erscheint stets in Verbindung mit dem bestimmten artikel. Das
part. 'praes. wird ausserordentlich selten attributiv verwendet.
Steigerung des adjectivs.
§ 148.
Der comparativ wird mittels des suffixes -dr, -r gebildet:
ivceitr weiter (a ivceitrr ein weiterer, der ivceitre der weitere,
1) Diese flexionsweise der adj. auf -la rindet sich in allen mir be-
kannten Kärntner ma. Ich kenne sie auch aus Zarz und aus Gottschee.
Im Gottscheeischen ist das n auch in die adverbialform eingedrungen:
harlain (bez. warlain) wahrlich, vaintlain (= ma. fceintla) 'feindlich', sehr,
ungemein, etc., so dass, was den ausgang anbelangt, das suffix -Uch mit
-m zusammenfiel (vgl. guldain golden, zilhrain silbern, u. s.w.). Die Ver-
mutung, es seien urspr., dem mhd. -Ikhc und -liehen entsprechend, formen
§ 148 MUNDART VON PERNEGG. 189
a ivwitrs ein weiteres, etc.), MJ<^anr kleiner (a IMeanorr ein
kleinerer, dr l-hlQandre der kleinere, a hhlqanrs ein kleineres,
an Ml^anrn einen kleineren).
Ob das Suffix in der flexion als ->•- oder -dr- erscheint,
liängt vom Charakter des (stamm-) auslantenden consonanten
ab. Man sagt in der regel -tre, -dre, -fre, -sre, -yre\ aber -iv9re',
-pdre, -l-9re, -tsdre, -lidre, hhdre, -mdre, -ndre, -vgore, -Idre, -r9re;
z. b. spötre spätere, lisceidre gescheitere, ulfre lebhaftere, j)ösre
bessere, 'irgre ärgere (doch auch spötdre etc.), aber lidivdre liebere,
rceihdre reichere, u.s.w.
Im comp, zweisilbiger adj. auf -r wird das r des Suffixes
bei antritt der flexionsendungen -5 und -n zu d vocalisiert; z. b.
»wö^n- magerer: a w«ö(7)-as ein magereres, an mögrdn einen mage-
reren. Der stark flectierte nom. sg. masc. heisst mögdrr magererer.
Zuweilen wii'd der comp, mit doppelter endung gebildet:
s^andrr, Jchl^anorr statt s^anr, IM^anr schöner, kleiner. Gewöhn-
lich ist dies dann der fall, wenn der comp, neben einem mit der
flexionsendung -r versehenen positiv steht. A sagt z. b. dgs
is a sQanr das ist ein schöner, B: der is Qtvr nox seanorr der
ist aber noch schöner(er); hier wird also von der flectierten
form als grundform des positivs ausgegangen. Die adj. auf
-la bilden den comp, auf -lar oder -lanr {-bnr); z. b. drätla
schnell, drätlar oder drätkmr (dräthnr) schneller, fiötcl nobel,
fein, hat 7iöwlr und nöwlrnr; letzteres ist eine compromissform
aus ^nUwldnr (vgl. oben) und nüivlr.
Dem Superlativ kommt das suffix -dst, -st zu; z. b. dr
(da, s) ivmitdste, linvoste, sqandste der (die, das) weiteste, liebste,
schönste; adv. dn ivwitdstn, lidivostn etc. am weitesten, liebsten.
Die kurzform des suffixes herscht bei adj. auf -ig, -har, -sam,
z. b. tswitiJiste zeitigste (reifste), hwiliJiste heiligste, donhrpgrste
dankbarste, sporsomste sparsamste, und einigen isolierten Super-
lativen: erste erste, j9(>5^e' beste, lotste (löste) letzte, naJcste nächste;
ferner bei gre^aste grösste, h^aJcste höchste (neben hqahdste), leuJcste
längste, Jchleanste kleinste (neben khlQanostc), roiixste reichste
(neben rceihdste). Selten öwrste oberste, nntrste unterste, hin-
trste hinterste, fudrste vorderste, für oivrdste etc. (individuell
anf -la und -lau nebeneinander gestanden, mnss fallen gelassen werden,
denn *-Uchen hätte sich doch unmöglich zu -/«» entwickeln können.
190 LESSIAK § 149
mag- sie unter dem einfluss der stadtsprache auch bei einigen
anderen adj. zur Verwendung kommen). Bei zweisilbigen adj.
auf -r, -l und solchen auf -ot (mhd. -cht, -oJd), kommen beide
formen vor, z. b. tsiculrste, tsivulrdste 'zuwiderste', lästigste,
twTxhldsie, tiuMlste dunkelste, slgmpdtostc, slompdtste schlampigste.
Sonst wird in der regel nur -dst gebraucht, auch bei adj. auf
-ds{-isch), z.b. fem35^tf'törischeste', taubste, gmtosdsU gfüzig^t^
(gceÜD.s geizig), Qlhfätrdsjste 'alt(ge) väterischeste', altertümlichste.
Anm. Die adj. auf -la bilden den sup. (dem comp, entsprechend) auf
-last oder -lanst (-hnst), z. b. dn drütlustn, an drätUnstn am schnellsten.
§ 149.
Die umlautfähigen adj. lauten im comp, und sup. meistens
um. Ich gruppiere sie nach den stammvocalen.
a) 0 — ö (^): Qlt'dM, öltr, öltdst-\ ÄfWzöZ schmal, smölr,smöldst-\
hliQlt kalt, Jchöltr, JchöltJst-; sivox schwach, swöhr, swöhost-; Qrhni
(()rm) arm, 'irmr,irmost-\ %/ scharf, sirfr, sirfdst-; stgrJcx stSirk,
st'irkkr, st'irJchdst-; swQrts schwarz, sivirtsr, swirts9st-\ mggr mager,
mögrr, mögrost-; — q — a: hgrt 'hart' (in übertragener bed.
schwierig, drückend; hart in eigentl. sinne heist hirt = mhd.
Jierte), hartr, hartdst-] ■ — g — e: Ign lang (zeitl.), lengr, let)hst-.
Mit ausnähme von glt und Igii werden daneben überall auch
die nicht umgelauteten formen gebraucht, doch seltener, z.b.
sniglr, sniöhst-; stgylchr, sfgrlchdst- etc. ngs nass, MrgnJcx schwach,
Jihrgd gerade, werden in der regel nicht umgelautet. Selten
hört man nösr, Mrculr, khrödr etc. IgnJcx lang (vom räum)
bildet den comp, (bez sup.) in dreifacher weise: leugr, leMir,
Ignlxhr. mgt matt (selten), sgt satt, flgx flach, glgt glatt (selten),
mar mürbe, tsgrt zart, fghs falsch, wgJiJir wacker, IhgntrgMt
contract, .s-^(>üZ\r schlank (selten), bleiben in der Steigerung
stets unumgelautet. Analogisch haben den umlaut die beiden
adverbien .S2')gt spät (mhd. späte), spötr, spötdst, und nglmt nahe
(mhd. nähen), nöhnr und nähnr, daneben mit schriftsprachlichem
uml. nehnr, sup. nahst-, spgt kann in allen formen, nghnt nur
im comp, und sup. adjectiviscli verwendet werden. Ein adj.
'nahe' kennt die ma. nicht, plgw blau, Igw lau, IMgr klar,
nehmen im comp, und sup. keinen umlaut an.
b) 0 — ö: föl voll, gröw grob, töl 'toll', stark, tüchtig,
haben doppelformen mit und ohne umlaut: grihvr, gröivr; gröivdst-,
§ 150 MUNDART VON PERNEGG. 191
gröivdst- etc. mül weich, hol hohl, stolts stolz, nöivl nobel, Ichamöt
bequem, werden nicht umgelautet.
c) Qa — qa. Stets umlaut haben ligax hoch, h^ahr, h^ahst-
{h^ahdst-)\ grgas gross, gr^asr, grqast-. Doppelformen: rgat rot,
rgax roh, ngat nötig (nur prädicativ gebraucht, vgl. Schatz
s. 152). Keinen umlaut hat fröa froh, ploas bloss, tgat tot,
kommen nur im positiv vor.
d) u — i, iid — id. Stets umgelautet sind A7<«r/s kurz, /i/iiV^sr,
Jchirtsdst- ; iiwJcx j\xng,iwgr, imkhr; in3gdst-,i^wJcst- (selten nuJchdst-).
Doppelformen haben Jiswit gesund, Jcsindr, ksundr etc.; Txhrump
krumm, lahm, trukhn trocken, kJiludg 'klug', sparsam, karg.
Der umlaut tritt nicht ein bei tum dumm, fruni fromm, runt
rund (rimdr) etc.; mds nütze, brauchbar, moralisch gut (z. b.
a nutsr ments).
e) au — cei: faul faul, praun braun, säur sauer, raiix rauh,
sauivr sauber, bilden meist umlautlose comp, und sup.; selten
hört man neihr, scehcrr für raulir, sauwrr etc. lauf laut, und
das fremdwort 6-/«^ schlau (selten), bleiben unumgelautet.
f) a (=*ei) — ^a: prät breit, prqatr, pr^atdst-; j^;Zäa: bleich,
pl^ahr,j)lealidst-\ /?«s lieiss, hqasr,h(^asdst-\ khlän "klem, khl^anr,
1chle^an(d)st-] iväx weich, iv^ahr, ivqahdst- (vgl. dazu § 72). Da-
neben kommen auch formen ohne umlaut vor: prätr, pratdst-
u. s.w., selten hört man khlänr, khländst-. fast feist, hat nur
fästr, fästdst-. lull heil, kommt nur im positiv vor. hakkl, hakkla
heikel, hat hakklr und hakklanr etc. (vgl. § 148). — Nie tritt
der umlaut ein beim part. praet., z. b. frrukht verrückt, frrukhtr,
fyrukhtdst-\ pdkhgnt hek^imt, pokligntr, p.ykhgnfdst-. Desgleichen
bei abgeleiteten oder zusammengesetzten adj., z.b. ?««??e' 'launig',
verdriesslich, schmollend, launigr, launikst-; lialsgm heilsam,
halsgmr, lialsgmsi-\ dgukxpgr dankbar, dg}}kxpgrr, dgnkxpgrst-
etc. Ausnahmen sind Ignksgm langsam, loiksdmr, leuksdmst-
neben Ignksgmr, Ignksgmst-] tvolfl wolfeil, tvölflr, wölfl{d)st-
(selten ivolflr etc.); khurtsw(eile\iwxz^' eilig, khirtswmligr, khirts-
tvceilikst-.
§ 150. Abweichende comparativ- und superlativ-
bildungen.
Zu gu9t gut, lautet der comp, pösr, pgsr, der sup. pöst-.
In der bed. 'schmackhafter" wird nur pösr gebraucht, sonst
192 LESSIAK § 151
kann immer jixIä)- (= mhd. ha^ mit secundärem comparativ-
suffix) daneben verwendet werden, auch attributiv. Als adv.
hat pQsr den Vorzug, z. b. gea xoQsr geh besser, schneller (selten
gea j)ösr). In Verbindungen wie isudhn, firlin, ceihn pösr ist
nur die unumgelautete form üblich. Die bedeutung ist hier
■weiter': 'weiter hinzu', 'vorwärts', 'hinein', etc. Daseinfache
2)QS hört man ab und zu in der wendung fir pgs fürbass (ge-
wöhnlich ftr pösr).
fil viel, hat den comp, mer (merr), der sup. lautet mast-
oder mcrdst-.
Isoliert steht 9{n)-minddstn am mindesten, zu w^ane wenig
{tvqanigr, tveanihst-).
Der comp, von friid, frid fi'üh, lautet frir oder fridgr, da-
neben steht qantr (zu ahd. enti, Alid. gr. § 266, anm. 3).
lots schlecht, hat einen zwiefachen sup.: lötsost- und lotst-.
Die kurzform hat die abweichende bedeutung 'letzt' (die form
löst, mhd. lest, gehört mehr den nördlichen ma. an).
C, Das pronomen.
1) Ungeschlechtige fürwörter.
§ 151.
Die schwachtonigen formen stehen in runder klammer.
i. pers.: i (e); mceindr, mwinr; mir {mr); ml {me)\ pl. wir
(mr); unsr, [insr]; dat. und acc. uns, [ins], (dns).
2. pers.: du {dd, t)\ dceinr; dir {dr)\ dl {de)\ ^\. dös (5);
etilihr:, dat. und acc. etikx.
Reflexiv: — ; sceindr, sceinr; [dat.] und acc. slx (si, se).
Zu l, ml, dl s. § 115, 4, b; zu dös (mhd. bair. ej) s. § 34.
Die eigentliche pluralform der 2. person, mhd. ir etc., fehlt
der ma. vollständig. eMir, caTix sind alte duale mit plural-
function (mhd. bair. enker, enk).
ivlr wir, wird in der verbalenklise zu mr.
Das m beruht auf Verschmelzung: des auslautenden n der verbalendung
mit dem anlautenden iv des pronomens, vgl. lohmr für lachen wir. In den
meisten bair.-österr. ma., auch in der Kärntner stadtspraclie, hat die enkli-
tische form das wir völlig verdrängt. Es heisst mundartlich wir sceimr wir
wir sind wir, höfisch dag. mir sceimr mir (vgl. Schatz § 135. Nagl, Roanad
V. 156).
§ 151 MUNDART VON rEKNEGG. 193
Die regelmässige form des gen. dat. acc. der 1. pers. ist
imsr, uns. insr, ins hört man sehr selten, sie sind mehr im
nördlichen teile des Feldkirchner bezirks heimisch.
Es ist nicht notwendig, die nicht umgelaiiteten formen etwa als ent-
lehnt zu betrachten, wenn auch die meisten bair.-österr. ma. fast ausschliess-
lich nur ins {insr) kennen (der umlaut konnte sich ja nur im acc. laut-
gesetzlich entwickeln, ahd. unsih). Sie scheinen vielmehr die autochthonen
zu sein, während die umgelauteten aus den nördlichen ma. eingeschleppt
worden sein dürften.
Die gen. mceindr etc. (im sg. durch analogisches -r er-
weitert) werden gebraucht wie im nhd. nach den präp. stgt,
tcög(j)) (die bei subst. den dat. regieren), ferner statt des nhd.
dat. nach iintr, owr, hintr, fgr, ngx, öh{m), {öhms, öhs neben),
tsgtii}) (sammt), statt des nhd. acc. nach göy{)j), one) z. b. tcöy
mceindr wegen meiner, nox dceinr nach dir, for sceindr yoy sich
(oder 'vor ihm'), one mcmndr ohne mich. Im pl. kann neben
dem gen. auch der dat. verwendet werden: fgr unsr und fgr
uns etc.; stets tintr uns (= engl, amony us).
Aum. af, an (in), mit, pcei (j:»3), tS9, fd{n) haben immer den dat. bei
sich, aus und tswiS(n) können ausnahmsweise auch mit dem gen. ver-
bunden werden.
Auffallenderweise hat sich im gegensatz zu i, ml, dl das
auslautende x erhalten bei slx sich. Es wird fast nur in Ver-
bindung mit präp. gebraucht, die den acc. regieren, z. b. fr
six, seltener vertritt es den dat. po slx, mit slx etc. Dafür
wird lieber in alter weise das geschlechtliche pronomen ver-
wendet: j)9n cam, pdn im u.s.w. Auch im acc. wird das reflexiv
öfter mit in bez. in selwr etc. umschrieben, z. b. er hgts fir in
selivr gdliliaft neben fir six\ dies gilt jedoch nur für die Stellung
nach präp., während der dat. auch sonst gewöhnlich durch das
geschlechtige fürwort vertreten wird; z.b. si ligt iru am frtjhr
ydldiaft sie hat sich (eine gewisse anzalil von) schürzen gekauft,
neben si hgt se (si) etc.
In den übrigen fällen wird in der regel nur die schwach-
tonige form sc, si (verstärkt durch selivr oder ulfin) verwendet.
Als entlehnung werden wir die form six (six) wol kaum betrachten
dürfen. Vielleicht waren die accentverhältnisse von bestimmendem eiuHnss
auf die erhaltung des x. Eine sichere erklärung vermag ich nicht zu bieten
(vgl. imsterisch sig). In den erstarrten Wendungen hintrki zurück, hinter
sich, firhdsa vorwärts, unirsu nach unten, abwärts, ncrsa nach oben, auf-
wärts (mhd. hinter sich, *viirhin sich, unter sich, über sich) ist sich zu -sa
Ueiiräge zur geschichte der deutschen spräche. XXVlll. 13
194 LESSIAK § 152
(-M) geworden. Das a scheint hier ein urspr. a zu vertreten. Die ent-
wicklung wäre dann vielleicht dieselbe wie bei Mila, Iceisa etc., die wol
aus *Ui.h, Jms9 hervorgegangen sein dürften. Gegen die annähme, sich sei
in diesem fjille gedehnt worden und hätte sich ebenso regelmässig zu sa
entwickelt wie -Ikh zu -Ja, spricht mit entschiedenheit die accentuierung;
denn seit jeher lag der starktou auf dem Vorworte, und unter der neben-
tonigkeit wäre eine längung ganz unverständlich.
Zu den scliwachtonigen formen ist folgendes zu bemerken:
neben den oben angeführten me, de hcirt man zuweilen auch
mi, dt. — e (ich), hat geschlossenen Charakter, während die e
in me, de, se eine mehr offene ausspräche besitzen. — du, wir,
mir, dös können natürlich auch als kürzen auftreten: du, wir
etc. du ist proklitisch, z. b. du pist, dd enklitisch, z. b. ivgndd
wüst wenn du willst (daneben auch icgndu w). In der Stel-
lung nach dem verbum 'schwindet' unbetontes du, z. b. ploeibst
bleibst du? Doch ist die articiüation des auslautenden st
energischer, die silbe ist von grösserer dauer als in {du) plmihst.
Auch imterbleibt in der regel die assimilation, z. b. du pis-
Mrgwkx, aber j>/s^ JchrQfd-x? Daneben allerdings auch ^j/5
l-hrQ)jl-x, aber mit deutlich merkbarer pause zwischen dem s
und k. Neben tvio dd (du), ivgn dd, wo do, wohin dd, wer dd
{wön dd), ow dd, wceil dd steht tvidst, wgnst, wost, ivohinst,
iverst, ohst, tvceilst;^) z. b, wgnst fglst wenn du fällst, widstpist
wie du bist, etc. Es erscheint hier also ein s eingeschoben.
Das ausl. t kann auch fehlen: wgns fglst etc.
Entweder haben wir es hier mit Übertragung der flexionsenduug auf
das bindewort zu tun oder es liegt analogiebildung nach fällen wie ivgst
was. du, i)ist bis du, dast dass du, vor. Möglich ist auch noch eine dritte
erklärung. Die als conjunctionen functionierenden fragewörter ivid, ivgn,
wo, wohin, wer können auch mit 'dass', ma. das, as, verbunden werden;
z. b. i iväs nit, icgn das (as) r khimp, loia das r p^>fn is, wo das r umma-
ngndr g^at ich weiss nicht, wann er kommt, wie er beschaffen ist, wo er
herum geht, etc. ivgnst khimst könnte sich also eventuell auch aus tvgn
(a)st khimst u. s. w. entwickelt haben ; oiv und wa:il hätten sich dann diesen
fällen analogisch angeschlossen.
2) GescMechtige fürwörter.
§ 152. Geschlechtiges pronomen der 3. pers.
Sg. masc. nom. er (r); gen. [sceindr]; dat. ^am, %n (dn, w);
acc. In (dn, n).
') Die stadtspr. macht von diesen formen viel häufiger gebrauch als die ma.
§ 152 MUNDART VON PERNEGG. 195
Neutr. noni. acc. (os, s), gen. dat. wie beim masc.
Fem. nom. acc. scei, st (se), gen. irdr, irr, dat. trv.
PI. aller geschlechter: nom. acc. so {so, se), gen. sönr, dat. sön
(sön).
Das im bair.-österr. Aveit verbreitete ^am entspricht dem schon im
mhd. auftretenden ieme (vgl. Wcinhold, Mhd. gr. § 458). In konnte sich
nur unter dem schwachton aus mhd. imc entwickeln; heute wird es neben
frtJH auch in der eniphase geltraucht. Ab und zu hört man auch die form
wi. Ob sie altes ime fortsetzt oder durch ^am {dorn, warn) beeinfiusst ist,
oder ob sie aus der Schriftsprache stammt, lässt sich schwer entscheiden.
(am wird zuweilen auch im acc. verwendet, zumal in Verbindung mit fir:
fir §am statt fir in für ihn.
s(g/ beruht auf mhd. st, es wird häufig substantiviert: dö scei die haus-
frau, bäuerin. sl geht auf die mhd. kurzform si zurück. Der gen. irdr, m^
(analogiebildung nach mceindr etc.) ist selten. In der regel sagt man wögv
(wögns) Irv, Mgt Irv, ngx Irv etc. Formell kann das xrv hier sowol als
gen. wie als dat. gefasst werden. Das -n in ira (mhd. ir) stammt aus der
schwachen adjectivtlexion, vgl. Schatz § 139.
Der pl. so entspricht dem mhd. si%i, s. § 75, 2, anm. sön ist eine neu-
bilduug zum nom. acc, die das ui'spr. *in völlig verdi'ängte. Auf dieser
secundären dativform basiert der gen. sönr, gebildet nach dem muster von
xins — i<rjsT, evkx — eakJir. Diese neuschöpf ungen bilden ein charakteristicum
sämmtlicher kärntnischen ma., auch die stadtsprache kennt im eigentlichen
pl. nur diese formen (vgl. KWb. s. 232. Der lesachtalcrische gen. sör verrät
noch deutlich den einfluss des *ir).
In der ehrenden anspräche gebraucht man in der regel
die 2.pers. pl. dös, eul-x etc. Nach dem vorbild der stadtsprache
wird in gewissen fällen auch die 3. pers. pl. angewendet: nom.
acc. so, gen. inr, dat. indn.
Die ganze gebrauchsweise ist entlelnit und damit auch die formen des
gen. dat., vgl. dazu bes. § IGO, anm. 3. Während also im nhd. das fem. sg.
und der i)l. der 3. pers. sowol in eigentlicher als auch in übertragener bed.
bis auf den dat. sg. fem. gleichlauten, werden sie in der ma. in allen casus
streng auseinander gehalten; nur so bedeutet sowol 'sie' (//) als 'Sie', nie
dagegen wird es für 'sie' (ea) verwendet.
Anm. In der anrede wird statt des reflexivums durchweg das ge-
schlechtige pronomen gesetzt, z. b. ^mimdn stMn schämen Sie sich, lchß,tiis
dgs pdn tna« behalten Sie das bei sich.
Possessiva.
Zur flexion der possessiva mcei{n) mein, dcei{n) dein, scei{n)
sein, ir ihr (sg.), unsr [insr] unser, enkhr euer, sönr ihr (pl.),
mr Ihr. s. § 146. Sie werden attributiv nie mit dem artikel
13*
196 LESSIAK § 153
verbunden (vgl. dag-. Schatz § 142). Die Weiterbildungen auf
-ig-: clr mceinige, dcBiniije, sceinüje] unsrigt, evkhrige (selten
sönrige, inrige) flectieren wie gewöhnliclie schwache adj. Sie
werden auch in Verbindung mit dem unbestimmten artikel
gebraucht.
§ 153. Mhd. der, da^, diu.
Sg. masc. nom. der., dat. dorn, dön, acc. dön.
Neutr. nom. acc. dos, dat. = masc.
Fem. nom. acc. dö, dat. der, [derr].
PI. aller geschlechter: nom. acc. da, ö.s^t. dön, dönsn, [gen. ^er].
Schwachtonig als artikel wird der > dr; dam, dön > dn, n;
dö > dö, di, dj\ dgs > dos, 9s, s. 'Zu der' lautet ts9 dr oder
tsr ('zur').
In den meisten bair.-österr. ma. lautet der nom. acc. neutr.
dös, die Kärntner ma. kennen nur dos. Zu bemerken ist, dass
die conjunction 'dass' stets mit hellem a erscheint: das bez. äs.
Dies erklärt sich aus der starken nebentonigkeit dieses wört-
chens (s. § 93).
Der dat. dö7u wird nur in der emphase gebraucht neben dön.
dö geht auf mhd. diu zurück (§ 75, 2, anm.). Berechtigt ist es von
haus aus natürlich im nom. sg. fem. und nom. acc. pl. neutr. Die ührigeu
fälle beruhen auf Übertragung (dasselbe gilt im pl. von so).
Die schwachtonige form d/ (mit oft'euem i) entspricht wol mhd. die.
Während bei 'sie' differenzieruug eintrat, gelten hier für das fem. und den
pl. die nämlichen formen.
Der dat. sg. fem. lautet in der regel der {derr ist nicht
häufig). Beide formen können sowol attributivisch als auch
substantivisch verwendet werden: gihs der (derr) gib es dieser,
gibs der (derr) frfm gib es dieser frau (derr ist erweitert durch
-r, die endung der starken flexion, wol in anlehnung an änr,
mceinr einer, meiner, etc.).
Zum gen. sg. masc. des artikels 5 vgl. § 122, b, /. — Der
gen. pl. ist wenig üblich (vgl. § 122, b, d) und erscheint stets in
Verbindung mit dem possessiv, z. b. der sönr wggta der wagen
derer. — Genetive sind ferner bewahrt in döstwögn (dösttvög'))),
derwögu (derwögn, derivögv) deshalb, derwögu (nur mit dieser
betonung) bedeutet auch 'trotzdem'. Ein erweiterter gen.
findet sich in dernkvögts deswegen.
§ 151 MUNDART VON PERNEGG. 197
Anm. Der gen. sg. des demonstrativs wird mit dem dat. + possessiv
oder der präp. 'von' umschrieben, z. b. äön scei haus das haus dieses, der
ir hcuihm die haube dieser {der ir kann formell natürlich auch als gen.
gefasst werden), das gelt p dön, ß der das geld dieses, dieser. Auch im
pl. greift man in der regel zur Umschreibung: dön säur frmixju das ver-
mögen derer (selten der sönr f.). Die Stadtsprache wendet die Umschreibung
auch beim dat. au: in dön dem, in der der, in dönan denen, z. b. sqIcs in
dön sag es dem, in dön s(si hat(s dessen haus. In der ma. sind diese con-
structionen zwar nicht gerade unerhört, aber doch verhältnismässig selten
(höf. in erscheint in der ma. als an).
§ 154.
j\nid. dirre {discr) und jener fehlen der ma. Von diesem
findet sich ein rest in edhl (ehl) jenseits, z. b. ehl sea jenseits
des sees, eJd glm auf der anderen seite hinab. Es ist das mhd.
cnJudp. Das selten gebrauchte wnig- (in dr-, di-, dgs-lömge
der-, die-, dasjenige) ist ohne zAveifel aus der stadtsprache
entlehnt.
'Dieser' wird ersetzt: 1) durch der {du, dgs) do der da,
z. b. der {dr) püd dg der knabe da. dg kann auch verdoppelt
werden: derdodg, dödodg. dgstddg, sogar verdreifacht: dgstddg dg
(neben dgstddg liijrt man auch dgsioda). Diese erweiterten
formen werden nur substantivisch verwendet; — 2) durch dr
{d}, s) döge, doige. döge {doige) flectiert wie ein schwaches
adj. Entstanden ist es aus dö-ig, doi-ig (mhd. *diu-ic), vgl.
§ 75, 2, anm.
Der begriff 'jener' vnrd ausgedrückt: 1) durch dr {di, dos)
söge bez. seivige. Es ist auf "^selbig zurückzuführen, l ist aus-
gefallen wie in sehn 'selben', damals. Die contrahierte form
sege ist weitaus die gewöhnlichere. In dem erstarrten selivr
selber, ist das l bewahrt. In der bedeutuug 'selber' kann
auch alcui allein, gebraucht werden, z. b. si hgts alän gmgxt
sie hat es selbst gemacht, i ivar alän durt ich war selbst
dort. Hier liegt jedesfalls slaw. einfiuss vor (im wind, existiert
für 'selbst' und 'allein' nur ein wort: säm)\ — 2) durch dr
{da, s) äne 'der (die das) eine; z. b. afn an perg auf jenem
berge, silst dn an fögl durt döhni siehst du jenen vogel dort
oben?, pd dr an liiün bei jener hütte. Zur erklärung der be-
deutungsverschiebung werden wir wol von der correlation dr
äne — dr äne der eine — der 'eine', andere, auszugelien haben
dr äne tudt dos, dr äne {gndre) dgs. Indem man das erste
198 LESSIAK § 155
glied diu'cli andere demonstrativa ersetzt (z. b. der tudt lösn,
dr äne srceibm der liest — der eine [andere] schreibt) bez.
unausgesprochen sein lässt (z, b. s äne mgl \%{zi\\m, [das andere
mal. im Gegensatz zu heute], afn an siinfe am 'vergangenen'
Sonntag [d.h. vorletzten sonntag, im gegensatz zum letzten
Sonntag der sunte]), wird dr äne gewissermassen isoliert und
kann, wenn das correspondierende vorderglied völlig in den
hintergrund tritt, schliesslich in die bed. 'jener' übergehen.
'Solch', 'so beschaffen' heisst: 1) [a] solh-r, -e, -ds, pl.
solhe. Daneben finden sich auch formen mit ausfall des h:
soldr {sulr), söle, söl{d)s (vgl. § 115,4). Das erweiterte a sol-
wigr (pl. solwige) verdankt sein w wol der analogie zu selwigr.
2) söttdn (sötn), söxtdn; z. b. a söttdns givQnt ein solches
gewand, söttone sghn solche Sachen.
söxidn (die seltenere form) dürfte einem mhd. sölchgetän entsprechen
(der Schwund des l findet seine parallele in dem oben erwähnten sewig-).
söttdn ist wol nur eine uebenform zu sixctdn. *-hg(3)t- ist (über htt) einer-
seits zu xt, andrerseits zu tt assimiliert worden. Es aus *sögitän zu er-
klären, scheint mir sehr bedenklich, vgl. tooltdn 'sehr' {mhiS.. icolgetän),
ohne umlaut. Die bewahrung der gemination in söttdn spricht dafür,^dass
die assimilation hier jüngeren datums ist (doch hört man daneben auch sötdn).
3) SU a so ein. Es wird im sg. in der regel mit dem
'unbestimmten artikel' verbunden: a so a ments (neben so a
m) so ein mensch. Flectiert wird das erste a gewöhnlich nur
im dat. acc. masc. und dat. neutr.: an so an mentsn einen
solchen menschen, an so an hhint einem solchen kinde. Es
kann jedoch auch 'unflectiert' bleiben: a-so an mentsn etc. Der
dat. fem. lautet in der regel a-so anr (selten anr so anr).
Dieses schwanken deutet darauf hin, dass wir es hier mit einem mis-
verständnis zu tiin haben. 'So' erscheint in der ma. in doppelter gestalt:
so und (ISO (mhd. also). Dieses nebeneinander führte zu einer falschen
auffassung des asö a als a so a 'ein so ein'; gefördert wurde sie durch
formen wie a solhr etc.
§ 155. Fragepronomina.
1) tver wer, wqs was; dat. icöm, u-ün\ acc. masc. wön.
Der instr. ist erhalten in der Verbindung flrawö wozu {*für
ein [?] wiu).
u'öm ist auf den dat. beschränkt. Die schwachtonigen
formen sind tver, ivqs etc. mit kurzem vocal.
§ 156 MUNDART VON PERNEGG. 199
2) ivölh-r, -e, -os bez. wöl-r, -e, -{9)s welcher, welche, welches.
In Verbindung mit dem bestimmten artikel: dr {dö, s) wölhe,
u-öle (vgl. Schatz § 146). icölhr {ivölr) kann soavoI substan-
tivisch als attributivisch verwendet werden, dr tvöle in der
regel nur substantivisch. Zum schwund des h vgl. § 115, 4.
Anm. 1. 'Welcher' fungiert in der ma. niemals als relativum. Dafür
gebraucht man entweder der, dö, dos oder weit häufiger das untlectierte
wgs, sei es allein oder in der Verbindung mit dem demonstrativ; z. b. dr
mm ivgs oder der icgs der mann, welcher; dö icähm wgs oder dö icgs die
Weibsperson, welche; s khi)it trgii (selten dgs wgs) das kind, welches. Neben
wgs hört man ab und zu auch wo: der tco, dö wo der, welcher, die, welche,
Q. S. W.
3) w^jfrandr, ivQfran'e, ivgfrans was für einer, eine, eines.
Attributiv wgfra. Z. b. wofrandr is dos was für einer ist das?
icQfra ivisn was für eine wiese? Zur assimilation des s vgl.
§ 27, a. Sind die beiden teile getrennt, so erscheint natürlich
wgs: wgs is dgs fra ments was ist das für ein mensch?
Anm. 2. Das wind, kaizadn (für kaizaadn) ist eine getreue copie
des deutschen 'was für einer'.
3) Indefinita.
§ 156.
1) 'Jemand' wird ausgedrückt: a) durch ^amp (selten),
negiert n^anip. Im dat. und acc. hört man zuweilen flectierte
formen: (^amjmi), nqampm\ — b) durch wer, tvgs oder atver,
atvgs; z. b. tiwt iver (atver) wgrtn es wartet jemand, ivgti awer
{wer) awgs (wgs) sg¥ wenn jemand etwas sagt.
Erstarrt ist öjjpos etwas.
liceitswer, hceitaiver; hceitsicgs, hceitmvgs bedeuten 'oft je-
mand', 'oft etwas'; z. b. is Icel hceitsiver (hceitsivgs) JchrguJcx es
ist nicht selten, es ereignet sich bald einmal, dass jemand
(etwas) krank ist.
Anm. niks bedeutet sowol 'nichts' als 'nicht', daher auch niks wgs
= nichts.
2) 'Irgend ein' (adj. und subst.) wird widergegeben durch
andr einer, oder indrt (indrsi) andr (entlehnt ist das seltene
irgnt-anr); negiert Mandr keiner. — Z. b. is andr drausn es
ist jemand draussen; indrtandr frtsölts asU irgend einer erzählt
es so; ivgnst (indrt) an drulsn tuost wenn du (irgend) einen er-
200 LESSIAK § 156
wischest; do is Ihandr da ist keiner. — Mit Vorliebe verwendet
man das neutrale ans, Jchans für 'jemand', 'niemand': ans sqIcs
asö, s gndr'e asö irgend einer sagt es so, jemand anderer so;
Mans u'äs nilis niemand weiss etwas. — Attributiv fungiert a
als unbestimmter artikel, auch im pL: duhni sint noh-ane fdsoln
droben sind noch 'welche' fisolen; dQ lignlc ane fetsnon da liegen
'welche' fetzen; sint ane sgldgin Möm es sind 'welche' Soldaten
gekommen, etc.
Anm. 1. lu yerbindung mit adverbien wird 'irgend' ausgedrückt
1) durch a-: mv^n, aivö, awld irgend - wann, wo, wie; — 2) durch ats-:
utsivgn, atswD, atsiina; — 3) durch hmts-, hceita-: hceitsivgn, hmtaivgn;
liceitsich, ha'itaic/9; Jueitswo, hceitmco 'nicht selten einmal', 'leicht irgend-
wie', 'bald irgendwo".
Anm. 2. Das a- in awSr, awön etc. dürfte mhd. ie- entsprechen, das
sich unter dem nebenton abweichend entwickelte. — hceit- wird wol auf
mhd. tt, eine nebenform zu iht, zurückgeführt werden müssen; das anlau-
tende h ist secundär wie in hidtsa jetzt. Vgl. KWh. s. 81 eichtl {= mxü)
eine kurze zeit {*ihteUn), s. 141 haitl in kurzer zeit, bald (Lexer stellt es
fälschlich zu h(e/)it = mhd. h/nt). — hceits ist der gen., mhd. ihtes; formen
wie Jueiiaicer sind aus hreü + awcr zusammengesetzt. — ats (in atswo etc.)
ist entweder nur eine schwachtouige nebenform zu {h)aeüs oder, was mich
Avahrscheinlicher dünkt, es liegt mhd. eies- zu gründe.
3) 'Man' lautet vor vocalischem anlaut stets mdn, vor
consonantischem mdn und md\ die höfische form ist mr\ z. b.
ma. WQS mdn (mo) hat was man hat, höf. wqs mr hgt.
4) Der begriff 'mancher' wird ausgedrückt durch 'immer,
oft + ein': imrandr (mirrandr), oftandr etc. Vgl. Imrtamgl,
imramöl manchmal. Mhd. manec ist erhalten in mgnihsmgl
manchmal.
5) 'Jeder' erscheint stets mit dem unbestimmten artikel
verbunden: aniddr, anidde, anidds (aniots). Es flectiert durch-
weg stark: aniddr dtm einer jeden magd (sehr selten hört man
anr-iddn). Der artikel ist also völlig erstarrt. Neuerdings
beginnt es durch schriftdeutsches iödr, a-iödr verdrängt zu
werden.
6) Zu erwähnen sind ferner ötlane (pl.) etliche; — anige
einige; — y>ly-ödr jeder von beiden (mhd. iehveder), mit ab-
weichendem vocalis'nus. — Selten ist antwodr einer von beiden,
mhd. eintweder. Dag. meist entwödr (entwödr) — ivödr entweder
■ — oder, ötwödr, antwödr flectieren wie nlid. jediveder.
§ 157 MÜNDART VON PERNEGG. 201
D. Das Zahlwort.
§ 157. Grundzahlen.
Zur flexion des zablworts ans eins, vgl. § 146. — tsivä
zwei, entspricht dem nihd. neutr. zivei (masc. *tsu-^an, fem.
*tswQa sind verloren gegangen). Absolut wird es im dat. stets
flectiert: i hgris tswän göbm ich habe es zweien gegeben;
attributiv ist die unflectierte form gewöhnlicher: du tsiva i^gv,
daneben on tswai} igga in zwei tagen. — Vgl. das alte com-
positum tsumnl-hirlm Zweikirchen. — drcei drei, flectiert wie
tsiüä. Die neutr. form dröl drei uhr (mhd. drin) ist fast ganz
ausgestorben. — Die Zahlwörter von 3 — 19 lauten in nicht
attributiver Stellung durchweg auf -e aus: dräüe, fite, fmfe,
söJise, slme {snvdne), gxte, nceine, tsöhne, andlofe, tsivölfe,
drceitsdne, ßrtsdne, fuxtsone, sextsdne, simtsdne, gxtsdne, nceint-
sdne. -e entspricht der mhd. neutralendung -iu (bei drmc ist
es natürlich analogisch). Die 'unflectierten' formen der zahlen
von 13 aufwärts zeigen 'offenes' e im zweiten bestandteil:
drositsen, firtsen etc. Daneben hört man, allerdings ziemlich
selten, die volleren formen drceitsdhn, firtsohn u. s.w. Neben
tsöhn, tsöhne wird mitunter höfisches tsön, tsöne gebraucht,
ebenso ist neben andUfe das schrift- (stadt-) sprachliche elfe
schon stark verbreitet.
. Die zahlen von 4—12 werden im dat. zuweilen flectiert:
flr'ß, finfn, söJcsn, Simon, gxtn, nceindn, tsöhnon, andldfn, tsivölfn,
doch nur wenn sie substantivisch verwendet werden.
Die zehnzahlen lauten tstvantsk, drceisl; firisk, fuxtsk, scxtsk,
simtsh, Qxtsk, nceintsk.
In Zusammensetzungen mit einem verflüchtigt sich 'und'
bis auf ein c: drceicfirtsk 43, flrenceintsk 94; nur vor anlauten-
dem vocal in Qxtsk hat es sich als -e'd erhalten: ancdgxtsk 81.
Nach tsivä schwindet es ganz: tswasextsk 62. Zuweilen er-
scheint 'und' auch als n{d): gxtntsivantsk 28, süksndgxtsk 86,
doch nie vor oder nach nasalen; also nur flrenceintsk 94, simc-
drceisk 37, nceinetsivanfsk 29. Der abfall des d bleibt ohne
einfluss auf den folgenden consonanten, vgl. gxiesextsk 68, nicht
*-tsextsk.
Von 100 (hundrt) an werden die niedrigeren zahlen mit
nt (unt) verbunden: hundrtnians 101, hundrt njfinf 10b, hiiudri-
202 LESSIAK § 158
ntgxt 108. Dass 'und' liier als nt erscheint, beweist, dass wir
es mit jüngeren zusamniensetzungen zu tun haben (vgl. aned-
QxtsJc). Seltener ist die Verknüpfung ohne 'und': hundrtsöhse.
Dasselbe gilt für die zahlen von fmisnt 1000 aufwärts.
Das -e kann hier in nicht attributiver Verwendung auch
fehlen: Jmndrt- {tausnt)- nt-söls neben -sökse 106 bez. 1006.
§ 158. Andere zahlarten.
Die Ordnungszahlen dr erste, tsivceite, dritte, firte, ßnfte ...
nceint'e . . . drmtsente etc. flectieren wie gewöhnliche adjectiva.
Sie können auch mit dem unbestimmten artikel verbunden
werden: a firir u. s.w. — tswceite ist directe entlehnung aus
dem schriftdeutschen. Ab und zu wird auch noch dr gndre
in der bedeutung 'der zweite' verwendet. In gewissen Wen-
dungen, zumal in Verbindung mit Zeitbestimmungen, bedient
man sich der form dr Qndrte; z. b. on gndrtn tgg, simte am (den)
folgenden tag, sonntag, etc.
Von 20 an werden die ordinalia durch anfügung von -st
an die nicht synkopierte form der grundzahl gebildet: dr
tsivantsiliste, drceisikste, fir'efuxtsiliste etc. Der 100., 1000.
lauten: dr hundrtst'e, tausntste.
Art zahlen existieren von 2 aufwärts: tswäfla zweierlei,
ftnfrla fünferlei, etc., werden jedoch über 10 hinaus sehr selten
angewendet.
Die Vervielfältigungszahlen sind mit -fgx zusammen-
gesetzt: anfgx, tswäfgx (selten, dafür topplt)^ drceifgx etc. Von
3 an wird lieber -fähe {*-fächi(j) verwendet: drceifähe, firfah'e,
fm falle U.S.W, {-fultiy nur in amifoltc, auch winfölte, einfältig,
albern).
Wid er hol ungs zahlen werden gegenwärtig mit -mgl
gebildet: amgl, tswämgl etc. Die alte bildungsweise scheint
indes die mit vart (värte) gewesen zu sein. In einigen Kärntner
ma. sind noch reste davon vorhanden, in den krain.-friaul.
Sprachinseln herscht sie durchaus; vgl. zarzerisch gän vgrt ein-
mal, drae vürte dreimal, u.s. w.
Anm. Im wind, hat das entlelinte -^ar< das einheimische *-/iTrti völlig
verdrängt: amrt (*an-hart) einmal, tri-hartd dreimal, stio-hartd hundertmal.
Eigentliche distributiva fehlen. Einen ersatz dafür bieten
fügungen wie tswa unt tswä, drcei unt drwi etc. — andlötse
§ 159. IfiO MUNDART VON PERNEGG. 203
(mhd. einliitzcc) bedeutet 'vereinzelt' {ä ist unter dem nebenton
zu ö geworden, wie das *« in Jchränawüt, mhd. *k)-än€ivite).
E. Das Zeitwort.
§ 159.
Von den einfachen Zeiten und modi hat die ma. bewahrt
den indicativ, imperativ und zum teil auch den conjunctiv des
praesens, ferner den conjunctiv des praeteritums; von den
nominalformen den Infinitiv praesentis und das particip des
praesens und praeteritums.
1) Das praesens.
§ 160. Indicativ und imperativ.
Die starken und schwachen verba flectieren im praesens
völlig gleich. Eine endung -71 in der 1. pers. (ind.) schwacher
verba (vgl. Schatz § 161. Nagl, Eoanad v. 377, i) kennt die ma.
nicht (ausgenommen hmi habe),
Beispiele: fgln fallen, inghn machen.
Ind. sg. 1. i fgl, mgx
2. du fglst, moxst
3. er (etc.) fglt, mg.rt.
pl. 1. tci'r fgln (fghnr), mghn (mghmr)
2. dös fglts, mgxts
3. so fghit, mghnt.
Imp. sg. 2. fgl, mox
pl. 2. fglts, mgxts.
In der 1. pers. sg. ind. und im imp. sg. schwacher verba
ist lautgesetzlich apokope des auslautenden vocals eingetreten.
— In der 2. und 3. sg. und 2. pl. tritt die synkope nicht ein
nach p, t, li, in der regel auch nicht nach (/; z. b. t{>ppdst,
tgppdt, tQppdts zu tgppm tappen; wgrtdst, tvgrtdt, ivgrtdts zu
wgrtn warten; öJd-dst, ökkdt, Uktots zu ö7i7.w eggen; Igdost,
Igddt, Igddts zu Jgdn laden. Nur bei rödn reden, siKcidn
schneiden, värd der zwischenvocal fast durchweg ausgestossen:
rätst, rät, röts\ sncmtst, snceit, snceits. sgdn schaden, hat sgtst,
sgt, sgts neben häufigerem sgdost, sgdH, sgd^ts. Nach s, s wird
stets synkopiert: rast, rast, rasts zu räsn reisen; wgst, n-gst,
wgsts zu trgsn waschen; gewöhnlich auch nach ts, ts: sitst,
sitst, sits zu sitsn sitzen; rätst, rätst, rats zu ratsn ratschen;
204 LESSIAK § 160
doch hört man in der 2. [sg. nnd] pl. auch sits9st, sits9ts (sits'ts);
rats9st, ratsdts {ratsHs).
Zur assimilation von auslautendem -ht {-ivt) zu p, gt zu //
vgl. § 27. c! Diese assimilation ist fest, d. h. sie bleibt auch
vor (anlautendem) sonor bez. reibelaut: ylppr gibt er, gips
gibt es, gippmcgs gibt etwas; lökhr legt er, sglise sagt sie,
sglikandr sagt einer.
Anm. Aiislaiiteiides -/.7(/ bleibt unverändert: hoklit hackt, htöhM
steckt, etc.
Die 1. pl. erscheint in hauptsätzen regelmässig in Verbin-
dung mit dem enklitischen pron. -mr (s. § 151): u- ir sggmr v,'ir
sagen, tcir gricotinr wir arbeiten, u.s. w. In nebensätzen ist
dagegen die enklise nicht üblich; z. b. tvir g^amr, tvohimr tvöln
wir gehen, wohin wir wollen; tvön pdlJnmrtsten, icgs mr mghn
Aven (be)kümmert es denn, was wir machen; wgmr s^an swgdn,
ivcrt uns Ma ments nil's (tvgs) sögv Avenn wir schön singen,
wird uns kein mensch etwas sagen.
Die enklise beschränkte sich ursprünglich natürlich auf
die Inversion: g^amr anfn gehen wir hinauf? bez. lasset uns
hinauf gehen, triMimr ans trinken wir etwas (?), tgntsmr cm
tanzen wir 'einen tanz' (?), u.s.w. Liegt auf dem pronomen
ein nachdruck, so wird es in der vollform widerholt: khermr
ivir ä drtsüd gehören wir auch dazu? lafmr wir dg ume
laufen wir da hinüber!
Solche fälle gaben wol den anlass zur abstraction der suffigierten
formen; -mr erschien dem Sprachgefühl geradezu als flexionsendung, und
man -hängte es dem verbum auch da an, wo es von haus aus nicht hin-
gehörte.
Auch doppelte enklise ist nicht selten: Mermmir {khernidmr)
aufn? gehören wir hinauf? Sogar dreimal kann das pron. ge-
setzt werden: Idiermdmr ivir ä aufn?
Anm. 1. In nebensätzen wird das -mr au die conjunction angehängt:
loidmr, wgsmr, dasmr etc. mghn wie wir, was wir, dass wir machen. Wider-
holung ist auch hier nicht ausgeschlossen: widmrmr (wiemdmr) icöln bez.
lüidmr {tcidmrmr) tvir ivöln. Gelegentlich hört man sätze wie wgmdmr mjhr
wir khömr wenn (wir, wir) dann wir kommen (wir), also mit viermaligem
'wir', indem auch noch das verbum ein -mr angehängt bekommt.
Die 2. pl. kommt nur in Verbindung mit dem enklitischen
-s (*ejj vor. Formen wie *dös göU sind unerhört. A^om ind.
wurde das -5 auch auf den imp. übertragen. Dies konnte um
§ 161 MÜNDART VON PERNEGG, 205
SO leichter vor sich gehen, als auch im imp. nicht selten das
pron. gesetzt wird; Ygl. 2>lceip(t)s draiisn o^^iY pheip{t)s dösdrausn
bleibt draussen!
Anm. 2. In nebeusätzen wird -s an die conjunction angelehnt, z. b.
%cQns (bez. wonsdäs) häm Jchömts Avann ihr heimkommt.
In der 3. pl. hat sich das auslautende -t erhalten. Die
bewahrung der urspr. endung ist, soviel ich weiss, gemein-
kärntnisch: auch die Stadtsprache hat ösnt, nünmü (sie) essen,
nehmen, etc. Zur assimilation von ^-hnt (-trnt) zu -bmp, *-gnt
zu -yuk' s. § 28, c; z. b. löhmp (mhd. Ichcnt), sgcj^lv (mlid. sagenf).
Es gelten hier dieselben regeln wie für *-ht, *-gf, vgl. tntthmpü,
trggvM treiben auch, tragen auch. Nur vor folgendem enkli-
tischen se (sie), erscheint fast immer die nicht assimilierte form
dg göh{m)titse, lög{u)ntse da geben sie, legen sie, etc. Eine
Verallgemeinerung bez. Übertragung von formen mit enklitischem
pron. hat in der 3. pl. nicht stattgefunden. Es heisst durchweg
so Jgsnt sie lassen, nicht etwa so lösntse.
Anm. 3. Daneben gibt es eine entlehnte form der 3. pl. ohne das
auslautende t. Sie kommt nur in der anrede zur Verwendung: so sögv,
so rüdn Sie sagen, Sie reden, oder mit anfügung des enklitischen s (sie):
so sögns, sä rödns. Dass diese art der anspräche nicht nur in syntaktischer,
sondern auch in formeller hinsieht entlehnt ist, habe ich bereits oben in
§ 152 gelegentlich der besprechuug der pron. Inr, msn erwähnt.
Anm. 4. Ganz vereinzelt linden sich seeundärformen mit enklitischem
pfonomen in der l.person: i piUe, i mäne ich bitte, ich meine, für i pit,
i man (-e ist die schwachtonige form des pron. 'ich'; 2Jittc, mäne 'bitt' ich',
'mein' ich", kommen häufig in der parenthese vor).
§ 161. Conjunctiv.
Eine besondere vom ind. veischiedene form des conj. praes.
hat sich nur in der 3. sg. und pl. erhalten. Sie ist auf gewisse
redewendungen beschränkt; vgl. formein wie gop-pdivQr gott
bewahre!, got drJqas in gott erl()se ihn, got ir^ast in g. tvöste
ihn, got straf in g. strafe ihn, got sits in g. schütze ihn, got
frtsieihmr g. verzeih mir, got Igs se riidn g. lasse sie ruhen,
got sögns g. segne es, got frgdts, {frgclts got) g. vergelte es,
grids göt grüss g., pfidlwt {pfute gUt) 'behüte (dich) g.\ adieu!,
helfgot helf g. (wunschformel beim niesen), hols dr JcuHc (toifl)
hols der kuckuck (teufel), u. a. Ferner m<^hr, sggr, rödr, tnor
etc., icQsr {u-ior) teil mache er, sage er, rede er, tue er etc.,
20Ö LESSIAK § 162. 163
was (wie) er T\ill, sitsr, plceiwr, ivoor teil sitze er, bleibe er,
Avo er will, ugnrs nit ivil, Igsrs stqan wenn er es niclit will,
lasse er es stelm, n. ä. In der 3. pl. wird in derartigen Wen-
dungen gewölinlicli die form des ind. verwendet: rödntse, wid se
u'ölnt sie mögen reden, wie sie wollen, seltener rödnse etc.
Anm. Bei verben der 3., 4. und 5. kl., die im sg. i, im pl. e (ö) haben,
wird in solchen fällen der conj. regelmässig durch den imp. vertreten: ghvr,
isr, nimr, tcgsr teil gebe er, esse er, nehme er, was er will. Vgl. auch gokkno
gott gebe (neben yokköbs gott gebe es), got frglwuiis gott vergebe uns (ent-
sprechendes findet sich im egerländischen, vgl. Schiepek, Der satzbau der
egerl. ma. § 188, 3).
§ 162. Vocalismiis der starken praesentia.
Zur praesensbildung speciell der starken verba ist zu
bemerken, dass fast sämmtliche verba der 3. 4. und 5. ablauts-
reihe mit dem stammvocal e (ö) im inf. in allen personen des
ind. und im imp. sg. i zeigen. Die mhd. Verhältnisse sind also
hier bewahrt: i hilf, du hilfst, er hilft, im]^. hilf zw hei fn \\e\ten\
ebenso i mm ich nehme, i yuv ich gebe, etc. Die wenigen aus-
nahmen s. unter den betreffenden ablautsreihen.
Bei allen verben der zweiten reihe ist das id des pl. im
ganzen praes. verallgemeinert worden : i fliog, du ßijkst, er flidk%
imp. fliog. Formen mit oi im sg. fehlen gänzlich.^
Ein Umlaut kommt in der 2. und 3. praes. nirgends mehr
vor. Es heist also shjkst, sIqU schlägst, schlägt; tr-ghst, trgU
trägst, trägt; fgrst, fgrt fährst, fährt; fglst, fglt fällst, fällt;
hgltdst, hgltdt hältst, hält, etc.
§ 163. Nominalformen des praesens,
a) Der Infinitiv. Die gewöhnliche endung ist -W; lösn
lesen, tsgln zahlen, rgtn raten, pgdn baden. Nach labialen
erscheint -rn: ^)te«^m bleiben, stöppm steppen; nach gutturalen
(und meist auch nach r) -tr. lögn legen, murhj girren, soehvr'a
{soeiwrn) säubern. Endigt der stamm auf nasal oder «?(/, so
erscheint vor dem n ein z wischen vocal : Idiömdn kommen, nönidn
nehmen, sceindn scheinen, grceindn 'greinen', schelten, län9n
lehnen, simjDn singen, primjdn bringen. Die kurzformen (mit
assimilierung bez. Vereinfachung des mn zu m, nn zu n, ngn
zu 1^ s. § 27, c) Idiöm, nöm, seein, sw etc. werden in der regel
nur dann gebraucht, wenn das verb schwächer betont ist.
§ 163 MÜNDART VON PERNEGG. 207
Dies gilt besonders von Zusammensetzungen mit trennbarem
adverb: wökxnüm wegnehmen, herlköm herkommen, lunmrlän
{-lan) herumlelmen, fors'm vorsingen.
Bei Verben, deren 'stamm' auf einen vocal ausgeht, ist
offenbar schon selir früh synkope des endungsvocals ein-
getreten; vgl. mild, formen Avie smi, drchi etc. In folge ihrer
einsilbigkeit nahmen solche formen eine art sonderstelluug ein.
Diese Ungleichheit wurde beseitigt, indem man eine zweite
infinitivendung anfügte; z. b. pläudn blähen, khrändti krähen,
drändn drehen, mmiDn mähen, nän:m nähen, pnndn bähen,
sündn säen, prqandii brühen, plqandn blühen, pdiui^anon bemühen,
l^andti brüllen (mhd. Uiejen), Min^andn knien, srceindn schreien,
umklicuindn umstossen, Jchwinon kümmern (vgl. lesachtalerisch
yihmn und BWb. 1, 1025; ist es vielleicht zu 'hauen' zu stellen?).
Hierher gehören auch verba wie ploinon bläuen, Ihroindn ge-
reuen, noinon stampfen (mhd. niniccn), pnnmn bauen, hanuDu
hauen, strändn streuen, die ihr stammauslautendes tc verloren
haben; ferner die athematischen verba tQandntxm, g^andngohw,
stQandn stehn. swinon sein. Daneben kommen jedoch auch die
einfachen infinitivformen vor, seltener bei iilan{9n), n(ln{on),
ploin{dn) etc., häufiger bei den verben der letzten gruppe. Sie
werden so ziemlich unter denselben bedingungen angewendet
wie die kurzformen khüm etc. Sonst ist doppelte infinitiv-
endung selten: glösndn neben glösn glimmen (mhd. glosen),
frmitsndn neben frmitsn vermissen, gnindn unbehaglich vor-
kommen (ahd. antön), hausndn neben hausn schelten, Icstokhidu
gerinnen (vgl. § 75), imnidn heben (mhd. härn\ firhmDn neben
firbm reinigen (mhd. vürben), furtlähnDn fortlocken.
Das n des inf. ist zum teil auch in die flectierten formen
eingedrungen. Es heisst zwar regelmässig drä, drast, drCit,
drats, gddrät drehe, drehst, dreht, drehet, gedreht; plöi, jiloist,
ploit, ploits, goploit schlage etc., aber in der 1. und 3. pl. drändn,
drändnt\ srceinon, srwinont; ploinon, ploindnt xl.s.w. (mit enkli-
tischem -mr jedoch drämr, srceimr, ploimr, nicht *drändmr etc.).
Von verben der letztgenannten gruppe haben diejenigen, bei
denen einfacher inf. neben doppeltem üblich ist, auch in der
1. und 3. pl. doppelformen: ftrhm, firbnip neben firbnidn, firbnmit.
Ausnahmsweise heisst es auch im part. praet. frmitsnt neben
frmitst vermisst, Miaiisnt neben Ichaust gescholten.
208 LESSIAK § 164. 165
Das praet. wird bei diesen verben in der regel umschrieben;
doch hört man zuweilen drCuul für drCut, plomot für plUiH ich
würde drehen, schlagen.
mirtsnon brünstig sein (von katzen; zu 'märz'), oJcsnon
dasselbe (von der kuh), miutiidn (mhd. muoten) nach dem
hengste, poTihndn nach dem bocke verlangen, tsrleksndn in folge
hitze den festen verschluss verlieren, 'leck werden', haben in
allen formen festes n: 3. sg. praes. mudtnt, 3. pl. muDtnDnt; 3. sg.
praet. (conj.) mudinot, part. praet. gmudtnt u, s. w. (regelmässig
ist p'ibmdn beben, pihmp bebt, gapihmp gebebt, alid. hihinon;
lisndn lauschen, lisnt lauscht, (jlisnt gelauscht, mhd. lüsenen,
ebenso rceilsndn ringen, raufen, mhd. richsenen).
b) Das particip. Seine endung ist -nt: Ighnt lachend,
sitsnt sitzend, llguli liegend, rceisnt reissend, rernt, plernt, ivä-
ndut weinend, stwldint stinkend, u. a. Es hat sich nur bei einer
beschränkten anzalil von verben erhalten; sehr selten wird es
attributiv verwendet. Zur flexion vgl. § 147, anm.
2) Das praeteritum.
§ 164. Indicativ praeteriti.
Der ind. praet. ist verloren gegangen. Die indicativform
ivür. die man ab und zu von 'gebildeteren' hört, stammt aus
dem höfischen. Die echt ma. entsprechung des nhd. tvar ist
tvär: i war dg ich war da, er ivar dn dr stQt er war in der Stadt.
Dies war kann nur aus *ivctre hervorgegaugeu sein: der conj. wird
also- hier indicativisch verwendet. Solche Übertragungen conjunctivischer
formen starker verba auf den ind. (die sich daraus erklären, dass im conj.
praet. der starken flexion der umlaut häulig unterblieb [vgl. Paul, Mhd. gr.^
§ 40, anm. 5] bez. nicht eintreten konnte, und dass bei schwachen verben
ind. und conj. formell zusammenfiel), scheinen in einer früheren sprach-
periode häufiger gewesen zu sein. Die so entstandene Verwirrung war wol
hauptsächlich die Ursache, dass man das einfache praet. zu gunsten des um-
schriebeneu fallen Hess (vgl. dazu bes. Schiepek a. a. o. §§ 167. 168, und Nagl,
Roanad v. 377, s.369f.).
§ 165. Conjunctiv praeteriti schwacher verba.
Der einfache conj. praet. blieb hingegen erhalten. Er wird
bei schwachen verben auf -dt gebildet: söyot sagte, frggdt fragte,
petdt betete, mghdt machte, lögdt legte, fädldt fädelte, irtsndt
heilte (mhd. erzenen). 7a\ gründe liegen die endungen der -en-
§ 166 MUNDART VON PERNEGG. 209
und -o«-verba (alid. -cti, -öti), die analogisch auch auf die der
1. klasse übertragen wurden (vgl. Schatz § 162). Die flexion
des schwachen conj. ist folgende:
Beispiel: Tihlggn klagen.
Sg. 1. khlögdt
2. khlögdst
3. klüögdt.
PI. 1. khlggstn (kJüggdtmr)
2. khlögsts
3. khlögdtn.
Beachtenswert sind die formen der 2. sg. und pl.: sggdst
sagtest, mölidst machtest, sgydts sagtet, mghdts machtet, \. s. w.,
für sggdtst bez. sggotdts etc. Im sg. ist ist zu st dissimiliert
worden, im pl. ist der z wischen vocal der synkope anheim-
gefallen.
Die 1. pl. erscheint hier im gegensatz zum praes. in der
regel ohne das enklitische pron. -mr. Die 2. pl. dagegen kommt
wie dort nur in Verbindung mit -5 vor. Die 3. pl. endigt auf
-dtn; es hat sich also hier die regelmässige conjunctivendung
ohne das auslautende t erhalten (ahd. Idagötin).
§ 166. Conjunctiv praeteriti starker verba.
Die urspr. conjunctivformen starker verba wie Tiliäm käme,
Tisäx geschähe, plnv bliebe, etc. sind beinahe ausgestorben.
Nur von der älteren generation kann man sie noch ab und zu
hören. In der regel wii"d überall die endung des schAvachen
praet. -dt an den abgeläuteten stamm angehängt: Ichänidt, ksähdt,
XÜiwdt u.s.w. Aber auch diese mischformen beginnen durch
völlig schwache bildungen verdrängt zu werden. Bei der melir-
zahl der starken verba bevorzugt die jüngere generation be-
reits die nicht abgeläuteten praeteritalformen; z. b. göwdt,
pfceifdt für gäivdt, pftfdt gäbe, pfiffe.
Nicht üblich ist dagegen die anfügung eines -ot bei den
praet. von 'sein' und 'tun': war, tat (bez. war, tat). Sie mögen
als Paradigmen für die flexion des starken conj. praet. dienen:
Sg. 1. 3. ivär, tat
2. ivarst, tast (tä[tpst).
PI. 1. tcärv (warmr), tätn {tatmr)
2. icarts, tats (tät9ts)
3. wärv (icämt), tätn (tätnt).
Ueiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVUl. 14.
210 LES8IAK § 167
Von den einzelnen endungen gilt im wesentlichen dasselbe,
was oben bei der conjugation des schwachen praet. gesagt
wurde. "Tätest', 'täte' ersclieinen in der regel als tast, tats.
tätost, täföts sind ebenso zu beurteilen, wie etwa rce'ddt, raüMs
reitet, reitet (pl). In der 3. pl. erscheint auch -nt, nach ana-
logie des praes.: khamdnt, nämont neben Jchämon, nämdn.
Einigermassen auffallend ist es, dass das gedeckte i der
conjunctiveudungen völlig geschwunden ist, während es sich
sonst in der regel als o («) erhalten hat. Es dürfte sich hier
jedoch wol nur um eine angleichung an die flexion des praes.
handeln.
Beachtenswert ist bei einigen verben der 3., 4. und 5. reihe
die Übertragung des wechseis von i — e (ö) im praes. auf den
conj. praet., z. b. sg. 1. 3. stinvot stürbe, 2. stirwdst, pl. 1. 3.
stencdtn, 2. stertvots; ebenso hilfjt hülfe — helßtn; frdirwdt
verdürbe — frdenvdtn; sUldt stähle — steMn; frspnhdt ver-
spräche — frspröhdtn; tnfdt träfe — tröfdfn; frgtsdt vergässe
— frgösdtn. Bei anderen verben dieser art hört man solche
analogiebildungen seltener. Daneben gebraucht man natürlich
auch formen wie sterwdt, helfot, tröfot u.s.w.
Vereinzelt finden sich auch beispiele, wo der ablautvocal
des part. praet. auf den conj. praet. übertragen wurde: goUdt
gülte (neben geltdt, giltdt), drsroMidt erschräke (neben drsrölchdt,
drsrikhdt), stöldt stähle (s. o.).
§ 167. Participium praeteriti.
Das part. praet. der starken verba endet auf -n (-9n), das
der schwachen auf -t, -dt. Hinsichtlich der sjmkope und assi-
milation gelten dieselben regeln wie für den inf. bez. die 3. pers.
sg. praes.; vgl. gotröfn getreten, gdtrlbm getrieben, glögv ge-
legen, gd2)rün9n gebrannt (bez. gdpriin), gnommdn genommen
(hez. gnom), Icstwgon geaimgen (hez. ksuia)] — ^Zöp gelebt, ksgJc'
gesagt (ksQkkis gesagt ist), gökldt geeggt, ksnQppot geschnappt,
gdpittdt gebeten, gdpgddt gebadet (aber khröt geredet, kstökht
gesteckt).
Zur Vorsilbe ge- vgl. § 29. Präfixlos sind wie im mhd.
khönidn gekommen, iv^n) geworden, j^^^Ai gebracht (dagegen
stets kfuntn gefunden, ^^^ro/ii getroffen); ferner ^y6m gegeben,
§ 168.169 MUNDART VON PERNEGG. 2ll
g{»3g9n j^egangen, EiridV bekommen (dag. gdlihrbV gescholten,
zu mild, kriegen), s. a. a. o.
Mit untrennbarer partikel zusammengesetzte verba ent-
behren des präfixes: glaj) geglaubt (mhd. geloiihef), pVihm ge-
blieben (mlid. ieZ/6ew). Ausnahmen: gdgicent g^^VCAmt, gdhUr^tn
geraten (= gediehen), golhroü gereut, goMiert gehört (zu 'ge-
hören'), gdTxhgltn neben hligltn behalten, {gösn gegessen, ent-
spricht mhd. ge^^en). ')
3) Die ablautsreihen der starken verba.
§ 168.
Die 6. reihe ist in der ma. vollständig mit der 7. zusammen-
gefallen, die übrigen lassen sich noch deutlich unterscheiden.
Vom praet. führe ich nur die ablautenden formen an, soweit
sie überhaupt vorkommen, dagegen nicht die schwach gebil-
deten, die ja kein besonderes Interesse bieten und sich leicht
construieren lassen. Ebenso übergehe ich formen me frspnlidt
etc. (vgl. oben).
§ 169. Erste klasse.
I. klasse: mhd. sUgen, stige; (stete), stige\ gestigen. Hierher
gehören:
pceisn beisseu, plsdt, gdplsn
gddoßihn gedeihen, — , godlhn
paflceisn beileissen, j93/?is3f, 2^^ß^'>'>'
grceifn greifen, grlfot, gdgrifn
pla;ihm bleiben, pliw, pUw9t, plibm
keihn leihen, lihst, glihn
pfceifn pfeifen, pfifdt, gdpfxfn
rceibm reiben, nwdt, khnbm
rceitn reiten, — , khrittn
roeisn reissen, fisdt, khnsn
sceihn seihen, slh^t, ksihn
Mceihn schleichen, mithat, kUlhn
Mceifn schleifen, Mifdt, kslifn
SlceisH schleisseu, — , kMxsn
hnceisn schmeissen, ämis3t, khn'isn
Mceibm schneien, Snnvdt, khnlbvi
hpceibm speien, iptwdt, kSpibm
Uceigv steigen, hügdt, kUlgo
Urceitn streiten, Urittdt, kUrittn
') Die fremdwörter aiif -ieren bilden ihr part. in der regel ohne ge-.
212 LESSIAK § 170
Mra'iJm streichen, Mrlh9t, kUrihn
hceinsn scheinen, ^tMt, kMndn
h(Bisn scheisseu, Msat, k^isn
hrceibm schreiben, Mwaf, kSnbm
trceihm treiben, tnwat, g9tnbm
wceihn weichen, tvihat, givllm
tsceihn zeihen, tslJiat, gatsihn.
Der grammatische Wechsel hat sich erhalten in
lan'dn leiden, lä, glittn
hictidn schneiden. Mit, Mnitin.
Ein r schiebt sich ein in srcemon schreien, srlrot, lisnrn
(mild, schrir, geschrirn). — Bewahrt ist das part. praet, von
mhd. verkliben: frklüibm verkümmert, im Wachstum zurück-
geblieben. — Wol der Schriftsprache entlehnt ist sceidn scliei-
den (von der ehe), part. Midn, vgl. auch frsidn verschieden,
— soeibm 'Scheiben', kegeln, hat das part. Tisöhm (nach analogie
von sidhm schieben). — Neben ksman geschienen, hört man
auch hsündn und Mceint.
In die schwache conjugation sind übergetreten pceitn borgen
(mhd. hiten), grceindn schelten (mhd. grinon), mceidn meiden,
nceidn neiden, noeign neigen, roeidn drehen (selten). Nur transitiv
gebraucht wird swmgii schweigen.
Der ma. fehlen von bekannten verben bleichen (= mhd.
lUchen), schreiten, gleissen, gleiten, verweisen.
Folgende urspr. schwache Zeitwörter sind zu den starken
übergegangen: gmproeisn anpreisen, part. goprisn; glceihn
gleichen, glihdt, goglihn; tvoeihn weihen, gwihn (dag. gwceixts
geweihtes osterfleisch), wceisn tünchen (weissigen) und weisen,
gwlsn.
§ 170. Zweite klasse.
II. klasse: mhd. biegen, biuge\ (bouc), buge (obd. conj.); ge-
bogen. Vgl. dazu § 162. Hierher gehören:
piagv biegen, püg9t, gepögv
pi9tn bieten, — , gapötn
frdridsn verdriessen, — , frdrösn
fliagv^) fliegen, flügat, kflögv
flidhn fliehen, — , kflülm
flmn fliessen (selten), — , kflösn
1) fliago ist nicht sehr gebräuchlich ; meist wird ßi^hn in der bedeutung
'fliegen' verwendet: dr fogl flidxt, is kflohn.
§ 171 MUNDART VON PERNEGG. 213
giasn giessen, güsat, gsgösn
khliahm klieben, — , gdTchlöhm
Jchridhn kriechen, — , gMiröhn
lidgv lügen, lUgdt, glögv
riahn riechen, — , khröhn
Uiafn schliefen, llüfdt, kMöfn
hliasn schliessen, UüS9t, kMosn
hnidgv (wasche ans-) schmiegen, — , khnügv
hdhm schieben, hüii-3t, ksöhm
iidsn schiessen, — , ksösn
pstridgv betrügen, — , pdtrögv.
Ferner saufn saufen (saufst, sauft), süßt, ksüfn.
Grammatischer Wechsel ist bewahrt bei
siadn sieden, — , ksötn
friasn frieren, frürat, kfrö^i'v
frli9sn verlieren, frlürdt, frlöjv
isidhn ziehen, tsügat, gatsögv (gatsöhn).
Schwach geworden sind tii9sn niesen (part. gnidst, daneben
gnidsn), plohidn bläuen, Mroindn gereuen, JcJioindn kauen, noindn
stampfen (mhd. nkiiven).
Der ma. fehlen nhd. gemessen, spriessen, stielen, triefen,
saugen. — prceidn brauen, ist entlehnt.
§ 171. Dritte klasse.
III. klasse: a) Mhd. singen, singe; (sanc), sunge; gesungen.
Im.conj. praet. erscheint zum teil a {*(e, ä), vgl. dazu die aus-
führungen bei Schatz § 156. Dieser gruppe gehören an :
pintn binden, j^anf, gapuntn
prindn brennen (intr.), — , gdpründn
dn'vgsn dringen, — , gddruvgdn
fintn finden, fant, kfuntn
klüiugdn klingen, — , gskhluvgsn
g{e)Umj3n gelingen, — , g{e)luüg9n
riugan ringen, — , khnwgdn
nndn rinnen, rän, khründn
siügon singen, siwgdi, ksnugdn
s/i;Ä7t>i sinken, — , ksuukhn
slnaii sinnen, — , ksünan (häufiger ksint)
Uivgdn schlingen — , ksliwgin
Uintn schlingen (mhd. slinden), — , kUuntn
hp'indn spinnen, — , Mpünon
iprivgdii springen, spruug,>t, iprav(g9t), kspruugon
stivkhn stinken, kuukhdt, kMiwkhn
hvimsn schwimmen, — , kkvumman
214 LESSIAK § 171
kvivg3n schwingen, — , kkvuvgan
friwintn verschwinden, — , frswuntn
sinhi schinden, — , khintn
trivkJni trinken, triwkhst, iravkx, gatruvkhn
gwlMK gewinnen, — , givünan,
ivivkhn winken, — , gwuvkhn
winin winden, — , givuntn
tswivgdn zwingen, — , gdtswuvgan.
b) Mhd. gelten, gute; {galt), gidte\ gegolten. Hierher gehören:
dröM dreschen, dräht, gddruM
gelin gelten, goltat, gogoltn
helfn helfen, half{dt), kholfn
auslöhi aiislöschen (trans. und intr.), — , ausglöln
inel{d)hn melken, — , gmolhn
hneltsn schmelzen, — , khmoltsn
- ■ Merhni sterhen, Mariodt, kMgrbm
iseltn schelten, — , kioltn
loerfri werfen, — gwgrfn
werbtii werben (pawerlm 'sich', geschäftig
sein), — , givgrbtn (pawgrbm)
icern werden, würat, ivöjv.
meldJm und seltn haben den Wechsel von i — e im praes.
aufgegeben {i mehx, seit u.s.w.), desgleichen wem: i wer, du
wer st, er wert. Daneben kommen (mit ausnähme der 1. pers.)
schwachtonige formen ohne r vor: ivest, wet, wemr, wets, went.
Merkwürdig ist der sg. praet, wlrdt {ivirdst) neben ivürdt Ent-
weder hat die Übertragung des praesensvocals bereits zu einer
zeit stattgefunden, als der Avechsel im praesens noch erhalten
war, oder die form ist einfach analogiebildung nach Mlfdt etc.
Zum Schwund des d vgl. § 105, 3. — frdirhm verderben, swöln
schwellen, haben umlauts-e und flectieren regelmässig schwach.
Von der starken flexion haben sich nur die part. erhalten:
frdQrhm, hswoln. — pdfein befehlen, part. pdfoln ist entlehnt;
es wird übrigens selten gebraucht, dafür s^fn oder häsn.
Folgende urspr. verba der dritten klasse flectieren in der
ma. schwach: ^veZw bellen (selten, dafür MpZim), smertsn schmer-
zen (daneben smirtsn für *smartjan), fcxtn betteln, flextn flechten
(dafür lieber ivintn, printn, tsöpfn; die wenig gebrauchten starken
part. hfoxtn, hfloxtn sind ohne zweifei der Schriftsprache ab-
geborgt), hinJchn hinken. Der ma. fehlen unter anderen nhd.
schellen, lergen, bersten, heginnen, glimmen, Idimmen. Von ur-
§ 172.173 MUNDART VON PERNEGG. 215
spr. schwachen haben sich dieser klasse angeschlossen tsinfn
zünden, tsuntdt, gdtsuntn; lintn 'sterz linden', mehl dnrch um-
rühren in einer pfanne rösten, — , gluntn\ gnslntn antreiben,
hetzen (mhd. scliünten), simtdt, Tisuntn\ ivintsn wünschen, — ,
gtvuntsn.
§ 172. Vierte klasse.
IV. klasse: mhd. nemen, nime\ (nani), nceme; genomen.
Hierher gehören:
prölm brechen, präx, prahdt, g9prdhn
nöman nehmen, näm, nämot, gnommdn
fripröhn ^) versprechen, frspräx {-hprahdt), fr$pröhn
Mohn stechen, — , JcUöhn
stein stehlen, Mal, Mdbt, kMohi
drlrökhn erschrecken, clHroJchdt, drsroJihn
tröfn treffen, träf(9t), gdtrüfn.
Von mhd. hern hat sich nur das part. goporv geboren,
erhalten, von mhd. {he)semen die 3. sg. in der redensart dos
pdtsim.ptse (nit) das geziemt sich (nicht). — kltömon kommen,
ist schon im ahd. zur 5. reihe übergegangen: ]cJmm(df), khömon
(praes. sg. Mim etc.). Die Stadtsprache hat im praes. und part. u:
Mum, Ixlumidn. — Schwach flectiert seru scheeren (part. ksert,
seltener l-sgrn). — Nhd. hehlen und rächen fehlen.
§ 173. Fünfte klasse.
V. klasse: mhd. gehen, gibe; (gcij)), gcebc, gegeben. Diese
reihe umfasst folgende verba:
ösn essen, äs, (-at), güsn
göbm geben, gäw, (-at), göbm
frgüsn vergessen, frgäs, (-at), frgösn
khnötn kneten, — , gilclmötn
lösn lesen, — , glösn
mösn messen, mäs, gtnüsn
SEhn (seahn) sehen, sägdt, sähdt, ksEhit
khehn (kieahn) geschehen, kMx, kmhat, kMin
irötn treten, t)-ät, gjtröUi
ivötn einjochen, -spannen, — , gicötn
pittn bitten, pät, gdpöin (meist gopiUst)
Ugv liegen, lägat, glöga
siisn sitzen, säs, {-dt), ksösn.
*) Das einfache hpröhn sprechen, wird selten gebraucht.
216 LESSIAK § 174. 175
Grammatisclier Wechsel liat sich erhalten in tvär wäre
(war) — gwösn gewesen (nie ytvöst), und sehn — sägdt. In
der Stadtsprache ist bei 'sehen', 'geschehen' die form des part.
auch auf das praes. übertragen worden: segi) sehen, Jcsegv ge-
sehen; lisegu geschehen (zwischen vocalisches *h bleibt sonst im
höfischen als h erhalten, vgl. wceihn weihen, loeUm leihen, stglil
stahl, etc.). — ivögn wägen, ist in die 4. reihe übergetreten:
part. givögn neben schwachem givö¥; stets fnvögii verwegen.
Dieses verbum, ferner hhnötn, ivotn haben den Wechsel von
i — e im praesens aufgegeben. — Zu hknötn kann auch ein
schwaches part. g9l-]möfDt gebildet werden. — Völlig schwach
geworden sind iötn jäten, pflögn pflegen, — Es fehlen der ma.
nhd. ivehen (dafür ivirhhn), genesen.
§ 174. Sechste klasse.
VI. klasse: mhd. trogen, trage; (truoc), trüege\ getragen.
Von starken praeteritalformen haben sich nur zwei erhalten:
slidgdt schlüge, zu slgg'i3\ tridgdt trüge, zu tr^jg^t. Part. Ixslggw,
gdtrggw. Von starken part. sind noch folgende bewahrt:
gdpfilin gebacken, Ixffm) gefahren, gdgrghm gegraben, glgdn
(ein- und auf-) geladen, glglin gelacht, gmgln gemahlen, auch
gemalt, hsghm geschabt, Tisgfn geschaffen (neben Idgft, inf. sgfn),
givgtn gewatet (neben giügtdt), gtvghsn gewachsen, givgsn ge-
waschen; ferner Mtgntn gestanden (inf. st^an), Jcswgrv ge-
schworen (häufiger schriftsprachliches hswurij). Schwache part.
bilden höbtn heben (khöp, das seltene Jchöbm ist jedesfalls ent-
lehnt), nggn nagen.
§ 175. Siebente klasse.
VII. klasse: ursprünglich reduplicierende verba.
Von starken praet. sind vorhanden lidsot Hesse, g^augdt
gienge (vgl. § 178, 3), alle übrigen sind verloren gegangen. —
Von part. auf -n haben sich erhalten ^3j)Z(>.9w geblasen, gdprgtn
gebraten, lifgmjdn gefangen (inf. fgngdn; gnfgwßn anfangen,
bildet das part. stets schwach: gnkfguU), Jcfgln gefallen, khglsn
(zu hglsn halsen), Mgltn gehalten, hligngon (zu ligmjdn hangen),
Jilirgtn (zu rgin raten; daneben Jchrgtot; Jchrgtn geraten, ent-
raten, hat nur starkes part.: gBlthrgtn, seltener khrgtn), Jcsgltsn
gesalzen, Jcsl^fn geschlafen, hsmgltsn geschmalzen, Jcspgltn ge-
§ 176 MUNDART VON PERNEGG. 217
spalten, (jivQlg^) (zu n-<}lg}) sich wälzen; aucli trans. wälzen;
mhd. icalgen), givgllm (zu ivQllin walken); lihäsn gelieissen,
kstgasn gestossen (inf , stgasn, stgast stösst) ; zu ggngdn gegangen,
vgl. § 178, 3; Igsn lassen, part. glösn, hat in der 3. sg. und 2. pl.
Ind. praes. Igt, Igts (mhd. Idt, lät) neben regelmässigem Igst,
Igsts. Von lafn laufen, lautet das part. glöfn (schon mhd.
geloffen). — Schwache part. werden gebildet zu Spgndn
spannen, pgndn bannen, fgltn falten, frivgltn verwalten, sadn
scheiden (mhd. scheiden), su'äfn garn aufwinden (mhd. stveifen),
tsäsn auseinanderkratzen, (zer)zausen (mhd. zeisen), haundn
hauen, Ihaut, paiindn bauen, gdpaut, ridfn rufen (mhd. rüefen
st. und schw.).
4) Zum schwachen verbum.
§ 176. Flexion.
Was die flexion anbelangt, sind, wie ich bereits oben be-
merkte, die drei klassen der schwachen verba vollständig zu-
sammengefallen.
Von sog. rückumgelauteten part. sind erhalten frwgnt ver-
Avant, pdhhgnt bekannt; beide kommen nur in adjectivischer
Verwendung vor. Sonst ist der 'rückunilaut' überall durch
analogieformen verdrängt worden: gjdeuMt gedacht, gdprent
gebrannt (trans.), goliliönt gekannt, gnönt genannt, klirent ge-
rannt, gwentdt gewendet.
Zu prhMjdn bringen, lautet das part. prgxt, der conj, praet.
praxt\ die nebenform prCihdt steht unter dem einfluss der
schwachen praeteritalendung. Das praes. dcBÜin 'dünken'
(stets reflexiv verwendet: se dceihn sich gross dünken, prahle-
risch auftreten), ist neubildung zum praet. mhd. diuhte; pd-
dtwkhn erscheint substantiviert in der redensart ngx j^dduMm
nach gutdünken, belieben. — firxtn fürchten, bildet ein starkes
part. Ixfurxtn (vgl. ahd. gifurhtit und mhd. gcvorhten).
hghm haben (= besitzen und als hilfszeitwort) zeigt im
ind. praes. zusammengezogene formen: sg. 1 ligyi (mhd. htm),
2. hgst (mhd. hast), 3. hgt (mhd. hat); pl. 1 hgm, hgmmr (mhd.
hän, hän wir; das m der ersten form ist durch die zweite be-
einflusst; daneben uncontrahiert hghm), 2. hgts (auch hgpts),
3. hgmp (aus Vighmp, mhd. hahent). Imp. und 3. conj. ist regel-
218 LESSIAK § 177
massig Imv. Der conj. praet. lautet liidt (mlid. hicte)\ hat (mlid.
liete) ist höfisch. Part, liligt (mhd. gcMt\ die stadtsprache hat
Jchopt).
In der bed. '(fest-) halten' flectiert hohni durchwegs regel-
mässig: / ]iinv ich halte, er hgp er hält, hgtv3t hielte, khgp
gehalten.
Anm. In der spräche der htirtslr (s. s. 6, anm.) wird 'haben' im praesens
folgendermassen flectiert: sg-. 1. 3 M¥, 2. hökst; pl. 1. hökJcv, 2. Itöks (hökts),
3. hökk3n(t). Es sind dies alte conjunctivformeu, vgl. mhd. hebege.
5) Unregelmässige.
§ 177. Praeteritopraesentia.
1) tvlsn wissen: sg. 1. 3. tväs, 2. tvast] pl. 1. tvtsn, wtsmr,
2.tvists, 2>.w~isn{t)\ 3. conj. praes. fehlt (wie bei allen verben
dieser art); conj. praet. ivist, wlsdt; part. gwist.
Die formen sind regelmässig entwickelt mit ausnähme der 3. pl., die
nach dem muster der übrigen verba meist auf -nt endigt. Diese Übertragung
ündet sich bei allen praet. -praes. ivist entspricht der mhd. secundärform
wiste. w~iS9t ist analogische neubildung.
2) Jihmon können: sg. 1. 3. IcJtgn, 2. Idignst] pl. 1. Milndn,
khimr, 2. Mints, 3. ]cMn9n{t); conj. praet. Jdmnt (selten), Miint
Miindt\ part. gdlhint.
khinsii entspriclit mhd. künnen; klmnt, mhd. künde; khint ist wol nicht
auf mhd. künde zurückzuführen, es scheint vielmehr neubildung zum inf. zu
sein, ebenso wie khlnat und gdkhint (die höfische form ist khöndn).
3) soln sollen: sg. 1. 3. söl, 2. solst; pl. 1. soln, solmr, 2. solts,
3. soln{t)\ conj. praet. solt, söht; part. JcsoU.
Das 0 des sg. ist über alle formen ausgedehnt worden, iolst ist natür-
lich analogiebildung (mhd. scholl). Die formen mit § (urspr. sk) haben sich
auch in einigen steir. ma. erhalten (Schmeller, BWb. 2, 402 führt scholl als
oberpfälzisch an; vgl. auch Schiepek, Egerl. ma. § 150,7). Ab und zu hört
man auch schon die höfische form sol.
4) mögii mögen: sg. 1. 3. mog, 2. tmjlcst (secundäre bildung);
pl. 1. mögn, mögmr, 2. möJc{ty, 3. mögf)(k); conj. praet. möxt,
mögdt\ part. gmöxt, gmök\
mögt) entspricht mhd. megen mit umlauts-e. möxt kann nur auf mhd.
mähte zurückgehen, denn mhd. mehte (mähte) würde *maxt entsprechen.
Dieser form bedient man sich nur zur Umschreibung des conj. praet., sonst
gilt die analogieform mögdt. gmöxt ist nach dem praet., gmö¥ nach dem
praes. gebildet, mögn wird noch häufig in der urspr. bedeutung 'können'
gebraucht.
§ 178 MUNDART VON PERNEGG. 219
5) midsn müssen: sg. 1. 3. muds, 2. tmidst; pl. 1. midsn, midsmr,
2. midsts, midts, 3. midsn{t)\ conj. praet, midst, midsdt; part.
gmidst, gmidt.
Der Schwund des s in der 2. pl. dürfte von lots lasset, beeinflusst sein.
Von da wäre er dann auch auf das part. übertragen worden.
mi9sn hat neben der bed. 'müssen' auch noch die alte 'gelegenheit
haben'; z. b. i hon gmi'jst heru ich hatte gelegenheit zu hören.
6) terfn dürfen, ist nur noch an der 3. sg. terf als urspr.
praet.-praes. erkennbar. Sonst flectiert es ganz wie ein schwaches
verbum: conj. praet. terfdt (nie terft)-, part. gdterft.
Schatz will das e auf *e zurückführen und setzt ein verbum d'erfan (?)
an, das früh das praet.-praes. verdrängt haben soll (I. ma. § 165). Es ist aber
doch auch möglich, dass dem e ein *o zu gründe liegt, das vom conj. praet.
aus auf die übrigen formen übertragen worden wäre (dafür würde auch die
häufige Schreibung dörffen in älteren quellen sprechen, vgl. BWb. 1,538).
Imsterisch tarf widerspricht dieser annähme durchaus nicht, darffld dörf-
lein, kxarb körbe (I. ma. § 46), sind m. e. nicht analogiebildungen, sondern
kurz gebliebenes *ö hat sich in der Imster ma. vor r ebenso regelmässig
zu a entwickelt wie *e.
7) Völlig schwach flectieren wie im nhd. taugij taugen,
{fr)gundn (ver)gönnen.
§ 178. Urspr. verba auf -mi.
1) sceindn, swin sein: sg. 1. pin, 2. pist, 3. is; pl. 1. scein,
sceimr, simr, 2. smits, 3. sint (schwachtonig auch sönt, snt, hnt);
3. conj. scei, pl. sceln. Der imp. stimmt zum nhd.: sg. scei, pl. sceits.
Die 3. pl. lautet im höfischen nach analogie der übrigen plural-
formen sceint, in Pernegg hört man diese form selten, wol aber
wird die 1. pl. häufig nach der 3. gebildet: simr für sceimr.
Praet. und part. werden von der wz. ices ergänzt: tcär Aväre,
und war, gwösn gewesen.
2) tgan{9n), tgan, tän{dn) tun: sg. 1. tud, 2. tudst, 3. tudt\
pl. 1. (t^an), t(^amr (tidmr), 2. tiots, tiopts, 3. tqamp, igamp
(schwachtonig t^mp). Daneben pl. 1. tiidn [tudmr\ 2. tud(p)fs,
3. timnp; imp. sg. und 3. conj. tuo, imp. i)l. tid{p)ts, tudts; praet.
tat (mild, tcete; tat ist höfisch, es entspricht dem mhd. tete);
part. gatgn.
Die 1. sg. ist natürlich analogisch. Der pl. praes. zeigt umlaut wie
die mehrzahl der praet.-praes. (vgl. auch Schatz § 168), doch überwiegt in
der 3. pl. die umlautlose form. ti9mr (mit td für fa) ist von ti9(p)ts be-
einflusst. — Die H3-formen des pl. entstammen der stadtsprache. — tia})ts
220 LESSIAK § 179. 180
(anch ihps\ teamp, tganip beruhen auf einer formübertragung (wahrschein-
lich hat der pl. praes. von 'haben" den anlass hierzu gegeben; vgl. übrigens
auch § 25, e, aum.). — Die ältere generation bedient sich nur der regel-
mässig entwickelten inf.-form tgun{dn). iän{dn) dringt von den taldialekten
aus vor (sein a für ga steht vielleicht unter dem einfluss des praet. tat).
3) g^andn, g^an gehn: sg. 1. g^a, 2. g^ast, 3. g^af; pl. 1.
g^an, gQamr, 2. g^ats, 3. g^ant; imp. sg. 3. conj. g§a, imp. pl.
g^ats. — Genau so wie g^an{dn) flectiert auch st^andn, st^an
stehn. — Die part. praes. g(^andnt{r\ st^andnt(r) sind neu-
bildungen zum infinitiv (vgl. auch Schatz § 169); g^ant{r\
st^ant{r) sind minder üblich. — Die praeteritalformen werden
von den stammen gang, stand gebildet: g^augdt, gau (gangdt)
gienge; stunddt, st^angdt, stant (standdt) stünde; part. ggwgdn
{gQv), TistQntn.
g^cwgdi entspricht, abgesehen von der secundären endung, dem mhd.
gienge] Meavgat ist natürlich eine analogieform. Auffällig ist Umuht mit u
statt des zu erwartenden oa (mhd. obd. *stuonde):, es handelt sich hier wol
um anlehnung an die praet. der dritten ablautsreihe, wie snvgdt u. s. w. —
Die formen gav(g9t), stant (Manddt) sind gegenwärtig die gebräuchlichsten ;
sie scheinen der stadtsprache entlehnt zu sein. Ohne zweifei stehen sie
unter dem einÜuss der zahlreichen praet. mit a als umlautsvocal.
Neben stqangdt hört man zuweilen auch st^andt (neubildung
zum inf. nach dem muster der schwachen verba). Praesens-
formen von den stammen gang, stand kennt die ma. nicht.
§ 179. Wollen,
ivöln wollen: sg. 1. 3. wil, 2. wilst\ pl. 1. ivöln, wölmr,
2. wöUs, 3. wüln(t); conj. praet. wolt, wöldt (auch wöldt); part.
gwöU. — ö ist primärer umlaut des ä.
e) Umschriebene formen.
§ 180.
Das praes. wird häufig mit tQan(on) tun, umschrieben: i tu9
lösn, JcJwhn, Qrwdtn ich lese, koche, arbeite [die zusammen-
gesetzte form drückt in der regel eine länger andauernde
(oder widerholte) tätigkeit aus; z. b. er sprinh' er springt (ein-
mal, slow. 5/i067), er tuot spriwgdn (widerholt, slow. s/i;ace)J; der
conj. praet. mit tat oder möxt (nie wUrat): i tat lösn, i möxt
lösn ich würde lesen; warmr rext wgnr tat {möxt) hhömdn es
wäre mir recht, wenn er käme (daneben natürlich auch Ichämdt)
Anhang MUNDART VON PERNEGG. 221
Zur Umschreibung des iud. praet. dient wie im nlid. 'sein' und
'haben': i pin glögv, Jcsösn ich bin (habe) gelegen, gesessen
(vgl. auch i pin mdrglögn, -Jxsösn ich habe mich niedergelegt,
-gesetzt), i hgn {pin) Mlgfn ich habe geschlafen.
Als conj. der Vergangenheit fungiert der conj. des plus-
quamperfectums: i ivar aufkstgntn ich wäre aufgestanden,
* hidts gniQxt ich hätte es gemacht (tvar und JiiQt können in
diesem falle nicht umschrieben werden).
Das plusquamperfectum wird ab und zu durch die Um-
schreibung mit 'bin gewesen', 'habe gehabt' ausgedrückt:
i hgn sg gösn khgt, wid-r is Möm ich hatte schon gegessen,
als er kam; ivid r sg ivceit is firJcfgrn givösn ... als er schon
weit vorgefahren war . . . ; doch kommt es hier mehr auf den
zustand an.
Das futurum wird mit 'werden' gebildet: der ivert gwräsn
der wird abreisen (sterben).
Zui' Umschreibung des passivs verwendet man 'werden'
und 'kommen', letzteres fast auschliesslich nur im praes.: dgs
wert (wet) oder Jchimp ksötn das wird gesotten, dgs lihimp
(ivet) asö Tisribm das wird so geschrieben (die Umschreibung
mit 'kommen' kennt auch das it. und wind.). — Conj. praet.:
i ivürdt drsösn ich würde erschossen (werden), dgs würdt (selten
Tihämdt) gdlihoxt das würde gekocht (werden). — Ind. praet.:
is. gdtsglt tvgrn es ist gezahlt worden (selten is gdtsglt khünmi).
— Ein eigentliches plusquamperfectum passivi fehlt. Die Um-
schreibung mit ivar oder is givösn drückt den zustand in der
Vergangenheit aus: dgs ivar gdlihoxt, dgs is goJchoxt givösn be-
deutet 'das w^ar gekocht (gar)'. — Der conj. plusqu. lautet wie
im nhd.: war Jcstoln wgn9 es wäre gestohlen worden. — Ebenso
das futurum dgs ivert gdtruMin wem das wird getrunken
werden (doch wird dafür lieber das einfache praes. verwendet).
Anhang.
A.
Ich stelle hier die wichtigsten (zum teil schon erwähnten)
fälle zusammen, in denen unsere mundart von der sie beeinflus-
senden Stadtsprache (dem höfischen, s. s. 2) abweicht.
222 LESSIAK Anhang
1. Lautlehre.
Das hüfisclie hat: offeneres ä für nia. geschlosseneres g; durch-
weg (kehlkopf-) r für ma. r und r (zungen-r, vgl. § 4, b). —
Es fehlen ihm eine reihe von assimilationen und übergangs-
lauten: höf. pl(Bipt, sgkt, ma. plceip, sglc'; höf. Ji<)mt, lög{t3)nt,
ma. hgnq), lögyU; höf. ^Jäwr, stänr; hulr^ Mml, seml, ma,. pandr,
standr-, holdr; himhl, semhl\ höf. sölni, wudrm, ma. sölhm, ivurhm;
höf. gr (= *ge + r-: gntn, grgstdt), ma. Jihr- {khrittn, IchrQstdt).
Vgl. dazu § 25 ff. — Was die vocalquantität anbelangt, so kennt
die Stadtsprache viel mehr dehnungen. In der regel entspricht
schwach geschnittenem vocal der ma. langer vocal im höfischen.
Die ma. regel, dass i {ii) vor t und g, o, u vor m immer kurz
sind, ist dem höfischen fremd; z. b. grltn, glUn, pitn, pütr, Ittr,
jjjtr, tsitr, tntin: ferner sönmi, prUmon, Ümr, tmr (immer). —
Die geminaten sind aufgegeben: hg-khn, po-pm, ma. hgk-khn,
pop-pm\ vgl. § 14. 15.
2. Lautgeschichte,
a) Yocalismus starktoniger silben: das höfische hat: e für
ma. ^a (=: *e und ce): höf. khle, sten, ma. khlea, st^an{dn)\ höf.
he höhe, fle flöhe, netn nötigen, stcsl stössel, lesn lösen, ma.
hqa, fl§a etc. (s. § 59. 65). — ö für ma. ga (= *o): höf. strö, tot,
höx, ostrn, stösn, ma. strga, tgat u. s. w. Der gegensatz in der
behandlung des urspr. o (> geschlossenem ö) und ce (> offe-
nerem e) ist sehr auffallend (s. § 64. Nagl, Eoanad s. 17, anm.).
— ipr für ma. gr {= *ör, ör): sudrg, muorgi), Icstudrhm, iidrt
ort, ma. sgrg, mgrgn, Jcstgrhm, grt\ höf. udr ohr, ma. gra. —
idr für ma. er (*ör): widrtr Wörter, idrtr örter (doch auch edrtr),
vgl. § 62. 63 (Anm. Die diphthongierung des i, u, auch e vor r
ist im höf. stärker ausgeprägt). — a für ma. au (=*w) vor m:
frsänidn, rämdn, JcJiäm, ma. frsaumdn, raumdn, kJiaum (s. § 68. 69).
— cei für ma. oi: fceidr, tmidr, tmifl, ma. föir, töir, toifl (s. § 75).
— id für ma. e^a (= *ie, üc) vor nasalen: didnen, khidn, widn
Wien, hidnr hühner, plisn, ma. d^andn, kh^an, {ts)w^an, h^andr,
plqandn (s. § 76. 78). Zu beachten ist höf. klüidnr, ma. kJil^anr
kleiner. — wa für ma. ga (= *uo) vor nasalen: griiQnidt, tudn,
md^. grgamdt, tgan{dn) (§ 77). — Zuweilen au für ma. a (=*öm):
tauf taufe, stauw staub, tsauwrn zaubern; doch auch khäfn,
läfn, räfn u. s. w. (§ 73).
Anhang MUNDART VON PERNEGG. 223
b) Vocalismus nebentoniger silben. Die stadtspraclie hat
diu'chweg -n für ma. -a der scliw. fem. (§ 81). — Es felilen
ihr adj. auf -«: höf. Unt, Imrw, ma. Ihida, liariva (§ 83). — Im
höf. erscheint -im für ma. -in (ahd. -unga): firmiü), ma. firmw;
7iis für ma. -nus {-nos); ig für ma. -e: fidrtig, msi. firte
(fertig); is für ma. -os: tämis, ma. tämds\ — -lix für ma.
-la: liamlix, röglix, ma. hamla, rögla. — Zuweilen -ix für ma.
-dx (ahd. -a/w): Mrceiilix, ma.. Jchrceiflox; ygl. ?Lnch. mtlix (milch),
ösix, rätix, ma. mildx, ösdx, rätdx. — Jtonf, liidrhst, ma. hgndf,
liiru'dst etc.
c) Consonantismus. Häufig anl. Jüi (selten g) für ma. Z::
Tilighiids, Jchceisn, ma. Jcglnids, hceisn; — inl. stets kh: slanJM,
rceinMole, toMr, nmJihn, ma. slanJcl, rcPÄnhdle, tokkr, mnkh) (die
aspiration des Ich ist im höf. im allgemeinen schwächer als in
der ma.).
3. Flexionslehre.
Der gen. fehlt der Stadtsprache in freier syntaktischer
Verwendung vollständig (fälle wie ma. s pirgr, s mam etc.
§ 122, b, 7 sind im höf. unerhört); ebenso der dat. pl. (§ 122. d).
— Statt des ma, a hat die stadtsprache e als umlautsvocal
des pl. zu Q, z. b. teg tage, swedrm schwärme, ekhr äcker, fedn
fäden, ivegn wagen, khestn kästen, 7negn magen, klircg)) kragen,
next nachte. — Nicht selten wird der pl. in schriftdeutscher
weise mit -e gebildet: pele balle, plene plane, tidre tiere, u.s.w.
(-e ist volltönendes, mittleres e, nicht ein »-ähnlicher vocal).
Abgeläutete conj. praet. sind in der stadtsprache fast ganz
verschwunden. Beinahe alle starken verba bilden den conj.
nach art der schwachen: rceiwot riebe, li9gdt löge, privgdt
brächte, u.s.w.
B.
Es dürfte nicht unangebracht sein, einiges über die laut-
verhältnisse des wind, nachbardialektes zu sagen, soweit ihre
kenntnis für die erklärung der Substitutionserscheinungen in
fremdwörtern von belang ist.
Urspr. c und gelängtes e, o sind in gewissen fällen (zumal
unter dem hochton) über eQ, oq zu id, lo geworden; es war
also möglich, die deutschen ie, uo durch entsprechende diphthonge
zu ersetzen, — Urspr. e" (?), o" («) sind durch offenes §, p ver-
treten, — Urspr. u (v) ist als reines, unsilbisches u erhalten.
224 LESSIAK
— f erscheint nur in fremdwörtern. — s, s sind fortes; h, d
stimmhafte verschlusslaute. — Stimmhafte consonanten bleiben
auch im auslaut unverändert. — Urspr. spirans x ist an- und
inlautend zu reinem hauchlaut h geworden; damit ist urspr. g
(über^) zusammengefallen. — Urspr. nicht palatale g, Je, x
sind vor hellen vocalen in { (urspr. j), ts, s übergegangen. — Für
die zeit der entlehnung der Ortsnamen ist in allen diesen fällen
noch der urspr. (bez. ein diesem noch sehr nahe stehender)
lautwert vorauszusetzen. — Die palatalität ist nur bei n er-
halten. — *i ist zu l, *i vor dunklen vocalen zu u geworden
(also mit urspr. « zusammengefallen), i) — Zur zeit, als die
Ortsnamen übernommen wurden, waren die palatalen conso-
nanten noch vorhanden, ebenso i vor velaren.
Inhaltsübersicht.
Seite
Einleitung 1
Lautlehre 8
1. teil: Lautphysiologisches 8
A. Allgemeines (§1) 8
B. Die einzellaute (§ 2—8) 9
§ 2. Einfache vocale, s. 9. — § 3. Diphthonge, s. 10. —
§ 4. Sonorconsonanten, s. 12. — § 5. Lippenlaute, s. 13.
— § 6. Zahnlaute, s. li. — § 7. Kehllaute, s. 14. —
§ 8. h, s. 15.
C. Zur articulaticnsstärke der consonanten (§ 9—18) . . 15
§ 9—13. Fortes und lenes, s. 15. — § 14. 15. Gemination,
s. 18. — § 16. 17. Schwächung; reduction, s. 20. — § 18.
Secundäre stärkeunterschiede, s. 21.
D. Lautverbindungen (§ 19—28) 22
§ 19. Ein- und absatz, s. 22. — § 20. Berührung von
vocalen, s. 23 ; — § 21. von vocal + consonant, s. 23. —
§ 22. Nasalierung, s. 24. — § 23. Vocal -f r. Brechung,
s. 25. — § 24. f (p) vor h, s. 26. — Berührung von con-
sonanten : 1) § 25. 26. Entwicklung von übergangslauten,
s. 26. — § 27. 28. Assimilationen, s. 29.
^) Vgl. die verschiedene behandlung des deutschen l in bula fülle, und
hu9ua schule. Jenes wurde als *Otila, dieses als *Sogla übernommen.
MUNDART VON PERNEGG. 225
Seite
E. Die präfixe gc- und he- (§ 29. 30) 31
F. Besondere erscheiuungeu (§ 31—35) 34
1) Feruassimilation und -dissimilation: § 31. Assimila-
tion, s. 34. — § 32. Dissimilation, s. 34. — 2) Unorga-
nische t (§ 33), s. 35. — 3) Sandliierscheinungen (§ 34),
s. 35. — 4) Keste des mhd. auslautsgesetzes (§ 35), s. 38.
G) Vocalquantität und Silbentrennung (§ 3G— 43) .... 38
§ 30. Allgemeines, s. 38. — 1) Starktonige silben in nicht
oxytonierten Wörtern: § 37, s. 40. — § 38. Offene silben,
s. 40. — § 39. Geschlossene silben, s. 40. — 2) Stark-
tonige silben in oxytouis, bez. einsilbige Wörter: §40.
41, s. 42. — 3) Quantität in nebentonigen silben : § 42,
s. 43. — § 43. Nachträge, s. 43.
H. Zur kenntnis des accents (§ 44—51) 45
1) Dynamischer accent: § 44. 45, s. 45. — § 46. Compo-
sita,, s. 47. — § 47. Hauptaccent auf nebensilbeu. Accent-
umstellung, s. 50. — § 48. Satzaccent, s. 52. — 2) Toni-
scher accent : § 49, s. 52. — § 50. Satzaccent, s. 53. —
§ 51. Tonischer wort- und silbenaccent, s. 56.
2. teil : Geschichtliche entwicklung der laute 58
I. Der vocalismus starktoniger silben (§ 52—79) .... 58
A. Mhd. a, ä, ü, (c: § 52. 53. Mhd. a und ä > o^, s. 58.
— § 54. 55. Mhd. (obd.) ä und w > ä, s. 60. — B. Mhd.
e, e,e: § 56. Mhd. e, s. 66. — § 57. 58. Mhd. e, s. 68. —
§ 59. Mhd. e, s. 70. — C. Mhd. /, r. § GO. Mhd. /, s. 71.
— § 61. Mhd. /, s. 71. — D. Mhd. o, u und deren umlaut:
§ 62. Mhd. 0, s. 72. — § 63. Mhd. ö, s. 73. — § 64. Mhd. ö,
s. 74. — § 65. Mhd. ce, s. 74. — E. Mhd. u, ü und deren
umlaut: §66. Mhd. w, s. 74. — §67. Mhd. ü, s. 75. —
§ 68. Mhd. {(, s. 76. — § 69. Umlaut des mhd. ii, s. 77.
F. Die mhd. diphthonge ei, ou, iu: § 70. 71. Mhd. ei, s. 77.
§ 72. Umlaut des ei, s. 79. — § 73. Mhd. ou, s. 81. —
§ 74. Umlaut des ou, s. 82. — § 75. Mhd. in, s. 83. —
G. Mhd. ie, no, üe: § 76. Mhd. ie, s. 85. — § 77. Mhd. no,
s. 86. — § 78. Mhd. üe, s. 86. — § 79. Uebersicht der
entsprechungen der ma. vocale und der vocale im mhd.,
s. 87.
n. Der vocalismus nebentoniger silben (§ 80—94) ... 87
A. Auslautende vocale 87
§ 80. Schwund von mhd. -c, s. 87. — § 81 ff. Erhaltung
desselben, s. 88. — § 85. Dcminutiva, s. 92. — § 86.
Die weibliehen adjectivabstracta, s. 96. — § 87. Die
vocalischen auslautsverhältnisse in benachbarten dia-
lekten, s. 96. — § 88. 89. Zur erläuteruug, s. 98.
Beiträge zur gcschichte der deutschen spräche. XXVIII. j^5
226 . LES8IAK
Seite
B, Inlautende vocale 103
§ 90. Lebendige bildnng-ssuffixe, s. 103. — § 91. Son-
stiger vocalschwuud in nicht haupttonigen silben,
s. 107. — § 92. Abschwächnng von vocalen in neben-
tonigen compositionsgliedern, s. 108. — § 93. Neben-
tonige vocale vor der starktonsilbe, s. 109. — § 94.
Vocalismus miiidertoniger Wörter, s. 109.
III. Der consonantismus (§ 95—120) 112
A. Lippenlaute 112
§ 95. Germ, p, s. 112. — § 9(5. Germ, b, s. 112. —
§ 97. Germ. /; s. 115. — § 98. Germ. 7v, s. 115. —
§ 99. Germ, m, s. IIG. — Entsprechungen fremder
labiale: § 100. Behandlung der labiale in fremd-
wörtern der ma., s. 117. — § 101. Behandlung deut-
scher labiale in fremdwörtern des wind., s. 119. —
§ 102. Zur erläuterung, s. 120.
B. Zahnlaute 126
§ 103. Germ, t, s. 126. — § 104. Germ, d, s. 127. —
§ 105. Germ, ß, s. 129. — § 106. Germ, s (ss), s. 131.
§ 107. § aus germ. sk u. a., s. 133. — § 108. ß, s. 133.
— Entsprechungen fremder s- und §- laute: § 109.
Behandlung wiudischer Zischlaute, s. 136. — § 110.
Deutsche s- und s-laute im wind., s. 137. — § 111.
Zur erläuterung, s. 139. — § 112. Germ, n, s. 142. —
§ 113. Germ, l, s. 143. — § 114. Germ, r, s. 143.
C. Gaumenlaute 144
§ 115. Germ. Je, s. 144. — § 116. Germ, g, s. 149. —
§ 117. Fremdes Je, s. 152. — § 118. Germ, x, s. 155.
— § 119. Germ, j, s. 158. — § 120. Zur relativen
Chronologie der lautentwickluug, s. 158.
Flexionslehre 159
A. Das Substantiv (§ 121-142) 159
1) Das genus (§ 121), s. 159. — 2) Die casus (§ 122), s. 161.
— 3) Flexionsklasseu. Plnralbildung: a) Männliche haupt-
wörter: §123. Allgemeines, s. 165. — §124-127. Stark
flectierende masculina, s. 166. — § 128—132. Schwach fiec-
tierende masculina, s. 171. — b) Sächliche hauptwörter:
§ 133—135. Starke flexion, s. 174. — § 136. Schwache
fiexion, s. 176. — § 137. Flexion der demiuutiva auf -le,
s. 176. — c) Weibliche hauptwörter (§ 138—142), s. 177.
B. Das adjectiv (§ 143—150) 183
§ 143—147. Flexion, s. 183. — § 148-150. Steigerung,
s. 188.
MUNDART VON PERNEGG. 227
Seite
C. Das pronomen (§ 151—156) 192
§ 151. Ungeschlecbtig-e fürwörter, s. 192. — § 152—155.
Geschlechtige fürwörter, s. 19-t. — § 156. Indefiuita, s. 199
D. Das Zahlwort (§ 157—158) 201
E. Das Zeitwort (§ 159—180) 203
1) Das praesens: §160—163. Flexion, s. 203. — § 163.
Nominalformen, s. 206. — 2) Das praeteritum : § 165. 166.
Flexion, s. 208. — §167. Particip, s.210. — 3) Die ab-
lautsreiheu der starken verba (§ 168 — 175), s. 211. —
4) Zum schwachen verbum (§ 176), s. 217. — 5) Unregel-
mässige (praeteritopraeseutia, verba auf -mi; § 177 — 179),
S.21S. — 6) Umschi-iebene formen (§ 180), s.220.
Anhang
Ä. Die Stadtsprache 221
B. Das windische 228
WIEN. PEIMUS LESSIAK.
15*
DIALOG VON LUTHER UND DER BOTSCHAFT
AUS DER HÖLLE.
Der Dialogus von Luther und der geschickten botschaft
aus der hölle (1523) verdankt es nicht dem berühmten namen
seines Verfassers, dass er in die Braune'schen Neudrucke auf-
genommen worden ist, denn er ist namenlos überliefert und
auch sein herausgeber Ludwig Enders behandelt ihn als anonjm,
er dankt es allein seinem interessanten Inhalt und seiner an-
mutigen darstellung. Der böte des teuf eis, der von Luther
durch die erste hälfte des gesprächs für einen päpstlichen
gesanten gehalten wird, weil er die päpstliche saclie zur seinen
macht, der reformator, der den gegner mit gottes wort schlägt
und gegen seine glänzenden Versprechungen unbestechlich
bleibt, sie sind mit wenig zügen und ohne viel dialektische
kunst so sicher und liebevoll gezeichnet, dass man in dem
schriftchen nicht das vereinzelt gebliebene werk eines un-
bekannten sehen möchte, ausdruck und stil des Dialogus sind
so unmittelbar und kraftvoll, dass man seinen Verfasser, wenn
er noch andere werke verfasst hat, darin unschwer widerzu-
finden hoffen dürfte.')
Den plan, Luther dem teufel gegenüberzustellen, wie einst
der heiland ihm gegenüber gestanden hatte, und ihn aus dieser
Versuchung siegreich hervorgehen zu lassen, konnte nur ein
getreuer anhänger des reformators entwerfen und ausführen.
Wer es tat, musste zudem wissen, dass Luther von solchen
teuflischen anfechtungen heimgesucht wurde. Darüber bleibt
1) Im text des neudrucks lies 4, 6 Tdopfft, G, 3 du gnügsam, 20 Pha-
raonis, 27 griefs statt getvifs, 7, 6 vnser feyndt vngnediger, 10, 22 dMrb,
12, 10 merlin statt mendüin, 18, 2 serer statt seer, 21, 21 seinen, 26 ich
im, 25, 5 dgeysÜichen, 28, 4 gröblicher statt glöblicher, 29, 1 sie.
DIALOG VON LUTHER CND DER BOTSCHAFT AUS DER HÖLLE. 229
gar kein zweifei, dass der Verfasser Luthers Schriften genau
kennt, einzelne führt er ausdrücklich an, wie s. 24 den Sermon
vom ablass, s. 13 das Büchlein von weltlicher oberkeit; er nennt
]^ck und Emser Geclc und hoclc Emser, spricht von papstesel
und plattenträgern, banumeister und Sophisten ganz wie Luther.
Er spielt mit dem gedanken, dass sich Luther mit dem papste
auss()hnen und einen cardinalshut annehmen sollte, wie Luther
AVeim. ausg. 8, 692. 695, er verteidigt Luther gegen den Vorwurf
der Streitsucht wie dieser sich selbst, Weim. ausg. 8, 705; fast
mit Luthers Worten (Antwort deutsch. 1522. F3b) sagt Dia-
logus 4: ich- sitz alliie vnnd hemülie mich, das alt Testament,
ivelclis jr (jeysilichen ein verfürung heyfst, den armen Leyen
vollend zu tcütschen. Aber die bekanntschaft mit Luther ist
nicht bloss literarisch: das lässt sich für den, der die Witten-
berger luft nicht spürt, die durch den Dialogus weht, aus
einzelheiten beweisen. Der besuch des teufeis findet statt wäh-
rend Luther an der Übersetzung des Alten testaments arbeitet :
der Verfasser musste also wissen, dass Luther 1523 dieses
übersetzte, vielleicht auch, dass er bei der Übersetzungsarbeit
besonders unter teuflischen anfechtungen litt. Luther trägt
nach Dial. 18 eine kutte: auch in diesem keineswegs selbst-
verständlichen zuge zeigt sich der Dialogus gut unterrichtet.
Fasst man die zeit ins äuge, in der der Dialogus verfasst ist,
so. ergeben sich neue intime beziehungen zu Luthers AMtten-
berger kreise. Anfang märz 1523 erschien Luthers schrift
Vom mönchskalb zu Freiburg, darin kommt das kalb von Lands-
burg vor (\\'eim. ausg. 11,380), das auch Dial. 9 erwähnt wird;
am 5. juni 1523 beendigte Jörg Gastel in Zwickau einen nach-
druck des Dialogus. ') Innerhalb der damit abgegrenzten zeit
lässt sich die entstehung des Dialogus durch eine bemerkung
auf s. 13 näher festlegen: du hast yetzund in eynem büchlin
die oherJceit gar versprochen, tvürst dir die fürst feyn vff den
halfs laden, es geet bereit crucißge über dich. Luthers Büchlein
') Einen anderen naclulruck wol Augsbnrg-er lierkunft, dessen titel
Goedeke (Gruudriss2-, 269, no. 22 a) abdruckt, besitzt die Universitätsbiblio-
thek zu Heidelberg. Sinnesvarianten: 3,19 antzaigung bryngt, i, 22 wolle nt,
5, 15 habst, 17 ivill, 9, 8 verstand, 20 Lantzhurg ein ivenig geschlagen,
27 geyfern, 10, 21 stäcken, 14, 4 mit applas, 16, 33 liechtlich, 18, 12 ive-
rest, 22, 31 verwirff, 26, 23 antzeigug, 27 in cV du, 27, 5 schrifft.
230 GOETZE
von weltlicher oberkeil ist vor dem 21. märz 1523 erschienen,
an diesem tage beschwerte sich herzog Georg bei Friedrich
dem Aveiseii über diesen neuen angriff und bat gegen Verfasser
und drucker A'orzugehen (Luther Weim. ausg. 11, 230). Das ist
un^'erkennbar das cnicif'Kje, das über Luther ausgeht: in den
tagen nach dem 21. märz, noch ehe man in Luthers kreise die
bedeutungslosigkeit der neuen bedrohung erkannt hatte, werden
die Worte des Dialogus geschrieben sein. Ist diese datierung
richtig, so kann der Verfasser des Dialogus den unterschied
zwischen dem glauben von gott und dem glauben in gott, den
er s. 15 übereinstimmend mit Luther Weim. ausg. 11,453 auf-
stellt, nicht aus Luthers Sendbrief an die böhmischen brüder
gelernt haben, denn dieser wurde erst ende april 1523 gedruckt,
sondern nur aus Luthers munde. Aus dem Umgang mit Luther
wird er auch eine reihe von dessen lieblingsausdrücken kennen
gelernt haben, durch die er seinem schriftchen den hauch der
echtheit gab, die aber literarisch von Luther erst in späterer
zeit oder nur in briefen verwendet wurden (vgl. die nachweise
bei Ph. Dietz, Wörterbuch zu Luthers deutschen Schriften):
Ey, fart schon, herr domine Dialogus 9, ein war erleücldnüfs
in Christo Jesu 4, wie man mir zu Wurmhs dennocht anmuten
dorfft 8.
Gehört demnach der Verfasser unverkennbar in Luthers
Wittenberger kreis, so ist ohne weiteres wahrscheinlich, dass
es ein theolog ist. Einzelne züge des dialogs bestätigen die
annähme. Der Verfasser kennt das Alte testament und führt
es an, ehe Luthers Übersetzung gedruckt erschien; er übersetzt
sich die stellen, die er braucht, selbständig aus der Vulgata
und folgt nicht den vorlutherischen Übersetzungen: 3. Mos. 26, 36
übersetzt Dial. 10: förcht sich vor eynem rauschenden hlat, die
Augsburger bibel von 1477: Der dann des fliegenden lauhs wirt
sy erschreken,^) Daniel 8,25: On handt wirt er gar zerstört
werden, die Augsburger bibel: vnd wirt zerknischet on hand.
Der text der Vulgata blickt durch in den Wendungen: Solch
schrecknüfs gibt die schrifft jren feynden: wolan, ivas sol ich
') Dagegeu z. b. in den 'Fyertzehen schöner christlicher predig Doctor
Martin Luthers, newlich des jars Christi .M.D.xxij. zu Wittenberg geprediget'
A4b u. ö.: das sich züuor vor einem rauschenden hlatt forcht, das förcht
sich vor allen teüfelen nit.
DIALOG VON LUTHER UND DER BOTSCHAFT AUS DER HÖLLE. 231
viel (Ja von sagen? Es ivirt bald seyn: expirauit (Mattli. 27, 50)
Dialogus 10, und das eben erwähnte crwci^^e (Marc. 15, 14 f.)
Dialogus 13. Ein latinismus sind die worte s. 16: ivir sollen
lins Christo zu eigen gehen 'mit der lieh vnd ivolthüung vnserm
nechstcn'] tlieologisches interesse verrät der Verfasser aucli,
wenn er auf den Jezerliandel anspielt, indem er den teufel
s. 18 f. sagen lässt: Wcgstu nit, das ivir zu den Mimclien des
(prediger-) ordens ivallen gegangen seynd, vnser heymliche ver-
reterey durch sie zu ivegen bracht, als zu Bern, wie ander sivo
vier. Auch die schulausdrücke der logik weiss er zu ge-
brauchen: Das liUn mir ein Sophistisch argument seyn, in den
du Schulmeister bist s. 26, sihe, hye distinguiret Christus, darumh
distinguier ich auclt. Aher deine schüler vnd schidhjnder, die
Soj^histen, wollen nit distinguiren, da die gesehrifft distinguiert,
da aher die schrifft nit distinguiert, da tvöllen sie distinguiren
s. 27. AVenn es schliesslich kein zufall ist, dass der böte des
teufel s Agaros lieisst wie der könig der Skythen bei Diodorus
Siculus 20, 24, 3, so wäre darin eine spur klassischer bildung
zu sehen.
"SA'eist so der Inhalt unsrer schrift auf einen federgewanten,
für Luther begeisterten theologen des Wittenberger kreises, so
weist ihre sprachform auf einen rheinfränkischen Verfasser.
Die einleitenden verse s. 3 schliessen:
Als vns Martinus auzeyg gnüg breugt.
Ewer scheyiien ist zum Teufel geseudt.
Das damit gesicherte e in hrengen, die reime thust : tvüst, tandt :
gepfandt, Gott : halt s. 3 und der ausdruck mit vollen geyffeln
= 'bänden' s. 9 (ostmd. fehlt dieses wort, obd. hat es keinen
Umlaut) weisen übereinstimmend darauf hin. Unter Luthers
Schülern und freunden vum beginn der zwanziger jähre, die
aus Kheinfranken stammten, ist aber nur einer, der so viel
formtalent bewiesen hat wie der Verfasser des Dialogus, der
zudem wie dieser mit der feder für seinen meister eingetreten
ist und sich nicht auf gelehrt theologische schriftstellerei be-
schränkt hat: der f abeldichter Erasmus Alberus. Und auf
diesen weist mit voller bestimmtheit und unmittelbar ein aus-
druck am ende des Dialogus: tvie gefeit dir die Jcreyden, du
arglistiger teufel? Das seltene wort kreide aus it. grida =
'losung' wird in dieser Verbindung vom DWb. nur angeführt
232 GOETZE
aus Albers schrif t Avider Witzel K 7 a , aber liier stimmt der
ausdruck wörtlich zu unserer stelle: etver gehet ist erhört,
Wif^el ist hcliert, ivie gefeilt euch die hreid? Es ist gewagt,
Alberus ein neues werk zuzuschreiben, nachdem Franz Schnorr
von Carolsfeld in seinem buclie über Alberus so sorgfältig
echtes von unechtem geschieden und seitdem Michels' urteil
über dieses buch (Anz. fda. 23, 174) zu recht bestanden hat:
es wird nicht so leicht gelingen, zu dem mit emsigem fleiss
in jahrelanger arbeit zusammengetragenen material noch irgend
ein neues bausteinchen hinzuzutun. Es ist also pflicht, unsere
annähme durch vergleichung des dialogs mit Albers schritten
eingehend zu begründen.
Allgemeine gründe sprechen nicht gegen die annähme.
Alber ist, wie Schnorr s. 2 annimmt, eher vor als nach 1500
in der Wetterau geboren, bezog im juni 1520 die Universität
Wittenberg und wurde hier, nachdem er einige zeit in Carl-
stadts banne gestanden hatte, der unbedingte anhänger Luthers,
der er zeitlebens geblieben ist. Zur Verteidigung Luthers
schrieb er ende 1523 sein Judicium de spongia Erasmi Rotero-
dami, das bisher für seinen ersten schriftstellerischen versuch
galt; als Luther starb, widmete er seinem andenken ein grosses
lied (Wackernagel no. 1052); eine geschichte des schmalkal-
dischen krieges, die er 1548 zu schreiben unternahm (Strobel,
BeA^träge 1, 205 ff.), wurde unter seiner hand zu einer auf-
zählung der Lutherschen kriegsprophezeiungen und -drohungen,
und am ende seines letzten buclies 'Wider die verkehrte lehre
der Carlstader' (Neubrandenburg 1594) widmete iVlberus einen
längeren abschnitt, den wärmsten des ganzen buches, der per-
sönlichkeit des verehrten meisters. Fast möchte man sagen,
es wäre seltsam, wenn an der schwelle dieses schrif tsteller-
lebens ein werk stünde, das einen andern gegenständ hätte als
Lutlier. Der grundgedanke des Dialogus, dass dem teufel in
der hülle bang wird vor dem neuen gegner, der ihm die seelen
abspenstig macht und sie in schaaren zu gott führt, so dass
der teufel auf abhilf e sinnen muss, kehrt in Albers Schriften
oft genug wider, z. b. im Unterscheid der evangelischen und
papistischen messe B4a: ich weifs seer tvol, u'a es dem teufel
ligt, darumh er souil schivermer anrieht: er fillt wol was jm
für ein abbruch an seini reich geschieht diir D. M. Luth. leer,
DIALOG VON LUTHER UND DER BOTSCHAFT AUS DER HÖLLE. 233
und namentlicli Wider die Carlstader Aa3b: Idi Jeans zwar
dem Teufel nicht verdenchen, das er D. Martinum mit solchen
(jifftigen Worten angreifft. Denn JD. Martinus ist jm mit Heeres
lirafft in sein lleich gefallen, dasselbe geplündert, vnd vns den
verstandt vnd fruclit der H. Sacrament wider her für bracht,
vnd viel hundert tausent seelen aus seinem hellischen Bachen
gerissen hat . . . Drumb {sage ich) hm ich Juncker Satanam
nicht verdenclcen, das er so tobet. Auch den Vorwurf, der im
Dialogus Luther vor allem g-emacht wird, kennt die schrift
Wider die Carlstader: Vnd D.Mart. Lutli. hat auch offt müssen
hören, er thete jhm zu viel, ivere stoltz, vnd allzu heftig, tvolt
niemand iveichen, etc. Solches sagt vnd Jdagt der Teuffei durch
seine Werclczeuge, die wollen jr ding vngestrafft haben E, 1 a,
und: {Athanasius) Ward derhalben haistarr icht, vnd Philonicus
(wie D. Martinus) gescholten, der allen der Kirchen frieden
hindert . . . Eben also gieng es auch B. Martino, Denn die
Weltiveisen vnd Bauchlcnechte sagten, Es ivcre ein geringes,
darumb er mit dem Ziüingel zancMe R 4 a.
Dass sich Alberus viel mit dem teufel beschäftig't hat,
wäre, wenn es bei einem theologen des IG. jh.'s des beweises
hierfür bedürfte, leicht zu beweisen. Sein teufelsglaube war
auch concret genug, um sich zur dramatischen einführung des
fürstlichen JSlotarius aufs der Helle (Dialog" 18) verdichten zu
künneu. Den besten beleg dafür, bietet eine eingäbe Albers
vom 4. sept. 1535, die Schnorr s. 168 mitteilt: Wietvol ich durch
ördenlichen beruff erweit bin Gottes wort hie vnd zu Oötzcn-
hain zu iiredigen, so hat doch der Satan auch ein Cappelan
neben mir auffgestellt, der xyrediget den baivern bei dem Wein,
nemlich den Schidtlieifsen . . . Wann ich predige, so sitzt diefser
des Teuffels cappelan lieber bei dem ivein, vnd der billch als
ein betagter vnd darzu ein Schidtheis, dem volck soll gut exempel
geben, ergert dassclb mit Verachtung des Euangelij. Auch an
der stelle, wo man es am wenigsten erwarten sollte, in Albers
Dictionarium, erkennt man oft, wie viel ihm der teufel zu
schaffen gab: hier schliesst die beschreibung der riUnischen
Floralia: solche sjyil vnd dergleichen vnzehlich ding, hat der Satan
mit den Heyden getrieben zz3a, ferner: trotzen accipitur etiam
in bonam x>artem, als gegen dem teuffei vnd seinem anhang
trotzen KKlb, Episcopus dicitur inspector, specidator, dafs
284 GOETZE
er ivol zusehen vnd waciccr sein sol, duniil er vom ieuffel nit
ühereilt iverde T 1 4 b. Dabei ist sein teuf el niclit das grinsende
Scheusal, wjie es Luther auf der Wartburg- erscheint und wie
])ürer es malt, sondern er ist leidlich cultiviert, treibt politik
und nimmt an den theologischen Streitigkeiten der zeit mit
dem interesse des nächstbeteiligten teil, liest die Streitschriften
namentlich der gegner Luthers und sucht sie zu inspirieren.
Wie gefeit dir der hochgclerte Doctor Teuffei? Ist er niclit ein
feiner Tlieologus? Wo mag er doch ivol promouiert sein (Wider
die Carlstader Ff 8b). Diese frage kann man auch an den
teufel des Dialogus stellen, der sich als fürstlichen notarius
vorstellt, mit der kutte des dominicaners sich auch dessen
theologische bildung zugelegt hat, Emser und Eck, die Leip-
ziger disi)utation und den reichstag von Worms kennt, die
bibel und Luthers schritten anführt.
Die Übereinstimmung zwischen Dialogus und Albers
Schriften erstreckt sich auch auf einzelne sätze und ausdrücke.
Bapst Mit erht nit, heisst es Dialogus 13, IleiligJceit erht nicht
AVider die Carlstader A3a. Dialogus 24 wird Christus der
Christliche glitte ablafs genannt im gegensatz zu dem falschen,
päpstlichen, ebenso Unterscheid der evang. und papist. messe
A2a: (Luther predigt) das tvir allein durch den namen Christi,
so ivir an jhn glauhen, selig werden nn'isten: das sey der rechte
aplafs. Emsei' wird Dialogus 7 hock Emser genannt, dazu vgl.
bei Alber Fabeln 8, 88 BocTts Einser lieher Bomine, Wider die
Carlstader N n 3 b Box Emser. Der scheltname papstesel findet
sich auch in Albers Fabel 33, in seinem Te deum bei Schade,
Satiren und pasquille 1, 46, ') sowie in seiner Predigt vom ehe-
stand 1546. B3b und E3a. Der Dialogus schliesst auffällig
genug für eine protestantische Streitschrift mit einer 'Sequentia
in laudem resurgentis Christi per Lutheranos'; Unterscheid
Cla empfiehlt Alberus: da ists fein, das man die gute Latei-
1) Schnorr s. 47 nimmt nur dieses stück der 'Newen zeittung von Rom,
Woher das Mordbrennen kome' für Alberus in anspruch, doch dürften auch
die beiden andern stücke (Schade, Satiren 1, 211 — 214-) ihm geliören, darauf
weist der hass gegen Witze! , das abermalige voikoramen des papstesels s. 214
und daselbst der hüljsche ausdruck: Derhalbcn möcMs leicht geschehen, das
ehva ein newer Herr Georg von Fronsberg gegen Jiom kome, vnd Bepst-
licher Heiligkeit von JJeudscher Nation tvegen die füsse küssete.
DIALOG VON LUTHER UND DER BOTSCHAFT AUS DER HÖLLE. 235
nische gescng hchelt, als die guten Introitus, Kyrie eleison,
Älleluia, die schöne Christliche Seqiient2, Patrein, Sanctus,
Agnus dci. etc. Mit dem ausdruck: vnser hertzcn scynd gar
lang mit Bäpstliclien vcrgyfftcn x)feylen durchschossen gewcfst
(Dialogus 12) vergleiclit sich: so ist der Tcüffel so zornig worden,
das er vnder vns segne gifftige feicrpfeil seheilfst Unterscheid
Alb. Des teufels miitter spielt ilire rolle Unterscheid T)3a,
Alcoran 80. 81. Wider die Carlstader Hl. J2a wie Dialogus G.
Endlich stimmen Alberus und der Dialogus im g-ebrauch
einzelner werte und wortformen überein. Nach K. Fundingers
dissertation, Die darstellung der spräche des Erasmus Alberus,
Freiburg- 1899, s. 71 f., kennt Alberus rückumlaut hauptsächlich
bei den verben mit Wechsel von e und «; dazu stimmt der
reim tandt : gcpfandt Dialogus 3; nach Fundinger s. 75 ist bei
Alberus die form gewesen ganz vereinzelt neben geivcst, das-
selbe Verhältnis herscht im Dialogus. Die stimme der elster
heisst Dialogus 7 gccken, ebenso in Albers Fabeln 5, 50 die der
frösche. Das im 16. jh. sonst nicht häufige verbum orgdn
braucht Dialogus 12. 17 wie Alberus Unterscheid B3b (fünf-
mal). B 4 a u. ö. Wider die Carlstader T 7 a. Die auch Luther-
sche Wendung es thut mir sanft steht Dialogus 21 wie Unter-
scheid D 2a. Alcoran 118 b. Wider die Carlstader 0 5 a. So2^hist
braucht Alberus als Scheltwort für die päpstlichen gegner in
dem liede bei Liliencron 4, 514 ganz wie Dialogus 5. 26. 27.
Ebenso sind lieblingsausdrücke Albers und des Dialogus störrig
Zs. fdph. 21, 452. Eyn gut buch von der Ehe Gib. Wider die
Carlstader Nn5a. Dialogus 9, 13; übergehen = 'verlassen' (Zs.
fdw.2, 77) Fabeln 21, 57. 26,63. 27,53. Unterscheid C 4 b. Al-
coran 52 b. Dict. B 2 a. rr 2 b. Eyn gut buch von der Ehe C 4 a.
F2b. G4a. Schnorr 166. 181. 189. Dialogus 25; toll und thöricht
Fabeln 23, 129. 30,106. 49,67. Dict. Oo2b. xxlb. Wider die
Carlstader F4a. Gib. M8a. Z4b. Kk8a. Mm6a. Dialogus 29;
wallen laufen oder gehen für einfaches 'wallen" Alcoran Ib.
6b. 15b. 45b. 66b. 87b. Dialogus 17. 19. 24; Wust Dict. AA2a.
Eyn gut buch von der Ehe F 2 a. Dialogus 3.
Darf man nach alledem den Dialogus mit bestimmtheit
Erasmus Alberus zuschreiben, so gewinnt man damit zweierlei:
einmal wii'd der Dialogus aus dem unabsehbaren meer der
flugschriften jener tage gerettet und erhält seine Stellung als
236 GOETZE
erstlingswerk eines evangelisclien tlieologeii, der noch oft mit
gleicher treue und gleichem geschick für Luther eintreten
sollte. AVichtiger ist die andere seite : man erhält einen festen
ausgangspunkt für die lebensarbeit eines theologisch und lite-
rarisch bedeutenden reformators in einem schriftchen, das
beiden Wirkungskreisen dieses mannes gleichmässig angehört
und in jeder beziehung höchst charakteristisch und erfreulich
ist: in der unbedingten hingäbe an den grossen meister, dem
schonungslosen kämpfe gegen die gegner, der klarheit des
planes, der anmut und heiterkeit der darstellung.
FEEIBUKG i. Br. ALFEED GOETZE.
EINE VADIANISCHE FLUGSCHRIFT.
Anfang 1523 ist, nach ausweis der typen bei Adam Petri
in Basel, eine reformatorische flugschrift erschienen unter dem
titel: Der Schlüssel Dauid. | Ich schleüfs auff die finsternils
Egypt I Trost meine freündt, nach dem sichs begibt | Zu den
die Sonne ir krafft mag hau | Mit Pharaon änderst vmb gan |
Im sein narren kolben zeygen | Doch, die f rösch mag nyemant
geschweigen. | Am ende: M.D.xxiij. iar des dritten tags Januarij.
i JN I Geheiliget werd dein nam, | zukump vns dein reich. |
Amen | 3 bogen 4". Es ist eine trostschrift an die brüder in
hoch- und niederdeutschem lande, die um des evangeliums willen
verfolgt werden. Das evangelium wird unterdrückt, weil gott
die torheit der Avelt deutlich zeigen will, wie einst an der Ver-
stocktheit Pharaos. Papst und kaiser gehen in der Verblendung
voran, sie verfolgen die frommen Untertanen als rebellen.
Durch Verfolgung wird gottes wort stark. In der hölle werden
einst die gewaltigen büssen, darum ist auf erden kein stand
gefährlicher als die obrigkeit. Sie steht nicht über, sondern
unter dem göttlichen rechte, das viel besser ist als das kaiser-
liche oder gar das geistliche recht ist. Nach ihm haben David
EINE YADIANISCHE FLUGSCHRIFT. 237
u. a. grosse reiche regiert, wenn wir unser recht selbst machen
wollen, so ist das vermessenheit und der Ursprung aller finsternis.
Wir wollen der Verfolgung mit gott entgegengehen: was ist
stärker als seine Wahrheit? sie ist die feuersäule zwischen
Israel und Pharao. Geht getrost in den bittern kämpf, den
euch gott zu euerm heile auflegt, er ist nötig und siegreich.
Aus einigen werten und Wendungen der flugschrift ergibt
sich die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur ihr drucker, sondern
auch ihr Verfasser der Schweiz angehört, vgl. Vom hapst vncl
Iceyser steigt die finsternis in alle stcnd nid sich A4a; doniit
oherTieit vnd vnderthonen ^u hellen nid sich /"arewBSb; so ein
solcher schivartzer nchel vnd finsternifs vom hymel ahsicli steigt
A4a, ferner die worte gelangen 'zu teil werden' B3a, üher-
lengen 'übertreffen' B4a. b, vngchorsami C 1 a. Die Verbindung
sacJc vnd scill 'alles zusammen' A3b belegt das DWb. aus
Schweizer autoreu; der ausdruck: es hraucht aber vil schnüffens
C2b findet sich wider bei Maaler 359c: ein arheitsamer und
müysäliger handel, der vil schnauffens braucht.
Der inhalt der flugschrift ergibt für die feststellung ihres
Verfassers wenig. Das quaken der frösche wird Clb als
Apollo, Apollo gedeutet und den fröschen die hauptleute Bode-
lardus und Croacus gegeben: das deutet auf humanistische
.bildung des Verfassers. In der einleitung wird die weit in
einem ausgeführten bilde mit dem meere verglichen, weil sie
die gläubigen auswirft wie das meer die toten, das gemilb
und die abreiss der bäume. A^'ahl und ausführung des bildes
verraten des Verfassers naturwissenschaftliches Interesse. "Wenig
treten trotz dem geistlichen Charakter der flugschrift theolo-
gische kenntnisse des Verfassers hervor, man müsste denn
hierher ziehen, dass die bibel oft und sachgemäss citiert, der
heilige Bernhard genannt und Augustins lehre von der gnaden-
wahl, sowie sein determinismus vertreten wird. Unverkennbar
dagegen und für den anfang der reformationszeit sehr auffallend
ist das streben des Verfassers, aus der bibel profangeschicht-
liche kenntnisse zu gemnnen: die beiden haben die Weisheit
bei Salomo gesucht, also werden die gesetzestafeln der beiden
von den mosaischen beeinflusst sein; David u. a. haben nach
göttlichem rechte regiert, und zwar nicht über ein dorf oder
Städtlein, sondern über grosse reiche, über hunderttausende von
238 GOETZE
Untertanen: warum soll es jetzt unmöglich sein, nach göttlichem
rechte zu regieren?
Ergibt §ich uns so als Verfasser ein Schweizer humanist
mit vielseitiger bildung und mehr historischem und natur-
wissenschaftlichem als theologischem Interesse, so ist die frage
berechtigt, ob das J. N. am ende der flugschrift in Judas
Nazarei, das ist nach Eduard Kücks überzeugender beweis-
führung Joachim Yadian, aufgelöst werden darf. Tatsächlich
ergeben sich, wenn man die anonyme flugschrift mit Vadians
deutschen historischen scliriften vergleicht, die Ernst Götzinger
in drei bänden 1875 — 79 herausgegeben hat, mancherlei an-
klänge. Yadian liebt das wort 'rauhe', es steht Hist. schritten
1, 543: Dan ivie er in den ivald ruft, also endsprach er im:
Und als er mit räche an unser nachjniren von Appenzell ze
setzen understund und si also zu paschlicn vermaint, zerstiefs
er die Stirnen an inen, ferner reuche 2, 183, iuit vil rüchinen
2, 288, riiche 3, 31, rüchi 3, 403, ebenso Schlüssel Davids C 3 a
tvo euch für ander menschen ruchi vnd hertikeit difs lehens,
sampt (jreufslicher verfolgnntj, vnd ivfiterey zu haufs Iwmpt.
Sehr gern gebraucht Yadian das zu seiner zeit nicht häufige
wort rodel 'schriftrolle, Urkunde', und zwar als masculinum
wie die Schweizer auch sonst, s. Hist, Schriften 1, 264. 338. 439.
488. 509. 548 u. ö., ferner closterrödel 1,271. 284, adelsrödeln
1, 276, zeitrödel 1, 439. Gleichfalls als masculinum steht das
wort im Schlüssel Davids C4a in einer stelle, die den deter-
minismus ihres Verfassers sehr glücklich zum ausdruck bringt:
Oder sind ir hiinstricher vnd hxfftiijer dann Christus, das ir
die weit mögen vfstilgen, vnd yederman hekeren, das yederman
selig werd? Nein, der rodel ist gemacht, das register ist be-
schlossen mit allen den so selig icerden von anbegin der weit.
Wir werden nicht aufsivischen, so werden tvir nicht einschreiben
in das buch der lebendigen. Das aus Maaler, Gengenbach u. s. w.
belegte verbum schwächern findet sich im Schlüssel Davids B4b
vn.ser eigner will würd geschwechert; Hist. Schriften 2, 245 steht
das davon abgeleitete substantivum üf ivelichs unser herrn
die antwort gabend und vermaintcnd, dafs es ain nüwerung
wer und dem burgrecht so si mit etlichen gotzhuslüten hettend,
zu schivecherung raichen weit. Zweimal, A2bundA4a, steht
im Schlüssel Davids Taubsucht für 'raserei, tobsucht'; Yadian
EINE VADIANISCHE FLUGSCHRIFT. 239
hat 1,217 tanhen für Svüten' und 3, 147 tönhsch für 'wahnsinnig'.
Ueber gleichheit des wortgebrauchs hinaus findet sich mehr-
fach Übereinstimmung des gedankens oder des gedankenauf-
baus. Yadian sagt 1, 187 Aufs ivelchem darnach mit under-
lafs der schtden und der gemeinen ziichtreyeln aufs getreuiven,
gelerten vättern und äbten lierren, aufs lierren praelaten, aufs
praelaten fürsten tvorden sind; der Schlüssel Davids A4a so
die zwey obersten haupter blind sind, so steigt die finsternifs
von jnen in die fürsten, von den fürsten (geistlich vnd weltlich)
in die grafen, prelaten, von den prelaten vnd grafen, in die
freyen, thümherren, von den freyen vnd thnmherren in die edel
leüt, gemein pfaffen. Viel beschäftigt hat sich Yadian mit
dem gedauken des göttlichen rechts, der ja durch seinen freund
Schappeler und dessen jünger im bauernkrieg am schärfsten
ausgeprägt wurde; zwei ganz übereinstimmende äusserungen
dazu finden sich Hist. Schriften 3, 330: Nun lit aber am tag,
günstigen lieben herrn, dafs al obgcmelt tuten ufs gruntlichen
Ursachen und 2Üvor mit götlichem rechten, das billich allen
rechten bi denen, die sich Christen riicmend, vorziechcn sölt,
ghandlet und vohogen sin, und Schlüssel Davids B4a: ich sag,
das Jcein dapfferer, verstcndiger, auffriehtiger recht gefunden
mag werden, denn das göttlich recht, so in der bibel begriffen
ist, gang bäpstlich vnd hey serlich recht neben sich, ivie icol
heyserlich recht tveit in gute das bäpstlicli übcrlengt.
Gelegentlich kommt der etwa 1' ^ Jahr vor dem Schlüssel
Davids erschienene "\\^olf8gesang. der ja wie die schrift Vom
alten und neuen gott A'adian zuzuschreiben ist, der anonymen
flugschrift im ausdruck näher als die viel später liegenden
historischen schritten. Der Schlüssel Davids C4a citiert 1. Cor.
4,9: uan ivir scind ivic ein spilfogcl der weit icorden, ebenso
Wolfsgesang (Satiren und pasquille aus der reformationszeit,
hg. von Schade 3,) 29: icann wir sind tvorden als ein gemein
zeichen oder spilvogcl der ivclt, dagegen Hist. schritten 3, 187
mit anderer wendung des von der jagd entnommenen bildes:
Wie wol der Türghenzug bim bapst, Franzosen und Kaiser der
schinvogel ivas, etwas bi ainer Aidgnoschaft zu cncerben.
Andere Übereinstimmungen verbinden den Schlüssel Davids
mit den Hist. Schriften wie mit dem Wolfsgesang; so Schlüssel
Davids Cl a: tceist (du) auch nit das zivcy schicerdt sind in der
240 GOETZE
Christenheit? ia es sind nvey schiverä, vnd on zul schiverdt,
do ein yeglichs in seinen histcn schnidt was es an kompt,
schneiden so scharpff, das niemant vor jn gesichert ist, der
nicht verivundt iverdt, icann sy suchen nit das CJiristi ist, tvol
tvas in der hjstcn, wie Wolfsgesang 11: uf dafs tvir erlernen
mögen, wo hin es lend, zu Christo oder leisten, das ist dem
seckel, und, freilicli ohne das Wortspiel, Hist. Schriften 1, 512:
Dafs der ahlafs mint anders si, dan ain listiger betrug des
gitz der römischen lasten. Andere eigentümlichkeiten teilt der
Schlüssel Davids nur mit dem Wolfsgesang; so steht Wolfs-
gesang 3 die seltene nebenform gehörde für 'gehör' wie Schlüssel
Davids A 2b gehördt. Auch an das thema des Wolfsgesangs
spielt der Schlüssel Davids an in der glosse zu Alb: Eigen-
schufft ist der schaff Christi das sy offt angerend iverden von
den tvolffc7i, und B2a: das hiefs ein gesang von den meer-
thieren. Die Übereinstimmungen häufen sieh, wenn man end-
lich zum vergleich Vadians reichste und gelungenste flugschrift
heranzieht, die vom alten und neuen gott, glauben und lehre.
Die seltene entstellung des wortes richtum zu richtung Alter
glaube 16 und 20 kehrt wider Schlüssel Davids B2b; der
fügung: Ist das nit seltzam ding, lieber? durch wo probieren
syfs AG 65 entspricht: Mit tvo ivolt gott sein hymelisch ewigs
reich besetzen, so er nit streitter hctt in seinem namen? Schlüssel
Davids Blb; gcmelb steht AG 2 und 33 für 'unrat' wie gemilb
Schlüssel Davids Alb; an AG 20: (die päpste) lerneten die hoff
der Iceyser zu begriissen, ivicldeten sich in ir Sachen, erinnert
Schlüssel Davids A2a: beldagend die grimmen Idnd des wüten-
den meres, das es mit den seinen so gantz verwicklet bleibt in
seiner eygen iveyfsheyt vnnd Idugheyt. Die Wendung einem
seinen (narren-) kolben zeigen steht AG 6Q wie im titel unserer
flugschrift ; wie diese mit einem vom meere genommenen bilde
anhel)t, so vergleicht AG 52 und 64 die guten und schlechten
Christen mit äsche, nass und schleie des Bodensees. Beide
flugschriften vergleichen die selbstsüchtigen, schmarotzenden
geistlichen mit der über Eg3i)ten verhängten insectenplage,
AG 2: die mucken vnd heivschrecken vfs Ägypten besoldet mit
denen schätzen werden, wie Schlüssel Davids B4a: w'il ge-
schweigen die stinckenden glosen der mucken egypti, die all
oberkeit besudlen. Schliesslich erinnert an AG 37: Meinest das
EINE VADIANISCHE FLUGSCHRIFT. 241
darnmh Christus eyn Icetzer sij gewesen, Ilieremias, Esaias, die
apostel all, darumb so vil tempeJknecht mit iren nüwen göttern
wider sy geivut liant? Nein, ivarheit ist warheit, vnd wirdt
ivarlieit eivig hlihen, Schlüssel Davids C2a: 7^^ dann der herr
Christus ein lügner hewisen von den ohristen priestern vnd
regiment zu Jherusalem . . . oder ist die ivarheit auch mit inen
gestorben?
Bedenkt man noch, dass der Schlüssel Davids von A.dam
Petri in Basel gedruckt ist, der gleichfalls, ohne sich zu nennen,
die beiden mit Judas Nazarei gezeichneten flugschriften ge-
druckt hat, so bleibt kaum ein zweifei darüber, dass auch
unsere schritt von Judas Nazarei, das ist Vadian, stammt.
Wichtig ist sie als zeugnis für Yadian aus einer zeit, aus der
sonst verhältnismässig wenig von ihm bekannt ist; sie zeigt
ihn zum ersten male als Seelsorger und tröstenden berater
einer grossen gemeinde. An gedankenreichtum und Sauberkeit
der ausarbeitung kann sie sich mit dem Alten glauben nicht
messen — sie ist ein schnell entworfener sendbrief, der wol
an dem 3. Januar 1523, von dem sein ende datiert ist, auch
erst begonnen wurde — : aber durch kraft der gesinuung und
würde des tons ist die schritt des mannes wert, der sie schrieb.
Es ist Vadians auseinandersetzung mit der dem evangelium
widerstrebenden obrigkeit, entsprungen aus den kämpfen, die
er im grossen rate zu St. Gallen mit dem der 'alten lehre' zu-
getanen kleinen rate zu bestehen hatte. Dieser kämpf er-
weitert sich ihm sogleich zur auseinandersetzung mit papst
und kaiser; mit einer in diesen fi'ühen jähren nur in der
Schweiz erhörten entschiedenheit äussert er sich gegen diese
obersten gewalten: der keiser hat einen ividerwillen gegen dem
martin Luther, so mufs auch all sein herschafft im ivilforen,
vnd auch den Luther hassen, der Jcegser ist dem Luther feind,
so müfs all sein land, stett vnd inwoner auch feindtschafft zum
Luther tragen, jn hassen vnd verfolgen, vnangesehen, ob der
Iceyser gnügsam verstants hab der sach oder nit . . . Dem Luther
mag nit gemeine Ordnung keiserlicher recht vergündt werden,
das doch eim mörder zu gelassen ist, und weiter: der Iceyser
hat sein vnderrichtung vom bapst, als von seim oberherrn der
krön halb, darumb müfs gnüg sein das der bapst vnd die bischoff
zornig über den Luther sind, der keyser dar ff nicht iveiter
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV lU. \Q
242 GOETZE, EINE VADIANISCHE FLUGSCHRIFT.
fragen (B 3 a). Wie glücklich Vadian auch in dieser flugschrift
allgemeinere gedanken auf einen kurzen ausdruck zu bringen
weiss, ergijbt sich schon aus manchen der l)isher mitgeteilten
proben; das beste beispiel ist B3b: (unsere bischöfe sind) geist-
lich im Meid vnd iveltlicli im iverclc, sij sein tveltlich fürsten:
ivie kan ein ivelt die ander ah der ivelt tveisen, so die selbs
am höchsten k eltlich ist!
So rundet sich neben dem bilde Yadians des arztes, des
Staatsmannes und historikers das des reformators immer schöner
ab; der reichen Persönlichkeit des St. Galler bürgermeisters
lassen sich immer neue züge voller reiz und kraft abgewinnen.
FREIBURG i. Br. ALFRED GOETZE.
ZUR
RELATIVEN CHRONOLOGIE URGERMANISCHER
LAUTGESETZE.
Die sämmtlichen erscheinmig-eu des generellen laiit-
wandels kann man im anscMuss an W. AVundt, Yölkerpsyclio-
logie 1, 1, 388 ff. in zwei grnppen einteilen: die erste, welche
Wundt als die des regulären stetigen lautwandels bezeichnet,
bildet das gebiet der sogenannten laiitgesetze, die zweite
umfasst die associativen contact- und fernwirkungen der laute.
Aber wenn auch die erscheinungen der ersten klasse denen
der zweiten gegenüber eine einheitliche gruppe bilden, so sind
sie doch unter einander von sehr verschiedener natur. Ausser
denjenigen lautgesetzen, durch welche ein einzelner laut ent-
weder in allen fällen oder nui' unter gewissen bedingungen
eine Veränderung erfährt, gibt es auch solche, von denen eine
ganze kategorie von lauten betroffen wird, und zwar in der
weise, dass alle diese laute nach derselben richtung hin eine
Veränderung erleiden, so dass die resultierenden laute unter
einander wider eine kategorie bilden. In diesem falle hat man
es eigentlich nicht mit einem gesetze, sondern mit einer anzahl
paralleler gesetze zu tun, die sämmtlich auf einer und der-
selben Ursache beruhen. Zu der ersten klasse von erscheinungen
gehört z. b. der Übergang von o zu a im germ. und lit., zu
der zweiten der wandel der labialisierten velare in reine velare
in einigen indog. sprachen und in labiale in anderen, die Ver-
wandlung der mediae aspiratae in Spiranten im urgerm., der
Übergang der tenues in Spiranten und der der mediae in tenues,
ebenfalls im urgerm., ') die Verkürzung auslautender gestossener
längen im lit., u.s.w.
') "Wundt hat a. a. o. s. 405 ff. den gnmd sämmtliclier erscheinungen
16*
244 VAN WIJK
In diesem aufsatz wünsche ich einige processe zu besprechen,
die gleichfalls in dieser zweiten klasse ihren platz haben, deren
Zugehörigkeit zu derselben aber bisher nicht auf genügende
weise anerkannt wurde. Diese processe sind: 1) die dissimi-
lation, durch welche die langen vocale i, n u. s. w., mit anderen
Worten die engen hohen vocale der tabelle bei Sievers, Grundz.
der phonetik^ s. 103, zu den diphthongen e(,ou u. s.w. werden;
— 2) die regressive assimilation, durch welche umgekehrt ei,
OH U.S.W, zu 7, H U.S.W, werden. Eine Untersuchung solcher
sprachen, wo diese lautübergänge vorkommen, berechtigt zu
der aufstellung folgender gesetze:
1) Wenn in irgend einer spräche ein enger hoher
vocal in der weise diphthongiert wird, dass der erste
teil desselben allmählich zu einem weiten niedrigen
vocal herabsinkt, so bewegen sich zu gleicher zeit
allei) in dieser spräche bestehenden derartigen vocale
in derselben richtung.
2) Wenn in irgend einer spräche ein diphthong,
der aus einem weiten niedrigen vocal und dem ent-
sprechenden engen hohen vocal besteht, in der weise
sich verändert, dass der erste component sich all-
mählich dem zweiten assimiliert, so bewegen sich zu
gleicher zeit alle in dieser spräche bestehenden der-
artigen vocale in derselben richtung.
Die beispiele für die erste regel werden am besten den
germ. -sprachen entnommen:
In denjenigen gegenden des deutschen Sprachgebietes,
wo t, ü und ü sich zu diphthongen entwickelten, fand dieser
der sog. germ. lautverschiebmig in einer allmählichen beschleunigung des
tempos der rede gesucht. Wenngleich diese dentung alles weniger als
überzeugend ist, so ist doch principiell der Wuudtsche Standpunkt wol in-
sofern richtig, als er sämratliche hierher gehörige processe für bedingte
hält. Wenn z. b. der Übergang von indog. h, d, g in germ. p, t, k ein
spontaner verschiebungsact wäre (vgl. Sievers, Grundzüge der phonetik"
s. 275, §743), wie konnte mau dann den parallelismus zwischen den Über-
gängen b — p, d — t und () — Ic erklären V
•) In den meisten sprachen begegnen nur l bez. ei und ü bez. ou, in
einigen ausserdem ü und öü. Nach der tabelle bei Sievers a. a. o. können
theoretisch noch drei andere paare vorkommen.
ZUR CHRONOLOGIE URGERMANISCHER LAUTGESETZE, 245
Vorgang bei den drei vocalen zn gleicher zeit statt, und zwar
nicht nur in den mnndarten, ayo die diphthongierung in allen
fällen, sondern auch da, wo sie nur vor vocal eintrat, vgl.
Beliaghel, Pauls Grundr. 1-, 701 f., wo die drei laut Übergänge
als ein einheitlicher process besprochen werden.
Für diejenigen niederländischen mundarten, welche über-
haupt die diphthongierung kenneu, gilt dasselbe, vgl. Te Winkel,
Pauls Grundr. 1^, 823 und 825. ou begegnet nur selten, weil in
den meisten fällen, bevor die diphthongierung eintrat, n bereits
zu ü geworden war, woraus sich nun weiter öU entwickelte.
Wie im deutschen, so fand auch auf nl. boden die diphthon-
gierung am frühesten vor vocal und im auslaut (vgl. darüber
Behaghel, Pauls Grundr. 1-, 701) statt; in dieser Stellung ist sie
älter als der Übergang von ü in iL Man vergleiche einerseits
höüs (geschrieben huis) < ^hüs < */<ii5; töün (geschr. tuin) <
*tün < *tun, andrerseits hoinvcn (as. ahd. bnan), nou. In bezug
auf das zuletzt genannte wort bemerke ich, dass man auch die
ausspräche nü hört; die volkstümliche ausspräche in Holland
ist aber nou; erstere form ist urspr. in den dialekten zu hause^
die keine diphthongierung kennen, u. a. im flämischen. Man
schreibt nu.
Für das englische vgl. Kluge, Pauls Grundr. 1-, 1032.
Kaluza, Hist. gramni. der engl, spräche 2, 200 f. 223. 234. Die
Vermutung Kluges a.a.O., dass im engl, im gegensatz zum
deutschen die diphthongierungen chronologisch getrennte pro-
cesse sein dürften, wird durch nichts gerechtfertigt. Die
'divergenz der i- und «-diphthongierung in geographischer
bezieh ung', welche den einzigen grund für diese hypothese
bildet, kann aus der gegenseitigen beeinflussung der mundarten
oder daraus, dass das lautgesetz von anderen umständen ge-
kreuzt wurde, erklärt werden.
Auch in einigen mundarten des friesischen tritt im aus-
laut des Wortes und im silbenauslaut vor vocal diphthongierung
sowol von X wie von u ein, vgl. Siebs, Pauls Grundr. P, 1220
und 1225.
Es folgen jetzt einige beispiele für die zweite regel.
Von den griechischen dialekten eitlere ich bloss die-
jenigen, welche Brugmann, sowol wo er den laut ei, wie wo
er ou bespricht (Griech. grannn.-^ s. 40 f. bez. 51 f.), in betracht
246 VAN WI.IK
zieht. Im ion.-att. fieugen beide im 5. jli. an, sich zu t bez. ü
zu entwickeln, im korinth. fand der gleiche Avandel schon ein
oder zwei jli.'e früher statt, im kypr. bewahrten ei und ou ihre
diphthongische geltung. ')
Im lateinischen giengen um 200 v. Chr. ei. in 7 und uii
in r< über. vgl. Sommer, Handb. der lat. laut- und formenlehre
s.85f. und 92" f.
Im urslavischen wurden gleichfalls die beiden laute
monophthongiert; zu welcher zeit dies geschah, lässt sich be-
greiflicherweise nicht genau bestimmen.
Die grosse Übereinstimmung in der behandlung der di-
phthonge ei, ou u. s.w. in allen in betracht kommenden sprachen
— dasselbe gilt von der behandlung der monophthonge l, ü
u. s. w. — berechtigt zu der annähme, dass diese erscheinungen
auf einer und derselben Ursache beruhen, dass sie die äusse-
rungen eines und desselben gesetzes sind, ebensogut wie z. b.
der Übergang von hh, dh, gli in 5, et, $ im urgerm., oder der
von p, t, k je nach der ursprünglichen wortbetonung bez. in
f, ]), X und S, (t, ^ ebenfalls im urgerm. Sievers hat wol recht,
wo er (Grundz. der phon.'' s. 282 § 769) die gemeinsame Ursache
der monophthongierimgen, um welche es sich hier handelt, in
der Qualität des silbenaccents sucht. Genau zu bestimmen,
welche accentqualität den wandel hervorzurufen pflegt, ist bei
der bisher dürftigen kenntnis der allgemeinsten betonungs-
gesetze wol kaum möglich. Mit ausdrücken wie 'ein-, zwei-
gipflig, stosston, schleif ton', welche durchaus nicht ausreichen,
um den Charakter der betonung in einer spräche genau zu
beschreiben, darf man sich ebensowenig begnügen, wenn man
den einfluss, den dieser Charakter auf den lautbestand einer
spräche geübt hat, zu bestimmen wünscht. Es genügt aber
vorläufig, zu constatieren, dass wir es hier mit unter einander
verwanten Processen zu tun haben. Wenn auch die unmittel-
bare Ursache der monophthongierungen noch im dunkeln liegt,
') Oft lässt sich kaum bestimmen,, welcheu wert man den schrift-
zeichen, die in den denkraälern einer so alten spräche auftreten, beizulegen
hat. Dieser umstand macht auch die feststellung der Chronologie sehr
schwierig. Statt des e, das Brugmann a.a.O. und andere forscher als eine
Zwischenstufe iu der entwicklung von ei zu i (bez. von i zu ei, vgl. Holt-
hausen, Anglia, Anz. 8, 122) ansetzen, nimmt man wol besser ei au.
ZUR CHRONOLOGIE UKGERMANISCHEK LAUTGESETZE. 247
SO berechtigt doch die Übereinstimmung- in allen in betracht
kommenden spraclien zu der auf Stellung- des g-esetzes, dass,
-wenn in einer spräche, welche sowol ei -wie ou besitzt, einer
dieser laute monophthongiert -wird, der andere sich zu gleicher
zeit auf entsprechende weise verändern muss.
Oben wurde g-ezeigt, dass in mehreren indog. sprachen
die aus der grundsprache ererbten laute et und ou zu i bez. u
wurden. Wie ist es nun im germanischen? Auch hier ent-
stand aus ei ein i, der parallele Vorgang lässt sich aber nicht
nachweisen. Wenn zu der zeit, wo aus ei ein i entstand, der
diphthong ou im germ. vorhanden gewesen wäre, so hätte er
sich unzweifelhaft zu n entwickelt. Es liegt aber nicht ü
vor, sondern au. Daraus dürfen wir schliessen, dass der Über-
gang von ou in au älter ist als der von ei in l, oder (denn
der Wandel von ou in au ist ein specieller fall des o— a-wandels),
dass der Übergang von o zu «') älter ist als der von
ei zu l.-)
Vielleicht möchte jemand einwenden, dass die germ. mono-
l)hthong-ierung von ei ein besonderer fall des /-umlauts von c
sei, und dass daher hier ein ganz anderer process vorliege als
in den übrigen angeführten sprachen.
Es ist nicht zu leugnen, dass die assimilation von e an
heterosj'llabisches / und die monophthongierung von ei, m. a. w.
die assimilation von e an tautosyllabisches i, verwante pro-
cesse sind. Ob wir es im vorliegenden falle auch mit chrono-
logisch gleichen Vorgängen zu tun haben, entscheide ich nicht.
Sollte dem wirklich so sein, so kann doch dieser umstand nicht
als ein einwand gegen die von mir verfochtene Chronologie
geltend gemacht werden; vielmehr führt die heranziehung des
i-umlants zu einer allgemeineren fassung des obigen satzes:
In all den fällen, wo im urg-erm. e in i über-
^) In einigen fällen unterblieb der o— «-wandel in nichthaupttonigen
Silben. Darüber s. \\.
^) Im lit. tritt für iudog. ei bald ei bald e {i mit nachfolgendem e)
auf, für indog. ou ausschliesslich au. Daraus dürfen wir wol schliessen,
dass der lit. wandel vou ou zu au älter ist als der von ei zu e, sonst wäre
neben au auch ü (« mit nachfolg, o) zu erwarten. Auch aus einem anderen
gründe ist für den Übergang von o in a eine alte periode, und zwar die
urbaltoslavische, anzunehmen; s. u.
248 VAN WIJK
gegangen ist. ist dieser Übergang jünger als
der Wandel von o in a.
Dieser satz ist die consequenz eines gesetzes, das ich
folgendermassen formulieren möchte: Wenn in einer spräche
zu gleicher zeit ein palataler und der entsprechende
(d.h. gleich hohe und gleich geschlossene bez. offene) gerun-
dete gutturale vocal vorhanden sind, so bleibt trotz
aller Veränderungen dieser laute das gegenseitige
Verhältnis derselben constant, so lange nur der eine
vocal palatal und der andere guttural gerundet
bleibt, m. a. w. wenn in einer solchen spräche einer dieser
vocale entweder in verticaler richtung verschoben wird oder
sich zu einem offeneren oder geschlosseneren laut entwickelt,
so erfährt der andere die entsprechende Veränderung. Ich gebe
einige beispiele, die ich hauptsächlich den germ. sprachen
entnehme:
Im gotischen giengen germ. e und o in i bez. u über,
ausser vor r und h, wo e (sowol das indog. e wie das durch
a-umlaut aus i entstandene) und i als e (geschrieben ai) und o
(aus u durch a-umlaut) und u als o (geschr. au) auftreten.
Im urnordischen entstanden aus / und u bez. e und o
vor einem durch assimilation geschwundenen nasal und vor
heterosyllabischem ä, bez. 6 und 6 vor einem mit ersatzdehnung
geschwundenen nasal oder //, sowie vor tautosyllabischem r
(Noreen, Pauls Grundr. l'^, 555f.); 'i und ü wurden vor h zu e
bez. ö (a. a. o. s. 556 f.).
Ini englischen fanden vor yid folgende Übergänge statt:
i — i — ei — ai, z. b. bind, gespr. haind,
u — ü — ou — au, z. b. hound, ges\)r. haund.
In derselben spräche wurden im 15. jh. geschloss. e und ö
zu t bez. u gehoben, vgl. Kluge, Pauls Grundr. 1^, 1040 und 1044.
Im althochdeutschen wurden geschloss. e und ö zu ie
und uo, und in mehreren dialekten entwickelten sich daraus
die monoplithonge ^ und u. *Im mittelniederdeutschen wurde
i in offener silbe zu e gewandelt, ebenso in einem teile des
mitteldeutschen. Auch in geschlossener silbe neigt sich auf
diesen gebieten ... das « dem e zu' (Behaghel, Pauls Grundr.
1^, 698, § 47). 'u und ü sind in offener silbe im mnd. in o und ö
ZUR CHRONOLOGIE URGERMANISCHER LAUTGESETZE. 240
Übergegangen, teilweise aucli auf mitteldeutscliem gebiet. Auch
in geschlossener silbe findet sich auf diesen gebieten die neigung
des u gegen o' (a.a.O. § 49).
Im niederländischen werden urgerm. i (f-) und ti (h^)
bez. durch die zeichen i und o dargestellt. Ersteres bezeichnet
einen zwischen i- und c- gelegenen laut, letzteres liegt zwischen
»2 und o\ Te Winkel setzt Pauls Grundr. l*^. 810 nl. o < u
dem Sievers'schen o- gleich. Der nl. laut liegt aber wol
etwas hr)her.
Im ionisch-attischen, im nordwestgriechischen und
in den sog. milderen dorischen mundarten müssen so wol e
wie 0 zu geschlossenen lauten geworden sein, bevor die ersatz-
dehnung und die contrahierung eintraten, die in i^eig, öovc,
qiXüTE, fitödovfjtv vorliegen.
Im assj'rischen entwickelten sich c < ai und ö < au zu
l und ü, z. b. bltu ( : hebr. hajit, stat. const. hct) 'haus', sUru
( : hebr. sur) 'stier'; vgl. Zimmern, Vergl. gramm. der semit.
sprachen s. 52.
Bei der besprechung der ur germanischen vocale i, u,
e, 0 werde ich einige male das lateinische und das keltische
zur vergleichung heranziehen, welche sprachen in mehreren
punkten denselben weg wie das germ. gegangen sind. Nebenbei
bemerke icli, dass dieser umstand eine starke stütze für die
Vermutung bildet, dass die erscheinungen, von denen hier die
rede ist, hauptsächlich auf der betonung beruhen. Dass die
drei westlichen sprachgruppen des indog. in bezug auf die be-
tonung unter einander ähnlichkeit haben, ist allgemein bekannt.
Vgl. darüber Hirt, IF. 9, 290 ff.
Im urgerm. wurden vor « und o der folgenden silbe i
und u zu e und o umgelautet, ausser wenn ein gedeckter nasal,
ein j oder tv^) dazwischen stand. Ein ähnlicher «-umlaut
besteht im irischen: sowol ir. fer wie an. vcrr, ahd. wer gehen
auf indog. *wiros zurück, ebenso ir. loim und ahd. hodam auf
indog. *hhudhno-, *bhtidhmo- (über das Verhältnis der m- zu den
*) Brugmann, Grundr. 1-, 99 f. 109 f. spricht nur von i. Zwar lassen
sich für den einfluss von ?c keine beis^jicle anführen; die häufigste ?f-ver-
bindung nie gieng urgerm. in nn über und steht daher mit nasal + cons.
in einer liuie. Ideell ist aber ausser der Wirkung von J auch die von w
anzunehmen.
250 VAN WIJK
n-formeii vgl. Ulilenbeck, Et. wb. der altincl. spräche, unter
ludhnds).
e vor nasal + cons. wird zu i. Man vergleiclie den Über-
gang von e in i, der im lat. vor einigen «-Verbindungen statt-
findet. In dieser spräche geht vor jenen selben Verbindungen
auch 0 in u über. Vgl. Sommer, Handb. der lat. laut- und
formenlehre "s. 72 f. 79 f. Wenn im germ. in der periode,
wo dieses lautgesetz wirkte, der vocal o bestanden hätte, so
Avürde wol auch in dieser spräche derselbe wandel in u nach-
zuweisen sein. Conseivierend wirkten die nasalverbindungen
sowol auf n wie auf /. Sollte etwa die entstehung des secun-
dären germ. o aus u älter sein als die entstehung von i vor
gedecktem nasal (in eine ziemlich junge periode wird dieser
c — f- wandel von Helm, Beitr. 23, 555ff. verlegt), so ist in der
tat im urgerm. in dieser Stellung n aus o entstanden. Jeden-
falls aber ist der Übergang des indog. o in a älter als der
e — ^-wandel vor gedecktem nasal.
Haupttoniges e wurde durch den einfluss eines i der
nächsten silbe zu i gehoben. Gibt es nun innerhalb der
gruppe der o — «(-vocale einen process, der der hebung von e
zu i entsprechen würde? Gewis, und dieser parallele process
ist die hebung von o zu u durch folgendes u. Ebenso wie
die monophthongierung von ei zu l, m. a. w. die angleichung
eines e an tautosyllabisches i, mit der entwicklung von ou zu u,
d. h. mit der angleichung eines o an tautosj^llabisches u, in
(4ner Knie steht, so sind auch die hebung von c zu / durch
heterosyllabisches i und die von o zu u durch heterosyllabisches
?r parallele Vorgänge. Kommt in einer spräche einer vor, so
muss auch der andere vorkommen. ') Es ist jedoch schwierig,
*) Eine scheiubare ausnähme von dieser regel bietet das slavische.
Hier wurde durch unmittelbar folgendes j e zu i umgelautet, vgl. abulg.
lüja : lit. rejii, ai. väyümi, abulg. gostije : ai. a(jnüyas. Man würde nun
erwarten, dass auch o-w zu n-iv geworden wäre; tatsächlich liegt aber
ov vor, z. b. russ. zöv = ai. hdvas, abulg. zovq, (urbaltoslav. aus *2ev- ent-
standen): ai. havate, avest. zavaiii, abulg. sijnove = ai. sünävas. Aus
diesem tatbestande schliesse ich, dass slav. ö aus einem älteren a entstanden
ist, in welchen laut in der urbaltoslav. periode indog. ä und ö zusammen-
gefallen waren. Ebenso wie aus baltoslav. ä in der Sonderentwicklung des
lit. ö entstanden ist, wurde im urslav. ä zu ö. Zu der zeit, wo ej zu ij
wurde, war a noch vorhanden.
ZUR CHRONOLOGIE UHGERMANISCHER LAUTGESETZE. 251
beispiele aus den indog-. sprachen zu geben, weil diese sprachen
nur sehr wenige Wörter besitzen, in denen auf eine silbe mit o
eine solche mit u folgt. Ein solches wort ist indog. *moghus
'knabe', das im ir. mug und im got. niagiis, an. nigyr, as. mayu
fortlebt. Dieses beispiel zeigt, dass im ir, ebenso wie e durch i
zu / (z. b. lige 'lager' < "^legio-) auch o durch u zu u um-
gelautet wurde.
Auch im lat. findet in gewissen fällen (nach Sommer, IF.
11,327 'wenn ein stimmhafter consonant oder der hauchlaut h
dazwischen steht') umlautung von e durch i statt. Wenn zu
der zeit, wo dieses lautgesetz wirkte, das lat. wortformen be-
sessen hätte, in denen einer o-silbe eine ^(-silbe folgte, so wäre
?f-umlaut eingetreten. Das lat. besass aber, soviel ich weiss,
derartige formen nicht; domiis flectiert im älteren lat. als ein
o-stamm; später zeigt es nebenformen nach der «-declination;
probus war, auch wenn es im gründe mit ai. prahlm- identisch
sein sollte, bereits im urit. ein o-stamm, vgl. osk. ampruful,
umbr. prüfe. ') Ein wort gibt es im lat., wo vor u der
folgenden silbe u auftritt, während in einem verwanten
wort ohne «-suffix o steht, nämlich nums < *sniisus gegen-
über nora. Hier ist das ii ursprünglich: wenn aber von dem
folgenden u nicht eine conser vierende Wirkung ausgegangen
wäre, so wäre es vor ;• < 6^ in o übergegangen (vgl. Sommei',
IF. 11, 326). Sollte dieser 2(— o-wandel älter sein als die um-
lautung von e durch ?, so ist in nurus in der tat ein beispiel
für den n-umlaut vorhanden, nurus ist von haus aus kein
w-stamm, sondern entweder — wie mir am wahrscheinlichsten
scheint — ein o-stamm (vgl. Pedersen, Bezz. beitr. 19, 293 ff.),
oder wie Bartholomae, Studien 2, 31. J.Schmidt, Piuralbildungen
s. 74. Brugmann, Grundr. 1-, 1U4- annehmen, ein ä-stamm. Schon
früh aber ist es im lat. durch den einfluss von socriis (indog.
*sivehu-) in die «-declination herübergetreten.
Im urgerm. hatte sich das indog. wort "^moglms erhalten.
') Lat. ti <io in nichtluuipttonigeu silbeii entstand in einer jüngeren
Periode als / «< e durch /-nmlant. Im letzteren falle lassen sich die nicht
umgelantetcn formen nicht melir nachweisen. Die unilautung von o durch
M muss in dieselbe periode als die von e durch i gestellt werden, also in
eine periode, wo nichthaupttoniges o noch o war und keinen «-umlaut
bewirken konnte.
252 VAN WIJK
Wenn mm der /-umlaiit von e älter wäre als der wandel von
0 in a, so niüsste auch o durch u umgelautet worden sein, und
statt des o-ot. magus wäre *mugus zu erwarten. Das Vor-
handensein der form magus berechtigt zu dem Schlüsse, dass
der Übergang von o zu a der ältere ist.
Bisher .war nur von haupttonigem o die rede. Das nicht-
haupttonige bewahrte länger seinen lautwert (vgl. Streitberg,
Urgerm. granim. s. 46 f.), gieng aber schliesslich in den meisten
fällen in a über. In welchen Stellungen dieser wandel unter-
blieben ist, darüber sind die forscher nicht einig. Jedenfalls
hat einfluss von labialen gewirkt, vgl. u. a. Brugmann, Grundr.
!•', 248 f. Ich gehe an dieser stelle nicht näher auf die frage
ein, ich bemerke bloss, dass man in den fällen, wo gewöhnlich
bewahrt gebliebenes o angenommen wird, wol besser aus o
entstandenes u ansetzt. Die in betracht kommenden formen,
z. b. an. dggom, -um, ?igs. dagtwi, ahd. tagum; an. fgllom, -um,
ahd. faUumes; ahd. gomun, as. gumun, gestatten ebensogut die
annähme eines vorhistorischen ti wie die eines o, und für die
umfärbung des o zu u spricht der parallele Übergang des nicht-
liaupttonigen c zu ?.
Aus von Tacitus überlieferten germ. eigennamen, wie Se-
gimcrus (vgl. Streitberg, Urgerm. gramm. s.55) geht hervor, dass
der Übergang von e in i in nichthaupttonigen silben, und daher
auch der entsprechende Übergang von o in u einer älteren
periode angehört als der i-umlaut von e.
Im got. tritt auch in nichthaupttonigen silben für indog. o
ausnahmslos a auf. Der grund dafür liegt wol darin, dass im
ostgerm. entweder der o — a-wandel früher, oder der e — ^■- wandel
später vollzogen wurde als im west- und nordgerm., so dass,
als nebentoniges e im ostgerm. zu i wurde, in dieser spräche
kein einziges o vorhanden war, das auf entsprechende weise
zu u gehoben werden konnte.
Zum Schlüsse fasse ich die für die relative Chronologie der
von mir besprochenen lautübergänge gewonnenen ergebnisse
kurz zusammen:
Periode I. Haupttoniges o > a.
Periode IL Nichthauptt. o > a ausser in einigen wenigen
fällen.
ZUR CHRONOLOGIE URGERMANISCHER LAUTGESETZE. 253
( Mclithaupttoniges e > i.
Periode III. <j Niclitliauptt. o > w in den fällen, wo o in
Periode II seinen lautwert bewahrt hatte.
Hauptt. e > i vor nas. + cons.
Periode IV. J Hauptt. e > i vor i oder j der folg. silbe.
I Hauptt. ei > I.
Die überlieferten formen stimmen richtig zu diesen haupt-
sächlich auf theoretischer grundlage aufgebauten regeln. Das
aus dem germ. entlehnte finnische wort reugas (an. hrinyr, ahd.
as. hring) zeigt, dass der Übergang von e zu i vor nasal + cons.
jünger ist als der wandel von o in a in nichthaupttonigen
Silben. Dass auch der /-umlaut ein ziemlich junger process
ist, geht aus finn. teljo (an. Jnlja) und aus den taciteischen
formen Scgimerus u.s.w. hervor. Die auch von Tacitus er-
wähnten namen Segestes und Vcnedi weisen sogar auf eine
Periode hin, bevor nichthaupttoniges e zu i wurde. Für den
wandel des haupttonigen o in a darf man eine ziemlich frühe
Periode annehmen. Sämmtliche bei lateinischen Schriftstellern
vorkommende eigennamen weisen bereits a auf. Dass kelt.
Wörter wie 3Iosa, die Streitberg, Urgerm. gramm. s. 45 ver-
anlassten, für den Übergang von o in a eine verhältnismässig
junge Periode anzunehmen, für die bestimmung der Chronologie
keinen wert haben, hat Hirt, Beitr. 23, 317 f. dargetan.
LEIPZIG, im november 1902. N. VAN WIJK.
ZUR SCHEIDUNG DER KURZEN ^-LAUTE IM
MITTELHOCHDEUTSCHEN.
Bekanntlich gibt es im mlid. eine anzahl Wörter mit ge-
schlossenem e-laut, obwol man ihrer etymologie nach e zu
erwarten hätte. Dieser Widerspruch beruht auf secundärer
lautentwicklung-, deren bedingungen man in mehreren fällen
schon erkannt hat. Es bleiben aber immer noch manche mhd.
Wörter übrig, deren e-qualität zweifelhaft ist, namentlich fälle,
in denen die neueren mundarten nicht übereinstimmen (vgl.
H. Paul, Mhd. gramm.^ § 43, anm. 3).
Ein mhd. wort, dessen stammsilben-e seiner qualität nach
noch nicht festgestellt worden ist, ist senen 'sehnen'. Bei
Graff 6, 239 und Müller-Zarncke, Mhd. wb. 2, 250 wird alternativ
ahd. senßi oder scnem angesetzt. Kluge lässt noch Wb.^ die
betreffende c- qualität unbezeichnet, entschliesst sich aber in
Wb.*^ für die lesung smcn (mit geschlossenem e). Bei H. Paul,
Mhd. gramm.'^ und Y. Michels, Mhd. elementarbuch findet man
dagegen unser wort als senen aufgefasst. Diese Unsicherheit
in der beurteilung des stammvocals unseres wortes rührt wol
wesentlich daher, dass es diesen autoren seiner etymologie
nach unklar gewesen ist. Als et3'mologisch dunkel wird das
wort in der tat noch im DWb. sowie bei Kluge, Wb." be-
zeichnet. In meinen Beiträge zur germanischen wortkunde
(Memoires de la soc. neo-phil. ä Helsingfors 3, Helsingf. 1902)
erörtere ich einige frühere verfehlte deutungsvorschläge und
mache einen neuen versuch zur erklärung des wortes. Ich
bin dabei von seiner in zahlreichen mhd. belegen deutlich zu
erkennenden grundbedeutung, etwa ' seelenschmerz leiden (sich
grämen, härmen, bekümmert sein)' ausgegangen; vgl. die glosse
sene 'marceo, langueo' Ahd. gl. 3, 417, 27. Schon im mhd. wird
J5;- LAUTE IM MHD. 255
das wort auf die pein und das verlangen der liebe bezogen und
mit seiner sippe in der minnepoesie fast bis zur abnutzung
gebraucht. Die ältere bedeutung 'schmerz empfinden, beküm-
mert sein' ist im nhd. untergegangen, lebt aber noch fort bei
Luther. Noch Campe in seinem AVb. v. j. 1807 betont aus-
drücklich, dass sich unser verbum durch die oft hinzutretende
Vorstellung des schmerzlichen von Wörtern wie verlangen,
begehren unterscheide (vgl. DWb. 10, 151). Dieselbe grund-
bedeutung blickt auch durch in den westgerm. parallelen mnd.
senentlikcn 'auf sehnsüchtige weise, voll Sehnsucht und schmerz',
ostfi'ies. (Doornkaat-Koolman 3, 174) senen, schien "sehnen, ein
starkes oder schmerzliches und fast krankhaftes verlangen
haben, sehr verlangend sein etc.' Die Urbedeutung dieser
sippe scheint indessen eine sinnliche gewesen zu sein. Nach
einer wol bekannten art der bedeutungsentwicklung werden
bezeichnungen für rein sinnliche begriffe in vielen fällen auf
das Seelenleben übertragen. Als beispiel von diesem Vorgang
nenne ich hier nur das mit sehnen synonyme awn. l>roijia, ])ni
'sich sehnen', aschw. 7»"« 'verlangen', nscliw. ^r«?^« "'von sorgen
verzehrt werden', tränad 'Sehnsucht, sorge, leiden (vor unglück-
licher liebe'): awn. Uk-J)rdr 'aussätzig'; vgl. das hiermit auch
etymologisch verwante gr. tqvxso&^cu 'sich aus Sehnsucht ver-
zehren" : TQvxco, TQvco 'reibe auf, verzehre, entkräfte' (näheres
über diese sippe in meinen Beitr. zur germ. wortk. s. 3 ff.). In
rein sinnlichen bedeutungsnuancen lebt das fragliche verbum,
mhd. senen etc., nach meiner meinung noch fort im nord-
germanischen. Ich verbinde nämlich hiermit nnorw. (Aasen,
Ross) sma 1) 'eintrocknen, unträchtig, güste werden (von
kühen)', 2) 'verschimmeln, modern, sauer werden und hin-
schwinden (von fisch, fleisch etc.)', 3) 'hinschwinden durch
brand (von getreide)", nschw. sina 1) 'zu milchen aufhören
(von kühen)', 2) mundartl. (Eietz, Dial.-lex. s. 566) 'aus-
trocknen', trans. (von der sonne) und intrans.: von einer quelle
u.a. (auch in der schriftspr.), 3) 'zu fliessen aufhören', z. b.
von einer flasche (dial.), säna vb. tr. und intr. (dial.) ^= slna;
vgl. noch das nschw. subst. sin : sfä, vara i s. : von einer kuh,
die keine milch gibt, sowie das dial. adj. sein (= sänt, part.)
'keine milch gebend (von einer kuh)'. Ein paralleles subst.
ist belegt schon aus altn. zeit: awn. sina, f. (mit den neunord.
256 KARSTEN
entsprecliungeu nnorw. sina, sena, nscliw. sena) 'altes ver-
welktes gras, das über den winter auf der wurzel stehen ge-
blieben; vgl. ausserdem das nnorw. (Ross) adj. daud-sen 'nieder-
geschlagen' '(übertr.). Die genannte nord. Substantivbildung
liegt westgerm. vielleicht vor in mhd. scn, stf. (?) 'senecio',
sen-wurz 'senecio, erigeron'; für diese Zusammenstellung spricht
einigermassen die semasiologische analogie mit dem entspre-
chenden gr. pflanzennamen erigeron ^^ agr. rjQi-yegcov 'früh
oder im fi'ühling greisend, ein kraut, das im frühling eine
graue samenkrone bekommt' (Passow, ^^^b. d. gr. spr. s. 1359);
vgl. lat. scnccio (aus scnex) 'die auch gerontea und erigeron
genannte pflanze, die kreuzwurz' (Georges, Lat.-d. wb. s. 1564),
sowie nhd. haldgreis 'senecio, die kreuzwurz' (DWb.), wol nur
gelehrte nachbildungen des gr. wortes. Das fragliche verbum
mhd. senen, nord. sma, säna (aus "^sinön, ^'senön, vgl. awn.
duina, diiena 'erschlaffen' : ags. duinan 'schwinden', awn.
suina, siiena 'schwinden' : nnorw. swina, ahd. stvinan id.) ist
aussergerm. erhalten in aind. Isinäti {ksinöti) 'vernichtet, lässt
vergehen', gr. ^^/roj 1) intr. 'abnehmen, dahinschwinden, ver-
gehen, sterben', 2) trans. 'vernichten', vgl. ausserdem av. xsyö
'des hinschwindens, elends', aind. hmjate 'schwindet hin', Iditis
'das vergehen, Untergang', gr. q{)iöiq 'das schwinden, die aus-
zehrung', lat. suis 'dürre, trockenheit, durst, heisshunger, hef-
tiges verlangen' etc.
Nach dieser etymologie wäre das betreffende verbum zu-
nächst mit offenem stammvocal, als senen, anzusetzen. Gegen
meinen deutungsvorschlag erheben sich jedoch einige einwände,
die ich bei der abfassung meiner genannten schrift, Beiträge
zur germ. wortk., nicht zu berücksichtigen wusste. Erstens
scheint mein ergebnis mit einigen mhd. reimbindungen in
Widerspruch zu stehen. So reimt unser verbum z. b. bei
Wolfram v. H immer nur mit Wörtern, die e haben.
Es geboren hierher nach Schulz, Keimregister s. 38 folgende belege:
sene ( : zene) Wh. 408, 30). — sent ( : gewent) P. 443, 15 ; ( : verwent) P.
291,30. — sente ( : mente) P. 90,10. Wh. 360,23; {-.wente) Wb. 287,20.
— gesent ( : entwent) Wh. 243, 22; ( : gewent) P. 189, 12. 248, IG. Wh. 90, 5.
193, 80. — versent ( : gewent) P. 265, 20.
Wie man sieht, enthalten diese reim Wörter {^lene zu
jzan, menen, wenen, ent-, ge-, ver-) sämmtlich geschlossene
£■- LAUTE IM MHD. 257
e-qualität, und hieraus ergibt sich die z. b. bei Kluge, Wb.^
angesetzte lautform sehen, dem anscheine nach als die richtige,
sofern unter e hier das gewöhnliche umlauts-e aus a verstanden
werden soll. Bei näherer prüfung wird sich diese annähme
nichtsdestoweniger als falsch erweisen. Als sehen (aus *sa7ijan)
aufgefasst, stände unser wort — scheint es — ganz isoliert,
während es als senen sich an eine weit verbreitete germ. und
nichtgerm., auch begrifflich sehr nahe verwante Wortsippe
anschliesst. Auch die zahlreichen mhd, belege unseres verbums
sprechen in der tat a priori (wenn man die reime unberück-
sichtigt lässt) für die form senen. AVälirend verba der ersten
schw. klasse wie denen, mehen, icenen, ze'ln, wein, sein u. a.
mit nebenformen wie bez. dehnen, temien, mehnen, ivehnen,
Zellen, ivellen, seilen nebst praeteriten wie dante : dehete,
mante : mehete, mente, salte : zelte, ivalte : weite, salte : se'lte
auftreten, fehlt es dem verbum senen an jeglicher spur einer
grundform *sanjan.^) Die der vorgetragenen et3inologie wider-
sprechenden reimbelege mit e erheischen daher meines erachtens
ihre besondere erklärung. Da Wolframs e- reime sich sonst
dui'ch strenge genauigkeit auszeichnen (s. Zwierzina, Zs. fda.
44, 249—316), scheint jede rede von 'ausnahmen' ausgeschlossen
zu sein. Am nächsten liegt vielleicht dann die Vermutung,
dass die c-qualität in sehen durch die einwirkung der folgen-
den nasalis modificiert worden wäre. In den meisten nhd.
(fi^änk., alem. und bair.-österr.) mundarten sind die e- laute in
der Stellung vor nasalen wie bekannt in einen laut zusammen-
gefallen. Die wichtige frage, wie weit eine derartige nasal-
afficierung sich schon im mhd. geltend gemacht hat, ist lange
völlig unberücksichtigt gewesen. Erst bei Zwierzina a. a. o.
wird sie einer prüfung unterzogen, die sich jedoch aus mangel
an genügendem material leider auf blosse andeutungen be-
schränken musste. AA'enn Zwierzina hier, auf grund der frag-
[*) Diese argumentation scheint mir nicht ganz zuzutreffen. Bei salte,
salte handelt es sich ja um alte westgerm. bildungen ohne mittelvocal (as.
talda, ags. tealde etc.), während entsprechende alte formen bei verbis mit
•n- gar nicht belegt sind. Auch mhd. herschen ja (leti(e)te, vicn{e)te so un-
bedingt vor, dass die paar späten belege für dante, mante sicher auf das
conto junger analogiewirkung zu setzen sind (nach dem muster von para-
digmen wie brenne — hrante mit germ. nn). E. S.]
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVUI. U
258 KARSTEN
liehen e-reime bei "Wolfram, constatieren zu können glaubte,
dass e und e vor nasalen (vor einfachem wie vor gedecktem)
in der spräche dieses dichters noch auseinander gehalten
wurden, so ist diese annähme insofern noch nicht genügend
motiviert, als er für sencn, wie es scheint, ohne jeden versuch
ziu' etymologischen begründung seiner meinung, geschlossene
e-qualität voraussetzt. Da Wolframs ausspräche der e- laute
eine fränk. gewesen zu sein scheint (Zwierzina a. a. o.) und
die e- und e-qualitäten heute in den meisten fränk. mundarten
in einem geschlossenen laut zusammengefallen sind (Zwierzina
a.a.O. s. 314), könnte diese ausgleichung an und für sich schon
für W. vorausgesetzt werden, und zwar um so lieber, als ein
analoger zusammenfall der c- laute für einige andere, wenn
auch spätere mhd. dichter durch Zwierzinas erörterungen a.a.O.
(s. 315 f.) wahrscheinlich gemacht worden ist.
Hiermit sind jedoch nicht alle Schwierigkeiten, die sich
in den weg meiner etj^mologie stellen, erledigt. A\'ie mir herr
Professor E. Sievers brieflich gütigst mitgeteilt hat, gilt im gut-
deutschen da wo gedehntes e und e noch geschieden werden,
ausdrücklich smen und lenen mit geschlossenem (/ (wie ^cner,
dehnen etc. gegenüber nemen, dem, den etc.). Auch dieser wider-
sprach ist, wie ich glaube, jedoch nur scheinbar. Mhd. senen
flectierte im ahd. wahrscheinlich nach der t'-conjugation: *sehen,
wie einige andere ahd. t-verba, die aus der vorgerm. wä-klasse
herübergekommen waren (z. b. ahd. Minen, ags. hlinian, hleonian :
gr. x/.i-voj, lat. de-cll-näre, vgl. mhd. senen : aind. Jcsi-nä-ini), wo-
rüber s. meine Beiträge zur geschichte der altgerm. g^-verba
s. 44 ff. Bekanntlich berühren sich aber die primären altgerm.
f-verba in vielen fällen mit den verben der j-klasse. Der für
das urgerm. vorauszusetzende Wechsel zwischen e- und ^-formen
bei den e-verben wurde in den einzelsprachen wie bekannt in
verschiedener weise ausgeglichen. Im ahd. kam die ^-form
fast vollständig zur herschaft; nur einige wenige reste und
Verallgemeinerungen der j-torm. sind erhalten geblieben. Von
dem oben angeführten ahd. hlinen weisen sämmtliche belege
nur den stammvocal i auf, der eigentlich nur den alten /-formen
gebührt. In dem urgerm, paradigma müssen lautgesetzlich in-
dessen auch formen mit e-vocal bestanden haben, von denen
das mhd. in seinem Jenen (neben Imen) in der tat einen reflex
i?- LAUTE IM MHD. 259
bewahrt. "Wie aber alid. Minen durch contaminatiou von
*hlenen (= mlid. lenen) und *hUnjan entstanden sein muss, sind
andrerseits auch compromissformen wie z. b. 2. und 3. pers. sg.
Vilehis, Vilenif denkbar. In derartigen ahd. neubildungen mit
i in der endung muss das ursprünglich offene e der Stamm-
silbe durch eine art von umlaut in ein geschlossenes verwandelt
werden. Dieser gesichtspunkt ist schon früher zur erklärung
einiger scheinbaren ausnahmen in den heutigen mundarten ver-
wendet worden; vgl. z. b. ahd. felis 'fels' und a\\Ta. fiall: gegen
diese identificierung spricht scheinbar der umstand, dass nhd.
fels in denjenigen mundarten, die offenes und geschlossenes e
unterscheiden, geschlossenes hat: fasst man aber ahd. felis als
eine compromissform aus urgerm. felus- : flis- auf, so wird alles
klar (s. Paul, Beitr. 12, 548 f. und Mhd. gramm."^ § 43, anm. 3.
Kauffmann, Beitr. 13, 393 f.). Durch eine analoge erklärung
scheint mir der fragliche Widerspruch in dem nhd. sehen (wie
in lenen) seine einfachste lösung zu gewinnen. Die vorauszu-
setzende mhd. analogiebildung senen (für sehen) dient dann
auch zur aufkläriing der oben erörterten Wolfi'amschen reim-
bindungen. Diese reimbelege sind sonach nicht als beweis-
mittel für die oben vermutete lautausgleichung bei Wolfi'am
zu verwerten.
HELSIXGFOES. T. E. KARSTEN.
17*
MITTELHOCHDEUTSCH SCHEMEN.
In anknüpfimg an die vorstellenden erörternngen über
mhd. senen mit li als resultat eines secundärumlauts von e
mögen hier noch ein paar bemerkungen über die auch schon
von Zwierzina, Zs. fda. 44, 312 angeregte frage nach dem Ur-
sprung des e in mhd. Schemen angefügt werden. Bei diesem
wort kann man, wie mir scheint, gar nicht um die annähme
eines secundärumlauts herumkommen. Die ganze sippe von
ahd. scama, scamhi hat ja in allen altgerm. sprachen ein-
schliesslich des ahd. nur a, und erst mhd. treten die neben-
formen mit e daneben auf. Demnach halte ich es für aus-
geschlossen, dass mhd. Schemen altes e habe: vielmehr muss
das e irgendwie auf umlaut berulien. Primärumlaut hätte
dann zu mhd. *schemen geführt, das denn auch nach Zwierzina
a. a. 0. wenigstens für gewisse bair.-österr. dichter mit grosser
Avahrscheinlichkeit anzusetzen ist. Umgekehrt hätte secundär-
umlaut ein mhd. ^schämen, geschrieben Schemen ergeben, das
ausserhalb des bair.-österr. mit altem e reimen konnte, genau
so wie A\'olfram tatsächlich reimt. Dies ^schämen ist aber nicht
nur imaginär oder aus den reimen erschlossen, sondern dii-ect
auch aus den mundarten zu belegen. In diesem sinne hat sich
bereits Zwierzina auf das bair.-österr. sdmdn mit 'hellem a'
berufen. Ausserdem ist "^'schämen aber auch für das alem.
gebiet zu erweisen, wenigstens für die mundarten, welche nach
den darlegungen von A. Heusler, Germ. 34, 117 ff. primäres
Umlauts- 6; und secundäres umlauts-a vor nasalen nicht zu-
sammenfallen lassen. Dahin gehören (nach Heusler) das Toggen-
burgische (A\'inte]ers T) und Appenzellerische. Beispielsweise
unterscheidet T die beiden laute noch als e und ce. Für m
als secundärumlaut sind z. b. aus "Wintelers material sicher in
anspruch zu nehmen hrcextce sprechen s. 49, pcetsce 'patschen',
AIHD, SCUEMES. 261
klatsclieu 49 (dazu ])(.dshü Beitr. 14, 463), xcetsi (K gatsw) 57,
kxcerli kerl 81, ifit'bmce einfädeln 117, ßcedce pl. zu fladce fladeu
171, gcebmdr pl. zu ^a(?(iB gadem 74. 171; mit dehnung gmr gar
79, cerhdtxß arbeiten 80, sbcerce sparen 78. 157, t^y pl. zu füg
tag (dat. pl. fägcc) 83, bcerg pl. zu härg schwein. Andrerseits
erscheint c für mlid. e vor nasal in xlome klemmen, swemce
schwemmen, fdrgremc (mhd. crgremen) 67; gremplce, -jy (zu
mhd. grcmpen) 58; fdrticeme ('entwöhnen'), aufziehen, Tiwence
gewöhnen 67 (vgl. pl. tse zahne 72), mence (mhd. menen) 67;
l'xemc kennen, /«ew^e henne, sbence spannen (mhd. spennen —
Spante) 67, tenn tenne 68. 70, prent gebrannt 136; swendce
schwenden 63; henJcxce heiiken, xhnlcxw {mhd. MenJcen), sivenhxoi
schwenken 61 (vgl. sleuhe 62), tcnJixce denken 149, menuldpfalt
blättermagen 74. Dagegen steht w wider in zwei sicheren
fällen des secundärumlauts, in dem gedehnten hceni fasshahn 69,
und in tscencn weinen {m\\(\.. zannen, ahd. mannen Graff5, 673);
als drittes beispiel darf wol xrcenfsce tragkorb, angezogen
werden, angesichts der Kerenzer form xrcetsce 175 u. ä. (wei-
teres s. im Schweiz, id. 3, 924 ff., speciell 926); dann braucht
auch wol der bergname Sa'mtiss, Scentiss 138 keine ausnähme
zu sein.') Schwierigkeiten bereitet dagegen trmndl 66 =
trcemmdl K, wenn dies wirklich direct = ahd. dreniU, mhd.
dremel ist (natürlich nicht dr'emel, wie im Mhd. wb. und bei
Lexer angesetzt wird); nach mhd. drdm, träm halte ich aber
eine alte dublette *dmmil — *drä))ül nicht für ausgeschlossen";
ich bin also geneigt, jenes trceuidl vielmehr gleich urspr. '^drämil
zu setzen.'')
^) Uebrigens wird doch wol auch T eine form wie iscrnue 'zusammen'
haben, nicht *tsem(e; aber so viel ich sehe, führt Winteler die form nicht
speciell für T an.
") Für das bair. scheint allerdings Schmeller, BWb. 1, 662 f. nur die
form tremel, nicht Hrämel zu kennen (das eine trümel aus dem Cgm. 270
beweist nicht viel). Aber gerade bei i - ableitungen finden sich auch sonst
ähnliche quantitätsschwankungen, so bei zadel — mdel und dem fremden
schamel schämel, Mülleuhoff- Scherer, Denkm.2^,160. 442 (zu der erstcitierten
stelle bemerke ich übrigens, dass langvocaliges *scämil- durch north.
fötscdkinel [mit w als regulärem umlaut von ö aus ä vor nasal] L erwiesen
wird; daneben wider seltener [f6t\scemel aus *scamil, auch ohne umlaut
einmal -scdnol L, ebenso scömul, -el R'*). — An sich könnte man sonst
auch bei tremel — trümel an einen auf suftixablaut beruhenden secundär-
202 SIEVERS
ImDierliiii überAviegeii die beispiele flu- die regel so sehr,
dass man die form scenue, die auch T nach Winteler s. 157
aufweist, als sicheren beleg für secundärumlaut auffassen darf,
und zwar um so sicherer, als das verbum in 'T noch dem alten
typus der t^-verba folgt i^iS.^g. kemot, zweisilbig: AMnteler a.a.O.),
und weil auch andere alte e-verba in T denselben secundär-
umlaut zeigen, nämlich shceroi sparen 78 (3. sg. sbcerdt 157) =
ahd. siuu-en und das ebenfalls bereits erwähnte tsmnoe = ahd.
sannen. Diesen stellt sich dann noch das doch wol gemein-
schweiz. sceycG sagen = ahd. sagen zur seite, ferner dialek-
tisches licehw neben liebce (mit primärumlaut) 'halten' = ahd.
halm (so z. b. in Kerenzen, 3. sg. hcehdt, Winteler s. 148; vgl.
ferner das Schweiz, id. 2. 870 ff., speciell 889 ff.); endlich auch
noch das zur schwachen flexion übergetretene trcegce tragen
(Winteler s. 165).
Der secundärumlaut ist hiernach bei alten e-verbis dialek-
tisch so häufig belegt, dass man ihn an betreffender stelle
geradezu für eine normalerscheinung erklären muss. Gaben
einerseits formen wie ahd. *scemit (vgl. hebit, lihit) die grund-
lage ab für das bair.-österr. Schemen (oben s. 261), so konnte
andrerseits aus der parallele scamet — scemit ein neues *scamit
erwachsen, das dann secundär zu *schämet umgelautet wurde
und so die grundlage für das mit e reimende mhd. Schemen
lieferte. Aehnlich auch bei den übrigen verbis, welche ent-
sprechenden vocalismus aufweisen. Uebrigens liefert auch hier
das ags. wider genaue parallelen bei der flexion der primären
e-verba, vor allem bei scc^an sagen, wo altwestsächs. i)rimär-
und secundärumlaut noch im paradigma nach fester regel
wechseln: Lsg. sec^e, 2. 3. sg. siehst, sce^J gegen angl. sa^ast,
sagad (Ags. gr. § 416); denn diese soe^st, scejcT gehen nach mass-
gabe der parallele westsächs. 1. sg. hycge, 2. 3. sg. hys{e)st,
hys{e)d : angl. hogast, hogad doch wol auf secundär umlautendes
*6-ö^ts, *sagi]), d. h. eine mischbildung zu *segis, -ip und sasas^
-ap, nicht etwa dii^ect auf urags. *sases, -ep zurück. Einer
solchen annähme bereiten aber die Schweiz, formen wie 3. sg.
Umlaut einer ausgleichsform spätahd. trumil (mischuug aus tramal — tremil)
denken. Solche ausgleichsformen weist namentlich das ags. auf, s. verf.,
Zum ags. vocalismus, Leipzig 1900, s. 21 ff.
MHD. HCUEMES. 263
JchcebdtK, 3. sg. kemdt, sbärdt T (Wiuteler 1-48. 157) durch ihre
zweisilbigkeit ein hinderuis (Wiuteler 157); man wird also ent-
Aveder erneute anlehnang an das endungssystem der glatten
t'-flexion annehmen, oder doch an eine reine proportionalbildung
wie *sccmit + scamet = *scämet denken müssen. ') Jedenfalls
ist aber diese Schwierigkeit nicht so gross, dass man deshalb
die gesammthj'pothese vom auftreten von secuudärumlauten bei
t-verbis aufgeben müsste.
Allerdings kann es auffällig erscheinen, dass dieser
secundärumlaut gerade nur bei dem einen verbum scamen
sich so früh und weit verbreitet hat, dass er sogar literatur-
fähig geworden ist, während die übrigen verba, abgesehen
von einzeldialektischen Schwankungen, sonst bei unumgelau-
tetem a verblieben sind; auch dass zu dem subst. ahd. scania,
nihd. scham{e) die form schem{e) hinzugebildet ist, kann auf
den ersten blick befremden. Immerhin lässt sich sagen, dass
wenn einmal das verbum scheinen irgendwo die überhand ge-
wonnen hatte, das nachrücken seines verbalsubstantivums nicht
unbegreiflich ist. Vielleicht bietet aber gerade diese nominal-
form noch einen weiteren anhaltspunkt für das Verständnis
auch der weiten Verbreitung des umgelauteten verbums. Denn
gerade auf nominalem gebiete war bei der wortsii)pe von
schämen sehr oft anlass zum eintritt von secundärumlaut ge-
.geben. So steht schon ahd. (Graff 6, 492 ff.) neben altem scamcuj
spätahd. scaniig (neben scamcg) bei Notker, ferner adj. scamilm
neben scamalin, scamUih neben scamalih, daher dann mhd. neben
schamec, schamelich auch scheniec, schemelich (vgl. auch schumedc
und schemede), und zwar die letztern auch bei dichtem u.s.w.,
die sonst nur umlautsloses sc]ia}u(e). schämen gebrauchen. Hier
treten denn die secundärumlaute auch handschriftlich bezeugt
auf: schämec, schamelich, schämde u.s.w. Ich halte es danach
auch nicht für unmöglich, dass aus einem spätahd. scami-Uh
unter der einwirkung des verbums direct ein abstractum
*scami (für *scami) abstrahiert wurde, welches dann mhd.
*schäme, schem{e) ergab. A\'arum freilich schem{e) und Schemen
*) Gegen solche proportioualbildungeu spricht sich zwar Heusler,
Germ. 34, 113 sehr entschieden ans: man wird aber doch nicht ganz um
sie herumkommen. Vgl. z. b. Ilolthausen, Soester muudart § 69.
264 SIEVERS, MHD. ^cilEMEy. — BRAUNE, NACHTRAG.
(soweit das material der wörterbüclier liier einen einblick er-
laubt) in älterer zeit nicht aucli gelegentlicli mit ä geschrieben
AN'erden, wie schämeltch, bleibt noch zu untersuchen: wahr-
scheinlich wird aber diese Verschiedenheit der Orthographie
doch mit der Verschiedenheit der Verbreitungsgebiete der
beiden typen . zusammenhängen.
LEIPZIG, 3. Januar 1903. E. SIEVERS.
NACHTRAG
(zu Beiträge 27, 565 ff.).
Zu ungenande ist die anm. auf s. 568 dahin zu ergänzen,
dass ich erst nachträglich durch Leitzmanns citat (Wolfram
1, xvi) auf Lachmaim, Kl. sehr. 1, 175 aufmerksam geworden
bin. Daraus geht hervor, dass in der tat Lachmann ungenande
zu genenden gezogen hat. Ist somit Lachmanns lesung im
Parzival begreiflich, so ist es desto schwerer zu verstehen,
wie seine nachfolger — trotz richtigeren Verständnisses von
das ungenante im Wh. — für die Parzivalstellen bei Lach-
manns lesung bleiben konnten. — Einen nachtrag zu 'Das
Ungenannt' gibt Höfler, Zs. des Vereins f. Volkskunde 12, 225.
Zu, huore weist mich J. Meier freundlichst hin auf eine
von mir übersehene bemerkung von S. Singer, Die mlid. Schrift-
sprache s. 4. Daselbst wird die Wolframstelle in gleichem sinne
verstanden und noch ein weiterer beleg vom ende des 13. jh.'s
aus Ottokar (11439 ff.) besprochen, der ebenfalls das wort huore
als literarisch unmöglich erweist, da Ottokar es auch nur ver-
steckt (als Palindrom von reuh 'rauheit') anzuwenden wagt.
HEIDELBERG, 5. dec. 1902. W. BRAUNE.
ZUR ALTHOCHD. INTERLINE AR VERSION DER
CANTICA; SUUEIGA.
(Beitr. 27, 504.)
Mit lebhaftem Interesse habe ich die yorzüg'liche ausgäbe
und die abhaudlung über die lautlehre, datierung und locali-
sierung der Pariser fragmente von I. J. Steppat gelesen. Ich
freue mich sehr, dass der verf. als resultat seiner von meiner
abhandlung, wie er mitteilt, unabhängigen forschung. wie ich,
Tijdschr. voor nederl. t. en 1. 5, 274, die annähme Huets abweist,
dass diese fragmente zur psalmenübersetzung 'connue sous le
nom de Psaumes de Wachtendonk' gehören sollten.
Aus den glossen des Lipsius geht hervor, dass in dieser
Sammlung auch die Cantica gewesen sind, 'conformement aux
habitudes du moyen-äge', wie Huet schrieb. Deshalb, und da
man nach mitteilungen in einer niederl. Wochenschrift meinte,
dass ein teil der sog. Altnl. psalmübersetzung widergefunden
worden sei, wählte ich als titel 'Fragmente einer psalmüber-
setzung'. Ich wollte nicht einen neuen abdruck der hs. geben,
sondern zeigen, dass die spräche nicht nfrk. ist, sondern süd-
mfrk. oder wenigstens aus der Moselgegend stammend. Steppat
meint (s. 536) 'eine genaue localisierung des denkmals ist nicht
möglich. Die consonanten weisen es dem rheinfrk. zu und
zwar nach süden, wo sich obd. einflüsse geltend machen.' Das
werde ich ihm gerne zugeben; s. 284 hatte ich schon darauf
hingewiesen, dass p^j, ph dem rheinfrk. und südfrk. eigen sind;
die nd. wortformen hielten mich aber zurück, das denkmal
weiter nach dem süden zu verlegen. Ich glaube übrigens nicht,
dass Steppat dem was er s. 538 geschrieben hat, eine ent-
scheidende bedeutung zumisst; es könnte aber sein, dass andere
gewicht hierauf legten; ich will deshalb kurz die Unrichtigkeit
266 GALLEE
seiner beliciui)timg nachweisen. S, schreibt: 'Sonderbar ist es,
dass sowol die Gl. Lips. wie unser denkmal zu Abacuc 3, 17
das wort simeiga für armentum bieten. Dieses wort gehört
speciell dem' alem. und bair. au, wo es lieute noch als die
schivaig erhalten ist, Notker hat (50, 21) rindcr föne dero
sucigo (Graft 6, 862) und die gl. Prud. haben einen acc, pl.
sueiga.''
AVas S. hier über swciga schreibt, ist oberflächlich und
ungenau; das DWb. 9, 2422 hätte ihn eines bessern belehren
können. Sweiga kommt nicht bloss im süddeutschen vor.
Ausser in den Prudentiusglossen findet es sich in den Pariser
Yergilglossen, Ahd.gl. 2, 714, 28, welche sicher nicht süddeutsch
sind, in den Ahd. gl. 4, 174, 47 svege vaccaricia, in den Trierer
glossen, Ahd. gl 4, 196, 7 suega (mit i über e), Ahd. gl. 4, 246, 34
sueiga]^) im Cod. trad. Westf. 5, 185, St. Georgs commende in
^) Mehi'ere glossen, welche dem obd. und lid. angehören, seien hier
verzeichnet nach dem lat. worte, das sie übersetzen sollen. Ob diese
materialsammlung vollständig ist, weiss ich nicht; sicher ist, dass ich der
freundlichen mitteiluug von Sievers mehrere verdanke, welche ich nicht
verzeichnet hatte. Wie man bei Du Oange nachschlagen kann, ist urmentaria
=^ armentum und auch = stahulum, oder bucerna. Vaecaria und vaccaritia
sind gleichbedeutend mit hucula, nach Du Gange = ager vel praedium
vaccarum numero alendo idoneum; also dasselbe Avie franz. vachcrie, hd.
sennerei. — armentum: Ahd. gl. 1, 620, 14 .sHwe/f/OHO armentarum; 2,689,3
sueiga; 3,4A:4:,i-i swaige, stveige; HS, Si sueiga, ■ibOj'iS svaiga; 669,66
suaige, 670,37 sueicrlder (i.e. sueicrindcr). — urmentaria: Ahd.gl.
3, 669, 66 SMa?'gfe. — armentale: siieiglih hiis 2,idb,S7. — stahulum:
Ahd. gl.-2, 559, 15 SMc/rt. — hucula: Ahd. gl. 2, 397, 60. 517,12. 579,20
stieiga. — ftncerwa: Ahd. gl. 3, 448, 31 sueiga, (iüQ, 66 suaige. — vaecaria
vel vaccaritia: Ahd. gl. 2, 352, 37 sueigen; 3,78,10 sveiga, sueiga, sueiga,
sweig, sweinge; 201,9 sueiga; 264,4 sveiga; 356,11 sveige; 367, b7 jur ig a
(a. sueiga); 442,3. 24: sueiga, suueiga, sweig; 445,43. 448,31. 449,21 sueiga;
450,43 svaiga; 648,2 rinderswaide (a. 1. rindersioaige); 669,66 suaige,
70 suaich; 4, 105,48 suueiga, sweiga, sveiga, swaige; 52 sueichhus, suueichus,
swechus, sivacchvs, swachus; 172,64 sveige, 54 suechus, 174,47 svege. —
(trmentarius: Ahd. gl. 1, 671, 16 sueikari, 2,487,61 dero sueigaro armen-
talium; 257,67 suveigari, swaigaire; 261,29 sueigeri, 302,47 sueiga/ri;
3, 138, 9 swe/^an', sueigare, sueigari, sweigare; 180,29 suegare, sueigere,
426,35 suagcri; 442,1 sveigari; (444,15 hirtere, hirtare); 451,29 suaigeri;
3, 670, 8 suaiger, 4, 36, 5 suueigari, sivegari, siveigare, schivaiger. —
hubulcus: Ahd. gl. 2, 449, 18 SMe/(/an^ 3, 225, 16 SM;emero {\. sweigero);
3,442,1. 4,168,14 sueigari. Meist wird buhulcus mit ohsinari glossiert,
a. Ahd. gl. 2, 137, 67; 3, 185, 24. 267, C. 312, 1. 426, 2. 448, 28. 450, 22 (vgl.
ZUR AHD. INTERLIN AR VERSION DER CANTICA. 267
Münster, "\V., des greven erve itp den stvege; in den glossen aus
St. Peter 85 d sueigeri; in Heinr. Summ. Ahd. gl. 3, 185, 29 sue-
gare, 4,36,5 sicegar, und in der Freckenli. lieberolle537 suegeron,
im Liber privil. Werdin. maior f. 60a Sueclo; in dem alten register
der Werdener probstei 23b sueghese. Die stelle lautet: Ipse
vülicus dahit de selilande curtis IUI hrac. siliginis . . . LX
cascos talcs qualcs sunt stieg l'ese et ampJwndam hutiri. Es
handelt sich hier um eine abgäbe aus der Betuwe, wo früher
wie jetzt ein guter viehstand war; es sind hier also wol rinder-
käse gemeint; vgl. Mhd.wb. 1,791. Lexer 2, 1353 stvaighesc, und
Cod. trad. Westf. 4, 138. 140. 148. 150 / suegeram, ires suegere
in derselben bedeutung. Auch in den Ahd. gl. 4, 105,52. 172, 54
Gloss. Salom. snechus vaccaricia. Westlich von Utrecht (Cartul.
V. Utrecht ed. S. Muller, 1892, s. 39) Suegon (für StvcJisnon, den
geburtsort Ludgers, findet sich hier auch Swegion, Swegsnon
und Siccgsna). Auch in Friesland, wo ai in zweisilbigen ö-stäm-
men und vor gutturiüem Spiranten zu ä und cä wird,') findet
sich das wort; so in Brom, Bullar. Trajectin. 2,303 a. 1245 swage,
bei F. Buitenrust Hettema, Friese plaatsnamen a. 1545 Bexters
nvacge (Schwartzenbei'g, Charterb. 2, 19), a. 1505 Bons zwaeghc
(ib. 2, 26), und a. 1444 zwaech (ib. 1, 526). Meist hat es die be-
deutung 'kuhweide'; Joh. Winkler, Fries, wb. s. 375: 'siveach,
zwaag, eene krite van weiland, met gebucht waar bijzonderlijk
de zuivelbereiding beoefend wordt'; also ungefähr eine 'sennerei".
Auch in Nordholland ist zu-aag bekannt in compositis in Orts-
namen.
Von der Nordsee bis an die Alpen findet sich also der
wortstamm swaig; die bedeutung in älterer und in späterer
zeit war: 'der besitz an vieh, die herde', und die stelle, wo
die herde sich aufhielt, 'das Weideland', die 'kuh weide' [vgl.
Ahd. gl. 3, 648, 2 rinderswaide (a. rinderswaige)], und 'der kuh-
stair, schliesslich 'das viehgehöft'.
Da das wort etymologisch unerklärt ist, erlaube ich mir
rinnirhirie 3, 670, 31, rinthirdi 3, G8G, 30, osseherde 3, 716, di), und so stehen
3,225,16 zu 'bubulcus' siceinero und ohsinare.
Auch in älteren hd. Ortsnamen findet sweig sich, z. b. Sweig im Elsass,
Sweige Oesterr., Schivaig bei Nürnberg, Sweighofen, Stveikhoven (a. 14:76)
bei Bergzabern, vgl. Oesterley, Histor.-geogr. wb. 1883.
0 Vgl. van Helten, IF. 7, 340.
268 GALLÄE
hier eine erklärimg vorzuschlagen; man kann dagegen zwar
anführen, dass das wort sich in keiner anderen spräche findet,
aber es spright doch auch m. e. etwas dafür.
Die wortform sivaig- kann auf indog. swoiq- zurückgehen;
es kann nämlich entstanden sein durch anfügung eines gd-suf-
fixes an sivoi-, welche wortform sich vergleichen lässt mit gr.
/of, avest. 7y«e-, inschr. von Behistän uxäipasiyam (eigentum);
aind. svaijam würde in der bedeutung mit lat. suum überein-
kommen. Ein analogon meine ich zu sehen in aind. svakas m.
der seinige, ein angehöriger, siaJcam n. eigen, eigentum, z. b.
Ind. Sprüche ed.Böhtlingk3641 näräjahe janapade svalmm hhavati
Uasyacit 'in einem lande ohne fürst besteht kein eigentum'; es
kommt zwar in vedischen texten nicht vor, aber hier finden
sich ähnliche Wörter, welche von pronominibus gebildete adj.
sind, so mdmalca mein, z. b. Egveda 1,31,11 x>itür ... mdma-
l;asija, 1, 34, G mdmalcäya sundve), tävalcd dein (Rgveda 1, 94, 11
tävakchhijo ruihehkyuh), im sauskrit mämakds und tävakds, und
auch andere Wörter wie avilid (ovis), in germ. sprachen ags.
tivis, ahd. sivig und an. laug (mit primärsuffix), vgl. Brugmann,
Grundr. 2, 240. 242. ')
Die grundbedeutung von sivaiya würde dann sein 'das
eigen', 'das eigen an vieh', 'die herde' u.s. w. Nicht analog
hiermit ist die bedeutungsentwicklung von film, got. faihu. Für
,erbe" hat Sievers, Beitr. 12, 176 nachgewiesen, dass es 'in
germanischer zeit nicht grundbesitz, sondern bewegliches eigen-
tum bedeutet haben muss'. Grundeigentum wird es ursprüng-
lich bei den Germanen wol nicht gegeben haben, und der
hauptbesitz war fahrendes eigen, wie die Friesen sagten dri-
vanda and dreganda (Asegab. 278, u. a.).'^)
Auch Tacitus, Germ. 5 sagt deutlich, dass das eigentliche
besitztum das vieh w^ar: pecoriim fecimda . . . numero gaudent,
eaeque solae et gratissimae opes sunt, und c. 26 nee enim . . .
') Die ind. wortformen asmäka(m), yushmäka(m) wage ich nicht in
betracht zu ziehen wegen der langen accentuierten silben vor dem k; vgl.
hierüber Brugmann, KZ. 27, 400 und 401, anm. 3.
*) Reminiscenzen hieran meine ich noch zu sehen ausser in den von
Sievers 1. c. genannten Wörtern in Heliand 3309 thes wi egan endi erbi all
forlietun, hobos endi hiwiski (mnl. huus ende hof), und Otfrid 2, 2, 21 er
quam so er skolta in eigan ioh in erbi, vgl. aschw. arf ok urf.
ZUR AHD. INTERLINEARVERSION DER CANTICA. 269
contendunt ut pomaria conserant et prata separent et hortos
rigent.
Die begriffe von besitz und vieh gehen ineinander über,
wie aus fihu und er'bi und auch aus germ. skatt- (geld), aslov.
sTiotü (vieh) erhellt, ohne dass man bei erbi noch so weit zu
gehen braucht, 'erbe ursprünglich = vieh' zu stellen (Beitr.
12, 176).
Wenn meine annähme richtig ist, hat man in swaiga einen
dritten beweis für die von Sievers 1. c. nachgewiesene enge
Verbindung der begriffe 'besitztum' und 'vieh' im germ. und
ein beispiel eines adj.-subst., das durch go-suffix aus einer
pronominalform gebildet ist.
Steppat meint s. 539, dass ^uuerhon »cardines« in dieser be-
deutung sonst nicht belegt ist'. Er ist im Irrtum; in den Strass-
bui^ger glossen 13, c. 1, 8 hätte er das wort finden können:
uueruon in ipsis: zuvor ist das wort genannt, nämlich car-
dines mundi. uuerdon steht zwar nicht in Heynes glossar, aber
in Wadsteins glossar hätte Steppat es finden können und in
allen texten.
Wenn Steppat s. 505 f. mir vorwirft, dass ich die Ortho-
graphie des Originals willkürlich verändert habe, da ich w
statt des überlieferten uu geschrieben und circumflexe gesetzt
hätte, die die hs. nicht bot ... und conjecturen eingeschoben
hätte, ohne sie als solche zu bezeichnen, so will ich am liebsten
annehmen, dass er meine bemerkung s. 277 oberflächlich gelesen
hat: "De gecursiveerde letters zijn door mij aangevuld. Zij
ontbreken in het origineel.' "\Me man noch genauer bezeichnen
soll, was man als conjectur eingefügt hat, weiss ich wirklich
nicht. Dass ich nu in ic veränderte und längezeichen setzte,
geschah, weil es damals vor 17 jähren gebräuchlich war und
selbst von der Historisch genootschap für erwünscht erklärt
war, während es in den von der Maatschappij van ned. letterk.
herausgegebenen texten allgemein üblich war, was das tv für
uu betrifft. S. möge auch bedenken, dass es sich nicht um
einen neuen abdruck der hs. handelte, sondern um einen ab-
druck, welcher meinen lesern zeigen sollte, dass keine neuen
fragmente der Nd. psalmversion in Paris gefunden worden
waren, sondern fragmente, die vom Mittelrhein herstammten.
Dass meine arbeit fehlerfrei ist, will ich nicht behaupten,
270 GALLEE, ZUR AHD. INTERLTNEARVERSION DER CANTICA.
aber die von S. angeführten fehler stehen nicht in meinem
texte. Wo sie im alphabetischen Wörterverzeichnis vorkommen,
musste schoij das einsehen des textes und anderer stellen aus-
reichen zu zeigen, dass es sich hier um druckfehler handle.
Heldendemo statt Haldendemo s. 276 ist druckfehler, s. 278 und
287 steht es richtig; die lesungen hegien statt hegten, mih statt
mich U.S.W, habe ich erst später sehen können. Damals, wo
ich mich auf Huet verlassen musste, konnte ich keinen anderen
text geben. Ich habe selbst einige von seinen lesungen an-
gezweifelt, ebenso die datierung der hs. ins 9. jh., wie ich Tijd-
schr. s. 277 mitgeteilt habe. Huet hatte mir s. z. ein facsimile
geschickt und nähere auskunft gegeben, was mich veranlasste,
meine meinung aufzugeben und mich der ansieht Huets, der
archiviste-palaeographe ist, anzuschliessen. Der text, wie ihn
Steppat jetzt gibt, scheint mir richtig; das e von uuesta für
uuosta scliien mir bedenklich, i) aber auch H. Omont schrieb mir,
dass er es in der hs. ganz deutlich sehen könne. Da die form
drohtin als dat. sg. mir im jähre 1885 nicht richtig vorkam,
habe ich s. 28G als dat. sg. bloss droJäine von 2' verzeichnet.
Hätte ich nicht selber gesehen, dass die hs. aphuon hat, so
würde ich fragen, ob nicht vielleicht cqyhil on augtm (m^spr.
aj)hil an aiigun) in der hs. stehe, vgl. Alfreds Boethius de con-
sol. phil. ed. Fox 228, 18 sivd sivd man dep Öone cejil on his
ea^an, wofür sonst meist eascBppel, wie ahd. ougaphil steht.
[1) Das e in uuesta ist auch auf der von mir eingesehenen Photographie
Tollkomrnen deutlich zu lesen. E. S.]
UTRECHT, 20. dec. 1902. J. H. GALLEE.
ZUM BEOWULF.
y. 48 f. ist der überlieferte text, Uton höhn heran, gcafon
on jdrsec^, stilistisch gauz in Ordnung, denn hier Avird eine
zweigliedrige formel nach ihren beiden teilen, dem nominalen
und dem verbalen, variiert, und das ist stilistisch gut. Dagegen
wird der nominale teil unnötig und auch unschön belastet,
wenn man das verbale geafon in ein nomen ändert. Das trifft
sowol Greins jcafol (das übrigens auch der bedeutuug nach
nicht einmal passt) wie, und zwar in noch höherem masse,
Trautmanns s^ofon, das gar den einen grundbegriff 'meer',
der hier doch ohne besonderen malerischen zweck lediglich
die richtung angibt, so ziemlich tautologisch dreimal neben
einander zwängt.
Trautmann scheint diese tautologie selbst empfunden zu
haben, und so versucht er, sie hinwegzuexperimentieren, indem
er (Bonner beitr. zur anglistik 2, 127) behauptet, höhn bedeute
sowol 'meer' als auch bloss 'flut', und dasselbe gelte von ^eo/bw.
Er übersetzt demnach ^sie Hessen [es] die flut tragen, die
wogen aufs meer'. Dabei misachtet er aber den herschenden
Sprachgebrauch. "Wer nur einen blick in Greins Sprachsch.
2, 94 tut, wird sich überzeugen können, dass höhn in der poesie
nur im plural mit der bedeutuug 'hochgehende meerwogen'
auftritt, nicht aber auch im sing. Und ähnlich liegt die
Sache auch bei scofon. Seine normalbedeutung ist schlechtweg
'meer, see', wenn auch oft mit dem nebenbegriffe des erregten;
^eofon ist also stets etwas ganzes, nicht teil eines grösseren
ganzen, wie es hier der fall sein müsste, wenn geofon die
(richtungsgebenden!) wogen des meeres andeuten soll. Vgl.
hierzu aus dem as. het mi . . . gangan te thi odar tlieson gebanes
ström, drucno ohar diop imater Hei. 2936, und namentlich
uuirlit thie gehanes ström egison mid is ütlihm Hei. 4315.
272 SIE VERS, ZUM BEOWÜLF.
Das ags. hat geofones stced Ex. 580. El. 227, (he)sang Phün. 118.
B. 362, stream Andr. 854. El. 1201, s^'und 1394, dazu die com-
posita gcofojiflod Az. 125 und geofonlms 'schiff' Gen. 1321. Vgl.
ferner Sat. 10. Andr. 498. Gn. Ex. 52 (1. .^e/'riw^ef? statt sebringed).
Rats. 3, 3. In der Ex. 447 bezeichnet geofon das meer, das die
Egypter ertränkt, im B. 1690 die sündflut {sydöan flöd ofslöh,
gifeti geotende gisanta cyti), und so ähnlich auch Andr. 1533.
1617. 1626 den vernichtenden wasserschwall, den das macht-
wort des Andreas hervorbrechen lässt. Die volle Identität
von geofon und sdrsecg aber ergeben die beiden parallelen
slidon ofer .sdrsecg: geofon ijdam tveol B. 515 (wovon Tr.
nur die zweite hälfte citiert) und gdrsecg hlimmeÖ, geofon
seotende Andr. 392 f. Nach allem dem aber ist ein geofon
mit dem postulierten sinne für unsere Beowulfstelle ganz un-
denkbar.
LEIPZIG -GOHLIS, Januar 1903. E. SIEVERS.
DIE SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER
IN IHREM VERHÄLTNIS ZUR NHD. SCHRIFT-
SPRACHE.
Verzeichnis von abkürzungen.
Adelung: Versuch eines vollständigen grammat.-krit. Wörterbuches
der hochteutschen mundart, Leipzig 1774 — 1786. — A. f. lit.-gesch.:
Archiv für literaturgeschichte, hg. von Schnorr v. Carolsfeld. — Bah der:
Grundlagen des nhd. lautsystems, von Karl v. Bahder, Strassburg 1890. —
Bohn. : K. Bohnenberger, Zur geschichte der schwäbischen mundart im 15. Jh.,
allgemeines und vocale der Stammsilben, Tübingen 1892. — Bojunga: Kl.
Bojunga, Die entwicklung der nhd. substantivflexion, Leipzig 1890. — Br.:
Schillers briefe, hg. von Fr. Jonas, krit. gesammtausg. — Ergözlichk.:
Gelehrte ergözlichkeiten und nachrichten, Stuttgart 1774 (B. Hang). —
Fischer, Geogr. : H.Fischer, Geographie der schwäbischen mundart, Tübingen
1895. — Gayler: Die deutsche declination mit besonderer rücksicht auf den
schwäbischen dialekt, von prof. Gayler, archidiac. zu Reutlingen, Reutlingen,
in der B. G. Kurtzschen Verlagshandlung 1835. — GR: Grundregeln der
teutschen spräche, von F. C. Fulda, Stutgart 1778, bei J. B. Mezler (sonder-
abdruck). — Haug,Z.: Zustand der Wissenschaften und künste in Schwaben,
Augsburg 1781— 82 (B. Hang). — Hey se-Lyon: Deutsche sclmlgrammatik,
von K. W. L. Heyse, 26. aufl. bearb. von Otto Lyon, Hannover und Leipzig
1900. — Jonas, Erläuter. : Erläuterungen der Jugendgedichte Schillers,
von Fritz Jonas, Berlin 1900. — Käslin, Haller: H. Käslin, A. v. Hallers
spräche in ihrer entwicklung dargestellt, Brugg 1892. — Kauffmann:
Fr. Kauff'mann, Geschichte der schwäb. mundart, Strassburg 1890. — Kehr ein,
15. — 17. Jh.: J. Kehrein, Grammatik der deutschen spräche des 15. — 17.jh.'s,
Leipzig 1854. — Kehr ein, Nhd.gr.: J. Kehrein, Grammatik der nhd.
Sprache, Leipzig 1852. — Kluge, Et. wb.: Kluge, Et. Wörterbuch der deutscheu
spräche,** Strassburg 1899. — Längin, Herder: Th. Längin, Die spräche
des jungen Herder, 1891. — Minor, Schiller: Schiller, sein leben und seine
werke, dargestellt von J. Minor, Berlin 1890. — S. : Schillers sämmtliche
Schriften, hist.-krit. ausg. von K. Gödeke, Stuttgart 1871. — Sanders:
Wörterbuch der deutschen spräche, von D.Sanders, 1860—65. — Schw. m. :
Schwäbisches magazin von gelehrten Sachen, Stuttgart, mit Erhardischen
Schriften (1775— 1780; B. Hang). — SG.: Schubart, Sämmtliche gedichte
Stuttgart 1785. — Si. : Siegwart, eine klostergeschichte, Frankfurt und
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIll. j[y
274 PFLEIDERER
Leipzig- 1777 (Miller); 1. und 2. teil. — SO.: Schubart, Originalieu, Augsburg-
1780. — Spr.: Der teütsclie Sprachforscher, Stutgart, bei J.B. Mezler; 1. teil
1777, 2. teil 1778. — ST.: Schubart, Todesgesiinge, Ulm 17G7. — Weltrich:
Friedrich Schrller, Geschichte seines lebens und Charakteristik seiner werke,
von Eich. Weltrich, Stuttgart 1899. — Wilmanns, Gr.: Deutsche gramma-
tik,- Strassbiu-g 1899. — (Württ.) St.-auzeiger: Literarische beilage des
Staatsanzeigers für Württemberg, 1898, s. 225 ff.
An der entwicklung- der deutschen literatur von der mitte
des 17. bis in die erste liälfte des 18. jli.'s hat Schwaben fast
keinen anteil. ') Im herzog-tum Württemberg, wo das geistige
leben hauptsächlich unter dem druck der politischen Verhält-
nisse sehr darnieder lag, und wo, wol im Zusammenhang damit,
die neue kirchliche richtung, der pietismus, schnell starke
wurzeln schlagen konnte, war das kirchenlied die einzige
poetische gattimg, die boden und nahrung fand. Und noch
zu einer zeit, wo in andern teilen Deutschlands der pietismus
sich schon überlebt hatte, stand er in Württemberg in schönster
blute. So haben wir denn auch aus dieser zeit eine menge
pietistischer liederdichter aufzuweisen. Aber nur in diesen
geistlichen liedern und in etwas gelegenheitsversmacherei be-
wegte sich die poesie in Schwaben, und auch als in norden
und Süden sich das geistige leben regte und männer wie
Gottsched, Klopstock u. s.w. die literatur in neue bahnen
lenkten, kümmerte man sich in Schwaben wenig um diese
dinge, sondern begnügte sich im allgemeinen mit stiller be-
schäftigung mit sich selber.
Mit der zeit musste man aber doch merken, welche Stellung
man einnahm in Deutschland, und als nun vollends Adelung
in seinen Schriften von 1774 an die vorherschaft Obersachsens
in Sachen deutscher grammatik und spräche verkündigte und
die berücksichtigung Oberdeutschlands in sprachlichen dingen
wegen der dort zurückgebliebenen entwicklung des Sprach-
gefühls und des geschmacks zurückwies, regte es sich in
Schwaben allenthalben. Und wie nun die geister erwachten,
so musste zuerst das gefühl der inferiorität und der literarischen
minderwertigkeit gegenüber dem norden entstehen, und zu-
1) Zur einleitung vgl. R. Kraus, Schwab, literaturgeschichte, 1897. —
.T. Lautenbacher, Der anteil Württembergs an der schönen literatur des
IS.jh.'s, 1882.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 275
gleich ärgerte man sich über die absprechenden urteile des
nordens. Vorläufig aber war Schwabens zeit noch nicht ge-
kommen. Was an grossen Schriftstellern auftrat, verliess das
enge heimatland und gieng nach norden — wie Abbt, Wie-
land, Schiller — , oder aber, wenn sie im lande blieben und
ihren ideen freien lauf Hessen, büssten sie diese keckheit mit
dem Verlust ihrer freiheit — wie Moser und Schubart.
Aus dem gef ühle der Inferiorität gieng nun aber doch ein
auf Schwung hervor. Zunächst theoretisch: man bestrebte sich,
seinen landsleuten nachzuweisen, dass die Schwaben dem
norden gar nicht nachstehen müssen; man erklärte sich das
bisherige schweigen aus dem schwäbischen volkscharakter.
Um zu zeigen, dass Schwaben auch wirklich etwas leisten
könne und geleistet habe, stellte man lange listen von schwä-
bischen gelehrten, dichtem u.s.w. auf, so z. b. in sämmtlichen
Jahrgängen des Schwab, magazins von 1775—1780 (vgl. das
register am schluss jedes einzelnen bandes); andere beriefen
sich auf die Verdienste der Schwaben um die spräche in
früheren Zeiten: 'Wir Schwaben selbst müsen aus unserm
schlaf aufwachen, und die unsrer provinz angeborne Vorzüge und
schäze erkennen und geltend machen. Von der minnesinger zeit
kein wort zu gedenken, welche provinzen Teutschlands haben
sich vor Luthern und bis in die mitte des sechzehnten jar-
hunderts um die spräche am verdientesten gemacht? Sinds
nicht die südlichen Teütschen?' Spr. 1, vorrede s. 11.
Neben der abweisung des sächsischen sprachdespotismus
gieng nun das bestreben her, die eigene mundart zu ansehen
und geltung zu bringen. Die schwäbischen grammatiker Fulda
und Nast schreiben grammatische abhandlungen, worin sie die
berechtigung schwäbischer dialekteigentümlichkeiten in der
deutschen Schriftsprache nachweisen wollen. 'Wir haben auch
unsere feler, aber es sind mehr nachlässigkeiten und ar-
chaismen, als wirkliche grammatische Unrichtigkeiten' Schw. m.
1775, 286. Anstatt sich weiter von den 'Sachsen' imponieren
zu lassen, verwirft man deren lehren (vgl. Spr. 2, 40: 'Wir
wollen keine autorität, besonders keine Gottschedische'), ja
man erklärt das schwäbische für das rechte hochdeutsch: 'die
schwäbische spräche, welche (und warum soll man es nicht
üffentlich sagen dürfen?) welche die rechte hochteutsche
18*
276 PFLEIDERER
spräche, welche die regelmäfsigste, welche dem hochteutschen
geiiius oder der natur der höhern teutschen spräche die an-
gemessenste ist, welche aus gründen spricht, die den neue-
rungen. ausnahmen, ab weichungen , die sich täglich häufen,
und die nuiter beflecken, widersprechen, öffentlich widersprechen
darf und soll' Ergözl. (1774)2,77. Schliesslich rät man sogar
den vSachsen, bei den Schwaben in die schule zu gehen: 'gut
wäre es, wenn man daselbst (d. h. in hei\)zig) einmal begreif fen
möchte, dai's man von denen, die sie aus eigendünkel Ober-
teütsche nennen, noch manches ... in der spräche zu lernen
habe' Spr. 1, 36. Kurz man will, wie Nast in seiner Selbst-
biographie') zusammenfassend sagt, 'an der ehre der Vervoll-
kommnung unserer spräche theil nehmen'.
So geht nun Schwaben seine eigenen wege; es entsteht
ein reges geistiges leben, aber vorläufig schreibt man immer
noch meist für Schwaben; die bücher, die geschrieben werden,
sind noch auf 'auf Wirtemberg eingeschränkt', und noch 1782,
als Schiller für das grosse Deutschland schon bekannt war,
sagt er im vorbericht zum A\'irtemberg. repetitorium, dieses
werk sei für das land Wirtemberg 'angelegt' vgl. S. 2, 339.
Das war der stand der literatur und der literarischen be-
wegung in Schwaben beim ersten auftreten Schillers. Daher
zeigt seine spräche einmal viel altertümliches. Denn ein enger
Zusammenhang der schwäbischen literatursprache mit der
spräche der Bibel und Luthers war gegeben durch die grosse
bedeutung, die die geistliche poesie in Schwaben hatte, 2)
ausserdem teilweise durch den altertümlichen Charakter der
Schwab, mundart gegenüber der nhd. Schriftsprache, da 'ausser
dem alemannischen kein anderer deutscher dialekt der alten
deutschen spräche noch so nahe steht wie das schwäbische '.3)
Und dann ist es in einer zeit, wo die führenden geister in
Schwaben die bestimmte tendenz haben, dem mundartlichen
1) Kurzgefasster lebenslauf des jubel-greisen, von ihm selbst aufgesetzt,
s. 73 (Stuttgart 1800).
^) lieber das Verhältnis von Schillers spräche zur spräche der Bibel
vgl. J. Schlurick, Schiller und die Bibel, Leipzig 1895. Boxberger, Die
Sprache der Bibel in Schillers Räubern, Erfurt 18G7.
*) H. Fischer, Ueber den schw^äb. dialekt und die schwäb. dialekt-
dichtixng, Württ. vierteljahrshefte für landesgesch. 1884, s. 135.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 277
das bürgerreclit in der Schriftsprache zu verschaffen, nicht zu
verwundern, dass viele dialekteigentümlichkeiten in seiner
spräche zum Vorschein kommen, sowol im lautlichen und for-
mellen, als auch im Wortschatz. Directe beeinüussung Schillers
durch die schwäb. grammatiker, etwa durch deutschen Unter-
richt u. dgl, ist freilich auszuschliessen, da einmal weder Fulda
noch Nast zu Schillers lehrern gehörten — Fulda war pfarrer
auf dem lande, der grammatiker Nast war der vater von
Schillers lehrer Nast, vgl. Weltrich 1, 547 — und dann in der
Karlsschule das deutsche in den lehrplan nicht aufgenommen
war, wie die Unterrichtspläne der Karlsschule 1) zeigen; eigent-
licher deutscher Unterricht wurde erst nach Schillers abgang
von der Karlsschule erteilt. -) Jedenfalls aber kannte Schiller
die reformbestrebungen von Nast und Fulda, was schon aus
orthographischen eigentümlichkeiten ersichtlich ist. Ganz ab-
gesehen aber von der frage seiner abhängigkeit von den beiden
ist die spräche des jungen Schiller in directen zusammenliang
mit den grammatischen arbeiten und den sprachlichen ansichten
Nasts und Fuldas insofern zu bringen, als die arbeiten der letz-
teren als codificierungen des Sprachgebrauchs des literarischen
Schwabens gelten können, Schiller aber einmal ihre arbeiten
sehr wol gelesen haben kann, jedenfalls aber Schwabe ist, für
Schwaben schreibt (vgl. s. 276) und daher sich der spräche
bedient, die in Schwaben als Schriftsprache gilt.
Eine genaue zeitliche abgrenzung der spräche des jungen
Schiller könnte als sinnlos erscheinen. Es ist klar, dass die
specifischen eigentümlichkeiten der spräche seiner jugendAverke
auch in spätem werken mehr oder weniger häufig wider be-
gegnen: — das werden die anm. illustrieren; aus ihnen wird
ganz besonders ersichtlich sein, dass die spräche der werke in
S. 3 (Fiesko, Kabale und liebe) grammatikalisch noch vielfach
denselben Charakter haben wie die aus Schillers schwäbischer
zeit. Trotzdem ist es für die vorliegende untersucliung nötig
gewesen, die spräche des jungen Schiller zeitlich genau abzu-
grenzen als die spraclie seiner schwäbischen periode, d. h. aller
') Vgl. Hauber, Lehrpläne und lehrfächer an der Karlsschule, prograinra,
Stuttgart 1898, und J. Klaiber, Der unterriebt au der ehem. höheren Karls-
Bchule in Stuttgart, 1873.
'') Vgl. J. Klaiber a. a. o. s. 37.
278 PFLEIDERER
seiner Schriften, die fertig vorlagen bis zu dem nioment, wo
er Schwaben verlassen hat, sept. 1782 (also Fiesko nicht mehr).
Durch die |lucht aus Schwaben wird Schiller aus seiner schwä-
bischen Umgebung- herausgerissen und tritt nun in ganz andre
Verhältnisse und in eine ganz andre Umgebung ein, und das
ist natürlich auch von einfluss auf die spräche der nach diesem
Zeitpunkt geschriebenen — oder auch nur vollendeten — werke.
Die folgende darstellung der 'spräche des jungen Schiller
in ihrem Verhältnis zur nhd. Schriftsprache' beschränkt sich
auf rein grammatikalisches; eine Untersuchung des stils, der
poetischen spräche Schillers ist unterblieben; syntaktische
merk Würdigkeiten wurden, soweit sie nicht als eigentümlich-
keiten des schwäbischen notwendig in den rahmen der arbeit
gehörten, nur dann und wann anmerkungsweise erwähnt,
I. Zur Orthographie.
Obgleich Gottsched in seiner Deutschen sprachkunst 1748
angefangen hatte, die deutsche Orthographie zu regeln und zu
vereinfachen, dauert die willkürlichkeit und regellosigkeit auf
diesem gebiet doch noch lange weiter. Muss doch noch im
19. jh. Grimm darüber klagen, wie sehr es ihn schmerze, 'ge-
funden zu haben, dass kein volk heute seine spräche so bar-
barisch schreibt, wie das deutsche' (Kl. sehr. 1, 348). Wie
langsam es gieng, bis eine einigermassen gleichmässige Ortho-
graphie für Deutschland geschaffen wurde, zeigt Wilmanns in
der einleitung seines Kommentars zur preuss. schulorthographie
(1880).
Die oben genannten schwäb. grammatiker machen auch
auf dem gebiet der rechtschreibung reformvorschläge und
gehen selbst in ihren schritten mit gutem beispiel voran.
Was sie damit wagen, sagt Nast: 'Nirgends erhebt man ein
gröseres geschrei und lermen als wenn man in der Ortho-
graphie reformiren . . . will. Ist es doch nicht änderst, als
Avenn man kindern ihr spilwerk . . . nemmen wollte' Spr.2,vorr.
s. 9. Und dass diese behauptung nicht ohne grund war, zeigt
ein eintrag eines Schwaben im Schw. m. 1777, 939, der sagt,
man könne niemand zumuten ein s, f etc. zu setzen, wenn er
zwei spreche, 'sonst müfsten sie änderst reden und änderst
schreiben, und das scheint ebenso schändlich zu sein, als änderst
SPEACHE DES JUNGEN SCHILLER. 279
reden und änderst denken; das kann nur ein Franzos und kein
ächter Teutscher.' — Die bemühungen der sprachreformer in
Schwaben waren jedenfalls nicht ohne erfolg; dafür ist Schiller
ein beweis. Wenn auch in seiner Orthographie viele Schwan-
kungen vorkommen, so ist doch ein bewusstes streben nach
einheitlicher Schreibung nicht zu verkennen, und vielleicht
noch etwas mehr, als man bisher glaubte (Gödeke, S. 1, 382
legt das schwanken zwischen Je und ck, z und U noch Schiller
zur last; vgl. dazu s. 289; die vielfachen Schreibungen fremder
namen mit buchstaben des deutschen alphabets erklärt Welt-
rich s, 547 für versuche Schillers; vgl. dazu s. 293),
Um Schillers Orthographie festzusetzen, ist es nötig, die
einzelnen werke und Schriftstücke nach der art, ^^'ie sie uns
überliefert sind, zusammenzustellen und dann gesondert zu
untersuchen.
Directe widergaben von Schillers handschrift haben
wir sehr wenige: bei Gödeke nur S. 1,46 — 49, die beiden ge-
dichte 'Von der akademie' und 'Von der ecole des demoiselles'
(in der Schreibung von A; vgl. A.v. Keller, Beiträge zur Schiller-
literatur, 1859, s. 21: 'von Schillers band geschrieben', s. 25:
'nach dem original'); bei Jonas ebenfalls nur einen teil der
briefe: brief 1 ist facsimile; handschriftlich liegen vor brief
4 — 26 und 28 — 32. Das ist alles, was für die festsetzung von
Schillers eigentlicher Orthographie benutzt werden kann. Und
auch hier sind wir nicht immer ganz sicher über die echtheit
der Orthographie, s, Br. 1, 455: 'ich habe oft die originale im
fluge copieren müssen und bei der correctur habe ich sie nicht
zur band'; vgl. dazu Weltrich 1,801, der den text bei Jonas
'ungenau und fehlerhaft' nennt und einige besserungen angibt.
Nicht zu verwenden ist der bericht 'über mitschüler',
S. 1, 13 ff,, der allerdings auf dem originalmanuscript von
Schiller beruht, vgl. Hoffmeister, Nachlese zu Schillers werken
(1841), 4, 26: 'die veralteten formen, wo es nötig war, ab-
geändert'.
Nicht von Schillers band geschrieben (teilweise
allerdings abschriften von autographen Schillers) sind folgende
stücke:
S. 1,31 ff. Rede über freundschaft (vgl. Keller in S. 1, 36: 'Ob die
rede von Sch.'s eigener band geschrieben vorliegt, ist mir nicht so sicher).
280 PFLEIDERER
— S. 1, 61 ff. Rede über gute und tugend (abschrift, vgl. S. 1, 70). — S. 1, 95 ff
Rede über die folgen der tugend (in S. mit änderung der Orthographie ge-
druckt, vgl. S. 1, 102). — S. 1,74 ff. Philosophie der Physiologie (vgl. S. 1,94:
'nicht einmal, eine entfernte ähnlichkeit mit der Sch.'en band'). — Ab-
schriften (von unbekannter band) sind die briefe Br. no. 2. 3. 27 und 33. —
Württ. Staatsanzeiger, beilage zum 8. nov. 1898, s. 225 ff. : Aufsatz über den
einfluss des weibs auf die tugend des mannes;!) abschrift, 1800 geschrieben,
vgl. ebda. s. 266).
Auf die Schreibung dieser Schriftstücke werde ich nicht
eingehen. Im Mannheimer theatermanuscript der Räuber,
fassung M in S. 2, 207 ff. sind 'höchstens zwei oder drei kleine
correcturen von Schillers eigener hand'. Die bezeichnung 'M'
wird sich im folgenden stets auf dieses manuscript beziehen.
Die drucke.
Stuttgart, Cotta, hof- und kanzlei-buchdruker : Die dissertation über
deu Zusammenhang etc., S. 1,137 ff.
Stuttgart, mit Erhardischen schritten: Der abend, S. 1,27 ff.; Er-
oberer, S. 1,40 ff.; Auf die ankunft v. Falkenstein, S. 1,50 ff.; Sturm auf
dem tyrrh. meer, S. 1, 120 ff., sämmtlich zuerst im Schw. m. (bei Erhard)
erschienen ; Todtenfeyer am grabe Riegers, originaldruck im Archiv f. lit.-
gesch. 10, 359.
Stuttgart, Metz 1er: S. 2, 1 ff., Die rauher, 1781. Dazu der bogen in
Schnorrs Archiv f. lit.-gesch. 9 (1880), s.281. — S. 1,186 ff., Venuswagen
(vgl. Hoffmeister, Nachlese 1,39: 'zuerst bei Metzler in Stuttg. gedruckt').
— S. 1, 197 ff., Anthologie (vgl. S. 1, 198: bei Metzler). — S. 2,338 ff., Wir-
terab. repcrtorium (nach Heyd, Bibliographie 1, 302 bei Metzler gedruckt).
Stuttgart, Mäntler: S. 1,178 ff., Elegie auf den tod Weckherlins. —
S. 1, 185, Ode auf die Wiederkunft unsers . . . fürsten.
Mannheim, in der Schwanischen buchhandlung : S. 2, 207 ff.. Die
räuber, 1782.
Frankfm-t und Leipzig, bei Tob. Löffler: S. 2, 1 ff"., 'B', Die räuber,
2. aufläge.
Augsburg, Stage: Recension vonStäudlin, inHaugs Zustand der Wissen-
schaften, 1781, s. 455 ff. 2)
Tübingen, Cotta: S. 1, 223 ff.. Die seeligen augenblicke an Laura.
Letztere drei drucke lasse ich bei der behandlung der
Orthographie ausser betracht; ich führe sie hier nur der Voll-
ständigkeit wegen an.
>) Von Pressel, ebda. s. 265 ff., sowie von Weltrich 1, 790 ff. Schiller zu-
geschrieben.
^) Ist Schiller zugesprochen ; vgl. Weltrich s. 496.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 281
Orthographie der vocale.
Vocaldehnung: Dehnung der vocale durch -li- wird von
Fulda verworfen: 'der rechtschreibung ekelt daran' GR. 37;
ebenso von Nast: 'ein unschiklicher und unnötiger behelf
Schw. m. 1775, 549. 'Vor dem end l darf man es schon keklich
weglassen; vor wenigen m und n ist man schüchterner: Ruhm,
Sohn, und noch mehr vor r: mehr' Fulda, GR. 37.
Schiller schreibt: a: meist Nähme Br. 21. 33. S. 1, 46, 10, mahlen Br.28,
aber niemals Br. 13. 17, Stral S. 1, 47; — ä: Gemälde Br. 43. 48, Gemähide
Br. 50 : — e : nehmlich Br. 53 ; — o: verlohren Br. 12, verloren Br. 12. 13,
gehöhten Br. 15, geborn Br. 12, 4. Entsprechend der schwäb. kürze meist
?oo? Br. 16. 37. 46, daneben u'OÄZ Br. 30 ; — ü: füle Br. 52, fühlen Br. IS,
Gefühl Br. 14. S. 1, 46, 4. 48. — Dehnung des vocals durch Verdopplung
desselben wird nach Fulda, Spr. 1, 265 und GR. 38 nur noch in 7 Wörtern
angewendet (Beer, Heer, Meer, Speer, Teer, leer, Meel). Bei Schiller ist mir
kein fall von aa aufgefallen ; dagegen ee in Weeg Br. 19. 23. 30. 43, seegen-
voll S. 1, 47, seelig S. 1,49; e in Wesen Br. 35, schioer Br. 16, 13, erschwert
Br. 37; oo in Schoofs Br.48.
ie ist für Fulda nur ein doppellauter; ie als gedehntes i
ist miskennung des doppellauters' GR. 38, nach Nast 'gramma-
tischer wüst' Spr. 2, 56.
Schiller hat entsprechend der schwäb. (halbmundartlichen) kürze gibt
Br. 12. 65. 30. S. 1,47; ligt Br. 50 neben liegt Br. 19, 12; für die endung
-ieren verlangt Fulda consequent -iren GR. 50; Schiller hat meist -ieren:
goutieren, cujonieren Br. 62, studieren Br. 65. 86 etc. neben ediren Br. 38,
abstrahiren Br. 37.
Die Schreibung von M (S. 2) ist ebenfalls sehr unregelmässig:
Schicksaal S. 2, 223. 238, -sal 225, 27, Name 211, 7, Stral 307. 246, Weg
215. 327. 326, Weeg 227, meist Seegen 322, armseelig 322, giebt 271, 8, liegt
333, 22, meist -iren, verloren 225. 267, verlohrn 263. 327. 244, meist fülde.
Mit der Schreibung von M stimmt die des drucks bei Schwan so ziemlich
überein.
Cotta, Dissert: i\a»)e S. 1, 145, 20, Strahl 101,32. 153,16, Maase US.
149, 20. 157, 29, Glückseeligkeit 142, Weg 153, schwehr 176, nur -iren, gibt
156,31, ligt 143, verlohren 144, verloren 148, Gefühl 148,36 und sonst. —
Erhardsche drucke: Nähme 40,11, Namen 120,19, pralen 123,92, Ehren-
denkmal (Rieger, Archiv f. lit.-gesch.), seelig, seegnend (Rieger, Archiv),
ligt 28, 27, iciederholt 28, 49, Schoofs 28, 24, Gefühl 27, 14. — Metzler: meist
Name S. 1, 195. 226. S. 2, 17. 366, daneben Nähme 2, 17, Strale 1, 209. 244.
366, strahle 1,214, gemalt 2,344, mahlt 1,192, Gemälde 2,341.359, Grab-
mäler 2, 386, 23, Glückseligkeit 2, 341, beseeligen 1, 203, seelig 1, 215, hold-
seelig 1,218, segne 2, 389, seegnen2,20, ir^*/ 2, 394, TFee^r 2, 21, schiver2,'SU,
282 PFLEIDERER
-iren und -ieren gleichmässig neben einander, liegt 2, 353, rjiebt 2, 381, gibt
2,398, ivol 2,376. U, wohl 2, U, Söne 1,187, Söhne 1,202, fühle 1,187.
218, &?<?m 1,211, buhlen 1,217. — Mäntler: Stral 1,182, Pralen 1,178,
Bahre 1, 178, 'Faradifs 1, 180, cmsstaffirt 1, 181, Woogen 1, 179, Buhle 1, 181.
Hier her seht also sowol bei Schiller als bei den drucken
Ungleichheit in der Schreibung. Am consequentesten ist die
Schreibung- der dissertation, d.h. des Cottaschen druckes.
Zu -ey: Fulda erklärt y für unnötig GR. 46; Nast führt y
unter den buchstaben an. die in keinem ursprünglich deutschen
Avorte sich finden; *in grichischen und andern fremden Wörtern
mag y bleiben' Spr. 2, 37. 107 und Schw. m. 1777, 158.
Bei ScMller erscheint -ey noch häufig : serjn (inf .) meist, seyn : ent-
weihn S. 1, 47, 42, befreyht Br. 45, 4, meynst Br. 59, 30, 2, frey Br. 39, bey
Br. 47, gedeihen Br. 61, Polizey Br. 47, daneben zweierlei Br. 44, 2iceiBT.27
etc.; übrigens ist das y im inf. scyn oft von Jonas eingesetzt; vgl. Br. 1, 455.
— M und Schwans druck sclu-eibeu meist ey. sey 2,249,14. 290,20, seyd
2,209,13. 248,10, Eäubercyen 2,210, daneben M Jfrtt2,210. — Cotta: sey
1, 142, 10. 169, 2, seyn 1, 142, 18. 150, 19, Geschrey 1, 152, 22, Arzneyen
1,162,25; sonst stets ei: zweierlei 1,145,23, Schleier 1,169,32, Beitrag
1,143 etc. — Erhardische drucke: seyn 1,41,80. 42,58, feyren 1,44,107,
beym (Rieger, Archiv), daneben sein (verbum) 1, 27, 14, frei (Eieger, Archiv),
docli überwiegt ey. — Metzler: Schelmerey 1,202, Dudelei 1,223,77 etc.:
e/ und e(/ durcheinander. — Mäntler: sej/n 1, 180, feyern 1,180, sey — Phan-
tasey 1,182: meist ey.
e — ä: Fulda wünscht e in allen fällen, wo die etymolo-
gische Zusammengehörigkeit mit einem wort mit a nicht zu
offenkundig ist (GR. 44), so in Grenze, erzelen.
Von Schillers band findet sich nur Gebehrde Br. 27, 26, Erzälumg Br.
33, 22, acht Br. 35, 27, Kcnntnifs Br. 37, Grunzen Br. 42, nehmlich Br. 10, 1.
— M und Schwans druck (A) schreiben fast durchweg Grunze, daneben Lervi
2, 227, 10 und lärmen 2, 255, 9, erzählen 2, 256, 17 ; A dazu Schedel 2, 226, 28
neben Schädel 2,226,20; M sehioermend 2,247. — Cotta: nemlich 1,147.
172, Kcnntnifs 1, 155, 20 und Känntnis 1, 147, 1, nur Grenze 1, 163, 11. 154, 4,
Zähen 1, 170, 19 (von Fulda, GR. 43 verlangt zur Unterscheidung von zehen
= 10; Zähe finde ich noch S. 13, 28. SO. 13). — Metzler: nur Gränze 1, 207, 30.
2,28,5. 147,12 etc, Meze 1,343,77. 2,51,6 neben ilfä^e 2, 199, 8. 1,187,40,
Schedel 2, 178, 16. 35, 22 neben Schädel 2, 35, 19. 351, 10, Helfte 2, 102, 8
neben Hälfte 2, 344, 27. 19, meist lernen, hefslieh 2, 53, 3. 117, 5 neben Häfs-
lichkeit 2, 359, 10, vorerzehlen 2, 32, 2, Zähen 1, 253, 69 (vgl. oben bei Cotta),
Erndte 2,64,9 und Ärndie 2,26,3, Kartetschc 1,232,38, geflännt 2,29,5,
Gebärden 2,346, ohngefehr 1,193, ungefähr 2,340,3. — Mäntler: keine
belege. — Erhard: nur schtvürmt 1,29.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 283
ai — ei: Die aus dem altbairischen stammende ') Schrei-
bung ai für mhd. ei zum unterschied von ei ^= mhd. i wird
von den schwäb. grammatikern nicht gerade verlangt; aber
doch hätten sie gern eine Unterscheidung der beiden ober-
deutsch geschiedenen laute gewünscht, vgl. GR. 46. Fulda
sagt GE. 47: 'Nicht daff man vom schreibgebrauch abgehen.
und, Äiche, Aimer — schreiben sollte. Doch mus es erlaubt
sein, wo man die ausspräche des eigentlichen begriff Unter-
schiedes bemerken mus, es mit ai zu thun, als in ... Laih,
Rain' etc. — Aelmlich Schw. m. 1777, 160: 'Das ei hat eben-
falls eine gedoppelte ausspräche, einmal mit dem ton auf dem e,
z. e. Streich, hernach mit dem ton auf dem /, streichen. In
Schwaben, und fermutlich auch in den übrigen landschaften
Teutschlands, hat ci einerlei ausspräche mit ai, und aus diesem
grund ist sehr anzm^aten, an die stelle dieses ei überall ai zu
setzen.' — AVie Schiller hier schrieb, lässt sich auf grund des
vorhandenen materials nicht mehr feststellen, da von den frag-
lichen Wörtern nui' tvaiden Br. 58, 22 vorkommt. Doch ist auch
hierin der einfluss der schwäb. grammatiker unverkennbar,
da man als indirecte beweismittel aus späteren autographen
Schillers folgende Schreibungen anführen kann: venvakjcrn
Br. 70, Krais Br. 124, ivaiden Br. 227, faig Br. 220, Maisei
Br. 300.
M und A (Schwan) kennt ausser in Hayn 2, 225 nur die Schreibungen
mit ei. — Cotta ebenso nur ei: Kreis 1, 146, 2. 150, 29. 177, 3. — Erhard-
sche drucke: Haidc 1, 28, 36, aber Heyn 1, 51, 47. — Metzler: Kreis 2, 344, 27.
362, Krais 1, 223. 285. 294, feig 2, 356, 25, faig 1, 233. 279, 7, Saife 2, 377, 4,
saifen 1, 254. 255, Sail 1, 213, 29, Waide 1, 188, laiden (= zu leide tun) 1, 327,
Raifen 1,341, ü:«//' 2, 93, 13, Schlaife 1,227.307,2) Haynen 1,106,5, Ge-
laise 2,13,2, Getraide 2,115,4, wayden 2,114,21, Staig 2,187,11, uaiden
2,353,7. 1,330,507. 258,3, locidcn 2,70; vgl. S. 1, 382. — Mäntler: keine
belege. *)
^) Vgl. Kluge, Von Luther bis Lessing s. 131 ; Kluge'spricht hier^haupt-
sächlich von drucken; ai ist übrigens 'in denkmälern schwäb. herkunft con-
stant' als Schreibung; vgl. Kauffmann s. 88, anm. 1 und 2.
*) Ich führe Schlaife, dessen ai uralaut von au ist (vgl. schwäbisch
Maof) hier nur im gegensatz zur modernen Schreibung mit ei an.
3) ai findet sich, abgesehen von den oben aus, 'späteren briefen an-
geführten Wörtern, bei Schiller noch in faig S. 3, 509. 4, 73. 5, 27. 36. 71,
Faigheit S. 3, 517, Krais meistens in S. 3, ivaiden S. 3, 581. 5, 192, Sail S.
4, 74, Maisei S. 3, 579, 8, schlaifen S. 5, 43.
284 PFLEIDERER
e — ö, i — xi, ei — eii. Die hierher gehörigen Wörter
könnten auch bei der lautlehre beliandelt werden; aber bei
einem Sch-vy^ben sind diese Schwankungen in der Schreibung
rein orthographischer natur, da die lautwerte von e und ö,
i und ü, ei und eu in e, i, ei zusammengefallen sind.
SchAvanken zwischen e und ö. Bei ergötzen, löschen, sclnvören
etc. finden sich in Schillers scliwäb. periode keine Schwankungen;
drucke und handschriften weisen die moderne Schreibung auf.
tT(7Ö^CH 1, 96, 29, erschüpffen 1,100,14, löschen Br. 49, 1 etc.; er geizen
findet sich 2,271,15 erst in der ausgäbe von 1802.') Auch das nhd. öfters
mit blöken in der Schreibung verwechselte blecken (mhd. blecken = blicken
lassen) wird nur mit e geschrieben: blekt S. 2, 166, 22. 306,21.
Zu schrecken: Zum subst. schrecJc, -en bemerkt das DWb.
9, 1660, Schiller habe 'in jüngeren jähren' wie Goethe Schröcl;
Schröcketi geschrieben. Das trifft auf seine schwäb. periode
nicht zu, 2) vielmehr wird überall e geschrieben.
Schreken S. 1, 164, 14. 167, 19, Schrecken 1, 330, 506. 2, 293, 6, Schreck
2, 239, 19 u. a. Das verbura und die verschiedenen adj. haben in hss. und
dnicken überwiegend ö: schröcken 1,109,28. 115,26. 2,7,3. 25,15. 355,26
etc., schröcklich Br. 20. 25. 27. S.l, 167, 17. 111,2. 301,7. 2,68,14. 183,22,
schröcklich 1, 374, 17. 2, 248, 3. 388, 24, er schröcklich 2, 389, 32, schröckhaft
2,293,1, daneben schrecken 1,163,5, schrecklich 1,161,30, schreckhaft 2,
363,26, schrecklich 2, 312, 2. 3)
Die Schreibung der übrigen Schwaben : Fulda, GR. 76, 104 und sonst,
und Nast, Spr. 1,52 schreiben subst. und verb. mit e; im Schw. m. findet
sich ö: schröcklich nib, So, schröckend 1776,331, schrecklich 1776,332. Bei
Si. ist e vorhersehend. — Adelung kennt nur e. — Das ö wird sonst durch
anlehnuug an Schrock erklärt (DWb.) ; wenn Schiller nie bei subst., wol aber
beim verb. schröcken schreibt, so darf man wol auch an ein Wirkung von
erschrocken denken; vgl. löschen — erlosch, gewöhnen — gcivohnt, Bahder
s. 177. Das einfachste ist, ö als blosse Schreibung für f zu erklären (wie
in verdorben u. a.).
^) In späteren werken z. b. noch ergetzen S. 5, 2, 315.
*) Auch sonst ist mir aus den Schriften der 'jüngeren jähre', abgesehen
von dem im DWb. angeführten Schröck S. 3, 117, 22, nur noch Schröcken
S. 4, 80, 2 aufgefallen.
=*) Schon im dritten band der Schillerschen werke nimmt die Schreibung
mit ö merklich ab. So Diderot-Thalia stets schrecken; ausnahmen: erschröckt
S. 3, 557, 15. 558, 27,iDon Carlos in S. 5, l.teil hat stets e, ausser in scÄröc^--
lich S. 5, 16, 280, erschrocken 5, 28. 110. 171, schrökken 5, 163. Im 4.-7. band
der Br. findet sich kein ö mehr.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 285
i und ii. Die nhd. Schriftsprache schwankt zwischen hilfe
und hülfe.
Schiller schreibt hilflos Br. 14,29;») M meistens Hilfe S. 2, 247,10.
227, 21. 239, 22. 315, 25, daneben Hülfe 2, 240, 3, während A (Schwans druck)
stets Hülfe an den betreffenden stellen und sonst. Cotta nur ü: Beihülfe
S.l, 143, 15, Hülfsbedürftig 1,170,8. — Metzler: Hülfe 2,355,20. 356,34,
G'eM/'e 2, 358,21, sonst vorwiegend ü: Hülfe 2,67,21. 93,1. 183,23 etc. —
Fulda, GR. 45 hält Hülfe für etymologisch richtiger. — Erhard und Mäntler:
keine belege. — Bei Miller kann ich nur Hülfe Si. 47 und 180 belegen.
Die Schriftsprache hat sich für i entschieden in tvirhen,
langwierig, gehirge, findig, schwierig, spritzen. Die betreffenden
formen mit ü, die sehr lange in der Schriftsprache eingang ge-
funden haben, sind aus dem schweizerischen und einigen mittel-
deutschen dialekten zu erklären, in denen besonders tvi : wü
sich entwickelt hat (vgl. Bahder s. 180): ivürken (bei dem noch
in betracht kommt, dass auch schon mhd. neben ivirken ein
würken existiert, zurückgehend auf ahd. wurchen) schwürig,
langwürig; nach anderen labialen consonanten gehürge, fündig.
Sprütsen ist die regelrechte fortsetzung des mhd. sprüt^en.-)
Schiller schreibt wirlclich Br. 48, 2. 58, 13, loirkten Br. 24, 8, daneben
würken '&X. 64,10. 20,1. — M meist i: tcirUich S. 2, 267, 16; A (Schwans
druck) ivürken 2, 216, 16, icürklich 2, 256, 16, wirklich 2, 245. 259. 288. 291.
— Cotta nur i: wirkend 1, 146, 2, wirken 1, 150, 31. 160, 33. 144, 13, tvirk-
lich 1, 142, 27. — Metzler: ivürken 2, 4, wirklich 2, 4. 14, auswärken 1, 200, 25.
ivirklich 2,346,14, wirken 2,341,25. 355,15. — Erhard und Mäntler: keine
belege. — Schubart und Miller meist ü : ivürken Si. 159. 216. ST. 87, 11,
würklich Si. 339, wirken SO. 166.
Schiller schreibt spitz fündig Br. 49, 3; M und A ausfindig^) S. 2, 244, 4.
— Cotta i: spitzfindig 1, 161, 27, Spizfmdigkeiten 1, 164, 18; bei den übrigen
finden sich keine belege. Die andern hierher gehörigen Mörter zeigen nur
die Schreibung der drucke bez. fremder Schreiber: stets schwürig 1,89,34.
») In Br. 1 finde ich 3 Hilfe (Br. 72. 835 und hilflos Br. 67) gegen 1 Hülfe
(Br. 226).
*) Die annähme v. Bahders (s. 181 f.), dass der wandel von ivi : wü
gemeindeutsch gewesen und auch im schwäbischen vor sich gegangen sei,
dürfte wol unrichtig sein; die beispiele, die er angibt, sind nicht beweis-
kräftig, da die entrundung von ü zu i im schwäbischen dem 13. jh. anzu-
gehören scheint (vgl. Kauffraann s. 170 und 172) und von den beiden von
V. Bahder zum beweis citierten autoren H. von Sachsenheim erst in der mitte
des 15., die Ilätzlerin erst am ende des lö.jh.'s geschrieben hat, zu einer
zeit, wo ü nur noch Schreibung war für einen i-laut.
*) Nach Wilmanns, Gr. § 347 gehört übrigens spizfündig zu mhd. vündec,
ausfindig zum älteren nhd. subst. Ausfund.
286 PFLEIDERER
2,357,11; mir hei Cotta Schwierigkeit '[,\b2, 2; — langimJm'g 1,163, 2i
(Cotta); — Gebirge bei M und A nur in Gebürge 2,258,7; bei Metzler
z und (i: Gebirge 2,11,11. 179,25. 1,218,2, Gebürge 1, 2U, 13. 231, U.
195. 280. 2, 128, U. 92, 13; — sprizen 2, 143, 7. 52, 6. — Bei Scliubart finde
ich Gebürge ST. 20, 1. 28, 8. SO. 193, Gebirge SO. 192, sprützen SG. 2, 136,
(msfindig bei Miller, Si. 335. ')
Die Schriftsprache schreibt mit anlehnung an die subst.
Lüge, Trug, Luder, — lügen, trügen, und öfters lüderlich an-
statt des historisch richtigen ie. Die Schreibung- liegen kommt
für unsere zeit nicht mehr in betracht, da lügen sich seit der
zweiten hälfte des 17.jh.'s festgesetzt hatte.
Dagegen schreibt Schiller noch hetriegeii, Br. 24, 1(3 (auch Nast, Spr. 1,45
schreibt Betrieger). Die stellen in S. 1. 2 haben stets ü: betrügen 1, 195.
2, 343, 17 u. s. w. Bei Miller findet sich betriegen Si. 2, 88 neben Betrüger
Si. 2, 140. — Für liederlich bieten sich nur belege bei M und den Metzler-
schen drucken dar: Liederlichkeiten 2,214:, 4- MnnA A; — Metzler: lüderlich
2, 354, 17. 324, 12, Lüderlichkeiten 2, 354, 21, Liederlichkeiten 2, 22, 11, ver-
lüderlicht 1, 269, 12. — Bei Miller finde ich nur die Schreibung mit ie: lieder-
lich Si. 78. 145- 169. — Auch bei verdriefslich wird im 18. jh. noch oft mit
anlehnung an Verdrufs ü geschrieben, entgegen dem mhä. vej'driezen. Schiller
nur ü: verdrüfslich Br. 52, 24, 1. 56,28,14. 63,5. 62,5 v.u.; ebenso Miller,
Si. 122 und Si.2,38.2)
Dagegen findet sich entsprechend der modernen Schreibweise
nur ü in würdig (2,312,21) und gültig 1,164,24, gleichgültig
1,78,5. 115,17. Ebenso Miller gleichgültig Si. 177.3)
^) Die Schreibungen schwanken auch in den späteren werken Schillers.
Doch überwiegt schliesslich wirken. So z. b. S. 6 in den briefen über Don
Carlos wirken fast ausnahmslos. Aus Schillers briefen führe ich an : wirklich
Br. 1, 24. 79. 94 gegen würken Br. 1, 79. Ausfindig Br. 1, 96. 394, ausfündig
Br. 1,324. 2,79; ausfündig meist in S.3 (51. 218. 244. 519. 542); ausfindig meist
in S. 4 (167. 322. 325), nur ausfindig z.b. S. 6 in den briefen über Don Carlos.
— Schwürig stets in S. 3 (216. 543. 561). S. 4 (244. 324), ebenso noch Schwürig-
keit in Br. 3, 237 und im handschriftl. nachlass S. 15', 323, dagegen Schwierig-
keit z. b. Br. 1, 176. — Langwührig in Schillers autograph Br. 4, 455, lang-
wierig S. 4, 107. — Gebürge S. 3, 372, 1. 4, 91, 10, Gebirge S. 4, 107 und sonst.
— Nur sprützen in der unmittelbar nachfolgenden periode : Sprüze S. 8, 146, 1,
sprüzen S. 3, 75. 259. 393. 34. S. 4, 4, 85, und so noch S. 11, 311 und S. 14, 17.
*) S. 2, 244 hat betriegen in der ausgäbe von 1802. — Betriegen noch
S. 4, 277. 275; Schiller selbst schreibt später ü;e<m(f/e«, z.b. Br. 91. — Lüder-
lich noch S. 4, 67, 26 und von Schillers band Br. 3, 105. — Verdrüfslich auch
später, z. b. Br. 3, 96. 4,72. 5,51, verdrüfstBx. 4,414, verdriefstBr. 4,^1; die
drucke: verdrüfslich S. 3,22. 106. 178. 361.389 etc. 4,324, verdriefslich S.3, 150.
8) Gültig S. 3, 371, 18, Gleichgültigkeit S. 4, 238. Br. 1, 104. 118. 147 u.a.,
gleichgültig Br. 1, 68.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 287
Württemberg lautete im 18. jh. gewölmlicli Wirtemherg. Erst
ein regierungsdecret von 1802 hat die Schreibung Württemherg
eingebürgert (vgl. Weigand, Wb.). Im Schw. m. 1775, 789 wird
das wort, offenbar in folge einer herschenden Unsicherheit in
der Schreibung, historisch untersucht; der betr. Verfasser ent-
scheidet für Wirtenherg oder Wirtemherg. So schreiben auch
Schiller und seine cb-ucke stets Br.37. S. 1,69,26. 2,339,32 etc.')
Flistern ist noch im 18. jh. die übliche Schreibung; sie ist
wol auch für den jungen Schiller vorauszusetzen.
Seme drucke wenigstens haben ausser in Schauernachtgeflüster 1, 217, 3-i
stets i: ßistemS. 1,234, 19. 222,47. 2,6,24. 287,2. 333; ebenso seine sclnväb.
Zeitgenossen: flistern SG. 243. 446. 2,15. 397. ST. 16, 7. 48,9 (nur Si. 329
flüstern).^) Die Schreibung mit ü ist im 18. jh. aus dem niederdeutschen
in die Schriftsprache eingedrungen (Kluge, Et. wb.).
Widergabe des schwäb. «-lautes statt des schriftsprach-
lichen (historisch richtigen) ü liegt vor in
umgestilpet S. 1, 212, 10, schlirrfen 2, 285, 8 M (A ü), schlirft 1, 182, 131
(im Mäntlerschen druck und in der Anthologie), ebenso schlirfen SG. 2, 68, 7.
Die form Küssen = mhd. küssen, ahd. husshi wird im
18. jh. noch als 'mustergültig' betrachtet (Paul, Wb.). Im
19. jh. hat sich durch den einfluss ober- und mitteldeutscher
dialekte die form mit i in der Schriftsprache festgesetzt. Das
wort kommt in den werken des jungen Schiller nur in den
Räubern vor und wird sowol von M als von den drucken von
1781 und 1782 ohne regel mit i und ü geschrieben.
Kissen 2, 217 M und A 2, 238, 1 M (A «). 2, 249, 3 A. 2, 49, 17. 75, 25,
Küssen 2, 69, 15. 49, 4. 249, 3 M. 138, 1 A. Küssen belege ich noch aus
Schw. m. 75,313. SG.2,233, Kissen aus Si. 2, 35. 168. Si. 1, 175. 215.3)
Nhd. Idtzeln, mhd. kitzeln und Icützeln schreibt Schüler mit i.
Kizeln Br. 61,32; M und A schreiben ü: küzelt 2,278,19; Metzler ü
und /: ÄTMze^f 2, 123, 2, kizeln %nb,21, Kizel 2,22,2. 141,4 (1,90,26 in der
Philos. der physiol.). — Bei Schubart nur ü : hutzeln SO. 123. 124. 128. 175,
auf küzelt SO. 7. Die Schreibung mit ü ist bei Schwaben bes. erklärlich, da
das wort schwäbisch khutsb lautet.^)
*) Würtemberg schon Br. 1, 138; wärtembergisch Br. 1, 164, daneben noch
Wirtemherg Br. 1, 172. 104.
^) Flistern noch in S. 3, 213, 30. 215, 9, dann aber nur ü : flüstern S.
3,49,14. 4,214,10. 246. 5', 12. 162. 173. 5^277. 8,325 u.s.w.
8) Küssen noch S. 3, 339, 5. 6, 404, Kissen 5, 96. 12, 554.
*) Von Schillers band findet sich auch später nur die Schreibung kizeln
288 PFLEIDERER
ei — eil. In Reiter,^) dreist und heiraten, die etymologisch
ei erfordern, schreibt das 18. jh. sehr oft eu.
Schiller . und seine drucke kenneu nur Meuter: Br. 21,7,3. 22, 8, G.
S. 1, 346, 58. 2, 91, 21. 97, 6. 265, 5 M und A. 261, 2 M und A. 2, 312, 8 u.s.w.,
Beutknecht 2, 128,9. Bezeichnend ist, dass im Wirt, repert. S. 1, 132 die Schrei-
bung reiten im 'Brief eines schwäbischen paters' vorkommt, wo Schiller
sich bemüht, möglichst viele grammatikalische Schnitzer und Schreibfehler
anzuhäufen, um den pater als ungebildet erscheinen zu lassen. — Ebenso
nur dreust Br. 58, 1. 61,10. S. 1, 155, 6, BreusUgkeit Br. 66, 34, 4. Dagegen
nur heiraten 2, 391, 18. — Bei den Schwaben finde ich Reuter ST. 88, 10.
SO. 212. Si. 2, 103 neben Reitknecht Si. 261, heiraten SO. 8. 35 und stets in
Si. — Fulda, GR. 45 verlangt Reiter und heuraten.^)
Neben gescheit, mhd. geschide schreibt man öfters gescheut
mit anlehnung an scheuen.
In den drucken Schillers findet sich beides : yescheut S. 2, 177, 27. 316, 2,
gescheid (das -d ist im 18. jh. noch sehr üblich, vgl. Paul, Wb.) 2,231,9.
25, 20. 57, 16. Haug, Z. 467. Durch Vermischung der lautlich und begriff-
lich ähnlichen Wörter Keil und Keide stellt sich ein plur. Donnerkeulen
1, 336 ein. — Einfache widergabe des schwäb. lautes ist schleidern 2, 332, 15 M
(A schleudern).
Eine besondere Schreibung ist M eigen: heute 2, 223, 8, Teufel, Neues,
Deutschland etc., euch, geleuchtet 2,247, Wüise 2,270,8, Haine 2,227,17;
ausnahmsweise im Metzlerschen druck der Räuber stäuben 2, 44, 22 (Säule
2,189,2). Die Schreibung von euch etc., siäü&en verdient beachtung; denn
auch sie ist eine neuerung der schwäbischen grammatiker, vgl. zu eü:
'Derjenige fehler ist allgemein, dafs man ihn durchgängig falsch schreibt,
nehmlich euer, Feuer. Mau hört ja kein u, sondern ein ü' Scliw. m. 1770,
559. Zu aü bez. äü: 'aus üu kommt aü, z. b. Rauche. Die richtige aus-
spräche zeiget, dafs das a unverändert bleibt und nur das u in ü sich ver-
ändert: Aus aü entsteht üü, da beide vokale gebogen oder verändert
werden' Schw. m. 1776, 559. Demnach ist stäuben unrichtig, da es zu stäub
gehört; ganz zu geschweigen von Waise etc.
Br. 1, 129. 4, 398 u. a. Die späteren drucke kitzeln S. 3, 507, 3. 4, 70, 33. 5, 40
etc., küzeln S. 3, 482. 152, 8. 193, 2.
^) Bei Reuter ist dies insofern unrichtig, als frühuhd. Reuter, nl. 7-uiter
aus rupt{u)arii (vgl. Kluge, Et. wb. s. 316) regelrecht eu hat; allein bei einem
Schwaben dürfte das doch bloss Schreibung sein für reiter, da ein bedeutungs-
unterschied zwischen reiter und reuter bei ihnen tatsächlich nicht existiert.
'') Dreustigkeit Br. 1, m. 3, 102, dreust S. 3, 124. 130, Dreistigkeit S.
4,85,14.266,11. 5'-',284, dreist S. 'd,2b3. o^bb, erdreisten S.b^ 129; später ist
mir kein dreust mehr aufgefallen. — Reuter S. 4, 82, 26, Reuterei S. 5S 80.
— Schiller mag wol heurathen geschrieben haben, denn in Br. 1 findet sich
nur heurathen (Br. 1, 164. 174. 430), Verheurathung Br. 1, 174. Die späteren
drucke schwanken, vgl. S. 5 in Gödekes glossar unter heurathen.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 289
Orthographie der consonanten.
Ueber h—p, d — t vgl. s. 317.
In beziig- auf die sclireibiing- des Maiites in seitwerf, födfen
u. s. w. lässt sich nur sagen, dass hier allgemeine Verwilderung
harscht; es lohnt sich nicht, darauf näher einzugehen.
k statt nhd. ek, ^ statt nhd. tz schreibt Schiller offenbar
meistens; wenigstens ist anzunehmen, dass Jonas nicht ohne
grund 'k statt el; z statt iz überall eingesetzt' hat (vgl. Br.
1,455); ek finde ich noch in scMeken Br. 29, Stück Br. 43. —
Hierin ist Schiller jedenfalls beeinflusst von den schwäb. gram-
matikern, die tz und ck in wort und tat verwerfen; in der tat:
ihre artikel im Schw. m., sowie der Teütsche Sprachforscher
haben diese neuerung consequent durchgeführt; in worten:
Schw. m. 1775, 557 '■tz ist ganz entbehrlich'; 'man hat kein tz
nötig' Spr. 2, 109; 'z ist schon ein ts, es braucht kein neues t.
Es schärft schon als doppelter buchstab, und bedarf nirgend
keiner Verdopplung' Fulda, GR. 58. Spr. 2, 35 'Diejenige, welche
tz oder gar zz schreiben, z. ex. Selmtz, tvizzig, geben nicht auf
die zusamensezung des z acht. Dann was ist Schutz anders,
als Schutts, und ivizzig anders, als: ivitstsig. Das leztere ist
offenbar unteütsch, und das erstere, Schutts, kan zwar wol als
genitiv von Schutt gelten, aber als nominativus kan es nur
Schuz {Schuts) heiffen, weil vor dem s ZAvei t auszusprechen
unmöglich ist . . . Es ist also das tz ein unnötiger, und zz gar
ein sinnloser buchstab.' Schw.m.l777, 159: ^tz ist one sinn, dann
z ist ts oder ds, also tz ist tts oder täs'; einfaches k ist schon
'zeichen der geschärften silbe' Fulda, GR. 54; ebenso Spr. 1, 164.
— Aus den schritten anderer Schwaben führe ich an, dass z. b.
Schubart in den Todesgesängen (ST.) regelmässig ck und tz
schreibt.
M und A schreiben regelmässig- ck, weniger oft tz; M hat ausserdem
noch die Schreibung zz: zerplazzen 2,258,18, stuzzen 2,327,4.
Cotta: stets k und z. Ebenso Erhard.
Metzler: hier herscht grosse Unregelmässigkeit; zwar überwiegt die
Schreibung mit z, aber neben k findet sich gleich oft ck.
Mäntler: z; meist k; ck in zurück und Glück 1,185.
t — th, Fulda spricht über th 'urteil und recht' Spr. 1, 170:
'Als minister mag es sterben : Gehäth . . . ^lan schreibe unsert-
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIII, ^9
290 PFLETDERER
wegen: Ter, Tor, Türe; Träne ; aiicli so gar — Tron'; GR. 58: Hh
ist der angezischte stärkste hauch: tlmn, Thier; auser diesem
kan es gemächlich unterbleiben'.
In Schillers briefeu lässt sich thr bez. tr nicht belegen (ausser in nacli-
schwäb. zeit: Träne Br. 1,77, brief vom 6. nov. 1782); andere beispiele:
nnterthänifi stets, nohvendig Br. 42, werlh Br. 43. 45, Ortho(jrapliie Br. 44,
VoriJieil Br. 45, Eath Br. 57 etc.; th ist also nicht selten. In S. 1 Träne
46, 17, fronet 47, 35, Thaien 47, 39, theuer 48, 48. Tränen 48, 68. 49, 72. —
M und A schreiben oft th: Thränen 2, 209, 17. 215, anbethen 2, 236 M (A an-
beten), Thitre 2, 259, 17, Thurm 2, 259, 11, Theurung 2, 260, 12 u. a. — Cotta
schreibt th: theilen 1,145, thieriscli 1,146.148, mutliig 1,168, Nothicenäig-
keü 1, 148, Theil 1, 147, wüihend 1, 167, Eeichthnm 1, 146, Abentheiter 1, 156,
Thier 1,146. — Erhard: Thron Rieger, Archiv; 1,51, Tran 1,43, thronet 1, 121,
gethimnet 1,121, Tränen Rieger, Archiv, iverth Rieger, Archiv. — Metzler:
Träne 2,15, Thrüne 1,222. 2,16.341, Thron l,23d. Trow 1, 186 etc., Hüthe
2,349, Abentheiter 2,365 — Mäntler: l'ron 1,185, tränen 1,186, Thurm
1, 178, Thäler 1, 185.
Ueber die Schreibung der «-laute lässt sich auch nicht
annähernd etwas bestimmtes aufstellen; sowol bei Schiller als
bei seinen drucken herscht hier grosse Verwirrung.
/ — ff, Fulda verlangt nach langem vocal /" nach
kurzem ff'. — ff' nach langem vocal, nach r, l etc. schilt er
GE.37 'warum Avollen wir Wörter überfüllen? Oj^ffer, Karpff':^ —
Opfer, Karpf — tliun eben diese dinste'. Ebenso Ergözlichk.
1774, 2, 79.
Schiller hat bis 1780 in den briefen und den gedichten in S. 1 noch
massenhaft ff: traffen 1, 46, 7, Dürfftgen 1, 47, 21, sanfft 1, 47, 32. 48, 50,
Br. 5 Vorivilrß'e, offt, rortheühafft, schnieichelha/ft, Strümpffe (neben Kräfte,
beschäftigt): Br. 6 If entwcrffen, häuffig, Vorinir ff etc. neben Opfer, schürfte,
Verziveiflung. Von 1780 an ist daseinfache /' das regelmässige : schmeicliel-
haftBr.2>i), schliipfngBr.'SG, KräfteBr.37, o// Br. 42, LeidenschufienBr.bl,
daneben noch häitffte Br. 51, loerfj'en Br. 61. — M hat noch einige male //"
nach langem vocal: ersäuffen 2^222,16, schlaffen 2,2G9, 19. '622,11 (A schlafen),
aufferstunden 2, 328, 4 ; sonst meist einfaches /' bei A und M : erschöpft 2, 239,
Luft 2,217, Kraft 2,220, entlaufen 2, 211, 2 u.s.w. — Cotta: ^'verhältnis-
mässig oft: ergreiffen 1, 102,2, schöpfen 1, 160, 15, ausschiveiffen 1, 175, be-
greiffe 1, 144, zuiciderlaufj'en 1, 174, bedürfte 1, 172; f in verivorfen 1, 142, 19,
im(//e 1,144, Schöpfnng 1, lU, Begrif 1,151, Kunst gr i f 1, im, S/o/' 1,157.
— Bei Erhard ist mir kein /f aufgefallen. — Metzler: //"sehr üblich: pfeiffen
2, 340, lauffen 2, 341, häuffen 2, 342 (Kraft 2, 358, loerfen 2, 341), siumpfft
1,186, Gifft 1,187, helften 1,192, offt 1,192 (Kraft 1,200, Kojjf l,2l'6),
Würffel 1, 232, rauff'en 1, 245, schärffer 2, 5, ahhelffen 2, 6, entlauffen 2, 17
etc. — Mäntler: kein ff": schlirft 1,182.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 291
Zu Vf If ni ist mir bei Schiller nichts aufgefallen; er-
wähnenswert ist, dass er stets erinnern^) schreibt, Br. 35. 55. 57.
Zu n in der substantivendung- -in vgl. Fulda, GE. Gl
.'dieses -in braucht bei weiterer abänderung keine Verdopplung
seines n\ Nast, Spr. 1,66 nennt -inn beim Substantiv 'gänz-
lich unteütsch'; ähnlich Spr. 1, 185.
Schiller: Göttinn 1, 47, 30; in den briefeu kommt kein subst. auf -in vor
(nur aus späterer zeit Frenndin Br. 1, 90). — Darin schreibt er darinn Br. 18
und darin Br. 45. 50 (vgl. darinn Br. 1, 87, darin Br. 1, 128). Zu Schrei-
bungen wie Imn vgl. s. 305.2) — jy; schreibt 'iuderregel' (vgl. S. 2, 241, 17,
anm.) errinnert; unter irrdisch 2,271,5 M und A, ungesiilmm 2,270,15 M und A.
318,22, verdamt 2, 222, 17, scher Träumerin 2, 218, 6 A und M. — Cotta: irr-
disch 1,142, stets darinn, ivorinn. — Erbard: Beherrscher 1,124,120, un-
gestümm 1, 122, m. 123,83, Königin 1, 28, 3i. — Metzler: G^öttmw 1, 210,21,
Königinn 1, 219, 36, Tyranninn 2, 16, 14, Träumerimi 2, 50, 17, Äbtissinn 2, 80, 7,
Verrätherinn 2, 46, 10, — Feindin 1, 194, Fürstin 1, 209. 240 ; meist darinn. —
tingestmnm 2,121,i. 150,21, starrrte 1, 225, bO, nnierirrdisch 1,201,1. 2,57,8.
166,20. 167,8. 340,21. — Mäutler: ungestümm 1,181,92.
Die Schreibung ä; für modernes -ths- findet sich in Mä^el
1,280,18. 307,1, rüpelhaft 1,317,22, enträzelt 1,279,2.
'V hat sich besonders fest erhalten in vest.
So in bevcstigcn 2, 22, 11. 214, 4, vestung 2, 33, 10, handvest 2, 382, 22,
vest 1, 348, 13, daneben noch in Grav 1, 346, 41, dagegen neben dem üblichen
Nerv auch Nerfen 1, 189, 79. 191, 145.
Fulda, GE. 52 führt fest nicht unter den Wörtern an, die
'noch mit v geschriben übrig' sind; von auslautendem v sagt
er: ^brav, ist das einzige teutsche wort, das binden so ge-
schriben wird'; 'brauchten wir die Partikeln, va--, vor und vo7i
nicht so oft, so wäre das v bald abgethan'. Auch Nast, Spr.
2, 107 wünscht, dass man einmal dem v 'den abschid' gebe,
da er es für einen 'feler unsers teütschen alphabeths' hält,
'dals wir zu einerlei ton zweierlei zeichen brauchen' Spr. 2, 36;
würde man überall statt v ein /" setzen, 'wie vil gründlicher
würde unsre teutsche Orthographie alsdann werden!' Si)r. 2, 37.
*) Vgl. dagegen die Schreibung von M oben z. 10 f., sowie die bemer-
kuugen s. 294 oben.
2) Zu -inn vgl. Königinn SG. 217, Tänzerinn Si. 2, 210, Gattinn SG. 215,
Zeuginn SG. 213.
19*
292 PFLEIDERER
Orthographie der fremdwörter.
Die sclnväb. gTammatiker sind der ansieht, dass bei fi-emd-
wörtern deren ursprüngliche Schreibung- beibehalten weiden soll.
Sie sprechen das zwar nirgends direct aus, aber es lässt sich
doch aus folgenden bemerkungen schliessen: Schw. m. 1777, 158:
'Das y, pli etc. sind aus der lat, und grich. granimatik gekommen,
vor müssen sie aber gleichwol zu Wörtern aus der grich.
und lat. spräche beibehalten.' Fulda, GR. 52: ^ph ist kein
teutscher buchstab. Aber man soll ihn darum den fremden
Avürtern im teutschen nicht entziehen.' GK. 58: '.r bleibt fremd.
Der Teutsche schreibts nur in fremden Wörtern: Text' Spr.2,107:
'Die buchstaben c, qu, ph, th, v, y, finden sich in keinem ur-
sprünglich teutschen wort, man braucht sie also nur in Wörtern
aus fi^emden sprachen.' Spr. 2, 37: 'in grich. und andern
fremden Wörtern mag y bleiben.' Spr. 2, 38: Das c 'kan sich
nirgends als in fremden Wörtern erhalten.'')
Aus dem wenigen, was wir in Schillers autograph erhalten
haben, glaube ich doch schliessen zu können, dass er im all-
gemeinen die fremdartige Orthographie bei fremdwörtern bei-
behält. Fremde namen kommen zwar kaum vor, nur Mac-
leth Br. 64; falls die rede über die 'tugend in ihren folgen'
(S. 1,95— 102) wirklich ein 'wortgetreuer abdruck' (S. 1,102)
ist, so lassen sich aus ihr noch folgende namen anführen:
Voltaire 99, 8, Scncca 101, 10, Cäsare 101, 9, Domüiane 101, 19, Lykurg
98,32, die die fremden buchstabeu genau beibehalten. Fremdwörter:
Melancholie Br. 28, 12. 19, 18, Sympathie Br. 18, 6, 11, Scene Br. 43, 20. 60
u. a., contrastieren Br. 42, 22, Philosophie Br. 52, Sophistisch Br. 52, Journal
Br. 57, (joutiercn Br. 62, Simplicität Br. 48, Chirurgie Br. 48, Pieren Br. 57,
vietaphysisch Br. 49, physisch Br. 31, Metaphysilc Br. 18, Enthonsiasmus
Br. 61, llypochondrist Br. 31, mililairisch Br. (JO, MilHairstund Br. 53, Chaise,
jn-aecise, accordirt Br. 59, Academie, Vocation, praciicieren Br. 62, Censur,
Legitimation Br. 46, Success Br. 47, corrigieren, Orthographie Br. 44, Sit^ia-
tionen Br. 54, Lidiscretion Br. 63, Propositionen Br. 38 u. s. w. Daneben
stehen allerdings 6Vm/ome Br. 44, 22, Delikatesse Hv.A^ 22, räsonnirend
Br. 42, traktieren Br. 38, Kolorit Br. 49; allein das sind verhältnismässig
sehr wenige.
') Darin stehen die schwäb. grammatiker übrigens ganz im einklang
mit Gottsched, Deutsche Sprachkunst s.SO: 'Fremde namen und worter schreibt
man am liebsten mit denselben oder ganz gleichgültigen oder doch ähnlichen
buchstaben, damit ihr klang beybehalten bleibe.'
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 293
M: meist S^ene; Kristen 2, 2^-i, 23, Elisiums-S2eHeH2,21i,ii, Harpicn
2, 331, 29, Katilinn 2, 233, 26 (A und M), Kartouche 2, 212, 6 (A und M),
Kavalier 2, 242, 8 (A und M), Zeremonien 2, 258, 22 (A Cer.) \\. s.w.; daneben
Plmjne 2,211,27 (A und M), Triumph 2,240,9. 2-42,2 (A und M), Orpheus
2,233,9 (AundM), Succefsion 2,233,3 (A und M). — Cotta: Philosophen
1, 142. 143, l'hünomen 1, 145, 11, physisch 1, 145, System 1, 142, Succefsion
1, 144, Kato 1, 142, Seneca 1, 142, Epiktet 1, 142, Konsumtion 1, 144,
Karalter 1, 145, Kollision 1, 156, Kafsius 1, 161, p>er Konsensum 1, 162, 21,
vielankolisch 1, 167, 10, Kohärenz 1, 168, 9, Stoizismus 1, 143. Also ph und y
sind bewahrt, c oft in k verwandelt (bez. z). — Metzler: hier sind die
fremden naiuen sehr willkürlich behandelt, teilweise mit erhaltung der
ursprünglichen l)uchstaben, teilweise sind diese ersetzt durch solche des
deutschen alphabets; wenige beispiele mögen genügen: Orpheus 1, 224,
Orfeus 1, 241, Sfare 1, 234, Sphäre 1, 210. 215, Sojjhokles 2, 4, SchakesiJear
2, 4, Delphos 2, 341, 7, Delfos 1, 189, Sukzession 2, 345, 18, Fantasie 2, 367, 5
und oft, Tradizion 2, 341, Beklamazion 2, 387, 14, Filosofen 1, 186, 9, Phi-
losophie 2, 351, 28, Zervuntes 2, 3(i0, Korneille 2, 343, 29, Krusoe 2, 358, 23,
Zijprial,m, Kupido 1,186, 10, Kozytus\,207,Boufscau\,220,Föbusl,2'Si,U.
— Erhard: behandelt die fremdwürt er pietätvoll: Sphäre 1,30, SerajMm 1,43,
89, Cherubim 1,43; aber i7««<;M 1,28,41. — Mäntler: Ph<(Htasey 1,1H2, 129.
Wenn man aus dem in Schillers briefen vorhandenen
material schliessen darf, so sind besonders die freien Schrei-
bungen der Metzlerschen g-ruppe niclit als 'versuclie Schillers'
(Weltrich 1, 547) anzusehen, sondern kommen auf rechnung des
druckers oder setzers.
Die gesonderte betrachtung der Orthographie Schillers und
seiner drucke bez. Schreiber ergibt, dass die ausserordentliche
Unregelmässigkeit der Orthographie der werke des jungen
Schiller, wie sie sich dem leser von S. 1 und 2 darbietet, zum
geringsten teil Schiller selbst zuzuschreiben ist. Mcht zwar
in der Schreibung der vocale, wol aber in der der consonanten
lässt sich constatieren, dass er jedenfalls in den späteren
Jahren seiner schwäbischen zeit bemüht war, das auf Ver-
einfachung der Schreibung abzielende orthographische
System der schwäbischen grammatiker sich zu eigen
zu machen. Und das zeigt nicht nur seine eigene Schreibung;
wir wissen zufällig auch, dass er die ortliographie von M für
'uncorrect' hält; denn bei der absendung des theatermanuscripts
an Dalberg bittet er diesen im brief vom (3. aug. 1781 (Br. 1,44),
das uncorrecte der Schreibung zu entschuldigen: 'mein kopist
hat, nach gewohnheit aller belserwissenwollender Schreiber die
Orthographie oft erbärmlich mifshandelt'; und die eigentümlich-
294 PFLEIDERER
keiten der Schreibung von M: ck und ts s, 289, ihr s. 290 (viel-
fach //■ nach länge s. 290) — die ungleiche Schreibung der frenid-
AviU'ter ist vielleicht auch hieherzuziehen — sind gerade die-
jenigen, gegen die jene gramniatiker besonders ankämpfen und
die Schiller sichtlich zu vermeiden sucht. — Ferner hat die
Untersuchung gezeigt, wie wenig die Orthographie des Originals
von den druckern bez. setzern berücksichtigt wurde. — Zur
Illustration dieses Verfahrens der drucker und setzer, das teil-
weise auch von den herausgebern beobachtet wii-d, dient eine
anmerkung im Schw. m. 1779, 590: 'Man hat dem Verfasser seine
Orthographie gelassen, und um- da geändert, avo' etc.; denn
hier findet der betreffende es offenbar angemessen zu bemerken,
dass die Orthographie nicht — wde gewöhnlicli — dem eigenen
System angepasst worden ist. i)
Ueber den gebrauch von majuskel und minuskel ist
wenig zu sagen. Auffallend ist, abgesehen von Schnitzern wie
das gehurfsfest Br. 53, 1, des Verlornen Edeln Br. 17 und sonst
noch öfters, die anwendung der minuskel in fällen wie in su-
kunft Br.37, 16, ivorf halten Br. 41, 19,3, m befehl S. 2, 134,9,
gan£ elf er 2, 244, 12]\1, liajcn strafen 1,60,21. Das wird von
Fulda anerkannt: GR. 59 'ein hauptname, der mit einem an-
dern, dem er dient, zusamenhängt, verliert seinen grosen buch-
staben: zu ende hringen\
Bezüglich der adjectiva ist eine häufige erscheinung,
dass die majuskel verwendet wird
X) bei adj., die von eigeimameu, völkeniamen etc. abgeleitet sind : das
Bömische Volk 1, 63, li, der Französische Gaukler 1,87,6, die Argische Flotte
1, 120, 9, im Nordischen Klima 2, 377, 20, eine Wirtemhcrcjische Blumenlese
2,376,9, eine Italienische Iphiyenia 2,342,26, die Böhmischen Wälder 2,262, 16.
855,3. 360,23; — 2) bei zusammengesetzten adj., deren erstes glied ein snbst.
ist: Heldenkühn 1, 242, l(i9, Leichenvoll 2, 52, 23, Kinderlos 2, 21, 9, Eiskalt
2,217,20, *S7ro?m(;e/s 1,180,72, liosenrothl,-m,20o, Väterlich 2,21,20, Gött-
lich 1,17,10, Todtenbleich 2, 10, 11, Tiujendsam 1,47,49; daneben imscJmlds-
voll 1,357,21, flammenroth 1,358,40, stundenweit 2, 9i, teufelvoll \,1S1, 90,
lebenvoll 1,76,21 (LebenvoU 1,76,24).
*) Dieses ergebnis legt die Vermutung nahe, dass auch vieles, was in
der laut- und formenlehre zur spräche kommen wird, auf die rechuung von
drucker und setzer zu schreiben sein wird. Inwieweit dies der fall sein
mag, lässt sich jedoch nicht mehr eruieren. Was aus dem theatermanuscript
anzuführen sein wird, wird aber jedenfalls Schillers spräche zugehören, da
der Schreiber von M wol geschrieben hat, was ihm dictiert wurde.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 295
II. Zur lautlehr e.
A. Vocalismus der tonsilben.
Umlaut.
Im obd. unterbleibt der uiiilaut von mlid. u vor cJc, pf, t:r,
vgl. Paul, Mild. gr. § 40, anm. 5. In folge des einflusses der md.
literatui'spraclie sind zwar auch in die oberdeutsche Schrift-
sprache viele umgelautete formen eingedrungen; aber daneben
erscheinen im 18. jh. noch oft die specifisch obd. ohne umlaut.
So hat auch Schiller neben den unumgelauteten formen stets
die schriftsprachlichen um gelauteten.
u vor cJc (Schiller k), vgl. Kauf f mann s. 149. 151.
Mucken 2, 259, IG M; im reim 2, 154, 15; Mächen 2, 95, 8. 1, 202, 25;
vgl. Spr. 1, 69 Mücke, Mucke. — rukwürts 1, 172, 8 im originaldruck, ebenso
1,172,15 Ruksicht.'') Die beiden formen scheinen von Gödeke als druck-
fehler aufgefasst zu sein; das sind sie aber wol nicht; denn sie sind bei
schwäbischen Schriftstellern zu belegen: Ruksicht S'pr. 1,207. 280, ruckenfrei
SO. 209; — ziu-uckbehendS. 2, 328,7 auflagen A und B, von Gödeke ebenfalls
als druckfehler betrachtet, hmterrid-^ 2, 79, 15, hinterrücks 2, 277,28. 189, 15.
292, 21. — drucken (= drücken) 2, 287, 22 M. 215, 21 M, zudrücken 2, 821, 18 M,
cimjcdrukt 1, 208. 78, zusammendrucken 2, 78, 5, ausdruken 1, 158, 29 im
originaldruck; — daneben driiken 1,76,30 etc.; — bei andern Schwaben:
drucken Si. 154, drukend Schw. m. 1778, 975, ausgedruckt Schw. ni. 1776,
850. 1779, 593, ausdrucken Schw. m. 1780, 86, unterdrücken Schw. m. 1780,
537, verdruckt Schw. m. 1775, 555, ausdruken Schw. m. 1775. 443. — der
den Sühcl zuktc 2, 172, 2. 2, 312, 9 A und M, die Achsel zucken 2, 63; in
letzterem fall hat auch die neuhochdeutsche Schriftsprache die umlautlose,
dh. oberdeutsche form für das transitive verbum angenommen, während sie
diese sonst auf die intransitiven Verwendungen des verbs beschränkt und
für die transitive die md. form zücken angenommen hat. Bei drücken
hat die Schriftsprache die umlautlose form auf eine besondere art des
drückens eingeschränkt, die von Oberdeutschlaud ausgieng.^) Zu zucken
vgl. der gezuckte Dolch SchAv. m. 1779, 457. — Schw. ra. 177(), 172: 'man weifs,
dafs Nordteutschland in gar vielen Wörtern aus der Südteutschen u ein ü
macht; Bücken, Mucke, Brücke, Stuck, Lücke, drucken heilst bei ihnen
') Dieses aus Mitteldeutschland importierte wort hat sich also dem obd.
lautstand anbequemt.
^) Aus späterer zeit : zurück S. 3, 311, 15, gezuckte Schwerter S. 7, 175, 18,
zuckt das Schwert S. 13, 279 (J. v. Orl.), zuckt den Dolch S. 13, 330. S. 15^ 307,
zuckte den Dolch S. 13, 344 (Tur.), — zückte das Schn-ert S. 6, 133. 354. 13, 43,
Finger, welche drucken S. 6, 30, 79. Ein intrans. zücken findet sich bei
Schubart: grab da, ivo die Wünsehelrulhc zückt SO. 20.
296 PFLEIDERER
Eiickcn, Muclr. Briiclc etc.' — Pagcg-cn liat Schiller nur Lücke 2, 233, 3,
Bücken u.s.w.
Dagegen finden sich einige in der heutigen Schriftsprache nicht um-
gelautete formen hei Schiller mit umlaut: jiiken und spuken. Von diesen
ist jiiken eine hei Luther übliche form: Schiller kann sie also daher ent-
lehnt haben, oder ist sie einfach durch den einfluss der Schriftsprache zu
erklären, da sie hei Schriftstellern des IS.jh.'s noch öfters vorkommt (vgl.
Paul.Wb.): dagegen ist das aus dem niederdeutschen mit niederdeutschem
lautstand (k statt hd. ch) entlehnte spuken sonst weniger häufig mit umlaut
im 18. jh. und hat jetzt den umlaut ganz unterdrückt (vgl. Heyne, Wb.) ;
spukte 1,207,37, wo's Ihro Gnaden spuke 1, 251, 26, jüA-i 1,255,14:0.
u vor tz (s), vgl. Kauffmann s. 149.
Die umlautlose form nuzen ist beim jungen Schiller die regelmässige :
benuzen Br. 43, 14, heniizte 2, 355, 18. 359, 28, heniizt 2, 8, 4, etwas nuzen =
ausnützen Br. 61 , 9. S. 2, 92, 15. 258, 9 ; daneben etwas nuzen = ausnützen Br.
36, 3. ') — Ebenso bei den Schwaben : henüzen SO. 98 u. a., Benuzung SO. 176,
nuzen trans. Si. 125.
u vor pf.
Schiller hat meist die umgelauteten formen: ühei-hüpft 2, 36i, 12,
schliipft 2, 364. 15, geschlüpft 1, 107, 33, hüpft 1, 107, 35. 2, 284, 1. 1, 46, 16,
durchhüpfte 2, 297, 1, aber auch üherhupft 2, 233, 2 M, hupt (Schreibfehler
für hupft) 2, 247, 4 anm. M.
Die nhd. Schriftsprache hat durchgehends die miumgelau-
teteii formen angenommen vor Id und It (vgl. Paul, Mhd. gr.
§ 40, anm. 5. Bahder s. 199); z. b. schuldig. Schwankend ist ihr
verhalten bei der Stellung des u vor nasal + cons., wo im
obd. das fehlen des umlauts wenigstens das regelmässige ist.
Luther hat oft die umlautformen, wo wir sie nicht mehr haben
(vgl. Bahder s. 208), und so sind wol folgende formen bei Schiller
(bez. M) auf den einfluss der bibelsprache zurückzuführen :
unschuldig 2, 228, 3 M, hungrig 2, 258, 27 M {khungrig), tausendpfündig
2,324, 7 A und M, neben tausendpfundig 1, 342, 56, vergüldet^) 1,215,23 h
(nach einer handschrift von Schillers Schwester Christophine), Bothgüldenerz
1,255,145. Noch Adelung führt gülden als besonderes wort neben gülden
an, doch mit der bemerkung, es sei 'nur eine veränderte ausspräche von
gulden\ — Vergülden ST. 26. SG. 2, 281. Schw. m. 1775, 432. Die form ver-
goldet 1,28,29, die nur in dem starken einfluss von Haller verratenden
gedieht 'Der abend' (vgl. Minor, Schiller s. 148. Boxberger, Schiller und
') Auch später ist nutzen das regelmässige : benutzen S. 3, 229, 6. 577, 25.
4, 80, 5. 6, 53, 32. 252, 27. 7, 5, 12. 33, 6, stets in S. 8. Br. 1, 78. 370 u. a.,
etwas nutzen zu S. 6, 47, 10. 53, 28. 9, 401, 3, nützen S. 7, 17, 2. 8, 231, hat
mir genuzt Br. 1, 146, 2, es kann nutzen wenn Br. 1, 273.
^) Zum adj. gülden — gülden.
SPRACHE DES JUNGEN SCHIIJ.ER. 297
Haller s. 4) vorkommt, ist direct aus Hallers spräche eutuommen, der dieses
ö in seinen gedichten bis zur ausgäbe von 1751 stehen hat (vgl. Käsliu,
Haller s. 29 und 41) , es aber später in ü umändert. Die jetzt üblielien
formen golden, vergolden sind im 18. jh. in anlehnnng an das subst. Gold
nengebildet worden, während die lautgesetzlichen formen gülden bez.
ffi'dden sind.')
Der Umlaut von mlid. ü, uo, ou wird obd. durch folgenden
labialen consonanten verhindert (vgl. Paul, Mhd. gr. § 40, anm. 6).
Daher bei Schiller die formen Etibe 2, 155, 10 (in allen ausgaben bis
1799), betäubt 2, 324, 16 M, gläubig 2, G3, 17. 243, 23 A, Ungläubige 1, 108, 13,
leichtgläubig 2, 291, 29 M und A, Leichtgläubigkeit 2, 163, 2 in den ausgaben
von 1772—1787 ; daneben auch die aus Luthers spräche und der kirchlichen
spräche überhaupt in Schwaben halbmundartlich ebenso üblich gewordene
form (//äw&/(7 2, 243, 23 M, Leichigläuhig];cit 2,\m,2. Fulda führt GR. 81
gläubig unter den adj. auf -/// an, die 'ordentlicher weise' ihren vocal
nicht ändern. Aus Schubart uud Miller lässt sich auch jede der beiden
formen belegen, doch ist die umlautlose häutiger: gla üb ig SG. 60. ST. 53, 6,
rechtgkmbig Si.b2, leicMglaubig Si. 156. SO. 98; ungläubig Si. 2. 217, Leicht-
gläubig SO. 34. Si.271.'»)
In einigen fällen, in denen im mhd. formen mit und ohne
Umlaut vorlagen, hat die Schriftsprache durch dialektische ein-
flüsse sich für die umlautlosen entschieden, so dass die um-
gelauteten mundartlichen beigeschmack haben.
Schwatzen (mhd. sioetzen und swatzen) ist jetzt die schriftsprachliclie
form, daneben schwätzen nur noch dialektisch, z. b. schwäbisch (vgl. Kauff-
mann s. 148). Schiller: schwäz doch 2,90, 2\, verschwäzt2,'Sö\,2(S, schwäzt
ihr 2, 145, 12, geschwäzt 2, 73, 5. 251, 23 A und M, beschiväzen 2, 123, 15. Von
andern schwäbischen autoren brauche ich hier wol keine belege beizu-
bringen, da schivätzen ganz allgemein gebraucht wird."*) — Abzapfen in ab-
gezäpfet 1,251,19; vgl. mhd. zepfen neben zapfen, das die grundlage für
nhd. zapfen bildet.
Bemerkenswert ist auch der umlaut in Kameradinnen 2, 344, 25, da
in der Schriftsprache das wort ohne umlaut el)enso gut möglich ist, während
1) PI. Gülden 8.6,290,21, gülden S. 13, 165 (Wall.), gidden S. 12, 17.
2) In späterer zeit: IJnglänbige ^. Z,212,n. 4,163,2. 7, 29, 25 u. a.,
leichtgläubig S. 4, 132, 13; — Ungläubige S. 4, 259, anm., niiglauhig S. 9, 396, 2.
15S 139, glaubig S. 11, 294, 51. 384, 65.
^) In den belegen von schwäzen aus den Räubern 1781 (Metzler) bleibt
die form mit ü gewöhnlich in allen ausgaben bis 1812. Sonst sind die
belege für ä iu späterer zeit spärlicli: schwäzt S. 3, 152, 9, beschwäzen S.
3, 91, 10. 93, 2; gegen diese 3 fälle mit ä habe ich mir aus S. 3 mit a 14 fälle
notiert; geschivazt z. b. auch Br. 1,361; später erscheinen dann nur noch
o -formen: schwatzen S. 12,528, beschwatzen S. 12,527, verschwatzen S.
6, 130 etc.
298 PFLEIDERER
unsere muudart es uiir mit umlaut kennt. — Neben dem jetzt üblichen
duften ist nocli im altern nhd. däftcn nicht nngewöhnlich; Uz, Wieland,
Kleist u. a. (DWb.) verwenden es auch ausserhalb des reims. Schiller hat
neben dufteten 2, 293, 22 — duftet 1, 241, 136. 297, 87, au letzterer stelle im
reim; er mag die form avoI aus der lectüre von Uz, Wieland und Kleist
kennen, die er sehr hoch schätzte (vgl. S. 2, 386, 5')). Düften findet sich
übrigens auch sonst bei Schwaben : duftete Si. 2, 357. 1, 15. 104. SG. 2, 107,
duften Si.2i6,' duftend SG.2, 110. Schw. m. 1779, 393, neben duften Si. 133
u. a. — Im mhd. standen tuften und tüften neben einander. ^)
Im obd. fehlt der umlaut bei Gequake. Schiller hat Froschgeqiiüke
2, 377, 27, Gequäke belegt das DWb. auch bei Wieland und Schlegel.
Den schwäbischen umlaut in Urehni A. f. lit.-gesch. 9, 282 führt Kauff-
mann s. 1-48 auf ehemalige koseform mit dem deminutiv -i zurück; die form
ist, wie das auslautende -/ zeigt, alemannisch.
Gegenüber den schriftdeutsclieu Wörtern mit umlaut finden
sich bei Schiller dann noch umlautlos:
Pachter 2, 228 M anm., Haz 2,95,11. 80, 10; bei beiden ist die form
mit umlaut die jüngere, die die ältere jetzt unterdrückt hat; Hatz ist als
oberdeutsch noch besonders gekennzeichnet durch den abfall des -e in hatze.
Adelung nennt hatz oberdeutsch. — Sonstige belege sind für Pachter SO.
231. 181. Schw. m. 1780, 402; stets bei Haller, vgl. Käslin s. 53; auch vom
jungen Goethe verwendet s. ebenda; für Haz Spr. 1, 64. SO. 73.^)
Sich schämen 2, 144, 8 A ist wol druckfehler; die umlautlose form ist
specifisch alemannisch. ^)
Dursten 1,228,75 kann auch druckfehler sein; doch kommt die form
auch sonst im altern nhd. (mhd. dursten und dursten) noch vor; so bei
Goethe (DWb.). Adelung hält dursten für 'weniger angemessen der höhern
Schreibart' als dürsten.^)
Hier lässt sich vielleicht frohnen noch behandeln. Frohnen, mhd.
crönen-imä vrcenen, ist in der modernen spräche neben frohnen etwas
zurückgetreten, ist aber die schwäb. form des Wortes. Schiller hat nur
frohnen 1, 207, 31. 278, 23. 298, 96. 314, 30. 2, 349, 31. Fulda, GR. 96 spricht
zwar nur von frönen; aber auch in der übrigen schwäb. literatur der zeit
finde ich meist frohnen, z. b. ST. 90, 3. Schw. m. 1775, 710. 1779, 456.
1) Zu Schillers Verhältnis zu Wielaud vgl. noch speciell Minor, Schiller
s. 169, sowie S. 1, 243, 19 komm linker mann! ich küsse dich!
2) Später begegnet noch duftet S. 6, 30, 59, verduftet S. 11, 376, 22.
3) Pac/t/e>- noch S. 6, 291, 9. Br. 1,294. S. 11, 19, 15. 1^,147,3, Pac/j^enn
Br. 1, 127, Haz S. 3, 144, 5, Bärenhaz S. 3, 394, 2.
*) Auch untertlianig Br. 1, 31, 18 ist jedenfalls Schreibfehler. Das wort
kommt in den briefen an Dalberg u. a. ziemlich oft vor, lautet aber sonst
stets unterthäniij, vgl. Br. 1, 31. 37 u. a.
'■>) Ohne umlaut finde ich später nur noch durslend S. 13, 261.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 299
II — 0.
Neben Trotz (iroz 2, 242, 16, Eiesenfroz 2, 183, 17) findet sich bei
Schiller die anf mlid. trutz beruhende, von den dichtem bis in die neueste
zeit herein gebrauchte form Trutz 2, 50, 24:, truz2,tö,2. 62,5. 133,12; vgl.
trtitzen Schw. m. 1775, 432. 1775, 710, Trutz Schw. m. 1780, 428.
In luker 2, 144, 15 haben wir wol eine contaniiuation des erst uhd. auf-
tretenden locker und des dasselbe ersetzenden oberdeutschen lucke, luck (vgl.
Kauffniann s. 149). Ebenso lucker SO. 131.
ScJmiarozen 2, 351, 24 weist erst in späteren auflagen (von 1S12 an)
schmaruzen auf, fällt daher ausser betracht.^)
Grosse Verwirrung* herscht bei oJm. Olmgefähr ist zu-
sammengewachsen aus mild, äne gevcere; Ohnmacht ist ent-
standen aus mild, ämaht mit secundärer anlelmung- an ohne;
durcli anlehnung an ohne sind auch Schreibungen wie ohn-
möglich, ohnstreitig u.s.w. zu erklären, was bei Schwaben be-
sonders entschuldbar ist, da die laute un und on scliwäb. zu-
sammengefallen sind, vgl. s. 303, 3.
Bei Schiller bez. seinen drucken ist in allen fällen bald ohn-, bald
MH- geschrieben: okngefähr 1,87,3. 158,19. 146. 2,354,13, o/t» r/f/V/«;- 1,193,198.
2,3,20, — ungefähr 2, V3Ö, 21, ungefehr 2,287, 21 AundM, von ungefehr 2,95,23.
259,23; 0/mwae/jf 2, 310, 21. 1, 170, 17, — Unmacht 2,170,7, ohnmächtig
2, 332, 7. 308, 25. 315, 17, — unmächtig 2, 168, 6. 177, 5; unmöglich 1, 171, 31.
Br. 63, Unmöglichkeit 1,170,3-1, — ohnmöglich B.a,ng, Z. i(33; ohnerachtet
2, 375, 14. ohnstreitig 1, 113, 33. Br. 54, 29. 25, 21.
Formen von dürfen.
Die Schwab, form dieses verbs ist cl^rfo (vgl. Kauffniann
s. 148). Die form wird von den Schwaben oft mit dürfen
transcribiert, so Fulda, Spr. 1, 188 und meistens; auch Antesperg
(Socin s. 433) hatte i. j. 1747 du darfst in seine grammatik auf-
genommen. Schiller verwendet nie ä, aber neben dem der
Schriftsprache durch Luthers vorbild eigen gewordenen dürfen
schreibt er meist dörfen. Diese form ist in der schwäb. lite-
ratur jener zeit die regelmässige; vgl. Fulda, GR. 93 tvir dörfen,
imp. durfte, conj. ich dörfe, imp. ich dürfte, dörfte; dörfen, ge-
dörft. — Spr, 1, 108 'Einige sagen dörfen, ... dörfte.'
Schiller: dörfen Br. 39, 5. 48,4. S. 1, 357, 10. 2, 139, 11. 94 etc., dörffen
2, 155, 11. 1, 166, 27. 139, 7, dörfte 1, 91. 167. 172. 2, 274. Br. 37, 14 etc.,
dörffte 1, 114, 27, dörften 2, 371, 24. 1, 270, 83. Haug, Z. 467, dörffe 1, 112, 27,
1) Ausserdem noch schmarutzen S. 2,351,24 in K (1812), k (1819),
V (1835) und q (1840); sonst nur in Schmarutzer S. 12, 71. 15», 264.
300 PFLEIDERER
ihr dörft 2,15,24: — diirfcu 2,43,8, dio-ftc 1,169,13, hedarifen 1,172,27.
— In der dissertation stehen 6 formen mit ö gegen 3 mit ü (durfte 1, 152).
Die briefe an Dalberg haben 3 dörfen (Br. 39. 45. 65) nnd 3 dörfte (Br. 37.
37. 43), dagegen kein it. Ueber das Verhältnis dieser formen znm schrift-
sprachlichen gebrauch vgl. Adelung, "\Vb. : 'In den meisten oberdeutschen
gegeuden — dörfen etc. . . . Ein seltsamer einfall war es wohl, als sich
jemand einfallen liel's, diese abwandelung auch in das hochdeutsche einzu-
führen. '
Zu den reimen.
Wie die spräche des jungen Schiller überhaupt nach ge-
sichtsi)unkten der schwäb. grammatik beurteilt werden muss,
so besonders in bezug auf seine reime, (iodeke hat S. 1,384 ff.
ein grosses Sündenregister von 'unreinen reimen' aufgestellt;
auch anderwärts hat Schiller sich noch viel wegen dieser
'Unregelmässigkeiten' gefallen lassen müssen (vgl. Belling, Die
nietrik Schillers 1883, s. 30 ff.). Weltrich 1, 551 ff. behandelt
die reime eingehender und weist darauf hin, wie auch andere
dichter, 'deren lautsinn oder poetisches gehör die empfindlichste
besaitung zeigt', nicht immer ganz rein reimen, andererseits
Scliillers reimbehandlung vom Standpunkt des schwäb. aus be-
urteilt werden muss.i)
Tun wir das (und das müssen wir, wie diese ganze ab-
handlung zeigen will), so bleibt von Gödekes Sündenregister
nicht mehr viel übrig. 2)
Die qualität der vocale.
Schwäbisch rein sind sämmtliche reime von ö : e, ü : i, da
ö und ü im schwäbischen durchaus zu e und -/ entrundet sind
(ö : e vgl. Bohn. § 52; ü : i vgl. Bohn. § 68). Also sind die fälle
von e : ö, e : ce, i : ü, i : ü S. 1, 385 f. schwäbisch correct, ebenso
y -.i, y : ü (über einige unreine reime e : ö vgl. s. 305). Hierher
gehört auch die Schreibung adie 2, 244, 9 M. Abgesehen von
diesen finden sich die meisten 'unreinen reime' in der Stellung
der vocale vor nasal. Besonders diese reime pflegen falsch
') Dassell)e gilt auch noch von Jlörikes reimen; man vergleiche darüber
Ed. Mörike, sein leben und dichten, von Harry Maync, .Stuttgart und Berlin
1902, s. 254, wo nachgewiesen wird, dass reime wie verzeihe : Treue, Borde
: Pforte, Felsen : tväUen 'in ziemliclier menge' l)ei Mörike sich finden.
'■") Bezüglicli der scliwäbischen reime Schillers in seiner nachschwä-
bischen zeit verweise ich auf den 'Anhang' am Schlüsse der lautlehre.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 3Ö1
beuiteilt zu werden; man hat ihnen sogar den Charakter von
reimen schon abgesprochen und sie als assonanzen erklären
wollen (vgl. Belling, Metrik Schillers s. 35. anm.).
Es sind dreierlei fälle zu unterscheiden:
1) Die ausspräche e (und zwar in allen fällen geschlossen,
da es im schwäbischen vor nasalen nur geschlossene e- laute
gibt) liegt gemäss den lautgesetzen des schwäbischen zu gründe
in folgenden hd. lautgruppen (näheres darüber s. in den in
klammern beigefügten §§ aus Bohnenbergers behandlung des
Schwab, vocalismus): a"*«- = f (§ 28), e'^''«- = e (§ 24), /"='«• = S
(§ 36), ie""^'- = e (§ 84), ö"^^- = S (§ ^2 und 24), «P^^- = f (§ 68
und 36), we"*«- = e (§ 104).
Darnach sind hinsichtlich der qualität der vocale schwäbisch
rein folgende reime:
an : en: Gängeln : Engeln 1, 223. — (in : nn: Gränze : Münze 1, 343,
Thräne : Bühne 4, 237. — an : in: geringe : Gesänge 1, 27, Springer : Sänger
1, 245, hlinzen : scharwänzen 1, 188, hinken : Bänken 1,255 etc., vgl. S. 1, 387
unter in : an. — an : ien: Miene : Thräne 1, 186 (Gödeke citiert noch zwei
beispiele aus Stäudlins Musenalm.). — um: im: schimmert : dämmert 1,28,
wimmert : dämmert 1,295. — an : ön: Thräne : Söhne 1,222, Thräne : Ge-
tane 1,46, Thränen : Tonen 1,262.
Dazu beispiele aus Scbubartu.a. >): an : in: überwinden : Händen
ST. 50, 9, empfinden : Händen SG. 283, glänzen : Provinzen SG. 2, 227,
hängt : ringt ST. 34, Todesängsten : Geringsten ST. 125, 10, Sänger :
Finger SG. 2, 113. 206, Sänger : Vollbringer Schw. m. 1777, 56, finden :
Händen Schw. m. 1775, 711, verschwinden : Händen Scbw.m. 1779, 455.
— ä)i : ien: Mienen : Thränen : ilinen ST. 57, 4, Mienen : Thränen
Schw. ra. 1779, 458. — an : ön: Thränen : Schönen SG. 226. 419,
Thräne : Töne SG. 2,234, Söhne : Thräne SG. 293, König : unterthänig
Schw. m. 1776, 336.
en : ün: Menschen : Wünschen 1,107, Scene : Bühne 1,250. 298 (Gödeke
dazu: Schw. m. 1780, 367). — ewi : am: Diademen : rühmen 1, 341, nehmen :
>v//(Wie>i 1, 213. — em : am: schwemmt : strömt i,öO, Systemen : strömen
1,285. — en : ön: Scene : Schöne 1,308, gehn : schön 1,271, Scene : Söhne
1, 51, ivenig : König 1, 207. — en : in: Kind : brennt 1, 259, sind : Begiment
1, 354, Wind : brennt 1, 224, finden : wenden 1, 305 etc.; vgl. S. 1, 387 unter
in:en. — en : in: Fürstin : dürsten 1, 239, Göttin : hätten 1,2^6, hin:
Seufzergen 1, 293. 294. — 'in : en: Königin : gehn 1, 219.
') Belling-, Metrik s. 36 sagt, derartige 'fehlerhafte" reime kommen
weniger bei Schubart vor. Dalier füge ich bei den meisten erscheiuungeu
beispiele aus Schubart hinzu, um zu zeigen, dass tatsächlich dieser, der
bedeutendste dichter in Schwaben neben Schiller, ebenso reimte.
302 PFLEIDERER
Beispiele ans Sohnbart u.a.: en: ün: liihn : Tj/h?en ST. 62, 4,
Sccne : Bühne oft im Sehw. m., nennt : angezmidt Schw. m. 1775, 709. —
en : in: dringt : vermengt ST. 34, 5, schenken : trinken ST. 22,7, sind :
brennt ST. 104, 7, sind : nennt ST. 135, 5, verschwindet : blendet Schw.
m. 1779,453, denken : versinken Schw.m. 1775, 707, blendet: verschwindet
Schw. m. 1775, 709, brennt : sind Schw.m. 1777,55, denkt : trinkt Schw.
m. 1780, 367.
in : ö n: empfinden : könnten 1,48, Seraphinen : Tönen 1,359. — in : ün,
im : um, in : ühn fallen ausserdem unter /: ü; vgl. s. 300. — ien : ön:
Miene : Schöne, Mienen : Schönen 1, 249. — im : am: sclnvimnien :
strömen 1, 29.
Beispiele ans Schubart u.a.: in : ön: Minen : versöhnen ST. 88, 2,
verdient : versöhnt SG. 167, Söhne : diene Schw. m. 1775, 889, tönen :
Katharinen Schw. m. 1777, 55 ; weitere beispiele in S. 1, 387 unter icfi : oen.
Vgl. dazu Nast, Spr. 2, 47: 'meine landsleüte sprechen' *
' vor dem m und n zu nachläsig aus, so das es mer einem e als *
gleicht: schivimmen, sinnen^ singen wie schioemmen, sennen,
sengen! Schillers mutter schreibt in briefen nach dem gehör :
ich ben (= hin, vg^l. S. 1, 382) und Fene (= Christophine, vg"l. Welt-
rich 1, 555). Nast verlangt Spr. 1, 43 die Schreibungen FenseU)
und Lämmel 'alii LiimmeV entsprechend den schwäb. lauten.
Von Schiller bez. seinen drucken und Schreibern gehören hierher die
Schreibungen: Erennys 1, 222, 54 im originaldi'uck, gegen Erinnys 1, 227, 99,
Eiibins 1, 35, 2 = Eubens, 2. pl. imp. nimmt 2, 144, 15. 177, 15. 203, 6, ■')
schminkt 2, 268, 18 M (A sclmenkt), Moor in den Anblick verschwimmt 2,116,1,
gegen iierschtvemmt 2, 272, Stünkereyen 2, 226, 6 M, Stinkereyen A, rennt
2, 231, 13 M, rinnt A, o dafs sie verblendeten, diese Augen 2, 295, 26 M,
rcrblindeten A. Ebenso ich versenk' intr. SG. 221, Mennesinger in Haus-
leutners Schwäb. archiv 1793, 250.
Dass diese ausspräche e der genannten gTuppen auch in
der halbmundart gebildeter Schwaben nichts ungewohntes ist,
hat Weltrich 1, 555 mit einem beispiel aus seiner eigenen er-
fahrung illustriert. Vgl. ausserdem Vischer^'): 'für richtige
ausspräche gilt die regel, der Versuchung zum näseln zu wider-
stehen bei den vocalen i und u\ der Schwabe aber widersteht
ihr niclit und so spricht er (eben also auch, wo er hochdeutsch
sprechen will) hen für hin^ etc.
*) Damit trifft er zufällig die etymologisch richtige form, vgl. mhd.
pensei, bensei aus penicillus.
■■') Vgl. dazu J.Meyer, Neue beitrage zur feststellung, Verbesserung
und Vermehrung des Schillerschen textes, 1860, s. 10 f.
*) Fr. Th. Vischer, Nicht la, anm. zur spräche s. 95.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 303
2) Die ausspräche ne liegt zu gründe in folgenden laut-
gruppen: ««""^ e«""^- (Bohn. § 40; «?""«• entwickelt sich in der
mundart zu ö^, öä § 76, geht aber in der halbmundart mit e2'"'-
zusammen), eu, a«<°^«- (Bohn. § 90).
Also sind schwäbisch reine reime:
ain : ein: Haine : kleine 1,294, Hainen : ficheineu 1, lOG. — ein : etm:
weint : Fretind 1, öO.SiG, kleine : Äeitne l,2ii:. — dum : eim: Schäume:
Keime 1, 297, Träume : Keime 1, 22G, träumen : reimen 1, 182, träumet :
reimet 1, 221.
So in Scliubart: Freund : geiveint SG.2,218, Freund : Feind SG. 40,
Hain : drein SG. 28 etc.
Diese reime sind bezüglicli des lauts selbst für gramma-
tiker in Schwaben rein, vgl. Schw. m. 1777, 577 : Weint : Freund
reimt wohl im ohr, aber sonst nicht.'
3) Eine weitere dem scliwäb. eigentümliche Wirkung des
nasals ist der wandel von u""''^- zu o (Bohn. § 60). So wird
im Schwab, schon seit alters gereimt, vgl. Bohn. § 59 und 62.
Ebenso wird mhd. uo'"'-'- (nhd. ä) im schwäb. ö gesprochen.
Daher sind schwäb. correct die reime:
om : um: Strom : Elysitim 1, 28. 255, kommen : hrummen 1, 270, Fan-
tomen : Blumen 1,259, ko7nm: herum 1,353. — on:un: Ton : nun 1,217,
davon: nun 1,257, Mond : rund 1,353, Monde : Sekunde 1,225, Monde :
Bunde 1, 181, umsonst : Brunst 1, 278, Lohn : nun 1, 130, Willkomm :
herum 1, 353.
Beispiele aus sclnvlib. autoreii der zeit s. S. 1,388: dazu uocli um-
sonst : Dunst Schw. in. 1775, 790.
Ausserhalb der Stellung vor nasalen reimen im
schwäb. ei{ai) : eu (äu) in folgenden fällen: nhd. ci : eu, im =
mhd. t : ia, da mhd. i und iu im schwäb. zusammenfallen (Bohn.
§ 72) in 3/; ferner nhd. ei {ai) : eu ^ mhd. ei : öu, da mhd. ei
und üu (in folge der entrundung, wie bei i und in) im schwäb.
zusammenfallen (Bohn. § 96) in ae.
Abgesehen von fällen wie Gemäuer : Geheuer 1, 222, deren
aufnähme in Gödekes liste unreiner reime jeglichen grundes
entbehrt, sind daher schwäb. correcte reime:
licichen : Seuchen 1,221 (mhd. / : iu); Leier : Feuer 1,246, Buhle-
reien : getreuen 1, 278, verziceifeln : beteuf ein 1, 270, steigt : fleugt 1, 179,
schweigen : zeugen 1, 48, sehiceigen : beugen 1, 328 etc.; vgl. S. 1, 38G obeu.
— Serail: Heil 1,188, Waise : Beise 1,131 und ähnliche reimen selbstver-
ständlich, da mhd ei : ei. — Waide : Freude 1,4 (mhd. ei : öu), Kleid :
304 PFLEIDEREK
streut 1, 227, Kleide : Freude 1, 180, Zärtlichkeiten : Freuden 1, 262. 264,
geleite : Freude 1, 182, Eingeweide : Freude 1, 278.
Dazu aus Schubart: Pfeil : Geheul SG. 28, greift : ersäuft Sü. 20,
steigt : Veugt SG. 208 u. a.; — streift : heträuft SG. 51, Saite : Freude
SG. 2, 199, läuft : streift ST. 27, 3, freut : EinsamJceit SG. 51; W-^a/tZe« :
Freuden Schw. m. 1778, 544, Freuden : Saiten Sclnv. m. 1775, 714 u. a.
Der reim mir : (?a7<er 1, 218 ist falsch.
In bezug' auf die (lualität der vocale sind schwäbisch
unreine reime <?/(«/) : eu{äu), wenn gleich mhd. e/ : iu oder
mhd. i : öu, also in folgenden fällen:
= inhd. e(" : iu: Kraise : Mäuse 1, 223, Schmeichlern : Heuchlern 1,308,
Geifsel : Gesäusel 1, 237, Geist : fleii/st 1, 182. — = mhd. i : öu: Schreiber :
Räuber 1,208, treiben : stäuhoi 1,183, neiden : Freuden 1,30-1.
Als beispiele aus andern schwäb. dichtem mögen die in
S. 1, 386 f. angeführten genügen.
Ferner sind schwäbisch unrein die reime von ai : ei, wenn
mhd. ei : i, wie Saiten : Zeiten 1, 283, aber ebenso säinmtliche
von ei : ei, wenn = mhd. ei : i, und au : au, wenn = mhd. ou : ü;
diese fälle führt Gödeke gar nicht an.
Beisinele: mhd. ei : t: May : herbe]/ 1,309, 15, Raifen : greifen 1,341,13,
saifen : begreifen 1, 255, 135, Kaiser : weiser 1, 256, theilet : eilet 1, 29, Geist :
reißt 1,209, Lüsternheit : Neid 1,211 ti. s.w. — mhd. om : m: Laitf : auf
1, 191. 226. 284, haun : baun 1, 222, Augen : saugen 1, 260. 286. 224 u. a.
Bezüglich der reinheit der reime von c : e, ä, ö ist es
nötig, die natur des e- laut es genau zu untersuchen. 1) e (a)
hat im schwäb. den lautwert von e, wenn es älterer umlaut
von ö ist, s. Bolm. § 16. — 2) e hat den lautwert von ^: a) wenn
es jüngerer umlaut von a ist (abgesehen stets von der Stellung
vor nasalen), s. Bohn. § 20; — b) wenn es = germ. e ist, s.
Bohn. § 24 (vgl. Paul, Mhd. gr. § 42 und 43); davon sind einige
fälle auszunehmen, wie fels, jjeb etc. (vgl. Bohn. § 24, Paul, Mhd.
gr. § 43, anm. 3). — 3) e hat den lautwert von e, wenn = mhd. ce,
s. Bohn. § 28.
Demnach sind von den 'unreinen' reimen Gödekes weiter
auszunehmen die fälle, wo
I) ä, e alter umlaut ist, also = e, und daher mit ö = e
reimen kann:
Beispiele: e, ü : ö: Gewälze : Gehölze 1, 249 (da Gewälz von mhd. ahd.
wälzen abgeleitet ist), hätten: Göttin 1,246 (vgl. mhd. h(tte), Erretter :
Götter 1, 127 (ahd. retten, germ. got. *kradja)i Kluge, Et. wb.), Stelle : Hölle
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 305
1, 227 (zu mbd. stal oder alid. stfUdit), reden : nötJien 1, 226 (ahd. r^dön,
zu got. rapjö), ScIixcelU : Hölle 1, 283 (ahd. sic^Ui), Wette : Spröde 1, 352
(ahd. tcftti, vgl. got. wadi), nährt : gehört 1, 289 (zu mrjan, vgl. Nahrung).
— Dazu noch « : e iu tvülzen : Felsen, ^^ f : ^ (zu f^ls vgl. Bohn. § 24).
II) ä, e = germ. e, also = ?, kann demnacli reimen mit ä,
wenn dieses später umlaut ist.
Beispiele: Fehlem: Wäldern 1,219 (ahd. feld), Wetter: Vätter (mhd.
weter, ahd. ivetar), Gebete : 'Toilette 1, 23i (mhd. 6e7e>i zu bäten), schwärzt :
herzt 1, 228 (mhd. herze, ahd. herza, got. hairto).
III) ä, e = mhd. ce, also ?.
Beispiele: iväre : Ehre 1,51 (mhd. tücere, zu Ehre, mhd. ere, das im
Protest. Schwaben aber trotzdem den laut e aufweist, s. Fischer, Genn. 36,
416; daher reimt auch Altären : ehren 1,329.
Dagegen bleiben unrein: Heer : Bär 1,245, 18 (ahd. h^rl : bero),
Presser : Schlösser 1, 344 (frz. 2Jresse mit f), Quelle : Hölle 1, 228. 283
{Quelle zu quellen), ivcrt : angehört 1, 255 (mhd. ivcrt, got. wairßs), höher :
Seher 1, 287 (mhd. sehen), spähte : Morgenröthe 1, 282 (mhd. spehen, vgl. lat.
spec- in specidum), selber : Gewölber 1, 343 (mhd. s'elp, got. silba), leerer :
Zerstöhrer 1, 291 (mhd. kere), Höhen : tvehen 1, 219, 31 (mhd. tvatjen), Seele :
Hole 1, 182, 112 (schwäb. sei, vgl. Fischer, Germania 36, 416), füllt : Welt
1, 270 = f : f (da füllt schwäb. feit lautet, s. Kauffmann § 65, 1, icelt aber
germ. e hat, also schwäb. H'f^O) Schätze : Netze 1,359 (mhä. )i(tze, got.nati,
ä in Schätze dagegen junger umlaut), Veste : Paläste 1, 295, geschöpfet :
gezäpfet 1, 251 u. a.
Quantität der vocale.
• Auch in beziig auf die quantität der vocale lassen sich von
Gödekes 'unreinen' reimen einige als schwäbisch rein aus-
scheiden. Im übrigen gilt auch hier, was Weltrich 1, 555 sagt,
vgl. oben s, 300.
Rein sind an : Zahn 1, 207, hin : ziehn 1, 207, da die be-
tonten formen von an und hin und ähnlichen im schwäb. halb-
dialekt längen {an, hm, Mn) aufweisen. Im dialekt schwindet
hier das auslautende n, dafür aber tritt nasalierung und deh-
nung des vocals ein (s. Kauffmann § 59, 4).
Daher sind auch reime wie man : Kahn 1,206 entschuldbar, wenn sie
auch in der halbmundart nicht rein sind. — Hierher gehört die Schreibung
von kan 3. sg. praes., die gewöhnliche Schreibart bei M (vgl. S. 2, 218, 19,
anm.: kan M, 'und so fort'), die auch sonst vorkommt: kan 1,51,25.
2, 101, 29. Br. 17, 19, zurückgehend auf schwäb. kä (vgl. Kauffmann § 133, 3);
diese Schreibung wiid von den grammatikern verlangt : Fulda, GR. 93 ich
kan, du kanst, er kan; ebenso Nast, Spr. 1, 108 (mit der anmerkung: 'Wer
scharf spricht, schreibt kann^): ebenso Hauptman 2,2SßA9 M und 'so in
Beiträge ziir geschichte der deutschen spräche. XXVUl. 20
o06 PFLElDEUEß
der regel' (vgl. Gödekes anm.). Andere fälle von länge vor nasal sind die
iniperf. der starken verba der 3. und i. aUautsreilie : schiramm : Schacim
1, 24:9, fdncl : mahnt 1, 344, schwamen : kamen 1, 218, 20, sowie Schreibungen
wie schwamen 1,218,20, ranen l,3b8,58; ihnen sollten sich den regeln der
Schwab, grammatiker gemäss sämmtliche imperf. formen der starken verba
anschliesseu; vgl. Fulda, GR. 98, der sagt, dass die imperf. der starken
verba durchaus gedehnt seien, und dann fortfährt: 'und wenn die sächs.
imperf., litt, riti, schnitt, — spann, samt — erscholl . .. ganz Teutschland i\ber-
schwemmten, so gäben sie blos ein beispil, wie sprachwidrigkeiten sich
verbreiten, und die oberhand gewinnen können'. Aehnlich Nast, Spr. 1, 193
und 199. Demgemäss ist etwa der reim rifs : süfs 1, 180, 52 (rifs : stiefs
1, 300, 19), sowie die Schreibung grief 2, 215, 15, zerris 2, 76, 1 zu beurteilen.
Schwab, längen können ferner zu gründe liegen bei
dem reim
Mutter : Bruder 1, 178 = Schwab, mudclr : hnmlr, jedenfalls bei der
Schreibung Muter 1,130,09 (vgl. dazu unten bei Yatter), schnadern 2,156.
300, gewis 1,77,25, 2, 205, 6 M. 1,88,30. 82,20 (schwäb. kuns; vgl. Kauff-
mann § 74, 2. Scliw. m. 1776. 177: 'Der Schwab schreibt getvis'). Zu müssen,
das im schwäb. den diphthongen beibehalten hat, bemerkt Nast, Spr. 1, 108:
'Ich mus, must, mus, miisen etc. muste, mäste, gemnst. Wer scharf spricht,
verdoppelt das s.' Fulda, GR. 93 erwähnt die formen mit doppeltem s
gar nicht.
So haben wir auf grund der schwäb. länge: mtis 2,88,10. 1,76,8.
77, 16. 89, 27. 84, 10. 100, 11. 2, 38, 10. 81, 10. 129, 22, must 2, 293, 9 M.
185, 10. 28, 11. 1, 78, 32, müste ich 1, 89, 14. 90, 7, müstet 2, 213, 12 M,
müsten 1, 81,18. 84,9. Daneben oft die formen mit fs: mufs 1,85,2.
77, 20 etc.
Wenn neben zusamen 2, 41, 4 ein reim zusammen : Heldennammen
1,50,4 vorkommt, so ist das beides wol als fehlerhaft zu betrachten; doch
kann daran erinnert werden, dass ersteres in der dialektform bei ver-
ändertem vocal länge aufweist: tsrmd (vgl. dazu noch das citat Spr. 2, 101
auf dieser seite), bei Namen aber kürze vorkommt (vgl. Kauffmann § 58, 2 :
' bei folgendem nasal entsteht kurzer nasalvocal : nämd '), wenn auch jeden-
falls nicht in Schillers heimat: auch die schwäb. grammatiker sprechen nur
von langem vocal bei Name.
Erhaltung von mhd. kürze findet im schwäb. hauptsäch-
lich vor t statt (vgl. Bahder s. 88. Fischer, Gecgr. s. 13). Die
Schwaben versuchen zur bezeichnung dieser kürzen die Schrei-
bung tt in den betreffenden fällen einzuführen.
Einzelne beispiele davon finden sich bei Schiller: trettet 1,186,20,
Botte 2,13, Bottschaft 2,108,16. 308,25, Vätter 1, 119, 4:8; schwäb. reine
reime sind daher Jlöllenrolt : Flügelbot 1, 250, 150, Vätter : Wetter 1, 179, 48,
Gebete : Toillette 1, 234.
Vgl. dazu Spr. 2, 101: 'So dent Sachsen die Wörter: Vater,
treten, beten, nemen, samt noch gar vilen andern; Schwaben hin-
Sprache des jungen schiller. 307
gegen schärft sie: Vatter, treuen, heften, nemmen. Hingeg-en
schärft Sachsen: Mutter, Busse, müssen, lamn, zusammen etc.
in Schwaben aber werden sie gedent: Muter, Buse, müsen, Imn,
zusamen. Wer hat recht? Alle beide, dann alle beide folgen
der tonregel, aber jedes nach seiner ausspräche . . . Das ganze
altertum sagt z. ex. Fader ..., Moder, Muter . . . mit dem gedenten
ton. Disemnach selten die Schwaben mit den Sachsen Vater,
und dise mit jenen Muter schreiben.' Ebenso Schw. m. 1777,
176. — Schw. m. 1777, 158 will ein schwäb. purist sogar Fätter
geschrieben wissen.
Auch der reim Geivinnst : Dienst 1, 193 ist in der halb-
mundart rein, vgl. Spr. 1,290: ^ Licht und Binst der herren-
sprache folgen der regel . . . zusamenkommender endconsonanten,
welche schärfen. Der schwäb. pübel spricht . . . Dienst.'
Zu Stvffe 1, 287, 46 T. 2, 303, 17 A und M vgl. S. 1, 402 unter Stuffe:
'Das Scliw. m. 1777, 167 unterscheidet Stufe scrobs, Shiff'e gradus. Schiller
benutzt nur das letztere wort und schrieb wohl immer Stuffe.' Stufen
findet sich 1,287,46 (originaldruck). 392. 2, I6I.1)
Von der form Senne sagt Adelung, sie komme nur in einigen ge-
meinen mundarten vor. In der literatursprache des 18. und 19. jh.'s ist
Senne häufig bezeugt (DWb.), der neuere Sprachgebrauch hat für Sehne
entschieden. Bei Schiller: *S'e«>t 1, 249, 27, Sennen l,2l0,2d. 179,42. 2,306,1.
822, 10 anm. M, Sehne 1, 299, 6 ; so auch Sehnen SO. 99.^)
B. Vocalismus der nebensilben.
Es handelt sich hier hauptsächlich um die behandlung des e
der nebensilben beim subst., adj. und adv., und beim verbum.
lieber die Vorgeschichte desselben hauptsächlich in Oberdeutsch-
land vgl. Kluge, Von Luther bis Lessing (insbes. cap. 9: Ober-
deutschland und die katholiken), und Jellinek, Ein capitel aus
der geschichte der deutschen grammatik, Abhandlungen zur
germ. philol. 1898. Ich gehe gleich zum verhalten Nasts und
Fuldas zum 'lutherischen c' (vgl. Kluge a. a. 0. s. 144).
Nast verwirft das nicht flexi vische e bei allen masc. und
neutr. Das 'sächsische e' nennt er eigenmächtig und willkür-
lich; von den neutris mit ge-, gemäld, getreid etc. sagt er Spr.
1) Stuffe findet sich noch S. 4, 23, 11. öS 53. 62 und von Schillers band
Br. 5, 5. 134.
») Die Senne des Bogens S. 11, 88, 128, Senne S. 13, 39 (Mach.), sennigt
S. 12, 24 (Wall, lager).
20*
308 PFLEIDERER
1,28: 'Allen diesen neutris g-eliört am ende kein e! Spr. 1, 56
lieisst er das e in aß'e, hiahe ein in Sachsen 'wider die natur
der sprachß' angeflicktes weibliches e; 'dies ist eine von den
bösen gewonheiten eines landes, das uns je und je mit der-
gleichen neüerungen beschenkt.' In den Verzeichnissen der
subst. sind alle masc. und neutr. ohne -e angesetzt. 'Erlaubt
man ... dem nördlichen Teütschen eine apocope, wenn er sagt:
der Gedanke .... so mus es auch dem südlichen Teütschen er-
laubt sein, die apocope noch weiter zu treiben und Gedanh . . .
zu sagen' Spr. 1, 40.
Die fem. zerfallen in drei gruppen: in solche die 1) von
beiwörtern, 2) von Zeitwörtern abgeleitet sind; bei diesen darf
das -e nicht weggelassen werden, 'ungeachtet dils in Süd-
teütschland häufig geschiht. Dise gränze mögen auch unsere
sächsische herren sprachmeister merken, die uns one unterschid
wegen des ausgelassenen e tadeln, one in manchem fall zu
wissen, ob sie mit recht tadeln oder nicht' Spr. 1, 73. Die
dritte gruppe bilden fem., 'die das weibliche e angenommen
haben'; sie können es apokopieren; Aue, Base sind erlaubt,
aber Au, Bas soll niemand als Sprachfehler angerechnet werden,
Spr. 1, 66.
Das flexivische e im gen. dat. ist blosses e euphonicum,
'und hat nur im rednerstyl plaz, oder es ist der Willkür der
dichter überlassen' Spr. 1, 15.
Das -e der unflectierten adj. ist ein 'sprachfeler' der Nord-
deutschen; 'es ist zum lachen, wenn man in sächs. Sprachlehren
list, wie sie sich mühe geben, diseni bastart, der sich unter
keine regel beugen will ['ihrem weichliiig' Schw. m. 1775, 382],
regeln vorzuschreiben' Spr. 1, 89.
Im verbum gestattet Nast geh und gehe im imp.; die praes.-
formen: du lobest, er lohet sind 'nur in seitnern fällen dem
redner und dichter erlaubt' Spr. 1,106; für das praet. gibt er
lobte und lobete, part. gelobet und gelobt an Spr. 1, 107.
Der tolerantere Fulda sagt GR. 78, auch einige weibliche
Wurzelwörter, wie Ende, Thüre, brauchen das e. Bei den
obl. casus des masc. und fem. ist e 'keine notwendigkeit, son-
dern eine erlaubnis für den flui'i" der rede', ebenso bei andern
'weiblichen wurzel Wörtern' im nom. acc, sg. Auch das -e der
unflectierten adj. wird erlaubt, GR. 84. Ueber das -e im verbum
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER, 309
äussert er sich nicht. Zu fällen wie das Geschlechte vgl. noch
Fulda in Hangs Ergözlichk. 1774, 2,79: 'Die Schwaben wissen
unter ihren weiblichen end e und dem sächs. und branden-
burgischen Aveichen e, welches durchaus keine regel leidet:
Gewichte, Gcschlcchte, Sachse, den unterschied sehr wohl. Und
sie sind nicht eigensinnig, allentlialben auch das lezte anzu-
nehmen, Avo ihnen der flufs der rede gebietet; aber weiter nicht.'
Schillers verhalten zum -c ist in seiner prosa im
allgemeinen das der modernen Schriftsprache.
Das auslautende e der subst.: am ehesten fällt das
flexivische e nach nebenton aus.
In den briefen no. 17 — 19 habe ich 6 formen vom typus Eigensinn im
dat. sg. gegen 0 Eigensinne gefunden, in S. 1, 142 — 147 ebenso 8 gegen 0;
in S. 2, 4 — 7 und 14 — 19 gegen 1 Schauplaze 6 nach dem typus SchoAiplaiz,
S. 2, 101 — 104 0 Günstlinge gegen 6 Günstling. ')
Für die folgenden aufstellungen habe ich natürlich nur
die formen in betracht gezogen, die für das nlid. von interesse
sind (also nicht her^, lehrers etc.)
Für Schillers verhalten sprechen am besten zahlen; die
folgende Statistik ist entnommen: I) aus brief no. 17 — 19 (Br.
1,36—44); — II) aus S. 1, 142—147; — III) aus S. 2, 4—7
und S. 2, 14—19; — IT) aus S. 2, 101—104 und S. 2, 183—184.
Die zahlen zeigen ziemliche Übereinstimmung mit dem jetzt
herschenden gebrauch; nur der dat. sg. m. n. lässt das flexi-
vische e verhältnismässig oft fallen.
kein -e
Typus I II in IV
-e
I II III IV
2 0 5 7
30 25 38 20
1 1 12 8
9 15 11 10
nom. masc. nam — name \
+ neutr. aug — äuge | 0 0 0 0
fem. sg. seel — seele 0 0 10
dat. sg. m. n. tag - tage \
(aug — äuge) / ^" "^ ^" *^
n. acc. pl. freund — freunde 0 0 0 0
Das ist der zustand in der prosa. In den ge dichten
treibt die versnot der dichter oft dazu, sich der mundartlichen
apokopierten formen zu bedienen, die die grammatiker auch
gestatten.
•) Die betreffenden seilen sind ganz beliebig aiisgewählt,
310 PB^LEIDERER
Hier fiudeu sich sehr häufig formen wie Ercl 1, 248, 14, Tmnlc 1, 245, 10,
Fried vnd Buh 1,220,4, pl. Gestirn l,224,2ß, Nam 1,256, 174, Beicht
1,257,83, pl. SpnicÄ 1, 257, 207, Adler (jeäank \,2S2,%'>\ daneben auch
formen mit -e^ die im modernen Sprachgebrauch kein e haben : das Geheule,
G^esitc/te 1,349,26, ««/s Ferf?e/.-e 1,282, 82, rfas öt'&/e/e 1, 282, 84, Geimde
1,285,4, lfe«e 1, 325, 348, r^esc/iira^e 1, 352,45, Gesc/<osse 1, 239, 87. In
der prosa finden sich formen wie Bette acc. sg. Br. 1,16 höchst selten;
dagegen ziemlich häufig apokopierte formen: nach 3Iaasgab 2,37^,16, das
Äug 2, 353, 6, die Ursach 1, 168, 26, im Geleit 1, 155, 31, der SJclav 2, 392, 33,
das Triumphgetön 2, 392, 14.
Hier ist der ortj um auch die schon viel besprochene stelle auf Vor-
manns Bumpfe springt der Hintermann zu behandeln. Gödeke, A. f. lit.-
gesch. 8, 109 fasst die form als acc. pl. auf, wobei er genötigt ist, Vormann
coUectiv zu nehmen; Düntzer') als dat. sg., ebenso Meyer, Beiträge 1858, 10
und Weltrich 1, 550; Jonas, Erläuterungen s. 77 wünscht annehmen zu
können, dass Schiller neben der Bumpf auch eine form die Bumpfe oder
das Bumpfe gekannt habe. Letzteres ist nicht der fall; dagegen lautet
der pl. von Bumpf stets Bumpfe (vgl. Fulda, GR. 67. Spr. 1, 18, Bumpfe
Si. 33; vgl. Strumpfe S. 2, 241, 28). Die form ist ganz einfach ein falscher
acc. sg. Schiller braucht für den betreffenden vers noch eine silbe; in der
mundart kennt er fast keine subst. auf -e, daher fügt er im uotfall ein -e
an, wo er es braucht, und so gut er es wagen kann, das VerdcJic 1, 282, 82,
die Fronte 2, 19, 5 (so noch S. 8, 285. 10, 197, 6, ebenso noch Br. 5, 60 die Be-
forme), der Christe 2, 139, 12, in Allarme kommen 1, 206, 19 zu bilden, ebenso
bildet er der Bumpfe, wenn der vers es verlangt.*)
Das nicht auslautende flexions-e des gen. sg. unterliegt
auch heute noch keiner bestimmten regel. Schillers verhalten
(I = S. 1, 137—172; II = Br. 36—52; III = S. 2, 4—7 und 14
—19; IV = 2, 101—104. 183—184):
kein -e
I II III IV
nach hochton : plans — planes 30 12 4 1
nach nebenton : Schicksals — sales 7 5 6 3
-e
I II m IV
12 0 2 1
0 0 0 0
Im ganzen ühermegen also die formen mit synkopierung des -e.
Ein besonderer fall ist der pl. von subst., die auf -ie
endigen. Fulda, Spr. 1, 287 erklärt einen plural wie Kniee für
'unzuläsig' und verlangt Knie.
>) Düntzer, Schiller als lyrischer dichter, 1864, 1—2, s. 77.
") Vgl. dazu das ])iblisclie citat: trug Leide um 2,76,2; ferner den
acc. sg. Lohne in : Liebchen nicht um Goldes Lohne, W. Müller.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 311
Schiller bildet im vers, wenn es nötig ist, Harmonieen 1, 216, 15,
sonst aber die PhilosojMen 1, 142, 18, die Knie 2, 200, 7. 331, 15, Idiosyn-
krasien 1, 169, 17, Melankolien 1, 163, 29, Harmonien 1, 159, 23.
Im wortinnern stösst der moderne Sprachgebrauch ein e
nach hochton vor tief ton meist aus; nur vor r bleibt es ge-
wöhnlich. Dieselben Verhältnisse zeigt Schiller.
In der prosa hat er stets FemejrZim/jf 62, 7, EniioiTclumjA^liA^. 150 u.a.,
Verzweiflung lAVA. IQl. Br. 51, Vervolllcomnmung l.^^i^^o (daneben freilich
die ungewöhnlichen Grähehnuj 1,109,26, Heuchelung Br. 10, 23), Verzärt-
hmg2, 22; Verbesserung 1, 142, Verfinsterung 1, 167, 21, Aufmunterung Br.37,
Verbesserer Br. 43, Bereicherung 1, 153, Veränderung Br. 47. Im vers kommt
erhaltung des e auch vor l vor: Verzioeifelung 1,229,80.*)
Das unflectierte adj. und das adv. wird meist ohne e
gebildet, entsprechend der mundart.
Einzelne fälle, in denen e hinzugefügt ist, sind im vers oder reim:
holde 1, 268, 26, aUeine 2, 255, 8, geringe 1, 28, 17, bei auf lange 2, 292, 14
ist wol an ellipse von zeit zu denken, oder ist lange adv.? In prosa ist
mir nur noch nüze aufgefallen 2, 29, 15, das übrigens schon durch den uiu-
laut gegenüber oberdeutsch nutz als fremdwort aus dem mitteldeutschen
gekennzeichnet ist.
Häufiger ist die erhaltung des adverbiellen -e: milde 1,36,7, süße
1,226,7, so teHi/e 2, 230, 3 M (Mang), lange %22i,i 'SL (A^lang), ferne
2, 302 M. 355, 21, neben fern 1, 28, 36. 2, 389, 21. 26. 1, 66, 9, vorn 1, 299, 7,
beinah und beinahe sind gleich üblich, eng 1, 158, 16 etc., eh 1, 66,24. 166,25.
158,4, neben e/te 1, 144. 158,3. Besonders fest ist e in feste stehn 2, 183, 11.
184,9 u.a., stille steht 2,129,20 (SO. 89), stille, stille! 2,51, stille, o stille!
2,-20 (seid still 2, 61). — Zurück, mhd. zerücke, nimmt das e gern dem vers
zulieb au: zurücke l,'o2,h'd. 280,32. 308,36. 187,31; in prosa nur 2, 332, 29
M.*) — Ohne, das in der mundart merkwürdigerweise sein -e stets behält,
kommt in prosa und im vers auch synkopiert vor: ohn 1,251,24, ohn Er-
barmen 2, 168, 21.
Für all und manch bestimmt Nast, Spr. 1, 99 (und 8cliw. m. 1775, 386):
^ aller vor' dem pron. pers. 'und mancher vor einem andern beiwort . . . leiden
bede eine apocope.' Schiller apokopiert jedenfalls auffällig häufig: all unsere
Vorstellungen 1,76,33, all meine Schlösser 2,111,4, bei all ihren Greueln
2, 11, 12, all unsere Thätigkeit, all unser Vergnügen 1, 32, 15, in all ihre
innerste Seiten 1, 34, 1; ohne pron. pers.: all die Henker 2, 59, 2, all die ver-
tvorrnen Schauer 2, 9, 11 ; in prädicativer Stellung: der Wein ist all 2, 115, 3,
daneben aller ihrer Handlungen 1,23,9, über alle ihre Begriffe 1,168,12,
aüe meine Ideen 1,78,13, alle diese 1,79,5; — manch gutes liebes 2,174,6.
') Ebenso ist dem vers zulieb gebildet Ludewig 1,187,48.
^) Später ist zurücke auch in jirosa ziemlich häufig; so begegnet es
sehr oft in S. 4, dann in S. 6, 304, U. 9, 234, 21. Br. 1, 447.
312 PFLEIDERER
Im iimern des worts erhält Schiller das e meist nach dem
hochton; so
eificner 1, 66, 7, zauberisch 1, 100, in S. 1, 95—102 finde ich U fälle
mit erhalnin<]f des e gegen 0 ohne c; S. 1, 151—161 finde ich: ancienommemn
151, offene Iho, (fewagterer Ibö, goldenen Ibl, gegen dunkle ib9. 16i; in
Bi'. 44 — 48 nur worte mit e: verstümmele BrAi, verlorenen Ab, erinnere 46,
getroffenen 47,- angeborenen 48, Friderich 48.
Wenn auf dieses 'innere' e ein r -\- nicht auslautendem
iiexions-c folgt, so sind drei fälle möglich: z. b. anders, andres
und anderes. Schiller stösst meistens das flexions-e aus.
So kommen z. b. S. 1, 151—161 auf 9 formen vom typus anders (unsers
151, anders 151, bessern 153, vorirefflichers 153, iinserm 156, feinern 156,
andern 157, erstem 158, letztern 158) 3 vom typus anderes {kühneren 157,
grösseren 188, hageres 161) und 2 vom typus andres {verlornen 161,
schärfren 161).
Auffallend ist die erhaltung des e in teufelisch 2, 341, 29 in prosa,
während, wie erwähnt, Vcrzweifehing nur im vers vorkommt. ^)
Der Superlativ der adj. wird nhd.i" durch 5^ gebildet,
nur nach dentalen durch -est. Ebenso bei Schiller.
Ausnahmen sind nur: helleste 1, 150, 3, volleste 1, 153, 6,'0 steileste
2, 223, 8 anm. M, stumxifeste 2,^A\,b, {zartfühlendeste %ZbS, 12), theuresten
Br. 12, 4, 2. 55, 24, theuriste Br. 1, 1. 13. Der sup. von grofs, mhd. groezeste
neben groeste, weist schon im 16. jh. überwiegend die zusammengezogene
form gröst auf. Auch die schwäb. grammatiker halten sie für richtiger:
Seh w. m. 1779, 597 : es ist zu schreiben der gröfsste {nnü nicht gröfs' st e);
' denn da ist die auswerffung des e nun gewöhnlicher, als gröfseste.' Schiller
hat wol überwiegend graste 1, 68, 15. 97, 13. 161, 3. 163, 4. 164, 5 etc.,
aber daneben noch sehr oft gröfseste {grosseste, gröseste) 1, 324, 28. Br. 49, 5.
2, 357, 13. 363, 31. 345, 28. 346, 6 u. a.'
Bei den verbalformen kommen für das auslautende e
in betracht die Lsg. praes., 1.3. sg. praet. der schwachen, 1. 3.sg.
conj. praes. und praet, und die 2. sg. imp. der schw. Für die
Lsg. praes. ist zu sagen, dass die formen mit synkope des e
hauptsächlich vorkommen, wenn das pron. nachgesetzt ist:
heifs ich, hah ich.'-'') Doch kommen gerade so gut habe ich,
ivcrde ich vor Avie andererseits ich hah, ich iverd. Die nicht
synkopierten formen überwiegen zwar, wie die zahlen unten
1) Das kann kein druckfehler oder versehen sein ; denn teufelisch kommt
in prosa noch vor S. .3, 115, 13. 7,74,19. 10,211,24.
'0 volleste noch S. 4, 265. 6, 50. 79, 29.
^) Von den 15 fällen von synkope in den Dalbergschen briefen sind
13 vom typus hah ich.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER.
31^
zeigen werden; aber sie sind doch sicherlich in manchen fällen
nur ein mittel der feinern ansdrucksweise. Es ist z. b, gewis
nicht Zufall, dass immer im schlusssatz der briefe an Dalberg,
wo die ungezwungene Schreibweise der mehr förmlichen weichen
muss, die nicht synkopierten formen allein ziu' Verwendung
kommen.
Brief no. 17 verharre ich, uo. 18 wünsche ich, no. 19 empfehle ich, uo. 20
utüeru-erfe ich etc., und Avähreud z. b. Brief uo. 22 noch im vorletzten satz
find ich vorkommt, heisst es im letzten habe ich die Ehre. Im Brief uo. 23
zeigt Br. 52, zeile 9 hör ich und zeile 16 dank ich, dagegen im schlusssatz
habe ich die Ehre.
Auch im praet. der schwachen verba ünden sich die syn-
kopierten formen besonders, wenn das pron. der 1. pers. nach-
gestellt ist: tvollt ich.
Bei der Zusammenstellung der Zahlenverhältnisse nehme
ich die praes. formen des ind. und conj. einerseits, und anderer-
seits die praet. beider modi zusammen (I = S. 2, 4 — 7 und 14
19; II = S. 2, 101—104 und 183—184; III == sämmtliche briefe
an Dalberg).
I
1. sg. praes. ind. + 1.3. sg. praes. conj. 3
1. 3. praet. ind. und couj. {sagt — sagte) i
2. sg. imp. der schw. (sag — sage) 2
Andere beispiele: ich dacht, es 2,322,13, sagt ich 2,249,15, Jconnt
ich 1,86,11, entbrannt er 1,124,108, sagt er 2,37,6. 2,86,25, rmifafst ich
2, 309, 5, schimmert diese herfür und verkündete 1, 214, 10, gabs ein Fressen,
das tcährt bis 2, 33, 7, geboren tcurd Br. 2, 2, 9.
Für nicht auslautendes e beim verb kommen in be-
tracht die 2. 3. sg. praes., 2. pl. praes. ind. und imp., und das part.
praet. der schw. (I = S. 2, 4—7 und 14—19; II = S. 2, 101—104
und 183—184; III = S. 1, 137—172),
mit e (-et) ohne e (-t)
I II III I n m
ohne e
mit c
II ni
I
II m
2 10
9
10 100
0 5
25
12 74
1—1
1
2 -
2. 3. sg. praes. (lobet — lobt) 6 1
2. pl. praes. ind. und imp. (lobet — lobt) 2 2
part. praet. der schw. (gelobet - gelobt) 0 0
19
34 43
98
21 15 )
10 13 42
314 PFLEIDERER
lu den briefeu an Dalberg koninit kein einziges part. praet. auf -et
vor (genötiget Br. 53, 13 ist in einem brief an Schwan).
Beispiele von -e/ aus andern partieu: erfüllet 2, 301, 23 M, erstarret
1,846.49, aWjeztipfet l,2ö\,\d, irciuet 2, 198,22, schrei't 1,2-lb, 18, ras't
1, 347, 74 u. a.
Praet. auf -ete kommen so selten vor, dass ich sie nicht in die Statistik
aufnehmen konnte. Beispiele: lebete 2,11 A.,1, imlmete 2,202,10, iveinete
2, 144, 22, verjilngetr 2, 148, 16, stärmetc 1, 249, 25, hlühete 2, 93, 11. 392, 9.
Ebenso verhält es sich mit den formen der 2. sg. praet. der starken verba.
Beispiele: gäbest 1,27,19, crsch/oiest 1,214, -i, iiuterschiedcst l,o7,l, batest
1,59,4.
Ein besonderer fall von sjmkope ist eine eigentümlichkeit
der mundart, die in der Schriftsprache nicht anerkannt worden
ist: die Synkope des e in der 3. sg. praes. ind. nnd dem part.
praet. der schw. verba, deren stamm auf d oder t ausgeht.
Bei Schiller finden wir: 3. sg. praes. redt 1,35,24. 354,37. 2,95,23;
part. verabredt 2, 32, 19, angezündt 2, 98, 3, hingemordt 1, 260, 33, angericht
1, 191, 158, ausgericht 1, 58, 8, vergoldte 1, 284, 144. Vielleicht gehört hieher
auch ihr möcld 1, 203, 2, falls das nicht falsche Schreibung für mögt ist,
sowie wart! 1, 345, 26, das dem Zusammenhang nach {ihr Schurken wart!)
2. pl. imp. ist. Auch Goethe hat sich z. b. im Götz von Berlichingen öfters
dieser synkopierten formen bedient; Haller hat sie in der aufläge von 1748
aus seinen gedichten gestrichen (vgl. Käslin, Ilaller s. 36). Bei den Schwaben
linden sich viele belege für diese erscheinung: er redte SG. 2, 357, getrost
SG. 98 (im reim), er schneidt SO. 83. 105, gekleidt ST. 32, 8 (im reim); 3. sg.
bedetit SO. 5. 185, vencumlt ST. 21, er mäst ST. 32,7 (im reim); im Schw. m.
gcgründt 1775, 708, angezündt, überredt, findt 1775, 708, empfindt 1775, 470,
bindt 1775,888, findt 1775,206 u.a. In späteren zeiten legt Schiller diese
synkopierten formen besonders leuten aus dem volk in den mund, so in
"Wallensteins Jäger.')
Bezüglich der verba auf -ern und -ein sei bemerkt, dass
sie behandelt sind wie in der modernen spräche, falls ihnen
nicht ein vocal (mhd. i, ü, iu) vorangeht (über letztere s. s. 316).
Versichern Br. 42, erinnern Br. 57, schildern Br. 62, bevmndernd S.
1,148, donnern 1,210,19, modernd 1,295, verfeinern 2,9, verlängern 2,20
U.S. w. ; — tvurzeln Br. 42, enttoikeln 1, 1ö2, lö, lächelnd 1,124:, 129, tändeln
1,248, versammeln 1,222,65, Sammeln 1,154,7 (ein citat aus Garve, wo
bei diesem im original Sammlen steht), rütteln 1, 286, wandeln 2, 12, ver-
ztceiffeln 2,73 etc. Nur der Schreiber von M hat die eigenheit, dass er
fast regelmässig (vgl. S. 2, 222, 1, anm.) statt des modernen -ein bei verben
1) Das furcht sich S. 12,21, bin verpßicht S. 12,27, ihr redt S. 12,41,
findt 8.12,125. 14,333, part. beredt S. 12,287, befreundte S. 11,240, 19, die
übergokUen Zinnen S. 6, 368, 624 (im vers).
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 315
wie bei subst. -len schreibt , d. h. dass er, wie die mundart, nicht das
endungs-c, sondern das stanimhafte e unmittelbar nach dem hochton syn-
kopiert: 7/<cWph 2, 224, 15 M. 235, 8 M, HvVWeu 2, 2(57, 22 M, verziveiflen
2, 252, 5 M und A, Kugicn 2, 249, 7 M. 277, 22 M, wandlen 2, 293, 24 M,
erdrofslen 2,287,13 M: dat. pl. EngUn 2,325, 1 M, prüglen 2,278,18 M;
ebenso 3.sg. bettlet 2,222,1 M, Spieglen 2, 240, 5 M; — mit erhaltung des
'inneren' e: Trommelen 2, 231, 28 M.
Die Vorsilbe ge-.
Im Schwab, findet in den Vorsilben ge-, he-, ze- durchans
Synkope statt; vgl. Kauffmann § 120. Schiller macht nur bei
gt- gebrauch von dieser dialektischen eigenlieit, und auch da
nicht besonders häufig, sondern nur dann und wann, wenn ihm
die bequemlichkeit es rät. Bei den adj., die liieher gehören,
ist es freilich nicht sicher, ob Schiller selbst oder sein 'copist'
sich ihrer in der dialektiscli gekürzten form bediente, da sie
(ausser graä 1, 353, 2 im vers) nur im theatermanuscript der
Käuber vorkommen:
grade Finger 2, 226, 15 M, gnug 2, 262, 7 M. 231, 2 M, gringer Sold
2, 262, 10 anm. M ; A schreibt in allen diesen fällen ge-. Altertümlich bez.
aus versnot entstanden ist die form genade dich 1,187,46.') Durch den
rhythmus genötigt, hat Schiller folgende Schwab, formen verwendet : G'nik-
f(nig 1,202.23, 's g'wittert 1, 'Si9, 6, todg' schlagcii l,2Vi im 'gespräch',
hocJig'studiert 1,261,35,2, ein wort, bei dem ausserdem noch in betracht
kommt, dass wie im mhd. (vgl. Paul, Mhd. gr. § 308), so im schwäb. noch
heute das part. praet. auch der fremdwörter mit unbetonter erster silbe
mit ge- gebildet wird.*)
Die Partikel ge- fällt im schwäb. ganz, wenn in folge der
synkopierung des vocals g- vor einem folgenden explosivlaut
zu stehen kommt.
Die darauf zurückführenden formen finden sich teils in versen: part.
durchkommen 1, 270, 104, part. überblieben 1, 220, 7 (so noch 3, 268, 5.
7,260,31), teils im brief an Scharffenstein : part. gleichkommen S. 1, 60, 3,
zurückblieben ist 56, '6ö, bin blieben öG, 20; nur das ])aTt. kommen, das schon
mhd. ohne gc- erscheint und in der literatursprache nicht ungewöhnlich
war, findet sich auch sonst: 2,90,22. 154,18. 159,1. 191,26. 249,20. 256,22.
301,20; und noch öfter worden, ebenfalls schon mhd. ohne gc- üblich: bin
das Haupt worc/t'/i 2, 326, 7, «.'«c/t /co;Y?eu 2, 310, 11 {^geworden); ähnliche
') So noch genad uns Gott S. 13, 47, grad S. 12, 580, gnug S. 12, 117.
191. 197. 476. 479. S. 13, 22. 88.
-') Die form steht in dem gedieht: Der einfältige bauer, wo die Ver-
wendung der dialektischen form dem Charakter des gedichtchens entsprach.
316 PFLEIDEREK
fälle 1, 56, 19. 58,19- 151,21. 2,36,6. 23,6.203. 211,25. 227,6. 288,24.
169,22. 288,24. 392,24. 334,9 n. a. - fimden 2,75,21, das nur in einem
teil des schwäbischen fnnäcn lautet, ist citat aus der Bibel.
Fulda, (tR. 93 verlangt übrigens für das part. von tcerden = fieri gc-
irordcii. Eine freiheit, die sich Schiller genommen hat und die nicht auf
dialekteigentüinliclikeit zurückgeht, ist die weglassung von ge- in rißnc
Saiten 1,190,132 (im vers; dazu führt Bellermann in seiner Schillerausgabe
9, 36 von Goethe flohene frcndcn an).
Hier mögen noch 'vaus 1, 254, 102, 'nein 1, 255, 129, 'raus 1, 345, 25
ihre stelle finden, da auch sie specifisch schwäb. sind, insofern das schwäb.
in den zusammengesetzten präpositionaladv. hinab, hinauf etc. stets syn-
kopierung der Vorsilbe eintreten lässt (vgl. Kauffmann § 120, 2). Formen
wie r7;Y(»/" 2, 210, 14, r/ran 2, 225, 20 etc., die ebenfalls aiif schwäb. syn-
kopierungen zurückzuführen wären, brauche ich nicht zu nennen, da sie
in der Schriftsprache längst gang und gäbe sind.
Svarabhakti-e.
Bei der diphthoiig-ierung von mlid. ü, i, iu hat sich im
nlid. vor r in folge der halbvocalischen natur dieses lauts ein
furtiver vocal entwickelt. In die schritt findet dieser vocal
erst spät eingang. So schreibt Haller noch Säur, Feur, pl.
Bauren (vgl. Käslin, Haller s. 57). Auch die schwäb. gramma-
tiker verwerfen die einführnng des furtiven vocals in die schritt;
vgl. Schw. m. 1776,35: ^ Des Bauers ist ein saxonismus, der wider
die regeln der spräche anstölst,' und Schw. m. 1775, 319: 'Aus
unkunde der wurzeln entstehen auch feler, in den inf. dauern,
trauern, ... in den pl., Mauern, Steuern etc. anstatt dauren,
etc.; dann die wurzeln sind: dtir, trur etc.'; — ebenda s. 318:
•Die, Sachsen wollen: des Bauern, ... die Bauern. Wir aber
decliniren: des, dem . . . Bauren. . . Wer hat recht? Kann man
zw^eifeln, ob wir recht haben? Sollen wir nachbetten um mit
den Sachsen zu feien?' — Schiller hat jedenfalls so geschrieben,
wie die Schwaben es verlangen.
In dem handschriftlich von ihm vorhandenen kommt zufällig kein
beispiel (für oder wider) vor; dagegen in den drucken- die dissertation
(Cotta, in S. 1) hat trauren 1, 166, 5, dauren 171, 22, allerdings daneben
dauernd 171,9. 174,33; in den Erhardschen Schriften: traurt 1,42, feyren
1, 44, Mauren 1, 122, 73, traurenden Arch. f. lit.-gesch. (S. 1, 359, 83 trauern-
den); Mäntlersche drucke: ausdatiren 1, 11^,25, »S'/cwr 1, 179, 47, neben
dauert 1, 183, feye.rn 1, 180, 65; Metzler: hedauren 2, 6. 50, Bauren 2, 25, 21,
Zawren 2, 93,7. 112,2, Mauren 2, HG, 25. 132,20, dauren 1,210,16, lawren
1,316,67, — mauren 1,250,48, Thearen : feyren 1,352,62, Leyr 1,261,45,
Feu'r : theur 1, 253, 83 ; — daneben Schauern 1, 214, Ungeheuern 1, 215, 13,
SPRACHE DES JUNGEN SCfliLLEK. 317
steuern 1,297, schauernd \, 302, 1r((i(rnHl \,S1\: die bühnenbearbeitung der
Räuber: hedauren 2, 217, 23 A und M, du bedaurest 2, 217, 24r A und M,
laurend 2, 258, 25 A und M, Mauren 2, 270, 25. 330, 22 A und M, lauren
2, 271, -4 A und M, Stadtmauren 2,227,23 A, her ahf euren 2,20,2,12 A, Mauren
2, 285, UA, während M in den 3 letzten stets -ern bat; Z«Me>H 2, 297,11 A,
lauren M. ')
C. Consonantismiis.
Im Schwab, haben wir Spiranten und explosivlaute nur in
stimmloser form; ausserdem existiert bei h und j), d und t kein
unterschied von fortis und lenis; daher haben h und jj, d und t
denselben lautwert (vgl. Fischer, Geogr. § 51 ff.; von fällen wie
hell- : hh etc. und p in fremdwörtern ist abgesehen).
Die Schwab, grammatiker bemühen sich vergeblich, zur
Unterscheidung von h und p, d und t schreibregeln aufzustellen.
Fulda sagt schliesslich GR. (56 über d und t bez. ebenda) s. 51
über h und jk 'Uebrigens ist weiter nichts zu thun, als dalf man
das umständliche h'' ... vor andern consonanten mit demjenigen
blaslaut fortschreibe, den die gewonheit einmal festgesezet hat,
denn kein innerlicher Charakter ist nicht da, warum man bald h,
bald p schreibt in hlau, plaudern' Als beispiele dafür, dass
man 'sogar vor vokalen' ohne allen grund bald fortis, bald lenis
schreibe, führt er s. 56 toll, Dolch, Tod, Dote, tunlen, dünhen
an. Ebenso sagt Nast, Spr. 2, 64: Gnoch, Glage, Bsalm, Bfund
etc.: 'Wäre der gebrauch nicht wider dise Schreibart, so würde
ich sie allemal vorziehen, weil sie vernünftiger und warer ist, als
das gewönliche P^aw(:?erw. etc.' Und ebenda s. 65: 'Ganz Teutsch-
land schreibt: Tay . . . und in ganz Schwaben, wie auch in
der Pfalz . . . , spricht man alle dise Wörter mit d. Ist die aus-
spräche richtig, ... so mus die Schreibart geändert werden, so
änderst die etymologie nichts darwider einzuwenden hat.' Diese
bemerkungen zeigen uns, dass selbst die gebildeten des dama-
ligen Schwabens auch in der gesprochenen Schriftsprache keinen
unterschied von h und p, d und t kennen. Die Unterscheidung
in der schritt ist für sie ohne 'innerlichen Charakter'.
Daher sind die massenhaften reime von d und t, z. b.
baden : braten S. 1, 270, I'faden : T/iatcn 1, 47 etc. (vgl. S. 1, 385)
') Von Schillers band findet sich noch dauren Br. 5, 315, Mauren Er.
5, 351, dauren Br. 6, 253. Aus den drucken führe ich noch an Blauren S.
14, 16, Jaurend S. 14, 105.
318 PFLEIDEUER
für das scinväb. olir durchaus rein, und das wai'en sie vor
120 jaln-en offenbar, selbst wenn der leser sich bemühte, 'hoch-
deutscli', d. h. dem Schriftbild gemäss zu lesen.
Ans Scliubart führe icli nur eine answahl von beispielen an: Laby-
rinthen : finden ST. l), 5, Weile : Kleide ST. 14, 3, iräten : Frieden ST. 115, 10,
Boden : Todien SG. 135. 22, Fropheten : Beden SGr. 2, 114, Wunder : herunter
SG. 190, 'weidet : leitet SG. 2, 22, breitet : gekleidet SG.2,58; aus dem Schw.
m. : Wunder : herunter 1775, 473, unten : Wimden Yilb, 713, hörten : Heerden
1776,332. Für b — p ist zufällig aus Schiller kein reim belegt; aus Schu-
bart z. b.: Pompe •. Katakombe SG. 2, 5ü. Diese art des 'unreinen' reims
ist (neben solchen von i : ü, ei : eii) diejenige, die in den späteren dichtungeu
Schillers am häutigsten vorkommt.
Aus dem Charakter dieser explosivlaute im schwäb. er-
klären sich auch folgende unterschiedliche Schreibungen:
Hauht 1,87,1. 83,22, Haupt 1,103,3 u. sonst, Budel 2,85,8 in der
aufläge von 1781 gegenüber Fudel der übrigen auflagen, vgl. Budel SO. 34 ;
Bursche 2, 32, 10 gegen Bursche 2, 78, 15, vgl. Bursche Si. lOG. Ergözlichk.
1774, 1,389, 2^«r.sc/t Schw. m. 1775, 500, gegen Barsche, die ständige Schrei-
bung von Fulda und Nast (vgl. ausserdem Bahder s. 236), prüllen 2, 258, 7 M,
^niWejt 1, 131, 87 u. a. ; Tummheit l,i-i%,'ib, Dammlcopf 2.illb {Tummheit
Ergözlichk. 1774, 1, 334), Bunden 2, 92, 1. 342, 19. 257, 23 A, Lunten 2, 257,
23 M; bund2,in,6. 311,21 M, bunt 1,217,23. 2,311, 21 A; Borden 2,94:,12.
31,17. 86,13, gegen Borten in spätem auflagen; gescheid 2,231,9 u.a.,
gescheiiter^) 2, m, 27 n.fi.; siebende 2, 320,18 M, siebenter 2, 328,1; gemiltert
2, 308, 19 M, mildern 1, 211, 41 ; Tinte 2, 28, 7, Dinte 1, 208, 67. 245, 5.
2,224,15 anm. 384,10; ungedidtig2.,o7-l,8, Gedult 2,301,1, unschuldig 2,228,3.
— Ueber das verhalten der vv^örterbücher bis ins 18. jh. hinein vgl. Bahder
cap. 11 und 12.2)
Teutsch ist die durchgehende Schreibung der schwäb.
grammatiker im Spr., (iß. und Schw. m.; sie verlangen diese
Schreibung ausdrücklich Schw. m. 1775, 786. Ergözlichk. 1774,
1,348. GR. 56; verdeutschen lässt Fulda gelten, aber nur weil
es bedeute deutlich machen; dagegen 'teutsch von Tuisco, und
Teutones! Sicherlich hat der junge Schiller nur teutsch und
Teutschland geschrieben.
^) Bei letzterem kommt allerdings noch in betracht, dass man das
wort als part. praet. gescheut zu scheuen auff'asste; vgl. s. 288.
'■') Von späteren Schreibungen erwähne ich: überhaubt Br. 1,88. 101.
117, behaubtenBr. 1,129, Haubtsache Br. 1,14:7, Fursch S. 11,314, purschikos
S. 12, 33, Jügerpurscli S. 4, 65, 31 (vgl. auch unbäj'slich 4, 150), Binte Br. 1,97.
S. 12, 158, dausend Br. 1, 410. Im übrigen verweise ich auf Gödekes glossar
in S. 5.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 319
Deutschland kommt vor 2, 248, 17 A und M. Br. 65, 28, rleuisch 2,280, 5.
231,12. 155,12; die stelle Br. 65, 28 ist einem brief entnommen, bei dem
nicht die Schillersche handschrift dem druck als vorläge diente, will also
nicht viel sagen. Alle übrigen stellen in liandschriften und drucken
haben t: teutsch Br. 57, 10. 50,16. 8.1,248,10. 208,55. 353,56. 2,344,12.
372, 7. 390, 21. Haug, Z. 455 etc., Teutschland Br. 54, 13. S. 1, 202, 22. 166, 11.
51, 34. 2, 3, 20, 389, 20. 236, 18 M. 224, 12 M. etc.i)
Nach dem oben über t — d gesagten reimt auch ^ und ds
ebenso gut wie s und ts; so betrachten auch die grammatiker
den Sachverhalt: Schw.m. 1777,159: '^ ist ts oder ds'; Spr. 2, 35:
^z gilt izo für die zwen buchstaben ds und ^5.'
Reime: Stolz : Golds 1, 185, Tanz : Lands 1, 208 {herz : icürts 1, 46.
128. 231). Ueber die Schreibung z für ts s. s. 291.
g und h kommen für uns hier nur an- und auslautend in
betracht. Inlautend fallen sie lautlicli zusammen, da im inlaut
h als lenis erscheint und also mit (dem stimmlosen, vgl. s. 317)
g gleichwertig ist (vgl. Fischer, Geogr. § 58); tritt dagegen g
in den auslaut, so erhält es aspiration imd fällt lautlich mit k
zusammen (vgl. Kauffmann §156,3; ausnähme: -ig, s, sofort
nachher).
So erklärt sich die Schreibung iceggaugelst 2, 277, 20 M neben gaukelst
1,273,5 u.a. aus dem lautwert des inlautenden k. Folgende reime sind
daher rein für den Schwaben: Werke : Zu-erge 1, 221, Bergen : Werken 1, 179,
lügt : rückt 1, 191 (abgesehen von der quantität des vocals); weg : kek 1, 352,
weg : Spek 1, 212, hegt : nekt 1, 178; vgl. Zweck : iceg SG. 59, deckt : fragt
Schw. m. 1775, 708 u. a.
g wird auslautend zu palataler spirans in der silbe -ig, ein
Wandel, der nicht genuinschwäb. ist, sondern aus dem fränk.
herübergekommen zu sein scheint,'^) trotzdem aber in einem
1) Ich weiss nicht, wie Minor (Zeitschrift für die Österreich, gj-mnasien
1888, s. 1065) dazu kommt, zu sagen: 'Schiller blieb trotz aller Propaganda
(Haugs Schw. m. 1774 und 1776) meistens bei deutsch.' Vielmehr schreibt
er nachweislich stets /fid.sr/< bis 1784: to(/«7t Br. 1, 78, 16. 108,13. 138. 162
unten. 204. Deutsch ist widerum nur in briefen aus dieser zeit zu finden,
die nicht im original dem druck bei Jonas als vorläge dienten: deutsch
Br. 1, 170. 187. 65. 206 (sämmtlich nicht handschriftlich!). Das erste
deutsch in einem Originalbrief finde ich Br. 1. 223, 9, brief vom 7. dec. 1784,
dann Deutschland handschriftlich Br. 1,304. 360; darunter hinein auch wider
teutsch Br. 1, 319, 4. 405: später dann nur noch deidsch, z. b. Br. 2, 80. 4, 429.
[-) Für echt schwäb. abkunft des wandeis spricht aber der analoge
Übergang von unbetontem -ik in -ich in Wörtern wie chrönik, mäsik
etc. E. S.]
320 ITLEIDERER
grossen teil des sclnväb. statt liat. Da -ig besonders gern
adj.-endung- ist, denkt man ancli an einwirkung der adj. auf
-lieh (vgl. Fischer, Geogr. § 54. Fischer, Germ. 36, 428. Fischer,
Württ. Vierteljahrshefte 1884, s. 133).
Seiner ausspräche gemäss schreibt daher Schiller -ich statt -ig in
gesprächich J, 111,10 {mhd. gesprcechec), mann/chfaU/g Br. 11,19, Mannich-
faltigkeä Hang, Z.iöS neben munnig- 1,112,2 (mM. inunec), auf der andern
Seite aber auch -lig statt urspr. lieh in allmählig 1, 225, 4:1. St.-anzeiger 229
(mhd. almechlich); vgl. Schubart: schäbich SG. 2, 310.
Nast, Spr. 2, 62 nennt -ich fehlerhaft: 'Am ende einiger
Wörter sprechen ... die Schvi^aben , wenn sie nachläsig reden,
ein ich aus : traurich . . . statt iraurig. . . Allein dise ausspräche
ist tadelhaft.' Fulda, GE. 83 scheidet genau zwischen -% und
-lieh: 'Gehört das l zur wurzel, so schreibt man das bei wort
mit -ig. . . Kho ölig, unsälig. . . Gehört das l nicht zur wurzel,
so ists die eigene partikel -lieh, frölich, ... allmählich.'^) —
Aus dieser ausspräche von -ig als -ich erklärt sich auch die
Schreibung -igt neben -icht in den betreffenden adj. und subst.
(vgl. darüber unten 'Wortbildung A').
Vielleicht gehört hieher auch die Schreibung Siegbett 2, 307, 27 A
(M Siechbett).'^) Dagegen ist mögte, die charakteristische Schreibung des
copisten von M (vgl. 2, 215, 4, anm. von Gödeke), wol als etymologische an-
zusehen (dieselbe Schreibung findet sich später von Schillers band: mögte
Br.6,344. 7,154; dazu mogte S. 9, 142).
Es reimt -ig auf -ich nur in Ludeioig : dich 1, 187.
Anlautend g — gegenüber nhd. j — hat das schwäb. in
gäh erhalten aus mhd. gcehe. Die nhd. form jähe ist durch
dialektische einflüsse zu erklären (vgl. Wilmanns, Gr. 2, § 318, 7).
Bei Schiller findet sich einmal jach 1,342,33, das er wol aus der
spräche der Bibel herübergenommen hat (Spr. Sal. 21, 5. Sirach 28, 13) ; sonst
^ä/te 1, 170, 24. 260,34. 283,122. 2,346,7. 346,21, ^äWm^/s 1, 335, 649.
2,136. 389,20 (ebenso gühe ST. 76, 2).»)
1) -ich für -ig auch später noch oft: (/es^räc/wcÄ S. 4, 316, 8, mannich-
f altig S. 3, 519, 22 u. a., MannichfaUiykeit Br. 1, 107 u. a., vollzählich S.9, 93, 12,
untadelich S. 6, 298, 13, udelich (historisch richtig, da mhd. adellich) S. 3, 367.
4, 101. Br. 1, 383 (ebenso Si. 210. 229), umgekehrt ullmühlig S. 6, 42, 1. 7,250.
9, 37. 112. 12, 549. 13, 174. 14, 70 etc.
'■') Ist wol eher einfach als zufälliger Schreibfehler zu beurteilen.
■") Später noch gühe S. 3, 80, 8. 5', 31. 5'-', 158. 6, 367, 643. 11, 85, 51
(Spaziergang;. 11, 222, 64 (Taucher), gühlings ii.b\14:,22ö. 11,84,32. 14,374
(Teil), gühstotzig S. 14, 372, daneben jäh S. 6, 82, jählings S. 6, 407 u. a.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 321
Anlautend y, g-egenüber älterem j, zeigt das nhd. in Gauner
Das wort stammt aus dem hebr. nr und beg-egnet in der jetzigen
form und bedeutung zuerst bei Lessing 1753 und dann in den
Räubern; das anlautende y hat noch keine erklärung gefunden.')
Schiller hat entsprechend der schwäb. raundart meist Juuner 1, 209, 86.
2. 44, 15 M. Jmincrliorden 2, 858, 20; dazu Jrnwer 2. 82, 12 in den ausgaben
von 1782 — 99; ebenso SO. 131; daneben in den Käubern Gauner 2,82,12.
231, 17 A und M. 233, 17 A. 40. 101. 2)
Da es im obd., wie erwähnt (vgl. ausserdem Paul, Mhd.
gr. § 95), überhaupt keine stimmhaften consonanten gibt, so ist
auch an einem reim wie Sldaven : schlafen 1, 341 nichts aus-
zusetzen, ebensowenig am reim s : ss (falls es mit der vocal-
([uautität seine richtigkeit hat):
J?o.se : Schoofse 1, 190. 228, Bo^e : schlofse 1, 29, Gemusel : Geifsel
1, 237, Eisen : entreifsen 1, 127, {Bösen : gegoßen 1, 28).
Auch Felsen : tvälzen 1,217 ist zu entschuldigen, da sich zwischen
dentalen consonanten {l — s) gern ein übergangslaut d entwickelt.
Dass ks, chs mit x gleichbedeutend ist, erhellt aus s. 319;
es reimt daher schwäbisch rein: Füchse : Styxe 1,208, Büchse :
Crucifixe 1, 192.
Vom mhd. zum nhd. liat sich s vor l, m, n, tv zu seh ent-
wickelt. Ein anlautendes nd. siv- wird daher im mund eines
Schwaben leicht zu schiv-; so macht z. b. Schiller aus einem
Sivanmierdam einen Schirammerdani 1, 157, 16 (vgl. Weltrich
1, 557). Die alem. mimdarten haben diese entwicklung des
5-lauts weitergeführt und st, sp im anlaut ausnahmslos zu st,
sp verschoben; auch im in- und auslaut beherscht diese Ver-
schiebung das ganze gebiet der schwäb. mundart (vgl. Fischer,
Geogr. s. 61). Daher reimt: ist : enttvischt 1, 179 schwäbiscli
rein. Vgl. dazu Fulda in Haugs P^rgözlichk. 1774, 2, 69 ff.:
'Entweder mus der Hochteutsche überhaupt wieder aufhören:
sehleim . . . zu schreiben und zu reden, oder er mus den Schwa-
ben entschuldigen, wenn er fast allein noch fortfährt: schpecht,
schtolz, und folglich auch am ende Imoschp, und für jedes st,
wenn es änderst nicht aus -sct zusammen gezogen ist ... , ein
seht {du bischt, er Ischt) zu sprechen. Denn der grund von
beiden ist völlig einerle}-. Und es bleibt gewaltsamkeit und
partheyisches unrecht, dem p und t zu veisagen, und vormals
») Vgl. Kluge, Et. wb. Wilmauns, Gr. 2\ § 226.
3) Jauner noch S. 8, 194, 16. 211, 15.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVUl. 21
322 PFLEIDERER
versagt zu haben, was den andern allen billig und rec-ht ge-
achtet worden.'
Altes h ist im inlaut im grössten teil des schwäb. gebiets
durchaus verschwunden (vgl. Kauffmann v< 158, 3. Fischer.
Geogr. s. 62).
Hierher .mag die Schreibung (ßüen 1,284,12. 231. 302 u.a. gegenüber
dem jetzt üblichen filüheu gezogen werden, insofern das nhd. secundäre //
(flliihen aus mhd. (ßüejen) im schwäb. hier dasselbe Schicksal erleidet wie
das alte h-, ferner die reime i^prühen : knieen 1,353, Fee : höhe 1, 189, wo-
bei freilich Fee zweisilbig zu lesen ist. — Aehnlich reimt Schubart: Weihe
: Treue SG. 2, 58.
Auslautendes h fällt im schwäb. meist, wegen der daneben
stehenden formen mit inlautendem //. Bleibt es erhalten —
so im Süden und osten der mundart — , so wird es zu rh (vgl.
Fischer. Geogr. s. 62).
Schiller hat neben rauh 2, 49, 5. 1, 332 auch nwch 1, 351, 28, nach zu
= nahe zu 2, 41, 9 ; letzteres findet sich auch bei Haller, vgl. Käslin s. 14. ^)
Für das auslautende tv gibt es im schwäb. kein lautgesetz
(vgl. Fischer, Geogr. s. 40); soweit es erhalten ist, erscheint
es als b.
Hierher gehört nur falb 1,28,33, das auch von Goethe öfters ver-
wendet wird : Schiller kann es übrigens auch aus Haller übernommen haben,
da das wort nur im gedieht Der abend vorkommt und folb ein lieblings-
wort Hallers war (vgl. Jonas, Erläuter. s. 5).
Auslautendes m des mhd. ist nhd. -n in Boden; die alte
form findet sich noch in Bodem 2, 258, 8 M.
Auslautend -n gegenüber nhd. üblichem -m zeigt lohesan 1, 303, 8,
eine form, die auch sonst in dichterischer spräche gern verwendet wird, —
und T/mr/( 2, 254, 19 anm., Fulverthvrn 2,93,22 {-thnrni hier erst von 1812
an), tichuldihiirn 2, 40, 17 in den ausgaben C 1782 und Ch 1782, Fulverthurn
2, 101, 17 ausgäbe F. Die übrigen stellen liaben -w: Thnrm 2, 8H, iö. 95,3.
259, 110 A und M. 254, 19 M, Pulvert hvrm 2, 259, 3 A und M, Schuldthwm 2,
231, 21 A und M. Die form auf -n ist die oberdeutsch mundartliche, die auf
-wi herscht in Thüringen und Obersachsen (vgl. Kluge, Et. wb.). Luther hat
türm und turn ; bei Goethe wird -n aus Göz v. Berl. V: Gürtchen am Turn
angeführt.
Entgegen dem nhd. üblichen lautstand hat Schiller Eatze 2, Gl, 17.
242, 1 (neben Hatte 2, 157, 13) und rtlamn (--= Flaum) 2, 238, 2. 49, 5. Batze
ist die obd. form 2) mit regelrechter lautverschiebung, während die schrift-
1) rauch findet sich bei Schiller nur noch S. 15^ 327, 10 (im Demetrius)
in einer sentenz, wo das wort an reich anklingen muss.
'■') Neben der aucli im oberdeutschen munda)-t]iclien form Jiati.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 323
sprachliche form aus dem nd. stammt: Pflaum, nhd. pfluma, mhi. 2>hlüme
zeigt el)enfalls die in der schwäb. mundart im anlaut durchgehende Ver-
schiebung von germ. 2^ '• pf (vgl- Fischer, Germ. 30, 430). Eatze kann ich
aus Spr. 1,59 {' Jxatt, Eaz, sächsisch die Hatte''), Fflamn aus Fulda, GR. 05
und Spr. 1,23 belegen.»)
Nach s-lauten entsteht oft ein sog. parasitisches t, das be-
sonders in den mundarten wuchert.
Ausser den von der Schriftsprache angenommenen sonst
etc. führe ich aus Schiller an:
amlcrst Adv. 2,123,10. 278. 27 A C^tL anders), amlerslwo 2, 25G, 18 M
(A anderswo), nichts änderst 2, 287, 18 M; die form Hesse sich aus der gleich-
zeitigen schwäb. literatur unzählige mal belegen; ich führe nur an SG. 2,
vorr.O. Schw. m. 1775, 4. 444. 50L Fulda, GE. 92. Fulda sagt GR. 87 f.:
'Daraus (sc. aus adv. auf -ens) ist, um einen unterschid vom bei wort zu
machen, eine eigene nebenwörtliche endung in -.s( entstanden, einst, änderst,
mittelst. Ob man wol so recht thut, dals man sie wieder abgehen lassen
will?' und derselbe in Hangs Ergözlichk. 1774, 2, 74 bemerkt, es stehe
noch 'zu fürchten oder zu hoffen, ob' das schwäb. adv. änderst erhalten
bleiben oder von dem gebrauch vertilgt werden werde. — Ferner hat
Schiller Erzl = Erz 2, 40, 5 A neben Erz 2, 235, 5 A und M. — Änderst und
Erzt linden sich auch ])ei Haller, vgl. Käslin, Haller s. 53.
Der in der Schriftsprache übliche übergangslaut fehlt in einsmals 2, 172, 1.
312,8; dagegen findet er sich entgegen dem schriftgebrauch in Geheimde
Roth (das d zu erklären uns der zusammengezogenen form Gehcimrath)
Br. 1,39,9, auch bei Haller belegt, s. Käslin, Haller s. 53: weiter in ver-
irorrendste 2, 337,21.-)
- Ueber das Verhältnis von ahnden zu ahnen scheint man
noch nicht ganz klar zu sein. Die form ahnen erscheint erst
spät mild.; Kluge, Et. wb. erklärt es als ableitung von der prä-
position an: die ableitung von ahnden (so in den Wörterbüchern
von Paul und Heyne) als neubildung zu der 3. sg. mir ant ist
aber fast einleuchtender. Die classiker des 18. jh.'s haben in
ihren älteren Schriften immer ahnden.
So auch Schiller: ahnden 1,179,34 2,17,11. 221,5. 394, 11 u, s.w.;
ebenso stets in den brieten; Ahndiimj 1,107.2. 2,14,18 etc.; Ahnumj
1,294,34 ist wol auf rechnung des setzers zu schreiben; es ist die einzige
stelle beim jungen Schiller, die den ausfall des d aufweist. Auch Schubart
*) Ratze findet sich nie mehr in Schiller: dagegen Fflamn in pflanmen-
roeich S. 13, 56 (Macbeth).
*) Änderst begegnet nie mehr bei Schiller; dagegen Erzt S. 0,190.
200.215. 7,241,32. 11,296,125, erstbeschh((jenS.6,310,GQ8U: einsmals \g].
Gödekes glossar S, 5; Geheimderäthe S. 7,93,11.
21*
324 PFLEIDERER
und IVIiller-Siegwart haben stets (thnden.^) Ahnden = strafen u\2,21\,\\.
112, 10.''')
r.
Während Schiller nur fördeni (2,44,5) und befördern (1,157,30)
schreibt, hat er in seiner jugeudperiode fast ausschliesslich die form fodern
Br. 43, 14. 58, 24. S. 1, 7G, 14. 147, 1. 2, 185,3. 380,2 u.a.; daneben ganz ver-
einzelt fordern Haugs Z. 457. S. 1, 216, 6, erfordern Br. 37, 21, Forderung
2. 4. 6. Schiller hat zeitlebens die form ohjie r vorgezog'en. Miller-Siegwart
hat nur fodern, Schubart, SG. und SO. vorwiegend fodern. Die form fodern,
die aus fordern durch dissimilation entstanden ist (vgl. Behaghel, Germ.
23,32), gehört der literatursprache des IS.jh.'s an (Kauffmann, Deutsche
gr. § 45, 2), kommt aber auch schon früher vor, so bei Luther, lieber die
Verwendung beider formen bei den Schlesien!, Haller, Klopstock, Lessing,
Herder, Kant u. a. vgl. die Zusammenstellung bei Käslin, Haller s. 21. *)
In der composition von hie und da bleibt das sonst nacli
dem langen vocal der einsilbigen Wörter fallende r erhalten,
wenn ein vocal folgt. Das lautlich correcte hie galt bis an-
fang des IS.jh.'s allgemein, wurde dann aber von seinen Ver-
bindungen hierinn etc. aus durch hier ersetzt.
Schiller bedient sich im reim der formen je nach bedürfnis: hier
1,275,20, hie 1.275,30. In prosa ist hier das übliche: 2,217,2- 222,10.
1,174,11; ebenso sonst ausserhalb des reims 1,311,12.15; daneben auch
hie 1, 174, 5. Dagegen stets hie und da 2, 379, 25. 384, 15. 25. 385, 29.
Haug, Z. 460. Br. 46 u. a. Die compositionen sind regelrecht hiehei 1, 131, 1.
2. 376. 18. 382, 25. 1, 145, 26. 233, 56, hieher 2, 249, 20, hiezu 2, 355, 13 etc.
Aus den Verbindungen darum, worauf etc. ist dann das r
^) Das erste handschriftliche Ahnung linde ich Br. 3, 117; daneben
aber wider Ahndung Br. 3, 138 und später; der handschriftliche nachlass in
S. 15-* hat noch meist ahnden und Ahndung. In den drucken finde ich
zum ersten mal ahnen S. 9, 386, 13; in S. 9 sonst stets ahnden; S. 10 hat
wider nur ahnden (S. 10,70. 223. 533, Ahndung S. 10,27), dagegen S. 11
hat ahnden nur in S. 11, 176, sonst stets ahnen: in 8.12 begegnet kein
ahnden mehr (ahnen S. 12.154. 184. 197).
^) Düntzer, Schiller als lyrischer dichter 1. 2, 43 bemerkt: ^Ahnden und
ahnen braucht Schiller in der bedeutung von dunl-el rorempfinden, nur
letzteres als strafen.' Die bemerkung ist unrichtig.
^) Aus der nachschwäb. zeit habe ich in Br. 1 . band nur 16 fodern
gegen 12 fordern notiert. Das kann zufall sein; jedenfalls sind die drucke
später stets mehr für die formen ohne r: z. b. S. 7, s. 1—200 finde ich 20
fodern gegen 11 fordern; S. 12 Maria Stuart hat 17 fodern und 3 fordern;
AVallenstein 16 fodern, 2 fordern. In einem teil des handschriftlichen nach-
lasses in S. 15', den ich genauer auf unsere formen hin durchgesehen habe,
stehen immer noch 18 fodern gegen 4 fordern ; ebenso S. lo'^ in Demetrius
18 fodern, 2 fordern.
SPRACH?: DES JUNGEN SCHILLER. 325
auch in solche mit cousonaiitisch anlautenden adv. übertragen
worden, so dass, besonders im älteren nhd. bis ins 18. jh., viel-
fach formen wie iconlurch entstehen. Die formen sind beson-
ders bei Sclnvaben leicht begreiflich, da im schwill», formen mit
r sehr üblich sind: drdnr, drneohj, vgl. Kauffmann §120, 2 e.
Fulda äussert sich folgendermassen zu diesen formen GR. 89:
^Da, ICO und hie nemmen, wolklangs lialber ein r zwischen sich,
wenn zwen vokale zusamenkämen. Aber sonst nicht. Ausser
Avo man gleiclisam deutet, und man dieses r für ein ver-
schluktes, lier, ansehen kau, wo und wohin zu bezeichnen, dar-
durch{daherdurcli), tvorfür (zvolierfür), Jiiernehen (hieherneben) — .'
Dieser erklärungsversuch ist natüi'lich nur ein notbehelf gegen-
über den vielfach auftretenden formen mit r.
Bei Schiller sind die mit r sehr häufig: darzn 2, 243, 22. 363,2. 259,23.
129,11. 95,t(;. 99,7. (;3,1(). 1,51,33. 148,30, darduirh Br. \ AI. \ö. S. 2,27,9.
1, 153, 33 (im original bei Garve dadurch), ^) darzioischeu 2, 332, 1, darwiedcr
ßr. 1,26. 5, loordurch 1,157,1. 154,22 (im original bei Garve ebenfalls ?ro-
durch),'^) irornach 1, 357, 26. daneben bei allen diesen Wörtern formen ohne r:
dazu 2,27,20. 263,14, dadurch 2,340,11, rfanac/t 1, 115, 29. Br. 1, 27, icozu
2. 226, 3. Der copist von M hat anffallenderweiso eine teudenz zu formen
ohne /•, während A dann meist die mit /• eingesetzt hat: f/a.iit 2, 215, 20 AI,
ii-ozu 2, 226, 3 M. — Auch das veraltete isolierte dar verwendet Schiller
noch in auf mich dar 2, 34. 14. — Die schwäb. Schriftsteller der zeit schreiben
gerne darzn Schw. m. 1175, 7. 992, darzwischen Schw. m. 1775, 446, dardurch
Sehw. ra. 1776, 96, darhinter Si. 175, icordurch Schw. m. 1775, 148, icorzu
Schw. m. 1775, 446 u.a. Auch für dar finde ich belege: hier und dar ST.
10,14, von dar Si. 2, 137. 3)
Wie in wo, da das alle ;■ geschwunden ist. so entstand
aus ahd. er mhd. e. Für e ist md. ehe eingetreten; die obd.
form lautet eh. Aus ]\ritteldentscliland kommt dann auch die
vom adjeeti vischen comparativ alid. h-iro, mhd. erer, erre
herübergenonnnene form des adv. rJur in die Schriftsprache,
die jetzt das alte ehe in gewissen functionen ganz verdrängt
hat. Eh als Rdv. = früher, vorher, 'eher' findet sich im 18. jh.
noch häufig, selbst bei Klopstock, hauptsächlich aber bei den
Oberdeutschen. So bei Haller, vgl. Käslin, Haller s. 67. Der
•) Garve, Anmerkungen zu Fergusons Moralphilosophie, Leipzig 1772,
s. 319 ff.
0 Ebenda s.321.
■') Die formen war-, dar- '•«>"«• etc. werden spätei' selten; einzelne be-
lebe s. in Gödekes glossar S. 5.
326 PFLEIDERER
junge Schiller verwendet für die bedeutung ^•on früher etc.
nur die oberdeutsche form:
eh soll — bis 2, 311, 25, che Mit' er geschrieben 2, 221, 18. 55, U,
ich habe loofd ehe — iceggeschossen 2,99,21, eh nannlest du mich so
1,317,109, eh — als 1,152,20.')
Anhang.
Die schwäbischen reime Schillers in nachschwäbischer zeit.
(Reime wie i-.ü, ei-.en etc. lasse ich ausser betracht, da solche sich
wol bei jedem deutschen dichter finden werden.)
c: ö = {'.: e: Götter : Retter S. 4,29,53, gegönnt : brennt S. 4,29,57,
Höhn : stehn S. 6, 387, Höhn : Seen S. 6, 397, Sarazenen : Söhnen S. 6, 5,
gehen : Höhen S. 11, 402, See : Höh S. 11, 220, 9, kehrt : gehört S. 11, 222, 45,
gewehrt : zerstört S. 6, 349.
an : in: Finger : Sänger S. 4, 17, 10, hängt : zicingt S. 4, 181.
an: ön: unter thänig : König S. 11,230,6 (Ring des Polykrates).
en : in: enden : schwinden S. 4, 13, 130, Verdienst : kennst S. 4, 181, 38.
cn : ün: Menschen : Wünschen S. 4,20, 1.
Zu ä : ö ist zu bemerken, dass Schiller selbst S. fJ, 325, 25 blähn : schön
einen unechten reim nennt. — Bei den nasalvocalen {an : ///, an : ön, cn : in,
cn : ün) habe ich mich bemüht, vollständig zu sein ; es gelang mir aber nicht,
mehr belege zu finden. Der von Gödeke in S. 1,384 unter an : ün an-
geführte reim bändigen : sündigen S. 4, 23, 8 ist zu streichen. Die beiden
verse müssen nicht reimen, dem Zusammenhang nach.
an : ahn: Wahn : an S. 4, 26, 76, -bahn : an S. 4, 28, 27, Unterthan :
voran S. 6, 269, 161.
d : t: vorgeladen : entrathen S. 4, 25, andern : Panthern S. G, 5, sollte :
Golde S. 6, 7, 5, Moden : geboten S. 6, 28, Freuden : zweiten S. 6, 177, ein-
gekleixlet : verbreitet S. 6. 190, Boden : Todten S. 11, 391, 22, Zauberworten :
Morden S. 13, 98, Ffaden : entrathen S. 14, 55, befehden : tödien S. 14, 22 ;
Heerd : kehrt S. 6, 392, 209, Lied : flieht S. 11, 394, Lied : glüht 8. 6, 7, Wort :
Mord S. 13, 5, Boot : Tod S. 14, 106.
-h- : — : entweye : Reue S. 11, 56, 52.
Weitere consonantisch unreine reime finde ich nicht. Auf eine Zu-
sammenstellung der reime, die hinsichtlich der Quantität der vocale unrein
sind, habe ich verzichtet. — Obige Sammlung zeigt, wie rasch Schiller von
seinen schwäbischen 'Untugenden' gelassen hat, und wie bald er sich den
anderswo geltenden ansi(;hten über reinheit des reiras anzupassen wusste,
wenn ihm auch mitunter noch spät ein reim wie König : unterthänig
(S. 11, 230, 6) entschlüpfte.
') Später noch eh zum Tod! S. 5", 57, 1223; ähnlich in S. 3, 359, 19.
12,506. 18,70.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 327
UI. Zur formenlehre.
A. Zur flexion des Substantivs.')
Umlaut.
In folge der verinischung der declinationsklassen finden sich
schon in mhd. zeit umlautformen bei pluralen. die ursprünglich
kein /, also kein umlaut bewirkendes element im pluralsuffix
hatten. Die neuen formen mit umlaut erklären sicli aus dem
bedürfnis der differenzierung- der sg.- und pl. -formen. Das ist
besonders der fall bei subst.. die in folge des nhd. auslaut-
gesetzes das kennzeichen des pl., das auslautende -e verloren
liaben, wie wagen. — Noch jetzt herscht im nhd. schwanken
bezüglich des umlauts in wagen — u-ägen, luden — lüden, graben
— graben u.a.. Wörtern, bei denen der umlaut in der feder eines
Schwaben der eigentlich volkstümlichen form angehört, das
fehlen des umlauts mehr die gewählte, archaische form
charakterisiert.
Schiller benutzt in unserer periode nur den i)l. Wafim 2, 104. 10. da-
i-egen nur Fäden 2,359,31. die Le1>e>isfäden 2,303,19, Gräben 2,18,11;
zum sg. Haufe bez. Haufen rindet sich pl. die Steinhaufen Haug, Z. 458; der
]d. Bugen ist das übliche; daneben aber auch Bögen und zwar in fällen,
in denen ein zahlwort vorangeht, was doch sonst meist bevorzugung der sg.-
f'orm (oder sg.- ähnlichen form) zur folge hat: -i Bügen Papier Br. 47,1,
IS Bögen Papier 2. 385, 27.
• Nach Fulda, GR. 74 haben Faden, (rrahcn, Bogen. Laden, Wageti um-
laut; auch Schw.ra. 1775.314 verlangt Wägen. Nast stimmt damit nicht ganz
iiberein: 8pr. 1, 47 f. führt er unter denen mit umlaut Faden, Graben, Laden,
Bogen arcus an; mit imd ohne umlaut: Wagen; ohne umlaut: Bogen Papirs,
Hanffen. Auch bei Schubart ist mir aufgefallen, dass er nur den \)\. Wagen
hat. z. b. ST. 110.(3. SG. 200.-')
Bezüglicli des umlauts geht die mundart noch weiter: die
ubd. mundarten haben sämmtliche ungedeckte -e verloren,
daher dehnt sicli das bedürfnis nach differenzierung der numeri
noch über die erwähnten fälle aus; vgl. Gayler s. 51: 'Der um-
laut ist für den Schw^aben die einzige pluralbezeichnung, welche
') Vgl. (rrundr. 1,753 ff. (.'.Bojunga, IMe entwickluiiir der niid. snbstantiv-
riexion, 1890.
*) In Klöstern 2, 270, 26 M sind die striche über dem u mit rotstift
getilgt, vgl. Gödekes anra.; der ])1. Kloxler ist auffällig, da Nast, Sjir. 1,53
und Fulda, GR. 75 den umlaut verlangen.
328 PFLEIDERER
er aber aucli sorgfältig- beobaclitet und weiter als das hoch-
deutsche ausdehnt.'
Der pl. vou Tag hat im alem. stets umlaut. Fulda, GR. fi7 gibt nur
die form Tag» an, während Nast, Spr. 1, 19 bez. 21 scheidet zwischen distributiv
(Tage) und collectiv (Tage). Schiller hat meist Tage 2, Hb, 19. 118,6 etc.;
aber auch lieclitstäge 2,88,7. 2,25-1,11, Sonimertdge 2,201,19; vgl. Schu-
bart: Galutüg SO. 2B^)
Das schon in mhd. zeit aus dem frauzös. entlehnte, nach art der
r<-stämme (tac) flectierte Plan zeigt bei Schiller noch keinen umlaut: Plane
u. acc. pl. 1, 104, 12. 2, 35, 21. 226, 87 etc., gen. pl. Plane 2, 107, 5. 162, 3 etc.,
dat. pl. Planen 2, 20, 1. Auch Fulda, GE. 65 und Nast, Spr. 1, 20 kennt hier
keinen umlaut (dagegen Gayler [1835] s. 56: 'Pläne, auch Plane').^)
General bildet den pl. ohne umlaut: Generale 1,157,23. Auch Ade-
lung kennt in seinem Wörterbuch nur diese form.')
Endungen des Substantivs.
Ueber die apokopierung dei- auslautenden -c vgl. s. 307 ff.
Eine mundartliche eigentümlichkeit, die das schwäb. mit dem
alem., rheinfränk., hess. und teilweise dem mittelfränk. teilt
(vgl. Pauls Grundr. 1, 758), ist der verlust einer besonderen
form für den dat. pl.; in all diesen mundarten ist er dem
nom. acc. pl. angeglichen worden.
Einzelne formen bei Schiller lassen sich so erklären: zu Trümmer
werfen 1,298,92; unbedingt gehört hierher mit Jnhel 1,222,43, da im fol-
genden rel.-satze das sich auf Jnhel beziehende verb im pl. steht.*) Auch
die form Füsse in zu Fasse fallen 2, 225, 6 M könnte als schwäb. dat. pl.
aufgefasst werden, in dem -e beliebig angefügt wäre, allerdings fälschlich,
— aber auch nicht mehr falsch, als im acc. sg. Bimipfe, vgl. s. 310. Natür-
lich kann Füsse auch Schreibfehler von M sein.
Zweierlei auffassungen lässt zu die stelle mit beiden Faust
und Ballen 1,248,19; Faust kann auf obige weise erklärt
1) PI. Wagen S. 6, 24, 92. 7, 118, 11, POgen Papier nur noch S. 3,390,2,
sonst stets Bogen: 3 Bogen Br. 1,273.318. S. 3,533 etc.; — Tage Br.
1, 96, 9, Geburtstage S. 3, 184, 5, Namenstage S. 3, 184, 5, Landtage S.
15^ 338, 36.
2) Der umlaut bei Pläne lindet sich in sämmtlichen Schriften Schillers
zweimal: Plänen Br. 4, 358 und (i, 283; — letztere stelle ist wider in einem
]>rief, der uns nicht im original überliefert ist.
3) Generale herscht bei Schiller stets vor: S. 4, 109. 7, 64. 156. 8, 73. 90.
12, 48. 110, Generäle zuerst S. 1, 2, 16. Gayler s. 60 gibt Generale als regel an
und fügt -äle in klammern bei.
^) Im Schw. m. 1775,706 finde ich nocli: Durst nach Güter,
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 329
werden, indem der rhytlimns den dichter veranlasste, sich der
mundartlichen form des dat. pl. zu bedienen. Eher aber ist
Fäüst und Ballen als zusammengehöriger ausdruck zu nehmen,
in dem durch die enge Verbindung der beiden begriffe die
flexionsfähigkeit des ersten glieds beeinträchtigt wurde (vgl.
AVilmanns, Gr. 2, § 394, anm. Paul, Prinzipien s. 307 f.).
Für letztere sprachliche erscheiuung sind weitere beispiele: mit Leih-
nnd Lehensgefahr 2, 223 M anm., von grofs und kleinen 2, 232, 15 A und M;
ebenso bei Schubart: vu't eigenen Kidseh- inid Fferden SO. lG2f.
In andern fällen fiel der mundartliche Verlust des dat. pl.
formell zusammen mit einer allgemein deutschen erscheinung,
der erhaltung alter pl. -formen bei der A^erbindung mit zahlen
(vgl. Grundr. 1, 764) in allen casus. Vgl. Fulda, GE. 86: 'Auch
declinirt man die namen der mase, ßis, grad, mann, mos, . . .
stund . . . nicht. '
Beispiele: in acht Stund 2, 32, 8, drei Monath drauf 2, 79, 10, 21 Jahr
«ZfBr. 14, 18, e/a/ir Za)i// 2, 58, 14; letztere drei formen können freilich auch
pl. sein mit schwäb. apokopiertem -e. Daneben 20 Stunden 2, 309, 13, in
S Tagen 2, 127, 7. 0
Hinsichtlich der flexionsweise herscht bei Schiller und
seiner Umgebung bei vielen Wörtern grosse uiu'egelmässigkeit.
Der schwäb. dialekt, oft auch die schwäb. literatursprache,
bedient sich eben vielfach noch der alten formen; die vorher-
schaft der md. Schriftsprache bringt aber auch in Schwabens
Schriftsprache eine menge neuer, nicht mundartlicher formen
lierein, die mit der zeit die älteren verdrängen. In anderen
fällen ist auch die Schriftsprache conservativ. während die
mundart neue formen geschaffen hat, die nun auch eingang
in die Schriftsprache suchen. Ich behandle im folgenden die
verschiedenen erscheinungen nach den geschlechtern getrennt ;
nur die pl. auf -s werde ich besonders zusammennehmen.
Masculina.
Hier handelt es sich hauptsächlich um die Vermischung
der st. und schw. declination.
') Später so noch: die Thür in Trünnner dat.pl. S. 3, 56, 20. dat. Kcr-
schiedencn Theater Br. 1,369,4, dat. unter Engel S. 3,500,25; — einige
lOOO Stxind weit Br. 1,91,14, 4 /«/tr Br. 5, 425, dreisfundhing 8.3,63,13,
fünfzehn Jahr S. 3,144,20, Tag' und Nächten S. 13,30.
330 PFLEIDERER
Die mild. schw. subst. auf -e konnten zweierlei wege ein-
schlagen: entweder sie verlieren im nom. sg. das -e und fallen
damit in der form des nom. sg. mit dem nom. der a-decl. zu-
sammen, oder sie bilden nach analogie der übrigen casus den
nom. auf -en. Die mehrzahl von ilmen hat sich so entwickelt,
dass sie in der nhd. Schriftsprache das -n im nom. angenommen
haben (vgl. Paul, Mhd. gr. § 130, anm. 2) und zusammen mit den
->ia-stämmen (wayen) eine neue klasse mit st. gen. bilden.
Von den bei Paul a. a. o. genannten subst. ist nun in den
werken des jungen Schiller -n noch nicht in den nom. ein-
gedrungen bei folgendem:
Gaumcir. ds. seinem Gaurn 2,3-11, 14. ilnii Gaume 1,284, 138 im
reim, Gaumen 1,208,71 ist dp. -- D(fuiHe)i: &.s. J)aum 1, 209, 84 im i'eim.
— Knoch 2,32,8. — Tropfen: neben kein Tropfen (Wassers) 1,207,105.
2.231,125. 40,9 steht jeder Tropfe Zeit 2, ;353, 27, der schöne Tropfe thaut
1,295,6; fisfürlich wie nhd. Tropf : mi'</'ste ein 1'ropf sein 2, 230, 23, dummer
Tropf 1,202,29. — Von 7*7 er Ä- kann u:h sinafulare formen erst aus späterer
zeit belegen; der pl. kommt nur scliw. vor: Flecken 2,7, \i. 104,3. —
Andere, wie Galffen, Mafien, Kolben zeigen die moderne form.
Zu diesen Wörtern sagt Nast, S))r. 1, 39: 'In Schwaben ...
bellst man fast allen Wörtern diser deklination, die auf eu
ausgehen, dise silbe ab. und macht das wort einsilbig , . . Mir
deucht, wenn der Schwab . . . sagt: der Daum, Gaurn, . . . des
Daumen, Gaumen .. .; so sei nichts darwider einzuwenden.' Er
stellt sodann ebda. s. 56 ') der Daum, des Daumen, dem Daumen
als paradigma auf, aber abgesehen vom nom. sg. gehen alle
formen auf -cn aus; Nast kennt also keine st. decl. dieser Wörter.
Ferner setzt er Spr. 1, 57 ein Verzeichnis der subst. auf, die
'besser' wie J^/f' gehen, d.h. im nom. sg. einsilbig sind, sonst
aber schwach flectieren. Unter ihnen sind Daum, Gaum, Knoch,
Tropf. Ebenso Fulda, GR. 77 nur mit dem unterschied, dass
er 'Tropfen gutta' wünscht.
Beispiele für die st. flexion von Gaurn gibt Kelirein, Nlid.gr. 1,95:
auch in der scliwäb. niundart kommt st. tiexion von Gaum vor.*) Dagegen
ist der acf. Daum bei Schiller wol nur aus reimnot entstanden. — Tropfe
finde ich noch SCI. 2, 421. Mel)ereinstimmend iriit Fulda und Nast (an den
obigen stellen) lautet der ns. Lerm 2,91,22; oblique casus kommen von
diesem wort in unserer periode nicht vor : dagegen <kr Stumpen 1, 208, 77,
') Ebenso im Schw. m. 1775, 378 ff.
*) Vgl. auch GaumOuchslab Schw. m. 1775, 550.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 331
während Fulda. GE. IG und Xast, Spr. 1, 59 Stump für correcter ansehen.
Ferner setzen sie Schatt an: ans Schillers jungen jähren lässt sich nur
Schatten 1, 229, 90. 2, 293, 4 helegen; dagegen hat er später noch einige male
Schauet)
Bei einigen subst., die im nhd. in die neue «a-klasse über-
getreten sind, darunter der alte rj-stamm Friede, ist heute der
kämpf zwischen -e und -en noch nicht zu ende geführt (s. Bo-
junga s. 70): Friede, Name, Schade, FiinJce, Gkmhe, Same, Wille.
Von diesen lassen sich beim jungen Schiller keine formen belegen
von Same, Schade, Glatihe.'^) Friede findet sich als Fried 1,220,4,
i-V/efZe 2, 223, 12 anm. Dass F«»!-^ bloss als Funken 2, \1^,2^. 279,13
erscheint, ist wol zufall : denn in späteren jähren verwendet Schiller beide
formen, und wie Funlccn S\.r)\, so kommt Funke ST. 117, 2 bei Schwaben
vor (vgl. ausserdem die bemerkuugen Xasts und Fuldas unten). Name
ist die regelmässige form: daneben Nam 1,256,174, Äamen Br. 33,26.
S. 1,124, 112. Wille 2,244,12. 1,152,8. 150.29: Willen vermag ich nicht
zu belegen (ebensowenig Gödeke im glossar, S. 5). ")
Hierher nehme ich noch das ursprünglich starke subst. Gedanke,
das ebenfalls auf dem wege ist, sich mit der >irt-klasse zu vermischen. Der
junge Schiller hat nur Gedanke 1,322,267. 62,4. 9(i, IUI. 101,22. 2.270,5,
gen. Gedankens 2,385,15.*)
Die Stellung der schwäb. gramniatiker zu diesen formen:
Schw. m, 1775, 378 verlangt Fimk, Gedank, Glaub, Nam, Will,
ebenso Frid 1775, 316; Fulda, GR. 74, 11: Fride, Glaube, Name,
Same, Wille und s. 77 Funk, Schaden s. 74, 10, Gedank s. 7G;
dagegen zieht Nast die formen mit -en vor: Spr. 1,48: Friden,
Gedanken, Glauben, Namen, Samen, Willeti, 'doch leiden vile
unter ihnen im nominativ der einheit die sächs. und schwäb.
apocope'; ferner Funken und Funk s. 49, Schatten und Schatt
•) Dazu belege aus späteren werken: ein Tropfe Haß S. 13,260; —
/»/ flairwirothen Fleck S. 3, 190, 10. 9, 18, acc. Fleck S. 7, 47, 5. 12, 240,
den Brandflecken S. 3,384,22. diesen Flecken S. 3,38,16. 13,132: — Lervi
ist .später st. und schw. flectiert. z. b. den Lermen S. 5', 171. Lärmen schlaffen
S. 3.320,20. 137,11, Lerm schlagen 8. :197, 14. Schubart hat meist schw.
Lermen blasen SO. 98, — scldacjen SO. 115, im Hochicitlermen SG. 2,127.
— Schatten S. 6,25. 15', 347, 155, Schatte S. 12,208. 10,404,15. 13,149.
'-) Saamen S. 4,52. 14,93; — der Schade S. 9,6,4, ebenso Schw. m.
1777.944: — Glaube S. 4,30, Glauben S. 5S85, 13: auffällig ist der alte
gen. nach der schw. declination in des Abercßaiiben Schw. ra. 1775, 489.
3) Friede S. 3,19- 90.372 u.a., Frieden S. 11,36. 14,50; — Funke S.
3, 538. 6, 53, 29. 13, 119, Funken S. 7, 271, 4.
*) Xs. Gedanken linde ich nur Br. 1, 152, 29 (sept. 1783).
332 PFLEIDERER
s. 51. Interessant ist die schlussbemerkung Nasts s. 52: ^Es
steht nun zu erwarten, was Teutschland über dise worte aus-
sprechen wird.' Betreffs der beiden letzteren formen nimmt
er selbst tlanu noch eine kleine abänderung vor. indem er sie
unter denjenigen subst. aufführt, die nach seinem ohr und der
gewohnheit seiner 'pi'ovinz' in der einsilbigen gestalt besser
seien, Spr. 1, 57.
Das mM. schw. flectierte subst. schrecke hat sich im ulid. in zwei
formen gespalten, schreck nnd schrecken. Schiller hat beide neben-
einander ohne bedeutnngsunterschied: nom. der Schreck 2,239,10. 258,8,
der Schrecken 1,163,24, ein Schrecken 1,122,70. 233, (i5, Schrecken und
Furcht 1,170,15; im dat. vor Schreck 2,80,13, mit dein leeren Schrecken
2,182,20. Fulda, GR. 77 stellt schrecken als die bessere form hin, ohne
entscheiden zu wollen; das Schw. m. 1775, 378 lässt es ebenfalls unent-
schieden, führt aber 1775, 380 Schreck unter denen an, die in der einsilbigen
gestalt besser zu sein scheinen, ebenso Nast, Spr. 1, 52. 57.')
Mhd. smerze hat sich der neuen ««-klasse angeschlossen und zunächst
den gen. auf -ens gebildet. Später ist es dann im sg. ganz zur st. decli-
nation übergegangen. Nast, Spr. 1, 49 gibt der Schmerzen, des -ens an,
Fulda, GR. 74 Schmerz, Schmerzens. Von einem gen. Schmerzes wissen sie
also noch nichts; ebensowenig Schiller: Schmerzens 1,174,14. 148,24. Br.
9,4. S. 2,123,15. 279,5 u.a.; der nom. und acc. ist nur einsilbig: Schmerz
uom.2.22; acc. 1, 164, 26. 174,18. 148,10. 2,217,8; ebenso SG. 145 : dat. ist
schw. und st.: von Schmerz 1,152,7, mit Schmerz 2,272,20, von dem
Schmerzen 2; 'SSO, 2, mit Schmerzen (pl.'O 2,131,21, am Steinschmerzen
1,148,9. Bei Schubart u.a. ist mir keine schw. form aiifgefallen : vom
Schmerz Si. 2, 49, vom Schmerze ST. 20, nach dem Schmerze ST. 46, den
Schmerz ST. 28.^)
Herz wird flectiert wie in der modernen spräche; einen dat. dem
Herz, wie ihn Schubai-t, SO. 42 verwendet, kennt Schiller nicht.
'Das im nhd. meist sclnv. Üectierte subst. Haufe geht zurück auf mhd.
hüfe, schw., neben dem hitf st. stand. Scbillei- hat noch die st. formen: zu
//rt«/" 1, 182, 187, mit hellem Hai<l i,Mö,iyd, daneben auf einen Haufen
2,24,21, übern Haufen Br. 42,30. Fulda, GR. 65 verlangt starke fiexiou,
und zwar führt er Häuf nicht unter den subst. an, die st. oder schw. sein
können.
•) Zu Schreck (S. 3, 295, 6. 1 17) und Schrecken masc. (S. 3, 294, 9. 117,2.
5', 6, 23) kommt später noch das neutr. Schrecken (S. 4, 218 und sehr häufig
im Dreissigjähr. krieg).
'^) Ein ns. Schmerzen findet sich nicht in S. 1 und 2 (vgl. Gödekes
notiz S. 1 , 4(X) unter Schmerzen). Später ist das wort stets stark flectiert,
soviel ich bemerkte: dat. ,S'c/tJ»er^ S. 5^ 290, Schmerze W,-^^, gen. Schmer-
zens S. 3, 570. 5', 25. 10, 7, gen. Schmerzes S. 5', 124, 2612. 5^ 413, 15", 371
(ebenso Schmerzes Si. 113); ns. der Schmerzen nur Br. 2,120.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 833
Erwähnenswert ist auch der dat. dem Bnppen 2,20, 3: acc. äfn Ttappen
2,256,0 zum uom. der Kopp 1,253,63; — ebenso der gen. des Trillinys-
dmchen 1, 223, 73.
Geck, im mhd. st. und scliw., ist bei Schiller nur schw.: den Gecken
belachen 2,290.18. die Gecken 1,263,3; ebenso bei Nast, Spr. 1,58. Fulda,
GK.76. In der modernen spräche wird es jedenfalls im .sg. auch schw.
flectiert. Auch die schon mhd. entlehnten und schw. flectierten fremdwörter
Tyrann und Planet weisen bei Schiller nur schw. formen auf: des Ty-
rannen 2,29; dem, den Tyrannen 2, 198. 183; ~ den Planeten 1,149,4; —
ebenso doi Vasallen 2, 324, 13.
Neben dem ursprünglich substantivierten inf. Mitleiden 1, 75, 26
Hudet sich iiuch das erst im 17. jh. neben jenes getretene kürzere Mitleid
2, 200, 21.
Mhd. und nhd. ist schw.: Löwe. Schiller hat im vers 1,228,52 tvas
Low' und Tiger milden kann, also eine st. form. Die Wörterbücher geben
hiezu keine belege; auch Adelung kennt es nur schw. Schiller verwendet
später nur die schw. formen: die Löwen S. 3,59,22, dem Löwen Picc. 1,2;
aber neben zwischen den Löwen und den Leun (im Handschuh) sagt er (in
der Glocke 374): gefährlich ist's, den Leu zu tvecken.
Schon mhd. schwankt zwischen beiden Üexionsweisen, wie auch nhd.,
Nachbar. Schiller hat starke sg. formen: des Nachbars 2, 103, 14. 350,29,
den Nachbar 2,184,15; dagegen im pl. die Nachbarn 2,376,11. Die be-
treffenden formen von Lauer (an das sich Nachbar angelehnt hat), lassen
sich nicht belegen. Fulda, GE. 76 bringt offenbar etwas neues, wenn er
sagt: ^ Banr . . . die Bauren, und hievon die Nachbarn, also auch des
Nachbarn. ' ')
Das ebenso in mhd. zeit schwankende Mond mensis zeigt beiderlei
formen: acc. drei Monden 2, 107, 17, vgl. 10 Monden lang SG. 2, 74 (Ahasver),
und Monde 2, 107, 3. Nast, Spr. 1, 59 und Fulda, GR. 70 verlangen, offenbar
zum unterschied von Mond luna. ilie schw. Hexion.
Besonders zu beachten sind einige subst., die nilid. mir
schwach flectiert werden:
Sternen in Sternen an 1, 41, 43 dürfte schw. pl.-form sein, wie Gödeke
annimmt. Die schw. form ist besonders bei Luther noch häufig, vgl. Kehrein,
15.— 17.jh. 1, 192. Auch Ilaller hat noch die schw., vgl. Käslin, Haller s. 30.
Stern wird übrigens von Fulda, (tK. 05 in die st. klasse verwiesen und aus
der gleiclizeitigen sciiwäb. literatur kann ich keinen beleg für die schw.
form finden. Auch Schiller hat sonst nur die st. form: gp. Sterne 1, 229, 93;
Gödekes bemerkung S. 1, 41, 93 anm., die schw. form komme auch sonst bei
Schiller vor, kann sich nur auf compos. wie Sternenmeer u.s.w. beziehen;
ich habe auch später nie schw. formen gefunden.
Pfau flectiert schw.: vp. Pfauen 1,313. 11 (np. Pfauen Br. 2,09), wie
ahd., mhd., und wie auch Fulda, (iR. 70 und Nast, Spr. 1, 59 verlangen,
>) Gp. der Nachbar Br. 1,118; ds. Nachbar S. 7,231,22. 8,12,17.
334 PFLETDERER
wälireiul es sonst im iihd. nicht selten st. gehranrht wird (PWb. belogt
st. formen aus Goethe, Wieland, Lessing- u. a.).
Schelm wird bei Schiller noch wie im schwiib. fast axisschliesslich
schw. fleetiert: gs. Schelmen 1,'22S, 62: ih. Schelmen 2, \62,b; \va\). Schelmen
2,171. 311,21; g\). Schelmen 2, \0\. 201. 159. 302,4; ^^. ihr Schelmen
2, 100, U; St. formen nur: as. Schehn 2,204, 1. 335, 14 M; gp. Schelme
2,302,4m ('das -n mit tinte getilgt", vgl. anm. von Gödeke). — Adelung
bemerkt zu diesem Avort: gen. -es, pl. -c. 'Die abänderung des Schelmen ist
in der oberdeutschen mundart üblicher, als in der hochdeutschen.' Fulda,
GR. 76 und Nast, Spr. 1 , 59 verlangen noch beide schw. tlexion. *)
Graf, Fürst mii Frinz werden stets schw. gebildet: des Reichs-
(irufen 2, 264, 19, as. den Grafen 2, 276, 16. 326, 12; acc. den Prinzen 1, 52,56;
acc. den Fürsten 1,34, 12: gen. des Fürsten 1,31, 11. Einen gen. auf -ens,
wie ihn Gottsched zu rügen hat (Deutsche sprachkunst s. 234) kennt Schiller
nicht. Die schw. acc.-formen sind besonders erwähnenswert, weil Schiller
selbst später .st. sg. bildet: den Frinz S. 15^331,6, dem Fürst S. 15'^494.2)
Unterthun ist seiner natur nach ursprünglich schwach;
in der neueren spraclie haben auch st. formen eingang ge-
funden. Die Schwab, g-rammatiker sprechen nur von schw.
formen: Fulda, GR. 77. Nast, Spr. 1, 60; — Schw. m. 1775, 47
zeigt den acc. sg. Unterthunen.
Auch der junge Schiller kennt nur die schw. formen: eines Unter-
thanen Br. 68,35,1: np. Unterthanen i,B6, i. Später zieht er die st. vor.-')
Greis, mhd. grlse schw., das ursprünglich substantiviertes adj. war,
kommt nur schw. vor: gs. Greisen 1, 123, 102: ds. Greisen 1, 357, 23. 2, 392,15;
as. Greisen 1,191,141. 2,326.21. Damit belindet sich Schiller in grossem
gegensatz zu seiner späteren spräche, aber in Übereinstimmung mit seinen
landsleuteu: Greisen Ergözlichk. 1774, 1,340, eines Greisen ST. 14,5, dem
Greisen ST. 27, 6. SG. 2, 319, des Greisen ST. 28, 7. Die Schwab, gram-
matiker schreiben durchweg schw. flexion vor: GR. 76. Schw. m. 1776, 92.
Spr. 1,58, und Gayler hält noch 1835 schwäbisch des Greisen für das rich-
tige, da es ursprünglich adj. sei und nur 'durch die hochdeutsche declina-
tion seinem stamm entfremdet wurde' (s. 111). *)
') Ebenso später meist schw. : as. Schelmen S. 3, 451, 9. 121, 14. 298, 22.
14,239; ds. Schelmen S. 3,374,23. 11,100,20; nap. Schelmen S. 3,30. Br.
1,224. S. 7,340,17. 12.40. 287: — starke formen: as. Schelm S. 12,40: ds.
Schelm S. 8, 346, 13.
«) Dagegen dem Greifen S. 3, 196, 20, acc. den Grafen S. 3, 201, 17,
dem Prinzen S. 4, 204, 9.
") Schw. noch in dem UnteHhanen S. 14, 18; st. des Unterthans S.
4,118,29. 7,174.18, dem Unterthan S. 7, 174, 22. 176,7. 191,16. 252,2; acc.
den Unterthan S. 7, '274, 2: stets st. in S. 13 ('20,3. 115,33. 48,14 etc.).
*) Einen st. gen. finde ich später nur in Greises S. 5*, 178; sonst wird
der gen., wol aus euphonischen gründen, stets schw. gebildet: des Greisen
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 335
Aus mhd. Osten, norden etc.. ebenfalls ursprünglich sub-
stantivierten adj., sind im nhd. gekürzte formen Ost, Nord
etc. neben Osten etc. hervorgegangen. Die gekürzten foinien
werden als namen der winde benützt; nur die dichterische
spräche vermengt die bezeichnungen und damit die flexionsarten.
Schiller sagt: in Osten und \Vesten 2, 227, 13. aber ebenso auch: in
Ost und in West 1,156.13, und im nom.: der Ost, der West 1,156,13 für
die weltgegenden. So bei Schubart: der ^'ord ST. 11,4: eben.so bei Klop-
.stock und (ioethe (Paul, Wb.). ')
Erwähnenswert ist auch der pl. Leoparde 2,2iii),6 A xmdM. 2.i6A)
(in allen ausgaben, ausgenommen der von 1860). Im mhd. sehwankt das
wort: jetzt ist wol die schw. form die übliche, die auch Schiller später
verwendet (so im Handschuh: zicei Leoparden).
Von Wörtern, die im mhd. stark flectiert wurden und im
nhd. änderungen erlitten haben, kommen in betracht (abgesehen
von Gedanle, Friede, Schatten s.oben) einmal solche, die im nhd.
jetzt schwach geworden sind.
Held findet sich st. und schw (2,211.22. 1,27,1); auft'ällig sind nur
die St. formen: manchen Held l.a-4-1. 3, einen icürdigen Held Hang, Z. 465:
von den beiden stellen befindet sich die erste im reim, die zweite in prosa.
Die Schwab, gramniatiker freilich verlangen schw. flexion, vgl. P'ulda, (tR.76.
Nast, Spr. 1,58: allein die st. formen sind nicht alleinstehend. Bei Schubart
finde ich acc. Held ST. 12, 8. Schiller gebraucht die st. form auch später
noch und zwar auch in prosa. Aus den vorhergehenden jh.'en bringt Kehreiu,
15.— 17.jh. .s. 194 belege.-)
Der acc. Hirt 1,28.46 steht im reim. Das betreffende gedieht (Der
abend) ist zuerst im Schw. m. 1776, 715—19 abgedruckt, und dort heisst es:
Hiri{en). Diese schulmeistorische correctur stammt vom herausgeber her
(wie bei schlos(e), s. beim parag. e), dessen gewohnheit es war, 'Sprachfehler'
zu verbessern, vgl. Schw. m. 1775. 147. anm. Nicht nur der herausgeber des
Schw. m.. Hang, sondern auch die andern grammatiker halten die form für
falsch: Fulda. CiR. 76. Nast, Spr. 1, 58. Im nhd. ist die st. form allerdings
•so gut wie ausgestorben" (DWb.); Kehrein, 15.— 17. jh. hat s. 194 nur einen
beleg für st. form: aber in der schwäb. mundart ist sie noch üblich, und
8. 5', 10, 144. 40,845. 5M09. 2. 6.397.371. 8,75,23. 12,536, ds. Greisen S.
6,178: — St. formen: d.s. Greis S. 6, 18. 214. 4,284.28: acc. Gms S. 6. 157.
372. 7,234,10; np. Greise S. 6,12; acc. S. 5'. 172; gp. Greise S. 6,168,19.
') nach West S. 11,46,4, die von dem frierenden Nord bringen den
Bernstein S. 11, 45.
*) Acc. Held Br. 5, 120 (prosa). S. 15', 37 (vers). 10,533,4 (prosa): dat.
Held S. 3.55, 26 (prosa). Vgl. dazu noch T'hland. Taillefer: ron Roland sany
er nnd mandtem frommen Held.
336 PFLEIDERER
Schiller verwemlot sie auch später noch einmal: dm Snith/'rt S. 10,445,13
in prosa. Adelung kennt nur die sclnv. formen.
Von Fels sind die st. formen jetzt nur noch im hohem stil üblich.
Schiller hat. meist die schw.: des Felsen 2, 180, (i. 317,5. 1,121,2G; acc.
Felsen 1, 41, 31 ; dat. 1. 28, 44. 121, 28. 2.386.25: daneben den Feh 1, 273, 13;
und nom. der Zackenfels 1, 273, 2. Die grammatiker wollen Fels — Felsen
wie Daum — Daumen etc. behandelt wissen (Spr. 1 , 49 etc.). Bei Schubart
sind die st. formen aber ganz gewöhnlich : den Fels hinan ST. 47, 2, dem
Fels SG. 170, von Fels zu Fels SG. 2, 73, vom Fels SG. 2, 85; daneben seines
Felsen SG. 2. 70, den Grabfelsen SG. 449. ')
Raif (2,93,13) bildet eine schw. gp. Maifen 1,341,13, was im nhd.
öfters vorkommt (Paul, Wb.). Fulda, GR. 65 rechnet das wort zu den
St. masc.
Andere subst.. die mhd. stark waren und im nhd. teilweise
schwach geworden sind, sind Halm, Thron, Sinn. Diese drei
werden im älteren nhd. öfters schwach flectiert (beispiele zu
Halm und Thron s. Kehrein, Nhd. gr. s. 74, zu Sinn s. Kehrein,
15. — 17. jh. s. 192 und Längin, Herder s. 36).
Schiller hat st. und schw. formen nebeneinander: Halmen ap. 1, 312, 22.
331, 539: vgl. Halmen^Q.lH% neben Hahne SG.120, — alle Thronen 1,215, 35
neben Throne ap. 1,239,77; np. 1,101,19. 296,31; vgl. Thronen ST. 124,4,
Königsthronen ST. 101, ö. — alle meine Sinnen 2,280,10. 1,332,573, 5 Sinnen
2, 274, 26 neben gp. Sinne 2, 284, 1. 168, 13; ap. Sinne 2, 118, 20, ebenso
.') Sinnen Si. 328- — Das verhalten der grammatiker ist verschieden bei den
drei subst.: Fulda, GR. 78 verlangt Sinnen und Thronen, fügt aber hinzu:
'doch auch dise entziehen sich hie und da bereits und gehen nach der
1. dekl.'; (parad. Weg — Wege); für Halm verlangt Fulda, GR. 64 st. flexion.
Vgl. noch Schw. m. 1776,26: 'in ganz Schwaben sagt mau: die Sinnen': ebenso
Nast, Spr. 1, 79. — Thronen und Sinne)i bei Haller, vgl. Kcäslin, Haller s. 58;
Thronen auch bei Goethe, vgl. Bojunga s. 131 ; Halmen bei Sanders, Wb.
oft belegt. Adelung gibt für Thron nur den pl. -en an; von Sinnen sagt
er: 'bei einigen Sinnen, besonders in den figürlichen bedeutungen; im hoch-
deutschen ist diese form veraltet, aufser dafs die dichter sie um der be-
quemlichkeit des reims willen zuweilen beibehalten.' Der pl. Halmen kommt
nach Adelung 'dem gemeinen leben, nicht aber der anständigen sprech-
art' zu.*)
Specifisch oberdeutsch ist die schw. sg. -form (vgl. Paul, Wb.: 'ober-
deutsch auch schw.'; von Fuchs in: den Schiveisfnchseniicc.2,lib,4. Auch
•) den Fels S. 11,279, 183, vom Fels S. 6, 254, 14. 6, 392,221. 14,49.
von Fels zu Fels 14, 391.
*) die Halmen S. 6,295,21. 11,352 (im reim); — nom. Thronen S.
5^5,11. 9,90,19; g\}. Thronen o', 31. 15^450; pl. r/«rowe S. 7,84,8. 13,191.
8,55 u.a.; — fünf Sinnen S. 11, 387, 15, deine Sinnen 15', 12, 201 ; vgl. Sirmen-
organ Br. 5, 352, Sinnenglück S. 11, 54, 8.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 337
Adelung erklärt das für obd. Fulda, GR. 7G verlangt scliw. flexion bei
Fudis, Pferd.
St. und schw. formen benutzt Schiller bei Zwerg (mhd. st. neutr.):
Zum Zicerge 1, 259, 4 (reim); np. Ziverge 1,221,7; dagegen Ztvergen Welt-
lich. 1, 385 (Haugs Z.). Fulda, GE. G5 tritt für die st. flexion ein. Die
schw. formen sind bei Schubart das regelmässige: die Zwergen SO. 126; np.
Modezicergen SO. IC; vgl. Zwergen- gestalt SO. 120. Adelung kennt nur
die st. formen.
Filz, bei Lexer nur als st. masc. belegt, ist auch im nhd. meist stark.
Fulda, GR. 64 und Adelung kennen nur die st. formen. Grimm, DWb. hat
st. formen von Luther, Weckherlin u. a. Schiller hat : den alten Filzen
2, 33, li. 225, 15 A neben den alten Filz 2, 225, 15 M. Das scheint eine
eigentümlichkeit Schillers zu sein. Die wbb. (Grimm, Sanders, Heyne, Paul)
belegen wenigstens die schw. formen nur aus Schiller.
Der pl. die Stücken hat sich (nach Heyne, Wb.) namentlich ein-
gestellt, wenn der begriff des zerbrechens hervortritt; es wäre also vielleicht
eine Verbindung wie in Stücken reifsen zu erklären: etwas so zerreissen,
dass es in stücken ist. Von da aus müsste sich die form dann verbreitet
haben. Auch Adelung kennt den schw. pl., verwirft ihn aber als 'provin-
ziell'. Nast, Spr. 1, 35 erklärt Stücken für falsch und für einen pl. der
Sachsen. Schiller hat: in Stücken reissen 2,172,19. 312,26. Später macht
er von diesem falschen pl. in ausgedehnterer weise gebrauch, wenn auch
nur spärlich.!)
Ds. Vätern Zeus 1,252,56: ein ds. nach der n-declination kommt bei
vater schon im ahd. vor (vgl. Braune § 235, anm. 3) ; für das alemannische
belegt Weinhold, Alem. gr. s. 446 ein vatern in mhd. zeit; im nhd. sind
nur noch kümmerliche reste dieser bildung übrig geblieben (vgl. Bojunga
s. 23-25).
Die form Böseivichter werde ich bei den iieutris behandeln.
— In SU standen bringen 1, 50, 2 hat sich wol das schwäb.
verbum standen an stelle des subst. eingeschlichen.
Neutra.
Der pl. auf -er, dem im mhd. nur eine geringe anzahl
von neutris regelmässig unterlag (vgl. Paul, Mhd. gr. § 123),
gewinnt im verlauf des mhd. und besonders im nhd. sehr an
boden. In der nhd. Schriftsprache ist das schwanken zwischen
alter und neuer pluralbildung bei den meisten Wörtern zu
gunsten von -er beseitigt (Grundr. 1, 764). Die mundarten
gehen in bildung von e>--pluralen vielfach noch weiter als die
') in Stücken reißen S. 3, 195, 11. 4, 52, 10, 6, 414, in Stücken zerren
S, 3,16,12, in Stücken mit — .' S. 3, 227, 1, in Stüken mit — .' In tauseiid
Stük den — / S. 58,7, die zwei andern Stücken Br. 5, 435.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIII, 22
338 PFLEIDERER
Schriftsprache, besonders die oberdeutsclien, ^die statte der
iippigsten Verbreitung der .9-plurale' (Bojunga s. 144). Das
olinehin wegen seiner deutlichkeit lebenskräftige suffix er war
ein willkommenes mittel der numeraldifferenzierung.
Von derartigen, besonders mundartlichen plur. auf -er, die
die Schriftsprache nicht angenommen hat, benutzt Schiller
folgende:
Geivölber 1, 843, 68 (reim, später auch ausserhalb des reims) ; Hemder
Br. 60, 2 iu einem hrief an seinen freund Hoven ; Menscher 2, 84, 12, ebenso
Si. 2, 106, als pl. zu dem hauptsächlich in Oberdeutschland als Schimpfwort
üblichen neutr. das Mensch. — Fulda, GR. 70 führt diese drei subst. unter
denjenigen an, die im pl. nur -er haben, gemäss der mundart, ebenso
Nast. Spr. 1,34: ^Geicölb, Hemd, Mensch von weibsleuten gebraucht'.') —
Andere pl. auf -er sind: Gespenster 2,169: ohne nebenform auf -e: hunds-
vocUer 2, 157, 17; von Schtccrt lautet der \}\. stets Schwerd{t)er, während
z. b. Goethe auch Schwerte bildet. — Zweierlei pl., von denen die bildung
auf -er die eigentlich lebendige und volkstümliche ist, die auf -e dagegen
archäischen Charakter an sich trägt (Grundr. 1, 764), treten auf in: Länder
— Lande, letztere form nur in: deiner Mutter Lande 1,220,2 im reim, und
die Lande 1. 155,12, aus fernen Landen 2,296,25. Die form findet sich
später hauptsächlich häufig iu der Gesch. des abfalls der Niederlande und
der Gesch. des dreissigjähr. krieges. Die deutschen Lande bei Schubart. SG.
2, 226; — ThäJer 1, 185, 5. 2, 118, 7. 274, 11, — Thale 1,218,7. Letztere form
findet sich in den älteren ausgaben der Bibel öfters, worauf Jonas, Erläuter.
s. 52 hinweist ; sie könnte also aus der spräche der Bibel herübergenommen
sein; Schubart: die Thale SG. 2, 104. Fulda, GR. 70. Nast, Spr. 1,34 f. führen
die beiden Wörter unter denen auf, die im pl. nur -er haben. — Male —
Maler: an Maulen = mahlzeiten (das simplex ist jetzt veraltet) 2, 56, 5.
222,6, Grahmähleri,69,2ö. 2,377,11. 386,23; Fulda scheidet GR. 69 Male
epulae und Maler Stigmata; Nast, Spr. 1, 28 gibt einfach an Male und
Maler; 1,34 verlangt er »h&v Grahmuler; Adehmg: 'das 3Iahl, die 3Iähler;
im oberdeutschen und in der höhern Schreibart der hochdeutschen die Mahle,
Grabmale, im gemeinen leben -mäler.' Ebenso sagt Gayler s. 52: 'in der
l)edeutung das essen ist die enduug -e hochdeutsch, -er in den dialekten. ' —
Orte — Örter, Worte — Wörter, Gesichte — Gesichter sind I)eliandelt wie in
der modernen spräche. Fulda scheidet sie folgendennassen (iR. 70: 'Die
von der ersten decl. [parad. \\'e(j — We(jc\ werden für die sache, die handlung
und collective genommen, die von der zweiten decl. [Feld — Felder] werden
für Werkzeuge, das gethane, und distributive gebraucht.'
Hier füge ich noch bei das masc. liöstvicht. Schiller hat Bösivichter
1, 82, 12. 76, 32, Bösewichter 2, 5, 27. 1, 362, 24. Br. 9, 9. Die schwäb. gram-
1) Auch später noch Geivölber S. 3, 288, 7 nicht im reim, S. 4, 203 in
prosa; daneben in den Lauhgewölbcn S. 4, 337; — llemder Br. 1,153,16,
Hemderwaschen 8. 4, 18, 36; Hemden Br. 6, 251.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. SS9
niatiker ziehen den pl. auf -e vor: Schw. ni. 1775,374:. Fulda. GR. 71 ('Man
sollte diese classe [d. h. die ueutr. auf -er\, besonders die männlichen . . . nicht
vermehren, mit ... BöswichV.). Nast, Spr. 1,35 ('Einige provinzen ziehen
noch hieher [pl. auf -er] : Böswicht . . . Sie gehen aber besser nach der
1. decl. '). Hinsichtlich des gehrauchs der formen widersprechen sie sich :
Nast, Spr. 1, 37: 'in Sachsen spriciit man . . . Bösirichter, ... in Südteütsch-
land kehrt mans um, und sagt . . . Böstoichte. ' Dagegen heisst es Schw. m.
1770, 35: 'in Schwaben spricht man Böswicht und im pl. Bösic/chter.' —
Vielleicht gehört hierher auch der pl. Grenaih'crer 2, 876, 22, falls er nicht
zu einem sg. Grenadierer gehört.')
Feminina.
Von fem., die mlid. schwach waren und nhd. im sg. stark
geworden sind, sind bei Schiller noch vereinzelte formen nacli
der alten im übrigen mundartlich noch üblichen declinations-
weise erhalten:
Sonne: der Sonnen Pracht 1, 296, 38, von der Sonnen Strahle 1, 218, 8
sind wol sg. Auffallenderweise steht über der Sonnen 2, 74, 6 von ausgäbe
C 1782 an (bis 1799). Aus den belegen bei Kehrein, 15.— 17. jh. s. 199 ist
ersichtlich, dass schon im 16. und 17. jh. die schw. formen des sg. in der
Schriftsprache selten sind.-)
Scheibe, mhd. scJube schw.: nach der Scheiben i, 220,124:; bei Scliu-
bart nur st. (an deiner Scheibe SG. 2, 101. 104-); aber vgl. Hausleutners Schw.
Archiv 1793, Idiotikon der Baar, s. 251 : Scheibe = Schiba (d. h. iibd, was
einem nhd. Scheiben entspricht). Kehrein, 15. — 17. jh. s. 199 führt ein bei-
spiel aus H.Sachs an: auff der Scheiben; Kehrein, Nhd. gr. s. 96 noch eines
von Opitz.
Erde war mhd. st. und schw. Schiller hat: stoischen Himmel und
Erden 2,19,9, zur Erden 1,215,17. Bei den Schwaben findet sich öfters
noch schw. flexion: zur Erden Si. 2, 86. ST. 35. 20,5; gs. der Erden ST. 22,5.
49, 1. Schw.m. 1776, 719. In altertümlicher weise verwendet Schiller sie auch
später noch.'*) Frühere belege bei Kehrein, 15.— 17.jh. s. 200. Kehrein, Nhd.
gr. 8. 96 aus Goethe.
') Lande S. 6, 179. 8, 43. 56. 76. 29 u. a. — die GastmaMe S. 7, 186, 10.
lö'\ 334, Gastmähler S. 7, 199, 20. 289. — Böstvichter noch in S. 3, 442, 8 in
prosa. — Aus späterer zeit führe ich noch einige -er-bildungen an, die zu-
fällig nicht in den jugendwerken Schillers vorkommen: Feuerbränder (im
reim) S. 6, 370, P/-äse«f er S. 3, 359, 17, ifo.sjj/M/e?- S. 4, 61, 5, Diebesklüfter,
Elender S. 12, 35 (in der Kapnzinerpredigt), Gewänder S. 14. 9 neben Gewände
S. 10, 268, 25. 14, 92.
-) bei der Sonnen (im reim) S. 13, 387, unter der Sonnen (im roim) S.
14,51. 15^ 413, in der Sonnen S. 12, 18; andere fälle sind zweifelhaft (im
Glanz der Sonnen J. v. Orl., Kinder unsrer Sonnen Br. v. Mess.).
3) nach der Erden (reim) S. 3, 173, 12, auf der Erden S. 12, 167. 14, 25;
22*
340 PFLEIDERER
3Iittc und Fe nie kommen sclnv. vor in: in der il//7ff » 2, 325, 15 M,
in der Fernen 2, 268, 5 A (M fehlt hier). Zu letzterem weiss ich keine be-
lege. 3Iitte wird auch sonst zuweilen bei dichtem schw. flectiert, wol
unter einllyss von mitten (nach Paul, Wb.): vgl. Kehrein, 15. — 17. jh. s. 201.
Kehrein, Nhd. gr. s.97 mit beispielen ausEückert; sonst z.b. in Mörike, Gebet.
Doppelte flexion zeigt bei Schiller die Hechte. Heute gilt als regel :
mit artikel: zur Fechten Gottes, ohne artikcl: zu Gottes Hechte, mit dur-
gereichter Hechte. Doch findet sich auch schwanken. Klopstock hat (nach
Sanders, Wb.) vorwiegend die st. formen im sg. Schiller: bei dieser männ-
lichen Hechte 2, 237, 21 A. 48, 18 (in allen auflagen), von deiner gewaltigen
Hechte 1, 123, 78. Daneben bei dieser meiner Hechten 2, 237, 21 M. Auch
Schubart hat mit verliebe die st. form: Hechte SG. 1, 96. 20. 102. 2, 68. Da-
neben linde ich einmal die schw. : Hechten SG. 2, 13-i. ')
Soweit die scliwäb. grammatiker diese fem. zur rede bringen,
verlangen sie, wie die moderne spräche, im sg. st., im pl. scliw.
formen: Fulda, GR. 78. Nast, Spr. 1, 08 ff.
Tinte, schon in alid. zeit entlehnt, weist bei Schiller st. und schw.
formen auf: 7Hit ihrer Dinte 2,384,10 und öfters; daneben nach Dinten
1,208,67; die schw. form ist altertümlich und kommt in der biblischen
spräche öfters vor.
Den pl. viele Heise Br. 37, 24 möchte ich nicht für einen Schreibfehler
erklären. Die form findet sich im 1. brief an Dalberg, wo Schiller noch
sehr förmlich mit Dalberg verkehrt, da er sich bei diesem erst einzuführen
hat, und wo Schiller ausserdem allen grund hatte, correct zu schreiben.
Zwar kommt das subst. mhd. reise st. im nhd. nur noch spärlich st. flectiert
vor; Kehrein, 15. — 17. jh. s. 168 belegt aus Luther: dreier tagereise weit
1. Mos. 30, 36; aber als altertümliche form kennt Schiller sie vielleicht doch
noch. Als analogon möchte ich anführen, dass Miller sagt: tausend Freude
Si. 91, also auch noch die mhd. st. form verwendet, falls hier nicht das
Zahlwort einwirkte, so dass Freude einfach sg. wäre.
Eher möchte ich die pl. -ung für Schreibfehler halten. Die fem. auf
-ung sind mhd. stark, und noch im 15. und 16. jh. finden sich st. pl. (vgl.
Kehrein, 15.— 17. jh. s. 167f.). Schiller schreibt: zehen entgegengesetzte Em-
2jfindnng Br. 8, 3, 11, meine Überzeugung sind unnöthig Br. 9, 20; ausserdem
gp. Himceglassung Haug, Z. 460.'-*)
Bei den grammatikern bilden Heise und die subst. auf -ung ihre pl.
schwach, vgl. Nast, Spr. 1, 70. (^().
vgl. ausserdem aus seiner Kassen S. 12, 26, aiif der Messen S. 12, 19. —
Den Schwab, grammatikern ist übrigens, wie es scheint, die schw. flexion
des sg. bei Frde fremd; denn Schw. m. 1775, 322 wird auf Erden mit 'in
terris' übersetzt.
>) Später dat. der Hechte S. 3, 175, 2. 479, 9. 6, 199, der Hechten S. 6, 380
und oft.
''') Jedenfalls sind die späteren pl. -ung nachlässigkeiten : 1000 Empfeh-
lung Br. 1, 79, 9, meine Vorlesung np. Br.2,425, einige Zeichnung smrfBr.3,128.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 341
Plural auf -s.
Ueber den \)\. auf -s, der schon im nnid. im 15. jli. ziem-
lich verbreitet war und aus dem franz., vielleicht durch Ver-
mittlung des nl. herübergekommen war,') haben die schwäb,
grammatiker keine bemerkung; nur einmal wird er von Nast,
Spr. 1, 39 bei gelegenheit des pl. von Koi gestreift: 'das fran-
zösische die Kerls wird hoffentlich kein Tentscher verteidigen
wollen.' In der schwäb. literatur jener zeit habe ich auch
merkwürdig wenig beispiele von 5-pl. finden können (abgesehen
von Schiller); beides spricht dafür, dass dieses mittel der plural-
bildung in Schwabens literatursprache noch nicht sehr um sich
gegriffen hatte.
Das plural-s verwendet Schiller: 1) bei eigennamen zum
zweck der Verallgemeinerung:
die Hannes, Memlelsohns, Sioiffts 1, 92, 35, die Sidlys 2, 36, die Tartüffes
2,341,16, viele Don Quixotes 2,341,15,") vgl. die beiden Siegtvarts Si. 95;
2) bei fremdwörtern, wo es auch in der heutigen spräche
noch öfters angewendet wird, wenn der pl. nach anderer weise
sich schlecht bilden lassen würde (vgl. Grundr. 1, 758):
die Dokters 2,36,8. 42,18, die Doktors 2,227,8, russarjiers 2,87,25.
254, 3, Rubels 1, 203, 3; ebenso andere Schwaben: die Offiziers Si. 183 (Schiller
in S. 3, 388. Br. 1, 419), die Konsids SO. 169, die Professors Si. 2, 151 (Schiller
in Br. 3, 106), Seraphims und Cherubi7ns SO. 12, während Schiller sagt: die
Serafim 1,216,18 und an Seraphinen 1,359,85;
3) bei deutschen Avörtern:
die Jumjens 1,246,53, Fräideins 2,270,7. 111,2, 3Icidels 2,34, Ulms
2, 167, 10 neben UJme 2, 307, 10. Bei den andern Schwaben finde ich : Mädels
Si. 169. SG. 2, 123; dagegen die ScJmhu SG. 2, 124.»)
') Vgl. Weise, Unsere muttersprache s. 172. Grundr. 1, 758.
2) Freilich bildet er solche Verallgemeinerungen ebenso nach der a-klasse:
die Cäsare 1, 101, 9, die F(dlstaffe 2, 341, 17, Neue Sohne, Piatone 1, 99, 24;
nie aber nach der n-klasse, während z. b. Nast, Spr. 1, 84 die Ciccronen
verlangt.
^) Die s-pl. bei eigennamen sind allem auschein nach später nicht mehr
so häufig; es heisst z. b. bloss die Alba S. 5^^, 30. 108 u. a., die Doria S. 3, 57, 7
u.a., die Stolberfje BrA, 327. — Dagegen fremdwörter: AlmanachsBv.b,75,
Visionürs S. 4, 344, 12, Koffers S. 4, 160, 2, Officiers S. 3, 388, 8. Br. 1, 419.
S. 9, 6, Kantons S. 4, 99, 8, Generals S. 12, 119, Kavaliers S. 4, 270, 16, Passa-
giers S. 3, 255, 21. 4,333,4. — Deutsche Wörter: Jungens Br. 5, 11. 7,147,
Fräideins Br. 7, 175, Mädels S. 12, 25, Weibleins Br. 1, 341, unsre Frauens
Br. 2, 90.
342 PFLEIDERER
KcrJ, dieses lieblingswort der stunii- und drangperiode,
bietet dreierlei pl. bei Schiller:
die Kerl 2, 91, 24, Kerls 2, 30, 21. 33, 1. 222, 13. 223, 1. 224, 15. 81, 6. 9
etc., Kerles' ein Corps Kerles 2, 78, 14 ^) (der weitere pl. Kerle kommt erst
in Schillers uachlass vor, S. 15^530). Vgl. Fulda, GR. 71: 'mau darf also
im plural uiclit sagen: die Kerle, . . . sondern die Kerl ... '; ebenso Spr.'l,39
(vgl. ausserdem Nasts bemerkung s. 341, z. 5).
Flexion der fremdwörter.
In der beliandlung eines teils der fremdwörter zeigt sich
noch der altertümliche Charakter, der, Avie bemerkt, der schwäb.
literatur der zweiten hälfte des 18. jh.'s anhaftet.
In der zeit des hnmanismus war es üblicli und ein zeichen
der bildung, dass man die fremden Wörter nach den declinations-
gesetzen der fremden sprachen behandelte, eine sitte, die sich
bis ins vorige jh. eiiialten hat (vgl. Weise, Unsere muttersprache
s. 183 ff.). Zur zeit, da Schiller anfieng zu schreiben, war diese
sucht im allgemeinen vorüber. Zwar Lessing behandelt seine
fi-emdwörter noch gerne so, wie seine ganze spräche für uns
überhaupt 'geradezu veraltet' ist. 2) Aber man vergleiche z. b.
die art, wie der junge Herder die fremdwörter behandelt; er
ist zwar noch nicht ganz so frei ihnen gegenüber wie die
spräche des 19. jh.'s, aber 'er wendet gern die deutsche flexion
an, besonders bei fremdwörtern , die er häufiger gebraucht'
(Längin, Herder s. 42). Zu dieser freiheit den fremden ele-
menten gegenüber hat sich Schiller erst später durchgerungen,
und Avörter wie Bespotism, Idealism, die beim jungen Herder
sehr üblich zu sein scheinen, gebraucht Schiller erst, wie er
aus dem engen Schwaben draussen ist. In seiner jugend-
periode dagegen wimmelt es von fremdwörtern, die noch nicht
in deutscher nationalt rächt erscheinen und deshalb auch ausser-
halb des gebiets der deutschen declination liegen.
Beibehaltung fremder endung (ich sehe ab von fällen
') Kerles ist im pl. unveränderte sg.-form: vgl. dazu H.Fischer zu
G. R. Weckherlins Gedichten (Tübingen 1894-95), 2,499, no. 326: 'Kerlis
noch jetzt schwäbisch üblich {^Kerles') als komische bezeichnung; die endung
ist wohl nichts als komische Verwendung des lat. -t<s.'
'^) Vgl. die ausführungen von Behaghel, Sprachgebrauch und sprach-
richtigkeit, im 6. Beiheft der Zs. d. allg. deutsch. Sprachvereins s. 25 f.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 343
wie Krisis 1, 168, 9, Mechanismus 1, 168, Organismus 1, 167,32,
Publicum Br. 35, 21 etc.):
Requisiium 2, 4, -t, ÄppJausus 2, 7, 11, Konsensus 1, 169, 17, E.ctremum
1. U2, 27, .4Af»,<t 2, 27, 13. Kollega 2, 252, 22, rccia vom Galgen 2, 90, Gesius
2,37,19, Jnnius Br. 27, Kondlium 2,32,16, Judicium 2,82,6, Prindpium
1, 145, 19 u. a. (vgl. Weltricli 1, 550).
Beibehaltung: der fremden casusendungen:
die Organismi 1,145,5, zum Hauptstudio 1,23,17, zum Principio 1,90,15,
zur Exstasi hinaufsteigt 1, 163, 12, die Herrn vom Kollegio 2,32,5, zu Ex-
tremis 1 , 166, 21, den Statum (hier, im gedieht, mit komischer absieht) 1 , 193, 202,
aus meiner Praxi 2,84,16, den Gradum eines Doktors Br. 56,28,10, von
meinen otiis poetieis Br. 42. 3, Doktores 2, 32, 16, den Deum ex machina
1.80,15, in einen gewissen Xisum 1,145,21, Pfirases 2,29,3.')
Aehnliche fälle bei aiuleru Schwaben: Europam 80.94, durch Praxin
SO. 177, die Krisin Si. 2, 70, diesen Suevismum Sehw. m. 1776, 91, des Publici,
des Privilegii Schw. ra. 1780,360 etc.; aus den grammat. abhaudlungen der
Schwaben Hessen sich noch viele beispiele anführen.
Manchmal begegnen auch fehlerhafte en düngen:
von Epidaurum 1, 317, 103, die Weiber Epidaurum 1, 337, 737, von
Titijon 1, 241, 124, in Elysen 1, 217, 40 (wol des reims wegen, statt -ien).
An fremdwörtern, die in deutschem gewand erscheinen und
nach deutscher art flectiert werden, Aveist Schiller eine
anzahl auf, die von der jetzt üblichen Üexionsweise abweichen.
Masculina.
. Bursche: das bis ins 17. jh. als collectives fem. fungierende
harsche wurde im 17. jh. als pl. anfgefasst; dasselbe wort wurde
aber daneben auch für einen sg.- begriff == nhd. Bursche be-
nützt, und zu diesem mm ein neuer schw. pl. gebildet. In
unsrer mundart herscht der st. pl. noch durclnveg.
So auch Schiller: \A. Bursche %19,^lh, wir Pursche 2,'S2, 10; vgl. Pursche
Si.2, 106. Fulda, GK. 64 und Nast, Spr. 1, 20 verlangen die st. flexion. —
Auch Goetbe hat noch die st. formen, vgl. Bojunga s. 04."'')
Ganz vereinzelt dürfte der pl. die Frofessore 2, 4, 28
dastehen.
Die Wörterbücher erwähnen ihn nicht. Er ist fehlerhaft, aber vielleicht
') "Wenn in spätem perioden gelegentlich derartige formen noch vor-
kommen, wie bei unserm Commercio Br. 5,22b, so ist das wol beabsichtigt
altertümelnd.
*) pl. Bursche noch Br. 1, 420, 7, etliche Bursch' S. 3, 393, 13, ap. Bursche
S. 14, 195. Br. 2, 31.
344 PFLEIDERER
nur boziig-lich des -c. Frofesi^ore kaim erklärt werden als die schwäbische
pl. form Frofesser + angehängtem e als pluralzeichen (ich verweise auf
die übrigen incorrecten Verwendungen dieses dem Schwaben fremden auslauts
-e s. 318 uu'4 später beim parag. -e). Für diese auffassung spricht eine anraer-
kung Xasts im Spr. 1, 55, wo er Professor mit Wörtern wie Schweizer, i\IüU^r,
HoUändcr, Apostel zusammennimmt, Avelche, 'da' sie den ton nicht auf der
endsilbe haben, im pl. dieselbe form haben wie im sg. : die Müller-, also
verlangt er auch die Professor. In der folgenden anmerkung verhöhnt er
dann die pl.-formen eben dieser Wörter auf -rn: 'vile machen den plural:
die Bniern . . . '
Schwache formen ent gegen dem heutigen gebrauch
finden sich bei'):
Nerv. schw. sg. den Nerven 1,145,10. 81,1, /»( Nerven 1,80,4.25,
des Nerven 1,80,3."^) Auch Adelung verlangt schw. sg.; ebenso beim sg.:
dett Brillanten2,2d8,9 (nher den Demant 2,298,10):, Sanders citiert noch
einen schw. sg. Brillanten von Schiller (daneben diesen Brillant von einer
Frau S. 6, 30, 83).
Zum nom. der Vialoge Br. 48, 17 wird der dat. im Dialo(fenBr. 52, 3
gebildet (Sanders: schw. noch bei Tieck), ebenso in einem J/o>iO?0(/e>i2,363,12
(Sanders: Goethe, Gutzkow u.a.).")
Nul' schw. pluralformen sind zu belegen bei:
Roman, das im 17. jh. aus dem französ. entlehnt, im deutschen zuerst
den pl. aiif -s, dann auf -en, und erst im spätem 18. jh. auf -e bildet (Heyne,
\Vb.). Schiller: n-p. Jiomanen 2, 388, 3. Adelung verlangt J^omane ; Gayler
s. 110 sagt noch: 'hochdeutsch pl. Romane, bei uns die Romanen.^ Vgl.
Ergözlichk. 1774, 2,13 Romanen; ebenso SO. 105. 119. 134; die Original-
romanen Schw. m. 1775, 31 ; vgl. Romanenheldin SO. 76, Romanenschreiber
SO. 104, romanenhaft SO. 122. — Im sg. sagt Schiller den Roman 2, 379, 16,
ebenso Schubart einen Roman 80.116.*)
Spion, ebenfalls im 17. jh. aus dem französ. übernommen und bis ins
ende des 18. jh.'s hinein schw. flectiert. Der junge Schiller hat nur den
schw. pl.: Spionen 1,207,29. 2,91,9. 155,4. Die schw. formen belegt San-
ders noch aus Wieland. Adelung verlangt für den gs. -s, für den pl. -e. *)
') Da diese fremdwörter, so viel ich sehe, noch nirgends eine zusammen-
hängende behandlung erfahren haben, so bin ich genötigt, stets auf die
Wörterbücher zu verweisen.
^) Einen schw. sg. finde ich nur noch im sg. den Nerven S. 8, 143, 4.
3) Später: im Dialogen Br. 2, 77; pl. Dialogen S. 11, 112. 116. Br. 4, 34.
5, 173; — pl. Monologen S. 11, 106, 66; vgl. dazu den ap. Prolögen, Epilogen
Br. 1, 116, 66; gs. des Catalogen Br. 3, 166.
*) ap. Romanen S. 10, 478, 25; vgl. dazu Romanenlektüre Br. 4, 340,
Romanenheld S. 15^ 254.
'■) pl. Spionen S. 3, 79. 212. 429. 4, 105. 106; Spione S. 4, 166, 6.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 345
Baronen, np. 1.3S8, 1.9. Die sclnv. form üliorwiegt bei Schiller zeit-
lebens. Adelung sagt Barone.^)
Affekten 1,175,18 neben Affekte 1,235,37. Auch Herder bedient
sieh der schw. form, vgl. Längin, Herder s. 43. Adelung: Affekten.'^)
Die Atomen 1,28G,23, zum ns. der Atome 2,349,31. Sanders führt
schw. formen aus Wieland und Forster an.^)
Kolüfs, im 18. jh. entlehnt, ist im pl. stets st.: KoJofse 2,30,17.
224, 13 A und M ; erst ausgaben nach 1799 bringen die schw. fonnen (ebenso
ap. Kolossen S. 4, 111, 32).
Feminina.
Perücke zeigt schw. sg. im dat. Pm<c/ie« 1, 354, 43 im reim; daneben
st. dat. Perücke 1,251,23; obige stelle mit schAv. form ist die einzige, die
das D\Y\). anzuführen weiss. Sie ist im schwäb. nicht ungewöhnlich.
Fiber (die muskeif aser) tritt nach den belegen im DWb. und Sanders
im pl. sonst nur in schw. form auf; Schiller hat beiderlei formen: np. Fibern
1, 88, 26. 28, 33. 8G, 28; gp. Fibern 1, 86, 20; np. Fiber 1, 89, 11.
Die Hüft 1,345,20 kann, wie Gödeke im glossar S. 1, 394 meint, pl.-
form sein, da im schwäb. der sg. Hnft noch üblich ist; doch ist kein
zwingender grund vorhanden, die form pluralisch aufzufassen {'die Reut-
linger gürteten die Hüft').
Silhouette bildet aiiffallend st. pl.: Silhouette 1,243,19. Im DWb.
ist das wort nicht verzeichnet; Sanders führt nur die schw. pl. -formen an.
Pistole, fem., das früher auch im sg. schwachformig war (DWb.),
weist bei Schiller beiderlei formen im sg. auf: er setzte die Pistolen (sg.) an
2, 162. 303 in den meisten ausgaben. Adelung will nur im pl. schw. form.
Uebereinstimmend mit dem üblichen gebrauch ist np. Geu-issensmartern
101, 12, während Schiller später auch ap. die ^Harter S. 4, 241, 8 bildet (doch
wider Martern S. 10, 36, 27).
Neutra.
Parterre findet sich im gen. undecliniert: des Parterre Br. 42, wie
Schiller später und mit ihm das 18. jh. oft des Interesse (z. b. S. 10, 211, 27) sagt.
Schwache pluralformen, teilweise neben den Jetzt üb-
lichen starken, finden sich in
Fantomen ap. 2,392,2 neben Phantome i, 77, 7; ehmso Phantotnen
SO. 35; ebenso bei Wieland und Zachariä (DWb. Sanders) und bei Schiller
in spätem werken.*)
Epigrammen np. 2,378,1 neben Epigramme Br.-^Q, 21, 8; schwache
') dem Bcichsbaron S. 6, 30, 59; pl. Barone S. 8, 144. 13, 25; dagegen pl.
Baronm S. 7, 180, 13. 8, 62, 4. 79, 34. 9, 234, 3. 14. 235, 31.
') gp- Affekte S. 4, 61, 15.
') auf jedem Atomen S. 2, 353, 3 t in den ausgaben von 1812 und 1819;
pl. Atotnen S. 3, 531, 25.
*) pl. Fantomen S. 3, 80, 2. 5», 139. 5^ 251.
346 PFLEIDERER
formen sind belegt aus Lessing und "Wielaud (Sanders); Adelung ver-
langt sie. >) Vgl. np. Idealen SO. 38.
Produliten 1, l.')n. 1 neben Produkte i,\b6, ib. Adelung: Produkte.
Neben der uhd. gewöhnliclicn form Insekten (gp.) 1, 155, 2-i, die^auch Ade-
lung verlangt, erscheint Insekte ni). 2,353,24. Sanders bietet für diese
form keine belege. Nast, Spr. 1, 78 sagt: Insekt — Insekten. — ^D&s Insekt
geht auch richtig nach der ]. declination' {u-eyc). Fulda führt nur den pl.
Insekte an GR. 04.
Das direct aus dem lat. entlehnte Exemplar bildet Exemplare Br.
34,7, und daneben in anlehiiung an die lat. j)!. -form auf -ia: Exemplarien
2, 205, 2. Die beiden formen gehen bei Schiller auch später stets neben-
einander her.
Der pl. von Möbel schwankt im 18. jh. )ioch. Adelung \\&t Meuhles
und Meublen, ebenso Goethe (vgl. Heyne, Wb.). Beim jungen Schiller kommt
das wort nur einmal vor: 2,378,28. Später verwendet er auch die form
auf -en.')
Declination der eigennamen.
Die eigennamen werden vor ende des 18. jli.'s meist noch
flectiert. Spnren von unflectierten namen finden sich schon,
werden aber von den Scliwaben energisch getadelt.
Ueber das verhalten gegenüber eigennamen geben die
Schwab, grammatiker ansführliche regeln. Vorauszuschicken
ist, dass sie die anwendung des artikels vor eigennamen als
ganz selbstverständlich ansehen (wie nocli heute in der schwäb.
mimdart der artikel nie felilt). und demnacli bei ihren regeln
stets untersclieiden zwisclien fällen mit und solchen ohne
artikel, oline indessen darüber etwas vorzuschreiben, in wel-
chen fällen der aitikel zu setzen ist und in welchen nicht; das
ist der willküi- überlassen; demgegenüber hatten die gram-
matiker des nordens den artikel bei allen deutschen namen
verboten und bei fi-emden namen nur gestattet, wenn sie keine
flexion annehmen, also der deutlichkeit halber.
Fulda, GK. 79 fasst seine regeln kurz: 'Eigenen namen
wird der artikel binden angefügt. Die declination ist concret,
mit dem s im gen. Der ordentliche gen. ist also -ens: Wolfens ...
Nur die in -d, -er, und die den accent nicht auf der lezten
.<ilbe haben, besonders fVeuide unteutsche endungen, und die
*) pl. Epigrammen Br. 4, 40fi neben Epigramme Br. 4, 416; vgl. ähn-
liche pl.-formen: ap. Stjnibulen 8.3,10.522. 5', 97; Symptomen S. 15', lOG.
'') Jleubles noch Br. 4, 405, Meublen ap. S. 4, 213, 27. Br. 2, 258.
SPRÄCHE DES JUNGETSr SCHIIJ^ER. 347
Vornamen, haben ein bloses -s. Selbst die weiblichen können
das -s und ms nicht entberen: . . . Louisens.'
Ausführlicher ist Xast, Spr. 1, 82 ff.: er weist seiner 3. decl.
(parad.: Äpfel, Bruder) alle eigennamen auf -cl, -er, -en und
s. 55 dazu noch die auf -or zu. In praxi flectiert er auch
Karl so, s. 86. Darnach sagt er s. 85: mit artikel der Beugel,
des Bengels, dem, den Bengel, ohne artikel Bengel, Bengels,
Bengeln, Bengeln.
Dieser regel entspricht im allgemeinen der gebrauch bei Schiller: gen.
meines Karls 2,74,20. 65,19 n. s. w., des geopferten Rollers 2,199,10, des
Herrn Schillers 2, 374, 14, rZfs Prof. Abels Br. 29, 24, des Eobhis 2, 122,25;
des Eleven von Hovens Br. 29, 25, (des Hannihals 2, 29, 2; bei Nast s. 86 auch
hieher gezogen), des Herrn von Hcdlers 1, 89, 27 etc. — dat. Karin 2, 20, 20.
66,23. 213,18u.a., ronAmorn\,'6b\,^b: mit artikel: seinem Karl 2,211. 20. —
acc. Karin 1,69,22. 2,20,2 etc., Moorn den liüuber 1,302,56, Ajmlln 1,252,56,
Schweizern 2,318,20, Kollern 2,236,24; mit artikel: diesen Karl 2, 21b, 29
(vgl. dat. Xavern Si. 108, acc. Xavcrn Si. 110, Luther n SG. 2, 116: gen. eines
Bürgers SO. 160 etc.).
Ferner sagt Nast, Spr. 1. 82, in beziehung auf die übrigen
bestehe in Deutschland Unsicherheit, da Xorddeutschland noch
viele namen, die in Süddeutschland (schwach) flectiei-t werden,
nach der ersten d. h. gar nicht ausser im gen. sg. flectiere.
Er rügt darauf den gen. seines eigenen namens in der form
Nasts: 'Das ist nach der g-ewonheit meines landes, wo doch
mein name zu haus ist, ein doppelter feler. Dann mit dem
artikel mus es heiffen des Kasten, und ohne denselben Kastens.'
Er verlangt dann schwache tlexiun für alle auf einen -5 -laut
oder auf -st ausgehenden namen, sowie für ursprüngliche
appellativa wie Wolf, soweit sie nicht auf er, et u.s.w. endigen;
paradigma: mit artikel der Hans, des -en, dem -en, den -en;
ohne artikel Hans, Hansens, Hansen, Hansen (s. 87).
Schiller: meines Kränzen 2, 321,4 M. 323,9, {Mitie des Amiusts Br.64,3);
dat. in Kränzen 2, 9, 11, mit Goethen Br. 57, 14 (gehört nach Spr. 1, 83, 4 auch
hieher); acc. Fr« »^m 2, 370, 20. 73,8.
Ferner Spr. 1,83: 'Die meiste eigne namen der Teütschen
gehen nach der 1. declination.' Paradigma: der Ahraham, des -s,
dem - etc.; ohne artikel Abraham, gen. -s, dat. -en, acc. -en.
'Ebenso sind auch die, so auf ein kurzes r/.s-, es, is, os, us aus-
gehen, ... nur dal's sie im gen. kein s annemmen.'
So hat Schiller: eines Howards 2.19,2, des J*luios2,\)0,7, der Speer
Achilles 1, 123, 79, eines Schwammerdams 1, 157, IG, des Klutarchs Br. 22,
348 PFLEIDERER
Kinder Frofnctheus 1, 18(>, 4, eines Avrch 1,1-42,25, 3Iathias Siegeszug
2,2-18,26, Ihoneus Sc/i///" 1, 123, 101, Licias Streiter -[,123, 9b, Aeolus Burg
1,121,23; dat. Klopstocken Hang, Z. 458, m Eh/sen 1,217,40; acc. Pom-
pejen 1, 268, 45 (= Poiiipeium).
Von "weiblichen eigennamen kommen bei Schiller nur solche
vor, die auf einen vocal endigen. Sie flectieren nach Nast,
Spr. 1, 88 die Flora, der - etc.; Flora, Floras, Floren, Floren.
Ebenso bei Schiller: ylw/ «Z/ens 2, 284. 20, -4nar7?/owe«ews 1,341, 8; dat.
irt?/mi 1,282, 87; acc. yl»m7/('» 2, 221, 5 M, Laioru 1, 282, 90; vgl. T/teresm
Si. 1, 97. 2, 10.
Nach diesen regeln sind also für die anschauung der da-
maligen Schwaben falsch:
seines Franzens 2,50,1. 217,2t M. 370,18, seines Frnnzes2,2Vl, 11 k,
des Franzens Er. 35, 6. Ferner die nnflectierten: zu Boiler 2, 256, 7, zu Franz
2, 324, 31, an Goethe Er. 55, 27, 15, nach Klopstock Hang, Z. 459; acc. Frans
und Amalia 2, 72, 11, Avialia 2, 352, 7, von Amalia 2, 329, 1 M, den Schwarz
2,37,6 etc.
Tgl. dazu Spr. 1, 83: des Herrn Wolfs ist ^unschicklich und
unerlaubt'; Schw. m. 1779,607: 'Und wenn es in noch so vil an-
dern titteln oder Überschriften der bücher heilst: . . . von G.Lüdke
, . . statt Lüdken etc., so sind das eben sovil Sprachfehler, die
sich blols dadurch entschuldigen lassen, weil diese leute fürchten,
man möchte ihren namen unrichtig verstehn.'
Ueber das genus der substantiva.
Nach Schwab, gebrauch finden sich masculine formen
entgegen der nhd. üblichen:
im Chokolade 2, 135, 15. 287, 15; später gebraucht Schiller das wort
als fem.') — Angel als ms. ist für den np. die Angel 1,108,57 zu sub-
stituieren : vgl. Fulda, (IE. 72 : der Angel — die Angel ; so auch der Angel SO. 51
(ebenso Schiller S. 5S81,30. 12,185. 10,124,5). Adelung: 'Bei den meisten
Oberdeutschen ist es männl. geschlechts. ' Masc. ist das Avort 'noch meist
im 18. jh.' (Paul,Wb.). — liiz 1, 88, 15 das jetzt meist durch die fem. neben-
form Eitze in der Schriftsprache verdrängt ist. Es ist als masc. angeführt
Fulda, GR. 65 und Nast, Spr. 1, 23. — Schlepp 2, 349, 13; auch von Goethe
verwendet; nebenform zu fem. Schleppe S. 3, 36.
Andere nicht mit dem gewöhnlichen nhd. genus überein-
stimmende Wörter sind:
Labyrinth masc. 1,89,23; so Spr. 1, 23 und Fulda, Ergözlichk. 1774,
2,80. In Sanders ist das masc. noch aus Wieland belegt. — Tribunal
») fem. Chokolade S. 3, 12. 44. 272 u. a.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 349
inasc. 2,184,3; so SO. llfi: ucutr. (lag-egon Ergözlichk. 1774. 1, 323 iiud bei
Schiller später; ebenso bei Adehnig-. Sanders hat ansser der genannten
stelle aus Schiller keine belege für masc. *)
Beim Lesung Klopstocks 1, 58, 16 ist ein versehen, entstanden durch
rontamination von lehn Lesen und bei der Lesimg (letzteres ein im 18. jh.
und bei Schiller sehr beliebtes subst.; vgl. 'Wortbildung', subst. aiif -ung.
Neutra.
Das Kurzweil 2, BBO, 6, entgegen dem nhd. gebrauch (Paiil, "WT).:
'erscheint zuweilen auch als neutr.: Schiller'). Das DWb. führt noch je ein
beispiel aus Simplic. und Goethe an für das neutr. — Auch die bei Schiller
vorkommenden obl. casusformen im Kurzioeil S. 3, 38, 5, luirziceils gewohnt
S. 14, 358 (Teil) sind wol neutral zu fassen (Sanders fasst sie als masc). —
Moment = augenblick 2, 1G1,20 gebraucht Schiller noch lange als neutr.
Sonstige belege finde ich keine für das neutr. in dieser bedeutung. Sanders
kennt es so nur als masc.'^) — Anker neutr. 1,275,30, im DWb. nur als
masc. verzeichnet; Sanders hat einige belege für neutralen gebrauch. —
Kloak, im nhd. durch die dem lat. cloaca entsprechende fem. form Kloake
ersetzt, findet sich als neutr. (masc.?): /m Kloak 2,98,13. Die form ist
sonst in den Wörterbüchern nicht belegt; bei Schubart finde ich noch: zum
Kloak SO. 98.
Feminina.
Ungevi'öhnlich ist die Eetour 2, 253, 3, wol zu erklären als ersetzung
von die liückkehr durch das fremde wort, mit beibehaltung des geuus von
Hiickkehr.
Masculina und feminina.
Quell masc. 1, 225, 39 und Quelle fem. 1, 228, 75. 283, 108, wie nhd.
— der Waifs 1,42,59 neben Waise fem. 2,111,3. 160,12; das masc. ist
jetzt in der Schriftsprache weniger üblich (wird aber z. b. von Grimm noch
gebraucht; vgl. Bojunga s. 88); in der scliwäb. mundart ist es ganz gewöhn-
lich; die grammatiker verlangen masc: GR. 76. Spr. 1, 277. 60. Auch Luther
und Geliert (nach Heyne), sowie Klopstock (Sanders) verwenden das masc.
Adelung: 'die Waise oder der Waise.' — Neben dem schriftsprachlich üb-
lichen fem. Prise 2,79,11. 257,3 A steht das masc. um'n Prise 2,91,5,
um'n Prifs 2, 257, 31 M. Das masc. ist schwäb. ; Adelung kennt nur das fem.;
Sanders und das DWb. führen keine masc. an, auch obige stellen nicht.
Masculina und neutra.
Zum masc. Kc rl existiert noch ein collect, neutr. das ganze Kerl 2, 78, 9.
Neutrales Kerl findet sich noch bei Ayrer (DWb. Sanders).
Zum masc. Mensch bildet man fast in allen obd. dialekten ein neutr.
mit pejorativem sinn: 1,349,1 (hier nicht gerade in verächtlichem sinn
*) Tribunal neutr. S. 7, 47, 25. 8, 46, 31.
*) neutr. Moment = augenblick 8. 7, 17, 27. 23, 21. 179, 28. 8, 95, 8;
masc. zuerst S. 8, 250, 32 (vom jähr 1791!), dann S. 9,370, 11 u.a.; vgl. das
glossar in S. 5.
350 PFLEIDEREK
gebraucht, aber doch als ansdruck einer ärgerlichen Stimmung), lieber den
pl. Minscher vgl. s. 338: das Mensch auch in SO. 84. Si. 2, 10. 37. 105.
Feminina und ueutra.
Neben' dem jetzt allein noch üblichen neutr. das Revier 2, 275, 25 A
(2, 119, 21 in den ausgaben von 1812 an eingesetzt) findet sich das fem. noch
in r7/e i?a'w- 2, 275, 25 M. 119,21. Letztere form ist die ältere und etymo-
logisch richtige, da das wort aus dem frz. mve»-e stammt; doch weist schon
das mhd. neutralen gebrauch auf (vgl. Lexer), während im bairischeu das
fem. noch herscht (vgl. Schmeller- Frommann, Bair. wb. 2, 191). Adelung
gibt das neutr. an, fügt aber hinzu: 'in einigen, besonders obd. gegenden
ist es weiblichen geschlechts, welches geschlecht der abstammung freilich
gemäfser ist.' Die Wörterbücher geben ausser der Schillerschen stelle keine
so späten belege von fem. mehr an.
Wörter auf -niss.
Die subst. auf -niss sind im verlauf des nhd. meist neutr.
gewoi'den. Bei einigen, wo das geschlecht schwankt, ist eine
neigung- vorhanden, das neutr. für concreta, das fem. für ab-
stracta zu verwenden (vgl. Wilmanns, Gr. § 272, 3. Bojunga
s. 163). In den fällen bei Schiller lässt sich das nicht con-
statieren:
ein unenvarietes Begegnis ihrer Empfindungen 2, 889, 1, gilt diese Be-
gegnis deinem Herrn':' 2,290,13, Karl im grossesten Bedrängnis 2,357,13,
3Ioor in der entsetzlichsten Bedrängnis 2, 308, 15. Adelung erklärt Begegnis
und Bedrängnis für fem., ohne bemerkung. In Übereinstimmung mit dem
moderneu gebrauch ist Verderhnifs fem. 2, 361, 32 und Bedürfnifs neutr.
2,302,13, während Adelung diese beide für ueutr. erklärt mit dem be-
merken, sie seien oberdeutsch 'weiblichen geschlechts, wieviele andere auf
->»■/*•'. Bei Nast, Spr. 1,77 ist Bediirfnifs noch fem.; die übrigen der an-
geführten subst. nennt er nicht. — >>ein ganzes Kennini fs 1, 152, 27 ist citat
aus Garve. *)
1) Später noch: Bedrängnifs neutr. S. 4, 326, 23. 8, 36, 1. 64, 25. 317, 35.
7,23,6. 248,1, fem. 9,66,23; — Verderhnilsnmiv.S,.Q,Ti,A. 9,91,3. Br.1,125;
— Bedürfnis fem. Br. 1, 210, während in der schwäb. periode neutr. (mit
nhd. 19. Jh.): das Bedürfnis 2, 362, 13; — die Hindernifs Br. 1, 130, 13 (Schw.
m. 1776, 172); — Bedingnifs ueutr. Br. 1, 219. — Im folgenden gebe ich eine
Sammlung von Wörtern, die in Schillers jngendschriften das jetzt übliche
genus aufweisen, später aber teilweise davon abweichen: Geifseliem. 2, 63,2.
77,14. 4,263, masc. 3,522,12; — Gift neutr. 2,49. 62,10. 3,34.433 etc.,
vgl. Gödekes glossar S. 5, masc. 3,520.503. 11,65,24; so auch bei Haller,
vgl. Käslin, Hallers. 59 und noch in Autespergs grammatik, vgl. Socin a.a.O.
8. 433, während Fulda und Nast es als neutr. behandeln; — Locke fem. 2, 171,
317,3. 3,155,7, neutr. 3,71. 256,5; — Nerve masc. s. s. 344, fem. 3,502,
ebenso SG. 149; - Scheitel masc. 2, 119. 4, 215. 229, fem. 6, 357, 296; - Echo
SPEACHE DES JUNGEN SCHILLER. 351
B. Zu den adjectiven.
Zur fiexion des adjectivs.
Die starke oder schwache behandlungsweise des adj. ist
zwar ein capitel, das in die syntax geliört, allein da eben das
Schwab, in diesem pnnkte dem nlid. spraclig-ebrauch entgegen-
gesetzt verfährt nnd ein befolgen der für das scliwäb. giltigen
regeln eben den Schwaben kennzeichnet, so behandle ich diese
frage hier anch.
Die alem. mundarten kennen im nom. acc, pl. eine schw.
flexion des mit artikel (oder an dessen stelle mit adj. pro-
nomen) versehenen adj. nicht, sei es nun. dass dieses adj.
vor einem subst. steht oder selbst substantiviert ist. Das
scliwäb. hat in diesen fällen die form auf -e, die aber im m.
und f. nicht die fortsetzung der mlid. starken pl.-endung ist;
denn sämmtliche ungedeckten -e sind im schwäb. ja gefallen;
vielmehr wird diese starke form erklärt als Übertragung der
neutralform mhd. -in : nlid. -e auf sämmtliche geschlechter; vgl.
Kauft'mann § 107, anm. Jellinek a. a, o. s. 32.
Zu Schillers zeit waren aber die schw. formen der adj.
in der süddeutschen literatursiirache schon die vorhersehenden,
in folge der herschaft der md. Schriftsprache, und so war der
kämpf der grammatiker, so energisch er auch geführt wurde,
auch in diesem punkte erfolglos. Immerhin mögen ihre aus-
einandersetzungen bewirkt haben, dass mancher zu jener zeit
sich weniger davor hütete, die schwäb. formen aufs papier
zu bringen.
Sie bezeichnen die schwachen formen als fehlerhaft: Fulda,
GR. 85 ''seine guten Freunde ... ist also feierhaft'; Fulda,
Ergözlichk. 1774, 2, 80 'seine liehen Freunde zu schreiben, wird
sich gewissens halber kein Schwab entschliessen, der die regel,
das gesetz der teutschen spräche kennt.' Nast, Spr. 1,94 'im
nördlichen Teutschland henkt man dem nom. und acc. der mer-
heit ein n an, wovon der gebrauch im südlichen l'eütschland
nichts weist.'
Auf grund dieses schwäb. gebrauchs, den *die Schwaben
neutr. 2,54. 111. 3,414, fem. (3,303,3. — Ich weise ausserdem darauf hiu,
dass Fracht stets fem. ist (1, 28, 37. 287. 2, 33, 3), währeud es im Spr. 1, Gö
noch masc. ist uud ebenso bei Schubart ST. 111 (uebeu fem. ST. 125).
352 PFLEIDERER
mit dem altertum behaupten' GR. 83, stellt nun Nast ein de-
clinationssj^stem auf, einmal für die adj. 'mit dem vortretten-
den artikel' 8pr. 1,93, das im sg-. sich nicht von dem nhd.
üblichen unterscheidet, im pl. aber als 'schwäb. form' den n.
acc. voc. lue gute — , der 'sächsischen form' als gleichberech-
tigt gegenüberstellt. Nur den substantivierten adj. lässt er
Spr. l,G2"die 'sächsische' form die Teilt sehen neben unsere
Teütsche. Diese Scheidung wird aber in praxi nicht durch-
geführt.
So bat Scliiller: die goldne Majcnjuhre 2,129,5, diese unmoralische
Karaktere 2, 10, 26, deine hochfliegende Plane 2, 202, 7, die Beleidigte 2, 17, 5;
np. diejenige 1, 145, 10 (vgl. Nast, Spr. 1, 9G: '■derselbe, . . . derjenige, verstehen
sich von selbst: dann sie haben ja den artikel ansdrücklich vor sich').')
Es ist vielleicht nicht zufall, dass nach alle stets die
starke form des adj. (wie im mhd.) steht, falls ich richtig
beobachtet habe:
alle schwäbische Scenen Br. 60, 31,9, alle andere mannigfaltige sinnliche
und geistige Vorstellungen 1, 86, 29, alle rothe Farben 1, 88, 16, alle erwiesene
Wohlthaten Br. 1, alle Gefangene 2, 187, 14, vor alle lebend/ige Geschöpfe
1, 32, 27, alle kleine Dienste 1, 33, 22.
Sonst aber überwiegen trotz allem die schwachen formen:
In Brief no. 2—23 sind 19 -en gegen 4 -e. Die reden von der Karls-
schule — falls die abschriften die ursprünglichen wortforraeu widergeben
— zeigen auffallend viele schwäb. formen: S. 1,31 — 36 (ßede über freund-
schaft) hat 1 -en gegen 6 -e; S. 1, 61 — 69 (Rede über gute und tagend) 3 -en
gegen 2 -e; ähnlich die abhandlung über Philos. der physiol. S. 1, 71 — 93
7 -en gegen 8 -e. Auch sonst ist der procentsatz der st. formen kein kleiner:
die Dissertation S. 1, 139—177 hat 25 -en gegen 8 -e, also 24 proc. st. formen.
Die Räuber 1782, S. 2, 207 ff. haben im Schwanschen druck (A): adj. vor
subst. 18 -en : 14 -e, substantivierte adj.: 10 -en : 5 -e, beide zusammen-
genommen 28 -en gegen 19 -e, d.h. 40'/2 proc. st. formen; anders bei M:
adj. vor subst.: 26 -en : 4 -e, substantivierte adj.: 12 -en : 2 -e, zusammen-
genommen 38 -en : 6 -e, d. h. nur 13,6 proc. st. formen.
Die Räuber 1781 zeigen S. 2,4 — 108: adj. vor subst.: 18 -en : 11 -e,
substantivierte adj.: B -en : '6 -e; S. 2, 109 — 204 (dritter bis fünfter act):
adj. vor subst.: 19 -en : 10 -e, substantivierte adj.: 12 -en : 2 -e, alles zu-
sammen also 52 -en : 26 -e, d. h. 33 proc. st. formen.
Anm. Auch diese zahlen legen vielleicht wider zeugnis ab
von dem freien verhalten der drucker und setzer gegenüber ihrem
original: nimmt man an, dass M geschrieben hat, was ihm dictiert
*) Auffällige schw. formen: Gelehrten zankten sich 1, 263, 2, blonde
Schönen 1, 186, 8, (Jür Koketten 2, 18, 19); vgl. fremde Gesandten S. 7, 83, 2.
SPEACHE DES JUNGEN SCHILLER. 353
wurde, so stehen — abg-eselien von den reden der Karlsschnle —
13,6 proc. von M und 17. 4 proc. in den Briefen auf der einen seite,
dagegen 24 proc. der Dissertation, 40\ 2 pi'oc. der Räuber A, 33 proc.
der Räuber 1781 auf der andern seite.
Die übrigen casus der adj. mit dem artikel bieten nichts
auffallendes ;
denn folgende formen sind wol für druck- bez. Schreibfehler anzusehen :
an deinem tvoUiistheifscm Munde 1, 24, 11, an einem voUlcommenerem Ge-
nüsse Br. 58, 11, dieser bohrender Spitze 2, 820, 11 M.
Nasts 2. declination 'mit dem naclitrettenden artikel',
Spr. 1,97, hat zum paradigma süser Wein, süses Weins,
süsem Wein, süsen Wein; der pl. wie im nhd. Im folgenden
abschnitt bespricht er die form des gen. sg. noch besonders,
aber ohne zu entscheiden, ob die st. oder schw. form vorzu-
ziehen ist. Der moderne Sprachgebrauch bedient sich der
schw. formen, während Goethe z. b. noch oft bei masc. und
neutr. die starken anwendet.
Schiller sagt: mich einitjes Verdiensts rühmen 1,116,27, thrünenden
Äucjs 2, 352, 24; beide formen nebeneinander: böses Herzens xmd kleinen
Herzens Br. 7, 17, (jeradenicegs 2, 126, 7. 256,25 M. 243, 17 A. 281,16, geraden
Wegs 2, 243, 17 M, — gerades Wegs 2, 85, 5. 91, 1, gradesweg 2, 256, 25 M,
einestheils 1, 165, 30, allenfalls Br. 60, 2. S. 2, 289, 16, einerseits — andernseits
Br. 49, 23, stets mehrenteils (wie die comparative in der alten spräche nur
schwach flectiert werden) 1, 1G5, 31. 164, 25. 2, 140, 7. Hang, Z. 465 (SO. 97.
81. 6. 9. 13 etc.). ')
Für den gen. pl. verlangt Nast, Spr. 1,99 gtiter süser Weine.
So auch Schiller: anderer stockfinsterer Hcydcn 2, 17, 18, voll herz-
licher süsser Empfndungen 2, 382, 12.
dat.: Nast, Spr. 1,99 (jutem süsem Wein.
Schiller: unter hohem bestirntem Himmel 1, 62, 12, mit süssem köst-
lichem Wein 2, 49, 16 A, mit mildem freundlichem Blicke 1, 216, 41, auf
Telhis ganzem grofsem Bund 1,322, 2Gß; daneben kommt aber beim zweiten
adj. auch die schw. form vor: in bangem süfsen Krais i,2{)4:,'Sl, mit süssem
köstlichot Wein 2,49, 16 M, was beachtenswert ist, da dies auch später noch
vorkommt: mit scliurfem prüfenden Blick S. 7, 343, 5, mit stillem bebenden
Ton S. 3, 411, 17, atif gleichem guten Fufs Br. 2, 35, mit reinem offnen Herzen
S. 5', 195, 4077 neben in süfsem friedlichem Schlummer S. 3, 319, 3 u. a. —
Druckfehler werden sein : Keine Spur von . . . korrosinischen Gift 2, 59, 20.
mit der Gröse kindischkleinen Stolz Arch. f. lit.-gesch. 10, 396.
^) Später starker gen. noch in gutes Muts Br. 6, 210, untadeliches Rufs
S. 15*, 448, reines Herzens S. 5', 14, 214, volles Herzens S. 12, 103, solches
Preises ivert S. 13, 266, trotz alles Geschwätzes Br. 5, 112, geradesicegs S. 4. 83,
gerades Wegs S. 13, 135 {geradenwegs S. 5', 9. 15', 226. 7,230,2).
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVlll. 23
354 PFLEIDEHER
Uebereinstimmend mit dem nlid.'" verlangt Nast dann Spr.
1, 99, § 44 nach den pron. dem., manche); aller u.a. die nach dem
artikel übliche flexion, 'weil jene adj. ... die stelle des artikels
vertretten, der nicht zweimal plaz hat, wie es doch sein würde,
wenn man sagen wollte: diser groser Held.
Ebenso Schiller: manchem lästigen Kostgänger 2, 42, 17, manchem
breiten Bengel 1, 3ö2, 43, aller denkenden Naturen 1, 97, 32, aller moralischen
Ilandhingen 1, 96, 15, einiger rauMlingcnden Apostrophen Haiig, Z. 460, von
sämmtlicher Herzoglich TT irtemhergischen Generalität Arch. f. lit.-gesch. 10, 394 ;
— daneben freilich mancher mifskan)iter That 1, 66, 18, aller besserwissen-
wollender Schreiber Br. 44, 28. ')
Ein besonderer fall ist wol aller andrer Br. 13, 17. S. 1,103,30, da ander,
auch in Verbindung mit dem artikel, ursprünglich nur in st. form gebraucht
wird, und so noch bis ins 18. jh. (Heyne, Wb.); vgl. alle andere 1, 55, 16, die
andere 1, 88, 17, keine andere 1, 88, 33.
Betreffs des nentr. sg. nom. und acc. gestattet Nast, Spr.
1, 99 das unflectierte attributive adj. ein schön Kind, das den
alemannischen mundarten unbekannt ist (vgl. Käslin, Haller
s. 37). Für Schiller ist das unflectierte neutr. ein stilistisches
mittel, wie folgende zahlen zeigen:
neutr.
Gedichte: Leichenfant,
S. 1, 106-108
Eroberer S. 1, 40—44
Sturm auf d. Tyrrh. nieer
S. 1, 120-125
Räuberlieder S. 1,127-132
Melauchol.S. 1,295 -298
Anthologie S. 1, 206-233 8 5
Semele S. 1, 313—340 4 8
*) Nach vieler etc. (gp.) steht auch später meist das schw. adj.: so
vieler königlichen Ahnen S. 5\ 44, 943, mehrerer europäischen Nationen 8.
4, 95, 26, einiger auswärtigen berühmten Schriftsteller S. 3, 592, 15, vieler
mühevollen Jahre S. 7, 60, 10, vieler folgenden Scenen Br. 1, 346, 6, mehrerer
kleinen iSationen S. 6, 87, 2, mehrerer einzelnen Handlungen S. 6, 81, 25,
einiger loenigen Bürger S. 7; 246, 16, so vieler wichtigen Menschen S. 7, 279, 18,
so vieler deutschen Fürsten S. 8, 155,21, einiger ausivärligen Prinzen S. 8,51, 15,
mehrerer X)rotestantischen 3Iitglteder S. 8, 45, 16, so vieler vorlreflichen . . .
Männer S. 9, 79, 9, einiger geschickten Bechtsgelehrten S. 9, 19, 27 ; — daneben
mehrerer europäischer Höfe S. 8, 52, 1.
auf
ohne
neutr.
-es
-es
Prosa: Briefe 2— 33
21
0
Dissertation
13
1
Räuber 1781
S. 2, 4-108
20
1
S. 2, 128-204
26
4
S. 1, 74-93
6
1
Räuber 1782
A
22
7
M
22
8
auf
ohne
-es
-es
1
2
1
1
1
2
5
2
3
2
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 355
Die unflectierten neutr. sind also in den gedickten weit
häufiger als in prosa; dass daran die versnot auch oft schuld
war, ist ausser allem zweifei.
Ueber die unflectierten formen von all und manch s. s. 311.
Steigei'ung.
Ueber die Steigerung der adj. ist wenig zu sagen. Im
ersten brief (Br. 1, zeile 3 und 13) findet sich noch eine form
auf -ist: thcurist, die ganz zu dem altertümlichen Charakter
des briefes mit seinen vielen anlehnungen an biblische aus-
drücke und seinen formen auf -o stimmt.
In Sachen des umlauts sind nur zwei formen erwähnenswert:
grosser 2, 384, G ; Bellermaun iu seiner Schillerausgabe hat wol recht,
wenn er das für einen druckfehler erklärt; der comiJ. von grofs hat seit
dem mhd. stets den uinlaut; Sanders weiss nur ein beispiel ohne umlaut;
Fulda, GR. 84 verlaugt den umlaut, ebenso bei gesund : gesioider Br. 32, 13, 5.
Die mundart setzt in diesen beiden fallen umlaut, während in der Schrift-
sprache bei letzterem der gebrauch schwankt (vgl. Wilmanns § 331, 2).
Ebenso gesünder Si. 129 und später bei Schiller (neben gesunder). V
Zu gern werden im nhd. in gewählter spräche die Steige-
rungsformen nicht mehr zugelassen; schon im früheren nhd.
sind sie wenig gebraucht, dagegen existieren sie alid. und mhd.
Die Schwab, mundart weiss von der ersetzung der betreffenden
formen durch die von lieh nichts.
" Ebenso Schiller: gerner 1, 244, 19. 116, 11. 153, 14, am gernsten 2, 144, 2.
Später ist mir nur noch nngerner S. 3, 590,9 aufgefallen: auch Gödeke im
glossar S. 5 führt keine anderen stellen mehr an. — Uebrigens haben auch die
Schwab, grammatiker ein gefühl davon, dass die Steigerung hier ungewöhn-
lich ist; vgl. Fulda, GR. 87 : 'gern, provinzial gerner, am gernsten'.
Auch die Steigerungsformen von bald werden jetzt ver-
mieden.
Nicht SO bei Schiller: bälder 2,355,30. 2U5, 3. 344,3. Der Superlativ
büldist aus späterer zeit {büldest S. 3, 178) ist schon erwähnt ; vgl. dazu
Schmid, Schwab. Wörterbuch: ^ bälder: es ist kein grund vorhanden, diesen
richtig gebildeten comp, aufzugeben und veralten zu lassen.'
1) gesünder Br. 2, 250. 325. 3, 150, gesunder S. 7, 152. 32. Br. 3, 415 in
einem nicht handschriftlich vorliegenden brief. — Als Superlativ auf -ist
ist später sehr üblich: mit dem bäldisten Br. 1, 88, 1. 102. 117. 347 u.a. —
Spätere Superlative mit auffallendem umlaut sind: Müreste S. 12, 184, zarteste
S. 9, 129, 15. 158, 18. Br. 2, 329, dazu die comparative schmäler S. 9, 192, 19,
klarer Br. 3, 102. 5, 121. 189.
23*
356 PFLEIDERER
Auch der comp. (j]cicher 2,371,24: (ebenso Br. 3, 194. 4,307) ist er-
wähneuswert.
Zum alid. nicro wurde schon alid. eine nebenform meriro,
meröro geschaffen, nihd. merer, die noch im älteren nhd. adjee-
tivisch gebraucht wird, jetzt aber veraltet ist.
Schiller bedient sich dieser form noch sehr oft: mehreres Licht wcrffen
m(fBr. 54, 24, die mehrere oder mindere Spannung 1, 86, 22, in der mehreren
oder minderen Blosstelhing 1,81,6,^) viele ... und noch mehrere = noch
mehr 2, 224, 15 anm., Begierde nach mehrerem = nach noch mehr 1, 65, 19;
zufällig sind aus der jugendperiode Schillers nur diese paar stellen zu be-
legen; aus spätem perioden lassen sich viele beispiele finden, so noch zu
))U'hrerer Sicherheit S. 9, 241, 5, der mehrere Umgang Br. 6, 12. "Vgl. der
mehrere Teil Schw. m. 1775, 551; mit mehrerer oder minderer 'Eröffnung ebda.
445 etc. Ebenso verwendet er die zu mer neugebildete, schon mhd. ver-
einzelt als merst auftretende superl.-form mehrst, mehrest, die die jetzige
Schriftsprache wider fallen gelassen hat: die mehresten 2,377,28. 347,13,
am mehrsten 1, 142, 21 neben meiste 2, 385, 17. 42, 4. 140, 6. ^) — Ueber die
auswerfung des einen e beim superl. (steileste etc.) s. s. 312.
C. Zu den Zahlwörtern.
Die Scheidung- der geschlechter der cardinalzahl zwei weicht
in der Schriftsprache des 18. jh.'s der Übertragung der neutralen
formen auf alle geschlechter. Während Gottsched noch die
drei geschlechter scheidet (allerdings schon mit dem bemerken,
ztveen, zwo, zwnj könne vielleicht manchem fremd vorkommen,
aber man solle bedenken, *dass unsere alten, und selbst die
deutsche Bibel dies genau beobachtet haben ',^) erklärt sie Ade-
lung für verwerflich. Anders die Schwaben. In der schwäb.
mundart ist die Scheidung der geschlechter bis heute noch im
ganzen schwäb. gebiet in der hauptsache gewahrt (näheres bei
Fischer, Geogr. § 67). Daher verlangen auch die schwäb. gram-
matiker sie für die Schriftsprache. Fulda, GR. 86: 'den ge-
geschlechtsunterschied der zalen .ziven, sivo, zwei wissen schwä-
') Die beispiele zeigen auch noch den jetzt veralteten attributiven und
adject. gebrauch von minder.
'^) zu mehrerer Sicherheit S. 7,240. 9,241,5, ein mehreres Br. 4,279,
5, 82. 144, der mehrere Umgang Br. 6, 12 etc.; — die mehresten Skribenten S.
7, 4, 5, die mehresten Nationen S. 7, 26, 16, die mehresten Glieder S. 8, 57,
die mehresten Menschen S. 8, 311, 33, die m. Schriften S. 9, 401, 13, in den
m. Fällen S. 10, 22d, 5. 243,23. 246,10. 507,9, die m. BeisendenS. 10,2G2,25,
die m. Stimmen S. 14,412 u.s. w.
3) Gottsched, Deutsche sprachk.'- (1762) s. 269.
SPRACHE DES JUNGEN SCHTI.LER. 357
bische baiiren besser als alle gelehrten.' Fulda, Ergözlichk.
1774,2,80: 'Sachsen dürfte sich nicht schämen: mvecfi, ztvo,
sivei ... durchaus von den Schwaben anzunemmen.'')
Schiller beobachtet in seiner jugeudperiode meist den geschlechts-
imterschied. Es kommen fälle von Übertragung- der neutr. form auf die
andern geschlechter vor: zwei Steigungen 1, 61, 19, zwei Standpunkte 1, 97, 19,
2icey Männer 1, 100, 6, zwei Hauptklassen 1, 145, 10, zwey Gottheiten 2, 14:9, 13,
zxi-ey Knechte 2,87,7, zwey Sackuhren 2,94:, 2\; die überwiegende melirzahl
der fälle unterscheidet aber. Nie dagegen wird die masc. form auf ein fem.
oder neutr., oder die fem. form auf ein masc. oder neutr. übertragen; das
kommt erst in nachschwäb. zeit vor.
masc. zween: icir zween 1,200,14, von zween Söhnen 2,354,14, von
zween Teutschen 2, 388, 14, ihrer zween 2, 49, 20, zween Letise 1, 289, 99, von
zween Patrioten 1,202,17. — fem. zioo: zioo Stunden 1,349,2, von zwo
Scenen 1, 313, 2, auf zwo Seiten 2, 387, 7, ztvo Sünden 2, 186, 8, zwo Flammen
1,129,36. — neutr. zioei: zwei Systeme 1,145,2, zwei Enden 2, S8S, 12 etc.
Die declination des Zahlworts in den obl. casus unterbleibt
meist; vgl. Fulda, GR. 86: ']\ran decliniere sie aber nicht: zwen
Herren dienen ..., oder wo es sein mus, nur: siveier, siveien
durch alle geschlechter: aus siveier Zeugen, zweier Frauen Mund.'
Beim masc. und fem. decliniert Schiller nicht, vgl. die obigen beispiele;
beim neutr. selten: zweien Saiteninstrumenten 1, 165, 10, zweyen Schauspielen
Br. 58, 27.
In der Zusammensetzung mit -fach kommt neben dem
jüngeren ziveifach 1, 147, 27 auch das ältere ziviefach 2, 298, 18.
222, 17 (ebenso noch S. 4, 68, 10) vor.
Das bis ins 15. jh. als Ordinalzahl zu zivei allein übliche
ander findet sich nur in ein andrer Orpheus 2, 44, 10. Im 16.,
hauptsächlich aber im 17. jh. tritt an seine stelle, analog den
übrigen Ordinalzahlen auf -te (superl.-bildungen), ziveite, dem
man im 18. jh. verschiedene formen für die geschlechter gab,
nach dem Vorbild von zivei; P\ilda, GK. 86 tadelt dies: 'zivete,
zivote . . . haben keinen grund und wollen erst werden.'
Schiller benutzt nur die neue fem. -form: die zwote Veränderung Br.
49, 17, zur z waten Auflage 2,205, 1, bis zur zwoten Überschwemmung 1,323,298,
eine zwote 2, 205, 4, in der zwoten 1, 79, 24, die zwote Klafse 1, 79, 28. 145, 25;
— zweite wird nie beim fem. verwendet, wol aber beim masc. : zweyten Sohn
Br. 17, 13, zweyten Gebrauch 2, 106, 17.'')
') Jlei'kwürdigerweise spricht Nast, der doch sonst noch mehr verhängt
als Fulda, Spr. 1, 100 f. nur von der form zwei: zn-ci luichse etc.
*) Falsche anwendung des genus kommt schon sehr bald vor: zwo
358 PFLEIDERER
Die form heede kommt hauptsäclilicli in den frühesten
denkmälern von Schiller vor:
dieser beeilen S. 1, 17, 9, Beedes 1, 69, 21, uns beeden Br. 11, 6, von beden
St.-aiizeiger.l898, s. 226, beede 1, 77, 21 (von 1779), später nur noch beede
2, 330, 18 A, AväLrend M beijde schreibt. Sonst heisst es stets beide. Fulda,
GE. 86 tadelt bcdc und hode als 'keinen grund' habend.
Bezüglich der zahlen von 2—20 verlangt Nast, Spr. 1, 100
declination auch der obl. casus: dreien Häusern.
Schiller: dreyen ... Sehicesiern 1, 105, 1, ebenso zu dreysigen 2, 93, 10,
zu dreifsigen 2, 258, 28, auf vieren 1, 188, 71, mit allen Vieren 2, 7, 5, dagegen
im Kreis seiner eilfe 2, 75, 16, entgegen den Nastschen regeln. Ebenso binnen
drei Stunden 2, 8, 8. •)
Formen einzelner zahlen.
/m«/ 2,86,25, fünfzig 2,98,1, daneben fünfzig 2,94,20; die unilaut-
lose form ist Schiller später sehr geläufig bei fünfzig und fünfzehn.'^)
sieben: siebende 2, 320, 18 M, siebenzig 2,102,21. 265,25, siebenzehn-
h lindert 2, 103, 1 neben siebzehn 2, 32, 11. Adelung sagt: 'die heutigen Ober-
deutschen sprechen noch siebenzig und schreiben daher auch so.' Schwäbisch
ist sieben auch in seinen Zusammensetzungen stets zweisilbig. Zu siebende
ist zu bemerken, dass die gekürzte form siebte in der literatur erst im 19. jh.
nachzuweisen ist (DWb.).
zehn 2,89,20. 255, 19 M, sonst überwiegend zehen 1,171,32. 159,32.
2, 98, 4. 85, 17. 216, 5. 355, 36. 307, 16 etc., zehenmal 1, 56, 15. 2, 361, 31
(zehnmal 2,bi,d), zehente2,8ä, Jahrzehend 2,S7S,1S. 340,10, zehnte 1, 222, bb.
Das wort wird auch sonst im 18. jh. oft noch zwei- (bez. drei-) silbig ge-
schrieben (vgl. Heyne, Wl).); doch hat z. b. Gottsched nur ^e/m, und Herder
'häufiger' zeh)t (vgl. Längin, Herder s. 57). Schillers zweisilbige Schreibung
hat ihren grund darin, dass im schwäb. das wort stets zweisilbig ist. Auch
Schmid, Schwäb. wb. gibt zehen an und nicht zehn.
bei einem masc. S. 3, 289, sogar die gen.-form fälschlicherweise bei einem
neutr. : zicoer Herzen S. 3, 371, 15 ; sonst zico beim neutr. S. 3, 549, 32. 553,27.
552,20; ziveen beim fem.: zween Stunden S. 13, 68; dat. zicoen beim masc:
zwoen Knechten im Gang zum eisenhammer. — Im übrigen werden die
formen noch lange beibehalten: zween beim masc. S. 3, 49. 116. 114. 216. 291.
461. 4, 112. 5', 23. 30. 63. 5-, 153; zwo beim fem. S. 3, 125. 413. 4'24. 521. 545.
4, 49. 78. 80. 206. 5', 17. 28. 5^, 80, 25. 82, 16. 332. 334. 337. 388, zwoer Na-
tionen S. 7, 45, 5, zivo Hände noch vereinzelt S. 9,300,8, zwo Nächte S. 13, 130;
— zwote beim fem. : S. 3, 243. 535. 4, 53. 77. 82. 216. 218. 229. 230. 5', 32. 46.
50. 8, 149, 31.
') Später unter sechsen Br. 1, 339. 193, 3, unter dreien S. 5S 70, 13, unser
Neune S. 4, 211, 15.
2) fünfzig S. 3, 383. 4, 309 und oft; dann aber auch fünfzehnter S. 3, 70, 4,
fünfzehn S. 3, 144, 20, fmifzig S. 3, 25. Br. 1, 163. S. 4, 122, 12. 200. 211. 231.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 359
eilf ist die ausschliesslicbe form bei Schiller: f///' 2, 62, 12. 242,23.
204, 2. 335, 15, eilfe 2, 75, 16. Die form ist die gewölmliche in der gleich-
zeitigen Schwab, literatur; in der deutschen Schriftsprache ist sie, die eigent-
lich hochdeutsche form, erst am ende des 18. jh.'s durch die ud. c//' verdrängt
worden (Weigaud, Wb.). Adelung sagt, im gemeinen leben werde von den
hochdeutschen elf gesprochen, aber man schreibe eilf. — Schiller bedient
sich der form eilf noch lange. ^)
D. Zum pronomen.2)
P r 0 n 0 m e n personale.
Im gen. sg. sind in früher zeit schon durch association an
syntaktisch damit verbundene Wörter neben der alten form
neue formen entstanden. So bei Otfrid mlnes selbes. Neben
diesem erscheint niiner selbes, vermutlich zuerst bei fem. ent-
standen, gestützt durch die daneben stehenden unser, iuwer.
In der modernen spräche ist die verlängerte form der sg. die
üblichere, die kürzere, mein etc. 'kommt nur noch bei dichtem
und in einzelnen herk()mmlich gebliebenen ausdrücken vor'.
Aber noch Grimm sagt Gr. 1,705: 'neben mein u.s.w., jedoch
unedler, meiner'.
Schiller hat beide formen nebeneinander: schone mein 2,248,6 M. 68,17,
mein vergessen 1, 227, 34, — bedarf meiner 2, 331, 7, (jedachte meiner 2, 71, 11,
250,15, erbarme sich meiner 1,331,26. 2,315,21, bedarf meiner 2,331,7, in
Ansehung meiner Br. 47, 8; — bin ich dein wert 2,56,7, denh ich deiner
2, 390, 26, dein ists zu ersinnen 1, 122, 51 ; — tco icir sein bedürfen 1, 172, 26,
als. er sein harrte 2, 75, 15, tun sein selbst loillen 1, 34, 4, mich jammerte sein
2, 165, 17; — der seiner icürdig ist 2, 13, 1.
Im pl. gilt noch jetzt die alte form als die correcte; vgl.
Heyse-Lyon s. 231: 'Man verwechsle nicht die gen. unser, euer
der pers. fürwörter tcir, ihr mit den gen. unsrer, eurer von den
zueignenden fürwörtern ttnser, euer. Man sage also nicht: er
spottet unsrer.'
Die längere form kommt bei Schiller verhältnismässig schon sehr häufig
vor: unser sind achtzig 2,97, unser aller Freundin 1,69,10, unser fünfzig
2,94,20, unsereins 2,372, erbarme sich unser 2,1'6,\2; — unserer acht und
siebenzig 2, 78, 12, tcie viel sind unserer 2, 86, 22, unserer viele 2, 224, 15 anm.,
— ich schone eurer 2, 17,4. 211,5; — das euer icar 2,201,10.")
0 eilf S. 3,122, U. 4,200,4. 6,291,27. 7,28,5. 90,18; eilf ist die all-
einige form des worts in S. 12 und Br. 6; — eilfte S. 4, 251. 5S 130. Br. 3, 116.
4, 341. 406. — 2) Vgl. Grundr. 1, 775 ff. Heyse-Lyon 1,230 ff.
") Später nur noch unser und eMC?-: schämte sich unser S.i,27i, unser
360 PFLEIDERER
Der alte gen. sg. des neutr. des geschlechtigen pron., mlid.
es, findet sich erhalten in seid ihr's zufrieden 2, 48, 25. 237, 25.
Für den dat. sg. des pron. refl. der 3. person hat das schwäb.
noch die mlid. regelmässige form des pron. pers. der 3. person.
Bei Schiller finde ich eine stelle mit diesem pron.: über ihm
= über sich 2, 298, 14.
Pronomen demonstrativum.
Im nlid. sind die mhd. formen des gen. sg. des m. n,, der
fem., und gen. pl. der, dat. pl. den bei siibst. Verwendung in
anlehnung an die nominale flexion zu dessen, deren gelängt
Avorden. Daneben haben Avir die kürzeren älteren formen nur
noch in dichterischer spräche oder in sprichAvörtern, ausserdem
in Verbindung mit präpositionen {mdefs neben indessen). —
Luther hat stets noch die form des; \g\. DWb. Adelung gibt
dessen als die regelmässige form an und fügt des nur in
klammern bei.
Schiller: in Gegenwart dcfs, der (im vers) 1.330,500, auch tvürd er
defs nicht toeiser (vers) 1,256,180; ferner als rel. verwendet: ein Jüngling,
defs Herz (prosa) 1, 103, 17, deß Lied (vers) 1, 28, 48, Styx, defs . . . Macht
(vers) 1, 338, 7-tl; daneben defscn Seelenleiden Br. 13, 25, dessen Geistes Kraft
Br. 13,1.1)
In composition: indessen 2, 392, 8, indefs 1, 36, 14. 2,385,25, unterdessen
2, 300, 14 M. 394, 8. 355, 24, unterdefs 2, 354, 18. 356, 26.
Für das adjectivische pronomen demonstrativum
verAvendet das nhd. die verlängerten formen nicht, da es dafür
andere pron. besitzt {dieser, jener). Die mundart kennt die
letztern nicht und bedient sich daher des einfachen dem. pron.
(vgl.DWb. unter fZ/e6er). Die eigentlich demonstrativen Charakter
habenden vollen formen Averden dann in der mundart auch
oft verAvendet in einer Stellung, avo sie fast nur den wert eines
betonten artikels haben. Zu erwähnen ist noch, dass auch für
den dat. sg. fem. eine volle form deren gebildet wird. — In
der schwäb. literatur jener zeit ist die adj. Verwendung der
gelängten form nichts ungewöhnliches.
Beispiele: denen dahineinschlagenden Wissenschaften Si. 281, von denen
einer S. 3, 170, er ist unser S. 3, 205, 27, ich hin euer S. 3, 213, 21, euer aller
Rollen S. 3, 122, 1, tvartet euer S. 12, 132.
') Ebenso defs Zeuge ist S. 5^ 17, 15; älinlich S. 7, 185,12. 11,251; pron.
rel. defs S. 12, 276. 13, 72.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 361
dahin gehör/gen Verhis Schw. m. 1776, 708 u. s. w. Fulda mag- diesen gebrauch
nicht leiden; GE. 8G erklärt er diese 'Vermischung des fürworts mit dem
artikel' für unerträglich.
Schiller: denen drei Letztern 1, 17, 2-t, denen 3Ieinigen Br. 1, vor denen
Augen 1, 59, 17, denenselhen 1, 115, 22. 116, 1-t, Hochdenenselben Br. 66, Si, 4,
Höchstdeneiiselhen Br. 67, 16, denen ä la mode Kopien von Weisse 2, 7, 17,
zu edlen denen abscJieidicJien Grundsätzen 2, 362, 12; als rel.: an deren 1, 15,16.
Auch später finden sich diese schwäb. formen noch dann und wann.*)
Beim dem. dieser ist besonders auffallend der subst. ge-
brauch des gen.; im nhd. ''' ist dieser im gen. nur in attributiver
Stellung vor einem subst., niclit in isolierter Stellung üblich.
Schiller: mit dieses Gesinnungen 1,66,6, sich dieses erkühnen 1,1^,\2^
der Materie, dieser nemlich, deren 1, 77, 27.
Ebenso bei jener, einer, keiner:
in die Arme jenes Br. 50, 20, zum Vortheil jenes 2, 345, 16, Hauptabsicht,
jenes ist die Bildhauerei, dieses die Malerei 1, 15, 7, icenn man eines Freund
ist 1,57,7, keines Aug 1,30,93; auch .später finden sich vereinzelt noch
belege für diesen gebrauch. 2)
Als subst. dem. benützt Schiller noch sehr oft solch ohne
artikel, das seiner natur nach (ahd. soUh = 'so beschaffen') adj.
ist. Der subst. gebrauch des sg. stammt aus der kanzlei-
sprache; Adelung verweist ihn: 'ein fehler des gemeinen lebens
ist es, dieses fürwort statt des persönlichen er, sie, es zu setzen.'
Schiller : Amalia, loie solche gespielt ivird Br. 52, i, u-irft solchen 2, 291, 1,
wenn ich solche . . . ansehen könnte Br. 37, 2; ähnlich S. 1, 16, 5. 17, 33. 18, 2.
4. 12. 20, 26. 57, 14. 142, 10. Hang, Z. 455.
Aus der süddeutschen kanzleisprache stammen auch die
altertümlichen formen dero und ihro, zurückgehend auf ahd.
dero und iro:
Dero unterthäniger Diener 1, 118, 34, Dero gehorsamster Sohn 1,105,34,
Dero Gewogenheit Br. 1, 14, Ihro Gnaden 2,29,33; vgl. Spr. 1, 189: 'Dero,
Ihro ist fusküsserei.' 3)
Pronomen interrogativum.
Die ältere kürzere form ives findet sich in
') in denenVersammlungen S. 3, 593, 30, denen besten SchriftenS.S,b93,S2,
auf denen Bühnen S. 3, 594, 33, denen zwei Mit Arbeitern Br. 3, 442 im con-
tract mit Cotta, an denen Orten, ^oo S. 7, 263, 1 7 ; die späteste stelle ist :
denen in Frankreich zurückgebliebenen S. 9, 381,19.
^) jenes Trübsinn S. 6, 283, 23, jenes Karakter S. 6, 39, 1, jedes Sklave
S. 7, 256, 4.
') Uiro Majestät noch in S. 12, 514.
362 PFLEIDERER
wefs i$t r7r(s iVW 2, 131, 26, irefs ist das Getöfse 2, 322,2i\ adjectivisch
verwendet in Wcfs Handiverks? 2, 208, 54, direct neben jcelchcs Lands?
2, 208, 54. ')
Pronomen relativum.
Bei der sich so selir an das volkstümliche haltenden
Schreibart Schillers ist es kein Avunder, dass zur bildung des
rel. das ursprüngliche dem. der etc. viel häufiger gebraucht
mrd als tv eich er. Dagegen wird welches entgegen dem
jetzigen gebrauch stets verwendet als rel. bezügl. auf einen
ganzen satz, wofür wir jetzt tvas setzen.
So in ich sah ihn ... klemmen, welches er nur thiit, wenn 2,86,24;
ähnlich 1, 113, 33. Br. 57, 20. 37, 13. S. 1, 169, 17 u. a. — Im Brief no. 10 ist
(las rel. 7 mal der, 4 mal icelcher, und von diesen 4 beziehen sich 2 ivelcher
auf einen ganzen satz: Brief no. 22 hat 9 der nnd 1 welcher; die Diss. S.
1, 139—177 hat 96 der, 10 tcelcher, nnd von diesen 3 bez. auf einen ganzen
satz: die Eäuber 1781 vorreden: 27 der, 1 welcher; in einem teil der Räuber
1781, den ich durchgesehen habe, finde ich 61 der gegen 0 ivelcher, dabei
fälle wie den, der 2, 51, 22, der, den 2, 26, 9. — Ueber Schillers späteres
verhalten zu diesen wörtchen, sowie über das verhalten anderer schriftsteiler
zu denselben vgl. Minor, Der gebrauch von der und ivelcher in relativsätzen,
Beitr. 16, 477 ff.
Altertümlich ist die Verwendung von 60 als rel., das, im
mild, erst in den anfangen, im altern nhd. sich sehr ausgebreitet
hat, aber in der neueren spräche dann wider seltener wurde.
Schiller hat es wol aus der bibelsprache. Adelimg verteidigt
es: 'Dieses relativum so hat in der neueren zeit viele sehr
harte feinde bekommen, welche es schlechterdings aus der
deutschen spräche verbannt wissen wollen. Ich sehe indessen
keinen grund dazu, indem es von allen, auch den besten
Schriftstellern, unzählige male gebraucht wird.'
Beispiele: die, so 1,88,32, das Netz, so 1,53,9; ähnlich 1,76,15.
69, 20 u. a. •'')
Von der modernen grammatik verpönt, aber volkstümlich
ist der rel. gebrauch der Verbindungen von wo, da mit prä-
positionalen adver bien zum ersatz eines pronominalcasus.
Schiller und seinen landsleuten ist das sehr geläufig.
') Dazu: Wefs Tochter S. 6, 213; adj. vgl. wessen Stands er sein mag
S. 4, 129.
2) So noch Allianzen, so S. 3, 290, 26, das Gröste, so S. 3, 166, 106, das-
jenige Postament, so S. 3, 533, 32, Geschenk, so S. 3, 561, 22, der Tag, so
S. 5', 17, 307. Spätere beispiele sind mir nicht aufgefallen.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 363
worinn = iu dem 2, 356, 32. 365, 11. 366, 13. 380, 19. 1, 324,330, ivovor
= vor der 1, 234, 6, tcoraus = ans dem 1, 297, 87. 267, 7. 150, 6, davon =
von der 2,304,22. 164,19. 27,9, u-oran = an der 1,155,21. 2,347,13. Er.
57,6, worinn = in der 1, 32G, 377. 21,6. 155,31, f?öu-/(7er 1, 114, 7, dadurch
2,27,9, (/;•«» = an dem 2, 94, 23, irow/f Br. 56, 28, 1, uonmc/i 1, 327,26,
u-o hinein 2, 356, 1, ivorauf 1, 112, 22.
Bei Zeitbestimmungen wird die relative beziehung in briefen auch au.s-
gedrückt durch als: in dem Aiujenhliek, als ... gefallen ist Br. 44, 2; loo:
Jahre, wo Br. 12, 8; woin: auf diejenige Zeit, icenn Br. 57, 19.
Ungeschickte ausdrücke, teilweise aus der spräche des täglichen lebens
hervorgeholt, sind : dadurch, icenn man 1, 118, 20, derjenige, wann er 1, 13, 20,
mein Selbst, das erst dadurch entstehen sollte, davon es Voraussetzung ist
S. 2, 27, 9.
Zum artikel.
Zusammeiizieliung des bestimmten artikels mit präpos. ist
sehr häufig. Diese aphäresis ist mundartlich sehr g-ewöhnlich
und üblicli; in der Schriftsprache wird sie jetzt als schlecht
angesehen in fällen, die gar zu gewühnlich sind oder wegen
der dadurch entstehenden cousonantenhäufung übel klingen.
Adelung gestattet ins und im, nicht aber in Streit ziehen,
ebenso übers und übern, aber 'überm beleidigt das ohr zu sehr,
als dals es sich entschuldigen Heise.'
Von fällen wie zum, im, beim, aufs (aufs äusserste 2, 34, 23) kann ich
füglich absehen.
Volkstümlich sind znsammenziehungen Avie vorm Sturme 1, 178, 4,
unterm Boden 2,62,1, unterm Monde 1,188,61, vorm Thor 2, 80, 2, in Händen
haben 2, 62, 25. 243, 1, bis in Tod 2, 251, 7 A (M in den), bis in Himmel
1, 58,29, in Fachen fliegen 1,201,23; so oft bei den Schwaben: in Spiegel
SO. 60, in Tag hinein SO. 44, in Sack schieben SO. 12, in Ocean ST. 19, 1,
in Himmel Si. 104.
In Schwaben nicht volkstümlicli und in der Schriftsprache längst ver-
altet (vgl. Heyne, Wb. bei zu: 'zun früher und noch bei Schiller'): bis zun
Füssen 2, 78, 21. 2.53, 12, übern Acheron 2, 44, 5, übern Haufen Br. 42, 30,
übern Nacken 2, 143, 7, über'n Haufen 2, 64, 1, untern Füssen 1, 239, 80,
sich vor'n Kopf sclüagend 2, ^,22; so auch Schubart: übern Kopf SO. iö.^)
Zu zun vgl. das glossar in S. 5.
n ist volkstümliche aphärese des unbestimmten artikels: 'n Augenblick
1, 255, 143, um 'n Prise 2, 91, 5, um 'n Pri/'s 2, 257, 3 M; fürn Narren halten
2, 181, 17.
cin'm 1,262,11 ist Avidergabe der schwäb. halbmundartlichen dat.-form
(lern (dialektisch 'öem, vgl. Kauffmanu § 92, 2), wie ein die acc.-form reprä-
') in Garten Br. 5, 405, in Grund gebohrt S. 8, 130, 18, übern Haufen
S. 3, 15, 9, über'n Kelch S. 12, 166, zun Waffen greift S. 15-, 489.
364 PFLEIDERER
sentiert in l-ciii Fiißhre/t riichcfirfs zog er sich 1, 345, l-l (vielleicht sind
so auch zu erklären viein Lebens-Tag 2, 143, 9, mein Lebtag 2, 382, 6, wobei
Tag collectiv zu fassen wäre). Vgl. kein warmen Brief Br. 1, 148; mit eisern
Fäusten Sa:". 34, 9, mit eisern Lippen ST. 109,3. i)
Ueber die sclnväb. yerweiidimg des artikels voreigen-
namen s. s. 346; beispiele dafür s. 347.
Dazu noch: die Amalia Br. 45, 19, an den Plutarch 2, 357, 22, den Jakob
Boiisseau % 383, 22, vom Barbarossa 2, 130, 16, im Klopstock lesen 2, 371, 30
{beim Halhr Schw. m. 1780, 655). 2)
A u m. Syntaktisch merkwürdig sind eine anzahl von fällen von
weglassung und Setzung des artikels.
1) Weglassung des artikels bei vergleichungen mit
wie (die fälle kommen nur im vers vor): wie üeieor 1, 40, 26, stark
tvie Eiche 1, 297, 75, ivie Heerschaar 1, 122, 58, wie Sonnenblick 1, 47, 25,
icie Göttin witer Blenschen 1, 47, 30, frisch wie Bofs 1, 179, 28, wie
Lebens Konterfei! 1,179,27, wie Fri'ihlingstug l^iOT, 48; beim verb.
s\ibst.: meine Glückseligkeit istTraum 1,77,7, dasWinseln ist Sehmaus
(vers, 1,130,71, die Erde ist Grabeshügel 1,215,37, Schrecken zittern-
der Welt zu sein 1, 41, 40 (vers), er war Kleinod des Himmels 2, 72, 23,
es ist Kreis der Wirkung da 1, 150, 29, ist Grundgesez der Seele 1, 152, 7,
hier war Fülle . . . vorhanden 2, 8, 13, tvird ihm Jubellied, Stimme des
Vaters sein 1, 101, 24 f.; nach präpositionen: zu Nachtzeit 1,244,12,
ZK Hohne 1, 335, 658, zu Legitimation Br. 46, 4, zu Grabe gehen 2, 19,8,
zu Verfeinerung unsrer Empfindungen 1, 139, 8, in Mitte einer Jugend
1,95,25, in sterblich Getcand 1,316,72 (= in ein?), gegen Riesen
Boufseau 1, 221, 17, gegen Waisenthrüne 1, 222, 70, für Franzosen-
hirn 1, 221, 27 (letztere 4 fälle im vers), das deinem Vater zu Grabe
hallt 2, 110, 11, zertritt ihn mit Füfsen 2, 216, 22 A, in Hoffnung einer
Gelegenheil Br. 52, 21; fälle von einer art personification des be-
treffenden subst. : WeUenbrand wird Hochzeitfakel iverden, ivenn mit
Ewigkeit die Zeit sich traut 1, 211, 64, Sonne scheint lächelnd nieder
1,124,128, Liquisitin 1,193,197; apposition ohne artikel : ^m f?emew
Brüdern Engeln 1, 223, 83, das Wesentliche der Freundschaft, volles
Herz 1, 58, 14; andere fälle: vw heif'ser Ruhmsucht furchtbare Schranke
steigt 1, 301, 21, Körper will in Körper überstürzen 1, 210, 31, Ge-
schichtevoriger Zeiten 1, 69, 1, tiefere Wurzel haben 1, 110, 17, Himmel
donnert tind Himmel flammt 1, 122, 67, Geisterreich und Körperwelt-
*) Vielleicht ist auch der acc. sein Botenlohn S. 4, 294 so als masc. zu
erklären (Gödeke im glossar S. 5 nimmt es als neutr.).
2) Spätere Verwendung des artikels bei eigennamen: die Millerin S.
3, 467, 15, der Julia 3, 197, 11, zum Gianettino 3, 282, 4, ztim Verrina 3,290,6,
vom Katiliua 3, 1, 11, der Bertha 3, 39, 22, zum Kalkagno 3, 117, 16. 294, 25.
— (seit dem Januar 3, 414, 10), von der Ang. Kaufmann 6, 80, 5, vor dem
Achilles 6, 235, 22.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 365
geicühle 1,285,4, so Icann Wonne dct Freundes jmichzen 1,9^,19, bei
Vaterlandes Namen 1,260,50, Lipiien schveirjen und das Äuge 1, 108,69,
um Erdballs Schätze 1, 108, 79, Menschen Göttern gleich 1, 236, 2,
stimmen Dichter ein (= alle dichter) 1, 23G, 8, Schöner Preifs . . .!
2, 29, 6, Kostbarer Ersatz ...! 2, 29, 8.
Weniger auffällig ist die auslassung des deui.-pron., dasein
vorangegangenes subst. wider aufzunehmen hätte: die Klage . .. als
aller andrer 1, 103, 30, Wollust war tcie der Unsterblichen 2, 298, 7, ein
Encachen wie des lebendig Begrabenen 2, 18-4, 5, jeder andere als der
es versteht 2, 379, 9.
2) Der bestimmteartikel steht entgegen dem heutigen ge-
brauchin: zum Grttnde legen, liegen 1, IG, 7. 87,7. 169,30. St.-anzeiger
1898,228,3 (zu Grunde liegen Br. 67, 7). So noch in: zum Grunde
liegen 8. 6, 64, 6. 7, 73, 23. Br. 1, 300. 5, 13. S. 10, 189. 190 u.a. - Ztim
Kreuze kriechen 2, 265, 12. 102, 5, bleich wie die Leiche 2, 38, 4, möge
das treffen tcie der Donnerschlag 1, 57, 9. Der 'demonstrative' ge-
brauch von ein findet sich in: und das sprach er mit einer Stimme!
S. 2, 148, 15.
In der erste beste und derartigen fügungen fehlt modern der
artikel vor dem zweiten superl.; im 18. jh. hatte er noch lange statt;
Lessing setzt ihn stets; "Wicland bietet beispiele mit und ohne artikel;
Goethe nur solche ohne artikel (DWb.). Beim jungen Schiller steht
er noch: dem nächsten dem besten 2, 347, 4, dem ersten dem besten
Bettler 2, 17,15 (ebenso noch: dem Ersten dem Besten S. 3, 157,9.
3, 341, 20).
Pronomen indefinitum.
An stelle des scliriftsprachliclien etwas verwendet Schiller
öfters das mundartliche tvas und zwar bezeichnenderweise
hauptsächlich in den Räubern, wo volkstümliche ausdrucks-
weise am platze war:
so ?r«s 2, 41, 6. 223, 8 M. 107,14. 1,58,4, was Gutes 2, S2, \9, was
Magnetisches 2, 81, 16.
Niemand ist meist unflectiert;
nur dat. niemanden Br. 29, 31 (neben dat. niemand Br. 28, 17).
Anm. Der pl. von jeder, der sich eigentlich nicht mit dem
sinn des worts verträgt, und auch gegen den sprachgel)rauch ist,
tritt in der literatursprache in folge der berührung mit all öfters
auf; so bei Schiller: dat.pl. auf jeden Atomen 2,353,30; ebenso bei
Schubart: jerZe Schritte SG. 243 (und Schiller später: jet/e Träume S.
3, 166, 82, jede Stralen Br. 1, 88). Aehnlich findet sich ein pl. von ein
in der Verbindung ein und derselbe, wobei die beiden glieder zu-
zammen einen begriff ausmachen, der einen pl. zulässt: eine und die-
selbe Ideen Hang, Z. 467.
366 PFLEIDERER
E. Zur flexion des verbums. ')
Auf dem gebiet der verbalüexion weiclit die spräche des
jungen iSl'liiller in manchen punkten von dem modernen ge-
brauch ab. Auch hier lässt sich viel aus eigentümlichkeiten
seines heimatlichen dialekts erklären. — Lieber apokope und
Synkope von -e bez. -e- vgl. s. 312 ff.
I. Vocalveränderungen innerhalb der starken flexion.
1) Die vocale der präteritalformen.
Das oberdeutsche (und das rheinfränk.) hat im verlauf
der nhd. periode die form des ind. praet. eingebüsst. Weinhold,
Alem. gr. § 330, anm. setzt diesen verlust in den alem. mund-
arten vom 17. jh. an; die erscheinung geht aber bis ins 15. jh.
zurück (vgl. Grundr. 1, 733). Jedenfalls aber kann man diesen
Verlust an formen mit dem aufhören des schwäb. dialekts als
literatursprache in Zusammenhang bringen (vgl. Socin, Schrift-
sprache und dialekte im deutschen, 1888, s. 321).
Die folge dieser erscheinung für einen Schwaben des
18. jh.'s ist naturgemäss, dass er die indicativformen des praet.
nur aus der literatursprache kennt. Da nun das ältere nhd.
eben die zeit ist, in welcher auf dem gebiet der präterital-
formen eine grosse Wandlung vor sich geht, indem die spräche
darauf ausgeht, zu vereinfachen und den mhd. unterschied
zwischen dem zweiten und dritten vocal auszugleichen, was
nicht ohne starke Schwankungen geschehen konnte, so musste
es für einen Schwaben besonders schwierig sein, immer die
richtige form zu treffen: in der Schriftsprache fand er, auch
noch in der zweiten hälfte des 18. jh.'s, verschiedene formen
vor, und an seiner mundart hatte er keinen anhält. So er-
klären sich denn auch die vielen, nach dem Standpunkt der
modernen spräche unriclitigen präteritalformen bei Schiller im
grund eben daraus, dass er ein Schwabe war.
A. Uebertritt des singularvocals in den plural.
Es kommen hier nur die verba der 3. ablautsreihe in be-
ti-acht. Die der 4. und 5. reihe, die im mhd. nur in der quan-
1) Vgl. Grundr. 1, 733 ff.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 367
tität Verschiedenheit der vocale aufweisen, sind s. 306 schon
besprochen worden, soweit das nötig war.
In der 3. ablantsreihe hat in den meisten fällen der vocal
des sg. praet. im nhd. den sieg davongetragen über den des
pl.; im 15. — 17. jh. kommen aber die alten vocale immer noch
vor, wie andrerseits der vocal des pl. sich oft in die sg.-formen
eingang verschafft hat. ') Die obd. grammatiker des 18. jh.'s
sind noch sehr unentschieden: Antesperg^) (vgl. Socin a.a.O.
S.434) gibt nebeneinander an Idang — klung, scJnvang — schivung,
sprang — sprung, starb — sturh u. s. w. Etwas bestimmter sind
die Schwaben der zeit Schillers. Scliw. m. 1775, 214 wird sank
etc. verlangt; 'doch findet man auch bei guten Schriftstellern
sprunk, scläimg, schivund etc.'; daneben gibt aber derselbe Ver-
fasser s, 210 als einziges imperf. zu schicingen: schivung an, und
Schw\ m. 1777, 172 wird als gleichberechtigt neben drang das
praet. schivung gestellt, das durch seine länge vom subst. Schivung
genügend unterschieden sei ('da es eine generalregel giebt,
dafs alle imperf. der 2. konjugation [d. h. der starken verba]
gedent sind'). Fulda, GR. 102 sagt, diese verba haben sich alle
'zum a gestimmt', ausser schund, hunk, bedung, während Ade-
lung nui* schund ausnimmt und die übrigen alle bildet wie der
moderne gebrauch. Nast verlangt Spr. 1, 126 klang etc., aber
Spr. 1, 129 schwang und sclavung.
Schiller hat im allgemeinen die modernen formen ; daneben finden sich
alte »-formen im pl. : Idnngen 1,62,22 H (abschrift einer handschrift, die
Schiller seinem niitschüler Boigeol geschenkt haben sollte, vgl. S. 1,70),
dazu der sg. khnuj 1, 190, IIG,^) stürben 2,171,8 (starben erst in den aus-
gaben von 1800 an). 2, 311,24 M; sonst starben 1,221, :iS. 22(5,15, starb
Br. 13, 31.
Die M- formen im sg., die sprachgeschichtlich betrachtet nicht mehr
'falsch' sind, als die nhd. üblichen a-formen des pl., finden sich im reim:
s^)n<«^ 1, 179, 31 neben sprang 1,229,98. 236,9 u.a.; aixsserhalb des reims:
sunk 1, 346, -47 {sank 1, 237, 27), schivung 1, 346, 42, ebenso schivung SG. 2,305,
Schwüngen SG:. 2, 02; schwutaj wird auch von Haller verwendet, vgl. Käslin
s. 33; KJopstock (Längin, Herder s.58) gebraucht schu-ung, sung, sunk, sprung.
— Neben begann 1, 120, 4. 2Ü6, 12 steht begann 2, 178, 15. 179, 20 {o der
md. Vertreter des alten u). — Bei Miller finde ich noch: sie trunken Si.
1) Vgl. die belege bei Kehi-ein, 15.— 17.jh. 1,227—236.
^) Seine grammatik erschien 1747.
^) Später nur klangen S. 3, 142, 1, aber noch fortklung S. 14, 70 (Braut
V. Mess.).
368 PFLEIDERER
2, 201. — Tu (Ion conj. formen des praet. hat sicli im nlul. der alte vocal des
pl. im Umlaut erhalten. Bei Schiller ist auffallend nur gewönne 2, 43, 18
neben getniniien 2, 373, 20.
Das praet. A^on iv erden hat im nlid. den vocal des \)\.
auf den sg\ übertrag-en und in verkennung- des auslautenden
stamniliaften dentallauts die endung- der scliw. verba -e an-
gefügt. Fulda sucht tvard und wurde so zu unterscheiden,
dass irurde die form des hilfszeitworts ist; 'wenn es kein hilfs-
zeitwort ist, sondern /io heilst: so ist sein imperfect ich tvard'
SE.93: eine regel, die nicht von praktischem belang ist.
^i•ar(l mifyclJian 2, 308, 29, ward gestofsen 2, 309, 8 A, wurd er gestofscn
2, 309, 8 M. Schiller verwendet ward sehr oft, hauptsächlich im gehobenen
Stil. In seinen briefen begegnet kein ward; in der Diss. steht 1 loard
(1,144,31) 2 wurde (1,157,35. 166,26) gegenüber; die Räuber 1782 zeigen
folgendes Verhältnis : ward : wurde = 7:1 (bei Miller habe ich in Si. 2, 1 —
200 ward 69 und umrde 9 mal gezählt).
B. Der vocal des part. praet.
Dieser ist im nhd. in das praet. gedrungen in schivören,
mild, swuor — gesivarn und gesivorn. Adelung entscheidet schon
für schwor; schwur 'im gemeinen leben'. Die schwäb. gram-
matiker differieren in ihren angaben: Schw. m. 1775,216 gibt
nur schwöre — schivur an; Fulda, (tR. 101 dagegen schwören
— schwor, und dazu GR. 102: ^schwor, alt schwur'' \ Spr. 1, 126
nur schicur.
Der junge Schiller hat nur «-formen: schwurest 2,199,6, schwurst
2, 330, 23. 312, 13. 172, 6, schtvuhren Br. 4, 15, schwuren S. 1, 56, 36, schwur
1, 179, 37, heschumr 2, 55, 7. 221, 12. Auch bei Miller und Schubart habe
ich nur «-formen finden können; z. b. schunir 8(1.2,385. Si. 179, schwurst
SG. 2, 46 u.a. — Dazu der conj. schivüren 2, 224Manm. ')
Für die formen von pflegen bieten sich keine belege.
Fulda, GR. 101 verlangt praet. pjlag.
C. Beeinflussung durch verba anderer reihen.
heben bildet mhd. huop — gehaben. Letztere form, die
im 18. jh. noch bei Wieland vorkommt und noch im adj. er-
^) schwur überwiegt bei Schiller zeitlebens: schwur S. 3, 414, 18. 330,23.
Br. 1,397. S. 12, 419. 420. 13,121.37. 14,417. 15', 24. 15'^ 461, sc/jwtre« S.
13,314. 14,319.387.408, abschwur l,m,2i, beschivur 9,5ii,'62. 12,285; conj.
schwüren 7,204,26; — dagegen schwor S. 6, 139 (die erste stelle mit o),
beschwor 6, 141. 12, 15, schworen 8, 243, 15. — Ich habe dieses wort beson-
ders beobachtet und glaube richtig constatiert zu haben.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 369
haben erhalten ist, wurde aus der Schriftsprache verdrängt
durch eine schon im 16. jh. vorhandene nebenform gehohen,
gebildet nach analogie von ivehen, das selbst von pflegen und
tvegen beeinllusst war (vgl. Grundr. 1, 736). Diese form mag
wol, zusammen mit dem md. wandel von uo : 6 (Paul, Mhd. gr.
§ 100), die schriftsprachliche form höh herausgebildet haben
(im 17. Jh.), eine form, die im 18. jh. so sehr für die regel-
mässige gilt, dass Adelung hub für die oberdeutsche d. h. fehler-
hafte form erklärt. Schw. m. 1775, 215 gibt höh als die regel-
rechte form an; Spr. 1, 125 höh und hub; Fulda, GR. 101 nur
huh. Trotzdem überwiegt bei den schwäb. Schriftstellern hub.
In Miller, Si. 1 finden sich 13 u- gegen 3 o-formen, in Si. 2 10 «-formen.
Bei Schiller hob nur in erhob 2,371,22, anhob 2,300,9 A; sonst stets hub:
hub 1, 189, 99. 2, 330, 22. 199, 5, hüben 1, 236, 19. 2, 266, 10. 103, 14, erhub
1,121,22. 63,18, anhitb 2, loG,2i. 300, 9 M: dazu der conj. erhüben l,6i, 6.')
Ebenso hat sich, wie man annimmt, an verba einer andern
reihe angeschlossen und von diesen einen neuen vocal an-
genommen: stehen. Mhd. stuont, stuonden lehnte sich an
Wörter wie fant — funüen, bant — bunden an und bildete zu-
nächst stand — stunden und dann ausgleichend stand — standen.
Adelung zieht stand vor und weist stimd dem 'gemeinen leben'
zu. Schw. m. 1775, 215 stellt stund und stand zur auswahl.
Fulda, GR. 100 verlangt stund, wie lud, buch, da es von standen
abzuleiten sei und 'niemal haben praesens und imperfectum
einerlei vokal'. Ebenso Spr. 1, 130: ^stund, nicht stand\
Schiller hat in seinen hriefen nie stund, sondern 2 mal stand, 2 mal
gestund und 1 mal standen. Die Diss.: standen 1,166,9; Räuber 1782 A
und M haben meist stand (2, 218. 249, 1. 281. 288, 13. 308, 29. 309, 2), nie
stund, aber stunden (2,330,22. 316,22) und standen 2,249. Andere fälle:
verstund 1, 68, 18, stund 1, 87, 34, entstund 2, 25, 1. 27, 11, stunden 2, 179, 16,
entgegenstund 2,374,26, dagegen stand 2,150. 168. 69. 178. 1,42.59.214.
*) hub: im allgemeinen überwiegt hub auch später. Beispiele: S. 7:
hob 13,4, gegen erhub 12,23. 162,28, erhüben 64,3, hub an 246,15. —
S. 8: e/7t«6 179, 27, erhuben223,2i; sonst aber stets o: erhob 233, Ib. 308,4.
329,28. 353,5. 357. 386, hob 277. — S.9: erhub 278. 5. 61. 160, hub an 344,
gegen erhob 302. 308. 6. 32, hob 61. — S.ll: hub an 248. 394. 395, erhub
275. 25,63, erhüben 366, gegen erhob 248 im reim. — S. 12: erhub 325,
erhübe 208, gegen hob 325, erhob "böi, erhobot 375. — S. 13 meist o: hob
193, erhob 201,303. 130, hoben 250, nur erhub 202,212. — S. 14: erhub
283.405. — S. 15'^ Demetrius: hub 399.451.486, erhub 421. 441. 467, er-
huhen 424.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV 111. 24
370 PFLEIDERER
253. 332, stamlen 2,G9,13, aufstand 2, 8G, 23, gestand \, BSG, IM. Die
modernere form überwiegt bei weitem.
Zu betonen ist, dass gestehen nnr die form mit a zeigt; in sämmt-
licbeu werken Scbillers wie aucb in säniuit lieben briefen ist mir gestund
nie vorgekommen.
Der später bei Scbiller so üblicbe conj. stände lindet sieb in den jugend-
werken nocli nicbt; der conj. lautet stünde (1, 286, 37 u. a.). Aucb bei Miller
überwiegt stand; Si. 1, 1—158 bat 17 a- gegen 7 ««-formen; Si. 2, 1— 200 bat
38 a- gegen 10 it-formen.>)
Vielleicht ist durch anlehnung an saufen — gesoffen die
form geloffen zu erklären (Grundr. 1, 737), die sich schon mhd.
findet und im schwäb. die allgemein übliche ist. Für geloffen,
das Adelung als den 'niedrigen sprecharten' angehörig tadelt,
wehren sich die grammatiker Schwabens gewaltig. Im SchAv. m.
1775,210 heisst es kurz und bündig: ^ geloffen, mc\\i gelauffen\
Der Spr. 1, 12G sagt: 'Man will geloffen verdächtig machen,
blos weil man in Sachsen gelmifen sagt, da doch jenes so
regelmäsig ist als gesoffen, gesogen.' Fulda, GR. 99 stellt es
mit hauen zusammen, will also wol gelaufen.
Scbiller: (/eZai</'en 2,300,19. 157, 11, r/eZo^en 1, 2G2, 8 im reim; 1,270,10
ausserhalb des reims; später finde icb die form nur noch Br. 1, 123, zeile2
von unten: eingeloffen (22. mai 1783, an Reiuwald); Scbubart: durchgelofj'en
SO. 225, geloffen SG. 96 im reim eines geistlichen lieds.
2) Vocalverschiedenheiten in den präsensformen.
Für die 2. 3. pers. ind. praes. sg. gilt die nlid. regel, dass
Umlaut eintritt bei den starken verben mit umlautfähigem
stammvocal, mit einigen wenigen ausnahmen, darunter kommen,
das ja ursprünglich keinen umlautfähigen vocal hatte, während
das schwache verbum nicht umlautet. Die mundarten stimmen
hier nicht ganz mit der Schriftsprache überein. Das ober-
deutsche unterlässt den umlaut vielfach, weniger aus laut-
gesetzlichen gründen, als in folge von ausgleichung der präsens-
formen unter sich, — Die grammatiker des nordens, Gottsched
und Adelung, stehen im ganzen auf dem Standpunkt der heutigen
') Die form stund ist in S. 3 und 4 noch sehr häufig; in S. 7 kommen
aucb noch ziemlich viele n vor; in S. 8 Jtein einziges; in S.9 habe icb mir
noch 4 fälle mit u notiert (.siwncZ 369. 384, stunden '67G, verstund 310); da-
gegen ist mir in S. 11. 12. 13. 15^ nie eine u-torm aufgefallen. — Conj.
stünde: S. 3, 357, 14. Br. 3, 187. S. 3, 500. 8,407,21. 256,23. 10,12,18.
12, 440 u. a.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 371
Schriftsprache, nicht so die schwäbischen. Sie wollen auch hier
teilweise (nicht immer; die niundart bildet z. b. ohne umlaut
jQt = 'lässt', während die grammatiker nie das entsprechende
Jafst verlangen) ihren dialekteigentiimlichkeiten zum recht ver-
helfen. So führt Scliw. m. 1775, 211 zuerst eine anzahl von
umlautenden an, darunter schlägt, lädt, läfst, gräbt; dann wird
bemerkt: 'In Sachsen sezt man noch folgende hinzu: häJct,
schläft, fängt, bläst, hängt, brät, räth, läuft, säuft, Jcönimt, stöst,
die aber bei uns affectirt klingen. Zu geschweigen, dafs das
wort hängt, wann es von hangen kommt, hangt heissen mus.'
Der Spr. 1,117 constatiert einfach: in Schwaben haben keinen
umlaut: blast, bratet, fangt, grabt, hangt, kommt, ladet, lauft,
ratet, sauft, schlaft. Fulda, wie immer sehr gerecht, sagt
GR. 98, das praes. biege die vocale a, o, m in der 2. 3. pers.
durchaus; 'also ist die sächsische Verfeinerung, lauft, hömmt,
sauft — sehr sprachrichtig', wobei jedoch der lierausgeber,
Nast, nicht umhin kann anzumerken: 'nicht durchaus', und auf
die obige notiz im Spr, hinzuweisen.
Schiller hat im allgemeinen die umgelauteten formen der heutigen
spräche: räth 1,325,344, gerüth 1,163,14, läfst 2,212,7, schläft 1,180,75,
untergräbt 1, 147, 22, beyräbt 1, 176, 18, sehlägt 2, 164, fängt an Br. 14, 30.
1, 187, 8, stufst 2, 190. 198, beschläft Arch. f. lit.-gesch. 9, 286, lädt 2, 163, 18.
303,21, W«/s< 1, 297, 60, läuft 2, 2^5, 2. 305,17. 166,1, zuiculerlänft 1,US,2,
Br. 27, 18; daneben steht aber eine nicht geringe anzahl von nicht um-
gelauteten, d. h. Schwab, formen: bratet 2, 162, 18. Haug, Z. 467. 2, 302, 24 A,
fangt 2, 85, 12, fangt an 2, 144, 21, ladet ein 1, 170, 7, ') lauft 1, 335, 661,
lauft Gefahr Württ. st.-anz. 1898, 227, 8, saufst 2, 101, 5 (zu jukt — jükt s.
s. 296); aus der schwäb. literatur jener zeit führe ich noch an: schlaft Schw.
m. 1779,690, fangt an Schw. m. 1775, 380, lauft Ergözlichk. 1774, 2,21, durch-
lauft Schw. m. 1775, 707, /a?</( Schw. m. 1780, 359. SO. 93. Si. 146, ladt Schw.
m. 1775, 712. — Auch Haller wendet in den früheren auflagen seiner ge-
wichte die umlautlose form öfters an; später verbessert er zu läufft etc.,
vgl. Käslin, HaUer s. 19. — Von hangen bildet Schiller meist hängt (= ist
gehenkt) 2, 157, 18. 300, 25 u. a., aber daneben zusammenhangt 1, 93, 2, hangt
er 2,79,10. 79,13; — du hängst 2,89,10 lautet in dem sonderabdruck Z
der 'Gesänge aus dem Schauspiel Die räuber' hängst, obgleich Schiller selbst
im correcturabzug die correcte form hängst corrigiert hatte, vgl. S. 2, 89, 10,
anm. — Schubart: er hangt SO. 19, abhangt SO. 192.
Die uuschwäb. form kömmt ist sehr häutig: Br. 45,22. S. 1, 223, be-
kömmt 2,10,2; kömmt ist die regelmässige form des verbs bei M, vgl. S.
2, 214, 26, anra. Beispiele: 2, 216, 15 M. 318, 8 anm. 294, 16 M. 295, 10. 305.
•) Bei ladet kann die alte schw. form noch hereinspielen.
24*
372 PPLETBERER
Bei Schnbart und Miller ist sie selten; bei Miller ist sie mir Si. 98. 163. 338
und Si. 2, 72 aufgefallen; bei Schubart nur SO. 113.
Auf der andern seile findet sich umlaut auch bei dem
schwachefi verb fragen, das allerdings nhd. auch stark flec-
tiert wird:
fragt 2, 368, 2. 372, 2G, vgl. frcUß Schw. ra. 1775, 708, fragst SG. 2, 205,
SG. 83.»)
Abgesehen vom umlaut kommt noch der Wechsel zwischen
e- und ?-formen im praes. in betracht.
Bei Schiller ist er in einzelnen fällen unterblieben: die Sonne löscht
aus intr. 1,232, -42; — dir schtvellet mein Busen auf 1,40,1; sonst stets
mir. schwillt 1, '61b, il. 260,57. 311,11. 27,9. 2,81,15.391,24; tr&ns. schioillt
kommt nie vor, wie z. b. ST. 92, 4. 104, 7. — Bei schmelzen ist correet ge-
schieden: sc/jwe?^ trans. 2, 18, 10. 332, schmilzt intr. 2, 11, 10, während Schu-
bart schmelzt intr. SO. 178 bildet und Schiller später schmilzt trans.: den
Kummer schmilzt kein Schlummer 8.6,4:11, 770 (Diäo). — ver derbst trans.
2, 84, 16, verderbt trans. 1, 18, 11. 2, 224, 11 A, verdirbst trans. 2, 100,20; ver-
darben und verdp-ben werden Schw. m. 1775, 448 sogar im inf. auseinander ge-
halten; Nast,Spr. 2, 46 sagt, es sei ihm unfasslich, dass \\\?iü.verdcrben in Sachsen
nicht auf zweierlei arten ausspreche; 'kaum hätte ich dil's geglaubt, wenn
ich dise Unwissenheit nicht gedruckt gelesen hätte'; in Schwaben, fügt er
hinzu, mache kein schulknabe einen fehler bei verderbst und verdirbst. —
ficht 1,307,6 in die mit dem Fächer ficht wird wol die correcte form zu
fechten sein und nicht facht, fächert lauten sollen (vgl. Düutzer, Schiller
als lyrischer dichter 1, 2, 102). In einigen fällen lässt Schiller noch Wechsel
des vocals eintreten, in denen die moderne spräche es unterlässt: zerbirstet
2,352,21 — dagegen Fulda, GR. 98 berstet. — stikt 2, 27, 10 und 12, wo
stikst du? 2,147,9 neben dem häufigeren intr. st^kt 1,202,3. 2,165,18.
285, 18. 133, 5. Auch Goethe hat noch wo stickst du? es, sie stickt etc., vgl.
Weigand, Wb. 2^ 795. Miller hat steckt intr. Si. 185. — Die form gebührt
findet sich nie in Schillers werken, sondern nur gebiert 1,166,10; ebenso
Schw. m. 1775, 948. 217. 1780,366. Fulda, GR. lOl verlangt gebiert; Nast,
Spr. 1, 133: 'Herr Hemmer sezt es unter die, so nach dem 1. Vorbild der
2. conj. gehen [d.h. gebärt]. Wir aber sagen, du gebirst, sie gcbirt, gebir.' —
scheren bildet bei Miller schiert Si. 49. 205. 231; bei Schiller später imp.
schier dich S. 3, 359, 19 ; in unsrer periode geht er noch weiter und bildet
den conj. praes. mit dem vocal des imp.: schier' er sich 1,253,76; schier
dich ist auch bei Goethe und J. Paul noch üblich. '■*) — Der vocal der
J) Spätere umlautlose formen: ladet ein S. 3, 279, 8. 7, 188, 24. 10, 15, 9.
11,252. Br. 5, 728, ladet auf S. 3, biil,b. 12,308, fangt an Br. 7, 221, man
schlagt S. 3, 358, 12, sie lafst Br. 7, 92, durchlaufst Br. 3, 67, 1 ; — mit um-
laut: kömmt ist in S. 4 und 5 noch sehr häufig, dann wird es seltener, be-
gegnet aber noch S. 10,213. 458. 12,36. 262. 286; in briefen Br. 3,222;
— fragt Br. 2, 293. 3, 317. S. 6, 29, 49. Br. 5, 238. 365. 15^. 513, 27.
') Aus späteren werken : das Gedächtnis löscht aus S. 3,36,21, die Lampe
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 373
2. 3. sg. iud. praes. ist iu das part. piaes. gedrungen in quillcnd 1,333,592
(so auch bei Goethe).
Im obd.. abgesehen vom südfränk., steht der uiigebrocliene
vocal der e-reihe auch noch in der 1. sg. praes.
So bildet Schubart ich lies = lese SG. 2, 360; Schiller hat nur die
schriftsprachlichen formen, z. b. ich les 2, 353, 31.
Der im^.geb! 2, 301, 22 M ist eine imperativbildung nach
dem muster der schw. verba, die halbmundartlicli üblich ist.
Fulda rechnet mit diesem imp. als etwas vorhandenem: GR. 99:
'neben dem uralten einsilbigen imperativ fall, gib . . . besteht
immer auch der zweisilbige neue, falle, . . . gehe . . . , ohne grad
der subjunctiv zu sein.' Dafür wird er aber in einer anmer-
kung vom lierausgeber Nast getadelt.
Bei Schubart ist diese form htäufiger: imp. lese SO. 59, les SO. 82, geh
SO. 145, sterbe SG. 2, 77 (im Ahasver). Schiller bildet später den imp. trete
S. 3, 319, 10.
Die verba der zweiten ablautsreihe haben im mhd. in folge
der brechungsgesetze im praes. Wechsel von in und ie: hiute —
hieten. Die aus den erstem entstehenden nhd. formen beut,
gciissf etc. gelten nur noch als poetisch und altertümlich, und
sind in der gewöhnlichen spräche durch solche ersetzt worden,
die den übrigen präsensformen angeglichen sind. Im 18. jli. sind
die formen mit eu noch teilweise üblich, werden aber auch
schon als archaisch empfunden, ^^'enn sie in der Schriftsprache
der Schwaben noch so vielfach Verwendung finden, so ist daran
schuld einerseits der umstand, dass im schwäb. der mhd. di-
phthong in als iii weiterlebt (getrennt vom umlaut in) und
die alten /tt-fornien also von den /e-f ornien unterschieden sind ;
andererseits verdanken sie ihr bestehen namentlich dem einfluss
der bibelsprache. Die schwäb. grammatiker nennen die e?<-formen
'nach der art der alten abgewandelt' Schw. m. 1775, 215, oder
einen noch nicht abgestorbenen archaismus GR. 101; Spr. 1,121:
'dise alte abwandlungsweise wii'd heut zu tage nur noch den
dichtem überlassen.'
löscht aus S. 3, 328, 8, verderbest uiis S. 12, 178. 262, verderbt trans. Br. 2, 105.
S. 10, 252, 25, man verdirbt es Br. 3, 430, er verdirbt es mit S. 15', 87; dazu
der imp. verdirb uns S. 6, 263, 5 (gegen verderbe sie 1,340,809); — gebiert
S.6,200. 329,23. 11,87,119. 13,123; — ficht S. 8, 288, 211. 12,48, — steckt
intr. S. 3, 69, 20. 12,156. 15", 207. 15^ 375. Br.5,323; — bis du berstest S.
14, 355 (Teil).
374 PFLEIDERER
Schiller macht in seiner jugentlperiode ausgiebigen gebrauch von diesen
archaischen formen, aber nur in der gehobenen spräche: fleufst 1, 182, 133
(im reim). 1, 66, 6, ergeufst 1, 299, 8, gev/stA, 2\0, 26 (im reim), fleugt 1,231,25.
179, 21 (im reim), beut 1, 125, 136, gebeiä Br. 11, 12, imp. gebetd! 1, 331, 545.
335,649.(550. 171,19. 172,12; //euc/j.' 1, 331, 550. 334,618. 271,25. 113,2.
41,28. 2, 271,25 A, Kreuch! 1,132,110, verzeuch l,dSl,b33, zeuch2,200,4:. 15.
— Auch bei Schubart und Miller wimmelt es von diesen formen: fleufst
SG. 90. 164. 196. 2, 271, genfst SG. 288. 2, 78, vcrschMifs Si. 2, 80, beschleufst
SG. 295, fleugt SG. 2, 270, beut SG. 2, 66. ST. 103, 9. SG. 194, verbeut ST. 135.
SG. 2, 163, anbeut Si. 253, gebeut ST. 100, fleuch! ST. 117. SG. 2, 324, fleufst
ST. 30. 95, übergeufst Schw. m. 1777, 50. ')
Die form deucJit, däuclit ist entstanden als analogiebildung
zum conj. praet. deuchte, dessen ind. dauchte dann nach dem
vocal der präsensformen in deuchte gewandelt wurde (Paul,
Wb.). Luther verwendet das praes. deucht schon.
Schiller hat neben wenigen dnnJit (2, 357, 24) meist deucht 1, 142, 16.
169,21. 2,131,26. 156,10. 299,23. Haiig, Z. 456. 465, däucht Br. 43, 3i.
S. 2,340,21. 374,6, ebenso deucht Si. 65. 257. 265, dmicht Si. 103; Schubart
dagegen meist dünJct ST. 25 und stets in SO.
Das alte unumgelautete praet. mir dauchte findet sich 2, 178, 4 neben
däuchte 2, 316, 6 A und M; vgl. es dauchte ihm Si. 2, 217, mich deuchte SG. 219.
Si. 226.»)
Anm. dünken wird ursprünglich mit dem acc. construiert; da-
neben erscheint schon frühe der dat. ; bei Schiller überwiegt der acc.
bei weitem ; die praet. formen dauchte und däuchte haben auffallender-
weise beide den dat. nach sich, ■während sämmtliche angeführten
stellen der präsensformeu den acc. zeigen.
Hier seien noch einige formen des in f. praes. erwähnt:
Der laut eu, äu findet sich altertümlich noch in dräun 1,190,119,
das dem mhd. dröuwen genau entspricht, im uhd. aber jetzt durch drohen,
nach dem subst. drohe, mhd. drö gebildet, verdrängt ist ausser in poetischer
spräche. — Neben em^) fangen 1,257,17. 282,90 steht im reim das ur-
sprüngliche empfahen 1, 207, 47, fahn 1, 240, 102 (fahen S. 12,365), mhd. vähen,
das bis ins 16. jh. allgemein üblich war.
Anm. Die Umschreibung des praet. durch thät 1, 269, 58. 347, 66.
257, 198. 226. 243, thaeten 1,269,61, entsprechend mhd. tele, bei Luther
regelrechtes praet. neben that (vgl. Socin a.a.O. s. 206) ist bei Schiller
1) Später ist besonders häufig: gebeut S. 5^, 159. 6, 267. 355. 375 (im
reim). 11, 122. 249 (im reim). 12, 124, beut S. 15', 234, fleugt S. 6, 374, was da
fleugt und kreucht S. 11, 397, 15.
*) deucht, däucht sind stets sehr häufig; belege sind unnötig; praet.
mich däuchte S. 3, 34, 13, däuchten ihm S. 3, 568, 9, daucht es ihn S. öS 100,
mir dauchte S. 13, 150, dazu ein inf. däuchten S. 14, 349 (Teil) neben dünken
S. 3, 533, 12.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 375
nicht mundartliche form, als was sie Düntzer s. 125 erklärt, sondern
nur ein rhetorisches mittel wie sonst oft bei dichtem.
IL Consonantische einzelheiten.
Eine scliwäb, form, die auch in andern dialekten gebildet
wird (vgl. Grundr. 1, 751) ist die 3. sg. iveifst. Die form ist
in der zeit vom 15. — 17. jli. öfters belegt, vgl. Kelirein, 15. —
17. jh. 1,283. Sie entsteht durch anbildung an die 3. sg. praes.
ind. aller verben, die nicht praeteritopraesentia sind. Fulda,
GR. 94 erwähnt die form gar nicht; dagegen Spr. 1, 109: er
iveis und iveist. 'Vilen provinzen Teutschlands kommt das
Schwab, iveist in der dritten person ganz fremd vor; wir ver-
sichern sie, dals uns ihr weis nicht weniger fremd ist. Wir
Avollen aber auch hierin toleranz gegen einander üben,'
Schiller: er iceißt 1,240,102. 354,40. 100,16. 139,30. 167,5. 267,15.
2, 146, 1. 342, 28. 346, 15. 363, 19. 371, 4. Hang, Z. 458, weist 1, 160, 16 A.
132, 121 neben er loeifs 2, 388, 9. 1, 168, 32, iceis 2, 18, 5. 1, 255, 120. In der
Schwab, literatur: weifst SG.2, 192. Schw. ra. 1777, 158. 438. 1780,427. Spr.
2,11.266.279. 1,36. 1. vorr., weitere belege sind neben obiger bemerkung
Nasts unnötig. *)
M hat die eigentümlichkeit, dass er die 2. sg. du weifs bildet: 2, 210, 20
anm. 275, 19 M. 312, 7 M; loeifs du 2, 225, 14 M, wie er bei nachgestelltem
pronomen der 2. sg. in altertümlicherweise schreibt: *S7(?/j,s<w 2, 223, 8 M,
sagstu 2, 224, 15 anm. 213, 23 M, hisiu 2, 256, 10 anm. 228, 3 M, bleibstu,
wärstu 2,228,3 anm., träumsiu 2,229,13 M. Kehrein, 15.— 17.jh. 1,269,
§ 378 und 1, 223, § 341 bringt auch für diese Schreibung eine anzahl von
belegen.
Im höchsten pathos, in anlehnung an die biblische spräche,
erscheint noch die alte form der 2. sg. du ivilt.
sei ivie du wilt, namenloses Jeuseits 2, 163, 4 in allen auflagen bis
1806, mit ausnähme von B 1782 und D 1787; die form ist nicht etwa ver-
sehen; Kehrein a.a.O. 1,282 gibt wenige belege; aber Fulda, GR. 94 bez. 93
gibt du icilt und du soll als archaische nebenform zu den üblichen auf -st
an, und Schiller selbst schreibt noch (7m sollt S. 12, 36.
III. Berührung zwiselien starker und schwacher conjugation.
Vermischungen der beiden conjugationen haben in allen
Perioden der spräche stattgefunden, und zwar w'ar stets die
zahl der st, die in die schw. conjugation übertraten, grösser
als die der schwachen, die stark wurden.
') Es ist erwähnenswert, dass noch IJhland in einem seiner vaterländ.
gedichte sich im reim der form weifst bedient (no. 11, Den landständen z. 16).
376 PFLEIDERER
A. üebertritt scliwaclier verba in die starke flexion.
Schon in mlid. zeit stellten sich st. formen neben die üblichen schw.
in preisen; die st. überwiegen seit dem 17. jh. Schiller hat nur starke:
pries Br. 2,2,6.
Bei gleichen kommen die st. nebenformen erst im 17. jh. auf. und
sind dann im 18. jh. durchgedrungen. Auch hier hat Schiller nur st. formen:
glichen Br. 3; 23, conj. gliche 1, 262, 2 (glichen S. 8, 20, 28). In beiden verben
kenneu die schwäb. grammatiker nur die st. flexion, vgl. Fulda, GR. 100 :
gleichen, preisen nach fallen, fiel.
Aus noch späterer zeit stammen die st. formen bei fragen. Diese
dringen erst im 18. jh. von Niederdeutschland her in die Schriftsprache,
ohne indes die schw. verdrängen zu können. Auch bei Schiller findet sich
neben fragte 2, 87, 3 frug 2, 86, 22. Die starken formen sind später sehr
häufig bei ihm. Auch Miller hat frug Si. 61. 293. 2, 286. 359. 399 neben
fragte Si. 312. 314. 304. 2, 20. 126. 155. Die schwäb. grammatiker haben
keine bemerkung über das wort, offenbar weil sie es nach der schw. flexion
conjugiert wünschen, deren verba sie nicht besonders behandeln. Adelung
rügt die st. formen.
Aus differenzierungsbedürfnis wurden schon im 15. jh. vielleicht nach
dem Vorbild von steche, stach zu den schw. formen steckte, gesteckt, die sowol
für das trans. als für das intr. stecken galten und noch jetzt gelten, auch
st. gebildet, die noch im 18. jh. vorkommen. Die st. präseusformeu wurden
s. 372 schon erwähnt. Starke praet. hat Schiller in stak 2, 87, 15 (so noch
S. 4, 7-±, 15. Br. 4, 353), staket ihr beisammen 2, 135, 6. 287, 1 M (aus späterer
zeit noch staken S. 9, 61, 8, stäke Br. 5, 422). ')
dingen, bedingen ist urspr. schwach; seit dem 17. jh. kommen starke
formen vor, von denen sich das st. part. praet. erhalten hat. Nast, Spr. 1, 122
bemerkt: 'dingen, düng, gedungen; difs wort geht eben so gut nach der
1. [d. h. schw.] conjugation.' Der junge Schiller hat nur st. part.; gedungen
2, 355, 20. 309, 4 M, imgedungen 2, 361, 33. 2)
icill fahren wurde (nach Paul, Wb.) zu einem gekürzten praet. loill-
fahrte, das seinerseits auf das subst. Willfahrt zurückgieng, neugebildet.
Zu diesem verb geben die wbb. von Paul, Heyne und Sanders nur schw.
formen au; der junge Schiller bildet tvillfuhr 1,59,7, später allerdings nur
noch schw. ^) Nast flectiert es schw. Spr. 1, 123.
B. Üebertritt von st. verben in die schw. flexion.
Der junge Schiller bildet eine anzahl von praet. nach der
schw. conj., die in der schriftspraclie nur st. geduldet werden
') Die schwäb. grammatiker übergehen das wort; nur Fulda, GE. 104
scheidet steken figere und steken haerere, und weist jenes der schw., dieses
der st. conj. zu.
'^) Später meist st.: einbedungen S. 5', 162, herausbedungen Br. 1, 151,
gedungen S. 3, 210, 22, aber gedingt in Tur., praet. ausbedingte S. 4, 242, 7.
3) loillfahrte S. 4, 159, 12. 11, 276, 101.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 377
und die sich bei keinem der grossen autoren des 18. jh.'s in
solcher anzahl finden wie bei ihm (abgesehen von rufte, s. dieses).
1) Schwache praet., die nicht schriftsprachlich sind.
Aus purer reimuot ist spinntest ( : trenntest) 1, 235, 29 entstanden.
Ebenfalls dem reim zulieb steht lügten conj. 2, 160, 8. — scheinten 1, 115, 5.
Br. 27, 3 ist für einen Schwaben kein fehler, da in der muudart wie auch
anderswo, z. b. in Heidelberg, J) von scheinen nach analogie zu andern praet.
auf -eint, wie geiceint, gemeint etc. ein schw. praet. gescheint gebildet wird.
Als beispiel dafür möge dienen das Volkslied 'Zu dir zieht's mi hin', wo es
heisst: 's hat der Mond so scho)i gscheint.
saufte 2, 84, 9 wird auch sonst schw. flectiert, vgl. DWb. ; zuwiderläufte
conj. 1,115,20.
Neben rief 1, 348, 1. Br. 42, 3 findet sich rufte 288, 27, ruftest 2, 52, 13.
219,20. Die jetzige Schriftsprache kennt dies praet. jetzt nicht mehr; es
existierte schon mhd. und ist noch im 18. jh. bei Klopstock häufig, verein-
zelt bei Goethe, Voss u. a. zu finden (Paul, Wb.). Auch Schiller gebraucht
die form spcäter noch öfters, ^j Bei einem Schwaben wird die form dadurch
gestützt, dass die muudart ein part. gridft^) bildet. Nast, Spr. 1, 128 hält
offenbar rufte für die ältere form: 'r/e/' — rufte kommt ab.' Bei Schwaben
finde ich rufte ST. 45, 3. SG. 236. SO. 174. Si. 2, 91.
Das part. eingesaugt 1, 161, 32 (neben eingesogen 1, 82, 2) kommt 'selbst
bei unsern besten Schriftstellern' vor (Heyne, Wb.); vgl. dazu die massen-
haften belege bei Sanders, Wb. Die form ist bei uns gang und gäbe.
Schiller hat die form auch später.^) Vgl. noch Scheffel im Perkeolied:
klang's ausgesaugt und leer.
durchhauten 2, 224, 4 A und M ; dieses praet. ist der Schriftsprache nicht
iiiebj" fremd (später niederhieben S. 8, 182, 24).
hratete 1, 155, 22 hat sich in der Schriftsprache nicht gehalten. Sanders
bringt je einen beleg aus Forster und Stilling bei. Von gleiten bildet
Schiller gleitete Br. 12,3 und dahinglitten 1, 155,32; die schAV. form ist auch
bei Goethe nicht selten (Paul, Wb.). Zu glimmen hat Schiller nur schw.
formen: conj. glimmte 2,224,14 {verglimmte S. 9, 281, 19).
Die Schwab, grammatiker verlangen bei allen diesen verben
die nhd. üblichen formen. Schw. m. 1775, 210 ff. Spr. 1, 122.
126 ff. und GR. 99 ff. verlangen spann, schien, log, soff (GR. 101
sof), lief, rief, sog, fiel (vgl. Spr. 1,115: ^ hauen ist das einzige
*) Vgl. Osthoff, Schriftsprache und volksmundart, in der Sammlung
gemeinverständlicher vortrage (Virchow und Holtzendorff) 28. serie (Berlin
1883) s. 22.
2) rufte (ind. und conj.) S. 3, 195, 16. 16, 18. 555, 19. 4, 74, Jierbeiruften
S. 7, 228, 11, ruft' S. 12, 440, 980 (M. Stuart).
^) Vgl. mhd. rüefen, rüefte.
*) saugte S. 5', 15. 8,176,8. 12,70; auch pfeiftc findet sich S. 4, 68, 12.
378 PFLEIDERER
verbum, so dem inip. das b anlieiikt: hieb'), briet, glit (Fulda,
GR. 100: gliet), glom.
2) Verba, die früher nur stark, jetzt teilweise schwach sind.
Nur st. formen finden sich wie meist nhd. bei bersten : geborsten
2,258,3. 92,9; dagegen hat Schiibart berstete (im Ahasver).
erscholl 2,178,14, schollen 1,351,15, ebenso scholl SO. 76. Sfl. 2, 106.
SG. 91; Schiller noch S. 12,489; die formen gehören ursprünglich zum verbum
schellen, das nhd. durch schallen (vom subst. schall) und dessen schw. praet.
schallte ersetzt wird. Letztere form findet sich bei Schiller erst in späterer
zeit : schallten S. 9, 375, 22, erschallte S. 7, 195, 26. Fulda verlangt scJioll
GE. 101, ebenso Schw. m. 1775, 215; dagegen Nast, Spr. 1, 122: 'erschallen —
erschol, erschollen increbescere. Hemmer sagt: dils wort könne auch nach
der ersten conjugation gehen. Die anmerkuug ist richtig: aber nur alsdeuu,
wenn es personare heilst. Schallen ist allein 1. conj.' (d. h. schw.).
rächen ist nhd. meist schw., selbst im part. praet. Schiller liat nur
gerochen 2,70,11. 249,25, ungerochen 1,358,44, ebenso SG. 2,65.^) Die
Schwab, grammatiker erwähnen das wort nicht.
Bei verhehlen ist die st. form nur noch im part. praet. und hauptsäch-
lich als adj. üblich. Schiller: hast mir verhehlt Br. 4, 27, die verhohlenste
Quelle 1,172,31, der verhohlenste Winkel 1,157,13; die grammatiker aber
verlangen durchweg starke flexion : Schw. m. 1775, 215, Fulda, GR. 101 : ver-
hohl — verhohlen.
Auch für verwirren verlangt Fulda noch st. formen GR. 101 ; Nast,
Spr. 1, 131 sagt: 'verwirren, verwor, verworren. Ist besser nach der ersten
[schw.] conjugation.' Schiller hat im praet. part. noch beide formen neben
einander: ein verioirHes Getöse 2,322,14, verivorrenste Intriguen 2,341,2,
allzu vertvorren 1,162,1, verworren 1,175,28.
weben ist jetzt meist schwach; die starken ursprünglichen formen sind
hauptsächlich noch in liöherem stil üblich. Spr. 1,135: '^oob, geivoben. In
einigen landschaften geht diis wort nach der ersten conjug.' Fulda ver-
langt zwar GR. 101 geivoben, gibt aber GE. 106 auch getvebt zu. Schiller
hat st. und schw. formen: durchgeivoben 1,320,205, goldgeivebt 1,226,13.
316, 84; aus Thon geivoben 1, 314, 19. In der zeitgenössischen schwäb.
literatur finde ich nur schw. formen: durchwebte Zeuge SO. 30, gewebt
SO. 85. SG.2,53. Schw. m. 1775, 447. SG. 2, 134, webten 81.2,226.^)
falten und sx)alten haben in der modernen spräche nur noch im praet.
part. ihre ursprünglichen st. formen erhalten, neben welchen aber auch
schw. part. verwendet werden. Ebenso bei Schiller: gefallen 2, 19, 23. 323, 1,
gefaltet 1, 122,71, entfaltet 2,359,9; von spalten lässt sich nur das praet.
spaltetest 2,312,8 belegen. Schubart: gefallen SG. 2, 290. 380 (Schiller S.
1) gerochen S. 4, 174. 3, 325, 7. 6, 68, 27. 412, ungerochen S. 8, 142, 21,
doch daneben später auch gerächt S. 6, 374, 803. 15', 56.
*) loob S. 11,315. 12,414, webte S. 6, 251, 15, verwebt S. 4, 39, 13; —
während übrigens Schiller mit der nlid. Schriftsprache gehoben S. 5', 89
bildet, sagt Schubart mit dem schwäb. aufgehebt ST. 42, 7,
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER, 379
13, 176 weiUjefalM). Fulda, (il\. lOG und Nast, Spr. 1, lOü geben au: fjefnltet
und gefallen; Spr. 1, 110 : 'das mittelwort gespalten ist auch nicht verwerflich.'
Zu backen verlangen die schwäb. gramraatiker durchweg st. flexion:
Fulda, GE. 100. Nast, Spr. 1, 120. Schw. m. 1775, 212. Schiller hat gebacken
2, 24, 22 (aber backte S. 3, 471, 23).
Vermischung von st. und schw. flexionsweise findet sich
besonders in solchen fällen, in denen st. und schw. verba des-
selben Stamms, nur mit bedeutungsverschiedenheit neben-
einander standen. Derartige fälle begegnen in der modernen
spräche wol so häufig als vor hundert jähren.
schwellen : schwoll Br. 2, 2, 13. S. 1, 351,13, dagegen welche anschwellten
S. 9, 310, 20.
schmelzen ist urspr. als intr. stark, als trans. schw. Im praes. hält
der junge Schiller die beiden genera genau auseinander, s. s. 372 ; praet. :
schmelzte hinweg trans. 2,280,5; das part. praet. geschmelzt ist schon im 18. jh.
in den meisten fällen durch geschmolzen ersetzt worden: hat geschmolzen
trans. 1, 163, 27, geschmolzen zu tcerclen 2, 350, 25, die umgeschmolzenen
Räuber Br. 41, 19, 2, Amalia müfste umgeschmolzcn iverden Br. 48, 31.
Bei verderben herscht grosse confusion. Ueber die präsensforraen vgl.
8.372; praet. verdarben sein Herz Br. 50 unten, hat verdorben 1,149,21,
2, 30, 15. 110, 8. 269, 7, er ist verdorben durch den Dichter 2, 375, 12, das
Herz kann grundverderbt iverden 2, 362, 24. ')
In laden wurden schon mhd. zwei verschiedene verba vereinigt, ahd.
hladan st. = 'eine last laden', ahd. ladön 'einladen', und schon mhd. wurden
sie ohne unterschied st. und schw. flectiert; jetzt ist die st. flexion durch-
gedrungen ausser im praes., wo wir noch beides bilden, vgl. s. 371. Bei
Schiller begegnet das praet. nur einmal, aber zufälligerweise ist das gerade
ein beispiel für den übergriff der st. flexion: lüden viich zum Feste 1, 241, 149
(vgl. dazu dahin lud sie die beiden S. 3, 543, 23).
dringen — drängen. Eine Unterscheidung dieser worte ist für den
Schwaben aus lautlichen gründen besonders schwierig, vgl. s. 301. Dazu
kommt noch, dass die intr. liedeutung von dringen erst im nhd. geschaffen
worden ist, indem das trans. mhd. dringen durch drängen ersetzt wurde.
Belege lassen sich nicht viele geben: der ihn zwang und drang 1, 64, 15
(wobei wol auch an lautliche einwirkung von zwang zu denken ist), ist
verdrängen worden 1, 17, 13. 53, 28, ineinandergedrungene Bealitäten 2, 8, 13,
wo der sinn passiv ist {jemand etwas aufdringen 2, 290, 29, dagegen correct:
sich aufdrängen 1, 168, 15). Aus der sclnväb. literatur der zeit führe ich au:
dringen sich herbey Ergözlichk. 1774, 1, 323, dringen sich SO. 18. Si. 298.
Si. 2, 160, verdräng trans. Si. 77 {einem etwas aufdringen Si. 341), die Unruhe
verdräng das Bild Si. 2, 128. *)
') verdarb mir allen Genufs Br. 1,145. 146, verdarb trans. sonst noch
S. 7, 88, 19. 182, 9. 8, 237, hat etwas verdorben Br. 1, 329. 2, 53. 337. 3, 196.
311. S. 7, 133, 26, verdorben pass. S. 6, 234, 4.
*) verdrungen von einer Nebenbuhlerin S. 5*, 51, 11, drang sich in S.
380 PFLEIDERER
haufjoi, hängen, henken. Bei ihnen herscht im 18. jh. noch grössere
Verwirrung als heutzutage. Schiller hat, wie die moderne spräche, hangen
und/unif/euheideintr.: /mnr/eu 1, 123, 87. 170,30. 2,211,23. 346,16. 324,24.
270, 28 etc., hängen 2, 162, 14. 302,21 Ä (M hangen), hängen bleiben 2,24, 13;
beispiele für das intr. hängt s. s. 371, abhängen 1, 24, 28, aneinander hangend
1, 144, 22, herhangen 2, 77, 9, links hangende Schale 2, 179, 21; — einer Sache
nachhängen 1,90,24; praet. hieng intr.: sie hingen 2,93,10, hieng — nach
1,111,5, aber auch hängte intr.: hängte — nach 1, 112, i, correct trans.:
hängte mich an 2, 84, 8; gehangen intr.: seid an mir gehangen 2, 334, 7; traus.
(bez. pass.): iverden aufgehangen 1,203,2, Möller ist gehangen = gehenkt
2,88,4, tvird gehangen iverden 2,100,3; neben hängen — henken: henken
keinen 2,89,16, sich erhenken 1,2^1, 15. Ebenso bei Schubart und Miller:
hat etwas gehangen SO. 24, aufgehangen SO. 211 (einer Sache nachgehangen
Si. 15), hieng sie auf Si. 2, 121, hieng sich an Si. 2, 9. 79. *)
Die Stellung der schwäb. grammatiker zu den letztern
verben: Fulda, GR. 103 ff. scheidet bei all diesen verben genau
die activa verderben perdere, henken hängen, drengen, schmelzen
liquefacere, die nach der schw. conj. gehen, von den 'neutris'
verderhen perdi, hangen, dringen, schmelzen liquefieri, die nach
der starken gehen. Schw.m. 1775, 448 hält sogar die inf.-formen
verderhen und verdarben auseinander; Fulda, GR. 105 sagt: ^Er
verdarb ihm das Spil. Es verdirbt die Sitten ... — sind sehr ge-
meine feler, welche an den besten Schriftstellern nicht zu ent-
schuldigen sind.' Nast behandelt eines nach dem andern:
schmelzen Spr. 1, 134: 'Das activum schmelzen, liquefacere, wel-
ches das hohe e hat, geht nach der ersten conjugation (= schw.).
Man mus also nicht sagen: ich habe das Blei geschmolzen . . . , son-
dern: ich habe geschuelzt, — ist geschmelzt ivorden! — verderben
Spr. 1, 135: '■Verderben (mit dem hohen e), zu grund richten, geht
7, 323, 3. 9, 163, 2, hatte sich eingedrungen S. 8, 31, 15. 99, 24, verdrungen
iverden Br. 2, 128. S. 5', 151. 127, dringen trans. S. 4, 345, 23, die Post dringt
mich Br. 5, 37 (jemand ctivas aufdringen S. 3, 533, 5. Br. 1, 299, die sich auf-
drangen S. 3, 262, 10, der sich aufdrang S. 4, 26G, 11, hat sich aufgedrungen
S. 3, 510, 2. 6,18,19, dem er sich aufdringt S. 6, 34, 2. Br. 3,268; — drängt
sich zivischen S. 6, 41, 4, hat verdrängt S. 4, 287, verdrängt wird S. 4, 305, 23,
ich drängte mich S. 4, 349, 20).
') Ebenso später: ich hange an S. 6, 301, 25; — ich hänge ^.Z, 211, 2b,
herunterhängen an S. 4, 293, 5, zusammenhangen S. 4, 332, 3, an denen sein
Herz gehangen S. 4, 270, 8; — etwas ivird umgehangen S. 6, 380, 961, behangen
mit S. 4, 203, 16. 6,371, woran Zeus den Hing aufgehangen S. 11, 65, 6, den
er aufgehangen S. 13, 184, wurden aufgehangen S. 7, 259, 5, ein Zeichen ist
ansgehangen S. 13, 206, den Hut aufgehangen S. 14, 356; — aushängen S.
3, 445, 16, aufhenken S. 3, 147, 20.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 381
nach der ersten conjugation. Eine veräorhene und vcrderhte
Sache drückt also zweierlei begriffe aus, die man in Sachsen
selten richtig unterscheidet.' — dringen Spr. 1,122: ^Bringen,
drung und drang, gedrungen. Drängen oder drengen, premere,
ist der ersten conjugation.' — hangen Spr. 1,125: ^Ilieng, gehangen
sein, pendere. Das activum henken, suspendere, welches in
Sachsen hängen heilst, ist l.conj. Das neutrum hangen braucht
man in Sachsen als ein activum, eben so falsch wie faren!
Die grammatiker sind also viel correcter als der tatsächliche
Sprachgebrauch.
wiegen — wägen. Die beiden verbeu sind entstanden aus mhd. u-egen,
dessen präseusformen nach den brechimgsgesetzen verschiedenen vocal hatten;
später wurde entweder i oder e durch alle formen durchgeführt, und das
ergab die Spaltung von iciegen und wägen. Schiller hat ä statt /: einer,
der Räuber niederwägt 2, 358, 19, Menschen wägen auf deinem Dolch keine
Luftblase auf 2, 101, 6. Die schwäb. grammatik wendete dagegen nichts ein;
denn Nast sagt Spr. 1, 135: 'Mir deucht, die subtilen unterschide, die mau
bei disem wort in ansehung der Schreibart und der conjug. macht, seien
unnötig; in Schwaben sind sie's wenigstens. Ist difs wort ein neutrum, und
heilst: auf der wage schwer sein, so conjugirt man es in Sachsen: Ich ivige,
du wigst ... etc. Heilst es, auf der wage untersuchen, wie schwer etAvas
sei, und ist mithin ein activum, so conjugirt man es, ich icäge, du wägst . . .
Die wahre und kurze lehre difs wortes ist die: wegen, es sei activum oder
neutrum, wird nur ... abgewandelt: Ich wege (nicht wige oder tviege), du
ivigst . . . Das sächsische Wigen, oder gar Wiegen, wie sie es schreiben, be-
leidigt unsre obren, und ist uns obendrein unverständlich.'
C. Das 'paragogische' e.
Eine weitere beeinflussung der st. verba durch die schw.
flndet schon in mhd. zeit zuweilen statt (vgl. Paul, Mhd. gr.
§ 155, aiim. C), die Übernahme des i)räteritalen -e der schw. in
der 1. und 3. sg. praet. Das nhd. hat dies -e, das früher fälsch-
licherweise sehr oft angefügt wurde, beibehalten allein bei
tvio'de (dagegen nur icard). Die beifügung dieses -e an formen,
denen es nicht zukam, war am ehesten möglich in den teilen
Deutschlands, wo die auslautenden -e alle gefallen waren und
somit Unsicherheit herschte darüber, an welchen stellen man
in der schritt ein -e anzubringen hatte. Ausserdem kommt
für die nachlutherische literatur in betracht, dass Luther diese
-e auch anwendet, und er ist für die spätere Schriftsprache,
insbesondere die schwäbische (vgl. die einleitung), hauptquelle.
382 PFLEIDEREß
Auch Gottsched liat nocli g'eg-en dieses -e, anzukämpfen in seiner
Grammatik; Adelung gibt in seinem Wb. z. b. als praet. von
seilen noch sähe, ohne nebenform, an; in seiner Sprachlelire
geht er auf die erscheinung nicht ein. Wie die beispiele aus
Schiller und andern Schwaben zeigen werden, hatten auch die
Schwab, grammatiker grund, sich über diese -e auszulassen.
Fulda, GR. 98 sagt, kh <jube, sähe sei wider die natur, und
GR. 92: 'Schnizer sind: . . . ich ivare . . .' Nast, Spr. 1, 115: 'es ist
also ein feler, wenn man ein e anhenkt: hate, bliese etc.' Im
Schw. m. 1775, 94G vollends heisst es von denen, die tvare, harne
für recht halten: sie 'verstehen ihre muttersprache so gar nicht'.
Aber trotzdem konnte Schw. m. 1779, 596 ein Nichtschwabe es
noch wagen, hielt' er zu verlangen; 'denn in der ersten ver-
gangenen zeit der bindeweise der ungleichfliessenden Zeitwörter
muss das e nie weggeworffen werden.'
Die fälle bei Schiller sind, soweit sie nicht im vers oder
gar im reim stehen, meist durch ein gewisses pathos der rede
hervorgerufen.
Er hat f/eif^are 1, 222, 56 (reim), scWose 1, 29, 57 (im reim; der heraus-
geber des Schw. m., in dem das betreffende gedieht erschien, lässt, um etwas
grammatikalisch correcter zu sein, die form schlos in klammern beidrucken!),
hielte 1, 190, 111 (im vers). 2, 299, 21 A, flöhe 2, 178, 21, gediehe 2, 391, 17,
ich sähe 1, 57, 4. 110, 19. Br. 19, 26, verliehe 1, 36, 18, lüde 68, 23 (ein citat
aus Denis, Ossian, Wien 1768, wo es im original 1,14,4 lud heisst), riss'
1, 281, 46, schmiss' 1, 346, 29, dazu noch verspräche Württ. repert. 132 im
brief des paters. Das 'paragogische' e findet sich dann auch noch im conj.
seye 1, 173, 23 (wie noch seie S. 15'^ 553, 22 in prosa). — Bei andern Schwaben:
sähe ST. 48 (vers), aushielte SO. 61, läse Schw. m. 1777, 539, flöhe Schw. m. 1775,
706, er/«e/<eSchw.m. 1775, 34, /weZte Schw. m. 1777, 445, sittmie Schw. m. 1776,
331, stand' imd sah' SG. 2, 112, scholl' SG. 2, 111, sang' SG. 2, 111. Bei
Schiller ist später hauptsächlich sähe noch sehr üblich, i)
IV. Der rüekumlaut.
Die langsilbigen verba der 1. schw. klasse haben im praes.
formen mit umgelautetem vocal, im praet. solche ohne umlaut ;
^) sähe S.S, 810,18 1 173,113. 164,28. 560,12. 4,95. 35,11. 219,7.
95,24. 5^389. 6,111,10. 7,145,18. 168,24. 327,12. 67,24. 73,25. 115,9.
130,2. 210,15. 136,9. 222,17. 8,115,31. 145,18. 168,24. 232,5. 327,12.
9, 340, 28. 12, 180. 14, 70. Br. 3, 86. 4, 18. 5, 273, hielte ich Br. 1, 201, 23, ge-
schähe S. 7, 154, 11, es stritte Br. 1, 116, 11, flöhe S. 3, 401, 7. 5', 134, 2805.
ö'-*, 247. 7, 98, 21, zuschriebe S. 10, 415, 10 (könnte auch conj. sein), dazu noch
hub' 2, 213, 14 ausgäbe von 1802.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 3S3
im pari, praet. stellt in der ganz alten spräche die unflectierte
form mit umlaut neben der flectierten ohne umlaut. Die
Schriftsprache hat in folge des einflusses der ausgleichenden
mundarten einige beispiele des alten Avechsels beibehalten,
während sie in andern fällen beide formen neben einander
duldet. Während im 18. jh., wie in den vorhergehenden (vgl.
Kehrein, 15. — 17. jh. 1,279) allgemein noch doppelformen vor-
kommen, steht der junge Schiller ganz auf dem modernen
Standpunkt, und zwar hat er die formen, die von den scliwäb.
grammatikern vorgezogen werden (s. unten).
Er schreibt bmnnte 2, 297,6. 24G, 21, verbrannte Br. S3, 27, nannte
1, 160, 24, sandte 1, 319, 173, tvandte 2, 317, 2. 87, 16. 1, 122, 53, verkannt Br.
tu, 10, gekannt 1,166,24, entivandt 2,101,15, gewandt 2, K)i,Xö; daneben
das auch jetzt übliche angeivendet 1, 25, 19, Kleider gewandt 2, 349, 13, ab-
gewandt Br. 9, 28, gesandt 2, 268, 22. Sehr merkwürdig ist, damit verglichen,
dass Schiller, sobald er Schwaben verlassen hat, die formen anwendet, die
die Schriftsprache nicht beibehalten hat, zumal da das Schwab. (ge)brcnnt etc.
sagt: brennte S. 3,321,2, berennte S. 8,332,27, we/m/e S. 4, 96, 6. 115,20
neben nannte 4, 96 etc., dazu die umgelauteten formen von senden : gesendet
S.5^120, 18. 6,131,402, zugesendet G,37i,S0i. 7,172,6, versendetBr. 1,289,3
neben sandtest S. 5^, 150, sandten 6, 13. Schubart, der volksdichter, hat : ver-
brennt SO. 115, genennt SG. 2, 30; Miller: icendete Si. 2, 209. 76 neben wandte
Si. 2, 11.
Die grammatiker Schwabens gestatten beiderlei formen,
da in der mundart der umgelautete vocal verallgemeinert ist
(vgl. Grundr. 1, 740), aber sie ziehen doch die unumgelauteten
formen vor. Fulda, GR. 105 erklärt die Verschiedenheit des
vocals im praet. aus der mischung der st. und schw. conj.: 'Ur-
alt sind schon die imperfecte, die aus beiden conjugationen zu-
sammengesezt worden sind, in nachstehenden Zeitwörtern: bren-
nen, hrennete und bran, aus beiden brannte,'' so nennen, kennen
etc., doch zieht er offenbar die unumgelauteten formen vor, da
er bei den übrigen nur noch senden — sandte, wenden — nandte
angibt. Schw. m. 1775, 209: brennen — brannte — gebrannt etc.:
'doch sagt man auch: Jcennete, sendete, gesendet.' Ebenso Spr.
1,108: 'doch kann man für brannte — ivandte, auch sagen:
brennete — ivendete, und für gebrannt . . . auch gebrennet.' —
iVIan sieht, dass sie die formen ohne umlaut bevorzugen, wie
die moderne Schriftsprache.
384 PFLEIDERER
V. Bildung des part. praet. durch die vorsilbe f/6-.
Vgl. darüber s. 315 f. Ich führe hier nur noch einige fälle
an, in denen Schiller entgegen dem jetzigen Sprachgebrauch
ge- noch setzt; der beispiele sind sehr wenige. Es handelt sich
um bildung des part. praet. nach art trennbarer oder untrenn-
barer composita.
Schiller sclireibt : mit Rosenroth durchgeioohen 1, 320, 205, umgesegeUes
2, 303, 3 M ; doch ist in letzterem fall das -ge- in der haudschrift mit rot-
stift gestrichen, entweder von Schiller oder von einem regisseur in Mann-
heim; ferner l/cbgekoßt 1,312,31, das auch von Wieland, Goethe u.a. in
dieser weise gebildet wird, jetzt aber wie eine ableitung aus einer substan-
tivischen Zusammensetzung behandelt wird, so von Schiller später: gelieb-
kofst S. 15^ 371.
Es sei mir gestattet, hier noch einige infinitivbildungen
von verben mit untrennbarem präfix beizufügen, die Schiller
teilweise behandelt wie solche mit trennbarem:
durchzulaufen 1, 14, 24 in einem fall , wo wir jetzt das untrennbare
(zu durchlaufen) setzen würden: die Bahn der Tugend durchzulaufen, den
Abgrund durchzuschaun 1,183,139, ebenso liebzukosen 1,293,14.')
F. Zu den flexionslosen Wortarten.
Formen und Verwendung. 2)
jetzt.
Für das moderne jetzt weist Schiller fünferlei formen auf.
Zweisilbig sind izo und jetziind. Davon geht das erstere zurück
auf mhd. iezuo (mhd. ie + der betonten form zuo)\ die form jezo
kommt beim jungen Schiller nicht vor; jetzund (mhd. iezunt)
scheint noch keine genügende erklärung gefunden zu haben.
Die formen itz, izt, jetzt gehen zurück auf die zusammenrückung
von mhd. ie und der unbetonten form ze\ Uz wird zu itzt durch
die nach 5-lauten öfters übliche anfügung dos parasitischen t
Durch Verschiebung des silbenaccents entstehen die formen mit
je-, wie mhd. ie zu nhd. je wird.
^) Später noch: untergeschoben ^.Z/6oQ,\S. 4,287. 8,257,17, durch-
gewandert S. 5',54, 1103, ist ins Englische übergetragen Br. 6, 39; — hand-
zuhaben Tur.28, überzutragen S. 8,261,32; dagegen habe durchlesen Br. 5,298.
6,323, sich zu einfinden Br. 6, 208; gegenüber Schubartschem: mifsgehandelt
ST. 93, 3 sagt Schiller: gemifshandelt S. 8,180, 1, gcmi fsbraucht S. 7,259, 6.
■■') In diesem capitel werde ich auch syntaktisches beiziehen müssen.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 385
Schiller verwendet am häufigsten die form izt, die, nächst iz, dem
Schwab, (tz (alem. itz) am nächsten steht. Sie ist auch in der gleich-
zeitigen Schwab, literatur noch die häufigste. Auch jezt ist nicht selten,
aber wie dies gesprochen wurde, ob nicht ebenfalls wie izt, ist mir zweifel-
haft; bei Schiller kommt jetzt nie im reime vor; aber die einzige stelle, wo
jetzt bei Schubart (der sehr oft jetzt schreibt) im reime steht, ist im reim
jetzt (so geschrieben) : erhitzt ST. 53, 6.
Die nächsthäufige form ist izo; dagegen scheint er jetzo überhaupt
nicht zu kennen (oder ist das fehlen der Schreibung jV^o auch ein iudirectes
beweismittel für die ausspräche \ou jezt als izfi). So ist auffallend, dass
er bei einem citat aus Garve für dessen jetzo sein izo S. 1, 154,4:3 einsetzt.
jetzo erscheint zuerst S. 3, 529, 4. — itz findet sich nur 2, 244, 13 M ; es ist
sonst aus dem 18. jh. im DWb. nur bei Wieland belegt. — jetzund 1,26,2.
16, 28 ist altertümlich.
In den Räubern 1782 A und M (S. 2, 209—335) kommt izt 38 mal, jezt
(jetzt) 7 mal und itz 1 mal vor. Einige stellen für izo: 1,103,18. 113,24.
176, 1. 261, 72. 2, 10, 15. 184, 4. 350, 1.
Mit der form itzt sind die Schwaben etwas hinten dran, verglichen
mit der sonst üblichen deutschen redeweise. Haller und Lessiug haben
meist itzt neben den andern formen. Dagegen hat der junge Herder 'meist
jetzt, seltener jetzo ' (Längin, Herder s. 100). Klopstock hat in den spätem
ausgaben, wo ihn nicht die verstechnik zur beibehaltung bestimmte, sein
früheres itzt stets durch jetzt ersetzt. Adelung sagt, es seien im hoch-
deutschen noch jetzt, jetzo, itzo, itzt, jetzund gangbar, 'obgleich jetzt bei
den meisten und besten Schriftstellern den Vorzug hat'. Schiller selbst
ändert sich in der folgezeit sehr rasch in diesem punkt: im Fiesko ist izt
noch sehr häufig; in Kabale und liebe dagegen habe ich kein einziges izt
mehr gefunden, sondern nur jetzt. In S. 4 steht izt nur s. 94, 5, sonst stets
jetzt oder iezt; ebenso S. 5' stets die letzteren; ausnähme ^>f S. 5', 113, 2337;
in den spätem werken kommt izt z. b. S. 13, 294 vor, aber es ist dem laud-
niann Bertrand in den muud gelegt.
Adv. auf -en und ihre Varianten.
Die liielier geliürigen formen sind für uns sämmtlicli ver-
altet, und waren es auch schon vor hundert jähren, selbst in
Schwaben, vgl. Fulda, GR. 87: 'unser reichsstil sezt noch einen
archaismus aus der mittlem zeit fort,' wobei er allerdings nur
von -en bei adv. zu adj. auf -lieh spricht; aber Ergözlichk.
1774,2,201 nennt er die -en überhaupt: '-ew des reichsstils'.
Die formen sind verschieden zu erklären: in -malen haben wir urspr.
gen.pl. von mCd zu sehen: mehrmalen 1,168,26, eine form, die im 18. jh.
noch öfters vorkommt (bei Schiller auch später noch : Br. 1, 365. S. 7, 260, 17.
8, 18'2,23), niemalen 1,47,44. Br.64,15. S. 1, 148, 10. 152,18. Br. 37, 21. S. 1,
16,32. 17,4; neben ihm steht das auch bei Goethe häufige niemul 1,1b, oi.
171,19. 119,5. 2,287,23. Br. 19,9, wol als verkürzter geu.pl. aufzufassen,
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIU. 25
386 PFLEIDEEER
«/ewrt/ auch Si)!'. 2, 268. Seh w. ni. 1775, 206, »ie»mZcnSchw.m. 1778, 971; der-
malen kommt erst später vor (8.4,312,28. 12,6!)); an seiner stelle wendet
der junge Schiller dermalems S. 2, 181, 20 au, sowie dereinst 2, 185, 3, das
seit dem 18. jh. für dermaleins auftritt. ')
In folgenden formen auf -en erblickt man eine durch misverständnis
entstandene Verschmelzung mit der verueinungsimrtikel rabd. en (Paul, Wb.):
d orten, seit dem 16. jb. existierend, von dicbtern gerne verwendet, bei
Schiller nur" im vers: 1,194,237. 359,93.94. 214,1; in Schubarts liederu
sehr häufig: 80.217. ST. 27, 6. 30,9. 70,8 u.a. — so «sien: diese sehr ver-
altete form kommt nur im 'Bericht über die mitschüler' vor: S. 1, 13, 20.
15,18. 17,16. 20,21.21,22, dann noch 2, 376, 10. — ciwstcw 1,211,61 f.
107, 53 neben dem daraus entstandenen einstens 1, 236, 7, vgl. dereinsten
ST. 44,10.'')
Die formen von hinn en 1, 178, 13, von loannen 1, 131, 98. 2, 160, von
dannen 1,123,82. 124,120, die auch schon veraltet waren, sind wol aus
der spräche der Bibel genommen. Vgl. Adelung: 'nur noch am häuUgsten
im oberdeutschen und in der dichterischen Schreibart der Hochdeutschen'.
Selbsten ist wol ursprünglich eine cas.-obl.-form nach dem muster
von selben, indem -st als superl. gef asst wurde , was J. Grimm in der tat
getan hat; es ist im 17. und 18. jh. sehr üblich, so bei Goethe u. a. im DWb.
belegt. Schiller: von selbsten Br. ^8, 31, Selbsten Br. 4b, 6. 55,27. 48,31.
S. 1, 144, 9. 81, 1. 78, 6. 79, 1. 216, 44. 112, 8. Ebenso SO. 178. Spr. 2, vor-
rede s. 6. Schw. m. 1777, 437 u. a.»)
gleichbald 1,17,8 (= 'sofort, gleichzeitig') hat ein gleichbalden
1, 208, 57 neben sich. Das wort ist nicht in den Wörterbüchern.
Verschiedenes.
Die meisten dieser -ew- formen dürften aus der kanzlei-
sprache. die derartige lange formen gern festhält, in die Schrift-
sprache herübergekommen sein, wie jedenfalls die nach dem
muster von dero, ihro gebildeten:
nunmehro Br. 1,1. 38,1. S. 1, 169, 1, seitheroBr.l, bisheroBr.Gb,!!,
vorhero S. 1, 109, 25. Hang, Z. 465. Vgl. nunmehro Schw. m. 1775, 383, dahero
Schw. m. 1776, 96 ; Spr. 1,188: 'Wir sollten endlich des ... hinfüro, bishero,
jezo . . . nicht mehr gedenken därfen.' *)
>) niemalenBx. 1,10b, 11. 174. 192, niemul^.Z, 22,112. 136. 204. 317. Br.l,
112. 248, dazu mehrmul Br. 1, 112. 248. S. 4,250. Br. 7,39, dermaleins S. 3,416.
5', 21. 62, dereinst S. 5', 22, später auch noch damalen S. 12, 69. — damals
auf etwas zukünftiges bezogen , findet sich in damals tvenn sie . . . unter-
graben S.l, 166,33; das DWb. kennt diese Verwendung nicht; Heyne, Wb.
führt nur diese stelle an.
'^) dorten S. 6, 372, 717. 11, 86, 98 (beide im vers). 11, 373. 380. 251.
12,20. 365. 14,69; — sonsten S. 5^436. 12,125. 14,86, alle drei stellen im vers.
8) ich Selbsten Br. 1,95, 12, selbsieu noch S. 12,49,860 im vers.
*) nwimehro Br. 1, 272, 7, vorhero Br. 1, 287, 8.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 387
Schwanken des vocals findet sich bei dn7i7i — denn
und wann — ivenn. Bei ersterem werden die beiden formen
bis in den anfang- des 18. jh.'s von den Schriftstellern ohne unter-
schied gebraucht (Paul, Wb.), erst im lauf des 18. jh.'s verteilen
sich die formen in der heutigen weise auf verschiedene func-
tionen. Auch Haller macht noch keinen unterschied, vgl. Käslin,
Haller s. 23. Dagegen scheidet Fulda die beiden genau nach
den bedeutungen GR. 90: 'tvenn, denn, (des beweggrunds, der
Ursache, bediugung), ivann, dann, (der zeit).' Aber in praxi
werden auch von den schwäb. grammatikern beide gleich ge-
braucht: dann = 'nam' Scliw. m. 1775, 211. 443. Spr. 2, 70, sie
miifste dann Seh w. m. 1775, 7; andererseits alsdenn Scliw. m.
1775, 552 u. a.
Bei Schiller ist dann und ^oarm die regelmässige form im Bericht
über die raitschüler S. 1, 13 — 2G {dann 17,25, dann icann = 'denn wenn',
namsi25, 21, ?fOH« condicionol S. 1, 13,30. 42,2. 19,15. U,23. 19,32. 20,20.
21,17). Später wird dann hauptsächlich noch gebraucht in der frage : redet
. . . dann? S. 2, 327, 4 M. 168, 11. 110, 12. 98, 7, was dann? 2, 88, 3, ivoßr
dann? 2,191,11; oder cohortativ: nun dann...! 2,390,11, so . . . dann!
2,329, 9 A. 197,1 (andere beispiele für dann = 'denn' 1,305,5. 182,134.
51, 52. 75, 13. 154, 19 [hier im original bei Garve denn]. A. f. lit.-gesch. 9, 28G).
Ferner in corapos.: dannoch = 'dennoch' 1, 77, 30. 78, 20. 82, 21. 34, 6 neben
sodenn = 'sodann' 2,355,22.
Aus der schwäb. literatur der zeit erwähne ich noch: dann = 'denn'
Si. 97. 110. SG. 25,7. 47, so höre . . . dann! ST. 54,6. 77,6, stirbt man dann ...?
ST. 2; ähnlich ST. 104, 11, nun dann! ST. 51, 5, dannoch = 'dennoch' ST.
11, i. 18, 5. 49, 3, sodenn Schw. m. 1777, 156, alsdenn Schw. m. 1775, 552.
Veraltet ist denn nach einem compar., wol gemäss der spräche der Bibel:
(jröfser . . . denn 2, 4, 17. 1, 200, lö, mehr dann 2, 81, 7. 329, 27 M. «)
Altertümlich sind die Verstärkungen einiger adv.:
a) durch composition mit «Z-: allhier 2, iG, 23; uUdort2,3bb,2i, alhvo
2,129,20, allda 1,121,24 (ebenso 1, 300, 2 bei Haug), also = 'so' 1,59,11.
121, 39. 158, 29. 172, 15 u. a., wol anlehuuug an die bibelsprache, da Luther
also noch ganz im sinne des einfachen so gebraucht; — b) durch andere
Partikeln: annoch = 'bisher' 2,183,11, wol aus der kanzleisprache; vgl.
anheut ST. 51, 6, anjetzt ST. 67, 8, jedennoch 2,361,15 (und noch 12,220),
im 17. und 18. jh. gebräuchlich. Nach Adelung wird dies 'besonders in der
langweiligen kanzloysitrache' gebraucht.
Aus der bibelsprache wird das condicionale s o stammen, in
•) dann für denn kommt noch in den spätesten werken Schillers vor:
nun dann — .' S. 12, 455. 13,236, dannoch S. 9, 384, 31; ulsdom ände ich
nur noch S. 4, 141, 34. 156, 25.
25*
388 PFLEIDERER
SO tvir glauhen 1, 77, 1; ebenso wo = 'wenn' 1, 19, 33. In pleo-
nastischer weise nimmt so ein beliebiges, den satz eröffnendes
glied nocli einmal auf in endlich so l-ommt 2, 87, 5, ein g-ebraucli,
der ahd. mlid. sehr allgemein ist, im nlid. aber immer seltener
wird. — so als synonymon von desto (entwickelt aus um so viel)
und je findet sich in so — so S. 2, 5, 17; das einfache so anstatt
des verstärkten sotvohl in so — als 1, 159, 16.
dass.
dass wird noch oft verwendet in einer weise, die uns altertümlich
anmutet: irährend dafs, entstanden aus während dem da fs (8.3,494,25.
7,177,22), sagt Schiller zeitlebens: 2, 126, 17. 281, 26. 17, 15; so auch Si. 1, 77
und Si. 2, 177 ; unterdessen dafs 2, 79, 13, darum dafs er mich liebt 2, 27, 16
(wie in Luthers spräche häufig). *)
da.
Zur conjunction da ist zu bemerken, dass sie, wie noch oft im 18. Jh.,
den gegensatz ausdrückt, an stelle des modernen während (diese function
von da ist noch erhalten in da doch), besonders gern in der Verbindung
da im Gegenteil, da indessen 1, 17, 34. 22, 3. 23, 23. 34, 25. 57, 13. 105, 16.
103, 32. 2, 15, 12. 210, 5. 299, 7 {da indessen Si. 118 und oft). 2)
als.
In ivo als einer dem andern stihlt 2, 78, 15 (ebenso nur noch 3, 359, 3.
357, 11. 358, 9) ist als = mhd. allez, acc. sg. ueutr. erhalten im obd. und
westlichen md.; 'in der literatur erscheint es seit dem 18. jh. nur bei ab-
sichtlicher nachahmung der Volkssprache' (Paul, Wb.).
cds bei der vergleichung, statt des modernen an seine stelle getretenen
wie, findet sich noch in tvo hättest du eitlen finden können als deinen Seh.
1, 56, 10 (ähnlich als von ohngeführ 3, 432, 16), als tcenn = ' wie wenn,
als ob' 2,27,11. Auf der andern seite findet sich auch das von der nordd.
Umgangssprache ausgegangene, durch Klopstock in die Schriftsprache ein-
geführte wie statt als nach einem comparativ : milder ivie 1, 225, 33, so in
Miller: mehr gelb wie Si. 40.
Eine specifisch schwäb. Verwendung von als begegnet in das 7var als
heut 2, 257, 9, wo als die Zeitbestimmung heut zum redenden in beziehung
setzt, um einem misverstäudnis vorzubeugen. Vgl. dazu Fischer, Schwäb.
wb. 1901, 1, 150: 'Wenn die angäbe einer nach zeit, ort, person fremden
rede auf zeit, ort, person des redenden bezogen werden soll, so geschieht
dies durch den Vorsatz als.'
0 tüährend dafs S. 3, 173. 349. 450. 576. 4, 158. 172. 270 etc. 6, 106.
Br. 1, 264. S. 7, 12. 17. 177, in S. 8 unzählige male, S. 13, 303 u. a.; — unter-
dessen dafs S. 3, 426. 573, umsonst dafs S. 7, 57, 11.
^) da im Gegenteü S. 7, 148,11. 245,2. 9,346,23, da hingegen S. 10,211,2.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 389
Präpositionen.
vor und für. Die beiden hatten ursprünglicli die gleiche
locale bedeutung, nur mit dem unterschied, dass für die rich-
tung bezeichnete und den acc. nach sich hatte, vor die ruhe-
lage bezeichnete und den dat. regierte. Im nd. und einem teil
des md. fielen beide präp. zusammen in der form vor, und da
diese erscheinung natürlich auch in der Schriftsprache eingang
fand, so ergab sich im altern nhd. grosse Unsicherheit im ge-
brauch der beiden, eine Unsicherheit, die erst Adelung durch
seine regeln beseitigte. Die Schwankungen waren im 18. jh.
noch stark, und noch in der classischen periode der literatur
finden sich vielfache anwendungen, die für unser ohr falsch
sind. Die schwäb. grammatiker unterscheiden, obgleich das
Schwab, noch heute wie die alte spräche vor und für scheidet,
in der modernen weise: für hat stets acc, vor regiert dat.
oder acc. 'nach Verschiedenheit der frage, wo und wohin?'
GK.88; ^vor, ante, coram, prae. für, pro' GR. 88.
Schiller zeigt zeitlebens grosse Unsicherheit. Das alte für statt des
modernen vor hat er correcterweise in etwas fürs Haus legen 1, 252, 56,
führt ihm etivas für Augen 1,14,16, stelle mir ... für Augen 1,24,21; in
compos.: fürtrefflich 1,U, 16. 16,1. 20,17. 21,25. Br. 49, 27. 50,23. S. 2,
283,5. 380,31; daneben vortreflich Br. 50,15. 55,4; fürnehm S. 1,262,13.
276, 7. 2, 144, 14, Füriciz 1, 24, 26, herfür 1, 214, 10. 264,6. 287,8. 2, SOii, 7 M,
Fürsicht 2,306,5. 341,3; vor ist, wol zufällig, historisch richtig in 'Tag vor
Tag 1, 116, 22; verniengnng von vor und für liegt vor in für Furcht 2, 163, 18.
303, 22, für Entsetzen 2, 357, 9, für mir sehen 1, 26, 3, für Lust 2, 394, 2,
für seinen BlicJcen Württ. st.-anz. 1898, 228, 43, hielten mich vor Br. 10, 7,
danken vor 1, 26, 23. 25, Gefühl vor 1, 32, 24. 35, 6, davor = 'dafür' 1, 22, 19.
209, 87, dafür = 'davor' 1, 245, 26, Fürbild 1, 216, 41, fürkommen Br. 45, 11
neben vorkommen Br. 45, 22.
Aus der schwäb. literatur jener zeit Hessen sich für diese Unsicherheit
massenhafte belege beibringen: Dank vor Schw. ra. 1777, 134; vor etwas
halten 1777, 440, für Angst SO. 100, sorgen vor Si. 293, ein Bild vor mich
ST. 26, vor Sünder ST. 34, vorist Si. 56, 124, vorjest Si. 2, 33, spricht dir
für SG.143, für Wonne SCt.2,195 u.s.w.')
>) Noch in seinen spätesten werken ist Schiller nicht immer ganz
sicher im gebrauch von vor und für; es genügt daher wol, aus den spätesten
werken beispiele anzuführen, um Schillers verhalten zu den beiden formen
in nachschwäbischer zeit zu illustrieren: S. 1'2, Wall.: für Hunger 14, für-
nehm 15, für Ungeduld 26, für Kummer 31, da sei Gott für 125, grau für
Alter 217, fürtrefflich 248; M.Stuart S. 12: für Erstaunen 458, für Zorn
502, für Schrecken 513, für Erstaxinen 521, sterbend für ScJiaam 523;
390 PFLEIDERER
ausser wird in der altern spräche auch local verwendet,
= modern ausserhalb. So bei Luther: atifser dem Lager sein
3. Mos. 13.46; nach A dehing, Wb. ist diese Verwendung noch
ganz gewölinlich.
Schiller: auf einem Hügel ausser dem KircMiof 2, dS7,2S.^)
durch Avird jetzt räumlich nicht mehr in so ausgedehnter
weise gebraucht wie früher (Luther: durch den Weg = 'über
den weg hin').
Schiller sagt im vers: Sympathie loaltet durch des Übels Reiche 1,211,45
— 'dnrchhin, in den reichen'.
gegen regierte ehedem und so noch im 17. jh. in der
Schriftsprache den dat.; auch bei Lessing, und bei Goethe im
GcUz V. Berl. 3. act (ihr werdet gegen der Menge ivenig sein)"^)
kommen noch vereinzelte fälle mit dat. vor; das schwäb. hat
den dat. noch, und. Fulda nennt gegen unter den präp., die
nach Verschiedenheit der frage wo und wohin? dat. oder acc.
regieren, GE. 88. Adelung: 'Im oberdeutschen fast jederzeit
mit der 3, endung. Doch nun mehr ist es wohl entschieden,
dal s dieses vorwort im hochdeutschen die vierte endung erfordert.'
Schiller: (jcycn meinem Degen 2,100,22; die ... lliat hat ... Werth
gegen derjenigen 1, 65, 14. Ebenso gegen mit dat. SO. 22. SG. 2, 274. Spr. 1, 159.
hinein, als nachgestellte präp, mit dem acc:
das Judlende Gebirg hinein verschollen l,2iS, 2; gebildet wie den Berg
herauf 1, 348, 5 und ähnliche. Die Wörterbücher verzeichnen keine derartige
Verwendung von hinein; vgl. rvirnmelts den Hof herein S. 3, 224, 17.
jenseits, m'hö..jensit mit gen., später auch mit dat. (jen-
seit dem Jordan 1. Mos. 50, 10, jenseit dem Grabe Lessing, Dram.l).
Schiller: jenseits dem Kozytus 1, 259, 16. Adelung heisst den gen,
einen fehler.
Bei den präp., die in der Schriftsprache gen. regieren, kann
es einem Schwaben leicht passieren, dass er einen nicht der
S. 13: für Schaum 409, für Schmerz vergehen 444. 456, für Thränen 451,
für Ungedtdd 476 ; S. 14 : rasend für Zorn 169, herfürbrach 374, herfür ziehen
327, für Furcht 375, für Marter tot 393, für Schrecken 417, wir stehen vor
unser Land 329; S. 15' : für Wut 80, für Zorn 350,36,1, herfürzog 2ö8. —
Diese Sammlung zeigt, dass viel häufiger für statt des modernen vor an-
gewendet wird als umgekehrt. Nur in vor jetzt ist dies falsche vor sehr
häufig verwendet: Br. 5, 99. 6,20 u.a.
1) So noch local = 'ausserhalb' in S. 3, 578, 25. 7, 240, 6. 239. Br. 3, 32.
2) Andere beispiele, aus Goethe, vgl. im glossar S. 5 unter gegen.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER, 391
schriftsprachlichen norm entsprechenden casus wählt, da das
Schwab, ja (abgesehen vom subst. in der Stellung vor einem
es regierenden subst.) keinen gen. mehr hat. Daher regieren
jene präp. jenseits, trotz, statt, ivährend, ivegen im Schwab,
den dat.
Für nächst an mit dat S. 2, 9, 24 setzt Schiller später zu-
nächst an S. 3, 578, 11.
oh mit dat. ist in älterer spräche häufiger als in neuerer;
jetzt wird es meist nur noch in gehobener rede verwendet.
Schiller: oh dem Frevel von 1, 120, 11 ; ob dem Beten ertapijen 2, 187,21,
hängt oh den Thoren 1, 235, 55.
statt hat sich erst seit dem 18. jh. anstelle von anstatt
verbreitet.
Wie auch bei Lessing, Goethe u. a. steht der dat. in statt rufsischen
Bubels 1,203,3; — gen. statt seiner Br. 14, 17.i)
trotz regiert urspr. den dat., später auch den gen.; Ade-
lung hat beides neben einander.
Schiller: troz dem Teufel 2,2\2^\&, truz dem Teufel 2,(^2, b, truz Sturm
und Wind 2,-13,2; vgl. trotz dem Wetter Si.2,370; ähnlich SO. 182. 2)
Bei um — tvillen lässt Schiller gern das zweite glied,
u'illen, fallen:
tvie lieb ich dich um dieser unerschütterlichen Treue 2, 53, 25. 220, 21,
ich habe ihn um alles gebeten flicht zu ... Br. 30, 19.
Über mit dat. zur bezeichnung einer tätigkeit, verbunden
mit der Vorstellung eines causalen Verhältnisses, wird in der
älteren spräche verwendet wie oh:
crröthen über der Bosheit 2, 125, 3, einen zu Rathe ziehen über dem
ivas 2, 20,6, icir entsetzen uns über den ... Sophismen 2,SQd,G; vgl. die Haare
stehen zu Berg über der Vergleichimg S. 3, 442, 19, ivenn wir über dem Ge-
mälde vernachlässigen S. 3, 367, 13.
unter zur bezeichnung der begleitenden umstände:
unter dem Traum 1, 161, 33, unter dem Schlaf 1, 175, 30, unter goldnem
Nektarschaum fliehn der Götter Tage 1, 238, 69.
ivährend, als präp. zuerst von Adelung erwähnt, wird in
Süddeutschland mit dem dat. verbunden (so auch bei Goethe).
•) Dazu später: statt Bonnern des Geioissens S. 5', 46, statt dem. Unter-
kleid S. 6, 8, 39.
2) truz allen Teufeln S. 3, 20, 6, trotz mit dat. S. 4, 102. 5', 74. 6, 368.
10, 182, 20. 11, 300, 28. 12, 399, 6. 15', 158. Br. 2, 159.
392 PFLEIDERER
Schiller: ivährend den Vrüfumjcn 1,137,9, während den Geschäften
1,163,32, daneben gen.: während des Durcheinanders 2,94,11; vgl. wäh-
rend dem Essen Si. 45. Si. 2, 121, während dem Tanzen Si. 208. Adelung
sagt, fehlerhaft sei die Verbindung mit dem dat., welche im oberdeutschen
häufig sei.
ivegen, ebenfalls in Süddentscliland mit dem dat. ver-
bunden, was Adelung wider tadelt, werfen mit dat. kommt
auch bei Goethe vor, vgl. Heyne, Wb.
Schiller : icegen den Carmen 1, 184, 6, wegen dem Göz Br. 55, 27, 14,
und oft später. ') Vgl. wegen dem Bcimcn Schw. m. Ylll, hll, tvegen stets
mit dat. in Si. 15. 28. 93. 94. 255. Si. 2, 41. 50. 95, wegen Theresen Si. 2, 55 etc.
Eine ungenaue Verwendung findet sich bei sivi sehen in
ztvischen meine Hoffnung Br. 52, 24, 1, zivischen mein Vaterland 1, 26, 25 ;
vgl. zivischen jede Wirkung wird sich einschieben S. 4, 299, 1, und etwas
anders : Abends zwischen Licht S. 3, 473, 2.
£u ist mundartliche eigentümlichkeit in
ist Vater zu 2, 213, 16 (und noch S. 3, 383. Br. 3, 356. S. 13, 186), Lieb-
haber zu dem Stück 2,205,2; ähnliche Verwendungen: Sucht zum grofsen
Mann 2, 278, 19, die Losung zur Freiheit 2, 93, 12, gleiches Recht zum
Grasten und Kleinsten 2,25,7, Hoffnung zur Wieder genesung Br. 20,'') mis-
mutig zu allem Br. 22 ; dagegen würden wir heute zu erwarten in meine
Verhältnisse mit ihm Br. 38, 12.
Andere auffällige Verwendungen von präp.:
Aussicht in ctw. 1, 95, 15, auf loelcher Walhing mufs ich Ihnen be-
gegnen? 2,295, 14, Fflichten sind gegen die Demut beschtooren icordeni,2i, 19,')
(Tesinnungen von Gott 1, 23, 8, vorteilhafte Denkungsart von jd. (= über)
1, 23, 9, Gesinnungen hegen von jd. 1, 19, 25.*)
') wegen mit dat. Br. 1, 104. 116. 133. 150. 160. 2, 112. 177. 219. 245.
3, 39. 43. 57 etc. S. 3, 287, 8. 4, 158, 17. 161, 10. 130. Dann selten, aber noch
tvegen leidenschaftlichem rastlosem Wesen S. 15'', 399, 19.
^) Vgl. Hoffnung dazu S. 7, 223, 33. 8, 149, 12, ein Talent zu der Tugend
S. 4, 43, 26, Fertigkeit zu Empfängnis S. 4, 55, 15, Hoffnung zu einem Pardon
S. 4, 82, 27.
•'') Aehulich das Herz erleichtern; . . . gegen iven sollte ich das thun
Br. 12, 4, 4.
*) Hierher stelle ich noch eine anzahl von verben, die, verglichen mit
der modernen spräche, teils dieselbe präp., aber mit anderem casus re-
gieren, teils eine andere präp. eingesetzt haben: die Welt ivirft ihr Bild
in der Seele zurück 1, 83, 13, jem. an schroffen Klippen spiefsen 1, 120, 16,
verweilen über einen grofsen Gedanken 2, 326, 11, Bewunderung an sich
ziehen 1,16,12, etwas auslegen für (= 'als') 1,202,28, etwas für ein Glück
schäzen Br. 39, 2, ich rechne es für einen Verlust 1, 196, 14, mifsstimmen mit
2, 364, 10 (vgl. abstechen mit SO. 94), sie verzehrt mit dem Abtrag 2, 349, 15,
auf mehr raffiniert dein Gehirn nicht 2, 39, 7, liebäugeln zu jd. 1, 214, 17,
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 393
ohne findet sich adverbiell gebrauclit in
Hochlässifj ohne leichtsinnig Br. 44,20 (iu deu Wörterbüchern ist der-
artiges nicht verzeichnet).
Anhang.
lieber wortbildnug und Wortschatz,
Im folgenden ist, abgeselien vom capitel über suevismen,
keine Vollständigkeit beabsichtigt. Die zusaninienstellimg will
hanptsächlich einen überblick über Schillers Sprachmaterial
bieten, indem sie einmal zeigt, welcher mittel sich der junge
Schiller, oder allgemeiner ein dichter der zweiten hälfte des
18. jh.'s, bediente, um seinen Sprachschatz zu bereichern und
seine spräche poetischer, oft auch origineller zu gestalten, —
und dann dasjenige in seinem Wortschatz hervorhebt, was
Schiller als Schwaben charakterisiert.
A. Bildung von Wörtern durch ableitung.
Ableitung von nominibus aus verbis und nominibus.
Substantivum.
Substantiva auf -er. Während in früheren spracli-
perioden ableitungen mit diesem suffix, got. -arcis, ahd. -an,
mhd. -oerc und -er, wie es scheint, nur von subst. gebildet
wurden (vgl. AMlmanns, Gr. 2, § 222 ff.), trat mit dem mhd.
eine änderung ein, indem nun die verbalen ableitungen das
übergewicht bekamen. Besonders im nhd. treten die nominalen
ableitungen ganz zurück; desto häufiger werden aber noniina
actoris mit -er gebildet.
Auflaurer 2, 305, 5 (DWb. : Fichte u. a.), Auflauscher 2, 294, 19 (DWb.
nur Tieck), Bcuikeroiirer 2, 25, 17, Barbicrer 2, 32, 12, der ältere ansdruck
für Barbier 2,31,6 (nach DWb.), Beginner (Sanders: Voss), Ender (schon
in Stieler) 1,301,0, Behorcher2,^A^,2d (Sanders: Lessing), ßc/Zf-r 1, 240, 116
(DWb.: Logan, Vos.s), Beiitehrhneider 2, 355,27 (DWb.: Gryphins, Weckher-
lin, Wieland u.a.), Denker 2,'S12,2ii, Halbdenker 2, 372, 2-i (nicht in Sanders;
DWb.: Fichte), Dintenklecker 2, 224 anni. M (Stieler), Donnerer 1,315,42
(DWb.: Klopstock, Goethe, Stolberg), Epochmacher 2,378,16, Erderschüt-
terer 2, 349, 27 (Sanders: Voss), Flamvicnschlci(derer'[, 315, 43 (nicht in DWb.
und Sanders), Grenadierer 2, 376, 22 (falls dies nicht eine pl.-form ist, vgl.
ich that Wünsche an Gott 1,55,24, ich nehme etw. über wich 2,39,16.
230, 31 (ebenso S. 5', 142), ihren Spott treiben aus jem. 2, 189, 16.
394 PFLEl DERER
s. 339). Lacher \, 167,7 (seit dem 16. jh. belegt), Mordbrenner 2, Sb^,d2 (in
Stieler; DWb.: Lessing, Voss), Ohrcnhläser 1,117,31 (seit 15. Jh.), Schkkh-
händlcr des Geschmacks 2, 34-i, 3 (bei Adelung verzeichnet; figürlich nur bei
Schiller, nach dem DWb.), Tadler und Lober 2, 375, 22 (Stieler), lieber-
icältiger 2,25 (Sanders: nur in Schiller), Verbesserer Br. 43 (Adelung: nur
selten), Verkünder 1, 185, 11 (DWb.: Zwingli, Voss), Verlierer 2, 358, 11
(Stieler; sonst nichts im DWb.), Volkbeherrscher l,lSS,6i (nicht in den wbb.),
Waller (in Sanders nicht vor Chamisso; Adelung: 'von einigen neueren ohne
noth gewagtes wort'), Wesenlenker 1,285,1, Wiedergeber 1,185,4 (nicht
in den wbb.).
Dem Suffix -er kann noch eine andere ableitungssübe
vorausgehen:
-Her in Menschenbildner 1,99,26 (schon mhd. bildoutre, vgl. der Bildner
S. 9, 87, 124. 269,10, Bildnergeist S. 12,418, während Schubart sagt Menschen-
bilder SG. 2, 273), -Icr in StüdÜcr 1, 345, 30. 346, 59 ohne verächtlichen sinn.
Zu den ableitungen auf -er werden nun auch feminina
gebildet:
Bnhlcrin 2, 218, 19, Ericecker in 2, 343, 3, Hörerin 1, 100, 3, Herzver-
giftcrin 1,226,8, Gelegcnheitsmachcrin 2, Si3,li (DWb.: Börne und Weber),
Nachahmerin 1,62,24 ('tugend ist n."), Schöpferinnen, Erhaltcrinnen und
Beförderinnen Württ. st.-anz. 1898, 228, 14, Schwäzer und Schwäzerinnen
2, 386, 12, Stümperin 2, 66, 7 (nicht in den wbb.), Wegweiserin 1, 64, 26 (San-
ders: noch in Mendelssohn), Mäklerin 2,351,23 (DWb.: nur Schiller).
Femininbildungen auf -in allein:
Bidin — angesicJit 1, 194, 238 (für Buhlin seltene beispiele in Sanders
und DWb.), Lüstlingin 1, 194, 230 (nicht in den wbb.), Tyrannin 1, 91, 28
(Wieland).
Diese bildung ist im 18. jh. wie noch heute im schAväb.
gäng und gäbe bei fem. von bürgerlichen eigennamen:
die Frau Bamlerin 1, 244, 21, 1, Frau Hauptmann Vischerin Br.J59,30,3,
sogar Frau riutonin 1,257,206; ebenso bei titeln: die Frau Ämtmännin
1, 193, 208; vgl. dazu Jungfer Fischer in Si. 2,200, die Kornfeldin Si. 2, 105.»)
Ein sehr beliebtes mittel der ableitung ist im 18. jh. das
') Spätere fem. auf -in: Bübin S. 3, 573, Bewahrerin S. 10, 127, 21,
Nachahmerin S. 10, 231, 5, Buhlcrin S. 3, 20, 24, Herzenfefslerin S. 6,31, Fm-
pfindlerin S. 3, 20, Beterin S. 3, 201, 20 etc. Die bezeichnung des weiblichen
geschlechts bei eigennamen kommt bei Schiller noch .spät dann und wann
in briefen vor: liebe Kunzin! Br. 1,283, die Humboldtin Br.b,ii7 (brief an
Cioethe), die Schioenkin Br. 6, 115. — Das aufgeben dieser bildungen in der
Schriftsprache will den Schwaben offenbar noch im 19. jh. nicht 'hinunter',
vgl. Gayler, s. 75 (geschrieben 1835): 'Die nora. propr. können auch so ge-
bildet werden: Jungfer Schwarzinn, wiewohl man angefangen hat, diese
bezeichnung zu unterlassen.'
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 395
feminiiisuffix -uurj. Die so gebildeten fem. sind überwiegend
verbalabstracta. Ich führe von Schiller nur die etwas un-
gewöhnlichen bildungen an:
Anuerhung ums Fräulein 2, 243, 11. 63, 5 (DWb. : Lessiiig; bei Adelung
Terzeichnet), Abstechtuff 1,84,33 (Lessiug, Kant; nach Adelung nur im
eigentlich trans. sinn erlaubt), hedaurungswimh'g St.-anz. 1898, 227, 31 (nicht
im DWb. ; Adelung: 'das haupt wort Beffoinvrjif/ ist im hochdeutschen nicht
sehr gewöhnlich'), Einrednngcnl, 112, 14 (Lohenstein; Adelung), Entzukung
2,238,20. 1,16,9. 24,29 (Klopstock, Goethe u. a.), Erg/efsung (= 'ergnss'),
Hang, Z. 466 (S. 7, 57, 15, Lessing, Goethe, Herder), erstaunungsvoll 1, 58, 31
(Lessing, Klinger), Fäuhoig 2, 182, 2C) (S. 3, 576, Lessiug; Adelung: 'von
einigen für fäulnifs gebraucht'), Fi'iJihingcn 1, 168, 14. 149,17. 148,30. 149,10
(nicht bei Adelung, DWb., Herder, Goethe u. a.), Heuchdung Br. 10, 23 (Ade-
lung: 'ungewöhnlich'; bei Steinbach erwähnt; bei Sanders und DWb. keine
belege), Grübelung 1, 109, 26 (nicht in den wbb.), die tierische Haushaltung,
Kochung und Scheidung 2, 362, 7 {Kochung in dieser bedeutung ist sonst im
DWb. nicht belegt), Lesung 1, 58, 16 (Lessing, Wieland, Herder, Goethe,
Klinger u.a.), Rundung = 'runde, gegend' 2.32,9 (S. 3, 91, 15; das DWb.
hat aus der gesamraten literatur noch zwei belege für diese bedeutung),
Scheidungen 1, 160, 32, Segnungen 1, 182,111, Tröstung 1,103,9, Teilnehmung
2,21. 1,99,34 (am ende des 18. jh.'s sehr üblich, vgl. DWb.; Adelung kennt
kein Teilnahme, sondern nur Teilnehmung), Vergehung 1, 25, 5. 104, 21, Ueber-
schauung 1,10,34:. 76,3 (nicht in den wbb., aiisser in Adelung), Versieglung
1.62.7 (nicht in den wbb.), Verblümung 2,372,1 (DWb. nur iu Schiller),
Uebernchmung St.-anz. 1898, 227,27 (in Adelung), Verfälschung = 'verirrung'
2.11.8 (bei Stieler; DWb.: Kant, Schiller), Verfassungen, ökonomische, =
'Verhältnisse' Br. 37, 23 (ähnlich oft am ende des 18. jh.'s, vgl. DWb.), Zei-
tigung Br. 37, 17, Zierung Br. 44 (nicht iu Adelung; Sanders hat einen beleg
für das wort), llieatrcdisierung Br. 38, Skeletisirung 1, 161, 19, Viehmaskirung
1,1K8,73.>)
Die feminina auf -kcit gehen zurück auf bildungen von
adj. auf -ec mit -heit, das früher selbständiges subst., in den west-
germ. sprachen zu einem mittel der abstractbildimg geworden ist.
*) Die Sammlung von fem. auf -ung Hesse sich besonders aus der nächst-
folgenden zeit noch sehr vergrössern; z. b. Anhörung S. 4,43, Auflouschung
y. 3, 180, 20, Entwischung S. 4, 75, Erbietung S. 3, 56, Erblassung S. 3, 497,
Erblickung S. 4, 52, Bedaurung S. 4, 68, Beschliefsung Br. 1, 205, Verschwin-
dung ^.4, 2U, Zielung S. 3,-010, Teilnehmimg S. Q, 18. Br. 1,162. S. 4, 328
u, a.; besonders ist zu erwähnen Lesung S. 5', 4, 13. 6,18,23. Br. 1,346.
4, 129. 5, 187. 7, 72, Durchlesung Br. 6, 271 ; aus späterer zeit etwa noch
Annchmung S. 8, 148, 5, Besitznehmung S. 7, 83, 19, Durcheinanderwerfung
Br. 5, 188, Erblickung Br. 6, 38, Entschliefsung Br. 8, 50, 8, Ergiefsung Br.
2, 223, Hinderung Br. 7, 92. 2, 82, Ucbergcbung S. 7, 203, 8, Teilnchmung S.
8,5,2. Br. 5, 421 U.S.W.
396 PFLEIDERER
Ueblif/keit 1, 113, 19. 112,2 (in den wbb., sowie bei Adelung nur Uebel-
keit), Farte/lichkeiten 2, 202, 14 (Stieler; Goethe, Wieland, Lessing, Klopstock),
Fnhmredigkcit 2,386,2 (S. 7, 86; DWb. bat noch einen beleg aus Kirchhof),
Eauigkeit 1, 83, 6 (öfters im DWb.), Geschäftigkeit 1, 22,6, Blödigkeit 2, 381,8.
344, 17, u. a.
Feminina auf -ci = fi'z. -ic, mlid. -te:
Einsiedelei 2, 848, 20 (erst im 18. jh. aufgekommen ; DWb. : Goethe,
J.Paul), Gaukeleyen 2, 10-i, n (in den wbb. seit 17. 18.jh.), Lappereyen
2, 122, 12 (schon bei Stieler im sinn von 'nichtswürdige kleinigkeiten'), Liverei/
2,77,18, jetzt durch livree verdrängt, JahnHarktsdiidelci 1,223,78 (nicht
im DWb.), rJiantaseij 1, 182, 29 im reim, 2, 163, 1 und 1, 57, 30 in prosa (das
19. jh. sagt Fhantasie mit erneuter entlehnung des frz. suffixes -ie), Schilderei
2, 369, 9. Hang, Z. 456 neben dem jetzt üblichen Schilderung 2, 235, 25 (-ei
im 17. und 18. jh. sehr häufig). Völlereil, 201, Douqnixoterei Arch..tlit.-gesc]i.
9,286.')
•niss.
Die eigentliche oberdeutsche form dieses suffixes, -nuss, findet sich bei
Schiller nur zweimal, in poesie, davon einmal im reim: das Verhängnufs
1,122,75, ausserhalb des reimes : Finsternufs 1,217,21; während bei Haller
bis 1748 -nuss das gewöhnliche ist (vgl. Käslin, Haller s. 30), Verzeichnus
finde ich noch Schw. m. 1775, 317. 1776, 34, beidemal in prosa. Die schwäb,
grammatiker verzichten nach längerm überlegen auf das schwäb. -nuss zu
gunsten von -niss. So berichtet Nast im Schw. m. 1776, 171, dass er sich
gedanken über die beiden endungen gemacht und sich für -nuss entschieden
habe, weil dies das ältere sei und das nordd. -niss nur umgelautetes -nuss
sei; aber er füge sich seinem freunde Fulda, der 'für Nordteutschland den
aussprach' tue (s. 172) und der ebenda s. 175 schreibt: 'nis hat den vorzug
vor unserni gemeinen ni(s\ Subst. auf -nis vgl. s. 350; dazu noch Bedauernifs
2, 370, 28 (S. 6, 1 12, 17; DWb. : Goethe, Musäus, Schiller), Empfindnisse 2, 58, 18
(DWb.: Nicolai u.a.).
Audi das romanische suffix -ist wird im 18, jh, gern zu
Wortbildungen verwendet.
So hat Schiller: Hypochondrist Br. 26. 27, Anthologist 2,384,10, 885, 28,
Karikaturist 2,361,12, Hexametrist Hang, Z. 459.
-igt ist verschiedenen Ursprungs in Käfigt, Bickigt und
Geschwistrigt.
Käfigt 1, 213, 32. 44, daneben Kcficht 2, 237, 6. 48, 6, aus mhd. kf.vje,
lat. cavea; mit wandel von j : g wird daraus Kefig und aus diesem, nach
Verschiebung von -ig zu -ich (vgl. s. 319) mit secundärem t: Käficht, auch
Käfigt geschrieben (wie die folgenden -igt auch nur Schreibungen tür-icht sind).
Die form Käficht wird auch von Goethe und Wieland gebraucht. Vickigt
2, 263, 16 M (und S. 4, 74, 4) ist mit dem hochdeutsch sehr productiven suffix
1) Vgl. dazu Schilderei Schw. m. 1780, 582, Höllentäuscherei SG. 2, 162,
Zu-cydeuteley S. 5',326, Feerey S. 4,18, I'edanterey Bt. 1,356. 6,33. S. 9,296,4.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 397
-rt7(/*) mit angefügtem secniulärem t gebildet. Gescliwistrigt Br. 2, 2, nur im
ersten erhalteneu brief Schillers begegnend, ist die schwäb. form, entstanden
aus geschivistrigit < mhd. (jesivisterfiü; vgl. DWb. und Kaiiffmaun s. 111.
Ungewöhnliche adjectivabstracta auf -i, in der mo-
dernen spräche meist durch andere ableitungen verdrängt, sind:
die Wilde 2, 164, 3, die Schöne 1, 218, i. 298, 114. 351, 10, die Grüne
1,215,23 (Sanders: Goethe, Hölderlin u.a.), die Finstere 2, 80, 11 (nicht be-
legt aus dem 18. 19. Jh.), die Festen des KuraJcters 2, 53, 7, die Runde 1, 171, 26
(Haller, Herder, Goethe, Voss), die Kund 2, 96, 1-4. ^)
Von der diminutivbildung mit -lein und -chen kann
ich füglich absehen.
Das zu -el apokopierte oberdeutsche dirain.-suffix -ili, das aus den
bair. mundarten herübergeuonuneu ist, soweit es in der Schriftsprache auf-
tritt, findet sich in 3Iädels 2, 34, 6. 17, 11, Liedel 1, 351, 9, Dingel 1, 352, 41.
44, Bissei 2, 301, 8 M.
Sehr oft findet sich die rad. Schreibung -gen für das (ursprünglich md.)
Suffix -chen, aber nie von Schillers eigener band geschrieben ; M hat es einige
male: Lüftgen 2, 307, 9 M, Mädgen 2,277,21; meistens aber schreibt auch
M -chen, während A -gen schreibt: Müdgen 2, 241, 9 A, -chen M, Thiergen
2, 259, 27 A, -chen M, Bisgen 2, 231, 15 A, -chen M, Miittcrgcn 2, 259, 16 A,
-chen M; die übrigen fälle von -gen stehen sämmtlich in Metzlerschen
drucken: TTör^^en 2,366,3, 6%eH 2, 144, 15. 40,12, il/öf/^ren 2, 149, 14. 60,20.
65, 21 etc., Fläschgen 2, 28, 19. 107, 18, Thiergen 2, 80, 11. 96, 4, Gesichtgen
1, 315, 21. 307, 26. 309, 42, Titelgen 2, 19, 18, Häusgen 2, 144, 9, Dinten-
füfsgen 1,207,39, Seufzergenl,293,lb.27, Pülvergen2,4A,4i etc. Anfügung
des dimin. -Suffixes an einen -er-plural hat stattgefunden in Büderchen pl.
2, 8, 9, wie dies im nhd. nicht selten ist, vgl. Wilmauns, Gr. 2, § 248, anm. 2.
Adjectivum.
Adjectiva auf -ig. lieber die Schreibungen -ig und -ich
vgl. s. 320 ; über umlaut bez. fehlen desselben in der Stamm-
silbe vgl. s. 296 f. Im folgenden gebe ich eine anzahl von adj.
auf -ig, die im nhd. nicht zu häutig sind.
dämmerig 2,352,29 (DWb.: Goethe, Klinger; Sanders dazu: Auerbach
und spätere), dumpfig l,yo8,^l. 108,66 (DWb.: Wieland, Goethe u. a.),
(/»>»jj//5f//e/l,284, 3(nichtimDWb.), durchgängig 2, 312, Ib. 347,32. 253, 3 A
>) Vgl. Kluge, Nom. stammbildungslehre § 67.
'■') Substantivierte neutra sind nicht sehr häufig, abgesehen von ganz
gewöhnlichen wie das Gute etc.; nennenswert sind das schweigende Leere
S. 2, 203, 14 (erst in der zweiten hälfte des IS.jh.'s wider zu häufigerer Ver-
wendung gelangt; vgl. ähnlich bei ^Miller: ein gewisses Leere Si. 1, 118),
in dem Finsamen S. 1, 219, 42, Ktdt und Graufs 1, 350, 35, das Gelb 1, 27, 26,
das geliehne Both {= 'dasgeld') 1,296,44, ein verschämtes Both 1,188,12.
398 PFLEIDERER
(seit aiifang des IS.jh.'s), cipenliehifj 2, 375, 18 (DWb.: Fichte, Kant und
spätere), goldig 2, 144, ll:. 1, 200, 28 uebeu dem luäutigeren golden 1, 107, 29.
180, 54. 209, 9 u. a., feucldohrig 2, 29, 3 (nur bei Schiller belegt, nach DWb.
imd Sanders), gläubig (= 'glaubhaft', in glaubig machen) 1,62,17 (ein bei-
spiel in Lexer; nicht in Sanders, Heyne), lausig 2,30,12, ebenso Si. 227,
Fulda, GR. 81 (PWb.: Luther, H.Sachs u.a.), mihsüchtig 2,40,23 (Frisch;
DWb.: Wicland, Gellort u.a.), scharfsichtige Furcht 2,356,20 (noch nicht
in Adelung;" DWb.: Wieland, Kant; Sanders: Goethe), schicarslebrig2,i8b,6
(DWb. und Sanders : nur Schiller), siedigheifs 2, 143, 3, ^mtig 2, 147, 18, wüthig
2, 34, 17 (Si. 49. S. 14, 340): die beiden sind im schvväb. dialekt sehr geläutig;
in der Schriftsprache werden sie meist durch die part. praes. der entsprechen-
den verba ersetzt, wie siedendwarm 2, 253, 1 ; Adelung schon kennt bloss
siedend heifs; siedig belegt Sanders noch aus Auerbach; störrig 2,77,12.
1,302,42 (Sanders: Luther und Goethe), vorig Br. 9, 34. 11,17. S. 1, 69, 1
(Goethe, Herder), vorgängig (= 'vorhergehend') 1,168,29. 147,10 (Goethe
u.a.; Adelung kennt das wort nur in der hedeutung 'vorläufig' und weist
auch diesen gebrauch den 'Oberdeutschen' und den 'hochdeutschen kanz-
leyen' zu), schwur ig {=^ 'unzufrieden, widerstrebend', die gewöhnliche he-
deutung im altern uhd.) 2, 357, 11 (in eine schwur ige Bande; Adelung: schiv.
= 'unzufrieden mit etwas; 'für schiver ist es im hochdeutschen un-
gewöhnlich').')
Adj. auf -isch. Das siiffix bezeichnete ursprünglich ganz
allgemein die Zugehörigkeit, speciell herkunft und abstammung
von etwas. In der Jüngern spräche wird aber die endung -isch
besonders gern solchen adj. gegeben, die moralische eigen-
schaften, und zwar schlechte bezeichnen sollen.
So hat Schiller: murrköpfiscli 2,347,7, keingeistisch 2,12,8, klein-
meisterisch 1, 285, 2 neu geschaffen (wenigstens geben die wbb. keine belege
aus andern autoren bis tief ins 19.jh. hinein), einbildisch 2,111,19. 270,24
ist im DWb. auch bei Wieland und Goethe (W. Meisters lehrjahre) belegt.
Aus dem franz. stammt die hedeutung von gothisch in gothisch und burlesk
2,379,21.'-') 'Die Franzosen brauchten gothique im 17. jh. im sinn des
mittelalterlichen mit dem beisinn des barbarischen, rohen, geschmacklosen,
was bei den Deutscheu des IS.jh.'s nachahmung fand' (Heyne, Wb.). Sanders
führt stellen aus Kabener, Wieland an.
*) schwürig hat diese hedeutung noch lange : machten den Papst schivü-
riger, es anzunehmen S. 7, 149, 18, die Truppen sind schwürig S. 7, 180, 25,
schioürig wegen S. 8, 372, 24. !J, 327, 12, schivürige Armee S. 8, 318, 7, machte
die Gemüter schwürig S. 9, 304, 24, alle Stünde schivürig S. 12, 80, 324.
*) So noch : gothische Vermischung von leomisch und tragisch Br. 1, 107,
wechselt das Lächerliche nicht zu gothisch mit dem Rührenden und Schreck-
lichen ab S. 3, 585, 5, das Schwere imd Gothische darin simplificieren Br.
1, 414, eine so schwankende, unbiegsame, breite, gothische, rauhklingende
Sprache S. 6, 346, 5.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 399
Ohne pejorativen sinn sind:
gichl lisch, cjichtcrmli 2, 58, 3. 1, 162, 32. 208, 80. 299,6 (erst aus Schiller
belegt),*) edehnännisch 2,33,18 (vgl. mänm'sch S. 13, 13 im Macbeth; Sanders
belegt es nur aus Schiller; es ist eine bildung, wie Fulda, Ergözlichk. 1774,
1, 281 herrisch und fein als gegensatz zu bäurisch und rauh bildet), Jau-
nisch = 'launig' 2,385,11; so bei Lessing, Wielaud, Goethe; noch Gayler
1835 (s. 97) erklärt die differenzieruug von launig und launisch für 'nur
neuem Sprachgebrauch',-) englisch = 'engelgleich' 2,71,12 (DWb. : Kant,
Goethe und frühere; jetzt vermeidet man dies wort).
Folgende und ähnliche, dem 18. jh. eigentümliche, im 19.
veraltete bildungen wendet Schiller zeitlebens an:
meteorisch 1, 221, 27, mavortisch 1, 221, 29, spekulativisch Br. 49, 2,
aywnymisch 2, 381, 17, kolossalisch 2, 372, 30, idealisch 1, 142, 29. 2, 388, 10
u. a., sokermentalisch 2, 93, 3, monotonisch 2, 347, 12.
-isch wird besonders verwendet, um adj. zu namen zu bilden:
zu Ortsnamen: mannheimisch Br. 37, 26 (ländernamen: unschiväbisch
2,377,15); zu eigennamen: Shakespearisch 2,360,3, Neictonisch 1,158,5,
Moorische 2, 49, 10. 14, 4, Aso2)isch 2, 53, 3, Schwanische Buchhandlung
2, 207, 10, Maximilianisch Br. 48, 22, Stäudlinisch 2, 378, 13, Garrikisch
2, 342, 22.
Die moderne spräche weicht hierin insofern ab, als sie selbst bei
harten consonantenverbindungen den suflixvocal synkopiert bei allen von
modernen eigennamen abgeleiteten adj. Bei Schiller kommen derartige
synkopierte formen sehr selten vor: O.ssmHsc/«'« Br. 46, 21, 7, im vers ache-
rontsche Flut 1,22b, B6; vielmehr schreibt er noch in S. 10, 470, 4 Ilallerisch,
10, 237, 33 Matthisonisch, 10, 257, 5 Hirschfeldisch.^) Fulda, GR. 84 äussert
sich folgeudermassen : ' In Sachsen erlaubt man sich hier eine harte elision :
Weygand'sche Handlung, statt Weygandische etc. dieser Provinzialismus
des sächsischen pöbeis sollte nicht schriftraäsig werden.'
Eine menge von adj., die im nlid. auf -ig lauten, bildet
Schiller seiner mundart gemäss auf -iclit, teilweise -igt ge-
schrieben, mhd. -eht (das i des nhd. -icht ist durch einwirkung
des suffixvocals der adj. auf -ig zu erklären), geschwächte form
von -olit, ahd. -o/i^ (vgl. Kluge, Nom. Stammbildungslehre § 218).
Das Suffix verband sich ursprünglich nur mit subst., während
-ig mit allen Wortarten; ferner wurde -ig vorzugsweise ab-
stracten, -ht nur concreten angefügt. Es bezeichnet das ver-
sehensein mit etwas, weiterhin aucli eine Übereinstimmung in
') gichterisch noch in S. 3, 38, 25. 325, 4.
•■') Vgl. dazu kindische (= 'kindliche') Unschuld S. 10, 444, 10.
') Im grossen und ganzen lässt sich sagen, dass Schiller von Br. 5 an,
also von 1796, 1797 an die blossen -sehe häufiger anwendet als -ische.
400 PFLEI DERER
einer wesentliclien eigeiischaft (vgl. Wilmanns, Gr. 2, § 353, 3).
Während diese adj. auf -icld im 18. jli. schriftsprachlich noch
anerkannt waren, hat die jetzige Schriftsprache nur noch ge-
ringe reste von ihnen beibehalten, wie iöncht.
Es ist erwähnenswert, dass von den folgenden, bei Schiller
vorkommenden Wörtern nur eines nicht mit einem concretum
zusammengesetzt ist: laimicht.
blumujt 1, 296, 50. 2, 371, 28, bmchicht 2, 133, 9. 286, 7 M, buschüjt
2, 286, 7 A, dreyheinifft 2, 43, 19. 232, 25 M, -icM 2, 232, 25 A, eüricht 2, 52, 7,
/■«rZ^/^f 2,351,6, rcrfcnho(fetifarb/()t 1,297,62, flo},/f)t l,350,5()i, yrasigt 2,129,3,
k)iotifjt 1. 251, 23, krampfifit 1,208,78, krampficht 1,175,32, launicht 1,171,33,
hmpiclit 1,267,24, mblicht 1,166,10. 215,15. 275,15, rosi(jt 1,190,127.
107, 34. rosicMgoldcn 1, 219, 37, rothwangi()t 2, 349, 9, runzlicht 2, 81, 1,
141, 6, sündigt 2, 150, 23. 359, 15, schleimicht 1, 164, 9, staubigt 2, 151, 2,
sumpfichtl, 166, 11, tausendr achigt 1,222,67, tausendrörigt l,280,i2, waldigt
1,166,11, tceifslockigt i,liö, 6. 2,64,19, tveicharmigt 1, 330, bOb, wogicht
1, 120, 10. 125, 140, weisser/cht 1, 164, 9, wolkicht 1, 313, 12, tvolkigt 1, 107, 43.
301,9. 232,32. 43,81, zackicht 2,77,13, zottigt 2,81,1.
Aus den werken der Schwaben jener zeit Hessen sich noch eine grosse
menge ähnlicher adj. zusammenstellen, z. b. lockigt ST. 62, regnicht Si. 229,
lausicht Si. 217, schutticht Si. 86, körnicht SO. 109, wanstigt SO. 26, eckigt
SO. 188, sonnigt SO. 192, wuslicht SO. 27, droUigt SO. 126, dickleibigt SO. 13
u. s. w.
Die Schwab, grammatiker halten die adj. auf -ig und -icht
noch sehr genau auseinander; Fulda, GR. 83: ^-icht und -licht . . .
dienen nur da, wo eine Verminderung oder kleine änlichkeit
angedeutet wird, öli'g, was öl ist, ölicht, was dem öl gleicht,
oder von öl beschmuzt ist.' Auch die nordd. grammatiker
suchen noch zu unterscheiden; nach Adelung bezeichnet -icht
die ähnlichkeit, -ig den besitz; doch will er daran nicht fest-
halten. Uebrigens hatte schon Frisch die vermengung von
-icht und -ig beklagt.
Schiller unterscheidet noch genau. Das zeigt sich deutlich in der
Verwendung von rosig und rosicht; man vergleiche z. b. 1, 214, 7 (An die
sonne): liebevoll stiegst du aus dem rosigen Schoose deiner Wolken empor,
mit 1, 190, 27: fliehet vor der rosichten Charybde; der bedeutungsunterschied
der beiden fällt in die äugen.
Ein ähnliches Schicksal wie die adj. auf -icht hatten im
19. jh. die auf -licht Die endung -licht wird von anfang an
auch an adj., nicht nur subst., angefügt und diese ableitungen
bezeichnen eine ähnlichkeit in gestalt, färbe, geschmack. Im
19. jh. sind diese adj. auf -licht zu -lieh geworden, während
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 40l
solche, bei denen das l von -Jiclit zum voransg-ehenden subst.
gehörte, wie runzel-icht, den übrigen von subst. abgeleiteten
folgten und -ig annahmen.
Beim jungen Schiller kommen mir weifslicht 1. 227, 22 und gelblicht
1, 53, 7. U. 25 vor; dazu bei Scbubart: grüulicht SG. 2, 347, bläulicht SG.2,7.')
Die adjectivbildungen mit -icht und -licht verwendet Schiller
sein leben lang.-) Dass er in den spätem ausgaben seiner
Jugendgedichte diese endungen in -ig bez. -lieh abgeändert habe
( rgl. Längin, Herder s. 96) ist unrichtig. Alle oben erwähnten
fälle bleiben vielmehr in allen ausgaben bis 1805 (gedicht-
und theaterausgaben); erst nach dieser zeit werden sie ver-
ändert; nui' iveifslicht 1, 227, 22 wurde schon 1803 in iveifslich
geändert; aber das ist ohne zweifei zufall.
Ableitung der verba.
Einfache neubildung von schwachen verben aus subst,,
ohne weitere ableitungssilbe, ist im 18. jh. sehr häufig. Auch
Schiller hat einige neubildungen:
mayen = 'maiig machen' 1, 295, 12, ebenso lichten, golden 1, 295, 14. 16
(lichten so noch S. 11, 311, 194), sich lichten im Himmelmaienglanz 1, 223, 2
(im Stäudlinischeu Musenalmanach, wo das gedieht auch erschien, ersetzt
durch sich sonnen), waisen in waisende Äonen 1, 51, 46 (das wort ist nicht
in den wbb.; es ist übrigens nicht von Schiller neu geschaffen; es findet
1) Dazu bei Schiller später: laidicht S. 6,49,30. Br. 6,133, röthlicht
S. 11", 83, 17, gninlicht 11, 84, 33, Uäidicht 11, 87, 102, sdmärzlicht 11,246.340,
gnndicht 11,240, länglicht 9,43,26, süfslicht 14,239, röthlicht Br. 7, 26.
*) Da es zu weit führen würde, wenn ich aus sämmtlichen werken
Schillers beispiele für -icht geben wollte, so werde ich zur Illustration des
gesagten nur die belege aus einigen der späteren bände anführen. S. 9:
sundigt ö, 28, seh att igt 203, schwindlicht '600,20, stachlicht 331,33; — S. 11:
modrigtG8,li, icollcigtGd, 32, schwindlicht 12. 397. 399, nebl igt 72, laubigt ^,
felsigt 85, nötigt 87, rosigt 174. 223, schaudrigt 193, enghalsigt 190, blu-
migt 193, stachlicht 224, lockigt 269, schuppicht 276, stachelicht 276, neblicht
397, n-äfsrigt 109. 146, felsigt 224; dazu noch obige 6 beispiele für -licht
(vgl. anm. 1), gibt zusammen für diesen band 28 belege; — 8.12: bergigt iS9,
sennigt 2-i, kitdicht 39, modrigi So (Ihörigt 28ö); — S. 13: milchlebrigt li3,
schleimigt 101, rosigt 335, felsigt 3U, stacheligt (thörigt 87. 352. 404. 429);
— S. 14: süfslicht 239, schlangenhaarigt 21, sonnigt i8, hohläugigt 62 (thö-
rigt 3iS.ß9. 93); — S.ib^: launigt 299, felsigt 137, kitzlicht 190 (thörigt 23b);
— Br. 5: farbigt 65, icirbeligt 94, heikeligt 207, rosicht 233, ßcckigt 267
(thörigt i66); — Br. 6: heiklicht 226, böslicht -112, ziceischenklicht 9ß, glcich-
namigt 384; — Br. 7: wirblicht 75.
V!eiträge zur geschichtc der deutschen spräche. XXV lll. 26
402 PFLEIDERER
sich schon Schw. m. 1775, 469: der stille Wunsch fleht wayseml um sein Glüh),
tiefsiiuieud 2, 239, 19 (DWb.: Schiller, Goethe, Klinger); vgl. noch hellen =
' hell machen, beleuchten' SG. 43; — die Gesetze (acc.) falschmünsen 2, 86, 14,
vgl. Falschmünzer der Wahrheit 2, 104, 14.
Auffallende bildungen mit dem suffix -ehi sind etwa:
bübeln 1, 344, 105 (= 'sich bübisch benehmen'; DWb.: Logau, Bürger),
dudeln 1, 268, 40. 350, 46, einen hudeln 2, 29, 23- 1, 350, 43 (Lessing, Wieland,
Goethe), unirzeln 1,22-i. 2,125.280.12.296.323, «mrarMn 2, 149, 11 (Haller,
Klopstock, Herder, Goethe u. a.), brettein (= ' brett spielen ') 2, 86, 22 (nicht
im DWb.; Sanders und Heyne eitleren nur diese stelle Schillers), düfseln
1, 50. 343 (s. bei den suevismen s. 418).
Solche auf -ern:
schollern 1, 108, 78 (DWb. hat je noch einen beleg aus Goethe, Heine,
Immermann, Tieck), trümmernS. 1,210, IS. (4,28,44; die wbb. geben keine
belege vor Schiller).
Sehr fi'uchtbar ist im nhd. das aus dem französ. (aus der
inf.-form) entnommene suffix -ieren; besonders fremdwürter
werden gerne damit gebildet;
z. b. traktieren Br. 38, contrastieren Br. 42, practicieren Br. 62, accor-
diren Br. 59, ediren Br. 38, ahstrahiren Br. 37, goutieren, cujonieren Br. 62,
räsonnieren Br. 42, dediziren 1, 200, exuliren 1, 147, 11, formiren 1, 151, 10,
determiniren 1, 151, 20, obsorpiren 1, 161, 32, amalgamiren 2, 360, 4. 371, 4,
^mjiercn 2,381,23, usurpieren 2,362,11, retirieren 2,347,2 u.a.; besonders
erwähnenswert sind: participieren = 'ein part. setzen' Hang, Z. 460, schiva-
clronieren = 'herumstreichen' 2,97. 261 (DWb. hat noch eine späte stelle
aus Goethe und Blumauer), bramarbasieren 2, 36, 3 (einziger beleg im DWb.)
hasselieren = 'Lärm machen' 2, 80, 8 (schwäbisch; vgl. Schmid, Schwab, wb.
s. 264); -ieren an einen deutschen stamm antretend: prmikieren 1,244,17.
186, 15 (DWb. hat nur diese beiden belege).
Nur aus Schiller belegt ist die Verwendung des suffixes
-igen in narrentheidigen 1,259,9.
Ein beliebtes stilistisches mittel, um in der spräche mög-
lichst anschaulich zu sein, ist im 18. jh. die ersetzung der
Suffixe -ern, -ein, -igen, -ieren u.s.w. durch die einfachen
bildungen mit -en. Diese einfachen bildungen sind meistens
widerbelebungen der alten verba ohne suffix.
So hat Schiller -en statt -ern: flmmen 1,223,3. 2,352,19. 1,282,98,
ebenso Schubart (SG. 2, 209), Bürger, Goethe, Matthison u. a. ; verwilden
2, 235, 11. 46, 11 (Sanders: Moscherosch, Schiller, Rückert), milden 1, 121, 29.
228, 52. 240, 119 (S. 3, 168, 148. 6, 7, 13; 'in der neueren spräche dichterisch
nicht selten wider erscheinend bei Goethe und Schiller' DWb.) neben mil-
dern 1,211,41, verfeinen 1,35,14 (DWb.: Wieland, sich verfeinen Goethe,
Wieland) neben häufigerem verfeinern 1, 98, 11. 144, 5. 166, 17 etc., sich
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 403
verschönen 2,297,3 (DWb.: Klopstock, Goethe, Wieland u.a.) neben ver-
schönem 1, 170, 3. 2, 150.
-en statt mod. -ein: hlinzen 1,188,49. 296,38 (SG. 2,30. 106; DWb.:
Klopstock, Wieland, Goetlie, Voss), zublinzen%i)2,\% 89,9. 255,7. 219,20;
dieses -en statt -ein ist nicht altertümelnd oder neuernd, sondern ist im
18. jh. noch das übliche; hlinzeln ist erst später entstanden.
-en statt -i<jen: angeJcündet 2,366,2. SO. 82 (Klopstock, Goethe u.a.)
verl-iinden 1,214,11 (vgl. dazu die comp. -form Icniidcr 1,280,18), verkosten
2, 291, G (das DWb. hat keine belege aus Schillers zeit, sondern nur aus
dem 17. jh. und aus Gotthelf), sich befle/'/'sen 1, 18, 26 (Wieland, Goethe,
Bürger u. a.); sich erniedern 1, 150, 5 (Klopstock, Zachariä, Goethe), vgl. der
Stauberniedrer Schw.m. im, bO; übermachtet 1,120,6 (Sanders belegt eine
stelle aus Tschudi), nöten 1,245,13 (in der Schriftsprache seit dem 17. jh.
ausgestorben, aber noch schwäbisch, vgl. Schmidt Schwab, wb. s. 408), ver-
unreinen 2, 295, 26. Vgl. dazu noch Besclwnumf SO. 191, sich vereinen Si. 97.
-en statt -ieren: durchbahamet 1,316,82 (Wieland, Voss), triumpß'en
1,186,12. 189,103 (Sanders: Voss, Goethe).
Aehnlich noch Beformant 1,222,63 {Beformutor gieug nicht in den vers).
B. Bildung von Wörtern durch composition.
Substautivum.
Ungewölmliche Zusammensetzungen von subst. mit prä-
figierten partikeln sind:
Auf er Ziehung 1,11,^ (DWb.: Sirapl., Weise, Rabener), Hervorkunft
1, 214, 11 (nicht in den wbb.), Hieherkunft Br. 60, 31, 2 (nicht im DWb.;
Sanders: Schiller, Schlegel), Hinreise zu Br. 63,328 (DWb.: Simpl.), Dahin-
reise Br. 53,11 (nicht im DWb. und Sanders; ähnlich bildet Lohenstein
Dahinkunft), Überschwung 1,210,38 (Sanders: Mendelssohn u.a. spätere);
vgl. Zurückkunft Si. 100. Si.2, 143, Nachhaiisekunft Si.2,22.»)
Durch naclistellung der präpos. entstehen adv, wie:
himmelum 1, 107, 42, himmelan 1, 27, 13. 42, 62. 46, 3. 253, 76 (himmel-
^^äWs 1,46,18), himmelaufschimmernd \,2ib,3b, Sternen ««1,41,43 (ähnlich
hochan 1, 230, 111).
Anm. Simplex statt des modernen compos. findet sich in
Alter = 'Zeitalter' Br. 48, 22. S. 1,64,3. 157,2 (so noch S. 5^ 151.
7,43,19. 11,329,2), Ender = 'beendiger, Vollender' 1,301,6 (Endi-
gung S. 4, 215), Forschung = 'erforschung' 1,75,34. 76,3, Schritte
machen = ' fortschritte m.' 1,19,34. 22,21. 172,27. — Aehnlich bei
adv.: über sej»i ^ ' vorüber sein' 1, 244, 14, rük = 'zurück' 1, 283, HO,
rükgesunken 1, 106, 15, rükgestralt 2, 109, 7. 1, 128, 30 (mit rükgehender
1) Später sind derartige l)ildungen noch häufig: Wiederkunft S. 7, 92, 15,
Überkunft S. 7, 242, 4. 114, 8 und öfters, Zurükkunft Br. 1, 326 u. a., Hieher-
hinft Br. 2, 382, Hieherreise Br. 3, 72, Hinunter stürz S. 3, 80, 8 u. a.
26*
404 tPLEIDERER
Post Br. 1,307. 2, 83. 130 n. a.). — Dagegen Bestreben nach Tugend
= 'streben' 1,33,34.
An neutralen Verbalsubstantiven mit der partikel
ge- sind erwähnenswert:
das Geschwanke 1, 108, 66 (DWb. hat nur diese stelle), Gelese 1,261,85,2
(im 18. jh. noch üblich für 'lectüre', so bei Wieland); — das DWb. führt
keine sonstigen belege an für Gesehüume 1, 297, 62, FroschgeqttäJce 2, 377, 27,
TamcnägcUize 1,122,67, Harfe mjezitter 1,812,21, KmicJgepfettfe 2,69,25;
— nicht im DWb. und bei Sanders : Gcwälze 1, 2id, 23, GeJcrähe 2, 258, 27 M,
Leibesfjehände (= ' leibesbau ', vgl. bei Nervcngebättde nnten) ; — Gekrächz
2, 93, 9. 258, 27 A ist auch sonst belegt; — Gezetter 2, 80, 17. 96, bei Sanders
nicht vor Schiller belegt, Nervengebäude 1, 168 (Lessing; diese Verwendung
von gebäude von naturdingen, die man als bauwerk betrachtet, kennt das
18. jh. noch; vgl. Adelung: Gebäude: 'in weiterer bedeutung führt diesen
namen jeder körper in ansebung der Verbindung oder auch des Verhältnisses
seiner teile').
Dazu noch ableitungeu von subst. : Gevögel coli. 1,215,28, aus der
biblischen spräche (vgl. Jonas, Erläuterungen s. 46, 23), Gezeuge 2, 178, 23 M.
316, 17 (S. 3, 359, 7, wol ebenfalls aus der bibelsprache, vgl. Heyne, Wb.).
Composition von Substantiv mit Substantiv.
Eine ausgedehntere anwendung dieser composition findet
erst seit dem 18. jh. statt. Haller, Klopstock, Herder etc. haben
hier grosses geleistet. In ihren spuren wandeln dann die
Originalgenies, unter ihnen Schiller, Er hat nie mehr so viele
compositionen gebildet wie in seiner Jugendzeit. In seinen
jugendwerken wimmelt es von ihnen; besonders beliebt sind
die Zusammensetzungen mit Silber-, Biesen-, Götter-, Himmel-,
Hosen-, Purpur-, Schauer-, Erden-, Lichc{s)-, Schmers{en)-,
Sonnen-, Wollust-, Toten-. Ich werde im folgenden nur die-
jenigen composita in betracht ziehen, die grammatisch inter-
essant sind.')
Man unterscheidet die eigentliclien und uneigentlichen
compositionen; erstere verlangen das nomen des ersten glieds
in reiner Stammform; letztere verlangen für das erste glied
die form, welche seinem syntaktischen Verhältnis zum zweiten
glied entspricht. Eigentliche compositionen werden höchst
selten noch gebildet, höchstens nocli in analogie zu schon vor-
handenen; wol aber konnten sich die uneigentlichen in folge
der gegenseitigen beeinflussung der beiden gruppen und der
•) Vgl. zum folgenden Wilmanns, Gramm. 2, § 388 ff.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 405
geringen Widerstandsfähigkeit der mittel vocale von ihrem Ur-
sprung lösen und formen annehmen, die denen der eigentlichen
sehr ähnlich waren. Die form eigentlicher composita
haben bei Schiller einige Wörter im vers erhalten:
Nervgewehe 1,216,5, Ohrgcbrümmel 1, 213, 3-i, Freudgelage 1,207,35;
sie sind anderweitig nicht belegt; andere beispiele: Todhett 2, 278, 12
(Luther, Lessing, Klinger), Aughrauen 1, 81, 22 (neben Augenbrauen 2, 133,9.
286, 7), Sonne-Untergang 2, 335, 17 anm. M, Grahgcdankc i, 180, 60 (ST. 22, 6),
Grabnacht 1,106,13. 299, -i, Grahgefährten 1,226,4, Sturmgeheid 1,40,10,
Himmclbild 1, 47, 36 (nicht im DWb.), Kirchhofthüre 1, 108, 56, Sturmvater-
land (= ' V. der stürme') 1, 217, 34, Engelharfe 1, 30, 97 (DWb. nur Matthison),
Himmelmaienglanz 1,223,7, Krokodilgehcule 1,222,50, .l(ZcZ&m7'2, 241, 27,
Meergrund 1, 123, 88 (im vers), Brillantring 2, 298, 4 A, Adlerflug 2, 30, 15,
AdlerfJügel 1, 211, 51, Himmelstrich 2, 389, 21, Lichtgeivand 1, 320, 21 (Herder,
Schubart, Klinger).
Diese formen haben besonders ursprüngliche acc.-composita
(vgl. Wilmanns 2. § 393. 2), in denen das Verhältnis des ersten
zum zweiten glied dasselbe ist wie das des objects zum regie-
renden verbum, da ein solches dem zweiten glied der betreffen-
den Wörter zu gründe liegt:
Erderschütterer 1,124,116, Volkbeherrscher 1,18S,61 {\g\. Meerbeherrscher
S.3,54), Siegfrohlocken 1,339,773, Volkregierung 1,188,75, Dankgefilhl 1,46,4
(im PWb. nur bei Gotter), Schmerzcmpßndung 1, 161, 6. 162, 19, Schmerz-
gefühl 1, IßT , li. 229,78, Grofs-Mann-Sucht 2,203,22 (vielleicht gehört daher
auch Grabgedanke), Schmerzerinnerung 2, 74, 12.
Von den gen.-compositis kann ich solche wie Sonnen-
höhe 1, 259, 6, überhaupt alle Sonnen-, Toden-, Maien- etc. ausser
acht lassen; sie sind gebildet wie heutzutage. Auffallend sind
einige gen.-compos., die heute pl.-compos. sind, wie:
Otterbrut 2,236,11 (DWb.: nur Schiller), l'athin-Stelle Br. 1, Pistol-
schufs 2, 169, 19. 310, 6. 300, 27 (neben Pistolenschüfse 2, 322, 20), Uhnverk
1,189,87. 210,17 (S. 4,36, vgl. Uhrtasche S. 4,204); dazu Jungferschaft
2, 42 (Logau, Wieland); einige zeigen im ersten glied noch eine ältere form
des sg. gen.: Erdenscholle 1,181,108 (nicht im DWl).), Erdenrund 1,275,1
(Wieland, Gotter), Erdensohn 1, 239, 78 (Wieland, Goethe u. a.) gegenüber
Erdball 1,108,19 (Wieland, Goethe u.a.); MondenlicM 1,241,147 (Goethe,
Schiller u. a.), Mondenstral 1, 288, 16 (DWb. nicht vor Uhlaud belegt),
Jfö«cÄe/i/i2s<o/7e Württ. repert. 1, 133 (nicht im DWb.; vgl. dazu Mönchen-
alter Schw. m. 1777, 158, einem 3Iönchen SG. 2, 12, des Mönchen SG. 2, 48);
andere gen. -composita mit auifallender form des ersten glieds sind: das
Mittagssjjcisen Br. 21,7, Prulats-Batich 2, Hl, 15, Xarrenspossen 1,214,64
(S. 3, 431, 12. 12,94, ebenso Lessing, Goethe, Lenz), Wassersnoth 1,206,18
(= modern wassernot: wir verschmachten in wassernot); dagegen erscheinen
406 PFLEIDERER
in der form eigentlicher eonipositioueii subst. auf -er: Ackermann \,\hb,%,
Baueru'cibcr 2,21\A^; ersteres ist mir ebenso noch S. 11, 63 begegnet;
letzteres scheint bei Schiller stets die regelmässige form zn sein (vgl. Bauer-
karren S. Ij i2, 19, Bauetiracht 13, 34-1, Bauergesindel 16"^, 468, Bauerhöfe
15-, 469, Bancrshihe 4,296,6); ebenso Miller: Bauerkerl Si. 2, 1.
Auffallende pluralcomposita sind
JagdenfeiCr 1, 842, 63 (im vers), Gemsenjagden 2, 223 M.
Es bleibt noch übrig, über das 5 der compositionsfiig-e
bei fem. etwas zu bemerken.') Beim jungen Schiller finden
sich aber zu wenig beispiele derart, als dass sich viel darüber
sagen liesse.
Es lässt sich nur constatiereu, dass Schiller MiüernacMsscIiauer 1,122,66
neben Schauernachtgeflüster 1, 217, 34 bildet, liebestrunken 1, 325, 53 neben
liehetrunken 1, 294, 33, aber nur Hochzeitmusik 2, 329, 20, Hochzeitfackel
1,211,63 (vgl. Wilmanns, Gr. 2, § 396,4a: 'noch im 18. jh. HochzeitfesVy)
Aus Schubart ist mir nur Weihnachtlied SG. 129 aufgefallen.
Für composition von substantivis mit adjectivis als
erstem glied sind nur drei Wörter interessant: Bösewicht,
Brandivein und Langeiveü.
Bösetvicht weist zweierlei formen auf; in beiden ist die erstarrte
flectierte form des adj. fest mit dem subst. verwachsen, nur diese form das
eine mal mit oberdeutschem abfall des -e, das andere mal nicht: Bösivicht
2, 102, 5. 1, 32, 12. 76, 32, Böseivicht 1, 167, 17. 2,5,27. 265,12. In den beiden
andern Wörtern ist die adj. -form noch nicht ganz erstarrt und weist daher
teilweise noch die endung des flectierten adj. auf: acc. sg. Brandtcnivein
2, 90, 17. 19. 24. 256, 17 A; daneben Brandeivein 2, 256, 17 M, Brandeivein-
flasche 2, 262, 17 anm. M ; gen. sg. der Langemveile 1,203,10; daneben vor
Langeiceile 1, 255, 120.
Adjectiva.
Zusammensetzungen von adjectivis:
1) Vgl. Wilmanns, Gr. 2, § 396 ; ferner die abhandlungen über den 's-unfug'
iu den beiheften der Zs. d. allg. deutsch. Sprachvereins von Trautmann, Tobler,
Scheffler.
*) Dagegen lässt sich aus den beispielen der späteren werke bestätigen,
was Trautwein a. a. o. und nach ihm Weise , Unsre muttersprache s. 172
aufgestellt haben, dass nämlich die oberdeutschen Schriftsteller sich von der
's-seuche' verhältnismässig freigehalten haben: Hochzeitgedicht S.S,16S, 2,
Hochzeitgrufs S.B, 163,1, HochzeitgelüuteS. 3, 3B1, 3; ebenso -fackel S.ß, 188.
12, 448, -schmuck S. 3, 331, 11, -hett S. 6, 133, 317, -gesang S. 6, 205, -reigen
S.6,206, -jähr Br.3,m, -fest S. 6,207. 15^586, -geschenk S.14:,li7, Geschicht-
schreiher S. 7, 113, 9, Geschichtfach Br. 2, 190, Landschaftmaler S. 10, 236, 9,
VoUmuchtbrief SA, 27, 13, Gesellschuftsaal S. 10,224,4; dagegen allerdings
Heirathsprozesse S. 3, 228, 13, Heurathsprozesse S. 3, 59, 21.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 407
mit snbst.: spiegclhell 1,28,44, ironHetn(nleni,l'A, iO, rosenfn'sch\,\86,5,
woUusUnoiken 1,278,9, sorgenschirer 1,287, h'cbeirarvi 1,294, heldenkühn
1,242, Idmienrekh 1,242, todensmi\,\m, süberheU i,2\7, silberklar i, 295,
silberfarb 1,304, schmerzenfrei 1,109); — mit adj.: rosicJitfjolden 1,219,
tödlichlieblich 1, 22S, kindischstoh 1, 343, kothifjuaß 1, 350, frendifimidig
1,285, fiinkelndlicht 1,218, neidischbleich 1,280, dumpßfftief l,28i, klein-
meisterisch 1,285, jt(ge)idlichschön 1,304, kindischklein 1,358, hocherhaben
1,29. Sie bieten grammatisch nichts interessantes; nur dass sich unter
den adj. auf -voll (himmelvoll 1,47.321, wonnevoll 1,31, seelenvoll 1,216,
jubelvoll 1, 359, lorbeervoll 1, 358, gnadenvoll 1, 49, fenervoll 1, 49, lebcnvoll
1,76, grausenvoll 1,219, gefühlvoll 2, SSö, grauenvoll 1,288) auch einige
feminin-s linden: nnschiddsvoll 1,289,41, bosheitsvoll 1,181,96, demutsvoll
1, 328, 450, erstaunungsvoll 1, 58, 31 (vgl. beneidwigsicürdig S. 3, 196, 20). ')
Adj., bei denen das zweite glied suffix geworden ist.
Hielier gehören die adj. auf -bar, -haß, -sam, -lieh.
Zusammensetzungen mit -bar, dem ursprünglichen verbaladjectiv zu
heran, tragen: bemerkenswert sind nur: umcirthbar 1,203,15 (Goethe, Wie-
land, Hebel u. a.), nnabsehbar 1,210,33 neben unabsehlich 1,231, 5, ruchtbar
2, 355, 25 (8. 13, 132 in Macbeth, mit dem in anlehnuug an Wörter wie Ge-
rücht, berüchtigt eingeführten t. Die form mit t findet sich bei Luther,
Klopstock, Goethe, Wiehind).
-haft, altes part., entsprechend lat. captus; die anzahl der nhd. adj.
auf -haft ist ziemlich beschränkt, leckcrhaft 1, 202, 18 (DWb.: Aj-rer, Logau,
Kant), tadelhaft 1,59,1 (Sanders: Goethe, Hagedorn), schröckhaft 2,293,1.
363,26 (Adelung: 'Aveuig gebraucht und nur in einigen gemeinen sprech-
arteu gehört"; in der neueren literatiir wird es öfter verwendet, vgl. DWb. ;
Schiller gebraucht es mit Vorliebe-)), leibhaft 1, 79, 4 (S. 3, 491, 2. Br. 5, 360)
neben dem jetzt liiiuligeren leibhaftig 2,90,11. 142,13. 39, tcaschhaft 2, 351,23
(Herder, Schiller, Lessing, Wieland), schmerzhaft 1, 147, 23, mannhaft 2, 52, 6.
-sam (vgl. got.sama, Ahii.samo pron. und sama adv.): genügsam 1,285,1.
2, 392,2 (Frisch; H. Sachs, Klinger, Hölderlin im DWb.), empfindsame Witte-
rung 2,376,8 (1768 von Lessing geprägt), lobcsan 1,303,8, vgl. s. 322.
-lieh. Diese adj. sind ursprünglich entweder mit dem subst. got. /c/A;,
ahd. l/h, oder mit einem neben diesem subst. existierenden gleichlautenden
stamm mit der bedeutung gleich zusammengesetzt (vgl. Wilmanus, Gr. 2,
§ 361, 1). Die compositionen der art sind sehr zahlreich und wui-den be-
sonders eine zeit lang gern zur bildung von adv. verwendet, was uns jetzt
etwas altertümlich anmutet. — AAjecti\&:jedermänniglich2,38ß,9 (DAVb.:
meist nur in der älteren spräche), jeglich 1, 97, 5. 100, 15 etc. (bei Luther
noch sehr häufig; jetzt nur noch in der gehobenen spräche), betrügliche
*) Dagegen später entgegen dem moderneu gebrauch: schmersenvoll
12, 547, glaubenreich 4, 266, 16, absichtlos 10, 230, 33, glaubenvoll 12, 418
(grofsmuthsvoll 4, 24. 6, 222).
») schrökhaft S. 3, 328. 150, schreckhaft S. 6, 126. 42. 8, 219. 326.
10,137. 12,272.
408 PFLEIDERER
Sferne 2,352,18, io/fo 2, 353, 26 (Liüher, Lessiug:, Goethe u.a.; bei Ade-
lung noch ganz gewöhnlich), vcrd auunl ich 2, 21, S (Luther, Goethe, Schiller
11. a.; Adelung: nur noch iu der biblischen spräche; Schiller hat das wort
stets gern verwendet ^) ), zärtliche Empfindungen 2,378,6 (vgl. Zärtliclikeit
unsrer Sitten 2,0, Ib; zärtlich = 'zart' auch noch S. 3, 444, 22), traulich Br.
11,22, ersinnlich 2, 213, 27 (DWb.: Weise, Wieland, Winkelmann), sichtbar-
lich 1, 327, 407 (so noch des Himmels sichtbarliche Fiuiung S. 12, 81 ; ist nach
Adelung veraltet), nnverhesserlich 2,375,4 = 'unübertrefflich' oder nach
Adelungs erklärung: 'so gut, dal's es nicht besser gemacht werden kann',
also noch ohne tadelnden beigeschmack, lezlich 1, 191, 152 (die einzige stelle
für adjectivische Verwendung im DWb.), parteylich 2, 25, 2 im sinne von
parteiisch (Br. 55, 1); so noch bei Lessing und Wieland.-) — Adverbia:
leichtlich 1, 81, 2 (USSPo. : häufig namentlich im 16. 17. Jh., während es in der
zweiten hälfte des 18. jh. 's seltener zu werden beginnt), ()etreidich2,3^Q,\,
schweini(ßich 1, 269, 71 (nur diese stelle im DWb.), festiglich 1, 258, 32 (früher
häufig; DWl). hat noch je ein beispiel aus Wieland und Kant), (jemeiniijlich
1, 84, 14 und öfters (ist bei Adelung noch sehr üblich), meisterlich 2, 233, 8,
sündiglich 1,269,69 (Sanders: noch in Goethe und Tieck), höchlich BrA4:,G
(oft in Wieland, Goethe u. a.), tcunderbarlich 2, 310, 1 (oft in der bibelsprache;
Adehmg nennt es oberdeutsch und 'eine unnütze Verlängerung'), endlich
= 'schliesslich, am ende' 2, 41, 4, kürzlich — 'in kurzem' 2, 38, 9 (Adelung:
'in welcher bedeutung es im hochdeutschen veraltet ist'), gclegenheitlich
2,369,5. 376,27 (S. 6, 53, Wieland u.a.).
Dagegen ledig ein Traum 2, 176, 6, wofür wir heute -lieh sagen würden ;
DWb. und Sanders führen für das adv. ledig noch beispiele aus Lessing au.
Yerbalcomposition.
Composition von v erb um mit subst. oder adj. findet
meist nur beim part. statt. Schiller hat vereinzelte derartige
compositionen auch im ind. praes.:
Gott, der feuerflammt 2, 170, 23. 311, 13, die Imtheratisclit 1, 226, 12 (so
nicht im DWb.). Diese compositionen sind hervorgegangen aus der Verbin-
dung von verben mit dem acc. des Innern objects, wie auch folgende part. :
sieg frohlockend 1,332,560, siegjauchzend 1,329,494, hungerglühend 1, 222, 66,
verderbengeifernd 1, 222, 53, thatenlechzend 1, 302, 52, stralenquillend
1,333,592.3)
1) verdammlich S. 3,258,13. 4,267,4. 5^116,18. 6,55,82. 7,230,1. 15', 58.
*) parteilich gab sie S. 5", 181, 771. — Statt -lieh setzen wir heute -ig
bei den adj. bedüchtlich S. 3, 26. 37. 208. 441. 7,100,22, zeitlich nach Hause
gehen S. 3, 536, 29.
') Solche Verwendungen finden sich ausserhalb der composition öfters:
Philosophie denken 1,22,19, Genesung lügen 1,169,3, ein Gefühl empfinden
1, 26, 9, die Freude weinen 1, 50, 21, Kuhm dürsten 1, 42, 55, einen Namen
schallen 1, 40, 10, Eache hineinwirken 1, 43, 86, jauchzen den Tag 1, 44, 106,
Zärtlichkeiten girren 1, 262, 11, Zernichtung stöhnen 1, 278, 32, Triumf flöten
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 409
Von andern compositis führe ich an:
part. praes. mit subst.: ohrzerfezcnd 1, 203, ü, Landerbeschattend
l, 219, 26, himmeUtnrmend 1, 222, 66, tcoUustschtvellend 1, 331, 552, iceltum-
ivandelnd 1,219,40, halsbrechend 2,39,13;
part. praes. mit adj. niid adv.: ivciterumfassend 1,61, 23, neuauflebend
1,87,32, mächti(ßcirkend\, 157,12, sioJztraciendl,2\S,\Q, stolz auf thimnend
1.295,21, traurigmahnend 1,282,99, schräcJdichmahnend 1,227,44, himmel-
aiifschimmerad 1,215,135, schaamrothmachend 1,69,5, tiefdenkend, tief-
empfindend 1,109,16, tiefsinnend 2,59;
part. praet. mit subst.: sonnverbrannt 2,132, sonrigepfiastert 1,262,5,
gottgebohren 1,336, 700, gramgeschmolzen 1,106,21, gramentbunden 1,108,63,
geheidergofsen 1, 182, 134, Machtunipanzert 1,188,62, erziimpanzert 1, 222,70,
kraftgeriistet 1, 179, 26, thurmumrammeU 1, 222, 71, goldgeweht 1, 226, 13.
316,84, quahrprcfst 1,284,4 etc.;
part. praet. mit adj. und adv. : stummgetragen 1, 106, 18, tiefdurchdrungen
1, 140, 9, höchstzusammengesetzt 1, 159, 23, scharfgejagt 1, 249, 26, spizgeöhrt
1,350,8, iveichgeschaffen, sanftempört 1,288, hochentzükt 1,182,131, Jioch-
veraltet 1,178,14, hochgefüIU 1,353,17 u.a.»)
1,249,36, Sommerpracht Straten 1,211,44, Leben fächeln 1,224,20, Arien
schwirren 1,234,23, Liebe singen 1,241,128, einen Wirbel fliegen 1,248,128,
Adlerpfade fliegen 1, 259, 13, Hohn reden 1, 296, 47, Liebe zvinken 1, 260, 29,
Gott orgeln 1, 273, 11, Seelen träumen in etw. 1, 286, 38, Minnelieder flöten
1,277,11, schlieft einen Schlummer 2,65,14; dazu folgende Verwendungen
der figura etymologica: fluchen den Fluch 1,40,3, den Gang gehen 1,40,5,
den Gedanken denken 1, 95, 20 (3, 192, 5), Thaten thun 1, 149, 14, flog den
Siegesflug 2, 69, 10, ein Leben leben 1, 146, dein Knabcnlcben leben 2, 129, 10,
Sturm stürmen machen 1, 42, 70 (vgl. ein Leben lebt 1, 29, 81, Schauer schauern
1 . 1Ö6, 20. 2, 74, 9, wie näher mufsten icir uns nähern Br. 1, 11, 16) ; dazu noch
einige Verwendungen von intr. verbis mit dem acc. der person: sich müde
stehen 1, 203, 11, sich ins Elend strudeln 1, 190, 113, ich denke dich 1, 273, 6,
hinweggeschaut 1, 41, 36.
1) Zum part. überhaupt: Einzelne part. praes. sind bemerkenswert,
für die wir heute adj. setzen: tiefsinnend 2,59, anschaueml Br. 46, 6, aus-
schliefsend 2,380,9. Hang, Z. 458. SO. 232; so später noch: nachdenkende
Stellung S. 5^,170, tiefsinnend noch sehr oft; — der morgende Tag S. 3, b44.
4, 34, nachdenkende Pause 1, 261, 29, Verrina ist nachdenkend 3, 261, 29, vgl.
unschadend SO. 118, unermüdet Si. 193 (unermüdet S. 7, 155, 13); andere sind
auffallend in ihrer activen form, während sie passive bedeutung haben: bei
meinem unter handcn habenden Werk Er. 1,58, 13, mein vorhabender All-
manach S. 1,196,5, so: vorhabende Spazierfahrt S. 4,225,15, zu dem in
Petto habenden Gedicht Br. 5, 24, meines vorhabenden Baues Br. 5, 203. 442;
— vorhabende Eeise Si. 2,246; — dann: eine schlecht schlafende Nacht
Br. 6. 2 und sehr oft in den briefen aus späterer zeit; — ein Mittel, kühn und
verzweifelnd S. 5", 128,6; Schubart: schriftliche und redende Erklärungen
SO. vorr. — Diese part. praes. sind im 18. jh. noch häufig; mau denke nur
410 PFLEIDERER
Aus der gTOssen menge der verbalcompositionen mit
präfixen, die für eine Untersuchung der poetischen spräche
des jungen Schiller stoff genug bieten würden, greife ich nur
die mit 'untrennbaren präfixen heraus. Die bildungen
mit hc-, er-, cnt-, zer-, ver- sind im 18. jh. ganz besonders beliebt.
he-: hc fassen (den Zusummenhaiuj = 'begreifen') 2,6,6 (DWb. hat
ähiiliclie beispiele aus Kaut und J. Paul), hcftnden = 'finden' 1,20,8, be-
lebend igen 1, 55, 29 (DWb.: Abele; nicht in Sanders), berülpcn 1, 212, 9 (nicht
in den wbb.), beschiff'en 1,121,42, bescJnceben 1,311,8 (DWb.: Ayrer und
Schiller), beschw/mmen 1,28,30 (DWb. nur: Goethe), beseufzen 1,288,15,
bestaunen 1,286,27. 320,187 (DWb.: Schiller), besirömen 1,304,21 (oft in
Klopstock), heleufeln 1,270,106 (nicht im DWb. und Sanders), bewehen 1,29,56.
SG. 56 (öfters bei Klopstock). ')
er-: erborgen 1, 191, 84 (DWb. : Lessing) ; erdichten 1, 92, 5, sich erhärten
-??* 2, 355, 18, c?7tflsc/te« 2, 123, 19, erklimmen IjS^il,!, erknarren 1,S05, 2b
(DWb.: Schiller), ermauscheln 1,189,84 (nicht in den wbb.), erschaffener
Gedanke 1, 62, 4, erschivingen 1, 281, 60, anerschaffen 1, 97, 13, ersterben
1,106,4. 97,34. 98,15 (6,284,26), er ivachsen 2,19,3, etw. crweinenl,208,10i
(in Klopstock häutig), etw. erwimmern 2, 38, 13 (DWb. : Schiller), erstaunens-
icerth 2,360,21 (DWb.: Schiller), vgl. erlustigen SO. 196. 2)
ent-: entathmen 1,39,58 (DWb.: Bürger, Goethe, Voss), entfallen 1,36,16,
enigeistern 1,216,2 (oft bei AVieland), entglühen 1,234,8 (häufig bei Klop-
stock), entkörpern 1, 216, 3 (oft bei Wieland), entleiden 1, 326, entnachten
1, 125, 142 (keine belege im DWb.), sich erdringen 1, 264, 16 (DWb. nur:
Matthison), entsinken 1, 180, 59. 190, 105, entsprühen 1,107,38 (DWb.: Thüm-
luel, Schiller, Voss), sich entstehlen 1,101,20 (Spee, Bürger, Herder), ent-
rinnen 1, 217, 19, entwischen 1, 179, 49, entzittern 1, 29, 68 (nur Klopstock
vor Schiller).
ser-: zerfasern 1, 173, 30 (= 'in fasern zerlegen'), zerscherben 1, 214, 62
(Sanders: H.Kleist, Voss, Herder), zernichten 1, im, 21. 163,6. 2,22,24. 25,9.
107,16. 300,22 U.S.W, (aiich später noch in S. 7,95,17. 8,8,8. 100,25.
9,385,24); auch Haller schreibt gern zernichten; besonders aber ist es
üblich bei den Originalgenies, da zer- kräftiger als ver- lautet.
Anra. Da im schwäb. kein zer- mehr existiert, sondern nur ver-,
so wendet Schiller gelegentlich zer- auch an in verschieden: zerschieden
2,205, 10. Br. 43, 17. Br. 1, 107, 62, 9; ebenso andere Schwaben schon
an die vorhabende Heise in Goethes Werther. Andere beispiele s. in Gödekes
glossar S. 5. — Auf der andern seite kommen auch part. praet. mit activem
sinn vor: tnein vergessen 1,227,34, der Endlichkeit vergessen 1,225,84.
1) Dazu später: beblümen S. 6, 217, befeuern S. 7, 17, 6. 9,384,31, be-
krönen S. 13, 27, bepurpurn S. 13, 49, behexen 3, 198, 12.
2) ergrübelu S. 5', 145, 3063, ersiegen oft in S. 6, errufen S. 4, 278, er-
sättigen S. 3, 41. 247, ersterben S. 6, 284, 26, ermangeln S. 6, 387.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 411
vor Scliiller: Sclnv. m. 1775, 560. 1777, 543 (vgl. Beliaghcl, Schrift-
sprache und miuidart, 189G, s. 15: 'Der SchAvabe enthehrt der vorsilbe
zer-, hei ihm werden die kleider rcrn'sscn. Dadurch ist kein geringerer
als der junge Schiller verführt worden, von zcrschiedenen sceuen,
zersckiedenen eigenschaften zu sprechen.').
ver-: verblenden 1,63,9 = 'blenden', verhüpfen 1,107,51 = 'weg-
hüpfen' (Heinsius, J. Paul, Gögkingk, Schiller), verseufzt ihr Lehen 2, 126, 16,
es verlohnt s/eh die Mühe 1,34,16, nehen es lohnt sieh der Mi'ihe 2,95,22
(so: es verlohnt sich ein Gaufj S. 3, 451), sich vertrauen mit 1, 31, 25 = 'sich
einem anvertrauen', verstatten 1,24,17. Br. 54, 8, verv ortheilen 2, 13S, IS =
'übervorteilen' (vgl. Adelung: vervorth., 'w^elches nur im gemeinen leben
einiger gegendeu für das anständige hevortheilen üblich ist').')
"Wie Schiller zum schmuck seiner spräche gern die ein-
fachen verben den abgeleiteten auf -cm, -igen etc. vorzog, vgl.
s. 402, wie er ferner auch beim subst. manchmal das simplex
dem compos. vorzog, vgl. s. 403, so ist es auch bei den verben
ein charakteristicum seiner Jugendsprache, dass er die ein-
fachen verben gerne an stelle der jetzt üblichen, mit
präfix zusammengesetzten gebraucht, besonders in poesie.
Dieser zug seiner spräche mag wol auf das Studium Klopstocks
zurückzuführen sein; denn gerade Klopstock macht von diesem
Stilmittel ausgedehnten gebrauch.'-)
So sagt Schiller: &f rr/CH (= ver-) Br. 9, 27, ^/rtssen (er-) 1, 42, 52, hrhten
(ans-) 1, 221, 28, einem Feuer blasen (ein-) 1, 221, 18, dorren (ver-) 1, 189, 77,
doppeln (ver-) 1, 158, 14. 164,27 (Si.58 (jedoppelt lieb), denken (nach-) 1, 118,27.
90,6. Br. 38,2, ^e&Z/t>6e>i (zurück-) 1, 233, 71, fte<ern (aus-) 1, 131, 99. 210,16,
jd. fachen in (anfachen zu) 2, 101, 3. 1, 229, 79, fördern (be-) 2, 189, 18, fidlen
(er-) 1,47,27, (jiefsen (ver-) 1,48,68, gürten (xim-) 1,345,20, (jründen (l)e-)
Br. 48, 1 (Si. 2, 174 unyeciründet), haschen (er-) 2, 115, 24, gewöhnen (au-)
1, 156, 14, forschen (er-) 1,25, 14, vgl. Forschung s.403, löschen (ver-) 1,296,39,
liefern (ein-) 2, 204, 4, wohl kommen (be-) 2, 268, 12. 139, 22. 107, 19, merken
(be-) 1, 329, 483. Br.38, 10. Haug, Z.464. Br.85,8, mummen in {ein-) 1,186,18,
niedern (er-) 1,239,18, nuzen,nüzen (ans-) By.3G,B. 61,9. S. 2, 92, 15, reichen
(er-) 1, 301, 26, ruhen auf (be-) 1, 173, 12. 90, 33, reißen (zer-) 1, 234, 4.
349,18. 190.232. 194,234, m/seu (fort-) 1, 233, 65, reuen (he-) 1, U, 9ö,
ri(fcn{he-) 1, 34, 12, rufen (zu-) 1, 302, 38, schlingen (ver-) 1, 301, 11. 284, 134.
227. 38 (SG. 2, 68), schweigen (ver-) 1, 321, 225. 229. 354, 43, si)ähen (er-)
1,282,91, scheinen (er-) 1,32,2, sehen mit einem adj. (aus-) 1,161,15. 2,246,14.
1) verstatten S. 3,566,5. 4,196,11. Br. 1, 194. 3,332. S. 7,248. 74.
S. 8, 254. 10, 276, vervortheilen Br. 5, 374, — hevortheilen S. 4, 160, verblassen
= 'erblassen' S. 5', 101. 14,341, verstarren S. 5', 134, 2800.
-) Vgl. Fr. Petri, Kritische beitrage zur geschichte der dichtersprache
Klopstocks. Greifswald 1894, s. 9—12.
412 PFLEIDERER
134, 7. 14, (1. 65, 26. Si. 2, 134, sonjen (be-) 2, 32, 17, nehmen (ein-) 1, 227, 24,
schrckcn (er-) Br. 27,25, Jcerkei-n (ein-) 1, 121,123, mir cjef allen durch das
ioos (zu-) 1, 124, 123, sfeWen (dar-) 2, 4, 14, .^reZ/cn (er-) 2, 142, 1, soyinen
(durch-) 1, 240, 109, spornen (an-) 1, 164, 31. 191, 148, schlizen (auf-) 2, 99, 1,
süssen (ver-) 1, 263, 35, starren (er-) 1, 210, 40, schrumpfen (einschrumpfen
machen) 1, 189, 101 (vgl. etwas zusammenschrumpfen 2, 150, sonst ist sehr.
trans. nur noch hei Voss belegt im DWl).), splittern (zer-) 1,208, 65, schlagen
(zu-) 1, 225, 53, sich schwingen (auf-) 1, 281,45. 30,95, stumpfen (ab-) 1, 186,10,
steigen (auf-, er-) 1, 43, 92, schauen (hin-) 1, 42, 64, schluken (ver-) 1, 40, 18,
tischen (auf-) 2, 46, 7. 1, 235, 7, thürmen (auf-) 1, 297, 82. ST. 82. 120, teilen
(ver-) 1, 27, 20, teilen (zer-) 1, 29, 76, tauschen (ver-) 1, 181, 107, weinen (be-)
1,210,20. 284,141, wehten mich (um-) 1,218,18, tvandeln (ver-) 1,323,301.
2, 12, 20. 6, 21, treichen (er-) 1, 125, 139, weisen (unter-) 2, 47, 18, tvenden
(ver-) 1,16,14. 15,16, winskn (nach-) 1,218, 21, zeugen (he-) i,b7,3-i, zeugen
(er-) 1,156,4, zahlen (be-) 1,253,61, ^/e/jen (aus-) 1,345,32. Dazu noch:
mifskennen (misver-) Hang, Z. 465. S. 1, 68, auflegen (aufer-) 1, 25, 19, sich
vertrauen (anver-) 1,31, 25 (vgl. gegentrozend = entgegentr. 1, 67, 1), erstanden
= auferstanden 2, 328, 4. ')
C. Wortschatz.
Es ist nicht zu verwundern, wenn in einer spräche, die
in formen und lauten so viel altertümliches und dialektisches
aufweist wie die spräche des jungen Schiller, auch bezüglich
des Wortschatzes eine menge archaismen und Provinzialismen
zu finden ist. Aber gegenüber der spräche eines Herder, Klop-
stock u. a., die auch viele altertümlichkeiten und mundartliche
ausdrücke aufweist, ist zu betonen, dass bei diesen die be-
wusste absieht vorhanden war, ihren Sprachschatz durch wider-
aufnahme von material zu bereichern, das in der Schriftsprache
ausser gebrauch gekommen war. Nicht so bei Schiller: in der
einleitung habe ich versucht, aus dem Charakter der schwäb.
literatursprache des 17. und 18. jh.'s erklärlich zu machen, dass
vom Standpunkt der nhd. Schriftsprache des 18. und 19. jh.'s aus
die Schriftsprache eines Schwaben jener zeit vieles altertüm-
liche an sich haben muss, auch ohne alle darauf gerichtete
') blassen (= erbl.) S. 6, 374, 777. 11, 209, 43, doppeln (verd.) S. 4, 125.
144. 7, 135. 289. 8, 175, fehlen (verf.) S. 5', 91, merken (bera.) 6, 29, sich finden
(hei.) 3, 388, sich nehmen (ben.) 5\ 101, dekcn (verd.) 4, 29, 61, engen (bee.)
4,21,10, /■cHc/j^cn (bef.) 6, 8, 33, reZ/se« (zerr.) 3, 321, 3, mten (ber.) 15', 122,
jd. etwas vertrauen (anv.) 6, 186, tragen zu (beitr.) 4, 55, zeichnen (bez.)
6,352, ziehen zu (evL.) 'd, i')ü, ^ewf/oi (bez.) 14, 278, ewdt^ren (bee.) 3, 518. 4,261,
wandeln (verw.) 11, 292, thürmen (auft.) 11, 358.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 413
absieht seitens des betr. scliriftstellers. "Was das dialektische
betrifft, hat sich ausserdem noch gezeigt, dass in Schwaben
noch mehr als bei den oben genannten eine tendenz vorhanden
war, dem dialektischen das bürgerrecht in der Schriftsprache
zu verschaffen.
So lässt sich denn auch aus den werken des jungen Schiller
eine menge von archaismen und Provinzialismen zusammenstellen.
Archaismen.
FAtenmter 1, 317, 118 {Älierraier 5», 68), — Holz = 'wald' 2, 97, 6 (so
uocli im Gang nach dem eiseuhammer), — Unraih = ' Unglück' 1,115,28
{mhä. iinrät 'not'), — Prinz = 'landesherr' 1,50,22. 52,56, — Trieb =
'schar' 1,346,48. 2,78,7, ebenso Schw. m. 1775, 471, — einen einer Sache
schelten ^'zeihen' 1,280,33, das Schelten des Ewigen 1,216,43 (biblisch),
— tvintern = 'winter sein' 1,353,5 (mhd. ebenso, vgl. 14,336 im Teil), —
üherley 1, 247 (mhd. leie 'art', ebenso üherlei Br. 1, 116, 66, 7. S. 3, 176 anm.),
— Zo/</e« = 'zuleid tun' 1,327,430 (ahd. mhd.), — dti spazierest 2,349,22,
ebenso SO. 19. S. 3, 401, 21 (Adelung: 'am häufigsten braucht man es mit
dem Zeitwort gehen'), — Hamen 2, 84, 5 (öfters in der Bibel; auch bei
Haller, Käslin s. 62), — die Mark seiner Bestimmung 2, 115, 15 {die Mark
der Tugend S. 3, 80, 8; Adelung: 'ein sehr altes und weit ausgebreitetes
wort'), — Tei<foH/eH 1, 51, 48, 2a<fo»?eH Hang, Z. 457, — noch kurz = ^'kxirz
vorher, kürzlich' 1,229,98 (Zinkgref, Klopstock), — kurzweilen 2, 29Q>, 9
(DWb.: 'ein seit dem 18. jh. abgekommenes schönes wort'), — schmälen
((»/■1,247,4. Si.59. Si.2,214,') - Seiger des Geivissens\,\d\,im. ^T.<d4,l\
(mhd.; DWb.: lebendig erhalten hauptsächlich md.), — i/««.sjHfm»i = *haus-
vater' 2,26,15, — anmahnen Br. 62, 15 (Adelung: 'bereits veraltet'), —
geilen 1,221,23. S. 3, 30, 25, — das Geschioister 1,234,17, ebenso Schw. m.
1775, 313, vgl. Spr. 1, 81: 'einige sagen im sg. das Geschwister'' (weitere bei-
.^piele für die sg. Verwendung s. Jonas, Erläuter. s. 81), — deutet ihr Esels-
ohren 2,79,14 (Adelung erklärt es für im hd. veraltet, im o1)erdeutschen
gang und gäbe), — sichs versehen = 'es nicht merken' 2,34,7 (Adelung:
'für nlierschen, eine bedeutung, welche sparsamer vorkommt als die übrigen';
die moderne bedeutung in eh sie sichs versahen 1, 207, 45), — beide Liebe
und Verlust 2,390,17, so bei Miller Si. 98 (seit dem 17. jh. wird beide, so-
weit es noch verwendet wird, durch beides ersetzt),'^) — raunen 2,169,5.
309,17 (Adelung: 'leise reden, meist veraltet'; schon Leibnitz bezeichnet
es als 'verblichen'), ^) — mit Ihr Gestreng 1, 252, 37, — Fulreru-ecke 1, 282, 81
(= 'das aufwecken durch geschützdonner', einziger beleg im DWb., wol
gehiUlet yfie mhi. tageivecke, Lexer 2, 1394), — Heldenthaten begehen l,\d,li
') schmälen S. 3, 113. 290. 363. 4, 39. Br. 6, 400.
*) Vgl. dazu so — so = 'je — desto' S. 2, 5, 17; noch — noch = 'weder
noch' S.5S142. 9,339.
^) in die Ohren raunen S. 13, 135,2971.
414 PFLETHERER
(Adehiiiii': ■' ehedem wurde dieses zeit wort auch in gutem verstand gebraucht;
im oberdeutschen ist dieser im lid. veraltete gebrauch noch hin und wieder
üblich, weil man daselbst auch herrliche thaten begehet'), — stäuben = *zu
staub werden' 1, 183, 142 (mhd. slöuben: in Adelung nicht mehr verzeichnet),
— ihrünen = 'weinen' 1,284,10. 277,24 (Adelung kennt nur noch das
thränende Auge), — Nerven meines Geistes 1,139,25 (DWb.: 'wobei noch
oft die ältere Vorstellung [= 'sehne'] zu gründe liegt, bei Schiller'), — vo--
hotfe)itlich2','6S-i, 14 (mhd. nicht nachgewiesen, im frühesten nhd. vorhanden];
Adelung: 'der edleren Schreibart fremd'), — aufwarmen intr. 1,191,153
(im DWb. noch ein beispiel aus Wielaud), — Witz = 'verstand' 2,305,30
(Paul, Wb.: 'bis ins 18. jh. ist die alte bedeutung nicht vergessen'), — falsch
= 'heimtückisch' 1,16,24 (Adelung: 'im hd. unbekannter gebrauch, der
indessen doch oft in der deutschen bibel vorkommt'), — ein Haar kränken
2,312,28 (DWb.: 'ein rest des sinnlichen kränkens; das hat sich nur er-
halten, weil die ganze redensart uns nur ein fahles bild ist für das kränken
des mannes selber in unserm sinn'), — Augenblick = 'blick der äugen'
1, 59, IG (so noch bei Luther), - Sympathie = 'harmonie' 1, 16G, '29. 165, 17,
— vorstellen = 'darstellen' 2, 387, 3, — eine Strafe fühlen = 'erleiden'
1, 26, 16 (vgl. wer nicht hören will, tmiss fühlen), — vergeben = 'falsch
geben' 2, 135, 15, — wem's gebühr' 1,220,11 = 'wer dürfe', — Ansicht =
'aussieht' 1, 218, 15 (Frisch: 'ist nicht gebräuchlich'; Adelung: 'ziemlich
ungewöhnlich'; das wort ist im 18. jh. wider aufgekommen), — Dampf des
Unraths 1, 159, 33, Dampf des Weins 2, 33, 20, — leeyland 2, 26, — mählig
1,124,109, — alsobald 1,124,112, — verneinen = 'versagen' 1,284,138.
277, 19, 9. 298, 103 (Stieler: verneinte Gerechtigkeit = 'just, denegata';
DWb. führt noch eine stelle aus Goethe an), — fürbafs 1, 269, 58, — bafs
= 'besser' 1,359,39,40 (12,32), — ferner = 'weiter' 1,64,12. 2,31,12, —
schivank '[, 181, 8S. 186,11, — geivohnen = 'gewohnt werden' 1,244,7
(S. 13, 21), ebenso Schw. m. 1776, 161, — feiern = 'ferien machen' 1, 180, 65,
— fehlen = 'fehler machen' 1, 55, 15, — tveben = 'leben' 1, 29, 84. 168, 10,
— Born 1, 208, 66, — Auszug = 'das ausgezogene' 2, 115, 25, — der Nach-
lafs = 'das nachlassen' 1,172,9,21. 175,2. 176,5, — Fersi o/s = 'der
verstossene' 1, 301, 8, — Verfolg der Geschichte 2, 9, 21, — Behtdf2, 382, 28.
369,2, — Ungrund ^ 'unbegründetheit' 1,89,19 (12,430), — Riesenspanne
1, 190, 109, — harren 1, '225, 49 und öfters, — liebensivärdig passiv 1, 21, 33.
103, 15, — empfindlich pass. {der Vorivurf ist mir empfindlich) 1, 117, 25, —
jedweder 1,\}%,H\. Br. 49, 10. S. 1, 76, 29. 311,3. 256,165 (Adelung: 'ein
altes bei wort, in der edleren und höheren sprechart seltener'), — jeglich
1,97,5. 100,15 nnd oft in M, — einig = 'einzig' Br. 49, 14. S. 1,55,20.
56, 12. 95, 20. 2, 203, 18 u. a. (ahd. einag ; häufig in der Bibel, und noch im
18.jii. nicht ganz selten), — man besorgte für sein Leben '2,390, 18 (er
besorgt, ich iverde ... 3, 279, 20), — minnen 1, 308, 29, — der Arge 2, 174, 15,
— reimen = 'in einklang bringen, zusammenreimen' 2,187,19 (4,256), —
nicht dürfen = 'nicht brauchen' 1,55,7. 2,10,12, — fechten = 'kämpfen'
2,98,4, — streiten = 'wetteifern' 1,51,55, — mochte = 'vermochte zu'
1,120,9. 12 (Paul: 'im 16. 17. jh. noch ganz üblich'), — Ungefähr = 'zu-
fair 1, 150, 11. 146 anm. (9, 308, 22), — ich wurde gesprengt 2, 290, 1 (Heyne:
SPRACHE DES JUKGEN SCHILLER. 415
'älter in bezug auflebende wesen'; ebenso im Kampf mit dem dracben 141:
das Pferd auf den Drachen lossprengen; so noch schwäb. allgemein üblich:
das Pferd ansprengen), — mehr als vorhin = 'vordem' 1,115,11 (Luther,
Haller), — verbunden 1,281,49. 2,295,20 (Adelung: 'wofür doch erblinden
üblicher ist'; mhd. verbunden, Stärkung des einfachen blinden), — äufsern
= 'nach aussen zeigen' 1,17,4. 23,31. 24,2 (Adelung: 'grüfstenteils nur im
gemeinen leben und in den kanzlej-eu'), — e rschröckl ich 2, (i89,S2. SO. 120.
Si. 286 (S. 10, 212, 31), — Dritteil 2, 86. 347 (5S 66), — drittheilcn 2, 842, 25
(DWb. und Heyne haben nur dies beispiel), — Vierteil 2, 352, 17, — gevier-
theilt 2, dl (Adelung hat nur Drittel, Vierthel, 'von einigen Vierteil ge-
schrieben'), — Bezeigen, Bezeugen = 'benehmen' 1,21,16. 22,15 (7,162.
163. 10,86. 15^558), — drob = 'darüber' 1,124,108, — iveil = 'dieweil,
so lange' 2,31,15, — frommen 1, '257, 209 (12,84), — einem hart anliegen
mit 2, 62, 16, — tvenns nicht an dem ist = 'so ist' 1,55,26 (7,166. 10,14.
Br. 3, 139), vgl. ist es das == 'so' 2,15, 14, — Jcumlig einer Sache = 'der
um etw. weiss' Br. 53, 13, — Unterricht = 'einzelne Unterweisung' Br. 51, 19
(vgl. einem Unterricht geben von = 'nachricht' 8, 138, 22), — dies soll meinem
Bruder = 'ist bestimmt für' 2, 250, 2. 70, 22 (soll dem Tollkühnen 4, 84, 23),
— steh! = 'bleib stehen' 2,305,1. 275,25 (13,138), — sein Geist verzog, zu . . .
2, 72, 11 (bibl.), — eine Urkund von sich geben 2, 177, 14. 315, 19, — Schande
'Schändlichkeit' 1, 64, 22, — Entzücken = 'Verzückung' 1, 288, 23, — funkend
1, 217, 21, — tüähnenzH 1, 161, 22. 2, '202. 298, 27, — zuvörderst Hang, Z. 456,
— vorzüglich = 'in erster linie' Hang, Z. 465. Br. 62, 19, — sie icirkten in
ihm die Melancholie 1, 112, 25; ähnlich 1, 162, 34 (8, 197; im mhd. wird wirken
auf jedes beliebige erzeugnis bezogen), — vergyiügt mit = 'sich begnügend'
1,16,15. 23,31 u.a.
Dahin gehören auch folgende rectionen von verben: verben mit
dem gen., die jetzt eine präp. nach sich haben: vergessen 1, 332, 384:
und .oft, — lachen 2, 298, 15, — tvarten 1, 169, 14, — spotten 2, 104, 23, —
harren 2,75. Verba mit gen., die heute den acc. regieren: braucht
keiner Hexereien 2, 82, 5, — schonen 2, 68. 17. 289, 17 (acc. 2, 136), — brauchen
2, 63, 26. 244, 2, — jjßegen 2, 49, 16. 217, 13, — einer Sache los sein 1, 169, 5
(Br. 5, 400. 6,20). Verba mit dat.: einem liebkosen 1,293,14 (noch bei
Wieland), — schmeicheln 2, 154. 106. 104 (5, 39. 167), — es einem entgelten
lassen 2, 248, 8 M, — wurmt ihm 1, 345, 26, — einem heruntermachen 2, 365, 29,
— einem aufbieten 2, 359, 19 (im nhd. 19. jh. nur noch bei allem aufbieten
aco. 2, 91, 16), — korrespondieren 1, 144, 10, — nachahmen 1, 68, 8. SG. 2, 9
(so noch S. 10, 135, 24).
Im 18. jh. noch üblich, jetzt aber veraltet, sind:
Schelm = 'schurke' 1,228,62. 2,302,4 (8,340,17. 12,254), — sclncä-
bische Provinzen = 'das schwäbische land' 1,50,23 (Schw. m. 1775, 474), —
äugeln = 'blicken' 1, '238, 60, — den Aussjjruch thun = 'endgültig ent-
scheiden' 1, 61,22. Schw. m. 1776,172, —|;o/s/emt /Vir = 'gelten für' 2,10,17,
— s/c/t/ierrn<s/a.ssc»M7;e/- = 'gestehen' 1,111, 7 (8,328,5. 12,131. Br.6,50),
— 6e</m/'e« = -umfassen' 1,145,25, — bestimmen = 'eine bestimmte rich-
tung geben' 1,21,9 (Br. 1, 216), — in Absicht m</'Br.44, 11. S. 1,174, 18.
416 PFLETDERER
Br.52,2 etc. Si. 96. 361, — erwarmen 1,210,39 (3,282 u.a.), — erfahren
= 'beobachten' 1,81,24. 82,8, — gemnie Symjiaihie i,i0d,14, — genaues
Band 1,109,17, — genauer Zusammenhang 1,143,5. 145,29 etc. {genaue
Freundschaft Br. 1,431, genauer Zusammenhang S. 7,214,15), — eine Freund-
schaft erriöhten 1, 56, 5, — in Bücksicht auf Br. 37, 15. 47, 22, 1 (noch S.
7,220. 10,482), — zwei Tage vorher ehe 1, 115,24 (S. 9, 191. 15S 353), —
7t7V?er =- 'gegen' 2,59,5. Br.46,21,6. S. 2, 235, 19. 236,3 etc. — die ich
für die schicerste erkenne Br. 55, 3 (bei Adelung noch sehr üblich), — heischer
= 'heiser' 1,232,55. ST. 58, 1, — zuschreiben = 'dedicieren' 1,199, —
Zuschrift = 'dedication' Br. 36, 17, 3. 38,6, — der Verspruch = 'das ver-
sprechen' 1,13,19. 48,67. Br. 01,20, vgl. der Verderb SO. 170, — der Ver-
stand eines tcortes Br. 43, 11. S. 1, 79, 19. 171, 15. Br. 9, 31. S. 1, 61, 11. SO. 43
u. a. (so noch 9, 169, 16. 10, 23, 20), — Zeitung = 'nachricht' 2, 15, 1. 67, 19.
2, 145, 14 u. s. Vf. (Zeitung modern 2, 78, 18 ; dafür öffentliche Briefe 2, 253, 9 M), »)
— 3Ienschheit = 'menschlichkeit' 2,293,11. 48,9. 1,149,11; so bei Haller,
Tgl. Käslin, Haller s. 62 (S. 9, 374, 28), — Parthie = 'partei': sich auf die
parthie schlagen von jd. 2,358,10 (so bei Wielaud; Adelung: ^Partey üb-
licher'),-) — Malerei = 'gemälde' 2,246,12 (öfters im Fiesko), — Nymfe
= 'junges mädchen' 1,248,9. 270,93, — schimrig vgl. s. 398, — gothisch
vgl. s. 398.
Noch sehr üblich ist im 18. jh. eine Verbindung wie geht's Mädchen
mir vorüber 1, 267, 11, f^oh ihm vorüber 1, 107, 49; vgl. ging der Tugend
^Steige vorbei SG. 386, als er die Kirche vorbeikam Si. 2, 257, sein Haus
vorbeigehen Si. 5.^)
Diese Sammlung zeigt, was Behagliel, Sprachgebrauch und
Sprachrichtigkeit s. 25 bemerkt: 'Der lauf eines Jahrhunderts
ist lange genug, um in der spräche recht erhebliche Verände-
rungen hervorzurufen.'
Suevismen.
Zu dem bereits über dieses capitel gesagtem füge ich noch
folgende äusserungen Fuldas hinzu: 'Es ist kein schwäbisches
wort in dem munde des obersten lanclmanns so verzerrt und
rauh, welches nicht eines hochteutschen feinen anzugs fähig
1) Zeitu/ng = 'n&chrichV noch S. 5-, 175. 4, 232,23. 7,188,21. 8, 167,33.
191,15. 9,61,34. 12,194.
'■') So noch: an der Spritze einer jiarthie prangte S. 4, 281, 19, icli habe
seine Barthie gegen . . . genommen Br. 1, 99, 83, Herder hat meine Barthie
genoynmcn Br. 1, 384, 20, ähnlich in S. 7, 52, 4, Barthie nehmen S. 9, 382, 10
und öfters.
*) Vgl. ich fliege etw. vorüber S. 3, 164, 40, dich geht man vorüber
S. 11 ,162, 8, ging den Nachbar vorüber S. 7, 29, 12, die er vorüberging
S. 7, 320, 15, er war D. vorbei S. 8, 123, 10, die Instanz vorbeigehen S. 10, 108, 30.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 4l7
wäre . . . Ist es an sich edel, das ist, anpassend, kräftig, von
wichtiger nötiger bedeutung: was sollte hindern, dasselbe des
anzugs und der weit zu würdigen? . . . Dann das provinciale
an sich ist noch nicht das pöbelhafte . . . Wir wollen in ge-
meinschaft die hochteutsche oder schriftmäsige spräche be-
reichern' Ergözlichk. 1774, 2, 81 ff.
Zu den Provinzialismen gehört einmal der häufige gebrauch
des verbums thun.
Die Verwendung- von tliim ist dialektiscli eine viel häufigere und weitere
als in der modernen Schriftsprache; Schiller sagt: Widerstand ihim 2, 218, 19.
51,6, einen Schivur tlmn 2,332,25, einen Vistolsdmfs thun 2,169,18. 310,5,
M^uiulerkuren thun 1, 163, 10, Wünsche an Gott thun 1, 55, 24, einen Fang
thun 2, 155, einen Tanz thun 2, 333, 13, Thaten thun 2, 133, eine Wallfahrt
thun 2,19,9, eine Reise thun 1,261,35,4, Vorschlüge thun Br. 39, Meldung
thun Br. 49, 97. ')
Auf dem gebiet des Wortschatzes sind specifisch schwä-
bisch: nmimer = -nicht mehr' S. 1,200,46. 281,56. 341,28.
2,55,2. 221,7. 321,15; so im Schw. m. 1780, 536. Spr. 2, 37.
ST. 17. 83. SG. 25, 14 ;0 — Öhrn 2, 143, 4 (mhd. em; Paul, Wb.:
'südwestdeutsch mundartlich'); — Misipantscher 2,6,8; — ge-
pantscM 1, 345, 22 (vgl. Schmid, Schwab, wb. s. 41: hantschen =
'schlagen'); — einem ahMppen 2, 145, 19 (vgl. Schmid s. 302.
Fischer, Schwab, wb. 1, 33); — Schmaz 1, 352, 54 (Kluge: 'ober-
deutsch'; Schmid 470: = 'derber kuss'); — strumpfen 1, 233, 60.
305, 23. 253, 63 (Paul, Wb.: 'auch noch bei neueren süddeutschen
Schriftstellern'; Schmid 512);^') — mast 1, 130,60 (Schmid 376);
— liompen 1, 341, 4 (Schmid 85: 'mit zitterndem lautem ge-
räusch fallen'); — schellen 2, 134, 9 (Adelung: 'im oberdeutschen
braucht man es auch von kleinen glocken ');•*) — besprengen
2, 80, 15 (Schmid 504); — Schlamp 2, 6, 31. 30, 4 (DWb.: 'in
1) Widerstand thun S. 6, 363, 470. 8, 104, 14, Ehrerbietung thun 4, 275, 9,
Seereisen thun 4,238,16, eine Heise thun 6, 113,28. 7, 122,4. Br. 1,70,3,
Vorstellungen thun 4, 327, 19, einen Antrug thun 4, 97, 30, einoi Wurf thun
S.3, 158, Vorschlüge thun i,12'i. Si.2,154, Nachfrage thun S.i,2V6, Meldung
thun 4, 29. Br. 1, 145, einen Gang thim S. 3, 24. 207, ein Gestündnis thun
S. 3, 405, eine Frage thun 4, 215, 3, Versieht thun 6, 82, 8, Anzeige thun
Br. 5, 85, Entschiddigimg thttn Br. 1, 106, einem Vorstellungen thun S. 7, 159.
-!G2, Vorschlag thun Br. 4, 156, Antrüge thun Br. 6, 93.
*0 nimmer = 'nicht mehr' Br. 1, 199, 5. S. 11, 222, 50. Br. 3, 175.
*) strumpfen nur noch S. 3, 85, 1.
*) schellen noch im üang zum eisenhammer S. 11,203.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIll. 27
418 t^FLETDERER
AVürtteiiibei'g ist der Schi die weite schleppe des frauenrocks;
Selimid 464); — platschiafs 1, 349, 8 (im DWb. das einzige bei-
spiel; daß eigentliche schwäb. wort lautet jp/?- an; Schmid62);
— hermislangen (etwas aus der tasclie) 2, 4, 21 ; — lern mich
die Pfiffe 2, 84, 24 (Schmid 354: 'lernen, lehren');') — heben =
,halten' 2, 84, 6 (Schmid 267; vgl. Spr. 1, 125: 'das schwäb. pro-
vinzialwort hehen heisst = halten, festhalten'); — heben =
'aushalten, langen' 2, 84, 24; — wenn halt ... 1, 244, 14 (Schmid
256); — seid halt ... 2, 144; — so haben wir halt 2, 154;''^) —
Hochseiter 1, 188, 6. 2, 318, 22 M; — haudern 1, 213, 54 (Schmid
307); — verivettcrn 2, 142, 25 (Schmid 524); — Idechen 1, 349, 2
(Schmid 317); — heuer 1, 306, 33 (Paul, Wb.: 'süddeutsch volks-
tümlich, sonst veraltet'); — erschlappen 2, 162,24 (in Schwaben
mundartliche, für -schlaffen eingedrungene form); 3) — ausreuten
Hang, Z.461 (Paul, Wb.: 'süddeutsch'); — Spinnetvebe f. 1,234,28.
2, 341, 22. SG. 2, 235; — Spi^imveben 2, 183; — angehen = 'an-
brennen' 2, 96,3 (Fischer, Schw.wb. 1,204); — der Gelüst 1,251,7.
187, 35. Si. 2, 98. GR. 67 ;^) — unstrittiy 2, 379, 12 = 'unstreitig'.
Schw. m. 1775, 380. 1776,705. 1777,541. 1778, 976;-') — aus-
spreiten 2, 6, 31. 36, 15. 227, 15. 286. 133, 9 (Schmid 504); e) —
spreifst 1,354,38 (Schmid 504); — ein Eimer zivanzig Wein
2, 144, 11; vgl. so ein drei Wochen Si. 238;"') — difseln 1, 58,33;
— düfseln 2,32,10. 1,343,70 (Schmid 122); — verträtschen
2,261,5 M. 97,7. — vcrkrätscht 2,261,5 A (Schmid 421);«) —
zwirbeln 1, 213, 29 (Paul, Wb.: 'südwestdeutsch'; Kluge, Et. wb.:
'fränk.-elsäss.'); — Weidenstosen % 82, S (Schmid 512; Schiller
hat das wort von 1782 an in -Stumpen geändert); — glosten
2,62,28. 1,284,131 (Schmid 234); — //of?em 1, 230, 111 (Sclimil
196); — greinen 2, 199, 8 (Schmid: = 'verdrüfslich weinen';
•) ehien etw. lernen Br. 2, 267.
2) halt S. 3, 147, 16. 362. 364.
') Erschlappung S. 3, 578, 6, Schlappheit Br. 1, 399, 2. 3, 81, vgl. schlapp
SO. 99.
*) der Gelüst S. 3, 20. 31. 89. 389. 565. 5', 9, 88, das Gelüsten s. S. 5 im
glüssar.
"•) strittig S. 3, 379. Br. 2, 187. 4, 70.
«) spreiten S. 3, 77. 261. 569.
') ein zivanzig Pfund S. 11, 19, 19, ein 8 Tage Br. 7, 39, ein 14 Tage
Br. 5, 359, ein 20 Louis S. 3, 553, ein 4 oder 6 Wochen Br. 7, 93.
«) Getratsch S. 3, 366, 8, getratscht S. 13, 424 (Tur.).
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 419
Frisch: 'wird in Oberdeutschland, sonderlich im alem. dialekt,
vom weinen der weiber und kinder gebraucht'); — grieseln
2, 293, 61 (Schmid 241); — laufen = 'gehen' 2, 166, 1. 305, 17.
Si. 166. 2,13; — ^i^rm^/ew = 'laufen' 2, 180, 15. 143,4; —
schmollen = 'lachen' 2, 129, 11. 284, 21 anm. M. 32,7. 1, 284, 145.
240, 112 (Schmid 472). Schw. m. 1775, 206;') — ivirJclich =
'gegenwärtig' 2,391, 15. 41,7. 1,21,30. Br.58, 13. SO. 201; 2)
— Narr, einen Spafs 2,118,16. 79,18 (vgl. Birlinger, So sprechen
die Schwaben s. 97: '(?« Narr! in der rede nicht beleidigend;
Narr wird als partikel betrachtet'); — auf des alten Herrn
seinem Sclnveisfuclisen 2, 144, 3 (eigentlich schwäbisch wäre:
auf dem . . . Herrn seinem Sclm-.); vgl. des Lateiners seines Spr.
2,279; der Welt ihr Bruder Schw. m. 1775, 711; 3) — einen ab-
//Mm2, 94, 6 (Adelung: 'oberdeutsch'; vgl. Fischer, Schwab, wb.
1,80); — zumal = 'gleichzeitig' 1,124,130. 144,30. 159,24.
2,92. 184. 63. 243,30. 257, 22;^); — Trillen, Triller 1,212 ff.
351 (Schmid 140); — sich brennen 2,155 (Schmid 96); — da-
zumal 2, 312, 10; — in Grunds-Boden geschlagen 2, 142, 24;^) —
in aller Jast 2,126,3 (Sclimid296); — hasselieren 2,80 (bei Haus-
leu tner, Schwab, archiv 1790 im Schwab. Idiotikon s. 330 ver-
zeichnet); — durchivamsen = 'prügeln' 1, 251, 5 (ebenso als
Schwab, angeführt ebda. s. 338); — Kunkel 2, 155, 18 (vgl. Br.
2,66: 'wie der Schv>'?ibe ssigt, ander Kunkel haben^); — pflumpf
2,34,3 (Schmid 63); — das Schief sen zu Hornberg 2,32,15;
— ich bin gestanden 1,200,17. 2,66,9. 247, 4 M;«') — bröUen
2,159,23 in B und 0 (Schmid 95); — schottein Haug, Z. 458
(Schmid 476); — Aufstreich, Aufstrich 2,241,27. 30,1. 44,14
(vgl. Fischer, Schw. wb. 1,426); — Urehni Arch. f. lit.-gesch.
9,282 (Schmid 23);') — zündeln 1,255,122 (Schmid 552); —
zündet hieher 2,190,7 (Paul, Wb.: 'oberdeutsch'; Schmid 552);
») schmollen S. 3, 84, 17. 106. 285, 18. 7, 183, 7 (vom jähr 1788).
») tvirklich = 'gegenwärtig' S. 3, 75, 3. Br. 3, 432. 7,97.
^) hinter des Chinesen seinem Baisonnement Br. 5,323, anf der Fortuna
ihrem Schiff S. 12, 3t, des Teufels sein Angesicht S. 12, 45, an des lllo seinem
Stuhl S. 12, 1G9.
*) zumal S. 3, 199, 18. 127, 9. Br. 1, 331, 3.
^) m Grnnds-Boden schlagen Br. 4, 427.
^) ich bin gestanden S. 9, 191. 10,12,13 (aber hatte gestanden schon in
S. 3, 541, 25).
') Ehni S. 14, 370 (Teil).
27*
420 PFLEIl^ERER
— Tfennhui 2.17,44 in den auflagen von 1782—1799; Ffen-
ning bei Fulda, GK. 66;') — Btihe = 'knabe': da ich noch ein
Buhe ivar 2,272,19; Buhenlehen 2,284,19; Buben 1,269,74;
Buh 1,299,65,1; Buhcntage 1,353,13 (Sclimidl03);2) — ahe,
ahe! 2, 144, 22; vgl. Spr. 2, 236, anm. 2: ^Jcomm ahe, sagen unsere
bauren, für: komm herab'.
Hielier gehört auch das fremdwort exponieren 2, 29, 4, das
der württembergischen schulsprache angehört; vgl. darüber
H.Fischer, Sprachliche einzelheiten zu Schillers dramen, Viertel-
jahrsschrift für lit.-gesch. 1893, s. 306.
Ich bin am ende meiner ausführungen. Dass das thema
nicht nach allen selten erschöpfend behandelt ist, ist mir wol
bewusst. Aber da, wo mir am meisten zu mangeln scheint,
dürfte am ehesten eine besondere arbeit die lücke ausfüllen:
eine eingehende Untersuchung der Schriftsprache in SchAvaben
um 1780, vielleicht bis lang nach 1800 (vgl. die citate aus
Gaylers Deutscher declination, von 1835). Das Studium der
spräche des jungen Schiller und der gleichzeitigen literarischen
bewegung in Schwaben hat uns gezeigt, dass die deutsche
gemeinsprache in Schwaben vorläufig noch weit entfernt war,
die herschende literärspraclie zu sein. Wie sehr dies der fall
war, das wird erst die sprachliche Untersuchung von möglichst
vielen schwäbischen Schriften jener zeit aus allen möglichen
gebieten des geisteslebens lehren. Wie lang es noch dauerte
bis zum vollständigen 'sprachlichen anschluss des Südens an
den norden',^) darüber gibt die vorstehende abhandlung noch
keinen aufschluss. — Ueber die Provinzialismen in Schillers
späteren werken gaben die anm. andeutungen, aber nur wenige;
denn aus der menge der suevismen, die in Schillers späterer
spräche begegnen, kamen für uns nur diejenigen in betracht,
die schon in S. 1 und 2 vorkommen.
Es erübrigt noch auf eine abhandlung hinzuweisen, von
der ich erst durch die redaction der Beiträge erfuhr, als meine
1) Pfenning S. 7,6,6. 9,41,1. Br. 5,429, Noth2)fenning S. 3,488,15,
Geusenpfenning S. 7, 201, 20. 210, 6.
*) Bube = 'knabe' S. 12,21. 13,312.
^) Vgl. Kluge, Von Luther bis Les.sing s. 144.
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 421
arbeit bis auf den scliluss fertig gedruckt war. Es ist die
in den Jahresbericliten für neuere deutsche literaturgeschichte
9,1,6 angezeigte dissertation von F. M. E. Kascli, Mundart-
liches in der spräche des jungen Schiller, Greifswald
1900 (78 s.). Es ist klar, dass die beiden jetzt vorliegenden
bearbeitungen der Schillerschen spräche sich in vielem be-
rühren: das konnte nicht anders sein. Aber sie decken sich
nicht. Kasch hat das material für seine darstellung den fünf
ersten bänden der Gödekeschen ausgäbe entnommen, sowie
den vollständigen ersten band der kritischen brief ausgäbe;
seine arbeit umfasst also einen viel grösseren Zeitraum als die
meinige. Demnach ist auch der inlialt der Untersuchungen
ein verschiedener. Kasch zeigt, dass Schiller mundartliches
in seiner spräche benützt hat, und was an mundartlichem
bei ihm zu eruieren ist; was er aus andern schwäbischen
dichtem — "SVeckherlin, Schubart, Hang, Uhland, also dichtem
verschiedener zeiten — beigezogen hat, sollte, wie er selbst
sagt, seinen blick 'für alles, was in betracht kam, schärfen',
d. h. wol, davon überzeugen, dass die betreffenden formen und
ausdrücke mundartliche eigentümlichkeiten sind. Ich hatte
nicht bloss auf das mundartliche zu achten, sondern hatte den-
selben nachdruck auf andere eigentümlichkeiten von Schillers
spräche zu legen, wie archaismen, charakteristica der spräche
des. ausgehenden 18. jli.'s u. a. Bezüglich des mundartlichen
wollte ich zeigen, dass Schiller nicht etAva mundartliches 'be-
nutzt' hat, sondern dass er als Schwabe in seiner zeit nicht
anders schreiben konnte als er tat, dass er, so lange er in
Schwaben lebte und schrieb, nicht der deutschen gemein-
sprache, sondern einer ganz specifisch schwäbischen
Schriftsprache sich bediente (vgl. s. 277). Für mich kam
Schiller meistens weniger als selbständiger Schriftsteller, denn
als repräsentant der damaligen schwäbischen Schriftsprache in
betracht. Deshalb habe ich auch in den belegen, abgesehen
von kleinigkeiten, nur gleichzeitige Schwaben citiert: Schubart,
Haug, Miller, Nast, Fulda, sowie die verschiedenen Verfasser
von artikeln in Haugs Schw. m.
Es ist hier nicht der ort, Kasch's arbeit eingehender zu
besprechen. Ich möchte nur noch auf einzelne punkte hin-
weisen, in denen unsere resultate differieren. Kasch teilt ein
422 PFLEIDEREK
in wortgebraucli, laute, formen. Dem mundartlichen wort-
gebraueh sind volle 31 selten gewidmet. Das rührt einmal
daher, da.ss aus S. 3 ff. noch sehr viel entnommen werden
konnte, wol besonders aus Kabale und liebe. Dann aber hat
Kasch zu viel würter als 'mundartlichen wortg-ebrauch' an-
geführt. Ich setze voraus, dass 'mundartlich' beim jungen
Schiller mit 'schwäbisch' zu identifi eieren ist, abgesehen von
einzelnen fällen, in denen Kasch selbst die attribute 'sächsische'
U.S.W, mundart beifügt. Er bringt sehr viele citate aus S. 1
und 2, die in meiner Sammlung von suevismen nicht zu lesen
sind. Kasch hat nun ja wol recht, w^enn er in den Vor-
bemerkungen sagt, dass ein Norddeutscher viel unbefangener
der spräche und dem wortgebrauch Schillers gegenüber stehe
als ein Schwabe, und zwar wol ganz besonders hinsichtlich
des Wortgebrauchs. Nicht viele werden sich ganz genau
daiiiber rechenschaft geben können, was in ihrem Wortschatz
dialektisch ist, nicht dem Wortschatz der Schriftsprache an-
gehört. Zur feststellung des mundartlichen d. h. schwäbischen
materials hat Kasch die verschiedenen idiotica Oberdeutsch-
lands benützt (schwäbisch, schweizerisch, elsässisch, bairisch),
und dann offenbar angenommen, dass, was in einem dieser
Wörterbücher für das betreffende Sprachgebiet als mundartlich
aufgezeichnet war, auch für Schwaben mundartlich sei. Diese
methode ist nicht zu billigen, und Kasch führt daher auch
manches unter obiger rubrik an, was Schiller nicht aus seiner
mundart kannte, Ich habe die bei Kasch verzeichneten citate
aus S.lund2, die ich nicht angeführt habe unter den 'suevismen',
nach dem bis jetzt vorliegenden teil von H. Fischers Schwä-
bischem Wörterbuch (5 lieferungen, von Ä bis Sein) nach-
geprüft; darnach ist mir entgangen ausgemergelt S. 2, 166. 306
{bäumen S. 1, 41. 200), heJmlf 2, 369. 382; dagegen sind bei
Fischer teilweise überhaupt nicht angeführt, teilweise als
'nicht populär' u. ä. bezeichnet (vgl. die betr. citate bei Kasch
s. 3 — 7): abgelegt, all {der Wein ist all 2,115, was bei Fischer
ausdrücklich 'norddeutsche ausdrucks weise' genannt wird),
angaffen, anrufen, Aniverbung, Auflauscher, aus {Spott treiben
aus), ausreichen = 'zureichen', ausivitschen, aufsen {ihr dort
aufsen; vgl. Fischer: 'modern nur noch von der aussenseite
eines dinges; für etwas ausserhalb [getrennt davon] befind-
SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER. 423
liches vielmelir ... ihmss[cn] imd Jiausscn'), J^alg, begaßen. —
Ferner hat Kasch manches unter der riibrik • wort gebrauch',
was ich bei der lautlehre, formenlehre, archaismen u.s.w.
bringen zu müssen glaubte (z. b. dar, ch, als, hälder, gerner \
heede, zween, zwo, Bissei; denn — dann, rauch etc.; subst. von
auffallendem genus, wie Anker, Angel, ChoJcolade, Gift u. a.).
Zum capitel 'laute' Hesse sich im einzelnen manches
sagen, wo dem Verfasser eben die genauere kenntnis der ge-
sprochenen mundart nicht zur Verfügung stand. Bei h — p,
d — t nimmt er s. 51 — 53 (wol nach dem Vorgang von AVagner
u. a.) einen unterschied in 'stärke und dauer der verschluss-
bildung' an; das ist zurückzuweisen; vgl. s. 317. Auf die
5-laute, in bezug auf die ich mich mit einer kurzen bemerkung
s. 290 begnügt habe, hat sich Kasch s. 53 in dankenswerter
weise etwas näher eingelassen; Ordnung bringt man übrigens
auch auf dem von ihm eingeschlagenen weg nicht in die
Schreibung der 5 -laute; doch hat er, was ich (ausser s. 317)
ausdrücklich zu bemerken versäumt habe, deutlich darauf
hingewiesen, dass diese Verwirrung davon herrührt, dass "vnr
Süddeutsche nur stimmlosen 5- laut kennen. — Ueber das
svarabhakti-e (s. 316), sowie über manches andere aus der
laut- und formenlehre ist K. stillschweigend weggegangen; und
doch sind diese dinge wichtig für die geschichte unserer
Schriftsprache. Bezüglich der attributiven adj. olme flexion
(Kasch s. 67) und des rückumlauts (Kasch s. 69) verweise ich
auf meine bemerkungen s. 354 und 382 f., in denen ich zu
zeigen suchte, dass Schillers Sprachgebrauch in diesen punkten
auffallenderweise tatsächlich gerade den mundartlichen formen
entgegengesetzt ist. Beim verbum tun führt K. sowol Ver-
wendungen wie jener thät haben etc. als auch die häufige Ver-
bindung von tun mit einem subst. zur Umschreibung eines
verbalbegriff s als mundartlich an s. 27 und anm.; das letztere
ist richtig, vgl. s. 417, allein das andere ist nur ein archaismus,
vgl. s. 375, absolut kein suevismus, da wir ja gar kein praet.
in der mundart haben.
TÜBINGEN. W. PFLEIDERER.
424 PFLEIDERER, SPRACHE DES JUNGEN SCHILLER.
Inhalt.
Seite
Einleitung 274
I. Zur Orthographie 278
Orthographie der vocale s. 281 ; — der consonanten s. 289 ;
— der frenidwörter s. 292; — resultat s. 293; — über
majuskel uud minuskel s. 294
n. Zur lautlehre 295
A. Vocalismus der tousilben 295
Umlauts. 295; — u—o s. 299; — dürfen s. 299; — zu
den reimen s. 300; — qualität der vocale s. 300; —
quantität der vocale s. 305
B. Vocalismus der nehensilben 307
Das -e der nachtonsilben s. 307; — vorsilbe ge- s. 315;
svarabhakti-e s. 316
C. Consonantismus 317
Anhang: Die schwäb. reime in nachschwäb. zeit. . . 326
III. Zur formenlehre 327
A. Zur flexion des subst 327
Umlaut s. 327; — endungen der subst. s. 328; — dat.
plur. s. 328; — masc. s.329; — ueutr. s. 337; —
fem. s. 339; — plur. auf -s s. 341; — flexion der
fremdwörter 8.342; — declination der eigennamen
s. 346; — gen. der subst. s. 348
B. Zu den adjectiven 351
Zur flexion des adj. s. 351 ; — Steigerung s. 355
C. Zu den Zahlwörtern 356
D. Zum prouomen 359
E. Zur flexion des verbums 366
I. Vocalveränderungen innerhalb der st. flexion . . . 366
1. Vocale der präteritalformen 366
2. Vocalverschiedenheiten in den präsensformen . . 370
IL Consonantische einzelheiten 375
ni. Berührung zwischen starker uud schwacher conj. . 375
IV. Rückumlaut 382
V. Bildung des part. praet. durch die vorsilbe ge- . . 384
F. Zu den flexionslosen Wortarten 384
Präpositionen 389
Anhang: Ueber Wortbildung und wertschätz 393
A. Bildung von Wörtern durch ableitung 393
B. Bildung von Wörtern durch composition 403
C. Wortschatz 412
Archaismen s. 413; — suevismen s. 416.
ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS VON EMS.
V. Junk hat in diesen Beitr. 27, 446 — 503 'Untersuchungen
zum reimgebrauch Rudolfs von Ems' vorgelegt, an deren füh-
rung und an deren ergebnisse ich einige bemerkungen an-
schliessen will. Die arbeit Junks baut sich auf ein vollständiges
reimwörterbuch des gGerh. und des Bari, auf in richtiger
erkenntnis, dass die Untersuchung nur so im stände ist, soavoI
ihr thema auszuschöpfen, als auch reimmöglichkeit und sprach-
möglichkeit gegeneinander abwägend und aneinander beleuch-
tend resultate zu gewinnen, die nach dem grade ihrer Sicher-
heit oder Wahrscheinlichkeit genau umgrenzt sind und vor aller
misachtung oder nichtbeachtung geschützt bleiben. Man kann
nun solche Untersuchungen über spräche und technik mhd,
dichter am vollständigen reimmaterial nach zwei richtungen
hin vornehmen. Entweder man untersucht einzelne erscheinungen
an einer möglichst grossen reihe oder einer organisch begrenzten
gruppe von autoreu, wie z. b. meine Mhd. Studien (Zs. fda. 44
und 45) dies getan haben. Oder aber man untersucht die
sprach- und reimeigentümlichkeiten eines einzelnen autors. In
diesem letzten falle aber muss man m. e. die eigentümlichkeiten
des einen autors, auf den man sich beschränkt, soweit sie eben
aus den reimen erkennbar sind, vollständig alle dem material
abzuringen trachten. Und dann dürfen in der Untersuchung
auch niemals die so wichtigen Schlüsse ex absentia fehlen: denn
nicht nur was der dichter reimt ist sprachlich bemerkenswert,
noch viel mehr interessiert oft was er nicht reimt, was aber
andere Zeitgenossen oder landsleute zu reimen nicht ver-
schmähen. Geht man bei einer arbeit über spräche und reim-
technik eines einzelnen dichters nicht auf möglichst genaue
Vollständigkeit wenigstens der grammatischen ergebnisse aus,
so hat man eigentlich die grosse arbeit des reimwörterbuchs
426 ZWIERZINA
umsonst auf sich genommen und legt schliesslich ein durchaus
lückenhaftes bild von des behandelten dichters spräche vor.
Das haben so viele einleitungen zu nachlachmannischen mhd.
ausgaben in ihren sprachlich-metrischen partien, so unglaublich
oberflächlich diese auch oft waren, am ende auch noch zu wege
gebracht. • Gerade Junk sagt uns an der spitze seines auf-
satzes, dass er durch seine arbeit den künftigen herausgebern
der noch unedierten werke Rudolfs die sprachliche grundlage
für die textkritik schaffen wolle. Da er aber nun die dem
reimwb. zu entnehmenden Spracheigentümlichkeiten des gGerh.
und des Bari, auch nicht annähernd erschöpft, so muss ein
zukünftiger herausgeber Rudolfischer werke, falls seine gründ-
lichkeit ihm derlei überhaupt gebietet, spräche und reime auch
dieser älteren gedieh te doch noch einmal untersuchen; und da
auch die von Junk unterlassenen beobachtungen nur am ge-
sammten reimmaterial zu machen sind, sich auch für diese
gedichte wider ein reimwb. anlegen und so eigentlich die
ganze arbeit von neuem machen. Junk jedoch hätte bei
genauerer er wägung alles dessen, was not tut, und weiserer
ausnützung des raumes mit durchaus gleichem und nicht
grösserem arbeitsaufwand auf gleichem räum abschliessendes
bieten können.
Weite des gesichtsfelds der beobachtung ist aber nicht
das einzige, was ich an Junks arbeit vermisse. Da man nun
erwarten darf, dass dieser arbeit andere ähnlicher richtung
folgen werden, so sei es mir erlaubt, die methodischen an-
forderungen, die ich an solche reimuntersuchungen über die
spräche eines einzelnen mhd. dichters stellen möclite, hier zu
specificieren. Ich werde diese anforderungen dabei exemplifi-
cieren an Rud. v. Ems und Junks Untersuchung. Die letztere
wird dadurch in eine ungünstige position gedrängt. Deshalb
erkläre ich hier ausdrücklich, dass ich den grossen fleiss, die
trefflichen einzelerwägungen, das ehrliche streben, die relative
Zuverlässigkeit der angaben Junks wol zu schätzen weiss und
vor allem zu schätzen weiss die tatsache, dass Junk hier zu-
erst die Untersuchung von spräche und reim eines einzelnen
hd. dichters des 13. jh.'s wider auf jene wege leitet, auf die
uns zuerst Steinmeyers Pleierrecensionen (GGA. 1887, 21.
1893, 3), ferner Steinmeyers rectoratsrede über die mhd. epi-
ZUM REIMGEBRAÜCH RUDOLFS VON EMS. 427
theta vom jähre 1889 und sein kurzer aufsatz Zs. fda. 34, 282 f.,
dann aber auch — nicht zu vergessen — Fischers Tübinger
Universitätsprogramm Zur geschichte des mhd. vom jähre 1889
gewiesen haben, wege, die Kraus und ich dann gegangen sind.
Z. t. waren das auch die bahnen Lachmanns und Haupts, denen
unter ihren schillern eigentlich nur Sommer gefolgt ist. Aber
für Lachmaun und Haupt begrenzte sich dialektisches und
schriftsprachliches, sprachliches und technisches doch vielfach
anders als heute für uns.
Vollständige Sammlung des ganzen reimmaterials also ist
natürlich Vorbedingung einer Untersuchung, wie Junk sie an-
stellt; und aufgrund dieses Überblicks über das gesammte mate-
rial die sorgfältige abwägung des für den dichter überhaupt
reimbaren, des leicht oder nur schwer oder gar nicht im reim
verwertbaren. Diese Vorbedingungen hat Junks aufsatz
erfüllt.
Dann aber müssen erstens sämmtliche grammatisch inter-
essanten bindungen verzeichnet und verwertet werden. Junk
hat eigentlich nichts getan, als die von Kraus und mir in
unsern beitragen zur Heinzelfestschrift 1898 angeschnittenen
fragen auch für Eud. zu beantworten versucht. Hätte Junk
nur dies als ziel seiner arbeit angegeben, so hätte man diese
enge begrenzung der ausnützung eines reichen materials be-
dauern, aber hätte sie noch hinnehmen können. Aber die
'sprachliche grundlage' für die kritische herstellung Eudol-
fischer texte wird so nicht geboten und von einem 'gramma-
tischen compendium zu Rudolfs Sprachgebrauch' darf man mit
bezugnahme auf solche forschung nicht sprechen, denn Kraus
und ich haben in den beiden oben genannten aufsätzen unser
material nur zur beleuchtung der fragen nach der autorschaft
des 2. Büchleins und nach der existenz einer mhd. dichtersprache
verwertet. Um nun die f orderung nach Vollständigkeit der
beobachtung zu erfüllen, ist zunächst notwendig eine genaue
kenntnis der details der mhd. grammatik: wofür existieren
doppelformen, wofür nicht? Ueberall dort, wo die reimform
nicht fürs gesammte mhd. feststeht, ist das verhalten des be-
handelten autors, also sagen wir immer Rudolfs, festzustellen.
AVir wissen z.b. also, dass sclioz 'iaculura' und sloz 'claustrum,
castellum' im mhd. bald uiit kurzem, bald mit langem o gebraucht werden.
428 ZWIERZINA
schöz und slöz sind nun sehr leicht reimbar, sei es auf die nomina blöz,
gröz, genöz, stöz, döz, schöz 'gremium', sei es auf die praeterita göz, döz,
schöz, slöz, genöz u.s. w. Dagegen findet man für sloz kaum ein anderes
reiniwort als schoz und für schoz kaum ein anderes als sloz. Verwendet also
ein dichter z. b. das wort sloz, setzt es aber immer ins zeileninnere, so hat
er wahrscheinlich slöz gesprochen, für das sich schwer der reim fand, und
nicht slöz, das er so bequem hätte binden können. So war slöz also etwa
Hartm.'s form, eben weil bei ihm kein beweisender reim für slöz vorhanden
ist (s. Lachmann zu Iw. 505 und dazu Iw. 505. 5545). Noch sicherer dürfen
wir schliessen bei dichtem, die weder schoz noch sloz je auf bequemes -öz
reimen, wol aber schoz und sloz selbst miteinander binden. Zu diesen
dichtem gehört Rudolf, der Bari. 2, 25 Din tcort ist aller (lingc sloz reimt
zu hlicschoz und sonst kein sloz oder schoz je zn gröz, blöz u.s. w. Pfeiffer
druckt slöz : hlicschoz mit längezeichen, was also falsch ist. Der citierte
reim war daher zu verzeichnen. Aehnlich hatte schon Haupt für Konrad
V. Würzb. geschlossen zu Engelh.475: 'sloz habe ich ohne circumflex gelassen,
weil ich bei Konr. dieses wort nur auf schoz (iaculum) gereimt finde, Trojkr.
38649 (s. ferner Parton. 1653), beide worte aber nicht auf ein entschiedenes
-öz\ Auch für Wolfr. vermute ich kurzes o in diesen worten. Nur einmal
reimt Wolfr. sloz 'claustrum' Parz. 440, 15 und da zum subst. vloz, das
ja auch ebensogut o als ö haben kann. Und dieses vloz reimt sonst nur
einmal in zweisilbigem casus vloze zu geschoze (dat.) Wh. 431, 9. Dem
widerspricht freilich die bindung dieses geschoz 'iaculum' mit gröz Wh.
324,3. Aber ich meine, dass wir nach der Sachlage in dem letzten fall
einen der bei Wolfr. ausser vor t (und rt) auch vor c?i nicht seltenen un-
reinen reime von o zu ö anzunehmen haben und geschoz mit kürze anzu-
setzen ist. Bei Rud. und Hartm. hat freilich subst. vlöz langen vocal (s.
die belege im Mhd. wb. 3, 349 b) im gegensatz zu sloz (und schoz). Und
auch klöz sagt Rud., nicht kloz, wie die bindung göz : ein erde klöz beweist;
denn so ist Bari. 321, 32 zu lesen und Pfeiffers ein erde blöz ist wol nur
ein aus Köpkes ausgäbe (319,8) übernommener druckfehler. Auf kurzes
-oz lässt auch für Ulr. v. Zatzikh. die bindung tvolkenschoz : geboz 'schlag'
Lanz. 1483 als die einzige ihrer art schliessen, s. Lachmann zu Nib. 1823, 2.
sloz und schoz in der Mart. 107, 91. 158,23. 205,25; dagegen sZö^ bei Wirnt
288, 30. So oder so jedoch, ein im reim stehendes sloz oder slöz, schoz oder
schöz ist stets zu verzeichnen.
Da die dichter zcmt zende, zun zende oder zan zene reimen, so ist zu
constatieren, dass Rud. nur ^-aw (Bari. 32, 15) ^-ewe (Bari. 88, 33) reimt: auch
nicht zäne, sondern zene.
Ferner gehört Rud. zu den Alemannen des 13. jh.'s, denen, wie Ulr. v.
Zatzikh., inlautend t und tt nach kurzem vocal zusammenfallen: Rud. reimt
enmitten : siten Bari. 68, 27. 340, 5, spotte : gote Bari. 184, 13. 206, 21 u. ö.,
spotten : goten 247, 31 u. ö. Das ist durchaus nicht allgemeiner gebrauch,
nicht einmal der gebrauch aller Alemannen; eine solche bindung wäre bei
Hartm., Gottfr., Ulr. v. Türh., Konr. v. Würzb. unerhört, s. Zs. fda. 45, 46, anm.2.
111, anm.2. Die bindungen von Uten sind für Rud. indifferent, Hartm. und
Gottfr. sagen nur biien, Ulr. v. Türh. widerum auch bitten. Kein wunder nun,
ZUM REIMGEBRAÜCH RUDOLFS VON EMS. 42Ö
dass Rud. auch ges^preiiie, praet. : (jereite, adv. gGerh. 4933, verleiite, praet. :
arbeite, suhst. Earl. 227, 9 reimt iiiul auch nach länge /( von t nicht scheidet,
was Stricker, Wolfr. und Keinbot entschieden tun, s. Zs. fda. 45, 8(i, anm.
Für sohle, tcolde Eudulfs statt der ausschliesslich gereimten solie, ivolte
anderer, z. b. Flecks, werden von Juuk s. 482 die beweisenden biudungen
zusammengestellt. Ebenso interessant ist aber auch Rudolfs die schilde
: gevilde gGerh. 5927. Denn die reimform schilde kennen dichter, die nicht,
wie etwa Ulr. v. Zatzikh., allgemein erweichung jedes t nach liquida be-
legen, also auch milde (a. iiiilte : bcvilte, praet. Bari. 12, 25, vilten, praet. zu
rillen : spilten, praet. Bari. 72, 21; aber natürlich i/We : «f/We Bari. 54, 13
U.S.W.), halden, manicvalde, der aide, gen. pl. gezclde, von arde, er gerde
u. dgl. m. reimen, in der regel nicht. So sagt Hartm., dessen spräche mit
der Rudolfs, wie Junk freilich nur etwas zu stark betont, so manche be-
rührungspunkte aufweist, nur schilte sowie viilte und reimt beide getrennt
von wilde, bilde, gevilde; dagegen durchaus dulden (s. Anz. fda. 22, 187, anm.),
sowie auch Rud. "(s. Bari. 88,25. 213.1. 275,23. 382,27). Noch Konr. v. Würzb.,
ja noch dem Verfasser des Reinfr. bleibt schilde oder milde ganz fremd.
Sehr zu loben ist es, dass Junk in einer besonderen folge von §§ die
praeteritcipraeseutia und athematischen verba der reihe nach bespricht.
Aber auch hier sind doch sämmtliche sprachlich interessanten formen, die
der reim festlegt, vorzuführen. Also auch du mäht Bari. 18, 3. Bekannt-
lich hat Lachmann u. a. auch wegen eines solchen du mäht im reim das
lied Wolfram s. xii, vorr. dem dichter abgesprochen, Behaghel, (ierm. 34, 489
aber do gegen remonstriert und darauf hingewiesen, dass da mäht z. b. auch
in Hartm. 's reimen felile, dabei aber den beleg 1. Büchl. 675 übersehen.
reellen fehlt bei Junk ganz, und doch war nicht nur darauf hinzu-
Aveisen, dass Rud. zu ivellen die 2. pl. als ir weit reimt (gGerh. 1393. Bari.
69, 23), nicht aber stelt neben stellen setzt oder stilt neben stillen u. dgl. m.,
sondern vor allem auch darauf, dass Rud. die 2. sg. constant als du wilt
reimt (gGerh. 1509. 2781. 6255. Bari. 233,23. 247,5), sowie Wolfr. (s. Parz.
304, 29. Wh. 149, 25), nicht etwa als du wil, sowie z. b. Wirnt (s. Wig. 6850.
10230), und auch nicht wil (Büchl. 45. 1173) neben wilt (Er. 7182. 8812) setzt,
wie Hartm., für den es dann charakteristisch ist, dass er die form, deren
'richtige' reimgestalt ihm schwankt, seit dem Greg, zu reimen meidet.
Und warum erwähnt Juuk im anschluss an s. 484 f. nichts darüber, dass
Rud. zwar den iuf. lau (prägnantes W^e«, inf. oder part., z. b. gGerh. 2759.
3669. 6385, conj. hhe Bari. 127, 17) zu giin und stän stellt, aber nur zu
ersterem ein part. praet. erhhi, rerlän (s. z. b. gGerh. 4951. 5329. 6197 u. ö.
Bari. 2, 15. 9,3. 101,7 u. ü.) bildet und kein yeyun oder gesteint
Ueber noch viel erheblichere ausfälle hier und in bezug auf die Hexion
des verbum subst. werden wir noch zu sprechen haben. Aber bleiljen wir
bei der flexion, so ist nicht abzusehen, warum Junk kein wort über das
vorkommen der 2. pl. praes. auf -e/;< (bez. -nf) bei Rud. verliert. Rud.
belegt ir jehent gGerh. 31, ir sigent Bari. 226, 3 neben ir gert gGerh. 1427,
saget, imp. gGerh. 1359. 5299 u.dgl.m. Aber er belegt nicht /;• <«ü>i< (etwa
im reim zu stuont), sondern nur ir tuot gGerh. 2122. 5591. 6899 u. ö., tuot,
imp. 3819, es findet sich auch kein //• gänt, stünt, hihtt und kein //• sint,
430 ZWIERZINA
auch nur /> weit (s. oben). Rud. verhält sich also ähnlich wie Hartm., s,
Lachm. zu Iw. 836.
Dann, vielleicht im anschluss an gesät — gesetzet, wäre zu besprechen
gewesen, dass Rud. zwar das part. bedaht des öfteren reimt (gGerh. 1815.
5045. Barl.'48, 15. 54, 29. 75, 35. 91, 19. 210, 7. 311, 33. 391, 3), aber keinen
beweisenden reim für hedahte u.a. (: ahte, trahte n. s.w., stn'hte : rihte, phlihte
U.S.W.) aufweist, sondern nur die indifferenten erschracte : erwacte Bari.
204,9 bindet, nun wider im gegensatz zu Hartm. (s. Anz. fda. 22, 187).
Das part. gegast gGerh. 5741 zu int', gesten Bari. 217, 5 ist ebenfalls
interessant.
Das nebeneinander der praet. säte Bari. 41,11. 352,35, hluote 65,15,
auch des conj. praet. sat-e 162, 13 und andrerseits des ind. praet. erglüete
Bari. 215. 25. 300, 13 ist nicht ohne interesse. vmoten : luoten Bari. 378, 23
bleibt indifterent. Im part. hiess es wol gedrcet : gencet Bari. 163, 17, nicht,
wie Pfeiffer druckt, gedmt : gendt.
Auch zum capitel über die declinatiou wäre manches nachzutragen:
in mittes tages schin (dat.) : daz lümheUn Bari. 278,5, der abgot (geu.pl.)
: gebot (acc. sg.) Bari. 342, 5 u.dgl. m. boten bei einem dichter, der nicht
apokopiert, immerhin bemerkenswertes. Ebenso der flectierte pl. genöze
gGerh. 5711. Bari. 200, 18 neben älterm genöz. Ueberhaupt wäre bei jedem
dichter die durch den reim bezeugte Hexion von man, im gegebenen fall
auch vriioit, vater u. s.w., ferner von fuoz (zefuoz, fuoze fi'teze), sie sige,
hüs (zehus), site (ze beider s/t), icise w/s, slahte sJaht u. s.w. stets festzu-
legen, ferner auskunft zu geben über schw. oder st. llexion von erde (stets
st. bei Rud.), bare und ähnlichen femininen. Auch ztvö, wie Riid. für das
femininum des uumerale ausschliesslich sagt und reimt (gGerh. 2665. 2679.
3937. Bari. 119, 21), ist im mhd. nicht alleiugültige form, andere 'gute'
dichter reimen zivä (z. b. Stricker) oder zinio (z. b. Wolfram, Ulr. v. Türh.).
Wenn ein dichter den dat. pl. des pronomens der zweiten person im
reim belegt, wie Rud. (an iu : in drin Bari. 232,35), so ist auch dies
nicht zu übersehen. Denn es ist gar nicht so ausgemachte sache, dass die
Scheidung von iu und itieh in der ersten hälfte des 13.jh.'s noch allgemein
war. Ich kenne hd. hss. aus dem anfang des jh.'s, die auch für den dat.
nur iuch schreiben. Freilich lässt sich ein iuch, sei es dat., sei es acc,
durch reime nicht leicht feststellen.
Sind Schliesslich bindungen wie umt <iumbet : samt <C. saviet Bari.
386,3.19 nicht sprachlich bedeutungsvoll? zwir, nicht ztcirent, ist im
reim belegt gGerh. 1831. 3533 und ,s Ci reimt unzählige male, steht auch oft
genug im versinnern so überliefert (und nicht nur in sd zehant und sä
zestunt), niemals aber reimt sän und niemals auch iesu, so dass sich Rud.
da ähnlich wie Hartm., ganz anders als Wolfr. einerseits, Gottfr. und etwa
Stricker andrerseits verhält.
Zweitens sind aber nun auch Schlüsse ex absentia nie
zu verabsäumen. Darin ruht ja hauptsäclilich der grosse vor-
teil des Yoll>^tändigen reimwb., dass wir aus ihm jeden augen-
blick mit Sicherheit constatieren können, was beim dichter an
ZUM REIMGEBRATTTI RUDOLFS VON EMS. 431
mhd. formen nicht vorkommt, aber nach den Verhältnissen
des Wortschatzes, des inhalts, der S3'utax und der reimbarkeit
eigentlicli zu erwarten wäre. Die blosse durchsieht des textes
lehrt uns hingeg-en auch bei geschärfter aufmerksamkeit doch
nur, was vorkommt. Hier kann freilich Vollständigkeit nicht
angestrebt werden und die auswahl des anzuführenden bleibt
dem philologischen und grammatischen blick des sammelnden
überlassen. Denn es hätte natürlich gar keinen sinn, darzu-
legen dass Eudolf die reim formen Veldekes oder Herborts oder
Heinrichs v. Türlein nicht kennt. Aber wenn z. b. auch Junk
auf die ähnlichkeiten und Übereinstimmungen der spräche
Rud.'s und Hartm.'s insistiert, warum hat er nicht wenigstens
die discrepanzen zwischen diesen beiden alle hervorgehoben,
auch wo für Rud. nur die negierung der Hartm.'schen form
zu nennen war.
Wo sind die hö {hoch gGerb. 26i5 u. ö.) und nd (nähen und nach
häufig) bei Rud.? Wo ein reim von auslaut. c : ch, wo ein meneghi, wo
die weste und muoste, wo die mege und mähte, wo birn, begarwe, genären,
wo die kurzen han und hast, u. s. w. noch vieles? Und auch sonst sollte
da immer nalieliegeudes ins äuge gefasst werden. Es gibt uns eine ge-
wisse beruhigung über die gründlicbkeit und aufmerksamkeit des Verfassers,
dessen Untersuchung wir uns anvertrauen, wenn wir nicht nur aus der
uichtanführung der beispiele entnehmen (da könnte ja ein übersehen statt
gehabt haben), sondern dessen auch ausdrücklich versichert werden, dass
so weit verbreitete formen, wie es die nuo duo neben nu nü, du du, die
suon neben sun etwa Konr.'s v. Heimesf. (der ferner liegenden Wolfr. und
Nib. ganz zu geschweigen) sind, bei Rud. fehlen, oder die duo Gottfr.'s
neben dö, oder die gemäht neben gemachet, die slun und niet Ulr.'sv. Zatzikh.
neben den sluhen und niht. Und reimt nlht wirklich mit /«/? Ist nicht
nur der indifl'erente reim gesucht zu siht (siet) < sihet, geschiht (geschiet)
<; geschihet, weil der dichter sich nicht entscheiden wollte, sondern sind
wirklich und in welchem häufigkeitsverhältuis vorhanden binduugen von
niht (Partikel oder noch prägnantes subst.?) mit den subst. gesiht, geschiht,
phltht U.S.W.? s. Bari, niht : su)uJerphh'ht 2G6, 25, : geschiht 74, 19 u.dgl. m.,
berihte, praet. : von nihte 51, 12.
Hartm., Gottfr. und Wolfr. verhalten sich verschieden in bezug auf
die bildung des nomens gebar, geba^re, gebcerde (synonj'mou: geläz, gelceze):
es ist bemerkenswert, dass Rud. keines von diesen reimt, sondern nur den
substantivierten inf. daz gebären gGerh. 6071. Bari. 360, 7.
Aber Junk scheint auf derartige Schlüsse ex absentia überhaupt nicht
viel zu geben. S. 486 wagt er aus dem fehlen einer präteritalform von
wizzen im reim nicht einmal mit mir (s. Heinzelfestschi-. s. 444. 448. Zs. fda.
45, 95 f.) die folgeruug zu ziehen , dass nur wisse oder icesse, sicher nicht
wisle oder weste, Rudolfs form ist. Aber wenn wir die häufigkeit und
432 ZWIEPiZINA
mannigfaltigkeit der reim typen -cfifc(n) (: fieate^n), beste{n), veste(n), firunt-
veste s. g-Gerh. 659. 1441. 3421. 4979. 5759. Bari. 18,31. 81,7. 101,37.
114,9. 162,35. 217,5. 244,17. 372,27) und -/s^eCu) (: kristen, liste(n), vriste(:n)
s. Bari. 50, 15. 202, 1. 215, 13. 218, 15. 223, 25. 248, 3. 274, 3. 278, 11) einer-
seits und die \mentbehrlichkeit der in frage stehenden wortform andrerseits
in betracht ziehen, so müssen wir den schluss ex absentia auf tcisse oder
wesse als zwingend erkennen. Die hss. überliefern solche ivesse auch fürs
versinnere, z". b. Bari. 280, 13 u. ö. und an der bekannten literarischen stelle
des "Wilh. reimt wesse : meistcr Hesse HMS. 4, 869. Wer ferner ivesse (wisse) und
nicht die jüngere form tvesle (tvisie) sprach, der sprach wol auch noch muose,
nicht muoste. Hier sind ja beide formen fast gleich schwer zu binden. Aber
Ulr. V. Zatzikh., dem tviste und weste neben wesse gemäss ist (s. Zs. fda. 44,
107, anm.), reimt auch muosten : verwuosten, praet. Lanz. 7409. Bei Rud.
fehlt das praet. von müezen im reim, selbst den leichter reimbaren conj.
müeste{n) (bez. müese) scheint er nicht reimen zu können. Wenn wir be-
denken, dass der gebrauch von tvileste, adj. und subst., gerade vom Inhalt
des Bari, oft gefordert Avird und diese beiden worte im Innern der zeile
auch nicht selten sind (s. Köpkes Glossar s. v. und das Mhd. wb. s. v.), so
muss uns irrnose, müese als Rud.'s einzige form wahrscheinlich werden.
Vgl. dagegen wider müeste : wüeste Lanz. 2G09, ferner müeste : wüeste im
Greg. 2585. 2787. 3049 bei Hartm., dem widerum auch weste gemäss ist.
Wolfr. sagt nur wesse (s. Heinzelfestschr. s. 444). Er reimt auch kein
müeste^n), obwol auch er das adj. ivüeste und das verbum wüesten im Wort-
schatz führt. Merkwürdig bleibt mir die bindung muosten auf ein singuläres
mit hüstinen buosten Parz. 137, 10. Martins commentar s. 137 vermutet in
buosle ein zu hüezen * ausbessern, flicken ' gehöriges subst. Also eine dental-
ableitung zu buoz-, wie muos{t)e eine solche zu muoz- ist. Sollte es da nicht
besser muosen : biiosen heissenV s. einbdesehi bei Schmeller 1-, 296, der auch
auf das etymologisch schwierige {wilit (jinutes nah) <jibosotes 'inconsutilis'
Otfr. 4, 28, 7 verweist. Freilich bleibt der schluss auf muose aus der reim-
absenz von muoste lange nicht so sicher wie der auf ivesse (wisse) aus der
reimabsenz von toeste (wiste).
Anch dass die in den meisten Schweizer gegenden üblichsten conjunctiv-
formen mhd. gange, stunde neben ste, ge bei Rud., wie bei Hartm. und Ulr.
V. Zatzikh. (im gegensatz zu Fleck und Ulr. v. Türh.), fehlen, war im an-
schluss an s. 485, die die gän — j/t'/t - formen behandelt, wol ausdrücklich
hervorzuheben. Warum übrigens a.a.O. die formen von stän — sten ausser
discussiou gestellt blieben, begreife ich niclit. Dadurch lassen Junks Zu-
sammenstellungen z. b. den mit hinsieht auf Kraus' einschlägige ausführungen
in der Heinzelfestschr. s. 153 f. wichtigen beleg für -an in der Lsg. praes.
ind. vermissen: ich verstän Bari. 211, 9.
Die bloss theoretische detailkenntnis der mlid. grammatik
wird uns alle einzelheiten, auf die es aiikuirmit, bei der arbeit
nun kaum gegenwärtig halten, wenn wir nicht den gebrauch
des in Untersuchung stehenden di('hters mit dem gebrauch
anderer dichter praktisch vergleichen. Hier ist natürlich
ZUM REIMGEBEAÜCII RUDOLFS VON EMS. 433
eine aiiswalil aus der mlid. literatur iiiclit nur gestattet, son-
dern auch geboten. Die reinige wohnlieiten der liauptklassiker :
Hartm.'s, ^^'olfr.'s, Gottfr.'s, allenfalls noch der Nib. und Walth.'s
werden aber immer, mehr zu eigener information als zur be-
lehrung des publicums, vom Verfasser in vergleich gezogen
werden müssen. Dann aber jedesfalls auch die reime der un-
gefähr gleichzeitigen autoren benachbarter gegend, für Rud.
also etwa Ulr. v. Zatzikh.'s, Flecks, des Türheimers (Trist.), der
gFrau, der Schweizer minnesinger (ed. Bartsch). Diese heran-
ziehung des gebrauch s verwanter autoren aber wird besonders
wichtig eben zur schärfung des blicks für Schlüsse aus dem
fehlen oder der Seltenheit gewisser bindungen und zur illustra-
tion der negativen resultate. ') Dass dabei immer die er wägung
im äuge behalten werden muss, dass dieses fehlen von wort-
fornien und Worten im reim hie und da gründe haben kann,
die mit technik und spräche nichts zu tun haben, liegt auf
der hand. Worte, die am inhalt des gedieh tes haften, sind
nicht in eins zu werfen mit solchen allgemeiner Verwendbar-
keit; dem im reim scheinbar gemiedenen wort kann in der
spräche des dichters eben nur sein kuppelwort fehlen, mit dem
es andere stets binden: wie selten wird nam in den reimen
des Iw., nicht weil Hartm. nicht mehr nam, sondern weil er
nicht mehr kam zulässt! Der gebrauch der epiker und der
lyriker ist schon an und für sich gegenseitig abgegrenzt, u.dgl. m.
Weitere beispiele hier zu geben, ist kaum nötig. Junk kam
nicht in die läge, hier zu fehlen.
Drittens nun darf man das Verhältnis der heutigen ma.
zur Sprache des dichters nicht ausser acht lassen. Bei Junk
finden wir darüber kein Sterbenswörtchen. Es wäre ja gut,
wenn der bearbeiter von eines dichters spräche auch ein
kenner der in der heimat seines autors heute gesprochenen
ma. wäre. Doch gienge eine dahinzielende forderung viel zu
weit. Schon deshalb, weil wir ja über die engere begrenzung
') Die hier geforderte arbeitsleistung ist so gross nicht. Für Wolfr.,
Nib., Walth. gibt es reimwbb. Die reimverzeichiiisse für Hartm. und Gottfr.
hat uns \'os ver.'fprochen und sie werden hoH'eutlich nicht mehr allzulauge
auf sich warten lassen. Für die andern wird aufmerksame leclüre genügen,
wenn mau sich einmal mit dem vom behandelten autor gebotenen reim-
material vertraut gemacht hat.
Beiträge ?ur geschichte der ileutscheii spräche. XXVIII. 28
434 zwiEuzmA
der lieimat der mlid. autoren nur selten genau unterrichtet
sind. Aber einer allgemeinen kenntnisnalime heutiger alem.,
bez. bair.-i)sterr., ostfränk. u. s. w. Sprachbesonderheit wird sich
der Verfasser einer reimuntersuchung heute nicht mehr ent-
ziehen dürfen, weder der, der den dialekt eines dichters erst
bestimmen will, noch der, der über den reimgebrauch eines in
weiterem bezirk schon localisierten dichters, wie Rud. es ist,
zu handeln unternimmt.
Hätte Junk z. b. bedacht, dass die form des part. praet. von sin (bez.
icesen) heute iu weiten bezirken alem. g-ebiets auf mhd. gestn, nicht auf
mhd. gewesen zurückgeht, hätte er bedacht, dass eine der wichtigsten
Sprachgrenzen, die alem. gebiet durchfurchen, die zwischen g{e)sl{n) und
g{e)icese{n) ist (s. z. b. Fischers Sprachatlas der schwäb. maa. karte 24), so
hätte er es wol nicht verabsäumt, im anschluss an sein capitel über die
formen der praeteritopraesentia bei Rud. uns auch mitzuteilen, dass dieser
dichter geshi neben gewesen reimt, und zwar beide ungefähr gleich häufig:
</e67H gGerh. 4073. Bari. 158, 13. 1G3, 1. 280,35. 287,33, ^ciüesm gGerh. 3985.
Bari. 34, 11. 157, 33. 311, 9. 315, 7. 357, 5. Im reimtypus -esen erscheint bei
ihm 39 mal der inf. icesen (entwesen), nur 6 mal das part. gewesen. Ulr. v.
Zatzikh. nun reimt so gut wie ausschliesslich gestn als part., und zwar
reimt er es Lanz. 1325. 2789. 4307. 4925. 5791. 6821; nur Lanz. 9155 folgt
diesen gesui ein vereinzeltes gewesen. Der inf. wesen steht auch bei ihm
häufig im reim: Lanz. 1047. 2167. 2225. 3311. 4019. 6783. 7181. 7201. 9441.
Merkwürdig ist nun, dass Hartm., der m. e. sicher nicht aus dem no.
schwäb. (/e?re,sen-gebiet stammt, kein gesi>i reimt. Merkwürdig ist aber auch
die Verteilung seiner gewesen. Im Büchl. reimt keines, im Er. nur zwei,
und zwar das erste Er. 5358, das zweite 6558. Diesen 2 gewesen stehen im
Büchl. und Er. freilich auch nur 6 inf. wesen (entivesen) gegenüber. Auch
im Greg, und aH. ist gewesen noch selten, es reimt nur Greg. 145 einl. 1585.
aH. 1213, viel seltener als tvesen inf., das im Greg, und aH. zusammen
14 mal reimt. Ganz anders verhält sich der Iw. Hier erscheint das part.
gewesen 8 mal zu lesen oder genesen gebunden: Iw. 53. 997. 1951. 1969. 2047.
3485. 4351. 5177, fast ebenso häufig als der inf. ivesen (8:10). In den ca.
8000 versen des Iw. erscheint gewesen also fast doppelt so oft im reim als
in den ca. 18000 versen der übrigen werke Hartra.'s. Hat Hartm. seine form,
gesin, als dialektisch gemieden und sich an ein literarisches gewesen erst
später gewöhnt? Es drängt sich die frage auf, ob auch die gewesen Rud. 's
literarische reime sein müssen. Die notwendigkeit dieser annähme (nicht
deren möglichkeit) leugne ich. Denn wenn Rud. 's heimat auch in einer
gegend ist, die heute nur das correlat zu mhd. gesln spricht, so mag da-
mals noch getvesen neben gesin gestanden Imben, wie ja sicher der inf.
wesen, der heute im siraplex wie in der Schriftsprache so auch in der
Schweizer ma. aufgegeben ist, auch bei Rud. und Ulr., wie bei Hartm. und
iu mhd. zeit allgemein in unbestrittenem gebrauch neben sin steht. In
Ulr. V. Türh.'s Trist, widerum reimt ein gesin 560, 15, während Augsburg
ZüM REIMGEBRAUCII RUDOLFS VON EMS. 4B5
lieute zum geireseii (geirest) -g-ebiet gebort. Hier bat also aucb erst später
die andere der beiden doppelformen gesiegt.
Ein reim von seht auf st, der die beutige alem. ausspracbe von in-
laut. st als seilt scbon fürs 13. jb. festlegt, darf nicbt übergangen werden.
Rud. reimt erlaschte, praet. : glaste, subst. Bari. 323, 25, sowie scbon Hartm.
niht enlaschte 3Iit shiem Hellten glaste zu anfang des Erec, v. 1780. ULr. v.
Zatzikb. bat viel mebr dergleicben, aber alle seine bindungen von seht : st
in V. 1000— 1-ÜOO des Lanz.: rleischte : volleiste 1173, hiuschte : viuste 1927,
nider tuschte : vaste 1931, unischte : geliiste 2207, wünschte(n) : Icünsten 3151,
: brünste 3697. Ulr. v. Türb. mischten : kusten Trist. 536, 35 ; daneben aber
auch 2vas : gast Trist. 505, 17. 521, 39, : zehrast Reunew. Adelungs Magaz.
2, 1, 57. Haben wir es da mit einem analogisch zu ist gebildeten toast (bez.
wascht) zu tun? Bern, die is und isch neben ischt, Fischers Sprachatlas,
karte 20.
Auf s. -181 stellt Junk die reime zusammen, die beweisen, dass Rud.,
sowie ja doch fast alle mlid. dichter des 13. jb.'s, reizen mit spirans sprach,
während wir die form mit aftricata heute in der Schriftsprache fülireu.
Lexer belegt reitzen fürs 13. jb. nur aus Ulr. v. Liebtenstein. Ich habe
natürlich durchaus nichts dagegen, dass man bei einer sprachlichen Unter-
suchung eines autors für ihn die form reizen, mit spirans oder affricata,
immer feststelle. Ist doch reitzen für inf., ind. praes. 1. sg. und 1. — 3. pl.,
conj. praes. die ältere form, die in mhd. zeit neben reizen immer einher-
laufen musste, wo sie in nhd. zeit wider auftaucht. Aber warum con-
statiert dann Junk nicht auch die spirans für büezen und grüezen bei
Rud., in welchen worten viele gegenden der Schweiz und namentlich der
Ostschweiz teils ausschliesslich, teils neben der spirans beute ebenfalls die
affricata sprechen (s. Idiotikon 2, 812. 4, 2032), während allerdings unsere
Schriftsprache hier zum 'mhd.' stimmt. Zum mindesten ebenso erwälniens-
wert wie das feststehen der spirans in reizen sind für des Alemannen Ru-
dolf Sprache die bindungen von {ge)biiezen : süezen, adj. gGerli. 561. 6731.
Bari. 17, 15. 348, 33 u. ö., grüezen : süezen gGerh. 741. 5679. Bindungen
wie büezen : grüezen Bari. 274, 15. 296, 7 sind indifferent. Auch der reim
beizet 'beizt' : heizet 'beisst' Bari. 255, 35 dürfte in diesem Zusammenhang
interessieren. Hat überhaupt ein alem. dichter des 13.jh.'s büetzen und
grüetzen gesprochen? Ich glaube Ulr. v. Zatzikb. , dessen spräche wir ja
jetzt schon öfter als der heutigen ma. zunächst stehend erkannten. Ulr.
reimt nämlich büezen oder grüezen nie mit süezen oder müczen, sondern
nur einmal, und zwar das part. gebüezet : gegrüezet, in sich (Lanz. 8581).
Da es positiv beweisende reime für -üetzen nicht gibt, so meine ich, dass
Ulr. zum mindesten die praesentia büezen und grüezen mit aÄricata sprach.
Lexer belegt bützen erst aus des Teufels netz und Nachtr. s. 103 büetzende
aus Waltb. v. Rheinau (Marienl. 14, 42 im Innern des verses). Auch die subst.
mhd. bnoz, gruoz, hiz erscheinen heute in der Schweiz als huetz, gruetz,
bitz. Auch die qualität des z dieser substantiva ist für Schweizer dichter
mhd. zeit also unter umständen interessant. Hier belegt freilich Ulr. so
gut wie Rud. die spirans. weizc 'weizen' hat auch in nhd. Schriftsprache
affricata. hirz bat spii-aus bei Rud. (s. Bari. 256, 19, vgl. etwa hirtz bei Konr.
28*
436 IZWIEKZINA
V. Wüizb. Troj. 10797. gSchm. 1303), dao-cgeu widersaiz affricata (s. Bari.
104, 28).
S. 458 stellt Jimk Rud.'s biiuluiigen in den reimtypen -ege(n) und -ege(n)
zusammen. , Dass der Aleniaune die beiden e auch in der Stellung vor muta
auseinanderhält, ist selbstverständlich (s. Zs. fda. 44, 249 ff.). Aber fiel es
Juuk nicht auf, dass der typus -€(ie{n) bei Rud. so exorbitant selten ist?
Nur ein beispiel, wegen 'agitare' : n'^c« 'er igcre' Bari. 240,19 in ca. 23,000
Versen I Der typus gehört ja nicht zu den dem mhd. dichter sich leicht
und häufig anbietenden, wie ich a. a. o. s. 254 ausgeführt habe. Aber Hartra.
zeigt ihn in seinen ca. 26,000 versen doch 10 mal, Wolfr. in seinen ca. 39,000
Versen 12 mal, Ulr. v. Zatzikh. in seinen ca. 9000 versen 7 mal. Dazu kommt,
dass die beiden in dem einzigen bei Rud. erscheinenden reimpaar gebundenen
Worte in -egcn (wegen und regen) nicht zu den häufigeren ihres typus ge-
hören, viege und megen kommen für Rud., der nur müge und mügen zu-
lässt, allerdings nicht in betracht; aber slege(n), {en)gegen und lege{n) sollten
wir doch auch bei ihm eher erwarten als wegen und regen. slege{n) zu
reimen hätten auch die friedlichen legenden anlass gegeben, reimt der sg.
slac doch häufig genug, s. Bari. 31,36. 84,17. 188,27. 213,35. 381,3 u. ö.
Aber fehlte zu siegeln) etwa die bequeme bindung, d. h. konnte Rud. etwa
(en)gegen und lege{n) nicht zu slege(n) reimen? Das adv. gegen e könnte
er etwa nur dreisilbig gesprochen haben. Ich halte das aber nicht für
wahrscheinlich, denn die gleichzeitigen Alemannen reimen zweisilbiges
gegen (s. z. b. Ulr. v. Zatzikh. Lanz. 2543. 8951 u. a. m.) und Rud. selbst
reimt nider und wider (gGerh. 6589. Bari. 380, 23 u.s.f.). Zs. fda. 44, 302. 360.
45, 401 habe ich nun darauf aufmerksam gemacht, dass viele mhd. dichter,
darunter in Übereinstimmung mit der heutigen ma. auch Alemannen, nur
gügenie) und nicht gegen{e) oder gägen{e) neben gegen(e) brauchen. Rud.,
dem e noch ein einfach offener laut ist und nicht mit überoffenem ä zu-
sammenfällt, hätte ein gügen{e) nicht reimen können. Ulr. v. Zatzikh.
spricht gegene, aber Hartm.'s form, in dessen reimen ein gegen(e) wie in
denen Rud.'s fehlt, war vielleicht auch gügen(e). Nun aber lege{n)\ Inf.
und 1. sg. dieses verbums erscheinen naturgemäss am allerersten unter den
kuppelworten des reimbands -ege(n), s. Er. 374. 888 (Bech.). Iw. 1637. Parz.
111,25. 124,7. 674,11. Wh. 137, 11. 246,35. 396,15. 427,27. Lanz. 2585.
6033. 7015. Sie fehlen bei Rud. Auf hochalem. Sprachgebiet heisst es nun
heute so gut wie durchaus nur hggei^n). Die form mit geminata muss in
ahd. zeit zurückreichen und ist auch fürs mhd. des öfteren belegt, die mit
einfachem g ist jüngere analogiebildung. War Rud.'s spräche nur legge{n),
nicht lege(n) gemäss, während Hartm. z. b. zwischen legge{n) und lege(n)
seiner heimatlichen ma. wählend dem weiter verbreiteten und leichter
reimbaren lege(n) den vorzug gab? Ich verhehle mir nicht, dass ein dahin-
zielender absenzschluss auf der schwachen basis weniger präsenzfälle bei
andern dichtem aufgebaut wäre. Ich fasse meine antwort also vorsichtig
hypothetisch: wenn, sowie im gGerh. und I^arl., auch in den übrigen werken
Rud.'s, in Alex., Wilh. und Weltchr., also in zusammen fast 90,000 versen
dieses dichters kein lege{n) gebunden wird, dann ist die grösste Wahrschein-
lichkeit dafür vorhanden, dass Rud. bloss das alte, später auf hd. gebiet
ZUM REIMGEBRAüCH RUDOLFS VON EMS. 437
hauptsächlich aleman. le(i(je(n) sprach. Der günstigste fall wäre es, wenn
neben der absenz von le(ie(n) sich in Rud.'s nngedruckten werken allenfalls
ein leggen : eggen aufspüren Hesse. Den ältesten reimbeleg für mhd. leggen
bringt Lexer, Hwb. 1, 1857 aus dem nach rührenden und florierten reimen
fahndenden jTit. bei und dann Nachtr. 291 für alem. gegend aus Reinfr.
V. Braunschw. 20757. Es wird auf legen im reim also wenigstens bei alem.
dichtem immer zu achten sein, ligen, wofür Schweiz, ebenfalls ligge{n)
erscheint, reimt Rud. nun freilich ungescheut: Bari. 117, 21. 226, 3. 7. 228,15.
229, 37. 242, 37. 250, 23. 254, 33. 35. 288, 1. 30-t, 27. Aber auch der dichter
des Reinfr. reimt ligen, obwol er doch sicher leggen sprach.
Auf s. 449 spricht Junk über die genaue Scheidung von langen
und kurzen vocalen in den reimen Rudolfs. Aber er macht dabei den-
selben gnindfehler, der allen ähnlichen Zusammenstellungen älterer arbeiten
über den Sprachgebrauch einzelner dichter, sowie den einschlägigen capiteln
unserer mhd. gramraatikeu anhaftet. Er zieht nämlich nicht in erwägung,
dass das fehlen der bindungen ungleicher quautitäteu im stumpfem reim
für einen dichter weder von vornherein eine besondere feiuhürigkeit für
den unterschied von laug und kurz noch die stricte erhaltuug alter kürze
gegenüber späterer längung eo ipso erweisen muss. In vielen gegenden
waren gewisse quantitativ verschiedene vocale auch qualitativ verschieden.
Mit dieser möglichkeit, dass die genaiie Scheidung quantitativ verschiedener
laute im reim unter umständen zugleich oder vorwiegend oder vielleicht
auch ausschliesslich Scheidung qualitativ verschiedener laute sein kann, muss
stets gerechnet werden. Was beweist es also für die erhaltung mhd.
kürzen bei einem dichter, dass er a nie mit « bindet, wenn in seiner ma.
auch heute das gelängte a nicht mit ä zusammenfällt? Auf weiten ge-
bieten der Ostschweiz geht mhd. ä und gelängtes mhd. a ganz getrennte
wege; jenes gibt heute etwa o, dieses ä; mhd. gän gibt also etwa (^ö, mhd.
Aan- aber chä, mhd. stnt 'steht' gibt W^t, mhd. rat 'rad' aber räd. Wenn
also Rud. oder ein anderer Schweizer a mit ä nicht bindet, so bedeutet
das für ihn in allererster linie die Unterscheidung zweier qualitäten, die
von einander mindestens so verschieden waren als etwa die beiden kurzen
e, e und e. Ich habe die Wichtigkeit solcher erwägungen in meinen Mhd.
Studien passim betont und verweise hier auch energisch auf Bohnenbergers
aufsatz Beitr. 20, 535 ff. Auch gelängtes i und mhd. /, gelängtes u («) und
mhd. ü (in) fallen in den meisten Schweizer maa. nicht in eins: jene er-
scheinen als offene, diese als geschlossene längen und auch diese Unter-
scheidung spiegelt sich im gebrauch alter alem. dichter, s. etwa S. Singer,
Zs. f. hd. ma. 2, 9. H. Haldimann, ebda. 3, 286. Kein wunder, dass auch hier
die quantitäten von Rud. geschieden werden. Aber kein wunder auch,
dass diese laute, vor allem i und i, von Rud. und andern alem. dichtem
der mhd. zeit nicht mehr so genau gescliieden werden, als a und ä, deren
qualitäten eben noch viel stärker differieren. Dass bei altem Alemannen
sich zunächst reime von -in auf -in eher finden, als solche von -an auf -an
habe ich Zs. fda. 44, 10 ff ausgeführt. Flecks einschlägige bindungen (Flore
189.319, also nur zu anfang des gedichtes!) sind dort versehentlich über-
gangen worden. Auch für Rud. wurden a. a. o. zwei reime von -in : -in
438 ZWIEKZINA
beigebracht, hi)i : sch/n gGerh. 4931 und keisenn : under in gGerh. 161. Den
letzteren reihte ich hier ein, weil die feminina auf -in von Rud. sonst
eben coustant mit länge gebunden wurden (s. Zs. fda. 45, 72 f.) und Rud.
sich durch ^ine gewisse Stetigkeit seiner reimformen auszeichnet, wie aucli
Junk öfters hervorhebt. .Tunk plaidiert aber nun s. 44i) und 475 dafür, im
gGerh. 161 Icciserin mit kürze anzusetzen. Während er jedoch seinem
keiseriii kein paralleles -In bei Rud. an die seite stellen kann (denn Lach-
manns besserung von gGerh. 5107 ist zweifellos und wird auch von Junk
ohne rückhalt acceptiert), konnte ich die bindung von keisenn : in im gGerh.
161 eben an das hin-.schinv.Wdi desselben gedichts anknüpfen. Die vage Ver-
mutung Haupts, di« 4931 die eliminierung der rcimungenauigkeit bezweckte
und die Junk nun wider aufnimmt, kann man auf sich beruhen lassen.*)
Aber ich bin heute selbst der ansieht, dass an der angegebenen stelle Rud.
aus ganz bestimmten rücksichten von seiner spracliform keisenn abgewichen
ist: er sucht nämlich gGerh. 161 eine art grammatischen reims, den er so
sehr liebt, und diesem zuliebe reimt er dies eine mal keiserin : in und lässt
dem paar das paar minne : keiserinne folgen. — Dagegen beweist für Rud.
die strenge Scheidung von e und e {-erte und -erte u. dgl.) und o und ö {-ot
und -öt, -an und -an u. dgl.) noch am ehesten Scheidung nach blosser Quan-
tität und erhaltung alter kürze. Nur einmal bindet er hurten : ivorten Bari.
253, 17, was mit Zs. fda. 44, 292 und Junk s. 451 f. darauf zu deuten ist,
dass die dehnung der kürze vielfach vor r + cons. einsetzte. ^)
Im allgemeinen möchte ich behaiipten, dass bei den mhd. dichtem,
die ungleiche quantitäten nicht binden, die ungleiche qrialität dieser un-
') Junks einwurf 'ist für Rud. wirklich (wenn auch nur in seinem
erstlingswerk) ungenaue Quantität des vocals im reim zulässig, so ist nicht
einzusehen, warum er bei einem so reichen reimtypus . . . nicht öfter kürze
mit länge bindet' zeigt, dass Junk die Sachlage nicht richtig auffasst.
Erstens sind die sicheren -in : -in bei Fleck u. a. ebenso selten wie die bei
Rud. Zweitens: waren dem dichter i und i sprachlich zusammen-
gefallen, so müssten wir allerdings häufigere bindungen von -in : -m er-
warten. Das aber ist ja grade das charakteristische merkmal dafür, ob
wir sprachlichen zusaramenfall oder unreine bindung zweier etymologisch
verschiedener laute für einen dichter vorauszusetzen haben, dass wir in
einem fall vollkommene veimischung der typen, im andern im allgemeinen
festgehaltene Scheidung derselben neben sporadischer Untermischung beob-
achten. Es gelten dafür die Zs. fda. 44, 10 f. 20 f. 250. 253. 285 f. 288. 293.
404, anm. 2 vorgetragenen methodischen erwägungen.
') Dass in Rud.'s spräche, des dichters feinhörigkeit in bezug auf Quan-
tität vorausgesetzt, die heutigen dehnungen seiner ma. noch nicht hervor-
getreten waren, zeigt besser als die absenz der bindung von a : ä u.dgl.
bei ihm die präsenz der bindungen von -ut (-ade-) : -at (-ate-), -ac (-age-)
: -ac (-acke-). Also reime wie ^j/tat : stat Ijarl. 78, 15. 139, 33, smac : mac
238, 27, erschrac : tac 384, 21 u. dgl. m. S. auch vlec : uicc subst. 70, 5 u. ö.
Denn hier dehnt die ma. auf der einen seite und auf der andern dehnt
sie nicht.
ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS VON EMS. 439
gleichen quantitäten meist eine grössere rolle und meist eher eine rolle
spielte als der quantitätsiinterschied an sich. Ich schliesse das daraus, dass
in gegenden, wo heute z. b. gelängtes a und mhd. ä oder gelängtes e und
mhd. i (bez. fe) gebietsweise zusammenfallen, auch die mhd. dichter, die
sonst vocalisch genau reimen und zu den besten ihrer guten zeit gehören,
reime von o auf «, von e auf e u.dgl. m. zulassen. Zunächst in bestimmten
Stellungen, vor allem vor n und /•. Es sind das die Baiern, Oesterreicher
und Ostfranken, die dichter der Nib., der Gudr., Wolfr., Wirnt u.a.m.
Und dieselben dichter trennen nun i und ^ (m und ü, ü und tu) noch viel
genauer als die Alemannen, weil in ihrem dialekt heute eben gelängtes i
und mhd. < > ei einander ganz fern stehen und sich schon im 13. jh. quali-
tativ stai'k unterschieden haben müssen. Das wird gelegentlich auch um-
gekehrt für die heimatsbestimmung wichtig sein. Eeinbots heiraat z. b.,
der für den bairischen herzog dichtet, in seinem werk des öftern bairisches
local erwähnt und dessen reime die bairische gunierung des ü erweisen,
werden wir geneigt sein, zunächst in Baiem zu suchen. Wir müssten uns
da aber um eine solche gegend Baierns umsehen, die gelängtes a und mhd. ä
heute qualitativ scheidet, denn Reinb. reimt nie a : ä ; sie müssen von ihm
nicht nur mit verschiedener quantität, sondern auch mit verschiedener qua-
lität gesprochen worden sein. Denn wie hätte dieser Spätling, dessen muster,
Wolfr., a und ä ganz unterschiedslos bindet, sonst diese beiden laute so
streng geschieden?
Auch die reime von aus laut, g zu aus laut, ck müssen bei einem
Alemannen stets beachtet werden. Also binduugen wie smac, nac, crschrae
zu tac, phlac, mac u.s.f. ; vlec zu icec\ {ge)danc, kranc, ivanc zu lanc, twanc,
spranc, anevanc u.s.f.; starc zu karc, bare u.s.f.; icerc : berc u.s.f. Dass
die altern dichter, auch Rud., fast alle die beiden laute reimen, wissen wir
ja aus Lachmanns anm. zur Klage 941. Aber bei den spätem alem. dichtem
mhd. zeit ist das nicht melir der fall. Nur beobachtung in einzelunter-
suchungen wird uns lehren, wann die neue, zur heutigen ma. stimmende
Übung einsetzt. Wichtige fragen spielen hier ein ; wie die, ob der Übergang
der ausl. media znr tenuis (bez. affricata oder spirans) und ihr zusammeu-
fall mit ausl. etjinologischer tenuis bei den alem. dichtem aus der blütezeit
literarischer reim ist, oder ob die Unterscheidung von ausl. g und k, d und t
erst später wider aus den flectierten formen, in denen g und d im inlaut
standen, in die ma. getragen wurde.
Viertens ist ferner auch der Wortschatz des reimvorrats
in betracht zu ziehen. Die auswahl, die der dichter hier aus
den zum reim geeigneten synonymen des mhd. Wörterbuchs
oder aus den verschieden gebildeten Worten gleichen Stammes
trifft, wird auch da häufig genug widerum auf mundartliche
differenz zurückweisen. Hie und da werden aber wol auch
technik und tradition dabei in fi-age kommen.
Reimt Rud. subst. siege (Bari. 37, 27) oder auch stiege, s\\\)st. werde
(Bari. 26, 11 u.s.f.) oder aucli icirde, subst. ^ er (Bari. 21, 37 u.ö.) oder auch
440 ZWIERZINA
g ir (Bari. 43, 23 u. ö.)? Ist ihm fiewalt nur masc. oder beweisen reime auf
den dat. gcwalt auch für ihn. Avie für Hartni., das fem. neben dem masc?
u. dgl. m.
Fünftens ist besonders sorgsam darauf zu achten, ob sich
ein Wechsel im reimgebrauch des dicliters im verlauf eines und
desselben werkes oder beim Übergang" von einem werk zum
andern bemerkbar macht. Junk weist nur dreimal auf solche
Wandlungen der technik hin, immer nur meinen andeutungen
folgend: für häte hcete s. 488 fs. Zs. fda. 44, 10), für vienc vie
s. 484 (s. Zs. fda. 45, 50), für die bindung von ruom : -uon s. 479
(s. Zs. fda. 45, 72, anm.). Anderes, das meine Mhd. Studien bereits
beobachtet hatten, leugnet Junk (wir werden sehen zu unrecht),
wie meine auf Rud.'s rührende reime bezüglichen feststellungen
(s. s. 470), oder er ignoriert es. Dennoch war auch hier aus
dem vollständigen reimwb. wol mehr herauszuholen. Solche
beobachtungen werden unter umständen wichtig für die frage
nach sprachlicher oder literarischer wertung der reimform,
meist entscheidend für die frage nach der Chronologie der
einzelnen gedichte. Und da diese Chronologie für Rudolfs
Wilh. und Alex, durchaus noch nicht feststeht, so muss gerade
bei Eud. auf Veränderungen im reimgebrauch frühzeitig geachtet
werden.
Um auch hier nicht ohne belege zu sprechen, Aveise ich noch darauf
hin, dass im gGerh. das part. (je dran reimt (3745), sowie im Er. und öfter
im Lanz. und andern alem. gedichten (s. Pfeiffer zur Miunelehre 654). Der
Bari, aber reimt nur das part. <jeärad (163, 17). Oder man wird finden,
dass äne loanc, einer der bösesten behelfe, den reim zuflicken, im gGerh.
sehr häufig vorkommt, während Rud. sich im Bari, bemüht, möglichst ohne
denselben auszukommen.
Sechste ns dürfen nicht alle auf die technik und nicht direct
auf die spräche blickenden beobachtungen unterlassen werden.
Man kann sich ja hier sein arbeitsfeld einengen und nur die
si)rachliche ausbeute des reimmaterials einheimsen. Aber ohne ab-
grenzung zwischen teclniik und ma., tradition und neuem erwerb,
literarischem und sprachlichem reim wird man auch das auf den
Sprachgebrauch eingeschränkte thema nicht auszuschöpfen ver-
mögen. Ausserdem werden dem, der das ganze reimmaterial
ohnedies durcharbeiten muss, die beobachtungen fast von selbst
herausspringen über den rührenden reim (Rud. meidet ihn in
seinen zwei Jugend werken so gut wie ganz, s. Zs. fda. 45, 294), den
ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS VON EMS. 441
grammatischen reim (Rud. liebt iliii immer mehr von werk zu
werk), den vierreim (auch dieser wird von Eud. in bewusster
Stilabsicht verwendet), den erweiterten reim, über die enklise
(Rud., der seine reime gern entlastet, meidet sie bis auf wenige
fälle traditionellster art: vater : bat er Bari. 28, 27. 87,15, hirz
: ir ez 256, 20), über das häufigkeitsverhältnis der klingenden
zu den stumpfen reimen, über die aus wähl der reim wort e je
nach den Wortklassen (subst., adj., verb., adv., pron., auxil. u.s.w.),
über tlickreime. Wandlungen des reimgebrauchs werden sich
gerade in technischen dingen eher zeigen als in sprachlichen,
dahinzielende Observationen also ganz besonders für chrono-
logische fragen wichtig werden. Dass man die reimsauimlung
auch nur als Sprungbrett benützen kann, um von da aus in
die tiefe literarischen Schaffens zu tauchen, dass uns die
Schwankungen der teclmik den dichter vielfach gleichsam an
seinem arbeitstisch beobachten helfen, dass man vom reim
aufwärts klimmend zu einer beschreibung des mlid. verses nach
rhythmus, technik, stil und S3'ntax aufsteigen könnte, das habe
ich in den Verhandlungen der 44. Versammlung deutscher phi-
lologen zu Dresden, 1897, s. 124 ausgeführt. Aber das sind
schwierige aufgaben, die man andern nicht stellen darf, ehe
man selbst eine von ihnen gelöst.
Siebentens noch eine äusserlichkeit. Eine Untersuchung,
wie Junk sie vorlegt, wird notwendig eine reihe von Zählungen
bringen und eine masse von citatenreihen. Man darf da wol
die f orderung stellen, dass diese Zählungen richtig, die citate
auffindbar sind. Nun ist's ja im allgemeinen oft recht gleich-
giltig, ob irgend eine form 50 mal oder 51 mal durch den reim
gesichert wird, wenn nur von den beispielen, die der regel
entgegenstehen, keines vergessen ist. 3Ian führt zum belege
beim dichter immer widerkehrender reimformen die hohe
summe der beispiele doch nur an, \\\\\ die absolute häufigkeit
gleichsam ad oculos zu demonstrieren, drastisch vorzuführen,
oder um die relation zur Seltenheit zahlenmässig aufstellen
zu können. In beiden fällen kommt es auf ein, zwei beispiele
mehr oder weniger gar niclit an. Aber man darf wol fordern:
wenn sclion zahlen, dann die richtigen. Leider wird es, soAvie
es keinen menschen gibt, der sich noch nie verzählt hat,
auch keinen germanisten geben, dem bei statistischen reim-
442 ZWIEllZINA
untersuclmngeii nicht ein oder das andere beispiel unter den
sclireibtisch fällt. So hat Junk auch meinen Mhd. Studien
zwei solche Omissionen von mit vielen andern beispielen die
regel bele'genden fällen nachgewiesen: s. 482, anm. 2 ein vähen
: nähen gGerh. 4071 und s. 479, anm. ein ruom : erzchistuom
gGerh. 173. Dass dort, wo Junk zwischen seiner Zählung und
der meiner Mhd. Studien eine grössere differenz constatiert,
woraus er dann s. 4G7, 'da es hierin sehr auf das numerische
Verhältnis ankonmit', für sich die berecht igung ableitet, meine
ergebnisse 'etwas übersichtlicher' zu 'grui)pieren', dass gerade
dort gar keine differenz existiert, sondern Junk nur kunterbunt
zählt, wo ich reinlich schied, werden wir unten noch sehen.')
Junks übersichtlichere gruppierung bedarf sechs selten dazu,
wofür meine Studien 21 zeilen benötigten (Zs. fda. 45, 84 und 92):
'das ergebnis ist dasselbe'.
Junks eigene Zählungen sind ziemlich zuverlässig, seine
citate ziemlich genau. Wenn ich im folgenden einige correc-
turen mitteile, so tue ich das nicht, um etwa die ungenauig-
keiten aufzuzeigen, sondern weil ich gerade an der arbeit bin
und einem andern diese correcturen vielleicht nicht so leicht
fielen wie mir. Ich weiss wol am besten, wie leicht ein falsches
citat sich einschleicht, wo man hunderte und tausende mitzu-
teilen hat. Junk selbst weist mir s. 489, anm. drei zahlenfehler
nach, die sich bei mir in einer langen reihe von citaten finden.
Und er corrigiert: 'in den citaten Zwierzinas muss es heissen
. . . 331, 48 statt . . . 331, 48'. 331, 18 muss es heissen; hoffent-
lich wird's jetzt nicht wider verdruckt."^)
') Ebenso habe ich Zs. fda. 45,45 den reim auf gesetsct gGerh. 4051 nicht
übersehen, wie Junk s. 481, anm. 1 meint; sondern habe ihn nicht angeführt.
Denn nur rfcsat war a.a.O. von mir vollständig zu belegen; für das vor-
kommen des allen dichtem genehmen (/cfietzet genügte ein beleg. Und den
habe ich gegeben.
*) Ein ganzer schwärm falscher citate hat sich in meine ausführungen
über Wolfr.'s rührende reime Zs. fda. 45 eingenistet. Ich ergreife die ge-
legenheit und bitte zu bessern: s. 290 z. 8 oben 670,19 für 670,29; s.291
z. 13 0. 450,5 für 550,5; z. 21 o. Parz. 284, 11. Wh. 421, 7 für Parz. 284, 11.
421,7; z. 2 unten 532, 27 für 522,27; s. 292 z. 1 o. GGO, 13 für ()G(5,3; s. 295
0. fiel aus (jienge : hefjienße Parz. 447, 17 und ein verweis auf die la. von
(ig dazu. [Der ol)en gerügte zahlenfehler fällt mir als reviscr der druck-
bogen zur last: der verf. hatte richtig corrigiert. E. S.J
ZUM KEIMGEBRAUCH RUDOLFS VON EMS. 443
Junk zählt also s. 478 bei Rud. lfi+ geseit, es sind, man kann sich
darauf verlassen, 167. Ebenda zählt er 72 ireit, es sind deren 75.') In
den belegen zn diesem § 7 fehlt ferner s. 477, anm. 1 ein er seit, nämlich
gGerh.619; s. 478, anm. 1 der reim sayeie : hehmjcic Bari. 294, 7; anm. 4 der
reim behaget : unverzaget gGerh. 861. Ferner ist zu bessern s. 479 gesigt
: irigt gGerh. 6689 für" 6609; s. 481 gesät : bat Bari. 339, 5 für 339, 15; s. 486
fehlt kumt : vrumt Bari. 135, 31 ; s. 487 1. kam : stam Bari. 353, 11 für 253, 11.
Endlich hat sich unter die beispiele für viere (: sere) auf s. 495 das citat
Bari. 254, 9 eingeschlichen, das nicht ntere, sondern u)tere belegt.
Ausserdem bieten sich der abfassung einer reimuntersuchung
noch eine anzalil technisclier behelfe an, kunstmittel , die die
beweisführung klarer machen und uns auch räum sparen, die
aber nicht in kategorien zu bringen sind und sehr oft an die
besonderheit des uns vom dichter gebotenen materials gebunden
bleiben. Einiges davon möge besprochen werden, wenn wir
nun Junks arbeit im einzelnen kritisch begleiten.
§ 1. Es ist durchaus nicht notwendig, mit den belegen
für die bindung daz : ivaz : has : saz u. s. w. eine halbe seile zu
füllen (s. Junk s. 448). Dass die zahl der reime in -az legion,
die der reime in -äz niu' klein ist, weiss jeder. Es hätte also
jedesfalls genügt, die im typus -as vorkommenden reimworte
aufzuzählen und die summe der reimbänder dieses typus zu
nennen. Das praet. äz belegt Rud. ausserdem noch Wehr. Germ.
30, 180, 19. — Dass quantitäts- und qualitätsunterschied bei be-
sprechung der bindungen von a : ä, i : i u. s, f. gegeneinander
abzuwägen wäre, wurde schon oben s. 437 hervorgehoben.
§ 2. In einem capitel über die von einem bestimmten
dichter durchgeführte Scheidung von e und e sind nach den
ausführungen meiner Mhd. Studien no. 8 im typus -ehe-, -egc-,
-etc- nur die belege für die selteneren typen mit umlauts-e zu
geben, die belege für -ehe-, -eye-, -ete- kann man sich sparen;
höchstens dort, wo e und e in diesen Stellungen gemischt
werden, die einzelnen reimworte der tj-pen -ehe- u.s.w. und
die totalsumme der belege in relation stellen. Doch ist dabei
darauf, ob und wie ehen (adv. oder adj.) gebunden wird, stets
zu achten. Dass Rud. eben gar nicht bindet, weist eher nach
*) Ich vermute, .hink luvt hier und dort die drei bindungen von treit
: geseit Bari. 79, 37. 80, 19. 24(!, 31 nicht zu den für -eit beweisenden reimen
gerechnet. Aber 'er tregt : gesagt reimt doch ebensowenig wie *geleyt
: gesagt.
444 ZWIEKZINA
eben als nach eben (ebene?). Ferner kann man es sich wol
sparen, sämmtliche belege für die Scheidung des e und e vor
;■ und l zu bringen bei einem dichter, der die beiden laute
überhaupt' nie bindet. Höchstens die vorkommenden reimworte
der typen (ohne citate) wären anzuführen. Anders, wenn in
gewissen Stellungen e mit e in eins fiele oder wenn sog. 'un-
reine' bindungen vorkämen. Hier wäre dann die antwort auf
die frage, ob wir es wirklich mit unreinen reimen oder mit
sprachlichem zusammenfall zu tun haben, nur aus der kenntnis
der gesammtzahlen und der einzelverhältnissse zu entnehmen.
— Scheidung oder mengung der beiden c vor nasal bez. nasal
+ cons. ist stets festzustellen; ebenso, wie dies Junk s. 456. 457
auch tut, die qualität des e in jene{r) und die behandlung der
reimenden -er in fremden namen. — Dass Rud. ä und e noch
nicht bindet (s. Junk s. 455), ist nicht nur aus dem fehlen eines
reims von gesiähte : -ehte {rehte, Inehtc) für ihn zu entnehmen.
Abgesehen davon, dass diesem fehlen in andern werken positiv
bindungen gegenüberstehen, wie gesiähte : ähte (octo) Wehr. Zs.
fdpli. 21, 270, 137, hätte sich Eud. auch leicht u-älde : velde ge-
boten, da wald und wildnis in Rud.s Bari, oft und oft genannt
wird und auch der pl. wälde im versinnern (z. b. Bari. 255, 15
u. ö.) vorkommt. Auch einen pl. trähen ( : sehen, jehen) könnten
wir vielleicht erwarten oder einen inf. gewähen < gewähenen,
denn praet. gewuoc reimt oft. Jedenfalls werden erst die reime
der kriegerischen epen Eud.'s, Alex, und Wilh., lehren, dass Eud.
auch ])härt : tvert und gert, j)härcU : erde und iverde nicht zu
reimen vermag.
§ 3, Ich glaube, dass auch hier bei der behandlung der
frage nach dem um laut des u in der Vorführung des ge-
sammten materials viel zu viel getan ist. Kraus musste in
seiner behandlung der einschlägigen Verhältnisse bei Hartm.,
AVolfr. und Gottfr. (Heinzelfestschr. s. 112 ff.) zu ausführlichen
darlegungen ausholen, um die Wichtigkeit seines arguments
für die frage der autorschaft des 2. l^üchleins ins licht zu setzen
und die Stetigkeit im verhalten des einzelnen dichters einer-
seits, die unterschiede im verhalten verschiedener dichter ander-
seits hier klar zu legen. Aber durch Kraus sind die grund-
linien der argumentation jetzt gezogen und wir dürfen uns
von nun an kürzer fassen, — Wunderlich bleibt mir, dass
ZUM REIMGEBRAtTCII RUDOLFS VON EMS. 445
Junk, der die einscliläo-igen reime in diesem § s. iCh) zusammen-
stellt, dabei nicht aufgefallen ist, dass Rud. noch nach alter
weise auf der einen seite ebenso constant sigenunft als auf der
andern vernnnst sagt und bindet. — Einige Sonderbarkeiten
dieses § in bezug auf die auffassung des grammatischen materials
werden die leser wol alle mit mir stillschweigend richtig stellen.
§ 4 bespricht u.a. Rud.'s reimgebrauch der adj. auf -lieh
und der adv. auf -liehe. Auf s. 470 fällt die bemerkung:
'zu den fällen für das adv. kommen dann noch die s. 469, anm. 1
verzeichneten 9 fälle (8 in G., 1 in B.) indifferenter (!) bindung
von -liehe auf -liehe. Wenn Zwierzina bemerkt: im Bari, fehlen
diese rührenden reime, so ist dies also, wie Bari. 121, 21 ge-
walteeliche : geliehe (!) zeigt, nicht richtig. Es kommt dies
daher, dass Zwierzina die gelieh an anderer stelle, nämlich
unter den adj. (s. 84 f.) abtut , dann aber auf die adv. geliche
nicht mehr zu sprechen kommt, wie denn überhaupt die treu-
nung der beobachtungen für adj. und adv. der Übersichtlichkeit
sehr eintrag tut'. Ich musste lächeln. Denn die sache liegt
so : man hat bei behandlung der frage nach der reimform der
adj. auf -lieh stets von vornherein von diesen die gelieh wol
zu unterscheiden. Dass die adjectivableitung -lieh mit dem
Vollwort gelieh etymologisch verwant ist, wusste damals
ebensowenig jemand, wie sich heute der sprechende der Zu-
sammengehörigkeit von 'gleich' und der bildungssilbe von z. b.
* oberflächlich' bewusst ist. Ich habe das Zs. fda. 45, 291 ff.
auseinandergesetzt und fürs mhd. direct bewiesen. Man hat
also für Rud. etwa zu sagen: gelich reimt immer nur zu rieh,
hatte also constante länge. Die adjectivableitung -lieh aber
reimt weder zu gelieh noch zu rieh, sondern in so und so vielen
fällen stets zu sieh, dieh, mich u.s.f., hatte also constante
kürze. Und man darf nicht den bindungen von -lieh : -ieh
unterschiedslos die bindungen von -lieh : -ieh folgen lassen, um
dann die überraschende entdeckung zu machen, dass hier -lieh
immer gelich ist, dort -lieh immer die ableitungssilbe. Dass
gelieh und -lieh im mhd. des 13. jh.'s bereits vielfach getrennte
wege gehen und die reimgewohnheit eines dichters in bezug
auf das eine nicht, wie das bislang meist üblich war, mit der
reimgewohnheit in bezug auf das andere alle augenblicke con-
fundiert werden darf, sollte durch meine ausführungen Zs. fda.
446 ZWIEIIZINA
45, 81 ff. hauptsächlich erwiesen werden und ist, hoffe ich, durch
sie auch erwiesen worden. No. 12 der Mhd. Studien, a.a.O.
s. 291 ff., stützte dann dieses resultat auch noch von anderer
Seite durch die beobaclitung-, dass (){(')Uch{e) : -Uch{e) vielen
autoren gar nicht mehr als riihrender reim gilt. Von der
adjectivableitung auf -lieh oder -lieh ist nun aber auch wol
zu scheiden die Zusammensetzung eines substantivischen {i)e)Ueh
mit dem gen. eines noniens, also männeglich, jceregltch, sühte-
glich, UigeMch u. dgl. m. Schon deshalb sind diese von jenen zu
scheiden, weil die composita mit gclicJt bei mhd. dichtem des
13. jh.'s hie und da noch mit gelich, nicht mit -lieh in der
Quantität ihres i zusammengehen; z. b. bei Ulr. v. Zatzikh. (s.
Zs. fda. 45, 85), der zwar die adj. auf -lieh stets kurz reimt, die
componierten tägelich, männeglieh u. s. av. aber bald kurz bald
lang, d. h. lang wie das stammhafte gelich. Und aus ähnlichen
rücksichten ist ferner abzutrennen ieslich und ieglich, diese wide-
rum u. a. schon deshalb, weil die meisten autoren nicht ieslieh,
ieglich, me vrnmtlieh u.s.w., accentuierten, sondern ieslich,
ieglich, die reimsilbe hier also haupttonig blieb, s. Zs. fda. 44,
45, anm. 1. Und so habe ich in meinen Zusammenstellungen
über die reimformen von -lieh nicht nur gelich immer von den
mit -lieh abgeleiteten adj. ordnungsgemäss auseinandergehalten,
sondern auch männeglich u.s.w., ieglich u.s.w. von diesen ge-
trennt behandelt. Junk hat das gar nicht bemerkt. Er gibt
uns auf s. 468 eine kunterbunte reihe aller bindungen von -lieh
: -ich, erhält so deren 29 für den gGerh. und 69 für den Bari,
und constatiert dann zweimal mit hoher befriedigung, dass ich
deren nur 28 im gGerh. und 63 im Bari, zusammengebracht
hätte. Dann auf der folgenden seite 469 stellt er selbst die
jcereglich und tägelich heraus. Ich aber hatte a. a. o. s. 84 con-
statiert 'Rud. V. Ems reimt die adjectivableitung (also doch
nicht tägelich und jcereglich?) nur kurz, und zwar ohne aus-
nähme 28 mal im gGerh. und 63 mal im Bari.' Und ganze drei
Zeilen später heisst es dann bei mir: Hägelich und jcereclich stellt
Rud. zu -lieh, nicht zu gelich. Sie reimen nur kurz: gGerh. 1371.
Bari. 127,27. 338,39. 341,21. 344,23. 386,21. Unflectiertes
iegelich kommt im reim nicht vor.' Da hätte Junk also schon
das beispiel aus dem gGerh. und 5 von den 6 des Bari., die
bei mir fehlen sollen, auftreiben können. Die differenz von
ZUM REIMGEBRAüCil RUDOLFS VON EMS. 447
68 -lieh bei mir und 69 bei Junk, die nun noch bleibt, kann
ich zum überfluss auch noch aufklären. Junk rechnet die
bindung zweier -lieh, die in dem siebenreim am schluss des
Bari, vorkommen, als zwei beweisende reime für -lieh; ich, da
beide -lieh in einem reimband stehn, auch nur als einen beleg-
für kürze des ?. Ich glaube, meine art zu zählen ist auch
liier richtig-er. Doch gebe ich zu, dass sich hier streiten Hesse.
— Von den unflectierten adjectiven auf -lieh widerum streng
getrennt sind dann die reimformen der adv. und obliquen casus
der Z/cÄ-ableitungen zusammenzustellen. Dabei ist abermals
das adv. von (jelich und das adv. der adj. auf -lieh genau
auseinanderzuhalten. Denn es gibt in der poetischen literatur
des 13. jh.'s erstens zwar ein adj. geliche neben gelieh, aber
nicht ein flexionsloses adj. auf -liehe — was Junk, wie seine
bemerkung auf s. 471, alinea 2 zeigt, ausser acht lässt — und
zweitens zwar adv. auf -liehen und -liehen neben adv. auf -liehe
und -liehe, aber nur ein adv. geliehe, kein adv. geliehen. Junk
ist wider anderer ansieht und rechnet die bindungen von ge-
liehe : -liehe für in bezug auf den reimgebrauch -liehe oder -liehen
indifferente, sowol s. 469, anm. 1 als an der oben ausgehobenen
stelle auf s.470. Aber er möge uns erst in der poetischen lite-
ratur des 13. jh.'s ein adv. geliehen nachweisen! Bindungen von
geliche zu -liehe sind also nicht indifferente, sondern für -liehe
gegen -liehen beweisende; als solche wurden sie von mir auch
Zs. fda. 45, 92 aufgeführt. So steht 164 beweisenden reimen
des adv. -liehe und 5 indifferenten in sich gebundenen -liehe
(diese nur im gGerh., wie ich Junk noclimals versichern Avill)
ein einziges nminecliehen gGerh. 3189 gegenüber. Aber auch
dieses nur scheinbar. Denn dieses minneeliehe{n) reimt a.a.O.
auf attributiv und fälschlich flectiert nachgestelltes (noeh lip
so) sceldenriehen. Dass hier statt minneeliehen : noeh lip so
sceklenriehen zu lesen ist mimieeliehe : noeh lip so soßldenriehe^
darüber kann nach der eben angegebenen Sachlage und in
anbetracht des umstandes, dass Rud.'s reimformen, wie Junk
selbst passim hervorhebt, höchst constante sind, kein zweifei
sein. Das ist keine bloss wahrscheinliche conjectur, das ist
einfach eine notwendige correctur der Schreibergrammatik.
Junk ist anderer ansieht und er bemüht sich in seiner anm.
zu s. 471 für Rud. schüchtern die regel zu begründen, dass
448 ZWIEUZINA
das mit so oder vil verstärkte attribut von diesem dichter nur
flectiert nacligestellt werde. Er sammelt die einschlägig-en
beispiele /lus dem gGerli. und er findet 3 solche flectierte
attribut e und 1 unflectiertes mit also. Von den 3 zu seiner
'reger stimmenden beispielen ist eines zu streichen: gGerh. 906
an mich vil armen, denn das vil tut hier nichts zur sache.
an mich arm wäre nicht deutsch. Zwei mit so bez. vil ver-
stärkten nachgestellten und flectierten attributen steht im gGerh.
also ein unflectiertes gegenüber, das Junk nicht hätte hinaus-
zuinterpretieren versuchen sollen, schon weil ihm ein zweites
ganz gleichartiges beispiel im gGerh. zur Seite steht, das Junk
mit andern ähnlichen übersehen hat: gGerh. 4627 nach dem
yriiose ivart ir himt von liehe ein jämer also gröz. Aus dem
Bari, kann ich Junk folgende fälle durch vil verstärkter und
dennoch unflectiert nachgestellter attribute zur Verfügung
stellen: 10,31. 63,17. 73,11. 126,35. 172,19. 286,33. 299,1.
310, 29. 315, 39, ferner noch gGerh. 5941 mit werden rittern
vil gemeit. — Was schliesslich Junks bemerkung angeht, dass
mein hinweis auf das fehlen der rührenden reime von -liehe
: -liehe im Bari, nicht richtig sei, weil Bari. 121, 21 gewaltee-
liche auf geliehe reimt, so ist sie durch das bisher gesagte
auch schon erledigt. Hier reimt geliche auf -liehe und nur
Junk, der geliehe und -liehe in einem topf kocht, ist diese
bindung den reimen von -liehe auf -liehe im gGerh., von denen
bei mir allein die rede ist, gleichartig. Ich habe doch selbst
auf das beisjjiel von -liehe : geliehe im Bari, neun zeilen vor
meinem von Junk gerügten hinweis aufmerksam gemacht und
in no. 12 meiner Studien über den rührenden reim, in der ich
auf die sache zurückkam, Zs. fda. 45, 309 nochmals hervor-
gehoben 'Rud. V. Ems bindet -liehe in sich nur im gGerh. . . .
im Bari, fehlen diese reime' und hier liab ich nun hinzugesetzt
^geliche bindet er aber natürlich auch dort mit -liehe s. oben
s. 294'. Auch diese no. meiner Studien war wol längst er-
schienen (juli 1901), als Junk seinen aufsatz zum druck be-
förderte.
Ich erwähne ferner, dass in einem §, der der frage nach
kurz oder lang-/ in den reimformen eines dichters nachgeht,
auch immer den drin oder drin (num.), den in oder in
nachzuforschen ist. Junk konnte das ja fortlassen, da no. 10
ZUM REIMGEBRAUCII RUDOLFS VON EMS. 449
meiner Studien auch diese frage sclion beantwortet hatte.
Freilich war er sonst nicht so enthaltsam und gruppiert, an-
statt neues zu bringen, dessen so vieles noch zu beobachten
war, meine ergebnisse an allen ecken und enden, ohne irgendwo
einen hahnenschritt über mich hinauszukommen.
§ 5 würde ich das ä (nicht ce) im transitiven ver5wm/<e«
(neben adj. smcehe, conj. praet. scehe u. s. f.) nicht so erklären
wie Juuk. Nicht das h hat hier den umlaut des ä gehindert,
sondern das ä des intransitiven verbs versmähen wirkte ana-
logisch, sowie es heute etwa umgekehrt ein intrans. brennen
gibt neben älterm Irinnen, trans. brennen. — Dass Rud. neben
dem im reim allein belegten Jierrc wol auch das schwer reim-
bare herre sprach, scheint auch mir wahrscheinlich, freilich
nicht aus dem von Junk angeführten gründe. Ich habe Zs. fda.
45, 26 f. meinen Standpunkt in dieser fi'age ja bereits fest-
gesetzt. — S. 474 wird von Junk gut hervorgehoben, dass die
bindung von nlemen zu iemen gGerh. 5313 für Rud. die
Schwächung der schlusssilbe dieses Wortes neben nleman, ieman
(: an) erweist. Nicht alle dichter kennen diese Schwächung.
Beweisende reime sind ausser reimen von niemen : iemen in
sich auch die beliebten bindungen von iemeti {niemen) mit
(schüt)riemen, die Rud.'s legenden freilich fernliegen müssen.
Dagegen kennt widerum z. b. der Stricker kein nieman oder
ieman. Aber so interessant das vorkommen von niemen {iemen)
ist, ebenso interessant ist das fehlen der bindung von niemer
: iemer. Hier war also die zweite silbe noch nicht zum ton-
losen e abgeschwächt. Darauf weist auch die Schreibung in
hss. des 13. jh.'s, wovon ich an anderer stelle zu sprechen haben
werde, nie : ie reimt oft (Bari. 1, 13. 121, 13. 308, 39. 318, 25.
348, 37 u. s. w.), ebenso iender : niender gGerh. 5615. Daneben
muss das fehlen von niemer : iemer auffallen. Auch A\'olfr.
setzt kein niemer : iemer neben sein (freilich seltenes, vielleicht
als eine art identischen reims gemiedenes) 7iie : ie Wh. 3, 29.
20, 5. 146, 29 und niemen : riemen Parz. 37, 1.
§ 6 handelt über die contractionen von -eget zu -eit
u. s. w. Eine bemerkung über die reimformen von reden dürfte
in einem solchen § nicht fehlen. Es ist bemerkenswert, dass
Rud. (sowie Hartm.) weder reite — gereit noch rette ( : bette,
emvette oder auch pl. stete, da Rud. t mit tt bindet) reimt,
Heiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIII. 29
450 ZWIEKZINA
also wol nur redete — geredet sagte. — Ich habe Zs. fda. 44, 346
hervorgehoben, dass alle Alemannen nur leit, leist, leite, geleit,
nur treu, .treist sagen, ihrem dialekt gemäss, der hier auch
nur die contrahierten formen mehr spricht, aber stets auch
saget, sagest, sagcte, gesaget neben seit u.s.w. Die sache hat
principielle Wichtigkeit. Denn die ma. in contrahierenden
gegenden kennt auch für 2. 3. sg. ind. praes. und fürs praet.
von sagen (bez. sqgge'' mit offenem (^) nur die ei -formen. Es
müssen also die von sagen (nicht seggen) gebildeten formen
neben den e?'- formen früher in diesen gegenden sesshaft ge-
wesen sein und erst später per analogiam zu ileggen) leit u. s. f.,
das natürlich keine ^-formen zur seite haben kann und auch
in alem. mhd. zeit nicht zur seite hat, verdrängt worden sein.
Junk meint, dass Eud. zwar sagete und gesaget neben seite und
geseit sprach und im richtigen Verhältnis zur reimbarkeit der
formen beides reimt, aber nur er seit, nicht er saget gebrauche.
Und er weist nach, dass er saget im gGerh. und Bari, tatsächlich
nie im reim erscheint. Nun, sagete und gesaget könnte mir ja
genügen. Aber dürfen wir aus dem fehlen von er saget im reim
auf ein fehlen von er saget in Rud.'s formenschatz schliessen,
da er doch sagete und gesaget kennt? Ich glaube nicht. Die
Proportion der zahlen wird dies sofort deutlich machen, geseit
reimt 167 mal bei Rud. (s. oben s. 442), gesaget, weil es viel
schwerer zu binden ist, nur 16 mal. Es kommt also auf mehr
als 10 geseit bloss ein gesaget. In denselben gedichten belegt
Rud. 15 er seit (s. die belege bei Junk s. 477, anm. und oben
s, 443). Neben 15 er seit sollten wir also wenigstens ein er
saget finden. Dieses eine er saget fehlt. Auf das fehlen des
einen beispiels wird niemand eine regel gründen wollen. Zu
allem überliuss verweise ich auf er saget im reim Wehr. Zs.
fda. 33, 387, 26. Zs. fdph. 21, 271, 165. Wilh. H. Germ. 10, 110.
Ein eigenes alinea widme ich folgender bemerkung. Junk
weist zu anfang seiner ausführungen über das contractions-ei
bei Rud. auf no. 9 meiner Mhd. Studien hin. Wer hier aber
literatur angibt, muss H. Fischers schrift vor jeder andern
eitleren. Es wäre undankbar, wollten wir nun des glänzenden
Universitätsprogramms von H. Fischer, Zur geschichte des mhd.,
Tübingen 1889, nicht mehr gedenken, das uns hier zuerst die
wege gewiesen und die grundlinien gezogen hat.
ZUM REIMGEBRAUCH RUDOLFS VON EMS. 451
In § 8, der u, a, die bindungen von m : n bespricht, bemerke
ich im gegensatz zu Jimk, dass man die reime von -am : -an
ebenso, d. h. aus der spräche, nicht aus der technik zu erklären
hat, wie die von -iiom : -uon und -eim : -ein. Wir werden die
reime von Tiatn, nam : man, an, geivan u. s, f. bei Walth,, K. v.
Fussesbr. und in den Nib. doch nicht als sprachlich unreine
reime fassen, ebensowenig wie die gleichen reime im Lanz., in
der Urst., Minnelehre u. a. m., s. Zs. fda. 45, 72, anm. — Die form
ivelt für iverlt reimt im 13. jh. hauptsächlich bei Ostalemannen;
ausser bei Rud. etwa auch bei Ulr. v. Zatzikh. und Ulr. v. Türh.
Nur Hartm. kennt sie noch nicht. Der flectierte gen. und dat.
heisst meist weite, nicht ivelde.
Zu § 10 kann ich nur betonen, dass ich bei meiner auf-
fassung des vereinzelten vervät in Rudolfs werken verbleibe.
Junk hat meine argumentation hier, wie auch sonst so oft,
nicht verstanden. Ich vermisse durchaus kein verväliet, eher
schon ein vervähen. Und ich urgiere Zs. fda. 45, 49, anm. die
Seltenheit des Wortes vcrvän nur um einem einwurf vorzu-
beugen, der sich in ganz anderer richtung bewegt als die aus-
führungen Junks. Man könnte nämlich sagen: dass välien und
enphähen bei Rud. selten reimen und vähet und enphähet sogar
nie, das wird durch die Schwierigkeit der bindung vollauf er-
klärt. Hat aber Rud. nicht vervähen, verväliet, sondern nur
vervän, vervät gesagt (wofür ich a. a. o. plaidiere), warum reimt
er es nur einmal, da für vervän, vervät sich doch hundert
reimmöglichkeiten bieten? Darauf antwortete ich: das wort
vervän ist bei Rud. überhaupt selten, auch vervie reimt nur
zweimal. Junk verstand die antAvort nicht, weil er nicht
gefragt hat. Er verweist auf die hs.liche Schreibung vervähen
im versinnern des Bari. y\"w. die hss. im versinnern schreiben,
ist, wo des dichters reimgebrauch entgegenstellt, von geringem
gewicht, d. h. eher für die grammatik des Schreibers, als für die
des dichters von wert.
§ 11 — 13 sind dann, sagen wir, den anomalen zeit-
Avörtern gewidmet. Diese Zusammenstellungen sollten nur etwas
vollständiger sein (s. s. 429. 432. 434). Die formen von hän,
län, stän, gän, vän, tuon (nicht nur conj. ich tuo, auch er tuo
z. b., also nicht er tüeje, ist interessant), sämmtlicher praeterito-
praesentia, ferner tvellen und sin und einiger anderer einzelner
29*
452 ZVVIEKZINA
verba (Jwnicn, heginnen u.s. w.) sollten hier immer vollständig
beigebracht Averden. Die häufig und ausschliesslich gebrauchten
formen bl,oss mit der summenzahl der belege und ihren bin-
dungsworten, die selteneren oder Avechselnden formen mit den
citaten. — Ich habe Zs. fda. 45, 30 darauf hingewiesen, dass
Eud. besonders häufig und gerne heyan reimt, vor dem be-
gunde fast ganz zurücktritt. Dann fahre ich fort: 'dem ent-
sprechend finden wir bei Rud. auch hegan im versinnern (vor
dem inf.!) genau so häufig wie hegunde ... (folgen citate) in
den hss. überliefert im stricten gegensatz zu Hartm. und Gottfr.
(s. nur Trist. 23G5) und den Nib.' Dem entsprechend also, dass
Eud. auch im reim hegan häufiger neben hegunde setzt als
andere dichter, findet sich bei ihm hegan sogar im versinnern
und vor dem Inf., und zwar fast so häufig wie hegunde, wel-
ches hegunde die andern dichter, wenn sie auch hegan reimen,
in dieser Stellung bekanntlich so gut wie ausnahmslos zu setzen
pflegen. Dieses auffällige hegan war zu belegen und wurde
durch meine citate a. a. o. auch belegt. Das ist doch klar?
Aber Junk versteht mich nun wider gar nicht. Er sagt:
'Wie Zwierzina a.a.O. diesem gebrauche entspi-echend hegan
im versinnern genau so häufig wie hegunde finden kann, ist
mir aus seinen citaten nicht klar. Alle von ihm angeführten fälle
bringen hegan, kein einziger hegunde.'' Ja glaubte denn Junk
wirklich, dass ich belegen wollte, was keines beleges bedarf,
nämlich hegunde fürs versinnere? Davor hätte ihn, wenn schon
nicht die kenntnis mhd. Sprachgebrauchs, so doch wenigstens
mein hinweis auf Hartm., Gottfr. und die Nib. bewahren sollen.
§ 14 behandelt als einzige eigentümlichkeit von Rud.'s
declination der subst. die frage, ob die feminina der ^-decli-
nation ihren gen. und dat. sg. mit flexions-e und umlaut oder
unflectiert bilden. Junk lehnt sich dabei an meine darlegungen
in der Heinzelfestschrift s. 486 ff. an. Aber aucli hiezu Ijemerke
ich, wie oben s. 444 zu Junks ausführungen über den umlaut
des u, dass man heute, seitdem einmal die aufmerksamkeit auf
die differenzen im einschlägigen gebrauch der verschiedenen
dichter gelenkt ist, nicht mehr so umständlich vorzugehen
braucht, wie ich a.a.O. vorgegangen bin und Junk es mir
nachmacht. Interessant ist es immerhin, dass Rud. die zwei-
silbigen formen im gen. und dat. dieser feminina so gut wie
ZUM REIMGEBRAUCII RUDOLFS VON EMS. 453
gar nicht reimt (es findet sich eigentlich nur einmal der dat.
arbeite gGerh. 2733 und zweimal diete Bari. 95, 25. 278, 23),
dann aber als dat. zu nom. hluot (Bari. 310, 27, s. acc. hluot
gGerh. 6327 und nom. — doch wol pl.? — blüete Bari. 20, 20)
nur zweisilbiges hlüete bildet, das nun 9 mal reimt, ohne dass
diesem hlüete ein dat. hluot gegenüberstünde. Dat. hehniiete
Bari. 109, 17 neben lieimuot stelle ich lieber zu einem nom.
heimüete, der aus falsclier analogie zu nom. acc. clienmete (Bari.
273, 29 u. ö.) neben nom. acc. diemuot (Bari. 46, 29 u. ö.) hervor-
gieng. Mit seiner Sparsamkeit in der Verwendung dieser zwei-
silbigen formen tritt Rud. wider ganz nahe an Hartm. heran
und stellt sich in gegensatz zu Gottfr. und Ulr. v. Zatzikh.
§ 15 behandelt das vorkommen von unflectiertem here
neben her. Warum nicht auch von riche neben rieh u. dgl. m. ?
Freilich hatte Kraus damals erst auf here hingewiesen (Heinzel-
festschr. s. 129 f.), s. jetzt aber auch Zs. fda. 45, 93, anm. 1. —
lieber die declination der pronomina (sie si, iu iuch, diser dirre,
diz ditze u.s. w.) erfahren wir gar nichts.
Junk bringt die dem reimmaterial entnommenen sprach-
lichen beobachtungen unter das Schema der mhd. grammatik.
Diese form der darlegung, welche auch H. Haldimanns Unter-
suchung über die spräche Rudolf Manuels Zs. f. lid. ma. 3, 285 ff.
wählte, möchte ich allen derartigen Untersuchungen auf das
dringendste empfehlen. Und so schliesse ich denn, indem ich
nochmals Junks aufsatz als die erste einer hoffentlich bald
recht langen reihe ähnlicher arbeiten begrüsse, von denen ich
nur wünschte, dass sie die von mir oben gestellten i)Ostulate
besser befolgten als Junks aufsatz dies getan hat. Ich möchte
solche arbeiten freilich nicht gerne als bequemen herausgebern
eigene mühe sparende Untersuchungen aufgefasst wissen, son-
dern lieber als vorarbeiten zu einer umfassenden grammatik
der mhd. dichtersprache des 13. jh.'s oder als vorarbeiten zu
einer geschichte der epischen technik der blüteperiode. Als
ergänzend müssten für den erstgenannten zweck aber auch noch
arbeiten über spräche und Orthographie gleichzeitiger ronian-
hss. hinzukommen.
FREIBURG, Schweiz, dec. 1902.
KONRAD ZWIERZINA.
DAS IWEINFRAGMENT C.
Im folgenden bringe ich das Iweinpergamentfragment 0
(Cgm. 191 = fr. e") zum abdruck, das mir von der Verwaltung
der k. bairischen hof- und Staatsbibliothek gütigst zur benutzung
überlassen worden ist. Lachmann hat es seinerzeit nach Be-
neckes abschrift benutzt, Henrici es wol selbst collationiert.
Vorher hat es Docen, Mise. 2, 112 ff. behandelt, der angibt,
dass das fragment von einem bnchumschlag losgelöst worden
sei; Docens angaben über die lesarten sind nicht ganz genau.
Das fragment stammt aus dem 13. jh. Es besteht leider nur
aus einem blatt (höhe 14.5 cm., breite 11, 5 cm.). Die verse sind
unabgesetzt geschrieben und durch punkte von einander ge-
trennt. V. 5891. 5931. 5971 haben rot gemalte initialen. Die
anfangsbuchstaben der verse 5883. 5884. 5944. 5948. 5949. 5952
sind senkrecht rot durchstrichen, v. 5926 ende bis 28 und ent-
sprechend auf der andern seite v. 5973 — 5976 sind teilweise
durch ein anscheinend von würmern gefressenes loch zerstört.
lieber die Stellung des fragments zu den anderen hss. lässt
sich nichts sicheres sagen: es steht zu keiner andern hs. in
enger beziehung (für ABEJabcfr stütze ich mich auf eigene
collationen, für Ddlpz auf Henricis angaben).
Das fragment hat eine verhältnismässig grosse anzahl
ab weichungen gegenüber den andern hss., aber fast alle stellen
sich als durch versehen entstanden heraus, seien es weg-
lassungen, Umstellungen oder (selten) zusätze. Oefters sind
dadurch die verse in ihrem rhythmus gestört. Schon Lachmann
bemerkt: *C ist fast so frei geschrieben wie aus dem gedächtnis.'
5861 fliv gesagen.
durh die e'' sie hete e^slagen.
Si spa I sait wer div si.
Sie spachen si ist hie bi.
5 ein ivncfrowe | heizet Ivnet.
vn stet an ir gibet.
DAS IWEINFRAGMENT C. 455
in (l*- kapelle | hie.
ritet dar vraget sie.
8
swes iv niht gesagen | kan.
90 des berihtet ivch hie nieinan.
Do sie si I vraginde wart,
ob sie weste sine vart.
do hiez | ir frow Lvuet.
div gerne hovesclichen tet.
90 ir I pfert gewinnen.
si spa ih wil mit ivch hinneu. |
riten rehte an die stat.
dar e'' mich mit im riten | bat.
do er hie vur mich gistreit.
5900 vn uz disem | lande reit.
Schiere brahte si sie dar.
si spa frowe | nemit war.
an dirre stat liez ih in.
war ab'' stvnde sin sin.
5 des enwolte e^ mir niht sagen. |
wan ein dinc wil ih gote clagen.
e*» TU sin Lew | sint sere wnt.
so daz er ze d^ stvnt.
mohte I gevarn verre.
10 got vnsir herre.
uor dem | tode in bewar.
ez ist an sine übe gar.
daz I ein ritt'' haben sol.
deiswar ih gan iv beiden | wol.
15 daz ir in gesvnden vindet.
wand ir den | ne üb- windet,
weizgot alle uwer not.
entru|wen frowe ih were tot.
were e^ mir niht ze | helfe kom.
20 also wrde ouch iv benom.
alliv I uwer swere.
vn swaz ich guf mere.
uon iv I vernim d'' frov ih mich,
hie mite schiedin sie | sich.
25 div da suhte d- was gach.
d^ rehten .stra|ze reit sie nach,
vnz (od. biz) daz sie die bvrc sach.
da im michel gemach,
uffe giscehin was.
30 wand e"" da lac vnz e"" genas. Seite 2
kSus reit sie vur | daz bvrgitor.
da niohte sie uor.
456 NIEMEYER, DAS IWEINFRAGMENT C.
uon rittern vi! | non frowen
ein solh gesiude scoweii.
35 daz wol | den wirt erte.
36 zu dem sie da kerte.
■il d^ wirt in | gegin ir gie.
42 vil niinuecliche e"' sie enpüe.
vil I bot sie die b^berge an.
Sie sp« ich svche einen man. |
45 die wile ich den niht vunden han.
so mvz ich | gnade vii rüwe lan.
nah dem wart mir gizeiget | her.
Wie ist des name sp» ab'' er.
Si spa ich bin nah | im gesant.
50 Tii ist mir anders niht genant.
wan I daz ein Lew mit im ist.
Er spa d^ hat an dirre | vrist.
uon vns liie urlop genoiTi.
ine mohte | in nie des üb*" kern.
55 deir hie iht langer wolte | wesin.
e'' vii sin Lew sint wol ginesin.
die I lagen hie beide sere wnt.
nv varnt sie vro | va gesvnt.
vn wolt ir in irriten.
60 son sult ir | niht biten.
setzet ivch uf sine sla.
geratet | ir im rehte na.
so habet ir in schiere irriten. |
nvn wart niht langir da gebiten.
65 sine | mohte zeltis niht gehabin.
sie begonde | scüflen vii traben.
biz daz si in an sach.
so I libe als ir do gescach.
so mvze vns allen noh | giscehin
70 daz wir vns als liebe sehin.
Si I gedahte in ir mvte.
richer got d^ gvte.
nv
wie I sol ez mir ergan.
n man wnden | han.
75 nv han ich michel arbeit,
an diz suchen
LEIPZIG. WOLFGANG NIEMEYER.
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS.
§1.
Die beschäftigimg mit der g"eschidite der altdeutschen
metrik hat sich in den letzten jähren wider der längere zeit
beiseite gelassenen erforschung der verskunst des 16. jh.'s zu-
gewant. Das ist schon darum erfreulich, weil durch die be-
arbeitung der hier noch der lösung harrenden probleme zugleich
neues licht auf das literarhistorische bild dieser periode fällt.
Für wichtiger halte ich, dass uns so für die beurteilung der
späteren kunst trotz Opitz' reform neue gesichtspunkte ge-
geben werden. Wären wir uns nur erst über das rhythmische
princip in der metrik des 16. jh.'s einig! Es festzulegen, wüsste
ich keinen sichereren weg, als zunächst metrische beobachtungen
bei den dichtem anzustellen, bei denen wir uns in der seltenen
läge befinden, den reinsten text in der originalhs. benutzen zu
können. Bevor wir also das schwierigere problem in angriff
nehmen, aus den durch den druck gerade in metrischer hinsieht
so entstellten texten eines Brandt, Murn er, Fischart einen
einblick in die verskunst dieser dichter zu tun, ist es gut,
die frage nach dem wesen des rhythmus bei Hans Sachs zu
entscheiden, dessen kunst sich nach seinen originalhss. sicherer
beobachten lässt, bei dem zugleich durch vergleichung von
druck und manuscript ein einblick in die art der Umgestaltung
der vorläge unter den bänden der setzer möglich ist, der end-
lich auch nach seiner ganzen bedeutung für die literatur des
16. jh.'s eine darstelluug seiner kunst wol verdient hätte. Die
einzige arbeit der art kann heutigen anforderungen nicht mehr
genügen. Es wird also keine überflüssige bemühung sein, die
frage wider aufzunehmen.
Zwei ansichten sind es, die sich seit einer reihe von jähren
bekämpfen, freilich mit Vorliebe in gestalt von fussnoten und
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIU. 30
458 MAYER
iiebenbenieikuiigen. Seit E. Höpfners bekannter programm-
schrift: Eeformbestrebimg-en auf dem gebiete der deutschen
dichtimg des 16. und 17. jli.'s, Berlin 1866. streitet sich die ge-
lehrte weit, ob in den deutschen reimpaaren des 16. jh.'s alt-
deutsche reimverse mit ihrer freien behandlung von auftakt
und Senkung widerzuerkennen sind, oder ob ihr rhythmisches
princip die *arrh3"thmie' war, d. h. die regellose Verletzung
von wort- und satzaccent, wenn nur ein scheinbar iambischer
vers von 8 oder 9 silben erreicht war.
Für H. S. hatte schon Hopf n er diese arrhythmie behauptet.
Dem widersprach Goedeke, Dichtungen des Hans Sachs 1^
(1883), s. XVI f. G. gibt zu, dass die Sachsischen verse iambi-
schen gang, eine bestimmte silbenzalil und eine gewisse zahl
von hebungen haben, aber ohne strengen Wechsel von hebung
und Senkung, da die unbetonten silben auch freiere Stellung
haben könnten, 'nur dass nicht mehr als zwei betonte silben
und zwei unbetonte unmittelbar aufeinander folgen konnten'.
Und wenn noch 1888 Sievers, Beitr. 13, 134 fn. G.'s gründe für
unwiderlegt erklärt,') so mag das verbo tenus gefasst richtig
sein: unwiderleglich sind sie keineswegs. Zudem hat G. selbst
seine ansieht nicht sonderlich scharf gefasst; lässt doch seine
erklärung, ein Sachsischer vers wie
Eulenspigel
nam ein semel
habe nur scheinbar trochäischen gang, in Wahrheit
iam bischen wegen der hebungsfähigkeit der tonlosen end-
silben -el, -er, -em, -en u.a., sich doch nur dahin deuten, dass
zu lesen sei: EulmspigÜ nam ein semel. Also tatsächlich die
verpönte arrhythmie!
Den ersten versuch einer ausführlichen behandlung der
metrik des H. S. machte im sinne Höpfners W.Sommer, Die
metrik des Hans Sachs, Halle 1882, ein buch, das nach Pauls
harter recension, Lit.-bl. 1883, 165 ff., über gebühr unbeachtet
geblieben ist trotz des rettungsversuches, den der geistige
vater der schrift, R. Bechstein gegen Paul unternahm, Germ.
28 (1883), 375 ff.: freilich eine rettung, die selbst anerkannte,
[») Von der angeführten auffassung bin ich schon seit geraumer zeit
selbst zurückgekommen. B. S.]
DIE RHYTHMIK DES HANS vSACHS. 459
dass die frage im princip nicht gelöst sei; vgl. noch E. Goetze,
Arch. f. lit.-gesch. 7 (1884), 304 ff. Keinesfalls aber hatte S. die
abfertigung Heuslers verdient, der (Zur gesch. d. ad. verskunst,
Breslau 1891) in seinem 'Excurs gegen die schwebende betonung'
S.'s betonungen "wahre monstra' nennt und es als ein glück
betrachtet, 'dass das metrum des Hans Sachs und diese »metrik
des Hans Sachs« zwei sehr verschiedene dinge sind' (s. 83).
Beweis: weil H. an 'die schwebende betonung als vor- Opitzi-
sches Phänomen' nicht glaubt! (s. 89).
S.'s behauptung ist richtig; freilich sind seine beweise
nicht stichhaltig. S. begeht den grundfehler, das material
nicht consequent genug verarbeitet zu haben. Mit einem
dutzend zusammengeraffter belege für irgend eine metrische
erscheinung ist bei einem dichter, dessen verse nach zehn-
tausenden zählen, wenig erreicht. Zweitens legt S. die druck-
ausgabe zu gründe statt der für beobachtungen über apokope,
Synkope, Verkürzung, zerdehnung der worte u.a. allein mass-
gebenden hs. des dichters. Drittens erschwert sich S. die
arbeit dadurch, dass er von vornherein den massstab mhd.
technik an die verse des H. S. legt, statt zunächst durch Wider-
legung der these Goedekes sich das feld für seine beobach-
tungen über den metrischen gebrauch der einzelnen kategorien
frei zu machen.
Seitdem ist von verschiedenen selten versucht worden,
durch anführung und nachweisung einzelner punkte diese oder
jene these zu stützen. Für arrhythmie hat sich namentlich
Drescher ausgesprochen, der auf die Wortverkürzungen, die
endsilbenreime, die Veränderungen des textes im druck gegen-
über der hs. hinweist. (Stud. zu H. S., n.f., Marburg 1891, 48 f.
Stiefels Nürnberger festschrift 246 ff. Gemerkbüchlein d. H. S.,
Braunes Neudrucke no. 149 — 152, s. vi f. Deutsche lit.-ztg. 1900,
2597 f. Zs. fda. 45 (1901), Anz. 333 ff.). Gegen ihn schrieb
Michels, der in manchen versen des H. 8. bewusste tonabstu-
fungen zum zwecke der Versinnbildlichung des Inhaltes wie in
mhd. gedichten widerfindet (Zs. fda. 38 [1892], Anz. 353 ff.). Auf
seiner seite stehen Brenner. Lit.-bl. 1897, 364 fussn. 2. Jel-
linek, Paul Schede (Braunes Neudrucke 144-148, s.lxiv, fussn.2),
und Kauffmann, Deutsche metr. 130 ff., während Helm, Die
rhythmik der kurzen reimpaare des 16. jh.'s, Karlsruhe 1895,
30*
400 MAYER
und ]\[iiior, Nlid. metr.- 333-3 IG. 537 naditrag, zu den arrhytli-
misten halten, dieser indessen in einer form, die mir bedenk-
lich scheint. M. gibt eine klare entwicklung- des problems,
erkennt auch die bedeutung der argumente Dreschers und
Plelms an, steht aber der möglichkeit, das problem aus sich
heraus zu .lösen, zu skeptisch gegenüber, und zwar aus gründen,
die ich hier schon für unzureichend erklären muss. Auf die
einzelheiten seiner ausführungen wird diese Untersuchung an
den entsprechenden stellen das rechte licht werfen.
Wie man sieht, ist eine einigung bisher nicht erzielt:
hoffentlich kann diese arbeit zur klärung der frage beitragen.
Ganz beiseite gelassen habe ich bisher die dritte these
über die rhythmik des H. S., die im anschlus au Minor, Nhd.
metr.' Rubensohn, Griech. epigramme u. s. w. (= Sauers Bibl.
älterer deutsch. Übersetzungen 2 — 5) s. cxx aufstellt, dass für
H. S. der romanische reimvers vorbildlich gewesen sei: sie
kann heute als erledigt gelten nach den bemerkungen von
Drescher, Deutsche lit.-ztg.l900,2597f., und Minor, Nlid.metr.2
346. R. verfällt wider in Sommers fehler, aus 102G versen
die metrik des dichters erkennen zu wollen.
§2.
Zu welcher partei ich mich selbst bekenne, ist schon an-
gedeutet. Ich halte Sommers these für richtig, will jedoch
den beweis auf anderem wege bringen.
1) Als grundlage der Untersuchung betrachte ich
die originalhs. des dichters und ziehe den druok nur da
heran, wo das material der erreichbaren hss. zu gering er-
schien, jedocli nur dann, wenn schon aus der lis. ein beleg für
eine metrische erscheinung gebracht werden konnte. Ich
möchte auf dieses material nicht verzichten, weil es nicht
darauf ankonmit, ein paar dutzend stellen aus dem Zusammen-
hang gerissen hinzuwerfen, sondern ein bestimmtes material
von massig starkem umfang consequent durchzu-
arbeiten und an grösseren, in sich abgeschlossenen
stücken Sachsischer dichtung zu zeigen, gegebenen
falls zahlenmässig, wie die Verhältnisse liegen.
2) Es ist genau zu scheiden zwischen spruch-
gedichten und meistergesängen. Dass für beide arten
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 461
die rhj'thmisclieii formen die gleichen seien, ist möglich, aber
noch nicht erwiesen. Ich gehe von den spruchgedichten
aus, weil hier klar ist, wie viel hebimgeu jedem vers zu-
kommen, und es sich nur darum handelt, wie hebung und
Senkung im einzelnen zu verteilen sind. Für die Mgg. steht
die zahl der hebungen nicht fest, sondern muss erst auf grund
der gefundenen gesetze über den metrischen bau der verse
erschlossen werden. Wo von diesem grundsatze abge^^ichen
ist, ist es im einzelnen begründet. Im verlauf der Unter-
suchung wird dann darzulegen sein, dass spruch-
gedichte und meistergesänge denselben rhj'thmischen
gesetzen folgen.
3) Ich halte es für verfehlt, mit Untersuchungen über
apokope und sj^nkope, Verkürzung und zerdehnung der worte
u.a. zu beginnen, weil schon Sommers arbeit zeigt, dass
diese methode nicht zum ziele führt. "Was so gewonnen wird,
hat erst wert, wenn der rhythmische bau des spruchverses
klar ist. Es ergibt sich dann zugleich, dass diesen erschei-
nungen nur eine untergeordnete bedeutung für die vers-
länge zukommt. Mit andern werten, ich suche zunächst
die frage zu beantworten, ob sich aus dem gegebenen
material beweise dafür finden lassen, dass H. S. die
rhythmische technik des altdeutschen reimverses
nicht gekannt haben kann, oder zum mindesten bewusst
dagegen Verstössen haben würde. Erst wenn sich ergeben
hat, dass diese technik ihm fremd war, wol aber seine verse
sich dem von Michels spöttisch so genannten 'klipp -klapp'
fügen, kann aus der inneren structur des verses durch beob-
achtungen über die wechselnde wortlänge bei gleichen kate-
gorien der beweis für den klipp-klapp gegeben werden.
§3.
Quellen: Grundlage bildet die Tragödie vom hürnen
Sewfrid (h. S.), herausg. von Goetze (== Braunes Neudrucke
29), in zweiter linie die Fastnacht spiele (Fsp.), herausg. von
Goetze (= Braunes Neudrucke 26 f. 31 f. 391 421 511 601
631), und zwar besonders die der jähre 1553 — 1560, Goelzes
no. 58 — 85, d. h. die nach der hs. gedruckten; weiter die nach
der hs. gedruckten Fabeln und schwanke (FS.), herausg.
462 MAYER
von Goetze {= Braunes Neudrucke 110—117. 126—184), end-
lich bd. 1 — 5 der von Keller und Goetze veranstalteten
grossen Hans-Sachs-ausgabe des Stuttgarter literarischen
Vereins no. 101—105 (W.), jedoch nur für solche stücke, bei
denen eine vergleichung mit der noch vorhandenen hs. des
dichters möglich war. Diese vergleichung hat 1894 Drescher
vorgenommen (vgl. Stiefels Nürnberger festschrift a.a.O.), der
mir in bereitwilligster weise sein handexemplar von W. zum
unausgesetzten gebrauch überliess. Alle aus diesen quellen
benutzten texte sind Spruchgedichte (=spr.). Für die
meistergesänge (= mg.) benutze ich Dreschers abschrift
von MG. 2, bes. no. 1—12 (bl. x— 28), von mir nach verglichen,
für geistliche, FS. 3, herausg. von Goetze und Drescher
(r=r Braunes Neudrucke 164— 169) für weltliche lieder. Citiert
wird nach band-, selten- und verszahl, bei MG. 2 nach der
blattziffer.
An dieser stelle möchte ich endlich herrn prof. Drescher
für das unausgesetzte Interesse danken, mit dem er dem werden
meiner arbeit seit langem gefolgt ist. Wenn bei all den ab-
lenkungen, die das schulamt wissenschaftlichen bestrebungen
bringt, die arbeit endlich doch fertig geworden ist, so möchte
ich seiner steten aufmunterung und Unterstützung mit rat und
tat das wesentlichste verdienst daran zuschreiben.
I. Altdeutsche reimverse?
§4.
a) Nimmt man an, dass die verse in den Spr. des H. S.
nach den für die mhd. dichtung geltenden gesetzen gebaut sind,
so ist man genötigt, an bestimmten stellen des verses unmittel-
bare aufeinanderfolge von zwei hebungen anzusetzen. Das
trifft besonders für das versende zu, und daher lesen auch
Kauff mann, Michels u. a. den vers FS. 1, 441, 1 weil noch auf
erden ging Cristüs (: Fetrus) oder W. 2, 196,21 mit schröcklich
brausendem dhfal ( : schal).
1) Sehen wir von Worten wie Cristus als fremdländischem
eigennamen ab, so handelt es sich in den versen, wo am ende
zwei hebungen ohne Senkung auftreten, zunächst um nominal-
composita, seltener verbalcomposita vom typus xx-
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 463
Meistens macht ihre lesung keine Schwierigkeiten für die Ver-
teilung der icten; in den Fsp. 58 — 85 begegnen unter rund
10000 versen ca. 450 derartige versschlüsse. Fast 420 dieser
verse lassen sich nach mhd. technik glatt lesen, z. b. Fsp. 5,
87,87 vnd pfiffen auf einer sdclqjfeiffen {:ergreiffen), 6, 1, 7 tiöch
kans der dewffel nit hahnfüren ( : gepilren), 7, 2, 41 den ich möcht
pringen zv vrkünd ( : fimd).
Es lässt sich aber schon hier die beobachtung machen,
dass oft der ausgang xx(x) ^'^st durch Synkope aus
XXX (x) gewonnen ist.
Welchen grund sollte der dichter gehabt haben, da den
betr. Worten doch zwei icten zukamen, eine sjaikopierung vor-
zunehmen, die den vers metrisch nur schwerer macht? Der
silbenzahl im sinne Brenners zu liebe, d.h. nur um die von
der mode geforderte silbenzahl zu erreichen, ohne dass dadurch
der rhjlhmische bau des verses beeinflusst wurde, auf keinen
fall: denn die hätte sich mit einer metrisch leichteren apokope
oder s3'nkope erreichen lassen, ohne dass damit zwei hebungen
ohne Senkung aufeinander gefolgt wären. Durch Synkope eines
-e hätten sich verändern lassen 5, 101, 63 vnd heften derweil
2um halsghricht: vnd hettn dertveil zum zum halsgericht, 5,110,33
ich main, die pawren habn ahkert: ich main, die pawrn hahn
abgekert, 5,12,350 des haushaltens dich pas angnumen: des haus-
haüns dich pas angenumeu; desgl. 6, 50, 191. 70, 158. 73, 235.
84,93. 130,279. 151,39. 7,7,183. 12,329. 34,390. 108,210.
145,80. — Durch tilgung eines flickwortes oder einer
nachsilbe: 5,146,284 hat sichs leycht pey vir wochn an-
gnumen: hat sichs pey vir wochn angenumen, 6, 17, 85 dein vatr
tvar erstlich auch vnghraten: dein vatr war erst auch vngeraten,
6,133,354 secht, ivie heslich vnd gar ungschaffen: secht, wie
heslich vnd ungeschaffen; desgl. 6,140,118. 7,91,172. 119,183.
151,241. — Durch tilgung oder anschleif ung eines
pronomens: 5, 128, 147 so went sie von mir ir angsicht: so
ivents von mir ir angesicld, 6, 4, 101 icli ivil gen nein, is noch
vngschlacht: ivil gen nein, is noch vngeschlacht, 6, 32, 137 so
muss er in den p fingst feirtageti: so mus er inn pfingstf eier-
tagen; desgl. 7, 14, 372. 51,45. 114,25. 117,126. 140,448. Der-
artige änderimgen widersprächen nicht dem gebrauch des H. S.
(s. teil II), Der dichter hätte also bequem mit Währung
464 MAYER
der silbenzalil die synkope gerade an der exponierten
stelle vor dem reim vermeiden können, wenn er über-
haupt wollte. Dass er es nicht tat, beweist jedenfalls, dass
er mit den gesetzen des altdeutschen reimverses, wie ihn die
fortgeschrittenere kunst des 13. jli.'s baute, nicht besonders
vertraut war.
2) Zum gleichen ergebnis führt die betrachtung der folgen-
den verse aus Fsp.:
5, 96, 313 es kumbt allein kein vngelück ( : rück),
6, 1, 22 des mues sie oft güet sträicli einemen ( : Schemen),
6, 9, 257 mein fräw wil morgen frwe änfsten ( : gen),
6. 13, 376 ein raön, der ällergröst stockndrr ( : pfarr),
6, 21, 243 sind güet gselen vnd pös kindsfeter ( : Vertreter),
6, 30, 51 mein lieber nächtpawr, Üel Pirnmöst ( : drost),
6, 60, 233 erst merck ich, pald got hänt äbzewcht ( : flewcht),
6,64,347 erseüft in woluest, geiz, höffärt (: widerpart),
6, 72, 187 die gab des güeten glüecks aüschütest ( : wüetest),
6, 95, 19 ich pin hewt läng im wäld vmdreten ( : petten),
6, 96, 32 häb mich gleich mued im wäld vmbgängen ( : verlangen),
6,146,296 habt vbern senät cläg vürijrächt (: gedacht),
7, 3, 87 zehen schlick vnd auch neun mäulfül ( : wol),
7,10,276 zweu zen mit meinem kölbn äusgschlägen (: sagen),
7. 14, 374 Neidharcz weib mues das päd aüsgiesen ( : peschliesen),
7, 48, 320 mein weib mir die 9 pfünd äbstäl ( : vnfall),
7, 73, 4 der mir sünst oft die thüer äufstüst ( : most),
7, 97, 314 kürabt mir zv hilff, den schälck aüfhäldt ( : waldt),
7, 142, 10 in schimpf anzeigt, künst vnd Weisheit ( : zeit).
Vgl. W. 1, 438, 34. 2, 344, 39. 3, 205, 5. 362, 13. 5, 27, 1.
Ich will nicht behaupten, dass jeder dieser verse mit fünf
bez. sechs icten gelesen werden müsse.
Notwendig ist das aber in Fsp.:
6, 13, 377 so dölpisch, grob, wild vnd vngfug ( : schlug),
6, 68, 75 kewsch, züchtig, schamhaft vnd demütig ( : guetig),
6, 68, 91 in wolluest, er, gewalt, reichtum ( : kum),
6, 69, 99 in armuet, schaut, kranckheit, elleut ( : ent),
6,146,313 iren trucz, stolcz, poch vnd hoffart (: art),
7,51,33 adel, pfaff, betler vnd lanczknecht (: rechtj.
Verse dieser art sind gar nicht so selten, wie es nach
Fsp. 58 — 85 scheinen könnte. Man vergleiche W. 1 — 5:
1 , 50, 26 in hoffart, geicz, eebruch, dielistal ( : zal),
1,178,23 die wasser, bech, see vnd quclbrunnen (: besunnen),
1, 420, 1 räuber, morder, dieb vnd schnapplianen ( : tyrannen),
1,476,17 im zv schücz, hilif, trost vud züfiücht (: sucht),
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 465
3, 206, fi kewscb, züchtig-, schamhaft vnd demütig (: gütig),
3, 393, 27 lüg. vntrew, vnzucht vnd vnkeAvsch ( : gereüsch),
3, 543, 32 durch brandt, raord, raübung vnd brandscbetzen ( : setzen),
3, 556, 4 kein zol, mant. zehend noch frondienst ( : zinst),
4,67,23 durch krieg, prunst, thewrung vnd vnfall (: zal),
4,109,18 züchtig, messig, still vnd senftmütig (:güetig),
4,114,26 henckt, kopifet, trencket vnd radbrecht (: recht),
4,115,32 ZV sorgen, angst, müh vnd arbeyt (:geyt).
Desgl. 2,351,35. 3,503,25. 4,115,35. 264,17. 340,15. 341,18.35.
342, 29. 407, 37. 434, 1. 5, 46, 19 (hs.). — Vgl. noch 1, 128, 32. 136, 9. 229, 21.
2,14,9. 17,18. 80,21. 81,7. 3,5,19. 87,13. 153,25. 215,32. 218,25. 230,33.
288, 30. 294, 14. 347, 19. 358, 28. 445, 28. 499, 12. 583, 26. 4, 36, 23. 43, 23.
24. 90,22. 249,30. 257,31. 286,17. 303,6. 353,11.5,79,1.12. 125, 16 (druck).
'Dreihebige verse.'
4,419,10 vnzucht, spil vnd totschleg (: beweg).
Vgl. noch 3, 277, 2. 278, 1. 279, 5. 314, 29 (druck).
Schon hier sei darauf hingewiesen, dass es sich in den
angeführten versen durchaus nicht immer um Zusammenstellung
einsilbiger worte handelt (s. unten s. 476 f.). Jedenfalls ver-
langt der satzaccent 5 bez. 4 icten von jedem der verse. Dabei
beweist die zahl der citate, dass es sich nicht um zufällige
Unachtsamkeiten des dichters handelt. Die angeführten stellen
bilden so ein unwiderlegliches argument gegen die annähme,
dass H. S. seine verse nach mhd. technik gebaut habe. Sie
fügen sich aber sämmtlich dem berüchtigten klippklapp,
§6-
3) Handelte es sich bisher um tonversetzungen und accent-
verletzungen bei nominal- und verbalcomposita im reime, so
lässt sich die gleiche ersch einung bei nomina mit ab-
leitungssilbe feststellen. Auch hier nötigt der reim dazu,
für Worte wie tveisheit, selig, scliamhaft u. dgl., die metrisch
XX im reime ergeben würden, v e r 1 e t z u n g d e r g r a m m a tische n
betonuug anzunehmen, wenn ausser dem reimwort
noch drei oder mehr betonte begriffe vorhanden sind.
Dass beispiele dieser art seltener sind als die unter 2) an-
geführten, ist kein grund zum anstoss, weil worte dieser art
an sich schon nicht gerade häufig sind. Die folgenden belege
aus W. 1—5:
5,70,10 getrewe freund, still und wärhäfft ( : gsellschaft),
1,328,17 der sterck, räths, Verstands vnd weisheit(: zeit),
466 MAYER
1, -475, 8 ilcin ziilliioht, hilff, räth vud Weisheit ( : gerechtickeit),
2, 150, 17 schänd, schaden, ärrauet vnd kräiickheyt ( : widerwertickeyt),
3, 97, 2 höffart, geicz, vukewsch vnd trägheit ( : unraessickeit),
4,178,30 i)\i\io, nini dein reichthnnib (: sumb) dreihcbiff.
Vgl. noch auf -haß 2,371,21; heil 2,290,3. 4, 80, 13. 121,39; —
-isch 4,3,5; ling 4,286,21; sal 5,102,38. 158,7. 223,10; tum
1,434,25. 3,151,18. 200,23. 494,31. 4,161,26; — -ut 3,190,32 (druck).
Sollen den angeführten versen nur vier icten zu-
kommen, so muss, da die ableitungssilbe als trägerin
des reimes den vierten ictus für sich in anspruch
nimmt, eine der Stammsilben tonlos sein; sie muss
ihren grammatischen accent dem metrischen einer
nebensilbe unterordnen. Damit ist im princip ton-
verletzung aus metrischen gründen erwiesen. Dass
zudem die silbenzahl der betr. verse sich auf 8 bez. 9 fest-
stellt, mag ein neuer fingerzeig sein, in welcher richtung die
lösung der Schwierigkeit zu suchen ist.
§ V.
4) YAu schritt weiter auf derselben bahn der Zerstörung
des natürlichen rh3ihmus ist es, wenn neben den ableitungs-
silben die endsilben, flexious- u.dgl. silben, als alleinige
träger des reimes auftreten. Der folgenden Zusammen-
stellung ist MG. 2 zu gründe gelegt, ein grösstenteils un-
gedruckter text, was sich jedoch nicht vermeiden Hess. Die
bisher gedruckten mg. hätten ein falsches bild ergeben, da
sie meistens weltliche mg. in der art der fabeln und schwanke
sind; z. b. FS. 3 enthält endsilbenreime nur sehr sparsam und
fast nur die häufigeren auf -er und -en. Der grund dafür ist
wol der, dass der dichter stoff und spräche des schwankes
besser beherscht als des geistlichen liedes. In diesen sind die
töne grösser, die reimstellungen künstlicher. Daher ist manches
lied in ]\rG. 2 nichts weiter als der prosaische bibeltext auf
ein bestimmtes silbenmass und reimschema zugeschnitten. —
Ich stelle die belege aus MG. 2 voran; zur ergänzung sind eine
auswahl aus W. mitgeteilt, die häufigeren nach 1.— 3., die auf-
fälligeren möglichst sämmtlich.
1) Reime auf -e.
wurme : (je MG. 2. 24, vile : se FS. 3, 414, 51 f. (Drescher). Die in W.
hegegnenden belege sind sämmtlich unsicher, mjmphe : see 3, 318, 1, muse
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 467
: sfc 3, 893, 19. 432, 39. 6, 24, 7, : ee 7, 219, 11. Es handelt sich nra fremd-
wörter, deren -e ^= lat. -ae (pl.) oder griech. -;/ ist. Drescher gibt D. lit.-
ztg. 19(X), 2597 noch Xohc (Niobe?) : aUe. Weitere belege sind nicht be-
kannt. Es muss eine besondere bewantnis mit diesen reimen haben, s.
unten s. 488.
2) Reime auf -cl.
MG. 2 esel : cnmel 60, himel : schnell 66 ', iempcl : seel 67, aposlcl : schnell
70, capittel : hell 123, emjel : hell 195', jubel : hell 214; — W. enrjel : Ra-
phael 1,159,4, : hell 11,403,14, mantel : seckel 15,178,8, zimbel : hell
19, 557, 19.
3) Eeime auf -er.
a) ]\Ilid. -cere.
Typus der betonung xx-
Im reime auf selbständiges wort.
MG. 2 munier : ser 1, Heuchler : ler 10'. 11, : mer 11 ', : seer 12, mörder
: schwer 42, reiter : mer 97', midianitter : schwer 100, fjndarener : mer 133,
heuchler : mer 146, römer : wer 156, fjleissner : er 157', Schnitter : her 160,
richter : hör 175, schöpffer : wer 224', teter : er 215', Sünder : ler 258; —
reitere : here 176'. 77. — W. Mmer : her 2, 319, 1.
Im reime auf mhd. -cere.
MG. 2 mittler : mrsprechcr : erlösser 28, Schneider : schmeicheler 149',
— mittlere : riirsprecliere 182'. — W. Phariseer : Saduceer 1,348,29, Ale-
fantzer : ebrecher 1, 447, 7, keuffer : Wucherer 3, 483, 13.
Im reime auf mhd. -er.
MG. 2 Sünder : diser 146', philister : schweher 153. — W. Travcrsiner
: tochter 2, 248, 23.
Typus >::xx(X)-
Im reime auf selbständiges wort.
MG. 2 kamerer : her 26, Ebreer : her 45', gartener : her 47', prediger
: ler 83, gartener : beger 116, anbetter : ler 120; — marterere : here 14',
gartenere : here 101. 102', kanczelere : here 136, phariseere : dere 145', kame-
rere : here 177. 178', g<uienere : here 201'. 202, waldenere : schwere 216',
arbeitere : here 244'. — W. Schumacher : gefer 1,184,33, lesterer : teer
1,190,32, sabnter : her 1,316,14, prediger : her 1,318,11, zeloter : tver
1,319,25, tvticherer : her 1,418,15, handwercker : her 2,387,18, chbrecher
: her 2, 295, 8, Schumacher : schioer 2, 203, 7, : ivcr 2, 191, 15, arbeiter : her
3, 344, 40, handwercker : ehr 3, 473, 25.
Im reime auf mlid. -ccrc.
MG. 2 priefmaler : holczmesser 126', peteler : handtvercker 149. —
W. Vitellier : Aquilier 2, 312, 27.
468 MAYER
ß) Mhd. -er.
Typus ^>^.
Im reime auf selbständiges wort.
MG. 2 vater : her 2, : mer 6'. 21. 30', : schwer 47'. 118, : j^ewer 229',
ser 245, mutier : ser 157', prüder : her 66, dochter : ser 44', : her 134',
152', emer : (r 4, untker : mer 7', oj)/'ej' : wier 29', kinder : mer 32. 230,
: her 212, wunder : her 40, jünger : /«er 53', afcer : ser 54', : her 152, /ceZter
: her 82, heitser : /ter 70, «nasser : rerr 71', zeher : wer 99'. 100, disser : her
121', mer : her 124. 251, panczer : ^er 128', junger : mer 147, /«/V-'" = ^*^'' 161)
jünger : her 161, meisler : her 165, jünger : her 192', finger : /ic/- 206, /teWer
: »Her 239, jamer : schwer 251', zepter : schwer 253; — eme?-e : /*ere 52,
opfere : /«ere 58', : ««ere 196, jüngere : sere 64, : here 140', : mere 142'. 143,
wiere : dere 214; — tvanderen : heren 13'. 14. — W. unser : her 1, 78, 28,
imer : ehr 1, 131, 5, tcclcher : f7er 1, 274, 14, selber : schwer 1, 294, 21, meister
: er 2, 322, 9, lacht er : er 2, 498, 8, imer : s^er 3, 9, 35, toeiter : cÄr 3, 285, 35.
Im reime auf mhd. -cere.
W. 1 , 447, 5 zeher : wücherer.
Im reime auf mhd. -er.
MG. 2 rafer : hunger 30, : a?*er 132', dochter : mechiiger 60, oj)/er
: ivasser 153', : rafer 256, tinther : welicher 163, meister : etlicher 165, : «wer
165', einer : meister 175'. — W. aber : Opfer 1,186,22, vater : Schwager
3, 499, 25.
Typus ^xx-
Im reime auf selbständiges wort.
MG. 2 demütiger : her 248'. — W. tvclicher : wer 2, 232, 35.
Im reime auf mhd. -er.
MG. 2 verschnittener : geioeltiger 70'. — W. geiveltiger : gcnedigster
1,135,18.
4) Reime auf -cm.
MG. 2 einem : zem 3', : dem 81. — W. iveliehem : Daphnistem 13, 158, 8,
einem : Xerxem 23, 193, 33, welichem : Jerusalem 23, 387, 7.
5) Reime auf -en.
Im reime auf selbständiges wort.
MG. 2 gerechten : wen 6', menschen : den 13, Jcameren : schön 22'
inseien : gen 39', anregen : den 44, jüngeren : zwcn 54', geschriben : sten 55',
zeichen : gen 69', zweinzigißten : hen{d) 79, fünffzehenden : sten 116, : ^cn
153, sibenczehenden: genl'SO, hunderten : sten 217 ' , weissen : den 23b, zwein-
zigen : nenn 249'. — W. commissarien : gen 2,406,5, sihenden : sen{d)
6, 379, 18, schulen : den 6, 384, 21, Armondien : gen 8, 342, 4, gotlosen : rZeww
10, 25, 17, sibenden : erkenn 10, 466, 13, kreuzigen : cZen 11, 297, 11, gerechten
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 469
: zen 18, 159, 30, nachhawen : gen 18, 350, 38, msxilen : sten 18, 379, 20, hin-
cke)ideH : sten 18, 151, 1, schrecklichen : gen 18, 298, 21, traurigen : gen
19, 29, 37, ziveinzigisten : gen 19, 115, 3, dreifsigisten : sten 19, 147, 3, vier-
tzigsten : sten 19, 186, 3, icelichen : denn 19, 364, 5, gotlosen : sten 19, 472, 7,
hoffertigen : sten 19, 479, 2, anderen : nenn 22, 132, 22.
Im reime auf -en.
MG. 2 gehenden : Cesarien 72, dreifsigen : psalmen 118, ziveinzigen
•.jüngeren 192. — W. gotlosen : fürsichtigen 18,74,8, ieclichen : nechsten
19, 69, 32, viyrrhen : cinanen 19, 252, 24, hundersten : zweinzigisten 19, 473, 5,
psalmen : fünfzigsten 19, 557, 5, leiden : erlitten 23, 504, 1, landen : stenden
28, 502, 37 (?).
6) Reime auf -ent.
MG. 2 tceident : ent 173, lebent : ürstent 195, jugent : pekennt 212. 212'.
— W. e//e»rf : 2 arent 2, 130, 5.
7) Reime auf -et.
MG. 2 laugnet : det 5. 5 ', prediget : stet 17, 72, : Nazaret 73, geheilliget
: s/e( 36, gekreuziget : rett 48', kümet : bet 120, fünffzehet : stet 194, züchtiget
: ret 215'. — W. ver^'eret : /tei 13, 2, 9, fehet : het 23, 451, 13.
8) Reime auf -es.
MG. 2 fehlt. — W. goties : gefüfs 1, 22G, 37, welches : Palawedes
20, 283, 29.
9) Reime auf -est.
MG. 2 drittest : verpirgest 233'. — W. fehlt.
Diese liste wird lioffentlicli genügen. Sie zeigt zugleich,
dass in dem behandelten falle mg. und spr. den gleichen ge-
brauch haben. — Bei den reimen auf -er habe ich die beiden
betonungsschemata xx ^^^^ xxx geschieden, um der Ver-
mutung vorzubeugen, als ob reime wie prediyer : ler =
mhä. brediycere : leere das Vorbild solcher wie tochter : her
gewesen seien. Unsere liste zeigt für beide typen die folgen-
den zahlen: xx 81 mal, xxx 18 mal in MG. 2. Entsprechend
in W. 1 — 23 XX ca. 140 mal, xxx ca. 35 mal.
§8.
Das angeführte material lässt uns endlich einen blick in
die geschichte der ganzen erscheinung tun. Es überwiegen
durchaus die endsilbenreime auf -er: in MG. 2 ca. 110 : 41,
in W. 1 — 23 ca. 250 : 40. Man wird nicht fehl gehen, wenn man
diese reime auch als ausgangspunkt der ganzen erschei-
470
MAYER
niiiig auffasst. Darauf führen mich beobachtimgeii, die ich an
einem verwanten gebiete, den (Nürnberger) fastnachtspielen
des 15./16. jh.'s über diesen punkt angestellt habe. Ich teile
die resultate in einer tabelle mit. Die folgende einteilung nach
V. Mich eis j Studien über die ältesten deutschen fastnachtspiele,
Strassburg 1896 (= QF. 77).
3^
3a
3ß
3«
Rosenplüt 3
—
Nürnb. i. hs. M
2
Rosenplüt? 5
1
Oesterreichische
12
Folz 8
—
Schweitzer
5
Nüruberger 3
1
130
3
Nürnberger? 1
—
129
2
Nürnb. i. hs. Gi3 1
—
Sterzinger
44
Die formen 1. 2. 4 — 9 fehlen vollständig. 3 ist also der
ausgangspunkt der erscheinung. Aber auch hier sind nicht
alle fälle gleich zu beurteilen. Es scheiden sich beispiele wie
schmaichler : gewär und tochter : wer, d. h. mlid. -cere : -er und
mild, -er : er. In den (Nürnberger) fastnachtsj)ielen zeigt sich
im einzelnen folgender gebrauch:
3«
-cere
-er
Rosenplüt
1
2
Eoseuplüt?
4
1
Folz
5
3
Nürnberger
3
—
Nürnberger?
—
—
Nürnb. i. hs.
Gö
1
—
Nürnb. i. hs.
M
2
—
Oestei-reichische
10
—
Schweitzer
1
4
130
2
1
129
1
1
Sterzinger
31
13
3/?
-(Bre -er
- 1
1 1
Es lässt sich demnach etwa folgendes über die geschichte
der endsilbenreime erschliessen : die in der mhd. dichtung üb-
lichen reime auf die schwere ableitungssilbe -mre gaben zu
einer zeit, als sprachlich -mr und -er zusammengefallen waren.
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 471
aber mhd. leimteclinik nocli bekannt war, veranlassung-, reimen
wie helfcüre : u-ctrc solche wie fochter : tver an die seite zu stellen.
Je unbekannter die alte technik wurde, desto eher gieng man
dazu über, in diesen -er nur eine endung- zu erblicken, und
bald wurden offenkundige flexionssilben zu trägern des reimes
gemacht. Die endsilbenreime sind also an sich kein aus-
fluss der rhythmik jener zeit, sondern der reimtechnik.
Dass aber bei H. Sachs so sehr der typus x x vorherseht, zeigt,
wie wenig Verständnis für die technik der alten dichtung bei
unserem dichter vorhanden ist und wie sehr ihm die silbe nur
als silbe gilt. So erhält auch von dieser seite her die an-
nähme, dass H.Sachs seine verse nicht silbenmessend baute,
eine neue stütze.
§9-
b) 1) Ich habe oben die belege zusammengestellt für ton-
losigkeit der Stammsilbe unmittelbar vor einer ableitungssilbe.
Der gleichen rhythmischen erscheinung stehen wir gegenüber
bei reimworten vom typus xxx- Kin vers wie W. 4, 340, 9
pfannholcz, löffl, deller, Mipferling ( : ring) lässt sich nicht anders
als fünfhebig oder mit accentverletzung lesen. Ebenso W. 2,
359,30. 437,36. 3,8,2. 89,39. 131,14 (dr.).
§ 10.
2) Bereitet schon in diesen versen die Verteilung der
vier icten Schwierigkeiten, so wird sie vollständig unmög-
lich in einer weit grösseren anzahl von versen, die
fünf, sechs und mehr coordinierte Satzglieder ent-
halten. Für die folgende Zusammenstellung ist FS. 1 und 2.
Fsp. 1 — 7. W. 1 — 4 zu gi'unde gelegt.
a) Fünf substantiva bilden den vers.
Asyndetisch nebeneinander :
FS. 1, 513, 11 zw prim, tercz, non, vesper, corapletteu,
W. 3, 499, 14 im keller, gwelb, kram, laden, marck,
3, 499, 18 vogt, amptman, zulner, richter, scherg,
3, 513, 16 mit Long, saiffn, wax, paumwoll, gematen,
4, 325, 9 iu angst, not, kummer, trübsal, laid.
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
FS. 1, 179, 89 schult, armüt, kranckheit, sünd und schand,
1, 467, 33 wolf, fuchs, per(e)n, geyern vnd hiind,
472 MAYER
FS. 2, 519, 3G schaff, rinder, pock, gais vnd die schweiu,
Fsp. 6, 63, 312 der krig, gfencknüs, luort, rawb vnd praut,
6, 72, 215 liegen, triegen, raub, neid vnd hals,
6, 79, 4-13 als er, gewalt, gunst, kunst vnd guet,
7, 38, So kes, milch, putter, krawt vnd salat,
7, 51, 35 wolf, fuchs, marder, kraen vnd raben,
W. 1, 178, 7 luft, fewer, reg-en, thaw vnd schnee,
1, 239,'23 diircli mittel, weg, weifs, mafs vnd statt,
1, 303, 32 vol trübsal, angst, forcht, pein vnd schrecken,
1, 323, 1 hoffart, nachred, neid, zorn vnd hals.
Desgl. 1,470,11—13. 2,64,12. 238,17. 3,97,10. 98,29. 163,29. 360,19.
394, 9. 428, 16. 466, 27. 30. 544, 14. 572, 3. 4, 69, 17. 115, 10. 341, 7. 342, 6.
343, 4.
Vgl. noch FS. 1, 358, 92. 2, 248, 6; Fsp. 1, 117, 89. 2, 109, 136. 114, 287.
3,102,116. 4,85,211. 119,199; W. 1, 153, 32. 407,7. 2,178,26. 185,8.
283, 21. 292, 15. 437, 34. 3, 7, 1. 39, 23. 87, 15. 151, 19. 152, 14. 336, 2. 349,9.
498, 33. 499, 9. 513, 18. 4, 121, 37. 190, 36. 197, 15. 27 (dr.).
Das letzte glied durch oder u. ä. angesclilossen:
W. 4, 294, 2 reichthumb, ehr, gwalt, kunst oder gunst.
Vgl. noch FS. 1, 30, 32. 97, 11 (dr.).
Mehrere glieder verbunden:
W. 2, 44, 5 speiis vnd trauck, kleidung, schmück vnd zier,
3, 398, 7 gepejn vnd marck, seel, hertz vnd gmüt,
3, 576, 28 lieb vnd neid, forcht, pratick vnd renck.
Vgl. noch Fsp. 2, 138, 239. W. 3, 442, 13. 4, 79, 23 (dr.).
ß) Fünf adjectiva bilden den vers.
Das letzte glied durch vnd angesclilossen:
FS. 1, 305, 29 pücklet, hincket, lang, dick vnd krumb,
1, 435, 104 rot, praun, grab, gestraimet vnd schecket,
Fsp. 5, 125, 29 durch trew, frumb, züchtig, kewsch vnd rein,
6, 68, 68 holawget, phiich, dünn, dürr vnd mager,
6, 74, 250 trüczig, stolcz, vppig, schwind vnd gech,
"VV. 2, 229, 18 verschmacht, schwarcz, bleich, dürr vnde mager,
3, 181, 13. 14 still, trew, parmherczig, milt vnd sitsam,
ghrecht, warhaft, gütig, seufft vnd fridsam,
4, 115, 20 fein, munter, nüchter, frisch vnd gsund,
4, 274, 30 sein färb schwarcz, gel, braun, fal vnd weifs,
4, 442, 30 schon, wolgfarb, frisch, jung vnd gesund.
Vgl. noch FS. 1,127,50. 2,558,64. W. 1, 428, 4. 449,29. 2,360,11.
3, 449, 31. 4, 35, 13. 53, 13. 239, 25. 257, 15 (dr.).
Mehrere glieder durch vnd verbunden:
FS. 2, 370, 66 weifs, grün vnd rot, praun vnd plitschplab.
Vgl. noch FS. 1, 127, 49. W. 4, 52, 21 (dr.).
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 473
7) Fünf verba bilden den vers.
Das letzte glied durch oder angeschlossen:
W. 3, 29G, 5 vennan, lehr, straif, warn oder treyb (ilr.).
Mehrere glieder verbunden:
W. 1, 358, 26 negt, grempt vud frist, trauert vnd gemert (dr.).
d) Fünf (adverbia) bilden den vers.
Mehrere glieder verbunden:
W. 2, 278, 37 wie, wo und wenu, wer vud warum (dr.).
f) Sechs substantiva bilden den vers.
Asjiidetisch nebeneinander :
FS. 1, 301, 29 würst, hirs, krebs, bering, erbeis, speck,
W. 4r, 151, 9 geicz, frafs, vnkewsch, neid, zoreu, hafs,
■i, 196, 18 kaiser, kong, fürst, graf, ritter, knecbt.
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
FS. 1, 153, 44 jung, alt, knecbt, maid. frawen vnd kind,
W. 4, 438, 29 von gwalt, schon, sterck, krafft, frewd vnd müt.
Vgl. noch FS. 1, 22, 48. W. 1, 361, 18. 452, 1. 3, 8, 21. 299, 34. 336, 29.
495, 7. 4, 120, 30. 377, 20 (dr.).
7j) Sechs adjectiva bilden den vers.
Asyndetisch nebeneinander:
FS. 1, 305, 30 murret, muncket, prait, pluntscb, kurcz, rumb.
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
W. 3, 503, 28 rechts, vnrechts, bofs, guts, grol's vud klein.
Vgl. noch W. 1, 435, 9. 10. 3, 344, 27 (dr.).
g) Sechs verba bilden den vers.
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
W. 4, 371,18 sie kocht, spült, keert, wescht, neet vnd spinnt (dr.).
d-) Sieben substantiva bilden den vers.
As3'ndetisch nebeneinander:
W. 4, 193, 2 wein, koru, ops, saltz, schnialtz, kraut (vnd) ruhen (dr.).
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
W. 1, 371, 10 milch, woln, haut, fleisch, pein, derm vnd raist,
3,538,30 leib, seel, krafft, macht, lob, ehr vnd gut.
i) Acht interjectionen bilden den vers.
Asyndetisch nebeneinander:
W. 2, 391, 14 puff, platz, puff, platz, zinck, zinck, puff, platz.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVHI. 31
474 MAYER
§ 11.
Ebenso finden sich in den 'dreihebigen' versen vier, fünf
und sechs. coordinierte glieder.
x) Vier substantiva bilden den vers.
Asyndetisch nebeneinander:
W. 3, 277, 1 mort, krieg, gwalt, rawberey (dr.).
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
W. 1,409, 10 gsundheit, lüst, freufl vnd müt,
3, 322, 27 frafs blut, flaisch, bain vnd marck,
3, 384, 27 an leib, seel, glück vnd gut,
3, 458, 34 falsch, betrug, lug vnd list,
3, 471, 9 würtze, kraut, laub vnd gras,
3, 479, 4 sein art, frücht, Ion vnd pev^^t,
3, 479, 30 kraft, macht, gwalt vnde gut,
4, 174, 4 sein gmuet. Heisch, bein vnd marck,
4, 183, 11 des gwalts, prachts, ehr vnd guts,
4, 309, 10 an seel, leib, gmuet vnd hab.
Vgl. noch FS. 2, 352, 68. W. 1, 351, 29. 3, 195, 18. 196, 31. 243, 35.
278, 35. 310, 23. 4, 137, 8. 9. 155, 10 (dr.).
X) Vier adjectiva bilden den vers.
Asyndetisch nebeneinander:
W. 3, 279, 6 messig, still, fridsam, gütig (dr.).
Das letzte glied durch V7id angeschlossen:
W. 3, 321,3 gancz plaich, schwarcz, dürr vnd mager.
Vgl. noch W. 3, 194, 19. 21. 4, 137, 7 (dr.).
(U) Vier verba bilden den vers.
Asyndetisch nebeneinander:
\V. 3, 459, 1 schmehen, kriegn, hawen, stechen.
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
W. 3, 318, 15 mich hayl, salb, bad vnd sterck (dr.).
v) Fünf verba bilden den vers.
Das letzte glied durch vnd angeschlossen:
W. 4, 136, 30 drück, fach, press, zwick vnd dreng (dr.).
I) Sechs interjectionen bilden den vers.
Asyndetisch nebeneinander :
W. 4, 200, 21 zinck, platz, puff, ziuck, platz, puff.
§ 12.
3) Das material wird hoffentlich ausreichen, um endgiltig
die annähme von Goedeke, »Sievers, Michels und Kauff-
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 475
mann zu widerlegen. Ueberall zeigt sich die Unmöglichkeit,
die altdeutsche reimverstechnik im spruchverse des H. Sachs
widerzufinden, dagegen ist die silbenzahl 8, 9 bez. 6, 7 streng
festgehalten. Die gegebenen stellen lassen sich beliebig ver-
mehren. Hier will ich nur noch auf eine noch grössere zahl
von Versen hinweisen, die ebenso sehr jener annähme wider-
sprechen, aber widerum die bestimmte silbenzahl aufweisen,
die verse, in denen eine anzahl von begriffen, und zwar mehr
als vier, in anderer gruppierung als oben auftreten. Ich be-
schränke mich darauf, die belege aus FS. 1 und 2 anzuführen.
Für Fsp. und W. 1 — 4 gebe ich nur die citate. Wer dann noch
zweifelt, mag sich selbst an der hand meiner belege ein bild.
von der sache machen.
a) Vier substantiva und ein adjectiv bilden den vers.
FS. 1, 439, 88 in sorg, forcht, angst vud vnruh grol's,
1, 451, 22 küe, kelber, schaff vud seh wein, die frechen.
Vgl. noch 1,31,81 (dr.).
ß) Vier substantiva und ein verbum bilden den vers.
FS. 2, 69, 7 litt darbei hicz, frost, hungr vud kiunmer,
2, 418, 74 thuets milch, schmalcz, kes vud wollen geben.
Vgl. noch 2, 499, 58 (dr.).
7) Vier adjectiva und ein Substantiv bilden den vers.
FS. 2, 483, 5G grofs, starck, grob vud rüssen von leib.
d) Drei substantiva und zwei adjectiva bilden den vers.
FS. 1, 459, 46 storch, staren, schnepffen, gros vud klein.
Vgl. noch 1, 125, 100 (dr.).
e) Drei adjectiva und zwei verba bilden den vers.
FS. 1, 19, 98 roch, wilt vud wüst, schilt vnde flucht (dr.).
7j) Zwei substantiva und drei adjectiva bilden den vers.
FS. 1, 154, 12 kraut, pairisch, gelb vnd weilse rüben,
1, 308, 8 kraut, pairisch, gelb vud weilse rüben.
Dazu vgl. aus Fsp,:
hs.: 1,148,72. 151,148. 2,32,177. 86,124. 5,132,265. 6,2,34. 23,278.
61,252. 153,113. 7,2,27. 51,31. 52,85. 62,111. 122,276; — druck: 1,7,233.
23,38. 27,169. 32,348. 58,154. 68,494. 93,360. 104,167. 117,85. 2,55,203.
3,58,77. 119,174. 123,282.299. 132,224. 135,312. 4,6,138. 86,263. 5,28,380.
5, 68, 348.
Bedeutend grösser ist die zahl der belege aus W. 1 — 4:
31*
476 MAYER
hs.: 1, 20, 10. 22, 3. 26, 1. 48, 10. 49, 9. 10. 50, 27. 108, 11. 13. 174, 8. 9.
198,11. 233,23. 437,6. 439,36. 441,2. 476,1.4. 2,101,32. 156,7. 161,9.
204,5. 258,15. 342,7. 385,4. 402,27. 3,160,5. 340,15. 362,26. 393,30.
401,1. 434,42. 468,16. 503,12.24. 520,12. 559,25. 569,25. 4,61,15. 64,33.
66,14. 131,2. 181,20. 214,1. 222,1. 229,3. 230,5.33. 249,32. 275,23.
276,16. 341,8. 407,31. 413,33; — druck: 1,66,3. 86,29. 111,4. 120,13.
132,22. 22946.17. 230,8. 249,15. 289,20. 323,2. 325,4. 334,21. 365,28.
378,28. 381,27. 389,15. 396,16. 427,33. 446,27. 2,4,13. 17,18. 19,32.
87, 26. 175, 24. 292, 14. 300, 4. 310, 1. 3, 7, 35. 58, 17. 81, 34. 132, 16. 134, 7.
153,3. 213,11. 223,4 229,26. 247,17. 313,7. 319,26. 358,28. 488,36. 499,8.
580, 35. 4, 8, 26. 37, 17. 48, 3. 53, 31. 79, 24. 90, 23. 91, 20. 160, 9. 237, 10.
247, 13. 286, 18.
Ich glaube, es ist zwecklos, die Sammlung noch weiter
auszudehnen. Was ich mitgeteilt habe, ist eine aus wähl, die
sich reichlich vermehren Hesse. Berücksichtigt man aber die
zahl der mitgeteilten belege, so scheint es mir nicht über-
trieben, wenn ich behaupte, dass die zahl der Sachsischen
verse, die der vierhebungstheorie widersprechen,
nicht nach hunderten, sondern nach tausenden zählt.
§ 13.
Ich habe oben darauf hingewiesen, dass es sich in dieser
liste nicht stets um einsilbige worte handelt. Der mhd.
reimvers kennt ja auch derartige über das mass von vier
gliedern hinausgehende begriffshäufungen in einem vers. Aber
wie selten sind dergleichen verse, und stets sind es dort ein-
silbige Worte, die ihren satzaccent zu gunsten des versaccentes
verlieren, und nie mehr als fünf begriffe.
Kauf f mann, D. metr. 114 führt an:
Freidank 93, 0 ros, schilt, sper, hübe unde swert.
Walther 8, 31 velt, walt, loup, rör unde gras.
Tristan 665 gel, brün, röt, grüen unde blä.
Ich füge noch hinzu:
Meier Helmbrecht (herausg. von Piper, Deutsche uat.-lit. 4S 2) 408, 201 gel,
blä, grüeue, brlin, rot.
Freidank (herausg. von Hildebrand, ebda. 9) 302, 8 der Tseu, ros, man, burc
und laut.
334, 13 dan got, iTp, sele und ere.
Winsbecke (herausg. von Hildebrand, ebda. 9) 171, 483 guot, milte, zuht,
so iTt sTn spil ( : sün, swer daz hus wol haben wil).
Welch anderen eindruck machen dagegen verse des Hans
Sachs wie
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 477
vogt, ainptmanii. zolner, richter. sohcrg,
mit hong, saiffn, wax, panmwoll, gematen,
hoffart, nachred, neid, zorn vnd hals,
kaiser, köug, fürstn, graf, ritter, kiiecht.
leib, sei, kraft, macht, lob, ehr und gut.
u. dg'l. Also ein- und zweisilbige ■v\;orte in buntem Wechsel.
^Vie oft ist ein zweisilbiges wort durch apokope oder sj'nkope
künstlich einsilbig- gemacht! Daher kann es kein wunder
nehmen, wenn bei H. S. die worte äusserlich um so kürzer
werden, je mehr begriffe den vei's bilden. Jedenfalls aber
findet diese eigenart des Sachsischen verses nichts ihr ähnliches
im altdeutschen reimvers.
§ 14.
c) Noch einen punkt möchte ich hier kurz berühren, der
so recht geeignet ist, zu zeigen, wie wenig unserem dichter
der grammatisch-logische wert des Wortes galt, Avie
sehr ihm jede silbe gleichwertig war für seine metrik: das
enjambement. Genaueres gehört in eine reimteclmik des
H. S. Nur die frage sei aufgeworfen, ob jemand wirklich
Verständnis für natürlichen rhythmus hat, der sich folgende
verse erlaubt:
1) Adjectiv und Substantiv getrennt.
FS. 1,202, 389 ich sprach, wo sind denn die verkerten ||
münch, pfaffen vnd falsche gelerten.
1,216,11 ein drünckenpolcz, voll aller groben ||
laster, das er in nit künt loben.
1,271,64 der sprach, du pist ein küng ob allen ||
thieren und thust dein ding mit gwalt.
1,289,41 (nichs phielt) wie mocht den graben ||
rock ich denn phalten haben.
1,316,53 (als dem gröbsten) den plaben ||
hiiet mocht zv dragen haben.
1,466,4 durch den finsteru vnd vugehewrn ||
walt, der rechten lantstrassen nach.
1,469,120 vnd der gleich auch an allen frechen ||
dieren, so vns im gauczeu laut.
1,515,108 sprang drauff mit füessen vnd mit herben ||
Worten schalt er den wasserkrug.
1,546,87 (die fraw autwort:) den alten ||
han wollen wir pehalten.
478 MAYER
FS. 1,591,8 er sprach, du fragest mich eins schlechten ||
(lings, das schier alle pawren wissen.
1, 592, -1:8 im rat drat herfür ein vralter ||
hünd vnd sprach, ich rat entlich das.
2,59,86 daranff man den heyligen fruraen ||
Laurencium gepraten liat.
2, 404; 52 derhalb sein kacz wirt pald das pest ||
fiech werden durch sein füUerey.
2) Präposition und Substantiv getrennt.
FS. 1,236, 83 und saget wunder von ||
der kranckheit idennon.
1,405, 170 so sagt man auch, nimant kum von ||
dem dancz so gut, als er dran ging.
1,421,50 maint ein mensch sol sich richten nach ||
der Weisheit in all seinem leben.
1,556,39 der glaser ging, nam sein al aus |1
dem fischphalter, hilt in zu haus.
1,577,89 kuecht Haincz seczet sein messer on ||
laib, wolt ein grofs stuck schneiden thon.
1,579,154 das ich den Hainczen schrecket von ||
den krapffen? vnd legt an dem end.
2,61,28 den das sich müfst legen ein ||
das grab zum dotten Stauadio.
3) Und am ende des ersten verses.
FS. 1, 162, 39 der pfaff sich segnet vnde ||
recht wie ein pfeiffer stunde.
2,200,63 sein kunst war nur fantasey vnd ||
maint wen ainer in offen stund.
4) Hilfsverbum und infinitiv getrennt,
FS. 1,293, 9 der schwab ein sack mit nüssen wolt ||
Stelen, aber der mercker solt.
1,460,83 durch sein anschleg, die er verheln ||
thut, maint, sie küm im gwis nit fein.
1,555,109 das nimant durch sein schimpf i)eladen ||
werd mit schand, schmach, nachtail vnd schaden.
5) Artikel und Substantiv getrennt.
FS. 1,296, 44 das er iras abhawt. da Hoch der ||
thumprobst, stiefs etlich pild darnider.
1,453,72 ich wart ein teil, zu sehen den ||
vrbring, als ich zusach dem kegeln.
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 479
FS. 1, 510, 88 sie stund da vnd sach gar wol das ||
flaisch war hin, die suppen da schwara.
1,587,119 dolpet, vngschickt, so spricht man der ||
mensch ist ein rechter Fünsinger.
2,242,14 die ich auch selb hab pracht aus dem ||
heiligen lant Jerusalem.
2,59,89 als nun der künig las an dem ||
prief die klag vnd haimlichen ding.
2,288,122 da müst von herczen lachen der ||
Centelon, lis gutwillig nach.
W. 2, 90, 7 der jung vermaint nit änderst der ||
hirt sein leiblicher vater wer.
2,374,11 am sibenden tag sagtens der ||
kranck kaiser gar verschieden wer.
3,426,32 ich sprach, wen man braucht müfsig den ||
Wollust, wie kan er pringen schaden.
4,201,29 und ein scheflein, doch das ||
eisen nur hülczin was.
2,221,7 vnd aiich mit rosenwasser; das ||
kraut Avüchs und wudlet also sehr (dr).
4,45,35 bist stillschweigend geleichsam der ||
Hipocrates dein meister wer.
6) Einzelnes.
FS. 1, 408, 96 dardurch er kreüczweis ging vnd nom ||
war, wie da in dem keller sein.
1,429,36 als der edelman huret, das ||
der Schneider diseni paurenknecht.
2,237,1 im puch der alten weisen las ||
ich, wie das ein ainsidel was.
2,201, 115 zum leczten schrier doch einer dw ||
sack, deck die paczet maunczen zu.
2,238,42 als ich also von meiner schar ||
schaf, wen ichs zehen jar ausdrib.
W. 3, 576, 16 auf den reichstegn sucht ich des reichs ||
wolfart, da fund ich vil ungleichs.
§ 15.
Ich fasse nocli einmal die behandelten punkte zusammen.
Dass H. S. die verse seiner spr. nach den für mhd. dichtung
geltenden rhythmisrlieii gesetzen gebaut habe, ist unbeweisbar.
Vielmehr ist anzunehmen, dass er diese technik nicht kannte.
480 MAYER
1) In verseil mit nominal- oder verbalcompositum am ende
ist der sclnvere ausgang x X oft erst kiinstlicli aus x x X ^her-
gestellt, der silbenzahl wegen, obwol diese auch auf anderem
wege erreicht werden konnte,
2) Zahlreiche verse enthalten ausser der den vierten, den
reimictus tragenden silbe nach mhd. technik noch mindestens
vier zu betonende Stammsilben coordinierter begriffe. Ent-
sprechend bei 'dreihebigen' versen.
3) Steht eine ableitungssilbe im reim, so begegnen in
einer anzalil von versen mit dem ausgang x x ausser der reim-
silbe noch vier betonte Stammsilben,
4) Zahlreich sind die fälle, in denen eine tonlose flexions-
silbe alleinige trägerin des reinies ist.
5) Auch Worte mit ableitungssilbe im versende vom typus
XXX bilden mit noch drei und mehr coordinierten begriffen
einen vers.
6) In zahlreichen fällen wird ein vers gebildet durch fünf,
sechs, sieben und acht verbundene und unverbundene ein- und
mehrsilbige begriffe.
7) Noch häufiger sind verse zu treffen, in denen fünf,
sechs und mehr über- und untergeordnete begriffe die vers-
einheit bilden,
8) Schwere enjambements, wie zerreissung von artikel und
Substantiv durch den reim kommen vor.
Die angeführten punkte lassen sich mit für mhd,
rhythmik geltenden gesetzen nicht vereinigen. H, S,
kannte diese technik also nicht. In sämmtlichen
fällen fügen sich aber die verse der silbenzahl; also
war diese das den vers beherschende princip, und da
häufig der reim die Überordnung einer grammatisch
minder betonten oder gar unbetonten silbe über eine
stark betonte verlangt, so war die silbenzahl mit der
accentverletzung verbunden. Die dichtungen des H, S.
'bieten meist nichts anderes als eine mit den rohesten gewalt-
mitteln in das metrische Schema gezwängte prosa. Rücksichtslos
zählt er seine vielfach sprachwidrig gereckten und verstüm-
melten Silben in die verse und Strophen hinein, nicht allein
unter Vernachlässigung der natürlichen betonung, sondern auch
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 481
ohne alles g-efülil für liarmonie zwischen satzban und metri-
scher gliederung'' (Vogt. Pauls Grundr. 2-, 299), d.h. den vers
des Hans Sachs beherscht als rhythmisches princip
die arrhythmie.
II. Die klippklapptechnik.
§ 16.
Welche mittel wendet der dichter nun an. um einen vers
von vorgeschriebener länge zu bilden? Ich beschränke mich
bei der beantwortung der frage wider auf die si)ruchgedichte.
Für die meistergesänge ist in manchen punkten wie auftakt,
silbenzahl u. a. ohne kennt nis der nielodie keine sichere ent-
scheidung zu treffen. Ich ziehe deshalb die mg. nur bei
solchen erscheinungen heran, die sich als grammatische pro-
cesse beurteilen lassen, also besonders bei wortverstümmelungen
oder zerdehnungen. Eingehendere Untersuchungen über den
bau der mg. stehen von anderer seite bevor.
Es sei erlaubt, das ergebnis meiner Untersuchung voran-
zuschicken.
1) Die silbenzahl stellt sich in den spr. ganz über-
wiegend auf 8 fest, so dass iambischen rhythmus an-
zunehmen nahe liegt. Neuusilbige verse mit klingendem
ausgang werden vom dichter sichtlich gemieden, und oft wird
der achtzahl der silben zu liebe grammatisch klingender aus-
gang rein äusserlich durch sprachwidrige synkope in stumpfen
verwandelt. Verse, die das mass von 8 silben nicht erreichen
oder bei stumpfem ausgang über das von 8, bei klingendem
über das von 9 hinausgehen, sind verschwindend selten und
lassen sich stets gemäss der technik des dichters auf das
richtige mass bringen.
2) Der dichter bevorzugt entschieden am anfang
des verses ein logisch unbetontes einsilbiges wort
oder eine vorsilbe (iambischer eingang).
3) Für die erscheinungen der Wortverkürzung und
-zerdehnung, apokope, synkope, epithese lassen sich
grammatische regeln nicht aufstellen. Sie zeigen sich
in jeder grammatischen kategorie und jeder lautlichen Um-
gebung und jeder metrischen Stellung.
482 MAYER
4) Entspreclieiid dieser willkür in der wortbehand-
lung zeigt sich auch in der accentuierung der silben
gesetzlosigkeit. Die accentverletzungen treten bei jeder
silbengattung und an jeder versstelle auf.
§ 17.
a) Silbenzahl in spr.
Die meisten spr. haben für den vers 8 silben bei stumpfem,
9 bei klingendem ausgang. Gedichte von 6 bez. 7 silbigen
versen sind selten, z. b. in FS. 1 und 2 nur no. 48. 52. 53. 56.
57. 59. 60. 71. 77. 79. 85. 87. 92. 97. 98. 110. 111. 112. 119.
120. 125. 126. 156. 303. 343. 386, im ganzen 1914 verse.
Metrische oder stilistische unterschiede von den andern sind
nicht vorhanden. — Die silbenzahl 8, 9 bez. 6, 7 ist in der
hs. genau eingehalten. Abweichungen sind selten. Im h. S.
sind unter 1142 versen 17 zu kurz, 11 zu lang. Die notwendigen
änderungen sind schon von Goetze getroffen worden.
320 hs. mein ernholt, thtv pald ansafjen : mein erenholt, thw palä an-
sagen, 606 hs. das wil ich ivillig gern thon : das wil ich tvillig geren ihon,
64-8 hs. drümb flicht, sagt vater vnd niüeter mein : drümh flicht, sagt vatr
vnd müeter mein. So noch 80. 114. 231. 482. 511. 580. 655. 759. 766. 790.
816. 867. 871. 948. 953. 959. 1003. 1006. 1026. 1113.
In mehreren versen würde ich anders als Goetze lesen:
449 hs. zaig mir den wege oder ich wil, G. iveg oder; wahrscheinlicher
ist mir wegen des epithetischen e: ivege odr, 470 hs. ich sach nie Jcain er-
schrecklichem wurm, (y. schrecJclichern; wahrscheinlicher ersc/w*ecM^c7^rn, 683
hs. der halben ich euch hieher pracht hab, G. derhalb ; statt dessen derhalbn,
684 hs. kreftig confect, damit thtit euch laben, G. kreftig confect mit . . . ;
statt dessen kreftg confect damit . . . , 823 hs. gegen riesen, lielden vnd den
imermen, G. (den): statt dessen mit erhaltung des artikels gegn.
Das sind aber belanglose kleinigkeiten. Für den h. S.
zeigt sich jedenfalls, dass gewöhnlich ein -e- oder -i- zu viel
oder zu wenig geschrieben ist. Ein wörtchen ist einzusetzen
in 114 noch, 655 hie, 947 er, 1006 dem, 1113 gar.
In den Fsp. 58 — 85 fallen auf ca. 10000 verse ca. 30 zu
kurze, ca. 200 zu lange, also 2, 3proc. unvollkommener verse.
Die änderungen ergeben sich leicht.
Zu kurz sind in der hs. z. h.:
o, 85, 40 zern, vnd list mich darnach kochen : zeren,
5, 95, 297 ich mag dich nicht mer ansehen : anesehen,
6, 8, 233 diesen heilling, krefting segen : heilligen,
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS.
483
6, 129, 232 (larnadi igliche haimlawff : haime,
6, 151, 48 mit lauten, singn vnd hoffirn : singen,
6, 156, 199 ich glaub, wer mich gestochn het : gestochen.
Zu lang z. b.:
5, 85, 25 an pfarer von Rissenpurg pegert : pfarr,
5, 86, 55 so hab ich den winter futr vnd mal : wintr,
5, 86, 61 ja, werlich es sint dem pader worn : padr,
5, 86, 62 zwo entn auf der obern pank erfrorn : obrn,
5, 86, 71 die wil ich halb sieden vnd halb pachen : siedn,
5, 87, 96 mein Ewlenspiegel, darzw ich pin : Ewlenspiegl.
§ 18.
b) Reimlänge.
Zum beweise meiner behauptung, dass H. S. für die spr.
stumpfen ausgang entschieden bevorzugt, gebe ich eine tabelle
über das Zahlenverhältnis der verschiedenen ausgangsarten
des verses nach Fsp. 58 — 85. Unter a) ist die zahl der in
spräche und schrift einsilbigen reime angegeben wie pest:fest;
unter b) solcher wie sagn : tagn, d. h. in der schrift einsilbig,
mhd. zweisilbiger, stumpfer reim, oder wie crdn : iverdn, d.h.
mhd. zweisilbig klingender reim; unter c) solcher wie liahcn
: hiaben, d. h. mhd. zweisilbiger, stumpfer reim, oder wie iv'mden
: binden, d. h. mhd. zweisilbig klingender reim.
no.
verszahl
a
b
c
no.
verszah
a
b
c
58
362
228
2
128
72
400
260
—
140
59
366
218
4
144
73
399')
277
—
122
60
336
222
—
114
74
414
298
2
114
61
386
290
4
92
75
492 2)
315
34
143
62
432
296
12
124
76
430
302
16
112
63
380
268
—
112
77
330
244
2
84
64
380
252
4
124
78
286
174
10
102
65
350
238
6
106
79
354
244
6
104
66
328
178
2
148
80
352
234
8
110
67
380
254
—
126
81
398
170
—
228
68
456
330
—
126
82
324
220
—
104
69
372
254
—
118
83
340
250
—
90
70
326
212
6
108
84
468
359
—
109
71
400
280
—
120
85
640
470
4
166
[m ganzen 74, 6
proc.
einsilbig
e reime.
') In Goetzes Zählung scheint der dreireim 6, 136, 21. 22. 23 übersehen
zu sein.
2) Die beiden lieder 7, 5, 134—139. 9, 249—258 abgerechnet.
484
MAYER
Absolute riclitigkeit der zahlangaben wurde nicht erstrebt,
aber es kann kein zweifei sein, dass der dichter einsilbigen
ausgang des verses wollte, selbst wenn auch nur äusserlich
für das aüge einsilbigkeit des reimes erzielt wird.
Interessant ist es, auf diesen punkt hin hs. und druck zu
vergleichen. Nach Dreschers handexemplar von W. 1 — 5 ist
sehr häufig durch apokope oder sj^nkope ein zweisilbiger reim
der hs. im druck einsilbig geworden:
z. b. 4, 244, 11 dr. fantasey : melancholei/, hs. fantaseye : melancholeye ;
4,442,35 dr. fürwar : jar, hs. fürware : jare; 2,288,9 thür : für, hs. thürc
: füre; oder 1, 411, 3 zaln : schaln, hs. zalen : schalen; 2, 342, 26 jarn : erfarn,
hs.jare» : erfaren; 5, 2,96, B5nari-n:verharrn, hs. narren-.verharren; 5,274,8
erhabn : labn, hs. erhaben : Iahen ; 3, 118, b scfiadn-.ladn, hs. schaden -.laden;
1, 109, 15 jafjn : fracjn, hs. jagen : fragen.
Bedeutend seltener entspricht klingender reim im druck
stumpfem der hs.:
z. b. 4,343,5 kindel : umidel, hs. Mndl : tvindl; 4,233,25 feiver : vn-
gehewer, hs. feivr : vngeheicr; 4, 100,26 fraget : saget, hs. fragt : sagt.
Vgl. tab. IIa und IIb.
IIa.
Hs.
klingend
er
reim
wird
stumpf
in dr
•
-e
-el
-er
-em
-en
-CS
-et
-est
Sa.
nach vocal
1
—
—
—
—
—
1
—
2
n
l
—
—
—
—
6
—
1
—
7
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2
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—
1
—
54
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m
—
—
—
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3
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3
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f
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1
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2
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1
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(c)h
—
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—
—
—
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2
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20
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d
3
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—
—
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—
11
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«
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—
—
—
—
—
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—
—
n
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2
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—
4
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—
—
6
))
k
—
—
—
—
1
—
6
—
7
Sa.
13
—
—
—
113
2
25
2
155
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS.
48^
IIb.
Hs.
stumpfer reim wird
klingend
in dr
-e
-el -er -em -en
-es
-et
-est
Sa.
nach vocal
—
- 13 - —
—
—
—
13
))
l
—
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—
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4
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- - — 22
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4
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26
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—
— — — —
—
—
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— — — —
—
—
—
—
f
—
— — — —
—
—
—
—
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_ _ _ _
—
—
1
1
ic)h
—
- - - 1
—
—
—
1
n
h
—
— — — 2
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1
—
3
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—
1 - — —
—
—
—
1
n
9
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—
2
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2
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P
—
— — — —
—
—
—
—
n
t
—
— — — —
—
1
—
1
)i
k
—
_ _ _ 1
—
3
—
4
Sa.
—
1 13 — 30
—
11
1
56
Sichere ergebnisse liefert die Zusammenstellung nicht;
aber es scheint doch, dass der dichter, mag er nun für
den ersten band seiner gesammelten werke die 'correctur' in
unserem sinne gelesen haben oder nicht, in seinem bestreben,
einsilbigen versschluss zu erreichen, nachträglich
über sein manuscript hinausgegangen ist. Das zeigen
besonders die dieser marotte zu liebe vorgenommenen sprach-
widrigen Synkopen nach h, d, g, t, Je, auch f, s, {c)h, dem gegen-
über das entgegengesetzte bemühen, im druck dem text durch
hinzufügung von -e ein mehr schriftgemässes aussehen zu geben,
entschieden zurücktritt. Das ergebnis bleibt bestehen, selbst
wenn H. S. nicht der urheber der änderungen ist, sondern wenn
sie dem drucker zufallen.
§ 19.
c) Auftakt.
Im h. S. finde ich folgende Verhältnisse:
1) Ein einsilbiges, logisch tonloses wort steht vor
einem logisch betonten am versanfang: ca. 650mal; z. b.
486 MAYER
1, 3 den erberu lierrn vnd zuchting frawen,
1. 4 vnd all, so wollen hörn vnd schaweu,
1. 5 ain wunderwirdige history,
^ 1, 8 der künig Sigmund wart genant,
1, 11 an siten, tugent vnd verstant,
1, 14 in wildem wald vnd in verprennt u. a.
2) Eine unbetonte vorsilbe steht am anfang des
verses: 60 mal; z. b.
1, 13 erschlug ein trachen mit der hent,
2, 34 geladen in den rosengarten,
2, 44 erstachen schlaffent pey aim prunnen,
4, 104 pelaitten soln auf hundert man,
12, 333 eretten sie von dem verderben.
13, 369 genug zv essn vnd drincken pringen u. a.
3) Ein einsilbiges betontes wort steht am anfang
des verses vor einem unbetonten: ca. 330 mal; z. b.
1, 1 hail vnd glück sey den erenfesten,
1, 6 wol zu pehalten in memory,
1, 16 flos aus dem fewer wie ain j)ach,
2, 53 got mir ein sun pescheret hat,
2, 55 der sich darzv nicht schicket wol,
3, 81 solt jr in dem im folgen thun u. a.
4) Ein zweisilbiges auf der ersten silbe betontes
wort steht am anfang des verses.
a) Namen: 15 mal; z. b.
2, 42 Dietrich von Fern pegüting thet,
4, 100 Sewfrid, mein allerliebster sun,
7, 176 Sewfrid, kum rein, mein lieber knecht u. a.
ß) Nominalcomposita: 7 mal; z. b.
4, 99 ernholt, Sewfriden pringen thw,
8, 220 hofizucht leren mit allem fleifs,
9, 231 grosmechtger küng, eurn künglich hoff u. a.
/) Stammsilbe + nachsilbe: 10 mal; z. b.
1, 20 künig Gibich het ain dochtr zart,
2, 312 sitlich, ganz hoflich vnd gemach,
31,846 küenheit vnd hochmüt thut in treiben u.a.
d) vn- unbetont: 3 mal;
3, 71 vngenietet vnd vnerfaren,
18, 508 vnrwig vnd munter gemacht,
24, 671 vngessen pis au virden tag.
t) Stammsilbe + (flexions)silbe: 67 mal; z. b.
1, 10 welcher all hüfflickait vermeit,
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 487
4, 105 alle vou adel wolgetan,
2, 45 ireu schwager SeAvfrid darnach,
4, 109 aiideru kunier sün gleich nid eben.
11. 295 lebent secht ir mich iiimer mer.
40, 1097 schaffet das vurecht gros vnd klain n. a.
Von den 1142 versen des h. S. haben ca. 650 + 60 = 62,1
proc. iambischen eingang; bei ca. 330 = 28,9 proc. ist er wenig-
stens nicht ausgeschlossen; nur 15 + 7 + 10 + 3 + 67 =
weniger als 9 proc. haben ihrem grammatischem accent zufolge
trochäischen beginn, immerhin eine so kleine zahl, dass der
gedanke an absichtliche häufung der verse mit iainbischem
eingang nicht abzuweisen ist.
§ 20.
d) Apokope.
Es beschäftigt uns hier nur die frage, inwieweit die apo-
kope ein mittel zur versbildung ist , d. h. in welcher gestalt
werte der gleichen grammatischen kategorie mit ursprünglich
auslautendem -e im verse der spr. erscheinen.
Ich beschränke mich auf nachweisungen für die 1. 3. sg.
ind. conj. praet. sw. v. und den nom. sg. sw. adj. nach FS. 1, 153
— 186, einem material von 1122 versen.
Die 1. 3. sg. ind. conj. praet. sw. v. endigt stets auf t, im
ganzen ca. 140:
z. b. (ich) Mnt das 157, 7, (ich) het mit 159, 53, (ich) fragt was 159, 68,
hört ich 157,12, (ich) sagt im 158,48, (ich) ilachi an 160,115; — (er) het
wider 154,4, (er) wolt der 156,99, (er) fült nach 161,21, schickt er 154,9,
(er) rieht an 155, 57, (er) zünt an 155, 69. Wo die silbeuzahl zweisilbige
form verlangt, ist e vor t gestellt: (ich) erhöret 153,2, (er) u-eret 155,74,
(er) erquicket 157, 116, (er) droet 157, 119, (er) nehet 158, 17, (er) strewet
161, 23, (ich) warnet 162, 48, (er) schlemet 163, 34, (er) machet 164, 39, (er)
verprasset 164, 48, (ich) ergrimet 166, 32, (er) riieffet 167, 72.
Bei dem nom. sg. sw. adj. schwankt der gebrauch:
dieser karge alter 164, 41, der schwechste werckzeivg 167, 103, der drite
schmack 170, 38, der virde gschmack 170, 50, der fünfte gschmack 170, 64,
difs eilende ... heer 158,51; — der siies geschmack 169,9, der sechst
gschmack 171, 80, der gros kaiser 181, 1, die iceis ameis 157, 126, die stick-
finster nacht 157, 8, die gantz weit 184, 56, das frostig heer 156, 79, dies
ivütent heer 158, 51, das alt Sprichwort 186, 59.
Die erhaltung des -e ist nur an die silbeuzahl gebunden;
die lautliche Umgebung ist ohne \\irkung.
488 MAYER
Vgl. nach h. S. vor vocal: mt'cde vnd 26, lOi. Weitere belege fehlen
in h. S., vgl. noch FS. 2 müelle vnd 618, 3, arme vberall 607, 20, korbe vnd
607,21, paide vnd 622,56, j^egirde vnd 606,119, vnde alt 621,28; — vor
Vorsilbe: seine glieder 1,17; vgl. noch FS. 2 u-olgestalte glieder 605,68;
— vor consonant: diese zeit 14,381, grabe tragen 35,958, trewe that
41,1134, alle rast 12,340, schwere räch 2,46, seine Hengst b,lB4:, weyse ret
41, 1134, kurze zeit 13, 367, künicliche magt 13, 347, liebe dochter 28, 764,
vierde jar 23, 639, gepirge hoch 12, 338, rotte pluet 19, 539.
Im ganzen findet sich auslautendes unbetontes -e im h. S.,
dazu in MG. 2, bl. x— 28 und FS. 2, 601—626 (im ganzen in
ca. 3350 versen) nur ca. 163 mal und zwar vor vocal nach
kurzer silbe 3 mal, vor vocal nach langer silbe 22 mal, vor
cons. nach kurzer silbe 13 mal, vor cons. nach langer silbe
125 mal, ein beweis, wie stark bei unserem dichter die
neigung zur apokopierung ist.
Noch stärker zeigt sich die abneigung des dichters gegen
auslautendes -e im reim. Ich habe schon darauf hingewiesen,
dass die endsilbenreime auf ungedeckte -e ausserordentlich
selten sind. H. S. meidet überhaupt reime mit -e in den spruch-
gedichten: h. S. so wenig wie FS. 1 und 2 haben irgend einen
reim mit ausl. ungedecktem -e. Stets wird apokopiert:
z. b. h. S. 2, 46 {die) räch, 4, 117 (er) pelaid, 7, 175 {ich) hob, 7, 181
{dem) geheivs, 8, 202 {dem) ent, 8, 219 {der) tveis, \\. s. w.
Ausnahmen begegnen in den 'dreihebigen' versen;
z. b. FS. 1,161,2 {dem) tage, 161,26 {er) were, 162,45 {die) stende;
oft nur epithetisch: 161,1 {er) läge, 161,19 {er) abschiede, 162,28 {er)
läge, 162, 35 {er) peschisse, 162, 40 {er) stunde, 162, 40 (er) duete, 163, 1 {er)
wase, 163, 5 (er) hübe, 163, 21 (er) pesone, 163, 22 {den) mone, 163, 25 (er)
fünde, 163, 27 (er) pate, u. s. w. Es sind in FS. 1 und 2 no. 52. 53. 79. 85.
92. 97. 98. 110. 112. 119. 125. 126. 156. 303. 386 im ganzen 1006 verse. In
diesen stehen stehen 142 reime mit -e, davon 50 mit epithetischem -e.
Wenn also die endsilbenreime auf -e bei H. S. so selten
begegnen, so ist daraus kein schluss auf die metrische kunst
des dichters zu ziehen, etwa dass ein richtiges gefühl ihn vor
dieser stärksten aller accentverletzungen gewarnt habe; ich
glaube eher, dass die apokope seiner spräche gemäss war.
Dann wären die im verse und reime vorkommenden -e als
epithetisch zu fassen, wie für den reim die spr. es nahe
legen. Entscheiden lässt sich freilich im einzelnen falle die
Sache nicht.
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 489
§21.
e) S y n k 0 p e.
1) Am ende des Wortes.
Ich behandle hier nur solche fälle, wo die synkope zwischen
verschlusslaut oder spirant und l, r, m, n stattfindet, also von
der mundartlichen deutung des Schriftbildes abgesehen, als
sprachwidrig bezeichnet werden niuss. Die folgende Sammlung
nach Fsp. 58—85.
a) Kurze Stammsilbe + synkopierter nebensilbe
in der hebung.
Vor vocal:
hosn vnd 6, 160, 313, üebl erschreckt 5, 93, 243, abr ein 6, 112, 149, stadl
ah- 6, 59, 191, fidl vnd 5, 141, 132, hedr vnd 6, 18, 143, fogl vnd 7, 124, 310,
schwigr euer 6, 151, 23, legn ein 7, 4, 104, gscgn euch 7, 116, 95, erlogn ins
5,93,232, vatr ain 6,23,274; im ganzen ca. 60 mal.
Vor consonantisch beginnender vorsilbe:
habn pegert 5, 104, 171, hahn gelesen 6, 47, 180, edl gejporn 6, 144, 244;
im ganzen ca. 20 mal.
Vor consonantisch beginnender Stammsilbe:
esl (lud 5, 147, 323, gelesn die 6, 42, 22, abr so 5, 118, 186, habn zv
5, 140, 94, habns die 5, 118, 188, padr dem 5, 110, 345, tragn so 6, 43, 65,
gesotn wie 6,132,321; im ganzen ca. 75 mal.
ß) Kurze Stammsilbe + nebensilbe in der Senkung.
Vor vocal:
hosn vnd 7, 94, 243, habn ab 6, 127, 183, obn vnd 6, 157, 228; im ganzen
ca. 20 mal.
Vor consonantisch beginnender Stammsilbe:
vbl lest 7, 57, 282, abr mein 7, 128, 72, habn dragn 6, 50, 275, fidl pogen
5, 141, 135, widr machen 6, 127, 185, redn dich 6, 2, 45, gsegn dich 5, 124, 18;
im ganzen ca. 30 mal.
7) Kurze Stammsilbe + nebensilbe im auftakt.
Vor vocal:
vbr ee 6, 31, 91, habn ob 6, 1, 18, odr ich 6, 1G2, 357 ; im ganzen ca. lOmal.
Vor consonantisch beginnender Stammsilbe:
vbr vier 5, 101, 55, habn judn 7, 35, 409, odr mit 6, 145, 274.
6) Zahlreicher noch sind die beispiele für synkope nach
langer Stammsilbe.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVlll, 32
490 MAYER
In der hebung:
« ngl auf 7, 149, 205, handl verscJmigen 6, 138, 72, schlaffn gelegt 7,91, 163,
löffl sambt 7, 84, 301, pfaffn lieber 6, 89, 243, liebr was 6, 30, 65, abnt rüest
5, 146, 267, • achzg claler 7, 85, 338, ilreissg daler 7, 32, 323, dreissg dalern
7, 34, 375, zwainzg dalern 5, 85, 43, zivainzg jaren 7, 148, 169 ; im ganzen
ca. 200 mal.
In der Senkung:
tvurczl aller 6, 105, 319, eeprechr vnd 6, 31, 91, prenckn gumnshv 7, 103, 63,
Ewlenspigl hat 5,85,23, Fünsingr loern 5,111,362, pfaffn füllen 6,34,175;
im ganzen ca. 125 mal.
Im auftakt:
satl vnd 7, 90, 148, sünder ain 6, 161, 319, morgn opfer 6, 89, 240, Künczl
3Iayers 7,61,13, senftr setj 5,102,106, iverffn pis 0,1-18,329 ; im ganzen
ca. 30 mal.
s) Synkopierung findet sich also in allen Stellungen, nach
kurzer und langer silbe, vor vocal und consonant, in der hebung,
Senkung und im auftakt. Auffällig ist sie nach kurzer silbe
in der hebung. Wäre dem dichter die ältere technik bekannt
gewesen, so niüsste man erwarten, dass er von der rein ortho-
graphischen Verstümmelung des wortes absah und sich die
verschleifung in der hebung erlaubte. Oder ist diese Ver-
stümmelung doch nicht rein orthographisch, sondern etwa der
ausgleich zwischen der dem dichter eignen Sprechweise solcher
Worte wie haben, ledig, ligen und der vorbildlichen Orthographie?
Möglich ist jedenfalls, dass derartige worte in der mundart
des dichters einsilbig waren, und die in den Nürnberger fast-
nachtspielen des 15. jh.'s so häufigen reime wie haben : laden,
geben : degen, schaden : tragen u. a. könnten darauf hinweisen.
Keinesfalls aber waren in dieser art einsilbig worte wie
sauffen, salczen, dencken, und wenn im vers so oft sauff'n,
salczn, denckn begegnet, so ist darin eine orthographische
Willkür aus metrischen rücksichten zu erblicken.
Um so auffälliger ist die gegenteilige beobachtung, dass
worte wie haben, ledig, ligen auch als ganzer fuss gemessen
werden. Die folgende Zusammenstellung nach h. S.
1) Mhd. vLx = nhd. .^x-
6, 175 sprecht, darin halt ein koler haüs,
28,757 also hab ichs verloren paid,
5, 125 was wöl wir nemen vnter banden,
24,656 so müstw nemen jenes schwert,
41,1125 nur fert mit freffel vnd gewalt,
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 49l
18, 507 der trach der hat mich diese nacht,
2,49 hören vnd sehen in dem spiel,
35,958 dem wil man icz zv grabe tragen,
29,796 mit allem adel an dem Rein,
3,87 mit jagen, heczen vnd hoffieren,
10,253 herczliebster herr vnd vater mein.
Im ganzen steht kurzer vocal + nachsilbe als ganzer fuss bei -ler 3 m.,
-len 3 m., -rer 1 m., -ren 2 m., -rent 1 m., -men 3 m., -ner 2 m., -net 2 m.,
-nig 3 m., -nigs 2 m., -nigin 3 m., -niglich 3 m., -fei 1 m., -se 3 m., -sei 1 m.,
-ser 6 m., -sem 5 m., -sen 8 m., -hei 7 m., -hen 3 m., -be 1 m., -bei 1 m.,
-her 6 m., -bert 1 m., -ben 19 m., -bent 2 m., -bent/'g 1 m., -bens 3 m.,
-bet 5 m., -bich 4 m., -bichs 1 m., -del 3 m., -der 16 m., -den 3 m., -dig 3 m.,
-ge 2 m., -(/er 1 m., -gen 20 m., -r/enf 3 m., -gest 1 m., -get 8 m., -<er 5 m.,
-tern 1 m., -ie>i 2 m.
2) Mhd. s^x = nlid. v::x.
13,346 got, dir sey es im himel clagt,
1,11 an siten, tugeut vnd verstant.
Im ganzen -mel 1 m., -tner 1 m., -men 6 m., -met 2 m., -inest 2 m., -ten 1 m.
In allen anderen fällen, wo mhd. v^ x = ''^^^^- - x ^^2. ^ x
auftritt, liegt entweder tonversetzung- oder synkope vor,
C) Hierher gehören auch die zahlreich begegnenden
kurz formen sol wir, peger wi?; hob wir. Sind sie auch an
und für sich ein rest älterer technik, so geht doch H. S.
weit über den mhd. gebrauch hinaus, indem er von
Stämmen aller art solche verkürzte formen bildet.
Material Fsp. 58— 85.
Nach kurzer silbe:
sol ivir 5, 85, 23, peger wir 7, 19, 508, kumb tvir 6, 34, 195, hab icir
6,20,212, dag ivir 6,145,278; im ganzen 30 mal.
Nach langer silbe:
sey u-ir 5, 104, 168, tcöll ivir 5, 97, 349, wer wir 5, 107, 251, Mm tvir
6,101,191, ktm wir 6,61,260, /<o//" zmr 7, 35, 413, as wir6,bSAT2, sech wir
6, 45, 134, Verderb ivir 6, 20, 211, find wir 6, 102, 232, trüg wir 7, 14, 383,
het ivir 5,99,11, drünck wir 6,57,124; im ganzen ca. 120 mal.
/;) Aehnlich steht es um die zusammenziehung von
-igen zu -ing, -liehen zu -Vmy. Mag sie auch der mundart des
dichters eigentümlich sein, so dient sie doch nur metri-
schen zwecken, Material Fsp. 58— 85.
im staicbing w'eter 5, 87, 83, vom Imcsing pfaffen 5, 94, 251, V07n heilling
lunt b, 125, 4Q, vgl. 5, 126, 59. 5,151,429. 6,53,1. 6,88,220, den lawsing
pfaffen 5, 84, 16, den heilling segen 6, 8, 223, ein glückseling gang 6, 11, 312,
vgl. 6,23,274. 24,306. 162,364. 140,127. 7,114,52. 127,46, in der vnseling
32*
492 MAYER
l'rancl-Jtcit 5, 128, 125, die laivsing pfaffen 5, 118, 188, ?V poshafting herrn
6,145,271, von heilling dingen 5,180,189, den vnparmherczing iveiben
5, 134, 325, mit vbring zechen 6, 44, 111, vgl. 6, 161, 329. 163, 329. 7, 37, 19.
105,139, (yie) peining die 6,125,117; — des schentling knechcz 7,160,462,
dem eling stant 6, 13, 380. 6, 119, 360. 365. 120, 399. 7, 167, 640, kain sched-
ling man 6, 36, 244, ain haimling schacz 7, 24, 116, in haimling retten 6, 83, 78.
§ 22.
2) Am anfang des Wortes.
Ich berücksichtige nur die synkopierung von e in den
Vorsilben he- und r/e-, die am häufigsten ist. Die von Minor,
Nhd. metr."^ s. 173 erwälmte Verstümmelung von ver- zu v- ist
mir aus handschriftlichen texten nicht bekannt.
a) Die Vorsilbe ist als Senkung erhalten.
be-: h. S. 1, 6 ivol zvpehalten in memory, 2, 27 den er pestrit zum vierden
mal, 2, 42 Dietrich von Fern pegüting thet, 2, 53 got mir ain sun pescheret
hat, S, 79 ja, weil Scivfrid, das thut pegern, 4:, 111 kain hoffgesind, das mich
pelaid. — MGr. 2 der leo sich piecläget X, die nuch{t) pedetvt die sünde X ',
der leb den Bäbst pedcwtte 1, in vctterlich pehüetle 2', da würden sie pe-
trtibet äl 3', Johannes vns peschreiben düt 5.
ge-: h. S. 1,8 der künig Sigmund wart genant, 1,23 auf ein gepirg
vnmenschlich hoch, 3, 89 das wird im den aiich wolgefallen, 3, 91 wii-t den
auch ertig vnd geschlacht, 3, 92 als den gepürt ains künigs sun, 4, 105 alle
von adel tvol getan. — MG. 2 in der schrift vngegründe X', kein mensch-
geivält sunder nur göt 1, er hat gehandelt nimer 2, mit straff gegrünt 2,
vnd sein gerechtikeitte 2', damit vns däüit hat gespeist 3'.
ß) Die Vorsilbe ist synkopiert.
be-: vor s: doch ir pjruder aus neid inipsünen h. S. 2, 43; — vor st:
des ist mein handl vnpstendig gancz FS. 2, 612, 21; — vor seh: die reder
mit sehineisen bschlagen h. S. 5, 127, zumb pschlufs so icil ich euch ver-
monen h. S. 40, 1109, das pschaut Momos aüsen vnd inen FS. 2, 604, 40; —
vor h: tml phalten mich in holen stain h. S. 25,697, vnd phelt ein güet
sicher gewissen FS. 2, 623, 95. — In MG. 2 bl. X— 28 fehlen belege; nur
pleiben steht regelmässig.
ge-: vor iv: h. S. wil mit der hant mir giv inen gmrng 4,115, in gwalt
vnd künklich herschaft seczen 14, 383, den kämpf er dardurch givinen Ican
34,936. — MG. 2 sprecht, wer wir gwessen zv der zeit 12', von mein wegen
euch das vngvntter diitte 16; — vor i: h. S. das glaid uwl wir dir geben
naus 4, 122, Seiofrid, ich wil das glaid euch geben 27, 726, wir ivollen euch
das glaid naus geben 36, 1000. — MG. 2 wee euch schriftgiert j)hariseer 11,
wee euch schriftgiert phariseer entwicht 12, wee euch schriftgiert phariseer
unrein 12'; — vor r: h. 8. eltren so ain vnghraten sum, 40, 1112, desgl. FS.
2, 616, 49. 70. 620, 90. 93. MG. 2 — ; — vor m: h. S. darnach elicher gmahel
sem 12, 326, desgl. 28,755. 29,799. 32,878. 33,911. — MG. 2—; — vor n:
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 493
h. S. ivil mit der hant mir gwinen gnung 4, 115, desgl. 6, 161. — MG. 2 — ; —
vor f: h. S. die von eim icurm hingßrt ist ivorn 28,753, desgl. 31,848. —
MG. 2 vür ir räthewser nntworten mit gferden, desgl. 25. 26; — vor s: h. S.
vater vnd viuter gsegn euch got 11, 293, desgl. 40, 1107. — MG. 2 das ir wandet
im gsecz pelih verpfUchte 2, desgl. 9'. 10'. 12. 19'; — vor st: h. S. die iceil dw
hast des gstiren kunst 27, 734, desgl. FS. 2, 605, 77. 616, 55. 618, 19. 619, 42.
— MG. 2 — ; — vor h: h. S. pein schtvenczen übert maiver ghangen 17,483. —
MG. 2 — ; — vor j) (=h): h. S. vnter dem pirg in seim gehews 7, 181, desgl.
15, 404. 22, 615. 622. 24, 663. 664. — MG. 2 — ; — vor r/: h. S. hab auch nit
gessen noch getruncken 14,398, desgl. 25, 681. 27,742. — MG. 2 denn es sol euch
ZV der stunt icerden geben 13'; — vor p: h. S. — -. — MG. 2 iverden verfolget,
peiniget, verhönet 2, desgl. 11,19; — vor ^: FS. het ain suntag vor fas-
nacht zecht 2, 615, 14. — MG. 2 icas ir hant thän einem vnter 7, desgl. 14'.
16; — vor Ä: h. S. got, dir sey es im himel clagt 13,346, desgl. 39,1079.
— MG. 2 so wirt die stät vmkeret 17.
Die liste zeigt deutlich, dass die natur des folgenden
lautes ohne einfluss auf die s3"nkopierung' im verse
ist; diese regelt sich vielmehr nach der silbenzahl.
§ 23.
3) Anschleifung des pronomens u.a.
Material Fsp. 58-85.
die = t: mir tlewt 5, 100, 21, ir tnasen 5, 148, 333, vürt lucken 6, 15, 49,
dir tfawst 6, 48, 230, vbert gamillen 6, 25, 335, mirt icürcz 7, 63, 135 ; im ganzen
ca. 50 ra; — es ^ s: ivis im 7, 51, 55, dus getroffen 7, 118, 138, pewars dester
6,72,196, dirs selbert 6,73,241, mirs nit 6,125,139, mirs die 7,51,46; im
ganzen ca. 36 m.; — sie = s: ers zvm 6,50,265, ers so 7,165,594, sams
ein 6, 20, 193, mans in 7, 8, 227, reckens iren 7, 9, 251, habens vns 7, 167, 633 ;
im ganzen 15 m.; — das = s: ers maicl 7,149,205; vbers feit 7,96,295,
ins haivs 6, 139, 113, ans hosduech 7, 41, 145, ins wirczhatvs 7, 74, 45, geben
sglait 7,32,327; im ganzen 15 m.; — des = s: ztisjuden {haits)7,33,S-iß;
— du =^ t: ivilt also 6,26,357, ivilt vm 6,99,138, kumbst vngeschlagen
6, 10, 298, darfst den 5, 110, 324, sagst mein 5, 138, 24; im ganzen ca. 30 m.;
— ir =^ r: maintr das 5,104,165; — in = n: iviltun nit 6,43,65, wiln
entpfahen 7, 16, 425, dirn in 6, 51, 300, fürn auf 7, 143, 49, icini ewidich
7,146,120, dirn ich 7,157,388, habn im 5,107,257, soltn dem 5,148,328;
— zu=^z: dürfzessen 5,99, 11^ lustig zessen 7, 6H,2il, nit zwegenb,13b, 3G9,
morgen znacht 6,21,231. 7,26,164, mit zfressen 5,\Q\,h2 mich zfriden
7, 98, 353, leichter zhoicken 5, 100, 49, crewczer zton 5, 103, 140. — Ganz
geläufig sind die leichtesten verschleifungen von {d)em zu m, (d)en zu n,
z. b. aim kind 7, 119, 181, aim tceib 7, 166, 604, meim knecht 7, 99, 383, zum
nasenküng 7,118,144, vorm stat 7,41,139, aufm tveg 7, 135, 290, ausm scherm
7,77,120; — pein pf er den 7,90,147, zun fleischpencken 7,102,38, peyn
fieischpencken 1,103, GS, woZ« /m/s 7, 136, 304, dirn korb 6, bl, 313, vbern
icald 5, 87, 84, hintern siadel 7, 83, 284, ausn äugen 6, 15, 27.
494 MAYER
§ 24.
f) Epithese von -e.
Ein .letztes mittel zur versbildung ist die anhängung des
unorganischen -e an das fertige wort. Grammatische unter-
schiede sind auch hier nicht vorhanden. Es ist gleich-
giltig, ob- das nächste wort mit vocal oder consonant beginnt;
der hiatus spielt bei H. S. keine rolle. Material Fsp. 58 — 85.
{(las) lohe jehen 6, 109, 60. 7, 16, 435, (das) weihe mein 6, 29, 20, (das)
hawse mein 6, 81, 7. 85, 135, (das) jare hewer 6, -15, 141, (das) lande oder
7, 152, 267, (die) hulde soweit 5, 129, 165, (die) zeite hah 5, 126, 60, vnde nacht
5, 144, 214. 6, 74, 274, vnde det 6, 107, 7, hereine ffcn 6, 108, 42, nichte thon
7, 61, 71, pringe vns 6, 101, 181, peschaide mich 6, 99, 143. 7, 152, 274, kimbe
herein 5, 92, 219.
§ 25.
g) Die accentverletzung.
Es erübrigt noch, die handhabung der von den angeführten
argumenten erwiesenen accentverletzung zu zeigen. Ist es
richtig, dass die grammatische kategorie für die metrische
behandlung des wortes bedeutungslos ist, so steht zu er-
warten, dass sich die accentverletzung bei jeder end-
silbe und an jeder stelle im verse zeigt. Ich lege die
beispiele aus h. S. vor. Die zahlen 1. 2. 3. 4 vor den citaten
bedeuten die tonstelle im verse.
1) Das zweite glied eines compositums mit anf angs-
betonung hat den ictus.
«) Namen.
1) 9, 224 Crimhilt, ganz holt seliger art, desgl. 2, 42. 38, 1058. 35, 955.
7,126. 15,420; im ganzen 14 mal; — 2) 2,41 den doch Crimhilt vom dot
eret, desgl. 34, 940. 3, 79; im ganzen 17 mal; — 3) 2, 33 nach dem wart von
Crimhilt, der zarten, desgl. 2, 35. 35, 972. 2, 45 ; im ganzen 8 mal ; — 4) 1, 21
ZV Wurms am Bein, die hies Crimhilt, desgl. 2, 39. 1, 9. 15, 418 ; im ganzen 10 mal.
Vgl. noch 32,873 von Frähant den herzögen her; 31,850 zv im den
hersog aus Frabändt ( : hant), desgl. 31, 859.
ß) Substantiva und adjectiva.
1) 12,'S10durchleuchtigerküng,peymemr er, desgl. 4,99. 9,231.10,253;
im ganzen 6 mal ; — 2) 5, 145 vnd nit farlessig, noch fawl sein, desgl. 29, 799.
39,1080. 12,332; im ganzen 8 mal; — 3) 9,227 fierolt, ge ins fraw(e)nzimer
nein, desgl. 19,520. 32,873. 41,1132; im ganzen 13 mal; — 4) 26,704 vor
müede vnd groser amacht, desgl. 3,82. 13,353. 40, 1114j im ganzen 15 mal.
DIE RHYTHMIK DES HANS SACHS. 495
y) Verbalcomposita mit der betonung xx.
1) 8, 219 u-il mich ahton ineinr yroben weii^, desgl. 6, 154. 19, 537.
29,786; im ganzen 6 mal; — 2) 11, 305 als ichs im luft hinfuren sach; desgl.
37,1029. 41,1130. 1132; im ganzen 13 mal; — 4) 6,160 wie wöll wir dieses
knechz abkümen, desgl. 16,439. 19,536. 21,592; im ganzen 15 mal.
ö) Andere composita mit anfangsbetonung.
1) 24, 663 dreymal liastw lirochen dein eid, desgl. 33, 919. 36, 998.
37,1017; im ganzen 12 mal; — 2) 33,907 den ich izund kunib sv volenden.
s) vn-, vr-.
1) 24,671 imgessen pis an virden tag, desgl. 18, 508; — 2) 3,77 das
sie vnaH vnd lasier fliehen, desgl. 19, 534. 27, 746; — 3) 1, 23 anff ein gepirg
rnmensclüich hoch, desgl. 15,404. 24,661. 40,1102; im ganzen 6 mal; —
4) 14,380 drumb mein Crimhilt, las dein vnmüet, desgl. 2, 43, 59 ; —
3) 34,935 ich habs nit on vrsach gethon.
Q Composita mit der betonung xx-
11, 284 dem ihürnier allein schäwen sv, desgl. 6, 168. 22, 604. 25, 689;
im ganzen 7 mal.
2) Eine ableitungssilbe hat den ictus.
1) 31,846 küenheit vnd hochmuet thuet in treiben; — 2) 20,553 dir
ZV ewigem hon vnd spot; — 3) 10,276 schaff' ich dir ros, hämisch vnd sper;
— 4) 21, 577 darein gel ein st igen warlich ( : sich); — haf't: 41, 1120 (2); —
heit 31,846 (1). 30,811 (4); — ig: 25,684 (1). 20,553,2; im ganzen 5mal;
40,1104 (3); im ganzen 12 mal; — ling: 9,235 (2). 14,373 (4); — isch
10,276 (3); im ganzen 2 mal; — lieh 2,28 (1); im ganzen 7 mal; 12,326
(2); im ganzen 6 mal; 37,1002 (3); im ganzen 9 mal; 21,574 (4); — lich-
kait: 3,60 (2). 3,85(3); — sam: 11,285 (3); im ganzen 4 mal; — schaft:
41,1140 (2); im ganzen 2 mal; — tum: 11,296 (3). 41,1129 (4); — gibich
4,103 (2). 27.724 (4); — herölt 9,227. 35,951 (1).
3) Das erste glied eines verbalcompositums hat
den ictus.
1) 22, 622 vyid entschleus vns des pirges pforten, desgl. 9, 226. 3, 71-
26,717. 17,469. 24,666; im ganzen 12 mal; — 2) 26,715 auch habt ir er-
lost gleicher loeis, desgl. 14,395. 28,769. 40,1110; im ganzen 8 mal; —
3) 12, 318 tvert man sie frisch vnd gesftnt (innen, desgl. 5, 147. 34, 925.
4) Eine flexionssilbe hat den ictus.
-e: 1) an erster stelle: 4,105 alle von adel wol getan, desgl. 13,364.
28, 769. 31, 857; — 2) an zweiter stelle: 9, 241 das mus alle gfar sein gewagt,
desgl. 18,503; — 3) an dritter stelle: 4,123 vür das kunigliche hoff haus,
desgl. 28, 770. el: 2) 10, 265 wie der adel thurnieren thw, desgl. 41, 1122;
— 3) 10. 267 thtv mit anderm adel thurnieren, desgl. 18, 503. 28, 755. —
-elt: 3) 2,59 starck, ruedisch vnd handelt vnpillig. — -er: 1) 2,54 ivelcher
496 MAYER, DIE KIIYTIIMIK DES HANS SACHS.
nach mir regieren sol, desgl. 5,130. 131. 133. 139. 6,152. 163; im ganzen
29 mal: — 2) 5. 133 vnser pfleger hat raus entpoten, desgl. 5, 140. 149. 9, 247.
12,310. 321. 16,458; im ganzen 24 mal; — 3) 3,68 die laut hin vnd ivider
peschau-e», •desgl. 10, 269. 14, 387. 15,412. 18,504. 508. 21,590; im ganzen
16 mal. — -ern: 1) A, 100 andern kfinig sioi f/leich vnd eben, Aesgl. 40,1112;
— 2) 3, 88 von den ritern vnd edlen allen, desgl. 10, 267. 39, 1072. 40, 1092.
1100. — -ers: 3) 3,84 da er auch sieht ander fs hoff halten, desgl. 7, 184.
— -em: 3) 8,199 sol ich nit von fjrofsem glück sagen, desgl. 18,515. —
-en: 1) 3, 6ö eben gleich aitn lantfarer wandern, desgl. 5, 126. 7,173. 10,261.
13,356. 14,397. 22,603; im ganzen 23 mal; — 2) 4,118 möcht wol sehen
drey fraidig mon, desgl. 5,138. 8,220. 9,233. 236. 242. 10,250; im ganzen
42 mal ; — 3) 3, 69 das elent versiiechen vnd paicen, desgl. 8, 203. 213.
9,239. 10,258. 13,353. 17,485; im ganzen 27 mal. — -ens: 1) 19,518
schlagens peger ich nicht von dir. — -ent: 1) 11,295 lebent secht ir mich
nimer mer, desgl. 12,324; — 3) 3,73 die frembd lert guet tugent vndsiten,
desgl. 35,965. — -et: 1) 40,1097 straffet das vnrecht gros vnd Main; —
2) 3, 71 vngenietet vnd vnerfaren, desgl. 19, 533. 25,693. 700. 35,963. 41,1141;
— 3) 27, 741 das stiren, das zaiget auf dich, desgl. 28,758. es: 3) 25,675
vnd gebt euch in dodes gefer; — -est: 2) 5, 143 Ja, dw kumest mir recht
vnd eben.
Ich breche damit ab. Die aufgäbe dieses zweiten teiles
der Untersuchung war es, zu zeigen, wie die mundartlich so
weit verbreiteten erscheiuungen der apokope, synkope und
epithese bei H. Sachs sich nur nach der silbenzahl der
verse richten, wie in den gleichen grammatischen kategorien
verschiedener gebrauch herscht je nach dem bedürfnis, die vor-
geschriebene silbenzahl zu erreichen. Der grammatische
wert der erscheiuungen, bes. der epithese, ist eine frage, die
nur im Zusammenhang mit den gleichen erscheiuungen bei
Zeitgenossen unseres dichters auf grund seiner prosa richtig
gewürdigt werden kann. Für unsere zwecke war die sonder-
betrachtung erlaubt und durch die fülle des materials geboten,
hoffentlich nicht zum nachteil der beweiskraft der für die hier
vorgetragene these angeführten momente.
Nicht alle fragen sind erledigt, und manches konnte nur
gestreift werden. Eine fortsetzung dieser Studien, die reim-
technik des HansSachs in Zusammenhang mit der seiner
Zeitgenossen, wird seit längerem von mir vorbereitet und kann
hoffentlich in nicht allzu ferner zeit erscheinen.
CÖLN a. Rh. CHR. AUG. MAYER.
GRAMMATISCHES.
LH. Zu der auf schleif- bez. stosstoniger smsspraclie der
eudsilben basierten aiislauttheorie. ')
A.
Dass besagte theorie sich der älteren aiislauttheorie gegen-
über in gewissen hinsichten empfiehlt, wird von keinem un-
befangenen geleugnet werden: sie lässt sich für das got. glatt
durchführen und erklärt auch manche westgerm. und nord.
erscheinung einfacher als die alte fassung. Andrerseits aber
stellen sich einer annähme der jüngeren hypothese, wenigstens
in ihrer bisherigen formulierung, auf westgerm. und nord. ge-
biete nicht zu unterschätzende hindernisse in den Aveg, die
hier ein skeptisches und abwartendes oder sogar ein ablehnen-
des verhalten rechtfertigen dürften. Eben diese anstösse ver-
anlassten mich vor einigen jähren zu einer neuen prüfung der
alten theorie, d.h. zu dem versuch, ohne die annähme von
einwirkung der beiderlei betonungen auf die entwickelung
der endsilben, den auslautgesetzen beizukommen (s. diese Beitr.
21, 480 ff.). Doch führte dieser versuch, wie ich eingestehen
muss, nicht zu einer in allen stücken befriedigenden lösung
der frage. Und so behielt ich in der folge die schwierige
controverse fortwährend im äuge, bis es mir schliesslich, wie
ich glaube, gelang, mit dem problem ins reine zu kommen,
indem es mir klar wurde, dass die alte theorie als nicht zum
ziele führend aufzugeben und die accenthypothese zu acceptieren,
') Die für den sachverständigen leser meistens überflüssige besternte
bezeichnung der angesetzten formen ist in diesem und den folgenden artikelu
unterlassen, mit ausnähme einiger fälle, wo einer möglichen falschen auf-
fassung des gesagten vorzubeugen war.
498 VAN HELTEN
jedoch unter aufstellung einer in mehreren punkten
von der bis jetzt vertretenen fassung abweichenden
formulierung.
Nach gedachter fassung wären für die deutung der west-
germ. und nord. endsilben zwei kürzungsacte anzunehmen:
ein älterer, der (nach dem verklingen von -t, -Ö, -^') bez.
der Umwandlung von voc. + nasal in nasalierten laut und
vor der Wirkung der vocalapokope) einen zweimorigen (= ge-
stossenen) endungslaut, ausser vor -s und -z, zum einmorigen
machte, einen dreimorigen (= geschleiften), nicht vor -s oder
-2 stehenden laut zum zweimorigen kürzte-); und ein jüngerer
act, der die nach der ersten kürzung noch vorhandenen zwei-
morigen laute zu einmorigen, die noch vorhandenen dreimorigen
(also die noch vor -5 und die einstmals vor -z stehenden) zu
zweimorigen werden liess.
Hiernach wäre also für die 3. sg. praet. ind. nach schwacher
flexion (mit altem stosstonigen -ep bez. -ö^^) oder für -e aus
-ep eingetretenem -ö, vgl. unten B zu 7. 8. 10«; stosstonige
länge bezeichne ich mit dem längezeichen, schleiftonige nach
dem herschenden gebrauch mit ' ) und die 3. sg. praet. opt.
starker und schwacher conjugation (mit altem -tp oder nach
art von -iz der 2. sg. durch einfluss der endung des praes. opt.,
vgl. unten LV, umgebildetem -id) sowie für die bildungen mit
altem -ön (des acc. sg. der ö-stämme, des nom. sg. der öw-stämme,
der 1. sg. des schwachen praet. ind. etc.) und -in (des nom. sg.
der ?w-stämme) bei regelrechter entwickelung westgerm. und
nord. Schwund des endungsvocals zu erwarten. Für die dem-
gemäss regelwidrige erhaltung des vocals in der 3. sg. des
schwachen praet. ind. (westgerm. -a, -e, an. -e bez. -i) wäre nun
allerdings zur not mit Streitberg (Urgerm. gr. § 219, 3) an die
möglichkeit eines systemzwangs zu denken, durch den der form
1) Oder von nicht verschobenen -d, -t (vgl. Streitberg, Urgerm. gr.
§ 129, 7; doch wird in § 219, 3 dieser gramm. -^p bez. -ed für die 3.sg. praet.
ind. des schwachen verbs angesetzt).
') Ob die (im gegensatz zur zweigipfligen = geschleiften und ein-
gipfligen = gestossenen ausspräche) durch keinerlei tatsache zu begründende
annähme von drei- und zweimoriger quantität aufrecht zu halten, mag
indirect aus in diesem artikel ausgeführtem hervorgehen.
3) Für ursprünglich starktonige endung spricht das -s der 2. sg. {■?$,
-öS, -es, -OS).
GRAMMATISCHES. 499
die gleiche silbenzahl garantiert ward wie bei den anderen
personen des Singulars. Für das westgerm. -i, -e bez. -l (in
Isidors und Notkers -dii, -ti) der 3. sg. des praet. opt. könnte
man ebenfalls zur not auskommen bei der annähme von durch
die uniformität der für die 1. und 3. sg. praes. opt. verwanten
endungen veranlasster anlehnung der 3. sg. des praet. an die
1. sg. (das an. nimmt hier bekanntlich eine neutrale Stellung
ein). Misslich aber steht es bei besagter theorie um die deu-
tung der entsprechungen von -ön und -m, nämlich ahd. as.
altostnfrk. an. -a, ags. -e, afries. -e') und ahd. -/ {-i), as. -i,
aonfrk. -i, -e, an. -e, -i, ags. -e, afries. -e, denn die hypothese,
dass hier durch nasalierung erwirkte quantitätssteigerung des
vocals vorliege (s. Streitberg. Urgerm. gr. § 152, 6, anm.), m.a.w.
dass aus durch den ersten kürzungsact entstandenen -a", -i"
gedehnte -ä", -i" hervorgegangen seien, woraus durch den
zweiten kürzungsact -a, -i, befriedigt gar wenig: erstens ent-
behrt die these, dass sich aus endungsvocal -f nasal im germ.
nasalierter laut hätte entwickeln müssen, eines jeglichen an-
halts; und zweitens kann die postulierte quantitätssteigerung
nur gelten als eine annähme ad hoc, die ausserdem, angesichts
des Schwunds von auf alte -on, -in, -un zurückgehenden
endungen, die gleichfalls nicht begründete annähme nötig
machen dürfte, dass der von haus aus kurze, nasalierte laut
vor besagter quantitätssteigerung seine nasale qualität ein-
gebüsst hätte. Dass ferner auch die von Walde (Die germ.
auslautsgesetze 28) vorgebrachten möglichkeiten, nämlich deh-
nung von nasalierter kürze mit verlust der nasalierung zu -ä,
-l, woraus überlieferte -a, -i, oder aber nichtapokopierung von
nasaliertem vocal, die hypothese von zunächst aus -ön, -in ent-
standenen -a", -i" nicht zu retten vermag, liegt auf der hand.
Auf grund von Notkers -ä des nom. acc. pl. der substan-
tivischen ö- Stämme und von (einmal belegtem) fridoo gen. sg.
der Benedict.-regel setzt Streitberg (IF. G, 145 f.) neben durch
') Die afries. auf -e" (aus -/, -T, -ä, -e« etc.) zurückgehende endung, die
in den jüngeren und jüngsten deukraälern als -3, nur für die Rüstringer
dialekte wegen des unter bestimmten bedingungen (vgl. einstweilen Axel
Kock im Ark. f. nord. filol. 19,251, anm.) daneben erscheinenden -i als -e<»
zu fassen ist, bezeichne ich hier und im folgenden durch die überlieferte
Schreibung -e.
500 VAN HELTEN
den jüngeren kürzungsact hervorgerufener entstehung einmoriger
endungsvocale aus zweimorigen kürzung zu zweimorigem laut
an von altem, ursprünglich vor -z stehendem dreimorigen
endungslaut (-« aus -öz, -oo aus -aüz). Diesen -ä und -oo stehen
jedoch gegenüber ahd, -o des nom. (acc.) pl. fem. nach pronomi-
naler declination 1) (aus -öz) und ahd. -i (bei Notker -e) im
nom. (acc.) pl. und dat. {g^n) sg. der i-stämme (aus -iz für
-iies bez. aus -t für -eii, vgl. unten LVII, 1. 2), die zum zweifei
an der richtigkeit der beregten Schlussfolgerung berechtigen
und zu dem gedanken an die möglichkeit auffordern, dass für
diese -ä und -oo eine andere fassung geltend zu machen sei,
zumal sich auch bei Notker und Isidor für die 3. sg. praet. opt.
schwacher conjugation ein -* findet, das auf mit stosston an-
zusetzendes -ip oder -W (vgl. oben s. 498) zurückzuführen ist.
M. a. w. es erhebt sich hier die frage, ob nicht dem ehemals
vor -z stehenden, schleif tonigen endungsvocal ebenso gut wie
dem ehemals im absoluten auslaut oder vor -t, -d, -p, -n stehen-
den in den ahd. quellen als norm kürze entspricht und für die
quantität von Notkers -d ein anderer factor als der alte schleif-
ton in anspruch zu nehmen (wegen des -oo von fridoo s. unten
s. 514).
Bei der bisherigen fassung der accenttheorie'^) bleibt ausser-
dem eine wichtige tatsache unerklärt, d.h. die im westgerm.
zu beobachtende verschiedene qualität der aus ursprünglich
monophthongischen -ö(-) und -ö- bez. -e- und -e- hervorgegangenen
^) Jellinek hält hier -ö für möglich (s. Zs. fda. Anz. 39, 148, anm. und Zs.
f. östr. gymn. für 1901, s. 1083), weil die in den eudsilben doppelschreibung
gewährenden denkmäler für besagte casus zwar nie -oo, aber auch nie -aa
haben und mit rücksicht auf -a als Schreibung für -ä auch -o als Schreibung
für -5 denkbar wäre. Doch möchte man hier die frage stellen, ob nicht
grade aus dem umstand, dass in diesen quellen (vgl. Eeitr. 1,433 f. 2, 138 f.)
neben sonstigen doppelschreibungen für unsere casusendungen ausnahmslos
-0 und -a begegnen, auf kürze der endungen für den nem. acc. pl. fem.
zu schliessen ; dass Notker -ä oder halblanges -a sprach, kann eben schwer-
lich ein Zeugnis abgeben für auch in anderen ahd. dialekten noch nicht er-
folgte radicale kürzung.
*) Den Beitr. 21, 482 auf grund von germ. abfall von -i = lit. -h des
nom. sg. erhobenen einwand möchte ich jetzt nicht mehr erheben, nachdem
mir durch Hirts beraerkung (Beitr. 22, 227) und eine erläuternde briefliche
mitteilung Leskiens der Charakter der stoss- und der schleiftonigen aus-
spräche auch schwächst betonter (sogen, tonloser) vocale klar geworden.
GRAMMATISCHES. 501
endiingslaute: -o (ahd. as. aonfrk.), -a (ags. afries.) und -a (ahd.
as. aonfrk.), -c (-«) (ags.), -e (afries., vgl. oben s. 499, anm.),
z. b. in tago, dago, dasa, daga gen. pl, neben geba, geba, s^efe,
ieve acc. sg., simga, tunga, tunse, hinge nom. sg.; ahd. as. aonfrk.
^a des dat. sg. masc. ntr. substantivischer und adjectivischer
o-stämme (aus -U) neben as. -e der 3. sg. des schwachen praet.
ind. (aus -ep)\ weiteres s. unten B zu 7. 8. 10« und ß.
B.
Alle die hier in bezug auf die westgerm. entwickelung
hervorgehobenen anstösse aber schwinden bei der annähme
folgender für die accenttheorie vorzuschlagender formulierung,
die ich, wenngleich selbstverständlich das ergebnis von deduc-
tiver musteruug der einschlägigen fälle, der Übersichtlichkeit
halber der begründung meiner fassung vorausschicken möchte.
1. Kürzung (primäre kürzung) stosstoniger, von haus aus
im absoluten auslaut stehender längen (wobei -ö zu -u wird).
2. Gleichzeitig mit oder nach 1 erfolgter abfall von -t,
-d, -]j, -n.
3. Qualitative Schwächung von durch 2 in den auslaut
getretenem -ü (d. h. -ö") zu -ä.
4. Nach Vorgang 2 erfolgter abfall von -s.
5. Qualitative Schwächung von durch 4 in den auslaut
getretenem -ö (d. h. -o") zu -ä (der Vorgang ist älteren datums
als der unter 8 verzeichnete).
G, Contraction von kurzdiphthong, d. h. von altem oder aus
langdiphthong gekürztem bez. von durch relativ junge con-
traction zweier endsilben entstandenem, also: von -ai zu -e";
von (nach IF. 14, 85 ff. durch analogiebildung entstandenen)
-e''i{-) zu -^''(-); von (auf -au für -öii zurückgehendem) -o'^u zu
-ö"; von (aus -uX für -oi, äX, -öl bez. aus -ol- hervorgegangenen
bez. nach IF. 14, 85 ff. durch synaeresis zweier längen ent-
standenen) -e'7(-) und -e"r(-) zu -e''(-) und -e''(-); von (auf -oüz
zurückgehendem) -o"ü zu -ö" oder von o''üz zu -Ö"^; (die con-
traction ist älteren datums als der unter 8 verzeichnete Vorgang;
einen terminus post quem zu fixieren vermag ich nichts))-
^) Die inschriftlichen Nchalcn{n)iac bez. -e, Bede, FimmUenic (s. Beitr.
27, 144. 146) weisen nicht unbedingt auf germ. -ßa oder -e<» des dat. sg. fem.
hin; es wäre auch lat. -ae, -e als Substitut für -e^i denkbar.
502 VAN HRLTEN
7. Sclnvund der geschleiften (zweigipfligen) betonung, die
durch die gestossene (eingipflige) ersetzt wird.
8. Kürzung (secundäre kürzung) absolut auslautender
längen, d. li. der ursprünglich eingipfligen, durch consonant-
apokope in den auslaut getretenen sowie der durch 7 ein-
gipflig gewordenen, von haus aus absolut auslautenden oder
durch consonantabfall oder consonantabfall und vocalschwund
in den auslaut getretenen; die kürzung erfolgte später in neben-
toniger als in schwachtoniger endsilbe, sodass in gewissen
flexionssj'stemen einstweilen formen mit gekürztem und nicht
gekürztem endungslaut neben einander herliefen, von denen in
vereinzelten fällen durch ausgleichung die mit langem endungs-
vocal solche mit kurzem verdrängten; die fortsetzung von aus
diphthong entstandenen -e, -e (d. h. -e", -e") und von ursprüng-
lich monophthongischem -e (d. h. -e«) erscheint als -e (d. h. -e»),
die von ursprünglich monophthongischem -e (d. h. -e") hingegen
als -a (was auf eine bei noch zweigipfliger ausspräche statt-
gefundene qualitative Schwächung des -e" zu -ä' hinweist); sonst
erleidet die alte qualität bei der kürzung keine änderung
(also z. b. -0" aus -W' für -o«, -a aus -ä, das nach 3. 5 aus -ö"
entstand).
9. Kürzung (tertiäre kürzung) von während des Vorgangs
8 vor nicht apokopiertem bez. durch neubildung (vgl. unten
LY) angetretenem conson. erhaltener länge (zugleich mit der
hier nicht zu erörternden, nämlichen reduction von durch vocal-
abfall in die ultima getretener, ursprünglich in der paenultima
stehender länge). Aus -e''- gekürzter laut erscheint als -a-,
nicht als -e"- oder -a'- (vgl. unten s. 514).
10. Durch qualitative Schwächung veranlasster eintritt von
ags. -e (-ce), vorfries. -e« (woraus historisches -e, vgl. oben s. 499,
anm.) für (im ahd. as. aonfrk. amfrk. erscheinendes) -a (aus -ä
bez. -ä', vgl. oben 3. 5. 8); von ags. afries. -a für -o (d.h. -o"
aus durch contraction entstandenem bez. für -ö" eingetretenem
-ö*, vgl. oben 6. 7. 8; die Schwächung bildet eine parallele zu
und fällt wol auch zeitlich zusammen mit der entstehung von
ags. -as, aofries. -ar nom. acc. pl. aus -os, -or, vgl. unten s. 515,
ags. -as{t), -ad, afries. -ast, -ath der 2. 3. sg. praes. ind. aus -os,
-op mit ursprünglich in der paenultima stehendem vocal, der
durch den in 9 beregten process aus alter länge entstanden
GRAMMATISCHES. 503
war); A''on ags. -e (iu den ältesten quellen noch -i, vgl. Beitr.
8, 326 ff.), afries. -e für -i (aus durch consonantapokope in den
auslaut getretenem bez. für -i eingetretenem -i, vgl. oben 7. 8
und beachte die parallele entwickelung in ags. -es, -est, -eth, -ed
etc., in den ältesten quellen -ith, -id etc., afries. -est, -eth, -ed
etc. aus -is, -ith, -id etc.).
Zu 1. Belege sind die durch ältere oder jüngere vocal-
apokope (vgl. unten LIII) ihrer endung verlustig gewordenen
bez. die unter bestimmten bedingungen mit -i und -u (bez. -o)
erscheinenden bildungen:
die unten LXIII 7. 12 zu deutenden partikeln auf -n aus -ne;
ahd. -in, -im, as. -in des nom. sg. der feminina auf -em, -um,
as. -i in thhvi nom. sg., ags. sihb, ^ierd, syden etc. nom. sg. mit
altem -i (wegen dieser auch für die kurzsilbigen formen an-
zusetzenden endung vgl. Beitr. 21, 474);
die auf prototj'pen mit -ü zurückgehenden formen ohne -u
bez. mit -u (-o) für den instr. sg. masc. ntr. des o- Substantivs
und der pronominalen flexion (ahd. as. -u, -o, aonfrk. -u in thiu,
some -o'), afi'ies. thiii, thio, dio'^); für den nom. acc. pl. ntr. der
o-declination (ahd. beim subst. und beim praedicativ verwanten
adj., as. aonfi^k.:*) ags. afries.^)) und des schwachen neutrums
(ahd. as. -un, -on, aonfrk. -o"n ^), aof ries. -on ^) aus -önö, vgl. unten
S.508); für den nom.sg. des ö-substantivs (ags. ahd. as. aofries.«))
und des ö-adjectivs (ahd. as. aonfrk. 6) ags. aofries.^)); für den
dat. sg. des ö-substantivs (ahd. as. aonfrk. ') ) und den hiernach
umgebildeten dat. sg. fem. pronominaler flexion (ahd, as. -ru, -ro,
aonfrk. -ro *>) mit altem -ö oder mit -u für den ultimavocal von
den ags. -re, afries. -re zu gründe liegendem, für -siaT stehen-
dem -zcü oder von einer dessen fortsetzungen); für den dat. sg.
masc. ntr. pronominaler flexion (ahd. imu, -emu etc., as. imu, -emu,
1) S. Altostnfrk. gr. § 86. 75 b-
-) S. V. Richth.'s gloss. 1070 b iiud Aof ries. gr. § 247.
=•) Aonfrk.gr. § 56 y. 85/9.
*) Aofries. gr. § 156. 157. 233 y und (?) 216, anm.; wegen des wfries. be-
achte die nom. acc. pl. dier, poml, riücht etc.
^) Aonfr. gr. § 69. Aofries. gr. § 192/?.
«) Aonfrk. gr. § 75«. Aofries. gr. § 167. 208.
') Aonfrk. gr. § 59 /.
«) Aonfrk. gr.§ 75 r/. 8b ß.
504 VAN HELTEN
■umu- etc., aonfrk. imo, themo?^) und as. them, im, -um, -un, -om,
-on, aonfrk. -0"« 2)^ vgl. Beitr. 17, 296. 21,462 und IF. 14,82);
für die 1. sg. praes. ind. (ahd. as. ags.-')); sowie die als urspr.
nom. acc. dual, zu fassenden ags. dum, nosu.
Die ausnähme ahd. as. aonfrk.'') -o, ags. aofries.^) -a des
imp. sg. 2. schwacher conjugation aus -ö begreift sich als die
folge von systemzwang, d. h. erhaltung des vocals während der
ersten kürzung und der qualitativen Schwächung von eingipf-
ligem -ö zu -a.
Zu 2 und 3. Die verschiedene behandlung einerseits des
von haus aus auslautenden -ö, andrerseits des ursprünglich vor
P oder (f (vgl. unten s. 512, anm.) stehenden oder für -e aus
-e]) eingetretenen und des vor w stehenden -ö (apokopiertes
oder erhaltenes -u aus ersterem endungslaut; erhaltenes -a
der ahd. as. aonfrk. 3. sg. des schwachen praet. ind. aus -öj)
oder -ö und die zahlreichen, ebenfalls nicht verklungenen -a
aus -ön, vgl. unten zu 7. 8. 10a; alte bildungen mit -öt gab es
nicht) steht offenbar in Zusammenhang mit der einstmaligen
verschiedenen Stellung des endungsvocals. Die annähme von
vor der kürzung des absolut auslautenden vocals erfolgter
])- und (T-apokope bez. nasalierung sowie von nach solcher
kürzung (neben regelrecht entwickeltem, auf -ö zurückgehen-
dem -u) durch systemzwang erhaltenem -a (aus -öJ) oder aus -ö
für -e) bez. von dui'ch vermittelnde dehnung oder nichtsynko-
pierung nasalierter kürze nicht geschwundenem -a (aus -ön)
1) Aonfrk. gr. § 266. ^) Aonfrk. gr. § 756.
') Das für und neben -u, -o erscheinende ags. -e wird von Sievers
(Gramm. § 355) als entlelmung aus dem opt. gedeutet; doch ist hier an
einfache entlehnung kaum zu denken, sondern vielmehr folgender Vorgang
ins äuge zu fassen: durch regelrechte entwickelung, d. h. apokope des -u
nach langer silbe und Schwächung von -i zu -e bez. ausfall von j (im opt.),
fielen in den kurzsilbigen verba (mit vor altem i geminierter consonanz)
die endungen des ind. und opt. zusammen; nach fremme 1. sg. praes. ind.
und opt. aber entstanden indicativische sece, binde etc. für secu (aus seciu),
hindu etc. Die entstehung afriesischer -e besagter person ist nicht zu er-
mitteln: belege für die Lsg. praes. ind. begegnen nur in den jüngeren und
jüngsten texten, wo -e (vgl. oben s. 499, anm.) sowol altem -u als altem -e
(d. h. -ea) entspricht.
Wegen aonfrk. -on der 1. sg. praes. ind. für -o vgl. Gramm. § 91«.
*) Aonfrk. gr. § 105. Aofries. gr. § 301*.
GRAMMATISCHES.
SOS
empfielilt sicli nicht (s. oben A). Es können demnach die ent-
wickeluug- von -u und die entstehung von -a nicht als gleich-
zeitige erscheinungen gelten. Ausgeschlossen ist selbstverständ-
lich die annähme von nach der entstehung des -u vor oder
nach der consonantapokope aus eventuellen -öJj, -öÖ und aus
-ön hervorgegangenen -oj), -od, -on oder -o bez. von aus -ö
für -e (aus -ep) entstandenem -o, denn im einen wie im andern
fall hätte der mit ursprünglich kurzem -o- bez. -o der endung
zusammengefallene vocal durch die ■«irkung der zweiten vocal-
apokope schwinden müssen (vgl. unten LIII, 2). An ent-
stehung von -äj), -an wäre hier ebenso wenig zu denken, da
erfahrungsgemäss auf langen endungs vocal die auslautende
consonanz qualitativ conservierend einwirkte: man beachte
got. -öS der 2. sg. praet. ind. schwacher conjugation mit altem
stosston gegenüber den -a dieses dialekts aus von jeher aus-
lautendem und aus durch consonantapokope in den auslaut
getretenem -u sowie Notkers -öst der 2. person gegenüber -en,
-et, -ent, -ez aus -ati, -in, -im, -at, -it, -mit, -az und vgl. auch
das unten s. 512 über die behandlung von -ön und -ö bemerkte.
Es bleibt mithin nur die m()glichkeit von nach entstehung des
-u und (hiermit gleichzeitiger oder derselben nachfolgender)
consonantapokope quantitativ erhalten gebliebenem endungs-
vocal, aus dem weiterhin durch qualitative sclnvächung über
-ä" historischem -a zu gründe liegendes -a hervorgehen konnte.
Dass aber dieses -a oder doch ein ihm qualitativ sehr nahe
liegender laut zu anfang der zeit der beeinfiussung des west-
gerni. Sprachschatzes durch das Vulgärlatein bereits in schwang
war, ergibt sich aus der nahezu constanten aufnähme von lat.
a-nomina in die westgerm. fem. starke oder schwache flexion
(vgl. Franz, Die latein.-röm. elemente im ahd. s. 60 und Po-
gatscher, QF. 64, 157, ff.): ähnlichkeit der lat. -a und -am
(d. h. -a -f schwach articuliertem nasal) mit westgerm. -ä des
acc. sg. femininer starker und des nom. sg. femininer schwacher
declination.
Für die Verschiedenheit der klangfarbe von auf altes -ö
und von auf alte -öj> (bez. -ö für -e aus -cj)), -öö, -ön zurück-
gehenden endungslauten ist natürlicli der kürzung voran-
gegangene verdumpfung von altem -ö (d. h. wol -ö") zu -ö" oder
-ü verantwortlich zu machen.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVH1. 33
506 VAN riELTEN
Aus der einstweiligen quantitativen erhaltuug von ehemals
vor consonant stellendem endungslaut ö" ist die nämliche be-
handlung zu entnehmen von historischen -i, -e zu gründe liegen-
den -i (aus -m, -ijj bez. -lö? vgl. oben s. 498), -e (aus -ep). Ausser-
dem beachte man die unten (s. 509 f.) zu besprechende, teil-
weise erlmltung von auf -m, -ip oder -id zurückgehenden -t
bis in die historische periode.
Die für das verklingen von -p, -d, -n zu erschliessende Chro-
nologie ist auch für den abfall von -t (nicht aber von -^, vgl.
unten zu 4 und 5) anzusetzen. Aus der tatsache, dass diese
consonantapokope frühestens zur zeit der kürzung von ur-
sprünglich absolut auslautender länge, somit sicher erst nach
entstehung der germanischen anfangsbetonung, stattgefunden,
ergibt sich, dass -p, -Ö (nicht deren prototyp -t) abgefallen
sind. Ein zeugnis für durch apokope geschwundenes -t (aus -d)
gewährt das aslov. lehnwort huhj 'buchstabe', 'buche', insofern
es auf westgerm. hulxö" oder hökü hinweist (vgl. wegen der
starken form got. hölca) mit aus media verschobener tenuis
und noch nicht gekürzter, ursprünglich absolut auslautender
nominativendung.
Für die annähme von der w- apokope vorangegangener
nasalierung des endungsvocals fehlt, wie schon oben in A be-
merkt wurde, jeglicher anhält. Es spricht dagegen vielmehr
die erwägung: erstens dass aus dem Übergang von indog. -m
in -n (durch aufhebung des mundcanalverschlusses veranlasste)
Schwächung der articulierung dieses nasalconsonanten zu fol-
gern ist (die articulierung bestand nur noch in der erweite-
rung der Öffnung des nasencanals); zweitens dass aus dieser
reducierung des labiallautes ähnliche reducierung des dental-
nasals zu folgern (also auch hier durch aufhebung ses ver-
schlusses auf die vorstülpung des velums beschränkte energie
der mundcanalorgane) ; drittens dass nicht einzusehen ist, wes-
halb dem mit so schwacher energie gesprochenen nasallaut
eine zähere natur beizumessen wäre als den mit mundcanal-
verschluss bez. bildung von reibungsöffnung plus hebung des
gaumensegels gesprochenen -t, -p, -ö.
Zu 4 und 5. Da aus dem unten LIII, 1 für die Chrono-
logie von nach kurzem vocal erfolgter consonantapokope er-
mittelten {-z verklingt später als -p, -d, -n) auch für den abfall
GRAMMATISCHES. 507
von conson. nach langem laut auf die -p etc. überdauerndes -z zu
schliessen ist, ist für die auf -ös (d. h. -ö"^) zurückgehenden -ö",
-ä", -ä jüngere entstehung geltend zu machen als für die -ä
etc. aus -ön, -ö]), -öd (zur annähme der priorität von -ö" aus
-ö"^ nötigt das oben über die qualitativ conservierende Wirkung
von folgendem conson. bemerkte). Dass auch dieser endungs-
vocal sich zunächst als -ä behauptete und zur zeit der zweiten
vocalapokope (vgl. unten LIII, 2) noch keine kürzung erlitten
hatte, ergibt sich sowol aus der nichtapokope der endung
(wegen der belege unten s. 508. 513), als aus der in Notkers
spräche geltenden endung -ä des nom. acc. pl. der ö-substantive
(s. unten zu 7. 8. 10 a am schluss).
Zu 6. Zusammenfall alter lang- und kurzdiphthonge in
folge von uralter kürzung ersterer ist zu erschliessen aus der
uniformität der historischen fortsetzungen beider kategorien
(s. unten zu 7. 8. 10«. ß).
Zu 7. 8. 10. a. Fortsetzungen von durch consonantapokope
in den absoluten auslaut getretenen bez. durch contraction eines
im absoluten auslaut stehenden diplith. entstandenen, ursprüng-
lich stosstonigen längen:
ahd. as. aonfrk. ') -a, ags. -e, afries. -e der Lsg. des schAvachen
praet. ind. aus -ön (im Mon. neben -a begegnendes -e, s. Schlüters
Untersuch, s. 194, stammt aus der 3. person, vgl. unten zu as. -e)
— as. aonfrk. -a des pronominalen acc. sg. masc. (vgl. as. -ana, -na,
aonfrk. thana'^)), ags. -e, afries. -e (in -ene, -ne) und aofries. -e
des pronominalen nom. acc. sg, ntr. (in hivete'^)) aus -ön (vgl.
IF. 14, 82) — ahd. ihha mit -a aus -ön (vgl. t/roj'*); das / für e
durch anlehnung an die enklitische form mit unursprünglichem
i vor Ic, vgl. das zuvor citierte aofries. hivete mit e durch an-
lehnung an hivet) — ahd. as. aonfrk. ^) -a, ags. -e, afries. -e des
acc. sg. der ö-stämme, des nom. sg. der schwachen feminina und
des nom. acc. sg. der schwachen neutra aus -ön (das in den
zwei letztgenannten casus für altes, indog. -n entsprechendes
1) Aonfrk.gr. §100«. 107/?.
») Aonfrk. gr. § 88.
3) Aofries. gr. § 252.
^) Beachte hingegen um. -ka (in hätfka, haiiP^a etc., s. Noreen, Aisl.
gr. § 394, anm. 2) mit -a aus -on (= -am in aiud. aham).
5) Aonfrk. gr. § 59 J. 75.'>. 83. 88. 59«. 69.
33*
508 VAN WELTEN
-KU eintrat diircli eiuwirkung- des nom. acc. pl. auf -Um, d. li.
avestiscliem -an entsprecliendes -ön mit aus der vocalischen
declination entlelmtem -u) — das -a von alid. tvilla 1. sg. ind.
(vgl. Beitr. 4, 880, wo auch eine nebenform mit -e aus -ja her-
vorgehoben wird) und vielleicht das -e von ags. aofries. tvüle
aus -ön (vgl. unten LX; für die ags. aofries. form wäre indessen
im hinblick auf das -e der 1. sg. praes. ind. normaler flexion
auch durch analogiebildung für -ii aus -in eingetretenes -e denk-
bar) — die endung von ahd. tcela, wola, wala, as. wela (den
lat. palam, perperam zu vergleichendem fem. instrum., vgl.
wegen des fem. genus ahd. tvola acc. pl. fem.) aus -ön (für -am,
beachte lit. ranhä mit -ä aus -am nach Brugmanns Grundr.
2, 630 f.) — ahd. as. aonfrk. i) -a, ags. -e, afries. -e des gen. sg.
der ö-substantiva und der fem. starken adjectivischen declination
(in -era, -ere, -re etc.) aus durch analogiebildung für -ös ein-
getretenem -öz (vgl. unten s. 513) — ahd. as. aonfrk."^) -a, ags. -e
(vgl. Sievers, Gr. § 252, anm.3) des nom. acc. pl. der ö-substantiva
und as. aonfrk. 2) -a des nom. acc. pl. der fem. starken adjec-
tivischen declination aus -ös des acc. (s. unten s. 509; wegen ahd.
aonfrk. -a des nom. acc. pl. masc. vgl. unten LVI) — ahd. aonfrk.'^)
(nicht mit -e wechselndes) -a der 3. sg. des schwachen praet.
ind. aus -öj) oder -ö (durch das eindringen von -ö- oder -0 der
1. in die anderen singularsufiixe für altes -ej) oder -e eingetretener
neubildung; vgl. auch ahd. -ös, -öst, as. aonfrk. 3) -os der 2. sg.
aus -öS für -es*) und beachte weiterhin das gleich unten über
as. -e, -a der 3. sg. zu bemerkende);
as. -c der 3. sg. des schwachen praet. ind. (woneben -a, s.
Schlüter in dessen Untersuch, s. 195 f. und in der Laut- und
formenlehre der altgerm.dialekte s.478 sowie Holthausens Gramm.
§ 413) aus -cj) (im Mon. und in den Oxf. Vergilgll. neben im
Mon. constant begegnendem und auf altes -es hinweisendem -es
') Aonfrk. gr. § 59/. 75»/.
2) Aonfrk. gr. § 59f. 75/.
3) Aonfrk. gr. § 100«. 107/?.
*) Auf ursprüngliche -ön, -ss, -i'p des sg. weisen an. -a, -er (-ir), -e (-«),
um. -5 der 1., -e der 3. hin (vgl. auch Streitherg, Urgenn. gr. § 219). Dass
der neue vocal als länge in die 8. eingedrungen, ergibt sich aus ahd. -ös,
-öst; ob aber die neubildung vor oder nach der consonantapokope statt-
gefunden, ist nicht zu entscheiden.
GRAMMATISCHES, 509
der 2, »g. überwiegendes -e neben -a, das hier offenbar aus der
Lsg. herrührt, wie [vgl. oben zu -a aus -ön] im Mon. neben
regelrechtem -a der 1. sg. stehendes -e aus der 3. stammt; Cott.
und Vat. haben neben -os der 2. sg. für die 3. sg. normales,
dem ahd. aonfrk. -a entsprechendes -a, hierneben aber seltneres
-e als residuum der ursprünglichen suffixform; aus den kleineren
denkmälern ist nur ein -a 3. sg. zu belegen i)) — ags. -e, afries. -e
der nämlichen person (beachte ags. -es, -est der 2. sg., wonach
auch für das vorfries. wol -es anzusetzen);
ahd. as. -/, aonfrk. -/*'-), ags. -e, afries. -e der 3. sg. des
starken praet. opt. und die endung der 3. sg. ahd. as. tvilt, ags.
wile, aofries. wili, ivele aus -t]) oder (vgl. oben s. 498) -id (wegen
der endung für die 3. sg. praet. opt. nach schwacher conjugation
s. weiter unten) — das suffix von ahd. as. tvili 2. pers., ahd. curi
sowie ahd. as. -i, aonfrk. -i''^\ ags. -c der 2. sg. praet. ind. und
ags. -e, afries. *-e') der 2. sg. praet. opt. aus -is (s. unten LV
und LIX);
-e der partikeln ahd. üzse, üf(f)e, föne, as. Ute aus -ai (s,
unten LXIII, 1) — der endungsvocal von ags, hafte (= got.
*haitada mit -a aus -ai, vgl. Streitberg, Urg. gr. § 152 B 4 a)
— -e des alid. imp. sg. der 3, schwachen klasse und in as.
habe aus -cH (vgl. IF. 14,87);
-0 in ahd. as. aJito, ags. eahta, afries. achta aus -au (für -öu).
Für zAvei vereinzelte fälle ist hemmung der kürzung zu
constatieren: für Notkers -ä des nom. acc. pl. der ö-substantive
(die Benedictinerregel gewährt hier bekanntlich keine doppel-
schreibung) aus -o^ des acc. (= lit. auf -ös hinweisendem -äs
des acc. pl., vgl. Sievers, Beitr. 17, 274, anm. 2 und beachte das
unten LVI zu erörternde), sowie für Notkers und Isidors (s.
Beitr. 2, 139) -t, -ii der 3. sg. praet. opt. schAvacher flexion aus
-ip oder (vgl. oben s.498) -lö. Mit rücksicht auf die verschiedene
betonung der endsilben der einschlägigen flexionsformen sind
>) Nämlich Greg. gll. (Wadst. 65, 20). Aus He sendte (oder sendti) üt
(zu 'Missis uero exercitibus") Greg. gll. (W. 63, t7f.) und ftcnndc (zu 'cum
. . . suggereret') Lamspr. gU. (W. 67, 11) ist nicht ohne weiteres auf einen
ind. auf -e zu schliessen.
2) Aonfrk. gr. § 98.
") Aonfrk. gr. § 97«.
*) Aofries. gr. § 283. 297. 305*.
510 VAN HELTEN
für eine gewisse periode hrei- oder hrainitliä, sundiä oder -tiä
etc. neben fräga, lucjina etc., liöridt oder -ii, hangidl oder -tl
etc. neben hrähti, naruli oder -//, korodi oder -ti etc. anzusetzen.
Dass hier. aber nicht der norm gemäss auch in der neben-
tonigen Silbe in der folge kürzung eingetreten, im gegenteil
sogar die länge in die schwach betonte endsilbe eindrang,
begreift sieh beim subst. als die folge der neigung, die plural-
bildungen für den nom. acc. formell von den für den nom. acc.
sg. verwanten zu unterscheiden, beim verb als das resultat
der beeinflussung des betreffenden endvocals durch das -l- der
anderen bildungen für den opt. praet.') (hingegen im ind. -ta
der 1. 3. sg., nicht -ta, indem hier ein ähnlich einwirkender
factor fehlte). Ob anderen ahd. sowie as. mundarten solche
-ä und -ii, -dl ebenfalls oder nicht zukamen, ist nur ausnahms-
weise zu entscheiden: zu gunsten dialektischer erhaltung der
langen oder halblangen quantität im as. nom. acc. pl. fem,
spricht das fehlen im Mon. von -c für -« des nom. acc. pl.
(mit ausnähme des einmaligen, wol als Schreibfehler zu fassen-
den hellie) gegenüber nicht grade seltenen -e neben -a des
nom. und acc. sg. (s. Schlüter, Untersuch, s. 196 — 202; doch geht
kürze der pluralendung hervor aus -e der Lamspr. und Oxf,
gll., Wadst. 67, 5. 110, 5. 6. 34. 112,22 etc.); hingegen weist das
in der Benedictinerregel erscheinende -a (nicht -aa, vgl. Beitr.
1, 434) auf kurze endung des nom. acc. pl. fem. hin (vgl. noch
oben s. 500, anm. 1); as. kürze des Suffixes für die 3. sg. des
schwachen praet. opt. ist wahrscheinlich wegen gidorste (s.
Schlüter in Dieters Laut- und formenlehre s. 478; vgl. auch
aonfrk. -de, -di, -ti Gramm. § 101. 107/).
Wegen des durch -i, -n belegten -i des nom. sg. schwacher
declination aus -m (das mit rücksicht auf roöig, cDölvog etc.
sowie nach -ön des nom. sg. fem. schwacher flexion, s. oben
s. 507, mit stosston anzusetzen ist) beachte Beitr. 2, 137. 139.
12, 380 ff.; as. erscheint -i (einmal -e nach Schlüter in Dieters
Laut- und formenlehre s. 702), aonfrk. -?« (Gramm. § 60).
Angesichts der nichtapokopierung von auf gedeckte länge
') Dass indessen für die überlieferte periode die -ä, -i, -ii als bezeich-
nuiigen von halblangem voc. (nicht von intacter länge) zu gelten haben,
dürfte sich ergeben aus der spärlichen Verwendung des circumflexes bez.
der doppelschreibung (vgl. Beitr. 2, 137. 139).
GRAMMATISCHES. 511
zurückgehendem endungslaut ist für ahd. swigar, -er socrus und
ahd. quirn, ags, cweorn (aind. svasrüs, aslov. znny) die annähme
von vor der kürzung des langen, ehemals gedeckten vocals
und vor der «-apokope erfolgtem, durch die isolierte Stellung
der beiden ü-stämme veranlasstem übertritt in die M-declination
geboten. [Die annähme von durch zusammenfall des acc.
sivigri/ (oder -u) mit sunt/ (oder -u) veranlasstem metaplasmus
(IF. 5, 381) ist unstatthaft: solcher zusammenfall hätte, indem
die kürzung einstmals gedeckter länge nach oder frühestens
gleichzeitig mit der zweiten (u. a. das -u tilgenden) vocal-
apokope stattfand (s. unten LUX, 3), eintritt von sivigru in die
flexion von sunu zur folge haben müssen. Die lat. Übersied-
lung der «7-stämme in die »-declination ist nicht mit der germ.
in eine linie zu stellen, weil eben die im lat. tätigen factoren
(s. Brugmanns Grundr. 2, 534) nicht für das germ. geltend zu
machen sind.]
ß. Fortsetzungen der von jeher absolut auslautenden, der
durch consonantapokope oder consonantabfall und vocalschwund
in den auslaut getretenen und der durch contraction von aus-
lautendem diphthong entstandenen, ursprünglich schleif-
tonigen längen:
ahd, as. aonfi'k. altwestnfrk. -/, ags. -e (-«), afiies. -e des
loc.-dat. sg. (Beitr. 14, 121. 15, 487. 26, 559. 27, 152. 8, 324 ff.
Aofries. gr. § 152, anm.) aus -l (vgl. Streitberg, Urgerm. gr.
§ 138. 152 A 6) — die nämliche in den partikeln aofries. hivende
etc., ahd. ivenni, ags. hivwnne etc. erscheinende endung (s. unten
LXIII, 11) — ahd. as. -/, aonfrk. -i' (s. Gramm. § 93) des imp. sg.
der langsilber aus -T (für -i\i aus -e\i, vgl. got. clömei) — ahd.
as. -i, aonfrk. -i'^), ags. -e (-/), afries. -e des dat. (und gen.) sg.
nom. (acc.) pl. der /-declination aus -i (für -i\i aus -tu) bez. -iz
(aus -iiez für -eiez) (vgl. unten LVIl, 1. 2);
ahd. (auch amfrk.) as. aonfrk. -a des dat. sg. masc. ntr.
substantivischer bez. adjectivischer o- stamme (Beitr. 14, 109.
21,488. Aonfrk. gr.§ 75 (). Altsüdmfrk.gr. § 61 7) aus ablativ-
suffix -et (schleift on, wie in -öt, vgl. unten; wegen der in bair.
quellen für diese casus begegnenden -a vgl. unten LVI, anm.)
— die nämliche, in den partikeln ahd. hina, ags. hine etc.,
1) Aonfr. gr. § &lß. y.
512 VAN HELTEN
ahd. ufana, as. forana etc., ahd. dana, tana der Verbindungen
ncG dana halt, ne idna mer erscheinende endung (s. unten
LXIII, 8 und 12 am sclilussj — die nämliche, für das adverbium
verwante,'über -e", -ä", -ä entstandene endung ags. -e, afries. -e
(vgl. das adverbiale -o der anderen dialekte aus ablat. -5t)
— das -ra (aus -reu oder -rH) in ahd. hera etc. und die -a, -e
(aus -eil oder -^t) in ahd. as. danta, wanta, hwanda, aofries.
Invande etc., as. ahd. thanna etc. (s. unten LXIII, 10. 11);
ahd. as. aonfrk. i) -o, ags. afries. -a des schwachen nom. sg.
raasc. aus -5 (= lit. -ü)-) — ahd. as. -o der 1. 3. sg. praes. opt.
2. schwacher flexion aus -ön, -öd (vgl. IF. 14, 85) — ahd. as.
aonfrk. ') -o, ags. afries. -a des gen. pl. aus -5n (IF. 1, 4, 259 ff.)
— ahd. as. aonfrk. i) -o der adverbia aus altem ablativsuffix
-öt (vgl. Mahlow, Die langen voc. s. 130 ff. Streitberg, Urgerm.
gr. § 152 AI. IF. 6, 70) — ahd. as. aonfrk. (P^)) -o aus -öt im
dativsuffix -mo (vgl. Beitr. 21, 486, anm. 2) — ahd. -o, ags.
afries. -a des nom. acc. pl. fem. der adjectivischen flexion (die
endung drang in einigen ahd. und ags. mundarten, im afries.
durchaus in die substantivische flexion ein, vgl. Braune, Ahd.
gr. § 207, anm. 6. Sievers, Ags. gr. § 252, anm, 3. Aofries. gr.
§ 166) aus -5z (= lit. -5s) des nom. [vgl. hierneben die zuvor
unter a besprochenen, aus -5s des acc. durch die mittelstufe
-ä stammenden ahd. as. aonfrk. -ä bez. -a, ags. -e der substantiv-
flexion; vertauschung des -ös mit -5z und umgekehrt, nach art
des eintritts von -5s des gen. sg. fem. für -5z durch einwirkung
von -5 und -on oder -5m des nom. bez. acc, vgl. das sofort
unten zu erörternde; die aus ahd. -o, ags. afries. -a hervor-
1) Aonfrk. gr. § 267.
2) Dass es neben diesem -0 auch ein vorwestgerm. -ön (= got. -a,
gr. -wv) gegeben, ist zu folgern: erstens aus der einreihung von ahd. nevo,
ags. nefa (aus nefoÖ) und ahd. as. mäno, ags. möna, afries. möna (aus
mä'nöp) in die schwache declination (-0 bez. -ä aus -öö, -öp konnte nur mit
-ö bez. -ä aus -ön zusammenfallen, nicht mit -ö); zweitens aus der nur
durch die annähme von formeller Übereinstimmung der nominativsuffixe
begreiflichen berührung von schwachen masculinen mit schwachen femininen
oder neutren (vgl. z. b. as. sunno und -a, ags. gealla, ahd. galla, ahd. hluomo,
-a, scDzo, -a, scincJio, -a, scollo, -a, ahd. nioro, an. nyra ntr., ahd. sämo, lat.
ssmen, as. Homo, lat. lümen und s. noch Pauls Grundr. 1*, 459 f.), für deren
nominativendung altes -dn feststeht (s. oben im text s. 507).
3) Aonfrk. gr. §26rf.
GRAMMATISCHES. 513
g-ehende bevorziigung- von -ö für die adjectiv. flexion, gegen-
über dem -ä der substantivischen, schreibt sich her aus der
einwirkung der pronominalen declination, wo in einer be-
stimmten Periode die ö-form die häufigere war'); im as. und
aonfrk. liess sich dem für beide flexionen überlieferten -a
(as. -ä?) gemäss diese einwirkung nicht gelten, es siegte hier
die aus dem acc. herrührende endung^)] — die auf genitiv-
suffix -ÖS {= lit. -äs) zurückgehende endung von zu Substan-
tiven auf -ngö gebildeten adverbien as. farungo, tvissungo,
darnungo, ags. dearnun^a, eorrunga, tveninga (vgl. auch got.
-weniggö und beachte wegen der Verwendung des gen. als
modalcasus Delbrück in Brugmanns Grundr. 3, 593) [für die zum
paradigma gehörende genitivendung der subst., adject. und
pronomin. declination finden sich hingegen statt -o bez. -a die
endungen ahd. as. aonfrk. -a, ags. -e, afries. -e, die auf beim
subst. durch einfluss von -ö und -on bez. -öm des nom. und acc.
sg. für -ö2 eingetretene, uralte neubildung -öz hinweisen, welche
in der folge (in der alten oder in einer jüngeren form) beim
adject. und pron. durch analogiebildung nach der substaut.
flexion in schwang kam; einen rest des alten -öz düi'fte man
indessen vielleicht erblicken im ags. (ws. und kent.) gen. sg.
der mit -ngö gebildeten Substantive, nämlich leornim^a etc.
(vgl. Sievers, Gramm. § 255, 1), deren endung von hier aus in
den dat. und acc. drang];
ahd. as. -c, aonfrk. -c'^) ags. -e, afries. -e des nom. acc. pl.
masc. der starken adject. flexion aus -al (für -o7, vgl. IF. 14, 81)
— die endung der partikeln ahd. as. inne etc., ahd. as. hivanne,
ags. hwonne etc. aus -ai (für -o7. s. unten LXIII, 6. 11) — ags. -c,
afries. -e*) des dat. sg. der subst., adj. und pronom. ö- stamme
aus -ai (für -äi = lit. -ai, gr. -ä) — ahd. as. -e, aonfrk.
') D.h. l)ö ans orthotoniertem und proklitischem pö des nom.; pö =
orthotoniertem pö, pä aus proklitischem jjö des acc.
2) Für die ags. und afries. neben -a im nom. acc. pl. fem. der adjectiva
erscheinenden -e ist, wie für die as. -c (neben -a), ahd. -e (neben -o)
der nämlichen casus, natürlich becinflussung des fem. durch das masc. in
anschlag zu bringen; als älterer, diese Vermischung der fem. imd masc.
formen unterstützender factor wäre aber ausserdem ags. und fries. analogie-
bildung nach in der substant. fem. -declination unter sich wechselnden alten
-c und neuen -a denkbar. ^) Aonfrk. gr. § 75 /.
*) Aofries. auch -i (vgl. Gramm. § 168 f. 242 und oben s. 499, anm.).
514 VAN HELTEN
-e' ') des dat. sg. der o-substantiva aus -al (für -öl = -m ; mehr-
deutig ist ags. -e dieser casus: aus -e" für -m etc. oder aus
-ä^ für -e aus -et, also der oben hervorgehobenen ahd. amfrk.
as. aonfrk. dativendung -a entsprechend? für das afries. -e ist
sogar die möglichkeit dreier prototypen, auch eines mit locativem
-i aus -I, in betracht zu ziehen'^)) — ahd. as. -e, aonfrk. -e'3)
ags. -e, afries. -e der 3. sg. praes. opt. nach starker und 1. schwacher
flexion aus -ai{ö) (für -olJ, vgl. IF. 1, 4 und Streitberg, Urgerm.
gr. § 152 A5) — ahd. -e der 1.3.sg. praes. opt. nach 3. schwacher
flexion aus -e«l(w), -e"r(^) (für -e^-ln, -e''-id, vgl. IF. 14, 85 ff.);
ahd. as. -o, ags. afries. -a des gen. sg. der zt- stamme aus
-oHi{z) (= lit. -ans aus -oüs)-^ der hier angesetzten kürze scheint
das einmal in der Bened.-regel überlieferte fridoo zu wider-
sprechen, doch hat dieses -oo, wie das -oo in anoo 51, 11 (vgl.
auch Mensel im Journ. of germ. philol. 4, 33) als Schreibfehler
zu gelten, da der satz: schleif tonigem , ursprünglich vor -z
stehendem laut entspricht ahd. länge, sich als unhaltbar heraus-
stellt (s. oben s. 499 f.) und ein factor, der hier conservierend
eingewirkt hätte, nicht ersichtlich ist.
Zu 9. Die erhaltung von anteconsonantischem langen
endungsvocal in primärer und secundärer ultima ist bekannt-
lich für Notkers spräche und die mundart der Benedictinerregel
durch zahlreiche, für die in einigen anderen denkmälern (Isid.,
Bamberger glaube und beichte, Voc. s. Galli, Rb. etc.) durch ver-
einzelte längezeichen bez. durch doppelschreibungen (s. Beitr.
2,138. 139. 141) gesichert; für die durch andere quellen reprä-
sentierten ahd. mundarten sind solche längen allerdings für
möglich zu halten, keineswegs aber als feststehend geltend zu
machen. Für das as. und aonfi'k. weisen auf kürzung die
-as, -an, -ad, -at aus -e"s, -e"n, -e"d (s. Beitr. 21, 478. 22, 472.
510. 516. Altsüdmittelfrk. gr. § 21^) und -07t aus -fm (s. Holt-
hausens As. gr. § 314, 2. Beitr. 22, 473. Altsüdmfrk. gr. § 210-
Wegen der gekürzten aonfrk. laute s. Gramm. § 27 t. g.
Nebenher erwähnt seien hier noch as. -os (woneben auch
') Aonfrk.gr. § 56«.
2) Beachte aofries. (Rüstr.) godi, hovi etc. und vgl. Gramm. § 152 anm.
und 154, sowie oben s. 499, anm.
») Aonfrk. gr. § 92«.
GRAMMATISCHES. 515
jüngeres, auf gekürztes -o- hinweisendes -as), ags. -as des nom.
(acc.) pl. der subst. o-stämrae aus (eig-. den oxytonierten formen
zukommendem -ös (die nicht im lit. oder griech. begegnende
endung ist auf grund der contraction aus -o + es als schleif-
tonig anzusetzen) oder aus einer dem ved. -äsas zu vergleichen-
den, durch anhängung der endung der anderen declinations-
klassen entstandenen neubildung -ösez; hierneben zu postu-
lierendes (eig. den paroxytonierten formen zukommendes) -özez
ergab bekanntlich aofries. -ar.
C.
Auch für die nordische auslautsgeschichte lassen sich die
oben in A betonten, der bisherigen fassung der accenttheorie
anhaftenden mängel heben, und zwar durch die annähme des
folgenden (in einigen stücken von dem westgerm. abweichenden)
entwickelungsgangs.
1. Kürzung (wie im westgerm., s. oben s. 501, 1) stoss-
toniger, von haus aus im absoluten auslaut stehender länge
(wobei -ö zu -u).
2. Gleichzeitig mit oder nach 1 erfolgter abfall von -t, -ö,
-J), -n (wie im westgerm., s. a. a. o. 2).
3. Contraction von gestossenem und geschleiftem diphthong
(vgl. oben a.a. o. 6).
4-. Schwund der geschleiften (zweigipfligen) betonung (vgl.
a.a.O. 7), ein Vorgang, dessen Chronologie sich nur insofern
fixieren lässt, dass er vor die in 5 erwähnte kürzung zu ver-
legen ist; dass die im secundär absoluten auslaut und vor con-
son. stehenden alten längen (fälle mit primär absolut auslauten-
den -e, -7, -ö fehlen oder sind nicht gesichert) in urn. periode
quantitativ erhalten geblieben, unterliegt keinem zweifei (man
beachte die an. erhaltung der betreffenden endungsvocale als
kürzen gegenüber dem durch secundären vocalschwund [s. unten
LIII, 2] erwirkten verlust von noch im urn. vorhandener kürze);
für die annähme aber von in besagter zeit erhaltenem oder
geschwundenem schleifton fehlt jeglicher anhält.
5. Küi'zung aller längen, auch der vor -r (= urn. -B) (und
der in gedeckter secundärer ultima) stehenden (ob die quan-
titative reduction vor consonant, wie im westgerm., vgl. a. a. o.
8 und 9, späteren datums ist, lässt sich nicht ermitteln). Be-
516 VAN HELTEN
sonders zu beachten ist hier die behandlmig der ö- laute: der
verschiedenen westgerm. entwickelung derselben (vgl. a.a.O. 3.
5. 8) steht im nord. uniforme entwickelung gegenüber, d.h.
jedes -ö"{') bez. -ö"(-) erscheint urn. als -o(-), d. h. -ö"(-) bez.
-ö" (?), an. als -«(-). Ob dem westgerra. aus -^*' entwickelten
-a (vgl. a. a. o. 8) ein gleiches -a entsprach oder aber dieses -e"
wie die ursprünglich monophthongischen -e" und die -e", -e'*
(aus diphthong) behandelt war, ist kaum zu entscheiden: in
den adverbien auf -a und in he^m, dadra könnte solches -a,
ebensogut aber ein auf -ö zurückgehendes vorliegen (s. unten
s. 518 in /5 und LXIII, 10); für die endung des nom. sg. masc.
schwacher decl. aber ist keinesfalls -e (woraus dann urn. -a)
anzusetzen, erstens indem die Übersiedlung von auf neföd, mä^nö])
zurückgehenden nefö, ma^nö oder mänö (woraus nefe, -i, mäne, -i,
s. unten zu 2. 3. 4. 5 a am schluss) in die schwache declination
auf altes -ö aus -ön des besagten schwachen casus hinweist,
zweitens weil aus dem übertritt ursprünglich neutraler schwacher
nomina in die masc. declination (vgl. an. sime, -i, Marse, -i, vange,
-i neben sima ntr., aind. sirsan, ahd. tvanga ntr.) auf mit
der ntr. nominativendung übereinstimmendes masc. -ö(w) zu
schliessen ist.
Zu 1. Belege sind die an. durch vocalapokope ihrer aus
-e, -i, -ö entstandenen kurzen endung verlustig gewordenen
formen (im urn. erscheint noch das -u, urn. formen mit -e, -i
sind nicht überliefert):
die unten LXIII, 7 gedeuteten partikeln auf -n aus -we;
die vocalsuffixlosen nominative der sogen, iö- und vielleicht
auch der sogen, ^ö-stämme {hddr etc. und hen etc.) mit altem -l
(doch könnten hen etc. auch auf den got. sihja etc. entsprechende
Prototypen zurückgehen mit -iö, woraus -m, woraus -i, das in
der folge schwand); der suffixlose dat. sg. der «-stamme mit
altem -ei (s. unten LVII, 1);
die den oben s. 503 zu 1 zusammengestellten westgerm.,
mit und ohne -u verwanten flexionsbildungen entsprechenden
formen, die den apokopegesetzen gemäss an. in der regel ohne,
ausnahmsweise (in folge der Wirkung des einen oder des anderen
hier nicht zu erörternden factors) mit -o, -u auftreten, urn.
noch das alte -u aufweisen, also spgko, spaku, g^mlo, gamlu
etc. dat. sg, ntr, (eig, instr,); hgrn, sumor, spgk etc, higrto,
GRAMMATISCHES. 517
liiartu etc. nom. acc. pl. ntr. der o- und der scliwaclieu declination
(vgl. auch unten LXI); sog, lierlituj, siiqIc etc. nom. sg. der ö-stämme
(urn. s'iTjii, minu etc.); sq(j, Ixerlinyu, Jccerlingii etc. dat. sg. des
ö-substantivs; hind, sicef (mittelstufe stvefi) etc. Lsg. praes. ind.
nach starker und nach schwacher io-conjugation; hiödem, fdrem
etc., hiode, fdere etc. bez. hiüdim, forem etc., hiüdin, förin etc.
(vgl. unten LXI) 1. 3. pl. praes. und praet. opt.
Auch hier bildet der sg. imp. nach der ö-tlexion {safna
etc.) eine ausnähme (vgl. oben s. 504).
Zu 2. 3. 4. 5. a. Fortsetzungen von durch consonantapokope
in den absoluten auslaut getretenen bez. vor -r stehenden, ur-
sprünglich stoss tonigen längen (vgl. dazu die oben s. 511 ff.
aufgeführten westgerm. bildungen):
urn. -ü (späturn. -«), an. -a der 1. sg. des schwachen praet.
ind. — urn. -ö im acc. sg. masc. mminö (wegen der an. formen
auf -an s. unten LXI) — an. -« des acc. sg. der adject. ö-stämme
— urn. -ö, an. -a des nom. sg. der schwachen feminina (doch
könnte hier auch ein eventuellem vorgot. -ön [vgl. unten D] zu
vergleichendes prototyp zu gründe liegen) — an. -a des nom.
acc. sg. der schwachen neutra — an. -a der 1. sg. praet. (und
praes.) opt. (weiteres s. unten LX) — an. -ar (urn. -öi^? s.
Noreen, Gr. § 308, anm. 2) des gen. sg. der ö-substantiva und
der fem. starken adjectivischen declination (= westgerm. -a
bez. -e aus neugebildetem -02'^ doch könnte die endung hier
auch altem -öz entsprechen) — an. -ar des acc. pl. der ö-sub-
stantiva (urn. -öli) und der fem. starken adjectivischen decli-
nation [im hinblick auf die für den westgerm. und got. schwachen
nom. sg. masc. anzusetzenden prototypen -ön und -ö (s. oben
s. 512, anm. 2 und unten D) wäre neben dem oben s. 516 in 5
für diesen casus eruierten vornord. -ün auch -ö denkbar; dem
einen wie dem anderen prototyp niüsste urn. -0 bez. -ö (?)
entsprechen (vgl. die finn. bei Thomsen, Einfluss der germ.
sprachen auf die finn. -läpp. s. 153. 155 erwähnten lehnwörter
mato, niaJio); demnach ist das statt dessen überlieferte urn. -a
als durch anlehnung an die endungen des gen. dat. sg. -an ent-
standene neubildung (also als kurzer voc.) zu fassen; für das
an. -e (späturn. -e? vgl. Noreen, Gr. § 332, anm. 1), -/ aber (das
nach dem oben s. 516 erörterten keinesfalls auf -en oder -S
zurückzuführen) ergibt sich mithin entstehung aus -a, also eine
518 VAN HKLTEN
entwickelung-, die sich dem ags. und vorfries. -e (d.h. -e°) aus
-a (vgl. oben s. 502 in 10) vergleicht];
urn. -e, an. -e, -i der 3. und an. -er, -ir der 2. sg. des
schwachen praet. ind.;
an. -e, -i und -er, -ir der 3. und 2. sg-. des starken praet.
opt. (urn. -jB in -iviliB 2. sg. auf dem hobel von Vi?); an. -e,
-i des nom. sg. der fem. adjectivabstracta {vg]. oben s. 510);
an. -e, -i der partikel üte, -l (s. unten LXIII, 3) und des
inip. sg. {üaJ;e, -i etc.) der sogen. 4. schwachen klasse;
an. dtta (= ahd. ahto etc.).
ß. Fortsetzungen von durch consonantapokope in den
absoluten auslaut getretenen bez. vor -r stehenden, ursprüng-
lich schleift onigen längen (vgl. dazu die oben s. 511 ff. auf-
geführten westgerm. bildungen; formen mit altem -e, -T fehlen;
wegen eines möglichen -U des schwachen nom. sg. masc. s.
oben «);
an. heöra, öaöra mit -a aus -et oder -en (? vgl. oben s. 516);
an. -a der 1. sg. praes. opt. der o-flexion (daneben -er, -ir,
-e, -i der 2. 3. durch analogiebildung nach der starken und der
«o-flexion) — urn. -u (?, vgl. Noreen, Gr. § 308, anm. 6), an. -a des
gen. pl. — an. -a der adverbia {gigrva, illa, die bildungen auf
-liga etc.; doch könnte hier auch eine dem ags. adv. -e aus
-et, vgl. oben s. 516 und 512, entsprechende endung vorliegen)
— urn. -ö, an. -a des nom. sg. der schwachen feminina (? vgl.
oben a) — an. -ar des nom. pl. der o-substantiva und der fem.
starken adjectivischen declination — an. -ar des gen. sg. der
ö-substantiva etc. (? vgl. oben a) — an. -ar des nom. pl. der
o-substantiva aus -5s (oder -öses? vgl. oben s. 519 zu 9);
urn. -e, an. -e, -i der passiven 1. sg. haite, hcite etc. (s.
Noreen, Gr. § 469, anm. 2) aus -al für -ol (mit schleiften anzu-
setzen mit rücksicht auf die gebotene annähme einer durch
contraction von stamm- und personalsuffix entstandenen endung)
— an. -er, -ir mit angetretenem -r (oder -li? vgl. wegen urn.
-eB? Noreen, Gr. § 354, anm. 1) des nom. pl. masc. der starken
adj. flexion — die endung der partikeln inne, -i etc. (s. unten
LXIII, 6) — an. -e, -i des dat. sg. der adject. und pron. ö-stämme)
— urn. -e, an. -e, -i des dat. sg. masc. ntr. der o-substantiva —
an. -er, -ir, -e, -i der 2. 3. sg. praes. opt. nach starker und der
schwachen io- flexion (das -a der Lsg. durch analogiebildung
GRAMMATISCHES. 519
nach der 1. sg-. praet, opt., vgl. unten LX) — an. -er, -ir, -e, -i
der 2. 3. sg. praes. opt. nach der sogen. 4. schwachen flexion
{vdker, -e etc.; auch hier -a der 1. sg. durch analogiebildung);
an. -ar des gen. sg. der «-stamme.
D.
Für das got. ist die "behandhing langer endsilbenlaute durch
Haussen (in Kuhns Zs. 27, 612 ff.) und Sievers (in Pauls Grundr.
11,413) festgestellt:
erhaltung der von jeher absolut auslautenden bez. durch
consonantapokope auslautend gewordenen geschleiften sowie
der durch conson. geschützten stosstonigen und geschleiften
länge (wegen -ai, -ai-, -au, -aus aus schleiftonigem diphthong
s. IF. 14, 67 und 85);
kürzung der von haus aus absolut auslautenden bez. durch
consonantapokope in den absoluten auslaut getretenen, ge-
stossenen länge (auch der durch contraction aus diphthong ent-
standenen).
Als belege kommen ausser den allgemein bekannten noch
in betracht:
-öS, -ü und -ais, -ai des praes. opt. nach 2. und 3. schwacher
flexion (vgl. IF. 14, 85) — die partikeln auf -Inö, -dre sowie
pande, nute etc. (s. unten LXIII, 10. 11) — das für den schwachen
nom. sg. masc. neben -a (für -ön = -c6v) aus ostgot. nomina
sajo, Banto, Bojo, Riggo, Taffo (s. IF. 68, 73. 111. 147. 154) zu
folgernde -ö (für -ö = lit. -?<; vgl. die oben s. 512, anm. 2 für das
westgerni. erschlossenen zweierlei prototypen des besagten casus)
— vielleicht auch als durch anlehnung an -önez, -i etc., -Tnez,
-i etc. (vgl. dydJvog, -i etc., atdlvoc, -i etc.) für -ön, -In (vgl.
(lyojv, cudlg) im nom. sg. fem. eingetretene neubildungen -ön,
-%n, woraus -ö, -ei (doch könnten hier auch durch anlehnung an
die nach dem schwund der zweigipfligen betonung entstandenen
-ö- und -l- der flectierten casus nicht gekürzte endungen vor-
liegen)');
dem -a von ahd. wela etc. (s. oben s. 508) entsprechendes -a
von waila a bez. -na der 1. sg. praes. ind. nach 3. schwacher
') Auf -ö(u) des fem. und masc. beruht die eutstehung von neben dem
Prototyp des fem. sunm (= ahd. as. aonfrk. sunna, ags. afries. sunne, au.
sunna) aiif gekommenen masc. oder ntr. form (vgl. sunnin dat. sg.).
620 VAN TIKLTEN
flexion und der wö-verba aus -c", -nö" (für -t'";», -nö^m, vgl.
IF. 14, 85. 88) — der ultimavocal von iupana etc. und pana
(in Jxtna mais etc., s. unten LXITI, 7. 12) ma der 1. pl. opt.
aus -mü (s. unten LXI).
Als ausnahmen sind zu erwähnen: die auf anlehnung be-
ruhenden -ö und -ai des imp. sg. nach 2. und 3. klasse (vgl.
IF. 14, 85) — auf anlehnung an den voc. von -ös, -öJj beruhen-
des -ö der 1. sg. praes. ind. nach 2. klasse (beachte hiergegen-
über stehendes, zuvor beregtes -na der wö-verba) — durch
einwirkung von -ö- der endung -önö des nom. acc. pl. erhaltenes
-ö (aus -ön, vgl. wegen dieses prototyps oben s. 507) des schwachen
nom. acc. sg. ntr. (wegen durch uniformität von neutraler und
masculiner endung des nom. sg. veranlasster Übersiedelung von
neutris in die masc.-decl. beachte got. lüiimia, hiu{li)ma, stmna mit
-ma statt eines mit -,«a, lat. -men, aslov. -m^ = indog. -mn in-
direct correspondierenden, über -mun, -mön entstandenen -mön.
Im gegensatz zur westgerm. und nord. behandlung fand
hier also nur eine kürzung statt und zwar nach dem eben-
falls nur einmal wirkenden vocalabf all (vgl. IF. 14, 68 f.
und beachte auch unten LIII, 4) und nach der dem vocalschwund
vorangegangenen consonantapokope.
Hervorzuheben ist es ferner, dass, da bei der kürzung
bekanntlich jedes -c" (alter monophthong sowie aus diphthong
entstandener laut) durch -u' zu -a geworden, für -ö" (altes
monophthongisches sowie contrahiertes) verschiedene behand-
lung zu beobachten ist:
entwickelung zu -a des ursprünglich absolut auslautenden
im nom. sg. der ö-stämme, im nom. acc. pl. der ntr. o -stamme,
in der 1. sg. praes. ind. starker und 1. schwacher flexion;
entwickelung zu -a des durch consonantapokope auslautend
gewordenen in -ana, -ata von pronominal flectierten acc. sg.
masc. und nom. acc. sg. ntr. (-« aus -ön, vgl. IF. 14, 82), im
acc. sg. der ä-stämme, im nom. sg. masc. schwacher declination,
in der 1. sg. des schwachen praet. ind. und in der 1. sg. praes.
ind. nach 2. schwacher flexion auf -na (vgl. oben);
entwickelung zu durch -au bezeichnetem -o" des durch
consonantapokope auslautend gewordenen in der 1. sg. praet.
opt. {-jau aus -iun, s. unten LX) und der 3. sg. und pl. imper.
{-adau, -anäau aus -ecföt, -onöut, s. unten LXII);
GRAMMATISCHES. 521
entwickelung zu durch -au bezeichnetem -o" des auf di-
phthongisches -OK zurückgehenden lautes in ahtaii (vgl. IF. 14,67).
Die discrepanz begreift sich bei folgender fassung:
aus -ou (d.h. -o"«) contrahiertes -ö" wird zu -o";
von jeher auslautendes -ö" wird durch -ä" zu -a;
ursprünglich vor consonant stehender laut wird zu -o"
durch kürzung von -ö'', das zu der zeit, wo absolut auslauten-
des, monophthongisches in -ä" übergieng, durch den folgenden
conson. vor dieser qualitativen Schwächung geschützt wurde');
letzteres -o" bleibt zum teil erhalten, wird jedoch durch
-a ersetzt, wenn es der beeinflussung durch -a oder -a- einer
oder mehrerer flexionsformen des paradigmas oder sonstiger
analogisierender einwirkung ausgesetzt ist, d.h. in -ano" acc.
sg. masc, -ato " nom. acc. sg. ntr., woraus -ana, -ata durch an-
lehnung an das -a (aus -e") von -amma dat. — in -o" acc. sg.
fem., woraus -a durch einwirkung von -a (aus -ö") des nom.
sg. — in -0" nom. sg. masc. schwacher declination, woraus -a
durch anlehnung an -an des acc. sg. — in -o" 1. sg. des
schwachen praet. ind., woraus -a durch einwirkung von -a
(aus -e") der 3. sg. — in -«o" (aus -nö" für -nWn) 1. sg. praes.
ind. der >«ö-verba, woraus -na durch analogiebildung nach der
endung für die 1. sg. praes. ind. starker und 1. schwacher
fiexion.
Dem erörterten gemäss muss durch das -au von -aidau,
-aizau, -aindau des passiven opt. repräsentierter laut entweder
als -0" auf -ou mit oder ohne conson. oder auf -ö" mit conson.
oder aber als -ö" bez. -o"u auf -oü mit oder ohne conson.
zurückgehen. Auf einen versuch zur lixierung des betreffenden
Prototyps möchte ich mich indessen einstweilen nicht einlassen
(die annähme einiger forscher, s. Bezzenberger, Beitr. 26, 153,
dieses -dau beruhe auf anzusetzendem -tau, das sich dem aind.
-tu des activen Imperativs gegenüber verhalte wie medio-
passivisches -tat gegenüber act. -ti, ist zu problematisch).
•) Nach dieser fassung ist das IF. 14, G7, anni. über die behaudlung von
-o« bemerkte zu berichtigen.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXV III, 34
522 VAN HELTEN
LTII. Zur westi^eriii. apo- boz. Synkope vou kurzem
voeal der eudsilbe.
1.
Auf grund von ags. -aö, afiies. -adi 3, pl. praes. ind. aus
-onln, von ags. -ot der neutra siveofot, Öeowot, preowot 'das
blinzeln der äugen' aus -läin (für -utini), von ags. afries. -um
des dat. pl. der o - substantiva aus -omis neben ags. dat. sg.
fet, Uö, men{n), hec etc. ist für das von jeher absolut aus-
lautende -i Schwund in dritter silbe vor, in zweiter silbe
nach der umlauts Wirkung zu fixieren.
Aus ahd. aonfrk. (s. Gramm. § 91) -'is{t), -H, as. -is, -id (-it),
ags. und afries. wegen der umlautung des wurzelsilbenvocals
bez. -diphthongs auf -is, -i]) zurückzuführenden -cs(t), -eö bez.
-est, -etil der 2. und 3. sg. praes. ind. (beachte übrigens auch
die Beitr. 8, 327 aus den ältesten ags. quellen citierten -ith der
3. sg.) aus -ezi, -eöi bez. -esi, -ejii neben ahd. -et der 2. pl. praes.
ind. aus -cdc ist der apokope des in dritter silbe stehenden -i
vorangegangene assimilierende ein Wirkung von -i der ultima
auf -e- der paenultima sowie abfall von nicht zu -/ gewordenem
-e dritter silbe zu erschliessen (der gedanke an die möglich-
keit von nach der «-assimilierung und vor der vocalapokope
entstandenem -eöi ist ausgeschlossen mit rücksicht auf das in
zweiter silbe, also jedenfalls nicht vor abfall der auslautenden
küi'ze dritter silbe verklungene -e, worüber gleich unten).
In ahd. (fränk.) as. -en und ahd. (oberd. und Isidorischem)
aonfrk. (s. Gramm. § 68) -in des gen. und dat. sg. masc, ntr.
schwacher flexion liegen demnach teilweise auf ausgleichung
beruhende endungen vor: -in aus -eni kam eig. dem dat., -en
aus -enez eig. dem gen. zu. Für die zeitliche fixierung des
v'-schwunds ist auf die inschriftl. Ne]ialen{n)iae, -c, Nchalen{n)i
(s. Beitr. 10, 211 ff.) zu achten, deren constantes -e- auf im an-
fang der römerzeit noch nicht durcli -?(-) oder -j- der ultima
hervorgerufene entwickelung von vorangehendem -e- zu -/-,
also auch auf damals noch nicht erfolgte apokope von -i in
dritter silbe hinweist. Aus der zwischen dieser -i-ent Wickelung
und der apokope von -i liegenden periode stammt der über-
lieferte dat. Ilannini (worüber Zs. fdph. 24, 146 ff. und Beitr.
27, 144 nachzusehen ist).
GRAMMATISCHES. 523
Aus ags. -an, aofries, -a (für -an) des uom. (acc.) pl. masc.
und fem. nacli schwacher flexioii für -onez bez. -önez (wegen
des schleif tons der paenultima vgl. oben s. 519) und ags. monaö,
aofries. mönatli nom. (acc.) pl. neben ags. fet, Ud, men(n), bec,
brec, mys, cy etc., aofries. fet, teth, tesch etc. nom. (acc.) pl. und
ags. bec, byr^, fyrh etc. gen. sg. ergibt sich priorität des aus-
falls von hellem voc. in dritter silbe gegenüber erst nach der
Umlautswirkung erfolgtem schwund in zweiter silbe von aus
-ez entstandenem -i.
Nach ags. -an, aofi^es. -a des schwachen nom. (acc.) pl.
masc. fem. und nach ags. -ad, afries. -ath der 3. pl. praes. ind.
sind auch ags. -an, afries. -a des schwachen gen. dat. sg. masc.
ntr. und fem. als regelrecht auf -ones, -oni, -önez, -öni zurück-
gehende endungen verständlich.
Dass der ausfall von hellem voc. in dritter silbe dem ab-
fall von -z vorangegangen, ergibt sich aus den bekannten in-
schriftlichen belegen für den dat. pl. Aflims, Watwims, Sait-
chamims mit -ms aus -miz (nicht -moz, s. unten 3).
Ob die apokope der anderen dentale und des nasals zu
gleicher zeit nach kurzem und nach langem laut oder etwa
früher nach langem als nach kurzem stattfand, ist nicht zu
ermitteln. Im ersteren fall hätte das oben s. 504 ff. anlässlich
des -ä aus -ön und -öp, -od bemerkte überhaupt zu gelten;
aber auch im anderen dürfte posteriorität der apokope besagter
consonanten ausgeschlossen sein, da aus -aö, -ath der 3., -et
der 2. pl. praes. ind. und -it, -kl, -etil etc. der 3. sg. (s. oben) zu
entnehmen ist, dass der abfall von -7>, -<? spätestens zugleich
mit dem schwund von -/ und -e stattfand, und aus sweofot
etc. (s. oben) auf schwund von -n (aus -m) vor dem verklingen
von -/ dritter silbe zu schliessen. Für nach kurzem voc. die
-J) etc. überdauerndes -z sind Aflims etc. zu beachten.
Dass die erst in der römerzeit erfolgte apokope von
hellem vocal in dritter silbe jünger ist als die kürzung des
von haus aus im absoluten auslaut stehenden vocals, mithin die
in rede stehende primäre vocalapokope regelrecht auch das aus
-i entstandene -/ dritter silbe hätte treffen müssen, lehrt das
oben s. 504 ff. über die Chronologie dieser kürzung ermittelte
(dieselbe erfolgte spätestens zur zeit der apokope von -J) etc.
nach langem voc, war demnach vor der römerzeit, worin be-
34*
524 VAN HELTEN
reits -ä für -öj) etc. in schwang "war, perfect geworden). Doch
wäre hier auch durch anlehiiuug- an die zweisilbigen formen
mit -'/ (aus -i) des nom. sg. veranlasste erhaltung des nominativ-
sufüxes dankbar. Wegen -w der partikeln üff'an, innan, tlian,
don etc. aus -ne für -ne s. unten LXIII, 7. 12.
Aus neben ags. dat. sg. fet, UÖ, tnen(n), hec etc. stehen-
den för, Jiealp, tdh etc. der 3. sg. praet. ind. resultiert, dass
altes -i in zweiter silbe erst nach der umlautwirkung schwand,
das -e zweiter silbe aber nicht durch Übergang zu -i mit diesem
-i zusammenfiel, sondern vor der entwickelung von unbetontem
-e zu -i verklang; im hinblick auf das absolute fehlen be-
treffender praeteritalbildungen mit umgelautetem wurzellaut
wäre ja Verdrängung \o\\ aus fori etc. hervorgegangenen fder
etc. durch auf föra etc. zurückgehende för etc. kaum denkbar
(vgl. Beitr. 5, 120 und Jellineks Beitr. zur germ. flex. s. 43). ')
Man beachte auch mit Walde (Die germ. auslautsgesetze s. 118)
ags. mec, as. mik, nicht mikl, aus rnehe = {8)(itye.
Zusammengefasst sind also als fälle von primärem schwund
des endungsvocals festzulegen:
ausfall von (durch -z) gedecktem und von ungedecktem
1) Demzufolge ist für die aofries. neben hon, gong, sconde, stonda etc.
stehenden praeterita wem, bant, sang etc. und für das praeterito-praes. kan
eine andre deutung geltend zu machen als die Beitr. 14, 283. 17, 567 f. vor-
geschlagene {wan 3. sg. aus wanni, ivan 1. sg. durch anlehnung an die 3.)
und zwar zu erinnern an das northumbr., das sonst q vor nasalen durch-
führt, doch ausnahmslos band, dranc, ^elamp etc. gewährt durch anlehnung
an praeterita wie halp etc. (s. Sievers, Ags. gr. § 386, anm. 3 und vgl. auch
Franck, Zs. fda. Anz. 28, 51, sowie, mit berücksichtigung des gleich unten
zu bemerkenden, Siebs in Pauls Grundr. l'-*, 1182; wegen aofries. gald und
hiernach anzusetzender bcdg, halp etc. vgl. Aofries. gr. § 1«; eine gleich-
artige analogiebildung begegnet im prt. star{f) für regelrechtes ster{f).
[Das neben normalen nom, com oder nöm, com (vgl. Aofries. gr. § 271, anm. 1)
einmal, in E' 33, 5, begegnende nam wäre demnach als Schreibfehler zu
fassen (in v. R.'s Wb. aus F. 307, 15 citiertes nam ist lesefehler für im Fivelg.
ms. stehendes nom; awfries. nam ist wie quayn dieser dialektgruppe na«h
IF. 7, 328 ff. zu beurteilen); wegen der jiraeteri talformen ?;erf, sjjre/c etc. und
tvas, loarth (das im verein mit gald etc. analogisierend einwirkte) s. Aofries.
gr. § 2 und Iß. d; für die erhaltung des alten vocals in quaih v. E. Rechts-
qu. 255, 3 ist die aus quäd (s. Aofries. gr. § 15/?) zu erschliessende , vor
palatalisierung des folgenden vocals schützende funcüon der g-M-consonanz
in anschlag zu bringen.]
GRAMMATISCHES. 525
hellem vocal (auch von durch «-apokope in den auslaut ge-
tretenem und von aus alter länge entstandenem kiu'zen) in
dritter silbe;
ausfall von ungedecktem -e (nicht von -i, -ez bez. -iz) in
zweiter silbe.
Die erscheinungen stimmen überein mit den aus um.
gestumB, borumR dat. pl., hariutip 3. sg., prawman, -halaidan
schwachem gen. dat. sg. masc, Ljiuön schwachem gen. sg. fem.,
was, gaf 3. sg. praet. sowie aus an. imperat. hift, gal-Jc (vgl.
Beitr. 5, 120) für das vornord. zu folgernden. Auf grund dieser
Übereinstimmung aber dürften für das westgerm. durch pri-
märe apokope entstandene -es gen. sg. (aus -cso oder etwa
-esso?^)) und halp, ivas Lsg. als parallelen zu urn. -as gen.
sg. (aus -OSO oder etwa -osso?^)) und unnam, aih-eJi, falah-ak
1. sg. zu gelten haben (demnach auch an etc. füi' ana etc., s.
unten LXIII, 1, durch solchen abfall entstanden sein).
2.
Dass im vorwestgerm. der voc. von -oz und das -o (aus
-on) der primären syn- und apokopewirkung in dritter silbe
nicht erlagen, ergibt sich aus ahd. hirti, rlchi, as. hirdi, rlki,
ags. ende, rice etc. des nom. acc. sg. mit -i, -e aus -io£!, -ion
(vgl. auch die auf -oz, -on zurückgehenden -aR, -a in urn,
IwlfiuaR, haitinaR etc. nom., llahaisla acc). Da aber die
erhaltung dieses -o(-), d.h. -o\-), offenbar mit der dunklen
färbung des vocals in Zusammenhang steht^ ist auch für das
-/((-) dritter silbe erhaltung in der periode des primären vocal-
schwunds anzunehmen.
Es ist demnach der ausfall dieser vocale sowie der Schwund
von in zweiter silbe stehender kürze, mit ausnähme des -e,
als die folge der Wirkung eines jüngeren, secundären auslauts-
gesetzes geltend zu machen.
') Wegen solcher prototypen mit ss hoffe ich später bei anderer ge-
legenheit zu handeln.
Der apokope von ultimavocal gieng vermutlich qualitative Schwächung
von -00 zu -a voran (vgl. das gleich im text in 2 zum Avestgerm. -o aus
-oz, -on zu bemerkende), und es dürfte die erhaltung von -aR, -a dritter
silbe im urn. nom. acc. sg. masc. ntr. auf dem umstand beruhen, dass die
vocale dieser enduugen zur zeit des primären vocalschwunds ihre dunkle
qualität noch nicht eingebüsst hatten.
526 VAN HELTEN
Aus der tatsaclie, dass mitunter masc. bez. ntr. nach der
o-fiexion gehende lehnwörter als entsprecliungen von lat. fe-
mininen auf -a begegnen (vgl. alid. ziagal, miiniz, ags. simm,
ancor etc.* masc, ahd. zabal, fcnstar, saf, ags. mynet ntr. aus
tcgula, moneta etc.) ist ferner zu entnehmen, dass auf -o\-)
zurückgehende endung als -a verklang; dass indessen im anfang
der römerzeit noch -o''(-) gesprochen wurde, lehrt der umstand,
dass die überwiegende mehrzahl der nach der o-flexion gehenden
masc. und ntr. lehnwörter einer lat. form auf -om des acc. bez.
des nom. acc. sg. (mit schwach articuliertem m) entstammen. i)
Dem in (durch -z) gedeckter, dritter silbe erfolgten pri-
mären vocalschwund gemäss könnte auch für den jüngeren
vocalschwund nichtbeschränkung auf den absolut auslautenden
vocal möglich erscheinen (natürlich mit ausschluss von nicht
zwischen zwei n stehendem antenasalischen vocal, für den nach
massgabe des im nord. in der Stellung vor n und m nicht
synkopierten vocals ebenfalls im vorwestgerm. durch nasal
erwirkte erhaltung zu erwarten-)). Aus den bildungen mit
alten -os, -ez (oder -?>?'')), -iz, -uz ist für solche fi-age kein
^) Mit dieser folgerung stehen nicht in Widerspruch die von Bremer
(TF. 14, 365 f.) nachgewiesenen, frühzeitig für altes -ü" eingetretenen -a- der
niittelsilbe nnd der compositionsfnge (zu Bremers belegen füge ich noch
hinzu Nehalenniae etc., s. Beitr. 16, 211 f., mit -enl bez. -eni- als altem suffix
aus neliol-): hier liegen eben nicht schwächst betonte, sondern nebentonige,
mit stärkerem oder schwächerem mittelton gesprochene silben yor.
2) Als die entsprechungen der got. durch synkope von zwischen zwei
n stehendem vocal (aus -ommz oder -aniinz, -onimz) entstandenen -ans, -uns
des schwachen acc. pl. masc. fem. (vgl. IF. 14, 80) wären westgerm. und
um. -un, -ün zu erwarten (aus -ununz, -ümmz inr -onunz, -onunz; schvvund
des -u- wol gleichzeitig mit der apokope von -u). Dieselben liegen in der
tat vor in ahd. -?<«, -ün dieser casus und daran angelehnter nominative.
Wegen für -un erscheinender ahd. as. aonfrk. -on und wegen für -ün auf-
tretender ahd. -on (-un?), as. -un, -on, aonfrk. -on s. Beitr. 21, 462 ff. und
Aonfrk.gr. § 68 f. 59 £. Im ags. aofries. herschen die aus dem nom. pl. ein-
gedrungenen -an, -a. Wegen der an. neubildungen -«, -ü, -or, -ur s. unten
LXI am schluss.
8) Ob in auf -ez zurückgehender endung (des gen. sg. und nom. pl.
der consonantstämrae) der Übergang zu i vor oder erst nach dem abfall des
conson. stattgefunden, ist fraglich, denn, wenn auch aus ahd. -et der 2. pl.
l)raes. ind. für -ede und aus -en für -enez (s. oben s. 522j erhaltung der alten
f^ualität vor d, n hervorgeht, so ist doch die möglichkeit von vor -z ent-
GRAMMATISCHES. 527
kriteriiim zu entnehmen, weil -z früher als der vocal verklungen
sein kann. Ebensowenig aber aus ahd. -et, -ut, aonfrk. -it {-et,
vgl. Gramm. § 91 f. 93^) der 2. pl. praes. ind., imper. und praet.
ind.: auch das {-t nom. acc. sg. ntr. des starken adjectivs für
um. *-at, -r nom. sg. für urn. -iJR, -uR und -s gen. sg. für urn.
-as gewährende) an. hat in diesen flexionsformen -eO, -id {-et,
-it), -od, -uÖ {-ot, -ut), und zwar augenscheinlich als die folge
des bestrebeus, der 2. pl. dieselbe silbenzahl zu erhalten, die
der 1. und 3. pl. von rechtswegen zukam (für das praesenssuffix
der lang- und mehrsilbigen schwachen verba 1. klasse wäre
möglicherweise mit herkunft aus dem got. -ei}) entsprechender
endung zu rechnen; hierüber jedoch später bei einer erörterung
der flexionsbildungen 1. schwacher conjugation: einstweilen sei
nur hingewiesen auf ahd. as. -i, aonfrk. -i« des imper. sg. der
langsilber = got. -ei als das eigentlich der conjugation dei'
denominativa und causativa zukommende, auf -i aus '-e\i zurück-
gehende Suffix, vgl. oben s. 511). Als beweis aber gegen die
secundäre synkope von gedecktem endvocal ist die genitiv-
endung -es hervorzuheben. A^^egen der demnach als auf ana-
logischem wege gekürzte bildungen zu fassenden ags. hilpst,
standenem i nicht ohne weiteres iu abrede zu stellen (vgl. an. fetr, tennr
etc. nom. pl.. nci^lr gen. sg. mit -r aus -in für -ez).
Wegen des neben ahd. -et der 2. pl. praes. ind. und des imper. in den
Monseefragmenten und den gll. Ker. belegten -it (s. Hench, The Monsee
fragments s. 133—135 und Beitr. 9, 326) und wegen des aonfrk. -it dieser
person (s. Gramm. §91 f. 93p?) sei bemerkt, dass die Beitr. 17, 569 vor-
geschlagene deutung derselben als in folge von ersetzung eines isolierten
Prototyps -etii durch -ibi der 3. sg. entstandener neubildung mit rücksicht
auf das nicht bereclitigte einer ansetzung von -eöi (s. oben s. 522) abzu-
lehnen. Eher empliehlt sich Jelliueks fassung dieses -it (s. IF. 11, 199) als
analogiebildung nach der 3. sg., und zwar nicht so sehr mit rücksicht auf
österreichisches ihr führt (s. a. a. o.), als wol im hinblick auf den umstand,
dass nicht nur in der 2. und 3. schwachen conjugation -öt bez. -H sowol für
die 3. sg. als für die 2. pl. praes. ind. gelten, sondern auch für die 1. schwache
flexion neben -it der 3. sg. dieses tempus altes -it der 2. pl. (deren in den
kurzsilbigen stehende geminata also auf analogiebildung beruht) anzusetzen
ist: die uniformität der beiden personalendungen in der ganzen schwachen
conjugation konnte das muster abgeben für die entstehung von -/( in der
starken flexion (beachte das umgekehrt durch einwirkung von -et der
starken flexion für -it der schwachen eingetretene -et, das sich im ahd.
neben analogisch entstandenem -at als norm vorfindet).
528 VAN HELTEN
hÜ2jS, demst, demÖ, fcerst, fcerd, seid etc. (s. Sievers, Gr. § 358, 2),
aofries. halst, stcrfth, sext, tösprelcst, hcrth etc., vgl. Beitr. 17,
556 f. •)
3.
Als consequenzen des in 1 und 2 ermittelten sind ferner
noch geltend zu machen:
entwickelung von altem -eies des nom. pl. der ^-declination
über -iiez, -iz (mit zweigipfligem, durch die contraction hetero-
syllabischer laute entstandenem voc), -i, -% (vgl. oben s. 511) zu
historischem -i\
entwickelung von altem -encz des nom. pl. der M-decli-
nation über -c\uz, -\\uz (/-färbung von e durch in der folge-
silbe stehendes u) zu historischem -i der kurzsilbigen, ahd.
siü, suni, as. sidi, suni (abfall von -u durch secundären vocal-
schwund)2);
') Abzuweisen ist Waldes raeinung (Germ, auslautsges. s. 125, fussnote),
(lass die kürzeren formen der 2. 3. sg. praes. ind. ursprünglich nur in der
Stellung vor dem enklitisch antretenden pronomen berechtigt seien und
die Synkope als synkope eines mittelvocals begreiflich sei: wenn auch aus
gelegentlich für die 2. sg. praes. ind. neben cömcdu, druncebu etc. erschei-
nenden cumdu, druHcdu etc. (s. Sievers, Ags. gr. §3(54, anm. 1) zu entnehmen,
dass bereits zur zeit der synkope von paenultima das subjectspronomen en-
klitisch mit dem verbum verbunden wurde (und durch die zweite kürzung,
vgl. oben s. 503, 8, entstandener endungsvocal, d. h. hier -i aus -l für -iz, vgl.
unten LIX, vorhanden war), so fehlte in den Verbindungen -istii (aus -is du),
-idhe (aus -id he) eine der für die vocalsynkope in vorletzter silbe erforder-
lichen bedingungen, nämlich die Stellung des vocals in offener silbe.
Da die annähme der entstehung von ie in sliehd, siehd etc. aus e, i
(s. Beitr. a. a. 0.) abzuweisen (als aus e, i durch brechung entstandene laute
wären eo, io zu erwarten) und für die brechung ein höheres alter als für
den ^■-umlaut anzuerkennen ist (vgl. Sievers, Gr. § 78), ist in diesem ie wol
die folge von systemzwang zu erblicken (die 2. 3. sg. praes. ind mit zu
dem wurzellaut der anderen flexionsbildungen im Umlautsverhältnis stehen-
dem laut, hier ie, ie zu ea, eo).
2) Für die pluralbildungen der langsilbigen M-stämme, ahd. scilti, wi-
diri etc., as. hm, *skildi (nach slcildion) etc., statt deren bei regelrechter
behandlung nach Beitr. 17, 288 ff. scilliu etc. zu erwarten wären, ist die
annähme von analogiebildung nach siti etc. ausgeschlossen : siti : situ, suni
: sunu etc. hätten kaum das muster abgeben können für die neubildung
von zu seilt, slcild etc. stehenden scilti, '*sJcildi etc. (ahd. neben sunu be-
gegnendes sun ist hier selbstredend nicht als factor in anschlag zu bringen).
Plausibler wäre die fassung, dass in der alten i-declination zu gast, anst,
GRAMMATISCHES. 529
entstehung' von -m des dat. pl. aus auf -mi.-, nicht auf -nio£;
zurückgehendem m^ (vgl. übrigens auch auf / der ultima hin-
weisendes ags. dcem, twcem dat. pl.)');
entstehung von i der impei-ative ahd. hilf, sih etc., as. sih,
wis etc., aonfrk. (s. Gramm. § 113. 115) farfiht, ejif etc. durch
analogiebildung (vgl. Beitr. 17, 567).
Weiteres s. noch unten LVII. Wegen -özez als basis von
aofries. -ar und -özes, -öses als möglicher protot3'pen von an.
-ar, as. -os, ags. -as s. oben s. 515 und 518. Ob ahd. -um, aonfrk.
-o"w (s. Gramm. § 97/9. 100/9) der 1. pl. praet. ind. auf -iime oder
-umo beruhen, ist nicht zu entscheiden.
Für die Chronologie des secundären vocalschwunds sei be-
merkt, dass dieser Vorgang spätestens zugleich mit der secun-
dären kürzung des endungslautes (vgl. oben s. 503) erfolgte.
4.
Den im vorangehenden für das westgerm. ermittelten und
für das nord. beregten primären vocalschwund hat Sievers,
Beitr. 5, 120 ff. als urgermanische erscheinung aufgefasst. Hier-
gegen spricht indessen folgendes:
erstens der auf nur einmaligen vocalschwund hinweisende
got. nom. pl. sunjus (aus stincues wäre durch zweimaligen
vocalschwund siini hervorgegangen, indem durch ausfall von
brüd etc. stehende gesti, cnsti, hrüdi etc. die ersetzuiig von zn seilt, sküd
etc., ?iant, hand als regelrechten bi klangen gehörenden scütiü, sküdiü etc.,
hent/'u, hcndiü durch scüti, *skildi etc., henti, liendi veranlasst habe; vgl.
auch die auf demselben wege entstandenen aonfrk. nom. (acc.) pl. fuoli,
tende, heinde (Gramm. § 64. 65).
') Ob im ags. dd;s(t), dest, ^d;s(t) und dtcd, ded, ^leö, afries. deth, (ßth,
sMh regelrechte entsprechungen von rfös* oder Öös/ etc. vorliegen (woneben
dann dorn, dö etc. der 1. sg. und döö etc. des pl. als neubildungen), muss
unentschieden bleiben. Denkbar wäre hier ja auch: analogisch (nach dem
rauster des in mehrsilbigen formen lautgesetzlich statttindeuder apokope)
erfolgter -/-abfall (der dann auch für die Lsg. und die 3. pl. zu gelten
hätte, vgl. auch Michels, Zs. fdph. 34, 116 und Franck, Zs. fda. Anz. 28, 52;
trotz der überlieferten -ige, -ie etc. sind ja den in den anderen west-
germ. dialekten begegnenden fiexionsforraen, ahd. -öw, -ö»i, as. aonfrk. -on
zufolge auch für das vorags. und vorfries. verbalformen auf -dmi anzu-
nehmen) und analogische neubildung (vgl. Sievers, Beitr. 5, 109, anm.) von
d<kst etc.
530 VAN HEI.TEN
-e- in dritter silbe stehendes u nach Beitr. 15, 455 f. 21, 429 ff.
22, 223 ff. hätte schwinden müssen'});
zweitens der umstand, dasc primärer vocalschwund für
das westgerm. in eine nach dem anfang der römerzeit liegen-
den Periode zu verlegen ist (s. oben s. 523), also in eine zeit,
wofür, wenn man überhaupt zur annalime einer einheitlichen
urgermanischen spräche berechtigt sein sollte, die existenz einer
solchen einheitlichkeit doch gewis ausgeschlossen ist.
LIV. Zur westgerni. dehuuug von consonant und hiilb-
vocal u vor i.
1.
Beitr. 21, 437 f. wurde betont, dass die westgerm. deh-
nung von conson. vor palatalem halbvocal vor dem abfall von
-/ in zweiter silbe und vor der «-apokope erfolgte, mithin
älteren datums ist als der secundäre vocalschwund (vgl. oben
LXIII, 2 und s. auch jetzt Brugmann, Kurze vergleich, gramm.
der indog. spr. § 315). Der geminationsprocess dürfte indessen
noch weiter zurückzudatieren sein, und zwar mit rücksicht
auf das inschriftlich aus der römerzeit überlieferte Nehalenniae
(vgl. Beitr. 16, 211 f.) in eine periode, die weder entwickelung
von -c- zu -i- vor i oder i der endsilbe, noch auch den nach
dieser vocalaffection erfolgten primären vocalschwund (vgl.
oben LUX, 1) kannte. Für die datierung der Nehalenniae-
inschriften, somit auch für die entscheidung, ob die dehnung
im anfang der römerzeit bereits oder noch nicht stattgefunden,
fehlt uns jede angäbe (dass ausserdem das n von vereinzelt
begegnenden Nehaleniac nicht notwendig einen vor * noch
nicht gedehnten conson. repräsentiert, liegt auf der band: es
kann darin eine durch den regelrechtes ti vor i enthaltenden
>) Zu der IF. 14, 69 in bezng aiif got. -is, -ip der 2. 3. sg. praes.
ind. als beweise gegen die annähme von vorgot. zweimaligem vocalschwund
gemachten concession möchte ich noch diese hinzufügen: denkbar wäre es
zur not auch, dass in aus (jr'ipisi, -ipi entstandenen yripis, -ip das -i- nach
langer silbe erhalten wäre durch einwirkung von hairis, -ip und (über-
lieferten nasjis, -jip) zu gründe liegenden ncms, -ip mit regelrechtem, nach
kurzer silbe erhaltenem -/- (vgl. Beitr. 21, 476 f., wo durch lapsus ein-
geschlichenes fahs A\\s*fahis zu streichen: got. (jafähs 'fang' ist entweder
mit altem -s oder mit altem -is gebildetes derivatuni).
GRAMMATISCHES. 531
nominativ Nehalcni beeinflusste form vorlieg-en, die sich als
neubildung der neben Nehaleni begegnenden Nehalenni ver-
gleicht). Andrerseits aber berechtigen ahd. epfi, ecchil, as.
mtiddi, ags. syll i\. dgl. (aus ap/'o, aciale, modio, solio etc., s. noch
Beitr. 16, 264 f. und Pauls Grundr. 12,426 § 157) nicht zu dem
schluss, dass diese Wörter zunächst mit einfachem conson. ent-
nommen sind und erst nachher durch die Wirkung des west-
germ. gesetzes ihre geminata erhalten haben: ist doch eben
die für das junge, durch die kirchensprache eingeführte ahd.
lehnwort fiU(e)ol (aus filiolo) unumgängliche annähme, dass
lat. einfacher conson. + i auf dem wege der lautsubstitution
durch dem westgerm. mund und ohr geläufige geminata -f- /
ersetzt wm^de, für die in älterer zeit dem vulgärlat. entstam-
menden lehnwörter keineswegs undenkbar (wegen ähnlicher
lautsubstituierung vgl. z. b. die ht, ft für lat. c^^ i>^ in -ds. fniht,
ahd. tihtön, gnift etc.).
2.
Mit rücksicht auf die ahd. ou\w aus a\ui (in houue, -gi-
strouui, touuan etc., s. Beitr. 9, 528 ff.) und hi\iv aus e\m bez. i\id
(in niuutia, -az, -en, diiiuua, cldmuiia, simment etc., s. Beitr.
9, 538 f.) liegt füi' das hd. die annähme von gleichzeitig mit
der consonantengemination erfolgte dehnung der halbvocale
auf der band. Auf eine ganz andere behandlung dieser laut-
verbindungen im ags. nd. und nfrk. ist aber zu schliessen aus
ags. ieg, nd. nfrk. ö^H (woraus WiH) in ags. Me^ 'heu', ie^ 'insel',
as. döian 'sterben', *strökm 'streuen', liögias 'heus', Telgöia,
aonfrk. Vpgöie, Bredenöia, mnd. düle7i 'auftauen', hög, mnl.
döyen liquefieri, döyen mori, strUyen 'streuen' etc. (s. Beitr. 16,
297 ff.), die auf vor der dehnung von u vor i durch einwirkung
von diphthong au aus a\Hi entstandenes au\i hinweisen. Als
gegenstück zu diesem au\^ hätte man. wenn neben e\ui zur
zeit der einwirkung von diphthong diphthong en ge-
standen hätte. eu\i aus e\ul zu erwarten. Aus dem fehlen
jedoch von auf eu\i zurückgehenden ags. ie\s, nd. nfrk. ü\i
(vgl. Beitr. 20, 507) resultiert das unzulässige eventueller an-
nähme einer entstehung von au\l zu der zeit, wo diphth. cu
neben noch nicht durch umlautung von c (zu /) der paenultima
berührtem e\ui hervorgieng (erfolgt also auch im hinblick auf
532 VAN HELTEN
das oben ausg-eführte nichtentstehimg dieses mt\i vor der con-
sonantendelinung). Gegen die annähme von nach entstehung-
von i\m und in entwickeltem au\i spricht die verschiedene
behandluiig der beiden lautverbindungen. Es bleibt somit nur
die folgende möglichkeit: entstehung von au\i nach der ent-
wickelung von i\ui und vor der entwickelung von in (wegen
der relativ späten genesis von m aus eu vgl. Braunes Ahd.
gr. § 47, anm. 1 und Beitr. 25, 297); darauf dehnung des labialen
halbvocals vor i in i\ui (aus e\ui) sowie in altem i\ui, also ent-
stehung von ni\ui, das die überlieferten i(e)\w, io\iv, ü\w ergab
in ags. nieive, niwe, nioivc etc., mnd. nüivc, aonfrk. nmmi,
thiuimon, tlmime, -on (d. h. nüwi etc., vgl. Gramm. § 25), monfrk.
nüivc, mnl. nüivc, lüive (s. Beitr. 20, 507 >) ). Dass diese dehnung
von labialem halbvocal vor i als das resultat von analogie-
bildung zu fassen {niu\uiu neben ni\ui, spiu\uiu neben spi\uis,
-id etc. nach dem muster von nut\tiu bez. nyt\tiu neben nu\ti
bez. ny\ti, tal\Im bez. tcl\UH neben ta\lis, -id bez. te\lis, -id etc.),
ist aus nd. nfrk. neben den bildungen mit o"|i {öH\i) begeg-
nenden formen mit keinenfalls auf au\i oder a\ai zurückgehen-
dem ou\w (mnd. doiiwen, döien 'auftauen', stromven, Strogen
'streuen', mnl. douiven, döyen 'tauen', vervromven, vcrvröyen
'erfreuen' etc., s. Beitr. 16, 297 ff.) zu ersehen: neben phonetisch
entstandenem strau\iu auch als neubildung styau\uiu zu stra\uis,
-id nach dem muster von tal\liu zu ta\lis, -id.-)
Wegen der afries. fortsetzungen von a\ui vgl. Beitr. 16, 305 f.
19, 378. 430 (reflexe von i\ui fehlen). Dass den ahd. iu\iü und
ou\w nicht analogiebildung zu gründe liegt, lehrt uns fromva
aus fra\uiö{ti): analogische entstehung von ou\w wäre hier nur
denkbar als die folge von nachbildung nach einstmals während
der analogiebildungsperiode neben ursprünglichem a\m stehen-
dem cm\ui, und es müsste so auffallen, dass neben frouwa etc.
') Die as. belege nnma, -on Cott. 5536. 5553, thiuua, thiuun Cott. 285.
5027 sind nicht stricte beweisend, weil hier zur not i\yf für durch anlehnung
an altes i\ui der unflectierten formen entstandenes i\ui vorliegen könnte.
^) Die am a.a.O. vorgeschlagene deutnng des ou\w aus durch anlehnung
an au der bildungen mit regelrechtem aii\i für «|n eingetretenem «mI«
{strau\mH, -id für stra\uifi, -id durch eiiiwirkung von strau\iu etc.) ist ab-
zuweisen : als die folgen einer beeiuflussung von selten der sfra^l w-bildungen
wären ja strau\is, -id, nicht strau\uis, -id zu erwarten.
GRAMMATISCHES. 533
sich gar kein beleg- mit auf altes a\ui zurückgehendem etv
vorfindet, mithin die neubildung die alte form völlig verdrängt
hätte, während sich sonst in den Wörtern, denen altes mit a-iii
wechselndes a-ni zukam, formen mit eiv neben denen mit ouw
finden (vgl. Beitr. 9, 528 fl).
8.
Sievers hat in diesen Beitr. 16, 262 ff. Kauffmanns theorie,
dass die dehnung von consonant vor i nur da eintrat, wo in
einem formensystem w^ortformen mit -i und -i- abwechselten,
unter hinweisung auf ahd. ellan, as. ellian, ags. eilen (^= got.
aljan) und ags. smidöe, ahd. smitta (aus smilnün) beanstandet
und die auf diese Voraussetzung gegründete erklärung von
tal\lia als contaminationsproduct aus ta\li und tal\xa abgelehnt
(wegen der a. a. o. s. 264 f. hervorgehobenen lehnwörter epfi,
mutti etc. und ßleol vgl. jetzt oben 1). Er erblickt ferner in
der dehnung {tal\lia aus ta\lia) die folge von durch quantitäts-
steigerung veranlasster Verschiebung der silbengrenze. Doch
dürfte zu erwägen sein, ob in dieser Verschiebung oder wol
besser in diesem übertritt von vor i stehender consonanz in
die vorangehende silbe nicht "\delmehr ein spontaner, von
etwaiger quantitätssteigerung gänzlich unabhängiger act vor-
läge: die dehnung erfolgte bekanntlich auch in nebentoniger
(sonst der quantitativen Steigerung nicht ausgesetzter) silbe
und bei gedachter Steigerung in starktoniger silbe müsste man
ausserdem neben tul\lla aus ta\lia auch tal\li aus ta\li erwarten.
Bei besagtem übertritt aber wäre zweierlei Vorgang denkbar:
der consonant verteilte sich über die beiden silben, was deh-
nung desselben involvierte, oder er trat ganz aus der folge-
silbe in die vorsilbe ein; letzteres geschah im nord., wie zu
folgern aus an. niö\jar, hen\jar, svef\jom, svef\ja etc. gegenüber
Mrdar, -a, heidar, -a, stijrem, -um, -a etc. (durch ausfall von
tautosyllabisch zwischen cons. und voc. stehendem i aus hir \ -
diar etc.).')
^) Ob auch im got. nas\jan, har\jös, kun\ja etc. galten oder noch mit
alter Silbenverteilung na\sjan etc. gesprochen wurden, ist nicht zu ermitteln,
weil aus niujans, yaujis, haitja, maujüs u. dgl. mit rücksicht auf das oben
im text in 2 erörterte kein s\j etc. zu erschliessen ist, da hier die eutstehung
von au, iu auf eiuwirkung von selten der diphthonge beruhen könnte.
534 VAN HELTEN
LV. Zur behaudhiiig von -z und -s im west-
germanischen.
Beitr. 18, 527 f. hat Hirt die vulgatansicht, dass von
den urgerni. -s und -z im westgerm. ersteres erhalten bleibe,
beanstandet und den versuch gemacht, auch für -s die apokope
zu erweisen. Er begründet seine theorie durch hinweis auf
ahd. zwo, dio (für Jw) sowie die 2. sg. des praet. opt. ags, h(^re
etc., ahd. as. tvili und des praet. ind. ahd. zugi, as. dridi, ags.
hunde etc. mit -/, -e aus -is bez. -es. Doch ist hierzu zu be-
merken: dass zwö,J)ö auf proklitisclie prototypen mit -z zurück-
gehen können ; dass ein -z in der 2. sg. praet. opt, sich ganz
gut begreift als das product von analogiebildung (s. gleich
unten); und dass zurückführung von zugi etc. auf tuges wich-
tigen bedenken unterliegt (s. unten LIX). Andrerseits aber ist
der beweis für erhaltenes -s unschwer zu erbringen auf grund
von ahd. -nies der 1. pl. und westgerm. -tos, -dos, -des (as. dagos,
ags. dasos müssen als zweideutige formen, s. oben s. 514 f., aus
dem spiel bleiben; für die erhaltung von -s in ahd. nicJms, aclms,
liazus, fiziis, as. akus wäre zur not mit Hirt die einwirkung
der obliquen casus verantwortlich zu machen). Für -mes beruft
sich Hirt zwar im anschluss an J. Sclimidt, Kugel und v. Fier-
linger (s. Kuhns Zs. 27, 189) auf ved. -masi, doch dürfte die für
den fall anzunehmende i-epenthese wol zu problematischer
natur erscheinen, um hier mit fug für die deutung der endung in
betracht zu kommen. Einen versuch, die -tos, -dos etc. der 2.sg.
des scliw. praet. mit der hypothese von s-abfall zu vereinigen,
vermisst man überhaupt in Hirts aufsatz. Für die flxierung des
alten accents dieser endungen fehlt uns allerdings ein directer
anhält; da aber deutung des -s derselben als parallele zur
secundär auslautenden sibilans von dages, hindis ausgeschlossen
ist und der Schwund von -z bez. die gelegentliche erhaltung
von dai'aus entstandenem -r (in ahd. wir, ir, mir, dir, er, afries.
-er nom. sg. niasc. des Personalpronomens) feststeht, muss das -s
unserer gesetze als eine nicht durch Verners gesetz getroffene
consonanz gelten und seine erhaltung eben mit dieser stimm-
losen Qualität in Verbindung gebracht werden.')
') Auf eine deutung dieses -mis möchte ich mich einstweilen nicht
einlassen. Zurückführung- der endung auf etwaiges, eigentlich der athe-
GRAMMATISCHES. 535
Keine Schwierigkeit macht hierbei das in der 2. sg. praet.
opt. ahd. curi, ahd. as. tvüi, ags. beere, bunde etc., afries. *Jmlpe
etc. (die unbelegte form ist aus -e der 2. sg. praes. opt. zu er-
schliessen) fehlende -s, da es gar leicht begreiflich ist, dass
die alte, auf grund der ursprünglichen betonung des modal-
suffixes mit voller Sicherheit als -ies anzusetzende praeterital-
endung oder die dafür eingetretene neubildung -is durch ein-
wirkung von selten des -^ der 2. sg. praes. opt. (vgl. Beitr.
17, 5551 1)) ihr -s mit -^ vertauschte (vgl. auch got. ivileizu
Joh. 9, 54 sowie an. shjter, -ir und beachte wegen der um-
gekehrten beeinflussung einer anderen endung des praes. opt.
durch die correspondierende des praet. opt. unten LX; wegen
der angelsächsischem -e und altfriesischem -c [d. h. -a] der 2. sg.
praes. und praet. opt. gegenüber stellenden, durch neubildung
entstandenen endungen ahd. -es, -is, as. -as [-es], -is, amfrk. -as
vgl. Beitr. 17, 556).
Der ansetzung von altem -.9 für die endung der 2. sg. des
schwachen praet. ind. widerspricht keineswegs im an. -der, -dir
erscheinendes -r, das sich anstandslos als die aus den sonst
(mit ausnähme des starken praet. ind.) für die 2. sg. verwanten
personalendungen entlehnte endungsconsonanz begreift.
Waldes ohnehin in manchen stücken zu beanstandende
annähme (vgl. dessen German. auslautsgesetze s. 130 und Jelli-
neks recension dieses buches Zs. f. öst. gymn. 1901, s. 1087), der-
zufolge -s nach gestossener länge erhalten geblieben, -^ nach
kurzem oder geschleiftem langen vocale gesell wunden wäre,
fordert zu der kaum befriedigend zu beantwortenden frage
matischen flexion zukommendes, starktoniges -mPs (vgl. Kuhns Zs. 27, 189 f.)
hat ihren haken, insofern es kaum begreitlich wäre, ilass eine verhältnis-
mässig selten verwante endung sich über die ganze conjugation verbreitet
hätte. Begreiflich wäre der einfluss, den ein litauiscliem mca 'wir' ent-
sprechendes pronomen auf die endung -iiiez ausgeübt hätte; doch fehlt leider
ein anhält für die annähme eines solchen einstmals im germ. (vorhd.) ver-
wanten pronomens.
Ehemalige existenz von regelrecht auf -omee zurückgehendem -um ist
aus ahd. -iimes zu erschliessen, dessen -ii- nur als die folge von anlehnung
au solches -um verständlich ist.
*) Wo indessen die schwachen verba 2. und 3. klasse mit alten disylla-
bischen -0<'\'iz, -ä\iz, -ca\iz (woraus -ö<^z, -e^'lz bez. -?% vgl. IF. 14, 85 f.) über-
sehen wurden.
536 VAN HELTEN
heraus, wie solche gestossene qiialität des langen vocals, im
gegensatz zum gestossenen ton des kurzen und dem schleifton
des langen lautes, für die conservierung der consonanz verant-
wortlich 2U machen w'äre.
Ob in den durch ausfall von vocal vor -s in dritter silbe
entstandenen Verbindungen -yiz, -mz (vgl. oben s.523. 529) das -z
zu gleicher zeit mit dem nach voc. stehenden -z durch apokope
oder etwa noch vor dieser apokope durch assimilierung ge-
schwunden sei (nach art von urn. -n des gen. sg. masc. fem.
und *-w des nom. pl. masc. fem. schwacher declination aus -nz
oder -nB für -nez bez. von an. -m des dat. pl. aus urn. -mB
für -miz), ist kaum zu entscheiden. Mit rücksicht auf got. -7is
des gen. sg. und nom. pl. schwacher declination neben durch
assirailierung entstandenem -m des dat. pl. aus -mz für -miz
wäre für das westgerm. sogar noch ein drittes denkbar: assi-
milierung in -mz, abfall in -nz.
LYI. Noch eiumal zu der frage 'gab es westgerm. reflexe
von got. -anSf -vtis, -uns des acc. pl. ?'
Diese bereits Beitr. 20, 516 f. verneinte frage möchte ich
jetzt nach nochmaliger prüfung noch entschiedener verneinen,
und zwar auf grund folgender erwägung. Entwickelung von
langem vocal aus vor nasal + spirans stehender kürze ist
physiologisch nur so denkbar: durch einfluss des fricativlautes
wurde der normale (mit verschluss des mundcanals gesprochene)
nasalconsonant zunächst zu nur mit vorstülpung des velums
gesprochenem nasalconson. reduciert; aus diesem entstand so-
dann durch anlass des vorangehenden vocals nasaliert gespro-
chener vocal, der durch contraction mit dem vorangehenden
laut schleiftonig (zweigipflig) gesprochenen nasalvocal ergeben
musste, woraus in der folge schleif tonige, unnasalierte länge
(vgl. auch lit. -ü, urgerm. oben s. 512 hervorgehobenes -ö für
stosstoniges -ön = -mv). Da nun eine vor der ^-apokope
stattgefundene reducierung des nasals spätestens (nach Aflims
etc., vgl. oben s. 523) in den anfang der römerzeit zu verlegen
wäre, worin (vgl. oben s. 526) aus altem -on hervorgegangener
laut noch nicht zu -a geworden war, mithin auch vor tauto-
syllabischem nasal stehendes endungs-o" sich nicht zu a ent-
wickelt haben könnte, wäre als durch nasalschwund aus -onz
GRAMMATISCHES, 537
(= iudog. -ons) über -ö''z, -d", -ö" liervorg-egang-eiie endung ahd.
as. aonfrk. -o {-o") zu erwarten (vgl. oben s. 512), nicht das
wirklich überlieferte, von den Vertretern der in rede stehenden
theorie auf -o)iz zurückgeführte -a.
Hieraus resultiert also zunächst die uotwendigkeit, ahd.
aonfi'k. -a des nom. acc. pl. der o-substantiva nicht aus accu-
sativsuffix herzuleiten. Eine entsprechung von vorauszusetzen-
dem -02 (für -ÖS aus -o -j- es) des nom. kann in unserer endung
allerdings ebensowenig vorliegen; doch wäre auf analogiebildung
beruhende entstehung der endung ganz gut denkbar: die für
den nom. pl. fem. verwanten doppelformen mit eig. dem nom.
zukommendem -d(ß) und durch einwirkung der accusativendung
in schwang gekommenem -ö(s) (vgl. oben s. 512) veranlassten
füi' den nom. masc. zuerst die Verwendung von -ö(^) neben
-ö(^), und die so eingeschleppte endung gelangte in der folge
zur alleinherschaft. [Die folge einer jüngeren widerholung
solcher beeiuflussung des masc. durch das fem. gewährt das -ä,
welches auf gi'und der vereinzelt bei Notker auftretenden -ä
des nom. acc. pl. masc. (s. Beitr. 2, 135) als gelegentlich statt -a
dieser casus verwante und nach dem muster der ehemals für
den nom. acc. pl. fem. (vgl. oben s. 509 f.) verwanten -« und -a
in schwang gekommene endung geltend zu machen ist; ob
auch in dem -a der im Alagna-dialekt begegnenden pluralformen
toga 'tage', vatra 'väter' die fortsetzung eines solchen -ä steckt,
ist fraglich, weil nach Zs. fda. 21, 28 in besagter mundart -a
auch als entsprechung von altem -a erscheint.]
Wegen der aus dem nominativsuffix stammenden ahd. as. -i,
aonfrk, -f (s. Gramm. § 62/), ags, -e (-i), afries. -e des nom.
acc. pl. der 2-substantiva und wegen der endung von ags. nom.
acc. pl. simu, ivialn, diiru, tvintru, sculdru, hroÖru s. unten
LVU, 2 und Beitr. 20, 515 f. In ahd. neben normalem siti und
sunt nom. acc. pl. erscheinendem situ acc. pl. (s. Braune, Gramm.
§ 230, anm. 3) ist der rest zu erblicken von durch anlehnung
an die langsilbigen pluralia auf regelrechtes -iü (vgl. oben
s.528, anm. 2) entstandenem und vor apokope des -u geschütztem
situ (Zwischenstufen sitiu, sitni).
Die in den kleineren as. denkmälern neben -os oder auch
ausschliesslich begegnenden -a und -e des nom, acc. pl. der
o-substantiva begreifen sich als neubildungen nach analogie
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIII. 3ö
538 VAN HELTEN
einerseits der adjectivisclien masc, andrerseits der substan-
tivischen fem.-decliuation (vgl. Sclilüter, Unters, s. 102 f. und
Holthausen, As. gr. § 265, 5).
Für die as. und aonfrk. (s. Gramm. § 75 f) -a des nom. acc.
pl. masc. der starken adjectiva ist anstandslos entlelinung aus
dem fem. geltend zu machen.
Für das mitunter im ahd. nom. acc. pl. masc, der adjectiva
neben und statt -e erscheinende -a (in K. Is. Tat. und einigen
bair. gll., s. Braune, Ahd. gr. § 248, anm. 9 sowie Beitr. 15, 415
und Zs. fda. Anz. 19, 37 1) ) wurde von Dietrich, Hist. decl, theot.
s. 22 und in Beitr, 17, 274, anm, 1 beeinflussung von Seiten der
Substantivflexion angenommen; Jellinek beanstandet (Zs. fda.
Anz. 20, 23) diese auffassung mit der benierkung, dass so nicht
abzusehen wäre, warum nicht auch der dat. der adjectiva,
dessen -cn dem -im der substantiva ebenso ähnlich war wie
-e dem -a, die endung der substantiva angenommen hätte;
hierzu aber sei bemerkt, dass aus dem im 1, Merseb, zauberspr,
und im Tat, für den nom, acc, pl, fem. der adjectiva statt und
neben -o erscheinenden -a (oder -«?) beeinflussung der adjec-
tivischen flexion durch die substantivische als tatsache hervor-
geht und demnach auch die möglichkeit einer gleichen, den nom.
acc. pl. masc. treffenden beeinflussung nicht zu leugnen ist,
LAU. Zu den altgerni. endungen des gen. und dat. sg.
der i- und te-stänime und verwantes.
1,
Da zurückführung der altgerm, endungen für den dat, sg,
der i- und der w-declination auf alte dativendungen -eiai bez.
1) Zwar küaute in diesen bair. quellen, die auch im opt. praes. und
im imper. der 3. schwachen conjugation seltneres -a neben häufigerem -e
zur bezeichnung von aus -e« entstandenem, qualitativ dem -a nahe liegen-
den laut gewähren, das -a der belege für den nom. acc. pl. zum teil einen
solchen voc. repräsentieren; doch berechtigt der umstand, dass letztere
«-belege die mit -e bedeutend überwiegen, zu dem schluss, dass in der mehr-
zahl dieser -a eine bezeichnung für reines -a vorliegt.
In diesen bair. quellen auch für den dat. sg. masc. ntr. neben häufigerem
-c auftretendes -a ist selbstredend mit dem -a des opt. und imper. in eine
linie zu stellen, nicht als bezeichnung von oben s. 511 hervorgehobenem
reinen (altes ablativsuffix repräsentierenden) -a zu fassen.
GRAMMATISCHES, 539
-euai oder -iai, -uui lautgesetzliclier gründe wegen ausgeschlossen
ist, sind für die deutung der casussuffixe alte locativ- bez. in-
strumentalendungen ins äuge zu fassen.
Alid. as. -i, aonfi'k. -f (s. Gramm. § 61*. 62), ags. -e, afries. -e
für den dat. der /-stamme wären an sich formell mit altem
locat. -ei zu vereinbaren: über -ei und -l durch primäre kürzung
(vgl. oben s. 503) entstandenes -i dürfte sich bei den kurz-
sübern als lautgesetzliche, bei den mehrsilbern als durch be-
einflussung von Seiten ersterer regelwidrig erhaltene endung
erklären. Doch stiesse man bei der gleichung, ahd. -in und
-u des locat. (in -furfiu, Waldiu, Feldiu, -furtu, Waldu, s. Beitr.
14, 119 f.), -in des dat.-instr. (vgl. die in den ältesten quellen
begegnenden sunin, Jiugiu, sigiu, sitiu, fridiu, s. Zs.fda. 28,112 f.),
as. für den dat. verwante (aus -in entstandene) -u, -o (in sunu
Mon. 2815, suno Cott. 5946, frethu im Psalmencomm., s. Wad-
stein, Kl. denkm. 12, 12; ob sunies, -ie gen. dat. als neubildungen
auf altem *siiniu oder auf regelrecht entstandenem suni, s. unten,
beruhen, ist nicht zu entscheiden) = altem -cu, auf nicht zu
beseitigende hindernisse: -eu hätte über -eu, -iu durch diphthong-
kürzung -i ergeben müssen ; und dass hier überhaupt nicht von
diphthong in der endung die rede sein kann (mithin auch et-
waige annähme von nicht gekürztem -in abzuweisen ist), ist zu
ersehen: erstens aus den oben citierten (auf -iu aus -i\ii) hin-
weisenden) -u, -o; zweitens vielleicht aus den auf -/|«, -ru hin-
weisenden as. analogiebildungen -ie, -ies; drittens aus nur bei
annähme von -i\ii begreiflicher, gelegentlicher Verwendung be-
sagter formen als instrumentalcasus (vgl. wegen eines solchen
gebrauchs Zs. fda. 28, 112f. und beachte auch SiS. feJio instr.
Mon. 1847). Aus dem disj'llabischem suffix nun ergibt sich die
not wendigkeit der ansetzung von altem -iui (aus -eui), woraus
durch primären vocalschwund (vgl. oben LUX, 1) -i\u, das bei
regelrechter erhaltung von u (in dritter silbe nach kurzer paen-
ultima und langer antepaenultima, vgl. Beitr. 17, 288 ff.) das -(i)u
der locative -fiirtin, -u etc. (s. oben) ergab'); in suniu, hiujiu etc.
aber (statt deren bei regelrechter entwickelung suni etc. zu
1) Neben diesen -iu und -i* {\xiWaldi,Weldi, Fwii, s. Beitr. 14, 119 f.)
erscheinendes -t ist oft'enbar die aus den locativbildungen von /- und o-stämmen
{-suuenti, -huci, Tühhi etc., s. Beitr. 14, 121) entlehnte endung.
35*
540 VAN IIELTEN
envarten wären) liegt -m aus -i\u vor, das durch einwirkung
des -i\ü der laugsilber (vgl. die nach instr. fuazsiu Murb. H. 19, 2
anzusetzenden instr.-dat. fözziu, sMtin, feldiu, wirtiu, ivirdiu
etc.) vor ' eintritt des secundären vocalschwunds (vgl. oben
LIII, 2) aus -/|« zu -i\u wurde und so vor synkope der ultima
geschützt ward (ob in suni tsid. IV, G und Mon. 1998 die regel-
rechte fortsetzung von sunm oder etwa nur Schreibfehler vor-
liegt, möchte ich unentschieden lassen). Wenn aber für die
«-declination altes -eui feststeht, so ist auch für die /-klasse
annähme von übereinstimmender basis, d. h. von -eli, geboten:
durch absorption von vor i stehendem i zunächst -e\i, dann in
folge von Umlaut des e der paenultima durch i der ultima -i\i,
woraus -7, woraus überliefertes -/, -e (vgl. oben s. 512). ')
An. (endungsloser) dat. sg. der i-stämme wäre formell auf
altes instrumentales -l oder auf -ei zurückzuführen (die laut-
gesetzliche fortsetzung beider sufflxe, nämlich -i, hätte bekannt-
lich regelrecht apokope erleiden müssen); urn. -iu (in Kuni-
muöiu), an. -e, -i des dat. sg. der m- stamme könnte formell
sowol auf altem -eu als auf altem -eui beruhen; alte -eii und
-ü sind aus phonetischen gründen ausgeschlossen. Hiernach
empfiehlt es sich, weil gleichartigkeit der flexionssufflxe für
die beiden klassen wahrscheinlich, vornord. -t (aus -ei\ -iu
(aus -eu) anzusetzen.
Wegen got. -ai, -au des dat. sg. als für -%, -iu eingetretener
neubildungen s. IF. 14, 77 f.
2.
In betreff der behandlung des gen. sg. gehen im ahd. und
as. die i- und die w-klasse auseinander: erhaltung der alten
endung in letzterer (ahd. frido, tvito, as. suno Cott. 5788 mit
-0 aus -oüB, vgl. oben s. 514; daneben auf analogischem wege
entstandene formen frides, sites etc. 2), die sich als solche dem
1) Wegen hierneben begegnender ahd. locative Bachiu, Wangni und
dativ- instrumentale falliii, lougiu, $ew(i)u, slegiu (zu durch analogische
«■-apokope entstandenem slag) sowie wegen der fem. dative ahd. kiwaltiu,
steteo, as. wädiu, hrUdiu, idisiu und imMiu (Mon. 1420. 1810, neben normalem
tcihti Cott. 1420. Mon. Cott. 220. 299. 935. 2823. 4429) vgl. Beitr. 17, 296, anm.
Durch instrumentales -u hervorgerufene suffixerweiterung liegt vor in as.
hugiu, mägscepiu (vgl. Beitr. 8, 333).
2) Sowie das zweimal (in Pa. und gl. K., s. Kögel, lieber das Ker. gloss.
GRAMMATISCHES. 541
aonfrk. frithis, s. Gramm. § 66, vergleichen, sowie das as. oben
in 1 besprochene smiies), doch neiibildung in ersterer (ahd. as.
-i der feminina, nicht nach altem -o/^ zu erwartendes -e, d.h.
-6", Vgl. oben s. 513; dem ahd. as. -i entspricht aonfrk. -i% vgl.
Gramm. § 62/^; für den aonfrk. gen. der it-flexion ist nur die
oben erwähnte analogiebildung belegt). Diese verschiedene
behandlung kann nicht auf zufall beruhen; und es hält nicht
schwer, den derselben zu gründe liegenden factor zu ersehen,
wenn man die neubildung in die nach dem primären vocal-
schwund liegende periode verlegt, also in die zeit, wo dem
oben LIII, 1 ausgeführten gemäss auch durch -i der ultima
erwirkte -f-entwickelung von -e- der paenultima bereits erfolgt
war: in besagter periode standen in der «-declination neben
einander -aüz oder eine fortsetzung desselben für den gen. sg.,
-i\ii (aus -eiM, s. oben 1) für den dat. sg., -e\u2 oder -e\u (aus
-eues, vgl. oben LIII, 3) für den nom.pl.; in der /-flexion -at^
oder eine fortsetzung desselben für den gen. sg., -7 (aus -cii,
s, oben 1) für den dat. sg., -Tz oder -t (aus -eies, vgl. oben LIII, 3)
für den nom. pl. (sonst suffixe mit -u, -u- oder -u- bez. -i, -i-
oder -i-)\ während nun in der «-declination die majorität der
-r(-) das vereinsamte -alz oder eine fortsetzung desselben er-
drückte, fehlte in der «-flexion ein solcher majoritätsfactor.
Im gegensatz zum ahd. und as. (vermutlich auch zum aonfrk.)
gewähren das ags. und afries. als regel uniformität der en-
dungen für den gen. dat. sg. und nom. (acc.) pl. sowol in der
«(-declination (wegen des aofries., wofür indessen kein -a des
gen. sg. belegt ist, s. Gramm. § 179*. 180; in den awfries. quellen
begegnen noch einige genitive und dative auf -a, ferda, freda,
ivalda, fielda, s. v. Richthofen, Wb. i. v., der pl. hat hier analogie-
bildung -an bez. -cn für -a) als in der /-klasse (man beachte,
dass die ags. -e, afries. -e dieser casus mit rücksicht auf den
Beitr. 8, 828 hervorgehobenen ags. gen. uyrdi und auf § 175.
179 der Aofries. gr. als fortsetzungen von -/ zu gelten haben).
Entwickelung dieser gleichförmigkeit in der tt-declination nach
dem muster von in der <-klasse entstandeneu wäre mit rück-
s. 164) belegte ivitu, d. h. ivitu gen. : wän nom. acc. nach dem muster von
für die kurzsilbige /-klasse als alte formen anzusetzenden quiti gen. : quiti
nom. acc.
542 VAN HELTEN
siclit auf das vorhersehen von ursprünglich nur dem genit.
zukommenden endungslaut schwerlich denkbar: warum bei
solcher nachbildung eventuell in einer periode, -o«(^) etc., -i\ii
und -c\H{s)f grade die erste endung die überhand bekommen
hätte, ist nicht einzusehen, und bei gedachter analogiebildung
in einer periode, -«i7(^) etc., -i\u und -/|«<(^) (aus -c\u{z), vgl.
oben LIII, 3) hätte eben -i\ii obsiegen müssen. Es dürfte sich
demnach eher die folgende annähme empfehlen: vor der ent-
wickelung von -i\u des pl. entstand nach dem muster von -1(2)
gen. sg. und -7 dat. sg. und durch beeinflussung von selten des
-««(^) (d. h. -o"üz bez. -oTi) oder -ö''(^) des gen. im dat. eine
neubildung -an (d. h. -o"il) oder -ö"; nach dem muster von für
den dat. verwanteu doppelformen -aü etc. und -i\u kam dann
neben für -e\u(2) des nom. pl. eingetretenem -i\u die nämliche
doppelform in schwang, die in der folge, wie im dat. sg., vor-
lierschend wurde, sodass im liistorischen ags. nur noch aus-
nahmsweise «-endungen als reste älterer -i\u begegnen (-u
über -xit aus -i\u, das bei den langsilbern nach Beitr. 17, 288 ff.
als lautgesetzliche, bei den kurzsilbern als durch analogie-
bildung für lautgesetzliches -i\ti eingetretene endung zu gelten
hat): dat. siinu, meodii, dum (neben suna etc.)^), nom. (acc.)
pl. wintru, sculdrit, hrödru, sunii, ivudu, dum (vgl. auch Beitr.
20,515; auf altes -i\u hinweisende endungen fehlen in den
afries. quellen gänzlich).
An. -ar des gen. sg. der /-stamme findet sich statt -er (aus
-alz\ wegen spuren der alten endung vgl. Noreen, Aisl. gr.
§ 325, 2) bei den masculinen durch einwirkung von -ar des
gen. sg. der it-stämme, bei den femininen durch beeinflussung
von selten des -ar des nämlichen casus nach der ö-flexion.
LYIII. Zur analogischeu apokope der endung im dat. sg.
masculiner und neutraler substautiva.
Beitr. 15, 488 wurden as, an day, (an) morgan, aonfrk.
an dag, an morgan, -en, an ävont, ags. to dmg, io morgen, to
mergen, to cefen als adverbiale, nach dem muster von an naht.
*) Dass hier im gegensatz zur laugsilbigen klasse, die nur felda u. dgl.
kenut, das -u erhalten blieb, begreift sich als die folge einer beeinflussung
durch das -u des nom. acc. sg.
GRAMMATISCHES. 543
to niht (oder einer Vorstufe dieser form) entstandene ausdrücke
hervorgehoben. Hierzu vergleiche noch an. d mergun, i dag
nach i ngtt oder nott.
Als gleichartige bildungen sind auch geltend zu machen:
die mit localer präposition verbundeneu dative ahd. thorf
(dorf), hüs, liols (s. Braune, Gr. § 193, anm. 7), as. aofries. hus
(s. Beitr. 20, 521 bez. Schlüter in der Laut- und formenlehre der
agerm. dial. s. 695, und Aofries. gr. § 198) als analogiebildungen
nach dem dat. hurg\
as. an (them) eo, eu Mon. (s. Beitr. 20, 521 und Schlüter
a. a. 0. s. 697) als analogiebildung nach dem dat. des fem. con-
sonantstammes *böc (vgl. ena hoc, buoJc acc. sg. Mon. Cott. 232 ') );
ags. to hdm domum durch einwirkung von adverbial ver-
wantem acc. hdm domum; in, on, to dam bez. öissum hdm (zur
bezeichnung der ruhe), of ödm hdm durch einwirkung von to
hdm domum.
Herleitung dieser suffixlosen bildungen aus einem prototyp
mit locativem -l (vgl. Beitr. 15, 487) ist wegen des oben in
LH erörterten unzulässig. Die deutung derselben aus instru-
mentalen grundformen mit -u aus -ö (vgl. Beitr. 12, 553) ist
abzuweisen, weil, mit ausnähme uralter, pronominaler partikel-
formen (s. LXIII, 4. 5. 7), für das germ. nur temporale verwen-
*) Nicht beweisend sind lüh nom. pl. Mou. 530, das auch ntr. sein
könnte (vgl. thiu hole acc. pl. Mon. 235), und thia huoh Cott. 235, an bttok
Cott. 8. 14, thca buk Mon. 3402 acc. sg. fem. oder pl. ntr.
Das von Schlüter a. a. o. als dat. citierte duÖscn Gen. 324 ist acc. : auf
eine kritik der verschiedenen versuche, den lückenhaft überlieferten text ge-
dachter stelle zu ergänzen (s. Zs. fdph. 33, 435 ff.), möchte ich mich hier nicht
einlassen ; nur sei bemerkt, dass in dem sich auf Sodomnnki beziehenden
ac sü bidödit
an düdssu, so it noh te daga stendit
fliiodas gifiälit.
das auffallende bidödit zu beseitigen und der reim zu *thegan (für thcg der hs.)
ni genas (hs. nigönas) des vorangehenden halbverses herzustellen ist, wenn
man das zu mnl. doycn 'schmelzen' (= nind. douiven, doicn, ahd. doiiwcn,
dewis, -it etc., an. deyja liquefieri) gehörende, in den (mittelostnfrk.) Limb,
sermonen begegnende bedöyen 'benetzen' (s. Mnl. wb. 1,648 und vgl. wegen
des öy aus a]i\i für ajyi Beitr. 16, 297 ff. und oben s. 532) heranzieht und
hiernach as. biöüian 'überschwemmen', 'versenken' ansetzt; bidöit ward
(oder ward) an döösm 'versenkt Avurde in das tote meer'.
544 VAN HELTEN
dung dieses casus (vgl. as. hnidti, ahd. hndu, hiurn) zu belegen
ist. AValdes annähme (Die germ. auslautsgesetze s. 7 ff.), dass
unseren formen ein prototyp mit locativendung -e zu gründe
liege, stellt: auf zu schwachen füssen, geschweige noch, dass bei
solcher fassung die beschränkung der endungslosen dative auf
die erwähnten fälle unaufgeklärt bliebe. Dass wir nämlich
für die deiitung der an. (von Walde zu gunsten seiner theorie
berufenen) endungslosen dative, d.h. der zu masc. o-stämmen
stehenden (bei den kurzsilbigen, vgl. Walde a. a. o. s. 4 ff., ver-
hältnismässig überwiegenden), der zu masc. ^{;o-stämmen neben
hQrve, -i, sncefe, -i etc. begegnenden hgr, snce etc. und der fast
immer bei masc. vö- stammen erscheinenden (vgl. Noreen in
Pauls Grundr. P, 609), der annähme von alter locativendung -c.
entraten können, liegt auf der band: die i-declination (der eben
eine beträchtliche anzahl von kurzsilbern angehört) gab mit
ihrem zum (masc.) nom. auf -r stehenden, regelrecht entwickelten,
endungslosen dativ (aus prototyp mit -ei, s. oben LVII, 1) das
muster ab, wonach sich in den besagten declinationsklassen
mit -r im nom. sg. ein dativ ohne suffix bilden konnte.
Mit rücksicht auf den as. als simplex verwanten dat. 1ms
begreifen sich auch hiermit gebildete van Vehüs, van Nianlius
Essen, heb. (Wadstein 21, 3. 16), to then vehüs, io themo ästcron-
1ms, van iliemo DeddessconJms, van themo LiicMssconhüs Freck.
heb. (Wadstein 43, 23. 24, 16. 27. 28, 8. 34, 23), wonach durch
analogiebildung van Mottonheni, van Kükonhem, van Saldinhem,
van Berghein, te Folisheni, van Ilullüinhem Freck. heb. (Wad-
stein 27, 21. 24. 28. 32. 28, 34. 37. 29, 29. 32, 6. 35, 6). In van
Sciphurst, van Scndinhurst und anderen dergleichen dativen
mit -hurst Freck. heb. (AVadstein 27, 3. 38. 28, 8. 15. 36. 29, 26.
30, 14. 16. 36. 31, 34. 32, 19. 20. 34, 1. 37, 1. 10. 41, 28. 43, 17.
44,33. 45,1) liegt der consonan tischen declination nachgebildete,
suffixlose dativform eines fem. /-Stammes vor (vgl. Beitr. 15, 487.
20, 522); ebenso in van Westenvlh, van PänetvtJc Freck. heb.
(Wadstein 30, 10. 34, 9, vgl. Beitr. 15, 487, anm. 3; daselbst für
möglich gehaltenes -tviJc aus masc. oder neutr. -ivlM für -tvlkt
ist unzulässig). Aus in lat. quellen vorkommenden in Wüis-
horst, in Mihilonhurst, in Herdenesheim, in Clölbcim (s. Beitr.
15,487) ist nicht auf endungslosen dativ zu schliessen: die
belege können nominative repräsentieren und in einer linie
GBAMMATISCHES. 545
stehen mit den Beitr. 14, lOG ff. citierten in W>::inwanc, in
Swarstinpac etc.
LIX. Zum westg:erni. -i^ -e der 2. sg. praet. ind,
Beitr. 17, 554 f. wurde von Fierlingers deutung von -i der
westgerm. 2. sg. praet. ind. aus altem -es eines thematischen
aoristes beanstandet im hinblick auf die beschränkte zahl dieser
(übrigens nur im aind. und griech. erscheinenden) aoriste. Zu
diesem einwand möchte ich jetzt noch zwei andere hinzufügen.
"Wenn ursprünglich nur in beschränkter anzahl ins germ.
hineingekommene aoristbildungen, wie hiti, tuyi, hulpi etc. (aus
hitez etc.), durch den umstand, dass solche 2. sg. laut-
lich mit der 2. sg. des praet. opt. zusammenfiel, Aveitere
Verbreitung gefunden hätten, d. h. sich zunächst bei den starken
Verben 1. 2. 3. klasse festgesetzt hätten, deren präteritaler, auf
der tiefstufe stehender Avurzelvocal mit dem wurzellaut besagter
aoriste übereinstimmte (und von da aus in die ganze starke
conjugation eingedrungen wären), so müssten die gedachten
aoriste (und zwar nicht nur in der 2. sg. ind.) sich als lebende
demente der spräche in einer sehr jungen periode behauptet
haben, nämlich in der zeit, wo bereits die secundäre kürzung
(vgl. oben s. 503) erfolgt war, welche die entstehung von -i aus
-i (für -iz) der 2. sg. praet. opt. bewii'kte; wäre es nun für
wahrscheinlich zu halten, einerseits dass besagter, den völligen
sieg des -i im perf. veranlassender process sich in relativ so
kurzer zeit vollzogen hätte, andrerseits dass ein so lange er-
halten gebliebenes aoristtempus, ausser der von v. Fierlinger
angenommenen, keine einzige spur in den überlieferten alten
mundarten hinterlassen hätte? Das andere bedenken aber
betrifft das unmögliche einer entstehung von aoristformen hiti
etc., deren protot3^pus mit suffixbetonung anzusetzen: aus -vs
hätte sich kein -/ ent^Aickeln k(»nnen (vgl. oben LV) und ein
factor, der die ersetzung von regelrechtem -es durch -ez ver-
anlasst hätte, wäre schwerlich nachweisbar.
Bezüglich der in den Beitr. a.a.o. befürworteten deutung
von -i des ind. praet. als aus dem opt. stammender endung (für
-t substituiertes -iz, woraus -i, -i) sei daselbst bemerktes hier
nochmals ausdrücklich betont, nämlich dass solchem Vorgang,
der entlehnung von für das alte isolierte suffix des indic. ein-
546 VAN HELTEN
tretender personalendimg des opt. ei n schliesslich des modal-
siif fixes, eine genaue parallele und gewissermassen vor
unseren äugen sich vollziehender Vorgang zur seite steht: die
entlehnung von alid. -em, -en der 1. pl. praes. opt. in den ind.
in einer periode, worin die isolierte endung -mcs (in -ames etc.)
auf den aussterbeetat zu stehen kam.
Wegen der entwickelung von haiti (oder -i oder -is) zu
biti (oder -i, -ts) s. Beitr. a. a. o.
LX. Zu got. -au, -Jaiif an. -a etc. für die 1. sg.
praes. und praet. opt. und verwantes.
Bei den verschiedenen, sich mit diesen endungen befassen
den deutungsversuchen ist bis jetzt lautliche entwickelung des
präsentialen sufflxes, analogische entstehung von -au etc. des
praeteritums geltend gemacht. Es sollte ersteren -au, -a eine
Optativendung zu gründe liegen, d.h. entweder -oim (s. Mali-
low, Die langen vocale s. 107) bez. -ohu (s. Paul in diesen Beitr.
4, 378. Osthoff, Morph, unt. 4, 202. Brugmann in dessen Grundr.
2, 1294. Kluge in Pauls Grundr. 1-, 448) oder eine coujunctiv-
endung -öm {= am von lat. feram, s. Hirt, IF. 1, 206. 6, 58 ff.
Bojunga, IF. 2, 186 ff.) bez. -e// (aus -cm, s. Chadwick, IF.
11, 176). Bei der einen sowie bei der anderen fassung stösst
man auf unüberwindliche lautliche bedenken. Wegen Mahlows
-ohii, woraus -öm, vgl. Jellineks Beitr. zur erklärung der germ.
flexion s. 95. Für -oim, woraus -oium, woraus -ou, -au ist
eine annähme ad hoc von synkope des intervocalischen i er-
forderlich, also eine hypothese, deren berechtigung durch kein
analogon gestützt wird, mit rücksicht auf ags. sealßge, -ad
etc. aber sogar recht fraglich erscheinen könnte. Die be-
rufung von fut. (conjunct.) feram mit feres etc. würde die
gleichung hairais = feres, hairai = feret etc. bedingen; doch
müssten alten bildungen auf -es, -et etc. haires, -a etc. ent-
sprechen, nicht die überlieferten formen, die auf optativische
-oiz, -otd etc. hinweisen. Chadwicks -e// (und -je// des praet.)
hätte (nach IF. 14, 77) über -eü (-jcü) ein -ni (-jiu), nicht -au
(-jau) ergeben.
Der mit t<-affix operierende deutungsversuch entbehrt einer
grundlage. Kögels gleichung (Zs. f. öst. gymn. 34, 406) hairau
= (piQca conjunctiv lässt sich demnach auch nicht duixh die
GRAMMATISCHES. 547
in Bezz. Beitr. 26, 152 f. vorgeschlagene ansetznng eines proto-
typs hheröii plausibel machen.
Angesichts der aus diesen vergeblichen versuchen zu ent-
nehmenden Wahrscheinlichkeit des mislichen einer lautlichen
deutung von präsentialen -mi, -a möchte man sich die frage
stellen, ob nicht etwa auf anderem wege, diu'ch die annähme
von lautlich entwickeltem -jau, die entstehung gedachter
endungen klarzulegen sei. Dass hierbei nicht von -km aus-
zugehen, liegt auf der hand: solcher prototypus hätte got. -ja,
an. -e, -i ergeben. Doch ist folgendes ins äuge zu fassen: nach
dem muster von für den sg. des schwachen praet. ind. anzu-
setzenden -des, -dcp 2. 3. neben -dum oder -Öün 1. (vgl oben
s. 508, anm. 4) konnte sich im praet. opt. zu -dies, -dlcp ein für
-diem oder -dien eintretendes -öiüm oder -diöri entmckeln, das
wider die entstehung im starken praet. opt. von -iöm oder -tön
für -iem oder -icn neben -ies, -icp hervorrufen konnte. Als
die regelrechten fortsetzungen aber solcher -diön, -Ion wären
got. -djau, -jau (mit -au = -o*, vgl. oben s. 520), an. -da, -a zu
erwarten.
Einwirkung dieses -iöm oder -mi, dessen ö-laut in der
weise charakteristisch für die 1. sg. wurde, ermöglichte die er-
setzung von -oT- oder -al- durch -ö- (d. h. -ö"-) in der endung
für die 1. sg. praes. opt. starker flexion und zwar in einer
Periode, worin das -/c- der 2. 3. sg. praet. opt. noch nicht durch
-i- verdrängt war, denn neben -is, -tp (oder -12, -id) stehendes
-iöm oder -iön hätte wol neben -alz, -ald oder -oJs, -old 'fi\\\
-iöm bez. -iön, nicht -öm bez. -ön (woraus got. -an) hervor-
gerufen.') Nach dem muster der starken flexion drang die
neubildung auch (in der alten oder einer jüngeren form) in die
1. schwache und die 3. schwache conjugation ein. Ob in dem
an. -a des praes. opt. gotischem -au entsprechende endung oder
ein jüngerer, in folge des formellen zusammenfalls der anderen
endungen des praes. und des praet. opt. entstandener laut vor-
liegt, lässt sich nicht entscheiden.
Die existenz von vorwestgerm. dem vorgotischen -om oder
^) Berücksichtigung dieses -ö-charakteristikous macht es auch begreif-
lich, dass aus dem pl. in den sg. eindringendes -1- die endung der 1. in-
tact Hess.
548 VAN HELTEN
-ön entsprechender neubilclung ergibt sich aus der ahd. 1. sg.
Wille (vgl. Beitr. i, 380 und IF. 1, 206) mit -e aus -ja für -iön
(vgl. oben s. 507). Aus daneben erscheinendem (im Tat. und im
Freis. Otfv. überliefertem) u-illa aber mit -a für -ja ist sowol
auf in das praes. opt. eingedrungene neubildung als auf relativ
späten Schwund von auf -wn und -ön zurückgehenden -ja und
-« zu schliessen: da erhaltung der lautverbindung -ja neben
lautgesetzlich entstandenem -e nur begreiflich ist als die folge
der einwirkung von neben solchem -ja vorhandenem -a, ist
wegen der conservierung von aus icillja zu folgernder 1. sg.
praet. opt. hiindja notwendig eine 1. sg. praes. opt. hinda an-
zusetzen. (Als die endung der 1. sg. des schwachen praet. opt.
ist dem oben s. 509 f. ausgeführten gemäss, wenigstens für die
Notkerische und die Isidorische mundart, altes, durch einfluss
von -ja der starken tlexion erhaltenes -ja bez. lautgesetzlich
entstandenes -e anzunehmen, wofür in der historischen periode
auftretendes, analogisch entstandenes -t.) Für die erhaltung
der alten endungen in willa, -e (die, im verein mit den eben
erwähnten -ja bez. -«? und -c, der Überlieferung zufolge in
der normalen conjugation in historischer periode durch aus-
gleichung geschwunden waren) ist natürlich die isolierte Stel-
lung des besagten verbs verantwortlich zu machen (wegen ags.
aofries. iville vgl. oben s. 508). Für die anderen westgerm. dia-
lekte mag in ermangelung positiver beweise die für das hd.
erwiesene entwickelungsgeschichte wahrscheinlich erscheinen.
LXI. Zum Prototyp von got. -ma der 1. pl. praes.
und praet. opt. und verwantes.
Für got. -ma der 1. pl. praes. und praet. opt. postuliert
AViedemann (Lit. handb. s, 109) ein prototyp -me (= aus -mos
und -me zu erschliessendem vorlit. -me); es könnte dieses -ma
jedoch ebenso gut auf altes -mö zurückgehen. Dass aber der
ansetzung des letzteren der vorzug gebührt, dürfte sich daraus
ergeben, dass dem mit der got. neubildung -na oder -nö (für
-n aus -nJ) der 3. pl. opt. in eine linie zu stellenden aschwed.
-71 der 3. pl. praes. und praet. opt. eine Vorstufe mit nach
-mu (aus -mö) der 1. pl. gebildetem -nu zu gründe zu legen ist.
Das im nord. in der vikingerzeit regulär verklingende -n
hat sich in einigen ausnahmefällen behauptet, und zwar all-
GRAINmATISCHES. 549
gemein oder nahezu allgemein in formen, wofür durch associa-
tion veranlasste ei-haltung des nasals zu erwarten, wie im nom.
acc, sg. der verbalabstracta laöon etc., in den partikeln ütan,
ofan, vestan etc. (s. unten LXIII, 7 und 8), im acc. sg. masc.
spakan (durch anlehnung an pronominales *Pan^), wie dem
nom. acc. sg. ntr. spaJct zu gründe liegendes *spahat durch
anlehnung an pat). Ausserdem aber begegnet erhaltenes -n
in anorw. nom. acc. pl. ntr. augiin, hiortitn, eyrim, liian, aisl.
Mün, hiön (neben anorw. auiju, liiortu, eyrii, liiü, aisl. Mü und
daselbst durchstehenden augo, -u, hiorto, -u, eyro, -u, vgl. Pauls
Grundr. P, G13) sowie in aschwed. eglwn, eron und hiüdin, forin
etc. 3. pl. praes. bez. praet. opt. (wegen vereinzelt in ostuord.
quellen erscheinender bildungen ohne -n vgl. Beitr. 15, 244), die
Kock (in den Beitr. a.a.O. ff.) zur folgerung von im aschwed.
nach langer unbetonter silbe nicht verklungenem -n veranlassten,
schwerlich aber durch solche annähme ihre erklärung finden
dürften, erstens wegen der auch im anorw. auftretenden augun
etc., zweitens wegen der gemeinnord. w-losen bildungen für den
gen. dat. acc. sg, und nom. acc. pl. der ön- und der 7»-stämme.
Dass ferner auch Kocks (a.a.O. vorgeschlagene) annähme von
im aisl., im gegensatz zur apokope in augo, biöÖe, fdre (der
3. pl.), nach kurzem vocal erhaltenem -n (in spaJcan, ütan etc.)
nicht zulässig ist, erfolgt aus Uta inf., -a des schwachen gen.
dat. sg. masc. ntr. und des schwachen acc. sg. masc; denn die
h3Tpothese (s. Beitr. a.a.O. s.246), dass das -n der nord. sprachen
in verschiedenen Stellungen während sehr verschiedener perioden
eingebüsst worden sei, Hesse sich schwerlich begründen.
Die müglichkeit aber, unter Vermeidung beregter oder
ähnlicher anstösse der entstehungsgeschichte der überlieferten
formen mit und ohne -n beizukommen, liegt m. e. nicht allzu
fern: durch die annähme von vor oder während der (bekannt-
') Ob die (nicht, wie auf dem steiu vou By überliefertes pat, in den
um. quellen begegnende) form noch im an. öan vorliegt, ist zweifelhaft,
da dieses Mn auch nach Noreen (Gramm. § 225, 1) auf daneben stehendes,
eig. orthotouicrtes dmtti zurückgehen könnte, dessen -nn wol (wie in hann,
hinu) auf (den ahd. accusativen in-an, icen-an zu vergleichendem) durch
afligierung des accusativsuftixes erweitertem -uan beruht (synkope von
schwachtonigem voc. zwischen zwei n, vgl. oben s. 520, anm. 2; beachte auch
diese Beitr. 4, 53G, anm. 1).
550 VAN HELTEN
licli nach dem verkling-en der anderen auslautenden kürzen er-
folgten) i<-apokope verklungenem -n wird alles klar. Erhaltung-
von nasal in anorw. amjun etc., aschwed. eglion etc. mit -un,
-on aus -nn für -unn (aus -unu für -önö)^) sowie in aschwed.
hiudin, forin etc. mit auf -nn (für -nü) hinweisender endung.
Die diesen augun etc. zur seite stehenden anorw. aiigu etc.
und die aisl. atigo etc. begreifen sich als analogiebildungen
nach dem femin.: -u für -un neben -na, -um nach fem. -u, -na,
-um oder -u für -un neben -nö, -um nach fem. -li, -nö, -um.
Die aisl. und anorw. w-losen 3. pl. praes. und praet. opt. sind
verständlich als auf nicht nach dem muster der 1. pl. erweiterte
Prototypen zurückgehende bildungen. Für den gemeinnord.
schwachen acc. sg. masc. und fem. könnte man nach dem auf-
gestellten satz zwar formen mit -n (aus -nu für -nun) er-
warten; doch hätte durch ein Wirkung von regelrecht ihres -n
verlustig gegangenen endungen des gen. und dat. sg. ent-
standener w-loser acc. gewis nichts auffälliges angesichts der
sonstigen berührung zwischen diesen casus (man beachte das
aus dem gen. dat. stammende -a des acc. sg. masc, dem eigent-
lich durch -u für -un der ultima hervorgerufenes -un zukam,
und das -u des gen. dat. fem. aus -u für -un, vgl. Noreen in
Pauls Grundr. 1-, 614, das aus auf -önu, -önun zurückgehendem
-ünu des acc. herrührt). Dass ferner der schwache acc. pl.
masc. und fem. -a bez. -ü, -or, -ur hat, ist beim masc. die ein-
fache consequenz des im nom. pl. durch einfiuss der starken
flexion für regelrechtes -a (vgl. Pauls Grundr. 1'-, 613) ein-
getretenen -ar, welches die Verdrängung von altem -un (aus
-unn für -unun aus -onunz) veranlasste; beim femin. die be-
greifliche folge von analogiebildung nach in der ö-declination
herschender uniformität der für den nom. und acc. pl. ver-
wanten endungen (urn. *-o-R bez. an. -ar des nom. aus -öz und
urn. -Uli bez. an. -ar des acc. aus -öz, vgl. oben LH C zu 2. 3.
4. 5 a und /3): -u oder -u des acc. (in dem sehr alten ascliw.
beleg -müprM, vgl. Noreen, Gramm. § 339, anm. 4) für -ün oder
-un (aus -Unn für -unun aus -dnunz\ wegen des in dieser und
der oben erwähnten masc. accusativendung synkopierten -u-
') In aisl. nel)en hiü (aus hi-un) begegnenden hmn, hiön ist das -n
offenbar wider hergestellt durch anlehuung an den gen. auf -na.
GRAMMATISCHES. 551
Vgl. oben s. 526, anm. 2) durch entleliniing- der nominativendung-
-ü oder -u, die, auf -öii aus -önez zurückgehend, ihren vocal
der anlehnung- an das accusativsuffix verdankte, durch regel-
rechte nasalapokope aber ohne -n gesprochen wurde; an. -or,
-iir des acc. und nom. mit auf analogischem wege affigiertem -r.
Ob auch die -m und -n von ahd. nemem, nämwi, nemen,
nämm etc., aonfrk. mitkennan, antfangin, heJielin etc. (s. Gramm.
§ 92 ß. 98. 104), as. ändern, -en, dridin etc., ags. binden, hiinden
etc., afries. lielpe, hiilpe etc. (mit durch w-abfall apokopierter
endung) auf den für das got. und nord. aufgedeckten proto-
tj^pen entsprechende Vorstufen zurückgehen oder etwa einfach
-m aus secundärem -mo oder -nie, -n aus -w/> repräsentieren,
ist natürlich nicht zu ermitteln.
LXII. Zum got. imperat. auf -dau^ -ndau.
Für die deutung von got. atsteigadau xaraßdrco, lausjadau
{fvOaöd^co, Imgandau jaf/ijodzwoav ist von mehreren forschern
(Bopp, Schleicher, Scherer, Joh. Schmidt, Paul, Jellinek, Hirt,
s. Jellinek, Beiträge zur erklär, der germ. flexion s. 98 f. und IF.
6, 61) das -am von aind. med. imperat. hharcdäm, -antäm ange-
zogen worden. Schon das von Brugmann (Grundr. 2, 1328) über
die Wahrscheinlichkeit des einzelsprachlichen Charakters dieser
-{n)tam bemerkte stellt diese gleichung in frage. Entschei-
dend aber ist hier der umstand, dass die berechtigung einer
einreihung der got. formen in die medio-passive flexion gänz-
lich fehlt: zu atsteigadau ist die sonstige active Verwendung
des verbs zu beachten; liugandau übersetzt ein griech. activuni;
und die fassung von lausjadau als durch die medialform des
Originals veranlasster falscher Übersetzung (vgl. Jellinek a.a.o.
s. 100) ist nur ein notbehelf. Andere forscher, wie Malilow
(Die langen vocale s. 107 f.) und Osthoff (Morph, unt. 4, 256 f.),
haben zwar den activen Charakter der in rede stehenden
formen mit mehr oder weniger entschiedenheit anerkannt, die
endung jedoch nicht befinedigend gedeutet, weder durch die
fassung derselben als zu aind. -tu der 3. sg. imp. act. im ab-
lautsverhältnis stehender bildung (mit altem -au oder -oti) noch
durch Zerlegung des suffixes in -o (aus -öt = aind. -ad des act.
imp.) und eine partikel u.
Ob aber in der tat die den beregten deutungsversuchen
552 VAN HELTEN
ZU gründe liegende meinung-, dass die eigentlicli am nächsten
lieg-eude und bereits ft-üli aufgestellte g'leicliung -dau = aind.
-fäd, gr. -xo), lat. -tüd, -tö des imperativs aus lautlichen gründen
abzuweisen, noch aufrecht zu halten sein dürfte? Ein directer
beweis für oder geg-en stosstonige ausspräche des vocals der
endung- ist mir nicht ersichtlich. Bei der beachtung- jedoch
einerseits • der Verbreitung von altem -töd des imperativs,
andrerseits des aus got. -jau der 1. sg. praet. opt. = -iöm her-
vorgehenden Schlusses, dass durch consonantapokope in den
auslaut getretenes -u (d. h. -O"), insofern kein associativer eiu-
fluss im spiel war, im got. als -au (d. h. -o") begegnet (s. oben
LUD), kann eine gleichung -dau = -öö{t) (mit stosstonigem
voc), -ndau = -ndo{t) (wegen der basis -ntüd vgl. Brugmann,
Grundr. 2, 1326) nicht als mllkürliche annähme erscheinen.
Nach dyttm, agitod etc. als ursprünglicher stammsuffix-
vocal zu fassendes -a- von -adau begreift sich als die folge von
beeinflussung durch das -a- (oder älteres -o"-) der pluralform.
LXIIl. Zur entwickeluug einiger altgerni. partikoln.
1.
Mehrere als präposition bez. als adverb verwante Par-
tikeln gewähren im germ. nicht apokopiertes -a {= indog. -a
oder -o) bez. -e (ags.), -o (afries.; die -e, -9 durch qualitative
Schwächung, wie -e, -9 für -a aus -Un, -öp, -et, \g\. oben s. 507 ff.):
ahd. aha^), aonfrk. uva, aofries. ove (s. Gramm. § 4/), mnd, mnl.
ave (vgl. äjio^ djio) neben got. af {ab in ahu), ahd. ah, as, af,
ags. afiies. of, af — got. ahd. ana, as. ana (s. Wadstein, Klein,
denkm. 53, 28), aofries. one (s. Gramm. § 4/) (vgl. dvd, avest,
ana) neben ahd. as. aonfrk. an, ags. afries. on, an — ahd.
fana, fona neben ahd. fon, as. fon, fan, aonfrk. fan, afries.
fon, fan — afries. ande'^) (beachte got. anda- und vgl. ävra.
1) Das hier und im folgenden verzeichnete belegniaterial findet sich
zum teil in Job. Schmidts abhandlung Die germ. präpositiouen und das aus-
lautsgesetz (Kuhns Zs. 2G, 20 ff.)- Bei der aufführung des materials habe ich
eine (für unseren zweck nicht notwendige) Vollständigkeit nicht angestrebt.
'^) Wegen des neben aride begegnenden anäa und der parallelen ana,
anna (für nach art von ahd. neben fona fon begegnendem forma und von
Willirams neben ane und an stehendem anne durch compromiss entstandenes
*anne aus an und *ane), enda (für ende, worüber unten im text 2), vgl.
Aofries. gr. § 55.
GRABniATISCHES. 553'
lit. anta) und got. ags. afi'ies. and, as. ant — got, faura, ahd.
as. fora, afries. fori (im dial. der Hriostringar), fore, ags. fore
(grundform altes pura, das einerseits nacli aind. instr. pura,
gen. abl. pmras, andrerseits hinsiclitlicli der endung nach dem
neben jrapoc, dat. jcaQcd stehenden instr. jinga anzusetzen ist;
wegen des afries. -i aus -e« für -a vgl. die in den Rüstringer
(juellen belegten dagi gen. acc. sg., hin gen. sg., hini acc. sg.
und beachte Arkiv f. nord. filol. 19. 251, anm.) neben got. faur,
as. ags. afi'ies. for — got. iupa, ahd. uffa neben got. iup, ahd.
nf — got. rda, ags. (de, aofries. Ute (wegen des mit -a = indog.
-a anzusetzenden prototypus vgl. die unten in 7. 8 erwähnten
iitatia, Titan etc. sowie ahd. üzar, as. fdar mit r-suffix, me got.
aljar, jainar, Imr etc.; doch kann ags. -e, afries. -e auch auf
dativsuffix -ai zurückgehen) und got. as. afries. rd, ahd. üz,
ags. üt — ahd. oha 'oberhalb' (vgl. ags. ufeiveard 'aufwärts')
und ahd. oh, op (s. Graff 1, 78 und vgl. auch of- in ofsittean
'besitzen', oßges 'Obliegenheit' und ofstuop 'erstieg' Cott. 985).
Bei Verwendung der partikel als adv. bez. als anastrophisch
verwanter präposition (als postponierter part.) musste apokope
des auslautenden vocals erfolgen; demnach kann das erhaltene
-a ursprünglich nur der proklitischen präposition zugekommen
sein, die, mit ihrem nomen bez. prouomen eng verbunden, ge-
wissermassen als compositionselement behandelt wurde. ') Im
hinblick auf diese westgerm. -a liefft also kein zwingender
^) Nach J. Schmidt (a. a. o.) wäre die der uomiualcompositioii zukom-
mende intacte form verantAvortlich zu macheu für analogische erhaltuug
von ausser dieser compositiou verwanter form auf -a. Doch stand die Ver-
wendung der Partikel als bildungselemeut solcher composita, gegenüber der
Verwendung derselben in adverbialer sowie in (proklitischer und postponierter)
präpositionaler function, zu sehr im bintergrund, um den gedankeu au einen
derartigen eintluss plausibel erscheinen zu lassen.
Die hier und im folgenden vorgeschlagene deutung der partikelformeu
stimmt durchgehends nicht überein mit den in diesen Beitr. 4, 385 f. 470 ft".
6, 124 ff. und in Bezzenbergers Beitr. 16, 144 ff. vorgetragenen. Mit rück-
sicht auf die Verschiedenheit der daselbst und in diesem artikel vertretenen
fassung der auslautsgesetze wäre hier indessen eine polemik gegen Pauls
und Johanssons ausführungen zwecklos.
Die Beitr. 4, 121 geäusserte Vermutung, dass über die kritische Pe-
riode der vocalsynkopierungen hinaus bewahrte oxytonierung das -a von
aha, ana etc. gerettet hätte, dürfte in dem Urheber derselben wol keinen
anwalt mehr finden.
Beiträge ziir geschichte der deutschen Sprache. XXVIII. 36
554 VAN HELTEN
griind vor, die enduiig von got. ana, faura, Uta unter beruf ung
von jraQai (Bezz. Beitr. 17, 17, mit dativsufflx) auf -ai zurück-
zuiüliren; nur möchte man wegen der neben alid. nffa, fona,
as. Uta beg-egnenden alid. nf(f)e, föne (deren -c übrigens in den
aus jüngeren quellen herrührenden belegen auf -i, vgl. unten
(3 am schluss, zurückgehen kann), as. nfc. ahd. ns^e, an. üte, -i
und mit rücksicht auf die doppeldeutigkeit von ags. ütc, aofries.
Ute (s. oben) für got. iu23a, üta (wie für ags. nte, aofries. Ute)
die möglichkeit eines Zusammenfalls von alten e^qiai, utai und
eujHf, Uta entsprechenden formen anerkennen.
Bei einigen partikeln ist nur die apokopierte form erhalten
geblieben : got. mi]), alid. mit, amf rk. mith, mit (Beitr. 22, 458),
as. micl miö (s. Braune, Gloss. zu den Vat. frgm.), met Cott. 185.
2453. 2461. 2476. 2797. 2944. 3017 etc., med (wegen der letzten
form s. Wadstein, Klein, denkm. 28, 22. 35, 38), aonfrk. mit, sal-
frk. mitU (Beitr. 25, 415 f.), ags. mid, afries. mith, mit, met (Aofries.
gr. § lOs und v. Eichthofen, Gloss. s. 930) (= nsxä, (itxa; das i
für e durch anlehnung an aus den unten in 2 zu erwähnenden
nebenformen zu erschliessende alte midi und mij)i) — as. far
'bei', 'in gegenwart von', 'mit rücksicht auf Hei. Mon. 1632.
1802. 1836. 1976. 1977. 2027. 2036. 2049. 2057 etc. und 1561.
1880 (= jiaQct) — got. uf {^= aind. upa 'unten'; vgl. auch sal-
frk. of- in ofhrit, oftheofo, ofdü, ofdüpli, ofgräfio, Beitr. 25, 362.
394. 396. 441. 471) — ags. od, got. und, as. und (unt) (vgl.
got. unpa-). Im an. herscht überhaupt nur die gekürzte form
(af, d = urn. an, for, üt, of 'über', medf), was indessen mit
rücksicht auf das gleich in 2 zu besprechende fyri nicht zur
folgerung von nord. auch nach schwachtoniger vorsilbe statt-
gefundener Synkope berechtigt.
2.
Wie das -a von aha etc. ist das -i (ags. -e, afries. -e) zu
beurteilen in: ahd. as. umhi, ags. ymhe (= aind. ahhi, a[i(p'i)
neben ags. ymh (nicht umgelautetes ahd. as. tt durch anlehnung
an einstmals vorhandenes umh, zum teil auch etwa durch ein-
wirkung von aus ahd. imiba zu erschliessendem alten umha,
das sich als durch instrumentalsuffix -a gebildete form zu mit
locativsuffix -i versehenem umhi verhält, wie aus fora etc.,
furi etc., ande, ende, s. oben 1 und gleich unten in diesem ab-
GRAMMATISCHES. 555
schnitt, zu folgernde alte fura : furi, anda : andi\ für afries.
umhe, umme, onime ist, da mit rücksicht auf die fries, Zeit-
folge von älterem umlaut und jüngerem secundären vocal-
schwund die annähme von n7nh ausgeschlossen, dem ahd. v77iha
entsprechendes prototyp geltend zu machen), an. (ebenfalls auf
U7nha zurückzuführendem) twib, imi — aofries. e7ide 'an', 'zu'
{= «Vr/; vgl. auch salfrk. a7ithi-, altbair. e7idi-, Beitr. 25, 332)
neben e7id mit gleicher bedeutung — ahd. tihiri (aus altem
uderi, vgl. aind. upari, gv. vjrsiQ und lat. s-nper. gr, vjttQ),
iilari (mit -a- durch anlehnung an nhar) neben ahd. iihir. olm-
aonfrk. ovi7' (mit entlehntem -?V für ohar, "^ovai-), an. yfer, -ir
(nichtSynkope von bei proklitischer Verwendung der partikel
nach schwachtoniger silbe stehendem -/-, vgl. U7ide7; -ir und
fyri\ nach auf orthotoniertes ohai- hinweisendem ofr nimis als
die fortsetzung von starktonigem *ufir zu erwartendes ufr
fehlt)*) — ahd. (bei K.) mitiri, -ari (vgl. ahd. idnri, -a7i und
beachte avest. acfairi sub) neben ahd. t(nti7; imdir (nicht um-
gelautetes u durch anlehnung an nnte7; -ar^)), aonfi-k. imdh-
(s. unten s. 557, anm. 2).
In allen Stellungen lautgesetzlich erhaltenes -i gewähren
ahd. as. aonfrk. furi (aus locativem *puri, vgl. das oben 1 zu
faura etc. bemerkte und beachte Kuhns Zs. 26, 30; auf ein-
wirkung von furi weisen hin ahd. as. aonfrk. für für for, s.
oben 1, und ahd. fori, aonfrk. fore, s. Aonfrk. gr. § 26«) und
ahd. miti, as. midi, salfi'k. Tiiithi (Beitr. 25, 417. 500), afries.
mithi, -e, 7mde (wegen der endungen vgl. Aofries. gr. § 56 und
Arkiv f. nord. filol. 19, 251, anm.). An. für und fyri, -e reprä-
^) Danehen ahd. iiber, as. over, aonfrk. over (-e- = -e>-, s. Gramm. § 27)')
etc. mit altem -er (= lat. griech. -er) und ahd. ohar, nhar (mit entlehntem
-ar für über oder -ir), as. obar, nrn. uhar (auf dem stein von Järsbärg oder
Varnum), an. ofr (s. oben im text) mit durch eiuwirkung der form auf -a
(s. ohen 1) für -er eingetretener endung.
*) Ahd. unter, as. linder, aonfrk. under (-e- = -e'-, s. Gramm. § 27/^)
etc. mit altem -er (vgl. lat. inferi und inter; wegen der ursprünglich ver-
schiedenen, im germ. zusammengeflossenen partikeln indog. mlher und »j^c/-
beachte u.a. auch aind. adharas 'der untere' und antar 'zwischen' und s.
Nederl. \vb. 10, 1195 sowie Behaghels Hcliandsyntax s. 152), an. under, -ir
(mit in der proklise nicht sj'ukopiertem enduugsvocal , vgl. das oben im
text zu yfer bemerkte) und ahd. untar, as. U7idar mit -ar für -er nach
analogie von ahd. ohar, as. ohar.
36*
556 VAU HELTEif
sentieren die regelrechten fortsetzungen von altem ortliotonierten
bez. schwach betonten furi (beachte auch die nebenformen
furi, compromissbildung aus für und fyri, und fijrer, -ir, furcr,
-ir mit angehängtem -r durch analogiebildung nach epter).
3.
Das oben in 1 über die Stellung und betonnng der partikeln
bemerkte macht die erhaltung von auslautendem conson. be-
greiflich in (griechischem Iv und lat. m entsprechendem) got.
westgerm. in (beachte auch an. i, das, wie d = urn. an, in der
proklise entstand und als solches mit den präflxen 6-, u-, si-
für un-, sin-, vgl. Noreen, Gramm. § 239, anm., in eine Knie zu
stellen), got. as. salfrk. (Beitr. 25, 310 f.) an. at, ahd. a^, ags. cet
(= lat. ad) und hierzu im ablaut stehendem afries. et, it (s.
Aofries. gr. § lOg und v. Eichthofen, Wb. s. 717), ahd. es, is:
nichtapokopiernng von -n, -t des orthotonierten adverbs und
der ebenfalls orthotonierten, anastrophisch verwanten präpo-
sition; desgleichen erhaltung des conson. in der proklitisch mit
seinem nomen bez. pronomen eng verbundenen präposition.
Ursprünglich auslautender conson. könnte auch vorliegen in
den oben in 1 erwähnten an etc. (= aslov. vü für *öw), lä etc.
(aus unverschobenem *rid, vgl. aind. ud), m/J) etc. (= avest. tna/),
far (= jcdo), sodass diese formen mit an, üt, mip, mid, far aus
instrumentalen ana, Uta, mej)a, mcöa, fara zusammengefallen
wären (vgl. auch ahd. nach 1 und 4 auf öp« sowie auf üp
zurückgehendes uf).
4.
Wie Tita 'draussen' zu rd 'hinaus', verhält sich got. inna
'innerhalb' zu inn 'hinein' (differenzierung zwischen aus einem
typus hervorgegangenen bildungen, wie bei Uta und lä; hin-
gegen iup 'nach oben', doch iupa sowol 'nach oben' als 'oben'),
beides = älterem inna, dessen letzte silbe zu dem 'wo' oder
'wohin' bezeichnenden instrumentalsuffix von \2ii.superne 'oben',
'herauf, inferne 'unten', pöne 'hinten', 'hinterwärts' zu halten
(wegen dieser casusendung und wegen des instrumentals der
raumerstreckung s. Brugmann,(Trundr.2,782. 3, 482 ff.), mit rück-
sicht auf seinen vocal aber auf zu -ne im ablautsverhältnis
stehendem -no zurückzuführen ist (also prototyp cnno). Den
got. bildungen entsprechen ahd. as. inna, ags. afries. «Vme 'innen',
GRAlMiM ATISCHES. 557
'in' und ags. asJ) an. hm 'hinein' (neben ahd. afries. in adv.
begegnet keine Schreibung hm), sodass es zweifelhaft sein
könnte, ob in der überlieferten form die entsprechung von en
oder von enno vorliegt oder etwa die fortsetzungen beider
Prototypen durch in der proklisis erfolgte consonantenkürzung
zusammengeflossen sind; man beachte indessen aus dem unten
6 hervorgehobenen in7ii zu erschliessendes inn). Als parallelen
aber zu inna, inn erscheinen as. ujn^a, ags. ti2)2>ß, afries. nju^e,
oppe und ags. an. upp, as, up, afries, up, op (mit p für pp)
aus uppo für ubho aus ubno (wegen dieses üb- neben üh, der
Vorstufe von ahd. üf zu gründe liegendem Up, vgl. aind, tul
neben germ, Ut, üz) — got, fairra adv. und praep., ahd. as. fer,
ags. feor{r), afries. flr, ferr (die qualitative änderung durch
einwirkung von im comparativ lautgesetzlich entstandenem i
für e; Avegen der vocaldelmung vgl, Aofries. gr. § 43), an. fiar
adv. aus zu jttQcc 'weiter', aind, ^;am5 'fern' etc, zu haltender
grundform ferno).
5.
Wie vorgerm. -no zu lat, -ne konnte sich zu der lit. locativ-
partikel tc 'da' vorgerm. -po {-to) verhalten; auf die möglich-
keit von in gleicher function verwantem -J)ra (-tra) weist das
bekannte aind. -tra hin (mit -«, vgl. lat. exträd, siqrrad, citrä,
ultra etc. Als die eutsprechungen bez. fortsetzungen solcher
bildungen erscheinen in folge der in 1 und 4 erörterten be-
handlung von agerm. formen mit und ohne -a: got. afta, aftra
(vgl. got. afar 'nach') und an. apt, ags. mft, ahd. *aft (beachte
aftwart Ahd. gll. 4, 3, 34), ahd. aftar. -er, -ir {-a- als irrationaler
vocal, -e-, -i- durch analogiebildung nach über, -ir und -ar,
tmter, -ir und -ar, vgl. oben s. 555 und anm. 1. 2), as. aftar, -er,
aonfrk, after, -ir-), ags. wfter, urn. (auf dem stein von Tune
») Vgl. inn Hei. C. 3340. Gen. 320; sonst begegnet nur in.
'*) Aus den belegen after, -ir und undcr, -ir (beachte auch im Aonfrk.
index aiifgeführte after-, louhr-, intdir-) wurde im § 27 ,V der Aonfrk. gramm.
auf -er, -ir als Schreibungen für -c>r geschlossen. Doch ist mit riicksicht
auf ahd. aftir, iintir (s. oben im text 2) die möglichkeit von mit -ir ge-
sprochenen aonfrk. formen ins äuge zu fassen {-ir in aftir nach imdir, ovir).
Nach dem oben im text erörterten ist ferner die a. a. o. besagter gramm.
begegnende fassung des enduugsvocals von after als nicht anorganischem
laut zu berichtigen.
558 VAN HELTEN
stehendes) after (mit -er für regelrechtes -r durch einwirkung
von aus an. under, -ir zu folgerndem urn. under), an. aptr —
as. ags. eft (afries. cft kann == eft oder aß sein; wegen der
formen mit e vgl. got. iftuma, das zu nicht belegtem oder
verloren gegangenem ifta oder efta steht wie aftuma, innuma
zu afta, inna), an. cpt, epter, -ir (mit aus under, -ir, yfer, -ir
entlehnter endung für regelrechtes eptr oder eftr oder, wenn
die regelwidrige form bereits im urn. vorhanden war, aus altem
efter als der parallele von after; in letzterem fall wären für
die erhaltung des ultimavocals yfer, -ir, under, -ir, s. oben
s. 555, zu vergleichen) — ahd. nida praep. Ahd. gll. 2, 300, 5
(vgl. auch aonfrk. nithe-, Gramm. § 29«) und nidar, -ir (vgl.
oben aftir), as. niöar, nither, nider {-er für -ar nach dem muster
von under, -ar, s. oben s. 555, anm. 2), ags. nider (auch nidor,
niodor mit comparativsuffix für -er), an. nidr, beides zu nl =
aind. ni- 'nieder' — aofries. ivitlie v. Richthof en 152, 7 (auch in
ivithe drlva, hima, mahia, reJca) und as. ags. wiö, afries. with,
an. vid, got. tvi^ra und ahd. ividar, -er, -ir (vgl. oben aftar etc.),
as. tüithar, -der, -der (vgl. oben 7iiJar etc.), ags. wider, afries.
wither, an. (mit verben verbundenes) vidr, das eine und das
andere zu zvi 'gegen', das sich mit abgeleiteter bedeutung als
= 4n entgegengesetzter richtung', 'auseinander' etc. in aind.
vi- findet) — ags. geond {sind, ^iend) per, got.jaind 'dorthin'
(keine form mit -a etc.).
Von ausschliesslich adverbial verwanten partikeln erscheint
nui- die synkopierte form: as. afries. forth, ags. forö (ver-
want mit fora etc.; prototyp furjw)^) — got. hwa]) {mit ])is-
Jvadnh), aljaj), dalap, *pap (wozu ])adei 'wohin') — ahd. heröt,
daröt, Juvarut, as. herod, tharod, Invarod mit altem -rUd aus -rö
((J. h. r -\- ö für den instrumental der raumerstreckung, vgl. Del-
brück, Brugmanns Grundr. 8, 242 ff.) -i- do — ags. Jiider, dider,
hwider.
G.
Durch afflgierung von locativem -i entstanden gelegentlich
neben in 4 und 5 hervorgehobenen prototypen auf -o, -a auch
solche mit -ot, -at, woraus (vgl. oben s. 513. 518) westgerm. -e,
') Das in Kluges Et. wb. fragend verglichene got. fanrpis 'ehedem'
gehört nicht hierher; vgl. ahd. foredes, edes, unterdes etc., aonfrk. untes
donec (Gramm. § 86;, die auf got. faur 4- gen.pis hinweisen.
GRAMMATISCHES. 559
an. -e, -/: alid. inne, nidare, as. inne, uppe, nithare Cott. 2421
(hiernebeii nidara Mon. 2421 mit -a für -e nach dem muster
der partikelformen mit wechselndem -a und -e, wie inna, -e,
uppa, -e etc.), an. inne, -i, uppe, -i, nidre, -i Ags. afries. inne,
uppe, ags. nidre sind zweideutig- (wie ags. ide, afries. Ute, vgl.
die oben in 1 erwähnten prototypen räai und fita), weil ihre
endung sowol auf -c'" als auf -a zurückgehen kann (vermutlich
fielen hier die beiden formen zusammen).
Mit analogisch entstandenem -i erscheinen ahd. nidiri,
widiri, -ari (neben nidir, ividir, -ar nach ubir, -iri, imtir, -ar,
-iri, -ari, s. oben s. 555 und anm. 1. 2) sowie (nach denselben
mustern) üzsi Isid. 5 § 10, uffi, voni, inni (neben üs, uf, von
und altem inn, woraus überliefertes in), kagaiii (neben higan
'gegen"). 1) Aus auf ivithiri zurückgehendem aonfrk. tvithere
(s. Gramm. § 26 ß) ist auf die muster utiri, undiri (= ahd. ubiri,
uniiri) zu schliessen.
7.
Als die fortsetzung von nach dem muster eines instru-
mentalsuffixes aus -ne (vgl. oben 4) gebildetem -ne l)egegnet
got. -na-), westgerm. an. -n in den meistens 'wo', mitunter
auch 'wohin', seltener 'woher' bezeichnenden, zu oben in 1. 4
und 5 aufgeführten partikeln stehenden adverbien bez. Präpo-
sitionen (das den alten -a, -o, -no, -to, -Jw angehängte -ne
diente also lediglich zur erweiterung der form; die eigentlich
solchen bildungen nicht zukommende function der bezeichnung
des 'woher' entwickelte sich durch ein Wirkung von neben den
instrumentalformen stehenden, ablativischen bildungen mit -na
aus -net, vgl. unten 8; nicht ohne einfluss aber war hier gewis
auch der umstand, dass dem 'woher' das 'wo' als anfang der
bewegung gleichgestellt werden konnte): got. iupana, ütana,
innana, aftanu, ahd. ü.f{f)an, nz{z)an, innan, as. foran, ütan,
biodan, innan, uppan, ferran, aftan, ags. foran, ütan, ufan,
innan, uppan, feorran, ceftan, nioöan, bc^eondan 'jenseits',
afries. fora, Uta, ova, fara coram (vgl. das oben in 1 erwähnte
') Wegen ähnlicher neubildungen beachte ausser dem oben im text
erwähnten as. nidara auch ags. neben hider, ofcr begegnende hidere, ofcrc
(Sievers, (xr. ij B21, anm. 3) nach iipi)e, upp, ide, id, inne, inn.
*) Vgl. hierzu die bereits in Kuhns Zs. 27, 219 vorgeschlagene gleichuug
-nä (in aiud. vinä) = got. -na (in aftana etc.).
560 YAN HELTEN
as. far 'in gegen wart von')'), «'wwa (woneben einzeln aofries.
ina y. Riclitliofen 42, 10. 48, 13. 14. 163, 26 durch anlelmung an
in), uppa, efta, hmitlia, -netha (mit -a aus -an, s. Aofries. gr,
§ 107«), an. ütan, ofan, innan, aptan, neÖan, hvadan, daÖan,
hedan (weiteres zu diesen an. bildungen unten in 8). Beachte
ausserdem got. hindana, as. hikindan, ags. hindan zu Jiinda, das
in ahd. hintpaclio protergum Ahd. gll, 4, 14, 32 und (mit suffix
-r) in got. hindar, ahd. h'mtar, ags. hinder steckt, [An. undan
steht als neubildung zu under, -ir nach dem muster von ofan, ofr].
Aus -ne hervorgegangenes -n liegt auch vor in zu den
stammen ivesto- (vgl. die ahd. substantiva tvest, öst, nord, sund
und die ags. adverbial verwanten acc. sg. ivest, east, yiorö, süÖ
'nach Westen' etc.) gebildeten und häufig 'von . . . her' bezeich-
nenden as. ivestan, osfan, ags. tvcstan, eastan, nordan, süöan,
afries. ästa, tvesta, an. vestan, austan, nordan, sunnan.
Die angesetzte e-qualität der endung ist zu erschliessen
aus dem -a(-) von -a{n): prototypen mit -nö hätten westgerm.
und an. durch den vocal von aus solchem -nö entstandenem
-nii hervorgerufene -un, -on ergeben.
Als die fortsetzung eines nach dem muster eines ablativ-
suffixs aus -ne gebildeten -nct (unverschoben -ned), woraus -nS,
erscheint westgerm. -na bez. -ne (wegen des vocals vgl. oben
s. 512) in ahd. hina, ags. hine hinc, ahd. dana illinc-), sowie
in den meistens ihrer ursprünglichen function gemäss 'woher',
manchmal aber auch (sowol durch einwirkung von nebenher-
gehenden instrumentalbildungen mit -n, s. oben 7, als durch
auch sonst zu beobachtende semantische entwickelung von
*wo' aus ' woher ''^)) das 'wo' bezeichnenden bildungen ahd.
1) Die Partikel galt ausserdem (auch in den Verbindungen und com-
positis a-, hi-, he-, tofara, faradel, -häfd etc.) für räumliches und zeitliches
<vor' und zwar durch einwirkung von sowol 'coram' als 'pro', 'ante' be-
zeichnendem fore.
*) Die entstehung dieses -na aus ablativsuffix wurde bereits Vorjahren
(Taalkundige bijdragen 1, 182 ff.) von Kern betont, indem er die apers. in
Behistun 1,23 und den Persepolis-inschriften 1,20 überlieferten tyanä, aniyanä
als ablative mit -nä aus -näd fasste.
^) Vgl. Delbrück in Brugmanns Grundr. 3, 558 und beachte die unten
10 erwähnten got. aftarö etc.
GRAMMATISCHES. 561
üfana, üszana, innana, obana, Mntana, nidana, ferrana, wcstana,
östana, nordana, sundana (woneben üzsena, uzina, innena,
obena, nidina durch anlelmimg an die oben in 6 erwähnten
formen uze, -i, inne bez. durch neubildung nach dem muster
von mit -ana, -ina begegnenden formen), as. forana, utana,
obana, nidana, östana (auch obane, östane, -ene, westane, ferrane,
-ene Mon. 986. 2131. 4241. 4938. 3752 mit aus -a geschwächtem
-e), ags. tifane, -ene, feorrane, neodane, zvestane und in nach
diesen formen auf -ana aus Mna etc. gebildeten ahd. as. hinana,
thanana, {h)wanana, ags. Jiconane, öanone, öonone, hwanone^)
(also mit doppelsuffix; aus den as. formen ergibt sich die
frühere existenz von as. ""hina etc. 2); neben hinana erscheinende
ahd. Mnna, danna, wanna entstanden durch Synkope von schwach
betontem voc. zwischen zwei n, vgl. IF. 14, 79). Auf die ehe-
malige existenz von urn. ablativbildung weist die erhaltung
des -n der oben in 7 aufgeführten bildungen läan, ofan etc.
hin: dem an. inf. bitida gemäss als fortsetzung von bindan aus
bindana (man beachte urn. -a aus -on) hätte für das urn. an-
zusetzendes Utane (aus utone) durch utan als mittelstufe üta
ergeben müssen »); die nichtapokopierung des n begreift sich
nur als die folge der conservativen einwirkung von zui' zeit
der nord. w-apokope neben aus utane entstandenem ntan noch
vorhandenem utane (mit -e" oder -iV? vgl. oben s. 516), oder
(wenn der schwund des -n erst nach der kürzung von urn.
langem endungsvocal stattfand) utane, -i oder -a (s. noch oben
LXI).
9.
Neben in 8 verzeichneten ahd. hina etc. und den bildungen
mit -ana, -ena, -ina, -na begegnen noch ahd. hinan, danän,
wanän, Uzenän, innenän, oimnän, obenan, hindenän, nidanän,
-enän, -inän, ferrenän, nordcnän, sundenän, hinnän, dannän,
wannän (die länge ergibt sich aus den mitunter erscheinenden
») Die formen mit -0- iu der paenultima durch anlelniuii)^^ an danou,
Öonon, htoanon (s. unten [)).
2) Ob in den Werd. Prud.-gll. (s. Wadstein 101, 36) überliefertes fÄana
eine as. oder etwa eine ahd. form repräsentiert, ist natürlich nicht zu ent-
scheiden.
«) Die regelrechten formen (iitta etc.) liegen in der tat im aschwed.
vor (vgl. Arkiv n. f. 2, 32, anm.).
^"2 VAN HELTEN
schreibuiig-en ohenän, uzendn, hinnän, danndn, wanndn,dannaan),
in deren -mi die contraction von -a und der angehängten Par-
tikel der ruhe und bewegung an zu erblicken ist (vgl. die ags.
durch vorgefügtes on erweiterten adverbien on imian, onuppan,
as. an innan sowie ahd. arian = an + an). ») Auch beachte
man der an. neubildung undan (s. oben 7) zu vergleichendes
undenan ( : undar) nach ohenän ( : ohar). Neben üzzenän, Uzena
entstand zu ""iiza (s. oben 1) die form uzcm (vgl. die schreibun«-
uzaan Beitr. 1, 434. 2, 139), die im verein mit azan, -ana (s. oben
7. 8) das alte uza verdrängte; angesichts dieses uzCm aber ist
trotz der fehlenden belege mit -an oder -aan die möglichkeit von
ebenfalls gelegentlich verwanten nfän, innän ins äuge zu fassen.
Die nämliche formerweiterung liegt vor in SLS.hman, liwanan,
thanan, ags. heonan, hwanan, hwonan, danan, donan, zu Viina
etc. (= ahd. hina etc., vgl. oben 8) und ags. ufenan (wol mit
aus -an gekürztem -an) sowie in afries. hwana unde, tliana,
dana inde mit -a aus -an für -an.
Eine andere fassung erfordert die endung von ags. neben
heonan etc. begegnenden heonon, hwanon, hwonon, öanon, öonon:
dieselbe entstand (wie auch in ufon neben ufan) durch analogie-
bildung nach neben uppan, ütan (vgl. oben 7) stehenden, nahezu
ausnahmslos das 'wo' bezeichnenden und aus upp, üt + on com-
ponierten uppon, ilton (= an. uppd, ütd)."^)
10.
Dem -tia, -ne aus -net (s. oben 8) vergleicht sich got. -ßrö
(aus -pöt = lat. -träd in exiräd, supräd, d. h. durch die ablativ-
endung erweitertes locativsuffix -tra, s. IF. 1, 24. 200. 6, 68 f.)
in hajirö jtod-sv, ])aprü tVTsvdsv, jalnprö exsWtv, innaprö
too)&tv, fairrajyrö duio fmx()6lh.r, ütaprö t^md-tv etc.; wegen der
neben ablativisclier function mitunter begegnender bezeichnung
eines 'wo' (iupajjrö avcoOev und avm, dalaJmJ xäzco) ist das
oben in 8 bemerkte zu beachten und die bedeutung zu ver-
1) Die Priorität dieser fassung gebührt Mahlow (s. dessen Die langen
vocale A E 0 s. 67, anm.).
*) Mitunter für das -non von heonon, hwanon, danon eintretendes
-mm beruht wol in heonun auf anlehnung des verhältnismässig oft als
zeitpartikel verwanten Avortes an nu, in hwanun, Öamm auf analogiebildung
nach heonun. ^
GRAMMATISCHES.
563
gleichen von ebenfalls -o aus ablat. -öt (s. IF. 6, 68 f.) gewäh-
renden got. aftarö ojiioco (und ojciod-tv), ufaro 'sjtI, sjxävm,
vJiSQavco, undarö vjcoxcctco.
Für -drc in got. kid)-c, hadre, jaindre beruft Hirt (IF. 6, 69),
was die consonanz der ultima betrifft, die aind. orthotonierte
locativendung -trä. Nach Streitberg (Urgerm. gr. §152A2)
sollte dem endungsvocal ein in betreff der function des In-
strumentals als casus der raumerstreckung, dem instrumentalen
-ö von \sitcitrö,retrö,intrö 'hierher', 'rückwärts', 'hinein' etc.
zu vergleichendes suffix zu gründe liegen, das durch indog.
Verlust von m aus instrumentalem (gestossene länge enthalten-
dem) -em als -S hervorgegangen war. Doch ist hierzu zu be-
merken: erstens dass zwar die ent Wickelung von -ön (= -cor
des nom. sg. der ji-stämme) zu -ö (= lit. -ü des nom. sg. der
w-stämme) keinem zweifei unterliegt, ein solcher process aber
für altes -öm keineswegs zu erweisen ist; zweitens dass die
entstehung des von Streitberg postulierten -km kaum für
denkbar zu gelten hat, da instrumentales -am bekanntlich
nur für das «-Substantiv anzunehmen ist und schwerlich das
muster für die bildung von -trem hat abgeben können. Viel-
leicht aber dürften uns hier das oben in 9 beobachtete (in
nach der entstehung von -a aus -et liegender periode) einigen
partikelformen angehängte an sowie die durch antritt von an
bez. a2 entstandenen ahd. unzan donec, usque ad, imsaz donec
(mit unz = unt- in got. unte), imtaz usque ad, undas donec
{mit unt-, und- = goi. &s. und) einen lingerzeig gewähren: mit
rücksicht auf lateinischen extremus,postremus zu gründe hegende
*extre, *pöstre für das vorgot. anzusetzendes -örv entwickelte
sich vor der consonantapokope durch affigierung von an oder
at zu -drm oder -<)rct, woraus regelrechtes got. -dre. Diesem
■dre könnte das -Ora von an. Jiedra hiic, daOra illuc mit aus
-^entstandenem -a (vgl. oben s. 516) entsprechen; doch wäre
hier auch ein prototypus mit -dröt bez. -drön aus -drö + at
oder an denkbar.
Bei der annähme von analoger entstehung begreifen sich
ferner ahd. hera huc, dara illuc, hwara quo aus hircn oder -St
etc. (wegen des -a aus -c für -en oder -et s. oben s.512) mit
zu -rö- von heröt, daröt etc. (s. oben in 5) im ablaut stehendem
-re + an oder at, woraus -ren oder -ret.
^Ö4 VAN HELTEN
11.
Ein gegenstück zu dem in 10 ausgeführten, frühzeitigen
antritt von an oder at bieten die zeit- (und causal-) partikeln
got. },andß, ahd. danta, wanta, as. Invanda, aonfrk. ivanda,
aofries. Invcmde, got. unte (mit unt- = ahd. unz donec, usque
ad), 5/w?(7^ einst', as. sim{h)la, ags. 5m?e 'immer' (vgl. lat. sem-el
sem-per 'in einem fort' etc.): da as. Imand, afries. tvand, hivant
auf die möglichkeit hinweisen eines zu lat. quandö zu halten-
den, ebenfalls als instrumental der zeiterstreckung (vgl. Del-
brück in Brugmanns Grundr.3,245) fungierenden germ. prototyps
hwandö oder (mit ablautendem endungsvocal) hwande, lässt
sich für Imnde etc. ein nach art von unsan, imzas, midas donec
(s. oben 10) aus -(^ und an oder at gebildetes -Sn oder -Bt an-
setzen, dem got. -e, ahd. as. aonfrk. -a, ags. -e, afries. -e ent-
sprechen mussten (vgl. oben s. 519. 512; aus -ö + an oder at
wäre -dn oder -Ot hervorgegangen, das got. -ö, ahd. as. aonfrk.
-0, ags. afries. -a ergeben hätte, vgl. oben a.a.O.; das -Bn oder
-St macht 7«tY/«cre als prototyp von as. hwand, afries. (;^)M;aw^
Avahrscheinlich).
Auf neben diesen instrumentalformen stehende, alte locativ-
bildungen mit -a ist zu schliessen aus aofries. luvende quia (mit
htvente als mischbildung aus hivende und durch vocalapokope
entstandenem hwent, vgl. hivante aus Imandc und /«<;aw^ und
s. Aofries.gr. § 122d, anm.) und aus ags. denden interea, quamdiu,
dum (für mit ahd. uns-in usque, donec zu vergleichendes dendm
mit angehängtem m; daneben auch gelegentlich öendan bez. -on
mit für -in aus -m substituiertem -«"w [-pn], vgl. ahd. uman donec).
Der nicht zu verkennende Zusammenhang von ahd.
hivanne, danne, denni etc., as. thann, thanna etc., ags. donne
etc. mit pande etc. und Ä^<;aMö( etc. wird verständlich durch
die annähme von alten hwand, Jmnö, wozu durch antritt
von oben in 5 hervorgehobenen instrumentalsuffixen -ne bez.
-no entstandene bildungen mit -mic, -nno (wegen des Schwunds
von dental zwischen zwei n beachte Brugmanns Grundr. V, 707.
Bezz. Beitr. 21, 107 ff. Uppsalastudier s. 94 f. Kuhns Zs. 36 349
sowie Beitr. 25, 260. 298. 513), bez. durch erweiterung dieser
endungen vermittelst des locativsuffixes oder eines nach dem
muster von hwandet oder -en für -e substituierten -et oder -en
formen mit -nnei, -nnoi, -nnBt oder -nnen: auf htvand, ])anä oder
GRAMMATISCHES. 565
liwand, Jmnd gehen zurück got. Iran, pan, as. hivan, ihan, ags.
(nur noch selten = 'tum, tunc' begegnendes) cfon (belege s.
Grein und Bosw.- Toller s. 1034b), afries. tha? (bez. mit in
orthotonierter Stellung gedehntem vocal tha)^), dan (westfries.,
s. V. Richthof en, AVb. s. 1068), Iman Fivelg. s. 12 (erhaltung des
-n durch anlehnung an alte, aus in der historischen periode
nur noch selten auftretenden ostfries. liwanna Fivelg. s. 46,
westfiies. danne S 489,2, danna W 71,23 zu erschliessende
Imanne, tJianne), an. öä? ') — auf hivanne oder -o, panne oder
-0, as. Jm-ann (s. Cott. 4289. 4293. 4299. 4307. 4345. 4402 etc.),
thmm (s. Gen. 119. 140. 142. Cott. 283. 453. 944. 1507. 1729.
4494 etc.), an. -dann in siöann (vgl. unten s. 566, anm. 3) —
auf hivannJ, 2>cmnl ahd, ivenni, demii, ags. hivcenne, öcenne,
aofries. Imenne, thenne (woneben auch hwenna, thenna mit
nach dem muster von hwana unde, tliana inde, s. oben 9, für
•ne substituiertem -na'^)) — a.\\f IncannaT, Jjannai -edid. htvanne,
thanne, danne (woneben liicenne, denne, insofern die formen
nicht in jüngeren denkmälern auf eine Vorstufe mit -/ zurück-
gehen, durch compromiss aus Jnvenni und hivanne etc.), as.
Azfawwe Cott. 1142, tcanne Petri-gll. (Wadstein 77, 3), thanne
Gen. 19. Mon. 3404, aonfrk. nohicanne, ags. hivonne, öonne
{danne, vgl. Sievers, Gr. § 65, anm. 2), afries. hwanna, danne,
danna (s. oben und vgl. wegen des -na für -ne das zuvor über
hicenna, thenna bemerkte) — auf panne aber as. thanna Ess.
gll. (Wadstein 57, 24), Gen. 184. 204. 209. 213. 215. 221. 233
etc., ahd. thanna, danna (s. Graft 5, 44) [für die selten er-
scheinenden as. htvanna Mon. 1142, nohivanna Ess. gll. (Wad-
stein 52, 25), eogatvatma Freis. pn. 20, ahd. siianna Will. 109, 8
ist wol, insofern nicht etwa Schreibfehler oder nach Braune,
Ahd. gr. § 58, anm. 3 zu beurteilendes -a vorliegt, analogie-
bildung nach thanna anzunehmen; ob dem ags. ponne nicht
nur pannal sondern auch Imme zu gründe liegt, ist natürlich
nicht zu ermitteln].
') Für diese tM, da sind indessen noch zwei andere miiglichkeiten
ins äuge zu fassen: die formen könnten auch dem ags. öä tum, tunc (d.h.
zu pö = ahd. dito, as. tltü im abhvut stehendem y>«) entsprechen oder beides,
sowol altes Jxin(d) als altes pa retlectieren.
*) Vgl. Aofries. gr. § üG, anm., wo jedoch unrichtig für die ueugebildete
endung einwirkung von tha angenommen wurde.
566 VAN HELTEN
12.
Gegen die gleicliung von in 11 auf hivand, J)and zurück-
geführten Iran, Jtan etc. =: lat. qtiiim, tum (s. Paul, Beitr. 4, 385
und Streitberg, Urgerm. gr. § 129, 7) spricht der umstand, dass
sich hier (mit ausnähme etwa der durch einzelsprachliclie und
jüngere apokope entstandenen afries. thä, an. öä, vgl. oben s. 565
und anm. 1 daselbst) nur formen mit -w finden, im gegensatz
zu den sonst (insofern keine anlelinung im spiel war^)) als
entsprechungen von abwechselnd mit starker und schwacher
betonung gesprochenen monosyllaben begegnenden doppel-
formen. Die herleitung von han, Pan aus prototypen mit
Instrument alsuf fix -ne oder -ne (s. Brugmanns Grundr. 2, 782)
steht der Vereinigung dieser kan etc. mit hivann, tvemii etc.
(s. oben 11) im wege.^) Hingegen sind aus mit -we gebildetem
prototypus hervorgegangene Partikeln nicht zu verkennen in
den in verschiedener function verwanten (meistens mit einem
comparativ verbundenen) got. Jjcma, as. than, ags. ^on, hwon
(hwan), aofries. tha, die sich formell sowie semantisch mit sol-
chen pone, hivone vereinigen lassen (beachte auch Johansson,
Bezz. Beitr. 16, 159).
Ags. Öon, hwon (hwan) in foröon, hidon, cefterdon etc.,
tolnvon, forhwon, forhwan etc. 3)
Ags. Jon, as. than in ne don md, ni than mer 'darum nicht
mehr', 'trotzdem' (wegen der ags. belege s. Zs. fda. 11, 404;
wegen des as. thu säiclos hluttar com . . . , nü ni (jisihit enig
erlo than mer iveodes wahsan Hei. 2551 •!), mit dem adverb mer
*) Nämlich im acc. sg. masc. vorhd. pun (woraus ahd. den), as. than
(then), woneben einstmals nebenformen mit ->iö« (aus -nön) = as. -na, ags. -ne,
afries. -ne (s. oben s. 507).
^) Als instrumental mit altem -ne oder -no ist aber got. vor comparativ
stehendes han 'um wie viel' und modales Ivan 'wie' zu fassen.
*) Von diesen aus präpos. und instrumental gebildeten Verbindungen
sind zu trennen ags. sioddun (seodöan etc., s. Sievers, Gramm. § 107, anm. 5),
an. HiÖan, siöan, meöan (mit Ö für dö in schwachtoniger silbe, s. Noreen,
Gramm. § 186), deren zweiter teil mit rücksicht auf got. mippan (nicht
mippana) als die starktonige (mit adverb verbundene) zeitpartikel pan zu
gelten hat. Neben siÖan beachte auch in alten hss. begegnendes siöann
(vgl. Noreen, Gramm. § 354, anm. 4) mit -dann = as. thann (s. oben 11).
*) Aus diesem beleg geht hervor, dass die beregten ausdrücke nicht
auf die prosa (vgl. Zs. fda. 37, 23 f.) beschränkt waren.
GRAMMATISCHES. 5G7
zugeseiltem gen. iveoäes statt iveoä durch falsche analogiehildung
nach cum genit, partit. construiertem substantivischen mer).
Got.Jjana 'in bezug auf einen bestimmten moment' mpana
mais, Jiana seips f/7]X8Ti, ovxtrt] as. than, ags. don mit gleicher
bedeutung in: that hie ni sprüJä iJicro ivordo than mer Hei.
974; noes Öd ivordlatu (zögerung in ausführung des befehls)
wihte don mdre, öiet se stau togdn^)\ nahte ic dinre ncefre mlltse
don mdran öearfe\ öwt we ... d bütan ende scnlon crniÖu
dreo^an, hiitan du usic don ofostlicor (fi^üher, zuvor), ece
dryhten, . . . hreddan iville.
As. than, ags. don 'in bezug auf eine bestimmte person,
eine bestimmte personenzahl, einen bestimmten gegenständ' in:
thär (in der wüste) ni ivas tverodes than mer, hrdan that he
(Johannes) thär encora aloivaldon gode thegan tkionoda Hei.
860; sia (die evangelisten) u-urdun gicorona te thio, that sie
. . . scoldun an huoh scr'idan . . . manag gibod godes, helag hi-
milisc tvord] sia ne muosta helitho than mer . . . frummian,
neivan that si fiori te thio ... gecorana ivurdun Hei. 15; qnat
hie (der herr) im (zu den arbeitern) ni hahdi gihetan than
mer iverthes (dass er nicht mehr lohn im vergleich mit dem
gezahlten, d.h. als den gezahlten versprochen hätte) tvid iro
werJce Hei. 3441 2); (efre ic ne hyrde don cymlicor ceol ^ehla-
denne\ ncefre mon ealra lifi^endra lytle iverede don ivurdlicor
ivissid dteah.
Die nämlichen, auf im voranstehenden satz besagtes hin-
weisenden Partikeln in mit negation verbundenen than hald,
than mer, don md, don der = 'nicht eher, nicht mehr iu bezug
auf das vorher gesagte', d.h. 'ebenso wenig '.3)
Die nämlichen, auf im folgenden (mit Mtan so, botan, neivan
0 Diese und die folgenden, ohne quell enangabe citierten ags. beleg-
stelleu bei Bosw.-Toll. 1034 b.
') Dass in diesen Verbindungen than übrigens für das Sprachgefühl
bereits zur blossen formel herabgesunken war, ergibt sich aus der Verwen-
dung des Wortes iu that sia an iro r/isithic than mir garoes ni hahdin
nowatt gerstin bruod flvi Ilel. 2843.
^) Wegen der belege s. Kögel, Zs. fda. 37, 20 ff. (wo im auschluss an
Riegers, Greins, Sievers' und Behaghels benierkungen zu than die erwähnte
bedeutung klargelegt ist) sowie Bosw.-ToUer a.a.O., wo eine reihe angel-
sächsischer, dieselben ausdrücke enthaltender stellen zusammengestellt,
jedoch unrichtig gedeutet sind.
568 VAN HELTEN
SO, tJian, also, tliie = 'als' bez. de, donne = 'als' eingeführten)
nebensatz oder satzteil gesagtes hinweisenden partikeln: su it
gio märi ni ivard than tvidor an thesaro wcroldi, hutan so is
ivilleo geng Hei. 536; siu ni hahdtm tlmo noh Jcindo than mer
. . . hotan thana enna Gen. 91 ; He ni habda tliär Jiis hadalias
than mer hotan is dohtar tivä ib. 295; JV?" sculun gi giivädes
than mer erlös egan, neivan so gi than anhchhean Hei. 1855;
ni mag im enig mann than swidor tvero farwiriJcian . . .
than thu an thmum hruodar hahas firimvereJc gifremid Gen.
52; nihahda liudeo than mer . . . te gisUhon, allso hie im seVbo
gicös Hei. 1028; nu ni gihis thu Us scattes than mer, thie thu
them ödron duos Hei. 3438; ic tvdt, du tvilt hisian Öon der, Öe
du hine onsitest\ gif Mo hearn gestriene, ncehhe öcet dies ierfes
öon mdre, de sio mödor (d. h. hcehbe); on öÖrum osrne Öost ncehhe
öon md dura, Öonne sio cirice; ne eart öu Öon leofre, Öonne
se sivearta hrefn; ncefre hlisan ah meoiud Öon mdran, öonne
he wiÖ manna hearn wyrceÖ tveldcedum; u. s. w.
As. than, aofries. tha als einen comparativen nebensatz
einführende partikeln (d. h. einen satz, der dasjenige ausdrückt,
in betreff dessen der vorangehende comparativ zu gelten hat).
AVegen des in Verbindung mit comparativ verwanten In-
strumentals vgl. die von Delbrück in Brugmanns Grundr. 3, 272 f.
hervorgehobene function dieses falls als casus der beziehung.
An stelle von zu erwartenden than, dan, öon erscheinen
als die einen von comparativ abhängenden nebensatz einführen-
den Partikeln ahd. dcnne, danne, thanna, ags. Öonne, öcenne
(sehr selten), die sich schwerlich in formeller hinsieht mit as.
than, aofries. tha vereinigen Hessen, vielmehr die besagte
function indirect einer Verwechslung der aus ])one und panö
(vgl. oben 11) entstandenen than, öon verdanken: da der (für
das vorhistorische ahd. nach den anderen dialekten anzusetzen-
den) zeitpartikel than und Öon {*öan) als nebenformen thenni
(woraus überliefertes denni), thanne, thanna bez. Öonne, öwnne
zur Seite standen, konnten diese auf analogischem wege auch
für die den comparativsatz einleitende instrumentalpartikel
eintreten und in der folge sogar dieselbe gänzlich verdrängen.
Als spuren von so entstandenen, unursprünglichen comparativ-
partikeln begegnen auch as. thann (Jott. 4498, thanne Cott. 1728,
thanna Mon. 1728 (neben normalem than). Auf conservative
GRAMMATISCHES. 569
ein'W'irkung solcher nebenformen mit -nn- (vgl. oben 11) aber
ist zu schliessen aus dem für 'quam' nach compar. verwanten
aofries. than Fivelg. (s. Gramm. § 107/3), awfries, dan.
In dem semantisch mit as. ni tlian mer, ags. 7ie Öon md
'ebensowenig' übereinstimmenden Notkerischen ne tdna md-
sowie in dem mit as. than Jiald ni zu vergleichendem neo dana
halt des Hildebrandsliedes (vgl. Zs. fda. 37, 22. 24) liegt eine
selbstverständlich formell nicht mit than, don zu identificierende,
auf ablativisches 7J0»t'^ zurückgehende partikel vor; wegen der
verw^endung dieses casus beim comparativ vgl. Delbrück in
Brugmanns Grundr. 3, 216 f.
GRONINGEN. W. VAN HELTEN.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXVIII. 37
ZUR ALTHOCHDEUTSCHEN LITERATUR.
1. Otfrid ad liUdowicuni.
Zs. fda. 39, 371 — 375 hat Scliönbacli gezeigt, in welcher
weise der inhalt dieses Sendschreibens aus gemeinplätzen der
gleichzeitigen lateinischen literatur zusammengesetzt ist. Einen
wesentlichen einfluss hat aber auch die sog. Lndwigslitanei
darauf gehabt, ja Otfrid hat bei ausarbeitung der lobrede
offenbar diese bis zu einem gewissen grade zum muster ge-
nommen. Seine Avidmung zerfällt deutlich in zweierlei bestand-
teile, insofern in den erzählenden stoff, welcher den hauptteil
ausmacht, mehrfach Segenswünsche eingestreut sind, nämlich
V.5— 8. 28. 31—36. 74b— 86b (mit ausschluss von 78b— 81b).
92 — 96. Beide arten unterscheiden sich auch in der darstellung
schon äusserlich dadurch, dass dort der modus der einfachen
mitteilung, der indicativ, steht, hier aber, als in Wunschsätzen,
der Optativ oder der imperativ.
Jene heilswünsche nun sind der Ludwigslitanei entnommen
(diese ist abgedruckt u. a. bei Goldast, Eerum Alemann, script.
2, 136 f., übersetzt bei Schubiger, Die sängerschule St. Gallens
s. 29 — 32). Die für den kaiser und sein haus ausgesprochenen
bitten lauten hier folgendermassen:
Hludowico a Deo coronato magno et xmci^co Begi vita et
Victoria. Redemptor mundi — Tu ülmn adjuva. Sande Michael
U.S.W. — Tu illum adjuva.
Hemmae Beginae nostrae vita. Sancta Felicitas u.s.w. —
Tu illam adjuva.
Nohilissimae proli regali vita. Sande Silvester u.s.w. —
Tu illam adjuva (die darauf folgende fürbitte für die richter
und das beer der Franken und Alemannen kommt für Otfi-ids
Widmung nicht in betracht).
ZUR ALTHOCHDEUTSCHEN LITERATUR. 571
FelicHer (drei mal) — Tempora hona lidbeas (drei mal) —
Midtos annos (drei mal).
Memor sit Dominus Domini nostri Hludewid.
Hunc diem — Multos annos — Dommim Hludoivicum
Hegern — Dens conservet. Salvator miindi — Tu illum adjuva.
Sancte Petre u.s. w. — Tu illum adjuva.
Feliciter (drei mal) — Tempora hona habcat (drei mal) —
Multos annos.
Darauf folgt die Oratio mit dem abscliluss Dona Ulis (i. e.
Principes nostri) regnum, uhi nee vita concluditur nee laetitia
term,inatur.
Fasst man diese abgerissenen bittrufe in Stichwörter zu-
sammen, so ergeben sicli für den könig folgende wünsche:
1) vita et victoria; — 2) er lebe glücklich (feliciter — tempora
hona haheat)] — 3) er lebe lange {multos annos)-, — 4) gott
schütze ihn {Tu illum adjuva ■ — memor sit Dominus Domini
nostri — Dens conservet)] dazu kommen dann noch die wünsche
für die königin {vita), für die nachkommen {proli regali vita),
und im schlussgebet ebensolche für das königliche haus (Dona
Ulis regnum, uhi nee vita concluditur nee laetitia determinatur).
Auf dieselben vier punkte, in welche sich die bitten der
litanei für Ludwig zusammenfassen lassen, sind auch die in
den 25 langzeilen bei Otfrid ausgesprochenen wünsche ein-
geschränkt:
V. 5 Ihemo si iamer heili joh salida gimeini entspricht
dem lat. vita et victoria (punkt 1), nur sind mit heil und swlde
die deutschen heilrufe an stelle der lateinischen dem hofcere-
mouiell entnommenen gesetzt.
V. 6 — 8 = er lebe glücklich (punkt 2), [alle] siti guato
ist wörtlich = tempora hona.
V. 28 tlien spar er nu si lihe = Dens conservet [Ludoivicum],
gott schütze ihn (punkt 4).
y. 31 — 36 allo siti guato so leh er io gimuato — suas imo
sin Hb al = er lebe glücklich (punkt 2); [muasi] wesan lango
gisunt — lango, Hoho druhtin min, las imo thie daga sin =
er lebe lange (punkt 3); fon got er muasi haben munt — joh
himide io sala . . . = gott schütze ihn (punkt 4).
V, 74b — 78a allo siti, thio the sin, krist loho mo thas muat
sin — got frewe sela sina = er lebe glücklich (punkt 2); lango
37*
572 EHRISMANN, ZUR ALTHOCHDEUTSCHEN LITERATUR.
nias er lihes — lang sin daga sine = er lebe lange (punkt 3);
himüle ouh cdlo pina — himide ouh zalono fal = gott schütze
ihn (punkt 4).
V. 78b— 81b bilden Zwischensätze, in 82—86 wird zunächst
dem könig die süssigkeit des ewigen lebens erbeten (82), dann
folgt die fürsprache für die königin und die kinder, die widerum
in dem wünsche gipfelt, sie möchten zusammen mit Ludwig das
himmelreich erwerben.
y 92—96. Den abschluss der ganzen widmung bildet dann
nochmals die erflehung des ewigen gutes für den könig, aus-
klingend wie das schlussgebet der litanei uhi nee vita conchi-
ditnr nee laetüia terminatur in einen preis der unvergänglichen
wonne inliuhte imo io thar, ivunna, thiu etciniga sunna.
Wenn man also die einzelnen begriff scentren der lateinischen
und der in Otfrids widmung ausgesprochenen bitten losschält
und mit einander vergleicht, so findet man, dass sich der ge-
sammtinhalt gerade deckt und dass Otfiid eigentlich gar keine
neuen gedanken hinzugefügt, sondern nur die gegebenen variiert
hat. Die widerholung gehört zum aufbau der litanei, und diesen
gebrauch hat Otfrid nachgeahmt. Wie dort an zwei stellen
je drei mal tempora hona haheas {haheat), so wird hier das ent-
sprechende allo zdi guato mehrfach gesetzt: v. 7. 33. 95 (viel-
leicht ist die auffallende wendung eben als wörtliche Übersetzung
des lat. tempora hona zu erklären); oder es treten Variationen
ein: lango, Hoho druhtin niin, las imo fhie daga sin 35 — lang
sin daga sine 77; himide io sala 34 — himide auch zalono
fal IS — himide ouh allo pina 76; joh frewe mo emmizen
thaz muat 6 — er allo stimta freive sih 8 — 'krist loJco mo
thaz muat sin 75 — got freice sela sina 76.
Zweimal wird das publicum aufgefordert, seine bitten für
Ludwig zu erheben: tlies th'tgge io mannogiUh v. 8 und thes
mannilih nu gerno ginada sina fergo v. 31. Möglicherweise
liegt hierin geradezu. eine hindeutung auf die sitte, in der litanei
öffentlich für das wol des königs Ludwig zu beten.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
Druck von Ehrhardt Karrai, HaUe a. S.
PF Beiträge zur Geschichte der
3003 deutschen Sprache und
gc Literatur
Bd. 28
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