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BEITRÄGE
ZUR
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR
UNTEll MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND EDUARD SIEVERS
HERAUSGEGEBEN
VON
AVILHELM BRAUNE.
XXXIII. DANIK
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEIN8TRASSK
1908
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INHALT.
Seite
Zu Walther von der Vogelweide. Von A. Wal In er 1
Parzival 171, 5. Von A. Wallner 59
Die vorläge für de la Louberes abschrift von Notkers Psalter. Von
E. Steinmeyer Gl
Lückenbüsser. Von E. Steinmeyer 94
Znr lehre von der alliteration in der westgermanischen dichtung.
Von P.Q.Morgan 95
(Cap. I. Die tonverlialtnisse der hebungen im Beowulf s. 102.
— Cap. II. Die gekreuzte alliteration s. 164).
Etymologica. Von C. C. Uhlenbeck 182
Zum guten Gerhard Rudolfs von Ems. Von A. Schönbach. . 186
Ein etymologischer beitrag. Von H. Petersson 191
Nochmals as. Genesis 323. Von F. Holthausen 192
Die Atli-lieder der Edda. Von J. Becker 193
(Inhalt s. s. 285).
Antike und mittelalterl. Studien zur literaturgeschichte. I. lieber
fabulistische quelleuangaben. Von Fr. Wilhelm .... 286
Studien zur Krone Heinrichs von dem Turlin. I — III. Von
A. Schöubach 340
Die heimat der grossen Heidelberger liederhaudschrift. Von
Fr. Vogt 373
Ütgardaloke in Irland. Von Fr. vonderLeyeu 382
Zum Meier Helmbrecht. Von Fr. Panzer 391
Zu könig Tirol. Von H. Schulz 398
Nachtrag zur ausgäbe von Heslers evangelium Nicodemi. Von
K.Helm 400
Nhd. köter. Von S. Feist 402
Literatur 403
Der einfluss des mnd. auf das dänische im 15. Jahrhundert. Von
Ida Marquardsen 405
Kleine beitrage zur germanischen altertumskunde. Von G. Neckel 459
(1. Skäro ä sUÖi s. 459. — 2. Wgerm. schar s. 466. —
3. Centum pagi s. 473).
INHALT.
Seite
Herren imd spielleute im Heidelberger liedercodex. Von Anton
Walluer 483
(I. Die anordnuug' der Sammlung s. 483. — II. Die wappen
s. 491. — III. Die bilder s. 502. — IV. Die titel s. 522).
Drei spielmaunsnamen (Wizlav. Regenbogen. Der Freudenleere).
Von A. Wallner 540
Berichtigung. Von A. Wallner 546
Die etymologie von holen. Von J. Mansion 547
Ein wichtiges Regensbnrger zeugnis für die Hildesage im 12. Jahr-
hundert. Von Fr. Wilhelm 570
Literatur 572
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE.
8, 4 L. (67, 49 P.).
Ich saz üf eime steine
und dahte bein mit beine;
dar ftf satzt ich den eilenbogen;
ich hete in mine hant gesmogen
daz kinue und ein min wange.
Mit der so iirastäiidlich beschriebenen Stellung muss es eine
besondere bewantnis haben. Seit Simrock wird sie als die
eines sorgehaften, nachdenkenden erklärt. Walthers ziüiörern
weckte das bild gewiss nicht diese Vorstellung, sondern die
eines richters: 'Es soll der richter auf einem richterstuhl
sitzen als ein grisgrimmender löwe, den rechten fuss über
den linken schlagen, und wenn er aus der sache nicht recht
könne urteilen, soll er dieselbe ein, zwei, dreimal überlegen.'
Soester ger.-ordnung (Grimm, Eechtsaltertüm. 2, 375). ^) Dieser
beleg zeigt freilich ebensowenig wie die bei Wilmanns für
Simrocks auffassung gesammelten stellen die Vereinigung aller
bei Walther erscheinenden züge, aber was hier fehlt, das
gewährt eine episode aus der böhmischen geschichtssage, aus
der in drastischer weise die beinah sakrale geltung derartiger
brauche hervorgeht. Wenn auch der unverständlich gewordene
zug nur trümmerhaft überliefert ist, so sind die scherben leicht
zu kitten. Die sage erzählt, wie die jungfräuliche fürstin
Libussa — ihr name ist durch Musäus, Herder, Brentano und
Grillparzer auch der deutschen literatur geläufig — einen
grenzstreit zweier nachbarn zu schlichten hatte. Der eine
') Braune erinnert mich an P.Reuters Stromtid, cap. 20: ganz nah
Hersog Adolf von Kleive sine Verordnung: 'So ein Richter zu Gericht
sitzet, soll er das linke Bein über das rechte schlagen u.s.w.'
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 1
2 WALLNER
der gegner, dem ihr urteil unrecht gab, wollte sich nicht fügen
und wiegelte das yolk gegen die weiberherschaft auf, so dass
Libussa einwilligen musste, einen gemahl zu nehmen. Sie
wählte Premj'Sl. Bei Cosmas von Prag hat die empürung
einen ganz speciellen anlass: die beiden streitenden tragen
der fürstin ihren handel vor. lila interim, ut est lasciva
mollities mulierum quando non hahd quem iimeat virum, cubito
suhnixa, ceii puerum enixa, alte in pictis stratis nimis molliter
accuhahat. Diese Verletzung des brauchs greift nun der ver-
urteilte auf: Seimus profecto quia femina sive stans seu in
solio residens xmruni sapit, quando minus cum in stratis accuhat?
(Cosmae Chron. 1, 35, 17 ff.). Am nächsten tag will sich Libussa
vor dem volke verantworten. Was hier bei Cosmas fehlt (er
bemerkt nur: femina residens in suhlimi solio) bietet der für
die sagengeschichte viel verlässlichere 'lügenchronist' Hajek:
Sedehat Frinceps humi, sed eminentiore loco pictisque tapctiis
constrato, cuhitum genu, sinistra mentum sustentans
(Hagecii Chron. ed. Gr. Dobner s. 145). Die tags vorher ver-
nachlässigte haltung des richters wird also jetzt genau be-
obachtet, kann aber das volk nicht mehr umstimmen.
Wie Walther dazu kommt, sich in dieser richterlichen
attitude einzuführen, ist leicht zu verstehen: es schweben ihm
ursprünglich — was die ausf ührung freilich verwischt — Ehre,
Gut und Gotteshuld als allegorische gestalten vor, deren streit
er schlichten soll. Die hier nur angedeutete gerichtsallegorie
— später bekanntlich eine lieblingsform der zeitsatire —
kommt in der nachbildung Frauenlobs (MSH 2,351b) Ich saz
uf einer grüene schon voller zur geltung. Die gleiche Situation
begegnet in der zweiten satire Seifrid Helbliugs. Der dichter
setzt sich als richter an des fürsten stat auf eine steinstufe
lieleit schön mit grüenem ivasen (511): Also gesaz ich eine Bi
dem breiten steine In minem houmgarten (21); alsbald erscheinen
auch hier die allegorischen gestalten Ziiht, Mäze, Iriuive,
Ere, Wärheit und Bescheidenheit.
Auch das bild zu unserm Spruche zeigt einen stein mit
grüner rasendecke; dachte der maier der miniatur in C, der den
rasen mit blumen ziert, an das, wie die nachbildungen zeigen
besonders berühmte, vocalspiel: Ich saz üf einem griienen le,
da ensprungen hluomen unde Ide^
ZJJ WALTIIER VON DER VOGELWEIDE. ö
13, 26 (80, 22).
0 we der wise die wir mit den grillen snngen,
dö wir uns solten warnen gegen des kalten winters zit!
Daz wir vil tumben mit der ämeisen nilit rangen,
diu nu vil werdecliche bi ir arebeiten lit!
Der zug stammt wol ans der internationalen kreuzzngspredig't;
vgl. Str. 3 in dem gleichgestimmten liede Tliibauts de Champagne
(Tarhes. 117ff.):
La souris quiert pour sou cors garantir
Contre l'yver la noix et le froment.
Et nous chaitif nous u'alons rien querant,
Quant nous morrons, oü nous puissions garir . . .
II m'est avis qne piain sommes de rage.
17,2511:. (70 a, 29). Waz eren hat frö Böne, daz man so
von ir singen sol? Die spätem lierausgeher widerholen zwei-
felnd Lachmanns vermutnng vom zusammenliang des sprnchs
mit dem liede vom halmmessen 65, 33. Die rede vom strö des
königs vom Odenwald legt nahe, an ein geteiltes spiel (vgl.
Walther 46, 26; 150, 76 ff.) zu denken:
Einer git geteilter vil (?)
der ander nimet swelcbz er wil.
nu bin icb über ein kumen
und han mir ein geteilz genumeu:
borten clär von siden,
die wölte ich lieber miden,
danue die vom stro etc.
So hat Walther von dem geteilten spiel hone — strö (bonen-
strö?) das letztere gewählt. Auf das halmorakel mögen die
V. 31 — 33 gehen. Zu v. 36 f. von grase tvircUt halm ze strö,
er ist guot nider unde hö vgl. Winsbekin 14,1 sol mir daz
muoter ere sin, oh man min ivilnschet üf ein strö? und 14, 10
oh man min tvilnscJiet üf daz gras? König vom Odenwald 208
daz strö si gegrüezet, da minnet man sich üfe. Ulrich v. Singen-
berg 254, 5 zuo minen vröiden, der sint zwo, hcet ich die schmnen
i\f ein strö. Paternoster-travestie (Germ. 14, 405) 19 gesamen
ivir uns üf ein strö, so ivirt uns sicut in celö. An derartige
Paternoster - travestien gemahnt auch Walthers schlusszeile
frou Böne — set liherä nös ä mälö, amen, in der wol auch
ein Wortspiel — honum : malum — steckt, das für Walthers
bildung beachtenswert ist.
1*
4 WALLNßR
18, 1 (70 b, 15). Hier fassen A und C nicht auf gemein-
samer vorläge; icli lese, der bessern Überlieferung in C folgend:
Her Volcnant, habt irs ere,
Daz ir die meister irren weit
ir meisterlicheu Sprüche?
Latz in geschehen niht mere,
5 Sit daz mauz in ze uuwizzen zeit.
Wan ob her Walther krüche,
Man beten iemer doch vor in:
Er ist daz körn, ir sit diu spriu.
Singent ir eiuz, er siuget driu'),
10 Geliche als ars und mäue.
her Walther singet swaz er wil,
des kurzen und des langen vil,
SU3 meret er der weite ir spil:
so jagent ir als ein valscher hunt nach wäne.
Die fünf Sprüche dieses tones werden in zwei gruppen zerlegt,
da drei im zehnten verse drei hebungen zählen, während zwei
hier fünf hebungen aufweisen wie in der schlusszeile. Eine
solche Spaltung stünde ganz vereinzelt da. Da die dreihebigen
verse der ersten gruppe absolut sicher sind, fragt es sich, ob
die ab weichungen der zweiten gruppe nicht auf fehlerhafter
Überlieferung beruhen. Bei 18, 10 ist die lesart von A daz
gelichet sich relite alse ars und mane rhythmisch unmöglich,
die von C aber ir sit gelich als a. u. m., weist nur vier
hebungen auf. Beide gehen v>'ol auf eine dreihebige zeile
geliche als ars und mäne zurück, deren lakonismus jede auf
ihre weise zu verdeutlichen gesucht hat. In 18,24 hat wol
C an dem ursprünglichen got müeze ime ere meren (A got
muoze ime erenneren) anstoss genommen wegen der wider-
holuDg des Wortes ere (v. 23 der mir so höher eren gan) und
durch die 'besserung' got miiesse ouch im die sinen iemer meren
den vers über gebühr geschwellt.
19, 31 (68, 15). dö fuort er miner Jcrcencchen trit in die
erde. Die herausgeber ändern: mtnen hrenechen trit Wacker-
nagel, Pfeiffer, Wilmanns; mine kranechen trite Paul; mine
haneches trite vermutete Lachmann; mine Jcranechen trite
Haupt. An die Überlieferung hielt sich nur Uhland, der
^) Vgl. Weinschwelg 276 ir singet so icol, daz Htjrant daz dritte
teil nie so tvol gesanc.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 5
h-ceneclien als 'schnabelscliulie' verstand, während Rückert den
genannten herausgebern zustimmt, wenn er miner als attraction
zu dem gen. hrceneclien erklären will (AVelsclier gast s. G03).
Insgemein fasst man den sinn der zeile dahin auf, dass der
hochmütige kranichsgang sich in ein demütiges schleichen
verkehre und verweist für das bild auf Freidank 30, 13 hoch-
vart diu hat hraneches schrite. Damit ist aber die wendung
noch nicht erklärt. Soll sie bedeuten: Friedrich führte meinen
kranichsgang mit sich in die erde, zu grabe? Das wäre
mehr als kühn. Ich möchte einen andern Vorschlag wagen,
der wenigstens die Überlieferung rettet. Trit hat auch die
bedeutung 'fuss', die die Wörterbücher allerdings nicht kennen.
Für das mhd. bietet nur Lexer einen beleg, den er irrig mit
'fusssohle' erklärt: da von sclün get durch alle trüve lit von
der schaitel an den trit Wilh. v. Osterreich (D. texte d. Mas. III)
12778 ff. In der Strickerei bedeutet tritt den fuss des strumpfes;
in der Aveidmannssprache den fuss gewisser ja gdvögel, be-
sonders der hühner. An diese bedeutung denke ich bei der
Waltherstelle. Dann liegt anspielung auf einen sprichwört-
lichen ausdruck vor, auf die besonders im französischen beliebte
redensart faire le pied de grue 'lange und ungeduldig auf etwas
warten', bald auf dem einen, bald auf dem andern bein stehen
wie der kranich; deutsch: den Icranich machen (Wander, Sprich-
w.-lex. 2, 1576).
AVie aus dem Spruche hervorgeht, ist herzog Friedrich dem
Sänger günstig gesinnt. Ob er ihm schon beweise seiner huld
gegeben hat, ist zweifelhaft, denn Walther nennt ihn sonst
nirgends. Offenbar aber hat er den dichter erfreuliches für
die zeit nach der kreuzfahrt hoffen lassen und dieser wartet
nun sehnsüchtig auf seine rückkehr. Da kommt die todeskuude:
Do Friderich üz Österriche also gewarp,
daz er an der sele genas und im der lip erstarp,
dö fuort er nüner kr?euecheu trit in die erde.
Die stelle bedeutet dann: 'Als Friedrich im morgenlande starb,
da Hessen meine kraniche ihr bein in die erde sinken, d. h. da
wars mit meinen hoffnungen vorbei, da war mein warten zu
ende.' Bei dieser deutung wird sowol der sing, trit bei dem
plur. hrcenechen verständlich, als auch die angäbe in die erde
statt der erwarteten zer erden. Walthern schwebt eben das
6 WALLNER
bild der kraniclie im moor vor. Bekanntlich ist der kranich
ein Sumpfvogel, ein water, der also in die erde tritt, wenn er
das bein senkt. An dies bild vom kranich als sj^mbol vergeb-
licher erwartung kann sich die Vorstellung von seinem ge-
spreizten schreiten associiert haben. Doch lässt sich auch
ohne diese vermittel ung verstehen, wie die redensart vom
kranichfuss das nächste bild herbeiziehen konnte: dö gieng ich
slichend als ein pfäwe sivar ich gie.
20,4 (68,49). Der in den ören siech von ungesühte st
'Die Vorsilbe tm- hebt hier den begriff des grund Wortes nicht
auf, sondern steigert ihn', bemerkt Wilmanns unter hin weis
auf Höfer, Germ. 14, 201. Das trifft hier nicht zu und die
bildung gehört überhaupt in eine kategorie, die bei Höfer
fehlt: analogiebildungen nach anklingenden synonymen, wenn
der begriff einen mangel oder eine negation ausdrücken soll.
ungesuht (nicht ungesühte) ist nach ungesimt stm. und stn.
gebildet, wie z. b. unsiir Priesterleb. 225 und Schrätel 56 (hs.
vnde soiver) nach unsäeze.
Für die jetzt von Schönbach, AVSB, 145, ix vorgebrachte
erklärung von erteeret (20,6), 'betäubt, um das gehör ge-
bracht' habe ich schon vor zwölf jähren Zustimmung bei "\^'il-
manns gefunden, dem ich sie gelegentlich mitteilte. >) Da diese
ursprüngliche bedeutung von töre (die auch seine etj^mologie
aufklärt und die in der bedeutungsentwickelung von tump ihr
Seitenstück hat) in den mhd. wbb. fehlt und Schönbachs hin-
weis auf die bair. Idiotika leicht zu dem Irrtum verleiten
könnte, als läge hier wider ein österr, dialektwort vor, will
ich dafür einige belege anführen: der ungehörende tör Hohes
lied 6,31; ein döre der gehört nit noch mocht nit reden Gries-
habers Pred. 1, 91; Sicaz ich gesinge oder gesage, daz enget
sumelichen Hüten niht in ir ören, die verscliopfent ir ören hol,
siene ivellen weder sen noch hceren; sam die tören gehärent
sie: ive den hoholden die alsus erstummen! Meissner, MSH
3, 108 (13). Die stabreimformel tuniben unde toren (Trist. 3592)
gehört ursprünglich gewiss auch hierher. 'Taubstumm' muss
töre auch in dem unechten Waltherliede (Lachm. 15, 15) be-
^) Ich sehe jetzt, dass zuerst Jeitteles (Germ. 37, 264) auf diese he-
deutuug von töre hingewiesen hat. (Corr.-uote.)
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 7
deuten ivolte got und tvcerens alle tören, die ir so vil gerünen
zuo den 6ren\ vgl. ]\rornngen 131, 27 wcercn nu die hüeUere
algemeine toup unde hlint, eine verwünsclmng-, die der Stricker
als gegen die merker üblich verzeichnet (Die minnesinger,
vdHagens Germ. 8,280, v. 14ff.). Wie teeret ('betänbt') man
die sorgen'^ Frauenlob, MSH 3, 150 (34); vgl. auch Seifried
Helbl. 2, 735. Auch bei Walther erscheint töre in der bedeu-
tung 'taub': 87,25 Ilüetent iiitver oren, oder ir sint tören
'wenn ihr nicht taub seid'; dass tatsächlich diese bedeutung
vorliegt, zeigt die kehre das guneret iu den sin, länt ir bcesiu
ivort dar in, oder ir sint tören. Die gewöhnliche bedeutung
würde die stelle sinnlos machen.
V. 7 Ich hän gedrungen unz ich niht me dringen mac.
ein schar vert üs, diu ander in. Beziehen sich Wolframs
verse nicht auf diesen spruch? Man vergleiche etslich din
ingesinde ich maz, daz üzgesinde hieze haz ... etswä smcülich
gedranc, unt etsivä iverdes dringen. Jedenfalls hat er den
sinn des Spruches knapp und treffend mit den Worten guoten
tac, bces unde guot widergegeben, und auf ein genaueres citat
— das ihm vielleicht gar nicht möglich war — kommt es ihm
hier so w-enig an wie 294, 21.
20, 31 (69, IG).
Mir ist verspart der sselden tor;
da sten ich als ein weise vor,
mich hilfet uiht, swaz ich dar an geklopfe.
Die stelle ist — wie 82, 24 — von Suchenwirt nachgeahmt
worden (Primisser 1,6):
Der chunste hört ist laider mir
Verspart au allen orten,
Des sten ich an ir phorten
Und chloph als ein eilender man,
Doch wird ich selten in gelan.
Der Spruch ist ohne pointe. Das reimwort ougcnweide, das sie
bringen sollte, ist reine cheville, trotzdem dass Walther offenbar
seinetwegen das bild von der beide, unbekümmert um die kata-
chrese^), herbeizieht. Liegt ihm ein vogeUveide zu gründe.
^) Die gleiche bildermischung wie hier begegnet in des Meissners lod-
spruch auf Otto von Brandenburg (MSH 3, 107(8): so ist sin miiot geblüemet
an der miUe . . . sin gebende haut vröut cds ein süeze regen in dem meien.
8 WALLNER
das den Schreibern verdächtig war? Vgl. auch ivunne {vrouäe)
berndiu hcide in der hs. D. Es wäre ein namensscherz wie
74, 19, würde ins bild passen {ein blat meint aber zugleich
'das geringste', vgl. niht ein blat) und würde die schlusszeile
erklären: hie bi st er an mich gemant.
22, 1 (69, 74). geivaU get {(f. Setzt dieser ausdruck, den
inhalt von 21,34—37 zusammenfassend, das bild von 21,32
fort: Untrimvc (Jiät) ir sämen iiz gercret allenthalben zuo den
ivegen? Tgl. 17,3 Diu milte Uiiet same diu sät diu tvunnec-
liche tvider gdt, dar nach man si geivorfen hät\ Winsbeke 34, 7
Bern gdt ze swlden üf sin sät; MF 30, 6 Korn scet ein büman;
do emvolte ez niht üf gän.
23, 31 (69, 126). Zu dem Zs. fda. 39, 184. 40, 335 vor-
geschlagenen ungeberten vgl. noch Eenner 14783 ivan die
jungen mit siegen niemant pert. Ein beispiel für die häufige
Verlesung des wortes bietet Friedr. v. Sunnenburg, MSH 2, 360 b
u-cer ich ein vürste, der mich lobte, den tvolde ich heizen tvern.
Statt Salomos, den Walther hier für die empfohlene kinder-
züchtigung als gewährsmann citiert, führt Wittenweilers Ring
(32, 2) einen recht ominösen heiligennamen an; Dem suon em-
philch daz stähli nicht, Sam lieb sunt Bernhart spricht.
24, 33 (69, 31).
Der hof ze Wieue sprach ze mir ...
min dach ist fvü, so risent miue Avende.
Dies bild führt ein spruch Bruder Wernhers Stver JcostccUche
ein schmne hüs mit holze rehte enticorfen hat (MSH 2, 228 b)
breit aus: -[^^i ^^z beliben äue dach,
die tremel, siule und oiich die starken wende
daz würde ein niht: ich weene ich ir ze Wiene wilent
daz nara da von vil lasterlich ein ende: [einez sach,
als ez diu nezze und ouch der sue mit winde sunder dach^) ergreif,
si schuofen, daz in kurzer yrist au eren ez tu gar zersleif.
Auch in der Warnung ist der Walthersche vergleich mit dem
verfallenden hause auf Wien bezogen (vgl. mein progr. Die
entstehungszeit der Warnung s. 40).
1) Dasselbe hild kelirt bekanntlich auch 101, 35 f. wider, wo die hs.
bietet nach sunden ohe dach; auch unsere parallele (sunder dach) zeigt,
dass man mit Pfeiifer noch sunder ohedach lesen müsse, statt mit Lach-
mann ohe durch äne zu ersetzen.
zu WALTHER VON DER VOGELWETDE. 9
25, 26 (G9, 1). Oh ieman spreche der nii lebe, das er ge-
sceJic ie gra'jer gehe. AVie es scheint, formelhaft bei fest-
schildenmgen; vgl. °die worte Veldekes über die höttde te
Ileginse, Eu. 13234 ich u'dne, alle die nu leven neheine gröter
hdn gesien und Tit. 1, 15.
25,28 als tvir seWiene holen durch ere enp fangen. 'Um
der ehre des Wiener hofes willen' Wilmanns; 'der honnenrs,
der etikette wegen' Bechstein, Es ist vielmehr die bekannte
spielmannslosung guot durch ere, auf die hier angespielt wird:
'Als zu "Wien wir spielleute empfangen haben.'
25, 82 man gap da niht M dri^ec pfunden. JDrizec wird
formelhaft für eine hohe zahl gebraucht; vgl. DWb. 2, 1393
unter 4: 'es wird eine grössere, an sich unbestimmte zahl
durch dreissig ausgedrückt ; in diesem sinne mhd. drizec jär,
lauf, Ungemach, lügende, schände."') Die stelle ist nichts als
eine Umschreibung für das sonst übliche silber äne wäge Nib.
256; Silber ungeivegen Kudr, 65,3: 'man gab da nicht eine —
wenn auch hohe — abgegrenzte summe'.
25, 35 f. Ich vermute: ouch hiez der fürste durch der
gernden hulde die malhen von den sielen leeren: ors als ob
es lember icceren vil maneger dan gefiieret hat. Mit den
sielen waren die malhen wol zugeschnürt (vgl. das citat bei
Ducange: Malas et frenis consutis stringeque hahenis, Sic po-
teris forsan peragrare viam lutidentam Dudo, De act. Norman,
s. 67); der fürst verschenkte also den Inhalt der taschen-) und
das riemenzeug dazu und zum riemenzeug die pferde.
1) Belege: Walther 27,7; MF22, 1; Winsb.37, 1; j. Tit. 1296. 1915
Beliaud 2874; Fasn. 504, 30. 480, 24; Parz. 313, 4; Berth.330,24; MSH 2,64 b
3,24a. 3,297a; Reinm.v.Zweter 241, 1; Marner 12,18; MSH 2, 339b. 2,229a
2, 172a; Seifried Helbl. 2, 1174. 9, 54. 2, 680. — Spielmannsdichtung: Orend
(Ettm.) 5,26; Eol. 2331. 8863. 8870; Eoth. 1454. 1493. 1589. 3818. 3988,
4088; Oswalt337. 1160. 1856; Salman 229, 3. 301,4. 307,3. 700,4. 783,3;
Ernst 2,3949; Alex. Strassb. 4020. 4047. 5551 (Piper, Spielmannsdichtung
1, 65). — 30000: Vor. Alex. 1215; Orend. (Ettm.) 9, 16 16, 13; Orend. (Hagen)
2413. 2610. 2928; Eoth. 3622. 3633. 5031; Ernst 2, 1439; Salman ;j8, 4 (Piper).
Walther 19,21; MSH 3, 94a. 2,357a. 30000 pfund silber betrugen Barba-
rossas einkünfte aus den ital. Städten (Waitz, Verfgesch, 8, 377); 30000 pfund
verspricht Inuocenz auf der lateran. synode von 1215 für den nächsten
kreuzzug.
-) Das könnten natürlich auch reisetaschen sein, wenn auch Schön-
bachs behauptung (Zs. fda. 39, 346), der herzog sei nicht in Wien zu hause
10 TV ALLNER
25, 39 ez engaU da nieman siner alten schulde. Doppel-
sinnig, wie es Walthers sclilusspointen meist sind, meint diese
scheinbar allgemein die herbergsscluilden der fahrenden '), ^väh-
rend sie eigentlich — an bon enteudenr salnt ! — anf ein per-
sönliches Zerwürfnis zwischen Walther und dem herzog anspielt.
28,80 (76,90).
wan mngens in raten daz si läzen in ir kragen
ir valscbe gelübde oder nach gelübde niht versagen,
lind geben e deme lobe der kalc werde abe getragen.
Mit recht weist Wilmanns die beziehnng auf ein bauwerk
('tünche' Wackeruagel, Pfeiffer) wegen des unpassenden aus-
di'ucks ahe getragen zurück; er versteht — nach einer an-
deutung im DWb. — Jcalc als schminke. Aber passt denn
dazu der ausdruck besser? Man kann schminke wol 'auf-
tragen', aber doch nicht 'abtragen' (vgl. DWb. 1, 141). Hier
ist nur ein wort möglich: ahe getivagen. Ygl. Walther 4,29
mit sinem bluot er ah uns twuoc den ungefuoc den Even
schulde uns hruhte; weitere belege s. in den wbb.^) Zu dem
leichtbegreiflichen Schreibfehler vgl. Heinrichs von Freiberg
Legende 778 tvan man dar inne ivuosch und tivuoc (hs. truoc)
iegliches Juden töten lip. Weisse schminke wird oft erwähnt:
'\\'alth. 111, 12 Selpvar ein icip, äne ivis-röt, ganzlicher stcete,
ungemälet; Trojanerkr. 14001 noch ivlzer denne ein hridenmeP)
schein ir glänz geverwet. Das kann bei Walther mit Jude ge-
meint sein (vgl. das engl, chalc 'ki'eide').
gewesen, ein irrtnm ist ; seit Heinrieh Jasomirgott residierten die Österreich,
herzöge in "Wien.
') Vgl. Colin Muset: g;^.^ ^^^^^^^ ..^. ^j^j.
Devant tos, en vostre oste;
Si ne m'aves riens done,
Xe mes gages acquite,
C'est vilenie.
*) Schmeller (2,1175) citiert: Pflästerl und anstrich dö lassen mi
geJm, derf mi nä anszioagn, so bin i schan sehen, singt Margreth (Liuder-
mayr s. 51).
^) Da hekreiden 'fucare vultum' bedeutet und streichen vom schminken
gesagt wird, so erklärt sich der dem DWb. dunkle sinn von krcidenstrcicher
(Geiler: der ein klaht fäden, der streicht kryden Xarrenschiff 100, 8) von
selber; ebenso der vers im kinderlied (Simrock no. 100) : die ziveite schnätzlet
(oder schabt) chride.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 11
Damit ist aber der sinn der zeile noch nicht klargestellt.
Kann der dichter sein lob selbst als aufgeschniinkt, als falsch
hinstellen? Ist die androhung einer schelte nach dem Zusammen-
hang zu erwarten? Der spruch wendet sich ja — wenigstens
scheinbar — nicht gegen den hei-rn, sondern gegen seine be-
rater. Diese sollen ihm raten, entweder nichts zu versprechen
oder zu geben e äeme lohe der Jcalc tcerde ahe (jetwagen^)
Trügerisch geschminkt war nicht des Sängers lob, sondern
des herrn geheiss (von gcschminlder giinst redet noch Opitz
1, 107); Jop darf hier nicht als 'laudes' verstanden werden,
sondern als 'votum'.
Mhd. lohen heisst sowol Imidare als spondere (auch sub-
stantivisch ^das versprechen' Pass. 496, 53): Siver mir icaz
lohet, unde mir daz liuget, tvie üzer ahte sere er sich seihen
triuget Kelin, MSH 3, 22 (2); man sol den tören lohen golt,
und leisten steine Eümzlant 3, 60 (28). Lohcere ist laudator
und confessor-^ lohlich, laudahilis und sponsalis'^); lohetanz =
gelohtanz DWb. 6, 1084. Man darf daher auch für das simplex
lop beide bedeutungen erwarten. Das DWb. (6, 1078) belegt
es 1) als 'gelöbnis': iecUches gevangenen tat und loh en sal
durch recht nicht stete sin, daz her hinnen dem gevanhiisse
gelohet Sachsenspiegel 3, 41, 1; 2) als gegenständ des Ver-
sprechens: da reit TJlenspiegel hin iveg und hracht von dem
Idinig das loh (das geschenk, das der könig ihm verheissen
hatte) Ulensp. 24, 5. 33.
Als 'geheiss' braucht Walther das wort 35,2, als 'ver-
heissenes' 105, 30 und 36; welche bedeutung kommt ihm hier
— 28, 30 — zu? Versteht man halc als 'schminke', so muss
man lop als 'geheiss' verstehen {ir valsche gelühde). Aber
auch die bedeutung 'verheissenes' ist nicht ausgeschlossen,
denn die lesung ahe geticagen erlaubt auch die beziehung auf
einen bau. Vgl. Arm. Heinr. 789 ze dem ivil ich mich ziehen
(zu dem hof e des himmlischen bräutigaras) und solhen h ü fliehen,
den daz fiur unde der hcigel sieht und der tväc ahe tiveht.
1) Swer ja spricht unde schiere ez tuot, dericird in eren grä, sagt
der Sunnenburger in einem Spruche, der das gleiche thema behandelt, MSH
3, 73 (26).
2) Hierher beziehe ich auch die kirchlichen ausdrücke löblicher tag
dies celebris, lobliche zeit festum celebre, DWb. 6, 1089.
12 WALLNER
Man brauchte deswegen nicht gleich das lop als ein haus zu
deuten und etwa den sprach mit dem in C folgenden Ich hän
min Wien in Zusammenhang zu bringen. Mir ist für Imlc die
bedeutung 'schminke', für lop die bedeutung "geheiss'') am
wahrscheinlichsten, wenn auch Bruder Wernher, der öfters mit
Walthers kalbe pflügt, die mit doppelsinn schwer belastete
zeile als bild vom bau verstanden haben mag (MSH 3, 16):
Da ich ein lop erniiiwen sol, flaz äue dach so mauigeu tac
gestanden ist und äne hant, ja wsen ich ez iemau rehte mac
gerihten, als ob sin von jugent mit vlize wtere vil schone gepflogen.
Da im die siule siut worden vül unt daz die rennen sint en zwei,
und ez din schände durchvlozzen hat, da stet min vlicken vür ein ei.
swaz ich im niuwer nagele sla, wir sin damite doch gar betrogen ...
Vgl. auch Sives loh vernagelt ivird, das niht ein meister
lüesen ]:an Bruder Wernher 2, 231b.
Schliesslich sei noch auf einen scheltspruch des Unverzagten
(MSH 3, 44) hingewiesen, der anklänge an den AValtherspruch
entlialt: -£i^ creatiure ist äne schäme,
daz kan den herren ere stein
unt hat doch selber ere niht.
Daz im diu zunge sin erlamel
sine kan sich selben niht verheln,
die geste man sie spotten siht.
Sin ja bediutet oft ein nein
und machet manigen hof unrein,
der wol mit ereu möhte stän.
ir herren, weit ir lop eupfän,
so lät den schalk von oren gän.
29, 14 (76, 101). sivä man daz sxnirt, ez leert sin hant und
wirt ein swaliven zagel. Die Vermutung s?a;2^CM^rt^ß^Zs. fda.
40. 335) halte ich nicht mehr für richtig; jeder der vorher-
gehenden verse enthält eine abgeschlossene antithese, keiner
greift auf den nächsten über. Die letzte zeile bezieht sich
zusammenfassend auf das im eingang des Spruchs genannte
seltsmnc hunder. Man darf in ihr den schluss der antithesen-
*) 28, 29 So valsche geheize und nach geheize versagen A ; tr valsch
gelühde C. Dies halte ich für echt. Es sollte dem Verständnisse von lop
auf den richtigen weg helfen. Der Schreiber von A hat das ungewölmliche
wort durch das üblichere ersetzt, wie auch Pfeiffer sich dazu eutschloss,
nachdem er schon gelühde eingesetzt hatte; wenigstens ist dieses wort im
glossar zu '39,9' stehen geblieben.
zu WALTHER TON DER VOGELWEIDE. 13
reihe erwarten. Was ist dann der kontrast zu dem Vorder-
satze swd man daz spürt? Offenbar ist an eine Jagd gedacht
(vgl. siücr vert ze ivalde spürn, so der sne zergät MF 21,14;
tilgende spurt er sam daz tvilt ein naseiviser &rac/ieMSH2,333b).
Somit erhalten wir: wo immer man dies Wundertier aufspürt
— ez Mrt sin liant^) — und wirt ein sivaltven zagel. Das
kann in diesem bilde nur heissen: man sieht es eben ent-
Avischen, man gewahrt nur noch den schwänz der fortschies-
senden schwalbe. 2) Eine schwalbe ist aber kein jagdwild,
wenn man schon den ausdruck spürn für einen vogel zugeben
wollte. Auch darf man nach den vorhergehenden durchaus
sprichwörtlichen redensarten auch hier eine solche vermuten.
Es gibt nur eine, die hier passt: quand on parle du loup, on
en voit la queue; auch deutsch: ive7in man den tvolf nennt, so
sieht man seinen sclnvanz Simrock 11805 a; noch näher steht
unserer stelle: als gij den tvolf ziet, zoeh nit meer naar zijne
voetstappen Wander 5, 371. Das zeigt wie mit fingern auf
den ursprünglichen Wortlaut: und wirt eins wolves zagel.
Auf der suche nach der genauen Überlieferung fand ich
in Wilmanns' apparat eine versteckte notiz: 'Bech vermutet
eins u'olves zagel und verweist auf Altd. bll. 1, 11, 19 inde lupi
speres caudam, cum videris aiires Pfeiffer.' Es ist begreiflich,
dass Bechs vorschlug in dieser fassung, die kaum mehr als die
graphische Ähnlichkeit geltend macht, weder Pfeiffer noch
Wilmanns einleuchtete. Wer aber auf dem wege unserer
erörterung dazu gelangt, wird seine richtigkeit nicht bezweifeln.
Der elenden Überlieferung in C, die in v. 11 tvarn (1. warm),
in V. 13 snahel (1. Jiagel) bietet und obendrein den sprucli um
eine zeile bereichert {sin valscheit tuot vil manegem dicke leit),
ist der lesefehler ein swaliven zagel ohne weiters zuzutrauen.
^) Ueber den sinn des ausdrucks kann kein zweifei sein: e ich die
hant umh leerte Erec 5172; als lange, als ein hant mac umbe geJceret werden
Barth. 1, 30, 3-i ; nimoen als lange als einz sine Jumt mähte umhekeren BerÜi.
1,388,28; e man die hant gewende Trist. 13790 (Zingerle, Germ. 11, 17G) ;
en un tourne main, tour de main, 'im handumdrehen'.
2) Sie vlingct hin und schiuzt her wider, du diep, du diep! sie schriet.
Her loterritter, diz ist imoer art Meissner 3, 109 (20,2); Diu sivaletve vehet
mucken mir den valken, des si baget, den ertvluc unt den swippersweif kan
si baz Heben Mmzlaut 2, 3G9b; Einr snellen swalwen vluc Kauzler 2, 388.
14 Wallner
31, 13 f. (75,161).
Ich hän gemerket von der Seine nnz an die Muore,
von dem Pfade nnz an die Traben erkenne ich al ir fuore.
Nordalbingien stand von 1202 — 1225 unter dänischer lierscliaft,
so dass Waltliers besuch vor 1202 oder nach 1225 fallen müsste;
dadurch wird dieser besuch etwas problematisch. Aber nehmen
wir ihn als gegeben: wenn denn Walther die nordgrenze seiner
fahrten bezeichnen und dabei seinen zuhörern kein rätsei auf-
geben wollte, so musste er das meer oder die Elbe nennen
(vgl. Xeidhart 93, 15 von der Elbe unz an den Pfät) statt des
polabischen flüsschens, von dem in Mittel- und Oberdeutsch-
laud kaum jemand wusste. Seine Zeitgenossen hätten ihn sonst
ebenso missverstanden wie noch ühland (Sehr. 5, 65); denn
sobald neben der Muore die Treibe genannt wird, denkt doch
jeder zunächst an die Drau, und nicht an die Trave, auch
wenn er diese kennt. Oesterreichs flussnamen waren natur-
gemäss auch weiterhin bekannt; citiert doch selbst Yeldeke
die Save: diu scJicenest und diu beste fromve zivischen Boten
und der Soinve MF 56, 10,
Walther redet aber gar nicht von den äussersten grenzen
seiner Wanderungen, sonst hätte er als ostgrenze wol March
oder Leitha genannt, sondern er zieht seine linien (um Uhlands
ausdruck zu gebrauchen) von je einem ausserdeutschen flusse
her uider (56,39) zu den Aussen seiner nächsten Umgebung
Mur und Drau.')
Die hs. A, die allein hier ungestörten Zusammenhang zeigt,
überliefert unsern spruch in unmittelbarer nachbarscliaft(str. 64.
65. 66) der Kärntner Sprüche 32, 17 {Ich hän des Kerndceres
gäbe dicJce enpfangen) und 32, 27 {lehn weis wem ich geliehen
') Ich hebe die namensformen aus, die Zahns Urkundenbuch des herzog-
tums Steiermark für die zeit gewährt: iuoda Traam a. 1202 (2,78); ultra
Urahwan a. 1207 (125); ttsque in Träumern fluuimn a. 1222 (275. 276); iuxta
pontcm IJrawe a. 1225, in einer urk. des Patriarchen Berthokl von Aquileja
(321). Die belege erweisen die lesart die drahe (BC) als echt. Das masc.
{den treben A) findet in der form Travus keine stütze, da diese nur in
Verbindung mit fltivius erscheint. Zu dem Wechsel von w und b vgl. Traha
a. 1265 im Eationar. Styriae (Oesterley, Hist. geogr. wb. s. 134). Für den
namen der Trave bietet Oesterley von 961 — 1234 die fonn Travenna, die
Lachmauns belege aus Helmold Travena und Trabena weitaus überwiegt.
zu TVALTHER VON DER VOGELWEIDE. 15
muoz die hoveheUen). Am Kärntner liofe — wenn nicht bei
Liupolds lioftag in Graz 1221 — wird der sprucli gesungen sein.
32, 7 ff. (75, 131). 'Von diesem, allerdings bisher noch nicht
ganz aufgeklärten gedieht findet sich in der Zs. fda. 40, 338 ff.
eine Interpretation, die durch ihre wahrhaft schändliche mon-
strosität alle mir in dem germanistischen fach bekannten exe-
getischen torheiten weit überragt.' So beginnt ein exkiirs in
K Burdachs Walther von der Vogelweide s. 297 — 801. Die
schändliche monstrosität meiner deutung besteht darin, dass
ich herrn Walther eine ähnliche äusserung zugetraut habe,
wie sie Goethe dem herrn von Berlichingen in den mund legt.
Wehe dem philologen, der einstens, aber in siebenhundert
Jahren, den authentischen sinn dieser Goethestelle errät! Er
wird gewiss auch seinen Burdach finden. Die weitern aus-
lassuugen lese man a.a.O. nach; ihre widergabe verbietet schon
die würde dieser Zeitschrift. Aber von Burdachs sachlichen
einwänden, die zeigen wollen, 'wie haarsträubend unmethodisch
die erklärung ist und wie gröblich sie der elementarsten kenntnis
der mhd. bedeutuugslehre, der metrik und grammatik in das
gesicht schlägt', von diesen einwänden will ich wenigstens die
hier mitteilen, die vor fachgenossen eine antwort verdienen.
1) ^sizstöllen ist eine accentverletzung, die dadurch, dass
sie die bedeutungsvolle, haupttonige erste Stammsilbe eines
nominalcompositum am versschluss herabdrückt, bei Walther
ohne jede analogie ist.'
Walther hat am versschluss suontac 95, 7, Dietrich 82, 11,
Laträn 34, 16, volmezzen 11, 15. Wer diese belege durch an-
nähme einer volleren form {suonetac, Dieterich, Lateran, volle-
mezzen) beseitigen will, der muss doch ahgrmide 3, 12, urspringe
7, 3G, eilenden 44, 15 und alle Zusammensetzungen mit un- {nn-
h-isten 77, 18, undanc 117, 31 u.s. w.) gelten lassen. Jeden nur
möglichen einwand aber schliessen aus die wie sizsiöllen be-
tonten nominalcomposita Gcrhrehte ( : rehte) 33, 22, mundsen
A,C (: iinivisen) 11,24 und menvunder {: drunder) 38,2.^) Hat
Burdach alles das wirklich nicht gewusst?
^) Ueberhaupt dürfen wir weder unsere nlid. betouung der composita
ohne weiteres auf das mhd. übertragen, noch alles über den leisten des
germau. accentes schlagen (vgl. darüber Kluge, Litbl, 27, 397). Die ver-
16 WALLNER
2) ^schalkheit heisst im mlid. niemals ^gemeiner streicli',
und der bestimmte artikel ändert nicht im geringsten die
sonstige bedeutung des Wortes : knechtische, d. h. niedrige
moralische gesinnung, hinterlist, bosheit, namentlich verräterei,
angeberei.'
Die behauptung über den bestimmten artikel oder viel-
mehr das dem. pron. bedarf keiner Widerlegung und die über
schalkheit ist leicht widerlegt. Die bedeutung 'possen, ge-
meiner streich' ist für schalkheit ganz gewöhnlich: ^schalkheit,
hinterlist, hinterlistiger streich' Schmeller 2, 412; 'arglistige,
böse äusserung oder tat' DWb. 8, 2079; eine schalkheit aus-
richten, tun, einem antun ist oft zu belegen, vgl. DWb. 2080.
Ich füge zu den beispielen der wbb. noch: Steinhöwel Decam.
401, 26 Nun hat sich gefüget das zuo solicher rede ztven jung
gesellen in die kirchen konien waren . . . vnd sich des engeis
federen halben berieten im eyn schalckheit ze thuon. {Sie be-
schlossen, mit dieser feder ihm einen streich zu spielen Deutscher
Decam. von 1782 ff. 2,191). Der nebensinn 'gemein, niedrig'
ergibt sich für die ältere zeit von selbst aus der grundbedeutung
schiedene eiuwirkiing des ersten compositiousgliedes auf die bedeutung des
zweiten kommt auch in der accentuierung zum ausdruck, so dass bald das
erste, bald das zweite den hauptton trägt. Dadurch ist falscher aualogie
ein weiter Spielraum geschaffen und die Verwirrung greift im altdeutschen
um so leichter um sich, als der nebenton damals weit stärker war als
heute. Ulrichs Frauendieust müsste streckenweise wie ein gedieht von
Hans Sachs Avirken, wenn man die eigennameu nach moderner weise be-
tonen wollte. Auch Walther weicht der versetzten betonuug in eigen-
nameu nicht aus: Walther, du zürnest äne not (warum nicht Die zürnest,
Wülther, äne not?) 100,33; ebenso 24,34. Vgl. auch Beimär 82,29; Uu-
pölt 32, 5 (B). 35, 17(A); Liupöltes 84,13. Die ausnahmen, die Wilmanns
bei den compositen annimmt, sind oft recht zweifelhaft ; statt jünghcrren
80,24, ümeizen 13,28 würde ich lieber lesen ^int alte jungherren für eigen;
daz loir vil tumben mit der ämeizen niht rungen (vgl. D. weit lohn 220
vliegen und ameizen; Parz. 410, 2 ämeizen : gereizen; Renner 19317 diu erde
ameizn und hinen gehirt; nhd. belege bringt Kluge, Litbl. 27, 398, anm.);
statt ülmuos7iä're 10,28 eher almüosenwre (almuos(:enereB,C); vgl. Gregor.
1174; almuosen : buosem Wernh. Mar. 39; Troj. kr. 165 c. Statt das ganz
vereinzelte ünsümic 85, 2i zuzugeben , würde ich eher smne für sümnnge
vermuten (so auch Pfeiffer, der auf Wernh. Mar. 3G7 verweist, wo gleich-
falls die junge hs. A das sütne ( : tübe) der altern D durch sümnnge ersetzt).
Fest aber ist die betonung lüntgräve, was sich aus der notwendigkeit der
differeuzieruug von murcgruve und phalzgräve leicht erklärt.
ZV WALTHER VON DER VOGELWEIDE, 17
des Wortes. Auch für die luiance, die dem worte an der
Waltlierstelle zukommt, fehlt es nicht an belegen. Als ab-
stractum bezeichnet schalkheit nicht selten den g-egensatz zu
zuJd: mit suJit, mit hunst mac man nü niht erwerben; diu
schalkheit hat gesiget, zuht ist vertriben gar Meissner (MSH
3, 390b (vgl. AValth. 32, 9 f.). Die Zuht sprach: 'vrou Schalheit,
ivol hin clräte!' Seifr. Helbl. 7, 807. Als concretum bezeichnet
es dann naturgemäss eine zuchtlose äusserung') oder tat: .90
ist diu iverde schäme trüric, ivä man schalkeit triben ivil
Friedr. v. Sunnenburg MSH 3, 74 (33); si wären hovelich unde
gemeit und hunden niht mit schalkeit, sagt Helmbrechts vater
von den rittern der alten zeit, Helmbr. 921. In diesem sinne
ist das wort an unserer stelle gemeint: als 'Ungezogenheit' im
gegensatz zu hövescheit, concret als 'gemeiner streich'.
Bei dem vergeblichen bemühen, dem spruche einen ihm
zusagenden sinn abzuquälen, kommt Burdach auch auf den
einfall, ihn vor 31, 33 anzusetzen, und stellt die übliche reihen-
folge als eine Willkür von Wilmanns hin ('Wilmanns hat sich
zu seiner anordnung bestimmen lassen...'). Nun sind die
beiden Sprüche bekanntlich sowol in A (str. 62. 63) als auch
in C (str. 323. 324) in dieser folge überliefert. Ist das nicht
ein eigentümliches verfahren? Es zeigt — in Verbindung mit
punkt 1) und 2) — dass in Burdachs wissenschaftlicher polemik
ton und methode einander würdig sind.
Meine deutung ist nicht anmutig, das gebe ich zu; aber
hat sich die forschung darum zu scheren? Sie fragt nur
nach der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit. Und deshalb
habe ich — unbekümmert um alle prüderie — die Vermutung
einst geäussert und halte sie auch aufrecht.
Die Sprüche 31, 33 und 32, 7 gehören aufs engste zusammen
und die richtigkeit der überlieferten abfolge beweist schon der
eingang von 31, 33 In numme dumme, ich ivil heginnen.
Der dichter will in schärfster weise mit der ihn verhöhnenden
hofgesellschaft abrechnen; ich hän wol und hovelichen her
') Vgl. si az gerne mit itne pohen dem tische, üf daz die herren und
daz gesinde ire schalghaftigen ('schmutzigen') reden Uzen D. Myst. 1, 243, 40
und Boners Edelstein 27, 24 daz diu zunge ist schalkheit vol; .S.pieg. der
tug. 19 vliz dich schoencr gehcere, sage niht schuUces maive,- wis bederbe unt
ivol gezogen. Vgl. auch Boehmer, Cod. dipl. Moenofraucof. 1, 751 (a. 1377).
l^eiträge zur geschickte der deutschen spräche. XXXlll. 2
18 WALLXER
gesungen, mit der hövescheit bin ich nü verdrungen, daz die
unJiöv eschen nü ze hovc gcncenier sint dan ich. Nicht über
angeberei klagt er also, sondern über das zügellose betragen
der höflinge gegen ihn. ') Ihre Verhöhnung findet sogar den
beifall der lierschaft; aber daran will der dichter nicht glauben:
herzöge uz Osterriche, färate nu sprich: dun wendest michs
alleine, so verJcere ich mine zungen.
Der bescheidene und geschickte appell an den herzog war
aber vergeblich. 'Nun will ich mich sättigen an scharfer
weise!' ist Walthers antwort. 'Ich sehe wol, dass man herren-
lohn und frauenguust mit rohheit (geivaltecUch) und unzucht
{ungezogenUch) erwerben muss: sing ich meinen höfischen sang,
so lila gen t siz st ollen.' Die rohheit und Ungezogenheit seiner
Zuhörer besteht also darin, dass siz stollen Idagent.
Wie der vater Gleim den opferstock (34, l-I) für einen herrn
Stoc hielt, so sah Bodmer in stollen einen herrn Stolle; darüber
kam man nicht mehr hinaus. Lachmann dachte an einen
'geistlichen rat landgraf Ludwigs' (ist das der niederschlag
eines vergeblichen experimentes mit stöle?); Bodmers 'elenden
scribenten' wies er höhnisch ab. Trotzdem lebt dieser als
«bürgerlicher kunstgenosse Walthers' noch heute fort, v\'ahr-
scheinlich weil es einen spielmann namens Stolle gibt. 2) Man
erwäge nur, in welche Widersprüche diese annähme hineinführt.
Wenn die zuhörer diesem Stolle Walthers höfischen gesang
'klagen' — man weiss nicht, weshalb er nie zugegen ist —
so ist das weder eine Ungezogenheit noch eine rohheit. Oben-
^) die mich eren sollen die unerent mich hs. B.
^) Stollen den hoc mit sänge beklagt Rubin (MSH 1, 31b) als tot neben
Reinmar, "Walther, Neidhart und Bruder "Wernher. Wackeniagel (zu Sim-
rock 2, 16i) sah in dieser Charakteristik eine anspielung auf die Walther-
stelle. Nun hat Stolle einmal viel später gelebt, da er den herzog Mein-
hart von Kärnten um 1290 feiert, und dann ist Wackernagels deutung des
epithetons kaum richtig. In der bildersprache der spätem spieUeute ist
der bock das symbol hohen strebens: mit krancMialse kan er tcol steigen,
unt mit strüzes ougen sehen, mit luhses oren riinen, spchen, Steinbockes
tois kan er tvol berge stigen sagt Reinmar v. Zweter MSH 2,210 (186a)
vom Älainzer bischof. Dasselbe bild schwebt dem Meissner in dem Spruche
an Otto V. Brandenburg vor MSH 3, 107 (8) ho klimm ic an der wirdikeit
ist sin lip. Rubin Avill also wol sagen, Stolle 'der boc mit sänge' habe die
höchsten hüben seiner kunst erklommen.
Zu WALTDER VON DER VOGELWEIDE, 19
drein würde sich Waltlier mit seiner entrüstung- an die falsche
adresse wenden; er müsste doch diesen Stolle selbst vornehmen,
wie in 18, 1 hern Wicman oder Volcnant. Wir erfahren aber
gar nicht, was er ihm eigentlich zu leide tut! ^Vas immer in
der stelle stecken mag, ein eigenname Stolle ist ausgeschlossen.
Ebenso sicher ist, dass sie etwas arges andeutet. Gienge das
nicht schon aus ihrer einleitung hervor, so würde Walthers
antwort darüber keinen zweifei lassen: 'Wahrlich, ich gewönne
auch leicht knollen: da sie die gemeinheit wollen, so mach ich
ihnen den kragen voll!'') Ich habe Seifrid Helblings Ver-
wünschung der tiuvcl schue iu in den l-ragen! (5, 107) an-
gezogen. Woher diese Vorstellung stammt, zeigt die Visio
Philiberti (285): Quidam (diaboli) os stercoribus suis impleve-
runt. Es ist eine höllenstrafe, und Seifrids fluch bedeutet:
fahrt zur hülle! Diese Verwünschung schleudert Walther —
149, 59 — an die gleiche adresse wie in 32, 7 : du snoKlez vajs
unreine, ivol hin dem tiuvel in den munt, während der meister
Stolle (MSH 3,7a) derb wie Seifrid Helbling flucht: ivol hin dem
tiufel in den ars! Dass auch Walther das uuhöfische wort
nicht scheut, zeigt der bekannte vergleich 18, 10, in der gleichen
Situation gebraucht, wie 32, 7.
Solchen gegnern {snarrenzceren 80, 33 und hovehellen 32,27)
fährt Walther immer grob über den drüszel (103, 34) und schont
auch hern Gerhart Atze nicht (im gent diu ougen um als einem
äffen 82, 10). Aber die gesellschaft spielt ihm auch übel genug
mit: Hie vor dö loas diu ivelt so schcene, nu ist si ivorden also
hoene (23,32); nü hin ich alt und hast mit mir din gampel-
spil (vgl. 195, 90); ist mir das zorn, so lachest du (67,12).
Das jüngste gericht wünscht er dieser hofgesellschaft an den
hals. 'Wenn das nicht anders wird', ruft er wider ganz ver-
zagt, 'so will ich mein leben fristen, so gut es geht, und mein
Sängergewerbe aufgeben' (91,14). Langmütiger als ein klausner^)
duldet er so manege unfuoge (62, 8), aber es hilft ihm nichts:
Owe daz mir so maneger missehieten soll das Mage ich hiute
^) Das übersetzt Burdach: 'Anch ich kann, wenn es nicht anders geht
und man mich dazu zwingt, meine ideale verleugnen, den höfischen ton
aufgeben und wie ein bedienter mich den schlechten Instinkten anjjasseu
(d.h. zu singen wie Neidhart von Reuental).'
') Vgl. Seifr. Helbl. 2, 1396 Einen gräioen münich möht ez müen.
2*
^Ö WALLNER
und icmer rehier hövescJieit. Zögernd schickt er sicli zum
sclieiden an; des pjlac ich von kinde gerner denne ieman,
scherzt er wehmütig, um schliesslich — doch wider zu bleiben:
ivenne da2 ich gerne hi in hin, daz ist der schade: ich hin oc
gerne da. des mnoz ich misschieten liden (184 f.). Aber auch
diese Selbstverleugnung rettet ihn nicht immer: die schame-
lösen, liezen si mich äne not, son hcet ich tveder haz noch nit.
nü muoz ich von in gen, also diu zul.t gehot: ich läze in lasier
unde strit! (64,4). Wir sehen hier deutlich hinein in das
elende leben des spielmanns. Oft ein lästiger gast, sucht er
durch bitte und drohung sein plätzchen am feuer zu behaupten,
wahrt seine würde so lange es geht, und gibt sie preis, wenn
die harte not ihn zwingt. Besonders die hofjugend nimmt ihn
zur Zielscheibe ihres Übermuts: der jungen ritter zuht ist snial:
so pfiegent die Imehte gar unhövescher dinge, mit tvorien
und mit iverken ouch: siver zühte hat, der ist ir gouch.
Prügel wären für diese hofjugend, die alte leute verspottet, die
richtige strafe (23, 31 ff. 24, 3 ff.).
Wer zweifeln möchte, dass rohheit und unfiäterei die
hauptwaffen seiner Widersacher waren — gegen die in 32, 11
angedeutete imhuhescheit in gesellschaft schreiten sogar behörd-
liche Verordnungen ein — der lese nur die für den verkehr
der vornehmen gesellschaft im mittelalter sehr lehrreiche
Zimmersche chronik und er wird auch vom 13. jh. eine weniger
ideale Vorstellung bekommen. Diese hofgesellschaft sieht
Walthern mit denselben äugen an wie etwa Seiirid Helbling
die lotersinger, die an der herren tische treten: Einen loiren
ariveizwisch Goih ich niht umh ir aller hunst. Niht tveiz meister
Piüehentunst, Waz im riuchet üz der hlater etc. Helbl. 2, 1296.
Zu hlater vgl. Lexer 3, 619. Derlei spielmannsnamen, llüehen-
tunst und Chunrad dictus Plaeterle fistulaior (bei Schönach,
Zs. fda. 31), legen nahe, in Seifrids worten eine landläufige
Schmähung der spielleute zu sehen, die vielleicht von ihrem
gewerbsmässigen schelten den ausgang nahm (daz mich ir
schelten stinket an MSH 2,205 a; ich was so volle scheltens daz
min äten stanc W^alth. 29, 2). Der obscöne spott in 32,11
hätte dann einen bestimmten sinn: ein spielmann sei niht
minnesanges wert! Denn nur gegen Walthers minnesang
{sine ich minen höv eschen sanc) wird demonstriert. Vgl.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 21
darüber die erörterung- zu 66. 21, die auch diesen sprach erst
in die richtige beleuchtung rücken wird.
32, 27 (75, 101).
lehn weiz wem ich geliehen muoz die hovebellen,
wan den miusen, die sieh selbe meldent, tragent si schellen.
Vgl. ]\Ieissner, MSH 3, 90 (11):
Ich wolde, daz den argen hienge ein schelle
vor an der nasen, din da klünge helle,
da man sie bi erkente, seht, daz wsere ir reht.
84-, 4—23 (75, 51—70). Zur einsetzung von Älmän in 34, 7
wurde Lachmann offenbar durch metrische rücksichten bewogen.
Da der Schreiber von A das wort nicht versteht — vielleicht
schreibt er sein almar gar im hinblick auf die darnach er-
wähnten hasten — so kommt nur die lesart von C allaman
in betracht. Sie gehört in den text, da der ausdruck doch
italienisch sein soll und die italienische form Älamani ist
(vgl. Waitz, Verf gesell. 5, 129, anm. 5). Auch die betonung des
verses gewinnt dadurch: er gilit: ich hän ziven Allaman minder
eine liröne hräht.
Die beiden Sprüche gegen den opferstock werden einhellig
in die jähre 1212,13 gesetzt, eine datierung, die auf ühland
zurückgeht. Die päpstliche Verordnung wegen des opferstocks
wurde in Deutschland nach dem Chron. Urspergense (Delatce
fuerunt istae litterce anno Domini 1213, tempore paschali) ostern
1213 verkündigt. Sind Walthers Sprüche in dieser zeit möglich?
Am 18. märz 1212 begrüsst er Otto auf dem Frankfurter
hoftag, bringt ein wort zu gunsten des Meissners vor und
mahnt den kaiser zum kreuzzuge. In drei weitern Sprüchen
desselben tones wendet er sich gegen den bann, den Innocenz
über Otto verhängt hatte. In diese zeit gehört auch die für-
bitte für den landgrafen (105, 13), die vielleicht im mai auf
dem Nürnberger hoftage vor den kaiser gebracht wurde. Auf
diese Sprüche mögen sich Walthers beziehungen zu Otto, der
ja von 1209—1212 in Italien abwesend war, überhaupt be-
schränken. Warm war das Verhältnis gewiss nicht; es fällt
kein rühmendes wort für die person des kaisers ab, der sänger
tritt nur für dessen recht und würde ein. Die frühere Partei-
nahme Walthers für den Staufer Philipp mochte auf beiden
Seiten befangend fortwirken: nie hatte Wather für einen so
22 WALLNER
kargen lierrn wie Otto gesungen: tvand ich so rcJite hcesen
hcrrcn nie gcwan (26, 31). Im aiigust d. j. erscheint der junge
Staufer in Deutschland, Ober- und Mitteldeutschland fällt ihm
ohne schwertschlag zu: des Jcäneges (wären) edle wo, daz in
tvcere ivider Txomen daz gcslelite daz in ivas henomen (Kaiser-
cliron. anh. I). i) AVen nicht alte anhänglichkeit an das stau-
fische haus auf Friedrichs seite zog, den gev/ann seine ver-
schwenderische freigebigkeit (vgl. Winter, Zeitalter der Hohen-
staufen 2, 214). Im december ist er gewählt und gekrönt, zu
anfang des nächsten Jahres geht auch die reichsministerialität,
mit alleiniger ausnähme der weifischen, zu ihm über. Niemand
denkt mehr an einen glücksumschwung zu gunsten Ottos. Und
Walther soll zu ostern 1213 noch bei ihm gewesen sein?
Wahrscheinlicher ist, dass er unter den allerersten war, die
sich zu Friedrich schlugen.-) Hier war ihm die erinnerung
an die alten Sprüche eine empfehlung, auf die hinzuweisen er
denn auch nicht unterliess (26, 23). In dem Spruche 26, 33
vergleicht er die freigebigkeit der gegenkönige mit ihrer
leibesgrösse: Nu seht ivaz er noch tvahse! scherzt er mit bezug
auf das chint von Füllet), wie man Friedrich im j. 1212, als
er zu dem gefährlichen unternehmen über die alpen gieng, in
aller weit teilnahmsvoll nannte.
Aber angenommen, Walther hätte sich nach ostern 1213,
als Otto in Ober- und Mitteldeutschland allen anhang verloren
*) Drastisch aber richtig stellt dieser auhaiig zur Kaiserchronik (447 ff.)
die ereignisse dar: der chaiser Jieie groezer chraft, doch wart daz chint
sigehaft gar äne swertes slac: diu gunst dem chint die menge tcuc. so der
chaiser fürhaz rait, das tvas dem chinde niht ze lait. er fuor da er tvas
gelegen, alsus veririben si den degen. Die herren von dem chaiser riten,
des jungen si chüme erhiten, der chaiser uine heJaip — wie unmderlich
man in vertraip!
'■') Man pflegt Walthers 'abfall' noch immer 1215/16 anzusetzen, wie
Lachmaun tat, weil der dichter Friedrichen den königstitel gibt. 'War
Friedrich denn nicht von PüIle Jcünec (28,1)? War er nicht 1196, 1211
und 1212 zum deutschen könig gewählt und im letzten Jahre auch gekrönt
Avorden? Man wird doch nicht glauben, Walther habe ihm den königstitel
vorenthalten, so lange er nicht in Aachen gekrönt war!
') Frid. qui infans Äpulie, quta iuvenis erat, tunc appellahatiir Rieh.
Senou. 3, 19; Bot Fedric, qui enfes estoit, qni puis fu apelez cn mains lues
li Enfez de Fuille Cont. Guill. Tyr., Rec. des crois. 2, 234 (Winkelmann
2, 335, aum., mit weitem belegen).
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 23
hatte, noch an seiner seite befunden und hätte auf sein gelieiss
die Spruchpfeile gegen den opferstock abgeschnellt. Denn
wenn er erst vor einem jähr aus eigenem antrieb Otto in zwei
spriiclien feierlich zum kreuzzug gemahnt hat, so wird er die
Vorbereitungen dazu jetzt nicht ohne zwang verhöhnen.
Welches Interesse konnte aber Otto an dieser polemik gegen
das ganz abseits vom deutschen parteikampfe stehende kreuz-
zugsunternehmen des papstes haben? Wären die feilen
deutschen fürsten, etwa Ludwig von Baiern, jetzt nicht ein
dankbareres object für Walthers satire gewesen? Die auf-
stellung des gegenkönigs war ja überhaupt mehr von den
deutschen fürsten ausgegangen als vom papste (vgl. AVinter
2, 196. 201 ff.), dessen anteil, die bannung Ottos, Walther schon
in den Frankfurter Sprüchen parteimässig gekennzeichnet
hatte. Und passt denn das listige frohlocken des papstes Ich
lidn 2wen Ällamdn imder eine Jcrone hräht! auf das jähr 1213?
Auch die parteiischeste färbung könnte Otto und Friedrich
nicht als dupes des papstes hinstellen. Wol aber gemahnt dies
wort an jene zeit, in der Walther sagen konnte: 2c Twme
hörte ich liegen, ztvene Idinegc triegcn (9,20); und in diese zeit
gehören die Sprüche.
Man hat nie beachtet, dass die aufstellung der opferstöcke
im j. 1213 nur die eingeschränkte widerholung einer altern Ver-
ordnung von 1198/99 ist: Ad haec in singidis Ecclesiis trunciim
concavuni poni praecijnmus, trihus clavihus consignatum; prima
penes Episcopum, secunda pcnes Ecclcsiae sacerdotem, tertia
per aliquem rcligiosum laicum conservandis Ep. Innoc. III, lib.
2, 270. Das mistrauen, das man dieser neuerung entgegen-
brachte, war allgemein. So hält Eadulfus de Diceto (ad. a.
1200) 'wegen der den Eömern angebornen habsucht es für
sehr zweifelhaft, dass das eingekommene geld für den an-
gegebenen zweck verwant würde' (Wilken 5, 80); vgl. Waltli.
34,20 ich ivcen des silhers tvanic Immct ze helfe in gotes laut,
grözen hört zerteilet selten pfaffen haut). Innocenz sah sich
sogar gezwungen, den Verdächtigungen entgegen zu treten
und aufklärungen zu geben; vgl. Wilkens a.a.O. Schon da-
durch ist ein späterer ansatz der Sprüche ausgeschlossen, die
ja überhaupt nur in der zeit denkbar sind, in der man die
einführuug der opferstöcke als neu und befi'emdend empfand.
24 WALLNER
Auch die worte Tomasins vom winter 1215/16 deuten auf eine
schon ferner liegende zeit zurück: ivande ich bin da getvcsen,
da ich hört o/fhiUchen lesen smen hrief (11183). Gienge das
auf die Verordnung von 1213, so hätte Tomasin doch voraus-
setzen können, dass die meisten seiner leser zeugen der kund-
machung waren.
Von den historikern setzen "Winkelmann und Hurter die
Sprüche ins jähr 1213; der eine schreibt dies datum Lachmann
nach, der andere Uhland. Wilken aber (5, 80) und Kugler
denken trotz Lachmanns ansatz an das jähr 1198. Der ansatz
ist aber zu früh, denn zur aufstellung der opferstöcke kam es
erst später, wie auch die notiz Radulfs zum jähre 1200 zeigt.
In dieses jähr gehören Walthers sprüche, denn die bemerkung
34, 16 sivenn im diu volle mdze Jcumt ze Laträn, so tuot er
einen argen list, als er e hat getan: er seit uns danne
tvie das riche sie vertvarren spielt offenbar auf das schreiben
Innocenzens an, das dieser zu beginn des Jahres 1199 an die
deutschen fürsten (Universis tarn ecclesiasticis quam saecularihus
principihus Älemanniae) erliess: Ille vero qui paci semper in-
videt et quieti, sicut Bomanam tunc divisit ecclesiam, ita nunc
Bomanum divisit imperium, et tantam inter vos discordiam
seminavit, ut duos vohis in reges praesumpseritis nominare,
quibus inter vos ipsos divisi pcrtinaciter adhaeretis, non aiten-
dentes quot et quanta discrimina per hoc non solum Bomano
contingant imperio, sed universo proveniant populo christiano.
Et ecce per hujus dissensionis materiam imperii libertas
minuitur, jura depereunt, et dignitas decurtatur, de-
struuntur ecclesiae, Iceduntur pauperes, _2^rf«ci^e5
opprimuntur, universa terra vastatur^), et, quod est
longe deterius, strages corporum imminet et pericidum animarum.
^) Wilmauns Vermutung, dass das fremdwort toasten 34, 8 in derselben
absieht gebraucht sei wie Ähnun, würde in diesem ausdruck eine stütze
finden. Walther hätte dann hier wie 34, 18 diese epistel des papstes im
äuge. Da aber auch bei Boppe, MSH 2, 379 b verwüsten vorkommt, so möchte
ich das wort eher als analogiebildung auffassen. Nach icuoten (waten),
louosdien {waschen)^ tcuohsen (ivalisen) ist zu dem praet. tvuosten ein praes.
tv asten erschlossen. Vgl. lioute (houwen) nach schonte (schouiven), ge-
bouicen nach gehoiaven, iesch (eischen) nach h/'ez (heizen). Vielleicht ist
auch vencarren (von verwerren) in 34, 18 nur falsche analogie, etwa nach
geswarn (von swcrn) wegen des gleichklingenden praet. swuoren : verwurren.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 25
Ex hoc eiiam inhnici fuJel Christlancü non modicam andaciam
contra fidcles assumunt. Migne Patrol. CCXVI 997.
Auch die liauptsäclilicli gegen die simonie der kurie ge-
richteten spräche 33, 1 — 34, 3, die wegen der falschen datie-
riing der opferstocksprüclie in diese jähre gesetzt werden,
wird man besser in die zeit Pliilipps vorrücken. 'Kaum irgend
ein bistum', klagt der chronist von Ursperg über diese zeit,
'kaum irgend eine kirchliche würde oder selbst pfai'rkirche
blieb übrig, die nicht streitig war und der römischen ent-
scheidung unterworfen wurde, aber nicht mit leerer band'
(Winter 2,175). Neben diesem sachlichen anlass hatte Walther
in diesen jähren auch einen politischen zu angriffen gegen das
papsttum; beide würden ihm später fehlen.
35,2 (75,117).
sin 'lop' ist niht ein lobelin: er mac, er hat, er tuot.
so ist sin veter als der milte Weif geuiuot;
des 'lop' was gauz, ez ist 'nacli töde guot'.
Unmöglich ist ja auch die allgemeine bedeutung von lo}) hier
nicht '), aber gehalt gewinnen die farblosen phrasen erst, wenn
man die amphibolie erkennt. Eigentlich ist gemeint: 'Liupolds
geheiss ist kein zweifelhaftes: er will geben, hat zu geben
und gibt in der tat. Und sein vetter widerum denkt wie der
freigebige Weif; ein geheiss von dem war ein ganzes, eins
das selbst 'nach tode' 'gut' bleibt. Man muss sich den sinn
von tot in der rechtssprache vor äugen halten, wenn man die
letzte Wendung ganz verstehen will: töter Jwuf 'kauf auf ewige
zelten', m einem recliten steten eivigliclien und timviderrüfen-
tötlcouf (Lexer s. v.), also ein kauf, der auch 7iäch töde geltung
hat. Dass hier überall mit dem doppelsinn von lo}) gespielt
wird und dass darin das eigentliche acumen des Spruches liegt,
ist bei Walther selbstverständlich.
1) Mau beachte aber das Verhältnis von v. 35, 2 zum vorhergehenden :
niemen lept den ich zuo deme gelkhe — raau erwartet die begrüudung — :
sin lop ist niht ein lohelin. Versteht man lop als 'laudes', so liegt tauto-
logie vor, noch dazu abschwächende. Kühl und geschraubt üude ich die
Wendung: des lop was ganz, ez ist nach töde guot. Rftmelant von Schwaben
sagt das viel besser: Sie habent ez verdienet wol, daz man ir nachtöde sol
hie mit den besten denken ... ir lip ist tot, ir lop Jean niht ersterben
MSH 2, 69.
26 WALLNER
35, 1-t (75, 88).
des lop gruonet uiide valwet so der kle.
der Dürnge bluome schinet durch den sne.
Vgl. die farbeiiS3'mbolik des Meissners MSH 3, 106 (6) gn'knc
an der milte und nUit val. Wilmaiins erklärimg: ^der Biirnge
hluome d. li. der fürst' halte ich nicht für richtig, sondern
verstehe: die blunie des lobes der Thüringerfürsten blüht
Sommer und winter. In demselben sinne heisst es 19, 15 die
Büringe und die SaJisen 'das thüringische und das sächsische
fürstenhaus'.
35, 17 (75, 151). Herzoge üz Osterriche, Id mich hi den
Unten. Die Überlieferung in C scheint im allgemeinen treuer
zu sein. In v. 17 ist LiupoU schon wegen des Wortspiels mit
liiiten vorzuziehen. Auch v. 23 da müezest du mit fröiden
lehcn und v. 26 so liän wir ivunne beide sind ansprechender
als die matten phrasen von A (diu miiesc dir vil icol gezemen
und so leben tcir sanfte beide), die schlecht zum weidwerk
Liupolds passen, auf das hier angespielt wird. Ist min ebenre
man in v.20 min ([.din) ebenman? Vgl. ebenhisten, ebenmensclie.
In V. 18 weisen A und C einen gemeinsamen fehler auf:
wünsche mir ze velde, niht ze ivalde, ichnhan niht riuten; Sie
sehen t mich bi in gerne, also tuon ich sie. Hier ist das Sie,
das auf die erste zeile zurückgreifen müsste, so auffallend,
dass C geändert hat: Du wünschest min ze ivalde, ich ivas bl
Hüten ic] aber auch dann noch bleibt ze velde ganz unver-
ständlich. Ich lese: ivünscJie mir ze weide, nicht ze tvalde,
denn "Walther bittet ja: lä mich bi den liuten.
Den sinn des Spruches stellen vielleicht folgende belege
klar. Einem örcndruosel prophezeit Friedrich v. Sunnenburg
(MSH 3,75a), dass sein lierr noch seine art erkennen und ihn
verjagen werde, und rät ihm: noch volge mir, geselle, vriinit,
unt büive ein bretervelt! 'geh in den holzschlag, bauer!' Bu
rchtrr icaltgebüre! wird Orendel im grauen rock von Sudan
gescholten (Or. 947). Der truchsess von Sanct Gallen schilt
seinen söhn Eüedelin, der ihm den minnesang verübelt hat:
du bist ein viereggot gcbür, des mnostu holz an eime reine
houtcen! Haupt merkt aus Kellers erzälihmgen (s. 297) an:
ob noch ein frouive minniclich durch friuntschaft unde liebe
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 27
hraft hilft einem manne üz sorgen liaft, icolte er sich des
rüemen, den solte man vertüemen ze ivalde von den liutcn, da
solle er stocJce üz riuten und nimmer Icomen zc Jceincr sinnt
da in griiozle ein roter mimt oder lieplich ougcn scehcn an.
In allen diesen Verwünschungen steckt der gemeinsame sinn:
'du bist ein gcbür'^) und geliörst nicht zur höfischen gesell-
schaft', ein Vorwurf, den Walther öfters zu hören bekommt.
35,27 (75,171).
Au wibe lobe stet wol daz man sie heize schoene:
manne stet ez übel, ez ist ze Avich und ofte hoene.
Vgl. dazu Meissner, MSH 3,90 (9):
wie stuende, daz ein wip würde üz dem manne,
unde üz dem wibe ein mau? uiau spreche danue:
'her Weichelinc, ir sit ein mau mit Avibes muot.'
Vgl. noch tveiclicr dan ein ivip Pass. 276, 13; dir ist gelich dem
iveichen icibe MSH 3,101b.
Das gleiche thema: manUchiu tctp, idpliclie man (Walth.
80, 20) behandeln bruder Wernher, MSH 3, 17 (6) und Gervelin,
MSH 3, 47 (8).
30, 3 (75, 143). Sie zuhlcn vf, alsam sie niht getörsten
gehen. 'Sie zuckten die achseln' Wilmanns; vgl. dagegen: ich
vluoche der haut, die den der Jcrampfe ziiJd, swen sie sol lossen
der tugent ir pfant Frauenlob, MSH 3, 143 (12).
44,9 (58,32). ivelch ivip verseil im einen vaden? gnot man
ist guoter siden ivert. Hildebrand (Zs. fda. 38, 1) wollte den
vaden dem hcdm gleichsetzen, dem im rechtsbrauch üblichen
Symbol der Übertragung. Er hätte also die gleichwertigkeit
von faden und halm für den rechtsbrauch erweisen müssen,
um den Sprachgebrauch zu erklären. Statt dessen macht er
die AValtherstelle zum zeugnis für den rechtsbrauch, für den
er nur eine Urkunde für die stadt Aachen von 1166 anzufüliren
weiss. Diese vereinzelte Urkunde beweist nur — was schon
aus den Rechtsaltertümern bekannt ist — dass der halm das
allgemein giltige symbol ist, für das nur im notfalle, wenn es
nicht zur band wäre, ein Stückchen vom gew^and gestattet
') So verstehe ich auch 76, 18 j« scelie ich (jcrner veltgehü etc.: 'lieber
war ich bei den baueru oder mönch zu Toberlü, als noch lauge in solchem
kästen mich zu zwängen!'
28 WALLNER
wird. Soll man etwa einem dichter in reimnot die gleiche
Vergünstigung einräumen? Bei der rechtshandlung überreicht
der geber den halm dem begabten oder wirft ihn in dessen
schoss. Bei Walther aber heisst es: Welch tctp verseif im
einen vaden?, was die Unterlassung einer ab wehr oder Weige-
rung andeutet und die gleiche Situation voraussetzt wie Hilde-
brands Steinhöwelcitat (das ich mir auch aus einem alten
druck gelegentlich notiert habe): du hast mir mit deiner liep-
liehen /sucht den faden aufs dem hemhd gezogen, du hast mein
liercz mit deiner süessen fdeln durchgangen. Gremeint ist der
hrisvadem, wie schon Haupt erkannt hat. Doch denkt er an
den liebesdienst, dass die frau dem manne den schnürfaden
in hemd oder gewand einzieht; vgl. noch Erinn. 627 er ist dir
nü vil fremde, dem du e die siden in daz hemde müse an
manigen enden leiten (1. tvitten). Bei Walther ist vielmehr
der hrisvadem der frau gemeint, etwa wie Carm. Bur. 145:
Virgo quaedam nohilis die gie ze holce vmbe ris: dö si die
hunde dö gebant, heia, heia, wie si sanch, vineula rumpebat.
Venit quidam iuvenis, pulcher et amahilis, der zetrant ir den
hris. Die gezierte conversation des liedes läuft auf einen
erotischen scherz hinaus, der allerdings unter dem doppelsinn
des ausdrucks (eineti vaden 'das geringste') versteckt wird.
Harmlos hat ihn offenbar der Schreiber der Haager hs. auf-
gefasst, da er conjiciert: giiot mä is ivol ryches lones wert.
59, 17 (51, 35). ich bin nilit niuwe.
Vgl. Meissner, MSH 3, 105 (10):
Die ungetriuwen liute dienent niht nach dinem solde, triuwe,
sie sint der schänden schiltgeverten uude in eren dieuste niuwe.
So bedeutet auch das subst. niuive 174, 5 'unbestaud'.
66, 21 ff. (92, 1 ff.). Zuerst sei auf zwei Schreibfehler hin-
gewiesen: 1) die nideren 67, 2. Da sich Walther an der
stelle selbst als nider 'niedrigen Standes' bezeichnet, so passt
das wort hier auf seine adeligen Widersacher weder im
gleichen, noch im moralischen sinne. Der gegensatz, in dem
es zu biderben steht, zeigt, dass man lesen müsse: daz müet
die nidcere. ob mich daz iht sivache? nein, die biderben hänt
mich deste baz. Vgl. ein valschcr nider der min leben strafe
Meissner, MSH 3, 103 (4); — 2) ist mir daz zorn, so lachest
2Ü WALTHER VON DER VOGEf.WEIDE. 29
du. nü lache uns eine ivilc noch 67, 15 f. Das uns ist hier
sinnlos; es ist zu schreiben uns eine ivile noch: din jämertac
etc. Vgl. nnze nü Orend., un£:e fruo, unz morgen Parz. Hartm,
Bertli., unze naht Flore. In Icarkelvar und heherlcelt (68, 2. 4)
sind die bedeutungen 'kerker' und 'gerner' zusammengeflossen:
so Jean mir ouch der herenter mit dem geheine Iciinden, daz mich
die iviirme nagende iverdent mit unreinen münden Konr. v. Würz-
burg, MSH2, 333b; Get in den JcerJcer unde seht, ives ir ze
vriunt, ze mäge jeht: wä ist richtuom, schcene, wirdikeit? da
hat diu iverlt des armen hein dem riehen vür den munt gcleit
Guotsre, MSH 3, 42 a.
Viel erörtert wurde 66, 83 Lät mich an eime stahe gän.
Gewiss denkt man zunächst an den stab des alters'), da un-
mittelbar vorher der dichter auf vierzig jähre minnesang
zurückblickt. Aber der Zusammenhang zeigt, dass damit die
bedeutung des ausdrucks nicht erschöpft, ja der eigentliche
sinn gar nicht getroffen ist: 'Lasst mich an einem stabe gehn!
Wenn ich dabei nach ehren strebe mit unverzagtem mühn,
wie ichs von kiud auf gehalten habe, so bin ich doch, wie*
niedrigen Standes auch ich sei, den »edeln« beizuzählen und
steh in meinem kreise hoch genug. Daran stossen sich die
neider. Soll mich das herabsetzen? Nein, die redlichen schätzen
mich um so mehr. Dauernde würde ist so gut, dass man ihr
das höchste lob zollen soll. Es gab nie ein preiswerteres
leben (zugleich: einen preiswertem stand) als dessen, der es
in ehren zu ende bringt'
Die note, die hier angeschlagen wird, klingt immer wider
aus der spruchpoesie der fahrenden. Der verachtete spielmann
wird nicht müde, Freidanks wort zu variieren: swer tugende
hat, derst wol geborn (54,33): Man jiht daz nie man edel st,
') Der mhd. dichtung geläufig: des gent die alten hi dem stabe Fraueu-
lob MSH 3,382 (33); helfet mir mit eren ze dem grabe, ich gen nü leider an
dem Stabe und mac hüses niht gcpflegen Grimm, RA 1, 675; vgl. noch MSH
2,231a. 2,347a. So wird auch die Waltherstelle in der fortsetzuug des
Winsbeke (str. 59) aufgefasst: Du tv(ere e snel, nu gät diu trit ze nahen
leider hi dem stabe; iu der nächsten str. taucht nämlich eine hierher ge-
hörige remiuiscenz auf: Ez ist ein lob ob allem lobe, Der an dem ende
rehte tuot (Walth. 67, 6 ezn ivart nie lobelicher leben, swer so dem ende
rehte taot).
30 WALLNER
nimvan der cdelUchen tuot (vgl. Reiiim. v. Zweter 2, 191b); ein
armer der ist wol gehorn, der rehte vuore in iugenden lud; so
ist er ungeslaJite gar, sivie riche er st, der schänden hi gestät
Bruder "Werulier 2, 232 a; ht tilgenden prüevet man daz adel
Meissner 3, 87 a; sivä aber ein unedel man sich mit tilgenden
richet, der hwhet sich unt stnen namen derselbe 3, 87 (10); Wer
adelUchen tuot, den tvil ich hän vür edel, sivie man stns adels
alitet niht gen eime zedel . . . siver niht si von hohem namen,
unt sich Untugenden welle schämen, dar zuo sin dinc zuo dem
besten kan gezamen, den heiz ich idel, sivie er niht st von adel
der gehorne Süezkint 2, 258 a; Zwei adel sint an den Hüten
oiich: von stnem liünne ist einer edel, und ist doch seihe ein
gouch; der ander ist von sinen lügenden edel, unt niht von
hohem namen Reinm. v. Zweter 2,191 (81); Swä aber untugent
herren muot verseret, da hat herren Itp den herren na?nen gun-
eret Sigelier 2, 362a; Sioelch leben ein guot ende hat,
daz muoz von schulden heizen guot, ivie hr^nc sin mittel st
geivesen, ivie sivach sin urhap st Kanzler 2, 397a. Waltliers
stroplie redet von standesunterschieden, das leidet keinen zweifei,
und auf standesunterscliiede geht der vers lät mich an eime
Stabe gän.
Das mittelalter schied die stände auch in haarschmuck,
tracht und waffen von einander, i) Der unfreie, den die ritter-
zeit gebär (vilain) zu nennen pflegt, soll nur den graiven roc
tragen. Das ist auch die standesgemässe tracht der fahrenden:
wer den grawen roc antreit, dem ist tisch und bett bereit Von
ein. fahrend, schüler (Altd. wäld. 2, v. 83). Ob auch reiten und
gehen rechtlich nach ständen abgestuft war, ist zu bezweifeln.
Als ärmlich und verächtlich galt es jedenfalls, zu fusse zu
gehen, wie die dichtung öfters belegt: man sehe oft, heisst es
im Renner (8480), tvie jener des sache, dirrejens Hage so lange
verziehen bis daz sin habe Jcume von dem rosse ze dem stabe.
Die gleiche beziehung enthält der klageruf Ulrichs v. Lichten-
') A medio capitis niidati, histrionum more harhis tonsi Du Chesue
4, 38 (Weiiihold 2, 143). Seifiid Helbling (2, 60) klagt: Gebur, riiter, dienst-
man tragent alle (jlichez kleit. Dem gebüren sei früher nur grauer, sonn-
tags blauer loden erlaubt gewesen: Dehein varive mir erloubt ivart im
noch sinem wihe. Diu treit nü an ir Übe grüen, hmn, rot von Jent (7i ff.).
Vgl. auch RA 1, 470.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 31
stein (MSH 2,61b): iverlt, du trürest dl ze sere, din lop get an
einem stahe! Auch die 50. Wiiisbekestroplie gehört wol hierher:
Sun, wer mit fugenden liüses pfUget, Der nimt an werdclieit
niht ahe, Und also mit der mäze iviget, Daz im gevolgen mac
sin habe. Und IcrücJie der an eime stahe, Got und der tverlte
wcere er tvert. Deutlicher redet Rümzlant, MSH 3,64a: vür
ivär ich ivände daz der gände min niht spotten solle swenn
ich rite.
Es ist leicht begreiflich, dass es besonders zwischen ständen,
die an einander grenzten, zu reibereien auf diesem gebiete
kommen musste. Der ritter, der nur sich und den höhern
ständen das recht auf bunte kleiderfarbe und goldsclimuck
zuschrieb, der vom reiten seinen namen und stand herleitete,
sah schel und neidisch auf den manu niedern Standes, der,
stattlich angetan und geschmückt, hoch zu rosse einherzog.
Das war im 13. jh. kaum anders als später, als die stauden-
hüeulin sangen: man sol si aufsher Jdauhen aufs Iren füchsinen
schauhen mit prennen und mit rauhen die seihige haufleut guot
... ir hochmiiot sol man prechtn, soll sie under die merJien
stechen (Schenkenbach, Uhland 277, str. 3. 9). Keiner durch-
brach aber frecher die schranken seines Standes als der spiel-
mann, der in hoffärtigster tracht') — wars auch getragene
lüät — durchs land ritt, von knechten begleitet. Das ross
konnte er am wenigsten missen: Man sol in sagen, man se
mich selten riten, lässt Kelin (MSH 3,24 b) seinen gönnern
melden, als es ihm recht schlecht ergeht. Daher wird es
auch immer als spielmannslohn begehrt und gegeben: Mir
gceh ein herre Uhter sinen meiden üzem stalle, danne oh ich,
als ein zvceher Fleminc, vür die vroiiwen dringe Geltar (MSH
2, 173 b); ors als oh ez lemher ivceren, vil manger dan gcfüeret
hat Walth. 25, 37. Vgl. J. Grimm, Kl. sehr. 2, 183.
An Walther reibt sich einmal ein her Volcnant, dem der
Sänger gereizt erwidert: Waz ob 'her Walther' Jcräche? Wie
^) Les Jongleurs avaient tcn coshime bizarrement fastueux et recherclie.
Oll les voit, (lans les peinhires et miniatures anciennes, en vetements et en
chmtssure de soie, ornes de heaucoiip de noeuds, la taüle serree par une
riche ceinture et coiffes d'une esj^ece de toque garnie de plumes de paon
penchees et se balangant en dehors Fauriel 3, 242 (Vogt s. 30; Weiuhold,
Frauen 2, 144).
32 WALLNEß
das gemeint ist, zeigt die "Winsbekestelle: itnd hrüche der an
einem stahe; Waltliers antwort ist also eine parallele zu 66, 33
liU mich an eime stahe gern! Der singende lierr hat wol neidisch
dem fahrenden seine überhebung- vorgelialten, weil er zu rosse
wie ein ritter aufziehe. Auch her Geihart Atze, der Walthern
zu Eisenach aus mutwillen oder nichtigem anlass ein pferd
erschoss, hatte dabei wol die meinung: 'ein spielmann soll zu
fusse traben!'
Noch ein anderes recht nehmen edle und ritter für sich
in ansprach, das auf den minnesang: stuer getragener Ideider
gert, der ist niht minncsanges tvcrt (Buwenburg, MSH 2,263b).
Auch dies wird auf die dauer nicht respectiert. Der Stricker
befürchtet noch, man könnte ihm sein büchlein Trauenehre'
verübeln 1), beim Marner erscheint der minnesang schon als
fester bestand im repertorium des spielmanns: so wil der ahtode
niht ivan hübschen minnesanc (15, 14). Der Greltar verschmäht
ihn 2) und Friedrich v. Sunnenburg entsagt ihm, weil man bei
hofe seiner überdrüssig sei.^) Der erste spielmann aber, der
es wagen durfte, von frauen zu singen, war Walther. Es
wäre ein wunder, wenn das ganz ohne Widerspruch geblieben
wäre, wenn die kreise, in deren gehege er einbrach, ihm das
nicht übel genommen hätten. Und davon finden sich denn
auch deutliche spuren. Eine Strophe (61, 33), ausser Zusammen-
hang in B,C überliefert, lässt sich gar nicht anders verstehen:
Mir ist min erre rede enmitte enzwei geslagen,
(laz eine halbe teil ist mir verboten gar:
Daz müezen ander liute singen unde sagen,
ich sol ab iemer miuer zühte nemen war
Und wünneclicher mäze pflegen.]
umb einez daz si heizent ere
läz ich vil dinges under wegen:
1) Ditz ist ein schoene mcere, daz oueh nu der Strickcere die vrowven
wil bekennen, ern sohle si niht nennen an shien magren, wa^re er wis. sfn
leben %md vrouwen ])rts diu sint einander unbehant. ein pfert unde alt
gewant diu stüenden baz in sinem lobe (137 ff.)-
2) Wati singet minneivf.se da ze hove und inme sclialle: so ist mir not
nach alter 2vät, daz ich niht von vrouwen singe; mir tcceren vier kappen
lieber danne ein krenzelin.
^) zuht tuot den edelen jungen we unt hübescher sanc, und tuot in
schellen ivip M tvine baz MSH 2,355 a.
zu WALTHER VON DER YÖGELWEIDE. 33
mag ich des niht me geiiiezen,
stet ez als übel uf der sträze,
so wil ich miue tür besliezen. *)
Waltliers bisheriges repertoire {min crre rede) wird von seinen
adeligen gegnern entzwei geschlagen und die eine halbscheid
ihm gänzlich verboten: der minnesang stehe andern leuten zu.
Durch die massvolle antwort des dichters fühlt man die er-
regung beben: •'Darauf in gebührendem tone zu erwidern, ver-
bietet mir die Selbstachtung. Nimmt man aber darauf keine
rücksicht mehr, steht es so schlimm um den fahrenden sänger,
so will ich denn mein singen lassen!' Den gleichen entschluss
spricht er in dem liede 90, 15 aus, dessen schlussstrophe (Reiniu
tvip und guote man) ein seitenstück zu 66, 21 (Ir reinen tvip,
ir iverden man) ist: diu werlt enste dan schiere haz, so ivil ich
leben so ich beste mac und mtnen sanc üf geben.
Auch das schöne lied, von dem wir ausgiengen, hat einen
derartigen einspruch gegen Walthers minnesang zur Voraus-
setzung. Der dichter beruft sich in seiner entgegnung auf
vierzig jähre minnesang, die hinter ihm liegen. Gegen den
Vorwurf seiner niedern geburt macht er seinen seelenadel
geltend. Die vornehme undankbare gesellschaft vergleicht er
mit der trügerischen frau Welt. Leib und seel habe er ihr
zu liebe durch den sündhaften minnesang gefährdet. Er sieht,
wie seine seele einst zwiesprach hält mit dem toten leib und
ihm deswegen vorwürfe macht.
Auf eine hohnvolle ablehnung seines minnesangs von selten
der AViener hof gesellschaft beziehen sich die Sprüche 31, 33 und
32,7: Ich hän tvol und hovelichen her gesungen (vgl. ivol
vierzec jär hab ich gesungen oder me von minnen und als iemen
sol 66, 27; mir ist min erre rede enmitte enztvei geslagen 61, 33).
Der schluss: d^ln ivendest michs alleine, so verhere ich mine
Zungen ist wider eine parallele zu 90, 14 und 62, 3 ff. In
neuem lichte erscheinen jetzt die worte: ze österriche lernt ich
singen iinde sagen. Wie in 61, 35 geht singen unde sagen
auch hier auf den minnesang, wie ja schon aus dem vorauf-
^) Wie gedächten wol Wilmanns und Panl mit der beziehung dieser
Strophe auf 2, 185, 10 (P. 46, 9) diesen schluss und v. 35 daz müezen ander
Imte singen unde sagen in einklang zu bringen? Diese beziehung war
eben ein notbehelf, um die str. überhaupt irgendwie zu deuten.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XX XIII. 3
34 WALLNER
gehenden erhellt, dass sich der zwist um den hövescJien sanc
drehe. Walther hat also in Oesterreich den minnesang gelernt.
'Gelernt' (lernt ich) ist hier natürlich nicht so zu verstehen,
als hätte "Walther erst in Oesterreich die technik des minne-
sangs erworben, denn über die verfügte der geniale sänger
von haus aus, sondern 'in Oesterreich hab ich mir es an-
gewöhnt, minnesang zu pflegen.' Dabei kam es ja nicht auf
begabung und geschmack an, sondern auf die erlaubnis des
höfischen publikums. War es herzog Friedrich, der — Walthern
zu liebe oder Reinmarn zum tort — ihn zum rivalen des hof-
sängers machte und dessen eintöniger Sentimentalität Walthers
frische naturwüchsigkeit entgegensetzte? Daraus würden sich
die polemischen plänkeleien zwischen Reinmar und Walther
am ungezwungensten erklären und auch der offenherzige nach-
ruf Walthers erhielte einen überaus prägnanten sinn:
Deswär, Reimär, du riuwes mich
michel harter danne ich dich,
oh du lebtes und ich wser erstorben.
Ich wilz bi miuen triuweu sagen:
dich selben wolt ich lützel klagen,
ich klage din edeleu kunst, daz sist verdorben.
Nicht nur die herren finden Walthers minnesang ungeziemend;
fast überall in den besprochenen Strophen wird angedeutet,
dass auch die damen ihn ablehnen. Gegen sie w^endet sich
47, 36. Schon die wäderkehr derselben w^endungen zeigt, dass
dieses lied in die besprochene gruppe gehört: Zivö fuoge hau
ich doch, swie ungefüege ich st (vgl. so bin ich doch, swie
nider ich 5«...)'), der hän ich mich von Mnde her vereinet
(vgl. als ich von Jcinde hahe getan). Sivenne un fuoge nü zergät
so sing ich aber von höf sehen dingen ... derz gelouhen tvolde,
so erkande ich ivol die fuoge, ivenn unde ivie man singen solle
vgl. 66, 28. 32, 1). AVie er in 66, 21 den streit auf das ethische
gebiet hinüberspielt und den mann nur nach der tugend be-
werten will, so legt er hier denselben massstab an die frauen
und verwarft die Standesscheidung in fromven und uip, ja er
stellt den namen ivip über frouice. Die absieht ist deutlich
und wird durch die schlussstrophe, eine förmliche absage an
*) Vgl. auch 62,6 Ob ich mich seihen rüemen sol, so bin ich des ein
hüb es eher man, däz ich so mamje unfuoge dol, so wol als ichz gerechenTcan.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 35
die dameii, ausser allen zweifei gestellt: Ich sanc hie vor den
frouwen unibe ir hlözen gruoz: den nam ich tvider mtnie lobe
ze löne. Stvä ich des geltes nü vergebene warten muos, da lohe
ein ander, den si grüezen schöne (vgl. daz miiezen ander Hute
singen unde sagen) ... ich wil min lop leren an wip die
hinnen danlien, nutz hdn ich von den üherlieren! Diese
äusserung und ihre parallelen sind auch wichtig, weil hier
Walther den rein conventioneilen Charakter seines minne-
sanges zugibt. Sein minnewerben ist nicht ernsthaft gemeint,
wie das eines ritterlichen Säugers; der spielmann ist zufrieden,
wenn ihm sein lied den beifallsgruss der damen einträgt:
Waz ivolt ich ze Jone? si sint mir ze her: so bin ich gef liege,
und bife si nihtes mer ivan daz si mich grüezen schone
(56, 26); jo enger ich anders lönes niht von ir dekeiner tvan ir
gruoz (72,7). In gröblichster weise aber rechnet AValther
mit den fromven in 72, 31 ab. Lange singen des hat ich ge-
däht beginnt er mit beziehung auf seineu entschluss, das singen
aufzugeben (90, 14. 62, 3). Es will nämlich ein teil der gesell-
schaft ihm doch wider guädig das minnelied zugestehen: Ich
sol singen unde sagen! (vgl. 61, 35. 32, 14). Er macht von der
erlaubnis gebrauch, aber es ist ein sonderbares minnelied, das
da zum Vorschein kommt: Haret, waz si fliieche liden sol, sivenn
ich nü läze minen sanc . . . so helfe in gof, her junger man, so
rechet mich und get ir alten hüt mit sumerlaten an! Mit
schrillem miston reissen die saiten der minnesingerharfe, aber
dieser ton klingt lange nach. Es mutet wie ein act aus-
gleichender gerechtigkeit an, dass gerade diese ungeheuerliche
schelte — im minnelied ein seitenstück zu 32, 7 — um Jahr-
hunderte alles überlebt hat, was AValther je zum preise der
frauen gesungen hat!
Die deutung. die ich hier einer reihe von "Waltherstellen
gebe, wird befremden; denn Walther ist doch ein herr, dem
also der minnesang von rechtswegen zusteht. Diese Über-
zeugung liess noch jeden forscher über den wahren sinn der
besprochenen stellen die äugen schliessen; uud nicht nur über
diese allein, wo der dichter immerhin nicht klipp und klar
heraussagt, um was es sich handle — er muss eben die fi-age
ins allgemeine und moralische wenden, will er mit erfolg ant-
worten — sondern auch über eine stelle, die an deutlichkeit
3*
36 WALLNER
nichts zu wünsclien übrig lässt. Ich meine 124,41 dar an
gedenl'et riiter, ez ist iuiver dine ... tvolte got, tvwr ich der
sigenünfte wert, so ivolt ich nötic man verdienen riehen solt!
Kann so ein edler, ein ritter, ein kleriker sprechen? Wer hier
(und 66, 37 so hin ich doch, swie nider ich si, der werden ein)
mit ^^'althers arniut argumentiert, der tut dem klaren Wortlaut
gewalt an. Und doch her ]Valther?\ — Eine meistersinger-
notiz macht den dichter zu einem landherrn aus Böhmen; ich
halte den titel her, den er sich gibt, auch nur für einen 'titre
de boheme'.
Die grosse Heidelberger hs. reiht Walther mit einem
phantasiewappen unter die ministerialen ein; das ist ein be-
merkenswertes, aber keineswegs ein sicheres zeugnis für seinen
stand. Bei einer hs., die ganze reihen von freiherren unter
die ministerialen, ja unter die spielleute stellt (vgl. Schulte,
Zs. fda. 39, 185 ff.), darunter geschlechter aus der nächsten nähe
der vermutlichen heimat des Schreibers, ist für einen einzelnen
namen keine Sicherheit. Für Walthers ministerialität spricht
hier kaum mehr als die subjective meinung des Schreibers.
Diese hs. bietet aber höchst auffällige belege für den herren-
titel, die man unbegreiflicher weise gar nicht beachtet. Sie
führt in der gruppe der spielleute eine ganze reihe von 'herren'
auf: herrn Eeimar den fiedler, herrn Niuniu, herrn Geltar, herrn
Dietmar den sezzer u. a. Dass diese gesellen keine herren
waren, mnsste der Schreiber wissen; warum belässt er ihnen
dennoch den titel? Ich kann mir nur einen grund dafür
denken: der titel gehörte zum namen, er war ein spielmanns-
witz. Möglich, dass herrn Reimar dem fiedler her Volker vor-
schwebte; namen aber wie her Niuniu, her Geltar, her Dietmar
der sezzer beabsichtigen offenbar einen spass mit dieser con-
tradictio in adjecto. Ist her Walther für sie Avie in anderen
dingen auch hier das vorbild gewesen?
Der spielmann führt fast ausnahmslos einen Übernamen,
der auf sein gewerbe bezug liat.i) Wie gut in die reihe
dieser symbolischen säugernamen der name Vogelweide hinein-
passt, hat schon vdHagen gesehen; nur darf man nicht wegen
') Ueber spielmannsnamen gedenke ich demnächst au auderm orte zu
handeln.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 37
des Scherzes mit Hütegunde an die heldensage denken. 'Von
der Vogel weide' hat sicli der sänger genannt, weil er wie ein
vogel von seinem liede lebt, was ein anderer spielmann durch
den namen Nernsnahel ausdrückte. Walther war ein fah-
render und gehrender mann; war er von haus aus ministerial,
so konnte er unmöglich seinen elirlichen namen mit auf die
landstrasse nehmen. Er war der erste fahrende, der den
minnesang der herren sich zueignete; liat er niclit deshalb
mit der ihm geläufigen selbstironie sich den titel 'her von der
Vogeliveide' beigelegt?') So sagt mit ähnlicher beziehung der
Verfasser des Ackerman aus Böhmen: von vogelweid ist min
pfluoc. Möglich, dass er damit auch auf Walther anspielt,
dann aber hat er dessen namen eben symbolisch verstanden.
Gottfrids nachtigallenvergleich scheint gerade durch den namen
'Vogel weide' veranlasst zu sein, denn Walthers dichterlob ist
der zweck der ganzen stelle. Das spricht wider dafür, dass
der name schon symbolisch war. Auch Ulrichs nachruf auf
unsers sanges meister: den man e von der Vogeliveide nande
spricht nicht dagegen. Wäre etwa den man e von Ouive oder
von Eschenhach nande ebenso möglich? Der sonst gar nicht
förmliche Wolfram citiert hcrn Walther und hern Vogelweid.
Unmöglich kann er an einen Ortsnamen denken, wenn er her
Vogelweid sagt, und die ganze stelle ist ja offenbarer spott
(Willeh. 286, 19):
her Vogelweid von braten sanc:
dirre brate was dick unde lanc:
ez hete sin frouwe dran genuoc,
der er so boldez herze ie truoc.
'Die edle dame, der der »herr von der Vogelweide« mit seinem
minnesange dient, hätte sich da einmal tüchtig satt essen
können!' Dieser hieb auf Walthers minnesang ist uns nichts
neues mehr. Aber Wolfram wird ein ander mal noch deut-
licher. Als Parzival in tiefer Versonnenheit auf die drei bluts-
^) Wie AValther, nennt sich nach seinem 'adellicJien' minnesang auch
Heinrich Fraiienlob, der hochmütigste allerfahrenden. Ihm wird einmal
zugerufen: Heinricli, e diner zit ist vroKwenlop geioest: vil schöne ez jest,
Walfher, in dmem sänge! (MSH 2, 347 a). Heisst das nicht, Frauenlob
möge sich nicht einbilden, er wäre der erste spielmann, der minnesang ge-
pflegt habe, das sei Walther gewesen?
38 WALLNER
tropfen im schnee starrt, schlägt ihn Keie scheltend an den
heim. Der dichter scherzt:
frau Minne, hie seht ir zuo:
ich W0en, manz iu ze laster tuo,
denn ein gebur spreche sän:
mime heren si diz getan. (294, 21)
Es ist Wilmanns verdienst, die anspielung' auf "Walth. 40, 19
fromve Minne, daz st iu getan aufgedeckt zu haben (Leben
Walth. IV, 21). Er irrt nur darin, dass er in dieser anspielung
eine neckerei Wolframs erblickt. So harmlos ist das nicht
gemeint, denn gehnr übersetzt überall, wo keine beziehung zum
f eidbau vorliegt, das franz. vilain^) und der Widerhaken des
pfeiles ist der Vorwurf, dass Walther als niedriggeborener
sich den minnesang anmasse.
Soll man da in den Worten Tomasins, wenn er herrn
Walther jeneji guoten kneht nennt, keine absieht sehen? Der
gleiche witz liegt in dem spielraannsnamen her Friderich der
hieht vor. Und Eubin, der um Walthers Standesverhältnisse
wol bescheid wissen musste, ruft ihm nach:
Walther, du bist von hinnen,
owe der selben not!
mit dinen wisen sinnen
du hete ouch herren gunst.
o
Kann man das von einem sagen, der selbst zu den herren zählte?
Ob es überhaupt möglich war, dass ein mann höheren
Standes in die ehr- und rechtlose klasse der spielleute herab-
stieg, weiss ich nicht. Ein ritter, der den spielleuten als
fahrender concurrenz gemacht hätte, wäre der habicht unter
den krähen gewesen; sie hätten von allen selten auf ihn ge-
stossen. Nun fehlt aber jedes anzeichen, dass Walther A^on
spielleuten wäre angegriffen worden, und wo er sich gegen
sie wendet, betont er nur den gegensatz ihrer kunst, mit
keinem wort aber den ihres Standes.
Auch im dichtungsbetrieb gab es Standesschranken, aber
bezeichnender weise nur gegen unten hin. Nur das gebiet
der ritterdichtung wird umfriedet, denn gegen dieses dringen
1) Vgl. der herre und der gebur MSH2, 198 b; si icären gehüre, und
niht von höher art Bari. 323, 16.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE, 39
die Spielleute vor. Sie eignen sich die höfische kurzzeile für
Stoffe der heldensage an (Klage, Biterolf), sie bemächtigen
sich des Artiisromans (Ulrich von dem Türlin, der Stricker),
sie erobern sogar den minnesang. Hingegen hat kein ritter
Stoffe der heldensage aufgegriffen, keiner hat sich der Nibe-
lungenstrophe bedient'), ff^st keiner hat die spruchdichtung
angebaut. Walther als der erste spielmann, der seiner dich-
tung den minnesang einverleibte, hat allgemeine nachfolge ge-
funden; AValther als der erste ministerial, der das leben und
die Spruchpoesie der fahrenden ergriff, stünde ohne folge da.
Für die spruchdichtung eines herren bietet das einzig sichere
beispiel der Walther Verehrer Ulrich von Singenberg; wie cha-
rakteristisch heben sich aber seine wenigen Sprüche von denen
seines Vorbildes ab!
Walther ist in erster linie spruchdichter; er schilt und lobt
die herren, wie seine fahrenden genossen. Er zählt sich selbst
zu diesen (als wir ze Wiene haben durch ere enpfangen 25, 28)
und stellt sich den rittern gegenüber (124,41). Ein herren-
vergnügen wie die jagd liegt ihm völlig ferne 2); wer ihn ze
ivalde wünscht, der will ihn gchür schelten (35, 17). Er hat
wie andere spielleute über winternot und hovezorn zu klagen
(76, 14. 73, 23), mehr als jeder andere über spott und tätlichen
höhn der höfischen gesellschaft (31, 33. 28, 37. 67, 14. 150, 90.
185, 31. 24, 5. 62, 6), die ihm sein selbstbewusstes auftreten
und seinen minnesang verübelt, ja verbietet (18, 1. 104, 7.
61, 33. 32, 7. 66, 21). Denn sein talent hat ihn über die menge
seiner genossen, das varnde volc-^) (84, 18) hinausgehoben;
1) Mit Wolframs selbstbewusstem ritterstolz ist die annähme schlecht
zu vereinigen, er hätte bei der Titurelstrophe an das vorbild der Spielmanns-
dichtung gedacht. Ebenso unwahrscheinlich ist ein ritter auch nur als
redactor des Nibelungenliedes; das ist höfische poesie der fahrenden.
2) Swenne ich icü liän vröude vil, so rite ich hin ze ivalde, daz ist
ein herrensite an mir Meister Sigeher, MSH2, 361b.
s) So reden auch Gervelin (3,36 a), der Unverzagte (3, 46 a), Rümzlant
(3,64 a), Friedrich von Sunnenburg (3,71a), der Kanzler (2,390 a) hoch-
mütig von ihren genossen. Wenn Walther pferde hat und einen knappen
(82,11), so liegt darin kein gegensatz zu den spielleuten. Kelin (3,24 a),
Rümzlant, der Sunnenburger (3,72,24) erwähnen ihre pferde, Kümzlant
hat ein singerlhi (3, 63, 12), Sunnenburg einen knappen. Auch Walthers
lehen (28,31. 27,7) ist durchaus kein beweis für seine ritterbürtigkeit.
40 WALLNER
'getragene wät ich nie genan', erklärt er stolz (63, 3). In Wien
durfte er es zuerst wagen, seine kunst im minnesange zu zeigen;
gleichzeitig griff er zur politischen poesie der goliarden (die
ihm auch die pastourelle vermitteln). Politisch wird eigentlich
die antirömische dichtung der vaganten erst bei ihm, der ihr
die reichspolitik zur folie gibt. Das öffnet dem spielmann die
spendehaud des kaisers (28, 31. 84, 30) und macht ihn weithin
bekannt (Tomasin). Die kluft zwischen dem unehrlichen mann
und den höhern ständen aber kann auch die glänzendste be-
gabung nicht überbrücken. Ritterbürtige Sänger wie her Volc-
naut und her Wolfram — pardon, dass ich sie in einem atem
nenne — stossen sich an Walthers humoristischem herrentitel
ebenso wie an seinem halbhumoristischen minuesang. Dagegen
blicken bürgerliche dichter wie Gotfrid von Strassburg voll
stolz auf ihn.
70, 12 (33, 1).
mich nimt iemer wunder wes in si so gäch.
. . . si mugen zuo deme
komen der ir niht so schone pfliget: so läzen denne
schinen ob si wizen weme.
Die stelle ist nach den AVolfenbütteler bruchstücken (12) zu
neuen: gj mugen von mir komen zuo deme
der ir niht so schone pflit als ich,
so lä si denne schinen ob si wizzen, weme.
Dadurch wird Haupts erklärung von weme = etetveme hinfällig,
Ein lehen hat auch der Tanhüser von herzog Friedrich erhalten : von sinen
schulden tcas ich wirt; nü lebe ich trürecUche, nü hin ich aber ivorden
gast (3, 96, 4). Ze Wiene hat ich einen hof, der lac so rehte schöne (ebda,
no. 5). Gegen Burdachs Vermutung — die übrigens schon K. Schubuth
1896 in einem Kremsierer programm vorgebracht hatte (vgl. meine anz.
Zs. f. d. östr. gymn. 1898, s. 666) — der Martinsmantel, den Walther auf der
Strasse bei Zeiselmauer von Wolfger erhielt, sei der ministerialenlohn im
ersten hofjahr gewesen (vgl. Eichhorn, Eechtsgesch. 2, 498), genügt es, auf
die nachbarnotizen zu verweisen: j^^o pellicio fratris Heinrici V sol.
minus VI den. (s. 8); Nuncio regis Hungariae apud Sanctum Ipolitum
pro tunica et calciis et redemptione pignoris dim. tal. et VIII den. (s. 11).
Ygl. auch J. Grimm, Kl. sehr. 2, 183 und 185. anm. Ein beispiel, dass spiel-
leute auch im hof halt des kaisers vertreten sind, ist der zeuge Bupertits
joculator regis in einer Urkunde Heinrichs VI. von 1189 (Toeche, Hein-
rich VI. 3. 504).
zu WALTHER VON DEli VOGELWEIDE. 41
und J. Grimms conjectur {oh si iviszen weine Kl. sehr. 6, 386)
bestätigt sicli.
73,31 (48,9).
Hiure müezeus beide esel uud der gouch
gehoeren e si enbizzeu sin.
Nicht nur das geschrei dieser tiere galt als unheilbringend,
sondern schon das anhören ilirer namen. Walther bildet den
zug witzig weiter, indem er seinen Widersachern wünscht, sie
möchten esel! und der gouch! gescholten werden, so lange
sie nüchtern wären. Die verv/ünschung gilt leuten, die dem
Sänger während der Winterszeit übles angetan haben: Die mir
in dem rvinter frönde liänt henomen. So klagt auch Gervelin
(MSH 3,37 a): liete ich bärge mide lant unde ivcere ze guote
gehorn, so entswze ich dem tvinter wol sumelichen hovezorn.
Diese klage des fahrenden, der im winter wehrlos den plage-
reien der mutwilligen hofgesellschaft preisgegeben ist, wirkt
in einem minnelied eigentümlich genug.
76, 10 (55, 24).
sumer, mache uns aber frö . . .
min herze swebte in sunnen ho:
daz jaget der winter in ein stro.
Hier redet nicht die frühlingssehnsucht des minnesängers, son-
dern die wintersnot des fahrenden. JEij, sumer, woltest du
hmimen, seufzt der fahrende schüler (Altd. Wälder 2, 49), und
oucli dem winter angesigen, so tvolt ich ze velde Ligen, schaffen
selb mir guot gemach; do ist der ivalt mm obedach (268, ff.).
Im winter ist er froh, wenn er ins haberstroh kriechen darf:
der vedern wurde ivol gesivigen; lih mir der tcirt ein haherströ,
so forht ich nit des winters drö (64 ff.). So ist auch die
Waltherstelle zu verstehen nebst ihrer fortsetzung: Ich bin
verlegen als Esaü, mtn sieht här ist mir ivorden rü. Wilmanns
versucht zu erklären, wie man Esau als urbild eines 'ver-
legenen' ritters hinstellen konnte. Verlegen hat hier nicht
diese übertragene bedeutung, sondern geht auf das nisten im
Stroh: mit straubichtem haar und voll stroh, wie der rauhe
Esau anzusehen, krieche er hervor, meint Walther. Üf ein
stro kann der truchsess von S. Gallen hier sagen, der auch in
der parodie auf 28, 1 sein häusliches behagen Walthers bettel-
42 WALT.NER
haftem schweifen entgegenstellt. Unter Philippe Auguste hatte
das Hotel Dieu anrecht auf das stroh, das man täglich aus
den Sälen der königsburg schaffte. Wenn man bei hofe das
gesinde so bettete, wird die nachtruhe im stroh (auf arm-
seligen, elenden Strohlager', Hornemann, Germ, 29, 49; Becli-
stein, ebda. 15, 440 f.) für Walther das normale gewesen sein.
80, 27 (78, 1), Ich hin dem Bogencere holt. Der Spruch
ist nach 80, 35 {Ben diemani den edelen stein) überliefert,
eine anordnung, der der Inhalt der Strophen widerspricht: der
dank würde dadurch vor die bitte gestellt. Aber auch Lach-
manns anordnung führt zu einem Widerspruch. Nach der un-
verblümten bettelei in 80,27 kann Walther unmöglich sagen:
dne hete ivart mir diu gäbe sine (81, 1). Die Sprüche können
also wenigstens nicht gleichzeitig entstanden sein, sondern
müssen zeitlich auseinander- liegen. Dann entfällt aber die
gewähr, dass sie überhaupt auf die gleiche persönlichkeit
gehen, und die Überlieferung, die den Bognerspruch auf den
in 81,6 genannten herrn von Kazzenellenbogen bezog, hat
vielleicht verschiedene personen zusammengeworfen. Ob die
herren des Chattimelibocus auch Bogner genannt werden
konnten, weiss ich nicht'); jedesfalls aber war der Bogner-
spruch nur in deren Umgebung vor misdeutung gesichert, denn
anderwärts musste man ihn, losgelöst vom andern, auf die
herren von Bogen beziehen, das mächtige bairische grafen-
haus, das Walthern selbst nicht unbekannt sein konnte. Albert
von Bogen ist nach einer notiz bei Valvasor (Ehre des herzog-
tums Kj-ain 8, 638) ein bundesgenosse Wolfgers von Passau in
dessen fehde mit den Ortenbergern. Seine mutter Ludmilla,
die tochter des Böhmenkönigs, vermählt sich als witwe mit
dem herzog Otto von Baiern. Sein bruder Berthold kommt
1218 auf der turmbrücke von Damiette um; er selbst, comes
ultimum de Bogen, stirbt 1242. Vgl. Mon. Boica 15, 5. 273.
444. 552; 16,533. 561. 584; Mon. germ. Script. IX und XVII
(v. indic).
Ist bei Walther ein graf von Bogen gemeint, dann darf
^) Von dieser immerhin auffallenden namensverkürzung hat man sogar
die berechtignng abgeleitet, den 'Stolle' in 32,11 als einen 'Stolberg' zu
deuten (vgl. darüber Zs. f. d. östr. gymn. 1898, s. 669).
zu WALTHEH VON DER VOGELWEIDE. 43
man in die werte so niese in ahcr ein Pöldn oder ein liinze
(80, 30) einen besondern sinn legen. Des Bogners halbböhmische
abstamniung zog vielleiclit böhmisclie snarrenzcere an seinen
hof>) und Walthers ausruf spielt darauf an: 'meinetwegen
kann er auch Polen oder Russen beschenken!'
81, 14 ff. (79,9). Wie ich den spruch verstehe, habe ich
schon einmal (Zs. fda. 40, 340) damit angedeutet, dass bei der
auffassuiig der 'heimischen fürsten' als österreichischer die
pointe, die auf dem gegensatz von heimisch und gast beruht,
verloren gehe. Darauf bezieht sich eine bemerkung- Burdachs
(s. 22), man habe durch unerlaubte interpretationskünste ein
ganz sicheres zeugnis über Walthers heimat verdunkelt.
Der Spruch kündigt sich, nachdem eingangs betont ist,
welche bedeutung und Verbreitung lob und tadel in Walthers
munde haben, sogleich als schelte an: ich liuge ungerne, und
wil der wärheit halber niht verjehen. Der sänger ist von Nürn-
berg mit leeren bänden abgezogen; dass er die klage auf das
fahrende volk abschiebt, soll natürlich bloss seine objectivität
heben :
Die Seiten mir, ir malheu schieden dannen laere;
unser heimelicheu fürsten sin so hovebpere,
daz Liupolt eine müeste gehen, wan daz er ein gast da waere.
Inhalt und form bestätigen, dass man unter den heimelkhen
färsten — Lachmanns ersatz des hsl. heimlich durch das im
mhd. noch so seltene heimisch ist unberechtigt — nicht die
Oesterreicher verstehen dürfe: 1) Wer wird hovehcere in dem
zusammenhange Die seilen mir, ir malhen schieden dannen
leere: unser heimeltchen fürsten sin so hovehcere nicht als
Ironie auffassen! Auf die Babenberger bezogen, hätte aber
die Ironie keinen sinn. 2) In unser heimelichen fürsten und Liu-
polt eine liegt der gegensatz zwischen mehrzahl und einzahl.
A^'ären Oesterreichs fürsten gemeint, so müsste man nach Liu-
polt eine wenigstens im geiste ergänzen: 'von den in Nürnberg
versammelten herren'. 3) heimlich und gast stehen gleichfalls
in antithese; man vergleiche Gregor. 1744 arm ode rieh, gast
1) Sie kamen schon damals weit in der weit herum : Et si avoit bons
leuteurs et des flauteurs de Behaigne et des gigiiours d' Alemaigne.
Roman de Cleomades (Monmerque et Michel, Theätre frang. 105 ; Weinhold,
Frauen 2, 137).
44 WALLNER
ode heimlich; Parz. 345, 9 Mt in daz er die geste und die hein-
lichen habe wert; AVilleli. 155, 4 der heimlich und der gast;
Trist. 3459 Tristan den heimeltchen gast; Ulrichs Trist. 2490
deti hcinlichen mit dem gaste. Diese der mhd. diclitiing- so
geläufige aiititliese gienge verloren, wollte man heimlich auf
die Babenberger beziehen. 4) Als schelte Liupolds konnte
der Spruch natürlich nicht für den Vortrag in Oesterreich be-
stimmt sein; ausser Oesterreichs aber konnten die heimelichen
fürsten nur dann als Babenberger verstanden werden, wenn
"Walthers 'österreichische herkunft allgemein bekannt war.
Hätte er da nicht besser gesagt: die fürsten z' Osterrichel
'Wollte man', sagt Burdach, 'mit Wackernagel, Pfeiffer
und andern hier den »gast« genannten Leopold den hei-
mischen fürsten entgegensetzen, so müsste man folgerecht zu
der unmöglichen auffassung sich bequemen, dass er der ein-
zige gast') des tages gewesen sei.' Er wird sich dazu be-
quemen müssen. Das Privilegium Fridericianum (minus, von
1156), das der Ostmark ausserordentliche Vorrechte einräumte,
enthält folgende bestimmung: Dux vero Äustrie de ducatu suo
aliud servicium non dehet imperio nisi quod ad curias quas
imperator prefi.xerit in Baivaria, evocatus veniat (Wattenbach,
Archiv für österr. gesch. 8, 111). Wurde ein hoftag nicht vom
kaiser ausgeschrieben oder nicht für eine stadt in Baiern
oder wurde Oesterreich nicht ausdrücklich geladen, so war
Liupold nicht zum erscheinen verpflichtet. Kam er dennoch,
so kam er als gast, unter Verwahrung gegen ein präjudiz.
Yerhilft uns diese bestimmung auch kaum zu einer sichern
datierung des Spruches — zu beachten ist immerhin, dass
Nürnberg seit 1219 reichsunmittelbar war und dass der hoftag
von 1224 von könig Heinrich einberufen wurde — , so wirft
doch erst sie volles licht auf seinen sinn. 'Gast' kann nur
anspielung auf einen derartigen protest Liupolds sein: 'Unsere
heimischen fürsten sind solche knauser, dass der einzige
Liupold hätte spenden müssen; aber freilich — der Hess sich
') Diese schwierig-keit bliebe natürlich auch bei Burdachs auffassung
bestehen. 'Auf einem reichs- und hof tag waren alle fürsten gaste und die-
selbe entschuldigung hätte jeder brauchen können' (Wilmanns leben s. 60).
Dass sie Liupold wirklich gebraucht hätte, wird aber gar nicht gesagt;
die fahrenden geben es vielmehr zu, dass er gast war.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 45
als 'gast' erklären!' Nach der ansieht der zeit war ein gast
der Verpflichtung zu schenken enthoben (vgl. die belege bei
Wilmanns, Leben s. GO), Diesen zug benutzt Walther zu dem
witz, der herzog von Oesterreich habe sich deswegen auf
dem hoftage officiell als 'gast' bezeichnet.
Der Spruch bietet also ein sicheres zeugnis, dass Walther
kein Oesterreicher war. Zwar spricht hier nicht der dichter
selbst, sondern citiert nur eine äusserung der fahrenden, er
schliesst sich aber ein. Es geht auch nicht an, unser Jieime-
lichen färsten sin (hs, sint) so liovehcere als unvermittelten
Übergang in die directe rede aufzufassen, weil es dann heissen
müsste: wan daz er ein gast da was. — Frühzeitig aber ist
Walther nach Oesterreich gekommen, als spielmann durch
schouwen und durch guot, vielleicht so jugendlich wie Reinmar
von Zweter {von Rtne so hin ich gchorn, in Osterriche er-
tvahsen)] Osterriche war eben damals für die fahrenden das
Ostielriche der provenz. poesie, dem sie auf allen wegen zu-
strömten.
84, 22 (79, 25).
Ich drabe da her vil rehte drier slahte sanc,
den hohen und den nidern und den mittelswanc . . .
nu hilf mir, edel er küneges rät, da enzwischen dringen,
daz wir als e ein ungehazzet liet zesamene bringen.
Dem drahe der hs. C liegt sicher dräte zu gründe (von
drcejen 'wirbeln'). Wie dieses verb beiden objecten, sanc und
sivanc gerecht wird, mögen folgende belege zeigen: liz dem tcd
üf drcejet sich so rilich gedmne von den vogelin MSH 2, 179b;
man such da fiiver üs helmcn woen und sivert in henden muhe
drcen Parz. 222, 5 f.; noch näher kommt der Waltherstelle
Willeh. 190, 14 er drcet in zeiine swanke an eine steinine sül.
Wenn Walther sagt: ich 'wirbelte' bis her recht glücklich
dreierlei sangweisen, so ist zunächst an den vogelsang gedacht •),
0 Vgl. 103,34 ir clrüzzel derst so drcete. Drüzzel heisst hier zuerst
'drossel, vogelkehle'; daher darf man nicht mit Wilmanns übersetzen 'ihre
schnauze ist so behende', sondern etwa 'ihre kehle ist so wirbelfroh,
zwitscherlustig'. Hier ist die Übertragung des bildes vom Singvogel auf
den lotersinger ganz deutlich; wie aber hier drüzzel zugleich den verächt-
lichen uebensinn 'schnauze' andeutet, so ist 84,22 das dräte doppelsinnig
gebraucht.
46 WALLNER
worauf der doppelsinn des wortes drcejen das bild aus der
feclitkunst vermittelt: 4ch wirbelte terz, sekund und quart.'
Die drei stvenke wurden von Eieger als drei erzielmngs-
methoden für den jung-en könig" Heinrich gedeutet, von Wil-
manns als ausdrücke der musiktlieorie; einig- ist man aber in
der annähme, dass der spruch an den erzbischof von Köln
gerichtet sei. Nach ^Vilmanns hätte Walther dessen aufforde-
rung-, durch ein lied für den kreuzzug- Stimmung- zu machen,
mit dieser bitte um rat und hilfe beantwortet.
Walther hat für Friedrichs kreuzzug in mehreren Sprüchen
und liedern gewirkt, in denen er sich mit politischen und reli-
giösen motiven an die fürsten (29, 15), an die herren und ritter
(13, 5. 124, 1) und an die geistlichen (10, 17) wendet. Ohne
zweifei hat er diese lieder im dienst der kaiserlichen politik
gesungen; ein näheres einverständnis mit Engelbert macht aber
wenigstens der spruch 10, 17 unwahrscheinlich, der in die
drohung ausklingt:
Die rehten pfaffen warne, daz sie niht gehoereu
den uurehten die daz riclie waeuent stoeren;
scheide sie von in, oder scheides alle von den koeren.
Aber angenommen, die deutung wäre richtig, der spielmann
und der erzbischof hätten in so vertrautem verkehr gestanden
(wozu freilich die zwei sichern Sprüche an Engelbert gar keinen
anhält bieten), dass Walther ihn zu poetischer mitarbeit auf-
fordern konnte. Ist es denkbar, dass er dies vor aller weit
in einem Spruche getan habe? Dadurch wurden ja seine kreuz-
zugssprüche öffentlich als bestellte arbeit gekennzeichnet und
um ihre beste Wirkung gebracht. Man könnte einwenden, der
Spruch sei nur für Engelbert bestimmt gewesen und rede zu-
dem in halbverliüllten worten. Ist es dann überhaupt wahr-
scheinlich, dass Walther eine derartige vertrauliche bitte in
Versen ausgesprochen habe? Und das ziel ihrer gemeinsamen
arbeit wäre doch ein wirksames, durchschlagendes lied, sollte
man meinen, nicht bloss ein ungehazzet liet.
Dieser ausdruck, der bei der üblichen deutung des Spruches
befremdend schwächlich Aväre, zeigt, in welche Umgebung der
Spruch zu stellen ist. W^althers ausruf: Wem Icönd ich der
drier einen nü ze danhe geslngen! wird im minnesang nicht
ganz selten laut. So klagt auch Albrecht v. Johannsdorf (MF
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 47
89,9) über ein sprödes publikum: Stvaz ich nü gesinge, deist
allez muhe niht: mir iveiz sin niemen danc! Auch Neid-
hart (MSH2, 107a) stimmt ein: In' lan allen Unten nü ze
danlce niht gesingen, als ivilcnt, da der guote tville mich
ze sänge jagt.^) So blickt auch Walther aus der stumpfen
gegeuwart seufzend zurück auf eine sängerfrohe Vergangen-
heit; nur führt er das thema breiter aus: 'Drei gattungen ge-
sang hab ich bisher gepflegt und für jede beifall gefunden;
jetzt glückt es mir mit keiner von ihnen in dieser verstimmten
zeit.' Er gebärdet sich ratlos und ruft aus: nu hilf mir, edeler
Jcüneges rät, da enzivischen dringen, daz ivir als e ein iin-
gehazzet liet zesamene hringen! Das enzivischen muss un-
befangene Interpretation auf die drei genera cantandi beziehen :
aus diesen soll eine neue mischform oder Spielart gewonnen
werden, die wider anklang fände: ein nngehazzet liet. ^\"er
ist nun der edele Jcüneges rät, der dem dichter da her (= als e)
geholfen hat, den leuten zu dank zu singen? Offenbar er selbst.
Walther gibt dem alten thema mit dieser scherzhaften
selbstanrede eine neue pointe. Gerade der ausdruck zesamene
hringen, der in Verbindung mit der feierlichen anrede liineges
rät das misverständnis verschuldet hat, begegnet bei Walther
auch in einem liede, das nah verwante gedanken mit wört-
lichen anklängen ausspricht (110,27): iver han nü ze danke
singen? dirre ist trüric, der ist vrö: iver Ican daz zesamene
hringen? dirre ist sus und der ist so. Bezieht sich hier das
zesamene hringen-) auf die vermittelung zwischen den wider-
sprechenden launen der zuhörer, so geht es an unserer stelle
auf die neue ideale mischung der in abgunst gefallenen sanges-
arten und zugleich — auf die Spaltung in dichter und königsrat.
Walther war dreier könige rätgehe, Philipps, Ottos und
Friedrichs: vgl. 10,17. 12,18. 16,36. 17,11. 19,17. Er scherzt
mit beziehung auf sich selbst: den möht ein heiser gerne nemen
1) Vgl. auch Tanhüser, MSH 3,96 Ich hau den jungen vil da her
gesungen, des ist lanc ... duz hat sich verkeret nü leider also: sivcr hie
viioge meret, tvirt der doch eil selten drumhe geret. an ir danc sine ich
in ze leide, den höchgemüete ist kranc.
^) Vgl. Kelin (MSH 3, 22 b): Swer gar mit kündikeite vert unt sich da
bi mit manicvalten houhetschanden nert, unde da hi wil wesen edele unde
wert, lä sen, wer kau mir das zesamene bringen?
48 WALLNER
an stnen licehsten rät (83, 27); er prahlt humoristiscli mit seinem
einfluss auf den kaiser: ivelt ir, ich schicke in iüsent mUe und
dannoch nie für Träne (29, 17) und fingiert, wol aucli nicht
ohne Selbstironie, eine botschaft an Friedrich: Bot, sage dem
heiser slnes armen mannes rät, daz ich deheincn hezzern
lueis als ez nü stät (10, 17). So kann er sich wol spöttisch
den titel hüneges rät beilegen in einer witzigen Variation des
gemeinplatzes der zeitgenössischen dichtung (vgl. die belege
bei ^^Mlmanns zu 120,34): Mancc man git guoien rät, der im
selben keinen hät.^)
85, 8 (79, 24). drier hünege und cinlif tüsent megede
hamercere. Diese titulatur war damals noch unverbraucht und
nicht ohne ghibellinische spitze: Der Friderich zerstörte Meyelan
die stat tiü undertalb die muren, daz sü gar darnider vielent.
Do nam bischof Eudolf von Kolle der drier hünig hörper un
schihte sü gen Kolle, die vormals ivorent homen von Fersida
gen Consiantiiiopel, die ein heiser darbrohte, un do noch dannan
gen Meyelan homent. Diss geschacli in dem mertzen des jores
noch Gots geburte MCLXII jor Fritsche Closeners Strassbur-
gische Chronik (Stuttg. Lit. ver. 1,22).
101, 31 (84, 9). min leit bant ich ze beine. Ueberliefert
ist Bein leit (C). Die erklärung der redensart ist ein circulus
vitiosus: man verweist für die Waltherstelle auf belege, in
die man die bedeutung hineinpresst, die an der Waltherstelle
vorzuliegen scheint. Denn die erklärung 'gering achten, in
den wind schlagen' passt weder Winsbekin 21, 7, noch Erstes
büchlein 1742, noch grundr. 265 (Mhd. wb. 1, 100), ja sie ist
fast überall unmöglich. Der sinn der redensart wird aus
einem Strickerbispel klar, das von den brüdern Grimm, die es
zuerst (Altd. wäld. 3, 177) herausgaben, später im Deutschen wb.
übersehen worden ist:
Ein frosch bat ein movs,
do sie lief vz einem hüs,
daz er ir hvlf vber einen bach;
der frosch in vntriwen sprach:
5 'nv binde vns beide au einen vadem
so bin ich wol mit dir beladen,
1) Aehulich ironisiert sich schon Rugge: Der ttimbe man von Rugge
hat gegeben disen tvisen rät MF 99, 21.
zu WALTHER VON DEK VOGELWEIDE. 49
ich fvre dich swar dich dviichet g^t.'
do si chomen an des Avazers llvt,
der vrosch begvude siuchen,
10 div movs begvnde ertrinchen,
vou dem wazer wart si geblan,
mau sah si wider vf gan;
ein wie begreif si zehaut,
der vrosch, der si zv im bant,
15 der mvzer allez volgen mit;
der wie tet nach siuem site
er az beide, rouch vut siebte.
vou div ist noch billich vnt rehte,
swer den schaden eine
20 bindet zv dem beine,
daz er in alterseine
dvlte vnt sweine;
svs erginc ez dem frosch do
vnt erget noch mauigem manne so,
25 der in dem chloben mvz bestan,
so er den andern weenet bringen dan.
Die fabel stammt aus dem Anonymus Neveleti und ist auch
von Boner (no. YI) bearbeitet worden, der sie deutlicher er-
zählt (v. 10 an sinen vuoz haut er die müs mit einer snüere)
und eine weniger schiefe moral anhängt: Im seihen gniohet
diche ein man und ivcent eim andern gruohet lidn (33 f.). Auf
diese fabel wird die redensart ilit ze heijie binden zurückgehen,
Ihr sinn ^sicli mit einem impedimentum belasten' stimmt auch
für die übrigen belege: Erstes büclil. 1739
vil dicke ich saeldeloser man
in minem herzen weine,
daz ich den kumber dankes hän
gebunden ze beine,
für den ich listes uiht enkan,
wie ich in versweine.
'Freiwillig (oder mutwillig) hab ich den liebeskummer mir
ans bein gebunden (mit ihm gespielt, um ilm zu äffen?); nun
fehlt es mir an list, ihn wider los zu werden.' Die böse ab-
sieht, wie in der fabel, wird in dem citat des Mhd. wb. 1, 100
(grundr. 265) betont: ein hmsez herze tvartet oh ez iht vinde
daz ez ze heine binde und mit Worten viule (velle?). Und den
gleichen sinn hat wol auch die mahnung der mutter in der
Winsbekin (21,5):
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche- XXXIIl. 4
50 WALT.NER
Vil wizin herze erkindet sint
Von ir {der miniie) gewalt, dest mir wol kunt:
Die rede ze beiue uiht eubiut,
Wiltu dich ir gewaltes wem.
'Lass dich nicht auf verfängliches reden ein. spiele nicht mit
liebesworten, willst du dich der minne erwehren.'')
Uebertragen wir den erschlossenen sinn der redensart nun
auf die Waltherstelle: ich Iure din ungefiiege in friundes scliös,
diu leit haut ich ze heine. 'Deine ungebühr hab ich als freund
bemäntelt und vertreten, dein leid nahm ich auf mich' oder
'was dir zu leide geschah, das traf auch mich.'
Wenn die redensart anz bein strichen (ursprüngl. stricJcen?)
mit der besprochenen identisch ist, dann ist die erklärung
Stielers (DWb. 1, 1384) 'den schaden ertragen, verschmerzen'
leicht als consequenz aus ihr zu verstehen.
102, 29 (88, 1).
Mir ist diu ere uumsere,
da von ich ze järe wurde uuwert,
Und ich klagende waere
'we mir armen hiurel diz was vert. '
Das ist eine anspielung auf die halmparabel bei Spervogel
(MF 23,29):
Wir loben alle diseu halm, wand er uns truoc.
vernt was ein schoener sumer unde kornes gnuoc.
des was al diu werlt ouch vrö.
'wer gesach ie schoener stro?'
er füllet gar dem riehen man
die schiure und ouch die kiste.
swann ez gediente dar ez sol,
so wirt ez aber ze miste.
Auch die schlusszeile des liedes (tvol im ze hove, der heime
rehte tuot) ist eine reminiscenz aus dieser spruch Weisheit; vgl.
MF 20, 1.
104, 5 (72, 45).
gefüeges mauues dceneu
daz sol man wol beschoenen.
müet des mannes hoenen —
hie ggt diu rede enzwei.
1) Oder bedeutet i-ede hier 'ratio' (in parallele zu vil wiziu herze)?
'Treib nicht dein spiel mit der Vernunft, baue nicht zu sehr auf deine
vernünftigkeit'?
zu WALTIIER VON DER VOGELWEIDE. 51
'Man erwartet ein wort, das in starkem g-egensatze zn gefüeges
mannes steht, etwa narren, wie Wackernagel (und Pfeiffer)
schreibt' Wilmanns; müediiKjes vermutet Schönbach, Zs. fda.
39, 355. Dass der vers nicht in Ordnung ist — Paul hält die
ganze stelle für verderbt — zeigt schon das fehlen des auftakts:
vgl. 103,27. 101,21. Dieser mangel wird durch die erwähnten
conjecturen nicht behoben. Eher stand für mvet des oder mvt
des in der vorläge nnwcrdes {uwerdes). Bekanntlich lassen
sich ;• und t oft nur unterscheiden, wenn man das wort über-
haupt erkennt. Der abschreiber erkannte es nicht, verstand
-des als artikel {des mannes) und war dadurch gezwungen,
die unform nwer, für die auch nwer gelesen werden konnte,
als verbalform fucet oder mvet aufzufassen. Mit letzterem
hatte er einen brauchbaren sinn (nachzeichnung wird die
Wahrscheinlichkeit dieses Sachverhalts bestätigen). Zu der
bedeutung von imicert vgl. hoveiverden 80, 34 im gegensatz zu
snarrensceren (vgl. auch 66, 37 und 102, 29). Lotersinger, die
äne hiinst vor manigen Jierren schallen (Gervelin 3, 36a), von
der art meister Ilüehentunsis (Seifrid Helbling 2, 1298), sind
hier gemeint: So er als platzloter vor des herren tische stät,
niiir in stner Univat, er schallet üf sam er tob: Herr, ich
sing in ze loh! etc. Da in dem liede 64,31 {Owe, hovelichez
singen) dieselben Wendungen gebraucht werden wie hier {un-
gefüege dame 64,32; die so frevellichen schallent 65,17), so
darf man es wol auf dieselben Verhältnisse beziehen: auf den
lärmenden Vortrag der gemeinen spielleute. Beachtenswert
ist, dass Walther gegen diese concurrenten nur kunstrücksichten
geltend macht.
104, 23 ff. (77, 1 ff.).
ich uam da wazzer:
also nazzer
muost ich von des müuches tische scheiden.
Der gute ruf des klosters Tegernsee verleitet den sänger,
den sein weg in der nähe vor überführt, zur einkehr. Er er-
wartet vielleicht ein geschenk, jedesfalls aber gute bewirtung.
'Ich nam da wazzer . . .' Wenn sich der ausdruck auf das hand-
wasser bezieht, vor oder nach tische, so ist der spruch ein
rätsei. Musste der gast abziehen, als er sich eben zu tische
52 WALLNER
setzen wollte i), so ist das ebenso unverständlich, wie wenn er
gleich nach tisch das stift verlassen musste, ohne geschenk,
oder ohne die erhoffte nachtherberge zu finden. In beiden
fällen hätte sich der dichter auch ganz anders ausgedrückt.
Knauserei oder kränkende abfertigung hätte er gewiss in
scharfem tone bestraft. Der spruch aber ist — was schon
die form der Strophe verrät — ein scherz. Es wird ein spott-
vers auf den wässeiigen klosterwein 2) sein.
In gleicher weise scherzt Guiot de Provins in seiner Bible
(1685 ff.) über einen besuch in Clugny:
Por ce que li vins est moilliez,
Me fet mal euer apres le liues,
Que trop i a du boire au bues.
Ja i a molt vilain covent,
Qui me donroit viu de coveut,
N'en seroie-je james j^vre:
Molt i fet miex morir que vivre.
Der spott über das allzu leichte klostergeträuk ist sogar in
den Sprachgebrauch übergegangen. Die noch heute lebende
bezeichnung Izofent für dünnbier oder 'hainzel' geht eigentlich
auf das klosterbier und wird ursprünglich auf den kloster-
wein gegangen sein; vgl. vinum conventus, vocat. hibende (ürk.
V. 1348); couvin, proven^ alischer name des tresterweins (DWb.
2, 157 ff.). Conventstvein nennt man noch heute in klöstern
den geringen, meist 'verschnittenen' tisch wein. Auch das
holländ. Idoosterivijn bezeichnet einen geringen wein, was im
DWb. (5, 1243) mit einigem befremden angemerkt wird.
Die Benedictinerregel erlaubt den brüderu nur ein quart
wein für den tag (credimus heminam vini per singidos sufß-
cere per diem. Eeg. S.B. cap. xl De mensura potus), lässt aber
dem prior einige freiheit in der anwendung dieser Vorschrift.
Das mag dazu geführt haben, dass man ein plus der quantität
*) Vgl. Wittenweilers Ring 35, 4 Es was ir zlunch und ane frucht,
Die hencl ze winden an dem luft, Und kam gelauffen also iiass (zum
essen, nacbdem sie handwasser genommen).
2) Burdacbs famose Tegeruseer Urkunde von 1212 war bekanntlicb
scbon 1895 von Erben (Neues arcbiv 20, 359) Otto IIl. zugewiesen worden.
Erben hatte dabei übersehen, dass schon Hurter in seiner für das Studium
dieser zeit noch immer unentbehrlichen geschichte des papstes Innocenz III.
(3. aufl. 1841) 1, 177, anm. 48G Pezens datum als druckfehler verdächtigt hat.
zu WALTHER VON DVAi VOGELWEIDK. 53
durch ein minus der qualität aufwog {Mustiim aiitem nostriim
in canalihus adaquatur, heisst es bei Buoncompagno in einem
fingierten Cistercienserbriefe, Scliönbacli, WSB 145, 67).
^Yem\ Guiot über den gewässerten wein im strengen
Clugny klage führte, so konnte Walther in Tegernsee nach
dem jähre 1215 leicht zu gleichem spotte anlass finden. In
diesem jähre ordnete Innocenz, der schon vorher in dem
generalisierten decrete für Subiaco gegen unmönchische Weich-
lichkeit und Unordnung eingeschritten war, auf der Latera-
nischen Synode generalcapitel an (c. 12 In singulis regnis)
zur reformation und Visitation der klöster. 'Und es ist zu
beraten über die reformation des ordens, über beobachtung
der regel etc.' (Hefele, Conciliengesch. 5, 790). Und cap. 14
der decrete untersagt allen clerikern trunksucht im allgemeinen
und das vortrinken insbesondere (Hefele 791).
Die beziehung des Waltherspruchs auf die decrete von
1215 lässt sich natürlich nicht beweisen; aber der spruch
würde bei dieser annähme der Interpretation keine Schwierig-
keit mehr bieten. Wie Guiot das wasser als ochsentrank i)
bezeichnet, so meint Walther, es sei bei tisch nur zum hände-
waschen gut. Er will mit der zeile ich nam da ivazzer die
Zuhörer glauben machen, es sei vom band wasser die rede. Erst
der lustige nachschlag also nazzer mit dem entsprechenden
mienen- und gebärdenspiel verriet, dass ein trunk gemeint sei.
Dass aber dies ivazzer ein Scheltwort für den klosterwein sei,
das konnte nur auf Verständnis rechnen, wenn damit auf eine
eben allbekannte Verschärfung der klosterregel angespielt wurde.
Dieser spruch bringt uns recht drastisch einen mangel zum
bewusstsein, der uns am vollen Verständnis von Walthers dich-
tung hindert: die Unkenntnis des Vortrags. Die Comedie Fran-
^aise rühmt sich, für die darstellung Molierescher stücke im
besitze einer tradition zu sein, die auf Molieres inscenierung
selbst zurückgeht; erst durch sie wird manches klar, was die
lectüre dunkel lässt. Auch bei Walther sind dichter und dar-
steiler eine person; auch er schreibt sich die rolle, und wer
^) Aehnlich beisst es in einem scheltspnicbe Friedrichs v. Sunnenbiirg:
Sin kezzelkrüt, sin sptsebröt, shi bwsen zuoberwin die hringe er vür die
hunde hin oder aber vür diu swm MSH 3, 72 (24); vgl. aucb 3, 77 (48) Duz
wazzer mit der guote win die sülen s und er sten.
54 WALLNEIl
sie von ihm übernimmt, muss ihn gehört haben. An leser
denkt er nicht; denn er stellt nicht selten die mimik in den
dienst seines humors. Nur sie macht den Tegernseer spruch
verständlich. So verriet auch nur die spöttische oder ernste
miene des Sängers, wie der spruch auf herzog Liupold (84, 14)
gemeint sei. So gab der parodierende ton in 103, 37 {ich und
ein ander töre) sogleich zu erkennen, dass ein snarrenzoere
vorgeführt werde, und das im ton unterstiichene Top (28,21.
34, 34. 105, 7) wies deutlich genug auf den beabsichtigten sinn
des Wortes hin. Ton oder geste klärte den zuhörer über die
bedeutung von vaden (44, 9) auf und Hess ihn keinen augen-
blick im zweifei, dass die anrede edder hüneges rät (84, 22)
selbstapostrophe sei (desgl. in 119, 11). Besonders bei burlesken
Sprüchen wird der anteil der 'action' nicht gering gewesen sein.
Komischer nachdruck war vielleicht der zweck der pause in
34,13 {unde lät die TiutscJien ... vasten), und beim zweiten Atzo-
spruch darf man sogar an dialogische aufführung denken. Da-
gegen beachte man das fehlen des akrostichons und ähnlicher
literarischer scherze, die nur für das augeniesen bestimmt sind.
105, 27 (74, 1). Walther hat dem markgrafen von Meissen
mit seinem liede und auch in anderer weise gedient, hat aber
nicht den erwarteten lohn erhalten und will daher den dienst
kündigen, wenn er nicht schadlos gehalten werde. Das ist
der Inhalt von 106, 3 ff. Dieser spruch erklärt den ihm vorauf-
gehenden: 'Der Meissner hätte die pflicht, mir Schadenersatz
zu leisten. Was ich mir verdient habe, darauf verzichte ich:
nur das mir verheissene {min lop) will ich haben. Dass
ich ihn mit lob noch bedenke, davor will ich mich hüten.
Lob ich ihn, so halt er auch sein gelöbnis gegen mich'); alles
weitere will ich ihm in gnaden erlassen. Sein lop muss auch
mir zu teil werden, oder ich will mein lob widerrufen zu hof
und an der Strasse.' Auch hier spielt also Walther mit dem
doi)pelsinn von lop, wie 35,3 (und 28,30); ich wüsste wenig-
stens nicht, wie man den spruch sonst interpretieren wollte.
') loh ich in, so lob er mich; zu dieser construction vergleiche man
einen spruch (Stver den tören vrömven xoil, der sol im schöne entheizen)
Rümzlants, MSH 3, 60 (28) man sol den tören lohen golt, und leisten steine,
wan swer den tören guote tuot, sin danc ist Ideine. Niclit nur 'sich ver-
loben' heisst einen lohen, wie auch Kaiserchron. 16806. 16829. 15858 zeigt.
zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE. 55
111, 14 (105. 3). ungemdlet, daz si niht gebuggerdmet wcere.
So ist die zeile überliefert. Wilmanns schreibt: iind daz si
niht gchuggerämet wcere und übersetzt: 'mag sie auch nicht in
buckeram gekleidet sein'. Da hätte er besser sivie eingesetzt
für und daz, das keinen concessivsatz einleitet, sondern gleich-
artiges anreiht. Das unterdrückte ungemdlet ist in der tat eine
so auffallende tautologie, dass es beinahe wie eine schreiber-
glosse zur vorhergehenden zeile aussieht. Auffallend ist noch
manches andere in der ganz unverständlichen Strophe. So die
erwähnung des hucJierdm, da nur vom schminken des gesichts
und von der haartracht die rede ist. Üf gebunden wird von
Weinhold (D. deutsch, frauen 2, 301) als 'hinaufgebunden' er-
klärt; wie soll man aber dann v. 20 verstehen, der offenbar
einen gegensatz ausdrückt: diu ir sivarzen nac vil höhe
blechen Idt? Dabei ist noch der sivarze nac eine crux für
sich. Die ganze Verwirrung löst sich durch annähme eines
lesefehlers: ^ i • -
Selpvar ein wip,
äue wiz-rot, gänzlicher stsete,
'nugemälet' (daz si niht genüggerämec wserel) —
Ich lob ir lip,
swie ich si doch nie niht gehsete,
ja hoere ich gerne von ir guotin msere,
Diu ir val här iif gebunden hat.
bi ir manegiu hin zer kirchen gät,
diu ir swarzen nac vil hohe blecken lät:
ich ween daz gebende ungliche stät.
genügge = geniche, nac {nuc, nücJcen Lexer 2, 118); rdmec
'schmutzig, russig'; vgl. ein hüt swarz als ein ran Gute frau
2795; der si mit rdme und valscher varbe uneret Renner 16641;
ein sinegelglas lüter dne rdmec mal Pass. 671, 59. Das letzte
citat zeigt, wie ungemdlet zu verstehen ist. Es liegt wider
Walthersche amphibolie vor: der hörer versteht nach dem
vorausgehenden natürlich 'ohne maierei'. 'Nein', sagt der
dichter, 'auch ohne mal, dass sie nämlich nicht nackenrussig
wäre!' Üf gebunden heisst hier 'losgebunden, offen': Ein weib
mit eignem teint, ohne schminke, durchaus echt, ungern alet,
dass sie (nämlich) nicht russnackig wäre — : die lob ich, wenn
ich auch nichts von ihr begehre, und höre gerne gutes von
ihr reden, die ihr blondhaar offen trägt! Neben ihr geht
r
6 WALLNEIi
manche zur kirclie, die ihren schwarzen nacken hoch hinauf
entblösst. Ich meine, die sehen ungleich aus.
Die Strophe zielt auf die neu aufkommende mode, das haar
aufzustecken, um den nacken bloss zu tragen; vgl. Xeidhart
38, 37 ff.: decl^en haz doz neclcelm! (Weinhold 2,300 f.). AValther
spottet über den kontrast zwischen dem weissrot geschminkten
antlitz und der dunklen naturfarbe des nackens. Er lobt sich
die bisherige mädcheusitte; freilich dürfe das offne haar nicht
etwa einen ungewaschenen nacken verdecken (vgl. Freid. 70, 10
su'cr rämec st der wasche sich und tuasche daiDie mich).
116,30 (29,38).
Dazs iht anders kunne,
daz sol man gar übergeben.
Ich hatte mir überheben angemerkt — ehe ich wusste, dass
übergeben bloss eine conjectur Lachmanns sei — wegen der
wenig passenden bedeutung dieses Wortes. Nun ist verhehl
(C, E) überliefert (was in Pauls und ^Mlmanns apparat fehlt),
eine Verderbnis, die sich leicht aus H-verhebn erklärt. Zu den
belegen der wbb. füge ich noch Rol. 9085 ih nehän thir niht
überhaben; Genes. 1118 niht der ivir ubcrhuoben; 3289 alle sis
erslvogen, ncheinen uberhvoben.
119, 11.
Hoerä "Walther, wiez mir stät,
min trütgeselle von der Yogelweide,
Helfe suoche ich nnde rät:
diu wol getane tuot mir vil ze leide.
Kunden wir gesiugen beide,
daz ich mit ir müeste brechen bluomen au
der liebten beide I
Lachmann rückt die Strophe von den übrigen ab. Wilmanns
hält sie für spätem zusatz, Wackernagel verweist sie in die
anmerkung, Pfeiffer und Paul unterdrücken sie ganz, Simrock
erklärt ihretwegen das ganze lied für unecht. Ich halte die
Strophe für ein seitenstück zu dem spruch 84, 22. Dass Walther
gern mit seinem namen hervortritt, ist bekannt: zu stolzer
betonung des ich (Ich Walther 150, 89), zu nachdrücklicher
entgegnung {Her Walther singet sivaz ir tvil 18, 11 und 18,6),
zu witziger anspielung (74, 19 und vielleicht 34, 17). Yon den
dialogstellen 24, 33 (Walther, ich solle lieben dir) und 100, 33
zu WAf/rHER VON DER VOGELWEIDE. 57
OValthcr, du zürnest äne not) bis zur selbstanrede in unserer
Strophe ist der weg nicht mehr weit. In 84, 22 gibt Walther
einem landläufigen motiv durch die selbstapostroplie cdcler
Jcünegcs rät eine neue witzige wendung; so auch hier. Hein-
rich von Morungen (hs. E schreibt das lied Walthern zu) ruft
einmal seine freunde zur sangeshilfe auf (MFr. 146,3): Helfet
singen alle, mine frhmt, und zieht ir zuo mit [gemeinem]
schalle, daz si mir genäde tao. schriet daz min smerze miner
fromven herze breche und in ir ören ge. si tiiot mir ze lange
we (vgl. Walth. 119, 14 diu wol getane tuot mir vil ze leide).
Auch andere ahmen dies clamar merce nach'), Walther aber
drückt ihm durch die lustige auf f orderung an sich sein eigenes
gepräge auf. Selbstbewusstsein oder selbstironie — wie in
84,22 — mag in diesem parodistischen zuge^) stecken; das
übermütige lied findet mit ihm den glücklichsten abschluss.
Walthers doppelnatur aber zeigt sich auch in dieser einzel-
heit. Verdankt er das motiv des crier merci dem minnesang,
so ist die art, wie er es verwendet, wie überhaupt das hervor-
treten mit dem eigenen namen, ein erbe der Spielmannsdichtung.
Sehr nahe steht unserer Strophe das selbstcitat: Swer suochet
rät und volget des, der hahe danc, alse min g es eile Sper-
vogel sanc.
[Nachtrag. 25, 36. Zu der hier für loBren erforderlichen
bedeutung 'ledigen, lösen' vgl. Bech, Germ. 32, 118.
44, 9. Für hahn lässt sich der von Hildebrand dem vadem
zugeschriebene sinn tatsächlich belegen: 'Von disen (römischen)
Grafskrenzen haben wir noch ein Sprichwort in Festo Pomejo
') Nu loünschet al gemeine, daz min leit zerge: Die ich mit triuiven
meine, diu tuot mir dicke ivc. Daz ich ir tverde erlcant — ein litis der
loare ein pfant, den ich vür tüsent marJce name sä zehant — ein mn-
bevanc mit armen hlanc des wünschet dem der den reie^i sanc Konrad von
Altstetten (MSH 2,65b). — Wol her alle, helfet singen! Ulrich von Lichten-
slein (MSH 2, ■i2b) = L 563). — Mine vrinnde, helfet mir der liehen danken,
der ich singe üf höhen pris Tanhuser (MSH 2, 91). — Helfet mir, ir leien,
meien klagen Kauzler (MSH 2, 395b). — Vgl. auch Wilmauns, Leben 3, 52.
'-) Die zweite Strophe des liedes ist übrigens ein gegenstück zn Reiu-
mar 196,17: Ich gelache in iemer an, kicmt mir der iac daz in min oiige
ersiht, wände ichs niht verläsen kan vor liehe daz mir also ivol geschult,
e ich danne von im scheide, so mac ich wol sprechen 'gen tvir brechen
bluomen üf der heide'.
58 WALLNER, ZU WALTHEU VON DER VOGELWEIDE,
das heilst herbam dare, da^ hrenzlin überantworten oder wie
wir Teutsclien sagen: das helmlin geben, das ist: er sei mein
meister und lierr sein' Hieron. Bock, Kräuterbuch 15G0.
bl. 254 a (Birlinger, Germ. 16, 86).
80, 27. Den Bog-ner — und diesmal ist zweifellos das
bairisclie gesclilecht gemeint — nennt auch der Tanhüser in
einer klage über verstorbene gönner MSH 2,89 a (6,13):
Ein Herraan üz DüriBgen lant,
dar zuo ein Brabandfere,
Chiionrät von Lantsperc genaut,
dar zuo der Bogensere,
Des milte was mir wol erkant:
wer erbet nü ir milte?
101, 31. Aelinlich wie im 1. büchlein gebraucht Hartman
die redensart ze betne binden auch MF 211, 12:
got hat vil wol ze mir getan,
als ez nü stat,
daz ich der sorgen bin erlän,
diu manegen hat
gebunden an den fuoz.]
GRAZ, im mai 1907. ANTON WALLNER.
PARZIVAL 171, 5.
im ist noch wirs dan den die gent
nach porte aldä diu venster Stent.
Martin versucht in seinem commentar diese Variante der hs. D
g-egenüber der gemeinen lesart nach hröte zu verteidigen;
kaum glücklicher als Haupt (zu Erec 7905, vgl. dazu Zs. fda.
40,60). Gegen die lesart von D sprechen schon formale be-
denken. 'Wäre ].)orte richtig, so würde man den artikel kaum
entbehren können', erinnerte Bech, der zuerst für die lesart
ndcJi hröte eintrat (Germ. 7, 298). Er hätte hinzufügen können,
dass man nach porten erwarten müsste, da porte doch mei-
stens scliwach gebraucht wird (Parz. 20, 12 icand er einer
porten phlac). Und auf wen könnte sich der ausdruck über-
haupt beziehen? Doch nur auf blinde oder trunkene oder
wahnwitzige. So übersetzt denn auch San Marte: 'er duldet
schlimmre pein als die, die nach der türe blind hintappen,
wo nur fenster sind', während Martin seine parallele aus
einem schlemmerliede holt: 'Auff den abend worden sie be-
hende, sie liffen mit den köpffen widder die wende da kein
thür nicht was. sie fielen in die winckel. sie sprachen: »gebt
vns zutrincken wol aus dem hohem glas!«' (John Meier, Berg-
reihen s. 68). An die dritte möglichkeit habe ich selbst einst
gedacht, als ich, unbewusst im banne von Lachmanns text,
die lesart nach hröte als anspielung auf Iwein 3303 deutete
(Zs. fda. 40, 62).
Der context lässt keinen zweifei darüber, dass die redensart
nur auf verschämte armut gehen kann. Gurnemanz gibt
seinem^ scheidenden schüler die lehre mit, barmherzig gegen
notleidende zu sein: iuch sol erharmen nötec her: gein des
humher sU ze wer. Aber dem jungen toren muss auch ge-
sagt werden, dass damit nicht bloss bettler gemeint seien:
60 WALLNER, PAUZIVAL 171,5.
der Icnmherliaffe iverde man wol mit schäme ringen Jean ...
im ist noch tvirs dan den die gent nach hröte aldd diu venster
Stent. Sobald sich diese redensart als umsclireibmig für 'betteln'
nachweisen lässt, darf man in j^orte nur noch einen lapsus
calanii sehen. AVährend nun Lachmann, Haupt und IVIartin
vergebens nach einem brauchbaren beleg für die von ihnen
angenommene sprich Avörtliche redensart fahnden, fehlt es daran
für die Wendung nach hröte gen keineswegs: man sol in mit
nichte läsen not liden ader nach hröde gen Eechtsb. des J. Bur-
goldt s. 292; ich scheme mich noch hröte zu gen Eothes Chron.
c. 437 (Bech a.a.O.); ich ivil zwar ein huolen hau und solt ich
darumh nach &rO(f ^«n Diocl. 3400; herre got, mins ivülen mich
ervröu daz si laufen tiäch dem Ideine^i hröt in Icurzen tagen!
MSH 3, 188 b (vgl. auch 3, 191b; DWb. 2, 401). Am nächsten
aber kommt der Parzivalstelle eine Strophe in Fran^ois Yillons
Grant testament: Oa sont les gracieux gallans que je suivoye
ou tenips iadis? ... Les aucuns sont mors et roidiz ...Et les
aucuns sont deucnus, Dieit mercy! grans seigneurs et maistres,
Les autres mendient toiis nus, Et pain ne voient qu'aux
fenestres (v. Wurzbach, Die werke Maistre Fran^ois Yil-
lons s. 66).
Aus dem brauche des fensterbettels erklärt sich auch
das Sprichwort Karcheit ist himels venster schühel (Eenner
992) und die noch heute übliche redensart 'sein geld zum
fenster hinauswerfen (il jette son bien par la fenetre)', wäh-
rend die Wendung nach hröte gen in dem geflügelten wort
'Die kunst (ursprünglich die der spielleute!) geht nach brot'
weiterlebt.
GKAZ, mai 1907. ANTON WALLNEE.
DIE
VORLAGE FÜR DE LA LOUBERES ABSCHRIFT
VON NOTKERS PSALTER.
Simon de la Loubere, damals secretär des französisclien
residenten bei der eidgenossenschaf t, des barons de St. Romain,
kam 1675 ') in den besitz der absclirift eines St. Galler codex
1) Irregeführt durch die Avenig- präciseu angaben des Eloge de M. de
la Loubere (Histoire de l'academie royale des inscriptions 7, 420) glaubte
Kelle (Die St. Galler deutschen Schriften s. 211^7), Loubere habe bis zum
autritt seiner gesantschaftsreise nach Siam 1687 iu der Schweiz geweilt.
Wir wissen jedoch aus dem Supplemeutum praefatiouis zu Schilters Tlie-
saurus I, v, dass er 1678 iu Strassburg den posten eines envoye du roi be-
kleidete. "Wahrscheinlich hat er schon im laufe des Jahres 1676 die Schweiz
verlassen. St. Eomain Avurde nämlich auf sein ansuchen am 21. december
1675 abberufen (Amtliche Sammlung der altern eidgenössischen abschiede
"Sn, 1 A, 993). Er betraute zwar Loubere mit der einstAveiligen führuug der
geschäfte (a. a. o. s. 989), aber unter St. Romains nachfolger, Robert de Gravel,
herrn vou Marly, der anfangs mai 1676 (a.a.O. s. 1003) eintraf, finden wir
bereits im october einen andern secretär, namens Baron, tätig (a. a. o. s. 1027).
Ferner lässt sich dafür die tatsache geltend machen, dass Loubere sämmt-
liche Staatsverträge der Schweiz sowie die beschlüsse der schweizerischen
tagsatzungen über Verhandlungen mit fremden mächten bis 1675 hand-
schriftlich besass, über dies jähr hinaus aber nicht. Als er einer der niain-
teueurs der jeux floraux in Toulouse, deren 1694 erfolgte reorgauisation
wesentlich auf ihn zurückgeht, geworden war, deshalb in seine Vaterstadt
sich zurückzog und eine junge verwante heiratete, beschloss er seine biblio-
thek oder doch einen teil derselben zu veräussern. Der für diesen zAveck
hergestellte catalog hat sich als beilage seiner correspondenz mit Leibniz,
zu dem er in folge seiner mathematischen Studien (M. Poiteviu - Peitavi,
Memoire pour servir ä l'histoire des jeux floraux, Toulouse 1815, 2, 62) in
beziehungen getreten war, erhalten: s. E. Bodemanu, Der briefAvechsel des
G. W. Leibniz in der kgl. bibliothek zu Hannover (1889) s. 127. Er besteht
aus einem quartbogen, von dem sechs selten und eine halbe zweispaltig
bedruckt sind und der 350 nummern in folio, 61 iu quart, 94 in octav und
G2 STETNMEYER
von Notkers Psalter. Er gestattete 1697 nach anfänglichem
zögern auf Mabillons bitten hin, dass sie für Schilter ein ge-
wisser Schott (Jahresbericht 1903, 6,27) in Paris copieren durfte.
Diese copie gelangte dreissig jähre später im ersten bände von
duodez verzeichnet, darunter manche mss., aber nicht den uns interessie-
renden Notker. Der titel lautet: Catalogue / des Ihres / de 31. D. L. L.
(von Leibniz handschriftlich ergänzt zu Mr. De La Loubere) j Qni se
vctidront an plus offrant & dernier encherisseur ; A Paris an / College des
Trois Eveques, Place de Cavilray, 23>'^^s la Fontaine de S. Benoist, / le
Liindy 8. May, & aiitres jours suivans, ä deux heures de releree. Die
2)lace oder terre de Camhray, welche heute nicht mehr existiert, wurde
von einer ausbiichtung der nie St. Jacques hinter der kirche St. Benoit ge-
bildet. An diesem platze lag das College de Camhray, mitunter auch College
des trois evegues genannt: dort hielten einige Juristen ilu-e Vorlesungen
(Nouvelle descriptiou de la France, tome secoud par Pigauiol de la Force,
Amsterdam 1719, s. 119). Der auctionscatalog entstammt dem jähre 1702.
Denn s. 5b werden darin genannt Gazettes des Amiees 16S6. 88. 00. Ol.
92. 93. 99 & 1700; im ersten decenuium des IS.jh.'s fiel der 8. mai nur
1702 auf einen montag ; endlich finden sich unter fol. 238 aufgeführt Traites
des Stusses arec la France, & avec les aidres Princes, 5. vol. 31. S. Mit
diesen fünf bänden beschenkte Loubere Leibniz zur gegengabe für den
ersten band von dessen Codex jims gentium am 31. august 1702; in der
beilage seines briefes von diesem tage beschreibt er sie folgendermassen:
Deux tomes en alleman 3Iss. de tous les Traittez des Suisses entreux et
auec tous les Princes Etrangers Jusqu'en 1Ü75 aulant cpi'tl a ete possihle
d'en trouuer. Trois auires uolumes en alleman Mss. oh sont exlraits des
Peces des dietes des Suisses sous les articles de leur ncgotiations auec la
France princijialement et aidres Potentats depuis Tan 1498 jusguen 1675.
Sie werden zu den unverkauft gebliebenen resten gehört haben; denn dass
die Versteigerung wirklich stattfand, ergibt der Wortlaut von Louberes
schreiben: Je me suis depuis 5. ou 6. ans ahsorhe dans les soins de mes
affaires domesligues. Cela eiait necessaire pour reparer les breches qu'auoit
failtes ä ma fortune une negligence ou pour mieux dire un oubli de 30.
annees. J'ay encore pour 4 ou 5 inois de trauail, mais ceriainement je
wen ay pour dauantage, et apres cela je donneray le reste de ma nie ä
7nes amis et ä mon cabinet. J'ay retranche beaucoup de mon ca-
hinet, mais je ne pjretens pias auoir retranche de mes amis. Aus Leib-
uizeus antwort, deren concept vom 6. november 1705 datiert ist, sei der
satz ausgehoben: 3Ions. Schilter qui cstoit occupe ä publier vostre Kotgerus
avec son Otfridus est mort. je ne sag si quelcun est et Strasbourg qui en
pwurra prendre soin. — Nicht ganz uninteressant wäre vielleicht ein auf-
schluss über die grundlage von Uhlands bemerkung in seinem briefe vom
17. mai 182 L an Lassberg (Briefwechsel ed. Pfeiffer s. 18): 'unter den hier
zurückfolgenden collektaueen findet sich ein citat: Epist. ad D"'"" de la
Loubere, regis Galliae apud Confeder: Helvet: Oratorem, Soloduri.'
NOTKERS PSALTER. G3
Scliilters Thesaurus zum abdruck. Aber ehe Schotts manuscript
an seinen auftraggeber abgesaut war, hatte, noch im jähre 1G97,
Rostgaard es sich abschreiben lassen und später mit der für
Loubere genommenen Originalabschrift verglichen: daher besitzt
sein jetzt zu Kopenhagen als no. 2066. 4'^ der gamle kongelige
samling aufbewahrtes exemplar entschiedene Vorzüge vor Scliil-
ters druck. Für diejenige St. Galler hs., aus welcher Louberes
und Scliilters text stammte, sahen Wackernagel und andere
den noch erhaltenen Sangallensis 21 an. Hingegen bemühte
sich Kelle, Hattemers spuren folgend, in seiner academischen
abhandlung Die St. Galler deutschen Schriften und Notker Labeo,
München 1888, s. 207 — 216 = 3 — 12 des Separatabdrucks und
ausführlicher in seinen Untersuchungen zur Überlieferung, Über-
setzung, grammatik der Psalmen Notkers (Berlin 1889) s. 1— o4
darzutun, dass Louberes und damit auch Rostgaards und Schil-
ters quelle die jetzt verschollene mutterhs. jenes Sangallensis
gewesen sei. Widerspruch gegen Keiles beweisführuug, deren
ergebnis in seine LG. 1, 240 — 243 übergieng, ist meines Wissens
nicht laut geworden, vielmehr stimmten ihr nicht wenige ge-
lehrte rückhaltlos zu, so Köge], Centralbl. 1889, sp. 1313; LG.
1, 2, 607 und Grundriss 2^ 144; Seemüller, Zs. f. öst. gymn. 1889,
s.923f.; Behaghel,Literaturbl. 1891, sp.52 f.; Rannow,DLZ.1891,
sp. 1345. Auch ich erklärte mein einverständnis im Anz. fda.
17, 330 f. und in den Ergebnissen und fortschritten (1902) s. 208.
Ernstere bedenken stiegen mir erst auf, als ich im sommer
1905 für die zwecke des Ahd. wb.'s den Psaltertext abschrieb
und ihn, zur erzielung möglichster Zuverlässigkeit, mit Hatte-
mers und Schilters ausgaben von wort zu wort verglich: in
zahllosen fehlem und graphischen eigentümlichkeiten stimmten
Schilter und der Sangallensis derrnassen überein und wichen
so minimal von einander ab, dass an eine vom Sangallensis
verschiedene vorläge für Schilter zu denken angesichts der
notorischen änderungslust mittelalterlicher Schreiber gewagt
erscheinen musste. Meine zweifei wuchsen, als ich im märz
vergangenen Jahres das Kopenhagner manuscript einzusehen
und im august unterschiedliche stellen des Sangallensis nach-
zuprüfen gelegenheit fand. Wenn ich indessen jetzt den nach-
weis antrete, dass als vorläge für Loubere bez. für Rostgaard
und Schilter nur der St. Galler codex 21, nicht irgend ein
64 STEINMEYER
doppelgäuger von ihm, in frage kommen könne, so gescliielit
das nicht um der constatiening dieser an sich höchst gleich-
giltigen tatsache willen, sondern weil alsdann die von Kögel
a.a.O. seiner LG. formulierte philologische pflicht: 'für eine
kritische ausgäbe des Psalters muss also R* [= Rostgaards
abschritt] seite für seite verglichen und ausgenutzt werden'
uns nicht mehr obliegt. Ich werde mich tuulichster kürze
befleissigen; Vollständigkeit der belege liegt daher nirgends
in meiner absieht, i)
I. S. 28—31 seiner Untersuchungen zählt Kelle mehr
denn 200 stellen auf, an welchen die lesart von RSch = X
den Vorzug vor derjenigen von SG verdiene: daraus folgert er,
dass X nicht aus SG, sondern nur aus dessen mutterhs. ge-
schöpft haben könne. Da man diese Stellensammlung allgemein
als beweiskräftig angesehen zu haben scheint, so muss sie bis
ins einzelne nachgeprüft werden. Ich verbinde damit die be-
sprechung verschiedener von Kelle nicht behandelter lesarten
und ziehe des öfteren eine dem 17. jh. angehörige copie des
SG bei, welche der St. Galler codex 12862) enthält.
1. Eine reihe der angeblich schlechteren lesarten von SG
beruht auf lesefehlern Hattemers (die zahlreichen von Piper
in den text neu eingeführten Irrtümer können uner^vähnt
bleiben). Ps. 34, 9 (118, 4) freimit (nicht f reimet) SG = X, 1286.
— Ps. 34, 17 (120, 13) tiiöst (nicht tuös) SG = X, 1286. —
1) R bezeiclinet Rostgaards abschrift, Seh Scliilters druck, SG den
Sangalleiisis 21, WN den Wiener Notker, X Louberes verlorene copie, so-
Aveit sie sich aus der Übereinstimmung von R und Seh erschliessen lässt.
Zahlen in klammern gehen auf Pipers ausgäbe.
2) Leider ist der wert dieser bei Ps. 117, 8 abbrechenden abschrift für
meinen zweck geringer, als er sein könnte: denn nur ihr erster Schreiber,
der bis bl. 3ß4a tätig war, berücksichtigte die zwischenzeiligen glossen.
Die vielfach durch beschneiden geschädigte, mit 352 auf dem dritten blatt
beginnende, mit 487 schliessende foliieruug zeigt, dass nur der rest einer
umfänglicheren hs. vorliegt, deren Wasserzeichen ein undeutlicher heral-
discher adler bildet. Zwischen jedes blatt ist ein unfoliiertes leeres von
stärkerem papier mit einem doppeladler als Wasserzeichen eingezogen,
dessen äussersten rand eine nicht gerade von sonderlicher kenntnis der
ahd. spräche zeugende präparation zu dem jeweils gegenüberstehenden
Kotkerabsehnitt einzunehmen pflegt: darin werden zweimal glossen aus
Eckharts Francia orieutalis citiert.
NOTKERS PSALTER. 65
Ps. 34, 25 (122, 22) wurde nicht clannc zu da^ ne corrigiert,
sondern umgekehrt da^ ne zu danne; dies danne weisen auch
X, WN, 1286 auf. — Ps. 40, 14 (153, 8 f.) Fiat fiat. So fare iz.
so fare iz SG wie X. — Ps. 42,3 (158,24) hat SG unter dem
e von dien einen deutlichen tilgungsstrich, stimmt also mit X
idtn) überein. — Ps. 44, 5 (169, 10) und 44, 8 (170, 12) weicht
SG mit mdmmendi (nicht mdmcnti) und uisihili (nicht uisibile)
von X, 1286 nicht ab. — Ps. 48, 20 (188, 16) Er (nicht Et) gät
Idna SG, X, 1286. — Ps. 59, 2 (226, 8) fehlt Sohal nur bei Hat-
temer, nicht in SG. — Ps. 75,3 (304,4) hat, wenigstens nach
Piper, auch SG frido. — Ps. 77, 54 (320, 13) heiligen (nicht
heilgen) SG = X, 1286. — Ps. 77, 66 (322, 27) testamenti (nicht
testamentum) SG = X, 1286. — Ps. 88,12 (368,23) erda fehlt
in SG über terra nach Piper nicht. — Ps. 92 prooem. (391, 13)
imas SG = X. — Ps. 94, 3 (399, 21) gratia (geschrieben gra)
SG = X. — Ps. 96, 10 (408, 1) lianden (nicht Jiandon) SG
nach Piper = X. — Ps. 112, 3 (484, 9) sizzentem SG, X, 1286.
— Ps. 118K, 73 {^l'^^lQi) plasmaiierunt (mcht psalmauerunt)
SG = X. — Ps. 138, 13 (578, 14) JDaz ist (nicht ih) SG = X.
— Cant. Abac. 10 (622,3) populi (geschrieben xjpli, von Hat-
temer als apli =-- aiwstoli verlesen) SG ^ X. — Cant. Abac.
16 (623, 21) unde si (nicht sie) uuerde SG = E, sie Seh. • —
Cant. Abac. 17 (623, 32) bietet auch SG, nicht bloss X, den
durch AVN bestätigten Wortlaut Baz sie dö (nicht so) gcMezen.
2. Eine weitere reihe der angeblich schlechteren lesarten
von SG beruht auf irrtümern Keiles. Ps. 15, 3 (40, 27) hat X
Dominus, während dafür in SG omnes (1286 oes) steht; omnes
ist das richtige, wie die deutsche widergabe mit alle mine
uuillen erweist. Dominus entstand aus falscher auflösung der
abbreviatur für omnes. — Ps. 33, 1 (112,3) ist vor fristot am
zeilenscliluss ant in SG ausradiert; in uuirt fristot gehen also
SG,X, 1286 zusammen. — Weshalb Ps. 34, 10 (118,15) das
sinnlose chripsent von X den Vorzug vor chripfent von SG
verdienen soll, begreift man nicht. — Ps. 44, 12 (172,8) hat
SG die Worte äne fleccJieti nicht in den text gezogen, sondern
bringt sie gleich X interlinear: Absqiie mucula {äne fJecchen).
ahsque ruga {äne rünzun). uuile er dih sin. — Auch Ps. 55, 10
(213, 26) und 61, 8 (233, 9) weicht SG mit sceinest du daz du
und mit dar die nicht von X ab. — Ps. 72, 15 (290, 2) hat
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXII. 5
66 STEINMEYER
SG das e von lüde zu o corrigiert, stimmt sonacli mit X
iiberein. — Ps. 89, 7 (378, 25) teilt R den fehler in ander man
mit SG; erst Seh setzt aus richtiger conjectur ein. — Ps.
102, 19 (431, 19) ^e zeseuimn sinis fater und 103, 3 (433, 8 f.)
diu gehot minno differieren SG und X nicht; nur liest Seh
an der ersteren stelle zesmiiin. — Ps. 7, 8 (18, 6). 37, 4 (135, 26).
73, 17 (297, 18 f.) steht in SG nicht uroge, sonetdge, unfroten,
sondern üroge, sone tage, unfrbtcu] und wenn auch an dem
ersten dieser orte das übergeschriebene v jünger ist, so war
es doch längst vorhanden, als Louberes abschrift genommen
wurde, sodass es gleich den übrigen o (Ps. 10, 5 (32, 14) he-
sochet, Ps. 18,8 (58,22) froten, Ps. 33,21 (115,16) behotet) in
ou oder uo auflösung erfuhr.
3. In einer anzahl von fällen weicht nur E von SG ab,
während Seh mit diesem übereinkommt. Ps. 34, 7 (117, 17)
beusculden SG, Seh, heunscidden R, aber das erste n ist mit
einschaltezeichen übergeschrieben, und am rande steht 'sie'.
— Ps. 34, 16 (120, 1) Jcestuncte SG, Seh, kestungte R, g viel-
leicht aus c corrigiert. — Ps. 37, 9 (137, 15) füe SG, Seh, filo R,
0 aus correctur. — Ps. 45, 3 (174, 23) ne dorfton (nicht dorften)
SG, Seh, 1286, ne dürften, das letzte e aus correctur R. — Ps.
54,17 (209,11) cristane^) SG, Seh, cJiristane R. — Ps. 63,9
(241, 3) Jcesähen SG, Seh, Icesehen, e aus correctur R. — Ps. 64, 5
(243, 8) iruelelost SG, Seh, 1286, iruueletost R. — Ps. 67, 5
(253^101) Cantate SG, Seh, CaniahoB. — Ps. 67, 29 (260,22)
din uirtiis SG, Seh, diu iiirtus R. — Ps. 68, 4 (264, 7) urdrüzzi
SG, Seh, irdruzzi R. Vgl. Ps. 15, 10 (43, 9), wo SG, X in ur-
druzzi übereinstimmen; Ps. 118 D, 28 (507,25). 118 G, 53 (515,2)
steht sogar ürdrüzedo, vrdrüzeda. — Ps. 100, 4 (417, 21) uuülo
SG, Seh, uuille, e aus correctur R. — Ps. 101, 24 (425, 26) un-
zint SG,Sch, unsint R. — Ps. 103,18 (438,11) murmenti SG,
Seh, murmento R. — Ps. 104, 36 (448, 30) sluögh SG,Sch, Slüog,
darauf rasur von h R. — Ps. 105, 13 (453, 7) säligcheit SG,
Seh, säligheit 'R. — Ps. 118 de psalmis graduum (544,18)
iiuorchta SG, Seh, uiiorhta R. — Ps. 138,4 (576,23) mina
1) Unterschiede zwischen SG und Seh, welche der häufige gebrauch
grosser anfangsbuchstaben und der mangel der accent- und längezeichen
in Seh verursacht, Hess ich unberücksichtigt.
NOTKERS PSAI/rER. 67
uucga SG, Seh, mine uuega R. — Ps. 138, 20 (579, 24) iro
folgeärra SG, Scli, irro folgeärra E. — Cant. Ezecli. 10 (610, 15)
däcta SG, Seh, dähfa R. — Cant. Annae 3 (614, 13) iüuuerro
SG, Seh, iimuero R. — Symb. Äthan. 6 (640, 31) hegrifen SG,
Seh, hegriffen R. — Symb. Äthan. 38 (644, 10) irgehen SG, Seh,
ir gäben R. Hierher gehört auch, wenn Ps. 61, 1 (231, 18) für
transilientem nherstrkchenten SG, Seh in R uhers : ricclienten
erscheint, oder wenn Ps. 17, 34 (53,27) statt liimele SG, himelo
Seh in R Mmela auftritt (es handelt sich nicht um einen acc.
pl., wie Kelle s. 101 der Untersuchungen meint, sondern um
einen dativ sg.). Die grosse mehrheit dieser fälle machen teils
offenbare fehler von R aus, daher entstanden, dass Rostgaard
(wie Kelle selbst, Untersuchungen s. 10, einräumt und belegt)
das elaborat seiner Schreiber nicht aufmerksam genug revi-
dierte, teils änderungen mit der tendenz, vermeintlichen oder
wirklichen versehen abzuhelfen und üblichere formen einzu-
führen. Hätte beispielsweise die mutterhs. von SG Ps. 104, 36
slaog, wie R corrigiert, oder Cant. Ezech. 10 dähta, wie R
aufweist, enthalten, wie wollte man es sich erklären, dass un-
abhängig von einander zwei Schreibern, sowol dem alten von
SG als dem modernen Schilters, die selteneren und eigentüm-
licheren formen sluögli und däcta in die feder gekommen
wären? Ich muss überall, wo SG und Seh gegen R zusammen-
stehen und wo für Seh nicht ein streben nach normalisierung
sich wahrscheinlich machen lässt, die Schreibweise von SG,
Seh für ursprünglicher erachten.
4. Mehrere der vorgeblich minderwertigen lesarten von
SG erweisen sich aber bei genauer Überlegung als ursprüng-
licher, die scheinbar besseren von X hingegen als willkürlich
geändert. Ps. 41, 2 (153, 22 ff.) lieisst es in SG: unsih mügcn
dürstege imerden. dero getstUchun Idbo. dm föne chrisfo cliümet.
der fons refectwnis ist] über den drei letzten werten steht
interlinear: pnmno urstendi ist. In X lautet indessen der
letzte Satzteil: der fons resurrectionis ist, und resurrectionis
zieht Kelle darum vor, weil es allein zu der deutscheu Über-
setzung urstendi passe. Was soll man sich aber unter 'einem
bruunen, einer quelle der auferstehung' vorstellen? Eine
weibermühle vielleicht? Dass an unserer stelle nur fons re-
fectionis, nachgebildet der ac[ua refectionis des Psalms 22, 2,
5*
68 STETNMEYER
eclit und möglich ist, erhellt sowol aus WN (136,9): derdir
ist ein hrunne dera lahimga, als aus dem von Henrici s. 118, 2
aus Cassiodor beigebrachten quellenbeleg: fons auteni aquanim
Christus est dominus, unde omnia fluunt, quaecunque refi-
ciunt. Der inteiiinearglossator hat also, verführt von der
graphischen ähnlichkeit beider worte, refectionis für resurrec-
tionis genommen und demgemäss verdeutscht. Ganz der gleiche
lapsus lief dem redactor von WN unter, als er die Psalmstelle
146,9, welche SG (599, 13 f.) in der fassung: Also ist is nu
gefdren fdiis incredulorum. die cqlesti refectione gesögen uuer-
dent überliefert, widergab mit (342, 5 ff.): also is nu gifaren
ist. dei chint dera unglouhigen deidir mit dera himilisgen ur-
stendi gizogen uuerdent. Dieser interlinearglossator hat auch
sonst sich versehen zu schulden kommen lassen: er schrieb
z. b. Ps. 107, 3 (466, 11) über den durch WN bestcätigten text:
in quinquagesimo VI psalmo die worte: an deus repidisti. Sie
stammen aber aus Ps. 59,3: seinen irrtum veranlasste Ps. 107,14
(468, 11). X aber, das an der Übersetzung von refectionis mit
urstendi denselben anstoss wie Kelle nahm und dem im lauf
seiner arbeit resurrectio urstendi häufig vorgekommen war,
ersetzte refectionis durch resurrectionis. — Ps. 65, 10 (248, 15)
ignisti nos sicut ignitur argentum verdient ignitur (geschrieben
ignit) von SG unbedingt den vorzug vor ignitum von X. Denn
ignitur ist eine von Augustin, Enarrationes in psalmos zu
dieser stelle (Migne 36, 796) überlieferte Variante der Itala;
wir wissen aber zur genüge, wie stark der Notkersche Psalmen-
text mit italischen elementen durchsetzt war. — Ps. 89, 13
(381, 11 ff.) bietet SG durchaus angemessen das folgende:
Vuird eteuuaz trühten hdra ze uyis pecheret. ennan föne dinemo
dnden. an denio du auersus (darüber ddnabecMrit) pist: ich
verstehe nicht, wie Kelle hier den Schreibfehler adversus, den
X aufweist, vorziehen kann. — Ebenso wenig begreift sich,
dass er Ps. 92, 4 (392,22) in dem satz: Daz nieman diu here
martyrum gerüohon nemag das sinnlose getriiohon (nicht ge-
trüohen) von X für richtiger erklärt, während allein gerüohon
'zählen' in den Zusammenhang passt. — Ps. 134, 18 (569, 17 ff.)
lautet in SG: Daz sint die. die nicht nehdhent oculos fidei. noh
aures aiidiendi. Statt fidei liest man in X videndi; da dies
eine schöne parallele zum folgenden audiendi zu bilden scheint,
NOTKERS PSAT/rER. 69
SO hält es Kelle für ursprüng-liclier. Leider ist es nichts als
eine willkürliche conjectnr. Denn Augustin (Henrici s. 341, 21)
sagt: oculos hahent et non vident; hahent enim oculos corporis,
sed non hahent oculos fidei. Dasselbe fidei setzt WN (313, 8)
mit seiner Übersetzung dei oiigen dera gJouha voraus.
Schon einige mal wurde der Wiener text subsidiär heran-
gezogen. Er entscheidet auch sonst zuweilen für SG gegen X.
Zwar Ps. 23, 7 (75, 21) braucht man in dem satz nmncre uitia
(darüber ächuste). die iiili sc iöde leitent zur Verteidigung des
die von SG gegenüber dem neutrum diu von X nur auf das
vorangehende iümicrc hinzuweisen und WN (66, 1) iuimera
achusti. die iuuuih 20 tode leitent nicht zu hilfe zu rufen. —
Aber Ps. 9, 7 (24, 4) schützt WN (21, 14) das einfache ciuitatcs
von SG, während X, wol auf grund der Vulgata, hinzugefügt
hat coriim. — Ps. 33, 5 (112, 21 f.) nals Goldes unde rlhtudmes
SG und WN, dagegen vertauscht X unde mit aide. — Ps. 36, 33
(133, 12) in maniis eins SG, WN, in numihus eins X, widerum
nach der Yulgata. — Ps. 37, 5 (136, 1—4) lautet in SG: Quo-
niam iniquiiates meQ siqyergresse sunt ca^nit meum. Vnde föne
diu. uuanda tntniu unrelit überstigen min ho übet. Batio ist daz
hoiibet. did uberuuant das unrelit in paradyso. Sowol der Zu-
sammenhang als die parallele Ps. 7, 17 (20, 2—4) erweist die
richtigkeit des accusativs diä (bezüglich auf Ratio) gegenüber
dem nominativ diu von X. Und denselben accusativ dia finden
wir in WN (119, 29). — Ps. 37, 13 (138, 22) darinne SG, dainne
WN : darumbe X. — Ps. 49, 18 (193, 3) bin ich darum geneigt,
der Übereinstimmung von SG, WN in stuende, während X
stüonde hat, einigen wert beizumessen, weil an der einzigen
vergleichbaren stelle Ps. 105, 23 (454, 14) ein stnonde von WN
das stuönde von SG reflectiert. — Ps. 106, 40 (465, 7) steht in
SG concupisccntiis, in X concupiscentias: nicht nur der Zu-
sammenhang, sondern auch die deutsche widergabe mit muöt-
uuillin SG, mit in den gegiredon AVN spricht für den dativ.
5. Ich reihe mehrere stellen an, welche sich unter andere
kategorieu nicht gut unterbringen lassen. Ps. 34, 8 (118, 1)
verdient in Substantivcomposition die form urlosa SG vor irlosa
X den Vorzug, vgl. urlösi Ps. 44, 3 (168, 14) und das oben unter
8. zu Ps. 68,4 bemerkte. — Heisst es Ps. 34, 11 (118,23) in
X föne diu ih neimissa, während SG das Personalpronomen
70 STEINMEYER
fortlässt, so muss die normwidrige Stellung des verbs (statt
neuuissa ih) befremden; vermutlich wurde X durch das voran-
gehende diu ih neuuissa (118,211) zur einschmuggelung des
pronomens verleitet. — Ps. 36, 6 (128, 2) gibt SG quoadiisque
ucniat dominus mit unz Got cJiunt wider, d. h. mit dem in-
dicativ praes., demselben, der gleich darauf (128, 4) zur Über-
setzung von erit verAvendet wird. Auch sonst zuweilen dient
der indicativ praes. nach gleichwertigem donec als äquivalent
eines lat. conjunctivs praes.: so Ps. 140, 10 (585, 10) donec
transeam unz ih irstirho, 57, 8 (219, 26) donec infirmentur unz
sie geuiieichent. AVenn X dafür cJium aufweist, eine bei Notker
unerhörte form des conjunctivs (ausnahmslos gilt chome), so
werden wir darin eine zur herbeiführung scheinbarer harmonie
mit dem lat. conjunctiv von X vorgenommene Veränderung
des seltenen indicativs chunt zu sehen haben. — Dass Ps. 63, 2
(238, 18) das deutsche sie von X vor dem lat. sie von SG- den
Vorzug verdient, ist möglich, vgl. stellen wie Ps. 73, 22 (300, 5).
118 F, 43 (512,12), aber nicht unbedingt nötig; doch selbst
angenommen, sie sei falsch, so könnte sie für eine leichte con-
jectur in der art der unter 6. aufzuführenden gelten. — Ps.
80,3 (333,22) steht in SG ein undeutliches uuerltclü (c aus
oder zu l corrigiert) über carnale; für die drei letzten, aus
-lieh verschriebenen buchst aben, denen es keinen sinn ab-
gewinnen konnte, setzte X dinc aus der vorhergehenden inter-
linearglosse Jceistlieh dinch ein. Dem stil des glossators hätte
diese widerholung des begriffs indessen kaum entsprochen,
wenn man nach den analogien Ps. 11, 9 (34, 29). 13, 5 (38, 14 f.).
38, 5 (141, 29 f.) schliessen darf. — Ps. 88, 10 (368, 9) hat SG
den Singular dominaris potestalis maris, X den ])\m'cd ^^otestates.
Dass der siiigular durch den Singular der deutschen Übersetzung
dero mähte gestützt werde, wird man angesichts des umstandes,
dass Ps. 150, 2 (606, 7. 9) mit dem plural x^otestatihus (hs. po-
tentatihus) der Singular sinero mähte correspondiert, kaum be-
haupten dürfen. Aber die Yulgata construiert dominari nur
mit genetiv und dativ, nicht mit accusativ.
6. Xun bringt allerdings X nicht wenige stellen, deren
Überlieferung in SG fehlerhaft ist, in verbesserter gestalt. Da
hat es aber keineswegs ursprünglichere lesarten der vorläge
bewahrt, sondern es hat neben den schon mehrfach behandelten
NOTKERS PSALTER, 71
falschen auch richtig-e correcturen vorgenommen, wie solche
jeder nicht ganz idiotische Schreiber des 17. jh.'s vorzunehmen
fähig Avar und sich berechtigt glaubte. Er verfuhr dann genau
so wie wir heute die Schreibfehler eines eigenen oder fremden
concepts oder die druckfehler eines buches bei seiner abschrift
stillschweigend verbessern; die diplomatische treue des mo-
dernen fachgelehrten kannte man nicht. Bedarf es eines be-
weises für das gesagte, so liefert ihn widerum der St. Galler
codex 1280. Diese copie des 17. jh.'s berichtigt beispielsweise
Ps. 2, 12 (7, 12) (jlesU]]lient SG, X in gesUphent (nach g rasur
von 0- — Ps. 34,2 (HC, 12) M SG,X in M/: — Ps. 37,2
(135, 8) neirefsest SG mit X in ne irrefsest. — Ps. 58, 14
(224, 14) sehen SG, R mit Seh in seihen. — Ps. 65, 14 (249, 14)
indiere SG, R mit Seh in indigere. — Ps. 67, 14 (256, 16)
cocamha SG mit X in coliimha. — Ps. 77, 3 (312, 10) liest SG
daz före tmas iz uox dei (Piper, der darföre vermutet, be-
hauptet mit unrecht, das s von daz befinde sich auf rasur),
ebenso X, aber in R mit der randbemerkung: 'sie. sed malim
ist\ Dies zutreffend conjicierte ist steht schon in 1286. —
Ps. 91, 11 (389,25) uue)-dent nidergeliget SG, X, dagegen mVZer-
geUget 1286. — Ps. 92, 4 (392, 20) imurdenlicho (übersetzt mi-
rahiles; den fehler verursachte das unmittelbar vorhergehende
miürden) SG, tiiiürdenlicho R mit dem marginalvermerk: 'sie.
sed credo scribendum uuünderliclw' \ diese richtige Vermutung
teilen dann 1286 und Seh. — Ps. 105,39 (457,5) in aduen-
tionihus SG, X (R am rande: 'scrib. adinventionibiis') : in adin-
nenüonih' 1286. — Ps. 106,35 (464,4) terram sine aqua SG,
gebessert von 1286 mit X zu aqua. — Als derartige von X
auf eigene band vorgenommene correcturen muss ich zunächst
die Vereinfachung eines consonanten, einer silbe, eines wortes
ansehen, welche, namentlich bei zeileu- oder seitenbrechuug,
in SG doppelt auftreten, z.b. Ps. 9, 10 (24,27) arhiheite; 14,4
(40,6) hesmchet. i j chet] 23,9 (76,7) leitliende; 30,19 (101,2)
unjunreht; 59,10 (228,17) min Inen; 67,12 (255,20) michell-
lero] 101,24 (425,23) uimöste I j uuuöste] 103,17 (437,17) stagn!-
nensis 0; 74, 2 (300, 22) sdtttost ; 80, 1 (333, 12) gehalten, gehalten-,
82, 6 (343, 17) töten töten; 118 0, 105 (527, 2) meis meis. Ferner
1) Nicht eingetreten ist yereinfachuüg iu uuätltendo Ps. 136, 1 (572, 12).
72 STEINMEYER
den einsatz unausgefülirter initialen, soweit er selbstverständ-
lich war: Ps. 68, 1 (262, 25) {S)elhemo; 69, 6 (274, 24) {Ä)dmtor-
71, 1 (282, 13). 73, 1 (293, 5) {I))iser, {D)iser. Oder innerhalb
eines lateinischen abschnitts die vertauschung eines deutschen
Wortes mit einem lateinischen, richtig- vielleicht Ps. 27, 8
(88, 27). 109, 1 (476, 2), aber falsch 54, 20 (209, 26) die von
ist mit est, falsch auch 52, 2 (226, 5) die von nncle mit et. An
einzelbeispielen seien folgende genannt: geändert wurde Ps.
30, 8 (97, 21) momo in homo. — Ps. 30, 12 (99, 13) Das in
Bar (^yN da). — Ps. 31, 7 (104, 28) cororris in corporis. —
Ps. 34, 14 (119, 18) under (veranlasst durch die folgenden
endungen auf -er: unser hruöder) in nnde ') (so WN). — Ps.
35, 9 (125, 21) uuertlichi in uuerUlichi. — Ps. 36, 26 (132, 1)
commedat in commodat (so WN). — Ps. 38, 9 (147, 8) die ad
nocte in die ac nocte. — Ps. 41, 12 (157,22) vor mens ergän-
zung- von deus, das in SG ausradiert war. — Ps. 43, 23 (165, 26)
correctur von catacressis in catacresis. — Ps. 44, 5 (169, 11)
u. ö. von cuuangelio in euangelio. — Ps. 44, 15 (173, 6) von
tnrJden in truhten. — Ps. 45, 2 (174, 8) von eraft in craft. —
Ps. 47, 3 (181, 16) von dero in der. — Ps. 48, 9 (185, 27) von
mamona in mammona. — Ps. 49, 3 (189, 26) von Des sceidet in
Der (so WN) sceidot. — Ps. 54, 5 (207, 5) von hoz in haz (das
richtige steht unmittelbar nachher zweimal in SG). — Ps.
54, 1 5 (208, 27 f.) von cum consensum in cum consensu. —
Ps. 59, 1 (225, 21) von Ms in pro his, falls da nicht bloss an-
gleichung- an die Vulgata stattfand. — Ps. 61,3 (242, 20 f.)
von otionem in orationem. — Ps. 67, 9 (254, 21) von riiüuuo in
riüimo. — Ps. 68, 16 (267, 21) von unguenuitere in ungeuuilere.
— Ps. 70,11 (278,11) von und in gewöhnliches unde. — Ps.
72, 10 (289, 6) von gepurperoto in gepurpuroto, beeinflusst durch
das darunter stehende purpuratus. — Ps. 73, 18 (298, 19) von
Vn:uizziger in Vnuuizziger. — Ps. 73,22 (299,26) von causa
meam in causam nieam. — Ps. 74, 9 (302, 17) von licliamlidftpo
in Uchamhaftro. — Ps. 74, 10 (303, 6) von ßne in finem. —
Ps. 76, 18 (310, 13) von uuaz in iiuas. — Ps. 77, 37 (317, 9)
von tastamento in testamento. — Ps. 80, 7. 8 (336, 2. 8. 17) von
tiiofi, gciüoften in töuß, getöuften. — Ps. 81, 5 (341, 17) von
1) Dagegen blieb Ps. 68, 29 (271, 18) Aber statt Äbe.
NOTKERS PSALTER. 73
terra in terrce. — Ps. 81, 5 (341, 20 f.) von ad ammiratione in
ad ammirationem. — Ps. 86,2 (359,11) von imagandria in
imaginaria. — Ps. 87, 12 (363, 25) von perditionem in perditione.
— Ps. 89, 7 (378, 24) von finire in finiri: dass aber ftnire das
echte war, zeigt Aiigustin bei Henrici s. 238; das passiv wurde
durch den Wortlaut der interlinearg-]. daz iro ende uuerde ver-
anlasst. — Ps. 90, 12 (386,8) von lajnjdem tuum in lapidcm
pedcm inum. — Ps. 94, 3 (400, 4) von mcnischin in mmnischin
(freilich darf dies Avort und die folgenden nicht mit Graff
2, 755 und mit Kelle für einen dativ, sondern muss für einen
genetiv pl. genommen werden, wie das die reihe beschliessende
liörno beweist, abhängig von stimmo, parallel mit allerslalito).
— Ps. 103, 20 (439, 1) von criharet in crihraret. — Ps. 104, 2
(443,10) von tmnülen in miülen. — Ps. 104,26 (447,21) von
moyen in moysen. — Ps. 105, 46 (458, 13) von sih in sie. —
Ps. 114, 2 (490,1) von iingerliorsami in iingehorsami. — Ps.
117, 27 (497, 29) von ad interiore in ad interiorem. — Ps.
118 A, 5 (500, 30) von Vaz in Vuaz. — Ps. 118 E, 131 (533, 10)
von uff in üf — Ps. 118 U, 158 (539, 29) von menhrontm in
membrorum (derartige quisqiülien begegnen noch oft). — Ps.
121, 3 (550, 24) von ipsii in ipsum. — Ps. 122, 2 (552, 14). 125, 6
(557, 3) von troherron und trogarhon in iro herron, iro garhön.
— Ps. 147, 20 (602, 4) von no in noh. — Cant. Exech. 17
(612, 26) von postergum in p>ost tergnm. — Cant. Deut. 26
(629, 25) von cornmuniones in communionis. — Cant. Zach. 73
(636, 12) von unz in uns (so WN). — Symb. Äthan. 23 (642, 20)
von cnigheite in einighdte (gleich darauf folgt in SG emiglicU).
Hier schlägt m. e. auch ein der zusatz von in vor löhin in
der interlineargl. Ps. 76, 18 (310, 12 f.) löhin unde in (über-
geschrieben) sancJeichen unde in gebetin über in ymnis et
canticis et orationibus: denn Ps. 105, 39 (457, 12 — 14) lässt
erkennen, dass der glossator die präposition bald mit dem
latein widerholte, bald gegen das latein ausliess oder zusetzte.
7. Bei dem ganzen rest der angeblich bessern lesarten
von X handelt es sich um orthographische kleinigkeiten. Aus
zwei gründen vermag ich ihnen keinerlei beweiskraft beizu-
messen.
a) Die gleichen graphischen unterschiede zwischen SG und
X treten sowol dort auf, wo nach Keiles ansieht X als wo SG
74 STEINMEYER
den Vorzug verdient. Ps. 16,6 (44,24). 19,7 (62,7). 24,12
(79, 2). 88, 7 (367, 16) hat SG durch, X dnrh, dagegen 16, 4
(44, 15). 118 F, 43 (512, 13) SG durh, X durch, und 11, 5 (34, 3)
steht durch in SG,X. — Ps. 21, 12 (68,7) hat SG gesuich, X
gesuih, 63, 10 (241, 13) SG Gotclich, X Gotelih, aber 43, 19
(164,12) SG geuueih, X geuueich, 36,18 (130,11) SG süsUh,
X süsUch, 51, 4 (200, 2) SG Z;wo7?/A, X huollich. — Ps. 4, 7
(10, 29). 5, 5 (12, 12) hat SG Hecht, X licht, 5, 5 (12, 14) SG
unrecht, X ünreht, 5, 9 (13, 14) SG rechte, X reA^e, hingegen
13, 5 (38, 9 f.) SG forhton, furhtenne, X forchton, furchtenne,
118 A, 3 (500,4) SG unrcht, X unrechte) Wie will man auf
grund dieses befundes den /^^formen alleinberechtigung vindi-
cieren und sämmtliche cA^- formen für unrichtig erklären? —
Erwägt man weiter den willkürlichen Wechsel zwischen d
und t, der in X herscht, sodass (gegen SG) einerseits Ps.
7, 17 (20, 3) scheidela, 18, 8 (58, 14) chdd, 19, 4 (61, 18) uuürde,
28, 7 (91, 1) u. ö. dieto, 30, 12 (99, 12) helirnedon, 56, 2 (215, 8)
scddo, 64, 2 (242, 18) fridouuardo, 118 C, 21 (505, 26 f.) mdnig-
falde, andrerseits 16,5 (44,211) gestauten, 44,11 (171,20)
chmto, 45,2 (174,18) chäen, 50,10(196,14) Jcehoreta, 58,6
(222,91) irstante, 61,4 (232,14) hdltentero, 104,23 (447,6)
lautes, 118 C, 22 (506, 2) ünuuirdeta auftreten, so wird man
den Schreibungen von X Ps. 70, 17 (279, 21 f.) eilende für SG
ellente oder 55,7 (213,3) uuorte für SG imorde"^) oder 138,15
(578, 27) doufi für SG toufi keine bedeutung beilegen. — Eben-
sowenig Ps. 30, 1 (96, 1 1) einem offeno für SG offene oder
89, 5 (378, 14) einem mdnigosten für SG mdnigöston angesichts
der tatsache, dass öfters in X o steht, wo SG e zeigt, und e,
wo SG 0 aufweist: z.b. Ps. 41, 11 (157,19) getruohot, 49,3
(189,261) sceidot, 52,2 (202,8) Vnreino, und 7,12 (18,29)
tdgelichcs, 18, 6 (57, 27) hriütegemo, 44, 18 (173, 26) prhitigemo,
22, 4 (73, 20 f.) gehezzerot, 44, 13 (172, 21) lohen. — Das gleiche
gilt füi' Sj^mb. Äthan. 2 (640, 6) inisselichi statt SG misseliche,
wenn man bedenkt, dass X ebenso häufig i schreibt, wo SG
ein e, als e, wo SG ein i hat: z.b. Ps. 29,5 (93,9) fdrin,
1) Vgl. dazu die zahlreichen stellen im ersten achtel des Psalters, an
denen SG und X gleichniässig cht für ht gebrauchen.
2) Ps. lOi, 2 (443, 6) steht in SG und X uuörden.
NOTKERS PSALTER. 75
72, 10 (289, 4) uuirdent, aber 7, 15 (19, 19) hircnt, 39, 13
(148, 15) mines. — Findet sich in X Ps. 8, 8 (22, 6) uueg für
SG imech, 63, 5 (239, 10) ding für SG dincli, 65, 4 (247, 3) zur-
gang für SG zürganch, 65, 17 (250, 17) purligota für SG jJMr-
Z/c/iü7a, 70,20 (281,6) lieduuang für SG heduuancli, 75,2
(303, 17) c/«<Mm(/ für SG cJiimmch, 77, 31 (316, 19) liolifcrtig
für SG höhfertich, 79, 11 (330, 24) wm^^?(/e für SG mäzmche,
80, 17 (339, 23) mag für SG mach, und umgekelirt 68, 2 (263, 11)
uuillicho für SG uuüligo, 79, 12 (331, 4) hechrebct für SG &e-
^rt'k^, 103,2 (433,4) heclionda für SG hegönda, 118 K, 77
(520, 27) gedanch für SG gedang, so lässt sich Ps. 71, 6
(284, 8 f.) sein ingieng für SG ingiencli schwerlich als ursprüng-
licher erweisen. — Während X Ps. 20, 1 (63, 8). 45, 2. (174, 6)
crefte, crdft in Übereinstimmung- mit SG gebraucht, ersetzt es
Ps. 67, 34 (262, 9). Cant. Moysi 16 (619, 3) dessen crcftc durch
das üblichere cJirefte; doch dieser Wechsel büsst jeden credit
ein, wenn man wahrnimmt, dass unmittelbar hinter der zu
zweit angeführten stelle (174, 7. 8) clirdft, chreftig von SG
einem craft, creftig in X weichen muss. — Wenn X Ps. 15, 2
(40, 24) sulint für SG sidnt, 48, 3 (184, 22) anderen für SG
andern, hingegen 56, 9 (217, 2) nideni für SG nideren schreibt,
so wird man auch Ps. 44, 11 (171, 24) seinem sulen für SG
sidn und 118 0,19 (503,26) seinem geboren für SG geborn
geringes vertrauen entgegenbringen, zumal in SG sidn etwa
dreimal so häufig als side7i, sulin vorkommt und die syn-
kopierte form geborn der unsynkopierten mindestens die wage
hält. — X bietet Ps. 108, 26 (474, 1). 129, 4 (561, 15) dine für
^Q dina, 118 S, 140 (535,21) ficnde für SG fienda, 127,5
(559,22) tage für SG taga, dagegen 33, 14 (114,15) dina lefsa
für SGdine, 55,6 (212,271) ÄUa für SG Alle, 99,4 (415,25)
sina für SG sine, 121, 8 (551, 29) mina chunnelinga für SG
mine, Cant. Moysi 13 (618,20) sina für SG sine, ferner 118 S,
143 (536, 8) angesta für SG dngeste, Cant. Deut. 24 (629, 9)
hungera Uir SG hungere, 56,9 (217,1) ehaman für SG chämen:
also lässt sich auch Ps. 40, 5 (151, 4) auf 7mna für SG nüne,
81,6 (341,26) auf Gota für SG Gote^) nichts geben. Man
^) Uebrigeus gehen SG und X in den phiralen Ps. 63,6 (239,23) stricche,
75, 12 (305, 26) intheizc zusammen.
76 STEINMEYER
kann nun freilich einwenden, die hier verglichenen consonanten
und Yocale seien nicht selten verschiedener qualität und unter-
lägen nicht einheitlicher beurteilung. Uns gegenüber wäre
dieser einwand berechtigt, nicht aber gegenüber einem Schreiber
des 17. jli.'s, der von ahd. grammatik und von historischem Ver-
ständnis der laute keinen Schimmer hatte, der auch beim ab-
schreiben sich nicht diplomatischer treue befleissigte, sondern
der, halb unbewusst, durch die regeln der nhd. Orthographie,
durch die vocale benachbarter silben, durch ein gewisses
streben nach äusserlicher conformität beeintlusst wurde. Wäre
Kelle mit seiner ansieht im recht, an den von ihm eitler ten
stellen habe X etwas ursprünglicheres als SG gewahrt, so
kämen wir zu der widersinnigen annähme, dass der Schreiber
von SG die gleichen fehler, deren er sich gegen seine vorläge
schuldig machte, gelegentlich an andern orten dieser selben
vorläge vorfand und dort berichtigte. Denn wir sind nicht
befugt, einige der abweichungen in X von vornherein für
richtig, die masse der übrigen für falsch auszugeben. Das
tut aber Kelle mit der motivierung, nur die von ihm aus X
ausgewählten formen entsprächen dem brauche Notkers. Und
hier setzt mein zAveites bedenken ein.
b) Kelle reglementiert und uniformiert den formenbestand
des SG, als ob es sich um ein aus Notkers eigenen bänden
hervorgegangenes manuscript handelte; jedes abweichen von
den strengen Vorschriften Notkers erklärt er für einen Schreib-
fehler, den entAveder SG oder den seine vorläge begangen
habe, SG, sobald es von X differiert, die vorläge, wenn SG
und X übereinstimmen. Aber wir haben es nicht mit dem
ursprünglichen text des Psalters zu tun, sondern mit einer um
ein volles Jahrhundert Jüngern abschrift, zwischen der und
dem original zahlreiche mittelglieder existiert haben können.
Entgegen der gleichmässigkeit, welche die sonstigen Schriften
Notkers auszeichnet, bietet SG eine buntscheckige musterkarte
verschiedenartigster schreibAveisen, alter und junger formen.
Diese differenzen der Orthographie, diese jungen formen sind
die spuren, welche verschiedene schreiberiudividualitäten und
der Wandel der spräche während eines Jahrhunderts hinterlassen
haben. Zeigt es sich nun, dass in gewissen besonderheiten
der Schreibung, in gewissen modernisierungen oder altertüm-
NOTKERS PSALTER. 77
liclikeiten X und SG an einzelnen orten des Psalters zu-
sammengehen, diese besonderlieiten also schon der vorläge
zuzurechnen sind, so brauchen wir, wenn in ganz analogen
fällen an andern orten des Psalters X und SG auseinander-
gehen, nicht zu schliessen, dass hier X das ursprüngliche ge-
wahrt, 8G geändert habe, sondern können ebensogut schliessen,
dass X die seltenere form mit der üblicheren, häufiger auf-
tretenden vertauscht, kurz dass es normalisiert habe. Denn
ungewöhnliche constructioneu und worte wandelten die Schreiber
aller zelten gern in planere redeweise; das entgegengesetzte
verfahren einzuschlagen fiel ihnen nicht ein. Ich greife zu-
nächst zwei gruppen von beispielen heraus.
Während allen übrigen Xotkerschen schritten nur unio
bekannt ist, erscheint diese form der partikel in SG bloss 10 mal
(Ps. 10,2.3. 11,2. 12,1. 21,20. 25,10. 30,20. 82,6. 33,1.9),
hingegen 214 mal, wenn ich richtig zählte, tmieo, daneben
18 mal imie (Ps. 4, 3. 5, 10. 6, 4. 8, 2 zweimal, 12, 1. 2 zweimal,
3 zweimal, 22,5. 24,18. 47,15. 67,17. 73,11. 80,11. 104, 25^
dies von Piper grundlos zu Vuico geändert, Cant. Mar. 55).
Dazu treten 6 mrieUcli, 4 uuieoUch, 1 uuioUch. An der stelle
von vier uuie (Ps. 6, 4. 67, 17. 73, 11. Cant. Mar. 55) hat nun
X imieo. Diese vier uiiieo zieht Kelle den iinie von SG vor,
obwol beide formen lautgesetzlich gleichberechtigt sind (Braune
§ 43 a.6). Xun finden sich aber auch, was Kelle nicht an-
gemerkt hat, in X drei uuieo, welchen in SG ein uuio ent-
spricht (Ps. 11,2. 30,20. 32,6). Man sieht also, die vor-
hersehende form uineo lag X überall, wo die partikel vorkam,
in der feder, so dass es sich unwillkürlich ihrer bediente. —
Das subst. und adj. mammeuti gieng hervor aus manämunti\
die nichtassimilierte form mamnenti ist daher älter und ur-
sprünglicher als mammeuti. Erstere begegnet Boethius 51, 19 f.
mdnmantsdmo, 122, 4. 23 mdnmentsami, 226, 24 mdnmendo,
Capeila 725,15 Mdnmendm, 755,26 mdnmentsdmero, 836,23
mdnmenäero, letztere Boethius 16, 19 f. mdmmendo, 216,1 mdm-
mondo, Capeila 699, 8 gemnmmentsdmot, 708, 3 mdmmendim,
758, 2 mdmmende, 788, 22 f. mdmmcntsamemo, also beide fast
gleich oft. In SG erscheint die nichtassimilierte form Ps. 33, 3
(112, 12. 13) manmende, mdnmende, 33, 21 (115, 17) manmindi,
93, 13 (396, 11 f.) gemdnmendest, sonst steht mit assimilation
78 STEINMEYER
Ps. 24, 10 (78, 14) mdmmhitc, 36, 11 (129, 7). 75, 10 (305, 16)
mammcnden, 44,5 zweimal (169,10.11). 84,4 (350,25). 89,10
zweimal (380, 6. 7). 131, 1 dreimal (563, 4. 5. 8) mdmmendi,
85, 5 zweimal (354, 20. 21). 95, 12 (405, 3). 146, 6 (598, 18).
149, 4 (604, 27) mdmmende, einmal 24, 9 (78, 1) mdmenden.
Bei drei der uiclitassimilierten formen tritt in X assimilation
ein, bei der vierten (Ps. 93, 13) nur in Seh, nicht in R.
SG müsste, wenn X, wie Kelle will, mit seinen assimilationen
den stand der vorläge gewahrt hätte, die modernere wortform
dieser vorläge mit einer veraltenden vertauscht haben: gewiss
höchst unwahrsclieinlicli. Zudem ersehen wir aus WN, welches
an vier stellen (Ps. 44, 5. 131, 1. 149, 4) noch unassimilierte
formen aufweist, dass ursprünglich auch im Psalter die nicht-
assimilation überwogen haben wird.
Ueberaus häufig lässt SG einem langen vocal doppel-
consonanz folgen, nicht nur dort, wo westgermanische conso-
nantendehnung eingetreten ist'), z. b. II: Ps. 71,2 (282,23).
S3'mb. apost. 8 (635, 5). Svmb. Äthan. 36 (644, 4) irteUlenne;
mm: Ps. 30, 11 (98,25). 68,30 (271, 27 f.) rthtuömme, 48,1
(184,13) iiiushiomme; nn: Ps. 48, 8 (185,22) tmännent; rr: Ps.
2,10 (7,2) GeUrrent, 20,14 (65,26) märren, 28,11 (91,24)
sierrent, 30, 2 (96, 8) gchörren, 39, 13 (148, 13). 43, 22 (165, 20)
imärra, 50, 10 (196, 10) leUrren, 65, 7 (247, 25). 71, 8 (284, 13)
Mrresot; ff: Ps. 22,2 (73,6) toiifß, 63,9 (240,24) slä/fenten,
64, 14 (245, 23) scdffo, 68, 15 (267, 17) ficfß, 77, 48 (319, 2)
uffo: ü: Ps. 24, 5 (77, 12) Uittest, 31,9(105,23) Uittendin,
82, 7 (343, 24) Uüottine, 90, 7 (384, 27) sittim, Cant. Moysi 13
(618. 17) Mttost. Ganz selten findet sich Verdoppelung nach
kurzer Stammsilbe, z. b. Ps. 68,29 (271,21) gehürre, 69,2
(273. 18) chellent, häufiger nach kurzer, mitunter auch langer
ableitungssilbe, wenn ihr eine lange Stammsilbe vorangeht,
z. b. Ps. 9, 4 (23, 19) folgcrra, 17, 13 (49, 23) timherrm, 50, 10
(196, 20) lerdrra, 51, 7 (200, 24) u. ö. uuürzellun, 54, 22 (210,
13 1) rehtfölgerro, 68,4 (264,1) iirimarra, 100,8 (419,1) sun-
derra, 101, 18 (424, 20) zinibirrnn, 138, 20 (579, 24j folgeärra,
nur vereinzelt, wenn ihr eine kurze Stammsilbe vorangeht,
z.b. Ps. 41, 7 (156,4) niderren, 103,4 (434, 16 f.) nhcrUsarra.
') Ausser betracht bleibt der Wechsel von zz und z und das geminierte
n des geruüdiunis.
NOTKERS PSALTER. 79
Ist also die doppelconsonanz an folgenden stellen in X ver-
einfaclit: Ps. 7, 9 (18,9) irteille, 17,3 (53,10) sunderro, 20,7
(64, 16) unalmüe, 33, 19 (115, 7 f.) niderrc, 59, 2 (226, 5) imärro,
93,15 (397,3) irteillenne, 118 U, 158 (539,28) hehuotton, 130,1
(562,15) tnömmenne, so wird man anzunehmen haben, nicht
dass SG altertümlicheres colorit gegen seine vorläge wider-
hergestellt, sondern dass X bewusst oder unbewusst die land-
läufigeren formen mit einfacher consonanz eingeführt hat. —
Das gleiche gilt für die wenigen nieth von SG 6,10 (16,11).
25,2 (81,12). 46,10 (180,12). 72,20 (291,1). 72,27 (292,20),
welche mit alleiniger ausnähme der ersten und der letzten
stelle bei X in das üblichere nicht umgesetzt erscheinen. —
Die seltene Schreibweise crh ist Ps. 28, 3 (89, 24) mdgencrhefte,
28, 4 (90, 5) crliefte, 65, 6 (247, 19) crhiüse von X in ehr ab-
geändert worden, jedoch 39, 10 (147, 10) crhistenhett und 63, 6
(239, 17) crhivse wenigstens in R unangetastet geblieben. —
SG liebt vocalentfaltung zwischen gr: Ps. 77, 58 (321, 16)
geruözton, 106, 16 (461, 19) genndela; ^ chn: Ps. 81, 1 (340, 12)
chenctemekime, 109,5(478,4) ferchenistef, 136,9 (574,9.11)
chenistet, ferchemsten; ehr: Ps. 88, 1 (365,24) chereftie; üv:
Ps. 72,13 (289,19) teuuuög, und namentlich sie: Ps. 24,10
(78, 7) seuuene, 85, 6 (355, 17) zemieio, 85, 11 (357, 1)
seuuislien, 85, 16 (358, 7 f.) zenuelf, 87, 3 (361, 11 f.) zeimei,
88,53 (377,6) zeuucin,' lQo,Q (452,18) zeimisken, 105,33 (456,
9. 11) zeuuiuelondo, zeiiutueJe, 108,29 (474,21) zeuuiualtin,
118 C, 21 (505,20) zeuuiuelon, 118 U, 160 (540,12) zeimei, 118
Cant. grad. (545, 8. 20. 546, 21) zemtclfen, zeuuelfo, zeuuelfto,
147, 12 (599, 28) zeuuene, Cant. Ezech. 17 (612,15. 17) zeuuifele,
zeimiscen, Cant. Moysi 8 (617, 29 f.) zeunisJcen, Cant. Abac. 9
(621,30) zeuuelif, Cant. Deut. 30 (630,8), Symb. apost. 4 (634, 20),
Symb. Äthan. 30 (643, 16) zeuuene. Darum dürfte man auch
Ps. 35, 10 (126, 8) geldnzeliehte nicht beanstanden, selbst wenn
diese form nicht durch das zusammengehen von SG und Seh
gegen R, {glänze-, nach g ein ausgestrichenes e) geschützt wäre.
— In einigen Zusammensetzungen, deren ersten bestandteil ein
wort mit langer Stammsilbe bildet, namentlich uuin und erda,
zeigt SG gern den compositionsvocal e: uuhiebere, uutncgarto,
erdeguoi, erdemist, erdertche, erdering, erdeuuüoeher: nur einmal
Ps. 98, 9 (414, 14) erderiehe lässt hier X den vocal gegen SG
80 STEINMEYER
ausfallen. ]\[an wird deslialli auch Ps. 117, 22 (496, 17) indn-
chelestcin von SG für ursprünglicher ansehen als das uuin-
clielstcin von X. — S^aikope des vocals der ableitungs- und
hildung-ssilbe -er- kommt in SG nicht ganz selten vor, ohne
dass X abwiche, z. b. Ps. 15, 4 (41, 17) Iruödra, 16, 14 (46, 16).
68,11(266,10) liehra, 16,14 (46,19) ünsriü, 69,6 (274,20)
andra, 73, 4 (294, 9) o5^mi, 79, 11 (330, 22) aZ^rm, 118 N, 99
(525, 16) meistra: weist daher X Ps. 44, 9 (171, 7) und 49 praef.
(189, 1) tohtera, sangmeistero für SG toJitra, sdngmeistro auf,
so hat es widerum nur die gewöhnlichere form eingesetzt. —
Worte, denen lautgesetzlich cch, und solche, denen ch gebührt,
scheidet SG nicht überall streng: fleccho und flccho, ecchert
und echcrt erscheinen neben einander; ferner findet sich Ps.
98, 7 (413, 8) uuolcchen (hier hat allerdings zwischen beiden c
zeilenschluss statt), 64, 6 (243, 25 f.) precdiente, 72, 28 (292, 27)
mcclio, 77,44(318,18) crüntlacclia, 78,5(326,21). 10(327,11)
gericcJie, 93,1 (394,4.5) Jcerkcliis, hicckis, 98,8 (413, 24 f.)
rccchinde, 108, 6 (470, 1) frecclii, hinwider jedoch Ps. 70, 13
(278,21) Pcdcchet, 77,68 (323,11) füregezücliit So wird man
denn auch Ps. 76,5 (307, 22) Vudcclieroren {nicht Vudcchererdren,
wie Kelle druckt), 85,3 (354,6) Itcchamo, 102,6 (429, 1 f.)
irncche, wo X überall ein c weniger aufweist (während es
z. b. Ps. 141,3 (585, 19) dem von SG überlieferten echcrt ein
solches hinzufügt), nicht für unursprüngliclier erklären dürfen.
— Vereinzelt tritt in SG die Schreibung gh auf, sowol für g
als für ch: z. b. Ps. 67, 1 (252, 17) sdnghkicMs, 67, 15 (256, 23 f.)
chimighrihtäre, 76,3 (307,1) tugh, 85,2 (353,21) hdligh, 106,43
(465,21) miissigh] 56,7 (216,11) strigh, 61,9 (233,20) stargh,
63, 10 (241, 13) unergh. Wie nun X Ps. 85, 2 (353, 24) scdlgh
zu scalg änderte, so konnte von ihm auch 107, 14 (468, 12)
folleghUchor in das gewöhnlichere foUcglichor {follelegUchor
Seh) umgestaltet werden. — SG verwendet insgemein die form
ana- für verbal- und nominalcomposition; daneben erscheint
aber auch ane-: Ps. 20, 4 (64, 1) dnefange, 37, 4 (135, 19 f.) ane-
hurte, 52, 7 (203, 22) dneseo, 67, 36 (262, 19) dncsehentin, 100, 8
(418,23) dnegenne und an-: Ps. 79,4 (329,8) ansiüne, 83,8
(348, 15 f.) dnscouuüngo. Somit führte X widerum nur die
normalform ein, als es Ps. 72, 28 (292, 24) zweimaliges ansiihie
und 73, 14 (296, 25) anesehin durch anasiune, anasehin ersetzte.
NOTKERS PSALTE». 81
— Auch (jcsiehet ist in SG die normalforni der 3. p. sg. praes.
von geselian, welche daher X Ps. 48, 20 (188, 22) für SG gesthet
schreibt. Aber Ps. 18, 13 (60, 8). 21, 30 (72, 13). 23, 1 (74, 12).
32,15 (110,4). 36,12(129,14). 41,8(156,12) teilt es dies sihet
mit SG. — Der dativ gelonha Ps. 49, 1 (189,12), welchen X
mit dem normaleren geloiibo vertauschte, hat an der SG und
X gemeinsamen form erda Ps. 45, 3 (174, 22) eine parallele. —
Bei den ableitungen des verbs hnittan überwiegt in SG ein-
faches i: darum änderte X Ps. 75,13 (306,11). 95,4 (403,8)
prüttelich, hütteUh in prüteWi, brütelih, obwol es Ps. 54, 23
(210,22) h-ütten, 78,7 {d2Q, IS) prüttinon, 87,18 (365,15) 6m«^
nicht antastete. — SG zeigt lüter und seine sippe neunmal
mit einfachem, fünfmal mit doppeltem t: weshalb also Ps. 74, 9
(302, 24 f.) das lütteren von X richtiger sein soll als das lüteren
von SG, ist nicht abzusehen. — Ebensowenig begreift man,
warum Ps. 57, 7 (219, 18) löiiiien (X) den Vorzug vor löuinieu
(SG) verdient: gerade die form mit drei u steht, soweit nicht
lenuo verwendet ist, in SG durchgängig, vgl. Ps. 21, 5 (67, 3).
34, 17 (120, 20). 62, 12 (238, 9). — Das fon in fon eiinon SG Ps.
91, 8 (389, 13) erhält in X die normalgestalt föne. Aber ebenso
wird Ps. 17,25 (52,10) nnh ouh, 101,8 (422,15) für unsih,
142,2 (587,11) oh crelo elidiert, und wesentlich anders sind
auch Ps. 20, 3 (63, 18 f.) gibicli, las ih, 65, 17 (250, 19) uuü ih,
88,39 (374,2) henämin, 99,20 (398,8) meinich, 118 F, 44
(513,3) hehuöt ih, 118 Cant. grad. (544,14) ehenöt er nicht zu
beurteilen. — Dem praeteritum inphundun Ps. 80, 8 (336, 18),
das X zum gewöhnlicheren inpliimdcn umwandelt, stehen zur
Seite die von X ungeändert belassenen getrunchun Ps. 20, 4
(63, 23), fersuuundun 52, 5 (202, 26), vielleicht auch furdur 9
sec. Hebr., 11 (29,24): überall hat sich der wurzelvocal den
vocal der endung assimiliert. — Der weibliche nominativ des
artikels du, den Ps. 54, 10 (208, 4) X mit dm vertauscht, steht
in SG, X ebenso Ps. 90, 6 (384, 23). 12 (386, 12), als tu. 16, 1
(43, 16). Hier kann allerdings ein Schreibfehler vorliegen, den
an der einen stelle X richtig erkannte: denn dtt und dm
wurden mehrfach verwechselt, Ps. 21, 20 (70, 14). 147, 12 (600, 8)
ist diu statt du geschrieben, 24, 11 (78, 24) du aus diil corri-
giert. — Gleichfalls einen Schreibfehler enthält möglicherweise
Ps. 77,42 (318,6) irhiügeton. Da dies verb im Psalter ungemein
Ueiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. Q
82 STEINMEYER
häufig sicli vorfindet, so hätte X unschwer sein irlmgeton nach
analog-ie conjicieren können. Vielleicht war aber umlauts-
bezeichnung beabsichtigt, wie sie Ps. 75, 11 (305, 22) in irhin-
geda, 44,2 (167,21) in chiüninge widerzukehren scheint. —
Ps. 102, 5 (428, 18) steht in SG gescJüejt (t und circumflex von
anderer band): d. h. der Schreiber hatte geschiclhet setzen
wollen, aber am beginn der neuen zeile die letzte silbe ver-
gessen. X hat dafür gescichet. Auch dies m. e. ein zeugnis
für seine harmonistische tendenz. Denn das verb beginnt in
den übrigen Notkerschen Schriften regelmässig, in den Psalmen
vorAviegend mit sh oder sc; ich finde seh nur Ps. 17, 39 (54, 26).
102,5 (428,24). 1181,71 (519,9) geschiehet, 20,12 (65,11)
Jceschiet, 4, 5 (10, 10) J^escMe, 66, 8 (252, 13). 70, 3 (276, 20 f.)
zweimal geschehe, 37,20 {UO,'i) geschehetit, 2,7(6,14). 9,2
(23, 4 f.). 17,46 (56,4). 77,25 (315,29) geschehen, 2,7 (6,14)
geschah, 17, 8 (48, 14) geschdc, 17, 16 (50, 17) keschdch. Und
an einer dieser stellen, 66, 8, ändert X geschehe zu gcscehe. ') —
1) Ausserdem ändert Seh 2, 7 und 70, 3 (beide mal) zu gesccJicn, gescche.
Nun ist 70, 3 das eine mal h von R erst uachträglicli hiueincorrigiert, be-
fand sieb also nicht in der für Scbilter hergestellten abschrift, wol aber
(doch Tgl. oben abschnitt 3) in deijenigen Louberes. Diese tatsache Hesse
sich mitverwerten zur stütze der mir recht wahrscheinlichen, allerdings
nicht streng beweisbaren Vermutung, dass ein gutes teil der besprochenen
orthographischen änderuugeu nicht, wie bisher angenommen ist, auf Lou-
beres copie, d. h. X, zurückgeht, sondern erst auf Schott, der sich überhaupt
nach ausweis der hunderte von besserangen und ergänzungen, die Rostgaard
vornehmen musste, seiner aufgäbe mit grosser Sorglosigkeit entledigte: dann
hätte Rostgaard, als er Louberes ms. coUatiouierte, kaum die hälfte der
von Sehott begangeneu fehler bemerkt und berichtigt. Denn unter den
zahlreichen abweicbungen , welche R und Seh gegenüber SG gemeinsam
sind, kann man gewisse gruppen häufig widerkehrender wahrnehmen, welche
zumeist aus der gewöhnuug an die regeln uhd. Orthographie sich erklären:
ei für ?, einmal auch für i, z. b. Ps. 36, 17 (130, 3) sceinet, 58, 17 (225, 7)
leiden, 71, 17 (2S6, 15) zeitlicliiu, 75, 5 (304, 18) irsceinendc, 77, 2 (312, 5)
zeitlicho, 83, 4 (347, 23) meiniu, 88, 7 (367, 10) sceinhari, 118 G, 50 (514, 16)
dein, 118 N, 99 (525, 16) mehie; h als dehnungszeicheu, z.b. Ps. 43, 22
(165, 4) ?ia7(, 44, 10 (171, 12) //iro, 41,8 {182,13} dnVdemo, 48,1(184,13)
gemähnot, 58, 15 (224, 23) spahto, 74, 5 (301, 14) fahrent, 98, 7 (413, 14)
heuohlehen; umgekehrt fortlassuug des h als vermeintlichen dehnungs-
zeiehens, z. b. Ps. 62, 2 (234, 26. 235, 1) tioiun, uota, 62, 4 (235, 24) chnet,
118 F, 47 (513,20) tata; Synkope des e bei gcloübo, geloübig, iegeUch; sie
für si; Verdoppelung auslautender cousonanteu, z.b. Ps. 40, 10 (152,7)
NOTKERS PSALTER. Ö3
Dass X die singiilären Schreibungen Vs. 4,10 {II, W) sunderch-
Ucho, 17, 6 (48, 1) timha, 79, 5 (329, 12) ühlrtdüare selbständig*
in die sonst ausnahmslos auftretenden simderlicJio, unibe, iiber-
teilare verwandeln konnte, liegt auf der hand. Ich halte sün-
(IcrchUcho übrigens für keinen Schreibfehler, sondern vergleiche
Boeth. 283, 32 sünderglicha, das mir nicht aus sundergelkha
(Graff 2, 114), vielmehr aus simderiglicJm hervorgegangen
scheint, und das gleichfalls spätalemannische glossar Rc. Gll. 2,
234, 18 Prniatum sundoxlicho (hs. sundcrdiclio): ist die synkope
des i trotz der verschiedenen quantität der Wurzelsilbe zu be-
urteilen wie bei nchulgm, suebclgiu Capeila 706,29. 707,12?
Allen im siebenten abschnitt erörterten orthographicis
wohnt also beweisende kraft nicht inne. Sie sind neutraler
natur: weder sprechen sie, wenn anderweitige stützen fehlen,
für Keiles ansieht, noch würden sie, wenn sonstige beweise
sich beibringen Messen, ihr widerstreiten.
Somit verbleiben von den mehr als zweihundert besseren
lesarten, die X vor SG voraushaben soll, ganze zwei, nämlich
Ps. 129, 3 (561, 10) mannelkhemo statt SG manUchemo, und
137, 1 (574, 17) gehörtost mih, wo das von dem einen Basler
doppelblatt und von WN bestätigte mih SG fehlt. Beide wird
man für richtige conjecturen anzusehen haben, wenn sie gleich
nicht so selbstverständlich waren wie die sonst von X gemachten.
II. Immerhin aber wäre Keiles meinung in einer modifi-
cierten gestalt noch haltbar, auf die von mir schon im Anz.
fda. 17, 331 hingedeutet wurde, dass man nämlich annähme,
X sei nicht aus der mutterhs. von SG, sondern aus seiner
schwesterhs. geflossen, aus einem codex, der mit SG die gleiche
muntmann; uu für u (= f), z. b. Ps. 9,20 (27,2). 54,10 (207,28) Eruuelle,
42, 3 (159, 4) imärentero, 54, 24 (211, 5) nuuese, 58, 15 (224, 27) uuers, GO, 3
(230, 10) iruuelle. Innerhalb sänimtlicher dieser gruppen hat R hin und
wider die lesart von SG, die demnach noch in Louberes copie gestanden
haben muss, durch correctiir hergestellt. Zwar möglich, doch nicht gerade
sehr wahrscheinlich ist es, dass beide Schreiber, derjenige Louberes und
derjenige Schilters, sich in gleicher weise von der uhd. lautgebung be-
einflussen Hessen. Schotts willkür ersehen wir aber zur genüge daraus,
dass er lücken der vorläge mehrmals eigenmächtig und ungrammatisch er-
gänzte: Ps. 79, 18 (332,17) erweitert er uuin zu uiungarten, 88,13 (3G9, 5)
setzt er tiefela über den geuetiv cliaboU, 95, 6 (403, 22) uuunder über den
ablativ miraciilis.
6*
84 STEINMEYER
vorläge geteilt hätte. Man müsste dann nur die verschiedenen
in den nummern 4 — 7 besprochenen änderungen nicht Louberes
oder Scbilters copisten zuschreiben, sondern um eine stufe
früher ansetzen. Aber eine reihe graphischer eigentümlich-
keiten lassen sich nur unter der Voraussetzung befriedigend
erklären, dass X direct aus SG abgeleitet ist.
1. Ich beginne mit einer stelle, die bereits Füglistaller
(Hattemer 2, 19) in gleichem sinne verwertete. SG s. 300 findet
sich ein grosser bräunlicher fleck, welcher sowol nach der riick-
seite 299 durchgeschlagen als auch auf die beiden untersten
Zeilen der gegenseite 301 abgedrückt hat. Dort wollte man
ihn durch rasur entfernen, hat aber damit nur bewirkt, dass
in der vorletzten zeile Ps. 81, 3 (341, 1 f.) zwischen das und
mo foresint mehrere buchstaben bis auf einen hochstehenden
feinen strich gänzlich schwanden und dass in der letzten zeile
das t von uuellent (341, 2 f.) sehr undeutlich wurde. Es unter-
liegt nicht dem leisesten zweifei, dass, wie Füglistaller erkannte,
gestanden haben muss: das ir imo foresint. Solche braunen
flecke, herrührend von einer mittelalterlichen eisenvitriolhaltigen
tinte, begegnen in SG nicht selten, z. b. s. 98 — 100 und beson-
ders schädigend s. 5, sodass das bild auf s. 4 ganz zerfressen
wurde. Fleck und rasur verunzierten die s. 301 schon im
17. Jh.: denn die mehrerwälmte copie von SG im codex 1286
zeigt zwischen Bas und mo freigelassenen räum (Hattemer
2, 539). Aber ir fehlt auch in X. Doch in der vorläge von
SG muss es gestanden haben, sonst begriffe sich ja sein ehe-
maliges Vorhandensein in SG nicht. Man sähe sich also ge-
nötigt, mit dem höchst unwahrscheinlichen zufall zu rechnen,
dass X, falls es nicht SG selbst, sondern dessen mutterhs. ab-
schrieb, oder dass die schwesterhs. von SG das kleine wörtchen
versehentlich ausgelassen hätte.
2. Unter andern nachtragen verschiedener bände, welche
sämmtlich in X widerkehren (denn die beiden von Kelle,
St. Galler Schriften s. 274 = 70 als bei Seh fehlend vermerkten
randglossen stehen in E), weist SG auch zwei zusätze des
13. jh.'s auf, nämlich Ps. 50, 6 (195 anm.) Von den wcliir huchis
diu sese ich üf stvl din über De frvctv. ventris. tvi. ponani.
svper sedem. tvam und Ps. 146, 8 (599, 3) zur ergänzung der
interlinearglosse der sih ferheren nenmge der über Qvi se non
NOTKKKS PSAI/rEU. 85
o
contind nvlat die marginalgiosse cliome sere mit Verweisung
auf nvhat. Kelle sieht (St. Galler Schriften s. 213 =9) in beiden
nachtragen 'offenbar nach einer zweiten hs.' vorgenommene
besserungen. Aber es ist ebensowenig wahrscheinlich, dass
man in Einsiedeln neben dem nach Keiles dafürhalten dort
geschriebenen und, abgesehen von einer ausleihe während des
14. jh.'s, bis ins 17. jh, dort verbliebenen SG noch einen zweiten
Psaltertext besass, den man hätte nachschlagen können, als
glaublich, dass um der anbringung zweier winziger notizen
willen, wie solche noch an vielen orten sich hätten hinzufügen
lassen, im 13. jh. jemand sich sollte die mühe genommen haben,
ein anderes exemplar zu rate zu ziehen. Unflectiert nach-
gesetztes Possessivpronomen ist sonst in der interlinearglossatur
unerhört und die widergabe von nuhere mit 2cr e chomcn
statt etwa mit geJnen denkbarst ungeschickt. Beiden Zusätzen
steht so deutlich der Stempel jüngeren Ursprungs aufgedrückt,
dass sie zu beginn des 12. jh.'s, als SG geschrieben wurde,
nicht in dessen vorläge gestanden haben könnten, sondern auch
in dieser erst erheblich später nachgetragen sein müssten. Hat
es aber irgend welche Wahrscheinlichkeit, dass in zwei hss.
hundert und mehr jähre nach ihrer entstehung dieselben gleich-
giltigen eintrage vorgenommen wurden? Noch complicierter
würde die sache sich in dem fall gestalten, dass X aus der
schwesterhs. von SG abgeschrieben wäre.
o. Am anfang von Ps. 75 (303, 13) ist vor ouiielee ein
roter initialbuchstab ausradiert, und zwar allem anschein
nach das richtige S; im eiugang von Ps. 100 (416, 12) steht
mit einem fehler, den noch der jüngste herausgeber unberich-
tigt gelassen hat. De selbemo statt Ze selbemo. Den Irrtum
teilt an beiden orten X, welches anderwärts (s. oben abschnitt 6)
initialen richtig ergänzte.
4. Ps. 45, 3 (175, 5 f.) liest man über Si hahveritis fidem
interlinear liabent ir o yeloüha: daraus entstand in X ein
sinnloses iro. Das nur zum teil ausgeführte o ist indessen
bloss der ansatz eines g (vom folgenden geloüba; ganz ein
gleiches o findet sich Ps. 70, 17 (279, 18) vor gesceidcn), welcher
darum nicht fortgesetzt wurde, weil er über [hab]veritis statt
über dem richtigen ßde stand. Aus demselben gründe wurde
Ps. 34, 17 (120, 14 f.) nidnnis umiclii, das über \consuetu\dme
86 STEINMEYER
]ium[ane] sich befand, ausradiert und den silben [hiün]anQ in-
finnita[tis] übergesetzt. — Ps. 55,9 (213,16) und 56,9 (217,6)
stehen in vSG, X die sonderbaren bicomposita M Götscelto {Ice
Gotscclto Seh), während es Ps. 10 sec. Hebr., 7 (28, 27) hotscelto
hiess, und Ixcgcchriuzegot {kcyechriuzigot Seh): beide mal handelt
es sich um falschen Wertansatz für Iwtscelio, Txechriuzcgot.
5. Misverständnis von correcturen. Ps. 67, 35 (262, 16)
ist das erste n von tmölchentunchel aus einem langen striche,
dem ansatz eines l corrigiert, d.h. dem Schreiber von SGr
schwebte bereits der schluss des zweiten compositionsteils
hmchel vor: R bietet daher unölcliehtiinchel, erst Seh hat die
naheliegende besserung zu uuolchentunchel vollzogen. — Ps.
48, 3 (184, 20) zeigt in SGr das zweite n von mennesccn ände-
rung aus 5, weil der Schreiber auf men gleich die dritte silbe
Seen hatte folgen lassen wollen; jeder oberflächliche leser
konnte das corrigierte wort für mcnsiescen nehmen, und so
steht es in X. — Analog sind die fälle Ps. 67, 14 (256, 14) ge-
hötin {n aus einem unter einwirkung von gcminis prcceptis
caritatis oder von Gotes imde mdnnis zuerst geschriebenen s
berichtigt) und 40, 11 (152, 14) luibelosin {n aus dem durch
inopis veranlassten s corrigiert), welche nunmehr durchaus den
eindruck von gehötisi und habelosiß (so X) machen. — Ps.
53, 9 (205, 27) iJÜrliclii, wo r in SG aus ansatz des folgenden
l corrigiert ist, konnte sehr wol als publichi gelesen werden,
wie X aufweist; R fügt hinzu: 'sie. sed etiam legi potest pus-
Uchi.' — Das ergebnis der correctur von de zu die Ps. 55, 2
(212, 6) liess sich bei flüchtiger einsieht leicht als ilh (so R;
verschlimmbessert von ihm und von Seh in alle) auffassen.
— Ps. 104, 35 (448, 28) lioistaffel, das erste /"aus l, dem schluss-
buchstaben des wortes, corrigiert SG: daher hoistalfel X. —
Ps. 50, 21 (199,9) war die Verlesung von eimarto zu euuarin,
das R enthält, unschwer; aus conjectur setzte dann mit rück-
sicht auf den lateinischen plural saccrdotes Seh euuarten. —
Ps. 7,6 (17,23) konnte für Uchen SG, 1286 von X in der tat
lieben gelesen werden. Man darf es wol als ausgeschlossen
ansehen, dass solche correcturen und fehlerhaften ausätze, wie
sie unter nummer 4 und 5 aufgezählt wurden, aus der vorläge
nach SG und seiner schwesterhs. sich fortgepflanzt hätten,
d. h. hier getreu nachgemalt w^ären.
NOTKERS PSALTER. 87
6. Kelle legt gewicht auf den umstand, dass gewisse
correcturen, tilgungen oder Umstellungen von buclistaben oder
Worten, die SG vorgenommen hat, in X unberücksichtigt
blieben; daraus schliesst er, X habe den tenor der vorläge ge-
treuer gewahrt. Beiläufig bemerkt: dass SG seine vorläge habe
berichtigen wollen und gar zu dem ende sich einer w'eiteren
hs. bediente, kann natürlich nur für eine von zwei möglichen
annahmen gelten. Dafür Hesse sich allenfalls Ps. 40, 12 (152,21)
ins feld führen. Hier steht in SG: pe diu nement den (dies
wort mit drei deutlichen punkten darunter) sie, in 1286 ne-
mentden sie, in X nement Sie. Das richtige stellte Piper nach
WN her: nemendent sie. Man sieht, das über der zeile befind-
lich gewesene den der vorläge war bei der abschrift nach
statt vor t eingereiht worden, gab nunmehr keinen sinn und
wurde getilgt. Ebenso möglich zur erklärung der von SG
vorgenommenen correcturen ist aber die zweite supposition,
dass es fehler zu beseitigen trachtete, welche gegen die vor-
läge, wider seinen willen, ihm selbst untergelaufen waren. In
der tat berichtigen denn auch die correcturen von SG, soweit
wir sie controlieren können, zumeist fälschlich vorausgenommene
buchstaben oder silben. Das nichtvorhandensein zahlreicher
änderungen, welche SG aufweist, in X rührt vielmehr daher,
dass sie häufig so fein oder so zweideutig ausgefallen waren,
dass sie X übersah oder irrig auffasste. Der beweis lässt sich
wider mit hilfe des St. Galler codex 1286 führen. Von ihm
hat noch niemand bezweifelt, dass er direct aus SG abgeschrieben
sei; trotzdem stimmt auch er des öftern mit X gegen SG.
Ps. 3, 7 (8, 19) hat SG die worte iJi neirsferhen müge durch
unterpungierung getilgt, sie stehen jedoch in X und 1286,
weil ihrer feinheit halber die punkte kaum wahrnehmbar sind.
— Ps. 4, 5 (10, 6) ist in SG, wo zuerst ruh geschrieben werden
sollte, das zweite u von ituiih aus h corrigiert; R hat iüh ih,
1286 iiih ih, bei Seh fehlt der ganze passus. — Ps. 5, 4 (12, 7)
morgen, e corrigiert aus o SG, morgon aus morgen corrigiert E,
morgon Seh, inorgon 1286. — Ps. 5, 12 (14, 7) freuuent, t unter-
und überpunctiert SG: freuuent bez. freuuent X, 1286. — Ps.
9,18 (26,20) uiierfen, n ganz dünn unterstrichen SG: uuerfen
X, 1286. — Ps. 24, 9 (77, 31) ist in SG Da^; durch einen um-
gebenden kreis von punkten athetiert: trotzdem weisen X, 1286
88 STEINMEYEIl
das wort auf. — Ps. 32, 3 (107, 8) ähnelt das z von ddz in
SG einem li oder ist aus einem solclien corrigiert: ddh E, ddh
128G, erst Seh aus conjectur daz. — Ps. 35, 7 (125, 1) dannan
uuard gehreitet si über al vSG mit verweisungszeichen vor ge-
hreitet und si, sodass es heissen sollte uuard si gehreitet über
al: 1286 ohne rücksicht auf die zeichen uuard gehreitet si; X
dagegen dehnte fälschlich ihre geltung auch auf iWer al aus,
sodass man hier liest: uuard st üheral gebreitet. — Ps. 36,38
(134, 22) Hb liaftcr, unter h ein ganz feiner strich SG : Hb-
liafter X, Uhhafter 1286. — Ps. 44, 1 (167, 9) stellt SG die
Worte dilectuni christum durch zeichen um: weder X noch 1286
beachten die zeichen. — Ebenso steht es Ps. 49.15 (192, 19 f.)
mit löse danne. — Das in SG Ps. 101, 28 (426, 27) richtig
überlieferte imbrificans haben sowol X und 1286 wie die
neueren herausgeber zu umbrificans verlesen, — Dass mitunter
in zweifelhaften fällen X und 1286 auseinander gehen, be-
gi'eift sich. So schreibt Ps. 2, 2 (5, 9) X als, weil in SG das
n anradiert ist, 1286 behält Nals bei. — Ps. 4, 8 (11, 9) dia,
a corrigiert aus u SG: dia 1286, aber diu X. — Ps. 6,7 (15,24)
ist in SG vor nahteliches ein langer strich radiert, l oder der
ansatz eines b (Piper irrt, wenn er angibt, :n sei radiert aus
he): 1286 setzte, die rasur respectierend, nah'teliches, X malte
das scheinbare Schriftbild mit Inahteliches bez. Inahtcliches
nach. — Ps. 16, 14 (46, 14) sie, e corrigiert aus u, nach Piper
(und das ist wahrscheinlicher) aus a SG: siü X, sia 1286. —
Ps. 38,1 (140,24) Baz, z aus h corrigiert SG: Dah E, Daz
1286 und aus conjectur Seh. — Ps. 72, 3 (287, 22) anasehende,
das end-e radiert aus o SG: dnasehende 1286, ana Sehendo,
anasehendo X. — Ps. 91, 4 (388, 10) kann in SG sowol zen-
seitigen als zensettigeti gelesen werden: daher zenseitigen, das
erste i aus correctur 1286, zensettigen X. Man braucht des-
halb an stellen, wo 1286 nicht vergleichbar ist, aus der nicht-
beachtung von correcturen, die SG vorgenommen hat, durch
X für dieses nicht auf eine correcturenfreie vorläge zu schliessen,
Ps. 24, 14 (79, 9) steht in SG diffidentia (darüber plücheit)
heizzet iinde uirchimst mit verweiszeichen vor hetzzet und unde,
d.h. Umstellung zu difßdentia unde uirchünst sollte stattfinden:
den zeichen schenkte weder X noch 1286 (wo freilich jdiicheit
als interlinearglosse fehlt) beachtung. — Ps. 37, 8 (136, 26 f.)
i
NOTKEKS PSALTER. 89
ist bei Hattemer und Piper der Wortlaut von SG der folgende:
das er Got unänäa uiicsen ligna unde lapidcs mit der inter-
linearglosse höh unde steina über den drei letzten Worten,
X dagegen hat: daz er Got unända uucsen ligna (darüber
Iwhir) unde lapides (darüber steina). Letzterer fassung gibt
Kelle den vorzug; weslialb, ersieht man nicht recht, denn der
interlinearglossator gebraucht beide pluralformen, sowol Jioh
Ps. 64,4 (243,2) als hohir Ps. 80, 16 (339,3), und dass ein
deutsches textwort zum überfluss nochmals interlinear erscheint,
hat auch seine parallelen, z. b. Ps. 21, 19 (70, 1). 41, 2 (153, 24)
ist, 104, 8 (444, 13 f.) diu ioJi. Aber SG enthält kein inter-
lineares unde, sondern u mit einem punkt dahinter: so kürzte
man im mittelalter nicht ab. Obendrein ist u unterstrichen
und steht der punkt hoch: es liegt also nur ein ansatz von
unde vor, der beim ersten zuge des « abgebrochen wurde, weil
das wort bereits im linearen texte stand. Sehr wol indessen
konnte u mit folgendem punkt für ir genommen werden. —
Ps. 44, 10 (171,6) war in SG tohteron nach analogie der gleichen
z. 4 vorangehenden form geschrieben gewesen, n wurde dann
unterstrichen und o in a corrigiert: X kümmerte sich um den
strich nicht und schrieb toldenm. — Ps. 59, 8 (227, 26) hat
SG das anfangs -/i von hdhsele durch strich darüber und dar-
unter getilgt: trotzdem liest X hdhsele. — Nicht minder steht
Ps. 63, 9 (241, 2) in SG unter dem ersten e von dcen ein
tilguugsstrich: aber X hat dessen ungeachtet deen. — Ps. 67,35
(262, 16) befindet sich über und unter dem ZAveiten s von
stiwlstazzcn in SG ein schwer erkennbarer punkt: stuol-
stazzcn R, stuolsazzcn aus richtiger Vermutung Seh. — Ps.
73,18 (298, 20 f.) idles (mit tilgungsstrich über s) Gotes tiilte
SG: alles X. — Ps. 82,2 (342,20) toüyener, das letzte e corri-
giert aus 0 und einem solchen in der tat sehr ähnlich SG:
toiKjeno:'' R, tougenor Seh. — Ps. 84, 9 (352,1) todiga, a ge-
bessert aus u und allerdings davon nur schwer unterscheidbar
SG: tödigu X. — Ps. 85,7 (355,24) so uuellen (llen unter-
strichen) uuir geellindot föne Gote = peregrinamur a domino
SG; es hatte uuerden geschrieben werden sollen, vgl. Ps. 125, 1
(555,24): aber auch in X steht unter nichtbeachtung des
tilgungsstriches uuellen. — Ps. 89, 10 (380, 10 f.) überheuen,
u aus h corrigiert SG: üherhehen X. — Ps. 93,13 (396,19)
90 STEINMEYER
iougcnoro, das erste o corriglert in e SG: tougenoi'o X. —
Ps. 97, 3 (409, 15) antfristot mit ganz feinem strich nnter dem
letzten t, Übersetzung von interprctatione, SG: antfristot X. —
Ps. 101, 28 (427, 7) dar, r aus r corrigiert und noch immer
einem s sehr ähnlich SG: claz X. — Ps. 104, 16 (446, 1 f.) Et
panis cor hominis confirtnat mit der interlinearglosse inide
hröt fcstit manne äaz herza, manne corrigiert aus mannis,
indem i zu e geändert und s fein unterstrichen wurde SG:
mannis X. — Cant. Abac. 17 (623, 28) cliümct xpc durch zeichen
umgestellt SG: ebenso X, indem die zeichen unbeachtet blieben.
— Auch JDanid über dem gleichlautenden lat. eigennamen in
X Ps. 33, 1 (112, 3) erklärt sich aus mis Verständnis oder nicht-
berücksichtigung der abbreviatur daimt SG und sed in Ps.
57, 5 (218, 23) aus Verlesung von scctm SG = sccundum.
in. Nun behauptet freilich Kelle, die hs. SG, welche
nach Mezlers zeugnis noch am anfang des 17. jh.'s sich in
Einsiedeln befand, sei nicht vor 1700 nach St. Gallen gekommen,
könne somit Loubere nicht zur vorläge gedient haben, da
dieser ausdrücklich einen St. Galler codex als seine quelle
bezeichne. Denn in des bibliothekars Hermann Schenk Cata-
logus codicum mss. bibliothecae S. Galli ante a. 1700 (St, Galler
hs, 1280) hätte jene spätere band erst, welche den catalog
überhaupt vielfach ergänzte, s. 72 class, IV no. 149 nach-
getragen: Nothri Laheonis Psalteriu in linguä Teuton. Theo-
tiscä translaiü foJ. 31. n. 31 (Untersuchungen s. 1). Die tat-
sache stimmt, der aus ihr gezogene schluss geht fehl. Diese
spätere band hat nämlich zahlreiche mss. nachgetragen, von
denen sich ohne jede mühe dartun lässt, dass sie seit Jahr-
hunderten eigentum des stifts waren. Unmittelbar hinter
Xotkers Psalter (no. 150) verzeichnet sie: Psalteriu JJavidis
aureis cliaracterih, conscriptiim. fol. M. n. 21. Das ist der
jetzige codex 22, welcher auf s. 1 den vermerk saec. XIV
trägt: lih^ sä gaJli aureus. Sie bucht s. 73 unter no. 154:
Antiqu'"" delineatio Monrij S. Galli fol. cum Frwfatione ad
Coshcrtu. Das ist der jetzige codex 1092, der schon im
bibliothekscatalog von 1401 (Weidmann, Geschichte der bib-
liothek von St, Gallen s. 411) erscheint. Endlich nennt sie
s, 107 unter no. 211 (fortsetzung der nachtrage zu classe III,
N0TKER8 PSALTElf. 91
s. G2) den jetzig-en codex 899. wie die T)eigefügte Kolbsclie
Signatur 259 über allen zweifei erhebt. Ihn bezeichnet aber
auf seiner ersten seite schon eine band des XIV / XV. jh.'s als
Libcr sancti galli Schenk hat in den von ihm gescliriebenen
Partien des catalogs nicht entfernt alle hss. eingetragen,
welche das stift vor dem jähre 1700 besass. Das erklärt sich
sehr einfach daher, dass er während seiner nur zweijährigen
bibliothekarischen tätigkeit (1680 — 1682) mit der catalogisie-
rung nicht fertig geworden war. Dies geschäft kann er dann
selbst in seinem letzten lebensjahr, als er am 22. april 1705
abermals zum bibliothekar gewählt worden war, oder einer
seiner nachf olger beendet haben: denn die nachtrage zum
catalog fallen nach 1704, wie bei der oben erwähnten no. 154
der hinweis auf ihre reproduction im zweiten bände von
Mabillons Annales ordiuis S. Benedict! zeigt. "Weil Schenk
von 1682 — 1705 der bibliothek nicht vorstand, ja grossenteils
fern von St. Gallen w^eilte, begreift sich auch entgegen Keiles
bedenken (St. Galler Schriften s. 215 ^= 11), warum Mabillon,
als ihn Schilter um vermittelung des St. Galler Psalters an-
gieng (Jahresbericht a.a.O.), nicht an Schenk sich wenden
konnte. Der codex 21, der allem anschein nach auf unreclit-
mässige weise nach St. Gallen gelangte (St. Galler Schriften
s. 235=31), dessen Verheimlichung man darum Loubere zur
pflicht machte, kann somit sehr wol 1675 oder noch früher
auf der Stiftsbibliothek sich befunden haben. Wie Loubere,
wie später Schilter von ihm erfuhr, woher Mabillon oder schon
Schilter ihre Wissenschaft von Louberes abschrift schöpften,
das entzieht sich unserer kenntnis.
Noch eine Schwierigkeit bleibt zu beseitigen, i) Kelle hat
nachgewiesen, dass den 300 blättern von Louberes Psalter-
copie zwei mit dem titel und einer Vita autoris vorangiengen
(Untersuchungen s. 12). Beide stücke finden sich aus Schilters
nachlass in dessen Thesaurus s. xii mitgeteilt. SG aber bringt
weder diese biographie Notkers noch überhaupt eine. Schilters
^) "Welche bewautuis es mit der angäbe zweier briefe Mabillons hat,
in Louberes abschrift sei nicht nur der Psalter, sondern auch die ver-
deutschte Benedictiuerregel enthalten gewesen, weiss ich nicht zu sagen.
Ihr fehlt jede sonstige beglaubigung und sclir wahrscheinlich will sie mich
nicht bedünkeu.
92
STEIN MEYER
Vita gehört indessen auch nicht dem 12. jh. an, sondern ist
aus Jodocus Mezlers schrift De viris illustribus Sangallensibus
I, 44 in einer von dem drucke bei Pez, Thesaurus anecd. I, 3, 580
etwas abweichenden gestalt (deshalb zuweilen näherer anklang
an Kolbs worte bei Hattemer 2, 3) zurechtgemacht. Ich stelle
die drei fassungen nebeneinander und kenuzeiclme die gemein-
samen Partien durch Sperrdruck.
Schilter.
Scriba ad Lectorem de
NotkeroTertio. B. Not-
kerus Labeo ä latiori-
bus labiis cog-uomiiia-
tus, subtilis iiigenii,
& in literis appriine exer-
citatus, Magister sclio-
lis S. Galli umltis anuis cum
laude prsefuit, ac primo
iu gratiam fratrum
siiorum Psalterium
Davidicum & complura
alia in linguam verua-
culam vertit; Et cum
nou minus sanctitate
quam scientiis Üoreret,
mortis suse prfescius,
eamque fratribus in per-
uigilio S. Petri, cujus
mirificus cultor erat, ante
completorium, sanus ad-
huc prsedicens, sub com-
pletorio pauperes,
quod oflicii sui erat, alacer
pascens,post completo-
rium decumbeus placi-
dissime obdormivit Anno
MXXII.
Mezler.
De Notkero Labeone Mo-
nacho. Notkerus cogno-
mento Labeo seu labio
lato in Diviuis scripturis
exercitatus, ingenio
subtilis, atque ad inve-
niendum quielibet promp-
tus, in suorum fratrum
(ut scripsit Eckerardus &
alii) gratiam, primus
in Germanicam lin-
guam vertit Davidis
Psalterium, Job libruui,
& D. Gregorii Moralia. De
quibus psalterium tantum
paraphrastice ab eo inter-
pretatum vidimus, ex ar-
chetypo transscriptum,
qnando quidcm arcbetj'pon
ipsum Gisela Imperatrix
ad S. Gallum cum venisset,
ab Abbate exoraverat, &
asportarat. Cseterum qiio-
niam Notkerus sancti-
tate etiam pollebat,
mortis sufe prsescius,
ita demum obiit; ut in
pervigilio S. Petri
Apostoli sanus adhuc
cum esset, missis ad Com-
pletorium Cceteris, pau-
peres Interim ipse pas-
ceret, & finito demum
Completorio, cum Pa-
tres, ne sepeliendura ba-
bitu aliquaudo spoliarent.
Kolb.
A latioribus autem la-
biis Labeo dicitur, mul-
torum discipulorum doc-
tissimus Magister. Scrip-
sit non pauca barbarice,
seu antiquo theodisce, et
primus psalterium
Davidicum transtulit in
linguam antiqiiam Ger-
manicam. Cumque non
minus sanctitate,
quam scientia polie-
ret, prsescius mortis
sanctissime obiit circa
aunum , ut Hepidannus
scribit 1022 sub Bur-
chardo IL Abbate.
NOTKERS PSALTER. 93
Mezier.
fuisset coutestatus ; ipsa
hora opinioue oiuninra
Sanctus placidissime
conriuievit.
Mit Mezlers darstelluug berührt sich auch stark B. Fraiicks
Dissertatio historico-critica s. xiv in Schilters Thesaurus I, die
jedoch daneben deren quelle, den Liber benedictionum Ekke-
liards IV., verwertet hat.
Der eigenen, durch Mabillons brief au Schilter vom 3. mai
1697 verbürgten aussage Louberes: 'se quidem habere apo-
graphum illius Psalterii ex codice sancti Galli, sed ea cou-
ditione acceptum, ut nulli alteri id communicaret' muss man
entnehmen, dass er aus St. Gallen eine für ihn hergestellte
copie zugesant erhielt, welcher ganz passend eiue kurze bio-
graphische Skizze beigegeben sein konnte. Diesem zeugnis
widerspricht scheinbar der Wortlaut des titeis, wie Schilter
a.a.O. ihn gibt: 'Psalterii Translatio Barbarica Notkeri tertii
Abbatis de Sancto Gallo in Helvetia, summa curä descripta
ex Autographo in Bibliotheca San-Gallensi seruato, Soloduii
Anno 1675. ä Mr. la Loubere.' Denn er kann kaum anders
gedeutet werden, als dass der St. Galler codex nach Solothurn
gesaut und dort von oder für Loubere copiert worden sei:
so legte schon pastor Frick, der Vorredner des Thesaurus,
ihn aus. Wäre SG an Loubere zur abschriftnahme verschickt
worden, so begriffe sich die zusätzliche bezeiclmung Notkers
als St. Galler abtes schwerer; diese von Goldast aufgebrachte
verw^echslung mit dem 975 verstorbenen prälaten w^ar in
St. Gallen beliebt und lag einem St. Galler abschreiber be-
sonders nahe. Vermutlich hat man die Schlussworte des titel-
blattes 'Soloduri — Loubere' gewissermassen als einen bibiio-
theksvermerk abzutrennen, der ort und zeit der er Werbung
sowie den namen des besitzers angab; ä wäre dann als fran-
zösische dativpräposition zu fassen.
Der Kopenhagner codex darf nunmehr in die Vergessen-
heit wider zurücksinken, vrelcher für kurze frist ihn entrissen
zu haben zu den nicht geringen Verdiensten zählt, die sich
Kelle während eines arbeitsreichen lebens um die quelleu-
kunde der alid. literatur erwarb. Denn gerade mit hilfe von
94 STEINMEYER, NOTKERS PSALTER. — LÜCKENBÜSSER.
Rostg-aards abschrift Hess sich leichter, als das auf griind von
Schilters stark änderndem druck möglich gewesen wäre, der
nach weis erbringen, dass der Notkersche Psalter vollständig
allein in dem Saugallensis 21 auf uns gekommen ist.
ERLANGEN, juni 1907. E. STEINMEYER.
LUCKENBUSSER.
Die glosse des Clm. 14747 Exercuere anmekzan Gll. 2,
330, 23 ist wieder dort noch von Graff 1, llOG gedeutet worden.
Der Zusammenhang, in welchem exercuere bei Hieronj-mus vor-
kommt (quorutn causa exercuere nirtutes), hilft auch nicht weiter.
Es liegt einfach ein mis Verständnis des glossators vor: er ver-
las exercuere zu exacuere und verdeutschte dies dann ganz an-
gemessen mit dem Infinitiv aruueizsan = aruuessan. Zur
bezeichnung des aus umlaut hervorgegangenen e war ci von
ihm schon 2, 329, 34 {eincJio) angewaut worden. Anlautendes
h vor consonanz ist in dem denkmal bald erhalten bald ab-
gefallen.
STEINMEYER.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION
IN DER WESTGERMANISCHEN DICHTUNG.
Einleitung-.
1. Die vorliegende arbeit ist von einer untersncliung-
über die sog. gekreuzte alliteration ausgegangen, die im
herbst 1005 unternommen wurde. Diese erstreckte sich damals
nur auf den Beowulf und brachte zunächst wenig erhebliche
resultate. Doch führte ich die Untersuchung weiter, um mir
wenigstens vollständiges material zu verschaffen. Denn es
war mir aufgefallen, dass, wiewol man stets mit zahlen und
procentsätzen gearbeitet hatte, es doch anscheinend niemandem
gelungen war, auch nur aus einem einzigen grösseren gedieht
sämmtliche belegfälle aufzuzählen. ') Ich wollte also versuchen,
auf grund eines möglichst vollständigen materials wenigstens
die häufigkeit der kreuzalliteration für die grösseren dichtungen
der alt- und angelsächsischen literatur vergleichend zu be-
stimmen. Die auf diese weise gewonnenen resultate wurden
dann herrn prof. E. Sievers vorgelegt, der bisher das auftreten
der gekreuzten alliteration im allgemeinen als zufällig be-
trachtet hatte (Altg. metr. § 21 d). Aus meinem material ergab
sich ihm aber bald, dass die belege aus dem Beowulf viel
deutlicher auf das ohr wirkten als die aus dem Heliand2),
und er bekam den eindruck, als könne das irgendwie mit
den tonhöhenverhältnissen der hebungen zusammenhängen. Er
regte mich daher an, das Verhältnis zwischen allitera-
tionssetzung und Sprachmelodie zu untersuchen, indem
») Erst iiacliher fand ich, dass Ries, QF. 41, 125 die beispiele aus dem
Heliand vollstäudig- angeführt hat, aber auf der anderen seite doch wider
vermischt mit entschieden ungültigem.
*) Zur erklärung dieses umstandes vgl. unten 343 ff.
96 MOROAN
er zugleich die Vermutung aussprach, dass hebungen mit hoch-
tou (in musikalischem sinne) alliterieren möchten, andere nicht.
Mit gewissen änderungen hat sich diese veimutung denn auch
bestätigt, was durch die weiteren ausführuiigen dieser arbeit
des näheren dargelegt werden soll.
2. Bisher hat über die Setzung der alliteration im westg.
alliterationsvers eine lehre gegolten, wie sie z. b. bei Sievers,
Altg. metr. § 17,1 formuliert ist. Dort wird gelehrt, dass 'die
Stellung der alliteration . . . sich genau dem rhetorischen sinnes-
accent anschliesst'. Diese lehre lässt sich ja auch ohne erheb-
liche sclnvierigkeiten auf das überlieferte anwenden. Indessen
bleibt bei dieser allgemeinen fassung doch noch manches
dunkel, und wird erst dann erklärlich, wenn man nicht nur den
dynamischen, sondern auch, und zwar in erster liuie, den
musikalischen accent (Sievers, Phonetik § 572. 599 ff.) in
betracht zieht.
3. Erst in den letzten Jahrzehnten ist die grosse bedeu-
tung des musikalischen accentes in den älteren und neueren
sprachen mehr und mehr gewürdigt worden (vgl. beispielsweise
die lehre von den griechischen accenten, von den litauischen
circumflexeu, u. ä. die verschiedenen angaben über relative
tonhöhen in den moderneu deutschen mundarten, die a.a.O.
bei Sievers mitgeteilt sind). Zu jenen resultaten können nun
die ergebnisse meiner Untersuchung erweiternd hinzutreten,
insofern sich diese für einen grossen teil der alliterations-
dichluug in den satz zusammenfassen lassen: gleiche tonhöhe
zweier (oder mehrerer) hebungen fordert die Setzung
der alliteration, während diese bei wesentlich un-
gleicher tonhöhe nicht gestattet ist. Nur darf man den
satz nicht allzu schroff formulieren. Es hat sich nämlich als
notwendig herausgestellt, drei tonstufen zu unterscheiden,
deren abgrenzung und bezeichnung freilich gleich wider einige
Schwierigkeiten bereitet. Denn es ergibt sich bald die auf-
fällige doppelheit, dass (nach deutscher wie nach englischer
betonungsweise) nebenhebungen, Senkungen, ja selbst die nicht-
alliterierenden hebungen sowol tiefer als auch höher liegen
können, als die alliterierenden hebungen. ') Es geht also nicht
^) Ich bemerke ausdrücklich, dass sich die ausdrücke 'höber' und 'tiefer'
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 97
an, die 'haupttonliölie', d.h. die tonliölie der alliterierenden
liebungen sclileclitliin, etwa 'hocliton' zu nennen: sie ist
zwar gewiss oft ein wirklicher 'hochton', ebenso oft aber auch
ein ausgesprochener 'tief ton'. Da sie aber auf jeden fall
mindestens in der halbzeile sozusagen die führende ist, so
können wir für sie wol den terminus 'führ ton' anwenden.
Dieser ausdruck soll jedoch nicht eine in musikalischem sinne
feste tonhöhe bezeichnen, vielmehr ein für jede langzeile
besonders zu bestimmendes niveau, oder noch genauer
eine zone, innerhalb deren die einzelnen auftreten-
den töne auf uns als gleichwertig wirken, auch wo sie
vielleicht ein wenig von einander aljweichen. Haben zwei
hebungen ein und derselben halbzeile in diesem sinne den
führton, so nennen wir sie 'gleichtonig'. Das gilt zunächst
für die einzelnen halb Zeilen, es scheint aber, als lägen
auch die führ töne der beiden halbz eilen eines langverses
innerhalb derselben zone.
4. Dem führton am nächsten steht dann das, was ich als
'nahton' bezeichne. Ich verstehe darunter eine tonlage, die
sich von der der benachbarten führtöne nur massig unter-
scheidet, jedenfalls nur so, dass die differenz nicht als aus-
gesprochener c 0 n t r a s t empfunden wird. Der nahton selbst
ist ferner entweder ein 'gehobener' oder ein 'gesenkter',
je nachdem er höher oder tiefer liegt als der führton.
5. Auf der anderen seite haben hebungen, die durch
grosse abstände vom führton getrennt sind, und daher für
unser empfinden deutlich zu ihm in contrast treten, das was
ich 'fern ton' nenne. Auch dieser 'fernton' ist wider in zwei
Unterarten zu zerlegen, die wir nach ihrem Verhältnis zum
führton als 'üb er ton' und 'unter ton' oder vielleicht besser
als 'gehobenen' und 'gesenkten fern ton' bezeichnen
können.
6. Endlich fasse ich unter dem namen 'aus weich ton'
alles zusannnen, was vom führton durch einen wahrnehmbaren
abstand getrennt ist (also ausweichton = nalitou + fernton).
im folgeudeu stets auf das englische iutouatioussj'stem beziehen, das im
wesentlichen mit dem hochdeutschen, nicht mit dem niederdeutschen zu-
sammengeht.
Beiträge rur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 7
08 MORGAN
7. Dass es sicli bei allen diesen bezeiclinnngen nur um
die relativen tonverliältnisse der einzelnen zeilen bez.
halbzeilen handelt, sei noclimals ausdrücklich hervorgehoben.
]\ran darf sich also nicht dadurch irre machen lassen, dass
selbst benachbarte zeileu im tonniveau ganz gewöhn-
lich stark von einander abweichen.
8. Im anschluss an diese terminologie können wir nun
den oben gegebenen satz genauer so formulieren: hebungen
mit führton müssen alliterieren, hebungen mit nahton
(einerlei ob gehoben oder gesenkt) dürfen alliterieren,
müssen es aber nicht; hebungen mit fernton sind von
der alliteration mit hebungen anderer tonstufe aus-
geschlossen.
9. Man sieht aus dieser formulierung, dass es sich auch
bei der alliterationssetzung um ein System von bindungs-
und contrasterscheinungen handelt. Die hebungen, die
auf wesentlich gleicher tonstufe liegen, werden dadurch für
unser empfinden deutlich coordiniert, sozusagen auf einander
bezogen, und eben dadurch geeignet die alliteration zu tragen,
die ja auch auf einer gegenseitigen beziehung der verschiedenen
hebungen auf einander beruht, nur mit einseitiger beschränkung
auf deren anlaute. Fehlt aber eine ausgesprochene tonbindung,
so verliert auch der anlaut der in frage kommenden hebungen
an bedeutung für unsere auffassung; ja, ist der tonabstand
zweier hebungen sehr gross, so wäre deren bindung durch
alliteration geradezu stilwidrig, weil diese gewaltsam zusammen-
bringen würde, was sonst getrennt ist.
10. Es wurde schon oben (2) bemerkt, dass der dynamische
sinnesaccent allein nicht genügt, um alle tatsachen des alli-
terationsgebrauches zu erklären. So wäre z. b. von dieser
Seite aus nicht zu verstehen, warum der t5'pus B überall
50 proc. weniger doppelall. hat als der typus A, und warum
der typus C am seltensten doppelall. aufweist. Untersuchen
wir aber die tonhöhenverhältnisse, so finden wir, dass die
zweite hebung von B gern im ton ausweicht, und bei C fällt
der tonsprung zwischen erster und zweiter hebung meist noch
viel deutlicher ins ohr. Ferner begreift sich nur vom Stand-
punkt der tonhöhenverhältnisse aus die tatsache, dass der
ersten hebung niemals ein nomen (alliterationslos) vorausgeht:
ZUR LEHBE VON DER ALLITERATION. 99
denn jedes voranstellende nomen hat erfalirungsgemäss den
führten, und zieht infolg-edessen die alliteration auf sich.
Aelinlich ist es auch bei den versen, in denen ein verbum
einem nomen vorausg-eht. Auch hier hat das nomen normaler-
weise den führton. und darum muss es alliterieren, wenn nicht
besondere umstände kreuzend dazwischen treten. Auch dieser
satz findet durch die tatsaclien durchaus nur bestätigung-,
11. Ich verzichte an dieser stelle darauf, die geltung der
neuen regel weiter zu verfolgen, da vieles später bei der er-
örterung" des einzelmaterials zur spräche kommen muss. Nur
einen wichtigen punkt möchte ich hier noch herausgreifen. Es
ist schon frühzeitig bemerkt worden, dass ein nomen, das in
rectionsverhältnis zu einem anderen nomen derselben halbzeile
steht, nicht zu alliterieren braucht: aber eine einleuchtende
erklärung für diese erscheinung- ist bis jetzt noch nicht ge-
funden worden. Mit dem dynamischen sinnesaccent kann man
hier offenbar nicht operieren, denn oft enthält das regierte
wort das stärkste bedeutungsmoment. Auf der andern seite
findet man aber bald, dass jedes rectionsverhältnis seine typische
tonfolge hat: und insbesondere steht das regierte nomen in
bedeutender (musikalischer) tonenklise zum regierenden; d. h.
das regierte nomen hat, gegenüber dem führten des anderen
nemens, meist nahton, bisweilen sogar fernten, und es braucht
daher an der alliteration nicht teilzunehmen, bez. kann sogar
von dieser ausgeschlossen sein.
12. Im folgenden lege ich nun die ton Verhältnisse im
Beowulf zu gründe, in der form, wie sie sich mir beim sinn-
und stilgemässen vertrag ergeben haben. Es ist dabei fast
selbstverständlich, dass die anzuführenden tonschemata nur
als teile eines ganzen anzusehen sind. Die einzelnen halb-
verse lassen sich in musikalischer beziehung noch weniger
als in dynamischer auseinander reissen. Die richtigkeit meiner
angaben bez. auffassungen wird also nur dann von dem leser
centrolliert werden bez. einleuchten können, wenn er den fort-
laufenden text vor äugen hat — wie denn auch die besprochenen
Verhältnisse in erster linie eben an diesem texte festgestellt
worden sind. Trotzdem wird man schon aus praktischen rück-
sichten diejenigen verse zusammen anführen müssen, welche
ungefähr demselben tonschema folgen, weil nur auf diese weise
100 MORGAN
das material einigermassen übersiclitlicli wird; dazu kommt, dass
der ganze begriff des fülirtons mit den tonverliältuissen der ein-
zelnen lialbzeile aufs engste zusammenhängt, während weiter-
greifende tonschemata fortwährend genauere auseinandersetzung
über die tonsprünge zwischen vers und vers verlangen würden.
13. Zu gründe gelegt habe ich Holders text ') (Tüb. 1899).
Auf fragen der textkritik habe ich mich meist nur da ein-
gelassen, wo es für die verstypen oder die versmelodie von
bedeutung war. Dagegen habe ich Holders interpunction sehr
häufig ändern müssen, da tonführung und interpunction wider
aufs engste zusammenhängen, und falsche interpunction leicht
falsche tonführung suggerieren kann. In dieser hinsieht finde
ich die erste ausgäbe von Holder der zweiten überlegen, denn
dort entspricht die interpunction der Sprachmelodie oft besser
als in der neueren bearbeitung.
14. Ehe ich auf einzelheiten eingehe, wird es sich em-
pfehlen, bei einem zusammenhängenden stück aus dem Beowulf
die tonhöhen auch graphisch zu bezeichnen, damit es dem
leser erleichtert werde, die sprachmelodische auffassung des
verf. zu controllieren. Dabei habe ich mich folgender zeichen
bedient: 'führ ton' (vgl. 3 ff.) wird bezeichnet durch einen
nach oben stehenden punkt, wie in Gcit, 'gehobener nah-
ton' durch ein umgekehrtes Semikolon, wie in oftea'h, 'ge-
senkter nahton' durch Semikolon, wie in cypiinga, desgl.
'gesenkter fernton' durch ein komma, wie in (jefru,non,
'gehobener fernton' durch ein umgekehrtes komma, me in
dy'don 44. Im übrigen (ausser bei den belegen für kreuz-
alliteration, unten 314 ff.) muss ich es dem leser überlassen, zu
entscheiden, ob der 'ausweichton' in jedem bestimmten falle
nach seiner betonungsweise 'gehoben' oder 'gesenkt' ist: ich
bekäme zu viele Unterabteilungen, wenn ich darauf eingehen
wollte, und es genügt für uns, zu constatieren, dass in diesem
oder jenem vers ein contrast wirklich existiert. Zur allgemeinen
Orientierung will ich nur bemerken, dass nach meiner betonungs-
weise der 'ausweicJiton' in der ersten lialbzeile tatsächlich
meist 'gesenkt', dagegen in der zweiten oft 'gehoben' ist.
'j Nur setze ich überall p für die dentale spiraus und löse das zeichen
für 'und' stets durch and auf.
ZUR LEHRE VON DEU ALLITERATION. 101
Hwset, we GaT-Dcna in geaT-da;giain
f>eo-d-cy;niDga frym g-efru,non,
hu lp& se-pelijUgas eilen fre,me(lon.
oft Scyld Scefing scea-pena p>rea,tum,
5 mo-negum moe'g)?um meo-do-setla oftea'h,
B'gsode eo-rlas, sy]?]?aii pe-rest wea;rp
fea'-sceaft fu-uden; he pxs fro-fre geba'd,
Aveo'x linder wo-lcnum, weoTp-myndum pajh,
0,1p pfet him ?e'ghwylc ymbsi;ttendra
10 ofer hroui-ra;de hyran sco,lde,
go-mban gyidan: f>set wees go'd cy,ning!
I)0em ea-fera wse;s ae-fter ce,nued
geo-ng in gea-rdiim, pone go'd se,nde
fo'lce to fro'fre: fyren-pearfe ongeait,
15 J7a hie «t dru,gon a'ldor-lea;se
la'nge hwi,le. Him fses li'f-fre,ga,
wuldres wea'ldeud, woTold-are forgea,f:
Beo-wulf wees bre-me, blsed wiide sprang
19 Scyides ea;ferau Sce-de-landum i,n.
26 Him pa Scyld gewa;t to gescse-p-hwi'le
fe-la-hror fe-ran on frea^n W0e,re.
Hi, hyne pa setbEeTon to bri'mes fa,rope,
swae'se gesi'pas, swa he se'lfa bpe;d,
30 penden ■wo-rdum wecld wi-ne Scy;ldinga,
leo'f la'nd-fruma 7 la'nge a,hte.
paer set hype stoid hri-nged-steifna
i-sig and u-tfus, aepelinges f8e,r;
ale'don pa; leo'fne ]?eo;deu,
35 bea-ga bryttan on beaTm sci,pe3,
mseTne be mte-ste. pser waes ma"dma feila,
of feoT-we;gnm fr*"twa gelae,ded:
ne hyrde ic cymli,cor ceo-1 gegy,rwan
hi'lde-wieipnum and hea-po-waeidum,
iO bi-Uum and byrnum: him on bea-rme lie'.g
ma'dnia mae-nigo, pa him mid sco,ldon
on flodes aeiht feo'r gewi,tan.
Na,l8es hi hine laessan laxum teo,dan,
peo'd-gestreoinnm, poune j^a* dy'don,
15 pe hine aet frumscea,fte foT)? onse,ndon
aenne ofer y]?e u'mbor-weisende:
]7a, gyt hie him ase-ttou se-gen gy;ldenne
hea-h ofer hea-fod, letou ho'lm be,ran,
gea-fon on gaT-secg: him waes gecmor se,fa,
50 mn-rnende mo'd: me'n ne cuinuou
se-cgan to so'pe se'le-rae;dende,
hae-lep» under heo-fenum, hwa J'aem hlae'ste oufe.ng!
02 MORGAN
Capitel I.
Die tonverhäitnisse der hebungen im Beowulf.
Erster lialbvers.
15. Es macht sich dem leser bald bemerkbar, dass die
ersten halbverse ganz anders geartet sind als die zweiten;
jedoch fällt es einem zunächst sehr schwer, den unterschied
zu formulieren, denn die besetzung der hebungen ist oft
scheinbar dieselbe: es kommen z. b. oft zwei nomina, oder
verbum + nomen, oder nomen -|- verbum u. s.w^ (freilich mit
sehr A'erschiedener häufigkeit) in beiden halbversen vor. Und
doch bleibt der unterschied der Sprachmelodie bestehen. Ueber
die umstände, die mir hier wirksam zu sein scheinen, kann
ich nur ein paar andeutungen geben.
16. Vor allem fällt es auf, mit welcher häufigkeit verba
finita im zweiten halbvers vorkommen: jeder zweite vers
enthält eins, und gehört somit zu einer gattung von versen,
die ich 'erzählend' oder 'fortlaufend' nennen will. Diese
haben wider drei melodische typen, je nach der Stellung im
satze. Den einen typus haben war bei
pfem eafera waes 12 a lof-dsedum sceal 24 b
)?one god sende 13 b him J?a Scjld gewat 25 a
U.S.W. Man kann am Schlüsse nicht pausieren, denn
das hauptinteresse des satzes ist noch nicht da. Die stimme
neigt dazu, ein wenig zu eilen, und die leise erregtheit des
Vortrags hindert den gleichton. Es ist auch charakteristisch,
dass hier die 'leichten' verstypen B und C sehr stark ver-
treten sind.
17. Einen zweiten typus finden wir bei
}?ryin gefrunon 2 b iu vvorold wocun 60 a
eilen fremedon 3 b findan mihte 207 a.
Bei solchen versen bildet das verbum den schluss eines
Sinnesabschnittes; also fällt die stimme gewöhnlich stark,
und es folgt eine pause. Diese beiden typen kommen haupt-
sächlich (letzterer fast ausschliesslich) im zweiten halbvers vor.
IS. Dagegen ist der dritte typus fast ganz auf den ersten
halbvers beschränkt; im zweiten kommt er nur 10 mal vor.
Beispiele sind:
I
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 103
egsode eorlas 6 a geafoii on gar-secg 49 a
weox uuder -wolcimm 8 a panon woc fela 12651)
Dieser vortragstypns ist ganz anders als die eben besprochenen:
er ist ruhig, meist gleichtonig, und gestattet eine pause am
schluss. Jedoch schliessen diese verse selten ab, und
so bleibt die stimme beim nomen noch hoch, um zu zeigen,
dass der satz noch nicht zu ende ist.
19. In der hauptsache zeigen die letztgenannten verse
verbale Variation; ihnen reihen sich also bequem die verse
an, die nominale Variation enthalten. Formell gehört die
verbale Variation dem 'erzählenden' t3q)us an, ihr vortrags-
typus liegt jedoch dem einer versart näher, die ich 'appo-
sitioneir nennen möchte. Es ist ihre aufgäbe, einen bereits
dagCAvesenen begriff weiter auszuführen, während die eigent-
liche erzählung ruht. Auch hier bleibt die stimme ruhig, sehr
oft gleichtonig, und sie pausiert am Schlüsse ein weilchen, ehe
sie weiter fortfährt, Beispiele dieser art verse: gombun gyl-
dan 11, iviges iveor])-mynd 65, umldres tvecddend 17. Es ist
bezeichnend für die melodischen Verhältnisse, dass auch dieser
typus fast auf den ersten halbvers beschränkt ist.
20. Eine abart dieser verse (die sich aber von den rein
'appositionellen' bisweilen schwer scheiden lassen) nenne ich
'parenthetisch', insofern sie in einem laufenden Zusammen-
hang eingestellt sind, ohne wesentlich neues zu bringen. Z. b.
sivwse gesipas 29, 'sie taten das und das, die lieben gefährten';
oder (enne ofer yjje 46, 'sie santen ihn fort, allein über die
wellen, als neugebornes kind'. Auch dieser meist gleichtonige
typus ist dem zweiten halbvers fremd.
21. Man sieht hieraus, dass der erste halbvers andere
füllung zeigt als der zweite, obgleich die auftretenden Wort-
klassen in beiden halbversen oft dieselben sind. Dies gilt
wenigstens von den versen mit doppelall.; dagegen zeigen die
verse mit einfacher all. viel häufiger den erzählenden typus.
Zu diesem typus sind viele verse zu rechnen, die keine verba
enthalten. Dahin gehören beispielsweise die meisten einwortigen
verse, die hauptmasse der verse mit zweihebigen composita,
und fast sämmtliche A3- verse (mit aufsteigender statt ab-
steigender melodie).
104
MOKCJAN
22. Einzelheiten über die tonverliältnisse, wie sie durch
besondere wort Stellung-, syntaktische dinge und sinnesinhalt
der einzelnen Wörter bedingt sind, werden in Zusammenhang
mit dem einzelmaterial besprochen werden,
23. Endlich ist noch über die einteilung ein wort zu
sagen. Um einen vergleich zwischen den gleichtonigen versen
und denen mit ausweichton möglichst einfach zu machen,
werden die einzelnen klassen der besetzung mit nomen + nomen
im folgenden neben einander gestellt. Danach aber werden
alle verse mit gleicher melodie zusammen behandelt, weil bei
anderen combinationen als nomen + nomen entweder ein ver-
gleich nicht so belehrend ist, oder aber die difi'erenzen so ge-
waltig sind, dass sie von selbst auffallen.
A. Offene verse.
24. 'Offene verse') nenne ich solche, hinter denen gar
keine interpunction oder höchstens ein komma steht. Im gegen-
satz zu ihnen stehen die stark interpungierten verse (s. unten
i40 IT.), die ich als 'geschlossen' bezeichnen will.
a) Nomen + nomen.
Typus A.
25. Coordination, bei gleichton und doppelallitera-
tion. Unter dem terminus 'coordination' bitte ich in dieser
arbeit stets 'melodische coordination' verstehen zu wollen.
Diese kann oft mit der rein grammatischen coordination zu-
sammenhängen, und der name Avird tatsächlich hier auch nur
da gebraucht, wo zwei nomina beziehungslos neben einander
in derselben halbzeile stehen. Wo dagegen nur syntaktische
coordination gemeint ist, z. b. in ungleichtonigen versen, wird
stets 'syntaktisch' oder 'grammatisch' hinzugefügt.
26. Zu den klarsten und unbestreitbarsten belegen für
gleichton gehören die verse, bei denen die auftretenden
nomina vollständig coordiniert sind. Folgende arten von
bindung sind zu unterscheiden:
*) Hierin zusararaentreifend mit Ries, Die Wortstellung im Beowulf s.265,
fussnote.
ZUR LEHßE VON DEIi ALLITERATION. 105
1) Biuduug durch 'iiud':
isig and utfus 33 leomum and leaf um (, = ;)•) 97
heali and horn-geap (,^:) 82 eoteuas aud ylfe 112
U.S.W. 58. 61. 121. 2. 153. 192. 289. 292. 805. 8. 57. 408 (, = ;). 413. 602.
8. 19. 98. 780. 826. 35. 46. 79. 902. 12. 93. 1048. 61. 74 ( ; ist zu tilgen).
87. 1189. 95. 1200. 41. 77. 1431. 44. 99. 1546. 9. 62. 4. 1772. 1800. 33.
1958. 2037. 86. 2292. 2322 (, = ;). 49 (, = ; )• 2420. 34. 49. 71. 80. 2571.
2621. 91. 6. 2701. 4. 63. 2812. 2912. 29. 3098. 3102. Man beachte ferner
liond and heard siceord 2509, wo Jicard sweord mindestens wie ein com-
positum betont, vielleicht aber geradezu als compositum anzusetzen ist
(72 mal).
2) Bindung durch das verbum substautivum: Beoiviilf tcres
breme 18, ap ivces gecefned 1107, ßegnäs syndon gepiccere 1230; ferner
820. 755. 61. 1459. 1569. 1785. 1925. 2554 ( , = ; ) 2778. 2788. Hierzu
kann mapmus gemcene gerechnet werden, dem das zugehörige verbum
vorausgeschickt ist (14 mal).
3) Ein nomen ist von einer präp. abhängig: geong in geardum
18, cemie ofer ype 46, hcelep under heofemim 52; ferner 48. 56. 77. 95.
145. 72 ( , = ; ). 95. 216. 48. 810. 404. 420. 38. 75. 97 ( , = ; ). 584. 40. 8.
80. 98. 672. 85. 733. 47. 54. 802. 931. 62. 95. 1117. 34. 8 (,=;). 53. 1289.
1813. 71. 4. 1404. 1574. 95. 1631. 43. 9. 54. 6. 1775. 1815. 1924. 61. 4. 78.
2021. 73. 99. 2248. 62. 8. 2307. 10. 25. 8. 78. 2411. 38. 48. 59. 98. 2512.
19. 30. 9. 59. 78. 85. 2G62. 2700. 59. 65. 8. 81. 93. 2803. 76. 2908. 14. 90.
8016. 23. 5. 39. 91. 5. 8132. 8. 45. 57. 67. Aehnlich sind 7netoä for py
mane 110, hyse, mid licele 1217, fus cet farope 1916, mon mid liis magum
3065 (104 mal).
4) Seltenere formen von coordination sind die folgenden: bin-
duiig durch 'oder': folc oppe freo-hurli 693, udl oppe iren 1848; durch
'wie': sefa swa searo-grlm 594, eldam siva unnyt 8168; durch 'noch':
wordum ne tvorcum 1100, adl ne yldo 1736; durch 'um so': sundcs pe
sccnra 1436; durch 'als auch' : ge cet ham ge on herge 1248. Ferner ge-
hören hierher einige participialwendungen: gomen-ivudu greted 1065,
selran gesohte 1839, godum gegongen 3036, helmum bchongen 3139, omge
purh-etonc 3049. Endlich noch vier verse: leof his Icodum 521, Higelac
Hrepling 1923, peoden his pegnum 2869, Rapcen Hrepling 2925.
27. Syntaktische coordination bei einfacher all.
und aus weich ton. Durch den satzaccent bedingt ist die
tonausweichung bei folc and rice 1179, dceges and nihtes 2269.
Bei gup getivcefed 1658 scheint die starke markierung von
geticcefed schuld zu sein. In zwei anderen fällen: fela ic on
1) Das = setze ich allemal vor die von mii* verworfene lesart des
Holderscheu textes. Unser beispiel bedeutet also: lies komma statt des
Semikolons bei Holder.
106 MORGAN
gcogo])e 2426 und call sicylce hyrsta 3164 steht die erste
liebung tiefer als die zweite: ein melodischer typus, den wir
bei den versen mit verbis und den schwächeren Wortklassen
häufiger finden werden. Ursache ist hier wol die geringe
schwere des Sinnesinhaltes von fela und call, in vergleich zu
dem der anderen nomina. Alle diese belege haben nahton;
dagegen ist fernton vorhanden in to lang ys to reccan (= rec-
ccnne) 2093, Wiglaf wces liaten 2602. Man kann sich leicht
überzeugen, dass diese betonung richtig ist, wenn man die
beiden verse in das lid. übersetzt. Man spreche etwa: 'zu
läng wäre die erzählung, wie . . . ' und '"Wiglaf war geheissen
der söhn des Weoxstan'. unwillkürlich steigt die stimme bei
'lang' und 'Wiglaf, sie sinkt aber dann wider tief herab.
28. Subst. + zugehörigem adj. ist ein mittelding zwi-
schen coordination und einem rectionsverhältnis. Zunächst bei
doppelall. und gleichton.
1) Das adj. kann vorangehen, wie z. b. monegum mcegpwn 5,
sicase gesipas 29, heahan huses {=hean) 116; ferner 75. 158. 275. 488.
527. 58. G29. 37. 41. 70. 90. 719. 84. 849. 1111. 28. 78. 1411. 26. 89. 1542.
1621. 82. 1771. 1934. 2040. 2103. 40. 2164. 2332. 98. 2698. 2969. 3140
(37 mal).
2) Oder das adj. kann hinter dem subst. stehen: viedo-cern
mied 69, ctpding cer-god 130. 1329. 2342; ferner 156. 193. 485. 522. 776.
817. 989. 1015. 1147. 1234. 67. 1553. 90. 1650. 1784. 1881. 2154. 93. 2250.
2320. 2405. 56. 74. 2537. 2607. 2757. Bei eaM sweord eotenisc 1558. 2616.
2979 haben wir es im ersten fusse mit der betonung eines compositums
oder mit einem compositum (ealdsiveord) selbst zu tun; dasselbe gilt von
eald sweord eacen 1663.
3) Von den adj. kaum zu scheiden sind die participia, die stets die
zAveite hebuug tragen: cempan gecorone 206, searo-net seowed 406, beado-
hrcegl broden 552, heorras tohlidene ( , = ; ) 999, breost-nct broden ( , ^ ; )
1548, heard sicyrd hilted 2987. Zu 2987 s. no. 2, ende.
29. Adjectiva bei einfacher all. und ausweichton.
1) Das adj. steht voran. «) Führton + nahton: mcerne peoden
201. 345. 797. 1715. 2572, faitan goldes 2102. 1093, und ähnl. 1750. 2282,
ece drillten 1692. 1779. 2796. 108 (107b — 108a sind in klammer zu setzen);
ferner 334. 561. 86. 973. 1261. 1378. 98. 1413. 1517. 28. 1688. 1733. 2058.
80. 97. 2156. 68. 91. 99. 2211. 2392. 2467. 2610. 26. 2972. 8. 3108 (40 mal).
— ß) Führton + fernton: hapne sende 852, fccüan goldes 2246, ferner
1382. 2237. 90. 2780. 2898. Die zahl der belege mag auffallend gross er-
scheinen, besonders weil ein nachstellendes substantivum für gewöhnlich
seinen führten behält. In den meisten dieser fälle kommen jedoch factoren
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 107
zur geltung, die mit dem rein begrifflichen nichts zu tun haben. Z. t.
haben wir es mit stehenden formelu zu tun, wie ccc drihtcn, niarnepcoden
u.dgl.; in anderen fällen ist die gesammtmelodie des betreffenden satzes
massgebend.
2) Das adj. steht hinter dem subst. «) Führton + nahton:
peoden nianie 353. 2721. 3070, bi/rnan sidc 1291, sib gemccne 1857, fci'hpo
gcno(je 2'i89. — ß) Führtou -j- fernton: wpelum diore lUiS).
80. Inf. + anderes nomen, bei doppelall. und
gleicliton.
1) Das andere nonien gehört zum subject oder zum object
des vb. fin., das den inf. regiert. Z. b. fela-hror fcran 27 'Scyld machte
sich auf, der kriegerische, zu fahren', u. s.w. 711. 820. 1033. 162-i. 72.
2553. 2820. Vgl. ferner hri)n-difu hUcan 222 'sie sahen, die meerklippeu
glänzen' (9 mal).
2) Das subst. wird von einer präp. regiert, und die fälle
klingen den oben 26, 3 besprochenen versen sehr ähnlich: secgan to sope 51,
heran ofer bolcan 231, u.s.w. 439. 1869. 2526. 2878. 3011. 17.
3) Der inf. wird von einer präp. regiert: sorh is me to secgan
(= secganne) 473, idese to efnan (= efnanne) 1941, f^isc to farenne 1805.
4) Inf. und instr. (dat.) ergibt einen melodischen typus, der dem
von no. 2 ziemlich gleichkommt: liatiim tolucan 781, ivordum ivrixlanSl-i:;
ferner 684. 1054. 1861. 2126. 2521. 2791. 3083.
5) Das subst. (bez. adj.) wird vom inf. regiert. Nur die satz-
melodie ruft bei diesen versen gleichton hervor: fijrene freimnan 101,
hafalan liydan 446, sumne besgrwan 713; u.s.w. 786. 934. 1116. 1509.
1660. 1989. 2046. 2313 (, = ;). 2536. 49. 2601. 22. 55. 3024. 34. 3172.
Aehnlich sind godne gegynvan 199 und Grendle forgijldun 1577 (21 mal).
31. Subst. -|- regierender inf., bei einf. alliteration.
a) Führton + nah ton: iverhpo dreogan 589, aldre sceppan 1524;
ferner 1786. 2514. 3015. 26. — ß) Führton + fernton: frum-cyn wüan
2b2, Prgp-word sprecen 643; ferner 968. 1293. 2388. 2499. 2888. 3078.
3"^. Von den rectionsverhältnissen sind die Verbin-
dungen mit dem gen. am häufigsten, und zwar kann dieser
entweder die erste oder die zweite liebung tragen. Im all-
gemeinen neigt im ersteren falle das regierte nomen zur ton-
enklise, während dies bei nachstehendem gen. nicht so üblich
ist. Jedoch finden wir formein wie heurn EcgPeoives, nament-
lich im zweiten lialbvers, bei denen tonausweichung ganz ge-
wöhnlich ist; und widerum finden wir viele fälle voranstehenden
genitivs, wo gleichton am natürlichsten ist. Zunächst behan-
deln wir die verse mit gleichton und doppelalliteration.
108 MORGAN
1) Der gen. stellt voran: wiges iveorp-mynd 65, in Games cynne
107, ivorolde idlna 950; ferner 17. 35. 11. 127. 36. 81. 259. 81. 329. 52. 69
(, = ;). 80. 441. 83. 810. 36. 986. 1123. 52. 1229. 1487. 1530. 55. 1752. 97.
2143. 6. 2245. 2386. 2953. 88. 3181 (35 mal).
2) Der gen. folgt nach: friimsceaft fira 91, freo-wme folca 430,
gilp-mide Geates (, = ;) 640; ferner 715. 1047. 79. 1171. 98. 1238. 84.
1476. 1619. 70. 1852. 91. 2017. 35. 43. 64. 2357. 2404 (, = ;). 29. 2584.
2742. 2947. 3000 (26 mal).
33. Bei den verbindimgen mit dem gen. ist es charak-
teristisch, dass dieser gen. bei einfacher all. und aus-
weichton in den allermeisten fällen die erste hebung trägt,
weil eine solche Wortstellung öfter tonenklise zeigt, als wenn
das regierte \s'ort vorangeht.
1) Der gen. geht voran: «) Führton 4-iiahton: Jmsa seiest liß.
935, secga betsta 947. 1759, folces hyrde 610. 1832. 1849. 2981; ähnlich
2027. 3080; ferner 150. 752. 985 (stijjra = stepra). 1032. 58. 1144. 1367.
1507. 1664. 1824. 35. 87. 2071. 88. 2170. 4. 2224. 38. 2326. 43. 60. 2436.
85. 2555 (, = ;). 67. 2875. 2945. 3088. In vielen fällen zeigen diese verse
ganz formelhafte "Wendungen, die man im nhd. mit compositis widergeben
würde. So z. b. ylda hearnum 150 'den menschenkindern'. Noch formel-
hafter sind die binduugen mit eigenuamen, Avie Scyldes eaferan 19,
Wedera leode 225, Geata dryhtne 1831. 2483. 2576; ferner 1068. 81. 1391.
1856. 2336. 58. 2658. 2927. 32. 58. 92. 3037. Dazu kommen noch 5 verse,
bei denen der gen. andere function hat, und deren besonderes rections-
verhältnis den ausAveichton hervorruft: ealdres scyldig 1338, cafopes cncftig
1466, morpres scyldig 1683, modes seoce 1603, modes geoinor 2100 (61 mal).
— ß) Führ ton + fernton: Deniga fregan {== frean) (, = ;) 271, eorla
manegum 1235; ferner 2614. 2776. 3044.
2) Der gen. trägt die zweite hebung, nur bei nahtou: leode
Deniga 599; ähnlich 1582, pryp-cern Vena 657, Beowidf Geuia 676. 1191,
drillten icereda 2186, dryhten Geata 2402. 2901, fif^^ä ivintra 2209, ähnlich
3050. Hier sind die eigenuamen in der mehrzahl, und zwar handelt es
sich um typische ausdrücke, die jedoch nicht compositeuartig sind, sondern
bei denen das zweite glied adjectivisch wirkt, und somit im ton leicht ab-
sinkt. Von den übrigen versen enthalten zwei ein zahhvort, also eine
Wortklasse, die fast stets zur tonenklise neigt.
34. Andere Verhältnisse der nomina, unter denen
namentlich der instr. eine rolle spielt; bei doppelall. und
gleichton.
1) Participialwendungen, wie wa'pnnm geweorpad 250, cystuvi
gecyped 923; ferner 567. 975. 1005. 28. 31. 1126. 93. 4. 1264. 75. 1439.
1743. 2595. 3072. 3. 3106. 46 (19 mal).
2) Adjectivische Wendungen: folcum gefrcege 55, hupe liremig 124;
ferner 626. 727. 1256. 81. 1633. 2937. 3176. 82. Dazu die ähnlichen fälle
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 109
mit seihst, statt adj.: sige-lircp sccgum 490, ma'dcn-irnäu nuindum 23ß,
aklr-healu corhon 1670, nml 8077 feorh-hcalu f(vgnw (14 mal). Man empfindet,
dass die meisten dieser fälle gauz deu vortragstypus der oben 2(>, 3 be-
sprochenen verse zeigen.
35. Aelmliclies bei einfacher all. und ausweicliton.
1) Dat.-instr.: «) Fübrton + nahton: clreore fahne 447; ähnlich
927, hcore druncen 531; ähnlich 1467; ferner 624. 80. 777. 1182. 1287.
2054. Dazu nijxt ofercuman 845, dessen gen. wie ein instr. wirkt. —
ß) Führten + f ernten: 238. 296. 1478.
36. Endlicli gibt es bei gleichton noch fünf verse, die
composita aufweisen:
geasceaft-gasta (, = ;) 1206, mil-geinearces 1362, Mlde-hlcemimim 2201.
2351. 2544. Auch hier spreche ich zwangsweise gleichton, obwol comp,
sonst regelmässig zum tonabfall neigen.
37. Bei einfacher all. sind die composita häufig:
«) Führton + nahton: hilde-wcepnum 39, peod-gestreonum 44. 1218,
ivunden-stefna 220, agend-fregan (= -frean) 1883; ferner 233. 332. 503. 88
(, = ;). 678. 759. 831. 76. 1036. 53. 1103. 1208. 11. 52. 1324. 81. 1434. 42.
81. 1511. 26. 40. 4. 1576. 87. 1714. 76. 95. 1819. 25. 58. 1910. 3. 47. 53.
73. 6. 2151. 2232. 2355. 62. 4. 99. 2412. 53. 2577. 98. 2679. 2723. 87. 95.
2818. 51. 3. 61. 6. 96. 2911. 62. 3003. 32. 64 (67 mal). — ß) Führ ton +
fernton: tril-gesipas 23, ende-sceta 2il; ferner 749. 1326. 1520. 2280. 2728.
30. 7. 82. 2833. 2942. 3092. 3125 (14 mal).
Tj^pus B.
38. Der umfang* dieses t3ims wird dadurch eingeschränkt,
dass der ausgang- entweder einsilbig oder aufgelöst sein muss.
Volle coordination der hebungen erscheint deshalb nur
g-elegentlich:
ne leof ne laß 511, ßcer tvces sang and siveg 1063, heo ^vip Geatas
glml 1173; ferner 1090. 1703. 1864. 2105 (, = ;)• 2431 {symhl = symhd).
2472. Auch bei 639 Ixim tcife pa word ist coordination, wenn nicht gram-
matisch , so doch musikalisch erreicht. Vgl. ferner mceg ponne on pcem
golde ongitan 1484 (11 mal).
39. Für ausweichton finde ich bei syntaktischer coor-
dination nur einen beleg: pcet ncefre Grendel siva fela 591, bei
dem starker nachdruck auf Grendel ruht, während fela auch
sonst ein schwaches wort ist.
40. Subst. und adj. erscheint mit gleichton nur wenn
das adj. voransteht:
w(ES se grimma gcest 102, ice pitrh holdiie lüge 267, pus manige men
110 MORGAN
337; ferner 432. 507. 725. 980. 3. 97. 1148. 99. 1335. 1405. 48. 1551. 172G.
1950. 2045. 2255. 2441 (20 mal).
41. Adjectiva sind nicht sehr häufig bei ausweichton.
Einmal {Jm ivces ivundor micel 771) geht das subst. voran,
und zwar hat micel nahton.
Die übrigen belege sind: «) Fiihrton + uahton: purh rumne
sefan 278, and pa freoh'c loif Gib, pect milüig goä 701. 1716. 25; äliulich
1056; ferner 1086. 1415. 1781. 1843. 79. 2240. 2330. 3134. Man beachte,
dass es bei 278 gerade auf das rumne ankommt, und bei 108G pcet him
o/jer fiel auf das oper. Fcec 2240 verhält sich wie tid und hwil, die ge-
wöhnlich tonabfall zeigen. Mihtig god scheint eine art formel zu sein.
Vgl. ferner pje pu gi/stran niht 1334, bei dem niht adverbial wirkt. End-
lich bei 135 ac ymh ane niht begegnen Avir einem zahlwort, dessen einfiuss
wir schon kennen gelernt haben (33,2) (17 mal). — ß) Führ ton -f
fernton: pcem feoicer hearn 59, purh slipne ni/} 184, se pe cer lange tid
1915. In 59 haben wir ein zahlwort; in 1915 das wort tid (s. den vorigen
absatz); und in vers 184 scheint die Verachtung, mit der das nip unwill-
kürlich gesprochen wird, auf die tonhöhe einzuwirken.
42. Bei einfacher all. hat B eine doppelte form der
melodie: oft zeigt die mittelsenkung eine tiefere tonlage als
die beiden hebungen, während sie in anderen versen auf der-
selben höhe gesprochen wird wie die erste hebung. Erstere
art ist im ersten halbvers selten; ein deutliches beispiel dafür
ist aber . . . Eotena hearn 1088. 1141: vielleicht hängt es hier
mit der auflüsung zusammen. Diese art begegnet auch ge-
legentlich vor einem komma; z. b. he heot ne aleh 80.
43. Bei Verbindungen mit dem gen. steht dieser hier
zwangsweise voran, da der gen. fast durchgehends den ausgang
-X geben w'ürde.
Mit gleichton finden wir folgende belege: se pe his wordes geioeald
79, gehad wintra tcorn 264; ferner 182. 5. 362. 403 (,-=;). 14. 504"! 16. 78.
611 (, = ;). 1030. 1115. 1210 (oder schwellvers?). 1360. 93. 4. 1693. 1764.
2013. 5. 52. 60. 2259. 2316. 48. 2619. 45. 3005. 69. 3117. Hierzu vielleicht
V. 3056, der in der Überlieferung he is manna gehyld lautet? Der zweite
halbvers {Jiord opem'an) zeigt, dass eine Verderbnis vorliegt, weil die all.
falsch angebracht ist. Die äudcrung bei Grein 2: helsmanna gehijld ist
metrisch unmöglich, weil sie den sonst unbelegteu t^-pus E mit auftakt
ergeben würde (s. Altg. metr. § 83). Ich vermute, dass manna nach der
folgenden zeile versclmeben ist, und dass ursprünglich ha;kpa dagestanden
hat. Ich rechne jedoch den vers zu den verderbten, da ich meine Änderung
nicht als sicher aufstellen will (31 mal).
44. Mit einer ausnähme (jjmh aldor Dena 668) steht auch
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 111
bei ausweicliton der gen. stets voran. Für fernton finde
ich keinen beleg.
Die beispiele sind: on flodes a-Jit 42, l)onne yldo heani 70. 605, nolde
corla läeo 791. 1035. 186G. 21-12. 2190; ferner 4lk 64. 8. 568. 648. 69. 99.
808. 60. 78. 86. 903. 10. 40. 88. 1088. 1106. 41. 56. 1297. 1469. 1609. 80.
1773. 1844. 1911. 2059. 84. 2184. 2356. 2454. 2799. 2808. 3068. 3166 (43 mal).
45. Endlich haben wir bei gleich ton zwei belege mit
composita: in Hrefnes-liolt 2935, sivylce giomor-cjyd 3150. Bei
dem ersteren ist holt ein völliges iiovuin, bei dem letzteren
haben wir satzeingang.
46. Relativ noch häufiger als bei A sind die composita
mit einfacher all.; sie haben im zweiten gliede alle nahton:
]xi se eUen-gcest 86; ähnlich 340, nccfre Jic on aldor-dagitm 718. 757,
pa4 ßone hilde-nes 300; ähnlich 312. 97. 834. 1039, hy on tcig-geiawiim
(=-tuwum) 368; ähnlich 2636; ferner 410. 513. 661. 844. 59. 958. 1101.
5. 40. 1222. 1301. 8. 73. 1428. 46. 64. 1593. 1620. 77. 1753. 91. 1939. 79.
2155. 67. 2267. 2507. 2643. 57. 2750. 85. 2813. 39. 3018 (45 mal).
47. Mit ausweichton bleiben noch zwei reste:
Jjonnc he ivintrum frod 2114, pcH he hlode fah 2974. Beide haben
uahton im zweiten fuss. Frod ist eigentlich bereits im instr. gegeben,
ebenso fah.
Typus C.
48. Noch mehr als B tritt hier C zurück, hauptsächlich
weil durch den gewöhnlichen tonsprung zwischen erster und
zweiter hebung die letztere meist nah- oder fernton zeigt,
49. Volle coordination kommt nur 5mal vor:
oft Scyld Scefing 4, to medo »todig 604, from mere modge 855, on
geflä faran 865, ofer heafo hecddan 2477. Aehnlich wirkt heloren
leofum 1073.
50. Das zugehörige adjectivuni geht bei gleich ton
meist voran:
wip wrap loerod 319, oppe aiol yldo 1766; ferner 1926. 30. 2394.
2473. Dazu 2212 se pe on heaiii hcepe {= heaure). lieber das geschlecht
von hcepe s. Beitr. 20, 553.
51. Bei ausweichton ist das Verhältnis umgekehrt:
«) Führton -|- uahton: ponne heoru bunden 1285, pcet hyre ecüd
metod 945; ähnlich 979; ferner 1801. 3077. — ß) Führton + feruton:
170. 539. 854. 2675.
52. Viermal erscheint ein gen. mit gleichton:
siva fela fyrena 164, and to fceder foepmum 188, on weres wcestinion
112 MORGAN
1352, ne gemet mannes 2533. In den ersten drei fällen enthält das nomen
das stärkste sinnesmoment: bei dem letzten vers zeigt die zweite halbzeile,
dass schwerer nachdruck gerade auf mannes liegt, wodurch seine tonhöhe
gehoben wird.
53. Bei eiufaclier all. zeigen die g-eiiitive liöclistens
nalitoii:
on hearm nacan 214, Jje oh land Dena 242, opße gripe meces 1765,
wolde dorn godes 2858.
54-. ^lit gleichton haben wir endlich eine reihe von
compositis:
/ione cwealm-cuman 792, geond loid-tvegas 840. 1704, in fen-freopo
851, of hryd-hure 921, cefier sce-slpe 1149, sioglce ferhp-frecan 1146, wif)
pam gryre-giesle 2560, mid minne gold-gyfaii 2652, uhes sio swat-swapu
2946 (10 mal). Z. t. sind dies seltene composita, und in allen fällen ist
das zweite glied noch inhaltlich schwer, sodass die gleiche tonhöhe der
hebungen erklärlich ist.
55. Es ist bezeichnend für den Charakter dieses tjiuis,
dass bei ans weich ton fast lanter composita erscheinen, die
schon an und für sich neignng zur tonenklise des zweiten
gliedes zeigen. Hier finden wir auch einen grösseren procent-
satz von versen mit fernton als bei den anderen t^^pen.
a) Führ ton + nahton: ofer kron-rade 10; ähnlich 200, of feor-
tvegwn 32, on heah-stede 285, para pe ic on Scepen-igge 1686; ferner mit
-Bemim 382. 1769. 1996; mit -sele 443. 82. 92. 647. 95. 1094. 1253. 1513.
5. 1639. 2010. 83. 2231. 2410. 2515. 2635. 2840. 3053; dazu min mon-
drihten 436. 2617. Die übrigen belege: 73. 85. 99. 117. 25. 63. 74. 7. 89.
228. 30. 9. 60. 82. 93. 7. 304. 70. 3. 85. 434. 62. 79. 81. 6. 91. 519. 33. 7.
66. 71. 7. 638. 704. 38. 66. 93. 6. 804. 24. 62. 6. 94. 9. 944. 65. 71. 6. 81.
1029. 52. 62. 6. 7. 84. 9. 98. 1260. 2. 1314. 5. 20. 5. 42. 5. 54. 68. 1403.
21. 7. 33. 43. 5. 9. 57. 62. 80. 6. 1561. 97. 1606. 35. 8. 1712. 44. 54. 68.
1813. 8. 23. 50. 62. 1900. 2. 7. 28. 36. 8. 42. 3. 6. 52. 5. 81. 6. 2012. 49.
66. 7. 2130. 44. 76. 81. 5. 2203. 32. 57. 61. 2311. 33. 44. 6. 2366. 83. 91.
2438. 65. 79. 2522. 31. 40. 61. 79. 81. 2605. 27. 41. 64. 88. 2712. 26. 35.
53. 86. 2806. 35. 46. 9. 97. 2918. 54. 70. 84. 3020. 46. 3100. 75. 77. Aus-
zuschliessen ist 707 se syn-scapa, der nur scheinbar hierher gehört. Die
all. zeigt, dass der vers verderbt ist (186 mal). — ß) Führ ton 4- fern ton:
68. 84. 138. 173. 80. 96. 243. 317. 39. 49. 67. 78. 82. 96. 458. 93. 509.. 26.
49. 84. 677. 812. 32. 8. 43. 69. 83. 964. 1007. 12. 70. 1102. 1213. 1317.
1523. 52. 1695. 1708. 1810. 41. 1994. 2139. 48. 2223. 78. 2318. 21. 40. 71.
2428. 95. 2502. 28. 2639. 2718. 98. 2830. 56. 65. 7. 73. 84. 7. 2900. 22. 63.
3008. 97 (68 mal).
56. Mit ausweichton haben Avir noch vier reste:
zwei infinitive: and on sped wrecan 873, und him on hearm hladon
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 113
2775; und die farblosen verse tvolde seif cyning 1010 und him loces ful
hören 1192. Der erste vers hat führton + fernton, die anderen führtou +
uahtou.
Typus D,
57. Dieser typus steht unter den versen mit doppelall.
nur hinter A zurück. Sein schwerer, feieiiiclier gang begün-
stigt den gleichton, und manche worte, namentlich die comp.,
waren nur in D oder in E unterzubringen.
58. Volle coordination ist häufig.
1) Bindewörter sind freilich selten, weil der bau des typus mehr
als einsilbige senkung-en nur ganz ausnahmsweise gestattet. Ueberliefert
sind nur brond ne beado-mecas 1451, byrne and byrdu-scrud 2660, lif and
leodscqje 2751.
2) Häufiger stehen zwei adjectiva nebeneinander, im gleichen
casus: heard hond-locen 322. 551, ealdum infrodum 1874:; ferner 1927. 2025.
2136. 2408. 2829. 2950. 3022. Dazu mit part. gyfen goU-hroden 1948 und
onboren beaga liord 2284 (12 mal).
3) Häufig stosseu auch zwei substantiva aneinander, von denen
das eine auch in einem rectionsverhältnis zu einem dritten nomen stehen
kann: toudu ivcel-sceaftas 898, sadol searwxim fah 1038; ähnlich 1286; ferner
1250. 1332. 64. 9. 2138. 78. 98. 2931. 51. 65 (13 mal).
4) Inf. + anderes nomen: swefan sibbe-gedriht 729, licgean lif-hysig
966; ferner 1485. 2758. 2805. 3115. 33.
59. Nomen und zugehöriges adj., mit gleichton.
1) Das adj. steht voran: fromum feoh-giftum 21, leof land-fruma
31, atol ccglceca 592. 732. 816; ferner 54. 103. 60. 5. 263. 88. 502. 54. 70.
96. 906. 90. 1022. 3. 1155. 1212. 31. 98. 1307. 39. 48. 59. 1409. 10. 1505.
32. 68. 1617. 41. 6. 78. 1702. 47. 93. 1816. 1969. 2042. 74. 9. 90. 2112. 18.
23. 61. 2205 {hüd-frecan = hilde-). 10. 71. 3. 2315. 68. 96. 2414. 76. 8.
2496. 2517. 63. 2603. 42. 70. 4. 89. 2710. 9. 49. 55. 2800. 11. 25. 47. 85.
3111. 36. In vers 341 gilt Wedra leod für die Sprachmelodie als comp.,
und danach beurteile ich auch 848. 1627. 1932. 2513. 2774. Es sind gerade
solche genitivformeln, die öfters starke tonenklise zeigen (84 mal).
2) Das adj. folgt nach: flota fami-heals 218; ähnlich 1909, rondas
reg n-hearde S2G, wado weallcnde M6; ferner 298. 606. 868. 936. 1097. 1112.
1690. 1806. 47. 95. 1919. 2082. 2443. 2613. 67. 2725. 2810. 27. 63. 3063.
99. 3142 (26 mal).
60. Bei aus weich ton sind die ton Verhältnisse des typus
D in beziehung auf die Scheidung von nah- und fernton viel-
leicht nicht ganz sicher. Ein vers z. b. wie Peod-cijmnga 2
wird von einigen Individuen so gelesen, dass peod hoch und
cy- tief liegt (oder umgekehrt), während -ning- wider höher
ist als cy-, doch nicht so hoch als peod. Mit dieser betonungs-
Beiträge zur geschichle der deutschen spräche, XXXllI. g
114 MORGAN
weise komme ich aber in Schwierigkeiten bei den verseu, die
kurz vor einem satzschluss stehen. Ich werde später aus-
führen, dass die satzmelodie gegen das ende hin abfällt, be-
sonders wenn der punkt (bez. das Semikolon und bisweilen das
külon) inmitten der laugzeile steht (vgl. 140 f.). Wenn nun
ein D als zweite halbzeile unmittelbar vor einem solchen
schlussvers steht, kann nur eine betonungs weise befriedigen,
bei der die erste hebung hoch, die zweite mittel, und die
nebenhebung und die Senkung tief gelesen wei-den. Diese be-
tonung ist mir überall naturgemäss (d. h. da wo gleichton
nicht eintritt). Indessen hat die frage hier keine erhebliche
bedeutung, denn schon bei nahton ist doppelalliteratiou nicht
mehr direct erforderlich.
61. Adjectiva kommen bei ausweichton nur viermal
vor: reced selesta 412, segen gyldenne 1021, dugnp ttnlytel 498, goJd %m-
rime 3012.
62. Bei gleichton ist der genitiv selten:
dldor East-Dena 392; ähnlich 616, hcelep Heälf-Dena 1069; ferner
427. 609 (, = ;). 1044. 1109. 54. 1420. 1710. 2263. 6. 2557 (13 mal). Dazu
mit voraustehendem gen. eorhs andwiitan (,^;) 689, leoda land-geweorc
938; ferner 978. 1447. 1565. 1729. 57. 2286. 3055.
63. Bei ausweichton dagegen sind die genitiv Verbin-
dungen verhältnismässig zahlreich und meist formelhaft. Der
gen. muss nachstehen. Nur führton + nahton kommt vor.
suHu Healfdenes 268. 645. 1699. 2147; ähnlich 1867, pegn Hropgares
235; ähnlich 613, mceg Higelaces 914, ferner mit Scildinga 148. 351. 428.
663. 1183. 1418. 1653. 75. 1871. 2159. Die übrigen fälle sind 524. 737. 95.
872. 1083. 1203. 1808. 1962. 8. 71. 2424. 2612. Schon die widerholungen
zeigen, dass es sich hier um typische phrasen handelt (80 mal).
64. Nomen und regierender inf., mit gleichton:
seon sibhe-gedriht 387, secan sund-gebland 1450; ferner 1904. 2422.
2649. Dazu die ähnlich wirkenden part. fela fricgende 2106 und nearo
nepende 2350.
65. Bei ausweichton finden wir nur einen inf., und zwar
trägt dieser die zweite hebung, wodurch die Verschiedenheit
der tonmelodie hervorgerufen wird: 2744 hord sceawian.
66. Nur vier composita zeigen gleichton:
wig-weorpunga 176, heard-hicgende 394. 799, heoro-hocyhtum 1438,
eall-irenne 2338.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 115
67. Dagegen sind composita mit ausweichten, und
zwar stets mit naliton im zweiten gliede, häufig:
peod-cyninga 2, Heapo-Scilftngas 63, sioip-hicgende 919. lOlG; ferner
246. 55. 95. 9. 768. 861. 952. 1006. 19. 13i6. 1586. 1625. 1788. 98. 1811.
1945. 2004. 2125. 2235. 2504. 65. 2837. 68. 95. 2955. 98. 3112. 58 (32 mal).
68. Verbalnomen + dat.-instr.:
hefongen frea-iorasnum 1451, Maden here-wcedum 1897, hyran heapo-
siocum 2754, faran flot-herge 2915.
Typus E.
G9. Wie B ist auch E weniger verbreitet, weil die letzte
hebung fast stets auf ein einsilbiges wort fällt: denn auflösung
ist selten. Eine Sonderstellung in musikalischer beziehung
nimmt dieser typus auch dadurch ein, dass er bei gleichton
der beiden hebungen zwei verschiedene melodien
zeigt, je nach der Stellung im satze. In dem einen falle
bleibt die stimme beharrlich auf der ebene des führtons, und
die hebungen werden nur dynamisch ausgezeichnet; im anderen
falle dagegen sinkt die tonhöhe bis zur Senkung einschliess-
lich, um dann bei der letzten hebung wider zum führton auf-
zusteigen. Letztere art ist indessen beim gleichtonigen E
seltener als beim ungleich tonigen, weil das aufsteigen gegen
ende des typus der stimme oft etwas schwer fällt. Beispiele
der ersteren art:
"vvlite-beorhtne warig 93 wou-sseli wer 105
sorh-fuUue sif 512.
Beispiele der letzteren art:
sinc-ftege sei 167 fif uihta fyrst 545
nipende niht 547.
Kein anderer ij-pus zeigt diese doppelheit der melodie, ausser
B (s. 42) und vielleicht auch D (? s. 60) bei einfacher allitera-
tion. Für die all. hat aber diese zweifache melodische form
keine bedentung, und deshalb wird hier keine besondere rück-
sicht darauf genommen. Im übrigen gelten bei E dieselben
gesichtspunkte für die einteilung wie bei den anderen typen.
Nur ist insofern eine ab weichung nötig, als es bei E keine
volle syntaktische coordination gibt, weil ja ein bindewort
nicht gut unterzubringen wäre. Allenfalls hätten wir theo-
retisch die möglichkeit, verse wie *infrod and eald zu finden;
solche verse klingen aber besser in der umgekehrten folge
8*
116 MORGAN
eald and infrod 2450, wie sie denn auch beim typus A häufig
vorkommen.
70. Das adjectivuni steht bei gl eich ton stets voran.
An zweiter stelle würde es bei diesem typus leicht ausweichton
hervorrufen, schon weil die neigung dazu im typus selbst vor-
handen ist. Es scheint aber auch, als spielte die einsilbigkeit
des ausgangs eine rolle.
Beispiele: ivliie-beorMne wang 93, loon-saili wer 105, sorli-fuUne sip
512; ferner 167. 547. 73. 787. 850. 91. 1215. 68. 71. 8. 1429. 1536. 1991.
2153. 82. 2352. 2447. 64. 2695 (22 mal).
71. Auch bei ausweichton erscheint das adjectivum
stets an erster stelle. Dafür sind die substantiva im Zusammen-
hang unbedeutend.
Vgl. lagu-crcBftig mon 209, slce/pendne rinc 741 ; ferner 528. 1158. 1645.
2189. 2894. 3162. 5 (9 mal). Führton + nahton herscht; nur 741 hat führ-
ton + ferntou.
12. Nachstehender genitiv ist hier auch unmöglich, weil
dieser in der regel den ausgang -x geben würde. Gleichton
wird indessen z. t. dadurch verursacht, dass starker sinnes-
nachdruck auf dem zweiten worte ruht. Man vgl. z. b. mit
beadu-scruda hetst 453 eine compositenartige formel wie Wedra
leod 341, sowie die beispiele von 7B.
Die belege sind: fif nihta fyrst 545, sige-folca sweg 644; ferner 650.
4. 97. 877. 908. 1042. 91. 1500. 1613. 81. 1889 (, = ;). 1974. 2068. 2317.
2761. 2807. 43. 3052. 75. 3160. 79 (24 mal).
73. Bei ausweich ton finden wir folgende belege:
irenna cijst 673. 1697, cepdinges hearn 888. 2591. 3170, Guß-Geata
leod 1538; ähnlich 2531; ferner 803. 29.
74. Adj. und dat.-instr., bei gleichton:
fijr-bendum fcest 722, fyren-dcedmn fag 1001, gum-cystum god 2543,
fyr-wylmum fuh 2671, feper-gearivum fus 3119. In allen diesen belegen
enthalten die adjectiva das hauptmoment, und erhalten daher den führton.
75. Instr. bei ausweichton, nur zweimal belegt:
dcedum gefremed 954, oncer-hendiim fcest (führton + fernton) 1918,
76. Endlich zwei Infinitive, bei gleichton:
fcejjer-ceßelum onfon 911, searo-wundor seon 920.
77. Im folgenden wird nun eingeteilt in erster linie nach
der melodie der betreffenden verse, und zwar betrachten wir
zuerst die verse mit gleichton und doppelalliteration.
ZUR LEHRE VON DER ALMTERATION. 117
I. Gleichton und doppelalliteration.
b) Yerbum finitum -f- nomen,
78. Bei dieser conibination könnte man fast von coordina-
tion sprechen, und jedenfalls ist gleich ton von vornherein
praktisch gegeben. Denn das nomen ist für gewöhnlich höher
betont als das verbum (im Beowulf erhält überhaupt das no-
minale mehr nachdruck), und somit ist jedenfalls ein tonabfall
der zweiten hebung- gegen die erste ausgeschlossen. Eher wäre
noch eine steigende melodie zu erwarten, wie wir sie z. b. bei
den A3 tatsächlich sehr häufig finden. Wenn sich statt dessen
dem leser die ausspräche mit wesentlich gleichem ton aufdrängt,
so hängt das offenbar mit der bedeutenden sinnesschwere der
verba zusammen.
79. Wol aus sprachlichen gründen kommen hier eigentlich
nur zwei verstypen vor, nämlich A und D: der dichter hat
sich irgendwie gescheut, einsilbige nomina zu benutzen, und
dadurch fehlen B und E gänzlich. Auch C ist nur durch einen
beleg vertreten: gemyne mcerpo 659.
Typus A.
80. Ob das nomen subject oder object des verbums ist,
oder von einer präposition abhängt, oder in sonst einem rec-
tionsverhältnis steht, ist für die satzmelodie gleichgiltig, und
wird daher im folgenden nicht besonders unterschieden. Ich
gebe beispiele für jede vorkommende form, und bemerke bei-
läufig, dass die rection durch präpositionen bei weitem am
häufigsten ist.
Beispiele für subject: lixte se leoma 311. 1570, ams pa se n'crt 399,
hylde hine pa heapo-deor 688; für object: egsode eorlas 6 (= eorl, Tgl.
Sievers, Beitr. 29, 560 ff.), ne gefeah he pcere fahpe 109, polode pryp-swijp
131; für präp. : iceox under ivolcnum 8, geicat pa ofer tcceg-lwlm 217,
eawep purh egsan 276; sonstiges: bced hine hlipne 617, Ute hine licgean
3082; ferner 234. 302. 23. 27 (, = ;). 489. 505. 90. 712. 4. 58. 62. 922. 6.
1013. 1119. 20 (, = ;). 32 (, = ;). 61. 9. 1216. 9. 57. 1493. 1506. 10. 8. 45.
57. 63. 81. 1665. 1701. 11. 35. 58. 70. 99 (, = ;). 1807. 1917. 77. 82. 7.
2003. 2110. 32. 79. 2242. 7. 79. 88. 2329. 2491. 2529. 38. 93. 2623. 28. 40.
61. 81. 90. 7. 2703. 2883. 92. 2931. 91. 3118. 21. 73. Dazu gefeng pa he
eaxle 1537, bei dem ich mit Sweet, Rieger und Ten Brink feaxe lese: sonst
hätte ein nomen den führton, ohne zu alliterieren, was überhaupt selten
vorkommt und in diesem falle ganz unerträglich wirken würde (83 mal).
118 MOEGAN
Typus D.
81. Bei diesem typus fällt die rection durch präpositiouen
meist weg, da sie nur im erweiterten typus möglich wäre. Im
übrigen begegnen dieselben combinationen wie bei A:
gesette sige-hrepig 9J:, htvetton hige-rofne 204, setton sce-mepe 325,
wrcec Wedera nip 423; ferner 358. 411. 21. 48. 9. 501. 14. 98. 614. 25. 64.
709. 23. 42. 72. 839. 96. 1114. 1312. 58. 90 (, = ;). 1452. 3. 1531. 9. 43.
54. 1610. 22. 67. 1713. 49. 1837. 1954. 2044. 51. 62. 5. 2239. 2439. 55.
2545. 82. 2705. 38. 46. 56. 2802. 2902. 9 {hige-mepe = -mepum) 2930. 6.
3031. 3123 (58 mal).
c) Nomen + verbum finitum.
Typus A.
82. Am häufigsten ist das nomen object des verbums.
Dieser typus begünstigt auch am meisten den gleichton, weil
dann das nominale element des verbalen zur ergänzung bedarf.
Dagegen neigt die stimme dazu, von der nominalen tonhöhe
herabzusinken, wenn das nomen subject des verbums ist. Die
allgemeine satzmelodie spielt aber auch bei solchen versen
eine grosse rolle.
Beispiele: sce-ivudu sceldon 226, heapo-rof heoldon 401, symhel ymh-
sceton 564; ferner 87. 169. 284. 622. 35. 811. 933. 59. 1239. 54. 1738. 1893.
1901. 2133. 2206. 2676. 8. 86. 2706. 2917. 44. 3076. Dazu gode forgylde
956, bei dem der instr. einem directeu object gleichkommt (26 mal).
83. Nur vereinzelt fungiert das nomen als subject.
In den meisten fällen haben wir starke begriffsverba: gup-mod gnim-
mon 306, ivicg getvende 315, dryht-sele dynede IGT, hen-geato hurston 1121,
bon-gar bugep 2031, gode begeaton (, = ;) 2247. Bei seife ofersawon 419
ist das nominale element schwach, sodass das verbale mehr hervortritt ; bei
seegas gesegon 3128 scheint der ganze Zusammenhang auf die tonhöhe ein-
zuwirken (8 mal).
84. Der dat. -instr. tritt gelegentlich auf:
fylle gefcegon 1014, feondum cetferede (, = ;) 1669: ferner 1957. 2116.
3149. 61. 74. Bei diesen versen wirkt der instr. adverbiell, sodass seine
tonhöhe fast bis zur verbalen tonstufe sinkt.
85. Es bleiben nur noch zwei belege, übrigens mit ganz
neuen syntaktischen typen:
seofon niht stciincon (, = ;) 517, wesan, penden ic wealde 1859
(Typus A, 44 mal).
86. Die anderen verstypen kommen viel seltener vor,
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 119
typus D gar nicht (weil es wenige oder keine verba der er-
forderlichen form 1-lx giht). AVir würden erwarten, dass
typus E häufiger vorkäme als die anderen, weil sein Charakter
dem gleichton am günstigsten ist: das trifft auch ein. Ich
führe das wenige material ohne klassificierung an.
Typus B.
87. Die belege sind: penden wordum weold 30, pa se wyrni onwoc
2287, pa se gcBst ongan 2312, and a-t gupe forgrap 2353, ac in campe
gecrong 2505, swylce he siomian geseah 2767, he pam frastwum (eng 2989.
Hier treten die verba an bedeutiing meist stark hervor. Nur in 2312 haben
wir ein hilfsverbum , jedoch wird hier der gJeichton dadurch verursacht,
dass der vers am satzeingang steht.
Typus C.
88. pcBi he ma moste 735, on sefan sweorccp 1737, geond scel sioingep
226'1, ofer sa^ sohtan 2380. Hier ist das moste in vers 735 nicht ein blosses
hilfsverbum, sondern dient zur ausführung von Wyrd 734, und somit erhält
es starken nachdi'uck und führton.
Typus E.
89. sce-hat gescet 633, medo-siig gemcet 924, metod-sceaft bemearn
1077; ferner 1498. 1567. 1993. 2469. 81. 2566. 2748.
d) Yerbum + verbum.
90. Für diese combination finden sich nur 8 belege, die
mit einer ausnähme (hafa nn and gclieald [E] 658) alle nach
dem typus A gehen. Die gleichheit der tonhöhe leuchtet beim
lesen sofort ein:
seomade and syrede (, = ;) 161, sicefep and sendep 600, iviston and
ne wendon 160i, weaxep and wridap 1741, forgytep and forgymep 1751,
manap swa and mynägap 2057, heold mec and hcefde 2430.
e) Reste.
91. Etwas schwer wird die einteilung der ziemlich häufigen
restbelege. Es dürfte am zweckmässigsten sein, die verse nach
den tonverhältnissen zu klassificieren.
92. Volle CO Ordination erscheint gelegentlich bei der
Verbindung zweier adverbien:
fyr and fcestor 143, pa wces eft siva cer 642. 1787, innan and utan
774, oft Halles cene 3019.
93. Oft kommt ein nomen neben einem Vertreter einer
schwächeren Wortklasse vor, und zwar trägt es dann
120 MORGAN
meist die zweite hebung. Sonst würde das schwächere wort
gern in tonenklise zu dem nonien treten, ausser wo besondere
umstände das verhindern. So z. b. wäre es bei tvitena wel-
liivylc 266 sinnwidrig, das pron. tief zu sprechen: es heisst
doch emphatisch: 'jeder der weisen männer'. In 376 lieard
her cumen ist heard 'parenthetischer' natur (s. 20), und des-
wegen kann es nicht allein den führton erhalten. Man beachte
ferner no J)y cer suna siniim 2160, bei dem gerade das (für
gewöhnlich indifferente) pronoraen sinum das hauptgewicht
trägt; es heisst hier so viel wie 'seinem eigenen söhn'. Aehn-
liche gesichtspunkte gelten bei den anderen versen, wo das
nomen voransteht.
Die belege sind: gyddum geomre 151, flod-ypum feor 542, Grendle
togeanes 666; ferner 783 (, = ;) (A). 1187 (E). 2334 (A). 2772 (A). 3122 (A).
800 (B).
94. Schwächere Wörter + nomen:
pllder to pance 379, sivi/lcra searo-nipa 382, on swa Jiivcepere liond
686, eft eard-lufan 692, ongean gramum 1031, sinne geseldan 1981; ferner
861 (D). 998 (D). 1000 (A). 1185 (A). 1228 (B). 1529 (A). 1618 (A). 1865 (D).
86 (D). 2070 (A). 2107 (D). 2291 (A). 2624 (A). 54 (A). 2731 (D). 2815 (A).
2879 (B). 80 (A). 93 (A). 3135 (A).
95. Verbum (oder verbalnomen) + adv.:
gescvgd soplice 141, sigon cctsomne 307, etan unforhte 444; ferner
402 (A). 560 (A). 905 (A). 991 (B). 1501 (A). 1632 (D). 1854 (D).
96. Adv. + verbum (verbalnomen), nur bei typus A:
lyt-hwon logon 203, torht getcehte 313; ferner 597. 763. 1295. 1375.
1591. 1718. 1967. 75. 2872. 89. 2983. 3101. 13 (14 mal).
97. Keste:
ure ceghivylc sceal 1B86, pys dogorpuiSdb, meaJitpii, min wine 204:7.
Tabelle I.
Doppelallilcration und gleichton.
Zwei nomina. A B C D
Coordination 207 11 6 35
Instr 33 — — 3
Adj 77 20 7 110
Gen. in 1. heb 85 31 2 9
Gen. in 2. heb 26 — 2 13
Inf 50 - — 8
Comp 5 2 10 5
E
Sa.
—
259
5
41
22
236
24
101
—
41
2
60
—
22
433 64 27 183 58 760
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 121
A
B
C
D
E
Sa.
433
64
27
183
53
760
Verbum + nomen . . .
83
—
1
58
—
142
Nomen 4- verbum . . .
43
7
4
—
10
65
Verbum + verbum . . .
7
—
—
—
1
8
Keste
Coordination ....
3
2
—
—
—
5
Nomen + schw. Wörter
7
1
1
1
2
12
Schw. Wörter + nomen
14
3
■ 1
8
—
26
Verbum + adverbium
5
1
—
4
—
10
Adverbium + vei'bum
15
—
—
—
—
15
Sonstiges
1
—
—
1
1
3
44
7
2
14
3
70
Summen 611 78 34 255 67 1046
II, Gleichton und einfache alliteration.
1)8. Genauer analyse bedürfen die immerhin wenigen verse,
die hierher fallen. Z. t. sind es zwangsbildung-en, z. t. handelt
es sich nm nomina propria, z. t. sind andere umstände für den
gleichton massgebend.
99. Nicht unbedeutend an zahl sind die belege für volle
coordination:
geongum and ealdum 72, hu he frod and god 279, diigupe and geo-
gope 621. 1674, sippan ic hond and rond 656, pceüe sup ne norp 858, pect
mec cer and sip 2500, oiver feor oppe neah 2870, lofore and Wulfe 2993.
Dazu der unregelmässige vers eam. his nefan 881, und mit Umstellung 1174
feorran and neahan (= nean), eine Wortstellung, die 840. 2870 belegt ist.
10(). In den meisten dieser fälle haben wir es mit fest
geprägten formelhaften Wendungen zutun, die wol nur in
der überlieferten gestalt üblich waren. Einen ersatz für die
all. bietet der reim bei 279. 656, wahrscheinlich auch bei 621.
1674 (vgl. Sievers, Altg. metr. § 20, anm. 1).
101. Auch nomina propria machen den dichtem oft
Schwierigkeiten, jedoch hat wenigstens der Beowulf dichter
sehr geschickt gearbeitet, und nur ein paar mal finde ich
gleichton oder nahezu gleichton bei einfacher alliteration.
Bei vers 1 Mvcet ive Gar-Dena haben wir einen feierlichen eingangs-
vortrag, der die stimme bei -Dena um so weniger sinken lässt, als dieses
wort erst den namen bringt, auf den es ankommt. Indessen liegt hier kein
eigentlicher Verstoss gegen den alliterationsgebrauch vor, denn der langvers
hat zum ersatz gekreuzte alliteration (s. unten 315 ff.), ebenso wie auch der
122 MORGAN
gleichtonige vers Hropgar Beoiculf 653. Die anderen belege mit eigen-
namen sind: peoden Hrofjgar 417, gkedne Hropgar 863, glccdne Hropulf
1181, Hropgar leofa 1483, leofa Beoiculf 2663, Wiglaf leofa 2745, gomela
Scilfing 2968.
102. Endlich bleiben nur noch 6 fälle, bei denen der
gleichton z. t. auch motiviert ist.
253 lease sceatveras ist wahrscheinlich verderbt. Bei 1422 flod blöde
weol haben wir zum ersatz wider reim (und bei 1475 snottra fengel desgl.
gekreuzte alliteration ; vgl. oben 100). Die übrigen fälle sind: repe cempa
1585, dijre iren 2050, hrunfagne heim 2615.
III. Doppelalliteration bei ausweiehton.
103. Die zweite hebung liegt höher. Es sind dies
fast lauter verse des typus A 3, d. h. des typus A mit all. nur
im zweiten fuss. In den meisten fällen ist die doppelall. wol
nur scheinbar, d. h. sie hat sich nur zufällig eingestellt, ohne
als solche vom dichter beabsichtigt zu sein. Hat jedoch die
erste hebung nahton, so kann die doppelall. nach der haupt-
regel (oben S) sehr wol beabsichtigt sein. Definitiv lässt sich
die frage nicht entscheiden: massgebend für den leser kann
nur sein, ob er beim freien Vortrag den reim hört oder nicht.
ß) Nahton + führton: sona Mm sele-pegn 1794, hyrde ic pcet he
pone heals-beah 2172, eft pcet geiode 2200, hi/7ie pa viid handa 2720. —
ß) Ferntou + führton: op pcet him ceghivylc 9, and pctr on innan 71,
hioilum hie geheton llö; ferner 219. 338. 442. 1125. 1204. 1740. 1846. 1914.
2381. 2934 (17 mal).
104:. Die erste hebung liegt höher. Nahton hat 442
niceras nihtes\ nihtes ist adverbial und 'parenthetisch' (oben 20)
gebraucht und kann deshalb nicht auf der höhe von niceras
bleiben. Zweimal begegnen wir gleichem silbenanlaut auch
bei einfachen Wörtern: sivylce gigantas 113, to gegangenne 2416.
Die zweite hebung hat in beiden fällen fernton, der anklang
ist also wol bloss zufällig. Dreimal finden wir composita, die
nahton haben und nach typus C gehen: (p.fter deap-dcege 187.
885, in hyra gnj7-e-geahvum 324. Von den übrigen fällen gehen
drei nach C, einer nach B; alle setzen sich zusammen aus
nomen + verbum, einer combination, die oft ausweichton zeigt:
in worold woctm 60, no ])y leng leofa]) 974, pone hring hcefde
1202, ic pcet mosl gemein 2633, Auch hier liegt kein Verstoss
gegen die hauptregel vor, denn nahton darf immer an der all.
teilnehmen (oben 8).
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 123
IV. Einfache alliteration bei ausweichton.
105. Die hier anzuführenden tonverhältnisse lassen sich
zwar durch die vortragsprobe als tatsächlich vorhanden er-
weisen, aber vorläufig* nicht alle logisch, grammatisch oder
sonstwie im einzelnen erklären. Manche verse sind scheinbar
ebenso gebaut wie andere, bei denen gleichton constatiert
wurde, und doch klingen sie, im Zusammenhang gelesen, anders
als jene. Entweder lässt sich diese tatsache durch einfluss
der satzmelodie erklären, oder es sind traditionelle, vom Sprach-
gefühl eingegebene tonverbindungen, wie sie in jeder spräche
nachzuweisen sind.
106. Eine principielle Scheidung der nah- und fern-
töne habe ich nicht vorgenommen. Die frage, ob an einer
stelle nahton oder fernton zu lesen ist, hängt so selten von
begrifflichen dingen ab (wie bedeutungsinhalt der hebungs-
träger u. dgl.), und ihre beantwortung wird so oft bedingt
durch die Stellung des verses im ganzen Zusammenhang des
textes, dass eine principielle einteilung nach dieser riclitung
hin schwer durchzuführen wäre. Dazu kommt, dass die indi-
viduelle auffassung hier eine grössere rolle spielt als anderswo.
Nahton und fernton sind ja eben bezeichnungen für relative
Verhältnisse, zwischen denen keine feste grenze zu ziehen ist.
107. Zur Sache will ich noch im allgemeinen bemerken,
dass fernton meist auftritt: a) bei den hilfsverbis und anderen
schwächeren verbis, wie 'sehen', 'heissen' u.dgl.; — b) bei
schwachen partikeln (pron., präp., conj.); — c) bei sinnes-
einsclmitten im satze; — d) bei einigen comp.; — e) sehr oft
beim typus C, selbst bei schwerem begriffsinhalt des zweiten
Wortes.
b) Nomen + verbum.
Typus A.
108. «) Führton + nahton: aldrum nepdon (, = ;) 538, rand ge-
heawe 682; ferner 687. 870. 1491. 1717. 2055. 2874 (, = ;). 2938. —
ß) Führton + fernton: 807. 42. 1055. 99. 1327. 1908. 2023. 2308. 72.
2470. 2514. 2940. 3048 (13 mal).
Typus B,
109. a) Fülirton-j- nahton: ß(em eafera ivces 12, him pa Scyld
getvat 26, pcer cet hypestod32; ferner 80. 194. 229. 374. 466. 95. 500. 662.
124 MORGAN
74. 789. 822. 1001. 9. 40. 9. 1110. 1236. 1341. 56. 1456. 88. 1608. 62. 84.
2006. 2187. 2369. 2418. 2620. 2741. 2977 (35 mal). Die häufigkeit des nah-
tons kommt daher, weil wir bei allen diesen versen 'fortlaufende' erzählung
(oben 16) haben : nur hinter vers 80 steht ein komma, alle anderen sind
gar nicht interpungiert. — ß) Führ ton + fern ton: hyre hearn gewrcee
2121 (hier haben wir hinter dem vers einen sinneseinschuitt), pa ie on
morgne gefroegn 2484; ähnlich 2694. 2752. 73. Man beachte den unter-
schied zwischen dem mit nahton zu sprechenden gefrcegn 194 und dem-
selben wort in den eben angeführten versen. Dort folgt in der zweiten
halbzeile ein subject: hier bildet das wort eine 'parenthese' (oben 20).
Typus C.
110. ß) Führ ton + nahton: pcet he his freond wrece 1385. —
ß) Führ ton + fernton: ßcet ic siceord fere 437, Mm on efn ligep 2903;
ferner 3071. 3163. 9.
Typus D.
111. Bei diesem typus handelt es sich um einen vers, der häufig
widerkehrt, n&mlich Beoimüf (\Viglaf, Hropgar tto,.) mapelode. Das verbum
hat gesenkten fernton, da der ganze nachdruck auf dem nomen ruht. Die
belege sind: 286. 348. 60. 71. 405. 56. 99. 529. 631. 925. 57. 1215. 1321. 83.
1473. 1651. 87. 1817. 40. 1999. 2425. 2510. 2631. 2724. 2862. 3076 (26 mal).
Typus E.
112. Nur ein beleg: feorh-hennum seoc 2740 (nahton).
c) Yerbum + nomen.
IIB. Hiermit kommen wir zu der grossen klasse der A3,
d. h. der verse mit all. nur im zweiten fu.ss. Diese haben
stets steigende melodie, die in der zweiten liebung ihren
höhepunkt erreicht. Der typus A 3 steht meist am satzeiiigang,
wo die stimme gern tief einsetzt. Es ist kaum nötig, einzelne
fälle zu besprechen. Nur im allgemeinen will ich bemerken,
dass hier die tonhöhe der ersten hebung direct mit der sinnes-
stärke des voranstehenden verbums zusammenzuhängen scheint:
je stärker (begrifflich) das verbum, desto mehr rückt die stimme
in die höhe.
c) Nahton -t- führ ton: gesaga htm eac tvordum 388, gesprcec pa se
goda 675, compato recede 120, nam pa mid handa 746; ferner 728. 1184.
1242. 1397. 1425. 74. 1573. 1612. 1730. 2. 82. 1888. 2163. 2337. 2417. 2542.
50. 2606. 2809. 2949. 77. Dazu der uuregelmässige vers gesloh pin fader
459 (26 mal). — ß) Feruton -f führton: gewat pa neosan 115, hafde
pa se goda 205, habbap tce to pcem maran 270. 301 (das Semikolon ist zu
tilgen). 44. 86. 433. 506. 681. 825. 1011. 1145. 88. 1221. 79. 1316. 30. 1550.
'
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 125
1623. 59. 17i8. 1855. 68. 1963. 2026. 32. 2301. 5. 61. 89. 2103. 60. 2609.
53. 2717. 2855. 2971. 94. 3033. 79. 3110. 43. Dazu iva-s min fceder 262
(43 mal).
d) Nomen und schwächere Wortklassen,
Typus A.
114. Das nomen steht an zweiter stelle und hat
den führton. Hierher fällt die hauptmasse des tj^pus A3.
Nahton an erster stelle ist selten, denn die erste heljung fällt
in der regel auf so schwache Wörter, dass sie sich kaum auf
das niveau der Senkung emporheben.
«) Nah ton + führtou: eoio het secfjan 301, ncenigne i'c wider siveyle
1197, efne swa mide 1283 ; ferner 595. 694. 1310. 2020. 39. 92. 2450. Dazu
hivilum he on lufan 1728. — /9) Fernton + fülirton: poet hine on ylde
22, nalces hi hine Icessan 43, pa wces on burgum 53; ferner 106. 26. 8. 32.
57. 68. 347. 55. 61. 95. 431. 70. 84. 508. 50. 62. 87. 607. 79. 710. 85. 813.
37. 47. 941. 43. 51. 61. 1003. 59. 78. 92. 1186. 96. 1206. 23. 49. 88. 92.
1318. 36. 53. 80. 1437. 55. 72. 7. 82. 92. 6- 1504. 21. 35. 60. 6. 71. 89. 99.
1614. 28. 9. 47. 52. 94. 1700. 21. 45. 74. 7. 80. 1822. 34. 6. 77. 8. 84. 92.
6. 1905. 72. 95. 8. 2000. 11. 28. 34. 8. 41. 53. 6. 63. 75. 98. 2101. 4. 35.
45. 2221. 58. 95. 2376. 7. 85. 2400. 6. 21. 32. 7. 66. 8. 90. 4. 7. 2501. 3.
73. 87. 96. 2611. 30. 51. 69. 99. 2707. 14. 6. 70. 9. 88. 94. 2804. 17. 21. 32.
6. 60. 4. 2928. GG. 73. 82. 99. 3009. 27. 51. 7. 9. 3104. 7. 20. 6. 47. Dazu
p07ie pin fcvder 2048; ferner das comp, forp-geivitenimi 1479, mit nahton
des zweiten gliedes.
115. Das nomen geht voran:
a) Führ ton + nahton: cynna gehwijlcuin 98, giimena amgum 474;
ferner 996. 1090. 1461. 1960. 2094. 2251. 2588. 2789. 2859. 91. 2959. 3054.
— ß) Führtou + fernton: aldre pinuvi 346, weana gehivylces 1396
(typus A, 168 mal).
Typus B.
116. Zweimal steht das nomen an zweiter stelle:
ncefre ic cengum men 665, pect hit a mid gemete 779. In letzterem
falle trägt das nomen auch die hauptall., sodass die erste hehung nahtou
hat. 3IeH ist ein begrifflich schwaches wort, und der hauptnachdruck ruht
auf cengum.
117. Das nomen geht sonst voraus:
a) F ühr ton + nahton: in vuegpa gehivcem (= gehtvcere) 25, pcet
hie peoden viin 36b. 2095, ac tcces oper him 1300; ferner 88. 155. 294. 882.
909. 1104. 1365. 1412. 1583. 1673. 2033. 2131. 57. 23U1. 97. 2401. 81. 2685.
2839. 2848 (26 mal). — /?) Führton + fernton: pone sip-fcet him 202,
bonne he swidces hivcet 880.
126 MORGAN
Tj^pus C.
118. Das nomen trägt die erste hebung:
«) Führten + naht ou: sioa se secg hwata 3028, dazu mit Umstel-
lung pcer him wceter ncEiiig (= n. w.) 1514. Nach v. 779 könnte zwar dieser
vers vielleicht nach der hs. gelesen werden, a])er diese alliteratiousstellung"
ist hei C äusserst selten, und die Umstellung gibt einen regelrechten und
melodisch correcten vers. — ß) Führton + fernton: ptet wces an foran
1458, nu ie suna minum 2729.
110. Das nomeu trägt die zweite liebung:
ß) Führton + nahton: dreimal erscheint der vers on pcpin dcege
197. 790. 806. Man hat sich oft über den Verstoss gewundert, den dieser
vers enthalten soll, insofern das 'stärkste' wort nicht die alliteration hat.
Aber pmm hat hier eben zweifellos den führton. Hierher sind ferner die
verse mit compositis zu rechnen: poit wces fore-mcerost 309, p(et pec ymh-
sitteud 1827, pa for on-medlan 292G. Endlich noch die verse on gehrvcrper
opriim 2171, hioiPA pu tvorn fcla 530. — ß) Aehulich liegt es bei den be-
legen für führton + fernton: pcet hie on ha healfe 1305, Pa com in
gaan {= gan) Ißii, het pa up fteran 1920, het pa in heran 2152. In allen
diesen fällen trägt das melodisch höchstbetonte wort die alliteration. Jetzt
verstehen wir also, warum das zu einem verbum gehörende adv. in be-
ziehuug auf die all. bevorzugt wird : wenn das adv. vorausgieng, wurde es
höher gesprochen, obgleich seine Wortklasse an sich 'schwächer' ist als die
der verba. — Endlich finden wir zwei composita mit fern ton: for his
tin-snyttrwii 1734, syppan or-icearde 3127.
Typus D.
120. Bloss ein beleg: ymb-sittendra 2734 (naliton),
Typus E.
121. ZAvei belege, beide mit naliton der zweiten Iiebiing :
folc-rilita gehwylc 2608, tvine-dryhten his 2722.
e) Yerbum + adverbium.
122. Hier finden wir ein buntes durcheinander. Bald hat
das adv. den führton, bald das verbum; jedes kann voraus-
gehen, ohne die relativen tonverhältnisse zu ändern, und fernton
ist auch beim verbum gar nicht selten. Nur drei verstypen
kommen vor.
Typus A.
123. Das verbum hat den führton:
ß) Einmal neben nah ton des adv.: sona ptct onfunde 750. —
ß) Häufiger neben fern ton des adv.: Pa gyt hie him asetton 47, /)o nie
pcet gelcerdon 415, panon he gesohte 463. 520; ferner 574. 809. 90. 1095.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 127
1130. 42. 1270. 1465. 97. 1508. 78. 2124. 95. 2204. 2634. 2797. 3002. 38
(22 mal).
124:. Das adv. hat den fülirton:
«) Neben nahtou des verbiims: fand pa pccr inne 118, sivipor
pohte 1139, alegdon pa to-middes 3141. — ß) Neben fernton des ver-
bums: georne hyrdon 66, eodon him pa togeanes 1626.
Typus B.
125. Das verbiim hat den führton:
ß) Neben nah ton de,s adv.: aledon pa 34, ymb-eode pa 620, /jces
ne wendon (er 778; ferner 2345. 2516. 2848. 3001. 3156. — /?) Neben
fernton des adv.: ofer-eode pa 1408, geeyste pa 1870.
126. Das adv. hat den führton:
«) Neben nahtou des verbums: pa ic furpmn weold 465, sivylce
oft bemeani 907; ferner 2111. 2244. 2387. 3116. — ß) Nur zweimal neben
fernton des verbums: pa ic ivide gefra'gn 74, panon eft geioiton 853.
Tj^pus C.
127. Einmal erhält das verbum die all Iteration und
den führ ton, neben nahton des adv.: ac he gefeng hrape 740.
128. Sonst alliteriert das adv., nur einmal neben
fernton des verbums: him big stodan 3047.
Die übrigen belege sind: pcet hie cer driigon 15, pa he him of dyde
671, pcet hie oft tvceron 1247, ge fear hafap 1340.
f) Einfache Wörter,
129. Zu den 'einfachen Wörtern' rechne ich hier aus
praktischen gründen nicht nur die meisten eigennamen (ausser
deutlichen compositis wie Gar -Lena u. dgl.), sondern auch
formen wie freondlicor 1027 und geheotedon 480. 536, bei
denen das zweite glied sicherlich nicht dieselbe geltung hat,
wie das zweite glied der meisten gewöhnlichen composita.
130. Mit ausnähme der eigennamen und des wortes ma-
pelode (die nicht gut allein stehen können) fällt hierher die
hauptmasse der dreisilbigen Wörter mit langer Stamm-
silbe, obwol sie theoretisch ebensogut in D und E hätten
eingestellt werden können. Es scheint, als wären die neben-
tonigen Silben von solchen Wörtern nicht genügend aus-
gezeichnet gewesen, um wolklingeude D und E zu ergeben.
Dagegen eignet sich der sprunghafte Charakter der betouung
des einfachen wortes vorzüglich dem vortragstypus der C-verse,
128 MORGAN
die schon an sicli zur tonenklise der zweiten liebung neigen.
Aufnahme in typus A und B war aber in den meisten fällen
ausgeschlossen, denn nur wenige Wörter haben das Schema
(X) - X — (X)-
131. Das auftreten des ferntons hängt hier meist mit
der satzform zusammen. Insbesondere ist der fall zu erwähnen,
wo ein satz mit einem zweiten halbvers zu ende geht: ge-
wöhnlich weicht dann die schwächere hebung des ersten halb-
verses nicht über uahton aus.
Typus C.
132. Dieser typus ist bei weitem am häufigsten, und daher
stelle ich ihn hier voran.
c)) Führ ton + uahton ist nicht selten: pa ivces Hropcjare 6-i. 1407.
1592, ac se mßceea 159. 1269. 2520. 31. 92, forgeaf pa Beoiviilfe 1020. 43.
51; ferner 92! 258. 73. 4. 830. 928. 1272. 1363. 1796. 1804. 28. 2076. 2197.
2373. 2407. 35. 2637. 83. 2850. 2916. 52. 60. 3109. Dazu for scotemim
1026, wo sceotendum zu lesen ist (35 mal). — /?) Führton + ferntou ist
sehr häufig: hu pa apelingas 3. 982. 1244. 94. 231i,pa'ihw Beoimäfe 623.
2207. 2324. 2907. 3066; ferner 38. 45. 96. 111. 39. 44. 221. 44. 57. 61. 80.
354. 6. 63. 416. 25. 52. 60. 71. 556. 65. 85. 627. 30. 4. 49. 708. 17. 39. 875.
93. 8. 901. 16. 32. 63. 1027. 46. 50. 64. 76. 1135. 1296. 1309. 50. 99. 1406.
14. 9. 1580. 96. 1640. 55. 85. 1731. 56. 1829. 51. 99. 1922. 44. 56. 88. 2022.
36. 87. 2129. 77. 94. 2202. 72. 91. 2363. 75. 82. 2445. 52. 63. 2569. 2617.
44. 2823. 8. 41. 4. 57. 71. 99. 2905. 33. 9. 43. 85. 3004. 13. 42. 59. 89. 3130.
59. 78 (113 mal).
Typus A.
133. Wir haben ein paar Wörter auf -lice, alle mit
fernton des zweiten gliedes:
eadüjlice 100, ypelice 1556, earfoplice 1036. 51. 2303. 2822. Dazu mit
nahton des zweiten gliedes der eigenname Eormenrices 1201.
Typus B.
134. Ein wort auf -lic, mit nahton: siva hi]> geomorlic
2444; sonst lauter eigennamen, ebenfalls mit nahton:
ne hurii Hildeburh 1071, oppe hivi Ongenpeos (= -peoives) 2475. 86.
2924. 61. 86. ^
Typus D.
135. Nur vier belege, alle mit nah ton:
unhyrnende 2548, Merewioingus 2921, imlyfigendes 744. 1389.
g) Reste.
136. Verbum + verbum, nur bei typus A:
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION.
129
«) Nahton + führton: mynte ßcet Jie gedceldelSi, civcpp pcet Jiit
hcefde 2158, cica'don pcet he iccere 3180. — ß) Fern ton + führ ton: bced
Pitt (je geivorhion 3096.
137. Yerbum und schwächere Wörter:
1) Das yerbum erscheint an erster stelle und hat den führton;
nur bei typns B: «) Führ ton + nah ton: hivcet syndon ge 237, ponne
ivene ic to pe 525. — ß) Führton + ferutou: hivanon ferigeap ge 333,
Ponne scegdon pcet Sil.
2) Das verbnm trägt die zweite hebung und hat den führton;
nur bei typus A: «) Nahton + führton: ncenig heora pohte 691, ncentg
pcet dorste 1933. — /?) Fernton -|- führton: hi hi/ne pa cethceron 28, ic
pcet gehyre 290, ic hine ciipe 372; ferner 393. 429. 35. 503. 35. 632. 706.
51. 98. 937. 67. 1082. 1175. 1347. 1661. 71. 1826. 2665. 2976. 3081. 3137
(24 mal).
138. Adverbia, pronomina u. dgl. kommen vereinzelt vor:
1) Führton der ersten hebung: «) Führton + nahton: se pe
eow ivel-hwylcra 1344, oftor micle 1579, pcet hire an dceges 1935, no py
cer ut pa gen 2081, and gehwceper oprum 2171, elles liwergen 2590. —
ß) Führton -j- fern ton: oppe a syppan 283, heo him eft hrape 1541.
2) Führton der zweiten hebung, nur neben fernton an erster
stelle: pa tvit cetsomne 544, stva mec gelome 559, pcet he hine seoppan
(hine = fehlt) 1875, he mec pcer on innan 2089, siva me pcer inne 2115,
ic ivces pcer i)ine 3087.
139. Den 13 schwellverseu wird unten ein anhang ge-
widmet (313).
Tabelle n.
Offene rerse.
Einfache alliteration.
Zwei nomina ABC D E Sa.
Comp ß) 67 45 186 32 — 330
ß) U — 68 — — 82
Gen. in 1. heb. . . . «) 61 43 — — 9 113
ß) Q - - - - 5
Gen. in 2. heb. ... a) 10 1 4 30 — 45
Adj ß) 46 17 5 5 8 80
ß) 9 8 4 — 1 17
Inf. «) 6 — 1 1 — 8
/?) 8 — 1 — — 9
Coordination ....«) 5 1 — — — 6
/9) 2 — 2 — — 4
Dat.-instr «) 11 2 — — 1 14
/?) 8 — — — 1 4
247 112 271 67 20 717
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 9
30
MORGAN
A B
247 112
C
271
D
67
E
20
Sa.
717
Nomen 4- verbum . .
ß)
9
13
34
5
1
5
26
1
45
49
22
39
6
26
1
94
Verbum + uoinen . .
ß)
26
43
—
—
—
—
26
43
69
—
—
—
—
69
Scbw. Wörter -j- uomen
. . a)
ß)
12
156
1
8
6
1
22
162
168
1
14
1
—
184
Nomen + schw. Wörter
. . a)
ß)
14
2
25
2
2
2
—
2
43
6
16
27
4
—
2
49
Verbum -{- adv. . .
. . a)
ß)
4
24
14
4
2
4
—
—
20
32
28
18
6
—
—
52
Einfache Wörter . .
. . a)
ß)
1
6
7
35
113
4
—
47
119
7
7
148
4
—
166
Reste
. . a)
ß)
7
81
3
2
3
2
—
—
13
35
38
5
5
—
—
48
Summen
595
209
454
98
23
1379
B. Geschlossene verse.
140. 'Geschlossene verse' nenne ich (vgl. 24) solche, hinter
denen starke interpunctionszeichen (punkt, Semikolon oder kolon)
stehen. Diese drei zeichen sind nicht ohne erhebliche bedeu-
tung- für die ton Verhältnisse. In gewöhnlicher prosarede deuten
sie auf grössere Sinneseinschnitte, und beim vorlesen im leich-
teren Stil ist es vielfach üblich, die stimme sinken zu lassen,
wo ein solches zeichen erscheint (während sich beim feierlichen
Vortrag häufig Verschiebungen ergeben). Zuerst hatte ich ge-
dacht, die Verhältnisse möchten im Beowulf ebenso liegen wie
beim leichten lesevortrag, daher alle geschlossenen verse von
unserer alliterationsregel nicht betroffen werden. Ich kam
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 131
aber bald zu der Überzeugung, dass ein tonabfall am satz-
sclilusse in der alliterationsdiclitung durchaus nicht immer
üblich war. Dagegen spricht einmal die häufigkeit des typus A,
der hier fast bis zur ausschliesslichkeit herscht, und dessen
melodieform im allgemeinen den gleichton begünstigt; ferner
die häufigkeit der Verbindung von nomen mit nomen, die auch
wider alles andere an häufigkeit übertrifft; endlich auch die
häufigkeit der vollen syntaktischen coordination unter den
Satzschlüssen mit doppelalliteration. Auf die erkenntnis der
wahren tonverhältnisse führte mich dann eine weitere beob-
achtung. Oft dient der satzschluss bloss zur ausführung und
abrundung eines bereits in demselben satz gegebenen begriffes.
In solchen verseu erhält der den satzschluss bildende vers den
Charakter einer parenthese, die als solche ja stets auf einer
anderen tonstufe liegt als die übrigen Satzteile. Von beispielen
(die sich sehr häufen Hessen) will ich nur zwei anführen. Ein-
mal mcerne he niceste 36. Hier ist mcerne durch leofne ])eoden
34 gegeben, mceste durch on hearm scipes 35, Die ganze halb-
zeile bringt nichts neues, sie rundet bloss ab. Oder mago-
drilit wi'cel 65. Dieser begriff ist in dem geogoj) der vorher-
gehenden zeile bereits enthalten, kann also nicht mehr als
novuni gelten. Ich fand also, dass in diesen und vielen ähn-
lichen fällen die stimme in der jeweilen vorausgehenden zweiten
halbzeile sehr stark sinkt, um dann beim schlussvers zu einem
tiefen gleichton zu gelangen.
14:1. Von dieser beobachtung ausgehend fand ich weiter,
dass auch andere 'satzschlüsse' (wozu ich hier aus praktischen
gründen verse mit kolon oder Semikolon am ende rechnen will)
sich natürlicher nach diesem tonschema lesen lassen, als wenn
die erste hebung hoch, die zweite tief gelegen hätte (oder um-
gekehrt). In anderen fällen ergab sich, dass der verstypus bei
der tonführung eine rolle spielt. Besonders lassen D und A 2
(---il) wegen ihrer schweren nebentöne die stimme nicht
gern eher sinken, als bis die uebenhebung des zweiten fusses
erreicht ist. Dazu kam ferner die tatsache, dass der doppel-
punkt sehr häufig gleichton auf relativ hoher tonstufe fordert,
wie in der modernen spräche.
142. Auf diese weise Hesse sich auch bei den geschlossenen
Versen die alliterationsregel als zu recht bestehend erkennen:
9*
132
MORGAN
in den meisten fällen gehen eben ancli hier gleichton und doppel-
all, tatsächlich zusammen. Ich habe es aber für ratsam ge-
halten, die geschlossenen verse gesondert anzuführen, damit
man die Wirkung der interpunction besser beobachten könne.
143. Da die tj^^pischen tonverhältnisse, die an die ver-
schiedenen "Wortklassen und syntaktischen Verbindungen an-
knüpfen, bereits besprochen sind, kann hier davon meist ab-
gesehen werden. Ich gebe aber die von mir für notwendig
gehaltene interpunction stets an, da sie auch für die tonführung
vielfach massgebend ist. Es scheint nämlich, als läge die
normalstufe des tones vor Semikolon nicht so tief wie die des
tones vor punkt, während das kolon normalerweise gar keine
Senkung der stimme hervorruft (ausser im zweiten halbvers,
vgl. 271).
I. Gleiehton und doppelalliteration.
a) Nomen + nomen.
Typus A.
111. Volle coordination:
1) Vor doppelpuukt: fea-sceaft ftinäen 7, folce to frofre (=;) li,
leode gelcesten^i, hillum and byrnum ( = ;)40; ferner 89 ( = ;)• 104 (=;)
119 ( = ;). 137 (=;). 249 ( = ;). 65 ( = ;). 342. 50. 440 ( = ;)'. 555 (-=;)
748 ( = ;). 819 (=;). 57 ( = ;). 930. 48 (=;). 1025 (=;). 45(=;). 1273
1802 ( = .). 4. 1525. 38 ( = ;). 1607 ( = ;). 42 ( = ;). 1720 ( = ;). 7. 1803
38. 98. 2109 ( = ;). 2175 (=;). 2281. 96 ( = ;). 2314 ( = ;). 23. 70. 95
2413. 5 ( = ;). 23. 46. 61. 2523. 2600. 38. 59. 66. 84 ( = ;). 2790. 2816. 86
2980. 3040. — 2) Vor Semikolon: 213. 515. 972. 1207. 1366. 1430. 1588
1921. 2005. 14. 2457. 8. 2546. 2956. 3043. 94. 3129. — 3) Vor punkt: 36
81. 134. 40. 98. 211. 77. 318. 36. 409. 26. 523. 612. 51. 60. 827. 56. 918
39. 53. 70. 1017. 1108. 27. 51. 1237. 40. 1361 ( = ;). 88. 1417. 32. 1575
1698. 1709. 90. 1830. 76. 80. 1983. 90. 7. 2117. 66. 96. 2341. 2462. 2506
24. 62 (secean = seceanne). 75. 2625. 82. 2709. 39. 48. 2842. 52. 2910. 57
3021. 30. 60. 3103. 5. 8148 (zusammen 139 mal).
145. Dat.-instr.:
1) Vor doppel punkt: leodum leofne ( = ;) 618, fohnum gefrcetivod
992; ferner 1018 ( = ;). 1113. 2192( = ;). 2256. 74( = ;). 2504. 2680. 2762.
84. 2826. — 2) Vor Semikolon: 867. 2359. — 3) Vor punkt: 331. 553.
716. 942. 1227. 1338. 2149. 2214. 2309. 35. 2580. 2677. 2732. 64 (28 mal).
146. Adjectiva. Da es bei den tiefen gleichtönen der
hier in frage stehenden verse anscheinend nichts ausmacht, ob
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 133
das adj. vor- oder nachg-eht, so wird auf diese stellimgs-
verscliiedeuheit hier keine besondere rücksiclit genommen.
1) Vor doppeli)ixukt: lapan liges (^-j) 83, ßritig ßegna 123, inistge
moms( = ;) 162, heardm hijnpa ( = ;) 166; ferner 215 (-=;). 232. 87. 753
( = ;). 73 ( = ;). 977 ( = ;). 1177 ( = ;). 1243 ( = ;). 1331 (=;). 43 ( = ;).
1435 ( = ;). 63 ( = ;). 1519 ( = ;). 1719. 2188. 2213. 54. 2339. 2518. 2618.
Dazu (i'SC-hoU nfan gneg 380, bei dem ufan grceg vielleicht ein comp, ist:
es hat jedenfalls die betonung eines comp. — 2) Vor Semikolon: 149.
1440. 2G92. — 3) Vor puukt: 67. 120. 251. 572. 841. 1220. 5. 46. 1423.4.
1522. 47. 1722. 78. 1965. 2016. 69. 2306. 2586. 2845 (48 mal).
147. Genitive sind hier viel seltener als bei den 'offenen'
versen. Der gen. steht meist voran, aber bei dem herschenden
tiefen gleichton ist eine enklise des zweiten wortes kaum miiglich.
1) Vor doppelpunkt: giip-searo gumena (^;) 328, hord-hurh hce-
lepa 467, hordes liijrde { = ;) 887; ferner 583. 984. 1080. 5( = ;). 1527. 59.
2289 ( = ;). 2419. — 2) Vor Semikolon: 1515. 2777. — 3) Vor punkt:
183. 247. 516. 628. 823. 1060. 1122. 1306. 1534. 1602. 66. 2072. 2120. 2248.
2329. 2711 (29 mal).
148. Inf. und object:
1) Vor doppelpunkt: gomhan gyldan 11, xcean omvendan 191;
ferner 801. 1372. 1490 ( = ;). 3144. — 2) Vor Semikolon: 366. 1470. —
3) Vor punkt: 1176. 1940. 2556. 2791. 2906 (13 mal).
149. Sogar ein compositum erscheint am satzschluss:
hearn-gebyräo 946. Hier darf aber die stimme erst bei der
letzten silbe sinken (wie oft bei den A 2), weil wir in -gebyrdo
ein völliges novum haben (typus A 259 mal).
Typus B.
150. Die fälle sind sehr spärlich, denn der typus wird
nicht gern am satzschluss gebraucht.
Nur einmal finden wir ein B vor punkt, nämlich on Grendles gryre
478; hier erleichtert die auflösung den leichten abfall. Einmal kommt
auch ein ausrufzeichen vor: xoces pu Hropgar hall 407. Dieses zeichen,
besonders bei kurzen Sätzen, deutet gewöhnlich an, dass die stimme allen-
falls erst im letzten werte abfällt. Die anderen belege (alle vor doppel-
punkt) brauchen keine besprechung: xvip Grendles gryre 384, secan deofla
gedrceg 756, secean wyn-leas xoic ( = ;) 821, and pces mannes mod 1057.
Typus C.
151. Auch dieser typus ist schwach vertreten.
Die belege sind: hcsfde mare mcegen 518, on grames grapum 765, be-
foran heorn heran 1024, geboren betra 1703. Alle stehen vor punkt. Dazu
das einzige compositum %vip peod-preaum (: = ;) 178. In allen diesen fällen
134 MORGAN
liegt das hauptinteresse im zweiten fusse, und dadurch wird die stimme
im niveau gehalten. Bei 1024 gilt dies nur, wenn man die interpimction
der vorhergehenden zeilen ändert. Es ist nach 1022 komma, nach 1021a
kolon zu setzen (übrigens auch 1022 hdde-cumbr zu lesen).
Typus D.
152. Dieser tj^piis ist liier niclit selten; bemerkenswert
ist die relative liäufigkeit der verse mit coordination, und die
Seltenheit des gen., ferner das fehlen der composita.
153. Volle coordination:
1) Vor doppelpunkt: fleon on fen-hopu (=;) 764, liafen lianda
fcest ( = ;) 1290, tvce^mi tvundrum heard 2687; ferner 487. 1594. 2769. —
2) Vor Semikolon: 400. 1460. — 3) Vor punkt: 703. 69. 1137. 57. 62.
1863. 1906. 2527 (16 mal).
154. -Die adjectiva gehen meist voran:
1) Vor doppelpunkt: s/de sce-ncessas 223, egl tmheorn ( = ;) 987,
fceste friopo-ivoere ( = ;) 1096; ferner 1468. 1668 ( = ;). 2858 ( = ;). 2648.
2819. — 2) Vor Semikolon: 57. 2442. 2760. — 3) Vor punkt: 90. 129.
581. 770. 1400. 1845. 90. 2226. 2498. 2646 (21 mal).
155. Der genitiv ist nur 5 mal belegt:
eafop uncupes; 960, aldres or-ivena. 1002, enta wr-geiveorc; 1679,
eaforan ellor-sip: (^;) 2451, Eafores anne dorn: 2964.
156. Zweimal tritt ein infinitiv auf:
tvong wisian: 2409, cdcetan Icen-dagas. 2591 (typus D 44 mal).
Typus E.
157. Dieser typus steht nicht weit hinter D zurück: wir
finden 26 belege.
158. Ein di'ittel der verse hat coordination:
1) Vor doppelpunkt: tvig-Jieap geioanod ( = ;) 477, sele-iveard
aseted 667, lissa gelang 2150, heapo-fyrmn hat 2547, siex-bennum seoc
2904, tivelf wintra tid (: = fehlt) 147. — 3)Vorpunkt: 476. 636. 776.
159. Adjectiva gehen voran, ausser in gled-egesa ^nm2650.
1) Vor doppelpunkt: murnende mod ( = .) 50, singale scece {^,)
154, sinntgne secg 1379. — 2) Vor Semikolon: 1416. — 3) Vor punkt:
784. 815. 1136. 1299. 1311. 1584. 2650. 2890.
160. Der genitiv kommt nur 5 mal vor:
heal-pegnes hete: 142, Jicepenra hijht: ( = ;) 179, here-sceafta heap.
835, mago-riyica heap: 730, gleo-mannes gi/d. 1160.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 135
b) Yerbum 4- nomen.
Typus A.
161. 1) Vor doppelpunkt: hcefde he 7io«(7a (^;) 814, si'pode sorh-
full ( = ;) 2119; ferner 49. 1739. 2629. 32 (=;). 2854 (=;). 2919. —
2) Vor Semikolon: 1118. 2717.2975.— 3) Vor punkt: scegdest from his
sipe 532; ferner 782. 1008. 1159. 1255. 2085. 96. 2252. 60. 70. 2882 (21 mal).
Typus C.
162. Bloss ein beleg: forgrand gramum; 424.
Typus D.
163. Hier kommt dieser typus dem tj-pus A fast gleich:
auch bei den 'offenen' versen war er bei dieser combination
stark vertreten.
1) Yor doppelpunkt: mearcap mor-lwpu 450, eoäe yrre-mod 726;
ferner 1150 ( = ;). 1274 ( = ;). 1616. 2018. 2277(=;). 3067. 84. — 3) Yor
punkt: 496. 702. 818. 1384. 1512. 1724. 2183.
c) Nomen + verbum.
164. Die zahl der belege für diese combination ist etwas
auffällig gross, da das verbum sonst gern zur tonausweichung
neigt, wenn es einem nomen folgt. Hier bemerkt man jedoch
den einfluss des tiefen gleichtones : auf der den vers beherschen-
den tiefen stufe ist der abfall des verbums so gering, dass er
als solcher vom obre nicht mehr wahrgenommen wird. Es
handelt sich auch fast durchgehends um begriffsverba.
Typus A.
165. 1) Yor doppelpunkt: sund-wudu sohle 208, frecne geferdon
1691, fcege gefcallep ( = ;) 1755; ferner 1783. 1821. 2108 ( = ;). 41 ( = ;).
2300 ( = ;). 2834. — 2) ^'or Semikolon: 2532. — 3) Vor punkt: icesan,
pces ic tcene 272, heapo-rof hcebbe 381; ferner 569. 917. 1205 ( = ;). 14.
1376. 1605. 1802. 2265. 2535. 3007 (typus A 23 mal).
166. Die anderen verstypen sind sehr spärlich belegt.
Die belege sind: für B on hand gehwearf: 2208; für C on stefn stigon.
( = ;) 212, geondpcet sceld swcefun. 1280; und endlich 5 belege für E: heapo-
grim ondhwearf: 548, syn-snoedum sivealh: 743, gum- Cyste ongit. 1728,
Weder-GeaUim iveold. 2379, ban-hus gebrcec. 2508.
136
MORGAN
d) Reste.
Tj'pus A.
1G7. Coordinatioii:
tvanode and wijrde. 1337, eft cet ße anum. 1377, forsitep and forswor-
cep: 1767, hatode and hynde; 2319.
168. Adv. + uomeii:
1) Vor doppelpunkt: hwüe ivi'p Hropgar (=;) 152, gegnum gangan
( = ;) 314; ferner 1630 ( = ;). 1885. 1985. — 2) Vor Semikolon: 18ß.
1037. 1959. 3085. — 3) Vor p unkt: 240. 51. 901. 2821. 2967. 3090.
169. Adv. + verbum:
hitre gehulge: 2331, lungre gelimpe. 929, ivihte ne tvene: 2923.
170. Nomen + schwache Wörter:
gumum cetgcedere: ( = ;) 321, giogop cBtgcedere: (=;) 1190, snude to-
S07nne: 2568, attor on innan. 2715, godum togenes: 3114. Dazu der etwas
schlecht klingende vers picgean ofer pa niht. 736.
171. Von den anderen typen kommen B undC gar nicht
vor, E bloss einmal: singala seap: ( = ;) 190.
Dazu 4 belege für D: fijrst forp getvat: 210, sigel supan fits: 1966,
eal utan-ioeard: ( = ; ) ( ^ ealne und -iveardne) 2297, gewrecen wraplice. 3062.
Tabelle EL
tfeschlossene verse.
Gleichton und doppelalliteration.
Zwei nomina A B C D E Sa.
Coordination 139 1 1 16 9 166
Dat.-instr 28 — — — — 28
Adj 48 1 1 21 12 83
Gen 29 4 1 5 5 44
Inf 13 — 1 2 — 16
Comp 1— 1 — — 2
259 6 5 44 26
Verbum + nomen 21 — 1 16 —
Nomen + verbum 23 1 2 — 5
Beste '
Coordination 4 — — — — 4
Adv. + nomen .... 15 — — 1 — 16
Adv. + verbum .... 3 — — — 1 4
Nomen + schw. Wörter .6 — — 3 — 9
28 — ^^ 4 1 33
Summen 330 7 8 64 32 441
339
38
31
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 137
II. Gleichton und einfache alliteration.
172. Die belege treten sehr vereinzelt auf und fallen
sämmtlicli zum typus A.
Bei hringed-stefnan: 1131 haben wir allerdings ein compositum, aber
zugleich einen beleg für gekreuzte alliteration, sodass der glciebton zu
rechtfertigen ist (vgl. 314 ff.)- In scela and mcela: 1611 ist die all. durch den
reim ersetzt, yamela Scylding. 1792 hat einen eigennamen. In dryhtlic
iren; 892 und Uoflic iren; 1809 ist vielleicht nahton an zweiter stelle
möglich; jedoch wird mau auch annehmen können, der dichter habe mit
dem wort iren Schwierigkeiten gehabt. Nur zweimal kommt dieses wort
bei doppelall. vor: iren cer-god 990, und irenna ec^c 2084. Vielleicht waren
passende, mit vocal anlautende adj. selten.
III. Doppelalliteration bei ausweichten.
173. Bei den meisten der hierher gehörigen fälle handelt
es sich wider eher um die beschaffenheit des ganzen satzes,
als um streng begrifflich fassbare dinge. Z. t. bleibt die stimme
bei der vorausgehenden halbzeile zu hoch, um tiefen gleichton
zu gestatten, z. t. kommen andere Ursachen zur geltimg, die
nicht mit Sicherheit zu bestimmen sind. Ich finde indes keinen
vers, bei dem fernton zu constatieren wäre, und somit keine
ausnähme von der angenommenen alliterationsregel.
Typus A.
174. Syntaktische coordination kommt vor, nur vor
punkt: eoletes cet ende 224, ealle buton anum 705, fet and fohna 745,
mva to aldre 955, sioelan and stvellan 2713.
175. Composita, auch nur vor punkt:
Jielle-hcefton 788, fcere-bifongen (= fcer) 2009.
176. Verba an zweiter stelle sind verhältnismässig
häufig: gest-sele gyredon. 994, ivesien loarode. 1265, geatolic gengde; 1401,
ivigend loceron; 1814, scecca gesette. 2029, hyldo gehealde. 2293, tvide tveor-
pep. 2913, beagas gebohte: 3014. Dazu mit verbum an erster stelle:
sigon pa to slcepe. 1251.
177. Sonstiges:
folc-stede frcettvan. 76, niceras ntgene. 575, dreamum bedceled. 721,
sweordum gesceged. 884, freondum gefcegra; 915, idese onlic; 1351.
178. Die anderen typen treten stark zurück.
Wir finden folgende belege : für B : and him fceste icipfeng. 760 ; für C :
drimcon win weras: 1238, on sefan sende. 1842, to gescife {= gescife)
scyndan. 2570; endlich für'E : Welandes geiveorc. 455, gryrelicne gist. 1441,
feasceaftiim freond. 2393, breost-lwrd purhbrcec. 2792.
138 MORGAN
IV. Einfache alliteration bei ausweichton.
a) Nomen + nomen,
Typus A.
179. Composita:
1) Vor doppelpunkt, nur bei iiahton an zweiter stelle : gup-gewcedo
( = ;) 227, leod-geb>jrgean 269; ferner 343 (=; ). 557. 969( = ;). 1133(=;).
1349. 1873. 2165 ( = ;). 80 ( = :). 2427. 2583. 2881 ( = ;). 3124 ( = .). —
2) Vor Semikolon: «) Führton + nahton: 1263. 1937.57.2113. —
/9)Führtou + fernton: 683. 900. 1689. 2693. — 3) Vor pnnkt: «) Führ-
ton + nahton: 828 ( = ;). 1931. 2162. — ß) Führton + fernton: 646
( = ;). 1226. 1471. 95. 1903. 2169. 2302 (32 mal).
180. Adjectiva:
1) Vor doppelpunkt: a) Führton + nahton: rice peoden 1209,
mcerne peoden ( = ;) 1598; ferner 2078 (=;). 2127. 2482. 92. 3029 (=;).
— /?) Führ ton + fern ton: tcergan gasies ( = ;) 133, angan dohtor ( = ;)
375; ferner 472. 1503. 1746. 62 ( = ;). 2511. 41. 94. 2733. 3035. — 2) Vor
Semikolon: a) Führton + nahton: 889. 1634. 1994. 2347. 2672. 3131.
— /?) Führton + fernton: 114. 1502. 1760. — 3) Vor punkt: a) Führ-
ton + nahton: 1761. 1912. 80. 92. 2354. 84. 2897. — ß) Führton +
fernton: 16. 949. 1172. 1303 ( = ;). 57. 1789. 2236.
181. Genitive:
1) Vor doppelpunkt: a) Führton + nahton: hrcegla seiest ( = ;)
454, Eotena treoive 1072; ferner 1742 (sende = sawele). 2091. 2727 ( = ;).
— ß) Führton + fernton: 359 (fregan = frean). 895. 1812. 1929. 2801.
— 2) Vor Semikolon: «) Führton + nahton: 1282. 2061. 2920. —
ß) Führton + fernton: 700. 897. 1124. 70. 1387. 3061. — 3) Vor punkt:
ß) Führton + nahton: 2656. — ß) Führton + fernton: 171. 389.
579. 696. 724. 1323. 1572. 1853.
182. Sonstiges:
ß) Führton + nahton: fugliim to gamene. 294, gare wunde: ( = ;)
1075, since hremig: 1882, hringas dcslan: 1970, Geatum wealdan: 2390,
dennes niosan {=mosian); 3045. — ß) Führton + fernton: prypnm
dealle. 494, gupe gebeodan. 603, since fage; 1615, cicen to gcbcddan. 665,
sope gebunden: 871, metodsceaft seohan (= sean). 1180, Higelac secan.
1820, bord wip ronde: 2673, egesan peohan {^^peon). 2731. Endlich auch
mcel is me to feran ( = ;). 316, wo die erste hehung fernton hat. Die
stimme sinkt bei dem -an von feran wider.
Typus B.
183. Ein beleg, bei nahton an zweiter stelle: on ancre fcesf.
( = ;) 303.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 139
Typus C.
184. Ein genitiv, bei fernton an zweiter stelle: Jm com
non dceges. 1600. Sonst nur composita, und zwar mit fülirton
+ naliton:
to Gar-Bennm. 601, cefter Icoä-hnjre: ( = ;) 2030, nces he gold-htvcete:
3074? (der text ist sehr unsicher); mit führton + fernton: cefter gup-ceare:
1258, on ad-fcere. 3010.
Typus D.
185. Die composita haben alle naliton an zweiter stelle,
ausser lind-Juehhende. 245.
Die sonstigen belege (mit führton + fernton) sind: fold-huende: 1355,
lind-hcehhendra. Ii02, fela-modigra: 1637, sib-cepeUngas: 2708.
186 Genitive kommen hier nur von eigennamen vor,
und nur bei führton + naliton:
frean Scijldinga. 291; ähnlich 913 (=•), mcegen Hrepmonna. 445,
bearn Healfdenes. 469, frean Ingwina: ( = ;) 1319, mceg jElfheres: 2604.
187. Dreimal kommt ein adjectivum vor, nur bei naliton
des zweiten gliedes:
iorn müi/tel. 833, Invafe Scyldmgas; 1601, xoindge 6ard-weallas. 1224
(letzterer vers ist wahrscheinlich verderbt: sonst hat der Beowulf kein er-
weitertes D ohne doppelalliteration).
188. Eest: feorJi ealglan: (=;) 2668, mit fernton im zweiten glied.
Typus E.
189. Wir finden nur vier belege, alle mit fernton an
zweiter stelle:
heal-cerna mcest: ( = ;) 78, an-fealdne gepoht: 256, man-cynnes feond.
1276, fea-sceaftum men. 2285.
b) Verba und sonstiges.
Typus A.
190. Nomen + verbum finitum:
«) Führton + nahton: aldrum nepdon. 510, pearf gescelde: 1250,
mcerpo fremede: 2134, linde bccron: 2365. Dazu mit nahton der ersten
hebung ne frin pu cefter scelum. 1322. — ß) Führton + fernton: findan
nithte: 207, Beownlf nemnap. 364, efnan toolde: 1041, hcelepum secdde:
2024. Die übrigen belege stehen entweder vor punkt oder vor Semikolon:
541. 794. 1328. 1494. 2241. 2599. Dazu* der A3-vers eodepa to seile. 1232.
191. Eeste: «) Führton + nahton: lüaford sinne. 2283, uncer
tivega: 2532, siveprian syppan: 2702. — ß) Führton + fernton: ecga
gehivglcre. 805, ellenlice: 2122, cyninge minum: 8093. Dazu mit fernton der
ersten hebung ie hü pe gehate: 1392.
140
MORGAN
192. Die anderen verstypen treten sehr vereinzelt auf,
typus E gar nicht.
Die belege sind: für B and he Jiealse genam; 1872; für C micl Wilfin-
gum: -±61, ofer-Jiigian: 2766; für D Wcegmundinga: 2814. Letzterer vers
hat das Schema führtou + uahtou; die übrigen haben führton -f fern ton.
Anm. Folgende erste halbverse sind als verderbt zn betrachten: 20.
02. 390. 457. 652. 707. 1129. 1143. 2001. 2. 7. 19. 2128. 81. 2215—22. 5.
7—31. 53. 75. 6. 98. 9. 2488. 2525. 89. 3041. 56. 86. 3151—5. 71 (45 mal).
Tabelle IV.
Geschlossene Ycrse.
Einfache alliteration mit ausvveichton.
Zwei nomina A B C D
Comp 32 — 5 5
Adj 41 — — 3
Gen 29 — 1 6
Eeste 16 1 — 1
118 1 6 15
Nomen + verbum 16 1 — —
Eeste 6 — 3 1
Summen 140 2 9 16
E
1
3
Sa.
42
45
39
18
144
17
10
171
Schlusstabelle.
B.
)ffene verse
A
B
C
D
E
Sa.
Doppelall. mit gleichton .
611
78
34
255
67
1045
Einfache all. mit gleichton
17
5
1
2
1
27
Doppelall. mit ausweichton
18
1
8
—
—
26
Einf. all. mit ausweichton
595
209
454
98
23
1379
1241
293
497
355
91
2477
jeschlossene verse
Doppelall. mit gleichton .
330
7
8
64
32
441
Einfache all. mit gleichton
5
—
—
—
—
5
Doppelall. mit ausweichton
23
1
2
—
4
30
Einf. all. mit ausweichton
140
2
9
16
4
171
498
10
19
79
40
646
Summen
1739
303
516
435
131
3124
Dazu die schwellverse und verderbtes .
• •
. •
. 58
3182
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 141
Zweiter liulbvers.
103. Von grosser bedeiitiing- ist die tatsaclie, dass im zweiten
lialbvers doi)pelalliteration nicht vorkommt, und wir dürfen
wol versuchen, uns über die Ursachen dieses umstandes khirlieit
zu verschaffen. Möller hat die Vermutung ausgesprochen (s.
Lawrence, Chapters on Allit. Verse, s. 43), dass die stimme bei
der vierten hebung der langzeile schwach werde, und so nicht
mehr im stände sei, einen vierten reimstab zu markieren.
Diese erklärung befriedigt aber wenig, besonders angesichts
der tatsache, dass man beim Vortrag alliterierender dichtungen
mindestens ebenso oft nach einem ersten halbvers atem zu
holen hat, als nacli einem zweiten. Ich glaube, eine zutreffende
erklärung können wider nur die tonhöhen Verhältnisse liefern.
Beide halbzeilen durchlaufend gleichtonig zu sprechen hätte
zu sehr grosser monotonie geführt, und eben darum (und ver-
mutlich um zugleich einen melodischen einschnitt als marke
für den abschluss des langverses zu gewinnen) liess man min-
destens den ton der vierten hebung der langzeile aus dem
niveau der übrigen herausfallen, und entzog diese hebung so
schon praktisch dem bereiche der alliteration. Später mag
sich dann aus diesen auf instiuctivem gefühl beruhenden an-
fangen das feste gesetz entwickelt haben , das die anwendung
eines vierten reimstabes direct verbietet, und dessen Wirkung
auf dem ganzen gebiet der alliterationsdichtung zu beobachten
ist. Und dieses gesetz war zu der zeit, wo die tätigkeit des
Beowulfdichters begann, schon längst von traditionellen regeln
beherscht.
194. Man sieht hieraus, dass das problem beim zweiten
halbvers wesentlich anders liegt als beim ersten. Dort galt
es, eine regel, die hauptsächlich die Setzung der doppelall.
erklären sollte, an der band des überlieferten materials zu
prüfen. Hier haben wir bloss zu untersuchen, ob nicht doch
bisweilen im zweiten halbvers gleichton auftritt, und unter
welchen bedingungen das geschieht. Es gibt dafür in der
tat einige belege, aber sie treten doch nur relativ selten auf.
Und das kann nicht wunder nehmen, weil ja der Charakter
des zweiten halbverses von dem des ersten ganz verschieden ist.
142 MORGAN
195. Zur allgemeinen orientiernng über die tj^pisclien
tonverliältnisse im zweiten lialbvers will icli bemerken, dass
verschiedene combinationen von Wortarten, die man in der
ersten halbzeile (d. li. im melodischen Vordersatz) mit gleichton
lesen würde, in der zweiten (d. h. im melodischen nachsatz)
ganz andere tonfolgen erzeugen. Dabei spielen u. a. auch die
verstypen eine rolle; parenthetische verse (oben 20) fehlen
meist, Variation ist äusserst selten; vor allem aber greift, wie
schon oben angedeutet wurde, wider die satzmelodie bestim-
mend ein, insofern sich die stimme bei Sinneseinschnitten
gern senkt. Ich werde im folgenden gelegentlich auf diese
dinge zurückkommen, da sie sich an der hand des anzuführen-
den materials verständlicher erörtern lassen.
A. Offene verse.
I. Gleichton.
Typus A.
1 96. Die hauptmasse der hierher gehörigen verse enthält
eigennamen, welche (wie wir schon oben 101 beim ersten
halbvers sahen) den dichtem oft Schwierigkeiten bereiten. Es
sind eben zwangsbildungen, und so möchte man fast ver-
muten, der Beowulf dichter habe die namen lieber im zweiten
als im ersten halbvers untergebracht, weil das fehlen der
doppelall. bei gleichton in der ersten halbzeile als störend
empfunden worden wäre.
Die beleg-e für eigennamen sind: tcine min Beowulf ibl. 1704, Beo-
wulf leofa 1216. 1758. 1987 (umgekehrt), dryhten Higelac 2000, tcine min
Unferjj 530, Guplaf and Oslaf 1148, Siveona and Geata 2946. Dazu gy-
rede hine Beoioidf 1441, bei dem wir die sonst sorgfältig gemiedene com-
bination verbum + nomen finden. Ferner die zwei geschlossenen verse (die
einzigen): gicedman Hropgar. 367, leofa Beoiculf: 1854.
197. Drei verse haben syntaktische coordination:
wind ofer ypum 1907, hunan and discas 2775, feorran and neahan
(= nean) 839.
198. Endlich der 'parenthetische' yershringde 6?/ma« 2615.
Typus B.
199. Nur vier belege, alle mit coordination:
pa wces scel and mcel 1008, se pe sop and riht 1700, tinim sceal
siceord and heim 2659, se wces heah and hrad 3157.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 143
Typus D.
200. Noch häufiger ist gleichton bei diesem iyims, der
auch im ersten halbvers den stärksten procentsatz von doppel-
all, zeigt. Von wesentlicher bedeutung ist hier die frage,
welche melodie wir beim Vortrag der D-verse anzunehmen
haben (s. oben 60). AVendet man die dort geschilderte, mehr
sprunghafte melodieart an, so erhält man bei weitem nicht so
viele fälle von gleichton, und folglich nicht so viele ab-
weichungen von der gewöhnlichen Sprachmelodie des zweiten
halbverses. Ich habe indessen gegen diese betonungsweise
schon oben gewisse bedenken äussern müssen. Und die aus-
nahmen sind nicht so häufig, auch wenn man den zweiten
intonationstj^pus annimmt, dass sie viel zu bedeuten hätten.
201. Am häufigsten stehen zwei nomina nebeneinander,
von denen das eine in beziehung zu einem verbum derselben
halbzeile steht.
Z. b. pegn nytte helieold 49'1, geofon ypum iveoU 515, hlod edrum
dranc 742; ferner 1057. 80. 1131. 2. 1931. 97. 2593. 2609. 10 (12 mal).
202. Dreimal enthält ein adjectivum den hauptbegriff:
iviht unhcelo 120, ivif unhyre 2120, weard unheore 2113.
203. Coordination kommt sonst viermal vor:
Fin Hengeste 1096, dead is -äschere 1323, eafor heafod-segn 2152,
higum unrote 3148.
204. Verba treten dreimal auf.
Vor einem nomen: seah on enta geiveorc 2717; vor einem adverbium:
Polode (er fela 1525, bat unswipor 2578 (typus D, 22 mal).
II. Verse mit ausweichton.
a) Nomen + nomen,
Typus A.
205. Composita:
«) Führton + nahton: aldor-lease 15, liringed-stefna 32. 1897,
apum-swerian 84, oret-mecgas 363; ferner 504. 59. 751. 99. 869. 974. 86.
1092. 1110. 43. 1244. 7. 1414. 1580. 94. 1606. 32. 41. 1787. 2081. 2202.
2240. 4. 2371. 2596. 2623. 2871. 3. 3033. 51. 3139. 69 (37 mal). — ß) Führ-
ten + fernton: 283. 361. 481. 616. 71. 3. 774. 853. 981. 1030. 64. 1242.
1406. 58. 1713. 2232. 2418. 2617. 2761. 2903. 9. 33. 86. 3042. 3116. 79 (26 mal).
206. Der genitiv steht in der ersten hebung. Es ist
charakteristisch, dass diese Stellung hier fast zur ausschliess-
lichkeit herscht.
144 MORGAN
cc) Führton + naliton: foldan sceatas 96, Geata leoda 205. 1213.
2318, Wedera leodum 697. 2900. 3156, manna cynnes 701. 12. 35. 810. 914.
1725. 3137. 78; ferner 242. 436. 43. 658. 750. 79. 93. 842. 68. 83. 912. 82.
1005. 50. 76. 98. 1258. 70. 96. 1484. 1661. 1716. 32. 94. 1847. 94. 1930.
2006. 82. 2125. 39. 85. 2304. 38. 2428. 63. 2644. 3111. 5. 21 (55 mal). —
ß) Führton + ferntou: 4. 60. 196. 260. 546.607.65 (cyninga = cyning).
728. 1021. 1543. 51. 1639. 80 (fregan = frean). 1730. 1801. 71. 1922. 2036.
2107. 18. 29. 91. 2333. 45. 53. 2505. 2639. 89. 2710. 86. 2823. 29. 95. 2937.
9. 71. 3001. 13. 77. 3160 (40 mal).
207. Der genitiv steht in der zweiten hebung:
a) Führtou + uahton: mcegenes Deniga 155. 465 (folce), Hrepel
Geata 374, Higelac Geata 1202, hleo-burh tvera 1731, waldend fira 2741,
ecgum sioeorda 2961. Die ersten vier verse enthalten eigennamen und sind
formelhaft; in den übrigen fällen ruht die hauptemphase auf dem ersten
wort. — ß) Führton + ferntou: ealdor ßegna 16i4:, monegum fira 'IQOi.
208. Adjectiva stehen hier meist voran, aber die Ver-
schiedenheit der Stellung ändert nichts an der versmelodie.
«) Führton + nahto«: nmre ßeoden 129. 1046. 2788. 3141, leofne
peoden 34. 3079, snotere ceorlas 202. 416. 1591; ferner 211. 9. 22. 75. 325.
520. 5. 605. 86. 740. 91. 859. 65. 96. 907. 16. 52. 8. 63. 1011. 27. 1104. 12.
1203. 57. 62. 89. 1312. 35. 41. 1400. 9. 45. 88. 1510. 1677. 94. 1729. 1813.
41. 59. 68. 96. IDOO. 15. 25. 2008. 44. 2105. 53. 81. 2200. 7. 34. 55. 2330.
2444. 56. 87. 2573. 2667. 2753. 2830. 2905. 97. 3101 (76 mal). — ß) Führ-
ton + fernton: 54. 141. 214. 31. 97. 459. 66. 576. 795. 873. 7. 933. 78.
1006. 35. 1245. 1324. 58. 63. 1419. 1867. 1902. 14. 48. 2030. 49. 2163. 78.
2253. 2374. 2417. 73. 2507. 17. 48. 63. 71. 2670. 88. 2774. 3097. 3170. Dazu
preo-hund wintra 2278, dessen gen. die hetonung eines adj. hat (43 mal).
209. Davon, dass diese verse wirklich nicht gleichtonig
zu sprechen sind, kann man sich leicht überzeugen, wenn man
sie möglichst wörtlich ins nhd. übersetzt. So z. b. lautet vers
34 f. etwa: 'Sie legten da ihren lieben herrn, der geber der
ringe, in des Schiffes schooss, den berühmten an den mast.'
210. Die Verbalnomina (inf. und part.) scheinen sich
hier, im gegensatz zu anderen nominibus, der toustufe des
verbum finitum zu nähern. Sie stehen fast immer hinter dem
anderen nomen, vielfach in bedeutender tonenklise, sodass bei
typus A fernton viel häufiger ist als nahton. Ich führe hier
alle belege an, ausser den wenigen belegen für syntaktische
coordination (vgl, 211).
«) Führton + nahton: call gedcelan 71, weorc gehannan 74, sawle
hescufan 184, tvicge ridan 234; ferner 303. 829. 1060. 1125 (neosan^neo-
sian). 1386. 1933. 2047. Dazu mit etwas anderer melodie die part. als adj.:
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 145
beore druncen iSO, hundum gesicenced 1368; ferner 1285 {gepruen = ge-
puren). 1443. 50. 1531. 2111. 2401. 3018. 3117 (21 mal). = ß) Führton +
fern ton: 20. 38. 43. G4. 9. 102. 58. 7. 262. 78. 349. 54. 73. 425. 664. 792.
822. 55. 72. 93. 911. 76. 1084. 1115. 1264 üleohan = fleon). 1275 (seohan =
seon). 88. 1300. 10. 48. 99. 1427. 69. 1586. 1638. 1791. 1807. 23. 89. 1938.
45. 64. 96. 2112. 2271. 2284. 2301. 5. 12. 21. 4. 42. 89. 2513. 31. 61. 71.
95. 2754. 2802. 44. 6. 8. 56. 8. 2950. 2. 5. 72. 3079. 89. 3166. Dazu die
part. ivinde gefi/seä 217, hlode bestymed 486, hilde gepinged 647; ferner
1340. 1645. 2441. 2529. 2825. 2931. 3022. 52 (83 mal).
211. Grammatische coordination ist nicht unbedingt
mit tonischer coordination verbunden. Wir finden sogar eine
ziemliche anzahl von versen, bei denen die satzmelodie die an-
wendung des gleichtons unmöglich macht:
a) Führton 4- nahton: sunnun and monan 94 steht nach doppel-
all, in der ersten halbzeile und schliesst ausserdem einen geringereu sinnes-
abschuitt: die stimme muss bei mona>i sinken. Gleicher einfluss des sinnes-
einschnittes zeigt sich auch bei dngupe and geogope 160, heim and byrnan
1022 (das ; ist zu tilgen), Eiorogar cyning 2158, xinjrm on middan (, = ;)
2705, hehn and byrnan 2868. Bei folgenden versen gilt das oben 210 über
die verbalnomina gesagte: sop is gecyped 700, cearti tcces genhvod 1303,
sorh is geniwod 1322, blced is arcered 1703, hord ys gesceawod 3084. heim
and byrne 1629 bereitet auf den folgenden tiefen gleichton vor, sodass die
stimme bei hyrne abfällt. Dasselbe gilt von sibbe oppe treowe 2922. In
2890 deap bip sella scheint der starke nachdruck auf deap den gleichton
zu verhindern. In den übrigen vier fällen wird der ausweichton sichtlich
durch die satzmelodie verlangt: niht ofer ealle 649, wrapum on andan 108,
sivin ofer helme 1286, hörn and byrnan 2943 (18 mal). — ß) Führton +
fernton: hier finden sich dieselben Ursachen für ausweichton wie bei den
nahtouigen belegen; z. b. flota wces on yptim (Vorbereitung auf tiefen gleich-
ton) 210, ofost is seiest (nachdruck auf ofost) 256, bot eft cuman (sinnes-
einschnitt)281; ferner 614. 43. 769. 1159. 76. 1418. 57 (,=;). 1724 (sec^/a»
= secganne). 2369. 2130. 72. 3004. 47. 3163. Nur bei nacan on sande 295
finde ich keinen äusserlich formulierbaren grund für den tonabfall (18 mal).
212. Eeste:
«) Führton + nahton: meeiim wunde 565, gode mcere 1952, gtipe
rcesiim 2356, synnum sclldig 3071. — ß) Führton + fernton: fugle ge-
licost 218, mcegene strengest 789, style gelicost 985, oprum getrywe 1228,
ecgimi pyhtig 1558, ise gelicost 1608.
213. Composita: "^^P^^ ^-
a) Führ ton + nahton: geond pisne middan-geard Ih, ne ge leafnes-
tüord 245, tcces se iren-preat 330, on morgen-tid 484. 518; ferner 395 {ge-
taiciim = getäwum). 413. 604. 37. 805. 7. 41. 917. 37. 1018. 1359. 1621. 66.
92. 1736. 50. 71. 2477. 3031. 5. 3123. 73 (27 mal). — ß) Führton + fern-
ton: 1284. 1393. 2925.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche- XXXIIl. \Q
146 MORGAN
214. Der genitiv trägt stets die erste liebimg:
ß) Führtou + nahton: pcer ivces maihna fela Sß, pat wces ^Ven<lla
leod (, = ;) 348; ferner 409. 31. 71. 87. 97. 501. 16. 660. 2. 845. 50. 67.
949. 1093. 1208. 32. 83. 1432. 75. 97. 1529. 1761. 4. 5. 6. 1809. 26. 73.
1918. 27. 49. 67. 2003. 72. 2132. 2260. 2. 2458. 62. 2508. 24. 42. 6. 80.
2626. 28. 75. 3023. 49. 66 (52 mal). — />') Führ ton + fernton: 89. 408.
54. 580. 633. 764. 81. 1147. 89. 1499. 1509. 59. 1607. 72. 1954. 2269. 2759.
91. 2915. 8011 (20 mal).
215. Adjectiva:
a) Führ ton + uahton: noes hü lengra fyrst 134, wces poet gewin to
Strang 133; ähnlich 191, to sele pam liean 919. 1016. 1984, ^a loces forma
sip 1527. 2625; ferner 238. 381. 437. 67. 503. 672. 85. 702. 52. 65. 833. 87.
926. 1087. 99. 1107. 50. 93. 1304. 57. 76. 1553. 1691. 1717. 42. 1940. 2014.
6. 23. 2109. 2264. 76. 97. 2415. 9. 70. 2566. 86. 2684. 3024. 85 (48 mal). —
ß) Führton + fernton: nces pcet forma sip 716. 1463; ferner 49. 271.
510. 1579. 1616. 1876. 2399. 2461. 93. 2555. 2654. 2715. 44. 3048.
216. Man beachte besonders den versaiisgang forma sip,
welcher viermal belegt ist. In zwei fällen gehört er einem
positiven aussagesatz mit nahton an, in den beiden anderen
einem negativen satz mit fernton; durch den einfluss der
negation rückt die erste hebung mehr in die höhe, wodurch
die zweite fernton erhält. Der fall zeigt, wie auch kleine
änderungen in der äusseren form die ganze satzmelodie um-
modeln können.
217. Reste:
Dat.-instr.: pcet wces yldum cup 70b, ponne blöde fah dM, pces sig
vietode panc 1778, and on mode frod 1844, scealt nu dcedum rof 2666, nu
ys leodum wen 2910, wa;s pa deape fcest 3045. Nur der letzte vers hat
fernton an zweiter stelle, wie ferner vers 811 he wces fag icip god {wces
= fehlt). Dazu die verse mit verhalnomina, von denen 1696 und 2653
nahton an zweiter stelle haben: ivolde on heolster fleon 155, paivces winter
scacen 1136, hwam Pcet siceord geioorht 1696, pcet we rondas bereu 2653.
Endlich noch hei nahton an zweiter stelle: niston hie clrihten gocl 18i;
und bei fernton an zweiter stelle: tvces para Grendel siim 1266.
Typus C.
218. Composita:
«) Führton + nahton: in gear-dagum 1, and heapo-wcedum 39,
mit -Vena 116. 828. 1279. 1578. 1856. 2494; ferner 65. 126. 254. 393. 540.
640. 801. 993. 1033. 1138. 92. 1249. 1388. 1437. 1853. 1910. 92. 2018. 39.
93. 2204. 2341. 2604. 3040 (32 mal). — ß) Führton + fernton: 16 (frega
= frea). 26. 77. 112. 75. 98. 9. 249. 98. 334. 6. 8. 80. 8. 460. 75. 6. 617.
710. 4. 737. 71. 820. 54. 904. 1025. 73. 82. 1139. 57. 86. 1325. 30. 51. 1429.
ZUtt LEHRE VON DER ALLITERATION. 147
51. 80. 160i. 1711. 1934 (frega). 1963. 78. 2065. 79. 2274. 2335. 79. 2437.
2514. 2651. 77. 2733. 47. 2884. 93. 2940. 3036. 3112. 81 (59 mal).
219. Genitive stehen z. t. in zweiter hebnng-, weil in
der ersten nur solche mit kurzer Stammsilbe (^ x) statthaft sind.
ß) Führt 011 + 11 ah ton: 07i land Dena 253, ic ßces wine Deniga 350,
(et Hmefes ade 1114, tv(es se grijre Icvssa 1282: ferner 1495. 1814. 36. 92.
1950. 2059. 2314. — /?) Führ ton + fern ton: 28. 35. 2455. 2805. 3096.
220. Adjectiva:
a) Führ ton + nah ton: ne milde snotor hcelep 190, be scem tweonmn
1685. 1956; ferner 307. 31. 1306. 1738. 2043. 2209.63. 2309. 3159 (12 mal).
— ß) Führton -}- fernton: 146 (ist in klammer zu setzen = :). 290. 399.
509. 858. 918. 22. 1081. 95. 1297. 1307. 1560. 1885. 1989. 2063. 2180. 2506.
81. 2762 (19 mal).
221. Verbalnomina:
ß) Führton -j- nahton: ßa wces heal roden 1151, nces seo ecg fracod
1575; dazu mit nahton des subst. (der einzige beleg) gehroden golde 304.
— ß) Führton -j- fernton: leton höhn heran 48, to harn faran 124;
ferner 223. 88. 439. 930. 1036 {leohan = teon). 1130. 52. 1328. 39. 1439.
1534 {doan = don). 46. 1647. 78. 88. 1745. 1808. 57. 62. 2126. 66 {doan).
2283. 94. 2306. 2485. 2518. 44. 69. 2646. 2708. 2864. 92. 2913. 57. 62. 3014.
5. 21. 3114. 28. 32. 4. 71 (45 malj.
222. Reste:
ß) Führton -}- nahton: unc sceal loorn fela 1783, nu is ofst hetost
(= ofost) 3007. — ß) Führton-f-fernton: scop Mm Heort naman 78,
swylce seif cyning 920. 2702, fiefne god sylfa 3054.
Typus D.
223. Composita, nur bei führton + nahton:
sele-rcedende 51, land-buendum 95; ähnlich 309, sce-lißende 377; ähn-
lich 568; ferner 237. 535. 746. 1004. 13. 39. 1108. 42. 55. 1227. 1455. 1518.
1684. 1780. 1888. 2015. 22. 2205. 2382. 2503. 2694. 2716. 20. 78. 81. 3017.
91. 3113. 80 (34 mal).
224. Genitive stehen meist in der zweiten liebung"; es
sind aber fast nur solche von eigennamen (5 ausnahmen), die
oft formelhaft betont werden. Nur führton + nahton
kommt vor:
wine Scißdinga 30. 170; ähnlich 53. 229, feond man-cynnes \M, maga
Ileal fdenes 1S9; ähnlich 344, hof viodigra S12, feoh cyninges (= feorh)
1210, bite irenna (== irena) 2259, fyll cyninges 2912; ferner 500 (, = ;).
21. 90. 620. 758. 78. 86. 813. 26. 980. 1020. 40. 69. 1405. 74. 1550. 63.
1652. 82. 1884. 2011. 2020. 6. 32. 2101. 19. 77. 2367. 81. 94. 8. 2587. 2603.
81. 2752. 2853. 2907. 28. 71. 3110. 20 (52 mal).
10*
148
MORGAN
225. Adjectiva:
«) Führ ton + nahton: segen (jyldenne 47, fela misser a 153; äliu-
lich 1498. 1769; ferner 270. 31G. 495. 502. 847. 70. 85. 908. 99. 1111. 1230
(, = ;). 1860. 2073. 6. 2241. 2538. 2669. 2767. 2809. 21. 60. 81. 3005. 80
(28inal). — ß) Führton + fernton: 1851. 2195. 2620. 2994.
226. Verbaluomina:
«) Führton-f-nahton: feo pingian \hQ, rinc sipian 720, sar tvani-
gean 787; ferner 971. 1444. 1662. 2589. 2655. 3025. — ß) Führton +
fernton: 796. 840. 1413. 26. 2045. 2211. 2658. 2773. 3056.
227. Eeste:
Grammatische coorclination und ähnliches; nur führton -[-nahton kommt
vor: gmna operne 652; ähnlich 2484. 2985, hond sivenge ne ofieah 1520,
cyning cepelum god 1870, Denum unfcecne 2068, sicat cednim sprong 2966,
sceft nytte heold 3118. In allen diesen fällen verursacht die satzmelodie
den abfall des tones,
Typus E.
228. Genitive tragen stets die erste hebung:
a) Führton -[- nahton: cepelhiga gedn'Jit 118, Higelaces pegn 194;
ferner 104. 207. 314. 429. 63. 802. 99. 921. 95. 1028. 66. 89. 1119. 95. 1240.
1408. 25. 92. 1612. 23. 1740. 1961. 72. 72. 2028. 2221. 79. 2337. 87. 2631.
2862. 82. 2977. (34mal). — ß) Führton -|- fernton: 499. 675. 876. 1194.
9. 1574. 7. 1905. 20. 2037. 2602. 11. 3. 2757. 63. 8. 83. 2833. 3143 (19 mal).
229. Adjectiva:
a) Führton -|- nahton: heag-hroden eiven 623, fi/rd-tvi/rpe man 1316;
ferner 302. 1489. 1582. 1634. 1917.' 26. 58. 2115. 70. 2245. 2817. 2979. 3038.
3127 (16 mal). — /?) Führton + fernton: 276. 659. 1410. 1557. 2406. 2811.
230. Reste:
1) Verbalnomina, der erste beleg mit führton -|- nahton: Hropgar
geseon 396, Frysland geseon 1126, mp-icundor seon 1365, oepelinges hören
3135. — 2) Dat.-instr.: «) Führton -}- nahton: al-ivecddan panc 928,
Icger-hedde fcest 1007, hyge-bendum fcest 1878, frean ealles panc 2794. —
ß) Führton 4- fernton: 998. 1459. 2086. 2901. 3072.
b) Nomen -f- verbum.
Typus A.
231. u) Führton -|- nahton: meyi ne cunnon 50. 162, dreamum
lifdon 99, torn gepolode 147, metod hie ne ciipon 180; ferner 88. 212. 3.
26. 35. 328. 532. 72. 91. 615. 45. 99. 703. 803 (, = ;). 30. 75. 964. 94. 1014.
91. 1120. 84. 1223. 33. 90. 4. 1317. 1402. 46. 68. 1573. 1600. 2. 1796. 99.
1845. 50. 1906. 2256. 67. 93. 2370 (treoicde = truwode). 3. 91. 3. 2451. 60.
76. 2488. 95. 2540 {treowde). 2673. 2760. 85. 2810. 28. 2906. 53 (treowde).
3069.3131 (65 mal). — ß) Führton -|- feruton kommt besonders bei
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 149
den hilfsverbis vor, ferner iinmittelbar vor siiineseinsehnitteu, und wenn
die folgende balbzeile einen satz schliesst. Das material ist sebr zabl-
reich: 2. 10. 68. 80. 92. 3. 111. 9. 39. 54. 7. 68. 73. 6. 7. 9. 82. 200.
21. 30. 9. 44. 68. 73. 9. 82 (, = ;). 327. 51. 68. 78. 427. 48. 82. 93. 505.
13. 4. 33. 42. 51 (, = ;). 6. 78. 82. 98. 600. 8. 27. 48. 50. 6. 666. 77. 9. 704.
15. 39. 85. 800. 12. 7. 32. 4. 51. 60. 4. 6. 80. 6. 8. 94. 909. 38. 40. 5. 59.
88. 1023. 32. 52. 6. 67. 71. 88. 97. 1100. 5. 29. 35. 49. 56. 61. 97. 1253. 9.
60. 72. 1305. 18. 34. 46. 54. 69. 1415. 31. 3. 48. 9. 52. 86. 1504. 14. 5. 23.
33 {treoivde). 52. 71. 97. 1609. 27. 33. 5. 7. 53. 5. 6. 1726. 54. 6. 63. 1810.
8. 27. 9. 34. 75. 7. 9. 1936. 9. 42. 6. 69. 79. 93 {treoiiKle). 2004. 38. 60. 67.
83. 2121. 33. 48. 55. 00. 7. 72. 84. 94. 7. 2212. 47. 57. 65. 72. 2322 (treowde).
40. 6. 50. 63. 75. 2407. 10. 21. 36 (strekl = stred). 8. 57. G6. 75. 81. 2504.
22. 34. 43. 79. 2636. 7. 41. 3. 5. 7. 64. 83. 2722. 9. 35. 58. 95. 2827. 38. 9.
40. 1. 50. 70. 7. 2904. 16. 8. 24. 6. 30. 63. 5. 74. 3020. 53. 63. 7. 3175
(219 mal).
Typus B.
232. ß) Fübrton -j- nabton: siva he selfa bced 29, hiin on bearme
Iceg 40, liim on mod he-arn 67, liim on fyrste gelomp 76; ferner 100. 7.
115. 22. 40. 4. 51. 232. 47. 77. 86. 99. 346. 52. 8. 64. 6. 9. 84. 405. 19. 21.
4. 35. 8. 40. 2. 517. 27. 45. 55. 74. 9. 88. 95. 601. 22. 8. 32. 6. 53. 84. 96.
723. 6. 30. 53. 75. 94. 816. 90. 913. 70. 7. 1037. 41. 8. 53. 1121. 3. 71. 8.
90. 1205. 7. 34. 5. 43. 55. 61. 3. 7. 74. 1302. 37. 49. 1434. 5. 60. 1506. 8.
12. 22. 4. 37. 9. 45. 7. 84. 5. 1605. 13. 8. 65. 71. 9. 81. 9. 98. 1714. 33. 9.
46. 70. 5. 1811. 30. 52. 5. 63. 86. 1947. 57. 60. 75. 7. 85. 2005. 24. 42. 8.
51. 78. 2108. 24. 7. 38. 79. 2201. 10. 36. 58. 80. 98. 9. 2327. 47. 54. 9.
2404. 23. 39. 48. 68. 91. 8. 2535. 50. 67. 74. 2012. 4. 35. 8. 76. 82. 6. 90.
2. 7. 2700. 1. 9. 11. 32. 6. 9. 56. 2814.- 9. 52. 65. 75. 80. 2914. 44. 83. 9.
92. 3009. 58. 61. 82. 98. 3124 (189 mal). — ß) Fübrton + fernton: 7.
66. 87. 103. 45. 92. 356. 92. 420. 46. 74. 7. 552. 3. 75. 618. 26. 733. 72.
891. 902. 5. 25. 9. 42. 1001. 77. 9. 85. 1133. 70. 81. 5. 98. 1217. 9. 39. 54.
73. 98. 1313. 33. 8. 78. 1461. 7. 70. 1532. 55. 98. 1660. 7. 74. 1718. 9. 59.
79. 1815. 32. 1941. 2041. 55. 77. 2103. 16. 65. 73. 2308. 55. 78. 2403. 9. 29.
74. 80. 92. 2526. 77. 99. 2618. 8. 24. 9. 40. 57. 79. 98. 2724. 69. 84. 2822.
34. 98. 2919. 78. 3026. 34. 88. 95 (99 mal). Mau siebt, dass bier der nab-
ton stark überwiegt. Der grund liegt wol darin, dass B seltener als A
einen sinuesabscbnitt schliesst, und dass das feblen der letzten Senkung die
stimme bei fortlaufender erzäblung nicht so tief sinken lässt.
Typus C.
233. a) Führton + nahton: pa tvip gode wunnon 113, pcet pes
sele Stande 411, gif mec hild nime 452, and onscel meoto 489; ferner 1074.
8. 1140. 54. 1342. 3. 74. 95. 1640. 8. 1849. 2397. 2745. Dazu forscrifen
hcefde 106, hinter dem der punkt zu tilgen ist (16 mal). — ß) Fübrton
4- fernton: 13. 23. 72. 220. 5. 250. 64. 318. 83. 453. 85. 506. 7. 11. 522.
31. 39 (reowim = reon). 44. 62. 71. 87. 93. 9. 635. 82. 3. 706. 31. 80. 98.
804. 910. 39. 43. 7. 53. 61. 7. 75. 1055. 1158. 75. 88. 1271. 7. 1350. 5. 62.
150 MORGAN
6. 70. 5. 92. 1430. 62. 85. 1535. 61. 92. 5. 1610. 1702. 35. 41. 9. 51. 1831
(sie = sy). 46. 1911. 23. 8. 66. 2027. 34 (gaep = gcep). 2050. 4 (gaep). 8.
90. 6. 2145. 50. 61. 82. 7. 2203. 2348. 2445. 6. 7. 53. 99. 2530. 6. 98. 2621.
33. 2707. 26. 38. 49. 70. 2818. 74. 2954. 80. 2. 3016. 29. 3126. 47 (109 mal).
Typus D.
234. Dieser tj'piis ist schwach vertreten, weil die meisten
verba finita höchstens zweisilbig, also für den dreisilbigen
abschnitt des verses zu kurz sind. Nur das scliw. praet. war
hier gut verwendbar.
«) Führton -f- iiahton: sele hlifade 81, last seemvedon 132; ferner
166. 72. 208. 306. 402. 23. 508. 70. 611. 25. 901. 51. 1117. 1204. 6. 12. 37.
1380. 97. 1440. 1589. 1630. 87. 1721. 1803. 98. 2085. 98. 2285. 2352. 94.
2897 (34 mal). — ^9) Führten + fern ton: 227. 320. 725. 843. 983. 1090.
1102. 1222. 1566. 1626. 2102. 2383. 3102 (14 mal).
Typus E.
235. a) Führton -j- nahton: meodo-setla ofteaJi {, = .) b, tveorß-
imjndum pah 8, fyren-pearfe ongeat 14, wa hip pcem pe sceal 183; ähnlich
186; ferner 24. 97. 152. 61. 71. 321. 422. 96. 667. 88. 721. 36. 67. 83. 815.
8. 23. 57. 71. 84. 95. 992. 1024. 72. 1122. 8. 46. 60. 1200. 1401. 5. 17. 23.
94. 1501. 19. 26. 64. 7. 81. 1615. 1760. 89. 1838. 82. 90. 1908. 70. 80. 3.
2169. 88. 2249. 70. 81. 2. 8. 96. 2302. 13. 9. 65. 77. 85. 92. 2411. 82. 2501.
10. 54. 9. 62. 70. 6. 83. 4. 2661. 72. 8. 99. 2703. 77. 9. 80. 2824. 32. 6. 42.
86. 2937. 41. 73. 3030. 42. 60. 94. 3129. 44. 5. 6 (105 mal). — ß) Führton
+ feruton: 82. 130. 1. 59. 241. 322. 557. 695. 827. 935. 87. 1044. 7. 51.
1332. 52. 77. 1511. 3. 6. 21. 41. 65. 1624. 69. 1720. 74. 82. 1881. 1953. 9.
65. 73. 82. 2017. 21. 56. 2224. 2326. 58. 2414. 26. 2539. 2680. 91. 2714. 76.
89. 2894. 2929. 3028. 3102 (52 mal).
c) Verbum + nomen.
236. Diese im ersten halbverse nicht seltene combination
wird im zweiten halbvers sehr sorgfältig gemieden: es sind
nur 10 belege vorhanden.
Zweimal begegnen wir darunter dem seh wach tonigen fela, das in
panon woc fela 1265 nahton, in ic getiepde fela 2511 fernton hat. Bei
hrnron him tearas 1872 nimmt das verbum auch naturgemäss den fülirton
an. Dagegen klingen mir die übrigen belege schlecht. Mit gleichton kann
man sie zwar nicht sprechen, aber man hat die empfindung, als habe der
dichter der natürlichen Sprechweise gewalt angetan. Die zahl dieser verse
ist immerhin nicht gross: slat unwearrmm 741, fundodc tvrecca 1137, ponne
hnijjon fepan 1327, p(et gebearh feore 1548, hetep hworfan 1728, Icest call
tela 2663. Dazu mit fülirton -j- fernton toende pces yldan 2239.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 151
d) Nomen + schwächere Wörter.
Typus A.
237. a) Führton-f- nahton: 1) pehivyk: tveana geJmdcne HS, rinca
geJnvijIcuin 412; ferner 732. 1043. 2057. 2250. 2450. 2516. Dazu die ähn-
lichen fälle gumena nat-hwi/lc 2238, nnd nionna (eghwijlc 2887. — 2) Poss.-
pron.: lüaford pinne 267, leode mine 1886. 45. — 3) Ädv.: hurgum in
innan 1968. 2452, oprum sw/ßor 2198, stcqmhon fceste 2718, ivundur hwar
ponne 3062. — 4) Demonstr.: niagus para 1015. ^ ß) Führton -[-fern-
ton: 1) ähnliche fälle wie bei a: sceapona ic nat hwylc ^l^t, leode mine
415, opres swipor 1874, cenig para 2734 ; ferner 592. 768. 84. 936. 1708.
1848. Dazu mit dem verbum subst.: sehe bip ceghivam 1384, Jiean ivcbs
lange 2183, civico icces pa gena 3093. — 2) pone: uht-hlem pone 2007;
ferner 2334. 2969. 3081. — 3) Rest: tyne cetsomne 2847.
Typus B.
238. «) Führtou -(- nahton: is his eafora mi 375, wceron hegen
pa git 536, atid his cicen mid htm 923, ne scel anes hiocet 3010; ferner
587. 612. 734. 56. 932. 46. 72. 1054. 1162. 1276. 1471. 1709. 23. 1880. 1929.
2141. 9. 92. 2237. 2325. 2547. 2642. 8. 2730. 71. 2967. 3164 (31 mal). —
ß) Führton -|- fernton: 678 (, = ;). 819. 79. 1256. 99. 2061. 2307.
2483. 2975.
Typus C.
239. Alle belege haben führton -{■ fernton:
1) Poss.: sw]jlc ivces peaio hyra 178. 1246, on sefan tninum 473;
ferner 698. 1226. 36. 1507. — 2) Häufiger die a.dy.: pa hie to sele furpum
323, pcEt «T to fela micles 694; ferner 763. 809. 44. 997. 1225. 1601. 14.
68. 1737. 2099. 2196. 2408.
Typus D.
240. Wir finden hier fast nur adverbia, die zu einem
nachfolgenden verbum gehören. Führ ton + nahton herscht
ausnahmslos:
hlxd Wide sprang 18; ähnlich 1588, fceder ellor hivearf 55, wop up
ahafen 128, guman ut scufon 215; ferner 301. 41. 478. 569. 88. 782. 991.
1017. 31. 65. 1416. 22. 1503. 70. 1800. 1912. 2118. 2218. 2831. 2545. 51. 2.
75. 2600. 2706. 64. Dazu etwas abweichend (und vielleicht zu E zu stellen?)
gearo sona wces 121, Geat iinigmete iccl 1792, Wyrd imgemete neah 2420,
pegn ungemete tili 2721. Endlich einige verse mit pron.: flotan eowerne
294; ähnlich 2889, dcel ceghtvylcne 621, hyre nat-hivylces 2058, lapra owihte
2482, frean userne 8002. 3107.
Tj'pus E.
241. a) Führton -}- nahtou: sige-drihten «n'n 891, ahvalda pec 95b,
Hengestpa gyt 1127, gtan-cynnes gehicone 27Gb; ferner 523. 550. 2650. 2826.
152 MORGAN
3039. Dazu mit adv.-präp. : gum-dn'hten mid 1612, Freslondum on 2357. —
ß) Führtou -j- feriiton: freo-drihten min 1169, bona sivipe ncah 1743,
tcceter-ypum neah 2242.
e) Schwächere Wörter + nomen.
24:2. Auch hier (wie bei C) scheint dem dichter einiges
minder wolklingende untergelaufen zu sein. Die hauptmasse
der einschlägigen fälle gehört zum typus A.
Tj^pus A.
243. Wir fanden schon in 210, dass die verbalnomina
sich im zweiten halbvers der betonung des verbum finitum
beträchtlich nähern, und so ist es verständlich, wenn wir auch
hier belege für die combination von adv. + verbalnomen finden.
a) Führton + nahton: eft geivwiigen 22, her onhidian 397; ferner
1788. 2261. 2806. — ß) Führton + fernton: 12. 91. 692. 744. 848. 903.
1083. 1356. 1438. 1593. 1620. 95. 1864. 1971. 2087. 2190. 2291. 2422. 3012.
Hierher dürfen wir wol auch tvide ges)/ne 1403. 2316. 2947. 3158 (nur 1403
hat führton -\- nahton) rechnen. Der form und der bedeutung nach steht
ja gesyne einem part. sehr nahe, und es kommt in diesem gebrauch auch
tatsächlich vor (Sievers, Ags. gr. § 391, a. 7).
244. Formelhaft sim\ pysses lifes 197 . 806 (der erste vers hat fern-
ton an zweiter stelle) und mine gefrcege 837. 1955. 2685. 2837. 776 (nur
der letzte vers hat führton -j- fernton).
245. Besondere licenzen finden wir bei den possessiv a.
Das nomen hat zwar stets nachdruck, aber die pronomina er-
halten trotzdem den höheren ton, wenn sie vorausgehen.
ß) Führton-[-uahton: eoiver leode b9ß. 6Si, pine life 2131, minum
leodioii 2797. 2804, eowrum cynne 288Ö. — ß) Führton -j-femton: l)inra
leoda 1673, l)ine leode 2095, usses cynnes 2813.
246. Auch an tvide mcerost 898, ceghivcer seiest 1059, «sfr neosan 2074
ist kein anstoss zu nehmen. Alle diese verse haben fernton an zweiter
stelle. Bei 2704 liegt der nachdruck gerade auf user, das hier wie ein
nomen wirkt , und in den anderen fällen stimmt die betonung vollkommen
zu der jetzigen Sprechweise. Unanstössig ist auch das comp, forp-gerimed
59, mit nahton an zweiter stelle.
247. Weder gut noch direct schlecht sind die folgenden: inne on
healle 642, eft to leodum 1804. 2368, forp ofer ype 1909, ut of stane 2557,
Wide geond eorpan 3099. Diese würden keineswegs besser klingen, wenn
man die hebungen umstellte, und die versmelodie ist auch bei der über-
lieferten form nicht verletzt. Die zwei ersten verse haben führton -f- nahton.
248. Entschieden schlecht klingen mir dagegen folgende fünf verse:
k) Führton -|-nahton: sivylce t wegen IBH, tincer Grendles 2002, mine ge-
wrcBcan 2479. — ^9) Führton-j-fernton: para leoda 2033, min aketan 2150.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 153
Typus B.
249. Vers 5-1:7 and norpan-tvincl hat eiue toufühiung, welche die an-
nähme (s. Bosw.-Toller s. v.) bestätigt, dass norpnn-tc/nd als ein comp, an-
zusehen sei. Unanstössig sind ferner auch pe is wide cup 2135 (ähnlich
2923) und sica sceal cegliwylc mon 2590. Nur v. 2923 hat fernton an zweiter
stelle. Bei 2532 nispcet eoiver sip soll ehen das 'euer' hervorgehoben werden,
als gegenstück zu einem folgenden min; deswegen hat sip hier auch fernton.
Schwer betont wird auch das eowcr in ponne is eoicer sum 248, und infolge-
dessen erhält das sum auch wider feniton.
250. Dagegen kann ich in 2231 pcer ivces sioylcra fcla die raelodie
mit meinem modernen Sprachgefühl nicht in einklang bringen: man sagt
heutzutage 'da war viel von solchen alten schätzen ...' mit hochtou auf
'viel'. Schon die trennung von 'solchen' und 'schätzen' ist etwas be-
fremdend. Jedoch ist fela in der älteren zeit entschieden ein schwaches
nomen, und voranstellung des genitivs gibt oft tonabfall.
251. Schlecht gefüllt finde ich nur se wces innan füll 2412, i/mb pinne
sip 853 (mit führton -|- fernton).
Typus C.
252. Vier verse mit composita:
toces io fore-mihtig 969, and eft-ci/mes 2896, viid ofer-mcegene 2917,
mid ofer-mapmum 2993. 2917 hat führton + nahton.
253. Adv. + verbalnomen:
gewitap forp heran 291, hat in gaan (= gan) 386, uton rape feran
1390, ic sceal forp sprecan 2069, pa ivces call sceacen (mit nahton an zweiter
stelle) 2727.
254. Dem klänge nach regelrecht sind auch wces gehuxe/jcr oprum
(führton + uahton) 814, und nefne min anes 2533; ferner gewat hivi on
nacaln] 1903.
265. Etwas zweifelhaft sind mir and hine ymh monig 1689 und he
m(Eg pcer fela (führten + nahton) 1837; die verse sind zwar ungewöhnlich,
aber nicht schlecht. On pa healfe 1675 und sicglce py dogor {= dogore)
1797 sind offenbar wider formelhaft (vgl. 119).
Typus D.
256. Führton + fernton hat nur pcer sceaivian 3008. Die übrigen
belege sind: min cerende 345, un-ivaclicne 3138, ymb-siUendra 9 (para ist
zu tilgen). Dazu samod cer-dcege 1311. 2942, das nicht ganz richtig klingt.
Typus E.
257. Nur ein beleg, mit fernton an zweiter stelle: vndyme
cup 150.
f) Yerbum + verbum.
258. Nur ein paar belege:
heold penden lifde 57, scegde se pe cupe 90, gcep eft se pe mot 603;
sonst nur mit typus A: 1177. 1224. 1319. 87. 3055.
154 MORGAN
g) Verbum + schwächere Satzglieder,
259. Merkwürdig ist es, dass das verbum auch bei diesen
Zusammenstellungen lieber in die zweite hebung tritt. Es
sinkt im tone selbst nach schwachen adverbien herab. Nur
wenn gerade die handlung als solche hervorgehoben wird, darf
das verbum nach bekannter regel vorausgehen, und in solchen
fällen erhält es auch den führton.
Typus A.
260. a) Führton + nahton: lieold lune syßßan 142, pti wast gif
hit is 272, rcelite togeanes (== ongean) 747, heold hine to fceste 788, iviste
pe geornor 821. 2339. 2725, upe ic sivipor 960, fremmap ge nn 2800. —
ß) Führton + fernton: weardode hioile 105.
Typus B.
261. Die belege für diesen typus sind auch ganz in Ord-
nung, nur muss es v. 2519 heissen gif ic iviste hu, wie Heyne
hat. Das vorgeschlagene geare fälscht die melodie. Sagt man
doch immer noch: 'und wüsste ich genau' mit hochton auf
'genau'. Nur führton + nahton kommt vor:
pcer he meahte swa 762. 2091, pu pe leer he pon 1722, peali he upe
tcel 2855, and ongan sica peak 2878.
TygvLS C.
262. Die belege sind alle etwas ungelenk:
ß) Führ ton + nah ton: ic ne loat hwceper ISSi, he geheold tela 2208,
he gewrcec syppan 2395, ic wat geare 2656. — ß) rührton + fernton:
and no mearn fore 136, he onfetig hrape 748, and gcpeoh tela 1218, ac
forgeald hrape 2968, sie sio beer gearo 3105.
Typus D.
263. Drei belege, alle mit führton + nahton:
fehp Oper to 1755, geong sona to 1785, beah eft ponan 2956.
h) Schwächere Wörter -|- verbum.
264. Wie vorhin (259) ausgeführt, neigt das verbum im
zweiten halbvers zu tieferer tonlage als das adverb. Seltener
hat ein pronomen hochton und tritt es in die erste hebung.
Fernton an zweiter stelle ist sehr häufig, ausser bei B und D.
Typus A.
265. «) Führton + nahten: minne gehyrap 255, us onsende 382,
uppe l(Bgon 566, minum scolde 965; ferner 1314. 1428. 77. 2012. 2235. 73.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 155
3074 (11 mal). — ß) Führton + fernton: 45. 70. 135. 65. 246. 80. 93.
317. 554. 655. 69 {ireowde = trmvoäc). 743. 862. 78. 941. 1086. 1101. 1360.
73. 1583. 96. 1697. 1753. 1828. 66. 1988. 91. 5. 2142. 2464. 97. 2500. 12.
20. 82. 97. 2712. 31. 99. 2867. 2959. 3059. 3130. In vielen dieser fälle ist
das verbnm stärker als der träger der ersten hebung, aber dafür liegt
dieser musikalisch höher (43 mal).
Typus B.
266. «) Führt on + nahton: syppan cerest iveatp 6, op pcet htm
eft onwoc 56, pcet he syppan wa;s 1901. 2175; ferner 240. 51. 65. 445. 50.
773. 1180. 1251. 80. 1404. 1502. 1748. 1994. 2009. 2214. 25. 38. 89. 2300.
10. 2606. 2790. 3064. 87. 90. 3108 (30 mal). — ß) Führton + ferntou:
meist am schlnss eines Sinnesabschnittes: 109. 430. 825. 968. 1002. 1252.81.
1466. 1587. 1893. 2071. 2713. 43. 3003 (14 mal).
Typus C.
267. «) Führ ton + nah ton: toif) pe moton 365, pcet he nie ongean
sieahe {= slea) 681, pcet pu gcnre cunnc 2070, forpon ic me on hafii 2523.
— ß) Führton + fernton: 41. 4. 284. 96. 313. 400. 17 (, = ;)• 41. 526.
63. 691. 754 (, = ;). 831. 81. 944. 1134 {cloep ^ del)). 79. 1371. 81. 1412. 76.
8. 82. 1576. 1824. 33. 2490. 2585. 2649 {sie = sy). 2742. 96. 2866. 3070.
3106. 67. 76 (36 mal).
Typus D.
268. «) Führton -f nahton: oft wisode 1663, min costode 2084,
gearo sceaioige 2748. — ß) Führton + fernton: wel licodon 639, forp
tvisade 1795. „
Typus E.
269. ß) Führton + nahton: panon eft gewat 123, ceghwcepres sceal
287, foran ceghicylc ivces 984; ferner 1657. 1701. 62. 7. 1822. 1937. 2268.
2564 (11 mal).' — ß) Führton + fernton: 759. 874. 1777. 3043.
e) Reste.
270. Einfache Wörter:
Typus A: earfoplice 86. 2934. — Typus C: ie eom Hropgares 335.
1990. 2351, we synt Higelaces 342. 407, tviste pcem cihlcecanSiQ. 989. 1000;
ferner 379. 433. 560. 629 {Wealhpeoivan = -peon). 609. 856. 1326. 1420. 90.
3. 1636. 59. 1772. 1819. 42. 2064. 2122. 2292. 2329. 2634. 65. 2807. 15. 69.
88. 2911. 49. 64. 99. 3122. 61. Einzuklammern ist ic eow loisicje ( = ;) 292.
3103. Dazu mit führton + nahton: op pcet semninga 644. — Endlich mit
typus D: unmurnlice 449, unlifigende 468. 1308. 2908, unsynnigne 2089,
Wcegmundinga 2607; und mit führton + fernton: ondsivarode 258. 340.
271. Grammatische coordination:
cer ne sippan 718, pcet pe feor and ncah 1221, nean and feorran 2317.
V. 2317 hat führton + fernton. Der tonfall wird hier durch die form der
Sätze bedingt, zu denen diese verse gehören. Dagegen hat z. b. feorran
and neahan 839 gleichton und ist an andrer stelle (196) bereits angeführt.
156
MORGAN
272. Sonstiges:
Typus A: prio ivicg somod 2174, sarnoä cetgcedere 329. 729. 1063,
geador (rtsomne 491. Nur der erste vers hat führton + nahton. — Typus B:
p(et hie syppan na 567. 1453; ähnlich 1951, no he tciht fram nie 541; ähn-
lich 581, sepe longe her 1061; ferner 83. 138. 1182. 2248. 2364.2442.2591.
2845. Dazu mit führton + ferntou 3006. — Typus C: a) Führton +
nahton: ic pe nu pa 426, ne gehicceper incer 584; ferner 835. 948. 1820.
— ß) Führton + feruton: 224. 52. 1248. 92. 1361. 1805. 1921. 2117.
2343. 9. 2737. 2920. — Typus D, nur hei führton + nahton: forp near
cetsto])7ib, from cerest cwom 2öö6, hider ut cetbccr 3092. — Typus E, nur
der erste beleg mit führ ton + nah ton: ungeara nu 602, rape cefter pon
724, unsofte ponan 2140.
273. Ueber die 10 scliwellverse s. anhang (313).
Tab
eile
VI.
Yerse
uiit
ausweicliton.
Zwei noniina
A
B
C
D
E
Sa.
Composita ....
. ß)
37
27
32
34
—
130
ß)
26
3
59
—
—
88
Gen. in 1. hebung
■ «)
55
52
5
4
34
150
ß)
40
20
4
—
19
83
Gen. in 2. hebung .
■ «)
7
—
6
48
—
61
ß)
2
—
1
—
—
3
Adjectiva ....
■ «)
76
49
12
28
16
181
ß)
43
16
19
4
6
88
Verbalnoniina . . .
■ «)
21
2
3
9
1
36
ß)
83
2
45
9
3
142
Coordination (gramm.)
. a)
18
1
2
4
—
25
ß)
18
1
4
—
—
23
Reste
■ «)
4
6
—
4
4
18
ß)
6
2
—
—
5
13
436
181
192
144
88
1041
Nomen + verbum . . .
■ «)
65
189
18
34
105
411
•
ß)
219
99
109
13
52
492
Verbum + nomen . . .
. a)
4
1
3
1
—
9
ß)
1
—
—
—
—
1
Nomen + schw. Wörter .
. «)
19
31
—
42
11
103
ß)
18
9
21
—
3
51
Schw. Wörter + nomen .
. a)
23
5
4
5
—
37
ß)
36
4
12
1
1
54
Yerbura + verbum . . .
. a)
6
—
—
—
1
7
ß)
1
—
—
—
—
1
392
338
167
96
178
1166
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION, 157
A
B
C
D
E
Sa.
Ueberti
ag
392
338
167
96
173
1166
Verbura + schw. wör
ter . .
«)
9
G
4
3
—
22
ß)
1
—
5
—
—
6
Schw. Wörter + yerbum . .
«)
11
30
4
3
11
59
ß)
43
14
36
2
4
99
Einfache Wörter . .
• . ■
«)
—
—
1
6
—
7
ß)
2
—
42
2
—
46
Gramm, coordiuation
. . .
«)
1
1
1
1
—
—
—
2
1
24
Reste
14
5
3
1
Summ
ß)
4
1
12
2
19
465
404
276
115
191
1451
eu
901
585
468
259
279
2492
B. Geschlossene verse.
274. Bei den zweiten halbversen hat starke interpunction
eine andere Wirkung, als bei den ersten. Einmal fehlt der
tiefe g-leichton, weil der typus der abschliessenden, abrundenden
verse (vgl. oben 140) nicht vorkommt; zweitens haben alle die
drei schweren interpunctionszeichen fast unterschiedslos tiefen
(fern-) ton vor sich (der ja selbst bei geringeren sinnes-
einschnitten ganz tj'pisch ist), nur in sehr wenigen fällen er-
scheint nahton, meist vor doppelpnnkt. Ich nehme daher hier
keine rücksicht auf die art der interpunction, ausser bei versen
mit nahtonigem ausgang.
Typus A.
a) Zwei nomina.
275. Composita:
a) Führ ton + nahton: umhor-ioesende: 46, hord-gestreomim. 1899.
/?) Führton + fernton: 63. 209. 61. 674. 882. 2835. 2935.
276. Verbalnomina:
a) Führton + nahton: mod onhrered: 549, fceghpe gebetan. 2165.
— /?) Führ ton + fernton: 25 (gepihan = gepeon). 37. 42. 125. 263. 319.
85. 479. 92. 630. 824. 1010. 2. 29. 38. 1268. 1315. 1447. 1646. 1734. 1806.
2010. 2176. 2311. 66. 2424. 43. 9. 54. 96. 2674. 2746. 2843. 2921. 3041. 6.
65. 3109 (38 mal).
277. Genitive:
u) Führton + nahton: mcegpa hose. 924. — ß) Führton + fern-
ton: 195. 285. 362. 98. 613 (: = ;). 670. 709. 861. 931. 1173. 1538. 1712.
158 MORGAN
1962. 81. 2171. 2416. 2502. 60. 2879. 2902. 3133. Nur in einem falle steht
der gen.. in zweiter hebung: and feoruw gumena 73 (21 mal).
278. Adjectiva:
Es ist bemerkenswert, dass liier die adjectiva, nnd vollends die verse
mit syntaktischer coordination, so schwach vertreten sind: sweartiim nihtum
(: = ;) 167, anre hene 428; ferner 577. 619. 838. 1320. 1505.51. 1747. 1865.
1943. 2110. 37 (: = ;). 59. 2286. 2440. 2849. 3142. Dazu mit führton +
nahton : vuerum Geate. 1301 (19 mal).
279. Syntaktische coordination ist sehr selten:
feond OH helle 101 , Dena and Wedera 498, hreo wceron ypa 548, sop
a'fler rihte 1049, gladum suna Frodan 2025, dugupa hi werede 2035, loroht
ivces geniwud 2287, hroga fram opnim 2565, bam gemcene 2660, hyldo to
tcedde 2998. Y. 2287 gehört hierher (nicht unter die verse mit verbalnom.),
weil das verbum subst. eine änderung der satzmelodie hervorruft. Alle diese
verse haben fernton am schluss.
b) Nomen + verbum.
280. Führ ton + nah ton kommt nur einmal vor: sibhe
gemunde; 2431.
Die übrigen belege sind eilen fremedon 3, wcecnan scolde 85, hwyrftum
scrißajj 163; ferner 228. 43. 300. 24. 39. 47. 434 (: = ;). 62. 524. 661. 717.
60. 973. 9. 1026. 34. 62. 70. 94. 1145. 83. 7. 1287. 1309. 44. 64. 1421. 54.
64. 1686. 93. 9. 1744. 57. 68. 73. 81. 93. 8. 1816. 1935. 86. 2013. 56. 66.
2106. 14. 30. 44 (: = ;). 57. 2295. 2315. 44. 76. 2400. 86. 2528. 58. 2627.
2717. 2897. 2948. 84. 3068. 3100. 19. 62 (71 mal).
c) Schwächere Wörter + verbum.
281. Führ ton -}- nahton kommt vor in minne cußon: ( = ;)
418, pyder oncirde: 2970.
Die übrigen belege sind lange aide Si, ivide hcefdeld; ferner 458. 528
(neahan = nean). 606. 757. 1019. 1106. 41. 2478. 2515. 92. 2808. 2951. 3086.
d) Reste.
282. 1) Ein einfaches wort: modiglicran 337. — 2) Zwei ad-
verbia: samod cetgcedere 387. — 3) Zwei verba: fremme se pe iville 1003
(ähnlich 2766), dop siva ic hidde 1231, sec gif pu dyrre 1379, ga Peer he
tcille 1394, breac ponne moste HS! . — 4) Nomen und andres, das nomen
meist an zweiter stelle: minne gebidan 638, beorhte seinem 1517, fotp on-
sewled 226G, sivylc gestrynan 2798, iviht oncirran28i)7, cer gesceawod 3016;
xcide geond eorpan 266, ut of hecdle (: = ;) 663, pysses lifes 790, cefier
seiest 1389, torna gehtvylces 2189.
Typus B.
a) Nomen + nomen.
283. Fernton am schluss herscht durchaus, mit einer
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 159
ausnähme: ic eoni on mode from: (=;) 2527. Der grund dafür
liegt in der einsilbigkeit der zweiten liebung.
284. Composita:
to aldor-ceare 906, tmder firgen-siream 2128, ponne edtvil-lif 2891.
285. Genitive:
wes pu US larena god 269, ofer landa fela 311; ferner 201. 326. 57.
9. 927. 1727. 1835. 61. 2040. 2147. 93. 2755. 2876 (15 mal).
286. Ein verbalnomen: and Ms heim onspeon 2723.
287. Adjectiva:
sohte holdne wine 376, ponne cenig oper man 534; ferner 61. 718. 836.
1075. 1191. 1201. 1372. 1622. 1812. 83. 2372. 2405. 2553 (15 mal).
b) Nomen + verbum.
288. Beispiele sind: Jma pcem hloiste onfeng 52, pa's pe he Abel slog
108, he him pces lean forgeald 114; ferner 143. 310. 32. 401. 4. 55. 72. 88
561. 73. 654. 93 (: = ;). 722. 49. 66. 852. 900. 15. 1068. 1103. 1209 (. = ;>
15. 20. 91. 3. 5. 1329. 98. 1436. 42. 1528. 40. 4. 68. 72. 90. 1664. 70. 1784
6. 1839. 87. 1913. 2019. 46. 2134. 99. 2220. 2303. 23. 32. 84. 8. 2427. 07
71. 2521. 41. 68. 75. 2696. 2704. 72. 82. 2851. 4 (: = ;). 61. 72. 83. 3078
3125. 40 (75 mal).
c) Nomen + schwächere Wörter.
289. Das nomen geht voraus:
tvces to fcest on pcem 137, se tvces betera ponne ic 4:69, nces Mm Fitela
mid 889, and pcere idese mid 1649, and Ms modor eac 1683, nefne Hygelac
pee 2151, oppe Hygelac min 2434, het hyne brucan tcell 2812.
290. Das nomen steht an zweiter stelle:
pwh mine hand 558, ne byp Mm wihte py sei 2277. 2687.
d) Verbum + schwächere Wörter.
291. Das verbum trägt die erste hebung:
and poit gecefndon sica 638, pcer hie mihton swa 197, swa icpewene
to 1396, and gelceste siva 2990.
292. Das verbum trägt die zweite hebung:
Man beachte, um wie viel diese verse natürlicher klingen, als die eben
angeführten. Das bezeugt von neuem die richtigkeit unserer Überzeugung,
dass die alliteration nicht vom begrifflich-emphatischen abhängt: hat doch
keins dieser adverbieu den stärkeren sinuesuachdruck. Die belege sind and
him togeanes (eng 1542, syppan he eft astod 1556, se pcer inne sivealt
1617, pone ic lange heold 2751, pcer he hine cer forlet 2787, ic Mm cefter
sceal 2876.
160 MORGAN
Tj'pus C.
a) Zwei nomina.
293. Composita:
to his wine-drihtne 360, siva his cer-fceder 2622, op tvoruM-ende 3083,
and lof-geornost 3182.
294. Verbalnomina:
linder sceadti hregdan l(fl, ivces Iura hlced scacen 1124; ferner 641.
1116 (doan = don). 53. 72 (doan). 1802. 1974. 2509. 2945. 81.
295. GenitiA^e:
on frean icnre (. = ;) 27, to hanan fohnuvi 158; ferner 1479. 2088.
2320. 2803. 3136. Dazu mit nachstehendem gen. mid grynnn ecga 483.
Da bei typus C der gen. meist au zweiter stelle steht, weil nur solche mit
kurzer silbe in der ersten hebung statthaft sind, so ist das überwiegen der
Toranstehenden genitive hier sehr bemerkenswert.
296. Adjectiva, nur einmal mit führten + nahton:
pcet is sop metod. 1611. Die übrigen belege: pcet tcces god cyning
11. 863. 2390, woes seo peod iilu 1250; ferner 1109. 1353. 2632.
b) Nomen + verbum.
297. Führton + nahton hat nur peah pin wä duge 589. Die
übrigen belege: para pe civice Jiivijrfap 98, gebun hcefdon 117; ferner
169. 203 (: = ;). 33. 57. 89. 308 (: = ;). 55. 414. 41. 7 (: = ;). 90. 512
{reomm = reon). 94. 676. 80. 7. 738. 77. 950. 60. 90. 1042. 1113. 44. 74.
96. 1367. 82. 5. 1472. 81. 91. 6. 1536. 99. 1603. 28. 58. 1821. 95. T919. 98.
2031. 2104. 86. 2549. 72. 88. 2608. 30. 2740. 2960. 76. 3057. 73. 3165 (59 mal).
c) Schwächere Wörter + verbum.
298. Nahton kommt nicht vor: tio ic fram Jum icolde 543, sica he
mi gyt dijde 956; femer 996. 1058 {doep = dep). 1238. 1625. 54. 76. 1858.
91. 2459. 2601. 2859 {doep) (13 mal).
d) Einfache Wörter.
299. to gefremmanne 174, him on andsware 1840, abreduade 2619,
ic pe fidlcestu 2668, a)id Ohtheres 2932.
e) Reste.
300. Nur in einem vers geht einem nomen ein pronomen voraus:
ponne he sylfa 505. Jedoch sagt man auch heute noch: 'als er selbst' mit
hochton auf 'er' (sc. am satzschluss). Die übrigen belege sind het hine
wel brucan 1045, bitten pe nu pa 657, and se beah somod 1211, /c beo
gearo sona 1825, con him land geare 2062, ne mceg ic her lang wesan
2801, and his heim somod 2987.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 161
Tj^pus D.
a) Zwei nomina.
301. Composita:
cniht-wesende 372, Gii/j-Scilfnigas 2927; häufiger mit führ ton + uah-
ton: Ar-ScyMinga; ißi. 1710 (;), Sige-Scyldinga: (=;) 597, fgl-ive-
r/'giie. 9G2.
302. Genitive treten hier, anders als bei den anderen
typen, oft in die zweite liebiing-. Es handelt sich jedoch dabei
durchgehends um verse mit eigennamen in formelhaften
Wendungen, bei denen das zweite wort nicht als novum gelten
kann. Nah ton am schluss gilt ausnahmslos.
1) Vor doppelpunkt: heim Scyldinga 371. 456. 1321, smi/jes or-
pancmn -iOG, pyle Hro/jgares übG; ferner 1530. 2380. G. Dazu der häufige
vers bearn Ecgßeowes 529. 631. 957. 1383. 1473. 1651. 1817. 1999. 2425. —
2) Vor Semikolon: godes leoht geceas 2i69. — 3) Vor punkt: 711. 1278.
2143. 2206.
303. Verbalnomina:
cc) Führton + nahton: Heorot falstan. 4S2, gang scemvigan. 1391,
gwii an pingkm: iSi3, wundur sceawian. 3032. — /?) Führton + fernton:
188. 216. 2402. 2605.
304. Adjectiva, nur bei nahton am schluss:
glcede Scißdingas. 58, leoht unfmjer. 727; ferner 1932 (:). 2052 (.). 2123
(;). 2483 (.).
305. Eeste, z, t. mit grammatischer coordination.
Nur die starke interpunction hindert das auftreten von gleichtou
bei einigen dieser verse. Nahton am schluss herscht wider vor.
giimum undyrne: 127, draca morpre swealt: 892, icyrin hat gemealt:
897, secg tveorce gefeh. 1569, cyning ealdre hineat. 2396, sioat ypum loeoll.
2693, segn Higelace; 2958. Nur der letzte vers hat führton + fern ton.
b) Nomen + verbum.
306. Führton + nahton: reced hlynsode. ( = ;) 770, ufun cunnode.
1500, sa;l weardodon. 2075, tvnece leornode. 2336, gold sceawode: 2793. —
ß) Führton + fernton: 204. 370. 470 (: = ;)• 1407. 2164. 2652. 3027.
c) Sonstiges.
307. 1) Nomen + schwächere Wörter, nur mit uahton am
schluss: word cefter ctccep: 315, ivord inne abead: 390; ferner 519 (;).
761 (.). 1619 (:). 50 (.). 1869 (.). 1976 (.). 2154 (:). 2254 (.). 2537 (.).
2728 (:). — 2) Umgekehrt: hider ioil-cmnan. 394, leng sorgian 451, feor
sipian 808. Nur 394 hat führton + uahton. — 3) Verba: feor lolatode
1916, p(Br eardodon: 3050. Dazu seah on unleofe: 2863, der einzige fall
dieser art. Die beiden letzten verse haben führton + nahton.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXII. ][J_
162
MORGAN
Typus E.
a) Zwei uomina.
308. Genitive, nur mit fernton am schluss:
cepelinges fcer SS, niht-beahva vicest 19S ; ferner 1009. 1411. 1562. 1690.
1752. 1944. 2328. 2820. 3076. 3149.
309. Adjectiva, ebenfalls mit fernton am schluss:
fiest-rcedne gepoht 610, and-loncje niht 2938.
310. Vier reste, mit fiilirton -f- fernton:
Beowulf is min nama 343, man-drüäne hold 1229, w(el-dreore fag 1631,
nearo-crceftum fcest 2243.
b) Nomen + verbum.
311. Führton + fernton herscM ausnahmslos:
loorold-are forgeaf 17, mepel-ivordiim fnegn 236; ferner 259. 305. 624
(. = ;). 51. 68 (. = ;). 90. 719. 846. 9. 1118. 1214. 41. 69. 1424. 83. 1549.
1643. 1790. 1904. 2080. 92. 4. 7. 2100. 36. 2246. 2360. 2489. 2662. 2988.
3037 (33 mal).
c) Sonstiges.
312. 1) Nomen + schwächere Wörter, nur mit fernton am
schluss: Scede-landum in 19, man-cynne fram 110; ferner 564 (:^;).
1715. 76. 1924. 2290. 2831. — 2) Umgekehrt: vndyrne cup: 410, mit
nahton am schluss. — 3) Yerhum: hruc ecdles well. 2162. Hinter diesem
vers steht ausrufzeichen, welches nahtou am schluss hervorruft.
T
abe
iie vn.
tresc
h]
osseue
verso.
Zwei nomiua
A
B
C
D
E
Sa.
Conniosita ....
ß)
2
,
__
4
6
^^ \^ * ' * KV \^ kj A V %M ■ * ■ V
7
3
4
2
—
16
Verbalnomina . . .
a)
2
—
—
4
—
6
ß)
38
1
11
4
—
54
Gen. in 1. hebung
«)
1
—
—
4
—
5
ß)
21
15
7
—
12
55
Gen. in 2. hebung .
ß)
—
—
—
18
—
18
ß)
1
—
1
—
—
2
Adiectiva ....
u)
ß)
1
1
6
—
8
d m ^'»J ^yv/ */» 1 *i^ • • • •
18
15
7
2
42
Gramm, coordination
u)
—
1
—
6
—
7
ß)
10
—
—
1
4
15
101
85
31
49
18
234
Nomen + verbum . . .
1
—
1
5
—
7
ß)
70
75
58
7
33
243
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 163
A
B
C
D
E
Sa.
Wörter
+
verbum
71
75
59
12
38
250
Schw.
. cc)
2
1
3
ß)
15
6
13
1
—
35
Eeste
cc)
14
2
16
ß)
19
15
13
2
8
57
107
96
85
30
43
361
u 208
131
116
79
61
595
e 901
585
468
259
279
2492
n 16
4
—
22
—
42
Gleichton
1125 720 584 360 840 3129
Verderbtes uud schwellverse 53
3182
Anm. Folgende zweite balbverse sind als verderbt zu betrachten:
21. 62. 149. 389. 403. 461. 586. 954. 2029. 2146. 2168. 2173. 2215—9. 2222
—3. 2226—30. 2251—2. 2275. 2361—2. 2435. 2525. 2792. 3000. 3150—5.
3172. 3174. 3177.
813. Anhang-. Die sclnvellverse. Im Beowulf ist das
material zu gering-, als dass man eine befriedig-ende iinter-
suclinng- darüber durchführen könnte: es gibt bloss 13 bez.
10 belege für den ersten und zweiten halbvers. Ich will sie
jedoch der vollständig'keit halber hier wenigstens anführen,
und die relativen tonhöhen der hebungen bezeichnen, so wie
sie mir zu liegen scheinen. Im allgemeinen kann man sagen,
dass die tonsprünge nicht so gross sind wie bei den zwei-
hebern: die feierlichkeit des Vortrags bringt alles mehr auf
eine stufe. Doch haben die alliterierenden hebungen stets den
führton, die anderen nicht; und danach ist es wahrscheinlich,
dass auch die schwellverse der gleichtonregel folgen.
1163 g"a"n under gyldnum beaige, 'pse,Y pa go-dan tweigen
sae-ton su"hterge-fse;derau; pa, gyt Avses hiera si'b 8etgjs;dere,
1165 ae-ghwylc o'prum try,we. Swy,lce pser U'nferp pyüe
set fo'tum säet frea'n Scyildiuga: gebwy,lc hiora bis fe-rbpe treoiwde,
J>8e,t he bsefde uiod nii-cel, piea,h ]?e he bis nia-gum nseire
aT-fest aet e-cga gela,cum. Spr8e;c p-a, i'des Scyildinga
1705 p>i-n ofer jpeo'da gehwy,lce. Ea,l ]7U hit gepyldum beaildest
mse-gen mid mo'des sny,ttrum. I,c pe sceal mi-ue gelseistan
freo'de, swa wit furjnim sprae.con; pn, scealt to fro-fre weoirpan
2367 oferswa'm p>a siolepa bigo,ug (schwellvers?)
2995 la-udes and lo-cenra bea,ga: ne J?o,rfte bim f>a lea'n o]?wi;tau
mo'u on mi-ddan-gea;rde, sy,]?]?an hie f>a mse-rpa geslo,gon;
11*
164 MORGAN
Capitel IL
Die gekreuzte ailiteration.
314r. Neben den o-ewölmliclien alliterationsscheraen aaax,
axay, xaay begegnen bekanntlich überall im as. und im ags.
alliterationsvers die Schemen abab und baab. Es fragt sich,
wie diese erscheinung zu beurteilen ist: d. h. einerseits ob der
nebenreim vom hörer gehört, andrerseits ob er vom dichter
mit absieht angewendet wurde. Streng genommen reducieren
sich diese beiden unterfragen auf eine grundfrage: war kreuzung
der ailiteration bewusstes kunstprincip der altgerm. dichtung,
oder war sie eine blosse Zufallserscheinung? Diese frage soll
hier von dem neugewonnenen Standpunkt aus behandelt, und
womöglich einer definitiven entscheidung zugeführt werden.
Zu diesem zwecke führe ich zunächst das material an, und
zwar zuerst das aus dem Beowulf in vollem Wortlaut, damit
man eine volle Übersicht auch über die art der fälle bekomme
(das vollständige material des Heiland *) s. unten 342).
Beowulf.
1 hwset we G^aT-De'na iu ge?i'r-da;g\\m
19 Scyläes cfl;feran Sce-de-laudum /,n.
32 f'aer set liylpe sioid /tringed-sieifua
34 aZe-don ßa,; Zeo'fue yjeo;deu,
39 /ii-lde-wseipnum and hesL-po-ivseüum,
64 pa wses Hro-]>ga,'.ve /tere-sped ^y'fen,
88 p>8et he do-gra, ge/twaiin drea-m gehjiräe
98 cynua ge/iwy;lcum, para f>e cwi-ce /iwy,rfaf>.
201 »jse-rne yjeo;den, pa hiin wses /»a-nna /)ea,rf.
209 Za-gu-cneftig J»o;n Za'nd-gemy,rcu.
282 and pa. ceaT-?üy;liiias co'h'an wu,YpiLp.
343 &eo-d-ge«ea;tas: £eo-wiüf is min >»a,ma.
355 pe; me se go'da a^i-fan y)e;ncef>.
365 l^set hie, y^eodeu mi;ii, wif> pe- mo;ton
') Für den Heliand habe ich die ausgäbe von Behaghel benutzt, für
die ags. dichtungen, abgesehen vom Beowulf, der auch hier nach Holder
citiert wird, die Grein -AVülkersche Bibliothek, nach deren auorduung die
beispiele aus den kleineren dichtungen angegeben werden. Die häufigkeit
der erscheinung habe ich für alle grösseren gedichte festgestellt, und es
wird hier stets berichtet, auf wie viele einfach alliterierende verse des be-
treffenden gedichtes ein beleg für kreuzung durchschnittlich vorkommt.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. IQl
374 peem to 7ia*m iorge&if llre-pel Geafta
397 Isetap» /dlde-&o:rd he-r on&iidau, (= onbidian)
418 forpan bie »Hse-geues cr0p;ft »ä'nne cu;f>on:
525 ponne zve-ne ic to pe i lüyrsun gefihngea.,
535 ivi,t f'set gecwse-don ciii-ht-?t'e;seude
566 be ?/-p-?a;fe «rppe lie;gou,
589 ive-r\\po f?reo;gaii, peab piu wlt chv.ge.
591 f'set ii?efre Gre'udel swa /e;la i/ryra ge/re;inede,
653 1/ro'pgar 2ieo"wulf, and bim /tae-1 aöea;d,
699 purb a-nes cr8e;ft ea^lle oferco;moi},
730 ?«a'go-rinca /iea;p: f>a bis wiO'd aMoig-,
779 pset bit a; mid geme'te »(a-nna ce;nig,
803 (/U'p>-billa »a;ii (/re'tan no;lde,
813 ac M,ne se »io-dga mse-g iZy;gelaces
829 G^ea't-mecga ?eo;d ^i-lp geZ?e;sted,
907 swylce o-ft be?»ea;rii (t-rran »(8e;lum
919 swi-p-Mlcgende to se'le pam Zteaiu,
971 to lri-wra,;pe Za-st «'ea;rdian,
1016 swi-}:'-7ti;cgende on se'le pam 7iea;n,
1131 /tri-uged-s/e-fuan : Zwirn s^oTme weol,
1140 gif be foTn-gemo;t p>urbfeo-n ?wi;bte, *)
1182 a-rum /teaildan, gyf p>u cet ponne /te:,
1184 ?re;ne ic fast be mid <yo"de ^yldan tvi;\le
1203 ne-fa 5'we;rtiuges, >tybstan si:]7e,
1262 to e-cg-&a;nan ffDgan öreiper,
1301 sefter ma-])pxim.-gi;% wise-rum 6rea;te.
1314 bwaepre him a-l-%'a;lda ce'fre ivv,\\e
1341 paes pe /)i-ncean H(8e:g />e'gne )«o;negum
1342 se pe sefter siiic-r/y;fan ou se-fau </reo;te}?
1403 sefter t<;a-ld-swa;]?um ivvö.e gesy;ne,
1406 pone se'Ze,staii sa"wol-Zea,sue,
1443 scolde 7teTe-&y;rne Zio-ndum ge?<ro;den,
1445 seo pe &a-n-co;fan öeoTgan cu;]?e,
1475 sno-ttra feingel, nu ic eom srpes fn'.s,
1482 swy,lce p>u pa, ma-dmas, pe pu me- sea,ldest,
1488 and pu U-nierp Z8e;t ecrlde Za;fe,
1535 po,mie be set givpe ge^a-n pe.ncep
1573 Ztwea:rf pa be «cea-lle, wse-pen Zta;fenade
1611 ssela and m?e-la: fset is so'p we;tod.
1652 ZiW0e,t we pe p»as sae--lac, su-nu ifea;lfdenes
1721 /j*,t be pses ge?ci'nnes weo'rc /)ro;wade
1728 Ziwi;lum be ou Zufaii Zse-tep Ziwo;rfan (?)
1732 gede;p bim swa gez<;ea-ldne it'OTolde f?0e;las,
1804 waeron ce-peZi;ngas e-ft to Zeo;dum
1824 giu-mena fZry;bten, ponue ic ryyt fZy,de,
1) Vers 1143 recbne leb zu den verderbten.
166
MOUGAN
1826
1836
1849
1892
1910
1933
1937
1939
1968
2020
2030
2053
2066
2091
2158
2162
2170
2181
2186
2223
2235
2261
2267
2337
2377
2385
2397
2106
2465
2479
2515
2567
2615
2637
2669
2726
2745
2875
2907
2954
2970
2998
3058
3066
3074
3080
3089
g\,{ ic pfet gefricge ofer /"lo'da be^yamg,
^i.f him l^onne Hre-j^ric to 7io-fnm Gea;ta
/b-lces /ivirde, nnd p\\ f>iu /eo'rh /taifast,
HO, he rnid /teaTme of /di"|?es «o;san
Z/U'nden-s<e;fna ofer 6n'ni-s(rea;mas,
Ha?;uig paet fZoTste deo'r ge»e;J'an
/ia-nd-geit'ri;pene : hi-d-]>e seo)?}?aii ivieis
pset hit scea-pen-jH^e;! scyran mo,ste,
6o"nan 0;ngenJ)eowes
/twidum for dwgnpe
tefter /eod-Zujire:
nu, her para fcaneua
sefter ceaT-«;se;lmum
wa"nigra su;nine:
cv!^?e:]) pffit hit /jgefde
&reo-st-geir8e;du.
>d-f>a /teairdum,
ac he »ia'u-cy;iines
(?ryhten «-eireda
ac for jf)rea'->ie;dlan
/)a-nc-7ty;cgende
aefter wi-g-/rn;man
swa ^io'mor-/«o;d
7ie;ht him J>a ge?ryrcean
/twse,p>re he him on /bdce
turgum un /;nnan,
(i'o-htor i7ro;pgares
Zytle /twi;le
6yre na:t-hwylces
colran tveo,rYdip.
hit ne midite .swa; ,
ifiorogar cy;nmg,
Bnvc ealles we:lV.
HQ-fa. swyf>e Tioild
?«8e-ste crpe;fte
gef?o-n ?fo,lde;
^e'gn na;t-hwylces
pser ge7ty;dde.
jüi'de fe:Yan
<?io'hpo ;Hfe;nde
it'i-gendra 7tleo;
/reo'nd-larum 7jeoild
7te, l^aer for /eoTme
swa he ni'pa ge7iwa;ne
se, wses on f>am ^rea'te
on pam /'eoTh-&o;nan
/eo"rh-wmide 7tlea:t
geneseu 7i0e;fde,
/)reo"t-teo)?a seicg,
/se-ghpe gefce;tan:
pset m?e-g-icy.ue
of eo-r)7-se;le
iüi'nia &ea;ldor,
ftrnn-fagne 7ie"lm,
gif him /)ys7i;cu
ce,fter pam <(;oTdum
]78et he c?s;g-7jwi;la
TTiglaf Zeo-fa,
si'gora ?t'a;ldend,
ofer JBio'itUjIfe,
pset he s8e--)Ha;nnum
syf'f'an y)eod-cy;uing
7ia-m-jfeo;r]7uuge,
ß&, wseg gesyne,
swa wses JSiowu.lfe
nses he (/odd-7tw8eites
px,t he ne ^yre-tte
nealles swae's7i,ce
?«i'ne gejfrsetcan,
ut gese,cep.
]7a se jt'yrm ge6ea;h
7mugde J'yrnan,
/)ea-rf ge?u,mpe,
?<jyrm ?/;rre cwom,
gedrogen 7i8e,fde,
nu se wy-TTü U'-gep,
p2et he hine sylfne gej<7r8e;c
T/yre Tri;hstanes,
onsaxan wn.hte.
ßyder onci;rde:
7tyldo to «-ejdde.
pset se sif> ne yjaih,
f>a he feiorges n:eaird
^feaTWor Ä3e;fde (== goldhw8et[e] )
(/oldweard po,ne,
sip aZy,fed
f
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 1G7
3162 /"oTe-snotre me;n /"inrlan mi,hton.
3164 c«:ll swylce /«yrsta swylce on ho-rde fe'.r
3180 cwae,dou Ipxt he ic2e-re «oyruld-cjjninga
(Häufigkeit der abab 1 : 15, der baab 1 : 11).
Die echten werke Cynewulfs.
315. Cr ist B (wegen der Scheidung von Crist A und B s. Cremer,
Metr. u. sprach!, unters., Bonn 1888): 818. 21. 33. 44. 69. 915. 35. 64. 90.
1064. 90. 1127. 59. 62. 1228. 56. 96. 1315. 21. 80. 1405. 18. 87. 8. 51. 87.
98. 1501. 19. 53. 78. 1612. 34. 94 (häufigkeit: abab 1 : 15; baab 1 : 12).
316. Juliana: 57. 68. 121. 254. 78. 90. 323. 84. 96. 407. 31. 58.
513. 5. 9. 530. 647. 58. 73. 84 (abab 1 : 13; baab 1 : 16).
317. Elene: 5. 9. 63. 70. 95. 8. 135. 40. 6. 78. 227. 50. 83. 335. 72.
4. 421. 45. 8. 92. 7. 565. 7. 717. 8. 810. 45. 66. 9. 910. 2. 4. 5. 1011. 67.
84. 1179. 97. 1260. 80. 4. 1314 (abab 1 : 13; baab 1 : 24).
318. GuthlacB: 791. 9. 814. 49. 51. 68. 79. 908. 60. 5. 1034. 63. 6.
1109. 24. 1238. 41. 79 (abab 1 : 13; baab fehlen).
Die Cynewulf fälschlich zugeschriebenen
dichtungen.
319. Crist A: 2. 13. 16. 29. 100. 58. 60. 216. 30. 46. 50. 326. 52.
95. 423. 31. 50. 60. 7. 561. 600. 729. 61. 6. 87 (abab 1 : 10; baab 1 : 8).
320. Guthlac A: 4. 97. 159. 69. 251. 87. 97. 356. 60. 79. 93. 420.
4. 49. 91. 5. 545. 70. 607. 701. 18. 52. 3 (abab 1 : 13; baab 1 : 23).
321. Andreas: 5. 33. 76. 94. 112. 31. 42. 321. 5. 63. 378. 93. 9. 417.
8. 517. 54. 70. 607. 31. 7. 73. 91. 2. 807. 13. 8. 47. 54. 965. 8. 9. 81. 1032.
49. 66. 1137. 52. 85. 1223. 1363. 1416. 47. 1580. 1619. 59. 98 (abab 1 : 16 ;
baab 1 : 14).
322. Phönix: 1. 5. 31. 50. 87. 91. 235. 54. 6. 92. 374. 88. 411. 22.
43. 50. 512. 52. 637. 55 (abab 1 : 13; baab 1 : 7).
Die bibeldichtung-en.
323. Genesis A: 5. 10. 41. 100. 13. 201. 25. 861. 81. 909. 25. 48.
90. 1010. 93. 1114. 8. 40. 1221. 48. 51. 7. 8. 62. 72. 3. 91. 8. 1307. 31. 43.
6. 50. 4. 9. 1413. 45. 56. 90. 1505. 60. 85. 1604. 38. 96. 1704. 11. 40. 1846.
58. 1914. 7. 25. 54. 2003. 8. 40. 73. 97. 2152. 2239. 80. 92. 2319. 33. 43.
52. 89. 90. 9. 2503. 6. 9. 12. 46. 7. 2600. 7. 21. 32. 46. 97. 2700. 3. 9. 21.
67. 71. 4. 86. 9. 2807. 32. 63. 78. 81. 5. 2904. 6 (häufigkeit: abab 1 : 15,
baab 1 : 18),
324. Exodus: 63. 124. 80. 97. 208. 59. 99. 323. 6. 50. 522. 50 (abab
1:30; baab 1 : 10).
325. Daniel: 9. 63. 75. 80. 124. 30. 76. 231. 94. 312. 34. 412. 30.
535. 42. 7. 70. 9. 614. 8. 36. 52. 97. 703. 27. 34. 6 (abab 1 : 15; baab 1 : 12).
168
MORGAN
Kleinere ags. gedichte.
Band I.
326. Widsith: 44. 127; Waldere: A 17. B 4; Finnsburg: 25;
Wanderer: 12. 31. 59; Seefahrer: 52. 7. 85. 111. 7; Klage der frau:
48; Botschaft: 11. 19; Zauhersegen: 1,26. 52. 60; Runenlied: 2.40.
92; Denksprüche: 1,50. 2,8. 3,124; Des vaters lehren: 55. 58;
Byrhtnoth: 19. 24. 34. 63. 8. 98. 151. 9. 167. 170. 197. 255. 6. 285. 9.
311. 320 (abab 1:7; baab 1:10); Aethelstan: 14. 83. 48. 50. 7; Ed-
mund: 6; Eadgar: 1,1. 2,1; Eadweard: 10.
Band II.
327. Seele und leichnam: 5. 149; Kreuzlied: 91. 108. 126.154
Gebete: 1,3. 4, 54. 86; Vater unser: 3,81. 110; Gloria: 26. 35
Credo: 16. 19. 53; Vom jüngsten tage: 84. 88. 113. 153. 4. 7. 9. 165
246. 78. 85; Lar: 7. 19. 33. 64. 77; Aufforderung: 8; Lehrgedicht: 9
Heiligenkalender: 7. 9. 65. 81. 194. 203; Judith: 78. 83. 5. 112. 137
150. 5. 165. 173. 7. 215. 235. 253. 270. 311 (abab 1:10); Genesis B: 245
277. 554. 582. 635. 646. 686. 829. 844; Azarias: 125. 186; Christi
höllenfahrt: 54. 69. 99. 210. 250. 1; Gefall, engel: 5. 41. 53. 81. 107.
219. 284. 360; Versuchung Christi: 25. 32. 41. 6 (abab 3 : 19).
Band m.
328. Der menschen gaben: 10. 106. 7; Der menschen gemüt:
12.30.53. 69. 78 (abab 4: 23); Der menschen geschicke: 54; Wunder
der Schöpfung: 33. 60. 98 (abab 1 : 12); Panther: 16. 27. 44. 5. 7;
Walfisch: 43.52.74 (abab 1:13); Jüngstes gericht: 96.102; Höllen-
fahrt Christi: 50. 89. 128; Pharao: 6; Rätsel: 4,13. 55. 6,3. 10,12.
11, 6. 16, 10. 14. 17, 6. 10. 18, 2. 21, 31. 23, 6. 27, 1. 18. 28, 4. 29, 5. 32, 9.
17. 40,1.») 41,34. 46. 51. 60. 83. 90. 104 (abab 1:8). 43,8. 9. 44,1. 9.
(abab 2: 11). 45,5.6 (abab 2 : 6). 49,6. 52,5. 55,7. 56,9. 62,3. 76,1.
84,28. 88,27; Metra: 1,1. 16. 24. 38 (abab 1:10). 3,5. 4,39. 45. 5,13.
7, 8. 40. 8, 14. 31. 43. 52 (abab 1 : 8). 9, 47. 10, 10. 37. 52. 11, 5. 20. 28.
52.2) 70. 5. 81. 100 (abab 1:10). 13,10. 25. 43. 79 {doan = don). 80 (abab
1 : 8). 15, 15. 16, 4. 17, 20. 23. 19, 9. 15. 20, 6. 10. 18. 22. 28. 30. 36. 39.
50. 2. 3. 63. 102. 110. 2. 4. 23. 52. 91. 2. 275 (abab 1 : 13; baab 1 : 8).
21, 4. 22, 25. 29. 23, 2. 24, 15 (die kreuzung ist nur zu erschliessen, denn
das erste wort der ursprünglichen langzeile ist nicht überliefert; der fall
ist indessen nicht zweifelhaft). 25, 29. 26, 19. 33. 40. 69. 27, 15. 23. 29, 4.
43. 72 86 (nach der ergänzung von Grein). 96. 30,15; Salomo: 27. 155.
222. 262. 4; Psalmen: 52,4. 53, 3. 5. 54,15. 22. 23. 55,9. 56,12. 57,2
(zwei fälle). 9. 58, 6. 59, 5. 10. 60, 3. 5. 61, 12 (die übrigen psalmen habe
ich nicht durchgesehen: es sind die dichtungen, bei denen das aufzählen
der kreuzungen am meisten ermüdet).
1) Rätsel 40, 1 ist sie statt sy zu lesen.
^) Metra 11,52 b lese ich mit Sievers iciperweardes hivcet.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 169
329. Nicht ganz unwichtig scheint die tatsache zu sein,
dass einige dieser verse widerholt erscheinen, nicht nur im dem-
selben gedieht, sondern auch in verschiedenen. Nicht selten
sind es langverse neben häufigeren halbversen. AVenn die
gekreuzte all. ganz verpönt gewesen wäre, so müsste man
sich wundern, dass gerade verse mit kreuzung der all. hätten
entlehnt werden sollen.
Folgende widerhol ungeni) kommen vor:
Beow. 32 paer set hjpe stoiX /tringed-sfefna
Beow. 1131 /ainged-sfefnan Äolm s^orme weol
Beow. 201 JHserne peoden ]'a him wpes »(anna pea.rt
An. 94 »(feres peodnes he his magn-pegne
Beow. 282 and pa cear-H'ylmas colran wurpap»
Beow. 2066 sefter cear-Jt'aelmiim colran «üeorpap
Beow. 779 pset hit a mid ge?«ete wianna cenig
Metr. 26, 69 o]'> pset him ne »^eahte «lanna cenig
An. 517 manna «"nigne ofer »»eoüides est
Beow. 919. 1016 swip-Ztycgende to sele pam /iean
Beow. 1312 se pe seiter sinc-(yyfan on sefan gieotep
Cr. 460 hiera sinc-^iefan sona w?eron ^earwe
Beow. 2181 ac he >»an-cynnes mseste crfefte
Guth. 169 mid mon-cynne »«aran craefte
Beow. 2907 ofer JSio^üulfe 6yre irihstanes
Beow. 3066 swa wses J3iotüulfe pa he öiorges tüeard
Cr. 250 purh ]?inne /ter-cyme /iselende C'rist
Hei. 2278 Äelandeo Crist ef he te is /jandun ^uam
Cr. 821 in psem gsest-hoie scyle r/umena ge/twylc
An. 1152 ^umena ge/iwylcum para pe r/eoce to him
Metra 8, 43 pset ]?eos ^itsuug 7tafaf> r/umeua ge/iwelces
Cr. 1315 mid Zic-7joman Zeahtra ge/tygdu
Guth. 360 pset he his Zic-/iomau Zade /teebbe
Hei. 4099 an thene Zic-7tamon he bigan is Zithi /trorien
Hei. 5787 that sia thena Zic-/tamon Ziobes /lerron
Cr. 1438 swylce hi me ge&lendon ftittre tosomne
An. 33 syppan him geilenden öitere tosomne
El. 5 acenned ivearlp cyninga ji-iüdor
El. 178 acenned wearj? cyninga i^uldor
1) Es handelt sich natürlich nur um die hebungsträger.
170 MORGAN
An. 854: in J^ara ceole JCfes cyniug-a n'uldor
Jud. 155 cyninga «'uldor f'at gecjpeü ?rear]?
Au. 418 ?fiildor-c3'uinges swa ]n\ worde becwist
An. 1447 sefter lüord-cwidura tüuldor-cyninges
El. 445 a/faugen w?es /teofonrices ivearA
El. 718 a/taugen Jüses /teofonrices «ceard
Gen. 2073 /teofonrices Ji^eard /tergas wurdon
Kreuzlied 91 ofer /tolm-!<;udu /teofonrices weard
El. 810 «tiddan-f/eardes sie pe «i?egeua //od
Cr. 787 in »«iddau-r/eard «tpegua f/old-hord
El. 1084 «?rj?an me ge/ylle /jeder fplraihtig
Jul. 658 /"seder «'Imilitig pser ge /rofre ogun
El. 866 op ]?pet liini gecyl^de cyniug fplmihtig
Cr. 395 and mid hira /iprum /rean o'hnihtgcs
Gen. 5 /'rea admihtig nses him /ruma <:efre
Gen. 1359 and eall pset to fsesle /rea celmihtig
An. 76 forgtif me to are fdmihtig <7od
Gen. 844 pe him cer for^eaf fflraihtig r/od
Vater unser 8, 110 «Imihtig r/od are and gitnes
An. 378 pEet he Zifr/ende /and ber/ete
Dan. 618 ]?ara pe eft /i%ende /eode betete
An. 517 ?«anna «uigne ofer »«eotudes est
Gen. 1251 ofer metodes est v«onna eaforan
Au. 554: on «tod-sefan wtaran suyttro
Wanderer 59 for hwau ?«od-sefa min ne gesweorce
Au. 1032 fore hispenra, /tilde-yjrymme
Ps. 57, 9 and his /landa pwehp ou /tse/jenra
Guth. 570 uuder nearoue clom nergende C'rist
Hei. 2912 thera «ahtes cuman neriendo C'rist
Guth. 718 stod se t/rena tcong in r/odes w?ere
Eäts. 41, 51 and wiägie\r& ponue J?es wong r/rena
Rats. 41, 81 and wiägieh». ponue f>es trong r/rena
Gen. 113 heim, eall-wihta /teofon and eorpan
Hei. 41 Äimil endi ertha endi al that sia bi/tlidan cgun
Hei. 591 uudartuisc ertha endi /timil other /tuerigin
Gen. 277 pset ne ^ode jt'olde r/eongra w-eorpan
Metra 1, 38 penden r/od lüolde pset he Goteua gezoeald
Ps. 52, 4 pe goA wohle georne ?cyrcau
Gen. 925 abead eac Ä-d&me ece rfryhten
Gen. 2632 ece f/ryhteu swa he oft dyie
Ps. 55, 9 and ic ealue dieg ecne (Mhteu
ZUR LEHHE VON DER ALLITERATION. 171
Gen. 1221 fer bis swj'lt-^Zsege suna and dohtra
Eäts. 10, 12 siina and r?ohtra py heo swa dyäe
Gen. 1248 op f>a?t öearn ^odes ftryda onfyunuon
Hei. 3655 the tliar be 7/iericboZ>iu'g- te themu ryodes ?>arne
Gen. 1858 ffpelinga /;elm liebt J.bi-aAame
Gen. 2721 to ^Ibra/tame ci'J'elinga /tclin
Gen. 2767 bine Abraham. on bis ageue /tand
Seele u. 1. 149 pa syn-fullan and ]>a so]7-/?estan
Ps. 54, 22 ne syle]? be sop-/kstum syppan tu /eore
Gefall, e. 360 and hie gesegnaj? mid bis swipran honi
Chr. höllenfabrt 250 and heo gesenap» mid bis swiprau /tand
Ps. 59, 5 do me j^iu seo swipre /tand sjmble /talne
Metra 11, 5 ^/ngesewenlicra and eac swa sarae
Metra 20, 6 rmgesewenlicra and eac swa same
Metra 11, 28 bis ge!Peald?ef>er irille ontetan
Metra 11, 75 pa geweabUeperii toile onZsetan
Metra 22, 25 forpaem pses Zic-/joman ?eabtras and heügnes
Metra 22,29 psea ?ic-7toman Zeabtras and /tefignes
Hei. 2072 obar G^alileo Zand Jiuleo ?iudiuu
Hei. 2075 tbero tbe hi tbar an G^ali/ea Judeo Ziudiim
Hei. 3171 eft au G^alileo Zand sobte is r/aduZingos
Hei. 5036 th&t man ina aZate Zetbes thinges
As. Gen. 65 Umt tbu mi aZatas Zetbas i/üngas
330. Früher hat man die frage nach einer bewussten
Steigerung der all. gern mit allgemeinen erwägnngen beant-
worten wollen. So meinte z. b. Hörn (Beitr. 5, 164 ff.), eine
solche erscheinnng sei gegen die natnr des av. Ihm entgegen
stellten sich Ries (QF. 41, 125 f.), Vetter (Zum Miispilli s. 52 ff.),
und neuerdings Lawrence (Chapters on Allit. Verses. 38), welche
alle meinen, sie sei leicht und sicher zu rechtfertigen. Wenn
sich aber auch beide meinungen durch theoretische gründe
stützen lassen, so ist das auf beiden seilen immerhin nur eine
unergiebige petitio principii. A priori lässt sich weder für
noch gegen die möglichkeit oder Zweckmässigkeit einer Steige-
rung der all. etwas bestimmtes sagen.
331. Neben allgemeinen erwägungen hat man dann zahlen
und Verhältnisse herangezogen. Frucht (Metr. und sprachl. zu
Cjmewulf s. 75 ff.) war wol der erste, der sich in der öft'ent-
lichkeit (auf ähnliches war Sievers schon früher gekommen,
172 MORGAN
wie ich mitteilen kann) auf eine allgemeine walirsclieinlicli-
keitsrecliuung stützte. 'Falls gekreuzte all. (s. 76) Aveder ge-
sucht noch gemieden wird, müssen wir erwarten, unter je 19
Versen (sc. mit einf. all.) einen mit gekreuzter all. zu treffen.'
Da in den Cynewulfischen dichtuugen diese zahl nach Frucht
nicht erreicht ist, so meint er, die kreuzung sei nicht gesucht,
eher noch vermieden worden (er hatte aber offenbar vieles
übersehen, wie aus den oben gegebenen zahlenbelegen her-
vorgeht).
332. Gegen Frucht hat bereits Emerson (Journ. of Germ.
Philol. 3, 127 ff.) einwände erhoben; seine argumente sind aber
meist hinfällig, sodass seine polemik keinen erfolg erzielt hat.
Was er namentlich auf grund von Sweets Wörterbuch über
die häufigkeiteu der verschiedenen anlaute ausführt, entspricht
den tatsächlichen Verhältnissen nicht, Z. b. 'Since any vowel
(s. 134) may alliterate with any otlier, the chance that some
vowel will recur is much greater than that any particular
consonant will be repeated.' Nun finde ich im Beowulf, nach
Untersuchung von 1000 versen, dass sämmtliche vocale zu-
sammengerechnet au der y- stelle (axay) weniger häufig er-
scheinen als 10 der übrigen anlaute; während sie an der
X- stelle nur zwei andere anlaute an häuflgkeit übertreffen,
nämlich sp und t. Also darf man ohne weiteres die vocale
zusammenrechnen und sie als eine klasse den einzelnen con-
sonanten gleichstellen. Ferner sagt Emerson mit unrecht:
'Any ratio of accidental occurrence depends on the assumption
that each sound occurs initially as often as any other', welche
annähme er sodann widerlegt. Wenn aber ein laut häufiger
als ein anderer vorkommt, so kann man erwarten, dass dieser
laut sich auch häufiger im nebenreim zeigte, sodass das Ver-
hältnis 1 : 18 (Frucht hatte vergessen, dass ein anlaut bereits
für die hauptalliteration benutzt wird, und folglich die zufällige
häufigkeit einer kreuzung nach seinem princip 1 : 18 sein würde)
trotzdem ziemlich constant bleiben kann.
333. Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass Frucht
recht hat. Ich habe nur hervorheben wollen, dass Emerson
nicht den richtigen weg eingeschlagen hat, P'ruchts annähme
zu widerlegen.. Dass diese sich in der tat nicht halten lässt,
erhellt aus folgenden tatsachen.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION.
173
38-1-. Vor allen diiig-en hat Frucht nicht untersucht, wie
es mit den anlauten wirklich steht. Seine bereclinung setzt
als unbeding-t erforderlich voraus, dass die reihenfolge der
anlaute an stelle x (axay, xaay) mit der an stelle y in allen
punkten übereinstimme. Das ist aber nicht der fall, schon
deswegen nicht, weil die hebung-en des ersten halbverses anders
besetzt sind, als die des zweiten (was aus unseren tabellen im
ersten capitel klar hervorgeht). 55 proc. der verse mit einf.
all. haben nomen an der x-stelle; an der 3-stelle nur 44 proc.
44 proc. haben verbum an der y- stelle; an der x-stelle bloss
7 proc. Und diese Verschiedenheit der Wortklassen bringt not-
wendigerweise grosse Verschiedenheit der anlaute mit sich.
Im Beowulf liegen die Verhältnisse, wie sie in der folgenden
tabelle zusammengestellt sind.
Anl.i)
w .
voc.
g-
t
1
d
b
sc
h
V
s
n
m
f
k
sp
Der grund für die gewaltige abweichung der vierten reihe
der tabelle liegt darin, dass die ersten hebuugen der A3-verse
(die ja allein bei den xaay in betracht kommen) vorwiegend
X
y
x>
. 99
120
7
. 29
52
15
. 72
52
—
. 17
36
1
. 79
62
—
. 67
52
—
. 76
63
1
. 38
51
—
. 96
85
13
. 44
55
33
. 70
12
. 36
10
. 84
3
. 63
2
. 52
2
4
1
*) Geordnet ist nach dem grade der bäufigkeit. Für axay wurden
1000 Zeilen vmtersucht (wobei natürlich nur erste balbverse mit einfacher
alliteration in betracht kamen); für xaay nur 100. Die anlaute, die unter
dem strich stehen, kamen fast gleich häufig vor, also werden nur die
zahlen für x angegeben. Bei x^ (d.h. der x-stelle der verse mit dem
Schema xaay) kamen auch r und st gar nicht vor.
174 MORGAN
mit seh wachen partikelu besetzt sind, unter denen namentlicli
^a, J)cef, J)onne stark vertreten sind (daher das überwiegen
des sonst nicht häufigen ^j- lautes). An solchen Verhältnissen
muss jeder versuch scheitern, die Wahrscheinlichkeit eines
durch Zufall bedingten nebenreimes zu bestimmen. Nur dies
kann man sagen, dass die häufigkeit der kreuzungen (nach
aus weis der tabelle) viel geringer sein würde, als man bisher
geglaubt hat, wenn die dichter nicht darauf geacJitet hätten.
335. Allerdings ist Frucht bei den ergebnissen seiner be-
rechnung nicht stehen geblieben. Er hat auch andere gründe
theoretischer natur herangezogen, indem er ausführt, man
hätte die secundäre all. in versen von bestimmtem Charakter
erwarten sollen, falls sie absichtlich wäre. Er beruft sich
nämlich auf die bekannte regel, dass doppelall. stetig zunehme
mit der wachsenden füllung des ersten halbverses, mag diese
nun aus vielen leichten oder aber aus wenigen schweren silben
bestehen. Wir finden z.b., dass die doppelall. bei den A häufiger
angewendet wird, wenn die innere Senkung anschwillt; und
auf der anderen seite finden wir doppelall. fast ausnahmslos
bei einem 'schweren' typus wie A2. Nun sagt Frucht, eine
bewusste kreuzung der all. müsse unter ähnlichen bedingungen
vorkommen, d. h. sie würde am häufigsten in sog. schweren
versen begegnen. Da er aber die kreuzung nicht einmal vor-
wiegend in solchen versen findet, erklärt er sie für zufällig.
Dabei verwechselt er aber offenbar zwei ganz verschiedene
dinge, nämlich kreuzalliteration und doppelalliteration. Auch
haben wir bereits den versuch gemacht, zu zeigen, dass die
'schwere' des verses an und für sich mit der anwendung der
doppelall. nichts zu tun hat, da sich ergab, dass nur musika-
lische Verhältnisse massgebend sind, und nicht dvnamische.
Gleichton der beiden hebungen fordert gleichmässige mar-
kierung durch den Stabreim; aber es wäre nicht einzusehen,
wie die 'schwere' eines ersten halbverses doppelte reimver-
bindung mit dem zweiten halbvers fordern sollte.
836. Endlich darf noch erwähnt werden, dass die Wahr-
scheinlichkeitsrechnung auch insofern unergiebig ist, als die
tatsächliche häufigkeit der gekreuzten all., wie ich sie oben
festgestellt habe, die er Wartung übersteigt. Ich hatte schon
oben betont, dass ki'euzalliteration als blosses zufallsproduct
ZUR LEHKE VON DER ALLITERATION. 175
wol weniger häufig zu erwarten sein würde, als man bisher
geghiuLt hat. ^Yir finden aber, dass auch das Verhältnis von
1 : 18 in den meisten fällen übertroffen wird, wie aus folgender
tabelle erhellt. In einigen kleineren gedichten fand sich sogar
ein beispiel von kreuzalliteration auf je 7 — 8 verse.
Gedicht ') abab baab
Crist A 10 8
Guthlac A .... 13 —
Juliana 13 16
Elene 13 24
Guthlac B .... 13 23
Phönix 13 7
Crist B 15 12
Beowulf 15 11
Genesis A .... 15 18
Daniel 15 12
Andreas 16 14
Heliand 22 (?) 23
Genesis B .... 25 44
Exodus 30 10
337. Aus diesen erwägungen und tatsachen erhellt zur
genüge, dass man sich mit den bisherigen anschauungen über
die gekreuzte alliteration nicht zufrieden geben kann.
338. Einen besseren anhaltspunkt für eine theorie dieser
erscheinung gewähren wider die musikalischen Verhältnisse.
Wie oben ausgeführt, nehmen nur führton und nahton an der
gewöhnlichen all. teil, indem meist führton (aber auch bis-
weilen nahton) mit führton reimt. Für die verse mit kreuzung
muss analoges gelten; aber das Schema wird dadurch erweitert,
dass hier regelrecht nahton mit nahton reimt, und es ist mir
wahrscheinlich, dass in einer reihe von fällen sogar fernton
mit nahton reimt. Die belege für kreuzung aus dem Beowulf
habe ich bereits angeführt, mit bezeichnung der tonhöhen.
Eine Zusammenstellung gibt folgende zahlen:
') Die zahlen geben an, auf wie viel verse mit einf. all. im durch-
schnitt ein vers mit kreuzalliteration entfällt. Beim Heliand habe ich ein
f ragezeichen gesetzt, weil bei Kauffmann (Beitr. 12, 283 ff.) die zahlen für
den Hei. nicht stimmen: sie machen nur rund 5500 verse aus. Wenn die
übrigen verse, wie mir wahrscheinlich ist, zu denjenigen mit einf. all. ge-
hören, so ist die häufigkeit der gekreuzten all, wie sie in der tabelle
steht; andernfalls hätten wir eine kreuzung auf je 19 verse.
176 MORGAN
a) Gleiclitou beider halbzeilen: 1131. 2615. — b) Gleichton
im ersten halbvers, nahtoii*) im zweiten: 1. 653. 1175. 1611. 2745.
— c) Naliton in beiden hälften: 32. 4. 9. 88. 365. 74. 97. 418. 525.
66. 89. 91. 699. 730. 79- 803. 29. 907. 19. 71. 1016. 1140. 82. 4. 1203. 62.
1301. 14. 41. 2. 1403. 43. 5. 88. 1573. 1728. 32. 1849. 1910. 33. 7. 68. 2020.
30. 91. 2158. 62. 70. 81. 2224. 35. 61. 7. 2337. 97. 2465. 79. 2567. 2875.
2970. 3074. 3164. 80. Dazu 2 verse, die im ersten halbvers einfache Wörter
haben: 1804. 2435 (65 mal). — d) Nahton in der ersten halbzeile,
ferntou in der zweiten: 19. 98. 201.9.82. 343. 1824. 1939. 2066. 2186.
2515. 2726. 2954. 98. 3162. Dazu mit einfachen Wörtern: 64. 2637
(17 mal). — e) Fernton in der ersten halbzeile: 355. 535. 813. 1406.
82. 1535. 1652. 1721. 1826. 36. 92. 2053. 2377. 85. 2406. 2669. 2907. 3058.
06. 81. 9 (2 t mal).
339. Wol sicher beabsichtigt ist der reim bei a — c. Bei
a und b ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass der nebenreim
eine art ersatz für die zu erwartende doppelalliteration bietet.
Bei c liegen die Verhältnisse so, dass führton mit führton,
nahton mit nahton reimt. Wol als unbeabsichtigt zu be-
trachten ist dagegen der reim bei den zwei einfachen Wörtern,
desgl. bei den versen, wo die nahtöne der zwei vershälften
nicht beide 'gehoben' oder 'gesenkt' sind: 730. 1937. 8074.
Dasselbe gilt von den versen, die im ersten halbvers fernton
zeigen: es sind hauptsächlich A3 -verse. Bei allen belegen
entzieht sich die ferntonige hebung (die auch keinen beson-
deren nachdruck erhält) fast ganz der aufmerksamkeit des
hörers, ausser vielleicht bei Beoivulfe 2907. 3066.
340. Dagegen m(3chte ich die kreuzungen der klasse d
als beabsichtigt ansehen. Der fernton im zweiten halbvers
ist in fast allen fällen durch stärkere interpunction hervor-
gerufen, und die Wörter selbst, die ihn tragen, sind recht
kräftig. Und wenn bei doppelall. nahton mit führton reimen
kann, so wäre es nicht auffallend, wenn auch ein nebenreim
nah- und fernton binden könnte. Ausschliessen würde ich nur
JjysUcu 2637; bei Hro])gare 64 höre ich dagegen den reim
noch deutlich.
341. Danach haben wir also im Beowulf 86 fälle bewusster
geki'euzter all. anzuerkennen.
^) Da jede halbzeile einen führten haben muss, so genügt es, bloss
den ausweichton zu bestimmen.
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 177
34:ti. Im Hell and liegen die Verhältnisse nicht unwesent-
lich anders, weil die tonfolgen überwiegend einen anderen
Charakter tragen als im Beowulf. Die belege für kreuz-
alliteration sind zuncächst:
20 that sia H-ord go'.Hes toi-seau Z>igu;nuuii,
19 iu-cas endi Jo:hannes; sia warun go'Ae /ie;ba,
41 hvmW eudi e-rda endi al that sea t)i/tli-dau e;g\m
44 hnilic thau ?iu'dsceipi /a-ndes sco,ldi
58 /ie'liiig'i<ro:steon: saton ira he'nto'.gon
146 than ?t;a,run wit nu atsa-mna antsi-bunta wiintro
163 seibo giidirkeau, of he so- iüe;ldi.
169 hebbeaii tbinaro sfe-mna gi?raild: ui tharft thu stxvm we,san (?)
182 »ia-hor «ü;kilu: was im »du'd «äikil
225 tho sprac eft the fro"do ?>iafn, the thar Consta fv\o w?a;hlian :
226 ni ^i;bu ic that te ra-de (quad he) ri-nco ne^reiuuu,
227 that he word goiäes ?ce-ndean bir/i:nna;
254 Jo'seph giHia;hlit, (/o'des cunnies »lain,
308 so 7tui,lik so thar an «-nreht rdis gi/äiwida,
309 that siu simbla thaua Z^e-dsA-eipi iu'ggean sco,kla,
335 al te 7ai-ldi r/oides /ie'lagna ^eiat,
417 suido 7ve-rdl\'.co jücrduu ?o;boduu:
418 rfiurida si' nu (quadnn sie) c?ro-htine se;lbun
481 <jfeTno Z^iiddean, nu ic sus gi^fa^malod Z>iu;m,
573 /iwa,ud im habde forZi-wau /iu"dio /teirro,
591 uudartuisc e'rda eudi /jimil o'dar /aieirigin,
686 7«o-dagna cu,uing. tho ward »«OTgan cuiman
756 an ^'-gypteo ?aind erlös ant?e;ddun,
817 bihwi gio so M'ndisc ??!a!u sulica gui'di ?Ha;hti
885 that gi thurh min Aandgiifeirc /du-ttra ?üe;rdan
1010 go-ies egan ftairu, ^u'mouo &e;zto,
1030 ioe,\i?i is thar latan co'ston cra-ftiga i(;i;hti,
1046 them he J.(?aiman an erfZa:gun
1058 forutar /«a'ucunnies ?t'iiht j?;a-htig i<;a;ri,
1065 he/twii ni hetis thu than ?i-e-rdan, ef thu giwa-ld /(a;be8,
1068 ni mugun e-ldi&airn (quad he) e'nfaldes &ro:des
1079 that he umbi is cra'ft wäikil co'ston 7Ho;8ti,
1198 fZiu-rie /«eidmos, endi ward im uses dro-htines w?a;n;
1226 tbie ira rrlaHfoisnie a-rmun «ia;nuun
1379 wirdid adlun th&'.n rrmin/7fio;dun,
1464 ftaTno ge/mülicum, that gi ne mugun mid giiodgono 7iU;gi
1697 that hi wnreht gimeit o"drumu >«a;uue
1725 the iuwa /(edag ?t'o:rd Äo-reau ne «'i;llead,
1747 that the godo boim gwaxono iia;rnuu
1) Nach der herstellung von Sievers.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. j^2
178 MORGAN
1785 an that e'wiga /iif erlös Ze,dea.
1819 an sa-nde wiili se'lilius tt'i;rkean,
1885 hebbead wid ctIo ge/tueine cnfaldan 7iu;gi,
1917 tliea williad alloro da-go ge/niiilikes te f?ro-litine 7mi;gan,
1929 than gi Zidan scn;lun aftar tliesumu Zands/ceipea,
1957 so /mei so in tban ant/a-bit thurb /e'rhtan /iu;gi,
2003 gi&'-G hi tbar gecu'dde, tbat bi babda cra-ft go-Äes,
2072 obar (^a-lileo Za;ud Jii'deo ?in;diun,
2073 huo tbar selbe gedeida sunu f?ro;btines
2075 tbero tbe hi tbar au 6ra-li?e:a Ju-deo Ziuideon,
2099 fro- min tbe go'.do. tbo sprac im eft tbat /ri'dabaru ryo;des
2253 te /Uli: sind gi so /brbta? (tiuatbie). uis in uob /a"st /ui;gi,
2278 /le-laudeo Cri'st, ef be te is /ta-ndun ^naim,
2287 tbat he a-loiüa'ldo «-lies ?üa;ri,
2388 huat, ik in se-ggeau m&ig (quad be) gesidos }?ii;ne,
2i90 ^u-mouo ge/aii;licnmu, so uis r/o'ldes /eoird
2532 that it bi/iaddan mu'.gi 7teTta thes ?Ha;uues,
2573 Zaiton it thar /tadoiau /te-ta lo;gua,
2598 ^rbiles endi r/o;des. tban gaugad e-ngilos ^oides,
2726 «;i;ssuu iua so ^o-deu endi fyo'de u-eirden,
2758 »ikeas miiues, thob gidon ik, tbat it enig rinko ui «Ja;g
2783 thes thio-ägiV.mon endi it tbar tberu t/tioTuun far(/a;f,
2829 that sie thurb j«e"ti/oisi wä-ua farZa;tan
2868 ftro'des te leihn, tbat man Z>i-rilos gi?a;s
2912 thera «a'btes cuimau — «e-riendo Criist
2980 //ia,t sie simla ge-rno go'de i7tio;uodin,
3150 au minun /ni"gis/i-e:ftinu. tbemu gi /iorien scu,lun,
3171 cft au G^a'lileo /a:nd, sobte is (/a'du/i,ngos,
3189 tbero /tobidscaitto, tbe sie te tbemu hohe sco,ldin,
3244 Ze'dwerk gicZualn, Zeo'bo fZro;btiu,
3254 tbat tbu niiues /ä'^ciiskes Aerost ?ra,ris,
3260 habde imu o-diveilon adieu geit'U;uneu,
3269 tbat thu m&'n ui slaih, ui thu ?He-nes ui sneiri,
3412 quad tbat imu eu salig ^uimo sa-muou bi(jfu;nui
3422 an tbie elliftuu ii,d. thuo geug tbar «•band tnoi ,
3520 /o'ward tt-a,run : thes ui mag euig /uedio jre;rden (quad he),
3655 tbe tbar bi üie-ricboT/uirg te tbemu ^o'des ha,;vne
3692 thea lüurdegisZ-eifti, tbe tbi noh gijüeTdeu scu,lnn,
3815 sie ?feilduü tbat be it ant^-ua'di : than mähte be thob antZre^n-
3827 sie /]fua:dun tbat it tva,-n ?reTold^'e;sures [uien tveil
3907 au thene wih eiuuan: buarf ina zuerod «,mbi,
3981 /ua* wa'.ht endi dagas. thiu tri was thuo gena;hit,
3993 T/iUomas giwfadda (was im gi^/nvngan m&inn,
4085 au tbemu erd(/ra,be. «udwordi gaif
4099 an thene Zic/<a;mou: he bigan is Zidi /iroirien,
4112 e'ndi sie bidu Ibun diapo uudar e;rdu
4157 than al thit ?iud2/je;rod farZoreu weivde.
ZUR I>EHRE VON DER ALLITERATION. 179
4362 so samo so thiu /lo-d rfeicla an /u-rn(7a;gun,
4368 urabi »S'odomo W.nä suart /o;gna bifeng
4570 he-lag rZroihtin, so ward imii is /mgi (/ro;bi,
4639 eudi min //lo'd so sa;iue: gib« ik iu ber /jcdiu saiinad
4846 selbou /te;tid. ina quaiuuu wi so-keau he'.rod,
4852 alle e'fno sain, erde gisü;btiin,
4898 he sniltit imu eift sue'rdes e;ggiuu,
4902 7;o-bidiru:ndon, tliat siu san gi/ie'lid wa^rd,
4905 ef gi mi /e'des jciibt ?e-stien «reddun,
4957 JHa-gad un«;a;nlic: buat, tliu mabtis ma-n 2ve'.äa,n (quad siu),
4961 5ua;d that he thes «i'ibes it'oid ni bi/.oiusti
4979 so it the giHjaTcoide, the wa"n/ai;nuies
5009 that io ?/ta'nues sxiimx me-r gisa;hi
5036 th{i;t mau ina a?a-te fe'des tläinges,
5157 /tua;t he wid is /radiou ge/'ru'mid /ia;bdi:
5234 obar /tlu-st »ni;kil, that he an themu /^afton maiui)
5236 for themu /'odcs^-eipi, so he wari bis /e-rbes sco;lo,
5334 that man sulica /iriu2ui;di /'e'rabu copo.
5342 /nia,t bist thu ma'nno? (quathie) te hui thu mi so thinan mxio-d
5462 an them sie-aive;ge, thar thiu sh-a-ta iva's [/tidis,
5770 that thar ward thie gest cu;man be ^O'des craifte,
5787 that sia thena Zi'c/ia'mou Zio'bes /te;rreu,
5821 Judeo Ziuidi endi an gr&'i Za;gdun
343. Eine Zusammenstellung der verse nacli den ton-
verhältnissen gibt folgende reihen:
a) Gleichton im ersten halbvers, nahton im zweiten: 41.
591.2287. — b) Nahton im ersten halbvers, gleichton im zweiten:
5334. — c) Nahton in beiden hälften: 2. 19. 44. 58. 163. 9. 82. 225.
6. 7. 254. 335. 417. 8. 81. 686. 756. 817. 85. 1010. 46. 58. 68. 79. 1198.
1226. 1379. 1464. 1697. 1725. 47. 1819. 85. 1917. 29. 57. 2003. 72. 3. 5. 99.
2253. 78. 2388. 2490. 2532. 73. 98. 2758. 83. 2829. 68. 2912. 3244. 60. 9.
3412. 22. 3655. 3815. 3827. 3907. 81. 93. 4085. 99. 4157. 4362. 68. 4570.
4639. 4846. 52. 98. 4902. 5. 37. 61. 79. 5009. 5234. 6. 5462. 5770. 87. 5821.
— d) Nahtou + ferntou: 309. 1785. 3171. 89. 3524. 3692. — e) Fernton
in erster halbzeile: 146. 308. 573. 1030. 65. 2726. 2980. 3150. 3520.
4112. 5036. 5157. 5342.
344. Man sieht, dass die klassenverteilung ungefähr die-
selbe ist wie im Beowulf. Es ist jedoch hier schwieriger als
dort, die bewussten kreuzungen auszusondern. Ich habe die
empfindung, als spiele die yersmelodie im Heliand nicht ganz
') Die lesart des Cott. ist hier vorzuziehen; bei Behaghel ist keine
Variante angegeben, und manne gedruckt.
12*
180 MORGAN
dieselbe rolle wie im Beowulf. Durch das bedeutende an-
scliwellen der as. verse wird es nötig", die hebungen mit sehr
grossem nachdruck auszusprechen, um sie von den Senkungen
deutlich zu unterscheiden; und dadurch kommt dort dem rein
emphatischen mehr bedeutung für den Vortrag zu. Das ergibt
dann misch Verhältnisse, indem bald das melodische, bald das
emphatische die hauptrolle spielt.
345. Wenn wir aber auch die versmelodie der beiden
dichtungen an und für sich betrachten, so ergeben sich auf-
fällige Verschiedenheiten. Gleich der grössere umfang der
klasse c im Heiland weist darauf hin, dass der musikalische
abstand zwischen hebung und hebung im allgemeinen im Hei.
nicht so gross ist als im Beowulf. Dazu kommt noch ein
zweiter punkt. Wir hatten schon beim Beow. (vgl. oben 339)
die kreuzungen als unbeabsichtigt angesehen, wo die nahtöne
der beiden vershälften nicht dasselbe Verhältnis zum führton
zeigten; wir fanden indessen nur drei fälle dieser art. Im
Heliand ist nun dieser typus geradezu als der normale zu be-
zeichnen, und somit werden wir die hauptmasse der fälle von
klasse c als zufällig betrachten müssen (was sich mit der ge-
ringen häufigkeit der belege im Heliand sehr gut verträgt).
Auch die belege von klasse d erweisen sich vermutlich dadurch
als zufällig, dass der nahton stets gehoben, der fern ton stets
gesenkt ist; so werden die abstände so gross, dass eine reim-
beziehuug kaum anzunehmen wäre.
346. Demnach haben wir von bewussteu fällen von kreuz-
alliteration im Heliand nur folgende verse: 19. 41. 227. 335.
591. 2278. 2287. 2912. 3269. 3815. 3827. 5234. Zusammen
12 belege.
347. Es bleibt nur übrig, die verse mit gekreuzter alli-
teration aus der as. Genesis anzuführen:
65 that thu ml aZatas Zedas f/tingas
129 botan that iro en Mbda erlas gi/tugdi,
153 «ialitig drohtin, wand sia »«en dribun
263 gfuodas gi2(;unnan: he was ^ode wiidig.
268 thuo te sedla hneg sunua thiu /iwita,
287 an allara selida gihwem ?<htfugal sang (?)
302 «ntat sea ina gi^rabtun bi thera hnrug ut&u.
313 rokos gi/ullit, ward tbar fau radura so filu
ZUR LEHRE VON DER ALLITERATION. 181
348. Yen diesen sind wol nnr die zwei baab: 65. 302
als nnbeabsiclitig't anzusehen; wir haben sogar zweimal gleich-
tun im ersten halbvers: 153. 287, und auch die anderen belege
sind deutlich. Die häufigkeit der abab ist 1 : 15, zeig-t also
eine starke abweichung* A^om Heiland.
An dieser stelle möchte ich noch meinem verehrten lehrer,
herrn professor Sievers, meinen wärmsten dank aussprechen
sowol für zalillose anregungen und ratschlage, wie auch für
eine hilfsbereitschaft in Worten und taten, ohne welclie diese
arbeit niemals zur Vollendung gekommen wäre. Auch herrn
W. Jahr bin ich für manchen besserungsvorschlag, sowie für
seine freundlichen bemühungen um den sprachlichen ausdruck
der arbeit zu grossem dank verpflichtet.
[S. 112,21 v.u. lies 37 für 32; ebda. 20 v.u. 383 für 382-1
LEIPZIG. B. Q. MORGAN.
ETYMOLOGICA.
1. Bösian. Ags. högian 'sich mhmen' {S.smg.höd,h6^ad
Sievers, Ags. gramm.^ s. 250) ist wol sicher mit mnl. hem bogen,
Hill, bogen 'sich rühmen' verwaiit (vgl. J. W. Muller, AVoorden-
boek der Nederlandsche taal 3,250). Wäre das o von bogen
ursprünglich, so hätte man für das angelsächsische notwendig
kürze des o anzunehmen und böÖ zunächst aus ^bo^ö zu er-
klären, welchenfalls man das später auftretende bojo^ (dann
mit o) als die alte regelrechte form betrachten könnte. Aber
das 0 von nl. bogen wird auf grund des mnl. Substantivs baech
als dialektischer Vertreter eines wgerm. ä aufgefasst, indem
man das wort in die sippe von ahd. bagan 'streiten' (Schade
s. 36) hineinzieht. Ist diese auffassung richtig, so bleibt uns
nur übrig, ags. bögian mit wgerm. ö als eine ablautsbildung
zu bägan zu betrachten.
2. Cneo{ris). Ags. cneo(ris) 'generation, verwantschafts-
grad, geschlecht' ist nicht mit Kluge (Beitr. 8, 527 f.) von cneo
'knie' zu trennen, denn die nähe der verwantschaft wurde
nach 'knien' oder 'gliedern' berechnet (s. von Amira, Pauls
Grundr. 3-, 156). Ein ähnlicher fall ist russ. koUno, das eben-
falls die bedeutungen 'knie' und 'geschlecht' in sich vereinigt
(unrichtig über koUno 'geschlecht' Fick 1^, 26).
3. De all. Vor einigen jähren habe ich ags. deall 'leuch-
tend, stolz, prunkend' zu gr. d-aXXco gestellt (Beitr. 26, 568 f.),
was ich auch jetzt noch für richtig halte. Für meine annähme
dürfte auch sprechen, dass Holthausen neuerdings (IF. 20, 317)
dieselbe etymologie vorgeschlagen hat, ohne von meinem Vor-
gang zu wissen.
4r. Drän. Ags. dran, engl. dro7ie 'dröhne' mit urgerm. ai
könnte sich zunächst bei nl. dreincn 'anhaltend weinerlich tun
(von kindern)' anschliesseu. Vgl. Wiedemann, BB. 28, 57 und
ETYMOLOGICA. 183
van Zandt Corteh'ou, Die altenglisclien namen der insecteu,
spinnen- nnd krnstentiere s. 32 ff.
5. Eorl. Ags. ßörZ, as. erZ, Bn.jarl {erilan) hat seit alter
zeit den adligen mann im gegensatz znm gemeinen mann be-
zeichnet (s. von Amira, Panls Gruudr. 3 2, 130). Könnte es ähn-
lich wie 'dn. ja flirr 'fürst' {: Sigs. eofor, ahd. ehur 'eher') ur-
sprünglich eine kenning sein und in die sippe von got. ara
'adler' gehören? Vgl. insbesondere lit, erelis (arelis), aksl.
orilä. Was den vocal der Wurzelsilbe betrifft, verhalten corl,
erl, jarl {erilaR) und lit. erelis sich zu aksl. orXlü wie ags.
ceorl, nl. herel zu ahd. haral, an. liarl. Auch mir. üar, cymr.
eryr und corn. bret. er haben idg. e (Stokes, Urkelt. Sprach-
schatz s. 39). Innerhalb des angelsächsischen wäre eorl mit
earn verwant. Anders über eorl R. Trautmann, BB. 29, 309.
6. Fce^e. Zur stütze der Grimmschen gleichung ags. fces^,
an. feigr, ahd. feigi "dem tode verfallen' : lit. pcülias 'dumm'
(vgl. Beitr. 30, 275 f.) habe ich folgende stellen aus der indischen
literatur verzeichnet, welche sich gewiss leicht vermehren
Hessen: Räm. 2, 106, 13 antalüle lii hhntäni muhyanttti purä
gnäih. Mbh. 2, 76, 5 präyah sdmäsamia2)artlbJiaiTmä)>t | dhiyo
vixmryastatarä hhavanti. Mbh. 2, 81, 8 — 11 yasmäi deväh
prayacchanti imrushäya imräWiavam \ huddhwi tasyäpalcar-
slianii so 'väcmäni paryati || buddhäu JcalushahJiUtäyam vinäge
samupastlilte \ anayo nayasaifiJiägo hrdayän näpasarpati \\
anarthägcärthariipena arthägcänartharrqnnah \ uttishßianU vinä-
Qäya nUnani taccäsya rocate || na kälo dandam udyamya girah
lirntati kasyacit \ Jiälasya halam etävad viparitärthadarganain.
Panc. 2, 172 Jcrtäntapägdbaddhänüm däivopaliatacdasäiH \ hiid-
dliayah hthjagänimyo hhavanti mahatäm api
7. Fröfor. Ags. fröfor, as. frü^ra, ahd. fluohara 'trost'
enthält vielleicht idg. *2>ro 'vorwärts' (s. Delbrück, Vgl. syutax
1,716 ff.) und hat dann ursprünglich 'förderung' bedeutet. Ist
die grundform etwa *pro-Öp)-rä und gehört das wort zur wz.
*up)- 'arbeiten' oder haben Avir eher von "^pro-hhr-ä auszugehen,
das sich zur wz. *b]ier- 'tragen' stellen würde? Auch an die
aind. wz. äp- könnte mau denken, wenn deren bedeutung nicht
zu fern läge. Ueber eine ältere etj'mologie von fröfor ( : got.
prafsfjan) s. Beitr. 30, 316.
8. s^ac. Meillet (MSL. 12, 213 ff.) stellt ags. 6eac, ahd.
184 UIILENBECK
gouh, an. gauJcr 'kuckuck' zu lit. geguze, lett, dzeguse, apr.
gcguse, slav. ^zegüzulja (vgl. Miklosicli s. 407), indem er lit.
ge-, slav. ze- als reduplication und lit. -gid-, slav. -güz- als
Wurzelsilbe betrachtet. Aber es liegt doch gewiss viel näher,
das baltische wort als ein mit -uze gebildetes deminutivum
aufzufassen, denn neben geguze stehen ja gegüte, gegelc und
ohne deminutivendung gcga, gege. Dass auch das slavische
ehemals eine mit lit. -2(ze correspondierende deminutivbildung
besessen hat, dürfte aus dem vereinzelten *zegüzulja zu folgern
sein. Jedenfalls mit recht hat E. van der Meulen (Leidener
doctorthese 13. juni 1907) gegen Meillets auffassung von geguze
einsprach erhoben. Meillet vergleicht ferner noch lit. guzutys
'storch', das aber eher auf idg. ^geug- beruht (s. Liden, Upp-
salastudier s. 92 f.). Ich sehe keinen grund dazu, meine erklä-
rung von ^gaulia- aus ^ga-müm- (Ark. f. nord. fil. 15, 151 ff.)
aufzugeben. Früher hatte ich an eine bildung mit gebrochener
reduplication zu einer onomatopoetischen wurzel gedacht (vgl.
Tijdschr. v. Ned. taal- en letterk. 11, 129). Noch anders Jordan,
Eigentümlichkeiten des anglischen Wortschatzes s. 29. Bugges
etjmiologie (Beitr. 12, 424 ff.) muss als veraltet gelten.
9, J^ielpan. Zupitza (Germ. gutt. s. 173) hat die sippe
von ags. ^ielj)an 'sich rühmen' (s. Schade unter gcdf, galpön,
gelfeti, geliih) mit aind. pragalhlid- 'mutig, zuversichtlich, ent-
schlossen' verbunden. Ich halte dies jetzt nicht mehr für
richtig, denn mit rücksicht auf die bedeutungsentwicklung von
lat. irraesumere, praesumptio möchte ich pragalhhd-, wozu das
verbum pragalhhaie wol erst später gebildet wurde, mit l aus
r zu grhhitäi stellen. Auch lautlich stimmt aind. galbh- nur
unvollkommen zu germ. gelp-, sodass man die gleichung nicht
ungern aufgeben wird. Germ, gel])- hat gewiss ursprünglich
Schallbedeutung.
10. Ides. Man hat öfters versucht, ags. ides, as. idis, alid.
idis, itis 'menschliche oder übermenschliche frau oder Jungfrau'
mit an. dis als verwant zu erweisen, doch leider mit nicht
viel glück. Was dis betrifft, hat Kögel (Beitr. 16, 502 ff.) wol
das richtige getroffen, indem er an got. flliideisei anknüpft,
aber die erklärung von idis mit seinen beiden kurzen i ist
ihm ebensowenig gelungen wie Jostes (IF. 2, 197 f.). Sind dis
und idis vielleicht von einander zu trennen und haben wir
ETYMOLOGICA. 185
bei dem wgerm. worte etwa von einer älteren bedeutung
Svaldnymplie' auszugehen? Auf diese Vermutung führt aind.
atasd- 'gebüsch, gestrüpp'. Idis kann nämlich aus *etesi- ent-
standen sein, während atasd- sich auf "^etcsö- zurückführen
lässt. Aber dürfen wir *etesf als secundäre ableitung von
*etes6- auffassen? Da erwarten wir doch eher ^etesid. Viel-
leicht gelingt es einem andern, die Schwierigkeit zu beseitigen.
Wenn wir aber für idis eine grundform ctesi- annehmen, so ist
vielleicht noch eine andere möglichkeit der erklärung vor-
handen, denn auch aind. atasi- (Rv. 8, 3, 13), das meist als
nomen agentis zu dtati 'wandert' aufgefasst wird, geht auf
eine gleichlautende grundform zurück. Doch wäre 'die wan-
dernde, unstäte' wol eine zu blasse benennung für die nymphen-
artigen idisi. Von Grienbergers behandlung des Wortes (Zs.
fdph. 27, 441 f.) ist mir augenblicklich nicht zugänglich: aus
Mogk (Pauls Grundr. 32,270) ersehe ich, dass er idis als 'die
hin- und hergehende' auffasst. ')
11. 3Ietan. Ich stelle ags. mctan 'pingere' aus ^möijan
als causativum zu lat. madco 'bin feucht', gr. [ladäco 'zerfliesse',
üd^w.modrü 'blau', über deren sippe Zubaty (A. f. slav. phil. 13,
418 ff.) ausführlich gehandelt hat. Anders über mäan Wood,
Color-names and their congeners s. 74.
12. Neorxna-ivQug. Aind. ndraka- 'unterweit, hölle' ist
vielleicht durch svarabhakti aus *ndrJca- entstanden, dem im
angelsächsischen ein "^'ncorh entsprechen könnte, Falls Kluge
(Zs. f. d. wortf. 8, 144) mit recht in neorxna einen gen. plur.
^ncorh-suna vermutet hat, können diese i^corA-söhne ohne wei-
teres als 'söhne der unterweit' aufgefasst werden. Was die
bedeutungsentwickluug von 'unter weit' zu 'paradies' und
'statte der ewigen Seligkeit' betrifft, verweise ich auf die
ausführungen Leitzmanns (Beitr. 32, 60 ff.), dessen etymologie
1) [v. Gr. stellt idis zu der gruppe altisl. id n. 'a restless motiou', iM
etc. (Cleasby-Vigf.) und möchte darin eine i-determiuation der wurzel i
'gehen' erblicken, sodass in idis vielleicht der begriff des hin- und her-
gehens oder der beschäftigung liege, -wobei an die emsig schaffende haus-
frau zu denken erlaubt sein werde. Mir scheint diese anknüpfung des
begriffs immerhin näher liegend als die an das 'nymphenartige', was
m. e. aus dem Merseb. Zauberspruch nicht herausgelesen werden darf.
— W. B.]
186 UHLENBECK, ETYMOLOGICA. — SCHÖNBACH
ich freilicli nicht annehme. Entfernter Zusammenhang mit
Kerthus u.s.w. ist aber keineswegs ausgeschlossen.
13. Bador, rodor. Hwd unlceredra ne tvundra]) Ims
roderes fcsreldcs, hü lie celce dce^c üton ymhhwyrfj) ealnc Jjisne
middaneard? Deshalb dürfte es nalie liegen, ags. rador : rodor
mit ahd. rad, air. rofh, lat. rata 'rad', av. rapa-, aind. rdtha-
' wagen' zu ir. rcthim 'laufe', lit. rüü 'rolle, wälze' zu stellen.
"Was den vocalismus betrifft, zeigt das seltenere rador die
0- stufe, das häufig belegte rodor die tief stufe der wurzel.
Anders Wood (Color-names and their congeners s. 48), der die
form rador nicht berücksichtigt.
14. SmeÖe. Damit die sonderbare gleichung E. Traut-
manns ags. smede 'smooth' : poln. smqtny 'traurig', sm^teJc
•traurigkeit' (Zs. f. d. wortf. 7, 268) nicht weiter verbreitet
werde, erinnere ich daran, dass poln. sm§t- aus su-mqt- ent-
standen ist und zu slav. m^sti, matiti, aind. mathnäti gehört
(s. Miklosich s. 189).
LEIDEN, august 1907. C. C. ÜHLENBECK.
ZUM GUTEN GERHARD RUDOLFS VON EMS.
Nach der ausgäbe dieses gedichtes durch Moriz Haupt (1840)
ist die kritik des textes durch besserungen von Lachmann,
AVackernagel und Haupt, Zs. fda. 1, 199—201, Pfeiffer, Zs.fda. 3,
275—278 und Edw. Schröder, Zs. fda. 43, 332 (abgesehen von ge-
legentlichen bemerkungen Lucaes) gefördert worden. Als man
neuestens die sprachformen Rudolfs von Ems aus dem reim-
gebrauch festzustellen unternahm, wie dies Victor Junk tat (nach
ZwierzinasMhd. Studien) Beitr. 27,446—503, vgl. die correcturen
dazu durch Zwierzina, Beitr. 28, 425—453, wurden dabei haupt-
sächlich die gedruckten texte des Guten Gerhard und des Bar-
laam zu gründe gelegt; Edward Schröder hat dann Beitr. 29,
197 — 200 auch die reime der noch ungedruckten werke Ru-
dolfs (seither ist 1905 der Wilhelm von Orlens durch Junk
ans licht gebracht worden) ausgenutzt. An jener stelle teilt
ZUM GUTEN GEKHARD. 187
Schröder mit, dass er eine neue ausgäbe des Guten Gerhard
für den druck rüste. Ich wünsche, ihr nicht irgend vorzu-
greifen, sondern vielleicht ihr etlichen ballast abzunehmen,
indem ich hier die ergebnisse einer collation der hs. 2G99 aus
der Wiener kaiserl. hofbibliothek mit Haupts texte mitteile;
ich habe sie bei der gelegenheit vorgenommen, als ich die hs.
zu anderen zwecken benutzte.
Moriz Haupt teilt in der vorrede s. v mit, dass die 'sehr
genaue abschritt, wie es scheint, unter der leitung Ferdinand
Wolfs besorgt wurde' und dass, 'damit mir nirgend ein zweifei
bliebe', G. Th. von Karajan 'mit pünktlicher Sorgfalt' die copie
durchgesehen habe. Diesen Versicherungen gegenüber ist es
wunderlich, feststellen zu müssen, dass doch eine ziemliche
zahl nicht ganz unwichtiger versehen und Verlesungen in der
von Haupt gebrauchten abschritt übrig geblieben sind: auch
wo in den lesarten ausdrücklich angegeben wird, es stehe
oder fehle etwas bestimmt in der hs., verhält es sich oft
nicht so. Von der schuld wird Haupt selbst wol freigesprochen
werden müssen, dessen abschritten und collationen in der regel
zuverlässig waren (was ihm bei der Warnung passierte, ist
doch ein seltener zufall); man wird den umstand verantwort-
lich machen, dass Haupt bei der textgestaltung nur die copie
vor sich hatte, das original jedoch niemals zu gesicht bekam.
Der Wiener codex 2699 (A) bietet im ganzen eine vor-
zügliche Überlieferung, deren qualität die der zweiten Wiener
hs. no. 2793 (B) bei weitem übertrifft, sodass B wenig hilft,
ausser dass es in wünschenswertester weise die lücken von A
ausfüllt. A ist sehr ordentlich im 14. jh. geschrieben worden
und zweimal corrigiert, das letzte mal vom Schreiber selbst.
Dann aber hat ein corrector etwas später den text wirklich
aufmerksam durchgegangen und hat neben den zeilen, meist
am rande, auch ganz oben oder unten, mit dünner schritt die
richtigen worte verzeichnet, die dann im text auf rasuren ein-
getragen worden sind. Ob dieser corrector dann noch im texte
selbst gebessert hat, ob er selbst radiert und das richtige ein-
gesetzt hat, oder der letzte und einzige Schreiber des codex
oder sonst wer, das lässt sich meistens nicht ausmachen. Höchst
wahrscheinlich aber ist, dass der corrector mit der vorläge in
der hand (deren verse abgesetzt waren, vgl. 4963. 5293. 5701)
188 SCnÖNBACH
seine arbeit besorgt hat, denn in einer ganzen anzahl von
fällen wüsste ich sonst nicht zn sagen, wie er durch eigene
Vermutung- auf die richtige lesart hätte kommen sollen. Leistet
demnach A für die gute des textes in einer weise gewähr,
wie das bei der mhd. poesie selten vorkommt, so ist anderer-
seits noch ein sehr bedenklicher umstand zu beachten. Der
Schreiber von A dichtet nämlich selbst: er hat nicht bloss
einige schlussverse gemacht, sondern auch im kontext v. 5297
und vielleicht noch andere, die, sofern die controlle von B
mangelt, nicht sofort als unecht zu erkennen sind, zumal der
Schreiber sich in den takt der Eudolfschen verse ziemlich hinein-
gefunden zu haben scheint.
Im folgenden stelle ich nun die abweichuugen zusammen,
welche eine collation der hs. A mit dem texte und den les-
arten Haupts mir ergeben hat; auch bei dei* niederschrift
dieser liste liegt der codex vor mir. Wo die lesung in A mir
gegen Haupt das richtige zu geben scheint, kennzeichne ich
dies durch vorgesetztes l. Alles bloss der laut- und formen-
gebung zufallende (auch iv für iuch) bleibt unverzeiclmet; es
sollte einmal für die ältesten hss. der werke Eudolfs überhaupt
zusammengetragen werden.
54 l. Av'cben. 95 ist geben durch über- und untergesetzte pmikte ge-
tihjt. 183 ze aus Ge corr. 223 fult u. ö. 280 gvten. 257 l. erworben.
289 getüge, t scheint aus f corr. 342 werden. 359 div. 379 leb.
413 Van. 476 dinem. 477 ger aus ge corr. 493 dez aus der corr.
514 libtiv. 553 in bateft ist h aus L corr. 597 l. Ez. 600 lob.
760 dvcbtn da vom corrector übergesetzt. 769 gar aiis gra corr. 791 reit
aus breit corr. 807 sagend. 817 das eiste r in rehter aus g corr.
846 rvnd-an allen. 856 einem. 857 zv. 875 da. 878 nit erli. 931 grozen
ist vom corrector nachgetragen. 936 wille. 944 mit fehlt nicht. 951 fche-
phere. 963 erlan. 1063 Dem aus Den corr. 1071 geboten. 1099 l. dich.
1142 icahrscheinlich gvt. 1164 daz aus dan corr. 1212 vrum. 1128 win'-
rtille. 1274 in. 1290 ftat mit gr. 1307 es fehlt er. 1314 in wir ist w
aus f corr. 1320 nach al noch ein buchstab: o? 1330 getorft auf rasur,
vom corrector am rande vorgeschrieben. 1349 dike. 1387 l. minen.
1388 bie nicht w. 1399 daz iv min herre fo lieb ie wart. 1406. 7 div.
die. 1524 wand, w aus v corr. 1526 l der. 1528 iv voui corrector über-
gesetzt. 1560 vaknvl'fe. 1604 klegelichiv. 1627 in eine auf rasur.
1640 in. 1654 gelim^. 1660 an den der w. 1710 Stranmvr {ital. 'stra
muro?). 1715 gebar. 1734 unter gewant, das vom corrector am rande
vorgeschrieben ist, axif rasur ein längeres tvort. 1742 vacbnvfle. 1795 vil
vom corrector übergesetzt. 1802 l. daz ist. 1808 dar an g. 1825 wachte.
ZUM GUTEN GERHARD. 189
1836 (loh. 184:4: wirt vom corrector vorgeschrieben. 1846 den a.
1862 tv-rt dvz. 1870 ih übergesetzt. 1905 dich übergesetzt. 1927 fölleut.
1914 zwischen mich und ze ist etwas undeutliches übergesetzt. 1968 vakiiuffe.
1985 die. 1987 ver aus Ge corr. 1996 zvugen übergesetzt. 2006 mir ans
wir corr. 2025 f. arche : mark. 2029 f. chauf : tif. 2054 die er mich 1.
Ich. 2087 an mich vom corrector vorgeschrieben. 2122 got fehlt.
2131 Ynf aus Ynd corr. 2155 ir. 2186 in ditz lat ro7n corrector vor-
geschrieben. 2198 fvude. 2216 der iv ift. — benant aus genant corr.
2241 keifere kaifer. 2255 lip übergesetzt. 2268 corrector. 2308 goz am
rande vom corrector vorgeschrieben. 2324 chlageudez. 2345 finuerichiv.
2361 mich übergesetzt, miner corrector. 2409 wil übergesetzt. 2501 be-
reiten ein bat. 2538 zvhte. 2580 hat übergesetzt — alfo. 2611 f. ge-
vareu : bare. 2635 corrector. 2927 corrector. 2932 phalt. 2946 wichen
vom corrector vorgeschrieben. 2967 ilt war abgerissen. 2968 den e.
2996 fi abgerissen. 2996 truk aus trank corr. 3014 chintlichem.
3018 leben I'in übergesetzt. 3021 minnen w. 3022 corrector. 3037 l. doch.
3061 Dan. 3063 ich ez. 3097 dine. 3115 ivh. 3117 nieman. 3139 cor-
rector. 3150 wrt, also wurde. 3162 fwechiften. 3177 zwivelz. 3195 div
weil. 3256 lere. 3275 groz übergesetzt. 3318 manne nicht wart. 3320 ge-
torlte. 3326 ir übergesetzt. 3345 Wan (richtig) vom corrector vor-
geschrieben. 3369 noh übergesetzt. 3444 fprvnge. 3462 l. dar übergesetzt.
3494 lak. 3497 mine. 3518 l. baten. 3554 inunbekant, über u ein hük-
chen für den vocal. 3627 l. bereit. 3635 hie nachgetragen. 3673 ir vom
corrector vorgeschrieben. 3719 im übergesetzt. 3749 wüfche. 3766 Iah er.
3809 wefen hie, durch ba xungestellt. 3831 rechter zu richer corr., ivie zu
lesen ist. 3841 da. 3856 wrde, also l. wurde. 3862 gefche. 8864 hintz.
3953 mit fehlt. 3999 erfchein zu fchein corr., wie zu lesen ist. 4093 wahfet.
4108 gebietent. 4123 iv übergesetzt. 4170 heinliche. 4180 gelchen.
4200 für. 4263 pvgieren. 4274 dinen vom corrector vorgeschrieben.
4436 dir zu ir corr. 4459 l. fi. 4465 begvnuen. 4472 l. an geleit.
4480 feide. 4494 daz zu dez = des corr. 4528 zv. 4531 Herre min. her
in ditz lant. 4532 genadet. 4559 erbeizte. 4582 Avez, l. wes.
4591 f. stehen in A ziceimal. 4598 e. v. all dv da treift, über alf ist vom
corrector mittelst eines Tcreuzes daz gesetzt; er tvollte somit gelesen ivissen:
ein vingerlin . daz du da treist-. 4011 Chvndebirn. 4682 corrector.
4654 phlak auf rasur, am rande vom corrector plak. 4755 Barlieren.
4764 l. da, das, aus gar corr., am rande vorgeschrieben ist. 4769 l. küife
kiiffe. 4803 triwe triwe. 4925 l. diu. 5121 tage aus tak corr.
5197 feite. 5281 gefazt. 5374 l. von. 5451 heim. 5453 ivnkvrowe.
5464 vervaht. 5501 vol br. 5529 /. da, das der corrector vorschrieb.
5600 in 1. 5634 na^her vr. 5638 ich fehlt nicht. 5640 machent. 5644 l.
da. 5645 da. 5665 gefclien. 5826 valerf. 5829 kornubal. 5833 von ir
Y. vnd von ir lant. 5888 in fvnder dinch ist d dttrch punkte getilgt.
5905 valeif. 5906 />i norgaleif ist a aus o corr. 5945 phelP. 6004 l.
parlieren. 6007 fchimp. 6012 fchimplich. 6034 verdahtem. 6121 mag.
6148 benant, aus befaut corr. 6155 fich aus mich corr. 6157 Wie.
6168 Chaut. 6191 in geheizen ist n durch punkte getilgt. 6195 mir.
190 SCHÖNBAOH, ZUM GUTEN GERHARD.
6212 ivre. 6236 alfe. 6242 fvlt ir, über ir steht fi. 6264 gefazt.
6296 rvra. 6316 erwarf. 6347 man steht nicht da. 6354 liiraelifcher.
63Ö6 der corrector hat vor ergetz noch er geschrieben. 6366 meufchlichez.
6409 vreude. 6453 drau. 6460 Icheideuz. 6464 ivi-en. 6519 owe fehlt
nicht. 6520 gefcheu. 6540 waz. 6566 das kreuz des correctors sieht über
nicht, er hat aber die bessenouj am rande einzutragen vergessest oder sie
ist nicht mehr sichtbar. 5572 urmere, davon ist mere getilgt. 6580 zen
in füzen ist übergesetzt. 6616 vnd. 6641 weiulichl 6701 din. 6738 ewik-
liche. 6742 vol r. 6760 die ist durch Übergesetzes er zu der corr., Tun
anscheinend zu foii geändert. 6763 iv. 6791 Da im. 6836 vom corrector
ist hat am rande zu hiez gebessert. 6843 w^d''. 6846 /. m. ze k.
6851 danch aus tak corr. 6855 weifheit wiflicher, du7-ch b a umgestellt.
6889 an dirre. 6900 lazent ez w. 6921 in.
Für einzelne motive und motivgruppen in der erzälilung
vom Guten Gerhard habe ich parallelen gesammelt, die über
das von Simrock (1856), dann von E. Köhler und Johannes
Bolte (Köhlers Kl. Schriften 1, 5 — 38) beigebrachte material
etwas hinausreichen. Ich mache jedoch aufmerksam, dass es
nicht geraten scheint, nach der lateinischen vorläge, die Eudolf
von Steinach dem dichter aushändigte, in zu weit zurück-
gelegenen Zeiträumen zu forschen. Denn so wichtig auch die
Verknüpfung der Schicksale von Köln durch erzbischof Bruno I.
im zehnten Jahrhundert mit dem hause der sächsischen kaiser
sein mag, es konnte nicht leicht jemand auf den gedanken
kommen, einen Kölner kauf mann zeitweilig zum könig von
England zu machen, bevor der englische handel Kölns und
damit die Stadt selbst ihren ungemeinen aufschwuug genommen
hatten, und das geschah doch nicht vor dem 12. jh. Viel-
leicht hat wirklich erst die regierung Ottos IV. 1198 — 1218
den austoss zur heftung der geschichte an den kaiser Otto IL
gegeben — mau denke an das Verhältnis des welfenkönigs zu
erzbischof Adolf I. und zu England — , der hier wie im herzog
Ernst mit Otto I. zusammenfällt und woraus vielleicht auch die
erinnerung an die kaiserin Ottogebe geschöpft wurde. Jeden-
falls stellt die geschichte des Stoffes vom Guten Gerhard der
forschung noch dankbare aufgaben.
GRAZ. ANTON E. SCHÖNBACH.
PETERSSON, EIN ETYMOLOGISCHER BEITRAG. 191
EIN ETYMOLOGISCHER BEITRAG.
Im 32. bände dieser Beiträge s. 151 f. hat Reinhold Traut-
mann asächs. fercal 'verschluss, riegel' sehr ansprechend mit
lit. per gas 'fischerkahn', armen. JiarJcanetn 'schlagen', air. or-
gaim dass., ai. parjdnya 'name des vedischen gewittergottes'
verknüpft, unter annähme, dass der den Wörtern zu gründe
liegenden wurzel i^pery-) eine bedeutung wie 'pflock, etwas
aus holz zurech tgeschlagenes' zuzusprechen sei. Ich stimme
Trautmann völlig bei und glaube sogar die sippe ein wenig
erweitern zu können. Ich ziehe nämlich hierher aisl. forlir
'prügel, knüttel', norw. schwed. dial. forli dass.
Falk-Torp (Etymologisk Ordbog) erklären diese Wörter
als aus lat. furca 'zweizackige gabel' entlehnt, was meiner
ansieht nach nicht richtig sein kann. Zur obigen Wortsippe
gestellt, lässt sich aisl. forhr ohne Schwierigkeit aus idg. *pygos
erklären.
Für die von Falk-Torp gegebene herleitung könnte auf
den ersten blick der umstand sprechen, dass schwed. dial. forh
auch 'heugabel' (neben 'knüttel') bedeutet. Diese bedeutung
aber scheint hauptsächlich in den früheren dänischen grenz-
provinzen Schonen, Halland und naheliegenden landstrichen
vorzuliegen. Nun kommt nach Kalkar (Ordbog) in älteren
dänischen mundarten ein wort forJc mit der bedeutung 'ofen-
gabel ' vor. Dieses wort lässt sich nicht von ahd. furJca, mnd.
forlcc, ags. forc 'gabel' trennen, muss daher wie diese aus lat.
ftirca entlehnt sein. Das einheimische nordische forli{r) 'knüttel'
scheint sich also in gewissen teilen des skandinavischen Sprach-
gebietes mit dem von Süden kommenden, aus lat. furca ent-
lehnten forli, 'gabel' gekreuzt zu haben.
Aus WZ. ""'perg- erkläre ich weiter aksl. pragi. 'schwelle',
poln. ^)ro^ 'schwelle, haus, wohnung', progi pl. 'dielen, bänke'.
Ueber übrige verwante s. Miklosich, Etym. wb. grdf. porgn.
Aus den romanischen sprachen ziehe ich ital.pe/*^o?a ' Vor-
bau, Veranda', pergamo 'gerüst, kanzel' heran; pergola scheint
ein altererbtes lateinisches '*perga vorauszusetzen. Dessen be-
deutung kann 'stock, balken, gebälk' gewesen sein. Ital. per-
gamo weist zwei bedeutungen auf, einerseits die obengenannte
192 PETERSSON, EIN ETYM. BEITRAG. — HÖLTHAUSEN, GENESIS 323.
'gerüst, kanzel', andererseits die bedeiitimg- 'anhöbe, bürg-'.
Diez meint, dass jene sich aus dieser entwickelt habe. Meines
erachtens haben wir es mit zwei verschiedenen, unverwanten
Wörtern zu tun. Fergamo 'bürg' ist mit gr. tivqjoz zusammen-
zubringen. Die Versuchung liegt nahe auch prov. perga 'stange'
mit unserer sippe zu verknüpfen, aber dieses wort muss fern
bleiben. Durch eine form wie pertga bestätigt sich die her-
leitung aus lat. pertica.
LUND, juli 1907. HERBERT PETERSSON.
NOCHMALS AS. GENESIS 323.
In band 32, 567 f. dieser Zeitschrift habe ich das sinnlose
hido(f von as. Genesis 323 in hidrös oder hidöf zu bessern vor-
geschlagen. Nun liegt aber hidrös doch von bidoäi graphisch
zu w^eit ab, als dass die conjectur direct überzeugend genannt
werden könnte, wenn auch im ae. das part. prt. bedroren und
im Heliand einmal das verbum driosan 'hinfallen' vorkommt.
Das der handschriftlichen Überlieferung näherstehende hidöf
oder hidöd (= ae. hedeaf) hat den umstand gegen sich, dass
ein verbum *düdan im niederdeutschen nicht vorkommt! Nun
bleibt noch eine dritte möglichkeit, an die ich damals nicht
gedacht habe, nämlich in hidoS einen Schreibfehler für hidöc
zu sehen (veranlasst durch das folgende döä), wobei döc das
praet. von *dücan 'tauchen' sein würde. Im as. ist dies aller-
dings nicht belegt, wol aber die ableitung dücari 'taucher'
(Wadstein, Kl. denkm. s. 178 a) und darauf gehen zurück mnd.
und und. diU-en == nnl. duikcn. Das mnd. kennt sogar, was
meinen neuen besserungsvorschlag auf schönste bestätigt, das
compositum he-dülcen 'eintauchen'! Ich möchte also v. 323 jetzt
lesen:
ac so bidoc it an doöseu, so it noh te daga stendit'.
KIEL, 12. September 1907. F. HOLTHAUSEN.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA.
Die vorliegende abliandlung soll zur lösnng- einiger fragen
beitragen, die sich an die Atli-lieder der Edda knüpfen. Diese
fragen zerlegen sich in zwei grnppen: die eine behandelt die
lieder als literarische producte, die andere als sagengeschicht-
liche denkmäler. Demnach wird sich diese arbeit aus einem
literarischen und einem sagengeschichtlichen teil zusammen-
setzen.
I. Liter.arisclier teil.
1. Vorfrage.
Ehe wir an irgend eine vergleichung der lieder gehen
können, ist eine Vorfrage zu erledigen: ist jedes der lieder ein
einheitliches ganze, oder finden sich spuren von Überarbeitung,
Zusammensetzung oder dergleichen ?
§ 1. Bei den Atlamyl (Am.) ist kein grund vorhanden, an der
einheitlichkeit des gedichtes zu zweifeln: metrisch, stilistisch,
inhaltlich ist dasselbe geschlossen, von wenigen kleinen Inter-
polationen abgesehen, die auf den Charakter des ganzen keinen
einfluss geübt haben.
Als solche sind wegen ihres störenden Charakters sicher
anzusehen Am. 48, 5. 6 (die Zählung der Strophen ist die von
Symons' ausgäbe) und 49, 3. 4. 48, 5. 6 (svd kv^po Niflunga,
mej)an sjalfcr lifpo) ist schon von Grundtvig für unecht erklärt
worden, ebenso von Symons, der den ersten halbvers für metrisch
auffallend erklärt (ausgäbe s. 449); die zeile stört inhaltlich
nach Gering (Übersetzung s. 274, n. 2), da die beiden Niflunge
nicht im kämpf fallen; ausserdem ist die ausdrucksweise svd
hvQpo . . . mitten in der lebhaften Schilderung ganz störend.
— Durch die ebenfalls von Grundtvig und Symons für unecht
Beiträge zur gescbichte der deutschen spräche. XXXIII. j^3
194 BECKER
erklärte zeile 49, 3. 4 {otto alla ol- gnäurlmn dag) wird die
clirouologie des ganzen gestört: wir müssen einen sprung von
inijtjan dag (vorhergehende zeile) zu otto, morgendämmerung,
und ondurjian dag, anfang des folgenden tags, machen, und
da nach Am. G3. 64 widerum am morgen Atli über den tod
der helden triumphiert, so geraten wir bis in den anfang des
dritten tages, während zur ausfüllung dieser Zeiträume die
ereignisse viel zu schnell folgen (vgl. C4rundtvig, citiert bei
Bugge, Fornkvaedi 435). Dagegen ist nach Streichung der
zeile die Zeitfolge einfach, indem der kämpf bis zur mitte des
tages dauert, am nachmittag die helden gefangen genommen
werden und am nächsten morgen tot sind. — Bei den übrigen
A'on Grundtvig, F. Jonsson, Sj^mons beanstandeten versen möchte
ich die frage nach der echtheit offen lassen.
Abgesehen von solchen kleinen Interpolationen ist das
gedieht durchaus als einheitliches werk eines dichters an-
zusehen.
§ 2. Schwieriger ist die frage bei der Atlakvif'a (Akv.)
ZU beantworten, da sich hier neben dem herschenden mälahättr-
versmass eine menge viersilbiger halbverse findet.') Hier
stehen sich vor allem zwei ansichten gegenüber. Bugge (Ar-
kiv 1, 12, ähnlich Zs. fdph. 7, 386) hat vermutet, dass ältere
liedzeilen teils unverändert, teils umgearbeitet von einem
jüngeren Verfasser in seine dichtung herübergenomraen seien; J
er sieht dabei die viersilbigen teile in der regel als die älteren
an. Symons (ausgäbe s. 422) sieht dagegen die mälahättr-
partien für das ältere an und weist den fornyröislag-text in
Akv. einem Überarbeiter zu.
Fassen wir zunächst die viersilbigen verse näher ins äuge.
Während manche vereinzelt auftreten, stehen sie an einigen
stellen dicht gedrängt, sodass es scheint, als könnten wir ganze
Strophenteile oder gar Strophen im fornyröislag erkennen.
') In Symons' text, der im allgemeinen dieser arbeit zu gründe gelegt
ist, finden sich unter den 348 halbversen der Akv. 66 viersilbler = 19 proc.
Symons' abweichungen von R sind in diesen fällen gering; sechsmal be-
ziehen sie sich rein auf die Schreibung; dazu kommt 19,3 vin Borgunda
statt vinir R, 20,5 svä sJcal freien verjasJc statt svä sJcal freien R; auf der
andern seite hat R im gegensatz zu Symons 3 viersilbler : 29, 1 Bin skal
räpa, 29, 3 soinn äskunna, 40, 4 glreifa tvä.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 195
Str. 21 frogo fröknau, ef fjqr vilde
Gotna pjöpami golle kaupa.
str. 24 her lief k lijarta Hjalla eiis blaupa,
ög-likt hjarta HQgna eus frökiia
es mJQk bifask
str. 26 her lief k hjarta HQgiia eus frokna
üglikt hjarta Hjalla ens blaupa
es litt bifask — ■ —
Str. 33 und 34, beide mit ausnähme ihrer Schlüsse ebenfalls
streng- viersilbig-, mögen später behandelt werden. Hier kommt
noch in betracht die schlussstrophe, 46:
lirüpr i brj'ujo brapra at hefna,
höu hefr priggja pjöpkoiiuiiga
banorp boret bjort, äf>r sylte.
Schon das dasein dieser Strophenteile und Strophen legt den
gedanken nahe, dass ein teil des vorliegenden textes der Akv.
nicht vom Verfasser der hauptmasse des gedichts herrührt.
Das auftreten einzelner eingestreuter viersilbler im mälahättr
hat nichts auffälliges; sie kommen sogar in Am. gelegentlich
vor (61,5. 84,7.8): aber es ist doch unwahrscheinlich, dass
ein dichter, der sonst in mälahättr-strophen dichtete, ganze
Strophen im fornyröislag dazwischen gesetzt hätte.
Ich habe vorhin nur solche teile zusammengestellt, die die
strenge technik des viersilblers zeigen (bez. durch elision ge-
winnen). Da aber das fornjTÖislag in der älteren zeit keines-
wegs immer streng viersilbig auftritt, so wird noch anderes
hierher zu rechnen sein. Zunächst str. 19 und 20, 1. 2:
feugo peir Guunar ok i fJQtor setto,
viu Borgunda, ok biindo fastla. —
Sjau hj6 Hqgue sverpe hvQsso.
Beachtenswert ist hier, dass Sievers, Beitr. 6, 352 in str. 19, 1
peir und 19,4 oh streicht, also die verse als viersilbig fasst.
Wegen der gleichheit im nietrum ist es wahrscheinlich, dass
19, 1 — 4 und 21, 2 — 5 einmal zusammen eine strophe gebildet
haben, wie das Grundtvig annahm (ausgäbe s. 152). — Ferner
23 und 25, 5. 6; str. 23:
skoro peir hjarta Hjalla 6r brjöste
[blöpogt] ok ä bjoj? Iqgpo, [ok] boro [pat] fyr Gunnar.
25,5. 6 [bl6)70gt] ]?at a bjöp iQgpo, ok boro fyr Guunar.
13*
196 BECKER
Die durch die klammern bezeichneten vereinfachung-en rühren
ebenfalls von Sievers (a.a. o.) her; Symons und Gering sind ihm.
darin gefolgt, Gering streicht sogar das ol in 25,6.
Auch Str. 27 und 28 müssen mit Sievers (a. a. o.) als fornyr-
öislag aufgefasst werden:
svä skaltii, Atle, augom fjarre,
f sem mout menjom verpa f.
Es uud eiuom mer oll of folg-enu
hodd Niflung-a: lifera [nü] Hog-ue;
ey vas mer tyja, mepau [vit] tveir lifpom,
nü 's mer enge, es [ek] einn lifek.
In 28, 4 ist mit Sievers nu, in 6 vit und in 8 mit Sjmons
ek zu streichen.
Zu beachten ist ferner, dass str. 27 schon von F. Jonsson
und Symons als unecht angesehen worden ist, und dass str. 28
von Symons als eine Variante zur mälahättr-strophe 29 an-
gesehen wird.
Endlich gehört hierher str. 40, die auch schon von Sievers
als fornjTÖislag aufgefasst worden ist:
kallara [f>ü] sipan til knea pinna
Erp ne Eitel, olreifa tvaa;
sera [y>ü] sif>an i sete mi]7Jo
golz miplendr geira skepta,
mauar meita ue mara keyra.
Die in klammern geschlossenen pronomina sind von Symons
gestrichen worden. — Die Strophe ist von Finnur Jonsson
teilweise (40,7 — 10), von Sjanons ganz als unecht bezeichnet
worden. Ebenso ist die vorher als fornyröislag angeführte
sclilussstrophe 46 von beiden gelehrten als Interpolation be-
zeichnet worden.
Im gegensatz zu der prunkvollen, oft fast überladenen
spräche der mälahättr-strophen, wovon unten zu reden sein
wird, zeichnen sich die fornyröislag-teile durch einfachheit im
ausdruck aus. Man vergleiche einmal die inhaltlich ziemlich
parallelen Strophen 28 und 29 daraufhin. 28 sagt ganz schlicht:
'Bei mir ganz allein ist verborgen der Xiflunge schätz: Hogni
ist tot. Ich zweifelte immer, solang wir zwei lebten; nun nicht
mehr, da ich allein lebe.' In 29 dagegen entfaltet der dichter
die ganze pracht der skaldischen ausdrucks weise: 'Der Rhein
soll walten über das kampferz der beiden, der schnelle ström
DIE ATLI-LIEDEK DER EDDA. 197
Über das asenent stammte erbe der Nifluuge; in rollender flut
glänzen die todesringe besser als an den liänden der Hunnen-
söhne.' Dass beide Strophen innerhalb eines und desselben
gedichts von demselben dichter herrühren, wird man schwerlich
glauben können.
Es erhebt sich nun die frage, woher die fornyröislag-
stücke gekommen sind. Da ist zunächst die ansieht Bugges
wenig befriedigend, nach der der Verfasser des mälahättr-
gedichts selbst reste eines älteren gedichts in das seinige
hineingearbeitet hätte. Einem autor wie dem der Gujn-ünar-
hvot, der unbedenklich aus den Hampesmol ganze strophen-
teile übernommen hat (s. Eanisch, Zur kritik und nietrik der
Hamjüsmäl s. 19. 20), wäre ein solches verfahren zuzutrauen.
Aber bei einem dichter von solcher darstellungskraft wie dem
mälahättr-dichter der Akv.'(s. darüber unten § 12 a) ist es nicht
wahrscheinlich, dass ihm gerade an wichtigen stellen die werte
ausgegangen seien und er zu fremden Strophen und zeilen
seine Zuflucht genommen habe. Ausserdem müssen wir die forn-
jTÖislag-stücke nicht notwendig für älter als die mälahättr-
stücke halten, wie wir unten an str. 33 und 34 sehen werden.
Aber ich möchte diese teile auch nicht nur als product
einer überarbeituug im fornyröislag ansehen, wie Symons
will; dazu sind sie zu lliessend und wolgebaut; vor allem
aber ist dann nicht einzusehen, warum ein Überarbeiter gerade
nur diese Strophen uuigeschmolzen hätte und nicht auch die
übrigen.
Als reine Interpolationen können wir sie aber vollends
nicht ausscheiden, denn mindestens str. 19. 21. 23. 24. 26 sind,
für den zu^^ammenhang des gedichts ganz unentbehrlich.
Die letzte möglichkeit ist endlich die, dass wir zwei
parallelgedichte annehmen, deren eines im mälahättr, das
andere im fornyröislag abgefasst war; dass alsdann jemand
aus stücken von beiden die uns vorliegende Atlakvil'a zu-
sammengesetzt habe, wobei er das mälahättr-gedicht stark
bevorzugte. Auch Symons spricht von der möglichkeit eines
parallelliedes, dem str. 40 entstammen könnte (ausgäbe s. 433),
obgleich er den gedanken an eine contamination zweier lieder
für Akv. ablehnt, während er dies für Hamj^esmol annimmt
(einleitung der ausgäbe s. ccxxxv).
198 BECKER
§ 3. Die mögliclikeit, dass die vorliegende Akv. aus
teilen zweier verschiedener lieder zusammengesetzt sei, {ge-
winnt an walirsclieinliclikeit, wenn wir einer dritten liand in
der Akv. begegnen.
1) Die Strophe 5 ist schon von Heinzel (Ueber die Her-
vararsaga s. 58 f.) verdächtigt worden:
vqU lezk ykr ok gefa mundo viprar GnitaheiJ^ar,
af geire gjallanda ok af gyldoni stofnom,
storar meipmar ok stape Danpar,
hiis \>at et mtera es mepr MyrkviJ? kalla.
Heinzel macht auf die wörtlichen anklänge an stellen im liede
von der Hunnenschlacht aufmerksam, dessen Strophen sich in
der Hervararsaga finden (besonders herausgegeben in den Ed-
dica Minora von A. Heusler und W. Eanisch s. 3, str. 6 und 7):
Str. 6 hafa vil ek hälft allt, pAt er Heidrekr ätti,
al ok af oddi, eiunra skatti,
kü ok af kälfi, kvern piotandi,
]>f ok af pTseli ok peira barni;
Str. 7 hris pat et m^ra, er MyrkviJ? lieita,
stein |?ann enn fagra, er steudr ä stodum Danpar.
Die in Akv. 5, 3. 4 auffallende ausdrucksweise af geire . . . ,
af gyldom stQfnom ist in der Hunnenliedstrophe ganz erklär-
lich {af oddi, af MIß, af Prceli). weil lidlft allt vorhergeht (s.
Heinzel s. 59). — Die stapir Danpar, die statten, die in näherer
oder fernerer beziehung zum flusse Dnjepr stehen, passen in
die geschichte von einer Schlacht zwischen Hunnen und Goten,
die einst in Eussland sassen, aber nicht in die Nibelungen-
sage (s. Bugge, Arkiv 1, 13). — Somit liegt es am nächsten,
Akv. 5 als abhängig von den Hunnenliedstrophen anzusehen,
nicht etwa das umgekehrte Verhältnis anzunehmen.
Aber nun erhebt sich eine andere frage: ist Akv. 5 nur
eine vom Hunnenlied inspirierte Interpolation, oder ist etwa
die Strophe aus dem Zusammenhang nicht zu lösen und daher
die ganze Akv. abhängig vom Hunuenlied? Im letzteren fall
müsste dies sehr alt sein.
Wenn ich (mit Heinzel s, 59) hier in Akv. eine inter-
polation annehme, so nötigt mich dazu erstens die art, wie
hier im anschluss an Hunnenlied str. 7 vom MjTkviör gesprochen
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 199
wird, was im gegensatz zu der auffassung der übrigen Akv.
stellt. Der ]\Iyrkviör ist nämlich sonst (Akv. 3, 4. 13,4, siehe
näheres in teil II) einfach die grenze zwischen Gunnars und
Atlis reich, er ist also offenbar ein neutrales gebiet und nicht
ein teil von Atlis land, den er verschenken könnte, wie hier
angeboten wird; er heisst auch an den beiden genannten
stellen der unbekannte, ist also wol ein unwirtlicher wald,
und nicht ein 'herrliches gehölz' (Akv. 5, 7. Hunnenlied 7),
das sich zum geschenk eignete.
Zweitens ist stilistisch auffallend der wenig geschickte
anschluss von str. 5, mit indirecter rede: voll Uzlc gefa mundo.
Indirecte rede findet sich in der ganzen übrigen Akv. nirgends,
wie überhaupt in den älteren Eddaliedern fast nie (in Voluspa,
prymskvil^a, Völundarkvij^a nirgends, in Hamf-esmol 13, 3 [wol
verderbt s. S3'mons ausgäbe s. 479] und 19).
■ Dazu kommt, dass sich in den folgenden eng mit 5 ver-
bundenen Strophen auch einiges verdächtige findet.
Strophe 6 ist die antwort auf KnefrQds anpreisung der
Gnitaheide in 5. Die schätze derselben, die hier im bereich
Atlis gedacht ist (s. dazu in teil II § 27), lehnt Gunnarr ab,
weil er selbst reich genug sei. Diese Strophe ist von 5 nicht
zu trennen und daher demselben interpolator zuzuweisen: über
ihre eigentümliche tendenz wird sogleich zu reden sein.
Strophe 7 zeichnet sich widerum stilistisch durch eine
merkwürdigkeit aus: v. 5. 6. 9 bringt sie in übertreibender
weise drei Superlative: haztan, hvassastan, hiitastan, während
die ganze übrige Akv. nicht einen einzigen verwendet; dagegen
finden wir gehäufte Superlative bei dem späten Verfasser der
Gul?rünarhvot 16, 5 harpast, 17, 1 sdrastr, 17, 5 grimmastr,
18, 1 hvassastr. Wir werden auch diese Strophe, die die fort-
setzuug der antwort enthält, dem interpolator zuweisen können.
Wenn wir nun der tendenz von 6 und 7 nachgehen, so
finden wir auch eine ganz andere Stimmung als sonst in den
gedichten der alten heldensagen. Sonst tragen die germanischen
beiden nach nichts so sehr ein naives und unverhohlenes ver-
langen als nach gold und schätzen i), hier aber ist Gunnarr so
empfindlich im ehrenpunkte, dass man ihm kein gold anbieten
') Z. b. Am. 13, 5. 6 erwartet Hogni ruhig toü Atli glutrotes gold.
200 BECKEE
darf: hier hat offenbar ein späterer die 'ritterehre' der Niflunge
zu steigern gesucht.
In Str. 8, die HQgnis antwort auf Gunnars fragen in form
einer neuen frage bringt, findet sich nun ohne frage ein sehr
alter sagenzug, die erwähnung des wolfshaars als warnungs-
zeichens. Aber das alter des sagenzuges beweist noch nicht
alter und echtheit der stroplie. Und diese wird dadurch ver-
dächtig, dass die Strophe von etwas vergangenem erzählt, was
nirgends in der übrigen erzähhmg der Akv., weder vorher noch
nachher, an den stellen, wo man es vermuten sollte, erwähnt
wird : weder wird bei Knefr(^ds ankunf t von der ablieferung des
ringes mit dem wolfshaar gesprochen (während an der ent-
sprechenden stelle in Am. 4, 4 deutlich gesagt wird: dpr hann
fram selde), noch nimmt Gudrun bei der begrüssung str. 16. 17
bezug auf eine frühere warnung (während Am. 45 deutlich:
leitaJjaJc i likna at Icfja ykr hei'man).
Ferner ist der ausdruck at njja eyrinde hier in bezug auf
die Niflunge sinnlos, während er in str. 3 in bezug auf den
boten Knefrod berechtigt war; er ist also wol gedankenlos aus
3 herübergenommen.
Endlich klingt der anfaug von Strophe 9 nipjarge IivqUo
Gimnar ne noimgr annarr 'keiner von den verwanten redete
zu' nicht so, als wenn eben jemand abgeraten hätte, sondern
als wenn eine pause vorhergegangen wäre, in der Gunnarr auf
KnefrQds einladung schwieg, und keiner der anderen ihm zu-
zureden wagte. Strophe 9 fügt sich dagegen glatt an 4, wenn
wir 5 — 8 wegdenken.
Somit halte ich Akv. 5 — 8 für eine Interpolation. Der
interpolator mag dabei u. a. auch den zweck verfolgt haben,
Hogni mehr zur geltung zu bringen, der sonst in Akv. ganz
hinter Gunnarr zurücktritt und nicht ein einziges wort spricht.
Den Verfasser der echten mälahättr-teile der Akv. be-
zeichne ich im folgenden mit A, den der vorher behandelten
fornyröislag-teile mit B, endlich den eben erwähnten inter-
polator (der sich auch einer art von mälahättr, mit ein-
gestreuten viersilblern, bedient) mit c. ')
^) Auf die Interpolation c wurde ich bei gemeinsamer lesung des textes
von herrn professor Sievers freundlichst aufmerksam gemacht, der mich
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 201
2) Als interpoliert ist nun noch einiges andere in Akv.
anzusehen. Strophe 15,
En par drakk Atle
vin i valhQllo, verper soto üte
at varpa [peim]') Gunuare, ef []?eir] bans vitja kvifeine
me]? geire gjallauda [at] vekja gram bilde.
enthält inhaltlich eine ahsurdität: die Wächter Atlis warten,
ob Gunnarr ihn aufsuchen werde, um mit ihm kämpf zu be-
ginnen; Atli kann das aber gar nicht von Gunnarr erwarten,
denn er hat ihn ja auf das freundlichste eingeladen und nicht
im entferntesten gekränkt: zu einem kriegszug kann überhaupt
Gunnarr gar keinen grund haben. Diese furcht ist hier Atli
untergeschoben worden, und zwar um zu zeigen, welchen
respect die Hunnen vor den Niflungen hatten, also wider in
der absieht, deren ehre zu steigern. Da ausserdem 15, 6 an
5,3 wörtlich anklingt {mep gehe gjaUanda — af geire gjalhmda),
so liegt es nahe, die str.l5 ebenfalls dem interpolator zuzuwTisen.
In str. 17 sind die Zeilen 4 — 7
när naupfolva leter uorner grata,
Hüna skjaldmeyjar herve kauna,
en Atla sjalfaii leter [püji ormgarf» koma,
nüi 's sä ormgar]7r ykr of folgenn
von Sievers, Beitr. 6, 351 aus metrischen gründen als ursprüng-
lich nicht in diesen Zusammenhang gehörig bezeichnet worden.
Ich möchte zunächst die zeilen 4 und 5 und mit ihnen die vor-
hergehende 3 sceter[J)ä]i SQjjlom solheijjci daga als interpoliert
ansehen: es wird hier mit einer hypothetischen schlachtschilde-
rung begonnen, wozu für Gudrun in diesem augenblick der
höchsten gefahr, wo das Schicksal ihrer brüder sich jeden
augenblick entscheiden muss, gewiss kein anlass war. Der
zweck der Schilderung ist aber sichtlich der, Gunnars kriegs-
tüchtigkeit hervorzuheben, seinen rühm zu steigern.
Durch die letzte zeile der Strophe wird sodann in ziemlich
plumper weise die zukunft enthüllt: das finden wir zwar in
auch besonder? auf die unterschiede in der tonhöhenlage von A und c hin-
wies, in welcher hinsieht sich auch zwischen A und B deutlich unterschiede
wahrnehmen liessen.
') Die klammern bezeichnen die teile, die Symons des metrnms
wegen tilgt.
202 BECKER
jüngeren heldenliedern '), aber sonst nirgends in der Akv. Die
zeile ist auch insofern austössig, als es der von Gudrun 16, 8
(holl gul-J:[j)ü]6r snimma!) ausgesprochenen mahnung wider-
spricht, dass Gudrun das Schicksal der brüder schon für besiegelt
erklärt. Wenn ich daher diese zeile für interpoliert ansehen
muss, so ist auch die vorletzte zeile nicht zu retten, da sie
von der schlusszeile inhaltlich, von der vierten zeile ( . . . läer
norner grata) grammatisch nicht zu trennen ist (Sievers, Beitr.
6,351, der das Uter der vorletzten zeile als widerholung des
Uter aus der vierten zeile streicht, da es metrisch stört).
3) Die angeführten Interpolationen schlössen sich alle an
A-strophen an: daneben finden sich auch einige anknüpf ungen
an Strophen und zeileu von B. Wir mussten oben s. 195 str. 19
und 20, 1. 2 als fornyröislag ansehen. Angeschlossen an 20
{sjau hjö Hqgne sverjje hvgsso) folgt nun mit verändertem vers-
mass, verändertem rh3'thmus, und angeschlossen mit cn, wie
die interpolierte str. 15:
en enom ätta hratt i eld lieitau.
sva skal frökn verjask fiQudom sinom
sem HQgue Tar]?e heudr — — — —
Ich halte dies widerum für eine Interpolation, die in über-
treibender Aveise H^gni zu verherrlichen sucht: nachdem er
sieben feinde gefällt hat, muss er noch einen achten ins teuer
schleudern. Auf einen interpolator deutet ferner besonders
der schluss der Strophe, der in reflectierender weise auf H^gni
als muster hinweist: etwas ähnliches findet sich in der Akv.
nur noch an einer, gleichfalls sehr verdächtigen stelle (str. 34),
von der sogleich zu reden sein wird.
Fassen wir weiterhin die Schlüsse von str. 24 und 26 ins
äuge. Die ersten vier zeilen beider Strophen sind in glattem
und fliessend em fornyröislag abgefasst (B). Dagegen fallen
die beiden fünften zeilen im versmass (das unmöglich als
fornyröislag angesehen werden kann), vor allem aber durch
die unbeholfenlieit des rhythmus merklich von dem vorher-
gehenden ab; sie sind aber einander sehr ähnlich:
str. 24, 9. 10 bif pesk holfo meirr es i brjuste lä
Str. 2G, 9. 10 bif pesk sväge mjqk piä i brjüste la
■.«»■*•■*;•
^) In Am. mehrfache hinweise auf das ende, s. dazu uuteu § 14a.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 203
Sievers, Beitr. 6, 352 hat schon auf den metrischen gegensatz
dieser Schlüsse zum vorhergehenden aufmerksam gemacht. —
Auch in diesen zeilen verrät sich die absieht, die einfache
tatsache: 'es zittert sehr', 'es zittert wenig', zu steigern. Ich
möchte auch diese zeilen als interpoliert ansehen; dagegen
halte ich im gegensatz zu Grundtvig und Symons die anfangs-
zeilen der beiden Strophen 24 und 26: pd kvaj) Jxit Gunnarr,
giimna drötten, und nicerr Jcva]) ])at Gunnarr, geirnijlunyr nicht
für interpoliert, sondern für die alten anfange dieser B-strophen.
Ich glaube nun annehmen zu dürfen, dass alle bisher an-
gesetzten Interpolationen, str. 5 — 8. str. 15. 17,5 — 14. 20,3—7.
24, 9. 10. 26, 9. 10 von demselben Überarbeiter c herrühren,
hauptsächlich deshalb, weil sie alle die tendenz verraten, den
rühm der Niflunge zu steigern.
Wenn nun ein interpolator nicht allein ganze Strophen
eingefügt (5 — 8. 15), sondern auch bereits vorhandene teile
von A und B erweitert hat, so drängt sich von selbst der
gedanke auf, dass eben dieser interpolator c die alten texte
A und B derart zusammengearbeitet haben möge, dass er
Strophen und strophenteile der zwei lieder zusammenschob
und das ganze durch selbstverfasste Strophen und zeilen abzu-
runden suchte. Diese annähme scheint mir die einfachste
lösung des schwierigen problems zu bilden, das die gestalt
der uns erhaltenen Akv. in sich trägt.
§ 4. Von den bisherigen gesondert sind noch zwei Strophen
zu betrachten, die schon von F. Jonsson und Symons als un-
echt angesehen worden sind; str. 33 und 34:
Ok meirr papan menvQrp bitols,
dolgrogne, clrö til daups skökr. —
Lifanda gram lagpe i gavp
panus skripeun vas, skatua meuge,
innan ormom, en eiun Giinnarr
lieiptmöpr h^rpo heude knipe;
glump'o streuger, svä skal golle
fräkn hriugdrife vif> fira halda.
Im versmass stechen diese Strophen aufs schärfste von dem
vorhergehenden ab, während sie untereinander eng verwant
sind: sie sind beide streng viersilbig, mit ausnähme ihrer
letzten halbverse (33, 3 ist dreisilbig, 34, 12 hat einen auf-
204 BECKER
takt); ferner sind rlij^tlimisch auffallend, im gegensatz zu den
B-strophenj die abgehackten lialbversenden:
dolgrogne drö,
til daups skökr,
lifanda gram,
]agf>e i garp. —
Schon Bugge findet str. 34 'im höchsten grade verkünstelt'
(Fornkvaedi s. 432). Stilistisch fällt auf die unnatürliche aus-
einanderstellung von hitols und skökr (33), die verschränkung
und trenuung zusammengehöriger Satzteile in str, 34: laglie i
garj), panns skripenn ras, skatna menge, innan ormom.
Weiter ist die häufung der kenningar (es sind deren 3 in
4 halbversen) zwar einem skalden der spätzeit, aber nicht
einem Eddadichter zuzutrauen, auch wenn er, wie A, gern
einmal eine kenning anwendet; s. näheres unten § G. 4. —
Daher kann ich diese fornyröislag-strophen nicht dem dichter
B zuweisen, dessen einfach -schöne Strophen wir oben kennen
gelernt haben.
Endlich bringt der schluss von str. 34 wider einen reflec-
tierenden hinweis auf die musterhaftigkeit des beiden, wie
wir das schon in 20 bei dem interpolator c fanden. So werden
auch diese zwei Strophen einem interpolator zuzuweisen sein.
Wenngleich nun der schluss von 34 an den von 20 (c)
erinnert, so möchte ich doch 33 und 34 nicht dem inter-
polator c, sondern einer anderen band zuweisen: einmal wegen
ihrer von c abweichenden metrischen beschaffenheit (c bedient
sich einer art von mälahättr, mit eingestreuten viersilblern,
str, 33 und 34 zeigen dagegen strenges fornyröislag); alsdann
wegen ihrer besonders vertrockneten, verkünstelten technik,
die wir in der weise bei c nicht finden. Ich möchte die
beiden Strophen daher als eine besondere Interpolation in A
ansehen und als d bezeichnen.
Nun ist freilich ihres Inhalts wegen Strophe 34 jetzt unent-
behrlich: sie erzählt von Gunnars Versenkung in der schlangen-
grube und von seinem harfenspiel. Gehört aber die Strophe
wegen der genannten eigenschaften weder zu A noch zu B,
so wird man vermuten dürfen, der interpolator d habe an
dieser stelle bereits eine lücke in A vorgefunden und sie, nach
der umlaufenden sage, auszufüllen gesucht, Man könnte viel-
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 205
leicht auch (mit Bug-ge, Fornkvaedi s. 432) die 12 lialbverse
von 34 als künstelnde Umarbeitung einer älteren stroplie von
8 halbversen ansehen; doch wäre der grund einer solchen ver-
einzelten Umarbeitung- nicht recht klar.
Ausser den bisher behandelten stellen der Akv. finden sich
noch einzelne kleinere, die in rein metrischer hinsieht gewisse
bedenken erregen. Ich muss mich aber hier mit der behand-
lung der auffallendsten erscheinungen begnügen, da sonst erst
nicht nur der gesammte malahattr der Akv. (A und c) genauer
zu untersuchen und mit dem der Am. zu vergleichen, sondern
auch das foruyröislag (B und d) bis ins einzelne zu analy-
sieren wäre, was in diesem Zusammenhang nicht möglich ist.
§ 5. Nach dem gesagten können wir den überlieferten
text der Akv. in folgender weise aufteilen:
A: Str. 1—4. 9—14. 16-17, 4. 18. 22. 25, 1-4. 29—32. 35-39. 41—45.
B: Str. 19-20, 2. 21. 23. 24,1—8. 25,5 — 26,8. 27. 28. 40. 46.
c: Str. 5— 8. 15. 17,5—14. 20,3—7. 24,9.10. 26,9.10.
d: Str. 33. 34.
Die hauptmasse der Akv. bildet also A: von den 348 halb-
versen gehören zu A 209, zu B 62, zu c 63, zu d 14.') In
A herscht der malahattr: nur 10 proc. der halbzeilen (20 von
209) sind viersilbler (nach R, bei Symons 29, 1 und 3 als fünf-
silbler, 45,5. 6 gestrichen), während wir für die gesammte
Akv. 19 proc. viersilbler fanden.
2, Stilistische eigentümlichkeiten.
Nach erledigung der Vorfrage gilt es nun, die beiden lieder
vergleichend zu betrachten, zunächst nach ihrer stilistischen
eigentümlichkeit. Dabei wird stets zuerst die Akv. in der
überlieferten gestalt den Am. gegenübergestellt werden, dann,
soweit möglich, Akv. A allein gegenüber den Am. Die drei
anderen stücke B, c, d eignen sich wegen ihrer kürze nicht
zur vollständigen vergieichung mit Am., umsoweniger als gerade
von B nur wenige bruchstücke vorliegen; doch wird überall
angedeutet werden, welchem teil der Akv. eine jeweilen be-
handelte erscheinung angehört; w^o eine besondere angäbe fehlt,
ist stets Akv.A gemeint.
1) Oder in proceuten: A 60 proc, B 18 proc, c 18 proc, d 4 proc
206 BECKER
§ 6. Eigentümlichkeiten im Wortschatz.
1) Im Wortschatz') hat die Akv. eine Vorliebe für Zu-
sammensetzungen mit val-, -hgll, sowie für hgJl allein: valhgllo
2, 3. 15, 2 (c), vahauj)a 4, G, valhaugar 29, 6, valbrdper 39, 6.
— valhollo 2, 3. 15, 2 (c), pijshgUo 31, 7, siiln'hgllo 32, 5. — ligll:
1, 6. 7, 10 (c), 16, 8. 36, 6. 37, 3. 44, 5.
Die gegenprohe in den Am. ergibt nur 43, 3 hgllo. — Auf
der anderen seite haben die Am. eine Vorliebe für Zusammen-
setzungen mit füll-, storr-, of-, und für fjglj) mit dem genitiv:
fidldruMet 8,4, fuUrynenn 11,3, fuUrdJja 40,3, fuUveget 49,5,
fidlilla 81, 3. — storhugoj) 72, stöyrcBjte 83, 6, störrdpa 87, 4.
ofrike 69, 2, o/J)i77.7a 71, 8, ofvalt 28, 9. 95, 5. — fjglp Jiorna
8, 3, fjglj) fear 88, 7, meipma fjglj) 89, 2. — Die gegenprobe in
der Akv. ergibt nur fullrött 46, 1 (B).
2) Die diction der Akv. ist ferner die reichere, prunk-
vollere, die der Am. die einfachere. Die Akv. hat zunächst
eine im Verhältnis ungleich grössere zahl von zusammen-
gesetzten Substantiven als die Am.-)
Akv. drötmeger 2, 1, valhgUo 2,3. 15, 2 (c), sopoJJiMpe i, ö, salhüsT,!,
injöpranne 9, 7, (joUslcäler 10, 3, prcftgnnom 11, 6, greystope 11, 7, landrggne
12, 1, erfevgipr 12, 6, lipsJcjalfar li, 2, suprpjöpom 14, 5, sessmeipom 14, 6,
harmhrpgpom 16,7, skjaldmeyur 45,8. 17, 9 (c), ormgarp 17,12. 13 (c), ros-
mofjolJ 18, 5, hcddr'ipa 22, 4, pjöpJconungs 22, 6. 46, 6 B, lumllasmip 25, 3,
geiniiflungr 2i),2 B, rögmcdme 29,2, valbaiigar 29, G, livelvQgnom 30,1,
rogpornom 31, 3, sigtiva 31, 5, pyshgllo 31, 7, suprhgllo 32, 5, hvilhepjar
32, 7, menvgrp 33, 2 d, dolgrggne 33, 3 d, hringdrife 34, 11 d, vapnsgngr 35, 7,
glskdler 37, 1, gllcräser 34, 4. 39, 7, vcdbraper 39, 6, gnduge 39. 8, gopvefjom
41, 3, hüskarla 42, 4. 44, 6, fjarghüsa 42, 8. 45, 6, banorp 46, 7 B.
Am. samJcundo 1, 3. 71, 7, einmcele 1, 5, hüsfreya 3, 1, manvite 3, 2.
45,5, scnc?e7Hemi 4, 6, svqmse 7,3. 70,3, orpstafe 9,3, ästkynne li,3,
linkkepe 15, 5, hvltahjgrn 17, 3, mwpmanne 22, 4, hüskarlar 27, 7, bakfgUom
34, 3, andspille 43, 1, halsmenjom 43, 7. 68, 6, harprcepe 46, 3. 81, 7, /«'er-
^r^^er 58,1, erkosto 58,9, illpnäe 59,3, dagmeger 61,6, ilkvistom 62,2,
o/■r^^-e 69, 2, grunnypge 70, 1, gldrykkjor 71, 1, ofrhefnder 72, 4, harnäsko
74. 1, glskglom 77, 4, fürhnge 83, 2, heiptyrpe 83, 3, störroepe 83, 6, vipfarar j
84.2, ä</f«(es 96,7, prdmcele 99,7. -
^) Die Wörter werden stets in der form gegeben, wie sie im text
auftreten.
2) Bei der Zählung der belege werden hier die widerholuugeu derselben
Wörter nicht mitberechnet, da es sich nur um den vorhandenen schätz von
Zusammensetzungen handelt.
I
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 207
Die Zählung ergibt für die Akv. 41 (davon für A 35), für
die Am. nur 33; liier ist aber noch, wie bei allen weiteren
auf Stellungen, in betracht zu ziehen, dass die Am. mehr als
doppelt so lang sind als die Akv: die zahl der halbverse der
Akv. beträgt nur 46 proc. von der der Am. (die zahl derer
von A beträgt 27 proc. von der der Am.). Bei gleicher länge
der gedichte wäre also für Akv. : Am. ein Verhältnis von ca.
89 : 33, für Akv. A : Am. sogar ein verh. von ca. 133 : 33 zu
erwarten.
3) Aehnlich ist das Verhältnis bei den zusammengesetzten
adjectiven:
Akv. arencirei/pom 1,7. 3,7.17,3, vielfjreypa S, ii. 4,8. 13,3, okunnan
3, 4. 13, 4, gollhrö/))ia 4, 3, süfrgyld 4, 5, valraupa 4, 6, jafniniket 6, 8 (c),
bekksema 7, 7 (c), (p-ünvarper 11, 3, hlakfjdller 11, r>, oneiser 12, 2. 18, 6,
gunnhvätan 12,3, harpmöpger 13,6, vandstyggva 13,7, cügrena 13,8, sol-
Jieipa 17, 6 (c), navpfglra 17, 7 (c), sJ/prheko 22, 5, öglikt 26, 5. 24, 5 (B),
äskunna 29, S, heiptmoper Si,l (A), egrskaan ^b,B, n/flfanin 3G,8, vinhöfgar
87, 2, gransiper 37, 5, skirleita 38, 1, afk(^r 38, 3. 41, 2, neff'glom 38, 5, hrcü-
dreyrog 39, 3, glreifa 40, 4 B herharpa 41, 7, ufröpa 41, 9, gaglbjarta 42, 2,
('rvarr 43, 1, helfüsse 44, 3, aldrstamar 45, 9, fullrett 46, 1 B.
Am. ofö 1, 1, sannräpner 1, 8, glvcvrer 5, 1, drötläta 10, 3, iUkpgar
13, 1, glöpraupo 13, 6, endlgngo 18, 2. 24, 2, velhoren 20, 1, aflima 25, 7,
skammceer 26, 6, fagrhünar 28, 7, ggrvallan 30, 5. 43, 8, fullräpa 40, 3,
fidldrukket 8,4, fuUrynenn 11,3, fidlveget 49,5, fidliUä 81,3, obiiner 41,3,
sdJhoren 46, 1, gndiupan 49, 4, grimmüpgan 55, 5, halfyrkjan 57, 5, sZ;«jj-
daiipe 57, 6, änaupgan 60, 3, pjöpgöpan 61, 1, rakMötoin 61, 3, sjaJfskapa
64, 7, ägcetom 66, 6, sncehvito 66, 7, afA-p'r 67, 5, ofmikla 71, 8, störhugop
72. 1, kapsvinna 74, 2, störräpa 87, 4, övd'gen 92, 2, ürboren 98, 3.
Die Zählung ergibt für die Akv. 37 (davon für A 29), für
die Am. nur 36. Bei gleicher länge der gedichte wäre also
für Akv. : Am. ein Verhältnis von 80 : 36, für A : Am. sogar
ein Verhältnis von 107 : 36 zu erwarten.
4) Am auffallendsten tritt der reichtum der spräche in
der Akv. gegenüber der einfachheit von Am. zu tage, wenn
wir die kenningar der beiden gedichte vergleichen.
Von zweifellosen kenuingar begegnen in der Akv.: sessvieipom 14:, 6,
kmnhlasmip 25, 3, baldr/pa 22, 4, syne pjöpkonungs 22, 6, rögmalme skatna
29. 2, valhaugar 29, 6, rögpornom 31, 3, solo suprhgllo 32, 5, hglkve
hvilbepjar 32, 7, hn'nge Ullar 32, 8, sverpa deiler 39, 2, fjarghitsa 42, 8
(= domus vitae, körper nach Sj^mons' ausg. s. 435). Alle diese gehören A
an. — Dazu kommen aus B : vin Borgunda 19, 3, geirniflitngr 26, 2, goU
208 BECKER
mipkndr ■U),l; — aus d: menrgrp ^'^,2, dolgrggne SB,3, bitols skökr
33,2.4, hrimjdrife 34,11.
Dagegen tiudeu sich iu den Am. nur: hgrr slcjaldar 28,5, dugmeger
61.6, ükristom 62,2.
Die zälilimg- ergibt für die Akv. 19 (davon für A 12), für
die Am., das mehr als doppelt so lange gediclit, nur 3. Bei
gleicher länge der gedichte wäre also für Akv. : Am, ein Ver-
hältnis von 41 : 3, für A : Am. sogar ein Verhältnis von 44 : 3
zu erwarten.
5) Die Akv. hat überhaupt im Verhältnis einen reicheren
schätz von Substantiven als die Am.: die Akv. hat 185 deren
(davon A 134), die Am. haben 300. Bei gleicher länge ergäben
sich also die verhältniszahlen 402 (bez. 496) : 306.
Im gegensatz dazu substantivieren die Am. viel häufiger
adjectiva als die Akv. (die folgende liste schliesst die wider-
holungen ein).
Am. vitr-e 3, 5, frekner 4, 8, fripr 5, 6, svipre 6, 7, mdirar 8, 1, dröt-
läta 10, 3, horsk 10, 5, hjgrt 11, 7, vitre 12, 3, velboren 20, 1, fagrhünar
28.7, Ijösar 28,9, horskar 32,3, ilt 37,8, hvater 4S,B, sd:lboren 4:6,1, rgskr
50,1, halfyrkjan 57,5, Igskr 57,8, änaupgom 60,3, pjöpgopan 61,1, nkre
62, 7, dyrer 63, 1, horskre 64, 3, hollra 64, 6, gopo 66, 4, störhugop 72, 1,
litla 72, 5, kapsvinna 74, 2, hgrpo 76, 3, ilz 80, 8, rgskr 85, 1, sannasta 85, 5,
tndirre 89, 1, Jmnske 94, 1, vngre 94, 3, kvikre 94, 5, itrhoren 98, 3.
Akr. dyJjendr 2, 2, frekner 13, 1, JiarpmöPger 13, 6, vmuhiyggva
13, 7, ?77iT 16, 6, frökn 20, 5 (c), freknan 21, 1 (B), skhieita 38, 1, möpogr
39, 5, viiplendr 40, 7 (B), Zyprf 46, 7 (B).
Das sind für die Am. 38 fälle, für die Akv. nur 11 (A 7):
also ergäbe sich bei gleicher länge der gedichte ein Verhältnis
wie 38 : 24 (bez. 26).
§ 7. Adjectivische epitheta. Variationen.
Noch in anderen erscheinungen tritt der reichtum der
spräche in der Akv. gegenüber den Am. zu tage. Zunächst ge-
braucht die Akv. häufiger als die Am. adjectiva als epitheta.
1) Folgende Übersicht zeigt alle fälle, wo ein adjectivum,
näher oder ferner von einem beziehungswort oder auch sub-
stantiviert ohne ein solches, in der function eines epithetons
auftritt.
Akv. kunnan 1,3, arengreijpom 1,7. 3,7. 17,3, svgsom 1,8, kaldre
2, 6, supräne 2, 7, hörom 2, 8, mclgreypa 3, 3. 4, 8. 13, 3, ökunnan 3, 4. 13, 4,
skufna i,% goUhröpna 4,3, silfrgyld 4, 5, vcäranpa 4,6, stüroin 9,8, garnier,
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 209
gränvaiper 11,3, hlal-fjalUr 11,5, öneiser \2,% (junnhraf an 12,3, erel2,b,
frelcner 13, 1, harpmöpger 13, 5, vandsti/ggva 13, 7, algröna 13, 8, cljüpa
14, 2, /(f'yo 14, 4, hundnom 14, 7, bleikom 14, 8, W/ür 16, 6, dncma 18, 6,
sl'iprhctto 22, 5, svinn 29, 3, dsktotna 29, 3, reltanda 29, 5, mnnom 31, 2,
eyrskaan 35,3, gijldom 36,3, vhÜKjfgar 37,2, grunsiper 37,5, Jtvatcr 37,6,
st/yZci'fa 38, 1, rt/'A-(ir 38, 3, hrädreyrog 39,3, mopogr 3d,5, afkdrr 4:1,2,
berharpa 41,7, smsa 41,8, t<«(/a, öfrö/ia 41,9, gaglhjarta 42,2, raupom
42, 3, sJcIran 42, 6, hcJftisse 44, 3, heitovi 44, 7, foru 45, 5, heitern 45, 10.
Alle diese geliüreu allein Äkv. A au. Dazu kommen aus B: hvosso
20,2, freknan 21,1, hluiipa 24,4, frekna 24,6, frekna 26,4, hlaupa 26,6,
glreifa 40, 4, Zy'p''^ 46, 8 ; — aus c : viprar 5, 1, gjallanda 5, 3, gyldom 5, 4,
sforar 5, 5, mdra 5, 7, ©vc 6, 3, bekksema 7, 7, raupom 8, 6, gJuUanda 15, 7,
solheipa 17,6, naupfolva 17,7, hcitan 20,4; — aus d: he/j)tm6pr 34,7,
/Vti/i« 34, 11.
Am. s^ora 2, 5, r«Yre 3, 5, frekner 4, 8, /'?•//)>• 5, 6, kapps gdleg 6, 3,
««•//»•e 6, 7, imerar 8, 1, Ijösom 9, 4, drötläta 10, 3, /lors/c 10, 5, &;'?»•< 11, 7,
r/7/-e 12, 3, glopmvpo 13, 6, Zio'r 15, 3, endJongo 18, 2. 24, 2, velboren 20, 1,
W^7j/- 28,5, fagrbiinar 28, 7, lJ6sar2S,9, blip3\,2, horskar 32,3, ^varr 37,3,
hi-ater 43,3, scelboren 46,1, nokpan 46,5, rpsÄT 50,1, vigleger 50,6, svinna
53, 5, veglega 54, 8, gn'mmüpgan 55, 5, halfyrkjan 57, 5, dnaitpgom 60, 3,
pjöpgüpjan 61,1, rakklotom 61,3, ?vZ:re 62,7, c??/''^'" 63,1, horskre 64,3,
hoUra 64, 6, dgcetom 66, 6, sncehvito 66, 7, ofmikla 71, 8, storhugop 72, 1,
kapsvhuia 74,2, vükla 75,7, storan 81, 11, rgskr 85,1, ü'</e>i»a 88, 4, störom
88, 6, mckrre 89, 1, ^cii/jar 89, 4, toigrer 91, 5, hunske 94, 1, tmpre 94, 3,
sfemt?« 97, 2, itrboren 98, 3, /"/-d/) 98, 5.
Das sind für die Akv. 82 (davon A 60), für die Am. 57.
Bei gleicher länge der gediclite ergäbe sich für Akv. : Am,
ein Verhältnis von 180 : 57, für A : Am. sogar ein Verhältnis
von 226 : 57.
2) In bezug auf Variationen (s. besonders Heinzel, Stil der
altgermanischen poesie s. 3 ff.) ist ebenfalls die Akv. ungleich
reicher als die Am.
a) Wortvariation.
In der Akv. findet sich meist nominale, in den Am. meist
verbale Variation.
AliT. at ggrpom kvam Gjäkä — ok at Gunnars hgllo 1,5. 6, Knefrgdr —
seggr enn snprene 2, 5. 7, nipjarge — ne ngungr annarr 9, 1. 2, rynendr
ne räpendr 9,3, ulfar — garnier, grdnvarper 11,1. 3, landrggne — gutin-
hvatan 12, 1. 3, Jieüer — ok Jwrsker 12, 7, lypa — rekka dneissa 18, 4. 6,
Gunnar — vin Borgunda 19, 1. 3 (B), Gunnarr — gmnna drötten 24, 1. 2
(B), Gunnarr — geirniflungr 26, 1. 2 (B), Bin — p svinn 29, 1. 3, rög-
malme skatna — dskunna arfe Kiflunga (zu der gekreuzten Wortstellung in
Str. 29 vgl. Heinzel a.a.O. s. 10). 29, 2. 8. 4, Atle — sifjungr peira 31, 1. 4,
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXllI. ^^
210 BECKER
srarßa — nefnda 32, 3. 4, menrgrp — dolgrgcjne 83 (d), melta — da at
olkrösom 39,5. 7, Erp ne Eitel — glreifa tvaa 40,3. 4 (B), ymr — aflcärr
songr — gnijr 41, 1. 2; bure sväsa — unga, öfröpa 41,8. 9, Guprun — en
gaglbjarta kona 42, 1. 2, hrunno — knigo i eld heitan 45, 8. 10.
Zu dieser fällen, die deu normalen Charakter der Variation tragen
(s. Pachaly, Die Variation im Heliand s. 3), treten noch einige, in denen
eine nominale Variation in anderen casus als ihr g-rundbegriff erscheint,
indem sie gleichsam erst nachträglich hinzutritt: Akv.21 (B): frggo fräJcnan,
effjor ihMc Gotna pjöjxmn (nom.) golle Jcaiipa; 22 hjarta skal vier Hggna
i hende Uggja, hlöpogt 6r hrjüste skoret haldripa (dat.) — sgnc pjöp-
koHungs; 25 Jdü pa Hggne, es til hjarta skgro kvikvan kumhlasmip (acc).
Am. Kosthera — kona kapps guleg 6, 1. 3, eige kann jgtnar —
galge ggrvallan 30, 3. 5, ef at ypr hjge — ä grip lujgpe 30, 4. 6, Bera
— hlip i hiig siiiom 31, 1. 2: hrnndo peir Vinga — ok i hei drnpo 38, 1. 2;
feldan — lampan til heljar 4^i, i. 5; rep hgggva — i heJjo pann hafpe
47,7. 9; keppa svä kxinnc — kvgl hann velpolpeGl, 7. 8. — heta'aldrege
— ire viniia pcss etke u.s.w. 68,9. 10; — Atla til segja — dglja inonk
pik eige 75,2. 3; tgggtu tiplega — trüper vel jgxlom 78,7. 8; heimsko
— harpi-cepe 81, 7, vcegja — vcetke halda — kyrt of pvi lata 95, 5 — 7,
mund — meipma fjglp 89,1. 2, tepja — vinna et vergasta 59,7. 8.
Die Zählung- ergibt für die Akv. 25 fälle (davon für A 19),
für die Am., das mehr als doppelt so lange gedieht, nur 15.
Bei gleicher länge der gedichte wären also für die Akv. 54,
für A sogar 70 fälle gegenüber den 15 fällen der Am. zu erwarten.
b) Satzvariation.
Die Satzvariation unterscheidet sich von der ihr änsserlich
ähnlichen verbalen Variation dadurch, dass nicht speciell der
verbalbegriff, sondern der sinn des ganzen satzes variiert wird ;
auch wenn dasselbe subject bleibt, tritt diese erscheinung zu-
weilen auf.
Akv.
Ulfar mono rä)?a arfe Niflunga
gamler, gränvarj?er, ef Gunnars misser, —
birner blakfjaller bita preftQnnom,
gamna greystöpe, ef Gunuarr ue kemrat. 11.
Ein skal räpa rogmalme skatna,
0 svinn äskunna arfe Niflunga, —
1 veltanda vatne Ij'sask valbaugar
heldr an a, hQudom skine Hüna b^rnom. 29.
seinat's nü syster at samua Niflungom —
langt es at leita lypa til sinnes^). 18.
') Sievers, Beitr. 6, 851 statt sinnes til
DIE ATLI-LTEDER DER EDDA. 21 1
i fJQtor setto — ok buudo fastla. 19, 2. 4 B.
Kallara si}'aii til kiiea finna
Erp ue Eitel, olreifa tvaa, —
sera sipan i sete raipjo
golz raij'lendr geira skepta. 40 B.
golle S0re CTUj'rün —
liriugom raupoiu reifpe hüskarla 43, 1. 3. 4. —
Am.
siglef» er SEeler — ok sig-r of anief' 31, 3. 4.
blöj'gau bugj^ak iiiaike boren 6r serk pinom —
geir liugpak stauda i goguoni J>ik mipjau. 22.
eggjak y]n', jarla, auka barm störom
vifs ens veglega
kostep svä keppa, at klokkve Gn]?rüii. 54.
brseddr vas bvergteter, belta in lengr rüme —
kimne klokr verpa, kleif i ro bveija. 58, 1 — 4.
at ]>i\ SQk sxjtter — ue slökper äpra 95, 3. 4.
Die Zählung ergibt für die Akv. 6 fälle (davon für A 4),
für die Am. 5, Bei gleicher länge der gedichte wären für die
Akv. 13, für A 15 fälle zu erwarten.
Nicht hierher gestellt habe ich, als nicht zur eigentlichen
Variation gehörend, die in den Am. häufigen parallelsätzchen
abstracten Inhalts, die den gedanken eines satzes, entweder im
voraus oder hinterher, abstract aussprechen sollen. Diese sätze
werden vielmehr da zu besprechen sein, wo von der hinneigung
der Am. zu prosaischer, abstracter spräche die rede ist (§ 8, 5).
§ 8. Epische und prosaische spräche.
Im gegensatz zu dem specifisch epischen stil der Akv.
steht der stil der Am. der prosa näher.
1) Schon einige syntaktische erscheinungen weisen nach
dieser richtung. Annäherung an die prosasprache zeigt zu-
nächst das häufige auftreten indirecter rede und frage in
den Am.
In der Akv. finden sieb nur folgende 3 fälle: frögo frelman, ef fjor
r/Me (B) 21,1 ff., rnU Uzk gefa mundo 5,1 (e), at varpa Gunnare, efhanus
viija kvceme 15, 4 (c).
In A, der bauptmasse der Akv., findet sieb nicbt ein einziger fall.
Dagegen in
Am. hupo peir heim Hggna, ef pä heldr fere 7,1, het pa ferp Gun-
narr, ef Hggne vilde, Hggne pvihUtie, es hinn of repe 7,5 — 8, gd'tiesJc pess
14*
212 BECKER
Glauuivgr, at rcere granä svcfna 20,3. 4, eige kann Joinur, ef ä >//>?•') Jijge,
galge ggrvallan, ef ä grip hygpe 30, 8—6, m(elte af manvite, ef mundo
sdfttask 45, 5. 6, vesall Uzlc vigs peira, es shjlde väss gjalda 58, 5. 6, tom
Uzlc at eiga tepja vel garpa 59, 5. 6, fcgenn Uzl; p6 Hjalle, at hann fjgr
pcege 59, 9. 10, savir Uzlc oh Alle at sina gorca 71, 3. 4, freito, hvat skijlde
72, 10, enn freite Alle, hvert farner vcere 74, 5, sagpak at Jcalfs vcere 78, 4,
gat fijr Gnprüno, at vcere grimmr Atta 83, 7. 8, talpe happ hgnom, ef hann
hefnt ynne 84, 3. 4, Igtonik pvi valda 86, 3.
Die Zählung ergibt für die Am. 17 fälle gegen nur 3 in
der Akv. Bei gleicher länge der gedichte wäre ein Verhältnis
von 17 : 7 (bez. 0) zu erwarten;
2) Dazu kommen zwei kleinigkeiten. Erstens finden sich
die in der prosa so häufigen nebensätze mit pöat in den Am.
an 4 stellen: Jjöt vcr ogn frecjnem 13, 8, 2)6t hann rei])r vcere
50, 2, pöt vceret sJcapJclit 86, 8, 2)6t J)at litt r&kjak 91, 2, in der
Akv. nicht ein einziges mal. 2) Sodann findet sich der für die
prosa charakteristische gebrauch des plural eines pronomens
bei einem namen, wo eine andere person oder mehrere hinzu-
gedacht werden, in den Am. an zwei stellen: pau Hggne 10,2
(H^gne und Kostbera), pau Atle 39, 1 (Atli und seine leute);
in der Akv. 3) findet er sich nicht. ^)
3) Eine besondere eigentümlichkeit der epischen spräche
sind die wörtlichen widerholungen, die z. b. in l3rymskvil'a und
Volundarkvij^a besonders deutlich auffallen. Diese erscheinung
zeigt nun die Akv. in stärkerem, die Am. in geringerem masse.
AkT.
vin i valhollo 2, 3 = 15, 2 c
mar enom melgreypa Myrkvip okunnan 3, 3. 4 |
mare eua melgreypo Myrkvi]? okiuinau 13, 3. 4 j
mef> hjalinom arengreypom at sökja heim Atla 3, 7. 8 \
sem hjalmom areugreypom at sea heim Atla 17, 3. 4 |
1) Zu diesem vers s. Detter und Heiuzel, Kommentar 2, 547 : 'Der satz
zeigt unvollkommeu entwickelte oratio obliqua.'
^) Sie finden sich überhaupt in den älteren Eddaliedern sehr selten:
in der Vqluspa nirgends, in der Völundarkvipa einmal (35, 11), ebenso bei
prymskvipa (4, 2) und Hampesmol (30, 5).
^) Ebensowenig' in Vohispä, I)rymskvif>a, Hampesmgl; V-ölundarkvipa
an den correspondierenden stellen 42, 3 ü Velundr und 43, 3 vit Velundr.
*) Zwar überliefert Akv. 15,4 (penn Gwinarc, ef peir ...) und Akv.
45, 3 {peira Gunnars); aber beidemale ist das pronomen, weil metrisch ganz
störend, mitSymons zu streichen, während Am. 10,2. 39, 1 keinen anstoss bieten.
B
DIE ATLI-LTEDER DER EDDA. 213
af geire gjallaiida 5, 3 \ , •
mep geire gjallauda 15, 6 j ^^^^^ ^
arfe Niflmiga 11,2 = 29,4
i eld heitan 20, 4 c = 45, 10
ok ä bjöp logpo, böro fyr Gunnar 23,3. 4 )
pat ä bjop Iqgpo ok boro fyr Gunuar 25, 5. 6 J
ripa eyriude 3, 2 = 8, 8 c
her hefk hjarta Hjalla ens blaupa,
' oglikt hjarta HQgna ens frokna,
es mjok bifask es ä bjope liggr 24,3 — 8
her hefk hjarta H&gna eiis frokna,
öglikt hjarta Hjalla ens blaupa,
es litt bifask es a bj6f>e liggr 26, 3 — 8
bif pesk hqlfo meirr es 1 brjoste lä 24, 9. 10 1
bitpesk sväge mjok pas i brjoste la 26, 9. 10 j '^
An 3 stellen (15, 2. 20, 4. 8, 8) hat der bearbeiter c einen ausdruck ans
A widerholt. Die grösste ansdehuung haben die widerholuugen von B, wo
bis 3 langverse parallel sind.
Am.
syn vas syipvise ef peir sin gtepe 7, 3. 4 1
syn vas svipvise ef hann sin gajpe 70, 3. 4 J
at endlQngo hase 18, 2 = 24, 2
loket pvi leto 19, 7 = 71, 5
rQskr tQk at repa 50, 1 == 85, 1
ef reyner gorva 73, 8 i
ef gorva reyner 75, 6 j
dylja monk pik eige, dötter Grimhildar 75, 3. 4 = 86, 1. 2
seui pü sizt skylder 77, 2 = 80, 6
lygr pü nü — 91, 1 = 96, 1
kvap at orpe — 29, 1 = 31, 1.
Die Zählung- ergibt für die xA.kY. 10, für die Am. 9 fälle.
Also wäre bei gleicher länge der gedichte für Akv. : Am. ein
Verhältnis von 22 : 9 zu erwarten. Von den 10 fällen der
Akv. fallen 2 sehr beträchtliche partien auf B, 3 auf A,
5 kleinere auf c, der teils an A sich angelehnt hat, teils sich
selbst widerholt hat. — Im gegensatz zu B, das grössere
Strophenteile parallel hat, fällt es auf, dass sich diese erschei-
nung in A nicht häufiger findet. Aber auch in den Hampesmöl
finden sich keine widerholungen, die das mass eines langverses
überschreiten: es scheint als ob im gegensatz zu den rasch
dahinfliessenden fornyröislagliedern die in dem schwerfälligeren,
prunkvolleren mälahättr abgefassten lieder widerholungen
grösserer Strophenteile schon in älterer zeit vermieden hätten.
214 BECKER
4) Besonders charakteristisch für die Am. ist ferner deren
neigung zn abstracter ausdrucksweise. Das tritt schon darin
zu tage, dass die Am. einen viel grösseren schätz von abstracten
Substantiven ') haben.
Am. samkundo 1, 3. 71, 7, fctstom 1, 4, einmcele 1, 5, slvp 2, 1. 33, 3.
45, 3, hi/ggjo 2, 4, hop 2, 7, manvite 3, 2. 45, 5, lag 3, 3, orßa 3, 3. 29, 1
u. ö., fürs 4, 3, saßr 6, 7. 44, 7, porf 6, 8. 85, 4. 97, 5, svipvise 7, 3, ferp 7,5.
88.2, beine 8,2, fjglp 8,3. 88,7. 89,2, skil 9,2, )#om 11,2. Gl, 4. 66,2.
62.7, sinn 11,4. 14,4, haue 12,7. 68,7, %>me 13,2, lce& 13,3, oi/w 13,8,
ästkynne 14, 3, \prgmmon 16, 7, heiioin 18, 5, /ü/^r 19, 5. 31, 2 u. ö., repa
19, 8, (70»!e 20, 2. 81, 6, f/raMtZ 20, 4, sue/iza 20, 4. 22, 3. 85, 2, re/c 21, 5,
glanmr 23, 3, jlaugon 23, 4, Zcz/jer 20, 6, pjöste 24, 3, «o« 25, 2, ve?^ 29, 5,
f?7jrt 29, 6, gl0X>r 29, 7. 81, 11, Jcväma 29, 7. 36, 5, gnp 30, 6, sigr 31, 4,
&a/r/(>ZZom 34,3, /oZ;35,2, life 4:0,4. 85,8, ancZsjj/ZZe 43, 1 , eMa 43, 6,
hjcddre 46, 7, kvepja 44, 6, «?«n 44, 8, Z^7cHa 45, 1, harpn^pe 46, 3. 81, 7,
sÄ-wo 47, 5, yj/pj-ifco 48, 1, sökn 48, 7, morgen 49, 1. 64, 5. 76, 5, dag 49, 2. 4.
58, 7. 63, 2, Otto 49, 3, 7tZJo« 52, 1, Jiarm 53, 8. 54, 2. 64, 3, hnekking 56, 5,
rMWie 58, 2, tv^rs 58, 5. 65, 2. 86, 7, «-«ss 58, 6, tom 59, 5, hik 60, 6. 68, 3,
skrctkton 60,8, b-pZ 61,8. 94,5, ipröüa 63,4, ?7>rar 65,3, aldre 65,7, on
67, 1, süüer 67, 3, saÄ;ar 67, 4. 95, 3, ^-osfom 69, 1. 94, 2. 61, 2, o/?-/Z:e 69, 2,
grunmjpge 70, 1, svipvise 70, 3, (ßdnjkkjor 71, 1, er/"« 71, 2. 81, 12, svorfon
71.8, cetn2,2, ofrhefndl2A, eile 13, 4, rö 73,7, reiße 73,7, barnäsko 74,1,
rp 75,7, «J9te)m76,7, ZtZHi 79, 3. 90, 6. 96, 3, t'?7e 81, 1, Jieimsko 81,7,
sorger 82, 6, daupa 82, 7, fnrlmga 83,2, heiptyrpe 83, 3, /te?j)i 83, 5, sUrrdpe
83, 6, vipfarar 84, 2, Aajjijj 84, 3, cp'n S5, 8. 87, 5, «re 86, 4, Z?/^e 87, 5, sc'jme
88.3, S0»0 89, 5, r 6g 91,6, Jiags 91,10, aupno 92,7, hrcedo 93,4, nafn
94, 4, a«^r 94, 3, /)m^e 95, 1, gezko 96, 6, ägcHes 90, 7, s^jv/j 98, 2, cZrpZ 98, 7,
fZe'f/ra 98, 7, a/re^-e 99, 3, prchndde 99, 7.
AkY. rrcj'^e 2, 4, rprZtZo 2, 6, eyrinde 3. 2. 8, 8 c, vgrnop 8, 4 c, vegr
8, 7 c, }«o/je 9, 8, Jmgr 12, 8, fetom 13, 1, Zi/ZrZe 15, 7 c, harmbrQgpom 16, 7,
szHnes 18, 4, <?/Ja 28, 5 B, eipa 32, 3, dunps 33, 4 d, «ienr/e 34, 4 d, morpe
35, 4. 45, 3, fZj/»ir 35, 5, väpnsgngr 35, 7, (/ipZcZ 36, 4. 44, 8, n//} 38, 6, ymr
41, 1, sgngr 41, 2, fifn«/r 41, 3, skgp 42, 5, Ze?7;r 43, 5, banorp 46, 7 B.
Die Zählung ergibt für die Am. 120 verschiedene abstracta,
für die Akv. 26 (für A 19). Bei gleicher länge der gedichte
würde man für die Akv. doch nur 57, für A 70 gegenüber
den 120 der Am. erwarten.
5) Auf die Vorliebe der Am. für abstractionen ist auch
die grosse menge von parallelsätzen allgemeinen, abstracten
^) Unter der bezeichnung 'abstracta' fasse ich hier alle Wörter zu-
sammen, die sich nicht auf greifbare dinge beziehen, sondern auf eigen-
schaften, Vorgänge, gemütszustände, zeit, räum, gelegenheit, geschick,
lautliche äusseruug u. a.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 215
Inhalts zurückzufüliren, die wir oben § 7, 2 b von den epischen
Variationen streng scheiden mussten, Sie stehen bald vor,
bald hinter einem satz mit concreterem inlialt, den sie in ab-
stracter, allgemeiner form widerholen:
Am.
a) Der abstracte parallelsatz steht voran: sJcgp öxo sJcjgldimga —
: sJci/ldo fara feiger 2, 1, horsk vas hüsfrci/a, — : hugpe at manvite 3, 1. 2,
Jcend vas Kosthera, — : Icunne skil rüna 9, 1. 2, diiljjc pess ücbike, —
: sagpe horsk hihne 10, 4. 5, hygo P^ «* rgpom — : far i sinn annat
11,2. 4, loket pvi leto, — : lidde hver reja 19,7. 8, cikc at reposk, —
: aller ni kröpo 45, 7. 8, brä pa barnesko hrepra cn kapsvinna, skipict
skaplega — : skar ä hals büpa 74, 1 — 4, greipt glep störan — : ggrt hefr
pü put erfe 81,11. 12.
b) Der abstracte parallelsatz steht nach: (ekle stop störa — stridde
ser liarpla 2, 5. 6, fare sem fgrcr md'lek — fast eigc pvi nita 31, 5. 6,
vepr mon par vaxa — verpa 6it snintma 17, 1. 2, hirpa oss hrdpa —
haf pat fram sjaldan 37,5. 6. pjgrJw par gorpo peire ras vip brugpet —
brä of alt annat, es unno bgrn Gjüka 48, 1—4, skerep 6r hjarta — skolop
pess ggrver 55, 3. 4, ä galga festep — bellep pvi hragpe 55, G. 7, eggjak
ypr, jarlar, auka liarm storom vifs ens veglega — viljak pat Uta 54, 1 — 4,
kostep svä keppa at klekkve Guprün — sea pat mäitak, at ser ne ynpct
54, 5—8. — In der
AkT.
findet sich nur au folgendeu 3 stellen ähnliches: — let skiran malm
vapa — aeva fljöp etke gäpe fjarghüsa 42,5 — 8, väpn liafpe etke —
varnapet vip Giiprüno 43, 3. 4, hlo pä Hggne — klokkva sizt hitgpe
25, 1. 4.
Diesen 3 fällen stehen die Am. mit einer überzahl von 18
gegenüber. Bei gleiclier länge der gedichte würde man für
die AkY. 7 fälle gegenüber den 18 der Am. erwarten.
6) Ueberhaupt ist der ausdriick in den Am. gern abstract,
blass, der in der Akv. dagegen sinnlich, anschaulich. Während
die Am. einen voFgaiig durch einen abstracten verbalbegriff
bezeichnen, fasst die Akv. gern die in die sinne fallenden
nebenumstände ins aiige (vgl. Heinzel, Stil der altgermanischen
poesie s. 20). Einige beispiele aus parallelen stellen der ge-
dichte mögen das zeigen:
Am. 26 sagt Gunnarr: 'es ist sehr wahrscheinlich, dass wir kurz leben
werden'.
Akv. 11 sagt Gunnarr: 'die wölfe mögen über das Nibelungenerbe
walten, wenn Gunnarr verloren geht, seh warzf ellige baren mögen beissen
u. s. w.'
Am. 71,7. 8 wird gesagt: 'dies gelage fand mit grossem lärm statt'.
216 BECKER
Akv. 37: 'es erklangen die weinschweren trinkschalen Atlis, als in der
halle zusammen sich die Hunnen unterhielten'.
Am. 84, 5 ff. heisst es : ' erschlagen ward da Atli der söhn HQgnis
und Guprün selbst erschlugen ihn'.
Akv. 44:: 'sie gah den betten mit der schwertspitze blut zu trinken,
mit mordgieriger haud'.
7) Aus der Vorliebe der Am. für abstractionen wird es
endlich wol auch zu erklären sein, dass sich in diesem gedieht,
im gegensatz zur Akv., so überaus häufig die litotes findet.
Am. feJIskat sapr svipre = sie benahm sich höflich 6, 7, dulpe pess
voetke = sie redete offen 10, 4, ykr mon ästhjnne eige = es geht
euch schlecht 14, 3, dyljomJc pnt eige == es ist mir klar 14, 5, prQmmon
peyge svd litel = grosse balgerei 16,7. 8, ser rep litt eira = war frech
30, 2, hugpe litt vcegja = war rücksichtslos, kühn 37, 2, varr at vettoge
= furchtlos, tapfer 37, 3, liaf pat fram sjaläan = schweige von so etwas
37, 6, föra fctlt peyge = gieug furchtlos, mutig 44, 3, Mg vasat at hjaldre
= war unsanft, rauh 46, 7, peyge hendr shdfo = ihre bände griffen fest
zu 47, 10, makak pvi leyna = es ist offenkundig 51, 6, knäkak pess njöta
= das ist schlimm für mich 51, 8, helta in lengr rüme = lief hin und her
58, 2, pd vas kostr enge etc. = er musste sterben 61, 2, (Jn es pess enge
ich lehne ab 67, 1 , skQinm mon rö reipe = der zorn beginnt zu toben
73, 7, skiptet skaplega = handelte übel 74, 3, dylja monkpik eige = ich
werde es dir offenbaren 75,3, glapa monkpik minzt = ich werde dir
schmerz bereiten 75, 5, luartke ser unpe = beiden war es ungemütlich
84, 4, emkak litt leikenn = mir ist sehr mitgespielt worden 85, 7, hands
kvap pQrf enga = fühlte sich tötlich getroffen 85, 4, lifs telk vgn enga =
mit mir ist es aus 85, 8, pöt vceret skaplekt = obwol es schlecht gehandelt
war 86, 8, varpa rön lyge = es war Wahrheit 87, 5, fannkak i hug heilom
hjona vcetr sipan = beiden gatten war es stets schlimm zu mute 90, 9. 10,
pöt pat litt rekjak = obwol es mir gleichgiltig ist 91, 2.
In der Akv. einige wenige fälle: nipjarge kvgtto ne ngimgr etc. =
alle schwiegen 9, 1. 2, björe vas litt drukken = war sehr nüchtern 16, 4,
klekkva sizt hugpe = war fest, tapfer 25, 4, kallara sipan sera sipan
= mit ihnen ist es aus 40 (B), aeva fljöp etke güpe = sie gab reichlich
42, 7, ferrat svä sipan briipr i brynjo etc. = GuÖrüns räche war einzig-
artig 46 (B).
Den 29 fällen der Am. stehen also 6 in der Akv. (4 in A)
gegenüber (Verhältnis wie 29 : 13 [bez. 15] bei gleicher länge
der gedichte).
§ 9. Schlussbemerkung.
Es gilt, das bisher festgestellte kurz zusammenzufassen.
Die Akv. hat eine prunkvolle, reiche spräche, zahlreiche Zu-
sammensetzungen, zahlreiche kenningar, zahlreiche epitheta.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 217
zahlreiche Variationen; ihren specifisch epischen stil bekundet
sie ausserdem durch zahlreiche widerholungen. Die Am. da-
gegen haben eine einfachere spräche; sie gleichen den mangel
an Substantiven durch Substantivierungen aus, nähern sich aber
sonst in ihrer spräche der prosa, indem sie gern indirecte rede
und frage anwenden, constructionen wie 2)au Ho(jne und neben-
sätze mit pöat zeigen, einen grösseren schätz von abstracten
Substantiven aufweisen, abstracte parallelsätze in fülle haben,
abstracten ausdruck lieben, statt des sinnlichen in Akv., sehr
oft die litotes zeigen.
Alles dies spricht dafür, dass die Akv. hinsichtlich der
spräche einer älteren strengeren, die Am. einer jüngeren freieren
kunststufe angehören. Es gilt nun, die lieder nach ihren
poetischen eigentümlichkeiten zu betrachten.
3. Poetische eigentümlichkeiten.
§ 10. Darstellung im allgemeinen.
Während die diction sich in Akv. durch reichtum, die der
Am. durch einfachheit auszeichnete, finden wir in bezug auf
die poetische darstellung ein umgekehrtes Verhältnis : für die
Akv. ist kurze, straffe darstellung, für die Am. dagegen breite
charakteristisch.
In rascher folge drängen sich die ereignisse in Akv.: der
bericht des boten, der entschluss Gunnars, sein abschied, die
fahrt durchs Hunnenland, die ankunft bei Atlis bürg, die be-
grüssung durch die Schwester, die fesselung Gunnars, gegen-
wehr Hognis, die frage nach dem gold, das ausschneiden des
herzens bei Hjalli und Hogni, die wegführung Gunnars zur
mordstätte, Gudruns fluch, Atlis rückkehr und begrüssung durch
Gudrun, das gelage und die enthüllung der greuel, Gudruns
letzte geschenke, Atlis ermordung, der saalbrand.
Dabei ist mit Avenig strichen manches schöne bild in die
erzählung eingeflochten: von den glänzenden goldringen in
den wellen des Eheins (29,5), von den Jugendübungen der
knaben (40, 5 ff. B), von den früheren Umarmungen der gatten
im kreis der fürsten (43,5): aber die darstellung ist auch hier
stets kurz und knapp, wie in einer bailade, jede breitere aus-
führung einer scene wird vermieden.
Dagegen sind in den Am. einige scenen breiter ausgeführt,
218 BECKER
teils durtii dialoge (s. u. § 13 b), teils diircli scliilderiing-. In
zwei näclitlichen dialogscenen werden sieben traumbilder ent-
rollt. Dann gehört hierher die abschiedsscene am Fjorö. wo
GlaumvQr und Kostbera die scheidenden begleiten, sie vergeb-
lich zurückhalten wollen, Yingi gefragt wird, ob er es ehrlich
meine, Kostbera segensAvünsche, Hogni trostworte spricht, und
beide teile blicke tauschen, bis sie sich trennen. — Sodann
ist Gudruns eingreifen in den kämpf geschildert: sie wirft
den mantel ab, nimmt das nackte seh wert, legt unsanft band
an, indem sie zwei männer niederschlägt, dem einen von ihnen
den fuss abhaut. — Auch die scene, wo Gudrun ihre kinder
schlachtet, hat der dichter der Am. (im gegensatz zu dem der
Akv.) reicher ausgeführt. Gudrun lockt die kleinen herbei,
legt sie an den pf eiler, sie werden furchtsam, aber weinen
nicht, flüchten sich in den schoss der mutter, die ihnen nach
kurzem Zwiegespräch die halse abschneidet. — Eine scene voll
lebendiger kleinmalerei bildet vor allem die episode mit Hjalli.
Als er hört, dass es ihm ans leben gehen soll, läuft er ängst-
lich hin und her, verkriecht sich und beklagt seinen unstern,
der ihn von seinen Schweinen hinwegreisse. Als man dann
das messer nach ihm zückt, schreit er laut auf, ehe er noch
die spitze gefühlt hat, und fleht um gnade, bis Hogni der
posse ein ende macht.
Diese anschaulichkeit der Schilderung geht aber keines-
wegs durch das gedieht durch. Sehr kurz behandelt wird
die einladung (7, 1. 2) im gegensatz zu Akv. str. 3 ff.; ferner die
erschlagung Atlis (84, 5. 7. 8, vgl. Detter und Heinzel s. 563).
Breite der darstellung bedingt noch nicht zugleich anschau-
lichkeit. In der tat hat die breite und die daraus folgende
länge des gedichts nur zu einem teil ihren grund in der be-
vorzugung der Schilderung. Sehr beträchtlich wirken mit
erstens die vielen abstracten parallelsätze (s. oben § 8,5),
zweitens die Vorliebe für lange reden, drittens die Vorliebe
für häufige subjective äusserungen: von den beiden letzteren
eigentümlichkeiten wird unten zu reden sein (§ 13 b, 14).
§ 11. Zeit und ort.
Die erzählung der Akv. spielt sich in sehr kurzer zeit
ab, alle ereignisse von der abreise Guunars bis zum ende des
DIE ATLI-LTEDER DER EDDA. 219
gedic'lits werden von einem tag umschlossen. Die erzälilung
der Am. erstreckt sich auf einen längeren Zeitraum. Aber wir
vermissen an einigen stellen die Überleitung, sodass Sprünge
in der darstellung entstehen. Zunächst findet sich ein solcher
zwischen str.61 und G2 (s.Mogk, Grundriss 2-, 649), wir erfahren
nicht, wann Gunnarr zu den schlangen gebracht worden ist.
Dieser sprung lässt sich vielleicht durch annähme einer lücke
im text entschuldigen (s. Sj'mons ausgäbe s. 454); unm()glicli ist
das dagegen bei dem nächsten falle: vor str. 71 liegt ein un-
ausgefüllter Zeitraum: denn einmal war es allgemeine sitte,
30 tage bis zum erbmahl verstreichen zu lassen '), und zweitens
sagt Gudrun selbst str. 76, dass sie seit dem tod der brüder
sehr selten geschlafen habe: es liegen also nachte dazwischen.
Einen weiteren nicht überdeckten sprung finden wir in der
mitte von str. 74, wo Atli sogleich uacli der ermordung der
kinder sich nach ihnen erkundigt und erfährt, dass er ihre
herzen gegessen hat. Auch ist nicht klar, wann Gudrun die
kinder geschlachtet hat. Die Akv. (36) lässt ganz klar er-
selien, dass sie vor der rückkelir Atlis geschlachtet worden
sind: in den Am. wird dagegen hintereinander erst vom gelage,
dann vom mord, dann von Atlis frage erzählt. Ein weiterer
Sprung in der erzählung liegt, wie Mogk, Grundriss 22, 650
zeigt, zwischen str. 82 und 83: der anstoss zur ermordung Atlis
geht von dem Niflung aus, er ruft erst wider der Gudrun die
Ilggna vijtfayar ins gedächtnis: das deutet auf eine dazwischen-
liegende zeit strecke (s. unten dazu in teil IT, § 43).
Wie die zeitliche, so ist die örtliche Orientierung in der
Akv. völlig klar. Atlis reich liegt südlich von dem Gunnars,
man gelangt hin durch den Myrkviör und kommt durch grüne
felder zur bürg Atlis; die Niflunge treten in den saal, wo sich
der kurze kämpf abspielt; die schlangengrube befindet sich in
Myrkheimr; nach diesem ort wird Gunnarr auf einem wagen
gefahren; in der halle findet das gelage statt, die enthüllung,
der lärm; in seinem schlafgemach wird alsdann Atli getötet.
Anders in Am. Zunächst wird die himmelsrichtung, nach der
die Niflunge fahren, nicht bezeichnet; liass der kämpf ausser-
*) Vgl. Homeyer, Der dreissigste, s. 199 if. (Philologische abhandlungen
der Berliner acad. d. Wissenschaften, 1864).
220 BECKER
halb der halle stattfindet, wird gesagt (43); aber im weiteren
ist nicht klar, wo die schlangen sich befinden, auch nicht,
wo der kindermord, wo das gelage stattfindet; da nacheinander
vom gelage, vom mord, von Atlis frage berichtet wird, so
müssen wir wol annehmen, dass Gudrun während des gelages,
aber in einem andern räum die kinder getötet hat. Endlich
ist auch bei Atlis tod die Situation nicht klar; es heisst 83,
dass die gatten zusammensassen; dann kommt die Unterredung
des Mflung mit Gudrun; dann wird von beiden der schlafende
Atli getötet: wo, erfahren wir nicht näher, während die Akv.
(44) durch erwähnung des bettes die scene deutlich in das
schlafgemach verlegt.
§ 12. Charakterzeichnung.
a) Atlakvil'a,
In der Akv. sind die einzigen wirklichen persönlichkeiten
Gunuarr und Gudrun.
Gunnarr, der in allen drei stücken, A, B und c, besondere
Züge trägt, tritt am greifbarsten natürlich in A hervor. Er
zeigt sich zunächst vor der abreise als ein mutiger, verwegener
lield, der das unheimliche schweigen bricht, indem er sich toll-
kühn, beim klang der goldenen trinkschalen, zur fahrt ent-
schliesst und den Wolfen und baren sein erbe überlässt für
den fall, dass er nicht widerkomme (10. 11); aber ruhig und
gefasst antwortet er seiner Schwester auf die Unglücksbotschaft
(18); zähen sinnes will er sein gold lieber in den wellen des
Eheins geborgen wissen, als in den bänden der Hunnen (29).
Gunnarr tritt ganz in den Vordergrund gegenüber Hogni, der
in A überhaupt nicht redet; ihm ist daher auch das letzte
wort vor dem ende aller Niflunge gelassen, wie im Nibelungen-
lied dem Hagen, wie in den Am. dem Hogni. — In B ist Gunnarr
speciell der mistrauische, der stets zweifei hegte, solang sein
bruder lebte, und der erst mit dessen tode beruhigt ist (28).
— In c ist Gunnarr der empfindliche, dem es gegen die ehre
geht, geschenke anzunehmen, da er selbst reich genug ist (6. 7).
Gudrun ist herb, -wortkarg und tränenlos, eine frauen-
gestali, wie sie die jüngeren dichtungen nicht mehr kennen,
aber keine leblose statue; als treue Schwester Gunnars warnt
sie diesen (16, 5; 8 c), und als er zum tode geführt wird, schleu-
DIE ATLT-LIEDER DER EDDA. 221
dert sie einen flncli gegen den wortbrüchigen Atli, den tränen
wehrend (31. 32); den heimkehrenden empfängt sie mit unheim-
lich zweideutigen worten (36), und sie khirt ihn hernacli kalt
über seine Thj^estesmahlzeit auf (39); keine träne vergiesst
sie, während die männer weinen, über den tod der brüder und
söhne (41); die hausknechte beschenkt sie, und sie gewährt
ihnen sowie den hunden die rettung (42. 43), aber alle andern,
die beim mord Gunnars zugegen waren, auch die schildmädchen,
verbrennt sie zusammen mit dem ermordeten galten, als busse
für die brüder (44, 8. 45).
In B ist sie insofern etwas milder gefasst, als sie mit zarten
Worten an die früheren Jugendbeschäftigungen der knaben er-
innert (40, vgl. Sjmions ausgäbe s. 433).
Die Charakterzeichnung dieser beiden gestalten in Akv. A,
auf so knappem räume, mit so wenig mittein ausgeführt, kenn-
zeichnet den Verfasser als einen echten und grossen dichter,
der die gestalten der sage tief zu erfassen und einheitlich
darzustellen wusste.
Die anderen personen der Akv., Atli, Hogni^), Hjalli,
Knefrodr, Hognis söhn und Fjornir haben auf der anderen
seile wenig oder gar keine individuellen färben: sie steigern
aber durch ihre blässe die "Wirkung der beiden hauptpersonen.
b) Atlamf^l.
Da sich die Am. durch eine grössere personenfülle aus-
zeichnen, so seien zuerst die hauptpersonen betrachtet, dann
die nebenpersonen.
a) Hauptpersonen.
Gunnarr tritt ganz hinter Hogni zurück. Er macht seine
Zustimmung zur fahrt erst von der Hognis abhängig (7, 5)
und erklärt hernach in matten worten (vgl. damit Akv. 10. 11)
seinen entschluss zur fahrt (26). Er wird zwar von Atli der
grimmige genannt (55, 5), tritt aber nirgends im kämpf hervor ;
auch spricht er weder beim abschied noch in Atlis land, und
er zeichnet sich erst durch sein harfenspiel bei den schlangen
aus, das bewegung unter den zuhörern hervorruft (62).
HQgni steht dafür im Vordergrund. Schon rein äusserlich
*) ÜQgnis wilde tapferkeit charakterisiert 20 (B uud c), seine un-
erschrockenheit 24 und 26 (Hjallis herz uud seines) B.
222 BECKER
fällt es auf. dass seine gaitin, Kostbera, die boten begTüsst,
Gunnars gattin für die bewirtung sorgt (6), dass die boten
H^gni und nicht Gunnarr einladen (7), dass zuerst und am
intensivsten H^gni von seiner gattin gewarnt wird, die die
runen beim feuer gelesen hat (9 it.), dass zwei erwachsene
söhne H^gnis und sein schwager mit namen eingeführt werden
(Sni^varr, Sölarr, Orkningr 28), dass HQgni das abschiedswort
spricht (32). Seine gesinnung charakterisiert er selbst str. 13:
argwöhn liegt ihm fern, er will von verderben nichts wissen,
ehe es nicht so klar vor ihm liegt, dass er es rächen muss.
Auch in Atlis land steht Hogni ganz im mittelpunkt: er klopft
am gitter (35), er erwidert Vingi (37), er wird zuerst genannt,
als Atli den befehl zur tötung gibt (55), er antwortet ruhig
und sicher dem letztern (56); um seine heldenhaftigkeit ins
licht zu setzen, wird Hjallis feigheit so ausführlich dargestellt,
während Akv. darüber kurz hinweggeht (57 — 59); er verlangt
selbst den tod, um das geschrei Hjallis nicht länger anhören
zu müssen (60); er hinterlässt einen söhn und rächer (84).
Aber H^gni ist es auch, der seiner Schwester innerlich am
nächsten gestanden hat: um ihn vor allen klagt sie, mit dem
sie zusammen aufgewachsen sei, gespielt habe, von der mutter
beschenkt worden (67. 68); und als sie zur räche schreitet, da
ist es die behandlung HQgnis, die ihr wider in den sinn
kommt (84,2).
Mit der prachtvollen, lebenstrotzenden gestalt Gunnars in
der Akv. kann sich diese ziemlich tj^pisch gezeichnete gestalt
allerdings nicht messen; aber sie ist dem dichter der Am. unter
den hauptpersonen entschieden am besten gelungen: sie ist aus
einem guss.
Die Gudrun der Am. ist der der Akv. in ihrer schwester-
lichen liebe verwant, wie wir schon sahen. In der hauptsache
ist sie aber wesentlich anders gezeichnet als jene.
Zunächst wird in den Am. viel stärker als in der Akv.
ihre klugheit betont (direct vom dichter str. 3 und 70); nicht
nur warnt sie die brüder durch runen (3. 4), sondern sie stellt
sich sogar später, nach anfänglicher Zornesaufwallung, Atli
gegenüber resigniert (69), und heuchelt leichten sinn (70, 7. 8),
um ihr ziel zu erreichen.
Ferner ist Gudrun in den Am. eine streitbare frau, die
DIE ATLI-LTEDER DER EDDA. 223
frülier mit Sigurör und ihren zwei brüdeni auf lieerfahrt aus-
gezogen war (92. 93), lieinacli in den kämpf zwischen Atli
und den briidern selbst eingreift und dabei zwei mämier er-
sclilägt (47).
Endlich ist diese Gudrun ebenso schlagfertig mit der
zunge wie mit dem scliwert: sie erwidert Atli auf seine klagen
mit so scharfen Worten, dass er ihre brüder martern lässt
(53. 54. 55); sie droht Atli nach deren tode mit einer schlimmen
erbschaft und erklärt jede Versöhnung für ausgeschlossen (G5.
67); sie sagt ihren kindern, dass es sie schon lange gelüstet
habe, sie vom leben zu heilen (73); sie lohnt Atli seine höh-
nische ankündigung des morgens, indem sie ihm den abend
ankündigt (76), und erklärt ihm, keine behandlung sei schlimm
genug für einen solchen fürsten (81); sie wirft noch dem sterben-
den die früheren zwistigkeiten in seiner familie und seine feig-
heit vor (91. 95).
Durch diese beiden züge, die Streitbarkeit und die Zungen-
fertigkeit, hat die gestalt an äusserer lebhaftigkeit gewonnen.
Dass sie aber umgekehrt an feinheit und an wirklicher grosse
dadurch verloren hat, lehrt der vergleich mit der Gudrun der
Akv. Dadurch dass die Gudrun der Am. schon am anfang
der katastrophe als kriegerisches weib auftritt, erscheint ihre
rachetat an Atli (von der beihilfe des Niflung ganz zu schweigen)
bei weitem nicht so bedeutend wie in der Akv., wo Gudrun
sich erst am schluss über die schwäche ihres geschlechts er-
hebt. Auch wird durch die langen vorhergehenden und nach-
folgenden reden der eindruck ihrer taten nur abgeschwächt,
im gegensatz zu denen der wortkargen Gudrun der Akv. Zu
wirklich psychologischer Vertiefung haben auch die reden
Gudruns nicht geführt: nur Streiflichter beleuchten hier und
dort das Seelenleben der nordischen frau: wie wenig dem
dichter eine wirkliche Vertiefung des gesammten Charakters
gelungen ist, kann Gudruns brutale Unterhaltung mit ihren
kindern vor dem mord derselben (73) zeigen. Hier halte man
zum vergleich die analoge scene in Euripides' Medea daneben,
wo die heldin in allen ihren seelenkämpfen vorgeführt wird.
— Auch die motivierung lässt öfters zu wünschen übrig: es
wird uns nicht verständlich, wie Gudrun die ermorduug HQgnis
vergessen konnte, an die sie erst wider durch den Niflung
224 BECKER
erinnert wird (84); wir verstehen aucli nicht, was sie zum
scliluss zur milde gegen Atli bewegt (97. 98). — Dem gegen-
über ist die Gudrun der Akv. einheitlich und klar gezeichnet :
sie hält sich vom kämpf fern (31,7), redet wenig, führt aber
mit der ganzen dämonischen Wildheit eines gemishandelten
weibes ihre räche sofort schlag auf schlag aus bis zur letzten
consequenz.
Atli ist in den Am. im gegensatz zur Akv. wol eine wirk-
liche persönlichkeit, aber eine wunderliche. Zunächst ist er
eiu grausamer, habgieriger tj'rann, der Gudruns mutter aus
habgier getötet hat, ihre iiichte hat verhungern lassen (53, 3 ff.),
der, um Gudrun schmerz zu bereiten, ihre brüder grausam
töten lässt (54. 55). — Mit dieser eigenschaft verbindet sich
aber eine auffallende Sentimentalität: Atli beklagt sich in
langer rede über das unheil, das ihm durch die verwanten
und das verderbliche weib zugefügt sei, über den tod der
Schwester, den er am meisten empfinde (50—52); er sagt, als
er die wunde empfangen hat, Gudrun habe übel getan, einen
vertrauensvollen freund zu betrügen, und erinnert sie an seine
brautwerbung mit ihrer reichen ausrüstung und an seine statt-
lichen brautgeschenke (88. 89); er beklagt sich über ihre ge-
ringe dankbarkeit, und über ihre Unfreundlichkeit gegen ihre
Schwiegermutter (90). — Ausserdem ist Atli feige. Nach dem
mord sucht er die zornige gattin durch geschenke zu beschwich-
tigen (66); nach dem tod der kinder lässt er jene trotz an-
gedrohter todesstrafe leben (82), und noch am schluss muss
er sich seine feigheit, seine nachgiebigkeit gegenüber der
thingversammlung vorwerfen lassen (95).
Wenn sich nun die feigheit auch mit dem bild eines
grausamen tyrannen verträgt, so mutet der sentimentale ein-
schlag in Atlis Charakter seltsam an. Auch bei dieser gestalt
ist es dem dichter nicht gelungen, ein einheitliches bild zu
zeichnen. Der grund ist wol darin zu suchen i), dass er dem
heroischen Zeitalter schon zu fern stand, um die alten sagen-
gestalten noch völlig erfassen zu können. Dadurch erklärt
sich auch die anpassung der sage an specifisch nordische Ver-
hältnisse, an die Umgebung des dichters: das gelage, bei dem
1) Vgl. Mogk, Gnindriss 2^, 651.
DIE ATLI-IJEDER t)ER EDDA. 225
Gudrun Atli bewirtet, ist zum erbmahl, erfi, geworden (71);
den Staat Atlis kann sich der dicliter nicht ohne eine thing-
versammlung denken, die die macht des fürsten einschränkt (95).
ß) Nebenpersonen.
Besser als Gudrun und Atli sind dem dichter die neben-
personen Kostbera, Glaumy^r, Yingi, Hjalli gelungen. Hier
konnte er einfache gestalten nach dem leben zeichnen. Wenn
wir Atli und Gudrun als verunglückte figuren ansehen müssen,
sind jene als wolgelungene typen zu bezeichnen.
Das gilt zunächst von Glaumv^r und Kostbera, 'zAvei
frauen in ihrer liebe zum gatten und mit ihrem weiblichen
ahnungsvermögen einander gleich' (Mogk, Grundriss 2-, 648).
Sodann ist Vingi im gegensatz zu dem KnefrQdr der Akv,
eine greifbare und lebendige gestalt: er fälscht selbständig die
runen, die Gudrun ihm übergeben hat (4); er schwört, als
GlaumvQr ihn auf seine redlichkeit prüfen will, die joten
mögen ihn holen, an den galgen wolle er kommen, wenn er
auf schaden sänne (30); als aber die Nifiunge am tor vor
Atlis gehöft anlangen, da offenbart er ihnen, dass betrug
hinter seiner einladung verborgen gewesen sei, und fordert
sie jetzt, wo es zu spät ist, höhnisch auf, wider umzukehren,
sonst sollten sie warten, bis er ihnen den galgen gezimmert
habe (36).
Eine sehr lebendige gestalt ist endlich Hjalli, der koch.
Wie er den Vorschlag, ihn statt H^gni zu töten, hört, läuft
er hin und her, verkriecht sich und beklagt sein geschick, dass
er für anderer leute streit büssen solle, seine seh weine und
seine reichliche nahrung verlassen müsse. Als er dann das
das blanke messer sieht, da schreit er und will gern die gras-
plätze düngen und die schmutzigste arbeit verrichten, wenn
er nur sein liebes leben retten könne (58. 59).
Ganz blass gezeichnet sind dagegen Sn^varr und Solarr,
die beiden söhne, und Orkningr, der Schwager HQgnis, der
wol als deren erzieher gedacht ist (28, spec. v. 4): sie fallen
alle drei, nachdem sie im tapfern kämpf achtzehn feinde ge-
fällt haben (49, 7 ff.). Ebenso sind Beiti, der haushofmeister
Atlis (57) und der Niflung am schluss des gedichtes (83 ff.)
gestalten dritten ranges.
Beiträge zur geschichle der deutscheu spräche. XXXIII. J^5
226 BECKER
Wenn wir die Stellung der Charaktere in den beiden Atli-
liedern im ganzen vergleichen, so fällt auf, dass dem dichter
der Am. viel mehr daran gelegen ist als dem der Akv., die
Personen in den Vordergrund zu rücken, während jener als
echter epiker den hauptnachdruck auf die taten und ereignisse
legt. Das führt uns zu einer weiteren beobachtung.
§ 13. Lyrisches und rhetorisches element.
Die Akv. ist ein rein episches gedieht: in den Am. stossen
wir dagegen auf zwei andere elemente: das IjTische und das
rhetorische.
a) Es lag in der entwickelung der eddischen poesie, dass
sich das lyrische verweilen beim ausdruck von gefühlen immer
stärker in den Vordergrund drängte, wie wir das in GnpYÜ-
narkvijm I, Sigurj^arkvipa en skamma, HelreiJ?, Odrünargrätr
am deutlichsten ausgeprägt finden.
LjTisches betonen des gefühlslebens zeigen nun auch in
den Am. einige stellen. Am schönsten str. 68. 69, wo sich
Gudrun an ihre mit H^gni verlebte Jugend erinnert und dann
zu ihrem gegenwärtigen geschick zurückkehrt:
Alen vit iipp vorom i eino hüse,
lekom leik margan ok i luude exom,
gäMe okr Grimliildr golle ok halsmenjom —
baua mont mer brafra böta akkege etc.
Aber — so fährt sie mit erheuchelter ergebung fort — : das
los des weibes ist, zu leiden:
kostom drepr kvenna karla ofrike,
i kne gengr hnefe, ef kvister }>verra,
tre tekr at hniga, ef haggr tog uiidan:
nu matt eiun, Atle, qIIo her raf>a.
An einer anderen stelle (76) sagt Gudiün dem Atli, wie
sie selten geschlafen habe seit dem tode der brüder: einst
habe er ihr den morgen angesagt, nun sei es abend geworden.
Sonst aber herscht in den Am. ein kräftiger ton. Scharfe
invectiven sind mehr beliebt als eigentlich lyrische äusserungen.
Insofern stehen die Am. in der mitte zwischen den alten rein
epischen gedichten, wie Akv. und Harap'esmr^l, und einem von
hoher lyrik durchzogenen, wie Gdkv. I (besonders str. 17 ff.).
b) Dazu tritt, oft mit dem lyrischen verbunden, das rhe-
torische element. Hier sei von subjectiven rhetorischen äusse-
DIE ATLT-LIEDER DER EDDA. 227
rungen des dicliters noch nicht die rede. Dagegen sei die
tatsaclie hervorgelioben, dass die personen der Am. sich gern
in langer rede anssprechen auch da, wo es der gang der hand-
lung durchaus nicht nahelegt oder gar notwendig macht. Schon
äusserlich fällt auf, dass die Am. 6 längere dialoge (11 — 19,6.
21—26. 50—56. 64,5 — 69. 75—82. 85,5 — 97) und zwei kurze
(36 — 37, 6. 73) besitzen, während die Akv. A und c nur je einen
kürzeren (c 6 — 8. A 16,5 — 17,4. 18) aufweisen. Heusler (Der
dialog in der altgermanischen erzählenden dichtung, Zs. fda.
46, 193) hat berechnet, dass allein auf die Unterhaltung zwischen
beiden gatten in den Am. 248 kurzverse fallen, in der Akv.
nur 30.
Eine 13'riscli gefärbte rhetorik finden wir da, wo Gudrun
dem Atli enthüllt, was aus seinen kindern geworden ist (75
. — 79); Akv. A hat an der entsprechenden stelle nur eine
Strophe (39). Rhetorisch ist ferner Atlis klage über den tod
seiner mannen, seiner brüder, seiner Schwester (50 — 52). Vor
allem gehört hierher Atlis vorwurfsvolle rede, worin er auf
seine glänzende brautfahrt hinweist (86,7 — 90), und Gudruns
ablehnung dieser vorwürfe und erzählung von ihrer glück-
lichen Vergangenheit, als sie Sigurds gattin war, von ihrer
schmerzlichen verwittwung und noch schmerzlicheren zweiten
Vermählung, von Atlis feigheit; in der Akv. fällt am schluss
zwischen den gatten kein wort mehr. Auch hinsichtlich
solcher rhetorischen rückblicke stehen die Am. in der mitte
zwischen den alten einfach epischen gedichten und den jüngeren
sogenannten Übersichtsliedern.
§ 14-. Hervortreten des dichters.
In beiden gedichten kommt gelegentlich der dichter selbst
zu Worte. Dieses subjective moment der darstellung erscheint
aber in der Akv. sehr selten, in den Am. sehr häufig und intensiv.
a) Von reflexionen hat die Akv. sehr wenig; 9, 5. 6 sagt
der dichter in bezug auf Gunnars kühne worte: kvadde ])d
Giinnarr, sein konungr skylde; in bezug auf den mord Atlis
sagt er 43, 5 ff. oj^^ vas leiJcr hetre, Jjds pau lint shjldo optarr
um faJmiasJc . Dem bearbeiter c gehören alsdann die
worte 20, 5 svd sMl frehi verjash ftgndom sinom sem Hggne
var])e ; dem interpolator d 34, 10 ff. svd sJcal golle frökn
15*
228 BECKER
hringdrifc vi]) fira halda. In den Am. findet sich derartiges
häufig. Besonders liebt der dichter hinweise auf das nur ihm
bekannte ende, die die objective darstellung der Akv. gar nicht
kennt. Von der ratsversanmilung an Atlis hof heisst es 1, 6
yggt vas peim sijmn, oJc et sama sunom Gjiika, es v^ro sann-
rdlmer. Weiter reflectierend str. 2
SkQp 6x0 skJQlduüga, skyldo fara feiger,
illa rezk Atla, ätte po hyggjo;
felde stoJ> störa, stridde ser harpla.
Von Viiigi sagt der dichter 4, 3 fdrs vas flytande. In bezug
auf die einladung Vingis 7, 3 syn vas svipvise, efpeir sin gcepe.
Ueber die geringe zahl der Niflunge sagt er 27, 8 liugat vas
Pvi illa. Als sich dann am fjord die wege trennen, da sieht
der dichter das Schicksal walten (33): Jxi hyJck slgp skipta
(1. pers. sing.!). Von Vingi vor Atlis gehöft sagt er (35,7. 8):
orp Iva]) ])d Vingi, ])ats hetr an vcere. Von Gudruns begrüssung
(44, 6): sü vas liinzt kve])ja. Eeflectierend ist auch eine paren-
these wie 60, 2 gerva svd fcere (als nämlich HQgni für Hjalli
fürbitte einlegt).
b) Auch lobeserhebungen und preis der heldentaten sind
in den Am. stärker vertreten als in der Akv. x4.us letzterer
gehört (abgesehen von den oben s. 227 besprochenen reflexionen
9, 5. 20, 5. 34, 10) hierher nur die Schlussstrophe 46 (B), die sich
immei- noch in bescheidenen grenzen hält:
ferrat svä sipan
brvi)7r i brjujo bropra at befua,
bou befr priggja Jjjöpkonuuga
banorf» boret bjqrt, äfr sylte.
Stärker in den Am. Vom kämpf der Niflunge 48
pJQiko J?ar gOT]?o, peire vas vif> brugl»et,
brä of alt annat, es unno bcjm Gjüka.
Von den getöteten brüdern 63, 3. 4 Icto a leste Ufa iprötta.
Mit prachtvollen Worten feiert namentlich in der schlussstrophe
der dichter die kinder Gjükis als unsterblich:
ssell es bverr sipan, es slikt getr fepa
j6f> at afreke, sem es 61 Gjüke:
Ufa mou J7at epter ä lande hverjo
)?eira f>räni£ele, hvarges J?j6p beyrer.
Diese starke betonung des nachruhms hängt aufs engste mit
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 229
dem gesteigerten selbstbewusstsein des dicliters zusammen. Der
dichter weiss, dass er es ist, der den lieldentaten die Unsterb-
lichkeit sichert.
c) Das subjective moment zeigt sich noch in einer dritten
erscheinung, die nur den Am. eigen ist. Während der dichter
der Aky. die ereignisse einfach erzählt, ohne weitere worte
darüber zu verlieren, liebt es der der Am., die ereignisse ein-
zuleiten, vorher zu besprechen, ehe er sie darstellt, besonders
auch die personen in directester weise zu charakterisieren und
die Seelenvorgänge zu bezeichnen, um das Verständnis beim
hörer zu erleichtern (s. zum letztern Mogk, Grundriss 22, 651).
Man vergleiche den anfang der beiden lieder. Akv. be-
ginnt einfach: Atle sende dr til Gimnars; die Am. dagegen
leiten ein: Freit hefr gld öfö, ])ds endr of gerpo etc. Als die
Niflunge zu Atlis bürg kommen, sagt Akv. einfach str. 14 land
SQO ])eir Atta oh lipskjalfar ; die Am. dagegen geben eine
Überleitung 35 litto oh lengra — loh monh ])ess segja — hö
SQO peir standa . Als HQgni das herz ausgeschnitten
wird, sagt die Akv. einfach, 25
hl6 ]?ä HQgne, es til hjarta skgro
kvikvan kumblasmip, klekkva sizt hugpe.
die Am. dagegen str. 61, mit einleitung:
prifu peir p'jöf'gopan — pä vas kostr enge
rekkom rakklötom räp enn lengr dvelja.
hlo pä HQgne, heyrpo dagmeger,
keppa svä kunne, kvQl hann vel J^olpe.
Wie Gunnarr bei den schlangen gestorben ist, sagt Akv. ein-
fach 35 Atte Ut rinna lands sins d vit j6 eyrshaan ; die
Am. dagegen charakterisieren Atlis Stimmung 64 storr pöttesh
Atte, ste of pd hdpa. Als Gudrun sich nach dem mord der
Niflunge verstellt und ergebung heuchelt, hebt der dichter
Atlis leichtgläubigkeit und Gudruns falschheit hervor:
70, 1 — 4 gnott vas grunnyp'ge, es gramr pvi tnipie.
syn vas svipvise, ef hann sin gsepe.
Weiter hebt er ihre Verstellungskunst, ihre rachsucht, ihre
grausamkeit hervor (str. 70. 72. 74):
70, 5—8 krQpp vas pä Gujjrün, kunne of hug meela,
lett hön ser gerj^e, lek hon tveim skJQldom.
230 BECKER
72, 1 — 4 sti-QDg vas storhugo]?, stridde aitt Bu)?la,
Tilde ver sinom viniia ofrhefnder.
74, 1 — 4 bra pä barnösko bröpra en kapsvinna,
skiptet skaplega.
Nach alledem ist die darstellungsform der Akv. als eine mehr
objective, die der Am. als eine mehr subjective zu bezeichnen.
§ 15. Schlussbemerkung.
Die betrachtung und vergleichung der poetischen eigen-
tümlichkeiten der beiden gedichte liess starke gegensätze
hervortreten. Kurze, knappe darstellung fanden wir in der
Akv., breite Schilderung, lang ausgesponnene dialoge, lyrik
und rhetorik in den Am.; klarheit und einfachheit in bezug
auf zeit und ort in der Akv., mehrfache Sprünge und Unklar-
heiten in den Am.; grossartig heroische Charakterzeichnung
bei den hauptpersonen, gänzliches zurücktreten der neben-
personen in der Akv., unbeholfenheit in bezug auf zwei haupt-
personen, liebevolle Zeichnung der nebenpersonen in den Am.;
völliges zurücktreten des dichters in der Akv., starkes hervor-
treten desselben in den Am. Nach alledem können wir sagen,
dass die Akv. ') das werk eines klassikers ist, die Am. das
eines epigonen.
4. Einige literaturgeschichtliche fragen.
§ 16. Beziehungen der lieder zu einander.
Bisher haben wir die beiden lieder stets als selbständig
nebeneinander gestellt. Nun aber erhebt sich zunächst die
frage, ob etwa das eine im anderen benutzt worden sei. Die
Übereinstimmung in gewissen (s. unten § 22) grundzügen der
sage beweist hierfür nichts. Nur formale anklänge könnten
solche beziehungen beweisen.
1) Befragen wir zunächst den Wortschatz. Unter den
zusammengesetzten Substantiven (in der Akv. 41, in den Am. 33)
finden sich nur 2 gemeinsame: glshdler und hüsharlar. Unter
den zusammengesetzten adjectiven (in der Akv. 37, in den Am.
36) kehrt nur 1 in beiden gedichten wider: afkdrr. Unter den
abstracten Substantiven (Akv. 80, Am. 134) sind 6 gemeinsame,
I
*) Hier ist wider speciell Akv. A gemeint, da sie für uns der einzige
wirklich greifbare teil des gedichts ist.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 231
aber es sind auch ganz gewöhnliche Wörter: sliQp, hugr, leih;
rei])e, dau])e, meipmar. — Der Wortschatz spricht also nicht
für benutzung.
2) Wenn wir weiter nach w^örtlichen anklängen suchen,
so finden wir allerdings einen gemeinsamen halbvers, Akv. 25, 1
= Am. 61, 5 lilü ])d Ilggne. Aber auch damit ist nicht viel
zu erweisen, denn der versanfang JiJö pd + name findet sich
noch mehrfach in den heldenliedern (Ham|:'esmol 20 Mo Jjd
JgnniinreMr, Brot 10 Mo J)d BrynMldr, Sigurp'arkvil'a 30 Mo
J)d Brijnlülä); Gu}?rünarkvi]m III, 9 Mo pd Atta hugr), ist also
formelhaft, und so können beide dichter ihn unabhängig von
einander gebraucht haben. Ebenso möglich ist es aber auch,
dass die Übereinstimmung der beiden texte auf der erinnerung
an eine gemeinsame quelle, an ein älteres drittes lied (vgl.
Symons ausgäbe s. 453) beruht. Das ist sogar hier insofern
wahrscheinlicher, als beide mal der viersilbler aus dem gefüge
des sonst eingehaltenen Mälahättr herausfällt.
Sonst finden sich keine wörtlichen anklänge zwischen
irgend einem teil von Akv. und Am.
3) Auf der anderen seite spricht gegen beziehungen der
lieder unter einander das, was sich uns am schluss des zweiten
teiles, nach betrachtung der sagengestalt der beiden lieder,
herausstellen wird (s. unten § 48). Demnach werde ich im
folgenden die beiden Atli-lieder immer als zwei von einander
unabhängige denkmäler behandeln.
§ 17. Das relative alter der lieder.
Da directe beziehungen zwischen den beiden liedern nicht
nachzuweisen sind, fehlt es natürlich auch an directen anhalts-
punkten für die entscheidung der frage nach dem relativen
alter. Als das ältere gedieht ist zwar die Akv., als das jüngere
die Am. schon mehrfach in anspruch genommen worden, aber
von einem strengen beweis für die richtigkeit dieser anschauung
dürfen wir bisher doch kaum reden. Ein solcher beweis lässt
sich aber, wie mir scheint, durch herbeiziehung der Guj?rün-
arkvil?a II (en forna) führen. Ich glaube nämlich zeigen zu
können, dass diese vom dichter der Am. benutzt worden ist,
ihrerseits aber die Akv. benutzt hat, also in der mitte zwischen
den beiden Atli-liedern steht.
232 BECKER
1. In den Am. finden sich zwei nächtliche scenen, die
ihrer anläge nach in der Edda nur in Gökv. II etwas ähnliches
haben. Am. 14 — 19 werden von Kostbera dem H^gni drei
beängstigende träume erzählt, die dieser jedesmal ins gleich-
giltige deutet. Dann werden Am. 21—25 von GlaumvQr dem
Gunnarr vier träume erzählt, deren einer, 22, von Gunnarr
ebenfalls ins gleichgiltige ausgelegt wird; die deutungen zweier
träume (21a und 24a) scheinen verloren, und der letzte träum,
25, wird von Gunnarr kurz abgetan 26 semat's at segja. Mit
diesen scenen ist zu vergleichen Gökv. II str. 39 — 44. Str. 39
erzählt Atli einen schlimmen träum, str. 40 deutet ihn Gudrun
ins gleichgiltige und günstige; str. 41. 42. 43 erzählt Atli weiter
drei schlimme träume, worauf ihn Gudrun str. 44 mderum mit
einer deutung ins gleichgiltige zu beruhigen sucht.')
Dass die anläge dieser nachtscene in Gökv. II für Am.
vorbildlich gewesen sein möge, hat schon Finnur Jönsson, Litt,
bist 1, 296 ausgesprochen. Zui' näheren begründung der Ver-
mutung möchte ich zunächst auf einiges inhaltliche hinweisen,
das beziehungen zwischen Gökv. II und Am. in dem genannten
sinne wahrscheinlich macht.
Auffallend ist zunächst Glaumvcirs zweiter träum (22).
Sie erzählt, sie habe den gatten durchbohrt gesehen, nachdem
sie vorher (str. 21) erzählt hat, dass sie ihn zum galgen habe
schreiten sehen, und dass ihn schlangen lebendig gefressen
hätten. Dieser letztere träum (21) soll ganz einfach das
vorhersagen, was sich nachher wörtlich so ereignet (55, 6. 7. 8).
Der dritte träum (24) ist symbolisch, der vierte (25) führt im
sinne des Seelenglaubens das motiv fort. Dagegen ist der
zweite träum (22) hier ohne sinn und zweck: er gibt direct
eine todesart Gunnars an, die hernach gar nicht eintritt. 2) —
Erklärlich wird uns dagegen die abschweifung des dichters,
wenn wir annehmen, dass ihm der erste träum Atlis (Gökv.
^) In den Eddaliedern findet sich ausser Am. und Gökv. 11 keine ähn-
liclie scene, dagegen in der prosaliteratur, vgl. Gunnlaugssaga c. 2 (Asmiind-
arson s. 3f.).
^) Der Verfasser der VQlsungasaga hat gefühlt, dass die beiden träiime
21 und 22 mit zwei verschiedenen todesarten nebeneinander nicht passen;
er hat nur den zweiten behalten (cap. 35), vielleicht weil ihm der erste zu
deutlich erschien.
DTE ATLI-LTEDER DER EDDA. 233
n, 39) vorschwebte, nach welchem Atli von GiuTri'm durch-
bohrt wird.
Auffallend und für sich allein unverständlich ist sodann
an der stelle, wo Gudrun die busse Atlis abweist, die bemer-
kung (Am. 67, 3. 4): sleü eh pd satter, es vgro sal-ar minne 'ich
lehnte Versöhnung ab, als es sich um geringere schuld handelte'.
Yerständlich wird sie dagegen sofort, wenn man sie als reminis-
cenz an Gökv. II, 18 — 21 auffasst. Grimhild fragt ihre söhne,
wer der Gudrun busse für den erschlagenen söhn und gatten
zahlen wolle:
18 hverr vilde sim systor beta,
epa ver vegenn vilde gjalda.
Beide erklären sich bereit, gold zu bieten:
19 gQiT lezk Gminarr goll at bj6]7a
sakar at böta, ok et sama Hogne.
Dann kommen ihre bez. Atlis boten zu Gudiim und bieten ihr
kleinode als sühne für den schmerz:
21 hverr vilde mer hnosser velja,
hnosser velja, ok hngat mtfela,
ef mgette mer margra süta
trygfer viuna — ne trua gerpak.
Sie lehnt die busse ab, wie sie an der genannten stelle der
Am. sagt. Da betäubt sie Grimhild mit einem trank und
raubt ihr mit gewalt — zwar nicht die erinnerung an Sigurds
tod (str. 30) — aber den zorn gegen die brüder: ne sakar
mynpjaJc: sahir nennt auch in Am. 67 Gudrun jene frühere
schuld. Dass Gudrun den tod ihres gatten und söhnchens
immer noch für ein geringeres (sakar minne) als den Untergang
ihres ganzen geschlechts bei Atli ansieht, ist selbstverständlich.
Zu diesen beiden stellen in Am. treten nun noch mehrere
wörtliche anklänge, die von E. Leonhardt in seiner Unter-
suchung über den mälahättr der Am. hervorgehoben worden
sind. An
Gökv. II, 26, 3 fjglß ah fear erinnert Am. 88, 7 par vas fjglp fear; an
Gökv. 11,2,7 epa goll gloprautt erinnert Am. 13, 5. 6 — golle reifa glopraupo;
an Gökv. 11, 10,1 svarape Hggne erinnert Am. 32, 1 Hggne svarape; au Gökv.
n, 19, 4 ok et sama Hggne erinnert Am. 1,7 oTc et sama sunom Gjüka.
'Dass diese Übereinstimmungen nicht auf zufall, sondern
auf (bewusster oder unbewusster?) nachbildung beruhen, ergibt
sich aus folgendem: a) goll mit attribut. glöpraupr erscheint
234 BECKER
nur an den citierten stellen der Am. und Gökv. II, sonst nir-
gends in der Edda. Eine präteritalform von svara begegnet
im vers nur noch Ham]'esmol 13, 1. Die Verbindung ßglp fear
ist in der gesammten Edda ausser in Am. und Gökv. II nur
noch einmal, Gröttasongr 5, 3, zu belegen. Dem allgemeinen
dichterischen formelschatz gehören diese Wendungen also nicht
an. b) Jeder der vier verse der Am., die anklänge an Gökv. II
zeigen, enthält irgend eine metrische Unregelmässigkeit' (Leon-
hardt a.a.O. § 15, 5, s. dort auch das nähere über diese Unregel-
mässigkeiten).
Damit ist wol als erwiesen anzusehen, dass der dichter
der Am. die Gökv. II kannte und benutzte.
2) Nun zu den beziehungen zwischen der Gökv. II und
der Akv. Dunkel und merkwürdig bleibt zunächst trotz aller
erklärungen str. 40 der Gökv. 11, in der Gudrun Atlis ersten
träum deutet:
pat's fyr elde, es iarn dreyma,
fyr dul ok vil drosar reipe;
monk pik vif» bqlve brinna ganga,
likna ok Igekna, pot mer leipr seer.
'Träumt mau von eisen, ist aiissicht auf feuer, und frauenzorn deutet auf
frohsinn und stolz, ein gebrechen dir werd ich durch brennen heilen, ob
auch wenig dir hold, dich warten und pflegen'
Übersetzt es Gering, der an ausbrennen eines geschwüres denkt
(Übersetzung s. 248 n. 1). Merkwürdig bleibt es immerhin, wie
Gudrun hier von dem schwer t, von dem Atli getränmt hat
39, 7, auf das feuer kommt, zumal sie daneben sogleich in
der zweiten zeile eine andere deutung des mordtraumes ver-
sucht. Dem dichter scheint ein mit Gudrun in Zusammenhang
stehendes feuer vor äugen geschwebt zu haben: was liegt da
näher, als an den saalbrand zu denken, den Gudrun nach Akv.
44, 5 ff. (in den Am. kommt er nicht vor) entfacht? Die er-
inuerung daran könnte bei dem dichter der Gökv. II die hier
etwas unangebrachte erwähnung eines feuers durch Gudrun
veranlasst haben.
Schwerer fällt schon in die wagschale der wörtliche an-
klang zwischen Akv. 39,3. 4 und Gökv. 11,42, 5. 6:
Akv. hjqrto hr«dreyrog vi]? hunang of tuggen
Gökv. II hJQrto hug}?ak peira vij? hunang tuggen.
Schon Müllenhof f (D.A.5,395) hat vermutet, dass hier die Gökv. II
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 235
von der Akv. beeinflusst sei. Um zu entscheiden, welche stelle
die ursprüngliche, welche die nachgebildete sei, nehmen wir
widerum zu einer metrischen beobachtung unsere Zuflucht.
Sievers hat nämlich (Beitr. 6, 343) darauf hingewiesen, dass in
Gökv. II als in einem fornyrdislaggedicht der halbvers hjgrto
Jiugpali pcira anstössig sei; dass man nun zwar leicht peira
streichen könne, aber dass damit der parallelismus zu 43,5
{Jiold lingpak Jteira) verloren gehen würde. Schlecht ist also
der vers in Gökv. II, wir dürfen ihn aber nicht verbessern,
sondern müssen ihn hinnehmen wie er ist. Ist ferner der
entsprechende vers Akv. 39, 3. 4 metrisch ganz unauffällig, so
müssen wir ihn auch als den ursprünglichen und damit als
das Vorbild für Gökv. II, 46, 5. 6 ansehen. Indem der dichter
im ersten halbvers der zeile hjgrto, im zweiten vip hunang
titggen widergab, suchte er zugleich im eisten noch das verbum
mit subject Qmgpah) und das bestimmende pronomen (peira)
unterzubringen: darunter musste der halbvers leiden.
Einen weiteren anklang ') zeigen die stellen Akv. 44, 4 ok
huelpa leyste und Gökv. II, 43, 2 hvelpa losna, der nach dem
vorher festgestellten auch als ein zeichen der abhängigkeit
der Gökv. II von der Akv. anzusehen ist.
Die stellen, welche uns zur annähme dieses Verhältnisses
von Akv. und Gökv. II geführt haben, gehören nun alle der
Akv.A an. Wir können daher mit bestimmtheit nur sagen,
dass A, das alte mälahättrgedicht, älter ist als die Gul:>rünar-
kvi]>a: damit auch älter als die Atlamol, die von der Gökv.
abhängig sind.
In welchem zeitlichen verhältniss dagegen das uns als
^AtlakviJ'a' erhaltene zusammengesetzte und interpolierte ge-
dieht zu den Am. steht, können wir nicht wissen.
§ 18. Die bezeichnimg en grönUnzlia, grmlenzlco.
1) Beide Atli-lieder werden im Codex Regius als grön-
ländisch bezeichnet. In bezug auf die Am. ist die herkunft
aus dem amerikanischen Grönland über jeden zweifei erhoben
durch Gröndal (Ant. Tidskr. 1861—63, s. 373) und Bugge (Forn-
kvaedi 433). Es sei gestattet, ausserdem auf einiges in der
darstellung der Am. hinzuweisen, was an grönländische ver-
») S. Detter und Heinzel 2, 506.
236 BECKER
hältnisse erinnert, wie wir sie aus der saga von Eirikr dem
roten und dem Grünlendinga J^ättr kennen lernen. Gestalten
aus der gescliichte seiner heimat mögen dem dichter vor-
geschwebt haben, als er die gestalt Gudruns ausmalte. Wenn
er sie erzählen lässt, dass sie in ihrer Jugend zusammen mit
ihren brüdern und Sigurdr auf Seefahrten ausgezogen sei
(Am. 92), so wird man erinnert an frauen wie Gudridr, por-
steins gattin, oder Freydiss, Eiriks des roten tochter, die
zusammen mit den männern auszogen, um nach dem ver-
heissungsvollen Vinland zu gelangen (Gr. p. Storm s. 63. 66. 69).
Besonders mag auf die Charakterzeichnung der grönländischen
streitbaren Gudrun eingewirkt haben eine gestalt wie Freydiss,
die mit dem schwert in der band, als die ihrigen sich zurück-
ziehen, den feindlichen Skrselingar entgegentritt (Eirikssaga
Storm s. 40. 41); die aber auch mit Gudrun die grausamkeit
gemein hat, indem sie das brüderpaar, mit dem sie nach Vin-
land gefahren ist, ermorden lässt und eigenhändig mit der
axt mehrere frauen tötet (Gr. p. s. 71). Auch die bestattung
in einer Jcista (Am. 97) findet sich hier mehrfach (Eirikssaga
S.24; Gr. 1^. s. 64. 65).
2) In bezug auf die Akv. hat dagegen Bugge (a. a. o. s. 428)
angenommen, dass die bezeichnung en grönUnzlca fälschlich
von den Am. auf die Akv. übertragen worden sei. Die frage
concentriert sich für uns zunächst auf die beiden alten teile
des gedichts, A und B.
In der darstellung findet sich nichts, was für entstehung
an der grönländischen küste spräche. Die landreise der Niflunge
durch den Myrkvidr, zu pferde (in den Am. finden sich nirgends
solche erwähnt), durch grüne felder (str. 13), könnte eher da-
gegen sprechen. Ferner können wir, wenn Akv. A und B grön-
ländisch sind, ihre entstehung nicht viel vor dem jähr 1000
ansetzen; da wir aber A und auch gerade B mit seinen starken
epischen widerholungen für sehr alt halten müssen, so möchten
wir nicht gern schon das jähr 985 als obere grenze ansetzen,
sondern wol eher etwas weiter ins 10. jh. hinaufgehen. Darum
ist es auch mir nicht wahrscheinlich, dass die alten teile der
Akv. grönländisch sind. Mogk macht auch (Grundr. 2 2, 648)
darauf aufmerksam, dass es für Grönland schwerlich denkbar
sei, dass sich hier die deutsche Nibelungensage in so reiner
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 237
form erhalten Iiabe, wie wir sie in der Akv. finden (s. dazu
unten am schluss von teil II § 48).
Auf der anderen seite ist aber die Überschrift in R auch
nicht ganz ausser acht zu lassen. Auf reine gedankenlosigkeit
eines abschreibers (wie F. Jonsson, Litt. Hist. 1,306 will) können
wir sie schwerlich zurückführen, da in R die Akv. vor und
nicht hinter den Am. steht (Mogk, Grundriss 2 2, 646). Daher
halte ich es für das wahrscheinliche, dass der redactor der
uns erhaltenen Akv. diese aus alten europäischen liederteilen
(A, B) in Grönland zusammengesetzt habe. Dann konnte das
fertige werk in der tradition sehr wol als grönländisch gelten
(vgl. auch Symons' einleitung zur ausgäbe s, ccxxxv).
§ 19. Heidnische und christliche Urheberschaft.
Auch in bezug auf die religion scheinen die Atli-lieder in
ihrer herkunft verschieden zu sein.
1) In der Akv. tritt noch die altheidnische religion offen
zu tage. Das Niflungenerbe stammt von den äsen 29, 3, Gudrun
ist mit siegverleihenden göttern (sigtivar) in Verbindung ge-
bracht (in der verderbten str. 31); dem Gunnarr hat Atli eide
geschworen, ausser bei anderen heiligtümern, bei Sigtyrs berg,
bei UUrs ring 32. Man darf wol annehmen, dass der Verfasser
der Akv. A, dem die genannten stellen gehören, noch beide
war; von christlichen dementen findet sich jedenfalls in der
Akv. nichts.
2) In den Am. ist es anders. Kein einziger göttername
erscheint; nur den göttern im allgemeinen dankt Gudrun 53, 9.
Strophe 21, 5 findet sich rslc ragna, das göttergeschick; aber
da auf einzelgötter hier nirgends ein bezug ist, wird dieser
ausdruck wol nur in abgeblasstem sinne, gleicli: ende der weit,
zu verstehen sein. Weiter findet sich allerdings aus dem ge-
biet der niedern mjihologie der helglaube, der seelenglaube,
der riesenglaube; die hei (unpersönlich) erscheint 38, 2. 41, 5.
47,9. 51,3. 52,5. 91,7; den seelenglauben spiegeln wider die
träume 18 und 25, von dem bluttriefenden adler und von den
toten frauen; die riesen, joten, sollen Vingi holen, wenn er
lügt (30,3).
Nun treten aber, wie bekannt, in den Am. auch einige
Züge von speciflsch christlichem gepräge auf, die den gedanken
238 BECKER
nahe legen, dass die Am. von einem Christen verfasst seien
(Jessen, Zs, fdph. 8, ^S iirid Mogk, Grundriss 2^,651 nehmen das
an). Hier ist nun zunächst zu betonen, dass die eben zu-
sammengestelUen mythologischen züge jedenfalls nicht dagegen
beweisen. Die Vorstellung vom ende der weit stimmt zu der
christlichen lehre vom Weltgericht. Die Vorstellungen von
unterirdischem auf enthalt der toten, von folge- und schutz-
geistern (Am. 18. 25) sind durch das Christentum nicht aus-
gerottet worden, das zwar die götter vertrieb, aber den niedern
aberglauben nicht vertreiben konnte.
Ebensowenig wie diese züge spricht gegen christliche
Urheberschaft der in den Am. so stark ausgeprägte fatalistische
schicksalsglaube. Er tritt ganz unpersönlich auf (2, 1 slop öxo
sliJQldunga, 33, 3 pd hi/lJc sJcop slcipto, 45, 3 skopom vipr inange).
Christlichen einfluss verrät dagegen zunächst der schluss
der Am., wo Gudrun von bestattung in einem sarg spricht,
Icisto steinda 97,2 (Jessen a.a.O. s. 38). Wenn ausserdem von
einem schiff die rede ist {higyy mon ek Jicmpa), so soll nach
AVeinhold (Altnordisches leben s. 479) Atlis sarg auf ein schiff
gesetzt und den wellen übergeben werden, wie Scylds leiche
im Beowulf 26 ff. (die aber nicht in einen sarg geschlossen
ist). Man kann aber auch an ein schiff im grabhügel denken
(s. Weinhold ebda. s. 495 ff.).
Speciflsch christlich ist sodann die äusserung Gudruns
82, 7. 8 frijyra vilJc daujja fara i Ijös annat, wie Detter und
Heinzel 2, 565 und Mogk, Grundriss 22,651 hervorheben. In
der Akv. fahren die toten nicht in ein anderes licht, sondern
ins dunkel (niflfarna 36, 8, was an Niflhel erinnert).
Auch die tatsache, dass Gudrun dem sterbenden gatten
die bestattung zusichert und auch ihr versprechen hält (97.
98), mag auf christliche Stimmung zurückgehen.
Nach alledem ist es wol als sicher anzusehen, dass der
dichter der Am. Christ war oder zum mindesten christlichen
kreisen nahe stand.
§ 20. Beziehungen zwischen den Atli-liedern und anderen
heldenliedern der Edda.
1) Von den beziehungen der Atli-lieder zur Gökv. II war
schon oben in § 17 die rede. Im weitern findet man zunächst
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 239
in den Hamj'esmol einige stellen, die an stellen der Akv, er-
innern. Dass die Hm. allein ausser Akv. B (40) die namen
Erpr und Eitill kennen (Hm. 8, 2. 3), kann nicht viel beweisen,
zumal Str. 8 von Eaniscli (Zur kritik und metrik der Hampismäl
s. 5. 6) als eine interpolation walirsclieinlicli gemacht worden
ist. Dagegen besteht zweifellos eine beziehung zwischen Hm.
und Akv. A: Hm. 10 hwpr grcetr [pü] Jnna oh hure sväsa er-
innert alliterierend an Akv. 41, 7. 8 hr^pr [sina] herharjm oh
hure sväsa; Hm. 23, 6 i hgrg cnne hgvo erinnert an Akv. 14, 4
d hqrg enne hövo; Hm. 25, 10 / elcl heitan erinnert an Akv.
45,10 i eld heitan; die beiden letzten übereinstimmenden aus-
drücke {hgrg enne hövo, i eld heitan) finden sich ausser an den
genannten stellen nirgends in der Edda; deshalb und wegen
Hm. 10 müssen wir eine beziehung zwischen den beiden ge-
dichten annehmen. In welchem sinne diese aber zu deuten
ist, d.h. ob Akv.A oder Hm. älter ist, kann ich nicht ent-
scheiden; die am meisten auffallenden verse Hm. 10 und Akv. 41
werden beide durch ausscheidung der pronomina (S3'mons' aus-
gäbe s. 434; Ranisch a.a.O. s. 55) unanstössig, sodass ein me-
trischer anhält fehlt.
Dagegen ist die entscheidung wol leichter bei den be-
ziehungen zwischen der Akx. und drei jüngeren liederu:
Odrünargrätr, Sigurparkvil^ en skamma und Guj'rünarhvQt.
2) In Odrgr, erzählt Odrün der Borgny, wie ihr geliebter
Gunnarr in der schlangengrube endete und H^gni das herz
ausgeschnitten wurde, wobei die stelle Odrgr. 26, 5. 6 peir 6r
Hggna hjarta shgro alliterierend anklingt an Akv. 25, 1. 2 hlöpd
Hggne, es til hjarta shöro. Ferner findet sich die kenning sverjja
deiler (Odrgr. 31, 7) in der Edda sonst nur noch Akv. 39, 2.
Daher darf man wol annehmen, dass der dichter des Odrgr.
die Akv. (A) gekannt habe.
3) Dasselbe gilt von Ghv., wo Gudrun erzählt, dass dem
Gunnarr die glänzenden würmer auf den leib krochen (til
fjgrs shrijw), und H^gni nach dem herzen geschnitten wurde,
wobei die stelle Ghv. 18, 2 — 4 es hjarta til homing öhlaupan
hvihvan shöro anklingt an Akv. 25, 2. 3 es til hjarta
sh()ro hvihvan (Symons' ausgäbe s. 471).
4) Endlich zeigt Sg. sk., wo Brynhild das ende Gunnars
in der schlangengrube prophezeit (58), wörtliche anklänge an
I
240 BECKER
die Akv.; alliterierend Sg.sk. 16,7.8 got^s at rdjm Binar
malme, zu yergleichen mit Akv. 29, 1. 2 Bin sJcal rdJm rög-
vialme ; Sg\ sk. 20,3. 4 yngra öfröpara, zu ver-
gleiclien mit Akv. 41,9 unga, öfr6])a; ungr und öftöpr findet
sich alliterierend nur an diesen beiden stellen der Edda; ferner
Sg. 4, 1 seggr enn sujirene = Akv. 2, 7 ; auch dieser ausdruck
findet sich sonst nirgends in der Edda; endlich Sg.sk. 55, 4
skatna menge = Akv. 34, 4 d; auch dieser ausdruck ist sonst
nirgends zu belegen. Es ist demnach anzunehmen, dass die
Akv. von der Sg. sk. benutzt worden ist, und zwar, da die
letzte stelle 34, 4 dem d gehört, offenbar Akv. A und ihre
Interpolation d.
5) Vielleicht hat ausserdem die Sg. sk. auch die Am. be-
nutzt. Auffallend ist erstens die tatsache, dass nur Sg. sk.
als einziges von allen Eddaliedern ausser den Am. den Sigurör
enn hunsJcr nennt (Sg. sk. 4, 7. 9, 1. 18, 5. 65, 5. 66, 1 — Am.
94, 1); ferner erinnern die stellen Sg. sk. 2, 2 meijmia ßglp
(sonst in der Edda nur noch prymskv. 23, 5) und 39, 4 meip-
mar pigyja (nirgends sonst) an Am. 89, 2 meipma fjglp piggja;
auch das particip fidlveget Sg. sk. 33, 2 findet sich in der Edda
nur noch Am. 49, 5.
Damit ist wol als sicher anzusehen, das eins der lieder
das andere benutzt habe; welches der beiden lieder aber das
ältere ist, kann ich nicht entscheiden.
IL Sagengeschichtlicher teil.
§ 21. Vorbemerkung.
Da wir Akv. und Am. als zwei von einander unabhängige
denkmäler der Nibelungensage ansehen (s. § 16), so können wir
auch zunächst nicht der sagengestalt eines der beiden lieder
in bezug auf urspriinglichkeit den vorrang erteilen. Vielmehr
soll, soweit unterschiede in der sagengestalt vorliegen, jeder
einzelne fall daraufhin untersucht werden, ob Akv. oder Am.
das ältere oder jüngere zeigen. Auf diesem wege soll ver-
sucht werden, die züge zusammenzutragen, die einst der den
beiden liedern vorausliegenden altnordischen sagenform an-
gehört haben; zugleich soll die entwicklung der sagenzüge
innerhalb der nordischen sage aufgezeigt werden, soweit das
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 241
möglich ist. Im geg-ensatz zu der als altnordisch bezeichneten
form wird mehrfach von der 'älteren deutschen' form die rede
sein: damit ist die deutsche Nibelungensage aus der zeit
vor ihrer Wanderung* nach dem norden gemeint, auf die wir
als auf die quelle der nordischen sage stets rücksicht nehmen
müssen. Vorangestellt sei eine Übersicht über das gemeinsame
in dem Inhalt der beiden lieder, Avie sie uns vorliegen; dass
dies noch nicht gleich der zu gründe liegenden altnordischen
form ist, werden wir am schluss sehen. Mit den unterschieden
in der sagengestalt der beiden lieder werden wir es dagegen
in den folgenden abschnitten zu tun haben.
§ 22. Das gemeinsame.
König Atli aus dem geschlecht der Bu]?lunge (Akv. 45.
Am. 51. 90) schickt an die Gjükunge (Akv. 1. Am. 99) Gunnarr
und HQgni eine einladung (Akv. 1 ff. Am. 4 ff.) und erweckt
hoffnung auf gescheuke (Akv. 4 ff. Am. 13, 5. 6). Ihre Schwester
Gudrun, Atlis gattin, warnt die brüder (Akv. 8. Am. 3). Man
zögert mit der zusage (Akv. 6 ff. Am. 7, 5 ff.), entschliesst sich
aber endlich zur reise (Akv. 11. Am. 26). Feierliche begleitung
der Gjükunge (Akv. 12. Am. 28). Ankunft bei Atli (Akv. 15.
Am. 39). Gudrun tritt hervor und begrüsst die brüder (Akv.
16, 5 ff. Am. 44. 45). Ein kämpf zwischen den Niflungen (Akv.
26, 2. Am. 44, 5) und Atlis leuten (Akv. 19. 20. Am. 42. 47 ff.).
Die gaste unterliegen (Akv. 19. Am. 49). HQgni wird das herz
ausgeschnitten, er lacht (Akv. 25. Am. 61, 5). Ein Hjalli spielt
dabei eine rolle (Akv. 23 ff. Am. 57 ff.). Zornige rede Gudruns
gegen Atli (Akv. 32. Am. 53). Gunnarr wird schlangen über-
geben (Akv. 34. Am. 55, 8), schlägt die harfe (Akv. 34, 7. Am. 62)
und stirbt als letzter (Akv. 35, 4. Am. 63, 1). Gudrun tötet ihre
und Atlis söhne und bewirtet diesen mit einem trank und den
herzen der kinder; darauf sagt sie ihm, was er gegessen hat
(Akv. 36. 39. Am. 71—78). Gudruns kostbarkeiten (Akv. 42.
Am. 43). Gudrun nimmt räche an Atli (Akv. 44. Am. 84, 5 — 8).
Ein söhn H^gnis bleibt leben (Akv. 12, 6. Am. 83, 5).
Das ist alles, was sich von gemeinsamem Inhalt in beiden
liedern findet.
§ 23. Gunnarr und H(^gni.
Ein hauptunterschied in der sagengestalt der einzelnen
Beiträge ziir geschichte der deutschen spräche. XXXIIl, \^Q
242 BECKER
Atli-lieder bestellt zunäclist darin, dass Gunuarr und HQgni
eine verschiedene Stellung einnehmen. Wie wir schon bei der
betrachtung der Charaktere in § 12 (s. 220 ff.) sahen, steht in
der Akv. Gunnarr ganz im Vordergrund . Hogni tritt zurück,
obwol seine tapferkeit in str. 20 B, c hervorgehoben wird; in
den Am. dagegen steht H^gni in erster linie und Gunnarr
tritt hinter ihm zurück. In den Am. zeigt sich das besonders
darin, dass H^gni zwei erwachsene söhne hat, die er auf die
reise mitnimmt, und dass er einen söhn und rächer hiuter-
lässt, während von Gunnarr keine nachkommenschaft erwähnt
wii^d. Wir können dies Verhältnis nicht nur der willkür der
dichter zuschreiben. Die beiden söhne Snsevarr und Sölarr
mögen wie die namen von dem dichter der Am. erfunden sein:
aber die sage, dass HQgui nachkommen hat, ist älter als die
Am.: schon in der Akv. begegnet ein erfevgrp- Hggna^), und
dieser ist hier gewiss keine ausschmückuug des dichters A,
denn derselbe stellt überall gerade den andern bruder, Gunnarr,
in den Vordergrund: zu Gunnarr wird der böte gesaut (1,2. 6),
Gunnarr lädt er ein (3,5), Gunnarr wird bei der abreise be-
gleitet (Jandrggnc 12, 1), Gunnarr von Gudrun begrüsst (16, 5),
Gunnarr wird nach dem gold gefragt und verweigert das gold
(22. 29), Gunnarr wird als letzter zum tode geführt (30), wegen
des eidbruchs an Gunnarr flucht Gudrun dem Atli (32), alle
die vom morde Gunnars heimgekommen sind, verbrennt Gu-
drun (45,3).
Wenn wii^ nun trotzdem auch in der Akv., in Überein-
stimmung mit den Am., nur HQgni im gegensatz zu Gunnarr
eine nachkommenschaft aufweist, so lässt das vermuten, dass
einmal H^gni in der altnordischen sage eine hervorragendere
Stellung als sein bruder einnahm, dass die glänzende Stellung
Gunnars in der Akv. A dagegen eine neuerung bedeutet. Daf üi-
sprechen nun ferner die beiden deutschen sageuformen (NL.
>) In der prosa der Edda (Drap Nifluuga) begegnet als dritter söhn
Hognis ein Gjüki. Vermutlich hat der Sammler der lieder diesen namen
aus dem geschlechtsnamen der Gjükunge für den namenlosen erben Akv. 12,6
abgezogen (nach dem nordischen brauch, dass der enkel oft den namen des
grossvaters erhielt), ähnlich wie Volsungasaga 38 die bezeichuuug Huifluugr
für den namenlosen söhn H(jgni (Am. 83, 5) als eigenuamen gefasst wird
{er Niflungr het).
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 243
und TliS.). Hagen stellt überall im Vordergrund der handlung,
während der schwache Günther eine passive rolle spielt. Er
ist der mörder Siegfrieds (NL. Bartsch Av. XVI und ThS. 347),
er strebt nach dem schätz Siegfrieds (NL.XIX. 1107) und waltet
eigenmächtig darüber, indem er ihn in abwesenheit der fürsten
versenkt (1137); er, der dienstmann Günthers, wird von Kriem-
hilt danach gefragt (NL. 1741, zum zweiten mal 2367; ThS.
373); Hagen ist der führer auf dem weg zum Hunnenland und
steht in den kämpfen daselbst im Vordergrund; er überlebt
Günther und stirbt als letzter der Nibelungen (NL, 2373.
ThS. 393).
So wird auch in der altnordischen sage H^gni im Vorder-
grund der handlung gestanden haben, bis Gunnarr ihn zurück-
gedrängt hat. In diesem fall hätten die Am. gegenüber der
Akv. den älteren zug bewahrt.
§ 24. Burgunden und Goten.
Akv. 19, 3 B heisst Gunnarr vinr Borgunda, 21, 3 B Gotna
f'jof'ann. In den Am. finden sich beide völkernamen nicht.
Dass beide in demselben gedieht für den gleichen herscher
verwant werden, braucht uns nicht zu verwundern. Golther
macht (Germania 33, 474 f.) darauf aufmerksam, dass zur zeit,
als die sage entstand, die Burgunden an der Rhone und Saone,
hinter ihnen die Goten sassen, beide als feinde der Franken:
so habe die sage Burgunden und Goten im gegensatz zu dem
fränkischen geschlecht der Wälsungen als ein volk aufgefasst;
diese Identification sei nicht als eine nordische neuerung auf-
zufassen. Es hat vielleicht auch eine erinnerung an die schlacht
bei Chalons 451, in der der Gotenkönig Theodorich im kämpf
gegen Attila fiel, dazu mitgewirkt, dass man den Burgunden-
könig, der bei dem Hunnenkönig sein leben lassen musste, als
Gotenkönig bezeichnete. Ob aber diese Identification älter ist
als die Wanderung der sage in den norden, können wir nicht
wissen, da in der aussernordischer sage Günther nie als Gote
bezeichnet wird.
Das auftreten des Burgunden-namens an dieser einzigen
stelle der Edda brauchen wir nicht nachträglicher deutscher
beeinflussung zuzuschreiben, wie Edzardi wollte (Germ. 23, 86).
Dass der Burgundeu-name auch schon in ausserdeutscher sage
16*
244 Becker
sehr alt ist, zeigen die angelsäclisisclien gediclite Widsid und
AValdere ("Widsid 19 Burgendum Gifica; 651 Burgendum Gud-
liere; Waldere B 14 wine Biirgenda für Gudliere). Die Akv.
hat demnach in diesem namen einen besitz aus der älteren
deutschen sage bewahrt, der sich in den Am. und allen anderen
Edda-liedern nicht mehr findet.
Der name der Goten erscheint ausser Akv. 21 noch mehr-
fach in den heldenliedern der Edda, in verschiedener bedeutung.
Für das volk der Niflunge (wie Akv. 21) erscheint er Gökv.
II, 17, 6 (Grimhüdr, goinesk Tiona)] Brot 9, 4 (Gjüla arfe oJc Gota
menge)] Grip. 35, 6 (Gunnare til handa, Gotna drötne); für J^r-
munreks volk, die historischen Ostgoten, Ghv. 2, 12. 8,6. 16,4;
Hm. 3, 8. 23, 4. 24, 4. 30, 2. Ausserdem herschte der von Bryn-
hild getötete könig d Got]))6Jjo (Helreij? 8, 2).
Im übrigen müssen wir mit der möglichkeit rechnen, dass
Akv. 21. Brot 9. Grip. 35 gotar oder gotnar einfach 'männer'
bedeutet, während, in der Gökv. II, 17 mit gotnesJc kona doch
nur der volksname gemeint sein kann.
§ 25. Hunnen und Hünm^rk.
In der Akv. wird das volk Atlis als Hunnen bezeichnet
(2, 4. 4, 4. 7, 12. 13, 5. 16, 7. 17, 9. 29, 8. 37, 4. 41, 4). Dieselbe
auffassung findet sich in der Edda noch Gökv. II, 27, 1. Gökv.
I, 6, 2. 24, 8. Die Am. dagegen kennen keinen namen für Atlis
volk. Auch hier hat die Akv. im gegensatz zu den Am. einen
alten sagennamen bewahrt: dass Attila könig der Hunnen ist,
weiss schon Widsid (35 ^tta tveold Hünum).
Was weiter die läge des hunnischen landes betrifft, so
haben wider die Am. darüber keine angäbe und keinen anhält,
es zu bestimmen: Vingi fährt zu den Gjükungen über den
Limafjord (an diesem wasser, nicht am Rheine sitzen sie, Am.
4, 7. 8, vgl. Akv. 18), aber von welcher himmelsrichtuiig er
kommt, erfahren wir nicht. In der Akv. ist die läge klarer
orientiert: die Hunnen sind das südvolk (suprjijöj) ii,b): wenn
man von den f eisen des Rheins (18) durch den Myrkviör zieht,
gelangt man nach der südlich gelegenen HünniQrk (13, 5). Im
übrigen kann man aber nicht sagen, dass dieses gebiet des
Süd Volkes mit dem in der oberdeutschen sage feststehenden
Ungarn (Pannonia schon im Waltharius 4 u. ö.) identisch sein
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 245
müsse. Im gegenteil dachte man sich im norden den sitz
Atlis sicher ebenfalls in Deutschland, nur südlich von dem
Gunnars. Immerhin mag die Akv. in der Vorstellung, dass
man vom Rhein aus in annähernd südlicher richtung (nicht
etwa in nordöstlicher, nach Westfalen zu) zu Atli gelangt,
einen zug noch aus der älteren deutschen sage bewahrt haben.
Darauf aber, dass man sich x4.tlis reich in Deutschland
gelegen dachte, deutet die weiterentwickelung des begriff es
Jiimskr, der schliesslich in abgeblasstem sinn = 'südländisch,
deutsch' verwant wird. ') So wird in den Am., die den Hunnen-
namen für Atli und sein volk nicht kennen, Sigurä^r enn hunske
genannt (Am. 94, 1): ausserdem nennt noch Sg.sk. Sigurdr den
hunnischen (4, 7. 9, 1. 18, 5. 65, 5. 66, 1), wie sie ihn 4, 1 seggr
enn supröne nennt — : wörtlich ebenso, wie in der Akv. der
wirklich hunnische böte Atlis genannt wird (2, 7). An diesen
beiden stellen (Akv. 2, 7 und Sg. sk. 4, 1) sieht man die ent-
wickelung des begriffes hunskr von seiner eigentlichen ethno-
logischen bedeutung zu der von sup-änn."^)
§ 26. Atlis boten.
Akv. 1 wird ein böte, Knefr^dr, an Gunnarr gesant, in
den Am. 4. 6, 4 zwei boten, deren einer Vingi heisst. Welcher
der beiden namen der ältere ist, lässt sich nicht entscheiden.
In der Akv. ist der böte ein reines Werkzeug Atlis, über
dessen weiteres Schicksal nichts verlautet; in den Am. dagegen
ist er eine lebhaft handelnde persönlichkeit: fdrs vas fhjtandc
heisst es mit recht von ihm Am. 4, 3. Er fälscht die runen
4, 2, er verschwört sich mit einem meineid, dass er es ehrlich
meine 30, er enthüllt höhnisch, wie es zu spät zur umkehr
ist, seinen trug und reizt damit H^gni, ihn zu erschlagen 36
—38 (vgl. oben § 12b/9).
>) S. Jiriczek , Deutsche heldeusage s. 91 (Sammlung Göschen) , vgl.
auch Petersen, Gammel nordisk geografi, 1834, I, 263 f. 273 f.
*) Ferner werden in Ghv. 3, 10. 6, 2 Hünkonungar erwähnt, mit denen
offenbar die südländischen, deutschen beiden Gunnarr und HQgni gemeint
sind; Hm. 11, 5 reiten die brüder auf ingrom hünlenzkovi, südländischen,
deutschen pferdeu. — Unklar ist die läge von Hunaland im Odrünargrätr
4,3: hier ist es jedenfalls einmal im fernen osten gedacht, da es Mornaland
heisst (1, 3).
246 BECKER
Da wir bei dem dichter der Am. auch sonst die neigung
beobachtet haben, nebenpersonen näher auszuführen, so werden
wir wol auch die erweiterung der rolle des boten auf den
dichter selbst zurückführen, die einfachere gestalt in der Akv.
für die ältere halten dürfen. Auch den spielleuten der ThS.
(leihnenn 359. 360) und des NL. (XXIV) ist keine rolle von
der bedeutung Vingis zugewiesen.
Der dichter der Am. hatte überdies einen besonderen
grund, Vingis höhnende rede einzuführen (36): er brauchte
eine motivierung dafür, dass Atli die Niflunge angreift: denn
das alte motiv der goldgier kannte er nicht, wie wir bald
sehen werden (§ 34): mit der erschlagung Vingis schuf sich
der dichter einen neuen anlass zum angriff.
Gemeinsam ist im übrigen den boten in beiden gedichten
nur der zug, dass sie hoffnung auf geschenke zu erwecken
suchen; am deutlichsten Akv, 4, 1 (5 c ff.); in den Am. bringen
die boten zwar selbst geschenke mit (5, 5), sie erwecken aber
offenbar hoffnung auf weitere, wie aus HQgnis Worten hervor-
geht: 13, 5. 6 ohr iuon gramr golle reifa glöpraujjo.
§ 27. Gnitaheide.
In der interpolierten str. 5 der Akv. bietet Atlis böte dem
Gunnarr die Gnitaheide an, ein goldreiches gebiet, wie aus
Gunnars antwort hervorgeht 6, 5 ff. Diese bedeutung der
Gnitaheide weicht ab von der uns geläufigen: hier ist sie ein
teil von Atlis reich, während wir sie sonst nur als die beide
kennen, wo Sigurdr den Fäfnir erschlug.
Wenn wir aber fragen, woher diese geläufige auffassung
der Gnitaheide stammt, so finden wir sie durchweg in pro-
saischen quellen, mit ausnähme Gripispä, str. 11:
mont einn vega orm enn fräna
f»anns grQf>ogr liggr i Gnitaheipe.
Im übrigen die prosa der Reginsmol (nach str. 14), die der
FäfnismQl (anfang); endlich V^lsungasaga c. 13. 33 und Snorra
Edda 40 a (aber nicht in cod. U, der zwar noch die Verwand-
lung Fäfnirs in einen drachen nach Hreidmars tode, aber
nicht den namen Gnitaheide kennt), i) Dazu kommt eine
') Im folgenden ist stets damit zu rechnen, dass der weitere exkurs
über die Nibelungensage von Fäfnirs Verwandlung ab (c. 40b — 42) nicht
i
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 247
notiz aus dem Itinerarium des abtes Nicolaus aus der mitte
des 12.jh.'s (Grimm, H.S.^ N. 27), der von der gegend zwischen
Mainz und Paderborn zu erzählen weiss: og J)ar er Gnüaheidr
er Sigurdur vd at Fdfni. Dagegen schweigen die Strophen der
Fäfnism^l, wo wir den namen am ehesten suchen sollten, völlig.
Ich möchte glauben, dass der interpolator c hier einen
alten sagenzug erhalten hat: dass nämlich die goldreiche beide
ursprünglich im besitz Atlis war. Eeichtum ist ein wesent-
licher zug Attilas in der sage. Wie der Etzel des NL. über
unermessliche schätze verfügt, so verheisst der Atli der Akv. A
(4) schätze und Wertgegenstände, so erwartet in den Am.
(13, 5) HQgni von Atli glutrotes gold. Nun wusste man von
Sigurdr, dass er einen unermesslichen goldhort gewonnen hatte ;
zweitens erzählte man, dass er aus dem Süden stamme, ja man
nannte ihn selbst einen Hunnen (Am. und Sg. sk., s. oben § 25)
— : da lag es nahe, ihn den hört im hunnischen Süden, und
zwar auf Atlis Gnitaheide, holen zu lassen. So wird die Gnita-
heide mit Sigurdr in Verbindung gekommen sein. Dass sie
einst Atli gehört hatte, geriet dann in Vergessenheit, wie die
entsprechende stelle der V(;)lsungasaga zeigt, deren Verfasser
die antwort 6, 5. 6 nicht mehr verstanden hat, sie vielmehr im
neuem sinne umdeutete. Gunnarr sagt c. 33 en enga konunga
veit ek jafnmiket gidl eiga sem okkr, ])vi at vit ligfum Jjat gull
allt, er d GnitaJieipe Id (Symons, Beitr. 3, 240 f.).
Die Gnitaheide ist allein der nordischen sage eigen, weder
NL. noch ThS. kennen sie. Der bericht des abtes beweist
nichts für bekann tschaft des namens in Deutschland: der in
Niederdeutschland, wie ThS. zeigt, bekannte drachenkampf
mag an dem genannten orte localisiert gewesen sein, die
bezeichnung Gnitaheide dagegen brachte der nordische ge-
lehrte hinzu.
§ 28. Der Myrkviör und die grenze gegen Atlis reich.
In anlehnung an str. 7 des liedes von der Hunnenschlacht
spricht der interpolator Akv. 5 von stapir Danjmr und Myrk-
viör. Aber beide localitäten führt er in veränderter bedeutung
in cod. U überliefert und nach Symons (Beitr. 3, 209 ff. Eiul. s. xlvii) als
späterer zusatz eines bearbeiters anzusehen ist, der die liedersammluug der
Edda und sogar die Yqlsungasaga gekannt hat.
248 BECKER
ein: während sie im liede von der Hunnensclilacht im besitz
des Gotenkönigs Angantyr sind, sind sie hier im besitz des
Hunuenkönigs. Der interpolator führte sie deshalb ein, um
neben der Gnitaheide noch zwei andere wertvolle örtlichkeiten
zu nennen: denn in der Hunnenliedstrophe 7 heisst das gehölz
Myrkviör das herrliche, der stein im gebiet Danps der schöne.
Er verstiess jedenfalls mit seiner einfiihrung des Myrkviör in
diesem Zusammenhang, wie wir oben § 3 sahen, gegen die schon
in Akv. A herschende Vorstellung von demselben als grenzwald.
In dieser steht Akv.A nicht allein.
Der name Myrkviör erscheint ausser Akv.A 3, 4 und 13, 4
noch H.Hb. I, 53, 4. Vkv. 1, 2. Lok. 42, 5. Während aus der
stelle im Helgilied sich nichts ersehen lässt, stimmen Akv.,
Vkv. und Lok. darin überein, dass der Myrkviör ein grenz-
wald nach Süden ist: in Akv. ist er der grenzwald gegen das
südliche Hunnenreich'); in Lok. der grenzwald gegen die
Muspelsöhne: 42, 4. 5 en es Müspels syner rij)a Myrkvi^ pßr;
in Vkv. ist er der wald, über den hinweg sunnan, von Süden
(1, 1) die weiber des Südens, droser sup-mar (1, 7), nämlich die
valkyrien, nach norden fliegen.
Schon die Verbreitung des namens Myrkviör als eines
grenzwaldes gegen Süden in verschiedenen nordischen sagen
legt den gedanken nahe, dass hier in der Nibelungensage das
auftreten eines waldes als grenze gegen das südliche reich
Atlis specifisch nordisch ist 2), zumal wir in allen anderen
Überlieferungen der Nibelungensage eine wassergreuze gegen
Attilas reich finden, deren Überschreitung einen wichtigen teil
der reise oder gar die ganze reise ausmacht.
I
^) Myrkheimr, wo Guuuarr nach Akv. 45, 4 seinen tod gefunden hat,
mit dem Myrkviör gleichzusetzen (wie Gering will, Uehs. s. 262, n. 5) liegt
insofern sehr nahe, als dieser ort nach 35, 1. 2 offenbar an der grenze von
Atlis gebiet liegt (von wo er zurückreitet Jands sins ä vit), also wol der
grenzwald selbst ist.
2) Dass an sich die Vorstellung von einem grossen walde, der 'gleichsam
auf der grenze von süden und norden liegt und die scheide beider welt-
gegenden macht' uralt ist, hat Müllenhoff (Zs. fda. 23, 168 f.) durch den
hinweis auf den saltus Hercynius und den Miriquidui des Thietmar von
Merseburg (Erzgebirge) wahrscheinlich gemacht: aber speciell für die Nibe-
lungensage können wir die Vorstellung in der älteren deutschen sage nicht
nachweisen.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 249
Mogk hält (Grnndriss 2^, 648) die Waldgrenze der Akv.
für das ursprüiig-lichere und erinnert an die landreise der
Burgunden zur Donauebene. Am ufer der Donau befindet sich
allerdings ein wald (NL. 1565), aber mit der Donau liegt doch
noch das entscheidende hindernis, eben das wasser, vor ihnen,
bei dessen Überschreitung der dichter entsprechend lange
verweilt.
Daher möchte ich mit Boer (Untersuchungen über den
Ursprung und die entwickelung der Nibelungensage, Halle 1906,
bd. 1, 132) die wassergrenze von Am. 4. 28, 34 für das ursprüng-
lichere halten; dieselbe Vorstellung finden wir im NL., ThS.,
Grimhilds hgevn A und C, im färöischen Högnilied: in den Am.
ist es ein fjord, im NL. die Donau; in der ThS. findet sich die
unklare Vorstellung vom zusammenfluss des Rheins und der
Donaul) (cap.363); in Gr. h. A 18, C 13 und im Högnilied 50
ist das meer die grenze. So hätten in diesem fall die Am.
den älteren zug bewahrt.
Dagegen ist die tatsache, dass der meeresarm in den Am.
fjgrj) Lima heisst (4, 7), aus der geschichtlichen bedeutung des
Limafjords im 11. jh. zu erklären, wie Mogk (a. a. o. s. 648)
hervorhebt.
§ 29. Warnung und begrüssung durch die Schwester.
Der zug, dass die Schwester ihre brüder warnt, findet sich
in beiden Atli-liedern, aber in verschiedener weise dargestellt.
Am einfachsten ist der Vorgang in der Akv.A 16. Gudrun
tritt ihren brüdern, sobald sie in den saal kommen, entgegen
und erklärt dem Gunnarr, er solle schleunig die halle ver-
lassen, da er verraten sei. Mehr erzählt A nicht.
Als eine alte Weiterbildung dieses einfachen motivs sehe
ich alsdann das an, was sich in der interpolierten Strophe 8
findet, Gudrun hat (durch wen wird nicht gesagt) den brüdern
einen ring mit eingeflochtenem wolfshaar gesant, ein symbol
dafür, dass ihre fahrt wölfisch sein werde. Solche symbolische
botschaften gehören einer zeit an, die die schrift noch nicht
1) Boer (1, 139) hält die worte par sem saman Tcemr Di'tnä oc Ein
für den zusatz des umarbeiters, der südlichere quellen benutzte (daher die
Donau einführte), während sonst entsprechend der norddeutschen localisation
des Hunnenreichs der Rhein die grenze sein müsse.
250 BECKEE
kennt oder übt; eine ähnliche sj^mholische botschaft senden
bei Herodot IV, cap. 131 f. die Scythen dem könig- Darius, um
ihm anzudeuten, dass er bei ihnen zu gründe gehen werde.
Eine parallele darstellnng desselben sagenznges weisen
die Am. auf. Gudrun schneidet warnende runen, Vingi fälscht
sie, ehe er sie abliefert (4, 1—4), Kostbera liest die gefälschten
zeichen und erkennt, dass Atli den brüdern nach dem leben
trachtet (9. 11. 12).
Ausser dieser letzteren warnung ist in der sag'engestalt
der Am. noch der alte zug erhalten, wo die Schwester ihren
brüdern entgegengeht, er hat aber den Charakter der warnung
verloren und ist zu einer einfachen begrüssung geworden, bei
der Gudrun über das unentrinnbare Schicksal klagt (45).
Eine spur der alten warnung der brüder durch die Schwester
findet Boer (Untersuchungen 1, 143 und 244 ff.) in der gestalt
des Eckewart (ThS. 367. NL. 1631), die der von Boer heraus-
gearbeiteten quelle II von ThS. und NL. angehört. Ursprüng-
lich sei Eckewart zur warnung der brüder von Kriemhild
abgesant worden: als dann aber Kriemliild die feindin ihrer
brüder wurde, konnte der dienstmann Kriemhildens nicht der
warner bleiben: so trat Dietrich in dessen rolle ein, selb-
ständig, wie er in ThS. 375 und NL. 1724. 1726 auftritt (in
ßoers quelle I). Diese von Boer bezeichneten stellen lassen
Jedenfalls annehmen, dass schon in der älteren deutschen sage
die Schwester die brüder gewarnt habe.
§ 30. Die träume der frauen.
In den Am. hat in der nacht vor der abreise Kostbera
drei träume, Glaumvor dereu vier, während in der Akv. nichts
derartiges erscheint. Wenn wir Kostberas dritten träum
(Am. 18) und GlaumvQrs vierten träum (Am. 25) mit dem träum
der Uote NL. 1509 und dem der Oda ThS. 362 vergleichen, so
finden wir, dass sie im engsten Zusammenhang mit dem seelen-
glauben stehen. In Kostberas träum erscheint ein bluttriefender
adler und wird als hanir Atla, als folgegeist Atlis, angesehen.
Glaumv9r sieht tote frauen, die Gunnarr zu ihren bänken ein-
laden: es sind die disar, die schutzgeister, die seelen verstor-
bener anverwanter, die Gunnarr nicht mehr schützen können
(weil sie kraftlos, aflima, geworden sind), sondern ihm seine
DTE ATLI-LIEDER DER EDDA. 251
baldige Vereinigung mit ihnen andeuten. Auch üotens und
Odas träum, nach dem alle vögel des landes tot sind, das land
verödet ist (NL. 1509, ausführlicher ThS. 362), bewegt sich in
demselben gedankenkreis: als vögel erscheinen oft die seelen
nach altgermanischer Vorstellung (Mogk, Grundriss 1, 1009):
so erscheinen hier die seelen der dem tod. geweihten als
tote Vögel.
Die gemeinsamkeit der grundrichtung der frauenträume
vor dem auszug der Nibelunge macht es mir wahrscheinlich,
dass trotz der stark subjectiven behandlang') doch Am. in
dem traummotiv als solchem ein altes element erhalten hat,
das in der Akv. verloren ist.
Wir haben oben s. 232, § 17 gesehen, dass der dichter der
Am. in der ausführung der traumscenen von Gökv. II abhängig
ist. Die träume in Gökv. II sind also literarisch die älteren,
sagengeschichtlich dürften sie dagegen jünger sein. Denn
träume Atlis, die sich auf den bevorstehenden Untergang seines
hauses beziehen, finden sich nirgends in der sage als eben in
der Gökv. II; sie eignen sich auch weniger für Atli als für
eine frau'und sehen wie eine erfindung des dichters aus, der
die ereignisse der Akv. A, die er kannte, vorher andeuten wollte.
§ 31. Unheilvolle zeichen auf der fahrt.
Die Am., die eine wassergrenze gegen Atlis reich kennen
(oben s. 248f. §28), erzählen in str. 34, wie die Niflunge beim
starken rudern das halbe schiff zerbrechen, wie die ruder-
bänder zerreissen und die ruderpflöcke brechen. ThS. 366 er-
zähilt ähnliches zweimal, was sich nach Boer (Untersuchungen
1, 242. 243) folgendermassen auf die beiden quellen I und II
verteilt: I, das steuerband reisst, das Steuer blicht, das schiff
schlägt um; II, H^gni zerbricht durch starkes rudern rüder
und ruderpflöcke, das schiff schlägt um. NL. 1564 f. erzählt
ebenfalls, dass das rüder in Hagens band zerbricht. Dann
berichtet Grimhilds hsevn (Grundtvig, D.G.F. Kopenhagen 1853,
1,44 ff.), dass das rüder zerbricht: A 19 in Falquors band,
C 15 in Hogens band. Endlich weiss auch das färöische Högni-
1) Sie sind 'voll von künstlicher Symbolik', wie Henzen (Ueber die
träume in der altnordischen sagaliteratur, Leipzig 1890, s. 79 f.) hervorhebt.
252 BECKER
lied, 57 (Hammershaimb s. 37ff.), dass die rüder in Högnis
bänden zerbrechen.
Wilmanns sieht (Der Untergang^ der Nibelunge in alter
sage nnd dichtung, Berlin 1903, s. 13) in den unheilvollen Vor-
zeichen der Am. und ThS. einen gemeinsamen sagenzug. Ob-
gleich sich nun züge wie das zerbrechen der rüder auch sonst
in nordischen erzählungen finden (vgl. Frid}?j6fssaga str. 13
hrusto hdctir halsar), so führt mich doch diese ähnlichkeit in
kleinen zügen an demselben punkt der Nibelungensage in
den genannten fünf quellen dazu, mit Wilmanns hier einen
alten, nicht einen specifisch nordischen zug zu erblicken, den
die Am. bewahrt haben.
Altertümlich ist ohne frage in den Am. gegenüber allen
anderen genannten quellen das fehlen eines besonderen fähr-
mannes: die beiden rudern von anfang an selbst. Dass der
fähi'mann nicht alt in der sage ist, erkennt man daraus, dass
er im NL., der TliS. und den übrigen seine function gar nicht
verrichtet, sondern getötet wird, sodass die beiden doch selbst
rudern müssen.
§ 32. Gerpot far festa.
Die Am. erzählen weiter 34, 7, dass die Niflunge das
fahrzeug nicht festmachten, ehe sie vom strande giengen. Im
NL. (1581) schlägt Hagen das schiff in stücke. Während
Hagen dieses verhalten NL. 1583 damit begründet, dass er
erklärt, kein feiger solle entrinnen, fehlt in den Am. für das
ähnliche verhalten der Niflunge jede angäbe eines grundes.
Denn obgleich Gunnarr und H^gni vor der abreise düstere
ahnungen gehegt haben (str. 26. 32), so geben sie doch keines-
wegs von vornherein die hoffnung auf rückkehr auf, da ihnen
ja nicht (wie dem Hagen des NL.) der Untergang feststeht.
Vielleicht ist dieser zug in den Am. nichts als ein zeichen
einer ursprünglichen völligen arglosigkeit der beiden. Etwas
ähnliches ist es, w^enn in der Akv. Gunnarr ohne brünne zu
Atlis halle kommt (17, 1. 2). Ursprünglich waren gewiss nur
die frauen voll trüber ahnungen, erst später übertrug sich
das auf die beiden selbst. Dass diese mit freiem willen in
etwas hineingehen, wo ihnen der tod wahrscheinlich (x4m. 26)
oder gewiss (NL. XXV) ist, lässt sich psychologisch nicht als
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 253
das ursprüngliche ansehen, sondern setzt eine entwickelung
der sage voraus, die das in das gemütsieben der lielden vorher
aufgenommen hat, was sie nachher trifft.
Gerade dass dieser zug: gm-lmt far festa so unvermittelt
in den Am. auftritt, spricht dafür, dass er älter ist als die
Am. und dass er vielleicht von dem dichter selbst nicht mehr
verstanden wurde. Wegen der ähnlichkeit mit der Situation
NL. 1581 werden wir annehmen dürfen, dass schon der älteren
deutschen sage der zug eigen war, dass die beiden nicht mehr
für ihre rückkehr Vorsorge trafen bez. sich dieselbe unmöglich
machten, und dass ihn aus der deutschen die altnordische
sage übernommen hat.
§ 33. Der kämpf.
Während nach den Am. 27. 28 ausser Gunnarr und HQgni
noch drei andere beiden und zehn hausgenossen zu Atlis gehöft
ziehen, kommen in der Akv. die zwei brüder ganz allein, ohne
begieitung, zu Atlis halle. Das letztere geht unzweideutig
hervor aus str. 18
seinats nü, syster, at samna Niflungom,
laugt es at leita lypa til sinnes,
of rosmofjqll Einar rekka öneissa,
ebenso aus 12, 1 — 4
leiddo landrogne lypar oneiser,
gräteudr gunnhvatan 6r garp>e Niflunga;
die recken bleiben weinend zu hause; vor allem aus 12,7.8
heiler farep oh horsker, Jivars yJcr (Dual!) Imgr teyger! Von
begleitern Gunnars ausser H^gni ist nicht die rede. Das
primitive der Situation (dass zwei könige allein zur halle
eines anderen köuigs reiten) erscheint auf den ersten blick
altertümlich; dass aber im gegensatz zu den Am. und NL.
die Akv. hierin einen ältei'en zug bewahrt habe, soll nicht
behauptet werden, da sonst germanische könige nie ohne ge-
folge ausreiten.
Akv. ThS. NL. sind darin einig, dass ein kämpf in einem
saal oder eingehegten räum stattfindet; die Am. kennen dies
nicht (39. 43, 2. 3).
Dass in der Akv. der kämpf im saal beginnt, ist aus
16, 2. 8 und c 20, 4 ersichtlich (snemst at i sal kvgmo — hgll
254 BECKER
gal:h 6r snimma! — en enom citta hratt i eld lieitan). Quelle I
der ThS. kennt den kämpf in einem baumgarten, II den kämpf
in einem saal, der angezündet wird (s. Boer, Untersuchungen
1, 153 ff. 158 ff. 167). Das XL. kennt nur den kämpf in einem
saal (Av. XXXIII ff.).
So wird hier wider die Akv. gegenüber der unklareren
Vorstellung der Am. einen alten sagenzug erhalten haben.
In bezug auf den kämpf selbst ist möglicherweise etwas
über die erste phase desselben in unserm text verloren ge-
gangen (Sjmons, Ausgabe s. 428); denn es fällt doch sehr auf,
dass wir nichts von heldentaten Gunnars hören, der doch
sonst in der Akv. ganz im mittelpunkt steht (oben s. 242).
Xur HQgni (Akv. 20 B, c) zeichnet sich im kämpf aus: er
schlägt sieben feinde mit dem schwert nieder und schleudert
den achten ins feuer. lieber seine gefangennähme finden wir
nichts: da aber Vs. 37 davon berichtet {en 2>o varp kann at
lylimn ofrlijn horinn oh ligndum tehnn), so nimmt Symons
(Ausgabe s. 429) hier widerum eine lücke im text an.
In den Am. 40 ff. entwickelt sich aus dem Wortwechsel
zwischen Atlis leuten und einem der Xiflunge (nach Vs, 36 ist
es Hogni) ein kämpf, den Gudrun für einen augenblick durch
ihr erscheinen unterbricht; sie greift aber, als sie ihn nicht
aufhalten kann, selbst in ihn ein, indem sie den mantel ab-
wirft und mit dem schwert dreinschlägt. Im übrigen stehen
ihre taten ganz im Vordergrund. Die Xiflunge werden zwar
im allgemeinen gerühmt (48), aber weder von H^gni noch
von Gunnarr wird eine besondere tat erwähnt; dagegen
bringen Beras zwei söhne und ihr bruder (49,9. 10) vor ihrem
tode achtzehn feinde zu fall.
Der kämpf selbst spielt sich in der Akv. kurz ab; da-
gegen berichten sowol die Am. als XL. und ThS. von einem
langausgedehnten kämpf. Die länge des kampfes in der
deutschen sage hat vornehmlich ihre begründung in der
grossen zahl von beiden, die daran teilnehmen; die bedeuten-
deren teilt Wilmanns (a. a.o. s. 15. 22) in zwei gruppen, eine
ältere (Osid, Irinc, Dietrichj und eine jüngere (Gernot, Gi-
selher, Eüedeger, Blcedel, Hildebrand): keiner von diesen
findet sich in der nordischen sage am kämpf beteiligt (auch
nicht Dietrich, vgl. Jiiiczek, Deutsche heldensagen 1, 160). Die
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 255
länge des kampfes in den Am. berulit dagegen vorwiegend auf
der teilnähme Gudruns und der einfülirung von Sn?evaiT,
Solarr, Orkningr und zwei unbenannten brüdern Atlis.
Was die söhne und den bruder Kostberas betrifft, so sind
sie ohne zweifei gegenüber der älteren nordischen sage eine
neuerung und erst vom dichter selbst eingeführt. Auch das
eingreifen Gudruns in den kämpf, das nur die Am. erzählen,
halte ich für eine neuerung, die wol vom dichter herrührt; es
gehört zu der ganzen specifisch grönländischen Charakteristik
Gudruns, von der oben s. 236 gehandelt ist; zudem musste der
dichter den wünsch haben, Gudruns tapferkeit auch äusserlich
hervortreten zu lassen, weil sie sich ja am schluss mit dem
Nifiung in das rachewerk teilen muss. Auch bei den beiden
brüdern Atlis, die im kämpf fallen (51,4), liegt schwerlich
eine alte historische erinnerung (an Bleda) vor; die vier
brüder, von denen Atli str. 51 erzählt, sind gewiss alle zu-
sammen der Phantasie des dichters entsprungen (oder einer
jüngeren phase der nordischen sagenentwicklung?).
So war jedenfalls in der altnordischen sage kein grund
vorhanden, den kämpf der Niflunge so weit auszudehnen: dem-
nach wird der kurze kämpf der Akv. als das ursprünglichere
anzusehen sein. Zu beachten ist ferner, dass auch in der
älteren quelle I der ThS. der kämpf sich kurz abspielt (s. Boer,
Untersuchungen 1, 158).
Wenn wir endlich die frage aufwerfen, ob einige der von
Wilmanus hervorgehobenen beiden der ThS. schon der älteren
deutschen sage zuzuschreiben sind (sodass sie dann der alt-
nordischen sage verloren gegangen oder überhaupt nicht nach
norden gewandert wären), so müssen wir antworten, dass jeden-
falls weder Irinc (nach Wilmanus s. 15 ein alter gott) noch
Dietrich von Bern ursprünglich etwas mit der Nibelungensage
zu tun hat, in der es sich um den gegensatz zwischen den
Burgunden und dem Attila der fränkischen (nicht der gotischen)
Überlieferung handelt; ebensowenig Eüedeger und Hildebrand ;
auch Gernot ist in der älteren sage (bez. ihren historischen
grundlagen) nirgends zu finden. Deshalb muss man diese ge-
stalten als deutsche neuerungen ansehen. Bei Osid (den
Wilmanus a.a.O. s. 16 mit Ospirin, Attilas gattin im Waltha-
rius, zusammenstellt), bei Bioedel — Bleda und Giselher —
256 BECKER
Gislaliarius wäre es denkbar, dass sie schon der älteren
deutschen sage angehört hätten und dass ihr felilen im norden
dann als verlust zu bezeichnen wäre, obwol Wilmanns bei
Bleda und Gislaharius an spätere aufnähme in die sage durch
gelehrte band denkt (s. 23. 24). Ich muss diese frage offen
lassen.
§ 34. Atlis fi^agen nach dem gold.
Das motiv, das Atli zu seinem verräterischen Überfall
führte, ist nach der Akv. 21. 27. 28 (alles B) und 29 (A),
ferner 34,10 (d) deutlich: die goldgier.
Nicht so einfach liegen die dinge in den Am. Denn
leider stossen wir hier wider an einer sagengeschichtlich
wichtigen stelle auf eine lücke im text, zwischen str. 40 und
41 der Am. (Symons, Ausg. s. 447). Symons vermutet, Atli
habe in der lücke den angriff motiviert duixh die begierde
nach dem horte und (mit fragezeichen) durch den wünsch,
Sigurds tod zu rächen; er schliesst beides aus Vs, 36, wo es
heisst: fyrir Igngu liaf])a ek pat mer i 1mg at nd ypru
lifi, en rd])a gullinu oJc launa ypr ])at nipingsverlc, er per
svilu]) yParn inn hezta mag, oJc sJcal ek hans hefna. Hier
steht die nackte goldgier direct neben der heuchlerischen
anklage bezüglich Sigurds, und beides nebeneinander nimmt
sich merkwürdig genug aus.
Wenn nun der sagaschreiber sich an dieser stelle wirk-
lich streng an seine liedervorlage gehalten hat, was bezweifelt
worden ist (Symons, Beitr. 3, 242), so hat er doch, wie ich
glaube, aus den Am. höchstens die motivierung durch Sigurds
tod entnommen, den der dichter der Am. auch sonst kennt
(94); die heuchlerisch -pathetische anklage passt ganz gut zu
dem zmtterhaften Charakterbild Atlis in den Am., das wir
oben s. 224 kennen gelernt haben. Schwerlich kann aber an
dieser stelle von dem gold die rede gewesen sein, sonst würde
es nicht hernach in der langen scene, in der Atli den befelil
zur grausamen tötung der brüder gibt und die mit dem tode
der beiden endet, so völlig fehlen: der anlass zur marterung
ist nicht irgendwelches gold, sondern Gudruns harte rede, die
Atli reizt. Das Niflungengold findet sich überhaupt an keiner
stelle der Am. auch nui' angedeutet. Ich halte daher die worte
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 257
der Vs. en rdpa-guUinu für eiue erinnerung des Verfassers an
die sagengestalt der Akv.
In Ys. 36 (anfang) findet sicti ausserdem eine stelle, wo
Atli in gute zur auslieferung des Schatzes auffordert. Symons
glaubt (Ausgabe s. 447, im gegensatz zu seiner früheren an-
sieht Beitr. 3, 242), 'dass dem sagaschreiber eine an dieser
stelle' (zwischen str. 39 und 40) 'vollständigere redaction der
Atlm. vorgelegen hat', dass also diese aufforderung Atlis aus
den Am. stamme. Nach dem eben gesagten kann ich das
nicht für wahrscheinlich halten. Viel eher könnte meines
erachtens die aufforderung zur herausgäbe des goldes in der
schon s. 254 aus anderen gründen constatierten lücke, zwischen
Akv. 18 und 19 (Symons, Ausg. s. 428) gestanden haben: in die
Akv. passt eine solche aufforderung ganz zwanglos, denn dort
spielt ja das gold die beherschende rolle. Ferner richtet sich
die frage Atlis in der Vs. an Gunnarr, der ja gerade in der
Akv., im gegensatz zu den Am., im Vordergrund steht (oben
s. 242). Auch Gunnars stolze antwort passt sehr gut zu dem
Gunnarr der Akv.A: die worte Jiann vera at pü veitir Jjessa
veidii — at litüli eym]) vi}) gm oh ülf tragen einen ähnlichen
Charakter wie Akv. 11, wo Gunnarr die wölfe und baren ein-
lädt für den fall, dass er nicht heimkehre.
Die Akv., wie sie dem Verfasser der Vs. vorlag, wird also
zwei fragen Atlis enthalten haben, eine gütliche vor dem be-
ginn des kämpf es, und eine an den gefangenen, wo es sich
um tod und leben handelte (str. 21). Im NL. finden wir nun
auch zwei fragen nach dem hört (nur ist es nicht Etzel, son-
dern Kriemhild, die sie stellt): die eine vor dem ausbruch der
feindseligkeiten (1739. 1741), die andere an den gefesselten
(2367). Wenn hier Kriemhild die fragende ist, so ist auf sie
als auf die eigentlich handelnde etwas von Etzels früherer
habgier übertragen worden (s. unten § 47 zu Wilmanns' ansieht):
denn das motiv ihres handelns ist sonst räche für den gatten.
So fragt sie zweimal, vor und nach dem kämpf, nach dem
schätz, wie Atli in der dem sagaschreiber vorliegenden Akv.
Aus dieser Übereinstimmung darf man wol schliessen, dass schon
in der älteren deutschen sage und weiter dann in der alt-
nordischen zwei fragen traditionell geworden waren: eine an
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 1^
258 BECKER
den freien in gute, eine an den gefangenen, wo es sich um
lösung des lebeus handelt.
§ 35. Der tod der Schwester Atlis.
Wenn das gold in den Am. nicht der anlass zu Atlis
Überfall war, so könnte man mit Grimm, HS.^ s. 11 vermuten,
Atli habe Brynhilds tod rächen wollen; und zwar im liinblick
auf Atlis werte 52, 5. 6 sendoj) systr lieljo : sliks ek mest ken-
noml', womit gewiss Brj'uhild gemeint ist, die in der Edda
als Schwester Atlis in Gökv. I, 24, 1, Sg. sk. 32. 38, 6. 55, 9. 10,
Göky. II, 28, 3. 4, Odrgr. 15 erscheint; ausserdem als Bul^la
döttir noch Brot 8, 2. 14, 2, Helrei]? 4, 2, Grip. 27, 5. Aber
die Vorstellung, dass Atli Brj'nhilds tod durch seinen verrat
habe rächen wollen, findet sich weder an der betreffenden
stelle der Am., noch überhaupt in irgend einem poetischen
oder prosaischen bericht des nordens; sie ist erst von neueren
combiniert worden aus der tatsache von Brynhilds tod und
der, dass Brynhild Atlis Schwester oder Budlis tochter heisst.
Was zunächst Am. 52, 5. 6 betrifft, so wird hier jedenfalls
der tod der Schwester keineswegs derartig betont, dass man
in ihm den anlass zu Atlis Überfall sehen könnte: er wird nur
erwähnt als letzter von vielen vorwürfen, die Atli gegen sein
weib und seine verwanten (51, 5. 7) schleudert; nachdem er
zuvor über den tod seiner krieger, seiner brüder geklagt hat,
nennt er als den herbsten verlust den tod der Schwester. —
Gemartert werden die Niflunge nicht deshalb (wie sie auch
nicht deshalb überfallen worden sind), sondern um Gudrun
zum weinen zu bringen (54).
Ferner könnte noch Helreil? 4, 5 ff. zu der annähme ver-
anlassen, dass man sich zuweilen Atli als den rächer Brvn-
hilds gedacht habe. Die werte in Helrei]^ 4 legen einen
solchen gedanken allerdings für den ersten blick nahe: 'du
hast Gjiikis söhnen verderben bereitet und das glück ihres
hauses vernichtet.' Dass aber hier die katastrophe bei Atli
gemeint wäre, die Brynhild durch ihren tod herbeigeführt
hätte, ist unmöglich. Brynhild ist ja eben erst tot, ist noch
auf dem helweg: da kann Atli ja kaum erst nachricht von
ihrem tode erhalten, geschweige denn ihn schon gerächt liaben.
Vielmehr will die riesln sagen: 'du hast Zwietracht und mord
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 259
in Gjükis haus getragen und seine beste stütze in Sigurdr
vernichtet.'
Auch in Odrgr. überfällt Atli die Gjükunge nicht, um die
Schwester zu rächen, obwol er offenbar um deren todes willen
eine abneigung gegen sie hegt (sodass er keinen mahlschatz
vom söhne Gjükis annehmen will, 20). Vielmehr überfällt er
sie wegen des verbotenen liebesverkehres, den Gunnarr und
Odrün gepflogen haben; s. unten § 36 zu dieser Jüngern moti-
vierung.
Der liedersammler geht allerdings im Drap Xiflunga einen
schritt weiter: er sucht sich zu erklären, warum Gudrun den
Atli heiratet und erzählt daher: Ofripr var J)d ?nilU Gjükunga
oh Atla: kendi kann Gjükungom vgld um andldt Brynhildar.
Aber er fährt fort: ])at var tu scetta, at ])eir slcyldu gipta
lionum Giiprimu, oh gdfu Jienni ominnisveig etc. Also wird
Atli durch die band Gudruns beruhigt, und davon, dass er
seinen spätem Überfall aus räche für Brynhilds tod ausführte,
findet sich kein wort, weder im Drap Nifl., noch in der Vs.,
noch in der Sn. E.
§ 36. Abschliessendes über Atlis motiv.
Wir müssen uns also damit abfinden, dass der mordplan
Atlis gegen die Niflunge in den Am. schlechterdings keine
ausgesprochene begründung gefunden hat. Der dichter selbst
spricht davon wie von etwas, was er eigentlich nicht begreifen
könne: 2, 3 ff. üla rezh Atla, dtte ])ö hyggjo, felde sto]) störa,
striddc ser harpla. Man merkt, dass er selbst nicht weiss, wie
Atli zu seinem plan gelangen konnte,
Dass diese sagenform der Am. im gegensatz zu der der
Akv. mit ihrer klaren motivierung secundär ist, liegt an sich
schon auf der band. Es ist aber überhaupt keine frage, dass
die Akv. in der goldgier Atlis ein altes sagenelement erhalten
hat. Die vorhin angeführten stellen des NL. (1739. 1741. 2367),
ferner ThS. 359 (en Attila honungr er allra manna fegiarnastr
etc.), vor allem endlich die geschichte vom Sigfridskeller, wo
der habgierige Attila verhungern muss (ThS. 393. 423 ff.), be-
weisen, dass man sich Attila einst auch in Deutschland als
habgierig vorstellte, obgleich das NL. nichts mehr davon weiss :
dass also die habgier Attilas schon der älteren deutschen sage
17*
260 BECKER
angehört und schon dort den grund zur Vernichtung* der Nibe-
lunge gebildet hat. Im norden hat das die Akv. bewahrt, in
den Am. ist das motiv verloren gegangen.')
Der mangel eines deutlichen motivs gab dann (nachdem
das alte motiv der goldgier in Vergessenheit geraten war)
anlass zu einer neumotivierung, wie sie im Odrünargrätr vor-
liegt: Atli vernichtet die Gjukunge aus zorn über den ver-
botenen liebesverkehr Gunnars mit Odrün.
§ 37. Die herkunft des goldes.
Akv. 29, 3 heisst das Xibelungenerbe dslm])r (nominativ
nach Gering, Wörterbuch z. Edda, 1903) 'von den äsen stam-
mend,'. Das muss sich 2) auf irgend eine fassung der geschichte
von der otterbusse beziehen, die Sn. E. 39 (auch in U) und
(mit kleinen abweichungen) Vs. 14 erzählt wird und von der
der erste teil der Eeginsmol (prosa und str. 1 — 12) handelt.
Diese Vorgeschichte des hortes, die von den äsen nicht zu
trennen ist, betrachtet man als speciflsch nordische neuerung.
Das wird richtig sein; immerhin nötigen uns die Strophen der
EeginsniQl im Zusammenhang mit Akv. 29, die entstehung der
geschichte ziemlich hoch hinaufzuschieben.
Anschliessend sei auf eine naheliegende frage eingegangen.
Seit Eichard Wagner ist uns die Vorstellung geläufig, dass der
Nibelungenhort aus dem Ehein stamme, Eheingold sei, wie er
im Eheine sein ende findet (s. unten § 38). Ist diese Vorstel-
lung in der nordischen sage nachweisbar?
Der Ehein scheint seit alters in naher beziehung zum
begriff des goldes gestanden zu haben. Schon Ykv. 15 wird
in bezug auf Wielands gold gesagt: ßarre hylch vdrt land
ßollom Binar. Sodann reden manche kenningar von solchen
beziehungen: bei Einarr Skalaglamm (Sn. E. I, s. 404), einem
dichter des 10. jh.'s., heisst das gold lUnar grjöt; bei Härekr
6r pjöttu (Heimskringia c. 158), einem Zeitgenossen Olafs des
heiligen: Binar leygr, lohe des Eheins; in den Bjarkamäl 6:
') In anderem zusammenliang findet sich in den Am. eine erinnerung
an Atlis habgier: 53,3. 4 mopor tökt mina ok myrper tu hnossa.
') Vorausgesetzt, dass sich äskunna hier auf arfe Niflunga und nicht
auf g {Ein) hezieht, mit welcher möglichkeit Detter und Heiuzel, Commentar
2, 532 rechnet, in bezugnahme auf GrimnismQl 27, 8.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 261
Rinar raupmalmr^); in der Sigur^arkvipa en skamma 16,8
heisst Sigurds gold direct Binar malmr. Namentlich dass der
letztere ausdruck bei lebzeiten Sigurds, also vor der Versenkung
des hortes in den Rhein, von Gunnarr gebraucht wird, kann
den gedanken erwecken, man habe sich den Nibelungenhort
als in letzter Instanz aus dem rheine stammend gedacht, also
den Andvarafors (Egm. pr., Vs. 14) oder das wasser in Schwarz-
alfenheim (Sn. E. 39), in dem Andvari schwimmt, mit dem
Rheine gleichgesetzt.
Dagegen ist zu beachten, dass nirgends der Rhein tat-
sächlich als letzte quelle des hortes genannt wird. Ferner
sagt die stelle Ykv. 15, wo erst von Grani, dann von den
felsen des Rheines die rede ist, keineswegs, dass Granis last
aus dem Rhein stamme. Aber auch die angeführten kenningar
beweisen nicht, dass man sich den Nibelungenhort aus dem
Rhein stammend dachte. Zum teil mögen sie auf die sage von
der Rhein Versenkung gegründet sein; im übrigen lassen sich
solche ausdrücke, wie Boer (Untersuchungen 2, 71) hervorhebt,
ebenso wie Äegis eldr erklären, als 'gold' schlechthin, und
müssen gar nicht stets 'Nibelungengold' heissen. So wird auch
das 'Rheinerz' Sg. sk. 16, 8 in diesem abgeblassten sinn =
'gold' zu verstehen sein, w^eil der dichter nur an das metall
als solches denkt, nicht an den hört 'mit seiner geschichte.
Den anlass dazu, in solchen fällen gerade den Rhein zu nennen,
bot die schon oft hervorgehobene tatsache, dass das mittlere
Rheinbett goldhaltig war.
Es verdient daher hervorgehoben zu werden, dass die Vor-
stellung von einem Nibelungen-Rheingold, das aus dem Rhein
stamme, in der nordischen sage nirgends nachweisbar ist.
§ 38. Die Versenkung des goldes in den Rhein.
Ueber das ende des Nibelungenerbes belehrt uns widerum
Akv. 29:
Ein skal räpa rögmalme skatna,
0 svinn äskunna arfe Niflunga.
Abgesehen von unserer stelle ist die Versenkung in den Rhein
durch vier denkmäler bezeugt: durch das NL. 19, 1137 ff., dann
^) Auf die drei letzteren stellen macht Grimm, HS.s N. 10 aufmerksam;
im context citiert und erklärt bei Hungerland, Arkiv 20, s. 21. 24. 29.
262 BECKER
später 28,1742; durch Sn. E. c. 42 {en d^r 2>eir föru heiman,
Pd fdlii ])eir gidlit Fdfnisarf i Bin, oh hefir Pat gull aldri sipan
fundist); durch das norwegische Volkslied von Sigurd svein str.49
(Landstad s. 123); durch das Sigfridslied str. 167. Im NL. ist
es Hagen, der es versenkt, in der Edda sind es die Niflunge, im
liede von Sigurd svein und dem Sigfridslied ist es Sigfrid selbst.
Nun hat Boer (Untersuchungen 2, 70. 71) geleugnet, dass
in der alten sage der hört überliaupt in den Rhein versenkt
worden sei. Den ausdruck NL. 1742 den hieben mine herren
senken in den Pdn fasst er als von hause aus bildlich gemeint
auf, = 'der schätz ist zum henker'. Aus dieser stelle sei
alsdann die erzählung von der Rheinversenkung NL. Av. 19
abstrahiert, die Boer einem jüngeren Verfasser zuweist. Bei
dieser auffassung stützt er sich auch auf Akv. 29. Auch diese
Strophe glaubt er bildlich fassen zu müssen: hier könne von
einer tatsächlichen Versenkung des goldes nicht die rede sein,
denn der gefangene könne nicht über den schätz verfügen.
Hiergegen lässt sich aber verschiedenes geltend machen.
Zunächst wäre es doch sehr merkwürdig, wenn ein bildlicher
ausdruck (nicht ein concreter sagenzug) ein so langes leben
gehabt hätte, dass Akv. und NL. ihn beide noch aus der
älteren deutschen sage besitzen sollten. Noch merkwürdiger
wäre es, wenn dieser ausdruck mit genau derselben folge-
richtigkeit von zwei getrennten jüngeren autoren misverstanden
worden wäre: Sn. E. c. 42 und NL. 19 hätten ihn nämlich beide
im eigentlichen sinne ausgelegt. Dass endlich in der Akv.
von einer tatsächlichen Rheinversenkung nicht die rede sein
könne, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Allerdings kann
der hört nicht von dem gefangenen versenkt werden, aber er
kann sehr gut vor der abreise versenkt worden sein (wie das
die Sn. E. erzählt), damit er nicht in fremde bände gerate.
Daher beweisen m. e. die getrennten nordischen und
deutschen Zeugnisse, dass schon in der älteren deutschen, dann
auch in der altnordischen sage der hört von den Burgunden
in den Rhein versenkt worden ist.
§ 39. HQgnis herz, Hjalli.
Warum Atli dem HQgni das herz ausschneiden lässt, ist
in der Akv. klar und einfach gesagt: als von Gunnarr das
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 263
gold verlangt wird, fordert dieser, man solle ihm erst H^gnis
herz zeigen: dann wird, nach kurzer episode, dem Hcigni tat-
sächlich das herz ausgeschnitten. Sehr merkwürdig ist dagegen
die begründung in den Am.: einzig um Gudrun zum weinen
zu bringen, soll Hogni das herz ausgeschnitten und Gunnarr
den schlangen übergeben werden. Es wäre schon an sich
kaum zu bezweifeln, dass die einfache motivierung der Akv.
die ältere, die wunderliche dei' Am. die jüngere ist. Zum
überfluss tritt aber die deutsche sage des NL. hinzu und be-
stätigt, dass die entscheidende bedingung, durch die der eine
held den tod des andern veranlasst, in der sage alt ist:
str. 2367 — 2371 zeigen, wie schon mehrfach hervorgehoben
wurde'), eine ganz ähnliche Situation wie die Akv. 21 — 29:
Kriemhild fragt den gefangenen Hagen, ob er mit dem hört
sein leben lösen wolle; er erklärt, ihn nicht herausgeben zu
können, solang noch einer seiner herren (d. h. der allein übrige /
Günther) lebe; Kriemhild bringt ihm Günthers haupt. Der /
hauptunterschied zwischen der nordischen und deutschen fassung |
besteht darin, dass im NL. die frage an Hagen, in der Akv. \
an Gunnarr gerichtet ist. Nach dem oben s. 243 über das ur- I
sprüngiiche Verhältnis von HQgni und Gunnarr gesagten muss
ich hier die fassung des NL. für die ältere halten. Wir werden
aber die fassung der Akv. (frage an Gunnarr) auch schon für
die ganze altnordische sage in anspruch nehmen dürfen, da
wir dieselben todesarten auf dieselben personen verteilt (nur
ohne den causalen Zusammenhang) auch in den Am. finden. Die
hervorhebung und Idealisierung Gunnars im gegensatz zur
älteren deutschen sage setzte zuerst in der altnordischen
offenbar an diesem punkte ein: Gunnarr wurde als der eigent-
liche herr des Schatzes angesehen und daher gefragt; die Akv.
gieng dann auf diesem wege weiter.
Charakteristisch für die nordische sage, aber in keiner
quelle der deutschen sage belegt, ist das ausschneiden des
herzens. Boer (Untersuchungen 1, 166. 167) vermutet, dass die
quelle I der ThS., die als einzige Version der deutschen sage
den Schlangenturm zeigt, ursprünglich auch das ausschneiden
des herzens gekannt habe. Beweisen lässt sich das freilich
J) Wilmanns, Untergang der Nibelunge s. 4 u. a.
264 BECKER
nicht. Ich möchte also zunächst diesen zug als specifisch
nordisch ansehen. — Das ausschneiden des herzens erscheint
ausserhalb der Atli-lieder noch Gökv. II, 32, 7. 8 (geahnt von
Gudrun), ebendaO, 5. 6 (angedeutet in einer Verwünschung),
Odrgr. 26, 5. 6, Ghv. 18, ausserdem Drap Nifl., Vs. 37 und
Sn. E. 42.
Die durch die todbringende forderung des einen beiden
geschaffene Situation hat weiterhin im norden eine gestalt
erzeugt, deren hauptbedeutung in beiden Atli-liedern darin
besteht, dem andern der beiden beiden als folie zu dienen und
seinen mut ins hellste licht zu setzen'): Hjalli den feigen
(Akv. 23 ff. Am. 57 ff.). — In der älteren deutschen sage scheint
Hagen der mutige eine andere folie gehabt zu haben, wenn-
gleich nicht bei dieser gelegenheit: Günther selbst. Dass ur-
sprünglich Günther selbst der feige war, geht deutlich hervor
aus dem Waltharius, besonders 1413 — 15, aus dem NL. (Gün-
thers Stellung am anfang des Sachsenkrieges 148. 153. 154;
gegenüber Brünhild bei den kämpfen und in der brautnacht);
aus ThS. 228 (die brautnacht) und vor allem noch aus der
eddischen Strophe Vs. 28 (Symons, Ausg. s. 496, frg. 3), wo Bryn-
hild zu Gudrun sagt:
en hlyre ]?in hvärke porpe
eld at rij^a ne yfer stiga.
In der speciell nordischen sage, besonders in der Akv., ist
dagegen Gunnarr ins heldenhafte gesteigert (s. 242), infolge-
dessen ist an seine stelle der feigling Hjalli getreten. —
Akv. nennt diesen nur kurz den feigen (24. 26), sagt aber
sonst nichts über seine person. Wenn er dagegen in den Am.
der kesselhüter (58), der koch Budlis, der elende sclave (59)
heisst, so brauchen diese züge keineswegs der altnordischen
sage zu entstammen, sondern können auf die ausmalung des
dichters zurückgehen, der gern gerade nebengestalten ausführte
(oben§12b/3).
Dass dem Hjalli das herz ausgeschnitten wird, hat in der
Akv. seine volle begründung: Gunnarr soll durch den anblick
I des herzens betrogen werden und den schätz ausliefern, ohne
1) Akv. 24, 26 direct die gegenüberstellung : Hjalla ens blaupa —
Hpgna ens fräkna.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 265
dass HQgnis blut fliesst: der betrug ist das entscheidende. In
den Ära., wo dieser betrug Avegfällt und das herz Hognis nur
ausgeschnitten werden soll, um Gudrun zum weinen zu bringen,
hat der Vorschlag, statt dessen Hjallis herz auszuschneiden,
keinen sinn: sein herz nützt niemandem etwas, da eben nur
der bruder Gudruns sterben soll. Höchstens müsste man an-
nehmen, dass Atli sich während der procedur entfernt hätte
(und Beiti ihn mit Hjallis herz täuschen wollte): das ist aber
ganz unwahrscheinlich. Auch dieser zug wird also von dem
dichter der Am. unverstanden übernommen worden sein.
Dafür, dass man nicht mehr wusste, was Hjallis tod eigentlich
nützen sollte, spricht vor allem, dass Hjalli in den Am.
schliesslich gar nicht getötet wird, sondern mit der todesangst
davonkommt. Das ist gegenüber seinem tod in der Akv.
natürlich als eine degeneration anzusehen.
Dagegen ist die grundbedeutung von Hjallis ganzer ge-
stalt in den Am. noch klar erhalten. Hjalli dient auch hier
dem HQgni als folie, aber in feinerer weise. In der Akv. 'tU crHr t«-^
wird schlicht und roh das zitternde herz neben das ruhige '^"^"'-^
gelegt: die Am. charakterisieren den Hjalli in einer aus-
geführten scene durch sein verhalten, seine worte als feigiing
im gegensatz zu dem unerschrockenen Hogni, der verächtlich
erklärt, ihm sei ein solches spiel leichter, und es sei unmög-
lich, länger ein solches geschrei anzuhören.
Beide Atli-lieder stimmen endlich darin überein, dass
HQgni lacht, während ihm das herz ausgeschnitten wird
(Akv. 25, Am. 61). Nach dem was schon oben (§ 16) über
diese beiden stellen gesagt ist, können wir auch diesen zug
schon der altnordischen sage zuweisen.
§ 40. Die Schlangengrube.
Dass Gunnarr in eine schlangengrube geworfen wird,
findet sich ausdrücklich erwähnt in der Akv. 34 d, dann Odrgr.
26, 7. 8, Sg. sk. 58, 3. 4, im Drap Nifl., Vs. 37, Sn. E. 42. Ferner
wird der ormgardr Guunars in dem schon oben s. 247 genannten
itinerarium des abtes Nicolaus aus dem 12. jh. erwähnt: einige
leute behaupteten, dass er sich bei der Stadt Luna in Italien
befände (die 857 von den Normannen gestürmt wurde, s. Mass-
mann, Zs. fda. 1, 396 und Grimm, HS.^ N. 27).
266 BECKER
Unklar sind dagegen Am. 21 und 55, wonach Gunnarr an
einem galgen befestigt werden soll, damit ihn schlangen fressen,
und Ghv. 17, wo nur gesagt ist, dass glänzende schlangen
Gunnarr auf den leib krochen.
Da sich die Vorstellung von einem schlangengehege, in
dem Gunnarr sein leben lässt, auch in der ThS. ') findet (quelle I,
s. Boer, Untersuchungen 1, 167), so muss diese Vorstellung auch
schon der älteren deutschen sage geläufig gewesen sein. Der
ausdruck ormgarp cap. 383 (den B nicht hat), mag auf eddische
beeinflussung zurückgehen: aber an der tatsache, dass in
Niederdeutschland die geschichte von einem schlangenturm
Günthers bekannt gewesen ist, darf man wol nicht zweifeln,
da zweimal, cap. 383 und 394, ausdrücklich versichert wird, dass
der türm in Susat stehe.
Dass der bericht der Akv. (34) dem interpolator d an-
gehört, beeinträchtigt seine bedeutung nicht. Dieser mit der
grössteu trockenheit berichtende interpolator, den eine bereits
vorliegende lücke im text zur abfassung seiner seltsamen verse
veranlasst haben mag (oben s. 203 f.), gab gewiss nichts anderes,
als was die herschende sage von Gunnars ende erzählte; von
eigner phantasie werden wir bei ihm kaum etwas zu befürchten
haben.
Gegenüber der klaren Vorstellung vom ormgar])r, die wir
in der Akv. finden, ist die unklare der Am. als eine degenera-
tion anzusehen. Man wusste in Grönland offenbar nicht mehr,
was ein onngarjjr war: so veränderte sich die Vorstellung zu
der eines galgens, bei dem mau sich ausser aas vögeln offenbar
auch schlangen hausend dachte, die ja nach der Vorstellung
jener zeiten nicht nur bissen, sondern geradezu, wie raubtiere,
menschliches fleisch fi^assen (ganz deutlich Saxo IX, 43, s. 143
Holder, vom tode Ragnars, Am. 21, Sn. E. 42). Gunnarr soll
demnach am galgenbaum angebunden werden, sodass er den
schlangen erreichbar ist.
Specifisch nordisch ist widerum im gegensatz zur ThS.
die sage vom harfenspiel Gunnars, die sich in Akv. 34, Am. 62,
Odrgr. 27, Drap Nifl., Vs. 37, Sn. E. 42 findet, und auf die sich
*) C.383 i ormgarp; nach hs. B: i einn turn, enßar eru mni eürormar;
c. 391 ormaturn.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 267
vielleicht der in Nornagests |?ättr c. 2 erwähnte Gunnarsslagr
bezieht (Bugge, Fornkvsefti, fortale XLIII), ferner das lied von
Sigurd svein str. 48 (Landstad s. 122): og Gunnar slagi slög
(als Asgardreiter).
Nun ist zunächst zu betonen, dass die drei genannten
Eddalieder von einer Wirkung des harfenspieles auf die
schlangen nichts sagen. Akv. 34, 10—12 (d) gibt überhaupt
keinen zweck des Spieles an, sondern sagt nur reflectierend:
svd shal goUe frökn hringdrife vip ßra licüda (ganz im sinne
von A und B, wo immer das gold im mittelpunkt steht, oben
s. 256). — Nach den Am. gibt Gunnarr der herrlichen (Gudrun)
künde, und die dachsparren bersten. — Der Odrgr. lässt Gun-
narr durch sein spiel Odri'm zu hilfe rufen (sie kommt aber
zu spät). Von diesen drei fassungen ist jedenfalls die letztere
mit Odrüns gestalt als die jüngste anzusehen.
Warum spielt nun in der Akv. Gunnarr die harfe? Ich /
glaube, nur um seine todesverachtung zu zeigen. Der com- [
mentar von Detter und Heinzel s. 490 führt mehrere beispiele
an, nach denen leute in todesqual Strophen vortragen oder
singen: Eagnar in der Ragnarssaga FAS. 1,282/3, Kräkumäl 26;
sein söhn Eirikr am spiess FAS. 1,262/3, Sigurd Slembidjäkn
FMS. VII, 352, der psalmen singt, während er gepeinigt wird.
So zeigt auch Gunnarr hier in der Akv., dass sein heldenmut
nicht zu erschüttern ist. — Die Am. motivieren das spiel schon
anders: str. 62 rikre röp sagpe. Gunnarr will also offenbar
Gudruns hilfe anrufen; in der Akv. war das unmöglich, da
Myrkheim von Atlis bürg weit entfernt lag (35. 45). — Der
Odrgr. hat dieselbe motivierung, mit entsprechender Ver-
änderung: Gunnarr will seine geliebte von Hlesey herbei-
rufen. — Wenn die Am. erzählen, dass Gunnarr mit den
zehen die harfe schlägt, so ist das als eine weitere ausführung
anzusehen, die logisch aus seiner fesselung hervorgehen musste ;
Sn. E. 42 und Vs. 37 sind darin den Am. gefolgt.
Im gegensatz zu den drei liedern reden nur die drei prosa-
berichte Drap Nifl., Vs. 37, Sn. E. 42 von einer einschläferung
der schlangen; schon das macht die sache verdächtig und lässt
an jüngere Weiterbildung denken. Dem Sammler der lieder
(Drap Nifl.) lagen Akv., Am., Odrgr. vor. Ihm konnte nun
leicht Odrgr. den anlass bieten, die sage fortzuspinnen. Odrün,
268 BECKER
die durch den harfenklang über den sund lierbeigerufen wird,
kommt zu spät, weil Atlis mutter schon in Schlangengestalt
Gunnarr nach dem lierzen gegraben hat (30). Hier konnte
der Sammler fragen: warum ist nur von der einen schlänge
die rede? offenbar, weil die anderen sich ruhig verhielten.
Wie kamen sie dazu, sich ruhig zu verhalten? offenbar, weil
sie durch eine Zauberkraft gebannt waren: als solche aber
konnte hier nur der klang der harfe in betracht kommen.
Daher nahm der Sammler an, Gunnarr habe die anderen
schlangen durch sein spiel eiugeschläfert. — Sn. E. 42 be-
richtet wesentlich dasselbe wie Drap Nifl. — Einen schritt
weiter geht der Verfasser der Vs.: Gudrun reicht selbst dem
bruder die harfe. Die schlänge, die Gunnarr tötet, hebt der
Verfasser, offenbar im blick auf Odrgr. 30, als 'grosse und
bösartige natter' hervor; er nennt sie aber nicht Atlis mutter,
ebenso wie er auch cap. 5 die mörderische wölfin nur unter
vorbehält als Siggeirs mutter eingeführt hatte.
§ 41. Atlis und Gudruns söhne.
Dass Gudrun zwei söhne von Atli hat und sie tötet, be-
richten Akv. 39. 40 und Am. 74. Auf diese tatsache beziehen
sich kurz Hm. 8. 10,2, Ghv. 5, 4. 12,6; projAezeit wird der
tod von Atlis söhnen durch Brynhild Sg. sk. 59,6; geahnt von
Gudrun Gökv. II, 34, 8; im träum gesehen unter bildern von
Atli Gökv. 11,41. 42. 43; ausserdem erzählen es Sn. E, 42 und
Vs. 38, w^ährend die erzählung des Drap Nifl. nicht bis dahin
reicht.') Für die altnordische sage steht der zug jedenfalls
durch die Übereinstimmung der beiden Atli-lieder fest.
Dagegen nennen die namen Erpr und Eitill nur Akv. 40
(B), Drap Xifl. und Hm. 8, welche Strophe Eanisch (Hamdismäl
s. 5 f.), wie schon oben s. 239 bemerkt, für eine alte Interpola-
tion hält. Akv. A und Am. nennen keinen namen.
Wenn wir nun unter den namen für Etzels söhne in der
deutschen sage umschau halten, so finden wir im NL. 1913
u. ö. Ortliep, in der ThS. c. 360. 379 Aldrian für Etzels söhn
*) In Drap findet sich die eigentümliclie stelle: en er GJükungar Jcömu
tu Atta, pä baß Gupriin sonu sina at bcepi Gjükungum lifs, en peir vildu
eigi, was Gering (Uebersetzung s. 241) gewiss richtig als einen versuch des
liedersammlers ansieht, den kindermord zu motivieren.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 269
von Kriemhild; ferner im Biterolf 3334 die uamen Orte und
Erpfe, in der Eabenschlaclit 158. 172 u. ö. Orte und Scharpfe,
in der TliS. c. 56 Ortvinr und Erpr. Die letzteren sind alle
söhne von der Helclie bez. Erka: daher gehören diese drei
paare nicht in die Nibelungensage, sondern in die Dietrichsage
oder genauer in die gotische Attilasage '), die die historische
königin Kreka erhalten hat, aber Kiiemhild und die Burgunden
nicht kennt. Nun hat ferner Kreka als die erste und ursprüng-
liche königin und gattin selbstverständlich kinder von Attila;
Ildico ist dagegen erst eine später angenommene gattin, mit
ihr hat Attila nur eine einzige nacht zugebracht, über die sich
bald dunkle gerüchte bildeten: da kann man von vornherein
zweifeln, ob Kriemhild nach der ältesten sage überhaupt von
Attila kinder hatte.
Wenn nun Kriemhild im NL. ein kind von Etzel hat, das
Ortliep, in Akv. und Hm. eines, das Erpr heisst, so liegt der
gedanke nahe, dass die namen Ort und Erpf 2) aus der Attila-
Helche-sage in die Attila -Kriemhild -sage eingedrungen sind,
d.h. in die Burgunden -sage: in Deutschland blieb der name
Ort als Ortliep, im norden der name Erpf als Erpr erhalten
für je einen söhn Kriemhilds (ähnlich Bugge s. 6. 8). ^)
AVährend aber das deutsche NL. eine wirkliche Verbindung
der gotischen sage mit der Burgundensage zeigt, ist das bei
den heldenliederu der Edda bekanntlich noch nicht der fall
(auch nicht in Gökv. III, s. Jiriczek s. 160), es kann also auch
in der älteren deutschen sage noch nicht der fall gewesen
sein. Wir dürfen also nicht annehmen, dass ein name wie
^) Bugge, der ai;f die drei paare aufmerksam macht, bringt den namen
Erp in ziisammeuhang mit dem Heruac des Jordanes c. 50 (Mommseu s. 127,
wo auch 'ÜQmx aus Priscus frg. 36 Muell. citiert wird), Bugge, Erpr og
Eitill s. 4f.
^) Scharpfe ist wol nur eine jüngere volksetymologische Umbildung
des später nicht mehr verständlichen Erpf.
2) Blej'er leitet freilich (Beitr.31,566ff.) den namen Ort von dem namen
eines Gepidenfürsteu Ardarich ab, der in der ungarischen sage zu Kriem-
hilds und Attilas söhn geworden sei (Aladär). Hier steht Wahrscheinlich-
keit gegen Wahrscheinlichkeit. Ich für meine person möchte mit dieser
erklärung nicht rechnen, weil es mir nicht naheliegend erscheint, den
deutschen namensstamm Ort-, der auch in anderen sagen in Ortuit, Ortwin,
Ortrün auftritt, hier auf diesem wege zu erklären.
270 BECKER
Erpr') aus der älteren deutschen sage stamme, sondern müssen
hier einmal mit einer späteren, nachträglichen aufnähme eines
namens aus deutscher sage rechnen.
Wir sahen, dass die söhne Ortliep und Erpr nicht von
jeher der Verbindung Kriemhilds mit Attila entstammten.
Ebensowenig scheint aber auch der söhn Aldrian von haus
aus dieser Verbindung zu entstammen, den ThS. c. 360. 379
als Attilas söhn kennt. Denn er trägt einen namen, der sonst
in der sage Hagens vater zukommt, ThS. 169 auch Grimhilds
vater. Was es mit diesem namen für eine bewantnis hat,
wei-den wir noch unten (§ 43) zu erörtern haben.
Nach diesem allen ist es sehr zu bezweifeln, dass die ehe
Kriemhilds mit Attila in der ältesten sage überhaupt kinder
gezeitigt hat. Wol aber hat in der weiterentwickelten deutschen
sage Kriemhild die beiden söhne Helches übernommen, die
mehr in den hintergrund trat, obgleich sie und ihre kinder
nicht vergessen wurden; den namen des einen solmes hat das
NL. erhalten; der name des andern ist nach norden gekommen,
wo wir ihn in der Akv.B und Hm. finden.
Die söhne Helches hat aber Kriemhild vielleicht erst zu
einer zeit übernommen, wo sie in Deutschland nicht mehr die
feindin Attilas war, also keinen grund hatte, seine söhne zu
töten. Wir können jedenfalls nicht behaupten, dass einmal in
Deutschland eine sage von einem kindermord Kriemhilds ge-
herscht habe; wir müssen diese sage zunächst als eine specifisch
nordische Weiterbildung betrachten.
Erst einem Jüngern deutschen Stadium der sage gehört
m. e. die Opferung des einen kindes durch Kriemhild an (NL.
1912 dö der strit niht anders Jcimde sin erhaben etc.; ThS. 359;
Anh. z. Hb.), durch die der völlig ehrenfeste Etzel zur feind-
schaft gegen die Nibelungen gedrängt wird. Ich möchte also
nicht, wie Wilmanns (a. a.o. s. 8) und Boer (Untersuchungen
1, 148) vermuten, dass diese Opferung des kindes der veränderte
Überrest einer alten deutschen sage vom kindermord Kriemhilds
bedeute, eben weil ich nicht glaube, dass sie in der älteren
deutschen sage überhaupt kinder von Etzel hatte.
*) Auf diesen Erpr wideri;m führt Jiriczek s. 108 den namen des
bastards Erpr in der Ermanarichsage (Ham)?esin61) zurück.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 271
Ueber die geschichte des mit Erpr alliterierenden zweiten
namens Eitill wissen wir gar nichts. — Zu Bugges ableitung
s. unten § 42.
Ist nun auch der name Erpr erst nachträglich nach norden
gedrungen (s. 270), so werden wir doch annehmen, dass die
sage von Gudruns kindern und ihrem mord im norden älter
ist, da wir sie in beiden Atli-liedern (auch den Am., wo der
name Erpr fehlt), und Hm. 10 finden. Dann bedeutete also
die namengebung der beiden kinder eine neuerung; wahrschein-
lich hatten diese frühzeitig getöteten ursprünglich überhaupt
noch keine namen: darin mögen die Am. gegenüber der Akv.B
das ältere erhalten haben.
§ 42. Die mahlzeit.
Die bewirtung Atlis durch seine gattin findet in der Akv.
sofort nach dessen rückkehr vom mordplatz statt. In den Am.
vergeht bis dahin erst eine zeit (76 svaf ek mjgh sjaldan sipans
peir fello), wol deshalb, weil die bewirtung in den Am. als
erbmahl {erß 71. 81, 12) aufgefasst wird (oben s. 219). Die Akv.,
die diese auffassung nicht hat, mag in der einfacheren form
das ältere erhalten haben.
Von der mahlzeit selbst berichtet am einfachsten Akv. 39.
Atli hat die herzen seiner söhne mit honig gekaut und davon
verteilt; dass er blutgemischten wein getrunken hätte, wird
nicht gesagt, ist aber wol mit Gudruns kelch gemeint, den
sie Atli darbringt (36). Ausführlicher berichten die Am. 77 f.:
aus den Schädeln der kinder hat Gudrun trinkschalen gemacht,
blut in den wein gemischt, die herzen am spiess gebraten, als
kalbfleisch gereicht. Ys. 38 und Sn. E. 42 geben dasselbe; nur
fehlt der zug, dass die herzen als kalbfleisch gegessen werden ;
ferner werden in Sn. E. die schädelbecher mit gold und silber
hergestellt, d. h. überzogen.
Grundtvig (Ausgabe der Saem. Edda- s. 248) und Bugge
(Erpr og Eitill s. 10) vermuten in dem motiv der schädelbecher
einfluss von selten der Wielandsage. Ich möchte einen solchen
für die Am. nicht sicher behaupten, da aus schädelbechern zu
trinken bei den Germanen eine verbreitete sitte war (vgl.
Alboin und Rosimund, bei den brüdern Grimm, Deutsche sagen
s. 278 ff., erzählt nach Paulus Diaconus). Dagegen besteht
272 BECKER
dieser einfluss zweifellos in der Sn. E. 42, wo von gold- und
silberüberzog-enen Schädeln die rede ist, ganz wie Ykv. 25. 37.
In der genannten sclirift s. 10 vermutet Bugge ferner eine
beeinflussung der Am. durch die antike Tereussage, wie sie
Ovid, Metam. VI, 636— 74 vorliegt. Der name des Itys (des
Sohnes des Tereus und der Procne) soll ferner quelle des namens
Eitill sein. Aber der name Eitill fehlt gerade in den Am., die
Bugge als besonders stark beeinflusst ansieht (er steht in der
Akv.B und Hm.); und Ovid spricht auch nur allgemein von
dem zubereiteten fleisch des Itj^s, während sich das charakte-
ristische motiv vom verspeisen der herzen schon in der den
Am. im alter voranstellenden Akv. A 39 findet.
So halte ich die darstellung der Am. nur für die selb-
ständige ausschmückende Weiterbildung einer sage, die in ein-
facherer gestalt in der Akv. vorliegt.
§ 43. Der Hniflungr der Atlam<)l.
Am. 83. 84. 86 berichten von einem Niflung, einem söhne
H^gnis, an Atlis hof, der der Gudrun seinen grimm gegen
Atli entdeckt, in ihr die erinnerung an H^gnis tötung weckt,
von ihr zur räche angespornt wird und sich mit Gudrun in
das werk der räche teilt; das letztere berichtet auch Vs. 38
und Sn. E. 42. Woher dieser söhn HQgnis kommt, wird mit
keinem wort angedeutet.
Einen versuch, diese dunkle gestalt zu erklären, finden
wir bei Boer, Arkiv 20, 185 ff. Er hält den nachgebornen
söhn HQgnis in der ThS. 393. 423 — 27, Aldrian, für einen ur-
sprünglichen söhn der Schwester Grimhild von ihrem bruder,
den sie vor dessen tod empfangen habe ; er erklärt ferner den
namen des ersten Aldrian der ThS. (Grimhilds söhn von Attila
360. 379) als eine dunkle erinnerung eben an einen solchen
incest, der auf beeinflussung durch die Signysage deute; endlich
dehnt er, allerdings mit vorbehält (s. 194f.), diese auffassung
auf den Niflung der Am. aus.
Für die jüngeren sagenformen, die in der ThS., dem
färöischen Högnilied, der Hvenschen Chronik, endlich in Grim-
hilds hgevn C vorliegen, mag diese erklärung von Hognis söhn
das richtige treffen. Für die Am. halte ich aber diese er-
klärung nicht für möglich aus dem gründe, weil wir nicht
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 273
erweisen können, dass in der Am. vor HQgnis ende eine
nacht vergangen sei, die gelegenheit ziu' erzeugung geboten
hätte. Die str. 63, an die Boer erinnert: doo J)d dyrer, dags
vas heldr snimma, legt zwar die annähme einer zwischennacht
nalie, aber nach der voranstehenden scene (str, 54 — 61) müssen
wir notwendig doo als plusquamperfect fassen, = 'tot waren
sie' (so Gering, Übersetzung s. 278). Atli will ja die brüder
sofort der todesstrafe ausliefern, um Gudrun zum weinen zu
bringen: so müssen wir annehmen, dass Gunnarr sofort zu
den schlangen gebracht wird, wenn er auch noch nicht sogleich
stirbt, und dass HQgnl nach dem kurzen Zwischenspiel mit
Hjalli sofort das herz ausgeschnitten wird. In str. 61 schliesst
sich auch dem entsprechend an HQgnis festnähme unmittelbar
sein lachen in der todesqual an. Also ist in den Am. für HQgni
zur erzeugung eines rächers im lande Atlis keine gelegenheit.
Ich möchte zur erklärung dieses Niflungen überhaupt nicht
auf die ThS. und andere jüngere quellen zurückgreifen, sondern
eine erklärung desselben aus den Atli-liedern selbst versuchen.
Auch in der Akv. wird ein söhn H^gnis erwähnt, ein junger
erbe (12, 5. 6), der seinen vater offenbar noch nicht auf die
reise begleiten kann. An dieser gestalt, die keineswegs eine
blosse zutat des dichters zu sein braucht (s. oben s. 242), wird
die weitere sage angeknüpft haben. Man fragte: was wurde
nach dem Untergang der Niflunge aus dem überlebenden söhn
HQgnis? Für ihn konnte es nur ein amt geben, das des
rächers. So Hess man Gudrun die räche aufschieben, bis
dieser söhn herangewachsen war: dann kommt er, natürlich
heimlich und unerkannt, zum hause Atlis und teilt sich mit
Gudrun in das rachewerk: das ist die sage, wie sie in den Am.
vorliegt. Ganz ähnlich kommt in der griechischen sage Orest
heimlich und unerkannt zum hause Aegisths, um seinen vater
zu rächen.
In keinem fall ist diese Weiterbildung der sage dem dichter
der Am. zuzuschreiben. Er spricht mit äusserster kürze von
dem Xiflung, lässt kein wort über dessen Vorgeschichte fallen;
er setzt also offenbar alles übrige als schon bekannt voraus.
Die geschichte gehörte also bereits einer der Jüngern nordischen
sagenschichten an, ehe der grönländische dichter sie im liede
darstellte.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. j^g
274 BECKER
§ 44. Atlis tod.
Nach Akv. 43. 44 wird Atli, während er sinnlos betrunken
{haße öpan siJc druMet) auf seinem bett liegt, mit dem Schwert
erstochen. — Nach Am. 84. 85 wird Atli auch im schlaf, aber
nicht im rausch, tötlich verwundet. — Dass Atli im bett er-
stochen werden würde, prophezeit Brynhild Sg-. sk. 59; Atli
träumt Gökv. II, 39, von Gudrun erstochen zu werden. — Nach
Sn. E. 42 wird Atli nach einem grossen metgelage schlafend
getötet; ebenso wird Atli in Vs. 38, nachdem er getrunken hat,
schlafend getötet.
Dass Attila in schwerem rausch liegend in beisein eines
weibes ums leben kommt, berichtet, wie bekannt, schon Jor-
danes cap. 49, der sich auf Priscus beruft. Den Übergang von
geschichtlicher Überlieferung zur sage bezeichnen die worte
des Chronisten Marcellinus Comes, zum jähre 454: Attüa rex
Hunnormn — — nodu mulieris manu cuUroque confoditur;
quidam vero sanguinis reiectione necatum perhihent (Monum.
Germ, auctores antiquissimi 11 s. 86). Da ausserdem zwei
deutsche quellen, Poeta Saxo aus dem 9. jh. und die Quedlin-
burger Annalen aus dem 11. jh. (Grimm, HS.3 s. 10) von Attilas
tod durch weibeshand berichten'), so müssen wir annehmen,
dass der in der nordischen sage feststehende blutige tod des
königs schon der älteren deutschen sage angehört hat und
nicht eine von den geschichtlichen grundlagen unabhängige
nordische neubildung ist.
Die Am. haben wider einen alten charakteristischen zug,
die trunkenheit, verloren (vgl. Müllenhoff, Zs. fda. 10, 158).
Attilas blutiger tod ist in der deutschen dichtung ganz
vergessen worden; im übrigen gibt es aus deutschen sagen
nur einen näheren bericht über Attilas ende: die geschichte
vom hungertode Attilas im Sigfridskeller, zu dem Aldrian den
könig führt (ThS. 423 — 426). Auch dem dichter der Klage
scheint eine ähnliche sage bekannt gewesen zu sein (2166.
67. 68. 70). Beide züge, die verhungerung Atlis und der
Sigfridskeller, können jedenfalls erst der späteren deutschen
sage augehören, da auch in der ältesten deutschen sage Attila
^) Poeta S. (MGr. Script. I) üb. ü, v. 26—34 (v. 29 vino somnogue gra-
vatum!). — Ann. Quedl. MG. Script. III, s.32 (Pertz).
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 275
eines blutigen todes stirbt, und der hört in den Rhein versenkt
wird. Nachdem in der deutschen sage Etzels tod durch Kriem-
hild verloren gegangen war, entstand diese sage, die an seine
noch von alters her überlieferte habsucht anknüpfte und den
goldgierigen mitten im golde verhungern Hess.
§ 45. Gudruns tod.
Akv. 44 ff. wird erzählt, dass Gudrun nach der ermordung
ihres gatten die halle anzündete und alles ausser den haus-
knechten und hunden verbrannte; über ihr eigenes Schicksal
wird nichts gesagt. In den Am. findet sich nichts von einem
feuer am schluss des gedichts, dagegen wird ausdrücklich ge-
sagt, dass Gudrun weiterlebt (98). Vs. und Sn. E. berichten
beide vom hausbrand, zugleich aber vom fortleben Gudruns,
indem sie ausführlich die Ermanarichsage anschliessen. Von
Gudruns fortleben weiss, ausser Ghv. und Hm., noch Sg. sk. 61 ff.
Es ist zunächst zu fragen, wann und wie starb Gudrun
in der älteren sage?
Was die deutsche sage in ihrer ältesten form über die
art berichtete, wie die mörderin Attilas starb, können wir
nicht mehr wissen. Soviel ist aber sicher, dass in den beiden
vorliegenden deutschen fassungen Kriemhild da stirbt, wo die
Nibelungensage zu ende ist: im NL. durch Hildebrand, in der
ThS. durch Dietrich; von einem weiteren fortleben weiss die
deutsche sage nichts.
Dafür nun, dass auch in der altnordischen sage Gudrun
Atlis tod nicht überlebt habe, spricht zunächst zweierlei: ein-
mal ihr versuch des Selbstmords, der nur durch ein natur-
wunder vereitelt wird: sie stürzt sich ins meer, um sich zu
ertränken, aber die wogen tragen sie zum lande Jönakrs (Sg.
sk. 61, 5 ff. Ghv. 13. Vs. 39, wo sie noch vorher steine in den
busen tut; Sn. E. 42); zweitens die Parallelität von Signys tod
Vs. cap. 8; denn wie man auch über das Verhältnis der Gudrün-
sage zur Signysage denken mag, eine Wechselbeziehung muss
man in jedem fall annehmen, s. unten § 46. Auch in der
Signysage wird die halle angezündet, und Signy stirbt frei-
willig mit dem gehassten gatten. — In der altnordischen sage
war im übrigen nicht der geringste grund gegeben, Gudrun
fortleben zu lassen: vielmehr forderte das gefühl für die
18*
276 BECKER
blutbefleckte und vereinsamte den tod, als sühne wie als
erlüsung-.
Dass nun Gudrun nach der Edda gerettet wird und weiter-
lebt, hat seinen g-rund einfach darin, dass ihre tochter Svanhild
den J^rmunrekkr heiraten soll: dass also die Ermanarichsage
angeschlossen worden ist. Dieser anschluss ist specifisch nor-
disch (geuauer norron) und erst im norden erfolgt : in Deutsch-
land findet sich die sage von Ermenrich nirgends mit der
Nibelungensage verknüpft. Es gab demnach auch im norden
zunächst eine zeit, wo dieser anschluss noch nicht erfolgt war:
damals wird Gudrun sogleich nach Atlis ermordung gestorben
sein. Und zwar sicher in den von ihr selbst entzündeten
flammen, wie Signf in einem saalbrand (Jiriczek, Deutsche
heldensage, Sammlung Göschen s. 55).
Dann bog man den schluss der sage um: Gudrun musste
noch eine dritte ehe eingehen. Und nun Hess man Gudrun
einen sprung ins wasser (statt in die flammen) tun, damit die
wogen sie zu einem neuen strande tragen könnten, während
sich bei dem hausbrand keine rettung anknüpfen Hess.
Es ist weiter zu fragen: wie verhalten sich Akv. und Am.
gegenüber der sage?
Eanisch (Eddalieder, Sammlung Göschen s. 138) nimmt an,
dass nach Akv. 45 eine Strophe weggefallen sei, in der erzählt
wurde, wie Gudrun sich selbst in die flammen gestürzt habe.
Für diese annähme spricht m. e. deutlich erstens die tatsache,
dass Gudrun Akv. 42 ihr gold an die knechte verschenkt, ganz
wie eine, die auf der weit nichts mehr zu suchen hat'); man
vergleiche die stelle der Sigur|^arkviJ?a (48 ff.), wo die sterbende
Brynhild ihr gold verschenkt. Ferner spricht dafür die aus-
drucksweise der Schlussstrophe 46
liön hefr priggja l^jofikonunga
banorj? boret bjort, äpr sylte.
Wozu die erwähuung ihres todes, wenn derselbe jetzt noch gar
nicht eintritt?
Da Str. 42 der Akv. A, str. 46 der Akv. B angehört, so ist
^) In Am. scheint dieser zug erhalten, aber wegen des veränderten
Schlusses umgedeutet und vom schluss weggerückt worden zu sein : Gudrun
schleudert aus erregung ihre halskleinode weg, als sie vom ausbruch des
kampfes hört (Am. 43).
DIE AlluI-LIEDER DER EDDA. 277
anzunehmen, dass in den beiden alten parallelliedern von Gu-
druns tod die rede war; welchem die ausgefallene Strophe
gehörte, können wir nicht wissen. Diese Strophe hat wahr-
scheinlich niemand anders als der Sammler der Eddalieder
entfernt: der darstellung von Gudruns tod an dieser stelle der
sage widersprach für ihn der Inhalt von Ghv. und Hm., wo
Gudrun noch lebte: darum mag er sich amtext vergriffen haben.
Da Am, 98 ein fortleben Gudruns ausdrücklich behauptet
wird: fj.5p vilde Gudrun fara ser at spilla,
urpo dv(jl dagra, do i siuu annat.
so muss hier die Verbindung von Nibelungensage und Erma-
narichsage als schon eingetreten vorausgesetzt werden, während
sich in der Akv. keine spur davon findet.
Dass sich in dem saalbrand, den Kriemhild in NL. und
TliS. entfacht, eine erinnerung an einen abschliessenden brand
in der älteren deutschen sage erhalten habe, auf den der
nordische zurückgehe, ist mit Wilmanns (Untergang der Nibe-
lunge s. 8) als möglich anzusehen, aber nicht als sicher. Da
wir ausserhalb der nordischen sage einen solchen abschlies-
senden brand nicht finden, werden wir diesen zug zunächst
als specifisch nordisch ansehen müssen.
§ 46. Gudrun und Signy.
Anschliessend an Gudruns tod müssen wir zu der frage
Stellung nehmen, wie sich die gestalten der Gudrun und Signy
zu einander verhalten: da sie bekanntlich in verschiedener
hinsieht parallele züge zeigen, so kann man den gedankeu an
eine beziehung nicht ablehnen.
Rieger (Germania 3, 196 ff.) hielt die gestalt Gudruns, wie
wir sie im norden finden, für stark beeinflusst durch die ge-
stalt Signj's. In der ältesten sage hätte die gattin den gatten
rächen müssen: die von der deutschen sage verschiedene Stel-
lung der Schwester zu ihren brüdern sei der einwirkung der
Signy-sage zuzuschreiben. Eieger sah darin eine benach-
teiligung der sage: alles was bei Signy richtig und angemessen
sei, sei bei Gudrun verkehrt und widrig.
Wir können die gestalt Signy s nicht aus dem Zusammen-
hang der sage lösen, wie sie in der Vs. cap. 4 — 8 erzählt wird.
Diese ganze geschichte zeigt nun überhaupt eine so starke
278 BECKER
ähnliclikeit mit der vom Untergang der Nibelunge nnd von
Atlis ende, dass man zu dem scliluss getrieben wird, eine der
beiden geschichten sei von der andern abliängig. Folgende
Züge sind parallel (z. t. schon von Jiriczek, Deutsche helden-
sage Göschen s. 79 hervorgehoben):
1) Siggeirr lädt den ihm verschwäg-erten VQlsungr ein und überfällt
ihn verräterisch (Vs. 4. 5), wie Atli die Niflunge.
2) Signy ahnt uuheil, ehe sie in Siggeirs haus kommt (Ys. 4), wie
Gudrun, ehe sie sich mit Atli vermählt (Gökv. 11, 32).
3) Signy warnt die Wölsunge (Vs. 5), wie Gudrun ihre brüder.
4) Siggeirr gibt die überlebenden einem grausamen tod preis (Vs. 5),
wie Atli die beiden ^siflunge.
5) Die mutter Siggeirs mordet als wölfin (Vs. 5), die mutter Atlis als
schlänge (Odrgr. 30).
6) Signy lässt ihre söhne von Siggeirr töten (Vs. 6. 8), Gudrun tötet
ihre söhne von Atli.
7) Sign^ betreibt Siggeirs tod (Vs, 7), Gudrun den Atlis.
8) Signy stirbt mit dem gehassten gatten im feuer (Vs. 8), Gudrun
einst ebenfalls (s. oben s. 276).
Welche der beiden geschichten hat auf die andere ein-
gewirkt?
Zunächst wollen vdr fragen, welche der beiden sagen, die
in Ys. cap. 4 — 8 erzählte oder der zweite teil der Nibelungen-
sage, die ältere ist.
Die erzählung von der einladung der Xibelunge durch
Attila und ihren Untergang bei ihm steht als einer der ältesten
bestandteile der sage fest. Dasselbe gilt von der erzählung,
dass Attila durch weibeshand seinen tod gefunden habe.
Was nun die andere sage betrifft, so sind die gestalten
Sigmund und SinfJQtli in der sage alt, wie Beowulf 876. 880
und Eiriksm^l 4 zeigen; ausserdem erscheinen sie in beiden
liedern von Helgi Hundingsbani. Aber irgendwelche an den
zweitenteil der Xibelungensage erinnernde geschichten finden
wir vor der Vs. nirgends mit ihrem namen verknüpft. Von
Signy findet sich dagegen vor der Ys. nicht einmal der name
(während Siggeirs name wenigstens erwähnt wird HHb. 1,43);
ebensowenig von Y(()lsungr, dessen name, der sicher erst vom
geschlechtsnamen der YQlsungar abgeleitet ist, von vorherein
keinen anspruch auf alter in der sage hat.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 279
Nun sind aber ausser Siggeirr gerade Signy und VQlsungr
diejenigen gestalten, auf denen die Übereinstimmung der sage
mit dem zweiten teil der Nibelungensage beruht. Higny ahnt
das Unheil voraus, Signy warnt die Wölsunge, Signy opfert
ihre söhne der räche, Signy betreibt des gatten tod, Signy
stirbt mit dem gatten im feuer; Volsungr ist der schwäher,
er wird eingeladen und verräterisch überfallen.
Das führt mich dazu, die Signj^ -Y^lsungr-sage als jünger
anzusehen als den zweiten teil der Nibelungen-sage.
Nun könnte ja an sich die jüngere sage in einzelnen zügen
auf die ältere eingewirkt haben: das anzunehmen haben wir
aber keinen grund. Die s. 277 angeführten urteile Riegers
kann ich nicht teilen. Der zweite teil der nordischen Nibe-
lungensage ist so scharf vom ersten und von der Sigfrid-sage
getrennt, so in sich geschlossen, dass die rolle der Gudrun
nicht weniger verständlich ist als die der Signy. Und dass
der zweite teil so scharf vom ersten getrennt bleiben konnte,
wird verständlich, wenn wir mit Wilmanns (a. a.o. s. 3) an-
nehmen, dass in der ältesten sage Kriemhild noch gar nicht
die gattin Sigfiids war.
Daher möchte ich die Signy- V^lsungr-sage, soweit sie mit
der sage vom Untergang der Niflunge und von Atlis tod über-
einstimmt, geradezu als eine copie der letzteren ansehen, wobei
man den Siggeirr nach dem bilde Atlis zeichnete.
Dass die sage trotzdem älter ist als die Vs., ist über jeden
zweifei erhaben. Müllenhoff, Zs. fda. 23, 129 ff. 151 und Symons,
Grundriss 3 2, 653 haben schlagend nachgewiesen, dass dem
sagaschreiber auch hier lieder vorgelegen haben, von denen
er sogar in cap. 8 ein fragment citiert.
Was speciell die gestalt der Signy betrifft, so vermute
ich nach dem oben gesagten, dass sie nach dem bilde Gudruns
gezeichnet worden ist, wie es in der älteren sage stand.
Wenn nun die an Gudrun erinnernden züge Signys jung
sind, so ist damit noch nicht gesagt, dass die ganze gestalt
Signj's ebenso jung ist. Ich glaube vielmehr, dass es schon
eine ältere sage von einer Schwester Sigmunds gab, die von
ihrem bruder einen söhn gebar: den incest sehe ich als den
alten kernpunkt dieser sage an: w^elchen sinn und zweck er
ursprünglich hatte, können wir nicht wissen. Der dichter von
280 BECKER
HHb. I mag von dem incest gewusst haben: stjüpr vast Siggeirs
(45); vielleicht kannte er sogar schon die lieder, die der Vs.
cap. 4— 8 zu gründe lagen.
Für mich kam es hier nur darauf an festzustellen, dass
wir für die gestalt der Gudrun nicht heeinflussung von selten
der Signj'sage anzunehmen haben, dass vielmehr das entgegen-
gesetzte Verhältnis besteht.
§ 47. Gudruns Stellung zu ihren brüdern.
In bezug auf Gudrun müssen wir noch auf eine andere
frage eingehen, die von Wilmanns angeregt worden ist (Unter-
gang der Nibelunge s. 7, § 7). Wilmanns bezweifelt nämlich,
ebenso wie Eieger, dass die Stellung der Schwester zu den
brüdern, wie sie die nordische sage zeigt, in jeder hinsieht
schon der älteren deutschen sage eigen gewesen sei. Während
die nordische sage die Schwester nur als die beschützerin und
rächerin ihrer brüder kennt, ist sie in der deutschen Nibe-
lungensage deren feindin: Wilmanns macht auf die Schwierig-
keit aufmerksam, wie von einer der nordischen fassung gleichen
grundlage die spätere deutsche sage entstanden zu denken sei.
Vielmehr nimmt er an, dass schon in der älteren deutschen
sage Kriemhild ihren brüdern feindlich gesinnt gewesen sei
und als die eigentlich handelnde Etzel zum mord veranlasst
habe: aber nicht um der gattenrache willen, wie Eieger
meinte (die Verbindung Kriemhilds mit Sigfrid hält Wilmanns
nicht für ganz ursprünglich s. 3, § 2), sondern aus habgier:
die tochter des geizigen Nibelungengeschlechts habe den hört
für sich begehrt: daher habe sie Etzels habgier gereizt, der
schon ui'sprünglich eine mehr passive rolle gespielt habe. Für
ihre habgier zeugen ihre zwei fragen nach dem schätz im
NL., 1739 ff. (dazu ThS. cap. 373) und 2367: am stärksten die
letztere an Hagen, dem sie gegen auslief erung des Schatzes
das leben verspreche. So habe in der älteren deutschen sage
Kriemhild aus habgier die brüder vernichtet. Dann aber
habe sich der harte sinn des weibes gegen Etzel gewendet:
sie habe alsdann der pflicht der blutrache an ihm genügt.
Auf die geschichtlichen grundlagen der sage, die gegen
eine solche passivität Etzels sprechen würden, möchte ich mich
hier nicht berufen, da Wilmanns diese grundlagen als solche
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 281
bezweifelt, s. 1 f. Dagegen möchte ich betonen, dass auch
Wilmanns' auffassung insofern eine beträchtliche Schwierig-
keit bietet, als sie nicht erklärt, wie der plötzliche Umschwung
in der Sinnesart Kriemhilds zu denken sei. Ausserdem lässt
sicli aber das, was das NL. über Kriemhilds habgier andeutet,
leicht anders erklären. Etzel, ursprünglich der habgierige
(s. oben s. 257. 259), trat in der sage unter dem einwirken ver-
schiedener factoren in den hintergrund, sodass er mehr passiv
und schliesslich ganz fleckenrein wurde (NL.): auf Kriemhild,
die die eigentlich handelnde wurde, gieng mit der mordlust
zugleich etwas von Etzels habsucht über, die ja in einer sage,
wo der Nibelungenhort eine rolle spielte, nie ganz in Ver-
gessenheit geraten konnte. Insofern erkennt Wilmanns mit
recht an den stellen, wo Kriemhild nach dem schätz fragt,
einen alten zug: nur gehörte dieser ursprünglich nicht Kriem-
hild, sondern Etzel an.
Daher halte ich die Stellung der Schwester zu ihren
brüdern, wie die nordische sage sie zeigt, für schon aus der
älteren deutschen sage überkommen.
§ 4:8. Zusammenstellung der ergebnisse.
Nach unseren bisherigen Untersuchungen müssen wir zu-
nächst für die altnordische sage vom Untergang der Niflunge
folgende züge ansetzen!):
Gjüki, könig der Borgunden am Rhein (Akv.), aus dem
geschlecht der Niflunge, hat drei kinder hinterlassen: HQgni,
Gunnarr, Gudrun. — H9gni nimmt eine gewisse hervorragende
Stellung ein (Am.) und hat nachkommenschaft. — König Atli
von HünniQrk (Akv.), aus dem geschlecht der Budlunge, dessen
reich südlich von dem Gunnars liegt (Akv.), hat Gudrun zur
gattin, — die früher Sigurdr besessen hatte (Am.). — Atli
begehrt der Gjiikunge gold, das erbe der Niflunge (Akv.) und
lädt diese ein, ihn zu besuchen, indem er hoffnung auf ge-
schenke erweckt. — Vor der abreise haben frauen unheil-
verkündende träume (Am.). — Die grenze gegen Atlis reich
bildet Wasser (Am.). — Auf der fahrt begegnen schlimme
Vorzeichen (Am.). — Nach der landung befestigt man das
^) Wo in dieser Zusammenstellung der altnordischen sagenzüge keine
quelle genannt wird, sind beide Atli-lieder als übereinstimmend gemeint.
282 BECKER
schiff niclit (Am.). — In Atlis halle angelangt, werden die
briider von der Schwester gewarnt (Akv.A). — Atli fordert
in gute den schätz von ihnen; ablehnimg (für Akv. zu er-
gänzen aus Vs. 36). — Kurzer kämpf im saal, wobei H^gni
sich auszeichnet (Akv.). — Gefangennahme beider brüder. —
Zweite frage an Gunnarr, ob er den schätz herausgeben wolle,
um sein leben zu lösen (Akv.). — Er will erst H^gnis herz
sehen (Akv.). — Man schneidet einem Hjalli das herz aus und
bringt es Gunnarr, er erkennt es als das herz eines feigen
(Akv.). — Man schneidet H^gui das herz aus; er lacht. —
Gunnarr weiss den schätz im Rhein verborgen, gibt seinen
ort nicht an (Akv.). Der schätz stammt von den äsen (Akv.).
Gunnarr wird in einer grübe (Akv.) schlangen übergeben,
spielt harte, stirbt als letzter. — Gudrun tötet ihre und Atlis
söhne und bewirtet diesen mit den herzen derselben. — Sie
sagt Atli, was er gegessen hat. — Gudrun verschenkt kost-
barkeiten (Akv.). — Sie ersticht den schlafenden Atli, — wie
er im schweren rausch liegt (Akv.). — Gudrun zündet die halle
an '(Akv.) und stirbt in den flammen (für Akv. zu ergänzen
aus verschiedenen anzeichen).
Dem seien nun im folgenden die bedeutenderen ab-
weichungen der einzelnen Atli-lieder entgegengestellt-
Akv. Gunnarr ist ganz zur hauptperson gesteigert gegenüber H(jgni.
Es fehlen die träume der frauen, denn die reise beginnt anscheinend gleich
nach der einladuug. Nicht wasser als grenze gegen Atlis reich, sondern
der Myrkvidr, demnach keine wasserfahrt.
Die söhne Atlis heissen Erpr und Eitill (B).
Die brüder werden nicht mehr persönlich von der Schwester, sondern
durch ein symbol (wolfshaar) gewarnt (c).
Aui. Es fehlt der Burgundenname, der Rhein (die Niflunge sitzen
am Limafjord, dem grenzwasser gegen Atli), der Hunnenname in Verbindung
mit Atli (während Sigurör der hunnische heisst), das Xiflungengold. Runen-
stäbe werden übersant zur warnung, der böte fälscht sie eigenmächtig.
Bei Atlis gehöft verhöhnt der böte die Nifiunge, wird getötet: äusserer
anstoss zum kämpf. Der kämpf findet ausserhalb des saales statt, lang
ausgedehnt; Gudrun ist beteiligt. Atlis begierde nach dem gold und fragen
nach dem gold fehlen, ebenso das gold selbst. Der grund von Atlis ver-
räterischer einladung ist ganz dunkel. Atli hat Gudruns mutter und
Schwestertochter getötet. Mit der frage Atlis fällt auch die bedingung
Gunnars weg, die Hjalli und Hogni das leben kostete. Die grausame tötung
der brüder ist Avesentlich unmotiviert; ebenso unmotiviert, wozu Hjalli
zuerst das herz ausgeschnitten werden soll. Hjalli kommt mit dem leben
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 283
davon. Die schlangen befinden sich am galgen, die schlangengruhe fehlt.
Es verstreicht eine zeit bis zum erbmahl, dann Avider bis zum heran-
wachsen des rächers. Ein Niflung, Hcjgnis söhn, erscheint: mit ihm zu-
sammen führt Gudrun das rachewerk aus; von seinem rausch ist nichts
gesagt. Der hausbrand fehlt. Gudrun lebt weiter.
Wie wir sehen, sind die abweichungen der Akv. von der
altnordischen sag-enform gering-, die der Am. beträchtlich.
Wie viel von allen abweichnngen der einzelnen lieder den
dichtem, wie viel einer ihnen schon vorliegenden jüngeren
sagenform zufällt, ist unmöglich zu entscheiden. Darum sind
hier nur die bedeutenderen abweichungen zusammengestellt
worden, bei denen doch eine möglichkeit besteht, dass sie
schon einer jüngeren sagenform angehörten.
Da wir die grenze zwischen der jüngsten tradition und
der subjectiven erfindung der dichter nicht bestimmen können,
so müssen wir im weitern auf den versuch verzichten, ihr
literarisches eigentum festzustellen.
Trotzdem zeigen die angeführten abweichungen der Am.,
namentlich die beträchtlichen Verluste gegenüber der altnordi-
schen sage, dass in den Am. mehr vorliegt als subjective Um-
bildung der sagenzüge durch einen dichter: dass vielmehr die
sage selbst stark in Verwirrung, Verdunkelung geraten war,
ehe sie der dichter ergriff; dass man sich namentlich über die
motive und zusammenhänge der haudlungen in Grönland nicht
mehr klar war.
Hätte der dichter der Am. die Akv. gekannt, so wären
für ihn mit einem schlage alle Unklarheiten aufgehellt gewesen,
die bei ihm zu tage treten. Gerade diese Verworrenheit und
dunkelheit der zusammenhänge ist für mich der stärkste grund
dafür, anzunehmen, dass der dichter der Am. die Akv. nicht
gekannt hat. (vgl. s. 231).
Anhangsweise sei noch kurz das Verhältnis der altnordischen
sage zu der älteren deutschen sage dargelegt.
Von den zügen der altnordischen sage gehörten schon der
älteren deutschen sage folgende:
Gibich 1) (Waltharius u. ö.), könig der Burgunden (^L.) am Rhein,
hinterlässt einen söhn Günther (an dessen hof Hagen), und eine tochter.
1) Im folgenden ist nicht der versuch gemacht, die althochdeutschen
oder altniederdeutschen formen zu reconstruieren.
l
n
284 BECKER
— Hagen ist eine hervorragende persönlichkeit. — Etzel, könig eines süd-
lichen Hunnenreiches (Waltharius) , aus dem geschlecht der *Botelunge
(Boteluuc heisst sein vater NL. 1314. 1372) hat die Schwester zur gattin,
die früher Sigfrid besessen hatte (NL. ThS.). — Günther besitzt einen
schätz, der Nibelunges hört heisst (NL.). — Etzel begehrt nach dem schätz
und lädt Günther und Hagen zu sich ein. — Vor der abreise träumt eine
frau von unheil (NL. ThS.). — Die Bnrgunden ziehen über ein wasser
(NL. ThS.). — Auf der fahrt begegnen schlimme Vorzeichen (NL. ThS.).
— Nach der landung machen sie sich die rückkehr unmöglich (NL.). —
Bei Etzel angelangt, werden die beiden von Günthers Schwester gewarnt.
— Etzel fordert in gute den schätz von ihnen; ablehnung. — Kampf in
einem saal (NL. ThS. II), wobei Hagen sich auszeichnet (NL. ThS.). —
Gefangennahme der beiden (NL. ThS.). — Frage an den einen der beiden,
ob er den schätz herausgeben wolle; er weigert sich es zu tun, solang der
andere lebt; man tötet diesen; der überlebende gibt den schätz nicht
heraus; der schätz ist im Rhein versenkt worden; der überlebende Avird
getötet (NL.) — Einer der beiden endet in einem schlangengehege (ThS.).
— Nach einem gelage wird Etzel von seinem weib erstochen, während er
im rausch schlafend liegt.
Von diesen sageuzügen sind in deutscher sage nicht er-
halten, aber aus nordischer zu recoustruieren folgende:
Etzel begehrt den schätz (Akv.), die Schwester warnt den bruder
(Atli-lieder), Etzel fordert den schätz (Akv.), die Schwester ersticht Etzel
(Atli-lieder), im rausch (Akv.).
Gegenüber dieser älteren deutschen sagenform sind folgende
Züge der altnordischen sage specifisch nordisch:
Nifiungar als geschlechtsname für die Gjükunge. Gudrun als name
für die Schwester. HQgni ist der bruder Gunnars '), hat nachkommenschalt.
Atli lockt durch aussieht auf geschenke. Die entscheidende frage nach
dem schätz richtet sich an Gunnarr. Der schätz stammt von den äsen,
HQgni wird das herz ausgeschnitten; er lacht. Hjalli. Gunnar spielt harfe
und stirbt als letzter. Gudrun hat söhne von Atli, tötet sie und bewirtet
Atli mit ihren herzen, enthüllt ihm darauf, was er gegessen hat. Sie
verschenkt kostbarkeiten, zündet die halle an und stirbt in den flammen.
») Da im Sigfridslied (175. 177. 179) und Anh. z. Hb. Günther und Hagen
bruder und söhne Gibichs sind, so könnte man annehmen, dass dieser zug
schon der älteren deutschen sage angehört hätte, wenn nicht der Waltharius
(27 ff. 629 ff.) diese annähme unmöglich machte.
DIE ATLI-LIEDER DER EDDA. 285
Inlialt.
Seite
I. Literarischer teil 193
1. Vorfrage s. 193 (§ 1. Einheitlichkeit der Atlamol. § 2. Das
alte foriiyröislag in der AtlakviJ?a (B). § 3. Die interpola-
tion c. § 4. Das junge fornyröislag (d). § 5. Zusammen-
setzung der AtlakTi)ia).
2. Stilistische eigentümlichkeiten s. 205. (§ 6. Eigentümlich-
keiten im Wortschatz. § 7. Adjectivische epitheta, Varia-
tionen. § 8. Epische und prosaische spräche. § 9. Schluss-
bemerkung).
3. Poetische eigentümlichkeiten s. 217. (§ lO.^Darstellung
im allgemeinen. §liii Zeit und ort. § J2j' Charakter-
zeichnung. § 13. Lyrisches und rhetorisches element.
§ li. Hervortreten des dichters. § 15. Schlusshemerkung).
4. Einige literaturgeschichtliche fragen s. 230. (§ 16. Be-
ziehungen der lieder zu einander. %iT) Das relative
alter der lieder. § 18. Die hezeichnung en grenlenzka,
gränlenzko. § 19. Heidnische und christliche Urheberschaft.
§ 20. Beziehungen zwischen den Atli-liedern und anderen
heldenliedern der Edda).
n. Sagengeschichtlicher teil 240
(§ 21. Vorbemerkung. § 22. Das gemeinsame im Inhalt.
§ 23. Gunnarr und HQgni. § 24. Burgunden und Goten.
§ 25. Hunnen und HünniQrk. § 26. Atlis boten. § 27.
Guitaheide. § 28. Der Myrkvidr und die grenze gegen
Atlis reich. § 29. Warnung und begrüssung durch die
Schwester. § 30. Die träume der frauen. § 31. Unheil-
volle zeichen auf der fahrt. § 32. gerpot far festa.
§ 33. Der kämpf. § 34. Atlis fragen nach dem gold.
§ 35. Der tod der Schwester Atlis. § 36. Abschliessendes
über Atlis motiv. § 37. Die herkunft des goldes. § 38.
Die Versenkung des goldes in den Rhein. § 39. Hognis
herz, Hjalli. § 40. Die schlangengrube. § 41. Atlis und
Gudruns söliue. § 42. Die mahlzeit. § 43. Der Hni-
flungr der Atlamol. § 44. Atlis tod. § 45. Gudruns tod.
§ 46. Gudrun und Signy. § 47. Gudruns Stellung zu
ihren brüdern. § 48. Zusammenstellung der ergebnisse).
LEIPZIG. JOHN BECKER.
ANTIKE UND MITTELALTER.
STUDIEN ZUR LITERATURGESCHICHTE.
I.
Ueber fabulistische quelleiiangaben. ')
Wolfram von Eschenbach berichtet in seinem Parzival
453, 11 f. von der merkwürdigen auffindung einer von dem ebenso
merkwürdigen beiden Flegetanis herrührenden aufzeichnung
über die herkunft des grals durch den provenzalischen sclian-
tiure Kiot, seinen gewährsmann. Die entdeckung wurde zu
Toledo gemacht. Das Schriftstück 2) war in einem heidnischen,
d. h. nichtlateinischen und nichthebräischen aiphabet ge-
schrieben und der Ander, Kiot, musste dieses erst, ohne 3)
^) Die vorliegende abhandlung bildete die grundlage eines auf der
49. Versammlung deutscher philologen und Schulmänner zu Basel am Don-
nerstag, den 26. sept. 1907 gehaltenen Vortrags, zu dem ich von John Meier
aufgefordert worden war. Ausser den in meinen Deutschen legenden und
legendären, Leipzig 1907 (WDLL. abgekürzt) s. xiv f. verzeichneten citaten-
siglen sind die bei den germanisten und klassischen philologen üblichen
angewant. Die zweite von Wissowa besorgte aufläge von Paulys Real-
encyklopädie ist als PWRE. citiert.
2) Was für eine form das gefundene Schriftstück hatte, geht aus Wolf-
rams Worten, auch aus Parz.416, 20f. nicht hervor. Rolle, codex und tafel
sind denkbar, ebenso das verschiedenartigste material, z. b. hast, holz, metall,
stein, elfenbein und pergament.
2) cme Parz. 453, 17 wird gewöhnlich als 'ausserdem noch' gefasst.
Nur A. Leitzmanu scheint der interpunctiou nach zu schliessen die stelle
so aufzufassen wie ich. Sie ist keineswegs eindeutig. Zu meiner Inter-
pretation veranlasst mich Parz. 453, 18—22. Dagegen lässt sich freilich
wider einwenden, dass Flegetanis trotz seines heidentums der tougen des
grales inne wart. Voller Widersprüche bleibt der ganze passus, wie man
ihn auch interpretieren mag. Zieht man Parz. 416, 20 f. dazu heran, wird
die Verwirrung nur noch grösser.
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN, 287
schwarze künste dabei zu verwenden, gelernt haben, ehe er
den sinn der aufzeichnung enträtselt hatte. Dass er die taufe
empfangen hatte, war ihm von nutzen, denn keine heidnische
Wissenschaft hätte ihm bei der entzifferung der worte des
Flegetanis geholfen. Es wäre alles vergebens gewesen, und
noch heute würde man nichts von den geheimnissen des
grales wissen.
Als Kiot die schwere arbeit der entzifferung und Inter-
pretation vollendet hatte, begann er nach Wolfram den an-
gaben des Flegetanis über die irdischen gralspfleger in la-
teinisch geschriebenen büchern nachzugehen. Er studierte
vor allem die geschichtlichen aufzeichnungen einzelner länder
und bereiste zu diesem zweck unter anderen Britanien, Irland
und Frankreich. In Anjou fand er, was er wollte: die ge-
schichte der gralspfleger von j\Iazadan bis auf Parzival. Auf
grund der zu Toledo und Anjou entdeckten Schriften verfasste
Kiot ein buch über den gral und die geschichte seiner ge-
meinde.') In ihm legte er die ergebnisse seiner forschungen
nieder und schuf so die quelle, aus der Wolfram geschöpft
haben will.
Der Verfasser des von Kiot in Toledo gefundenen Schrift-
stückes war, wie wir schon hörten, beide. Wolfram erzählt,
er habe wie sein heidnischer vater ein kalb angebetet. Die
mutter war israhelitin und gehörte zur nachkommenschaft
Salomos. Ihr söhn Flegetanis war physiker. Was er über
den gral aufschrieb, hat er in den Sternen gelesen.
Diese merkwürdige, von Wolfram erzählte schriftenauffln-
dung ist auf die verschiedensten grade von glauben und Un-
glauben gestossen. Man hat weniger der aufzeichnung des
*) Der scliluss von Friedrich Vogt iu seinem lichtvollen aufsatz NJJ.
III (1899) 139 'Also was er [Kiot] dort ans dem arabischen buche geschöpft
hat, stammt hier vielmehr aus einer lateinischen chronik von Anjou' ist,
wie wol er mir richtig scheint, keineswegs zwingend. Ein widersprach
braucht zwischen Parz. 416, 27 und 455, 12 f. nicht zu bestehen. Kiot
schweisste offenbar zwei quellen zusammen, und so kann Wolfram 416, 27
schlecht weg sagen: 'Kiot sah die erzählung von Parzival heidnisch ge-
schrieben.' Dass in der aufzeichnung des Flegetanis nichts von Parzival
und der gralsgemeinde stand, geht aus Wolframs worten nicht hervor. Im
gegenteil nach Parz. 454,27 ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass sie da-
rüber angaben enthielt.
288 WILHELM
Flegetauis beachtung geschenkt, als vielmehr der des Kiot.
Dass Flegetanis seine geschichte von der herkunft des grals
aus den Sternen habe, wird, sollte er je gelebt und eine solche
angäbe gemacht haben, kein vernünftiger mensch glauben.
Für irgend eine instanz muss eine fiction angenommen werden.
Die werke des Flegetanis und des Kiot sind unbekannte grossen,
nur Wolframs arbeit kennen wir. Einer von diesen drei Schrift-
stellern, vorausgesetzt dass Flegetanis und Kiot geschichtliche
Personen sind, muss demnach fingiert haben. Auf Flegetanis
fällt zuerst der verdacht. Kiot und später Wolfram wären
ihrer leichtgläubigkeit zum opfer gefallen. Schiebt man die
fiction dem Kiot zu, so vergrössert sich des Kiot schuld gegen-
über der des Flegetanis. Denn nicht bloss die notiz, dass die
erste nachricht über die herkunft des grals für die gegenwart
aus den Sternen stamme, sondern auch die figur des Flegetanis
sammt der Toledaner aufzeichuung wären erfunden. Inwieweit
dann die angäbe des Kiot, dass er nach einer in Anjou ge-
fundenen quelle erzähle, richtig ist, muss, wenn man einmal
eine fiction durch Kiot annimmt, zum mindesten als völlig
uncontrollierbar angesehen werden. Auf jeden fall bleibt Wolf-
rams kritiklose leichtgläubigkeit wunderbar; noch wunder-
barer wäre es aber, wenn zwei menschen, Kiot und Wolfram,
die angaben des Flegetanis für bare münze genommen hätten.
Glaubte aber z. b. Wolfram selbst nicht an die fiction des
Flegetanis, dann bekommen seine beruf ungen auf Kiot als
gewährsmann einen recht sonderbaren, ironisierenden anstrich
und so stünde schliesslich nichts der annähme im wege, dass
die figuren des Flegetanis und des Kiot sammt allem, was
drum und dran hängt, eine erfindung Wolframs sind. Ja es
darf die frage einfach so gestellt werden: glaubte Wolfram
wol an die von ihm erzählte schriftauffiudung oder nicht?
Glaubte er nicht an sie und gab sie dennoch seinen lesern
als wahr und mit der absieht sie zu täuschen zum besten,
dann ist unserem modernen empfinden nach AVolframs schuld
gewiss ebenso gross, als wenn er die ganze fiction sammt dem
Kiot erfunden hätte. Gerade moralische gründe sind es häufig
gewesen, die gegen die annähme einer Kiotfiction durch Wolfram
angeführt worden sind. Einem so edlen und hochstehenden
Charakter wie dem Wolframs dürfe man eine lüge nicht zutrauen.
UEBER FABULTvSTTSCHE QUELLENANGABEN. 289
Es fragt sich aber, ob hier unser modernes empfinden für die
ältere zeit das richtige trifft, ob wir überhaupt im falle einer
fiction durch "Wolfram berechtigt sind, von einer lüge zu reden.
Ich glaube das verneinen zu dürfen und. hoffe ähnliche quellen-
angaben und zu literarischen motiven erstarrte erzählungen
über ähnliche mysteriöse Schriftauffindungen aus alter zeit bis
auf die tage, da Wolfram lebte, nachweisen zu können. i)
Zugleich hoffe ich ein argument, welches immer wider zu
gunsten der existenz eines Kiot augeführt wird, zu beseitigen,
und den Vorwurf einer lüge durch Wolfram, auch wenn er
den Kiot fingiert hat, aus der weit zu schaffen oder wenig-
stens auf ein minimum einzuschränken.
Rudolf Hercher hat in seinem schönen aufsatz 'Ueber die
glaub Würdigkeit der neuen geschichte des Ptolemaeus Chennus '
JJ. suppl. I (1855 56) s. 269f. zum ersten mal auf ähnliche
fictionen bei antiken Schriftstellern hingewiesen, wie wir sie
für einen der drei, Wolfram, Kiot oder Flegetanis annehmen
müssen. Einundzwanzig jähre später zeigte Erwin Eohde,
gelegentlich einer polemik gegen Hercher (Der griechische
roman ' s. 272 = 2 292), die quelle dazu. Es war die sitte der
Ägj'pter, ihren toten bücher mit ins grab zu legen. Weitere
ergänzungen gab 1892 Eduard Norden in seinen In Varronis
saturas Menippeas observationes selectae JJ. suppl. xviii, 327 f.
und in neuester zeit hob R. Reitzenstein in seinen hellenistischen
Wundererzählungen (Leipzig 1906) s. 17 f. nachdrücklich den
Zusammenhang derartiger angaben bei den antiken autoren
mit der ägj^ptischen aretalogie hervor.
Für den germ anist en würde es zu weit führen, wenn bis
in jene zeiten zurückgegangen würde. Die Germanen haben
in der völkerwanderungszeit Ägypten nie betreten und daher
auch nie directe fühlung mit ägyptischer literatur gewonnen.
Was von da nach dem norden gewandert ist, ist entweder
durch das medium der antiken literatur oder durch die bibel
hingelangt. Es sollen daher, bevor an das eigentliche thema
1) Absichtlich gehe ich auf die erzählunff des vom himmel gefallenen
briefes nicht ein, desgleichen nicht auf die märchenliteratur, deren heran-
ziehung auf dem gebiet der älteren literatur mehr Verwirrung als segen
gestiftet hat, weil man sich nicht um die Chronologie kümmern zu müssen
glaubt.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. ^9
290 WILHELM
herangegangen wird, ein paar allgemeine bemerkungen platz
finden.
Es kann nicht zweifelhaft sein, dass hei grahöffnungen
schon in antiker zeit bücher gefunden wurden, deren auffindung
erstaunen erregte. Als dann die alexandrinischen bibliotheken
angelegt wurden und ihre beamten in allen teilen der alten
weit für sie bücher einkauften, mag mancher durch eine fäl-
schuug reich zu werden versucht haben. Gewiss sind damals
in gräbern auch wertvolle funde gemacht worden. Schon zu
dieser zeit war mancher griechische autor eine Seltenheit, und
ein einziges exemplar hatte ihn gerettet. Solche bücher
wurden natürlich hoch bezahlt. Sie reizten aber auch aller-
hand Schwindler, unter der vorgäbe, das von ihnen feilgebotene
Schriftstück irgendwo ausgegraben zu haben, ihrem fabrikat
einen höheren wert zu geben. So war es offenbar im jähre
181 V. Chr. bei der ausgrabung der unter dem Janiculus ver-
grabenen aufzeichnungen des Numa, von deren auffindung nach
den verschiedensten gewährsmännern Plinius h. n. XIII, § 84
— 87, Augustinus De c. D. VII, 34, Livius XL, 29 und Plutarch,
Numa 22 berichten. Die entdeckung sollte wol zugleich, ähn-
lich wie das unter Hiskia (4.Eeg.22,8; 2.Paral.34,14) gelegent-
lich der tempelreinigung gefundene gesetzesbuch, die politischen
gelüste einer cultpartei legitimieren und deren geschäfte be-
sorgen helfen. Nicht anders wird es sich bei den übrigen
ausgrabungen, welche Rohde und Norden a. a. o. erwähnen,
verhalten haben. Sie alle werden wirklich stattgefunden haben
und sie dürfen nicht als ältestes beispiel für die Verwendung
einer mysteriösen schriftaufflndung als literarisches motiv gelten.
Es ist möglich, dass sie selbst schon unter dem einfluss eines
solchen stehen, aber Hercher bleibt Rohde gegenüber voll-
kommen im recht, wenn er als ältestes beispiel für eine solche
fiction in der antiken literatur die hinstellt, die nach Photius
Bibliotheca (Hercher, Scr. erotici graeci I, 237, 7 f . = MSG.
103, 474 B f.) in den jivzcoviov Jioyevovg rmv vjisq &ovXt]v
djiioTcov Xöyoi xd' als quellenangabe diente. Für uns ist es
jedenfalls der älteste beleg.
Photius berichtet in seinem auszug dieser uns nicht mehr
erhaltenen 2.6yoi von der fiction etwa folgendes: Nachdem
Deinias dem Kjnnbas, der gekommen war, um ihn zur rück-
UEHER FABULTSTISCHE QUELLENANGABEN. 291
kehr in die gemeinde der Arkader aufzufordern, seine lebens-
geschichte erzählt hatte, befahl er dem begleiter des Kymbas,
dem Athener Erasinides seine erzählung auf die von der Der-
kyllis herbeigebrachten zypressentafeln aufzuzeichnen. Dem
Kymbas gab er den auftrag, das erzählte zweimal aufschreiben
zu lassen; die eine der beiden auf Zeichnungen möge er für
sich behalten, die andere aber der Derkyllis geben, damit
diese sie ihm in ein kistchen verschlossen mit ins grab lege,
wenn die zeit seines lebens vorbei sei. Zugleich verfasste
Antonius, um seiner erzählung den beweis der echtheit zu
geben, einen brief an Faustinus, in dem er bekennt, dass er
der Verfasser des romans und der Widmung an seine Schwester
Isidora sei. Er sagte darin, dass er der dichter einer jtaXcad
xco{W)öia sei, und dass er, wenn er auch unglaubliches und
lügenhaftes fabriciere, doch für das meiste des von ihm er-
zählten die Zeugnisse älterer besitze, aus denen er mit mühe
das vorliegende gesammelt habe. Vor jedes einzelne buch
der Xoyoi stellte er die namen der männer, die das darin er-
zählte eröffnet hatten, damit es nicht scheinen möchte, als
entbehre das unglaubliche des Zeugnisses. An den anfang
des ganzen Werkes stellte Antonius einen brief an seine
Schwester Isidora, indem er ihr die widmung anzeigte. Darauf
Hess er ein schreiben des Balagros an seine frau, eine tochter
des Antipater, folgen, in dem Balagros folgendes mitteilt. Zur
zeit als Tyrus von dem Mazedonierkönig Alexander ein-
genommen wurde, und fast alles schon vom feuer verzehrt
war, sei ein soldat zu Alexander gekommen und habe ihm
gesagt, er müsse ihm etwas merkwürdiges entdecken, es sei
aber ausserhalb der stadt. Der könig habe den Hephaistion
und den Parmenion mit sich genommen und sei mit ihnen
dem Soldaten gefolgt. Dieser habe sie zu unter die erde ver-
grabenen Steinsärgen geführt. Auf dem einen stand ge-
schrieben: 'Lysilla lebte 35 jähre.' Auf dem andern : 'Mnason,
der söhn des Mantinias, lebte 66 jähre von 71.' Auf noch
einem andern: 'Aristion, tochter des Philokles, lebte 47 jähre
von 52.' Auf einem weiteren: 'Mantinias, der söhn des Mnason,
lebte 42 jähre und 760 nachte.' Auf noch einem weiteren:
'Derkyllis, des Mnason tochter, lebte 39 jähre und 760 nachte';
und auf dem sechsten stand: 'D einlas der Arkader lebte 125
19*
202 WILHET.M
jähre.' Als sie dies gelesen hatten nnd noch über die in-
schriften (die erste ausgenommen, denn sie war klarer) nach-
dachten, hätten sie in der mauer ein kleines, aus zypressenholz
gefertigtes kästchen gefunden. Darauf stand: 'Fremdling, wer
du auch seist, öffne, damit du erfährst, worüber du staunst.'
Als die begleiter des Alexander das kästchen öffneten, hätten
sie die zypressentäfelchen, die offenbar Derkyllis gemäss dem
auftrage des Deinias beigesetzt hatte, gefunden. Dies sollte
nach Antonius Balagros seiner frau geschrieben haben. An-
tonius fügte hinzu, dass Balagros die zypressentafeln habe
abschreiben lassen und seiner frau mitgeschickt. Dann brachte
Antonius noch die rede auf die lesung und die Schrift der
zypressentafeln und darauf folgte in seinem werk, was Deinias
dem Kymbas erzählt. So hatte, schliesst Photius, Antonius
Diogenes tj tmv ögafiärcov jrXccoic gestaltet.
Der auszug des Photius ist in einigen punkten unklar.
Besonders wenig deutlich sind die worte: Aeyet 6s savxov,
ort jioitjTr'/g eoti bis xVQ^veiv ra ajiiora (Hercher, Scr. erotici
I, 237, 20—25). Es ist nicht klar ausgesprochen, weshalb
Antonius vor den einzelnen büchern seines werkes noch be-
sondere gewälirsmänner namhaft machte, da ja seine erzählung
auf den aufzeichnungen Erasinides beruhen soll. Das Hesse
sich bloss dann rechtfertigen — und so hat wol auch Rohde
(1273 = 2 294) geschlossen — wenn Antonius neben den auf-
zeichnungen des Erasinides noch berichte anderer Schriftsteller
über die wunder jenseits Thule benutzte. Aus den worten
des Photius geht das nicht unmittelbar hervor, aber es ist
nicht unwahrscheinlich. Dass diese ganze quellenangabe bei
Antonius Diogenes eine fiction war und von den Zeitgenossen
und späteren lesern auch als solche aufgefasst wurde, kann
nach den worten des Photius (Hercher 237, 16 'O yovi> Aioyn-r/q
■ • • ravra üiävra Asiv'iav, uoayaycov üxQoq Kvfißav reoazevoä-
fiavov • • ; 237, 28 aXX' nvr elodyti BälayQov ' ' ' yQmfovra
und ebenso 238, 11) nicht bezweifelt werden. Sie war nicht
ohne ein gewisses raffinement gemacht. Antonius handelte
von der auffindung der zypressentafeln, ihrer schrift und ent-
zifferung. Die schon damals von der sage umwobene gestalt
Alexanders des grossen trug nur dazu bei, die sache für viele
glaubliafter, vor allem aber auch interessanter zu machen.
UEBER FABÜLISTISCHE QUELLENANGABEN. 293
Auch die aufflndung- der tafeln iu einem grab berührt uns,
da wir jährlich in alexandrinischen gräbern Schriftenfunde
machen, weniger merkwürdig- als vielleicht früher und den
Zeitgenossen des Antonius konnte sie in keiner weise gezwungen
erscheinen.
Die löyoi des Antonius sind wahrscheinlich vor den liebes-
abenteuerromanen des Jamblichus, des Xenophon von Ephesus
und des Heliodor (Rohde i273f. = 2293; K. Müllenhoff, DA.
12,391) geschrieben. Keiner von ihnen hat sich auf ähnliche
quellen berufen, wie Antonius Diogenes. Aber ein offenbarer
nachahmer der 'Ecfsoiaxä, der Verfasser des griechischen Apol-
loniusromans hat eine ähnliche deckung gesucht. Am schluss
der recension ß der Historia ApoUonii regis Tyri (Riese 2
IIG, 1 f.) wird erzählt, dass Apollonius mit seiner gemahlin
74 jähre gelebt und über Antiochia, Tjtus und Kj'rene ge-
herscht habe. Seine erlebnisse habe er selbst beschrieben
und von diesem werk zwei exemplare angefertigt. Das eine
sei im tempel von Ephesus niedergelegt, das andere in seiner
biblothek aufgestellt worden. Schon Rohde hat ('424 = 2453)
auf die ähnlichkeit mit der fiction des Antonius hingewiesen.
Ob die quellenangabe im verlorenen griechischen original aus-
führlicher war, als im lateinischen text, ward sich kaum mehr
feststellen lassen. Doch liesse sich sehr w^ol denken, dass sie
dort ebenso kurz war. Die discrete art, mit welcher in der
recension ß auf die endquelle hingewiesen wird, ohne dass der
Verfasser die benutzuug zugibt, berührt entschieden angenehm
gegenüber dem aretalogischen schwulst in der quellenangabe
des Antonius Diogenes und anderer. Einem fein gebildeten
Griechen darf man eine solche mässigung selbst bei einer
tp£vö?jg löTOQia wol zutrauen.
Sowol Antonius v>ie der Verfasser des Apolloniusromans
verstecken sich im grund genommen hinter ihre beiden als
gewährsmänner. Sie werden dabei ein probates mittel der
ygafifiazDcol angewant haben. Diese kamen gar oft, wenn sie
in den antiken salons nach einer Homeruotiz und ihrer her-
kunft gefragt wurden, in die läge, sich durch eine schlag-
fertige, häufig aber auch unwahre antwort aus einer Verlegen-
heit retten zu müssen. Wie sollten sie ihr auch anders als
dadurch entgehen, wenn ein mächtiger cäsar wie Tiberius
294 WILHEI-M
einen von ihnen, den Vertretern der alten repnblikanischen
freiheit, ironisierend nach dem text der Sirenengesänge fragte?
:Man beantwortete solche fragen mit dem zengnis irgend eines
ohscnren gewährsmannes. j\Ianche schenkten der antwort
glauben, andere wussten sie richtig einzuschätzen, nahmen
sie aber ruhig hin und hatten gar noch ihre freude an dem
aufschneider. Auf jeden fall war den auAvesenden der mund
gestopft. Dem Homer wante sich das besondere Interesse der
gesellschaft und der yQaftfiarixoi zu. Jene wollte auskunft
über die homerischen nachrichten und diese mussten, um zu
imponieren, mehr wissen als der vater der dichtkunst selbst.
Aus solchen antworten mögen sich auch die namen des Iliers
EoQirrog und des Ouc/qoq erhalten haben. Von Ouc/qoq näm-
lich berichtet Cl. Aelian v. h. 14, 21, dass er nach Orpheus
und Musaios gelebt und als erster den trojanischen krieg be-
sungen habe, von Köqiwoq Eudokia Makrembolitissa in ihren
'icoviä und Suidas s. v., dass er älter als Homer sei und zu-
erst die Ilias, noch während des trojanischen krieges geschrieben
habe. Beide notizen fügen hinzu, dass Korinnos schüler des
Palaraedes (s. Eudokia dcccvi und Suidas s. v.) gewesen sei
und in den von Palamedes erfundenen dorischen buchstaben
geschrieben habe. Er habe auch ein werk über den krieg
des Dardanos mit den Paphlagonen verfasst. Aus seiner Ilias
sei der Inhalt des homerischen gedichts entnommen. Nach
Suidas hatte Palamedes ebenfalls gedichte verfasst. Homer
soll sie aus eif ersucht und ehrgeiz vernichtet haben, 'denn
auch bedeutende männer werden vom neide geplagt'.
Von solchen angaben der yQaf/ficcrixol aus war es nur
noch ein kleiner schritt, memoiren von ehemaligen Troja-
kriegern erscheinen zu lassen. Das älteste werk der art, von
dem wir nachricht haben, war wahrscheinlich die geschichte
des Trojanerkrieges von dem Koer I!lov(foc, der mit Teukros
vor Ilion war. An der ehemaligen existenz eines solchen
buches, dessen Verfasser sich hinter die namen des Sisyphos
und Teukros versteckte, ist seit den untersuchuugen von Her-
mann Haupt (Philologus 40 [1881], 107 f.) und Wilhelm Greif
(Neue Untersuchungen zur Dictys- und Daresfrage 1)0 nicht
*) Dictys Cretensis bei den Byzantinern. "Wissenschaft! beilage z. jb. des
Andreas-realgymnasiums Berlin 1900. S. J. Türst. Pliilologus 60 (1901), 229 f.
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 295
mehr zu zweifeln. Wir kennen es leider nur aus den excerpten
in der clironograpliie des Joannes Malalas; aucli für das werk
des angeblichen Diktys scheint es benutzt zu sein. Dem Malalas
lagen für die erzählung des Trojanerkriegs Sis3^phos und Diktys
vor. 132, 19 f. zieht er halb und halb einen vergleich zwischen
seinen beiden gewährsmännern. Er beteuert, dass das, was er
erzählt habe, aus dem Y>-erke des Sisyphos von Kos stamme.
Dieses solle Homer aufgefunden und für seine Ilias aus-
geschrieben haben. Der rest, der nicht für die Ilias verwant
wurde, sei dann von Virgil bearbeitet worden. Darauf be-
merkt er weiter, dass gleiches auch in der schrift des Diktys
erzählt werde, aber diese sei viele jähre nach Homer und
Virgil zur zeit des Claudius Nero in einem kästchen gefunden
worden. Malalas gibt demnach dem Koer den Vorzug wegen
seines alters. Es liegt die Vermutung nahe, dass dem werk
des Sisyphos eine ähnliche einleitung, in der seine kriegs-
kamei'adschaft mit Teukros und die auffindung seines werkes
erzählt waren, wie im prolog des Diktys, vorgestellt war. Ja
es ist gar nicht ungerechtfertigt, wenn Greif s. 14 meint, der
prolog der Ephemeris sei erst unter einfluss des Sisyphos-
buches entstanden. Aber kaum lässt sich aus dem zeugnis
Joannes Tzetzes, der Chil. v. 829, den Sisyphos den yQafif/axtvg
Tov 'TtvxQov nennt, schliessen, dass des Koers werk die me-
moiren des Teukros gewesen seien (s. H. Haupt, Philologus 40
[1881], 118 f.). Denn Chil. v. 833 beruft sich Tzetzes direct auf
die Chronographie des Malalas und es ist daher sehr wahr-
scheinlich, dass dieser byzantinische Spätling den Sisyphos gar
nicht gekannt und das über Malalas hinausgehende yga^^arsvq
durch speculation oder ähnlich speculierende, auf Malalas fus-
seude quellen erhalten hat. Vielleicht wirkte auf diese specu-
lation bei Tzetzes auch der prolog des Diktys, den er nach
Chil. V. 834 f. wenigstens dem namen, wahrscheinlich aber auch
dem werke nach kannte. Dass Homer aber den Diktj^s aus-
geschrieben habe, co^ i(f7iv (wo?), kann er aus dem lateinischen
werk nicht haben, ebensowenig aus dem von Septimius steif und
fest behaupteten griechischen original. Denn schwerlich würde
Diktys so dem Homer den Vorwurf des abschreibens gemacht
haben, da er dadurch nur selbst sich als den jüngeren erwiesen
hätte. Vielleicht liegt irgend eine späte, nachdiktysche gram-
206 WILHELM
matikeruotiz den Worten des Tzetzes zu gründe, möglicher-
■weise aber auch eine confusion des Tzetzes selbst. Der anlass
kaun die ]\Ialalasstelle gewesen sein.
Das buch des Sis^-plios war vielleicht für die folgezeit
vorbildlich. Denn ähnliche zwecke wie Sisj^phos verfolgte
sein wahrscheinlicher nachahmer Diktys Cretensis in seinen
Ephermeridos belli Trolani lihri sex. Der streit, ob ein grie-
chisches original davon existiert hat oder nicht, ist für unseren
zweck ganz gleichgiltig: die quellenangabe des uns vorliegen-
den Diktys bleibt trotzdem eine flction. Nach dem prolog der
lateinischen Übersetzung stammte Diktys aus Knossos auf
Kreta. Er lebte zur zeit des Atriden und verstand spräche
und Schrift der Phoeniker, deren kenntnisse von Cadmus in
Achaia verbreitet worden Avaren. Idomeneus (II. A 145 f. Od.
r 191), der söhn des Deukalion, und Merion von ]\Iolos (II.
Ä'270. iV249), die beide mit ihren beeren gegen Ilion ge-
zogen waren", hatten ihn zum gefolgsmann. Sie beauftragten
ihn, die annalen des krieges um Troia zu verfassen. Deshalb
schrieb Diktys neun Volumina über den ganzen krieg in phö-
nikischen buchstaben auf lindeuholztafeln oder, was tiliae auch
bedeuten kann (s. die Wbb. s. v.), auf lindenbast. Nachdem er
alt geworden war, so erzählt der prolog weiter, sei er nach
Kreta zurückgekehrt und habe sterbend angeordnet, dass sein
werk mit ihm begraben werde. Man erfüllte seinen letzten
wünsch und gab die üliae in einer kleinen zinnernen kiste
verwahrt mit in sein grab. Als aber in den folgenden zeiten,
im 13. jähr der regierung des Nero Knossos von erdbeben
heimgesucht wurde, barst unter anderen auch das grab des
Diktys, sodass die vorbeigehenden das zinnkistchen sehen
konnten. Hirten, die vorüber giengen, erblickten es, hofften
einen schätz gefunden zu haben und trugen es weg. Als sie
geöffnet hatten, fanden sie die tiliae, die mit ihnen unbekannten
buchstaben beschrieben waren. Sie trugen sie daher sofort zu
ihrem herren Eupraxides. Dieser brachte sie, da er erkannt
hatte, dass es Schriftstücke waren, zu Rutilius Rufus, dem
Statthalter (consularis, vgl. Teuffel-Schwabe^ § 423, 1) der insel
mit der frage, was das sei. Rutilius begab sich mit Eupra-
xides zu Nero und übergab ihm die tiliae, da er vermutete,
dass sie irgend etwas geheimes enthielten. Als Nero sie in
!
UEBEIi FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 297
empfang genommen und als punische Schriftstücke erkannt
hatte, berief er die kenner der pnnisclien spräche zu sich und
diese interpretierten alles. Nachdem Nero weiter erkannt
hatte, dass man es mit dem literaturdenkmal (d.h. hier 3,5
wol monnmenta) eines aniiQuiis vir, der mit bei Ilion gelegen
hatte, zu tun habe, befahl er es ins griechische zu über-
setzen. Dadurch wurde die richtigere version des Trojaner-
krieges bekannt. Den Eupraxides schickte Nero reich belohnt
und mit dem römischen bürgerreclit beschenkt in seine heimat
zurück. Die annalen aber, mit dem namen des Diktys ver-
sehen, nahm er in seine griechische bibliothek auf.
Der Übersetzer des angeblichen griechischen Originals,
Lucius Septimius, leitete seine Übersetzung mit einem wid-
mungsbrief an den Arkadius Rufus ein. Darin widerholt er
teilweise die angaben des prologs, und dies mag der grund
sein, weshalb der offenbar sehr schlecht überlieferte brief in
den meisten hss. fehlt. Brief und prolog widersprechen sich
aber auch mehrmals. Nach dem. brief war das grab des Diktys
wegen seines alters baufällig geworden und dadurch aufgedeckt.
Von einem erdbeben, das nach dem prolog der grund der Öff-
nung war, wird nichts gesagt. Doch diese beiden angaben
Hessen sich allenfalls noch vereinbaren, kaum aber folgende.
Nach Septimius war Eupraxides {Fraxim 1, 11 kann verderbt
sein) dominus loci^), und das gefundene Schriftstück ein mit
punischen lettern chiffriertes griechisch. Eupraxides legte es
dem Nero erst vor, nachdem das chiffrierte Schriftstück auf
seine veranlassung hin übersetzt war. Nach dem prolog 3, 5
hatte Diktys sein werk wirklich in punischer spräche ge-
schrieben und erst Nero befahl die Übersetzung ins griechische.
Am schluss seiner Widmung gibt Septimius noch an, dass seine
Übersetzung eigentlich eine epitome aus dem griechischen werk
sei. Die fünf ersten bücher habe er als solche belassen, da-
gegen die vier letzten in eines zusammengezogen.
Dass prolog und widmungsbrief für einander und mit dem
zweck, dem leser ein griechisches original glaubhaft zu machen,
^) Auch diese augabe brauclit noch keinen widersprach zu enthalten.
Es wäre denkbar, dass Eupraxides stadtpräfect von Knossos Avar und der
im briefe nicht erwähnte Rutilius Rufus eben consulans von Kreta.
298 WILHELM
geschrieben worden sind, hat Greif in seinen letzten unter-
suclmngen überzeugend dargetan. Die widerholten liinAveise
des Diktj^s, dass er als augenzeuge erzähle im werke selbst
(Meister 10, 13 f. 101,301 109,11), zeigen uns, dass Diktys
und der Verfasser des prologs ein und derselbe mann sind.
Kleine widerspräche zwischen diesen hinweisen und dem prolog
finden sich genau so, wie zwischen dem prolog und dem briefe
des Septimius. Der Verfasser des prologs sucht sich als ein
anderer zu gerieren als der Verfasser der libri, und der Ver-
fasser des Widmungsbriefes als ein anderer als der des prologs.
Das ist eine praxis und die gleiche fabrik, und wir dürfen den
Verfasser des Widmungsbriefes ruhig auch für den Urheber des
ganzen Diktys ansehen. Man hätte nie an das von ihm vor-
gegebene griechische original glauben sollen. Die paar graeci-
sierenden brocken mögen von ihm eingeschwärtzt worden sein,
um dieses bei oberflächlichen und kritiklosen grammatikern
glaubhafter zu machen. Für uns, die wir wissen, wie sehr in
den nachchristlichen Jahrhunderten die griechische mode die
römische literatur und spräche beeinflusst hat, beweisen sie es
noch lange nicht. Noch weniger hätte man an eine punische
aufzeichnung glauben sollen, wie dies Otto Rossbach in PWRE.
5, 589 zu tun scheint. Denn der Schwindel des Puniers Cae-
sellius Bassus mit dem angeblichen schätz der Dido (vgl. Tac.
ann. 16, 1 1 Suet. Nero 31 1 und PWRE. 3, 1304) war doch etwas
anderes. Dabei handelte es sich um geld. Er hat mit den
angaben des lateinischen Diktys vielleicht nur das wort 'pu-
nisch' gemein. Möglicherweise steht er aber insofern zu ihnen
in beziehung, als die Diktyschen angaben an jene böse blamage
der römischen regierung anknüpfen. Vergleicht man nämlich
den ausführlichen bericht des Tacitus über diesen Schwindel
mit dem widmungsbrief und dem prolog bei Diktys, dann
nehmen sich die beiden letzten wie eine parodie auf jenes
wenig schöne ereignis aus. Dann scheint es, als sei nicht
ohne grund gerade die regierung des graeculus Nero als zeit
der auffindung des Diktyschen werkes gewählt und das punische
original, das sich auf Kreta höchst merkwürdig ausnimmt, er-
hält so seine erklärung.
Wie dem auch sei: Diktys fand seinen naclif olger. Er
hatte ja sein werk, wie Sisyphos von Kos in griechenfreund-
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 299
lichem sinne geschrieben. Es konnte nur verlockend erscheinen,
auch einen mann, der auf trojanischer seile stand, zu "worte
kommen zu lassen. In rhetorenkreisen, die dem Homer am
zeuge flicken wollten, um ihre Weisheit glänzen zu lassen,
hatte man das längst eingesehen. So beriefen sich schon
Ptolomaeos Chennos und sein ausschreiber Eustathios (s. Her-
cher, JJ. supl. I, 269 f.; Meister in seiner Daresausgabe s. xiii
und PWRE. 4, 2213) in einem eigens dazu fabricierten citat
aus der schritt eines Antipatros, auf den IL £" 9 und Virgil,
Aen. 5, 369 f. erwähnten trojanischen priester Dares, der vor
Homer die Ilias geschrieben und dem Hektor den rat gegeben
haben soll, Patroklos, den freund des Achill, nicht zu töten.
Nach Cl. Aelian v. h. 11, 2 war diese Ilias des Phrygiers auch
phrygisch geschrieben, und soviel er sich erinnern kann, seiner
zeit noch erhalten.
An solche oder doch ähnliche angaben knüpft die schrift
Be cxcidio Troiae historia an. Ein literarisch und grammatisch
nicht gerade tief gebildeter Römer hatte sie unter dem namen
des Phrygiers Dares in die weit gesetzt. Von der eleganz
des Stiles, auf welche sich die rhetoren so viel zu gute taten,
ist in dem werke nichts zu entdecken. Alles ist hölzern und
unbeholfen. Wie wenig gebildet der Verfasser war, geht daraus
hervor, dass er sein w^erk als eine Übersetzung des Cornelius
Nepos ausgibt und sogar einen brief des Xepos an Sallustius
Crispus voranstellt, in dem Cornelius berichtet, wie er ge-
legentlich eines aufenthaltes in Athen die schrift des Dares
gefunden und sich sofort mit grossem eifer an ihre Übersetzung
gemacht habe. Er glaubte nichts hinzufügen oder hinweg-
lassen zu dürfen, sondern alles gleich wahr und einfach') im
lateinischen wddergeben zu sollen, damit der leser erkennen
könne, wie die dinge sich zugetragen haben, und damit er
urteile, ob dem Dares, der zur gleichen zeit lebte und kriegte,
da die Griechen Troja belagerten, oder dem viel jüngeren
Homer mehr zu glauben sei. In Athen, schliesst der brief,
habe man allgemein den Homer für verrückt gehalten, weil
er behauptet habe, dass die götter mit den menschen gekriegt
hätten. Mag man auch in der holprigkeit des Stiles die
1) Doch vgl. ii, 9 f.
300 WILHELM
absieht des Übersetzers, den Wortlaut des alten voracademischen
Dares widerzugeben, erkennen wollen, so fällt dieses argument,
das zu gunsten eines vorlateinischen Dares sprechen könnte,
für den brief an Sallust fort. Auch in dem brief zeigt sich
aber nichts von cornelischem stil, und so liegt die flction offen
zu tage. Der Verfasser dieses lateinischen Dares ist auch
sonst nicht besonders sorgfältig zu werke gegangen. Gerne
würde man erfahren, wie er das buch gefunden hat und in
welcher spräche es geschrieben war. Darüber schweigt sich
aber der widmungsbrief aus. Trotzdem kenneu wir seine
quellen. Denn ausser dem werk des Diktys, das er kannte
und gegen das er zwar nicht offen, so doch absichtlich schrieb,
benutzte er, wie die Übereinstimmungen mit Malalas gegenüber
Diktys beweisen, das werk des Koers Sisyphos. Das hat Her-
mann Haupt, Philologus 40 [1881] 107 f. klärlich dargetan.
Bei Teuffei -Schwabe^ § 471, anm. 2 ist wegen des hiebes
gegen Homer am schluss des Xeposschreibens hinter dem Ver-
fasser des Dares ein Christ vermutet worden. Der grund ist,
wie Otto Rossbach PWRE. 4, 2213 bemerkt, nicht zwingend,
obwol ihm historisch nichts entgegensteht. Denn der uns
vorliegende Dares ist jünger als der im anfangs des 4. Jahr-
hunderts n. Chr. verfasste Diktj^s, aber vor dem ersten buch
der etymologien des Isidor von Sevilla, in dem er cap. 42
(MvSL. 82, 123 A) erwähnt wird, geschrieben. Damals waren
auch bei den Christen solche aretalogische quellenangaben
längst gebräuchlich. Wie sich die aretalogen bei ihren beweis-
führungen am liebsten auf augenzeugen beriefen, um jeden
zweifei an ihren behauptungen auszuschliessen, so taten das
nicht minder die christlichen legendenschi'eiber. Immer mehr,
besonders durch die Untersuchungen von Hans von Dobschütz
und R. Reitzenstein, hat sich gezeigt, wie sehr die altchrist-
liche schriftstellerei von der hellenistischen kleinliteratur ab-
hängt und wie gerade Ägypten und Syrien, die mutterländer
der aretalogie, bestimmend auf sie wirkten. Sie floss teilweise
aus der gleichen quelle, aus der die aretalogische schrift-
stellerei der antike floss, fand diese aber schon vor und konnte
daher au sie anknüpfen. In diese kategorie christlicher
Schriften gehörten allem anschein nach jene von den kirchen-
vätern so heftig bekämpften, uns leider nicht mehr erhalteneu
I
UEBER FABUr.TSTISCnE QUELLENANGABEN. 301
werke, deren A^erfasser sich als scliüler der zwölf jünger Christi
und als zeugen ihrer taten ausgaben. Leukius Charinus hat
dieser literatur den namen gegeben. Ob darin auch ähnliclie
bucliaufflndungen erzählt wurden, wie bei Antonius Diogenes,
Diktys und Dares lässt sich natürlich nicht mehr feststellen.
Jedenfalls bediente man sich — darüber lassen die aussagen
der kirchenväter keinen zweifei — des von den aretalogi-
sierenden rhetoren so viel angewanten, von Lucian so oft
verspotteten mittels, unglaubliches durch angebliche augen-
zeugen berichten zu lassen. Ein später ausläufer von jener
leukianischen literatur, vollkommen katholisiert, ist uns aber
doch erhalten: er sollte bedeutsam für die literaturen West-
europas werden. Es ist die sogenannte Abdiassammlnng. Am
ende dieser Sammlung, anschliessend an die Passio Simonis et
Judae, findet sich in den meisten hss. ein epilog, in dem er-
zählt wird, dass Abdias, der von den aposteln zum bischof
von Babylon ernannt worden sei, die taten der jünger Christi
in hebräischer spräche beschrieben habe. Diese hebräische
Schrift des Abdias sei dann von seinem schüler Eutropius ins
griechische und weiter von Afrikanus ins lateinische übersetzt
und in 10 bücher eingeteilt worden. Der Verfasser des epilogs
behauptet, diese 10 bücher nur excerpiert zu haben (vgl. Fa-
bricius II 2, 388 f.; LpA. 1, 117 f. und WDLL. 28 f.). Am ende
der Passio Simonis et Judae wird ebenfalls von der Ordination
des apostelschülers Abdias zum bischof von Babylon durch die
apostel Simon und Judas berichtet und dann epilogartig hin-
zugefügt, dass beide apostel nach Persien gezogen seien und
dort missioniert hätten. Auf diese missionstätigkeit des Simon
und Judas geht der Verfasser der Passio aber nicht ein, sondern
verweist auf die schrift eines Schülers der beiden apostel,
namens Grathon, der in 10 büchern alles erzählt habe, was
von Simon und Judas während ihrer dreizehnjährigen missions-
arbeit in Persien geleistet worden sei. Der geschichtsschreiber
Afrikanus habe das Grathonische werk, von dem nicht verraten
wird, in welcher spräche es geschrieben war, ins lateinische
übersetzt. Aber dem leser, meint der Verfasser der Passio,
wird das gebotene genügen.
Es kann keinem zweifei unterliegen, dass die Schlussworte
der Passio Simonis et Judae mit dem epilog der ganzen Abdias-
302 WILHELM
Sammlung in Zusammenhang stehen, aber wie, das lässt sich
vorläuflg kaum entscheiden. Die meiste Wahrscheinlichkeit hat
die Vermutung von LpA. I, 117 f. für sich, das irgend eine
hs.-liche Verderbnis, etwa der ausfall des namens Grathon, zur
einsetzung vom namen des kurz vorher erwähnten Abdias ge-
führt habe, und dass der ursprünglich nur auf die am schluss
der Abdiassammlung stehende Passio Simonis et Judae bezüg-
liche epilog irrtümlich als schlusswort zur ganzen Sammlung
aufgefasst wurde. Davon und von den sich daran anschlies-
senden bedenken (s. WDLL, 30 f.) wird aber die hier zu be-
handelnde frage nicht berührt. In beiden schlussnotizen haben
wir es mit den üblichen quellenangaben der aretalogen und
rhetoren zu tun. Nach den obscuren namen der apostelschüler
Abdias und Grathon werden bekannte literaturgrössen, wie
Eutropius, der Verfasser des Breviarium Romanae historiae
und Afrikanus, der christliche historiker, angeführt, um dem
leser vertrauen einzuflössen. Die eigentliche Abdiasnotiz weist
auch die übliche erzählung von der stufenweisen Übersetzung
der grundschrift auf. Die geschichte der Übersetzungen des
alten testamentes war vielleicht das vorbild für diese angaben,
denn auch das alte testament ist aus dem hebräischen ins
griechische und dann erst ins lateinische übersetzt worden.
Aber die namen der Übersetzer des angeblichen Abdiaswerkes
sind so unglücklich gewählt, dass jeder einsichtige weiss, was
er davon zu halten hat. Nur Christen, die mit der eigent-
lichen antiken literatur in keiner fühlung standen, konnten
auf diese angaben hereinfallen.')
^) Mit den quellenangaben der leukianischen literatur hängt wahr-
scheinlich auch die angäbe des presbyters Prokopios, im pseudo-dorotheischen
index apostolormn discipulorumque (s. Theodor Schermann, Prophetarum
vitae fabulosae, indices apostolorum discipulorumque domini Dorotheo, Epi-
phanio, Hippolyto aliisque vindicata. Leipzig 1907, s. 159, 19 f.) literarisch
zusammen. Prokop beruft sich auf die collectaneen des ayuurärov xal
fcaxrjiojtrxTov tnioxönov xcd fiÜQTVQOQ JojQoS^inv, die er zufällig gefunden
und nach 143, 5 f. und 151, 11 f. aus dem lateinischen ins griechische über-
setzt haben will. Andere stellen stehen damit in widersprach. Nach 132, 6
hinterliess Dorotheos sowol griechische wie lateinische Schriften, denn er
Avar beider sprachen mächtig, und nach 157, 5 waren seine aus griechischen
und hebräischen quellen gefertigten excerpte lateinisch abgefasst. Prokop
sucht die sache offenbar absichtlich etwas dunkel zu machen. 132, 6 f. lässt
ÜEBER FABULTSTTSCHE QUELLENANGABEN. 303
Aelinlicher mittel wie die leukianisclie literatur bediente
sich die seit dem ende des vierten jalirliunderts immer mehr
in den Vordergrund tretende mönchslegende. Auch sie hat
wie das mönchtum iliren Ursprung- in Ägypten und Kleinasien.
Die Verfasser solcher münchslegenden versichern hoch und
heilig, nichts unwahres zu schreiben. Manche führen sich
oder andere als augenzeugen ein, andere berufen sich auf die
Schriften ihrer gewährsmänner. Von der bekehrung der hl.
Pelagia meretrix erzählt Jakobus Diakonus (s. BHL. 959, no. 1)
als augenzeuge. Der Übersetzer des Jakobischen werkes, Eu-
stochius, wendet sich in zwei distichen an die leser mit der
bitte, seine übersetzermühe zu bedenken. Der Verfasser der
dem Sophronius, bischof von Jerusalem, zugeschriebenen vita
der Maria Aeg^^ptiaca (BHL. 801, no. 1) führt den Zosimns,
der aber mit dem häretiker und mathematiker (vgl. PRE.
6, 2896, no. 7 und R. Reitzenstein, Poimandres s. 8 f. 361?)
nicht identisch sei, als augenzeugen und gewährsmann an.
Ein Antonius, der das leben des Symeon stylita senior (BHL.
1151, no. 2; MSL. 73, 328 D und 334 B) geschrieben haben will,
gibt sich als schüler des S^Tiieon und zeuge seiner taten aus.
Der anonyme Verfasser einer Vita sei. Onuphrii erzählt: er
habe das leben seines heiligen kürzlich zwischen griechischen
gedichten aufgefunden, so wie er es einst von einem ehr-
würdigen und weisen mann, namens Gregor, habe erzählen
hören. Dieses widergefundene und von ihm nunmehr über-
setzte Onuphriusleben habe der hl. Paphnuutius in griechischer
spräche verfasst. Der Übersetzer bittet, nicht seinen unbehol-
fenen Stil zu tadeln, sondern vielmehr die grosse mühe und
pein zu bedenken, die der heilige erduldet hat, um ein erbe
uns im unklaren über den umfang der griechischen aufzeichnungen des
Dorotheos und somit auch über Prokops Übersetzertätigkeit, und auf 157, 5
kann man nur mit der frage antworten: weshalb excerpierte Dorotheos
seine griechischen quellen lateinisch, wenn ein teil seiner coUectaneen so
wie so griechisch geschrieben war? Weitere Schwierigkeiten ergeben die
notizen über den streit zwischen dem papst Johannes und dem patriarchen
Epiphanius von Constantinopel , wofür ich der kürze halber auf Theodor
Schermann, Propheten- und apostellegendeu {= TU. xxxi, 3) §§ 57. 58 ver-
weise. Der index ist nicht frei von kirchenpolitischen tendenzen und der
name Prokops wahrscheinlich selbst fiction. Vgl. Wetzer und Weites Kirchen-
lex. 3'^ 1995 f.
304 WILHELM
des himmelreichs zu werden (vgl BHL. 916; ASS. Juu. II,
527 und MvSL. 73, 211). Solche und älmliche angaben linden
sich in den mönchsviten häufig. Die gewährsmänner waren
alle bei den buss- und betübungen ihres anachoreten zugegen
und haben seine kämpfe mit den versuchenden teuf ein selbst
angesehen. Manches was berichtet wird, mag wahr sein, das
meiste aber ist frommer phautasie entsprungen, und das ge-
wand, in das man alles kleidete, waren die griechische und
lateinische spräche und die damals in der griechischen und
lateinischen literatur vorhandenen literarischen formen. Auf
diesem weg sind auch die aretalogischen quellenangaben in
die mönchslegende gelangt. Viele mönchsviten liegen noch in
den papyri vergraben. Dort wird sich noch manches finden,
was an dieser stelle erwähnt werden müsste, der gegen-
wärtigen Untersuchung leider aber noch vorenthalten ist.
Im fünften und sechsten Jahrhundert fliessen jene beiden
ströme, die apostellegende, die mit dieser schon früher ver-
einigte märtyrerlegende, und die mönchslegende zusammen.
Es gehörte nicht mehr bloss zum wesen des heiligen, viele
menschen zum worte des herren bekehrt und sein eigenes
blut für Christus geopfert zu haben, sondern man musste sich
auch der fugenden eines anachoreten befleissigt haben, man
musste gewacht, gebetet, gefastet, keusch gelebt, dem getriebe
und den lüsten dieser weit entsagt haben. So entstanden
damals die verschiedenartigsten mischungen von legenden-
typen, die dadurch, dass sie sich an die von Sueton geschaf-
fenen biographischen formen anschlössen, nur noch vermannig-
facht wurden. Das Martinuslebeu des Sulpicius Severus und
die Vita sei, Severini von Eugippius sind die schönsten und
besten Vertreter dieser entwickeluug. Sulpicius und Eugipp
folgen nur der damals üblichen tradition, wenn sie ihren viten
prologe in form von Widmungsbriefen voranstellen, in denen
sie aufschluss über die entstehung ihrer werke geben. Der
brief Eugipps an Paschasius ist inhaltlich teilweise eine nach-
ahmung des Sulpicischen briefes an Desiderius. Die in diesen
briefen gemachten angaben können wir nicht nachprüfen. Sie
sollen auch hier nicht verdächtigt werden. Aber dass die in
ihnen ausgesprochene bescheidenheit und das angebliche zau-
dern mit der Veröffentlichung nur rhetorische floskel ist und
I
ÜEBER FABULTSTISCHE QUELLENANGABEN. 305
ebensowenig- wert hat, wie älinliclie Wendungen in manchem
modernen vorwort, muss doch gesagt werden. In dieser hin-
sieht sind Sulpicius und Eugipp in der folgezeit vorbildlich
geworden. Zur zeit der jVEerowinger ist der zusammenfluss
von apostel-märtyrerlegende und mönchslegende der hauptsache
nach vollzogen. Altes läuft natürlich auch da noch neben
neuem einher. Aber auch das neue kann in den wenigsten
fällen bei den quellenangaben die antike herkunft verleugnen.
Die Abdiassammlung- mit ihren vielen prologen und epilogen
ist damals zusammengestellt und oft abgeschrieben worden.
Als Gregor von Tours lebte, bestand sie wahrscheinlich bloss
aus passiones. Nach Gregors eigenem zeugnis, MG. scr. rer.
merov. I,,827, 13, gab es von den wenigsten aposteln sogenannte
(XQeTal, virtutes oder miracula. Er selbst schrieb Andreas-
mirakel und beruft sich darin auf eine quelle, die er excerpiert
haben will. Seine angaben brauchen wir nicht anzuzweifeln,
denn wir können den Inhalt jener miracula durch andere
Andreasacten nachprüfen und diese machen die existenz einer
ähnlichen schrift wie die, auf die sich Gregor beruft, nicht
unwahrscheinlich (vgl. LpA. I, 562 f.). Gleiches gilt von den
Miracula Thomae apostoli, die ein nachahmer der Gregoria-
nischen Andreasmiracula schrieb. Er versichert, den Inhalt
seiner quelle nach dem gedächtnis widerzugeben. Seine an-
gaben haben sich als durchaus richtig erwiesen (vgl. WDLL.
s. 23 f.).
Die klassische zeit der legendenschreibung war damals
noch nicht gekommen. Viele heilige männer und fromme
frauen hatten im Merowingerreich gelebt, aber nur wenige
hatten einen gleichzeitigen biographen gefunden. Erst als
durch Karl den grossen das Frankenreich neu erstarkte und
an des grossen kaisers hof die antike eine neue auferstehung
erfuhr, wurde auch die tätigkeit der hagiographen lebhafter.
Sie konnten sich aber von dem zauber, den die römischen
dichter und prosaiker auf den noch unförmigen geist der
Germanen ausübte, nicht freimachen, und mit den poetischen
Wendungen eines Virgil und Horaz hielt auch der antike
fabulist, der aretaloge, seinen einzug. Jene quellenangaben,
die auf verloren gegangene oder entdeckte bücher hinweisen,
werden häufiger und häufiger, oft aber auch recht raffiniert.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIIL 20
306 ^^^LHELM
Ganz dieselbe praxis wie im epilog der Abdiassammlung
begegnet uns in der karolingisclien Vita sei. Seiierini ab.
Acaunensis (MG. scr. rer. merov. III, 168). Es gibt von dieser
vita eine kürzere und eine länger<i recension, die kürzere ist
die jüngere. Der längeren vita ist ein prolog vorangesetzt;
darin beruft sich der Verfasser auf die schrift eines presbjter
Faustus, der ein scliüler des hl. Severin gewesen sein und ihm
dreissig jähre gedient haben soll. Auf wünsch des erzbischofs
Magnus von Sens habe der Verfasser diese schrift des Faustus
umgearbeitet {transcrihcnteslQ'^^Q), doch so, dass nur die äussere
form des Faustischen Werkes davon betroffen wurde, nicht der
Inhalt. Bloss oifenkundige fehler des Faustus hatte er ver-
bessert, den gang der erzählung aber aufs peinlichste ein-
gehalten und nichts eingefügt, was nicht schon sein gewährs-
mann berichtet hätte. Die sollertia des lesers könne das gesagte
leicht nachprüfen. Leider ergibt diese nachprüfende sollertia,
dass der Verfasser ein fabulator von der gewöhnlichsten sorte
ist. Schon Mabillon, Annal. ord. sei. Benedicti I, 28 hat be-
merkt, dass die angaben über das 25. jähr der regierung Chlod-
wigs I., d. i. das jähr 507, in keiner weise mit dem überein-
stimmen, was wir sonst davon wissen, und Krusch hat die
starke abhäugigkeit des Verfassers von den briefen des Ennodius
in bezug auf namen dargetan. Die legende selbst, in deren
mittelpunkt die heilung Chlodwigs durch Severin steht, ist aus
allen möglichen legendenmotiven zusammengestoppelt und fast
eine auf Chlodwig übertragene nachahmung der Abgarsage zu
nennen. Sie weist auch starke anklänge an den syrischen
Abgarbericht bei Eusebius-Eufinus auf.
Aber noch nicht genug mit dieser einen aretalogischen
quellenangabe. Etwa hundert jähre später verfertigte ein
anderer aus dieser, auf einem angeblichen Faustus werk be-
ruhenden vita, das werk des Faustus selbst. Die methode
war sehr einfach. Der prolog \Mirde gestrichen und an den
schluss eine art subscriptio gestellt, in der es heisst: das vor-
liegende werk wurde von Faustus, dem schüler des hl. Severin,
auf befehl des königs Chlodwig, unter dem beistand unseres
herren Jesu Christi verfertigt. Dass dieses angebliche Fausti-
sche werk jünger ist als die längere vita, beweisen nicht nur
die verderbten namen, sondern auch die oft um ihren guten
ÜEBER FABÜLTSTISCHE QUELLENANGABEN. 307
sinn gebrachten sätze der längeren fassung. Vgl. Krusch
167, 11 f. 1)
Die grösste, raffinierteste nnd auch folgenschwerste quellen-
angabe, die an jenen brauch der antiken aretalogen und rhe-
toren anknüpft, findet sich am eingang der Vita sei Remigii
ep. Beimensis (MG. scr. rer. merov. III, 250, 36 f.), die den ver-
logenen erzbischof Hinkmar von Reims zum Verfasser hat.
Hinkmar will von alten leuten, die noch die zeiten des bischofs
Tilpin erlebt hatten, gehört haben, dass diesen ihre vorfahren
von einem umfangreichen, von alter band geschriebenem buche
über das leben, die fugenden und den heimgang des hl. Re-
migius erzählt hätten. Dieses buch sei aber zu gründe ge-
gangen. Egidius, der vierte bischof auf dem Reimser stuhle
nach dem hl. Remigius, habe nämlich den berühmten dichter
Fortunatus gebeten, aus diesem, in schwülstigen, mit gallicismen
durchsetzten latein geschriebenen buch einige beim volke be-
liebte mirakel auszuziehen, damit sie ohne ärgernis gehört
werden könnten, und das volk zur Verehrung gottes und seines
schutzpatrones angehalten würde. Zum beweis dieser behaup-
tung führt Hinkmar eine stelle aus der von ihm zum ersten
mal dem Fortunat zugeschriebenen Vita sei. Remedü (BHL.
^) Zwischen diesen berufungen auf den Severinschüler Faustus und
dem angebliclien Maurusschüler Faustus, der eine Vita sei Mauri disciptiU
sei. Benedikti, ab. Glannafoliensis (s. BHL. 8-ib, no. 1) geschrieben haben
soll, bestehen entschieden literarische beziehungen. Wie aber die angaben
literargeschichtlich mit einander zu verknüpfen sind, kann ich vorläufig
nicht sagen. Die in der BHL. 84:5, no. 1 citierten texte geben keinen
rechten aufschluss über die handschriftliche Überlieferung. Die ASS. Jan.
1, 1051, sp. b veröffentlichte praefatio des Odo von Glanfeuil steht mit ihrer
quellenaugabe wol unter einfluss der Reimser hagiographie und dürfte erst
nach dem jähre 878 geschrieben worden sein. Das darin angegebene jähr
863, in dem die reliquien des hl. Maurus aus furcht vor den Normannen
verborgen wurden, und in dem Odo im reisekorb des klerikers Petrus die
lebensbeschreibungeu der fünf schüler des hl. Benedikt: Honoratus, Simpli-
cius, Theodorus, Valentinianus und Maurus gefunden haben will, kann
kaum zur genaueren feststellung der lebenszeit von Odo benutzt werden.
Ob der Faustusbrief in den hss. oder überhaupt ursprünglich auf die prae-
fatio Odos folgte, scheint mir nicht so ohne weiteres klar, wie man aller-
dings nach Mabillon, Acta saec. I\ 276 und Wattenbach, Schriftw^esen' s. 412
meinen sollte. Das ist der grund, weshalb ich die quellenaugabe der Maurus-
vita nur anmerkungsweise behandle.
20*
308 WILHELM
1039, no. 1), aber absiclitlich nicht vollständig- an. Da heisst
es: 'wir haben uns bemüht weniges zu erzählen, das meiste
zu übergehen.' Dieses excerpt des Fortunat habe sich bei dem
vülk bald grosser beliebtheit erfreut und sei auch wegen seiner
kürze oft abgeschrieben worden. Der grosse codex aber wäre
seitdem von den nachlässigen nur noch nachlässiger behandelt
worden. Als dann aber der krieg zwischen Karl Martell und
Ragamfred ausgebrochen war, während dessen die christliche
religion beinahe vernichtet, die bischofsstühle laien gegeben
worden wären, und Milo, ein zwar mit der tonsur versehener
kleriker, aber in sitten, haltung und taten irreligiöser laie,
fast vierzig jähre die stuhle von Reims und Trier innegehabt
hätte, da sei der codex fast vollständig vernichtet worden.
Denn die wenigen noch übrig gebliebenen kleriker hätten
iliren unterhalt durch handel fristen und die so erworbenen
denare, um sie zu verbergen, in Urkunden und bücherblätter
einwickeln müssen. So sei die grosse hs. durch feuchtigkeit,
mäussefrass und ausreissen von blättern zerteilt zu gründe
gegangen und daher nur weniges von den zerstreuten blättern
widergefunden worden.
So etwas also sei in neuester zeit vorgekommen. Gleiches
aber habe sich auch in alten zeiten zugetragen; und nun be-
ginnt Hinkmar, mit einem citat aus der 9. Homilie m Matiheum
des Johannes Chrysostomos (MSG-. 57, 180) einleitend, aufzu-
zählen, welche bücher von gottesmännern im alten testament
als vorhanden bezeugt, heute aber verloren seien. Er spielt
auf das von Jojakim verbrannte buch, welches Baruch aus
dem munde des Jeremias aufzeichnete (Jer. 36, 1 f.) an, auf
die entdeckung des gesetzbuches während der tempelreinigung
unter Hiskia (4.Reg. 22, 8; 2. Paral. 34, 14), auf das im 2. Reg.
1, 18 erwähnte Liher iustorum, auf das im Num. 21, 14 ge-
nannte Liher hellorum JDomini und auf die an verschiedenen
stellen des alten testaments erwähnten, aber verlorenen Schriften
Salomos (3. Reg. 4, 32 f.; 11,411). All das geschieht, um das
verlorene Remigiusleben recht glaubhaft zu machen. Trotz
dieses grossen Verlustes lagen dem Hinkmar ausser einigen
geschichten und den pUaciola des grossen codex noch land-
läufige erzählungen über den heiligen vor, sodass er mehr
bieten könne als der Fortunatische auszug. Er habe zwar
UEBER FABULISTISCIIE QUELLENANGABEN. 309
immer noch gehoift, dass sich irgendwo ein zweites exemplar
dieses grossen Remigiuslebens finden werde und er sei in
dieser hoffnung durch verschiedene aussagen bestärkt worden,
aber seine erkundigungen erwiesen stets alles bis ins tiefste
innere hinein falsch. Schliesslich kommt Hinkmar noch auf
die Stilunebenheiten im vorliegenden Averk zu sprechen. Er
entschuldigt sich damit, dass er die von den altvordern über-
lieferten, offenbar schriftlich aufgezeichneten geschieh ten und
den Inhalt der schedulae (= pitaciola) der vernichteten hs.
wörtlich widergäbe, während er das, was er vom hörensagen
habe, in seinen Worten erzähle. Zur entschuldigung dafür,
dass auch mündlich überliefertes aufgenommen wurde, dient
ein absichtlich verdrehtes citat aus der praefatio Bedas zu
seiner kirchengeschichte. Das darauf folgende beschäftigt sich
mit der anordnung des Stoffes und den dabei befolgten grund-
sätzen. Auch hier ist Hinkmar bemüht, seine peinliche ge-
wissenhaftigkeit ins nötige licht zu setzen, aber etwas für
unseren zweck wichtiges findet sich nicht darin.
Bruno Krusch hat in seinen glänzenden Untersuchungen
über die Reimser Remigiusfälschungen, Neues archiv20, 511 f.,
Hinkmars werk als eine zu ganz bestimmten kircheupolitischen
zwecken, ums jähr 878, vorgenommene fälschung erwiesen.
Hinkmar wollte zeigen, dass schon zur zeit des hl. Remigius
das Reimser archiepiscopat mit einem vicariat, einer würde,
nach der Hinkmar vergeblich gestrebt hatte, verbunden war.
Er hatte nicht nur die von ihm herabgesetzte Vita sei. Bemedii
vollkommen ausgeschrieben, sondern auch den schritten des
Sulpicius Severus, Gregor des grossen, Rufinus, Gregor von
Tours, Fredgar u. a. allerhand motive entlehnt und sogar ein
testament des hl. Remigius nach bestimmten formularen fabri-
ziert. Schon damals aber hätte dieses bei den des merowin-
gischen rechtes kundigen ein stein des anstosses sein müssen.
Trotzdem wir es hier also historisch mit einer fälschung zu
tun haben, muss Hinkmar an dieser stelle, als einer der haupt-
vertreter, welche in ihren quellenangaben an antike areta-
logische motive anknüpfen, genannt werden. Auf die späteren
leser, die die zwecke des Verfassers nicht kannten, hat Hink-
mars vita nicht anders gewirkt, als jede andere schritt mit
ähnlicher quellenangabe.
310 WILHELM
Ganz ohne näheres Vorbild war aber auch Hinkmar nicht.
Sein ehemaliger lehrer und späterer scliützling Hilduin, abt
von St. Denis, hatte auf befehl Ludwigs des frommen im jähr
836 ein Leben des hl. Dionysius von Paris geschrieben (vgl.
MG. epist. V, 328, 1 f.). In seinem der eigentlichen vita vor-
gestellten brief an sämmtliche gläubige beruft er sich auf ge-
heime alte bücher, die er und seine mitarbeiter (so darf man
wol aus MG. epist. V, 328, 35 f. schliessen) aufgefunden hätten
und deren Inhalt er der Wahrheit gemäss widergäbe. Damit
aber niemand, der geistig gesund ist, daran zweifle, dass ver-
borgenes später wider an den tag komme, verweist er auf die
auffindung des gesetzbuches unter Hiskia (MG. epist, V, 336, 21 f.).
Dass Hinkmar die schrift seines lehrers Hilduin gekannt hat,
ist an sich schon sehr wahrscheinlich; es wird aber zur ge-
wissheit durch seine um 876 verfasste Vita ss. Sanctini et An-
tonn epp. Meldensium (ASS. Okt. Y, 586 F f.; auch Wattenbach,
Schriftwesen 3 412), die in form eines an Karl den kahlen ge-
richteten briefes abgefasst ist. Der eingang dieser vita ist
offenbar veranlasst durch den brief des bibliothekars am
apostolischen stuhl Anastasius an Karl den kahlen vom jähre
875 (MSL. 129, 737 B f.). Anastasius war 869 mit auf dem
8. öcumenischen concil zu Constantinopel gewesen und hatte
dort nachforschungen über die verschiedenen heiligen des
namens Dionj'sius angestellt. Seine ergebnisse teilt er Karl
in jenem briefe mit. Hinkmar nun erwähnt in seinem brief
den Anastasius, gedenkt seiner Übersetzung der Dionysiusvita
von Methodius und bezeugt, dass sie mit dem übereinstimme,
was er in der Jugend, eben bei Hilduin, vom hl. Dionysius
gehört habe. Von Hilduin hat also Hinkmar den biblischen
beweis für die möglichkeit, längst verschollene schritten wider
auffinden zu können, entlehnt. Er hat ihn freilich um ein
beträchtliches vermehrt.
Der brief Hinkmars an Karl den kahlen gehört aber noch
weiter hierher. Denn was Hinkmar über die quellen seiner
Vita sei. Sanctini sagt, ist ebenso fabelhaft und verdient genau
so wenig glauben wie seine Quellenangaben im Remigiusleben.
Im kloster St. Sanctin zu Meaux sei ein abt namens Wandelmar
gewesen, der in dem ihm unterstehenden gebiet, das wie vieles
andere wegen des langen alters und der langen krankheit
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 311
bischof Hilderichs vernachlässigt worden war, kleine, stark
abgeriebene und der schritt fast beraubte quaternionen ge-
funden habe. Diese habe Wandelmar dem Hinkmar, den er
für einen halb wisser hielt, mit dem auftrage übergeben, sich
von dem Inhalte zu unterrichten und eine deutliche abschritt
davon anzufertigen. Er, Hinkmar, habe den auftrag aus-
geführt, sich aber auch eine abschritt angefertigt. Seitdem
sei lange zeit verflossen, Wandelmar längst tot und das kloster
von den Normannen eingeäschert. Ihm scheine es deshalb
zweifelhaft, ob in St. Sanctin noch die quaternionen und die
für Wandelmar verfertigte abschritt vorhanden seien, und er
hält es daher für besser, kaiser Karl sein exemplar zur Ver-
fügung zu stellen. Diese angaben halten denen des Ptolemaeos
Chennos durchaus die wage.
Hinkmar scheint mit seiner art, quellenangaben zu machen,
bahnbrechend gewirkt zu haben. Die raubzüge der beiden
und Normannen und die dadurch veranlassten bücherverluste
spielen bei seinen nachf olgern eine grosse rolle. Bei einigen
lässt sich die bekanntschaft mit der Eemigiusvita unmittelbar
nachweisen. Das ist z. b. bei Baltherns, dem Verfasser der
Vita sei. Fridolini conf. Seckingensis (MG. scr. rer. merov. III,
354 f., vgl. dazu die elsässische Übersetzung bei F. J. Mone,
Quellensammlung der badischen landesgesch. I, 99 f.) der fall.
Baltherus hat, wie er in dem an seinen ehemaligen lehrer
Notker Labeo in St. Gallen gerichteten, seinem werke vor-
gestellten briefe auseinandersetzt, vier jähre lang Gallien und
Spanien als fahrender und schamlos bettelnder cleriker bereist.
Er hatte so eine würdige schule durchgemacht. Die Sehnsucht
trieb ihn in die heimat zurück. Auf dem heimwege kam er
nach Hellera, einem den hll. Hilarius und Fridolin geweihten,
au der Musella gelegenen kloster. Dort kehrte er, um zu
betteln (so die Übersetzung, oder beten?), ein. Er wurde gut
aufgenommen, und, nachdem er sich legitimiert und als ein
mönch eines ebenfalls den hll. Hilarius und Fridolin geweihten
klosters ausgewiesen hatte, zeigte ihm der pater und provisor
des klosters zwei bücher, von denen jedes für sich die virtutes
eines der beiden heiligen enthielt. Als er sich die beiden
bücher näher angesehen hatte, erzählt Baltherus, habe er sich
erinnert, dass ein gleiches Hilariusleben auch in dem kloster
312 WILHELM
ZU Secking'en sei, die Fridolinsvita aber fehle. Diese sei bei
einer Verwüstung des Seckinger klosters durch die lieiden ab-
handen gekommen. Es wären aber noch viele da, die das
verlorene buch viel gesehen, oft gelesen und auch bezeugt
hätten, dass sein Inhalt walir sei. Gern habe er es nach
Seckingen entliehen; seine diesbezügliche bitte sei jedoch
abschlägig beschieden worden. Darauf habe er es an ort und
stelle abschreiben wollen, aber pergament und tinte fehlten.
Da endlich habe er sich hingesetzt und die ganze vita aus-
wendig gelernt. Anfangs sei er zwar etwas stutzig geworden,
weil er im titel die namensform Fridoldo, nicht Fridolino an-
gegeben fand. Als er aber auf einer anderen paginida von
der Überführung der Hilariusreliquie aus Poitiers nach einer
Rheininsel Alemanniens durch eben jenen Fridoldus gelesen
habe, da sei er überzeugt gewesen, dass dieser Fridoldus kein
anderer als Fridolinus und diese insel keine andere gewesen
sei als die, auf der sich sein kloster befände; denn wie Notker
wisse, hänge ja dort in einer kapsei verwahrt jene reliquie.
Leider sei es für ihn. der seine Verfasserschaft von dieser
faJsitas nicht ableugnen könne, obwol er alles wörtlich wider-
gäbe, schwer, ohne das zeugnis einer angesehenen persönlich-
keit sein werk durchzusetzen. Auch müsse er bekennen, dass
er nichts erwidern könne, wenn jemand ihm vorwerfe, seine
Schrift sei apokryph und verdammungswürdig, weil sie ohne
auftrag, sondern aus eigener initiative geschrieben sei. Ausser-
dem zweifle er nicht im geringsten, dass auch andere, gleichsam
vom düsteren russ der fackel des neides angeschwärzt, ihn
nicht den berichterstatter der Wahrheit, sondern den betrüge-
rischen scribenten einer ausgedachten geschichte nennen würden.
Deshalb übersende er ihm, dem Notker, sein werk mit der bitte,
zu entscheiden, ob es wert sei, dem feuer übergeben oder auf-
gehoben zu werden. Denn ihm sei es lieber, von Notker in
milder weise auf fehler aufmerksam gemacht zu werden, als
den absprechenden und nörgelnden urteilen der neider aus-
gesetzt zu sein.i)
Der scharfe angriff Wattenbachs, Geschichtsquellen I', 135,
^) Vgl. den brief Eberwines an den erzbischof Poppo von Trier, Ma-
billon, Acta saec. VI^, 372.
UEBER FABULISTISCIIE QUELLENANGABEN. 313
anm. und Krusch's eindringende erörternngen in der einleitung
seiner ausgäbe in den MG. haben Balthers werk für den
historiker unbrauclibar erwiesen. Baltlierus hat Hinkmars
Eemigiusvita aus einer hs. der dritten Masse gekannt, denn
das in dieser klasse interpolierte pseudo-hinkmarsclie mirakel,
welches dem bischof 3Ioderamnns zustösst, erzählt er von Fri-
dolin. Woher er zu seiner quellen an gäbe angeregt war, ist
also klar. Aber kaum darf man dem Verfasser einen schwe-
reren Vorwurf machen als den Verfassern des Diktys oder des
Dares. Von einer fälsclmng im sinne des historikers darf man
vielleicht reden, aber nicht im sinne des sittenlehrers. Baltherus
sagt doch eigentlich selbst deutlich genug heraus, dass es nicht
viel leute geben wird, die seine schrift für Wahrheit halten
werden, er bezeichnet sich selbst mit wenig schmeichelhaften
namen und dem Notker sagt er ziemlich deutlich ins gesicht,
dass er ihn bloss als folie brauche, um seiner arbeit ansehen
zu verschaffen. Selbst wenn Notker, wie es wahrscheinlich ist,
Balthers werk nie zu sehen bekommen hat, so dürfen wir das
dem Verfasser nicht schwer ankreiden. Denn wie er beurteilt
werden will, hat er dem leser unzweideutig gesagt. Er ist
der schalkhafte aretaloge, der sich zu verstecken scheint, wo
er hervortritt, und hervortritt, wenn er sich verstecken will.
Auf seiner Wanderfahrt in gesellschaft der gyrovagen mag-
er das handwerk noch besser gelernt haben. Denn viele
motive der antiken aretalogie hat das fahrende volk ins mittel-
alter hinüber gerettet. Das werden wir noch sehen.
Hinkmars Vita sei. Remigii kannte auch der anonyme
Verfasser der 3Iiracula sei. Martini ab. Vertavensis (MG. scr.
rer. merov. III, 567, 9 f.). In ihnen ist das von Hinkmar aus
der Vita sei. Remedii entnommene mirakel an einer toledanischen
Jungfrau auf einen toledanischen jüngling übertragen und teil-
weise mit Worten Hinkmars erzählt. Auch die quellenangabe
steht unter Hinkmars einfiuss. Der Verfasser sagt: er könne
leider wenig über den gottesmann Martinus berichten, weil die
lebensbeschreibung Martins einst in Castro Toaricense ver-
brannt sei. Glücklicherweise sei aber ein kleines buch, ver-
schiedene carmina enthaltend, übrig geblieben und darin habe
sich auch eine gekürzte, in schönem und wolklingenden rhythmus
abgefasste vita des heiligen gefunden. Als der Verfasser nun
314 WILHELM
ZU dem kloster, in dem die gebeine des heiligen ruhten, ge-
kommen sei, hätten ihn die klosterbrüder und vor allem der
abt Eainaldus mit der bitte bestürmt, aus dem rhythmus eine
conscriptio planne oraüonis zu verfertigen. Weil er die bitte
nicht ausschlagen konnte, habe er alles mit ausnähme des in
poetischer form erzählten in prosa umgeschrieben, sich aber
dabei der weise der Interpreten bedient und nicht wort für wort,
sondern sinngemäss übersetzt. Weiter habe er entsprechend
der bitte der klosterbrüder hie und da erweitert und ferner
die berichte derer, die noch das verbrannte Martinsleben ge-
kannt hatten, sofern sie sich nicht mit dem im rhythmus er-
zählten deckten, hinzugefügt. Das, was im erhaltenen codex
stand, habe er in seinem ersten buche (ASS. Okt. X, 806 f.), das
übrige, die mkacida post mortem, in seinem zweiten (MG. a.a.O.)
zusammengefasst.
Dass wir es auch bei dieser quelleuangabe mit fabeleien
zu tun haben, hat wider Krusch s. 565 deutlich bewiesen.
Ausser dem aus Hinkmars Eemigiusleben entlehnten mirakel
zu Toledo überträgt der Verfasser ein wunder des Martinus
Turouensis auf seinen Martinus Yertavensis und lässt ausserdem
diesen mit dem zweihundert jähre vor ihm lebenden bischof
Maximinus von Trier nach Rom pilgern. Das klostermilieu
ist vielleicht aus Balthers Fridolinsleben entnommen, doch kann
das schliesslich auch eigene zutat sein. Krusch nennt den
Verfasser vom Standpunkt des historikers aus wider einen
fdlsarius, aber man darf ihm nicht einmal den Vorwurf der
lüge machen. Denn wenn er sagt, er habe aus dem rhythmus
nur das widergegeben, was nicht poetisch sei, so heisst das
doch nur so viel als: ich habe den rhythmus gar nicht be-
nutzt, und ob er dann existiert hat oder nicht, ist doch ziem-
lich einerlei. Der Verfasser versteckt sich nach der fabulisten-
weise hinter das wort poetice. So etwas ist ziemlich unschuldig
und der literarhistoriker muss hier das harte urteil des histo-
rikers mildern.
Ganz ähnliche quellenangaben, wie in dem eben bespro-
chenen heiligenleben, finden sich in der Fraefatio zur Vita sei.
Broctovei ab. Parisietisis, die um 860 von Giselmar, einem
mönch aus Saint-Germain, verfasst wurde (MG. scr. rer. merov.
III, 537). Ein teil der angaben Giselmars lässt sich als richtig
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 315
nachweisen. Cap. 14 (541, 20 f.) erzälilt er, dass die kirclie
seines klosters nicht bloss einmal, sondern beinahe auch ein
zweites mal den feuerbränden der Dänen zum opfer gefallen
wäre. Tatsächlich wurde St. Germain dreimal von den Nor-
mannen gebrandschatzt und das dritte mal, 861, wäre fast
das ganze kloster eingeäschert worden. Giselmar schrieb also
vor 861, aber nach 857, dem jähre des kellerbrandes (näheres
bei Krusch 536, 10 f.). Auch was er über die benutzung von
Gregors Frankengeschichte und den dichtungen Fortunats
sagt, ist richtig. Trotzdem muss aber seine quellenangabe
in die reihe der auf der rhetorisch-aretalogischen tradition
der antike beruhenden quellenzeugnisse gestellt werden. Schon
der anfang der vita zeigt, woran Giselmar anknüpft. Der
alten besondere sorge, sagt er, sei es gewesen, vorzubeugen,
dass der Scharfsinn ihres geistes und der ruf ihrer beredsam-
keit ganz durch trägheit oder schweigen untergienge. Daher
sei es gekommen, dass sie nicht durch gute sitten und werke,
sondern mit erdichtetem und mit Schriften bei der nachweit
sich ein denkmal zu setzen gesucht hätten. Wenn aber die
alten sich nicht gescheut haben, falsches zu erdichten, weshalb
sollte man sich scheuen, die wahrgesprochenen denkmale der
in Christo gläubigen schriftlich aufzuzeichnen? Das sind ganz
die gleichen gedanken Avie bei Otfrid 1, 1, 1 f. So dachte man
auch am hofe Ludwigs des frommen.
Nach dieser allgemeinen einleitung gibt Giselmar an, er
habe das leben des hl. Droctoveus, eines Schülers des hl. Ger-
manus, stilgerecht geschrieben und sei dazu mehr durch seine
Verehrung für den heiligen, als durch dreisten hochmut be-
wogen worden. Das einmal in St. Germain vorhandene Droc-
toveusleben sei bei der Zerstörung des klosters durch die Dänen
mit anderen büchern der bibliothek im brande untergegangen.
Damit aber niemand sein werk mit dem einwand bekämpfe,
die darin erzählten miracula seien zweifelhaft, weil longo senio
aevi eins gesta tradita ohlivioni nullum penitus memoriale sui
nosirae manclavere aetati, verweist Giselmar auf die dichtungen
des Fortunat und Gregors Frankengeschichte als seine quellen.
Am ende dieser ausführungen erwähnt er auch die benutzung
einer Urkunde, nach der Droctoveus als erster zum abt von
St. Germain bestimmt worden sei. Diese Urkunde wäre in
316 WILHELM
tJiomis antiquissimis , die im kloster St. Germain A^erwalirt
würden, erhalten. An dieser notiz zeigt sich deutlich, dass es
auch Giselmar mit seinen quellenangaben nicht so g-enau
nimmt. Kaum wird jene wahlurkunde so gross gewesen sein,
dass sie in mehreren bänden aufbewahrt werden musste. Es
ist jene literarisch - rhetorische Übertreibung, die dem leser
mehr vertrauen zur Wahrheit des vorgetragenen einflössen will,
aber keineswegs vertrauenerweckend wirkt. Dass Giselmar
auch Fortunats leben vom hl. Germanus (BHL. 517, no. 1) und
die passiones der hll. Symphorianus (BHL. 1153, no. 1) und
Yincentius (BHL. 1247, no. 1) für sein werk benutzte, sagt er
nicht, vgl. Krusch 536, 29 f.. Wie es sich in diesem falle mit
dem verbrannten buch verhält, wird sich kaum mehr recht
entscheiden lassen. Aber dass die quellenangaben Giselmars
in den von uns besprochenen kreis hineingehören, hat die ge-
schichte von der wahlurkunde des Droctoveus deutlich gezeigt.
Auf alte, widergefundene Schriftstücke und die erzählungen
von eingeborenen beruft sich auch der Verfasser der MG. scr.
rer. merov. III, 389 abgedruckten Vita sei. Carilefß sac. et ab.
Anisolensis. Er ruft sogar den heiligen geist zum zeugen
dafür an, dass er wahres berichte. Aber diese auslassungen
sind nicht anders zu beurteilen als die schon besprochenen
quellenangaben (Krusch 388, 17 f.). Weil sie sonst nichts inter-
essantes für uns bieten, können wir sie kurz erwähnend über-
gehen.
Auf den Zusammenhang mit klassischen Studien werden
wir wider durch den abt Heriger von Lobbes, den Verfasser
der Translatio sei. Landoaldi Sociorumque (MG. SS, XV, 2, 602 f,)
geführt. 603, 30 f. beruft sich Heriger auf einen Frangerus,
der bei der translatio der heiligen von Wintershoven nach
Gent zugegen gewesen sein soll. Frangerus habe neun jähre,
bevor die Normannen plündernd einfielen, in Wintershoven, der
ehemaligen ruhestätte der heiligenreliquien , gelebt. Von ihm
habe der vor wenigen jähren vom presbyter Sarabertus mit
eigener band begrabene presbyter Hildebrant die von Heriger
berichtete geschichte. Frangerus habe dem Hildebrant, und
viele hätten das dem Hildebrant bezeugt, von einem buche,
das das leben der heiligen behandelte, erzählt. Dieses buch
sei von alter band geschrieben gewesen, aber von darauf
ÜEBER FABULTSTISCIIE QUELLENANGABEN. 317
geträufeltem wachs fast unleslicli und schliesslich bei dem
einfall der Ungern, infolge der geringen fürsorge der Wächter,
mit anderen dingen ein raub der flammen geworden. Daraus
habe Frangerus seine aussagen über die heiligen entnommen.
Keiner der drei gewährsmänner, Frangerus, Hildebrant
und Sarabertus, ist nachweisbar, der hl. Landoald und seine
genossen nicht vor Herigers translatio. Die reden der heiligen
in Herigers werk strotzen von Wendungen aus Yirgil und
anderen antiken autoren. Sie haben gewiss nicht so gelautet.
Das sind gründe genug, der quellenangabe Herigers grösstes
mistrauen entgegenzubringen und sie nicht anders einzuschätzen
als die schon besprochenen. In dieser auffassung wird man
nur noch bestärkt werden, wenn man liest, dass der bischof
Notker von Lüttich bei der anfrage Herigers, ob das abfassen
einer Translatio sei. Landoaldi sociorumque genehm sei, zu-
stimmend genickt habe. Die innige freundschaft beider männer
ist hinlänglich bekannt (ADB. 12, 111), und ihr eifer in den
klassischen Studien desgleichen. Ihre Interessen lagen ganz
wo anders als auf dem eigentlichen gebiet der hagiographie.
Wir dürfen wol annehmen, dass sie auf das 'stilgerecht' mehr
wert legten, als auf eine wortgetreue widergabe ihrer angeb-
lichen quellen. Für sie, die sich gegenseitig bei ihren lite-
rarischen arbeiten unterstützten, war es eine passende gelegen-
heit, ihre Vertrautheit mit dem klassischen stil zu zeigen.
Ihre quellenangabe war ein Zugeständnis an die allgemeinheit,
die sich eben die lebensbeschreibung und die translation eines
heiligen mit gutem instinct nicht ohne zeugen denken konnte.
Böser wille braucht übrigens bei solchen gebeinaufflndungen
und reliquientranslationen nicht vorhanden gewesen zu sein
und war es wol auch hier nicht. Dafür darf nur auf die ent-
deckung der reliquien der hll. Gervasius und Prothasius durch
den hl. Ambrosius von Mailand verwiesen zu werden: die ab-
sieht zu betrügen war da vollkommen ausgeschlossen.
Andere beispiele von merkwürdigen buchauffindungen und
buchverlusten begegnen uns nicht weit von Herigers wohnsitz
in Trier. Auch hier haben wir es mit fabulistischen angaben
zu tun. In der in den ASS. Jan. II, 922 veröffentlichten Vita
SS. Eucliarii, Valerii et Materni heisst es in der schlussnotiz,
dass der Verfasser das, was er über die taten der hll. väter
318 WILHELM
berichte . in zerstreuten blättern geschrieben gefunden habe,
als man nach der Zerstörung von Trier die asche auf ihre
reste hin untersuchte.
Im prolog zur Vita sei. Paulini ep. Treverensis (ASS. Aug.
VI, 676) werden als quellen für die folgende biographie erzäh-
lungen älterer leute und zerstreute notizen in den büchern
über die heiligen väter genannt. Der unbekannte, offenbar
Trierer Verfasser, versichert, dass früher in Trier ziemlich
umfängliche volumina über die gesta Paulini existiert hätten;
sie seien aber nach gottes unerforschlichem ratschluss ein raub
der flammen geworden.
Aehnlich lautet die quellenangabe in der Vita sei. Felicis
ep. Treverensis (ASS. Mart. III, 622 D f.). Durch die häufige
Verwüstung Triers seien viele lebensbeschreibungen von Trierer
heiligen im feuer zu gründe gegangen und längst wol wären
nach der meinung des Verfassers deshalb die organa zum lobe
dieser heiligen an den wassern des Trierer Babels (s. Ps. 136,1)
verstummt, wenn sie nicht erneut worden wären durch die
wenigen tropfen eines so grossen meeres, welche sich in alten
zetteln und in die erde vergrabenen, bleiernen oder marmornen
tafeln befanden. Nach dieser bombastisch-schwülstigen angäbe
erklärt der geistliche fabulist das spärliche, was er über das
leben seines heiligen in zerstreuten notizen gefunden habe,
kurz zusammenfassen zu wollen. Er hätte es entschieden
kürzer tun können. Sein vorbild war die Martinusvita des
Sulpicius. Er hat sie eifrig studiert, aber weder inhaltlich
noch stilistisch erreicht. Mit seiner quellenangabe hat er
offenbar diejenige der Vita sei. Paulini nachgeahmt. Schon die
nennung des hl. Paulinus deutet darauf hin.
Nicht viel anders steht es mit dem, was der abt Stephanus
von Lüttich in der praefatio zu seiner um 1107 verfassten
Schrift Vita et miracula sei. Modoaldi ep. Treverensis (ASS.
Mai III, 51 Cf.) über seine quellen berichtet. Die Verwüstungen,
mit denen die barbaren Gallien und Trier heimsuchten, sind
nach ihm der grund, dass quellenschriften über das leben des
hl. Modoald fehlen. Trotzdem will Stephanus das, was er da-
rüber aus den erzähl ungen älterer leute und der lectüre
'authentischer' (!) Schriften erfahren hat, in seinem werke
ÜEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 319
zusammenfassen. Ein antiker aretaloge oder sclireiber einer
rpsv6/)g loroQia hätte nicht schöner fabulieren können.
Auch der abt Nizo von Mettlach, Verfasser einer Vita sei.
JBasini ep. Treverensis gehört in diesen cliorus. Nach seiner
praefatio (ASS. Mart. I, 315 D f.) ist die furibunda rahies der
Normannen für den mangel an quellen über das leben seines
heiligen verantwortlich. Durch sie sei nämlich nicht bloss die
Vita sei. Basini verloren gegangen, sondern noch eine grosse
zahl anderer Acta Sanctorum. Weil es aber doch nützlich und
heilbringend sei, ea, quae de celehri eins vita ad nos emanarunt,
der nachweit zu überliefern, soll trotz des fehlens einer quelle
dem leser eine stilgerechte Basinusvita geboten werden.
Solche angaben erinnern sehr an die Reimser hagiographie,
sie werden aber auch in Trier von alters her üblich gewesen
sein. Denn nirgends stak man so tief in antiken traditionen
wie hier, und nirgends war man auch so stolz darauf. Eine
altera Borna nennt Stephanus in seinem Modoaldusleben die
Stadt, und stolz citiert der Verfasser der Gesta Treverorum
(MG. SS. VIII, 131, 6 f.) die verse des marmornen Epitaphiums,
welches Hero seinem vater Trebetas, dem gründer von Trier,
setzte. Auch auswärts scheint dieses offenbar 'ausgegrabene'
denkmal furore gemacht zu haben, denn in seiner Willibrordus-
vita verweist Thiotfrid pietätvoll auf diese jüngst in einem
grabe entdeckte aufschrift, und nicht minder ehrfurchtsvoll tut
dies Otto von Freising I, 8 (vgl. MG. t. c. 131, 49 f.).
In Trier hat man aber auch noch eine andere buchauffin-
dung gemacht. Sie ist entschieden die originellste, entbehrt
jedoch nicht ganz eines kirchenpolitischen Zweckes. Dort ent-
deckte man nämlich das buch Hay Matay (n-^n^ ti), d. i. das
leben Matthiae. Nach dem prolog der wahrscheinlich •) anonym
^) Gegen die Verfasserschaft des mönches Lambert, die seit Hilar (vgl.
Waitz, MG. SS. Yin, 226 f.) angeiiommen wird, spricht die nichterwähming
des wideraufbaues der 1131 abgebrannten klosterkirche von St. Eucharius
und deren weihe durch Engen III. Die auf den prolog folgende widmung
ist ausser in den von Lazius benutzten hs. nur noch in der von Hilar
citierten Trierer vorhanden; in allen übrigen fehlt sie. Nur in der von
Hilar eingesehenen hs. finden sich in der widmung die uameu von Lambert
und dem seit mitte des 12. jh.'s regierenden abte Ludwig. In der widmung
steht nichts, was nicht aus dem prolog stammen könnte. Mir scheint es
kaum glaiiblich, dass der Verfasser der auf das Hay Mathay zurückgehenden
320 WILHELM
Überlieferten Acta sei. MaUhiae (ASS. Febr. III, 441 f.) gieng
das folgendermassen zu. Der Verfasser, ein möncli des dem
lil. Eucliarius und seinen genossen geweihten klosters in Trier,
hatte den heissen wünsch, das leben und die taten des hl.
Matthias, die er bei keinem kirchenschriftsteller entdecken
konnte, aufzufinden. Da er bei seinen bemühungen keinen
erfolg hatte, wurde er niedergeschlagen. Ein priester mit
dem namen Theodorus, der ihn nach dem grund seines trüben
Wesens fragte, und dem er ihn angab, verwies ihn an einen
Juden, der im besitz eines buches sei, das den titel Liber
Damnatorum führe und von dem ende des Matthias, der beiden
Jakobe und des Stephanus berichte. Es traf sich gut, dass
der Verfasser gerade damals bei einem Juden Unterricht im
hebräischen genommen hatte. Er begab sich zu dem von
Theodorus bezeichneten Juden, bekam aber anstatt des Liber
Damnatonim die schrift Sir Hasirim (ni-iiu:!! -iim), d. i. das hohe
lied. Darüber war er so entrüstet, dass er beinahe mit der
hand ausgefahren wäre, denn der Jude wollte ihn aus an-
geborenem hass gegen die Christen täuschen. 'Wie, du schmie-
riger krämer', sagte er, 'du willst einen cleriker, der tiefgelehrt
in den hebräischen, griechischen und lateinischen Wissenschaften
ist, täuschen? Kaum ist etwas griechisches oder lateinisches
in eurer bibliothek, das ich nicht kenne.' Der Jude bekam es
mit der angst zu tun, weil er glaubte, es könne ihm bei seinem
vorgesetzten, zu dem der Verfasser in guten beziehungen ge-
standen haben will, schaden. Er versprach alles wider gut
machen zu wollen und brachte ein buch mit dem titel Hay
Mathay her. "Weil er glaubte, der Verfasser verstünde alles,
was in dem buche enthalten war, übersetzte er den ganzen
inhalt der Wahrheit gemäss für einen lohn von 23 solidi. Nach
einem jähr bezeugte ein anderer Jude dem erzbischof von Trier,
acten sich das datum der für Trier und die apostelreliqiiien wichtigen con-
secration der klosterkirche zu St. Eucharius entgehen Hess , wenn er die
ASS. t. c. 448 E f. und MG. SS. t. c. 228 f. veröffentlichten acteu benutzt
hätte (s. Waitz s. 226 f.). Seine neiguug ist es gerade, mit festen daten zu
paradieren. Ich kehre also zu der ansieht von Henschen (ob das Lipsius
stillschweigend getan hat, weiss ich nicht) zurück und meine, entweder
sind die namen Lambert und Ludwig oder die an sehr merkwürdiger stelle
stehenden widmungsworte überhaupt Interpolation.
ÜEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 321
dass alles in des Verfassers werk richtig sei. Er bestritt
nur, dass in dem anfangs wort des dritten verses von psalm 41
(42) mathay (Tn = wann) eine anspielung auf den namen des
apostels enthalten sei. Dem Juden war bei dieser Zeugnis-
ablegung mit dem Verlust seiner ganzen habe gedroht worden.
Zu gleicher zeit wurde einer nonne nach dreitägigem fasten
ebenfalls der Inhalt der acta als wahr geoffenbart.
Aus den citaten der acta ergibt sich, dass der Verfasser
ein paar hebräische worte wusste. Er hat sie aber kaum von
einem gelehrten Juden, sondern aus irgend einem bibelcommentar.
Die hebräischen kenntnisse giengen keinenfalls tief. Das zeigt
deutlich die falsche transcription der hebräischen buchstaben
chet und schin durch li und s. Eine hebräische grundschrift,
als angebliche quelle, wählte sich aber der Verfasser nicht
aus renommisterei, wie man leicht meinen könnte, sondern aus
ganz bestimmten gründen. Er knüpfte an die quellenangabe
der Abdiassammlung an. "Wollte er nämlich seinem Matthias-
leben glauben und ansehen verschaffen, so konnte er sich nur
auf ein buch berufen, das mit der angeblichen quelle der
Abdiassammlung gleichzeitig und gleichsprachlich war, und
dieses konnte nur, wie das werk des Abdias selbst, eine alte
hebräische schrift sein. Vor lauter betonen seiner hebräischen
quelleuschrift ist der Verfasser aber aus dem concept gekommen.
Seine entrüstung lässt sich vollkommen begreifen, als ihm der
Jude statt des Liber Bamnatorum das Hohelied gab, aber
nicht recht fassbar ist es, weshalb er sich dann mit dem buch
Hay Mathai/ zufrieden gab und nach dem Liber Damnatorum,
das doch drei heiligenleben und vielleicht auch von dem Uaij
Mathaij abweichende nachrichten bot, nicht weiter forschte.
Der Verfasser ist nach 1131 an die arbeit gegangen, denn er
erwähnt den brand der klosterkirche von St. Eucharius (ASS.
t. c. 447 F), der, wie die wahrscheinlich von dem Trierer mönch
Lambert nach 1148 verfassten Matthiasacten (ASS. t. c. 450 D;
LpA. II, 2, 267 f.) berichten, 1131 sich ereignet hat. Wahr-
scheinlich fällt die abfassung der Hay Mathay-exteii aber erst
in das fünfte Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts. Die darin an den
tag tretende antisemitische tendenz passt am besten in die
jähre 1145/46, als durch die kreuzzugsbewegung der hass der
Christen gegen die Juden entfacht T\Tirde und förmliche juden-
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche, XXXIH. 21
322 WILHELM
hetzen entstanden. Ueber das jabr 1147 darf man die nieder-
scbrift aber kaum hinausschieben, weil sonst wol. wie in Lam-
berts acten, der an den iden des Januars 1148 durcli papst
Eugen III. vorgenommenen weihe der wider neu errichteten
klosterkirche gedacht worden wäre. Ist diese datierung richtig,
dann liegt es nahe, anzunehmen, dass die schrift mit rücksicht
auf die voraussichtliche anwesenheit Eugens in Trier verfasst
wurde. Es war die günstigste gelegenheit, von dem mit seinen
Römern verzankten papst Zugeständnisse zu erlangen und eine
art beglaubigung über die echtheit des Trierer apostelgrabes
zu erwirken. Ein apostelgrab hat man aber ausserhalb Roms
nie gern gesehen, vor allem in einer Stadt nicht, die sich als
altera Borna gerieren wollte. Sobald die politische Situation
für das papsttum besser geworden war, hat man auch von
Rom aus die echtheit des Trierer apostelgrabes energisch an-
gefochten und ihm durch ablasse genau so wie dem in Sant
Jago concurrenz gemacht. Es wäre dann weiterhin nicht
unmöglich, dass der Jude, der ein jähr nach der auf findung
des Hay 3Iatliay dem erzbischof von Trier die Wahrheit des
Inhaltes der angeblich darauf fussenden acten bezeugen musste,
wirklich vernommen worden ist, natürlich dann unter schweren
androhungen oder gar folter. Wir können offenbar nicht in
alle geschichtlichen Vorgänge jener tage hineinsehen und jeden
faden, der damals gesponnen wurde, erkennen. Sehr wenig
vertrauenerweckend ist es, dass gerade diese acten wahrschein-
lich anonym in die weit gesetzt worden sind, da der Verfasser
doch durch das entdeckte Hay Mathay, wenn es eben existiert
hätte, sich einen namen machen und mit gutem gewissen auch
hätte nennen können. Hier ist etwas nicht in Ordnung. Ich
halte die Trierer Hay Mathay -acten für das am wenigsten
harmlose, was seit Hinkmars Remigiusvita auf hagiographischem
gebiete geschrieben worden ist. Literarisch knüpfte ihr Ver-
fasser an seine hagiographischen Vorgänger an und literarisch
hat er nicht anders als diese gewirkt. Deshalb gehört seine
quellenangabe hierher.
Unschuldiger ist die geschichte von der auffi.ndung einer
Albanusvita unter Eadmar dem 9. abt von St. Albans, über
die Matthaeus von Paris in seinen Vitae viginti trium S.
Alhani abb. (hg. AMlhelm Wats, S. 25 D, sp. b f.) ausführlich be-
ÜEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 323
riclitetJ) Eadmar hatte nacligrabungen in der alten Römer-
stadt Veriilam anstellen lassen. Dabei stiessen seine gräber
auf einen in die niauer eingelassenen hohlraum, der einem
almariolum (d. i. wol ^= hnocMamer, s. Diefenbacli, Gl. lat.-
germ. 48 c f.) glich und neben kleineren büchern und rollen,
cumsdam codicis ignotum volumen enthielt. Weil das buch
da so lange gelegen, war es ein wenig defect. Sprache und
Schrift waren wegen ihres alters unbekannt, die buchstaben
aber schön in der form und deutlich, die Überschriften glän-
zend in goldenen, verzierten lettern. Eichene deckel und
seidene bänder hatten für einen grossen teil des buches die
ehemalige deutlichkeit und Schönheit erhalten. Endlich, nach-
dem man lange schon sich bemüht hatte, näheres über das
buch zu erfahren, trieb man einen uralten priester, namens
Vnvvona auf, der die verschiedensten sprachen und alphabete
kannte und auch die schrift dieses buches entzifferte. Die
übrigen hss., welche in diesem almariolum gefunden wurden,
las er gleichfalls, ohne zu zweifeln. Das grosse und rätsel-
hafte buch war eine Uistoria de sco. Älhano Änglorion proto-
martyre. Es war in der schrift geschrieben, deren sich die
einstigen einwolmer von Verulam bedienten; seine spräche
war brittisch. Die übrigen bücher, lateinisch geschrieben,
enthielten heidnische öpferriten, gebete an Phoebus und Mer-
curius, von den Engländern Vvoden genannt: sie wurden
sammt und sonders als teuf eiswerke verbrannt. Die in 'eng-
lischer' oder 'britannischer' spräche geschriebene Albanusvita
liess Eadmar nach den Worten des alten priesters durch be-
gabte brüder im convent erklären und durch öffentliche pre-
digt verbreiten. Nachdem aber die vita ins lateinische über-
setzt war, zerfiel — es klingt wie ein wunder — das brittische
original plötzlich un widerherstellbar in staub. Das heisst doch
uz der hühsen gießen stouhine mergriezen!
Aehnliche buchentdeckungen wie in Frankreich, Deutsch-
land und England wurden auch in Italien gemacht. So be-
richtet Alexander ab Alexandro in seinen Genial. Dier. 3, 15
') S. auch Wattenbach, Schriftwesen^ s. 413. R. Priebsch hat mich
mündlich darauf aufmerksam gemacht, dass auch bei deu Iren ähnliche
geschichten zu finden seien,
21*
324 WILHELM
(auch Felix Liebreclit, Des Gervasius von Tilbury Otia im-
perialia, Hannover 1856. s. 160). dass zu den zeiten Ferdinands,
des ersten königs von Arragonien, der heilige mann Cataldus
nach tausend jähren einem seiner nachfolger auf dem Taren-
tiner bischofsstuhl im träum erschienen sei und ihn aufgefordert
habe, ein von ihm verfasstes, an einem entlegenen ort ver-
borgenes buch über göttliche geheimnisse auszugraben und
vor den könig von Neapel zu tragen. Der priester habe den
traumgesichten zuerst keine grosse beachtung geschenkt, bis
ihm endlich bei einer nachtwache Cataldus im bischofsornat
erschienen sei und ihm unter androhung schwerer strafe be-
fohlen habe, beim nächsten morgengrauen seinem auftrag nach-
zukommen. Der priester sei daher am folgenden tage mit
einer grossen prozession dahingezogen, wo seit langem das
buch des Cataldus verborgen lag. Dort sei es mit tafelartigen
bleiplomben und nageln versiegelt aufgefunden worden. Sein
inhalt seien allerhand Prophezeiungen für den könig gewesen,
die sich später alle sanimt und sonders erfüllt hätten.
Für uns ist diese mit Neapel in Zusammenhang gebrachte
geschichte deshalb interessant, weil die gleiche in der sage
vom Zauberer Virgil vorkommt. Gervasius von Tilbury er-
zählt sie in seinen Ot. imp. cap. 112 (Liebreclit s. 49f.): Einst
sei zu könig Roger von Sicilieu ein hochgelehrter, im trivium
und quadruvium wolbewanderter, auch mit physik und astro-
nomie engvertrauter magister englischer nation gekommen und
habe ihn um die gebeine des dichters Yirgil gebeten, wenn
er, der Engländer, sie innerhalb der grenzen des königreichs
auffinden könne. Der könig habe die bitte gewährt, und der
Engländer sei mit geleitsbriefen versehen nach Neapel ge-
zogen. Dort habe er in einem berg, wo kein riss auch nur
eine spur von einem grabe angedeutet habe, durch seine kunst
allein die letzte ruhestätte des dichters gefunden. Die stelle
sei angegraben und nach vieler mühe das grab blossgelegt
worden. Darin habe er Virgils körper und zu dessen häupten
die ars notatoria mit anderen in Charakteren geschriebenen
Studien von Yirgil gefunden. Aus dieser ars notatoria will
Gervasius selbst auszüge, die sich ein cardinal Johann von
Neapel, ein Zeitgenosse des papstes Alexander, angefertigt
habe, gesehen haben (s. auch Germ. 4, 293 f.).
UEBER FABULISTISCIIE QUELLENANGABEN. 325
Es ist sehr wol möglich, dass einmal ein Virgil Verehrer
aus England bei Roger nm die erlanbnis, nach dem grabe des
dichters forschen zu dürfen, gefragt hat. Er wird auch nach-
gegraben und vielleiclit die aufmerksamkeit der Neapolitaner
auf sich gelenkt haben. Er ist möglicherweise auch auf irgend
ein altes grab gestossen, doch wird er bei seinen ausgrabungen
kaum ein so geheimnisvolles buch, wie Gervasius berichtet,
gefunden haben, vorausgesetzt dass es nicht von vornherein
auf einen schwinde! angelegt war. Trotzdem braucht aber
nicht daran gezweifelt zu werden, dass dem Gervasius aus-
züge aus diesem angeblich damals aufgefundenen Virgilwerk
vorgelegt wurden. Als Gervasius nach Neapel kam, gab es
schon eine Yirgilsage und der grosse epiker war zum wol-
täter und Schutzpatron der Neapolitaner geworden. Ihn fürch-
teten sie wie einen heiligen und ihn suchten sie sich gut zu
stimmen, wie man sich einen fürsprecher im himmel geneigt
zu stimmen sucht. Der volksmund hatte auf ihn auch heiligen-
wunder übertragen. So wie man bei ihm die ars notaforia
fand, hatte man schon im jähre 458 bei der ausgrabung der
gebeine des hl. Barnabas auf C3^pern auf der brüst des heiligen
liegend ein von ihm eigenhändig geschriebenes Matthaeus-
evangelium gefunden (LpA. II, 2, 300 f.). Auch hier haben wir
also wider das alte, aus den östlichen mittelmeerländern stam-
mende motiv von der buchaufflndung im grabe eines längst
dahingeschiedenen.
Bis jetzt sind bloss werke der mittellateinischen literatur
zum beweis für die häufigkeit des antik-aretalogischen buch-
auffindungsmotives bei quellenangaben im mittelalter heran-
gezogen worden. Es hat sich gezeigt, dass die hagiographen,
also gelehrte, des lateinischen mächtige männer, mittelbar,
aber auch hie und da unmittelbar, das motiv aus dem klassi-
schen altertum in das mittelalter hinübergeleitet haben: geist-
liche schriftsteiler haben es in der mittelalterlichen literatur
heimisch werden lassen. Nur einmal haben wir bis jetzt den
einfluss eines anderen Standes auf eine solche quellenangabe
vermutet. Balther, der Verfasser der Fridolinsvita, hatte, wie
wir hörten, sich mehrere jähre unter den fahrenden herum-
getrieben. Vielleicht ist es richtig, dass er einstmals die
klosterschule von St. Gallen besucht hat, und er könnte daher
326 WILHELM
durch literarische quellen zu seiner angahe veranlasst worden
sein. Es ist aber auch nicht unmöglich, dass er auf seinen
Zügen als handwerksbursche mit seinesgleichen, fahrendem
Volk, zusammengekommen ist und von diesen ähnliches gelehrt
oder wenigstens zu seiner quellenangabe teilweise mit angeregt
worden ist. Es ist bekannt, wie gerade die fahrenden Sänger,
die minien und Jongleure allerhand aus dem klassischen alter-
tum hinübergerettet hatten. Vom verbummelten rhetor und
Verl lederten docenten des spätrömischen altertums bis zu den
bänkelsängern des mittelalters, denen die aus dem kloster ent-
Avichenen cleriker und der pfarre sich entziehenden geistlichen
neues blut zuführten, geht eine ununterbrochene historische
kette. Es darf daher nicht wunder nehmen, wenn wir auch
bei Schriftstellern, die mit den spielleuten in enger fühlung
standen, oder bei diesen selbst ähnliche aretalogische quellen-
angaben finden.
In der französischen literatur sind sie schon meist national
gefärbt, denn weitaus am häufigsten berufen sich die fran-
zösischen spielleute auf bücher zu St. Denis. Der Zusammen-
hang mit der hagiologie ist klar, wenn man sich an die schrift-
stellerische tätigkeit Hilduins und Hinkmars und an das grosse
Interesse erinnert, welches die späteren Karolinger der Ver-
ehrung des hl. Dionj^sius entgegenbrachten. Hier in St. Denis,
wo die kostbarsten reliquien aufbewahrt (s. auch WDLL. 158)
und die fi-anzösischen köuige zur letzten ruhe gebettet wurden,
war geweihter, jedem Franzosen heiliger boden. Nichts war
also natürlicher, als dass die Jongleurs, wenn sie die liebe
ihrer beiden zur dolce France priesen, ihre vortrage durch
berufungen auf im nationalheiligtum gefundene oder verwahrte
Schriften glaubhafter zu machen suchten. So war der antike
gebrauch des fabulistischen quellencitats zeitgemäss um-
gemodelt in den dienst der nationalen idee getreten, eine
erscheinung, mit der Frankreich gewiss allein dasteht, und die
auch im kleinen, die hier im gegensatz zu Deutschland vor-
hersehende richtung nach national -politischer concentration
erkennen lässt. Schon in der bloss der Oxforder hs. fehlenden
tirade lila (nach Stengels text) der Chanson de Roland wird
V. 14371 auf eine zu St. Denis befindliche geste hingewiesen.
Sie verbürge alle beim tode Rolands vorgefallenen wunder
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 327
schwarz auf weiss. Ein ähnliches citat findet sich auch v. 1684
in den hss. V. C5. LP 6. Die franco-italiänische bearbeitung
der chanson, V^, beruft sich gleich im anfang auf eine zu St.
Denis befindliche französische geste.
Eingehender ist schon die quellenangabe im Fierahras
V. 2 f. *) Der Verfasser weist energisch den Vorwurf der lüge,
der ihm etwa gemacht werden könnte, zurück, denn die von
ihm erzählte geschichte stehe in einem zu St. Denis gefundenen
buche, das dort 150 jähre verborgen gelegen habe. Von diesem
buche, aber nicht von den 150 jähren, weiss auch die von
Immanuel Bekker herausgegebene provencalische bearbeitung
des Fierabras, v. 32 f. Dort werden an der dem französischen
text entsprechenden stelle noch bischöfe, äbte, cleriker, raönche,
priest er und heilige als zeugen für die Wahrhaftigkeit des vor-
getragenen augerufen. In der ersten tirade dieser bearbeitung,
die uns in den hss. des französischen Fierabras nicht erhalten
ist, erfahren wir mehr. Nach ihr wurde die quelle im kloster
St. Denis bei Paris unter dem hauptaltar gefunden. Der glück-
liche finder war ein mönch namens Richier.
Auf Chroniken in der abtei St. Denis beruft sich auch die
einleitung der hs. c vom Doon de Maience (vgl. Peys ausgäbe
s. 348). Vielleicht war in der ursprünglichen fassung derselben
auch von einer buchauf findung die rede: die Überlieferung des
gedichtes ist sehr schlecht und der verderbte v. 12 der hs. a
scheint darauf hinzudeuten.
In den werken des Adenet le roi, die nationale Stoffe be-
handeln, begegnen die gleichen quelleuangaben. Auch da ist
St. Denis der ausgangspunkt alles wahren. Adenet hat es
dabei verstanden, die grazie des Romanen mit der Schalk-
haftigkeit des internationalen Jongleurs zu vereinen. Seine
quellenberufungen sind hochpoetisch. Selbst der griesgrämigste
moralist w^ii'd sich diesem eindrucke nicht entziehen können.
In seinen Enfances Ogier erzählt er, dass er zur zeit, da der
Winter aufhört und die bäume zu blühen, die kräuter emporzu-
spriessen beginnen, nach St. Denis in Frankreich gegangen sei,
*) Meinem collegen dr. Leo Jordan verdanke ich den hinweis auf den
französischen Fierabras und Doon de Maience. Er macht auch noch auf
Floovaut V. 9—13 aufmerksam.
328 WILHELM
um nachzuforschen, ob vielleicht sich dort etwas finde, worauf
er in Wahrheit die erzählung gründen könne. Denn er habe
nichts weiter hinzufügen wollen, was nicht wahr sei, und
wolle lügenhaftes, wo es sich fände, bekämpfen und ausjäten.
Ein feingebildeter mönch, Nikolaus von Reims genannt, habe
ihm dort die geschichte vom anfang bis zum ende erklärt
(Hist. litt, de la Fr. 20, 698). Derselbe Niklas tritt auch in
Adenets Bueve de Commarchis als vermittler einer zwar
schönen, aber schlecht gereimten quelle auf (Gröbers Grundr.
22, 1, 783). Sein romans de Berte aus grans pies beginnt mit
einer den Enfances Ogier ganz ähnlichen Quellenangabe. Am
ende des April, zur herrlichen und schönen zeit, da die kräuter
hervorspriessen, die wiesen grün werden und die bäume nur
einen wünsch haben: voller bluten zu stehen, will der dichter
in Paris gewesen sein. Weil es gerade Karfreitag war, sei er
nach St. Denis gegangen, um zu beten. Dort habe er die be-
kauntschaft eines mönches mit dem namen Savari gemacht,
und dieser habe ihm ein buch mit geschieht en gezeigt, unter
denen sich auch die erzählung von Berta und Pippin und von
Pippins löwenkarapf befand. Stümper von spielleuten und
dumme scribenten hätten die geschichten, als sie von ort zu
ort herumziehend sie sammelten, verfälscht. Er sei deshalb
bis zum dieustag in St. Denis geblieben und habe so die wahre
geschichte mit forttragen können (v. 1 f. Hist. litt, de la Fr.
20, 703; J. Bekker, Fierabras s. 175). Diese angaben ent-
sprechen ganz denen Balthers in der Fridolinsvita und sie
sind ebensowenig ernst zu nehmen. Sie tragen den Charakter
des fabulistischen an der stii-n. Die frommen gewährsmänner
deuten vielleicht auf Zusammenhang mit der hagiographie. Er
war gerade in den kreisen, zu denen Adenet gehörte, leicht
möglich.
An die praxis des Antonius Diogenes, des Diktj's und
Dares erinnert die prosaeinleitung zum Sone de Nausay (Gold-
schmidt 552, 1 f.), die mit ihrer art der quellenangabe einzig
in der altfranzösischen literatur dasteht. Sie zerfällt in zwei
fingierte actenstücke. In dem ersten erklärt Fane von Bei-
ruth, die enkelin des beiden, schloss- und erbherrin von Cj^pern,
dass sie ihrem cleriker Branque den auftrag gegeben habe,
die taten ihrer vorfahren aufzuzeichnen. Sie selbst, damals
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 329
140 jalire alt '), möchte, dass diese taten aiicli noch nach ihrem
tode erzählt würden. Deshalb gab sie den auftrag. In dem
zweiten schreiben spricht der cleriker Branqne. Er erzählt,
dass er der schlossherrin von Cypern 40 jähre gedient habe
nnd magister der logik, physik, Juristerei und astronomie sei
und auch etwas von geometrie verstehe. Er habe sich nie um
ein kirchliches beneficium beworben und sei so 105 jähre alt
geworden. Die dame von Beiruth, seine lierrin, habe ihm den
auftrag zu dem vorliegenden gedieht gegeben, ebenso den stoff
geliefert. Dann gibt Branque eine kurzgefasste, nicht in allen
punkten mit dem gedieht übereinstimmende Inhaltsangabe
seines folgenden werkes. Am schluss des Schreibens setzt er
die verwantschaftlichen beziehungen der Fane von Beiruth
zum beiden der dichtung auseinander.
Es bedarf wol keines weiteren beweises, dass wir es mit
einer fabulistischen quellenangabe zu tun haben. Schwerlich
wird ein mann im alter von 105 jähren noch die geistige
frische besitzen, um ein epos von mehr als 21000 versen zu
verbrechen, und eine 140 jähre alte dame wäre ein mediciuisches
phänomen. ein renommierstück für jedes moderne Sanatorium.
Die inhaber von Schaubuden auf kirch weihen und vogel-
schiessen würden auch heute noch mit recht ein solches wunder
als nie dagewesen anpreisen. Goldschmidt hätte also die worte
'wenn wir der angäbe in der . . . prosaeinleitung trauen dürfen',
ohne sich gewissensbisse machen zu brauchen, fortlassen können.
Schwieriger ist die frage zu beantworten, ob diese angäbe
unter dem einflusse der französischen spielmannsepik entstanden
ist, oder ob sie nicht vielmehr gelehrter tradition ihren Ursprung
verdankt. Ihre briefform erinnert, wie schon bemerkt, in ver-
dächtiger weise an Diktys und Dares und an die art eines
hagiographen wie Hilduin, der das schreiben seines auftrag-
gebers mit zwei von ihm verfassten briefen seinem Dionysius-
leben vorausschickt. Kaum wird sich mehr genauer feststellen
lassen, wo der Verfasser des Sone literarisch anknüpfte.
Wie in Frankreich, so war es auch in Deutschland. Der
•) Der text ist 552, 10 uicht ganz iu ordniiug. Vgl. G. Paris, Rom.
31,118 und Gröber, Grundriss 2^, 1, 784. Jordan, den ich wegen der stelle
zw rate zog, hält die Gröbersche fassnng für die einzig richtige.
330 WILHELM
antike fabulist hatte sich hier gleichfalls unter die spielleute
und Vaganten gemischt und, seit langem bei ihnen eingewöhnt,
fortgefristet. Doch in Deutschland fehlte es sehr bald an einem
nationalen mittelpunkt. Die spielleute waren deshalb auf
kleinere, aber politisch selbständigere höfe angewiesen. Ihre
quellenangaben sind infolgedessen verschiedenartiger, doch auch
weniger national gefärbt. AVie eng sie dabei mit halbgelehrter
theologischer tradition in fülilung standen, zeigt vielleicht am
besten die notiz im Salman und Morolf v. 2506 f., nach der
könig David vor dem trojanischen krieg') das saitenspiel er-
funden haben soll. Das erinnert an die bemerkung Aelians
über Oiagros und an die Korinnosartikel bei Suidas und Eu-
dokia. Es ist die verkirchlichte rhetorenfabel, die beste theo-
logische legitimation des spielraannsstandes gegenüber den
angriffen der geistlichkeit.
Der älteste beleg für einen fabulistischen verweis auf ein
fremdsprachliches buch in der deutschen literatur ist vielleicht
die (quellenangabe im herzog Ernst B 4466 f. und D 3623 f.
Wie sich aus B 2246 und D 2049 f. ergibt, berief sich schon
der Verfasser der gemeinsamen quelle von B und D, der 'erste
deutsche dichter des herzog Ernst' auf ein in Bamberg befind-
liches lateinisches buch. Nach D 3634 lag es dort im dorn.
In der gemeinsamen quelle wird auch der Vorwurf der lüge
ebenso energisch wie in B und D zurückgewiesen worden
sein. Gerade solchen emphatischen Wahrheitsbeteuerungen
muss man aber das grösste mistrauen entgegenbringen. Wir
haben ja gesehen, dass selbst geistliche den heiligen geist als
zeugen für die Wahrheit ihrer h agiographischen fabeleien an-
riefen. Wie die quellenangabe in dem von B und D gemeinsam
benutzten alten gedieht des näheren aussah, lässt sich natür-
lich nicht mehr feststellen, denn es ist verloren. Es soll auch
auf diesen beleg nicht allzu viel gewicht gelegt werden, und
wir wollen denen, die im vertrauen auf die Wahrhaftigkeit
aller quellenangaben bei mittelhochdeutschen Schriftstellern
häuser bauen, ihren glauben für den herzog Ernst nicht er-
schüttern; wird doch in neuester zeit bestritten, dass der ver-
') So sind Tvol die worte vor der alden Troie vers 2508 zu inter-
pretieren.
UEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 331
fasser des alten g-edichtes ein spielmann gewesen sei oder mit
spielmannskreisen in enger fülilung gestanden habe.
Ein solcher war aber sicher der Verfasser der Klag-e. Schon
Lachmann (Zu den Nib. n. z. Kl. s. 296 f.), Müllenhof f (Z. gesch.
d. Nib. s. 73 f.) und Scherer (Literaturgesch.'^ s. 731) haben seine
quellenangabe als höchst unwahrscheinlich bezeichnet, v. 4295 f.
(= Lachmann 2145, Edzardi 4675 f.) gibt er an, Pilgrim von
Passau, der im Nibelungenlied erwähnte bischof, habe zuerst
die geschichte von den Nibelungen aufzeichnen lassen, damit
man künftighin von ihrer Wahrheit überzeugt sei. Ihm habe
der videlaere, worunter man nur den Heunenspielmann Swem-
melin verstehen kann, bericht erstattet, denn er sei als augen-
zeuge dabei gewesen. Durch Pilgrims Schreiber und meister
Konrad sei die geschichte aufgeschrieben worden und zwar
in latinischen huoclistahen. Dass diese lateinische schritt ein
gedieht war, wird nirgends gesagt. Seit der Konradischen
aufzeichnung, so schliesst der Verfasser seine quellenangabe,
sei die geschichte oft Stoff dichterischer behandlung in deutscher
spräche geworden und bei alt und jung bekannt.
Auch gar nichts ist an dieser quellenangabe glaubwürdig,
wie erst kürzlich Gustav Roetlie ') in einem Vortrag versichert
hat. Ein pocma licroicum hinter der aufzeichnung Konrads
zu vermuten, gibt auch kein einziges wort des gedichtes an-
lass. Im gegenteil, der als augenzeuge eingeführte, mit namen
aber nicht genannte Swemmelin zeigt deutlich, zu welcher
art von quellenangaben die der Klage gehört. Yixy den
deutschen dichter war das lateinische buch ungefähr dasselbe,
was für den des lateinischen kundigen geistlichen ein grie-
chisches oder hebräisches war. Es ist sehr wol möglich, dass,
wie Friedrich Vogt, Pauls Grundriss 2, 1^, 242 feinsinnig be-
merkt hat, die angäbe der Klage eine antwort auf den hieb
des Verfassers der Kaiserchronik (MG. Deutsche ehr. I„ hg. v.
E. Schröder, v. 14176 f. und anm. 2 s. 337) gegen jene Sänger ist,
die Dietrich von Bern an dem hofe Etzels erscheinen Hessen.
Leider lässt sich aus den werten der Kaiserchronik nicht
') G. Roethe, Humanistische und nationale bildung, eine historische
betrachtuug. Berlin 1906, s. 17 f. Ueber Nagls ansieht hat schon E. Martin,
DLztg. 1907, sp. 220i f. das richtige wort gesprochen,
332 WILHELM
entnehmen, ob die ihrem Verfasser so verhassten spielleute
sich wirklich auf qnellenschriften berufen haben oder nicht.
Die möglichkeit solcher quellenang-aben oder gar die berufung
auf augenzeugen wäre bei ihnen kaum ausgeschlossen. Be-
weisen lässt sich aber nichts: ihre lieder sind wol für immer
verloren.
Vollkommen gleich den in diesem aufsatz gesammelten
mittellateinischen quellenangaben, nur nicht so weit aus-
gesponnen, ist die des Ortnit A, 1, 1. Der dichter beruft sich
auf ein in Suders (s. DHB. 3, xxx, anm. 1 ; Zs. fda. 38, 66) auf-
gefundenes, vielblättriges buch: cJa^ het gesclirift ivundcr. Die
beiden sollen es vergraben haben. Der Verfasser verspricht
dem leser viel kurzweil davon. Hier liegt das aretalogische
motiv offen zu tage und ein zweifei über die unglaubwürdig-
keit der angäbe kann nicht bestehen. Schon 0. Jänicke hat
DHB. 4, 239 auf Diktj^s als parallele verwiesen (s. auch
W. Grimm, HS.3 249).
Nicht viel anders wird es sich mit der quellenberufung
in den ersten sechs Strophen des Wolfdietrich D verhalten.
Lauter historische Wahrheit ist auch da nicht alles. Die end-
quelle des gedichtes soll im kloster Tagemunt gefunden worden
sein. Dort habe sie viele jähre gelegen. Später sei sie ins
land der Bayern geschickt und dem bischof von Eichstätt be-
kannt geworden. Dieser habe 'sich siebzehen jähre die zeit
damit vertrieben. AVar er nicht bei guter laune, dann habe
er zu dem buche gegriffen und sich an seinem Inhalt erheitert.
So sei es bis zu seinem tode gehalten worden. Zehn jähre
später habe der kaplan des bischofs das buch gefunden. Nach-
dem er es durchgelesen hatte, habe er es genommen und in
das frauenkloster St. Walburc in Eichstätt gebracht. Dort sei
die schöne äbtissin von dem buche ganz entzückt gewesen
und habe zwei meister angestellt, die es auswendig gelernt
und seinen Inhalt durch singen und sagen in der Christenheit
verbreitet hätten.
Jänicke hat sich DHB. 4, 323 bemüht, die glaub Würdig-
keit (s. W. Grimm, HS.^ 251 f.) dieses wahrscheinlich nur dem
Wolfdietrich D (s. DHB. 4, xxxiii f.) angehörigen prologs zu
retten. Er hat, wie v. d. Hagen (HB. 1, xcix) und Müllenhof f
(s. DHB. 1. c.) in dem kloster Tagemunt die abtei Admont,
ÜEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN. 333
deren name in mittelalterlichen Urkunden öfters in der form
Agmunt erscheint, erkennen wollen. Aber selbst wenn die
identificierung von Tagemunt und Agmunt richtig sein sollte,
so wären die angaben des prologs deshalb nicht glaubwürdiger
geworden. Der Verfasser des Wolfdietrich D sagt gar nicht,
dass er das Tagemuuder buch je in bänden gehabt oder zu
gesiebt bekommen habe, sondern er beruft sich auf das singen
und sagen der von der schönen äbtissin zu St. Walburc an-
gestellten meister. Eine fiction hat Jänicke schon hinter den
siebzehn jähren, die der bischof von Eichstätt das buch ge-
lesen haben soll, vermutet. Es hat zwar gerade zu der für
den Wolfdietrich in betracht kommenden zeit mehrere bischöfe
von Eichstätt gegeben, die siebzehn oder achtzehn jähre regiert
haben. Man müsste dann annehmen, dass der betreffende Eich-
stätter bischof das Tagemuuder buch im ersten oder zweiten
jähre seines episcopats erhalten habe. So etwas ist gewiss
möglich, es lässt sich aber nicht mehr beweisen und wird
entschieden nicht glaubwürdiger, wenn str. 3, 4 behauptet
wird, dass zehn jähre nach dem tode des bischofs sein ehe-
maliger kaplan das buch gefunden und sich, bevor er es zu
den nonnen von St. Walburc brachte, über seinen inhalt in-
formiert habe. Man sollte meinen, dass der kaplan das lieb-
liugsbuch seines bischofs schon früher gekannt hätte und es
nicht nötig gewesen wäre, es erst nach zehn jähren wider zu
entdecken. Einen ganz besonders merkwürdigen anstrich be-
kommt aber die quellenangabe im prolog durch das herein-
ziehen der ausdrücklich als schön bezeichneten äbtissin von
St. Walburc, deren freude an dem Tagemuuder buch doch nicht
ohne absieht hervorgehoben wird. Sie bekommt enschieden
etwas pikantes, wenn man bedenkt, dass die folgende erzäh-
lung von der brautfahrt Hugdietrichs allerhand behandelt,
woran eigentlich eine nonne, und am wenigsten eine äbtissin,
die ihren nonnen doch als Vorbild leben sollte, gefallen finden
durfte. Das ist ein kleiner hieb, natürlich in aller ehrbar-
keit. Der Verfasser spielt auf ähnliche gefühle an, wie die,
welche nach Geiler von Kaisersberg, Post. fol. 184 (Mhd. wb.
3,871,49 b f.) die beguinen beim anblick des nackt gemalten
Christuskindes hatten. Doch das war gewiss nur nebenbei.
Yor allem wollte der Verfasser mit der nennung so hoher
334 WILHELM
geistlicher Würdenträger, wie dem biscliof von Eiclistätt und
der äbtissin von St. Walburc, sein werk empfehlen. An an-
klang hat es ihm auch nicht gefehlt. Das beweisen die vielen
hss., in denen das gedieht erhalten ist. Die schöne geschichte
von der buchanffindung im kloster Tagemunt mag ihm der
eine oder der andere leser im mittelalter geglaubt haben: wir
werden sie richtig einzuschätzen wissen und dabei um so
weniger irren, als es feststeht, dass der schalkhafte fabulist
DHB. 4, Y, 133 (= Holtzmann 969) sich den anschein zu geben
versucht hat, Wolfram von Eschenbach zu sein. Das hat ihm
schon der Schreiber der hs. Y nicht geglaubt. Es wäre lächer-
lich, deswegen den Verfasser der Urkundenfälschung anzuklagen,
wie das der historiker sicher tun würde. Schon im mittel-
alter, da man noch keine philologen kannte, hat man so viel
Stil und Sprachgefühl gehabt, dass ein literarisch gebildeter
mann den Wolfdietrich D nie für ein werk Wolframs ge-
halten hätte.
Wie wenig ernst und schwer man damals eine solche
'falsche' quellenangabe nahm, zeigt deutlich das glücklich
widergefundene und in den ]\ISB. philos.-philol.-hist. kl. 1903,
s. 292 f. veröffentlichte Heidelberger bruchstück des jüngeren
Titurel. Uns würde es doch heute als eine Unverfrorenheit
ersten ranges erscheinen, und die kritik würde im gelindesten
fall einen recht hämischen witz machen, wenn es einem noch
unbekannten schriftsteiler einfallen sollte, Schiller oder Goethe
als Verfasser seines werkes anzugeben mit der begründung:
weil es so besser geht. Der dichter des jüngeren Titurel hat
das mit Wolfram von Eschenbach getan. Wolfram, meint
Albrecht, ist längst gestorben. Niemals hat ein mensch ge-
lebt, der so fein und geistvoll — d. i, clüvge 4, 7 — zu dichten
verstand wie er, und lebte jetzt wirklich einer, der ebenso
chlvg an riclier witze wäre, man würde ihm nicht den zehnten
teil des lobes spenden, das Wolfram zu teil geworden ist.
Deshalb will Albrecht sein ganzes gedieht, obwol er nur die
wenigen von Wolfram hinterlassenen fi-agmente benutzt hat,
als Wolframs werk ausgeben. Nicht um den grossen dichter
herabzusetzen tut er es, sondern um seine arbeit bei lesern
und kritikern zu empfehlen. Niemand kann Albrecht auch
nur den leisesten Vorwurf der lüge machen. Aber es zeugt
ÜEBER FABULISTISOHE QUELLENANGABEN. 3S5
für die g-leicligiltigkeit der mittelalterliclien leser g-egenüber
solchen (luellenaiigaben. wenn sie trotzdem den jüngeren Titurel
für ein werk Wolframs ansahen. Sie werden auch nicht durch
den einwurf entlastet, dass die in dem Heidelberger bruch-
stück enthaltene widmung möglicherweise nur einigen wenigen
exemitlaren vorgesetzt war, und nachdem sich die Verhältnisse
geändert hatten, getilgt w^urde, denn an mehreren stellen
seines gedichtes hat Albrecht deutlich ausgesprochen, dass er
nicht Wolfram sei.
Aehnliches wie Albrecht haben die Verfasser des Lohengrin
versucht. Ihnen wird niemand eine fälschung vorwerfen. Wenn
der Verfasser des Göttweiger Trojanerkriegs sich als Wolfram
ausgibt, so verdient der, welcher ihm das geglaubt hat, mehr
tadel, als er, der der Wolf ramsch wärmerei seiner leser mit
einem nicht gerade mehr neuen und besonders feinsinnigen
kniff rechnung trug. Es wäre auch unberechtigt, w^ollte man
den Verfasser der alemannischen bearbeitung des zwergkönig
Laurin einen falsator heissen, weil er sich am schluss auf
den sagenhaften Heinrich von Of terdingen beruft. ') Die hörer
verlangten einen bekannten uamen, weil sie etwas gutes hören
wollten, über w^ert oder unwert des vorgetragenen aber nicht
urteilen konnten. Die Verfasser wollten ihren werken leser
verschaffen, und so mussten die damals von der kritik und
der sage gefeierten schriftsteiler für sie ihren namen hergeben,
ähnlich wie heutzutage fürsten, hohe Staatsmänner, componisten
und dichter es sich gefallen lassen müssen, dass ihr name eine
neu in Umlauf zu setzende wäre ziert, damit der käufer mehr
angezogen wird.
Ein schönes beispiel, wie man auch nicht im geringsten
ge Wissensbisse über eine solche 'falsche' quellenangabe empfand,
ist noch der Stricker. Er hat siclj sicher für einen sehr ehr-
samen und braven mann und nicht für einen lügencere und
triegcere gehalten. Wir wollen ihm diesen ruf auch nicht schmä-
lern, denn er hat zu seiner zeit manch mutiges, echt deutsches
und leider auch jetzt wider notwendiges wort gesprochen. Aber
^) H. Trist. 68A2 f. gehört auch teilweise hierher. Es werden bei Hein-
rich aber auch künstlerische rücksichteu mitgewirkt haben. Die bemerkuugen
Bechsteins, eiul. x scheinen mir das richtige (den moralischen begriff ' lüge '
ausgenommen) zu treffen.
336 WILHELM
das fabulieren nach der fahrenden weise hat der Verfasser
des pfaffen Amis nicht sein lassen können. Die quellenangabe
in seinem jugendwerk, dem Karl, v. 115 f., ist so wahr wie nur
etwas, in seinem späteren werk, dem Daniel vom blühenden
tal dagegen vollkommen fabulistisch. Der meister Älhrich von
Bisense, dessen in iceischer ziingen abgefassten Daniel er über-
setzt haben will (Dan. v. 7 f.) ist aus dem Alexander des pfaffen
Lamprecht entlehnt. Ja, die ganze quellenangabe des Strickers
ist fast eine wörtliche widergabe der Lamprechtschen (s. Eosen-
hagens anm. z. stelle). Der Stricker scheint sich über den
biederen, aber nicht mehr modernen geistlichen Schriftsteller
förmlich lustig gemacht zu haben. Lamprecht hatte einst mit
vollem recht, aber in zu des Strickers zeit als pedantisch
empfundener weise von Alberich gesagt: niman enschulde sin
mih : loiic er so liuge ich; der Stricker wendet diese worte
ganz nach der fabulisten art auf seinen fingierten gewährs-
mann an: nienian der enscheUe mich : louc er mir so liug ouch
ich. Was bei Lamprecht bitterster ernst war, ist bei ihm
beissende ironie. Er zieht seinen lesern eine lange nase und
spottet, sich wie der vogel strauss versteckend, auf jene alt-
modischen leute, die allemal genau wissen wollten, woher der
Verfasser seinen stoff hat. Ist das ein verbrechen und muss
man deshalb bei einem autor, der eine solche angäbe macht,
gleich einen moralischen defect annehmen? Ich glaube: nein.
Sicher haben so des Strickers Zeitgenossen nicht gedacht, denn
kaum hätte Rudolf von Ems in seinem Wilhelm von Orlens
V. 2230 f. den Daniel so gut recensiert, wenn er im Stricker
einen Urkundenfälscher und moralisch tiefstehenden menschen
erblickt hätte.
Auch die kritik Gotfrids an Wolframs Parzival darf nicht
so aufgefasst werden, als würden darin aus reiner liebe zur
Wahrheit Wolfram moralische vorwürfe wegen der art, wie
er seine quellen behandelt, gemacht. Gotfrid hat ebenso-
wenig wie seine Zeitgenossen, Wolfram mit einbegriffen, so
fein wie wir zwischen historisch wahrem und fabelhaftem
geschieden, er hat aber gleich Wolfram gewusst, dass dem
dichter manches zu sagen erlaubt sei, was man im gewöhn-
lichen leben nicht glauben würde. Hätte Gotfrid, modern ge-
sprochen, rein historisch empfunden und von diesem Standpunkt
ÜEBER FABULISTISCHE QUELLENANGABEN, 337
aus seine kritiken geschrieben, dann hätte er auch Hartmann
nicht das lob spenden dürfen, das er ihm gespendet hat.
Gotfrid kann sich über die unwahrscheinlichkeit der erzählung,
dass eine in Irland nistende scliwalbe nach Kurnewal übers
meer fliegt, um dort für ihr nest ein frauenhaar zu holen, auf-
regen, ja er kann dabei sogar gegen seinen concurrenten, der
die geschichte erzählt, recht ausfällig werden, er kann aber
ebenso heilig und teuer versichern, dass ein liebespaar wochen-
lang ohne speise und trank von der liebe allein zu leben ver-
möge, und sogar, um wider denselben concurrenten, der das
gegenteil erzählt, zu übertrumpfen, hinzufügen, dass er selbst
schon in ähnliche lagen wie die, welche er schildert, geraten
sei. Diese beiden stellen gegeneinander gehalten zeigen deut-
lich, dass die kritik Gotfrids, wenn für ihn literarische lebens-
interessen auf dem spiele standen, vollkommen subjectiv und
vom eigenen vorteil eingegeben war. Gewiss, Gotfrid hat
Wolframs schwächen, seine literarischen beziehungen zur spiel-
mannsepik und den damit verbundenen hang zum archaischen,
unmodernen vollkommen erkannt, er hat darüber auch manche
treffende und feine bemerkung gemacht, aber wenn er den
ihn an seelengrösse und gedankentiefe weit überragenden
Parzivaldichter zu den tvüdenaeren, die mit den Jcetenen lie-
(jent stellt, so darf man nicht mehr als eine bosheit darin
erblicken, wie sie auch heute noch unter literaten und ge-
lehrten vorkommt. Ich erinnere nur an die nach derselben
manier geschriebene vorrede zur zweiten aufläge des Heyne-
schen Wörterbuches. Eine gute portion schriftstellernervosität
und concurrenzneid steckt in jener Gotfridschen kritik über
Wolfram, und man darf in ihr beileibe nicht ein auf historisch-
kritischen erwägungen beruhendes urteil über Wahrheit und
Unwahrheit Wolframischer erzählung erblicken. Am aller-
wenigsten darf man aber glauben, dass Gotfrid damit eine
fälschung im rechtlichen und historischen sinn habe aufdecken
wollen.
Mit dem begriff der fälschung war es im mittelalter nach
unseren modernen anschauungen überhaupt etwas merkwürdig
bestellt. Man nannte ein Schriftstück oder eine angäbe eine
fälschung und erkannte diese als solche an, wenn sie mit der
absieht verfertigt waren, durch rechtszwang den besitz oder
Beiträge lur geschichte der deutschen spräche. XXXIIl. 22
338 WILHELM
die verbrieften rechte eines anderen zu schädigen. War dies
nicht der fall oder waren sie doch so, dass ein anderer sich
indifferent oder aus freiem willen entgegenkommend ihnen
gegenüber verhalten konnte, dann hat man nie etwas un-
moralisches in ihnen erblickt. So war es z. b. fast durchweg
bei der fabrikation von heiligenlegenden. Auch sie wurden,
ähnlich wie alle theologischen und philosophischen Schriften
des mittelalters, nur dann angegriffen, wenn sie das ansehen
der kirche und ihrer lehren zu beeinträchtigen schienen, und
das ist äusserst selten der fall gewesen. Selbst Hinkmars
Remigiusvita hat sich ohne energischen Widerspruch durch-
gesetzt. Geschichte und fabel waren eben damals noch treu
verbundene Schwestern. Sie sind sich erst seit dem Zeitalter
des humanismus und der reformation fremd und feind geworden.
Damit ist das ende der vorliegenden Untersuchung erreicht
und es gilt nun, die lehren, die sich aus ihr ergeben, zusammen-
zufassen, um dann noch mit ein paar Worten auf Wolframs
quellenangabe zurückzukommen. Dreierlei lehren bringt sie:
1) Die von uns behandelten quell enangaben, deren bei-
spiele sich, ohne dass dadurch die Sachlage geändert würde,
gewiss verdoppeln Hessen, folgen dem alten, von den antiken
aretalogen und rhetoren geübten brauch, unglaubliches durch
fingierte zeugen und quellenschriften glaubwürdiger zu machen.
Sie sind im mittelalter über den ganzen europäischen continent,
soweit dieser nicht rein slavisch war, und über Britannien
und Irland verbreitet.
2) Vermittelt wurde dieser typus von quellenangaben dem
mittelalter durch eine gruppe von hss. des Apolloniusromans,
durch die unter dem namen des Diktys und Dares gehenden
Schriften, ferner durch eine grosse zahl hagiographischer werke
und die mit der hagiographie in engem Zusammenhang stehende
Virgilsage und schliesslich durch das fahrende volk, die spielleute.
3) Etwas sittlich anrüchiges hat das mittelalter in solchen
fabulistischen quellenangaben nicht erblickt.
Für die beurteilung der quellenangabe in Wolframs Par-
zival folgt aus diesen ergebnissen ebenfalls dreierlei:
1) Wolframs angaben über Kiot und Flegetanis entsprechen
ganz dem typus der behandelten fabulistischen quellenangaben
UEBER FABULTSTISCHE QUELLENANGABEN. 339
und sind als solclie anzusehen. Er hat kaum selbst an sie
geglaubt,
2) Wolfram konnte zu seiner quellenangabe von den ver-
schiedensten Seiten angeregt worden sein und braucht dafür
nicht aus einer französischen quelle geschöpft zu haben. Man
wird zunächst an anregungen denken, die von der deutschen
spielmannsepik oder der Yirgilsage ausgiengen. Es wären aber
auch solche durch die hagiographie nicht ausgeschlossen. Die
predigt kann vermittelt haben.
3) Der einwurf derer, die ^^^olfram eine fabulistische
quellenangabe nicht zutrauen, weil sie eine lüge mit seinem
Charakter für unvereinbar halten, ist null und nichtig, denn
das mittelalter hat in solchen angaben etwas anstössiges nicht
erblickt. Sie werden sich aber auch vor die alternative ge-
stellt sehen: entweder Goethe einen lügner und falscher zu
schelten, weil er im Werther dasselbe motiv (W. A. 19, 3 und
141 f.), sogar mit 'fälschung' von briefen, verwant hat, oder
mit uns in Wolfram und Goethe zwei ehrenhafte deutsche
dichter zu erblicken, die eben nicht dichteten, um moralisierenden
Philologen stoff für ihre quellenuntersuchungen zu bieten, son-
dern um ihre mitmenschen durch den reichsprudelnden quell
ihrer goldenen phantasie über die mühen des alltagslebens zu
erheben und, wenn auch nur auf wenige stunden, zu den statten
des hohen und schönen zu führen, die ihr geist geschaut. Ich
meine, was dem einen recht ist, ist dem andern billig.
MÜNCHEN, im october 1907,
FRIEDEICH WILHELM.
22*
STUDIEN
ZUR KRONE HEINRICHS VON DEM TÜRLIN.
I.
Die handschrift no. 2779 der kaiserlichen liofbibliothek in
Wien ist in braunes Schweinsleder gebunden, auf die deckel
sind Ornamente gepresst, die zur einheitlichen decoration ver-
bunden sind, in die leeren Zwischenräume sind heraldisch
stilisierte rosen (wol als Mariensjmbol) eingesetzt.
Der codex enthält 170 blätter ziemlich gleichmässig be-
handelten Pergaments, und ist durchweg in drei columnen
beschrieben. Die breite der blätter beträgt durchschnittlich
25,5 cm, die höhe 35,5 cm, der freie rand unten ist 4 cm und
etwas darüber, oben 2 cm breit, der aussenrand misst 3 cm,
der innere 2 cm. Tinteulinien sind vorgezogen, deren distanz
durch löcher am rande bestimmt wird, und die spalten jede
für sich durch verticale linien eingerahmt. Vier bände min-
destens können unterschieden werden. Die erste hat Id — f
und die 37 zeilen von 2a beschrieben, nach denen 23 zeilen
in 2 a und 2 b c ganz fi^ei blieben. Die zweite hand beginnt
2 d mit der Kaiserchronik in der Jüngern bearbeitung B, 60 zeilen
auf der spalte (vgl. Edward Schröder, Einleitung seiner aus-
gäbe s. 20f.) und erstreckt sich bis 90 f, die dritte hand be-
ginnt 91a. Schon gegen ende der arbeit, ungefähr von 60 a
ah, vermindert sich die zahl der zeilen auf einer spalte, bis
57, 56, dann überwiegend bis auf 51 zeilen. Die dritte hand
arbeitet bis 130 f, 131a fängt die vierte an, welche bis 171 f
ausdauert.
Ueberblickt man die masse der texte, welche in diesen
umfangreichen codex eingegangen ist (der deshalb seit fünfzig
Jahren oft beschrieben, jedoch niemals wirklich untersucht
STUDIEN ZUR KRONE. T. 341
wurde, vgl. die angaben von A. Amelung- im Deutschen helden-
bucli III, s. vi), so lassen sich deutlich zwei gruppeu unter-
scheiden: die eine, aus grossen epischen werken bestehend,
welche in den von der zweiten bis vierten hand geschriebenen
teilen den hauptstock ausmachen, und eine zweite, die kleinere
dichtungen legendarischen Inhaltes befasst, zumeist dem alten
Passional entnommen (^'gl. das Verzeichnis der Wiener alt-
deutschen handschriften durch Hoffmann von Fallersleben s. 14
— 22 und Tabulae codicum manuscriptorum 2, 131 f.). Schon
darnach wäre zu erwarten, dass jene grösseren erzählenden
werke zuerst bei der anläge der handschrift dazu bestimmt
waren, in sie aufgenommen zu werden, die gedichte geringeren
umfanges und geistlichen Charakters haben dann dazu gedient,
die räume auszufüllen, welche nach der eintragung der ur-
sprünglich vorliegenden und der geplanten Sammlung zu-
gedachten stücke erübrigt waren. Diese Verwertung lässt
sich erweisen, sobald man die beschaff enheit der handschrift
im einzelnen genauer prüft.
Alle drei hauptmassen von texten in dem codex sind mit
regelmässig zwischen rot und blau wechselnden initialen der-
selben decorationsweise geschmückt (gleichviel ob dadurch die
anfange von schritten markiert werden wie beim Ortnit und
der Eabenschlacht oder von grösseren abschnitten wie bei der
Kaiserchronik, beim Iwein, der Krone u. s.w.). Auch die durch
umfang und aufbau von detailornamenten ausgezeichneten
anfangsbuchstaben der grossen epen besitzen durch den ganzen
codex hin denselben künstlerischen Charakter und rühren
offenbar von derselben hand her, woraus bereits erhellt, dass
sämmtliche teile der handschrift im auftrag eines Sammlers
und wahrscheinlich gleichzeitig hergestellt worden sind. Davon
muss man ausnehmen die zwei abschnitte aus dem alten Pas-
sional von Ic — 2a, deren erster überhaupt keine initiale
besitzt, sondern nur den leeren räum dafür, der zweite aber
eine initiale aufweist ohne Ornamentik und von ganz anderer
anläge als die übrigen der handschrift. Ferner die stücke,
w^elche von 85 d — 90 f eingetragen sind; diese setzen die sonst
für den codex charakteristischen initialen und ihre schmuck-
weise voraus und trachten sie deutlich nachzubilden, doch
geschieht das sehr unsicher und ungeschickt, zugleich mit
34:2 SCHÖNBACIT
unterschieden in den teclmischen details, die den plumpen, der
arbeit ungeAvolmten nachahmer kennzeichnen.
Die ganze liandschrift liegt in quinionen, die nur zum teil
durch custoden gezählt wurden. Der erste dieser custoden,
den schon Edward Schröder bemerkte, findet sich blatt 40
unter der spalte f und ist klein und schmucklos, wie es
scheint, vom Schreiber selbst beigefügt: ütj. Damit waren also
die ersten vier quinionen gezählt, auf denen die jüngere be-
arbeitung der Kaiserchronik steht. Diese erstreckt sich noch
über die vordere hälfte des nächsten quinio, hört 46 a auf,
wonach ohne eine zeile freien raumes Hartmanns lAvein folgt,
der 68 c schliesst, worauf ohne Unterbrechung die 'Heidin'
und 71 d Ortnit folgen, dieser geht 85 c mit 22 zeilen zu ende,
30 vorgezogene tintenlinien bleiben leer, 85 d beginnt das ge-
dieht Von den sieben schläfern, dem bis zum Schlüsse der
zweiten band noch sechs stücke geistlichen Inhaltes, zum teil
aus dem alten Passional, nachfolgen; diese ganze partie nach
dem Ortnit charakterisiert sich eben durch die anders gearteten
initialen. Innerhalb der gesammten texte vom Iwein ab sind
grosse römische custoden zur Zählung der lagen angebracht
und zwar immer auf dem unteren rande der Vorderseite des
ersten blattes der läge, was ja der allgemeinen gewöhnung
des mittelalters entspricht, und zwar: 51a — c -H'-; 61a — c
• III'.; 71a — c IUI'-; 81a — c V- Der custos l'- fehlt, er hätte
41 a=c stehen sollen, aber die Kaiserchronik dehnte sich eben
bis 46 a aus. Meinem ermessen nach lässt sich daraus schliessen,
dass der Schreiber des Iwein, der ja auch die Kaiserchronik
geschrieben hatte, für seine aufgäbe, soweit sie mit dem Iwein
anhub, neue lagen pergament sich zurecht machte: er kam
nicht dazu, den custos .|'. auf 41a — c zu setzen, weil wider
sein, erwarten die Kaiserchronik noch die erste hälfte des
nächsten quinio in anspruch nahm. Die weiteren vier lagen
bis zum Schlüsse der ersten grossen partie der handschrift
90 f sind dann ordnungsmässig gezählt worden.
In der zweiten grossen partie des codex 91a — 130 f finden
sich vier römische custoden, ähnlich denen der ersten partie
91a — c. 101 a — c. lila — c (nur ein quaternio). 119a — c. Mit
131a oben beginnt die Krone Heinrichs von dem Türlin, von
da begegnen 150 e— f. 160 e — f. 170 e—f die richtigen custoden
STUDIEN ZUR KRONE. I. 343
||\ \\\\ IUI'. Es sind also die zweite und die dritte partie der
liandschrift schon auf diese formalen merkmale hin auseinander
zu halten, wozu noch kommt, dass die zweite partie 60 zeilen
auf der spalte, die dritte hingegen mit der Krone nur 51 auf-
weist. 166 f ist die initiale zu v. 11037 Stvas geschehen sol,
daz geschiht durch besondere pracht ausgezeichnet.
Noch ist folgendes zu beachten. Sämmtliche gedichte des
codex schliessen sich aneinander ohne leere Zwischenräume.
Solche begegnen nur vor der Kaiserchronik, wo das zweite
der vorgeschobenen stücke 37 zeilen von 2 a füllt, die weiteren
23 Zeilen sind frei, desgleichen 2 b. c vollständig. Ferner nach
dem Ortnit und vor den Sieben schläfern 85 c, wie ich bereits
erwähnte. Dann am Schlüsse der zweiten gruppe 90 f, wo das
letzte stück nur noch 25 zeilen bedurfte, 34 blieben leer.
Endlich 130 f. am ende der Rabenschlacht und vor dem an-
fang der Krone sind 24 zeilen gefüllt, 36 frei.
Dieses gesammte Verhältnis zwischen den texten, ihren
gruppen und deren Verteilung auf die lagen der handschrift
erkläre ich mir folgendermassen: der den codex erstehen Hess,
nahm sich dafür drei Schreiber auf (die erste band Id — 2 a
kann ausser betracht bleiben) und ihnen teilte er die von ihm
gesammelten und zur aufnähme in die handschrift bestimmten
gedichte zu. Dem ersten waren zunächst der text B der
Kaiser Chronik, Hartmanns Iwein, die Heidin des ßüedeger
von Hunkhofen und der Ortnit bestimmt. Dem zweiten Diet-
richs flucht und die Eabenschlacht, dem dritten die Krone
Heinrichs von dem Türlin. Begonnen wurde 2d mit der
Kaiserchronik, das blatt 1 war zunächst als Umschlag gedacht.
Dort wo der zugeteilte text noch einen grösseren rest einer
läge übrig Hess, wie 85 c nach dem Ortnit, hat der auftrag-
geber den rest der läge bis 90 f durch geistliche gedichte,
zumeist aus dem alten Passional, ausfüllen lassn. Dasselbe
geschah im eingange der handschrift Id — 2 a. Der ganze
codex ist im anfange des 14. Jahrhunderts hergestellt worden
und zwar, was alle texte bezeugen, auf österreichischem Sprach-
gebiete. Dafür spricht auch die aufnähme von Dietrichs flucht
und Rabenschlacht, sowie der Krone und der Strickerschen
stücke no. 11 und 12 der Tabulae.
Jene beiden gedichte erlauben zugleich, die herstellungs-
344 SCHÖNBACH
zeit der liandsclirift in etwas zu begrenzen: man wird, wie ich
meine, nicht weit fehl gehen, wenn man diese durch die jähre
1290 — 1310 ungefähr abschliesst. Weder die aufnähme noch
die reihenfolge der gedichte wird zufällig sein. Mit einem
historischen werke grossen Stiles, der Kaiserchronik, schon in
eine dem Zeitgeschmack entsprechende form gebracht (aber
noch ohne die neuen diphthonge in die reime einzuführen, wie
Edward Schröder anmerkt), wurde der anfang gemacht. Dar-
nach stellte der Urheber des codex den Iwein Hartmanns von
Aue, vielleicht weil er dieses werk für das charakteristische
seiner gattung hielt. Mit der 'Heidin' war der Übergang zu
der spielmannsmässigen volksepik gegeben, der dann Ortnit,
Dietrichs flucht und Rabenschlacht angehören. Den schluss
machte die Krone Heinrichs von dem Türlin, widerum ein
höfisches epos, das gewählt werden mochte vielleicht wegen
der heimat des autors oder aus irgend einem mehr localen
Interesse. Die richtung des geschmacks, der sich in dieser
Zusammenstellung von texten bekundete, weist durchaus auf
einen adeligen kreis, der nicht gerade mit besonderen bildungs-
tendenzen erfüllt zu sein brauchte. Ein anderes Interesse
tritt in den füllstücken an den tag, mit denen die freien räume
zwischen den grossen texten ausgenutzt wurden. Ich sollte
meinen, dass im anfange des 14. Jahrhunderts noch nicht ge-
wöhnlich in einem adeligen hause das alte Passional so zur
band war, dass man nach dem ungefähr verfügbaren pergament
beliebige stücke daraus zur wähl entnehmen konnte. Das
alte Passional, dem die nummern 3. 4. 13 — 15 nach der Zählung
der Tabulae ehtstammen, gehört zur Deutschordenspoesie, in
diesen kreis auch die nummern 9 und 10 von den Sieben
schläfern und von Kreuzerfindung; vielleicht war es ein dem
deutschen herrenorden in Österreich verbundenes haus, in dem
die handschrift angelegt und ausgeführt wurde. Auf ein
geistliches haus weisen die beiden gebete, die 1 a von derselben
band eingetragen wurden, die dort eine notiz über eine Stiftung
von 1358 beigefügt hat, erheblich später nach der herstellung
des codex. In dem zweiten gebete spricht Christus am kreuz
eine frau an, es wäre also vielleicht an eine gemeinschaft
geistlicher trauen zu denken, in deren hause sich der codex
um die mitte des 14. Jahrhunderts aufgehalten hat. Diese beiden
STUDIEN ZUR KRONE. I, 345
stücke und die danach folgende historische notiz auf 1 a drucke
ich zunäclist hier ab.
Wiener hs. 2779.
la Hail hab du heiliges clireutz du vou dem heiligen leichuam des
heiligen christus pist geweicht, und von seinem heiligen leichnani pist du
geziert, wis mir ein sterch und ein gewizzeu. heschirmung durch den der
da hieug an dir. Ich pit dich durch den der da an dir bechart lebens und
tüdes daz du mich geuedichleich erlosest von allen sunden und von allen
angsten und. von allem übel leibes und der sele, Amen.
Ich gen für unsers herren marter pild. ixnd sich im in den mund.
und lazz mir sein also ob er Sprech bor tochter und sich daz laid ich alles
umb dich mercb an mein grozzeu not. und sich an meinen grimmen töd
den ich durch dich erliten hau. lazz dir in in dein hertz gau. was möcht
nu so gros sein ich tcet es durch den willen dein seid ich das grosist hab
getan daz macht du selb avoI sehen an wild du mein marter spehen so
musst du mir daes selb jehen daz nie grozzer geschach den da der tod
mein hertz prach chum ouch her für mich, stan macht du nicht anders so
sich mich doch au daz wirt dir ein ewiges leben ich wil mich selb dir
geben Amen.
Nach Christi gepürd drewczehen hundert jar dar nach in dem acht und
fuuftzigisten jar hat in ein fraw die Turfinn ir opher an gehaben ze weich-
nachten mit zwelif Wienner phenning. und daz hat si alle jar gemert mit
drin phenniugen.
Diese drei eintragungen auf der Vorderseite des ersten
blattes des codex rühren von derselben band her, die um einiges
jünger ist als die schreiberhände, die an den folgenden texten
gearbeitet haben. Weisen die beiden gebete auf eine gemein-
schaft geistlicher trauen, und wird der dritten notiz nach im
jähre 1358 von einer frau aus der familie der Tursen in zur
Weihnacht eine Stiftung mit 12 Wiener pfenhigen gemacht
und dieser dann nochmals jährlich drei pfennige zugelegt, so ist
es wahrscheinlich, dass ein solches 'opfer' in ein geistliches
haus, in ein nonnenkloster, gestiftet und die eintragung etliche
jähre nach 1358 vollzogen wurde. Es braucht die notiz nicht
das regest einer wirklichen Urkunde darzustellen, denn der
betrag ist nicht so erheblich, dass eine besondere Urkunde
darüber ausgestellt werden musste, die notiz mochte genügen.
Allerdings wird dabei vorausgesetzt, dass die handschrift, in
w^elche sie eingetragen wurde, so bestimmt für den besitz des
hauses gehalten wurde, dass man eine solche vermögensrecht-
liche aufschreibung darin vornehmen durfte.
346 SCHÖNBACH
Die Tiirsen sind ein mächtiges geschlecht des nieder-
österreichischen landadels. das man mit den berühmten be-
sitzern nngarischer kupferberg-vverke. den Timrzos, in Ver-
bindung gebracht hat. und das jedenfalls im 14. jh. sich in
mehrere linien teilt, die nach ihren hauptsitzen benannt werden
(Kauheneck, Sunnberg. Lichtenfels u. s. w.). Das material
niederösterreichischer Urkunden Aveist um 1358 besonders eine
Frau Katrey, die gemahlin des Hans (Jans) Turs von Rauh-
eneck bei Baden näclist Wien auf. Sie wird an der spitze
verschiedener schenkungs-, kauf- und tauschbriefe neben ihrem
gemahl als mitverfügend genannt, muss ilire ehe 1333/34 ge-
schlossen haben (denn am 1. november 1333 verkauft noch Jans
allein gälten an das stift Heiligenkreuz, Fontes rerum Austria-
carum IG. no. clv, am 15. mai 1334 jedoch bereits Jans und
Katrei, Fontes 16, no. clvii) und muss 1370 schon gestorben
sein, denn am 30. märz dieses Jahres stiftet Jans Turs von
Rauheneck allein drei jahrtage zu Heiligenkreuz, darunter
einen für St. Katharinentag, Fontes 16, 289 f. no, cclxiii, nach-
dem er noch 1367 mit frau Katrei zusammen geurkundet hatte
(Quellen zur geschichte der Stadt Wien, 2. abt., no. 714). Auch
aus den jähren 1356/57 sind Urkunden dieses eliepaares vor-
handen, Fontes 16, no. ccxvii und ccxxi. Unter den frauen-
klöstern zu Wien war es nun hauptsächlich das 1303 be-
gründete kloster der Klarissen zu St. Klara unter der leitung
der Minoriten, welches vornehmlich für trauen und töchter des
niederösterreichischen adels bestimmt war (Geschichte der Stadt
Wien s. 886 ff.) und auch wirklich zum grossen teile aus diesen
häusern besetzt wurde, eine Tursin, Schwester Katrey, ist 1415
dort nonne gewesen (Quellen zur geschichte der Stadt Wien
1. abt, no. 4405). Es scheint mir die annähme nahe zu liegen,
dass die eintragungen der handschrift 2779 in diesem Klarissen-
kloster vorgenommen sein mögen. Denn dass die handschrift
selbst in Wien hergestellt wurde, wird man wol vermuten
müssen, da eine grössere anzahl berufsmässiger Schreiber, wie
sie dabei notwendig war, nicht leicht anderwärts, wol aber
gerade in Wien sich vorfand. Das bezeugen die von Uhlirz
gesammelten notizen über die Wiener Schreiber, Geschichte
der Stadt Wien, besonders s. 36 f. und anm., schreibernamen
a. a. 0. s. 604, Schreiber im dienste der Stadt a. a. o. s. 448,
STUDIEN ZUR KRONE. IL 347
schreiberzechen s. 610. 899. 924, Schreiber bei handwerker-
zechen s. 643 ft". Freilich wird man unter diesen Schreibern
zumeist notarii zu verstehen haben, nicht berufsmässige
copisten. aber solclie müssen doch aucli darunter gewesen sein
(die Wiener Dominikaner bestellen sich zur herstellung eines
messbuches einen Schreiber aus Wiener-Neustadt, vgl. Redlich,
Eine AViener briefsammlung no. 145). Trifft meine früher
ausgesprochene Vermutung zu, dass der codex 2779 im auf-
trage eines hauses des deutschen ritterordens hergestellt wurde,
dann wäre die stattliche kommende zu Wien in der Singer-
strasse (Geschichte der stadt Wien s. 875 ff.) mit Wahrschein-
lichkeit als der entstehungsort der handschrift anzusprechen.
Dort hätte die nötige anzahl von Schreibern zur Verfügung
gestanden, um gleichzeitig an dem codex zu arbeiten, und
dieser mochte vom hause der deutschen herren aus, die sich
hauptsächlich aus dem landsässigen adel Niederösterreichs
recrutierten, an die adeligen frauen von St. Klara verliehen
worden sein.
Gewiss ist das geflecht dieser Vermutungen über die pro-
venienz der genannten handschrift etwas dünn gezogen, es
soll aber auch nur so lange dienen, bis es durch ein festeres
ersetzt werden kann.
II.
Die im folgenden gedruckte collation von Scholls ausgäbe
mit der Wiener hs. der Krone — eine arbeit, die von den
fachgenossen widerholt gewünscht wurde — habe ich während
der ersten monate des Jahres 1907 in aller bequemlichkeit
angefertigt und spreche dafür dem director der kaiserl. hof-
bibliothek in Wien, herrn hofrat von Karabacek, auch hier
meinen ergebensten dank aus. Der gedruckte text wurde
unmittelbar mit der hs. verglichen, dann diese mit den ge-
druckten Varianten und endlich nochmals bei der Zusammen-
stellung alles, im ganzen zum dritten mal, verglichen. Dadurch
glaube ich meinen angaben eine gewisse Zuverlässigkeit ge-
sichert zu haben.
2 den red 4 iht steht da, ist aber durch den unteren teil der grossen
initiale verdeckt 5 mau ein treit G Swer ged auf rasur 24 er ie
leuger fleuhet 33 in g-evlieheu ist h zu g corrigiert 58 verfmit
70 tuuchel 8i Dar er 94 glaz oft 1. 98 preheud 114 Eins ia.
348 SCIIÜNBACH
dez andern nein 123 Lazvre 124 gebeut 132 werlt chron 151 oft
w. 161 oft g. 167 Ein tail 181 wau dez in fein nie verdroz
223 chcerlinge 246 ein t. 256 zeitleich 258 gar. sunder m.
274 bezaiclient diu 278 ouch aus doch corr. 279 Dez winters herten
twauchi'al 286 vrawe 287 wise 298 rat 299 Fortune, e aus
ae corr. 803 phyloFoplieiu 309 milt 311 get 321 zuerst erworben
und getilgt 322 man uiht becbeunet 324 den fvn 348 Di a. tet
354 Da peidiv 356 Da 369 yalcun 397 chom 414 valfchen main
415 als iz feit an im fchain 444 Alfo doch maniger tut 449 Dez
füht-vrömdY 458 chranch 486 In daz laut 492 braht ze Br. 500 in
dar 501 KoJ't vud france 510 wurden 578 waz 583 vor liebe
steht leide getilgt 590 Vud fylliroys Karlin 618 Do dife f. a. 640 Ma-
nigen weis 641 uieile 646 felb 665 Vnd den harnafch weit
685 rieh fehlt 724 lenger 817 erfach 847 Vnder div 871 fv
van'el 891 Geleich. ez wser dez 898 vadi hof steht e getilgt 926 Sie
fehlt 933 Vnder dev 941 Ditz mser. c. chomen was. 951 Seiniv
1000 adelers, die form, die auch in der Vorauer novelle begegnet, vgl.
2837. 7189; dagegen adelar : dar 2837, adelär : klar 15733 2 andern
13 vor privr steht priuk getilgt 48 valfchhaft 59 Ichül 61 an
dem maiften 91 ze t. 188 dirr fandvnge 202 dar in 217 ir
ez 234 Der da waz g. 245 m^'ft 270 begivzt er 295 Sayweins
323 Da er 356 Da er 361 zuerst .e. niht, getilgt und am rande enite
heigesetzt 375 Mauigiv 391 prvft ein Ivtlacheu 411 Wol vergoz
431 valfches vnd stset 448 Da galt 451 zv 453 div fchoz 459 böte
501 immer b. 515 wazzers 526 dehein vreife 546 amor 550 het
551 het 574 mit al velte 614 Charaille 617 Clameroy Yfel
737 Kort 745 bitter galle 746 Daz fehler 771 Niemen 781 hatzt
783 Vnd l'prach 799 Lvcans 848 Da er dez chvuges 849 Sein
h. an 855 Dife r. 867 tovget ez ob 898 mit dem claret 899 Dirre
bot wider nam 900 fehlt 947 vor gap steht bat getilgt 955 Sselden
chint 970 het 974 Daz es n. 994 eiu degeu aus engegen corr.
2005 Rüntauel 24 vor griez steht grovz getilgt 24 fwartzeu
rvz tropfen 29 vor tail steht hail getilgt 30 Da wachet 41 iamer-
licher 51 Oft 66 mfz 86 Dehein 88 Verfeit alle r. 101 ge-
wizzes nah harren 102 div eh. 207 sin fehlt, V hat hier einen abschnitt
228 Cvliantz 252 lelwet 257 vor leit steht treit getilgt 288 ze-ze 329 in
Markvedormon ist d zu g corr. 331 Vnd treneren 360 Meister Ha (getilgt)
Stperman 365 bos 402 felb 418 vor streit steht trseit getilgt 419 vor
Klagen steht tragen getilgt 439 Dietmarn 445 Hang 487 Nu fehlt
490 mich her g. 501 fehler vor in g. 510 über t von leit steht h
519 Hat zv 524 ze mazen feine 548 Eins oder beidiv 550 mvft 660 vor
hin steht fein getilgt 667 zuerst zewechken getilgt 688 auz em 713 rehteu
732 d. ez K. 830 Covrten 875 Keyn 876 geholde aus enholde corr
879 gewafens 891 In ern havs 990 Es wart eintweders flach
3048 Da in uiemen 74 da v. 77 ifemerchlichen 83 miffe
zam 113 habt geuad vnd d. 128 Daz lop 133 Nu waz 158 anthaiz
von degeny 162 vor vaut steht zoch getilgt 169 lenger 188 bewaret
STUDIEN ZUR KRONE. II. 349
225 Vnd lat 278 frveu 291 Wez 298 die zeile auf rasiir 300 Difer
red V. 376 Er raak 380 Kelter daü der chvlel't m. 413 Alle ntelit
421 Vuor er 446 nie erg. 448 da gefweich 453 So fehlt 464 vor
fchalcheit steht felikeit getilgt 471 lisel 474 Swer weip 497 gehört
509 siu 523 Ze meinr g. 528 dife 534 het 537 Ob ieraeu
ander Iwser 601 lenger 606 wser gar e. fl. 609 wiffet ir aus wiff
■wir con: 625 Hort 636 eintwer 639 erreitet 717 chelten
718 fein getilgt 721 gardin 725 het 760 getrouret 766 Vnd
daz ir ivch meinen gr. 775 an ivch 795 vor ftreit steht ftret getilgt
822 Iseh 879 Ern bit f. 889 Ze L
4039 bei'ah 43 gerner 58 gleicbiv 59 g. .dem guten w.
60 behert aus bechert corr. 82 Au chleider (tvol = an kleider)
91 immer gefein 181 enthabt 209 ienien 219 aus g. 249. 50
sind timgestellt 250 ein fehlt 255 wsere fehlt 266 ers 271 einen
285 einr 293 aus einem b. 296 lein f. 351 fchimpf 373 Do fi
1. e. fpr. 385 Nv leht war 402 mit von im 480 Vnd lint der g.
492 hie dar in 495 vor ich steht ist getilgt 503 In dem wiuder
576 Vnd vaften 606 Drvmer o. 611 chomen 613 Da dirre 663 auf
di h. 680 Daz het 694 mere 701 S\v. daz er v. 786 Mich
entrieg 794 Dez fvlt 796 ze m. 805 b Hut nv e. 877 dez b.
891 Vud ein eh. 897 Alfo vil m. 924 ein fehlt 997 ir die
5036 Vnbetlicher 72 antwurt 80 gelübd — zebrochen 123 vn
geloube aus im geloupte corr. 161 Ichu wil ouch, wil aus weiz corr.
227 vor oder sieht er ir getilgt 247 Do er 251 envienget, der vers
fehlt nicht 259 vor wir steht wse getilgt 271 Wir verdien wol gnad,
vor in steht dich getilgt 290 vor zunge steht zorn getilgt 293 vor
noch steht wirt getilgt 296 gebt — Telheu 300 becheü ivch 317 Nimt
329 red da ia 330 fi waer 367 neoerefpine 403 gewonlich fite
415 feuftlichen 416 werlt niemeu tvgen 418 Aid einem 432 vürnd
435 geent r. 446 moht 464 weinaehten 530 povm zart 532 Itahel
bovm 578 vor enbor steht vor getilgt 610 Vnd daz 620 Geriven
640 Einen g. 647 Iwanet 661 Ein Iteik 662 Ze britanie gen
dem lande 668 zweimal Nv 684 chom 744 gef prochen 745 weinseht
810 mahaft 853 vil vrage 882 e. also w. 911 vür den zol. 934 Der
n n. 941 der fehlt 976 bechomen 984 vnvüch
6005 chund ivch 42 ermet 948 Ilseht aus flseft corr. 121 i'ein
Tchilt 133 vor ner steht verre getilgt 158 j. mite 159 zegitte
160 zwischen er und fpehen steht Iparen getilgt 165 vliezen. 184 Daz
waer, darauf folgt 186 tind dann: Daz doch oft ift erhorn 250 in ver-
wazen ist w aus 1 corr. 253 Ilaffer 256 het 281 waren 346 Gawein
het auz cheret 350 Swer an vivr wil chvchen 355 Daz er binden
tut nach 373 feinr fein g. 876 Sam eiuf engeis b. 380 Dez geftat
396 Vil übel 408 prach aus fprach corr. 414 Toteu. vnd. vngefvuden
421 Toten auf hüben 445. 46 sind vertauscht 449 Baudarap 452 brüder
540 Von in dez leibes 548. 49. sind vertauscht 582 chraft loz
610 von dir 1. 632 noten 660 ader, vor waren steht lagen getilgt
674. 75 geloupt : houpt 693 allez 701 leut aus blüt corr. 721 Do
350 SCHÖNBACH
liat er azan givfe 743 Heienwizeu 784 vor verbarc steht bedacht
getih/t 785 gereirich 818 Ileter lieh ariz g. 836 Sein varwe waz
als ein v. 854 An der bertel vnd an der l'et 879 het 882 reitziere
889 ein veder 911 morel 917 vor an steht ei getilgt 919 vor galt
steht palaft getilgt 925 i'tarch 971 vor fpeht t^teht chneht getilgt
974 vor Sg. steht fp getilgt 997 eim rad
7114 vor fein steht mit getilgt 214 vor Tage steht chlage getilgt
220 danne 221 defter mer 253 anderen 272 aht 277 gleichem
299 ir niemen 304 vor liep steht heil getilgt 323 vor dacht steht
fleht getilgt 326 jamerchlichen 348 Daz fwand in di fw. 360 vor
holn steht doln getilgt 372 zera h. 412 Von dem alten ze dem chinde
418 fehlt nicht 425 vor begreif steht braht getilgt 439 folt 548 (7er
vers steht ztceimal 564 vewertet 568 Nider dez chinne 587 Da v.
614 da von g. 615 folt 693 zerbrach 695 niweu 704 wol
eine b. gez. 714 iv b. 726 an eneben 728 barmen 756 Bedaht
762 Aus erfniteu 771 in erholt ist r aus n corr. 804 ir nimmrr
811 ir aus iv corr. 819 ze dem 820. 21 sind vertauscht 824. 25 ver-
tauscht 841 Swie 844 ze der 848 wurdent div ors 857 den
ander 862 einr 870 vor man steht weip getilgt 880 Ez fprachen
aber nv genVge, der vers fehlt also nicht 919 allr der werlte 949 Wan
ir vatter 951 ze tortivre 961 ze deheinem 988 jvncfrowen
8005 warn 11 torivi'n 80 vor dicke steht ofte getilgt 91 Vil
fehlt 93 Da fehlt 109 Diu w. 111 triffet der ift 139 ketten
153 Swaz riechen tut gefvnden, fehlt also nicht 177 Sich het an ir g.
183 höh pravn bra 199 und fehlt 201 nider aus uiht corr. 255 vor
liez steht waz getilgt 257 diffe 258 topazi 260 Dez 265 ift
fein Kr. 280 cerauravs 313 gar an im verfw. 364 Dan 384 vafch,
]nau aus mein corr. 426 fi im f. 459 tot an 465 vnder joch beid g.
502 fehlt 507 maere 560 Wie g. m. 570 her g. 609 ir fehlt
612 fi vil gerne 613 beid wol gezemen 615 Oft hat fich 626 Wie
ez im dar nah ergienc 641 wil lofen 652 er ez ze dem m. 653 golt-
vaz bot 683 mixft vr. 687 da 730 Alfo 732 lie gar u. 765 dan
ob deheim k. 781 Swenn 788 ich fehlt 791 futtüch 809 da
fehlt 813 vellen fpern 814 vind fein 819 in gefigen ist i aus a
corr. 901 mit piders t. 979 Swaz iv fi fein in mitwift 987 fpern
9006 Lohouis 15 fi. e. wolde 23 Katharach 37 Kambroyos
39 Fimbeus 61 vor felbes steht hant getilgt 78 niht enbeiten 110 de-
hein aus deheiur corr. 111 dann ir einr, r getilgt 118 warn dan
126 in fehlt 127 Ein chleinen 211 vor riiffen steht rei getilgt 239 Het
erz 241 bei in beit 262 fein fchaden 300 in trugen ist g aus h
corr. 307 ein 368 Vier zen 371 vor fweine steht favm getilgt
402 vor komat steht kemnat getilgt 404 ir fehlt 411. 12 umgestellt
420 vor dem falschen brach steht das richtige barch getilgt 440 vor
Dar vnder steht Da von getilgt 470 Vnd kert 485 Auf em walde
492 Ävf em 498 hinder im 510 vreiflichem 550 vil fehlt 558 mvft
dar 579 Saz fehlt 607 vor in steht fan getilgt 646 mit .e. 689 Ir
kfemph chom 711 ia fehlt 731 den rehten 773 Balahyn 780 Da
STUDIEN ZUR KRONE. III. 351
him da er liet g. 811 Zu G. 864 geheizen avs gehellen corr. 894 auf
em l'atelpogen 924. 25 umgestellt 962 gefpach 964 vor bereit sieht
geleit getilgt 980 zir landen 982 vor mant steht Avant getilgt
10003 Gawein /e/i/< 9 niht langer 33 vor boren steht boten
getilgt 58 Daz er in het erJtochen 91 fich do feiur 135 vor ivch
steht joch getilgt 183 al eine 205 Auf em h. 215 Gavdin 223 Key
345 Behalt er 357 Div raser vlugen drate 373 vor gienc steht von
getilgt 406 weit ez 414 weib luge j. 426 herzenliebe vrTnde 439 wurt
vil lobesara 445 mit in lo 448 Daz enlüch niemen a. 452 Ein
well vliehen gütiv weip 485 Div waz 534 wol an in verfworn
558 het 574 auf fein zweimal 595 deheinr 611 auf em fpot 631 an-
derm 665 gleichem 668 Gafoein fwaz ez kost, fehlt also nicht 669 Do
entweich von der tjoft, fehlt also nicht 672 lie 695 ein belibt radiert
765 gvnne iv al der e. 811 dyaletige 836 iv uil gut 841 wil
vürdern 849 Gaudin 881 Ift fi niht w. b. 900 Verfunet vnd Gafoein
924 lenger 949 Diff 985 Leit er vil gr., vor vil steht vo getilgt
994 enfolhen weis
11002 Vnd hiez di riter weichen 31 Vrlobes er niene nam, fehlt
also nicht 39 Diff 114 Kert er dau mit eile 119 da varen
157 Nur daz 165 Nur daz er 198 Da er 202 bin bezigen 223 In
anders dehein a. 230 ein raeil g. 249 Gotegrein 263 moht vahen
302 Alfo von vrchunft 321 gevie 384 wiffet 454 div haut 459 feis
niht 475 aber fehlt 493 gehen aus fehen corr. 503 des nie gedahten
507 in zecharidol 511 vor mser steht warheit getilgt 514 Jamerchleicher
524 Wau riter vnd vrowen 548 vor klar steht blank getilgt 539 Hertzen
breften liden chrachen, fehlt also nicht 555 da fehlt 581 jamerleich
593 Ynd da fi daffues 612 Da er 639 vor zuo steht fit getilgt
669 gern von im 675 er mer dehein 700 Wan fi in kumber wart g.
710 lide ze 1. 712 wol fehlt 715 fie fehlt 722 chom 800 ir
lafter da mit 851 Da ich ze 888 Die fchilt 910 vor baut steht
haut getilgt 965 vor fein steht fo getilgt 984 do 992 Vnd ftarch Avsern.
12018 vor vürbaz steht fo getilgt 43 wal ftet 113 Den zer
114 Nv vngelich. nv emieben, fehlt also nicht 138 beide div m.
156 Gaudin 170 von dem 185 nimmer 226 uns da ein
265 Allez waz — .
III.
Schon vor längeren jaliren hat herr Alfred Anthony von
Siegenfeld, k. k. kämmerer, die gute gehabt, mich aufmerksam
zu machen, dass Heinrich von dem Türlin die wappen, welche
er verschiedenen in seiner 'Krone' vorkommenden rittern ver-
leiht, adeligen familien aus Kärnten abgeborgt hat. Die hoff-
nung, dass er selbst, als der competenteste forscher auf diesem
gebiete, sich mit dieser für die beurteilung der 'Krone' und
ihres Verfassers wichtigen frage beschäftigen werde, muss man
352 SCHÖNBACH
wol jetzt aufgeben, uud so nehme ich es auf mich, unterstützt
durch die gütige hilfe meines freundes prof. dr. Hans Gross,
vorzulegen, was ich zu ermitteln wusste; es werden sich dazu
gewiss manche correcturen uud ergänzungen beibringen lassen.
Die stelle der 'Krone', um die es sich hauptsächlich han-
delt, ist die beschreibung des grossen turnieres beim kastell
Sorgarda (17648), wo Gawein sämmtlichen teilnehmenden
rittern, darunter selbst dem Veranstalter des festspieles, Lei-
gamar, obsiegt, auf den ausgesetzten preis, die band der Fursen-
sephin (= fieurs saus epine nach Singer, Zs. fda. 38,263), zu
gunsten seines genossen Quoikos verzichtet (18664) und von
dannen reitet (18681). Einer der hervorragendsten ritter dabei
ist Fiers von Arramis (17920), der geliebte der Fursensephin,
von dem es 17921 heisst:
Des herze vert nach hohem pris
und Tüert eines grifen klä —
vgl. 18485 ff. 18500. 18505.
Die greifenklaue, sofern sie hier wirklich als wappenbild ge-
meint ist, findet sich in verschiedenen wappen (z. b. Grüeu-
thal, Wildenstein); für uns kommt hier nur das der freiherrn
von Dietrichstein in betracht, weil diese die alten Kärntner
Hohenburger (mit dem lindwnrm, vgl. v. Siegenfeld, Steirischer
uradel, tafel I, 8. II, 8. III, 6 u.s.w. von 1204 ab) beerbt haben,
ihre greifenklaue bringt der alte Siebmacher (1657) 1, 22 — 24,
vgl. Ralf von Retberg, Die geschichte der deutschen wappen-
bilder (1887) s. 56. Den greifen selbst führen die Greifen-
felser, ein ganz altes Kärntner geschlecht (Steirischer uradel,
tafel XIV, 2).
Der nächste ritter mit einem wappen, dessen die 'Krone'
gedenkt, ist:
18046 Cavomet von Arabie
mit richer massenie
kam ze dem turnoi.
18076 Cavomet der msere
ze wäfen einen anker vuort,
da mite er suochen wolt den vurt
an dirre juucvrouwen —
Dieser anker wird unmittelbar zurückzuführen sein auf das
wappen, welches Gahmuret im Parzival Wolframs von Eschen-
STUDIEN ZUR KRONE. III. 353
back annimmt für die zeit, während Avelclier er im dienste
des häruc's von Baldac kämpft:
Parz. 14, 8 dar koin der jung Anschevin :
dem wart der bariic vil holt,
ja nam nach dienste aldä den solt
Gahmnret der werde mau.
nu erloubt im daz er müeze hän
ander wäpen denne im Gandin
da vor gap, der vater sin.
15 der herre pflac mit gernden siteu
üf sine kovertiure gesniten
anker lieht hermin:
da nach muos ouch daz ander sin,
ufme schilt und an der wät.
20 noch grüener denne ein smärät
was geprüevet sin gereite gar
und nach dem achmardi var.
daz ist ein sidin lachen:
dar üz hiez er im machen
25 wäpenroc und kursit:
es ist bezzer denne der samit:
hermin anker drüf genst,
guldiuiu seil dran gedraet.
sin anker heten niht hekort
30 ganzes landes noch landes ort,
15 dane warn si ninder in geslagen:
der herre muose fürbaz tragen
disen wäpenlichen last
in manegiu laut der werde gast,
5 nach dem anker disiu mal,
wand er deheiner slahte twäl
hete ninder noch gebite.
wie vil er lande durchrite
und in schiffen umbe füere? —
Demnach wird Cavomet (18445. 18453) aus Gahnuret verlesen
oder verhört sein. Der Krone fehlt an dieser stelle auch der
häruc Wolframs nicht, nur ist auch er entstellt aufgefasst:
18058 und ein jüngelinc von Syriä,
ir beider mäc, der was ouch da,
der Väruch was genant.
Es wird demnach nicht nötig sein, für dieses wappen darauf
hinzuweisen, dass Ulrich von Stubenberg, als er sich zur fahrt
ins heilige land rüstete, am 25. juni 1216 mit diesem, dem
Beiträge lur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 23
354 SCHÖNBACH
Parzival Wolframs entlehnten anker siegelte (v. Siegenfeld.
Steir. uradel, tafel II, 9 und Steierm. wappenbucli von Zacli.
Bartsch, 1893, s. 131). Darnach folgt
18080 und wolte sie erhouweu
mit einem swert Melde,
(schon durch Singer a.a.O. yehefisert)
daz vuorte er ze velde
durch ir edele miune.
vgl. 18308 Baruz oucli daz selbe tet
Melden und durchstach daz swert — .
Dieses schwert im wappen kann ich zur zeit nicht nachweisen,
aber vgl. v. Retberg a. a. o. s. 88. Um so wichtiger ist das
folgende:
18081 Efroi nach sselden gewinne
vuort Fortunam üf em rade,
und daz wart manegem schade,
wan er ritterlichen reit.
vgl. 18304 da wart Fortuna und daz rat
vil rilichen durchstochen —
Denn dieses seltene wappenzeichen findet sich nach einer
antiken gemme auf einem alten siege! der steirischen Murecker,
die viele beziehungen zu Kärnten hatten (Steirischer uradel,
tafel 1, 1).
Nicht belegen kann ich vorläufig das nächste wappen:
18088 Iger durch bescheideuheit
ein sense vuoi-t, diu was breit.
Auch V. Retberg a. a. o. s. 88 weiss die sense nicht vor dem
14. jh. zu belegen. Sehr bekannt ist dagegen der leopard im
Kärntner wappen mit derselben farbengebung (vgl. v. Siegen-
feld, Das landeswappen der Steiermark, s. 116 — 119), der dem
nächsten ritter der Krone gehört:
18090 Poidas, der jüngelinc,
brähte ouch an den rinc
ein wäfen, daz gelobet wart:
daz was ein richer lebart
üf zobel von härm gesniten,
und alle, die mit ime riten,
daz selbe wäfen leiten.
Ebenso offen liegt die beziehung der folgenden verse:
18097 einen adelar breiten
vuort Laamez von Babilöu.
STUDIEN ZUR KRONE. IH. 355
der nach der meide rainne loa
mit siii geselleu was verdälit.
Einen adler mit ausg-ebreiteten fliigeln führt das wolbekannte
gesclilecht der Triichsen (Trixen) in Kärnten, und zwar zuerst
1192 ganz, später die obere hälfte (Steir.uradel, tafel 1,3. IX, 1).
Die fessel kann ich nicht aufweisen, die zunächst folgt:
18101 Aschaloue ein wäfeu bräht,
daz was ein poi von golde,
da mite er sich wolde
der meide in vancnisse geben
beidiu mit guote und mit leben
Hingegen ist das wappen des häriic 18106 ebenso selten als
gerade deshalb erkennbar:
Väruch vuort ein olifant
dar umbe, daz sin eigen lant
deste baz w^ere bekant.
vgl. 18510 Väruch mit dem olifant
den stach nider üf den sant.
Der elefant ist das Wappentier der grafen von Helfenstein;
vgl. V. Eetberg a. a. o. s. 45.
Die verse 18128 ff. sind ganz lückenhaft überliefert (vgl.
Singer a. a. o. s. 263), deshalb fehlt die angäbe, wer das folgende
Wappen führte:
— sie ze velde brähten:
das was ein einhorn:
wie gar lihte dem wart zorn,
daz hänt ir vernomen e.
18306 f. wird ein träger des Wappens genannt:
da wider wart durchbrochen
der einhorn Marmoret —
Unter den verschiedenen familien, die später das einhorn im
Wappen führten, Reig im alten Siebmacher 1, 26, Parchwitz ebda.
1,29 und Prunner von Vasoltsberg 2,45, wird man wol die
letztgenannten als besonders alt hier anmerken dürfen; vgl.
V. Retberg a. a. o. s. 45.
18134 den gräve von Bigame
und Sorgarit, sin bruoder,
die truogen diu ruoder,
wan in dem nier wa^ ii' gewalt.
23*
356 SCHÖNBACH
Das müssteu nach lieraldiscliem brauch zwei gekreuzte rüder
sein, die ich jetzt nicht belegen kann; vgl. aber v. Retberg
a.a.O. s. 82.
18138 Heiraet, ein recke balt,
lind dar zuo sinr gesellen dri,
Eeins, Greins und Eugri,
die truogen alle den le wen.
Einen steigenden löwen, sehr charakteristisch, das haupt dem
beschauer zugekehrt, haben die herren von Karlsberg in
Kärnten im wappen (Steii\ uradel, tafel II, 7. XII, 9); vgl.
V. Retberg a.a.O. s. 71.
18142 ein recke guot von Ansgewen
Mitarz und Cleir von der Yoie,
der beider wäfeu was ein moie.')
Ferner 18457 De Syria Äschalone
tet diu groze schände we,
dem recken mit der poien:
Mitarz mit der moien
gert^) er ze tjostiure.
Dasselbe wappen führt Galaas, der gegner Gaweins, nach
10025 ff. Gäwein sich binden üz stal
under diu mit sin gesellen,
und kerten mit eilen
üf den risen, da er lac
und sius gemaches starke pflac,
10030 wan er vil gar an angest was
und wände, ez wsere Galaas
und die gevangen von Eigrftn,
do er ersach die schilde brün
und dar üf von golde boien
und einhalp die moien.
Was unter moie (sw.f.) zu verstehen ist, kann ich nicht sicher
ausmachen. Vielleicht ist an ein tier zu denken, und dann
wäre die Vermutung zu erwähnen, die dr. Georg Graber in
seiner einstweilen nur handschriftlichen Grazer dissertation
über die Krone aufgestellt hat: moie = larus, mewe, müwe,
der Wasservogel (vgl. DWb. 6, 2166). Er beruft sich dabei auf
die heutigen kärntnerischen mundarten, in denen es z. b. heisst:
t
^) P liest der moyn. V di moren.
') gert aus gewert corrigiert auch Singer, Zs. fda. 38, 2G4.
STUDIEN ZUR KRONE. IIT. 357
is a moia aufyJ^fJögn, in der nähe von bächen und reichen.
Als wappenzeiclien ist die niöwe nicht nachweisbar, wie denn
überlianpt die zahl der in der heraldik verwendeten vogelarten
sehr gering ist. Die moie hier mit dem moin des bruder
Wernher (vgl. meine Beiträge zur erklärung altd. dichtwerke
4, 24 ff.) zusammenzubringen, wird schon wegen der differenz
des genus nicht angehen. Die deutung v. Retbergs a.a.O. s, 8:
moie = birkenreis, beruht wol auf der gleichung moie = kämt,
die maie, tirol. der maie (DWb. 6, 1456); ob sie zu recht be-
steht, kann ich nicht entscheiden. Jedenfalls ist das nicht das
einzige wort Heinrichs von dem Türlin. das sich der vollen
aufklärung bis jetzt entzieht.
Die aufzähluug von neun rittern 18145 ff. wird 18153 be-
schlossen: Die nu hoeren wellen,
waz ir aller wäfen weere,
den sage ich ditze nigere,
als ichz in welsch gelesen hän:
daz was ein gar wizer swan.
Vgl. noch 18563.
So häufig der schwanenrumpf besonders als helmzier vorkommt
(v. Eetberg s. 98), so selten ist er als Wappentier, und ich kann
ihn für Kärntner nicht nachweisen.
Die leute des herzogs von Aram (18161. 18260) führen die
vlüge (18176. 18274. 18529) im wappen, ohne zweifei das zeichen
der mächtigen grafen von Ortenburg in Kärnten (Steir. uradel,
tafelll,8; IX, 4. 5; XII, 5).
Die Wappenbilder der gegner des Fiers von Aramis kommen
dann noch einmal in dessen rede vor: der adler 18417. 18443,
sine u-ite vlüge 18423; der anker 18419. 18428. 18447. 18454;
boie. elefant (noch 18510), sense, leopard 18430 f.
Gawein kämpft mit einem Pseudonymen wapi>en, wie aus
18596 ff. sich ergibt:
Der helt der wsere unbekant
und wsere so umb in gewant,
daz in nieman künde erkennen
unde ouch genenuen
18600 an wäfen noch an kleinote,
wan daz er flamme röte
ze wäfen üf swarz vuorte,
daz man sie vil Avenic spurte,
and ze kleinote ein ermel wiz.
358 SCHÖNBACH
Da liier das helmkleinod offensichtlich dem nachgebildet
ist. welches in Wolframs Parzival Gawein von Obilot annimmt,
dessen zwist mit Obie ja gleichfalls hier widerkehrt, so wäre
für die roten flammen anf schwarz kaum eine anlehnung zu
erwarten. Und doch ist auch dies ein historisches wappenbild
der herren von Greiffenperg- (im alten Siebmacher 1, 40, 2);
nach V. Retberg s. 50 als vollständiges wappenbild erst im 15. jh.,
als beiwerk älter.
Ausser diesem zusammenhange werden aber noch wappen
in der Krone erwähnt. Als Gawein sich von Amurfina ver-
abschiedet, erhält er von iln- durch den zwerg Karamphiet
ein Schwert.
9100 und einen schilt vesten,
der übel mohte zebresteii,
der was ime ein ninre:
sin velt was von lazüre,
dar vif ein sloz von golde — .
Die folgende auslegung auf die gewalt der minne scheint einen
realen bezug auszuschliessen und doch kommt das an sich sehr
seltene wappenbikl als vorhangschloss bei dem österreichischen
geschlechte von Stadl vor (v. Retberg s. 84), das beziehungen
zum kärntnischen adel hatte.
Von der bürg Eigrun kommt Galaas :
9808 her abe macht sich Galaas
mit vil grozer hochvart,
9810 wol gewäfeut und bewart,
ze Gawein üf daz gevilde.
er vuorte üf sinem schilde
von swarz ein ruhe beruklä
(der schilt was gar anderswä
9815 an dem velde von golde),
da bi man wizzen solde
daz er was wilder danne ein her — .
Der bär kommt als wappenzeichen schon im 12. jh. häufig vor
und den wachsenden bärenrumpf führt die grosse familie von
Truchsen (Trixen) des kärntner adels, allerdings erst nach-
weisbar 1250 (Steir. uradel tafel XYI, 9); auch die bärentatzen
sind alt und begegnen bei den Tiroler "llntlern, die viel in
Kärnten zu tun hatten (alter Siebmacher 1, 42), bei den Hoja
(v. Retberg s. 37), bei den Raffenberg, Fierer und nachmals
STUDIEN ZUR KRONE. ITI. 359
bei den
schlesisclien grafen Pfeil (alter Siebmacher 2, 17.
18, 1. 35.
50).
Als
Gasozein wider künig Artus in den kämpf reitet,
heisst es
10510 im was von einem blialt
ein wäfeu gar einvalt
gesniten sunder zadel,
dar an was dehein tadel,
wan ez von golde was erweben
10515 da mitten unde euneben
von lewen, die wären groz;
swaz velt beleip goldes bloz,
da schein ez sam ein pfäwen zagel.
Singer meint (Zs. fda. 38, 259), es sei 10511 vielleicht wäfcnkleit
einzusetzen, da von dem eig-entlichen wappen erst 10542 ff,
die rede sei. Aber es genügt wol die technische bezeichnung-
reit 10517, um annehmen zu lassen, dass auch hier ein wappen
gemeint ist. Und was hätte das besteck mit pfauenspiegelii
sonst zu sagen, das nun freilich hier nicht als helmkleinod,
sondern als wappenzeichen angeführt wird. Die löwen in der
mehrzalil können als wappenbild nur drei (aus zweien ent-
wickelt) sein (v. Eetberg s. 70 f.) und sind schreitende löwen
übereinander von links nach rechts (heraldisch), das gibt das
landeswappen von Kärnten, allerdings ei'st nach der Schlacht
von Laa 124G, vorher gehörten die löwen den österreichischen
Babenbergern. zumal ihrer secundogenitur, den herzögen von
Mödling. Es scheint mir nun durchaus nicht zufällig, dass
Gasozein, diese für uns so unsympathische persönlichkeit, ge-
rade mit diesem wappen ausgestattet wird; Heinrich von dem
Türlin muss diesen beiden, wie sich aus manchen anderen
details noch ergibt, ganz anders aufgefasst und beurteilt haben.
Die pfauenspiegel als kleinod können, vornehmlich bei vasallen,
sehr wol mit den schreitenden löwen verbunden sein und sind
es widerholt wirklich, so bei den alten truchsessen von Wald-
burg, und bei niemand geringerem als Rudolf von Habsburg,
Vgl. über die löwen im kärntner wappen und den österreichi-
schen pfauenstoss v. Siegenfeld, Das landeswappen der Steier-
mark s. 252 ff.
10542 ein wäfen vuort der recke
äne valscli von lasüre,
und ein lewen, sam in natüre,
360 SCHÖNRACH
105-1:5 dar üf geworht het von golde,
mit gebsereii, sam er wolde
die werlt gar verslinden,
und von den widerwinden
gab er von listen einen doz,
10550 des stimme was ze mäzen gröz,
sam er lebte und scbriwe da,
und hete lange scharpfe klä,
ze mäzen verre üz gezogen,
und het sich nf diu bein gesmogen,
vgl. 3820. 9421.
10555 reht sam er stüende ze Sprunge,
und vuor ime diu zunge
enwäge in der chewen;
ez hete den selben lewen
ein buckel von golde bedaht,
10560 dar inne lac vil maueger slaht
von edelem gesteine
groz unde kleine.
Man braucht sehr wenig von dieser besclireibimg als dichterische
zutat abzuziehen, um sie A'^ollkommen passend für den schon
früher erwähnten (s. 356) steigenden löwen der lierren von
Karlsberg (Steir. uradel tafel II, 7 von 1214, XII, 9 von 1245),
dann derer von Silberberg (Steir. uradel Tafel XVI, 2 von 1249)
zu finden.
Sollte demnach der dichter seinen Gasozein mit zweierlei
w^appen ausgestattet haben? Durchaus nicht, das Wappentier
ist dasselbe, der löwe, und kennzeichnet den Kärntner als
freien fürstengenoss und als dienstmann (vgl. die erörterungen
v. Siegenfelds in seinem buche Das landeswappen der Steier-
mark s, 48 ff.). Wusste Heinrich von dem Türlin in den Ver-
hältnissen seiner zeit bescheid, dann konnte er Gasozein durch
die löwen und den pfauenstoss als Oesterreicher charakterisiert
haben, denn in den Jahren der abfassung seines werkes war
noch der panther das kärntner herzogs- und landeswappen.
Bei mancher Unsicherheit im einzelnen erhellt aus diesen
darlegungen doch so viel, dass unzweifelhaft Heinrich von dem
Türlin die beiden seiner dichtung mit wirklichen wappen edler
geschlechter seiner zeit und zwar insbesondere aus Kärnten
versah, ja mit wappen, deren kenntnis eine sehr genaue Ver-
trautheit mit dem adel Kärntens voraussetzt. Solche Vertraut-
heit erklärt sich am leichtesten, wenn angenommen wird, dass
STUDIEN ZUR KRONE. TU. 361
der dichter selbst aus Kärnten stammte. Mit dieser annähme
scheint nur eine offene tiir eingestossen zu werden, da doch
ziemlich allgemein in der Avissenschaftlichen literatur der A'er-
fasser der Krone als Kärntner gilt. Sieht man genau zu, dann
verhält es sich allerdings so, dass ein neues argument für die
herkunft Heinrichs von demTürlin aus Kärnten sehr willkommen
geheissen werden muss (vgl. Müllenhoff, DAK. 4, 673).
Die form seines namens, von der auszugehen ist, hat der
dichter selbst in dem durch Bartsch aufgefundenen akrostichon
(Germania 25, 96 f.) überliefert: Heinrich von dem Tvrlin. Diese
persönlichkeit ist, wie man weiss, bisher weder urkundlich noch
sonst historisch zu belegen. Nun hat Reissenberger in seiner
Schrift üeber die Krone (programm der Grazer staatsoberreal-
schule von 1879) auf einen Konrad von dem Türlin verwiesen,
der bei dem steirischen reimchronisten vorkommt und in ihm
einen angehörigen desselben geschlechtes vermutet. Dieser
Konrad war bürger der Stadt St. Veit an der Glan in Kärnten
und in eine Verschwörung verwickelt, die der Johanniterkomtur
zu Pulst nächst St. Veit angezettelt hatte und die darauf ab-
zielte, den in dieser Stadt weilenden söhn Ludwig des herzogs
Meinhard gefangen zu nehmen. Das unternehmen, an dem der
erzbischof Konrad von Salzburg und der graf von Heunburg
durch ihre Unterstützung sich beteiligten, gelang insofern, als
herzog Ludwig wirklich zu St. Veit (dabei wird wol Konrad
von dem Türlin behilflich gewesen sein) im Juli 1292 gefangen
genommen und seine habe geplündert wurde. Doch erreichte
die räche des herzogs Meinhard die Verräter geringeren ranges
bald und Konrad von dem Türlin wurde mit drei genossen zu
St, Veit an pferde gebunden durch die Strassen geschleift und
solchermassen hingerichtet. Der reimchronist nennt die Ver-
schwörer zuerst (ed. Seemüller) v. 60603 f.:
mit dem Karlspergsere
iiud mit Kilon dem Fribergaere,
60605 er was ouch wizzenhaft daran
von Friberc her Herman,
und ein burger zuo der zit
was gesezzen zuo Saut Vit,
hiez her Kuonrät von dem Turnlin,
60610 der und die friuude sin
wurden oucb erbeten,
362 SCHÖNBACH
daz si phliht heten
an der imtriwe.
Und als herzog Meinhards solin Otto die strafe vollziehen lässt,
heisst es 61179 ff.:
er eiipliak'h dem iiiarschalc ze tuon,
ÖllSO daz er von Friberge Kixou
und den Karlspergaere
und die schuldigen burgsere,
von dem Turlin hern Kuonrät,
und swer scbuldic waer an der tat
zunächst in den kerker zu legen befiehlt, sie werden dann ver-
urteilt. "Wie man sieht, gibt der reimchronist an der ersten
stelle die form Turnlhi, an der zweiten Turlin. Dem entspräche
ein lat. turi-icula, mlat. turricella, ttirricellus, turriculus, vgl.
Du Gange 8, 215 und aus diesem fnrnUn möchte .sich auch der
mangel des umlautes von n sehr wol erklären, der bereits Bartsch
an dem akrostichon aufgefallen war. Die einzige Urkunde, in
welcher der name Konrad von dem Turnliu vorkommt und in
der herzog Ulrich III. von Kärnten der äbtissin von Göss das
eigentumsrecht an hüben bestätigt (zwei spätere bestätigungen
derselben sache gibt es von 1281 und 1283), welche sie u. a.
an diesen bürger von St. Veit ausgetan hat, steht als no. 2966
im vierten bände der Monumenta ducatus Carinthiae, s. 684 f.
(ausgestellt zu Völkermarkt am 16. februar 1268) und bietet den
namen: Chunrado de Turlin de sancto Vito elvi (= v. Muchar,
Geschichte d. herzt. Steiermark 5, 329). Demnach hat dieser
TurUn mit porta und portula nichts zu tun, mit denen er ins-
gemein zusammengebracht wird, und auch nichts mit den ver-
schiedenen herren de Porta, die Reissenberger a.a.O. verzeichnet.
Denn das sind, wie die genannten Monumenta des herrn dr.
Jaksch von Wartenhorst lehren, ganz andere leute: Otto de
Porta und sein bruder Konrad sind ministerialen zu Wolfsberg
in Kärnten, ihre Porta heisst deutsch Thörl, Eherhardus de Porta
jedoch ist ein Krainer. Vielleicht ist dagegen der familie des
dichters ein Heinrich auf dem Thurm (die urkundliche form
kenne ich nicht) zuzuzählen, der als zeuge neben bürgern von
St. Veit bei einem tausch, kärntner guter betreffend, unter-
schreibt, den das stift Admont am 19. juni 1261 verbrieft: die
Urkunde ist zu Friesach ausgefertigt, das regest findet sich bei
V. Muchar, Geschichte des herzogtums Steiermark 5, 294. Ein
STUDIEN ZUR KRONE. III. 3G3
Thärnlein hat es im 15.jli. in Südsteiermark gegeben, vgl.
Y. Muchar 7, 420. Man wird dalier wol tun, künftig den Ver-
fasser der Krone nicht mehr als Heinrich von dem Tihiin zu
citieren, sondern, wie es Überlieferung und etymologie verlangt,
Heinrich von dem Tnrlin oder T^irnlin. Dass der genannte
Konrad, wenn er auf der Stadtmauer von St. Veit einen türm
besass, sehr gut im stände war, seinen genossen des nachts
das übersteigen der mauern zu erleichtern, wie sich aus dem
berichte des reimchronisten a.a.o. erschliessen lässt. sei nur
nebenher erwähnt.
Der nächste grund, der für die kärntner abstammung des
dichters der Krone geltend gemacht wird, betrifft die beschaffen-
heit der spräche des werkes. Sie ist erörtert worden von Reissen-
berger a.a.o. s. 19 ff., einlässlich von Zwierzina in seinen ']\[ittel-
hochdeutschen Studien' und von dr. Georg Graber in seiner
schon erwähnten, noch ungedruckten Grazer dissertation. Ich
meine allerdings, dass wir heute noch nicht weit genug sind,
um auf rein sprachliche argumente liin ein dichtwerk einer ein-
zelnen landschaft mit voller Sicherheit zuzuweisen, gebe aber
gerne zu, dass die bisherige forschung Kärnten als lieimat
Heinrichs von dem Turlin wahrscheinlich gemacht hat.
Es wird sich im zusammenhange damit nicht vermeiden
lassen, eine stelle der Krone zu erörtern, die bereits vielfach
behandelt worden ist, aber doch noch nicht dazu verwertet,
die aussage des dichters darin über seine eigene heimat (vgl.
Saran, ßeitr. 22, 151) festzustellen. Zuvörderst muss ich die
verse aus dem Wigalois ^Mrnts von Gravenberc anführen, auf
die Heinrich von dem Turlin sich beruft. Es heisst dort (ed.
Pfeiffer) : 216, 22 wurde geuomen ein turnei
von den Österherren uf daz Saut
(Saran, Beitr. 21, 257 f.)
da wurde gevaterschaft zetrant.
25 so sich die poinder fljehten
und nach gewinne daehten.
ich hän ir sliche wol gesehen.
wie si nach guote künnent spehen,
so sich den poinder wirret
30 und si diu stat niht irret.
da mac Verliesen wol ein man,
der niht mit riterschefte kan,
swaz er ze velde bringet.
304 SCHÖNBACH
Nach einer lebhaften beschreibung- der edlen freuden des
turniers (216, 4 ff.) folgt ein ausfall auf die Osterherren, welche
das ritterliche spiel, wo die gelegenheit es erlaubt und beson-
ders im gedränge, zu ihrem vorteil ausbeuten, indem sie ritter
gefangen nehmen, "zäumen', die dann ross und rüstung um
geld auslösen müssen. Bei diesen kann also mancher zu schaden
kommen: Wirnt hat auf dem Sand bei Nürnberg selbst gesehen,
wie sie es treiben. Es werden somit die Osterherren beschul-
digt, das turnierspiel aus einer Unterhaltung in einen unedlen
kämpf um schnödem gewinn, zur eigenen bereicherung, um-
gewandelt zu haben. Benecke verstand unter den 'Osterherren'
(anm. zu v. 8447) 'böhmische oder andere slavische ritter —
diese waren für AVirnt östliche nachbarn'; dabei bleibt jedoch
unberücksichtigt, dass nach anderen Zeugnissen (Biterolf 8276.
8442) gerade die ritter aus diesen ländern durch ihr Ungeschick
im turnierwesen bekannt waren, indes ausgezeichnetes geschick
erforderlich war, um in der angegebenen weise bei turnieren
sich zu bereichern. Wol deshalb denkt F. Niedner (Das deutsche
turnier im 12. und 13. jh. s. 16) lieber bei 'osterherren' an die
deutschen fürsten und ritter jenseits der Saale, aus der mark-
grafschaft Meissen, der Lausitz u. s. f. Das mag dahingestellt
bleiben. Nun nimmt aber Heinrich von dem Turlin, Krone
2938 ff. die verse Wiruts in folgender weise auf (vgl. Lichten-
stein, Anz. fda. 8, 15; Niedner a.a.O. s. 17 f.; Ehrismann, Beitr.
20,68. 22,436; Saran, Beitr. 22, 151; Müllenhof f, DAX. 4, 673 f.):
uiht uäch den Osterherren
disiu tjostiure stuont,
2940 die alle vinde in tuont
mit ritters behendekeit.
als min herre Wirent seit,
swä si sint ze velde.
in hat disiu melde
2945 geschadet vil starke,
wan die von der Marke,
wurden si sin inne,
si entranten mit unminne
vil lihte die gevaterschaft.
her Wirent ist so wärhaft.
2950 der ez von in gesaget hat,
und hat euch solher witze rät,
daz er wol erkennen kau
STUDIEN ZUR KRONE. III. 365
üz solheu siteu den man,
wand er ez dicke hat gesehen
2955 zuo velde an ritterlichem schehen:
ze Karlingen i;nd Britanje,
ze Brick (Brie) und vif Tschampauje,
ze Wal und ze Norwein,
ze Flandern und ze Lohrein (Lorein?),
2960 ze Normandie und ze Engellant,
ze Hengouwe und ze Bräbant,
ze Hessen und ze Hespelgou,
ze Dürngen und ze Brisgou,
ze Swäben und ze Sahsen
2965 daz ist uiht gewahsen.
daz sol man im gelouben.
got gesegene vor ir rouben
die herren vonem Sande
und die von Westerlande,
2970 Westväl unde Franken,
swie von der gedauken
von erst diz spil entsprunge.
swä sich ein Feier drunge
ze velde mit eim Osterman,
2975 der wurde also in getan
von siner kunst, im euweege heil, (vgl. 6079)
daz im geviele dez winster teil.
da wider ist uns ditz guot,
daz ir kunst und ir muot
2980 hie ze lande niht geschiht.
den aber geschiht von in iht,
daz sint die von Vrigiule:
der garzüne mit hiule
prisent wol den turnoi
2985 dort, als der Franzoiser croi
tuot mit uns und bi dem Ein.
weint si so schedeliche sin,
so beschin si nimmer unser schin!
Singer hat (Zs. fda. 38, 254) die ganze stelle, welche der Wiener
hs. fehlt, Heinrich abgesprochen nnd für einen einschub erklärt:
'Der dichter dieses Stückes scheint ein bewohner des Nürn-
berger Sandes, d.h. ein Baier, so wie Wolfram sich einen Baiern
nennt. Dasselbe für Heinrich anzunehmen, haben wir keinen
grund.' Das scheint mir ganz folgerichtig gedacht, wofern die
Osferherren der Krone mit denen Wirnts identificiert und diese
für Slaven oder für Deutsche von jenseits der Saale gehalten
366 SCHÖNHACH
werden. Dann niüsste natürlicli 2946 von TeneniarJce, was die
Heidelbei'g-er lis. bietet, stehen bleiben und es dürfte nicht
Ehrismanns Verbesserung (Beitr. 20, 68) angenommen werden,
Avie ich getan habe. Wie käme nun Heinrich zu dieser kenntnis
norddeutscher Verhältnisse? Woher hätte er erfahren, dass
zwischen den Meissnern usw. und andererseits den Dänen die
bände der verwantschaft (gab es solche?) aufgelöst wurden,
weil diese Deutschen sich auf den turnieren habsüchtig be-
nommen hatten? Und was hatten die Norddeutschen auf den
turnieren der Baiern oder gar der Friulaner zu suchen? Das
führt alles in ein unschlichtbares wirrsal. Die sache scheint
mir ganz anders zu liegen. Die stelle ist echt (das meint
auch Saran, Beitr. 22, 151), das zeigen schon gewisse lieblings-
worte Heinrichs wie melde, schelten, heil iviyet, daz winster teil
(15892), croi : turnoi (vgl. Lichtenstein a.a.O.; Reissenberger
s. 27 ff. und Warnatsch, Der mantel s. 99 ff. reichen nicht aus).
Vielmehr verstehe ich den ganzen passus so: mit dieser
tjostiure verhielt es sich nicht so, wie die Osterherren es üben,
die alle gegner mit ritterlichem geschick allerorts beim turnier
gefangen nehmen, wie das herr Wirnt berichtet. Dessen er-
zählung hat den Osterherren viel abbruch getan (besser viel-
leicht: hätte den 0. sehr schaden können), denn wenn die
Steiermärker davon erfahren hätten, wäre gar leicht im zorn
die nahe verwantschaft zerrissen worden. Herr Wirnt nun,
der dieses von den Osterleuten behauptet hat, ist so wahrheits-
liebend und besitzt überdies so viel einsieht, dass er sehr genau
aus ge"\vohnheiten solcher art den mann zu beurteilen versteht,
denn er hat dinge der art oftmals auf den turnierböden beim
reiten der ritter gesehen: in so und so vielen ländern, wo er
war, sind solche brauche nicht aufgekommen. Man muss ihm
glauben schenken in bezug darauf. Möge gott die freunde des
lierrn Wirnt vom Sande, dann weiter die der westlichen ländei',
Westfalen und Franken, vor solchen raubzügen (der Oster-
herren) beschützen, sie, von denen das kampfspiel des turuieres
seinen ausgang genommen haben mag. Wo immer ein Baier
beim turnier an einen Ostermann geriete, da würde er durch
dessen kunst gefangen genommen, wofern nicht das glück ihm
beistünde, und zwar so, das jener dabei übel wegkäme. Hin-
gegen steht es um uns hier zu lande insoferne gut, als solcher
STUDIEN ZUR KUONE. III. 367
(habsüchtiger) sinn und bolche gewantheit bei uns nicht bräuoli-
lich sind. ])ie aber darunter zu leiden haben, das sind die
herren in Friaul, deren garzune doi't mit weherufen das turnier
ebenso rühmen, wie es mit dem *kroi' der Franzosen bei uns
und am Ehein geschieht. Wollen die Osterleute bei den tur-
nieren solchen schaden stiften, dann möge niemals unsere sonne
auf sie scheinen (mögen sie niemals bei uns turnieren)!
Alles ist in dieser darstellung klar und steht in schönstem
Zusammenhang, wenn unter den Osterherren, Osterlkiten hier
die Oesterreicher zu verstehen sind, bezeichnungen, die für sie
bei Seifried Helbling gebraucht werden und wahrscheinlich
auch in Kärnten, wo der lateinische name Australes üblich
war (register zum 3. und 4. bände der Monument a ducatus
Carinthie 4, 983). Dann ist verständlich, weshalb die angaben
Wirnts von Gravenberg die gevatterschaft der Oesterreicher
und Steiermärker schädigen konnten (die gevattern sind, weil
sie unter denselben Babenbergischen herschern stehen) — was
sonst ganz undenkbar wäre, gleichviel ob man 2946 Tenemarlce
mit der hs. oder der Marlce mit Ehrismann liest — solche
raubsucht hätte das turnier leicht aus einem spiel zum ernst
wandeln können. Herr Wirnt ist nun durchaus glaubwürdig,
es ist gewiss keine erfindung oder Verleumdung, was er vor-
bringt, denn er besitzt urteil und erfahrung. Daher wird
gottes schütz zunächst für die freunde Wirnts angerufen, die
bei turnieren auf dem Nürnberger Sand mit den Oesterreichern
zusammentreffen, und dann für die übrigen ritter aus West-
deutschland, woher das turnierwesen ja gekommen ist, die
aber trotzdem sich auf das gewinnbringende "zäumen' nicht
verstehen. Den Baiern ergienge es schlecht, wenn sie mit den
Oesterreichern turnierten. AVir Kärntner haben davon nichts
zu fürchten, denn bei uns sind solche turniersitten nicht im
schwänge. Dagegen leiden die Friulaner darunter und sie
klagen über ihre furniere mit den Oesterreichern ebenso wie
wir uns mit französischem kampfruf bei unserer art des tur-
nierens in derselben weise wie die rheinische ritterschaft
freuen. Die Oesterreicher aber mögen uns mit ihren künsten
vom leibe bleiben.
Es hat also von v. 2967—2988 Heinrich von dem Turlin
die ritterschaft der verschiedenen länder aufgezählt, die von
368 SCHÖNBACH
den Oesterreichern beim turnier übles erfuhren. Wo er sich
einschliesst 2978 ff., das kann sich nur auf Kärnten beziehen,
es bleibt gar kein anderes land sonst übrig. Insofern enthält
also dieser passus wirklich ein Zeugnis für Heinrichs abstam-
mung aus Kärnten. Nur wenn die Österherren der Krone die
Oesterreicher sind, was Ehrismann zuerst gesehen hat Beitr.
20,68, dann entfallen alle Schwierigkeiten. Doch mache ich
ausdrücklich aufmerksam, dass damit noch nicht bewiesen ist,
auch Wirnt habe in seinen versen über die österherren die
Oesterreicher damit gemeint; ich lasse das vorläufig unent-
schieden und bin nur überzeugt, dass der dichter der Krone
die österherren des citates aus Wirnts Wigalois für die Oester-
reicher gehalten hat. Vielleicht spiegelt sich auch in einzelnen
Vorgängen beim turnier zu Friesach von 1224 (vgl. darüber
Zs. fdph. 28, 201 ff. Monum. duc. Carinthie 4, no. 1871) diese auf-
fassung österreichischer turniersitten wider. Jedenfalls sehe
ich es als ein directes zeugnis für die richtigkeit meiner auf-
fassung an, dass die Wiener hs. die ganze stelle fortgelassen hat.
Diese handschrift ist wahrscheinlich (vgl. ob. s. 344 ff.) für adlige
herren aus Niederösterreich hergestellt worden, der Schreiber
oder sein auftraggeber hat den passus mit recht als beleidigend
für die ritterschaf t Oesterreichs angesehen und daher unterdrückt.
Ehrismann stützt dieselbe ansieht über die Österherren auch
auf die erwähnung der ritter aus Friaul an dieser stelle der
Krone v. 2981 ff. Zu meiner widergabe bemerke ich nun, dass
ich sie nicht für völlig gesichert halte, nur für sehr wahr-
scheinlich. Denn einmal werden 2981 durch aber (der vers
ist zum guten teile corrupt) die Friulaner den vorher erwähnten
Kärntnern entgegengesetzt, die von den Oesterreichern nichts
zu leiden haben. Dann wird das geschrei ihrer garzune als
hnden bezeichnet. Nun weiss ich ganz wol, dass dieses wort
ahd. und mhd. gelegentlich auch freudenrufe bezeichnen kann,
in der ganzen altdeutschen geschichte des wertes überwiegt
aber die bedeutung 'klagegeschrei, weheruf'. Und zu diesem
sinne allein passt auch der zweite gegensatz, wie ich ihn ver-
stehe, nämlich zu dem französischen kroi, zu den freudenrufen,
die bei den furnieren der Kärntner und der Kheinländer im
schwänge sind, wo das vergnügen der turnierenden nicht durch
die gewinnsucht einzelner teilnehmer gestört wird.
STUDIEN ZUR KROXE. ITI. 369
Was nun die bezieliungen zwischen dem adel von Kärnten
und von Friaul anbelangt, die liier auch für die heimat der
Krone zeugen, so habe ich schon einmal darüber gehandelt in
meiner schrift 'Die anfange des deutschen minnesanges' (1898)
s. 26 — 92. Wider die dort vertretene annähme, dass Friaul,
ein italienisches land mit deutschem adel (bis ins 15. jh.), an
der Vermittlung des einflusses der provenzalischen lyrik über
Italien hin sich beteiligt habe, ist einspräche erhoben worden,
zumeist von Wilmanns, Gott. gel. anz. 1900, s. 831 f. und zwar
hauptsächlich aus dem gründe, weil die tatsächlich nach-
gewiesenen beziehungen zu spät liegen. Wenn die richtigkeit
meiner auf Stellung nur von diesem umstände abhienge, so wäre
sie jetzt völlig gesichert, denn die Monumenta ducatus Carinthie
legen in einer, sogar für mich überraschenden weise dar, wie
alt und intim der verkehr zwischen dem adel von Kärnten,
Steiermark und Friaul wirklich gewesen ist, wie notwendig
durch übergreifen des besitzes und der lelien von einem
Sprachgebiet in das andere, auf der grundlage vor allem der
ausdehnung des patriarchates von Aquileja, und wie gefestigt
durch zahllose bände der verwantschaft zwischen den ritter-
lichen geschlechtern. Im folgenden verzeichne ich die nummern
der Urkunden, in denen die bezüge zwischen den Deutschen
Innerösterreichs und den Italienern zu tage treten, gemäss dem
Standard work, den Monumenta ducatus Carinthie des dr. Aug.
Jaksch von Wartenhorst, band 3 und 4, 1. 2 (1904—1906). Die
reihe beginnt mit einer gerichtsnrkunde Adalberos von Eppen-
stein, herzogs von Kärnten und markgrafen von Verona, über
Bamberger guter in Kärnten vom jähre 1013, die in der
recognition einer italienischen kanzlei vorliegt, Monumenta 3, 97
no. 224 und erstreckt sich in ununterbrochener folge bis zum
jähre 1269, soweit das werk jetzt reicht. Es gehören dahin
die stücke no. 228. 321 (Kärntner besitz in Friaul und um-
gekehrt). 336. 532. 533. 541. 548 (deutsche und italienische
zeugen neben einander wie noch oftmals). 655. 673. 675. 676.
709. 710. 780. 806. 844. 875. 877. 880. 900. 915. 925. 26. 928.
1061. 1079. 1125. 1129. 1130. 1136. 1174. 1211. 1212. 1221.
1225. 1232. 1233. 1234. 1235. 1236. 1238. 1246. 1248 (handels-
verkehr durch das Kanaltal zwischen Friaul und Yillach vom
j. 1179). 1264. 1269. 1296. 1302. 1307. 1312. 1322. 1330. 1349.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIIT. 24
370 SCHONBACH
1356. 1373. 1377 II. (die letzten 20 durchweg aus den 70 er
und 80 er jähren des 12. jh.'s). 1384. 1385. 1401. 1432. 1434.
1440. 1471. 1503. 1512. 1524. 1540. 1583. 1587. 1662. 1672.
1710. 1712. 1814. 1832. 1899. 1900. 2026. 2028. 2032 ff. 2041 f.
2059. 2063.64. 2075. 2086. 2094. 2125. 2132.2139.2140.2147.
2148. 2149. 2179. 2184. 85. 2243. 2320. 2378. 2433. 2440. 41.
2445. 2451. 2457. 2473. 2474. 2487. 2489. 2513. 2515. 2518.
2742. Die durchsieht dieser stücke muss jedermann über-
zeugen, dass zwischen den deutschen und italienischen ge-
genden ein sehr lebhafter verkehr der personen, austausch
von gütern, handel, transport von waaren stattgefunden hat,
der notwendigerweise auch von gegenseitigen einflüssen der
bildung und cultur begleitet sein musste. Als ein zeuge dafür
kann auch noch Heinrich von dem Turlin selbst aufgerufen
werden.
Es wäre nun nicht unmöglich, dass dieser deutsch- italie-
nische austausch selbst in dem Wortschätze der Krone seine
spuren zurückgelassen hätte. In der tat scheint das der fall
zu sein. Schon Eeissenberger führt s, 27 seiner schritt das
wort ostelie an, das er auf ostello, herberge, zurückführt. Es
heisst dort: mit manec haneJcie tvas disiu massenie vor der ostelie
(es folgen noch die reimworte vesperte : hräerie). Schon hier
zeigt sich die Schwierigkeit, dass nicht entschieden werden
kann, ob das von dem deutschen dichter gebrauchte wort aus
dem italienischen oder französischen oder aus dem latein —
von allen drei sprachen hat wol Heinrich kenntnis gehabt —
umgestaltet wurde. Denn ital. osteUo leitet Diez, Etj^mol. wb.
V\ 298 selbst aus altfranz. hostet ab, das also auch diesem
ostelie zu gründe liegen könnte. Etwas sicherer wird es sich
wol mit folgendem beispiel verhalten: 2004 f. da in gemeiner
favele die von der runttavele eins äbents gesäzen. Denn es
steht zwar auch hier lat. fahella, fahida zur seite, allein gegen
den bezug auf fahida spricht das v des deutschen Wortes,
gegen fahella die durch den reim gesicherte betonung fdvcle.
So wird nur ital. fdvola als Vorbild übrig bleiben, denn auch
franz. fahle gewährt keinen anhält. Vgl. Diez, Et3miol. wb.
1, 174. Beachtenswert scheint, dass hier das wort in dem
sinne von confahidatio = Unterhaltung durch gespräch ver-
wendet wird; denn an den übrigen stellen steht fahel und zwar
STUDIEN ZUR KRONE, in. 371
zumeist dm fahel = quelle des romans, 8835. 18113. 18179.
22111 {fahel^lwY). 22202. 23217 {der fabeln sage). 27221. 29203,
was natürlich sehr wol aus lat. fahida oder franz. fahle ab-
genommen sein mag. Dagegen kann monfanie ebenso aus franz.
montaujne wie ital. montagna, lat. montana stammen, die ver-
dumpfiing zu n (muntäne) ist unterlassen vne in dem latini-
sierenden contra fait 2255 neben dem gewöhnlichen mhd. Imnter-
feit (Wackernagel, Kl. sehr. 3, 274). schilliers 2872 und schelUer
18191 werden von Lexer unmittelbar mit ital. schiniera = bein-
harnisch zusammengebracht, das Diez 1, 370 widerum aus ahd.
slhia, slcena = rijhre, bein, schiene, ableitet. Gewiss aus dem
italienischen stammt carme = lied in den versen 26845 f.: tna-
neger hande carme hübsch und hoch sie vor dem hol simgen.
Der italienischen Umgangssprache lieber als dem latein möchte
ich dtire zui'echnen. das 18399 im reim steht: dar under huop
sich rtcher schal von garzünen, dar zuo diu floife hol lüte mit
dem tambürc, uan die recJien ze düre sich häten verläsen.
2136 würde ich mit Singer, Zs. fda. 38, 254 stern auf ital. staro
aus lat. sextarius zurückführen, wofern ich seine auffassung
der Sache teilen könnte. Ich übersetze jedoch den spott Kei's
über herrn Lanzelot, der aus dem zauberbecher nicht hat
trinken können, folgendermassen: 'herr Lanzelot, es weist sich
vortrefflich, dass der becher zu voll ist (Lanzelot hat nämlich
keinen tropfen bekommen), darum könntet ihr seiner leicht
entraten {des möhtet ir sin lihte enbern): eher könntet ihr euch
an einer lamprete oder einem stör (seltenen und kostbaren
fischen) satt essen' (als aus diesem becher euch satt trinken,
der euch keinen tropfen gewährt). Den gebrauch von castel
an verschiedenen stellen des gedichtes wii^d man auch besser
auf ital. castello als auf franz. chastel zurückführen. Direct
aus dem italienischen farando scheint 13466 die bezeichnung
tarrant für einen drachen genommen. Auch das widerholt (4413.
10757 U.S.W.) vorkommende vildn wird eher auf ital. villano
als auf franz. villain zurückgehen, märel 6911 ist wol eher
mit Lexer = mardel als = ital. morello, worauf die hs. V
führen könnte. Diesen beispielen italienischen einflusses auf
den Wortschatz des dichters steht nun eine ganze reihe von
fällen gegenüber, wo er unzweifelhaft Wörter aus seiner fran-
zösischen lectüre übernommen hat, gewiss auch etliche, wo
24*
372 SCHÖNBACH. STUDIEN ZUR KRONE. III.
seine bilduiig ihm anleilien aus dem lateiii erlaubte (vgl.
Eeissenberger a.a.O. s. 12). Gewiss gehört zu den letzteren:
cihorje : allectorie (cleduarhtm, vgl. Du Gange 1. 173. 181) 15699.
Dunkel ist nmnsiol 28719, das eine schale zu bedeuten scheint
und vielleicht am besten mit nlat. mensorimn, missorium (vgl.
Du Gange s.v.) zusammengebracht wird, übrigens auch dem
besonderen medicinischen Wortschätze Heinrichs angehören
mag. hrünet : röset 6887 wird mlat. sein. Alle französischen
Wörter der Krone zu besprechen, wäre zwecklos, sie sind zahl-
reich und beziehen sich am häufigsten auf die gebrauchs-
gegenstände des ritterwesens; doch erwähne ich pomver pärät
8798; gramangir 7649; olifant 18106. 18510; parce-val 6390;
torrinre 7951 ; hräerie 699; topliere 8891; alzurn 1982 hat Singer
bereits erledigt. Der Wechsel zwischen h und iv in Värucli
18060 ff. lässt sich vielleicht aus der mundart des dichters
erklären, vgl. Lessiak, Die mundart von Pernegg, Beitr. 28,
118. 124, wogegen der abfall von li in ämit für MmU 18069
darin keinen anhält findet, Lessiak a.a.O. s. 147 f. Sicher aus
einem slowenischen worte ist icomat 9403, bair. das hwimet,
hervorgegangen; andere slawische einflüsse habe ich nicht
wahrnehmen können. Wenn der dichter das adj. icelMscli ge-
braucht, so meint er 16932 darunter 'brittisch', die spräche
des königs Artus und der seinen; manegen tvelsclien tue 12104
könnte sich auf Italien beziehen, sicher vier ivelMsche mUe
11465 (vgl. Tobler in den Sitzungsberichten der Berliner aca-
demie 1907, s. 187). Es fügt sich somit, was aus dem ge-
brauch fremder Wörter sich ermitteln lässt, durchaus zu der
kärntner abkunft Heinrichs von dem Turlin.
GEAZ. ANTON E. SGHÖNBACH.
dtp: HEIMAT DER GROSSEN HEIDELBERGER
LIEDERHANDSCHRIET.
Ueber die frage nacli der herkimft der liederhandschrift C
ist bisher noch keine einig-iing- erzielt worden. Seit Lassberg,
Liedersaal II,xLTiif. ihre entstehung auf den Konstanzer bischof
Heinrich von Klingenberg zurückführen wollte und Lachmann,
Walther s. vii, auf Lassbergs ausführungen mit einer ermun-
ternden bemerkung hinwies, hat man immer wider von zeit
zu zeit den Klingenberger den Manesses und Konstanz Zürich
als concurrenten entgegengestellt, so besonders Kraus, Die
miniaturen der Manesse'schen liederhandschrift, Strassb. 1887,
s. 13 ff. Freilich waren die Kraus'schen ausführungen so
schwankend und von Irrtümern und Widersprüchen so wenig
frei, dass es Zangemeister, "Westdeutsche zeitschr. f. gesch. u.
kunst 7, 333, nicht schwer wurde, sie punkt für punkt zu ent-
kräften. Aber entscheidende gründe für Zürich hat auch
Zangemeister nicht vorgebracht. Oechelhäuser, Die miniaturen
der Universitätsbibliothek zu Heidelberg 2, 350 f., sah in Zange-
meisters erörterungen sogar nur den nachweis, dass Kraus
'nicht vermocht habe, seine hypothese so sicher zu begründen,
dass sie eine bevorzugung vor der älteren beanspruchen könnte',
und er meint: 'die fi^age nach dem entstehungsorte der grossen
Heidelberger liederhandschrift ist noch eine offene, ihre lösung
von der zukunft, vielleicht von einem zufall zu erwarten'. In-
zwischen hat graf Eberhard von Zeppelin ') die schon von Kraus
herangezogene stilistische Übereinstimmung von Konstanzer
Wandmalereien mit den miniaturen der hs. C eindringlicher
betont und unter abermaligem hinweis auf den kunstliebenden
Heinrich von Klingenberg, und unter Verwertung des umstandes,
dass die sogen. Züricher wappenrolle, die beziehungen zu C
zeigt, in Konstanz entstanden ist, glaubt er auch die entstehung
von C dahin verlegen zu können. Bald darauf hat Edw.
^) Der deutsche herold, Zeitschrift für wappen-, siegel- und familien-
kunde, 29. Jahrg., Berlin 1898, s. 133. Vgl. das referat von Brunuer in der
beiiage zur Müucheuer allgemeinen zeitung jahrg. 1899, no. 73.
374 VOGT
Scliröder, Zs. fda. 43, 184 ff. die vermutiiug ausgesproclien, dass
die gemeinsame quelle der kleinen strophensammhmgen in der
handscbrift des Rappoltsteiner Parzival (i) und der Berner
hs. des Matthias von Neuenburg (p) um 1320 in Konstanz ent-
standen sei. Da aber diese quelle in wesentlichen teilen augen-
scheinlich mit den quellen von B und namentlich C identisch
sei, so sei das ein wichtiges moment mehr für die Realisierung
sowol der hs. B als auch der hs. C in Konstanz, die vom grafen
Zeppelin mit der besten aussieht auf erfolg verfochten werde.
Diesen erfolg glaubt nun graf Zeppelin schon errungen zu
haben. In einer nochmaligen auseinandersetzuug seiner an-
sichten (Schriften des Vereins für geschichte des Bodensees u.
seiner Umgebung, heft 28, Lindau 1899, s. 33 ff.) meint er, durch
Schröders Vermutung und merkwürdiger w^eise auch durch den
urkundlichen nachweis von zwei malern in Konstanz aus den
Jahren 1296 und 1325 'sei die kette der beweisführung für die
entstehung unserer handschrift und ihrer miuiaturen in Kon-
stanz in der tat jetzt völlig geschlossen'. So solle denn fortan
die grosse Heidelberger liederhandschrift nicht mehr der Ma-
nesse'sche, sondern 'der Klingenberg- codex' heissen.
Auf die zahlreichen mängel in graf Zeppelins ausführungen,
die unzureichende bekanntschaf t mit der einschlägigen literatur
und die schwächen seiner methode brauche ich hier nicht ein-
zugehen. Von eigenem rüstzeug hat er zu seiner Untersuchung
nur die eingehende Vertrautheit mit der Koustanzer Wand-
malerei mitgebracht. Aber die sclilussfolgerung, die er aus
ihrer stilverwantschaft mit den C-miniaturen zieht, dass diese
in Konstanz entstanden sein müssten, ist übereilt. Die kunst-
historiker sind einstimmig in der ablehnung solcher Schlüsse.
Lübke hat zuerst bei den fresken des Monti'schen hauses in
Konstanz, die Mone in den Mitteilungen der antiquarischen
gesellschaft in Zürich, bd. 15, heft 6 (1866) veröffentlichte, an
die bilder der 'Manessischen handschrift' erinnert, aber nur
um die zeit der Konstanzer maiereien ungefähr festzusetzen.
Eine schärfere bestimmtheit des Charakters einzelner schulen
lehnt er für jene zeit ausdrücklich ab. Selbst Kraus hat bei
hervorhebung der vergleichungspunkte zwischen den Koustanzer
fresken und den illustrationen in C ausdrücklich Verwahrung
dagegen eingelegt, dass er sie als entscheidendes argument
HEIMAT DER GROSSEN HEIDELBERGER LIEDERHS. 375
gegen Zürich ansehe und auf die engen und zahlreiclien be-
ziehungen zwischen Konstanz und Zürich verwiesen sowie auf
die einflüsse, welche die Züriclier kunst auf die Konstanzer
ausgeübt habe. Besonders hat aucli Oechelhäuser (Miniaturen
2, 371 f.) wider vor der ansetzung bestimmter schulen und der
zurückfülirung der C-miniaturen auf Konstanzer maier gewarnt,
auf die weite Verbreitung der in frage kommenden typischen
Züge hingewiesen und mit recht die weit wichtigere vergleichung
der buchmalerei jener zeit betont. Vor allem aber sind zwei
neuere entdeckungen von bildern wichtig, die in nächster be-
ziehung mit denen der hs, C stehen. Durrer und Wegeli,
Zwei schweizerische bilderzyklen aus dem anfang des 14. jh.'s
(Mitteilungen d. antiquar. gesellsch., bd. 24, Zürich 1899), haben
neben den den C -bildern stilistisch verwanten maiereien der
Galluskapelle in Oberstammheim die höchst interessanten
fresken der herrenstube in Diessenhofen veröffentlicht und in
diesen nicht nur wider sehr bemerkenswerte ähnlichkeiten
mit den C-miniaturen, sondern in einem falle auch eine directe
nachbildung von einer derselben, nämlich der darstellung des
Scheibenwerfens in der Illustration zum Meisner (Kraus s. 114)
nachgewiesen. Dem umstände, dass Diessenhofen und Ober-
stammheim etwas näher bei Konstanz als bei Zürich liegen,
haben die Verfasser mit recht keinerlei bedeutung beigelegt.
Ihre nachweise zeigen vielmehr nur, dass eine der hs. C eng
verwante w^andmalerei keineswegs auf Konstanz beschränkt
war. Auf die notwendigkeit aber, für die entstehungsgeschichte
der bilder in C vor allem die buclimalerei heranzuziehen und
dabei nicht an der deutschen grenze Jialt zu machen, führt vor
allem die zweite entdeckung. Paul Ganz hat in einer aus-
ländischen privatsammlung zwei miniaturen gefunden, die aus
einer französischen chronik des 13. jh.'s ausgeschnitten sind
und den bildern ^bl. 42 und 82' direct oder indirect als vorläge
gedient haben, i) Nähere angaben fehlen bisher, aber schon
1) Ganz, Geschichte der heraldischen kunst in der Schweiz im 12. und
13. Jb., Frauenfeld 1899, s. 117; vgl. auch Dürrer und Wegeli a.a.O., wo
nur das hild von Eost, kirchherr v. Sarnen, auf bl. 9-1: (so nach Kraus' pagi-
nierung-, alte Zählung lxxxii) angegeben ist. Ist mit bl. 4-2 Kraus s. 18
(Albrecht v. Heigerlo) gemeint? Dann sind beide von der band des ersten
nachtragsmalere.
376 VOGT
die vorhandenen bieten eine schöne bestätigung der hypothese
E. M. ]\Ieyers, Zs, fda. 44, 197 f., dass ein teil der illustrationen
unserer liederhandsclirift auf abbildungen zu werken der er-
zählenden literatur zurückzuführen sei.
Unter diesen umständen ist es nicht möglich, die bilder
in C auf Konstanz festzulegen. Anderseits darf nicht un-
beachtet bleiben, dass im g-rundstock der handschrift dem Zü-
richer Hadloub, wie mit recht hervorgehoben worden ist, sowol
durch das doppelbild als durch die kunstreichste initiale eine
bevorzugte Stellung zugewiesen ist, ebenso unter den nach-
tragen dem in Zürich bezeugten Dominikaner Eberhard von
Sax durch das Spruchband mit der widmung an Maria. Aber
entscheidend ist auch das nicht, und man wird überhaupt da-
von absehen müssen, nur auf grund der bilder die handschrift
genau localisieren zu wollen.
Und auch die person des Heinrich von Klingenberg wii'd
man gut tun bei dieser frage auszuschalten. Ist die hand-
schrift C zu jung, als dass der i. j. 1304 verstorbene Rüdiger
von Manesse an ihrer herstellung noch unmittelbaren anteil
gehabt haben könnte, so steht es mit dem 1306 gestorbenen
Kliugenberger in dieser beziehung nicht anders. Was aber
die quellen der handschrift betrifft, so kann das jedenfalls als
feststehend betrachtet werden, dass C, als die unvergleichlich
vollständigste Sammlung der minnesinger, deren schweizerische
beziehungen offen zu tage liegen, gleichviel durch Avelche
mittelglieder hindurch auf jene grosse Sammlung von lieder-
büchern zurückgeht, die nach Johann Hadloubs unzweifelhaftem
Zeugnis durcli Rüdiger und Johannes Manesses eifriges bemühen
in Zürich zusammengebracht wurde und an Vollständigkeit im
ganzen reiche nicht ihresgleichen hatte. Hätte an dieser Samm-
lung Heinrich von Klingenberg irgendwelchen besonderen an-
teil gehabt, so hätte Hadloub ihn, seinen gönner, dessen sanges-
kunde er in der gratulationsstrophe auf Heinrichs wähl zum
Konstanzer bischof lobend erwähnt, bei seinen ausführlichen
angaben über die Sammeltätigkeit der Manesses unbedingt
mit nennen müssen. Statt dessen hebt er vielmehr ausdrücklich
hervor, dass das grosse unternehmen der Manesses ganz ihres
geistes kind sei, ein werk ihres edlen sinnes, der den gesang,
mit dem man frauen ehrte, nicht untergehen lassen wollte.
HEIMAT DER GROSSEN HEIDELBERGER LIEDERHS. 377
Deutet man A^ollends Hadloubs worte in dem erwähnten gra-
tulationsgediclit er hau ivtse uude tvort darauf, dass der biscliof
selbst deutsche lieder verfasst habe, wie das meist geschieht,
so würde das nur ein weiterer grund gegen Heinrichs be-
ziehungen zu der grossen liedersammlung- sein. Denn es würde
doch unerklärlicli sein, dass diese gerade von seinen dichtungen
nichts enthält, wenn sie auf ihn zurückzuführen wäre. Lass-
berg-, der diese Schwierigkeit nicht unbeachtet Hess, glaubte
in Heinrich von Klingenberg, dem kanzler könig Rudolfs, jenen
'Kanzler' sehen zu dürfen, dessen gedichte die hs. C beschliessen,
eine hj'pothese, von der heute nicht mehr die rede sein kann.
Es bleibt nach alledem nur die hohe Wahrscheinlichkeit, dass
dem Klingenberger bei seinen Züricher beziehungen, seinem
Interesse für minnedienst und liederdichtung auch die Samm-
lung der Manesses bekannt war, und die möglichkeit, dass er
ein Interesse für miunegesang auch in Konstanz betätigte.
Soll aber die entstehung von C oder einer anderen liederhand-
schrift in Konstanz erwiesen Averden, so müssen dafür natür-
lich andere gründe den ausschlag geben.
Etwas festeren boden gewinnen wir beim verfolgen von
Konstanzer beziehungen erst mit der handschrift B. Wir
wissen, dass sie mindestens seit dem jähre 1613 dem kloster
Weingarten gehörte, dass sie aber zuvor eigentum des Marx
Sdiidthaisen suo Costantz gewesen ist (s. Pfeiffers abdruck s.vii)
und dass sie im jähre 1483 von Konrad Grünenberg in Kon-
stanz für sein wappenbuch benutzt wurde, Hire entstehung
in Konstanz ist damit freilich auch noch keineswegs erwiesen.
Ganz a.a.O. s. 120 bemerkt, dass jenes Scliidthais nicht amts-
sondern geschlechtsname ist und dass neben einem ehemals
Winterthurer geschlechte der Schultheils am Ort, das zu Kon-
stanz sesshaft war, auch eine Züricher familie der Schultheils
vom Schopf existierte, die mit dem rats- oder konstaffelherrn
Marx Schultheils 1563 ausstarb. Dass aber Grünenberg die
hs. benutzte, beweist nur, wie Ganz mit recht hervorhebt, dass
sie sich damals in erreichbarer nähe befand, also in Konstanz,
St. Gallen oder Zürich, wie auch andere Wappensammlungen,
z. b. der Haggenberg'sche codex aus St. Gallen, dem Konstanzer
Ritter zur Verfügung gestellt worden v/aren. Für die frage
nach der heiniat von C vollends ist durch die beziehungen der
378 VOGT
hs. B zu Konstanz um so weniger gewonnen, als ja C nicht,
wie noch graf Zeppelin uud Brunner voraussetzen, aus B, son-
dern aus gemeinsamer quelle mit B geflossen ist.
Nach alledem ermöglicht das bisher vorgebrachte tatsachen-
material nur Vermutungen, keine entscheidung. Eine solche
ist nur aus den haudschriften selbst zu holen, aber nicht aus
den bildern, sondern aus den texten. Man hat bei allen er-
örterungen über die frage, ob Konstanz oder Zürich, merk-
würdigerweise einen durchgreifenden unterschied in der Schreib-
weise von B und C nicht beachtet, wozu eine irreführende
bemerkung Lachmanns beigetragen haben mag. Lachmann
hatte, Walther s. vi, anm. **, von den haudschriften ABC und
dem Nagler'schen fragment gesagt, 'dass, wie in den drei letzten
die Orthographie auffallend übereinstimmt, sich alle vier durch
schwäbische oder vielleicht richtiger thurgäuische formen aus-
zeichnen'. Pfeiffer, der bei seinen buchstäblichen abdrücken
von A und B wahrlich gelegenheit genug gehabt hätte, sich
ein schärferes bild von der Schreibweise jeder handschrift nach
deren einzelnen bestandteilen zu machen, hat sich damit be-
gnügt, s. VII seiner 'Heidelberger liederhandschrift' Lachmann
ungenau nachzusprechen: 'wie diese letzteren (B und C), so
ist auch A im südlichen Schwaben oder noch richtiger im
Thurgau geschrieben. Dahin weist die Orthographie, die in
allen dreien fast dieselbe ist.' Tatsächlich aber unterscheidet
sich die Schreibweise der hs. B in einem sehr wesentlichen
punkt durchweg von den andern, und nur sie kann nach diesem
merkmal schwäbisch oder auch thurgäuisch genannt werden.
B und nur B schreibt ausnahmslos ai, sie kennt in ihrem
alten bestände kein ci. Dem gegenüber steht C mit ebenso
ausnahmslosem ei. Ziehen wir nun zum vergleich die in den
beiden concurrierenden Städten seit dem ausgang des 13. Jahr-
hunderts übliche Schreibung heran, so finden wir in den Kon-
stanzer Urkunden genau mit derselben regelmässigkeit das ai
wie in B, in den Züricher nicht minder ausnahmslos als in C
das ei. Die Konstanzer grundeigentumsurkunden bei Beyerle,
Grundeigentumsverhältnisse und bürgerrecht im mittelalter-
lichen Konstanz bd. 2, Heidelberg 1902 (vgl. auch Schriften d.
Vereins f. gesch. des Bodensees lieft 34 [1905], s. 79—82), und
anderseits der 6. und 7. bd. des Urkundenbuchs der Stadt und
HEIMAT DER GROSSEN HEIDELBERGER LIEDEEHS. 379
landschaft Zürich (Züricli 1905 — 7) bieten aiisreiclieiides nia-
terial für die feststellung' dieser tatsaclie. Die grenze zwischen
ei und ai in ihrer weiteren ausdehnung' hat Khipper, Germ,
abh. 21,25 ff. verfolgt. Danach kann für C (mit ausnähme von
Diessenhofen) auch der ganze Thurgau und St. Gallen ebenso-
wenig wie Konstanz in betracht kommen. Wie fest dieser
unterschied in der Schreibung von Zürich und Konstanz auch
in der folgezeit bleibt, kann uns z. b. Dierauers ausgäbe der
Chronik der stadt Züricli (Quellen z. Schweiz, gesch. 18, Basel
1900) vergegenwärtigen. Mit cap. 46 setzt hier plötzlich ai
statt des bisherigen ei ein: der herausgeber ist bis zu dieser
grenze der handschrift des Hans Gloggner von Zürich, von da
an der des Klaus Schulthais von Konstanz gefolgt. Und ein-
dringlich schildert uns Niklas von Wyl (Transl. s. 351), wie er,
aus Bremgarten im Aargau gebürtig, sich, als er nach Schwaben
herauskam, grosses flysscs gehruchd, daz ich getvonte ze schrihcn
ai für ei, weil das von alters her der brauch der Schwaben
gewesen sei, womit sie loblich gesündert tvaren von den ge-
ziingen aller vmh gelegenen landen. Jetzt, wo er die Trans-
lationen herausgibt (1478), ist die ärgerliche neuerung auf-
gekommen, dass auch die schwäbischen kanzleien das ei auf-
nehmen, so dass er eigentlich wider umlernen müsste, das ich
aber nit tun wil.
Für die liederhandschriften B und C aber kommt noch
ein anderes wichtiges Unterscheidungsmerkmal hinzu. C macht
ausgiebigen gebrauch von der abbreviatur c für -az {de, wc
U.S.W.). Diese abkürzung ist wesentlich alemannisch; sie findet
sich z. b. in den fragmenten von Isengrines not, in den bruch-
stücken des Osterspiels aus Muri, in den fragmenten des cgm.
5153 von Konrads Trojanerkrieg. Sie greift auch hinüber auf
das zunächst angrenzende ««-gebiet, so dass sie sich neben ei
in der hs. von Grieshabers predigten, in den Wasserburger,
jetzt Donaueschinger hss. von Sigenot und Ecke und von Ru-
dolfs Wilhelm findet, aber in Konstanz ist sie durchaus nicht
üblich. Das reiche material bei ßej^erle bietet kein einziges
beispiel für diese abbreviatur. i) Dem gegenüber begegnen
*) Beyerle bestätigt mir brieflich, dass er sie nicht etwa im druck auf-
gelöst hat.
380 VOGT
lins wider in Zürich um 1300 die de wc auf scliritt und tritt.
Man vergleiclie z. b. die Urkunde des Züricher rates von 1296,
in der nur de, nie daz oder das geschrieben wird (Züricher
urkundenbucli bd. 6, no. 2389), oder die Urkunden von 1299 bis
1301, welche glieder der familie Manesse betreffen oder von
solchen mit unterzeichnet sind (a.a.O. 7, no. 2501. 2506. 2510
und 2512).
Meine feststellungen über die Konstanzer Schreibweise der
handschrift B gelten ebenso wie für ihren hauptteil (s. 1 — 170)
auch für die nachtrage der zweiten und dritten band. Dagegen
setzt mit der vierten band plötzlich die alemannische schreib-
regel ein. Wie scharf sich die beiden Orthographien scheiden,
wird einem auf den ersten blick klar, wenn man nur die selten
216 und 217 der hs. (Winsbeke str. 47— 55) in Pfeiffers ab-
druck hintereinander liest: bis zum schluss von s. 216 nur ai,
dagegen gleich mit dem beginn von s. 217 nur ei und sofort
im bunde damit auch zahlreiche de wc, die bis dahin völlig
ausgeschlossen waren. So geht es dann (abgesehen von einem
vereinzelten ivaiz auf s. 224) weiter bis zum ende auf s. 238
der hs. Mit der fünften band (Frauenlob s. 240—252 der hs.)
schwinden die de wc wider völlig und ai kommt wider zur
herschaft, doch findet sich hier daneben auch häufig ei. Mit
verschwindenden ausnahmen ist dagegen die Konstanzer regel
wider von der sechsten band (Konstanzer minnelehre s. 253
— 305) durchgeführt.
Man wird mir wol nicht einwerfen: Avenn in der Konstanzer
hs. B einer der nachtragsschreiber die streng alemannische
Schreibregel angewendet hat, so könnte doch immerhin auch
C trotz dieser Schreibweise in Konstanz entstanden sein. Das
wird, von allem andern abgesehen, schon durch die tatsache
widerlegt, dass nicht allein der grundstock, sondern auch sämmt-
liche nachtrage der hs. C die alemannische Schreibung durch-
führen. So wenig wie in dem grundstock, so wenig ist mir
bei den sieben nachtragsschreibern auch nur ein einziges ai
begegnet. Die de ive finden sich bei dem ersten von ihnen
(ß nach Apfelstedts bezeichnung) noch häufig, bei den andern
werden sie seltener, doch ist mir nur bei F kein beispiel be-
gegnet, wie es auch an Züricher Urkunden nicht fehlt, die die
abbreviatur meiden. Während wir also unbedenklich an-
HEIMAT DER GROSSEN HEIDELBERGER LIEDERHS. 381
nehmen können, dass unter den naclitragsschreibern der Kon-
stanzer lis. B auch einmal ein Alemanne aus dem ei-ih-geMet
vorübergehend bescliäftigt war, der seine lieimische Orthographie
durchführte, wird niemand behaupten wollen, dass ein werk wie
G, an dem acht verschiedene Schreiber etwa 30 jähre hindurch
tätig gewesen sind, von denen kein einziger den Konstanzer
schreibgebrauch beobachtet, in Konstanz entstanden sein könne.
Für die frage nach den Konstanzer beziehungen der maiereien
in C ist zu beachten, dass in dem einzigen falle, der für das
verhalten der maier zu der schreibregel in betracht kommt,
nicht das ai, das in B auch die bilder durchweg zeigen, son-
dern das ei erscheint. Es ist das wort HEID auf dem bilde
des grafen Friedrich von Leiningen (Kraus s. 13).
Und endlich: auch die nächsten verwanten von C führen
uns nicht nach Konstanz, sondern in die Schweiz. Das Nagler-
sche bruchstück, dessen Stretlingen-bildnis dem in C so eng
verwant ist, zeigt in seinem textfragmente von den liedern
des Toggenburgers, das dem text von C nicht minder nahe
steht, ausnahmslos ci, und die de ivc noch häufiger als C. In
den umfänglicheren Tross'schen bruchstücken begegnen wir
gleichfalls keinem einzigen ai. Da ihr Schreiber, wie Zange-
meister mit recht bemerkt hat, erst dem 15. Jahrhundert an-
gehört, so kann man das abkürzungs-c eigentlich nicht mehr
bei ihm erwarten. In der tat gebraucht er abbreviaturen
nur noch ganz ausnahmsweise, wo ihm der zeilenraum nicht
ausreicht, aber dabei findet sich doch immerhin noch zweimal
ein de. Wir müssen danach annehmen, dass auch die unmittel-
bare vorläge von C und den genannten fragmenten nicht nach
Konstanz, sondern in das bezeichnete engere alemannische
gebiet und wegen des einzigartigen reichtums von C am wahr-
scheinlichsten nach Zürich, der heimat der reichsten lieder-
sammlung, der Manesseschen, gehört. Da auch hs. A die ei-dc-
schreibung zeigt, so steht die hs. B mit ihrer Konstanzer
Orthographie, und wir dürfen nun hinzufügen auch mit ihrem
Konstanzer Ursprung, in dem kreise der genannten hand-
schriften völlig vereinzelt.
MARBURG, november 1907. F. VOGT.
UTGARDALOKE IN IRLAND.
Die Annales de Bretagne teilen vom 10. band an (1894/95,
Rennes) irisclie märchen nnd sagen mit, die Donglas Hyde in
Irland sicli von bauern erzählen Hess. Links steht das irische
original und rechts die französische, wie mir scheint, wort-
getreue Übersetzung von G. Dottier.
Band 12, 239 ff. steht ein märchen: Comment Diarmuid eut
son grain de beaute. Die erste künde davon brachte mir eine
sehr hübsche mir handschriftlich mitgeteilte Übersetzung in
das deutsche von herrn dr. Franz Wolters in Berlin.
Der Inhalt des märchens ist dieser: Diarmuid, Cönan, GoU
und Oskar gehen auf die jagd. Sie verirren sich und sehen
in der nacht im walde ein licht. Dessen schein folgend
kommen sie in ein kleines haus, in welchem der alte wirt
sie beim namen nennt und begrüsst. Im haus lebt dieser alte,
seine junge tochter und eine katze. Als sie essen, steigt plötz-
lich ein Widder, der am boden des hauses angebunden war,
auf den tisch. Conan soll den widder anbinden, aber das tier
entledigt sich seiner und bringt ihn unter seinen fuss. Ebenso
ergeht es den drei anderen beiden, sogar dem Goll. Sie liegen
alle auf dem boden und der widder steht mit einem fuss auf
jedem. Darauf erhebt sich auf befehl des alten die katze,
ergreift den widder, packt ihn und fesselt ihn an den boden
des hauses, wo er vorher war. Die krieger erheben sich und
schämen sich so sehr, dass sie nichts essen mögen. Der alte
tröstet sie aber. 'Wenn ihr gegessen habt', sagt er, *so werde
ich euch erklären, dass ihr die tapfersten krieger der weit seid.'
Und nachdem sie alle gespeist, hebt er an: 'GoU', sagt er, 'du
bist der beste krieger der weit, denn du hast mit der weit
gekämpft. Die kraft der ganzen weit ist in diesem widder.
Aber der tod kommt sogar über die weit und diese ist der tod.'
Dabei zeigte er auf die katze.
Die krieger gehen nun zu bett, alle in ein zimmer. Die
junge tochter geht mit ihnen und ihre Schönheit erhellt den
räum: sie ist die Jugend, Alle wollen nun zu ihr, doch sie
UTGARDALOKE IN IRLAND. 383
entwindet sich ihnen: 'Ich gehörte euch schon einmal, und
ich komme nie wider!' Dem letzten aber sagt sie: 'wende
dich zu mir, Diarmuid, und ich will diesen abend ein körn der
Schönheit auf dich legen, so dass keine frau dich ansehen kann,
ohne dass du sie verführst!' Diarmuid gieng zu ihr, sie legte
ihm die hand auf die stirne und sie Hess dort ein körn der
Schönheit. Es gab nun keine frau, die Diarmuid anblickte
von diesem augenblick an, ohne dass er sie verführen konnte.
Dies märchen besteht aus zwei teilen: im ersten unterliegen
die beiden der weit und die w^elt dem tode, im zweiten entflieht
\0Y ihnen die Jugend und nur einer erhält das körn der Schön-
heit. Ein gewisser Zusammenhang zwischen den teilen ist wol
bemerkbar. Im ersten teil unterliegen die beiden, im zweiten
unterliegen sie noch einmal. Während sie aber im ersten teil
alle schwächer sind als die weit, wird im zweiten teil einer von
ihnen in einer hinsieht der stärkste: ihm unterliegen alle frauen.
Wir werden sehen, dass in einer früheren form des märchens
der Zusammenhang zwischen den teilen noch fester gewesen
sein muss. Immerhin, er bleibt locker und es scheint fast, als
sei in einem noch früheren Stadium jeder der teile ein märchen
für sich gewesen. Denn die tocliter des alten, die in dem
ersten teil wol genannt wird, spielt darin nicht die geringste
rolle und gehört eigentlich auch gar nicht hinein; aus dem
zweiten teil ist widerum der alte ganz verschwunden. Ausser-
dem ist der held des ersten teiles Goll oder er soll es sein;
an ihn Avendet sich wenigstens mit seinen erklärungen der
alte und zeichnet ihn als den tapfersten aus, ob wol seine
tapferkeit nur darin besteht, dass er, wenn auch ebenso wie
die anderen, so doch als letzter und vielleicht nach heftigerer
gegenwehr überwunden wird. Der held des zweiten teiles ist
Diarmuid: er allein erhält das körn der Schönheit, ob wol wir
wider gar nicht hören, warum die tochter des alten gerade
ihm ihr wundergeschenk gibt, i)
Der erste teil des märchens erinnert unverkennbar an die
göttersage der Edda von iDörr und Ütgardaloke (Gylfaginning
c.44-47. S.E. 1, 140 f.). Das sah sofort F.Lot (Ann. deBret. 13,48)
1) Andere irische märchen verwerten das motiv, dass Diarmuid durch
sein schöuheitskorn frauen bezwingt, Ann. de Bret. 13, 51.
384 VON DER LEYEN
und soweit mir bekannt, ist dieser hinweis wie das irische nmr-
chen der aufmerksamkeit der germanisten bislier entgangen.
In der Edda werden pörr und seine begleiter gedemütigt :
Loke im essen, pjalfe im laufen, pörr dreimal. Er soll ein
hörn austrinken, eine katze emporheben und mit einer alten
frau ringen. Dabei unterliegt er immer. Zum schluss werden
die drei durch Ütgardaloke, der alle diese wettkämpfe und
stärkeproben veranstaltete, aufgeklärt: Loke hat mit dem feuer
um die wette gegessen, pjälfe ist mit dem gedanken um die
wette gelaufen, porr sollte das meer austrinken, die Midgard-
schlange emporheben und mit dem alter ringen. Diese aufgaben
waren selbst für ihn unlösbar. Als der gott sich aber rächen
will und nach seinem hammer greift, ist alles wie ein trüge-
risches blendwerk verschwunden.
Wir erwägen nun die frage: stammt das nordische märchen
aus Irland oder das irische von den Vikingern? Im nordischen
hängen die einzelnen wettkämpfe teils mit einheimischen Über-
lieferungen zusammen: die Midgard-schlange ist von alters her
die gegnerin l36rs; er fischt sie, als er den riesen Hymer be-
sucht, aus dem Weltmeer und kämpft mit ihr beim Untergang
der götter seinen letzten kämpf. Lokes wesen ist dem des feuers
verwant: die erfindung, dass er mit dem feuer um die wette
essen soll, war daher den nordleuten leicht verständlich. Zum
andern teil beruhen diese wettkämpfe und stärkeproben auf
weitverbreiteten, volkstümlichen anschauungen und forde-
rungen, so der wettlauf mit dem gedanken und die aufgäbe,
das meer auszutrinken (von der Leyen, Märchen in Edda, s. 43
u. 44). Das Symbol aber, das alte weib ist das alter, ist klar
und leicht verständlich, und an ähnlichen svmbolen ist die
spätere isländische dichtung reich. Ich erinnere daran, dass es
heisst, die schüssel der Hei sei Hungr (hunger), ihr messer
sei SuU (hunger), ihr knecht sei Ganglate (der zum gehen
träge), dass es weiter heisst, aus dem mund des gefesselten
Fenres Wolfes rinne geifer und bilde einen fluss, der sei Wdn
(die hoffnung).
Die ganze sage von pörr und Ütgardaloke war denn auch
im norden sehr beliebt. Anspielungen darauf bringen das
Härbar}?slj6J> (76—80) und die Lokasenna (60, 1. 62, 1), erinne-
rungen daran die isländische pörsteinssaga Boejarmagn (F. M.S.
ÜTGARDALOKE IN IRLAND. 385
3,174; andere form F.M.S.3,135; Flateyjarbök 1, 359), sie
vermischen sich dort mit erinnerungen aus der fahrt pors zu
Geirrol^r und ausserdem mit der erzählung- von kraftproben,
die denen gleichen, die die deutsche Brünhild von Günther
verlangt (Richard Heinzel, Wiener S.B. 109, 697 ff.).
Auch der abschluss des nordischen ist der natürliche. Im
irischen erwarten wir den gleichen, sehen aber zu unserer
Überraschung, dass sich das märchen in einer ganz anderen
richtung fortsetzt. Es scheint uns ferner im irischen etw^as
unklar und wunderlich, dass die katze der tod sein soll und
dass die weit in der gestalt eines widders uns alle besiegt.
Ich bin in der irischen literatur nur schlecht belesen, glaube
aber kaum, dass man in ihr parallelen zu solchen Symbolen
finden wird. Ein einfluss des irischen märchens auf das nor-
dische ist mir darum schon jetzt nicht wahrscheinlich. Da-
gegen erklären sich die Seltsamkeiten des irischen, wenn man
sie als entlehnungen, genauer als unklare, entstellende erinne-
rungen aus dem nordischen auffasst: aus dem nord. stammt die
katze, die ja porr hochheben soll, aber nicht hochheben kann.
— Nun hiess es weiter im nordischen: die katze ist die Mid-
gard-schlange und diese Midgard-schlange umschliesst die weit.
Das konnte leicht misverstanden werden dahin : die katze hat
die kraft der ganzen weit und ist darum die weit. So war
es wol in einer früheren form unseres irischen märchens. In
der unseren schritt der verwechslungsprocess noch weiter vor:
als weit erscheint nicht die katze, sondern der widder. Und
die Verwechselungen dringen immer noch weiter in den Orga-
nismus des märchens: der widder wird durch die katze besiegt,
anstatt, wie wir erwarten, dass der held zuerst dem widder
unterliegt und dann der katze.
Wie der widder in das märchen hineingeriet, dafür weiss
ich nur eine erklärung, die mich aber nicht ganz befriedigt;
dass nämlich wider eine verworrene reminiscenz dem erzähler
die bocke pörs in einen widder verwandelte. Die bocke werden,
wie man weiss, auch in dem nordischen bericht vom Utgarda-
loke erwähnt. Auf der reise zu diesem unhold kehrt Dörr bei
einem bauern ein, wo sie alle, der bauer, seine beiden kinder,
Loke und porr die bocke verspeisen.
Die irische auffassung von der katze, sie sei der tod und
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXUI. 25
386 VON DER LEYEN
der stärkste überwinder, verstehen wir wider leichter. Die
katze als Midgard-schlaiige war im nordischen das stärkste
ungeheuer, das auch der kräftigste gott nicht besiegen konnte
und bei Ütgardaloke ringt porr mit dem alter. Dies ringen
mit dem alter konnte leicht zu einem ringen mit dem tode
werden, besonders leicht, weil manche volkstümlichen Über-
lieferungen von dem vergeblichen ringen eines beiden mit dem
tode erzählen (von der Le3"en, Märchen in Edda s. 43; Eoscher,
Ephialtes, Abhandlungen der sächsischen gesellsch. 1901, s. 52).
Dass aber der irische held ursprünglich nicht dem tod,
sondern dem alter unterlag, verrät uns das irische märchen
noch selbst. Es betont das alter des wirts, und wenn dessen
tochter die Jugend ist und dem beiden sich versagt, so setzt
das doch als anfang des märchens den voraus, dass die beiden
zuerst dem alter unterlegen sind. Dieser schluss schafft zu-
gleich einen festeren Zusammenhang zwischen beiden teilen
des märchens: den beiden ist die Jugend entflohen und das
alter bedroht sie. Nur einem ist seine Schönheit noch trost.
Wir dürfen nun behaupten, das irische märchen entstammt
der nordischen göttersage. Die abw^eichungen des irischen
vom nordischen stellen sich dar als Verwechslungen und Ver-
wirrungen, die halbes hinhören und unklares erinnern mit sich
bringen, die ähnlichkeiten als entlehnungen. Diese ähnlich-
keiten betreffen vor allem den rahmen der beiden geschichten
und sind sehr stark: in beiden wird ein held mit seinen be-
gleitern zu seinem höchsten erstaunen zuerst gedemütigt durch
die unscheinbarsten und lächerlichsten gegner. In beiden wird
er nach dieser demütigung getröstet: die gegner, die so verächt-
lich aussehen, waren in w^irklichkeit unüberwindliche mächte.
Man versuche es nun einmal mit der umgekehrten annähme,
dass das irische märchen das original sei, und die nordische
erzählung ihm nachgebildet. Dann hätte der nord. erzähler ein
verw^orrenes und lückenhaftes märchen vorgefunden, er hätte aus
diesem märchen den ei-sten teil abgesondert und diesem eine Vor-
geschichte vorangeschickt, die enthielt: zuerst das nachtmahl
bei dem bauern und danach die erste wirkliche demütigung
der götter, die die kommenden so wirksam einleitet, die Über-
nachtung nämlich im handschuh des riesen. Er hätte ausser-
dem die demütigung nicht nur vermehrt, indem er sie auf die
ÜTGADARLOKE IN IRLAND. 38?
beg'leiter des gottes übertrug, er hätte sie auch noch ver-
ändert, damit sie mit den anderen nordischen Überlieferungen
übereinstimmten. An stelle des kampfes mit dem tod hätte
er den kämpf mit dem alter gesetzt; an stelle der katze, die
die weit ist, die katze, die die Midgard-schlange sein soll; und
er hätte nicht die katze den widder überwinden lassen, sondern
den beiden doppelt gedemütigt, erst durch die IVridgard-schlange,
dann durch das alter.
Diese annähme setzt voraus: einmal eine schriftliche vor-
läge; denn aus der erinnerung lassen sich die änderungen, die
ich eben nannte, nicht herstellen. Das irische märchen mit
seiner Verwirrtheit und seinen Verwechselungen trägt aber alle
kennzeichen mündlicher Überlieferung. AVeiter setzt die an-
nähme voraus: ein umdichten und ergänzen nach feinster,
künstlerischer erwägung und ein sorgfältiges, behutsames ein-
setzen der neugewonnenen motive in den Zusammenhang der
nordischen Überlieferung. Diese Voraussetzungen widersprechen
der art der erzählung in unserer nord. göttersage durchaus.
Sie ist leichthin und unbekümmert und setzt sich auch über
Unklarheiten und Widersprüche getrost hinweg (von der Leyen
a. a.o. s. 44). Sie widersprechen ausserdem allem andern, was
wir bisher über die entstehung der nordischen göttersagen
wissen. Dass ein dichter aus dem reichtum vorhandener mo-
tive die schönsten auswählt und sie in wirksamer Steigerung
aneinanderreiht, das beobachten wir wol. Ich erinnere an die
forschungen Axel Olriks über die VQlospa (Om Eagnarök, Kopen-
hagen 1902, s. 269 f.). Ebenso wissen wir, dass spätere dichter
in die alten sagen ihre mythologischen kenntnisse hineinfüllen
(Andreas Heusler, Heimat und alter der eddischen gedichte,
Herrigs Archiv 116, 255). Aber die Verbindung von wissen-
schaftlichem, mythologischem und künstlerischem takt und
erfindungsgabe, mit der unsere annähme den nord, umdichter
beschenken müsste, wäre für jene zeit, soweit ich sehe, ganz
undenkbar. — Noch an einer anderen tatsache scheitert unsere
annähme: wir kennen nämlich die quellen, aus denen sich die
nordische sage von Ütgardaloke leicht und sicher ableitet. Es
sind märchen von der überlistung von riesen (später des teufeis)
durch menschen oder gütter, an denen sich die Germanen wie
auch andere Völker seit langen zeiten ergötzten und die auch
25*
388 VON DER LEYEN
in andere göttersagen, z. b. in die vom riesenbaumeister nnd in
dieHymeskviJ'a eindrangen (von der Lej' en a.a.O. s.38. 42. 46 etc.).
Diesen Überlieferungen müsste das irische märchen, wenn
es quelle der nordischen göttersage wäre, nahe stehen, zum
wenigsten seine ursprüngliche form, die Avir erschlossen. Diese
ursprüngliche form bringt es aber nur der nordischen sage
näher; von den volkstümlichen überlistungsmärchen steht es
weit entfernt. Es zeigt also auch diese er wägung, dass das
irische märchen dem nordischen entlehnt sein muss.
Die berechtigung eines einwurfes gegen diese annähme
muss ich freilich zugeben: dass sie uns zwingt, den irischen
erzähler mit sehr starken Verwechselungen und Verwirrungen
zu belasten. Derlei überrascht aber den märchenforscher nicht;
er weiss, welchen Verwechselungen, änderuugen und misver-
ständnissen märchen ausgesetzt sind, die sich mündlich über-
liefern. Gerade die irischen märchen in den Ann. de Bret.
sind an contaminationen und Verwechselungen sehr reich. Ich
gebe zwei beispiele: in dem märchen 11,613 geht das märchen
einäugiein, zweiäuglein, dreiäuglein in das märchen vom hilf-
reichen tier über, das den beiden, den es gerettet, bittet, es
zu erschlagen (Grimm, K.H.M. 57), dies in das von Perseus und
Andromeda, dies in das Goldener-märchen. — In einem anderen
lässt ein held, der mit seiner geliebten aus der behausung von
deren vater, einem unhold, flieht, drei kuchen zurück: den
ersten am vestibül, den zAveiten auf der treppe, den dritten
vor der türe. Diese erzählen dem vater, der das paar ver-
folgen will, eine geschichte und halten ihn dadurch auf, bis
der held mit seinem mädchen entflohen ist. Hier geraten
offenbar zwei motive durcheinander: das erste ist das von den
drei blutstropfen oder Speichel tropfen, die fliehende in dem
haus, aus dem sie fliehen, zurücklassen, damit sie statt ihrer
antworten (von der Leyen, Herrigs Archiv 114, 8, anm. 4). Das
zweite ist, dass ein verfolgender durch erzählung oder fragen
so lange hingehalten wird, bis die sonne aufgeht, deren schein
ihn vernichtet. Dies letzte motiv begegnet auch in den götter-
sagen der Edda (von der Leyen, Märchen in Edda s. 49).
Nun wollen wir uns zum zweiten teil des irischen märcliens
wenden, ob es uns gelingt, auch ihn aus der nordischen Über-
lieferung zu erklären.
UTGARDALOKE IN IRLAND. 389
Ich weise darauf hin, dass in der sage von Ütgardaloke
der bauer, bei dem porr einkehrt, eine tochter hat, die in der
erzählung- gar nicht liervortritt. Aelinlich ist es im ersten
teil des irischen märchens, die tochter des alten ist da, hat
aber nichts zu bedeuten. Wenn nun weiter die tochter sagt,
sie sei die Jugend und darum den beiden für immer entschwunden,
und wenn sie als Jugend einem beiden ein körn der Schönheit
schenkt, so kommt uns eine andere sage der Edda in das ge-
dächtnis: die sage von I)Hinn, die im besitz der äpfel war, die
den göttern Jugend und Schönheit verleihen und die ihnen Loke
zuerst raubte, dann zurückbrachte.
Nachklänge dieser nordischen sage von der Ip>unn glaube
ich nun in einem anderen irischen märchen zu entdecken (Ann.
de Bret. 11, 83): in dem bekannten märchen vom goldenen vogel
(K.H.M. 57; Reinh. Köhler zu Kreutzwald Diwe, Esthn. märchen
s. 46). Im irischen ist der vogel ein adler, seine äugen sind so
gross wie der mond und so hell wie die sonne. Er stiehlt
einem könig die äpfel seines gartens und ist eine verzauberte
frau. Der held, der sie nun aus ihrem weit entfernten schlösse
holt, zieht aus seiner tasche eine kleine puderbüchse und wirft
sie über den vogel, der sich sofort in einen kleinen Zaunkönig
verwandelt und in die büchse hüpft. Der held schliesst die
büchse und springt auf sein pferd. In demselben augenblick
hängt sich aber der kutscher an den schwänz des pferdes.
Der held hört eine stimme ihm in das ohr sagen: 'die not
gross!' 'die last leicht!' und 'zu pferd in die luft!' — er
spricht diese worte aus, da erhebt sich das tier in die luft
und fliegt mit der geschwindigkeit des frühlingswindes nach
Irland, während der kutscher sich an den schwänz klammert
und so laut schreit wie er kann. Schliesslich kommen sie alle
drei gesund auf der erde an und der held heiratet die Jung-
frau, die er erlöste.
In dieser fassung des märchens sehe ich zwei motive, die
ich in keiner andern widerfinde: erstens die Verwandlung des
vogels : dass der adler in einen Zaunkönig zusammenschrumpft
und in einer kleinen schachte! platz findet. Zweitens den
kutscher, der an den schwänz des pferdes festgezaubert wird
und an ihm sich haltend schreiend durch die luft fliegen muss.
Dies letzte motiv jiimmt sich in unserem märchen wider sehr
390 VON DER LEYEN
sonderbar aus. Es gehört in einen ganz anderen märclien-
kreis: in den von der königstochter, die den heiratet, der sie
zum lachen bringt, Sie gerät ins lachen, als sie einen vogel
sieht, meist eine goldene gans, an dem eine reihe von leuten
festklebt, sodass sie, mögen sie nun wollen oder nicht, hinter
ihm herlaufen müssen.
Beide motive nacheinander enthalten nun, nicht genau
ebenso, aber sehr ähnlich, eine und dieselbe nordische götter-
sage, eben die genannte von den äpfeln der Il^unu (von der
Leyen a.a.O. s. 32ff.). Es heisst dort: Loke verwandelt die
Ipunn in eine nuss — ursprünglich hiess es wol: er verkleinerte
sie, bis sie in einer nuss platz hatte — und flog mit ihr davon.
Derselbe ILioke bringt eine andere göttin, die tochter des riesen,
dem er die I|nmn zuerst zuführte, dann raubte, dadurch zum
lachen, dass er sich (sein glied) an den bart einer ziege fest-
bindet, von der er dann nicht loskommen kann, i) Noch deut-
licher an das irische erinnert der eingang der nordischen sage.
Loke stösst einem adler eine stange in den leib und wird zur
strafe an die stange festgehext, während der adler gemächlich
weiterfliegt und den gott au der stange unbarmherzig mit-
schleift. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass eine erinne-
rung an diese nordische sage, die auch von wunderäpfeln be-
richtete, die motive von der Verwandlung und einschachtelung
der Prinzessin und von dem festgehexten kutscher in das
irische märchen hineinbrachte. Und da wir darnach vermuten
düi'fen, dass die geschichte von der Ip'unn den Iren nicht fremd
war — äpfel, deren genuss unsterblich machte, kannte ihre
sage schon lange (Bugge, Arkiv 5, 13) — gewinnt die hypo-
these an festigkeit, dass in unser erstes irisches märchen von
Diarmuid, in die auffassung, dass die tochter des bauern die
Jugend ist, auch eine eriunerung aus der Ijnmn-sage hineinklingt.
Es haben gewiss nicht alle der hier vorgebrachten Ver-
mutungen und Schlussreihen den gleichen überzeugungswert,
*) Die komik dieses motives beruht auf dem nicht loskommenkönncn.
Der inhalt scheint mir — aber ich sehe hier noch nicht ganz klar — der
nachklang eines primitiven hochzeitsbrauches. Ein anderer nachklang sol-
ches brauches ist in derselben sage, dass nämlich Sk&pe nur die füsse Njor}7s
sehen darf (Kietschmer, D. Litztg. 1899, s. 1278 ff.; Liebrecht, Zur Volks-
kunde s. 408).
PANZER, ZUM MEIER HET.MBKECHT. 391
Als sicheres ergebnis darf ich aber aussprechen, dass ver-
schiedene nordische göttersagen zu den Iren herüberwanderten
und dort teils in ihre märchen eingiengen, teils sich in neue
märchen verwandelten. Das ist, wenn man an Bugges ent-
gegengesetzte behauptungen zurückdenkt, und au seine Über-
zeugung, dass die nordleute den Stoff für ihre mythen von den
Iren holten, eine immerhin nicht unbedeutende feststellung und
ein nicht unerheblicher gewinn.
Das irische märchen von Diarmuid scheint den Iren recht
gefallen zu haben, denn da es anscheinend aus zwei märchen
zusammenAvuchs und sich dann noch veränderte, muss man es
vielfach erzählt haben. Wir begreifen das leicht. Trotz aller
entstellungen und Verwirrungen geht eine phantastische und
geheimnisvolle kraft von dem irischen märchen aus, die das
nordische nicht so besitzt. Wie seltsam und grotesk ist doch
die Vorstellung von dem widder, unter dessen vier füssen vier
beiden liegen und den dann eine katze bezwingt. Und welch
eine fülle symbolischer und märchenhafter mächte zieht in
der kleinen hütte des alten in sonderbarer Verhüllung an uns
vorüber: heldentum und Schönheit, Jugend und alter, tod
und weit!
MÜNCHEN, november 1907.
FRIEDEICH VON DER LEYEN.
ZUM MEIER HELMBRECHT.
Der besonders durch Keinz vertretenen anschauung gegen-
über, dass Wernhers dichtung durchweg ein geschichtliches
ereignis widergebe, hatte ich in der einleitung meiner ausgäbe
betont, dass diese ansieht einzuschränken sei. Denn sein lite-
rarischer Charakter gliedert das gedieht in einen ganz bestimmten
traditionellen Zusammenhang ein, zudem aber sind, wie dort
s.viii gesagt wird, 'nicht unwichtige stücke der erzählung nach-
weisbar aus Neidhard entlehnt'. Zu diesen stücken gehört vor
302 PANZER
allem die erzählung- von Helmbreclits haube und was damit
zusammenhängt; Beitr 27, 109 f. ist das näher ausgeführt.
W. Braune hat kürzlich (Beitr. 32, 555 ff.) auf grund dieses
Zusammenhangs noch bestimmter ausgesprochen, dass die er-
zähluug des gedichtes als ganzes ungeschichtlich sei, indem
eben jenes haubenlied Neidhards geradezu die grundlage der
Helmbrechterzählung, 'die keimzelle der ganzen conception'
geliefert habe. Als weitere stütze dieser ableitung teilt Braune
eine hübsche beobachtung mit: alle die Ungeheuerlichkeiten,
die unser gedieht von den Stickereien auf der haube (die ich
wie Braune nie in der Wirklichkeit möglich gedacht habe) über
Neidhard hinaus berichtet, finden sich bei den späteren er-
wähnungen des prunkstücks nirgends in betracht gezogen.
Vielmehr ist da stets nur von vögeln die rede wie bei Neid-
hard, ja einmal (v. 277) heisst es sogar, widerum wie im liede,
fromvcn hätten die vögel gestickt, während doch v. 104 ff. eine
nonne als Urheberin genannt war. Braune zieht aus diesen
inconcinnitäten den schluss, dass die verse 26 — 103 und 104
— 130 vom dichter erst später eingeschoben oder vielmehr an
die stelle einer Neidhard noch näher gestandenen darstellung
gesetzt seien.
Man wird diesen schluss vielleicht nicht zwingend finden,
indem sich die von Braune mit recht beanstandeten Unstimmig-
keiten möglicherweise auch anders erklären Hessen. Es kommt
wol auch sonst vor, dass dichter an einem aus bestimmter
quelle übernommenen Stoffe eine änderuug vornehmen, ohne
sie folgerichtig durchzuführen, indem ihre dichtung im weiteren
verlaufe atavistisch in die auffassung der vorläge zurückfällt. ^
Nach diesem gesichtspunkte Hessen sich wol auch die Verhält-
nisse in unserem gedichte ohne annähme einer nachträglichen
Umarbeitung des eingangs erklären; doch ist an sich gewiss
auch Braunes annähme möglich und auf jeden fall haben
Braunes ausführungen die anlehnung des epikers an Neidhard
noch sicherer gezeigt.
Beitr. 27, 110 f. ist dargelegt, dass noch ein anderes bedeu-
') Einen tatsächlichen beleg hierfür, der mir gerade gegenwärtig ist,
bietet z. b. Hans Sachs im Hürnen Seufrid, vgl. Drescher, Acta Germ. II, 3,
384. 394 f.
ZUM MEIER HELMBRECHT. 393
tendes stück der erzälilung, der vergebliche versuch des alten,
den söhn in seinem hause und stände zurückzuhalten, in stoff
und wort stark durch ein anderes lied Neidhards beeinflusst
ist. Es scheint aber, dass damit die traditionellen elemente
in unserem gedichte noch nicht erschöpft sind.
Die verse 695 ff. geben die berühmte erzählung von Helm-
brechts erster heimkehr. Nachdem der bauernsolm ein jähr
lang bei dem raubritter in diensten gestanden, verlangt ihn
nach haus. Die ganze familie stürzt ihm, als sein kommen
gemeldet wird, in freudiger erregung entgegen, der ankömm-
ling aber redet in fremden sprachen, die niemand, versteht
und stellt sich als wüsste er der heimischen mundart nicht zu
brauchen, sodass die eitern an sich und ihm irre werden. Nur
dass die nacht herabsinkt und kein wirt nahe ist, der ihn
aufnehmen könnte, bestimmt endlich den heimgekehrten, seine
spräche nicht länger zu 'verkeren'. Er erklärt sich den eitern
in der angebornen mundart als ihr söhn und wird, nachdem
er sich dem mistrauisch gewordenen vater genügend legitimiert
hat, mit freuden aufgenommen und glänzend bewirtet. Ihn in
hof und stand zurückzuhalten, will dem vater freilich nicht
gelingen.
Das ist im gedichte prächtig ausgeführt und glänzend
erzählt. Die form ist ganz des dichters eigen, nicht aber der
Stoff ; denn mit diesem stellt die episode sich deutlich in einen
grösseren Überlieferungskreis.
Es gibt einen weit verbreiteten schwank von einem bauern-
sohn, der auf die schule gegangen war, latein zu lernen. Heim-
gekehrt sucht er sich mit seinem wirklichen oder angeblichen
latein breit zu machen, wird aber bald drastisch auf die an-
geborene spräche und art zurückgeführt, lieber diese anekdote
hat kürzlich G. Polivka in der Zeitschr. f. österr. Volkskunde 11,
158 ff. gehandelt, wozu noch J. Boltes nachtrage Zeitschr. des
ver. f. volksk. 16, 298. 445 zu halten sind. Ich widerhole nicht
das reiche material, das die belesenheit dieser gelehrten zu-
sammengetragen hat, sondern will versuchen einen kritischen
überblick zu geben und hebe im einzelnen nur heraus, was
für unseren zweck von besonderem interesse ist.
Man darf in der vielgestaltigen Überlieferung zwei haupt-
typen unterscheiden.
394 PANZER
Erste gTiippe: der bauernsolin hat auf der scliiile, wo er
lateiii lernen sollte, nur zeit und geld vertan, aber nichts sich
angeeignet. Als der heimgekehrte dem vater hei der arbeit
behaglich zuschaut, fragt ihn dieser, wie denn die mistgabel
lateinisch heisse. 'gabelinum' ('mistgabelius'. u.a.) antwortet
der söhn. Und der mist? 'mistelinum' u.s.w. Das wird dem
alten doch zu dumm, er heisst den gecken das gabelinum nehmen
und künftig mistelinum aufladen, wie seine väter getan haben.
In dieser form erzählt zuerst Montanus in seiner Garten-
gesellschaft (c. 10, LV. 217. 272 f.) den schwank; doch hat ihn
vorher (1512) schon Murner in der Xarrenbeschwörung citiert
(Bolte, Zeitschr. d. ver. f. volksk. 16, 449).
Zweite gruppe: der bauernsolin hat in der schule oder —
dies offenbar Umbildung nach modernen Verhältnissen — beim
militär lateinisch oder sonst eine fremde, feinere spräche ge-
lernt und stellt sich nun, da er nach haus zurückgekehrt ist,
als ob er die bauernsprache der seinigen nicht mehr spräche
oder verstünde, bis er in einer überraschenden oder sonstwie
unangenehmen Situation unwillkürlich oder gezwungen sich
doch wider der angeborenen mundart bedient. Er tut z. b.
so, als wüsste er nicht mehr, was ein 'rechen' ist, bis er zu-
fällig einem solchen Instrument auf die zahne tritt, sodass ihm
der stiel an den köpf schlägt; da ruft er denn: 'o du teuf eis-
rechen', 'du verfluchter rechen' u.dgl. i) Oder aber er redet
so lange lateinisch, bis die seinigen, die ihn für närrisch halten,
ihm kaltes wasser über den köpf oder heisses wasser über die
hand giessen, dass er im schmerz in seiner muttersprache auf-
schreit oder man hat ihm die leiter von dem bäume weggezogen,
auf dem er sitzt, und er muss sich bequemen, in verständlicher
spräche nach ihr zu rufen u. dgl.
In mehreren der zur zweiten gruppe gehörigen Varianten
') Eine hübsche parallele zu den von Polivka und Bolte angeführten
Varianten dieser formulierung liest man in 0. Asböths Euss. Chrestomathie,
Leipzig 1890, s. 4, no. 17: der söhn, aus der stadt heimgekehrt, wird vom
vater aufgefordert, bei der heuernte zu lielfen und einen rechen zu nehmen.
Er lehnt ab: 'ich habe die Wissenschaft gelernt, aber alle bauern werte
(My>j,-imKia cjoea) vergessen: was ist das »rechen?«' Als er dann auf ihn
tretend geschlagen wird, ruft er: 'welcher narr hat auch diesen rechen her-
geworfen!' — Eine quelle ist nicht angegeben.
ZUM MEIER HELMBRECHT. 895
redet der lieimg-ekehrte ein liiclierlicli verderbtes latein, das
man ihm, ihn znm besten haltend, beigebracht hat. Diese
formulierung- hat innerhalb dieser gruppe offenbar keinen
rechten sinn; zum mindesten ist sie überflüssig, die pointe zu
erreichen. Man kann diese Varianten durch anlehnung der
gruppe 2 an 1, zu der diese angäbe notwendig gehört, ent-
standen denken, sie demnach also als gruppe 2^ zusammen-
fassen.
Man sieht nun schon: die grundelemente sind unserer Helm-
brecht - episode mit den eben charakterisierten schwanken ge-
meinsam. Und zwar tritt unser gedieht näher zur gruppe 2:
der bauernsohn, der in der fremde vornehmere sprachen gelernt
hat, stellt sich heimgekehrt, als könne er nur noch diese sprechen
und verstehen, bis er durch eine unangenehme Situation ge-
zwungen wird, in der ihm angeborenen spräche zu reden. Und
da namentlich das latein, das er redet, z. t. auch die anderen
sprachen, von bedenklicher authenticität sind, so dürften wir
unsere episode geradezu zur gruppe 2 1 rechnen.
Wie nahe die erzählung unseres gedichtes auch im ein-
zelnen diesen Überlieferungen steht, erhellt, wenn ich den
auszug Polivkas aus einem in Galizien aufgezeichneten klein-
russischen schwanke hierhersetze. 'Ein soldat', heisst es da
a.a.O. s. 163, 'der nach haus vom Urlaube [auf Urlaub?] zurück-
gekehrt ist, gibt vor, nur mehr deutsch zu können. Nicht
einmal mit seiner mutter, die ihn zärtlich bewillkommt, will
er anders sprechen als »deutsch«. Die frau ruft den Juden
um rat und der sagt ihr, sie soll ihm nichts zu essen geben,
dann wird er schon russisch sprechen. Und richtig, als so
der Soldat bis abends ohne essen sass, meldete er sich endlich
in seiner muttersprache: »mutter, gebt mir etwas zu essen!«
— »Ach, lieber söhn«, rief die arme mutter, »warum hast du
das nicht früher gesagt?« — »Weil mir das deutsche commando
im köpfe war«, antwortete der soldat.'
Man sieht, hier ist die Situation, die den heimgekehrten
endlich veranlasst, wider in verständlicher spräche zu reden,
ganz dieselbe wie in unserem gedichte. In einer anderen
Variante (a. a. o. s. 162) meint die mutter (die im schwanke oft
au stelle des vaters als gegenspieler erscheint wie im gedichte
neben ihm), der söhn sei im köpfe nicht richtig, was sie im
396 PANZER
g-edichte (v. 732) für sich und den gatten befürchtet, v. 760 ff.
bietet hier der vater d^ni heimg-ekelirten dienste an, die der
söhn in flämenden worten abweist, und macht sich anheischig
Y. 772 f.), ihm ein huhn zu sieden und eins zu braten. In einer
russischen fassung (a. a. o. s. 164) bietet die mutter dem söhne
an, ihm ein huhn (kurocku) zu braten: 'nicht kukurikus!' ant-
Avortet der; ein entchen (kacocku): 'nicht kwakus!' u. s. w.
Die mutter weint, dass der söhn nur noch 'deutsch' spricht,
wofür sie also diese pseudolateinischen brocken hält, wie unsere
familie sich in den sprachen des fremden herrn nicht recht
auskennt.
Dass diese berührungen nicht zufällig sein können, ist klar;
eine solche complicierte folge wird nicht zweimal selbständig er-
funden. Die erklärung kann nur die sein, dass unser dichter und
diese schwanke aus derselben älteren tradition geschöpft haben.
Nun sind die schwanke ja nicht alt bezeugt. Gruppe 1
ist nur bis in den anfang des 16. Jahrhunderts zu verfolgen,
2 sogar nur aus modernen aufzeichnungen bekannt. Trotzdem
wird an sich niemand für wahrscheinlich halten, dass die
jüngeren aufzeichnungen etwa aus dem Meier Helmbrecht sich
ableiteten; es lässt sich der gegenbeweis aber auch positiv führen.
Die fremde spräche, in der der heimgekehrte redet, wird
nicht überall in derselben weise definiert. Für die tendenz
der erzählung genügte eben, dass der bauernsohn eine den
seinigen unverständliche, für vornehmer geltende spräche redete,
die je nach dem lebens- und anschauungskreise sich bestimmen
liess; darum redet z. b. der galizische Urlauber in der oben an-
geführten Variante deutsch. Dass aber in der ursprünglichen
fassung es sich ums lateinische handelte, schimmert in mehreren
Varianten, die abweichende definitionen geben, noch seh]- deut-
lich durch ; schon das oben angeführte, bei einem Soldaten ganz
unbegründete kukurikits, kwakws u.s.w. gibt einen beleg.
Unser gedieht hat nun seinen Urlauber in einer sehr an-
sprechenden, seiner zeit und umweit durchaus gemässen weise
in wälschen, flämischen und böhmischen brocken reden lassen ;
daneben erscheint aber auch in ihm das lateinische, noch —
so dürfen wir sagen — das lateinische. Denn es ist klar,
dass diese spräche für die besonderen Voraussetzungen unseres
gedichtes dui'chaus unpassend ist. ^Yo sollte denn Helmbrecht
/
ZUM MEIER HELMBRECHT. 397
sein latein gelernt haben? Er war doch, seit er den hof ver-
lassen, auf der 'burc' bei dem räubergesindel, das sich doch
gewiss nicht lateinisch wird unterhalten haben? Und unser
bauernsohn will doch als Junker auftreten, sprechen die denn
lateinisch? In Wirklichkeit zieht denn auch die Schwester aus
den pseudolateinischen brocken, mit denen er sie begrüsst, ganz
richtig den nach den zeitverliältnissen allein möglichen schluss
(v. 741): er antivnrt mir in der laiin: er mac ivol ein pliaffe sin.
Danach aber stand nicht der ehrgeiz des jungen. Hier, meine
ich, verrät sich deutlich die nachwirkung der vorläge, die von
unserem dichter sehr hübsch weitergebildet, aber doch nicht
ganz aufgegeben wurde. Es liegt also im gründe derselbe
kunstfehler vor, der oben s, 392 angenommen wurde, um die
Unstimmigkeiten innerhalb des gedichtes in bezug auf die
haube ohne annähme einer späteren Umarbeitung des eingangs
zu erklären. Und da in den versen 1020 ff., wie in der ein-
leitung meiner ausgäbe s. xii ausgeführt ist, ein dritter fall
der art vorliegt (die traditionelle klage über den verfall ritter-
licher turniersitte im munde des bauern!), so mögen diese be-
lege sich gegenseitig stützen und unserem dichter wol auch
das frouiven von v. 277 trotz der nonne in v. 104 ff. schon in
erster conception zutrauen lassen.
Für den besprochenen schwank aber wird durch unser ge-
dieht erwiesen, dass er schon im mittelalter bestanden hat, offen-
bar wirklich als eine 'schulanekdote' von einem bauernsohn,
der auf die schule gegangen war, latein zu lernen — oder, was
dasselbe heisst, geistlicher zu werden — , der dort nichts ge-
lernt hat und nun heimgekehrt mit pseudolateinischen brocken i)
1) Wenn culturwissenschaftliche dinge sich wie naturwissenschaftliche
beurteilen Hessen, so wäre wol nicht zu bezweifeln, dass gruppe 2\ wie unser
kritischer überblick oben es darstellte, geschichtlich durch Vermischung der
getrennt entstandenen typen 2 und 1 entstanden wäre. Die oben angenom-
mene älteste form würde aber ja zu 2 ' zu rechnen sein und es dünkt mir
nicht unwahrscheinlich, dass sie wirklich die grundform war, aus der die
gesanimte Überlieferung sich entfaltete : sie eine form, in der das gewollte
ziel keineswegs mit dem geringsten möglichen aufwand an kraft erreicht
war. Wer die Sammlung Polivkas durchmustert, wird dort einige Varianten
von 2^ finden, bei denen trotzdem eine nachträgliche beeinflussuug durch
typus 1 sehr wahrscheinlich ist. Die bunte maunigfaltigkeit dieser dinge
lässt sich nicht einfach construieren.
398 SCHULZ
um sich wirft, bis er in einer üblen Situation veranlasst wird,
sich als der bauer zu bekennen, als der er denn auch in Zu-
kunft festgehalten wird. Der schwank wird von einem kleriker
und zwar, nach dem Verbreitungsgebiete der Varianten zu ur-
teilen, vermutlich von einem deutschen kleriker erfunden sein ;
als mittelalterlich aber verrät er sich auch durch seine tendenz.
Denn er will doch deutlich den echt mittelalterlichen ge-
danken illustrieren, dass sich nur lächerlich macht, wer auf
das iiinner unmögliche unternehmen sich einlässt, über den
angeborenen stand hinaus zu kommen. Und eben diese mit
der seinigen übereinstimmende tendenz war es offenbar, die
Wernher dem gärtner die aufnähme des schwanks in sein
gedieht nahe legte.
FRAXKFUET a. M., am 29. sept. 1907.
FRIEDRICH PANZER.
ZU KÖNIG TIROL.
'Von nachfolgendem gedichte, dessen Verfasser ritter Poppo
der starke ist, den wir im jähre 1167 am hofe Barbarossas
finden, kenne ich nur ein gedrucktes manuscript aus dem sieb-
zehnten Jahrhunderte, das mir auf der öffentlichen bibliothek
der Franckeschen Stiftungen in Halle zu bänden kam '
]\lit diesen werten leitete F. W. Ebeling seine ausgäbe des
'Kunig Tyrel von Schotten' (Halle 1843) ein. Seine apodik-
tischen angaben über die Verfasserschaft Boppes, wie die
widerspruchsvolle bezeichnung seiner quelle haben den folgen-
den herausgebern Schwierigkeiten gemacht, da ein derartiges
manuscript nicht aufzufinden war, und also die unklaren aus-
führungen Ebelings nicht durch genauere ersetzt werden
konnten. 1) Ich möchte nun auf die folgende stelle in Spangen^
^) Vgl. die ausgaben von E. Wilken, Paderborn 1873, s. 29 f. und von
A. Leitzmann, Halle 1888, a. 1.
zu KÖNIG TIROL. 399
berg-s Anmutiger "Weisslieit Lust Garten (1621) aufmerksam
machen, die offenbar Ebeling bei der redaction seines textes
vorgelegen hat. Hier heisst es auf s. 90: 'IN der Yätterlichen
Vermahnungs Lehre, welche der Edele Schottländer Tirol, vom
Königlichen gebliit geboren, an seinen Sohn Friedebrand ge-
stellet. Welche nachmals der alte teutsche Meistersinger vn
Eitter Poppo, der Starcke genant, so vmbs Jar Christi 1167.
gelebt, vnd an Keyser Fridrichs Barbarossa Hoff ein Zeitlang
sich auffenthalte, Reime oder gesangsweise in damals gebreuch-
liche Teutsche sprach versetzt, darinen wird ein falscher
Messpriester mit eim grünen vnd dürre Baum verglichen.
Solche Reime, weil sie fast artig seyu, vnd auss denselben
nicht allein zuvernemen, was man vor fünffhundert Jahren
von Messpfaffen gehalten, sondern wie die Teutsche Sprach
dazumal gelautet, hab Ich hieher zu setzen, nicht vmbgang
haben können.' Und nun folgen unter der Überschrift 'Kunig
Tyrel von Schotten vnd Fridebrant sin Sun' (= Ebelings
titel * . . . und sin sun Yridebrant') die Strophen 1 bis 13 des
rätselgedichts, bei Leitzmann s. 17 ff., die Ebeling in seiner
ausgäbe abgedruckt hat (s. 5 — 8). Sein abdruck ist ziemlich
genau, nur die Orthographie, die bei Spangenberg oft der
neuhochdeutschen nahe steht, ist nach mhd. weise reguliert.
So braucht Sp. mitunter grosse anfangsbuchstaben bei sub-
stantivis und bezeichnet langes i mit ic. Diese unterschiede
hat Ebeling ausgeglichen, auch die Überschrift über str. 5
'Kunig Yridebrant' ist weggefallen. Weggefallen ist auch
die 'Erklärung etlicher alter Teutscher Wörter in vorgehen (!)
Reimen', die Sp. seinem abdruck der 13 Strophen folgen lässt.
Ebeling hat diese, wortgeschichtlich nicht uninteressanten er-
läuterungen aber doch benützt, wenn auch in eigentümlicher
weise. Er lässt nämlich am ende seines Vorworts die 'er-
läuterung einiger worte' folgen, und es überrascht, dass er
hier nur eine auswahl aus Spangenbergs erklärungen gibt.
Da also die biographischen angaben Ebelings, wie auch
sein text und die erklärungen offensichtlich zu Spangenberg
stimmen, so dürfte damit der Lustgarten von 1621 als seine
vorläge, als das 'gedruckte manuscript aus dem siebzehnten
Jahrhunderte' erwiesen sein.
Uebrigens enthält dieses buch eine weitere strophe des
400 HELM
könig Tirol auf s. 531 aus dem lehrgediclit (= Leitzmann s. 22,
110. 30), ausserdem ein g-edicht Ulrichs von Liclitenstein auf
s. 483 (= Pfaff, Die Heidelberger liederlis. 1900, s. 823, no. 311)
und eines Eeinmars von Zweter auf s. 484 (= Roetlies aus-
gäbe 1887, s. 464, no. 106), endlich auf s. 389. 90 eine längere
ausführiing über Muscatblüt. Aber diese letzteren angaben
gehen sicher auf das buch seines vaters Cj^riacus Spangen-
berg, Von der Musica ... (1582) zurück, wörtlich übernommen
ist jedenfalls sein Verzeichnis der gedichte Muscatblüts (ausg.
der Musica in der Bibl. d. lit. ver. bd. 62, s. 134. 35). Vielleicht
hat Ebeling mit rücksicht auf diese proben angenommen, dass
AY. Spangenberg eine grössere handschrift vorgelegen hätte,
aus der er hier und da ein gedieht mitteilte. Möglicher-
weise erklärt sich so die seltsame bezeichnung 'gedrucktes
manuscript '.
FEEIBURG i. B. HANS SCHULZ.
NACHTRAG ZUR AUSGABE VON HESLERS
EVANGELIUM NICODEMI.
(Bibl. des lit. ver. no. 224).
Die bearbeitung von Heslers Apokalypse für den achten
band der Deutschen texte des mittelalters hat mich genötigt,
die ganze Überlieferung dieses gedichtes nochmals durchzu-
prüfen. Von den der Apokalypse entnommenen citaten in der
einleitung zu meiner ausgäbe des Evang. Nicodemi sind auf
grund dieser prüfung nun einige zu streichen oder zu modifi-
cieren, da es sich ergeben hat, dass die ihnen zu gründe
liegenden lesarten zum teil nicht dem original sondern nur
einzelnen hss. (speciell St und K^) angehören, zum teil eine
andere auffassung verlangen. Ich stelle die fälle hier zu-
sammen und bitte, die änderungen an den betreffenden stellen
vorzunehmen. Da in der einleitung zum Evang. Nicod. die
Apokalypse nach der Stuttgarter hs. citiert wurde, die eine
NACHTRAG ZU HESLERS EVANGELIUM NICODEMT. 401
reihe von plusversen enthält, so sind die dort begegnenden
verszalilen durchweg etwas höher als in der ausgäbe der Apo-
kalypse; die differenz ist anfangs gering und wächst bis zum
Schlüsse des gedichtes bis auf etwa 30. Auf die änderung
all dieser zahlen muss ich natürlich verzichten; ich habe
jedoch bei den nachstehenden Verbesserungen, um die nach-
prüf ung zu erleichtern, die richtigen verszahlen in klammern
beigefügt.
S. XXXYI z. 14 V. 0. streiche larte : harte (1899). —
S. XXXVII z. 1 v.o. streiche amen : flammen (1246); z. 2 v.o.
streiche ivät (4338; es ist liorgeivat zu lesen, vgl. dieses wort
im Wortverzeichnis der Apokalypse). — S. XXXIX z. 6 v. o.
streiche Ap. 14387 (14371); 14 v.o. 1. :2elene (1457); 13 v.u.
streiche 1G793 (16779 er : her!). — S. XL z. 8 v. o. statt naeren
(inf.) 1. den naeren (dat. pl.) x\p. (8307); z. 20 v.o. streiche
hevein : sün (12222; es liegt heviln vor!). — S. XLI z. 9 v.o.
streiche 784 (779); z. 10 v.o. 1. liht : cjetiht Ap. 77. 4087. —
S. XLII z. 9 V. 0. statt man Untere 1. dem läutere (8879); z. 10
V. 0. statt die clutere 1. dem läutere 21742 und streiche 16897.
— S. XLIV z. 17 v.o. streiche we : sie (13969; ive=^wie!)\
z. 18 V. 0. 1. auf e in priester : trester Ap. 9833. 12937. —
S. XLV. z. 12 V. u. streiche Uuonien : gevrumen (7491) und die
darauf folgenden fälschlich mit tio angesetzten reime sune
: sjnme; z. 7 v. u. streiche ruoivet : niuivet (1575) und enhüsen
: muo^en (4249, enhuezen^\ z. 2 v.u. und später (s. XL VI f.)
schreibe lohe, lohen. — S. L z. 14 v. o. streiche den sün Ap.
12235 (12222 s. o.). — S. LI z. 4 v. o. streiche die sämmtlichen
belege massen : ivahsen (hier liegt tvasse bez. wäz vor; vgl. die
stellen im Wortverzeichnis der Apokalypse). — S. LH sind die
Zeilen 17 — 14 v.u. ganz zu streichen, da der reim nur den hss.
K^ St angehört, vgl. Ap. v. 1727 anm.; z. 12 v.u. statt Ap. 14387
1. taetic Ap. 1437L — S. LIII z. 4 v. u. 1. wie (13079). —
S. LXIV z. 13 v.u. ist der reim gen : spien zu streichen, da
er nur St. angehört. — S. LXV z. 4 v. o. streiche vie : hie
(nur in K^ St; 10205). — S. LXVI z. 6 v. o. streiche gäten Ap.
14193 (14173) und den missetäten A^. 1701 (1687). — S. LXVIII
z. 6 V. u. streiche got : verspot{et) (451). — S. LXXVIII z. 6
V. 0. statt 2659 1. 3270.
Im text des Evang. Nicodemi sind einige druckfehler stehen
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXllI. 26
402 FEIST, NIID. KÖTEB.
geblieben, deren Verbesserung sich von selbst ergibt; ich be-
schränke mich darauf, hier festzustellen, dass statt er in v. 8
und 13 der zu lesen ist. Auch änderungen anderer art sind
da und dort noch nötig und ergeben sich meist leicht von
selbst. Nur auf den v. 1998 sei noch hingewiesen: die con-
jectur, die ich dort in den text gesetzt habe, ist nicht haltbar,
vielmehr muss an icorte (mit S) festgehalten werden; das ergibt
sich daraus, dass der ganzen stelle 1994 ff. die stelle Ps. XXI, 1
zu gründe liegt: Quare tue dereliqiiisü? Longe a salute mea
verha delictorum meorum. Wie allerdings darnach bei H. die
stelle vollständig gelautet haben muss, vermag ich nicht zu
sagen. Für v. 2157 gilt das gleiche.
Ich benutze die gelegenheit endlich, zu meinen ausführungen
über den ort Nawra in Preussen (einleit. s. lxxxviii f.) einige
jüngere literatur nachzutragen, nämlich: Maercker, Ortsgesch.
des kreises Thorn 2,392; v. Mülverstedt, Zur lösung der heimat-
fi-age der v. Depenow und Stange, Zeitschr. d. histor. Vereins f.
Marienwerder 1903, s. 1 ff. und Henkel, Bemerkungen zu Maer-
ckers Ortsgeschichte des Thorner kreises, Zeitschrift des west-
preuss. geschichtsvereins 45, 222. Zu seite C ist über das späte
eindiingen der Juden in Preussen noch zu vergleichen: Joh.
Müller, Die Juden in Osterode, Oberländische geschichtsblätter,
heft 5 (1903), s. 38 ff.
GIESSEN, 26. juni 1907. KAEL HELM.
NHD. KÖTER.
Die gewöhnliche ableitung dieses aus dem ndd. stammenden
Wortes von ndd. Icot, engl, cot 'hütte' wird von H. Schroeder,
Beitr. 29, 554 ff. mit recht, wie mir scheint, abgelehnt. Er nimmt
ein entsprechendes got. H-autareis, as. *Mtari {*l-ötert), ahd.
'^Tcözari an, 'eine ableitung eines st. *kaut-, der onomatopoetischen
Charakters mit der bedeutung »bellen, klaffen, schreien« gewesen
sein wird. Nachdem das urgerm. au im as. zu o geworden war,
musste das verbum. dessen charakteristischer Inhalt eben das
LITERATUR. 403
an (yg]. wauwau) gewesen war, weil nunmehr unbrauchbar,
verloren gehen'. — Ich glaube die spur eines zu dem st. "^Icaut-
gehörigen verbums in rlieinfr. Ixauzcn, ganzen vom bellen eines
kleinen hundes ('kläffer') gebraucht, widerzufinden. Aus einer
gdf. '""katjan musste sich ein alid. *'Mzzen, *h'izen entwickeln,
dessen nachkomme das rheinfr. kauzen, ganzen ist. Auch das
unerklärte nhd. kotzen lässt sich leicht auf germ. Vcutjan, die
parallelform zu Viütjan, zurückführen. Das bild, das diese
bedeutungsentwicklung veranlasste, ist ohne weiteres klar.
Schwieriger ist es, eine etymologische anknüpf ung für
diese germ, wzl. *kaut- zu finden. Sehen wir t = idg. d als
determinativ an, so bietet sich für die idg. wzl. *goti-d- ein
anhält an gr. yaog 'laute klage', yot/q 'klagender', yoaco, yoöco
'klagen' (aor. eyofov); als grundbedeutung dieser idg. v,'zl. "^goii-
wäre etwa 'heulen' anzusetzen. Doch ist auch die möglichkeit
zuzugeben, dass germ. *kaut- lautnachahmend gebildet ist.
BERLIN N. S. FEIST.
LITERATUR.
(Verzeichnis bei der redaction eingegangener Schriften, vgl. Beitr. 32, 154.)
Adams, Arthur, The syntax of the temporal clause in Old Euglish
prose (= Yale studies in English XXXII). New York, Holt a. Co., 1907.
Vni, 245 s.
Baesecke, Georg, Der Münchener Oswald, text und ahhandlung
(= Germanistische abhandl., hg. v. F. Vogt, 28. heft). Breslau 1907. —
XVIII, 445 s. M. 16. — .
Behaghel, Otto, Die deutsche spräche. 4. aufl. (= Das wissen der
gegenwart 54). Wien u. Leipzig, Tempsky u. Frey tag, 1907. — 380 s. M.4. — .
Brandstetter, Eenward, Die Wuotansage im alten Luzern (Separat-
abdr. aus dem Gesehichtsfreund, bd. 62). Stans [1907]. — 60 s.
Eigenbrodt, Wilhelm, Untersuchungen über das mhd. gedieht 'diu
guote vrouwe'. (Diss.) Jena 1907. — 46 s.
Franck, J., Der name der Franken (Sonderabdr. aus der Westd. zeit-
schr. f. gesch. u. kunst, 26). 1907. — 10 s.
Gebhardt, August, Grammatik der Nürnberger mundart. Unter mit-
wirkung von Otto Bremer (= Sammlung kurzer grammatiken deutscher
mundarten, bd. VIT). Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1907. — XVI, 392 s.
26*
404 LITERATUR.
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Ton Karl Helm (= Deutsche texte des m.a., bd. YIII). Berlin, Weidmann,
1907. — XX, 414 s., 2 tafeln.
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Ranke, Friedrich, Sprache und stil im Wälschen Gast des Thomasin
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DER EINFLUSS DES MND. AUF DAS DANISCHE
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13) M.Gl. = Molbech, Dansk Glossarium. I. IL Kbh. 1857. 66.
14) Rkr. = Den danske Riimkronike.
15) Sch.L. = Schiller u. Lübben, Mnd. Wörterbuch,
Gegen den aiisgang des mittelalters nimmt die Schrift-
sprache des dänischen diejenige gestalt an, in der sie sich
bis znr gegenwart ziemlich unverändert erhalten hat. Diese
moderne form, die sich während der zweiten hälfte des 14.
und im 15, Jahrhundert herausbildete, weicht so wesentlich
von der spräche der vorhergehenden periode ab, dass inner-
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXUI. 27
406 MARQUARDSEN
lialb des Zeitraums von 1350 — 1500 eine durchgreifende Ver-
änderung der dänischen spräche zu constatieren ist. Die Ursache
dieses auffallenden sprachwandels ist hauptsächlich darin zu
suchen, dass die fruchte deutschen einflusses zu einer zeit
deutlich erkennbar werden, wo sich ein fester Charakter der
Schriftsprache ausbilden musste, weil man sich, auch für kirch-
liche und rechtsschriften, der landessprache zu bedienen begann.
Jetzt erwies es sich, wie stark diese mit fremden elementen
durchsetzt war, wie viel deutsches sprachgut sie in sich auf-
genommen hatte.
Die dänische geschichte des 14. und 15. Jahrhunderts be-
antwortet die frage, Avie eine so starke germanisierung der
spräche möglich geworden war; denn sie zeigt uns die deutsche
hansa als Dänemarks gefürchteten feind, als seinen mächtigen
nebenbuhler in handel und Schiffahrt.
Im jähre 1370 musste Valdemar Atterdag den hansestädten
Skäne überlassen, das freilich 1386 wider dänisch wurde; aber
deutsche vögte blieben im lande zurück, und die hansestädte
genossen in Dänemark und Schweden uneingeschränkte frei-
heiten. Sie bohrten sich allenthalben ein, setzten sich überall
fest. Im binnenlande betrieben niederdeutsche kaufleute einen
ausgedehnten kleinhandel, und an den küsten vertrieben ihre
fischerbote die der ansässigen leute. Sie hatten sitz und stimme
im rate der städte; es kam sogar vor, dass öffentliche Ver-
sammlungen in niederdeutscher spräche abgehalten wui'den.
Zwar drohte die Kalmarische union die grundlagen der han-
sischen Übermacht zu erschüttern; doch zersplitterte Erik von
Pommern, der nachf olger der Unionskönigin, seine kraft im
kämpf um Schleswig — ein erfolgloses bemühen — denn
Schleswig blieb mit Holstein vereint, es verlor allmählich
seine spräche, und die übrigen landesteile trugen sprachlich
unauslöschliche spuren deutschen einflusses. In der folge gieng
zum teil dieser einfluss von den fürsten selbst aus, die deutscher
abkunft waren, deutsche edelleute an ihren hof zogen und
deutsche truppen in ihren sold nahmen. Jedoch waren und
blieben die hansestädte der wichtigste factor für die Ver-
deutschung der spräche. Ende des 15. Jahrhunderts nahm
dann Dänemark die buchdruckerkunst aus Deutschlands band,
und die spräche wurde mitsammt dem fremden, was sie wäh-
^
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 407
rend der letzten 150 Jahre in sich aufgenommen hatte, fixiert.
Nun ergab sich die tatsache, dass das dänische, so wie es sich
am ende des 15. Jahrhunderts darstellt, in bezug auf den wort-
vorrat ein völlig verändertes gepräge erhalten hatte, das es
dem mnd. verdankt. Was die Veränderung des lautbestandes
angeht, so berührt sich diese nicht unmittelbar mit ndd. einfluss.
Auch in bezug auf grammatische formen hat das nord. seine
eigenart gCAvahrt, wennschon im 15. Jahrhundert germanismen
nichts seltenes sind. Aber sie haben sich kein biirgerrecht in
der spräche erworben, während ihr die ndd. lehn Wörter und
Wortbildungselemente als eigentum verblieben sind. Die vor-
liegende abhandlung wird daher den umfang des ndd. einflusses
nach dieser richtung zu bestimmen suchen, indem sie es unter-
nimmt, ihn an Schriften des 15. Jahrhunderts nachzuweisen.
Allerdings zeigt schon die dänische Schriftsprache des 13. und
14. Jahrhunderts spuren ndd. einflusses; dafür hat Marius Kri-
stensens Untersuchung: 'Fremmedordene i det aeldste danske
skriftsprog för omtrent 1300', Kopenhagen 1906 (vgl. Kahle,
Litbl. 1907, 150 ff.) den beweis erbracht. Aber die kircheu-
und rechtssprache war damals noch lateinisch, und das wenige,
was in dänischer spräche geschrieben wurde, beschränkt sich
zumeist auf gesetze und gesetzbücher, die doch nur ein höchst
einseitiges bild der spräche gewähren. Das 16. Jahrhundert
bringt eine menge neuer mndd. lehnwörter hinzu. Doch be-
ginnt während des reformationszeitalters auch das hochdeutsche
bei der germanisierung des dän. eine rolle zu spielen, sodass
es kaum möglich sein würde, hoch- und niederdeutsche demente
in ihrer danisierten form reinlich zu scheiden. Was Jedoch
während des 15. Jahrhunderts von deutschem sprachgut in das
dän. übergieng, das wurde ohne frage von Niederdeutschland
aus hineingetragen. Wo sich ein wort als hochdeutschen Ur-
sprungs zu erkennen gibt, da war es allemal im ndd. als lelin-
wort vorhanden und gelangte auf diesem umwege ins dänische.
Meine darstellung gründet sich daher auf literarische denk-
mäler des 15. Jahrhunderts, unter denen sich auch einheimische
dichtungen befinden, während die prosa durch rechtsbücher und
Übersetzungen vertreten ist. Aus der Übersetzungsliteratur
haben mir der Lucidarius, Mandevilles reise. Die nachfolge
Christi von Thomas a Kempis, Die göttliche Weisheit von
27*
408 MARQUARDSEN
Heinrich Suso, Romantisk cligtning fra middelalderen und die
älteste bibeliibersetzung nach der vulgata als quellen gedient.
Der Lucidarius gehört vielleicht noch dem ende des 14. Jahr-
hunderts an (s. Brandts ausgäbe, einleitung xx. xxi). Jedenfalls
ist er unter den genannten Schriften die älteste; dafür spricht
der noch nicht stark vom ndd. beeinflusste wort Vorrat und der
beschränkte gebrauch ndd. vor- und nachsilben. Thomas a
Kempis, Mandeville, Heinrich Suso und Romantisk digtning
weisen einen ganz bedeutenden Zuwachs an lehnwörtern auf,
besonders Mandeville und Romantisk digtning, denn hier
waren die Verfasser gezwungen, mit einem viel mannig-
faltigeren Wortschatz zu operieren, als die Übertrager geist-
licher Schriften. Ueberall zeigt der häufige gebrauch ndd.
Suffixe und präfixe diese als nunmehr eingebürgert. Doch
sind es nicht die Übersetzungen, sondern die gesetzbücher und
diplome aus damaliger zeit, die den einfluss des mnd. am
eclatantesteu widerspiegeln. Man würde indes einen fehl-
schluss tun, wollte man sie als muster des derzeitigen Sprach-
gebrauches und als massstab für den umfang des mnd. ein-
flusses ansehen. Man darf nicht aus den äugen lassen, dass
sie zum grossen teil aus den kanzleien der fürsten deutscher
abstammung hervorgiengen; zudem musste, den herschenden
Verhältnissen zufolge, die handeis- und rechtssprache am
stärksten mit ndd. ausdrücken verquickt sein. Die sichersten
Schlüsse auf die eigentliche beschaffenheit der spräche dürfen
wir jedenfalls aus den einheimischen dichtungen ziehen, die,
fi'ei vom zwang der Übersetzung, nicht mit formelhaften Wen-
dungen durchsetzt, das treueste bild des Stadiums geben, bis
zu dem die Sprachentwicklung vorgeschritten war. Ich denke
hierbei an die ersten in dänischer spräche gedruckten bücher:
Den danske Riimkronike und Hr. Michaels free Riimvaerker.
Von diesen zweien möchte ich widerum das letztgenannte
als t3i)isch für den Sprachgebrauch des ausgehenden 15. Jahr-
hunderts bezeichnen. Der Verfasser, der in strophenform eine
lateinische vorläge frei bearbeitete, handhabt die spräche mit
grosser gewantheit und poetischer gestaltungskraft. Das ent-
lehnte sprachgut mutet bei Michael nicht mehr wie flicken
auf altem gewand an, sondern die fäden haben sich jetzt fest
verwoben und so miteinander verschlungen, dass etwas einheit-
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 409
liclies geworden ist. — Diese neue spracliform ist die des neu-
dänischen, das zu der spräche der deutschen grenznachbarn
niclit nur durch urverwan tschaft, sondern auch durch ent-
lelinung in naher beziehung steht.
I. Mud. lehuwörter.
Sie sind als solche nicht ohne weiteres erkennbar, denn
bei der verwantschaft beider sprachen ist das ndd. lehnwort
in danisierter form für äuge und ohr vom dänischen sprachgut
schwer zu unterscheiden. Doch geben sprachgeschichtliche
kriterien in vielen fällen über den fremden bez. ndd, Ursprung
eines wortes aufschluss. Ich nenne unter diesen formellen
kennzeichen diejenigen, die für das ndd. in betracht kommen.
— Lautliche merkmale, die mit Sicherheit auf mnd. herkunft
eines wortes schliessen lassen, sind folgende (vgl. Tamm, Fönet,
kännetecken pa länord, i nysv. rigsspr., Upsala, Univ. Arsskrift
1887):
0, da entsprechend got. an. au, ags. ea (lautgesetzlich ist
fürs dän. au > 0):
hop mild.
hop
ahd. houf ags. heap
lod
16t
„ leaö
rof
rof
„ roub „ reaf
stop
stop
an. stäup „ steap
bom
bom
ahd. boum „ beam
lop
16p
an. hlaupr
dop
dope
ahd. toufa
haan
hon
got. hauus „ hean
Inlautendes t
, «
? der
Stammsilbe, entsprechend got. an. iu,
ahd. 10, eo (lautgesetzliche entwicklung tu > y):
fortred
mml. vordret got. priutau
kese
„ keseu „ kiusan
leef
„ lef an. Imfr
stev (fader)
„ stef ., stiup
gt, für germ.
ß
agtig
mnd
achtig mhd, haftic
agter
)i
achter „ after
hegte
;)
hechten „ heften
kragt
1?
kracht „ kraft
bekregtige
!I
bekrechtigen „ bekreftigen
sagt
))
sacht „ senfte
stigte
;i
stiebten „ stiften
410 MARQUARDSEN
dd, eutsprecliend urgerm. <? -\- j:
redde mnd. reddeu ags. hreddau
Unbetontes i der mittelsilbe vor der endung ke (in dieser
Stellung- unterlag ein nord. i der synkope):
bindike mnd. bindike
freveke „ frouveken
wennike „ wennike
Andere kenuzeichen, die für entlelinung in weiterem sinne,
aber einschliesslich des ndd. sprechen, sind folgende: |j
Diphthonge, die nicht durch vocalisierung von consonanten
(g, v) entstanden sind (lautgesetzliche entwicklung: monophthon-
gierung alter diphthonge):
klein
geist
reise
feide
gei?el
f, ausser im anlaut und in den Verbindungen fk, fs, ft
(in anderen Stellungen wurde f>v):
leef mnd. lef straffe mnd. strafen
leflig „ leflich skaffere „ schaffer
gt, entsprechend urgerm, ht, sofern diese Verbindung nicht
von einem auf k ausgehenden einheimischen wortstamm her-
rührt (in den nord. sprachen verschwand das h, und das t
wurde unter umständen lang: mäht > mdttr):
,nd
. klein
seideuspil
mnd. seidenspil
)i
geist
heit
„ heit
)>
reisen
rein
„ rein
i;
feide
toiiwe
„ touwe
j;
geisel
agt mnd. acht
magt mild, macht
digt „ dicht
uagtegal „ uachtegal
frugt „ fr licht
pligt „ plicht
fegte ,, fechten
rygte „ ruchte
gigt „ gicht
siegt „ siecht
Die Verbindung ts, ausser
wenn der stamm auf t ausgeht:
kreds mnd. kreis
trotz mnd. trotz
lots „ lots
gautz „ ganz
platz „ plass (getöse)
kands „ kanze (frz. chance)
spetz ,, spitz
swantz ,, swaus
Auslautendes ch, k, entsprechend urgerm. h {h fiel im nord.,
ausser im anlaut und vor s):
ach mnd. ach dog mnd. doch
EINFLUSS DES MNÜ. AUF DAS DÄNISCHE. 411
s, das einem durch die lioclideiitsche lautverscliiebiiiig ent-
standenen £, SS entspricht:
fräs mnd. vräs steymetz mnd. stekemest
fräser „ vräser metsmager „ mestmaker
d, im anlaut, entspriclit altgerm. J) (dieses ]) wurde im
nord. zu t):
dristig mnd. dristic ags. priste
di „ dien got. ]7eihan
Didrik „ Didrik „ iDiudareiks
i- Umlaut vor der endung- cre, entsprechend altn. ari, got.
areis (in ari wirkte i im nord. keinen umlaut):
forreder mnd. vorreder misdseder mnd. missededer
kremer ,, kremer
/-umlaut vor der adjectiv-endung ig. Die entsprechende
nord. form war agr, ugr, seltener igr:
fellich mnd. vellich mektig mnd. mechtich
veldich ,, weldich
a, mit voraufgehendem j, sj, tj, ausgenommen in satztief-
tonigen Wörtern (im nord. trat umlaut ein):
jage mnd. jagen jamer mnd. janier
skarlagen „ scharlaken jamerlig „ jamerlich
Einfaches h in anderer Stellung als im anlaut, wenn nicht
erAveichung von y vorliegt (im nord. wurde b > v):
sabel mnd. sabel kobebe mnd. kobebe
nobel „ nobele
Ein nicht im anlaut stehendes t, das urgerm. (/, d, J) ent-
spricht (im nord. ist Ö zu erwarten):
liet mnd. het, heit art mnd. art
Ein V, entsprechend germ. w vor u, o und ihren umlauten
(hier schwand im nord. tv):
vund mnd. wunde.
Manchmal zeigt ein lehnwort lautlich keine abweichung
vom einheimischen wort, und nur der bedeutungswandel kenn-
zeichnet es als entlehnt. Solche alten Wörter mit neuer be-
deutung sind z. b. arg, hlide, horgcr, sind, stund, reh, stycke.
Es kommt auch vor, dass ein beiden sprachen eigentümliches
wort in seiner niederdeutschen form nicht als identisch mit
dem entsprechenden nordischen erkannt wird, und nun brauclit
412
MARQUARDSEN
man beide als verschiedene Wörter nebeneinander. In der Über-
setzung der vnlgata kommt mehrfach arheyde oh cBrffivede
vor. Tautologien sind überliaupt eine häufige folge des ein-
dringens mnd. Wörter. Ich führe als beleg eine beschränkte
zahl von beisi)ielen an, die zumeist der altdän. bibelübersetzung
entnommen sind, denn hier begegnen sie reichlicher als in anderen
Schriften.
-'ö'-ö
dende ellcr hiktede 1. M. 8,21
finghfe eller begribedhe 1. M. 7, 21
boligh eller pawlun 1. M. 12, 8
koben eller mantelen 1. M. 24, 65
dwalde eller bleff 2. M. 2, 15
sorg eller bedr0vel.se 2. M. 3, 8
wordher eller bliwer 3. M. 2, 3
fortseres eller opsedhes 2. M. 22, 5
hellbreglide eller sundh gjort. 3. M.
15,18
wedkfBstse eller hoopp 3. M. 4, 12
rsedhe eller forfsere 3. M. 26, 6
steymetz eller kuyff 4. M. 25, 7
gulfingerufe eller gulring 4. M.
21,50
aldaghen eller gantze dagen 5. M.
28,32
omgaf eller belagdhe Jos. 10, 34
udtbydelse eller tolkelse Dom. 7, 15
horsom eller Ij'delse Rsv. 127
gjomme och hegte Esv. 561
stemme och rest H.M. 59
lideth och kleynt T.K. 17, 21
ondskap och slemheth T.K. 122, 10
friheit och frelse M.P. 104
isevel (egel) seller pinswiu 3.M.11,5
bastes eller biiides D.M. I, 318
d0th oc affgangeu D.M. HI, 209
fattedom oc armod H.S. 82, 28
lym seller clgeg 1. M. 14, 10
glade och fro KD. 141,1
scheet oc gjort. M.P. 157.
Die fremden formen verdrängten die einheimischen nicht
ohne weiteres. Es herrscht zwischen ihnen zunächst noch ein
kämpf. Der nämliche begriff wird von einem und demselben
Verfasser bald durch das einheimische, bald durch das mnd.
wort widergegeben. So lesen wir bald eivig, bald evindelig;
twnvel neben icBf] armod neben fattigdom; ividive concurriert
mit enke\ gantze mit liele\ fager mit sJcmi, froo mit glad. Das
ergebnis des kampfes ist, wie das neudänische beweist, häufig
der sieg des ndd. Die dänische spräche hat eine menge ein-
heimischer formen zu guusten der fremden aufgegeben. Doch
haben die mnd. lehnwörter nicht nur ihnen entsprechende
nordische Wörter verdrängt. Das mnd. wurde das medium,
durch das den skandinavischen sprachen ein Wortschatz zu-
geführt Avurde, der eine reihe ganz neuer begriffe in sich fasst.
AVenn die dänische spräche dadurch an reinheit eingebüsst
hat, so hat sie an mannigfaltigkeit des ausdrucks gewonnen.
Sie hat sich allerdings auf kosten ihrer ursprünglichkeit um
j
EINFLÜSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 413
manches wort bereichert, das heute ein unentbelirlicher hestand-
teil der literatur- und umgangsspraclie geworden ist. Viele
der im 15. jahrh. aufgenommenen lehnwörter sind heute wider
ausser gebrauch gekommen. Doch legen auch diese aus-
gestorbenen lehnw^örter mit zeugnis dafür ab, wie stark im
15. Jahrhundert das ganze verkehrsieben Dänemarks mit ndd.
elementen durchsetzt war. Ndd. ausdrücke für handel, ge-
werbe, Schiffahrt, gericlitswesen, kriegsdienst, münze, mass,
gericht, spiel und Unterhaltung, kleidung, speise, trank, fremde
länder und deren erzeugnisse sind in beträchtlicher anzalil
überliefert, und nicht nur auf socialem und industriellem, son-
dern auch auf dem gebiet des geistigen lebens machte sich
das dänische die ausdrücke und formen der verwanten spräche
zu nutze.
Ich lasse als nachweis für den umfang des einflusses der
mnd. spräche im dänischen des 15. jahrh. ein alphabetisch ge-
ordnetes Verzeichnis mnd. lehnwörter folgen, die Schriftwerken
der genannten periode entnommen sind. Ich bemerke jedoch
ausdrücklich, dass eine grenze zwischen der letzten hälfte des
14. und dem anfang des 15. Jahrhunderts nicht scharf und fest
zu ziehen ist, und dass manche der angeführten Wörter schon
während des 14. Jahrhunderts aufgenommen wurden. Dagegen
sind deutsche lehnwörter aus noch früherer zeit nicht mit auf-
geführt, ebensowenig die durch das deutsche vermittelten
lateinischen lehnwörter, die sich auf das kirchliche leben be-
ziehen und die der einführung des Christentums zu ver-
danken sind.
Nachstehendes Avörter Verzeichnis ist auf grund einer auf-
merksamen durchsieht des materials, das mir für meinen
zweck vorlag, zusammengestellt. Mich leitete dabei der
wünsch, meinen gegenständ möglichst erschöpfend zu be-
arbeiten. Andrerseits folgte ich dem grundsatz, mit vor-
sichtiger Zurückhaltung zu werke zu gehen und ohne triftigen
grund der dänischen spräche nichts abzuerkennen, was doch
vielleicht ihr ureignes besitztum ist. Die mit mnd. präfixen
und Suffixen gebildeten Wörter siud in den zweiten teil meiner
arbeit eingeordnet, weil ich glaubte, dass sich auf diese weise
der einfluss des mnd. in bezug auf wortbildungsmittel über-
sichtlicher darstellen würde.
414 MAKQUARDSEN
ach ach thu daare, T.Ä". 42, 19. mnd. ach
alderdom alderdom kommer met sorgh ach werk, H.3L29. rnnd. alderdöm
agter tha skulle j akter komme, B.D.lßi: ibd.123. mnd. achter
alleene tilbedendes hauum alleen?e, if.il/. 3, 83; D.3I. JU iO n. o. mnd.
allene
almektig gud aUmtektuk, 1. M. 28, 3; s. a. D.M. III 227; M.B. 45, 9 ti. o.
mnd. almechtich
augestlik thogh saa augestlich aath regne, B.D. I 14; ibd. I 175. mnd.
angestlich
alto j skullse sedhe gammel things alzo aelstse, 3. 3/. 26, 10. mnd. alto
(sehr)
arbeid meth daghlige swarth arbeide, T.K. 38, 15; s. a. Bsw. 158; H.S. 1,16
M. 0. mnd. arbeit
arbeide i arbeydher so fofengelig, if.S. 53, 35; s. a. 1. Jf. 9, 18; T.K.
183, 17 u. 0. mnd. arbeiden
arbeidsman thi skulle skikke hannum arbedsmeu, Bsv. 295. mml.
arbeidsman
art oc anuamede wü foruempte penniuge met saadau art, D. J/. 1 352.
mnd. art
armod Offte ser thet siaelens armodh, T.if. 37, 1; tfed. 45, 1; ÜT.S. 38,32.
mnd. armot
arrester e oc bliver arresteret ved fogden, Bsv. 267; s. a. BJcr. 4647 tt. ö.
mnd. arresteren
bakke hwilcken som utfar til straudbakke, D.JI. V 320. mnd. büke
balgh eil balgh smör, M.Gl. (1470). mnd. balje
bange (adj.) then tijd scal wordhae tig banghae, H.JI. 148. mnd. bange
bannere ponue eth trse som en banerse, M.B. 29,8; s. a. B.D.UIbß u. ö.
mnd, bannere
banuerferer thu doctoris forleper oc martiris baunerferer, H.S. liö,A.
mtid. banervorer
barfod {altn. berrferttr) barfodh til kyrkeu mwnne ieg gaa, Bkr. 14; s. a.
B.D. m 76. mnd. barfot
barfred Ta forbyudhe wij nogrse flere fester eller barfredh at bj'gges,
M.G. 1396. mnd. berch-borchvrede
bar last hwo som kaster barlast eller annen urenste uti haffu, Bsv. 159,
mnd. ballast
baste enghen man skal bastes eller bindes, D.M. 1315; K. (1454). (1441).
(1466) u. ö. mnd. basten
Bemeu igommeu Tidskselaud jgömmen Bemeu, J/.JR. 15, 9. 7?iHf?. Bemen.
bede I pund rugh. I fett suyn, medt andre beede, i>.3/. IIT 39. mnd.
bede. Sch.L. 2) (abgäbe).
belede somme i beleth oc somme i uthwortes tegu, T.K. 91,25; s. a. H.S.
48, 11. mnd. beide, bilde
benedide for thit benedide navn, H.S. 43,21; s. «. 1. M. 9, 1. mnd. bene-
dien (fehlt Sch.L.).
bindexe een bulöxe, en bindaxe. mnd. bindexe (bindaxt) [dinge
bindike ludzer perller, po henues boylle oc byudike, I>.iH. IV 317. vmd. bin-
I
i
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 415
bliaut sameth och sa bliald, R.D. I 27; s. a. 1. M. 41, 42 «. ö. /»»<?. bliant
{Seidenstoff)
blide sexten blidher bade the tber rest, Mr. 4661; «0^.4959; 5. 3/. 20,20.
mnd. blide {wurfm aschine)
blide tbu waast baadbe drucken och bliidb, H.M. 49; E.D. II 314. mnd.
blide (fröhlich), (cdtnord. bliör hat iinr die hedeutum) sanft, milde)
bliwe the skullte ey bliffnre werr?e, H.M. 119; s. a. B.C. 192; 1. Jf. 7, 3
u. 0. mnd. bliwen
hole hau war drottningis bolffi, J?.D. III, 111. mnd. hole
bode (altnord. buö) bodhjegeld, soin er want äff at gaa oc göres äff the
bother som standeude bliue ower winteren, Esr. 124; ibd. 89; H.M. 155
n. ö. mnd. bode
bomme hwilcken som bryder stadheus läse fran porte eller frau bomnie,
Rsw. 157. mnd. bom
borger hwilcken burgher som will fisckse, Esv. 161; s. a. D.C. 118; Suso
142, 34 n. 0. mnd. borger. (altnord. borgari bedeutet nur hesatzung
einer himf. Stadtbeivohner wird altdän. durch byman widergegeben)
borgerret Ingen haaudverksmand maa bruge vor torv til at selge eller
kiöbe iiden han betaler borgerrett, Rsv. 271. 7nnd. borgerrecht (abgäbe)
borgerraester Fogedenn, borgemester eller raadmendt, Esr. 527; s. a.
D.C. I 36 u. 0. mnd. borgermester
borgerskap och moste siden sit borgerskaff, .Ksv. 564; tbd. 556. mnd.
borgerschap
bowe thiu ful« bowte, R.D. II 57; ibd. II 70. III 111.
holt Item I jern holt, D.3I. V 215. mnd. holt
holt skulle iugen fremmed kiöbmsend selge borgerseerret i holte, A'. (1496).
mnd. holt. (Seh L. holt 4)
brask mseth stör thordins slagh aellser brask, 2. Sam. 7. iinid. brasch
braskelig tha saa mandb badhe bissedh och her mangen jeldh braskelig
Icetbe, R.D. I 220. Fehlt Sch.L.
brast thet skulde worde them til brast, R.D. II 9 (altdän. bryst, brest),
innd. brast (nicht belegt)
brefwiser theunse brefuisser Astradh Sweussöu, il/.P. 194; s. a. Rsv. 303;
D.M. II 35 u. 0. mnd. brefwiser
brink thu skalt standhe pa flodens brinkte, 2. Jf. 7, 15. mnd. brink
bruge at brughe them til syn nytthae, HM. 3; s. a. M.R. 173, 18; D.C. 159
u. 0. mnd. brukeu
brugelig for et brugelicht pant annamet oc unfanget haue, M.P. 140;
s. a. M.M. VI 76; D.C. I 33 u. ö. mnd. brukelich
br0d Haus Frost hawer giort .«odanne ugerningae imod sit rfethe brod,
K. 1433; s. a. Rh: 383 u. ö. mnd. brOt. (Schl.L. bröt 2 dienst)
buct saa finghae wy ther tha paa them bucth, RJcr. 1476. mnd. bucht.
(Fehlt Sch.L.)
bulder mod gud reesdhte thu baadhse bulder och kiiff, H.3L 49; ibd.
57,112; Rkr. 1466. mnd. bulder, buller
busk En busck saa Moyses fuld aif ild, if.iT/. 13; s.a. 2. iH. 3, 4 u. o.
mnd. busch, busk
41G MARQUARDSEN
bnrsprak Steu Sture hauer boklet mange steclz bursprock i Swerige,
B.C. 372. mnä. bursprache
bpegermager Claus b?pgermager, K. (1492). mnä. bekennaker
baere raedh saa dau btere som tbe matte leweiidis wsere, B.B. 11 13.
mnd. bere (boiehmen)
bösse ij sware busser, item V busser, K. (1454); s. a. BJcr. 4922. 4959.
mnd. busse
botker Reepwüiderse, smedhser, bötkene, Esc. 84 ti. ö. mnä. bodiker
dagtiuge {v.) tba dagthingethse wij saa mellem frw Barbara Oloff oc
raellem frw Birgittfe, M.Gl. 1472. mnd. dacbdingeu, degedingen
dagtinge(s) Da skulle alle dagtingen oc breff wpere quitte oc döde,
D.M. II 42; s. a. likr. 2867 u. ö. mnä. dagediugeu, degedingeu
damast VIII ahme gult damask, D.Jf. IV316; s.a. D.M. Y 214:. mnd.
damask
deglig Dog bau war wijs ocb deylig skapt, iZ.Jf. 129; s.a. D.C 176;
Ekr. 2217 u. o. mnä. degelik
deste tbesstthe bedre, 3IP. 56. mnä. deste
di wi oc Avore wenuer will meth bennje di ok forderue, 3I.P. 12. mnd. dieu
dige Om dige eller plancker forderffues eller nederfalder, Esv. 563.
mnä. dik
dob prelater ok alle som gud gaff dob, H.M. 99; BJcr. 2447. mnd. dope
dobbel Taber nogeun bymandz lön udi dobbel, J?si\565; s.a. H.M. od
u. ö. mnä. dobelie (Würfelspiel)
düble at drickse at doble, at slaa mig fuld, H.M. 166; s. o. Bsv. 28 u. o.
mnä. dobbelen
dog dog hau war wjis och deylig skapt, H.3I. 129; s. a. H.M. SS; Ekr.
1418 u. 0. mnä. doch!
doli Hau war saa doli i tuugse, mr. 1364; «M. 739. 1054; E.D. HI 61.
mnä. dol
dranker draukker oc fraatzer oc tbe som tipente siu bugb, H.S.lb,il;
s. a. M.B. 86, 2. mnä. drenker
drek skul hau al tbennae werldens lyst vyrde sosom drek, H.S.hQS; s. a.
Bkr. 2419. mnä. dreck
dresel item skal konning haffne sin trsesel i hvert rige, D.C. 19. mnd.
dresel (frz. tresor)
drinke han skal tbet met got oll oc icke niet drincke opfylde, Bsv. 29i.
drinkebeer och schall iugeu kowenthe driuckebeer lade therudi, Bsv.28b.
mnd. drunke {dünnhier)
driste Hvilkin drysther sigh tili ath standhe lengher, Bsv. 89. mnd. dristen
dristich som storse oc sterck« wore oc dristige, M.B, 174, 5. mnä. dristich
drummedari II diur kalles drummeldarii, B.D.lllWb. m>id. drummeldar
dr abelig wij wäre saa drabelig glade, jRÄ;r. 3018; «fcrf. 1458. »«nrf. draplik
dr0ve (subst.) huo andhet g0r hanuum tymes dr0ffu8e, H.3I. 123; s. a.
B.D. II 74. mnä. drovenisse
dr0velig oc theune drollig thing heuder mag ofte, HS. Gl, 12; ihd. 80, 23.
mnd. drovelik
djAvel aller sa ieg ieu leder dywel, B.D. 19. 7nnd. duwel. (Die gewöhn-
EINFLUSS DES MND. AUF DAS dXnISCHE. 417
liehe form ist djaevel. Bas meld, wort scheint hier mit rücksicht auf
den reim hywel geivähU.)
edel francizcus then xülae försthse, H.M. 6; Luc. 51; 1>.C. 142 u. ö. mnd.
ed(d)el
elende {adj.) moderlöse oc fadherlöse beru, pilegrime oc aelende, A'. (1440);
ihd. (1464). mnd. elende (Sch.L. 1) heimatlos
emeker, ernst 2 fad emstöU, D.M.IY S18; s.a. A'. 1461. mnd. emkes,
embsch (ein beckisch)
end recht i kerlighet oc endregt, H.S. 34, 3; s. a. B.C. 18; Rsv. 127 u. o.
mnd. e(i)ndracht
endrechtelig- ath vy af ju berad, hu och endracteligh samtj'cke, M.P.
326; s. a. Bsv. 297: H.S. 43,23. mnd. e(i)udrechtich
engelsk een sengilsk eller thre smaa paenninge, ilf.P. 319; s.a.Usv. 94;
B.C. 180 u. ö. mnd. eugelsch
engsei edher trangh aellser senxsil, Fiith l,iS. zu mnd. enge
enig och elske hannuiu for then euigeskse Gud, H.M. 3; ibd. 122; 3LP.
58, 14 «. ö. mnd. e(i)nich
ewig meth troskap göre oc bewise scule til ewich tiidh, Bsv. 124; s. a.
Bkr. 3157; Luc 15 ti. o. mnd. ewich
fadiug en fading gjorth meth konsten fuld, Ekr. 2283. mnd. vating
(halskette)
falsk (subst.) sorn thu holder swo met falsch och swig, H.M. 3i; s. a.
R.B. II 276; B.C. I 20 u. o. mnd. valsch
falsk (adj.) äff thenne falsk verden, H.S. 101, 20; s. a. H.M. 122. 135 u. ö.
mnd. valsch
falske tha arbegdh the at falske henne, Ü./S. 38, 15. «mcZ. valschen. Bas
tcort ttmrde als vals, valser schon früh dem lat. entlehnt, vgl. Kristensen
s. 37. Lifolge mnd. einflusses bekommt seit dem 15. jahrh. die form
falsk das übergewicht. S. Cleasby: 'falsk occurs only in the 15 '^^ Century',
fane met process oc kors oc fane, M.B. 137. mnd. väue
fare (subst.) the bserse tha frycht och mogel fare, H.M. 42; s. a. Bkr.
869; B.B. 114 u. ö. mnd. väre (gefahr)
fare (v.) for hannum törff oc intet fare, B.B. II 10. mnd. vären
farende Her Stygges m0ller skulde hawe haus farende koste igen, K.
(1464). (1441). mnd. vareude
farge (v.) hau fargede alth syth glawu i haus hiertse blöde, B.B. III 127;
7)}nd. farwen
farlos til graven maa jeg farlöst gaa, if.ilf. 168; ibd. IbB; iJf.P. 400.
mnd. varlosen
fart tho gik ieg til alt meth eu farth, Bkr. 31; ibd. 1929. mnd. vart
fastelagen nu fastelageu usest forleden, K. (1500). mnd. vastelaveut
fei de (subst.) hser met skulle alle feydhe oc twsedrecht usether legges,
K. (1346). mnd. veide
feide (v.) oc skule aldrigh noge äff Swerige feyde wrecke eller heffuse,
B.C. 330. mnd. veiden
feiig (adj.) frii oc felighe tili oss at komme, B.C. 250; s. a. B.M. III 188;
B.B. III 13 ti. ö. mnd. velich
418 MARQUAUDSEN
feiig (subst.) ther the ser» algladest och ventse töm felich och roo at
haue. Lucid. 58. innd. velich
feie met thenne wort ohne breff feie oc leydhe her Aghe Axels0n, D.C.
250. mnd. veligen
f icth ieg offuedhfe uieg i kry och ficth, Hkr. 179; ibd. 197. 800. mnd. vecht
ficthe han skirmse eller fiktser for edhser, 6. M. 20,4; s. a. Rkr. 831. 835.
mnd. vechten
fin Kouing roleffs dotther, bode fawer och fin, Rkr. 2004; ibd. 389. mnd. fin
fingerne hun gaff her Iwan eth fingerue äff gull, B.D. II 155; s. a. H.M.
16; U.S. 26, 11 u. ö. mnd. vingereu
fingerliu tha sa hertoghen sa offthe pa hans fingerlin, JR.D. 1236; ibd.
259. mnd. vingerlin
flugt XI kempper gaffne ther tha fluct, Rkr. 1475; s. a. 1.31. 16,7; D.M.
1, 208 n. 0. mnd. vhicht ,
flugtig hwilchpe staedher skullse vaerse j fluktuge maeuz hielpae, 4. M.
35, 11. 7nnd. vluchtiig
floiel V. alne floeyell, D.3L IV 316; ibd. VI 268. mnd. fluweel
foderdug halffemte al. foderdugh, K. (1441). mnd. voderdök i
folde(bord) Item II follebiirdb, D.M. V 214. mnd. \o\de (ta fei) '
forblseth eu riug oc ith forblseth forsainlet til eii borde, D.ilf. III 332.
mnd. vorblade
förborg halue delen ij aide forburghene, 3I.F. 188; M.Gl. (1454). mnd.
vorborcbte (vorwerk)
fördeel Swo mughse the faugae theu samse fordeel, H.3L 119; s. a. Rkr.
3016; 3I.R. 22, 8 u. o. mnd. vordel
forespsenne aermsespenuae oc forespoeuae, 1. ilf. 38, 35. mnd. forespau
fordre och medtborgere f ordre och fremme, Rsv. 528; s. a. K. (1450);
Rkr. 2578 u. ö. mnd. vorderen
förgang naer du seer eller foor ath veths nogher things besynnerlig för-
gang, H.S. 181, 14. mnd. vorgank
fremmed Kommer nogen fremmed kiöbmand til nagen kiöbsted, Rsv. 501;
s. a. ibd. 544. 545; H.S. 3,9 ii. o. mnd. vremde
fri (f.) oc byndher jeg mic tel at frij oc hemblae alth thettae forscriffnae
gardh, M.P. 188; s. a. Rkr. 219. mnd. vrien
fri (adj.) äff viliaende oc fri gudelighet, H.S. 62,15; s. a. H.M. 140; Rsv.
185 u. 0. mnd. fri
frilig at jeg motte offer frilig alle tbesse thing, H.S. 114,34. mnd.
vrilich. {Das ivort fri war schon im altnord. in der Zusammensetzung
frials, ahd. fri -hals vorhanden. Diese lebt fort als frsels, fraelse. fri
ivurde dann von neuem ivider aus dem nd. aufgenommen. S. Grimms
tvörterbuch.)
fr 00 Jeg er uo worden staerk oc froo, H.3I. 167; s. a. Rkr. 4108. 4421 «. o.
mnd. \rö
from (adj.) betenck om thet er frommae, H.3I. 30; s. a. Rkr. 852. 2340;
R.D. n 8 u. 0. mnd. vrome
fromme (v.) thet frommede henne mer aen mek, R.D. II 208; s. a. H.M.
55. 56 ?(. ö. mnd. vromen
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 410
frugt tlie baer?P tha frycht och mögel fare, H.M. 42. mnd. vruchte
frygte alle cristne rseddis oc fröcted, lll). III 109; s. a. Mr. 2274; H.M.
66. mnd. vruchten
frugtsommelig nar Gud will giffue sin naade att skoffuen fructsom-
melig worder, D.3f. HI 41; s. a. U.M. 12; H.S. 116,9 ti. ö. mnd.
vruchtsam
Fryseii I Fryseii skattsedse ineg hwer mand, Ekr. 2851 ; «M. 4258. mnd.
Frisen
fräds girse med fratz til reedhse, H.M. hl; s.a. 5. M. 21,20. mnd. vräs
frädsere drankher oc fraatzer, H.S. 75,11. mnd. vräser
fule {v.) mith elskelig andl. fuledes off spyt och blöd, H.S. 19,18. mnd.
fülen (beschmutzen)
fulbyrd rneth luene ryghens radhs fulbord och wilghe, D.C\1; s. a. Rsv.
93; MF. 114 u. ö. mnd. vnlbort
fulbyrde (f.) Intet testamente maa fulbiurdes eller udgituis, Rsv. 508;
s. a. CD. 176. mnd. vulborden
fuldmagt iac hawer giuit en erlich man foldraacht, ilf.P. 173; ibd.21d;
Rsv. 87; -D.il/. I 271 u. o. mnd. vulmacht
fuldmegtig thes skuUse wy wserse fulmektigue, Rsv. 91. «j«fZ. vulmecbtich
fund mange fund oc synd ögis blaudt folket, Rsv. 127; s. a. Rkr. 389.
4352. mnd. vunt (Sch.L. 2)
fyrbßter fick jeg oc Per fyrb0tther, K. (1498). mnd. vurboter
ffedder swaffwer «Her gudfather peller ftieddher, 3. iJi. 25, 49. mnd.weMer
fselde huad the fellae thet wsere oc bliwe feld, Rsv. 26. 27. mnd.yeWen
(Sch.L. 4)
föge (suhst.) then mur ser giord ful wsel til f0ge, R.D. I 318; s. a. III 105;
Rkr. 4869. mnd. voge
f 0ge (adj.) thu skalt ey taghe ksermaal for föghe thiug, H.S. 42, 29.
mnd. voge
föge (v.) them vil leg fßghae tili lighe, H.M.7S; ibd. 12; M.R.26,4:.
mnd. vogen
fölgebrev Breffue, fundation, folgebreffue,
föle (subst.) udi hans syn, d0n eller follse, 3I.R. 146,21; s.a. Mr. 446.
mnd. vole
feie (v.) ath fölse om han mar stserk, Rkr. 854. mnd. volen
förstinne raeth thenne jsamme aedlse förstynue, M.P. 129; ibd. 133; Rkr.
4930 u. 0. mnd. vurstinne
forstlig hans naade förstinde ach förstelige börn, Rsv. 822. wmrf. vurstlik
fitalje englien skulde litstsedhe uoghre fittalghe ut at seile äff, 2>.6'. 111;
s. «. Rkr. 3236. mnd. vitalie
gans(k)e ien moghet gammel bog oc gants lille, H.S. 150,17; s. a. H.M.
30 ; M.R. 36, 11 u. o. mnd. ganz, gans
gast ey toordhen ey liungild, ey nogher gast, H.M. 23; ibd. 75; Rkr. 248.
mnd. geist (fries. gast?)
geysel met geysler wort hau slagen, H.M. 26 mnd. geisel. Bie gewöhn-
liche form ist gisel, isl. gisl
(hellig) geist-huus, Rsv.böl; s. a. Ä'. (1443). (1477). mnd. geist
420 MARQUARDSEN
g-estlig thet er badde gestelig raeth oc werdelig rpeth, K. (1425). mnd.
geistlich
gire (v.) im bidh oc u\i tidh r0rdes tlien böghligh hugh, oc tha thettse
girsedes, H.S. 11, 27; s. a. B.D. III 64. mnd. giren (altnord. girna)
girig han ser gyregher, H.S.75,2ö; ihd. 129,6. mnd. girlik
glaven at glavindh stod udh midh rygebien, B.D. II 118; ihd. 114; 4. Jf.
33. 55 «. ö. mnd. gleve, glave
glavenstage wil ieg tage en glavenstage aif lern, B.D. III 151. mnd.
glevieustake
gode insend huilkeun god manndt annen will arge paa liff eller godtz,
D.C. 196; s. a. K. (1468). (1492). Im 15. und im IG.jahrh. allgemeine
bezeichnung für adlige, besonders wenn sie keine ritter tvaren. mnd.
gude mau
giidspeiiuing eu liwid peuuiug til more bradere luis, then hwith, som
mau kaller gudz peuningh, K. (1403). mnd. godespenuink
grot hwer marken saa goth som fsem skiling grood, M.P. 195; ibd. 295;
Bsv. 147 u. 0. mnd. grote {münze)
groff mandrap eller anner groff brödhse, Esv. 87; s.a. D.C. ^12; M.B.
114, 7 u. 0. mnd. grof
grue tha gruede thet at stryde meth oss, B.D. III 124. mnd. gruweu
gry selig Iseg paa tith hiarthe thesse grBeselighe ord, H.M. 38; s. a. H.S.
19, 1. mnd. greselik
Greken keyserens stadh i Greken, M.B. 6,2; s. a. Bkr. 1133. 1023. 2056.
mnd. Greken
grabe thu skalt ikke göre thie utskoren sellaer gröpt thing, 2. 3f. 20, 4;
ibd. 5. M. 7, 25. mnd. gropen (schnitzen)
gylden ottesiudztiuge rinske gyllene, il/.P. 204; s. «. D.ai62; i>.J/. VI268
u. 0. mnd. gülden
g'unst, gyn st off vor synderlige gunst och nade, Bsv. 92; s. a. H.M. 46;
Bkr. 160. 274 u. ö. mnd. gunst
gynstelig som hau siu nadis apne breflf gynstelighe for mik screffuet
haffde, D.3I. 11 9. mnd. gunstlik
gaek hwilken som bleff en qwindes gech, H.3I. 13. mnd. geck
gpekke tith ser menniske likth ath ladhe sig gsekke, T.A'. 135, 13. mnd.
gecken
hagebösse III b0sser oc II hagheb0sser, D.3L V 215. mnd. bakebusse
hagelvserk Jeg spranck offner köghe haffuelwserk, Ä3/. 169; i?s». 206
u. ö. mnd. hakelwerk
halsbjerg ther ower haffdse han ieth halsbierk, jR.D. 1210. ?«n(i. halsberch
handfred then forwessedse handfreth som mellum drothuiug Margrete och
hertiginnen off Sleswig wisset och lonet war, K. (1409). mnd. hautvrede
handf?esting andre apne breff, i bwilke som wor handfestuing skall
stände, K. (1440). mnd. hautvestinge
handslset o handslset o manne hiserte innerst suk, H.S. 17,21. mnd.
hantslach (das schlagen der hände ineinander zum zeichen der trauer)
bärge (subst.) Maudhen scal gaa met harghse och plow, H.M. 156; s. a.
D.M. V 215. mnd. harke
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 421
hanske eider metli eu stolhaiiske, Rkr. 1709. vuul. bausche
harnske, harnisk bath tbam legge tberis hanisk paa, i^.D. 11131; ibd.
1277; Mr. 1804. mnd. hämisch, harnsch
harenskmager steghere basiuiere, barniskemagere, ^".(1458). ■»nnrf.harnsch-
raaker
hast han wil thet haffue met en hast, H.M. G9; ihä. 160; Bkr. 1696 u. ö.
mnd. hast
hastelig tba wort Kayn wredh basteligbe, 1.3/. 4, 5. mnd. bastelike
hastemod hwilckeu aniier kaller skalck eller annet tbes lighes 1 hasteraod,
Esv. 167; s. a. K. (1443). mnd. bastraot
hastig meii wordher strax bastngh oc uroligb, T.K. ilh,h; s. a. R.D.
III 78. mnd. basticb
hege wor kouniiiglic friidb wteru oc ba3ghe, A'. (1426); /örf. (1422). iiind.hege
bellig pteblinger scal bedbes btelacbt, 3I.F. 133; s. a. D.M. III 187. mnd.
hillich hebben {frei haben). Diese bedetitung scheint entlehnt ; das tv ort
selbst ist einheimisch
heyl Wilt thu haffue lockne och siteleus heyl, Jff.il/. 163. mnd. heil
h engst maller, gul ok sylff, hiugxste, bsestge, stadb oc wilhors, i^/.P. 237;
s. a. M.B. 129, 8. 188, 3. mnd. hingest, bengest
hingst ist in der angeführten stelle nicht als pferd im allgemeinen,
sondern, loie nach der auf Zählung: bingxte. hfestse, stadh zu schliessen,
als unverschnittcnes münnlicJies pferd zu fassen. Diese bedeutung kam
erst im lö.jahrh. in Deulschland auf. (S. Heyne, Wtb.)
hellede i fedaelse bseladbe! E.i>. III 63; ibd. 1347. II 340; s.a.Bkr.U2B.
mnd. helt
berieusen Kaller mau anneu tbiuf eller heriensen, J?s/;. 26. wimZ. berien-
sone (Jiv/rensohn)
herienshed thu skalt wäre middgoreligh paa thit folkaens bserisesheeth,
2. M. 32, 12. mnd. bergenscbeit
bermelin tu temmer hermelyndb, D.ilf. IV 316; s. a. B.D.I127. mnd.
bermelen
hebe klostermend och prsester fylger met i hob, H.M. 99; s. a. MB. 34, 15;
1. M. 22, 9 u. ö. mnd. höp
(til) höbe Äff sorg thiuae tsender gaa tba til bobse, H.M. 1^8. mnd. to hohe
hofferd äff stör hofferd vidae tee ey, B.D. UI 40; s. a. M.B. 73,22 u. ö.
mnd. hovart, hochvart
hoff aerdig den bogfserdige konningh, E.D. III 99. mnd. boverdig
bofmestere Erik Otteson, hoffmester, D.C. 208. mnd. bovemester
hofwerk thet fyrste hun the hoffwerk saa, B.D. IL 77; ibd. III 41 ; Bkr.
1704. mnd. hovewerk
hof sinne jeg kalledse myne bofsynner bvser meth seg, Bkr. 1523. mnd.
bovesiune
högber Bode-karlle och quindere högher oc bogiskier, Bsv.28b. mnd.hoker
hogiskier {siehe oben), Bsv. 28ö. mnd. hokersche
ho gm od ig tu sielver est so gyreger ok homodig, B.D. IV 112
holk trebundrede holke bade ieg til sßes, Bkr. 2b05; «M. 2169. »jm^ holk
{lastschiff)
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 28
422 MARQUAliDSEN
Holtzen niellora Danmark oc boltzen teslige, J?/rr. 3152; ibd.Uflb. mnd.
Holsten
hovedbrev som thet liovedbrev udwiser. 7i. 14-62. ?»«/?. hovecll)ref
hovedbanuer at haffiie drabeth meth liimen fore spissen äff haffiietb
baimeretb, D.M. I 2()7. mnd. hovedbauer
busvsert baus hussevaert skal sige bannom det er stadsseus loug, Esv.ldl.
mnd. buswert
buse buo som bielper eller buser denn som stadenn saa will om gaa met
skade, Esv. 552. mnd. bnseu
bysken worde the slsebeth ok kästet uuder ett bj'sken, F.D. 111,72; s. a.
Uhr. 592. 598; Jisv. 517. vvnd. buseken
bäbe (r.) hopes tbom at te tbet ey giordse raetb ursette, D.M. 1368; s.a.
das. VI 124 II. 0. mnd. bopeu
hsegte (subst.) tba skal ban ssettes i byes becbte, Bsv. 163; s.a. H.S. 76,6
u. ö. mnd. becbte (gefängni's)
bsegte (v.) eutbet barnsk kuune begtbae for tbom, E.D. III 89; ibd. II 305.
mnd. becbten
hsele wij kunnae oss ey sckiulee ocb bselse, H.M. 50; s. a. Esv. 301. mnd.
belen
berig at wäre oss borugbe ocb Ij'duge, D.C 152; s.a. Xmc. 32; B.D.
III 7. mnd. boricb
icbt icbt brydber sender baadbse feder ocb baender, H.M. 171. mnd. gl cht
indbolt saa stercke wore tbe paa indbolt oc plaucker, Esv. 1533. mnd.
inbolt
indkiobe denn wäre som bandt derfore indkiaber, Esv. Ml. mnd. inkepen
jage ille göre i atb i iageth then bwnd sa lenge, E.D. III 70; ibd. III 36.
mnd. jagen
j se g e r e ban war en starck jegeree, 1. M. 10, 9 : s.a. ME, 132, 13. mnd. jeger
jsegt skal engen boude uagber jsekt atb tagbe, AT. (1446); s. a. 3.31. 17,13:
1. M. 27, 3 u. ö. mnd. jacbt
jakant pa haus bielm skien jen lyus karbunkel stien i bans nackse ien
jackantb, ED. I 320. mnd. jacbant
jamer burlundb kau tbettse leffnetb selskes, som haffuer i sigh swa meget
iammer, T.K. 119, 3. mnd. jamer
jamerlig sa jamerlig tba epte ban, E.D. 122; s.a. Eh: 2440. mnd. f
jamerlik j
jsevel isevel eller pinswin, 3. 3f. 11,5. mnd. egel
kag tba skal han hustrygis til kaghen, Esv. 200; ibd. 500 u. o. mnd.
käk (schandpfahl)
kakerbille kakerbille ocb Somsoss fledye, K. (1411). mnd. kakebille
(eine art bier)
kämm er \ busser met XV kammer, K. (1454). mnd. kamer (behältnis
für ladung)
kammermester her Eggert Frilles wor kammermesteres regbenskap,
D.C. 19; ibd. 40; 31. E. 167, 15. innd. kammermeister
karamerwagen then karl som leb hos myn ixnge berres camraerwagen,
D.M. 1 174. tnnd, kammerwagen
EINFUISS DES MND. AUF DAS DÄNISCIIK, 423
kanel met croco oc tistule oc canel, JI.S. i(), 19. iimd. kaiinel
krauds Hvem locken ey wil wa-re meth hau taber kaiizen paa eu stetli,
Kkr. 1197. 98. vi ml. kanze (mlat. cadeutia)
keyse, keese hau soui saa keest er, JJ.il/. IIT 41 ; s.a. Mt. 726 n. o.
■III nd. keseii, keisen
keyserlig oc tlia soiii kuugeu sidendis pa keyserlig stede, H.S. 57, 19 u. ö.
mnd. keiserlik
klarlig thet rcgheiiskab gik klarligh ok skelich til, K. (1462). mnd. klarlik
klaret bodhe modh och wiu klareth, J^.J>. 310; s.a. 7). il/. IV 818. mnd.
klaret (wein)
klaret badh keysereii stede i basuuer ok i klaritter, J?.D. III 73, 27. mnd.
klaritt (trompete)
klattig Och kongeu hau mine klsedher saa, ath the hende saa klattige
om mig, Bkr. 2629. mnd. klatterich
klein tha «r Imn ren oc soo cleyn äff nature, Luc. 31; s. a. 3. M. 13,30.
mnd. klein
kleyensmid äff kleyensniid embite eeth par simrte, Ä". (1496). wnrZ. klein-
smede
kleinodie gul), sylff och klenodie, D.C. I 76; s. a. Bkr. 2286 u. ö. mnd.
klenede, kleinode
klovelog redlegh ok kloff'legh, 4. iV/. 11. 5. mnd. kluflok
klus i Lumbardy ther Stander jeth hus hwilked man kaller Berne klus,
B.D. II 3. mnd. klüse
klseg skowens dall haffde monglie Ij'ins aeller claegs kelde, 1. ilf. 14, 10.
mild, klei
knabe knablmer, boffmen, kobstsedhemen, D.C. 1 152; s. a. i?^T. 1344;
Bsv. 25 u. 0. mnd. knape. (Das p ist wol auf dün. boden erweicht
worden, s. Grimms Wtb.)
knub lighse som een man hade drageth ther frem een stoor knub, M.R.
105, 10. mnd. kuobbe
kobebe fructen er skapt som kobebe, 3I.R. 25,12; s. a. B.D. 1323. mnd.
kobebe
kode baadhse keylser och koder slar ieg paa iordh, H.M. 166. mnd. kote
kokodrille oc siunerlighe serje ther kokodrylly, M.B. 105,6; ibd. 187,26;
3. M. 11, 29. mnd. kokedril
kompani thet som the fongse skimt oc kompseny äff, M.B. 129,10. mnd.
kumpenie
korde en kappe graa, oc ther til en monckse korde, Bkr. 4243. mnd. korde
korteer alten alne och eet korteer, i>.iU. I 270
kowent kowenthe eller drinkebeer, i?si'. 285. mnd. kovent
karacht han wisthse allse yrthers dygd och karacht, H.M. 131; ibd. 96.
128; an den beiden letzten stellen ist krafft geschrieben; der reim auf
macht beweist aber die ausspräche, mnd. kracht
kram at nogher kremmere skule stände udhe meth theris kram, Bsv. 199;
s. a. BD. II 308; K. (1443). mnd. kram
kravel pa then gamle krauell gaff jeg skibmendene manetz penninge,
A'. (1487). mnd. krawel (scltiff)
28*
424 MARQUARDSEN
kredenciebrev meth wor nadighe herres credencie breff, D.C. 111. mnd.
credeucie
kreds ther forse gik ieg meth too i kretz, Esv. 892; ibd. 926: R.D. II 54
M. ö. vuid. kreis
krig (s.) theu kriigh oc orlogh, D.C. 109; s. a. Rkr. 1135. 1397 m. o. mnd.
kricli
kr ige (r.) han thordse ey krj' men giorde en pacth, Bkr. 962; ibd.258o.
mnd. krigeu
krag hwer foghet ladhse byguae krow pa hiiserie fire mile, M.P. 56: s. a.
Bsv. 526. 825. mnd. kroch, krach
krud vellucteude yrter oc dyrefule kryde, if.S'. 40, 20. mnd. krüt
krutz en kalk, en krutz, et gulde ring, V.M. III 382. mnd. krüze. (Die
gewöhnliche form im dün. ist kors)
kruse thith krusedhse haar, i?.3/. 31; ifefZ. 164. wmd. krusen
krykke Krecken iindher then andhen arm, H.M.llO; ibd.lb; E.D. III 174.
mnd. krucke
kraeft 11 iern hatthe, III ki'effther, en kaffue, D.M. V 218. mnd. kreft
(brustharnisch)
kragerske item maa hwar man, bode bürgere oc krewerske haue danst
eil, Bsv. 147; ibd. 63. mnd. krogersche
kulsaetter sester Aelseff Eriks datter IV alne kulssetter, D.Jf. III 300.
mnd. kolsesser {Colchester)
kuust synde mot bogheligh konst, H.S. 2, 11; s. a. Bkr. 437. 430; Iaic. 154
u. 0. mnd. kunst
kuust ig ey konstig er ieg, ey wiis, ey snild, H.M. 68. mnd. kunstich
kure then knre blseste i sin ludh, B.D. I 7; ibd. 11 245; Bkr. 1517. mnd.
kure (wächter)
kysk han war kiosk then edele mand, B.D. I 281; s. a. Bkr. 2944. mnd.
kusch
kär kor gifwes edher, uthwaelier idagh, Jos. 24, 15; s. a. D.C. 1 u. ö. mnd.
kor (altnord. kiörr)
ksede et hoffuet-gull, en ksedhe, et halsbond, D.M. IV 316 u. ö. mnd.
kede
kaemener item skulle tuo allmuges men wsere kaemener, Bsv. 214. m)id.
kemener
kßbmandskab Huo som ferer falsk Kiöbmanskaif iude i Rigidt, Bsv. Ml.
ibd. 548. 197 u. ö.
kekkemester embitz mendt, som ere Kjögemestere, Bsv. 533. mnd.
kokenmeister
kekkentyg og eet got keckentyg, D.C. 75. mnd. kokentouwe
kan han war en ksempe ken, Ji;.D. I 82; s.a. Bkr. Qi. 181. 314. mnd.
kone
kölnisch wicht tiughe lödich mark lödich sölff kölnisch wicht, M.P.151.
mnd. kollensch wicht
lak ath ieg kunne hade the samme lack, Bkr. 1614. innd. lak (fehler)
landfaering uden rsette landfseringe som komme fra höstmarket, Bsv. 199.
mnd. lantvarink
EINFLÜSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHR. 125
landvarje Inva ther will jefter bliffne i Runzeffall som laiidwarie war,
R.D. III 159. mnd. lantwere (grenzscheide)
leyde (s.) konningens leyde gaa oner alt, Rsv. 161. mnd. leide
leyde (r.) item niaa peugen wonllie leydhet uti stadheii, Rsv. 161; s. «.
1).C. 199. 250 i(. 0. mnd. leiden
leydehunt inet leydehunde hiorth ;vt lede, B.]).IQ2. mnd. leidehunt
leytsk Jen briin leisk kabe, K. (1466); .s. a. Ksr. 211 : V.M. VI 268. mnd.
leidesch (J.ei/dener tncli)
lidkob 00 drycker ther ledköp nppa, Rsv. 151; ihd.bi"!; A'. (1443). (1479).
(1496). mnd. litköp
ligerwis ligberwiis som adam han giordhse strseng penitentz, H.M. 159;
ibd. 142. 116. mnd. likerwis
lig'g-ere skulle enge gester eller kopiusen, som ikke ivre liggere, A'. (144.')).
(1485). mnd. liggen {von lettten, die mit einem schiffe ausliegen)
liseu munne the wordbe thes meer lisen i there arbegd, U.S. 85, 22. mnd.
lise
lev thet «r megh lefft, R.B. 11 18; ibd. I 196. mnd. lef
leve (r.) en af syne gode men ther kan lyffue almoen, K. (1492). mnd.
leven (lieh sein)
levelig ban taled til hannuni saa lewelig, i?.!). I 301. mnd. leflik
lod XIII loth got br^ndt solffue, J^.J/. III 332. »md 16t
1 od b esse ij stenbosser ok en lodbasse, A'. (1487); efcrf. (1486^. (1454). imid.
lötbusse
lodsmand en kyste met beer som een loedzman tilborde, AT. (1482). mnd.
lötsman
Lojes tili at boldse sente Loyes en msesse, D.ilf. III 332; ibd. 336. 337.
mnd. Loie (Eligius)
love (ä.) then gude tro och loffue, D.M. II 19. mnd. love
love (f.) ingen quinde tha wil jech low«, A'.Z). II 55. mnd. loxen, leven
lüde nokra breff Indende pa thette forskreftne godz, 3I.F. 157; ibd. 123
H. 0. mnd. luden
lubesk, lybesk skylduch at wserse öretywe Lubske mark, ilf.P. 218; ibd.
IJ.C. 160; n.M. V 297 n. o. mnd. lubesch
lucht (luft) ingläi i luchten, HM. 131; ibd. 34 n. ö.
lucht (geruch) the yrtlier ther stodhe haffde krafftig lucht, U.M. 133; ibd.
151; Rkr. 2419 u. o. mnd. lucht
lugte (v.) ok herren dande eller luktedhe sMheetz den eller lukt, i. M.
8, 21. mnd. luchten
lune skulse bliffue thes bsedre i lune, A^r. 4982. tnnd. lune
läp Adam bleff siug effther legomsens laap, H.M. 127; ibd. 13. mnd. lüp
Iseste swo moghet som ieg kan Iseste, H.M. 68; ibd. 145. 165; A.D. II 202.
mnd. lesten
Iseggre keyseren laeggrede syn hser nser eth slot, A.D. III 25. wiuf/. legeren
lödig firse lödich mark, M.P. 216; ibd. 157; D.O. 39 ii. o. mnd. lodich
legner ath teligh ien lewner er icky til. mnd. lognere, altnord. liugari
madskab Uuertt aar IUI peuiiiugc äff huer madskabb, Rsv. 135. mnd.
matschap {Jiandelsgescllschufi)
426 MARQUARDSEN
111 ay xmge folk gonge til skow oc hngge mey, H.S. 197,10', s.a. likr.
1514; K. (1491). mnd. meiböm
raaygreve scule broderne hnert aar paa sancte Walburg dag kese en
broder til meye grevvae, A'. (1441). vind. lueigreve
malewerk malewerk eller aiiiier tliolik behseudigheet, A'. (1425). mnd.
nialewerk
maledide maledidhe skulle i wordhte, H.3I. öS: s.a. l.M. 3,17 m. ö. mnd.
maledieii
Malmersi j fath uialmersy, K. (1454); ibd. (1461). 7nnd. malmesie
mandsl?echtig manslechticb skalt tbe bedhse, H.M. 62; s. a. Esv. 491.
mnd. niansleclitich
niandskab encbtet forbryde amad theu eed oc mauscbab. /f. (1483). mnd.
manschap Sch.L. 1 {treue im dienst), — altnord. mannskapr bedeutet
1. menschliche natur, 2. tüchtigkeit, vgl. Fritzner
inarsk her Claus Eonnow war marsk, B.C. 249; vgl. D. M. VI 212. mnd.
marschalk
mast blaiidt audre kern ther eth saa haoth som eth wort mast kuude
waere, Bkr. 2184. mnd. mast
mart sabel skludh mord och ther til hermelin, J?.D. 1303; /ferf. II 308.
mnd. mart
medlere iech star her eu medhlere i melle Gudh oc mau, iZ.S. 29, 30.
mnd. middeler
men {adj.) thessae ord scalt tlm gerae meeuse, H.M.Il; vgl. B.C. 1,1.
mnd. min, mein
menelige the lefuse ickee meujeligae leugher eu sex aar*, 3/.i?. 41,4; ibd.
113, 21. mnd. menlike
menig for then meiiige bestondhe oc uyttelighed, iiT. (1436); vgl. Msv.lll;
B.l). I 43. mnd meulike
merkatte bvornte, harte, merkattse, Jf.JJ. 132, 15. mnd. merkatte
metsmager Peyther metzmaker, M.Gl. (1482). mnd. mestmaker
mis-dsdere Roland redh hiem och retthe oifuer the mysdtedere; B.D.
III 18. 7nnd. misdeder
mishage om noger sereuus« eller bref rares som soldaueu inishafuer, 3I.E.
23, 15. mnd. mishagen
mistr0Stig een mestrestich darae, il/.Ji. 186, 4. mnd. miströstich
mordbr?ender om forrsedere, mordbrseudere, thywe, B.C. I 19. mnd. murl-
berner
mos huer dag steg, gred, moes, K. (1442). 7nnd. mos
myndig hinnse, myndug och Avit macht at holle, K. (1441) u. o. mnd.
mundich
mogelik, mygelik, herr gar mik thet mogelikth, T.A. 117, 18; vgl. Rsv.
146. 507 M. 0. — som haunum ar mygelykt, Rsv. 30; vgl. T.K. 93, 22
u. 0. mnd. mogelik
mulsteder fiek jeg oc Per fyerbetther mulestader iij marck. K. (1498).
mnd. muleustoter {bettlet-}
mälsmand til Skyolden;t;s uc wor malsmands skogh, il/.^r/. (1469). mnd.
mälmau
EINFLUSS DES MND. AT'F DAS DÄNISCHE. 427
m feglere herreii fer midiere eller meglere, D.M. 11, 10. rnnd. niekeler
monster tha han offrfedis i mensteret, B.D. III 147.: vgl. H.M. 11. mnd.
munster {altnord. mustari, mystari)
naktegale tha hortle jeg elfter the naktegale, li.D.lib. »(/f/. uuclitegal
— Die form naktegale kommt hüujiger cor als nattergal. F. Grundlvig,
Fuglene i FolJcets Digtning s. 53 bemerkt dazu: 'Ich hingeneigt anzu-
nehmen, dass der vogel im mittelalter ins land eingeivandert ist . . .
man darf es kaum als hedeidungslos ansehen, da><s man in mittelalter-
lichen Schriften so gut ivie überall die deutsche form des namens
findet. '
namaniug skadeloss for all iianianiug, rpeckenscap oc tiltall, K. (1445).
mnd. namaniug
nedherfellig oc wurdher han thermet uedherfellig, Esv. 200; vgl. M.Gl.
(1471). (1472). mnd. neddervellich
ueglicken neglickeu ock cardemome, i?.X). I 323. mnd. negelken
nobel thisse forscrefue thussende nobel, M.P. 207. mnd. nobele {münze)
nytte, uutte (s.) til konningeus oc stadsens nutte, Esc. 153; vgl. M.F.
379; H.S. 55,28 u. o. mnd. nutte {altnord. nyt)
nytte, nutte {adj.) noket nj'ttere oc bsethrse, iT. (1429); Es?;. 124. mnd.
nutte (altnord. nytr)
nyttelig, nuttelig som fogeth borgemestre oc radhmen thycker nutte-
licht wsere, Esv. 152; vgl. Ekr. 2391. mnd. uutlich {altnord. nytligr)
nsesehul hure Isenge fode ser mine nsesse hol, H.S. 171, 11. mtid. nesehol
nodles i althing nodtlesse oc scadelessfe at holle, D.Jf. I 352. »«nt?. nötlos
noge (s.) at hawe igien fongheu til min noghe, D.C. 45; vgl. K. (1423).
(1481). mtid. noge
U0ge (ü.) met there kaelighet, H.S. 10,36; vgl. E.D. 1 177; D.C. 87 u. o.
mnd. uogen
nowe jech kan mech newue roipe, ii'.I>. I 179; vgl. II 273; ilf. Ji*. lOG, 9.
VDid. uouwe
nowelige han nowelighe thagende broderen, uodhend saghde, 1. il/. 33, 11.
mnd. nouweliken
ora Labans dotter, thin om,«, l.il/. 28, 2. mnd. 6m
omhaug rodh cltede, som kom til thet omhaug ijaa laudethiughet, K.
(1487). mnd. ummehank
omlebe vory wy omlubnse til jordeu mellem vore beeu, J/.ü. 180, 4. mnd.
ummelopen
oml?egge the kselde han 8er alt med roser omlagt, M.D.IV2.. mnd.
ummeleggen
opbjude Anders Brok lood upbywthe gul, selff oc rsethe prenningh pa
forde thiug, Ä'. (1416); ibd.{ii\S). (1487). »md upbedeu
opklappe huilcken broder som lenger sider i laugshus eud skaffereu
haffuer 3 sind opklappet, K. (1478). mnd. upkloppen
opsted opstedhe eller forsampling modh oss och righet, D.C. 1352; s. a.
Esv. 198. mnd. npstot
orfejde Haue the fulmacht at göre ac lowe orfeythe oc stathug lone
effter haus düth, M.Gl. 1449. mnd. urfeide
428 MARQUAUDSEN
ouerbudig- wor kfere nadighe herre haffwer altiidh w?eret owerbudig
meth haus raadh, D.C. 333. mng. owerbodich
ouerdädicb Udger ser mauneligh ok oweidadigb, E.Z>.III.S8: /fcrZ. III158;
vgl. likr. 1495. 3815 «. ö. unul. owerdadich
overfladich ey wredhse oc ej' ouerliodighsp, ilf. J?. 188, 17. rnnd. overflodich
over gange hau owergek wath som heder Jaboth, Li!/. 32, 22; ngl. Jos.
4,11; 2. »Sa;«. 17, 16. 7nnd. owergän
overgive udeii the oftuergiffue there erabethe oc gilde. K. (1495); vgl. Bsv.
214. 315. mnd. owergeweu
0 verlobe Huo som offuerleber fogidt, borgemestere och raadtmeudt, Bsv.
557; vgl. M.F. 319 u. o. mnd. owevlöpen
ouerl?ese we haue seet, hart oc overljest kouiug Erics ohne beseghlde
papijrs breff, K. (1461). mnd. owerlesen
ouersee iech well nu oifuersee meth thee righse, som liggfe omkringli
jodpp land, M.E. 79, 12. mnd. owersen, Sch.L. 2
ouerwege thet bor at offuerwseghes, K. (1425); ihd. (1458). (1460), mnd.
owerwegeu
palle tog hau paa syu bare kropp en sydh bewoxet palse, EJcr. 3\24. mnd.
palle (palliuni)
palt en palt wildhfe i ey giffiise raig halft, H.3I. 48. mnd. palte
paltug Imdhen gitfs offner the paltughe been, AM. 43: ihd. 181. zu palt
paltzgreffue i Bayern wor leg en kou, paa Ryn en palatzgreffue, Bkr.
3124. mnd. palanzgrewe
pauuel äff fylsbien theu sadelbowe war theu pannel war äff blialt, B.D.
I 304; ibd. II 305. mnd. pannele
papegoy fremdelis erne strutzer papscgoyer, M.B. 129,22. »ouZ. papegoie
patine eble, nödder, pattiner och this liges, Bsv. 285. mnd. pat(t)ine
pawlun brodh kej'seren op syt pawlun, JF^.i». III 160; vgl. 1.3/. 12, 8; B.D.
1 219 u. 0. mnd. pauwelün, pagelün
pelegrim som en udleuuing ok pelegrjnn, T.K. 2621; rgl. 1. il/. 12, 10; g
M.B. 3, 3. mnd. pelegrim peregrini kommt auch cor
perlement om wi wilde, ath thet perlemeut som paa ferde war skiilde
bliffue styrt, D.C. 151. mnd. perlement, Sch.L. 2 (streil)
perment Ho giffuer mek permet at iech maatte sammel skriffue, H.S.
29, 10; ibd. (1431). (1467;; D.C. 185. mnd. perment, permet
persefant vor elskelige persefant. ii. (1464). mml. nicht belegt; vgl. Lcxcr,
Wb. parzivant, persevant, persouant, ron frz. poursuivant
pert how how sade ieg, my gode perth, Bkr. 506. mnd. pert
pinsedag pa then hilghse pingx dagh, ilf.P. 256; vgl. M.B. '\S),h; B.D.
I 268 u. 0. mnd. pinxter {dach)
pladse at hindre möde, deele, platzse eller i uoger made at uforrette,
Bsv. 202; vgl. D.C. 118. 252 u. o. zu mnd. plas (tmrnhe, streit)
plat at wserdzens locke gaar fra tig plat, H.M. 33; vgl. Bkr. 2907. mnd.
plat {ganz)
plege äff henues ord oc eftersyu plsegde allse at styrkes, H./S. 34, 15; vgl.
M.P. 298. 94 ; D.C. 208 u. o. mnd. plegen — In anderer hedeutung
kommt pliJbgha; schon früher cor, cgi. Krislensen s. Ö3
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 429
pligt ieg beder them all« gorpe plicht och bood, H.3I. 88; vgl M.lü 177,2
V. 0. mnä. plicht
plig'te (r.) tha skal hau plictis tili at slaas tili stubin, Rsv. 87. wnd;
plichten
plig'tug huer laessse thet hau per pligtug- til, Jl.lU. 115; rgl. J\sv. 81 ;
D.3I. I 270 «. ö. mncl. plichtich
podagel podagel staar i min sidhse, H.M. 171. ?»»//. podagel
pol exe 2-1 polloxer, A'. (1495). mnd. pollexe (streitaxt)
porteuer hau badh theu porteuer ladhse saeg ind, K.D. I 14-1-; ibd. I 346.
mnd. por teuere
postelats een postelats gyldeu, 7v. (1448). mnd. postellatieuguldeu
prange (v.) och mangelunde meth meg pranghe, Iikr. il9ß. »«m/. prangen
(streiten)
p r e d i c k 86 s 1 0 1 tha opsty ieg theu predickse stooll , Rh: 3378 ; ihd. 3492 ;
mnd. predikstol
Prytzeu the prytzen wundh oc mange laud, Rkr. 287Ö. mnd. Prutzeu
prewe thet proifues i mange uiaade, R.M. 15; rgl. iOd; Ltir.29 u. o.
mnd. proveu {frz. profa)
put the ormse paa gullffueth uthi theu puth, Rh: 2300. nnul. piit
ramme lodh greueus raadh commte for sigh och spordhe om the haiftse
uoghnet aunaet rauibeth, K. (1409). mnd. ramme (erzielen)
reb skal och eugheu gesth malse klfedhse eller Itereth udeu wedh reb,
Rsv. 90. mnd. rep. Seh.L. 2 längemass {Sch.L. 1 seil entspricht alt-
nord. reip, dein, reb)
redde leg kau tig rgeddha? frau pynse och uod, H.3L 18: ibd. R.D. III 2;
Rso. 163. mnd. redden
redding skal hau udhen al reddiugh mista3 sith embittse, Rsv. 87. mnd.
reddinge
regere, reguere plauether reghera; ferst himeleus lob, J/.i)/. 127; 31. R.
21,6; Rkr. 1870 u. o. mnd. regeren, reguereu
reguskap meu for thik siselff wordher thu gere regheuskai», 2'./f. 127, 10;
ibd. B.C. 162; D.3L V 330 n. o. mnd. rekenschop
reb b esper j tenne rebbesper, A'. (149.5). m^nd. rippesper
remesuider item remsuiereu XX mark, I>.il/. IV 317. mnd. remeusuider
rei hwad rey mou thettas wser*, A.D. II 44. mnd. rei
rein wyll maud ey hoUe syn Brostrede reyn, Rsv. 517. mnd. rein
reise (s.) som es hadhee styrkt oc hulpit i then reyse, 3I.R. 183,8; ibd.
4,6; i?Z^T. 4581. ynnd. reise
retfserdige, rectfserdige ey rtethfferduger thik siselff, T.A. 129, 10; vgl.
Rsv. 286 u. ö. mnd. rechtverdigen
retgaug udeu al hielpersethae eller ytermer raetgangh, K. (1450); ibd.
(1485). mnd. rechtgauk
rode tili the peuuinge skall byeu dele i XV rodder, Rsv. 213; vgl. 3I.R.
69, 24. mnd. rote
rodemester ther scal en almugesmem tillskickes rodemesther at wsere
ihwer roddc, Rsv. 213. mnd. rotmester
rok greweu skulde liude sorte rok, jß.D. II75; t'^Z. II 79. mnd. rok
430 MARQITARDSEN
ronw sAva at hwer mantz rouw ssedh bliffuer uskadh, D.C.BIO, m nrl. rn,
ruwe
ruerkop Inio som kiöber nogen thino- hanrtt maa samme dag wedersige
och binde fire skelling, til nierkob, lisc. öiS. tnnd. rauköp
runieni Das wort kommt nach K. im j. 1461 vor. mnd. rumeuie {eine
art wein)
rnstich olletb smagt äff rustidi j?ern, i?Av. 625: ibd. GiS. »mr?. rnsterich
rab 0 rob, som skal blihie ewinuelig, H.S. 17,22; rf/l. Ü.M. 108 u. ö.
mnd. röp {altnord. hrop bedeutet spott, Verhöhnung)
räbe som rope at vertz hedher skal forsmäs, H.S. 88,6; ibd. H.M. 41,80;
Luc. 15. mnd. ropen (altnord. hropa bedeutet verwundern)
radstol radhmen sedendis i ther radhstol. /t. (1430). mml. rätstol
(til) rygge hoo som gaar fran Nazaretli tilrygge, igen gemme Galilee
land, M.R. 56, 15; vgl.RD. III 50. mnd. (to)rugge
rächte (s.) thj' naboes hostru scalt thu ey gillyse eller heder sckillise,
H.3I. 62; vgl. T.K. 13, 19; Jos. 9,9. mnd. ruchte
ragte (v.) da hun foruam at henues undhed ryktedes, D.M. II 44: vgl.
D.C. 193. (cütnord. roegja anMagen, entsprechend althd. wrübjan, mhd.
rüegeu, mnd. wnigen. dazu ruchte)
rosstse rastae seg och sade ath hau willse ficthse for raegh. »i»//. rüstigen
sabel branth skarlogeu meth sabel skindh, R.D. I 7. mnd. sabel
sadel, sadelraaker af sadelmagerembede en sadell, A'. (1496). »?nf/. sadel,
sadelmaker {altnord. sööuU)
sagwolder och them thager konniug half och sagwolder half, Bsv. 32.
mnd. sakewolde
sagt saktere ser aldels at sen alt offuertrsedhe i erden, T.ül. 32, 3; vgl.
Blr. 475: 3LR. 11, 15 n. o. mnd. sacht
sagtmodug myn fredh ?er meth odmyghe oc saktmodugh äff hierte, T.K.
128, 7. mnd. sachtmudich
sagtelig sakteligere maa theu dagh, ther fremfarn 8er, igeukalles, JI.S.
25,28; ibd. S,S; T.K. 151,20.
sagte (v.) hiui saktedhe kongens wrede, Ji'.i'. I 259. mnd. sachten
saug tha er liau ien saligh man. R.D.lbG; vgl. H.S. 8i, 26. 56,21. mnd.
salich {altnord. saelligr)
sardug swo som aer klccdhe, hiimle, staal, sarduch, Rsv. 121. mnd. särdök
{eine art Stoff)
Sassen äff lauthse sasseu hertigheus sah, Rkr. 313; ibd. 852. 886. mnd.
Sassen
saye tywe kiortel äff sayen widhe, R.D. I 296. mnd. saie (feiner Wollstoff) ,
sedewer kobebe ok sedewer, Ü.D. 1 32. ?»>if/. sedewer *
seideuspil allse honnse seyde speel, itf.ii. 127, 20; vgl. H.M. 67 ; l.M.i,2.
mnd. seidenspei
seidenspiller fore tham gaa all« hond* seydenspellerse, Jlf.2?. 126, 7.
zii seydenspeel
sejer the haffue een eller to seyere äff guld, M.R. 127.8. mnd. seiger
seger {nhr)
i
EINFLUSS DER MND. AUF DAS DÄNISCHE. 481
selskab tbet selskaff niaa warae gndz samfund, //.J/. 98; s.a. liscOS;
H.S. 44, 22 u. 0. »ind. selschop
sigel som thu sendhse sighel i ssedhen, ö. M. 16,9. mnd. sekele
siud gaff haiinum S3'ni:e fiem utwarthes sind, H.]\J. 131: vgl. H.S. 14:7,33;
D.C. 2i6 u. ö. mnd. sin. J^rst im l.j.Jahrh. kommt siud in allen be-
deutungen vor, die das tcort im deutschen angenommen hatte.
sinles wi som wäre sinbs, H.S. lß,B3. mnd. sinnelos
sindal XVI alne sindall, D.il/. IV Slfi. mnd. sindal (Seidenstoff)
sise toldh ziise oc auden rettighed, A'sr.293; ibd. 292. mnd. sise (accise)
skaffere wi well hawe too schaftere tili forstander, ii. (1441); «6^/. (1406).
(1417). (1443). mnd. schaffer
skandh tliin fnlse skandh (tevfel), R.D. 1237. mnd. schant
skseude bans fadher bafde skpeudb bannom, 1. Sam. 20,34; s. a. li.I). II l,o3.
mnd. scbenden
skickniug iegb baffuer taget tbeu luagt ocli skickuiug, D.il/. III 41.
mnd. scbickiuge
skinbar socbtse effter tben skynbaren gerning oc fundpe tbem obenbare
rnvere, D.M. I 368. mnd. scbinbar
skock raet manghse scock aengbae, H.M. 130. mnd. scbok
skonroggen bnede brod ok skonruggen, K. (1460). mnd. scbonroggen
sknldre lagda- Agar det paa benn;e skuldrae, l.il/. 21, 14; vgl. M.R.
180,16. mnd. schulder
skule dodheu kommer .sclmleude, ickse tal eth ord, H.M. 162; ibd. 143.
mnd. schulen (verbergen)
sk\' (?;.) ta villae vi geruae hafuae skyut tben stapd, M.R. 182,3; vgl. R.D.
I 224. mnd. schuweu
skermbrekker 8 skermbrekere oc 11 kamer, if. (1454); /ör?. (1487). mnd.
schermbreker
skerme skermedhe paa Brunkebergh, iJ.C. 152; .<;. ff. R.D. 1 160: ö. M.
20,4. mnd. schermen
skajrw lodhet haft'wer tywe skterff, 2. M. 30, 13. mnd. scherf
skewel tbet werte then skievel mygbet til barm, R.D. II 77. wujrf. schewel
(armer tropf)
sk0n_ meltae tben jomfru skoua', R.D.li 163; vgl. M.R. \ä,i\ H.3I.8 u.o.
mnd. schön
skeulig oc er udentel skonlige bigd. ilf.Ä. 37, 15 ; vgl. Luc. 48. mnd.
schönliken
siebe och sleffuede tbem udb oppaa then mark, Rkr. 2024; vgl. R.D. III 72.
mnd. slepen
slem met slemme synder och waerdens las, H.M. 29; vgl. Rkr. 832; T.K.
4, 14 u. 0. mnd. slim
Slot Slot oc fsiste Scanör, M.P.UO: vgl. M.R. 41,11: R.D. 1100 u. o.
mnd. slot
slotslag waele wii anname alle slotzlower äff wore Danmarks oc Norges
raad, K. (1483); vgl. D.C. 252. mnd. slotlowe
snak swodan snak ieg ey styrckoe wil, H.M. 115; vgl. R.D. 1245. 37 u. o.
mnd. snak
1 o2 MARQUARDSEN
snakke snackede manth glfiedhe och gammen, i?.D.I2-}:8: rgl. 3I.R. lö,8.
mild, snaken
sold xij kemper hade hnii leyth for soldh, i?/>:>-. 1603; ihd.SlOQ. mnd. soll
soue och haue begrebet och forrauiet svvodaii datj'ughe friid oc soue, V.C.
14; vgl. lUr. 37i3. mnd. sone, sune
spe (s.) Hau hordhse the wethae hanuuDi spee och spot, H.3I. 27; vgl.
84. 106. mnd. spe, spei
spe (?'.) ath i ey meg offner niyu skade spee, Ilkr.842; ibd. 4:1,18. Sch.L.
nicht belegt
spemaiid hwar an- im spemanz forsmseless, H.S. 82,2S. su spe
spei jeth lidet spei acthcr jech ath skriwse, R.D. 113; vgl. 3I.Il 132,20;
BJcr. 127 i(. 0. »tnd. spei. Das wurt ist scJion früher aus dem deutschen
entlehnt (vgl. Kristensen s. 55). Im l').jahrh. überträgt das mnd. alle
bedcutungen des deutschen
speluiand ferse thom gongne spellse mend, 31. R. 129,7; vgl. EAr. 3643.
tnnd. spelmau
spidse the ferste som stridder i spissen, H.S. 133, 7; vgl. D.3I. I 267; Rkr.
891 u. 0. mnd. spisse; Sch.L. 2
spitaals hwa som fanger spitaals soot \\ü stadhen, Rsv. 158; vgl. B. 31.
13, 2 u. ö. mnd. spitäl (aussats)
spitalsk iugeim spidalske folck maa bliffwe udi kiebstedeiie, Rsv.böl;
vgl. 3. 31. 22. 4 u. o. mnd. spittelsch {aussätzig)
stat huad frommer them theres storue wseldhse there stadt there godtz,
H.3I. 56; vgl R.D. III 132. I 274; D.O. 19 u. o. mnd. stät, State
stekemes med stemetz eller audeu wabeu, Rsv. 132; vgl. 4.3/. 25,7; D.3I.
III 230. mnd. stekemest
stene alt folket skal steiie hauuum, 3. il/. 24, 14. mnd. stenen
st er VC tha Woldemar min fader sterffde, Rh: 4708. mnd. sterven
steffader jegh hauer swyget myu steä'ader, jK.D. III 195; ibd.llllbG;
Rkr. 550. mnd. stefvader. stef kommt auch in anderen Verbindungen
vor, z.b. Amleth myn steffsen, E^t. 805; myn steffmoder, jR.D.
in 21
stigt uppan hwilken almosse, fuudh och steffth, D.3LIIV1. m«fZ. sticht
stigte til at stychte oc fundere eet altare, ilf.C. 332; ibd.'iib; B.C. 161
u. 0. mnd. stiebten
stikke U rede puder af dammask stikket met guld, i>.3f. IV 320; vgl.
D.3L. VI 268. mnd. sticken
stanck met stanck som felgher the diefflse ledh^e, H.31. hl- mnd. stank
stob XVI andre stobbe, D.M. V 215: jRsv. V 503. mnd. stop {mass)
stolb roder han tagher met sigh stollbredrae siw, H.3I. 173; vgl. Rkr. 170;
R.I). 1 161 «. 0. mnd. stolbroder
straf the faa baadae straff och last, H.3I. 114; s. a. K. (1491); Rkr. 822;
R.D. 1 161 u. 0. mnd. strafinge
straffe (r.) then tidh han sagde straffendes them, H.S.B,\b; vgl. H.3L
120; M.R. 112,4 u. o. mnd. strafen
straff uelik Ihet ser megeth btraffuelikth och skadhelikt, ^/'.ä. 29, 30; vgl.
4. 31. 32, 22. mnd. sträflik
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 433
strax Hun laddhie haunum strax up til syt bryst, H.M.(^0: ihiJ.lO: M.R.
95,7: Esv. 162 u. o. miuJ. strackes
streng welbyrdighe oc strenge riddere her Claus Rnnnow, D.C. 111. mnd.
streng. Sch.J.. 2 clireiule hcteichnnufj ron personeii
stribe striber haffuer hun fuld loughse, Il.M.Hi-. 7v'. (1458). wnd. stripe
sträl 100 lybesche mark i griip oc stral, 3/.P. 185. mnd. stralengeld {zu
Stralsund)
Stube tha skal hau plictis tili at slaas tili stxibiun, Bsv. 87. mnd. stupe
stund tree stundhe agiler tywe skulle o hoktydhe mik, 2. M. 23, 14: rgl.
4. 31. 19, 4 (diese hedeutung ist entlehnt), mnd. stunt (mal)
stykke, stukke hwo sik forsymer i thisse fornefnte made eller i noker
anuer stucke, lisr. 12ö: ibd. i2i; Mv. 4173; il/.P. 92 u. o. w/if/. stucke
(Sch.L. 3). Das ivort selbst, altnord. stycki, ist einheimisch. Die be-
deuttmg: ding, sache, punJct ist aus dem mnd. übertragen
styrte och guben stortse for hanura nedher, R.S. 161. mnd. sturten
stsemuie tha raaba' the sitelse met stemnice och rost, H.M. 51; rgl. 2. M.
32,27. mnd. stemme, stimme («//)<o>'(?. stefna, rechtsivort)
Steverum med frij dempning och steifvverom, K.(14Si). zu wntZ. stou wen
stevning med dam och damsbondt, med frij stoffning, 7C. (1479). (1492).
mnd. struwinge
stevel 1 par stofflpe, K. (14G7): ihd. (1486). mnd. stevel
sukker teth er giorth aif kallamell, som sukker pleyer at wordae äff, M.R.
71, 14. mnd. sukker
sund (s.) stat mek for liff ock suud, R.D. III 68; s. a. RJcr. 222. mnd. sunt
sund (a.) ther bleft" saa manghe sundh oc karsk, Rkr. 2827; vgl. 3. 31. 15, 13
u. 0. mnd. sunt
swans man saa ther fruer och jumfruer danzse, allte i thieres hwide
swandzsae, iJ.D. 1278; rgl. H.3I. 31. mnd. swans (schleppe)
s woger min ki?ere swoger, her Erngitzel Nielsson, X>.3/. II39; -5/tT. 1471.
mnd. s wager
swasrme tijl meg tog ieg hwer howeth hoss ieg fondh om londhen swserme,
Ekr. 1250. myid. swermen
synde at the ikke skulde synde i moth mik, 1. J/. 20, 6; /ftcZ. 39, 9. mnd.
Sunden
sädan swodan snack ieg ey styrckse vil, H..3L 115; vgl. Esv. 271; H.S.
155, 19 u. 0. mml. sodau
S0mme kouingh Artus ey somde sigh, J?.D. I 53. mnd. sumen
semmere mange wagne och sommere flers, 3/.J). I 274. mnd. somer
S£»msk eet somsk skin, K. (1469). mnd. semesch {weiches leder)
tallerken 20 tallerken, D.i¥. V 214. mnd. teWer
tant ladee tith tanth, du driffwer til hoffue, R.D. II 267. mnd. tant
tere see hvor matnet terer segh, B.D. II; vgl.l.Sam.lS,b. mnd. sik
teren, tieren
tidskortning stör lest och thidkortniug, ilf.E. 132, 12; vgl. R.D.UdS.
mnd. titkortinge
torn baadhai kirkser och klosther met taarn och murae, i/.il/. 41; rgl. M.R.
40, 5 j R.D. I 37 u. o. mnd. toru
434 MARQUAKDSEN
towe toweu war äff silky hin skisere, B.l). II 40. mnd. touwe
tinnipitter keyseren lott bltesfe i tnunpiiitter ok basmier, Ji'.D. III 57.
mnd. trumpit
traffue ta kommer huu trafueudis, il/.i?. 192. 25: vgl. Bkr. Il'il. mnd.
ti-awen
tucht thenuse tucht mig ey äff glommse gaar, Ü.M. 70: ihä. 164: Ekr.
4035. mnä. tucht
tucteligh the tuetelighen allfe for Adam stodhfe. Ü.J/. 133: vgl. B.D.
n 6 tnnd. tuchtlich
tyctelig tycteligh met gode sinue, B.D. I 41. mnd. tuchtlich
tweling thessse spouuer fera- sosom tweliugs hiukalft'. if.^'. 117, 36; rgl.
1. Ji. 24, 67; 1. 3/. 38, 27. »ntd. tweliuk
treck Thetse ser thet terstse peregrimes treck, J/.i?. 217, 13. mnd. treck
twedracht nogle artickle som the om misfeledt och twedracht hagde,
Bsi: 94: vgl B.C. 216. mnd. twedracht
twifle Wore thet swa at uogher twiffwelde, B.C. 379; rgl. B.D. I 9. mnd.
twiwelen
twiwelig Om thu seer dommen wäre wonsklige ok twifweligh, 5. M. 17, 3.
mnd. twiwelik
twewelmod thet ser enghen twyffuelmoth, 4. 3/. 32, 23. )nn<?. twiwelmot
tyge tha tyghede the og sworpe, D.3I. III 183: vgl. M.Gl.lib2. mnd. tugen
tyde Ah\nus, siger jeg thet thydse wil, H.M. 74: ibd. 69: B.C. 177 u. v.
mnd. duden
underdane the oc theres underdane, i/.Ji. 4 u. ö. zu tnyid. uuderdon
uuderdanich lydughe och oc undherdanige thysensre, D.C 330. mnd.
underdänich
uudersate vore kijere borgere och uudersotthe, i?si-. 522: rgl. B.C. 117
u. 0. mnd. undersäte
underskeden Item meth sodau uuderskeden, M.Gl. 1404. mnc. uudei-scheit
underligge ath the skull* undherligge sodau dom, JRÄt. 2036. mnd.
uuderligge
uudertiden Thi burdhe hwer foi-stae ath selskse the som skiÖ'ue the ger-
uiug, som uudertiden skee, Bkr. 2155. 56. mnd. uudertiden
udkomme kiserde forde Casper skriö'uer, ath the penniugh wor ey ud-
kommen, M.Gl. (1469). mnd. utkomen {bezahlen)
udwortes syne fem utwortes sind, H.M. 13L mnd. utwordes
w andre end wij sculd« wandr« thenae wsec swo lang, H.M. 103; rgl.
b.M.ö,3B. 7JJH<7. wanderen
■wantsnider sksedere. wantsnedere, Bsr. 84. mnd. wautsnider
wartavel iet wartawel war och ther«, B.B.l2i8. mnd. worptafel
wedermot swa fangher thu twaug och wedermod, H.M. 33; ibd. 30: Bkr.
3864 u. 0. mnd. weddermöt
wederspil iech hafuer edher wederspil manghie siunse spilt, B.B. 1232;
ibd. n 6- mnd. wedderspil
wederstä at wederstä the Turcis, D.3/. I 352. mnd. wedderstän
wekter then wekther qwadh ther heftt appaa, B.B. I 133; vgl. Bkr. 1971.
mnd. wechter
EINFLUSS DES MND. ALF DAS DÄNISCHE. 435
wenuikc skriederlon for eu weiinike, M.GL (1481). mnd. weuneke (Ideidcr-
rock)
wepener Holgerdh Hiuriksou oc Oleff Morthensoii, weimere, V.C. 332;
ibd. 333. mnd. wepener (iraffenträger)
wik belle induen foineft'nte stads marckeskiel som kalles bierk eller wic-
belle, lisc. 20G. mnd. wikbelde
wilbradh han atb äff bans wilbradb, 1. .1/. 25. 28; vgl. 1. JI. 27,19. mnd.
wiltbrat
wilkommcn og bad hannum Gud wilkonimen wsere, 2?.D. 1 252. »nid.
■ttillekoiuen
wilkar ebwat wilkar eller stat bau er äff, I>.3/. 91 VI; D.C 159; Esv.
206 ti. 0. mnd. willekor
wilkar e item wilkorper jiiek niyk til forde Hr Andirs Jseipson at fri ok
bemlfe tbettse gotz. 3I.GJ. 1-403. tnnd. wilkoren
worde tba wort tilhieftnd XIIII danderaen at wordbse bans pant, D.Gl.
1462. mnd. worden (taxieren)
wrak olt Strand wragb oc sand tbold bwar the fallende wordbe iipa kröne
gründe, D.C. 208. mnd. wrak
wrag Gudz wrag ocb wredhae off'uer tbem gaaer, H.M. -il: ibd. 157. mnd.
wrake {räche)
wrede met wrede ocb foracbt, Bsr. 509; rgl. H.M. 41. mnd. wret
wreke feyde wrecke eller beffde. B.C. 300; vgl. Skr. 1280. 1308; B.D.
I 56 i(. ö. »ind. wreken
wund Oc gaff tbem tberes dützens wund, Bkr. 408. mnd. wunde
waerkmester Jes Petersens, verkmester upa Kiöpenbaffns bus, iortb oc
gründe, mnd. werkmester
wferktyg wäre tbet swo nt nogeu gulsmetb begserette en annen guld-
smetb werktyg, D.3L III 335. mnd. werktouwe
segte om han war fedder aÖ' ectbse, Ekr. 1310. mnd. echte
segtebrev then dag han esker embedet, skal han legge sit ecktebreff pa
bordet, M.Gl (1492). mnd. ecbtebref
sechtescap ocb bandt tbem sammen met gechtescaps band, H.M. 1B2. mnd.
echtschop
II. Mnd. präflxe und Suffixe.
Deutsche vor- und nachsilben spielen im neudänisclien eine
grosse rolle. Sie sind fast alle ndd. herkunft und begannen
im 14. Jahrhundert in Dänemark adoptiert zu werden. Die
folgenden ausführungen werden nachzuweisen suchen, wie weit
das gebiet war, das die ndd. präflxe und suffixe im 15. jahrh.
erobert hatten.
a) Präfixe.
an (tritt erst im 15. jahrh. auf):
anfald uden at righet swodant anfald fynghe. D.C. I 1. mnd. anval
436 MARQUARDSEN
anfectuing aiifectiiigh äff nogliu utlendis herre, K. (1436); vgl. D.C. 19.
mnä. puvechtinge
anforsee som til vorse tro thitenerne anforseer, tro oc tilhobes, 2?s?;. 203.
»itid. nicht belegt
auname thy han auamer uuderstandelses lius, T.K. 6,29; vgl. H.S. 27, 14:;
D.M. IIP 183 u. ö. mnd. annanieu
auuamelig- thet a^r meg mer auameligt, Äf5. 63, 23. mnd. annamichlik
auuiode at han tha aiimodher tbennum og loulig fnldfölger, jRsr. 203.
mnd. anmoden
ansee wi hawe for got anseet, Rsv. 275. mnd. anseii
anskrig och giorde ther äff anskrigh och bistand, liier. IVi^. »«u(?. anschri
ausicth Him weiidhe meg sith grumme ansicth, J?/^'. 1899. «i/tJ. ansieht
hc. Das präfix scheint zufrühest gegen die mitte des
14.jalirli. im dänischen aufzutreten. lu Gammeldansk Kroniker,
dem einzigen denkmal aus dem 14. jahrh., das in dänischer
spräche dänische geschichten übermittelt, scheint sich noch
keine spur davon zu finden. In kong Valdemar IV. privileg
for Malme 1360 und in dem für Lund 1361 kommen schon
vor: befinde, behoff', hestreden, hesynderlig, hesinde, hewise, he-
iviselig, heware. Während des 15. jahrh. ist der gebrauch des
präfixes in steter zunähme begriffen und das neudän. beweist,
dass er in der folgezeit nicht wider zurückgegangen ist, son-
dern sich unter dem späteren einfiuss des hd. weiter ent-
wickelt hat.i)
bebinde som a^rae beboudense med syndzens bond, H.M.'kl. mnd. be-
biuden
bebreve som jaek ok myn brother henne bebrevet haue, M.P. 16ü; vgl.
H.H. 160; Bkr. lOQ! u. o. mnd. bebreven
bebude han suarede sengelen som hinne bebaddet sin mandoms imtfongelse,
T.K. 214, 23. mnd. beboden
bedrage lad ickaj tidhen tig forsemelighen bedraghe, H.M. 160. mnd.
bedregen
bedriwe och inghen hanteriug eller Kiebmanskaff bediiffue, Bsv. 286;
vgl. jR.D. I 228. 345 u. o. mnd. bedriwen
bedrefft for meuuiskens synder och oud bedrefft, H.M. 5; vgl. JRkr. 90d.
1119. mtid. bedref
1) In das Verzeichnis der mit be und for gebikleten Wörter sind nur
solche aufgenommen, zu denen es mnd. entsprechungen gibt. Es finden
sich ausserdem sehr zahlreiche Zusammensetzungen von he und for mit
nordischen stammen. — Doch sind, wie schon bemerkt, nicht alle der hier
aufgeführten Wörter als entlehuungen zu betrachten, weil sich im nordischen
häufig dieselben wortstämme finden, wie im niederdeutschen.
EINFLUSS DES MNI). AUF DAS DÄNISCHE. 437
bedreve for thj' miu grym bedrefd samwit war fordiserf, HS.2S,B1: vgl-
Ssv. 308: B.D. m 170 u. o. mnd. beckowen
befale jek befaledhe hannuin thin hond, 4. M. 21,34; cgi iH.2?. 34, 20 ;
H.3I. 89 t(. 0. »tnd. bevalen
befaling och alle the som her eerse i hans befalinge, D.C. 14; vgl. D.M.
ni 42. mnd. bevalinge
befatte thet Gardz rnm som tili thett forscreffne iiy Huus befattet ser,
D.3I. I 270. mnd. beväten
befindhe for godwilge och kserlighed som wü befunueth hawe, D.C251;
vgl. Ekr. 3253 u. ö. mnd. bevinden
befeste met therres secretse och iutzegle befest och wederhenget, D.C.
262. mnd. bevesten
befladdhen (m/". beflyde) betladdhen wor hun i fraast oc sne, Bkr. 1094.
mnd. bevleteu
befri och were werdigh befridt derfore, Bsv. 132. mnd. beviien
befrygde oc befrectede at wii wilde tage Stocholm fra hauom, D.C.lbl.
mnd. bevruchteii
heg ade hon ser audelig salt med huilket vertz menniske begathes, H.S.
39, 14. mnd. begaden (SchlL. 2)
begawe alt thet goth som miu leff begafuet megh met, H.S. 26, 28. mnd.
begaweu
begere Huad the begerse tili liiff och siael, H.3L 94; vgl. D.C. 176; Bkr.
394 «. ö. mnd. begereii
begerlik at hau ey haftuer begerlige kserlighet, T.K. 166,18. mnd. be-
gerlik
begiftige privilegier oc friiheder, i huilkse the thennem meth begiftiget
hawe, K. (1480). mnd. begiftigeu
begrawe hans senner jordet ok begrofl' hauuom, 1. üi. 35, 29; vgl. Bkr.
863; M.B. 17,10 ti. o. mnd. begrawen
begriwe af all thess« bescrifuelse kun han ey begrype hennse som hau
felsket, H.S. 13, 3; vgl. 1. M. 7, 24; D.C. 249 u. o. mnd. begripen
begynne mennisken begjnthne fuld god en id, H.M.^\ vgl. iI.»S. 34, 3;
D.C. 152 u. 0. mnd. beginnen
begä meth messer och meth liys heedherlige begaa, M.P. 105; vgl. D.C.
162; D.3/. 111337. mnd. begän
behage han behawede henne wel, B.D. lU 18; vgl. l.M. 20,15; 3I.B. 218, 6
i(. 0. mnd. behagen
behelpe paa thet at the maa them berge oc behelpe, Bsv. 292. mnd.
behelpen
behelpelig behielpelige oc bistendiighe, -Rsr. 310
behulpelig tha ther til behulpelicse wäre, M.P. 140. mnd. behelplik,
behiilplik
behielpning hannum ther äff behielpning att künde fange, D.3I. IV 41.
mnd. behelpeninge
behennelig leg giordhe mange behendelig ting, Bkr. 4:31. mtid. höhende
behindrse kunne Othense borghere behindre nogen i theres by, Bsv. 121;
vgl. H.M. 121. mnd. behinderen
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 29
438 MARQUARDSEN
behold tha skal hau wäre feligh oc frii at komme i hans behold igen,
3T.GI 1469: vgl. D.C. 200; Bsv. 2i9. mnd. beholt
beholde haus ers behielt hoshonden. E.£>. 1251; ?'6rf. I 228. 345 : 3I.R.
25. 19 it. 0. mnd. beholden
behov til bsegges ther behoff, i»/.P. 279; vgl. Bsv. 8b; H.S. Sb, 20 n. o.
mnd. behöf
behytte hau kau sig sieff behytthse, H.M. 3. myid. behodeu, behudeu')
behoring meth all sin behoriug, D.M. in 205. mnd. behoringe
beheve *hy behofuer ey at taghe auctoritates, H.S. 2, 17; M.R. 31,11 u. o.
mnd. behoven
bekende hwo sig seif wel bekeuner, 7'.Ä'. 4, 14; ?6rf. 164, 13; Jf.E. 146, 13.
mnd. bekeuneu
bekenuere thiu selskere oc thin welgeruiugs bekennere, T.Ä'. 124, 7. mnd.
bekeuner
bekregtige alle hethuyngene, hwilke som hau hafte bekrektith, 2.Sam.
8, 11. mnd. beki'echteu
bekommer i stör bekommer oc wadhae, Bkr. 2194. mnd. bekummeringe
bekostniug da gielde hun atther bekostniug, Bsv.2bd. mnd. bekosting
bekumre oc bekummer sek i vertz ferend, H.S. B9, 21; vgl. D.C. 201
bekymre bekymmerth och droffueth, T.X^. 125, 8. mnd. bekümmern
bekvem to beqwemme pebliuge ther syunghe kuune. D.C. 160; vgl. R.D.
1189; Rsv.lb9. mml. bequemme
bekvemlig som er beqwemmelig til Guds tieneste, D.M. VI 113. mnd.
bequemelik
belade the wäre medh hanum ilde belath, J?.D. II 5. mnd. beläten
beleglig keysereu sogh hure staden stodh belegligst tili at wynne, R.D.
IV 50. mnd. belegelikt
beiegge see giymme dyr belsegge meg, H.S. 143, 20; Rh: 4443. 4910 u. o.
mnd. beleggeu (belagern)
beleve hawe belevet, fulburdh oc samthycht then dagh mode, D.C. 249.
mnd. beleven
beligge eu moe som Eriik Loreuseun hadde beliggeth, D.il/. VI 55. mnd.
beliggeu
belaere hwer udi sin stedst maa sig belaere oc effter holde, Rsv. 127. mnd.
belereu
bemanne trehuudrede holkpe hade ieg bemaunede oc wel bespijsede, Rkr.
2506; vgl. R.D. III 17. 104. mnd. bemauueu
bemöye beraöye eller forstj^rre denuem, Rsv. 275. mnd. bemoden
benade at wi them met privilege oc friiheet benathe, besorge oc bethenke
wilde, Rsv. 127. mnd. begnaden
bepligte tha beplicte wii oss oc then uieuighe kepmeu, D.M. 11 39; vgl.
D.C. 333 u. ö. mnd. beplichteu [bereden {bezahlen)
berede wil hau ey beraetthe innen daghen, Rsv. 30; vgl. D.M. II 19. mnd.
1) Die form behytthce könnte fast auf hd. einfluss schliessen lassen.
Aber da sie am ende der verszeile steht, so kauu der dichter sie auch aus
reimnot verändert haben.
EINFLÜSS DER MND. AUF DAS DÄNISCHE. 439
bereclniiig- oc thack* wi haeime gernae forse god beredhnyng, M.P. 288.
7nncl. beredinge
be rette som avü ider well beraitte wele, D.C. 151; s. a. M.B. 30,2; B.lJ.
IV 9 u. ö. mnd. berichten
b er ige ther meth leg mecli berijdde, Rkr. 3227. mnd. berikeu
beruktik som nieget beriiktik er, aif stör rigdom, M.i?. 115, 16. mnd.
beruchtig
berygte man eller qwiunse, the som opeubare beröchtede sere, Bsv.\&l\
vgl. H.S. 97, 1. mnd. beruchten
beräd da schall han settis udi stadsens hegte, saalenge indtil band faar
et bedre berad, Esv. ö08; vgl. 1. 31. i, 7; D.ilf. II 45 ?<. ö. mnd. herÄt
(i-0)-sat3)
her ade theu sagh toghe wii tili oss oc well beradde, K. (1488); vgl. b.M.
17,12; n.C. 192. mnd. beraden
besee 0 quiudhae, besee thyu kserae son, H.3I. 87. mnd. besen
besegle thet segel som ther war appaa war wel beseglet raedh guld,
B.D. II 40. mnd. besegelen (von schiffen)
besegle oc beseghle meth wort maiastatis incighle, D.C. 12; ibd. ISO;
D.M. II 40 u. V. mnd. besegelen
besidde besidd* then frygd som himmelen beer, if.iüf. 95; vgl. T.K. 113,8;
M.B. 9, 10 u. ö. mnd. besitten
besinde oc kunne wii wel besinne oc bethrachte, D.C. 107; ibd. 180; B.D.
III 170 u. ö. mnd. besinnen
beskade ey beschade landyt eller landsens inbiggere, D.C. 14. mnd. be-
schadeu
beskatte oc enghen man skal ther fordeles eller beskatte fore, D.M.
1319; vgl. D.C. 218 n. o. mnd. beschatten (Schätzung auflegen)
beskeden hiiu kom allthiide heem i beskeden thiid, M.Gl. (1A88). mnd.
bescheden (passend)
beskeden een beskedhen prest, D.C. 159; vgl. M.Gl. 1463 u. ö. mnd. be-
scheden (titelhaftes icort für bnrger tmd die niedere geistlichJceit)
beskedelige then gor ey beskedeligh som gitfuer alsammen til gledskap,
S.K. 99,4; vgl. 3I.B. 110, 18. mnd. beschedelik
beskerme Hon beskermer met sin vern, ÄS. 101,36; vgl. Jf.jR. 82, 19;
2. 31. 2, 17 u. 0. mnd. beschermen
beskrive som thennom saarett giftue och beschriffue, Bsv. 127; vgl. M.B.
9, 13 n. 0. mnd. beschriwen
beskue beschoder nu allse thennse fulae mand, H.M. 82; vgl. T.K.66,9.
mnd. beschuen
bespise trehundrede holke hade leg bemaunede oc Avell bespijsde, Rh:
2506. 7nnd. bespisen
bestalde hertogen och grewen mense ath bestallse Flsensborgh, Jf.P. 399;
vgl. Bkr. 4535; B.D. III 12 w. o. mnd. bestallen (belagern)
bespytte oc bespyttet mit selskelig andlet, H.S. 19,6. mnd. bespien
bestride oc bestridh the oud diwr, T.K. 126, 7; vgl. Bkr. 1144; 1. 31. 1, 10
u. 0. mnd. bestriden
besta ellers hade han oss ey bestodh, Bkr. 211S. mnd. bestän
29*
440 MARQÜARDSEN
bestand den helge kirke til bestand, D.C 178
bestandelig: soodant lag oc rset som gantzse menighpe Norghes rike er
bestandeligt meth, D.C. 5. mnd. bestantlik
best 86 de bestede oc bruge til byeus nytthe, Bsv. 159. mnd. besteden
{Sch.L. 1)
besunderlig meth al oc hwor besuuderlich thes tilliggelse, ilf.P. 266 u. o.
besynderlig uden handt baffner besynderlig forloff, Bsv. MQ; vgl. M.P.
241; H.S. 117,27 u. ö. mnd. besuuderlich
beswaerje huer affthem serdelis skal besuere sin Couscientz, D.ili. 11140;
vgl. Kkr. 233. 1849; 1. M. 24, 3. mnd. beswereu (beschwören)
besege da skal fogden med to mseud besöge haus huus, Usv. 271. mnd.
besoken
besorge besyrgedhse adams storse fald, H.3I. 139; vgl. Esv. 122; T.K.
56, 14. mnd. besorgen
betale elleue huudreth markjgeu fongse oc betalse, M.P. 254; vgl. Bsv. 30;
D.C. 211 tt. 0. mnd. betaleu
betecke skensel skal betekke mith sentleth, T.K 161, 12; i¥.Ä. 107,21.
mnd. bedecken
betegne ser han oc beteguet met korsset, T.K. 195, 56; H.S. 131, 12. mnd.
betekenen
betenke bethenk nu utaleghe thiug, H.S. 9,Si; vgl. Bsv. 12i. mnd. be-
denken
betragde nor tliu betrakter Jesu Christi leffneth, T.K. 49,11; D.C. 107.
innd. betrachten
betro de som meste delen äff raadit dertill betro wille, Esv. 523; vgl. D.C.
250. mnd. betruwen
betrsede hwilke the ther i theres rye betrsedhae, J?sr. 204; vgl.Bkr.29iß.
mnd. betreden
betyde hau uudi-ede hwat thet betidde, B.D.U14:7; ibd. 121; M.B. i69,b.
mnd. bedudeu
beware ethers liff bewares thet scully i see, ff.ilf. 25; vgl. 1. M. 4, 18;
H.S. 34, 31. mnd. bewareu
b ewaring Oc til mere bewaringe oc wisssen her um, M.P. 257 u. ö. mnd.
bewaringe
bewende j there nyttse at beuende, 3I.P. 376. mnd. bewenden
bewise bewiser glsedeligh tilquem, iT-S. 101,28; D.M. IIIIGB u. o. mnd.
bewisen
bewisniug mett breff oc all bewisuing, ilf.P. 262; vgl. D.C. 26i; H.S.
34, 25. mnd. bewisinge
bewäge eet stört taam kostelict oc stserkt oc falk oppa, som staden
bewoogse, 3I.B. 111, 12. mnd. bewaken
bewsere ther scule wi oss enktse meth bewaerje, M.P. 140; vgl. H.S. 139, 35;
1. M. 4, 16. mnd. beweren {Sch.L. 1)
bewseve hwilket mik offtae forfarer och bedreffuer hiudrer oeh heweffuer,
T.K. 121, 9 ; ibd. 56, 6. mnd. beweben
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 441
hi (mnd. U):
bisprok Minnes altidh thet bisprok, T.K. 4,1; vfjl. LM. 21, 27; ö.ili. 28,37.
mnä. bisproke
bis tan fl for theris bestse gaffu och bystaudh, Bsv. 84; vgl. Ekr. 1479. mnd.
bistaut (Sch.L. bistandicheit)
bistendig felgachtige oc bisteudige, D.C. 372. mnd. bisteudicli
for (mnd. vor). Dieses präfix begegnet bereits in altdän.
gesetzbüchern vor 1300. Kristensen hält es schon hier für
entlehnung aus dem mnd. trotz der Übereinstimmung von fore
biutha, fore gaf mit fiirir hjoda, fijrlr gefu. Ich neige micli
mehr der sonst lierschenden ansieht zu, dass es sich in den
ältesten Zusammensetzungen mit for doch wol um einheimische
formen handelt. Jedenfalls aber bleibt durch das vereinzelte,
frühe auftreten des präfixes die tatsache unangefochten, dass
die grosse zahl der im 14. und 15. jahrh. eingeführten Wörter
mit for teils direct entlehnt, teils nach mnd. muster gebildet
ist. Im 14. jahrh. zeigt sich der gebrauch von for zunächst
in seineu anfangen; gegen ende dieses Zeitraums nimmt er zu,
um dann während des 15. jahrh. zu einer ungemein häufigen
erscheinung zu werden.
foragt med wrede eller foracht, Rsv.hOd. mnd. voracht
forantworde och naar the breff swo forautwordyt ?ere, B.C. 14. mnd.
vorantworden
forar beide at wor uathige herre wil forarbeyde meth pawen oc meth
keysereu, D.C 200. mnd. vorarbeiden
f orarge Huo som forarger stadzens plaucker eller weru, Bsv. 554; vgl.
B.M. II 22. mnd. verärgeren
for barme forbarmse tig offner os baddhe, H.M. 144; ogl. B.D. III 129;
Bkr. 3086. mnd. vorbarmeu
forbedre 1 det handt forbedrer quiudenn, saa forbedrer handt oc hendis
barn, Esi\ 531; rgl. 128; D.C. 176 u. ö. mnd. vorbeteren
forbide effter huer dombreff forbede YI uger, AT. (1471); ibd. (iiSd). mnd.
vorbeiden
forbind wden alt swigh som thennse forbind kan komme til scadhse, K.
(1438). mnd. vorbunt, vorbiudinge
for binde wi oss til samen forbinde, K. (1438). mnd. vorbinden
forbindning nyde alle the friiheet och forbynniug som forskreffuet staar,
D.C. 20. mnd. vorbindinge
forblinde thet folk er iemmerlich forblindeth, Jf.E. 95, 5. »mcZ. vorbleudeu
forbude at thet forbiidhe the andre righe pa leyeligh stodh ok time, K.
(1483). mnd. vorboden (entbieten)
forbygge sengen forbygge sin nabo med hws eller steenbro, Bsü. 507
mnd. vorbuwen (Sch.L. 3)
142 MARQUAKDSEN
forbode liurne maeuuiskeu skulle reettelig forbodlie myst glaedhe, H.S.
21, 36. n»id. vorbodeu (strafe zalilen)
fordeytinge besöuderlige at forsware ocli fordeitiuge til rettbe, J?S';. 200;
vgl. D.M. III il; B.C. 251. mnd. vordegetiugeu
forderv tba mattbe tber affkomme eu stör fordserff, K. (1452); vgl. B.C.
216; Bsv. 282. mnd. vorderf
forde rve then skuUse baus datter forbwsrffue, som tbeu kempe kunue
forderffue, Bh: 1374: cgi. 1. M. 6, 12. mnd. vorderven
fordervelse then hselghe stadz forderfuels, ÄS. 39, 9- mtul. vorderf
fordrag baff meg fordrag tili en anden tiid, B.B. III 115. mnd. vordrach
(Sch.L. 2 ai(fschub)
fordrage leg wil* teth ey fordrawe, Bkr. 1822; vgl M.Gl. 1452; K. (1454).
(1456) u. ö. mnd. vordragen (Sch.L. 3 vorschonen)
fordriste ikke nogen of worse fogder skal fordriste sig, J?s^-. 275. mnd.
vordristen
fordriwe Hau beskermer tbem som fordi'iste sit lefnet i godhe arbegdes
gerning, H.S. 121, 1. mnd. vordriweu
forene bau ser foreut med sagwoldereu, Esc. 169; vgl. B.C. 170. mnd.
Toreneu
forfalde saa at forscreffue byguiug icke forfalle skulle, B.M. II 19: vgl.
M.E. 88, 17. mnd. vorvallen
forfaug komme til scadbe eller forfaug, K. (1438): vgl. B.M. II 14; B.M.
VI 84. mnd. Torvank
forfare at vii fornommetb eller forfaretb haffue, D.C 192; «M. 373. mnd.
vorvaren (erfahren)
f orfarge see om wanetb forfariger segh, E.B. I32i. mtul. vorfavwen
(fehlt Sch.L.)
forfinde udeu bandt er uret forfuudenn, som för er rordt, Esv.b2b; vgl.
B.C. 375; K. (1462) u. o. mnd. vorviudeu
forflytteg item worder noger freth less eller foräyttegb, B.C. 19. mnd.
vorvlichtech
forfaere titb biserte skal ey forfsers, T.iC. 135,20; vgl. Bkr. 2188; 1. M.
18, 5 u. 0. mnd. vorveren
forfeige bau forfylgbede tbem ut til Dan, 1. J/. 14,4; vgl. Born. 3,18.
mnd. vorvolgeu
forfeigere Gudb st emulator, tbet *r forfylgere seliger elskere, 2.M.
34, 11. mml. vorvolger
for gange nu »er forgaugen IXXX aar, E.B. III 56; vgl. 1. M. 3, 39; 1. M.
1, 19 n. ö. mnd. vorgäu
forgeuglig forgjeugelig lyst oc glsdbe, H.3LJ9; vgl. D.C 159. mnd.
vorgeuglik
forgiftig tber serae mangse ondae forgiftigse ormse, 3LE. 88,17. mnd.
vorgiftich
forgive forgiff mig syuder myu«, H.3L 86; vgl. E.B. U. 153; 1. M. 6, 11
u. 0. mnd. vorgiwen
forgylde i forgyllen klgedber, H.S. 12, 13; vgl. M.E. 28, 11; E.B. I 257.
mtid. vorgulden
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE, 443
forg-i«lde hwilket liaiinura gudh forgaelde, M.F.SOb; vgl. B.D. I 218.
mnd. vorgelden
forgsete ath foiga?dhe sig- sii«lff, T.K 33, 36; vgl. Rh: 28; H.M. 114 it. ö.
mnd. vorgeteii
forgifives fofeugelige ok forgseffues, T.7t. 15, 15; vgl. 77.5.85,12 u. ö.
mnd. vorgewes
forhade ridderskabeth wille the forhade, RJir. •18-18. mnd. vorhateii (rer-
derbeii)
for handle the skule haue fuldmacht ther ath f erhandele och overtale,
D.C. li; cgi. H.M. 7. vuid. vorhandeleu
forhaste iugen forhasted« leg' mig appaa, Rh: 3600. mnd. vorhasten
f orhserde och mangheu forherdes uti oudskaff, H.M. 115; vgl. M.R. 142, 11.
mnd. vorherdeu
forhsere eller syo och sand scal thet forhfere, 77.iI7. 34; vgl. 72.D. 111182;
HS. 38, 13 u. ö. mnd. vorheren
forhere wi wilde tale met wore radh att forhere aif them, D.C 373;
vgl. 3I.R. 166, 28. mnd. verhören
for klare thet er tüforu forklaret nog, H.M. 95; vgl. D.O. 176; Rkr. 1615
i(. 0. mnd. vorklaren
forklsede hun forkledde sseg, R.D. II 78. mnd. vorkledeu
for komme huo som forkommer eller borttager äff stadzens wern, Rsv.
555; ihd. 571. mnd. vorkomen (verderben)
forkropeu thsenne Avor sen, forkropsen og bertewin, l.Ji. 49, 7; vgl. b. M.
21, 18. mnd. vorkrupen
forkrcenke om vpor nadighae herrse forkrsencht haffwer thsen helgse kirkpeus
friihedt, D.C. 192; ihd. 21. mnd. vorkrenken
forkyude da skal borgemester lade det forkyude, Rsv. 275. mnd. vor-
kunden
forkyndug'e thet schule kouning ok righens men strax, ferste thet for-
kerdh ok forkyndughet worther forstyre, K. (1438). innd. vorkundigen
forkeb Huo som giör den andeuu bewiseligt forkiöb, Rsv. 553; ibd. 505;
K. (1422) u. 0. mnd. vorkop
for fange forleng thik ey for mik, :!/'.7f. 125, 14; J2.D. II 21 u. ö. mnd.
vorlangen (Sch.L. 1)
forlenge forlenger theres liiff, 77.J/. 93. mnd. vorlengen
fori e wen {pari, perf.) tu est en gammel, forlewen krop, A'Ar. 2098. mnd.
vorlewen
forlide naar forscreffne tii aar forledhe oc framgonghue sere, D.C. 147;
vgl. R.D. II 301; ibd. III 146 u. o. mnd. vorliden (vergehen)
fori ige tili at forhandele ok overtale, forlige eller atskylise, 7).C'. 14; ibd.
170. mnd. vurliken
for lade han skal ikke forladhe folket, 2. .17.4,21; vgl. HM. 123; R.D.
II 126 u. 0. mnd. vorläten
forlov uuden han hauer besynderlig forloff, Äst'. 547. mnd. vorlovinge,
vorlof
forlove keyseren forloffuede at giere the synder mere i syne dage, R.D.
III ii; vgl. M.R. 74, 2. mnd. vorloveu
444 MARQUARDSEN
forlsene tliet gotz som Giidh haffuer rnegh forleeth poo jordh, K. (1481);
vgl n.M. VI 267. mnd. vorleneii
forl«ste Om hun kimde thet forlaeste, H.3I. 12; vgl M.Gl 1477 (fehlt
Sch.L.)
formaledide hau inaledide ingen der hau vor formaledidet, Do». 9, 23;
mml vormaledieu
forme de soo offthe seg noger formeder eller besteder til bagere geruingh,
K. (1403). mnd. vormeden
form edel st formedelst din nade ledh mik, T.Jf. 180, 29; vgl Rsv. 267.
mnd vermiddelst
formode nw äff tliy at wi oc worse Righse oss sey aimset äff thöm for-
modhom, 31.P. 186. )nnd. vormodeu
form er e och haffuer thennom med iiogre artickle formferitt, Esc. 128;
vgl B.C. 331. mnd. vormeren
formoge (v.) offthe widhe wi ey, hwat wi formoge, T.K. 20,21; vgl B.D.
1 273. mnd. vormogen
formoge (s.) efter thin formoghe, H.S. 20,33; vgl Bkr. 4860 u. ö. mnd.
vormoge
formserke trsendse storae slemhetz thegu fformertthse ieg paa theu drot-
ningens veghn. mnd. vormerken
fornedre och Guds alm0sse ey fornethres, D.M. II 19; vgl Rkr.BiOß.
mnd. vornedereu
fornedring att the ey foruamlle Gudz almessse til fornedriugh, D.M.
n 22. mnd. vornedderingen
fornemme Ok da hun fornam, D.M. II 44: vgl Bkr. 732; D.C. 192 u. o.
mnd. voiTiemen
fornimst thet gonger ouer myn fornimst, M.R. 165,21
fornumst effter wort rettse sanwydh och fornumst, D.M. II 19. mnd.
vornumst
fornum stich thsette breff meth flere lerligh* oc fornumstighse mseutz
intzeylse, D.C. 193; H.M. 131 xi. ö.
fornymstich forty mense sommse ufornymstighte menniskae, M.E. 191,5.
mnd. vornuftich
foruege skule wii tha betale oc fornege, D.C. 147. mnd. vornogeu
foruy Hwer dagh skulle wi foruy wor forakth, T.iC. 28,25: vgl Bsv.20b;
H.S. 77, 23 u. ö. mnd. vornieu
fororde at wej alle horde og soghe thesse fomse serende swo forordes,
M.Gl (1489). tnnd. vorworden
forpante at hun aldreg vilde eller skulde saelge, bortgiftue, forpante,
D.M. II 44; vgl D.C. 1. mnd. vorpanden
forpligte alle thesse forscreffne artikle forplikte wii oss ath halle, D.C. 75.
mnd. vorplichten
forplichtng wäre alle the gode men torplichtuge tili att uuderwise oss,
K. (1483). mnd. vorplichtich
forprang oc giöre forprang i there forstrug, Bsv. 283. mnd. vorprauk
{rechtsheschränkimg)
^
EIXFLÜSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 445
forprauger Bönder eller nogher ander forpraugher, Esv. 286 (fehlt
Sch.L.) ')
for ramme och haue endraclitelighe begrebet och forraraet swodan datynge
friid, D.C. 14; ibd. 249. mnd. vorramen
forräde meg ath forradhe meth sluettae, BJn: 5016. imul. vorradeu
forrjedere tiiif, forrpedere eller uoget det, Rsi.öii; cgi. M.J). II iQG,
mml. vorreder
forsage forsig Mameuth, R.D. III 135. mnd. vorsaken (absagen)
forsamle i Feuedia forsamblet waar, H.3I. 7; vgl. D.C. 179; E.D. III 44
u. ö. mnd. vorsameleu
forsamliug om uogher borger giöre vapresning, forsambliug eller samel-
bunde, Bsv. 288 (fehlt Sch.L.)
forsee hwi forsaa wi os ey slelff om vor helse, H.S. 144,8; vgl. Rkr. 50;
a.D. III 379 u. 0. mnd. vorsen
forsidde huo swadanne loghe daghe forsithet haffuer. K. (1446). mnd.
vorsitten
forsigtig kserlighetb ter forseiftigh kj'sk, stadugh, T.K. 94,23. mnd.
vorsichtig
forsinde theii friighe ey forsynnede segh, B.D. II 158. mnd. vorsimien
forskabe forskapthee i dieffse lighse, ÄJ/. 130; r<//. if.»S'. 100, 18. mnd.
vorschapen
forskalke bloiidhet oc forskalketh, il/.I?. 25, 25. mnd. vorschalkeu
forskatte audet haffuer hans uade voss ey forscatteth, K. (1497). mnd.
vorschatteu
forskylden (s.) oc vil ieg ey at hon skal mere tröste äff sine forskyllen
sen äff min gunst, H.S. 68, 13. mnd. vorschult
forskylde (v.) lak haffuer wel forskylleth ath lidlie, :/'.iC. 134,2; vgl. l.M.
22, 29. mnd. vorschulden
forslide oc swa forsletz thet, K. (1477). mml. vorsliten
forslä och raenthen forslar ud äff hans Iseu, ^r. 251; vgl. B.D. 1176,
mnd. vorslän
forsmaa Agay forsmode sin frue. 1. M. 16,3; vgl. Bkr. B9S8. 2559. mtid.
vorsmäu
f erstände for klerkse som thet forstandhse kand, H.M. 8; vgl. B.D. II 163;
Bier. 52 u. 0. mnd. vorstän
fors winde then tid band forsuand af terres asyu, MB. GG. 11; vgl. B.D,
n 21. 7nnd. vorswinden
forstyrre ikke nogen af norre fogder skal fordriste sig til at forstyrre
dennem, Bsv. 275; vgl. K. (1438). mnd. vorsturen
for söge fors0ge oc probere, D.il/. III 332 : vgl. kr. 4325. mnd. vorsokeu
forselve forgyldet eller forsolfuit, D..1/. III 333 (fehlt Sch.L.)
forseme klerck scal ey synse tider forseme, H.M. 116; vgl. Jf.i?. 69, 20;
B.D. I 336 n. 0. mnd. vorsumen
*) Im schleswigschen platt ist das wort heute noch lebendig: man sagt
peerdepranger. Ob das wort, wie K. vermutet, aus dem dän. ins ndd. ge-
wandert ist?
-M6 MARQUAKDSEN
forsomelig skede thet swo at sognepresten oc kirkeuserie vilde vpere
forsomelige, D.M. I 271
forsumelig Imrfe forsiimelig telsker thu er, H.S. 163,10. ih»(?. versuraelik
fortie wor oc bj-sseus rett scal ey forthies, Rsv. 215. mnd. vortieu
fortieue effter thi som liuer fortipent hafiier, ilf.. 63, 13; vgl. Ekr. 2b
u. 0. vind. vordenen
fortryde lad thig thet ey fürtrydliee, H.M.ll; vgl JI.R'di,22; B.D.
II 22 tt. 0. mnd. vordreten
fortraden (pari.) Huelken som fortradeu er, M.Gl. 1492. mnd. vordrotten
fortraeder huo som een fortrseder uill usere, M.Gl. (14:96). mnci. vordreter
(Unruhstifter)
fortred sidder han leuger overhörich met fortreedt, Bsv. 554. mnd.
vordret
fortreste som odmyugher them som fortreste uppa siegh siselful, T.K.
. 12,5; ibd. 169,10 (fehlt Sch.L.)
fortjenke tha fortsenke thesse werdughe faetlire wsel, P.C. 283; vgl. M.P.
26: M.Gl. (1499) u. o. mnd. vordeuken
fortsere eu biern wildhse haimum fortfere, AM. 24; vgl. H.S. 7,0; ibd.
114, 31 u. ö. mnd. vorteren
f orter ne Gud er fortarnet äff meunisken, H.M. 69; vgl. T.K. 10,8; B.D.
II 129. mnd. vortoruen
forteve tha skal thes righeus radh som herre mest haffuer, ufortoffret
bmthe thet auuet righens radh til, D.O. 18; rgl. I\kr. 3500. vuul.
vortoweu
foruude forthi jeg hauuum forynthse. mnd. vorgunneu
forware oc funde wii theu kiiste i goode maade forwaret, D.iT/. 1352;
cgi. D.C. 7; Bh: 1101 u. o. mnd. vorwaren
forwaring til ydhermere forwaring och nydhe, D.C'. 2; ibd. 1&). mnd.
Torwariuge
f.orwaringsbreff Alexander screff them forwaringsbreff tili. mnd. vor-
waringsbref
forwandle sidhen forwandles himmel och jord, H.M.iS; ibd. 14ß; D.M.
II 22. mnd. vorwandelen
forwide thy skal engen forwite meg her efter, H.S. 163,21; vgl. 3.M.
16,21; 3/.i^. 215,26 u. ö. mnd. vorwiten
fiOrwide ati tha forwyte ether met hwer anueu om wor och riigens best«,
K. (1497). mnd. vorweten
forwilkaare thet wilkor som bau haffde forwilkoret sig emodh wor
nathige herre, K. (1482). mnd. vorwillekoreu
forAviude och worder han forwondet med III lians naboes widne, Bsv.
130; vgl. M.B. 186, 2; 1. 31. 32, 25 u. o. mnd. vorwiuneu (Sch.L. 1)
forwebne han Avar hordelige forwsebueder, J?.D. III65; ibd. 162 (fehlt
Sch.L.)
forwende the bleffue forweudae paa en stedh, Bkr. 2227. mnd. vor wenden
(Sch.L. 2)
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 447
und (mnd. ent):
uudfare tha uufor han then rett och giorthe haunum ykke, M.Gl. 1409.
innä. entvareu
uudfalle at the skullpe oc uudhfalkB inegb, liier. 1722; iüd.28[)0, mnd.
eutvalleu
uiidfly teth ser tbik swartli atb tholle, oc tbu wilt untly, T.K.19,4:; vgl.
11.8. 59, 11 u. ö. mnd. eutvleu
uudflygtig oc wore tbet swo at bans son wordb uiidliöctngb, M.Gl.l'^ßL
{fehlt Sch.L.y)
undfere Blaudzeflor war inaegl undfard, iJD. 1344:. mnd. entvoren
\indfaa at noghet quindfolk kan baru uiidffaa, H.M.12; vgl. E.D. II 28;
M.R. 46, 19 i(. ö. mnd. eutvaugen
uudfongelse bau suarede aengelen som binne beboddet tbin mandoms
untfongelse, T.K. 214, 232)
nndgiselde thet sculle i nu uudgifeldhae, H.M. 56; vgl. E.D. 11121. mnd.
eutgelden
iiudgaa sidben scullfe the uudgaa tbeu twaug i btslffuedse aer, H.M. 95;
vgl. T.K. 76, 25. mnd. entgäu
undlade oc om tbet auuset, bau sautbe ney fore, skiilde ban undladbee
sig paa beiinie wegn^e met rettbge, M.Gl. (1409). mnd. entladen
IUI dl ei de oc atb tbe, som the aft' alder vane ei", tber undleyde sigb met
rette, Rsv. 203. mnd. entleddigen
undlokke huo som i theri embitbe er oc uudlocker byus andenss bion,
M.Gl. (1-196) {f'eldt Sch.L.) vielleicht seihständige hildung zu lokka
undlebe i torff icki acte, i sknllse undlobe, Ü.Z). II 14. mnd. entlopen
undrende engen kuune bannum imdreude, jK. D. III 67. mnf?. entrennen
undrykke thermeth att imdröcke os wore oc krouffnens toldb, i^s?;. 291;
vgl. T.K. 42, 11; ihd. 99, 20. mnd. entrücken
undsegle tba sknlle bau untseglaj tben neglee tili kysten, M.Gl. (1488).
mnd. eutsegeleu {fehlt Sch.L.)
undstecke bau undstack sigb for megb i skogbeu, B.D. HI 117 {fehlt
Sch.L. (bedeutung : verstecken)
undsegelse breff tbe screifue meg tili nusegelsae breff, i?Z;r. •4645. mnd.
entseggesbref
undssette bau meg unsaette alt som en maud, Eh: 4825; vgl. E.D. II 24;
ibd. ni 74. mnd. entsetteu
uudvende tbu kantb teth ey undvsendbse, H.3L 34. mnd. entwenden
undvige bun kan tbet ey uudwigba?, H.3L 37; ibd. 86. mnd. eutAviken
uudAvaebue tha hau haffdhse undwebnedh seg, E.D.I21b. {fehlt Sch.L.)
1) AVol selbständige bilduug zu flygtig im anschluss an undfly.
^) Scb.L gibt kein subst. zu entvangen, aber es ist doch anzunehmen,
dass es im mnd, ein wort gab, das undfongelse entsprach.
4i8 MARQUARDSEN
b) Suffixe.
1) Solche, die dem iiord. bisher fremd •waren:
agtig (mnd. achtig, aftich, hafticJi):
delagtig oc gier sik dielaktiigli äff alt goth, T.K. 196,6; .«. «. D.C. 162;
D.M. VI 113. mnd. delachtig
faragtig faragtliuge äff usigeligh iStzell, K. (1488). mnd. verachticb
(ScJi.L. nicht belegt)
fhxgtagtig Galaad er tlngtaktigh äff Ephraim, Dom. 12,4. mnd. vhicli-
tachtich (fehlt Sch.L.)
felgachtig at vaere hannum folgachtige og bistendige, D.U. 372; vgl. K.
(1483). mnd. volgaftich
lifagtig uteu altid at vfere ny äff lifaktige ige groels, H.S. 105,6. mnd.
lifachticli
leweuagtich the skulle ikke lydlie loweiiaktighe ordh, 2. iüf. 5, 9. mnd.
logenaclitich
negaftich eller setter neghafftige paut, iC. (1441). mnd. uothaftich
spseglagtig oc oplyser them subtilelig som hawe spgeglacteghe lefaet,
H.S. 12, 2 {icol selbständige hildung)
tieustagtig at holl sek edming og tienstakteg, /J.S.OOjl. m»r?. denstaftig
Avarachtig och dorne them ukrenkelike oc warachtige at bliffuo, i?sü. 205.
mnd. warachtig
eise (mnd. eise, nisse). Das suffix ist vereinzelt schon im
altnord. nachweisbar, z. b. reylcelsi. Doch ist es zweifellos
nicht echt nord. Rydqvist (Sv. Spr. Lagar 5, 25 ff.) vermutet,
dass es bei der Christianisierung des landes vom ags. aus ein-
geführt wurde. Erst als der einfluss des mnd. sich stark
geltend zu machen beginnt, werden subst. auf eise im dän. und
schwed. häufig. Kock vermutet eine angleichung an adject.
auf Uli. Kristensen schliesst sich in Fremmedordene s. 67 an
Fred. Tamms erklärung an, ohne doch seine eigne hypothese
einer lautgesetzlichen entwicklung von nisse zu eise ganz fallen
zu lassen. Tamm (Tränne tj'ska ändelser i svenskan s. 12 ff.)
setzt einen zweifachen Ursprung des dänischen und schwedischen
eise voraus, indem es erstens dem mnd. eise, eis, zweitens dem
mnd. nisse entspricht. Die zu der ersten kategorie gehörigen
Wörter sind im ndd. neutra mit concreter bedeutung, z. b.
hackeise, hradelse, hengelse, mukelse, rtwelse, schrapelse etc.
Directe entsprechungen zu solchen Wörtern sind im dän. selten.
Die masse der im dän. mit eise gebildeten verbalsubstant. ent-
spricht entweder mnd. subst. auf inye, ninge (hier tritt das ndd.
suffix also in concurrenz mit einem einheimischen) oder solchen.
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 449
die mnd. auf nisse ausgehen. Das suffix nis findet sich mit
ausnalime des nord. hi allen germanischen sprachen, auch im
mnd. war es häufig- vertreten. Das dän. nimmt es auf, ver-
wandelt es aber in eise. Diese Umformung wurde einerseits
dadurch begünstigt, dass einzelne Wörter auf che sich im nord.
schon vorfanden, zweitens durch anlehnung an das mnd. eise,
drittens vielleicht auch dadurch, dass das ndd. formen auf
ense neben eise und nisse hat, z. b. gremense, scMppense, spohense.
Manchmal stehen im mnd. formen auf eise und nisse neben-
einander, z. b. decJcenisse, decJcels; dingenisse, dingeis ] ratnisse,
radeis u, a. m.
Abstracta, die mit eise gebildet sind, werden im 15. jahrh.
in Dänemark recht allgemein. Man sieht aus dieser häufigkeit
des gebrauchs, dass in der spräche ein bedürfnis nach der
mögiichkeit, abstracta zu bilden, vorlag. Das nord., dem
ausser nis auch das suffix heit abgieng, war an abstract-
bildungen verhältnismässig arm. Darum werden die ndd.
Suffixe, die diesem bedürfnis entgegenkommen, bald im norden
heimisch. Indem die dän. spräche sie aufnahm, hat sie sich
um ein wesentliches mittel zu grösserer biegsamkeit und aus-
drucksfähigkeit bereichert.
Nachstehend ist eine reihe von verbalsubst. auf eise nebst
ihren mnd. entsprechungen aufgeführt.
begekkelse spot vor isertegn, begekkelse for kseunedom, T.K. 115,6.
mnd. begekkinge
begeugelse liolde eeu hogtbiidelig begengelse, D.C'.182. wucZ. begenkuisse
beginneise begynnels tbil the thing tber evinnelig sere, ÄS. 66,28. mnd.
beginsel
beskermelse for sandbetz ock reetnisbetz beskirmels, -ff.S. 34, 13. mnd.
bescbermnisse
beskrivelse äff allse tbessse beskriffuels kau ey begiibse, If.S. 13,3. vmd.
bescbriwinge
betragtelse tber naest en stark betragtelse, T./f.20,29. mnf?. betracbtinge
drovelse thy tba haffiier ban offte dreffuelse, T.üT. 11, 19. wmd. drofnisse
figtelse jeulig sellser syuderlig kamp sellser fiktelse, l.Sam. 17,8. vmd.
vecbtinge
forbiüdelse sende en wissman tili Marsilius ath giere eth forbindelse,
B.D. ni 156. mnd. vorbindiuge
forf serelse rsetzel innenfiold paa Abrabam ok stör forfserdelse, l.M. 15,12.
mnd. vorvernisse
forhserelse i trongb ok forbserilse, 5.31.28,53. mnd. vorheringe
forsraaedelse oc til ewinnelig forsmaelels, H.S.bS,il. »md. vorsmadenisse
450 MARQUARDSEN
forsj'iuelse ien dell fiell nedher for therse forsymmels, H.S. 33,19. mnd.
versnmenisse
forvarelse hoff foruarels oc forsyn i alle fcrende, 11.8.4:2,24:. mnd. vor-
vorwaringe
maledidelse thu skalt wore uskadelige äff myu maledidels, 1. Jf. 24, 21.
mnd. malediiuge
openbarelse i liugxciis ovvergangels äff retzel oc oppenbarels, jÖ.6'. 12, 35.
mnd. openbariiig
overtraedelse bagers och bryggers ovvertradels och andre sraaa sagh,
Rsv. 306. mnd. overtredinge
prewelse hans hieertse trengdes äff subtilest prewels, H.S. 10,20. vind.
prowiuge
Straffelse bagtal, straffeise omygelse, ÄS. 20, 28. mnd. strafinge.
Für folgende snbst. auf eise scheint das mnd. keine entsprechungen
auf eise, inge, nisse zu bieten:
begerelse rj^deudes äff stör begerels, H.S. 12,1. mnd. beger
fordservelse then hselghe stadz forderfuels, ÄS. 39, 9. mnd. vorderf
lugtelse min luctels pintes äff und dan, ÄS. 22, 35. mnd. lucht
overfledelse i luiüket er dudelige glsedhers owerfladels, ÄS. 44, 12.
mnd. owerflot
Das Suffix eise wird ausserdem sehr häufig zur bilduug
von subst. aus einheimischen wortstämmen verwant.
eiif als endung von ländernamen (mnd. en, ein casussuffix,
nämlich der dat. pl., der ursprünglich von einer präposition
abhängig war). Solche aus dem mnd. entnommene länder-
namen sind:
Bemeu 3I.E. 15, 9 Eytzen Bkr. 32, 91
Flandereu Bkr. 3537 Sassen Bkr. 313
Frisen Bkr. 2857 Tartaren M.B. 15, 12
Hülsten Bkv. 3152 Turcken M.B. 4, 15
Prytzen 3I.B. 15, 9
ere (mnd. eren). Die endung gehört eigentlich lat.-rom,
lehnwörtern an. Diese werden im dän. teils direct aus dem
mnd, übernommen, teils verwendet die spräche das suffix selb-
ständig, um aus lat.-rom. Wörtern verben zu bilden. Später
entstehen auch aus einheimischen oder dem deutschen ent-
lehnten Wörtern denominative verben auf ere. Für diese art
bietet das 15. jahrh. noch keine belege; denn Jiantere (aus
hand in anlehnung an franz. Jianter gebildet) ist direct aus dem
mnd, entlehnt,
arrestere oc büver arresteret ved fogden, Bsv.2ßl; vgl. Bkr. 4^41 u. o.
mnd. aiTesteren
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 451
florere raserkt med blodiige bogstawue og togherlig floreret, //IS. 19-i, 4.
iiind. vloreren (mit hJiimen scJniii'icJccii)
fuuclere til at styclite oc funclere eet altare, M.F. 332; vgl D.C.lb9 w. o.
(fehlt Sch.L.)
hantere then materi som ser manne mote haudteret, fl..S. 69, 7; vgl. M.B.
8, 15; B.B. III 72. mnd. hantereu
pollere the künde ikke polleres for therris hordheth skill, M.M.diö (fehlt
Sch.L.)
pr obere at forsege oc probere, 7J.J1/. III 332 (fehlt Sch.L.)
studere so som gamrael fißdlienis loflig studere, //.6'. 36,30 (fehlt Sch.L.)
traktere ok traktere the stekke som sere til Iserdom, T.K. 13,10 (fehlt
Sch.L.)
eri (mud. erie). Das ursprünglich romanische suffix ist
aus dem franz. ins deutsche und über das mnd. ins dänische
eingedrungen. Hier ist es im 15. jahrh. noch nicht besonders
häufig-.
fiskeri agre, mark, skove og fiskerie, l?sr. 273; v^rZ. Jf.P. 282. 293 u.a.
mnd. vischerie
fräseri hoghtidelig kost oc fraseri, H.S. 11,12 (Sch.L. vräs)
gaesteri I lagdhae them odbse met gaesterij, H.3L 54; vgl. Rsv. 124. mnd.
gesterie
ketteri thu ligger saa i ketteri meth tben som slo thy hosbond i Meli,
Ekr. 580 (die bedeutioig ist ehchruch, fehlt Sch.L.)
klerkeri abeder, prelater, meuige clerckeri, D.M. I 351; vgl. Bsv. 121 u. ö.
mnd. kleresi
krsemmeri spidzerii oc kraemmerie, Rsv. 2Sb (fehlt Sch.L.) ^)
seriveri Isegedom, scriverii, maleAverk eller auner thelik behaendigheet,
A'. (1425). mnd. scbriverie
spidzeri spidzerii oc krsemerie, Bsv. 285. mnd. spisseri
tyverie hwilken mandt som worder fundeu i tiufferie, i?st'. 139; vgl.i.M.
31, 39; 3. Mose 19, 11. mnd. duwerie
i (mnd. ie) desselben Ursprungs:
fogedi Thi fik han mig tba aeth fogedhi, BJcr. 1937 (fehlt Sch.L.)
hed (mud. het, Jieit). Das suffix bürgert sich während des
15. jahrh. vollständig ein. Es nimmt unter den dem mnd. ent-
lehnten Wortbildungselementen den hervorragendsten platz ein.
Auch hier sind directe entlehnungen das vorbild für häufige,
selbständige Verwendung des Suffixes.
bar milier ticbed Gud forse siu storse barmhiertichedh, M.2?. 75, 16. mnd.
barmherticheit
») Kommt schon in Flensburg bylov vor; vgl. Kristeusen s. 35.
452 MABQUARDSEN
fedellietli bans sere fedljehetb. makt oc storheth. M.R. 161,9. innd.
ed(d)elbeit
enfolleligbet i godhetb oc biaertens eufolleligbed , H.S. 1,13; vgl Bkr.
4761. mnd. einvaldicbeit
falskbed disefuelsens falskhed oc swigb, 3LE. 178, 19; vgl. Bh: 1864 ti. o.
mnd. valscbeit
feligbed tba scbule tbe sengben feligbet eller fredb baue, D.C. 14; vgl.
M.B. 11, 16. mnd. velicbeit
forbserdigbed menuiske biserteus forbserdiigbed, T.Z^. 40, 14. mnd. vor-
bardicbeit
forträdenbed for tbj' at maune serse kommen til so stör fortradenhet,
H.S. 34, 22. mnd. vordreticbeit
frihed wii statbfestse tbem alle tbesse effterscreffne fribedh, 2?s?'. 84; vgl.
3. M. 19, 20; K. 59, 15 «. o. mnd. vribeit
fugtigbed waellnktendbe yrter tbere tbogbse sellajr fugtugbeet, 1. M.
16, 13. mnd. viicbticbeit
fulkommenbed All fulkommenbetb i tbette leffnetb baffuer eu uful-
kommeligbetb metb sigb, T.K. 7, 16. mnd. vulkomeubeit
graeseligbed tbiu bortgongels inledber stsetzens graeseligbeet, H.S.6ö,B.
mnd. greseliebeit
gyrigbed beune tbisene the metb stör gyrigbetb, T.jK". 88, 4; vgl. Bkr.
3532 u. ö. mnd. giricbeit
baanbed ocb lidbse slig baanbed til syu krop, H.M. 3b; vgl. T.K. 78 u. ö.
mnd. bonbeit
(u)b0rsombed som borgmester ocb raadt tager for ubörsombett, Bsv.
519. mnd. borsambeit
begbed som nu i bimmeriges bogbed boer, if.il/. 94; vgl. 1. 31. 6, 16; H.S.
46, 7. mnd. böcbeit
bewiskhed for bennes upresels oc befueskbet, H.S. 89, 12; vgl. JB.D. 1349.
tnnd. bovlscbeit
kosteligbed allse bonnse kostselicbed, guldb selff, dyrse stense, 3I.B. 165, 4.
ntnd. kostlicbeit
kyskbed tbee brydae tberress kyskbed, Jf.i?. 73, 8. mtid. kiiscbeit
leiligbed naar tbe settbe tberris embitz waare eptber tydzens leyligbeet,
Bsv. 518; vgl. Eh: 291. mnd. legelicbeit
ligebed tbu skalt eye tberes laudbse for thit bisertse ligbsebeet, 5.M.d,ö.
mnd. likbeit
longbed alle underligbe tbiugs longbetb oc wiidbet, H.S. 46,7; vgl. l.M.
6, 16; 3LB. 222, 11 t(. o. mnd. lankbeit
lusteligbed en flodb utgik äff lusteligbeetz stsedb, 1.31. 2, 10; vgl. l.M.
3, 22. mnd. lusticbeit
lekkeligbed sengen lekkeligbbetb atstunde ber i werden, T.K. 78,3.
mnd. luckicbeit
manbed jeg baffuer ofte spord bwad manbetb tbu bauer giort, B.D. in 140.
imid. manbeit
megtugbed jeg gaff etber godtb ocb mecbtugbeed, Äitf. 54; vgl. T.K.
12, 11 ii. ö. mnd. mecbticbeit
EINPLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 453
menighed Wy borgermesterae, radhmen oc all menicliet, M.P.290; vgl.
Bsv. 199; Eh: 3-178 u. o. mnd. meiiheit
raugelighed aeffter thin utlpennigs mugeligheth, T.K. 129, 16. mnd.
mochlicheit
medhed modheth aeller traetbed, T.A'. 26, 16. mnd. modicheit
natho rftelighed i lians nüthorfteligheth, 5. M. 15, 10. innd. notrofticheit
uyttelighed oc for vor iemcristens nytelighed, if./S. 4, 11; vgl.'6.M.2,^
u. 0. mnd. untlicheit
overflodughed aif orden.s offuerfledugheth, T.Ä'.1,13. wm(i. owerflodicheit
qvemhed ey skalth thu tliaekke thik sselff for thin qvemheth eller godbe
nfemme, 1\K. 12, 14:. mud. quemelicheit
r e t f e r d i g h e d f arse med saudhedh oc rethf erdiched , 3I.B. 74, 4. mnd.
rechtverdicheit
redeliglied bliffue wedh rsedelighed oc bestand, Esv. 199. mwd. redelicheit
sagthed seffter storm kommer stör stilbetb eller saktbeth, T.K. 66,22.
mnd. sacbticheit
sagtmodigbed Gud swared met sacbtmoodigbeed, H.M.SO; vgl. Bkr.
3599. mnd. sacbtmodicheit
saligbed theres salighed tbe forgsettbse, H.M. 114; vgl. M.B. 28,20 u.o.
mnd. salicheit
skalletbed i sknlle ey gare skalledbed, 5. ilf. 14, 1. mnd. schallicbeit
skjonbed so at te bafuae lost forae bans skonbetb, 3f.i?. 28, 15. mnd.
scbouicbeit
slembed oc altiidb myunes sin ondskap oc siembetb, I'.Ä". 122, 20 ; vgl.
H.S. 11, 25. mnd. slimbeit
stadug-bed tbet bieertes i;bequembetb oc iistadugbetb, T.Ä". 96, 6; ihd.
20, 14. mnd. stadicbeit
stillbed stör stilbetb eller saktbetb, T.K. 66,22. mnd. stillicbeit
stserkbed tag tyl tbik igen starre stserkbed, T.K. 97, 10; vgl. b.M. 18, 17;
B.D. 1 155 1/. 0. mnd. starkbeit
swarbed om tbu fiuder engen swarhetb eller modg-angh, T.Ä". 128, 28.
mnd. swarbeit
swortbed tba war giort merkefuUe swortbeed, 1. ilf. 15, 17. mnd. swor-
ticheit
tolligbed äff tolligbetb i andre wanstre XVI capitulum, T.K. 1,20. mnd.
duldicbeit
trefoldigbed äff then beige trefollugbetz, T.K.%2\ s. a, D.C. 160 u.o.
mnd. drevaldicbeit
trobed tbet bauer ban for syn trobetb skyld, B.D. 11136. mnd. trobeit
tygtngbed bur stör tyktngbetb baffte tbe, T.ii. 28, 4. mfid. tncbticbeit
wellwilligbed til all welnillicbeth ocb ydmige tieniste, Bsv. 127. mnd.
welwillicbeit
werdugbed stör weidugbet fulde bannum til grawe, i?.D. 11 37. mnd.
werdicbeit
willigbed for troskap, willicbeet oc tieniste, Bsv. 126. mnd. willicbeit
wittigbed oc efftber ty at tee äff tberrae wittigbedb serse forblindsedse,
M.B. 148, 22. mnd. witticbeit
Beiträge iur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 30
454 MARQUARD8EN
Niclit selten finden sich nebenformen auf hed zu suffixlosen
mnd. lehnwörtern, z. b. zu foraxjt, fornumst, hast, hofferd, lugt,
spittal, siind die gleichbedeutenden formen:
foragtedhed ALB. 222, U; foruumstighed mT.1482; hastighed if. J£ 101 ;
hofferdighed HM.db; (wael)luktighed 3. Jf.2,9; spittalighet B.M.
13,13; simdhed J?sr. 151.
Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass auch das mnd.
diese nebenformen kannte; aber das dänische ist für ihr Vor-
handensein kein zwingender beweis; eben wegen der Selb-
ständigkeit, mit der das suffix verwendet wurde. Nord, adject.
werden in grosser zahl mit hilfe von hed substantiviert; wir
finden z. b. besJched, faiverhed, gahihed, grumhed, Icerlighed,
ladhed, mtskunhed, ondhed, sandhed, sivarhed u. a. m.
inne (mnd. iyme). Dies suffix tritt schon vor dem 15. jahrh.
in Dänemark auf, und sein gebrauch scheint während dieses
Zeitraums keine nennenswerten fortschritte gemacht zu haben.
— forstinne, grevinne, keyserinne, mesterinne sind die einzigen
substant. auf inne, die mir in texten aus dem 15. jahrh. auf-
gestossen sind. Doch stellt sich ein zweites motionssuffix da-
neben ein, nämlich
ske (mnd. sehe). Die eigentliche herschaft dieses suffixes
beginnt erst im 16. jahrh., aber schon im 15. begegnet es ver-
einzelt. Dafür zeugen folgende beispiele:
brefförerske theunae uperwserendis biefförerske Frmie Silse, M.P. 189
{fehlt Sch.L.)
effterlewerske Jek, Birgittae Oliiffsdatther i Hammerstad, Hr. Aeregisel
Nielsons efftherlewerske, D.31. ^T 48; vgl. B.C. 340 {fehlt Sch.L.)
kruerske huer raandt soin borgere er, undertague obenbare kruersker,
Bsv. 526; vgl. K. (1445). mnd. krogeische
bügerske Högber oc bogiskier, Msv. 285. mnd. bokersche
ülwerske Well ölwerscke ikke giwe moden, Bsv.hVl {in Flensborgs
stadsret (1284) steht für ölwerske 'ölkun')
ligen (mnd. liJcen). Von dieser adverbialendung mnd. Ur-
sprungs finden sich im 15. jahrh. nur spuren; sie kommt erst
in der folgezeit in häufigeren gebrauch. Einige male lässt
sie sich in H.M. nachweisen:
the tuchtelighen allse for adam stodh, H.M. 131. mud. tuchtlikeu
the mughse tlier wissselighen lidse upaa, H.M.IH. mnd. wislikeu
Nachdem im hoch- und niederdeutschen das en der adverbia
abgefallen war, schwand es auch im dän. und schwed. wider.
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE. 455
Die mnd. deminutivendung- ke, ken kommt nur an directen
lelinwörtern vor; sie hat im nord. keinen eingang- gefunden,
obgleich die skandin. sprachen keinen ersatz dafür haben und
sich etwa durcli vor- oder nachsetzung von lille behelfen. z. b.
neudän. farlille, morlüle (väterchen, mütterchen). Wörter auf
liein) habe ich deshalb dem Verzeichnis zu I eingereiht. Es
sind ihrer nur wenige: hindilce, frevel'e, hysken, neglicken,
tallerhen, ivennike.
2) Suffixe, die dem nord. und mnd. gemeinsam sind:
ere (altnord. ari, mnd. er), /-umlaut vor ere beweist ent-
lehnung. — ere gleicht sich dem mnd. er an, indem es in vielen
fällen das e abwirft. Daneben bestehen noch die formen auf ere.
ig ist alt, sofern es altnord. agr, ugr, igr entspricht. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass der sieg der endung ig über ag
und iig auf die vielen mnd. lehnwörter mit ig zurückzuführen
ist. ') Auch hier lässt der i-umlaut auf entlehnung schliessen.
ifik, lif/f sam sind alt, aber in vielen fällen aus dem mnd.
überführt.
skap (altnord. skapr, mnd. scJiop). Es bildet auch im dän.
Wörter teils abstracter, teils collectiver bedeutung. Wo es
sich nicht um lehnwörter handelt, lässt es sich nicht ent-
scheiden, ob neubildungen mit ship auf nord. sJiapr oder mnd.
sclwp zurückzuführen sind. Man kann nur feststellen, dass
die Wörter auf ship im 15. jahrh. häufiger werden und darf
diese tatsache wol mit recht dem einfluss des mnd. zuschreiben.
Anhang.
Können die mnd. lehnwörter im dänischen als beweisend
für das Vorhandensein des ?-umlauts von o, ü im mnd. angesehen
werden ?
Clara Holst hat in der abhandlung: Mnt. omlydsforhold
belyst ved danske laaneord (Archiv for nord. Filologi 18, 210 ff.)
über denselben gegenständ gehandelt. Sie findet durch die
mnd. lehnwörter die ansieht bestätigt, zu der man auch auf
andern wegen gelangt ist, nämlich dass der umlaut im mnd.
in demselben umfange vorhanden war wie im mhd. trotz des
1) Vgl. Tanmi, Ou tyska äiidelser, Upsala uiiiv. ärsskr. 1880.
30*
456
MARQUARDSEN
fehlens graphischer bezeichnung. Das resultat, zu dem ich
meinerseits durch die Untersuchung mud. lehnguts im dänischen
gelangt bin, möchte ich auch für diesen fall durch beispiele
zu erhärten suchen. Folgende im Wörterverzeichnis zu I und II
angeführten Wörter weisen umlaut von o, # auf.i)
bedreve m
nd. bedroweu
kysk
nma
l. kusch
behove*
„ behowen
kyskhed
r>
kuscheit
befrygte
, befruchten
kon
))
kone
bekymre
, bekiimereii
kekentyg
»
kokentouwe
bemoie
, bemodeu
Lybeck*
»
Lübeck
berygte
, beruchten
lybsk*
})
lubesch
besynderlig*
, besuuderlik
ledig
»
lodich
betyde
, beduden
lykke
»
lucke
bedker
, bodeker
legiier
n
logener
besse*
, busse
legnagtig
ji
logenaftich
dreve
, di'owen
mulsteder
»
muleustoder
drevelig
, drowelik
myndig
jt
muudich
drevelse
, dröfnisse
megelig*
r>
mogelik
dywel
, duwel
menster
«
muüster
flygtig*
, vluchtik
nytlig*
n
nutlich
foruymst*
, vornumst
nytte*
«
nutte
fornymstig*
, vornumstig
nyttelighed*
n
uuttelicheit
forseme ,
. vorsumen
negaftig
j)
nochaftich
fors0inelig*
, vorsumelik
nege
»
noge
forterne ,
, Yortornen
nege
)!
nogen
frygt*
, vrucht
overfledig*
n
owerflodich
frygte*
, vruchten
Prytzen
»
Pratzen
fyrbeter ,
, furboter
prewe
H
prowen
fege ,
, vogen
(til)rygge
!)
torugge
fege
, voge
rygte*
))
ruchte
feie ,
, volen
ryste
J!
rüstigen
ferste* ,
, vurste
Rytzen
»1
Eutzen
ferstinne* ,
, vurstinue
sky
J)
schuwen
gynst* ,
, gunst
skeu
n
schon
gynstlig*
guüstlok
skenlig
»
schonlik
heger ,
hoker
stykke*
r.
stucke
herig ,
horich
stymper
«
stumper
hersom ,
horsam
styi-te
«
sturten
hysken ,
husekeii
synde
>•
sunden
kryde ,
krude
semme
n
sunnen
krykke ,
kriikke
semmer
n
sumer
kregerske* ,
krogersche
tyde
r>
dudeu
*) Diejenigen Wörter, bei denen schwanken des umlauts herscht, sind
durch * bezeichnet. Die mnd. entsprechungen sind wie in den Verzeich-
nissen zu I ixnd II nach Sch.L. also ohne bezeichnung des umlauts citiert.
EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE, 457
tyg 7nn(l. touwe towe mml. towen
tyge „ tilgen owe „ owen
tygtelig* „ tugtelich
Wörter wie: hereve, hesege, forgylde, forhynäe, forkohe
können nicht mit in betraclit kommen. Sie stellen nicht etwa
uingelaiitete formen von herowen, hesolcen, vergulden, verkünden,
verkopen dar, sondern sind ziisammensetzung-en von präfix und
einheimischem wortstamm, Clara Holst citiert rever und reve
als umgelautete formen von mnd. rorver, rotven; aber altnord,
raufari, reyfan, reyfa konnten sich lautgesetzlich zu rever,
reve entwickeln. Auch hat das verb im deutschen keinen
Umlaut, er müsste denn, wie Cl. Holst vermutet, aus dem sub-
stant. eingedrungen sein,
Wörter, denen im nord, ein verwantes wort mit «-umlaut
zur Seite steht, können durch dieses beeinflusst sein. Sie be-
weisen nichts für oder gegen die tatsache des umlauts im mnd.
Man kann annehmen, dass
herig, harsoiii, owerhoiig durcJi hare, altnord. heyra, flygtig durch
flyja, ferste, ferstinne durch fyrst (superl), legner, lognagtig durch
lywere, lywe, raynster durch mystari, nytte, nyttelig chirch nyt,
iiytlige, synde durch synd, rygte durch rakja, owerfledig durch
liyde, stycke durch stycki, tewe durch tefja
beeinflusst sind.
Sowol unter diesen letztgenannten, als auch unter den-
jenigen lehn Wörtern, die durch keine verwanten nordischen
formen beeinflusst sind, flndet sich hie und da schwanken des
umlauts. Cl, Holst erklärt diese erscheinung einesteils dadurch,
dass sie die Schreibung nutte, lucke, stucke u,s, w, für eine
nachahmung mnd, Orthographie hält, aus der man bekanntlich
keine unbedingten Schlüsse für die ausspräche ziehen darf.
Für die rechtssprache würde eine solche nachahmung
allerdings denkbar sein; aber die umlautslosen formen sind
auch anderweitig nachweisbar, z, b,:
beruktig M.B. 115, 16, bekumre H.S. 39, 21, busse Bh: 4922. 4959,
foruumstig R.D. II 25, forsumelig H.S. 163, 10, fruchte Rh: 2274,
mogelig T.K. 117, nuttelig Bh: 2361, ruchte M.B. 109, 12.
Hier lassen sich die umlautslosen formen kaum auf rech-
nung der mnd, Orthographie setzen; denn keiner der in betracht
kommenden Verfasser arbeitete nach einer mnd, vorläge. Auch
sind die mnd, lehnwörter grösstenteils nicht auf dem wege der
•158 MAKQUARDSEN. EINFLUSS DES MND. AUF DAS DÄNISCHE.
büclier, sondern meistens durchs olir aufgenommen worden. Die
dänischen Verfasser schrieben ohne zweifei, was sie hörten, da
ihnen graphische zeichen für den umlaut zur Verfügung standen.
AVeiter erklärt Cl. Holst das schwanken in der bezeichnung
des Umlauts dadurch, dass die mnd. lehnwörter auf verschie-
denen stufen der lautentAvicklung aufgenommen wurden. Den
beweis für diese annähme würde man erbringen, wenn man
in den ältesten, vom mnd. beeinflussten schritten etwa die
unumgelauteten formen vorhersehend finden würde. Das ist
aber keineswegs der fall, sondern von der ersten zeit des auf-
tretens der betreffenden mnd. lehnwörter (also im 14. jahrh.)
bis zum schluss der besprochenen periode, gehen umlautslose
und umgelautete formen nebeneinander her.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass die dänische
spräche, wo der umlaut längst durchgeführt war, die um-
gelauteten formen leichter assimilierte als die umlautslosen.
Wir sehen den umlaut sogar nach analogie verwanter Wörter
da eindringen, wo er keine berechtigung hat, z. b. in fornymst
gynst, flygt. Auf dänischem boden sind die uebenformen ohne
umlaut sicher nicht entstanden, sondern es ist anzunehmen,
dass die Dänen sie aus dem munde der Niederdeutschen gehört
hatten, und dass der gehörte laut durch die Schreibung wider-
gegeben wurde.
Immerhin dürfen die für die umlautsfrage in betracht
kommenden mnd. lehnwörter als beweis für das Vorhandensein
des Umlauts im mnd. gelten. Dadurch, dass die skandinavischen
sprachen den umlaut von ü, ü durch 0, y bezeichnen konnten,
ermöglichte die dänische Schriftsprache ein genaueres lautbild
als das mnd. selbst. Wo es sich um Wörter handelt, die im
nord. keine entsprechuug mit umlaut haben, ist eine beeinflus-
sung des dänischen auf den vocalismus des lelmwortes kurze
zeit nach dessen aufnähme nicht wahrscheinlich, sodass wir
den umlaut von ü, ü der mnd. lehnwörter im dänischen des
15. Jahrhunderts auf ihre heimat zurückführen werden.
Das schwanken mancher mnd. lehnwörter in bezug auf
den umlaut spricht andererseits dafür, dass eine feste ausspräche
für das ganze gebiet des mnd. nicht vorauszusetzen ist.
FLENSBURG. IDA MAEQUARDSEN.
KLEINE BEITRÄGE ZUR GERMANISCHEN
ALTERTUMSKUNDE.
1. Skäro ä skiM.
IF. 17, 175 habe ich die redensart slcera upp liergr zu
erklären versucht. Das iipp stammt aus Wendungen wie slcera
upp hod {herhoö, pimjhod). Hier vertritt es die präposition d
mit einem nomen, welches den gegenständ angehen würde, auf
den das gebot geritzt wird. Man vergleiche sinnverwante
ausdrücke: haÖ liann Poryeir reisa par upp ds oh skera d
karlligfÖa; jarl let rista hlöÖgm d halii Jionmn; kann tök viÖ
horninu ok reist ä rünar (Fritzner 3, 312 a. 117 a). Ein *skera
lierhoö {upp) d or war so gut wie unmöglich, weil eine solche
abundanz des ausdrucks dem naiven sprechen, d. h. dem sprach-
lichen operieren mit geläufigen und als bekannt vorausgesetzten
Vorstellungen, immer fern liegt. Zu dem skera brauchte nur
entweder die or oder das hod genannt zu werden; eins von
beiden genügte.
Die abnormität liegt darin, dass statt *skera {upp) d Jiergr
vielmehr gesagt wird skera upp hergr. Rein sprachlich be-
schreiben wir diese Verschiebung durch die proportion
skera lierboö : skera heror
(= lata fara orvarboö ; lata fara heror)
= skera upp herboö: x
X = skera upp herqr.
Eine ausreichende erklärung ist das jedoch noch nicht.
Wie konnte skera {upp) d heror durch die neubildung ver-
drängt werden? Einen teil der Wahrheit erfassen wir ver-
mutlich schon, wenn wir antworten: für die anschauung war
der pfeil die hauptsache, nicht die Inschrift; sein symbolischer
wert überwog die bedeutung der zeichen ; auch wo von herhoÖ
460 NECKEL
die rede war, schwebte zuiiäclist der symbolisclie pfeil als
solcher vor, nicht die zahlen oder runen, die er trng-. Oder,
etwas anders gewant: nicht beim schnitzen verweilte der ge-
danke, sondern bei der herumgeschickten gr, wie denn oft —
wenn nicht meistens — neben dem sJcera das lata fara nicht
mehr besonders ausgedrückt wird. Daher die Vorliebe für den
accusativus des resultats: slcera ujyp hergr, wie slcera heror.
Aber verliebe und ausschliesslicher gebrauch sind zweierlei.
Wir dürfen aus dem nichtvorkommeu des skera d gr schliessen,
dass den Isländern und Norwegern der schreibezeit diese Wen-
dung nicht mehi' ohne weiteres verständlich gewesen wäre.
Ohne zweifei haben wir es mit einer umdeutung zu tun. Man
dachte bei dem grvarhod überhaupt nicht mehr an runen.
Das unverstandene shera upp hat vielleicht gelegentlich ein
aufschneiden, spalten suggeriert. Eine andere noterklärung
bezeugt der vereinzelt vorkommende ausdruck slicra upp Jnny
(Fritzner 3, 313b); hier liegt association mit standa upp, reisa
upp vor, es wird an die aufbrechende mannschaft gedacht wie
in in nhd. aufbieten.
Das Unverständnis wird damit zusammenhängen, dass skera
nicht das eigentliche verbum für das runenschnitzen war.
Doch der grund kann das widerum nicht sein. Es bliebe ja
zu erklären, warum man nicht *rista d hergr sagte. Die
wii'kliche Ursache ist zweifellos die, dass die alte praxis des
grvarhod zur zeit unserer handschriften entweder längst aus-
gestorben war oder höchstens in formen fortlebte, die mit dem
beritzten pfeil direct nichts zu tun hatten.
Vielleicht wird man sagen: dieses ergebnis war auf
kürzerem wege zu gewinnen; es ist ja die einfachste folgerung
von der weit. Gewiss, aber mir kam es darauf an, den
survival-charakter unserer phrase recht grell zu beleuchten.
Um so bedeutsamer erscheint es nämlich, wenn wir an einer
Eddastelle das ritzen des heeraufgebots noch als lebendige
Vorstellung belegen können.
Es handelt sich um Vsp. 20, 5— 12:
Uro hetu eina, aöra Veröandi —
skäru ä skiöi — Skuld ena priöiu;
paer iQg iQgÖu, pser lif kuru
alda bQrnum — «ilQg seggia.
i
KLEINE BEITRÄGE ZUR GERMAN. ALTERTUMSKUNDE. 1- 461
Skdru d sMÖi fasst man mit recht als 'sie schnitzten
(runen) in die holztafel' (Gering-, Vollst, wb. 932). Auf diese
tätigkeit der nornen bezieht man geAvöhnlich v. 8 — 12. Der
sinn müsste sein: sie schrieben das Schicksal der menschen
auf. Detter und Heinzel denken bei dem sldd an einen los-
stab, sagen aber nichts über den Zusammenhang. Auch wenn
wir den losstab aus dem spiel lassen, ist der Zusammenhang
nichts weniger als befriedigend. Jedenfalls haben wir m. w.
keine vergleichbare Überlieferung. Wenn also schon der In-
halt dazu ermutigt, eine bessere erklärung zu suchen, so ver-
langt die form gebieterisch danach. Was ist @rlQg segyia?
Bugge bemerkt, seggia sei 3. plur. Aber ein präsens kann
man hier nicht gelten lassen — abgesehen von der schiefen
beziehung des seggia zu leggia und kiösa. Gering (Eddaüber-
setzung, Vollst, wb. 890) fasst seggia als gen. plur von seggr:
'der männer Schicksal', und Boer hat sich dem angeschlossen
(Zs. fdph. 36, 349, n. 1). Jedoch scheint die menschenanhäufung
in der letzten langzeile kaum weniger bedenklich als die
wechselnden tempora; Boer betont mit recht die dürftigkeit
des inhalts, der sich bei dieser Interpretation ergibt.
Die nächstliegende, auch durch die Wortstellung empfohlene
auffassung — diejenige, die Bugge ausschliessen wollte — halte
ich zugleich für die richtige : seggia ist Infinitiv, orlgg seggia
ist aufzufassen wie erlog drijgia im Wielandsliede: es heisst
'krieg anzusagen". Das ist finale ergänzung zu sMru d sMÖi,
welches notwendig einer aufrundung bedarf: 'sie schnitzten
runen auf dem stabe, krieg anzusagen'.
Grammatisch und stilistisch zunächst ist gegen diese deu-
tung nichts einzuwenden. Die verschlingung der sätze hat
nicht ganz spärliche parallelen (Zs. fdph. 39, 296), auch in der
Vsp. selbst, deren skaldischen neigungen sie gemäss ist (Vsp. 12,
wegen des nachklappenden schlussverses 16, 8). In unserm fall
geht die verkünstelung besonders weit. Nicht nur die lang-
zeileneinheit wird syntaktisch ignoriert, auch die helming-
grenze gilt nichts mehr. Das ist aber widerum auch anderswo
belegbar (Akv., E]?.). Es ist ein Charakteristikum jüngerer
denkmäler. An anderm orte gedenke ich auf diese erscheinungen
in ihrem zusammenhange einzugehen. Unsere stelle hat in
keiner hinsieht etwas unwahrscheinliches.
■102 NECKEL
Inlialtlich ist noch weniger anstoss zu nehmen. In str. 21
ist von dem ersten fölkvig die rede. Seine entstehung durch
die kriegsansage der nornen schildert eben str. 20. Als her-
rinnen des Schlachtfeldes erscheinen letztere auch in den
Ham(Msmäl, wo die wölfe grey norna heissen. Dieselbe Vor-
stellung dürfen wir in unsern versen 20,9 — 11 suchen. Bei
log hat der dichter vielleicht an aldrlag 'tod' gedacht. Dann
erhalten wir einen sinnvollen gegensatz: 'sie setzten tod, er-
kiesten leben den menschenkindern', mit deutlicher beziehung
auf die wechselfälle des krieges. Uebrigens hat man auch
bislang schon die nornen an unserer stelle als kriegsanstifte-
rinnen aufgefasst (Müllenhoff, DAk. 5,95; Boer, Zs. f dph. 36, 348).
Diese Vermutung wird bei unserer Interpretation zur gewissheit.
Man kann die frage auf werfen, ob der dichter wirklich
das heeraufgebot gemeint oder ob ihm vielmehr eine felide-
ansage vorgeschwebt hat. Der ausdruck sMö muss wol letzten
endes als mehrdeutig gelten. Bei weitem das wahrscheinlichste
dürfte allerdings sein, dass er auf einen runenstab geht.
Möglicherweise aber haben wir es mit einer uneigentlichen
bezeichnung, wenn nicht des pfeiles, so des symbolischen
Schwertes oder kreuzes zu tun. Sollte letzteres gemeint sein,
so spräche das für das aufgebot. Denn auf friesischem gebiet
hat man ein schwertchen aus eibenholz gefunden mit einer
runeninschrift, die Siebs (Pauls Grundr. 2'-^, 521 f.) {k)edoe hod-
P{ing) oder {l)cd(e hodJ)(ing) oder {r)edce hodJ){ingce) liest. Dies
schwertchen diente also sicher zum aufgebot. Seine form lässt
vermuten, dass nicht das dingaufgebot, vielmehr das kriegs-
aufgebot seine ursprüngliche function war. Uebrigens be-
stätigt dieser fund den schluss, den ich IF. 17, 175 f. aus dem
sprachlichen phänomen des skera upp gezogen habe: es liat
wirklich beritzte Symbole wie schwert und pfeil gegeben.
Dass die Schwerter auch im norden gebraucht wurden, ist au
sich Avahrscheinlich und scheint bestätigt zu werden durch
das vorkommen von kreuzen in ähnlicher function (belege bei
Fritzner 2, 353). Ein roh geschnitztes schwert ist von einem
lateinischen kreuz nur unwesentlich verschieden; nichts ist
natürlicher, als dass man solche friedlichen zwecken dienende
Schwerter in christlicher zeit Icross zu nennen sich gewöhnte,
— Diese kreuze sind wahrscheinlich von wikingen nach
KLEINE BEITRÄGE ZUR GEKMAN. ALTERTUMSKUNDE, 1. 463
Schottland gebraclit worden. Sie haben sich dort eingebürgert
und wurden noch im 18. jh. angewant. Walter Scott hat sich
darüber von einem manne berichten lassen, der bei den Stuart-
scheu Unruhen 1745 46 selbst ein solches kreuz in Umlauf ge-
setzt hatte (note zu The Lady of the Lake 3, 1. Aus Scott
hat der lexikograph Armstrong geschöpft, den Jacob Grimm,
RA. 1 ', 226 f. citiert). Auch das wort kefli ist ins englisch-
schottische übergegangen (Sievers in Pauls Grundr. 1^, 252;
Wright, The English Dialect Dictionary I 458. III 412. 428).
Doch dies liegt ziemlicli weit ab. Mit viel grösserer Wahr-
scheinlichkeit haben wir, wie gesagt, in dem skia einen ein-
fachen runenstab zu sehen. Solche stäbe wurden ebenfalls zu
ladungen gebraucht. Dafür haben wir, soweit ich sehe, zwei
belegsteilen. Die eine steht in der Niälssaga. Einige zeit
vor der grossen brenna in Berg]:'örshväll sieht ein mann einen
gespenstischen reifer, der einen feuerbrand in der band hält
und eine Strophe spricht mit der widerholten Schlusszeile: svd
er um Flosa rdd, sein fari hefli. Flosi ist der anführer der
verbündeten, die den anschlag gegen Niäll vorbereiten. Man
liat die zeile schon ganz richtig so aufgefasst, dass hier die
Schnelligkeit, mit der die gefahr heraufzieht, betont werden
solle. Vigfusson denkt dabei an eine rollende walze, Fritzner
an einen geschleuderten stab. Beides ist gleich willkürlich
und pointelos und gewiss abzulehnen, kefli ist vielmehr hier
wie meistens ein runenstab. fara erhält sein licht von der
stehenden phrase lata fara grvarhod. Die Schnelligkeit war
mit dieser art des aufgebots eo ipso gegeben. Wie Scott be-
richtet, durchlief das 'feurige kreuz' im jähre 1745 eine strecke
von 32 engl, meilen in drei stunden, i) Derartiges hat auch
dem dichter unserer Strophe vorgeschwebt. Er will sagen:
der plan des Flosi gedeiht so schnell, er sammelt seine leute
so geschwind, als bediente er sich eines kefli. Kein gedanke
kann besser in den Zusammenhang passen. Die Verschwörer
verständigten sich mündlich. Sie brauchten kein kefli, weil sie
in der läge waren, sich zeit zu lassen. Aber als sie sich
1) V. Peucker, Das deutsche kriegsweseu 1, 234 ff. hat nachrichteu des
Caesar und Tacitus zusammengestellt über die Schnelligkeit, mit der die
Germanen bei römischen einfallen sich sammelten. Man darf für diese
zeit schon eine ähnliche einrichtuug wie das (^riarboö mutmassen (s. u.).
464 NECKEL
saiiimelteii. sah es doch aus, als wären sie auf so eilige weise
citiert worden. — Der zweite zeuge tritt im 16. jli. auf. Olaus
Magnus berichtet von einem hacidus trqmlmatus, der noch zu
seiner zeit in Schweden die runde machte, sobald eine feind-
liche landung drohte (J.Grimm, RA. 1^,227). Dieser haculus
und jenes Jiefli sind jedenfalls nahe verwante des runenbrettes,
das als Vorstufe der böhmischen ladebrettchen zu vermuten ist.
Auch das skid der V^luspä. Aber kann letzteres nicht auch
ein fehdezeichen sein? Der im Hunnenschlachtliede erwähnte
herstafr wird ein rimakefli gewesen sein. Doch diese alter-
native ist gewiss zu verwerfen. Wie alda hormim 20, 11 zeigt,
müsste der dichter die nornen und menschen als gegner ge-
dacht haben, und das ist einigermassen ungereimt. Auch liesse
sich die offenbar vorhandene beziehung zu den zwischen-
stehenden Sätzen l(>g Iggdu, Uf hiru kaum aufrecht erhalten.
Eine Vorstellung wie die von den sahrünar, die Odin zwischen
freunden hin und her trägt (HHu. 2, 34; Saxo 374: inskliosae
legationis cura arctissimam regum concordiam lahefectavlt; vgl.
Härb. 24) wird durch den Wortlaut unserer stelle ausgeschlossen.
So werden wir doch bei dem heeraufgebot bleiben. Es
ist ein sinnreicher einfall des dichters, den krieg als ein herboö
der nornen in die weit kommen zu lassen. Dieser einfall ist
aber zugleich für seine anschauungsweise, vielleicht auch für
seine lebensstellung, lehrreich. Wir sehen hier, er betrachtet
den krieg weder vom Standpunkt des berufsmässigen kriegers
noch vom Standpunkt des historikers. Von beiden liesse sich
erwarten, dass sie die wirklichen gründe und ziele des krieg-
führens — ruhmgier, herschsucht, habsucht, hass — irgendwie
im poetischen bilde zeigen würden. Für unsern dichter ist
der krieg ein Schicksal, das von oben kommt. Er sieht ihn
als runengeschnitztes herbod von gehöft zu gehöft wandern.
Liegt die Vermutung nicht nahe, dass dieser dichter selbst ein
l)auer war, der einmal oder öfter mit dem leiöangr ziehen musste?
Zu unserni ausgangspunkt zurückkehrend, stellen wir fest:
das sJcera u^jp, das in der schreibezeit nicht mehr recht ver-
standen wurde, war dem Verfasser von str. 20, 5—12 der Ysp.
noch geläufig. Er liefert uns eine nahe parallele zu dem zu
erscliliessenden '^sJcera d gr. Hier verweilt nun wirklicli die
Vorstellung auf der tätigkeit des skera. Die nornen treten
KLEINE BEITRÄGE ZUR GERMAN. ALTERTUMSKUNDE. 1. 465
runen ritzend auf; das aussenden der botschaft steht erst
bevor [erlgg seggia, final). Es ist klar, dass die walil des
ausdrucks mit diesem stilistischen Charakter der stelle zu-
sammenhängt. Gewiss ist dem dichter auch die Wendung-
sl(era upp lierhoÖ geläufig gewesen. Sie passte nur nicht in
seinen Zusammenhang, und daher sagte er slccra d sldd, wobei
freilich durchaus nicht feststeht, ob das stabende sUö durch
die phrase der Umgangssprache vorgeschrieben war.
Es ist an sich wahrscheinlich, dass unsere stelle schon
bei ihrer ersten aufzeichnung nicht mehr genau verstanden
wurde. Dafür zeugt positiv die überlieferte textgestalt. Ob-
gleich noch niemand m. w. hier anstoss genommen hat, halte
ich Vrd hehl eina u. s. w. — das verbum im plural, die namen
im acc. — für unursprünglich. Die Schreiber haben sich wol
die nornen selbst als subject gedacht, jedenfalls doch nicht
die 'leute' (wie R]^ 39, 8). Beides ist aber im gründe gleich
unmöglich. Die nornen als subject sind nur gefolgert aus dem
folgenden sMru d sMÖi, das man mit dem doppelton acc. Slmld
ena priäiu als einheit fasste: 'sie verzeichneten als dritte die
Skuld auf der tafel'. So haben denn auch die meisten neueren
herausgeber diese zeile verstehen wollen; sie setzten hinter
sMdi kein komma. Abgesehen von der inhaltlichen Unmög-
lichkeit ist das nur eine consequente folgerung aus dem über-
lieferten Wortlaut. Aber es scheint evident, dass Shdd durch
ein misverständnis zum acc. gestempelt worden ist. Das
ursprüngliche war:
Urör het ein, qnnur VerÖandi —
skärii ä skiöi — Skuld en priöia u.s.iv.
Bestätigend sagt die Ep.: Kundr het einn (41,9). Wie ich an
anderer stelle zu zeigen hoffe, bestehen zwischen R]\ und Vsp.
berührungen, die kaum zufall sein können. So hat gerade die
eitler te Strophe in ihrer gliederung mit keiner stelle eine so
auffallende ähnlichkeit wie mit Vsp. 12. Daher ist die Ver-
mutung berechtigt, dass Kundr het einn auf Vsp. 20 beruht.
Ferner kann man vergleichen Vkv. 2: ein . . gnnur . . en Jjriöia.
Es ist unverkennbar, dass durch unsere änderung die verse an
klarheit und dadurch an ästhetischem wert erheblich gewinnen.
Nachtrag. In der Verbindung 0rl(^g seggia haben wir eine der ur-
sprünglichsten gebrauchsweisen des wortes orlgg. Diese bildung erklärt
406 NECKEL
sich aus redeusarten wie au. seggiask ör Iggum viö e-n. Ein g-egenstück
claau ist altd. urfehde scJnvören, das ebenfalls eine der ältesten anwendungen
des Wortes mhd. urvehe{de) zeigt.
2. Wgerni. schar.
Bei vorstellender Untersuchung scheint ein gewinn für die
etymologie abzufallen.
lieber schar 'cohors' bemerkt Kluge (Et. wb.), die bedeu-
tung füge sich nicht zu scheren. Aehnlich Paul, Dt. wb. 373:
'abzutrennen ist schar in pflugschar, zu scheren, wovon auch
das andere schar abgeleitet zu werden pflegt, aber ohne ge-
nügenden grund; die wurzel scheint vielmehr den sinn »ordnen«,
-^verteilen« gehabt zu haben'. Detter (Dt. wb., Lpz. 1897, s. 94)
meint: 'vielleicht zu scheren »schneiden«, also eigentlich »ab-
teilung«'. Diese auffassung hatte Hej'ne (Dt. wb. 8, 2170) als
zweifellos richtig hingestellt. Er meinte demnach, dass hier
das beer oder volk 'zerschnitten' gedacht werde, etwa wie
man einen apfel vierteilt. Daran ist selbstverständlich nicht
zu denken; etymologien wie diese hat Meringer mit recht
gegeisselt. Wer die bedeutungeu nicht besser zu vereinigen
weiss, muss in der tat die verwantschaft bezweifeln.
Aber die bedeutuugen kommen auf anderem wege zu-
sammen. Wir haben gesehen, dass man einst den heerbann
durch rimenstäbe aufbot und dass diese art des aufgebots
im an. mit hilfe des verbums slcera sprachlich bezeichnet
wurde. Dürften wir annehmen, dass beides, sitte und bezeich-
nung, einst gemeingermanisch war, so wäre der Zusammenhang
zwischen schar und scheren fast ohne rest aufgeklärt. Die
schar konnte 'schnitt' oder 'ritzung' heissen, insofern es einer
runenritzung bedurfte, um sie zur stelle zu bekommen. Haftete
dem Worte von hause aus der sinn 'abteilung' an, im gegen-
satz zum heerganzen, so wäre daran zu erinnern, dass die
altgerm. heeresverfassung auf territorialer basis ruhte. Eine
schar wäre dann das aufgebot eines bezirkes gewesen, i) Es
lässt sich ja annehmen, dass man bei einer mobilmachung in
grösserem massstabe nicht nur ein aufgebot schnitzte, sondern
etwa je eins für jeden bezirk. In Schottland pflegte der böte,
*) Vgl. die dingordüung des Södermannagesetzes : bupkafle en scal i
fiarpung hwarn (Noreeu, AscliAved. lesebucli s. 16).
i
KLEINE BEITKÄGE ZUK ÜERMAN. ALTERTUMSKUNDE. 2. iOl
der das ^feurige kreuz' trug, miindlicli den Sammelplatz anzu-
geben. Dasselbe berichtet Ülaus Magnus. Vermutlich stand
diese angäbe früher auf dem holze selbst. Man kann sich
wenigstens schwer vorstellen, was die runen sonst enthalten
haben sollten. Alle andern Vorschriften waren dem gegenüber
unwesentlich, auch der Zeitpunkt, der notgedrungen mit einem
selbstverständlichen '(juam celerrime' abgetan wurde. Wenn
nun jeder bezirk seinen Sammelplatz hatte, so folgt schon
hieraus, dass für jeden bezirk und damit für jede schar beson-
dere runen geritzt werden mussten. Also schar = runenschnitt.
Das wort ahd. sJcara u. s. w. 'schar' ist im nord. in dieser
bedeutung nur als lehnwort vorhanden (in der piörekssaga
sk(>r, in anderen jüngeren quellen skari, s. Cleasby-Vigf. und
Fritzner). Einheimisches nordisches skgr hat von der grund-
bedeutung 'schnitt' aus verschiedene andere gebrauclisweisen
entwickelt, von denen zwei hervoi-gehoben seien: slgr 'haupt-
haar', eig. w^ol 'schür', anfangs von der abgeschnittenen wolle
des Schafes i), dann, vielleicht ursprünglich spöttisch, ausschliess-
lich vom menschlichen haar, und die redensart shrida til sJmrar
'es zur entscheidung kommen lassen', über die unten gehandelt
werden soll. Dass die bedeutung 'schar' nicht darunter ist,
liegt daran, dass sich hierfür die ablautbildung sl:or (f.) fest-
gesetzt hatte. Dieses skor ist zwar nur spärlich und in ver-
engerter function belegt {eru ßogur hundrud i skor, Fritzner,
3,367 b), doch wird er durch das abgeleitete verbum skora
(vgl. ahd. skarön) 'herausfordern', 'eitleren' gestützt. Wenn
man sagte skora e-n til einvigis, d höhn, tu leiÖangrs. skora
e-m Mim, so vergleicht sich damit das oben angezogene skera
iq)}) ping, das zwar mit skera upp liergr u. dgl. associiert, aber
nicht daraus entstanden war. Sollte nicht bei beiden verben
ursprünglich das ritzen des aufgebots, bez. der herausforderung
gemeint sein? skor bedeutet auch 'einschnitt', skora 'ein-
schnitte machen'. Allerdings handelt es sich dabei nicht um
runenzeichen. Aber es lässt sich in unsern quellen überhaupt
kaum eine erinnerung an diesen gebrauch des Wortes erwarten,
da er auch bei skera nur noch an einer einzigen Eddastelle
1) Der t. t. für die Schafschur ist in historischer zeit Tdi])pa (daneben
ryja ' rupfen ', Schönfeld, Isl. hauernhof 8. 220 f.). Dies spricht nicht da-
gegen, dass mau einmal skera uU so gut sagte wie skera mon, skera här.
ißS NECKEL
direct belegt ist. Die besproclienen phraseu sJcera npp grvarhod,
skera hergr u.s. w. sind ebenso erstarrte formein wie skora e-in
höhn. Letztere spiegelt aber genau die oben vermutete an-
gäbe der örtlichkeit auf dem Stabe. So wird man die annähme
nicht zu kühn finden, dass skor 'häufe von 400 mann' in der
tat aus der grundbedeutung 'ritzung', 'runenschnitt' zu er-
klären ist.
Diese erklärung dürfte jener andern vorzuziehen sein, die
das aus dem nord. entlehnte engl, (a) score 'kerbholz', '20' an
die band gibt. Danach wäre die bedeutungsentwicklung diese
gewesen: kerbe — kerbe als gedächtnishilf e (s. Fritzner s. v.
skor 1) — eine bestimmte anzahl solcher kerben (etwa so
viele, wie auf ein kerbholz von bestimmter länge gehen):
'kerbung' — diese anzahl als solche (20) — die quadratzahl
davon (400) — truppe von 400 mann. Man müsste dann aber
mindestens statuieren, dass die letzte specialisieruug unter dem
einflusse des deutschen lehnwortes skari, skgr erfolgt sei. Denn
die semantische Übereinstimmung mit dem verwanten west-
germ. skara wird nicht zufall sein. Diese hypothese wäre bei
der beschaffenheit der belege nicht a limine abzuweisen. Doch
scheint die umgekehrte annähme vorzuziehen: ein älteres skor
schar überhaupt' nahm die bedeutung 'schar von 400' an,
weil man daneben ein gleichlautendes wort des sinnes '20'
(vielleicht auch '20x20') hatte.
Ob diese erwägungen ein unserer annähme günstiges vor-
lU'teil in beti'eff des wgerm. skara erzeugen können, lasse ich
unerörtert. Zu berücksichtigen ist aber zweierlei: einmal ist
es an sich höchst wahrscheinlich, dass die nordisch -friesische
Sitte des aufgebot-ritzens einst auch in Deutschland gegolten
hat. Diese sitte war allem anschein nach im norden autochthon;
andererseits ist ihr Zusammenhang mit den von Meringer, IF.
16, 114 besprochenen böhmischen brettern kaum zu leugnen.
Was zweitens das verbum skera betrifft, so war sein gebrauch
für das runenritzen im nordischen des 13. jh.'s, wie \m sahen,
veraltet. Das begünstigt die Vermutung, dass dieser gebrauch
früher allgemeiner war. skeran dürfte der alte technische aus-
druck für das schneiden der runen in weiches holz gewesen
sein. Ein schnitzen, bei dem späne abfallen (s. die von Sievers
in Pauls Grundr. l^, 251 citierte stelle der Gisla saga), wird
KLEINE BEITRÄGE ZUR GERMAN. ALTERTUMSKUNDE. 2. 460
durch dieses verbuni besser bezeichnet als durch ivritan, das
inschriften auf härterem material uns aufbewahrt haben.
Mir scheint, "wir besitzen ein nicht zu verachtendes sprach-
liches Zeugnis für die vorhistorische function von germ. skeran.
Dabei gehe ich wider vom nordischen aus. Hier hat skera
u.a. die bedeutung 'entscheiden'. Sie haftet in einigen festen
formein und an dem compositum slcera ör (Fritzner 3, 312 b.
313a), wozu das abstractum orshurdr 'entscheidung' gehört
(danach slita ör, örslit in gleicher bedeutung). Was zunächst
das ör angeht, so vergleicht Fritzner (2, 915 a) treffend wgerm.
tirteil. Die entsprechung lässt vermuten, dass die bildung alt
ist, zumal die hier vorliegende function von U2- isoliert zu
stehen scheint. Wir dürfen demnach das einfache shera, so-
weit es mit shera ör synonj'm ist, auf urgerm. *ussJceran zurück-
führen.
Eine der formelu, in denen unser nord. sJcera auftritt, ist
lata skapat skera 'das Schicksal entscheiden lassen'. Das er-
innert an hd. bescheren, worüber J. Grimm, DWb. 1, 1563 ff.
schön gehandelt hat: ^scheren, schar und bescheren gemahnen
an fii-Qog, ,u£Qig, fi£Qi^oo und (io'iqcc, heidnische Vorstellungen
liegen ihnen allen im hintergrund'. Mhd. beschern wird be-
sonders von der Vorsehung und dem Schicksal gebraucht (Mhd.
wb. 2,2, 155a; Lexer 1,206). Aehnliches lässt sich im as. und
ae. beobachten, Ettmüller (Lex. angios.) führt an: scolde Mm
beon dead scyred; gif pe alwalda ure dryhten scirian wille,
])cet ])u rondwigum rumor möte frcetwa dcelan (entsprechende
as. fälle s. u.). Nun handelt es sich hier ja allerdings um ein
schwaches verbum, das als denominativum von schar zu fassen
ist. Aber das ist nicht ausschlaggebend. Der gebrauch des
Wortes weist darauf hin, dass Vermischung eines alten, wgerm.
nicht mehr belegten skeran 'bestimmen' und eines nur wgerm.
"^skarjan 'einer schar zuteilen', 'wohin weisen' stattgefunden
hat. Ad oculos demonstriert wird diese Vermischung durch
einen vergleich zwischen dem ae. und dem an. Der an. formel
skapa ok skera entspricht ae. scieppan ond scirian. Dabei be-
steht eine lehrreiche bedeutungsdifferenz. skajja ok skera ist
eine rein tautologische doppelheit, ungefähr synonym mit
jedem seiner glieder (s. die belege bei Fritzner 3,284): 'ent-
scheiden', 'die entscheidung haben'. Anders im ae. Dort fehlt
Beiträge zur geschichte der ileutschen spräche- XXXIIl, 31
470 NECKEL
die tautologie. die formel Avird z. t. gebrauclit wie blosses scirian
in dessen gewöhnlicher bedentung 'wohin weisen'. Gen. 65:
Sceöp pä ond scyrede scyppend üre I oferliidig cyn engla of
heofnum 'wies .. . aus dem himmel'; d. menschen geschicke 95:
Jorf . . . jßond middanseard monna crceftas j sceöp ond scyrede
'schuf ... und verteilte' (die belege aus Greins Sprachschatz;
auch 0. Hoffmann, ßeimformeln im wgerm. s. 70, hat nur diese
beiden). Es ist wol klar, dass das ursprüngliche auf nordischer
Seite ist. Der ae. gebrauch hat seine Voraussetzung in der
Verdrängung eines veralteten sJceran durch scirian.
Dieselbe "S'erdräuguug beobachten wir, wenn scirian 'zählen'
bedeutet. Das beruht auf sJceran im sinne von 'einen einschnitt
in ein kerbholz machen'.
Die grundbedeutung des swv. sherian liegt vor im Hilde-
braudsliede: dar man mih io sherita in sceotantero folJc, im
Heliand: thuo ivurdun tliar gisJcerida . . . iverös te theru ivahtu
(5761 f.), ferner in mlat. scariti 'die aufgebotenen' (Waitz, Verf.-
gesch. 4, 612); die ebenso ursprüngliche bedeutung 'aufstellen',
an. fylhia zeigt Hei. 2848: Mt tliat gwnono folk sherian enti
sheöan. Von diesen ausgangspunkten lässt sich zwar begreifen,
wenn sherian allgemein 'wohin weisen' ist — so ganz gewöhn-
lich im ae., ahd. (z. b. Petruslied v. 5), mhd. (Mhd. wb. 2, 2, 155 a.
156a) — aber schwerlich, wenn es 'bestimmen', 'verhängen'
— von irdischen gewalthabern und vom Schicksal — bedeutet.
Dies ist aber in zahlreichen belegen aus allen wgerm. dialekten
der fall. Ich begnüge mich mit einigen altsächsischen: {God)
sJcerida im tJiö te tvitea, that he ni malita enig word spreJcan;
hie was iu than te doöe gisJcerid; thena habdun sia gisherid te
thiu (Hei. 164. 5446. 5647). Schon Schmeller (Bayr. wb. 2^, 451)
hat mit diesem sherian isl. shora verglichen. Noch besser hätte
er shera herbeigezogen. Man denkt hier zunächst an shera
upp ])ing 'ein thing berufen', dann aber an shera in der be-
deutung 'entscheiden'. Diese ist perfective modificierung von
'bestimmen'. In letzterem sinne etwa wurde das urgerm. sheran
gebraucht, das in wgerm. *sharjan aufgegangen ist.
AVie kam das verbum, das 'schneiden' bedeutete, zu diesem
gebrauch? Nach dem, was oben ausgeführt wurde, liegt die
antwort nicht fern. Die willensäusserungen, um die es sich hier
handelt, wurden ursprünglich als runenritzungen gedacht.
f
KLEINE BEITRÄGE ZUR GKRMAN. ALTERTUMSKUNDE. 2- 471
Dabei sind in der theorie verschiedene fälle auseinander
zu halten: der durch botschaft ausgehende befehl; die zauber-
runen, durch die mensch oder g-ottheit das Schicksal beeinflussen;
die losstäbe.
Die nächste beziehung zu scliar hat der erste fall. Von
hier ist die Vermischung- der beiden verben ausgegangen. Wer
eine schar sammelte (an. skera upp), hatte sie in der regel
auch zu ordnen und zu führen (wgerm. skarjan). Beide tätig-
keiten giengen ineinander über. Die folge war, dass die verben
zunächst promiscue gebraucht wurden, "^skarjan z. b. auch 'auf-
bieten' hiess (mlat. scarithi). Da aber von den concurrenten
der eine (skeran) auch eine ganz andere function versah
('scheren', 'schneiden'), so musste er sich notwendig auf diese
beschränken und dem *skarjan das feld überlassen. So be-
greift sich das fehlen der militärischen bedeutung bei wgerm.
skeran und damit auch der semantische abstand zwischen
scheren und schar.
Auf runenaberglauben geht zunächst bescheren zurück.
Wie durch Zaubersprüche geholfen und geschadet wurde, so
auch durch runen, und das geheimnisvolle eingreifen der göttin
geschah durch dasselbe medium, i) Zeugnisse dafür haben wir
natürlich nur aus dem norden. Sie werden besprochen von
Gering, Weissagung und zauber (Kieler rectoratsrede 1902)
s. 20 f. (vgl. das. s. 8. 12). Man erregt durch runen liebe, bewirkt
Vergessenheit, krankheit und tod. Andererseits werden tote
zum leben erweckt und krankheiten weggezaubert. Letzteres
geschieht so, dass man die krankheitsrunen abschabt und durch
heilrunen ersetzt.
Das gemeinwgerm. wort harmskara ist bisher nicht be-
friedigend erklärt. Am nächsten wird J. Grimm der Wahrheit
gekommen sein, wenn er RA. 2*, 255 sagt: ^Scara ist aufläge,
herrenauflage, frohne, harmscara folglich was zur pein und
quäl (von der obrigkeit) auferlegt wird.' Er hat selbst später
diese erklärung bezweifelt 2), und es ist leicht zu erraten, warum.
Zwischen härm 'leid' und skara 'herrengebot' ist eine beziehung
nur gezwungen herzustellen. Das compositum könnte höchstens
1) Ueber die analogie zwischen zauberer und gottheit vgl. v. d. Leyen,
Germ. abh. für H. Paul s. 51 ff.
■■*) S. die fussuote der herausgeber a. a. 0.
31*
472 NECKEL
•leidvolle fronarbeit" bedeuten. Wenn es aber gemeinwgerm,
für ' Unglück' überhaupt gebraucht wird, so hat eine beziehung
zu sJcara im angegebenen sinne nicht bestanden. Der zweite
bestandteil von harmskara muss ungefähr 'schicksaP bedeutet
haben. Es lässt sich aber beobachten, dass harmskara an-
nähernd = härm ist. Entsprechendes haben wir in einer reihe
an. composita mit dem zweiten bestandteil stafir:
blundstafir = blundr
bolstafir = bql
feiknstafir = feikn
fl£erÖarstafir = tlserö.
Diese ausdrücke sind synonym mit harmskara; alle bezeichnen
ein übel, das dem menschen widerfährt. Die Zusammensetzung
mit stafir zeigt, dass man sich das übel einmal als durch
runenstäbe veranlasst gedacht hat. Mancher, der sich von
hQl betroffen fülilte, argwöhnte einen von einem Widersacher,
wenn nicht gar von einer gottheit geritzten ^])nrs\ wie Skirnir
der Gerör mit dem purs und drei andern uuglücksstäben droht.
Wenn aber stäbe 'geschoren' wurden, so begreifen wir auch
die harmschar: es ist eine 'harmbescherung'. Beleuchtet wird
das noch durch eine altertümliche redensart, die uns die Xiäls-
saga aufbewahrt: mikill harmr er at oss kvedinn, er ver skulum
svd mikla ügcefu saman eiga (Niäla, Kaupmaunahöfn 1875, c. 129,
96 f.). Der erklärende zusatz zeigt, dass der erste teil des
Satzes feste formel war. kveöa at e-m ist 'etw. über jem. ver-
hängen', natürlich mittelst eines zauberliedes (kveöa 'recitieren').
Setzen wir statt des liedes die verschwiegeneren runen ein,
so erhalten wir harmr er at oss *skorinn, die Voraussetzung
für wgerm. harmskara. AVir dürfen es für zufall erklären,
wenn dieses wort im nordischen selbst nicht nachgewiesen ist.
— Beachtenswert ist das vorhersehen des schädlichen zaubers.
Die belege für runenzauber, soweit er nicht zum eigenen
schütze dienen soll, gehören überwiegend auf diese seite.
Hierher stellt sich auch harmskara, und so wird man das
bairische V schert 'mit Unglück behaftet" ebenfalls aus heid-
nischem aberglauben herleiten dürfen.
Endlich die losstäbe. Dass man für das ritzen der losrunen
auch einmal skeran gesagt hat, bezeugt, glaube ich, die an. phrase
skrida tu skarar 'es zur entscheidung kommen lassen', skrida ist
1
KLEINE BEITRÄGE ZUR GERMAN. ALTERTirMSKUNDE. 3- 473
g-ewühnlicli 'gleiten' oder 'kriechen'. Damit kommen wir hier
nicht durch; Vigfussons 'to slide to the edge of the ice, i. e.
to fig-ht desperately' ist keine erklärung. Nun berulit ja der
nordische gebrauch von slcrida sichtlich auf später speciali-
sierung. Wenn irgendwo, so kann sich die ältere, allgemeinere
bedeutung in stabenden formein gehalten haben. Eine solche
formel ist skrida i shard 'einen schaden wider gut machen',
eig. 'in die lücke treten', skrida tu sJcarar aber, aufs nächste
vergleichbar der technischen phrase ganya tu frettar, ist ur-
sprünglich 'zum losen schreiten', genauer 'zum ritzen der los-
zeichen schreiten'. Hier liegt derselbe secundäre gebrauch
von schreiten vor, der heute im nhd. ganz gewöhnlich ist {zur
dbstimmung schreiten u. dgl.).
Interessant ist die parallele der Wörter los und Jcahel.
Ersteres bedeutet von hause aus einen losstab, dann auch
'anteir und 'Schicksal'. Der anteil ist das, was man erlöst,
ebenso das Schicksal. Mit los in der letzten bedeutung ver-
gleicht sich unmittelbar harmshara, dessen Zusammenhang mit
dem runenstabe dadurch scharf beleuchtet wird. Wir beobachten
hier, dass die Vorstellungen 'los' und 'schicksalrune' ineinander
übergehen. Der losstab, den man selbst geritzt, dem aber eine
höhere macht beim los werfen erst die Wirkung gibt, und der
Stab, dessen runen durch sich selbst wirken, beide werden mit
gleicher abergläubischer scheu betrachtet. — Was ndd. kabel
betrifft, so erscheint beachtenswert, dass es die bedeutungen
'reihenfolge' und 'anteil', besonders 'arbeitsanteil' mit schar
gemein hat (DWb. 5, 7 f. 8, 2175). Die ursprüngliche bedeutung
'runenstab' zeigt an. Tcefii. Auch im norden galt einmal kefli
für den losstab, me das im östlichen und nördlichen England
verbreitete, sichtlich entlehnte cavel {to cast cavels, Wright,
Dialect Dict. 1, 548) bezeugt. Aus diesem gebrauch erklären
sich 'reihenfolge' und 'anteil'. Ebenso wird die entwicklung
bei schar gewesen sein.
3. Centuni iHigi.
Caesar will über die Sueben gehört haben, dass sie 100
gaue hatten (Bell. Gall. 4, 1). Dasselbe berichtet Tacitus von
den Semnonen, einem teilvolk der Sueben (Germ. 39). Die
Hillevionen wohnten nach Plinius (Hist. nat. 4,96) in 500 gauen.
174 NECKEL
Eine jüngere lateinische (luelle weiss von centum pagi zwischen
Rhein und ocean (Müllenhoff, DAk. 4, 461) , die Gesta Fran-
corum endlich ebenso von 100 gauen der Germanen oder
Franken (Waitz, Verf.-gesch. 1^ 223, n. 2).
Diese angaben wecken schon durch ihre stereotype eiu-
förmigkeit und die runden zahlen starke zweifei. Zwischen
den berichten des Caesar und Tacitus besteht überdies ein
Widerspruch. Die Verwirrung wächst noch, wenn wir einige
weitere data herbeiziehen. Caesar lässt sich von den Treverern
erzählen, pagos centum Sueborum ad ripas Bheni consedisse,
qui liJienum transire conarentur (1, 37). Das würde sich mit
seiner späteren angäbe über die Sueben nur vertragen, wenn
das gesammtvolk gemeint sein könnte. Dies wird aber durch
den Wortlaut und den Zusammenhang ausgeschlossen. Es han-
delt sich hier um leute, die dem Ariovist nachfolgen wollten,
mit dem gewiss schon tausende von Sueben in Gallien waren ;
sie erleiden später durch die Ubier eine schwere schlappe
(1, 54). Nicht minder auffallend ist eine stelle der Germ,
c. 6. Hier ist die rede von der gemischten truppe, die vor
der germanischen schlachtreihe kämpft: centeni ex singulis
pagis. Man hat diesen bericht zu retten gesucht, so besonders
Müllenhoff (DAk. 4, 177 f.), aber auch er kann nicht umhin,
'eine ungeuauigkeit der darstellung und einen Irrtum' anzu-
nehmen (a.a.O. s. 176).
Ich glaube, dass der Irrtum sich nicht auf diese stelle
beschränkt. Die römischen berichte über das heerwesen der
Germanen hängen offenbar alle mit einander zusammen. Wir
haben hier eine tradition, an deren anfaug ein verhängnis-
volles misverständnis steht: die hundertschaft der ger-
manischen oder gallischen gewährsmänner fasste man als
*100 gaue' auf. Das wird irgendwie damit zusammenhängen,
dass diese einheiten nicht ausschliesslich militärischen Cha-
rakter hatten, sondern auch einen gau (pagus) bedeuteten.
Diese auffassung ist nicht neu. Waitz (Verf.-gesch. 1^,
220 f. 223 f.) erklärte Caesars bericht für eine fabel uud
suchte hinter den centum pagi, ebenso hinter den centeni des
Tacitus die misverstandene hundertschaft; er wante dies auch
auf die Hillevionen an, bei denen er auf Attundaland, Tiunda-
land verwies. Der historiker scheint aber mit seiner ansieht
KLEINE BEITRÄGE ZUE GERMAN. AliTERTUMSKUNüE. 3. 475
wenigstens bei germanisten niclit viel anklang gefunden zu
haben. Bremer (Pauls Grundr. 'S-, 828) und Mucli (Dt. stammes-
kunde s. 136) glauben noch an die 500 gaue der Hillevionen,
unter denen sie darum alle Skandinavier, bez. alle Ostskandi-
navier verstehen wollen. •) Hierin kann man diesen forschern
schon deshalb nicht folgen, weil ein solcher gesammtname für
jene zeit durchaus unglaubhaft ist. Wir haben allen grund
anzunehmen, dass sich die Skandinavier damals noch nicht
merklich von den südlicheren Germanen abhoben und sich
diesen gegenüber nicht als einheit fühlten.
Neuerdings hat A. Bugge, offenbar unabhängig von Waitz,
von neuem die Vermutung ausgesprochen, die angäbe des
Plinius beruhe auf der misverstandenen nachricht, dass die
Hillevionen in fünf hnndertschaften wohnten (Vesterl. Ind-
tiyd. s. 16).
Bei dieser Sachlage scheint es mir nicht überflüssig, die
frage noch einmal im zusammenhange zu behandeln. Ein so
angesehenes werk wie der 4. band der Müllenhoffschen Alter-
tumskunde vertritt noch immer ex professo die autorität der
antiken Schriftsteller, und andererseits hat Waitz, der die
ansieht seiner gegner einer Widerlegung für unwert hielt, sich
kürzer gefasst, als im Interesse der sache lag, und ist dabei
auch im verwerfen zu weit gegangen. Im folgenden kommt
es mir nicht am wenigsten darauf an, den wahrheitskern
klarzulegen, der namentlich in dem berichte Caesars steckt.
Kein Römer hat vom germanischen heerwesen klare Vor-
stellungen gehabt. Es ist deshalb verfehlt, aus ihi^en dürftigen
notizen grundlegende aufklärung schöpfen zu wollen. Vielmehr
müssen wir von den einheimischen quellen ausgehen. Diese
liefern uns die hundertschaft und stellen es durch ihre Über-
einstimmung ausser zweifei, dass namen und sache alt sind —
höchst wahrscheinlich älter als Caesar.
Wenn Caesar zu hören glaubte, '100 gaue' der Sueben
hätten sich am Rhein gelagert, so waren einfach suebische
1) Bei Bremer finden sich allerdings daneben spuren der Waitzschen
auffassung. Er erklärt c. pagis habäant durch 'nach hundertschaften or-
ganisiert' (s.922) und spricht von der den Sueben und Semnen 'gemein-
samen eiurichtung der hundertschaften'. Much hält sich folgerichtig auch
hier an die quellen (s. 110).
470 NECKEL
huudertscliaften gemeint; von ihrer zahl war keine rede.
Ausgeschlossen ist es dabei nicht, dass der Schriftsteller später
gegen sein besseres wissen (vgl. 4, 1) die "100 gaiie" hat stehen
lassen, damit man in Rom von ihnen läse; ein paar hundert
Germanen schienen nicht genügend, um das vorgehen gegen
Ariovist zu rechtfertigen.
Die spätere stelle (4, 1) lautet vollständig: Hi {Suebi)
cenium pagos habere dicuntur, ex quibus quotannis siugula
inilia armatorum hellandi causa ex finihiis educiint. Heliqui,
qui domi mansermit, se atqiie illos ahmt; hi rursus invicem
anno post in armis sunt, Uli domi remanent. Sic neque agri-
Cidtura nee ratio atque iisus belli intermittitur. Danach hätte
das jährliche aufgebet der Sueben sich auf 100 000 mann be-
laufen, ihre gesammte mannschaft etwa auf das doppelte.
Dies stimmt annähernd zu der gesammtzahl der Germanen,
die Caesar in Gallien vorfand: es Avaren nach angäbe des
Aeduers Divitiacus rund 120000 (1,31). Nun heisst Ariovist,
der fühi-er dieser scharen, auch rex Sueborum (DAk. 4, 29).
Deshalb hat man sich berechtigt geglaubt, sein beer mit dem
aufgebet der Sueben zu identificieren, und man hat die zahlen
vollends gleich gemacht, indem man in den centum pagi ein
grosshundert sah (Nitzsch und Müllenhoff, Zs. fda. 10, 552 f.).
An dieser combination hat Mülleuhoff bis an sein lebensende
festgehalten (DAk. 4, 177 f.). Gleichwol fi^agt es sich, ob sie
richtig ist. Ariovist Hess dem Römer u. a. sagen, seine nie
besiegten truppen seien 14 jähre lang unter kein dach ge-
kommen (1, 36). Diese angäbe ist sicher glaubwürdig in dem
sinne, dass der stamm des heeres wirklich so lange auf der
Wanderung gewesen war. Bestätigend tritt der bericht des
Divitiacus ein, nach dem zuerst — das heisst doch wol: vor
mehreren jähren — 15 000 über den Rhein gekommen waren,
deren zahl allmählich auf 120000 angewachsen war. In dieses
wetterharte kriegerleben setzte der germanische heerkönig
seinen stolz, wie das noch ein Jahrtausend später die nordischen
scelconungar taten: liotti sd einn med fullu mega heita sa^honungr,
er hann svaf aldregi undir sötkum dsi oJc dralxh aldregi at
arins horni, Heimskr. 1,57; Bognvaldr konungr var ])d niestr
hermadr i Vestrlgudimi; pat var prid vetr, er hann Id üti d
herskipum svd at hann hom eigi undir sötJcan raft, Fiat. 2,517.
KLEINE BEITRÄGE ZUR GERMAN. ALTERTUMSKUNDE. 3. 477
Lag" also ein beträchtlicher teil von Ariovists heer schon jahre-
lang im felde, so kann es nicht mit dem suebischen aufgebot
identisch sein. Denn dieses wechselte, wie Caesar ausdrück-
lich sagt, von jähr zu jähr, und gerade das haben Avir allen
grund, ihm der hauptsache nach zu glauben (s. darüber weiter
unten). Ferner ist es eine allzu gewagte behauptung, dass
die Germanen, mit denen Caesar kämpfte, lauter Sueben waren.
Caesars meinung ist dies jedenfalls nicht gewesen (1, 51). Und
selbst wenn alle 120 000 sich als Sueben betrachtet hätten,
so wüssten wir immer aoch nicht, ob diese zahl nicht die
trauen und kinder einschliesst (vgl. 1, 50, 4 — 5. 51, 3. 53, 4).
Nicht gegen diese möglichkeit spricht es, wenn die Aeduer
mit den 120 000 gekämpft haben (1, 31), denn es scheint sich
hier um eine reihe kleinerer gef echte zu handeln; von der
zahl der Streiter ist also keine rede.
Die gegenstandlosigkeit jener gleichsetzung erkennen wir
vollends, wenn wir den bericht von dem auszuge der singida
milia armatorum (4, 1) richtig würdigen. Wir tun gut, von
den schematischen zahlen zunächst abzusehen. Was dann
übrig bleibt, ist dies: alljährlich zieht etwa die hälfte der
Sueben in den krieg, die andere hälfte bestellt zu hause den
acker und sorgt für den unterhalt des ganzen volkes, und dies
geht von jähr zu jähr um. Auch in dieser fassung steckt noch
etwas von jenem Schematismus, der dem römischen Offizier
und Staatsmann nahe lag. Wir erkennen aber doch mit leichtig-
keit den bedeutenden wahrheitskern, denn wesentlich dieselben
zustände, die Caesar hier im äuge hat, bestanden bei den
nordischen Germanen noch tausend jähre später.
Wer in den skandinavischen quellen belesen ist, kennt die
sitte, dass man im sommer auf die heerfahrt geht. Mit an-
bruch der wärmeren Jahreszeit schwärmen die wikinge aus,
um im herbst mit beute und rühm heimzukehren. Sie nannten
sich demgemäss siimarUdar. Solche sumarlidar waren es, die
zu beginn des 9. jh.'s die fränkischen und englischen küsten
heimsuchten. Erst allmählich gewöhnten sich diese Normannen,
im fremden lande regelmässig zu überwintern. Daraus ent-
standen dann die grossen Normannenheere. ') Daneben aber
*) Man vergleiche darüber Steenstrup, Normauuenie I. IL
478 NECKEL
hörten die sommerlichen züge aus der heimat nicht auf. Die
Sachsenchronik erwähnt zufällig- einen solchen zum jähre 871'),
wie es scheint, für die zeit um ostern.^) Auf den Orkney-
inseln, dem letzten Schlupfwinkel des wikingwesens, hielt sich
diese lebensform bis ins 12. Jh. Besonders interessant ist der
bericht der Orkneyinga saga über Sveinn Äsleifarson. Er
vereinigte landbau und heerfahrt auf vorbildliche weise. Im
früh jähr säte er mit seinen leuten das sommerkorn, beerte
dann auf den Hebriden und in Irland bis zur erntezeit (was
vdruiJcing hiess) und segelte nach der ernte noch einmal auf
haustviking, wovon er erst gegen ende September heimzukehren
pflegte (Fiat. 2, 512).
Die gewohnheit der sommerlichen raubzüge ist im norden
sicher weit älter als die sogenannte wikingzeit. P. A. Munch
hat bereits richtig erkannt, dass wir hier nichts anderes vor
uns haben, als eine den landesverhältnissen entsprechende
ausgestaltung uralter germanischer lebensformen. Latrocinia
tiuUani habent mfamiam, quae extra fines ciiiusque civitatis
ßunt, atque ea iuventutis exercendae ac desidiae minuendae
causa fieri iwaedicant, sagt Caesar durchaus richtig (6, 23).
Er schildert, wie solche Unternehmungen zu stände kommen:
ein princeps erklärt in der Volksversammlung seine absieht
auszuziehen und findet dann regelmässig ein zahlreiches ge-
folge (ebd.). Auch dies dürfen wir Caesar aufs wort glauben.
Hier kommt das Germanentum, wie wir es aus den Isländer-
geschichten kennen, ungeschminkt zum Vorschein. Caesar
schreibt in der eile gegen sein besseres wissen, wenn er 6, 35
sagt: Cogunt equitum duo milia Sugambri. Der beutezug,
der im folgenden anschaulich geschildert Avird, entsprang sicher
auch der initiative irgend eines princeps, oder vielleicht meh-
rerer (vgl. Nasuain et Cimherium fratres 1, 37). Es ist der
einzige, von dem Caesar mit deutlichen Avorten berichtet, weil
es der einzige ist, der über den Ehein gieng und den Römern
gefährlich wurde. Zahlreiche solche räubereien und fehden
aber spielten fortwährend zwischen den stammen im Innern
Germanien. Wenn die Usipeter und Tencterer, der drang-
') cuom micel swmor lida, zu ergänzen lierel
'-') Es heisst unmittelbar darauf: ontl pces ofer Eastron $efor JtJpered
eyning.
KLEINE BEITRÄGE ZUR GERMAN. ALTERTUMSKUNDE. 3. 479
salierung durch die Sueben überdrüssig-, schliesslich auswandern,
die Ubier ihnen zins zahlen, so sind die 'kriege', die dem voran-
gieng-en, keine grossen Volkskriege gewesen, sondern einfalle
einzelner häuptling-e. Bedeutsam ist das zeugnis Caesars 6, 23:
Civitatatibus maxima laus est quam latissime circuni se vastatis
ßnibus solitudines hahere . . . hoc se fore tutiores arbitrantur
repentinae incursionis timore sublato (vgl 4,3).
Wir sind nun vorbereitet, die vielberufene beschreibung
der suebischen lebensweise zu verstehen. Schon aus der stelle
selbst g-eht hervor, dass es sich um sommerliche auszüge han-
delt. Denn krieg wird nur in der guten Jahreszeit geführt,
und nur in dieser erfordert der ackerbau menschenkräfte.
Also sitzt im winter die ganze bevölkerung daheim — soweit
sie nicht im felde geblieben ist, müssen wir, mit Ariovists
quattuordecim anni vor äugen, hinzufügen. Im frühling zieht
man aus. Educimt ist zu verstehen wie oben cogunt: nicht
das Volk beschliesst, sondern einzelne führer unternehmen.
Stände nicht beilandi causa, sondern praedandi, so wäre nie-
mand auf den gedanken gekommen, dass es sich hier um einen
besondern fall handle, der sich aus dem kriegszustand mit
Galliern und Römern erkläre (DAk. 4, 32 f. 370 f.). Diese alt-
germanischen Völker waren immer oder nie im kriegszustand,
je nach dem, was man unter krieg versteht, bellare und
praedari sind auf dieser culturstufe nahezu identisch. AVas
Caesar hier bellare nennt, ist ziemlich genau das nordische
heria. In doppeltem sinne appelliert der princeps an seine
Volksgenossen: lasst uns reich tum erkämpfen {afla ser fidr)
und rühm suchen {leita ser semdar). Beides kommt in dem
oben citierten capitel (6,23) deutlich genug zur geltung. Es
ist auch an unserer stelle hinzuzudenken.
Caesar selbst hat bei dem bellare der Sueben nicht an
ihren kriegszustand mit den Galliern gedacht, sondern an
ihre lebensweise im allgemeinen, die sich ihm gerade un-
angenehm bemerkbar gemacht hatte. Nicht nur, weil Caesar
im begriff war, die Sueben in ihrem eigenen lande aufzu-
suchen, schiebt er am anfange des vierten buches diese Schil-
derung ein (so Müllenhoff, DAk. 4, 32). Der unmittelbare
anlass war vielmehr der, dass die Sueben durch ihr bellare
die Usipeter und Tencterer über den Rhein getrieben hatten.
480 NECKEL
Es bestellt eine deutliche beziehung zwischen dem exayitati
hello (4,1,2) und dem folgenden hellanäi causa (4,1,4). Ebenso
läuft die Schilderung- in c. 3 wider auf die kriegerischen sitten
des Volkes aus, womit der Schriftsteller über die Ubier zu den
Usipetern und Tencterern zurückkehrt.
Darf man nun annehmen, dass es gerade die liälfte der
streitbaren raannschaft war, die so jedes Jahr ihren führern
folgte, und dass ausziehen und daheimbleiben jähr um jähr
abwechselte? Mir scheint unbez weifelbar, dass die regel-
mässigkeit, die an eine gesetzliche Vorschrift denken lässt,
interpretatio romana ist. In Wirklichkeit war hier ungleich
mehr ungebundenheit, als die Römer sich träumen liessen.
Man hat dem römischen feldherrn erzählt, wol die hälfte der
Sueben treibe sich jeden sommer auf der heerfahrt herum, zu
tausenden zögen sie aus, so unstät sei die art dieser leute
(darauf geht auch das folgende: 7ieque longiiis anno remanere
imo in loco colendi causa licet). Vielleicht hat er ausserdem
gehört, dass mancher nur ein jähr ums andere den acker be-
stelle, der not gehorchend, dazwischen aber seiner neigung
folge und auf die ehrenvollere jagd nach vieh, waffen und
goldenen ringen gehe. Aus solchen data etwa formte sich
im geiste des Römers jenes schematische, unlebendige bild,
das unserer zeit schon so viel kopfzerbrechen gemacht hat.
Caesar hatte eben nichts vom ethnographen in sich, noch
weniger als Tacitus, bei dem die liebe grösser gewesen sein
dürfte als das Verständnis. Es ist scherzhaft, in was für
kostümen Gallier und Germanen in den commentarien auf-
treten. Es erinnert an Horatius bei Corneille.
So haben wir den richtigen gesichtspunkt für die zahlen
an unserer stelle gewonnen. Den zu gründe liegenden Sach-
verhalt dürfen war so formulieren: das suebische volk zerfällt
in hundertschaften; aus jedem dieser gaue ziehen jährlich
starke häufen, vielleicht die hälfte der mannschaft, auf die
heerfahrt. — Man kann Müllenhof f (DAk. 4, 178) nicht zu-
geben, dass pagus hier eine tausendschaft bezeichne. Wenn
der 2)agus 1000 krieger ins feld schickt und ebenso viele zurück-
bleiben, so ist seine ganze mannschaft 2000 köpfe stark!')
'j Dies liat schon Waitz hervorgehobeu (a. a. o. 8. 224).
KLEINE BEITRÄGE ZUR GER5IAN. ALTERTUMSKUNDE. 3. 481
Doch ich meine genügend gezeigt zu haben, dass dieses
genaue rechnen überhaupt wertlos ist. Auf wie schwachen
füssen das Müllenhoffsche System steht, erhellt schon daraus,
dass cenhnn, cenfeni bei ihm bald 100, bald 120 bedeuten
müssen') (Zs. fda. 10, 552: 'ein grosshundert aber als teilungs-
zahl von 12000 genommen, ergibt die hundertschaft, 100 mann
oder 50 reiter und 50 fussgänger', vgl. DAk. 4, 178). Das
'gespenst der suebischen Verfassung', das Müllenhoff verjagt
zu haben glaubte, hat gerade aus dem mystischen zahlen-
opfer, das er ihm brachte, neues leben getrunken.
Wir kommen zum Tacitus. Der fragliche passus in c. 6
der Germania lautet: Deßnitur et numerus: centeni ex singulis
pagis sunt, idqtie ipsum inter suos vocantur, et qiiod primo
numerus fuit, iani nomen et lionor est. Besonderes gewicht
legt Müllenhoff auf die zahl der reiterei des Ariovist, die nach
Bell. Gall. 1, 48 6000 mann zu pferde und ebenso viele zu fuss
enthielt. Diese 12000 bilden genau ein zehntel der gesammt-
menge, wenn mau diese nach 1,31 = 120000 kriegerrechnet.
Dasselbe Verhältnis hat nach Müllenhoff Tacitus im äuge. Der
gau {pagus), aus dem die 100 mann der gemischten truppe
genommen sind, soll also eine tausendschaft sein.
Auch diese rechnung überzeugt nicht. Die tausendschaft
ist bei den alten nirgends belegt; die zahl der krieger Ario-
vists steht nicht fest; und die runden zahlen, das glatte deci-
male Verhältnis erregen um so stärkere bedenken, als es in
der römischen geschichte fast die gleiche heeresverfassung
gibt, die Caesar in der tat für Ariovists scharen angenommen
zu haben scheint: das beer des Romulus soll aus 300 rittern
{celeres) und 3000 mann fussvolk bestanden haben. Caesar
sagt nicht, aus welcher quelle seine angäbe der stärke der
germanischen reiterei fliesst. Die Vermutung liegt nahe, dass
er sie geschätzt und die zahl auf grund jenes altrömischen
Verhältnisses, das ihm unbewusst als norm galt, fixiert hat.
Ist das richtig, so kommt Caesar für die Interpretation des
Tacitus nicht in betracht. Denn das wird niemand annehmen
wollen, dass letzterer tatsächlich das Verhältnis 1 : 10 gemeint
und es aus den eben erwähnten stellen bei Caesar abstrahiert
0 Vgl. Waitz a.a.O. s.220, n.2.
482 NECKEL, KL. BEITRÄGE ZUR GERMAN. ALTERTUMSKUNDE. 3.
habe. Dazu sind die ausdrücke an der Germaniastelle viel
zu unbestimmt. Ich glaube nicht, dass der Schriftsteller hier
überhaupt eine klare Vorstellung ausdrückt. Vielmehr weist
alles darauf hin. dass ein misverständnis im spiele ist. Hinter
den centeni steckt nach allgemeiner annähme die hundertschaft.
Tacitus weiss, dass das zahl wort im germanischen zu einem
nomen geworden ist. Aber er hält diesen namen für einen
ehrennamen, offenbar deshalb, weil er ihn nur in Verbindung
mit der vor der front aufgestellten gemischten truppe kennt.
Das kann uns nicht auffallen, denn bei Tacitus zeigen sich
auch sonst misverständnisse seiner germanischen quellen, und
in Rom wusste man, wie gesagt, nichts von der germanischen
hundertschaft. Der kern des berichtes ist: eine aus reitern
und fussgängern gemischte hundertschaft pflegt vor der front
zu stehen. Tacitus verstand 'hundertschaft' so wenig wie
andere und machte daraus in erinnerung an Caesars 'je 1000
aus einem gau' sein centeni ex singulis pagis.
Auch seine nach rieht über die Semnonen scheint direct
mit Caesars Suebeustelle zusammenzuhängen. Mau versteht
diese und andere einzelheiten bei Tacitus am besten, wenn
man mit MüUeuhoff, DAk. 4, 17 f. annimmt, er habe seinen
Vorgänger zwar gekannt und manche seiner angaben teilweise
ungenau im gedächtnisse gehabt, aber nicht ihn benutzt.
Tacitus war kein gelehrter Schriftsteller. Seine werke wären
für uns ungleich wertvoller, hätte er sich die mühe genommen,
gewissenhaft seine quellen zu nennen, wie Ari. Er entschädigt
uns dadurch, dass er die Germanen so merkwürdig findet.
BEESLAU, 10. juli 1907. G. NECKEL.
HERREN UND SPIELLEUTE IM HEIDEL-
BERGER LIEDERCODEX.
Seit das einzige buch, die alte Pariser liederhandschrift,
wider dalieim ist, haben arbeiten, die ihr besonders von histo-
rikern und kunsthistorikern gewidmet wurden, unsere kenntnis
im einzelnen berichtigt und bereichert, aber die allgemeinen
ansichten über die Sammlung sind, mit einer ausnähme, bisher
nicht erschüttert worden. Hier stehen wir noch immer bei
Friedr. Heinrich von der Hagen. Bei der frage nach Walthers
Standesverhältnissen habe ich (oben s. 36) die angaben der hs.
zweifelnd gestreift. Was dort nur angedeutet werden konnte,
lege ich in dieser Untersuchung vor, welche die vier handhaben
zur bestimmung des geburtsstandes, die uns die Sammlung
bietet, auf ihre griff Sicherheit prüfen will: die reihenfolge der
Sänger, die wappen, die bilder und die titel.
I. Die anordming der Sammlung.
Die absieht des Sammlers, in der reihenfolge der sänger
eine rangordnung nach dem geburtsstande durchzuführen, ist
auf den ersten blick deutlich. Ein kaiser, gefolgt von königen,
fürsten und grafen, eröffnet die Sammlung, spielleute beschliessen
sie, 'herren' bilden ihren kern. Schulte hat in einem lehr-
reichen aufsatz (Zs. f. gesch. d. Oberrheins, n. f. 7, 542 — 559 und
Zs.f da. 39,185 — 259) eine noch genauere abstuf ung nach ständen
durchgeführt und die Sammlung in folgende gruppen zerlegt:
1. fürsten, 2. grafen und freiherren, 3a. ministeriale des reiches,
b. ministeriale und unfreier landadel, 4. stadtadel, geistliche, ge-
lehrte, spielleute und bürgerliche. Den schwachen punkt in
Schultes einteilung lässt schon dieses schema hervortreten.
Warum soll der stadtadel — für den übrigens kein einziger
Vertreter nachgewiesen ist — von dem übrigen unfreien adel
484 WALLNER
losgerissen und mit den geistlichen zu den spielleuten und
bürgerlichen geschlagen sein? Und wer sind diese spielleute.
die keine bürgerlichen sind und doch nicht unter den herren
aufgeführt werden? Dabei hat Schulte einen sehr zahlreichen
stand bei seiner eint eilung ganz vergessen: die klasse der
rittermässigen, die ehedem den siebenten heerschild ausmachte,
die einschildritter, edelknechte oder edelleute. Wie sich um
die wende des 13. jh.'s das reich nach ständen abstufte, zeigt
recht deutlich eine stelle im Seifried Helbling (8, 345 ff.):
swie ricli ein gebüre waer,
billiche er riterschaft verbaer.
einschiltem riter ich nicht gan
daz er si ein dienstman.
ein dienstman sol weseu fri
daz er niht ein gräve si.
ich wil raten, daz ein gräf
habe niht richer vürsten hof.
ein YÜrst treit küneges kröne niht,
e wal und wihe an im geschiht.
der k eiser get den künegen vor,
wan in der bähest hebt enbor
ze houbte al der kristenheit. >)
Dieser stand der rittermässigen war, bei der grossen zahl seiner
mitglieder, gewiss auch in der dichtung nicht unbedeutend ver-
treten.
Sehen wir Schultes gruppen durch, so finden wir unter
den grafen und freiherren: Heinrich v. Veldeke, den von Kürn-
berg, Christian von Hamle, Heinrich von der Mure und Hein-
rich von Morungen. Die beiden letzten sind als ministeriale
nachgewiesen, die andern wird niemand für freiherren halten.
Absolute richtigkeit kann man ja billigerweise vom sammler
oder Schreiber nicht verlangen, und Schulte rechnet denn auch
nur mit dessen subjectiver meinung. Wenn aber der Schreiber
Heinrich von Yeldeke — die hs. B gibt ihm den meistertitel
und er selbst legt sich ihn bei, En. 13465 — unmittelbar hinter
den grafen ansetzt 2), so räumt er ihm diesen ehrenplatz offenbar
I
^) Auf fränkischem boden ereifert sich Hugo von Trimberg im Eenner
1503 ff. über die halpritter, die den gebüren nicht ihre töchter zur ehe geben
wollen, obgleich ihr adel mehr dem stadel als dem sattel gesippet sei. J
-) Zwar schliessen sich an Veldekes hintermaun (Gottfried von Neifen)
HERREN UND SPIELLEUTE. 485
als dem almlierrn aller liöfisclieii diclitung ein, als dem tvisen
man der rehter rime allererst hecjan. Er lässt also seine reihen-
folge nicht bloss durch den geburtsstaud bestimmen, sundern
hie und da auch durch andere rücksichten. i)
Hinter Heinrich von Morungen setzt Schulte eine gruppe
von reichsministerialen an: den schenken von Limburg, den
schenken von Winterstetten und herrn Reinmar den Alten
(no. 35 — 37). Man fragt, wie Reinmar in diese gruppe käme ?
Schulte antwortet: weil Gottfried von Strassburg wahrschein-
lich ihn mit der nachtigall von Hagenomve meint und der
Schreiber dies Hagenau als das elsässische verstehen musste,
das stauflscher besitz war. Ich glaube, in diesem falle hätte
der Schreiber das prädicat von Hagenouwe nicht verschwiegen.
Und wie erklärt sich Schulte das fehlen des Füllers in dieser
gruppe, den er doch auch nach Hagenau versetzt, wenn der
Schreiber um diese Stadt und den alten besitz der Staufer
noch im 14. jh. so genau bescheid weiss? Auch der reichs-
dienstmann Hiltbold von Schwangau fehlt hier und es ver-
bleiben somit nur die beiden schenken, und die stehen nur
darum an der spitze der ministerialen , weil Schulte neben
H. V. d. Mure auch H. v. Morungen gegen urkundliche nachweise
(und gegen das Zeugnis der hs. B) noch zu den freiherren zog.
Diese gruppe ist vielmehr mit Ulrich von Gutenburg abzu-
grenzen.
In Schultes ministerialengruppe begegnen die fi'eien: Fried-
rich von Hausen, der burggraf von Rietenburg, Wilhelm von
Heinzenburg, von Sunegge, Bligger von Steinach, Bruno von
Hornberg, Wachsmut von Mülhausen, von Wissenloh. Bei
Bligger liegt Verwechselung mit einem Thurgauer dienstmannen-
geschlecht vor. Bei den andern wird das versehen durch Un-
kenntnis des Sammlers verschuldet sein, der freilich einigen
von ihnen das richtige wappen gibt. Neben diesen freiherren
erscheinen aber als ministeriale Klingsor von Ungerland, der
Düring (F), Winli (F), der Tanhäuser, meister Heinrich Tesch-
1er (F), Rost kirchherr zu Sarnen (F), der Hardegger, der Schul-
noch die grafen von Heigeiioh imd von Homberg, aber das sind nachtrage
der dritten und vierten band.
1) Auch Walther, den die hs. B an letzter stelle bringt, wird aus
ähnlicher rücksicht so weit vorgeschoben sein.
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 32
486 WALT>NER
meister von Esslingen (E), meister "Walther von Breisach (G)
und der Taler. Einige dieser nanien sind zwar, wie man sieht,
nachtrage, aber dem Sammler stand es doch frei, sie am rich-
tigen orte einrücken zu lassen.
Und wie steht es um die letzte gruppe? Sie enthält neun
namen mit dem herrentitel, ferner den burggrafen von Regens-
burg und endlich die herrennamen von Obei'nburg, von Buwen-
burg, Heinrich von Tettingen und Kunz von Eosenheim (E).
Der burggraf von Eegensburg soll in diese gruppe geraten
sein, weil in der südwestdeutschen heimat des Schreibers die
burggrafen ländliche oder städtische ministerialen waren; damit
wäre zugleich die einreihung des burggrafen von Rietenburg
unter den unfreien landadel erklärt. Schultes Zusammenstel-
lung der elsässischen flecken und Städtchen mit der reichsstadt
Regensburg kommt mir allerdings bedenklich vor, nicht minder,
dass die derselben gegend wie C angehörige hs. B den burg-
grafen von Rietenburg richtig unter die grafen und freiherren
einreiht. Aber vielleicht ist Schultes annähme immerhin dis-
cutabel ; richtig ist sie nicht. Unsere hs. hat einfach die num-
mern 104. 106. 107. 108. 109 (Alram, Ha wart, Günther, Friedrich
den Knecht und den burggrafen von Regensburg) aus der quelle
AC in der reihenfolge übernommen, wie sie dort standen ; vgl.
Wisser, Das Verhältnis der liederhss. B und C zu ihrer gemein-
samen quelle s. 34.
V. Buwenburg soll als geistlicher hier untergebracht sein,
denn der Sammler hielt ihn für den cantor Konrad von Buwen-
burg des klosters Einsiedeln. Nun ist aber die deutung des
beigegebenen bildes auf den Überfall dieses klosters durch die
Schwyzer bauern (im jähre 1314) recht unwahrscheinlich. Mit
den drei reitern in kettenpanzer, handschuh, halsschutz und
eisenkappe, in rotem, blauem und purpurnem wappenrock, auf
pf erden mit gold verziertem sattel und zäum können doch keine
Schwyzer bauern gemeint sein.i)
') Dass die gedichte des Buwenburgers einen geistlichen Verfasser
geradezu ansschliessen, liat Schulte mit Bartsch ganz übersehen:
Liep, mir ist ouch nach dir wol alse gäch,
des muoz ich verjehen mit hulden,
daz ich dir in secken e sliche nach,
biz min wDle würde begangen (MSH. 2, 262 a).
HERREN UND SPIELLEUTE. 487
Wie man sieht, räumt Schulte dem Sammler oder Schreiber
ziemlich grosse freiheit ein: er kann einen geistlichen herrn
auch unter den spielleuten unterbringen, während er bruder
Eberhard von Sax und den als mönch abgeschilderten Heinrich
von der Mure unter die freiherren, den Augsburger canonicus
Ulrich von Winterstetten unter die reichsministerialen reiht.
So kann er auch den spielmann herrn Walther unter den
ministerialen auffuhren, die 'herren' Reinmar den fiedler,
Niuniu, Geltar u.s.w. aber fügt er der letzten gruppe ein.
Und noch immer sind die maschen zu eng gezogen: wie kommen
herr Günther von dem Forste, von Obernburg und Heinrich
von Tettingen in diese gruppe?
Die vorgeschlagene einteilung stimmt also nicht und sie
kann nicht stimmen: Schulte hat ebensowenig wie seine Vor-
gänger erkannt, dass uns in der sog. Manessischen handschrift
keine einheitliche Sammlung vorliegt, sondern ein plan-
mässig geordneter teil und ein gänzlich ungeordneter anhang
von nachtragen. Die beiden teile haben fast gleichen umfang
und decken sich ungefähr mit v. d. Hagens erstem und zweiten
teil der Minnesinger. Der erste teil, der grundstock der Samm-
lung, beginnt mit kaiser Heinrich und schliesst mit den Wins-
bekestücken und dem Wartburgkrieg.
Es ist allgemeiner brauch, eine lyrische Sammlung mit
grössern, gewöhnlich lehrhaften dichtungen abzuschliessen. So
setzt die Wiener hs. no. 509 (MSH. 4, 900) an den schluss einer
reihe von liederdichtern den Winsbeke; die Würzburger Samm-
lung (MSH. 4, 901) schliesst eine reihe von liedern und spruch-
gedichten mit Heinzelins Minnelehre ab; die Jenaer lieder-
"Wird man sclion derlei rohheiten — die stelle ist nicht vereinzelt — einem
geistlichen nicht zutrauen, so ist dies noch weniger möglich bei dem be-
kannten ausfall gegen den minnesang der spielleute:
Swer getragener kleider gert,
der ist niht minnesanges wert,
die sol man stillen
durch minne willen,
wan ir minnesanc ist wibes schände.
So abweisend kann sich nur ein weltlicher herr äussem ; ein mönch, dem
die höhnische gegenfrage drohte, ob denn minnesang pfaffendomäne sei,
hätte das nie gewagt.
32*
488 WALLNER
handsclirift setzt ans ende ihrer spielmannsreihe den Wartburg-
krieg. Aehnlich ist die anordnung- der Leipziger lis. (MSH.
4, 905) und der lis. Moser - v. d. Hagens (MSH. 4. 905). AVie
steht es nun um die hauptquelle von C, deren abbild uns in
der Weingartener Sammlung vorliegt? Die hs. B enthält 25
dichter mit bildern, denen Wolfram, Neidhart, Winsbeke, Wins-
bekin, Gottfried, Frauenlob und Heinzelins Minnelehre an-
geschlossen sind. Der grundstock, der die 25 mit bildern
versehenen dichter umfasst, ist von der ersten band geschrieben :
s. 1 — 170. Dann folgen nach 7 leeren selten zwei andere
bände (178—197. 198—204: Wolfram und Neidhart). S. 205
ist leer; hierauf beginnt der Winsbeke. 'Die selten 206
— 214 scheinen wider von der ersten band herzu-
rühren' (Pfeiffer s. vii). Es folgen drei weitere bände. Der
lu'spriingliche bestand der Sammlung waren also 25 lieder-
dichter und die beiden Winsbekegedichte. Diese hat der
erste Schreiber entweder nicht vollendet, oder der schluss
gieng verloren und wurde von späterer band ergänzt. Der
rahmen der Sammlung war demnach: kaiser Heinrich
— Winsbeke.
Dieser rahmen liegt auch der grossen Heidelberger hs.
zu gründe. Der Schreiber des grundstockes hat eine Sammlung
von 60 liederdichtern geplant. Er übernahm die 25 dichter
der B-quelle und vermehrte diese zahl um 35 dichter aus un-
bekannten quellen (über die no. 77 — 79 s. unten). Diese reihe
von 60 liederdichtern schloss er mit den beiden Winsbeke-
gesprächen und dem Wartburgspiel ab. Die 60 minnesänger
wurden nach ihrem geburtsstande eingereiht, wie ihn der
Schreiber ermittelte oder schlankweg annahm. Es ergaben
sich ihm folgende gruppen: 1 kaiser, 2 köuige, 2 herzöge i),
6 grafen, 13 freie (davon 4 wahrscheinlich fälschlich hier ein-
gereiht: 16. 26. 27. 31), 37 ministeriale (darunter 6 freie: 41.
42. 51. 58. 59. 67 und einige aus tieferer kaste2): 45. 50? 52.
^) Der herzogstitel des grafen von Anhalt stammt aus der quelle AC ;
Tgl. hs. A fol. 35b Der herzöge von Anehalten.
^) Dass Walther von der Yogelweide, Leuthold von Seveu, Walther
von Metz und Rubin keinem ministerial engeschlecht, deutlicher dieust-
h er r engeschlecht, das lehen zu vergeben hatte, angehören, bedarf
keiner erörterung.
HERKEN UND SPIELLEUTE. 489
53, 54). Wenn man die unmögliclikeit erwägt, in so später
zeit authentisches über die herkuuft zeitlich und örtlich weit
entlegener sänger zu erfahren, so wird man die absieht einer
Scheidung der freien und ministerialen für überaus wahrschein-
lich finden.
Die ursprüngliche Sammlung umfasst nur lierren; nun halte
man dagegen den zweiten teil. Da tauchen namen auf, die
man vorher vergebens sucht: der Püller (83), der Tanhäuser
(90), der Hardegger (95), der Taler (101), der tugendhafte
Schreiber (102), der junge Meissner (114), der Marner (118),
der Dürner (131), der Litschauer (139), der Kanzler (140).
Diese namen wechseln mit unzweifelhaften herrennamen ; mitten
unter spielleuten erhält der burggraf von Regensburg seinen
platz. Ebenso planlos sind die nachtrage eingeschoben: der
Düring und A\'inli (F) zwischen Hetzbold von Weissensee und
Ulrich von Liechtenstein, Süsskind der Jude (F) zwischen dem
Marner und dem von Buwenburg. Hatte der erste Schreiber
wenigstens in der Zusammenfassung der meister (124 — 136)
eine ordnende hand gezeigt, so reissen jetzt vier nachtrage
von E (128 — 131) und einer von F (126) auch diese gruppe
auseinander, nachdem F schon vorher den Meister Heinrich
Teschler (93) hinter hern NUhart eingereiht hatte. Dieselben
bände haben aber im ersten teil ihre nummern (21. 62 und 63)
richtig eingereiht, sei es aus eigener erkenntnis der auordnung
oder über hinweis des Sammlers.
Die hs. deutet aber auch durch ein äusseres merkmal au,
dass nur die no. 1 — 72 als geordnete Sammlung galten, nämlich
durch die alte Signierung der lagen. Als die hs. im 17. jh. zu
Paris ihren neuen einband bekam, wurden sämmtliche lagen
numeriert. Neben dieser jungen Signierung weist die hs. noch
eine alte auf, die sich aber nur auf die lagen 1 — 21 erstreckt
und 23 nummern umfasst, da auch ein vorgeklebtes blatt (fol.61)
gezählt wurde und auf fol. 98 die Zählung von 10 auf 12 springt.
Die no. 23 steht auf dem blatte, mit dem der Wart-
burgkrieg abschliesst (vgl. Oechelhäuser, Die entstehung
der Manessehandschrift, Neue Heidelberger Jahrbücher 3, 169 ff.).
'Ein grund für das plötzliche aufhören der Signaturen ist nicht
einzusehen', meint Oechelhäuser (s. 171, anm. 9). Uns ist es
klar, dass dadurch der erste teil der Sammlung sammt ein-
490 WALLNER
gesprengten nachtragen als geordneter teil gekennzeiclmet
werden sollte, während man nm die reihenfolge der übrigen
nummeru und ihre mögliche Verwirrung unbekümmert war.
Bei dieser strengen Scheidung des ersten und zweiten teils
der Sammlung ist eines befremdend. Die dichter aus der B-quelle
sind in der Sammlung des ersten Schreibers von C als folgende
nummern eingereiht: 1. 6. 10. 12. 19. 24. 26. 29. 33. 34. 35. 36.
37. 38. 40. 42. 43. 44. 46. 47. 48. 50. 52. ... 62. 63. Der ab-
stand der beiden letzten nummern, Munegur und Raute, ist
gewiss auffallend. Sie erscheinen sogar erst hinter Winsbeke,
Winsbekin und Wartburgkrieg, also im zweiten teil der Samm-
lung. Und doch bringt sie der Schreiber als nachbarn und in
derselben abfolge wie die Weingartener handschrift! Nahm
er etwa anstoss an den namen? Der rätselhafte name Munegur
(C schreibt Munegilr und Muney^) folgt in B unmittelbar hinter
Morunge. ^) Man vergleiche einmal, mit leichter correctur, die
beiden namen 31 or im ge
M im eg or
und man wird sich des Verdachts, dass hier ein anagramm
vorliege, schwer erwehren können. Gelöst ist damit das rätsei
keineswegs, nur um eine stufe weiter gerückt. 2) Begreiflich
aber wäre es, wenn der Schreiber von C sich an dem wunder-
lichen namen stiess und bei einmal gewecktem mistrauen auch
den nachbarnamen Piaute (so in B und dreimal in C) verdächtig
fand. Ein anagramm, etwa einen Harttvig vd Trave als seiten-
stück zu dem Heinrich vd Muore, braucht man freilich darin
nicht zu suchen, aber dem alemannischen Schreiber lag die
gieichsetzung mit Fäute, Boute gewiss fern. Zur aufnähme
dieser sonderbaren namen in seine geordnete Sammlung konnte
er sich nicht entschliessen; als aber die Sammlung durch nach-
trage fortgesetzt wurde, brachte er unter diesen auch Munegur
und Raute unter.
Die möglichkeit dieses Sachverhalts wird man zugeben,
wahrscheinlicher ist mir aber eine andere erklärung. In B
stehen Munegur und Raute hinter Morunge, in C sollte man
*) Diese nameusforin haben B, A und die bildaufsclirif t in C ; Morunh
schreibt die Berner handschrift.
*) Die ersten zwei Strophen Munegius (MSH. 2, 62, 1), die in B fehlen,
müssen in der sonderquelle BC gestanden haben.
•
HERREN UND SPIELLEÜTE. 491
sie also auch in der nähe dieses namens erwarten, wenn auch
durch die übliclien einschübe davon getrennt. Auf Morunge
folgen in C die schenken von Limburg und Winterstetten
(fol. 76 b — 95 a). Die mit fol. 87 beginnende läge trägt die
alte Signatur 10, die nächste mit fol. 98 beginnende aber zeigt
die alte Signatur 12. 'Das springen der Signatur von 10 auf
12 ist unerklärlich. Dass hier nicht etwa eine läge ausgefallen
ist, geht aus dem Inhaltsverzeichnis hervor' (Oechelhäuser
s. 171, anm. 7). Oechelhäuser vergisst, dass das 115 dichter
umfassende Inhaltsverzeichnis leicht jünger sein kann als die
Signierung der lagen, i) In der Zwischenzeit konnte ganz wol
die hier vermisste 11. läge absichtlich oder aus versehen an
einen andern platz gerückt worden sein. Ist das geschehen,
dann kommt dafür nur die (nach heutiger Zählung) 22. läge
in betracht, die Ulrich von Liechtenstein, Munegur und Eaute
umfasst. Diese läge müsste also die Signatur 11 aufweisen;
leider ist sie heute nicht mehr lesbar: 'mijgiicherweise hat auf
dem jetzt unten sehr abgegriffenen blatte 237 a' (damit beginnt
die läge) noch eine Signatur, die letzte, gestanden'
(Oechelhäuser s. 171, anm. 9).
II. Die wappeu.
lieber die wappen haben Zangemeister^) und A. v. Oechel-
häuser^) gehandelt. Beide treten mit wärme für die glaub-
würdigkeit der Sammlung ein und Oechelhäuser formuliert
(s. 4:17) den satz: 'das wappen des Manesse-codex ist so lange
für richtig zu halten, bis das gegenteil bewiesen oder wenig-
stens sehr wahrscheinlich gemacht ist.' Das gilt nur noch für
die strittigen oder bisher nicht nachgewiesenen wappen, denn
für einen grossen teil der Sammlung steht richtigkeit oder Un-
richtigkeit bereits fest. Die gruppe der richtigen einerseits,
die der unrichtigen anderseits erlauben uns aber schon einen
^) Die siguierteu fol. 42 und 190 (Heigerloli, Ringgeuberg) können
ursprüngliche leere einlagebogen sein, da bei den voraufgehenden dichteru
die läge gänzlich ausgenutzt wurde.
2) Die wappen, helmzierden und Standarten der grossen Heidelberger
liederhaudschrift, 1892.
3) Die miniaturen der Universitätsbibliothek zu Heidelberg (II, s. 90
-412), 1895.
492 WALLNER
ziemlich sichern schluss auf die griippe der zweifelhaften
Wappen, und die tatsächlichen Verhältnisse lassen sich viel
bestimmter formulieren, als es von Zangemeister und Oechel-
häuser geschehen ist. Das will die folgende Untersuchung
erweisen, die in ihrer knappheit die genannten zwei werke
voraussetzt, ohne darum von ihnen abhängig zu sein.
Mit Wappen versehen sind 118 bilder; davon werden zwei,
das Wappen der Stadt Eegensburg (no. 109), und die Standarte
des bischofs von Konstanz (? no. 119), im folgenden nicht be-
rücksichtigt. Auszuscheiden sind zunächst 18 wappen, die aus
der gemeinsamen quelle der grossen Heidelberger und der
"Weingartener Sammlung stammen. Es ist eine reihe teils
richtiger, teils falscher, teils nicht nachweisbarer wappen, die
C kritiklos') aus der vorläge übernahm. Diese enthielt auch
eine anzahl wappenloser bilder (kaiser Heinrich, Fenis, Hausen,
Yeldeke, Vogelweide), von denen die hs. C nur eines (Hausen)
ohne zutat belässt, während sie die übrigen mit wappen be-
denkt. Auch Yeldeke erhält eins, trotzdem dass C die in B
erscheinende namensform Veläeg zu Veldig verbösert zeigt und
nach diesem misverständnis kaum in der läge war, geschlecht
und wappen des dichters festzustellen, zumal auch die A-quelle
(Veltkilche) nicht auf die rechte spur helfen konnte und der
text keine weitere quelle andeutet.
Zwei dichter, Rubin und Morungen, führen in C wappen,
die von denen in B gänzlich abweichen. In B folgen Seven
und Rubin aufeinander, in C steht zwischen ihnen ^^^alther
V. Metz. Diesem wird in C das wappen beigelegt, das in B
Rubin führt. Zangemeister meint, B habe den Walther v. Metz
*) Dafür ein beispiel: der truchsess von St. Gallen führt den hirsch im
Schilde; als kleiuod erscheint aber nicht das als helmzier so beliebte hirsch-
geweih, sondern ein halbierter stern, in B rot, in C golden. Dass dieser
auf ein undeutlich gezeichnetes hirschgeweih der vorläge zurückgeht, macht
mir das wappen Stretliugeus in Xaglers bruchstück überaus wahrscheinlich.
— Das wappen Dietmars von Ast steht in der Zur. wappenrolle als no. 149
unter Tengen. Zangemeister (s. 6) denkt hier an einen Schreibfehler, da die
rolle noch ein anderes wappen (no. 201) unter Temjen bringt. Dieses mag
einer Seitenlinie gehören, denn no. 149 wird als wappen Teugens auch von
Stumpf 129b bezeugt, üebrigens ist das eiuhorn ein beliebtes wappenbild
des minnegehrenden ritters: Der fuort daz einhürne durch daz in vienc
diu minne J. Tit. 3978 (mit andern belegen bei Seyler).
HERKEN UND SPIELLEUTE. 493
der quelle übersprung-en und aus versehen dem nachliar Rubin
dessen wappen zugeteilt. Wir haben aber nicht den geringsten
anlass, der hs. B die ausschaltung eines dichters zuzutrauen,
während C massenhaft einschübe vornimmt. Es ist daher
wahrscheinlicher, dass C ihrem einschub Walther v. Metz das
Wappen Rubins gegeben und für diesen dann das redende
Wappen (ring mit rubin) erfunden habe. Dabei war die vor-
wegnähme des Rubinwappens eher absieht als versehen, denn
JRubhi bot zu einem redenden wappen die handhabe; auch Aväre
sonst wol das bild mit übernommen worden. Das ist nicht ge-
schehen; der maier widerholt vielmehr das reiterbild Rugges. ')
Aehnlich steht es um Morungen. Sein bild verwertet C
schon für den v. Gliers und componiert dann für Morungen
nicht nur das bild neu, sondern auch das (wider redende)
wappen. Möglich wäre ja auch, dass die quelle das richtige
mansfeldische Morungenwappen (halbmond im schild, mohr auf
dem heim, vgl. Zangemeister s. 7) enthielt, das dann B und C
verschieden angeglichen hätten, indem die eine das kleinod
im Schilde widerholte, die andere das schildzeichen auf dem
heim. Unwahrscheinlich ist Oechelhäusers Vermutung, das
wappen habe in der quelle gefehlt, denn dann könnte man
beruhigt annehmen, dass es auch in B fehlen würde. Aber
wie dem auch sei, eins ist ausgeschlossen: dass nämlich C mit
bewusster kritik das wappen der quelle durch das mansfeldische
ersetzt hätte. Dies halbmondwappen als illustration des namens
Morungen liegt so nahe, dass es bei Grünenberg auf tafel 35
der mohr unter den hl. drei königen erhält, auf tafel 128 b
Der Edel moringer der zuo Lips begraben litt Damit meint
Grünenberg keineswegs den minnesänger, wenn er auch wie
die Zimmersche chronik von dessen Leipziger aufenthalt weiss,
sondern den Moringer des Volksliedes. 2) Das zeigt schon die
^) Die Ruggebilder in B und C und das bild zu Metz stimmen auf das
genaueste zusammen, während das Sevenbild in B, das nach Zangeraeisters
Vermutung das Metzbild der quelle gewesen wäre, stark abweicht.
'•') Er hält, wie mich nachträglich Vogts abh. (Beitr. 12, 431 i¥.) über-
zeugt, beide für identisch; sein wappen wird darum nicht glaubwürdiger
(corr.-note). Da Grünenberg auch das wappen Morungens aus B aufnimmt,
so denkt er, wie noch die Zimm. ehr., an zwei minnesänger dieses namens.
Sollte wirklich neben Heinrich ein schwäb. Ulrich v. M. existiert haben?
494 WALLNER
ziisammeustellimg- in einer coniposition mit nUthurt dem Buren-
vigcnd von Ziffelmur, dem grossen landfahrer Hans von Mande-
ßlen (Mandeville, vgl Goedeke 1'^, 37G f. und Pauls Grundr. 2, 410)
und dem lielden Haimo 'der guo Willie heyralen litt', noch deut-
liclier die bezeiclmung Ber Edel moringer und das lielmkleinod,
eine frau mit pilgermuscheln in den bänden. Auf ein der-
artiges fabel Wappen eines wappenbucbs wird das -scbwäbische'
Morungenwappen in B (vgl. das des königs von Aegypten bei
Griinenberg, tafel 42 b und wol auch no. 5 der Züricher wappen-
rolle), sowie das recht ungenaue 'mansf eidische' in C zurück-
gehen.
Nach abzug dieser 20 wappen verbleiben 96, von denen
75 dem maier des grundstockes, 3 dem ersten, 16 dem zweiten
und 2 dem dritten nachtragmaler zugehören. Die wappen der
hauptgruppe zeigen folgende Verhältnisse:
Eichtig: 8 Anhalt, 9 Brabant, 10 Neuenburg, 11 Toggen-
burg, 13 Leiningen, 17 Xeifen, 22 Klingen, 23 Rotenburg,
24 Heinrich von Sax, 28 Gliers, 29 Teufen, 30 Stretlingen,
35 Limburg, 36 AVinterstetten , 38 Hohenfels, 39 Eeinach,
69 Landegge, 80 Altstetten, 81 Hornberg, 87 Augheim,
99 Wengen.
Diese 21 wappen können, wenn man es nicht zu genau
nimmt 1), als richtig bezeichnet werden. Zieht man die beiden
fürsten ab, so verbleiben 19 grafen und herren, sämmtlich
schwäbisch-alemannischer herkunft.
Falsch: 1 kaiser Heinrich, 2 könig Kourad, 3 könig Tyro
von Schotten, 12 Kilchberg, 15 Hohenburg, 26 Kürnberg,
31 Hamle, 47 Eschenbach, 61 Brennenberg, 66 Wildonie,
67 Sunegge, 68 Scharfenberg, 77 Liechtenstein, 84 Trostberg,
85 Starkenberg, 86 Stadegge, 90 Tanhäuser, 91 Buchheim,
95 Hardegger, 98 Wissenlob, 103 Steinmar, 107 Forst, 121 Bu-
wenburg, 122 Tettingen.
Daun könnte die vorläge von BC an der — nach ihrer meinung — fehler-
haften widerholuug des namens in ihrer vorläge anstoss genommen und
diesen fehler faute de mieux durch das anagramm Munegor verdeckt haben.
') So haben Anhalt. Brahant. Winterstetten, Hohenfels und Leiningen
ein anderes kleinod; Jveuenburg sollte nur einen pfähl haben; Teufens schwan
sieht mehr einem weissen adler gleich; hei Rotenburg fehlt der heraldische
berg; bei Limburg sind 3 statt 5 Streitkolben angegeben.
HERREN UND SPIELLEUTE. 495
Dem kaiser Heinrich ist der zweiköpfige reichsadler bei-
gegeben, den erst die Habsburger eingeführt haben (vgl. MSH.
4, 4, anm.), = Züricher wappenrolle no. 12 (Rom). Kleinod und
kröne sind unrichtig angegeben. König Konrad der junge (wer
ist das?) führt das Jerusalemkreuz. Der maier denkt also an
einen kreuzfahrer, vielleicht gar an kaiser Konrad HL, wie
'kaiser Heinrich' von Goldast als Heinrich IV., von dem Chro-
nisten Eüeger als Heinrich der vogler (vgl. Geim. 31,437) ge-
deutet wurde. Eine bairische miniatur von 1188 stellt Fried-
rich Eotbart mit diesem wappen dar (Seyler, Gesch. d. heraldik
s. 128). König Tyro von Schotten führt das namenlose wappen
no. 4 der Züricher wappenrolle (Irland?); das richtige wappen
von Schottland wird im Turnier von Nantes und im Reinfried
von Braunschweig beschrieben (Oechelhäuser s. 99, anm. 2),
Verwechselung mit ähnlich- oder gleichnamigen geschlechtern
liegt vor bei Hohenburg, Eschenbach, Brennenberg. Der Tan-
liäuser, der Hardegger und Steinmar gehören nur dann in
diese gruppe, wenn sie der maier gleichnamigen herren-
geschlechtern zurechnete.
Nicht nachweisbar: 16 Veldeke, 25 Frauenberg, 33 Mure,
40 Lüenz, 45 Vogelweide, 49 Sachsendorf, 54 Rubin, 57 Adeln-
burgi), 59 Mülhausen, 70 Winsbeke, 83 Füller^-), 88 Stam-
heim^), 89 Göli, 100 Pfeffel, 101 Taler, 102 tugendhafter
Schreiber, 104 Gresten, 105 Reinmar der fiedler, 106 Hawart,
108 Friedrich der Knecht, 110 Niuniu, 111 Geltar, 112 Dietmar
der Setzer, 113 Zweter, 117 bruder Weruher, 118 Marner,
125 Hadlaub, 133 Sonneuburg, 138 Boppo, 139 Litschauer.
Es stehen also beim maier des grundstockes 21 richtigen
wappen 24 falsche und 30 nicht nachweisbare gegenüber. Die
1) Sein wappenbild sind wol krebsschereu, nicht klauen oder fcäustlinge.
-) Das wappen der Holienburger, zu denen man den Püller stellen
möchte, ist gespalten von blau und gold, vorn mit einem stern. Da in
unserm wappen der stern fehlt und die tinkturen, besonders blau, gänzlich
unzuverlässig sind, so ist die verwantschait der wappen nicht erweisbar.
Denselben schild bringt die Zur. wappeurolle unter Bordorf (no. 166), einen
ähnlichen namenlos (no. 118).
^) Das wappen der schwäb. Stamheim, denen Grimme den dichter zu-
weisen will, ist (bei Grünenberg bl. 118) ein grüner papagei in rotweissem
feld; das wappen in C zeigt einen braunen vogel, etwa eine birkhenne, in
goldnem feld. Der helmschmuck ist gänzlich verschieden.
496 WALLNER
richtig widergegebenen wappen gehören, nach abzug der
fürstenwappen, ausnalimslos schwäbisch-alemannischen dichtem
an. Unrichtige wappen hat der maier sämmtlichen Oester-
reichern (im heutigen wortsinn) und sämmtlichen Baiern bei-
gelegt, aber auch einigen dichtem seiner schwäbisch-aleman-
nischen heimat.
Kein wappen wurde beigegeben den bildern zu: 71 Wins-
bekin, 72 Klingsor, 82 Werbenwag, 92 Neidhart, IIG Obern-
burg, 123 Rudolf dem Schreiber, 124 Gottfried von Strassburg,
127 Konrad von Würzburg, 134 Sigeher, 135 Alexander,
136 Eaumsland, 137 Spervogel, 140 Kanzler.
Bei den nachtragen stellt sich die Verteilung ganz ähnlich.
1) Eichtig: 19 Homberg, 64 Turn? 65 Ehenheim. 2) Richtig:
4 Böhmen, 5 Breslau, 6 Brandenburg, 7 Meissen, 18 Heigerloh,
20 Warte? 21 Eberhard v. Sax, 62 Ringgenberg, 63 Raprechts-
wil, 74 Weissensee? Falsch: 73 Luppin. Nicht nachweisbar:
75 Düring, 76 Winli, 93 Teschler, 94 Rost, 126 Regenbogen.
Ohne wappen: 96 Schulmeister von Esslingen, 114 der junge
Meissner, 128 Rosenheim. 3) Falsch: 131 Dürner. Nicht nach-
weisbar: 132 Frauenlob. Ohne wappen: 129 Rubin und Rüdiger,
130 Nüssen.
Auch hier sind ausser den fürstlichen wappen nur die
schwäb.-alemannischen richtig angegeben. Eine ausnähme, an
die ich nicht zu glauben vermag, müsste man bei dem Thüringer
Weissensee feststellen. Insgesammt sind 34 wappen (darunter
Sax zweimal gezählt) richtig, 26 falsch, 36 nicht nachweisbar,
18 wappen fehlen.
Für die glaubwürdigkeit bei den nicht nachweisbaren
wappen ist zunächst die treue und Sorgfalt entscheidend, mit
der überlieferte vorlagen behandelt sind. Da bieten sich vor
allem die 20 wappen der Weingartener Sammlung zum ver-
gleiche. Nur bei Botenlaube ist genaue Übereinstimmung fest-
zustellen, i) Bei Gutenburg ist das kleinod mangelhaft wider-
gegeben, bei öevelingen, Singenberg und Raute ist es abweichend
tingiert. Bei Schwangau ist der schwan nach links gekehrt,
mit abweichend tingierten nebendingen. Bei allen übrigen
*) Das — als altes Henuebergisches — sehr frei behandelte wappen
hat nicht nur die ZWR., sondern auch Stumpf 112 b unter Hetlingen.
HERREN UND SPIELLRUTE. ^^497
Wappen sind die tinkturen geändert, bei Johansdorf ist der in
B fehlende scliild erfnnden (? ancli bei Griinenberg. aber
richtiger mit den drei blumen des kleinods).
Von den zu der Züricher wappenrolle stimmenden nummern
weichen bei könig Konrad (ZWR. 122), Neifen (85) und Winter-
stetten (63) die tinkturen ab, bei kaiser Heinrich (12), Klingen
(138), Tyrol (4), Leiningen (46), Hohenfels (283) und Altstetten
(276) das kleinod, bei Anhalt (19) und Warte (495) tinkturen
und kleinod, während bei Meissen (82), Hornbeig (93) und
Hadlaub (478) die wappen in einzelheiten auseinander gehen.
Uebereinstimmend sind Böhmen (14. 81), Breslau (83), Branden-
burg (42), Toggenburg (35), Homberg (24), Sax (140), Landegg
(178) und Reinach (489).
Da die angaben der hs. B und der Züricher wappenrolle
in nicht wenig fällen erweisbar richtig sind, dagegen die ab-
weichungen in C in keinem falle als echt beglaubigt, so fallen
sie der Willkür des maiers zur last. Eine ausgesprochene Vor-
liebe zeigt er für die blaue tinktur, die er für schwarz (37.
44. 52. 53. 60. 78. 79), für rot (27. 51. 55. 58) und für grün
(50) auflegt. Auch färbe neben färbe, metall auf oder neben
metall ficht sein heraldisches gewissen nicht an; eine erkleck-
liche anzahl seiner wappen wären als emviht von den turnier-
schranken zurückgewiesen worden.
Auffallend freigebig ist er mit dem gold, das doch ur-
sprünglich nur edeln und späterhin nur rittern zukam. So
beschreibt Heinrich v. Freiberg (um 1300) Tristans erhezeichen,
den eher im schild:
des selben tieres bilde
was von silber wiz geslageu,
üz sinem houbte sach man ragen
zwene zende guldtu:
dar an wart offenlichen schiu,
daz der herre ritter was (1946 ff.)-
Nicht weniger als 30 unter den falschen oder nicht nachweis-
baren Wappennummern unserer hs. weisen gold auf, darunter
Düring, Füller, Tauhäuser, Rost, Pfeffel, Gresten, Reinmar der
fiedler, Hawart, Friedrich der Knecht, Niuniu, Geltar und Diet-
mar der Setzer. Beim Tanhäuser ist diese auszeichnung doppelt
unpassend, wenn er — wie Oechelhäuser meint — als ordens-
498 WALLNER
ritter darg-estellt ist.i) Und wenn der maier bei Regenbogen
im AMtticliwappen der schniiedezunft das gold meidet {ein
hamer und gang von golde rot, ein nuter, diu ist von silber
wiz Yirginal 652, 7), so haben ihn sicher nicht Standesbedenken
dazu bewogen. Charakteristiscli ist ferner für eine anzahl
dieser zweifelhaften wappen, dass ihnen schildzeichen und
kleinod fehlt; ich nenne: Veldeke, Hamle, Wildonie, Sunegge,
Scharpfenberg, Luppin, Püller, Tanhäuser, Hardegger, Steinmar.
Ebenso bescheidene phantasiearbeit bekunden die blumen-
wappen bei Lüenz, Wissenloh, dem tugendhaften Schreiber,
Friedrich dem Knecht, Geltar, bruder Wernher, Marner, Sonnen-
burg und Boppo.
Die redenden wappen (Kiirnberg, Yogelweide, Winsbeke,
Liechtenstein, Buchheim, Stamheim, Pfeffel, Taler'''), Reinmar
der fiedler, Hawart, Forst, auch Siwnegge, und Stadegge,
vgl. ZWR. s. 14) wären an sich unbedenklich; hier aber ver-
raten sie sich wenigstens zum teil als erfindung ad hoc. Den
namen Winshelce (über dem text oder in seiner liste) verstand
der oberdeutsche maier trotz der bildvorschrift Winfpach als
Wins-becJce und setzte ihm drei goldene brotlaibe in den
Schild; vgl. Bekburg (heute Bechburg) in der ZWR. no. 162,
Beckenhof en? bei Siebmacher II 140 (V 203) und Beckhlin ebda.
V2763) (die namen auf -heke führen regelmässig den bach im
wappen). Das wappen Liechtensteins nimmt auf den Frauen-
dienst bezug; ein gewissenhafter heraldiker hätte dem buch
das darin beschriebene wappen des dichters — zwei schwarze
barren im weissen feld, str. 999 — entnehmen können. Den
namen BuocJiein illustriert ein buch und eine — henne!^) Das
^) Man sal das vleisiclichen behalden, daz man . . . schüde mit golde
ader mit silbere ader mit anderer tcerltlicher varhe gemalet, ane notdurft
icht vure Deutsch-ordensgesetze bei Vossberg, Gescb. d. preuss. münzen und
Siegel s. 14 (Seyler s. 126).
*) Vgl. die Schilf kolben derer von Talwyl (bei Stumpf 145b und Sieb-
macher 5, 188).
^) Auf dem bilde könig Wenzels bringt der maier die vier hofämter
an: schenk (mit dem becher), truchsess (mit dem brot, d.i. mit einer golduen
Scheibe wie im Winsbekewappen), kämmerer (gürtel), seneschalk oder mar-
schalk (schwert).
*) Das klingt ja unglaublich, aber man vgl. Stamhein: die beiden
namen haben nichts als die silbe kein geraeinsam und — die henne im
HERREN UND SPIELLEUTE. 499
aufg-esclilagene buch enthält die worte: Minne Sinne Tivinget
Strale Quäle Bringet, was wol zu ordnen ist: 3Iinne- Sträle
Sinne Tivinget, Quäle Bringet Hawarts wappen, durch das
bärenkampfbild veranlasst, zeigt ein bärenhaupt mit auf-
fallend grossen zahnen (vgl. die Saxischen bärenköpfe), deutet
also den namen als Hauwart, i) Wäre das wappen in diesem
sinne authentisch, so würde es den eher zeigen; vgl. die Strass-
burger Hauer- (recte Hawart-) Strasse, 'rue du sanglier', mit
dem eberzeichen (damit will ich noch nicht Kindlers beliebter
Identification beitreten).
Vielleicht gehört auch Reinmar von Zweter hierher.
Dessen auffallendes wappen (ein dreiköpfiger adler) könnte
zwar durch MSH. 2, 205a (154) angeregt sein: ich tvcere ungerne
üf des heim ein är, der sich der milte wert, Sinen schilt den
lüolt ich nie mer zieren. Wahrscheinlicher aber ist mir die an-
regung durch Eeinmars beinamen Erenhote. Das wort bedeutet
dasselbe wie erenhold 'herold' und der herold führte auf seinem
amtsrock wenigstens den zweiköpfigen adler (s. Seyler s. 38).
Zu diesen wappen, die wir als erflndung des maiers an-
sprechen müssen, gesellt sich das Alrams von Gresten mit dem
Worte AMOB auf dem schrägbalken des Schildes. Oechel-
häuser (s. 285) möchte zwar das wappen durch den hinweis
auf ein siege! (Ulrichs v. Mosen) vom j. 1239 verteidigen, das
die aufschrift Ave Amor enthält, aber siegel und schild sind
nicht dasselbe; so selbstverständlich die schrift auf einem
Siegel ist, so auffällig wäre sie auf einem schild.
Dass der maier wirklich wappen erfindet, lässt sich an
einem beispieie schlagend beweisen. Der Wappenschild zu
hiinig Tyro stammt aus der ZWR. (oder ihrer quelle), wo das
wappenbild (der hl. Patrick?) als helmkleinod widerholt wird.
Abweichend davon zeigt unsere hs. als helmzier einen kinder-
kopf ; der maier wollte eben auch Fridehrant sitien sun heral-
disch erwähnen.
Als Phantasiewappen gelten unbestritten (mit einer aus-
nähme: 63 Raprechtswil) auch die zahlreichen wappen der
wappen! Bei Stamhein istseine birkhenne, da stamJienne offenbar als baiim-
henne gedeutet wurde.
') Uebrigens ist die ursprüngliche bedeutung des namens Hawart nicht
heu-ivart, wie Oechelhäuser meint, sondern natürlich 'kampfwart': Haduwart.
500 WALLNER
nebeiiflgureii auf den bildeni zu: Brabant, Anlialt, Leiningen,
Homberg, Klingen, Frauenberg-, Ehenheim, Düring, Dietmar
dem Setzer und dem Dürner. Hier findet Pfeffels wappenabt
schon einmal Verwendung (bei Homberg), der wolfskopf des
Setzers gar zweimal (bei Brabant und bei Homberg).
Für eine reihe von wappen lässt sich das vorbild in der
Züricher wappenrolle aufzeigen. Unter anderm namen er-
scheinen dort: Liienz: no. 142 (Güttingen); Sachsendorf: no. 91
(Gutenburg); Füller: no. 16G (Rordorf); Trostberg: no. 332
(Tos); Buwenburg: no. 74 (Greifenstein). Unbezeiclmeten
nummern entsprechen Frauenberg (no. 242), Hardegger (no. 533),
Niuniu (no. 548) und Hadlaub (no. 478). Dies letzte wappen ist,
wie in C so auch in der ZWE., ohne heim, und zwar als ein-
ziges der Sammlung. Sj^stematisch benutzt wurde die namen-
lose reihe 'ferner reiche und fabelhafter persönlichkeiten',
ZWR. 1 — 12. 116—126; ihr sind entnommen: kaiser Heinrich :
no. 12; könig Konrad: no. 122; könig Tyrol: no. 4; Dietmar der
Setzer: no. 116. Auch Düring (vgl. no. 123) und Frauenlob (vgl.
no. 124), vielleicht auch Füller (vgl. no. 118) werden aus ihr
angeregt sein.
Das ergebnis, das diese einzelkritik über die glaubwürdig-
keit der nicht nachgewiesenen wappen liefert, wird durch eine
ganz allgemeine erwägung bestätigt. Unsere Sammlung zeigt
das princip, jedem sänger^) ein wappen beizugeben. Nun hat
aber unmöglich jeder eins geführt. Wie käme ein spielmann.
^) Die bloss umrissenen schilde bei Werbenwag und Keidliart haben
als argument für die gewissenbaftigkeit des maiers keineswegs das gewicht,
das ihnen beigelegt Avird. Das Neidbartwappen kann aus blosser laune weg-
geblieben sein, wie in den andern fällen, wo nicht raummangel seine an-
bringung verwehrte. Der leere uniriss beirrte den maier so wenig wie das
leere fenster der zuscbauergalerie bei Kubin oder wie die ausnahmslos leeren
Schriftblätter, von denen zwei (bei Kürnberg und Moruugeu) gleichfalls
nur mit metallstift vorgezeichnet und dann unfertig belassen wurden. Bei
"Werbenwag allerdings liegt die sache anders. Des maiers gewöhnliche
vorläge, die ZWR. (oder ihre grundlage) versagte hier wegen eines Schreib-
fehlers (Berwag ZWR. no. 291, vgl. Zangemeister s. xi), und der maier ver-
zichtete auf die aubringung des wai^pens, indem er den betthimmel gleich
am obern bildrande befestigte. Nun muss ihm jemand die beschaffung des
authentischen Wappens versprochen haben, denn er änderte den entwurf.
Dass er für das schwäbische geschlecht der Werenwag kein phautasie-
wappen riskierte, ist leicht verständlich.
HERREN UND SPIELLEüTE. 501
z. b. der Litscliauer, zu schild und Siegel? R.M.Meyer meint
allerdings (Zs. fda. 44, 200), die wappen hätten in den spiel-
mannsliederbücliern gestanden. Wird aber damit nicht eine
recht moderne anschauung in die alte zeit hineingetragen?
Keine der immerhin zahlreichen liss., die uns alte lyrik über-
liefern, zeigt davon eine spur, obgleich mehr als eine unmittelbar
auf Spielmannsliederbücher zurückgehen wird. Auch in den
epenhandschriften, wo man das wappen des dichters noch eher
erwarten dürfte, findet sich nichts dergleichen. Wappen er-
scheinen nur in Verbindung mit bildern, und es finden sich wol
bilder ohne wappen, aber nie wappen ohne bilder.
Die dichter, um die es sich hier handelt, gehören durch-
wegs noch dem 13. jh., mancher sogar dessen frühzeit, ja dem
12. jh. an. Wenn der herrentitel, den viele führen, ihnen mit
recht zukommt, dann gehören sie meist in die klasse der ritter-
mässigen, der sog. einschildritter. Diese besassen nach der
mitte des 13. jh.'s noch kein eigenes wappen, wie die Heidel-
berger bilderhs. des Sachsenspiegels und zahlreiche dichter-
stellen beweisen (vgl. Seyler, Gesch. der heraldik s. 130 ff.), i)
Erst Hugo V. Trimberg klagt über die anmassung dieser 'halp-
ritter', sich namen, titel und wappen wie herren beizulegen:
Wir sehen die trahten nach grozzen eren
Die nie wurden herren kint
vnd weder gebnre noch ritter sint
gewaltiger vf hohen pferden
Machent in namen hie vf erden
vnd manik her zeichen gar achtper
Daz verre schine so dirre und der
an ein drieckot hritlin
Heizzet molen vnd an ein tuchlin
ein tierlin oder ein vogellin
Oder manik ander zeichenlin,
Seht so wil er ein herre sin.
Eenner 1091 (Seyler 133).
Es sind offenbar vereinzelte erscheinungen, die hier ge-
tadelt werden, und im allgemeinen erhält sich ja der brauch.
^) Vgl. auch Ficker, Vom heerschilde s. 143 (citiert von Seyler s. 8):
• . . homines nomen et caracterem nohilitatis Qiabentes), etsi non sunt mili-
taribus insignüs clecorati, dummodo sint de militari prosapia civiliter sive
legitime descendentes (a. 1256).
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 38
502 WALLNER
dass die angehörig-en des 7. lieersclnlds die wappen ihrer dienst-
lierren führen, auch weiterhin. Die nicht nachweisbaren
Wappen unserer hs. aber sind fast ausnahmslos keine mini-
sterialenwappen und sind dadurch wenigstens bei den altern
Sängern als erfind ung des miniators gekennzeichnet. Wie
käme etwa sonst Walther v. d. Vogelweide zu einem wappen?
Widerspräche nicht seine dichtung, so könnte man ihn für
den ritter eines ministerialen halten. Als solchem wäre ihm
im 12. jh. weder der herrentitel noch ein Ortsname als eigenes
prädicat zugestanden (vgl. Ficker, Germ. 20, 271 f.). Er führt
beides, und ich habe (oben s. 36) versucht, dafür eine erklärung
zu geben. Ein wappen aber konnte er unter keinen umständen
führen.
Zieht man die Schlussfolgerung aus den vorstehenden
erörterungen, so muss sie, von der eingangs citierten Oechel-
häusers beträchtlich abweichend, lauten: der 'Manessecodex'
gibt die wappen der f ürsten und der schwäbisch-alemannischen
herren im allgemeinen richtig an; sonst hat jedes wappen so
lange als unrichtig zu gelten, als nicht durch andere Zeugnisse
das gegenteil erwiesen wird.
III. Die bilder.
Von der teclmik der bilder sehe ich ab^); mir ist nur um
ihren Inhalt zu tun. Bei v. d. Hagen sind sie noch ausgiebig
zur aufhellung des Standes und der lebensverhältnisse heran-
gezogen; auch spätere forscher haben gelegentlich die person
des Sängers nach dem bilde beurteilt. Das ziel meiner Unter-
suchung ist eine antwort auf die frage: haben die bilder bio-
graphischen gehalt?
Eine reihe von bildern hat der maier aus der B- quelle
übernommen. Die motive dieser vorläge, wie sie die hs. B
überliefert, waren nicht zahlreich. Sie zeigen eine, höchstens
zwei personen; der dichter sitzt sinnend im freien oder zu
^) Vgl. darüber Rahn, Studien über die Pariser liederhandschrift.
Kunst- und wanderstudien aus der Schweiz s. 79ff. ; v. Oechelhäuser, Die
miniaturen der univ.-bibliothek zu Heidelberg, 2. teil ; R. M. Meyer, Hadlaub
und Manesse, Zs. fda. 44, 197 — 222; allenfalls auch Schulz, Typisches in der
gr. Heidelb. liederhandschrift, Göttinger diss. 1899. — Der folgenden Unter-
suchung liegt zu gründe die lichtdruckausgabe von F. X. Kraus.
Herren und spielleute. 503
hause, ungewaffnet oder das scliwert in der liaiid, er sprengt
zu pferde einher, unterhält sich mit seiner dame oder fertigt
einen boten an sie ab. Er wird somit als dichter, als ritter
oder als minnesänger dargestellt. Individuelle bilder sind nur
vier vorhanden: kaiser Heinrich auf dem throne, das Walther-
bild Ich saz üf eime steine und Hausens meerfahrt; der esel-
treiber bei Dietmar von Ast entzieht sich — wie das bild
überliefert ist — der deutung. Den dichternamen aus der
darstellung erraten zu lassen, war nicht die absieht: fast überall
ist das Schriftblatt für den namen beigegeben.
Die hs. C hat die meisten bilder der quelle übernommen
(nur 32. 34. 46. 51 und 54 in C zeigen keine directe Überein-
stimmung) und hat die vorgefundenen motive auch bei andern
dichtem verwertet, besonders die botensendung. Sie hat aber
auch neue motive eingeführt: Widmung, brettspiel, falkenbeize,
kämpf und turnier, liebesscenen. Von diesen bildern, die zum
dichter in so loser beziehung stehen, dass man sie nach belieben
vertauschen könnte, wird hier abgesehen.
Ganz persönlichen zuschnitt haben die aus gedichtstellen
geschöpften motive, die man kurzweg textillustrationen nennen
kann. Keben Hausen und Yogelweide gehören hierher das
bild zu Sachsendorf: schienung eines gebrochenen beins (vgl.
Ld. no. 39, 27 in der dienst mir ah brach min hein und min
vuoz); vielleicht das bild zu Wachsmut von Mülhausen: be-
drohung mit dem liebespfeil (vgl. MSH. I 328 IV diu lichten
ougen dm ein sträle hänt geschozzen in daz herze min)] das
bild zu Altstetten: Umarmung (vgl. Ld. no. 91, 28 ein umbevanc
mit armen hianc, des ivünscliet dem der den reien sanc); das
bild zu Steinmar: gelage (vgl. das herbstlied Ld. no. 76, 21 ff.);
das bild zu Hornberg: fesselung durch die dame (vgl. MSH. II
66 I Miner froiven minne striche hänt gebunden mir den lip)\
die bilder zu Hadlaub : briefanheftung und fingerbiss (vgl. MSH.
II 278 ff.; Ld. no. 87, 1 ff.); das bild zu Kol von Müssen: Ver-
lockung in den wald (vgl. MSH. II 336). Nicht hierher zähle
ich das schmiedbild Starkenbergs, das nach v. d. Hagen durch
die verse Ez muoz in ir dienst erhrachen beide schilt und ouch
daz sper (MSH. II 73 III) angeregt wäre. Dagegen wird das
bild zum tugendhaften Schreiber hier aufzunehmen sein: links
sitzt ein herr in fussschellen. Hinter der bank stehen zwei
33*
504 WALLNER
Personen, die eine auf das gold weisend, das ein diener aus
dem quersack schüttet, die andere mit der geste des zählens.
Vor der bank ist eine wage angebraclit. R. M. Meyer erblickt
darin das kampfgespräch zwischen Gawein und Kei, 'während
ein Schiedsrichter, der landgraf, zuhört und ein diener die
handlung des abwägens übernimmt' (Zs. fda. 44, 202). Er hat
also die fussschellen übersehen, auf die schon Oechelhäuser
hinwies, ohne darum über v.d.Hagensbilddeutung (der Schreiber
als Schatzmeister) hinauszukommen. Es ist vielmehr der los-
kauf eines gefangenen dargestellt. Wenn die scene nicht eine
verworrene anspielung auf den Wartburgkrieg ist, dann muss
sie wol aus dem liede 3Iinne was so tiure daz man sie mit
guote niht künde vergelden (Ld. 24, 1) angeregt sein. Da heisst
es von der minne: Die da wilent wären ein houbet ir ere, die
wigt si so ringe . . . die hohen, die heren, die hat sie gebunden;
nu hänt sie den banden sich vaste uz enttviinden mit
herzen, mit handen. Die eine der beiden personen hinter der
bank ist in der tat eine frau; vgl. dieselbe flgur auf den bil-
dern zum Hardegger und zu Boppo.
Leiningens bild denkt an die liedstelle Owe der leiden
verie die dann gen Fülle tuot min lip (Ld. 31, 36), denn der
graf erscheint im kämpf mit einem beiden, i) Horheims bild
zeigt einen persönlichen zug in dem weinen der frau; es ist
der abschied vor der fahrt nach Apulien, MF. 114, 21. Einen
abschied, hier vor der kreuzfahrt (MF. 87, 13), stellt auch das
bild zu Johansdorf dar. Hiltbold von Schwangau erhält ein
tanzbild als anspielung auf das lied Ld. 20, 51 (Bi der ich also
schöne an eime tanze gie 20,55); die mädchen, zwischen denen
der ritter im tanze geht, sind Elle und Else des refrains: Mle
und Else tanzent ivol, des man in beiden danken sol. Sonder-
barerweise ist der tänzer in voller rüstung, was sich nicht
aus einem tanze nach dem turnier erklären lässt, wie Meyer
meint. Der maier griff einfach zu diesem mittel, um schild
und heim anzubringen, für die auf dem bilde sonst kein platz
war, da er die Ziergiebel vor dem flgurenbilde eingemalt
hatte. Das tanzbild bei Stretlingen ist ebenfalls durch ein
^) Auch Ludwigs Kreuzfahrt hebt hervor, dass gräve Friderich von
Lmingen tut mit strite den heulen we 3135 ff. (MSH. 4, 60).
HERREN UND SPIELLEUTE. 505
tanzlied angeregt (Ld. 62, 1). Ob die kranzholung Toggen-
burgs von dem rosenliede Ld. 48, 25 ff. ausgeht, bleibe dahin-
gestellt.
Das bild Liechtensteins stellt seinen ausritt als frau Venus
dar; die frauengestalt auf dem bilde Reinmars von Zweter
spielt auf frau Ehre an. ' Unter Aveisung' ist das motiv der
Winsbekebilder und könig Tyrols; das Klingsorbild führt den
Wartburgkrieg vor; die bilder zu Regenbogen und Frauenlob
beziehen sich auf den sangeswettstreit der beiden; das Neid-
hartbild illustriert einen 'neidhart'. Auch die raeisterbilder
zu Gottfried von Strassburg und Konrad von Würzburg sind
hier zu nennen, desgleichen die drei engverwanten compositionen
zum Hardegger, zu bruder Wernher und Spervogel, deren spiel-
mannscharakter aus der dichtung erschlossen ist.
Eine dritte gruppe umfasst die namenbilder: der maier
entnimmt das motiv dem namen des dichters. Da gewähren
amtsbezeichnungen und titel den bequemsten anhält. Ein
königssohn erlustigt sich auf der falkenjagd (könig Konrad
der junge), der schenk von Landegge überreicht seinem herrn
den becher, der burggraf von Regensburg sitzt zu gericht, der
Schulmeister von Esslingen hält Unterricht und Rudolf der
Schreiber fertigt Urkunden aus. Ebenso hilfreich erweisen
sich die beinamen: hruoder Eberhart von Sax, ein hredier, liegt
im gebet, Reinmar der fledler geigt zum tanze, Süsskind der
Jude meldet sich zur taufe, i)
Eine stattliche reihe von bildern sind bilderrätsel, deren
lösungswort der name des dichters ist. Das verfahren nimmt
seinen ausgang offenbar von der heraldik, und zwar von den
redenden wappen. Wie hier der gleichklang einer silbe genügt,
ein heraldisches kennzeichen zu schaffen, sodass etwa Portugal
durch ein tor (Zur. wappenrolle no. 10), S taufen durch drei
becher stoufe (ZWR. no. 378), EghreJit durch ein geecktes brett
(ebda. no. 425) ausgedrückt wird, so gibt auch unser maier die
namen durch ähnlich benannte Situationen oder gerate wider.
Hier wie dort ist die beziehung oft seltsam ausgeklügelt (man
^) Das ist mir wahrscheinlicher als die nichtssagende deutuug, er trete
vor seinen geistlichen schutzherrn; warum wäre es denn gerade ein geist-
licher? Man beachte auch die gebärden der Überraschung bei den ueben-
figuren.
506 WALLNER
denke an das \Yappen der Mcttenlucli ZWR, no. 220: ein hahn,
der zur mette ruft!), und die grundbedeutung eines wortes
bleibt gänzlich unbeachtet; Ot a dem Band (ZWE. no. 427)
hat im schild eine rübe 'rande', Oherriedcrn (436) ein rüder,
Wolfurt (298) einen wolf und eine fürt (vgl. auch das wappen
Ortuins in der Kudrun 1371 da Stent örter inne). Man muss
sich diesen Ursprung gegenwärtig halten, um die absonderlichen
rätselspiele, in denen besonders der maier des gruudstocks und
der des zweiten nachtrags sich gefallen, richtig zu beurteilen.
Bisher sind nur die bilder zu Spervogel, Hetzbold und Warte
als derlei rebusse erkannt worden. Wir beginnen mit dem
zweiten nachtrag.
Herzog Heinrich von Press elä holt sich den turnierdank,
umdrängt von garzunen, krojierern und spielleuten: jjresse
'gedränge, schar' (mit sines hoves presse Martina 138; mit
(jrözer presse Jcomen Wigam. 1781): pressure 'häufe, gedränge'
(sin ors truoc in durch die pressure manecvalt Troj. kr. bl. 220).
Noch eine einzelheit des bildes spielt auf den namen Presselä
an. Auf dem Schilde des herzogs ist ein rotes bändchen mit
flatternden enden befestigt; die ungewöhnliche zier wird erst
verständlich, wenn man an pressel 'streifen, band' denkt {per-
gamenene pressel] pressellöcher Schmeller I 471).
Das bild zu Jakob von Warte zeigt einen greis im bade,
von vier frauen bedient. Die eine reibt ihm den arm, die
andere reicht ihm einen warmen trank, die dritte bekränzt
ihn mit rosen, die vierte facht das kesselfeuer an. 'Die wähl
des bildes könnte auf einem w^ortspiel mit dem namen Warte
beruhen', mutmasste schon E. M. Meyer (Zs. fda. 44, 218). Wenn
er aber — wie Gottfried Keller in seiner Hadlaubnovelle —
einen zug von biographischem wert darin erblickt, dass der
dichter als greis dargestellt wird, so kann man fragen, wer
sich zum gegenständ derartiger betreuung besser geeignet
hätte, als ein kranker oder gebrechlicher greis. Uebrigens
bezieht sich die hauptfigur der bilder nur selten auf die person
des dichters.
Die bilder zu Einggenberg und Scharpfenberg stellen
klopf f echt er im kämpf spiel dar, uugerüstete männer, nur mit
rundschild und schwert bewehrt, vor Zuschauern. Das eine,
vom maier des grundstocks, illustriert durch einen kämpf mit
HERREN UND SPIELLEUTE. 507
scharpfe den nameii Scliarpfenberg, das andere, die copie des
zweiten nachtragsnialers, führt ringer 'gladiatores' vor als
hin weis auf den namen Ringgenhcrg {r ingeer e 'kämpf er"; ein
eimvic ringen Diemer 96, 10; zu vüz nach hieppischen siten
riingen sie mit luste Albrecht v. Halberstadt 453 a). Die ety-
mologie Ringgcnherg = Ringenherg ist noch immer harmloser
als das ringwappen der Bineg ZWR. 306.
Das bild zu Luppin gemahnte mich zuerst an eine Iwein-
scene: der held verfolgt den herrn des brunnens bis ins burg-
tor, wo ihm das fallgatter (auf dem bilde stark hervortretend)
verhängnisvoll wird. Aber das aussehen des verfolgten stimmte
schlecht zu dieser deutung: ein asiatischer bogenschütz, der
auf der flucht pfeil um pfeil nach rückwärts sendet. Nun war
mir auch die meinung des maiers klar: Liipp' in! Der sla-
vische name des dichters erinnerte ihn an lup)p>e, luppen (ge-
Itipte sträle Pass. 335,1; ich hän vünf strcellin diu sint luppic
Frauenlob 368,6; der Sarrazine geschöz sint geliippet sam diu
nätern Uz Wolfr. Willeh. 324, 5). Das burgtor soll wol den
beisatz ein Büring andeuten.
Die eberjagd auf dem bilde zu Hetzbold von "Weissensee
hat schon v. d. Hagen als anspielung auf den namen Hetzhold
erkannt.
Der Düring. Sturm auf eine bürg. Die feinde berennen
die tür, über der zur Verteidigung der held des bildes steht.
Das Winlibild zeigt den turnierhelden als frauenlieb -
ling. Die eine hat ihm den heim abgenommen, die andere
reicht ihm den dank, einen ring; vor der tribüne hält ein knappe
das stampfende streitross.
Herr Heinrich der Rost, Schreiber (so die Vorschrift), kniet
vor seiner dame, die ihn für eine allzu gewagte liebkosung
bestraft, indem sie ihm den schöpf abschneidet; schmerzlicher-
weise mit einem messer, da ihre mitleidige vertraute die
schere nicht herausgab (sie hält sie an die brüst gedrückt).
Das messer ist nach Oechelhäuser 'goldig'; ich halte diese
färbung — der gipfel weiblicher grausamkeit! — für rost.
Der maier hat sich dann keine der beiden deutungen, deren
der name Bost fähig ist — frixorium (im wappen), ferrugo
(auf dem bilde) — entgehen lassen.
Bei dem maier des grundstockes treten die namenbilder
508 WALLNER
erst gegen den schluss hin zahlreicher auf, doch fehlen sie
von beginn an nicht. Mit naiver deutlichkeit redet das bild
des 'herzogs' von Anhalt (ÄneJialten A). Drei im turnier an
der partei des Anhalters vorbeisprengende ritter werden von
diesem und seinen zwei genossen angehalten, indem jeder
einen gegner beim köpf packt und zurückreisst. Der name
Botenlaube wird das später öfters widerholte motiv der
botensendung veranlasst haben, und zwar schon in der B-quelle
(die hs. B hat aus raummangel das bild verstümmelt).
Auf dem Hamlebilde setzt das aufziehen des liebhabers
mit der winde einen abgrund, eine klippe, eine schroffe burg-
oder bergwand voraus; das heisst mhd, hamel (Lexer I 1162),
Auch das wappen zeigt die klippe: eine silberne spitze im
blauen feld. Die mönche auf dem bild zu Heinrich von der
Mure haben schon v. d. Hagen und Lassberg auf das kloster
Mure bezogen; freilich hielten sie die beziehung für ernsthaft,
Dass das kosende paar auf dem bilde zu Werben wag eine
Werbung vorstellen soll, versteht sich. Auf den namen Hart-
manns von Starkenberg spielt das schmiedbild an. Der
ursprüngliche entwurf, in bleiumrissen noch sichtbar (aber
nicht bei Kraus), war noch deutlicher: 'der ritter holte mit
einem gewaltigen schlegel über den rücken hinüber aus' (Oechel-
häuser s, 258), Als die figur mehr zur seite gerückt wurde,
fiel dies motiv aus raummangel weg. Uebrigens ist hier mit
der bildfigur gewiss nicht der dichter gemeint; ein heim liegt
auch auf dem amboss Eegenbogens, Die innigen blicke der
liebenden auf dem Augheimbild lassen sich nicht mis verstehen;
und das bild zu Wengen, ein paar, das wang an wange legt,
kann nicht deutlicher sein.
WissenlO: ein eiternpaar, auf dem ruhebett sitzend, zwi-
schen ihnen das kind, sichtlich bemüht, das gleichge wicht zu
halten. Der vater stützt es noch leicht mit der band und
hält die andere hilfsbereit, die mutter lässt eben des kindes
band los: erster gehversuch. Ich traue es dem maier wahr-
haftig zu, dass er das bild Wiselös betitelte, denn der richtige
name des dichters war Wiselö. Das Hawartbild ist ein
Seitenstück dazu. Es bringt einen bärenkampf; der mann
durchrennt mit einem spiess das hochaufgerichtete tier. Auf-
fällig ist das grinsende gesiebt des Jägers; soll nicht dies
HERREN UND SPIELLEUTE. 509
mienenspiel den ausruf Ha ivartl illustrieren?') Gesprochene
Worte bildlich darzustellen, ist ja einem maier des mittelalters
ganz geläufig; die sonst üblichen Spruchbänder (vgl. z. b. den
bärenkampf in der bilderhs. des Wälschen gasts, Pal. Germ.
389, fol. 51b) ersetzt auf unserm bilde die aufschrift. Zu der
ausdeutung des namens im wappen {Hamvart) hätte eine Sau-
hatz besser gepasst; aber bei jagdbildern vermeidet der maier
die widerholung; er bringt je eine falkenjagd, eberjagd, hirsch-
jagd, bärenjagd, hasenjagd.
Das bild zu Günther aus dem Vorste ist eine rast im
walde. Auf den namen Friedrich der Knecht zielt der mit
kettenhemd und eisenkappe gerüstete reiter, der, von zwei
ungerüsteten verfolgt, ein mädchen entführt. Das ist wol die
von ihrem bruder so streng bewachte schöne, von der der
dichter singt. Der name Bu wen bürg vermittelt dem maier
einen hiuccere oder hüiveman, der ein paar stück vieh und eine
henne zu markte bringt. Drei rittersleute geben ihm das
geleit, ohne dass ihre freundliche oder feindliche absieht zu
erkennen ist.
Heinrich von Tettingen (Vorschrift: tetinge) erhält ein
sonderbares bild: ein gebundenermann, barhaupt und spornlos
auf ungesattelter Schindmähre, die mit baststricken gezäumt
ist, wird von zwei reisigen escortiert. Es ist ein verurteilter:
'ein ehrloser ritter sollte Stiefel ohne sporn tragen, ein pferd
ohne huf eisen, ohne sattel und mit bastenem zäum reiten'
Grimm, Rechtsaltertümer 2, 304. Die darstellung erklärt der
dichtername. Dettingen, auch dettigen, tetigen = tagedingcn
(Lexer 2, 1388 f.) Hiber einen gericht halten'.
Bei Friedrich von Sonnenburg erscheint der dichter in
der mitte zweier knaben. Der eine macht eine abwehrende
handbewegung, der andere verschränkt trotzig die arme. Der
meister nimmt den einen bei der band, den andern am köpfe
und zieht sie gegen einander. Es ist ein Versöhnungsversuch;
die namensform der hs. lautet nämlich Snonenhiirg.
Der wilde Alexander. Oechelhäuser (s. 336) meint, dass
*) Die kühnheit wäre nicht grösser als etwa bei dem wappen der Eeel-
niarx in der ZWR. no. 338: 'zwei bände bilden eselsohren und sagen damit
augenscheinlich esel, merhsV (Runge, ZWR. 8.15).
510 WALLNER
lediglich das beiwort dem maier die Idee des bildes — ein
wilder ritt — eingegeben habe. Das trifft zunächst nicht den
mhd. sinn des beiworts, Wilt ist hier der gegensatz von sess-
haft, heimisch, also: unstät, schweifend. Namen wie Der tvilde
man oder Der tvilde Alexander besagen ungefähr das gleiche
wie Irreganc (vgl. das altnord. vlllr vega Hävam. 47, 3). Aber
der maier denkt gar nicht an das beiwort, sondern illustriert
den namen Alexander. Auf einem schwarzen ross mit glühenden
äugen, das sich wiehernd bäumt, sitzt ein knabe, der stolz zur
Zuschauergalerie empor grüsst. Es ist der junge Alexander,
der den Bukephalos bändigt. Der mann in meistertracht,
Aristoteles, scheint durch handgebärde auszudrücken, er habe
diesen erfolg vorausgesehen. König Philipp gibt lebhaftes
erstaunen kund. Olympias war dem maier weniger geläufig,
denn die mittelfigur der galerie ist Schablone: die öfters wider-
kehrende musizierende frau.
Merkwürdig, dass noch niemand das bild zu Raumsland
verstanden hat: 'ein Jüngling ist im begriff, ein pferd zu be-
steigen, welches ein anderer ihm hält; oben an den zinnen
einer bürg erscheinen zwei spielleute, welche zwei Jünglingen
und fräulein zum tanz aufspielen' (v. d. Hagen 4, 671). Eine
abreise während des festes — was ist deutlicher als diese
Illustration des namens Eämdant?
Auf dem Spervogelbild tritt ein fahrender vor ein vor-
nehmes paar; in der band hält er einen speer, an dem vögel
baumeln. Die anspielung ist von jeher verstanden worden.
Boppo. Das bild wird als eine schwertleite gedeutet;
mit unrecht. Es zeigt zwei herren, die sich auf vorgesetzte
Schwerter stützen, neben ihnen eine dame: alle mit lebhaften
gebärden der Verwunderung. In ihrer mitte steht eine fremd-
artige bärtige gestalt von ungewöhnlicher grosse, der langes
haar über brüst und arme herabwallt. Der Wildling hält in
bänden einen gürtel, den er wol abgeschnallt hat, um ihn
vorzuweisen. Es ist ein Stärkegürtel, wie ihn Laurin trug,
der davon zwölfmännerstärke erhielt (191 ff. 535 ff. 1174 ff.),
oder wie ihn ein zwergeukönig dem Scherfenberger verhiess,
der mit ihm die kraft von zwanzig männern erhalten sollte
(Grimm, Deutsche sagen no. 29, aus Ottokars Oest. reimchron,
62534—62907). Der dichter ist nämlich der starke Bopße.
HERREN UND SPIELLEUTE. 511
So nennt ihn nicht nur die meistersingertradition (MSH. 3, 408
der starJce Pop hat disiu liet getihtet unt gesungen, vgl. auch
MSH. 4, 692. 906 b), sondern auch der prediger meister Jordan,
in einer von Konrad von Megenberg (1349) ausgehobenen stelle:
Si (die Chorherren) singen ir tag zeit nicht, ivolt got, daz si si
spreechen mit andäht und süngen niht tverltleicher lieder. so
singt der ainen Fraivenlop, der ainen Marner, der ainen
starken Poppen. Der Poppen ist so vil worden, daz si der
gotshetiser guot und er verpoppchit (Megenberg 197, 8; Wacker-
nagel, Literaturgesch. s. 148, anm. 15). Schon Berthold von
Regensburg gebraucht den namen appellativisch, wenn er von
denen, die ihre kraft nicht zu guten werken verwenden, sagt :
sunt ut Poppones, qui videlicet duplicem hahiit virorum
fortitudincm et unum diem vel etiam parasceve ieiunare non
potuit (Zs. fda. 3, 239). Mit der Übertreibung, wie sie sonst
der heldensage geläufig ist, reden von seiner stärke die Col-
marer aunalen (zum j. 1270): in Basilea fuit quidam Boppo
nomine, vir mediocris stature, qui dicehatur X vel XX vel
etiam multorum amplius vires hominum hahuisse (Wacker-
nagel, Zs. fda. 8, 348). Mit der heldensage verquickt ihn auch
der Ackermann aus Böhmen, wo der tod sagt, er habe um
Dietrich von Bern, den starken Poppen und den Hörnen
Siegfried') nicht so viel mühe gehabt (s. 47; DHS. no. 120b).
Wackernagel hat zuerst (Zs. fda. 8, 347) die wesensgleichheit
des starken Boppe mit dem dichter behauptet, indem er auf
die angeführten belege verwies; zu ihnen gesellt sich also
noch unser bild.
Der Litschower. Der meister bringt zwei knaben vor
den fürstlichen vater. Sie haben etwas verbrochen, beteuern
aber ihre Unschuld. Sprechend ist der ausdruck, mit dem sie
die band aufs herz legen: 4ch solls getan haben?!' Der vater
aber ruft: 'ins gesiebt schauen!' und der zuchtmeister Vi^endet
ihnen schulter und köpf gegen den vater. Diese hübsche scene
1) Siegfried hat nach dem volksbuch (str. 48) die stärke von 24 männern,
lind die pidrekssaga (c. 162) gibt dem einjährigen knaben schon die stärke
von vierjährigen, als sie die ausfahrt des nengebornen im glastopf erzählt.
Ist es vielleicht gar ein verworrener zug aus der Siegfriedssage, Avenn der
starke Poppo bei Wagenseil s. 503 'ein glalsbrenner' genannt wird?
512 WALLNER
hat der maier dem dicliternamen abgeguckt; der heisst nämlich
in der Vorschrift: d^ litsfchomv\^)
Es ist natürlich nicht möglich, die bizarren etymologien
des maiers überall aufzudecken. Bei dem anglerbild Pfeff eis
habe ich an den pfeffervisch als fastengericht der pfaffen ge-
dacht oder an des papstes flscherring und an sanct Peter der
vordes manige stunde niht anders nitcan vischen Jcunde (W. gast
8764), ohne zu einer halbwegs wahrscheinlichen deutung zu
kommen. Vielleicht entgeht uns ein terminus aus der reich
ausgebildeten kunstsprache der fischerei.-) Das Kanzlerbild
zeigt einen herrn zwischen zwei spielleuten sitzend und ihren
tönen lauschend. Im winkel steht eine landel. Gewiss deutet
dies gerät, wie der pfeil bei Luppin, das messer bei Rost, der
Speer beim Spervogel, der gürtel beim starken Boppe einen
namenrebus an; aberweichen? Bei Buochehi mag der holz-
becher auf den namen anspielen, bei Wahstnuot von Mülhausen
der liebespfeil?3) Diesen trägt Endilliart von Adelnburg schon
in der brüst und weist klagend der geliebten die w^inde {ande —
hart?). Liutold von Seven trägt einen grimmblickenden falken
auf der faust, auf den die dame mit dem finger weist. Sie
fragt w^ol: 'beisst er oder ist er lint-hold?' Das bild zu Chuonzc
von Rosenheim, für das der text keinen anhält bietet, zeigt
eine falkenbeize auf hühner im kornfeld. Es muss eine sprich-
wörtliche redensart über 'Kunz den falkenjäger' dahinterstecken
(vgl. DWb. 5, 2752 'Junker Kuonz ein Jäger' und 2755 'Kunzen-
jäger'), denn die bilderhs. des Wälschen gasts (Pal. Germ. 389)
zeigt auf fol. 62 b (zu v. 3968 ff.) gleichfalls einen falkenjäger
CHVONZ, ohne dass der text einen namen nennt. Das bild
zu Otto vom Turne (Nl) zeigt wol die heimkehr vom turnier;
auch der Dürner (N3) erhält ein turnierbild.^)
^) In der Jenaer liederhs. wird der name bekanntlich als liet-scoutvcere
gedeiitet.
'■') P/'a^' heisst das kielmark bei der feäerangel, pfaffenlaus ist der name
des kaulbarschs.
^) Erst das hinzutreten des namens gab den ausschlag für das motiv,
denn die phrase diu liehten oiigen diu ein sträle hänt geschozzen in daz
herze min ist ein gemeinplatz des minnesangs.
^) Schulz erklärt die zwischen den kämpfern erscheinende frau nach
Liechtensteins Frauendienst (185, 17 — 187, 17 und 486—487).
HERREN UND SPIELLEUTE. 513
Eine reihe von bildern entzieht sich der deutimg-, weil
sie, wie ich überzeugt bin, irrig" eingereiht sind. In einem
falle wenigstens lässt sich die vertauschung sicher nachweisen.
Ich setze die beschreibung- des bildes zu no. 129 (Rubin und
Rüdiger) her, wie sie v.d.Hagen (MS. 4, 644) gibt: 'ein knappe,
mit Schild und speer an der seite, fasst eine maid an der hand
und weiset auf den wald vor ihnen, wohin er sie führen möchte:
während die hier voraustehende strophe nur eine liinwegführung
der geliebten im herzen meint.' ^) Unter der nächsten nummer
(Kol von Niussen) steht nun, aus Niuniu widerholt, ein lied,
in dem der knappe das mädchen in den wald lockt:
vrö maget hsete ich iuch in eime holz,
daz nseine ich vür den kränz
den ir zesamene hänt gelesen
von maneger hande bluot.
'knappe lät iuwer wünschen stän,
diu rede ist gar verlorn.
l'olde ich mit iu ze holze gän,
mich staeche lihte ein dorn.
so slüege mich diu muoter min,
daz waere mir lihte zorn.'
Er nam si bi der wizen haut
er vuorte si in den walt ...
Das ist offenbar die scene, die das bild bei Rubin und Rüdiger
illustriert. Schon Goldast hat das erkannt und an den rand
des bildes geschrieben: 'diese figur gehört zu dem nachfolgenden
lied.' Auf dem andern bild, das also ursprünglich für Rubin
und Rüdiger bestimmt war, passt hierzu erstens die zweizahl
der Personen : der eine schiesst auf häher, während sein genösse
die pferde hält. Dann ist deutlich, dass der maier das ältere
Rubinbild der Sammlung (no. 54) gekannt hat, denn er hat
seinen Rubin wie den alten dargestellt: mit der armbrust auf-
wärts zielend. Die vertauschung der bilder ist um so auf-
fallender, als dieser maier nur vier nummern (129. 130. 131.
132) illustriert hat.
Die bilder der Steirer Wildonie (briefüberreichung an
einer 'stadtecke'?), Suon egge (hirschjagd) und Stadegge
1) V. d. Hagen denkt an die hieher verirrte strophe Johausdorfs, MF.
95,6 Wol si scelic wija diu mit ir ivtbes güete daz gemachen kan daz man
si vüeret über se. Dadurch kann das bild denn doch nicht angeregt sein.
614 WALLNER
(Versöhnung 1)) stimmen gar nicht zu den namen, und doch
hätte Wil dorne so gut wie Hetzhold zu einem jagdbild die
anregung geboten, Siwnegge ebenso gut wie Suonenhurg zu
einer versöhnuiigsscene und selbst Stadegge liätte sich bildlich
ausdrücken lassen. Ich halte daher die bilder für vertauscht.
Dieser Sachverhalt setzt freilich voraus, dass die hs. erst nach
eintragung sämmtlicher 110 nummern des grundstocks in die
bände des maiers wanderte.
Das bild zu Niuniu zeigt ein boot auf den wellen, mit
Schiffer und schifferin und einem liebespaar. Auf dem Marner-
bild rastet ein fahrender mann auf der bank neben dem herd-
feuer und führt einen mächtigen becher zum munde; vor ihm
der wirt mit dem krug, mit fragender handgebärde. Wie gut
dies bild zu dem namen Niuniu, der 'niuwe zeitung' verheisst,
passen würde, und wie selbstverständlich das andere den namen
Marner verbildlicht, liegt auf der band.
Geltar bekennt, ihm sei not nach alter wät und ihm
ivoern vier kappen lieher denne ein h-enzeltn. Das bild mit
der mantelschenkung steht aber bei S ige her. Und welch
prächtige handhabe hätte der name Sigeher für ein kampfbild
geboten! Dies bild — tötung des gegners im Zweikampf —
ist aber Dietmar dem Setzer beigelegt, während der name
Geltars als aufschrift eine fuchs- und hasenhetze ziert. Das
jagdbild erklärt sich leicht, wenn es ursprünglich für den
Setzer bestimmt war und der maier die Vorschrift in seiner
liste — man denke wider an Hetzbold! — als Hetzer las
(auch die Vorschrift im codex selbst ist recht unleserlich).
Die definitiven bildaufschriften aber rühren nicht von den
malern her, sondern von einem Schreiber.
Die vertauschung der acht bilder des gründstockmalers
Hesse sich mit der annähme erklären, dass ihm unbezeichnete
blätter seiner Skizzenmappe in Verwirrung geraten wären.
Wahrscheinlicher ist aber ein anderer Sachverhalt. Oechel-
häuser hat betont, dass bei den pferdebildern der nummern 8,
^) Der ritter zaust mit einer hand die dame am haar, mit der andern
streichelt er ihr beruhigend das kinn. Sie zeigt entsetzte oder zornige
äugen, aber einen lächelnden mund. Der maier hat das nacheinander als
nebeneinander widergegeben und führt zwist und Versöhnung in einem
bilde vor.
HERREN UND SPIELLEUTE. 515
9 und 59 die ganz unmögliche zügellage nur auf flüclitiger
und verständnisloser widergabe einer vorläge beruhen kann,
denn sonst ist die zügellage auch bei den schwierigsten Stel-
lungen (z. b. 18. 29. 54) richtig angegeben (vgl. Oechelhäuser
s. 111. 205). Der ungeschickte copist von 8. 9. 59 hätte das
nie aus eigenem zuwege gebracht und umgekehrt kann der
sachverständige Zeichner von 18. 29. 54 auch bei der copierung
nicht so fehlgegriffen haben. Es bleibt nur die erklärung
übrig, dass diese einander ausschliessenden bilder — und damit
sämmtliche des grundstockes — auf vorlagen beruhen, die der
nachzeichner einmal glücklicher, ein ander mal ungeschickter
widergab. Auf die gleiche Vermutung führt das bild Leiningens.
Sein kampfgegner zeigt auf schwarzem Schilde die weisse In-
schrift HEID. Ich kann mir das nur so erklären, dass dieses
wort ursprünglich die anbringung eines heidnischen wappen
vorschrieb, wie sie z. b. die ZWR. zur auswahl bietet. Un-
verstand hat dann die Vorschrift gewissenhaft ausgemalt.')
Wir haben es also nach aller Wahrscheinlichkeit mit zwei
malern zu tun, von denen der eine die vorlagen zeichnete-),
der andere sie in die hs. eintrug und colorierte. Ob krank-
heit oder tod oder ein anderer grund den ersten maier an
der durchführung seiner aufgäbe hinderte, ob meister und
geselle derselben Werkstatt sich in die arbeit teilten, können
wir natürlich nicht wissen. Oechelhäusers Vermutung, dass
alle oder die meisten grundstockbilder auf die B-quelle zurück-
gehen (s. 376), ist keineswegs zwingend, da das Stretlingenbild
in Naglers bruchstücken, auf die Oechelhäuser sich stützt, ganz
wol eine frühe copie von C sein kann.
Das sonderbarste aller bilder, das zu Heinrich von Sax,
würde auch etwas verständlicher, wenn es unter Heinrich von
der Mure stünde. Da aber dessen bild sich leicht aus dem
namen erklärt und anderseits kein anlass vorliegt, Heinrich
von Sax wie seinen bruder Eberhart zu münchen, so ist hier an
eine vertauschung nicht zu denken. Das bild zeigt eine mauer
1) Die Wappen waren auf den zeichenskizzen natürlich noch nicht vor-
handen, was ja auch das hild zu Werbenwag, die rüstung des tanzenden
Hiltbold und die zahlreichen notplätze der wappen zeigen.
^) 'Ein Florentiner gesell, an beiden münstern tätig', wie Gottfried
Keller meint (Hadlaub s. 76), kann es freilich nicht gewesen sein.
516 WALLNER
und auf deren zinnen einen mann, im begriffe lierabznspringen.
Unten stellt im offnen tor eine frau, die ein ziegentier (bock
oder geiss) ') bei liorn und kinn lierausscliiebt. R. M. Mej^er
(s. 216) wird durch das bild an Tristans Sprung (Eilhart 7808)
erinnert; 'das untere bild' (d.h. der untere teil des bildes)
'würde Gariole vorstellen und der Steinbock die jagdlust ihres
galten sjmibolisieren.' Wahrscheinlich ist das nicht. Tristan
nimmt teil an den spielen der königsmannen {etliche scliozzen
den schaß, etliche sprnngin ohir eine graft, sumeliche worfm
den stein 7739 ff. Do ging der here unde sprang ohir einen
graben sere tvit 7808. Mit dieser scene steht das abenteuer
mit Gariole gar nicht in Verbindung, wo übrigens von einer
Steinbock jagd (in der Bretagne!) nichts verlautet, wol aber
von einer rehjagd (9114). Mich gemahnt die scene an das
fablel Von der meirin mit der geiz (Gesammtabenteuer XL).
Die frau trägt der kupplerin eine botschaft für den ritter auf:
wir haben eine geiz,
Da gruobeu nehten wolve zuo;
sprechet ze ime, daz er also tuo
Und daz er sinen schuoler heiz
slichen heimlich zuo der geiz.
So weiz ich wol, ze der selben zit
daz der meier niht verlit,
Er loiift allez binden nach,
Er schrit 'haha, du muost hie län!'
so kan der ritter in daz hus gän (102 ff.).
Wollte der maier diesen schwank illustrieren, so konnte er
eine einfachere und deutlichere darstellung als sie unser bild
zeigt, gar nicht erfinden: die frau bringt selbst die ziege vor
das tor und der ritter passt den augenblick ab, da er über
die hofmauer hereinspringen kann.
Dass der mal er diesen schwank im sinne hatte, scheint
mir ziemlich sicher. Nun erhebt sich die frage: hat er das
bild selbst entworfen oder hat er eine vorläge copiert? Daran
hängt die weitere frage: stammen die bilder der hs., soweit
sie nicht einfache 'porträts' sind, aus illustrierten epen-
*) Ein Steinbock ist das nicht, wie es v. d. Hagen immer wider nach-
gesprochen wird. Dafür ist das gehörn zu schwach (man vgl. die steiubock-
wappen der ZWR.) und der Steinbock ist doch kein haustier.
HERREN UND SPIELLEUTE. 517
liandscliriften? R M. Meyer liat das behauptet und eine ganze
bibliothek von bilderliandschriften postuliert, die dem maier
in der bücliersanimlung der Manesse zu geböte gestanden hätte.
Da gab es nicht nur eine illustrierte Eneide, sondern auch
illustrierte 'ausgaben' des Frauendiensts und der Kudrun, des
Tristan und des Wolfdietrich, sogar ein illustriertes Steinmar-
liederbuchi); dazu bibelhss. und jagdbücher. Und obendrein
soll der maier abhängigkeit von andachtsbildern, grabreliefs
und wandfresken verraten. Ich nuiss gestehen, dass ich Mej-er
auf diesem wege auch nicht einen schritt weit folgen kann.
Sobald man dem maier das ganz erhebliche Zeichengeschick
zutraut, alle diese vorlagen zu copieren und deren mannigfaches
format auf eine bestimmte grosse zu bringen, muss man ihm
auch die fähigkeit zu selbständiger composition einräumen.
Und Me3^er tut dies auch; er hält z. b. das bild zu Regenbogen
für eine Originalzeichnung. Und er muss auch zugeben, dass
die vermuteten vorlagen fast nie unverändert übernommen,
ja sehr oft bloss in der idee benutzt worden seien. AVozu
dann überhaupt die hypothese einer vorläge, da doch die an-
regung durch gelesenes, gehörtes oder erlebtes vollauf genügte!
Die drei bilder, auf die Meyer seine construction baut: Wissen-
loh, Starkenberg und Warte, sind oben als namenbilder gedeutet
worden, und ich glaube, mit grösserer Wahrscheinlichkeit, als
sie Meyers ausdeutung auf Ascanius den jonyelinc (En. 805),
Venus und Vulcan (En. 5671)2) u^^ ^{q badescene eines epos
innewohnt.
1) Und dessen illustrationen nutzte der maler auch für andere dichter
aus! Man hätte also für das grosse prachtwerk einen künstler von so be-
scheidener technik und phantasie gewonnen, dass er einen Steinmar- oder
Hadlaubillustrator bestehlen musste.
ä) Die ähnlichkeit des bildes in der Berliner Eneide (s. Schultz, Höf.
leben 2, 71) beschränkt sich darauf, dass Vulcan, wie unser schmied, einen
heim an der zange hält (vgl. Regenbogen), auf den er loshämmert. Sonst
weichen die bilder von einander ab : die platze der figuren sind vertauscht,
Venus hält ein Spruchband in bänden. Der ursprüngliche entwurf in C
zeigte auch den schmied in anderer Stellung. Uebrigens galt die miuiatur-
malerei des 12. Jh. 's den französierenden illuminatoren des 14. jh.'s sicher
als überwundener Standpunkt. Hat unsere hs. Vorbilder benutzt, woran
ich zweifle, dann sind sie eher in französischen miuiaturen zu suchen
(s. unten).
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 34
518 WALLNER
Das Wissenlolibild hatte Meyer ursprünglich anders ge-
deutet. Mit laune berichtet er, wie er darin eine Hadlaubscene
entdeckte {Ach ich sach st trkiten wol ein Idndelin Ld. 87, 120)
und dadurch auf die kühnsten zusammenhänge geriet. 'Ich
suchte nach Hadlaubbildern in der Heidelberger hs. und fand
sie natürlich auch; ich sah den Zusammenhang Hadlaubs mit
dieser hs. und damit den manessischen Ursprung der Samm-
lung unantastbar bezeugt' (s. 197). Mir ist ähnliches passiert.
Seit ich aus Könneckes atlas das bild zu Dietmar von Ast
kenne, dachte ich an beziehungen zu Salman und Morolf. Das
Astbild konnte durch Morolf als krämer oder Morolf als krüppel
auf dem esel angeregt sein, oder noch besser durch den Morolf
des Spruchgedichts, der mit einem kram durchs land zieht,
bis vor einer bürg unter den kauflustigen trauen ihm die lang-
gesuchte königin entgegentritt. Als ich jetzt anlass hatte,
mich mit den miniaturen der Heidelberger hs. zu befassen,
nahm ich denn für eine ganze reihe auffallender darstelluugen
Plünderung einer alten bilderhandschrift von Salman und Mo-
rolf an, deren existenz ja aus den von ihr abhängigen bilder-
hss. sicher zu erschliessen ist (vgl. Vogt s. xix). Die schach-
spielgruppe bei Brandenburg gieng auf die scene zurück, wo
Morolf mit Salme beim Schachbrett sitzt, in gefahr, das spiel
zu verlieren, und die brandwunde an ihrer band entdeckt.
Pfeffels auglerbild war angeregt durch Salm, und Mor. 270 Sie
giengen schouwen ziio dem se. 3Iörolf sprach ze der hinigin
'ivüt du mit mir gein Jerusale?' und 291 'ich muoz üf den
tvilden se vil ivunderltchen holde vischen der edelen hunigin
her! Der bootfahrt Niunius ') entsprach str. 575 Morolf und
diu juncfrouwe zogeten an die hiele dan. Si fuoren über den
wilden se in die giiote stat Jerusale (oder Morolfs heimfahrt
mit der Salme 773 f.). Das Marnerbild zeigte Morolf und den
pförtner (631): er nam einen Jcopf in die hant. der was von
golde unmäzen cluog mit edelm lüterdranJce er Mörolfen für
die j)orten truog. Also Morolf dö getranc, er (der pförtner)
saz zuo im üf die hanc. Buwenburgs rindertreiber, den drei
gewappnete reiter einholen und zui' rede stellen, war Morolf
^) Vgl. die meerfahrt im Müucbener Tristan (Woltmann, Gesch. der
maierei 1, 354).
HERREN UND SPIELLEUTE. 519
als metzger, der zu Akkers r Inder imde sclidf einkauft und
unmittelbar darauf von den mannen könig Princians angehalten
wird, die nach Morolf dem spielmann fahnden (702 ff.). Als
verstellter krüppel war M. auf einem esel von der bürg- Prin-
cians abgezogen. Um die Verfolger zu täuschen, verkleidete
er sich unterwegs als wallbruder und Hess den esel stehen.
Die heiden yäliten ivider dan; dö fiinden si den esel gän, si
fuorten in se Alcers in die stat (682). Aus dieser episode
konnte das Tettingenbild hervorgegangen sein. Und die
plattenschur bei Rost mochte durch str. 328 angeregt sein:
er nam ein scharsas in die hant, er schar im eine hlate.
Ganz genaue nachbildung einer Morolfillustration aber lag in
dem bilde des burggrafen von Regensburg vor: der mittel-
punkt der scene ist ein sich duckender bärtiger mann in einem
mantel, der die eine hand zum schlag erhebt und die andere
auf einen krückstock stützt. Fünf lebhaft gestikulierende
männer umringen ihn und den sitzenden richter oder fürsten,
der gleichfalls die hand erhoben hält. Man vergleiche damit
Str. 362 ff.: Morolf, als waller verkleidet, tritt vor könig Sal-
man; ein kämmerer schlägt den groben bettler, der den schlag
erwidert. Uf s^wimgen Salmans man, Morolf hiiop sich gein
des sales tur dan; 'ich hän die krucJcen dristunt gefiiort über
se, tuen ich da mit getvihe, der gedenTict min imer nie. Salman
von dem gestuole tif spranc, er winde sinen heiden ivider mit
der hant (vgl. auch str. 193 ff.).
Indessen — die einen dieser bilder haben sich aus dem
dichternamen ableiten lassen, andere wurden durch die an-
nähme einer vertauschung verständlich. Daher halte ich auch
die allerdings frappierende Übereinstimmung auf dem bilde des
burggrafen nicht für zwingend, an eine copie zu denken. Bisher
ist die abhängigkeit von bildervorlagen für den maier in keinem
falle erwiesen'), wenn auch seine phantasie von da her ebenso
gut wie von literarischen motiven ihre anregung mag empfangen
haben.
*) Wie ich nach abschluss dieser arbeit ans einer anzeige Schröders
(Anz. fda. 31, 127) ersehe, behauptet Ganz (Gesch. d. heraldischen kunst in der
Schweiz s. 117), dass in Privatbesitz blätter aus einer französischen chronik
des 13. jh.'s aufgetaucht seien, welche die directen vorlagen zu den bildern
42 und 82 bieten. Die luotive der beiden bilder (abfertigung eines boten
34*
520 WALLNER
Kommen wir nun auf die eingangs aufgeworfene frage
nach dem biographischen gehalt der bilder zurück, so hat die
Untersuchung bisher keine spur davon aufzeigen können. Die
liälfte aller bilder sind titel- und namenbilder; zu ihnen gehört
auch das bild zum starken Boppe und das zu 'Barthel Regen-
bogen dem Schmied'. Ebenso wenig aufschluss über die person
des dichters gewähren die textillustrationen und die typischen
scenen aus dem ritterleben. Unter diesen hat man das bild
zu Brabant als die schlacht von Wöringen gedeutet; da aber
der gegner des Brabanters nicht das luxemburgische wappen
führt', ist die deutung hinfällig. In dem bilde zu Heigerloh
wollte man den kämpf bei Lintstetten (Ottokar 71107—71240)
erkennen, in dem der graf fiel; das bild stellt ihn aber als
Sieger dar. Was der maier mit dem bilde Hassos von Eeinach
meinte, der als woltäter der armen erscheint, wissen wir nicht.
Wenn er den Hardegger, bruder Wernher und Spervogel als
fahrende darstellt, so konnte er ihren stand ebenso gut wie
wir aus ihrer dichtung erschliessen.') Die annähme von Bartsch,
das fechterbild bei Einggenberg hänge mit dem fehlen des
herrentitels zusammen, hat sich als ebenso irrig erwiesen wie
Herzogs ausdeutung des Buwenburgbildes.
Es bleibt noch ein bild zu erwähnen, das seit v. d. Hagen
biographisch ausgelegt wird und sogar bei ermittelung der
person des dichters den ausschlag gab. Es ist die 'ermordung
Reinmars von Brennenberg'. Muss in der ganzen reihe, wo
sonst keine spur biographischen wisseus sich zeigt, diese einzige
und Umarmung eines liebespaares) bieten so wenig charakteristisches, dass
die Übereinstimmung leicht zufall sein kann. Ein urteil darüber wird erst
die publicatiou der blätter erlauben.
*) Wenn er trotzdem zweien ein wappen zuteilt, so beleuchtet das
wider die Zuverlässigkeit seiner wappen. Einige von ihnen scheinen sogar
erst durch das bild veranlasst zu sein, so der bärenkopf bei Hawart, viel-
leicht auch die auffallende grüne tinktur bei Luppin. Bei Wachsmut von
Mülhausen können gleichfalls die goldnen pf eilspitzen des wappeus sich
auf den goldnen liebespfeil (Diu sträle de?- minne ist von rotem golde, niht
von stäle, Neidh. Ld. 25, 147) auf dem bilde beziehen, iind der spielt auf
den namen an. Buwenburgs wappenbild ist eine copie von no. 74 der ZWR.
(Greifenstein) ; doch ist der greif durch weglassung des löwenrumpfs in einen
vogel verwandelt worden, der bedenklich an die schwarze henne des bauers
auf dem bilde gemahnt.
HERREN UND SPIELLEÜTE. 521
ausnalime wirklicli zugegeben werden? Wär's noch der Marner!
Aber dass der alemannisclie maier über einen unberühmten
fränkisclien dichter auf einmal bescheid wissen sollte, wäre zu
überraschend. Es gibt einen ausweg. Brennenhery lieisst im
Volkslied der held des herzemseres:
De valschcu kleffer Schloten einen rat
dat Brunuenberch gefangen wart,
gefangen up frier Straten,
in ein toru wart he gelaten
(Uhland no. 75, str. 5).
Ich glaube, an die ermordung') dieses Brennenberg hat der
maier gedacht. Die minnesängersagen, die uns als Volkslieder
späterer zeit entgegentreten, giengen schon früh im 14. jh. um.
Ein Zeugnis dafür ist auch das Tanhäuserbild. Das ist nicht
der lustige töre herzog Friedrichs, sondern ein büssender Avaller.
Auch kein kreuzfahrer und kein Ordensritter: schwertlos, auf
dem pilgermantel ein schwarzes kreuz, zieht er seine Strasse,
mit einer wankelmut und anfechtung abwehrenden handgebärde:
ich tvill gen Born wol in die statt auf aines hapstes treiven.
Gehört auch das bild zu Morungen^) in diese gruppe?
Die darstellung der B-quelle hat der maier verschmäht; nicht
an und für sich, denn er verwendet sie für den von Gliers,
aber als Morungenbild, Das sieht aus, als hätte er dafür etwas
eigenes, bezeichnenderes zu bringen gehabt. Das bild zeigt
einen mann auf dem lager, angekleidet, mit dem mantel zu-
gedeckt; eine fr au, die sich von ihm abwendet, mit einer ge-
bärde, aus der Oechelhäuser liest: 'dem ist nicht mehr zu helfen!'
Sollte das die hauptscene der Moringersage sein? Das Volks-
lied erzählt: nach sieben jähren, clo der edel Moringer in einem
1) R. M. Meyer hat mit recht betont , dass das bild die gleiche com-
position zeige wie das Neidhartbild. Dessen Variante ist es aber kanni,
denn naturgemäss muss das spätere bild von dem frühem abhängen. Die
mordsceue wandelt sich auf dem Neidhartbild in die freundschaftliche be-
drängung des dichters um ein lied. Dem maier wird Ntthart als bezeich-
uung eines ausgelasseneu liedes geläufiger gewesen sein denn der ' bauern-
feind'.
^) Eeinhart von Brennenierg und Heinrich von Morungen nennt neben
einander die Zimmersche chronik, und das 'Lofsbuch' aus dem 15. jh. (DHS.
no. 125) zählt sie unter den vier buhlern auf: Wolfram von Eschenbach,
Mor inger, Prennberger, Füfs der inder (Neidhart Fuchs).
522 WALI.NER
garten lag tinä schlief, träumt ihm, ein engel rufe ihm zu:
entivache, Mor'mger! es ist seit, Iciimst du Jieint nit heim zuo
lant, der jung von Neifen ninit dein weih (Uhland, no. 298,
Str. 14). Der Moringer des bildes ist erwacht und sieht im
geiste, wie seine frau, die ihn tot glaubt, sicli von ihm wendet
zu neuer ehe. Der maier könnte naiver weise diese vision auf
dem bilde verkörpert haben (wie er doch auch bei Eeinmar
von Zweter ein traumgesicht darstellt). Vielleicht hat ihn
schon der name Neifens zur ablehnung des alten Morungen-
bildes angeregt. Denn auch das Neifenbild könnte sich auf
die Moriugersage beziehen: die fi^au — es ist genau dieselbe
wie auf dem bilde Morungens — zeigt unschlüssigkeit und
bedenken gegen die Werbung des ritters.')
Ist die deutung dieser bilder richtig, so ergänzen sie die
Charakteristik des maiers mit einem bedeutsamen zug: er zeigt
— als söhn des 14. jh.'s — denselben mangel an historischem
sinn und die gleiche Vorliebe für die künstlersage wie die
meistersingertradition.
IV. Die titel.2)
Es finden sich drei gattungen von titeln: 1) die bezeich-
nung von amt und würde (kaiser, könig, herzog, markgraf,
burggraf, graf, schenk, marschall, bruder). Mangel an kritik
hat hier die einreihung könig Tyrols veranlasst und den
herzogstitel des grafen von Anhalt. 2) Der herrentitel. Er
erscheint nicht neben einem andern titel (ausnähme: her
Chuonrat der Schenhe von Landegge) und wird nur vor den
rufnamen gesetzt: Her Friderich von Husen, her Beinmar der
Alte U.S.W. Wo der rufname fehlt, erscheint die form Der
von N. oder einfach von N: Der von h'irenberg, der von Cliers,
der von Sachsendorf, der von Johansdorf, der von Wildonie;
von Suonegge, von Scharpfenherg, von Munegür, von Baute,
von Trosherg, von Stadegge, von Stamhein, von Buochein, von
Wissenlo, von Wengen, von Ohernhurg, von Bimenhurg. Bei
1) 'Die gegeuüberstehencle geliebte wendet sich spröde ab, blickt nach
der andern seite und streckt abwehrend die rechte band empor', Oechel-
häuser s. 129.
2) Literatur: F. Grimme, Germ. 33, 437 ff. und Neue Heidelb. Jahrbücher
4, 85 ff. ; A. Schulte, Zs. f. gesch. d. Oberrheins 7, 553 f. und Zs. fda. 39, 210 ff.
HERREN UND SPIELLEUTE. 523
Johansdorf,-. Muneg-ur und Raute ist der rufname in der hs. B
überliefert; fehlte er der sonderquelle BC oder liess ihn C
aus nachlässig-keit fort? 3) Der meistertitel. Ihn führen Hein-
rich Teschler (F), Walther von Brisach (G), Goffrit von Stras-
burg, Johans Haäloub, Chuonrat von Würzhurg, Heinrich
Vrouwenloh (F), Friderich von Suonenhurg, Sigeher, Bumslant
Die säng-er der ersten und zweiten gruppe gelten — mit aus-
nähme bruder Wernhers — für freie und ritter, die der dritten
für bürgerliche.
Die titellosen namen zerfallen in vier gruppen: 1) namen,
die auf bürgerlichen stand oder beruf hinweisen : Rost Jälcherre
26 Same, Siieskint der Jvde von Trimberg, der Schuolmeister
von Esselingen, der tuginthafte ^) Schriber, Buodolf der Schriber,
Chanzier, der Dürner. 2) Beinamen: Klingesor von vngerlant,
Steimnar, der Marner, Gast, Eegenboge, llidiin von Faiedeger (!),
der Tcol von Nüssen, Spervogel. 3) Heimatnamen: Her Hüring,
der Füller, der Tanhuser, der Hardegger, der Taler, der jung
Misner, der alte Missener, der Litschoiver. 4) Blosse ruf-
namen: Winli, der tvilde Alexander, Boppo. Die beiden letzten
führen in der Jenaer liederhandschrift den meistertitel.
Die Sänger dieser vier gruppen gelten teils für herren,
teils für bürgerliche. Sicherheit über die meinung des Schreibers
ist nicht zu gewinnen, da die Sammlung auch fälle bietet, wo
der herrentitel gegen ihre sonstige gepflogenheit fehlt. Es
sind die namen: Wachsmuot von Künzingen, Endilhart von
Adelburg, Johans von Finggenberg (E), Kristan von Luppin (F),
Hartman von Starlienberg, Heinrich von Tettingen, Chuonze
von Fosenhein (E). Bei Adelburg, Ringgenberg (liste, am
rande: Her Johans von Finggenberg), Luppin und Tettingen
ist die herrenwürde nicht zweifelhaft; Wachsmuot von Kün-
zingen führt den titel her in der hs. B. Es wird also das
fehlen des titeis auch bei Hartman von Starkenberg und Kuonz
von Rosenheim nur versehen oder nachlässigkeit sein. Davon
konnten aber natürlich auch die namen der früheren gruppen
getroffen werden.
Weit auffallender als diese Unterlassungssünden sind die
1) Formelhaftes epitheton; von J. Grimm wird Zs. fda. 6, 187 eiu Andre
der tugentlich Schreiber (Eaiu a. ISiö. 1316) beigebracht.
524 WALLNER
fälle, wo der lierrentitel gegen die allgemeine ggpflogenheit
gesetzt wird. Er erscheint nämlich viermal vor beinamen:
her Buh in, her Ffeffel, her Näiiü, her GeltarS) Wie
kommen diese namen zu dem herrentitel?
E üb ins dichtung ist fast ausnahmslos minnesang. Sie
bietet also keinen anlass, den herrenstand zu bezweifeln, ist
aber auch noch kein beweis für ihn, denn erwiesen bürger-
liche dichter wie Eost und meister Heinrich Teschler haben,
nach der Überlieferung, ausschliesslich den minnesang gepflegt.
Man hat Eubin, wie seine nachbarn Walther von Metz und
Liutold von Seven, ohne zureichenden grund nach Tirol ver-
setzt 2), wo es einst herren von Eubin gab. Des minnesängers
redendes wappen stimmt nicht zu dem des tiroler geschlechts.
Einen Ortsnamen schliesst überhaupt die namensform her Ruhm
{hcrre Paihin hs. B) aus. Zwar sagt Wolfram einmal her Vogel-
iveid, aber dies prädicat ist ihm kein ortsname und er hat die
polemische absieht, das deutlich zu machen.^) Bei Eudolf von
Ems begegnet her Vlec der guote Kuonrät, aber Vlec ist als
beiname nachzuweisen. Und wenn der Marner der Venis sagt*
so hat er diesen fremden Ortsnamen (deutsch: VineU) eben
auch für einen beinamen (fcnis) gehalten, vne denn dieser name
auch sonst als Fhoenis, Phoenix verstanden und gebraucht wird;
vgl. MSH. 4, 47. Wo Eubius name sonst noch genannt wird,
erscheint er als personenname: Heinrich der Veldeggoere, Wahs-
muot, Buhtn, Nithart (Marner, MSH. 2,246 a); Walther von Metz,
Ruhin und einer, hies Wahsmuot (Eeinmar von Brenneuberg,
MSH. 3, 334 a); Reimar, Walther, Rubin, Nithart, Vridrich der
Suonhurgcere (Hermann Damen, MSH. 3, 163).
') Den in mehrfaclier hinsieht zweifelhaften namen her Goeli lasse ich
heiseite.
2) Bei Walther von Metz hat die annähme tirolischer herkunft schon
Hanpt (MF. s. 225) abgelehnt, v. d. Hageus Walther von Metz beruht auf
einem lesefehler; vgl. Schöubach, Zs. fdph. 5, 163, aum.
^) Dies Wolframische her Vogeliveid gehört in eine reihe mit Hans
Vogeliceidt aus Boplingen (1514), Walter der Voyelweid von Yeltheim (1391.
Mon. Boica XVI 159) und Walther der Vocjelioaid aus Fürstenfeld in Steier-
mark (1368: vgl. Palm, Zs. fdph. 5, 205). Daraus lässt sich auf ein simplex
iceid swm. = iceideman schliessen (vgl. icaltweide swm. 'wilder mann",
icHiceide adj. und nahtivcide swf.). Vogeliveid ist also 'auceps" und Walther
HERREN UND SPIELLEUTE. 525
Mit dem persoiiennamen PMhin betreten wir bekanntes
gebiet. Fiiihin heisst der buhle der krämersfrau im osterspiel,
ein narr in der 'Xarrenschule', die lustige person im scliwert-
tanzspiel, ein bauernkneclit im fastnaclitsspiel (no. 55 lluUing),
kurz: "Rubin ist der ältere name für diejenige person des
deutschen lustspiels, die man bei den englischen comödianten
Pickelhäring nannte' (Heinzel, Abh. z. altd. drama, WSB. 134,
X 64). Da die krämerscene im osterspiel wahrscheinlich auf
eine französische quaksalbercomödie zurückgeht (vgl. Heinzel
s. 55f.)') und Robin als dienername auch in französischen
stücken begegnet und allgemein einen vilain bezeichnet 2), so
liegt der schluss nahe, dass der name aus der französischen
pastorele herstamme, wo Bohin der typische name (bei Bartsch
in 70 nummern) des bäuerlichen liebhabers ist. Bekanntschaft
mit der französischen pastorele brauclit für Deutschland im
13. Jahrhundert nicht erst bewiesen zu werden (vgl. Wacker-
nagel, Altfranzös. lieder und leiche s. 235 f.). Wenn nun ein
deutscher sänger des 13. jh.'s den namen Robin führt, so kenn-
zeichnet ihn der sicher nicht als herren. Die Jenaer hand-
schrift bringt einen spruchdichter Bohyn (diese namensform
hat auch das Wolfenbütteler osterspiel; auch der stein heisst
mhd. nihin und rohtn: Salm. 5, 3), der mit seinem nachbar
Meister Ruodiuger in der hs. C als nachtrag der fünften band
erscheint: Riihin unde Büedeger. Ist der minnesänger mit
diesem Robin identisch? v.d. Hagen nimmt es an, Bartsch
bezweifelt es, weil Robin sere : Magehoere reimt, was einem
tirolischen dichter nicht zukäme. Aber dieser Tiroler reimt
auch vrö : ho : also Zupitza4, 20; hm : in 18,11; steu : sen
23, 19. Den letzten reim wollen freilich Bartsch und Zupitza
durch einsetzung von gm berichtigen; man urteile, mit welchem
erfolg: die dame rät dem scheidenden kreuzfahrer: cnmiige im
niht der ougen blic ze staten steu, so läse er daz herze vür diu
Öligen — gen! Wenn es wenigstens Messe: vür die vüeze
der Vogeliveid dürfte der ursprüngliche name des dicliters gewesen sein, mit
dem sich Heinrich der Vogelcere (Dietrichs flucht 8000) yergieicht.
^) Vgl. hesanczen (besants), Alemenje, Arras.
-) Vgl. auch Riibi knecht (Socin 160); villicus quondam dictus Uohin
(ebda. 559). Nicht hierher gehört der judenuame Eobin = Rüben.
52G WALLNER
gen! Es liegt also kein grund vor. die beiden zeit- und heimat-
genossen, die der seltsame name verbindet, zu trennen, zumal
auch der minnesänger spuren von spruchpoesie zeigt: 9, 1 {Ein
sinne ticke scelic tvip; vgl. MSH. 2, 353a, no. 2?) und 12, 11 (Nie-
man an vröuden sol vertagen] vgl. Eobins Nieman ze vruo sol
pnsen bei Zupitza IX).
Der name her Pfeffel sieht aus wie ein goliardenwitz.
Ueberliefert sind drei gleichgebaute Strophen mit künstlicher
reimstellung: eine minnestrophe, ein lehrhafter spruch und ein
gehrspruch an herzog Friedrich von Oesterreich:
Vröude diu ist erwachet, gelebt ich noch den tac,
Diu e verborgen lac daz mich frou Sselde erkande,
so lange in Österlant; als si eteswenne pflacl
die hat uns uf erhaben min habe ist worden kleine,
der vürste Yriderich; mir ist von schulden ande,
Des maniger wol erlachet, so man allenthalben git,
der sin ist worden rieh; unt mich verkiuset eine:
er kan die siechen laben daz lenget mir die zit.
mit milte gebender haut.
Diese bettelklage spricht nicht eben für einen herrn.
Wie herrn Rubin, setzte v. d. Hagen auch Niuniu nach
Tirol als herren von Neun. Aber Niimiu kann ebensowenig
wie Buhin ein Ortsname sein. Es ist wol ein marktschreie-
rischer spielmannsname, der itenimviu niumcere anpreist. Das
Wappen ist das der Schönnen von Zürich bei Stumpf 155 b.
Wegen der bunten zusammenwürfelung der unter seinem namen
überlieferten lieder hat Burdach (ADB) den dichter Niuniu
streichen wollen; er hält ihn für einen bloss reproducierenden
spielmann, dessen liederbuch die hs. A kritiklos aufgenommen
habe. Diese Vermutung geht zu weit, da die hs. nicht nur
dem Niuniu und Gedrut, dem jungen Spervogel und Liutold
von Seven derlei fremdes eigentum unterschiebt, sondern auch
dem truchsessen von Sanct Gallen, wie überhaupt ihre anord-
uuug in heilloser Verwirrung ist. Aus dem nach abzug des
fremden gutes verbleibenden rest blickt mit volkstümlich frischen
Zügen (hs. A Strophe 6. 8. 13) unverkennbar eine individualität.
Charakteristisch ist die Verspottung des minnedienstes:
Leider sine minnent alle niht alse ich,
die da wibes minne vlizent sich;
des sol min vrouwe län geniezen mich.
HERREN UND SPIELLEUTE. 527
Jone bin ich uiht der valscher minne gert,
valscber wil ich niemer werden wert:
des hän ich wol behalten drizic verti')
Geltars name bezeichnet seinen träger als den ewigen
Schuldner, der nie seine pf ander lösen kann. 2) Aus seinem
bettelleben macht er kein hehl: Man singet minneivise da ze
hove und inme schalle: so ist mir so not nach alder ivät, deich
niht von vrouwen singe Ld. 57, 10. Seine dichtung ist ganz
auf Satire gestellt. Höhnend misst er den conventioneilen
minnesang an der Wirklichkeit und verspottet die flämisch-
französische moderichtung. Er will nicht als ein wceher Flceminc
vor die frauen dringen; dem typischen Streitgespräch zwischen
mutter und tochter gibt er die überraschende Wendung, dass
die mutter plötzlich ihren zorn fahren lässt, als sie hört, der
mann, mit dem die junge nach rösen will, sei ein 'Waleis':
liehen hint, daz ist ein man, der senede sorge tuenden kan: Jon'
ime, das ist ivol getan! Ld. 57, 42. Wenn er einen knecht
hätte, der von seiner 'frouwe' sänge, spöttelt er in dem
Spruche gegen Alram, Ruopreht, Friderich, so müsste der sie
ihm deutlich nennen, dass man nicht etwa glaubte, es wäre
sein weib gemeint, — Diese drei stücke gibt ihm die hs. C;
sie stehen in A, unter dem namen Gedrut^), mit einem sprüche-
^) D. h. ' ich bin so treu, dass ich voriges jähr von dreissig liebschaf ten
keine aufgegeben habe'; da war Hiltbold noch recht bescheiden: mir tvart
nie so ive, da ich ivol vieren für eigen mich bot (Ld. 20, 8). Die entstel-
lung unter Rotenburg, MSH. 1,80 a: vahches tvil ich nie mer werden wert,
daz hob ich her hehalden drizek vert kommt gegen A 120, 6 und C (MSH.
2,172 a) nicht in betracht.
-) Vgl. mit schoenen gebcerden si mich ze ir brühte (die minne) und
leitet mich als boese geltccre ie hänt, die ivol geheizcnt und gelt es nie dähten
Rud. von f enis, MF. 80, ü); er ist noch gelter darumh 'hat noch nicht be-
zahlt' Lexer 1,826; Henricus de Endingen dicttis der Gelter a. 1261, ein
baueruname, bei Socin ili; Gelterin a. 1295, ebda.
^) Bartsch hält das für einen f rauennamen ; eher könnte man an Ge-
trüt 'Liebetraut' denken, wenn nicht die hs. A, die Heinrich der Eiche
(= von Bticlce), Wahmuot, Btidolf Offenburg (= Botenburg), Heinrich von
VeltJcilchen {=VeldeTie) schreibt, auch hier eines lesefehlers dringend ver-
dächtig wäre. Geltar und Gednit haben nicht nur Ge gemeinsam, sondern
auch die zahl der buchstaben, und die Verlesung von It in dr einerseits,
die des schluss-r in t anderseits wäre nicht auffällig. Erwägt man schliess-
lich, dass dem dichter 'Gedrut' nicht eine zeile verbleibt, sobald man Geltar
528 WALLNER
paar verbunden, das von Kunzechcu kern Wahsmuot wegen
seines zarten minneselmens hänselt. Das stück stimmt ganz
zu dem ton, den Geltar sonst anschlägt und zeigt auch die
merkmale seiner technik; die reimstellung der Stollen abc abc
erscheint auch in den beiden andern stücken und die nach-
lässige reimbehandlung (schiede : liehe, trüege : ungeväege : gnüe-
gcn) hat in der reimfolge h-enzelin : sin : siht ein seitenstück,
wenn hier nicht eine zeile fehlt. Die hs. C hat in gewohnter
Willkür (vgl. Wisser, Das Verhältnis der minneliederhss. B und C
s. 35) dies sprüchepaar unterdrückt.
So weit uns bei diesen vier Sängern — Rubin, Pfeffel,
Niuniu, Geltar — name und dichtung einen schluss erlauben,
führen sie sämmtlich den herrentitel mit unrecht. Mit diesen
nummern ist aber die reihe bedenklicher namen in der hs. C
noch nicht erschöpft. Wie hier name und titel einander aus-
schliessen, so widersprechen sich bei drei andern Sängern titel
und beiwort. Es sind lier Beimnar der vidiller, her Friderich
der hiecht und her Dietmar der Sezzer.
Reinmar der fiedler. 'Nach dem glaubwürdigen zeugnls
der hs. C ein adliger herrc\ bemerkt Roethe (ADB. 28, 97),
während er bei hern Dietmar anmerkt: 'das zeugnis der hs.
ist hier, wo es sich um einen unbedeutenden fahrenden han-
delt, unzuverlässig.' Ich wüsste nicht, wodurch der eine be-
deutender wäre als der andere. Reiumars wappen ist — wie
das Volkers (DHS. 93, 14) — eine goldene fiedel. Seine spruch-
dichtung stellt ihn zu den gehrenden leuten:
Maneger lät mich uugegrüezet,
daz er färbtet deich in bite,
der doch selten kumber büezet
iemau nach der milden site (MSH. 2, 162 b).
Auch die schelte gegen kunstgenossen fehlt nicht. In Liutold
von Seven bedenkt er einen gefährlichen w^ettbewerber mit
ii'onischem lob (Ld. 29):
Wir mugen wol alle stille swigen, da her Liutold sprechen wil:
ez darf mit sänge nieman giuden wider in.
er swiuget also hö ob allen meistern hin,
ern werde noch, die nü da leben, den brichet er daz zil.
in seine rechte einsetzt, so wird man sich getrost zur Streichung dieses
namens eutschliesseu.
HERREN UND SPIELLEUTE. 529
Ob sicli Eeinmar hier selbst auch zu den meistern zählt, wird
nicht klar; sein beiname drückt ihn zu einer niedrigeren
kateg-orie herab. Als Ottokar die spielleute könig- Manfreds
aufzählt, fügt er hinzu:
Swaz ich ir nü hän geuaiit,
an die was diu er gewaut,
daz si lueister wären:
sold ich ir namen vären,
Die noch vidlsere hiezen,
des möht iuch wol verdriezeu.
Oesterr. reimchron. (Mon. Germ. 5, 1) 347 ff.
Friedrich der Knecht. Das attribut hnelit wird als
'knappe' erklärt. Eine solche Standesbezeichnung aber kann
das beiwort hier nicht sein; das erhellt schon aus der art und
weise, wie der dichter es selber zu anrede, selbstanrede und
Umschreibung des ich gebraucht: Ich vröudelöser Kneht; Liebe
vröudeloser Kneht! (MSH. 2, 169a); Vrcelichen sol der Kneht
hiure aber reigen (170b). i) Ber Kneht ist also kein appella-
tivum, sondern ein beiname, wie etwa Jenninus dictus Knechtli
a. 1292 (Socin 479). Wes Standes der Sänger ist, zeigt seine
dichtung. Sogar das miunelied stellt er in den dienst der bettelei:
diu milte wil verswinden,
dar under so ist min vröude laz.
gaeben mir die herren mer,
so möht ich wol volenden den willen min.
leider sus muoz ich sin
lange versümet: ich meine ein vrouwelin.
(MSH. 2, 170 a).
Er verheisst seiner schönen für ihre gunst alles was die herren
ihm das jähr über — yersprechen würden: stvaz ich disen winter
mit geheize mac ertverhen und alz daz jär, nimet min ir gilete
war und ir genäde, daz gibe ich allez dar (ebda.). Das Neidhart-
motiv von den frostroten füssen des schönen kindes nutzt er
zu einer grotesken pointe aus -) und fast nie zeigt sein minne-
*) Wären nur die beiden ersten stellen überliefert, so könnte man
kneht einfach als 'kuabe, gesell' deuten. Die dritte stelle aber widerlegft
diese annähme und zugleich Burdachs folgerung, dass der dichtername erst
aus diesen beiden stellen abgeleitet wäre.
2) A liest si ez dir so beherzint (= sit es dir so behermet?) nv wiz
vro die wil ich ir wer min vnder beiden vüzen {min). Da Pfeiffer zu viizen
530 WALLNER
sang ein ernsthaftes gesicht: Diu vil minnecltche die ich da
meine manegen eit lidn ich da verlorn (wortspiel mit meineiden),
nu enswere ich doch niht üz einem steine.'^) diz leit wcere haz
verhorn, daz si mir geloubet niuwan einez: oh ich hienge, daz
ich üf der erde gerne ledecUchen gienge! . . . nach ir ist mir
so rehte we daz ich geslafe niemer niht — so ich tvache, dar
ZUG tvirde ich selten vrö wan — so ich von herzen lache MSH.
2, 169 b.
Geltar greift einmal drei concnrrenten an, die vor den
lierren von Mergersdorf in minneliedern schmachten (Ld. 57, 1):
Het ich einen knebt, der suuge lihte von siner frouweu,
der müeste die besclieidenliche uemnen mir,
daz des iemeu wände ez W8ere min wip.
Alrani, Ruopreht, Fr id er ich, wer sol iu des getroiiwen,
von Mergersdorf daz so die herren effet ir?
W8ere gerihte, ez gienge iu an den lip.
Ir Sit ze veiz bi klagender not:
waer iemen ernst, der sich also
nach minnen seuet, der Iseg inner järes friste tot.
Knappen zu Mergersdorf können die drei feisten minnesänger
nicht sein; so dicht gesät waren die höfischen poeten denn doch
nicht. Lehnt man aber diese beziehung ab, dann ist v.d.Hagens
Vermutung nicht so unwahrscheinlich, der in zweien der an-
gegriffenen Alram von Gresten (vgl. MF. 3, 17, anm.) und Fried-
rich den Knecht erblickt."^) Derartige Witzeleien mit dem
namen eines rivalen waren ja unter den spielleuten beliebt,
wie die Wortspiele mit Marners, Singufs und Frauenlobs namen
zeigen.
nicht auf die Variante von C vhfen verweist, hält er wol die lesart von A
für richtig. Mit nnrecht, da der derbe scherz auf den brauch anspielt,
kindern die froststarren bände unter den 'üehsen' zu erwärmen.
^) nv fwer ich doh niht vs eine fteine C; ist mit stein ('hohler stein,
bürg, türm' s. Lexer 1, 116) hier ein kerker gemeint? Vgl. Salm. u. Mor.
300 in hetten sine liste uz einem herten stein getragen und str. 634 in jenem
wizen steine da ist verwirkt diu Jcunigin. Der schwiir eines gefangenen im
kerker verdient keinen glauben; er hatte auch rechtlich keine giltigkeit:
Sachsensp. 3, 41, 1.
*) Ich wage beiläufig eine frage nach dem dritten : könnte Geltar, der
ja französelnder flunkerei stets grob entgegentritt, nicht hier herrn Eobin
an seinen derbdeutschen namen Ruopreht erinnert haben? Der einfall
setzt natürlich die Stichhaltigkeit der hypothese v. d. Hagens voraus.
HERREN UND SPIELLEUTE. 531
Dietmar der Setzer. Man hat dies bei wort von einem
Ortsnamen Sooss {Sasse a. 1216) bei Vüslau herleiten Avollen
(MSH. 4, 486; Kummer, Herrand von Wildonie 64) oder von
einem örtclien im Manhartsviertel (R. Müller, Zs. fda. 31, 101),
aber dagegen spricht die gepflogenheit der lis., welche nur
bei fehlendem rufnamen den Ortsnamen in dieser form gibt
{der Hardegger, der Litschomver etc.). Dietmar der Seszer
aber muss beurteilt werden wie Kiionrät der SchenJce, Sües-
liint der Jude, Friderich der Kneht, Beinmar der Videler,
Rudolf der Schriber. Der name ist vom setzen 'versetzen,
pfand setzen' herzuleiten'), das bekanntlich im leben des spiel-
manns eine vielberiifene rolle spielt (Walth. 25, 39; MSH. 3, 143.
3,95; Ld. 221, 24). Der Geltcere und der Sezzcere, die in der
hs. nachbarn sind, würden gut zusammenpassen als spielmanns-
flrma, wie Werhelin und StveimeUn, Ruhin und Rüedeger,
Fridlin und Ottlln (bei Schönach von 1343—1360 sechsmal
belegt). Von Dietmar sind nur vier Sprüche erhalten: MSH.
2, 174. Einer ruft den kargen herren zu: Der muten stuol
wart nie gesehen ze lieUe, noch der kargen ze himelrtche\ ein
anderer bespricht die unstete des lebens, die übrigen zwei
warnen die leute vor falschen zungen:
die selben haben künic Karies reht verdrimgen ;
ir lip der müeze büezen,
als der üf dem rade verschiet!
Si wellen alle propheten sin,
die die liute da grüezen,
ixut si denne verraten;
den g-it man semein unt den win,
Pfenninge, hüenre, vische unt veizte braten.
Das Chronicon Colmariense (MG. SS. XVII 253) erzählt De
visione vagabundi dicti Seczere:
Burcgravia in Sulczmatin a patre se audisse retulit, quod Secerus
a socio suo mortuo bis per rusticos ad domum desertuui vocatus fuit;
sed Secerus adire noluit. Deinde circa aquam milites multos sed mortuos
equitantes vidit. Hos sequebatur socius Seceri. Secerum fugieutem
monet socius, ne f ugiat, quo non moriatur, et dixit ad eum : ' Die domino
de Schwarczenburc, quod in brevi satisfaciat Domino de peccatis suis et
») Vgl. Isengrin 1598 do er kern Brünen alse hlöz sah, er sprah:
guote her capüan, tvar haut ir iwer huotelhi getan? hänt irz gesezzet
iimhe wtn?
532 WALLNER
restituat niouachis de ... res suas et accipiat crucem et trausfretet ;
alioquiu clara die per aiiram niirabiliter morietur.' Hec Sezarius dixit
et factus est oinnibus iu derisum. Post paucas septimanas congregans
comes Albertus de Svarczeuburc milites, ut veniret in adiutorium ex-
coimiiunicatis homiuibiis imperatoris Friderici; clara die veuit pluvia cum
tonitru et iuterfecit euni. — 'Die comiti Eudolfo de Habsburc, eum fu-
turum regem Romauorum; quod reges impugnabit et vincet, 15 auuis
reguabit, pacem faciet iu terra, et per pueros suos amicos plurimos sibi
copulabit; a tempore Caroli Magui uou fuit ei similis gloria, poteutia,
lionore et divitiis; sed imperialem corouam non poterit obtinere. '
Haupts Vermutung (Zs.fda.6,399), dieser schweifende Wahr-
sager und der dichter seien eine person, hat viel für sich. Dann
gehörte Dietmar noch in die erste hälfte des 13. Jahrhunderts.
Die besprochenen namen sehen aus wie nach einem model
geprägt; der titel steht zum beinamen oder attribut in hand-
greiflichem gegensatz: her Friderich der Kneht und her —
Rohin (typischer bauernname), her Beinmar der videler und
her — Nümiu (bezeichnüng eines gemeinen spielmanns), her —
Pfeffel (vagant), her — Gelfar und her Dietmar der Sezzer
(Schuldner und versetzer). Das kann kein zufall mehr sein,
denn darin steckt methode.
Ich habe diese namen schon einmal gestreift, als ich den
namen her Walther von der Vogehveide aus der absieht des
dichters erklärte, damit seinen minnesang scherzhaft zu dra-
pieren. Erklärt sich nicht aus ähnlicher absieht auch der
name her Nithart von Btutvental? Der allegorische ge-
brauch des namens Ehacental bei ihm selbst, bei Hadlaub und
im Jüngern Titurel, wozu sich als seitenstücke Barhiän und
Trüebenhüsen bei Süsskind und dem von Gliers bieten, ist ja
bekannt. Auch der name Nithart hatte schon damals allgemein
die bedeutung 'neidischer misgünstiger mensch' (vgl. Wacker-
nagel, Kl. sehr. 3, 102. 112 und Wolframs anspielung im Wille-
halm 312,11 auf den dichter Neidhart). Der ausgangspunkt für
Neidharts dichtung ist und bleibt die pastorele mit der tj'pischen
rolle des ritters, dem die dorfschöne einen bauer vorzieht und
der mit neid und verdruss abziehen muss: Hat dich der schimpf
geroutven, so zeuch dus ivider anheim ! Aus dieser rolle heraus
dichtet Neidhart und aus ihr lässt sich nicht nur sein auf-
treten als ritter oder edelknecht, sondern auch der so gut zu
ihr stimmende name Nithart von Riuivental erklären; selbstironie
HERREN UND 8PIELLEUTE. 533
ist ja cliarakteristisch für den pastorelendicliter (vgl. Gröbers
Grdr. 2, 1, 670).
Aus fremder rolle heraus redet nun auch der spielmann,
der den minnesang pflegt, denn er ahmt ja nur die adelige
dichtung nach; die in seinen minneliedern begegnende anspräche
her und ritter ist also darnach zu beurteilen, i) Und wie nahe
lag ihm der anlass, sich für diese rolle einen ständigen herren-
namen zu Wählen! Ein nom de guerre zu führen, ist ja der
spielmann gewohnt und stolze titel legt er sich seit jeher
gerne bei. Als her Volker schmuggelt er sich in der dichtung
in die reihe der herren; warum soll er's nicht auch im leben
versucht haben? Das war immerhin noch harmloser, als
wenn er sich geradezu den namen Wolframs von Eschenbach
oder Heinrichs von Ofterdingen beilegte, wie es in seinen epen
geschah.
Der angenommene herrenname sollte gewiss zunächst wie
ein echter wirken und ernst genommen werden, bis dieser
brauch von sängern, die für den sinkenden minnesang nur
noch cynischen höhn haben, parodiert und der herrentitel
einem gemeinen spielmannsnamen vorgesetzt wird. Eigener
witz und fremder spott wird so die reihe der oben besprochenen
grotesken namen geschaffen haben.
Wir sind freilich gewohnt, im herrentitel ein unantastbares
Vorrecht der höhern geistlichen, der edeln und der ritter zu
1) Auch sonst ist bei der annähme eigenen erlebnisses vorsieht geraten.
Wenn z. b. der miunesanggeguer Taler eine botensendung erzählt, so ver-
raten schon die knechtsnamentypen Heinz und Kunz die ironische fiction:
der dichter führt einen adeligen niinnesänger vor. Auch in der boten-
sendung Walthers von Metz darf man aus der anrede edel ritter noch nicht
auf den stand des dichters schliessen, zumal dieser anderwärts sich als fah-
renden berufsäuger gibt : Waz hüfet mich, daz ich ze vremden vröuden var?
solde ich den gesten vröude machen, die wile ich selber trüric bin? (MSH.
1,308b). Vgl. auch MSH. 1,307 a stoaz ich ivirbe in allen landen. —
Fiction ist auch meistens das kriuzliet, das Eeinmar der fiedler im reper-
toire des spielmanns anführt; so bei Rubin und avoI auch bei Walther,
wenngleich mancher gehrende sänger das hl. land wirklich gesehen hat,
wie Freidank, Neidhart und der Tanhäuser. Richard Löwenherz nahm den
spielmann Ambroise mit ins morgenland (den verf. der Histoire de la guerre
sainte), wie sein vater Heinrich in den schottenkrieg den clerc Jordan
Fantosme als augenzeugen geschickt hatte und wie könig Manfred seinen
spielmannshaufen auch im kriege um sich behielt.
Beiträge zur geschichte der deutscheu spräche. XXXIII. 35
534 WAI.LNER
sehen. Geht man aber dem Ursprung- dieser ansieht nach, so
kommt man wider auf den ]\ranesse-codex zurück; sie ist erst
aus ihm abgeleitet worden. 'Seit wann ist der hand werker
«herr»? doch erst seit der französischen revolution', meint
Schulte (Zs. 39, 213). Er ist damals auch den behörden gegen-
über 'herr' geworden; im privaten verkehr führte der bürger-
liche diesen titel auch vordem. Und das Jahrhundert, dem
wir das wort 'höflichkeit' verdanken, war mit dieser titulatur
sogar freigebiger als unsere zeit. Ganz bedeutungslos, formel-
haft wird im 13. jh. der herrentitel gebraucht. Her Dietrich
heisst im volksepos der Amelungenkönig, her Isegrim der wolf
im tierepos; her ist stehend in der anrede, auch vor sachnamen
und abstracten: Her Meie, her Stoc, her Rite, her Pfenninc,
her Anger, her KrameJcorp. Ein ironisches 'herr von' steckt
darin so wenig wie im herrentitel der engel und heiligen: her
Michahcl, her Gabriel, unser herre sente Johannes.
Heinzel notiert mit einigem befremden, dass in deutschen -
und französischen dramen, schon im 13. Jh., knechte und sonst
personen niederer lebensstellung mit herren, ritter; seigneur,
Chevalier angeredet werden. 'Auch das publicum wird zuweilen
mit herren angesprochen, was es doch nur zum geringsten
teile war' WSB. 134, X 67 f. Im schwank vom schrätel redet
der Norman den bauer mit herre an, v. 74. Auch der Heidel-
berger liedercodex gewährt beispiele. Der Kanzler erwähnt,
wie ihn mancher edle frage: her Kanseler, ... tvas tuot iuch
guotes bar? MSH. 2, 397a; in dem unter Winlis liedern stehen-
den leich lässt sich der dichter her türner anreden, was kaum
auf einen herrn von Turn gehen wird. Nicht nur in der
zweiten person, auch in der dritten steht her vor bürgerlichen
dichternamen; so wird der Fnjdanhis vagus (Zs. fda. 4, 573)
oft her genannt (Grimm, Ueber Freidauk s. 4). Heinrich der
Glichezaere ist sicher ein spielmann (er hat das huoh gedihtöt
umbe Isingrtnes not. siver gihet, das es gelogin si, den Jät er
siner gehe fri 1789); der Überarbeiter des gedichtes aber gibt
— in der ersten hälfte des 13. jh.'s — seinem Vorgänger den
herrentitel: das hat der Glichesmre her Heinrich getihtet (2250). ')
') In den zeitgenössischen dichterlisten herscht in hezug anf den herren-
titel völlige Sorglosigkeit. Ulrich von dem Türlin führt Hartman von Aue
HERREN UNI) SPIELT.EUTE. 535
Nach dem braucli im leben müssen wir die anwendung des
lierrentitels im Heidelberger liedercodex benrteilen, denn der
ist doch keine urkiindensammlnng-. Uebrigens spiegeln auch
Urkunden den allgemeinen brauch wider. Grimme hat in den
Neuen Heidelb. jahrb. 4, 85 ff. auf die beiden deutschen Urkunden
des Zürichei- urkundenbuchs, bd. 2 hingewiesen und Schultes
nachprüf ung (Zs. fda. 39, 212) bestätigt seine angaben. Die
ratsliste von 1254 (no. 893) gibt sämmtlichen ratsherren, auch
nichtrittern, den herrentitel. Aus Schultes ausführungen
geht hervor, dass auch ehemalige ratsherren den titel erhalten,
und Zeller -Werdmüller fügt hinzu, dass erst nach der Brun-
schen Umwälzung von 1336 die titulatur her wider auf die
wirklichen ritter beschränkt wurde (Zs. fda. 39, 214, anm.). Die
andere deutsche Urkunde (no. 848) ist eine zeugenliste von 1252.
Die herausgeber merken an: ^die zeugenliste zeigt deutlich,
dass her in dieser nahezu ältesten Urkunde des Züricher rats
gar nicht auf adel oder ritterstand deutet, nicht einmal auf
ratsherren beschränkt ist' (Züricher urkundenbuch s. 368,
anm. 7).
Diese Sachlage entzieht dem herrentitel im Heidelberger
liedercodex als einem argument für den stand der sänger jeg-
liche bedeutung. Wie der maier jedem sänger ein wappen
beigeben wollte, so konnte der höfliche Schreiber auch die
absieht haben, jedem namen das prädicat her vorzusetzen,
also auch: Klingsor, Winli, Steinmar, Süsskind, Rudolf dem
Schreiber, Eegenbogen, Eubin 'von Rüdiger', Spervogel, Boppo
und Kanzler. Bei diesen zehn namen, wo das her ebenso gut
möglich war wie bei Geltar und genossen, kann es wie bei
den vier oder fünf wirklichen herrennamen aus versehen oder
Sorglosigkeit weggeblieben sein. Hat aber der Schreiber hier
den titel mit absieht fortgelassen, dann hat er sich mit den
'herren' um Geltar einen scherz geleistet oder er hat — was
mir wahrscheinlicher ist — die namen schon so vorgefunden.
als Meister HaHman auf; und hätten wir zur Standesbestimmung nur das
dichterverzeichnis in Rudolfs Alexander, so müssten wir den wisen Hartman
und von Veldich den künstertchen Heinrich mit dem Strickoere, dem ivisen
Gotfrit von Sträzhurc u.nd dem sinnerichen Frigedanc für bürgerliche
meister halten, dagegen von Heimesfurt hern Chuonrät und von Zezichofen
kern Uolrich für ritterliche herren.
35*
536 WALLNER
Für die bestimmuug- des geburtsstandes sonst nicht nach-
weisbarer Sänger ist somit der titel her in der Heidelb. hs.
ebenso unbrauchbar wie ihre wappeu und bilder. Steht der
name im geordneten teil der Sammlung, so haben wir damit
noch ein zeugnis für die meinung des Sammlers; steht er im
anhang, so fällt auch diese fragwürdige stütze weg. Zuverläs-
siges über die person eines Sängers ist nur aus seiner dich-
tung zu erfahren; ihr fällt in diesen fragen die entscheidung
zu. Sänger, die ausschliesslich das gebiet der spruchpoesie
anbauen, haben trotz wappen und herrentitel als bürgerliche
zu gelten, so der biedere Reinmar von Zweter, der — als
no. 113 — die mit Reinmar dem fiedler beginnende herrenreihe
abschliesst. Sänger, die ihre dichtung als gehrende leute
kennzeichnet, sind aus der liste der herren zu streichen, auch
wenn sie, wie Walther und die ' Tiroler '-gruppe Liutold von
Seven, Walther von Metz und Rubin, in dem ersten teil der
Sammlung eingereiht sind.
Auch Liutold ist ein gehrender. Als concurrenten eines
spielmanns zeigte ihn schon der spruch des üedlers Reinmar;
da erscheint ^ her Liutold^ ^) als ein man der mit iverder hmst
den lüden kürzet langes jär und sein vielseitiges repertoire
stimmt zu diesem gewerbe. Er singt: Imudiet, twingliet,
schimpfliet, loheliet, rüegliet, tageliet, Idageliet, hügeliet, zügeliet,
tandiet Erhalten ist uns davon nur wenig, wie denn wol
eigenes und fremdes in seinem Vortrag sich mischte (sein
'liederbuch' in A weist acht fremde namen auf); doch zeigt
ein Spruch Liutolds selbst, dass ihm einige dieser gattungeu
geläufig waren:
Ich hoere manegen vrägen,
"vvä von die singer also selten singen?
daz wil ich wol bescheiden den:
man vant e nnder zwelven wilent eteswen,
der einen drüf behielt,
Torst erz mit schelten wägen.
des enist nü niht, swaz si alle mugen twiugen,
daz büezet an in niht ein brot.
^) Damit vergleicht sich: her Walther, her Vogelweid bei "Wolfram
(neben Hartman der Ouwcere), von Kunzechen her Wahsmuot Ld. 56; in
diesen polemischen stellen hat her die gleiche nuance wie etwa in den
plänkeleien moderner germanisten.
HERREN UND SPIELLEUTE. 537
swer ouch vergebne lopte, daz waer äue not,
Sit maus so kleine [wielt].
Ouch irret: singet ieman iht,
daz enlernet uiemen.i) von den valschen Sachen
si hänt ze vröuden harte kleine zuoversiht.
wer solt dur so verloruez tihten wachen?
diz ist des sanges slac,
ouch schadet der riehen erge, diech niht genuzzen mac.
MSH. 3,328 a (III 2).
Was für eiue devise dieser herre fahrte, lässt der gleich-
gestimmte Spruch III 1 ersehen:
Sold ich den jungen raten,
die unbetwuugen libes unde guotes
sint unt hohe sohlen varn,
den seit ich wol, daz werdekeit mit grozem sparn
nie üf daz rat gesaz.
Wie die biderben täten,
den man nach tode danket werdes guotes?
die uämen ere vür daz guot.
In diesem bettelsänger, der sich so unumwunden zu dem guot
vür ere bekennt, ein glied des ansehnlichen tiroler dienstherren-
geschlechtes der von Sähen zu sehen, geht denn doch nicht an,
abgesehen davon, dass weder vorname noch wappen stimmt.-)
Wie Liutold, sollen auch die andern landfahrenden herren-
sänger lauter jüngere söhne von ministerialen sein: eine merk-
würdige Versorgung der cadetten, sie als spielleute auf die
Strasse zu stossen! Vereinzelt wäre ja ein solcher fall denkbar,
aber eine ganze kategorie von Sängern lässt sich nicht durch
den hinweis auf ein Kölner weistum des 12. jh.'s erklären.
*) Eine wichtige bemerkung, die uns eiublick in den alten dichtungs-
betrieb gewährt. Im eigenen naraen redet der berufsänger nur in gehr-,
lob- und echeltsprüchen ; das minnelied aber concipiert er schon in der
absieht, es andere zu lehren, natürlich gegen entgelt. Er arbeitet also
für fremden gebrauch und bedarf, wol öfters auch auf bestellung. Damit
verflüchtigt sich so ziemlich jeder biographische gehalt dieser lieder;
'bruchstücke einer grossen coufession' darf man im minnesang der spiel-
leute nicht suchen.
*) v.d. Hagen, MSH. 4, 491, anm. 2 notiert ein Seven in Steiermark
(foris in (h'pl. hoc legitiu- Saven, quae vicinia est penes fl. Sava seu
Saven non procul a canonia PöUensi). Sevental {Seuntal bei Ottokar
63020) heisst das Sanutal in einer Urkunde von 1256 (Urkundenbuch des
herzogt. Steiermark 3, 278). — Ueber den unmöglichen reim neven : Seven
(= Selben) vgl. Schatz, Zs. d. Ferdinandeums 1901, s. 175 f.
538 WALLNER
'Wie war es denkbar', fi-agt Schulte (s. 194), 'dass am Babeu-
bergisclien hofe oder an dem des landgrafen von Thüringen
dienstmannen sich einfanden, welche aus w^eit entlegenen gauen
stammten und weit entfernten herren gehörten?' Und er findet
die erklärung dafür in einer bestimmung des dienstmannen-
reclits von Köln, von einem gebiet also, das alle paar jähre
seinen herrn wechselte, der sich natürlich gegenüber der an-
gefallenen masse der dienstmannen einige fi-eiheit sichern
musste. Diese bestand darin, dass er beim abieben eines
ministerialen nicht verhalten war, dessen jüngere söhne mit
einem lehen zu versorgen, w^ogegen es ihnen dann freistand,
sich einen andern herrn zu suchen. Solange diese bestimmung
nicht auch für andere gebiete nachgewiesen ist, gewinnt man
wenig damit, denn entlaufene söhne St. Peters von Köln w^aren
Reinmar, "Walther, Wolfram und Neidhart nicht. Auch dass
sie dienstmannen der Babenberger herzöge oder des land-
grafen waren, bleibt erst zu erweisen. Von dem Verhältnisse,
in dem der ritt er Wolfram zur Wartburg, Reinmar und Neid-
hart zum Wiener hofe standen, wissen wir gar nichts; Walther
verweilte dort wie hier nur als gast. In den Urkunden finden
sich ihre namen nirgends, während doch selbst ein joculator
in kaiserurkunden erscheint, da er zum kaiserlichen hofhalt
gehörte (Rupertus joculator regis als zeuge in einer Urkunde
Heinrichs VI. von 1189).
In einem falle sind wir über die Sänger im gefolge eines
fürsten genau unterrichtet, nämlich über hinic Mehtfrids spiel-
mannsgarde. Ottokar zählt in der Oesterr. reimchronik (309
— 346) ihre namen auf: meister Wlldunc, meister Wernlier von
Buofach, meister Fridrich von Valschenherc (Valchenherg?),
meister JRamivoU, meister Pah, meister Walther von der Sittou,
meister Fridrich von Wirzpurc, meister Kuonrät von Bötenberc,
meister Sihot von Ertfurt, meister Otte, meister Heinrich von
Landeskrön, meister Gebehart, meister Uolrich der Glesin, meister
Walther von Swinitze, meister Alberich von Mersptirc, meister
Kuonrät von Tyrol, meister Perhtold von Sumereck Ich denke,
niemand mrd in dieser reihe einen ritter suchen; hätten aber
die Sänger im Manessecodex aufnähme gefunden, so würde
dessen dichterliste um ein paar meister, aber auch um ein
paar herren mehr zählen.
HEUREN UND SPIEI.LEUTE. 539
Um Friedricli II. vou Oesterreicli sehen wir Neidhart, bruder
AVernher, Pfeffel und den Tanhäuser.i) Diesen Sängern stehen
herzog Friedrich und lier Troestelin so gegenüber wie könig
Manfred und der gräve Icemerlinc (Ottok. 689, nacli Seemüllers
anm. Manfred Maletta) den oben genannten meistern in Fülle.
Werfen wir einen blick auf die troubadours, über die wir
besser unterrichtet sind als über die deutschen sänger, so sehen
wir männer edler herkunft unter den fahrenden nur als seltene
ausnahmen. Da ist Eaimbaut von Vaqueiras, eines armen
ritters söhn, der als ritter und sänger am hofe des markgrafen
von Montferrat lebt und sich im vierten kreuzzug ein lehen
in Griechenland erkämpft; da sind zwei geistliche, der canonicus
Peire Cardinal, der mit einem spielmann an die höfe zieht,
und der prior von Montaudon, der in der mönchskutte als
fahrender sänger umzieht und die spenden der herren seinem
kloster zuwendet. Sonst sind wol alle namhaften troubadours,
wenn man von ihrem ahnherrn graf Wilhelm von Toulouse
und dem mehr durch sein leben als durch seine dichtung be-
deutenden Bertran de Born absieht, bürgerlicher herkunft:
Cercamon ein spielmann, Marcabru ein findelkind, Bernhard
von Ventadorn der söhn eines knechts und einer magd, Arnaut
von Mareuil ein Schreiber, Folquet von Marseille ein kaufmanns-
sohn, der 'kaiser' Peire Vidal ein kürschnerssohn, Arnaut Da-
niel ein spielmann, Gaucelm Faidit ein bürgerssohn, Aimeric
von Pegulha der söhn eines tuchhändlers, Guilhem Figueira
ein Schneiderssohn.
Ich sehe keinen grund, für Deutschland andere Verhält-
nisse vorauszusetzen. Gewiss hatte auch hier das bürgerliche
element entscheidenden anteil an der dichtung und gerade die
bedeutendsten sänger, die dichter von beruf, werden dieser
untern schiebt entstammen. Verrittert hat die lyrik des
13. jh.'s erst die Heidelberger liederhandschrift mit ihren
Wappen und titeln, oder vielmehr: uni^ere irrige auffassung
dieser naiven zutaten hat das sog. bürgerliche element aus
der mhd. dichtung fast ganz hinausgedrängt. Der anteil, den
^) 'Wer hält noch toren wie er tat?' seufzt dieser iu seiner klage um
Friedrich ; vgl. den spielmanusnamen Torler = törlcere bei Seifried Helbling
7, 836, und Oesterr. reimchron. 323 da worht ouch manic törenwerc meister
Kuonrät von Bötenberc.
540 WAT.LNEU
die lis. dabei zu verantworten hat, beschränkt sich auf die
epigonentendenz zu idealisieren. Wie der meisterg-esang seine
berühmtesten ahnherren gesellschaftlich emporhob und Walther
zu einem landherrn aus Böhmen, Wolfram zu einem landherrn
aus Ungarn, den Marner zu einem adeligen machte, so hebt
auch unsere Sammlung ganze reihen von älteren Sängern bona
fide unter die herren empor. Wie die meistersinger an kaiser
Otto die anfange ihrer holdseligen kunst knüpften, so wird
unsere dichterreihe mit einem kaiser Heinrich eröffnet. Als
warnendes omen steht dieser name am eingang der Sammlung.
Hier hat die B-quelle einem Sänger, von dem sie wol nur den
namen Heinrich kannte, die kaiserkrone aufgesetzt, irregeleitet
durch ein paar Wendungen in seinen gedichten: MF. 5, 23. 5, 36
— 6,1. 'Ein könig' — sagt Haupt — 'wird weder bei der
geliebten auf diese weise seines königtums gedenken noch,
wenn er irgend verständig ist, metaphorischen ausdruck und
den ausdruck der lebensstellung die er würklich hat wunder-
lich und ungeschickt vermischen. Aber nicht sonderlich
verständig waren die Sammler der mhd. lieder und es
ist bei ihnen keine kritik zu suchen.'
GRAZ, Januar 1908. ANTOX WALLNER.
DREI SPIELMANNSNAMEN.
Wizlav.
'^Mzlav IV., fürst von Eugen, urkundlich seit 1284, erbte
1302 mit seinem bruder Zambor und erhielt bei der teilung
die insel Eugen. Seit dem tode des bruders (1304) bekam er
das ganze fürstentum' (Bartsch, Liederdichter no. LXXXIV).
Ebenso wenig wie Bartsch zweifeln Ettmüller, Pyl, Kuntze und
Seelmann an Wizlavs fürstenwürde, wie denn seit Docen,
der zuerst die Vermutung ausgesprochen hat, Wizlav der
junge sei identisch mit dem von Frauenlob und dem Goldener
gefeierten Widav dem jungen helde in Puigelande, diese iden-
DREI SPIELMANNSNAMEN. 541
tität als erwiesene tatsache behandelt wurde. Es ist aber
doch recht auffallend, dass weder Frauenlob noch der Goldener
in ihren lobsprüchen Wizlavs kunst auch nur mit einem worte
erwähnen, so nah es für den einen gelegen hätte {des ivlrt sin
lop von gernüer diet hreit unde lanc f/erecket Frauenlob, MSH.
3, 123). Noch auffallender ist, dass Wizlavs dichtung gar nichts
enthält, was auf einen fürstlichen dichter schliessen Hesse.
Während sonst die fürstlichen sänger ausschliesslich den minne-
sang pflegen, ist Wizlavs poesie vorwiegend Spruchdichtung.
Er Avarnt vor dem nahen weltende (I 1), betet fromme
Sprüche (I 2. 3. 6. II 2), legt — wie Rümzlant, MS. 2, 396 b —
Nabuchodonosors träum aus (II 7. 8), kehrt seine gelehrsamkeit
hervor, indem er — wie Frauenlob, MS. 3, 386a — Christus
als Äljjha und 0 anredet (I 3) oder von M. Curtius erzählt
(14), wie der Hennenberger von Trajanus, MS. 3, 41a. Er
behandelt sprichwörtliche redensarten Mir geschilit niht ivan
mir geschaffen ist (vgl. z. b. des Meissners beite unz morne MS.
3, 100), singt den mannen unt den wiben ein lied nach der
sehnenden weise des Ungelarten (IV f.), klügelt eines der
beliebten rätsei zusammen (I 5), eifert gegen schälke (II 1. VI),
mahnt zur freigebigkeit {Ich ivarne dich vil junger man gezarte,
halt milden muot YIII) und feiert ganz im stile Goldeners oder
Frauenlobs von Hülsten eisten herren ivert (I 10). Das ist, mit
einem halben dutzend mai- und minneliedern, zarten und un-
zarten, und einem herbstlied in Steinmars manier das typische
repertoire eines allen anforderungen gerechten spielmanns um
die w^ende des 13. Jahrhunderts.
Entscheidend für Wizlavs spielmannscharakter ist der ort,
an dem seine gedichte überliefert sind: die Jenaer handschrift.
Man lese nur einmal ihre inhaltsliste: 3Ieyster Stolle. Bruder
Wirner. Meister Kelyn. 3Ieister Zilies von Segne. Meister Ale-
xander. Bohgn. 3Ieyster Rudinger. Spervoghel. Der Helleviur.
Meister Gervelyn. Der Urenheymer. Der Hynncnherger. Der
Güter. Der Unvürtzaghcte. Der Liet scomvere. Der Tanuser.
Meister Singof. Beynolt von der Lippe. Der Goldener. Meyster
Rumelant. Faunelant von Swahen. Meister Vriderich von Siinnen-
burc. {Wizlav).'^) Der Mysnere. Meyster Conrat von Wertzeburc.
*) Der name fehlt durch ausschnitt.
512 WALLNER
(Frouivenlo2))J) Meister Toppe. Ilerman Damen. {Klingsor).
Das ist eine gesellscliaft von ausnahmslos bürgerlichen Sängern,
in der wir einen fürsten von Rügen nicht suchen werden. Wo
wir ihn aber bestimmt erwarten dürften, fehlt er: in der fürsten-
gruppe des Manessecodex.
Den namen Wizlav kennt auch die deutsche heldensage.
Eine gewiss einst vielbelachte episode der piörekssaga erzählt
die befreiung Widgas durch Isung den hauptspielmann und
seinen baren Widav, in dessen haut eigentlich held Wildifer
steckt. Es wäre denkbar, dass sich in Niedersachsen, der
lieimat der piörekssaga, ein spielmannspaar die namen Isung
und Wizlav beigelegt hätte. Da wir aber weder von dem
altern Wizlav, den die bezeichuung Wizlav der junge voraus-
setzt (vgl. 'der junge Spervogel, der junge Stoll, der junge
Meissner'), noch von seinem fraglichen gefährten Isung etwas
wissen, werden wir für unsern spielmann einfach an slavische
herkunft zu denken haben.
Megenhogen.
Nach der tradition der meistersinger war Barthel Regen-
bogen — wie Heinrich Rafolt, der dichter des Nussbergs (Ge-
sammtabenteuer 1, 445) — ursprünglich ein schmied, wie denn
schon der Heidelberger liedercodex ihn als schmied abbildet
und ihm hammer und zange ins wappen setzt. Den namen
Begenhogen wird dann Barthel der schmied erst als spielmann
erhalten haben. Sollte der name etwa die allzu bunte tracht
dieses spielmanns verspotten (vgl. Parton. 15293), wie einer,
wol nach dem ungewöhnlichen kopfsclimuck, Hanenlcamp heisst
{Hanchampf cantori; ystrioni Hanencanq) bei Schönach a.
1294 5)? Oder liegt eine gelehrte anspielung auf das boten-
amt der spielleute vor? Albrecht von Halberstadt verdeutscht
die götterbotiu Iris mit liegenboge: si sprach zem Begenhogen
der ir trihver hüte ivas 452 a; Jimö hiez den Regenbogen gän
11, 13. Möglich ist eins und das andere, aber keines wahr-
scheinlich. 2) Dass der name frühzeitig als 'arcus caelestis'
*) Der name fehlt durch ausschnitt.
■•*) Wie Burdach den namen versteht, der ihn (Walther v. d. Yogelw.
8.26) in einer grujjpe von bezeichnuugen aufführt, die die unbehaust-
DREI SriELMANNSNAMEN. 543
verstanden wurde, zeigen die Überschriften in den hss.: Jlegcnhog
in der Manessischen, llcgcnhoge in der Heidelberger hs. no. 350
(MSH. 3,344). 1) Erst bei Wagenseil (Von den zwölf meistern
s. 506) erscheint die form Jkgenhogen: Der Acht zu Maintz
safs, ivar ein Schmied, Hiefs mit Kamen Barthel Regenbogen,
Hat die Kunst lieh, war ihr geivogen (In der geschwinden pflug-
weis Paulus Fischers). Diese nhd. form verbleibt dem namen
weiterhin; vgl. Ambros Metzger, Cyriac Spangenberg und Sing-
schule von 1630 (MSH. 4, 891— 894).
Nun begegnet aber diese nhd. wortform, die als appel-
lativum erst im 16. jh. neben regenhogc und regenhog sich zu
zeigen beginnt (DWb. 8, 516), als name unseres spielmanns
schon zweihundert jähre früher. Der dichter nennt sich selbst an
drei stellen seiner Sprüche, deren echtheit freilich recht zweifel-
haft ist: Ich Begenbog, icär tet ich ie min sinne? (MSH. 3,354a);
Kent ir mich gern? ich binz geheimen Regenbogen (: ungelogen),
der sanges ie ein meister ivas, nach dem tuon ich mich
nennen'-) (MSH. 3, 345a); Ich Regenbog ( : gezogen), ich ivas
ein smit (Kolmarer hs., MSH. 3, 346b). Zweimal (gegen ein-
maliges Regenboge) ist also die form Regenbogen durch den
reim gesichert. Einen dritten beleg liefert Schönach, Spiel-
leute in Tirol (Zs. fda. 31, 176): item in Media silva (dorf Mitte-
wald im Eisacktal) cuidam cantori diclo Regenpogen Ib. II
(a. 1302).
Diese allem anschein nach authentische namensform kann
nur eine jener imperativbildungen sein, wie sie gerade seit
lieit des spielmanns ausdrücken (danmter auch Hagedorn]), vermag- ich
nicht zu erraten. — Die redeusart üf den regenhogen hüiven ' auf unbestän-
diges vertrauen ', an die man auch denken könnte, gewährt keinen anhält.
1) Bei den meistersingern begegnet durchwegs die form Begenboge:
Der Eegenboge, den VromvenJop hestünt gelfcher icer Leupold Homburg
(um 1320); Eegenhogs vhcr langer don, Regenhogs vber gidder don, Begen-
bogs don (MSH. 4, 633 — 642). Auch der gen. Begenbogen wird wol einen
nom. Begenboge voraussetzen : Li des Begenbogen blaicen ton, giädin thon,
kurtzn thon, langen ton, vber langen thonn, laid dorm und brieffthon
MSH. ebda.
*) Grimme bringt in der Germ. 32, 417 einen BeinboU Begenboge bei,
der mit Heinrich Vrowentrut, Lumperlin von Strazpurg u. a. im jähre 1336
aus Speier verwiesen wird. Die namen der ausgewiesenen verraten sie als
Spielleute.
bii WALLNER
dem ende des 13. jli.'s als spielmannsnanien im schwänge waren:
Snurrenphcyl, Nernsncibcl, Lohdenfrumen, Bupfdenman, Piümz-
laut, Sorgnit, Versiveigseinnit, Suochenivirt, Suochensmn. Der
nanie JRegenhogen d. i. liege den ho gen, den Bartliel der
Schmied als spielmann führte, ist dann ein seitenstück zu dem
namen lleinmar der videler.
Der Freudenleere,
Ulli behauptet in der Zs. fda. 41. 291, dieser dichtername
sei ein unding und Der Wiener meerfahrt habe einen un-
bekannten zum Verfasser. Ein zeugnis dafür ist ihm zunächst
die Schreibung der beiden hss. vröiidenlcere und vreuden lere.
Dann macht er geltend: der dichter spreche von sich vorher
in der ersten person, von seinem gönner aber in der dritten:
Mir hat ein wärhafter munt was der here, daz ist war
eine rede gemachet kuut, 40 gen vremden und geu vrunden.
80 die mac wol heizen wunderlich: des mache in got von sunden
also hat verrihtet mich dort an der sele vri
von Dewin hurgräve Herman, durch sine hosten namen dri.
der ni schänden mal gewan der sagete mir ditz mere:
au schentlicher missetät. 45 daz hat der Vreudeulere
35 daz im der sele werde rät, gemachet als iz dort geschach,
des sol man im von schulden biten. als man im ze Wiene jach
er was ein man von guten siteu, von guter lüte worte,
gezogeu unde getrüwe gar da er daz m§re hörte.
Nach Uhl geht der vreudenlere auf des dichters gewährs-
mann und besage so viel als 'der selige Hermann von Dewin',
denn vröude bedeute vor allem 'weltfreude'. Und endlich sei
ein spielmannsname Der Vreudenlcere ganz unglaublich.
Was ühl hier vorbringt, ist punkt für punkt abzuweisen.
Eigennamen werden in altdeutschen haudschriften nur selten
durch majuskel kenntlich gemacht; die Schreibung ist also
kaimi ein zeugnis auch nur für die meiiiung des Schreibers. J)
Der Personenwechsel erklärt sich leicht aus der Unmöglichkeit,
den autornamen Der Vreudenhere in Verbindung mit der ersten
person in den vers zu bringen. Dies hin- und herschwanken
lässt sich in mhd. gedichten an der stelle, wo der Verfasser
sich nennt, oft genug beobachten; man lese nur die folgenden
') Vgl. die lesarten 71 ivmne C, 61 wienen C, 14:1 prvzzen (=Priu-
gen) H, pruzen C, 215 iviencn C, 470 loiennere HC, 471 iciennen C.
DREI SPIELMANNSNAMEN. 545
proben: ^g,. j^ _ ^g^ ,.g^g — begunde, daz bin ich
von Fuozesbruniien Kuourät
und ez ouch volendet hat.
Kindh. Jesu 3022.
des bitte ich iuch in der miune,
der aller schuldigste man
der briesters namen ie gewan,
er ist geheizen Alber.
Tnugd. 2182.
Johannes von Yriberk
der mangez wunderliche Averk
Üf der erdeu wirken kan,
der wil aber heben an
Und uns ein buechel tihten
von seltssenen geschihten.
Ez ist war daz ez geschach,
wen der ez hört unde sach,
Der sagte mirz vür die wärheit.
Das redelin (Ges. abent. LVIII) 1.
Sprich ich swarz, si sprichet wiz,
dar an kert si allen iren vliz
Und tuot daz sere wider Got:
diz msere tihte Sibot.
Em meinte nie keine vrouwen da mit,
im behaget wol aller ir sit:
Wau daz ich si mit zühten man.
Der vrouwen zuht (Ges. abent. III) 13.
Ganz aus der luft gegriffen ist die behauptung, dass vröude
im mM. die irdisclie freude, die lust dieser weit bezeichne.
Warum heisst dann Christus vröudenkäuic, Maria vröudentrör
und vröudensange, die ewige Seligkeit vröudensinse, himelvröude,
das hallelüja vröudengcsanch, der himmel daz froudericJie lant
oder dat vaderlant vol eren, vroiveden inde sicherheide?
Wenn schliesslich Uhl den namen der freudenleere für ein
unicum unter den spielmannsnameu hält — 'ich fürchte, man
wird um parallelen verlegen sein', meint er — so genügt der
hinweis auf die spielleute Vreufdenricli (a. 1294) und Nhnmer-
selich (a. 1325) bei Schönach, Zs. fda. 31, 171 ff.: vgl. auch icJi
vroudelöser Kneht (Fridrich der Knecht MSH. 2, 169 a). Gegen
diese bekrittelung des beinamens an sich hat übrigens schon
Edw. Schröder Stellung genommen, der aber sonst Uhl bei-
stimmt und den schwächsten punkt in dessen argumeutation
546 WALLNER. DREI SPIELMANNSNAMEN, — BERICHTIGUNG.
ZU stützen sucht. Es ist die angäbe: d«7^ mere . . . hat der
Vreudenlere gemachet als is dort geschach. Das kann natür-
lich nicht vom gewährsmann gesagt werden, sondern nur vom
dichter. Schröder schlägt daher vor, gemachet in gemerchet
zu ändern. Dass die correctur bei der völligen haltlosigkeit
der einwände Uhls unstatthaft ist, versteht sich von selbst.
Wenn aber vScliröder die wendung ein mcere machen nur in der
bedeutung 'redensarten machen, ausfluchte vorbringen' kennt,
sei er an folgende steilen erinnert:
Hie endet sich diz msere;
daz macht' der Zwingewsere.
Ges. abent. XXR^ 539.
Diz ungelogen msere
macht' uns der Vriolsheinisere.
Ges. abent. XXX 129.
GRAZ, Januar 1908. ANTON WALLNER.
BERICHTIGUNG.
Zu den bemerkungen über gehent Heinrichs Tristan 60 (Beitr. 32, 533)
bin ich durch ein exemplar von Bechsteins ausgäbe veranlasst worden, wo
das wort gebeut accentuiert war. Nachträgliche vergleichung belehrt mich,
dass dieser accent nicht dem drucke angehörte. Mhd. belege für benen
sammelt — darauf macht mich auch Michels aufmerksam — Bech, Germ.
26, 257.
A. WALLNER.
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN.
Seit Lottner (K. zs. 5, 399 [= 1856] und F. A. Pott (Etym.
forsch.- II 3, 189) ist man gewöhnt, das verbum holen {diM.halön,
Jiolön) und die verwanten Wörter mit der wurzel von gr. y.altm,
lat. caläre u. s. w. etymologisch zu verknüpfen. Da Jialon, holön
in der ahd. literatur manchmal als gleichbedeutend mit dem
lat. vocare vorkommt, so ist der bedeutungswandel scheinbar
sehr einfach. Von halön, holön 'rufen' lässt sich der sinn
'herbeirufen, herbeiholen, herbeischaffen' ohne mühe ableiten,
und darauf sind weiter alle übrigen an Wendungen von holen
leicht zurückzuführen.
Gegen diese auffassung lässt sich aber einwenden, dass wir
für die wurzel von holen die bedeutung 'rufen' nur aus dem
ahd. belegen können, und ausschliesslich aus solchen quellen,
welche wie Tatian direct aus dem lat. übersetzt sind, oder
wie Otfrid von einem lateinisch gebildeten Verfasser herrühren
und einem lat. original nachgebildet sind. Den übrigen ger-
manischen sprachen ist ein solcher gebrauch durchaus fremd.
Weiter ist es wenigstens sehr merkwürdig, dass von der sog.
ursprünglichen bedeutung 'rufen' in der späteren zeit keine
spur geblieben sei und dass holen jetzt eine bedeutung an-
genommen hat, welche gewissermassen zu der ursprünglichen
im Widerspruche steht. Sehr scharf wird dieser gegensatz von
E. Hildebrand ins licht gesetzt {Hola! und hailoh! mit ihrem
alten hintergrunde, Zs. f. d. deutschen Unterricht 3, 400): 'an-
streugung um etwas herbeizuschaffen ist der kern des begriffs
[von holen] . . . Daher kann ich mich nicht dazu verstehen,
unser wort mit gr. xaXsco, lat. caläre rufen, als schlechthin
urverwant eins anzunehmen, wie man schon lange tut. Heisst
es doch z. b.: 'ich habe ihn schon so oft gerufen, er kommt
nicht, ich werde ihn holen müssen'. Hier muss vor gewissen
548 MANSION
verkehrten yorstellungen gewarnt werden, welche von der oben
genannten etymologie herrühren und eine weite Verbreitung
gefunden haben. Wenn es in den mhd. Wörterbüchern von
Benecke-Müller und von Lexer heisst, dass mhd. hahi, holn
bisweilen noch 'rufen' bedeute, so kann dies entschieden ver-
neint werden. Kein einziges der angeführten beispiele be-
rechtigt zu dieser annähme. Nur weil man glaubte, ahd. Jialöu
heisse 'rufen', hat man fürs mhd. eine ähnliche bedeutung
annehmen wollen. Es muss uns übrigens nicht wunder nehmen,
dass sich hervorragende gelehrte durch etymologische er-
wägungen irreführen Hessen, wenn es sich um eine vergangene
Sprachperiode handelte. Man bedenke, zu welchen falschen
Vorstellungen ähnliche etymologische annahmen einen geborenen
Niederländer in der beurteihmg der eigenen muttersprache ge-
führt haben: heisst es doch im Woordenboek der Nederlandsche
taal s.v. halen, das wort sei in der bedeutung 'doen komen'
noch in vielen fällen 'volmaakt synoniem met roepen of onthieden\
Wer nur ein bischen ndl. Sprachgefühl hat, weiss, dass zwischen
halen und roepen die grenze ebenso scharf als zwischen holen
und rufen zu ziehen ist.
Ferner muss hervorgehoben werden, dass man die bedeu-
tungsentwicklung von holen zu einseitig betrachtet, wenn man,
wie es gewöhnlich geschieht, von dem begriff 'herbeiholen,
herbeischaffen' ausgeht und nur diesen berücksichtigt. Es
gibt noch eine reihe von anderen bedeutungen, die man nicht
ausser acht lassen darf. Ich erinnere nur an engl, to hale, to
haut, an die mannigfaltigen Verwendungen von halen im ndl.,
die z. t. mit dem engl., z. t. mit dem hd. gebrauch überein-
stimmen. Ferner kommen noch ausser dem ahd. die übrigen
altgermanischeu sprachen in betracht: aus dem as. und afries.
lässt sich vieles für die erklärung unserer wurzel beibringen.
Ich glaube daher, dass die ansieht, ahd. halön, holö7i heisse
'rufen', auf einer oberflächlichen beobachtung der tatsachen
beruht, dass also die etymologische frage einer neuen Unter-
suchung bedarf. Nur aus einer neuen prüfung der beispiele
in allen germanischen sprachen wird sich ergeben, ob die her-
kömmliche deutung von holen stichhaltig ist oder nicht.
Was ist nun die ursprüngliche bedeutung von holen? ]V[it
dem ganz allgemeinen begriff 'herbeiführen, herbeischaffen'
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN, 649
kommt man nicht ans: eine so unbestimmte Vorstellung lässt
sich wol aus den einzelnen bedeutungen erschliessen; dass sie
aber die ursprüngliche sei, wird dadurch nicht einmal wahr-
scheinlich. Ungemein wichtiger sind die nebenbedeutungen,
die nebeubegriffe, welche mit dem hauptbegriff verbunden er-
scheinen und uns gewissermassen die müglichkeit geben, den
ursprünglichen vorstellungskreis festzustellen, in den das wort
eigentlich hineingehört. Für unser wort hat E. Hildebrand
(vgl. oben s. 547) 'die anstrengung' als den 'kern des begriffs'
bezeichnet. Seine ausführungen beruhen offenbar nur auf
dem mhd. und nhd. Werden aber die übrigen germanischen
sprachen mit herangezogen, so tritt uns desto deutlicher die-
selbe Vorstellung der anstrengung, des sich mühe gebens, des
gewaltigen kampfes entgegen. Ahd. Otfr. IV 12, 61 flg. Er
[Christus] ciuam so risi hera in laut joh krefÜger yigant; in
einwigi er nein streivita, ther richi sinaz darota; then furiston
therera ivorolü notagan giJtoloti, in hant inan gilegiti, er
furdir uns ni deriü. Die Vorstellung ist hier, als sei Christus
ein gewaltiger kämpfer, der ganz allein {in sines eisten Jcrefti,
oben 60; weil die jünger geflohen sind) seinen gegner über-
windet und gefangen nimmt. Weniger ausgepi'ägt, aber immer
mit dem nebenbegriff einer gewissen anstrengung (Joh. 20, 15
ego euni tollam) Otfr. Y 7, 51 ih giagaleizon . . . , tlias ih inan
giJwlon thar (nämlich den toten Christus).
As. Hei. (Heyne ^) 2559—2561 is jiingron . . . quaäim tliat
sia tliar iveldin human mit kraftu endi losian tliat Tcrud thanan,
lialon it mid iro Jiandon; 2568 — 2569 tJian faran wi thar alla
tuo halon it [nl. that Tirud\ mid -usson Jiandon. Hier ist halon
' Unkraut ausreissen', also mit kraft und anstrengung reissen,
ziehen. 1159 — 1161 Also git Jiir an lordanes ströme fisJcos
gifahad, so shidun git noh firiho harn halon te inJcun handun.
Der parallelismus mit fähan 'fangen' und mit der oben an-
geführten stelle aus Otfr. IV 12, 61 {notagan giholoti) ergibt
hier auch die leiblich gedachte Vorstellung eines gewaltigen
ergreifens {te inhun handun).
Afries. mith compe halia 'durch richterlichen Zweikampf
erhalten' (zw^eimal belegt in v. Eichthofen, Afries. wb.); en raff
hallath v. Eichthofen, Afries. rechtsquellen 210,4 '(wenn ein
mann) einen raub holt, d.h. etwas raubt'; halath . . . en fiar-
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 36
550 MANSION
fote quic 39, 16 'ein vierfüssiges stück vieli lioltj d. li. wegführt,
raubt'. Diese ausdrücke, die sich auf den richterlichen Zwei-
kampf, auf die raub- und plündersitten der alten Germanen
beziehen, müssen ohne zweifei als sehr alt betrachtet werden.
In der späteren spräche bleiben dieselben nebenbegriffe
lebendig. Mhd. Gudrun 135, 3 er holte hi dem häre ivol drizic
in die ünde. Mengl. Laj. 16709 — 16712 toutvard Hengest he
leop, swulc it a liun weore, and igrap hine hi pan toppe &
hine cefter htm halede.^)
Mndl. hi erachte halen 'buit maken' inhalen 'rooyen' (Ver-
wijs en Yerdam, Middelnederlandsch "Woordenboek unter halen).
Xndl. Het onJcriiid uit den grond halen V. Dale; uyt 't
hoofd de haeiren haelen; De oogen uit den Iwp halen (vgl.
Woordenboek d. Ndl. taal unter holen iii).
Nndd. He hol [= holte] hum de här üt de hop (ten Doorn-
kant Koolman, Wb. der ostfr. spräche, Norden 1879 — 84, unter
holen).
Letztgenannte beispiele zeigen uns eine schlagende Über-
einstimmung mit der bedeutung 'ausreissen' im as. hud halon.
Es steht also fest, dass wir schon in den älteren belegen
der Wurzel von holen den hauptbegriff mit den nebenvorstel-
lungen 'gewalt', 'anstrengung' u.s.w. verbunden finden, welche
von haus aus mit dem sinn 'laut schreien, clomare^ nicht zu-
sammenzugehen pflegen. Wie gesagt, ist in den altgermanischen
sprachen, ausser dem ahd., kein einziges beispiel vorhanden,
woraus man die bedeutung 'vocare' für halön u.s.w. mit Sicher-
heit herleiten könnte. Im ahd. selbst ist diese bedeutung auf
diejenigen schritten beschränkt, welche von lateinisch gebildeten
mönchen herrühren. Da die bedeutung 'rufen' also nur auf
der etymologie beruht, da es sich gerade darum handelt, diese
etymologie zu prüfen, wii'd man doch eingestehen müssen, dass
es keinen zwingenden gruud gibt, von dieser sehr wenig ver-
breiteten bedeutung auszugehen. Als ausgangspunkt empfiehlt
sich dagegen eine andere viel weiter verbreitete anwendung
der W'Urzel. Lassen wir das hd. beiseite, und wenden wir uns
den übrigen germanischen sprachen zu, so heisst es ndl. holen
1) Dass mengl. hälien nicht aus dem franz. entlehnt sei , habe ich zu
beweisen versucht in einem in den Melanges Godefroid Kurth (Liege 1908)
erscheinenden aufsatz.
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 551
Hrekken' (V. Dale), miidl. lialen 'trekken' (Verdam, Mndl.
"W.boek)'), engl, io hale, später to haul 'to draw or pull', dän.
hale, schwed. lidla 'ziehen'. Ausser dem germ. sind noch zu
erwähnen: franz. lialer 'ziehen, schleppen' und zahlreiche ent-
sprechende verben in anderen roman. sprachen: span. halar
u. s. w. Dass die romanischen sprachen die Wörter haier, Jialar
u. s. w. aus dem germ. entlehnt haben, dass fürs englische eine
entlelmung aus dem franz. 2), für die nordischen sprachen aus
dem ndd. möglich oder sogar wahrscheinlich ist, macht eigent-
lich nichts zur sache, da es sich weder um junge entlehnungen,
noch um neuentstandene bedeutungsentwicklungen handelt.
Die bedeutung 'ziehen' ist für die wurzel hal-, hui- schon in
alter zeit belegt und in den verschiedensten germanischen
und sogar nicht germanischen sprachen weit verbreitet. Dass
sie wirklich die ursprüngliche sei, will ich nunmehr zu be-
weisen versuchen.
A) Germ. *hal-, *hul- heisst allgemein 'ziehen'.
1) Es kommen in betracht die oben s. 549 angeführten
beispiele. As. Irüd halon 'ausreissen' (Hei. 2561 und 2569, s.
oben s. 549). Entsprechend im ndl.: onh-uid uit den grond
halen\ de oogen uit den hop lialen. Aehnlich im ndd. (ostfries.):
de Jiär lU de Tcop hälen. Fürs hochdeutsche möchte man ge-
neigt sein, die bedeutung 'ziehen' in abrede zu stellen: holen
in der Schiffahrt, an einem tau oder seil ziehen, ist sehr wahr-
scheinlich ndd. entlehnung. Aber einige beispiele aus der
älteren spräche weisen deutlich auf den begriff 'ziehen' hin.
Kotker, Mart. Cap. I 13 (Piper I 711, 20 flg.) Nam flamma . . .
ab ipsius kacauminis exanclata .i. exhausta fomitibus ex ferri
predicta anhelebat urna. üser demo iseninen eimherine ddz
ten siinier hezeichnet. slüog taz heiza fiur hehöletez üzer dien
zinselöden seiher 0 dero scddeli 'das feuer geholt, gezogen aus
der hitze der spitze selber '.3) Besonders wichtig ist das bei-
') Van Dale wie Verdam gibt die bedeutung 'ziehen' als haupt- und
grundbedeutung von lialen an. Im Woordenboek der Nederl. taal dagegen
Avird von der bedeutung 'rufen' ausgegangen, wozu viele anweudungen von
halen sicli nicht bequemen.
^) Wie oben s. 550 bemerkt, glaube ich nicht an eine entlehnung von
mengl. hülien aus franz. haier.
^) N. scheint kacauminis (corrupte lesart) als cacuminis 'spitze' auf-
gefasst zu haben.
36*
552 MANSIOl?
spiel mild. Gudrun 135, 3 er holte hl dem liäre ivol drizic in
die ünde. Hier ist wol kein zweifei daran möglich, dass es
im mild, eine bedeutung 'ziehen' für holn gegeben hat. Und
in solchen beispielen wie mhd. süft lioln, nhd. atem, liift Jiolcn
(ndl. adem holen) muss daher holen als gleich 'ziehen' auf-
gefasst werden. Im mndl. gilt für Verdam (Mndl. Woorden-
boek) die bedeutung 'ziehen' als hauptbedeutung: nicht nur in
der Schiffahrt (dat seil halen), sondern auch sl dedet aenhalen
(das rohrkästchen, worin Moses ausgesetzt war). Aus dem
mengl. kann man sehr zahlreiche beispiele anführen. Lajam.
16709 flg. tomvard Hengest he leop . . . and hine cefter hine halede
= hier 'schleppen'. Für die neuere sprachperiode sind die be-
lege im engl, und ndl. wol überflüssig (über ndl. halen 'trekken'
sehr zahlreiche und mannigfaltige beispiele im AV.boek der Ndl.
taal unter halen iii). Nndd. (ostfries.) häl dat schip an de
wdl, ten Doornkaat Koolman, Wb. d. ostfries. spräche.
2) Eine eigentümliche abart der bedeutung 'ziehen' er-
scheint in der Zusammensetzung mit über, welche den sinn
hat 'über einen fluss setzen', 'herüberbringen', eigentlich 'zu
sich herüberziehen'. In demselben sinn findet man auch holen
ohne über. Aus dem imperativ halö aus halön würde nach
E. Hildebrand (Zs. f. d. d. Unterricht a.a.O.) der ausruf hola, hailoh
entstanden sein. Mhd. Nu hol mich hie verge Nib. 1490,2; daz
in der schifman überholte Flore 3516 (nach Benecke- Müller).
In derselben bedeutung sagt man mndl. overhalen. Das mengl.
liefert auch ein beispiel S. Cristoph 86 Ä voiz come & gradde,
hole hale! ])at he him over ladde. Aus dem ndd. kann man
anführen: häl öiver! ruft man dem fährmann (F. Woeste, Wb.
d. westfälischen mundart). — Hierher scheint auch ein bild-
licher gebrauch derselben Zusammensetzung zu gehören, näm-
lich ndl. overhalen, ostfries. (ten Doornkaat Koolman) aferhälen
'überreden', eigentlich 'zu einer andern meinung ziehen, herüber-
bringen',
3) In engem Zusammenhang mit dem begriff 'ziehen' steht
die bedeutung 'anziehen, eine anziehungskraft ausüben'. Schon
im ahd. Otfr. I 1, 118 (Krist) ther sie [nämlich die Franken]
^imo holeta, zi giloubon sinen ladota 'Christus, der die Franken
an sich zog, zu seinem glauben lud'. Natürlich kann man hier
holen als 'rufen' verstehen und eine vollkommene synonymie
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 553
mit laäön annehmen. Aber diese auffassung ist gar nicht
notwendig: in der cliristlichen spräche wird die wirknng der
gnade bald als die einer fast unwiderstehlichen kraft, bald als
eine blosse einladung vorgestellt^) As. Hei. 4169 flg. Jnvand Jie
gihaloda mid tliiu heäina liudi iveros an is tvilleon 'denn er
zog dadurch die heidnischen Völker, die leute an, nach seinem
willen'. Mndl. aenlialen 'door vriendelijkheid en voorkomen-
heid tot zieh trekken' (Verdam); ivies diese daertoe haelde =
'lockte' Wap. M. I 904. Ebenso mengl. Jidlien = 'draw, attract'
(Stratmann''). Selbst wenn das mengl. verbum entlehnt wäre,
so bleibt doch der parallelismus mit den übrigen beispielen
bestehen, da der ausgangspunkt jedenfalls die bedeutung
'ziehen' ist.
B) Holen bedeutet in einer reihe von fällen 'mit sich
ziehen oder schleppen, gewaltsam fortführen, rauben'. Das
oben s. 550 angeführte beispiel aus Lajamon 16709 hine cefter
him Miede weist schon eine sehr nahe verwante bedeutung auf.
1) Mit dem teufel und anderen ungeliebten personen als
subject. Mndl. ic woudse de duvel moesten halen (Verdam).
Nhd. der teufel, der henher, die pest hole dich (Grimm, DWb.).
Nndl. de drommel, de duivel, enz. haaVje (Wb. d. Ndl. taal u.s.w.).
Nnd. ostfries. de diifel schal dt hellen.
2) Weniger ausgeprägt tritt der begriff des gewaltsamen
fortreissens hervor in ähnlichen beispielen, wo holen mit gott
als subject gebraucht wird.
As. Genes, (ausg. Heyne*) 135 ac so gihaloda ina hier he-
danas waldand endi ina tliar gisetta . . . und so (vgl. 133. 134
quiJcana, lihhiendan an it lichaman), d. h. lebend, in voller lebens-
kraft holte ihn [EnochJ, führte ihn fort der herr des himmels
und versetzte ihn dahin (wo er immer in wonne leben soll
U.S.W.). Ich glaube, dass die haudlung noch deutlich gewaltsam
gedacht wird.
Mndl. Walewein 3146—3148 (vgl. Verdam unter halen) ic
ivists Gode danc vele meer, hadsoe ghelevet Dan hise noch
1) Man vergleiche den folgenden .satz aus einem modernen erbauungs-
büchlein: 'wenn Gott nns rnft, uns zieht, dem zuge der gnade folgen
mit der einfalt eines kindes . . . ' T. Pesch, Der christ im weltleben, 15. auü.,
s. 334 (Köln, Bachern).
554 MANSION
ghehaelt hevet. Haien = hier noch deutlich 'hinreissen', die
Vorstellung ist die des todes als beraubung.
Nndl. ik ivoti dat OnselieveJieertje mij maar haalde (Wb. d.
Ndl. t.) hat nicht mehr den gleichen sinn: es ist gemeint 'dass
gott mich zu sich aufnähme, abholte'. Dem hd. Sprachgebrauch
scheint diese anwendung von liolen fremd zu sein.
3) Holen mit weib, braut u. s. w. als object heisst heiraten,
zur frau nehmen. Der ausdruck wird wol ohne zweifei auf eine
ursprüngliche gewaltsame brautraubsitte zurückzuführen sein.
Ahd. Tat. 29, 2 tliie thar tliie furlazanun halot, Jiuorot =
Mt. 5, 32 qui dimissam duxerit, adulterat; 79, 1 halota sia (Mc.
6, 17 duxerat eam).
127,3 noJi quenun ni höhnt (Lc.20, 3^ neque ducunt uxores);
100, 5 ther thia forlazzanun gihalot (Mt. 19, 9 qui dimissam
duxerit).
As. Hei. 301 — 302 ni welda sia imo te brudi tJio Jialon, imo
ti Jiiwon.
Afries. en wif, ene breyd, froiva u. s.w. halia = heiraten.
Mndl. doe icse haelde (nl. de hruid) Walew. 3161.
Nhd. sich eine frau holen (Grimm, DWb.). Nndl. eene hruid,
eene vromv halen.
In allen diesen fällen wird holen empfunden, als sei die
bedeutung nicht 'rauben', sondern heimfähren, abholen. Schon
afries. (v. Elchth. 98, 17 flg.) hiversa ma tvif halat müh hörne
andmith lüde u.s.w. 'wenn man eine frau mit hornblasen und
mit klang und schall heimführt'. Diese auffassung kann doch
nur als eine umdeutung des ursprünglichen brautraubes be-
trachtet werden.
4) Eine bedeutung 'gewaltsam abbringen, fortführen' ist
noch aus der neueren sprachperiode zu belegen. Nhd. da holeten
sie Simson aus dem gefengnis (Richter 16, 25, Luthers übers.,
— vgl. Grimm, DWb.). Nndl. iemand uü zijn huis halen, door
Gendarmes uit zijne ivoning gehaald ivorden (Wb. d. Ndl. t.).
Nndd. ostfries. si holen hum fürt 'bringen ihn fort' (Wb. d. ostfr.
spr.); vgl. afries. 415, 17 soe aeghma oen to faren, ende da wr-
heergens of to haliane.
5) In den vorigen beispielen war das gewaltsame fort-
reissen, das mit sich fortführen, fortschleppen die hauptsache.
Der bedeutung 'fangen' liegt dieselbe Vorstellung des an sich
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 555
reissens zu gründe, aber der begriff der gewaltsamen besitz-
ergreifung tritt hier in den Vordergrund und bildet den Über-
gang zu der bedeutung 'bekommen, erlangen'. Schon angeführt
sind as. Hei. 1160—1161 firilio harn halon 'menschenkinder
fangen' und ahd. Otfr. IV 12, 63 then furiston therera tvorolti
notagnn giholoti (oben s. 549). Ebenso bedeutet das mndl. com-
positum in-halen 'gevangen zetten' (Verdam), und so scheint
auch das afries. inhalia 'überführen' aufzufassen zu sein: 395,
8 — 9 liit ne se dat Imn di sclielta mitta iiuge in hcdia ivil 'wenn
ihn nicht der schulze mit zeugenbeweise überführen [eigentl.
fangen, bändigen] (lat. convmcere) will'.
C) Mit einem sachnamen als object heisst holen u. s. w. 'zu
sich ziehen, an sich reissen, rauben' (vgl. den vorhergehenden
abschnitt). Daher hat Jialön und besonders das compositum
gilialön, giholon in der älteren spräche die allgemeine bedeu-
tung 'erwerben, erlangen, bekommen'.
1) Die ursprüngliche Vorstellung ist die des raubes, des
gewaltsam erlangten besitzes. Darauf hin weisen die schon
oben angeführten ausdrücke: afries. raf halia, mit compe licüia,
mndl. hi erachte halen u. s.w. Dazu kommt noch afries. 236, 17
hiversa . . . inna others lond . . . sada halat iefta elay 'gras
oder lehm holt, d. h. raubt, stiehlt'. Nndl. roof, huit halen
(W.boek d. Ndl. taal) U.S.W. Mndl. onthalen 'weglmlen, weg-
nemen, outrooven, dikwijls met het bijdenkbeeld dat dit met
moeite gepaard gaat, iemand iets afhalen, het hem ontwringen.
Kil. auferre' (Verdam). Weiter sind noch zu eitleren: mhd.
jJris hohl = mndl. prijs halen, mhd. die dventiiire hohl Parz.
617,29 = 'sie bestehen'; siver^ da guot geivan, der holte ez
unsanfte Gudr. 1437, 3 'welcher von beiden auch siegen mochte,
dem kostete es grosse anstrengung' E.Martin, in loc.
2) Dieselbe Vorstellung einer gewaltsamen anstrengung,
eines mühevollen ringens verbindet sich auch mit holen, auch
da, wo das erlangte als durchaus nicht wünschenswert gedacht
wird. Da wird in spottender Ironie der kleinliche erfolg dem
mühsamen streben entgegengesetzt. Auch wird es uns nicht
wunder nehmen, wenn dieser gebrauch von holen schon sehr alt ist.
Aengl. Cur. Past. 209 '. . . äcßt hie öonne hcehhen mid äy
scame geholode (Cotton hs. geholude) . . . that they have only got
disgrace therehy' Sweet (einziger beleg für holen im aengl.).
556 MANSION
Mild, di lieren von Indiä di lioleten grözen scaden da L.
Alex. 4563 — 64: er holt och an ir letze en tot Parz. 205, 12;
des holte maneger da den tot Nib. 1362,4; Mndl. Daer menech
haelde grote scande (Verdam).
Nhd. Zu holen ist hier nichts als beulen Goethe (s. DWb.
unter holen).
3) Die nebenvorstellimg von kraftaufwand, von gewaltsamer
anstrengung erscheint in vielen beispielen nicht besonders aus-
geprägt; zuweilen ist sie gänzlich verschwunden. In solchen
fällen heisst holen 'erwerben, erlangen, bekommen' ohne weiteres.
Ahd, Tat. 90, 5 oha her alle werlt in cht gihalot] Mt. 16, 26
mundum Universum lucretur; 151, 5 thin mna gihalota zehen
mnas] Luc. 19, 16 decem mnas adquisivit; Otfr. III 11, 27. &i
thiu giholota siu thar . . . thera dohter thaz guat 'das gut (d. h.
die heilung) verschaffte' (von der kananäischen frau, vgl. Mt.
15, 22 flg.); III 20, 72 thaz Höht thir heim giholota {holota F).
As. gihalon hefjanrihi, himilrihi, hiniiles rlJci (Hei. 1840.
2367. 3260).
Mhd. den pris, den hört holn; mit dienste geholt = 'ver-
dient'; lere holn = nndl. les halen; SLiich. heholn, crhohi, geholn,
verholn = 'erlangen, bekommen'.
Mndl. pardoeti hehalen 'aflaat bekomen'; jpn)'.s Juden.
Nhd. huchiveizen . . . holte 36 thlr. hanco (DWb.).
Xndl. Er is daar niets te halen. Gewöhnlicher ist die
Zusammensetzung hehalen 'bekommen'. Auch bedeutet halen
'erreichen': den oever, de haven halen 'bereiken' u.s.w. (Wb.
d. Ndl. taal).
4) Hier mögen einige ausdrücke zusammengestellt werden,
die sich auf die richterliche spräche beziehen. Gleichwie die
römische occiqmtio auf eine gewaltsame besitzergreifung hin-
weist, so bewegen sich auch die altgermanischen ausdrücke für
'richterlich auffordern oder erlangen' in dem vorstellungskreis
von holen 'reissen, rauben, fangen'.
Schon angeführt ist das afries. mith compe halia. Häufig
belegt findet man auch mith ethum halia 'mit eiden erlangen'.
— Ebenso mndl. . . . mit sinen eede halen mochte ende winnen
op den ghcnen, daer hise op eisschet (Verdam). Weiter aenhalcn
= 'aanhouden, in beslag nemen' (brieven, geid); af halen 'boeten
invorderen': inhalen 'renten innen'.
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 557
Mhd. cm guot nfJiohi 'praedium revindicare sibi'; D6 Jiolten
die degcre ir 1ms iif mit urteil an gerillte (Lexer).
D) Wir kommen jetzt zu der anwendung von holen, lialen,
welche im nhd. und im nndl. wol als die wichtigste' empfunden
wird, nämlich zu dem begriff 'zu sich kommen lassen, herbei-
bringen, herbeischaffen'. Wie sich diese bedeutung aus dem
sinn 'ziehen' entwickelt hat, kann man sich an dem gebrauch
von engl, to Imul up veranschaulichen. Dieser ausdruck lieisst,
laut dem N.E.D. 'to bring up for a reprimand, to call to ac-
count', also eigentlich einen widerspenstigen zu sich ziehen
oder schleppen. Dass diese Zwischenstufe zwischen blossem
'ziehen' und 'herbeiholen' wirklich existiert, beweist uns das
mndl. onthalcn 'iemand, een ambtenaar, een getuige, ergens bij-
halen of oproepen', das also vollständig mit to haut up über-
einstimmt. Und ich zweifle nicht daran, dass wir an verschie-
denen stellen von Tatian für ahd. gihalön dieselbe nüance
anzunehmen haben.
1) Tat. 99, 4 Tho gihalota inan sin Jierro (Mt. 18, 32 tuuc
vocavit illum dominus suus: es handelt sich um den knecht,
der seinen mitknecht ins gefängnis hat werfen lassen) i); 108, 1
Inti gihalota inan inti quad imo (Lc. 16, 2 et vocavit illum et
ait illi: der ungerechte Verwalter wird zur Verantwortung
gezogen)."-) Vielleicht auch Tsüt. 212, b gihalotemo u-altamhahte
= accersito centurione. Ursprünglich scheint also die bedeutung
gewesen zu sein: 'zu sich schleppen: gewaltsam zu sich kommen
lassen'. Dass der nebenbegriff 'gewaltsam' so verblasste, dass
schon ahd. halön, holön einfach 'zu sich kommen lassen' heisst,
darf uns ebensowenig wunder nehmen, als die ähnliche ver-
blassung von gihalön 'rauben, gewaltsam erlangen', später
einfach 'bekommen'; oder der ganz parallele Vorgang in er-
rungenschaft, wo der begriff des ringens gewöhnlich gar nicht
mehr empfunden wird.
2) Holen 'zu sich kommen lassen', wird während aller
Sprachperioden massenhaft gebraucht. Die meisten ahd. bei-
spiele werden später angeführt, da sie als Übersetzung von
lat. vocare vorkommen. Sonst kann man noch eitleren: ahd.
Otfr. IV 4, 6 tha2 sie . . . imo einan esil holetin {giholotin, holotin
') Ebenso halota Monsee fragm. (ausg. Hench) 12, 17.
^) lieber die widergabe von vocare durch halön ii.s.w. siehe unten.
558 MANSION
andere liss. [vgl. Mt. 21, 2]). As. Hei. 3229—3230 lialo tJii thar
oäran to goäaro gumono (Mt. 18, 16 adhibe tecum adhuc iinum
Tel duos); 3794 gihalodan te lielpu tlies heroston man Erodeses
tJicgan. — Afries. 156,24 halia sinne ncsta sit 'seinen nächsten
gefälirten holen'; 156, 27 halath ma tlia Jcocar; 206, 13. 30 ihene
papa\ 232, 25 thene prester 'die liocar (gew. gerichtspersonen)
den pf äffen, den priester holen'. Aehnliche belege im mhd.,
nhd., mndl. und nndl.
3) Mit einem sachnamen 'herbeischaffen'. Ahd. muas
Jiolön (Otfr. II 14, 11); tvazares giholön^) (id. II 14, 14). Notker,
Beet. III 70 (Piper 1 175, 27—31) Nunc superest ut agnoscas,
unde possis hanc veram petere ... so habest tu nü sebechen-
nenne uuär du sia hölön sülist. — As. hröd halon Hei. 2852.
Ebenso im mhd., mndl. u.s.w.
Zuletzt lasse ich eine reihe von bedeutungen folgen, welche,
obwol weniger verbreitet und offenbar ans den vorigen abzu-
leiten, doch erwähnenswert scheinen.
a) Bringen. Im DWb. wird der unterschied von holen
und bringen folgendermassen charakterisiert: ^ Holen heisst all-
gemein zu sich kommen machen ... im gegensatze von bringen,
das zwar manchmal an holen rührt, dessen grundbedeutung
aber nur bewegen und überliefern von einem orte zum andern
schlechthin bezeichnet, während bei holen der eigene wille des
subjects und eine vorgängige bewegung an den ort, wo das
object sich befindet, verstanden wird.'
Ahd. Tat. 133, 13 thiu [scaf\ gilimphent mir zi halonne =
Joh. 10, 16 illas oportet me adducere.
Afries. 180,18 halath hit aeng mon 'bringt irgend ein
mensch es herein . . . ' (nl. lith 'ein verbotenes getränk' [?] ).
]\[nl. inhalen 'binnenbrengen, terugvoeren'. Hierher scheinen
auch zu gehören die begriffe ein-, ab-holen, ndl. inhalen, ont-
halen, eigentl. 'einbringen, oder von einem gewissen pnnkt ab
bringen' (ont- =■ ab-). Uebrigens scheint holön ahd. die be-
deutung 'empfangen' (ndl.onthalen) zu haben: Otfr. V 20, 69 — 70
richi, thaz er garota ... er iuih thara holoti 'damit er euch darin
empfinge, eigentl. dahin führte'. Tat. 152, 3 ili ivas gast inti
0 Hier vielleicht noch 'zieheu': franz. tirer de l'eau (d'un puits), lat.
(Joh. 4, 7) haurire ag^uam.
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 559
xr halohd mih\ Mt. 25, 35 collegistis me; lh2, 4 gihalotunmes =
collegiinus; 152, 6 ni gihalotut mih = non collegistis me.
ß) Betten. Aus einer gefährlichen oder irgendwie bösen
läge herausziehen, befreien, erretten, heisst holen in ein paar
beispielen. As. Hei. 4924 halon fan hclliu an Mmilrihi. Ahd.
Isid. (ausgäbe Heuch, QF. 72) 43, 8 wir, dhea Christ chihaloda...
= lat. redempti.
y) Erheben. Ludwigslied 4 Holoda inan truhtin magaczogo
warth her sin 'der herr erhob (errettete?) ihn, ward sein er-
zieher'. Der sinn ist nicht ganz deutlich: es will mir doch
vorkommen, dass holoda in Zusammenhang mit dem folgenden
verstanden werden muss: gab er imo dugidi, fronisc githigini,
stuol hier in Vrankon.
ö) Endlich heisst halia im afries. 'veranlassen': 160,26
ther tlia case halad heth 'der den streit veranlasst hat'. Ebenso
168, 27.
Ahd. halon, holön als Übersetzung von vocare.
Für den begriff 'jemand zu sich rufen' verfügen die alt-
germanischen sprachen über keinen gemeinschaftlichen ausdruck.
Gr. xalslr wird in diesem sinn gotisch meist durch haitan wider-
gegebeu (z. b. Mk. 1,20 haihait ins); das synonyme qcovUnv der
regel nach durch tvöj^jatt. Altenglisch erscheint in den west-
sächsischen Evangelien für lat. vocare regelmässig clipian, in
den anglischen quellen dagegen ctegan. Nirgends kommt das
verbum rufen (got. hröpjan, aengl. as. hrüpan, ahd. (h)nwfan)
in dieser bedeutung vor, da es nur intransitiv, mit dem sinn
'schreien, ausrufen' gebraucht wird. Im got. und altengl. war
die aufgäbe der Übersetzer in bezug auf die verba y.aXnv,
cpcovEviLv, vocare verhältnismässig leicht, da für diese Wörter
ein und dasselbe germanische wort überall eingesetzt werden
konnte.') Untersuchen wir nun, wie in ähnlichen fällen ein
althochdeutscher Übersetzer, z. b. die Übersetzer des Tatian,
verfährt, so ergibt sich bald, dass hier die Schwierigkeiten
viel grösser waren als im gotischen. Die mannigfaltigkeit
^) Neben haitan und tvöpjan findet sich noch ein paar male rp'pan oder
namnjan. Dazu kommt noch lapön 'berufen', lapöns 'benifung' {xaltlv,
x/.ffOig) vor allem in den Paulinischen briefeu.
560 MANSION
der gebrauchten ausdrücke zeigt uns schon allein, dass das
Problem nicht einfach zu lösen war. Neben halön (Iwlön)
kommen als Übersetzungen von vocare noch folgende Zeitwörter
vor: nemnen, gi-nemncn, heizzan, gi-lieizzan, gi-Jcewcn (nur
einmal 141, 7), ladön, gi-ladön, suohhen, riiofan (intrans., einmal
207, 3). In den meisten fällen entspricht der gebrauch genau
dem heutigen. So heisst es: 2, 5 nemnis ihu sinan namon
loliannem; 156,2 ir heizset mih meistar = Joh. 13,13 Vos vo-
catis me magistrum. Dass ludön in solchen fällen, wo vocare
'nennen' bedeutet, nicht möglich ist, wird uns nicht ver-
wundern; allein, wenn man wirklich von dem sinn 'schreien,
ausrufen' auszugehen hätte, so würde die entwicklung zu
'nennen' ebensogut zu verstehen sein als ein ähnlicher be-
deutungswandel in xaXüv oder vocare, die beide von dem sinn
'schreien' zu dem begriff 'nennen' gelangt sind. Wenn es
sich um die göttliche berufung handelt, scheint, entsprechend
dem gotischen, das verbum ladön, giladön bevorzugt zu werden:
56, 4 ni quam zi tJmi tliaz ih giladoti rehte; Mt. 9, 13 non enim
veni vocare iustos; 109, 3 manege sint giladote; Mt. 20, 16 multi
enim sunt vocati. Dieses selbe ladön, gi-ladön übersetzt häufig
vocare 'einladen' oder mvitare. Nur in einer bedeutung kann
vocare durch Jialön widergegeben werden, nämlich wenn der
sinn ist 'zu sich kommen lassen, herbeirufen, herbeiholen'. In
solchen fällen findet man in der heutigen spräche gewöhnlich
das verbum rufen: aber daraus darf keineswegs gefolgert
werden, dass ahd. Jialön genau dasselbe wie rufen bedeute.
Vielmehr ist in vielen fällen, wo das ahd. halön gebraucht,
noch heute die Übersetzung mit holen möglich; rufen wird nur
deshalb gewählt, weil es sich mit dem lateinischen worte im
haupt- und nebenbegriff vollkommen deckt, nicht weil holen
sinnwidrig wäre. Diese bemerkung gewährt uns einen nähern
einblick in die folgenden beispiele:
Joh. 4, 16 Vade, voca virum tuum; Tat. 87, 5 uar inü halo
thinan gomman 'geh hin, hole deinen mann'; Otfr. 1114,47
Holo, qiiad er, sar zi erist thinan gomman, thar er ist 'hole,
sprach er, zuerst sofort deinen mann da, wo er ist'; Mt. 2, 15
Ex ,Egypto voca vi filium meum; Tat. 9,4 fon J^gyptin gihalota
ih minan sun 'aus Aegypten habe ich meinen söhn geholt';
Mt. 20, 8 Voca operarios et redde illis mercedem; Tat. 109,2
t)lE fiTYMOLÖÖIE VON HOLEN. 561
)ialo tliie uurhton inti gilt in mieta 'hole die arbeiter und gib
ihnen den lohn'; Joh. 9, 18 Non crediderunt ... donec voca-
verunt parentes; Tat. 132, 11 Ni gdouUun . . . iinz sie gihalohm
sine eldiron 'sie glaubten nicht bis sie seine eitern herbeigeholt
hätten'; Joh. 9, 24 Vocaverunt ergo rursum homineiu; Tat.
132, 14 gihalolim then man ahur 'sie holten den mann noch
einmal herbei'; Joh. 2, 9 Yocat sponsum architriclinus; Tat.
45, 7 gihalota then bnitigonwn thic furistsizscnto 'der speise-
meister holte den bräutigam'.
In allen angeführten beispielen würde, bei dem fehlen
eines verbums für rufen, der gebrauch von holen noch heute
sehr gut zu rechtfertigen sein. Wol fällt uns jedesmal eine
kleine ungenauigkeit in der widergabe von vocare auf, der
hauptsinn aber bleibt doch immer deutlich. In dem begriff
vocare 'zu sich rufen' sind zwei bestandteile zu unterscheiden :
erstens wird besagt, dass die betreffende person angeredet
wird, zweitens dass man sie nach einem bestimmten orte zu
bringen sucht. Nur aus dem Zusammenhang ergibt sich, ob
dies wirklich geschehe oder nicht. Wenn aber Jtolen gebraucht
wird, so ist nur so viel klar, dass das subject eine person nach
einem bestimmten orte mit sich führt. Es fehlt also der begriff
'anreden', ebenso kann die handlung als gewaltsam oder fried-
lich vor sich gehend gedacht werden. In den oben angeführten
beispielen ist der sinn ganz deutlich: das anreden ist nur neben-
sache, es versteht sich von selbst, dass dem 'rufen' folge ge-
leistet wird und zwar freiwillig, nicht gezwungen. Holen
gibt also allein das zweite element des begriffs vocare wider,
und selbst das noch ungenau. Die Übersetzung ist also jeden-
falls mangelhaft, aber die nur schwach gedachten nebenvorstel-
lungen werden aus dem Zusammenhang leicht ergänzt, sodass
schliesslich für den leser nichts wesentliches verloren geht.
Wenden wir uns jetzt zu den fällen, wo holen für vocare
nicht eingesetzt werden kann. Auffallend ist in dieser hin-
sieht die stelle Joh. 11, 28 Et cum haec dixisset, abiit et vo-
cavit Mariam sororem suam silentio dicens: magister adest et
vocat te; Tat. 135, 17 Mit diu her thisiu quad, gieng inti gi-
halota Mariun ira suester stülo quedenti: meistar ist az inti
suohhit thih] Otfr. III 24, 37 So si thaz giselita, thia suester si
sar holeta: ther meistar, quad si, Mar ist, gibot thir, thaz thu
562 MANSION
qiiamist 'und als er dies gesagt hatte, gieng sie hin und holte
ihre Schwester Maria, leise sprechend: der meister ist da und
sucht dich.' 'Als sie das gesagt hatte, holte sie die Schwester
sogleich: der meister, sprach sie, ist hier, er gebot dir, dass
du kämest.' Die form vocavit hat einen ganz ähnlichen sinn
wie in den oben s. 560 besprochenen fällen, wird daher auch
durch holön, gihalun widergegeben. Dagegen ist vocat ab-
weichend durch siiolihit, gihot tliir, thaz thu qiiomist übersetzt.
Der grund ist der, dass hier die bitte, Maria soll zu dem meister
gehen, hauptsaclie ist, nicht die handlung selbst; überdies ist
die actionsart hier deutlich Ingressiv, nicht perfectiv, was für
Jiolen immer der fall ist. Es stimmt also wider der ahd. Sprach-
gebrauch zum neuhochdeutschen. Aehnlich sind noch andere
beispiele zu beurteilen. Joh. 1, 48 Priusquam te Philippus vo-
caret . . . vidi te; Tat. 17, 5 er thanne dili Fhilipims gruozti . . .
gisah tliih 'bevor Philippus dich grüsste, anredete ... sah ich
dich'; Otfr. II 7, 63 Ih sah thih, er thih Jioloti joh Fhüippus
güacloti 'ich sah dich, ehe Philippus dich geholt und eingeladen
hatte'. Otfrid behandelt den text mit einer gewissen frei-
heit: der sinn erhellt aber deutlich aus den folgenden zeilen,
wo noch einmal dasselbe widerholt wird: Irlcanta ih thino
giiati ... er er thih thes gibeitti, thaz er thih hera leitti (giheiten
= Jadön, leiten = holön). Bei Tatian dagegen wird in an-
schluss an das original ein einziges verbum, gruozen gebraucht,
das wol 'angehen, anreden' bedeutet. Dass damit 'rufen' ge-
meint ist, muss aus dem Zusammenhang erhellen. Luc. 15, 26
Et vocavit unum de servis; Tat. 97,6 Inti gruozta einan fon then
scalcnn 'und er redete einen der knechte an'. Hier wird wider
in vocare nur das element 'anreden' zum ausdruck gebracht.
Joh. 10, 3 Et proprias oves vocat nominatim et educet eas;
Tat. 133, 6 Inti eiganu scaf ncmnit namahafto inti leitit sie uz
'und er nennt die eigenen schafe mit namen und führt sie
heraus'. Es besteht wol kein zweifei, dass die verben gruozen
und nemnen sehr ungenaue widergaben von vocare sind. Warum
hätte holön, halön hier nicht gebraucht werden können, wenn
es schlechthin 'vocare' bedeutete? Dass die Übersetzer an ein
so gewöhnliches und so oft mit vocare verbundenes wort nicht
gedacht hätten, ist durchaus unwahrscheinlich. Die verben
gruozen, nemnen sind also nur daher gewählt, weil ein besseres
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 563
wort fehlte. Die ersten (oben s. 560) angefülirten beispiele
haben gezeigt, dass lialön, Iwlon selbst da, wo es vocare über-
setzt, nicht 'rufen' zu bedeuten braucht; jetzt erhellt aus einer
reihe von beispielen, dass es diese bedeutung in vielen fällen
sicher nicht haben kann. Die Übereinstimmung mit dem heu-
tigen Sprachgebrauch ist also vollkommen: wo wir holen sagen
können, da steht ahd. halön, hoJön; wo Jiolcn unmöglich ist;
da steht auch niemals ein halön oder holön. Der schluss wird
somit sein, dass das ahd. wort nicht 'rufen', sondern 'holen'
bedeutet.
Auf grund der bis jetzt gewonnenen ergebnisse können
wir nun weiter gehen und eine deutlichere einsieht in den
gebrauch von ahd. halön erlangen. Es empfiehlt sich, genau
festzustellen, was gihalön (giholön) im ahd. gegenüber einfachem
halön (holön) bedeutet.
a) In der bedeutung 'bekommen' erscheint regelmässig
gi-holön, nicht holön. Nur Otfr. III 20, 72 holota F neben gi-
holota VP. (mhd. dagegen prls holn u.s.w.).
ß) Ahd. gihalön scheint ferner den sinn 'zusammenholen,
zusammenbringen' zu haben. Bei Tatian kommt es häufig als
Übersetzung von convocare vor, und in vielen fällen, wo einfach
vocare steht, ist der sinn doch 'versammeln'. Wie ga- in got.
galisan, garmnan, ahd. </a/vV/aw 'coire', ^armw«« 'coagulari' hat
gl- hier noch seinen vollen et3^mologischen wert.
Mt. 10, 1 Et convocatis duodecim discipulis suis dedit illis
potestatem; Tat. 44, 2 Inti gihaloten sinen ziielif iungiron gah
in giwalt 'und da er seine zwölf jünger zusammengeholt hatte,
gab er ihnen gewalt'; Lc. 7, 19 (lohannes) convocans duos de
discipulis suis misit' Tat. 64, 1 lohannes . . . gihalota sine iun-
giron suene, santa sie 'Job. holte seine zwei jünger, sante sie';
Mt. 15, 32 convocatis discipulis suis dixit; Tat. 89, 1 gihaloten
sinan iimgoron quacl; ähnlich 118, 1 (convocans); Lc. 16, 5
Convocatis itaque singulis debitoribus; Tat. 108, 3 Gihaloten
tho suntar giivelihen sciddigon; Lc. 15, 6 convocat amicos; Tat.
96,2 gihalot sine friiinta 'holt seine freunde zusammen'; ähn-
lich 96, 5; Mc. 8,34 Convocata turba cum discipulis; Tat. 90, 5
gihalatero menigi mit sinen iimgoron 'da er das volk und seine
jünger zusammengeholt hatte'; Lc. 23, 13 Pilatus autem con-
vocatis principibus sacerdotum . . .; Tat. 197, 1 Pilatus gihalota
564 MANSION
ihie heroston tJtero hisgoffo . . . 'Pilatus holte die höchsten der
priester zusammen . . . ' ; vielleicht noch 8, 4 gilmJoten magin.
Einen ähnlichen sinn vermute ich ferner noch in den drei
folgenden stellen, wo lateinisch einfaches vocare steht, althoch-
deutsch aber gihalön, wie mir scheint, mit der bedeutung 'con-
vocare'; Mt. 25,14 Sicut enim homo proficiscens vocavit servos';
Tat. 149,1 Soso man farenti gihalota sine scalca ... 'wie ein
mann, im begriffe fortzureisen, seine knechte versammelte ...'
(Mons. frag. 20, 3 halota)] 151,2 Gihdloten tho sinen zehen scal-
con\ 151,4 gibot ... tJiaz man gihaloti sine scalca. Für 'con-
vocatis ad se turbis' (Mt. 15, 20) findet sich einmal güadön:
Tat. 84, 6 giladoten zi imo menigin.
7) In einer dritten anwendung scheint gilialon den sinn
'zu sich holen, zu sich nehmen, zu sich kommen lassen' zu haben.
Das gi- würde hier die bedeutung von halön etwa so modifl-
cieren wie herbei in nhd. herbeiholen. Unter holen allein wii'd
gewöhnlich verstanden, dass das subject auf eine bestimmte
person zugeht und sie bewegt, mit ihm zurückzukommen;
herbeiholen dagegen besagt nur so viel, dass das subject die
andere person irgendwie zu sich hat kommen lassen. Sehr
deutlich hat giholön diese bedeutung in Tat. 98, 2 giholo mit
thir noh thanna einan odo zivene (Mt. 18, 16 adhibe tecum
adhuc ununi vel duos) 'hole noch einen oder zwei mit dir
herbei'; Mt, 12,45 Tunc vadit et assumit Septem alios Spiritus;
Monsee frag. 7, 15. 16 Danne gengit enti gahalot sibiini andre
gheista (Tat. übersetzt hier nimit); Mt, 18, 2 Et advocans Ihesus
parvolum statuit; Tat, 94, 2 Liti gihalota der heilant luzil hind,
sazta . . , 'und der heiland holte ein kleines kind herbei, stellte
es . . , ' ; Mt. 4, 21 Et procedens inde vidit alios duos fratres . . .
et vocavit eos; Tat, 19, 3 Thanan tho furdir ganganti gisah an-
dare zuene briioder . . , inti gihalota sie; Mt. 3, 13 vocavit ad
se quos voluit ipse; Tat. 22, 5 giholota thie zi imo thie her
wolta; Lc. 6, 13 Et cum dies f actus esset, vocavit discipulos
suos; Tat. 70, 2 Tho tag ivas giivortan, gihalota zi imo sine
iungiron- Lc. 13, 12 Quam cum vidisset Ihesus vocavit ad se
et ait illi; Tat. 103, 2 Thie mittiu gisah ther heilant, gihalota
sia zi imo inti quad iru; Mt. 20, 25 Ihesus autem vocavit eos
ad se et ait; Tat. 112, 3 Ther heilant gihalota sie zi imo inti
quad; Mt. 20, 32 Et stetit Ihesus et vocavit eos et ait; Tat.
DIN ETYMOLOGIE VON HOLEN. 5G5
115,2 Inii siuont ther heilant inti gihalota sie inti quacl (Mens,
fragm. 14, 26 halota); Joh. 18, 33 Introivit . . . Pilatus et vocavit
Iliesum et dixit ei : Tu es rex . . . ; Tat. 195, 1 Ingicng . . . Pi-
latus inti gihalota then heilant inti quacl imo: thii bis cuning . . .
In den letztgenannten beispielen, die ich absichtlicli ohne
Übersetzung angeführt habe, kann natürlich gihalön, giholon
entsprechend dem lat. vocare durch 'rufen' widergegeben werden.
In den meisten fällen muss man sogar gestehen, dass holen,
herbeiholen keine sehr befriedigenden Übersetzungen wären. Ich
glaube jedoch nicht, dass wir das recht haben, aus diesen bei-
spielen zu folgern, dass gihalön wirklich 'rufen' bedeute, denn
der sinn fordert jedesmal nur einen sehr allgemeinen ausdruck
'zu sich kommen lassen'. Dass es sich um ein wirkliches
'rufen' mit directer anrede handele, geht aus dem Zusammen-
hang gar nicht so deutlich hervor wie in den oben s. 561 flg. be-
sprochenen beispielen, wo halön, gihalön vermieden wird. Dass
das element 'anreden' nur eine nebenrolle spielt, dagegen das
'zu sich kommen lassen' hauptsache ist, beweist der häufige
gebrauch von zi imo, selbst da, wo der lateinische text ad se
nicht hat.
6) Es bleibt uns noch übrig, eine reihe von belegen zu
erörtern, in denen der begriff 'einladen' (lat. vocare oder in-
vitare) durch halön, gihalön widergegeben wird. Joh. 2, 2
Vocatus est autem ibi et Ihesus et discipuli ejus ad nuptias;
Tat. 45, 1 Gihalot icas ouh thara ther heilant inti sine iim-
giron zi thero briitloufti] Lc. 14, 13 Sed cum facis convivium,
voca pauperes ...; Tat. 110,4 Oh thanne thu gounia tues, gi-
halo thurftigon . . . ; Mt. 22, 2 ... fecit nuptias . . . (Lc. 14, 16)
et vocavit plures; Tat. 125, 1 teta brutloufti . . . inti giholota
manage; Mt. 22, 3 misit servos suos vocare invitatos; Tat.
125,2 Santa sine scalca si halonne thie giladotim; Mons. fragm.
15, 6 — 7 sentita sine scalcha halon dea Jcaladotun.
Es muss zugegeben werden, dass die unter 6) gleichwie
die unter /) angeführten beispiele, wenn sie allein ständen,
als ausreichend betrachtet werden könnten, um die bedeutung
'rufen' für halön zu erweisen. Wenn wir uns deren beweis-
kraft zu verringern bemühen, so muss daran erinnert werden,
dass wir aus verschiedenen gründen durchaus berechtigt sind,
an der Zuverlässigkeit des hier gelieferten Zeugnisses zu
Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXIII. 27
566 MANSION
zweifeln. ^Die kiinst der Übersetzung', sagt Sievers (Tatian^
LXX), 'ist im ganzen niclit gross.' Das entschieden deutsche
gepräge, das den Schriften Notkers eigen ist, fehlt hier voll-
ständig. Anderseits steht gegenüber den nicht zahlreichen
beispielen aus der fast sklavischen ahd. Übersetzung, die
unserem heutigen Sprachgefühl widerstreben, das einstimmige
Zeugnis aller alt- und neugermanischen sprachen, von denen
keine einzige eine berührung zwischen den begriffen 'rufen'
und 'holen' aufweist. Die zahlreichen glossen vocare : halöJi^)
haben die Übersetzer irreführen können. Von den unter 6)
gegebenen beispielen ist mir nur 45, 1 gihalot was unverständ-
lich. Die übrigen: gihalo thurftigon, giholota manage können
bedeutet haben: 'hole zusammen, versammle die armen', und
'er holte viele leute zusammen'. Tat. 125, 2 ist natürlich zi
lialonne, vocare invitatos, zu verstehen 'zu holen, abzuholen'.
Die diener werden geschickt, um den gasten zu berichten,
dass das mahl bereitet sei (vgl. Mt. 22, 4), und mit ihnen zurück-
zukommen.
Wollen wir die ergebnisse zusammenfassen, so kommen
wir zu dem schluss, dass die bedeutung 'rufen' für halön, Jiolön
noch immer möglich bleibe, aber doch unwahrscheinlich sei.
Man bedenke einerseits, dass von Tatian und Otfrid an der-
selben stelle Joh. 11, 28 die zwei bedeutungen von vocare sorg-
fältig unterschieden werden, dass bei der hypothese eines halön
'rufen' die Übersetzungen gniozen, suohhen, nenmen für vocare
unbegreiflich werden, dass schliesslich der Sprachgebrauch der
gesammten germanischen weit und unser eignes Sprachgefühl
sich gegen ein halön 'rufen' sträuben. Anderseits spricht für
die bedeutung 'rufen' nur das zeugnis einer einzigen quelle,
die sich weder durch die gewantheit der Übersetzer, noch durch
ein besonders ausgesprochenes deutsches gepräge auszeichnet.
AYenn sich also eine mehr oder weniger beträchtliche zahl
belege findet, die an Wendungen von halön aufweisen, welche
mit dem sonst bekannten gebrauch von holen in Widerspruch
stehen, so kann doch die autorität der anonymen Übersetzer
des Tatian das zeugnis der gesammten deutschen und ger-
^) Die glossierung beweist an und für sich nichts für den sinn von
halön. Man vergleiche etwa die Übersetzung von ndl. /taZen durch 'vocare'
in Kiliaen, zu einer zeit, da doch sicher halen keineswegs 'rufen' bedeutete.
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 567
manischen sprachweit nicht aufwägen. Dass nicht sehr ge-
scliickte Übersetzer an ihrer muttersprache sündigen, ist eine
überall bekannte nnd leicht erklärliche tatsache; dass aber
die eigentliche und ursprüngliche bedeutung eines wertes in
der Übersetzungsliteratur zahlreich belegt, dagegen sonst nir-
gends zu entdecken sei, ist sehr unwahrscheinlich. Es wäre
jedenfalls sehr sonderbar, dass gerade im Tatian, der in seiner
wörtlichen Übertragung dem lat, text schritt vor schritt folgt,
die grundbedeutung von lialön besser erhalten wäre, als in
irgend einer andern schritt der althochdeutschen literatur!
Die Wurzel lial- im nordischen.
Die altnordischen Wörterbücher geben für das wort liala
'ziehen' einen einzigen beleg, nämlich Mariusaga 1054'^: /rm/^-
menn hala sik undir ströndina par til, er ])eir nd alclcerislcegi.
Selbst an dieser stelle könnte, wie prof. Bley mir schreibt, das
wort hala für das altisländische in abrede gestellt werden, da
hala sik 'sich ziehen, sich schleppen' sehr leicht in hafa sik
'sich halten' oder besser (wegen des accusativs mit undir)
'sich bewegen oder richten nach' verändert werden kann.
Ausser dem altnordischen finden sich schwed. norw. hala, dän.
hak 'ziehen, holen', hauptsächlich in Schiffahrtsausdrücken. Es
fragt sich nun, ob diese Wörter als echt nordisch oder als
aus dem westgermanischen entlehnt zu betrachten sind. Einer-
seits sprechen für die entlehnung das fehlen der wurzel hal-
im ostgermanischen, das seltene vorkommen bez. fehlen von
hala im ältesten nordgermanischen, und die auf die schiffahrts-
sprache beschränkte Verwendung der neunordischen Wörter,
Gerade die bedeutung 'an einem tau oder seil ziehen' haben
z. b. die meisten romanischen sprachen aus dem germanischen
entlehnt. xA_nderseits kann man für ein echt nordisches hala
'ziehen' verschiedene beweisgründe gelten lassen: der begriff
'ziehen', wie oben gezeigt, gehört zu dem ältesten vorstellungs-
kreis der wurzel; die lautliche gestalt von hala gibt für die
hypothese der entlehnung keinen anhält; das fehlen einer
bedeutung holen 'to fetch' erklärt sich durch das Vorhanden-
sein eines verbums isl. hcimta, schwed. hämta, dän. hente 'holen,
to fetch', das, gleichwie das aengl. feccean, die stelle genommen
haben wird, die im hoch- und niederdeutschen durch holen,
37*
5(38 MANSION
halcn eingenommen wird. Dass iu der dänischen schiffahrts-
spraclie, auch in bezug auf hale, niederländischer einfluss ge-
golten habe, scheint aus folgenden beispielen, die mir dr.
A.Beets aus Leiden mitteilt, zu erhellen: dän. Hai an (Sljd-
dcrne)\ ndl. 'haal (schooten) aan!' Hai ind paa Luv Braser!
'haal de loef brassen in!' Hai ind Besanen! '(haal) bezaan in!'
Haie ned et Flag 'een vlag neerhalen' u.s.w. Man muss
hier doch zwischen wortentlelmung und ausdrucksentlehnung
unterscheiden: das \iL holen 'ziehen', z. b. in 'ein schiff in den
hafen holen' ist als wort zwar hochdeutsch, als ausdruck aber
wahrscheinlich aus dem niederdeutschen entlehnt. So kann
auch liale, haJa echtnordisch sein, aber hauptsächlich in ent-
lehnten ausdrücken vorkommen. Die frage scheint also nicht
leicht zu entscheiden. Während Falk und Torp in ihrem
Etym. Ordbok sich für die eutlehnung aussprechen, welche
meinung auch von dr. A.Beets (vgl. Woordenboek der Ndl.
taal unter lialen) vertreten wird, erwähnt sie Tamm nicht
einmal in seinem Etymol. Svensk Ordbok, und prof. Gebhardt
erscheint diese hypothese auch nicht genügend bewiesen.')
Für die feststellung der ursprünglichen bedeutung der wurzel
von liolen wird man also am besten noch das nordische bei-
seite lassen. Ob entlehnt oder nicht ist die bedeutung 'ziehen'
im nordischen für unsere ansieht jedenfalls günstig; selbst
wenn man beweisen könnte, dass hala im nordgermanischen
ursprünglich ist, würde dies, wegen des spärlich belegten
materials, unsere kenntnisse kaum bereichern.
Schluss.
Die Wurzel von xaXüv, caläre u. s. w. hat im germanischen
sehr zahlreiche Vertreter. Ahd. hei 'laut, tönend', hellan 'er-
tönen', mhd. hal 'hall, schall', isl. Mal 'geschwätz'. Mala
'schwätzen', huellr 'laut, tönend', slmal 'plauderei', sTcal dass..
1) Bei der untersucliung nach der herkimft von nord. hala u. s. w. habe
ich mich grosseuteils auf fremde hilfe verlassen müssen. Die herren prof.
A. Bley (Gent), prof. F. "Wagner (Charleroy), prof. Gebhardt (Erlangen, durch
vermittelung von prof. Wagner), dr. A. Beets (Leiden), prof. Muller (Ut-
recht), prof. J. Franck (Bonn), prof. Heuser (Göttingen) sind mir hierin aufs
freundlichste behilflich gewesen. Allen sei an dieser stelle herzlichst dank
gesagt.
DIE ETYMOLOGIE VON HOLEN. 569
sl^QÜ 'geläcliter', nscliwed. slcvclla 'widerhallen', alid. scellan
'schallen', aengl. Jih'mman, lihjmman 'klingen, tönen, rauschen,
brüllen', lilöu-an, ahd. {h)Iöjan 'brüllen' u.s.w. (vgl. Zupitza,
Guttur. 49, 107. 118. 119). Mit dieser wurzel hat die sippe von
Jiohn ausser den lauten nichts gemein. Dass irgendwo auf
germanischem gebiete zwischen einem halön 'rufen' und hei
'tönend', die doch sehr leicht in einer stabreimenden forme!
vereinbar waren, ein Zusammenhang im Sprachgefühl empfunden
worden sei, wird wol niemand behaupten. Gegenüber hei-, hal-,
sl-el-, sJmI- 'tönen, schreien, schwätzen' steht hal-, hui- mit dem
sinn 'ziehen, reissen, an sich reissen, rauben, zu sich ziehen
oder kommen lassen'. Nichts weist darauf hin, dass beide
wurzeln etwas mit einander zu schaffen hätten. Wenn der
nebenbegriff einer gewaltsamen anstrengung, der so oft mit
hole7i verbunden erscheint, zuweilen verblasst, so bleibt doch
immer die actionsart deutlich punctuell, perfectiv, was man
bei einer ursprünglichen bedeutung 'rufen' nicht erwarten
würde. Für die Zugehörigkeit von holen zu hellem u.s.w.
kann man als einzigen beweisgrund anführen das zeugnis
einiger stellen von Tatian, worin gihalon als widergabe von
vocare erscheint. Oben haben wir gezeigt, dass in den meisten
fällen halön, selbst als Übersetzung von vocare, doch die be-
deutung 'holen' bewahrt; dass die beispiele, die von dem
heutigen Sprachgebrauch abweichen, sehr selten sind; dass die
altdeutschen Übersetzer mit dem verbum vocare häufig in
Verlegenheit geraten sind. Es ergibt sich somit deutlich,
dass haJöri im ahd. niemals 'rufen' bedeutet hat und bloss
infolge der uubeholfenheit der Übersetzer diesen sinn zu haben
scheint.
Wenn die wurzel hal-, hui- 'ziehen' also in keinem Zu-
sammenhang mit hellan 'tönen', caläre, xaXio) steht, so wird
mau sich für sie nach einer andern etymologie umsehen
müssen. Ich erinnere hier an die von mir früher (Gutturales
grecques s. 251) vorgeschlagene Verknüpfung von hal- 'ziehen'
mit gr. xäXw^ 'seil, tau, kabel'. ') Damals habe ich an die
bedeutung 'rufen' für ahd. halön, holön geglaubt und folglich
1) Kri}Mv 'eine art pumpe', das ich früher für mit y.cO.ojq verwant
hielt, bleibt besser beiseite.
570 MANSION. — WILHELM
diese Wörter von ndl. Imlcn, engl, to hale, to haul u.s. w. ge-
trennt. Jetzt hindert nichts, xäXmq mit as. lidlön 'ziehen,
reissen', ndl. ndd. haJen 'ziehen', ahd. liolön 'ziehen' (Notker),
mhd. liohi 'ziehen', mQ,\ig\. lidlien 'ziehen, schleppen' n.s.w. zu
verbinden. KdXcog würde zu einer wurzel Ical- 'ziehen' in dem-
selben Verhältnis stehen als aisl. taug 'tau' zu der wurzel von
ziehen, got. tiuJian.
LÜTTICH. JOSEPH MANSION.
EIN WICHTIGES REGENSBURGER ZEUGNIS
FÜR DIE HILDESAGE IM 12. JAHRHUNDERT.
lieber die Verbreitung der Hildesage in der Oberpfalz im
12. Jahrhundert hat bis jetzt eigentlich nur die bekannte stelle
Rol. 266, 19 aufschluss gegeben. Dass die sage von Hettel und
Hilde schon in der zweiten hälfte des 11. Jahrhunderts in Ober-
bayern bekannt war, hat Müllenhoff mit recht aus dem vor-
kommen des namens Hörant in Tegernseeer Urkunden aus dem
anfang des 12. Jahrhunderts geschlossen, s. Zs. fda. 12, 314. Zu
diesen wichtigen Zeugnissen tritt folgende Obermünsterer Ur-
kunde, die den ältesten hd. beleg für die namensform Hettel
bringt, hinzu; sie steht in dem Obermünsterer Traditionenbuch
(München, K. allgemeines reichsarchiv, kloster Ober -Münster,
fasc. no. 5), das im 14. Jahrhundert, nach 1307, zusammen-
gestellt wurde:
Bl. 46 b. NOtiim sit omnibus Christi fidelibus, quod quidam comes nomine
Sighehardus pro annona trium filiarum snarum tradidit ad altare sancte
Marie quicquid predij habnit in ixilla Hohodorf cum XIIII mancipijs et
cum omnibus illuc pertinentibus, quesitis et uon quesitis, et cum omni
legalitate, qua sibi seruitio fuit, presente uxore et filijs suis. Isti sunt
testes: Rütpreht. Item Eutprebt. Magans. Ercbenpreht. il«tt?7. Adalprebt.
Volrat. Cunthart. Sarbilo. Einrieb. Helempreht. Babo. Dietrih.
Diese nicht datierte Urkunde ist schon von Thomas Ried, im
Codex chronologicus - diplomaticus episcopatus Ratisbonensis
(Regensburg 1816) I 222 als no. 239 fehlerhaft abgedruckt und
in das jähr 1151 gesetzt worden. Welches die gründe für
EIN ZEUGNIS FÜR DIE HTLDESAGE. 5?1
diesen ansatz wai-en, weiss ich nicht. Sie wird eher in frühere
als in spätere zeit zu setzen sein. Die bll. 42 b — 48 b enthalten
die eintragungen von 18 traditionen. In der zweiten, bl. 43a,
wird die äbtissin HademMis, die 1117 (am l.nov.) zum letzten
mal in einer Urkunde auftritt, erwähnt. Die den bll. 42b f.
voraufgehenden bll. 31a — 42 a enthalten kirchenpolitische
schreiben des 13. Jahrhunderts, und diesen sind bll. 24b — 30b
die eintragungen von 11 traditionen vorgestellt, von denen
die fünfte, bl. 26b, aus dem 11. Jahrhundert stammen muss:
ein prefedus Aeschivin und seine frau HiUaburg tradieren an
Obermünster per manus domine ahhatisse Wille snique aduocali
Hartivici. Unter den zeugen erscheint ein Hagano und ein
Bvmolt.^) Die äbtissin Willa tritt urkundlich zuerst am
14. juli 1052 auf und zuletzt am 27. oct, 1073. In diese zeit
gehört demnach die Urkunde. In der ersten tradition ver-
macht Bertha, quidatn (!) nohilis matrona eines Sigehardus
unter bestimmten bedingungen tale predium,, qiiale ad Prisinga
potestatiue habehat an Obermünster, Als zeugen fungieren:
Pabo. Mag-ouus. Archo. Werenhardus. Megenhalm. Kafolt. Herraut. Eu-
gilpht (sie!). Hitto. Gotpolt. Otto. Eremprelit. Heinrich. Regiuolt.
Die datierung fehlt, wie den übrigen zehn Urkunden. Es wäre
sehr wol möglich, dass der Sigehardus, dessen 'wirtin' hier
tradiert, derselbe ist, der die Urkunde auf bl. 46b ausstellte.
Etwas sicheres lässt sich natürlich nicht ermitteln. Jedenfalls
ist klar, dass die Urkunden der bll. 24b — 30b und 42b — 48b
eher der zeit von 1050 — 1120 angehören, als einer späteren.
Darauf hin deutet ja auch die spräche. Wir können jetzt,
glaube ich, sicher sagen, dass zur zeit, als der pfaffe Konrad
sein Eolandslied schrieb, in Regensburg und Umgebung ein
gedieht bekannt war, das die Hildesage behandelte. Hagen,
Hettel, Hilde, AVate und Horant werden darin vorgekommen
sein. Der name des entführers der Hilde wird schon damals
Hettel, nicht Beten gelautet haben.
Ob in diesem gedieht auch von Hildes tochter Gudrun die
rede war, wissen wir nicht. 2) Ich glaube nicht, dass man aus
^) Bl. 25b erscheint eine if27<e; h\. 26h ein Rüdlant; bl. 4:6a ein Ortwin.
'Das vorkommen dieser namen ist viel zu häufig, als dass es für die auf-
helluug der heldensage benutzt werden könnte, s. Förstemanu, Altd. nb. s. v.
2) Vgl. verf. Frühling, Münchner Wochenschrift 1, 19 f.
572 WILHELM, EIN ZfiUGNIS FÜR DIE HILDESAGE. — LITERATUR.
dem vorkommen des namens Gudrun gleicli den schluss zielien
darf, dass da, wo er anzutreffen ist, aucli die sage, wie sie
das gleichnamige mlid. epos erzählt, bekannt war. Der name
könnte auch aus irgend einer anderen sagensphäre stammen.
Mit dem namen Hettil ist das anders. Er ist unlöslich mit
der deutschen Hildesage verbunden. Er beweist wirklich
etwas. In Förstemanns Altdeutschem namenbuch fehlt die hd.
form Heitel.
MÜNCHEN.
FRIEDRICH WILHELM.
LITERATUR.
(Verzeichnis bei der redaction eingegangener Schriften, vgl. Beitr. 32, 15-i.)
Books printed in Iceland 1578 — 18i4. A fourth Supplement to the
British Museum Catalogue with a general index to the four Supplements
(= Bibliographical Notes VI). Ithaca, New York (Cornell University Library),
1907. — 48 s.
Brandstetter, Jos. Leop., Ortsnamenstudien auf Menzberg. (Sep.-abdr.
aus Geschichtsfreund bd. 62.) — 24 s.
Hortung, Ivan, Studien über die ö-verba im altsächsischen. (Diss.)
Helsiugfors, Centraldruckerei, 1907. — IV, 115 s.
Martens, Ernst, Entstehungsgeschichte von Burkard Waldis Esop.
(Diss.) Göttingen 1907. — 83 s.
Schröder, Edward, Die deutschen personennamen. (Acad. festrede.)
Göttingen 1907. — 22 s.
Seemüller, Joseph, Deutsche mundarten. I. (no. XI der berichte der
phonogramm-archivs-commission der k. acad. d. wiss. in Wien == Sitzungs-
berichte, phil.-hist. kl. 158, 4). Wien, A. Holder, 1908. — 28 s.
Waag, Albert, Bedeutungsentwickluug unseres Wortschatzes; ein
blick in das Seelenleben der Wörter. 2. vermehrte auf 1. Lahr, Moritz Schauen-
burg, 1908. — XVI, 183 s.
I
Dr-ack von EhrhariU Karras, Halle a. S.
^1
%•
PF
3003
B5
Bd. 33
Beitrage zur Geschichte der
deutschen Sprache und
Literatur
PLEASE DO NOT REMOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY