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Full text of "Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur"

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BEITRÄGE 


ZUR 


GESCHICHTE  DER  DEUTSCHEN  SPRACHE 

UND  LITERATUR 


UNTEll     MITWIRKUNG     VON 


HERMANN  PAUL    UND    EDUARD  SIEVERS 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


AVILHELM   BRAUNE. 


XXXIII.  DANIK 


HALLE  A.  S. 

MAX    NIEMEYER 

77/78  GR.  STEIN8TRASSK 
1908 


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INHALT. 


Seite 

Zu  Walther  von  der  Vogelweide.    Von  A.  Wal  In  er 1 

Parzival  171, 5.    Von  A.  Wallner 59 

Die  vorläge  für  de  la  Louberes  abschrift  von  Notkers  Psalter.  Von 

E.  Steinmeyer Gl 

Lückenbüsser.    Von  E.  Steinmeyer 94 

Znr  lehre  von  der  alliteration  in  der  westgermanischen  dichtung. 

Von  P.Q.Morgan 95 

(Cap.  I.  Die  tonverlialtnisse  der  hebungen  im  Beowulf  s.  102. 
—  Cap.  II.  Die  gekreuzte  alliteration  s.  164). 

Etymologica.    Von  C.  C.  Uhlenbeck 182 

Zum  guten  Gerhard  Rudolfs  von  Ems.     Von  A.  Schönbach.     .  186 

Ein  etymologischer  beitrag.    Von  H.  Petersson 191 

Nochmals  as.  Genesis  323.     Von  F.  Holthausen 192 

Die  Atli-lieder  der  Edda.    Von  J.  Becker 193 

(Inhalt  s.  s.  285). 
Antike  und  mittelalterl.  Studien  zur  literaturgeschichte.  I.  lieber 

fabulistische  quelleuangaben.    Von  Fr.  Wilhelm    ....  286 

Studien    zur    Krone    Heinrichs   von   dem    Turlin.    I — III.     Von 

A.  Schöubach 340 

Die   heimat   der   grossen   Heidelberger   liederhaudschrift.     Von 

Fr.  Vogt 373 

Ütgardaloke  in  Irland.    Von  Fr.  vonderLeyeu 382 

Zum  Meier  Helmbrecht.    Von  Fr.  Panzer 391 

Zu  könig  Tirol.    Von  H.  Schulz 398 

Nachtrag  zur  ausgäbe  von  Heslers  evangelium  Nicodemi.    Von 

K.Helm 400 

Nhd.  köter.    Von  S.  Feist 402 

Literatur 403 

Der  einfluss  des  mnd.  auf  das  dänische  im  15.  Jahrhundert.    Von 

Ida  Marquardsen 405 

Kleine  beitrage  zur  germanischen  altertumskunde.  Von  G.  Neckel    459 

(1.  Skäro  ä  sUÖi  s.  459.    —    2.  Wgerm.  schar  s.  466.    — 

3.  Centum  pagi  s.  473). 


INHALT. 

Seite 

Herren  imd  spielleute  im  Heidelberger  liedercodex.    Von  Anton 

Walluer 483 

(I.  Die  anordnuug'  der  Sammlung  s.  483.  —  II.  Die  wappen 
s.  491.  —  III.  Die  bilder  s.  502.  —  IV.  Die  titel  s.  522). 
Drei  spielmaunsnamen  (Wizlav.  Regenbogen.  Der  Freudenleere). 

Von  A.  Wallner 540 

Berichtigung.    Von  A.  Wallner 546 

Die  etymologie  von  holen.    Von  J.  Mansion 547 

Ein  wichtiges  Regensbnrger  zeugnis  für  die  Hildesage  im  12.  Jahr- 
hundert.   Von  Fr.  Wilhelm 570 

Literatur 572 


zu  WALTHER  VON  DER  VOGELWEIDE. 

8,  4  L.  (67,  49  P.). 

Ich  saz  üf  eime  steine 
und  dahte  bein  mit  beine; 
dar  ftf  satzt  ich  den  eilenbogen; 
ich  hete  in  mine  hant  gesmogen 
daz  kinue  und  ein  min  wange. 

Mit  der  so  iirastäiidlich  beschriebenen  Stellung  muss  es  eine 
besondere  bewantnis  haben.  Seit  Simrock  wird  sie  als  die 
eines  sorgehaften,  nachdenkenden  erklärt.  Walthers  ziüiörern 
weckte  das  bild  gewiss  nicht  diese  Vorstellung,  sondern  die 
eines  richters:  'Es  soll  der  richter  auf  einem  richterstuhl 
sitzen  als  ein  grisgrimmender  löwe,  den  rechten  fuss  über 
den  linken  schlagen,  und  wenn  er  aus  der  sache  nicht  recht 
könne  urteilen,  soll  er  dieselbe  ein,  zwei,  dreimal  überlegen.' 
Soester  ger.-ordnung  (Grimm,  Eechtsaltertüm.  2, 375).  ^)  Dieser 
beleg  zeigt  freilich  ebensowenig  wie  die  bei  Wilmanns  für 
Simrocks  auffassung  gesammelten  stellen  die  Vereinigung  aller 
bei  Walther  erscheinenden  züge,  aber  was  hier  fehlt,  das 
gewährt  eine  episode  aus  der  böhmischen  geschichtssage,  aus 
der  in  drastischer  weise  die  beinah  sakrale  geltung  derartiger 
brauche  hervorgeht.  Wenn  auch  der  unverständlich  gewordene 
zug  nur  trümmerhaft  überliefert  ist,  so  sind  die  scherben  leicht 
zu  kitten.  Die  sage  erzählt,  wie  die  jungfräuliche  fürstin 
Libussa  —  ihr  name  ist  durch  Musäus,  Herder,  Brentano  und 
Grillparzer  auch  der  deutschen  literatur  geläufig  —  einen 
grenzstreit  zweier  nachbarn  zu  schlichten  hatte.     Der  eine 


')  Braune  erinnert  mich  an  P.Reuters  Stromtid,  cap.  20:  ganz  nah 
Hersog  Adolf  von  Kleive  sine  Verordnung:  'So  ein  Richter  zu  Gericht 
sitzet,  soll  er  das  linke  Bein  über  das  rechte  schlagen  u.s.w.' 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXIII.  1 


2  WALLNER 

der  gegner,  dem  ihr  urteil  unrecht  gab,  wollte  sich  nicht  fügen 
und  wiegelte  das  yolk  gegen  die  weiberherschaft  auf,  so  dass 
Libussa  einwilligen  musste,  einen  gemahl  zu  nehmen.  Sie 
wählte  Premj'Sl.  Bei  Cosmas  von  Prag  hat  die  empürung 
einen  ganz  speciellen  anlass:  die  beiden  streitenden  tragen 
der  fürstin  ihren  handel  vor.  lila  interim,  ut  est  lasciva 
mollities  mulierum  quando  non  hahd  quem  iimeat  virum,  cubito 
suhnixa,  ceii  puerum  enixa,  alte  in  pictis  stratis  nimis  molliter 
accuhahat.  Diese  Verletzung  des  brauchs  greift  nun  der  ver- 
urteilte auf:  Seimus  profecto  quia  femina  sive  stans  seu  in 
solio  residens  xmruni  sapit,  quando  minus  cum  in  stratis  accuhat? 
(Cosmae  Chron.  1, 35, 17  ff.).  Am  nächsten  tag  will  sich  Libussa 
vor  dem  volke  verantworten.  Was  hier  bei  Cosmas  fehlt  (er 
bemerkt  nur:  femina  residens  in  suhlimi  solio)  bietet  der  für 
die  sagengeschichte  viel  verlässlichere  'lügenchronist'  Hajek: 
Sedehat  Frinceps  humi,  sed  eminentiore  loco  pictisque  tapctiis 
constrato,  cuhitum  genu,  sinistra  mentum  sustentans 
(Hagecii  Chron.  ed.  Gr.  Dobner  s.  145).  Die  tags  vorher  ver- 
nachlässigte haltung  des  richters  wird  also  jetzt  genau  be- 
obachtet, kann  aber  das  volk  nicht  mehr  umstimmen. 

Wie  Walther  dazu  kommt,  sich  in  dieser  richterlichen 
attitude  einzuführen,  ist  leicht  zu  verstehen:  es  schweben  ihm 
ursprünglich  —  was  die  ausf ührung  freilich  verwischt  —  Ehre, 
Gut  und  Gotteshuld  als  allegorische  gestalten  vor,  deren  streit 
er  schlichten  soll.  Die  hier  nur  angedeutete  gerichtsallegorie 
—  später  bekanntlich  eine  lieblingsform  der  zeitsatire  — 
kommt  in  der  nachbildung  Frauenlobs  (MSH  2,351b)  Ich  saz 
uf  einer  grüene  schon  voller  zur  geltung.  Die  gleiche  Situation 
begegnet  in  der  zweiten  satire  Seifrid  Helbliugs.  Der  dichter 
setzt  sich  als  richter  an  des  fürsten  stat  auf  eine  steinstufe 
lieleit  schön  mit  grüenem  ivasen  (511):  Also  gesaz  ich  eine  Bi 
dem  breiten  steine  In  minem  houmgarten  (21);  alsbald  erscheinen 
auch  hier  die  allegorischen  gestalten  Ziiht,  Mäze,  Iriuive, 
Ere,  Wärheit  und  Bescheidenheit. 

Auch  das  bild  zu  unserm  Spruche  zeigt  einen  stein  mit 
grüner  rasendecke;  dachte  der  maier  der  miniatur  in  C,  der  den 
rasen  mit  blumen  ziert,  an  das,  wie  die  nachbildungen  zeigen 
besonders  berühmte,  vocalspiel:  Ich  saz  üf  einem  griienen  le, 
da  ensprungen  hluomen  unde  Ide^ 


ZJJ  WALTIIER   VON  DER  VOGELWEIDE.  ö 

13,  26  (80,  22). 

0  we  der  wise  die  wir  mit  den  grillen  snngen, 
dö  wir  uns  solten  warnen  gegen  des  kalten  winters  zit! 
Daz  wir  vil  tumben  mit  der  ämeisen  nilit  rangen, 
diu  nu  vil  werdecliche  bi  ir  arebeiten  lit! 

Der  zug  stammt  wol  ans  der  internationalen  kreuzzngspredig't; 
vgl.  Str.  3  in  dem  gleichgestimmten  liede  Tliibauts  de  Champagne 
(Tarhes.  117ff.): 

La  souris  quiert  pour  sou  cors  garantir 
Contre  l'yver  la  noix  et  le  froment. 
Et  nous  chaitif  nous  u'alons  rien  querant, 
Quant  nous  morrons,  oü  nous  puissions  garir  . . . 
II  m'est  avis  qne  piain  sommes  de  rage. 

17,2511:.  (70  a,  29).  Waz  eren  hat  frö  Böne,  daz  man  so 
von  ir  singen  sol?  Die  spätem  lierausgeher  widerholen  zwei- 
felnd Lachmanns  vermutnng  vom  zusammenliang  des  sprnchs 
mit  dem  liede  vom  halmmessen  65, 33.  Die  rede  vom  strö  des 
königs  vom  Odenwald  legt  nahe,  an  ein  geteiltes  spiel  (vgl. 
Walther  46, 26;  150,  76  ff.)  zu  denken: 

Einer  git  geteilter  vil  (?) 

der  ander  nimet  swelcbz  er  wil. 

nu  bin  icb  über  ein  kumen 

und  han  mir  ein  geteilz  genumeu: 

borten  clär  von  siden, 

die  wölte  ich  lieber  miden, 

danue  die  vom  stro  etc. 

So  hat  Walther  von  dem  geteilten  spiel  hone  —  strö  (bonen- 
strö?)  das  letztere  gewählt.  Auf  das  halmorakel  mögen  die 
V.  31 — 33  gehen.  Zu  v.  36  f.  von  grase  tvircUt  halm  ze  strö, 
er  ist  guot  nider  unde  hö  vgl.  Winsbekin  14,1  sol  mir  daz 
muoter  ere  sin,  oh  man  min  ivilnschet  üf  ein  strö?  und  14, 10 
oh  man  min  tvilnscJiet  üf  daz  gras?  König  vom  Odenwald  208 
daz  strö  si  gegrüezet,  da  minnet  man  sich  üfe.  Ulrich  v.  Singen- 
berg  254,  5  zuo  minen  vröiden,  der  sint  zwo,  hcet  ich  die  schmnen 
i\f  ein  strö.  Paternoster-travestie  (Germ.  14,  405)  19  gesamen 
ivir  uns  üf  ein  strö,  so  ivirt  uns  sicut  in  celö.  An  derartige 
Paternoster  -  travestien  gemahnt  auch  Walthers  schlusszeile 
frou  Böne  —  set  liherä  nös  ä  mälö,  amen,  in  der  wol  auch 
ein  Wortspiel  —  honum  :  malum  —  steckt,  das  für  Walthers 
bildung  beachtenswert  ist. 

1* 


4  WALLNßR 

18, 1  (70  b,  15).  Hier  fassen  A  und  C  nicht  auf  gemein- 
samer vorläge;  icli  lese,  der  bessern  Überlieferung  in  C  folgend: 

Her  Volcnant,  habt  irs  ere, 
Daz  ir  die  meister  irren  weit 
ir  meisterlicheu  Sprüche? 
Latz  in  geschehen  niht  mere, 
5  Sit  daz  mauz  in  ze  uuwizzen  zeit. 
Wan  ob  her  Walther  krüche, 
Man  beten  iemer  doch  vor  in: 
Er  ist  daz  körn,  ir  sit  diu  spriu. 
Singent  ir  eiuz,  er  siuget  driu'), 
10  Geliche  als  ars  und  mäue. 

her  Walther  singet  swaz  er  wil, 

des  kurzen  und  des  langen  vil, 

SU3  meret  er  der  weite  ir  spil: 

so  jagent  ir  als  ein  valscher  hunt  nach  wäne. 

Die  fünf  Sprüche  dieses  tones  werden  in  zwei  gruppen  zerlegt, 
da  drei  im  zehnten  verse  drei  hebungen  zählen,  während  zwei 
hier  fünf  hebungen  aufweisen  wie  in  der  schlusszeile.  Eine 
solche  Spaltung  stünde  ganz  vereinzelt  da.  Da  die  dreihebigen 
verse  der  ersten  gruppe  absolut  sicher  sind,  fragt  es  sich,  ob 
die  ab  weichungen  der  zweiten  gruppe  nicht  auf  fehlerhafter 
Überlieferung  beruhen.  Bei  18, 10  ist  die  lesart  von  A  daz 
gelichet  sich  relite  alse  ars  und  mane  rhythmisch  unmöglich, 
die  von  C  aber  ir  sit  gelich  als  a.  u.  m.,  weist  nur  vier 
hebungen  auf.  Beide  gehen  v>'ol  auf  eine  dreihebige  zeile 
geliche  als  ars  und  mäne  zurück,  deren  lakonismus  jede  auf 
ihre  weise  zu  verdeutlichen  gesucht  hat.  In  18,24  hat  wol 
C  an  dem  ursprünglichen  got  müeze  ime  ere  meren  (A  got 
muoze  ime  erenneren)  anstoss  genommen  wegen  der  wider- 
holuDg  des  Wortes  ere  (v.  23  der  mir  so  höher  eren  gan)  und 
durch  die  'besserung'  got  miiesse  ouch  im  die  sinen  iemer  meren 
den  vers  über  gebühr  geschwellt. 

19,  31  (68, 15).  dö  fuort  er  miner  Jcrcencchen  trit  in  die 
erde.  Die  herausgeber  ändern:  mtnen  hrenechen  trit  Wacker- 
nagel, Pfeiffer,  Wilmanns;  mine  kranechen  trite  Paul;  mine 
haneches  trite  vermutete  Lachmann;  mine  Jcranechen  trite 
Haupt.     An   die   Überlieferung   hielt    sich   nur   Uhland,    der 

^)  Vgl.  Weinschwelg  276  ir  singet  so  icol,  daz  Htjrant  daz  dritte 
teil  nie  so  tvol  gesanc. 


zu   WALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE.  5 

h-ceneclien  als  'schnabelscliulie'  verstand,  während  Rückert  den 
genannten  herausgebern  zustimmt,  wenn  er  miner  als  attraction 
zu  dem  gen.  hrceneclien  erklären  will  (AVelsclier  gast  s.  G03). 
Insgemein  fasst  man  den  sinn  der  zeile  dahin  auf,  dass  der 
hochmütige  kranichsgang  sich  in  ein  demütiges  schleichen 
verkehre  und  verweist  für  das  bild  auf  Freidank  30, 13  hoch- 
vart  diu  hat  hraneches  schrite.  Damit  ist  aber  die  wendung 
noch  nicht  erklärt.  Soll  sie  bedeuten:  Friedrich  führte  meinen 
kranichsgang  mit  sich  in  die  erde,  zu  grabe?  Das  wäre 
mehr  als  kühn.  Ich  möchte  einen  andern  Vorschlag  wagen, 
der  wenigstens  die  Überlieferung  rettet.  Trit  hat  auch  die 
bedeutung  'fuss',  die  die  Wörterbücher  allerdings  nicht  kennen. 
Für  das  mhd.  bietet  nur  Lexer  einen  beleg,  den  er  irrig  mit 
'fusssohle'  erklärt:  da  von  sclün  get  durch  alle  trüve  lit  von 
der  schaitel  an  den  trit  Wilh.  v.  Osterreich  (D. texte  d. Mas. III) 
12778  ff.  In  der  Strickerei  bedeutet  tritt  den  fuss  des  strumpfes; 
in  der  Aveidmannssprache  den  fuss  gewisser  ja gdvögel,  be- 
sonders der  hühner.  An  diese  bedeutung  denke  ich  bei  der 
Waltherstelle.  Dann  liegt  anspielung  auf  einen  sprichwört- 
lichen ausdruck  vor,  auf  die  besonders  im  französischen  beliebte 
redensart  faire  le  pied  de  grue  'lange  und  ungeduldig  auf  etwas 
warten',  bald  auf  dem  einen,  bald  auf  dem  andern  bein  stehen 
wie  der  kranich;  deutsch:  den  Icranich  machen  (Wander,  Sprich- 
w.-lex.  2, 1576). 

AVie  aus  dem  Spruche  hervorgeht,  ist  herzog  Friedrich  dem 
Sänger  günstig  gesinnt.  Ob  er  ihm  schon  beweise  seiner  huld 
gegeben  hat,  ist  zweifelhaft,  denn  Walther  nennt  ihn  sonst 
nirgends.  Offenbar  aber  hat  er  den  dichter  erfreuliches  für 
die  zeit  nach  der  kreuzfahrt  hoffen  lassen  und  dieser  wartet 
nun  sehnsüchtig  auf  seine  rückkehr.  Da  kommt  die  todeskuude: 

Do  Friderich  üz  Österriche  also  gewarp, 

daz  er  an  der  sele  genas  und  im  der  lip  erstarp, 

dö  fuort  er  nüner  kr?euecheu  trit  in  die  erde. 

Die  stelle  bedeutet  dann:  'Als  Friedrich  im  morgenlande  starb, 
da  Hessen  meine  kraniche  ihr  bein  in  die  erde  sinken,  d.  h.  da 
wars  mit  meinen  hoffnungen  vorbei,  da  war  mein  warten  zu 
ende.'  Bei  dieser  deutung  wird  sowol  der  sing,  trit  bei  dem 
plur.  hrcenechen  verständlich,  als  auch  die  angäbe  in  die  erde 
statt  der  erwarteten  zer  erden.    Walthern  schwebt  eben  das 


6  WALLNER 

bild  der  kraniclie  im  moor  vor.  Bekanntlich  ist  der  kranich 
ein  Sumpfvogel,  ein  water,  der  also  in  die  erde  tritt,  wenn  er 
das  bein  senkt.  An  dies  bild  vom  kranich  als  sj^mbol  vergeb- 
licher erwartung  kann  sich  die  Vorstellung  von  seinem  ge- 
spreizten schreiten  associiert  haben.  Doch  lässt  sich  auch 
ohne  diese  vermittel ung  verstehen,  wie  die  redensart  vom 
kranichfuss  das  nächste  bild  herbeiziehen  konnte:  dö  gieng  ich 
slichend  als  ein  pfäwe  sivar  ich  gie. 

20,4  (68,49).  Der  in  den  ören  siech  von  ungesühte  st 
'Die  Vorsilbe  tm-  hebt  hier  den  begriff  des  grund Wortes  nicht 
auf,  sondern  steigert  ihn',  bemerkt  Wilmanns  unter  hin  weis 
auf  Höfer,  Germ.  14, 201.  Das  trifft  hier  nicht  zu  und  die 
bildung  gehört  überhaupt  in  eine  kategorie,  die  bei  Höfer 
fehlt:  analogiebildungen  nach  anklingenden  synonymen,  wenn 
der  begriff  einen  mangel  oder  eine  negation  ausdrücken  soll. 
ungesuht  (nicht  ungesühte)  ist  nach  ungesimt  stm.  und  stn. 
gebildet,  wie  z.  b.  unsiir  Priesterleb.  225  und  Schrätel  56  (hs. 
vnde  soiver)  nach  unsäeze. 

Für  die  jetzt  von  Schönbach,  AVSB,  145,  ix  vorgebrachte 
erklärung  von  erteeret  (20,6),  'betäubt,  um  das  gehör  ge- 
bracht' habe  ich  schon  vor  zwölf  jähren  Zustimmung  bei  "\^'il- 
manns  gefunden,  dem  ich  sie  gelegentlich  mitteilte. >)  Da  diese 
ursprüngliche  bedeutung  von  töre  (die  auch  seine  etj^mologie 
aufklärt  und  die  in  der  bedeutungsentwickelung  von  tump  ihr 
Seitenstück  hat)  in  den  mhd.  wbb.  fehlt  und  Schönbachs  hin- 
weis  auf  die  bair.  Idiotika  leicht  zu  dem  Irrtum  verleiten 
könnte,  als  läge  hier  wider  ein  österr,  dialektwort  vor,  will 
ich  dafür  einige  belege  anführen:  der  ungehörende  tör  Hohes 
lied  6,31;  ein  döre  der  gehört  nit  noch  mocht  nit  reden  Gries- 
habers  Pred.  1, 91;  Sicaz  ich  gesinge  oder  gesage,  daz  enget 
sumelichen  Hüten  niht  in  ir  ören,  die  verscliopfent  ir  ören  hol, 
siene  ivellen  weder  sen  noch  hceren;  sam  die  tören  gehärent 
sie:  ive  den  hoholden  die  alsus  erstummen!  Meissner,  MSH 
3, 108  (13).  Die  stabreimformel  tuniben  unde  toren  (Trist.  3592) 
gehört  ursprünglich  gewiss  auch  hierher.  'Taubstumm'  muss 
töre  auch  in  dem  unechten  Waltherliede  (Lachm.  15,  15)  be- 


^)  Ich  sehe  jetzt,  dass  zuerst  Jeitteles  (Germ.  37, 264)  auf  diese  he- 
deutuug  von  töre  hingewiesen  hat.    (Corr.-uote.) 


zu   WALTHER   VON   DER  VOGELWEIDE.  7 

deuten  ivolte  got  und  tvcerens  alle  tören,  die  ir  so  vil  gerünen 
zuo  den  6ren\  vgl.  ]\rornngen  131, 27  wcercn  nu  die  hüeUere 
algemeine  toup  unde  hlint,  eine  verwünsclmng-,  die  der  Stricker 
als  gegen  die  merker  üblich  verzeichnet  (Die  minnesinger, 
vdHagens  Germ.  8,280,  v.  14ff.).  Wie  teeret  ('betänbt')  man 
die  sorgen'^  Frauenlob,  MSH  3, 150  (34);  vgl.  auch  Seifried 
Helbl.  2,  735.  Auch  bei  Walther  erscheint  töre  in  der  bedeu- 
tung  'taub':  87,25  Ilüetent  iiitver  oren,  oder  ir  sint  tören 
'wenn  ihr  nicht  taub  seid';  dass  tatsächlich  diese  bedeutung 
vorliegt,  zeigt  die  kehre  das  guneret  iu  den  sin,  länt  ir  bcesiu 
ivort  dar  in,  oder  ir  sint  tören.  Die  gewöhnliche  bedeutung 
würde  die  stelle  sinnlos  machen. 

V.  7  Ich  hän  gedrungen  unz  ich  niht  me  dringen  mac. 
ein  schar  vert  üs,  diu  ander  in.  Beziehen  sich  Wolframs 
verse  nicht  auf  diesen  spruch?  Man  vergleiche  etslich  din 
ingesinde  ich  maz,  daz  üzgesinde  hieze  haz  ...  etswä  smcülich 
gedranc,  unt  etsivä  iverdes  dringen.  Jedenfalls  hat  er  den 
sinn  des  Spruches  knapp  und  treffend  mit  den  Worten  guoten 
tac,  bces  unde  guot  widergegeben,  und  auf  ein  genaueres  citat 
—  das  ihm  vielleicht  gar  nicht  möglich  war  —  kommt  es  ihm 
hier  so  w-enig  an  wie  294,  21. 

20,  31  (69,  IG). 

Mir  ist  verspart  der  sselden  tor; 

da  sten  ich  als  ein  weise  vor, 

mich  hilfet  uiht,  swaz  ich  dar  an  geklopfe. 

Die  stelle  ist  —  wie  82, 24  —  von  Suchenwirt  nachgeahmt 

worden  (Primisser  1,6): 

Der  chunste  hört  ist  laider  mir 
Verspart  au  allen  orten, 
Des  sten  ich  an  ir  phorten 
Und  chloph  als  ein  eilender  man, 
Doch  wird  ich  selten  in  gelan. 

Der  Spruch  ist  ohne  pointe.  Das  reimwort  ougcnweide,  das  sie 
bringen  sollte,  ist  reine  cheville,  trotzdem  dass  Walther  offenbar 
seinetwegen  das  bild  von  der  beide,  unbekümmert  um  die  kata- 
chrese^),   herbeizieht.    Liegt  ihm  ein  vogeUveide  zu  gründe. 


^)  Die  gleiche  bildermischung  wie  hier  begegnet  in  des  Meissners  lod- 
spruch  auf  Otto  von  Brandenburg  (MSH 3, 107(8):  so  ist  sin  miiot  geblüemet 
an  der  miUe  . . .  sin  gebende  haut  vröut  cds  ein  süeze  regen  in  dem  meien. 


8  WALLNER 

das  den  Schreibern  verdächtig  war?  Vgl.  auch  ivunne  {vrouäe) 
berndiu  hcide  in  der  hs.  D.  Es  wäre  ein  namensscherz  wie 
74, 19,  würde  ins  bild  passen  {ein  blat  meint  aber  zugleich 
'das  geringste',  vgl.  niht  ein  blat)  und  würde  die  schlusszeile 
erklären:  hie  bi  st  er  an  mich  gemant. 

22, 1  (69,  74).  geivaU  get  {(f.  Setzt  dieser  ausdruck,  den 
inhalt  von  21,34—37  zusammenfassend,  das  bild  von  21,32 
fort:  Untrimvc  (Jiät)  ir  sämen  iiz  gercret  allenthalben  zuo  den 
ivegen?  Tgl.  17,3  Diu  milte  Uiiet  same  diu  sät  diu  tvunnec- 
liche  tvider  gdt,  dar  nach  man  si  geivorfen  hät\  Winsbeke  34, 7 
Bern  gdt  ze  swlden  üf  sin  sät;  MF  30,  6  Korn  scet  ein  büman; 
do  emvolte  ez  niht  üf  gän. 

23,  31  (69,  126).  Zu  dem  Zs.  fda.  39,  184.  40,  335  vor- 
geschlagenen ungeberten  vgl.  noch  Eenner  14783  ivan  die 
jungen  mit  siegen  niemant  pert.  Ein  beispiel  für  die  häufige 
Verlesung  des  wortes  bietet  Friedr.  v.  Sunnenburg,  MSH  2, 360  b 
u-cer  ich  ein  vürste,  der  mich  lobte,  den  tvolde  ich  heizen  tvern. 
Statt  Salomos,  den  Walther  hier  für  die  empfohlene  kinder- 
züchtigung  als  gewährsmann  citiert,  führt  Wittenweilers  Ring 
(32,  2)  einen  recht  ominösen  heiligennamen  an;  Dem  suon  em- 
philch  daz  stähli  nicht,  Sam  lieb  sunt  Bernhart  spricht. 

24, 33  (69, 31). 

Der  hof  ze  Wieue  sprach  ze  mir  ... 
min  dach  ist  fvü,  so  risent  miue  Avende. 

Dies  bild  führt  ein  spruch  Bruder  Wernhers  Stver  JcostccUche 
ein  schmne  hüs  mit  holze  rehte  enticorfen  hat    (MSH  2,  228  b) 

breit  aus:  -[^^i  ^^z  beliben  äue  dach, 

die  tremel,  siule  und  oiich  die  starken  wende 

daz  würde  ein  niht:  ich  weene  ich  ir  ze  Wiene  wilent 

daz  nara  da  von  vil  lasterlich  ein  ende:  [einez  sach, 

als  ez  diu  nezze  und  ouch  der  sue  mit  winde  sunder  dach^)  ergreif, 

si  schuofen,  daz  in  kurzer  yrist  au  eren  ez  tu  gar  zersleif. 

Auch  in  der  Warnung  ist  der  Walthersche  vergleich  mit  dem 
verfallenden  hause  auf  Wien  bezogen  (vgl.  mein  progr.  Die 
entstehungszeit  der  Warnung  s.  40). 


1)  Dasselbe  hild  kelirt  bekanntlich  auch  101,  35  f.  wider,  wo  die  hs. 
bietet  nach  sunden  ohe  dach;  auch  unsere  parallele  (sunder  dach)  zeigt, 
dass  man  mit  Pfeiifer  noch  sunder  ohedach  lesen  müsse,  statt  mit  Lach- 
mann ohe  durch  äne  zu  ersetzen. 


zu  WALTHER  VON  DER  VOGELWETDE.  9 

25,  26  (G9, 1).  Oh  ieman  spreche  der  nii  lebe,  das  er  ge- 
sceJic  ie  gra'jer  gehe.  AVie  es  scheint,  formelhaft  bei  fest- 
schildenmgen;  vgl.  °die  worte  Veldekes  über  die  höttde  te 
Ileginse,  Eu.  13234  ich  u'dne,  alle  die  nu  leven  neheine  gröter 
hdn  gesien  und  Tit.  1, 15. 

25,28  als  tvir  seWiene  holen  durch  ere  enp fangen.  'Um 
der  ehre  des  Wiener  hofes  willen'  Wilmanns;  'der  honnenrs, 
der  etikette  wegen'  Bechstein,  Es  ist  vielmehr  die  bekannte 
spielmannslosung  guot  durch  ere,  auf  die  hier  angespielt  wird: 
'Als  zu  "Wien  wir  spielleute  empfangen  haben.' 

25,  82  man  gap  da  niht  M  dri^ec  pfunden.  JDrizec  wird 
formelhaft  für  eine  hohe  zahl  gebraucht;  vgl.  DWb.  2,  1393 
unter  4:  'es  wird  eine  grössere,  an  sich  unbestimmte  zahl 
durch  dreissig  ausgedrückt ;  in  diesem  sinne  mhd.  drizec  jär, 
lauf,  Ungemach,  lügende,  schände."')  Die  stelle  ist  nichts  als 
eine  Umschreibung  für  das  sonst  übliche  silber  äne  wäge  Nib. 
256;  Silber  ungeivegen  Kudr,  65,3:  'man  gab  da  nicht  eine  — 
wenn  auch  hohe  —  abgegrenzte  summe'. 

25, 35  f.  Ich  vermute:  ouch  hiez  der  fürste  durch  der 
gernden  hulde  die  malhen  von  den  sielen  leeren:  ors  als  ob 
es  lember  icceren  vil  maneger  dan  gefiieret  hat.  Mit  den 
sielen  waren  die  malhen  wol  zugeschnürt  (vgl.  das  citat  bei 
Ducange:  Malas  et  frenis  consutis  stringeque  hahenis,  Sic  po- 
teris  forsan  peragrare  viam  lutidentam  Dudo,  De  act.  Norman, 
s.  67);  der  fürst  verschenkte  also  den  Inhalt  der  taschen-)  und 
das  riemenzeug  dazu  und  zum  riemenzeug  die  pferde. 


1)  Belege:    Walther  27,7;  MF22, 1;  Winsb.37, 1;  j.  Tit.  1296.  1915 
Beliaud  2874;  Fasn.  504,  30.  480,  24;  Parz.  313,  4;  Berth.330,24;  MSH  2,64  b 
3,24a.  3,297a;  Reinm.v.Zweter  241, 1;  Marner  12,18;  MSH  2,  339b.  2,229a 
2,  172a;  Seifried  Helbl.  2, 1174.  9,  54.  2,  680.  —  Spielmannsdichtung:  Orend 
(Ettm.)  5,26;    Eol.  2331.  8863.  8870;    Eoth.  1454.  1493.  1589.  3818.  3988, 
4088;    Oswalt337.   1160.  1856;    Salman  229,  3.  301,4.  307,3.  700,4.  783,3; 
Ernst  2,3949;    Alex.  Strassb.  4020.  4047.  5551    (Piper,  Spielmannsdichtung 
1,  65).  —  30000:  Vor.  Alex.  1215;  Orend.  (Ettm.)  9, 16    16, 13;  Orend.  (Hagen) 
2413.  2610.  2928;  Eoth.  3622.  3633.  5031;  Ernst  2,  1439;  Salman  ;j8, 4  (Piper). 
Walther  19,21;  MSH  3,  94a.  2,357a.    30000  pfund  silber  betrugen  Barba- 
rossas einkünfte  aus  den  ital.  Städten  (Waitz,  Verfgesch,  8,  377);  30000  pfund 
verspricht  Inuocenz   auf  der  lateran.   synode  von  1215  für  den  nächsten 
kreuzzug. 

-)  Das  könnten  natürlich  auch  reisetaschen  sein,  wenn  auch  Schön- 
bachs behauptung  (Zs.  fda.  39,  346),  der  herzog  sei  nicht  in  Wien  zu  hause 


10  TV  ALLNER 

25, 39  ez  engaU  da  nieman  siner  alten  schulde.  Doppel- 
sinnig, wie  es  Walthers  sclilusspointen  meist  sind,  meint  diese 
scheinbar  allgemein  die  herbergsscluilden  der  fahrenden '),  ^väh- 
rend  sie  eigentlich  —  an  bon  enteudenr  salnt !  —  anf  ein  per- 
sönliches Zerwürfnis  zwischen  Walther  und  dem  herzog  anspielt. 

28,80  (76,90). 

wan  mngens  in  raten  daz  si  läzen  in  ir  kragen 

ir  valscbe  gelübde  oder  nach  gelübde  niht  versagen, 

lind  geben  e  deme  lobe  der  kalc  werde  abe  getragen. 

Mit  recht  weist  Wilmanns  die  beziehnng  auf  ein  bauwerk 
('tünche'  Wackeruagel,  Pfeiffer)  wegen  des  unpassenden  aus- 
di'ucks  ahe  getragen  zurück;  er  versteht  —  nach  einer  an- 
deutung  im  DWb.  —  Jcalc  als  schminke.  Aber  passt  denn 
dazu  der  ausdruck  besser?  Man  kann  schminke  wol  'auf- 
tragen', aber  doch  nicht  'abtragen'  (vgl.  DWb.  1, 141).  Hier 
ist  nur  ein  wort  möglich:  ahe  getivagen.  Ygl.  Walther  4,29 
mit  sinem  bluot  er  ah  uns  twuoc  den  ungefuoc  den  Even 
schulde  uns  hruhte;  weitere  belege  s.  in  den  wbb.^)  Zu  dem 
leichtbegreiflichen  Schreibfehler  vgl.  Heinrichs  von  Freiberg 
Legende  778  tvan  man  dar  inne  ivuosch  und  tivuoc  (hs.  truoc) 
iegliches  Juden  töten  lip.  Weisse  schminke  wird  oft  erwähnt: 
'\\'alth.  111, 12  Selpvar  ein  icip,  äne  ivis-röt,  ganzlicher  stcete, 
ungemälet;  Trojanerkr.  14001  noch  ivlzer  denne  ein  hridenmeP) 
schein  ir  glänz  geverwet.  Das  kann  bei  Walther  mit  Jude  ge- 
meint sein  (vgl.  das  engl,  chalc  'ki'eide'). 


gewesen,  ein  irrtnm  ist ;  seit  Heinrieh  Jasomirgott  residierten  die  Österreich, 
herzöge  in  "Wien. 

')  Vgl.  Colin  Muset:    g;^.^  ^^^^^^^  ..^.  ^j^j. 

Devant  tos,  en  vostre  oste; 
Si  ne  m'aves  riens  done, 
Xe  mes  gages  acquite, 
C'est  vilenie. 

*)  Schmeller  (2,1175)  citiert:  Pflästerl  und  anstrich  dö  lassen  mi 
geJm,  derf  mi  nä  anszioagn,  so  bin  i  schan  sehen,  singt  Margreth  (Liuder- 
mayr  s.  51). 

^)  Da  hekreiden  'fucare  vultum'  bedeutet  und  streichen  vom  schminken 
gesagt  wird,  so  erklärt  sich  der  dem  DWb.  dunkle  sinn  von  krcidenstrcicher 
(Geiler:  der  ein  klaht  fäden,  der  streicht  kryden  Xarrenschiff  100, 8)  von 
selber;  ebenso  der  vers  im  kinderlied  (Simrock  no.  100) :  die  ziveite  schnätzlet 
(oder  schabt)  chride. 


zu  WALTHER   VON    DER  VOGELWEIDE.  11 

Damit  ist  aber  der  sinn  der  zeile  noch  nicht  klargestellt. 
Kann  der  dichter  sein  lob  selbst  als  aufgeschniinkt,  als  falsch 
hinstellen?  Ist  die  androhung  einer  schelte  nach  dem  Zusammen- 
hang zu  erwarten?  Der  spruch  wendet  sich  ja  —  wenigstens 
scheinbar  —  nicht  gegen  den  hei-rn,  sondern  gegen  seine  be- 
rater.  Diese  sollen  ihm  raten,  entweder  nichts  zu  versprechen 
oder  zu  geben  e  äeme  lohe  der  Jcalc  tcerde  ahe  (jetwagen^) 
Trügerisch  geschminkt  war  nicht  des  Sängers  lob,  sondern 
des  herrn  geheiss  (von  gcschminlder  giinst  redet  noch  Opitz 
1, 107);  Jop  darf  hier  nicht  als  'laudes'  verstanden  werden, 
sondern  als  'votum'. 

Mhd.  lohen  heisst  sowol  Imidare  als  spondere  (auch  sub- 
stantivisch ^das  versprechen'  Pass.  496,  53):  Siver  mir  icaz 
lohet,  unde  mir  daz  liuget,  tvie  üzer  ahte  sere  er  sich  seihen 
triuget  Kelin,  MSH  3, 22  (2);  man  sol  den  tören  lohen  golt, 
und  leisten  steine  Eümzlant  3, 60  (28).  Lohcere  ist  laudator 
und  confessor-^  lohlich,  laudahilis  und  sponsalis'^);  lohetanz  = 
gelohtanz  DWb.  6, 1084.  Man  darf  daher  auch  für  das  simplex 
lop  beide  bedeutungen  erwarten.  Das  DWb.  (6, 1078)  belegt 
es  1)  als  'gelöbnis':  iecUches  gevangenen  tat  und  loh  en  sal 
durch  recht  nicht  stete  sin,  daz  her  hinnen  dem  gevanhiisse 
gelohet  Sachsenspiegel  3,  41,  1;  2)  als  gegenständ  des  Ver- 
sprechens: da  reit  TJlenspiegel  hin  iveg  und  hracht  von  dem 
Idinig  das  loh  (das  geschenk,  das  der  könig  ihm  verheissen 
hatte)  Ulensp.  24,  5.  33. 

Als  'geheiss'  braucht  Walther  das  wort  35,2,  als  'ver- 
heissenes'  105, 30  und  36;  welche  bedeutung  kommt  ihm  hier 
—  28,  30  —  zu?  Versteht  man  halc  als  'schminke',  so  muss 
man  lop  als  'geheiss'  verstehen  {ir  valsche  gelühde).  Aber 
auch  die  bedeutung  'verheissenes'  ist  nicht  ausgeschlossen, 
denn  die  lesung  ahe  geticagen  erlaubt  auch  die  beziehung  auf 
einen  bau.  Vgl.  Arm.  Heinr.  789  ze  dem  ivil  ich  mich  ziehen 
(zu  dem  hof e  des  himmlischen  bräutigaras)  und  solhen  h  ü  fliehen, 
den  daz  fiur  unde  der  hcigel  sieht  und  der  tväc  ahe   tiveht. 


1)  Swer  ja  spricht  unde  schiere  ez  tuot,  dericird  in  eren  grä,  sagt 
der  Sunnenburger  in  einem  Spruche,  der  das  gleiche  thema  behandelt,  MSH 
3,  73  (26). 

2)  Hierher  beziehe  ich  auch  die  kirchlichen  ausdrücke  löblicher  tag 
dies  celebris,  lobliche  zeit  festum  celebre,  DWb.  6, 1089. 


12  WALLNER 

Man  brauchte  deswegen  nicht  gleich  das  lop  als  ein  haus  zu 
deuten  und  etwa  den  sprach  mit  dem  in  C  folgenden  Ich  hän 
min  Wien  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Mir  ist  für  Imlc  die 
bedeutung  'schminke',  für  lop  die  bedeutung  "geheiss'')  am 
wahrscheinlichsten,  wenn  auch  Bruder  Wernher,  der  öfters  mit 
Walthers  kalbe  pflügt,  die  mit  doppelsinn  schwer  belastete 
zeile  als  bild  vom  bau  verstanden  haben  mag  (MSH  3, 16): 

Da  ich  ein  lop  erniiiwen  sol,  flaz  äue  dach  so  mauigeu  tac 
gestanden  ist  und  äne  hant,  ja  wsen  ich  ez  iemau  rehte  mac 
gerihten,  als  ob  sin  von  jugent  mit  vlize  wtere  vil  schone  gepflogen. 
Da  im  die  siule  siut  worden  vül  unt  daz  die  rennen  sint  en  zwei, 
und  ez  din  schände  durchvlozzen  hat,  da  stet  min  vlicken  vür  ein  ei. 
swaz  ich  im  niuwer  nagele  sla,  wir  sin  damite  doch  gar  betrogen  ... 

Vgl.  auch   Sives   loh  vernagelt  ivird,   das   niht  ein  meister 

lüesen  ]:an  Bruder  Wernher  2,  231b. 

Schliesslich  sei  noch  auf  einen  scheltspruch  des  Unverzagten 

(MSH  3, 44)  hingewiesen,  der  anklänge  an  den  AValtherspruch 

entlialt:  -£i^  creatiure  ist  äne  schäme, 

daz  kan  den  herren  ere  stein 
unt  hat  doch  selber  ere  niht. 
Daz  im  diu  zunge  sin  erlamel 
sine  kan  sich  selben  niht  verheln, 
die  geste  man  sie  spotten  siht. 
Sin  ja  bediutet  oft  ein  nein 
und  machet  manigen  hof  unrein, 
der  wol  mit  ereu  möhte  stän. 
ir  herren,  weit  ir  lop  eupfän, 
so  lät  den  schalk  von  oren  gän. 

29, 14  (76, 101).  sivä  man  daz  sxnirt,  ez  leert  sin  hant  und 
wirt  ein  swaliven  zagel.  Die  Vermutung  s?a;2^CM^rt^ß^Zs.  fda. 
40. 335)  halte  ich  nicht  mehr  für  richtig;  jeder  der  vorher- 
gehenden verse  enthält  eine  abgeschlossene  antithese,  keiner 
greift  auf  den  nächsten  über.  Die  letzte  zeile  bezieht  sich 
zusammenfassend  auf  das  im  eingang  des  Spruchs  genannte 
seltsmnc  hunder.     Man  darf  in  ihr  den  schluss  der  antithesen- 


*)  28,  29  So  valsche  geheize  und  nach  geheize  versagen  A ;  tr  valsch 
gelühde  C.  Dies  halte  ich  für  echt.  Es  sollte  dem  Verständnisse  von  lop 
auf  den  richtigen  weg  helfen.  Der  Schreiber  von  A  hat  das  ungewölmliche 
wort  durch  das  üblichere  ersetzt,  wie  auch  Pfeiffer  sich  dazu  eutschloss, 
nachdem  er  schon  gelühde  eingesetzt  hatte;  wenigstens  ist  dieses  wort  im 
glossar  zu  '39,9'  stehen  geblieben. 


zu   WALTHER  TON   DER   VOGELWEIDE.  13 

reihe  erwarten.  Was  ist  dann  der  kontrast  zu  dem  Vorder- 
satze swd  man  daz  spürt?  Offenbar  ist  an  eine  Jagd  gedacht 
(vgl.  siücr  vert  ze  ivalde  spürn,  so  der  sne  zergät  MF  21,14; 
tilgende  spurt  er  sam  daz  tvilt  ein  naseiviser  &rac/ieMSH2,333b). 
Somit  erhalten  wir:  wo  immer  man  dies  Wundertier  aufspürt 
—  ez  Mrt  sin  liant^)  —  und  wirt  ein  sivaltven  zagel.  Das 
kann  in  diesem  bilde  nur  heissen:  man  sieht  es  eben  ent- 
Avischen,  man  gewahrt  nur  noch  den  schwänz  der  fortschies- 
senden  schwalbe.  2)  Eine  schwalbe  ist  aber  kein  jagdwild, 
wenn  man  schon  den  ausdruck  spürn  für  einen  vogel  zugeben 
wollte.  Auch  darf  man  nach  den  vorhergehenden  durchaus 
sprichwörtlichen  redensarten  auch  hier  eine  solche  vermuten. 
Es  gibt  nur  eine,  die  hier  passt:  quand  on  parle  du  loup,  on 
en  voit  la  queue;  auch  deutsch:  ive7in  man  den  tvolf  nennt,  so 
sieht  man  seinen  sclnvanz  Simrock  11805  a;  noch  näher  steht 
unserer  stelle:  als  gij  den  tvolf  ziet,  zoeh  nit  meer  naar  zijne 
voetstappen  Wander  5,  371.  Das  zeigt  wie  mit  fingern  auf 
den  ursprünglichen  Wortlaut:  und  wirt  eins  wolves  zagel. 

Auf  der  suche  nach  der  genauen  Überlieferung  fand  ich 
in  Wilmanns'  apparat  eine  versteckte  notiz:  'Bech  vermutet 
eins  u'olves  zagel  und  verweist  auf  Altd.  bll.  1, 11, 19  inde  lupi 
speres  caudam,  cum  videris  aiires  Pfeiffer.'  Es  ist  begreiflich, 
dass  Bechs  vorschlug  in  dieser  fassung,  die  kaum  mehr  als  die 
graphische  Ähnlichkeit  geltend  macht,  weder  Pfeiffer  noch 
Wilmanns  einleuchtete.  Wer  aber  auf  dem  wege  unserer 
erörterung  dazu  gelangt,  wird  seine  richtigkeit  nicht  bezweifeln. 
Der  elenden  Überlieferung  in  C,  die  in  v.  11  tvarn  (1.  warm), 
in  V.  13  snahel  (1.  Jiagel)  bietet  und  obendrein  den  sprucli  um 
eine  zeile  bereichert  {sin  valscheit  tuot  vil  manegem  dicke  leit), 
ist  der  lesefehler  ein  swaliven  zagel  ohne  weiters  zuzutrauen. 


^)  Ueber  den  sinn  des  ausdrucks  kann  kein  zweifei  sein:  e  ich  die 
hant  umh  leerte  Erec  5172;  als  lange,  als  ein  hant  mac  umbe  geJceret  werden 
Barth.  1,  30,  3-i ;  nimoen  als  lange  als  einz  sine  Jumt  mähte  umhekeren  BerÜi. 
1,388,28;  e  man  die  hant  gewende  Trist.  13790  (Zingerle,  Germ.  11, 17G) ; 
en  un  tourne  main,  tour  de  main,  'im  handumdrehen'. 

2)  Sie  vlingct  hin  und  schiuzt  her  wider,  du  diep,  du  diep!  sie  schriet. 
Her  loterritter,  diz  ist  imoer  art  Meissner  3, 109  (20,2);  Diu  sivaletve  vehet 
mucken  mir  den  valken,  des  si  baget,  den  ertvluc  unt  den  swippersweif  kan 
si  baz  Heben  Mmzlaut  2,  3G9b;  Einr  snellen  swalwen  vluc  Kauzler  2, 388. 


14  Wallner 

31, 13  f.  (75,161). 

Ich  hän  gemerket  von  der  Seine  nnz  an  die  Muore, 

von  dem  Pfade  nnz  an  die  Traben  erkenne  ich  al  ir  fuore. 

Nordalbingien  stand  von  1202 — 1225  unter  dänischer  lierscliaft, 
so  dass  Waltliers  besuch  vor  1202  oder  nach  1225  fallen  müsste; 
dadurch  wird  dieser  besuch  etwas  problematisch.  Aber  nehmen 
wir  ihn  als  gegeben:  wenn  denn  Walther  die  nordgrenze  seiner 
fahrten  bezeichnen  und  dabei  seinen  zuhörern  kein  rätsei  auf- 
geben wollte,  so  musste  er  das  meer  oder  die  Elbe  nennen 
(vgl.  Xeidhart  93, 15  von  der  Elbe  unz  an  den  Pfät)  statt  des 
polabischen  flüsschens,  von  dem  in  Mittel-  und  Oberdeutsch- 
laud  kaum  jemand  wusste.  Seine  Zeitgenossen  hätten  ihn  sonst 
ebenso  missverstanden  wie  noch  ühland  (Sehr.  5,  65);  denn 
sobald  neben  der  Muore  die  Treibe  genannt  wird,  denkt  doch 
jeder  zunächst  an  die  Drau,  und  nicht  an  die  Trave,  auch 
wenn  er  diese  kennt.  Oesterreichs  flussnamen  waren  natur- 
gemäss  auch  weiterhin  bekannt;  citiert  doch  selbst  Yeldeke 
die  Save:  diu  scJicenest  und  diu  beste  fromve  zivischen  Boten 
und  der  Soinve  MF  56, 10, 

Walther  redet  aber  gar  nicht  von  den  äussersten  grenzen 
seiner  Wanderungen,  sonst  hätte  er  als  ostgrenze  wol  March 
oder  Leitha  genannt,  sondern  er  zieht  seine  linien  (um  Uhlands 
ausdruck  zu  gebrauchen)  von  je  einem  ausserdeutschen  flusse 
her  uider  (56,39)  zu  den  Aussen  seiner  nächsten  Umgebung 
Mur  und  Drau.') 

Die  hs.  A,  die  allein  hier  ungestörten  Zusammenhang  zeigt, 
überliefert  unsern  spruch  in  unmittelbarer  nachbarscliaft(str.  64. 
65.  66)  der  Kärntner  Sprüche  32, 17  {Ich  hän  des  Kerndceres 
gäbe  dicJce  enpfangen)  und  32,  27  {lehn  weis  wem  ich  geliehen 


')  Ich  hebe  die  namensformen  aus,  die  Zahns  Urkundenbuch  des  herzog- 
tums  Steiermark  für  die  zeit  gewährt:  iuoda  Traam  a.  1202  (2,78);  ultra 
Urahwan  a.  1207  (125);  ttsque  in  Träumern  fluuimn  a.  1222  (275.  276);  iuxta 
pontcm  IJrawe  a.  1225,  in  einer  urk.  des  Patriarchen  Berthokl  von  Aquileja 
(321).  Die  belege  erweisen  die  lesart  die  drahe  (BC)  als  echt.  Das  masc. 
{den  treben  A)  findet  in  der  form  Travus  keine  stütze,  da  diese  nur  in 
Verbindung  mit  fltivius  erscheint.  Zu  dem  Wechsel  von  w  und  b  vgl.  Traha 
a.  1265  im  Eationar.  Styriae  (Oesterley,  Hist.  geogr.  wb.  s.  134).  Für  den 
namen  der  Trave  bietet  Oesterley  von  961 — 1234  die  fonn  Travenna,  die 
Lachmauns  belege  aus  Helmold  Travena  und  Trabena  weitaus  überwiegt. 


zu   TVALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE.  15 

muoz  die  hoveheUen).    Am  Kärntner  liofe  —  wenn  nicht  bei 
Liupolds  lioftag  in  Graz  1221  —  wird  der  sprucli  gesungen  sein. 

32,  7  ff.  (75, 131).  'Von  diesem,  allerdings  bisher  noch  nicht 
ganz  aufgeklärten  gedieht  findet  sich  in  der  Zs.  fda.  40,  338  ff. 
eine  Interpretation,  die  durch  ihre  wahrhaft  schändliche  mon- 
strosität  alle  mir  in  dem  germanistischen  fach  bekannten  exe- 
getischen torheiten  weit  überragt.'  So  beginnt  ein  exkiirs  in 
K  Burdachs  Walther  von  der  Vogelweide  s.  297  —  801.  Die 
schändliche  monstrosität  meiner  deutung  besteht  darin,  dass 
ich  herrn  Walther  eine  ähnliche  äusserung  zugetraut  habe, 
wie  sie  Goethe  dem  herrn  von  Berlichingen  in  den  mund  legt. 
Wehe  dem  philologen,  der  einstens,  aber  in  siebenhundert 
Jahren,  den  authentischen  sinn  dieser  Goethestelle  errät!  Er 
wird  gewiss  auch  seinen  Burdach  finden.  Die  weitern  aus- 
lassuugen  lese  man  a.a.O.  nach;  ihre  widergabe  verbietet  schon 
die  würde  dieser  Zeitschrift.  Aber  von  Burdachs  sachlichen 
einwänden,  die  zeigen  wollen,  'wie  haarsträubend  unmethodisch 
die  erklärung  ist  und  wie  gröblich  sie  der  elementarsten  kenntnis 
der  mhd.  bedeutuugslehre,  der  metrik  und  grammatik  in  das 
gesicht  schlägt',  von  diesen  einwänden  will  ich  wenigstens  die 
hier  mitteilen,  die  vor  fachgenossen  eine  antwort  verdienen. 

1)  ^sizstöllen  ist  eine  accentverletzung,  die  dadurch,  dass 
sie  die  bedeutungsvolle,  haupttonige  erste  Stammsilbe  eines 
nominalcompositum  am  versschluss  herabdrückt,  bei  Walther 
ohne  jede  analogie  ist.' 

Walther  hat  am  versschluss  suontac  95,  7,  Dietrich  82, 11, 
Laträn  34, 16,  volmezzen  11, 15.  Wer  diese  belege  durch  an- 
nähme einer  volleren  form  {suonetac,  Dieterich,  Lateran,  volle- 
mezzen)  beseitigen  will,  der  muss  doch  ahgrmide  3, 12,  urspringe 
7,  3G,  eilenden  44, 15  und  alle  Zusammensetzungen  mit  un-  {nn- 
h-isten  77, 18,  undanc  117,  31  u.s.  w.)  gelten  lassen.  Jeden  nur 
möglichen  einwand  aber  schliessen  aus  die  wie  sizsiöllen  be- 
tonten nominalcomposita  Gcrhrehte  ( :  rehte)  33,  22,  mundsen 
A,C  (:  iinivisen)  11,24  und  menvunder  {:  drunder)  38,2.^)  Hat 
Burdach  alles  das  wirklich  nicht  gewusst? 


^)  Ueberhaupt  dürfen  wir  weder  unsere  nlid.  betouung  der  composita 
ohne  weiteres  auf  das  mhd.  übertragen,  noch  alles  über  den  leisten  des 
germau.  accentes  schlagen  (vgl.  darüber  Kluge,  Litbl,  27,  397).     Die  ver- 


16  WALLNER 

2)  ^schalkheit  heisst  im  mlid.  niemals  ^gemeiner  streicli', 
und  der  bestimmte  artikel  ändert  nicht  im  geringsten  die 
sonstige  bedeutung  des  Wortes :  knechtische,  d.  h.  niedrige 
moralische  gesinnung,  hinterlist,  bosheit,  namentlich  verräterei, 
angeberei.' 

Die  behauptung  über  den  bestimmten  artikel  oder  viel- 
mehr das  dem.  pron.  bedarf  keiner  Widerlegung  und  die  über 
schalkheit  ist  leicht  widerlegt.  Die  bedeutung  'possen,  ge- 
meiner streich'  ist  für  schalkheit  ganz  gewöhnlich:  ^schalkheit, 
hinterlist,  hinterlistiger  streich'  Schmeller  2, 412;  'arglistige, 
böse  äusserung  oder  tat'  DWb.  8, 2079;  eine  schalkheit  aus- 
richten, tun,  einem  antun  ist  oft  zu  belegen,  vgl.  DWb.  2080. 
Ich  füge  zu  den  beispielen  der  wbb.  noch:  Steinhöwel  Decam. 
401, 26  Nun  hat  sich  gefüget  das  zuo  solicher  rede  ztven  jung 
gesellen  in  die  kirchen  konien  waren  . . .  vnd  sich  des  engeis 
federen  halben  berieten  im  eyn  schalckheit  ze  thuon.  {Sie  be- 
schlossen, mit  dieser  feder  ihm  einen  streich  zu  spielen  Deutscher 
Decam.  von  1782  ff.  2,191).  Der  nebensinn  'gemein,  niedrig' 
ergibt  sich  für  die  ältere  zeit  von  selbst  aus  der  grundbedeutung 


schiedene  eiuwirkiing  des  ersten  compositiousgliedes  auf  die  bedeutung  des 
zweiten  kommt  auch  in  der  accentuierung  zum  ausdruck,  so  dass  bald  das 
erste,  bald  das  zweite  den  hauptton  trägt.  Dadurch  ist  falscher  aualogie 
ein  weiter  Spielraum  geschaffen  und  die  Verwirrung  greift  im  altdeutschen 
um  so  leichter  um  sich,  als  der  nebenton  damals  weit  stärker  war  als 
heute.  Ulrichs  Frauendieust  müsste  streckenweise  wie  ein  gedieht  von 
Hans  Sachs  Avirken,  wenn  man  die  eigennameu  nach  moderner  weise  be- 
tonen wollte.  Auch  Walther  weicht  der  versetzten  betonuug  in  eigen- 
nameu nicht  aus:  Walther,  du  zürnest  äne  not  (warum  nicht  Die  zürnest, 
Wülther,  äne  not?)  100,33;  ebenso  24,34.  Vgl.  auch  Beimär  82,29;  Uu- 
pölt  32,  5  (B).  35, 17(A);  Liupöltes  84,13.  Die  ausnahmen,  die  Wilmanns 
bei  den  compositen  annimmt,  sind  oft  recht  zweifelhaft ;  statt  jünghcrren 
80,24,  ümeizen  13,28  würde  ich  lieber  lesen  ^int  alte  jungherren  für  eigen; 
daz  loir  vil  tumben  mit  der  ämeizen  niht  rungen  (vgl.  D.  weit  lohn  220 
vliegen  und  ameizen;  Parz.  410,  2  ämeizen  :  gereizen;  Renner  19317  diu  erde 
ameizn  und  hinen  gehirt;  nhd.  belege  bringt  Kluge,  Litbl.  27,  398,  anm.); 
statt  ülmuos7iä're  10,28  eher  almüosenwre  (almuos(:enereB,C);  vgl.  Gregor. 
1174;  almuosen  :  buosem  Wernh.  Mar.  39;  Troj.  kr.  165  c.  Statt  das  ganz 
vereinzelte  ünsümic  85,  2i  zuzugeben ,  würde  ich  eher  smne  für  sümnnge 
vermuten  (so  auch  Pfeiffer,  der  auf  Wernh.  Mar.  3G7  verweist,  wo  gleich- 
falls die  junge  hs.  A  das  sütne  (  :  tübe)  der  altern  D  durch  sümnnge  ersetzt). 
Fest  aber  ist  die  betonung  lüntgräve,  was  sich  aus  der  notwendigkeit  der 
differeuzieruug  von  murcgruve  und  phalzgräve  leicht  erklärt. 


ZV   WALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE,  17 

des  Wortes.  Auch  für  die  luiance,  die  dem  worte  an  der 
Waltlierstelle  zukommt,  fehlt  es  nicht  an  belegen.  Als  ab- 
stractum  bezeichnet  schalkheit  nicht  selten  den  g-egensatz  zu 
zuJd:  mit  suJit,  mit  hunst  mac  man  nü  niht  erwerben;  diu 
schalkheit  hat  gesiget,  zuht  ist  vertriben  gar  Meissner  (MSH 
3,  390b  (vgl.  AValth.  32,  9  f.).  Die  Zuht  sprach:  'vrou  Schalheit, 
ivol  hin  clräte!'  Seifr.  Helbl.  7,  807.  Als  concretum  bezeichnet 
es  dann  naturgemäss  eine  zuchtlose  äusserung')  oder  tat:  .90 
ist  diu  iverde  schäme  trüric,  ivä  man  schalkeit  triben  ivil 
Friedr.  v.  Sunnenburg  MSH  3,  74  (33);  si  wären  hovelich  unde 
gemeit  und  hunden  niht  mit  schalkeit,  sagt  Helmbrechts  vater 
von  den  rittern  der  alten  zeit,  Helmbr.  921.  In  diesem  sinne 
ist  das  wort  an  unserer  stelle  gemeint:  als  'Ungezogenheit'  im 
gegensatz  zu  hövescheit,  concret  als  'gemeiner  streich'. 

Bei  dem  vergeblichen  bemühen,  dem  spruche  einen  ihm 
zusagenden  sinn  abzuquälen,  kommt  Burdach  auch  auf  den 
einfall,  ihn  vor  31, 33  anzusetzen,  und  stellt  die  übliche  reihen- 
folge  als  eine  Willkür  von  Wilmanns  hin  ('Wilmanns  hat  sich 
zu  seiner  anordnung  bestimmen  lassen...').  Nun  sind  die 
beiden  Sprüche  bekanntlich  sowol  in  A  (str.  62.  63)  als  auch 
in  C  (str.  323.  324)  in  dieser  folge  überliefert.  Ist  das  nicht 
ein  eigentümliches  verfahren?  Es  zeigt  —  in  Verbindung  mit 
punkt  1)  und  2)  —  dass  in  Burdachs  wissenschaftlicher  polemik 
ton  und  methode  einander  würdig  sind. 

Meine  deutung  ist  nicht  anmutig,  das  gebe  ich  zu;  aber 
hat  sich  die  forschung  darum  zu  scheren?  Sie  fragt  nur 
nach  der  Wahrheit  oder  Wahrscheinlichkeit.  Und  deshalb 
habe  ich  —  unbekümmert  um  alle  prüderie  —  die  Vermutung 
einst  geäussert  und  halte  sie  auch  aufrecht. 

Die  Sprüche  31, 33  und  32,  7  gehören  aufs  engste  zusammen 
und  die  richtigkeit  der  überlieferten  abfolge  beweist  schon  der 
eingang  von  31,  33  In  numme  dumme,  ich  ivil  heginnen. 
Der  dichter  will  in  schärfster  weise  mit  der  ihn  verhöhnenden 
hofgesellschaft  abrechnen;   ich  hän  wol  und  hovelichen  her 


')  Vgl.  si  az  gerne  mit  itne  pohen  dem  tische,  üf  daz  die  herren  und 
daz  gesinde  ire  schalghaftigen  ('schmutzigen')  reden  Uzen  D.  Myst.  1,  243,  40 
und  Boners  Edelstein  27, 24  daz  diu  zunge  ist  schalkheit  vol;  .S.pieg.  der 
tug.  19  vliz  dich  schoencr  gehcere,  sage  niht  schuUces  maive,- wis  bederbe  unt 
ivol  gezogen.    Vgl.  auch  Boehmer,  Cod.  dipl.  Moenofraucof.  1,  751  (a.  1377). 

l^eiträge  zur  geschickte  der  deutschen  spräche.    XXXlll.  2 


18  WALLXER 

gesungen,  mit  der  hövescheit  bin  ich  nü  verdrungen,  daz  die 
unJiöv eschen  nü  ze  hovc  gcncenier  sint  dan  ich.  Nicht  über 
angeberei  klagt  er  also,  sondern  über  das  zügellose  betragen 
der  höflinge  gegen  ihn. ')  Ihre  Verhöhnung  findet  sogar  den 
beifall  der  lierschaft;  aber  daran  will  der  dichter  nicht  glauben: 
herzöge  uz  Osterriche,  färate  nu  sprich:  dun  wendest  michs 
alleine,  so  verJcere  ich  mine  zungen. 

Der  bescheidene  und  geschickte  appell  an  den  herzog  war 
aber  vergeblich.  'Nun  will  ich  mich  sättigen  an  scharfer 
weise!'  ist  Walthers  antwort.  'Ich  sehe  wol,  dass  man  herren- 
lohn  und  frauenguust  mit  rohheit  (geivaltecUch)  und  unzucht 
{ungezogenUch)  erwerben  muss:  sing  ich  meinen  höfischen  sang, 
so  lila  gen  t  siz  st  ollen.'  Die  rohheit  und  Ungezogenheit  seiner 
Zuhörer  besteht  also  darin,  dass  siz  stollen  Idagent. 

Wie  der  vater  Gleim  den  opferstock  (34,  l-I)  für  einen  herrn 
Stoc  hielt,  so  sah  Bodmer  in  stollen  einen  herrn  Stolle;  darüber 
kam  man  nicht  mehr  hinaus.  Lachmann  dachte  an  einen 
'geistlichen  rat  landgraf  Ludwigs'  (ist  das  der  niederschlag 
eines  vergeblichen  experimentes  mit  stöle?);  Bodmers  'elenden 
scribenten'  wies  er  höhnisch  ab.  Trotzdem  lebt  dieser  als 
«bürgerlicher  kunstgenosse  Walthers'  noch  heute  fort,  v\'ahr- 
scheinlich  weil  es  einen  spielmann  namens  Stolle  gibt. 2)  Man 
erwäge  nur,  in  welche  Widersprüche  diese  annähme  hineinführt. 

Wenn  die  zuhörer  diesem  Stolle  Walthers  höfischen  gesang 
'klagen'  —  man  weiss  nicht,  weshalb  er  nie  zugegen  ist  — 
so  ist  das  weder  eine  Ungezogenheit  noch  eine  rohheit.    Oben- 


^)  die  mich  eren  sollen  die  unerent  mich  hs.  B. 

^)  Stollen  den  hoc  mit  sänge  beklagt  Rubin  (MSH  1,  31b)  als  tot  neben 
Reinmar,  "Walther,  Neidhart  und  Bruder  "Wernher.  Wackeniagel  (zu  Sim- 
rock  2, 16i)  sah  in  dieser  Charakteristik  eine  anspielung  auf  die  Walther- 
stelle. Nun  hat  Stolle  einmal  viel  später  gelebt,  da  er  den  herzog  Mein- 
hart von  Kärnten  um  1290  feiert,  und  dann  ist  Wackernagels  deutung  des 
epithetons  kaum  richtig.  In  der  bildersprache  der  spätem  spieUeute  ist 
der  bock  das  symbol  hohen  strebens:  mit  krancMialse  kan  er  tcol  steigen, 
unt  mit  strüzes  ougen  sehen,  mit  luhses  oren  riinen,  spchen,  Steinbockes 
tois  kan  er  tvol  berge  stigen  sagt  Reinmar  v.  Zweter  MSH 2,210  (186a) 
vom  Älainzer  bischof.  Dasselbe  bild  schwebt  dem  Meissner  in  dem  Spruche 
an  Otto  V.  Brandenburg  vor  MSH  3, 107  (8)  ho  klimm ic  an  der  wirdikeit 
ist  sin  lip.  Rubin  Avill  also  wol  sagen,  Stolle  'der  boc  mit  sänge'  habe  die 
höchsten  hüben  seiner  kunst  erklommen. 


Zu  WALTDER  VON   DER   VOGELWEIDE,  19 

drein  würde  sich  Waltlier  mit  seiner  entrüstung-  an  die  falsche 
adresse  wenden;  er  müsste  doch  diesen  Stolle  selbst  vornehmen, 
wie  in  18, 1  hern  Wicman  oder  Volcnant.  Wir  erfahren  aber 
gar  nicht,  was  er  ihm  eigentlich  zu  leide  tut!  ^Vas  immer  in 
der  stelle  stecken  mag,  ein  eigenname  Stolle  ist  ausgeschlossen. 
Ebenso  sicher  ist,  dass  sie  etwas  arges  andeutet.  Gienge  das 
nicht  schon  aus  ihrer  einleitung  hervor,  so  würde  Walthers 
antwort  darüber  keinen  zweifei  lassen:  'Wahrlich,  ich  gewönne 
auch  leicht  knollen:  da  sie  die  gemeinheit  wollen,  so  mach  ich 
ihnen  den  kragen  voll!'')  Ich  habe  Seifrid  Helblings  Ver- 
wünschung der  tiuvcl  schue  iu  in  den  l-ragen!  (5,  107)  an- 
gezogen. Woher  diese  Vorstellung  stammt,  zeigt  die  Visio 
Philiberti  (285):  Quidam  (diaboli)  os  stercoribus  suis  impleve- 
runt.  Es  ist  eine  höllenstrafe,  und  Seifrids  fluch  bedeutet: 
fahrt  zur  hülle!  Diese  Verwünschung  schleudert  Walther  — 
149,  59  —  an  die  gleiche  adresse  wie  in  32,  7 :  du  snoKlez  vajs 
unreine,  ivol  hin  dem  tiuvel  in  den  munt,  während  der  meister 
Stolle  (MSH  3,7a)  derb  wie  Seifrid  Helbling  flucht:  ivol  hin  dem 
tiufel  in  den  ars!  Dass  auch  Walther  das  uuhöfische  wort 
nicht  scheut,  zeigt  der  bekannte  vergleich  18, 10,  in  der  gleichen 
Situation  gebraucht,  wie  32,  7. 

Solchen  gegnern  {snarrenzceren  80,  33  und  hovehellen  32,27) 
fährt  Walther  immer  grob  über  den  drüszel  (103,  34)  und  schont 
auch  hern  Gerhart  Atze  nicht  (im  gent  diu  ougen  um  als  einem 
äffen  82, 10).  Aber  die  gesellschaft  spielt  ihm  auch  übel  genug 
mit:  Hie  vor  dö  loas  diu  ivelt  so  schcene,  nu  ist  si  ivorden  also 
hoene  (23,32);  nü  hin  ich  alt  und  hast  mit  mir  din  gampel- 
spil  (vgl.  195, 90);  ist  mir  das  zorn,  so  lachest  du  (67,12). 
Das  jüngste  gericht  wünscht  er  dieser  hofgesellschaft  an  den 
hals.  'Wenn  das  nicht  anders  wird',  ruft  er  wider  ganz  ver- 
zagt, 'so  will  ich  mein  leben  fristen,  so  gut  es  geht,  und  mein 
Sängergewerbe  aufgeben'  (91,14).  Langmütiger  als  ein  klausner^) 
duldet  er  so  manege  unfuoge  (62,  8),  aber  es  hilft  ihm  nichts: 
Owe  daz  mir  so  maneger  missehieten  soll   das  Mage  ich  hiute 


^)  Das  übersetzt  Burdach:  'Anch  ich  kann,  wenn  es  nicht  anders  geht 
und  man  mich  dazu  zwingt,  meine  ideale  verleugnen,  den  höfischen  ton 
aufgeben  und  wie  ein  bedienter  mich  den  schlechten  Instinkten  anjjasseu 
(d.h.  zu  singen  wie  Neidhart  von  Reuental).' 

')  Vgl.  Seifr.  Helbl.  2, 1396  Einen  gräioen  münich  möht  ez  müen. 

2* 


^Ö  WALLNER 


und  icmer  rehier  hövescJieit.  Zögernd  schickt  er  sicli  zum 
sclieiden  an;  des  pjlac  ich  von  kinde  gerner  denne  ieman, 
scherzt  er  wehmütig,  um  schliesslich  —  doch  wider  zu  bleiben: 
ivenne  da2  ich  gerne  hi  in  hin,  daz  ist  der  schade:  ich  hin  oc 
gerne  da.  des  mnoz  ich  misschieten  liden  (184  f.).  Aber  auch 
diese  Selbstverleugnung  rettet  ihn  nicht  immer:  die  schame- 
lösen,  liezen  si  mich  äne  not,  son  hcet  ich  tveder  haz  noch  nit. 
nü  muoz  ich  von  in  gen,  also  diu  zul.t  gehot:  ich  läze  in  lasier 
unde  strit!  (64,4).  Wir  sehen  hier  deutlich  hinein  in  das 
elende  leben  des  spielmanns.  Oft  ein  lästiger  gast,  sucht  er 
durch  bitte  und  drohung  sein  plätzchen  am  feuer  zu  behaupten, 
wahrt  seine  würde  so  lange  es  geht,  und  gibt  sie  preis,  wenn 
die  harte  not  ihn  zwingt.  Besonders  die  hofjugend  nimmt  ihn 
zur  Zielscheibe  ihres  Übermuts:  der  jungen  ritter  zuht  ist  snial: 
so  pfiegent  die  Imehte  gar  unhövescher  dinge,  mit  tvorien 
und  mit  iverken  ouch:  siver  zühte  hat,  der  ist  ir  gouch. 
Prügel  wären  für  diese  hofjugend,  die  alte  leute  verspottet,  die 
richtige  strafe  (23,  31  ff.  24,  3  ff.). 

Wer  zweifeln  möchte,  dass  rohheit  und  unfiäterei  die 
hauptwaffen  seiner  Widersacher  waren  —  gegen  die  in  32, 11 
angedeutete  imhuhescheit  in  gesellschaft  schreiten  sogar  behörd- 
liche Verordnungen  ein  —  der  lese  nur  die  für  den  verkehr 
der  vornehmen  gesellschaft  im  mittelalter  sehr  lehrreiche 
Zimmersche  chronik  und  er  wird  auch  vom  13.  jh.  eine  weniger 
ideale  Vorstellung  bekommen.  Diese  hofgesellschaft  sieht 
Walthern  mit  denselben  äugen  an  wie  etwa  Seiirid  Helbling 
die  lotersinger,  die  an  der  herren  tische  treten:  Einen  loiren 
ariveizwisch  Goih  ich  niht  umh  ir  aller  hunst.  Niht  tveiz  meister 
Piüehentunst,  Waz  im  riuchet  üz  der  hlater  etc.  Helbl.  2, 1296. 
Zu  hlater  vgl.  Lexer  3,  619.  Derlei  spielmannsnamen,  llüehen- 
tunst  und  Chunrad  dictus  Plaeterle  fistulaior  (bei  Schönach, 
Zs.  fda.  31),  legen  nahe,  in  Seifrids  worten  eine  landläufige 
Schmähung  der  spielleute  zu  sehen,  die  vielleicht  von  ihrem 
gewerbsmässigen  schelten  den  ausgang  nahm  (daz  mich  ir 
schelten  stinket  an  MSH  2,205  a;  ich  was  so  volle  scheltens  daz 
min  äten  stanc  W^alth.  29, 2).  Der  obscöne  spott  in  32,11 
hätte  dann  einen  bestimmten  sinn:  ein  spielmann  sei  niht 
minnesanges  wert!  Denn  nur  gegen  Walthers  minnesang 
{sine  ich  minen   höv eschen   sanc)   wird   demonstriert.     Vgl. 


zu  WALTHER  VON   DER  VOGELWEIDE.  21 

darüber  die  erörterung-  zu  66. 21,  die  auch  diesen  sprach  erst 
in  die  richtige  beleuchtung  rücken  wird. 

32,  27  (75, 101). 

lehn  weiz  wem  ich  geliehen  muoz  die  hovebellen, 

wan  den  miusen,  die  sieh  selbe  meldent,  tragent  si  schellen. 

Vgl.  ]\Ieissner,  MSH  3,  90  (11): 

Ich  wolde,  daz  den  argen  hienge  ein  schelle 

vor  an  der  nasen,  din  da  klünge  helle, 

da  man  sie  bi  erkente,  seht,  daz  wsere  ir  reht. 

84-,  4—23  (75,  51—70).  Zur  einsetzung  von  Älmän  in  34,  7 
wurde  Lachmann  offenbar  durch  metrische  rücksichten  bewogen. 
Da  der  Schreiber  von  A  das  wort  nicht  versteht  —  vielleicht 
schreibt  er  sein  almar  gar  im  hinblick  auf  die  darnach  er- 
wähnten hasten  —  so  kommt  nur  die  lesart  von  C  allaman 
in  betracht.  Sie  gehört  in  den  text,  da  der  ausdruck  doch 
italienisch  sein  soll  und  die  italienische  form  Älamani  ist 
(vgl.  Waitz,  Verf gesell.  5, 129,  anm.  5).  Auch  die  betonung  des 
verses  gewinnt  dadurch:  er  gilit:  ich  hän  ziven  Allaman  minder 
eine  liröne  hräht. 

Die  beiden  Sprüche  gegen  den  opferstock  werden  einhellig 
in  die  jähre  1212,13  gesetzt,  eine  datierung,  die  auf  ühland 
zurückgeht.  Die  päpstliche  Verordnung  wegen  des  opferstocks 
wurde  in  Deutschland  nach  dem  Chron.  Urspergense  (Delatce 
fuerunt  istae  litterce  anno  Domini  1213,  tempore  paschali)  ostern 
1213  verkündigt.  Sind  Walthers  Sprüche  in  dieser  zeit  möglich? 

Am  18.  märz  1212  begrüsst  er  Otto  auf  dem  Frankfurter 
hoftag,  bringt  ein  wort  zu  gunsten  des  Meissners  vor  und 
mahnt  den  kaiser  zum  kreuzzuge.  In  drei  weitern  Sprüchen 
desselben  tones  wendet  er  sich  gegen  den  bann,  den  Innocenz 
über  Otto  verhängt  hatte.  In  diese  zeit  gehört  auch  die  für- 
bitte  für  den  landgrafen  (105, 13),  die  vielleicht  im  mai  auf 
dem  Nürnberger  hoftage  vor  den  kaiser  gebracht  wurde.  Auf 
diese  Sprüche  mögen  sich  Walthers  beziehungen  zu  Otto,  der 
ja  von  1209—1212  in  Italien  abwesend  war,  überhaupt  be- 
schränken. Warm  war  das  Verhältnis  gewiss  nicht;  es  fällt 
kein  rühmendes  wort  für  die  person  des  kaisers  ab,  der  sänger 
tritt  nur  für  dessen  recht  und  würde  ein.  Die  frühere  Partei- 
nahme Walthers  für  den  Staufer  Philipp  mochte  auf  beiden 
Seiten  befangend  fortwirken:  nie  hatte  Wather  für  einen  so 


22  WALLNER 

kargen  lierrn  wie  Otto  gesungen:  tvand  ich  so  rcJite  hcesen 
hcrrcn  nie  gcwan  (26,  31).  Im  aiigust  d.  j.  erscheint  der  junge 
Staufer  in  Deutschland,  Ober-  und  Mitteldeutschland  fällt  ihm 
ohne  schwertschlag  zu:  des  Jcäneges  (wären)  edle  wo,  daz  in 
tvcere  ivider  Txomen  daz  gcslelite  daz  in  ivas  henomen  (Kaiser- 
cliron.  anh.  I).  i)  AVen  nicht  alte  anhänglichkeit  an  das  stau- 
fische haus  auf  Friedrichs  seite  zog,  den  gev/ann  seine  ver- 
schwenderische freigebigkeit  (vgl.  Winter,  Zeitalter  der  Hohen- 
staufen  2, 214).  Im  december  ist  er  gewählt  und  gekrönt,  zu 
anfang  des  nächsten  Jahres  geht  auch  die  reichsministerialität, 
mit  alleiniger  ausnähme  der  weifischen,  zu  ihm  über.  Niemand 
denkt  mehr  an  einen  glücksumschwung  zu  gunsten  Ottos.  Und 
Walther  soll  zu  ostern  1213  noch  bei  ihm  gewesen  sein? 
Wahrscheinlicher  ist,  dass  er  unter  den  allerersten  war,  die 
sich  zu  Friedrich  schlugen.-)  Hier  war  ihm  die  erinnerung 
an  die  alten  Sprüche  eine  empfehlung,  auf  die  hinzuweisen  er 
denn  auch  nicht  unterliess  (26, 23).  In  dem  Spruche  26, 33 
vergleicht  er  die  freigebigkeit  der  gegenkönige  mit  ihrer 
leibesgrösse:  Nu  seht  ivaz  er  noch  tvahse!  scherzt  er  mit  bezug 
auf  das  chint  von  Füllet),  wie  man  Friedrich  im  j.  1212,  als 
er  zu  dem  gefährlichen  unternehmen  über  die  alpen  gieng,  in 
aller  weit  teilnahmsvoll  nannte. 

Aber  angenommen,  Walther  hätte  sich  nach  ostern  1213, 
als  Otto  in  Ober-  und  Mitteldeutschland  allen  anhang  verloren 


*)  Drastisch  aber  richtig  stellt  dieser  auhaiig  zur  Kaiserchronik  (447  ff.) 
die  ereignisse  dar:  der  chaiser  Jieie  groezer  chraft,  doch  wart  daz  chint 
sigehaft  gar  äne  swertes  slac:  diu  gunst  dem  chint  die  menge  tcuc.  so  der 
chaiser  fürhaz  rait,  das  tvas  dem  chinde  niht  ze  lait.  er  fuor  da  er  tvas 
gelegen,  alsus  veririben  si  den  degen.  Die  herren  von  dem  chaiser  riten, 
des  jungen  si  chüme  erhiten,  der  chaiser  uine  heJaip  —  wie  unmderlich 
man  in  vertraip! 

'■')  Man  pflegt  Walthers  'abfall'  noch  immer  1215/16  anzusetzen,  wie 
Lachmaun  tat,  weil  der  dichter  Friedrichen  den  königstitel  gibt.  'War 
Friedrich  denn  nicht  von  PüIle  Jcünec  (28,1)?  War  er  nicht  1196,  1211 
und  1212  zum  deutschen  könig  gewählt  und  im  letzten  Jahre  auch  gekrönt 
Avorden?  Man  wird  doch  nicht  glauben,  Walther  habe  ihm  den  königstitel 
vorenthalten,  so  lange  er  nicht  in  Aachen  gekrönt  war! 

')  Frid.  qui  infans  Äpulie,  quta  iuvenis  erat,  tunc  appellahatiir  Rieh. 
Senou.  3, 19;  Bot  Fedric,  qui  enfes  estoit,  qni  puis  fu  apelez  cn  mains  lues 
li  Enfez  de  Fuille  Cont.  Guill.  Tyr.,  Rec.  des  crois.  2, 234  (Winkelmann 
2, 335,  aum.,  mit  weitem  belegen). 


zu  WALTHER   VON   DER  VOGELWEIDE.  23 

hatte,  noch  an  seiner  seite  befunden  und  hätte  auf  sein  gelieiss 
die  Spruchpfeile  gegen  den  opferstock  abgeschnellt.  Denn 
wenn  er  erst  vor  einem  jähr  aus  eigenem  antrieb  Otto  in  zwei 
spriiclien  feierlich  zum  kreuzzug  gemahnt  hat,  so  wird  er  die 
Vorbereitungen  dazu  jetzt  nicht  ohne  zwang  verhöhnen. 
Welches  Interesse  konnte  aber  Otto  an  dieser  polemik  gegen 
das  ganz  abseits  vom  deutschen  parteikampfe  stehende  kreuz- 
zugsunternehmen  des  papstes  haben?  Wären  die  feilen 
deutschen  fürsten,  etwa  Ludwig  von  Baiern,  jetzt  nicht  ein 
dankbareres  object  für  Walthers  satire  gewesen?  Die  auf- 
stellung  des  gegenkönigs  war  ja  überhaupt  mehr  von  den 
deutschen  fürsten  ausgegangen  als  vom  papste  (vgl.  AVinter 
2, 196.  201  ff.),  dessen  anteil,  die  bannung  Ottos,  Walther  schon 
in  den  Frankfurter  Sprüchen  parteimässig  gekennzeichnet 
hatte.  Und  passt  denn  das  listige  frohlocken  des  papstes  Ich 
lidn  2wen  Ällamdn  imder  eine  Jcrone  hräht!  auf  das  jähr  1213? 
Auch  die  parteiischeste  färbung  könnte  Otto  und  Friedrich 
nicht  als  dupes  des  papstes  hinstellen.  Wol  aber  gemahnt  dies 
wort  an  jene  zeit,  in  der  Walther  sagen  konnte:  2c  Twme 
hörte  ich  liegen,  ztvene  Idinegc  triegcn  (9,20);  und  in  diese  zeit 
gehören  die  Sprüche. 

Man  hat  nie  beachtet,  dass  die  aufstellung  der  opferstöcke 
im  j.  1213  nur  die  eingeschränkte  widerholung  einer  altern  Ver- 
ordnung von  1198/99  ist:  Ad  haec  in  singidis  Ecclesiis  trunciim 
concavuni  poni  praecijnmus,  trihus  clavihus  consignatum;  prima 
penes  Episcopum,  secunda  pcnes  Ecclcsiae  sacerdotem,  tertia 
per  aliquem  rcligiosum  laicum  conservandis  Ep.  Innoc.  III,  lib. 
2,  270.  Das  mistrauen,  das  man  dieser  neuerung  entgegen- 
brachte, war  allgemein.  So  hält  Eadulfus  de  Diceto  (ad.  a. 
1200)  'wegen  der  den  Eömern  angebornen  habsucht  es  für 
sehr  zweifelhaft,  dass  das  eingekommene  geld  für  den  an- 
gegebenen zweck  verwant  würde'  (Wilken  5,  80);  vgl.  Waltli. 
34,20  ich  ivcen  des  silhers  tvanic  Immct  ze  helfe  in  gotes  laut, 
grözen  hört  zerteilet  selten  pfaffen  haut).  Innocenz  sah  sich 
sogar  gezwungen,  den  Verdächtigungen  entgegen  zu  treten 
und  aufklärungen  zu  geben;  vgl.  Wilkens  a.a.O.  Schon  da- 
durch ist  ein  späterer  ansatz  der  Sprüche  ausgeschlossen,  die 
ja  überhaupt  nur  in  der  zeit  denkbar  sind,  in  der  man  die 
einführuug  der  opferstöcke  als  neu  und  befi'emdend  empfand. 


24  WALLNER 

Auch  die  worte  Tomasins  vom  winter  1215/16  deuten  auf  eine 
schon  ferner  liegende  zeit  zurück:  ivande  ich  bin  da  getvcsen, 
da  ich  hört  o/fhiUchen  lesen  smen  hrief  (11183).  Gienge  das 
auf  die  Verordnung  von  1213,  so  hätte  Tomasin  doch  voraus- 
setzen können,  dass  die  meisten  seiner  leser  zeugen  der  kund- 
machung  waren. 

Von  den  historikern  setzen  "Winkelmann  und  Hurter  die 
Sprüche  ins  jähr  1213;  der  eine  schreibt  dies  datum  Lachmann 
nach,  der  andere  Uhland.  Wilken  aber  (5, 80)  und  Kugler 
denken  trotz  Lachmanns  ansatz  an  das  jähr  1198.  Der  ansatz 
ist  aber  zu  früh,  denn  zur  aufstellung  der  opferstöcke  kam  es 
erst  später,  wie  auch  die  notiz  Radulfs  zum  jähre  1200  zeigt. 
In  dieses  jähr  gehören  Walthers  sprüche,  denn  die  bemerkung 
34, 16  sivenn  im  diu  volle  mdze  Jcumt  ze  Laträn,  so  tuot  er 
einen  argen  list,  als  er  e  hat  getan:  er  seit  uns  danne 
tvie  das  riche  sie  vertvarren  spielt  offenbar  auf  das  schreiben 
Innocenzens  an,  das  dieser  zu  beginn  des  Jahres  1199  an  die 
deutschen  fürsten  (Universis  tarn  ecclesiasticis  quam  saecularihus 
principihus  Älemanniae)  erliess:  Ille  vero  qui  paci  semper  in- 
videt  et  quieti,  sicut  Bomanam  tunc  divisit  ecclesiam,  ita  nunc 
Bomanum  divisit  imperium,  et  tantam  inter  vos  discordiam 
seminavit,  ut  duos  vohis  in  reges  praesumpseritis  nominare, 
quibus  inter  vos  ipsos  divisi  pcrtinaciter  adhaeretis,  non  aiten- 
dentes  quot  et  quanta  discrimina  per  hoc  non  solum  Bomano 
contingant  imperio,  sed  universo  proveniant  populo  christiano. 
Et  ecce  per  hujus  dissensionis  materiam  imperii  libertas 
minuitur,  jura  depereunt,  et  dignitas  decurtatur,  de- 
struuntur  ecclesiae,  Iceduntur  pauperes,  _2^rf«ci^e5 
opprimuntur,  universa  terra  vastatur^),  et,  quod  est 
longe  deterius,  strages  corporum  imminet  et  pericidum  animarum. 


^)  Wilmauns  Vermutung,  dass  das  fremdwort  toasten  34,  8  in  derselben 
absieht  gebraucht  sei  wie  Ähnun,  würde  in  diesem  ausdruck  eine  stütze 
finden.  Walther  hätte  dann  hier  wie  34, 18  diese  epistel  des  papstes  im 
äuge.  Da  aber  auch  bei  Boppe,  MSH  2,  379  b  verwüsten  vorkommt,  so  möchte 
ich  das  wort  eher  als  analogiebildung  auffassen.  Nach  icuoten  (waten), 
louosdien  {waschen)^  tcuohsen  (ivalisen)  ist  zu  dem  praet.  tvuosten  ein  praes. 
tv asten  erschlossen.  Vgl.  lioute  (houwen)  nach  schonte  (schouiven),  ge- 
bouicen  nach  gehoiaven,  iesch  (eischen)  nach  h/'ez  (heizen).  Vielleicht  ist 
auch  vencarren  (von  verwerren)  in  34, 18  nur  falsche  analogie,  etwa  nach 
geswarn  (von  swcrn)  wegen  des  gleichklingenden  praet.  swuoren  :  verwurren. 


zu  WALTHER  VON   DER   VOGELWEIDE.  25 

Ex  hoc  eiiam  inhnici  fuJel  Christlancü  non  modicam  andaciam 
contra  fidcles  assumunt.  Migne  Patrol.  CCXVI  997. 

Auch  die  liauptsäclilicli  gegen  die  simonie  der  kurie  ge- 
richteten spräche  33, 1  —  34,  3,  die  wegen  der  falschen  datie- 
riing  der  opferstocksprüclie  in  diese  jähre  gesetzt  werden, 
wird  man  besser  in  die  zeit  Pliilipps  vorrücken.  'Kaum  irgend 
ein  bistum',  klagt  der  chronist  von  Ursperg  über  diese  zeit, 
'kaum  irgend  eine  kirchliche  würde  oder  selbst  pfai'rkirche 
blieb  übrig,  die  nicht  streitig  war  und  der  römischen  ent- 
scheidung  unterworfen  wurde,  aber  nicht  mit  leerer  band' 
(Winter  2,175).  Neben  diesem  sachlichen  anlass  hatte  Walther 
in  diesen  jähren  auch  einen  politischen  zu  angriffen  gegen  das 
papsttum;  beide  würden  ihm  später  fehlen. 

35,2  (75,117). 

sin  'lop'  ist  niht  ein  lobelin:  er  mac,  er  hat,  er  tuot. 
so  ist  sin  veter  als  der  milte  Weif  geuiuot; 
des  'lop'  was  gauz,  ez  ist  'nacli  töde  guot'. 

Unmöglich  ist  ja  auch  die  allgemeine  bedeutung  von  lo})  hier 
nicht '),  aber  gehalt  gewinnen  die  farblosen  phrasen  erst,  wenn 
man  die  amphibolie  erkennt.  Eigentlich  ist  gemeint:  'Liupolds 
geheiss  ist  kein  zweifelhaftes:  er  will  geben,  hat  zu  geben 
und  gibt  in  der  tat.  Und  sein  vetter  widerum  denkt  wie  der 
freigebige  Weif;  ein  geheiss  von  dem  war  ein  ganzes,  eins 
das  selbst  'nach  tode'  'gut'  bleibt.  Man  muss  sich  den  sinn 
von  tot  in  der  rechtssprache  vor  äugen  halten,  wenn  man  die 
letzte  Wendung  ganz  verstehen  will:  töter  Jwuf  'kauf  auf  ewige 
zelten',  m  einem  recliten  steten  eivigliclien  und  timviderrüfen- 
tötlcouf  (Lexer  s.  v.),  also  ein  kauf,  der  auch  7iäch  töde  geltung 
hat.  Dass  hier  überall  mit  dem  doppelsinn  von  lo})  gespielt 
wird  und  dass  darin  das  eigentliche  acumen  des  Spruches  liegt, 
ist  bei  Walther  selbstverständlich. 


1)  Mau  beachte  aber  das  Verhältnis  von  v.  35,  2  zum  vorhergehenden : 
niemen  lept  den  ich  zuo  deme  gelkhe  —  raau  erwartet  die  begrüudung  — : 
sin  lop  ist  niht  ein  lohelin.  Versteht  man  lop  als  'laudes',  so  liegt  tauto- 
logie  vor,  noch  dazu  abschwächende.  Kühl  und  geschraubt  üude  ich  die 
Wendung:  des  lop  was  ganz,  ez  ist  nach  töde  guot.  Rftmelant  von  Schwaben 
sagt  das  viel  besser:  Sie  habent  ez  verdienet  wol,  daz  man  ir  nachtöde  sol 
hie  mit  den  besten  denken  ...  ir  lip  ist  tot,  ir  lop  Jean  niht  ersterben 
MSH  2,  69. 


26  WALLNER 

35, 1-t  (75,  88). 

des  lop  gruonet  uiide  valwet  so  der  kle. 
der  Dürnge  bluome  schinet  durch  den  sne. 

Vgl.  die  farbeiiS3'mbolik  des  Meissners  MSH  3, 106  (6)  gn'knc 
an  der  milte  und  nUit  val.  Wilmaiins  erklärimg:  ^der  Biirnge 
hluome  d.  li.  der  fürst'  halte  ich  nicht  für  richtig,  sondern 
verstehe:  die  blunie  des  lobes  der  Thüringerfürsten  blüht 
Sommer  und  winter.  In  demselben  sinne  heisst  es  19, 15  die 
Büringe  und  die  SaJisen  'das  thüringische  und  das  sächsische 
fürstenhaus'. 

35, 17  (75, 151).  Herzoge  üz  Osterriche,  Id  mich  hi  den 
Unten.  Die  Überlieferung  in  C  scheint  im  allgemeinen  treuer 
zu  sein.  In  v.  17  ist  LiupoU  schon  wegen  des  Wortspiels  mit 
liiiten  vorzuziehen.  Auch  v.  23  da  müezest  du  mit  fröiden 
lehcn  und  v.  26  so  liän  wir  ivunne  beide  sind  ansprechender 
als  die  matten  phrasen  von  A  (diu  miiesc  dir  vil  icol  gezemen 
und  so  leben  tcir  sanfte  beide),  die  schlecht  zum  weidwerk 
Liupolds  passen,  auf  das  hier  angespielt  wird.  Ist  min  ebenre 
man  in  v.20  min  ([.din)  ebenman?  Vgl.  ebenhisten,  ebenmensclie. 

In  V.  18  weisen  A  und  C  einen  gemeinsamen  fehler  auf: 
wünsche  mir  ze  velde,  niht  ze  ivalde,  ichnhan  niht  riuten;  Sie 
sehen t  mich  bi  in  gerne,  also  tuon  ich  sie.  Hier  ist  das  Sie, 
das  auf  die  erste  zeile  zurückgreifen  müsste,  so  auffallend, 
dass  C  geändert  hat:  Du  wünschest  min  ze  ivalde,  ich  ivas  bl 
Hüten  ic]  aber  auch  dann  noch  bleibt  ze  velde  ganz  unver- 
ständlich. Ich  lese:  ivünscJie  mir  ze  weide,  nicht  ze  tvalde, 
denn  "Walther  bittet  ja:  lä  mich  bi  den  liuten. 

Den  sinn  des  Spruches  stellen  vielleicht  folgende  belege 
klar.  Einem  örcndruosel  prophezeit  Friedrich  v.  Sunnenburg 
(MSH  3,75a),  dass  sein  lierr  noch  seine  art  erkennen  und  ihn 
verjagen  werde,  und  rät  ihm:  noch  volge  mir,  geselle,  vriinit, 
unt  büive  ein  bretervelt!  'geh  in  den  holzschlag,  bauer!'  Bu 
rchtrr  icaltgebüre!  wird  Orendel  im  grauen  rock  von  Sudan 
gescholten  (Or.  947).  Der  truchsess  von  Sanct  Gallen  schilt 
seinen  söhn  Eüedelin,  der  ihm  den  minnesang  verübelt  hat: 
du  bist  ein  viereggot  gcbür,  des  mnostu  holz  an  eime  reine 
houtcen!  Haupt  merkt  aus  Kellers  erzälihmgen  (s.  297)  an: 
ob   noch  ein  frouive  minniclich  durch  friuntschaft  unde  liebe 


zu  WALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE.  27 

hraft  hilft  einem  manne  üz  sorgen  liaft,  icolte  er  sich  des 
rüemen,  den  solte  man  vertüemen  ze  ivalde  von  den  liutcn,  da 
solle  er  stocJce  üz  riuten  und  nimmer  Icomen  zc  Jceincr  sinnt 
da  in  griiozle  ein  roter  mimt  oder  lieplich  ougcn  scehcn  an. 
In  allen  diesen  Verwünschungen  steckt  der  gemeinsame  sinn: 
'du  bist  ein  gcbür'^)  und  geliörst  nicht  zur  höfischen  gesell- 
schaft',  ein  Vorwurf,  den  Walther  öfters  zu  hören  bekommt. 

35,27  (75,171). 

Au  wibe  lobe  stet  wol  daz  man  sie  heize  schoene: 
manne  stet  ez  übel,  ez  ist  ze  Avich  und  ofte  hoene. 

Vgl.  dazu  Meissner,  MSH  3,90  (9): 

wie  stuende,  daz  ein  wip  würde  üz  dem  manne, 
unde  üz  dem  wibe  ein  mau?  uiau  spreche  danue: 
'her  Weichelinc,  ir  sit  ein  mau  mit  Avibes  muot.' 

Vgl.  noch  tveiclicr  dan  ein  ivip  Pass.  276, 13;  dir  ist  gelich  dem 
iveichen  icibe  MSH  3,101b. 

Das  gleiche  thema:  manUchiu  tctp,  idpliclie  man  (Walth. 
80, 20)  behandeln  bruder  Wernher,  MSH  3, 17  (6)  und  Gervelin, 
MSH  3, 47  (8). 

30, 3  (75, 143).  Sie  zuhlcn  vf,  alsam  sie  niht  getörsten 
gehen.  'Sie  zuckten  die  achseln'  Wilmanns;  vgl.  dagegen:  ich 
vluoche  der  haut,  die  den  der  Jcrampfe  ziiJd,  swen  sie  sol  lossen 
der  tugent  ir  pfant  Frauenlob,  MSH  3, 143  (12). 

44,9  (58,32).  ivelch  ivip  verseil  im  einen  vaden?  gnot  man 
ist  guoter  siden  ivert.  Hildebrand  (Zs.  fda.  38, 1)  wollte  den 
vaden  dem  hcdm  gleichsetzen,  dem  im  rechtsbrauch  üblichen 
Symbol  der  Übertragung.  Er  hätte  also  die  gleichwertigkeit 
von  faden  und  halm  für  den  rechtsbrauch  erweisen  müssen, 
um  den  Sprachgebrauch  zu  erklären.  Statt  dessen  macht  er 
die  AValtherstelle  zum  zeugnis  für  den  rechtsbrauch,  für  den 
er  nur  eine  Urkunde  für  die  stadt  Aachen  von  1166  anzufüliren 
weiss.  Diese  vereinzelte  Urkunde  beweist  nur  —  was  schon 
aus  den  Rechtsaltertümern  bekannt  ist  —  dass  der  halm  das 
allgemein  giltige  symbol  ist,  für  das  nur  im  notfalle,  wenn  es 
nicht  zur  band  wäre,  ein  Stückchen  vom  gew^and  gestattet 


')  So  verstehe  ich  auch  76, 18  j«  scelie  ich  (jcrner  veltgehü  etc.:  'lieber 
war  ich  bei  den  baueru  oder  mönch  zu  Toberlü,  als  noch  lauge  in  solchem 
kästen  mich  zu  zwängen!' 


28  WALLNER 

wird.  Soll  man  etwa  einem  dichter  in  reimnot  die  gleiche 
Vergünstigung  einräumen?  Bei  der  rechtshandlung  überreicht 
der  geber  den  halm  dem  begabten  oder  wirft  ihn  in  dessen 
schoss.  Bei  Walther  aber  heisst  es:  Welch  tctp  verseif  im 
einen  vaden?,  was  die  Unterlassung  einer  ab  wehr  oder  Weige- 
rung andeutet  und  die  gleiche  Situation  voraussetzt  wie  Hilde- 
brands Steinhöwelcitat  (das  ich  mir  auch  aus  einem  alten 
druck  gelegentlich  notiert  habe):  du  hast  mir  mit  deiner  liep- 
liehen  /sucht  den  faden  aufs  dem  hemhd  gezogen,  du  hast  mein 
liercz  mit  deiner  süessen  fdeln  durchgangen.  Gremeint  ist  der 
hrisvadem,  wie  schon  Haupt  erkannt  hat.  Doch  denkt  er  an 
den  liebesdienst,  dass  die  frau  dem  manne  den  schnürfaden 
in  hemd  oder  gewand  einzieht;  vgl.  noch  Erinn.  627  er  ist  dir 
nü  vil  fremde,  dem  du  e  die  siden  in  daz  hemde  müse  an 
manigen  enden  leiten  (1.  tvitten).  Bei  Walther  ist  vielmehr 
der  hrisvadem  der  frau  gemeint,  etwa  wie  Carm.  Bur.  145: 
Virgo  quaedam  nohilis  die  gie  ze  holce  vmbe  ris:  dö  si  die 
hunde  dö  gebant,  heia,  heia,  wie  si  sanch,  vineula  rumpebat. 
Venit  quidam  iuvenis,  pulcher  et  amahilis,  der  zetrant  ir  den 
hris.  Die  gezierte  conversation  des  liedes  läuft  auf  einen 
erotischen  scherz  hinaus,  der  allerdings  unter  dem  doppelsinn 
des  ausdrucks  (eineti  vaden  'das  geringste')  versteckt  wird. 
Harmlos  hat  ihn  offenbar  der  Schreiber  der  Haager  hs.  auf- 
gefasst,  da  er  conjiciert:  giiot  mä  is  ivol  ryches  lones  wert. 

59, 17  (51,  35).    ich  bin  nilit  niuwe. 

Vgl.  Meissner,  MSH  3, 105  (10): 

Die  ungetriuwen  liute  dienent  niht  nach  dinem  solde,  triuwe, 
sie  sint  der  schänden  schiltgeverten  uude  in  eren  dieuste  niuwe. 

So  bedeutet  auch  das  subst.  niuive  174,  5  'unbestaud'. 

66,  21  ff.  (92, 1  ff.).  Zuerst  sei  auf  zwei  Schreibfehler  hin- 
gewiesen: 1)  die  nideren  67, 2.  Da  sich  Walther  an  der 
stelle  selbst  als  nider  'niedrigen  Standes'  bezeichnet,  so  passt 
das  wort  hier  auf  seine  adeligen  Widersacher  weder  im 
gleichen,  noch  im  moralischen  sinne.  Der  gegensatz,  in  dem 
es  zu  biderben  steht,  zeigt,  dass  man  lesen  müsse:  daz  müet 
die  nidcere.  ob  mich  daz  iht  sivache?  nein,  die  biderben  hänt 
mich  deste  baz.  Vgl.  ein  valschcr  nider  der  min  leben  strafe 
Meissner,  MSH  3, 103  (4);   —   2)  ist  mir  daz  zorn,  so  lachest 


2Ü   WALTHER  VON   DER    VOGEf.WEIDE.  29 

du.  nü  lache  uns  eine  ivilc  noch  67, 15  f.  Das  uns  ist  hier 
sinnlos;  es  ist  zu  schreiben  uns  eine  ivile  noch:  din  jämertac 
etc.  Vgl.  nnze  nü  Orend.,  un£:e  fruo,  unz  morgen  Parz.  Hartm, 
Bertli.,  unze  naht  Flore.  In  Icarkelvar  und  heherlcelt  (68,  2.  4) 
sind  die  bedeutungen  'kerker'  und  'gerner'  zusammengeflossen: 
so  Jean  mir  ouch  der  herenter  mit  dem  geheine  Iciinden,  daz  mich 
die  iviirme  nagende  iverdent  mit  unreinen  münden  Konr.  v.  Würz- 
burg, MSH2,  333b;  Get  in  den  JcerJcer  unde  seht,  ives  ir  ze 
vriunt,  ze  mäge  jeht:  wä  ist  richtuom,  schcene,  wirdikeit?  da 
hat  diu  iverlt  des  armen  hein  dem  riehen  vür  den  munt  gcleit 
Guotsre,  MSH  3,  42  a. 

Viel  erörtert  wurde  66,  83  Lät  mich  an  eime  stahe  gän. 
Gewiss  denkt  man  zunächst  an  den  stab  des  alters'),  da  un- 
mittelbar vorher  der  dichter  auf  vierzig  jähre  minnesang 
zurückblickt.  Aber  der  Zusammenhang  zeigt,  dass  damit  die 
bedeutung  des  ausdrucks  nicht  erschöpft,  ja  der  eigentliche 
sinn  gar  nicht  getroffen  ist:  'Lasst  mich  an  einem  stabe  gehn! 
Wenn  ich  dabei  nach  ehren  strebe  mit  unverzagtem  mühn, 
wie  ichs  von  kiud  auf  gehalten  habe,  so  bin  ich  doch,  wie* 
niedrigen  Standes  auch  ich  sei,  den  »edeln«  beizuzählen  und 
steh  in  meinem  kreise  hoch  genug.  Daran  stossen  sich  die 
neider.  Soll  mich  das  herabsetzen?  Nein,  die  redlichen  schätzen 
mich  um  so  mehr.  Dauernde  würde  ist  so  gut,  dass  man  ihr 
das  höchste  lob  zollen  soll.  Es  gab  nie  ein  preiswerteres 
leben  (zugleich:  einen  preiswertem  stand)  als  dessen,  der  es 
in  ehren  zu  ende  bringt' 

Die  note,  die  hier  angeschlagen  wird,  klingt  immer  wider 
aus  der  spruchpoesie  der  fahrenden.  Der  verachtete  spielmann 
wird  nicht  müde,  Freidanks  wort  zu  variieren:  swer  tugende 
hat,   derst  wol  geborn  (54,33):    Man  jiht  daz  nie  man  edel  st, 


')  Der  mhd.  dichtung  geläufig:  des  gent  die  alten  hi  dem  stabe  Fraueu- 
lob  MSH  3,382  (33);  helfet  mir  mit  eren  ze  dem  grabe,  ich  gen  nü  leider  an 
dem  Stabe  und  mac  hüses  niht  gcpflegen  Grimm,  RA  1,  675;  vgl.  noch  MSH 
2,231a.  2,347a.  So  wird  auch  die  Waltherstelle  in  der  fortsetzuug  des 
Winsbeke  (str.  59)  aufgefasst:  Du  tv(ere  e  snel,  nu  gät  diu  trit  ze  nahen 
leider  hi  dem  stabe;  iu  der  nächsten  str.  taucht  nämlich  eine  hierher  ge- 
hörige remiuiscenz  auf:  Ez  ist  ein  lob  ob  allem  lobe,  Der  an  dem  ende 
rehte  tuot  (Walth.  67, 6  ezn  ivart  nie  lobelicher  leben,  swer  so  dem  ende 
rehte  taot). 


30  WALLNER 

nimvan  der  cdelUchen  tuot  (vgl.  Reiiim.  v.  Zweter  2, 191b);  ein 
armer  der  ist  wol  gehorn,  der  rehte  vuore  in  iugenden  lud;  so 
ist  er  ungeslaJite  gar,  sivie  riche  er  st,  der  schänden  hi  gestät 
Bruder  "Werulier  2, 232  a;  ht  tilgenden  prüevet  man  daz  adel 
Meissner  3,  87  a;  sivä  aber  ein  unedel  man  sich  mit  tilgenden 
richet,  der  hwhet  sich  unt  stnen  namen  derselbe  3, 87  (10);  Wer 
adelUchen  tuot,  den  tvil  ich  hän  vür  edel,  sivie  man  stns  adels 
alitet  niht  gen  eime  zedel  . . .  siver  niht  si  von  hohem  namen, 
unt  sich  Untugenden  welle  schämen,  dar  zuo  sin  dinc  zuo  dem 
besten  kan  gezamen,  den  heiz  ich  idel,  sivie  er  niht  st  von  adel 
der  gehorne  Süezkint  2, 258  a;  Zwei  adel  sint  an  den  Hüten 
oiich:  von  stnem  liünne  ist  einer  edel,  und  ist  doch  seihe  ein 
gouch;  der  ander  ist  von  sinen  lügenden  edel,  unt  niht  von 
hohem  namen  Reinm.  v.  Zweter  2,191  (81);  Swä  aber  untugent 
herren  muot  verseret,  da  hat  herren  Itp  den  herren  na?nen  gun- 
eret  Sigelier  2,  362a;  Sioelch  leben  ein  guot  ende  hat, 
daz  muoz  von  schulden  heizen  guot,  ivie  hr^nc  sin  mittel  st 
geivesen,  ivie  sivach  sin  urhap  st  Kanzler  2, 397a.  Waltliers 
stroplie  redet  von  standesunterschieden,  das  leidet  keinen  zweifei, 
und  auf  standesunterscliiede  geht  der  vers  lät  mich  an  eime 
Stabe  gän. 

Das  mittelalter  schied  die  stände  auch  in  haarschmuck, 
tracht  und  waffen  von  einander,  i)  Der  unfreie,  den  die  ritter- 
zeit  gebär  (vilain)  zu  nennen  pflegt,  soll  nur  den  graiven  roc 
tragen.  Das  ist  auch  die  standesgemässe  tracht  der  fahrenden: 
wer  den  grawen  roc  antreit,  dem  ist  tisch  und  bett  bereit  Von 
ein.  fahrend,  schüler  (Altd.  wäld.  2,  v.  83).  Ob  auch  reiten  und 
gehen  rechtlich  nach  ständen  abgestuft  war,  ist  zu  bezweifeln. 
Als  ärmlich  und  verächtlich  galt  es  jedenfalls,  zu  fusse  zu 
gehen,  wie  die  dichtung  öfters  belegt:  man  sehe  oft,  heisst  es 
im  Renner  (8480),  tvie  jener  des  sache,  dirrejens  Hage  so  lange 
verziehen  bis  daz  sin  habe  Jcume  von  dem  rosse  ze  dem  stabe. 
Die  gleiche  beziehung  enthält  der  klageruf  Ulrichs  v.  Lichten- 


')  A  medio  capitis  niidati,  histrionum  more  harhis  tonsi  Du  Chesue 
4,  38  (Weiiihold  2, 143).  Seifiid  Helbling  (2,  60)  klagt:  Gebur,  riiter,  dienst- 
man  tragent  alle  (jlichez  kleit.  Dem  gebüren  sei  früher  nur  grauer,  sonn- 
tags blauer  loden  erlaubt  gewesen:  Dehein  varive  mir  erloubt  ivart  im 
noch  sinem  wihe.  Diu  treit  nü  an  ir  Übe  grüen,  hmn,  rot  von  Jent  (7i  ff.). 
Vgl.  auch  RA  1,  470. 


zu   WALTHER  VON   DER   VOGELWEIDE.  31 

stein  (MSH  2,61b):  iverlt,  du  trürest  dl  ze  sere,  din  lop  get  an 
einem  stahe!  Auch  die  50.  Wiiisbekestroplie  gehört  wol  hierher: 
Sun,  wer  mit  fugenden  liüses  pfUget,  Der  nimt  an  werdclieit 
niht  ahe,  Und  also  mit  der  mäze  iviget,  Daz  im  gevolgen  mac 
sin  habe.  Und  IcrücJie  der  an  eime  stahe,  Got  und  der  tverlte 
wcere  er  tvert.  Deutlicher  redet  Rümzlant,  MSH  3,64a:  vür 
ivär  ich  ivände  daz  der  gände  min  niht  spotten  solle  swenn 
ich  rite. 

Es  ist  leicht  begreiflich,  dass  es  besonders  zwischen  ständen, 
die  an  einander  grenzten,  zu  reibereien  auf  diesem  gebiete 
kommen  musste.  Der  ritter,  der  nur  sich  und  den  höhern 
ständen  das  recht  auf  bunte  kleiderfarbe  und  goldsclimuck 
zuschrieb,  der  vom  reiten  seinen  namen  und  stand  herleitete, 
sah  schel  und  neidisch  auf  den  manu  niedern  Standes,  der, 
stattlich  angetan  und  geschmückt,  hoch  zu  rosse  einherzog. 
Das  war  im  13.  jh.  kaum  anders  als  später,  als  die  stauden- 
hüeulin  sangen:  man  sol  si  aufsher  Jdauhen  aufs  Iren  füchsinen 
schauhen  mit  prennen  und  mit  rauhen  die  seihige  haufleut  guot 
...  ir  hochmiiot  sol  man  prechtn,  soll  sie  under  die  merJien 
stechen  (Schenkenbach,  Uhland  277,  str.  3.  9).  Keiner  durch- 
brach aber  frecher  die  schranken  seines  Standes  als  der  spiel- 
mann, der  in  hoffärtigster  tracht')  —  wars  auch  getragene 
lüät  —  durchs  land  ritt,  von  knechten  begleitet.  Das  ross 
konnte  er  am  wenigsten  missen:  Man  sol  in  sagen,  man  se 
mich  selten  riten,  lässt  Kelin  (MSH  3,24  b)  seinen  gönnern 
melden,  als  es  ihm  recht  schlecht  ergeht.  Daher  wird  es 
auch  immer  als  spielmannslohn  begehrt  und  gegeben:  Mir 
gceh  ein  herre  Uhter  sinen  meiden  üzem  stalle,  danne  oh  ich, 
als  ein  zvceher  Fleminc,  vür  die  vroiiwen  dringe  Geltar  (MSH 
2,  173  b);  ors  als  oh  ez  lemher  ivceren,  vil  manger  dan  gcfüeret 
hat  Walth.  25,  37.  Vgl.  J.  Grimm,  Kl.  sehr.  2, 183. 

An  Walther  reibt  sich  einmal  ein  her  Volcnant,  dem  der 
Sänger  gereizt  erwidert:  Waz  ob  'her  Walther'  Jcräche?  Wie 


^)  Les  Jongleurs  avaient  tcn  coshime  bizarrement  fastueux  et  recherclie. 
Oll  les  voit,  (lans  les  peinhires  et  miniatures  anciennes,  en  vetements  et  en 
chmtssure  de  soie,  ornes  de  heaucoiip  de  noeuds,  la  taüle  serree  par  une 
riche  ceinture  et  coiffes  d'une  esj^ece  de  toque  garnie  de  plumes  de  paon 
penchees  et  se  balangant  en  dehors  Fauriel  3, 242  (Vogt  s.  30;  Weiuhold, 
Frauen  2, 144). 


32  WALLNEß 

das  gemeint  ist,  zeigt  die  "Winsbekestelle:  itnd  hrüche  der  an 
einem  stahe;  Waltliers  antwort  ist  also  eine  parallele  zu  66,  33 
liU  mich  an  eime  stahe  gern!  Der  singende  lierr  hat  wol  neidisch 
dem  fahrenden  seine  überhebung-  vorgelialten,  weil  er  zu  rosse 
wie  ein  ritter  aufziehe.  Auch  her  Geihart  Atze,  der  Walthern 
zu  Eisenach  aus  mutwillen  oder  nichtigem  anlass  ein  pferd 
erschoss,  hatte  dabei  wol  die  meinung:  'ein  spielmann  soll  zu 
fusse  traben!' 

Noch  ein  anderes  recht  nehmen  edle  und  ritter  für  sich 
in  ansprach,  das  auf  den  minnesang:  stuer  getragener  Ideider 
gert,  der  ist  niht  minncsanges  tvcrt  (Buwenburg,  MSH  2,263b). 
Auch  dies  wird  auf  die  dauer  nicht  respectiert.  Der  Stricker 
befürchtet  noch,  man  könnte  ihm  sein  büchlein  Trauenehre' 
verübeln  1),  beim  Marner  erscheint  der  minnesang  schon  als 
fester  bestand  im  repertorium  des  spielmanns:  so  wil  der  ahtode 
niht  ivan  hübschen  minnesanc  (15, 14).  Der  Greltar  verschmäht 
ihn 2)  und  Friedrich  v.  Sunnenburg  entsagt  ihm,  weil  man  bei 
hofe  seiner  überdrüssig  sei.^)  Der  erste  spielmann  aber,  der 
es  wagen  durfte,  von  frauen  zu  singen,  war  Walther.  Es 
wäre  ein  wunder,  wenn  das  ganz  ohne  Widerspruch  geblieben 
wäre,  wenn  die  kreise,  in  deren  gehege  er  einbrach,  ihm  das 
nicht  übel  genommen  hätten.  Und  davon  finden  sich  denn 
auch  deutliche  spuren.  Eine  Strophe  (61,  33),  ausser  Zusammen- 
hang in  B,C  überliefert,  lässt  sich  gar  nicht  anders  verstehen: 

Mir  ist  min  erre  rede  enmitte  enzwei  geslagen, 
(laz  eine  halbe  teil  ist  mir  verboten  gar: 
Daz  müezen  ander  liute  singen  unde  sagen, 
ich  sol  ab  iemer  miuer  zühte  nemen  war 
Und  wünneclicher  mäze  pflegen.] 
umb  einez  daz  si  heizent  ere 
läz  ich  vil  dinges  under  wegen: 


1)  Ditz  ist  ein  schoene  mcere,  daz  oueh  nu  der  Strickcere  die  vrowven 
wil  bekennen,  ern  sohle  si  niht  nennen  an  shien  magren,  wa^re  er  wis.  sfn 
leben  %md  vrouwen  ])rts  diu  sint  einander  unbehant.  ein  pfert  unde  alt 
gewant  diu  stüenden  baz  in  sinem  lobe  (137  ff.)- 

2)  Wati  singet  minneivf.se  da  ze  hove  und  inme  sclialle:  so  ist  mir  not 
nach  alter  2vät,  daz  ich  niht  von  vrouwen  singe;  mir  tcceren  vier  kappen 
lieber  danne  ein  krenzelin. 

^)  zuht  tuot  den  edelen  jungen  we  unt  hübescher  sanc,  und  tuot  in 
schellen  ivip  M  tvine  baz  MSH  2,355  a. 


zu   WALTHER   VON   DER   YÖGELWEIDE.  33 

mag  ich  des  niht  me  geiiiezen, 
stet  ez  als  übel  uf  der  sträze, 
so  wil  ich  miue  tür  besliezen.  *) 

Waltliers  bisheriges  repertoire  {min  crre  rede)  wird  von  seinen 
adeligen  gegnern  entzwei  geschlagen  und  die  eine  halbscheid 
ihm  gänzlich  verboten:  der  minnesang  stehe  andern  leuten  zu. 
Durch  die  massvolle  antwort  des  dichters  fühlt  man  die  er- 
regung  beben:  •'Darauf  in  gebührendem  tone  zu  erwidern,  ver- 
bietet mir  die  Selbstachtung.  Nimmt  man  aber  darauf  keine 
rücksicht  mehr,  steht  es  so  schlimm  um  den  fahrenden  sänger, 
so  will  ich  denn  mein  singen  lassen!'  Den  gleichen  entschluss 
spricht  er  in  dem  liede  90, 15  aus,  dessen  schlussstrophe  (Reiniu 
tvip  und  guote  man)  ein  seitenstück  zu  66,  21  (Ir  reinen  tvip, 
ir  iverden  man)  ist:  diu  werlt  enste  dan  schiere  haz,  so  ivil  ich 
leben  so  ich  beste  mac  und  mtnen  sanc  üf  geben. 

Auch  das  schöne  lied,  von  dem  wir  ausgiengen,  hat  einen 
derartigen  einspruch  gegen  Walthers  minnesang  zur  Voraus- 
setzung. Der  dichter  beruft  sich  in  seiner  entgegnung  auf 
vierzig  jähre  minnesang,  die  hinter  ihm  liegen.  Gegen  den 
Vorwurf  seiner  niedern  geburt  macht  er  seinen  seelenadel 
geltend.  Die  vornehme  undankbare  gesellschaft  vergleicht  er 
mit  der  trügerischen  frau  Welt.  Leib  und  seel  habe  er  ihr 
zu  liebe  durch  den  sündhaften  minnesang  gefährdet.  Er  sieht, 
wie  seine  seele  einst  zwiesprach  hält  mit  dem  toten  leib  und 
ihm  deswegen  vorwürfe  macht. 

Auf  eine  hohnvolle  ablehnung  seines  minnesangs  von  selten 
der  AViener  hof gesellschaft  beziehen  sich  die  Sprüche  31,  33  und 
32,7:  Ich  hän  tvol  und  hovelichen  her  gesungen  (vgl.  ivol 
vierzec  jär  hab  ich  gesungen  oder  me  von  minnen  und  als  iemen 
sol  66,  27;  mir  ist  min  erre  rede  enmitte  enztvei  geslagen  61,  33). 
Der  schluss:  d^ln  ivendest  michs  alleine,  so  verhere  ich  mine 
Zungen  ist  wider  eine  parallele  zu  90,  14  und  62,  3  ff.  In 
neuem  lichte  erscheinen  jetzt  die  worte:  ze  österriche  lernt  ich 
singen  iinde  sagen.  Wie  in  61, 35  geht  singen  unde  sagen 
auch  hier  auf  den  minnesang,  wie  ja  schon  aus  dem  vorauf- 


^)  Wie  gedächten  wol  Wilmanns  und  Panl  mit  der  beziehung  dieser 
Strophe  auf  2, 185, 10  (P.  46,  9)  diesen  schluss  und  v.  35  daz  müezen  ander 
Imte  singen  unde  sagen  in  einklang  zu  bringen?  Diese  beziehung  war 
eben  ein  notbehelf,  um  die  str.  überhaupt  irgendwie  zu  deuten. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.   XX XIII.  3 


34  WALLNER 

gehenden  erhellt,  dass  sich  der  zwist  um  den  hövescJien  sanc 
drehe.  Walther  hat  also  in  Oesterreich  den  minnesang  gelernt. 
'Gelernt'  (lernt  ich)  ist  hier  natürlich  nicht  so  zu  verstehen, 
als  hätte  "Walther  erst  in  Oesterreich  die  technik  des  minne- 
sangs  erworben,  denn  über  die  verfügte  der  geniale  sänger 
von  haus  aus,  sondern  'in  Oesterreich  hab  ich  mir  es  an- 
gewöhnt, minnesang  zu  pflegen.'  Dabei  kam  es  ja  nicht  auf 
begabung  und  geschmack  an,  sondern  auf  die  erlaubnis  des 
höfischen  publikums.  War  es  herzog  Friedrich,  der  —  Walthern 
zu  liebe  oder  Reinmarn  zum  tort  —  ihn  zum  rivalen  des  hof- 
sängers  machte  und  dessen  eintöniger  Sentimentalität  Walthers 
frische  naturwüchsigkeit  entgegensetzte?  Daraus  würden  sich 
die  polemischen  plänkeleien  zwischen  Reinmar  und  Walther 
am  ungezwungensten  erklären  und  auch  der  offenherzige  nach- 
ruf  Walthers  erhielte  einen  überaus  prägnanten  sinn: 

Deswär,  Reimär,  du  riuwes  mich 

michel  harter  danne  ich  dich, 

oh  du  lebtes  und  ich  wser  erstorben. 

Ich  wilz  bi  miuen  triuweu  sagen: 

dich  selben  wolt  ich  lützel  klagen, 

ich  klage  din  edeleu  kunst,  daz  sist  verdorben. 

Nicht  nur  die  herren  finden  Walthers  minnesang  ungeziemend; 
fast  überall  in  den  besprochenen  Strophen  wird  angedeutet, 
dass  auch  die  damen  ihn  ablehnen.  Gegen  sie  w^endet  sich 
47,  36.  Schon  die  wäderkehr  derselben  w^endungen  zeigt,  dass 
dieses  lied  in  die  besprochene  gruppe  gehört:  Zivö  fuoge  hau 
ich  doch,  swie  ungefüege  ich  st  (vgl.  so  bin  ich  doch,  swie 
nider  ich  5«...)'),  der  hän  ich  mich  von  Mnde  her  vereinet 
(vgl.  als  ich  von  Jcinde  hahe  getan).  Sivenne  un fuoge  nü  zergät 
so  sing  ich  aber  von  höf sehen  dingen  ...  derz  gelouhen  tvolde, 
so  erkande  ich  ivol  die  fuoge,  ivenn  unde  ivie  man  singen  solle 
vgl.  66,  28.  32, 1).  AVie  er  in  66,  21  den  streit  auf  das  ethische 
gebiet  hinüberspielt  und  den  mann  nur  nach  der  tugend  be- 
werten will,  so  legt  er  hier  denselben  massstab  an  die  frauen 
und  verwarft  die  Standesscheidung  in  fromven  und  uip,  ja  er 
stellt  den  namen  ivip  über  frouice.  Die  absieht  ist  deutlich 
und  wird  durch  die  schlussstrophe,  eine  förmliche  absage  an 


*)  Vgl.  auch  62,6  Ob  ich  mich  seihen  rüemen  sol,  so  bin  ich  des  ein 
hüb  es  eher  man,  däz  ich  so  mamje  unfuoge  dol,  so  wol  als  ichz  gerechenTcan. 


zu   WALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE.  35 

die  dameii,  ausser  allen  zweifei  gestellt:  Ich  sanc  hie  vor  den 
frouwen  unibe  ir  hlözen  gruoz:  den  nam  ich  tvider  mtnie  lobe 
ze  löne.  Stvä  ich  des  geltes  nü  vergebene  warten  muos,  da  lohe 
ein  ander,  den  si  grüezen  schöne  (vgl.  daz  miiezen  ander  Hute 
singen  unde  sagen)  ...  ich  wil  min  lop  leren  an  wip  die 
hinnen  danlien,  nutz  hdn  ich  von  den  üherlieren!  Diese 
äusserung  und  ihre  parallelen  sind  auch  wichtig,  weil  hier 
Walther  den  rein  conventioneilen  Charakter  seines  minne- 
sanges  zugibt.  Sein  minnewerben  ist  nicht  ernsthaft  gemeint, 
wie  das  eines  ritterlichen  Säugers;  der  spielmann  ist  zufrieden, 
wenn  ihm  sein  lied  den  beifallsgruss  der  damen  einträgt: 
Waz  ivolt  ich  ze  Jone?  si  sint  mir  ze  her:  so  bin  ich  gef liege, 
und  bife  si  nihtes  mer  ivan  daz  si  mich  grüezen  schone 
(56,  26);  jo  enger  ich  anders  lönes  niht  von  ir  dekeiner  tvan  ir 
gruoz  (72,7).  In  gröblichster  weise  aber  rechnet  AValther 
mit  den  fromven  in  72,  31  ab.  Lange  singen  des  hat  ich  ge- 
däht  beginnt  er  mit  beziehung  auf  seineu  entschluss,  das  singen 
aufzugeben  (90, 14.  62, 3).  Es  will  nämlich  ein  teil  der  gesell- 
schaft  ihm  doch  wider  guädig  das  minnelied  zugestehen:  Ich 
sol  singen  unde  sagen!  (vgl.  61,  35.  32, 14).  Er  macht  von  der 
erlaubnis  gebrauch,  aber  es  ist  ein  sonderbares  minnelied,  das 
da  zum  Vorschein  kommt:  Haret,  waz  si  fliieche  liden  sol,  sivenn 
ich  nü  läze  minen  sanc  . . .  so  helfe  in  gof,  her  junger  man,  so 
rechet  mich  und  get  ir  alten  hüt  mit  sumerlaten  an!  Mit 
schrillem  miston  reissen  die  saiten  der  minnesingerharfe,  aber 
dieser  ton  klingt  lange  nach.  Es  mutet  wie  ein  act  aus- 
gleichender gerechtigkeit  an,  dass  gerade  diese  ungeheuerliche 
schelte  —  im  minnelied  ein  seitenstück  zu  32,  7  —  um  Jahr- 
hunderte alles  überlebt  hat,  was  AValther  je  zum  preise  der 
frauen  gesungen  hat! 

Die  deutung.  die  ich  hier  einer  reihe  von  "Waltherstellen 
gebe,  wird  befremden;  denn  Walther  ist  doch  ein  herr,  dem 
also  der  minnesang  von  rechtswegen  zusteht.  Diese  Über- 
zeugung liess  noch  jeden  forscher  über  den  wahren  sinn  der 
besprochenen  stellen  die  äugen  schliessen;  uud  nicht  nur  über 
diese  allein,  wo  der  dichter  immerhin  nicht  klipp  und  klar 
heraussagt,  um  was  es  sich  handle  —  er  muss  eben  die  fi-age 
ins  allgemeine  und  moralische  wenden,  will  er  mit  erfolg  ant- 
worten —  sondern  auch  über  eine  stelle,  die  an  deutlichkeit 

3* 


36  WALLNER 

nichts  zu  wünsclien  übrig  lässt.  Ich  meine  124,41  dar  an 
gedenl'et  riiter,  ez  ist  iuiver  dine  ...  tvolte  got,  tvwr  ich  der 
sigenünfte  wert,  so  ivolt  ich  nötic  man  verdienen  riehen  solt! 
Kann  so  ein  edler,  ein  ritter,  ein  kleriker  sprechen?  Wer  hier 
(und  66,  37  so  hin  ich  doch,  swie  nider  ich  si,  der  werden  ein) 
mit  ^^'althers  arniut  argumentiert,  der  tut  dem  klaren  Wortlaut 
gewalt  an.  Und  doch  her  ]Valther?\  —  Eine  meistersinger- 
notiz  macht  den  dichter  zu  einem  landherrn  aus  Böhmen;  ich 
halte  den  titel  her,  den  er  sich  gibt,  auch  nur  für  einen  'titre 
de  boheme'. 

Die  grosse  Heidelberger  hs.  reiht  Walther  mit  einem 
phantasiewappen  unter  die  ministerialen  ein;  das  ist  ein  be- 
merkenswertes, aber  keineswegs  ein  sicheres  zeugnis  für  seinen 
stand.  Bei  einer  hs.,  die  ganze  reihen  von  freiherren  unter 
die  ministerialen,  ja  unter  die  spielleute  stellt  (vgl.  Schulte, 
Zs.  fda.  39, 185  ff.),  darunter  geschlechter  aus  der  nächsten  nähe 
der  vermutlichen  heimat  des  Schreibers,  ist  für  einen  einzelnen 
namen  keine  Sicherheit.  Für  Walthers  ministerialität  spricht 
hier  kaum  mehr  als  die  subjective  meinung  des  Schreibers. 
Diese  hs.  bietet  aber  höchst  auffällige  belege  für  den  herren- 
titel,  die  man  unbegreiflicher  weise  gar  nicht  beachtet.  Sie 
führt  in  der  gruppe  der  spielleute  eine  ganze  reihe  von  'herren' 
auf:  herrn  Eeimar  den  fiedler,  herrn  Niuniu,  herrn  Geltar,  herrn 
Dietmar  den  sezzer  u.  a.  Dass  diese  gesellen  keine  herren 
waren,  mnsste  der  Schreiber  wissen;  warum  belässt  er  ihnen 
dennoch  den  titel?  Ich  kann  mir  nur  einen  grund  dafür 
denken:  der  titel  gehörte  zum  namen,  er  war  ein  spielmanns- 
witz.  Möglich,  dass  herrn  Reimar  dem  fiedler  her  Volker  vor- 
schwebte; namen  aber  wie  her  Niuniu,  her  Geltar,  her  Dietmar 
der  sezzer  beabsichtigen  offenbar  einen  spass  mit  dieser  con- 
tradictio  in  adjecto.  Ist  her  Walther  für  sie  Avie  in  anderen 
dingen  auch  hier  das  vorbild  gewesen? 

Der  spielmann  führt  fast  ausnahmslos  einen  Übernamen, 
der  auf  sein  gewerbe  bezug  liat.i)  Wie  gut  in  die  reihe 
dieser  symbolischen  säugernamen  der  name  Vogelweide  hinein- 
passt,  hat  schon  vdHagen  gesehen;  nur  darf  man  nicht  wegen 


')  Ueber  spielmannsnamen  gedenke  ich  demnächst  au  auderm  orte  zu 
handeln. 


zu   WALTHER   VON    DER   VOGELWEIDE.  37 

des  Scherzes  mit  Hütegunde  an  die  heldensage  denken.  'Von 
der  Vogel  weide'  hat  sicli  der  sänger  genannt,  weil  er  wie  ein 
vogel  von  seinem  liede  lebt,  was  ein  anderer  spielmann  durch 
den  namen  Nernsnahel  ausdrückte.  Walther  war  ein  fah- 
render und  gehrender  mann;  war  er  von  haus  aus  ministerial, 
so  konnte  er  unmöglich  seinen  elirlichen  namen  mit  auf  die 
landstrasse  nehmen.  Er  war  der  erste  fahrende,  der  den 
minnesang  der  herren  sich  zueignete;  liat  er  niclit  deshalb 
mit  der  ihm  geläufigen  selbstironie  sich  den  titel  'her  von  der 
Vogeliveide'  beigelegt?')  So  sagt  mit  ähnlicher  beziehung  der 
Verfasser  des  Ackerman  aus  Böhmen:  von  vogelweid  ist  min 
pfluoc.  Möglich,  dass  er  damit  auch  auf  Walther  anspielt, 
dann  aber  hat  er  dessen  namen  eben  symbolisch  verstanden. 
Gottfrids  nachtigallenvergleich  scheint  gerade  durch  den  namen 
'Vogel weide'  veranlasst  zu  sein,  denn  Walthers  dichterlob  ist 
der  zweck  der  ganzen  stelle.  Das  spricht  wider  dafür,  dass 
der  name  schon  symbolisch  war.  Auch  Ulrichs  nachruf  auf 
unsers  sanges  meister:  den  man  e  von  der  Vogeliveide  nande 
spricht  nicht  dagegen.  Wäre  etwa  den  man  e  von  Ouive  oder 
von  Eschenhach  nande  ebenso  möglich?  Der  sonst  gar  nicht 
förmliche  Wolfram  citiert  hcrn  Walther  und  hern  Vogelweid. 
Unmöglich  kann  er  an  einen  Ortsnamen  denken,  wenn  er  her 
Vogelweid  sagt,  und  die  ganze  stelle  ist  ja  offenbarer  spott 
(Willeh.  286, 19): 

her  Vogelweid  von  braten  sanc: 
dirre  brate  was  dick  unde  lanc: 
ez  hete  sin  frouwe  dran  genuoc, 
der  er  so  boldez  herze  ie  truoc. 

'Die  edle  dame,  der  der  »herr  von  der  Vogelweide«  mit  seinem 
minnesange  dient,  hätte  sich  da  einmal  tüchtig  satt  essen 
können!'  Dieser  hieb  auf  Walthers  minnesang  ist  uns  nichts 
neues  mehr.  Aber  Wolfram  wird  ein  ander  mal  noch  deut- 
licher.   Als  Parzival  in  tiefer  Versonnenheit  auf  die  drei  bluts- 


^)  Wie  AValther,  nennt  sich  nach  seinem  'adellicJien'  minnesang  auch 
Heinrich  Fraiienlob,  der  hochmütigste  allerfahrenden.  Ihm  wird  einmal 
zugerufen:  Heinricli,  e  diner  zit  ist  vroKwenlop  geioest:  vil  schöne  ez  jest, 
Walfher,  in  dmem  sänge!  (MSH  2, 347 a).  Heisst  das  nicht,  Frauenlob 
möge  sich  nicht  einbilden,  er  wäre  der  erste  spielmann,  der  minnesang  ge- 
pflegt habe,  das  sei  Walther  gewesen? 


38  WALLNER 

tropfen  im  schnee  starrt,  schlägt  ihn  Keie  scheltend  an  den 
heim.    Der  dichter  scherzt: 

frau  Minne,  hie  seht  ir  zuo: 
ich  W0en,  manz  iu  ze  laster  tuo, 
denn  ein  gebur  spreche  sän: 
mime  heren  si  diz  getan.    (294,  21) 

Es  ist  Wilmanns  verdienst,  die  anspielung'  auf  "Walth.  40,  19 
fromve  Minne,  daz  st  iu  getan  aufgedeckt  zu  haben  (Leben 
Walth.  IV,  21).  Er  irrt  nur  darin,  dass  er  in  dieser  anspielung 
eine  neckerei  Wolframs  erblickt.  So  harmlos  ist  das  nicht 
gemeint,  denn  gehnr  übersetzt  überall,  wo  keine  beziehung  zum 
f eidbau  vorliegt,  das  franz.  vilain^)  und  der  Widerhaken  des 
pfeiles  ist  der  Vorwurf,  dass  Walther  als  niedriggeborener 
sich  den  minnesang  anmasse. 

Soll  man  da  in  den  Worten  Tomasins,  wenn  er  herrn 
Walther  jeneji  guoten  kneht  nennt,  keine  absieht  sehen?  Der 
gleiche  witz  liegt  in  dem  spielraannsnamen  her  Friderich  der 
hieht  vor.  Und  Eubin,  der  um  Walthers  Standesverhältnisse 
wol  bescheid  wissen  musste,  ruft  ihm  nach: 

Walther,  du  bist  von  hinnen, 

owe  der  selben  not! 

mit  dinen  wisen  sinnen 

du  hete  ouch  herren  gunst. 


o 


Kann  man  das  von  einem  sagen,  der  selbst  zu  den  herren  zählte? 

Ob  es  überhaupt  möglich  war,  dass  ein  mann  höheren 
Standes  in  die  ehr-  und  rechtlose  klasse  der  spielleute  herab- 
stieg, weiss  ich  nicht.  Ein  ritter,  der  den  spielleuten  als 
fahrender  concurrenz  gemacht  hätte,  wäre  der  habicht  unter 
den  krähen  gewesen;  sie  hätten  von  allen  selten  auf  ihn  ge- 
stossen.  Nun  fehlt  aber  jedes  anzeichen,  dass  Walther  A^on 
spielleuten  wäre  angegriffen  worden,  und  wo  er  sich  gegen 
sie  wendet,  betont  er  nur  den  gegensatz  ihrer  kunst,  mit 
keinem  wort  aber  den  ihres  Standes. 

Auch  im  dichtungsbetrieb  gab  es  Standesschranken,  aber 
bezeichnender  weise  nur  gegen  unten  hin.  Nur  das  gebiet 
der  ritterdichtung  wird  umfriedet,  denn  gegen  dieses  dringen 


1)  Vgl.  der  herre  und  der  gebur  MSH2, 198  b;    si  icären  gehüre,  und 
niht  von  höher  art  Bari.  323, 16. 


zu  WALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE,  39 

die  Spielleute  vor.  Sie  eignen  sich  die  höfische  kurzzeile  für 
Stoffe  der  heldensage  an  (Klage,  Biterolf),  sie  bemächtigen 
sich  des  Artiisromans  (Ulrich  von  dem  Türlin,  der  Stricker), 
sie  erobern  sogar  den  minnesang.  Hingegen  hat  kein  ritter 
Stoffe  der  heldensage  aufgegriffen,  keiner  hat  sich  der  Nibe- 
lungenstrophe bedient'),  ff^st  keiner  hat  die  spruchdichtung 
angebaut.  Walther  als  der  erste  spielmann,  der  seiner  dich- 
tung  den  minnesang  einverleibte,  hat  allgemeine  nachfolge  ge- 
funden; AValther  als  der  erste  ministerial,  der  das  leben  und 
die  Spruchpoesie  der  fahrenden  ergriff,  stünde  ohne  folge  da. 
Für  die  spruchdichtung  eines  herren  bietet  das  einzig  sichere 
beispiel  der  Walther  Verehrer  Ulrich  von  Singenberg;  wie  cha- 
rakteristisch heben  sich  aber  seine  wenigen  Sprüche  von  denen 
seines  Vorbildes  ab! 

Walther  ist  in  erster  linie  spruchdichter;  er  schilt  und  lobt 
die  herren,  wie  seine  fahrenden  genossen.  Er  zählt  sich  selbst 
zu  diesen  (als  wir  ze  Wiene  haben  durch  ere  enpfangen  25,  28) 
und  stellt  sich  den  rittern  gegenüber  (124,41).  Ein  herren- 
vergnügen  wie  die  jagd  liegt  ihm  völlig  ferne 2);  wer  ihn  ze 
ivalde  wünscht,  der  will  ihn  gchür  schelten  (35, 17).  Er  hat 
wie  andere  spielleute  über  winternot  und  hovezorn  zu  klagen 
(76, 14.  73, 23),  mehr  als  jeder  andere  über  spott  und  tätlichen 
höhn  der  höfischen  gesellschaft  (31,  33.  28,  37.  67, 14.  150,  90. 
185, 31.  24, 5.  62, 6),  die  ihm  sein  selbstbewusstes  auftreten 
und  seinen  minnesang  verübelt,  ja  verbietet  (18, 1.  104, 7. 
61,  33.  32,  7.  66, 21).  Denn  sein  talent  hat  ihn  über  die  menge 
seiner   genossen,    das   varnde   volc-^)    (84,  18)   hinausgehoben; 


1)  Mit  Wolframs  selbstbewusstem  ritterstolz  ist  die  annähme  schlecht 
zu  vereinigen,  er  hätte  bei  der  Titurelstrophe  an  das  vorbild  der  Spielmanns- 
dichtung gedacht.  Ebenso  unwahrscheinlich  ist  ein  ritter  auch  nur  als 
redactor  des  Nibelungenliedes;  das  ist  höfische  poesie  der  fahrenden. 

2)  Swenne  ich  icü  liän  vröude  vil,  so  rite  ich  hin  ze  ivalde,  daz  ist 
ein  herrensite  an  mir  Meister  Sigeher,  MSH2,  361b. 

s)  So  reden  auch  Gervelin  (3,36  a),  der  Unverzagte  (3,  46  a),  Rümzlant 
(3,64  a),  Friedrich  von  Sunnenburg  (3,71a),  der  Kanzler  (2,390  a)  hoch- 
mütig von  ihren  genossen.  Wenn  Walther  pferde  hat  und  einen  knappen 
(82,11),  so  liegt  darin  kein  gegensatz  zu  den  spielleuten.  Kelin  (3,24  a), 
Rümzlant,  der  Sunnenburger  (3,72,24)  erwähnen  ihre  pferde,  Kümzlant 
hat  ein  singerlhi  (3, 63, 12),  Sunnenburg  einen  knappen.  Auch  Walthers 
lehen  (28,31.  27,7)   ist  durchaus  kein  beweis    für  seine  ritterbürtigkeit. 


40  WALLNER 

'getragene  wät  ich  nie  genan',  erklärt  er  stolz  (63,  3).  In  Wien 
durfte  er  es  zuerst  wagen,  seine  kunst  im  minnesange  zu  zeigen; 
gleichzeitig  griff  er  zur  politischen  poesie  der  goliarden  (die 
ihm  auch  die  pastourelle  vermitteln).  Politisch  wird  eigentlich 
die  antirömische  dichtung  der  vaganten  erst  bei  ihm,  der  ihr 
die  reichspolitik  zur  folie  gibt.  Das  öffnet  dem  spielmann  die 
spendehaud  des  kaisers  (28,  31.  84,  30)  und  macht  ihn  weithin 
bekannt  (Tomasin).  Die  kluft  zwischen  dem  unehrlichen  mann 
und  den  höhern  ständen  aber  kann  auch  die  glänzendste  be- 
gabung  nicht  überbrücken.  Ritterbürtige  Sänger  wie  her  Volc- 
naut  und  her  Wolfram  —  pardon,  dass  ich  sie  in  einem  atem 
nenne  —  stossen  sich  an  Walthers  humoristischem  herrentitel 
ebenso  wie  an  seinem  halbhumoristischen  minuesang.  Dagegen 
blicken  bürgerliche  dichter  wie  Gotfrid  von  Strassburg  voll 
stolz  auf  ihn. 

70, 12  (33, 1). 

mich  nimt  iemer  wunder  wes  in  si  so  gäch. 
.  .  .  si  mugen  zuo  deme 

komen  der  ir  niht  so  schone  pfliget:  so  läzen  denne 
schinen  ob  si  wizen  weme. 

Die  stelle  ist  nach  den  AVolfenbütteler  bruchstücken  (12)  zu 

neuen:  gj  mugen  von  mir  komen  zuo  deme 

der  ir  niht  so  schone  pflit  als  ich, 

so  lä  si  denne  schinen  ob  si  wizzen,  weme. 

Dadurch  wird  Haupts  erklärung  von  weme  =  etetveme  hinfällig, 


Ein  lehen  hat  auch  der  Tanhüser  von  herzog  Friedrich  erhalten :  von  sinen 
schulden  tcas  ich  wirt;  nü  lebe  ich  trürecUche,  nü  hin  ich  aber  ivorden 
gast  (3,  96,  4).  Ze  Wiene  hat  ich  einen  hof,  der  lac  so  rehte  schöne  (ebda, 
no.  5).  Gegen  Burdachs  Vermutung  —  die  übrigens  schon  K.  Schubuth 
1896  in  einem  Kremsierer  programm  vorgebracht  hatte  (vgl.  meine  anz. 
Zs.  f.  d.  östr.  gymn.  1898,  s.  666)  —  der  Martinsmantel,  den  Walther  auf  der 
Strasse  bei  Zeiselmauer  von  Wolfger  erhielt,  sei  der  ministerialenlohn  im 
ersten  hofjahr  gewesen  (vgl.  Eichhorn,  Eechtsgesch.  2,  498),  genügt  es,  auf 
die  nachbarnotizen  zu  verweisen:  j^^o  pellicio  fratris  Heinrici  V  sol. 
minus  VI  den.  (s.  8);  Nuncio  regis  Hungariae  apud  Sanctum  Ipolitum 
pro  tunica  et  calciis  et  redemptione  pignoris  dim.  tal.  et  VIII  den.  (s.  11). 
Ygl.  auch  J.  Grimm,  Kl.  sehr.  2, 183  und  185.  anm.  Ein  beispiel,  dass  spiel- 
leute  auch  im  hof  halt  des  kaisers  vertreten  sind,  ist  der  zeuge  Bupertits 
joculator  regis  in  einer  Urkunde  Heinrichs  VI.  von  1189  (Toeche,  Hein- 
rich VI.  3. 504). 


zu   WALTHER    VON    DEli    VOGELWEIDE.  41 

und  J.  Grimms  conjectur  {oh  si  iviszen  weine  Kl.  sehr.  6,  386) 
bestätigt  sicli. 

73,31  (48,9). 

Hiure  müezeus  beide  esel  uud  der  gouch 
gehoeren  e  si  enbizzeu  sin. 

Nicht  nur  das  geschrei  dieser  tiere  galt  als  unheilbringend, 
sondern  schon  das  anhören  ilirer  namen.  Walther  bildet  den 
zug  witzig  weiter,  indem  er  seinen  Widersachern  wünscht,  sie 
möchten  esel!  und  der  gouch!  gescholten  werden,  so  lange 
sie  nüchtern  wären.  Die  verv/ünschung  gilt  leuten,  die  dem 
Sänger  während  der  Winterszeit  übles  angetan  haben:  Die  mir 
in  dem  rvinter  frönde  liänt  henomen.  So  klagt  auch  Gervelin 
(MSH  3,37  a):  liete  ich  bärge  mide  lant  unde  ivcere  ze  guote 
gehorn,  so  entswze  ich  dem  tvinter  wol  sumelichen  hovezorn. 
Diese  klage  des  fahrenden,  der  im  winter  wehrlos  den  plage- 
reien der  mutwilligen  hofgesellschaft  preisgegeben  ist,  wirkt 
in  einem  minnelied  eigentümlich  genug. 

76, 10  (55,  24). 

sumer,  mache  uns  aber  frö  . . . 
min  herze  swebte  in  sunnen  ho: 
daz  jaget  der  winter  in  ein  stro. 

Hier  redet  nicht  die  frühlingssehnsucht  des  minnesängers,  son- 
dern die  wintersnot  des  fahrenden.  JEij,  sumer,  woltest  du 
hmimen,  seufzt  der  fahrende  schüler  (Altd.  Wälder  2,  49),  und 
oucli  dem  winter  angesigen,  so  tvolt  ich  ze  velde  Ligen,  schaffen 
selb  mir  guot  gemach;  do  ist  der  ivalt  mm  obedach  (268,  ff.). 
Im  winter  ist  er  froh,  wenn  er  ins  haberstroh  kriechen  darf: 
der  vedern  wurde  ivol  gesivigen;  lih  mir  der  tcirt  ein  haherströ, 
so  forht  ich  nit  des  winters  drö  (64  ff.).  So  ist  auch  die 
Waltherstelle  zu  verstehen  nebst  ihrer  fortsetzung:  Ich  bin 
verlegen  als  Esaü,  mtn  sieht  här  ist  mir  ivorden  rü.  Wilmanns 
versucht  zu  erklären,  wie  man  Esau  als  urbild  eines  'ver- 
legenen' ritters  hinstellen  konnte.  Verlegen  hat  hier  nicht 
diese  übertragene  bedeutung,  sondern  geht  auf  das  nisten  im 
Stroh:  mit  straubichtem  haar  und  voll  stroh,  wie  der  rauhe 
Esau  anzusehen,  krieche  er  hervor,  meint  Walther.  Üf  ein 
stro  kann  der  truchsess  von  S.  Gallen  hier  sagen,  der  auch  in 
der  parodie  auf  28, 1  sein  häusliches  behagen  Walthers  bettel- 


42  WALT.NER 

haftem  schweifen  entgegenstellt.  Unter  Philippe  Auguste  hatte 
das  Hotel  Dieu  anrecht  auf  das  stroh,  das  man  täglich  aus 
den  Sälen  der  königsburg  schaffte.  Wenn  man  bei  hofe  das 
gesinde  so  bettete,  wird  die  nachtruhe  im  stroh  (auf  arm- 
seligen, elenden  Strohlager',  Hornemann,  Germ,  29, 49;  Becli- 
stein,  ebda.  15,  440  f.)  für  Walther  das  normale  gewesen  sein. 

80,  27  (78, 1),  Ich  hin  dem  Bogencere  holt.  Der  Spruch 
ist  nach  80, 35  {Ben  diemani  den  edelen  stein)  überliefert, 
eine  anordnung,  der  der  Inhalt  der  Strophen  widerspricht:  der 
dank  würde  dadurch  vor  die  bitte  gestellt.  Aber  auch  Lach- 
manns anordnung  führt  zu  einem  Widerspruch.  Nach  der  un- 
verblümten bettelei  in  80,27  kann  Walther  unmöglich  sagen: 
dne  hete  ivart  mir  diu  gäbe  sine  (81, 1).  Die  Sprüche  können 
also  wenigstens  nicht  gleichzeitig  entstanden  sein,  sondern 
müssen  zeitlich  auseinander-  liegen.  Dann  entfällt  aber  die 
gewähr,  dass  sie  überhaupt  auf  die  gleiche  persönlichkeit 
gehen,  und  die  Überlieferung,  die  den  Bognerspruch  auf  den 
in  81,6  genannten  herrn  von  Kazzenellenbogen  bezog,  hat 
vielleicht  verschiedene  personen  zusammengeworfen.  Ob  die 
herren  des  Chattimelibocus  auch  Bogner  genannt  werden 
konnten,  weiss  ich  nicht');  jedesfalls  aber  war  der  Bogner- 
spruch nur  in  deren  Umgebung  vor  misdeutung  gesichert,  denn 
anderwärts  musste  man  ihn,  losgelöst  vom  andern,  auf  die 
herren  von  Bogen  beziehen,  das  mächtige  bairische  grafen- 
haus,  das  Walthern  selbst  nicht  unbekannt  sein  konnte.  Albert 
von  Bogen  ist  nach  einer  notiz  bei  Valvasor  (Ehre  des  herzog- 
tums  Kj-ain  8,  638)  ein  bundesgenosse  Wolfgers  von  Passau  in 
dessen  fehde  mit  den  Ortenbergern.  Seine  mutter  Ludmilla, 
die  tochter  des  Böhmenkönigs,  vermählt  sich  als  witwe  mit 
dem  herzog  Otto  von  Baiern.  Sein  bruder  Berthold  kommt 
1218  auf  der  turmbrücke  von  Damiette  um;  er  selbst,  comes 
ultimum  de  Bogen,  stirbt  1242.  Vgl.  Mon.  Boica  15,  5.  273. 
444.  552;  16,533.  561.  584;  Mon.  germ.  Script.  IX  und  XVII 
(v.  indic). 

Ist  bei  Walther  ein  graf  von  Bogen  gemeint,  dann  darf 


^)  Von  dieser  immerhin  auffallenden  namensverkürzung  hat  man  sogar 
die  berechtignng  abgeleitet,  den  'Stolle'  in  32,11  als  einen  'Stolberg'  zu 
deuten  (vgl.  darüber  Zs.  f.  d.  östr.  gymn.  1898,  s.  669). 


zu   WALTHEH   VON   DER   VOGELWEIDE.  43 

man  in  die  werte  so  niese  in  ahcr  ein  Pöldn  oder  ein  liinze 
(80,  30)  einen  besondern  sinn  legen.  Des  Bogners  halbböhmische 
abstamniung  zog  vielleiclit  böhmisclie  snarrenzcere  an  seinen 
hof>)  und  Walthers  ausruf  spielt  darauf  an:  'meinetwegen 
kann  er  auch  Polen  oder  Russen  beschenken!' 

81, 14  ff.  (79,9).  Wie  ich  den  spruch  verstehe,  habe  ich 
schon  einmal  (Zs.  fda.  40,  340)  damit  angedeutet,  dass  bei  der 
auffassuiig  der  'heimischen  fürsten'  als  österreichischer  die 
pointe,  die  auf  dem  gegensatz  von  heimisch  und  gast  beruht, 
verloren  gehe.  Darauf  bezieht  sich  eine  bemerkung-  Burdachs 
(s.  22),  man  habe  durch  unerlaubte  interpretationskünste  ein 
ganz  sicheres  zeugnis  über  Walthers  heimat  verdunkelt. 

Der  Spruch  kündigt  sich,  nachdem  eingangs  betont  ist, 
welche  bedeutung  und  Verbreitung  lob  und  tadel  in  Walthers 
munde  haben,  sogleich  als  schelte  an:  ich  liuge  ungerne,  und 
wil  der  wärheit  halber  niht  verjehen.  Der  sänger  ist  von  Nürn- 
berg mit  leeren  bänden  abgezogen;  dass  er  die  klage  auf  das 
fahrende  volk  abschiebt,  soll  natürlich  bloss  seine  objectivität 

heben : 

Die  Seiten  mir,  ir  malheu  schieden  dannen  laere; 

unser  heimelicheu  fürsten  sin  so  hovebpere, 

daz  Liupolt  eine  müeste  gehen,  wan  daz  er  ein  gast  da  waere. 

Inhalt  und  form  bestätigen,  dass  man  unter  den  heimelkhen 
färsten  —  Lachmanns  ersatz  des  hsl.  heimlich  durch  das  im 
mhd.  noch  so  seltene  heimisch  ist  unberechtigt  —  nicht  die 
Oesterreicher  verstehen  dürfe:  1)  Wer  wird  hovehcere  in  dem 
zusammenhange  Die  seilen  mir,  ir  malhen  schieden  dannen 
leere:  unser  heimeltchen  fürsten  sin  so  hovehcere  nicht  als 
Ironie  auffassen!  Auf  die  Babenberger  bezogen,  hätte  aber 
die  Ironie  keinen  sinn.  2)  In  unser  heimelichen  fürsten  und  Liu- 
polt eine  liegt  der  gegensatz  zwischen  mehrzahl  und  einzahl. 
A^'ären  Oesterreichs  fürsten  gemeint,  so  müsste  man  nach  Liu- 
polt eine  wenigstens  im  geiste  ergänzen:  'von  den  in  Nürnberg 
versammelten  herren'.  3)  heimlich  und  gast  stehen  gleichfalls 
in  antithese;   man  vergleiche  Gregor.  1744  arm  ode  rieh,  gast 


1)  Sie  kamen  schon  damals  weit  in  der  weit  herum :  Et  si  avoit  bons 
leuteurs  et  des  flauteurs  de  Behaigne  et  des  gigiiours  d' Alemaigne. 
Roman  de  Cleomades  (Monmerque  et  Michel,  Theätre  frang.  105 ;  Weinhold, 
Frauen  2, 137). 


44  WALLNER 

ode  heimlich;  Parz.  345,  9  Mt  in  daz  er  die  geste  und  die  hein- 
lichen habe  wert;  AVilleli.  155, 4  der  heimlich  und  der  gast; 
Trist.  3459  Tristan  den  heimeltchen  gast;  Ulrichs  Trist.  2490 
deti  hcinlichen  mit  dem  gaste.  Diese  der  mhd.  diclitiing-  so 
geläufige  aiititliese  gienge  verloren,  wollte  man  heimlich  auf 
die  Babenberger  beziehen.  4)  Als  schelte  Liupolds  konnte 
der  Spruch  natürlich  nicht  für  den  Vortrag  in  Oesterreich  be- 
stimmt sein;  ausser  Oesterreichs  aber  konnten  die  heimelichen 
fürsten  nur  dann  als  Babenberger  verstanden  werden,  wenn 
"Walthers  'österreichische  herkunft  allgemein  bekannt  war. 
Hätte  er  da  nicht  besser  gesagt:  die  fürsten  z'  Osterrichel 

'Wollte  man',  sagt  Burdach,  'mit  Wackernagel,  Pfeiffer 
und  andern  hier  den  »gast«  genannten  Leopold  den  hei- 
mischen fürsten  entgegensetzen,  so  müsste  man  folgerecht  zu 
der  unmöglichen  auffassung  sich  bequemen,  dass  er  der  ein- 
zige gast')  des  tages  gewesen  sei.'  Er  wird  sich  dazu  be- 
quemen müssen.  Das  Privilegium  Fridericianum  (minus,  von 
1156),  das  der  Ostmark  ausserordentliche  Vorrechte  einräumte, 
enthält  folgende  bestimmung:  Dux  vero  Äustrie  de  ducatu  suo 
aliud  servicium  non  dehet  imperio  nisi  quod  ad  curias  quas 
imperator  prefi.xerit  in  Baivaria,  evocatus  veniat  (Wattenbach, 
Archiv  für  österr.  gesch.  8, 111).  Wurde  ein  hoftag  nicht  vom 
kaiser  ausgeschrieben  oder  nicht  für  eine  stadt  in  Baiern 
oder  wurde  Oesterreich  nicht  ausdrücklich  geladen,  so  war 
Liupold  nicht  zum  erscheinen  verpflichtet.  Kam  er  dennoch, 
so  kam  er  als  gast,  unter  Verwahrung  gegen  ein  präjudiz. 

Yerhilft  uns  diese  bestimmung  auch  kaum  zu  einer  sichern 
datierung  des  Spruches  —  zu  beachten  ist  immerhin,  dass 
Nürnberg  seit  1219  reichsunmittelbar  war  und  dass  der  hoftag 
von  1224  von  könig  Heinrich  einberufen  wurde  — ,  so  wirft 
doch  erst  sie  volles  licht  auf  seinen  sinn.  'Gast'  kann  nur 
anspielung  auf  einen  derartigen  protest  Liupolds  sein:  'Unsere 
heimischen  fürsten  sind  solche  knauser,  dass  der  einzige 
Liupold  hätte  spenden  müssen;  aber  freilich  —  der  Hess  sich 


')  Diese  schwierig-keit  bliebe  natürlich  auch  bei  Burdachs  auffassung 
bestehen.  'Auf  einem  reichs- und  hof tag  waren  alle  fürsten  gaste  und  die- 
selbe entschuldigung  hätte  jeder  brauchen  können'  (Wilmanns  leben  s.  60). 
Dass  sie  Liupold  wirklich  gebraucht  hätte,  wird  aber  gar  nicht  gesagt; 
die  fahrenden  geben  es  vielmehr  zu,  dass  er  gast  war. 


zu   WALTHER   VON    DER   VOGELWEIDE.  45 

als  'gast'  erklären!'  Nach  der  ansieht  der  zeit  war  ein  gast 
der  Verpflichtung  zu  schenken  enthoben  (vgl.  die  belege  bei 
Wilmanns,  Leben  s.  GO),  Diesen  zug  benutzt  Walther  zu  dem 
witz,  der  herzog  von  Oesterreich  habe  sich  deswegen  auf 
dem  hoftage  officiell  als  'gast'  bezeichnet. 

Der  Spruch  bietet  also  ein  sicheres  zeugnis,  dass  Walther 
kein  Oesterreicher  war.  Zwar  spricht  hier  nicht  der  dichter 
selbst,  sondern  citiert  nur  eine  äusserung  der  fahrenden,  er 
schliesst  sich  aber  ein.  Es  geht  auch  nicht  an,  unser  Jieime- 
lichen  färsten  sin  (hs,  sint)  so  liovehcere  als  unvermittelten 
Übergang  in  die  directe  rede  aufzufassen,  weil  es  dann  heissen 
müsste:  wan  daz  er  ein  gast  da  was.  —  Frühzeitig  aber  ist 
Walther  nach  Oesterreich  gekommen,  als  spielmann  durch 
schouwen  und  durch  guot,  vielleicht  so  jugendlich  wie  Reinmar 
von  Zweter  {von  Rtne  so  hin  ich  gchorn,  in  Osterriche  er- 
tvahsen)]  Osterriche  war  eben  damals  für  die  fahrenden  das 
Ostielriche  der  provenz.  poesie,  dem  sie  auf  allen  wegen  zu- 
strömten. 

84,  22  (79,  25). 

Ich  drabe  da  her  vil  rehte  drier  slahte  sanc, 

den  hohen  und  den  nidern  und  den  mittelswanc  . . . 

nu  hilf  mir,  edel  er  küneges  rät,  da  enzwischen  dringen, 

daz  wir  als  e  ein  ungehazzet  liet  zesamene  bringen. 

Dem  drahe  der  hs.  C  liegt  sicher  dräte  zu  gründe  (von 
drcejen  'wirbeln').  Wie  dieses  verb  beiden  objecten,  sanc  und 
sivanc  gerecht  wird,  mögen  folgende  belege  zeigen:  liz  dem  tcd 
üf  drcejet  sich  so  rilich  gedmne  von  den  vogelin  MSH  2, 179b; 
man  such  da  fiiver  üs  helmcn  woen  und  sivert  in  henden  muhe 
drcen  Parz.  222,  5  f.;  noch  näher  kommt  der  Waltherstelle 
Willeh.  190, 14  er  drcet  in  zeiine  swanke  an  eine  steinine  sül. 
Wenn  Walther  sagt:  ich  'wirbelte'  bis  her  recht  glücklich 
dreierlei  sangweisen,  so  ist  zunächst  an  den  vogelsang  gedacht  •), 


0  Vgl.  103,34  ir  clrüzzel  derst  so  drcete.  Drüzzel  heisst  hier  zuerst 
'drossel,  vogelkehle';  daher  darf  man  nicht  mit  Wilmanns  übersetzen  'ihre 
schnauze  ist  so  behende',  sondern  etwa  'ihre  kehle  ist  so  wirbelfroh, 
zwitscherlustig'.  Hier  ist  die  Übertragung  des  bildes  vom  Singvogel  auf 
den  lotersinger  ganz  deutlich;  wie  aber  hier  drüzzel  zugleich  den  verächt- 
lichen uebensinn  'schnauze'  andeutet,  so  ist  84,22  das  dräte  doppelsinnig 
gebraucht. 


46  WALLNER 

worauf  der  doppelsinn  des  wortes  drcejen  das  bild  aus  der 
feclitkunst  vermittelt:  4ch  wirbelte  terz,  sekund  und  quart.' 

Die  drei  stvenke  wurden  von  Eieger  als  drei  erzielmngs- 
methoden  für  den  jung-en  könig"  Heinrich  gedeutet,  von  Wil- 
manns  als  ausdrücke  der  musiktlieorie;  einig-  ist  man  aber  in 
der  annähme,  dass  der  spruch  an  den  erzbischof  von  Köln 
gerichtet  sei.  Nach  ^Vilmanns  hätte  Walther  dessen  aufforde- 
rung-,  durch  ein  lied  für  den  kreuzzug-  Stimmung-  zu  machen, 
mit  dieser  bitte  um  rat  und  hilfe  beantwortet. 

Walther  hat  für  Friedrichs  kreuzzug  in  mehreren  Sprüchen 
und  liedern  gewirkt,  in  denen  er  sich  mit  politischen  und  reli- 
giösen motiven  an  die  fürsten  (29, 15),  an  die  herren  und  ritter 
(13, 5.  124, 1)  und  an  die  geistlichen  (10, 17)  wendet.  Ohne 
zweifei  hat  er  diese  lieder  im  dienst  der  kaiserlichen  politik 
gesungen;  ein  näheres  einverständnis  mit  Engelbert  macht  aber 
wenigstens  der  spruch  10, 17  unwahrscheinlich,  der  in  die 
drohung  ausklingt: 

Die  rehten  pfaffen  warne,  daz  sie  niht  gehoereu 

den  uurehten  die  daz  riclie  waeuent  stoeren; 

scheide  sie  von  in,  oder  scheides  alle  von  den  koeren. 

Aber  angenommen,  die  deutung  wäre  richtig,  der  spielmann 
und  der  erzbischof  hätten  in  so  vertrautem  verkehr  gestanden 
(wozu  freilich  die  zwei  sichern  Sprüche  an  Engelbert  gar  keinen 
anhält  bieten),  dass  Walther  ihn  zu  poetischer  mitarbeit  auf- 
fordern konnte.  Ist  es  denkbar,  dass  er  dies  vor  aller  weit 
in  einem  Spruche  getan  habe?  Dadurch  wurden  ja  seine  kreuz- 
zugssprüche  öffentlich  als  bestellte  arbeit  gekennzeichnet  und 
um  ihre  beste  Wirkung  gebracht.  Man  könnte  einwenden,  der 
Spruch  sei  nur  für  Engelbert  bestimmt  gewesen  und  rede  zu- 
dem in  halbverliüllten  worten.  Ist  es  dann  überhaupt  wahr- 
scheinlich, dass  Walther  eine  derartige  vertrauliche  bitte  in 
Versen  ausgesprochen  habe?  Und  das  ziel  ihrer  gemeinsamen 
arbeit  wäre  doch  ein  wirksames,  durchschlagendes  lied,  sollte 
man  meinen,  nicht  bloss  ein  ungehazzet  liet. 

Dieser  ausdruck,  der  bei  der  üblichen  deutung  des  Spruches 
befremdend  schwächlich  Aväre,  zeigt,  in  welche  Umgebung  der 
Spruch  zu  stellen  ist.  W^althers  ausruf:  Wem  Icönd  ich  der 
drier  einen  nü  ze  danhe  geslngen!  wird  im  minnesang  nicht 
ganz  selten  laut.    So  klagt  auch  Albrecht  v.  Johannsdorf  (MF 


zu   WALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE.  47 

89,9)  über  ein  sprödes  publikum:  Stvaz  ich  nü  gesinge,  deist 
allez  muhe  niht:  mir  iveiz  sin  niemen  danc!  Auch  Neid- 
hart (MSH2, 107a)  stimmt  ein:  In'  lan  allen  Unten  nü  ze 
danlce  niht  gesingen,  als  ivilcnt,  da  der  guote  tville  mich 
ze  sänge  jagt.^)  So  blickt  auch  Walther  aus  der  stumpfen 
gegeuwart  seufzend  zurück  auf  eine  sängerfrohe  Vergangen- 
heit; nur  führt  er  das  thema  breiter  aus:  'Drei  gattungen  ge- 
sang  hab  ich  bisher  gepflegt  und  für  jede  beifall  gefunden; 
jetzt  glückt  es  mir  mit  keiner  von  ihnen  in  dieser  verstimmten 
zeit.'  Er  gebärdet  sich  ratlos  und  ruft  aus:  nu  hilf  mir,  edeler 
Jcüneges  rät,  da  enzivischen  dringen,  daz  ivir  als  e  ein  iin- 
gehazzet  liet  zesamene  hringen!  Das  enzivischen  muss  un- 
befangene Interpretation  auf  die  drei  genera  cantandi  beziehen : 
aus  diesen  soll  eine  neue  mischform  oder  Spielart  gewonnen 
werden,  die  wider  anklang  fände:  ein  nngehazzet  liet.  ^\"er 
ist  nun  der  edele  Jcüneges  rät,  der  dem  dichter  da  her  (=  als  e) 
geholfen  hat,  den  leuten  zu  dank  zu  singen?   Offenbar  er  selbst. 

Walther  gibt  dem  alten  thema  mit  dieser  scherzhaften 
selbstanrede  eine  neue  pointe.  Gerade  der  ausdruck  zesamene 
hringen,  der  in  Verbindung  mit  der  feierlichen  anrede  liineges 
rät  das  misverständnis  verschuldet  hat,  begegnet  bei  Walther 
auch  in  einem  liede,  das  nah  verwante  gedanken  mit  wört- 
lichen anklängen  ausspricht  (110,27):  iver  han  nü  ze  danke 
singen?  dirre  ist  trüric,  der  ist  vrö:  iver  Ican  daz  zesamene 
hringen?  dirre  ist  sus  und  der  ist  so.  Bezieht  sich  hier  das 
zesamene  hringen-)  auf  die  vermittelung  zwischen  den  wider- 
sprechenden launen  der  zuhörer,  so  geht  es  an  unserer  stelle 
auf  die  neue  ideale  mischung  der  in  abgunst  gefallenen  sanges- 
arten  und  zugleich  —  auf  die  Spaltung  in  dichter  und  königsrat. 

Walther  war  dreier  könige  rätgehe,  Philipps,  Ottos  und 
Friedrichs:  vgl.  10,17.  12,18.  16,36.  17,11.  19,17.  Er  scherzt 
mit  beziehung  auf  sich  selbst:  den  möht  ein  heiser  gerne  nemen 


1)  Vgl.  auch  Tanhüser,  MSH  3,96  Ich  hau  den  jungen  vil  da  her 
gesungen,  des  ist  lanc  ...  duz  hat  sich  verkeret  nü  leider  also:  sivcr  hie 
viioge  meret,  tvirt  der  doch  eil  selten  drumhe  geret.  an  ir  danc  sine  ich 
in  ze  leide,  den  höchgemüete  ist  kranc. 

^)  Vgl.  Kelin  (MSH  3,  22  b):  Swer  gar  mit  kündikeite  vert  unt  sich  da 
bi  mit  manicvalten  houhetschanden  nert,  unde  da  hi  wil  wesen  edele  unde 
wert,  lä  sen,  wer  kau  mir  das  zesamene  bringen? 


48  WALLNER 

an  stnen  licehsten  rät  (83,  27);  er  prahlt  humoristiscli  mit  seinem 
einfluss  auf  den  kaiser:  ivelt  ir,  ich  schicke  in  iüsent  mUe  und 
dannoch  nie  für  Träne  (29, 17)  und  fingiert,  wol  aucli  nicht 
ohne  Selbstironie,  eine  botschaft  an  Friedrich:  Bot,  sage  dem 
heiser  slnes  armen  mannes  rät,  daz  ich  deheincn  hezzern 
lueis  als  ez  nü  stät  (10, 17).  So  kann  er  sich  wol  spöttisch 
den  titel  hüneges  rät  beilegen  in  einer  witzigen  Variation  des 
gemeinplatzes  der  zeitgenössischen  dichtung  (vgl.  die  belege 
bei  ^^Mlmanns  zu  120,34):  Mancc  man  git  guoien  rät,  der  im 
selben  keinen  hät.^) 

85,  8  (79,  24).  drier  hünege  und  cinlif  tüsent  megede 
hamercere.  Diese  titulatur  war  damals  noch  unverbraucht  und 
nicht  ohne  ghibellinische  spitze:  Der  Friderich  zerstörte  Meyelan 
die  stat  tiü  undertalb  die  muren,  daz  sü  gar  darnider  vielent. 
Do  nam  bischof  Eudolf  von  Kolle  der  drier  hünig  hörper  un 
schihte  sü  gen  Kolle,  die  vormals  ivorent  homen  von  Fersida 
gen  Consiantiiiopel,  die  ein  heiser  darbrohte,  un  do  noch  dannan 
gen  Meyelan  homent.  Diss  geschacli  in  dem  mertzen  des  jores 
noch  Gots  geburte  MCLXII  jor  Fritsche  Closeners  Strassbur- 
gische  Chronik  (Stuttg.  Lit.  ver.  1,22). 

101,  31  (84,  9).  min  leit  bant  ich  ze  beine.  Ueberliefert 
ist  Bein  leit  (C).  Die  erklärung  der  redensart  ist  ein  circulus 
vitiosus:  man  verweist  für  die  Waltherstelle  auf  belege,  in 
die  man  die  bedeutung  hineinpresst,  die  an  der  Waltherstelle 
vorzuliegen  scheint.  Denn  die  erklärung  'gering  achten,  in 
den  wind  schlagen'  passt  weder  Winsbekin  21,  7,  noch  Erstes 
büchlein  1742,  noch  grundr.  265  (Mhd.  wb.  1, 100),  ja  sie  ist 
fast  überall  unmöglich.  Der  sinn  der  redensart  wird  aus 
einem  Strickerbispel  klar,  das  von  den  brüdern  Grimm,  die  es 
zuerst  (Altd.  wäld.  3, 177)  herausgaben,  später  im  Deutschen  wb. 
übersehen  worden  ist: 

Ein  frosch  bat  ein  movs, 
do  sie  lief  vz  einem  hüs, 
daz  er  ir  hvlf  vber  einen  bach; 
der  frosch  in  vntriwen  sprach: 
5  'nv  binde  vns  beide  au  einen  vadem 
so  bin  ich  wol  mit  dir  beladen, 


1)  Aehulich  ironisiert  sich  schon  Rugge:   Der  ttimbe  man  von  Rugge 
hat  gegeben  disen  tvisen  rät  MF  99, 21. 


zu  WALTHER  VON  DEK  VOGELWEIDE.  49 

ich  fvre  dich  swar  dich  dviichet  g^t.' 

do  si  chomen  an  des  Avazers  llvt, 

der  vrosch  begvude  siuchen, 
10  div  movs  begvnde  ertrinchen, 

vou  dem  wazer  wart  si  geblan, 

mau  sah  si  wider  vf  gan; 

ein  wie  begreif  si  zehaut, 

der  vrosch,  der  si  zv  im  bant, 
15  der  mvzer  allez  volgen  mit; 

der  wie  tet  nach  siuem  site 

er  az  beide,  rouch  vut  siebte. 

vou  div  ist  noch  billich  vnt  rehte, 

swer  den  schaden  eine 
20  bindet  zv  dem  beine, 

daz  er  in  alterseine 

dvlte  vnt  sweine; 

svs  erginc  ez  dem  frosch  do 

vnt  erget  noch  mauigem  manne  so, 
25  der  in  dem  chloben  mvz  bestan, 

so  er  den  andern  weenet  bringen  dan. 

Die  fabel  stammt  aus  dem  Anonymus  Neveleti  und  ist  auch 
von  Boner  (no.  YI)  bearbeitet  worden,  der  sie  deutlicher  er- 
zählt (v.  10  an  sinen  vuoz  haut  er  die  müs  mit  einer  snüere) 
und  eine  weniger  schiefe  moral  anhängt:  Im  seihen  gniohet 
diche  ein  man  und  ivcent  eim  andern  gruohet  lidn  (33  f.).  Auf 
diese  fabel  wird  die  redensart  ilit  ze  heijie  binden  zurückgehen, 
Ihr  sinn  ^sicli  mit  einem  impedimentum  belasten'  stimmt  auch 
für  die  übrigen  belege:  Erstes  büclil.  1739 

vil  dicke  ich  saeldeloser  man 

in  minem  herzen  weine, 

daz  ich  den  kumber  dankes  hän 

gebunden  ze  beine, 

für  den  ich  listes  uiht  enkan, 

wie  ich  in  versweine. 

'Freiwillig  (oder  mutwillig)  hab  ich  den  liebeskummer  mir 
ans  bein  gebunden  (mit  ihm  gespielt,  um  ilm  zu  äffen?);  nun 
fehlt  es  mir  an  list,  ihn  wider  los  zu  werden.'  Die  böse  ab- 
sieht, wie  in  der  fabel,  wird  in  dem  citat  des  Mhd.  wb.  1, 100 
(grundr.  265)  betont:  ein  hmsez  herze  tvartet  oh  ez  iht  vinde 
daz  ez  ze  heine  binde  und  mit  Worten  viule  (velle?).  Und  den 
gleichen  sinn  hat  wol  auch  die  mahnung  der  mutter  in  der 
Winsbekin  (21,5): 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche-    XXXIIl.  4 


50  WALT.NER 

Vil  wizin  herze  erkindet  sint 

Von  ir  {der  miniie)  gewalt,  dest  mir  wol  kunt: 

Die  rede  ze  beiue  uiht  eubiut, 

Wiltu  dich  ir  gewaltes  wem. 

'Lass  dich  nicht  auf  verfängliches  reden  ein.  spiele  nicht  mit 
liebesworten,  willst  du  dich  der  minne  erwehren.'') 

Uebertragen  wir  den  erschlossenen  sinn  der  redensart  nun 
auf  die  Waltherstelle:  ich  Iure  din  ungefiiege  in  friundes  scliös, 
diu  leit  haut  ich  ze  heine.  'Deine  ungebühr  hab  ich  als  freund 
bemäntelt  und  vertreten,  dein  leid  nahm  ich  auf  mich'  oder 
'was  dir  zu  leide  geschah,  das  traf  auch  mich.' 

Wenn  die  redensart  anz  bein  strichen  (ursprüngl.  stricJcen?) 
mit  der  besprochenen  identisch  ist,  dann  ist  die  erklärung 
Stielers  (DWb.  1, 1384)  'den  schaden  ertragen,  verschmerzen' 
leicht  als  consequenz  aus  ihr  zu  verstehen. 

102,  29  (88, 1). 

Mir  ist  diu  ere  uumsere, 

da  von  ich  ze  järe  wurde  uuwert, 

Und  ich  klagende  waere 

'we  mir  armen  hiurel  diz  was  vert. ' 

Das  ist   eine  anspielung   auf  die  halmparabel   bei  Spervogel 

(MF  23,29): 

Wir  loben  alle  diseu  halm,  wand  er  uns  truoc. 
vernt  was  ein  schoener  sumer  unde  kornes  gnuoc. 
des  was  al  diu  werlt  ouch  vrö. 
'wer  gesach  ie  schoener  stro?' 
er  füllet  gar  dem  riehen  man 
die  schiure  und  ouch  die  kiste. 
swann  ez  gediente  dar  ez  sol, 
so  wirt  ez  aber  ze  miste. 

Auch  die  schlusszeile  des  liedes  (tvol  im  ze  hove,  der  heime 
rehte  tuot)  ist  eine  reminiscenz  aus  dieser  spruch Weisheit;  vgl. 
MF  20,  1. 

104,  5  (72,  45). 

gefüeges  mauues  dceneu 
daz  sol  man  wol  beschoenen. 
müet  des  mannes  hoenen  — 
hie  ggt  diu  rede  enzwei. 

1)  Oder  bedeutet  i-ede  hier  'ratio'  (in  parallele  zu  vil  wiziu  herze)? 
'Treib  nicht  dein  spiel  mit  der  Vernunft,  baue  nicht  zu  sehr  auf  deine 
vernünftigkeit'? 


zu    WALTIIER    VON    DER   VOGELWEIDE.  51 

'Man  erwartet  ein  wort,  das  in  starkem  g-egensatze  zn  gefüeges 
mannes  steht,  etwa  narren,  wie  Wackernagel  (und  Pfeiffer) 
schreibt'  Wilmanns;  müediiKjes  vermutet  Schönbach,  Zs.  fda. 
39, 355.  Dass  der  vers  nicht  in  Ordnung  ist  —  Paul  hält  die 
ganze  stelle  für  verderbt  —  zeigt  schon  das  fehlen  des  auftakts: 
vgl.  103,27.  101,21.  Dieser  mangel  wird  durch  die  erwähnten 
conjecturen  nicht  behoben.  Eher  stand  für  mvet  des  oder  mvt 
des  in  der  vorläge  nnwcrdes  {uwerdes).  Bekanntlich  lassen 
sich  ;•  und  t  oft  nur  unterscheiden,  wenn  man  das  wort  über- 
haupt erkennt.  Der  abschreiber  erkannte  es  nicht,  verstand 
-des  als  artikel  {des  mannes)  und  war  dadurch  gezwungen, 
die  unform  nwer,  für  die  auch  nwer  gelesen  werden  konnte, 
als  verbalform  fucet  oder  mvet  aufzufassen.  Mit  letzterem 
hatte  er  einen  brauchbaren  sinn  (nachzeichnung  wird  die 
Wahrscheinlichkeit  dieses  Sachverhalts  bestätigen).  Zu  der 
bedeutung  von  imicert  vgl.  hoveiverden  80,  34  im  gegensatz  zu 
snarrensceren  (vgl.  auch  66, 37  und  102, 29).  Lotersinger,  die 
äne  hiinst  vor  manigen  Jierren  schallen  (Gervelin  3,  36a),  von 
der  art  meister  Ilüehentunsis  (Seifrid  Helbling  2, 1298),  sind 
hier  gemeint:  So  er  als  platzloter  vor  des  herren  tische  stät, 
niiir  in  stner  Univat,  er  schallet  üf  sam  er  tob:  Herr,  ich 
sing  in  ze  loh!  etc.  Da  in  dem  liede  64,31  {Owe,  hovelichez 
singen)  dieselben  Wendungen  gebraucht  werden  wie  hier  {un- 
gefüege  dame  64,32;  die  so  frevellichen  schallent  65,17),  so 
darf  man  es  wol  auf  dieselben  Verhältnisse  beziehen:  auf  den 
lärmenden  Vortrag  der  gemeinen  spielleute.  Beachtenswert 
ist,  dass  Walther  gegen  diese  concurrenten  nur  kunstrücksichten 
geltend  macht. 

104,  23  ff.  (77, 1  ff.). 

ich  uam  da  wazzer: 

also  nazzer 

muost  ich  von  des  müuches  tische  scheiden. 

Der  gute  ruf  des  klosters  Tegernsee  verleitet  den  sänger, 
den  sein  weg  in  der  nähe  vor  überführt,  zur  einkehr.  Er  er- 
wartet vielleicht  ein  geschenk,  jedesfalls  aber  gute  bewirtung. 
'Ich  nam  da  wazzer  . . .'  Wenn  sich  der  ausdruck  auf  das  hand- 
wasser  bezieht,  vor  oder  nach  tische,  so  ist  der  spruch  ein 
rätsei.    Musste  der  gast  abziehen,  als  er  sich  eben  zu  tische 


52  WALLNER 

setzen  wollte  i),  so  ist  das  ebenso  unverständlich,  wie  wenn  er 
gleich  nach  tisch  das  stift  verlassen  musste,  ohne  geschenk, 
oder  ohne  die  erhoffte  nachtherberge  zu  finden.  In  beiden 
fällen  hätte  sich  der  dichter  auch  ganz  anders  ausgedrückt. 
Knauserei  oder  kränkende  abfertigung  hätte  er  gewiss  in 
scharfem  tone  bestraft.  Der  spruch  aber  ist  —  was  schon 
die  form  der  Strophe  verrät  —  ein  scherz.  Es  wird  ein  spott- 
vers  auf  den  wässeiigen  klosterwein  2)  sein. 

In  gleicher  weise  scherzt  Guiot  de  Provins  in  seiner  Bible 

(1685  ff.)  über  einen  besuch  in  Clugny: 

Por  ce  que  li  vins  est  moilliez, 
Me  fet  mal  euer  apres  le  liues, 
Que  trop  i  a  du  boire  au  bues. 
Ja  i  a  molt  vilain  covent, 
Qui  me  donroit  viu  de  coveut, 
N'en  seroie-je  james  j^vre: 
Molt  i  fet  miex  morir  que  vivre. 

Der  spott  über  das  allzu  leichte  klostergeträuk  ist  sogar  in 
den  Sprachgebrauch  übergegangen.  Die  noch  heute  lebende 
bezeichnung  Izofent  für  dünnbier  oder  'hainzel'  geht  eigentlich 
auf  das  klosterbier  und  wird  ursprünglich  auf  den  kloster- 
wein gegangen  sein;  vgl.  vinum  conventus,  vocat.  hibende  (ürk. 
V.  1348);  couvin,  proven^ alischer  name  des  tresterweins  (DWb. 
2, 157  ff.).  Conventstvein  nennt  man  noch  heute  in  klöstern 
den  geringen,  meist  'verschnittenen'  tisch  wein.  Auch  das 
holländ.  Idoosterivijn  bezeichnet  einen  geringen  wein,  was  im 
DWb.  (5, 1243)  mit  einigem  befremden  angemerkt  wird. 

Die  Benedictinerregel  erlaubt  den  brüderu  nur  ein  quart 
wein  für  den  tag  (credimus  heminam  vini  per  singidos  sufß- 
cere  per  diem.  Eeg.  S.B.  cap.  xl  De  mensura  potus),  lässt  aber 
dem  prior  einige  freiheit  in  der  anwendung  dieser  Vorschrift. 
Das  mag  dazu  geführt  haben,  dass  man  ein  plus  der  quantität 


*)  Vgl.  Wittenweilers  Ring  35,  4  Es  was  ir  zlunch  und  ane  frucht, 
Die  hencl  ze  winden  an  dem  luft,  Und  kam  gelauffen  also  iiass  (zum 
essen,  nacbdem  sie  handwasser  genommen). 

2)  Burdacbs  famose  Tegeruseer  Urkunde  von  1212  war  bekanntlicb 
scbon  1895  von  Erben  (Neues  arcbiv  20,  359)  Otto  IIl.  zugewiesen  worden. 
Erben  hatte  dabei  übersehen,  dass  schon  Hurter  in  seiner  für  das  Studium 
dieser  zeit  noch  immer  unentbehrlichen  geschichte  des  papstes  Innocenz  III. 
(3.  aufl.  1841)  1, 177,  anm.  48G  Pezens  datum  als  druckfehler  verdächtigt  hat. 


zu    WALTHER    VON    DVAi   VOGELWEIDK.  53 

durch  ein  minus  der  qualität  aufwog  {Mustiim  aiitem  nostriim 
in  canalihus  adaquatur,  heisst  es  bei  Buoncompagno  in  einem 
fingierten  Cistercienserbriefe,  Scliönbacli,  WSB  145, 67). 

^Yem\  Guiot  über  den  gewässerten  wein  im  strengen 
Clugny  klage  führte,  so  konnte  Walther  in  Tegernsee  nach 
dem  jähre  1215  leicht  zu  gleichem  spotte  anlass  finden.  In 
diesem  jähre  ordnete  Innocenz,  der  schon  vorher  in  dem 
generalisierten  decrete  für  Subiaco  gegen  unmönchische  Weich- 
lichkeit und  Unordnung  eingeschritten  war,  auf  der  Latera- 
nischen Synode  generalcapitel  an  (c.  12  In  singulis  regnis) 
zur  reformation  und  Visitation  der  klöster.  'Und  es  ist  zu 
beraten  über  die  reformation  des  ordens,  über  beobachtung 
der  regel  etc.'  (Hefele,  Conciliengesch.  5,  790).  Und  cap.  14 
der  decrete  untersagt  allen  clerikern  trunksucht  im  allgemeinen 
und  das  vortrinken  insbesondere  (Hefele  791). 

Die  beziehung  des  Waltherspruchs  auf  die  decrete  von 
1215  lässt  sich  natürlich  nicht  beweisen;  aber  der  spruch 
würde  bei  dieser  annähme  der  Interpretation  keine  Schwierig- 
keit mehr  bieten.  Wie  Guiot  das  wasser  als  ochsentrank  i) 
bezeichnet,  so  meint  Walther,  es  sei  bei  tisch  nur  zum  hände- 
waschen  gut.  Er  will  mit  der  zeile  ich  nam  da  ivazzer  die 
Zuhörer  glauben  machen,  es  sei  vom  band  wasser  die  rede.  Erst 
der  lustige  nachschlag  also  nazzer  mit  dem  entsprechenden 
mienen-  und  gebärdenspiel  verriet,  dass  ein  trunk  gemeint  sei. 
Dass  aber  dies  ivazzer  ein  Scheltwort  für  den  klosterwein  sei, 
das  konnte  nur  auf  Verständnis  rechnen,  wenn  damit  auf  eine 
eben  allbekannte  Verschärfung  der  klosterregel  angespielt  wurde. 

Dieser  spruch  bringt  uns  recht  drastisch  einen  mangel  zum 
bewusstsein,  der  uns  am  vollen  Verständnis  von  Walthers  dich- 
tung  hindert:  die  Unkenntnis  des  Vortrags.  Die  Comedie  Fran- 
^aise  rühmt  sich,  für  die  darstellung  Molierescher  stücke  im 
besitze  einer  tradition  zu  sein,  die  auf  Molieres  inscenierung 
selbst  zurückgeht;  erst  durch  sie  wird  manches  klar,  was  die 
lectüre  dunkel  lässt.  Auch  bei  Walther  sind  dichter  und  dar- 
steiler eine  person;   auch  er  schreibt  sich  die  rolle,  und  wer 


^)  Aehnlich  beisst  es  in  einem  scheltspnicbe  Friedrichs  v.  Sunnenbiirg: 
Sin  kezzelkrüt,  sin  sptsebröt,  shi  bwsen  zuoberwin  die  hringe  er  vür  die 
hunde  hin  oder  aber  vür  diu  swm  MSH  3,  72  (24);  vgl.  aucb  3,  77  (48)  Duz 
wazzer  mit  der  guote  win  die  sülen  s  und  er  sten. 


54  WALLNEIl 

sie  von  ihm  übernimmt,  muss  ihn  gehört  haben.  An  leser 
denkt  er  nicht;  denn  er  stellt  nicht  selten  die  mimik  in  den 
dienst  seines  humors.  Nur  sie  macht  den  Tegernseer  spruch 
verständlich.  So  verriet  auch  nur  die  spöttische  oder  ernste 
miene  des  Sängers,  wie  der  spruch  auf  herzog  Liupold  (84, 14) 
gemeint  sei.  So  gab  der  parodierende  ton  in  103,  37  {ich  und 
ein  ander  töre)  sogleich  zu  erkennen,  dass  ein  snarrenzoere 
vorgeführt  werde,  und  das  im  ton  unterstiichene  Top  (28,21. 
34, 34.  105,  7)  wies  deutlich  genug  auf  den  beabsichtigten  sinn 
des  Wortes  hin.  Ton  oder  geste  klärte  den  zuhörer  über  die 
bedeutung  von  vaden  (44,  9)  auf  und  Hess  ihn  keinen  augen- 
blick  im  zweifei,  dass  die  anrede  edder  hüneges  rät  (84,  22) 
selbstapostrophe  sei  (desgl.  in  119, 11).  Besonders  bei  burlesken 
Sprüchen  wird  der  anteil  der  'action'  nicht  gering  gewesen  sein. 
Komischer  nachdruck  war  vielleicht  der  zweck  der  pause  in 
34,13  {unde  lät  die  TiutscJien  ...  vasten),  und  beim  zweiten  Atzo- 
spruch  darf  man  sogar  an  dialogische  aufführung  denken.  Da- 
gegen beachte  man  das  fehlen  des  akrostichons  und  ähnlicher 
literarischer  scherze,  die  nur  für  das  augeniesen  bestimmt  sind. 

105, 27  (74, 1).  Walther  hat  dem  markgrafen  von  Meissen 
mit  seinem  liede  und  auch  in  anderer  weise  gedient,  hat  aber 
nicht  den  erwarteten  lohn  erhalten  und  will  daher  den  dienst 
kündigen,  wenn  er  nicht  schadlos  gehalten  werde.  Das  ist 
der  Inhalt  von  106,  3  ff.  Dieser  spruch  erklärt  den  ihm  vorauf- 
gehenden: 'Der  Meissner  hätte  die  pflicht,  mir  Schadenersatz 
zu  leisten.  Was  ich  mir  verdient  habe,  darauf  verzichte  ich: 
nur  das  mir  verheissene  {min  lop)  will  ich  haben.  Dass 
ich  ihn  mit  lob  noch  bedenke,  davor  will  ich  mich  hüten. 
Lob  ich  ihn,  so  halt  er  auch  sein  gelöbnis  gegen  mich');  alles 
weitere  will  ich  ihm  in  gnaden  erlassen.  Sein  lop  muss  auch 
mir  zu  teil  werden,  oder  ich  will  mein  lob  widerrufen  zu  hof 
und  an  der  Strasse.'  Auch  hier  spielt  also  Walther  mit  dem 
doi)pelsinn  von  lop,  wie  35,3  (und  28,30);  ich  wüsste  wenig- 
stens nicht,  wie  man  den  spruch  sonst  interpretieren  wollte. 


')  loh  ich  in,  so  lob  er  mich;  zu  dieser  construction  vergleiche  man 
einen  spruch  (Stver  den  tören  vrömven  xoil,  der  sol  im  schöne  entheizen) 
Rümzlants,  MSH  3,  60  (28)  man  sol  den  tören  lohen  golt,  und  leisten  steine, 
wan  swer  den  tören  guote  tuot,  sin  danc  ist  Ideine.  Niclit  nur  'sich  ver- 
loben' heisst  einen  lohen,  wie  auch  Kaiserchron.  16806.  16829.  15858  zeigt. 


zu   WALTHER   VON   DER   VOGELWEIDE.  55 

111, 14  (105.  3).  ungemdlet,  daz  si  niht  gebuggerdmet  wcere. 
So  ist  die  zeile  überliefert.  Wilmanns  schreibt:  iind  daz  si 
niht  gchuggerämet  wcere  und  übersetzt:  'mag  sie  auch  nicht  in 
buckeram  gekleidet  sein'.  Da  hätte  er  besser  sivie  eingesetzt 
für  und  daz,  das  keinen  concessivsatz  einleitet,  sondern  gleich- 
artiges anreiht.  Das  unterdrückte  ungemdlet  ist  in  der  tat  eine 
so  auffallende  tautologie,  dass  es  beinahe  wie  eine  schreiber- 
glosse  zur  vorhergehenden  zeile  aussieht.  Auffallend  ist  noch 
manches  andere  in  der  ganz  unverständlichen  Strophe.  So  die 
erwähnung  des  hucJierdm,  da  nur  vom  schminken  des  gesichts 
und  von  der  haartracht  die  rede  ist.  Üf  gebunden  wird  von 
Weinhold  (D.  deutsch,  frauen  2,  301)  als  'hinaufgebunden'  er- 
klärt; wie  soll  man  aber  dann  v.  20  verstehen,  der  offenbar 
einen  gegensatz  ausdrückt:  diu  ir  sivarzen  nac  vil  höhe 
blechen  Idt?  Dabei  ist  noch  der  sivarze  nac  eine  crux  für 
sich.  Die  ganze  Verwirrung  löst  sich  durch  annähme  eines 
lesefehlers:     ^  i  •      - 

Selpvar  ein  wip, 

äue  wiz-rot,  gänzlicher  stsete, 

'nugemälet'  (daz  si  niht  genüggerämec  wserel)  — 

Ich  lob  ir  lip, 

swie  ich  si  doch  nie  niht  gehsete, 

ja  hoere  ich  gerne  von  ir  guotin  msere, 

Diu  ir  val  här  iif  gebunden  hat. 

bi  ir  manegiu  hin  zer  kirchen  gät, 

diu  ir  swarzen  nac  vil  hohe  blecken  lät: 

ich  ween  daz  gebende  ungliche  stät. 

genügge  =  geniche,  nac  {nuc,  nücJcen  Lexer  2,  118);  rdmec 
'schmutzig,  russig';  vgl.  ein  hüt  swarz  als  ein  ran  Gute  frau 
2795;  der  si  mit  rdme  und  valscher  varbe  uneret  Renner  16641; 
ein  sinegelglas  lüter  dne  rdmec  mal  Pass.  671,  59.  Das  letzte 
citat  zeigt,  wie  ungemdlet  zu  verstehen  ist.  Es  liegt  wider 
Walthersche  amphibolie  vor:  der  hörer  versteht  nach  dem 
vorausgehenden  natürlich  'ohne  maierei'.  'Nein',  sagt  der 
dichter,  'auch  ohne  mal,  dass  sie  nämlich  nicht  nackenrussig 
wäre!'  Üf  gebunden  heisst  hier  'losgebunden,  offen':  Ein  weib 
mit  eignem  teint,  ohne  schminke,  durchaus  echt,  ungern alet, 
dass  sie  (nämlich)  nicht  russnackig  wäre  — :  die  lob  ich,  wenn 
ich  auch  nichts  von  ihr  begehre,  und  höre  gerne  gutes  von 
ihr  reden,  die  ihr  blondhaar  offen  trägt!     Neben  ihr  geht 


r 


6  WALLNEIi 


manche  zur  kirclie,  die  ihren  schwarzen  nacken  hoch  hinauf 
entblösst.    Ich  meine,  die  sehen  ungleich  aus. 

Die  Strophe  zielt  auf  die  neu  aufkommende  mode,  das  haar 
aufzustecken,  um  den  nacken  bloss  zu  tragen;  vgl.  Xeidhart 
38,  37  ff.:  decl^en  haz  doz  neclcelm!  (Weinhold  2,300  f.).  AValther 
spottet  über  den  kontrast  zwischen  dem  weissrot  geschminkten 
antlitz  und  der  dunklen  naturfarbe  des  nackens.  Er  lobt  sich 
die  bisherige  mädcheusitte;  freilich  dürfe  das  offne  haar  nicht 
etwa  einen  ungewaschenen  nacken  verdecken  (vgl.  Freid.  70, 10 
su'cr  rämec  st  der  wasche  sich  und  tuasche  daiDie  mich). 

116,30  (29,38). 

Dazs  iht  anders  kunne, 

daz  sol  man  gar  übergeben. 

Ich  hatte  mir  überheben  angemerkt  —  ehe  ich  wusste,  dass 
übergeben  bloss  eine  conjectur  Lachmanns  sei  —  wegen  der 
wenig  passenden  bedeutung  dieses  Wortes.  Nun  ist  verhehl 
(C,  E)  überliefert  (was  in  Pauls  und  ^Mlmanns  apparat  fehlt), 
eine  Verderbnis,  die  sich  leicht  aus  H-verhebn  erklärt.  Zu  den 
belegen  der  wbb.  füge  ich  noch  Rol.  9085  ih  nehän  thir  niht 
überhaben;  Genes.  1118  niht  der  ivir  ubcrhuoben;  3289  alle  sis 
erslvogen,  ncheinen  uberhvoben. 

119, 11. 

Hoerä  "Walther,  wiez  mir  stät, 
min  trütgeselle  von  der  Yogelweide, 
Helfe  suoche  ich  nnde  rät: 
diu  wol  getane  tuot  mir  vil  ze  leide. 
Kunden  wir  gesiugen  beide, 
daz  ich  mit  ir  müeste  brechen  bluomen  au 
der  liebten  beide  I 

Lachmann  rückt  die  Strophe  von  den  übrigen  ab.  Wilmanns 
hält  sie  für  spätem  zusatz,  Wackernagel  verweist  sie  in  die 
anmerkung,  Pfeiffer  und  Paul  unterdrücken  sie  ganz,  Simrock 
erklärt  ihretwegen  das  ganze  lied  für  unecht.  Ich  halte  die 
Strophe  für  ein  seitenstück  zu  dem  spruch  84,  22.  Dass  Walther 
gern  mit  seinem  namen  hervortritt,  ist  bekannt:  zu  stolzer 
betonung  des  ich  (Ich  Walther  150, 89),  zu  nachdrücklicher 
entgegnung  {Her  Walther  singet  sivaz  ir  tvil  18, 11  und  18,6), 
zu  witziger  anspielung  (74, 19  und  vielleicht  34, 17).  Yon  den 
dialogstellen  24,  33    (Walther,  ich  solle  lieben  dir)  und  100,  33 


zu   WAf/rHER   VON   DER   VOGELWEIDE.  57 

OValthcr,  du  zürnest  äne  not)  bis  zur  selbstanrede  in  unserer 
Strophe  ist  der  weg  nicht  mehr  weit.  In  84, 22  gibt  Walther 
einem  landläufigen  motiv  durch  die  selbstapostroplie  cdcler 
Jcünegcs  rät  eine  neue  witzige  wendung;  so  auch  hier.  Hein- 
rich von  Morungen  (hs.  E  schreibt  das  lied  Walthern  zu)  ruft 
einmal  seine  freunde  zur  sangeshilfe  auf  (MFr.  146,3):  Helfet 
singen  alle,  mine  frhmt,  und  zieht  ir  zuo  mit  [gemeinem] 
schalle,  daz  si  mir  genäde  tao.  schriet  daz  min  smerze  miner 
fromven  herze  breche  und  in  ir  ören  ge.  si  tiiot  mir  ze  lange 
we  (vgl.  Walth.  119, 14  diu  wol  getane  tuot  mir  vil  ze  leide). 
Auch  andere  ahmen  dies  clamar  merce  nach'),  Walther  aber 
drückt  ihm  durch  die  lustige  auf f orderung  an  sich  sein  eigenes 
gepräge  auf.  Selbstbewusstsein  oder  selbstironie  —  wie  in 
84,22  —  mag  in  diesem  parodistischen  zuge^)  stecken;  das 
übermütige  lied  findet  mit  ihm  den  glücklichsten  abschluss. 
Walthers  doppelnatur  aber  zeigt  sich  auch  in  dieser  einzel- 
heit.  Verdankt  er  das  motiv  des  crier  merci  dem  minnesang, 
so  ist  die  art,  wie  er  es  verwendet,  wie  überhaupt  das  hervor- 
treten mit  dem  eigenen  namen,  ein  erbe  der  Spielmannsdichtung. 
Sehr  nahe  steht  unserer  Strophe  das  selbstcitat:  Swer  suochet 
rät  und  volget  des,  der  hahe  danc,  alse  min  g  es  eile  Sper- 
vogel  sanc. 

[Nachtrag.  25,  36.  Zu  der  hier  für  loBren  erforderlichen 
bedeutung  'ledigen,  lösen'  vgl.  Bech,  Germ.  32, 118. 

44,  9.  Für  hahn  lässt  sich  der  von  Hildebrand  dem  vadem 
zugeschriebene  sinn  tatsächlich  belegen:  'Von  disen  (römischen) 
Grafskrenzen  haben  wir  noch  ein  Sprichwort  in  Festo  Pomejo 


')  Nu  loünschet  al  gemeine,  daz  min  leit  zerge:  Die  ich  mit  triuiven 
meine,  diu  tuot  mir  dicke  ivc.  Daz  ich  ir  tverde  erlcant  —  ein  litis  der 
loare  ein  pfant,  den  ich  vür  tüsent  marJce  name  sä  zehant  —  ein  mn- 
bevanc  mit  armen  hlanc  des  wünschet  dem  der  den  reie^i  sanc  Konrad  von 
Altstetten  (MSH  2,65b).  —  Wol  her  alle,  helfet  singen!  Ulrich  von  Lichten- 
slein  (MSH  2,  ■i2b)  =  L  563).  —  Mine  vrinnde,  helfet  mir  der  liehen  danken, 
der  ich  singe  üf  höhen  pris  Tanhuser  (MSH  2,  91).  —  Helfet  mir,  ir  leien, 
meien  klagen  Kauzler  (MSH  2,  395b).  —  Vgl.  auch  Wilmauns,  Leben  3, 52. 

'-)  Die  zweite  Strophe  des  liedes  ist  übrigens  ein  gegenstück  zn  Reiu- 
mar  196,17:  Ich  gelache  in  iemer  an,  kicmt  mir  der  iac  daz  in  min  oiige 
ersiht,  wände  ichs  niht  verläsen  kan  vor  liehe  daz  mir  also  ivol  geschult, 
e  ich  danne  von  im  scheide,  so  mac  ich  wol  sprechen  'gen  tvir  brechen 
bluomen  üf  der  heide'. 


58      WALLNER,  ZU  WALTHEU  VON  DER  VOGELWEIDE, 

das  heilst  herbam  dare,  da^  hrenzlin  überantworten  oder  wie 
wir  Teutsclien  sagen:  das  helmlin  geben,  das  ist:  er  sei  mein 
meister  und  lierr  sein'  Hieron.  Bock,  Kräuterbuch  15G0. 
bl.  254  a  (Birlinger,  Germ.  16, 86). 

80, 27.  Den  Bog-ner  —  und  diesmal  ist  zweifellos  das 
bairisclie  gesclilecht  gemeint  —  nennt  auch  der  Tanhüser  in 
einer  klage  über  verstorbene  gönner  MSH  2,89  a  (6,13): 

Ein  Herraan  üz  DüriBgen  lant, 
dar  zuo  ein  Brabandfere, 
Chiionrät  von  Lantsperc  genaut, 
dar  zuo  der  Bogensere, 
Des  milte  was  mir  wol  erkant: 
wer  erbet  nü  ir  milte? 

101,  31.  Aelinlich  wie  im  1.  büchlein  gebraucht  Hartman 
die  redensart  ze  betne  binden  auch  MF  211, 12: 

got  hat  vil  wol  ze  mir  getan, 
als  ez  nü  stat, 

daz  ich  der  sorgen  bin  erlän, 
diu  manegen  hat 
gebunden  an  den  fuoz.] 

GRAZ,  im  mai  1907.  ANTON  WALLNER. 


PARZIVAL  171,  5. 

im  ist  noch  wirs  dan  den  die  gent 
nach  porte  aldä  diu  venster  Stent. 

Martin  versucht  in  seinem  commentar  diese  Variante  der  hs.  D 
g-egenüber  der  gemeinen  lesart  nach  hröte  zu  verteidigen; 
kaum  glücklicher  als  Haupt  (zu  Erec  7905,  vgl.  dazu  Zs.  fda. 
40,60).  Gegen  die  lesart  von  D  sprechen  schon  formale  be- 
denken. 'Wäre  ].)orte  richtig,  so  würde  man  den  artikel  kaum 
entbehren  können',  erinnerte  Bech,  der  zuerst  für  die  lesart 
ndcJi  hröte  eintrat  (Germ.  7,  298).  Er  hätte  hinzufügen  können, 
dass  man  nach  porten  erwarten  müsste,  da  porte  doch  mei- 
stens scliwach  gebraucht  wird  (Parz.  20, 12  icand  er  einer 
porten  phlac).  Und  auf  wen  könnte  sich  der  ausdruck  über- 
haupt beziehen?  Doch  nur  auf  blinde  oder  trunkene  oder 
wahnwitzige.  So  übersetzt  denn  auch  San  Marte:  'er  duldet 
schlimmre  pein  als  die,  die  nach  der  türe  blind  hintappen, 
wo  nur  fenster  sind',  während  Martin  seine  parallele  aus 
einem  schlemmerliede  holt:  'Auff  den  abend  worden  sie  be- 
hende, sie  liffen  mit  den  köpffen  widder  die  wende  da  kein 
thür  nicht  was.  sie  fielen  in  die  winckel.  sie  sprachen:  »gebt 
vns  zutrincken  wol  aus  dem  hohem  glas!«'  (John  Meier,  Berg- 
reihen s.  68).  An  die  dritte  möglichkeit  habe  ich  selbst  einst 
gedacht,  als  ich,  unbewusst  im  banne  von  Lachmanns  text, 
die  lesart  nach  hröte  als  anspielung  auf  Iwein  3303  deutete 
(Zs.  fda.  40,  62). 

Der  context  lässt  keinen  zweifei  darüber,  dass  die  redensart 
nur  auf  verschämte  armut  gehen  kann.  Gurnemanz  gibt 
seinem^  scheidenden  schüler  die  lehre  mit,  barmherzig  gegen 
notleidende  zu  sein:  iuch  sol  erharmen  nötec  her:  gein  des 
humher  sU  ze  wer.  Aber  dem  jungen  toren  muss  auch  ge- 
sagt werden,  dass  damit  nicht  bloss  bettler  gemeint  seien: 


60  WALLNER,   PAUZIVAL  171,5. 

der  Icnmherliaffe  iverde  man  wol  mit  schäme  ringen  Jean  ... 
im  ist  noch  tvirs  dan  den  die  gent  nach  hröte  aldd  diu  venster 
Stent.  Sobald  sich  diese  redensart  als  umsclireibmig  für  'betteln' 
nachweisen  lässt,  darf  man  in  j^orte  nur  noch  einen  lapsus 
calanii  sehen.  AVährend  nun  Lachmann,  Haupt  und  IVIartin 
vergebens  nach  einem  brauchbaren  beleg  für  die  von  ihnen 
angenommene  sprich Avörtliche  redensart  fahnden,  fehlt  es  daran 
für  die  Wendung  nach  hröte  gen  keineswegs:  man  sol  in  mit 
nichte  läsen  not  liden  ader  nach  hröde  gen  Eechtsb.  des  J.  Bur- 
goldt  s.  292;  ich  scheme  mich  noch  hröte  zu  gen  Eothes  Chron. 
c.  437  (Bech  a.a.O.);  ich  ivil  zwar  ein  huolen  hau  und  solt  ich 
darumh  nach  &rO(f  ^«n  Diocl.  3400;  herre  got,  mins  ivülen  mich 
ervröu  daz  si  laufen  tiäch  dem  Ideine^i  hröt  in  Icurzen  tagen! 
MSH  3, 188  b  (vgl.  auch  3, 191b;  DWb.  2, 401).  Am  nächsten 
aber  kommt  der  Parzivalstelle  eine  Strophe  in  Fran^ois  Yillons 
Grant  testament:  Oa  sont  les  gracieux  gallans  que  je  suivoye 
ou  tenips  iadis?  ...  Les  aucuns  sont  mors  et  roidiz  ...Et  les 
aucuns  sont  deucnus,  Dieit  mercy!  grans  seigneurs  et  maistres, 
Les  autres  mendient  toiis  nus,  Et  pain  ne  voient  qu'aux 
fenestres  (v.  Wurzbach,  Die  werke  Maistre  Fran^ois  Yil- 
lons s.  66). 

Aus  dem  brauche  des  fensterbettels  erklärt  sich  auch 
das  Sprichwort  Karcheit  ist  himels  venster schühel  (Eenner 
992)  und  die  noch  heute  übliche  redensart  'sein  geld  zum 
fenster  hinauswerfen  (il  jette  son  bien  par  la  fenetre)',  wäh- 
rend die  Wendung  nach  hröte  gen  in  dem  geflügelten  wort 
'Die  kunst  (ursprünglich  die  der  spielleute!)  geht  nach  brot' 
weiterlebt. 

GKAZ,  mai  1907.  ANTON  WALLNEE. 


DIE 

VORLAGE  FÜR  DE  LA  LOUBERES  ABSCHRIFT 

VON  NOTKERS  PSALTER. 

Simon  de  la  Loubere,  damals  secretär  des  französisclien 
residenten  bei  der  eidgenossenschaf t,  des  barons  de  St.  Romain, 
kam  1675 ')  in  den  besitz  der  absclirift  eines  St.  Galler  codex 


1)  Irregeführt  durch  die  Avenig-  präciseu  angaben  des  Eloge  de  M.  de 
la  Loubere  (Histoire  de  l'academie  royale  des  inscriptions  7, 420)  glaubte 
Kelle  (Die  St.  Galler  deutschen  Schriften  s.  211^7),  Loubere  habe  bis  zum 
autritt  seiner  gesantschaftsreise  nach  Siam  1687  iu  der  Schweiz  geweilt. 
Wir  wissen  jedoch  aus  dem  Supplemeutum  praefatiouis  zu  Schilters  Tlie- 
saurus  I,  v,  dass  er  1678  iu  Strassburg  den  posten  eines  envoye  du  roi  be- 
kleidete. "Wahrscheinlich  hat  er  schon  im  laufe  des  Jahres  1676  die  Schweiz 
verlassen.  St.  Eomain  Avurde  nämlich  auf  sein  ansuchen  am  21.  december 
1675  abberufen  (Amtliche  Sammlung  der  altern  eidgenössischen  abschiede 
"Sn,  1 A,  993).  Er  betraute  zwar  Loubere  mit  der  einstAveiligen  führuug  der 
geschäfte  (a.  a.  o.  s.  989),  aber  unter  St.  Romains  nachfolger,  Robert  de  Gravel, 
herrn  vou  Marly,  der  anfangs  mai  1676  (a.a.O.  s.  1003)  eintraf,  finden  wir 
bereits  im  october  einen  andern  secretär,  namens  Baron,  tätig  (a.  a.  o.  s.  1027). 
Ferner  lässt  sich  dafür  die  tatsache  geltend  machen,  dass  Loubere  sämmt- 
liche  Staatsverträge  der  Schweiz  sowie  die  beschlüsse  der  schweizerischen 
tagsatzungen  über  Verhandlungen  mit  fremden  mächten  bis  1675  hand- 
schriftlich besass,  über  dies  jähr  hinaus  aber  nicht.  Als  er  einer  der  niain- 
teueurs  der  jeux  floraux  in  Toulouse,  deren  1694  erfolgte  reorgauisation 
wesentlich  auf  ihn  zurückgeht,  geworden  war,  deshalb  in  seine  Vaterstadt 
sich  zurückzog  und  eine  junge  verwante  heiratete,  beschloss  er  seine  biblio- 
thek  oder  doch  einen  teil  derselben  zu  veräussern.  Der  für  diesen  zAveck 
hergestellte  catalog  hat  sich  als  beilage  seiner  correspondenz  mit  Leibniz, 
zu  dem  er  in  folge  seiner  mathematischen  Studien  (M.  Poiteviu  -  Peitavi, 
Memoire  pour  servir  ä  l'histoire  des  jeux  floraux,  Toulouse  1815,  2,  62)  in 
beziehungen  getreten  war,  erhalten:  s.  E.  Bodemanu,  Der  briefAvechsel  des 
G.  W.  Leibniz  in  der  kgl.  bibliothek  zu  Hannover  (1889)  s.  127.  Er  besteht 
aus  einem  quartbogen,  von  dem  sechs  selten  und  eine  halbe  zweispaltig 
bedruckt  sind  und  der  350  nummern  in  folio,  61  iu  quart,  94  in  octav  und 


G2  STETNMEYER 

von  Notkers  Psalter.  Er  gestattete  1697  nach  anfänglichem 
zögern  auf  Mabillons  bitten  hin,  dass  sie  für  Schilter  ein  ge- 
wisser Schott  (Jahresbericht  1903,  6,27)  in  Paris  copieren  durfte. 
Diese  copie  gelangte  dreissig  jähre  später  im  ersten  bände  von 


duodez  verzeichnet,  darunter  manche  mss.,  aber  nicht  den  uns  interessie- 
renden Notker.  Der  titel  lautet:  Catalogue  /  des  Ihres  /  de  31.  D.  L.  L. 
(von  Leibniz  handschriftlich  ergänzt  zu  Mr.  De  La  Loubere)  j  Qni  se 
vctidront  an  plus  offrant  &  dernier  encherisseur ;  A  Paris  an  /  College  des 
Trois  Eveques,  Place  de  Cavilray,  23>'^^s  la  Fontaine  de  S.  Benoist,  /  le 
Liindy  8.  May,  &  aiitres  jours  suivans,  ä  deux  heures  de  releree.  Die 
2)lace  oder  terre  de  Camhray,  welche  heute  nicht  mehr  existiert,  wurde 
von  einer  ausbiichtung  der  nie  St.  Jacques  hinter  der  kirche  St.  Benoit  ge- 
bildet. An  diesem  platze  lag  das  College  de  Camhray,  mitunter  auch  College 
des  trois  evegues  genannt:  dort  hielten  einige  Juristen  ilu-e  Vorlesungen 
(Nouvelle  descriptiou  de  la  France,  tome  secoud  par  Pigauiol  de  la  Force, 
Amsterdam  1719,  s.  119).  Der  auctionscatalog  entstammt  dem  jähre  1702. 
Denn  s.  5b  werden  darin  genannt  Gazettes  des  Amiees  16S6.  88.  00.  Ol. 
92.  93.  99  &  1700;  im  ersten  decenuium  des  IS.jh.'s  fiel  der  8.  mai  nur 
1702  auf  einen  montag ;  endlich  finden  sich  unter  fol.  238  aufgeführt  Traites 
des  Stusses  arec  la  France,  &  avec  les  aidres  Princes,  5.  vol.  31.  S.  Mit 
diesen  fünf  bänden  beschenkte  Loubere  Leibniz  zur  gegengabe  für  den 
ersten  band  von  dessen  Codex  jims  gentium  am  31.  august  1702;  in  der 
beilage  seines  briefes  von  diesem  tage  beschreibt  er  sie  folgendermassen: 
Deux  tomes  en  alleman  3Iss.  de  tous  les  Traittez  des  Suisses  entreux  et 
auec  tous  les  Princes  Etrangers  Jusqu'en  1Ü75  aulant  cpi'tl  a  ete  possihle 
d'en  trouuer.  Trois  auires  uolumes  en  alleman  Mss.  oh  sont  exlraits  des 
Peces  des  dietes  des  Suisses  sous  les  articles  de  leur  ncgotiations  auec  la 
France  princijialement  et  aidres  Potentats  depuis  Tan  1498  jusguen  1675. 
Sie  werden  zu  den  unverkauft  gebliebenen  resten  gehört  haben;  denn  dass 
die  Versteigerung  wirklich  stattfand,  ergibt  der  Wortlaut  von  Louberes 
schreiben:  Je  me  suis  depuis  5.  ou  6.  ans  ahsorhe  dans  les  soins  de  mes 
affaires  domesligues.  Cela  eiait  necessaire  pour  reparer  les  breches  qu'auoit 
failtes  ä  ma  fortune  une  negligence  ou  pour  mieux  dire  un  oubli  de  30. 
annees.  J'ay  encore  pour  4  ou  5  inois  de  trauail,  mais  ceriainement  je 
wen  ay  pour  dauantage,  et  apres  cela  je  donneray  le  reste  de  ma  nie  ä 
7nes  amis  et  ä  mon  cabinet.  J'ay  retranche  beaucoup  de  mon  ca- 
hinet,  mais  je  ne  pjretens  pias  auoir  retranche  de  mes  amis.  Aus  Leib- 
uizeus  antwort,  deren  concept  vom  6.  november  1705  datiert  ist,  sei  der 
satz  ausgehoben:  3Ions.  Schilter  qui  cstoit  occupe  ä publier  vostre  Kotgerus 
avec  son  Otfridus  est  mort.  je  ne  sag  si  quelcun  est  et  Strasbourg  qui  en 
pwurra  prendre  soin.  —  Nicht  ganz  uninteressant  wäre  vielleicht  ein  auf- 
schluss  über  die  grundlage  von  Uhlands  bemerkung  in  seinem  briefe  vom 
17.  mai  182 L  an  Lassberg  (Briefwechsel  ed.  Pfeiffer  s.  18):  'unter  den  hier 
zurückfolgenden  collektaueen  findet  sich  ein  citat:  Epist.  ad  D"'""  de  la 
Loubere,  regis  Galliae  apud  Confeder:  Helvet:  Oratorem,  Soloduri.' 


NOTKERS   PSALTER.  G3 

Scliilters  Thesaurus  zum  abdruck.  Aber  ehe  Schotts  manuscript 
an  seinen  auftraggeber  abgesaut  war,  hatte,  noch  im  jähre  1G97, 
Rostgaard  es  sich  abschreiben  lassen  und  später  mit  der  für 
Loubere  genommenen  Originalabschrift  verglichen:  daher  besitzt 
sein  jetzt  zu  Kopenhagen  als  no.  2066.  4'^  der  gamle  kongelige 
samling  aufbewahrtes  exemplar  entschiedene  Vorzüge  vor  Scliil- 
ters druck.  Für  diejenige  St.  Galler  hs.,  aus  welcher  Louberes 
und  Scliilters  text  stammte,  sahen  Wackernagel  und  andere 
den  noch  erhaltenen  Sangallensis  21  an.  Hingegen  bemühte 
sich  Kelle,  Hattemers  spuren  folgend,  in  seiner  academischen 
abhandlung  Die  St. Galler  deutschen  Schriften  und  Notker  Labeo, 
München  1888,  s.  207 — 216  =  3 — 12  des  Separatabdrucks  und 
ausführlicher  in  seinen  Untersuchungen  zur  Überlieferung,  Über- 
setzung, grammatik  der  Psalmen  Notkers  (Berlin  1889)  s.  1— o4 
darzutun,  dass  Louberes  und  damit  auch  Rostgaards  und  Schil- 
ters quelle  die  jetzt  verschollene  mutterhs.  jenes  Sangallensis 
gewesen  sei.  Widerspruch  gegen  Keiles  beweisführuug,  deren 
ergebnis  in  seine  LG.  1,  240  —  243  übergieng,  ist  meines  Wissens 
nicht  laut  geworden,  vielmehr  stimmten  ihr  nicht  wenige  ge- 
lehrte rückhaltlos  zu,  so  Köge],  Centralbl.  1889,  sp.  1313;  LG. 
1,  2,  607  und  Grundriss  2^  144;  Seemüller,  Zs.  f.  öst.  gymn.  1889, 
s.923f.;  Behaghel,Literaturbl.  1891,  sp.52  f.;  Rannow,DLZ.1891, 
sp.  1345.  Auch  ich  erklärte  mein  einverständnis  im  Anz.  fda. 
17,  330  f.  und  in  den  Ergebnissen  und  fortschritten  (1902)  s.  208. 
Ernstere  bedenken  stiegen  mir  erst  auf,  als  ich  im  sommer 
1905  für  die  zwecke  des  Ahd.  wb.'s  den  Psaltertext  abschrieb 
und  ihn,  zur  erzielung  möglichster  Zuverlässigkeit,  mit  Hatte- 
mers und  Schilters  ausgaben  von  wort  zu  wort  verglich:  in 
zahllosen  fehlem  und  graphischen  eigentümlichkeiten  stimmten 
Schilter  und  der  Sangallensis  derrnassen  überein  und  wichen 
so  minimal  von  einander  ab,  dass  an  eine  vom  Sangallensis 
verschiedene  vorläge  für  Schilter  zu  denken  angesichts  der 
notorischen  änderungslust  mittelalterlicher  Schreiber  gewagt 
erscheinen  musste.  Meine  zweifei  wuchsen,  als  ich  im  märz 
vergangenen  Jahres  das  Kopenhagner  manuscript  einzusehen 
und  im  august  unterschiedliche  stellen  des  Sangallensis  nach- 
zuprüfen gelegenheit  fand.  Wenn  ich  indessen  jetzt  den  nach- 
weis  antrete,  dass  als  vorläge  für  Loubere  bez.  für  Rostgaard 
und  Schilter  nur  der  St.  Galler  codex  21,  nicht  irgend  ein 


64  STEINMEYER 

doppelgäuger  von  ihm,  in  frage  kommen  könne,  so  gescliielit 
das  nicht  um  der  constatiening  dieser  an  sich  höchst  gleich- 
giltigen  tatsache  willen,  sondern  weil  alsdann  die  von  Kögel 
a.a.O.  seiner  LG.  formulierte  philologische  pflicht:  'für  eine 
kritische  ausgäbe  des  Psalters  muss  also  R*  [=  Rostgaards 
abschritt]  seite  für  seite  verglichen  und  ausgenutzt  werden' 
uns  nicht  mehr  obliegt.  Ich  werde  mich  tuulichster  kürze 
befleissigen;  Vollständigkeit  der  belege  liegt  daher  nirgends 
in  meiner  absieht,  i) 

I.  S.  28—31  seiner  Untersuchungen  zählt  Kelle  mehr 
denn  200  stellen  auf,  an  welchen  die  lesart  von  RSch  =  X 
den  Vorzug  vor  derjenigen  von  SG  verdiene:  daraus  folgert  er, 
dass  X  nicht  aus  SG,  sondern  nur  aus  dessen  mutterhs.  ge- 
schöpft haben  könne.  Da  man  diese  Stellensammlung  allgemein 
als  beweiskräftig  angesehen  zu  haben  scheint,  so  muss  sie  bis 
ins  einzelne  nachgeprüft  werden.  Ich  verbinde  damit  die  be- 
sprechung  verschiedener  von  Kelle  nicht  behandelter  lesarten 
und  ziehe  des  öfteren  eine  dem  17.  jh.  angehörige  copie  des 
SG  bei,  welche  der  St.  Galler  codex  12862)  enthält. 

1.  Eine  reihe  der  angeblich  schlechteren  lesarten  von  SG 
beruht  auf  lesefehlern  Hattemers  (die  zahlreichen  von  Piper 
in  den  text  neu  eingeführten  Irrtümer  können  uner^vähnt 
bleiben).  Ps.  34,  9  (118, 4)  freimit  (nicht  f reimet)  SG  =  X,  1286. 
—   Ps.  34, 17  (120, 13)   tiiöst  (nicht  tuös)   SG  =  X,  1286.   — 


1)  R  bezeiclinet  Rostgaards  abschrift,  Seh  Scliilters  druck,  SG  den 
Sangalleiisis  21,  WN  den  Wiener  Notker,  X  Louberes  verlorene  copie,  so- 
Aveit  sie  sich  aus  der  Übereinstimmung  von  R  und  Seh  erschliessen  lässt. 
Zahlen  in  klammern  gehen  auf  Pipers  ausgäbe. 

2)  Leider  ist  der  wert  dieser  bei  Ps.  117,  8  abbrechenden  abschrift  für 
meinen  zweck  geringer,  als  er  sein  könnte:  denn  nur  ihr  erster  Schreiber, 
der  bis  bl.  3ß4a  tätig  war,  berücksichtigte  die  zwischenzeiligen  glossen. 
Die  vielfach  durch  beschneiden  geschädigte,  mit  352  auf  dem  dritten  blatt 
beginnende,  mit  487  schliessende  foliieruug  zeigt,  dass  nur  der  rest  einer 
umfänglicheren  hs.  vorliegt,  deren  Wasserzeichen  ein  undeutlicher  heral- 
discher adler  bildet.  Zwischen  jedes  blatt  ist  ein  unfoliiertes  leeres  von 
stärkerem  papier  mit  einem  doppeladler  als  Wasserzeichen  eingezogen, 
dessen  äussersten  rand  eine  nicht  gerade  von  sonderlicher  kenntnis  der 
ahd.  spräche  zeugende  präparation  zu  dem  jeweils  gegenüberstehenden 
Kotkerabsehnitt  einzunehmen  pflegt:  darin  werden  zweimal  glossen  aus 
Eckharts  Francia  orieutalis  citiert. 


NOTKERS    PSALTER.  65 

Ps.  34, 25  (122, 22)  wurde  nicht  clannc  zu  da^  ne  corrigiert, 
sondern  umgekehrt  da^  ne  zu  danne;  dies  danne  weisen  auch 
X,  WN,  1286  auf.  —  Ps.  40, 14  (153,  8  f.)  Fiat  fiat.  So  fare  iz. 
so  fare  iz  SG  wie  X.  —  Ps.  42,3  (158,24)  hat  SG  unter  dem 
e  von  dien  einen  deutlichen  tilgungsstrich,  stimmt  also  mit  X 
idtn)  überein.  —  Ps.  44,  5  (169, 10)  und  44,  8  (170, 12)  weicht 
SG  mit  mdmmendi  (nicht  mdmcnti)  und  uisihili  (nicht  uisibile) 
von  X,  1286  nicht  ab.  —  Ps.  48,  20  (188, 16)  Er  (nicht  Et)  gät 
Idna  SG,  X,  1286.  —  Ps.  59,  2  (226,  8)  fehlt  Sohal  nur  bei  Hat- 
temer,  nicht  in  SG.  —  Ps.  75,3  (304,4)  hat,  wenigstens  nach 
Piper,  auch  SG  frido.  —  Ps.  77,  54  (320, 13)  heiligen  (nicht 
heilgen)  SG  =  X,  1286.  —  Ps.  77,  66  (322,  27)  testamenti  (nicht 
testamentum)  SG  =  X,  1286.  —  Ps.  88,12  (368,23)  erda  fehlt 
in  SG  über  terra  nach  Piper  nicht.  —  Ps.  92  prooem.  (391, 13) 
imas  SG  =  X.  —  Ps.  94,  3  (399,  21)  gratia  (geschrieben  gra) 
SG  =  X.  —  Ps.  96, 10  (408, 1)  lianden  (nicht  Jiandon)  SG 
nach  Piper  =  X.  —  Ps.  112,  3  (484,  9)  sizzentem  SG,  X,  1286. 

—  Ps.  118K,  73  {^l'^^lQi)  plasmaiierunt  (mcht  psalmauerunt) 
SG  =  X.  —  Ps.  138, 13  (578, 14)  JDaz  ist  (nicht  ih)  SG  =  X. 

—  Cant.  Abac.  10  (622,3)  populi  (geschrieben  xjpli,  von  Hat- 
temer  als  apli  =--  aiwstoli  verlesen)  SG  ^  X.  —  Cant.  Abac. 
16  (623,  21)  unde  si  (nicht  sie)  uuerde  SG  =  E,  sie  Seh.  • — 
Cant.  Abac.  17  (623, 32)  bietet  auch  SG,  nicht  bloss  X,  den 
durch  AVN  bestätigten  Wortlaut  Baz  sie  dö  (nicht  so)  gcMezen. 

2.  Eine  weitere  reihe  der  angeblich  schlechteren  lesarten 
von  SG  beruht  auf  irrtümern  Keiles.  Ps.  15, 3  (40, 27)  hat  X 
Dominus,  während  dafür  in  SG  omnes  (1286  oes)  steht;  omnes 
ist  das  richtige,  wie  die  deutsche  widergabe  mit  alle  mine 
uuillen  erweist.  Dominus  entstand  aus  falscher  auflösung  der 
abbreviatur  für  omnes.  —  Ps.  33, 1  (112,3)  ist  vor  fristot  am 
zeilenscliluss  ant  in  SG  ausradiert;  in  uuirt  fristot  gehen  also 
SG,X,  1286  zusammen.  —  Weshalb  Ps.  34, 10  (118,15)  das 
sinnlose  chripsent  von  X  den  Vorzug  vor  chripfent  von  SG 
verdienen  soll,  begreift  man  nicht.  —  Ps.  44, 12  (172,8)  hat 
SG  die  Worte  äne  fleccJieti  nicht  in  den  text  gezogen,  sondern 
bringt  sie  gleich  X  interlinear:  Absqiie  mucula  {äne  fJecchen). 
ahsque  ruga  {äne  rünzun).  uuile  er  dih  sin.  —  Auch  Ps.  55, 10 
(213,  26)  und  61,  8  (233,  9)  weicht  SG  mit  sceinest  du  daz  du 
und  mit   dar  die  nicht  von  X  ab.    —    Ps.  72, 15  (290,  2)   hat 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXII.  5 


66  STEINMEYER 

SG  das  e  von  lüde  zu  o  corrigiert,  stimmt  sonacli  mit  X 
iiberein.  —  Ps.  89,  7  (378,  25)  teilt  R  den  fehler  in  ander  man 
mit  SG;  erst  Seh  setzt  aus  richtiger  conjectur  ein.  —  Ps. 
102, 19  (431, 19)  ^e  zeseuimn  sinis  fater  und  103,  3  (433,  8  f.) 
diu  gehot  minno  differieren  SG  und  X  nicht;  nur  liest  Seh 
an  der  ersteren  stelle  zesmiiin.  —  Ps.  7,  8  (18,  6).  37,  4  (135,  26). 
73, 17  (297, 18  f.)  steht  in  SG  nicht  uroge,  sonetdge,  unfroten, 
sondern  üroge,  sone  tage,  unfrbtcu]  und  wenn  auch  an  dem 
ersten  dieser  orte  das  übergeschriebene  v  jünger  ist,  so  war 
es  doch  längst  vorhanden,  als  Louberes  abschrift  genommen 
wurde,  sodass  es  gleich  den  übrigen  o  (Ps.  10, 5  (32, 14)  he- 
sochet,  Ps.  18,8  (58,22)  froten,  Ps.  33,21  (115,16)  behotet)  in 
ou  oder  uo  auflösung  erfuhr. 

3.  In  einer  anzahl  von  fällen  weicht  nur  E  von  SG  ab, 
während  Seh  mit  diesem  übereinkommt.  Ps.  34, 7  (117, 17) 
beusculden  SG,  Seh,  heunscidden  R,  aber  das  erste  n  ist  mit 
einschaltezeichen  übergeschrieben,  und  am  rande  steht  'sie'. 
—  Ps.  34, 16  (120, 1)  Jcestuncte  SG,  Seh,  kestungte  R,  g  viel- 
leicht aus  c  corrigiert.  —  Ps.  37, 9  (137, 15)  füe  SG,  Seh,  filo  R, 
0  aus  correctur.  —  Ps.  45,  3  (174,  23)  ne  dorfton  (nicht  dorften) 
SG,  Seh,  1286,  ne  dürften,  das  letzte  e  aus  correctur  R.  —  Ps. 
54,17  (209,11)  cristane^)  SG,  Seh,  cJiristane  R.  —  Ps.  63,9 
(241,  3)  Jcesähen  SG,  Seh,  Icesehen,  e  aus  correctur  R.  —  Ps.  64,  5 
(243,  8)  iruelelost  SG,  Seh,  1286,  iruueletost  R.  —  Ps.  67,  5 
(253^101)  Cantate  SG,  Seh,  CaniahoB.  —  Ps.  67,  29  (260,22) 
din  uirtiis  SG,  Seh,  diu  iiirtus  R.  —  Ps.  68,  4  (264,  7)  urdrüzzi 
SG,  Seh,  irdruzzi  R.  Vgl.  Ps.  15, 10  (43,  9),  wo  SG,  X  in  ur- 
druzzi  übereinstimmen;  Ps.  118  D,  28  (507,25).  118  G,  53  (515,2) 
steht  sogar  ürdrüzedo,  vrdrüzeda.  —  Ps.  100, 4  (417,  21)  uuülo 
SG,  Seh,  uuille,  e  aus  correctur  R.  —  Ps.  101,  24  (425,  26)  un- 
zint  SG,Sch,  unsint  R.  —  Ps.  103,18  (438,11)  murmenti  SG, 
Seh,  murmento  R.  —  Ps.  104,  36  (448,  30)  sluögh  SG,Sch,  Slüog, 
darauf  rasur  von  h  R.  —  Ps.  105, 13  (453,  7)  säligcheit  SG, 
Seh,  säligheit  'R.  —  Ps.  118  de  psalmis  graduum  (544,18) 
iiuorchta  SG,  Seh,    uiiorhta  R.    —    Ps.  138,4   (576,23)   mina 


1)  Unterschiede  zwischen  SG  und  Seh,  welche  der  häufige  gebrauch 
grosser  anfangsbuchstaben  und  der  mangel  der  accent-  und  längezeichen 
in  Seh  verursacht,  Hess  ich  unberücksichtigt. 


NOTKERS   PSAI/rER.  67 

uucga  SG,  Seh,  mine  uuega  R.  —  Ps.  138,  20  (579, 24)  iro 
folgeärra  SG,  Scli,  irro  folgeärra  E.  —  Cant.  Ezecli.  10  (610, 15) 
däcta  SG,  Seh,  dähfa  R.  —  Cant.  Annae  3  (614, 13)  iüuuerro 
SG,  Seh,  iimuero  R.  —  Symb.  Äthan.  6  (640,  31)  hegrifen  SG, 
Seh,  hegriffen  R.  —  Symb.  Äthan.  38  (644, 10)  irgehen  SG,  Seh, 
ir gäben  R.  Hierher  gehört  auch,  wenn  Ps.  61, 1  (231, 18)  für 
transilientem  nherstrkchenten  SG,  Seh  in  R  uhers  :  ricclienten 
erscheint,  oder  wenn  Ps.  17,  34  (53,27)  statt  liimele  SG,  himelo 
Seh  in  R  Mmela  auftritt  (es  handelt  sich  nicht  um  einen  acc. 
pl.,  wie  Kelle  s.  101  der  Untersuchungen  meint,  sondern  um 
einen  dativ  sg.).  Die  grosse  mehrheit  dieser  fälle  machen  teils 
offenbare  fehler  von  R  aus,  daher  entstanden,  dass  Rostgaard 
(wie  Kelle  selbst,  Untersuchungen  s.  10,  einräumt  und  belegt) 
das  elaborat  seiner  Schreiber  nicht  aufmerksam  genug  revi- 
dierte, teils  änderungen  mit  der  tendenz,  vermeintlichen  oder 
wirklichen  versehen  abzuhelfen  und  üblichere  formen  einzu- 
führen. Hätte  beispielsweise  die  mutterhs.  von  SG  Ps.  104,  36 
slaog,  wie  R  corrigiert,  oder  Cant.  Ezech.  10  dähta,  wie  R 
aufweist,  enthalten,  wie  wollte  man  es  sich  erklären,  dass  un- 
abhängig von  einander  zwei  Schreibern,  sowol  dem  alten  von 
SG  als  dem  modernen  Schilters,  die  selteneren  und  eigentüm- 
licheren formen  sluögli  und  däcta  in  die  feder  gekommen 
wären?  Ich  muss  überall,  wo  SG  und  Seh  gegen  R  zusammen- 
stehen und  wo  für  Seh  nicht  ein  streben  nach  normalisierung 
sich  wahrscheinlich  machen  lässt,  die  Schreibweise  von  SG, 
Seh  für  ursprünglicher  erachten. 

4.  Mehrere  der  vorgeblich  minderwertigen  lesarten  von 
SG  erweisen  sich  aber  bei  genauer  Überlegung  als  ursprüng- 
licher, die  scheinbar  besseren  von  X  hingegen  als  willkürlich 
geändert.  Ps.  41,  2  (153,  22  ff.)  lieisst  es  in  SG:  unsih  mügcn 
dürstege  imerden.  dero  getstUchun  Idbo.  dm  föne  chrisfo  cliümet. 
der  fons  refectwnis  ist]  über  den  drei  letzten  werten  steht 
interlinear:  pnmno  urstendi  ist.  In  X  lautet  indessen  der 
letzte  Satzteil:  der  fons  resurrectionis  ist,  und  resurrectionis 
zieht  Kelle  darum  vor,  weil  es  allein  zu  der  deutscheu  Über- 
setzung urstendi  passe.  Was  soll  man  sich  aber  unter  'einem 
bruunen,  einer  quelle  der  auferstehung'  vorstellen?  Eine 
weibermühle  vielleicht?  Dass  an  unserer  stelle  nur  fons  re- 
fectionis,  nachgebildet  der  ac[ua  refectionis  des  Psalms  22,  2, 

5* 


68  STETNMEYER 

eclit  und  möglich  ist,  erhellt  sowol  aus  WN  (136,9):  derdir 
ist  ein  hrunne  dera  lahimga,  als  aus  dem  von  Henrici  s.  118, 2 
aus  Cassiodor  beigebrachten  quellenbeleg:  fons  auteni  aquanim 
Christus  est  dominus,  unde  omnia  fluunt,  quaecunque  refi- 
ciunt.  Der  inteiiinearglossator  hat  also,  verführt  von  der 
graphischen  ähnlichkeit  beider  worte,  refectionis  für  resurrec- 
tionis  genommen  und  demgemäss  verdeutscht.  Ganz  der  gleiche 
lapsus  lief  dem  redactor  von  WN  unter,  als  er  die  Psalmstelle 
146,9,  welche  SG  (599, 13  f.)  in  der  fassung:  Also  ist  is  nu 
gefdren  fdiis  incredulorum.  die  cqlesti  refectione  gesögen  uuer- 
dent  überliefert,  widergab  mit  (342, 5  ff.):  also  is  nu  gifaren 
ist.  dei  chint  dera  unglouhigen  deidir  mit  dera  himilisgen  ur- 
stendi  gizogen  uuerdent.  Dieser  interlinearglossator  hat  auch 
sonst  sich  versehen  zu  schulden  kommen  lassen:  er  schrieb 
z.  b.  Ps.  107,  3  (466, 11)  über  den  durch  WN  bestcätigten  text: 
in  quinquagesimo  VI  psalmo  die  worte:  an  deus  repidisti.  Sie 
stammen  aber  aus  Ps.  59,3:  seinen  irrtum  veranlasste  Ps.  107,14 
(468, 11).  X  aber,  das  an  der  Übersetzung  von  refectionis  mit 
urstendi  denselben  anstoss  wie  Kelle  nahm  und  dem  im  lauf 
seiner  arbeit  resurrectio  urstendi  häufig  vorgekommen  war, 
ersetzte  refectionis  durch  resurrectionis.  —  Ps.  65, 10  (248, 15) 
ignisti  nos  sicut  ignitur  argentum  verdient  ignitur  (geschrieben 
ignit)  von  SG  unbedingt  den  vorzug  vor  ignitum  von  X.  Denn 
ignitur  ist  eine  von  Augustin,  Enarrationes  in  psalmos  zu 
dieser  stelle  (Migne  36, 796)  überlieferte  Variante  der  Itala; 
wir  wissen  aber  zur  genüge,  wie  stark  der  Notkersche  Psalmen- 
text mit  italischen  elementen  durchsetzt  war.  —  Ps.  89,  13 
(381,  11  ff.)  bietet  SG  durchaus  angemessen  das  folgende: 
Vuird  eteuuaz  trühten  hdra  ze  uyis  pecheret.  ennan  föne  dinemo 
dnden.  an  denio  du  auersus  (darüber  ddnabecMrit)  pist:  ich 
verstehe  nicht,  wie  Kelle  hier  den  Schreibfehler  adversus,  den 
X  aufweist,  vorziehen  kann.  —  Ebenso  wenig  begreift  sich, 
dass  er  Ps.  92,  4  (392,22)  in  dem  satz:  Daz  nieman  diu  here 
martyrum  gerüohon  nemag  das  sinnlose  getriiohon  (nicht  ge- 
trüohen)  von  X  für  richtiger  erklärt,  während  allein  gerüohon 
'zählen'  in  den  Zusammenhang  passt.  —  Ps.  134, 18  (569, 17  ff.) 
lautet  in  SG:  Daz  sint  die.  die  nicht  nehdhent  oculos  fidei.  noh 
aures  aiidiendi.  Statt  fidei  liest  man  in  X  videndi;  da  dies 
eine  schöne  parallele  zum  folgenden  audiendi  zu  bilden  scheint, 


NOTKERS   PSAT/rER.  69 

SO  hält  es  Kelle  für  ursprüng-liclier.  Leider  ist  es  nichts  als 
eine  willkürliche  conjectnr.  Denn  Augustin  (Henrici  s.  341, 21) 
sagt:  oculos  hahent  et  non  vident;  hahent  enim  oculos  corporis, 
sed  non  hahent  oculos  fidei.  Dasselbe  fidei  setzt  WN  (313,  8) 
mit  seiner  Übersetzung  dei  oiigen  dera  gJouha  voraus. 

Schon  einige  mal  wurde  der  Wiener  text  subsidiär  heran- 
gezogen. Er  entscheidet  auch  sonst  zuweilen  für  SG  gegen  X. 
Zwar  Ps.  23,  7  (75,  21)  braucht  man  in  dem  satz  nmncre  uitia 
(darüber  ächuste).  die  iiili  sc  iöde  leitent  zur  Verteidigung  des 
die  von  SG  gegenüber  dem  neutrum  diu  von  X  nur  auf  das 
vorangehende  iümicrc  hinzuweisen  und  WN  (66,  1)  iuimera 
achusti.  die  iuuuih  20  tode  leitent  nicht  zu  hilfe  zu  rufen.  — 
Aber  Ps.  9,  7  (24,  4)  schützt  WN  (21, 14)  das  einfache  ciuitatcs 
von  SG,  während  X,  wol  auf  grund  der  Vulgata,  hinzugefügt 
hat  coriim.  —  Ps.  33,  5  (112,  21  f.)  nals  Goldes  unde  rlhtudmes 
SG  und  WN,  dagegen  vertauscht  X  unde  mit  aide.  —  Ps.  36,  33 
(133, 12)  in  maniis  eins  SG,  WN,  in  numihus  eins  X,  widerum 
nach  der  Yulgata.  —  Ps.  37,  5  (136, 1—4)  lautet  in  SG:  Quo- 
niam  iniquiiates  meQ  siqyergresse  sunt  ca^nit  meum.  Vnde  föne 
diu.  uuanda  tntniu  unrelit  überstigen  min  ho  übet.  Batio  ist  daz 
hoiibet.  did  uberuuant  das  unrelit  in  paradyso.  Sowol  der  Zu- 
sammenhang als  die  parallele  Ps.  7, 17  (20,  2—4)  erweist  die 
richtigkeit  des  accusativs  diä  (bezüglich  auf  Ratio)  gegenüber 
dem  nominativ  diu  von  X.  Und  denselben  accusativ  dia  finden 
wir  in  WN  (119,  29).  —  Ps.  37, 13  (138,  22)  darinne  SG,  dainne 
WN  :  darumbe  X.  —  Ps.  49, 18  (193,  3)  bin  ich  darum  geneigt, 
der  Übereinstimmung  von  SG,  WN  in  stuende,  während  X 
stüonde  hat,  einigen  wert  beizumessen,  weil  an  der  einzigen 
vergleichbaren  stelle  Ps.  105,  23  (454, 14)  ein  stnonde  von  WN 
das  stuönde  von  SG  reflectiert.  —  Ps.  106, 40  (465,  7)  steht  in 
SG  concupisccntiis,  in  X  concupiscentias:  nicht  nur  der  Zu- 
sammenhang, sondern  auch  die  deutsche  widergabe  mit  muöt- 
uuillin  SG,  mit  in  den  gegiredon  AVN  spricht  für  den  dativ. 

5.  Ich  reihe  mehrere  stellen  an,  welche  sich  unter  andere 
kategorieu  nicht  gut  unterbringen  lassen.  Ps.  34, 8  (118, 1) 
verdient  in  Substantivcomposition  die  form  urlosa  SG  vor  irlosa 
X  den  Vorzug,  vgl.  urlösi  Ps.  44,  3  (168, 14)  und  das  oben  unter 
8.  zu  Ps.  68,4  bemerkte.  —  Heisst  es  Ps.  34, 11  (118,23)  in 
X  föne  diu  ih  neimissa,  während  SG  das  Personalpronomen 


70  STEINMEYER 

fortlässt,  so  muss  die  normwidrige  Stellung  des  verbs  (statt 
neuuissa  ih)  befremden;  vermutlich  wurde  X  durch  das  voran- 
gehende diu  ih  neuuissa  (118,211)  zur  einschmuggelung  des 
pronomens  verleitet.  —  Ps.  36,  6  (128,  2)  gibt  SG  quoadiisque 
ucniat  dominus  mit  unz  Got  cJiunt  wider,  d.  h.  mit  dem  in- 
dicativ  praes.,  demselben,  der  gleich  darauf  (128, 4)  zur  Über- 
setzung von  erit  verAvendet  wird.  Auch  sonst  zuweilen  dient 
der  indicativ  praes.  nach  gleichwertigem  donec  als  äquivalent 
eines  lat.  conjunctivs  praes.:  so  Ps.  140, 10  (585, 10)  donec 
transeam  unz  ih  irstirho,  57,  8  (219,  26)  donec  infirmentur  unz 
sie  geuiieichent.  AVenn  X  dafür  cJium  aufweist,  eine  bei  Notker 
unerhörte  form  des  conjunctivs  (ausnahmslos  gilt  chome),  so 
werden  wir  darin  eine  zur  herbeiführung  scheinbarer  harmonie 
mit  dem  lat.  conjunctiv  von  X  vorgenommene  Veränderung 
des  seltenen  indicativs  chunt  zu  sehen  haben.  —  Dass  Ps.  63,  2 
(238, 18)  das  deutsche  sie  von  X  vor  dem  lat.  sie  von  SG-  den 
Vorzug  verdient,  ist  möglich,  vgl.  stellen  wie  Ps.  73,  22  (300, 5). 
118  F,  43  (512,12),  aber  nicht  unbedingt  nötig;  doch  selbst 
angenommen,  sie  sei  falsch,  so  könnte  sie  für  eine  leichte  con- 
jectur  in  der  art  der  unter  6.  aufzuführenden  gelten.  —  Ps. 
80,3  (333,22)  steht  in  SG  ein  undeutliches  uuerltclü  (c  aus 
oder  zu  l  corrigiert)  über  carnale;  für  die  drei  letzten,  aus 
-lieh  verschriebenen  buchst aben,  denen  es  keinen  sinn  ab- 
gewinnen konnte,  setzte  X  dinc  aus  der  vorhergehenden  inter- 
linearglosse  Jceistlieh  dinch  ein.  Dem  stil  des  glossators  hätte 
diese  widerholung  des  begriffs  indessen  kaum  entsprochen, 
wenn  man  nach  den  analogien  Ps.  11,  9  (34,  29).  13,  5  (38, 14  f.). 
38,  5  (141,  29  f.)  schliessen  darf.  —  Ps.  88, 10  (368,  9)  hat  SG 
den  Singular  dominaris  potestalis  maris,  X  den  ])\m'cd  ^^otestates. 
Dass  der  siiigular  durch  den  Singular  der  deutschen  Übersetzung 
dero  mähte  gestützt  werde,  wird  man  angesichts  des  umstandes, 
dass  Ps.  150, 2  (606,  7.  9)  mit  dem  plural  x^otestatihus  (hs.  po- 
tentatihus)  der  Singular  sinero  mähte  correspondiert,  kaum  be- 
haupten dürfen.  Aber  die  Yulgata  construiert  dominari  nur 
mit  genetiv  und  dativ,  nicht  mit  accusativ. 

6.  Xun  bringt  allerdings  X  nicht  wenige  stellen,  deren 
Überlieferung  in  SG  fehlerhaft  ist,  in  verbesserter  gestalt.  Da 
hat  es  aber  keineswegs  ursprünglichere  lesarten  der  vorläge 
bewahrt,  sondern  es  hat  neben  den  schon  mehrfach  behandelten 


NOTKERS   PSALTER,  71 

falschen  auch  richtig-e  correcturen  vorgenommen,  wie  solche 
jeder  nicht  ganz  idiotische  Schreiber  des  17.  jh.'s  vorzunehmen 
fähig  Avar  und  sich  berechtigt  glaubte.  Er  verfuhr  dann  genau 
so  wie  wir  heute  die  Schreibfehler  eines  eigenen  oder  fremden 
concepts  oder  die  druckfehler  eines  buches  bei  seiner  abschrift 
stillschweigend  verbessern;  die  diplomatische  treue  des  mo- 
dernen fachgelehrten  kannte  man  nicht.  Bedarf  es  eines  be- 
weises  für  das  gesagte,  so  liefert  ihn  widerum  der  St.  Galler 
codex  1280.  Diese  copie  des  17.  jh.'s  berichtigt  beispielsweise 
Ps.  2, 12  (7, 12)  (jlesU]]lient  SG,  X  in  gesUphent  (nach  g  rasur 
von  0-  —  Ps.  34,2  (HC,  12)  M  SG,X  in  M/:  —  Ps.  37,2 
(135, 8)  neirefsest  SG  mit  X  in  ne  irrefsest.  —  Ps.  58,  14 
(224, 14)  sehen  SG,  R  mit  Seh  in  seihen.  —  Ps.  65, 14  (249, 14) 
indiere  SG,  R  mit  Seh  in  indigere.  —  Ps.  67, 14  (256, 16) 
cocamha  SG  mit  X  in  coliimha.  —  Ps.  77,  3  (312, 10)  liest  SG 
daz  före  tmas  iz  uox  dei  (Piper,  der  darföre  vermutet,  be- 
hauptet mit  unrecht,  das  s  von  daz  befinde  sich  auf  rasur), 
ebenso  X,  aber  in  R  mit  der  randbemerkung:  'sie.  sed  malim 
ist\  Dies  zutreffend  conjicierte  ist  steht  schon  in  1286.  — 
Ps.  91, 11  (389,25)  uue)-dent  nidergeliget  SG,  X,  dagegen  mVZer- 
geUget  1286.  —  Ps.  92,  4  (392,  20)  imurdenlicho  (übersetzt  mi- 
rahiles;  den  fehler  verursachte  das  unmittelbar  vorhergehende 
miürden)  SG,  tiiiürdenlicho  R  mit  dem  marginalvermerk:  'sie. 
sed  credo  scribendum  uuünderliclw' \  diese  richtige  Vermutung 
teilen  dann  1286  und  Seh.  —  Ps.  105,39  (457,5)  in  aduen- 
tionihus  SG,  X  (R  am  rande:  'scrib.  adinventionibiis')  :  in  adin- 
nenüonih'  1286.  —  Ps.  106,35  (464,4)  terram  sine  aqua  SG, 
gebessert  von  1286  mit  X  zu  aqua.  —  Als  derartige  von  X 
auf  eigene  band  vorgenommene  correcturen  muss  ich  zunächst 
die  Vereinfachung  eines  consonanten,  einer  silbe,  eines  wortes 
ansehen,  welche,  namentlich  bei  zeileu-  oder  seitenbrechuug, 
in  SG  doppelt  auftreten,  z.b.  Ps.  9, 10  (24,27)  arhiheite;  14,4 
(40,6)  hesmchet.  i j  chet]  23,9  (76,7)  leitliende;  30,19  (101,2) 
unjunreht;  59,10  (228,17)  min  Inen;  67,12  (255,20)  michell- 
lero]  101,24  (425,23)  uimöste I j uuuöste]  103,17  (437,17)  stagn!- 
nensis 0;  74,  2  (300,  22)  sdtttost ;  80, 1  (333, 12)  gehalten,  gehalten-, 
82, 6  (343, 17)  töten  töten;  118  0, 105  (527,  2)  meis  meis.   Ferner 


1)  Nicht  eingetreten  ist  yereinfachuüg  iu  uuätltendo  Ps.  136, 1  (572, 12). 


72  STEINMEYER 

den  einsatz  unausgefülirter  initialen,  soweit  er  selbstverständ- 
lich war:  Ps.  68, 1  (262,  25)  {S)elhemo;  69,  6  (274,  24)  {Ä)dmtor- 
71, 1  (282, 13).  73, 1  (293,  5)  {I))iser,  {D)iser.  Oder  innerhalb 
eines  lateinischen  abschnitts  die  vertauschung  eines  deutschen 
Wortes  mit  einem  lateinischen,  richtig-  vielleicht  Ps.  27, 8 
(88, 27).  109,  1  (476, 2),  aber  falsch  54, 20  (209, 26)  die  von 
ist  mit  est,  falsch  auch  52,  2  (226,  5)  die  von  nncle  mit  et.  An 
einzelbeispielen  seien  folgende  genannt:  geändert  wurde  Ps. 
30, 8  (97, 21)  momo  in  homo.  —  Ps.  30, 12  (99, 13)  Das  in 
Bar  (^yN  da).  —  Ps.  31,  7  (104,  28)  cororris  in  corporis.  — 
Ps.  34, 14  (119, 18)  under  (veranlasst  durch  die  folgenden 
endungen  auf  -er:  unser  hruöder)  in  nnde ')  (so  WN).  —  Ps. 
35,  9  (125,  21)  uuertlichi  in  uuerUlichi.  —  Ps.  36,  26  (132, 1) 
commedat  in  commodat  (so  WN).  —  Ps.  38,  9  (147,  8)  die  ad 
nocte  in  die  ac  nocte.  —  Ps.  41, 12  (157,22)  vor  mens  ergän- 
zung-  von  deus,  das  in  SG  ausradiert  war.  —  Ps.  43,  23  (165,  26) 
correctur  von  catacressis  in  catacresis.  —  Ps.  44,  5  (169, 11) 
u.  ö.  von  cuuangelio  in  euangelio.  —  Ps.  44, 15  (173, 6)  von 
tnrJden  in  truhten.  —  Ps.  45,  2  (174,  8)  von  eraft  in  craft.  — 
Ps.  47,  3  (181, 16)  von  dero  in  der.  —  Ps.  48,  9  (185,  27)  von 
mamona  in  mammona.  —  Ps.  49,  3  (189,  26)  von  Des  sceidet  in 
Der  (so  WN)  sceidot.  —  Ps.  54,  5  (207,  5)  von  hoz  in  haz  (das 
richtige  steht  unmittelbar  nachher  zweimal  in  SG).  —  Ps. 
54, 1 5  (208, 27  f.)  von  cum  consensum  in  cum  consensu.  — 
Ps.  59, 1  (225,  21)  von  Ms  in  pro  his,  falls  da  nicht  bloss  an- 
gleichung-  an  die  Vulgata  stattfand.  —  Ps.  61,3  (242, 20  f.) 
von  otionem  in  orationem.  —  Ps.  67,  9  (254, 21)  von  riiüuuo  in 
riüimo.  —  Ps.  68, 16  (267,  21)  von  unguenuitere  in  ungeuuilere. 
—  Ps.  70,11  (278,11)  von  und  in  gewöhnliches  unde.  —  Ps. 
72, 10  (289,  6)  von  gepurperoto  in  gepurpuroto,  beeinflusst  durch 
das  darunter  stehende  purpuratus.  —  Ps.  73, 18  (298, 19)  von 
Vn:uizziger  in  Vnuuizziger.  —  Ps.  73,22  (299,26)  von  causa 
meam  in  causam  nieam.  —  Ps.  74, 9  (302, 17)  von  licliamlidftpo 
in  Uchamhaftro.  —  Ps.  74, 10  (303, 6)  von  ßne  in  finem.  — 
Ps.  76, 18  (310, 13)  von  uuaz  in  iiuas.  —  Ps.  77,  37  (317, 9) 
von  tastamento  in  testamento.  —  Ps.  80,  7.  8  (336,  2.  8.  17)  von 
tiiofi,  gciüoften  in  töuß,  getöuften.    —    Ps.  81,  5  (341, 17)  von 


1)  Dagegen  blieb  Ps.  68, 29  (271, 18)  Aber  statt  Äbe. 


NOTKERS    PSALTER.  73 

terra  in  terrce.  —  Ps.  81,  5  (341,  20  f.)  von  ad  ammiratione  in 
ad  ammirationem.  —  Ps.  86,2  (359,11)  von  imagandria  in 
imaginaria.  —  Ps.  87, 12  (363,  25)  von  perditionem  in  perditione. 

—  Ps.  89,  7  (378,  24)  von  finire  in  finiri:  dass  aber  ftnire  das 
echte  war,  zeigt  Aiigustin  bei  Henrici  s.  238;  das  passiv  wurde 
durch  den  Wortlaut  der  interlinearg-].  daz  iro  ende  uuerde  ver- 
anlasst. —  Ps.  90, 12  (386,8)  von  lajnjdem  tuum  in  lapidcm 
pedcm  inum.  —  Ps.  94,  3  (400,  4)  von  mcnischin  in  mmnischin 
(freilich  darf  dies  Avort  und  die  folgenden  nicht  mit  Graff 
2,  755  und  mit  Kelle  für  einen  dativ,  sondern  muss  für  einen 
genetiv  pl.  genommen  werden,  wie  das  die  reihe  beschliessende 
liörno  beweist,  abhängig  von  stimmo,  parallel  mit  allerslalito). 

—  Ps.  103,  20  (439, 1)  von  criharet  in  crihraret.  —  Ps.  104,  2 
(443,10)  von  tmnülen  in  miülen.  —  Ps.  104,26  (447,21)  von 
moyen  in  moysen.  —  Ps.  105,  46  (458, 13)  von  sih  in  sie.  — 
Ps.  114, 2  (490,1)  von  iingerliorsami  in  iingehorsami.  —  Ps. 
117, 27  (497, 29)  von  ad  interiore  in  ad  interiorem.  —  Ps. 
118  A,  5  (500,  30)  von  Vaz  in  Vuaz.  —  Ps.  118  E,  131  (533, 10) 
von  uff  in  üf  —  Ps.  118  U,  158  (539,  29)  von  menhrontm  in 
membrorum  (derartige  quisqiülien  begegnen  noch  oft).  —  Ps. 
121,  3  (550,  24)  von  ipsii  in  ipsum.  —  Ps.  122,  2  (552, 14).  125,  6 
(557,  3)  von  troherron  und  trogarhon  in  iro  herron,  iro  garhön. 

—  Ps.  147, 20  (602, 4)  von  no  in  noh.  —  Cant.  Exech.  17 
(612, 26)  von  postergum  in  p>ost  tergnm.  —  Cant.  Deut.  26 
(629,  25)  von  cornmuniones  in  communionis.  —  Cant.  Zach.  73 
(636, 12)  von  unz  in  uns  (so  WN).  —  Symb.  Äthan.  23  (642,  20) 
von  cnigheite  in  einighdte  (gleich  darauf  folgt  in  SG  emiglicU). 
Hier  schlägt  m.  e.  auch  ein  der  zusatz  von  in  vor  löhin  in 
der  interlineargl.  Ps.  76, 18  (310, 12  f.)  löhin  unde  in  (über- 
geschrieben) sancJeichen  unde  in  gebetin  über  in  ymnis  et 
canticis  et  orationibus:  denn  Ps.  105,  39  (457, 12 — 14)  lässt 
erkennen,  dass  der  glossator  die  präposition  bald  mit  dem 
latein  widerholte,  bald  gegen  das  latein  ausliess  oder  zusetzte. 

7.  Bei  dem  ganzen  rest  der  angeblich  bessern  lesarten 
von  X  handelt  es  sich  um  orthographische  kleinigkeiten.  Aus 
zwei  gründen  vermag  ich  ihnen  keinerlei  beweiskraft  beizu- 
messen. 

a)  Die  gleichen  graphischen  unterschiede  zwischen  SG  und 
X  treten  sowol  dort  auf,  wo  nach  Keiles  ansieht  X  als  wo  SG 


74  STEINMEYER 

den  Vorzug  verdient.  Ps.  16,6  (44,24).  19,7  (62,7).  24,12 
(79, 2).  88,  7  (367, 16)  hat  SG  durch,  X  dnrh,  dagegen  16, 4 
(44, 15).  118  F,  43  (512, 13)  SG  durh,  X  durch,  und  11,  5  (34,  3) 
steht  durch  in  SG,X.  —  Ps.  21, 12  (68,7)  hat  SG  gesuich,  X 
gesuih,  63, 10  (241, 13)  SG  Gotclich,  X  Gotelih,  aber  43, 19 
(164,12)  SG  geuueih,  X  geuueich,  36,18  (130,11)  SG  süsUh, 
X  süsUch,  51, 4  (200, 2)  SG  Z;wo7?/A,  X  huollich.  —  Ps.  4, 7 
(10,  29).  5,  5  (12, 12)  hat  SG  Hecht,  X  licht,  5,  5  (12, 14)  SG 
unrecht,  X  ünreht,  5, 9  (13, 14)  SG  rechte,  X  reA^e,  hingegen 
13,  5  (38,  9  f.)  SG  forhton,  furhtenne,  X  forchton,  furchtenne, 
118  A,  3  (500,4)  SG  unrcht,  X  unrechte)  Wie  will  man  auf 
grund  dieses  befundes  den  /^^formen  alleinberechtigung  vindi- 
cieren  und  sämmtliche  cA^- formen  für  unrichtig  erklären?  — 
Erwägt  man  weiter  den  willkürlichen  Wechsel  zwischen  d 
und  t,  der  in  X  herscht,  sodass  (gegen  SG)  einerseits  Ps. 
7, 17  (20,  3)  scheidela,  18,  8  (58, 14)  chdd,  19, 4  (61, 18)  uuürde, 
28, 7  (91, 1)  u.  ö.  dieto,  30, 12  (99, 12)  helirnedon,  56, 2  (215,  8) 
scddo,  64,  2  (242,  18)  fridouuardo,  118  C,  21  (505,  26  f.)  mdnig- 
falde,  andrerseits  16,5  (44,211)  gestauten,  44,11  (171,20) 
chmto,  45,2  (174,18)  chäen,  50,10(196,14)  Jcehoreta,  58,6 
(222,91)  irstante,  61,4  (232,14)  hdltentero,  104,23  (447,6) 
lautes,  118  C,  22  (506, 2)  ünuuirdeta  auftreten,  so  wird  man 
den  Schreibungen  von  X  Ps.  70, 17  (279,  21  f.)  eilende  für  SG 
ellente  oder  55,7  (213,3)  uuorte  für  SG  imorde"^)  oder  138,15 
(578, 27)  doufi  für  SG  toufi  keine  bedeutung  beilegen.  —  Eben- 
sowenig Ps.  30, 1  (96, 1 1)  einem  offeno  für  SG  offene  oder 
89,  5  (378, 14)  einem  mdnigosten  für  SG  mdnigöston  angesichts 
der  tatsache,  dass  öfters  in  X  o  steht,  wo  SG  e  zeigt,  und  e, 
wo  SG  0  aufweist:  z.b.  Ps.  41, 11  (157,19)  getruohot,  49,3 
(189,261)  sceidot,  52,2  (202,8)  Vnreino,  und  7,12  (18,29) 
tdgelichcs,  18,  6  (57,  27)  hriütegemo,  44, 18  (173,  26)  prhitigemo, 
22, 4  (73,  20  f.)  gehezzerot,  44, 13  (172,  21)  lohen.  —  Das  gleiche 
gilt  füi'  Sj^mb.  Äthan.  2  (640,  6)  inisselichi  statt  SG  misseliche, 
wenn  man  bedenkt,  dass  X  ebenso  häufig  i  schreibt,  wo  SG 
ein  e,   als  e,  wo  SG  ein   i  hat:   z.b.  Ps.  29,5   (93,9)  fdrin, 


1)  Vgl.  dazu  die  zahlreichen  stellen  im  ersten  achtel  des  Psalters,  an 
denen  SG  und  X  gleichniässig  cht  für  ht  gebrauchen. 

2)  Ps.  lOi,  2  (443, 6)  steht  in  SG  und  X  uuörden. 


NOTKERS   PSALTER.  75 

72,  10  (289,  4)  uuirdent,  aber  7,  15  (19,  19)  hircnt,  39,  13 
(148, 15)  mines.  —  Findet  sich  in  X  Ps.  8,  8  (22,  6)  uueg  für 
SG  imech,  63,  5  (239, 10)  ding  für  SG  dincli,  65,  4  (247,  3)  zur- 
gang  für  SG  zürganch,  65, 17  (250, 17)  purligota  für  SG  jJMr- 
Z/c/iü7a,  70,20  (281,6)  lieduuang  für  SG  heduuancli,  75,2 
(303, 17)  c/«<Mm(/  für  SG  cJiimmch,  77,  31  (316, 19)  liolifcrtig 
für  SG  höhfertich,  79, 11  (330, 24)  wm^^?(/e  für  SG  mäzmche, 
80, 17  (339,  23)  mag  für  SG  mach,  und  umgekelirt  68,  2  (263, 11) 
uuillicho  für  SG  uuüligo,  79, 12  (331, 4)  hechrebct  für  SG  &e- 
^rt'k^,  103,2  (433,4)  heclionda  für  SG  hegönda,  118  K,  77 
(520, 27)  gedanch  für  SG  gedang,  so  lässt  sich  Ps.  71, 6 
(284,  8  f.)  sein  ingieng  für  SG  ingiencli  schwerlich  als  ursprüng- 
licher erweisen.  —  Während  X  Ps.  20, 1  (63,  8).  45,  2.  (174, 6) 
crefte,  crdft  in  Übereinstimmung-  mit  SG  gebraucht,  ersetzt  es 
Ps.  67,  34  (262,  9).  Cant.  Moysi  16  (619,  3)  dessen  crcftc  durch 
das  üblichere  cJirefte;  doch  dieser  Wechsel  büsst  jeden  credit 
ein,  wenn  man  wahrnimmt,  dass  unmittelbar  hinter  der  zu 
zweit  angeführten  stelle  (174,  7.  8)  clirdft,  chreftig  von  SG 
einem  craft,  creftig  in  X  weichen  muss.  —  Wenn  X  Ps.  15,  2 
(40, 24)  sulint  für  SG  sidnt,  48, 3  (184, 22)  anderen  für  SG 
andern,  hingegen  56,  9  (217,  2)  nideni  für  SG  nideren  schreibt, 
so  wird  man  auch  Ps.  44, 11  (171, 24)  seinem  sulen  für  SG 
sidn  und  118  0,19  (503,26)  seinem  geboren  für  SG  geborn 
geringes  vertrauen  entgegenbringen,  zumal  in  SG  sidn  etwa 
dreimal  so  häufig  als  side7i,  sulin  vorkommt  und  die  syn- 
kopierte form  geborn  der  unsynkopierten  mindestens  die  wage 
hält.  —  X  bietet  Ps.  108,  26  (474, 1).  129,  4  (561, 15)  dine  für 
^Q  dina,  118  S,  140  (535,21)  ficnde  für  SG  fienda,  127,5 
(559,22)  tage  für  SG  taga,  dagegen  33, 14  (114,15)  dina  lefsa 
für  SGdine,  55,6  (212,271)  ÄUa  für  SG  Alle,  99,4  (415,25) 
sina  für  SG  sine,  121, 8  (551, 29)  mina  chunnelinga  für  SG 
mine,  Cant.  Moysi  13  (618,20)  sina  für  SG  sine,  ferner  118  S, 
143  (536,  8)  angesta  für  SG  dngeste,  Cant.  Deut.  24  (629,  9) 
hungera  Uir  SG  hungere,  56,9  (217,1)  ehaman  für  SG  chämen: 
also  lässt  sich  auch  Ps.  40,  5  (151, 4)  auf  7mna  für  SG  nüne, 
81,6  (341,26)  auf  Gota  für  SG  Gote^)   nichts  geben.    Man 


^)  Uebrigeus  gehen  SG  und  X  in  den  phiralen  Ps.  63,6  (239,23)  stricche, 
75, 12  (305, 26)  intheizc  zusammen. 


76  STEINMEYER 

kann  nun  freilich  einwenden,  die  hier  verglichenen  consonanten 
und  Yocale  seien  nicht  selten  verschiedener  qualität  und  unter- 
lägen nicht  einheitlicher  beurteilung.  Uns  gegenüber  wäre 
dieser  einwand  berechtigt,  nicht  aber  gegenüber  einem  Schreiber 
des  17.  jli.'s,  der  von  ahd.  grammatik  und  von  historischem  Ver- 
ständnis der  laute  keinen  Schimmer  hatte,  der  auch  beim  ab- 
schreiben sich  nicht  diplomatischer  treue  befleissigte,  sondern 
der,  halb  unbewusst,  durch  die  regeln  der  nhd.  Orthographie, 
durch  die  vocale  benachbarter  silben,  durch  ein  gewisses 
streben  nach  äusserlicher  conformität  beeintlusst  wurde.  Wäre 
Kelle  mit  seiner  ansieht  im  recht,  an  den  von  ihm  eitler ten 
stellen  habe  X  etwas  ursprünglicheres  als  SG  gewahrt,  so 
kämen  wir  zu  der  widersinnigen  annähme,  dass  der  Schreiber 
von  SG  die  gleichen  fehler,  deren  er  sich  gegen  seine  vorläge 
schuldig  machte,  gelegentlich  an  andern  orten  dieser  selben 
vorläge  vorfand  und  dort  berichtigte.  Denn  wir  sind  nicht 
befugt,  einige  der  abweichungen  in  X  von  vornherein  für 
richtig,  die  masse  der  übrigen  für  falsch  auszugeben.  Das 
tut  aber  Kelle  mit  der  motivierung,  nur  die  von  ihm  aus  X 
ausgewählten  formen  entsprächen  dem  brauche  Notkers.  Und 
hier  setzt  mein  zAveites  bedenken  ein. 

b)  Kelle  reglementiert  und  uniformiert  den  formenbestand 
des  SG,  als  ob  es  sich  um  ein  aus  Notkers  eigenen  bänden 
hervorgegangenes  manuscript  handelte;  jedes  abweichen  von 
den  strengen  Vorschriften  Notkers  erklärt  er  für  einen  Schreib- 
fehler, den  entAveder  SG  oder  den  seine  vorläge  begangen 
habe,  SG,  sobald  es  von  X  differiert,  die  vorläge,  wenn  SG 
und  X  übereinstimmen.  Aber  wir  haben  es  nicht  mit  dem 
ursprünglichen  text  des  Psalters  zu  tun,  sondern  mit  einer  um 
ein  volles  Jahrhundert  Jüngern  abschrift,  zwischen  der  und 
dem  original  zahlreiche  mittelglieder  existiert  haben  können. 
Entgegen  der  gleichmässigkeit,  welche  die  sonstigen  Schriften 
Notkers  auszeichnet,  bietet  SG  eine  buntscheckige  musterkarte 
verschiedenartigster  schreibAveisen,  alter  und  junger  formen. 
Diese  differenzen  der  Orthographie,  diese  jungen  formen  sind 
die  spuren,  welche  verschiedene  schreiberiudividualitäten  und 
der  Wandel  der  spräche  während  eines  Jahrhunderts  hinterlassen 
haben.  Zeigt  es  sich  nun,  dass  in  gewissen  besonderheiten 
der  Schreibung,  in  gewissen  modernisierungen  oder  altertüm- 


NOTKERS   PSALTER.  77 

liclikeiten  X  und  SG  an  einzelnen  orten  des  Psalters  zu- 
sammengehen, diese  besonderlieiten  also  schon  der  vorläge 
zuzurechnen  sind,  so  brauchen  wir,  wenn  in  ganz  analogen 
fällen  an  andern  orten  des  Psalters  X  und  SG  auseinander- 
gehen, nicht  zu  schliessen,  dass  hier  X  das  ursprüngliche  ge- 
wahrt, 8G  geändert  habe,  sondern  können  ebensogut  schliessen, 
dass  X  die  seltenere  form  mit  der  üblicheren,  häufiger  auf- 
tretenden vertauscht,  kurz  dass  es  normalisiert  habe.  Denn 
ungewöhnliche  constructioneu  und  worte  wandelten  die  Schreiber 
aller  zelten  gern  in  planere  redeweise;  das  entgegengesetzte 
verfahren  einzuschlagen  fiel  ihnen  nicht  ein.  Ich  greife  zu- 
nächst zwei  gruppen  von  beispielen  heraus. 

Während  allen  übrigen  Xotkerschen  schritten  nur  unio 
bekannt  ist,  erscheint  diese  form  der  partikel  in  SG  bloss  10  mal 
(Ps.  10,2.3.  11,2.  12,1.  21,20.  25,10.  30,20.  82,6.  33,1.9), 
hingegen  214  mal,  wenn  ich  richtig  zählte,  tmieo,  daneben 
18  mal  imie  (Ps.  4,  3.  5, 10.  6, 4.  8,  2  zweimal,  12, 1.  2  zweimal, 
3  zweimal,  22,5.  24,18.  47,15.  67,17.  73,11.  80,11.  104, 25^ 
dies  von  Piper  grundlos  zu  Vuico  geändert,  Cant.  Mar.  55). 
Dazu  treten  6  mrieUcli,  4  uuieoUch,  1  uuioUch.  An  der  stelle 
von  vier  uuie  (Ps.  6,  4.  67, 17.  73, 11.  Cant.  Mar.  55)  hat  nun 
X  imieo.  Diese  vier  uiiieo  zieht  Kelle  den  iinie  von  SG  vor, 
obwol  beide  formen  lautgesetzlich  gleichberechtigt  sind  (Braune 
§  43  a.6).  Xun  finden  sich  aber  auch,  was  Kelle  nicht  an- 
gemerkt hat,  in  X  drei  uuieo,  welchen  in  SG  ein  uuio  ent- 
spricht (Ps.  11,2.  30,20.  32,6).  Man  sieht  also,  die  vor- 
hersehende form  uineo  lag  X  überall,  wo  die  partikel  vorkam, 
in  der  feder,  so  dass  es  sich  unwillkürlich  ihrer  bediente.  — 
Das  subst.  und  adj.  mammeuti  gieng  hervor  aus  manämunti\ 
die  nichtassimilierte  form  mamnenti  ist  daher  älter  und  ur- 
sprünglicher als  mammeuti.  Erstere  begegnet  Boethius  51, 19  f. 
mdnmantsdmo,  122,  4.  23  mdnmentsami,  226,  24  mdnmendo, 
Capeila  725,15  Mdnmendm,  755,26  mdnmentsdmero,  836,23 
mdnmenäero,  letztere  Boethius  16, 19  f.  mdmmendo,  216,1  mdm- 
mondo,  Capeila  699,  8  gemnmmentsdmot,  708,  3  mdmmendim, 
758, 2  mdmmende,  788,  22  f.  mdmmcntsamemo,  also  beide  fast 
gleich  oft.  In  SG  erscheint  die  nichtassimilierte  form  Ps.  33,  3 
(112, 12.  13)  manmende,  mdnmende,  33,  21  (115, 17)  manmindi, 
93, 13  (396, 11  f.)  gemdnmendest,    sonst  steht  mit  assimilation 


78  STEINMEYER 

Ps.  24, 10  (78, 14)  mdmmhitc,  36, 11  (129,  7).  75, 10  (305, 16) 
mammcnden,  44,5  zweimal  (169,10.11).  84,4  (350,25).  89,10 
zweimal  (380, 6.  7).  131, 1  dreimal  (563, 4.  5.  8)  mdmmendi, 
85,  5  zweimal  (354,  20.  21).  95, 12  (405,  3).  146,  6  (598,  18). 
149, 4  (604, 27)  mdmmende,  einmal  24, 9  (78,  1)  mdmenden. 
Bei  drei  der  uiclitassimilierten  formen  tritt  in  X  assimilation 
ein,  bei  der  vierten  (Ps.  93,  13)  nur  in  Seh,  nicht  in  R. 
SG  müsste,  wenn  X,  wie  Kelle  will,  mit  seinen  assimilationen 
den  stand  der  vorläge  gewahrt  hätte,  die  modernere  wortform 
dieser  vorläge  mit  einer  veraltenden  vertauscht  haben:  gewiss 
höchst  unwahrsclieinlicli.  Zudem  ersehen  wir  aus  WN,  welches 
an  vier  stellen  (Ps.  44, 5.  131, 1.  149, 4)  noch  unassimilierte 
formen  aufweist,  dass  ursprünglich  auch  im  Psalter  die  nicht- 
assimilation  überwogen  haben  wird. 

Ueberaus  häufig  lässt  SG  einem  langen  vocal  doppel- 
consonanz  folgen,  nicht  nur  dort,  wo  westgermanische  conso- 
nantendehnung  eingetreten  ist'),  z.  b.  II:  Ps.  71,2  (282,23). 
S3'mb.  apost.  8  (635, 5).  Svmb.  Äthan.  36  (644, 4)  irteUlenne; 
mm:  Ps.  30, 11  (98,25).  68,30  (271, 27  f.)  rthtuömme,  48,1 
(184,13)  iiiushiomme;  nn:  Ps.  48,  8  (185,22)  tmännent;  rr:  Ps. 
2,10  (7,2)  GeUrrent,  20,14  (65,26)  märren,  28,11  (91,24) 
sierrent,  30,  2  (96,  8)  gchörren,  39, 13  (148, 13).  43,  22  (165,  20) 
imärra,  50, 10  (196, 10)  leUrren,  65,  7  (247,  25).  71,  8  (284, 13) 
Mrresot;  ff:  Ps.  22,2  (73,6)  toiifß,  63,9  (240,24)  slä/fenten, 
64, 14  (245,  23)  scdffo,  68, 15  (267, 17)  ficfß,  77,  48  (319,  2) 
uffo:  ü:  Ps.  24, 5  (77, 12)  Uittest,  31,9(105,23)  Uittendin, 
82,  7  (343,  24)  Uüottine,    90,  7  (384, 27)  sittim,    Cant.  Moysi  13 

(618. 17)  Mttost.  Ganz  selten  findet  sich  Verdoppelung  nach 
kurzer   Stammsilbe,    z.  b.   Ps.  68,29    (271,21)   gehürre,    69,2 

(273. 18)  chellent,  häufiger  nach  kurzer,  mitunter  auch  langer 
ableitungssilbe,  wenn  ihr  eine  lange  Stammsilbe  vorangeht, 
z.  b.  Ps.  9,  4  (23, 19)  folgcrra,  17, 13  (49,  23)  timherrm,  50, 10 
(196,  20)  lerdrra,  51,  7  (200,  24)  u.  ö.  uuürzellun,  54,  22  (210, 
13  1)  rehtfölgerro,  68,4  (264,1)  iirimarra,  100,8  (419,1)  sun- 
derra,  101, 18  (424, 20)  zinibirrnn,  138,  20  (579,  24j  folgeärra, 
nur  vereinzelt,  wenn  ihr  eine  kurze  Stammsilbe  vorangeht, 
z.b.  Ps.  41,  7  (156,4)   niderren,    103,4  (434, 16  f.)   nhcrUsarra. 

')  Ausser  betracht  bleibt  der  Wechsel  von  zz  und  z  und  das  geminierte 
n  des  geruüdiunis. 


NOTKERS   PSALTER.  79 

Ist  also  die  doppelconsonanz  an  folgenden  stellen  in  X  ver- 
einfaclit:  Ps.  7,  9  (18,9)  irteille,  17,3  (53,10)  sunderro,  20,7 
(64, 16)  unalmüe,  33, 19  (115,  7  f.)  niderrc,  59,  2  (226,  5)  imärro, 
93,15  (397,3)  irteillenne,  118  U,  158  (539,28)  hehuotton,  130,1 
(562,15)  tnömmenne,  so  wird  man  anzunehmen  haben,  nicht 
dass  SG  altertümlicheres  colorit  gegen  seine  vorläge  wider- 
hergestellt, sondern  dass  X  bewusst  oder  unbewusst  die  land- 
läufigeren formen  mit  einfacher  consonanz  eingeführt  hat.  — 
Das  gleiche  gilt  für  die  wenigen  nieth  von  SG  6,10  (16,11). 
25,2  (81,12).  46,10  (180,12).  72,20  (291,1).  72,27  (292,20), 
welche  mit  alleiniger  ausnähme  der  ersten  und  der  letzten 
stelle  bei  X  in  das  üblichere  nicht  umgesetzt  erscheinen.  — 
Die  seltene  Schreibweise  crh  ist  Ps.  28,  3  (89,  24)  mdgencrhefte, 
28,  4  (90,  5)  crliefte,  65,  6  (247, 19)  crhiüse  von  X  in  ehr  ab- 
geändert worden,  jedoch  39, 10  (147, 10)  crhistenhett  und  63,  6 
(239, 17)  crhivse  wenigstens  in  R  unangetastet  geblieben.  — 
SG  liebt  vocalentfaltung  zwischen  gr:  Ps.  77, 58  (321, 16) 
geruözton,  106, 16  (461, 19)  genndela;  ^  chn:  Ps.  81, 1  (340, 12) 
chenctemekime,  109,5(478,4)  ferchenistef,  136,9  (574,9.11) 
chenistet,  ferchemsten;  ehr:  Ps.  88,  1  (365,24)  chereftie;  üv: 
Ps.  72,13  (289,19)  teuuuög,  und  namentlich  sie:  Ps.  24,10 
(78,  7)  seuuene,  85,  6  (355,  17)  zemieio,  85,  11  (357,  1) 
seuuislien,  85,  16  (358,  7  f.)  zenuelf,  87,  3  (361, 11  f.)  zeimei, 
88,53  (377,6)  zeuucin,' lQo,Q  (452,18)  zeimisken,  105,33  (456, 
9.  11)  zeuuiuelondo,  zeiiutueJe,  108,29  (474,21)  zeuuiualtin, 
118  C,  21  (505,20)  zeuuiuelon,  118  U,  160  (540,12)  zeimei,  118 
Cant.  grad.  (545, 8.  20.  546, 21)  zemtclfen,  zeuuelfo,  zeuuelfto, 
147, 12  (599,  28)  zeuuene,  Cant.  Ezech.  17  (612,15.  17)  zeuuifele, 
zeimiscen,  Cant.  Moysi  8  (617,  29  f.)  zeunisJcen,  Cant.  Abac.  9 
(621,30)  zeuuelif,  Cant.  Deut.  30  (630,8),  Symb.  apost.  4  (634, 20), 
Symb.  Äthan.  30  (643, 16)  zeuuene.  Darum  dürfte  man  auch 
Ps.  35, 10  (126,  8)  geldnzeliehte  nicht  beanstanden,  selbst  wenn 
diese  form  nicht  durch  das  zusammengehen  von  SG  und  Seh 
gegen  R,  {glänze-,  nach  g  ein  ausgestrichenes  e)  geschützt  wäre. 
—  In  einigen  Zusammensetzungen,  deren  ersten  bestandteil  ein 
wort  mit  langer  Stammsilbe  bildet,  namentlich  uuin  und  erda, 
zeigt  SG  gern  den  compositionsvocal  e:  uuhiebere,  uutncgarto, 
erdeguoi,  erdemist,  erdertche,  erdering,  erdeuuüoeher:  nur  einmal 
Ps.  98, 9  (414, 14)  erderiehe  lässt  hier  X  den  vocal  gegen  SG 


80  STEINMEYER 

ausfallen.  ]\[an  wird  deslialli  auch  Ps.  117, 22  (496, 17)  indn- 
chelestcin  von  SG  für  ursprünglicher  ansehen  als  das  uuin- 
clielstcin  von  X.  —  S^aikope  des  vocals  der  ableitungs-  und 
hildung-ssilbe  -er-  kommt  in  SG  nicht  ganz  selten  vor,  ohne 
dass  X  abwiche,  z.  b.  Ps.  15,  4  (41, 17)  Iruödra,  16, 14  (46, 16). 
68,11(266,10)  liehra,  16,14  (46,19)  ünsriü,  69,6  (274,20) 
andra,  73, 4  (294, 9)  o5^mi,  79, 11  (330,  22)  aZ^rm,  118  N,  99 
(525, 16)  meistra:  weist  daher  X  Ps.  44,  9  (171,  7)  und  49  praef. 
(189, 1)  tohtera,  sangmeistero  für  SG  toJitra,  sdngmeistro  auf, 
so  hat  es  widerum  nur  die  gewöhnlichere  form  eingesetzt.  — 
Worte,  denen  lautgesetzlich  cch,  und  solche,  denen  ch  gebührt, 
scheidet  SG  nicht  überall  streng:  fleccho  und  flccho,  ecchert 
und  echcrt  erscheinen  neben  einander;  ferner  findet  sich  Ps. 
98,  7  (413,  8)  uuolcchen  (hier  hat  allerdings  zwischen  beiden  c 
zeilenschluss  statt),  64,  6  (243,  25  f.)  precdiente,  72,  28  (292,  27) 
mcclio,  77,44(318,18)  crüntlacclia,  78,5(326,21).  10(327,11) 
gericcJie,  93,1  (394,4.5)  Jcerkcliis,  hicckis,  98,8  (413, 24  f.) 
rccchinde,  108, 6  (470, 1)  frecclii,  hinwider  jedoch  Ps.  70, 13 
(278,21)  Pcdcchet,  77,68  (323,11)  füregezücliit  So  wird  man 
denn  auch  Ps.  76,5  (307,  22)  Vudcclieroren  {nicht  Vudcchererdren, 
wie  Kelle  druckt),  85,3  (354,6)  Itcchamo,  102,6  (429, 1  f.) 
irncche,  wo  X  überall  ein  c  weniger  aufweist  (während  es 
z.  b.  Ps.  141,3  (585, 19)  dem  von  SG  überlieferten  echcrt  ein 
solches  hinzufügt),  nicht  für  unursprüngliclier  erklären  dürfen. 
—  Vereinzelt  tritt  in  SG  die  Schreibung  gh  auf,  sowol  für  g 
als  für  ch:  z.  b.  Ps.  67, 1  (252, 17)  sdnghkicMs,  67, 15  (256,  23 f.) 
chimighrihtäre,  76,3  (307,1)  tugh,  85,2  (353,21)  hdligh,  106,43 
(465,21)  miissigh]  56,7  (216,11)  strigh,  61,9  (233,20)  stargh, 
63, 10  (241, 13)  unergh.  Wie  nun  X  Ps.  85, 2  (353,  24)  scdlgh 
zu  scalg  änderte,  so  konnte  von  ihm  auch  107, 14  (468, 12) 
folleghUchor  in  das  gewöhnlichere  foUcglichor  {follelegUchor 
Seh)  umgestaltet  werden.  —  SG  verwendet  insgemein  die  form 
ana-  für  verbal-  und  nominalcomposition;  daneben  erscheint 
aber  auch  ane-:  Ps.  20,  4  (64, 1)  dnefange,  37,  4  (135, 19  f.)  ane- 
hurte,  52,  7  (203,  22)  dneseo,  67,  36  (262, 19)  dncsehentin,  100,  8 
(418,23)  dnegenne  und  an-:  Ps.  79,4  (329,8)  ansiüne,  83,8 
(348, 15  f.)  dnscouuüngo.  Somit  führte  X  widerum  nur  die 
normalform  ein,  als  es  Ps.  72,  28  (292,  24)  zweimaliges  ansiihie 
und  73, 14  (296,  25)  anesehin  durch  anasiune,  anasehin  ersetzte. 


NOTKERS    PSALTE».  81 

—  Auch  (jcsiehet  ist  in  SG  die  normalforni  der  3.  p.  sg.  praes. 
von  geselian,  welche  daher  X  Ps.  48,  20  (188,  22)  für  SG  gesthet 
schreibt.  Aber  Ps.  18, 13  (60,  8).  21,  30  (72, 13).  23, 1  (74, 12). 
32,15  (110,4).  36,12(129,14).  41,8(156,12)  teilt  es  dies  sihet 
mit  SG.  —  Der  dativ  gelonha  Ps.  49, 1  (189,12),  welchen  X 
mit  dem  normaleren  geloiibo  vertauschte,  hat  an  der  SG  und 
X  gemeinsamen  form  erda  Ps.  45,  3  (174,  22)  eine  parallele.  — 
Bei  den  ableitungen  des  verbs  hnittan  überwiegt  in  SG  ein- 
faches i:  darum  änderte  X  Ps.  75,13  (306,11).  95,4  (403,8) 
prüttelich,  hütteUh  in  prüteWi,  brütelih,  obwol  es  Ps.  54, 23 
(210,22)  h-ütten,  78,7  {d2Q,  IS)  prüttinon,  87,18  (365,15)  6m«^ 
nicht  antastete.  —  SG  zeigt  lüter  und  seine  sippe  neunmal 
mit  einfachem,  fünfmal  mit  doppeltem  t:  weshalb  also  Ps.  74, 9 
(302,  24  f.)  das  lütteren  von  X  richtiger  sein  soll  als  das  lüteren 
von  SG,  ist  nicht  abzusehen.  —  Ebensowenig  begreift  man, 
warum  Ps.  57,  7  (219, 18)  löiiiien  (X)  den  Vorzug  vor  löuinieu 
(SG)  verdient:  gerade  die  form  mit  drei  u  steht,  soweit  nicht 
lenuo  verwendet  ist,  in  SG  durchgängig,  vgl.  Ps.  21,  5  (67,  3). 
34, 17  (120,  20).  62, 12  (238,  9).  —  Das  fon  in  fon  eiinon  SG  Ps. 
91,  8  (389, 13)  erhält  in  X  die  normalgestalt  föne.  Aber  ebenso 
wird  Ps.  17,25  (52,10)  nnh  ouh,  101,8  (422,15)  für  unsih, 
142,2  (587,11)  oh  crelo  elidiert,  und  wesentlich  anders  sind 
auch  Ps.  20,  3  (63, 18  f.)  gibicli,  las  ih,  65, 17  (250, 19)  uuü  ih, 
88,39  (374,2)  henämin,  99,20  (398,8)  meinich,  118  F,  44 
(513,3)  hehuöt  ih,  118  Cant.  grad.  (544,14)  ehenöt  er  nicht  zu 
beurteilen.  —  Dem  praeteritum  inphundun  Ps.  80,  8  (336, 18), 
das  X  zum  gewöhnlicheren  inpliimdcn  umwandelt,  stehen  zur 
Seite  die  von  X  ungeändert  belassenen  getrunchun  Ps.  20, 4 
(63,  23),  fersuuundun  52,  5  (202,  26),  vielleicht  auch  furdur  9 
sec.  Hebr.,  11  (29,24):  überall  hat  sich  der  wurzelvocal  den 
vocal  der  endung  assimiliert.  —  Der  weibliche  nominativ  des 
artikels  du,  den  Ps.  54, 10  (208,  4)  X  mit  dm  vertauscht,  steht 
in  SG,  X  ebenso  Ps.  90,  6  (384,  23).  12  (386, 12),  als  tu.  16, 1 
(43, 16).  Hier  kann  allerdings  ein  Schreibfehler  vorliegen,  den 
an  der  einen  stelle  X  richtig  erkannte:  denn  dtt  und  dm 
wurden  mehrfach  verwechselt,  Ps.  21, 20  (70, 14).  147, 12  (600, 8) 
ist  diu  statt  du  geschrieben,  24, 11  (78,  24)  du  aus  diil  corri- 
giert.  —  Gleichfalls  einen  Schreibfehler  enthält  möglicherweise 
Ps.  77,42  (318,6)  irhiügeton.    Da  dies  verb  im  Psalter  ungemein 

Ueiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  Q 


82  STEINMEYER 

häufig  sicli  vorfindet,  so  hätte  X  unschwer  sein  irlmgeton  nach 
analog-ie  conjicieren  können.  Vielleicht  war  aber  umlauts- 
bezeichnung  beabsichtigt,  wie  sie  Ps.  75, 11  (305,  22)  in  irhin- 
geda,  44,2  (167,21)  in  chiüninge  widerzukehren  scheint.  — 
Ps.  102,  5  (428, 18)  steht  in  SG  gescJüejt  (t  und  circumflex  von 
anderer  band):  d.  h.  der  Schreiber  hatte  geschiclhet  setzen 
wollen,  aber  am  beginn  der  neuen  zeile  die  letzte  silbe  ver- 
gessen. X  hat  dafür  gescichet.  Auch  dies  m.  e.  ein  zeugnis 
für  seine  harmonistische  tendenz.  Denn  das  verb  beginnt  in 
den  übrigen  Notkerschen  Schriften  regelmässig,  in  den  Psalmen 
vorAviegend  mit  sh  oder  sc;  ich  finde  seh  nur  Ps.  17,  39  (54, 26). 
102,5  (428,24).  1181,71  (519,9)  geschiehet,  20,12  (65,11) 
Jceschiet,  4,  5  (10, 10)  J^escMe,  66,  8  (252, 13).  70,  3  (276,  20  f.) 
zweimal  geschehe,  37,20  {UO,'i)  geschehetit,  2,7(6,14).  9,2 
(23, 4  f.).  17,46  (56,4).  77,25  (315,29)  geschehen,  2,7  (6,14) 
geschah,  17,  8  (48, 14)  geschdc,  17, 16  (50, 17)  keschdch.  Und 
an  einer  dieser  stellen,  66,  8,  ändert  X  geschehe  zu  gcscehe. ')  — 


1)  Ausserdem  ändert  Seh  2,  7  und  70,  3  (beide  mal)  zu  gesccJicn,  gescche. 
Nun  ist  70,  3  das  eine  mal  h  von  R  erst  uachträglicli  hiueincorrigiert,  be- 
fand sieb  also  nicht  in  der  für  Scbilter  hergestellten  abschrift,  wol  aber 
(doch  Tgl.  oben  abschnitt  3)  in  deijenigen  Louberes.  Diese  tatsache  Hesse 
sich  mitverwerten  zur  stütze  der  mir  recht  wahrscheinlichen,  allerdings 
nicht  streng  beweisbaren  Vermutung,  dass  ein  gutes  teil  der  besprochenen 
orthographischen  änderuugeu  nicht,  wie  bisher  angenommen  ist,  auf  Lou- 
beres copie,  d.  h.  X,  zurückgeht,  sondern  erst  auf  Schott,  der  sich  überhaupt 
nach  ausweis  der  hunderte  von  besserangen  und  ergänzungen,  die  Rostgaard 
vornehmen  musste,  seiner  aufgäbe  mit  grosser  Sorglosigkeit  entledigte:  dann 
hätte  Rostgaard,  als  er  Louberes  ms.  coUatiouierte,  kaum  die  hälfte  der 
von  Sehott  begangeneu  fehler  bemerkt  und  berichtigt.  Denn  unter  den 
zahlreichen  abweicbungen ,  welche  R  und  Seh  gegenüber  SG  gemeinsam 
sind,  kann  man  gewisse  gruppen  häufig  widerkehrender  wahrnehmen,  welche 
zumeist  aus  der  gewöhnuug  an  die  regeln  uhd.  Orthographie  sich  erklären: 
ei  für  ?,  einmal  auch  für  i,  z.  b.  Ps.  36, 17  (130,  3)  sceinet,  58, 17  (225,  7) 
leiden,  71, 17  (2S6, 15)  zeitlicliiu,  75,  5  (304, 18)  irsceinendc,  77,  2  (312,  5) 
zeitlicho,  83,  4  (347,  23)  meiniu,  88,  7  (367, 10)  sceinhari,  118  G,  50  (514, 16) 
dein,  118 N,  99  (525, 16)  mehie;  h  als  dehnungszeicheu,  z.b.  Ps.  43, 22 
(165,  4)  ?ia7(,  44, 10  (171, 12)  //iro,  41,8  {182,13}  dnVdemo,  48,1(184,13) 
gemähnot,  58, 15  (224,  23)  spahto,  74,  5  (301, 14)  fahrent,  98,  7  (413, 14) 
heuohlehen;  umgekehrt  fortlassuug  des  h  als  vermeintlichen  dehnungs- 
zeiehens,  z.  b.  Ps.  62,  2  (234, 26.  235, 1)  tioiun,  uota,  62,  4  (235,  24)  chnet, 
118  F,  47  (513,20)  tata;  Synkope  des  e  bei  gcloübo,  geloübig,  iegeUch;  sie 
für  si;    Verdoppelung   auslautender   cousonanteu,   z.b.    Ps.  40, 10   (152,7) 


NOTKERS   PSALTER.  Ö3 

Dass  X  die  singiilären  Schreibungen  Vs.  4,10  {II,  W)  sunderch- 
Ucho,  17,  6  (48, 1)  timha,  79,  5  (329, 12)  ühlrtdüare  selbständig* 
in  die  sonst  ausnahmslos  auftretenden  simderlicJio,  unibe,  iiber- 
teilare  verwandeln  konnte,  liegt  auf  der  hand.  Ich  halte  sün- 
(IcrchUcho  übrigens  für  keinen  Schreibfehler,  sondern  vergleiche 
Boeth.  283, 32  sünderglicha,  das  mir  nicht  aus  sundergelkha 
(Graff  2,  114),  vielmehr  aus  simderiglicJm  hervorgegangen 
scheint,  und  das  gleichfalls  spätalemannische  glossar  Rc.  Gll.  2, 
234, 18  Prniatum  sundoxlicho  (hs.  sundcrdiclio):  ist  die  synkope 
des  i  trotz  der  verschiedenen  quantität  der  Wurzelsilbe  zu  be- 
urteilen wie  bei  nchulgm,  suebclgiu  Capeila  706,29.  707,12? 

Allen  im  siebenten  abschnitt  erörterten  orthographicis 
wohnt  also  beweisende  kraft  nicht  inne.  Sie  sind  neutraler 
natur:  weder  sprechen  sie,  wenn  anderweitige  stützen  fehlen, 
für  Keiles  ansieht,  noch  würden  sie,  wenn  sonstige  beweise 
sich  beibringen  Messen,  ihr  widerstreiten. 

Somit  verbleiben  von  den  mehr  als  zweihundert  besseren 
lesarten,  die  X  vor  SG  voraushaben  soll,  ganze  zwei,  nämlich 
Ps.  129, 3  (561, 10)  mannelkhemo  statt  SG  manUchemo,  und 
137, 1  (574, 17)  gehörtost  mih,  wo  das  von  dem  einen  Basler 
doppelblatt  und  von  WN  bestätigte  mih  SG  fehlt.  Beide  wird 
man  für  richtige  conjecturen  anzusehen  haben,  wenn  sie  gleich 
nicht  so  selbstverständlich  waren  wie  die  sonst  von  X  gemachten. 

II.  Immerhin  aber  wäre  Keiles  meinung  in  einer  modifi- 
cierten  gestalt  noch  haltbar,  auf  die  von  mir  schon  im  Anz. 
fda.  17, 331  hingedeutet  wurde,  dass  man  nämlich  annähme, 
X  sei  nicht  aus  der  mutterhs.  von  SG,  sondern  aus  seiner 
schwesterhs.  geflossen,  aus  einem  codex,  der  mit  SG  die  gleiche 


muntmann;  uu  für  u  (=  f),  z.  b.  Ps.  9,20  (27,2).  54,10  (207,28)  Eruuelle, 
42, 3  (159,  4)  imärentero,  54,  24  (211,  5)  nuuese,  58, 15  (224,  27)  uuers,  GO,  3 
(230, 10)  iruuelle.  Innerhalb  sänimtlicher  dieser  gruppen  hat  R  hin  und 
wider  die  lesart  von  SG,  die  demnach  noch  in  Louberes  copie  gestanden 
haben  muss,  durch  correctiir  hergestellt.  Zwar  möglich,  doch  nicht  gerade 
sehr  wahrscheinlich  ist  es,  dass  beide  Schreiber,  derjenige  Louberes  und 
derjenige  Schilters,  sich  in  gleicher  weise  von  der  uhd.  lautgebung  be- 
einflussen Hessen.  Schotts  willkür  ersehen  wir  aber  zur  genüge  daraus, 
dass  er  lücken  der  vorläge  mehrmals  eigenmächtig  und  ungrammatisch  er- 
gänzte: Ps.  79, 18  (332,17)  erweitert  er  uuin  zu  uiungarten,  88,13  (3G9,  5) 
setzt  er  tiefela  über  den  geuetiv  cliaboU,   95,  6  (403,  22)  uuunder  über  den 

ablativ  miraciilis. 

6* 


84  STEINMEYER 

vorläge  geteilt  hätte.  Man  müsste  dann  nur  die  verschiedenen 
in  den  nummern  4 — 7  besprochenen  änderungen  nicht  Louberes 
oder  Scbilters  copisten  zuschreiben,  sondern  um  eine  stufe 
früher  ansetzen.  Aber  eine  reihe  graphischer  eigentümlich- 
keiten  lassen  sich  nur  unter  der  Voraussetzung  befriedigend 
erklären,  dass  X  direct  aus  SG  abgeleitet  ist. 

1.  Ich  beginne  mit  einer  stelle,  die  bereits  Füglistaller 
(Hattemer  2, 19)  in  gleichem  sinne  verwertete.  SG  s.  300  findet 
sich  ein  grosser  bräunlicher  fleck,  welcher  sowol  nach  der  riick- 
seite  299  durchgeschlagen  als  auch  auf  die  beiden  untersten 
Zeilen  der  gegenseite  301  abgedrückt  hat.  Dort  wollte  man 
ihn  durch  rasur  entfernen,  hat  aber  damit  nur  bewirkt,  dass 
in  der  vorletzten  zeile  Ps.  81, 3  (341, 1  f.)  zwischen  das  und 
mo  foresint  mehrere  buchstaben  bis  auf  einen  hochstehenden 
feinen  strich  gänzlich  schwanden  und  dass  in  der  letzten  zeile 
das  t  von  uuellent  (341,  2  f.)  sehr  undeutlich  wurde.  Es  unter- 
liegt nicht  dem  leisesten  zweifei,  dass,  wie  Füglistaller  erkannte, 
gestanden  haben  muss:  das  ir  imo  foresint.  Solche  braunen 
flecke,  herrührend  von  einer  mittelalterlichen  eisenvitriolhaltigen 
tinte,  begegnen  in  SG  nicht  selten,  z.  b.  s.  98 — 100  und  beson- 
ders schädigend  s.  5,  sodass  das  bild  auf  s.  4  ganz  zerfressen 
wurde.  Fleck  und  rasur  verunzierten  die  s.  301  schon  im 
17.  Jh.:  denn  die  mehrerwälmte  copie  von  SG  im  codex  1286 
zeigt  zwischen  Bas  und  mo  freigelassenen  räum  (Hattemer 
2,  539).  Aber  ir  fehlt  auch  in  X.  Doch  in  der  vorläge  von 
SG  muss  es  gestanden  haben,  sonst  begriffe  sich  ja  sein  ehe- 
maliges Vorhandensein  in  SG  nicht.  Man  sähe  sich  also  ge- 
nötigt, mit  dem  höchst  unwahrscheinlichen  zufall  zu  rechnen, 
dass  X,  falls  es  nicht  SG  selbst,  sondern  dessen  mutterhs.  ab- 
schrieb, oder  dass  die  schwesterhs.  von  SG  das  kleine  wörtchen 
versehentlich  ausgelassen  hätte. 

2.  Unter  andern  nachtragen  verschiedener  bände,  welche 
sämmtlich  in  X  widerkehren  (denn  die  beiden  von  Kelle, 
St.  Galler  Schriften  s.  274  =  70  als  bei  Seh  fehlend  vermerkten 
randglossen  stehen  in  E),  weist  SG  auch  zwei  zusätze  des 
13.  jh.'s  auf,  nämlich  Ps.  50,  6  (195  anm.)  Von  den  wcliir  huchis 
diu  sese  ich  üf  stvl  din  über  De  frvctv.  ventris.  tvi.  ponani. 
svper  sedem.  tvam  und  Ps.  146, 8  (599, 3)  zur  ergänzung  der 
interlinearglosse  der  sih  ferheren  nenmge  der  über  Qvi  se  non 


NOTKKKS    PSAI/rEU.  85 


o 


contind  nvlat  die  marginalgiosse  cliome  sere  mit  Verweisung 
auf  nvhat.  Kelle  sieht  (St.  Galler  Schriften  s.  213  =9)  in  beiden 
nachtragen  'offenbar  nach  einer  zweiten  hs.'  vorgenommene 
besserungen.  Aber  es  ist  ebensowenig  wahrscheinlich,  dass 
man  in  Einsiedeln  neben  dem  nach  Keiles  dafürhalten  dort 
geschriebenen  und,  abgesehen  von  einer  ausleihe  während  des 
14.  jh.'s,  bis  ins  17.  jh,  dort  verbliebenen  SG  noch  einen  zweiten 
Psaltertext  besass,  den  man  hätte  nachschlagen  können,  als 
glaublich,  dass  um  der  anbringung  zweier  winziger  notizen 
willen,  wie  solche  noch  an  vielen  orten  sich  hätten  hinzufügen 
lassen,  im  13.  jh.  jemand  sich  sollte  die  mühe  genommen  haben, 
ein  anderes  exemplar  zu  rate  zu  ziehen.  Unflectiert  nach- 
gesetztes Possessivpronomen  ist  sonst  in  der  interlinearglossatur 
unerhört  und  die  widergabe  von  nuhere  mit  2cr  e  chomcn 
statt  etwa  mit  geJnen  denkbarst  ungeschickt.  Beiden  Zusätzen 
steht  so  deutlich  der  Stempel  jüngeren  Ursprungs  aufgedrückt, 
dass  sie  zu  beginn  des  12.  jh.'s,  als  SG  geschrieben  wurde, 
nicht  in  dessen  vorläge  gestanden  haben  könnten,  sondern  auch 
in  dieser  erst  erheblich  später  nachgetragen  sein  müssten.  Hat 
es  aber  irgend  welche  Wahrscheinlichkeit,  dass  in  zwei  hss. 
hundert  und  mehr  jähre  nach  ihrer  entstehung  dieselben  gleich- 
giltigen  eintrage  vorgenommen  wurden?  Noch  complicierter 
würde  die  sache  sich  in  dem  fall  gestalten,  dass  X  aus  der 
schwesterhs.  von  SG  abgeschrieben  wäre. 

o.  Am  anfang  von  Ps.  75  (303, 13)  ist  vor  ouiielee  ein 
roter  initialbuchstab  ausradiert,  und  zwar  allem  anschein 
nach  das  richtige  S;  im  eiugang  von  Ps.  100  (416, 12)  steht 
mit  einem  fehler,  den  noch  der  jüngste  herausgeber  unberich- 
tigt  gelassen  hat.  De  selbemo  statt  Ze  selbemo.  Den  Irrtum 
teilt  an  beiden  orten  X,  welches  anderwärts  (s.  oben  abschnitt  6) 
initialen  richtig  ergänzte. 

4.  Ps.  45,  3  (175,  5  f.)  liest  man  über  Si  hahveritis  fidem 
interlinear  liabent  ir  o  yeloüha:  daraus  entstand  in  X  ein 
sinnloses  iro.  Das  nur  zum  teil  ausgeführte  o  ist  indessen 
bloss  der  ansatz  eines  g  (vom  folgenden  geloüba;  ganz  ein 
gleiches  o  findet  sich  Ps.  70, 17  (279, 18)  vor  gesceidcn),  welcher 
darum  nicht  fortgesetzt  wurde,  weil  er  über  [hab]veritis  statt 
über  dem  richtigen  ßde  stand.  Aus  demselben  gründe  wurde 
Ps.  34, 17  (120, 14  f.)  nidnnis  umiclii,  das   über    \consuetu\dme 


86  STEINMEYER 

]ium[ane]  sich  befand,  ausradiert  und  den  silben  [hiün]anQ  in- 
finnita[tis]  übergesetzt.  —  Ps.  55,9  (213,16)  und  56,9  (217,6) 
stehen  in  vSG,  X  die  sonderbaren  bicomposita  M  Götscelto  {Ice 
Gotscclto  Seh),  während  es  Ps.  10  sec.  Hebr.,  7  (28,  27)  hotscelto 
hiess,  und  Ixcgcchriuzegot  {kcyechriuzigot  Seh):  beide  mal  handelt 
es  sich  um  falschen  Wertansatz  für  Iwtscelio,  Txechriuzcgot. 

5.  Misverständnis  von  correcturen.  Ps.  67,  35  (262, 16) 
ist  das  erste  n  von  tmölchentunchel  aus  einem  langen  striche, 
dem  ansatz  eines  l  corrigiert,  d.h.  dem  Schreiber  von  SGr 
schwebte  bereits  der  schluss  des  zweiten  compositionsteils 
hmchel  vor:  R  bietet  daher  unölcliehtiinchel,  erst  Seh  hat  die 
naheliegende  besserung  zu  uuolchentunchel  vollzogen.  —  Ps. 
48,  3  (184,  20)  zeigt  in  SGr  das  zweite  n  von  mennesccn  ände- 
rung  aus  5,  weil  der  Schreiber  auf  men  gleich  die  dritte  silbe 
Seen  hatte  folgen  lassen  wollen;  jeder  oberflächliche  leser 
konnte  das  corrigierte  wort  für  mcnsiescen  nehmen,  und  so 
steht  es  in  X.  —  Analog  sind  die  fälle  Ps.  67, 14  (256, 14)  ge- 
hötin  {n  aus  einem  unter  einwirkung  von  gcminis  prcceptis 
caritatis  oder  von  Gotes  imde  mdnnis  zuerst  geschriebenen  s 
berichtigt)  und  40, 11  (152, 14)  luibelosin  {n  aus  dem  durch 
inopis  veranlassten  s  corrigiert),  welche  nunmehr  durchaus  den 
eindruck  von  gehötisi  und  habelosiß  (so  X)  machen.  —  Ps. 
53,  9  (205,  27)  iJÜrliclii,  wo  r  in  SG  aus  ansatz  des  folgenden 
l  corrigiert  ist,  konnte  sehr  wol  als  publichi  gelesen  werden, 
wie  X  aufweist;  R  fügt  hinzu:  'sie.  sed  etiam  legi  potest  pus- 
Uchi.'  —  Das  ergebnis  der  correctur  von  de  zu  die  Ps.  55, 2 
(212,  6)  liess  sich  bei  flüchtiger  einsieht  leicht  als  ilh  (so  R; 
verschlimmbessert  von  ihm  und  von  Seh  in  alle)  auffassen. 
—  Ps.  104,  35  (448,  28)  lioistaffel,  das  erste  /"aus  l,  dem  schluss- 
buchstaben  des  wortes,  corrigiert  SG:  daher  hoistalfel  X.  — 
Ps.  50, 21  (199,9)  war  die  Verlesung  von  eimarto  zu  euuarin, 
das  R  enthält,  unschwer;  aus  conjectur  setzte  dann  mit  rück- 
sicht  auf  den  lateinischen  plural  saccrdotes  Seh  euuarten.  — 
Ps.  7,6  (17,23)  konnte  für  Uchen  SG,  1286  von  X  in  der  tat 
lieben  gelesen  werden.  Man  darf  es  wol  als  ausgeschlossen 
ansehen,  dass  solche  correcturen  und  fehlerhaften  ausätze,  wie 
sie  unter  nummer  4  und  5  aufgezählt  wurden,  aus  der  vorläge 
nach  SG  und  seiner  schwesterhs.  sich  fortgepflanzt  hätten, 
d.  h.  hier  getreu  nachgemalt  w^ären. 


NOTKERS    PSALTER.  87 

6.  Kelle  legt  gewicht  auf  den  umstand,  dass  gewisse 
correcturen,  tilgungen  oder  Umstellungen  von  buclistaben  oder 
Worten,  die  SG  vorgenommen  hat,  in  X  unberücksichtigt 
blieben;  daraus  schliesst  er,  X  habe  den  tenor  der  vorläge  ge- 
treuer gewahrt.  Beiläufig  bemerkt:  dass  SG  seine  vorläge  habe 
berichtigen  wollen  und  gar  zu  dem  ende  sich  einer  w'eiteren 
hs.  bediente,  kann  natürlich  nur  für  eine  von  zwei  möglichen 
annahmen  gelten.  Dafür  Hesse  sich  allenfalls  Ps.  40, 12  (152,21) 
ins  feld  führen.  Hier  steht  in  SG:  pe  diu  nement  den  (dies 
wort  mit  drei  deutlichen  punkten  darunter)  sie,  in  1286  ne- 
mentden  sie,  in  X  nement  Sie.  Das  richtige  stellte  Piper  nach 
WN  her:  nemendent  sie.  Man  sieht,  das  über  der  zeile  befind- 
lich gewesene  den  der  vorläge  war  bei  der  abschrift  nach 
statt  vor  t  eingereiht  worden,  gab  nunmehr  keinen  sinn  und 
wurde  getilgt.  Ebenso  möglich  zur  erklärung  der  von  SG 
vorgenommenen  correcturen  ist  aber  die  zweite  supposition, 
dass  es  fehler  zu  beseitigen  trachtete,  welche  gegen  die  vor- 
läge, wider  seinen  willen,  ihm  selbst  untergelaufen  waren.  In 
der  tat  berichtigen  denn  auch  die  correcturen  von  SG,  soweit 
wir  sie  controlieren  können,  zumeist  fälschlich  vorausgenommene 
buchstaben  oder  silben.  Das  nichtvorhandensein  zahlreicher 
änderungen,  welche  SG  aufweist,  in  X  rührt  vielmehr  daher, 
dass  sie  häufig  so  fein  oder  so  zweideutig  ausgefallen  waren, 
dass  sie  X  übersah  oder  irrig  auffasste.  Der  beweis  lässt  sich 
wider  mit  hilfe  des  St.  Galler  codex  1286  führen.  Von  ihm 
hat  noch  niemand  bezweifelt,  dass  er  direct  aus  SG  abgeschrieben 
sei;  trotzdem  stimmt  auch  er  des  öftern  mit  X  gegen  SG. 
Ps.  3, 7  (8, 19)  hat  SG  die  worte  iJi  neirsferhen  müge  durch 
unterpungierung  getilgt,  sie  stehen  jedoch  in  X  und  1286, 
weil  ihrer  feinheit  halber  die  punkte  kaum  wahrnehmbar  sind. 
—  Ps.  4, 5  (10, 6)  ist  in  SG,  wo  zuerst  ruh  geschrieben  werden 
sollte,  das  zweite  u  von  ituiih  aus  h  corrigiert;  R  hat  iüh  ih, 
1286  iiih  ih,  bei  Seh  fehlt  der  ganze  passus.  —  Ps.  5, 4  (12, 7) 
morgen,  e  corrigiert  aus  o  SG,  morgon  aus  morgen  corrigiert  E, 
morgon  Seh,  inorgon  1286.  —  Ps.  5, 12  (14,  7)  freuuent,  t  unter- 
und  überpunctiert  SG:  freuuent  bez.  freuuent  X,  1286.  —  Ps. 
9,18  (26,20)  uiierfen,  n  ganz  dünn  unterstrichen  SG:  uuerfen 
X,  1286.  —  Ps.  24,  9  (77, 31)  ist  in  SG  Da^;  durch  einen  um- 
gebenden kreis  von  punkten  athetiert:  trotzdem  weisen  X,  1286 


88  STEINMEYEIl 

das  wort  auf.  —  Ps.  32, 3  (107, 8)  ähnelt  das  z  von  ddz  in 
SG  einem  li  oder  ist  aus  einem  solclien  corrigiert:  ddh  E,  ddh 
128G,  erst  Seh  aus  conjectur  daz.  —  Ps.  35,  7  (125, 1)  dannan 
uuard  gehreitet  si  über  al  vSG  mit  verweisungszeichen  vor  ge- 
hreitet und  si,  sodass  es  heissen  sollte  uuard  si  gehreitet  über 
al:  1286  ohne  rücksicht  auf  die  zeichen  uuard  gehreitet  si;  X 
dagegen  dehnte  fälschlich  ihre  geltung  auch  auf  iWer  al  aus, 
sodass  man  hier  liest:  uuard  st  üheral  gebreitet.  —  Ps.  36,38 
(134, 22)  Hb  liaftcr,  unter  h  ein  ganz  feiner  strich  SG :  Hb- 
liafter  X,  Uhhafter  1286.  —  Ps.  44, 1  (167, 9)  stellt  SG  die 
Worte  dilectuni  christum  durch  zeichen  um:  weder  X  noch  1286 
beachten  die  zeichen.  —  Ebenso  steht  es  Ps.  49.15  (192, 19  f.) 
mit  löse  danne.  —  Das  in  SG  Ps.  101, 28  (426, 27)  richtig 
überlieferte  imbrificans  haben  sowol  X  und  1286  wie  die 
neueren  herausgeber  zu  umbrificans  verlesen,  —  Dass  mitunter 
in  zweifelhaften  fällen  X  und  1286  auseinander  gehen,  be- 
gi'eift  sich.  So  schreibt  Ps.  2,  2  (5,  9)  X  als,  weil  in  SG  das 
n  anradiert  ist,  1286  behält  Nals  bei.  —  Ps.  4,  8  (11,  9)  dia, 
a  corrigiert  aus  u  SG:  dia  1286,  aber  diu  X.  —  Ps.  6,7  (15,24) 
ist  in  SG  vor  nahteliches  ein  langer  strich  radiert,  l  oder  der 
ansatz  eines  b  (Piper  irrt,  wenn  er  angibt,  :n  sei  radiert  aus 
he):  1286  setzte,  die  rasur  respectierend,  nah'teliches,  X  malte 
das  scheinbare  Schriftbild  mit  Inahteliches  bez.  Inahtcliches 
nach.  —  Ps.  16, 14  (46, 14)  sie,  e  corrigiert  aus  u,  nach  Piper 
(und  das  ist  wahrscheinlicher)  aus  a  SG:  siü  X,  sia  1286.  — 
Ps.  38,1  (140,24)  Baz,  z  aus  h  corrigiert  SG:  Dah  E,  Daz 
1286  und  aus  conjectur  Seh.  —  Ps.  72,  3  (287,  22)  anasehende, 
das  end-e  radiert  aus  o  SG:  dnasehende  1286,  ana  Sehendo, 
anasehendo  X.  —  Ps.  91,  4  (388, 10)  kann  in  SG  sowol  zen- 
seitigen  als  zensettigeti  gelesen  werden:  daher  zenseitigen,  das 
erste  i  aus  correctur  1286,  zensettigen  X.  Man  braucht  des- 
halb an  stellen,  wo  1286  nicht  vergleichbar  ist,  aus  der  nicht- 
beachtung  von  correcturen,  die  SG  vorgenommen  hat,  durch 
X  für  dieses  nicht  auf  eine  correcturenfreie  vorläge  zu  schliessen, 
Ps.  24,  14  (79, 9)  steht  in  SG  diffidentia  (darüber  plücheit) 
heizzet  iinde  uirchimst  mit  verweiszeichen  vor  hetzzet  und  unde, 
d.h.  Umstellung  zu  difßdentia  unde  uirchünst  sollte  stattfinden: 
den  zeichen  schenkte  weder  X  noch  1286  (wo  freilich  jdiicheit 
als  interlinearglosse  fehlt)  beachtung.   —   Ps.  37,  8  (136,  26  f.) 


i 


NOTKEKS   PSALTER.  89 

ist  bei  Hattemer  und  Piper  der  Wortlaut  von  SG  der  folgende: 
das  er  Got  unänäa  uiicsen  ligna  unde  lapidcs  mit  der  inter- 
linearglosse  höh  unde  steina  über  den  drei  letzten  Worten, 
X  dagegen  hat:  daz  er  Got  unända  uucsen  ligna  (darüber 
Iwhir)  unde  lapides  (darüber  steina).  Letzterer  fassung  gibt 
Kelle  den  vorzug;  weslialb,  ersieht  man  nicht  recht,  denn  der 
interlinearglossator  gebraucht  beide  pluralformen,  sowol  Jioh 
Ps.  64,4  (243,2)  als  hohir  Ps.  80, 16  (339,3),  und  dass  ein 
deutsches  textwort  zum  überfluss  nochmals  interlinear  erscheint, 
hat  auch  seine  parallelen,  z.  b.  Ps.  21, 19  (70, 1).  41,  2  (153,  24) 
ist,  104, 8  (444, 13  f.)  diu  ioJi.  Aber  SG  enthält  kein  inter- 
lineares unde,  sondern  u  mit  einem  punkt  dahinter:  so  kürzte 
man  im  mittelalter  nicht  ab.  Obendrein  ist  u  unterstrichen 
und  steht  der  punkt  hoch:  es  liegt  also  nur  ein  ansatz  von 
unde  vor,  der  beim  ersten  zuge  des  «  abgebrochen  wurde,  weil 
das  wort  bereits  im  linearen  texte  stand.  Sehr  wol  indessen 
konnte  u  mit  folgendem  punkt  für  ir  genommen  werden.  — 
Ps.  44, 10  (171,6)  war  in  SG  tohteron  nach  analogie  der  gleichen 
z.  4  vorangehenden  form  geschrieben  gewesen,  n  wurde  dann 
unterstrichen  und  o  in  a  corrigiert:  X  kümmerte  sich  um  den 
strich  nicht  und  schrieb  toldenm.  —  Ps.  59,  8  (227, 26)  hat 
SG  das  anfangs -/i  von  hdhsele  durch  strich  darüber  und  dar- 
unter getilgt:  trotzdem  liest  X  hdhsele.  —  Nicht  minder  steht 
Ps.  63, 9  (241, 2)  in  SG  unter  dem  ersten  e  von  dcen  ein 
tilguugsstrich:  aber  X  hat  dessen  ungeachtet  deen.  —  Ps.  67,35 
(262, 16)  befindet  sich  über  und  unter  dem  ZAveiten  s  von 
stiwlstazzcn  in  SG  ein  schwer  erkennbarer  punkt:  stuol- 
stazzcn  R,  stuolsazzcn  aus  richtiger  Vermutung  Seh.  —  Ps. 
73,18  (298, 20  f.)  idles  (mit  tilgungsstrich  über  s)  Gotes  tiilte 
SG:  alles  X.  —  Ps.  82,2  (342,20)  toüyener,  das  letzte  e  corri- 
giert aus  0  und  einem  solchen  in  der  tat  sehr  ähnlich  SG: 
toiKjeno:''  R,  tougenor  Seh.  —  Ps.  84, 9  (352,1)  todiga,  a  ge- 
bessert aus  u  und  allerdings  davon  nur  schwer  unterscheidbar 
SG:  tödigu  X.  —  Ps.  85,7  (355,24)  so  uuellen  (llen  unter- 
strichen) uuir  geellindot  föne  Gote  =  peregrinamur  a  domino 
SG;  es  hatte  uuerden  geschrieben  werden  sollen,  vgl.  Ps.  125, 1 
(555,24):  aber  auch  in  X  steht  unter  nichtbeachtung  des 
tilgungsstriches  uuellen.  —  Ps.  89, 10  (380, 10  f.)  überheuen, 
u  aus  h  corrigiert  SG:   üherhehen  X.   —   Ps.  93,13  (396,19) 


90  STEINMEYER 

iougcnoro,  das  erste  o  corriglert  in  e  SG:  tougenoi'o  X.  — 
Ps.  97,  3  (409, 15)  antfristot  mit  ganz  feinem  strich  nnter  dem 
letzten  t,  Übersetzung  von  interprctatione,  SG:  antfristot  X.  — 
Ps.  101, 28  (427,  7)  dar,  r  aus  r  corrigiert  und  noch  immer 
einem  s  sehr  ähnlich  SG:  claz  X.  —  Ps.  104, 16  (446, 1  f.)  Et 
panis  cor  hominis  confirtnat  mit  der  interlinearglosse  inide 
hröt  fcstit  manne  äaz  herza,  manne  corrigiert  aus  mannis, 
indem  i  zu  e  geändert  und  s  fein  unterstrichen  wurde  SG: 
mannis  X.  —  Cant.  Abac.  17  (623,  28)  cliümct  xpc  durch  zeichen 
umgestellt  SG:  ebenso  X,  indem  die  zeichen  unbeachtet  blieben. 
—  Auch  JDanid  über  dem  gleichlautenden  lat.  eigennamen  in 
X  Ps.  33, 1  (112,  3)  erklärt  sich  aus  mis Verständnis  oder  nicht- 
berücksichtigung  der  abbreviatur  daimt  SG  und  sed  in  Ps. 
57,  5  (218,  23)  aus  Verlesung  von  scctm  SG  =  sccundum. 

in.  Nun  behauptet  freilich  Kelle,  die  hs.  SG,  welche 
nach  Mezlers  zeugnis  noch  am  anfang  des  17.  jh.'s  sich  in 
Einsiedeln  befand,  sei  nicht  vor  1700  nach  St.  Gallen  gekommen, 
könne  somit  Loubere  nicht  zur  vorläge  gedient  haben,  da 
dieser  ausdrücklich  einen  St.  Galler  codex  als  seine  quelle 
bezeichne.  Denn  in  des  bibliothekars  Hermann  Schenk  Cata- 
logus  codicum  mss.  bibliothecae  S.  Galli  ante  a.  1700  (St,  Galler 
hs,  1280)  hätte  jene  spätere  band  erst,  welche  den  catalog 
überhaupt  vielfach  ergänzte,  s.  72  class,  IV  no.  149  nach- 
getragen: Nothri  Laheonis  Psalteriu  in  linguä  Teuton.  Theo- 
tiscä  translaiü  foJ.  31.  n.  31  (Untersuchungen  s.  1).  Die  tat- 
sache  stimmt,  der  aus  ihr  gezogene  schluss  geht  fehl.  Diese 
spätere  band  hat  nämlich  zahlreiche  mss.  nachgetragen,  von 
denen  sich  ohne  jede  mühe  dartun  lässt,  dass  sie  seit  Jahr- 
hunderten eigentum  des  stifts  waren.  Unmittelbar  hinter 
Xotkers  Psalter  (no.  150)  verzeichnet  sie:  Psalteriu  JJavidis 
aureis  cliaracterih,  conscriptiim.  fol.  M.  n.  21.  Das  ist  der 
jetzige  codex  22,  welcher  auf  s.  1  den  vermerk  saec.  XIV 
trägt:  lih^  sä  gaJli  aureus.  Sie  bucht  s.  73  unter  no.  154: 
Antiqu'""  delineatio  Monrij  S.  Galli  fol.  cum  Frwfatione  ad 
Coshcrtu.  Das  ist  der  jetzige  codex  1092,  der  schon  im 
bibliothekscatalog  von  1401  (Weidmann,  Geschichte  der  bib- 
liothek  von  St,  Gallen  s.  411)  erscheint.  Endlich  nennt  sie 
s,  107  unter  no.  211  (fortsetzung  der  nachtrage  zu  classe  III, 


N0TKER8    PSALTElf.  91 

s.  G2)  den  jetzig-en  codex  899.  wie  die  T)eigefügte  Kolbsclie 
Signatur  259  über  allen  zweifei  erhebt.  Ihn  bezeichnet  aber 
auf  seiner  ersten  seite  schon  eine  band  des  XIV  /  XV.  jh.'s  als 
Libcr  sancti  galli  Schenk  hat  in  den  von  ihm  gescliriebenen 
Partien  des  catalogs  nicht  entfernt  alle  hss.  eingetragen, 
welche  das  stift  vor  dem  jähre  1700  besass.  Das  erklärt  sich 
sehr  einfach  daher,  dass  er  während  seiner  nur  zweijährigen 
bibliothekarischen  tätigkeit  (1680 — 1682)  mit  der  catalogisie- 
rung  nicht  fertig  geworden  war.  Dies  geschäft  kann  er  dann 
selbst  in  seinem  letzten  lebensjahr,  als  er  am  22.  april  1705 
abermals  zum  bibliothekar  gewählt  worden  war,  oder  einer 
seiner  nachf olger  beendet  haben:  denn  die  nachtrage  zum 
catalog  fallen  nach  1704,  wie  bei  der  oben  erwähnten  no.  154 
der  hinweis  auf  ihre  reproduction  im  zweiten  bände  von 
Mabillons  Annales  ordiuis  S.  Benedict!  zeigt.  "Weil  Schenk 
von  1682 — 1705  der  bibliothek  nicht  vorstand,  ja  grossenteils 
fern  von  St.  Gallen  w^eilte,  begreift  sich  auch  entgegen  Keiles 
bedenken  (St.  Galler  Schriften  s.  215  ^=  11),  warum  Mabillon, 
als  ihn  Schilter  um  vermittelung  des  St.  Galler  Psalters  an- 
gieng  (Jahresbericht  a.a.O.),  nicht  an  Schenk  sich  wenden 
konnte.  Der  codex  21,  der  allem  anschein  nach  auf  unreclit- 
mässige  weise  nach  St.  Gallen  gelangte  (St.  Galler  Schriften 
s.  235=31),  dessen  Verheimlichung  man  darum  Loubere  zur 
pflicht  machte,  kann  somit  sehr  wol  1675  oder  noch  früher 
auf  der  Stiftsbibliothek  sich  befunden  haben.  Wie  Loubere, 
wie  später  Schilter  von  ihm  erfuhr,  woher  Mabillon  oder  schon 
Schilter  ihre  Wissenschaft  von  Louberes  abschrift  schöpften, 
das  entzieht  sich  unserer  kenntnis. 

Noch  eine  Schwierigkeit  bleibt  zu  beseitigen,  i)  Kelle  hat 
nachgewiesen,  dass  den  300  blättern  von  Louberes  Psalter- 
copie  zwei  mit  dem  titel  und  einer  Vita  autoris  vorangiengen 
(Untersuchungen  s.  12).  Beide  stücke  finden  sich  aus  Schilters 
nachlass  in  dessen  Thesaurus  s.  xii  mitgeteilt.  SG  aber  bringt 
weder  diese  biographie  Notkers  noch  überhaupt  eine.   Schilters 


^)  "Welche  bewautuis  es  mit  der  angäbe  zweier  briefe  Mabillons  hat, 
in  Louberes  abschrift  sei  nicht  nur  der  Psalter,  sondern  auch  die  ver- 
deutschte Benedictiuerregel  enthalten  gewesen,  weiss  ich  nicht  zu  sagen. 
Ihr  fehlt  jede  sonstige  beglaubigung  und  sclir  wahrscheinlich  will  sie  mich 
nicht  bedünkeu. 


92 


STEIN  MEYER 


Vita  gehört  indessen  auch  nicht  dem  12.  jh.  an,  sondern  ist 
aus  Jodocus  Mezlers  schrift  De  viris  illustribus  Sangallensibus 
I,  44  in  einer  von  dem  drucke  bei  Pez,  Thesaurus  anecd.  I,  3,  580 
etwas  abweichenden  gestalt  (deshalb  zuweilen  näherer  anklang 
an  Kolbs  worte  bei  Hattemer  2,  3)  zurechtgemacht.  Ich  stelle 
die  drei  fassungen  nebeneinander  und  kenuzeiclme  die  gemein- 
samen Partien  durch  Sperrdruck. 


Schilter. 

Scriba  ad  Lectorem  de 
NotkeroTertio.  B.  Not- 
kerus  Labeo  ä  latiori- 
bus  labiis  cog-uomiiia- 
tus,  subtilis  iiigenii, 
&  in  literis  appriine  exer- 
citatus,  Magister  sclio- 
lis  S.  Galli  umltis  anuis  cum 
laude  prsefuit,  ac  primo 
iu  gratiam  fratrum 
siiorum  Psalterium 
Davidicum  &  complura 
alia  in  linguam  verua- 
culam  vertit;  Et  cum 
nou  minus  sanctitate 
quam  scientiis  Üoreret, 
mortis  suse  prfescius, 
eamque  fratribus  in  per- 
uigilio  S.  Petri,  cujus 
mirificus  cultor  erat,  ante 
completorium,  sanus  ad- 
huc  prsedicens,   sub  com- 

pletorio  pauperes, 
quod  oflicii  sui  erat,  alacer 
pascens,post  completo- 
rium decumbeus  placi- 
dissime  obdormivit  Anno 
MXXII. 


Mezler. 

De  Notkero  Labeone  Mo- 
nacho.  Notkerus  cogno- 
mento  Labeo  seu  labio 
lato  in  Diviuis  scripturis 
exercitatus,  ingenio 
subtilis,  atque  ad  inve- 
niendum  quielibet  promp- 
tus,  in  suorum  fratrum 
(ut  scripsit  Eckerardus  & 
alii)  gratiam,  primus 
in  Germanicam  lin- 
guam vertit  Davidis 
Psalterium,  Job  libruui, 
&  D.  Gregorii  Moralia.  De 
quibus  psalterium  tantum 
paraphrastice  ab  eo  inter- 
pretatum  vidimus,   ex  ar- 

chetypo  transscriptum, 
qnando  quidcm  arcbetj'pon 
ipsum  Gisela  Imperatrix 
ad  S.  Gallum  cum  venisset, 
ab  Abbate  exoraverat,  & 
asportarat.  Cseterum  qiio- 
niam  Notkerus  sancti- 
tate etiam  pollebat, 
mortis  sufe  prsescius, 
ita  demum   obiit;   ut  in 

pervigilio  S.  Petri 
Apostoli  sanus  adhuc 
cum  esset,  missis  ad  Com- 
pletorium Cceteris,  pau- 
peres Interim  ipse  pas- 
ceret,  &  finito  demum 
Completorio,  cum  Pa- 
tres, ne  sepeliendura  ba- 
bitu  aliquaudo  spoliarent. 


Kolb. 

A  latioribus  autem  la- 
biis Labeo  dicitur,  mul- 
torum  discipulorum  doc- 
tissimus  Magister.  Scrip- 
sit non  pauca  barbarice, 
seu  antiquo  theodisce,    et 

primus    psalterium 
Davidicum  transtulit  in 
linguam  antiqiiam  Ger- 
manicam.   Cumque  non 

minus  sanctitate, 
quam  scientia  polie- 
ret, prsescius  mortis 
sanctissime  obiit  circa 
aunum ,  ut  Hepidannus 
scribit  1022  sub  Bur- 
chardo  IL  Abbate. 


NOTKERS   PSALTER.  93 

Mezier. 

fuisset    coutestatus ;     ipsa 
hora      opinioue      oiuninra 
Sanctus    placidissime 
conriuievit. 

Mit  Mezlers  darstelluug  berührt  sich  auch  stark  B.  Fraiicks 
Dissertatio  historico-critica  s.  xiv  in  Schilters  Thesaurus  I,  die 
jedoch  daneben  deren  quelle,  den  Liber  benedictionum  Ekke- 
liards  IV.,  verwertet  hat. 

Der  eigenen,  durch  Mabillons  brief  au  Schilter  vom  3.  mai 
1697  verbürgten  aussage  Louberes:  'se  quidem  habere  apo- 
graphum  illius  Psalterii  ex  codice  sancti  Galli,  sed  ea  cou- 
ditione  acceptum,  ut  nulli  alteri  id  communicaret'  muss  man 
entnehmen,  dass  er  aus  St.  Gallen  eine  für  ihn  hergestellte 
copie  zugesant  erhielt,  welcher  ganz  passend  eiue  kurze  bio- 
graphische Skizze  beigegeben  sein  konnte.  Diesem  zeugnis 
widerspricht  scheinbar  der  Wortlaut  des  titeis,  wie  Schilter 
a.a.O.  ihn  gibt:  'Psalterii  Translatio  Barbarica  Notkeri  tertii 
Abbatis  de  Sancto  Gallo  in  Helvetia,  summa  curä  descripta 
ex  Autographo  in  Bibliotheca  San-Gallensi  seruato,  Soloduii 
Anno  1675.  ä  Mr.  la  Loubere.'  Denn  er  kann  kaum  anders 
gedeutet  werden,  als  dass  der  St.  Galler  codex  nach  Solothurn 
gesaut  und  dort  von  oder  für  Loubere  copiert  worden  sei: 
so  legte  schon  pastor  Frick,  der  Vorredner  des  Thesaurus, 
ihn  aus.  Wäre  SG  an  Loubere  zur  abschriftnahme  verschickt 
worden,  so  begriffe  sich  die  zusätzliche  bezeiclmung  Notkers 
als  St.  Galler  abtes  schwerer;  diese  von  Goldast  aufgebrachte 
verw^echslung  mit  dem  975  verstorbenen  prälaten  w^ar  in 
St.  Gallen  beliebt  und  lag  einem  St.  Galler  abschreiber  be- 
sonders nahe.  Vermutlich  hat  man  die  Schlussworte  des  titel- 
blattes  'Soloduri  —  Loubere'  gewissermassen  als  einen  bibiio- 
theksvermerk  abzutrennen,  der  ort  und  zeit  der  er  Werbung 
sowie  den  namen  des  besitzers  angab;  ä  wäre  dann  als  fran- 
zösische dativpräposition  zu  fassen. 

Der  Kopenhagner  codex  darf  nunmehr  in  die  Vergessen- 
heit wider  zurücksinken,  vrelcher  für  kurze  frist  ihn  entrissen 
zu  haben  zu  den  nicht  geringen  Verdiensten  zählt,  die  sich 
Kelle  während  eines  arbeitsreichen  lebens  um  die  quelleu- 
kunde  der  alid.  literatur  erwarb.    Denn  gerade  mit  hilfe  von 


94  STEINMEYER,   NOTKERS   PSALTER.    —   LÜCKENBÜSSER. 


Rostg-aards  abschrift  Hess  sich  leichter,  als  das  auf  griind  von 
Schilters  stark  änderndem  druck  möglich  gewesen  wäre,  der 
nach  weis  erbringen,  dass  der  Notkersche  Psalter  vollständig 
allein  in  dem  Saugallensis  21  auf  uns  gekommen  ist. 

ERLANGEN,  juni  1907.  E.  STEINMEYER. 


LUCKENBUSSER. 

Die  glosse  des  Clm.  14747  Exercuere  anmekzan  Gll.  2, 
330, 23  ist  wieder  dort  noch  von  Graff  1,  llOG  gedeutet  worden. 
Der  Zusammenhang,  in  welchem  exercuere  bei  Hieronj-mus  vor- 
kommt (quorutn  causa  exercuere  nirtutes),  hilft  auch  nicht  weiter. 
Es  liegt  einfach  ein  mis Verständnis  des  glossators  vor:  er  ver- 
las exercuere  zu  exacuere  und  verdeutschte  dies  dann  ganz  an- 
gemessen mit  dem  Infinitiv  aruueizsan  =  aruuessan.  Zur 
bezeichnung  des  aus  umlaut  hervorgegangenen  e  war  ci  von 
ihm  schon  2,  329,  34  {eincJio)  angewaut  worden.  Anlautendes 
h  vor  consonanz  ist  in  dem  denkmal  bald  erhalten  bald  ab- 
gefallen. 

STEINMEYER. 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION 
IN  DER  WESTGERMANISCHEN  DICHTUNG. 

Einleitung-. 

1.  Die  vorliegende  arbeit  ist  von  einer  untersncliung- 
über  die  sog.  gekreuzte  alliteration  ausgegangen,  die  im 
herbst  1005  unternommen  wurde.  Diese  erstreckte  sich  damals 
nur  auf  den  Beowulf  und  brachte  zunächst  wenig  erhebliche 
resultate.  Doch  führte  ich  die  Untersuchung  weiter,  um  mir 
wenigstens  vollständiges  material  zu  verschaffen.  Denn  es 
war  mir  aufgefallen,  dass,  wiewol  man  stets  mit  zahlen  und 
procentsätzen  gearbeitet  hatte,  es  doch  anscheinend  niemandem 
gelungen  war,  auch  nur  aus  einem  einzigen  grösseren  gedieht 
sämmtliche  belegfälle  aufzuzählen. ')  Ich  wollte  also  versuchen, 
auf  grund  eines  möglichst  vollständigen  materials  wenigstens 
die  häufigkeit  der  kreuzalliteration  für  die  grösseren  dichtungen 
der  alt-  und  angelsächsischen  literatur  vergleichend  zu  be- 
stimmen. Die  auf  diese  weise  gewonnenen  resultate  wurden 
dann  herrn  prof.  E.  Sievers  vorgelegt,  der  bisher  das  auftreten 
der  gekreuzten  alliteration  im  allgemeinen  als  zufällig  be- 
trachtet hatte  (Altg.  metr.  §  21  d).  Aus  meinem  material  ergab 
sich  ihm  aber  bald,  dass  die  belege  aus  dem  Beowulf  viel 
deutlicher  auf  das  ohr  wirkten  als  die  aus  dem  Heliand2), 
und  er  bekam  den  eindruck,  als  könne  das  irgendwie  mit 
den  tonhöhenverhältnissen  der  hebungen  zusammenhängen.  Er 
regte  mich  daher  an,  das  Verhältnis  zwischen  allitera- 
tionssetzung  und  Sprachmelodie  zu  untersuchen,  indem 


»)  Erst  iiacliher  fand  ich,  dass  Ries,  QF.  41, 125  die  beispiele  aus  dem 
Heliand  vollstäudig-  angeführt  hat,  aber  auf  der  anderen  seite  doch  wider 
vermischt  mit  entschieden  ungültigem. 

*)  Zur  erklärung  dieses  umstandes  vgl.  unten  343  ff. 


96  MOROAN 

er  zugleich  die  Vermutung  aussprach,  dass  hebungen  mit  hoch- 
tou  (in  musikalischem  sinne)  alliterieren  möchten,  andere  nicht. 
Mit  gewissen  änderungen  hat  sich  diese  veimutung  denn  auch 
bestätigt,  was  durch  die  weiteren  ausführuiigen  dieser  arbeit 
des  näheren  dargelegt  werden  soll. 

2.  Bisher  hat  über  die  Setzung  der  alliteration  im  westg. 
alliterationsvers  eine  lehre  gegolten,  wie  sie  z.  b.  bei  Sievers, 
Altg.  metr.  §  17,1  formuliert  ist.  Dort  wird  gelehrt,  dass  'die 
Stellung  der  alliteration  . . .  sich  genau  dem  rhetorischen  sinnes- 
accent  anschliesst'.  Diese  lehre  lässt  sich  ja  auch  ohne  erheb- 
liche sclnvierigkeiten  auf  das  überlieferte  anwenden.  Indessen 
bleibt  bei  dieser  allgemeinen  fassung  doch  noch  manches 
dunkel,  und  wird  erst  dann  erklärlich,  wenn  man  nicht  nur  den 
dynamischen,  sondern  auch,  und  zwar  in  erster  liuie,  den 
musikalischen  accent  (Sievers,  Phonetik  §  572.  599  ff.)  in 
betracht  zieht. 

3.  Erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  ist  die  grosse  bedeu- 
tung  des  musikalischen  accentes  in  den  älteren  und  neueren 
sprachen  mehr  und  mehr  gewürdigt  worden  (vgl.  beispielsweise 
die  lehre  von  den  griechischen  accenten,  von  den  litauischen 
circumflexeu,  u.  ä.  die  verschiedenen  angaben  über  relative 
tonhöhen  in  den  moderneu  deutschen  mundarten,  die  a.a.O. 
bei  Sievers  mitgeteilt  sind).  Zu  jenen  resultaten  können  nun 
die  ergebnisse  meiner  Untersuchung  erweiternd  hinzutreten, 
insofern  sich  diese  für  einen  grossen  teil  der  alliterations- 
dichluug  in  den  satz  zusammenfassen  lassen:  gleiche  tonhöhe 
zweier  (oder  mehrerer)  hebungen  fordert  die  Setzung 
der  alliteration,  während  diese  bei  wesentlich  un- 
gleicher tonhöhe  nicht  gestattet  ist.  Nur  darf  man  den 
satz  nicht  allzu  schroff  formulieren.  Es  hat  sich  nämlich  als 
notwendig  herausgestellt,  drei  tonstufen  zu  unterscheiden, 
deren  abgrenzung  und  bezeichnung  freilich  gleich  wider  einige 
Schwierigkeiten  bereitet.  Denn  es  ergibt  sich  bald  die  auf- 
fällige doppelheit,  dass  (nach  deutscher  wie  nach  englischer 
betonungsweise)  nebenhebungen,  Senkungen,  ja  selbst  die  nicht- 
alliterierenden hebungen  sowol  tiefer  als  auch  höher  liegen 
können,  als  die  alliterierenden  hebungen. ')    Es  geht  also  nicht 


^)  Ich  bemerke  ausdrücklich,  dass  sich  die  ausdrücke  'höber'  und  'tiefer' 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  97 

an,  die  'haupttonliölie',  d.h.  die  tonliölie  der  alliterierenden 
liebungen  sclileclitliin,  etwa  'hocliton'  zu  nennen:  sie  ist 
zwar  gewiss  oft  ein  wirklicher  'hochton',  ebenso  oft  aber  auch 
ein  ausgesprochener  'tief ton'.  Da  sie  aber  auf  jeden  fall 
mindestens  in  der  halbzeile  sozusagen  die  führende  ist,  so 
können  wir  für  sie  wol  den  terminus  'führ ton'  anwenden. 
Dieser  ausdruck  soll  jedoch  nicht  eine  in  musikalischem  sinne 
feste  tonhöhe  bezeichnen,  vielmehr  ein  für  jede  langzeile 
besonders  zu  bestimmendes  niveau,  oder  noch  genauer 
eine  zone,  innerhalb  deren  die  einzelnen  auftreten- 
den töne  auf  uns  als  gleichwertig  wirken,  auch  wo  sie 
vielleicht  ein  wenig  von  einander  aljweichen.  Haben  zwei 
hebungen  ein  und  derselben  halbzeile  in  diesem  sinne  den 
führton,  so  nennen  wir  sie  'gleichtonig'.  Das  gilt  zunächst 
für  die  einzelnen  halb  Zeilen,  es  scheint  aber,  als  lägen 
auch  die  führ  töne  der  beiden  halbz  eilen  eines  langverses 
innerhalb  derselben  zone. 

4.  Dem  führton  am  nächsten  steht  dann  das,  was  ich  als 
'nahton'  bezeichne.  Ich  verstehe  darunter  eine  tonlage,  die 
sich  von  der  der  benachbarten  führtöne  nur  massig  unter- 
scheidet, jedenfalls  nur  so,  dass  die  differenz  nicht  als  aus- 
gesprochener c  0  n  t  r  a  s  t  empfunden  wird.  Der  nahton  selbst 
ist  ferner  entweder  ein  'gehobener'  oder  ein  'gesenkter', 
je  nachdem  er  höher  oder  tiefer  liegt  als  der  führton. 

5.  Auf  der  anderen  seite  haben  hebungen,  die  durch 
grosse  abstände  vom  führton  getrennt  sind,  und  daher  für 
unser  empfinden  deutlich  zu  ihm  in  contrast  treten,  das  was 
ich  'fern ton'  nenne.  Auch  dieser  'fernton'  ist  wider  in  zwei 
Unterarten  zu  zerlegen,  die  wir  nach  ihrem  Verhältnis  zum 
führton  als  'üb  er  ton'  und  'unter  ton'  oder  vielleicht  besser 
als  'gehobenen'  und  'gesenkten  fern  ton'  bezeichnen 
können. 

6.  Endlich  fasse  ich  unter  dem  namen  'aus  weich  ton' 
alles  zusannnen,  was  vom  führton  durch  einen  wahrnehmbaren 
abstand  getrennt  ist  (also  ausweichton  =  nalitou  +  fernton). 


im  folgeudeu  stets  auf  das  englische  iutouatioussj'stem  beziehen,  das  im 
wesentlichen  mit  dem  hochdeutschen,  nicht  mit  dem  niederdeutschen  zu- 
sammengeht. 

Beiträge  rur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXIII.  7 


08  MORGAN 

7.  Dass  es  sicli  bei  allen  diesen  bezeiclinnngen  nur  um 
die  relativen  tonverliältnisse  der  einzelnen  zeilen  bez. 
halbzeilen  handelt,  sei  noclimals  ausdrücklich  hervorgehoben. 
]\ran  darf  sich  also  nicht  dadurch  irre  machen  lassen,  dass 
selbst  benachbarte  zeileu  im  tonniveau  ganz  gewöhn- 
lich stark  von  einander  abweichen. 

8.  Im  anschluss  an  diese  terminologie  können  wir  nun 
den  oben  gegebenen  satz  genauer  so  formulieren:  hebungen 
mit  führton  müssen  alliterieren,  hebungen  mit  nahton 
(einerlei  ob  gehoben  oder  gesenkt)  dürfen  alliterieren, 
müssen  es  aber  nicht;  hebungen  mit  fernton  sind  von 
der  alliteration  mit  hebungen  anderer  tonstufe  aus- 
geschlossen. 

9.  Man  sieht  aus  dieser  formulierung,  dass  es  sich  auch 
bei  der  alliterationssetzung  um  ein  System  von  bindungs- 
und  contrasterscheinungen  handelt.  Die  hebungen,  die 
auf  wesentlich  gleicher  tonstufe  liegen,  werden  dadurch  für 
unser  empfinden  deutlich  coordiniert,  sozusagen  auf  einander 
bezogen,  und  eben  dadurch  geeignet  die  alliteration  zu  tragen, 
die  ja  auch  auf  einer  gegenseitigen  beziehung  der  verschiedenen 
hebungen  auf  einander  beruht,  nur  mit  einseitiger  beschränkung 
auf  deren  anlaute.  Fehlt  aber  eine  ausgesprochene  tonbindung, 
so  verliert  auch  der  anlaut  der  in  frage  kommenden  hebungen 
an  bedeutung  für  unsere  auffassung;  ja,  ist  der  tonabstand 
zweier  hebungen  sehr  gross,  so  wäre  deren  bindung  durch 
alliteration  geradezu  stilwidrig,  weil  diese  gewaltsam  zusammen- 
bringen würde,  was  sonst  getrennt  ist. 

10.  Es  wurde  schon  oben  (2)  bemerkt,  dass  der  dynamische 
sinnesaccent  allein  nicht  genügt,  um  alle  tatsachen  des  alli- 
terationsgebrauches  zu  erklären.  So  wäre  z.  b.  von  dieser 
Seite  aus  nicht  zu  verstehen,  warum  der  t5'pus  B  überall 
50  proc.  weniger  doppelall.  hat  als  der  typus  A,  und  warum 
der  typus  C  am  seltensten  doppelall.  aufweist.  Untersuchen 
wir  aber  die  tonhöhenverhältnisse,  so  finden  wir,  dass  die 
zweite  hebung  von  B  gern  im  ton  ausweicht,  und  bei  C  fällt 
der  tonsprung  zwischen  erster  und  zweiter  hebung  meist  noch 
viel  deutlicher  ins  ohr.  Ferner  begreift  sich  nur  vom  Stand- 
punkt der  tonhöhenverhältnisse  aus  die  tatsache,  dass  der 
ersten  hebung  niemals  ein  nomen  (alliterationslos)  vorausgeht: 


ZUR  LEHBE  VON  DER  ALLITERATION.  99 

denn  jedes  voranstellende  nomen  hat  erfalirungsgemäss  den 
führten,  und  zieht  infolg-edessen  die  alliteration  auf  sich. 
Aelinlich  ist  es  auch  bei  den  versen,  in  denen  ein  verbum 
einem  nomen  vorausg-eht.  Auch  hier  hat  das  nomen  normaler- 
weise den  führton.  und  darum  muss  es  alliterieren,  wenn  nicht 
besondere  umstände  kreuzend  dazwischen  treten.  Auch  dieser 
satz  findet  durch  die  tatsaclien  durchaus  nur  bestätigung-, 

11.  Ich  verzichte  an  dieser  stelle  darauf,  die  geltung  der 
neuen  regel  weiter  zu  verfolgen,  da  vieles  später  bei  der  er- 
örterung"  des  einzelmaterials  zur  spräche  kommen  muss.  Nur 
einen  wichtigen  punkt  möchte  ich  hier  noch  herausgreifen.  Es 
ist  schon  frühzeitig  bemerkt  worden,  dass  ein  nomen,  das  in 
rectionsverhältnis  zu  einem  anderen  nomen  derselben  halbzeile 
steht,  nicht  zu  alliterieren  braucht:  aber  eine  einleuchtende 
erklärung  für  diese  erscheinung-  ist  bis  jetzt  noch  nicht  ge- 
funden worden.  Mit  dem  dynamischen  sinnesaccent  kann  man 
hier  offenbar  nicht  operieren,  denn  oft  enthält  das  regierte 
wort  das  stärkste  bedeutungsmoment.  Auf  der  andern  seite 
findet  man  aber  bald,  dass  jedes  rectionsverhältnis  seine  typische 
tonfolge  hat:  und  insbesondere  steht  das  regierte  nomen  in 
bedeutender  (musikalischer)  tonenklise  zum  regierenden;  d.  h. 
das  regierte  nomen  hat,  gegenüber  dem  führten  des  anderen 
nemens,  meist  nahton,  bisweilen  sogar  fernten,  und  es  braucht 
daher  an  der  alliteration  nicht  teilzunehmen,  bez.  kann  sogar 
von  dieser  ausgeschlossen  sein. 

12.  Im  folgenden  lege  ich  nun  die  ton  Verhältnisse  im 
Beowulf  zu  gründe,  in  der  form,  wie  sie  sich  mir  beim  sinn- 
und  stilgemässen  vertrag  ergeben  haben.  Es  ist  dabei  fast 
selbstverständlich,  dass  die  anzuführenden  tonschemata  nur 
als  teile  eines  ganzen  anzusehen  sind.  Die  einzelnen  halb- 
verse  lassen  sich  in  musikalischer  beziehung  noch  weniger 
als  in  dynamischer  auseinander  reissen.  Die  richtigkeit  meiner 
angaben  bez.  auffassungen  wird  also  nur  dann  von  dem  leser 
centrolliert  werden  bez.  einleuchten  können,  wenn  er  den  fort- 
laufenden text  vor  äugen  hat  —  wie  denn  auch  die  besprochenen 
Verhältnisse  in  erster  linie  eben  an  diesem  texte  festgestellt 
worden  sind.  Trotzdem  wird  man  schon  aus  praktischen  rück- 
sichten  diejenigen  verse  zusammen  anführen  müssen,  welche 
ungefähr  demselben  tonschema  folgen,  weil  nur  auf  diese  weise 


100  MORGAN 

das  material  einigermassen  übersiclitlicli  wird;  dazu  kommt,  dass 
der  ganze  begriff  des  fülirtons  mit  den  tonverliältuissen  der  ein- 
zelnen lialbzeile  aufs  engste  zusammenhängt,  während  weiter- 
greifende tonschemata  fortwährend  genauere  auseinandersetzung 
über  die  tonsprünge  zwischen  vers  und  vers  verlangen  würden. 

13.  Zu  gründe  gelegt  habe  ich  Holders  text ')  (Tüb.  1899). 
Auf  fragen  der  textkritik  habe  ich  mich  meist  nur  da  ein- 
gelassen, wo  es  für  die  verstypen  oder  die  versmelodie  von 
bedeutung  war.  Dagegen  habe  ich  Holders  interpunction  sehr 
häufig  ändern  müssen,  da  tonführung  und  interpunction  wider 
aufs  engste  zusammenhängen,  und  falsche  interpunction  leicht 
falsche  tonführung  suggerieren  kann.  In  dieser  hinsieht  finde 
ich  die  erste  ausgäbe  von  Holder  der  zweiten  überlegen,  denn 
dort  entspricht  die  interpunction  der  Sprachmelodie  oft  besser 
als  in  der  neueren  bearbeitung. 

14.  Ehe  ich  auf  einzelheiten  eingehe,  wird  es  sich  em- 
pfehlen, bei  einem  zusammenhängenden  stück  aus  dem  Beowulf 
die  tonhöhen  auch  graphisch  zu  bezeichnen,  damit  es  dem 
leser  erleichtert  werde,  die  sprachmelodische  auffassung  des 
verf.  zu  controllieren.  Dabei  habe  ich  mich  folgender  zeichen 
bedient:  'führ ton'  (vgl.  3  ff.)  wird  bezeichnet  durch  einen 
nach  oben  stehenden  punkt,  wie  in  Gcit,  'gehobener  nah- 
ton'  durch  ein  umgekehrtes  Semikolon,  wie  in  oftea'h,  'ge- 
senkter nahton'  durch  Semikolon,  wie  in  cypiinga,  desgl. 
'gesenkter  fernton'  durch  ein  komma,  wie  in  (jefru,non, 
'gehobener  fernton'  durch  ein  umgekehrtes  komma,  me  in 
dy'don  44.  Im  übrigen  (ausser  bei  den  belegen  für  kreuz- 
alliteration,  unten  314  ff.)  muss  ich  es  dem  leser  überlassen,  zu 
entscheiden,  ob  der  'ausweichton'  in  jedem  bestimmten  falle 
nach  seiner  betonungsweise  'gehoben'  oder  'gesenkt'  ist:  ich 
bekäme  zu  viele  Unterabteilungen,  wenn  ich  darauf  eingehen 
wollte,  und  es  genügt  für  uns,  zu  constatieren,  dass  in  diesem 
oder  jenem  vers  ein  contrast  wirklich  existiert.  Zur  allgemeinen 
Orientierung  will  ich  nur  bemerken,  dass  nach  meiner  betonungs- 
weise der  'ausweicJiton'  in  der  ersten  lialbzeile  tatsächlich 
meist  'gesenkt',  dagegen  in  der  zweiten  oft  'gehoben'  ist. 


'j  Nur  setze  ich  überall  p  für  die  dentale  spiraus  und  löse  das  zeichen 
für  'und'  stets  durch  and  auf. 


ZUR   LEHRE   VON   DEU   ALLITERATION.  101 

Hwset,  we  GaT-Dcna  in  geaT-da;giain 

f>eo-d-cy;niDga  frym  g-efru,non, 

hu  lp&  se-pelijUgas  eilen  fre,me(lon. 

oft  Scyld  Scefing  scea-pena  p>rea,tum, 

5    mo-negum  moe'g)?um  meo-do-setla  oftea'h, 

B'gsode  eo-rlas,  sy]?]?aii  pe-rest  wea;rp 

fea'-sceaft  fu-uden;  he  pxs  fro-fre  geba'd, 

Aveo'x  linder  wo-lcnum,  weoTp-myndum  pajh, 

0,1p  pfet  him  ?e'ghwylc  ymbsi;ttendra 

10    ofer  hroui-ra;de  hyran  sco,lde, 

go-mban  gyidan:  f>set  wees  go'd  cy,ning! 

I)0em  ea-fera  wse;s  ae-fter  ce,nued 

geo-ng  in  gea-rdiim,  pone  go'd  se,nde 

fo'lce  to  fro'fre:  fyren-pearfe  ongeait, 

15    J7a  hie  «t  dru,gon  a'ldor-lea;se 

la'nge  hwi,le.  Him  fses  li'f-fre,ga, 

wuldres  wea'ldeud,  woTold-are  forgea,f: 

Beo-wulf  wees  bre-me,  blsed  wiide  sprang 

19    Scyides  ea;ferau  Sce-de-landum  i,n. 

26    Him  pa  Scyld  gewa;t  to  gescse-p-hwi'le 

fe-la-hror  fe-ran  on  frea^n  W0e,re. 

Hi,  hyne  pa  setbEeTon  to  bri'mes  fa,rope, 

swae'se  gesi'pas,  swa  he  se'lfa  bpe;d, 

30    penden  ■wo-rdum  wecld  wi-ne  Scy;ldinga, 

leo'f  la'nd-fruma  7  la'nge  a,hte. 

paer  set  hype  stoid  hri-nged-steifna 

i-sig  and  u-tfus,  aepelinges  f8e,r; 

ale'don  pa;  leo'fne  ]?eo;deu, 

35    bea-ga  bryttan  on  beaTm  sci,pe3, 

mseTne  be  mte-ste.  pser  waes  ma"dma  feila, 

of  feoT-we;gnm  fr*"twa  gelae,ded: 

ne  hyrde  ic  cymli,cor  ceo-1  gegy,rwan 

hi'lde-wieipnum  and  hea-po-waeidum, 

iO    bi-Uum  and  byrnum:  him  on  bea-rme  lie'.g 

ma'dnia  mae-nigo,  pa  him  mid  sco,ldon 

on  flodes  aeiht  feo'r  gewi,tan. 

Na,l8es  hi  hine  laessan  laxum  teo,dan, 

peo'd-gestreoinnm,  poune  j^a*  dy'don, 

15    pe  hine  aet  frumscea,fte  foT)?  onse,ndon 

aenne  ofer  y]?e  u'mbor-weisende: 

]7a,  gyt  hie  him  ase-ttou  se-gen  gy;ldenne 

hea-h  ofer  hea-fod,  letou  ho'lm  be,ran, 

gea-fon  on  gaT-secg:  him  waes  gecmor  se,fa, 

50    mn-rnende  mo'd:  me'n  ne  cuinuou 

se-cgan  to  so'pe  se'le-rae;dende, 

hae-lep»  under  heo-fenum,        hwa  J'aem  hlae'ste  oufe.ng! 


02  MORGAN 

Capitel  I. 

Die  tonverhäitnisse  der  hebungen  im  Beowulf. 

Erster  lialbvers. 

15.  Es  macht  sich  dem  leser  bald  bemerkbar,  dass  die 
ersten  halbverse  ganz  anders  geartet  sind  als  die  zweiten; 
jedoch  fällt  es  einem  zunächst  sehr  schwer,  den  unterschied 
zu  formulieren,  denn  die  besetzung  der  hebungen  ist  oft 
scheinbar  dieselbe:  es  kommen  z.  b.  oft  zwei  nomina,  oder 
verbum  +  nomen,  oder  nomen  -|-  verbum  u.  s.w^  (freilich  mit 
sehr  A'erschiedener  häufigkeit)  in  beiden  halbversen  vor.  Und 
doch  bleibt  der  unterschied  der  Sprachmelodie  bestehen.  Ueber 
die  umstände,  die  mir  hier  wirksam  zu  sein  scheinen,  kann 
ich  nur  ein  paar  andeutungen  geben. 

16.  Vor  allem  fällt  es  auf,  mit  welcher  häufigkeit  verba 
finita  im  zweiten  halbvers  vorkommen:  jeder  zweite  vers 
enthält  eins,  und  gehört  somit  zu  einer  gattung  von  versen, 
die  ich  'erzählend'  oder  'fortlaufend'  nennen  will.  Diese 
haben  wider  drei  melodische  typen,  je  nach  der  Stellung  im 
satze.    Den  einen  typus  haben  war  bei 

pfem  eafera  waes  12  a  lof-dsedum  sceal  24  b 

)?one  god  sende  13  b  him  J?a  Scjld  gewat  25  a 

U.S.W.  Man  kann  am  Schlüsse  nicht  pausieren,  denn 
das  hauptinteresse  des  satzes  ist  noch  nicht  da.  Die  stimme 
neigt  dazu,  ein  wenig  zu  eilen,  und  die  leise  erregtheit  des 
Vortrags  hindert  den  gleichton.  Es  ist  auch  charakteristisch, 
dass  hier  die  'leichten'  verstypen  B  und  C  sehr  stark  ver- 
treten sind. 

17.  Einen  zweiten  typus  finden  wir  bei 

}?ryin  gefrunon  2  b  iu  vvorold  wocun  60  a 

eilen  fremedon  3  b  findan  mihte  207  a. 

Bei  solchen  versen  bildet  das  verbum  den  schluss  eines 
Sinnesabschnittes;  also  fällt  die  stimme  gewöhnlich  stark, 
und  es  folgt  eine  pause.  Diese  beiden  typen  kommen  haupt- 
sächlich (letzterer  fast  ausschliesslich)  im  zweiten  halbvers  vor. 

IS.  Dagegen  ist  der  dritte  typus  fast  ganz  auf  den  ersten 
halbvers  beschränkt;  im  zweiten  kommt  er  nur  10 mal  vor. 
Beispiele  sind: 


I 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  103 

egsode  eorlas  6  a  geafoii  on  gar-secg  49  a 

weox  uuder  -wolcimm  8  a  panon  woc  fela  12651) 

Dieser  vortragstypns  ist  ganz  anders  als  die  eben  besprochenen: 
er  ist  ruhig,  meist  gleichtonig,  und  gestattet  eine  pause  am 
schluss.  Jedoch  schliessen  diese  verse  selten  ab,  und 
so  bleibt  die  stimme  beim  nomen  noch  hoch,  um  zu  zeigen, 
dass  der  satz  noch  nicht  zu  ende  ist. 

19.  In  der  hauptsache  zeigen  die  letztgenannten  verse 
verbale  Variation;  ihnen  reihen  sich  also  bequem  die  verse 
an,  die  nominale  Variation  enthalten.  Formell  gehört  die 
verbale  Variation  dem  'erzählenden'  t3q)us  an,  ihr  vortrags- 
typus  liegt  jedoch  dem  einer  versart  näher,  die  ich  'appo- 
sitioneir  nennen  möchte.  Es  ist  ihre  aufgäbe,  einen  bereits 
dagCAvesenen  begriff  weiter  auszuführen,  während  die  eigent- 
liche erzählung  ruht.  Auch  hier  bleibt  die  stimme  ruhig,  sehr 
oft  gleichtonig,  und  sie  pausiert  am  Schlüsse  ein  weilchen,  ehe 
sie  weiter  fortfährt,  Beispiele  dieser  art  verse:  gombun  gyl- 
dan  11,  iviges  iveor])-mynd  65,  umldres  tvecddend  17.  Es  ist 
bezeichnend  für  die  melodischen  Verhältnisse,  dass  auch  dieser 
typus  fast  auf  den  ersten  halbvers  beschränkt  ist. 

20.  Eine  abart  dieser  verse  (die  sich  aber  von  den  rein 
'appositionellen'  bisweilen  schwer  scheiden  lassen)  nenne  ich 
'parenthetisch',  insofern  sie  in  einem  laufenden  Zusammen- 
hang eingestellt  sind,  ohne  wesentlich  neues  zu  bringen.  Z.  b. 
sivwse  gesipas  29,  'sie  taten  das  und  das,  die  lieben  gefährten'; 
oder  (enne  ofer  yjje  46,  'sie  santen  ihn  fort,  allein  über  die 
wellen,  als  neugebornes  kind'.  Auch  dieser  meist  gleichtonige 
typus  ist  dem  zweiten  halbvers  fremd. 

21.  Man  sieht  hieraus,  dass  der  erste  halbvers  andere 
füllung  zeigt  als  der  zweite,  obgleich  die  auftretenden  Wort- 
klassen in  beiden  halbversen  oft  dieselben  sind.  Dies  gilt 
wenigstens  von  den  versen  mit  doppelall.;  dagegen  zeigen  die 
verse  mit  einfacher  all.  viel  häufiger  den  erzählenden  typus. 
Zu  diesem  typus  sind  viele  verse  zu  rechnen,  die  keine  verba 
enthalten.  Dahin  gehören  beispielsweise  die  meisten  einwortigen 
verse,  die  hauptmasse  der  verse  mit  zweihebigen  composita, 
und  fast  sämmtliche  A3- verse  (mit  aufsteigender  statt  ab- 
steigender melodie). 


104 


MOKCJAN 


22.  Einzelheiten  über  die  tonverliältnisse,  wie  sie  durch 
besondere  wort  Stellung-,  syntaktische  dinge  und  sinnesinhalt 
der  einzelnen  Wörter  bedingt  sind,  werden  in  Zusammenhang 
mit  dem  einzelmaterial  besprochen  werden, 

23.  Endlich  ist  noch  über  die  einteilung  ein  wort  zu 
sagen.  Um  einen  vergleich  zwischen  den  gleichtonigen  versen 
und  denen  mit  ausweichton  möglichst  einfach  zu  machen, 
werden  die  einzelnen  klassen  der  besetzung  mit  nomen  +  nomen 
im  folgenden  neben  einander  gestellt.  Danach  aber  werden 
alle  verse  mit  gleicher  melodie  zusammen  behandelt,  weil  bei 
anderen  combinationen  als  nomen  +  nomen  entweder  ein  ver- 
gleich nicht  so  belehrend  ist,  oder  aber  die  difi'erenzen  so  ge- 
waltig sind,  dass  sie  von  selbst  auffallen. 


A.    Offene  verse. 

24.  'Offene  verse')  nenne  ich  solche,  hinter  denen  gar 
keine  interpunction  oder  höchstens  ein  komma  steht.  Im  gegen- 
satz  zu  ihnen  stehen  die  stark  interpungierten  verse  (s.  unten 
i40  IT.),  die  ich  als  'geschlossen'  bezeichnen  will. 

a)   Nomen  +  nomen. 

Typus  A. 

25.  Coordination,  bei  gleichton  und  doppelallitera- 
tion.  Unter  dem  terminus  'coordination'  bitte  ich  in  dieser 
arbeit  stets  'melodische  coordination'  verstehen  zu  wollen. 
Diese  kann  oft  mit  der  rein  grammatischen  coordination  zu- 
sammenhängen, und  der  name  Avird  tatsächlich  hier  auch  nur 
da  gebraucht,  wo  zwei  nomina  beziehungslos  neben  einander 
in  derselben  halbzeile  stehen.  Wo  dagegen  nur  syntaktische 
coordination  gemeint  ist,  z.  b.  in  ungleichtonigen  versen,  wird 
stets  'syntaktisch'  oder  'grammatisch'  hinzugefügt. 

26.  Zu  den  klarsten  und  unbestreitbarsten  belegen  für 
gleichton  gehören  die  verse,  bei  denen  die  auftretenden 
nomina  vollständig  coordiniert  sind.  Folgende  arten  von 
bindung  sind  zu  unterscheiden: 


*)  Hierin  zusararaentreifend  mit  Ries,  Die  Wortstellung  im  Beowulf  s.265, 
fussnote. 


ZUR   LEHßE    VON    DEIi   ALLITERATION.  105 

1)  Biuduug  durch  'iiud': 

isig  and  utfus  33  leomum  and  leaf um  (,  =  ;)•)  97 

heali  and  horn-geap  (,^:)  82  eoteuas  aud  ylfe  112 

U.S.W.  58.  61.  121.  2.  153.  192.  289.  292.  805.  8.  57.  408  (,  =  ;).  413.  602. 
8.  19.  98.  780.  826.  35.  46.  79.  902.  12.  93.  1048.  61.  74  ( ;  ist  zu  tilgen). 
87.  1189.  95.  1200.  41.  77.  1431.  44.  99.  1546.  9.  62.  4.  1772.  1800.  33. 
1958.  2037.  86.  2292.  2322  (,  =  ;).  49  (,  =  ;  )•  2420.  34.  49.  71.  80.  2571. 
2621.  91.  6.  2701.  4.  63.  2812.  2912.  29.  3098.  3102.  Man  beachte  ferner 
liond  and  heard  siceord  2509,  wo  Jicard  sweord  mindestens  wie  ein  com- 
positum betont,  vielleicht  aber  geradezu  als  compositum  anzusetzen  ist 
(72  mal). 

2)  Bindung  durch  das  verbum  substautivum:  Beoiviilf  tcres 
breme  18,  ap  ivces  gecefned  1107,  ßegnäs  syndon  gepiccere  1230;  ferner 
820.  755.  61.  1459.  1569.  1785.  1925.  2554  ( ,  = ; )  2778.  2788.  Hierzu 
kann  mapmus  gemcene  gerechnet  werden,  dem  das  zugehörige  verbum 
vorausgeschickt  ist  (14  mal). 

3)  Ein  nomen  ist  von  einer  präp.  abhängig:  geong  in  geardum 

18,  cemie  ofer  ype  46,  hcelep  under  heofemim  52;  ferner  48.  56.  77.  95. 
145.  72  ( ,  = ; ).  95.  216.  48.  810.  404.  420.  38.  75.  97  ( ,  = ; ).  584.  40.  8. 
80.  98.  672.  85.  733.  47.  54.  802.  931.  62.  95.  1117.  34.  8  (,=;).  53.  1289. 
1813.  71.  4.  1404.  1574.  95.  1631.  43.  9.  54.  6.  1775.  1815.  1924.  61.  4.  78. 
2021.  73.  99.   2248.  62.  8.    2307.  10.  25.  8.  78.   2411.  38.  48.  59.  98.   2512. 

19.  30.  9.  59.  78.  85.  2G62.  2700.  59.  65.  8.  81.  93.  2803.  76.  2908.  14.  90. 
8016.  23.  5.  39.  91.  5.  8132.  8.  45.  57.  67.  Aehnlich  sind  7netoä  for  py 
mane  110,  hyse,  mid  licele  1217,  fus  cet  farope  1916,  mon  mid  liis  magum 
3065  (104  mal). 

4)  Seltenere  formen  von  coordination  sind  die  folgenden:  bin- 
duiig  durch  'oder':  folc  oppe  freo-hurli  693,  udl  oppe  iren  1848;  durch 
'wie':  sefa  swa  searo-grlm  594,  eldam  siva  unnyt  8168;  durch  'noch': 
wordum  ne  tvorcum  1100,  adl  ne  yldo  1736;  durch  'um  so':  sundcs  pe 
sccnra  1436;  durch  'als  auch'  :  ge  cet  ham  ge  on  herge  1248.  Ferner  ge- 
hören hierher  einige  participialwendungen:  gomen-ivudu  greted  1065, 
selran  gesohte  1839,  godum  gegongen  3036,  helmum  bchongen  3139,  omge 
purh-etonc  3049.  Endlich  noch  vier  verse:  leof  his  Icodum  521,  Higelac 
Hrepling  1923,  peoden  his  pegnum  2869,  Rapcen  Hrepling  2925. 

27.  Syntaktische  coordination  bei  einfacher  all. 
und  aus  weich  ton.  Durch  den  satzaccent  bedingt  ist  die 
tonausweichung  bei  folc  and  rice  1179,  dceges  and  nihtes  2269. 
Bei  gup  getivcefed  1658  scheint  die  starke  markierung  von 
geticcefed  schuld  zu  sein.    In  zwei  anderen  fällen:   fela  ic  on 


1)  Das  =  setze  ich  allemal  vor  die  von  mii*  verworfene  lesart  des 
Holderscheu  textes.  Unser  beispiel  bedeutet  also:  lies  komma  statt  des 
Semikolons  bei  Holder. 


106  MORGAN 

gcogo])e  2426  und  call  sicylce  hyrsta  3164  steht  die  erste 
liebung  tiefer  als  die  zweite:  ein  melodischer  typus,  den  wir 
bei  den  versen  mit  verbis  und  den  schwächeren  Wortklassen 
häufiger  finden  werden.  Ursache  ist  hier  wol  die  geringe 
schwere  des  Sinnesinhaltes  von  fela  und  call,  in  vergleich  zu 
dem  der  anderen  nomina.  Alle  diese  belege  haben  nahton; 
dagegen  ist  fernton  vorhanden  in  to  lang  ys  to  reccan  (=  rec- 
ccnne)  2093,  Wiglaf  wces  liaten  2602.  Man  kann  sich  leicht 
überzeugen,  dass  diese  betonung  richtig  ist,  wenn  man  die 
beiden  verse  in  das  lid.  übersetzt.  Man  spreche  etwa:  'zu 
läng  wäre  die  erzählung,  wie  . . . '  und  '"Wiglaf  war  geheissen 
der  söhn  des  Weoxstan'.  unwillkürlich  steigt  die  stimme  bei 
'lang'  und  'Wiglaf,  sie  sinkt  aber  dann  wider  tief  herab. 

28.  Subst.  +  zugehörigem  adj.  ist  ein  mittelding  zwi- 
schen coordination  und  einem  rectionsverhältnis.  Zunächst  bei 
doppelall.  und  gleichton. 

1)  Das  adj.  kann  vorangehen,  wie  z.  b.  monegum  mcegpwn  5, 
sicase  gesipas  29,  heahan  huses  {=hean)  116;  ferner  75.  158.  275.  488. 
527.  58.  G29.  37.  41.  70.  90.  719.  84.  849.  1111.  28.  78.  1411.  26.  89.  1542. 
1621.  82.  1771.  1934.  2040.  2103.  40.  2164.  2332.  98.  2698.  2969.  3140 
(37  mal). 

2)  Oder  das  adj.  kann  hinter  dem  subst.  stehen:  viedo-cern 
mied  69,  ctpding  cer-god  130.  1329.  2342;  ferner  156.  193.  485.  522.  776. 
817.  989.  1015.  1147.  1234.  67.  1553.  90.  1650.  1784.  1881.  2154.  93.  2250. 
2320.  2405.  56.  74.  2537.  2607.  2757.  Bei  eaM  sweord  eotenisc  1558.  2616. 
2979  haben  wir  es  im  ersten  fusse  mit  der  betonung  eines  compositums 
oder  mit  einem  compositum  (ealdsiveord)  selbst  zu  tun;  dasselbe  gilt  von 
eald  sweord  eacen  1663. 

3)  Von  den  adj.  kaum  zu  scheiden  sind  die  participia,  die  stets  die 
zAveite  hebuug  tragen:  cempan  gecorone  206,  searo-net  seowed  406,  beado- 
hrcegl  broden  552,  heorras  tohlidene  ( ,  = ;  )  999,  breost-nct  broden  ( ,  ^  ;  ) 
1548,  heard  sicyrd  hilted  2987.    Zu  2987  s.  no.  2,  ende. 

29.  Adjectiva  bei  einfacher  all.  und  ausweichton. 

1)  Das  adj.  steht  voran.  «)  Führton  +  nahton:  mcerne  peoden 
201.  345.  797.  1715.  2572,  faitan  goldes  2102.  1093,  und  ähnl.  1750.  2282, 
ece  drillten  1692.  1779.  2796.  108  (107b  — 108a  sind  in  klammer  zu  setzen); 
ferner  334.  561.  86.  973.  1261.  1378.  98.  1413.  1517.  28.  1688.  1733.  2058. 
80.  97.  2156.  68.  91.  99.  2211.  2392.  2467.  2610.  26.  2972.  8.  3108  (40  mal). 
—  ß)  Führton  +  fernton:  hapne  sende  852,  fccüan  goldes  2246,  ferner 
1382.  2237.  90.  2780.  2898.  Die  zahl  der  belege  mag  auffallend  gross  er- 
scheinen, besonders  weil  ein  nachstellendes  substantivum  für  gewöhnlich 
seinen  führten  behält.    In  den  meisten  dieser  fälle  kommen  jedoch  factoren 


ZUR    LEHRE    VON    DER   ALLITERATION.  107 

zur  geltung,  die  mit  dem  rein  begrifflichen  nichts  zu  tun  haben.  Z.  t. 
haben  wir  es  mit  stehenden  formelu  zu  tun,  wie  ccc  drihtcn,  niarnepcoden 
u.dgl.;  in  anderen  fällen  ist  die  gesammtmelodie  des  betreffenden  satzes 
massgebend. 

2)  Das  adj.  steht  hinter  dem  subst.  «)  Führton  +  nahton: 
peoden  nianie  353.  2721.  3070,  bi/rnan  sidc  1291,  sib  gemccne  1857,  fci'hpo 
gcno(je  2'i89.  —  ß)  Führtou -j- fernton:  wpelum  diore  lUiS). 

80.  Inf.  +  anderes  nomen,  bei  doppelall.  und 
gleicliton. 

1)  Das  andere  nonien  gehört  zum  subject  oder  zum  object 
des  vb.  fin.,  das  den  inf.  regiert.  Z.  b.  fela-hror  fcran  27  'Scyld  machte 
sich  auf,  der  kriegerische,  zu  fahren',  u. s.w.  711.  820.  1033.  162-i.  72. 
2553.  2820.  Vgl.  ferner  hri)n-difu  hUcan  222  'sie  sahen,  die  meerklippeu 
glänzen'  (9  mal). 

2)  Das  subst.  wird  von  einer  präp.  regiert,  und  die  fälle 
klingen  den  oben  26,  3  besprochenen  versen  sehr  ähnlich:  secgan  to  sope  51, 
heran  ofer  bolcan  231,  u.s.w.  439.  1869.  2526.  2878.  3011.  17. 

3)  Der  inf.  wird  von  einer  präp.  regiert:  sorh  is  me  to  secgan 
(=  secganne)  473,  idese  to  efnan  (=  efnanne)  1941,  f^isc  to  farenne  1805. 

4)  Inf.  und  instr.  (dat.)  ergibt  einen  melodischen  typus,  der  dem 
von  no.  2  ziemlich  gleichkommt:  liatiim  tolucan  781,  ivordum  ivrixlanSl-i:; 
ferner  684.  1054.  1861.  2126.  2521.  2791.  3083. 

5)  Das  subst.  (bez.  adj.)  wird  vom  inf.  regiert.  Nur  die  satz- 
melodie  ruft  bei  diesen  versen  gleichton  hervor:  fijrene  freimnan  101, 
hafalan  liydan  446,  sumne  besgrwan  713;  u.s.w.  786.  934.  1116.  1509. 
1660.  1989.  2046.  2313  (,  =  ;).  2536.  49.  2601.  22.  55.  3024.  34.  3172. 
Aehnlich  sind  godne  gegynvan  199  und  Grendle  forgijldun  1577  (21  mal). 

31.   Subst.  -|-  regierender  inf.,  bei  einf.  alliteration. 

a)  Führton  +  nah  ton:  iverhpo  dreogan  589,  aldre  sceppan  1524; 
ferner  1786.  2514.  3015.  26.  —  ß)  Führton  +  fernton:  frum-cyn  wüan 
2b2,  Prgp-word  sprecen  643;  ferner  968.  1293.  2388.  2499.  2888.  3078. 

3"^.  Von  den  rectionsverhältnissen  sind  die  Verbin- 
dungen mit  dem  gen.  am  häufigsten,  und  zwar  kann  dieser 
entweder  die  erste  oder  die  zweite  liebung  tragen.  Im  all- 
gemeinen neigt  im  ersteren  falle  das  regierte  nomen  zur  ton- 
enklise,  während  dies  bei  nachstehendem  gen.  nicht  so  üblich 
ist.  Jedoch  finden  wir  formein  wie  heurn  EcgPeoives,  nament- 
lich im  zweiten  lialbvers,  bei  denen  tonausweichung  ganz  ge- 
wöhnlich ist;  und  widerum  finden  wir  viele  fälle  voranstehenden 
genitivs,  wo  gleichton  am  natürlichsten  ist.  Zunächst  behan- 
deln wir  die  verse  mit  gleichton  und  doppelalliteration. 


108  MORGAN 

1)  Der  gen.  stellt  voran:  wiges  iveorp-mynd  65,  in  Games  cynne 
107,  ivorolde  idlna  950;  ferner  17.  35.  11.  127.  36.  81.  259.  81.  329.  52.  69 
(,  =  ;).  80.  441.  83.  810.  36.  986.  1123.  52.  1229.  1487.  1530.  55.  1752.  97. 
2143.  6.  2245.  2386.  2953.  88.  3181  (35  mal). 

2)  Der  gen.  folgt  nach:  friimsceaft  fira  91,  freo-wme  folca  430, 
gilp-mide  Geates  (,  =  ;)  640;  ferner  715.  1047.  79.  1171.  98.  1238.  84. 
1476.  1619.  70.  1852.  91.  2017.  35.  43.  64.  2357.  2404  (,  =  ;).  29.  2584. 
2742.  2947.  3000   (26  mal). 

33.  Bei  den  verbindimgen  mit  dem  gen.  ist  es  charak- 
teristisch, dass  dieser  gen.  bei  einfacher  all.  und  aus- 
weichton in  den  allermeisten  fällen  die  erste  hebung  trägt, 
weil  eine  solche  Wortstellung  öfter  tonenklise  zeigt,  als  wenn 
das  regierte  \s'ort  vorangeht. 

1)  Der  gen.  geht  voran:  «)  Führton  4-iiahton:  Jmsa  seiest  liß. 
935,  secga  betsta  947.  1759,  folces  hyrde  610.  1832.  1849.  2981;  ähnlich 
2027.  3080;  ferner  150.  752.  985  (stijjra  =  stepra).  1032.  58.  1144.  1367. 
1507.  1664.  1824.  35.  87.  2071.  88.  2170.  4.  2224.  38.  2326.  43.  60.  2436. 
85.  2555  (,  =  ;).  67.  2875.  2945.  3088.  In  vielen  fällen  zeigen  diese  verse 
ganz  formelhafte  "Wendungen,  die  man  im  nhd.  mit  compositis  widergeben 
würde.  So  z.  b.  ylda  hearnum  150  'den  menschenkindern'.  Noch  formel- 
hafter sind  die  binduugen  mit  eigenuamen,  Avie  Scyldes  eaferan  19, 
Wedera  leode  225,  Geata  dryhtne  1831.  2483.  2576;  ferner  1068.  81.  1391. 
1856.  2336.  58.  2658.  2927.  32.  58.  92.  3037.  Dazu  kommen  noch  5  verse, 
bei  denen  der  gen.  andere  function  hat,  und  deren  besonderes  rections- 
verhältnis  den  ausAveichton  hervorruft:  ealdres  scyldig  1338,  cafopes  cncftig 
1466,  morpres  scyldig  1683,  modes  seoce  1603,  modes  geoinor  2100  (61  mal). 
—  ß)  Führ  ton  +  fernton:  Deniga  fregan  {==  frean)  (,  =  ;)  271,  eorla 
manegum  1235;  ferner  2614.  2776.  3044. 

2)  Der  gen.  trägt  die  zweite  hebung,  nur  bei  nahtou:  leode 
Deniga  599;  ähnlich  1582,  pryp-cern  Vena  657,  Beowidf  Geuia  676.  1191, 
drillten  icereda  2186,  dryhten  Geata  2402.  2901,  fif^^ä  ivintra  2209,  ähnlich 
3050.  Hier  sind  die  eigenuamen  in  der  mehrzahl,  und  zwar  handelt  es 
sich  um  typische  ausdrücke,  die  jedoch  nicht  compositeuartig  sind,  sondern 
bei  denen  das  zweite  glied  adjectivisch  wirkt,  und  somit  im  ton  leicht  ab- 
sinkt. Von  den  übrigen  versen  enthalten  zwei  ein  zahhvort,  also  eine 
Wortklasse,  die  fast  stets  zur  tonenklise  neigt. 

34.  Andere  Verhältnisse  der  nomina,  unter  denen 
namentlich  der  instr.  eine  rolle  spielt;  bei  doppelall.  und 
gleichton. 

1)  Participialwendungen,  wie  wa'pnnm  geweorpad  250,  cystuvi 
gecyped  923;  ferner  567.  975.  1005.  28.  31.  1126.  93.  4.  1264.  75.  1439. 
1743.  2595.  3072.  3.  3106.  46  (19  mal). 

2)  Adjectivische  Wendungen:  folcum  gefrcege  55,  hupe  liremig  124; 
ferner  626.  727.  1256.  81.  1633.  2937.  3176.  82.    Dazu  die  ähnlichen  fälle 


ZUR   LEHRE   VON   DER    ALLITERATION.  109 

mit  seihst,  statt  adj.:  sige-lircp  sccgum  490,  ma'dcn-irnäu  nuindum  23ß, 
aklr-healu  corhon  1670,  nml  8077  feorh-hcalu  f(vgnw  (14  mal).  Man  empfindet, 
dass  die  meisten  dieser  fälle  gauz  deu  vortragstypus  der  oben  2(>,  3  be- 
sprochenen verse  zeigen. 

35.  Aelmliclies  bei  einfacher  all.  und  ausweicliton. 

1)  Dat.-instr.:  «)  Fübrton  +  nahton:  clreore  fahne  447;  ähnlich 
927,  hcore  druncen  531;  ähnlich  1467;  ferner  624.  80.  777.  1182.  1287. 
2054.  Dazu  nijxt  ofercuman  845,  dessen  gen.  wie  ein  instr.  wirkt.  — 
ß)  Führten  +  f ernten:  238.  296.  1478. 

36.  Endlicli  gibt  es  bei  gleichton  noch  fünf  verse,  die 
composita  aufweisen: 

geasceaft-gasta  (,  =  ;)  1206,  mil-geinearces  1362,  Mlde-hlcemimim  2201. 
2351.  2544.  Auch  hier  spreche  ich  zwangsweise  gleichton,  obwol  comp, 
sonst  regelmässig  zum  tonabfall  neigen. 

37.  Bei  einfacher  all.  sind  die  composita  häufig: 

«)  Führton  +  nahton:  hilde-wcepnum  39,  peod-gestreonum  44.  1218, 
ivunden-stefna  220,  agend-fregan  (= -frean)  1883;  ferner  233.  332.  503.  88 
(,  =  ;).  678.  759.  831.  76.  1036.  53.  1103.  1208.  11.  52.  1324.  81.  1434.  42. 
81.  1511.  26.  40.  4.  1576.  87.  1714.  76.  95.  1819.  25.  58.  1910.  3.  47.  53. 
73.  6.  2151.  2232.  2355.  62.  4.  99.  2412.  53.  2577.  98.  2679.  2723.  87.  95. 
2818.  51.  3.  61.  6.  96.  2911.  62.  3003.  32.  64  (67  mal).  —  ß)  Führ  ton  + 
fernton:  tril-gesipas  23,  ende-sceta  2il;  ferner  749.  1326.  1520.  2280.  2728. 
30.  7.  82.  2833.  2942.  3092.  3125  (14  mal). 

Tj^pus  B. 

38.  Der  umfang*  dieses  t3ims  wird  dadurch  eingeschränkt, 
dass  der  ausgang-  entweder  einsilbig  oder  aufgelöst  sein  muss. 
Volle  coordination  der  hebungen  erscheint  deshalb  nur 
g-elegentlich: 

ne  leof  ne  laß  511,  ßcer  tvces  sang  and  siveg  1063,  heo  ^vip  Geatas 
glml  1173;  ferner  1090.  1703.  1864.  2105  (,  =  ;)•  2431  {symhl  =  symhd). 
2472.  Auch  bei  639  Ixim  tcife  pa  word  ist  coordination,  wenn  nicht  gram- 
matisch ,  so  doch  musikalisch  erreicht.  Vgl.  ferner  mceg  ponne  on  pcem 
golde  ongitan  1484  (11  mal). 

39.  Für  ausweichton  finde  ich  bei  syntaktischer  coor- 
dination nur  einen  beleg:  pcet  ncefre  Grendel  siva  fela  591,  bei 
dem  starker  nachdruck  auf  Grendel  ruht,  während  fela  auch 
sonst  ein  schwaches  wort  ist. 

40.  Subst.  und  adj.  erscheint  mit  gleichton  nur  wenn 
das  adj.  voransteht: 

w(ES  se  grimma  gcest  102,   ice  pitrh  holdiie  lüge  267,  pus  manige  men 


110  MORGAN 

337;  ferner  432.  507.  725.  980.  3.  97.  1148.  99.  1335.  1405.  48.  1551.  172G. 
1950.  2045.  2255.  2441  (20  mal). 

41.  Adjectiva  sind  nicht  sehr  häufig  bei  ausweichton. 
Einmal  {Jm  ivces  ivundor  micel  771)  geht  das  subst.  voran, 
und  zwar  hat  micel  nahton. 

Die  übrigen  belege  sind:  «)  Fiihrton  +  uahton:  purh  rumne 
sefan  278,  and  pa  freoh'c  loif  Gib,  pect  milüig  goä  701.  1716.  25;  äliulich 
1056;  ferner  1086.  1415.  1781.  1843.  79.  2240.  2330.  3134.  Man  beachte, 
dass  es  bei  278  gerade  auf  das  rumne  ankommt,  und  bei  108G  pcet  him 
o/jer  fiel  auf  das  oper.  Fcec  2240  verhält  sich  wie  tid  und  hwil,  die  ge- 
wöhnlich tonabfall  zeigen.  Mihtig  god  scheint  eine  art  formel  zu  sein. 
Vgl.  ferner  pje  pu  gi/stran  niht  1334,  bei  dem  niht  adverbial  wirkt.  End- 
lich bei  135  ac  ymh  ane  niht  begegnen  Avir  einem  zahlwort,  dessen  einfiuss 
wir  schon  kennen  gelernt  haben  (33,2)  (17  mal).  —  ß)  Führ  ton  -f 
fernton:  pcem  feoicer  hearn  59,  purh  slipne  ni/}  184,  se  pe  cer  lange  tid 
1915.  In  59  haben  wir  ein  zahlwort;  in  1915  das  wort  tid  (s.  den  vorigen 
absatz);  und  in  vers  184  scheint  die  Verachtung,  mit  der  das  nip  unwill- 
kürlich gesprochen  wird,  auf  die  tonhöhe  einzuwirken. 

42.  Bei  einfacher  all.  hat  B  eine  doppelte  form  der 
melodie:  oft  zeigt  die  mittelsenkung  eine  tiefere  tonlage  als 
die  beiden  hebungen,  während  sie  in  anderen  versen  auf  der- 
selben höhe  gesprochen  wird  wie  die  erste  hebung.  Erstere 
art  ist  im  ersten  halbvers  selten;  ein  deutliches  beispiel  dafür 
ist  aber  . . .  Eotena  hearn  1088.  1141:  vielleicht  hängt  es  hier 
mit  der  auflüsung  zusammen.  Diese  art  begegnet  auch  ge- 
legentlich vor  einem  komma;  z.  b.  he  heot  ne  aleh  80. 

43.  Bei  Verbindungen  mit  dem  gen.  steht  dieser  hier 
zwangsweise  voran,  da  der  gen.  fast  durchgehends  den  ausgang 
-X  geben  w'ürde. 

Mit  gleichton  finden  wir  folgende  belege:  se  pe  his  wordes  geioeald 
79,  gehad  wintra  tcorn  264;  ferner  182.  5.  362.  403  (,-=;).  14.  504"!  16.  78. 
611  (,  =  ;).  1030.  1115.  1210  (oder  schwellvers?).  1360.  93.  4.  1693.  1764. 
2013.  5.  52.  60.  2259.  2316.  48.  2619.  45.  3005.  69.  3117.  Hierzu  vielleicht 
V.  3056,  der  in  der  Überlieferung  he  is  manna  gehyld  lautet?  Der  zweite 
halbvers  {Jiord  opem'an)  zeigt,  dass  eine  Verderbnis  vorliegt,  weil  die  all. 
falsch  angebracht  ist.  Die  äudcrung  bei  Grein 2:  helsmanna  gehijld  ist 
metrisch  unmöglich,  weil  sie  den  sonst  unbelegteu  t^-pus  E  mit  auftakt 
ergeben  würde  (s.  Altg.  metr.  §  83).  Ich  vermute,  dass  manna  nach  der 
folgenden  zeile  versclmeben  ist,  und  dass  ursprünglich  ha;kpa  dagestanden 
hat.  Ich  rechne  jedoch  den  vers  zu  den  verderbten,  da  ich  meine  Änderung 
nicht  als  sicher  aufstellen  will  (31  mal). 

44.  Mit  einer  ausnähme  (jjmh  aldor  Dena  668)  steht  auch 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  111 

bei  ausweicliton  der  gen.  stets  voran.    Für  fernton  finde 

ich  keinen  beleg. 

Die  beispiele  sind:  on  flodes  a-Jit  42,  l)onne  yldo  heani  70.  605,  nolde 
corla  läeo  791.  1035.  186G.  21-12.  2190;  ferner  4lk  64.  8.  568.  648.  69.  99. 
808.  60.  78.  86.  903.  10.  40.  88.  1088.  1106.  41.  56.  1297.  1469.  1609.  80. 
1773.  1844.  1911.  2059.  84.  2184.  2356.  2454.  2799.  2808.  3068.  3166  (43  mal). 

45.  Endlich  haben  wir  bei  gleich  ton  zwei  belege  mit 
composita:  in  Hrefnes-liolt  2935,  sivylce  giomor-cjyd  3150.  Bei 
dem  ersteren  ist  holt  ein  völliges  iiovuin,  bei  dem  letzteren 
haben  wir  satzeingang. 

46.  Relativ  noch  häufiger  als  bei  A  sind  die  composita 
mit  einfacher  all.;  sie  haben  im  zweiten  gliede  alle  nahton: 

]xi  se  eUen-gcest  86;  ähnlich  340,  nccfre  Jic  on  aldor-dagitm  718.  757, 
pa4  ßone  hilde-nes  300;  ähnlich  312.  97.  834.  1039,  hy  on  tcig-geiawiim 
(=-tuwum)  368;  ähnlich  2636;  ferner  410.  513.  661.  844.  59.  958.  1101. 
5.  40.  1222.  1301.  8.  73.  1428.  46.  64.  1593.  1620.  77.  1753.  91.  1939.  79. 
2155.  67.  2267.  2507.  2643.  57.  2750.  85.  2813.  39.  3018  (45  mal). 

47.  Mit  ausweichton  bleiben  noch  zwei  reste: 

Jjonnc  he  ivintrum  frod  2114,  pcH  he  hlode  fah  2974.  Beide  haben 
uahton  im  zweiten  fuss.  Frod  ist  eigentlich  bereits  im  instr.  gegeben, 
ebenso  fah. 

Typus  C. 

48.  Noch  mehr  als  B  tritt  hier  C  zurück,  hauptsächlich 
weil  durch  den  gewöhnlichen  tonsprung  zwischen  erster  und 
zweiter  hebung  die  letztere  meist  nah-  oder  fernton  zeigt, 

49.  Volle  coordination  kommt  nur  5mal  vor: 

oft  Scyld  Scefing  4,  to  medo  »todig  604,  from  mere  modge  855,  on 
geflä  faran  865,  ofer  heafo  hecddan  2477.  Aehnlich  wirkt  heloren 
leofum  1073. 

50.  Das  zugehörige  adjectivuni  geht  bei  gleich  ton 
meist  voran: 

wip  wrap  loerod  319,  oppe  aiol  yldo  1766;  ferner  1926.  30.  2394. 
2473.  Dazu  2212  se  pe  on  heaiii  hcepe  {=  heaure).  lieber  das  geschlecht 
von  hcepe  s.  Beitr.  20,  553. 

51.  Bei  ausweichton  ist  das  Verhältnis  umgekehrt: 

«)  Führton -|- uahton:  ponne  heoru  bunden  1285,  pcet  hyre  ecüd 
metod  945;  ähnlich  979;  ferner  1801.  3077.  —  ß)  Führton  +  feruton: 
170.  539.  854.  2675. 

52.  Viermal  erscheint  ein  gen.  mit  gleichton: 

siva  fela  fyrena  164,   and  to  fceder  foepmum  188,  on  weres  wcestinion 


112  MORGAN 

1352,  ne  gemet  mannes  2533.  In  den  ersten  drei  fällen  enthält  das  nomen 
das  stärkste  sinnesmoment:  bei  dem  letzten  vers  zeigt  die  zweite  halbzeile, 
dass  schwerer  nachdruck  gerade  auf  mannes  liegt,  wodurch  seine  tonhöhe 
gehoben  wird. 

53.  Bei  eiufaclier  all.  zeigen  die  g-eiiitive  liöclistens 
nalitoii: 

on  hearm  nacan  214,  Jje  oh  land  Dena  242,  opße  gripe  meces  1765, 
wolde  dorn  godes  2858. 

54-.   ^lit   gleichton   haben   wir  endlich   eine  reihe  von 

compositis: 

/ione  cwealm-cuman  792,  geond  loid-tvegas  840.  1704,  in  fen-freopo 
851,  of  hryd-hure  921,  cefier  sce-slpe  1149,  sioglce  ferhp-frecan  1146,  wif) 
pam  gryre-giesle  2560,  mid  minne  gold-gyfaii  2652,  uhes  sio  swat-swapu 
2946  (10  mal).  Z.  t.  sind  dies  seltene  composita,  und  in  allen  fällen  ist 
das  zweite  glied  noch  inhaltlich  schwer,  sodass  die  gleiche  tonhöhe  der 
hebungen  erklärlich  ist. 

55.  Es  ist  bezeichnend  für  den  Charakter  dieses  tjiuis, 
dass  bei  ans  weich  ton  fast  lanter  composita  erscheinen,  die 
schon  an  und  für  sich  neignng  zur  tonenklise  des  zweiten 
gliedes  zeigen.  Hier  finden  wir  auch  einen  grösseren  procent- 
satz  von  versen  mit  fernton  als  bei  den  anderen  t^^pen. 

a)  Führ  ton  +  nahton:  ofer  kron-rade  10;  ähnlich  200,  of  feor- 
tvegwn  32,  on  heah-stede  285,  para  pe  ic  on  Scepen-igge  1686;  ferner  mit 
-Bemim  382.  1769.  1996;  mit  -sele  443.  82.  92.  647.  95.  1094.  1253.  1513. 
5.  1639.  2010.  83.  2231.  2410.  2515.  2635.  2840.  3053;  dazu  min  mon- 
drihten  436.  2617.  Die  übrigen  belege:  73.  85.  99.  117.  25.  63.  74.  7.  89. 
228.  30.  9.  60.  82.  93.  7.  304.  70.  3.  85.  434.  62.  79.  81.  6.  91.  519.  33.  7. 
66.  71.  7.  638.  704.  38.  66.  93.  6.  804.  24.  62.  6.  94.  9.  944.  65.  71.  6.  81. 
1029.  52.  62.  6.  7.  84.  9.  98.  1260.  2.  1314.  5.  20.  5.  42.  5.  54.  68.  1403. 
21.  7.  33.  43.  5.  9.  57.  62.  80.  6.  1561.  97.  1606.  35.  8.  1712.  44.  54.  68. 
1813.  8.  23.  50.  62.  1900.  2.  7.  28.  36.  8.  42.  3.  6.  52.  5.  81.  6.  2012.  49. 
66.  7.  2130.  44.  76.  81.  5.  2203.  32.  57.  61.  2311.  33.  44.  6.  2366.  83.  91. 
2438.  65.  79.  2522.  31.  40.  61.  79.  81.  2605.  27.  41.  64.  88.  2712.  26.  35. 
53.  86.  2806.  35.  46.  9.  97.  2918.  54.  70.  84.  3020.  46.  3100.  75.  77.  Aus- 
zuschliessen  ist  707  se  syn-scapa,  der  nur  scheinbar  hierher  gehört.  Die 
all.  zeigt,  dass  der  vers  verderbt  ist  (186  mal).  —  ß)  Führ  ton  4-  fern  ton: 
68.  84.  138.  173.  80.  96.  243.  317.  39.  49.  67.  78.  82.  96.  458.  93.  509..  26. 
49.  84.  677.  812.  32.  8.  43.  69.  83.  964.  1007.  12.  70.  1102.  1213.  1317. 
1523.  52.  1695.  1708.  1810.  41.  1994.  2139.  48.  2223.  78.  2318.  21.  40.  71. 
2428.  95.  2502.  28.  2639.  2718.  98.  2830.  56.  65.  7.  73.  84.  7.  2900.  22.  63. 
3008.  97  (68  mal). 

56.  Mit  ausweichton  haben  Avir  noch  vier  reste: 

zwei  infinitive:   and  on  sped  wrecan  873,  und  him  on  hearm  hladon 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  113 

2775;  und  die  farblosen  verse  tvolde  seif  cyning  1010  und  him  loces  ful 
hören  1192.  Der  erste  vers  hat  führton  +  fernton,  die  anderen  führtou  + 
uahtou. 

Typus  D, 

57.  Dieser  typus  steht  unter  den  versen  mit  doppelall. 
nur  hinter  A  zurück.  Sein  schwerer,  feieiiiclier  gang  begün- 
stigt den  gleichton,  und  manche  worte,  namentlich  die  comp., 
waren  nur  in  D  oder  in  E  unterzubringen. 

58.  Volle  coordination  ist  häufig. 

1)  Bindewörter  sind  freilich  selten,  weil  der  bau  des  typus  mehr 
als  einsilbige  senkung-en  nur  ganz  ausnahmsweise  gestattet.  Ueberliefert 
sind  nur  brond  ne  beado-mecas  1451,  byrne  and  byrdu-scrud  2660,  lif  and 
leodscqje  2751. 

2)  Häufiger  stehen  zwei  adjectiva  nebeneinander,  im  gleichen 
casus:  heard  hond-locen  322.  551,  ealdum  infrodum  1874:;  ferner  1927.  2025. 
2136.  2408.  2829.  2950.  3022.  Dazu  mit  part.  gyfen  goU-hroden  1948  und 
onboren  beaga  liord  2284  (12  mal). 

3)  Häufig  stosseu  auch  zwei  substantiva  aneinander,  von  denen 
das  eine  auch  in  einem  rectionsverhältnis  zu  einem  dritten  nomen  stehen 
kann:  toudu  ivcel-sceaftas  898,  sadol  searwxim  fah  1038;  ähnlich  1286;  ferner 
1250.  1332.  64.  9.  2138.  78.  98.  2931.  51.  65  (13  mal). 

4)  Inf.  +  anderes  nomen:  swefan  sibbe-gedriht  729,  licgean  lif-hysig 
966;  ferner  1485.  2758.  2805.  3115.  33. 

59.  Nomen  und  zugehöriges  adj.,  mit  gleichton. 

1)  Das  adj.  steht  voran:  fromum  feoh-giftum  21,  leof  land-fruma 

31,  atol  ccglceca  592.  732.  816;  ferner  54.  103.  60.  5.  263.  88.  502.  54.  70. 
96.  906.  90.   1022.  3.   1155.   1212.  31.  98.   1307.  39.  48.  59.  1409.  10.  1505. 

32.  68.  1617.  41.  6.  78.  1702.  47.  93.  1816.  1969.  2042.  74.  9.  90.  2112.  18. 
23.  61.  2205  {hüd-frecan  =  hilde-).  10.  71.  3.  2315.  68.  96.  2414.  76.  8. 
2496.  2517.  63.  2603.  42.  70.  4.  89.  2710.  9.  49.  55.  2800.  11.  25.  47.  85. 
3111.  36.  In  vers  341  gilt  Wedra  leod  für  die  Sprachmelodie  als  comp., 
und  danach  beurteile  ich  auch  848.  1627.  1932.  2513.  2774.  Es  sind  gerade 
solche  genitivformeln,  die  öfters  starke  tonenklise  zeigen  (84  mal). 

2)  Das  adj.  folgt  nach:  flota  fami-heals  218;  ähnlich  1909,  rondas 
reg n-hearde  S2G,  wado  weallcnde  M6;  ferner  298.  606.  868.  936.  1097.  1112. 
1690.  1806.  47.  95.  1919.  2082.  2443.  2613.  67.  2725.  2810.  27.  63.  3063. 
99.  3142  (26  mal). 

60.  Bei  aus  weich  ton  sind  die  ton  Verhältnisse  des  typus 
D  in  beziehung  auf  die  Scheidung  von  nah-  und  fernton  viel- 
leicht nicht  ganz  sicher.  Ein  vers  z.  b.  wie  Peod-cijmnga  2 
wird  von  einigen  Individuen  so  gelesen,  dass  peod  hoch  und 
cy-  tief  liegt  (oder  umgekehrt),  während  -ning-  wider  höher 
ist  als  cy-,  doch  nicht  so  hoch  als  peod.    Mit  dieser  betonungs- 

Beiträge  zur  geschichle  der  deutschen  spräche,     XXXllI.  g 


114  MORGAN 

weise  komme  ich  aber  in  Schwierigkeiten  bei  den  verseu,  die 
kurz  vor  einem  satzschluss  stehen.  Ich  werde  später  aus- 
führen, dass  die  satzmelodie  gegen  das  ende  hin  abfällt,  be- 
sonders wenn  der  punkt  (bez.  das  Semikolon  und  bisweilen  das 
külon)  inmitten  der  laugzeile  steht  (vgl.  140  f.).  Wenn  nun 
ein  D  als  zweite  halbzeile  unmittelbar  vor  einem  solchen 
schlussvers  steht,  kann  nur  eine  betonungs weise  befriedigen, 
bei  der  die  erste  hebung  hoch,  die  zweite  mittel,  und  die 
nebenhebung  und  die  Senkung  tief  gelesen  wei-den.  Diese  be- 
tonung  ist  mir  überall  naturgemäss  (d.  h.  da  wo  gleichton 
nicht  eintritt).  Indessen  hat  die  frage  hier  keine  erhebliche 
bedeutung,  denn  schon  bei  nahton  ist  doppelalliteratiou  nicht 
mehr  direct  erforderlich. 

61.  Adjectiva  kommen  bei  ausweichton  nur  viermal 

vor:  reced  selesta  412,  segen  gyldenne  1021,  dugnp  ttnlytel  498,  goJd  %m- 
rime  3012. 

62.  Bei  gleichton  ist  der  genitiv  selten: 

dldor  East-Dena  392;  ähnlich  616,  hcelep  Heälf-Dena  1069;  ferner 
427.  609  (,  =  ;).  1044.  1109.  54.  1420.  1710.  2263.  6.  2557  (13 mal).  Dazu 
mit  voraustehendem  gen.  eorhs  andwiitan  (,^;)  689,  leoda  land-geweorc 
938;  ferner  978.  1447.  1565.  1729.  57.  2286.  3055. 

63.  Bei  ausweichton  dagegen  sind  die  genitiv  Verbin- 
dungen verhältnismässig  zahlreich  und  meist  formelhaft.  Der 
gen.  muss  nachstehen.    Nur  führton  +  nahton  kommt  vor. 

suHu  Healfdenes  268.  645.  1699.  2147;  ähnlich  1867,  pegn  Hropgares 
235;  ähnlich  613,  mceg  Higelaces  914,  ferner  mit  Scildinga  148.  351.  428. 
663.  1183.  1418.  1653.  75.  1871.  2159.  Die  übrigen  fälle  sind  524.  737.  95. 
872.  1083.  1203.  1808.  1962.  8.  71.  2424.  2612.  Schon  die  widerholungen 
zeigen,  dass  es  sich  hier  um  typische  phrasen  handelt  (80  mal). 

64.  Nomen  und  regierender  inf.,  mit  gleichton: 

seon  sibhe-gedriht  387,  secan  sund-gebland  1450;  ferner  1904.  2422. 
2649.  Dazu  die  ähnlich  wirkenden  part.  fela  fricgende  2106  und  nearo 
nepende  2350. 

65.  Bei  ausweichton  finden  wir  nur  einen  inf.,  und  zwar 
trägt  dieser  die  zweite  hebung,  wodurch  die  Verschiedenheit 
der  tonmelodie  hervorgerufen  wird:  2744  hord  sceawian. 

66.  Nur  vier  composita  zeigen  gleichton: 

wig-weorpunga  176,  heard-hicgende  394.  799,  heoro-hocyhtum  1438, 
eall-irenne  2338. 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  115 

67.  Dagegen  sind  composita  mit  ausweichten,  und 
zwar  stets  mit  naliton  im  zweiten  gliede,  häufig: 

peod-cyninga  2,  Heapo-Scilftngas  63,  sioip-hicgende  919.  lOlG;  ferner 
246.  55.  95.  9.  768.  861.  952.  1006.  19.  13i6.  1586.  1625.  1788.  98.  1811. 
1945.  2004.  2125.  2235.  2504.  65.  2837.  68.  95.  2955.  98.  3112.  58  (32  mal). 

68.  Verbalnomen  +  dat.-instr.: 

hefongen  frea-iorasnum  1451,  Maden  here-wcedum  1897,  hyran  heapo- 
siocum  2754,  faran  flot-herge  2915. 

Typus  E. 

G9.  Wie  B  ist  auch  E  weniger  verbreitet,  weil  die  letzte 
hebung  fast  stets  auf  ein  einsilbiges  wort  fällt:  denn  auflösung 
ist  selten.  Eine  Sonderstellung  in  musikalischer  beziehung 
nimmt  dieser  typus  auch  dadurch  ein,  dass  er  bei  gleichton 
der  beiden  hebungen  zwei  verschiedene  melodien 
zeigt,  je  nach  der  Stellung  im  satze.  In  dem  einen  falle 
bleibt  die  stimme  beharrlich  auf  der  ebene  des  führtons,  und 
die  hebungen  werden  nur  dynamisch  ausgezeichnet;  im  anderen 
falle  dagegen  sinkt  die  tonhöhe  bis  zur  Senkung  einschliess- 
lich, um  dann  bei  der  letzten  hebung  wider  zum  führton  auf- 
zusteigen. Letztere  art  ist  indessen  beim  gleichtonigen  E 
seltener  als  beim  ungleich  tonigen,  weil  das  aufsteigen  gegen 
ende  des  typus  der  stimme  oft  etwas  schwer  fällt.  Beispiele 
der  ersteren  art: 

"vvlite-beorhtne  warig  93  wou-sseli  wer  105 

sorh-fuUue  sif  512. 
Beispiele  der  letzteren  art: 

sinc-ftege  sei  167  fif  uihta  fyrst  545 

nipende  niht  547. 

Kein  anderer  ij-pus  zeigt  diese  doppelheit  der  melodie,  ausser 
B  (s.  42)  und  vielleicht  auch  D  (?  s.  60)  bei  einfacher  allitera- 
tion.  Für  die  all.  hat  aber  diese  zweifache  melodische  form 
keine  bedentung,  und  deshalb  wird  hier  keine  besondere  rück- 
sicht  darauf  genommen.  Im  übrigen  gelten  bei  E  dieselben 
gesichtspunkte  für  die  einteilung  wie  bei  den  anderen  typen. 
Nur  ist  insofern  eine  ab  weichung  nötig,  als  es  bei  E  keine 
volle  syntaktische  coordination  gibt,  weil  ja  ein  bindewort 
nicht  gut  unterzubringen  wäre.  Allenfalls  hätten  wir  theo- 
retisch die  möglichkeit,  verse  wie  *infrod  and  eald  zu  finden; 
solche  verse  klingen   aber   besser  in  der  umgekehrten   folge 

8* 


116  MORGAN 

eald  and  infrod  2450,  wie  sie  denn  auch  beim  typus  A  häufig 
vorkommen. 

70.  Das  adjectivuni  steht  bei  gl  eich  ton  stets  voran. 
An  zweiter  stelle  würde  es  bei  diesem  typus  leicht  ausweichton 
hervorrufen,  schon  weil  die  neigung  dazu  im  typus  selbst  vor- 
handen ist.  Es  scheint  aber  auch,  als  spielte  die  einsilbigkeit 
des  ausgangs  eine  rolle. 

Beispiele:  ivliie-beorMne  wang  93,  loon-saili  wer  105,  sorli-fuUne  sip 
512;  ferner  167.  547.  73.  787.  850.  91.  1215.  68.  71.  8.  1429.  1536.  1991. 
2153.  82.  2352.  2447.  64.  2695  (22  mal). 

71.  Auch  bei  ausweichton  erscheint  das  adjectivum 
stets  an  erster  stelle.  Dafür  sind  die  substantiva  im  Zusammen- 
hang unbedeutend. 

Vgl.  lagu-crcBftig  mon  209,  slce/pendne  rinc  741 ;  ferner  528.  1158.  1645. 
2189.  2894.  3162.  5  (9  mal).  Führton  +  nahton  herscht;  nur  741  hat  führ- 
ton +  ferntou. 

12.  Nachstehender  genitiv  ist  hier  auch  unmöglich,  weil 
dieser  in  der  regel  den  ausgang  -x  geben  würde.  Gleichton 
wird  indessen  z.  t.  dadurch  verursacht,  dass  starker  sinnes- 
nachdruck  auf  dem  zweiten  worte  ruht.  Man  vgl.  z.  b.  mit 
beadu-scruda  hetst  453  eine  compositenartige  formel  wie  Wedra 
leod  341,  sowie  die  beispiele  von  7B. 

Die  belege  sind:  fif  nihta  fyrst  545,  sige-folca  sweg  644;  ferner  650. 
4.  97.  877.  908.  1042.  91.  1500.  1613.  81.  1889  (,  =  ;).  1974.  2068.  2317. 
2761.  2807.  43.  3052.  75.  3160.  79  (24  mal). 

73.  Bei  ausweich  ton  finden  wir  folgende  belege: 

irenna  cijst  673.  1697,  cepdinges  hearn  888.  2591.  3170,  Guß-Geata 
leod  1538;  ähnlich  2531;  ferner  803.  29. 

74.  Adj.  und  dat.-instr.,  bei  gleichton: 

fijr-bendum  fcest  722,  fyren-dcedmn  fag  1001,  gum-cystum  god  2543, 
fyr-wylmum  fuh  2671,  feper-gearivum  fus  3119.  In  allen  diesen  belegen 
enthalten  die  adjectiva  das  hauptmoment,  und  erhalten  daher  den  führton. 

75.  Instr.  bei  ausweichton,  nur  zweimal  belegt: 
dcedum  gefremed  954,  oncer-hendiim  fcest  (führton  +  fernton)  1918, 

76.  Endlich  zwei  Infinitive,  bei  gleichton: 

fcejjer-ceßelum  onfon  911,  searo-wundor  seon  920. 

77.  Im  folgenden  wird  nun  eingeteilt  in  erster  linie  nach 
der  melodie  der  betreffenden  verse,  und  zwar  betrachten  wir 
zuerst  die  verse  mit  gleichton  und  doppelalliteration. 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALMTERATION.  117 

I.    Gleichton  und  doppelalliteration. 

b)  Yerbum  finitum  -f-  nomen, 

78.  Bei  dieser  conibination  könnte  man  fast  von  coordina- 
tion  sprechen,  und  jedenfalls  ist  gleich  ton  von  vornherein 
praktisch  gegeben.  Denn  das  nomen  ist  für  gewöhnlich  höher 
betont  als  das  verbum  (im  Beowulf  erhält  überhaupt  das  no- 
minale mehr  nachdruck),  und  somit  ist  jedenfalls  ein  tonabfall 
der  zweiten  hebung-  gegen  die  erste  ausgeschlossen.  Eher  wäre 
noch  eine  steigende  melodie  zu  erwarten,  wie  wir  sie  z.  b.  bei 
den  A3  tatsächlich  sehr  häufig  finden.  Wenn  sich  statt  dessen 
dem  leser  die  ausspräche  mit  wesentlich  gleichem  ton  aufdrängt, 
so  hängt  das  offenbar  mit  der  bedeutenden  sinnesschwere  der 
verba  zusammen. 

79.  Wol  aus  sprachlichen  gründen  kommen  hier  eigentlich 
nur  zwei  verstypen  vor,  nämlich  A  und  D:  der  dichter  hat 
sich  irgendwie  gescheut,  einsilbige  nomina  zu  benutzen,  und 
dadurch  fehlen  B  und  E  gänzlich.  Auch  C  ist  nur  durch  einen 
beleg  vertreten:  gemyne  mcerpo  659. 

Typus  A. 

80.  Ob  das  nomen  subject  oder  object  des  verbums  ist, 
oder  von  einer  präposition  abhängt,  oder  in  sonst  einem  rec- 
tionsverhältnis  steht,  ist  für  die  satzmelodie  gleichgiltig,  und 
wird  daher  im  folgenden  nicht  besonders  unterschieden.  Ich 
gebe  beispiele  für  jede  vorkommende  form,  und  bemerke  bei- 
läufig, dass  die  rection  durch  präpositionen  bei  weitem  am 
häufigsten  ist. 

Beispiele  für  subject:  lixte  se  leoma  311.  1570,  ams  pa  se  n'crt  399, 
hylde  hine  pa  heapo-deor  688;  für  object:  egsode  eorlas  6  (=  eorl,  Tgl. 
Sievers,  Beitr.  29,  560  ff.),  ne  gefeah  he  pcere  fahpe  109,  polode  pryp-swijp 
131;  für  präp. :  iceox  under  ivolcnum  8,  geicat  pa  ofer  tcceg-lwlm  217, 
eawep  purh  egsan  276;  sonstiges:  bced  hine  hlipne  617,  Ute  hine  licgean 
3082;  ferner  234.  302.  23.  27  (,  =  ;).  489.  505.  90.  712.  4.  58.  62.  922.  6. 
1013.  1119.  20  (,  =  ;).  32  (,  =  ;).  61.  9.  1216.  9.  57.  1493.  1506.  10.  8.  45. 
57.  63.  81.  1665.  1701.  11.  35.  58.  70.  99  (,  =  ;).  1807.  1917.  77.  82.  7. 
2003.  2110.  32.  79.  2242.  7.  79.  88.  2329.  2491.  2529.  38.  93.  2623.  28.  40. 
61.  81.  90.  7.  2703.  2883.  92.  2931.  91.  3118.  21.  73.  Dazu  gefeng  pa  he 
eaxle  1537,  bei  dem  ich  mit  Sweet,  Rieger  und  Ten  Brink  feaxe  lese:  sonst 
hätte  ein  nomen  den  führton,  ohne  zu  alliterieren,  was  überhaupt  selten 
vorkommt  und  in  diesem  falle  ganz  unerträglich  wirken  würde  (83  mal). 


118  MOEGAN 

Typus  D. 

81.  Bei  diesem  typus  fällt  die  rection  durch  präpositiouen 
meist  weg,  da  sie  nur  im  erweiterten  typus  möglich  wäre.  Im 
übrigen  begegnen  dieselben  combinationen  wie  bei  A: 

gesette  sige-hrepig  9J:,  htvetton  hige-rofne  204,  setton  sce-mepe  325, 
wrcec  Wedera  nip  423;  ferner  358.  411.  21.  48.  9.  501.  14.  98.  614.  25.  64. 
709.  23.  42.  72.  839.  96.  1114.  1312.  58.  90  (,  =  ;).  1452.  3.  1531.  9.  43. 
54.  1610.  22.  67.  1713.  49.  1837.  1954.  2044.  51.  62.  5.  2239.  2439.  55. 
2545.  82.  2705.  38.  46.  56.  2802.  2902.  9  {hige-mepe  =  -mepum)  2930.  6. 
3031.  3123  (58  mal). 

c)    Nomen  +  verbum  finitum. 

Typus  A. 

82.  Am  häufigsten  ist  das  nomen  object  des  verbums. 
Dieser  typus  begünstigt  auch  am  meisten  den  gleichton,  weil 
dann  das  nominale  element  des  verbalen  zur  ergänzung  bedarf. 
Dagegen  neigt  die  stimme  dazu,  von  der  nominalen  tonhöhe 
herabzusinken,  wenn  das  nomen  subject  des  verbums  ist.  Die 
allgemeine  satzmelodie  spielt  aber  auch  bei  solchen  versen 
eine  grosse  rolle. 

Beispiele:  sce-ivudu  sceldon  226,  heapo-rof  heoldon  401,  symhel  ymh- 
sceton  564;  ferner  87.  169.  284.  622.  35.  811.  933.  59.  1239.  54.  1738.  1893. 
1901.  2133.  2206.  2676.  8.  86.  2706.  2917.  44.  3076.  Dazu  gode  forgylde 
956,  bei  dem  der  instr.  einem  directeu  object  gleichkommt  (26  mal). 

83.  Nur  vereinzelt  fungiert  das  nomen  als  subject. 

In  den  meisten  fällen  haben  wir  starke  begriffsverba:  gup-mod  gnim- 
mon  306,  ivicg  getvende  315,  dryht-sele  dynede  IGT,  hen-geato  hurston  1121, 
bon-gar  bugep  2031,  gode  begeaton  (,  =  ;)  2247.  Bei  seife  ofersawon  419 
ist  das  nominale  element  schwach,  sodass  das  verbale  mehr  hervortritt ;  bei 
seegas  gesegon  3128  scheint  der  ganze  Zusammenhang  auf  die  tonhöhe  ein- 
zuwirken (8  mal). 

84.  Der  dat. -instr.  tritt  gelegentlich  auf: 

fylle  gefcegon  1014,  feondum  cetferede  (,  =  ;)  1669:  ferner  1957.  2116. 
3149.  61.  74.  Bei  diesen  versen  wirkt  der  instr.  adverbiell,  sodass  seine 
tonhöhe  fast  bis  zur  verbalen  tonstufe  sinkt. 

85.  Es  bleiben  nur  noch  zwei  belege,  übrigens  mit  ganz 

neuen  syntaktischen  typen: 

seofon  niht  stciincon  (,  =  ;)  517,  wesan,  penden  ic  wealde  1859 
(Typus  A,  44  mal). 

86.  Die  anderen  verstypen  kommen  viel  seltener  vor, 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  119 

typus  D  gar  nicht  (weil  es  wenige  oder  keine  verba  der  er- 
forderlichen form  1-lx  giht).  AVir  würden  erwarten,  dass 
typus  E  häufiger  vorkäme  als  die  anderen,  weil  sein  Charakter 
dem  gleichton  am  günstigsten  ist:  das  trifft  auch  ein.  Ich 
führe  das  wenige  material  ohne  klassificierung  an. 

Typus  B. 

87.  Die  belege  sind:  penden  wordum  weold  30,  pa  se  wyrni  onwoc 
2287,  pa  se  gcBst  ongan  2312,  and  a-t  gupe  forgrap  2353,  ac  in  campe 
gecrong  2505,  swylce  he  siomian  geseah  2767,  he  pam  frastwum  (eng  2989. 
Hier  treten  die  verba  an  bedeutiing  meist  stark  hervor.  Nur  in  2312  haben 
wir  ein  hilfsverbum ,  jedoch  wird  hier  der  gJeichton  dadurch  verursacht, 
dass  der  vers  am  satzeingang  steht. 

Typus  C. 

88.  pcBi  he  ma  moste  735,  on  sefan  sweorccp  1737,  geond  scel  sioingep 
226'1,  ofer  sa^  sohtan  2380.  Hier  ist  das  moste  in  vers  735  nicht  ein  blosses 
hilfsverbum,  sondern  dient  zur  ausführung  von  Wyrd  734,  und  somit  erhält 
es  starken  nachdi'uck  und  führton. 

Typus  E. 

89.  sce-hat  gescet  633,  medo-siig  gemcet  924,  metod-sceaft  bemearn 
1077;  ferner  1498.  1567.  1993.  2469.  81.  2566.  2748. 

d)  Yerbum  +  verbum. 

90.  Für  diese  combination  finden  sich  nur  8  belege,  die 
mit  einer  ausnähme  (hafa  nn  and  gclieald  [E]  658)  alle  nach 
dem  typus  A  gehen.  Die  gleichheit  der  tonhöhe  leuchtet  beim 
lesen  sofort  ein: 

seomade  and  syrede  (,  =  ;)  161,  sicefep  and  sendep  600,  iviston  and 
ne  wendon  160i,  weaxep  and  wridap  1741,  forgytep  and  forgymep  1751, 
manap  swa  and  mynägap  2057,  heold  mec  and  hcefde  2430. 

e)   Reste. 

91.  Etwas  schwer  wird  die  einteilung  der  ziemlich  häufigen 
restbelege.  Es  dürfte  am  zweckmässigsten  sein,  die  verse  nach 
den  tonverhältnissen  zu  klassificieren. 

92.  Volle  CO  Ordination  erscheint  gelegentlich  bei  der 
Verbindung  zweier  adverbien: 

fyr  and  fcestor  143,  pa  wces  eft  siva  cer  642.  1787,  innan  and  utan 
774,  oft  Halles  cene  3019. 

93.  Oft  kommt  ein  nomen  neben  einem  Vertreter  einer 
schwächeren   Wortklasse   vor,   und   zwar   trägt   es   dann 


120  MORGAN 

meist  die  zweite  hebung.  Sonst  würde  das  schwächere  wort 
gern  in  tonenklise  zu  dem  nonien  treten,  ausser  wo  besondere 
umstände  das  verhindern.  So  z.  b.  wäre  es  bei  tvitena  wel- 
liivylc  266  sinnwidrig,  das  pron.  tief  zu  sprechen:  es  heisst 
doch  emphatisch:  'jeder  der  weisen  männer'.  In  376  lieard 
her  cumen  ist  heard  'parenthetischer'  natur  (s.  20),  und  des- 
wegen kann  es  nicht  allein  den  führton  erhalten.  Man  beachte 
ferner  no  J)y  cer  suna  siniim  2160,  bei  dem  gerade  das  (für 
gewöhnlich  indifferente)  pronoraen  sinum  das  hauptgewicht 
trägt;  es  heisst  hier  so  viel  wie  'seinem  eigenen  söhn'.  Aehn- 
liche  gesichtspunkte  gelten  bei  den  anderen  versen,  wo  das 
nomen  voransteht. 

Die  belege  sind:  gyddum  geomre  151,  flod-ypum  feor  542,  Grendle 
togeanes  666;  ferner  783  (,  =  ;)  (A).  1187  (E).  2334  (A).  2772  (A).  3122  (A). 
800  (B). 

94.  Schwächere  Wörter  +  nomen: 

pllder  to  pance  379,  sivi/lcra  searo-nipa  382,  on  swa  Jiivcepere  liond 
686,  eft  eard-lufan  692,  ongean  gramum  1031,  sinne  geseldan  1981;  ferner 
861  (D).  998  (D).  1000  (A).  1185  (A).  1228  (B).  1529  (A).  1618  (A).  1865  (D). 
86  (D).  2070  (A).  2107  (D).  2291  (A).  2624  (A).  54  (A).  2731  (D).  2815  (A). 
2879  (B).  80  (A).  93  (A).  3135  (A). 

95.  Verbum  (oder  verbalnomen)  +  adv.: 

gescvgd  soplice  141,  sigon  cctsomne  307,  etan  unforhte  444;  ferner 
402  (A).  560  (A).  905  (A).  991  (B).  1501  (A).  1632  (D).  1854  (D). 

96.  Adv.  +  verbum  (verbalnomen),  nur  bei  typus  A: 

lyt-hwon  logon  203,  torht  getcehte  313;  ferner  597.  763.  1295.  1375. 
1591.  1718.  1967.  75.  2872.  89.  2983.  3101.  13  (14  mal). 

97.  Keste: 

ure  ceghivylc  sceal  1B86,  pys  dogorpuiSdb,  meaJitpii,  min  wine  204:7. 

Tabelle  I. 
Doppelallilcration  und  gleichton. 

Zwei  nomina.  A  B  C  D 

Coordination 207  11  6  35 

Instr 33  —  —  3 

Adj 77  20  7  110 

Gen.  in  1.  heb 85  31  2  9 

Gen.  in  2.  heb 26  —  2  13 

Inf 50  -  —  8 

Comp 5  2  10  5 


E 

Sa. 

— 

259 

5 

41 

22 

236 

24 

101 

— 

41 

2 

60 

— 

22 

433        64        27        183       58        760 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  121 


A 

B 

C 

D 

E 

Sa. 

433 

64 

27 

183 

53 

760 

Verbum  +  nomen    .    .     . 

83 

— 

1 

58 

— 

142 

Nomen  4-  verbum    .     .    . 

43 

7 

4 

— 

10 

65 

Verbum  +  verbum  .     .    . 

7 

— 

— 

— 

1 

8 

Keste 

Coordination  .... 

3 

2 

— 

— 

— 

5 

Nomen  +  schw.  Wörter 

7 

1 

1 

1 

2 

12 

Schw.  Wörter  +  nomen 

14 

3 

■    1 

8 

— 

26 

Verbum  +  adverbium 

5 

1 

— 

4 

— 

10 

Adverbium  +  vei'bum 

15 

— 

— 

— 

— 

15 

Sonstiges 

1 

— 

— 

1 

1 

3 

44 

7 

2 

14 

3 

70 

Summen    611        78        34        255        67      1046 

II,    Gleichton  und  einfache  alliteration. 

1)8.  Genauer  analyse  bedürfen  die  immerhin  wenigen  verse, 
die  hierher  fallen.  Z.  t.  sind  es  zwangsbildung-en,  z.  t.  handelt 
es  sich  nm  nomina  propria,  z.  t.  sind  andere  umstände  für  den 
gleichton  massgebend. 

99.   Nicht  unbedeutend  an  zahl  sind  die  belege  für  volle 

coordination: 

geongum  and  ealdum  72,  hu  he  frod  and  god  279,  diigupe  and  geo- 
gope  621.  1674,  sippan  ic  hond  and  rond  656,  pceüe  sup  ne  norp  858,  pect 
mec  cer  and  sip  2500,  oiver  feor  oppe  neah  2870,  lofore  and  Wulfe  2993. 
Dazu  der  unregelmässige  vers  eam.  his  nefan  881,  und  mit  Umstellung  1174 
feorran  and  neahan  (=  nean),  eine  Wortstellung,  die  840.  2870  belegt  ist. 

10().  In  den  meisten  dieser  fälle  haben  wir  es  mit  fest 
geprägten  formelhaften  Wendungen  zutun,  die  wol  nur  in 
der  überlieferten  gestalt  üblich  waren.  Einen  ersatz  für  die 
all.  bietet  der  reim  bei  279.  656,  wahrscheinlich  auch  bei  621. 
1674  (vgl.  Sievers,  Altg.  metr.  §  20,  anm.  1). 

101.  Auch  nomina  propria  machen  den  dichtem  oft 
Schwierigkeiten,  jedoch  hat  wenigstens  der  Beowulf dichter 
sehr  geschickt  gearbeitet,  und  nur  ein  paar  mal  finde  ich 
gleichton  oder  nahezu  gleichton  bei  einfacher  alliteration. 

Bei  vers  1  Mvcet  ive  Gar-Dena  haben  wir  einen  feierlichen  eingangs- 
vortrag,  der  die  stimme  bei  -Dena  um  so  weniger  sinken  lässt,  als  dieses 
wort  erst  den  namen  bringt,  auf  den  es  ankommt.  Indessen  liegt  hier  kein 
eigentlicher  Verstoss  gegen  den  alliterationsgebrauch  vor,  denn  der  langvers 
hat  zum  ersatz  gekreuzte  alliteration  (s.  unten  315  ff.),  ebenso  wie  auch  der 


122  MORGAN 

gleichtonige  vers  Hropgar  Beoiculf  653.  Die  anderen  belege  mit  eigen- 
namen  sind:  peoden  Hrofjgar  417,  gkedne  Hropgar  863,  glccdne  Hropulf 
1181,  Hropgar  leofa  1483,  leofa  Beoiculf  2663,  Wiglaf  leofa  2745,  gomela 
Scilfing  2968. 

102.  Endlich  bleiben  nur  noch  6  fälle,  bei  denen  der 
gleichton  z.  t.  auch  motiviert  ist. 

253  lease  sceatveras  ist  wahrscheinlich  verderbt.  Bei  1422  flod  blöde 
weol  haben  wir  zum  ersatz  wider  reim  (und  bei  1475  snottra  fengel  desgl. 
gekreuzte  alliteration ;  vgl.  oben  100).  Die  übrigen  fälle  sind:  repe  cempa 
1585,  dijre  iren  2050,  hrunfagne  heim  2615. 

III.    Doppelalliteration  bei  ausweiehton. 

103.  Die  zweite  hebung  liegt  höher.  Es  sind  dies 
fast  lauter  verse  des  typus  A  3,  d.  h.  des  typus  A  mit  all.  nur 
im  zweiten  fuss.  In  den  meisten  fällen  ist  die  doppelall.  wol 
nur  scheinbar,  d.  h.  sie  hat  sich  nur  zufällig  eingestellt,  ohne 
als  solche  vom  dichter  beabsichtigt  zu  sein.  Hat  jedoch  die 
erste  hebung  nahton,  so  kann  die  doppelall.  nach  der  haupt- 
regel  (oben  S)  sehr  wol  beabsichtigt  sein.  Definitiv  lässt  sich 
die  frage  nicht  entscheiden:  massgebend  für  den  leser  kann 
nur  sein,  ob  er  beim  freien  Vortrag  den  reim  hört  oder  nicht. 

ß)  Nahton  +  führton:  sona  Mm  sele-pegn  1794,  hyrde  ic  pcet  he 
pone  heals-beah  2172,  eft  pcet  geiode  2200,  hi/7ie  pa  viid  handa  2720.  — 
ß)  Ferntou  +  führton:  op  pcet  him  ceghivylc  9,  and  pctr  on  innan  71, 
hioilum  hie  geheton  llö;  ferner  219.  338.  442.  1125.  1204.  1740.  1846.  1914. 
2381.  2934  (17  mal). 

104:.  Die  erste  hebung  liegt  höher.  Nahton  hat  442 
niceras  nihtes\  nihtes  ist  adverbial  und  'parenthetisch'  (oben  20) 
gebraucht  und  kann  deshalb  nicht  auf  der  höhe  von  niceras 
bleiben.  Zweimal  begegnen  wir  gleichem  silbenanlaut  auch 
bei  einfachen  Wörtern:  sivylce  gigantas  113,  to  gegangenne  2416. 
Die  zweite  hebung  hat  in  beiden  fällen  fernton,  der  anklang 
ist  also  wol  bloss  zufällig.  Dreimal  finden  wir  composita,  die 
nahton  haben  und  nach  typus  C  gehen:  (p.fter  deap-dcege  187. 
885,  in  hyra  gnj7-e-geahvum  324.  Von  den  übrigen  fällen  gehen 
drei  nach  C,  einer  nach  B;  alle  setzen  sich  zusammen  aus 
nomen  +  verbum,  einer  combination,  die  oft  ausweichton  zeigt: 
in  worold  woctm  60,  no  ])y  leng  leofa])  974,  pone  hring  hcefde 
1202,  ic  pcet  mosl  gemein  2633,  Auch  hier  liegt  kein  Verstoss 
gegen  die  hauptregel  vor,  denn  nahton  darf  immer  an  der  all. 
teilnehmen  (oben  8). 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  123 

IV.    Einfache  alliteration  bei  ausweichton. 

105.  Die  hier  anzuführenden  tonverhältnisse  lassen  sich 
zwar  durch  die  vortragsprobe  als  tatsächlich  vorhanden  er- 
weisen, aber  vorläufig*  nicht  alle  logisch,  grammatisch  oder 
sonstwie  im  einzelnen  erklären.  Manche  verse  sind  scheinbar 
ebenso  gebaut  wie  andere,  bei  denen  gleichton  constatiert 
wurde,  und  doch  klingen  sie,  im  Zusammenhang  gelesen,  anders 
als  jene.  Entweder  lässt  sich  diese  tatsache  durch  einfluss 
der  satzmelodie  erklären,  oder  es  sind  traditionelle,  vom  Sprach- 
gefühl eingegebene  tonverbindungen,  wie  sie  in  jeder  spräche 
nachzuweisen  sind. 

106.  Eine  principielle  Scheidung  der  nah-  und  fern- 
töne habe  ich  nicht  vorgenommen.  Die  frage,  ob  an  einer 
stelle  nahton  oder  fernton  zu  lesen  ist,  hängt  so  selten  von 
begrifflichen  dingen  ab  (wie  bedeutungsinhalt  der  hebungs- 
träger u.  dgl.),  und  ihre  beantwortung  wird  so  oft  bedingt 
durch  die  Stellung  des  verses  im  ganzen  Zusammenhang  des 
textes,  dass  eine  principielle  einteilung  nach  dieser  riclitung 
hin  schwer  durchzuführen  wäre.  Dazu  kommt,  dass  die  indi- 
viduelle auffassung  hier  eine  grössere  rolle  spielt  als  anderswo. 
Nahton  und  fernton  sind  ja  eben  bezeichnungen  für  relative 
Verhältnisse,  zwischen  denen  keine  feste  grenze  zu  ziehen  ist. 

107.  Zur  Sache  will  ich  noch  im  allgemeinen  bemerken, 
dass  fernton  meist  auftritt:  a)  bei  den  hilfsverbis  und  anderen 
schwächeren  verbis,  wie  'sehen',  'heissen'  u.dgl.;  —  b)  bei 
schwachen  partikeln  (pron.,  präp.,  conj.);  —  c)  bei  sinnes- 
einsclmitten  im  satze;  —  d)  bei  einigen  comp.;  —  e)  sehr  oft 
beim  typus  C,  selbst  bei  schwerem  begriffsinhalt  des  zweiten 
Wortes. 

b)  Nomen  +  verbum. 

Typus  A. 

108.  «)  Führton  +  nahton:  aldrum  nepdon  (,  =  ;)  538,  rand  ge- 
heawe  682;  ferner  687.  870.  1491.  1717.  2055.  2874  (,  =  ;).  2938.  — 
ß)  Führton  +  fernton:  807.  42.  1055.  99.  1327.  1908.  2023.  2308.  72. 
2470.  2514.  2940.  3048  (13  mal). 

Typus  B, 

109.  a)  Fülirton-j- nahton:  ß(em  eafera  ivces  12,  him  pa  Scyld 
getvat  26,  pcer  cet  hypestod32;  ferner  80.  194.  229.  374.  466.  95.  500.  662. 


124  MORGAN 

74.  789.  822.  1001.  9.  40.  9.  1110.  1236.  1341.  56.  1456.  88.  1608.  62.  84. 
2006.  2187.  2369.  2418.  2620.  2741.  2977  (35  mal).  Die  häufigkeit  des  nah- 
tons  kommt  daher,  weil  wir  bei  allen  diesen  versen  'fortlaufende'  erzählung 
(oben  16)  haben :  nur  hinter  vers  80  steht  ein  komma,  alle  anderen  sind 
gar  nicht  interpungiert.  —  ß)  Führ  ton  +  fern  ton:  hyre  hearn  gewrcee 
2121  (hier  haben  wir  hinter  dem  vers  einen  sinneseinschuitt),  pa  ie  on 
morgne  gefroegn  2484;  ähnlich  2694.  2752.  73.  Man  beachte  den  unter- 
schied zwischen  dem  mit  nahton  zu  sprechenden  gefrcegn  194  und  dem- 
selben wort  in  den  eben  angeführten  versen.  Dort  folgt  in  der  zweiten 
halbzeile  ein  subject:  hier  bildet  das  wort  eine  'parenthese'  (oben  20). 

Typus  C. 

110.  ß)  Führ  ton  +  nahton:  pcet  he  his  freond  wrece  1385.  — 
ß)  Führ  ton  +  fernton:  ßcet  ic  siceord  fere  437,  Mm  on  efn  ligep  2903; 
ferner  3071.  3163.  9. 

Typus  D. 

111.  Bei  diesem  typus  handelt  es  sich  um  einen  vers,  der  häufig 
widerkehrt,  n&mlich  Beoimüf  (\Viglaf,  Hropgar  tto,.)  mapelode.  Das  verbum 
hat  gesenkten  fernton,  da  der  ganze  nachdruck  auf  dem  nomen  ruht.  Die 
belege  sind:  286.  348.  60.  71.  405.  56.  99.  529.  631.  925.  57.  1215.  1321.  83. 
1473.  1651.  87.  1817.  40.  1999.  2425.  2510.  2631.  2724.  2862.  3076  (26  mal). 

Typus  E. 

112.  Nur  ein  beleg:  feorh-hennum  seoc  2740  (nahton). 

c)  Yerbum  +  nomen. 

IIB.  Hiermit  kommen  wir  zu  der  grossen  klasse  der  A3, 
d.  h.  der  verse  mit  all.  nur  im  zweiten  fu.ss.  Diese  haben 
stets  steigende  melodie,  die  in  der  zweiten  liebung  ihren 
höhepunkt  erreicht.  Der  typus  A  3  steht  meist  am  satzeiiigang, 
wo  die  stimme  gern  tief  einsetzt.  Es  ist  kaum  nötig,  einzelne 
fälle  zu  besprechen.  Nur  im  allgemeinen  will  ich  bemerken, 
dass  hier  die  tonhöhe  der  ersten  hebung  direct  mit  der  sinnes- 
stärke  des  voranstehenden  verbums  zusammenzuhängen  scheint: 
je  stärker  (begrifflich)  das  verbum,  desto  mehr  rückt  die  stimme 
in  die  höhe. 

c)  Nahton  -t-  führ  ton:  gesaga  htm  eac  tvordum  388,  gesprcec  pa  se 
goda  675,  compato  recede  120,  nam  pa  mid  handa  746;  ferner  728.  1184. 
1242.  1397.  1425.  74.  1573.  1612.  1730.  2.  82.  1888.  2163.  2337.  2417.  2542. 
50.  2606.  2809.  2949.  77.  Dazu  der  uuregelmässige  vers  gesloh  pin  fader 
459  (26 mal).  —  ß)  Feruton -f  führton:  gewat  pa  neosan  115,  hafde 
pa  se  goda  205,  habbap  tce  to  pcem  maran  270.  301  (das  Semikolon  ist  zu 
tilgen).  44.  86.  433.  506.  681.  825.  1011.  1145.  88.  1221.  79.  1316.  30. 1550. 


' 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  125 

1623.  59.  17i8.  1855.  68.  1963.  2026.  32.  2301.  5.  61.  89.  2103.  60.  2609. 
53.  2717.  2855.  2971.  94.  3033.  79.  3110.  43.  Dazu  iva-s  min  fceder  262 
(43  mal). 

d)  Nomen  und  schwächere  Wortklassen, 

Typus  A. 

114.  Das  nomen  steht  an  zweiter  stelle  und  hat 
den  führton.  Hierher  fällt  die  hauptmasse  des  tj^pus  A3. 
Nahton  an  erster  stelle  ist  selten,  denn  die  erste  heljung  fällt 
in  der  regel  auf  so  schwache  Wörter,  dass  sie  sich  kaum  auf 
das  niveau  der  Senkung  emporheben. 

«)  Nah  ton  +  führtou:  eoio  het  secfjan  301,  ncenigne  i'c  wider  siveyle 
1197,  efne  swa  mide  1283 ;  ferner  595.  694.  1310.  2020.  39.  92.  2450.  Dazu 
hivilum  he  on  lufan  1728.  —  /9)  Fernton +  fülirton:  poet  hine  on  ylde 
22,  nalces  hi  hine  Icessan  43,  pa  wces  on  burgum  53;  ferner  106.  26.  8.  32. 
57.  68.  347.  55.  61.  95.  431.  70.  84.  508.  50.  62.  87.  607.  79.  710.  85.  813. 
37.  47.  941.  43.  51.  61.  1003.  59.  78.  92.  1186.  96.  1206.  23.  49.  88.  92. 
1318.  36.  53.  80.  1437.  55.  72.  7.  82.  92.  6-  1504.  21.  35.  60.  6.  71.  89.  99. 
1614.  28.  9.  47.  52.  94.  1700.  21.  45.  74.  7.  80.  1822.  34.  6.  77.  8.  84.  92. 
6.  1905.  72.  95.  8.  2000.  11.  28.  34.  8.  41.  53.  6.  63.  75.  98.  2101.  4.  35. 
45.  2221.  58.  95.  2376.  7.  85.  2400.  6.  21.  32.  7.  66.  8.  90.  4.  7.  2501.  3. 
73.  87.  96.  2611.  30.  51.  69.  99.  2707.  14.  6.  70.  9.  88.  94.  2804.  17.  21.  32. 
6.  60.  4.  2928.  GG.  73.  82.  99.  3009.  27.  51.  7.  9.  3104.  7.  20.  6.  47.  Dazu 
p07ie  pin  fcvder  2048;  ferner  das  comp,  forp-geivitenimi  1479,  mit  nahton 
des  zweiten  gliedes. 

115.  Das  nomen  geht  voran: 

a)  Führ  ton  +  nahton:  cynna  gehwijlcuin  98,  giimena  amgum  474; 
ferner  996.  1090.  1461.  1960.  2094.  2251.  2588.  2789.  2859.  91.  2959.  3054. 
—  ß)  Führtou  +  fernton:  aldre  pinuvi  346,  weana  gehivylces  1396 
(typus  A,  168  mal). 

Typus  B. 

116.  Zweimal  steht  das  nomen  an  zweiter  stelle: 

ncefre  ic  cengum  men  665,  pect  hit  a  mid  gemete  779.  In  letzterem 
falle  trägt  das  nomen  auch  die  hauptall.,  sodass  die  erste  hehung  nahtou 
hat.  3IeH  ist  ein  begrifflich  schwaches  wort,  und  der  hauptnachdruck  ruht 
auf  cengum. 

117.  Das  nomen  geht  sonst  voraus: 

a)  F ühr ton  +  nahton:  in  vuegpa  gehivcem  (=  gehtvcere)  25,  pcet 
hie  peoden  viin  36b.  2095,  ac  tcces  oper  him  1300;  ferner  88.  155.  294.  882. 
909.  1104.  1365.  1412.  1583.  1673.  2033.  2131.  57.  23U1.  97.  2401.  81.  2685. 
2839.  2848  (26  mal).  —  /?)  Führton  +  fernton:  pone  sip-fcet  him  202, 
bonne  he  swidces  hivcet  880. 


126  MORGAN 

Tj^pus  C. 
118.   Das  nomen  trägt  die  erste  hebung: 

«)  Führten  +  naht ou:  sioa  se  secg  hwata  3028,  dazu  mit  Umstel- 
lung pcer  him  wceter  ncEiiig  (=  n.  w.)  1514.  Nach  v.  779  könnte  zwar  dieser 
vers  vielleicht  nach  der  hs.  gelesen  werden,  a])er  diese  alliteratiousstellung" 
ist  hei  C  äusserst  selten,  und  die  Umstellung  gibt  einen  regelrechten  und 
melodisch  correcten  vers.  —  ß)  Führton  +  fernton:  ptet  wces  an  foran 
1458,  nu  ie  suna  minum  2729. 

110.   Das  nomeu  trägt  die  zweite  liebung: 

ß)  Führton  +  nahton:  dreimal  erscheint  der  vers  on  pcpin  dcege 
197.  790.  806.  Man  hat  sich  oft  über  den  Verstoss  gewundert,  den  dieser 
vers  enthalten  soll,  insofern  das  'stärkste'  wort  nicht  die  alliteration  hat. 
Aber  pmm  hat  hier  eben  zweifellos  den  führton.  Hierher  sind  ferner  die 
verse  mit  compositis  zu  rechnen:  poit  wces  fore-mcerost  309,  p(et  pec  ymh- 
sitteud  1827,  pa  for  on-medlan  292G.  Endlich  noch  die  verse  on  gehrvcrper 
opriim  2171,  hioiPA  pu  tvorn  fcla  530.  —  ß)  Aehulich  liegt  es  bei  den  be- 
legen für  führton  +  fernton:  pcet  hie  on  ha  healfe  1305,  Pa  com  in 
gaan  {=  gan)  Ißii,  het  pa  up  fteran  1920,  het  pa  in  heran  2152.  In  allen 
diesen  fällen  trägt  das  melodisch  höchstbetonte  wort  die  alliteration.  Jetzt 
verstehen  wir  also,  warum  das  zu  einem  verbum  gehörende  adv.  in  be- 
ziehuug  auf  die  all.  bevorzugt  wird :  wenn  das  adv.  vorausgieng,  wurde  es 
höher  gesprochen,  obgleich  seine  Wortklasse  an  sich  'schwächer'  ist  als  die 
der  verba.  —  Endlich  finden  wir  zwei  composita  mit  fern  ton:  for  his 
tin-snyttrwii  1734,  syppan  or-icearde  3127. 

Typus  D. 

120.  Bloss  ein  beleg:  ymb-sittendra  2734  (naliton), 

Typus  E. 

121.  ZAvei  belege,  beide  mit  naliton  der  zweiten  Iiebiing : 

folc-rilita  gehwylc  2608,  tvine-dryhten  his  2722. 

e)   Yerbum  +  adverbium. 

122.  Hier  finden  wir  ein  buntes  durcheinander.  Bald  hat 
das  adv.  den  führton,  bald  das  verbum;  jedes  kann  voraus- 
gehen, ohne  die  relativen  tonverhältnisse  zu  ändern,  und  fernton 
ist  auch  beim  verbum  gar  nicht  selten.    Nur  drei  verstypen 

kommen  vor. 

Typus  A. 

123.  Das  verbum  hat  den  führton: 

ß)  Einmal  neben  nah  ton  des  adv.:  sona  ptct  onfunde  750.  — 
ß)  Häufiger  neben  fern  ton  des  adv.:  Pa  gyt  hie  him  asetton  47,  /)o  nie 
pcet  gelcerdon  415,  panon  he  gesohte  463.   520;    ferner  574.  809.  90.  1095. 


ZUR   LEHRE    VON   DER   ALLITERATION.  127 

1130.  42.  1270.  1465.  97.  1508.  78.  2124.  95.  2204.  2634.  2797.  3002.  38 
(22  mal). 

124:.    Das  adv.  hat  den  fülirton: 

«)  Neben  nahtou  des  verbiims:  fand  pa  pccr  inne  118,  sivipor 
pohte  1139,  alegdon  pa  to-middes  3141.  —  ß)  Neben  fernton  des  ver- 
bums:  georne  hyrdon  66,  eodon  him  pa  togeanes  1626. 

Typus  B. 

125.  Das  verbiim  hat  den  führton: 

ß)  Neben  nah  ton  de,s  adv.:  aledon  pa  34,  ymb-eode  pa  620,  /jces 
ne  wendon  (er  778;  ferner  2345.  2516.  2848.  3001.  3156.  —  /?)  Neben 
fernton  des  adv.:  ofer-eode  pa  1408,  geeyste  pa  1870. 

126.  Das  adv.  hat  den  führton: 

«)  Neben  nahtou  des  verbums:  pa  ic  furpmn  weold  465,  sivylce 
oft  bemeani  907;  ferner  2111.  2244.  2387.  3116.  —  ß)  Nur  zweimal  neben 
fernton  des  verbums:  pa  ic  ivide  gefra'gn  74,  panon  eft  geioiton  853. 

Tj^pus  C. 

127.  Einmal  erhält  das  verbum  die  all  Iteration  und 
den  führ  ton,  neben  nahton  des  adv.:  ac  he  gefeng  hrape  740. 

128.  Sonst  alliteriert  das  adv.,  nur  einmal  neben 
fernton  des  verbums:  him  big  stodan  3047. 

Die  übrigen  belege  sind:  pcet  hie  cer  driigon  15,  pa  he  him  of  dyde 
671,  pcet  hie  oft  tvceron  1247,  ge  fear  hafap  1340. 

f)   Einfache  Wörter, 

129.  Zu  den  'einfachen  Wörtern'  rechne  ich  hier  aus 
praktischen  gründen  nicht  nur  die  meisten  eigennamen  (ausser 
deutlichen  compositis  wie  Gar -Lena  u.  dgl.),  sondern  auch 
formen  wie  freondlicor  1027  und  geheotedon  480.  536,  bei 
denen  das  zweite  glied  sicherlich  nicht  dieselbe  geltung  hat, 
wie  das  zweite  glied  der  meisten  gewöhnlichen  composita. 

130.  Mit  ausnähme  der  eigennamen  und  des  wortes  ma- 
pelode  (die  nicht  gut  allein  stehen  können)  fällt  hierher  die 
hauptmasse  der  dreisilbigen  Wörter  mit  langer  Stamm- 
silbe, obwol  sie  theoretisch  ebensogut  in  D  und  E  hätten 
eingestellt  werden  können.  Es  scheint,  als  wären  die  neben- 
tonigen Silben  von  solchen  Wörtern  nicht  genügend  aus- 
gezeichnet gewesen,  um  wolklingeude  D  und  E  zu  ergeben. 
Dagegen  eignet  sich  der  sprunghafte  Charakter  der  betouung 
des  einfachen  wortes  vorzüglich  dem  vortragstypus  der  C-verse, 


128  MORGAN 

die  schon  an  sicli  zur  tonenklise  der  zweiten  liebung  neigen. 
Aufnahme  in  typus  A  und  B  war  aber  in  den  meisten  fällen 
ausgeschlossen,   denn  nur  wenige  Wörter  haben   das  Schema 

(X)  -  X  —  (X)- 

131.  Das  auftreten  des  ferntons  hängt  hier  meist  mit 
der  satzform  zusammen.  Insbesondere  ist  der  fall  zu  erwähnen, 
wo  ein  satz  mit  einem  zweiten  halbvers  zu  ende  geht:  ge- 
wöhnlich weicht  dann  die  schwächere  hebung  des  ersten  halb- 
verses  nicht  über  uahton  aus. 

Typus  C. 

132.  Dieser  typus  ist  bei  weitem  am  häufigsten,  und  daher 
stelle  ich  ihn  hier  voran. 

c))  Führ  ton  +  uahton  ist  nicht  selten:  pa  ivces  Hropcjare  6-i.  1407. 
1592,  ac  se  mßceea  159.  1269.  2520.  31.  92,  forgeaf  pa  Beoiviilfe  1020.  43. 
51;  ferner  92!  258.  73.  4.  830.  928.  1272.  1363.  1796.  1804.  28.  2076.  2197. 
2373.  2407.  35.  2637.  83.  2850.  2916.  52.  60.  3109.  Dazu  for  scotemim 
1026,  wo  sceotendum  zu  lesen  ist  (35  mal).  —  /?)  Führton  +  ferntou  ist 
sehr  häufig:  hu  pa  apelingas  3.  982.  1244.  94.  231i,pa'ihw  Beoimäfe  623. 
2207.  2324.  2907.  3066;  ferner  38.  45.  96.  111.  39.  44.  221.  44.  57.  61.  80. 
354.  6.  63.  416.  25.  52.  60.  71.  556.  65.  85.  627.  30.  4.  49.  708.  17.  39.  875. 
93.  8.  901.  16.  32.  63.  1027.  46.  50.  64.  76.  1135.  1296.  1309.  50.  99.  1406. 
14.  9.  1580.  96.  1640.  55.  85.  1731.  56.  1829.  51.  99.  1922.  44.  56.  88.  2022. 
36.  87.  2129.  77.  94.  2202.  72.  91.  2363.  75.  82.  2445.  52.  63.  2569.  2617. 
44.  2823.  8.  41.  4.  57.  71.  99.  2905.  33.  9.  43.  85.  3004.  13.  42.  59.  89.  3130. 
59.  78  (113  mal). 

Typus  A. 

133.  Wir  haben  ein  paar  Wörter  auf  -lice,  alle  mit 
fernton  des  zweiten  gliedes: 

eadüjlice  100,  ypelice  1556,  earfoplice  1036.  51.  2303.  2822.  Dazu  mit 
nahton  des  zweiten  gliedes  der  eigenname  Eormenrices  1201. 

Typus  B. 

134.  Ein  wort  auf  -lic,  mit  nahton:  siva  hi]>  geomorlic 
2444;  sonst  lauter  eigennamen,  ebenfalls  mit  nahton: 

ne  hurii  Hildeburh  1071,    oppe  hivi  Ongenpeos  (=  -peoives)  2475.  86. 

2924.  61.  86.  ^ 

Typus  D. 

135.  Nur  vier  belege,  alle  mit  nah  ton: 

unhyrnende  2548,  Merewioingus  2921,  imlyfigendes  744.  1389. 

g)   Reste. 

136.  Verbum  +  verbum,  nur  bei  typus  A: 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION. 


129 


«)  Nahton  +  führton:  mynte  ßcet  Jie  gedceldelSi,  civcpp  pcet  Jiit 
hcefde  2158,  cica'don  pcet  he  iccere  3180.  —  ß)  Fern  ton  +  führ  ton:  bced 
Pitt  (je  geivorhion  3096. 

137.  Yerbum  und  schwächere  Wörter: 

1)  Das  yerbum  erscheint  an  erster  stelle  und  hat  den  führton; 
nur  bei  typns  B:  «)  Führ  ton  +  nah  ton:  hivcet  syndon  ge  237,  ponne 
ivene  ic  to  pe  525.  —  ß)  Führton +  ferutou:  hivanon  ferigeap  ge  333, 
Ponne  scegdon  pcet  Sil. 

2)  Das  verbnm  trägt  die  zweite  hebung  und  hat  den  führton; 
nur  bei  typus  A:  «)  Nahton  +  führton:  ncenig  heora  pohte  691,  ncentg 
pcet  dorste  1933.  —  /?)  Fernton -|- führton:  hi  hi/ne  pa  cethceron  28,  ic 
pcet  gehyre  290,  ic  hine  ciipe  372;  ferner  393.  429.  35.  503.  35.  632.  706. 
51.  98.  937.  67.  1082.  1175.  1347.  1661.  71.  1826.  2665.  2976.  3081.  3137 
(24  mal). 

138.  Adverbia,  pronomina  u.  dgl.  kommen  vereinzelt  vor: 

1)  Führton  der  ersten  hebung:  «)  Führton  +  nahton:  se  pe 
eow  ivel-hwylcra  1344,  oftor  micle  1579,  pcet  hire  an  dceges  1935,  no  py 
cer  ut  pa  gen  2081,  and  gehwceper  oprum  2171,  elles  liwergen  2590.  — 
ß)  Führton  -j-  fern  ton:  oppe  a  syppan  283,  heo  him  eft  hrape  1541. 

2)  Führton  der  zweiten  hebung,  nur  neben  fernton  an  erster 
stelle:  pa  tvit  cetsomne  544,  stva  mec  gelome  559,  pcet  he  hine  seoppan 
(hine  =  fehlt)  1875,  he  mec  pcer  on  innan  2089,  siva  me  pcer  inne  2115, 
ic  ivces  pcer  i)ine  3087. 

139.  Den  13  schwellverseu  wird  unten  ein  anhang  ge- 
widmet (313). 

Tabelle  n. 

Offene  rerse. 

Einfache  alliteration. 

Zwei  nomina  ABC  D  E  Sa. 

Comp ß)  67  45  186  32  —  330 

ß)  U  —  68  —  —  82 

Gen.  in  1.  heb.    .    .    .      «)  61  43  —  —  9  113 

ß)  Q  -  -  -  -  5 

Gen.  in  2.  heb.     ...      a)  10  1  4  30  —  45 

Adj ß)  46  17  5  5  8  80 

ß)  9  8  4  —  1  17 

Inf. «)  6  —  1  1  —  8 

/?)  8  —  1  —  —  9 

Coordination    ....«)  5  1  —  —  —  6 

/9)  2  —  2  —  —  4 

Dat.-instr «)  11  2  —  —  1  14 

/?)  8  —  —  —  1  4 

247      112      271        67       20       717 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.   XXXIII.  9 


30 

MORGAN 

A         B 

247      112 

C 

271 

D 
67 

E 
20 

Sa. 
717 

Nomen  4-  verbum  .    . 

ß) 

9 
13 

34 
5 

1 
5 

26 

1 

45 
49 

22 

39 

6 

26 

1 

94 

Verbum  +  uoinen  .    . 

ß) 

26 
43 

— 

— 

— 

— 

26 
43 

69 

— 

— 

— 

— 

69 

Scbw.  Wörter  -j-  uomen 

.     .       a) 
ß) 

12 
156 

1 

8 
6 

1 



22 
162 

168 

1 

14 

1 

— 

184 

Nomen  +  schw.  Wörter 

.     .      a) 
ß) 

14 
2 

25 
2 

2 
2 

— 

2 

43 
6 

16 

27 

4 

— 

2 

49 

Verbum  -{-  adv.      .    . 

.     .       a) 
ß) 

4 
24 

14 
4 

2 

4 

— 

— 

20 
32 

28 

18 

6 

— 

— 

52 

Einfache  Wörter     .     . 

.     .       a) 

ß) 

1 
6 

7 

35 
113 

4 

— 

47 
119 

7 

7 

148 

4 

— 

166 

Reste 

.     .       a) 
ß) 

7 
81 

3 

2 

3 
2 

— 

— 

13 
35 

38 

5 

5 

— 

— 

48 

Summen 

595 

209 

454 

98 

23 

1379 

B.   Geschlossene  verse. 

140.  'Geschlossene  verse'  nenne  ich  (vgl.  24)  solche,  hinter 
denen  starke  interpunctionszeichen  (punkt,  Semikolon  oder  kolon) 
stehen.  Diese  drei  zeichen  sind  nicht  ohne  erhebliche  bedeu- 
tung-  für  die  ton  Verhältnisse.  In  gewöhnlicher  prosarede  deuten 
sie  auf  grössere  Sinneseinschnitte,  und  beim  vorlesen  im  leich- 
teren Stil  ist  es  vielfach  üblich,  die  stimme  sinken  zu  lassen, 
wo  ein  solches  zeichen  erscheint  (während  sich  beim  feierlichen 
Vortrag  häufig  Verschiebungen  ergeben).  Zuerst  hatte  ich  ge- 
dacht, die  Verhältnisse  möchten  im  Beowulf  ebenso  liegen  wie 
beim  leichten  lesevortrag,  daher  alle  geschlossenen  verse  von 
unserer   alliterationsregel   nicht   betroffen   werden.    Ich  kam 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  131 

aber  bald  zu  der  Überzeugung,  dass  ein  tonabfall  am  satz- 
sclilusse  in  der  alliterationsdiclitung  durchaus  nicht  immer 
üblich  war.  Dagegen  spricht  einmal  die  häufigkeit  des  typus  A, 
der  hier  fast  bis  zur  ausschliesslichkeit  herscht,  und  dessen 
melodieform  im  allgemeinen  den  gleichton  begünstigt;  ferner 
die  häufigkeit  der  Verbindung  von  nomen  mit  nomen,  die  auch 
wider  alles  andere  an  häufigkeit  übertrifft;  endlich  auch  die 
häufigkeit  der  vollen  syntaktischen  coordination  unter  den 
Satzschlüssen  mit  doppelalliteration.  Auf  die  erkenntnis  der 
wahren  tonverhältnisse  führte  mich  dann  eine  weitere  beob- 
achtung.  Oft  dient  der  satzschluss  bloss  zur  ausführung  und 
abrundung  eines  bereits  in  demselben  satz  gegebenen  begriffes. 
In  solchen  verseu  erhält  der  den  satzschluss  bildende  vers  den 
Charakter  einer  parenthese,  die  als  solche  ja  stets  auf  einer 
anderen  tonstufe  liegt  als  die  übrigen  Satzteile.  Von  beispielen 
(die  sich  sehr  häufen  Hessen)  will  ich  nur  zwei  anführen.  Ein- 
mal mcerne  he  niceste  36.  Hier  ist  mcerne  durch  leofne  ])eoden 
34  gegeben,  mceste  durch  on  hearm  scipes  35,  Die  ganze  halb- 
zeile  bringt  nichts  neues,  sie  rundet  bloss  ab.  Oder  mago- 
drilit  wi'cel  65.  Dieser  begriff  ist  in  dem  geogoj)  der  vorher- 
gehenden zeile  bereits  enthalten,  kann  also  nicht  mehr  als 
novuni  gelten.  Ich  fand  also,  dass  in  diesen  und  vielen  ähn- 
lichen fällen  die  stimme  in  der  jeweilen  vorausgehenden  zweiten 
halbzeile  sehr  stark  sinkt,  um  dann  beim  schlussvers  zu  einem 
tiefen  gleichton  zu  gelangen. 

14:1.  Von  dieser  beobachtung  ausgehend  fand  ich  weiter, 
dass  auch  andere  'satzschlüsse'  (wozu  ich  hier  aus  praktischen 
gründen  verse  mit  kolon  oder  Semikolon  am  ende  rechnen  will) 
sich  natürlicher  nach  diesem  tonschema  lesen  lassen,  als  wenn 
die  erste  hebung  hoch,  die  zweite  tief  gelegen  hätte  (oder  um- 
gekehrt). In  anderen  fällen  ergab  sich,  dass  der  verstypus  bei 
der  tonführung  eine  rolle  spielt.  Besonders  lassen  D  und  A  2 
(---il)  wegen  ihrer  schweren  nebentöne  die  stimme  nicht 
gern  eher  sinken,  als  bis  die  uebenhebung  des  zweiten  fusses 
erreicht  ist.  Dazu  kam  ferner  die  tatsache,  dass  der  doppel- 
punkt  sehr  häufig  gleichton  auf  relativ  hoher  tonstufe  fordert, 
wie  in  der  modernen  spräche. 

142.  Auf  diese  weise  Hesse  sich  auch  bei  den  geschlossenen 
Versen  die  alliterationsregel  als  zu  recht  bestehend  erkennen: 

9* 


132 


MORGAN 


in  den  meisten  fällen  gehen  eben  ancli  hier  gleichton  und  doppel- 
all, tatsächlich  zusammen.  Ich  habe  es  aber  für  ratsam  ge- 
halten, die  geschlossenen  verse  gesondert  anzuführen,  damit 
man  die  Wirkung  der  interpunction  besser  beobachten  könne. 

143.  Da  die  tj^^pischen  tonverhältnisse,  die  an  die  ver- 
schiedenen "Wortklassen  und  syntaktischen  Verbindungen  an- 
knüpfen, bereits  besprochen  sind,  kann  hier  davon  meist  ab- 
gesehen werden.  Ich  gebe  aber  die  von  mir  für  notwendig 
gehaltene  interpunction  stets  an,  da  sie  auch  für  die  tonführung 
vielfach  massgebend  ist.  Es  scheint  nämlich,  als  läge  die 
normalstufe  des  tones  vor  Semikolon  nicht  so  tief  wie  die  des 
tones  vor  punkt,  während  das  kolon  normalerweise  gar  keine 
Senkung  der  stimme  hervorruft  (ausser  im  zweiten  halbvers, 
vgl.  271). 


I.    Gleiehton  und  doppelalliteration. 

a)   Nomen  +  nomen. 

Typus  A. 
111.   Volle  coordination: 

1)  Vor  doppelpuukt:  fea-sceaft  ftinäen  7,  folce  to  frofre  (=;)  li, 
leode  gelcesten^i,  hillum  and  byrnum  (  =  ;)40;  ferner  89  (  =  ;)•  104  (=;) 
119  (  =  ;).  137  (=;).  249  (  =  ;).  65  (  =  ;).  342.  50.  440  (  =  ;)'.  555  (-=;) 
748  (  =  ;).  819  (=;).  57  (  =  ;).  930.  48  (=;).  1025  (=;).  45(=;).  1273 
1802  (  =  .).   4.  1525.  38  (  =  ;).   1607  (  =  ;).  42  (  =  ;).   1720  (  =  ;).  7.  1803 

38.  98.  2109  (  =  ;).  2175  (=;).  2281.  96  (  =  ;).  2314  (  =  ;).  23.  70.  95 
2413.  5  (  =  ;).  23.  46.  61.  2523.  2600.  38.  59.  66.  84  (  =  ;).  2790.  2816.  86 
2980.  3040.  —  2)  Vor  Semikolon:  213.  515.  972.  1207.  1366.  1430.  1588 
1921.  2005.  14.  2457.  8.  2546.  2956.  3043.  94.  3129.  —  3)  Vor  punkt:  36 
81.  134.  40.  98.  211.  77.  318.  36.  409.  26.  523.  612.  51.  60.  827.  56.  918 

39.  53.  70.  1017.  1108.  27.  51.  1237.  40.  1361  (  =  ;).  88.  1417.  32.  1575 
1698.  1709.  90.  1830.  76.  80.  1983.  90.  7.  2117.  66.  96.  2341.  2462.  2506 
24.  62  (secean  =  seceanne).  75.  2625.  82.  2709.  39.  48.  2842.  52.  2910.  57 
3021.  30.  60.  3103.  5.  8148  (zusammen  139  mal). 

145.  Dat.-instr.: 

1)  Vor  doppel punkt:  leodum  leofne  (  =  ;)  618,  fohnum  gefrcetivod 
992;  ferner  1018  (  =  ;).  1113.  2192(  =  ;).  2256.  74(  =  ;).  2504.  2680.  2762. 
84.  2826.  —  2)  Vor  Semikolon:  867.  2359.  —  3)  Vor  punkt:  331.  553. 
716.  942.  1227.  1338.  2149.  2214.  2309.  35.  2580.  2677.  2732.  64  (28  mal). 

146.  Adjectiva.  Da  es  bei  den  tiefen  gleichtönen  der 
hier  in  frage  stehenden  verse  anscheinend  nichts  ausmacht,  ob 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  133 

das   adj.   vor-   oder   nachg-eht,   so   wird   auf   diese  stellimgs- 
verscliiedeuheit  hier  keine  besondere  rücksiclit  genommen. 

1)  Vor  doppeli)ixukt:  lapan  liges  (^-j)  83,  ßritig  ßegna  123,  inistge 
moms(  =  ;)  162,  heardm  hijnpa  (  =  ;)  166;  ferner  215  (-=;).  232.  87.  753 
(  =  ;).  73  (  =  ;).  977  (  =  ;).  1177  (  =  ;).  1243  (  =  ;).  1331  (=;).  43  (  =  ;). 
1435  (  =  ;).  63  (  =  ;).  1519  (  =  ;).  1719.  2188.  2213.  54.  2339.  2518.  2618. 
Dazu  (i'SC-hoU  nfan  gneg  380,  bei  dem  ufan  grceg  vielleicht  ein  comp,  ist: 
es  hat  jedenfalls  die  betonung  eines  comp.  —  2)  Vor  Semikolon:  149. 
1440.  2G92.  —  3)  Vor  puukt:  67.  120.  251.  572.  841.  1220.  5.  46.  1423.4. 
1522.  47.  1722.  78.  1965.  2016.  69.  2306.  2586.  2845  (48  mal). 

147.  Genitive  sind  hier  viel  seltener  als  bei  den  'offenen' 
versen.  Der  gen.  steht  meist  voran,  aber  bei  dem  herschenden 
tiefen  gleichton  ist  eine  enklise  des  zweiten  wortes  kaum  miiglich. 

1)  Vor  doppelpunkt:  giip-searo  gumena  (^;)  328,  hord-hurh  hce- 
lepa  467,  hordes  liijrde  {  =  ;)  887;  ferner  583.  984.  1080.  5(  =  ;).  1527.  59. 
2289  (  =  ;).  2419.  —  2)  Vor  Semikolon:  1515.  2777.  —  3)  Vor  punkt: 
183.  247.  516.  628.  823.  1060.  1122.  1306.  1534.  1602.  66.  2072.  2120.  2248. 
2329.  2711  (29  mal). 

148.  Inf.  und  object: 

1)  Vor  doppelpunkt:  gomhan  gyldan  11,  xcean  omvendan  191; 
ferner  801.  1372.  1490  (  =  ;).  3144.  —  2)  Vor  Semikolon:  366.  1470.  — 
3)  Vor  punkt:  1176.  1940.  2556.  2791.  2906  (13 mal). 

149.  Sogar  ein  compositum  erscheint  am  satzschluss: 
hearn-gebyräo  946.  Hier  darf  aber  die  stimme  erst  bei  der 
letzten  silbe  sinken  (wie  oft  bei  den  A  2),  weil  wir  in  -gebyrdo 
ein  völliges  novum  haben  (typus  A  259  mal). 

Typus  B. 

150.  Die  fälle  sind  sehr  spärlich,  denn  der  typus  wird 
nicht  gern  am  satzschluss  gebraucht. 

Nur  einmal  finden  wir  ein  B  vor  punkt,  nämlich  on  Grendles  gryre 
478;  hier  erleichtert  die  auflösung  den  leichten  abfall.  Einmal  kommt 
auch  ein  ausrufzeichen  vor:  xoces  pu  Hropgar  hall  407.  Dieses  zeichen, 
besonders  bei  kurzen  Sätzen,  deutet  gewöhnlich  an,  dass  die  stimme  allen- 
falls erst  im  letzten  werte  abfällt.  Die  anderen  belege  (alle  vor  doppel- 
punkt) brauchen  keine  besprechung:  xvip  Grendles  gryre  384,  secan  deofla 
gedrceg  756,  secean  wyn-leas  xoic  (  =  ;)  821,  and  pces  mannes  mod  1057. 

Typus  C. 

151.  Auch  dieser  typus  ist  schwach  vertreten. 

Die  belege  sind:  hcsfde  mare  mcegen  518,  on  grames  grapum  765,  be- 
foran  heorn  heran  1024,  geboren  betra  1703.  Alle  stehen  vor  punkt.  Dazu 
das  einzige  compositum  %vip peod-preaum  (:  =  ;)  178.    In  allen  diesen  fällen 


134  MORGAN 

liegt  das  hauptinteresse  im  zweiten  fusse,  und  dadurch  wird  die  stimme 
im  niveau  gehalten.  Bei  1024  gilt  dies  nur,  wenn  man  die  interpimction 
der  vorhergehenden  zeilen  ändert.  Es  ist  nach  1022  komma,  nach  1021a 
kolon  zu  setzen  (übrigens  auch  1022  hdde-cumbr  zu  lesen). 

Typus  D. 

152.  Dieser  tj^piis  ist  liier  niclit  selten;  bemerkenswert 
ist  die  relative  liäufigkeit  der  verse  mit  coordination,  und  die 
Seltenheit  des  gen.,  ferner  das  fehlen  der  composita. 

153.  Volle  coordination: 

1)  Vor  doppelpunkt:  fleon  on  fen-hopu  (=;)  764,  liafen  lianda 
fcest  (  =  ;)  1290,  tvce^mi  tvundrum  heard  2687;  ferner  487.  1594.  2769.  — 
2)  Vor  Semikolon:  400.  1460.  —  3)  Vor  punkt:  703.  69.  1137.  57.  62. 
1863.  1906.  2527  (16  mal). 

154.  -Die  adjectiva  gehen  meist  voran: 

1)  Vor  doppelpunkt:  s/de  sce-ncessas  223,  egl  tmheorn  (  =  ;)  987, 
fceste  friopo-ivoere  (  =  ;)  1096;  ferner  1468.  1668  (  =  ;).  2858  (  =  ;).  2648. 
2819.  —  2)  Vor  Semikolon:  57.  2442.  2760.  —  3)  Vor  punkt:  90.  129. 
581.  770.  1400.  1845.  90.  2226.  2498.  2646  (21  mal). 

155.  Der  genitiv  ist  nur  5 mal  belegt: 

eafop  uncupes;  960,  aldres  or-ivena.  1002,  enta  wr-geiveorc;  1679, 
eaforan  ellor-sip:  (^;)  2451,  Eafores  anne  dorn:  2964. 

156.  Zweimal  tritt  ein  infinitiv  auf: 

tvong  wisian:  2409,  cdcetan  Icen-dagas.  2591  (typus  D  44  mal). 

Typus  E. 

157.  Dieser  typus  steht  nicht  weit  hinter  D  zurück:  wir 
finden  26  belege. 

158.  Ein  di'ittel  der  verse  hat  coordination: 

1)  Vor  doppelpunkt:  tvig-Jieap  geioanod  (  =  ;)  477,  sele-iveard 
aseted  667,  lissa  gelang  2150,  heapo-fyrmn  hat  2547,  siex-bennum  seoc 
2904,  tivelf  wintra  tid  (:  =  fehlt)  147.  —  3)Vorpunkt:  476.  636.  776. 

159.  Adjectiva  gehen  voran,  ausser  in  gled-egesa  ^nm2650. 

1)  Vor  doppelpunkt:  murnende  mod  (  =  .)  50,  singale  scece  {^,) 
154,  sinntgne  secg  1379.  —  2)  Vor  Semikolon:  1416.  —  3)  Vor  punkt: 
784.  815.  1136.  1299.  1311.  1584.  2650.  2890. 

160.  Der  genitiv  kommt  nur  5  mal  vor: 

heal-pegnes  hete:  142,  Jicepenra  hijht:  (  =  ;)  179,  here-sceafta  heap. 
835,  mago-riyica  heap:  730,  gleo-mannes  gi/d.  1160. 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  135 


b)  Yerbum  4-  nomen. 

Typus  A. 

161.  1)  Vor  doppelpunkt:  hcefde  he  7io«(7a  (^;)  814,  si'pode  sorh- 
full  (  =  ;)  2119;  ferner  49.  1739.  2629.  32  (=;).  2854  (=;).  2919.  — 
2)  Vor  Semikolon:  1118.  2717.2975.—  3)  Vor  punkt:  scegdest  from  his 
sipe  532;  ferner  782.  1008.  1159.  1255.  2085.  96.  2252.  60.  70.  2882  (21  mal). 

Typus  C. 

162.  Bloss  ein  beleg:  forgrand  gramum;  424. 

Typus  D. 

163.  Hier  kommt  dieser  typus  dem  tj-pus  A  fast  gleich: 
auch  bei  den  'offenen'  versen  war  er  bei  dieser  combination 
stark  vertreten. 

1)  Yor  doppelpunkt:  mearcap  mor-lwpu  450,  eoäe  yrre-mod  726; 
ferner  1150  (  =  ;).  1274  (  =  ;).  1616.  2018.  2277(=;).  3067.  84.  —  3)  Yor 
punkt:  496.  702.  818.  1384.  1512.  1724.  2183. 

c)  Nomen  +  verbum. 

164.  Die  zahl  der  belege  für  diese  combination  ist  etwas 
auffällig  gross,  da  das  verbum  sonst  gern  zur  tonausweichung 
neigt,  wenn  es  einem  nomen  folgt.  Hier  bemerkt  man  jedoch 
den  einfluss  des  tiefen  gleichtones :  auf  der  den  vers  beherschen- 
den  tiefen  stufe  ist  der  abfall  des  verbums  so  gering,  dass  er 
als  solcher  vom  obre  nicht  mehr  wahrgenommen  wird.  Es 
handelt  sich  auch  fast  durchgehends  um  begriffsverba. 

Typus  A. 

165.  1)  Yor  doppelpunkt:  sund-wudu  sohle  208,  frecne  geferdon 
1691,  fcege  gefcallep  (  =  ;)  1755;  ferner  1783.  1821.  2108  (  =  ;).  41  (  =  ;). 
2300  (  =  ;).  2834.  —  2)  ^'or  Semikolon:  2532.  —  3)  Vor  punkt:  icesan, 
pces  ic  tcene  272,  heapo-rof  hcebbe  381;  ferner  569.  917.  1205  (  =  ;).  14. 
1376.  1605.  1802.  2265.  2535.  3007  (typus  A  23  mal). 

166.  Die  anderen  verstypen  sind  sehr  spärlich  belegt. 

Die  belege  sind:  für  B  on  hand  gehwearf:  2208;  für  C  on  stefn  stigon. 
(  =  ;)  212,  geondpcet  sceld  swcefun.  1280;  und  endlich  5  belege  für  E:  heapo- 
grim  ondhwearf:  548,  syn-snoedum  sivealh:  743,  gum- Cyste  ongit.  1728, 
Weder-GeaUim  iveold.  2379,  ban-hus  gebrcec.  2508. 


136 


MORGAN 


d)    Reste. 

Tj'pus  A. 
1G7.    Coordinatioii: 

tvanode  and  wijrde.  1337,  eft  cet  ße  anum.  1377,  forsitep  and  forswor- 
cep:  1767,  hatode  and  hynde;  2319. 

168.  Adv.  +  uomeii: 

1)  Vor  doppelpunkt:  hwüe  ivi'p  Hropgar  (=;)  152,  gegnum  gangan 
(  =  ;)  314;  ferner  1630  (  =  ;).  1885.  1985.  —  2)  Vor  Semikolon:  18ß. 
1037.  1959.  3085.  —  3)  Vor  p unkt:  240.  51.  901.  2821.  2967.  3090. 

169.  Adv.  +  verbum: 

hitre  gehulge:  2331,    lungre  gelimpe.  929,   ivihte  ne  tvene:  2923. 

170.  Nomen  +  schwache  Wörter: 

gumum  cetgcedere:  (  =  ;)  321,  giogop  cBtgcedere:  (=;)  1190,  snude  to- 
S07nne:  2568,  attor  on  innan.  2715,  godum  togenes:  3114.  Dazu  der  etwas 
schlecht  klingende  vers  picgean  ofer  pa  niht.  736. 

171.  Von  den  anderen  typen  kommen  B  undC  gar  nicht 
vor,  E  bloss  einmal:  singala  seap:  (  =  ;)  190. 

Dazu  4  belege  für  D:  fijrst  forp  getvat:  210,  sigel  supan  fits:  1966, 
eal  utan-ioeard:  (  = ; )  (  ^  ealne  und  -iveardne)  2297,  gewrecen  wraplice.  3062. 


Tabelle  EL 

tfeschlossene  verse. 

Gleichton  und  doppelalliteration. 

Zwei  nomina                                   A  B  C  D  E        Sa. 

Coordination 139  1  1  16  9        166 

Dat.-instr 28  —  —  —  —          28 

Adj 48  1  1  21  12         83 

Gen 29  4  1  5  5         44 

Inf 13  —  1  2  —         16 

Comp 1—  1  —  —  2 

259  6  5  44  26 

Verbum  +  nomen 21  —  1  16  — 

Nomen  +  verbum 23  1  2  —  5 

Beste  ' 

Coordination 4  —  —  —  —           4 

Adv.  +  nomen      ....        15  —  —  1  —          16 

Adv.  +  verbum    ....          3  —  —  —  1            4 

Nomen  +  schw.  Wörter     .6  —  —  3  —           9 

28  —  ^^  4  1         33 

Summen    330  7  8  64  32        441 


339 

38 
31 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  137 

II.  Gleichton  und  einfache  alliteration. 

172.  Die  belege  treten  sehr  vereinzelt  auf  und  fallen 
sämmtlicli  zum  typus  A. 

Bei  hringed-stefnan:  1131  haben  wir  allerdings  ein  compositum,  aber 
zugleich  einen  beleg  für  gekreuzte  alliteration,  sodass  der  glciebton  zu 
rechtfertigen  ist  (vgl.  314  ff.)-  In  scela  and  mcela:  1611  ist  die  all.  durch  den 
reim  ersetzt,  yamela  Scylding.  1792  hat  einen  eigennamen.  In  dryhtlic 
iren;  892  und  Uoflic  iren;  1809  ist  vielleicht  nahton  an  zweiter  stelle 
möglich;  jedoch  wird  mau  auch  annehmen  können,  der  dichter  habe  mit 
dem  wort  iren  Schwierigkeiten  gehabt.  Nur  zweimal  kommt  dieses  wort 
bei  doppelall.  vor:  iren  cer-god  990,  und  irenna  ec^c  2084.  Vielleicht  waren 
passende,  mit  vocal  anlautende  adj.  selten. 

III.  Doppelalliteration  bei  ausweichten. 

173.  Bei  den  meisten  der  hierher  gehörigen  fälle  handelt 
es  sich  wider  eher  um  die  beschaffenheit  des  ganzen  satzes, 
als  um  streng  begrifflich  fassbare  dinge.  Z.  t.  bleibt  die  stimme 
bei  der  vorausgehenden  halbzeile  zu  hoch,  um  tiefen  gleichton 
zu  gestatten,  z.  t.  kommen  andere  Ursachen  zur  geltimg,  die 
nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen  sind.  Ich  finde  indes  keinen 
vers,  bei  dem  fernton  zu  constatieren  wäre,  und  somit  keine 
ausnähme  von  der  angenommenen  alliterationsregel. 

Typus  A. 

174.  Syntaktische  coordination  kommt  vor,  nur  vor 

punkt:  eoletes  cet  ende  224,  ealle  buton  anum  705,  fet  and  fohna  745, 
mva  to  aldre  955,  sioelan  and  stvellan  2713. 

175.  Composita,  auch  nur  vor  punkt: 

Jielle-hcefton  788,  fcere-bifongen  (=  fcer)  2009. 

176.  Verba   an  zweiter  stelle   sind  verhältnismässig 

häufig:  gest-sele  gyredon.  994,  ivesien  loarode.  1265,  geatolic  gengde;  1401, 
ivigend  loceron;  1814,  scecca  gesette.  2029,  hyldo  gehealde.  2293,  tvide  tveor- 
pep.  2913,  beagas  gebohte:  3014.  Dazu  mit  verbum  an  erster  stelle: 
sigon  pa  to  slcepe.  1251. 

177.  Sonstiges: 

folc-stede  frcettvan.  76,  niceras  ntgene.  575,  dreamum  bedceled.  721, 
sweordum  gesceged.  884,  freondum  gefcegra;  915,  idese  onlic;  1351. 

178.  Die  anderen  typen  treten  stark  zurück. 

Wir  finden  folgende  belege :  für  B :  and  him  fceste  icipfeng.  760 ;  für  C : 
drimcon  win  weras:  1238,  on  sefan  sende.  1842,  to  gescife  {=  gescife) 
scyndan.  2570;  endlich  für'E :  Welandes  geiveorc.  455,  gryrelicne  gist.  1441, 
feasceaftiim  freond.  2393,  breost-lwrd  purhbrcec.  2792. 


138  MORGAN 

IV.    Einfache  alliteration  bei  ausweichton. 
a)   Nomen  +  nomen, 

Typus  A. 

179.  Composita: 

1)  Vor  doppelpunkt,  nur  bei  iiahton  an  zweiter  stelle :  gup-gewcedo 
(  =  ;)  227,  leod-geb>jrgean  269;  ferner  343  (=; ).  557.  969(  =  ;).  1133(=;). 
1349.  1873.  2165  (  =  ;).  80  (  =  :).  2427.  2583.  2881  (  =  ;).  3124  (  =  .).  — 
2)  Vor  Semikolon:  «)  Führton  +  nahton:  1263.  1937.57.2113.  — 
/9)Führtou  +  fernton:  683.  900.  1689.  2693.  —  3)  Vor  pnnkt:  «)  Führ- 
ton +  nahton:  828  (  =  ;).  1931.  2162.  —  ß)  Führton  +  fernton:  646 
(  =  ;).  1226.  1471.  95.  1903.  2169.  2302  (32  mal). 

180.  Adjectiva: 

1)  Vor  doppelpunkt:  a)  Führton  +  nahton:  rice  peoden  1209, 
mcerne  peoden  (  =  ;)  1598;  ferner  2078  (=;).  2127.  2482.  92.  3029  (=;). 

—  /?)  Führ  ton  +  fern  ton:  tcergan  gasies  (  =  ;)  133,  angan  dohtor  (  =  ;) 
375;  ferner  472.  1503.  1746.  62  (  =  ;).  2511.  41.  94.  2733.  3035.  —  2)  Vor 
Semikolon:   a)  Führton  +  nahton:  889.  1634.  1994.  2347.  2672.  3131. 

—  /?)  Führton  +  fernton:  114.  1502.  1760.  —  3)  Vor  punkt:  a)  Führ- 
ton +  nahton:  1761.  1912.  80.  92.  2354.  84.  2897.  —  ß)  Führton  + 
fernton:  16.  949.  1172.  1303  (  =  ;).  57.  1789.  2236. 

181.  Genitive: 

1)  Vor  doppelpunkt:  a)  Führton  +  nahton:  hrcegla  seiest  (  =  ;) 
454,   Eotena  treoive  1072;  ferner  1742  (sende  =  sawele).  2091.  2727  (  =  ;). 

—  ß)  Führton  +  fernton:   359  (fregan  =  frean).  895.  1812.  1929.  2801. 

—  2)  Vor  Semikolon:  «)  Führton  +  nahton:  1282.  2061.  2920.  — 
ß)  Führton  +  fernton:  700.  897.  1124.  70.  1387.  3061.  —  3)  Vor  punkt: 
ß)  Führton  +  nahton:  2656.  —  ß)  Führton  +  fernton:  171.  389. 
579.  696.  724.  1323.  1572.  1853. 

182.  Sonstiges: 

ß)  Führton  +  nahton:  fugliim  to  gamene.  294,  gare  wunde:  (  =  ;) 
1075,  since  hremig:  1882,  hringas  dcslan:  1970,  Geatum  wealdan:  2390, 
dennes  niosan  {=mosian);  3045.  —  ß)  Führton  +  fernton:  prypnm 
dealle.  494,  gupe  gebeodan.  603,  since  fage;  1615,  cicen  to  gcbcddan.  665, 
sope  gebunden:  871,  metodsceaft  seohan  (=  sean).  1180,  Higelac  secan. 
1820,  bord  wip  ronde:  2673,  egesan  peohan  {^^peon).  2731.  Endlich  auch 
mcel  is  me  to  feran  (  =  ;).  316,  wo  die  erste  hehung  fernton  hat.  Die 
stimme  sinkt  bei  dem  -an  von  feran  wider. 

Typus  B. 

183.  Ein  beleg,  bei  nahton  an  zweiter  stelle:  on  ancre  fcesf. 
(  =  ;)  303. 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  139 

Typus  C. 

184.  Ein  genitiv,  bei  fernton  an  zweiter  stelle:  Jm  com 
non  dceges.  1600.    Sonst  nur  composita,  und  zwar  mit  fülirton 

+  naliton: 

to  Gar-Bennm.  601,  cefter  Icoä-hnjre:  (  =  ;)  2030,  nces  he  gold-htvcete: 
3074?  (der  text  ist  sehr  unsicher);  mit  führton  +  fernton:  cefter  gup-ceare: 
1258,  on  ad-fcere.  3010. 

Typus  D. 

185.  Die  composita  haben  alle  naliton  an  zweiter  stelle, 

ausser  lind-Juehhende.  245. 

Die  sonstigen  belege  (mit  führton  +  fernton)  sind:  fold-huende:  1355, 
lind-hcehhendra.  Ii02,  fela-modigra:  1637,  sib-cepeUngas:  2708. 

186  Genitive  kommen  hier  nur  von  eigennamen  vor, 
und  nur  bei  führton  +  naliton: 

frean  Scijldinga.  291;  ähnlich  913  (=•),  mcegen  Hrepmonna.  445, 
bearn  Healfdenes.  469,   frean  Ingwina:  (  =  ;)  1319,   mceg  jElfheres:  2604. 

187.  Dreimal  kommt  ein  adjectivum  vor,  nur  bei  naliton 
des  zweiten  gliedes: 

iorn  müi/tel.  833,  Invafe  Scyldmgas;  1601,  xoindge  6ard-weallas.  1224 
(letzterer  vers  ist  wahrscheinlich  verderbt:  sonst  hat  der  Beowulf  kein  er- 
weitertes D  ohne  doppelalliteration). 

188.  Eest:   feorJi  ealglan:  (=;)  2668,  mit  fernton  im  zweiten  glied. 

Typus  E. 

189.  Wir  finden   nur  vier  belege,   alle  mit  fernton  an 

zweiter  stelle: 

heal-cerna  mcest:  (  =  ;)  78,  an-fealdne  gepoht:  256,  man-cynnes  feond. 
1276,  fea-sceaftum  men.  2285. 

b)   Verba  und  sonstiges. 

Typus  A. 

190.  Nomen  +  verbum  finitum: 

«)  Führton  +  nahton:  aldrum  nepdon.  510,  pearf  gescelde:  1250, 
mcerpo  fremede:  2134,  linde  bccron:  2365.  Dazu  mit  nahton  der  ersten 
hebung  ne  frin  pu  cefter  scelum.  1322.  —  ß)  Führton  +  fernton:  findan 
nithte:  207,  Beownlf  nemnap.  364,  efnan  toolde:  1041,  hcelepum  secdde: 
2024.  Die  übrigen  belege  stehen  entweder  vor  punkt  oder  vor  Semikolon: 
541.  794.  1328.  1494.  2241.  2599.    Dazu*  der  A3-vers  eodepa  to  seile.  1232. 

191.  Eeste:  «)  Führton  +  nahton:  lüaford  sinne.  2283,  uncer 
tivega:  2532,  siveprian  syppan:  2702.  —  ß)  Führton  +  fernton:  ecga 
gehivglcre.  805,  ellenlice:  2122,  cyninge  minum:  8093.  Dazu  mit  fernton  der 
ersten  hebung  ie  hü  pe  gehate:  1392. 


140 


MORGAN 


192.  Die  anderen  verstypen  treten  sehr  vereinzelt  auf, 
typus  E  gar  nicht. 

Die  belege  sind:  für  B  and  he  Jiealse  genam;  1872;  für  C  micl  Wilfin- 
gum:  -±61,  ofer-Jiigian:  2766;  für  D  Wcegmundinga:  2814.  Letzterer  vers 
hat  das  Schema  führtou  +  uahtou;  die  übrigen  haben  führton  -f  fern  ton. 

Anm.  Folgende  erste  halbverse  sind  als  verderbt  zn  betrachten:  20. 
02.  390.  457.  652.  707.  1129.  1143.  2001.  2.  7.  19.  2128.  81.  2215—22.  5. 
7—31.  53.  75.  6.  98.  9.  2488.  2525.  89.  3041.  56.  86.  3151—5.  71   (45  mal). 


Tabelle  IV. 
Geschlossene  Ycrse. 

Einfache  alliteration  mit  ausvveichton. 

Zwei  nomina                                     A         B         C  D 

Comp 32        —          5  5 

Adj 41        —        —  3 

Gen 29        —         1  6 

Eeste 16         1       —  1 

118         1         6  15 

Nomen  +  verbum 16         1        —  — 

Eeste 6        —         3  1 

Summen    140         2         9  16 


E 

1 
3 


Sa. 
42 
45 
39 
18 


144 
17 
10 


171 


Schlusstabelle. 


B. 


)ffene  verse 

A 

B 

C 

D 

E 

Sa. 

Doppelall.  mit  gleichton    . 

611 

78 

34 

255 

67 

1045 

Einfache  all.  mit  gleichton 

17 

5 

1 

2 

1 

27 

Doppelall.  mit  ausweichton 

18 

1 

8 

— 

— 

26 

Einf.  all.  mit  ausweichton 

595 

209 

454 

98 

23 

1379 

1241 

293 

497 

355 

91 

2477 

jeschlossene  verse 

Doppelall.  mit  gleichton     . 

330 

7 

8 

64 

32 

441 

Einfache  all.  mit  gleichton 

5 

— 

— 

— 

— 

5 

Doppelall.  mit  ausweichton 

23 

1 

2 

— 

4 

30 

Einf.  all.  mit  ausweichton 

140 

2 

9 

16 

4 

171 

498 

10 

19 

79 

40 

646 

Summen 

1739 

303 

516 

435 

131 

3124 

Dazu  die  schwellverse  und  verderbtes  . 

•    • 

.     • 

.      58 

3182 

ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  141 


Zweiter  liulbvers. 

103.  Von  grosser  bedeiitiing-  ist  die  tatsaclie,  dass  im  zweiten 
lialbvers  doi)pelalliteration  nicht  vorkommt,  und  wir  dürfen 
wol  versuchen,  uns  über  die  Ursachen  dieses  umstandes  khirlieit 
zu  verschaffen.  Möller  hat  die  Vermutung  ausgesprochen  (s. 
Lawrence,  Chapters  on  Allit.  Verse,  s.  43),  dass  die  stimme  bei 
der  vierten  hebung  der  langzeile  schwach  werde,  und  so  nicht 
mehr  im  stände  sei,  einen  vierten  reimstab  zu  markieren. 
Diese  erklärung  befriedigt  aber  wenig,  besonders  angesichts 
der  tatsache,  dass  man  beim  Vortrag  alliterierender  dichtungen 
mindestens  ebenso  oft  nach  einem  ersten  halbvers  atem  zu 
holen  hat,  als  nacli  einem  zweiten.    Ich  glaube,  eine  zutreffende 


erklärung  können  wider  nur  die  tonhöhen Verhältnisse  liefern. 
Beide  halbzeilen  durchlaufend  gleichtonig  zu  sprechen  hätte 
zu  sehr  grosser  monotonie  geführt,  und  eben  darum  (und  ver- 
mutlich um  zugleich  einen  melodischen  einschnitt  als  marke 
für  den  abschluss  des  langverses  zu  gewinnen)  liess  man  min- 
destens den  ton  der  vierten  hebung  der  langzeile  aus  dem 
niveau  der  übrigen  herausfallen,  und  entzog  diese  hebung  so 
schon  praktisch  dem  bereiche  der  alliteration.  Später  mag 
sich  dann  aus  diesen  auf  instiuctivem  gefühl  beruhenden  an- 
fangen das  feste  gesetz  entwickelt  haben ,  das  die  anwendung 
eines  vierten  reimstabes  direct  verbietet,  und  dessen  Wirkung 
auf  dem  ganzen  gebiet  der  alliterationsdichtung  zu  beobachten 
ist.  Und  dieses  gesetz  war  zu  der  zeit,  wo  die  tätigkeit  des 
Beowulfdichters  begann,  schon  längst  von  traditionellen  regeln 
beherscht. 

194.  Man  sieht  hieraus,  dass  das  problem  beim  zweiten 
halbvers  wesentlich  anders  liegt  als  beim  ersten.  Dort  galt 
es,  eine  regel,  die  hauptsächlich  die  Setzung  der  doppelall. 
erklären  sollte,  an  der  band  des  überlieferten  materials  zu 
prüfen.  Hier  haben  wir  bloss  zu  untersuchen,  ob  nicht  doch 
bisweilen  im  zweiten  halbvers  gleichton  auftritt,  und  unter 
welchen  bedingungen  das  geschieht.  Es  gibt  dafür  in  der 
tat  einige  belege,  aber  sie  treten  doch  nur  relativ  selten  auf. 
Und  das  kann  nicht  wunder  nehmen,  weil  ja  der  Charakter 
des  zweiten  halbverses  von  dem  des  ersten  ganz  verschieden  ist. 


142  MORGAN 

195.  Zur  allgemeinen  orientiernng  über  die  tj^pisclien 
tonverliältnisse  im  zweiten  lialbvers  will  icli  bemerken,  dass 
verschiedene  combinationen  von  Wortarten,  die  man  in  der 
ersten  halbzeile  (d.  li.  im  melodischen  Vordersatz)  mit  gleichton 
lesen  würde,  in  der  zweiten  (d.  h.  im  melodischen  nachsatz) 
ganz  andere  tonfolgen  erzeugen.  Dabei  spielen  u.  a.  auch  die 
verstypen  eine  rolle;  parenthetische  verse  (oben  20)  fehlen 
meist,  Variation  ist  äusserst  selten;  vor  allem  aber  greift,  wie 
schon  oben  angedeutet  wurde,  wider  die  satzmelodie  bestim- 
mend ein,  insofern  sich  die  stimme  bei  Sinneseinschnitten 
gern  senkt.  Ich  werde  im  folgenden  gelegentlich  auf  diese 
dinge  zurückkommen,  da  sie  sich  an  der  hand  des  anzuführen- 
den materials  verständlicher  erörtern  lassen. 

A.   Offene  verse. 
I.    Gleichton. 

Typus  A. 

1 96.  Die  hauptmasse  der  hierher  gehörigen  verse  enthält 
eigennamen,  welche  (wie  wir  schon  oben  101  beim  ersten 
halbvers  sahen)  den  dichtem  oft  Schwierigkeiten  bereiten.  Es 
sind  eben  zwangsbildungen,  und  so  möchte  man  fast  ver- 
muten, der  Beowulf dichter  habe  die  namen  lieber  im  zweiten 
als  im  ersten  halbvers  untergebracht,  weil  das  fehlen  der 
doppelall.  bei  gleichton  in  der  ersten  halbzeile  als  störend 
empfunden  worden  wäre. 

Die  beleg-e  für  eigennamen  sind:  tcine  min  Beowulf  ibl.  1704,  Beo- 
wulf leofa  1216.  1758.  1987  (umgekehrt),  dryhten  Higelac  2000,  tcine  min 
Unferjj  530,  Guplaf  and  Oslaf  1148,  Siveona  and  Geata  2946.  Dazu  gy- 
rede  hine  Beoioidf  1441,  bei  dem  wir  die  sonst  sorgfältig  gemiedene  com- 
bination  verbum  +  nomen  finden.  Ferner  die  zwei  geschlossenen  verse  (die 
einzigen):  gicedman  Hropgar.  367,  leofa  Beoiculf:  1854. 

197.  Drei  verse  haben  syntaktische  coordination: 
wind  ofer  ypum  1907,    hunan  and  discas  2775,    feorran  and  neahan 

(=  nean)  839. 

198.  Endlich  der  'parenthetische'  yershringde  6?/ma« 2615. 

Typus  B. 

199.  Nur  vier  belege,  alle  mit  coordination: 

pa  wces  scel  and  mcel  1008,  se  pe  sop  and  riht  1700,  tinim  sceal 
siceord  and  heim  2659,  se  wces  heah  and  hrad  3157. 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  143 

Typus  D. 

200.  Noch  häufiger  ist  gleichton  bei  diesem  iyims,  der 
auch  im  ersten  halbvers  den  stärksten  procentsatz  von  doppel- 
all, zeigt.  Von  wesentlicher  bedeutung  ist  hier  die  frage, 
welche  melodie  wir  beim  Vortrag  der  D-verse  anzunehmen 
haben  (s.  oben  60).  AVendet  man  die  dort  geschilderte,  mehr 
sprunghafte  melodieart  an,  so  erhält  man  bei  weitem  nicht  so 
viele  fälle  von  gleichton,  und  folglich  nicht  so  viele  ab- 
weichungen  von  der  gewöhnlichen  Sprachmelodie  des  zweiten 
halbverses.  Ich  habe  indessen  gegen  diese  betonungsweise 
schon  oben  gewisse  bedenken  äussern  müssen.  Und  die  aus- 
nahmen sind  nicht  so  häufig,  auch  wenn  man  den  zweiten 
intonationstj^pus  annimmt,  dass  sie  viel  zu  bedeuten  hätten. 

201.  Am  häufigsten  stehen  zwei  nomina  nebeneinander, 
von  denen  das  eine  in  beziehung  zu  einem  verbum  derselben 
halbzeile  steht. 

Z.  b.  pegn  nytte  helieold  49'1,  geofon  ypum  iveoU  515,  hlod  edrum 
dranc  742;  ferner  1057.  80.  1131.  2.  1931.  97.  2593.  2609.  10  (12  mal). 

202.  Dreimal  enthält  ein  adjectivum  den  hauptbegriff: 

iviht  unhcelo  120,  ivif  unhyre  2120,  weard  unheore  2113. 

203.  Coordination  kommt  sonst  viermal  vor: 

Fin  Hengeste  1096,  dead  is  -äschere  1323,  eafor  heafod-segn  2152, 
higum  unrote  3148. 

204.  Verba  treten  dreimal  auf. 

Vor  einem  nomen:  seah  on  enta  geiveorc  2717;  vor  einem  adverbium: 
Polode  (er  fela  1525,  bat  unswipor  2578  (typus  D,  22  mal). 

II.    Verse  mit  ausweichton. 

a)   Nomen  +  nomen, 

Typus  A. 

205.  Composita: 

«)  Führton  +  nahton:  aldor-lease  15,  liringed-stefna  32.  1897, 
apum-swerian  84,  oret-mecgas  363;  ferner  504.  59.  751.  99.  869.  974.  86. 
1092.  1110.  43.  1244.  7.  1414.  1580.  94.  1606.  32.  41.  1787.  2081.  2202. 
2240.  4.  2371.  2596.  2623.  2871.  3.  3033.  51.  3139.  69  (37 mal).  —  ß)  Führ- 
ten +  fernton:  283.  361.  481.  616.  71.  3.  774.  853.  981.  1030.  64.  1242. 
1406.  58.  1713.  2232.  2418.  2617.  2761.  2903.  9.  33.  86.  3042.  3116.  79  (26  mal). 

206.  Der  genitiv  steht  in  der  ersten  hebung.  Es  ist 
charakteristisch,  dass  diese  Stellung  hier  fast  zur  ausschliess- 
lichkeit  herscht. 


144  MORGAN 

cc)  Führton  +  naliton:  foldan  sceatas  96,  Geata  leoda  205.  1213. 
2318,  Wedera  leodum  697.  2900.  3156,  manna  cynnes  701.  12.  35.  810.  914. 
1725.  3137.  78;  ferner  242.   436.  43.  658.  750.  79.  93.  842.  68.  83.  912.  82. 

1005.  50.  76.  98.  1258.  70.  96.  1484.  1661.  1716.  32.  94.  1847.  94.  1930. 
2006.  82.  2125.  39.  85.  2304.  38.  2428.  63.  2644.  3111.  5.  21  (55  mal).  — 
ß)  Führton  +  ferntou:  4.  60.  196.  260.  546.607.65  (cyninga  =  cyning). 
728.  1021.  1543.  51.  1639.  80  (fregan  =  frean).  1730.  1801.  71.  1922.  2036. 
2107.  18.  29.  91.  2333.  45.  53.  2505.  2639.  89.  2710.  86.  2823.  29.  95.  2937. 
9.  71.  3001.  13.  77.  3160  (40  mal). 

207.  Der  genitiv  steht  in  der  zweiten  hebung: 

a)  Führtou  +  uahton:  mcegenes  Deniga  155.  465  (folce),  Hrepel 
Geata  374,  Higelac  Geata  1202,  hleo-burh  tvera  1731,  waldend  fira  2741, 
ecgum  sioeorda  2961.  Die  ersten  vier  verse  enthalten  eigennamen  und  sind 
formelhaft;  in  den  übrigen  fällen  ruht  die  hauptemphase  auf  dem  ersten 
wort.  —  ß)  Führton  +  ferntou:  ealdor  ßegna  16i4:,  monegum  fira 'IQOi. 

208.  Adjectiva  stehen  hier  meist  voran,  aber  die  Ver- 
schiedenheit der  Stellung  ändert  nichts  an  der  versmelodie. 

«)  Führton  +  nahto«:  nmre  ßeoden  129.  1046.  2788.  3141,  leofne 
peoden  34.  3079,  snotere  ceorlas  202.  416.  1591;  ferner  211.  9.  22.  75.  325. 
520.  5.  605.  86.  740.  91.  859.  65.  96.  907.  16.  52.  8.  63.  1011.  27.  1104.  12. 
1203.  57.  62.  89.  1312.  35.  41.  1400.  9.  45.  88.  1510.  1677.  94.  1729.  1813. 
41.  59.  68.  96.  IDOO.  15.  25.  2008.  44.  2105.  53.  81.  2200.  7.  34.  55.  2330. 
2444.  56.  87.  2573.  2667.  2753.  2830.  2905.  97.  3101  (76 mal).  —  ß)  Führ- 
ton +  fernton:   54.   141.  214.  31.  97.  459.  66.  576.   795.  873.  7.  933.  78. 

1006.  35.  1245.  1324.  58.  63.  1419.  1867.  1902.  14.  48.  2030.  49.  2163.  78. 
2253.  2374.  2417.  73.  2507.  17.  48.  63.  71.  2670.  88.  2774.  3097.  3170.  Dazu 
preo-hund  wintra  2278,  dessen  gen.  die  hetonung  eines  adj.  hat  (43  mal). 

209.  Davon,  dass  diese  verse  wirklich  nicht  gleichtonig 
zu  sprechen  sind,  kann  man  sich  leicht  überzeugen,  wenn  man 
sie  möglichst  wörtlich  ins  nhd.  übersetzt.  So  z.  b.  lautet  vers 
34  f.  etwa:  'Sie  legten  da  ihren  lieben  herrn,  der  geber  der 
ringe,  in  des  Schiffes  schooss,  den  berühmten  an  den  mast.' 

210.  Die  Verbalnomina  (inf.  und  part.)  scheinen  sich 
hier,  im  gegensatz  zu  anderen  nominibus,  der  toustufe  des 
verbum  finitum  zu  nähern.  Sie  stehen  fast  immer  hinter  dem 
anderen  nomen,  vielfach  in  bedeutender  tonenklise,  sodass  bei 
typus  A  fernton  viel  häufiger  ist  als  nahton.  Ich  führe  hier 
alle  belege  an,  ausser  den  wenigen  belegen  für  syntaktische 
coordination  (vgl,  211). 

«)  Führton  +  nahton:  call  gedcelan  71,  weorc  gehannan  74,  sawle 
hescufan  184,  tvicge  ridan  234;  ferner  303.  829.  1060.  1125  (neosan^neo- 
sian).  1386.  1933.  2047.    Dazu  mit  etwas  anderer  melodie  die  part.  als  adj.: 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  145 

beore  druncen  iSO,  hundum  gesicenced  1368;  ferner  1285  {gepruen  =  ge- 
puren). 1443.  50.  1531.  2111.  2401.  3018.  3117  (21  mal).  =  ß)  Führton  + 
fern  ton:  20.  38.  43.  G4.  9.  102.  58.  7.  262.  78.  349.  54.  73.  425.  664.  792. 
822.  55.  72.  93.  911.  76.  1084.  1115.  1264  üleohan  =  fleon).  1275  (seohan  = 
seon).  88.  1300.  10.  48.  99.  1427.  69.  1586.  1638.  1791.  1807.  23.  89.  1938. 
45.  64.  96.  2112.  2271.  2284.  2301.  5.  12.  21.  4.  42.  89.  2513.  31.  61.  71. 
95.  2754.  2802.  44.  6.  8.  56.  8.  2950.  2.  5.  72.  3079.  89.  3166.  Dazu  die 
part.  ivinde  gefi/seä  217,  hlode  bestymed  486,  hilde  gepinged  647;  ferner 
1340.  1645.  2441.  2529.  2825.  2931.  3022.  52  (83  mal). 

211.  Grammatische  coordination  ist  nicht  unbedingt 
mit  tonischer  coordination  verbunden.  Wir  finden  sogar  eine 
ziemliche  anzahl  von  versen,  bei  denen  die  satzmelodie  die  an- 
wendung  des  gleichtons  unmöglich  macht: 

a)  Führton  4-  nahton:  sunnun  and  monan  94  steht  nach  doppel- 
all, in  der  ersten  halbzeile  und  schliesst  ausserdem  einen  geringereu  sinnes- 
abschuitt:  die  stimme  muss  bei  mona>i  sinken.  Gleicher  einfluss  des  sinnes- 
einschnittes  zeigt  sich  auch  bei  dngupe  and  geogope  160,  heim  and  byrnan 
1022  (das  ;  ist  zu  tilgen),  Eiorogar  cyning  2158,  xinjrm  on  middan  (,  =  ;) 
2705,  hehn  and  byrnan  2868.  Bei  folgenden  versen  gilt  das  oben  210  über 
die  verbalnomina  gesagte:  sop  is  gecyped  700,  cearti  tcces  genhvod  1303, 
sorh  is  geniwod  1322,  blced  is  arcered  1703,  hord  ys  gesceawod  3084.  heim 
and  byrne  1629  bereitet  auf  den  folgenden  tiefen  gleichton  vor,  sodass  die 
stimme  bei  hyrne  abfällt.  Dasselbe  gilt  von  sibbe  oppe  treowe  2922.  In 
2890  deap  bip  sella  scheint  der  starke  nachdruck  auf  deap  den  gleichton 
zu  verhindern.  In  den  übrigen  vier  fällen  wird  der  ausweichton  sichtlich 
durch  die  satzmelodie  verlangt:  niht  ofer  ealle  649,  wrapum  on  andan  108, 
sivin  ofer  helme  1286,  hörn  and  byrnan  2943  (18 mal).  —  ß)  Führton  + 
fernton:  hier  finden  sich  dieselben  Ursachen  für  ausweichton  wie  bei  den 
nahtouigen  belegen;  z.  b.  flota  wces  on  yptim  (Vorbereitung  auf  tiefen  gleich- 
ton) 210,  ofost  is  seiest  (nachdruck  auf  ofost)  256,  bot  eft  cuman  (sinnes- 
einschnitt)281;  ferner  614.  43.  769.  1159.  76.  1418.  57  (,=;).  1724  (sec^/a» 
=  secganne).  2369.  2130.  72.  3004.  47.  3163.  Nur  bei  nacan  on  sande  295 
finde  ich  keinen  äusserlich  formulierbaren  grund  für  den  tonabfall  (18  mal). 

212.  Eeste: 

«)  Führton  +  nahton:  meeiim  wunde  565,  gode  mcere  1952,  gtipe 
rcesiim  2356,  synnum  sclldig  3071.  —  ß)  Führton  +  fernton:  fugle  ge- 
licost  218,  mcegene  strengest  789,  style  gelicost  985,  oprum  getrywe  1228, 
ecgimi  pyhtig  1558,  ise  gelicost  1608. 

213.  Composita:       "^^P^^  ^- 

a)  Führ  ton  +  nahton:  geond  pisne  middan-geard  Ih,  ne  ge  leafnes- 
tüord  245,  tcces  se  iren-preat  330,  on  morgen-tid  484.  518;  ferner  395  {ge- 
taiciim  =  getäwum).  413.  604.  37.  805.  7.  41.  917.  37.  1018.  1359.  1621.  66. 
92.  1736.  50.  71.  2477.  3031.  5.  3123.  73  (27  mal).  —  ß)  Führton  +  fern- 
ton: 1284.  1393.  2925. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche-    XXXIIl.  \Q 


146  MORGAN 

214.  Der  genitiv  trägt  stets  die  erste  liebimg: 

ß)  Führtou  +  nahton:  pcer  ivces  maihna  fela  Sß,  pat  wces  ^Ven<lla 
leod  (,  =  ;)  348;  ferner  409.  31.  71.  87.  97.  501.  16.  660.  2.  845.  50.  67. 
949.  1093.  1208.  32.  83.  1432.  75.  97.  1529.  1761.  4.  5.  6.  1809.  26.  73. 
1918.  27.  49.  67.  2003.  72.  2132.  2260.  2.  2458.  62.  2508.  24.  42.  6.  80. 
2626.  28.  75.  3023.  49.  66  (52  mal).  —  />')  Führ  ton  +  fernton:  89.  408. 
54.  580.  633.  764.  81.  1147.  89.  1499.  1509.  59.  1607.  72.  1954.  2269.  2759. 
91.  2915.  8011  (20  mal). 

215.  Adjectiva: 

a)  Führ  ton  +  uahton:  noes  hü  lengra  fyrst  134,  wces  poet  gewin  to 
Strang  133;  ähnlich  191,  to  sele  pam  liean  919.  1016.  1984,  ^a  loces  forma 
sip  1527.  2625;  ferner  238.  381.  437.  67.  503.  672.  85.  702.  52.  65.  833.  87. 
926.  1087.  99.  1107.  50.  93.  1304.  57.  76.  1553.  1691.  1717.  42.  1940.  2014. 
6.  23.  2109.  2264.  76.  97.  2415.  9.  70.  2566.  86.  2684.  3024.  85  (48  mal).  — 
ß)  Führton  +  fernton:  nces  pcet  forma  sip  716.  1463;  ferner  49.  271. 
510.  1579.  1616.  1876.  2399.  2461.  93.  2555.  2654.  2715.  44.  3048. 

216.  Man  beachte  besonders  den  versaiisgang  forma  sip, 
welcher  viermal  belegt  ist.  In  zwei  fällen  gehört  er  einem 
positiven  aussagesatz  mit  nahton  an,  in  den  beiden  anderen 
einem  negativen  satz  mit  fernton;  durch  den  einfluss  der 
negation  rückt  die  erste  hebung  mehr  in  die  höhe,  wodurch 
die  zweite  fernton  erhält.  Der  fall  zeigt,  wie  auch  kleine 
änderungen  in  der  äusseren  form  die  ganze  satzmelodie  um- 
modeln können. 

217.  Reste: 

Dat.-instr.:  pcet  wces  yldum  cup  70b,  ponne  blöde  fah  dM,  pces  sig 
vietode  panc  1778,  and  on  mode  frod  1844,  scealt  nu  dcedum  rof  2666,  nu 
ys  leodum  wen  2910,  wa;s  pa  deape  fcest  3045.  Nur  der  letzte  vers  hat 
fernton  an  zweiter  stelle,  wie  ferner  vers  811  he  wces  fag  icip  god  {wces 
=  fehlt).  Dazu  die  verse  mit  verhalnomina,  von  denen  1696  und  2653 
nahton  an  zweiter  stelle  haben:  ivolde  on  heolster  fleon  155,  paivces  winter 
scacen  1136,  hwam  Pcet  siceord  geioorht  1696,  pcet  we  rondas  bereu  2653. 
Endlich  noch  hei  nahton  an  zweiter  stelle:  niston  hie  clrihten  gocl  18i; 
und  bei  fernton  an  zweiter  stelle:  tvces  para  Grendel  siim  1266. 

Typus  C. 

218.  Composita: 

«)  Führton  +  nahton:  in  gear-dagum  1,  and  heapo-wcedum  39, 
mit  -Vena  116.  828.  1279.  1578.  1856.  2494;  ferner  65.  126.  254.  393.  540. 
640.  801.  993.  1033.  1138.  92.  1249.  1388.  1437.  1853.  1910.  92.  2018.  39. 
93.  2204.  2341.  2604.  3040  (32  mal).  —  ß)  Führton  +  fernton:  16  (frega 
=  frea).  26.  77.  112.  75.  98.  9.  249.  98.  334.  6.  8.  80.  8.  460.  75.  6.  617. 
710.  4.  737.  71.  820.  54.  904.  1025.  73.  82.  1139.  57.  86.  1325.  30.  51.  1429. 


ZUtt   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  147 

51.  80.  160i.  1711.  1934  (frega).  1963.  78.  2065.  79.  2274.  2335.  79.  2437. 
2514.  2651.  77.  2733.  47.  2884.  93.  2940.  3036.  3112.  81  (59  mal). 

219.  Genitive  stehen  z.  t.  in  zweiter  hebnng-,  weil  in 
der  ersten  nur  solche  mit  kurzer  Stammsilbe  (^  x)  statthaft  sind. 

ß)  Führt  011  +  11  ah  ton:  07i  land  Dena  253,  ic  ßces  wine  Deniga  350, 
(et  Hmefes  ade  1114,  tv(es  se  grijre  Icvssa  1282:  ferner  1495.  1814.  36.  92. 
1950.  2059.  2314.  —  /?)  Führ  ton  +  fern  ton:  28.  35.  2455.  2805.  3096. 

220.  Adjectiva: 

a)  Führ  ton  +  nah  ton:  ne  milde  snotor  hcelep  190,  be  scem  tweonmn 
1685.  1956;  ferner  307.  31.  1306.  1738.  2043.  2209.63.  2309.  3159  (12  mal). 

—  ß)  Führton  -}-  fernton:  146  (ist  in  klammer  zu  setzen  = :).  290.  399. 
509.  858.  918.  22.  1081.  95.  1297.  1307.  1560.  1885.  1989.  2063.  2180.  2506. 
81.  2762  (19  mal). 

221.  Verbalnomina: 

ß)  Führton  -j-  nahton:  ßa  wces  heal  roden  1151,  nces  seo  ecg  fracod 
1575;   dazu  mit  nahton  des  subst.   (der  einzige  beleg)  gehroden  golde  304. 

—  ß)  Führton  -j-  fernton:  leton  höhn  heran  48,  to  harn  faran  124; 
ferner  223.  88.  439.  930.  1036  {leohan  =  teon).  1130.  52.  1328.  39.  1439. 
1534  {doan  =  don).  46.  1647.  78.  88.  1745.  1808.  57.  62.  2126.  66  {doan). 
2283.  94.  2306.  2485.  2518.  44.  69.  2646.  2708.  2864.  92.  2913.  57.  62.  3014. 
5.  21.  3114.  28.  32.  4.  71  (45  malj. 

222.  Reste: 

ß)  Führton -}- nahton:  unc  sceal  loorn  fela  1783,  nu  is  ofst  hetost 
(=  ofost)  3007.  —  ß)  Führton-f-fernton:  scop  Mm  Heort  naman  78, 
swylce  seif  cyning  920.  2702,  fiefne  god  sylfa  3054. 

Typus  D. 

223.  Composita,  nur  bei  führton  +  nahton: 

sele-rcedende  51,  land-buendum  95;  ähnlich  309,  sce-lißende  377;  ähn- 
lich 568;  ferner  237.  535.  746.  1004.  13.  39.  1108.  42.  55.  1227.  1455.  1518. 
1684.  1780.  1888.  2015.  22.  2205.  2382.  2503.  2694.  2716.  20.  78.  81.  3017. 
91.  3113.  80  (34  mal). 

224.  Genitive  stehen  meist  in  der  zweiten  liebung";  es 
sind  aber  fast  nur  solche  von  eigennamen  (5  ausnahmen),  die 
oft  formelhaft  betont  werden.  Nur  führton  +  nahton 
kommt  vor: 

wine  Scißdinga  30.  170;  ähnlich  53.  229,  feond  man-cynnes  \M,  maga 
Ileal fdenes  1S9;  ähnlich  344,  hof  viodigra  S12,  feoh  cyninges  (=  feorh) 
1210,  bite  irenna  (==  irena)  2259,  fyll  cyninges  2912;  ferner  500  (,  =  ;). 
21.  90.  620.  758.  78.  86.  813.  26.  980.  1020.  40.  69.  1405.  74.  1550.  63. 
1652.  82.  1884.  2011.  2020.  6.  32.  2101.  19.  77.  2367.  81.  94.  8.  2587.  2603. 
81.  2752.  2853.  2907.  28.  71.  3110.  20  (52  mal). 

10* 


148 


MORGAN 


225.  Adjectiva: 

«)  Führ  ton  +  nahton:  segen  (jyldenne  47,  fela  misser  a  153;  äliu- 
lich  1498.  1769;  ferner  270.  31G.  495.  502.  847.  70.  85.  908.  99.  1111.  1230 
(,  =  ;).  1860.  2073.  6.  2241.  2538.  2669.  2767.  2809.  21.  60.  81.  3005.  80 
(28inal).  —  ß)  Führton  +  fernton:  1851.  2195.  2620.  2994. 

226.  Verbaluomina: 

«)  Führton-f-nahton:  feo  pingian  \hQ,  rinc  sipian  720,  sar  tvani- 
gean  787;  ferner  971.  1444.  1662.  2589.  2655.  3025.  —  ß)  Führton  + 
fernton:  796.  840.  1413.  26.  2045.  2211.  2658.  2773.  3056. 

227.  Eeste: 

Grammatische  coorclination  und  ähnliches;  nur  führton -[-nahton  kommt 
vor:  gmna  operne  652;  ähnlich  2484.  2985,  hond  sivenge  ne  ofieah  1520, 
cyning  cepelum  god  1870,  Denum  unfcecne  2068,  sicat  cednim  sprong  2966, 
sceft  nytte  heold  3118.  In  allen  diesen  fällen  verursacht  die  satzmelodie 
den  abfall  des  tones, 

Typus  E. 

228.  Genitive  tragen  stets  die  erste  hebung: 

a)  Führton -[- nahton:  cepelhiga  gedn'Jit  118,  Higelaces  pegn  194; 
ferner  104.  207.  314.  429.  63.  802.  99.  921.  95.  1028.  66.  89.  1119.  95.  1240. 
1408.  25.  92.  1612.  23.  1740.  1961.  72.  72.  2028.  2221.  79.  2337.  87.  2631. 
2862.  82.  2977.  (34mal).  —  ß)  Führton -|- fernton:  499.  675.  876.  1194. 
9.  1574.  7.  1905.  20.  2037.  2602.  11.  3.  2757.  63.  8.  83.  2833.  3143  (19  mal). 

229.  Adjectiva: 

a)  Führton  -|- nahton:  heag-hroden  eiven  623,  fi/rd-tvi/rpe  man  1316; 
ferner  302.  1489.  1582.  1634.  1917.'  26.  58.  2115.  70.  2245.  2817.  2979.  3038. 
3127  (16 mal).  —  /?)  Führton  +  fernton:  276.  659.  1410.  1557.  2406.  2811. 

230.  Reste: 

1)  Verbalnomina,  der  erste  beleg  mit  führton  -|- nahton:  Hropgar 
geseon  396,  Frysland  geseon  1126,  mp-icundor  seon  1365,  oepelinges  hören 
3135.  —  2)  Dat.-instr.:  «)  Führton -}- nahton:  al-ivecddan  panc  928, 
Icger-hedde  fcest  1007,  hyge-bendum  fcest  1878,  frean  ealles  panc  2794.  — 
ß)  Führton  4- fernton:  998.  1459.  2086.  2901.  3072. 


b)   Nomen  -f-  verbum. 
Typus  A. 

231.  u)  Führton  -|-  nahton:  meyi  ne  cunnon  50.  162,  dreamum 
lifdon  99,  torn  gepolode  147,  metod  hie  ne  ciipon  180;  ferner  88.  212.  3. 
26.  35.  328.  532.  72.  91.  615.  45.  99.  703.  803  (,  =  ;).  30.  75.  964.  94.  1014. 
91.  1120.  84.  1223.  33.  90.  4.  1317.  1402.  46.  68.  1573.  1600.  2.  1796.  99. 
1845.  50.  1906.  2256.  67.  93.  2370  (treoicde  =  truwode).  3.  91.  3.  2451.  60. 
76.  2488.  95.  2540  {treowde).  2673.  2760.  85.  2810.  28.  2906.  53  (treowde). 
3069.3131   (65 mal).    —   ß)   Führton -|- feruton   kommt  besonders  bei 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  149 

den  hilfsverbis  vor,  ferner  iinmittelbar  vor  siiineseinsehnitteu,  und  wenn 
die  folgende  balbzeile  einen  satz  schliesst.  Das  material  ist  sebr  zabl- 
reich:    2.   10.  68.   80.  92.  3.   111.   9.   39.   54.  7.  68.  73.  6.  7.  9.  82.  200. 

21.  30.  9.  44.  68.  73.  9.  82  (,  =  ;).  327.  51.  68.  78.  427.  48.  82.  93.  505. 
13.  4.  33.  42.  51  (,  =  ;).  6.  78.  82.  98.  600.  8.  27.  48.  50.  6.  666.  77.  9.  704. 
15.  39.  85.  800.  12.  7.  32.  4.  51.  60.  4.  6.  80.  6.  8.  94.  909.  38.  40.  5.  59. 
88.  1023.  32.  52.  6.  67.  71.  88.  97.  1100.  5.  29.  35.  49.  56.  61.  97.  1253.  9. 
60.  72.  1305.  18.  34.  46.  54.  69.  1415.  31.  3.  48.  9.  52.  86.  1504.  14.  5.  23. 
33  {treoivde).  52.  71.  97.  1609.  27.  33.  5.  7.  53.  5.  6.  1726.  54.  6.  63.  1810. 
8.  27.  9.  34.  75.  7.  9.  1936.  9.  42.  6.  69.  79.  93  {treoiiKle).  2004.  38.  60.  67. 
83.  2121.  33.  48.  55.  00.  7.  72.  84.  94.  7.  2212.  47.  57.  65.  72.  2322  (treowde). 
40.  6.  50.  63.  75.  2407.  10.  21.  36  (strekl  =  stred).  8.  57.  G6.  75.  81.   2504. 

22.  34.  43.  79.  2636.  7.  41.  3.  5.  7.  64.  83.  2722.  9.  35.  58.  95.  2827.  38.  9. 
40.  1.  50.  70.  7.  2904.  16.  8.  24.  6.  30.  63.  5.  74.  3020.  53.  63.  7.  3175 
(219  mal). 

Typus  B. 

232.  ß)  Fübrton  -j- nabton:  siva  he  selfa  bced  29,  hiin  on  bearme 
Iceg  40,  liim  on  mod  he-arn  67,  liim  on  fyrste  gelomp  76;  ferner  100.  7. 
115.  22.  40.  4.  51.  232.  47.  77.  86.  99.  346.  52.  8.  64.  6.  9.  84.  405.  19.  21. 
4.  35.  8.  40.  2.  517.  27.  45.  55.  74.  9.  88.  95.  601.  22.  8.  32.  6.  53.  84.  96. 
723.  6.  30.  53.  75.  94.  816.  90.  913.  70.  7.  1037.  41.  8.  53.  1121.  3.  71.  8. 
90.  1205.  7.  34.  5.  43.  55.  61.  3.  7.  74.  1302.  37.  49.  1434.  5.  60.  1506.  8. 
12.  22.  4.  37.  9.  45.  7.  84.  5.  1605.  13.  8.  65.  71.  9.  81.  9.  98.  1714.  33.  9. 
46.  70.  5.  1811.  30.  52.  5.  63.  86.  1947.  57.  60.  75.  7.  85.  2005.  24.  42.  8. 
51.  78.  2108.  24.  7.  38.  79.  2201.  10.  36.  58.  80.  98.  9.  2327.  47.  54.  9. 
2404.  23.  39.  48.  68.  91.  8.  2535.  50.  67.  74.  2012.  4.  35.  8.  76.  82.  6.  90. 
2.  7.  2700.  1.  9.  11.  32.  6.  9.  56.  2814.-  9.  52.  65.  75.  80.  2914.  44.  83.  9. 
92.  3009.  58.  61.  82.  98.  3124  (189  mal).  —  ß)  Fübrton  +  fernton:  7. 
66.  87.  103.  45.  92.  356.  92.  420.  46.  74.  7.  552.  3.  75.  618.  26.  733.  72. 
891.  902.  5.  25.  9.  42.   1001.  77.  9.  85.  1133.  70.  81.  5.  98.  1217.  9.  39.  54. 

73.  98.  1313.  33.  8.  78.  1461.  7.  70.  1532.  55.  98.  1660.  7.  74.  1718.  9.  59. 
79.  1815.  32.  1941.  2041.  55.  77.  2103.  16.  65.  73.  2308.  55.  78.  2403.  9.  29. 

74.  80.  92.  2526.  77.  99.  2618.  8.  24.  9.  40.  57.  79.  98.  2724.  69.  84.  2822. 
34.  98.  2919.  78.  3026.  34.  88.  95  (99  mal).  Mau  siebt,  dass  bier  der  nab- 
ton stark  überwiegt.  Der  grund  liegt  wol  darin,  dass  B  seltener  als  A 
einen  sinuesabscbnitt  schliesst,  und  dass  das  feblen  der  letzten  Senkung  die 
stimme  bei  fortlaufender  erzäblung  nicht  so  tief  sinken  lässt. 

Typus  C. 

233.  a)  Führton  +  nahton:  pa  tvip  gode  wunnon  113,  pcet  pes 
sele  Stande  411,  gif  mec  hild  nime  452,  and  onscel  meoto  489;  ferner  1074. 
8.  1140.  54.  1342.  3.  74.  95.  1640.  8.  1849.  2397.  2745.  Dazu  forscrifen 
hcefde  106,  hinter  dem  der  punkt  zu  tilgen  ist  (16 mal).  —  ß)  Fübrton 
4- fernton:  13.  23.  72.  220.  5.  250.  64.  318.  83.  453.  85.  506.  7.  11.  522. 
31.  39  (reowim  =  reon).  44.  62.  71.  87.  93.  9.  635.  82.  3.  706.  31.  80.  98. 
804.  910.  39.  43.  7.  53.  61.  7.  75.  1055.  1158.  75.  88.  1271.  7.   1350.  5.  62. 


150  MORGAN 

6.  70.  5.  92.  1430.  62.  85.  1535.  61.  92.  5.  1610.  1702.  35.  41.  9.  51.  1831 
(sie  =  sy).  46.  1911.  23.  8.  66.  2027.  34  (gaep  =  gcep).  2050.  4  (gaep).  8. 
90.  6.  2145.  50.  61.  82.  7.  2203.  2348.  2445.  6.  7.  53.  99.  2530.  6.  98.  2621. 
33.  2707.  26.  38.  49.  70.  2818.  74.  2954.  80.  2.  3016.  29.  3126.  47  (109  mal). 

Typus  D. 

234.  Dieser  tj'piis  ist  schwach  vertreten,  weil  die  meisten 
verba  finita  höchstens  zweisilbig,  also  für  den  dreisilbigen 
abschnitt  des  verses  zu  kurz  sind.  Nur  das  scliw.  praet.  war 
hier  gut  verwendbar. 

«)  Führton  -f-  iiahton:  sele  hlifade  81,  last  seemvedon  132;  ferner 
166.  72.  208.  306.  402.  23.  508.  70.  611.  25.  901.  51.  1117.  1204.  6.  12.  37. 
1380.  97.  1440.  1589.  1630.  87.  1721.  1803.  98.  2085.  98.  2285.  2352.  94. 
2897  (34  mal).  —  ^9)  Führten  +  fern  ton:  227.  320.  725.  843.  983.  1090. 
1102.  1222.  1566.  1626.  2102.  2383.  3102  (14  mal). 

Typus  E. 

235.  a)  Führton -j- nahton:  meodo-setla  ofteaJi  {,  =  .)  b,  tveorß- 
imjndum  pah  8,  fyren-pearfe  ongeat  14,  wa  hip  pcem  pe  sceal  183;  ähnlich 
186;  ferner  24.  97.  152.  61.  71.  321.  422.  96.  667.  88.  721.  36.  67.  83.  815. 
8.  23.  57.  71.  84.  95.  992.  1024.  72.  1122.  8.  46.  60.  1200.  1401.  5.  17.  23. 
94.  1501.  19.  26.  64.  7.  81.  1615.  1760.  89.  1838.  82.  90.  1908.  70.  80.  3. 
2169.  88.  2249.  70.  81.  2.  8.  96.  2302.  13.  9.  65.  77.  85.  92.  2411.  82.  2501. 
10.  54.  9.  62.  70.  6.  83.  4.  2661.  72.  8.  99.  2703.  77.  9.  80.  2824.  32.  6.  42. 
86.  2937.  41.  73.  3030.  42.  60.  94.  3129.  44.  5.  6  (105  mal).  —  ß)  Führton 
+  feruton:  82.  130.  1.  59.  241.  322.  557.  695.  827.  935.  87.  1044.  7.  51. 
1332.  52.  77.  1511.  3.  6.  21.  41.  65.  1624.  69.  1720.  74.  82.  1881.  1953.  9. 
65.  73.  82.  2017.  21.  56.  2224.  2326.  58.  2414.  26.  2539.  2680.  91.  2714.  76. 
89.  2894.  2929.  3028.  3102  (52  mal). 

c)   Verbum  +  nomen. 

236.  Diese  im  ersten  halbverse  nicht  seltene  combination 
wird  im  zweiten  halbvers  sehr  sorgfältig  gemieden:  es  sind 
nur  10  belege  vorhanden. 

Zweimal  begegnen  wir  darunter  dem  seh  wach  tonigen  fela,  das  in 
panon  woc  fela  1265  nahton,  in  ic  getiepde  fela  2511  fernton  hat.  Bei 
hrnron  him  tearas  1872  nimmt  das  verbum  auch  naturgemäss  den  fülirton 
an.  Dagegen  klingen  mir  die  übrigen  belege  schlecht.  Mit  gleichton  kann 
man  sie  zwar  nicht  sprechen,  aber  man  hat  die  empfindung,  als  habe  der 
dichter  der  natürlichen  Sprechweise  gewalt  angetan.  Die  zahl  dieser  verse 
ist  immerhin  nicht  gross:  slat  unwearrmm  741,  fundodc  tvrecca  1137,  ponne 
hnijjon  fepan  1327,  p(et  gebearh  feore  1548,  hetep  hworfan  1728,  Icest  call 
tela  2663.    Dazu  mit  fülirton  -j-  fernton  toende  pces  yldan  2239. 


ZUR    LEHRE    VON    DER    ALLITERATION.  151 

d)   Nomen  +  schwächere  Wörter. 
Typus  A. 

237.  a)  Führton-f- nahton:  1)  pehivyk:  tveana  geJmdcne  HS,  rinca 
geJnvijIcuin  412;  ferner  732.  1043.  2057.  2250.  2450.  2516.  Dazu  die  ähn- 
lichen fälle  gumena  nat-hwi/lc  2238,  nnd  nionna  (eghwijlc  2887.  —  2)  Poss.- 
pron.:  lüaford  pinne  267,  leode  mine  1886.  45.  —  3)  Ädv.:  hurgum  in 
innan  1968.  2452,  oprum  sw/ßor  2198,  stcqmhon  fceste  2718,  ivundur  hwar 
ponne  3062.  —  4)  Demonstr.:  niagus  para  1015.  ^  ß)  Führton  -[-fern- 
ton: 1)  ähnliche  fälle  wie  bei  a:  sceapona  ic  nat  hwylc  ^l^t,  leode  mine 
415,  opres  swipor  1874,  cenig  para  2734 ;  ferner  592.  768.  84.  936.  1708. 
1848.  Dazu  mit  dem  verbum  subst.:  sehe  bip  ceghivam  1384,  Jiean  ivcbs 
lange  2183,  civico  icces  pa  gena  3093.  —  2)  pone:  uht-hlem  pone  2007; 
ferner  2334.  2969.  3081.  —  3)  Rest:  tyne  cetsomne  2847. 

Typus  B. 

238.  «)  Führtou  -(-  nahton:  is  his  eafora  mi  375,  wceron  hegen 
pa  git  536,  atid  his  cicen  mid  htm  923,  ne  scel  anes  hiocet  3010;  ferner 
587.  612.  734.  56.  932.  46.  72.  1054.  1162.  1276.  1471.  1709.  23.  1880.  1929. 
2141.  9.  92.  2237.  2325.  2547.  2642.  8.  2730.  71.  2967.  3164  (31  mal).  — 
ß)  Führton  -|- fernton:  678  (,  =  ;).  819.  79.  1256.  99.  2061.  2307. 
2483.  2975. 

Typus  C. 

239.  Alle  belege  haben  führton  -{■  fernton: 

1)  Poss.:  sw]jlc  ivces  peaio  hyra  178.  1246,  on  sefan  tninum  473; 
ferner  698.  1226.  36.  1507.  —  2)  Häufiger  die  a.dy.:  pa  hie  to  sele  furpum 
323,  pcEt  «T  to  fela  micles  694;  ferner  763.  809.  44.  997.  1225.  1601.  14. 
68.  1737.  2099.  2196.  2408. 

Typus  D. 

240.  Wir  finden  hier  fast  nur  adverbia,  die  zu  einem 
nachfolgenden  verbum  gehören.  Führ  ton  +  nahton  herscht 
ausnahmslos: 

hlxd  Wide  sprang  18;  ähnlich  1588,  fceder  ellor  hivearf  55,  wop  up 
ahafen  128,  guman  ut  scufon  215;  ferner  301.  41.  478.  569.  88.  782.  991. 
1017.  31.  65.  1416.  22.  1503.  70.  1800.  1912.  2118.  2218.  2831.  2545.  51.  2. 
75.  2600.  2706.  64.  Dazu  etwas  abweichend  (und  vielleicht  zu  E  zu  stellen?) 
gearo  sona  wces  121,  Geat  iinigmete  iccl  1792,  Wyrd  imgemete  neah  2420, 
pegn  ungemete  tili  2721.  Endlich  einige  verse  mit  pron.:  flotan  eowerne 
294;  ähnlich  2889,  dcel  ceghtvylcne  621,  hyre  nat-hivylces  2058,  lapra  owihte 
2482,  frean  userne  8002.  3107. 

Tj'pus  E. 

241.  a)  Führton -}- nahtou:  sige-drihten  «n'n  891,  ahvalda pec  95b, 
Hengestpa  gyt  1127,  gtan-cynnes  gehicone  27Gb;  ferner  523.  550.  2650.  2826. 


152  MORGAN 

3039.  Dazu  mit  adv.-präp. :  gum-dn'hten  mid  1612,  Freslondum  on  2357.  — 
ß)  Führtou -j- feriiton:  freo-drihten  min  1169,  bona  sivipe  ncah  1743, 
tcceter-ypum  neah  2242. 

e)   Schwächere  Wörter  +  nomen. 

24:2.  Auch  hier  (wie  bei  C)  scheint  dem  dichter  einiges 
minder  wolklingende  untergelaufen  zu  sein.  Die  hauptmasse 
der  einschlägigen  fälle  gehört  zum  typus  A. 

Tj^pus  A. 

243.  Wir  fanden  schon  in  210,  dass  die  verbalnomina 
sich  im  zweiten  halbvers  der  betonung  des  verbum  finitum 
beträchtlich  nähern,  und  so  ist  es  verständlich,  wenn  wir  auch 
hier  belege  für  die  combination  von  adv.  +  verbalnomen  finden. 

a)  Führton  +  nahton:  eft  geivwiigen  22,  her  onhidian  397;  ferner 
1788.  2261.  2806.  —  ß)  Führton  +  fernton:  12.  91.  692.  744.  848.  903. 
1083.  1356.  1438.  1593.  1620.  95.  1864.  1971.  2087.  2190.  2291.  2422.  3012. 
Hierher  dürfen  wir  wol  auch  tvide  ges)/ne  1403.  2316.  2947.  3158  (nur  1403 
hat  führton  -\-  nahton)  rechnen.  Der  form  und  der  bedeutung  nach  steht 
ja  gesyne  einem  part.  sehr  nahe,  und  es  kommt  in  diesem  gebrauch  auch 
tatsächlich  vor  (Sievers,  Ags.  gr.  §  391,  a.  7). 

244.  Formelhaft  sim\  pysses  lifes  197 .  806  (der  erste  vers  hat  fern- 
ton an  zweiter  stelle)  und  mine  gefrcege  837.  1955.  2685.  2837.  776  (nur 
der  letzte  vers  hat  führton  -j-  fernton). 

245.  Besondere  licenzen  finden  wir  bei  den  possessiv a. 
Das  nomen  hat  zwar  stets  nachdruck,  aber  die  pronomina  er- 
halten trotzdem  den  höheren  ton,  wenn  sie  vorausgehen. 

ß)  Führton-[-uahton:  eoiver  leode  b9ß.  6Si,  pine  life  2131,  minum 
leodioii  2797.  2804,  eowrum  cynne  288Ö.  —  ß)  Führton  -j-femton:  l)inra 
leoda  1673,  l)ine  leode  2095,  usses  cynnes  2813. 

246.  Auch  an  tvide  mcerost  898,  ceghivcer  seiest  1059,  «sfr  neosan  2074 
ist  kein  anstoss  zu  nehmen.  Alle  diese  verse  haben  fernton  an  zweiter 
stelle.  Bei  2704  liegt  der  nachdruck  gerade  auf  user,  das  hier  wie  ein 
nomen  wirkt ,  und  in  den  anderen  fällen  stimmt  die  betonung  vollkommen 
zu  der  jetzigen  Sprechweise.  Unanstössig  ist  auch  das  comp,  forp-gerimed 
59,  mit  nahton  an  zweiter  stelle. 

247.  Weder  gut  noch  direct  schlecht  sind  die  folgenden:  inne  on 
healle  642,  eft  to  leodum  1804.  2368,  forp  ofer  ype  1909,  ut  of  stane  2557, 
Wide  geond  eorpan  3099.  Diese  würden  keineswegs  besser  klingen,  wenn 
man  die  hebungen  umstellte,  und  die  versmelodie  ist  auch  bei  der  über- 
lieferten form  nicht  verletzt.   Die  zwei  ersten  verse  haben  führton  -f-  nahton. 

248.  Entschieden  schlecht  klingen  mir  dagegen  folgende  fünf  verse: 
k)  Führton -|-nahton:  sivylce  t wegen  IBH,  tincer  Grendles  2002,  mine  ge- 
wrcBcan 2479.  —  ^9)  Führton-j-fernton:  para  leoda  2033,  min  aketan 2150. 


ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  153 

Typus  B. 

249.  Vers  5-1:7  and  norpan-tvincl  hat  eiue  toufühiung,  welche  die  an- 
nähme (s.  Bosw.-Toller  s.  v.)  bestätigt,  dass  norpnn-tc/nd  als  ein  comp,  an- 
zusehen sei.  Unanstössig  sind  ferner  auch  pe  is  wide  cup  2135  (ähnlich 
2923)  und  sica  sceal  cegliwylc  mon  2590.  Nur  v.  2923  hat  fernton  an  zweiter 
stelle.  Bei  2532  nispcet  eoiver  sip  soll  ehen  das  'euer'  hervorgehoben  werden, 
als  gegenstück  zu  einem  folgenden  min;  deswegen  hat  sip  hier  auch  fernton. 
Schwer  betont  wird  auch  das  eowcr  in  ponne  is  eoicer  sum  248,  und  infolge- 
dessen erhält  das  sum  auch  wider  feniton. 

250.  Dagegen  kann  ich  in  2231  pcer  ivces  sioylcra  fcla  die  raelodie 
mit  meinem  modernen  Sprachgefühl  nicht  in  einklang  bringen:  man  sagt 
heutzutage  'da  war  viel  von  solchen  alten  schätzen  ...'  mit  hochtou  auf 
'viel'.  Schon  die  trennung  von  'solchen'  und  'schätzen'  ist  etwas  be- 
fremdend. Jedoch  ist  fela  in  der  älteren  zeit  entschieden  ein  schwaches 
nomen,  und  voranstellung  des  genitivs  gibt  oft  tonabfall. 

251.  Schlecht  gefüllt  finde  ich  nur  se  wces  innan  füll  2412,  i/mb  pinne 
sip  853  (mit  führton  -|-  fernton). 

Typus  C. 

252.  Vier  verse  mit  composita: 

toces  io  fore-mihtig  969,  and  eft-ci/mes  2896,  viid  ofer-mcegene  2917, 
mid  ofer-mapmum  2993.    2917  hat  führton  +  nahton. 

253.  Adv.  +  verbalnomen: 

gewitap  forp  heran  291,  hat  in  gaan  (=  gan)  386,  uton  rape  feran 
1390,  ic  sceal  forp  sprecan  2069,  pa  ivces  call  sceacen  (mit  nahton  an  zweiter 
stelle)  2727. 

254.  Dem  klänge  nach  regelrecht  sind  auch  wces  gehuxe/jcr  oprum 
(führton  +  uahton)  814,  und  nefne  min  anes  2533;  ferner  gewat  hivi  on 
nacaln]  1903. 

265.  Etwas  zweifelhaft  sind  mir  and  hine  ymh  monig  1689  und  he 
m(Eg  pcer  fela  (führten  +  nahton)  1837;  die  verse  sind  zwar  ungewöhnlich, 
aber  nicht  schlecht.  On  pa  healfe  1675  und  sicglce  py  dogor  {=  dogore) 
1797  sind  offenbar  wider  formelhaft  (vgl.  119). 

Typus  D. 

256.  Führton  +  fernton  hat  nur  pcer  sceaivian  3008.  Die  übrigen 
belege  sind:  min  cerende  345,  un-ivaclicne  3138,  ymb-siUendra  9  (para  ist 
zu  tilgen).    Dazu  samod  cer-dcege  1311.  2942,  das  nicht  ganz  richtig  klingt. 

Typus  E. 

257.  Nur  ein  beleg,  mit  fernton  an  zweiter  stelle:  vndyme 
cup  150. 

f)   Yerbum  +  verbum. 

258.  Nur  ein  paar  belege: 

heold  penden  lifde  57,  scegde  se  pe  cupe  90,  gcep  eft  se  pe  mot  603; 
sonst  nur  mit  typus  A:  1177.  1224.  1319.  87.  3055. 


154  MORGAN 

g)   Verbum  +  schwächere  Satzglieder, 

259.  Merkwürdig  ist  es,  dass  das  verbum  auch  bei  diesen 
Zusammenstellungen  lieber  in  die  zweite  hebung  tritt.  Es 
sinkt  im  tone  selbst  nach  schwachen  adverbien  herab.  Nur 
wenn  gerade  die  handlung  als  solche  hervorgehoben  wird,  darf 
das  verbum  nach  bekannter  regel  vorausgehen,  und  in  solchen 
fällen  erhält  es  auch  den  führton. 

Typus  A. 

260.  a)  Führton  +  nahton:  lieold  lune  syßßan  142,  pti  wast  gif 
hit  is  272,  rcelite  togeanes  (==  ongean)  747,  heold  hine  to  fceste  788,  iviste 
pe  geornor  821.  2339.  2725,  upe  ic  sivipor  960,  fremmap  ge  nn  2800.  — 
ß)  Führton  +  fernton:  weardode  hioile  105. 

Typus  B. 

261.  Die  belege  für  diesen  typus  sind  auch  ganz  in  Ord- 
nung, nur  muss  es  v.  2519  heissen  gif  ic  iviste  hu,  wie  Heyne 
hat.  Das  vorgeschlagene  geare  fälscht  die  melodie.  Sagt  man 
doch  immer  noch:  'und  wüsste  ich  genau'  mit  hochton  auf 
'genau'.    Nur  führton  +  nahton  kommt  vor: 

pcer  he  meahte  swa  762.  2091,  pu  pe  leer  he  pon  1722,  peali  he  upe 
tcel  2855,  and  ongan  sica  peak  2878. 

TygvLS  C. 

262.  Die  belege  sind  alle  etwas  ungelenk: 

ß)  Führ  ton  +  nah  ton:  ic  ne  loat  hwceper  ISSi,  he  geheold  tela  2208, 
he  gewrcec  syppan  2395,  ic  wat  geare  2656.  —  ß)  rührton  + fernton: 
and  no  mearn  fore  136,  he  onfetig  hrape  748,  and  gcpeoh  tela  1218,  ac 
forgeald  hrape  2968,  sie  sio  beer  gearo  3105. 

Typus  D. 

263.  Drei  belege,  alle  mit  führton  +  nahton: 

fehp  Oper  to  1755,  geong  sona  to  1785,  beah  eft  ponan  2956. 

h)   Schwächere  Wörter  -|-  verbum. 

264.  Wie  vorhin  (259)  ausgeführt,  neigt  das  verbum  im 
zweiten  halbvers  zu  tieferer  tonlage  als  das  adverb.  Seltener 
hat  ein  pronomen  hochton  und  tritt  es  in  die  erste  hebung. 
Fernton  an  zweiter  stelle  ist  sehr  häufig,  ausser  bei  B  und  D. 

Typus  A. 

265.  «)  Führton  +  nahten:  minne  gehyrap  255,  us  onsende  382, 
uppe  l(Bgon  566,  minum  scolde  965;  ferner  1314.  1428.  77.  2012.  2235.  73. 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  155 

3074  (11  mal).  —  ß)  Führton  +  fernton:  45.  70.  135.  65.  246.  80.  93. 
317.  554.  655.  69  {ireowde  =  trmvoäc).  743.  862.  78.  941.  1086.  1101.  1360. 
73.  1583.  96.  1697.  1753.  1828.  66.  1988.  91.  5.  2142.  2464.  97.  2500.  12. 
20.  82.  97.  2712.  31.  99.  2867.  2959.  3059.  3130.  In  vielen  dieser  fälle  ist 
das  verbnm  stärker  als  der  träger  der  ersten  hebung,  aber  dafür  liegt 
dieser  musikalisch  höher  (43  mal). 

Typus  B. 

266.  «)  Führt on  +  nahton:  syppan  cerest  iveatp  6,  op  pcet  htm 
eft  onwoc  56,  pcet  he  syppan  wa;s  1901.  2175;  ferner  240.  51.  65.  445.  50. 
773.  1180.  1251.  80.  1404.  1502.  1748.  1994.  2009.  2214.  25.  38.  89.  2300. 
10.  2606.  2790.  3064.  87.  90.  3108  (30  mal).  —  ß)  Führton  +  ferntou: 
meist  am  schlnss  eines  Sinnesabschnittes:  109.  430.  825.  968.  1002.  1252.81. 
1466.  1587.  1893.  2071.  2713.  43.  3003  (14  mal). 

Typus  C. 

267.  «)  Führ  ton  +  nah  ton:  toif)  pe  moton  365,  pcet  he  nie  ongean 
sieahe  {=  slea)  681,  pcet  pu  gcnre  cunnc  2070,  forpon  ic  me  on  hafii  2523. 
—  ß)  Führton  +  fernton:  41.  4.  284.  96.  313.  400.  17  (,  =  ;)•  41.  526. 
63.  691.  754  (,  =  ;).  831.  81.  944.  1134  {cloep  ^  del)).  79.  1371.  81.  1412.  76. 
8.  82.  1576.  1824.  33.  2490.  2585.  2649  {sie  =  sy).  2742.  96.  2866.  3070. 
3106.  67.  76  (36  mal). 

Typus  D. 

268.  «)  Führton  -f  nahton:  oft  wisode  1663,  min  costode  2084, 
gearo  sceaioige  2748.  —  ß)  Führton  +  fernton:  wel  licodon  639,  forp 
tvisade  1795.  „ 

Typus  E. 

269.  ß)  Führton  +  nahton:  panon  eft  gewat  123,  ceghwcepres  sceal 
287,  foran  ceghicylc  ivces  984;  ferner  1657.  1701.  62.  7.  1822.  1937.  2268. 
2564  (11  mal).'  —  ß)  Führton  +  fernton:  759.  874.  1777.  3043. 

e)   Reste. 

270.  Einfache  Wörter: 

Typus  A:  earfoplice  86.  2934.  —  Typus  C:  ie  eom  Hropgares  335. 
1990.  2351,  we  synt  Higelaces  342.  407,  tviste  pcem  cihlcecanSiQ.  989.  1000; 
ferner  379.  433.  560.  629  {Wealhpeoivan  =  -peon).  609.  856.  1326.  1420.  90. 
3.  1636.  59.  1772.  1819.  42.  2064.  2122.  2292.  2329.  2634.  65.  2807.  15.  69. 
88.  2911.  49.  64.  99.  3122.  61.  Einzuklammern  ist  ic  eow  loisicje  (  =  ;)  292. 
3103.  Dazu  mit  führton  +  nahton:  op  pcet  semninga  644.  —  Endlich  mit 
typus  D:  unmurnlice  449,  unlifigende  468.  1308.  2908,  unsynnigne  2089, 
Wcegmundinga  2607;  und  mit  führton  +  fernton:  ondsivarode  258.  340. 

271.  Grammatische  coordination: 

cer  ne  sippan  718,  pcet  pe  feor  and  ncah  1221,  nean  and  feorran  2317. 
V.  2317  hat  führton  +  fernton.  Der  tonfall  wird  hier  durch  die  form  der 
Sätze  bedingt,  zu  denen  diese  verse  gehören.  Dagegen  hat  z.  b.  feorran 
and  neahan  839  gleichton  und  ist  an  andrer  stelle  (196)  bereits  angeführt. 


156 


MORGAN 


272.  Sonstiges: 

Typus  A:  prio  ivicg  somod  2174,  sarnoä  cetgcedere  329.  729.  1063, 
geador  (rtsomne  491.  Nur  der  erste  vers  hat  führton  +  nahton.  —  Typus  B: 
p(et  hie  syppan  na  567.  1453;  ähnlich  1951,  no  he  tciht  fram  nie  541;  ähn- 
lich 581,  sepe  longe  her  1061;  ferner  83.  138.  1182.  2248.  2364.2442.2591. 
2845.  Dazu  mit  führton  +  ferntou  3006.  —  Typus  C:  a)  Führton  + 
nahton:  ic  pe  nu  pa  426,  ne  gehicceper  incer  584;  ferner  835.  948.  1820. 
—  ß)  Führton  +  feruton:  224.  52.  1248.  92.  1361.  1805.  1921.  2117. 
2343.  9.  2737.  2920.  —  Typus  D,  nur  hei  führton  +  nahton:  forp  near 
cetsto])7ib,  from  cerest  cwom  2öö6,  hider  ut  cetbccr  3092.  —  Typus  E,  nur 
der  erste  beleg  mit  führ  ton  +  nah  ton:  ungeara  nu  602,  rape  cefter  pon 
724,  unsofte  ponan  2140. 

273.  Ueber  die  10  scliwellverse  s.  anhang  (313). 


Tab 

eile 

VI. 

Yerse 

uiit 

ausweicliton. 

Zwei  noniina 

A 

B 

C 

D 

E 

Sa. 

Composita     .... 

.    ß) 

37 

27 

32 

34 

— 

130 

ß) 

26 

3 

59 

— 

— 

88 

Gen.  in  1.  hebung 

■    «) 

55 

52 

5 

4 

34 

150 

ß) 

40 

20 

4 

— 

19 

83 

Gen.  in  2.  hebung      . 

■    «) 

7 

— 

6 

48 

— 

61 

ß) 

2 

— 

1 

— 

— 

3 

Adjectiva      .... 

■    «) 

76 

49 

12 

28 

16 

181 

ß) 

43 

16 

19 

4 

6 

88 

Verbalnoniina    .    .    . 

■    «) 

21 

2 

3 

9 

1 

36 

ß) 

83 

2 

45 

9 

3 

142 

Coordination  (gramm.) 

.     a) 

18 

1 

2 

4 

— 

25 

ß) 

18 

1 

4 

— 

— 

23 

Reste 

■     «) 

4 

6 

— 

4 

4 

18 

ß) 

6 

2 

— 

— 

5 

13 

436 

181 

192 

144 

88 

1041 

Nomen  +  verbum    .     .     . 

■     «) 

65 

189 

18 

34 

105 

411 

• 

ß) 

219 

99 

109 

13 

52 

492 

Verbum  +  nomen    .    .    . 

.     a) 

4 

1 

3 

1 

— 

9 

ß) 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

Nomen  +  schw.  Wörter     . 

.     «) 

19 

31 

— 

42 

11 

103 

ß) 

18 

9 

21 

— 

3 

51 

Schw.  Wörter  +  nomen     . 

.     a) 

23 

5 

4 

5 

— 

37 

ß) 

36 

4 

12 

1 

1 

54 

Yerbura  +  verbum  .    .    . 

.     a) 

6 

— 

— 

— 

1 

7 

ß) 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

392 

338 

167 

96 

178 

1166 

ZUR   LEHRE   VON   DER   ALLITERATION,  157 


A 

B 

C 

D 

E 

Sa. 

Ueberti 

ag 

392 

338 

167 

96 

173 

1166 

Verbura  +  schw.  wör 

ter   .    . 

«) 

9 

G 

4 

3 

— 

22 

ß) 

1 

— 

5 

— 

— 

6 

Schw.  Wörter  +  yerbum   .     . 

«) 

11 

30 

4 

3 

11 

59 

ß) 

43 

14 

36 

2 

4 

99 

Einfache  Wörter  .     . 

•    .    ■ 

«) 

— 

— 

1 

6 

— 

7 

ß) 

2 

— 

42 

2 

— 

46 

Gramm,  coordiuation 

.    .    . 

«) 

1 
1 
1 

1 

— 

— 

— 

2 

1 
24 

Reste 

14 

5 

3 

1 

Summ 

ß) 

4 

1 

12 

2 

19 

465 

404 

276 

115 

191 

1451 

eu 

901 

585 

468 

259 

279 

2492 

B.   Geschlossene  verse. 

274.  Bei  den  zweiten  halbversen  hat  starke  interpunction 
eine  andere  Wirkung,  als  bei  den  ersten.  Einmal  fehlt  der 
tiefe  g-leichton,  weil  der  typus  der  abschliessenden,  abrundenden 
verse  (vgl.  oben  140)  nicht  vorkommt;  zweitens  haben  alle  die 
drei  schweren  interpunctionszeichen  fast  unterschiedslos  tiefen 
(fern-)  ton  vor  sich  (der  ja  selbst  bei  geringeren  sinnes- 
einschnitten  ganz  tj'pisch  ist),  nur  in  sehr  wenigen  fällen  er- 
scheint nahton,  meist  vor  doppelpnnkt.  Ich  nehme  daher  hier 
keine  rücksicht  auf  die  art  der  interpunction,  ausser  bei  versen 
mit  nahtonigem  ausgang. 

Typus  A. 
a)   Zwei  nomina. 

275.  Composita: 

a)  Führ  ton  +  nahton:  umhor-ioesende:  46,  hord-gestreomim.  1899. 
/?)  Führton  +  fernton:  63.  209.  61.  674.  882.  2835.  2935. 

276.  Verbalnomina: 

a)  Führton  +  nahton:  mod  onhrered:  549,  fceghpe  gebetan.  2165. 
—  /?)  Führ  ton  +  fernton:  25  (gepihan  =  gepeon).  37.  42.  125.  263.  319. 
85.  479.  92.  630.  824.  1010.  2.  29.  38.  1268.  1315.  1447.  1646.  1734.  1806. 
2010.  2176.  2311.  66.  2424.  43.  9.  54.  96.  2674.  2746.  2843.  2921.  3041.  6. 
65.  3109  (38  mal). 

277.  Genitive: 

u)  Führton  +  nahton:  mcegpa  hose.  924.  —  ß)  Führton  +  fern- 
ton: 195.  285.  362.  98.  613  (:  =  ;).  670.  709.  861.  931.  1173.  1538.  1712. 


158  MORGAN 

1962.  81.  2171.  2416.  2502.  60.  2879.  2902.  3133.    Nur  in  einem  falle  steht 
der  gen..  in  zweiter  hebung:  and  feoruw  gumena  73  (21  mal). 

278.  Adjectiva: 

Es  ist  bemerkenswert,  dass  liier  die  adjectiva,  nnd  vollends  die  verse 
mit  syntaktischer  coordination,  so  schwach  vertreten  sind:  sweartiim  nihtum 
(:  =  ;)  167,  anre  hene  428;  ferner  577.  619.  838.  1320.  1505.51.  1747.  1865. 
1943.  2110.  37  (:  =  ;).  59.  2286.  2440.  2849.  3142.  Dazu  mit  führton  + 
nahton :  vuerum  Geate.  1301  (19  mal). 

279.  Syntaktische  coordination  ist  sehr  selten: 

feond  OH  helle  101 ,  Dena  and  Wedera  498,  hreo  wceron  ypa  548,  sop 
a'fler  rihte  1049,  gladum  suna  Frodan  2025,  dugupa  hi  werede  2035,  loroht 
ivces  geniwud  2287,  hroga  fram  opnim  2565,  bam  gemcene  2660,  hyldo  to 
tcedde  2998.   Y.  2287  gehört  hierher  (nicht  unter  die  verse  mit  verbalnom.), 


weil  das  verbum  subst.  eine  änderung  der  satzmelodie  hervorruft.  Alle  diese 
verse  haben  fernton  am  schluss. 

b)   Nomen  +  verbum. 

280.  Führ  ton  +  nah  ton  kommt  nur  einmal  vor:  sibhe 

gemunde;  2431. 

Die  übrigen  belege  sind  eilen  fremedon  3,  wcecnan  scolde  85,  hwyrftum 
scrißajj  163;  ferner  228.  43.  300.  24.  39.  47.  434  (:  =  ;).  62.  524.  661.  717. 
60.  973.  9.  1026.  34.  62.  70.  94.  1145.  83.  7.  1287.  1309.  44.  64.  1421.  54. 
64.  1686.  93.  9.  1744.  57.  68.  73.  81.  93.  8.  1816.  1935.  86.  2013.  56.  66. 
2106.  14.  30.  44  (:  =  ;).  57.  2295.  2315.  44.  76.  2400.  86.  2528.  58.  2627. 
2717.  2897.  2948.  84.  3068.  3100.  19.  62  (71  mal). 

c)   Schwächere  Wörter  +  verbum. 

281.  Führ  ton  -}-  nahton  kommt  vor  in  minne  cußon:  (  =  ;) 

418,  pyder  oncirde:  2970. 

Die  übrigen  belege  sind  lange  aide  Si,  ivide  hcefdeld;  ferner  458.  528 
(neahan  =  nean).  606.  757.  1019.  1106.  41.  2478.  2515.  92.  2808.  2951.  3086. 

d)   Reste. 

282.  1)  Ein  einfaches  wort:  modiglicran  337.  —  2)  Zwei  ad- 
verbia:  samod  cetgcedere  387.  —  3)  Zwei  verba:  fremme  se pe  iville  1003 
(ähnlich  2766),  dop  siva  ic  hidde  1231,  sec  gif  pu  dyrre  1379,  ga  Peer  he 
tcille  1394,  breac ponne  moste  HS! .  —  4)  Nomen  und  andres,  das  nomen 
meist  an  zweiter  stelle:  minne  gebidan  638,  beorhte  seinem  1517,  fotp  on- 
sewled  226G,  sivylc  gestrynan  2798,  iviht  oncirran28i)7,  cer  gesceawod  3016; 
xcide  geond  eorpan  266,  ut  of  hecdle  (:  =  ;)  663,  pysses  lifes  790,  cefier 
seiest  1389,  torna  gehtvylces  2189. 

Typus  B. 
a)   Nomen  +  nomen. 

283.  Fernton  am  schluss  herscht  durchaus,  mit  einer 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  159 

ausnähme:  ic  eoni  on  mode  from:  (=;)  2527.     Der  grund  dafür 
liegt  in  der  einsilbigkeit  der  zweiten  liebung. 

284.   Composita: 
to  aldor-ceare  906,  tmder  firgen-siream  2128,  ponne  edtvil-lif  2891. 

285.  Genitive: 

wes  pu  US  larena  god  269,  ofer  landa  fela  311;  ferner  201.  326.  57. 
9.  927.  1727.  1835.  61.  2040.  2147.  93.  2755.  2876  (15  mal). 

286.  Ein  verbalnomen:  and  Ms  heim  onspeon  2723. 

287.  Adjectiva: 

sohte  holdne  wine  376,  ponne  cenig  oper  man  534;  ferner  61.  718.  836. 
1075.  1191.  1201.  1372.  1622.  1812.  83.  2372.  2405.  2553  (15  mal). 

b)   Nomen  +  verbum. 

288.  Beispiele  sind:  Jma  pcem  hloiste  onfeng  52,  pa's  pe  he  Abel  slog 
108,  he  him  pces  lean  forgeald  114;  ferner  143.  310.  32.  401.  4.  55.  72.  88 
561.  73.  654.  93  (:  =  ;).  722.  49.  66.  852.  900.  15.  1068.  1103.  1209  (.  =  ;> 
15.  20.  91.  3.  5.  1329.  98.  1436.  42.  1528.  40.  4.  68.  72.  90.  1664.  70.  1784 
6.  1839.  87.  1913.  2019.  46.  2134.  99.  2220.  2303.  23.  32.  84.  8.  2427.  07 
71.  2521.  41.  68.  75.  2696.  2704.  72.  82.  2851.  4  (:  =  ;).  61.  72.  83.  3078 
3125.  40  (75  mal). 

c)   Nomen  +  schwächere  Wörter. 

289.  Das  nomen  geht  voraus: 

tvces  to  fcest  on  pcem  137,  se  tvces  betera  ponne  ic  4:69,  nces  Mm  Fitela 
mid  889,  and  pcere  idese  mid  1649,  and  Ms  modor  eac  1683,  nefne  Hygelac 
pee  2151,  oppe  Hygelac  min  2434,  het  hyne  brucan  tcell  2812. 

290.  Das  nomen  steht  an  zweiter  stelle: 

pwh  mine  hand  558,  ne  byp  Mm  wihte  py  sei  2277.  2687. 

d)   Verbum  +  schwächere  Wörter. 

291.  Das  verbum  trägt  die  erste  hebung: 

and  poit  gecefndon  sica  638,  pcer  hie  mihton  swa  197,  swa  icpewene 
to  1396,  and  gelceste  siva  2990. 

292.  Das  verbum  trägt  die  zweite  hebung: 

Man  beachte,  um  wie  viel  diese  verse  natürlicher  klingen,  als  die  eben 
angeführten.  Das  bezeugt  von  neuem  die  richtigkeit  unserer  Überzeugung, 
dass  die  alliteration  nicht  vom  begrifflich-emphatischen  abhängt:  hat  doch 
keins  dieser  adverbieu  den  stärkeren  sinuesuachdruck.  Die  belege  sind  and 
him  togeanes  (eng  1542,  syppan  he  eft  astod  1556,  se  pcer  inne  sivealt 
1617,  pone  ic  lange  heold  2751,  pcer  he  hine  cer  forlet  2787,  ic  Mm  cefter 
sceal  2876. 


160  MORGAN 

Tj'pus  C. 
a)   Zwei  nomina. 

293.  Composita: 

to  his  wine-drihtne  360,  siva  his  cer-fceder  2622,  op  tvoruM-ende  3083, 
and  lof-geornost  3182. 

294.  Verbalnomina: 

linder  sceadti  hregdan  l(fl,  ivces  Iura  hlced  scacen  1124;  ferner  641. 
1116  (doan  =  don).  53.  72  (doan).  1802.  1974.  2509.  2945.  81. 

295.  GenitiA^e: 

on  frean  icnre  (.  =  ;)  27,  to  hanan  fohnuvi  158;  ferner  1479.  2088. 
2320.  2803.  3136.  Dazu  mit  nachstehendem  gen.  mid  grynnn  ecga  483. 
Da  bei  typus  C  der  gen.  meist  au  zweiter  stelle  steht,  weil  nur  solche  mit 
kurzer  silbe  in  der  ersten  hebung  statthaft  sind,  so  ist  das  überwiegen  der 
Toranstehenden  genitive  hier  sehr  bemerkenswert. 

296.  Adjectiva,  nur  einmal  mit  führten  +  nahton: 

pcet  is  sop  metod.  1611.    Die  übrigen  belege:  pcet  tcces  god  cyning 
11.  863.  2390,  woes  seo  peod  iilu  1250;  ferner  1109.  1353.  2632. 

b)   Nomen  +  verbum. 

297.  Führton  +  nahton  hat  nur  peah  pin  wä  duge  589.  Die 
übrigen  belege:  para  pe  civice  Jiivijrfap  98,  gebun  hcefdon  117;  ferner 
169.  203  (:  =  ;).  33.  57.  89.  308  (:  =  ;).  55.  414.  41.  7  (:  =  ;).  90.  512 
{reomm  =  reon).  94.  676.  80.  7.  738.  77.  950.  60.  90.  1042.  1113.  44.  74. 
96.  1367.  82.  5.  1472.  81.  91.  6.  1536.  99.  1603.  28.  58.  1821.  95.  T919.  98. 
2031.  2104.  86.  2549.  72.  88.  2608.  30.  2740.  2960.  76.  3057.  73.  3165  (59  mal). 

c)   Schwächere  Wörter  +  verbum. 

298.  Nahton  kommt  nicht  vor:  tio  ic  fram  Jum  icolde  543,  sica  he 
mi  gyt  dijde  956;  femer  996.  1058  {doep  =  dep).  1238.  1625.  54.  76.  1858. 
91.  2459.  2601.  2859  {doep)  (13  mal). 

d)   Einfache  Wörter. 

299.  to  gefremmanne  174,  him  on  andsware  1840,  abreduade  2619, 
ic  pe  fidlcestu  2668,  a)id  Ohtheres  2932. 

e)   Reste. 

300.  Nur  in  einem  vers  geht  einem  nomen  ein  pronomen  voraus: 
ponne  he  sylfa  505.  Jedoch  sagt  man  auch  heute  noch:  'als  er  selbst'  mit 
hochton  auf  'er'  (sc.  am  satzschluss).  Die  übrigen  belege  sind  het  hine 
wel  brucan  1045,  bitten  pe  nu  pa  657,  and  se  beah  somod  1211,  /c  beo 
gearo  sona  1825,  con  him  land  geare  2062,  ne  mceg  ic  her  lang  wesan 
2801,  and  his  heim  somod  2987. 


ZUR  LEHRE   VON   DER   ALLITERATION.  161 

Tj^pus  D. 

a)   Zwei  nomina. 

301.  Composita: 

cniht-wesende  372,  Gii/j-Scilfnigas  2927;  häufiger  mit  führ  ton  +  uah- 
ton:  Ar-ScyMinga;  ißi.  1710  (;),  Sige-Scyldinga:  (=;)  597,  fgl-ive- 
r/'giie.  9G2. 

302.  Genitive  treten  hier,  anders  als  bei  den  anderen 
typen,  oft  in  die  zweite  liebiing-.  Es  handelt  sich  jedoch  dabei 
durchgehends  um  verse  mit  eigennamen  in  formelhaften 
Wendungen,  bei  denen  das  zweite  wort  nicht  als  novum  gelten 
kann.    Nah  ton  am  schluss  gilt  ausnahmslos. 

1)  Vor  doppelpunkt:  heim  Scyldinga  371.  456.  1321,  smi/jes  or- 
pancmn  -iOG,  pyle  Hro/jgares  übG;  ferner  1530.  2380.  G.  Dazu  der  häufige 
vers  bearn  Ecgßeowes  529.  631.  957.  1383.  1473.  1651.  1817.  1999.  2425.  — 
2)  Vor  Semikolon:  godes  leoht  geceas  2i69.  —  3)  Vor  punkt:  711.  1278. 
2143.  2206. 

303.  Verbalnomina: 

cc)  Führton  +  nahton:  Heorot  falstan.  4S2,  gang  scemvigan.  1391, 
gwii an pingkm:  iSi3,  wundur  sceawian.  3032.  —  /?)  Führton  +  fernton: 
188.  216.  2402.  2605. 

304.  Adjectiva,  nur  bei  nahton  am  schluss: 

glcede  Scißdingas.  58,  leoht  unfmjer.  727;  ferner  1932  (:).  2052  (.).  2123 
(;).  2483  (.). 

305.  Eeste,  z,  t.  mit  grammatischer  coordination. 
Nur  die  starke  interpunction  hindert  das  auftreten  von  gleichtou 
bei  einigen  dieser  verse.  Nahton  am  schluss  herscht  wider  vor. 

giimum  undyrne:  127,  draca  morpre  swealt:  892,  icyrin  hat  gemealt: 
897,  secg  tveorce  gefeh.  1569,  cyning  ealdre  hineat.  2396,  sioat  ypum  loeoll. 
2693,  segn  Higelace;  2958.     Nur  der  letzte  vers  hat  führton  +  fern  ton. 

b)   Nomen  +  verbum. 

306.  Führton  +  nahton:  reced  hlynsode.  (  =  ;)  770,  ufun  cunnode. 
1500,  sa;l  weardodon.  2075,  tvnece  leornode.  2336,  gold  sceawode:  2793.  — 
ß)  Führton  +  fernton:  204.  370.  470  (:  =  ;)•  1407.  2164.  2652.  3027. 

c)   Sonstiges. 

307.  1)  Nomen  +  schwächere  Wörter,  nur  mit  uahton  am 
schluss:  word  cefter  ctccep:  315,  ivord  inne  abead:  390;  ferner  519  (;). 
761  (.).  1619  (:).  50  (.).  1869  (.).  1976  (.).  2154  (:).  2254  (.).  2537  (.). 
2728  (:).  —  2)  Umgekehrt:  hider  ioil-cmnan.  394,  leng  sorgian  451,  feor 
sipian  808.  Nur  394  hat  führton  +  uahton.  —  3)  Verba:  feor  lolatode 
1916,  p(Br  eardodon:  3050.  Dazu  seah  on  unleofe:  2863,  der  einzige  fall 
dieser  art.    Die  beiden  letzten  verse  haben  führton  +  nahton. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXII.  ][J_ 


162 


MORGAN 


Typus  E. 

a)    Zwei  uomina. 

308.  Genitive,  nur  mit  fernton  am  schluss: 
cepelinges  fcer  SS,  niht-beahva  vicest  19S ;  ferner  1009.  1411.  1562.  1690. 

1752.  1944.  2328.  2820.  3076.  3149. 

309.  Adjectiva,  ebenfalls  mit  fernton  am  schluss: 

fiest-rcedne  gepoht  610,     and-loncje  niht  2938. 

310.  Vier  reste,  mit  fiilirton  -f-  fernton: 

Beowulf  is  min  nama  343,  man-drüäne  hold  1229,  w(el-dreore  fag  1631, 
nearo-crceftum  fcest  2243. 

b)   Nomen  +  verbum. 

311.  Führton  +  fernton  herscM  ausnahmslos: 
loorold-are  forgeaf  17,  mepel-ivordiim  fnegn  236;  ferner  259.  305.  624 

(.  =  ;).  51.  68  (.  =  ;).  90.  719.  846.  9.  1118.  1214.  41.  69.  1424.  83.  1549. 
1643.  1790.  1904.  2080.  92.  4.  7.  2100.  36.  2246.  2360.  2489.  2662.  2988. 
3037  (33  mal). 

c)   Sonstiges. 

312.  1)  Nomen  +  schwächere  Wörter,  nur  mit  fernton  am 
schluss:  Scede-landum  in  19,  man-cynne  fram  110;  ferner  564  (:^;). 
1715.  76.  1924.  2290.  2831.  —  2)  Umgekehrt:  vndyrne  cup:  410,  mit 
nahton  am  schluss.  —  3)  Yerhum:  hruc  ecdles  well.  2162.  Hinter  diesem 
vers  steht  ausrufzeichen,  welches  nahtou  am  schluss  hervorruft. 


T 

abe 

iie  vn. 

tresc 

h] 

osseue 

verso. 

Zwei  nomiua 

A 

B 

C 

D 

E 

Sa. 

Conniosita      .... 

ß) 

2 

, 

__ 

4 



6 

^^  \^  *  '  *    KV  \^  kj  A  V  %M                      ■                  *                   ■                   V 

7 

3 

4 

2 

— 

16 

Verbalnomina    .    .    . 

a) 

2 

— 

— 

4 

— 

6 

ß) 

38 

1 

11 

4 

— 

54 

Gen.  in  1.  hebung 

«) 

1 

— 

— 

4 

— 

5 

ß) 

21 

15 

7 

— 

12 

55 

Gen.  in  2.  hebung     . 

ß) 

— 

— 

— 

18 

— 

18 

ß) 

1 

— 

1 

— 

— 

2 

Adiectiva      .... 

u) 
ß) 

1 



1 

6 

— 

8 

d    m  ^'»J  ^yv/  */»    1   *i^                      •                •                •                • 

18 

15 

7 

2 

42 

Gramm,  coordination 

u) 

— 

1 

— 

6 

— 

7 

ß) 

10 

— 

— 

1 

4 

15 

101 

85 

31 

49 

18 

234 

Nomen  +  verbum     .    .    . 

1 

— 

1 

5 

— 

7 

ß) 

70 

75 

58 

7 

33 

243 

ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  163 


A 

B 

C 

D 

E 

Sa. 

Wörter 

+ 

verbum 

71 

75 

59 

12 

38 

250 

Schw. 

.  cc) 

2 





1 



3 

ß) 

15 

6 

13 

1 

— 

35 

Eeste 

cc) 



14 

2 

16 

ß) 

19 

15 

13 

2 

8 

57 

107 

96 

85 

30 

43 

361 

u  208 

131 

116 

79 

61 

595 

e  901 

585 

468 

259 

279 

2492 

n   16 

4 

— 

22 

— 

42 

Gleichton 

1125      720      584      360      840      3129 
Verderbtes  uud  schwellverse  53 

3182 


Anm.  Folgende  zweite  balbverse  sind  als  verderbt  zu  betrachten: 
21.  62.  149.  389.  403.  461.  586.  954.  2029.  2146.  2168.  2173.  2215—9.  2222 
—3.  2226—30.  2251—2.  2275.  2361—2.  2435.  2525.  2792.  3000.  3150—5. 
3172.  3174.  3177. 

813.  Anhang-.  Die  sclnvellverse.  Im  Beowulf  ist  das 
material  zu  gering-,  als  dass  man  eine  befriedig-ende  iinter- 
suclinng-  darüber  durchführen  könnte:  es  gibt  bloss  13  bez. 
10  belege  für  den  ersten  und  zweiten  halbvers.  Ich  will  sie 
jedoch  der  vollständig'keit  halber  hier  wenigstens  anführen, 
und  die  relativen  tonhöhen  der  hebungen  bezeichnen,  so  wie 
sie  mir  zu  liegen  scheinen.  Im  allgemeinen  kann  man  sagen, 
dass  die  tonsprünge  nicht  so  gross  sind  wie  bei  den  zwei- 
hebern: die  feierlichkeit  des  Vortrags  bringt  alles  mehr  auf 
eine  stufe.  Doch  haben  die  alliterierenden  hebungen  stets  den 
führton,  die  anderen  nicht;  und  danach  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  auch  die  schwellverse  der  gleichtonregel  folgen. 

1163    g"a"n  under  gyldnum  beaige,  'pse,Y  pa  go-dan  tweigen 

sae-ton  su"hterge-fse;derau;  pa,  gyt  Avses  hiera  si'b  8etgjs;dere, 

1165    ae-ghwylc  o'prum  try,we.  Swy,lce  pser  U'nferp  pyüe 

set  fo'tum  säet  frea'n  Scyildiuga:  gebwy,lc  hiora  bis  fe-rbpe  treoiwde, 
J>8e,t  he  bsefde  uiod  nii-cel,  piea,h  ]?e  he  bis  nia-gum  nseire 

aT-fest  aet  e-cga  gela,cum.  Spr8e;c  p-a,  i'des  Scyildinga 

1705    p>i-n  ofer  jpeo'da  gehwy,lce.  Ea,l  ]7U  hit  gepyldum  beaildest 

mse-gen  mid  mo'des  sny,ttrum.  I,c  pe  sceal  mi-ue  gelseistan 

freo'de,  swa  wit  furjnim  sprae.con;    pn,  scealt  to  fro-fre  weoirpan 

2367    oferswa'm  p>a  siolepa  bigo,ug  (schwellvers?) 

2995    la-udes  and  lo-cenra  bea,ga:  ne  J?o,rfte  bim  f>a  lea'n  o]?wi;tau 

mo'u  on  mi-ddan-gea;rde,  sy,]?]?an  hie  f>a  mse-rpa  geslo,gon; 

11* 


164  MORGAN 


Capitel  IL 

Die  gekreuzte  ailiteration. 

314r.  Neben  den  o-ewölmliclien  alliterationsscheraen  aaax, 
axay,  xaay  begegnen  bekanntlich  überall  im  as.  und  im  ags. 
alliterationsvers  die  Schemen  abab  und  baab.  Es  fragt  sich, 
wie  diese  erscheinung  zu  beurteilen  ist:  d.  h.  einerseits  ob  der 
nebenreim  vom  hörer  gehört,  andrerseits  ob  er  vom  dichter 
mit  absieht  angewendet  wurde.  Streng  genommen  reducieren 
sich  diese  beiden  unterfragen  auf  eine  grundfrage:  war  kreuzung 
der  ailiteration  bewusstes  kunstprincip  der  altgerm.  dichtung, 
oder  war  sie  eine  blosse  Zufallserscheinung?  Diese  frage  soll 
hier  von  dem  neugewonnenen  Standpunkt  aus  behandelt,  und 
womöglich  einer  definitiven  entscheidung  zugeführt  werden. 
Zu  diesem  zwecke  führe  ich  zunächst  das  material  an,  und 
zwar  zuerst  das  aus  dem  Beowulf  in  vollem  Wortlaut,  damit 
man  eine  volle  Übersicht  auch  über  die  art  der  fälle  bekomme 
(das  vollständige  material  des  Heiland  *)  s.  unten  342). 

Beowulf. 

1  hwset  we  G^aT-De'na  iu  ge?i'r-da;g\\m 

19  Scyläes  cfl;feran  Sce-de-laudum  /,n. 

32  f'aer  set  liylpe  sioid  /tringed-sieifua 

34  aZe-don  ßa,;  Zeo'fue  yjeo;deu, 

39  /ii-lde-wseipnum  and  hesL-po-ivseüum, 

64  pa  wses  Hro-]>ga,'.ve  /tere-sped  ^y'fen, 

88  p>8et  he  do-gra,  ge/twaiin  drea-m  gehjiräe 

98  cynua  ge/iwy;lcum,  para  f>e  cwi-ce  /iwy,rfaf>. 

201  »jse-rne  yjeo;den,  pa  hiin  wses  /»a-nna  /)ea,rf. 

209  Za-gu-cneftig  J»o;n  Za'nd-gemy,rcu. 

282  and  pa.  ceaT-?üy;liiias  co'h'an  wu,YpiLp. 

343  &eo-d-ge«ea;tas:  £eo-wiüf  is  min  >»a,ma. 

355  pe;  me  se  go'da  a^i-fan  y)e;ncef>. 

365  l^set  hie,  y^eodeu  mi;ii,  wif>  pe-  mo;ton 


')  Für  den  Heliand  habe  ich  die  ausgäbe  von  Behaghel  benutzt,  für 
die  ags.  dichtungen,  abgesehen  vom  Beowulf,  der  auch  hier  nach  Holder 
citiert  wird,  die  Grein -AVülkersche  Bibliothek,  nach  deren  auorduung  die 
beispiele  aus  den  kleineren  dichtungen  angegeben  werden.  Die  häufigkeit 
der  erscheinung  habe  ich  für  alle  grösseren  gedichte  festgestellt,  und  es 
wird  hier  stets  berichtet,  auf  wie  viele  einfach  alliterierende  verse  des  be- 
treffenden gedichtes  ein  beleg  für  kreuzung  durchschnittlich  vorkommt. 


ZUR   LEHRE    VON   DER   ALLITERATION.  IQl 

374  peem  to  7ia*m  iorge&if  llre-pel  Geafta 

397  Isetap»  /dlde-&o:rd  he-r  on&iidau,  (=  onbidian) 

418  forpan  bie  »Hse-geues  cr0p;ft  »ä'nne  cu;f>on: 

525  ponne  zve-ne  ic  to  pe  i  lüyrsun  gefihngea., 

535  ivi,t  f'set  gecwse-don  ciii-ht-?t'e;seude 

566  be  ?/-p-?a;fe  «rppe  lie;gou, 

589  ive-r\\po  f?reo;gaii,  peab  piu  wlt  chv.ge. 

591  f'set  ii?efre  Gre'udel  swa  /e;la  i/ryra  ge/re;inede, 

653  1/ro'pgar  2ieo"wulf,  and  bim  /tae-1  aöea;d, 

699  purb  a-nes  cr8e;ft  ea^lle  oferco;moi}, 

730  ?«a'go-rinca  /iea;p:  f>a  bis  wiO'd  aMoig-, 

779  pset  bit  a;  mid  geme'te         »(a-nna  ce;nig, 

803  (/U'p>-billa  »a;ii  (/re'tan  no;lde, 

813  ac  M,ne  se  »io-dga  mse-g  iZy;gelaces 

829  G^ea't-mecga  ?eo;d  ^i-lp  geZ?e;sted, 

907  swylce  o-ft  be?»ea;rii  (t-rran  »(8e;lum 

919  swi-p-Mlcgende  to  se'le  pam  Zteaiu, 

971  to  lri-wra,;pe  Za-st  «'ea;rdian, 

1016  swi-}:'-7ti;cgende  on  se'le  pam  7iea;n, 

1131  /tri-uged-s/e-fuan :  Zwirn  s^oTme  weol, 

1140  gif  be  foTn-gemo;t  p>urbfeo-n  ?wi;bte,  *) 

1182  a-rum  /teaildan,  gyf  p>u  cet  ponne  /te:, 

1184  ?re;ne  ic  fast  be  mid  <yo"de  ^yldan  tvi;\le 

1203  ne-fa  5'we;rtiuges,  >tybstan  si:]7e, 

1262  to  e-cg-&a;nan  ffDgan  öreiper, 

1301  sefter  ma-])pxim.-gi;%  wise-rum  6rea;te. 

1314  bwaepre  him  a-l-%'a;lda  ce'fre  ivv,\\e 

1341  paes  pe  /)i-ncean  H(8e:g  />e'gne  )«o;negum 

1342  se  pe  sefter  siiic-r/y;fan  ou  se-fau  </reo;te}? 
1403  sefter  t<;a-ld-swa;]?um           ivvö.e  gesy;ne, 

1406  pone  se'Ze,staii  sa"wol-Zea,sue, 

1443  scolde  7teTe-&y;rne  Zio-ndum  ge?<ro;den, 

1445  seo  pe  &a-n-co;fan  öeoTgan  cu;]?e, 

1475  sno-ttra  feingel,  nu  ic  eom  srpes  fn'.s, 

1482  swy,lce  p>u  pa,  ma-dmas,  pe  pu  me-  sea,ldest, 

1488  and  pu  U-nierp  Z8e;t  ecrlde  Za;fe, 

1535  po,mie  be  set  givpe  ge^a-n  pe.ncep 

1573  Ztwea:rf  pa  be  «cea-lle,  wse-pen  Zta;fenade 

1611  ssela  and  m?e-la:  fset  is  so'p  we;tod. 

1652  ZiW0e,t  we  pe  p»as  sae--lac,  su-nu  ifea;lfdenes 

1721  /j*,t  be  pses  ge?ci'nnes  weo'rc  /)ro;wade 

1728  Ziwi;lum  be  ou  Zufaii  Zse-tep  Ziwo;rfan  (?) 

1732  gede;p  bim  swa  gez<;ea-ldne  it'OTolde  f?0e;las, 

1804  waeron  ce-peZi;ngas  e-ft  to  Zeo;dum 

1824  giu-mena  fZry;bten,  ponue  ic  ryyt  fZy,de, 


1)  Vers  1143  recbne  leb  zu  den  verderbten. 


166 


MOUGAN 


1826 

1836 

1849 

1892 

1910 

1933 

1937 

1939 

1968 

2020 

2030 

2053 

2066 

2091 

2158 

2162 

2170 

2181 

2186 

2223 

2235 

2261 

2267 

2337 

2377 

2385 

2397 

2106 

2465 

2479 

2515 

2567 

2615 

2637 

2669 

2726 

2745 

2875 

2907 

2954 

2970 

2998 

3058 

3066 

3074 

3080 

3089 


g\,{  ic  pfet  gefricge  ofer  /"lo'da  be^yamg, 

^i.f  him  l^onne  Hre-j^ric  to  7io-fnm  Gea;ta 

/b-lces  /ivirde,  nnd  p\\  f>iu  /eo'rh  /taifast, 

HO,  he  rnid  /teaTme  of  /di"|?es  «o;san 

Z/U'nden-s<e;fna  ofer  6n'ni-s(rea;mas, 

Ha?;uig  paet  fZoTste  deo'r  ge»e;J'an 

/ia-nd-geit'ri;pene :  hi-d-]>e  seo)?}?aii  ivieis 

pset  hit  scea-pen-jH^e;!  scyran  mo,ste, 


6o"nan  0;ngenJ)eowes 
/twidum  for  dwgnpe 
tefter  /eod-Zujire: 
nu,  her  para  fcaneua 
sefter  ceaT-«;se;lmum 
wa"nigra  su;nine: 
cv!^?e:])  pffit  hit  /jgefde 
&reo-st-geir8e;du. 
>d-f>a  /teairdum, 
ac  he  »ia'u-cy;iines 
(?ryhten  «-eireda 
ac  for  jf)rea'->ie;dlan 
/)a-nc-7ty;cgende 
aefter  wi-g-/rn;man 
swa  ^io'mor-/«o;d 
7ie;ht  him  J>a  ge?ryrcean 
/twse,p>re  he  him  on  /bdce 


turgum  un  /;nnan, 
(i'o-htor  i7ro;pgares 
Zytle  /twi;le 

6yre  na:t-hwylces 
colran  tveo,rYdip. 
hit  ne  midite  .swa; , 

ifiorogar  cy;nmg, 
Bnvc  ealles  we:lV. 
HQ-fa.  swyf>e  Tioild 
?«8e-ste  crpe;fte 
gef?o-n  ?fo,lde; 

^e'gn  na;t-hwylces 
pser  ge7ty;dde. 
jüi'de  fe:Yan 
<?io'hpo  ;Hfe;nde 

it'i-gendra  7tleo; 
/reo'nd-larum  7jeoild 


7te,  l^aer  for  /eoTme 
swa  he  ni'pa  ge7iwa;ne 
se,  wses  on  f>am  ^rea'te 
on  pam  /'eoTh-&o;nan 


/eo"rh-wmide  7tlea:t 
geneseu  7i0e;fde, 
/)reo"t-teo)?a  seicg, 
/se-ghpe  gefce;tan: 


pset  m?e-g-icy.ue 
of  eo-r)7-se;le 
iüi'nia  &ea;ldor, 
ftrnn-fagne  7ie"lm, 
gif  him  /)ys7i;cu 
ce,fter  pam  <(;oTdum 
]78et  he  c?s;g-7jwi;la 
TTiglaf  Zeo-fa, 
si'gora  ?t'a;ldend, 
ofer  JBio'itUjIfe, 
pset  he  s8e--)Ha;nnum 
syf'f'an  y)eod-cy;uing 
7ia-m-jfeo;r]7uuge, 
ß&,  wseg  gesyne, 
swa  wses  JSiowu.lfe 
nses  he  (/odd-7tw8eites 
px,t  he  ne  ^yre-tte 
nealles  swae's7i,ce 


?«i'ne  gejfrsetcan, 
ut  gese,cep. 

]7a  se  jt'yrm  ge6ea;h 
7mugde  J'yrnan, 
/)ea-rf  ge?u,mpe, 

?<jyrm  ?/;rre  cwom, 
gedrogen  7i8e,fde, 
nu  se  wy-TTü  U'-gep, 

p2et  he  hine  sylfne  gej<7r8e;c 
T/yre  Tri;hstanes, 
onsaxan  wn.hte. 
ßyder  onci;rde: 
7tyldo  to  «-ejdde. 
pset  se  sif>  ne  yjaih, 

f>a  he  feiorges  n:eaird 
^feaTWor  Ä3e;fde  (==  goldhw8et[e] ) 
(/oldweard  po,ne, 
sip  aZy,fed 


f 


ZUR   LEHRE    VON    DER    ALLITERATION.  1G7 

3162    /"oTe-snotre  me;n  /"inrlan  mi,hton. 

3164    c«:ll  swylce  /«yrsta  swylce  on  ho-rde  fe'.r 

3180    cwae,dou  Ipxt  he  ic2e-re  «oyruld-cjjninga 

(Häufigkeit  der  abab  1  :  15,  der  baab  1  :  11). 
Die  echten  werke  Cynewulfs. 

315.  Cr  ist  B  (wegen  der  Scheidung  von  Crist  A  und  B  s.  Cremer, 
Metr.  u.  sprach!,  unters.,  Bonn  1888):  818.  21.  33.  44.  69.  915.  35.  64.  90. 
1064.  90.  1127.  59.  62.  1228.  56.  96.  1315.  21.  80.  1405.  18.  87.  8.  51.  87. 
98.  1501.  19.  53.  78.  1612.  34.  94  (häufigkeit:  abab  1  :  15;  baab  1 :  12). 

316.  Juliana:  57.  68.  121.  254.  78.  90.  323.  84.  96.  407.  31.  58. 
513.  5.  9.  530.  647.  58.  73.  84  (abab  1  :  13;  baab  1  :  16). 

317.  Elene:  5.  9.  63.  70.  95.  8.  135.  40.  6.  78.  227.  50.  83.  335.  72. 
4.  421.  45.  8.  92.  7.  565.  7.  717.  8.  810.  45.  66.  9.  910.  2.  4.  5.  1011.  67. 
84.  1179.  97.  1260.  80.  4.  1314  (abab  1  :  13;  baab  1  :  24). 

318.  GuthlacB:  791.  9.  814.  49.  51.  68.  79.  908.  60.  5.  1034.  63.  6. 
1109.  24.  1238.  41.  79  (abab  1  :  13;  baab  fehlen). 

Die  Cynewulf  fälschlich  zugeschriebenen 
dichtungen. 

319.  Crist  A:  2.  13.  16.  29.  100.  58.  60.  216.  30.  46.  50.  326.  52. 
95.  423.  31.  50.  60.  7.  561.  600.  729.  61.  6.  87  (abab  1  :  10;  baab  1  :  8). 

320.  Guthlac  A:  4.  97.  159.  69.  251.  87.  97.  356.  60.  79.  93.  420. 
4.  49.  91.  5.  545.  70.  607.  701.  18.  52.  3  (abab  1  :  13;  baab  1 :  23). 

321.  Andreas:  5.  33.  76.  94.  112.  31.  42.  321.  5.  63.  378.  93.  9.  417. 
8.  517.  54.  70.  607.  31.  7.  73.  91.  2.  807.  13.  8.  47.  54.  965.  8.  9.  81.  1032. 
49.  66.  1137.  52.  85.  1223.  1363.  1416.  47.  1580.  1619.  59.  98  (abab  1  :  16 ; 
baab  1  :  14). 

322.  Phönix:  1.  5.  31.  50.  87.  91.  235.  54.  6.  92.  374.  88.  411.  22. 
43.  50.  512.  52.  637.  55  (abab  1  :  13;  baab  1  :  7). 

Die  bibeldichtung-en. 

323.  Genesis  A:  5.  10.  41.  100.  13.  201.  25.  861.  81.  909.  25.  48. 
90.  1010.  93.  1114.  8.  40.  1221.  48.  51.  7.  8.  62.  72.  3.  91.  8.  1307.  31.  43. 
6.  50.  4.  9.  1413.  45.  56.  90.  1505.  60.  85.  1604.  38.  96.  1704.  11.  40.  1846. 
58.  1914.  7.  25.  54.  2003.  8.  40.  73.  97.  2152.  2239.  80.  92.  2319.  33.  43. 
52.  89.  90.  9.  2503.  6.  9.  12.  46.  7.  2600.  7.  21.  32.  46.  97.  2700.  3.  9.  21. 
67.  71.  4.  86.  9.  2807.  32.  63.  78.  81.  5.  2904.  6  (häufigkeit:  abab  1  :  15, 
baab  1  :  18), 

324.  Exodus:  63.  124.  80.  97.  208.  59.  99.  323.  6.  50.  522.  50  (abab 
1:30;  baab  1  :  10). 

325.  Daniel:  9.  63.  75.  80.  124.  30.  76.  231.  94.  312.  34.  412.  30. 
535.  42.  7.  70.  9.  614.  8.  36.  52.  97.  703.  27.  34.  6  (abab  1 :  15;  baab  1 :  12). 


168 


MORGAN 


Kleinere  ags.  gedichte. 

Band  I. 

326.  Widsith:  44.  127;  Waldere:  A  17.  B  4;  Finnsburg:  25; 
Wanderer:  12.  31.  59;  Seefahrer:  52.  7.  85.  111.  7;  Klage  der  frau: 
48;  Botschaft:  11.  19;  Zauhersegen:  1,26.  52.  60;  Runenlied:  2.40. 
92;  Denksprüche:  1,50.  2,8.  3,124;  Des  vaters  lehren:  55.  58; 
Byrhtnoth:  19.  24.  34.  63.  8.  98.  151.  9.  167.  170.  197.  255.  6.  285.  9. 
311.  320  (abab  1:7;  baab  1:10);  Aethelstan:  14.  83.  48.  50.  7;  Ed- 
mund: 6;  Eadgar:  1,1.  2,1;  Eadweard:  10. 

Band  II. 

327.  Seele  und  leichnam:  5.  149;  Kreuzlied:  91.  108.  126.154 
Gebete:  1,3.  4,  54.  86;  Vater  unser:  3,81.  110;  Gloria:  26.  35 
Credo:  16.  19.  53;  Vom  jüngsten  tage:  84.  88.  113.  153.  4.  7.  9.  165 
246.  78.  85;  Lar:  7.  19.  33.  64.  77;  Aufforderung:  8;  Lehrgedicht:  9 
Heiligenkalender:  7.  9.  65.  81.  194.  203;  Judith:  78.  83.  5.  112.  137 
150.  5.  165.  173.  7.  215.  235.  253.  270.  311  (abab  1:10);  Genesis  B:  245 
277.  554.  582.  635.  646.  686.  829.  844;  Azarias:  125.  186;  Christi 
höllenfahrt:  54.  69.  99.  210.  250.  1;  Gefall,  engel:  5.  41.  53.  81.  107. 
219.  284.  360;  Versuchung  Christi:  25.  32.  41.  6  (abab  3  :  19). 

Band  m. 

328.  Der  menschen  gaben:  10.  106.  7;  Der  menschen  gemüt: 
12.30.53.  69.  78  (abab  4:  23);  Der  menschen  geschicke:  54;  Wunder 
der  Schöpfung:  33.  60.  98  (abab  1  :  12);  Panther:  16.  27.  44.  5.  7; 
Walfisch:  43.52.74  (abab  1:13);  Jüngstes  gericht:  96.102;  Höllen- 
fahrt Christi:  50.  89.  128;  Pharao:  6;  Rätsel:  4,13.  55.  6,3.  10,12. 
11,  6.  16, 10.  14.  17,  6.  10.  18,  2.  21,  31.  23,  6.  27, 1.  18.  28,  4.  29,  5.  32,  9. 
17.  40,1.»)  41,34.  46.  51.  60.  83.  90.  104  (abab  1:8).  43,8.  9.  44,1.  9. 
(abab  2:  11).  45,5.6  (abab  2  :  6).  49,6.  52,5.  55,7.  56,9.  62,3.  76,1. 
84,28.  88,27;  Metra:  1,1.  16.  24.  38  (abab  1:10).  3,5.  4,39.  45.  5,13. 
7, 8.  40.  8, 14.  31.  43.  52  (abab  1  :  8).  9, 47.  10, 10.  37.  52.  11,  5.  20.  28. 
52.2)  70.  5.  81.  100  (abab  1:10).  13,10.  25.  43.  79  {doan  =  don).  80  (abab 
1  :  8).  15, 15.  16,  4.  17,  20.  23.  19,  9.  15.  20,  6.  10.  18.  22.  28.  30.  36.  39. 
50.  2.  3.  63.  102.  110.  2.  4.  23.  52.  91.  2.  275  (abab  1  :  13;  baab  1  :  8). 
21,  4.  22, 25.  29.  23, 2.  24, 15  (die  kreuzung  ist  nur  zu  erschliessen,  denn 
das  erste  wort  der  ursprünglichen  langzeile  ist  nicht  überliefert;  der  fall 
ist  indessen  nicht  zweifelhaft).  25,  29.  26, 19.  33.  40.  69.  27, 15.  23.  29,  4. 
43.  72  86  (nach  der  ergänzung  von  Grein).  96.  30,15;  Salomo:  27.  155. 
222.  262.  4;  Psalmen:  52,4.  53, 3.  5.  54,15.  22.  23.  55,9.  56,12.  57,2 
(zwei  fälle).  9.  58, 6.  59,  5.  10.  60,  3.  5.  61, 12  (die  übrigen  psalmen  habe 
ich  nicht  durchgesehen:  es  sind  die  dichtungen,  bei  denen  das  aufzählen 
der  kreuzungen  am  meisten  ermüdet). 


1)  Rätsel  40, 1  ist  sie  statt  sy  zu  lesen. 

^)  Metra  11,52  b  lese  ich  mit  Sievers  iciperweardes  hivcet. 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  169 

329.  Nicht  ganz  unwichtig  scheint  die  tatsache  zu  sein, 
dass  einige  dieser  verse  widerholt  erscheinen,  nicht  nur  im  dem- 
selben gedieht,  sondern  auch  in  verschiedenen.  Nicht  selten 
sind  es  langverse  neben  häufigeren  halbversen.  AVenn  die 
gekreuzte  all.  ganz  verpönt  gewesen  wäre,  so  müsste  man 
sich  wundern,  dass  gerade  verse  mit  kreuzung  der  all.  hätten 
entlehnt  werden  sollen. 

Folgende  widerhol ungeni)  kommen  vor: 

Beow.  32    paer  set  hjpe  stoiX  /tringed-sfefna 

Beow.  1131    /ainged-sfefnan  Äolm  s^orme  weol 

Beow.  201    JHserne  peoden  ]'a  him  wpes  »(anna  pea.rt 

An.  94     »(feres  peodnes  he  his  magn-pegne 

Beow.  282    and  pa  cear-H'ylmas  colran  wurpap» 

Beow.  2066    sefter  cear-Jt'aelmiim  colran  «üeorpap 

Beow.  779    pset  hit  a  mid  ge?«ete  wianna  cenig 

Metr.  26,  69     o]'>  pset  him  ne  »^eahte  «lanna  cenig 

An.  517    manna  «"nigne  ofer  »»eoüides  est 

Beow.  919.  1016    swip-Ztycgende  to  sele  pam  /iean 

Beow.  1312    se  pe  seiter  sinc-(yyfan  on  sefan  gieotep 

Cr.  460    hiera  sinc-^iefan  sona  w?eron  ^earwe 

Beow.  2181    ac  he  >»an-cynnes  mseste  crfefte 

Guth.  169    mid  mon-cynne  »«aran  craefte 

Beow.  2907    ofer  JSio^üulfe  6yre  irihstanes 

Beow.  3066    swa  wses  J3iotüulfe  pa  he  öiorges  tüeard 

Cr.  250    purh  ]?inne  /ter-cyme  /iselende  C'rist 

Hei.  2278    Äelandeo  Crist  ef  he  te  is  /jandun  ^uam 

Cr.  821    in  psem  gsest-hoie  scyle  r/umena  ge/twylc 

An.  1152    ^umena  ge/iwylcum  para  pe  r/eoce  to  him 

Metra  8,  43    pset  ]?eos  ^itsuug  7tafaf>  r/umeua  ge/iwelces 

Cr.  1315    mid  Zic-7joman  Zeahtra  ge/tygdu 

Guth.  360    pset  he  his  Zic-/iomau  Zade  /teebbe 

Hei.  4099    an  thene  Zic-7tamon  he  bigan  is  Zithi  /trorien 

Hei.  5787    that  sia  thena  Zic-/tamon  Ziobes  /lerron 

Cr.  1438    swylce  hi  me  ge&lendon  ftittre  tosomne 

An.  33    syppan  him  geilenden  öitere  tosomne 

El.  5    acenned  ivearlp  cyninga  ji-iüdor 

El.  178    acenned  wearj?  cyninga  i^uldor 


1)  Es  handelt  sich  natürlich  nur  um  die  hebungsträger. 


170  MORGAN 

An.  854:    in  J^ara  ceole  JCfes  cyniug-a  n'uldor 

Jud.  155    cyninga  «'uldor  f'at  gecjpeü  ?rear]? 

Au.  418    ?fiildor-c3'uinges  swa  ]n\  worde  becwist 

An.  1447    sefter  lüord-cwidura  tüuldor-cyninges 

El.  445    a/faugen  w?es  /teofonrices  ivearA 

El.  718    a/taugen  Jüses  /teofonrices  «ceard 

Gen.  2073    /teofonrices  Ji^eard  /tergas  wurdon 

Kreuzlied  91     ofer  /tolm-!<;udu  /teofonrices  weard 

El.  810    «tiddan-f/eardes  sie  pe  «i?egeua  //od 

Cr.  787    in  »«iddau-r/eard  «tpegua  f/old-hord 

El.  1084    «?rj?an  me  ge/ylle  /jeder  fplraihtig 

Jul.  658    /"seder  «'Imilitig  pser  ge  /rofre  ogun 

El.  866     op  ]?pet  liini  gecyl^de  cyniug  fplmihtig 

Cr.  395    and  mid  hira  /iprum  /rean  o'hnihtgcs 

Gen.  5    /'rea  admihtig  nses  him  /ruma  <:efre 

Gen.  1359    and  eall  pset  to  fsesle  /rea  celmihtig 

An.  76    forgtif  me  to  are  fdmihtig  <7od 

Gen.  844    pe  him  cer  for^eaf  fflraihtig  r/od 

Vater  unser  8, 110    «Imihtig  r/od  are  and  gitnes 

An.  378    pEet  he  Zifr/ende  /and  ber/ete 

Dan.  618    ]?ara  pe  eft  /i%ende  /eode  betete 

An.  517     ?«anna  «uigne  ofer  »«eotudes  est 

Gen.  1251    ofer  metodes  est  v«onna  eaforan 

Au.  554:    on  «tod-sefan  wtaran  suyttro 

Wanderer  59    for  hwau  ?«od-sefa  min  ne  gesweorce 

Au.  1032    fore  hispenra,  /tilde-yjrymme 

Ps.  57,  9    and  his  /landa  pwehp  ou  /tse/jenra 

Guth.  570    uuder  nearoue  clom  nergende  C'rist 

Hei.  2912    thera  «ahtes  cuman  neriendo  C'rist 

Guth.  718    stod  se  t/rena  tcong  in  r/odes  w?ere 

Eäts.  41,  51     and  wiägie\r&  ponue  J?es  wong  r/rena 

Rats.  41,  81     and  wiägieh».  ponue  f>es  trong  r/rena 

Gen.  113    heim,  eall-wihta  /teofon  and  eorpan 

Hei.  41    Äimil  endi  ertha  endi  al  that  sia  bi/tlidan  cgun 

Hei.  591    uudartuisc  ertha  endi  /timil  other  /tuerigin 

Gen.  277    pset  ne  ^ode  jt'olde  r/eongra  w-eorpan 

Metra  1,  38    penden  r/od  lüolde  pset  he  Goteua  gezoeald 

Ps.  52,  4    pe  goA  wohle  georne  ?cyrcau 

Gen.  925    abead  eac  Ä-d&me  ece  rfryhten 

Gen.  2632    ece  f/ryhteu  swa  he  oft  dyie 

Ps.  55,  9    and  ic  ealue  dieg  ecne  (Mhteu 


ZUR  LEHHE  VON  DER  ALLITERATION.  171 

Gen.  1221    fer  bis  swj'lt-^Zsege  suna  and  dohtra 

Eäts.  10, 12    siina  and  r?ohtra  py  heo  swa  dyäe 

Gen.  1248    op  f>a?t  öearn  ^odes  ftryda  onfyunuon 

Hei.  3655    the  tliar  be  7/iericboZ>iu'g-  te  themu  ryodes  ?>arne 

Gen.  1858    ffpelinga  /;elm  liebt  J.bi-aAame 

Gen.  2721     to  ^Ibra/tame  ci'J'elinga  /tclin 

Gen.  2767    bine  Abraham.  on  bis  ageue  /tand 

Seele  u.  1.  149    pa  syn-fullan  and  ]>a  so]7-/?estan 

Ps.  54,  22    ne  syle]?  be  sop-/kstum  syppan  tu  /eore 

Gefall,  e.  360    and  hie  gesegnaj?  mid  bis  swipran  honi 

Chr.  höllenfabrt  250    and  heo  gesenap»  mid  bis  swiprau  /tand 

Ps.  59,  5    do  me  j^iu  seo  swipre  /tand  sjmble  /talne 

Metra  11,  5     ^/ngesewenlicra  and  eac  swa  sarae 

Metra  20,  6    rmgesewenlicra  and  eac  swa  same 

Metra  11, 28    bis  ge!Peald?ef>er  irille  ontetan 

Metra  11,  75    pa  geweabUeperii  toile  onZsetan 

Metra  22,  25    forpaem  pses  Zic-/joman  ?eabtras  and  heügnes 

Metra  22,29    psea  ?ic-7toman  Zeabtras  and  /tefignes 

Hei.  2072    obar  G^alileo  Zand  Jiuleo  ?iudiuu 

Hei.  2075    tbero  tbe  hi  tbar  an  G^ali/ea  Judeo  Ziudiim 

Hei.  3171    eft  au  G^alileo  Zand  sobte  is  r/aduZingos 

Hei.  5036    th&t  man  ina  aZate  Zetbes  thinges 

As.  Gen.  65    Umt  tbu  mi  aZatas  Zetbas  i/üngas 

330.  Früher  hat  man  die  frage  nach  einer  bewussten 
Steigerung  der  all.  gern  mit  allgemeinen  erwägnngen  beant- 
worten wollen.  So  meinte  z.  b.  Hörn  (Beitr.  5, 164  ff.),  eine 
solche  erscheinnng  sei  gegen  die  natnr  des  av.  Ihm  entgegen 
stellten  sich  Ries  (QF.  41, 125  f.),  Vetter  (Zum  Miispilli  s.  52  ff.), 
und  neuerdings  Lawrence  (Chapters  on  Allit.  Verses. 38),  welche 
alle  meinen,  sie  sei  leicht  und  sicher  zu  rechtfertigen.  Wenn 
sich  aber  auch  beide  meinungen  durch  theoretische  gründe 
stützen  lassen,  so  ist  das  auf  beiden  seilen  immerhin  nur  eine 
unergiebige  petitio  principii.  A  priori  lässt  sich  weder  für 
noch  gegen  die  möglichkeit  oder  Zweckmässigkeit  einer  Steige- 
rung der  all.  etwas  bestimmtes  sagen. 

331.  Neben  allgemeinen  erwägungen  hat  man  dann  zahlen 
und  Verhältnisse  herangezogen.  Frucht  (Metr.  und  sprachl.  zu 
Cjmewulf  s.  75  ff.)  war  wol  der  erste,  der  sich  in  der  öft'ent- 
lichkeit  (auf  ähnliches  war  Sievers  schon  früher  gekommen, 


172  MORGAN 

wie  ich  mitteilen  kann)  auf  eine  allgemeine  walirsclieinlicli- 
keitsrecliuung  stützte.  'Falls  gekreuzte  all.  (s.  76)  Aveder  ge- 
sucht noch  gemieden  wird,  müssen  wir  erwarten,  unter  je  19 
Versen  (sc.  mit  einf.  all.)  einen  mit  gekreuzter  all.  zu  treffen.' 
Da  in  den  Cynewulfischen  dichtuugen  diese  zahl  nach  Frucht 
nicht  erreicht  ist,  so  meint  er,  die  kreuzung  sei  nicht  gesucht, 
eher  noch  vermieden  worden  (er  hatte  aber  offenbar  vieles 
übersehen,  wie  aus  den  oben  gegebenen  zahlenbelegen  her- 
vorgeht). 

332.  Gegen  Frucht  hat  bereits  Emerson  (Journ.  of  Germ. 
Philol.  3, 127  ff.)  einwände  erhoben;  seine  argumente  sind  aber 
meist  hinfällig,  sodass  seine  polemik  keinen  erfolg  erzielt  hat. 
Was  er  namentlich  auf  grund  von  Sweets  Wörterbuch  über 
die  häufigkeiteu  der  verschiedenen  anlaute  ausführt,  entspricht 
den  tatsächlichen  Verhältnissen  nicht,  Z.  b.  'Since  any  vowel 
(s.  134)  may  alliterate  with  any  otlier,  the  chance  that  some 
vowel  will  recur  is  much  greater  than  that  any  particular 
consonant  will  be  repeated.'  Nun  finde  ich  im  Beowulf,  nach 
Untersuchung  von  1000  versen,  dass  sämmtliche  vocale  zu- 
sammengerechnet au  der  y- stelle  (axay)  weniger  häufig  er- 
scheinen als  10  der  übrigen  anlaute;  während  sie  an  der 
X- stelle  nur  zwei  andere  anlaute  an  häuflgkeit  übertreffen, 
nämlich  sp  und  t.  Also  darf  man  ohne  weiteres  die  vocale 
zusammenrechnen  und  sie  als  eine  klasse  den  einzelnen  con- 
sonanten  gleichstellen.  Ferner  sagt  Emerson  mit  unrecht: 
'Any  ratio  of  accidental  occurrence  depends  on  the  assumption 
that  each  sound  occurs  initially  as  often  as  any  other',  welche 
annähme  er  sodann  widerlegt.  Wenn  aber  ein  laut  häufiger 
als  ein  anderer  vorkommt,  so  kann  man  erwarten,  dass  dieser 
laut  sich  auch  häufiger  im  nebenreim  zeigte,  sodass  das  Ver- 
hältnis 1  :  18  (Frucht  hatte  vergessen,  dass  ein  anlaut  bereits 
für  die  hauptalliteration  benutzt  wird,  und  folglich  die  zufällige 
häufigkeit  einer  kreuzung  nach  seinem  princip  1 :  18  sein  würde) 
trotzdem  ziemlich  constant  bleiben  kann. 

333.  Damit  ist  nun  freilich  nicht  gesagt,  dass  Frucht 
recht  hat.  Ich  habe  nur  hervorheben  wollen,  dass  Emerson 
nicht  den  richtigen  weg  eingeschlagen  hat,  P'ruchts  annähme 
zu  widerlegen..  Dass  diese  sich  in  der  tat  nicht  halten  lässt, 
erhellt  aus  folgenden  tatsachen. 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION. 


173 


38-1-.  Vor  allen  diiig-en  hat  Frucht  nicht  untersucht,  wie 
es  mit  den  anlauten  wirklich  steht.  Seine  bereclinung  setzt 
als  unbeding-t  erforderlich  voraus,  dass  die  reihenfolge  der 
anlaute  an  stelle  x  (axay,  xaay)  mit  der  an  stelle  y  in  allen 
punkten  übereinstimme.  Das  ist  aber  nicht  der  fall,  schon 
deswegen  nicht,  weil  die  hebung-en  des  ersten  halbverses  anders 
besetzt  sind,  als  die  des  zweiten  (was  aus  unseren  tabellen  im 
ersten  capitel  klar  hervorgeht).  55  proc.  der  verse  mit  einf. 
all.  haben  nomen  an  der  x-stelle;  an  der  3-stelle  nur  44  proc. 
44  proc.  haben  verbum  an  der  y- stelle;  an  der  x-stelle  bloss 
7  proc.  Und  diese  Verschiedenheit  der  Wortklassen  bringt  not- 
wendigerweise grosse  Verschiedenheit  der  anlaute  mit  sich. 
Im  Beowulf  liegen  die  Verhältnisse,  wie  sie  in  der  folgenden 
tabelle  zusammengestellt  sind. 

Anl.i) 

w     . 
voc. 

g- 
t 
1 

d 
b 

sc 
h 

V 

s 

n 

m 

f 

k 

sp 

Der  grund  für  die  gewaltige  abweichung  der  vierten  reihe 
der  tabelle  liegt  darin,  dass  die  ersten  hebuugen  der  A3-verse 
(die  ja  allein  bei  den  xaay  in  betracht  kommen)  vorwiegend 


X 

y 

x> 

.   99 

120 

7 

.   29 

52 

15 

.   72 

52 

— 

.   17 

36 

1 

.   79 

62 

— 

.   67 

52 

— 

.   76 

63 

1 

.   38 

51 

— 

.   96 

85 

13 

.   44 

55 

33 

.   70 

12 

.   36 

10 

.   84 

3 

.   63 

2 

.   52 

2 

4 

1 

*)  Geordnet  ist  nach  dem  grade  der  bäufigkeit.  Für  axay  wurden 
1000  Zeilen  vmtersucht  (wobei  natürlich  nur  erste  balbverse  mit  einfacher 
alliteration  in  betracht  kamen);  für  xaay  nur  100.  Die  anlaute,  die  unter 
dem  strich  stehen,  kamen  fast  gleich  häufig  vor,  also  werden  nur  die 
zahlen  für  x  angegeben.  Bei  x^  (d.h.  der  x-stelle  der  verse  mit  dem 
Schema  xaay)  kamen  auch  r  und  st  gar  nicht  vor. 


174  MORGAN 

mit  seh  wachen  partikelu  besetzt  sind,  unter  denen  namentlicli 
^a,  J)cef,  J)onne  stark  vertreten  sind  (daher  das  überwiegen 
des  sonst  nicht  häufigen  ^j- lautes).  An  solchen  Verhältnissen 
muss  jeder  versuch  scheitern,  die  Wahrscheinlichkeit  eines 
durch  Zufall  bedingten  nebenreimes  zu  bestimmen.  Nur  dies 
kann  man  sagen,  dass  die  häufigkeit  der  kreuzungen  (nach 
aus  weis  der  tabelle)  viel  geringer  sein  würde,  als  man  bisher 
geglaubt  hat,   wenn  die  dichter  nicht  darauf  geacJitet  hätten. 

335.  Allerdings  ist  Frucht  bei  den  ergebnissen  seiner  be- 
rechnung  nicht  stehen  geblieben.  Er  hat  auch  andere  gründe 
theoretischer  natur  herangezogen,  indem  er  ausführt,  man 
hätte  die  secundäre  all.  in  versen  von  bestimmtem  Charakter 
erwarten  sollen,  falls  sie  absichtlich  wäre.  Er  beruft  sich 
nämlich  auf  die  bekannte  regel,  dass  doppelall.  stetig  zunehme 
mit  der  wachsenden  füllung  des  ersten  halbverses,  mag  diese 
nun  aus  vielen  leichten  oder  aber  aus  wenigen  schweren  silben 
bestehen.  Wir  finden  z.b.,  dass  die  doppelall.  bei  den  A  häufiger 
angewendet  wird,  wenn  die  innere  Senkung  anschwillt;  und 
auf  der  anderen  seite  finden  wir  doppelall.  fast  ausnahmslos 
bei  einem  'schweren'  typus  wie  A2.  Nun  sagt  Frucht,  eine 
bewusste  kreuzung  der  all.  müsse  unter  ähnlichen  bedingungen 
vorkommen,  d.  h.  sie  würde  am  häufigsten  in  sog.  schweren 
versen  begegnen.  Da  er  aber  die  kreuzung  nicht  einmal  vor- 
wiegend in  solchen  versen  findet,  erklärt  er  sie  für  zufällig. 
Dabei  verwechselt  er  aber  offenbar  zwei  ganz  verschiedene 
dinge,  nämlich  kreuzalliteration  und  doppelalliteration.  Auch 
haben  wir  bereits  den  versuch  gemacht,  zu  zeigen,  dass  die 
'schwere'  des  verses  an  und  für  sich  mit  der  anwendung  der 
doppelall.  nichts  zu  tun  hat,  da  sich  ergab,  dass  nur  musika- 
lische Verhältnisse  massgebend  sind,  und  nicht  dvnamische. 
Gleichton  der  beiden  hebungen  fordert  gleichmässige  mar- 
kierung  durch  den  Stabreim;  aber  es  wäre  nicht  einzusehen, 
wie  die  'schwere'  eines  ersten  halbverses  doppelte  reimver- 
bindung  mit  dem  zweiten  halbvers  fordern  sollte. 

836.  Endlich  darf  noch  erwähnt  werden,  dass  die  Wahr- 
scheinlichkeitsrechnung auch  insofern  unergiebig  ist,  als  die 
tatsächliche  häufigkeit  der  gekreuzten  all.,  wie  ich  sie  oben 
festgestellt  habe,  die  er  Wartung  übersteigt.  Ich  hatte  schon 
oben  betont,  dass  ki'euzalliteration   als  blosses  zufallsproduct 


ZUR   LEHKE    VON   DER   ALLITERATION.  175 

wol  weniger  häufig  zu  erwarten  sein  würde,  als  man  bisher 
geghiuLt  hat.  ^Yir  finden  aber,  dass  auch  das  Verhältnis  von 
1  :  18  in  den  meisten  fällen  übertroffen  wird,  wie  aus  folgender 
tabelle  erhellt.  In  einigen  kleineren  gedichten  fand  sich  sogar 
ein  beispiel  von  kreuzalliteration  auf  je  7 — 8  verse. 

Gedicht ')  abab        baab 

Crist  A 10  8 

Guthlac  A     ....  13  — 

Juliana 13  16 

Elene 13  24 

Guthlac  B     ....  13  23 

Phönix 13  7 

Crist  B 15  12 

Beowulf 15  11 

Genesis  A      ....  15  18 

Daniel 15  12 

Andreas 16  14 

Heliand 22  (?)      23 

Genesis  B      ....  25  44 

Exodus 30  10 

337.  Aus  diesen  erwägungen  und  tatsachen  erhellt  zur 
genüge,  dass  man  sich  mit  den  bisherigen  anschauungen  über 
die  gekreuzte  alliteration  nicht  zufrieden  geben  kann. 

338.  Einen  besseren  anhaltspunkt  für  eine  theorie  dieser 
erscheinung  gewähren  wider  die  musikalischen  Verhältnisse. 
Wie  oben  ausgeführt,  nehmen  nur  führton  und  nahton  an  der 
gewöhnlichen  all.  teil,  indem  meist  führton  (aber  auch  bis- 
weilen nahton)  mit  führton  reimt.  Für  die  verse  mit  kreuzung 
muss  analoges  gelten;  aber  das  Schema  wird  dadurch  erweitert, 
dass  hier  regelrecht  nahton  mit  nahton  reimt,  und  es  ist  mir 
wahrscheinlich,  dass  in  einer  reihe  von  fällen  sogar  fernton 
mit  nahton  reimt.  Die  belege  für  kreuzung  aus  dem  Beowulf 
habe  ich  bereits  angeführt,  mit  bezeichnung  der  tonhöhen. 
Eine  Zusammenstellung  gibt  folgende  zahlen: 

')  Die  zahlen  geben  an,  auf  wie  viel  verse  mit  einf.  all.  im  durch- 
schnitt ein  vers  mit  kreuzalliteration  entfällt.  Beim  Heliand  habe  ich  ein 
f ragezeichen  gesetzt,  weil  bei  Kauffmann  (Beitr.  12,  283  ff.)  die  zahlen  für 
den  Hei.  nicht  stimmen:  sie  machen  nur  rund  5500  verse  aus.  Wenn  die 
übrigen  verse,  wie  mir  wahrscheinlich  ist,  zu  denjenigen  mit  einf.  all.  ge- 
hören, so  ist  die  häufigkeit  der  gekreuzten  all,  wie  sie  in  der  tabelle 
steht;  andernfalls  hätten  wir  eine  kreuzung  auf  je  19  verse. 


176  MORGAN 

a)  Gleiclitou  beider  halbzeilen:  1131.  2615.  —  b)  Gleichton 
im  ersten  halbvers,  nahtoii*)  im  zweiten:  1.  653.  1175.  1611.  2745. 
—  c)  Naliton  in  beiden  hälften:  32.  4.  9.  88.  365.  74.  97.  418.  525. 
66.  89.  91.  699.  730.  79-  803.  29.  907.  19.  71.  1016.  1140.  82.  4.  1203.  62. 
1301.  14.  41.  2.  1403.  43.  5.  88.  1573.  1728.  32.  1849.  1910.  33.  7.  68.  2020. 
30.  91.  2158.  62.  70.  81.  2224.  35.  61.  7.  2337.  97.  2465.  79.  2567.  2875. 
2970.  3074.  3164.  80.  Dazu  2  verse,  die  im  ersten  halbvers  einfache  Wörter 
haben:  1804.  2435  (65 mal).  —  d)  Nahton  in  der  ersten  halbzeile, 
ferntou  in  der  zweiten:  19.  98.  201.9.82.  343.  1824.  1939.  2066.  2186. 
2515.  2726.  2954.  98.  3162.  Dazu  mit  einfachen  Wörtern:  64.  2637 
(17  mal).  —  e)  Fernton  in  der  ersten  halbzeile:  355.  535.  813.  1406. 
82.  1535.  1652.  1721.  1826.  36.  92.  2053.  2377.  85.  2406.  2669.  2907.  3058. 
06.  81.  9  (2  t  mal). 

339.  Wol  sicher  beabsichtigt  ist  der  reim  bei  a — c.  Bei 
a  und  b  ist  es  sogar  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  nebenreim 
eine  art  ersatz  für  die  zu  erwartende  doppelalliteration  bietet. 
Bei  c  liegen  die  Verhältnisse  so,  dass  führton  mit  führton, 
nahton  mit  nahton  reimt.  Wol  als  unbeabsichtigt  zu  be- 
trachten ist  dagegen  der  reim  bei  den  zwei  einfachen  Wörtern, 
desgl.  bei  den  versen,  wo  die  nahtöne  der  zwei  vershälften 
nicht  beide  'gehoben'  oder  'gesenkt'  sind:  730.  1937.  8074. 
Dasselbe  gilt  von  den  versen,  die  im  ersten  halbvers  fernton 
zeigen:  es  sind  hauptsächlich  A3 -verse.  Bei  allen  belegen 
entzieht  sich  die  ferntonige  hebung  (die  auch  keinen  beson- 
deren nachdruck  erhält)  fast  ganz  der  aufmerksamkeit  des 
hörers,  ausser  vielleicht  bei  Beoivulfe  2907.  3066. 

340.  Dagegen  m(3chte  ich  die  kreuzungen  der  klasse  d 
als  beabsichtigt  ansehen.  Der  fernton  im  zweiten  halbvers 
ist  in  fast  allen  fällen  durch  stärkere  interpunction  hervor- 
gerufen, und  die  Wörter  selbst,  die  ihn  tragen,  sind  recht 
kräftig.  Und  wenn  bei  doppelall.  nahton  mit  führton  reimen 
kann,  so  wäre  es  nicht  auffallend,  wenn  auch  ein  nebenreim 
nah-  und  fernton  binden  könnte.  Ausschliessen  würde  ich  nur 
JjysUcu  2637;  bei  Hro])gare  64  höre  ich  dagegen  den  reim 
noch  deutlich. 

341.  Danach  haben  wir  also  im  Beowulf  86  fälle  bewusster 
geki'euzter  all.  anzuerkennen. 


^)  Da  jede  halbzeile  einen  führten  haben  muss,  so  genügt  es,  bloss 
den  ausweichton  zu  bestimmen. 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  177 

34:ti.  Im  Hell  and  liegen  die  Verhältnisse  nicht  unwesent- 
lich anders,   weil  die  tonfolgen   überwiegend  einen   anderen 

Charakter  tragen   als   im   Beowulf.     Die   belege   für   kreuz- 
alliteration  sind  zuncächst: 

20    that  sia  H-ord  go'.Hes  toi-seau  Z>igu;nuuii, 

19  iu-cas  endi  Jo:hannes;            sia  warun  go'Ae  /ie;ba, 

41  hvmW  eudi  e-rda            endi  al  that  sea  t)i/tli-dau  e;g\m 

44  hnilic  thau  ?iu'dsceipi            /a-ndes  sco,ldi 

58  /ie'liiig'i<ro:steon:            saton  ira  he'nto'.gon 

146  than  ?t;a,run  wit  nu  atsa-mna            antsi-bunta  wiintro 

163  seibo  giidirkeau,            of  he  so-  iüe;ldi. 

169  hebbeaii  tbinaro  sfe-mna  gi?raild:     ui  tharft  thu  stxvm  we,san  (?) 

182  »ia-hor  «ü;kilu:            was  im  »du'd  «äikil 

225  tho  sprac  eft  the  fro"do  ?>iafn,    the  thar  Consta  fv\o  w?a;hlian : 

226  ni  ^i;bu  ic  that  te  ra-de  (quad  he)    ri-nco  ne^reiuuu, 

227  that  he  word  goiäes  ?ce-ndean  bir/i:nna; 
254  Jo'seph  giHia;hlit,            (/o'des  cunnies  »lain, 

308  so  7tui,lik  so  thar  an  «-nreht  rdis  gi/äiwida, 

309  that  siu  simbla  thaua  Z^e-dsA-eipi  iu'ggean  sco,kla, 
335  al  te  7ai-ldi  r/oides            /ie'lagna  ^eiat, 

417  suido  7ve-rdl\'.co  jücrduu  ?o;boduu: 

418  rfiurida  si'  nu  (quadnn  sie)  c?ro-htine  se;lbun 
481  <jfeTno  Z^iiddean,            nu  ic  sus  gi^fa^malod  Z>iu;m, 
573  /iwa,ud  im  habde  forZi-wau            /iu"dio  /teirro, 
591  uudartuisc  e'rda  eudi  /jimil            o'dar  /aieirigin, 
686  7«o-dagna  cu,uing.            tho  ward  »«OTgan  cuiman 
756  an  ^'-gypteo  ?aind            erlös  ant?e;ddun, 

817  bihwi  gio  so  M'ndisc  ??!a!u            sulica  gui'di  ?Ha;hti 

885  that  gi  thurh  min  Aandgiifeirc           /du-ttra  ?üe;rdan 

1010  go-ies  egan  ftairu,            ^u'mouo  &e;zto, 

1030  ioe,\i?i  is  thar  latan  co'ston            cra-ftiga  i(;i;hti, 

1046  them  he  J.(?aiman            an  erfZa:gun 

1058  forutar  /«a'ucunnies  ?t'iiht            j?;a-htig  i<;a;ri, 

1065  he/twii  ni  hetis  thu  than  ?i-e-rdan,            ef  thu  giwa-ld  /(a;be8, 

1068  ni  mugun  e-ldi&airn  (quad  he)            e'nfaldes  &ro:des 

1079  that  he  umbi  is  cra'ft  wäikil            co'ston  7Ho;8ti, 

1198  fZiu-rie  /«eidmos,            endi  ward  im  uses  dro-htines  w?a;n; 

1226  tbie  ira  rrlaHfoisnie            a-rmun  «ia;nuun 

1379  wirdid  adlun  th&'.n            rrmin/7fio;dun, 

1464  ftaTno  ge/mülicum,      that  gi  ne  mugun  mid  giiodgono  7iU;gi 

1697  that  hi  wnreht  gimeit            o"drumu  >«a;uue 

1725  the  iuwa  /(edag  ?t'o:rd            Äo-reau  ne  «'i;llead, 

1747  that  the  godo  boim           gwaxono  iia;rnuu 


1)  Nach  der  herstellung  von  Sievers. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  j^2 


178  MORGAN 

1785  an  that  e'wiga  /iif  erlös  Ze,dea. 

1819  an  sa-nde  wiili  se'lilius  tt'i;rkean, 

1885  hebbead  wid  ctIo  ge/tueine  cnfaldan  7iu;gi, 

1917  tliea  williad  alloro  da-go  ge/niiilikes  te  f?ro-litine  7mi;gan, 

1929  than  gi  Zidan  scn;lun  aftar  tliesumu  Zands/ceipea, 

1957  so  /mei  so  in  tban  ant/a-bit  thurb  /e'rhtan  /iu;gi, 

2003  gi&'-G  hi  tbar  gecu'dde,  tbat  bi  babda  cra-ft  go-Äes, 

2072  obar  (^a-lileo  Za;ud  Jii'deo  ?in;diun, 

2073  huo  tbar  selbe  gedeida  sunu  f?ro;btines 
2075  tbero  tbe  hi  tbar  au  6ra-li?e:a  Ju-deo  Ziuideon, 

2099  fro-  min  tbe  go'.do.        tbo  sprac  im  eft  tbat  /ri'dabaru  ryo;des 

2253  te  /Uli:  sind  gi  so  /brbta?  (tiuatbie).       uis  in  uob  /a"st  /ui;gi, 

2278  /le-laudeo  Cri'st,  ef  be  te  is  /ta-ndun  ^naim, 

2287  tbat  he  a-loiüa'ldo  «-lies  ?üa;ri, 

2388  huat,  ik  in  se-ggeau  m&ig  (quad  be)  gesidos  }?ii;ne, 

2i90  ^u-mouo  ge/aii;licnmu,  so  uis  r/o'ldes  /eoird 

2532  that  it  bi/iaddan  mu'.gi  7teTta  thes  ?Ha;uues, 

2573  Zaiton  it  thar  /tadoiau  /te-ta  lo;gua, 

2598  ^rbiles  endi  r/o;des.  tban  gaugad  e-ngilos  ^oides, 

2726  «;i;ssuu  iua  so  ^o-deu  endi  fyo'de  u-eirden, 

2758  »ikeas  miiues,         thob  gidon  ik,  tbat  it  enig  rinko  ui  «Ja;g 

2783  thes  thio-ägiV.mon  endi  it  tbar  tberu  t/tioTuun  far(/a;f, 

2829  that  sie  thurb  j«e"ti/oisi  wä-ua  farZa;tan 

2868  ftro'des  te  leihn,  tbat  man  Z>i-rilos  gi?a;s 

2912  thera  «a'btes  cuimau  —  «e-riendo  Criist 

2980  //ia,t  sie  simla  ge-rno  go'de  i7tio;uodin, 

3150  au  minun  /ni"gis/i-e:ftinu.  tbemu  gi  /iorien  scu,lun, 

3171  cft  au  G^a'lileo  /a:nd,  sobte  is  (/a'du/i,ngos, 

3189  tbero  /tobidscaitto,  tbe  sie  te  tbemu  hohe  sco,ldin, 

3244  Ze'dwerk  gicZualn,  Zeo'bo  fZro;btiu, 

3254  tbat  tbu  niiues  /ä'^ciiskes  Aerost  ?ra,ris, 

3260  habde  imu  o-diveilon  adieu  geit'U;uneu, 

3269  tbat  thu  m&'n  ui  slaih,  ui  thu  ?He-nes  ui  sneiri, 

3412  quad  tbat  imu  eu  salig  ^uimo  sa-muou  bi(jfu;nui 

3422  an  tbie  elliftuu  ii,d.  thuo  geug  tbar  «•band  tnoi , 

3520  /o'ward  tt-a,run :     thes  ui  mag  euig  /uedio  jre;rden  (quad  he), 

3655  tbe  tbar  bi  üie-ricboT/uirg  te  tbemu  ^o'des  ha,;vne 

3692  thea  lüurdegisZ-eifti,  tbe  tbi  noh  gijüeTdeu  scu,lnn, 

3815  sie  ?feilduü  tbat  be  it  ant^-ua'di :    than  mähte  be  thob  antZre^n- 

3827  sie  /]fua:dun  tbat  it  tva,-n  ?reTold^'e;sures  [uien  tveil 

3907  au  thene  wih  eiuuan:  buarf  ina  zuerod  «,mbi, 

3981  /ua*  wa'.ht  endi  dagas.  thiu  tri  was  thuo  gena;hit, 

3993  T/iUomas  giwfadda  (was  im  gi^/nvngan  m&inn, 

4085  au  tbemu  erd(/ra,be.  «udwordi  gaif 

4099  an  thene  Zic/<a;mou:  he  bigan  is  Zidi  /iroirien, 

4112  e'ndi  sie  bidu  Ibun  diapo  uudar  e;rdu 

4157  than  al  thit  ?iud2/je;rod  farZoreu  weivde. 


ZUR   I>EHRE    VON   DER   ALLITERATION.  179 

4362  so  samo  so  thiu  /lo-d  rfeicla  an  /u-rn(7a;gun, 

4368  urabi  »S'odomo  W.nä  suart  /o;gna  bifeng 

4570  he-lag  rZroihtin,  so  ward  imii  is  /mgi  (/ro;bi, 

4639  eudi  min  //lo'd  so  sa;iue:  gib«  ik  iu  ber  /jcdiu  saiinad 

4846  selbou  /te;tid.  ina  quaiuuu  wi  so-keau  he'.rod, 

4852  alle  e'fno  sain,  erde  gisü;btiin, 

4898  he  sniltit  imu  eift  sue'rdes  e;ggiuu, 

4902  7;o-bidiru:ndon,  tliat  siu  san  gi/ie'lid  wa^rd, 

4905  ef  gi  mi  /e'des  jciibt  ?e-stien  «reddun, 

4957  JHa-gad  un«;a;nlic:     buat,  tliu  mabtis  ma-n  2ve'.äa,n  (quad  siu), 

4961  5ua;d  that  he  thes  «i'ibes  it'oid  ni  bi/.oiusti 

4979  so  it  the  giHjaTcoide,  the  wa"n/ai;nuies 

5009  that  io  ?/ta'nues  sxiimx  me-r  gisa;hi 

5036  th{i;t  mau  ina  a?a-te  fe'des  tläinges, 

5157  /tua;t  he  wid  is  /radiou  ge/'ru'mid  /ia;bdi: 

5234  obar  /tlu-st  »ni;kil,  that  he  an  themu  /^afton  maiui) 

5236  for  themu  /'odcs^-eipi,  so  he  wari  bis  /e-rbes  sco;lo, 

5334  that  man  sulica  /iriu2ui;di  /'e'rabu  copo. 

5342  /nia,t  bist  thu  ma'nno?  (quathie)    te  hui  thu  mi  so  thinan  mxio-d 

5462  an  them  sie-aive;ge,  thar  thiu  sh-a-ta  iva's  [/tidis, 

5770  that  thar  ward  thie  gest  cu;man  be  ^O'des  craifte, 

5787  that  sia  thena  Zi'c/ia'mou  Zio'bes  /te;rreu, 

5821  Judeo  Ziuidi  endi  an  gr&'i  Za;gdun 

343.  Eine  Zusammenstellung  der  verse  nacli  den  ton- 
verhältnissen  gibt  folgende  reihen: 

a)  Gleichton  im  ersten  halbvers,  nahton  im  zweiten:  41. 
591.2287. —  b)  Nahton  im  ersten  halbvers,  gleichton  im  zweiten: 
5334.  —  c)  Nahton  in  beiden  hälften:  2.  19.  44.  58.  163.  9.  82.  225. 
6.  7.  254.  335.  417.  8.  81.  686.  756.  817.  85.  1010.  46.  58.  68.  79.  1198. 
1226.  1379.  1464.  1697.  1725.  47.  1819.  85.  1917.  29.  57.  2003.  72.  3.  5.  99. 
2253.  78.  2388.  2490.  2532.  73.  98.  2758.  83.  2829.  68.  2912.  3244.  60.  9. 
3412.  22.  3655.  3815.  3827.  3907.  81.  93.  4085.  99.  4157.  4362.  68.  4570. 
4639.  4846.  52.  98.  4902.  5.  37.  61.  79.  5009.  5234.  6.  5462.  5770.  87.  5821. 
—  d)  Nahtou  +  ferntou:  309.  1785.  3171.  89.  3524.  3692.  —  e)  Fernton 
in  erster  halbzeile:  146.  308.  573.  1030.  65.  2726.  2980.  3150.  3520. 
4112.  5036.  5157.  5342. 

344.  Man  sieht,  dass  die  klassenverteilung  ungefähr  die- 
selbe ist  wie  im  Beowulf.  Es  ist  jedoch  hier  schwieriger  als 
dort,  die  bewussten  kreuzungen  auszusondern.  Ich  habe  die 
empfindung,  als  spiele  die  yersmelodie  im  Heliand  nicht  ganz 


')  Die  lesart  des  Cott.   ist  hier  vorzuziehen;   bei  Behaghel  ist  keine 
Variante  angegeben,  und  manne  gedruckt. 

12* 


180  MORGAN 

dieselbe  rolle  wie  im  Beowulf.  Durch  das  bedeutende  an- 
scliwellen  der  as.  verse  wird  es  nötig",  die  hebungen  mit  sehr 
grossem  nachdruck  auszusprechen,  um  sie  von  den  Senkungen 
deutlich  zu  unterscheiden;  und  dadurch  kommt  dort  dem  rein 
emphatischen  mehr  bedeutung  für  den  Vortrag  zu.  Das  ergibt 
dann  misch  Verhältnisse,  indem  bald  das  melodische,  bald  das 
emphatische  die  hauptrolle  spielt. 

345.  Wenn  wir  aber  auch  die  versmelodie  der  beiden 
dichtungen  an  und  für  sich  betrachten,  so  ergeben  sich  auf- 
fällige Verschiedenheiten.  Gleich  der  grössere  umfang  der 
klasse  c  im  Heiland  weist  darauf  hin,  dass  der  musikalische 
abstand  zwischen  hebung  und  hebung  im  allgemeinen  im  Hei. 
nicht  so  gross  ist  als  im  Beowulf.  Dazu  kommt  noch  ein 
zweiter  punkt.  Wir  hatten  schon  beim  Beow.  (vgl.  oben  339) 
die  kreuzungen  als  unbeabsichtigt  angesehen,  wo  die  nahtöne 
der  beiden  vershälften  nicht  dasselbe  Verhältnis  zum  führton 
zeigten;  wir  fanden  indessen  nur  drei  fälle  dieser  art.  Im 
Heliand  ist  nun  dieser  typus  geradezu  als  der  normale  zu  be- 
zeichnen, und  somit  werden  wir  die  hauptmasse  der  fälle  von 
klasse  c  als  zufällig  betrachten  müssen  (was  sich  mit  der  ge- 
ringen häufigkeit  der  belege  im  Heliand  sehr  gut  verträgt). 
Auch  die  belege  von  klasse  d  erweisen  sich  vermutlich  dadurch 
als  zufällig,  dass  der  nahton  stets  gehoben,  der  fern  ton  stets 
gesenkt  ist;  so  werden  die  abstände  so  gross,  dass  eine  reim- 
beziehuug  kaum  anzunehmen  wäre. 

346.  Demnach  haben  wir  von  bewussteu  fällen  von  kreuz- 
alliteration  im  Heliand  nur  folgende  verse:  19.  41.  227.  335. 
591.  2278.  2287.  2912.  3269.  3815.  3827.  5234.  Zusammen 
12  belege. 

347.  Es  bleibt  nur  übrig,  die  verse  mit  gekreuzter  alli- 
teration  aus  der  as.  Genesis  anzuführen: 


65  that  thu  ml  aZatas  Zedas  f/tingas 

129  botan  that  iro  en  Mbda  erlas  gi/tugdi, 

153  «ialitig  drohtin,  wand  sia  »«en  dribun 

263  gfuodas  gi2(;unnan:  he  was  ^ode  wiidig. 

268  thuo  te  sedla  hneg  sunua  thiu  /iwita, 

287  an  allara  selida  gihwem  ?<htfugal  sang  (?) 

302  «ntat  sea  ina  gi^rabtun  bi  thera  hnrug  ut&u. 

313  rokos  gi/ullit,  ward  tbar  fau  radura  so  filu 


ZUR  LEHRE  VON  DER  ALLITERATION.  181 

348.  Yen  diesen  sind  wol  nnr  die  zwei  baab:  65.  302 
als  nnbeabsiclitig't  anzusehen;  wir  haben  sogar  zweimal  gleich- 
tun im  ersten  halbvers:  153.  287,  und  auch  die  anderen  belege 
sind  deutlich.  Die  häufigkeit  der  abab  ist  1  :  15,  zeig-t  also 
eine  starke  abweichung*  A^om  Heiland. 


An  dieser  stelle  möchte  ich  noch  meinem  verehrten  lehrer, 
herrn  professor  Sievers,  meinen  wärmsten  dank  aussprechen 
sowol  für  zalillose  anregungen  und  ratschlage,  wie  auch  für 
eine  hilfsbereitschaft  in  Worten  und  taten,  ohne  welclie  diese 
arbeit  niemals  zur  Vollendung  gekommen  wäre.  Auch  herrn 
W.  Jahr  bin  ich  für  manchen  besserungsvorschlag,  sowie  für 
seine  freundlichen  bemühungen  um  den  sprachlichen  ausdruck 
der  arbeit  zu  grossem  dank  verpflichtet. 

[S.  112,21  v.u.  lies  37  für  32;  ebda.  20  v.u.  383  für  382-1 
LEIPZIG.  B.  Q.  MORGAN. 


ETYMOLOGICA. 

1.  Bösian.  Ags.  högian 'sich  mhmen'  {S.smg.höd,h6^ad 
Sievers,  Ags.  gramm.^  s.  250)  ist  wol  sicher  mit  mnl.  hem  bogen, 
Hill,  bogen  'sich  rühmen'  verwaiit  (vgl.  J.  W.  Muller,  AVoorden- 
boek  der  Nederlandsche  taal  3,250).  Wäre  das  o  von  bogen 
ursprünglich,  so  hätte  man  für  das  angelsächsische  notwendig 
kürze  des  o  anzunehmen  und  böÖ  zunächst  aus  ^bo^ö  zu  er- 
klären, welchenfalls  man  das  später  auftretende  bojo^  (dann 
mit  o)  als  die  alte  regelrechte  form  betrachten  könnte.  Aber 
das  0  von  nl.  bogen  wird  auf  grund  des  mnl.  Substantivs  baech 
als  dialektischer  Vertreter  eines  wgerm.  ä  aufgefasst,  indem 
man  das  wort  in  die  sippe  von  ahd.  bagan  'streiten'  (Schade 
s.  36)  hineinzieht.  Ist  diese  auffassung  richtig,  so  bleibt  uns 
nur  übrig,  ags.  bögian  mit  wgerm.  ö  als  eine  ablautsbildung 
zu  bägan  zu  betrachten. 

2.  Cneo{ris).  Ags.  cneo(ris)  'generation,  verwantschafts- 
grad,  geschlecht'  ist  nicht  mit  Kluge  (Beitr.  8,  527  f.)  von  cneo 
'knie'  zu  trennen,  denn  die  nähe  der  verwantschaft  wurde 
nach  'knien'  oder  'gliedern'  berechnet  (s.  von  Amira,  Pauls 
Grundr.  3-,  156).  Ein  ähnlicher  fall  ist  russ.  koUno,  das  eben- 
falls die  bedeutungen  'knie'  und  'geschlecht'  in  sich  vereinigt 
(unrichtig  über  koUno  'geschlecht'  Fick  1^,  26). 

3.  De  all.  Vor  einigen  jähren  habe  ich  ags.  deall  'leuch- 
tend, stolz,  prunkend'  zu  gr.  d-aXXco  gestellt  (Beitr.  26,  568  f.), 
was  ich  auch  jetzt  noch  für  richtig  halte.  Für  meine  annähme 
dürfte  auch  sprechen,  dass  Holthausen  neuerdings  (IF.  20, 317) 
dieselbe  etymologie  vorgeschlagen  hat,  ohne  von  meinem  Vor- 
gang zu  wissen. 

4r.  Drän.  Ags.  dran,  engl.  dro7ie  'dröhne'  mit  urgerm.  ai 
könnte  sich  zunächst  bei  nl.  dreincn  'anhaltend  weinerlich  tun 
(von  kindern)'  anschliesseu.    Vgl.  Wiedemann,  BB.  28,  57  und 


ETYMOLOGICA.  183 

van  Zandt  Corteh'ou,  Die  altenglisclien  namen   der  insecteu, 
spinnen-  nnd  krnstentiere  s.  32  ff. 

5.  Eorl.  Ags.  ßörZ,  as.  erZ,  Bn.jarl  {erilan)  hat  seit  alter 
zeit  den  adligen  mann  im  gegensatz  znm  gemeinen  mann  be- 
zeichnet (s.  von  Amira,  Panls  Gruudr.  3  2, 130).  Könnte  es  ähn- 
lich wie  'dn.  ja  flirr  'fürst'  {:  Sigs.  eofor,  ahd.  ehur  'eher')  ur- 
sprünglich eine  kenning  sein  und  in  die  sippe  von  got.  ara 
'adler'  gehören?  Vgl.  insbesondere  lit,  erelis  (arelis),  aksl. 
orilä.  Was  den  vocal  der  Wurzelsilbe  betrifft,  verhalten  corl, 
erl,  jarl  {erilaR)  und  lit.  erelis  sich  zu  aksl.  orXlü  wie  ags. 
ceorl,  nl.  herel  zu  ahd.  haral,  an.  liarl.  Auch  mir.  üar,  cymr. 
eryr  und  corn.  bret.  er  haben  idg.  e  (Stokes,  Urkelt.  Sprach- 
schatz s.  39).  Innerhalb  des  angelsächsischen  wäre  eorl  mit 
earn  verwant.    Anders  über  eorl  R.  Trautmann,  BB.  29,  309. 

6.  Fce^e.  Zur  stütze  der  Grimmschen  gleichung  ags.  fces^, 
an.  feigr,  ahd.  feigi  "dem  tode  verfallen'  :  lit.  pcülias  'dumm' 
(vgl.  Beitr.  30, 275  f.)  habe  ich  folgende  stellen  aus  der  indischen 
literatur  verzeichnet,  welche  sich  gewiss  leicht  vermehren 
Hessen:  Räm.  2,  106,  13  antalüle  lii  hhntäni  muhyanttti  purä 
gnäih.  Mbh.  2,  76,  5  präyah  sdmäsamia2)artlbJiaiTmä)>t  |  dhiyo 
vixmryastatarä  hhavanti.  Mbh.  2,  81,  8 — 11  yasmäi  deväh 
prayacchanti  imrushäya  imräWiavam  \  huddhwi  tasyäpalcar- 
slianii  so  'väcmäni  paryati  ||  buddhäu  JcalushahJiUtäyam  vinäge 
samupastlilte  \  anayo  nayasaifiJiägo  hrdayän  näpasarpati  \\ 
anarthägcärthariipena  arthägcänartharrqnnah  \  uttishßianU  vinä- 
Qäya  nUnani  taccäsya  rocate  ||  na  kälo  dandam  udyamya  girah 
lirntati  kasyacit  \  Jiälasya  halam  etävad  viparitärthadarganain. 
Panc.  2, 172  Jcrtäntapägdbaddhänüm  däivopaliatacdasäiH  \  hiid- 
dliayah  hthjagänimyo  hhavanti  mahatäm  api 

7.  Fröfor.  Ags.  fröfor,  as.  frü^ra,  ahd.  fluohara  'trost' 
enthält  vielleicht  idg.  *2>ro 'vorwärts'  (s.  Delbrück,  Vgl.  syutax 
1,716  ff.)  und  hat  dann  ursprünglich 'förderung'  bedeutet.  Ist 
die  grundform  etwa  *pro-Öp)-rä  und  gehört  das  wort  zur  wz. 
*up)-  'arbeiten'  oder  haben  Avir  eher  von  "^pro-hhr-ä  auszugehen, 
das  sich  zur  wz.  *b]ier-  'tragen'  stellen  würde?  Auch  an  die 
aind.  wz.  äp-  könnte  mau  denken,  wenn  deren  bedeutung  nicht 
zu  fern  läge.  Ueber  eine  ältere  etj'mologie  von  fröfor  ( :  got. 
prafsfjan)  s.  Beitr.  30,  316. 

8.  s^ac.    Meillet  (MSL.  12, 213  ff.)   stellt  ags.  6eac,  ahd. 


184  UIILENBECK 

gouh,  an.  gauJcr  'kuckuck'  zu  lit.  geguze,  lett,  dzeguse,  apr. 
gcguse,  slav.  ^zegüzulja  (vgl.  Miklosicli  s.  407),  indem  er  lit. 
ge-,  slav.  ze-  als  reduplication  und  lit.  -gid-,  slav.  -güz-  als 
Wurzelsilbe  betrachtet.  Aber  es  liegt  doch  gewiss  viel  näher, 
das  baltische  wort  als  ein  mit  -uze  gebildetes  deminutivum 
aufzufassen,  denn  neben  geguze  stehen  ja  gegüte,  gegelc  und 
ohne  deminutivendung  gcga,  gege.  Dass  auch  das  slavische 
ehemals  eine  mit  lit.  -2(ze  correspondierende  deminutivbildung 
besessen  hat,  dürfte  aus  dem  vereinzelten  *zegüzulja  zu  folgern 
sein.  Jedenfalls  mit  recht  hat  E.  van  der  Meulen  (Leidener 
doctorthese  13.  juni  1907)  gegen  Meillets  auffassung  von  geguze 
einsprach  erhoben.  Meillet  vergleicht  ferner  noch  lit.  guzutys 
'storch',  das  aber  eher  auf  idg.  ^geug-  beruht  (s.  Liden,  Upp- 
salastudier  s.  92  f.).  Ich  sehe  keinen  grund  dazu,  meine  erklä- 
rung  von  ^gaulia-  aus  ^ga-müm-  (Ark.  f.  nord.  fil.  15,  151  ff.) 
aufzugeben.  Früher  hatte  ich  an  eine  bildung  mit  gebrochener 
reduplication  zu  einer  onomatopoetischen  wurzel  gedacht  (vgl. 
Tijdschr.  v.  Ned.  taal-  en  letterk.  11, 129).  Noch  anders  Jordan, 
Eigentümlichkeiten  des  anglischen  Wortschatzes  s.  29.  Bugges 
etjmiologie  (Beitr.  12, 424  ff.)  muss  als  veraltet  gelten. 

9,  J^ielpan.  Zupitza  (Germ.  gutt.  s.  173)  hat  die  sippe 
von  ags.  ^ielj)an  'sich  rühmen'  (s.  Schade  unter  gcdf,  galpön, 
gelfeti,  geliih)  mit  aind.  pragalhlid-  'mutig,  zuversichtlich,  ent- 
schlossen' verbunden.  Ich  halte  dies  jetzt  nicht  mehr  für 
richtig,  denn  mit  rücksicht  auf  die  bedeutungsentwicklung  von 
lat.  irraesumere,  praesumptio  möchte  ich  pragalhhd-,  wozu  das 
verbum  pragalhhaie  wol  erst  später  gebildet  wurde,  mit  l  aus 
r  zu  grhhitäi  stellen.  Auch  lautlich  stimmt  aind.  galbh-  nur 
unvollkommen  zu  germ.  gelp-,  sodass  man  die  gleichung  nicht 
ungern  aufgeben  wird.  Germ,  gel])-  hat  gewiss  ursprünglich 
Schallbedeutung. 

10.  Ides.  Man  hat  öfters  versucht,  ags.  ides,  as.  idis,  alid. 
idis,  itis  'menschliche  oder  übermenschliche  frau  oder  Jungfrau' 
mit  an.  dis  als  verwant  zu  erweisen,  doch  leider  mit  nicht 
viel  glück.  Was  dis  betrifft,  hat  Kögel  (Beitr.  16,  502  ff.)  wol 
das  richtige  getroffen,  indem  er  an  got.  flliideisei  anknüpft, 
aber  die  erklärung  von  idis  mit  seinen  beiden  kurzen  i  ist 
ihm  ebensowenig  gelungen  wie  Jostes  (IF.  2, 197  f.).  Sind  dis 
und  idis  vielleicht  von  einander  zu  trennen  und  haben  wir 


ETYMOLOGICA.  185 

bei  dem  wgerm.  worte  etwa  von  einer  älteren  bedeutung 
Svaldnymplie'  auszugehen?  Auf  diese  Vermutung  führt  aind. 
atasd-  'gebüsch,  gestrüpp'.  Idis  kann  nämlich  aus  *etesi-  ent- 
standen sein,  während  atasd-  sich  auf  "^etcsö-  zurückführen 
lässt.  Aber  dürfen  wir  *etesf  als  secundäre  ableitung  von 
*etes6-  auffassen?  Da  erwarten  wir  doch  eher  ^etesid.  Viel- 
leicht gelingt  es  einem  andern,  die  Schwierigkeit  zu  beseitigen. 
Wenn  wir  aber  für  idis  eine  grundform  ctesi-  annehmen,  so  ist 
vielleicht  noch  eine  andere  möglichkeit  der  erklärung  vor- 
handen, denn  auch  aind.  atasi-  (Rv.  8,  3, 13),  das  meist  als 
nomen  agentis  zu  dtati  'wandert'  aufgefasst  wird,  geht  auf 
eine  gleichlautende  grundform  zurück.  Doch  wäre  'die  wan- 
dernde, unstäte'  wol  eine  zu  blasse  benennung  für  die  nymphen- 
artigen idisi.  Von  Grienbergers  behandlung  des  Wortes  (Zs. 
fdph.  27, 441  f.)  ist  mir  augenblicklich  nicht  zugänglich:  aus 
Mogk  (Pauls  Grundr.  32,270)  ersehe  ich,  dass  er  idis  als  'die 
hin-  und  hergehende'  auffasst. ') 

11.  3Ietan.  Ich  stelle  ags.  mctan  'pingere'  aus  ^möijan 
als  causativum  zu  lat.  madco  'bin  feucht',  gr.  [ladäco  'zerfliesse', 
üd^w.modrü  'blau',  über  deren  sippe  Zubaty  (A. f. slav. phil.  13, 
418  ff.)  ausführlich  gehandelt  hat.  Anders  über  mäan  Wood, 
Color-names  and  their  congeners  s.  74. 

12.  Neorxna-ivQug.  Aind.  ndraka-  'unterweit,  hölle'  ist 
vielleicht  durch  svarabhakti  aus  *ndrJca-  entstanden,  dem  im 
angelsächsischen  ein  "^'ncorh  entsprechen  könnte,  Falls  Kluge 
(Zs.  f.  d.  wortf.  8, 144)  mit  recht  in  neorxna  einen  gen.  plur. 
^ncorh-suna  vermutet  hat,  können  diese  i^corA-söhne  ohne  wei- 
teres als  'söhne  der  unterweit'  aufgefasst  werden.  Was  die 
bedeutungsentwickluug  von  'unter weit'  zu  'paradies'  und 
'statte  der  ewigen  Seligkeit'  betrifft,  verweise  ich  auf  die 
ausführungen  Leitzmanns  (Beitr.  32,  60  ff.),  dessen  etymologie 


1)  [v.  Gr.  stellt  idis  zu  der  gruppe  altisl.  id  n.  'a  restless  motiou',  iM 
etc.  (Cleasby-Vigf.)  und  möchte  darin  eine  i-determiuation  der  wurzel  i 
'gehen'  erblicken,  sodass  in  idis  vielleicht  der  begriff  des  hin-  und  her- 
gehens  oder  der  beschäftigung  liege,  -wobei  an  die  emsig  schaffende  haus- 
frau  zu  denken  erlaubt  sein  werde.  Mir  scheint  diese  anknüpfung  des 
begriffs  immerhin  näher  liegend  als  die  an  das  'nymphenartige',  was 
m.  e.  aus  dem  Merseb.  Zauberspruch  nicht  herausgelesen  werden  darf. 
—  W.  B.] 


186  UHLENBECK,   ETYMOLOGICA.   —   SCHÖNBACH 

ich   freilicli   nicht   annehme.     Entfernter  Zusammenhang   mit 
Kerthus  u.s.w.  ist  aber  keineswegs  ausgeschlossen. 

13.  Bador,  rodor.  Hwd  unlceredra  ne  tvundra])  Ims 
roderes  fcsreldcs,  hü  lie  celce  dce^c  üton  ymhhwyrfj)  ealnc  Jjisne 
middaneard?  Deshalb  dürfte  es  nalie  liegen,  ags.  rador  :  rodor 
mit  ahd.  rad,  air.  rofh,  lat.  rata  'rad',  av.  rapa-,  aind.  rdtha- 
' wagen'  zu  ir.  rcthim  'laufe',  lit.  rüü  'rolle,  wälze'  zu  stellen. 
"Was  den  vocalismus  betrifft,  zeigt  das  seltenere  rador  die 
0- stufe,  das  häufig  belegte  rodor  die  tief  stufe  der  wurzel. 
Anders  Wood  (Color-names  and  their  congeners  s.  48),  der  die 
form  rador  nicht  berücksichtigt. 

14.  SmeÖe.  Damit  die  sonderbare  gleichung  E.  Traut- 
manns ags.  smede  'smooth'  :  poln.  smqtny  'traurig',  sm^teJc 
•traurigkeit'  (Zs.  f.  d.  wortf.  7, 268)  nicht  weiter  verbreitet 
werde,  erinnere  ich  daran,  dass  poln.  sm§t-  aus  su-mqt-  ent- 
standen ist  und  zu  slav.  m^sti,  matiti,  aind.  mathnäti  gehört 
(s.  Miklosich  s.  189). 

LEIDEN,  august  1907.  C.  C.  ÜHLENBECK. 


ZUM  GUTEN  GERHARD  RUDOLFS  VON  EMS. 

Nach  der  ausgäbe  dieses  gedichtes  durch  Moriz  Haupt  (1840) 
ist  die  kritik  des  textes  durch  besserungen  von  Lachmann, 
AVackernagel  und  Haupt,  Zs.  fda.  1, 199—201,  Pfeiffer,  Zs.fda.  3, 
275—278  und  Edw.  Schröder,  Zs.  fda.  43, 332  (abgesehen  von  ge- 
legentlichen bemerkungen  Lucaes)  gefördert  worden.  Als  man 
neuestens  die  sprachformen  Rudolfs  von  Ems  aus  dem  reim- 
gebrauch festzustellen  unternahm,  wie  dies  Victor  Junk  tat  (nach 
ZwierzinasMhd.  Studien)  Beitr.  27,446—503,  vgl.  die  correcturen 
dazu  durch  Zwierzina,  Beitr.  28, 425—453,  wurden  dabei  haupt- 
sächlich die  gedruckten  texte  des  Guten  Gerhard  und  des  Bar- 
laam  zu  gründe  gelegt;  Edward  Schröder  hat  dann  Beitr.  29, 
197 — 200  auch  die  reime  der  noch  ungedruckten  werke  Ru- 
dolfs (seither  ist  1905  der  Wilhelm  von  Orlens  durch  Junk 
ans  licht  gebracht  worden)  ausgenutzt.    An  jener  stelle  teilt 


ZUM   GUTEN   GEKHARD.  187 

Schröder  mit,  dass  er  eine  neue  ausgäbe  des  Guten  Gerhard 
für  den  druck  rüste.  Ich  wünsche,  ihr  nicht  irgend  vorzu- 
greifen, sondern  vielleicht  ihr  etlichen  ballast  abzunehmen, 
indem  ich  hier  die  ergebnisse  einer  collation  der  hs.  2G99  aus 
der  Wiener  kaiserl.  hofbibliothek  mit  Haupts  texte  mitteile; 
ich  habe  sie  bei  der  gelegenheit  vorgenommen,  als  ich  die  hs. 
zu  anderen  zwecken  benutzte. 

Moriz  Haupt  teilt  in  der  vorrede  s.  v  mit,  dass  die  'sehr 
genaue  abschritt,  wie  es  scheint,  unter  der  leitung  Ferdinand 
Wolfs  besorgt  wurde'  und  dass,  'damit  mir  nirgend  ein  zweifei 
bliebe',  G.  Th.  von  Karajan  'mit  pünktlicher  Sorgfalt'  die  copie 
durchgesehen  habe.  Diesen  Versicherungen  gegenüber  ist  es 
wunderlich,  feststellen  zu  müssen,  dass  doch  eine  ziemliche 
zahl  nicht  ganz  unwichtiger  versehen  und  Verlesungen  in  der 
von  Haupt  gebrauchten  abschritt  übrig  geblieben  sind:  auch 
wo  in  den  lesarten  ausdrücklich  angegeben  wird,  es  stehe 
oder  fehle  etwas  bestimmt  in  der  hs.,  verhält  es  sich  oft 
nicht  so.  Von  der  schuld  wird  Haupt  selbst  wol  freigesprochen 
werden  müssen,  dessen  abschritten  und  collationen  in  der  regel 
zuverlässig  waren  (was  ihm  bei  der  Warnung  passierte,  ist 
doch  ein  seltener  zufall);  man  wird  den  umstand  verantwort- 
lich machen,  dass  Haupt  bei  der  textgestaltung  nur  die  copie 
vor  sich  hatte,  das  original  jedoch  niemals  zu  gesicht  bekam. 

Der  Wiener  codex  2699  (A)  bietet  im  ganzen  eine  vor- 
zügliche Überlieferung,  deren  qualität  die  der  zweiten  Wiener 
hs.  no.  2793  (B)  bei  weitem  übertrifft,  sodass  B  wenig  hilft, 
ausser  dass  es  in  wünschenswertester  weise  die  lücken  von  A 
ausfüllt.  A  ist  sehr  ordentlich  im  14.  jh.  geschrieben  worden 
und  zweimal  corrigiert,  das  letzte  mal  vom  Schreiber  selbst. 
Dann  aber  hat  ein  corrector  etwas  später  den  text  wirklich 
aufmerksam  durchgegangen  und  hat  neben  den  zeilen,  meist 
am  rande,  auch  ganz  oben  oder  unten,  mit  dünner  schritt  die 
richtigen  worte  verzeichnet,  die  dann  im  text  auf  rasuren  ein- 
getragen worden  sind.  Ob  dieser  corrector  dann  noch  im  texte 
selbst  gebessert  hat,  ob  er  selbst  radiert  und  das  richtige  ein- 
gesetzt hat,  oder  der  letzte  und  einzige  Schreiber  des  codex 
oder  sonst  wer,  das  lässt  sich  meistens  nicht  ausmachen.  Höchst 
wahrscheinlich  aber  ist,  dass  der  corrector  mit  der  vorläge  in 
der  hand  (deren  verse  abgesetzt  waren,  vgl.  4963.  5293.  5701) 


188  SCnÖNBACH 

seine  arbeit  besorgt  hat,  denn  in  einer  ganzen  anzahl  von 
fällen  wüsste  ich  sonst  nicht  zn  sagen,  wie  er  durch  eigene 
Vermutung-  auf  die  richtige  lesart  hätte  kommen  sollen.  Leistet 
demnach  A  für  die  gute  des  textes  in  einer  weise  gewähr, 
wie  das  bei  der  mhd.  poesie  selten  vorkommt,  so  ist  anderer- 
seits noch  ein  sehr  bedenklicher  umstand  zu  beachten.  Der 
Schreiber  von  A  dichtet  nämlich  selbst:  er  hat  nicht  bloss 
einige  schlussverse  gemacht,  sondern  auch  im  kontext  v.  5297 
und  vielleicht  noch  andere,  die,  sofern  die  controlle  von  B 
mangelt,  nicht  sofort  als  unecht  zu  erkennen  sind,  zumal  der 
Schreiber  sich  in  den  takt  der  Eudolfschen  verse  ziemlich  hinein- 
gefunden zu  haben  scheint. 

Im  folgenden  stelle  ich  nun  die  abweichuugen  zusammen, 
welche  eine  collation  der  hs.  A  mit  dem  texte  und  den  les- 
arten  Haupts  mir  ergeben  hat;  auch  bei  dei*  niederschrift 
dieser  liste  liegt  der  codex  vor  mir.  Wo  die  lesung  in  A  mir 
gegen  Haupt  das  richtige  zu  geben  scheint,  kennzeichne  ich 
dies  durch  vorgesetztes  l.  Alles  bloss  der  laut-  und  formen- 
gebung  zufallende  (auch  iv  für  iuch)  bleibt  unverzeiclmet;  es 
sollte  einmal  für  die  ältesten  hss.  der  werke  Eudolfs  überhaupt 
zusammengetragen  werden. 

54  l.  Av'cben.  95  ist  geben  durch  über-  und  untergesetzte  pmikte  ge- 
tihjt.  183  ze  aus  Ge  corr.  223  fult  u.  ö.  280  gvten.  257  l.  erworben. 
289  getüge,  t  scheint  aus  f  corr.  342  werden.  359  div.  379  leb. 
413  Van.  476  dinem.  477  ger  aus  ge  corr.  493  dez  aus  der  corr. 
514  libtiv.  553  in  bateft  ist  h  aus  L  corr.  597  l.  Ez.  600  lob. 
760  dvcbtn  da  vom  corrector  übergesetzt.  769  gar  aiis  gra  corr.  791  reit 
aus  breit  corr.  807  sagend.  817  das  eiste  r  in  rehter  aus  g  corr. 
846  rvnd-an  allen.  856  einem.  857  zv.  875  da.  878  nit  erli.  931  grozen 
ist  vom  corrector  nachgetragen.  936  wille.  944  mit  fehlt  nicht.  951  fche- 
phere.  963  erlan.  1063  Dem  aus  Den  corr.  1071  geboten.  1099  l.  dich. 
1142  icahrscheinlich  gvt.  1164  daz  aus  dan  corr.  1212  vrum.  1128  win'- 
rtille.  1274  in.  1290  ftat  mit  gr.  1307  es  fehlt  er.  1314  in  wir  ist  w 
aus  f  corr.  1320  nach  al  noch  ein  buchstab:  o?  1330  getorft  auf  rasur, 
vom  corrector  am  rande  vorgeschrieben.  1349  dike.  1387  l.  minen. 
1388  bie  nicht  w.  1399  daz  iv  min  herre  fo  lieb  ie  wart.  1406.  7  div. 
die.  1524  wand,  w  aus  v  corr.  1526  l  der.  1528  iv  voui  corrector  über- 
gesetzt. 1560  vaknvl'fe.  1604  klegelichiv.  1627  in  eine  auf  rasur. 
1640  in.  1654  gelim^.  1660  an  den  der  w.  1710  Stranmvr  {ital.  'stra 
muro?).  1715  gebar.  1734  unter  gewant,  das  vom  corrector  am  rande 
vorgeschrieben  ist,  axif  rasur  ein  längeres  tvort.  1742  vacbnvfle.  1795  vil 
vom  corrector  übergesetzt.    1802  l.  daz  ist.    1808  dar  an  g.    1825  wachte. 


ZUM   GUTEN   GERHARD.  189 

1836  (loh.  184:4:  wirt  vom  corrector  vorgeschrieben.  1846  den  a. 
1862  tv-rt  dvz.  1870  ih  übergesetzt.  1905  dich  übergesetzt.  1927  fölleut. 
1914  zwischen  mich  und  ze  ist  etwas  undeutliches  übergesetzt.  1968  vakiiuffe. 
1985  die.  1987  ver  aus  Ge  corr.  1996  zvugen  übergesetzt.  2006  mir  ans 
wir  corr.  2025  f.  arche  :  mark.  2029  f.  chauf :  tif.  2054  die  er  mich  1. 
Ich.  2087  an  mich  vom  corrector  vorgeschrieben.  2122  got  fehlt. 
2131  Ynf  aus  Ynd  corr.  2155  ir.  2186  in  ditz  lat  ro7n  corrector  vor- 
geschrieben. 2198  fvude.  2216  der  iv  ift.  —  benant  aus  genant  corr. 
2241  keifere  kaifer.  2255  lip  übergesetzt.  2268  corrector.  2308  goz  am 
rande  vom  corrector  vorgeschrieben.  2324  chlageudez.  2345  finuerichiv. 
2361  mich  übergesetzt,  miner  corrector.  2409  wil  übergesetzt.  2501  be- 
reiten ein  bat.  2538  zvhte.  2580  hat  übergesetzt  —  alfo.  2611  f.  ge- 
vareu  :  bare.  2635  corrector.  2927  corrector.  2932  phalt.  2946  wichen 
vom  corrector  vorgeschrieben.  2967  ilt  war  abgerissen.  2968  den  e. 
2996  fi  abgerissen.  2996  truk  aus  trank  corr.  3014  chintlichem. 
3018  leben  I'in  übergesetzt.  3021  minnen  w.  3022  corrector.  3037  l.  doch. 
3061  Dan.  3063  ich  ez.  3097  dine.  3115  ivh.  3117  nieman.  3139  cor- 
rector. 3150  wrt,  also  wurde.  3162  fwechiften.  3177  zwivelz.  3195  div 
weil.  3256  lere.  3275  groz  übergesetzt.  3318  manne  nicht  wart.  3320  ge- 
torlte.  3326  ir  übergesetzt.  3345  Wan  (richtig)  vom  corrector  vor- 
geschrieben. 3369  noh  übergesetzt.  3444  fprvnge.  3462  l.  dar  übergesetzt. 
3494  lak.  3497  mine.  3518  l.  baten.  3554  inunbekant,  über  u  ein  hük- 
chen  für  den  vocal.  3627  l.  bereit.  3635  hie  nachgetragen.  3673  ir  vom 
corrector  vorgeschrieben.  3719  im  übergesetzt.  3749  wüfche.  3766  Iah  er. 
3809  wefen  hie,  durch  ba  xungestellt.  3831  rechter  zu  richer  corr.,  ivie  zu 
lesen  ist.  3841  da.  3856  wrde,  also  l.  wurde.  3862  gefche.  8864  hintz. 
3953  mit  fehlt.  3999  erfchein  zu  fchein  corr.,  wie  zu  lesen  ist.  4093  wahfet. 
4108  gebietent.  4123  iv  übergesetzt.  4170  heinliche.  4180  gelchen. 
4200  für.  4263  pvgieren.  4274  dinen  vom  corrector  vorgeschrieben. 
4436  dir  zu  ir  corr.  4459  l.  fi.  4465  begvnuen.  4472  l.  an  geleit. 
4480  feide.  4494  daz  zu  dez  =  des  corr.  4528  zv.  4531  Herre  min.  her 
in  ditz  lant.  4532  genadet.  4559  erbeizte.  4582  Avez,  l.  wes. 
4591  f.  stehen  in  A  ziceimal.  4598  e.  v.  all  dv  da  treift,  über  alf  ist  vom 
corrector  mittelst  eines  Tcreuzes  daz  gesetzt;  er  tvollte  somit  gelesen  ivissen: 
ein  vingerlin  .  daz  du  da  treist-.  4011  Chvndebirn.  4682  corrector. 
4654  phlak  auf  rasur,  am  rande  vom  corrector  plak.  4755  Barlieren. 
4764  l.  da,  das,  aus  gar  corr.,  am  rande  vorgeschrieben  ist.  4769  l.  küife 
kiiffe.  4803  triwe  triwe.  4925  l.  diu.  5121  tage  aus  tak  corr. 
5197  feite.  5281  gefazt.  5374  l.  von.  5451  heim.  5453  ivnkvrowe. 
5464  vervaht.  5501  vol  br.  5529  /.  da,  das  der  corrector  vorschrieb. 
5600  in  1.  5634  na^her  vr.  5638  ich  fehlt  nicht.  5640  machent.  5644  l. 
da.  5645  da.  5665  gefclien.  5826  valerf.  5829  kornubal.  5833  von  ir 
Y.  vnd  von  ir  lant.  5888  in  fvnder  dinch  ist  d  dttrch  punkte  getilgt. 
5905  valeif.  5906  />i  norgaleif  ist  a  aus  o  corr.  5945  phelP.  6004  l. 
parlieren.  6007  fchimp.  6012  fchimplich.  6034  verdahtem.  6121  mag. 
6148  benant,  aus  befaut  corr.  6155  fich  aus  mich  corr.  6157  Wie. 
6168  Chaut.        6191   in  geheizen  ist  n  durch  punkte  getilgt.        6195  mir. 


190  SCHÖNBAOH,   ZUM   GUTEN   GERHARD. 

6212  ivre.  6236  alfe.  6242  fvlt  ir,  über  ir  steht  fi.  6264  gefazt. 
6296  rvra.  6316  erwarf.  6347  man  steht  nicht  da.  6354  liiraelifcher. 
63Ö6  der  corrector  hat  vor  ergetz  noch  er  geschrieben.  6366  meufchlichez. 
6409  vreude.  6453  drau.  6460  Icheideuz.  6464  ivi-en.  6519  owe  fehlt 
nicht.  6520  gefcheu.  6540  waz.  6566  das  kreuz  des  correctors  sieht  über 
nicht,  er  hat  aber  die  bessenouj  am  rande  einzutragen  vergessest  oder  sie 
ist  nicht  mehr  sichtbar.  5572  urmere,  davon  ist  mere  getilgt.  6580  zen 
in  füzen  ist  übergesetzt.  6616  vnd.  6641  weiulichl  6701  din.  6738  ewik- 
liche.  6742  vol  r.  6760  die  ist  durch  Übergesetzes  er  zu  der  corr.,  Tun 
anscheinend  zu  foii  geändert.  6763  iv.  6791  Da  im.  6836  vom  corrector 
ist  hat  am  rande  zu  hiez  gebessert.  6843  w^d''.  6846  /.  m.  ze  k. 
6851  danch  aus  tak  corr.  6855  weifheit  wiflicher,  du7-ch  b  a  umgestellt. 
6889  an  dirre.    6900  lazent  ez  w.     6921  in. 

Für  einzelne  motive  und  motivgruppen  in  der  erzälilung 
vom  Guten  Gerhard  habe  ich  parallelen  gesammelt,  die  über 
das  von  Simrock  (1856),  dann  von  E.  Köhler  und  Johannes 
Bolte  (Köhlers  Kl.  Schriften  1,  5 — 38)  beigebrachte  material 
etwas  hinausreichen.  Ich  mache  jedoch  aufmerksam,  dass  es 
nicht  geraten  scheint,  nach  der  lateinischen  vorläge,  die  Eudolf 
von  Steinach  dem  dichter  aushändigte,  in  zu  weit  zurück- 
gelegenen Zeiträumen  zu  forschen.  Denn  so  wichtig  auch  die 
Verknüpfung  der  Schicksale  von  Köln  durch  erzbischof  Bruno  I. 
im  zehnten  Jahrhundert  mit  dem  hause  der  sächsischen  kaiser 
sein  mag,  es  konnte  nicht  leicht  jemand  auf  den  gedanken 
kommen,  einen  Kölner  kauf  mann  zeitweilig  zum  könig  von 
England  zu  machen,  bevor  der  englische  handel  Kölns  und 
damit  die  Stadt  selbst  ihren  ungemeinen  aufschwuug  genommen 
hatten,  und  das  geschah  doch  nicht  vor  dem  12.  jh.  Viel- 
leicht hat  wirklich  erst  die  regierung  Ottos  IV.  1198 — 1218 
den  austoss  zur  heftung  der  geschichte  an  den  kaiser  Otto  IL 
gegeben  —  mau  denke  an  das  Verhältnis  des  welfenkönigs  zu 
erzbischof  Adolf  I.  und  zu  England  — ,  der  hier  wie  im  herzog 
Ernst  mit  Otto  I.  zusammenfällt  und  woraus  vielleicht  auch  die 
erinnerung  an  die  kaiserin  Ottogebe  geschöpft  wurde.  Jeden- 
falls stellt  die  geschichte  des  Stoffes  vom  Guten  Gerhard  der 
forschung  noch  dankbare  aufgaben. 

GRAZ.  ANTON  E.  SCHÖNBACH. 


PETERSSON,   EIN  ETYMOLOGISCHER   BEITRAG.  191 


EIN  ETYMOLOGISCHER  BEITRAG. 

Im  32.  bände  dieser  Beiträge  s.  151  f.  hat  Reinhold  Traut- 
mann asächs.  fercal  'verschluss,  riegel'  sehr  ansprechend  mit 
lit.  per  gas  'fischerkahn',  armen.  JiarJcanetn  'schlagen',  air.  or- 
gaim  dass.,  ai.  parjdnya  'name  des  vedischen  gewittergottes' 
verknüpft,  unter  annähme,  dass  der  den  Wörtern  zu  gründe 
liegenden  wurzel  i^pery-)  eine  bedeutung  wie  'pflock,  etwas 
aus  holz  zurech tgeschlagenes'  zuzusprechen  sei.  Ich  stimme 
Trautmann  völlig  bei  und  glaube  sogar  die  sippe  ein  wenig 
erweitern  zu  können.  Ich  ziehe  nämlich  hierher  aisl.  forlir 
'prügel,  knüttel',  norw.  schwed.  dial.  forli  dass. 

Falk-Torp  (Etymologisk  Ordbog)  erklären  diese  Wörter 
als  aus  lat.  furca  'zweizackige  gabel'  entlehnt,  was  meiner 
ansieht  nach  nicht  richtig  sein  kann.  Zur  obigen  Wortsippe 
gestellt,  lässt  sich  aisl.  forhr  ohne  Schwierigkeit  aus  idg.  *pygos 
erklären. 

Für  die  von  Falk-Torp  gegebene  herleitung  könnte  auf 
den  ersten  blick  der  umstand  sprechen,  dass  schwed.  dial.  forh 
auch  'heugabel'  (neben  'knüttel')  bedeutet.  Diese  bedeutung 
aber  scheint  hauptsächlich  in  den  früheren  dänischen  grenz- 
provinzen  Schonen,  Halland  und  naheliegenden  landstrichen 
vorzuliegen.  Nun  kommt  nach  Kalkar  (Ordbog)  in  älteren 
dänischen  mundarten  ein  wort  forJc  mit  der  bedeutung  'ofen- 
gabel '  vor.  Dieses  wort  lässt  sich  nicht  von  ahd.  furJca,  mnd. 
forlcc,  ags.  forc  'gabel'  trennen,  muss  daher  wie  diese  aus  lat. 
ftirca  entlehnt  sein.  Das  einheimische  nordische  forli{r)  'knüttel' 
scheint  sich  also  in  gewissen  teilen  des  skandinavischen  Sprach- 
gebietes mit  dem  von  Süden  kommenden,  aus  lat.  furca  ent- 
lehnten forli,  'gabel'  gekreuzt  zu  haben. 

Aus  WZ.  ""'perg-  erkläre  ich  weiter  aksl.  pragi.  'schwelle', 
poln.  ^)ro^  'schwelle,  haus,  wohnung',  progi  pl.  'dielen,  bänke'. 
Ueber  übrige  verwante  s.  Miklosich,  Etym.  wb.  grdf.  porgn. 

Aus  den  romanischen  sprachen  ziehe  ich  ital.pe/*^o?a  ' Vor- 
bau, Veranda',  pergamo  'gerüst,  kanzel'  heran;  pergola  scheint 
ein  altererbtes  lateinisches  '*perga  vorauszusetzen.  Dessen  be- 
deutung kann  'stock,  balken,  gebälk'  gewesen  sein.  Ital.  per- 
gamo weist  zwei  bedeutungen  auf,  einerseits  die  obengenannte 


192     PETERSSON,  EIN  ETYM.  BEITRAG.  —  HÖLTHAUSEN,  GENESIS  323. 

'gerüst,  kanzel',  andererseits  die  bedeiitimg-  'anhöbe,  bürg-'. 
Diez  meint,  dass  jene  sich  aus  dieser  entwickelt  habe.  Meines 
erachtens  haben  wir  es  mit  zwei  verschiedenen,  unverwanten 
Wörtern  zu  tun.  Fergamo  'bürg'  ist  mit  gr.  tivqjoz  zusammen- 
zubringen. Die  Versuchung  liegt  nahe  auch  prov.  perga  'stange' 
mit  unserer  sippe  zu  verknüpfen,  aber  dieses  wort  muss  fern 
bleiben.  Durch  eine  form  wie  pertga  bestätigt  sich  die  her- 
leitung aus  lat.  pertica. 

LUND,  juli  1907.  HERBERT  PETERSSON. 


NOCHMALS  AS.  GENESIS  323. 

In  band  32,  567  f.  dieser  Zeitschrift  habe  ich  das  sinnlose 
hido(f  von  as.  Genesis  323  in  hidrös  oder  hidöf  zu  bessern  vor- 
geschlagen. Nun  liegt  aber  hidrös  doch  von  bidoäi  graphisch 
zu  w^eit  ab,  als  dass  die  conjectur  direct  überzeugend  genannt 
werden  könnte,  wenn  auch  im  ae.  das  part.  prt.  bedroren  und 
im  Heliand  einmal  das  verbum  driosan  'hinfallen'  vorkommt. 
Das  der  handschriftlichen  Überlieferung  näherstehende  hidöf 
oder  hidöd  (=  ae.  hedeaf)  hat  den  umstand  gegen  sich,  dass 
ein  verbum  *düdan  im  niederdeutschen  nicht  vorkommt!  Nun 
bleibt  noch  eine  dritte  möglichkeit,  an  die  ich  damals  nicht 
gedacht  habe,  nämlich  in  hidoS  einen  Schreibfehler  für  hidöc 
zu  sehen  (veranlasst  durch  das  folgende  döä),  wobei  döc  das 
praet.  von  *dücan  'tauchen'  sein  würde.  Im  as.  ist  dies  aller- 
dings nicht  belegt,  wol  aber  die  ableitung  dücari  'taucher' 
(Wadstein,  Kl.  denkm.  s.  178  a)  und  darauf  gehen  zurück  mnd. 
und  und.  diU-en  ==  nnl.  duikcn.  Das  mnd.  kennt  sogar,  was 
meinen  neuen  besserungsvorschlag  auf  schönste  bestätigt,  das 
compositum  he-dülcen  'eintauchen'!  Ich  möchte  also  v.  323  jetzt 
lesen: 

ac  so  bidoc  it  an  doöseu,  so  it  noh  te  daga  stendit'. 
KIEL,  12.  September  1907.  F.  HOLTHAUSEN. 


DIE  ATLI-LIEDER  DER  EDDA. 

Die  vorliegende  abliandlung  soll  zur  lösnng-  einiger  fragen 
beitragen,  die  sich  an  die  Atli-lieder  der  Edda  knüpfen.  Diese 
fragen  zerlegen  sich  in  zwei  grnppen:  die  eine  behandelt  die 
lieder  als  literarische  producte,  die  andere  als  sagengeschicht- 
liche denkmäler.  Demnach  wird  sich  diese  arbeit  aus  einem 
literarischen  und  einem  sagengeschichtlichen  teil  zusammen- 
setzen. 

I.   Liter.arisclier  teil. 

1.   Vorfrage. 
Ehe  wir  an  irgend  eine  vergleichung  der  lieder  gehen 
können,  ist  eine  Vorfrage  zu  erledigen:  ist  jedes  der  lieder  ein 
einheitliches  ganze,  oder  finden  sich  spuren  von  Überarbeitung, 
Zusammensetzung  oder  dergleichen  ? 

§  1.  Bei  den  Atlamyl  (Am.)  ist  kein  grund  vorhanden,  an  der 
einheitlichkeit  des  gedichtes  zu  zweifeln:  metrisch,  stilistisch, 
inhaltlich  ist  dasselbe  geschlossen,  von  wenigen  kleinen  Inter- 
polationen abgesehen,  die  auf  den  Charakter  des  ganzen  keinen 
einfluss  geübt  haben. 

Als  solche  sind  wegen  ihres  störenden  Charakters  sicher 
anzusehen  Am.  48,  5.  6  (die  Zählung  der  Strophen  ist  die  von 
Symons'  ausgäbe)  und  49, 3.  4.  48,  5.  6  (svd  kv^po  Niflunga, 
mej)an  sjalfcr  lifpo)  ist  schon  von  Grundtvig  für  unecht  erklärt 
worden,  ebenso  von  Symons,  der  den  ersten  halbvers  für  metrisch 
auffallend  erklärt  (ausgäbe  s.  449);  die  zeile  stört  inhaltlich 
nach  Gering  (Übersetzung  s.  274,  n.  2),  da  die  beiden  Niflunge 
nicht  im  kämpf  fallen;  ausserdem  ist  die  ausdrucksweise  svd 
hvQpo  . . .  mitten  in  der  lebhaften  Schilderung  ganz  störend. 
—  Durch  die  ebenfalls  von  Grundtvig  und  Symons  für  unecht 

Beiträge  zur  gescbichte  der  deutschen  spräche.    XXXIII.  j^3 


194  BECKER 

erklärte  zeile  49, 3.  4  {otto  alla  ol-  gnäurlmn  dag)  wird  die 
clirouologie  des  ganzen  gestört:  wir  müssen  einen  sprung  von 
inijtjan  dag  (vorhergehende  zeile)  zu  otto,  morgendämmerung, 
und  ondurjian  dag,  anfang  des  folgenden  tags,  machen,  und 
da  nach  Am.  G3.  64  widerum  am  morgen  Atli  über  den  tod 
der  helden  triumphiert,  so  geraten  wir  bis  in  den  anfang  des 
dritten  tages,  während  zur  ausfüllung  dieser  Zeiträume  die 
ereignisse  viel  zu  schnell  folgen  (vgl.  C4rundtvig,  citiert  bei 
Bugge,  Fornkvaedi  435).  Dagegen  ist  nach  Streichung  der 
zeile  die  Zeitfolge  einfach,  indem  der  kämpf  bis  zur  mitte  des 
tages  dauert,  am  nachmittag  die  helden  gefangen  genommen 
werden  und  am  nächsten  morgen  tot  sind.  —  Bei  den  übrigen 
A'on  Grundtvig,  F.  Jonsson,  Sj^mons  beanstandeten  versen  möchte 
ich  die  frage  nach  der  echtheit  offen  lassen. 

Abgesehen  von  solchen  kleinen  Interpolationen  ist  das 
gedieht  durchaus  als  einheitliches  werk  eines  dichters  an- 
zusehen. 

§  2.  Schwieriger  ist  die  frage  bei  der  Atlakvif'a  (Akv.) 
ZU  beantworten,  da  sich  hier  neben  dem  herschenden  mälahättr- 
versmass  eine  menge  viersilbiger  halbverse  findet.')  Hier 
stehen  sich  vor  allem  zwei  ansichten  gegenüber.  Bugge  (Ar- 
kiv  1, 12,  ähnlich  Zs.  fdph.  7,  386)  hat  vermutet,  dass  ältere 
liedzeilen  teils  unverändert,  teils  umgearbeitet  von  einem 
jüngeren  Verfasser  in  seine  dichtung  herübergenomraen  seien;  J 

er  sieht  dabei  die  viersilbigen  teile  in  der  regel  als  die  älteren 
an.  Symons  (ausgäbe  s.  422)  sieht  dagegen  die  mälahättr- 
partien  für  das  ältere  an  und  weist  den  fornyröislag-text  in 
Akv.  einem  Überarbeiter  zu. 

Fassen  wir  zunächst  die  viersilbigen  verse  näher  ins  äuge. 
Während  manche  vereinzelt  auftreten,  stehen  sie  an  einigen 
stellen  dicht  gedrängt,  sodass  es  scheint,  als  könnten  wir  ganze 
Strophenteile  oder  gar  Strophen  im  fornyröislag  erkennen. 


')  In  Symons'  text,  der  im  allgemeinen  dieser  arbeit  zu  gründe  gelegt 
ist,  finden  sich  unter  den  348  halbversen  der  Akv.  66  viersilbler  =  19  proc. 
Symons'  abweichungen  von  R  sind  in  diesen  fällen  gering;  sechsmal  be- 
ziehen sie  sich  rein  auf  die  Schreibung;  dazu  kommt  19,3  vin  Borgunda 
statt  vinir  R,  20,5  svä  sJcal  freien  verjasJc  statt  svä  sJcal  freien  R;  auf  der 
andern  seite  hat  R  im  gegensatz  zu  Symons  3  viersilbler :  29, 1  Bin  skal 
räpa,   29, 3  soinn  äskunna,   40, 4  glreifa  tvä. 


DIE   ATLI-LIEDER    DER   EDDA.  195 

Str.  21    frogo  fröknau,      ef  fjqr  vilde 
Gotna  pjöpami      golle  kaupa. 

str.  24   her  lief  k  lijarta      Hjalla  eiis  blaupa, 
ög-likt  hjarta      HQgna  eus  frökiia 
es  mJQk  bifask 

str.  26   her  lief k  hjarta      HQgiia  eus  frokna 
üglikt  hjarta      Hjalla  ens  blaupa 
es  litt  bifask  —  ■ — 

Str.  33  und  34,  beide  mit  ausnähme  ihrer  Schlüsse  ebenfalls 
streng-  viersilbig-,  mögen  später  behandelt  werden.  Hier  kommt 
noch  in  betracht  die  schlussstrophe,  46: 

lirüpr  i  brj'ujo      brapra  at  hefna, 
höu  hefr  priggja      pjöpkoiiuiiga 
banorp  boret      bjort,  äf>r  sylte. 

Schon  das  dasein  dieser  Strophenteile  und  Strophen  legt  den 
gedanken  nahe,  dass  ein  teil  des  vorliegenden  textes  der  Akv. 
nicht  vom  Verfasser  der  hauptmasse  des  gedichts  herrührt. 
Das  auftreten  einzelner  eingestreuter  viersilbler  im  mälahättr 
hat  nichts  auffälliges;  sie  kommen  sogar  in  Am.  gelegentlich 
vor  (61,5.  84,7.8):  aber  es  ist  doch  unwahrscheinlich,  dass 
ein  dichter,  der  sonst  in  mälahättr-strophen  dichtete,  ganze 
Strophen  im  fornyröislag  dazwischen  gesetzt  hätte. 

Ich  habe  vorhin  nur  solche  teile  zusammengestellt,  die  die 
strenge  technik  des  viersilblers  zeigen  (bez.  durch  elision  ge- 
winnen). Da  aber  das  fornjTÖislag  in  der  älteren  zeit  keines- 
wegs immer  streng  viersilbig  auftritt,  so  wird  noch  anderes 
hierher  zu  rechnen  sein.    Zunächst  str.  19  und  20, 1.  2: 

feugo  peir  Guunar      ok  i  fJQtor  setto, 
viu  Borgunda,      ok  biindo  fastla.  — 
Sjau  hj6  Hqgue      sverpe  hvQsso. 

Beachtenswert  ist  hier,  dass  Sievers,  Beitr.  6, 352  in  str.  19, 1 
peir  und  19,4  oh  streicht,  also  die  verse  als  viersilbig  fasst. 
Wegen  der  gleichheit  im  nietrum  ist  es  wahrscheinlich,  dass 
19, 1 — 4  und  21,  2 — 5  einmal  zusammen  eine  strophe  gebildet 
haben,  wie  das  Grundtvig  annahm  (ausgäbe  s.  152).  —  Ferner 
23  und  25,  5.  6;  str.  23: 

skoro  peir  hjarta      Hjalla  6r  brjöste 

[blöpogt]  ok  ä  bjoj?  Iqgpo,      [ok]  boro  [pat]  fyr  Gunnar. 

25,5.  6   [bl6)70gt]  ]?at  a  bjöp  iQgpo,      ok  boro  fyr  Guunar. 

13* 


196  BECKER 

Die  durch  die  klammern  bezeichneten  vereinfachung-en  rühren 
ebenfalls  von  Sievers  (a.a.  o.)  her;  Symons  und  Gering  sind  ihm. 
darin  gefolgt,  Gering  streicht  sogar  das  ol  in  25,6. 

Auch  Str.  27  und  28  müssen  mit  Sievers  (a.  a.  o.)  als  fornyr- 
öislag  aufgefasst  werden: 

svä  skaltii,  Atle,      augom  fjarre, 

f  sem  mout      menjom  verpa  f. 

Es  uud  eiuom  mer      oll  of  folg-enu 

hodd  Niflung-a:     lifera  [nü]  Hog-ue; 

ey  vas  mer  tyja,      mepau  [vit]  tveir  lifpom, 

nü  's  mer  enge,      es  [ek]  einn  lifek. 

In  28, 4  ist  mit  Sievers  nu,  in  6  vit  und  in  8  mit  Sjmons 
ek  zu  streichen. 

Zu  beachten  ist  ferner,  dass  str.  27  schon  von  F.  Jonsson 
und  Symons  als  unecht  angesehen  worden  ist,  und  dass  str.  28 
von  Symons  als  eine  Variante  zur  mälahättr-strophe  29  an- 
gesehen wird. 

Endlich  gehört  hierher  str.  40,  die  auch  schon  von  Sievers 

als  fornjTÖislag  aufgefasst  worden  ist: 

kallara  [f>ü]  sipan      til  knea  pinna 
Erp  ne  Eitel,      olreifa  tvaa; 
sera  [y>ü]  sif>an      i  sete  mi]7Jo 
golz  miplendr      geira  skepta, 
mauar  meita      ue  mara  keyra. 

Die  in  klammern  geschlossenen  pronomina  sind  von  Symons 
gestrichen  worden.  —  Die  Strophe  ist  von  Finnur  Jonsson 
teilweise  (40,7 — 10),  von  Sjanons  ganz  als  unecht  bezeichnet 
worden.  Ebenso  ist  die  vorher  als  fornyröislag  angeführte 
sclilussstrophe  46  von  beiden  gelehrten  als  Interpolation  be- 
zeichnet worden. 

Im  gegensatz  zu  der  prunkvollen,  oft  fast  überladenen 
spräche  der  mälahättr-strophen,  wovon  unten  zu  reden  sein 
wird,  zeichnen  sich  die  fornyröislag-teile  durch  einfachheit  im 
ausdruck  aus.  Man  vergleiche  einmal  die  inhaltlich  ziemlich 
parallelen  Strophen  28  und  29  daraufhin.  28  sagt  ganz  schlicht: 
'Bei  mir  ganz  allein  ist  verborgen  der  Xiflunge  schätz:  Hogni 
ist  tot.  Ich  zweifelte  immer,  solang  wir  zwei  lebten;  nun  nicht 
mehr,  da  ich  allein  lebe.'  In  29  dagegen  entfaltet  der  dichter 
die  ganze  pracht  der  skaldischen  ausdrucks weise:  'Der  Rhein 
soll  walten  über  das  kampferz  der  beiden,  der  schnelle  ström 


DIE   ATLI-LIEDEK   DER   EDDA.  197 

Über  das  asenent stammte  erbe  der  Nifluuge;  in  rollender  flut 
glänzen  die  todesringe  besser  als  an  den  liänden  der  Hunnen- 
söhne.' Dass  beide  Strophen  innerhalb  eines  und  desselben 
gedichts  von  demselben  dichter  herrühren,  wird  man  schwerlich 
glauben  können. 

Es  erhebt  sich  nun  die  frage,  woher  die  fornyröislag- 
stücke  gekommen  sind.  Da  ist  zunächst  die  ansieht  Bugges 
wenig  befriedigend,  nach  der  der  Verfasser  des  mälahättr- 
gedichts  selbst  reste  eines  älteren  gedichts  in  das  seinige 
hineingearbeitet  hätte.  Einem  autor  wie  dem  der  Gujn-ünar- 
hvot,  der  unbedenklich  aus  den  Hampesmol  ganze  strophen- 
teile  übernommen  hat  (s.  Eanisch,  Zur  kritik  und  nietrik  der 
Hamjüsmäl  s.  19.  20),  wäre  ein  solches  verfahren  zuzutrauen. 
Aber  bei  einem  dichter  von  solcher  darstellungskraft  wie  dem 
mälahättr-dichter  der  Akv.'(s.  darüber  unten  §  12  a)  ist  es  nicht 
wahrscheinlich,  dass  ihm  gerade  an  wichtigen  stellen  die  werte 
ausgegangen  seien  und  er  zu  fremden  Strophen  und  zeilen 
seine  Zuflucht  genommen  habe.  Ausserdem  müssen  wir  die  forn- 
jTÖislag-stücke  nicht  notwendig  für  älter  als  die  mälahättr- 
stücke  halten,  wie  wir  unten  an  str.  33  und  34  sehen  werden. 

Aber  ich  möchte  diese  teile  auch  nicht  nur  als  product 
einer  überarbeituug  im  fornyröislag  ansehen,  wie  Symons 
will;  dazu  sind  sie  zu  lliessend  und  wolgebaut;  vor  allem 
aber  ist  dann  nicht  einzusehen,  warum  ein  Überarbeiter  gerade 
nur  diese  Strophen  uuigeschmolzen  hätte  und  nicht  auch  die 
übrigen. 

Als  reine  Interpolationen  können  wir  sie  aber  vollends 
nicht  ausscheiden,  denn  mindestens  str.  19.  21.  23.  24.  26  sind, 
für  den  zu^^ammenhang  des  gedichts  ganz  unentbehrlich. 

Die  letzte  möglichkeit  ist  endlich  die,  dass  wir  zwei 
parallelgedichte  annehmen,  deren  eines  im  mälahättr,  das 
andere  im  fornyröislag  abgefasst  war;  dass  alsdann  jemand 
aus  stücken  von  beiden  die  uns  vorliegende  Atlakvil'a  zu- 
sammengesetzt habe,  wobei  er  das  mälahättr-gedicht  stark 
bevorzugte.  Auch  Symons  spricht  von  der  möglichkeit  eines 
parallelliedes,  dem  str.  40  entstammen  könnte  (ausgäbe  s.  433), 
obgleich  er  den  gedanken  an  eine  contamination  zweier  lieder 
für  Akv.  ablehnt,  während  er  dies  für  Hamj^esmol  annimmt 
(einleitung  der  ausgäbe  s.  ccxxxv). 


198  BECKER 

§  3.  Die  mögliclikeit,  dass  die  vorliegende  Akv.  aus 
teilen  zweier  verschiedener  lieder  zusammengesetzt  sei,  {ge- 
winnt an  walirsclieinliclikeit,  wenn  wir  einer  dritten  liand  in 
der  Akv.  begegnen. 

1)  Die  Strophe  5  ist  schon  von  Heinzel  (Ueber  die  Her- 
vararsaga  s.  58  f.)  verdächtigt  worden: 

vqU  lezk  ykr  ok  gefa  mundo      viprar  GnitaheiJ^ar, 
af  geire  gjallanda      ok  af  gyldoni  stofnom, 
storar  meipmar      ok  stape  Danpar, 
hiis  \>at  et  mtera      es  mepr  MyrkviJ?  kalla. 

Heinzel  macht  auf  die  wörtlichen  anklänge  an  stellen  im  liede 
von  der  Hunnenschlacht  aufmerksam,  dessen  Strophen  sich  in 
der  Hervararsaga  finden  (besonders  herausgegeben  in  den  Ed- 
dica  Minora  von  A.  Heusler  und  W.  Eanisch  s.  3,  str.  6  und  7): 

Str.  6   hafa  vil  ek  hälft  allt,      pAt  er  Heidrekr  ätti, 
al  ok  af  oddi,      eiunra  skatti, 
kü  ok  af  kälfi,      kvern  piotandi, 
]>f  ok  af  pTseli      ok  peira  barni; 

Str.  7   hris  pat  et  m^ra,      er  MyrkviJ?  lieita, 


stein  |?ann  enn  fagra,      er  steudr  ä  stodum  Danpar. 

Die  in  Akv.  5,  3.  4  auffallende  ausdrucksweise  af  geire  .  .  . , 
af  gyldom  stQfnom  ist  in  der  Hunnenliedstrophe  ganz  erklär- 
lich {af  oddi,  af  MIß,  af  Prceli).  weil  lidlft  allt  vorhergeht  (s. 
Heinzel  s.  59).  —  Die  stapir  Danpar,  die  statten,  die  in  näherer 
oder  fernerer  beziehung  zum  flusse  Dnjepr  stehen,  passen  in 
die  geschichte  von  einer  Schlacht  zwischen  Hunnen  und  Goten, 
die  einst  in  Eussland  sassen,  aber  nicht  in  die  Nibelungen- 
sage (s.  Bugge,  Arkiv  1, 13).  —  Somit  liegt  es  am  nächsten, 
Akv.  5  als  abhängig  von  den  Hunnenliedstrophen  anzusehen, 
nicht  etwa  das  umgekehrte  Verhältnis  anzunehmen. 

Aber  nun  erhebt  sich  eine  andere  frage:  ist  Akv.  5  nur 
eine  vom  Hunnenlied  inspirierte  Interpolation,  oder  ist  etwa 
die  Strophe  aus  dem  Zusammenhang  nicht  zu  lösen  und  daher 
die  ganze  Akv.  abhängig  vom  Hunuenlied?  Im  letzteren  fall 
müsste  dies  sehr  alt  sein. 

Wenn  ich  (mit  Heinzel  s,  59)  hier  in  Akv.  eine  inter- 
polation  annehme,  so  nötigt  mich  dazu  erstens  die  art,  wie 
hier  im  anschluss  an  Hunnenlied  str. 7  vom  MjTkviör  gesprochen 


DIE   ATLI-LIEDER  DER  EDDA.  199 

wird,  was  im  gegensatz  zu  der  auffassung  der  übrigen  Akv. 
stellt.  Der  ]\Iyrkviör  ist  nämlich  sonst  (Akv.  3, 4.  13,4,  siehe 
näheres  in  teil  II)  einfach  die  grenze  zwischen  Gunnars  und 
Atlis  reich,  er  ist  also  offenbar  ein  neutrales  gebiet  und  nicht 
ein  teil  von  Atlis  land,  den  er  verschenken  könnte,  wie  hier 
angeboten  wird;  er  heisst  auch  an  den  beiden  genannten 
stellen  der  unbekannte,  ist  also  wol  ein  unwirtlicher  wald, 
und  nicht  ein  'herrliches  gehölz'  (Akv.  5, 7.  Hunnenlied  7), 
das  sich  zum  geschenk  eignete. 

Zweitens  ist  stilistisch  auffallend  der  wenig  geschickte 
anschluss  von  str.  5,  mit  indirecter  rede:  voll  Uzlc  gefa  mundo. 
Indirecte  rede  findet  sich  in  der  ganzen  übrigen  Akv.  nirgends, 
wie  überhaupt  in  den  älteren  Eddaliedern  fast  nie  (in  Voluspa, 
prymskvil^a,  Völundarkvij^a  nirgends,  in  Hamf-esmol  13,  3  [wol 
verderbt  s.  S3'mons  ausgäbe  s.  479]  und  19). 

■  Dazu  kommt,  dass  sich  in  den  folgenden  eng  mit  5  ver- 
bundenen Strophen  auch  einiges  verdächtige  findet. 

Strophe  6  ist  die  antwort  auf  KnefrQds  anpreisung  der 
Gnitaheide  in  5.  Die  schätze  derselben,  die  hier  im  bereich 
Atlis  gedacht  ist  (s.  dazu  in  teil  II  §  27),  lehnt  Gunnarr  ab, 
weil  er  selbst  reich  genug  sei.  Diese  Strophe  ist  von  5  nicht 
zu  trennen  und  daher  demselben  interpolator  zuzuweisen:  über 
ihre  eigentümliche  tendenz  wird  sogleich  zu  reden  sein. 

Strophe  7  zeichnet  sich  widerum  stilistisch  durch  eine 
merkwürdigkeit  aus:  v.  5.  6.  9  bringt  sie  in  übertreibender 
weise  drei  Superlative:  haztan,  hvassastan,  hiitastan,  während 
die  ganze  übrige  Akv.  nicht  einen  einzigen  verwendet;  dagegen 
finden  wir  gehäufte  Superlative  bei  dem  späten  Verfasser  der 
Gul?rünarhvot  16,  5  harpast,  17, 1  sdrastr,  17, 5  grimmastr, 
18, 1  hvassastr.  Wir  werden  auch  diese  Strophe,  die  die  fort- 
setzuug  der  antwort  enthält,  dem  interpolator  zuweisen  können. 

Wenn  wir  nun  der  tendenz  von  6  und  7  nachgehen,  so 
finden  wir  auch  eine  ganz  andere  Stimmung  als  sonst  in  den 
gedichten  der  alten  heldensagen.  Sonst  tragen  die  germanischen 
beiden  nach  nichts  so  sehr  ein  naives  und  unverhohlenes  ver- 
langen als  nach  gold  und  schätzen  i),  hier  aber  ist  Gunnarr  so 
empfindlich  im  ehrenpunkte,  dass  man  ihm  kein  gold  anbieten 


')  Z.  b.  Am.  13,  5.  6  erwartet  Hogni  ruhig  toü  Atli  glutrotes  gold. 


200  BECKEE 

darf:  hier  hat  offenbar  ein  späterer  die  'ritterehre'  der  Niflunge 
zu  steigern  gesucht. 

In  Str.  8,  die  HQgnis  antwort  auf  Gunnars  fragen  in  form 
einer  neuen  frage  bringt,  findet  sich  nun  ohne  frage  ein  sehr 
alter  sagenzug,  die  erwähnung  des  wolfshaars  als  warnungs- 
zeichens.  Aber  das  alter  des  sagenzuges  beweist  noch  nicht 
alter  und  echtheit  der  stroplie.  Und  diese  wird  dadurch  ver- 
dächtig, dass  die  Strophe  von  etwas  vergangenem  erzählt,  was 
nirgends  in  der  übrigen  erzähhmg  der  Akv.,  weder  vorher  noch 
nachher,  an  den  stellen,  wo  man  es  vermuten  sollte,  erwähnt 
wird :  weder  wird  bei  Knefr(^ds  ankunf t  von  der  ablieferung  des 
ringes  mit  dem  wolfshaar  gesprochen  (während  an  der  ent- 
sprechenden stelle  in  Am.  4,  4  deutlich  gesagt  wird:  dpr  hann 
fram  selde),  noch  nimmt  Gudrun  bei  der  begrüssung  str.  16.  17 
bezug  auf  eine  frühere  warnung  (während  Am.  45  deutlich: 
leitaJjaJc   i  likna  at  Icfja  ykr  hei'man). 

Ferner  ist  der  ausdruck  at  njja  eyrinde  hier  in  bezug  auf 
die  Niflunge  sinnlos,  während  er  in  str.  3  in  bezug  auf  den 
boten  Knefrod  berechtigt  war;  er  ist  also  wol  gedankenlos  aus 
3  herübergenommen. 

Endlich  klingt  der  anfaug  von  Strophe  9  nipjarge  IivqUo 
Gimnar  ne  noimgr  annarr  'keiner  von  den  verwanten  redete 
zu'  nicht  so,  als  wenn  eben  jemand  abgeraten  hätte,  sondern 
als  wenn  eine  pause  vorhergegangen  wäre,  in  der  Gunnarr  auf 
KnefrQds  einladung  schwieg,  und  keiner  der  anderen  ihm  zu- 
zureden wagte.  Strophe  9  fügt  sich  dagegen  glatt  an  4,  wenn 
wir  5 — 8  wegdenken. 

Somit  halte  ich  Akv.  5 — 8  für  eine  Interpolation.  Der 
interpolator  mag  dabei  u.  a.  auch  den  zweck  verfolgt  haben, 
Hogni  mehr  zur  geltung  zu  bringen,  der  sonst  in  Akv.  ganz 
hinter  Gunnarr  zurücktritt  und  nicht  ein  einziges  wort  spricht. 

Den  Verfasser  der  echten  mälahättr-teile  der  Akv.  be- 
zeichne ich  im  folgenden  mit  A,  den  der  vorher  behandelten 
fornyröislag-teile  mit  B,  endlich  den  eben  erwähnten  inter- 
polator (der  sich  auch  einer  art  von  mälahättr,  mit  ein- 
gestreuten viersilblern,  bedient)  mit  c. ') 


^)  Auf  die  Interpolation  c  wurde  ich  bei  gemeinsamer  lesung  des  textes 
von  herrn  professor  Sievers  freundlichst  aufmerksam  gemacht,  der  mich 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  201 

2)   Als  interpoliert  ist  nun  noch  einiges  andere  in  Akv. 
anzusehen.    Strophe  15, 

En  par  drakk  Atle 

vin  i  valhQllo,      verper  soto  üte 

at  varpa  [peim]')  Gunuare,      ef  []?eir]  bans  vitja  kvifeine 

me]?  geire  gjallauda      [at]  vekja  gram  bilde. 

enthält  inhaltlich  eine  ahsurdität:  die  Wächter  Atlis  warten, 
ob  Gunnarr  ihn  aufsuchen  werde,  um  mit  ihm  kämpf  zu  be- 
ginnen; Atli  kann  das  aber  gar  nicht  von  Gunnarr  erwarten, 
denn  er  hat  ihn  ja  auf  das  freundlichste  eingeladen  und  nicht 
im  entferntesten  gekränkt:  zu  einem  kriegszug  kann  überhaupt 
Gunnarr  gar  keinen  grund  haben.  Diese  furcht  ist  hier  Atli 
untergeschoben  worden,  und  zwar  um  zu  zeigen,  welchen 
respect  die  Hunnen  vor  den  Niflungen  hatten,  also  wider  in 
der  absieht,  deren  ehre  zu  steigern.  Da  ausserdem  15,  6  an 
5,3  wörtlich  anklingt  {mep  gehe  gjaUanda  —  af  geire  gjalhmda), 
so  liegt  es  nahe,  die  str.l5  ebenfalls  dem  interpolator  zuzuwTisen. 
In  str.  17  sind  die  Zeilen  4 — 7 

när  naupfolva      leter  uorner  grata, 
Hüna  skjaldmeyjar      herve  kauna, 
en  Atla  sjalfaii      leter  [püji  ormgarf»  koma, 
nüi  's  sä  ormgar]7r      ykr  of  folgenn 

von  Sievers,  Beitr.  6, 351  aus  metrischen  gründen  als  ursprüng- 
lich nicht  in  diesen  Zusammenhang  gehörig  bezeichnet  worden. 
Ich  möchte  zunächst  die  zeilen  4  und  5  und  mit  ihnen  die  vor- 
hergehende 3  sceter[J)ä]i  SQjjlom  solheijjci  daga  als  interpoliert 
ansehen:  es  wird  hier  mit  einer  hypothetischen  schlachtschilde- 
rung  begonnen,  wozu  für  Gudrun  in  diesem  augenblick  der 
höchsten  gefahr,  wo  das  Schicksal  ihrer  brüder  sich  jeden 
augenblick  entscheiden  muss,  gewiss  kein  anlass  war.  Der 
zweck  der  Schilderung  ist  aber  sichtlich  der,  Gunnars  kriegs- 
tüchtigkeit  hervorzuheben,  seinen  rühm  zu  steigern. 

Durch  die  letzte  zeile  der  Strophe  wird  sodann  in  ziemlich 
plumper  weise  die  zukunft  enthüllt:   das  finden  wir  zwar  in 


auch  besonder?  auf  die  unterschiede  in  der  tonhöhenlage  von  A  und  c  hin- 
wies, in  welcher  hinsieht  sich  auch  zwischen  A  und  B  deutlich  unterschiede 
wahrnehmen  liessen. 

')   Die   klammern    bezeichnen   die   teile,    die   Symons   des  metrnms 
wegen  tilgt. 


202  BECKER 

jüngeren  heldenliedern '),  aber  sonst  nirgends  in  der  Akv.  Die 
zeile  ist  auch  insofern  austössig,  als  es  der  von  Gudrun  16,  8 
(holl  gul-J:[j)ü]6r  snimma!)  ausgesprochenen  mahnung  wider- 
spricht, dass  Gudrun  das  Schicksal  der  brüder  schon  für  besiegelt 
erklärt.  Wenn  ich  daher  diese  zeile  für  interpoliert  ansehen 
muss,  so  ist  auch  die  vorletzte  zeile  nicht  zu  retten,  da  sie 
von  der  schlusszeile  inhaltlich,  von  der  vierten  zeile  ( . . .  läer 
norner  grata)  grammatisch  nicht  zu  trennen  ist  (Sievers,  Beitr. 
6,351,  der  das  Uter  der  vorletzten  zeile  als  widerholung  des 
Uter  aus  der  vierten  zeile  streicht,  da  es  metrisch  stört). 

3)  Die  angeführten  Interpolationen  schlössen  sich  alle  an 
A-strophen  an:  daneben  finden  sich  auch  einige  anknüpf ungen 
an  Strophen  und  zeileu  von  B.  Wir  mussten  oben  s.  195  str.  19 
und  20, 1.  2  als  fornyröislag  ansehen.  Angeschlossen  an  20 
{sjau  hjö  Hqgne  sverjje  hvgsso)  folgt  nun  mit  verändertem  vers- 
mass,  verändertem  rh3'thmus,  und  angeschlossen  mit  cn,  wie 
die  interpolierte  str.  15: 

en  enom  ätta      hratt  i  eld  lieitau. 
sva  skal  frökn  verjask      fiQudom  sinom 
sem  HQgue  Tar]?e      heudr  —    —    —    — 

Ich  halte  dies  widerum  für  eine  Interpolation,  die  in  über- 
treibender Aveise  H^gni  zu  verherrlichen  sucht:  nachdem  er 
sieben  feinde  gefällt  hat,  muss  er  noch  einen  achten  ins  teuer 
schleudern.  Auf  einen  interpolator  deutet  ferner  besonders 
der  schluss  der  Strophe,  der  in  reflectierender  weise  auf  H^gni 
als  muster  hinweist:  etwas  ähnliches  findet  sich  in  der  Akv. 
nur  noch  an  einer,  gleichfalls  sehr  verdächtigen  stelle  (str.  34), 
von  der  sogleich  zu  reden  sein  wird. 

Fassen  wir  weiterhin  die  Schlüsse  von  str.  24  und  26  ins 
äuge.  Die  ersten  vier  zeilen  beider  Strophen  sind  in  glattem 
und  fliessend em  fornyröislag  abgefasst  (B).  Dagegen  fallen 
die  beiden  fünften  zeilen  im  versmass  (das  unmöglich  als 
fornyröislag  angesehen  werden  kann),  vor  allem  aber  durch 
die  unbeholfenlieit  des  rhythmus  merklich  von  dem  vorher- 
gehenden ab;  sie  sind  aber  einander  sehr  ähnlich: 

str.  24,  9.  10   bif  pesk  holfo  meirr      es  i  brjuste  lä 
Str.  2G,  9.  10   bif  pesk  sväge  mjqk      piä  i  brjüste  la 


■.«»■*•■*;• 


^)  In  Am.  mehrfache  hinweise  auf  das  ende,  s.  dazu  uuteu  §  14a. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  203 

Sievers,  Beitr.  6, 352  hat  schon  auf  den  metrischen  gegensatz 
dieser  Schlüsse  zum  vorhergehenden  aufmerksam  gemacht.  — 
Auch  in  diesen  zeilen  verrät  sich  die  absieht,  die  einfache 
tatsache:  'es  zittert  sehr',  'es  zittert  wenig',  zu  steigern.  Ich 
möchte  auch  diese  zeilen  als  interpoliert  ansehen;  dagegen 
halte  ich  im  gegensatz  zu  Grundtvig  und  Symons  die  anfangs- 
zeilen  der  beiden  Strophen  24  und  26:  pd  kvaj)  Jxit  Gunnarr, 
giimna  drötten,  und  nicerr  Jcva])  ])at  Gunnarr,  geirnijlunyr  nicht 
für  interpoliert,  sondern  für  die  alten  anfange  dieser  B-strophen. 

Ich  glaube  nun  annehmen  zu  dürfen,  dass  alle  bisher  an- 
gesetzten Interpolationen,  str.  5 — 8.  str.  15.  17,5 — 14.  20,3—7. 
24, 9.  10.  26, 9.  10  von  demselben  Überarbeiter  c  herrühren, 
hauptsächlich  deshalb,  weil  sie  alle  die  tendenz  verraten,  den 
rühm  der  Niflunge  zu  steigern. 

Wenn  nun  ein  interpolator  nicht  allein  ganze  Strophen 
eingefügt  (5 — 8.  15),  sondern  auch  bereits  vorhandene  teile 
von  A  und  B  erweitert  hat,  so  drängt  sich  von  selbst  der 
gedanke  auf,  dass  eben  dieser  interpolator  c  die  alten  texte 
A  und  B  derart  zusammengearbeitet  haben  möge,  dass  er 
Strophen  und  strophenteile  der  zwei  lieder  zusammenschob 
und  das  ganze  durch  selbstverfasste  Strophen  und  zeilen  abzu- 
runden suchte.  Diese  annähme  scheint  mir  die  einfachste 
lösung  des  schwierigen  problems  zu  bilden,  das  die  gestalt 
der  uns  erhaltenen  Akv.  in  sich  trägt. 

§  4.  Von  den  bisherigen  gesondert  sind  noch  zwei  Strophen 
zu  betrachten,  die  schon  von  F.  Jonsson  und  Symons  als  un- 
echt angesehen  worden  sind;  str.  33  und  34: 

Ok  meirr  papan      menvQrp  bitols, 
dolgrogne,  clrö      til  daups  skökr.  — 
Lifanda  gram      lagpe  i  gavp 
panus  skripeun  vas,      skatua  meuge, 
innan  ormom,      en  eiun  Giinnarr 
lieiptmöpr  h^rpo      heude  knipe; 
glump'o  streuger,      svä  skal  golle 
fräkn  hriugdrife      vif>  fira  halda. 

Im  versmass  stechen  diese  Strophen  aufs  schärfste  von  dem 
vorhergehenden  ab,  während  sie  untereinander  eng  verwant 
sind:  sie  sind  beide  streng  viersilbig,  mit  ausnähme  ihrer 
letzten  halbverse   (33, 3  ist  dreisilbig,   34, 12  hat  einen  auf- 


204  BECKER 

takt);  ferner  sind  rlij^tlimisch  auffallend,  im  gegensatz  zu  den 
B-strophenj  die  abgehackten  lialbversenden: 

dolgrogne  drö, 
til  daups  skökr, 
lifanda  gram, 
]agf>e  i  garp.  — 

Schon  Bugge  findet  str.  34  'im  höchsten  grade  verkünstelt' 
(Fornkvaedi  s.  432).  Stilistisch  fällt  auf  die  unnatürliche  aus- 
einanderstellung  von  hitols  und  skökr  (33),  die  verschränkung 
und  trenuung  zusammengehöriger  Satzteile  in  str,  34:  laglie  i 
garj),  panns  skripenn  ras,   skatna  menge,    innan  ormom. 

Weiter  ist  die  häufung  der  kenningar  (es  sind  deren  3  in 
4  halbversen)  zwar  einem  skalden  der  spätzeit,  aber  nicht 
einem  Eddadichter  zuzutrauen,  auch  wenn  er,  wie  A,  gern 
einmal  eine  kenning  anwendet;  s.  näheres  unten  §  G.  4.  — 
Daher  kann  ich  diese  fornyröislag-strophen  nicht  dem  dichter 
B  zuweisen,  dessen  einfach -schöne  Strophen  wir  oben  kennen 
gelernt  haben. 

Endlich  bringt  der  schluss  von  str.  34  wider  einen  reflec- 
tierenden  hinweis  auf  die  musterhaftigkeit  des  beiden,  wie 
wir  das  schon  in  20  bei  dem  interpolator  c  fanden.  So  werden 
auch  diese  zwei  Strophen   einem  interpolator  zuzuweisen  sein. 

Wenngleich  nun  der  schluss  von  34  an  den  von  20  (c) 
erinnert,  so  möchte  ich  doch  33  und  34  nicht  dem  inter- 
polator c,  sondern  einer  anderen  band  zuweisen:  einmal  wegen 
ihrer  von  c  abweichenden  metrischen  beschaffenheit  (c  bedient 
sich  einer  art  von  mälahättr,  mit  eingestreuten  viersilblern, 
str,  33  und  34  zeigen  dagegen  strenges  fornyröislag);  alsdann 
wegen  ihrer  besonders  vertrockneten,  verkünstelten  technik, 
die  wir  in  der  weise  bei  c  nicht  finden.  Ich  möchte  die 
beiden  Strophen  daher  als  eine  besondere  Interpolation  in  A 
ansehen  und  als  d  bezeichnen. 

Nun  ist  freilich  ihres  Inhalts  wegen  Strophe  34  jetzt  unent- 
behrlich: sie  erzählt  von  Gunnars  Versenkung  in  der  schlangen- 
grube  und  von  seinem  harfenspiel.  Gehört  aber  die  Strophe 
wegen  der  genannten  eigenschaften  weder  zu  A  noch  zu  B, 
so  wird  man  vermuten  dürfen,  der  interpolator  d  habe  an 
dieser  stelle  bereits  eine  lücke  in  A  vorgefunden  und  sie,  nach 
der  umlaufenden  sage,  auszufüllen  gesucht,    Man  könnte  viel- 


DIE    ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  205 

leicht  auch  (mit  Bug-ge,  Fornkvaedi  s.  432)  die  12  lialbverse 
von  34  als  künstelnde  Umarbeitung  einer  älteren  stroplie  von 
8  halbversen  ansehen;  doch  wäre  der  grund  einer  solchen  ver- 
einzelten Umarbeitung-  nicht  recht  klar. 

Ausser  den  bisher  behandelten  stellen  der  Akv.  finden  sich 
noch  einzelne  kleinere,  die  in  rein  metrischer  hinsieht  gewisse 
bedenken  erregen.  Ich  muss  mich  aber  hier  mit  der  behand- 
lung  der  auffallendsten  erscheinungen  begnügen,  da  sonst  erst 
nicht  nur  der  gesammte  malahattr  der  Akv.  (A  und  c)  genauer 
zu  untersuchen  und  mit  dem  der  Am.  zu  vergleichen,  sondern 
auch  das  foruyröislag  (B  und  d)  bis  ins  einzelne  zu  analy- 
sieren wäre,  was  in  diesem  Zusammenhang  nicht  möglich  ist. 

§  5.    Nach  dem  gesagten  können  wir  den  überlieferten 

text  der  Akv.  in  folgender  weise  aufteilen: 

A:  Str.  1—4.  9—14.  16-17, 4.  18.  22.  25, 1-4.  29—32.  35-39.  41—45. 
B:  Str.  19-20, 2.  21.  23.  24,1—8.  25,5  —  26,8.  27.  28.  40.  46. 
c:  Str.  5— 8.  15.  17,5—14.  20,3—7.  24,9.10.  26,9.10. 
d:  Str.  33.  34. 

Die  hauptmasse  der  Akv.  bildet  also  A:  von  den  348  halb- 
versen gehören  zu  A  209,  zu  B  62,  zu  c  63,  zu  d  14.')  In 
A  herscht  der  malahattr:  nur  10  proc.  der  halbzeilen  (20  von 
209)  sind  viersilbler  (nach  R,  bei  Symons  29, 1  und  3  als  fünf- 
silbler,  45,5.  6  gestrichen),  während  wir  für  die  gesammte 
Akv.  19  proc.  viersilbler  fanden. 

2,   Stilistische  eigentümlichkeiten. 

Nach  erledigung  der  Vorfrage  gilt  es  nun,  die  beiden  lieder 
vergleichend  zu  betrachten,  zunächst  nach  ihrer  stilistischen 
eigentümlichkeit.  Dabei  wird  stets  zuerst  die  Akv.  in  der 
überlieferten  gestalt  den  Am.  gegenübergestellt  werden,  dann, 
soweit  möglich,  Akv.  A  allein  gegenüber  den  Am.  Die  drei 
anderen  stücke  B,  c,  d  eignen  sich  wegen  ihrer  kürze  nicht 
zur  vollständigen  vergieichung  mit  Am.,  umsoweniger  als  gerade 
von  B  nur  wenige  bruchstücke  vorliegen;  doch  wird  überall 
angedeutet  werden,  welchem  teil  der  Akv.  eine  jeweilen  be- 
handelte erscheinung  angehört;  w^o  eine  besondere  angäbe  fehlt, 
ist  stets  Akv.A  gemeint. 


1)  Oder  in  proceuten:   A  60  proc,   B  18  proc,  c  18  proc,  d  4  proc 


206  BECKER 

§  6.    Eigentümlichkeiten  im  Wortschatz. 

1)  Im  Wortschatz')  hat  die  Akv.  eine  Vorliebe  für  Zu- 
sammensetzungen mit  val-,  -hgll,  sowie  für  hgJl  allein:  valhgllo 
2, 3.  15,  2  (c),  vahauj)a  4,  G,  valhaugar  29,  6,  valbrdper  39,  6. 
—  valhollo  2,  3.  15,  2  (c),  pijshgUo  31,  7,  siiln'hgllo  32, 5.  —  ligll: 
1,  6.  7, 10  (c),  16,  8.  36,  6.  37,  3.  44,  5. 

Die  gegenprohe  in  den  Am.  ergibt  nur  43, 3  hgllo.  —  Auf 
der  anderen  seite  haben  die  Am.  eine  Vorliebe  für  Zusammen- 
setzungen mit  füll-,  storr-,  of-,  und  für  fjglj)  mit  dem  genitiv: 
fidldruMet  8,4,  fuUrynenn  11,3,  fuUrdJja  40,3,  fuUveget  49,5, 
fidlilla  81, 3.  —  storhugoj)  72,  stöyrcBjte  83, 6,  störrdpa  87, 4. 
ofrike  69, 2,  o/J)i77.7a  71, 8,  ofvalt  28, 9.  95, 5.  —  fjglp  Jiorna 
8,  3,  fjglj)  fear  88,  7,  meipma  fjglj)  89,  2.  —  Die  gegenprobe  in 
der  Akv.  ergibt  nur  fullrött  46, 1  (B). 

2)  Die  diction  der  Akv.  ist  ferner  die  reichere,  prunk- 
vollere, die  der  Am.  die  einfachere.  Die  Akv.  hat  zunächst 
eine  im  Verhältnis  ungleich  grössere  zahl  von  zusammen- 
gesetzten Substantiven  als  die  Am.-) 

Akv.  drötmeger  2, 1,  valhgUo  2,3.  15, 2  (c),  sopoJJiMpe  i,  ö,  salhüsT,!, 
injöpranne  9,  7,  (joUslcäler  10,  3,  prcftgnnom  11,  6,  greystope  11,  7,  landrggne 
12, 1,  erfevgipr  12,  6,  lipsJcjalfar  li,  2,  suprpjöpom  14,  5,  sessmeipom  14,  6, 
harmhrpgpom  16,7,  skjaldmeyur  45,8.  17,  9  (c),  ormgarp  17,12.  13  (c),  ros- 
mofjolJ  18,  5,  hcddr'ipa  22,  4,  pjöpJconungs  22,  6.  46,  6  B,  lumllasmip  25,  3, 
geiniiflungr  2i),2  B,  rögmcdme  29,2,  valbaiigar  29,  G,  livelvQgnom  30,1, 
rogpornom  31,  3,  sigtiva  31,  5,  pyshgllo  31,  7,  suprhgllo  32,  5,  hvilhepjar 
32, 7,  menvgrp  33,  2  d,  dolgrggne  33,  3  d,  hringdrife  34, 11  d,  vapnsgngr  35,  7, 
glskdler  37, 1,  gllcräser  34,  4.  39,  7,  vcdbraper  39,  6,  gnduge  39.  8,  gopvefjom 
41,  3,  hüskarla  42,  4.  44,  6,  fjarghüsa  42,  8.  45,  6,  banorp  46,  7  B. 

Am.  samJcundo  1, 3.  71,  7,  einmcele  1,  5,  hüsfreya  3, 1,  manvite  3,  2. 
45,5,  scnc?e7Hemi  4, 6,  svqmse  7,3.  70,3,  orpstafe  9,3,  ästkynne  li,3, 
linkkepe  15,  5,  hvltahjgrn  17,  3,  mwpmanne  22, 4,  hüskarlar  27, 7,  bakfgUom 
34,  3,  andspille  43, 1,  halsmenjom  43,  7.  68,  6,  harprcepe  46,  3.  81,  7,  /«'er- 
^r^^er  58,1,  erkosto  58,9,  illpnäe  59,3,  dagmeger  61,6,  ilkvistom  62,2, 
o/■r^^-e  69, 2,   grunnypge  70, 1,   gldrykkjor  71, 1,    ofrhefnder  72, 4,   harnäsko 

74. 1,  glskglom  77,  4,  fürhnge  83,  2,  heiptyrpe  83,  3,  störroepe  83, 6,  vipfarar  j 

84.2,  ä</f«(es  96,7,  prdmcele  99,7.  - 


^)  Die  Wörter  werden  stets  in  der  form  gegeben,  wie  sie  im  text 
auftreten. 

2)  Bei  der  Zählung  der  belege  werden  hier  die  widerholuugeu  derselben 
Wörter  nicht  mitberechnet,  da  es  sich  nur  um  den  vorhandenen  schätz  von 
Zusammensetzungen  handelt. 


I 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  207 

Die  Zählung  ergibt  für  die  Akv.  41  (davon  für  A  35),  für 
die  Am.  nur  33;  liier  ist  aber  noch,  wie  bei  allen  weiteren 
auf  Stellungen,  in  betracht  zu  ziehen,  dass  die  Am.  mehr  als 
doppelt  so  lang  sind  als  die  Akv:  die  zahl  der  halbverse  der 
Akv.  beträgt  nur  46  proc.  von  der  der  Am.  (die  zahl  derer 
von  A  beträgt  27  proc.  von  der  der  Am.).  Bei  gleicher  länge 
der  gedichte  wäre  also  für  Akv.  :  Am.  ein  Verhältnis  von  ca. 
89  :  33,  für  Akv.  A  :  Am.  sogar  ein  verh.  von  ca.  133  :  33  zu 
erwarten. 

3)  Aehnlich  ist  das  Verhältnis  bei  den  zusammengesetzten 

adjectiven: 

Akv.  arencirei/pom  1,7.  3,7.17,3,  vielfjreypa  S,  ii.  4,8.  13,3,  okunnan 
3,  4.  13,  4,  gollhrö/))ia  4,  3,  süfrgyld  4,  5,  valraupa  4,  6,  jafniniket  6,  8  (c), 
bekksema  7,  7  (c),  (p-ünvarper  11,  3,  hlakfjdller  11,  r>,  oneiser  12, 2.  18,  6, 
gunnhvätan  12,3,  harpmöpger  13,6,  vandstyggva  13,7,  cügrena  13,8,  sol- 
Jieipa  17,  6  (c),  navpfglra  17,  7  (c),  sJ/prheko  22,  5,  öglikt  26,  5.  24,  5  (B), 
äskunna  29,  S,  heiptmoper  Si,l  (A),  egrskaan  ^b,B,  n/flfanin  3G,8,  vinhöfgar 
87, 2,  gransiper  37,  5,  skirleita  38, 1,  afk(^r  38,  3.  41,  2,  neff'glom  38,  5,  hrcü- 
dreyrog  39,  3,  glreifa  40,  4  B  herharpa  41,  7,  ufröpa  41,  9,  gaglbjarta  42, 2, 
('rvarr  43, 1,  helfüsse  44,  3,  aldrstamar  45,  9,  fullrett  46, 1  B. 

Am.  ofö  1, 1,  sannräpner  1,  8,  glvcvrer  5, 1,  drötläta  10,  3,  iUkpgar 
13,  1,  glöpraupo  13,  6,  endlgngo  18,  2.  24,  2,  velhoren  20, 1,  aflima  25,  7, 
skammceer  26,  6,  fagrhünar  28,  7,  ggrvallan  30,  5.  43,  8,  fullräpa  40,  3, 
fidldrukket  8,4,  fuUrynenn  11,3,  fidlveget  49,5,  fidliUä  81,3,  obiiner  41,3, 
sdJhoren  46, 1,  gndiupan  49,  4,  grimmüpgan  55,  5,  halfyrkjan  57,  5,  sZ;«jj- 
daiipe  57,  6,  änaupgan  60,  3,  pjöpgöpan  61, 1,  rakMötoin  61,  3,  sjaJfskapa 
64,  7,    ägcetom  66,  6,    sncehvito  66,  7,    afA-p'r  67,  5,    ofmikla  71,  8,  störhugop 

72. 1,  kapsvinna  74,  2,  störräpa  87,  4,  övd'gen  92,  2,  ürboren  98,  3. 

Die  Zählung  ergibt  für  die  Akv.  37  (davon  für  A  29),  für 
die  Am.  nur  36.  Bei  gleicher  länge  der  gedichte  wäre  also 
für  Akv.  :  Am.  ein  Verhältnis  von  80  :  36,  für  A  :  Am.  sogar 
ein  Verhältnis  von  107  :  36  zu  erwarten. 

4)  Am  auffallendsten  tritt  der  reichtum  der  spräche  in 
der  Akv.  gegenüber  der  einfachheit  von  Am.  zu  tage,  wenn 
wir  die  kenningar  der  beiden  gedichte  vergleichen. 

Von  zweifellosen  kenuingar  begegnen  in  der  Akv.:  sessvieipom  14:,  6, 
kmnhlasmip  25,  3,  baldr/pa  22,  4,  syne  pjöpkonungs  22,  6,  rögmalme  skatna 

29. 2,  valhaugar  29,  6,  rögpornom  31,  3,  solo  suprhgllo  32,  5,  hglkve 
hvilbepjar  32,  7,  hn'nge  Ullar  32,  8,  sverpa  deiler  39,  2,  fjarghitsa  42,  8 
(=  domus  vitae,  körper  nach  Sj^mons'  ausg.  s.  435).  Alle  diese  gehören  A 
an.   —   Dazu  kommen  aus  B :  vin  Borgunda  19,  3,  geirniflitngr  26,  2,  goU 


208  BECKER 

mipkndr  ■U),l;  —  aus  d:  menrgrp  ^'^,2,  dolgrggne  SB,3,  bitols  skökr 
33,2.4,  hrimjdrife  34,11. 

Dagegen  tiudeu  sich  iu  den  Am.  nur:    hgrr  slcjaldar  28,5,   dugmeger 

61.6,  ükristom  62,2. 

Die  zälilimg-  ergibt  für  die  Akv.  19  (davon  für  A  12),  für 
die  Am.,  das  mehr  als  doppelt  so  lange  gediclit,  nur  3.  Bei 
gleicher  länge  der  gedichte  wäre  also  für  Akv. :  Am,  ein  Ver- 
hältnis von  41  :  3,  für  A  :  Am.  sogar  ein  Verhältnis  von  44  :  3 
zu  erwarten. 

5)  Die  Akv.  hat  überhaupt  im  Verhältnis  einen  reicheren 
schätz  von  Substantiven  als  die  Am.:  die  Akv.  hat  185  deren 
(davon  A  134),  die  Am.  haben  300.  Bei  gleicher  länge  ergäben 
sich  also  die  verhältniszahlen  402  (bez.  496)  :  306. 

Im  gegensatz  dazu  substantivieren  die  Am.  viel  häufiger 
adjectiva  als  die  Akv.  (die  folgende  liste  schliesst  die  wider- 
holungen  ein). 

Am.  vitr-e  3,  5,  frekner  4,  8,  fripr  5,  6,  svipre  6,  7,  mdirar  8, 1,  dröt- 
läta  10,  3,    horsk  10,  5,    hjgrt  11,  7,    vitre  12,  3,    velboren  20, 1,    fagrhünar 

28.7,  Ijösar  28,9,  horskar  32,3,  ilt  37,8,  hvater  4S,B,  sd:lboren  4:6,1,  rgskr 
50,1,  halfyrkjan  57,5,  Igskr  57,8,  änaupgom  60,3,  pjöpgopan  61,1,  nkre 
62,  7,  dyrer  63, 1,  horskre  64,  3,  hollra  64,  6,  gopo  66,  4,  störhugop  72, 1, 
litla  72,  5,  kapsvinna  74,  2,  hgrpo  76, 3,  ilz  80,  8,  rgskr  85, 1,  sannasta  85,  5, 
tndirre  89, 1,  Jmnske  94, 1,  vngre  94,  3,  kvikre  94, 5,  itrhoren  98,  3. 

Akr.  dyJjendr  2, 2,  frekner  13, 1,  JiarpmöPger  13, 6,  vmuhiyggva 
13,  7,  ?77iT  16,  6,  frökn  20,  5  (c),  freknan  21, 1  (B),  skhieita  38, 1,  möpogr 
39,  5,  viiplendr  40,  7  (B),  Zyprf  46,  7  (B). 

Das  sind  für  die  Am.  38  fälle,  für  die  Akv.  nur  11  (A  7): 
also  ergäbe  sich  bei  gleicher  länge  der  gedichte  ein  Verhältnis 
wie  38  :  24  (bez.  26). 

§  7.    Adjectivische  epitheta.    Variationen. 

Noch  in  anderen  erscheinungen  tritt  der  reichtum  der 
spräche  in  der  Akv.  gegenüber  den  Am.  zu  tage.  Zunächst  ge- 
braucht die  Akv.  häufiger  als  die  Am.  adjectiva  als  epitheta. 

1)  Folgende  Übersicht  zeigt  alle  fälle,  wo  ein  adjectivum, 
näher  oder  ferner  von  einem  beziehungswort  oder  auch  sub- 
stantiviert ohne  ein  solches,  in  der  function  eines  epithetons 
auftritt. 

Akv.  kunnan  1,3,  arengreijpom  1,7.  3,7.  17,3,  svgsom  1,8,  kaldre 
2,  6,  supräne  2,  7,  hörom  2,  8,  mclgreypa  3,  3.  4,  8.  13,  3,  ökunnan  3,  4.  13,  4, 
skufna  i,%  goUhröpna  4,3,  silfrgyld  4,  5,  vcäranpa  4,6,  stüroin  9,8,  garnier, 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  209 

gränvaiper  11,3,  hlal-fjalUr  11,5,  öneiser  \2,%  (junnhraf an  12,3,  erel2,b, 
frelcner  13, 1,  harpmöpger  13,  5,  vandsti/ggva  13,  7,  algröna  13,  8,  cljüpa 
14,  2,  /(f'yo  14, 4,  hundnom  14,  7,  bleikom  14,  8,  W/ür  16,  6,  dncma  18,  6, 
sl'iprhctto  22,  5,  svinn  29,  3,  dsktotna  29,  3,  reltanda  29,  5,  mnnom  31,  2, 
eyrskaan  35,3,  gijldom  36,3,  vhÜKjfgar  37,2,  grunsiper  37,5,  Jtvatcr  37,6, 
st/yZci'fa  38, 1,  rt/'A-(ir  38,  3,  hrädreyrog  39,3,  mopogr  3d,5,  afkdrr  4:1,2, 
berharpa  41,7,  smsa  41,8,  t<«(/a,  öfrö/ia  41,9,  gaglhjarta  42,2,  raupom 
42, 3,  sJcIran  42,  6,  hcJftisse  44,  3,  heitovi  44,  7,  foru  45,  5,  heitern  45,  10. 

Alle  diese  geliüreu  allein  Äkv.  A  au.  Dazu  kommen  aus  B:  hvosso 
20,2,  freknan  21,1,  hluiipa  24,4,  frekna  24,6,  frekna  26,4,  hlaupa  26,6, 
glreifa  40,  4,  Zy'p''^  46,  8 ;  —  aus  c :  viprar  5, 1,  gjallanda  5,  3,  gyldom  5,  4, 
sforar  5,  5,  mdra  5,  7,  ©vc  6,  3,  bekksema  7,  7,  raupom  8,  6,  gJuUanda  15,  7, 
solheipa  17,6,  naupfolva  17,7,  hcitan  20,4;  —  aus  d:  he/j)tm6pr  34,7, 
/Vti/i«  34, 11. 

Am.  s^ora  2,  5,  r«Yre  3,  5,  frekner  4,  8,  /'?•//)>•  5,  6,  kapps  gdleg  6,  3, 
««•//»•e  6,  7,  imerar  8, 1,  Ijösom  9,  4,  drötläta  10, 3,  /lors/c  10,  5,  &;'?»•<  11, 7, 
r/7/-e  12,  3,  glopmvpo  13,  6,  Zio'r  15,  3,  endJongo  18,  2.  24,  2,  velboren  20, 1, 
W^7j/-  28,5,  fagrbiinar  28,  7,  lJ6sar2S,9,  blip3\,2,  horskar  32,3,  ^varr  37,3, 
hi-ater  43,3,  scelboren  46,1,  nokpan  46,5,  rpsÄT  50,1,  vigleger  50,6,  svinna 
53,  5,  veglega  54,  8,  gn'mmüpgan  55,  5,  halfyrkjan  57,  5,  dnaitpgom  60, 3, 
pjöpgüpjan  61,1,  rakklotom  61,3,  ?vZ:re  62,7,  c??/''^'"  63,1,  horskre  64,3, 
hoUra  64,  6,  dgcetom  66,  6,  sncehvito  66,  7,  ofmikla  71,  8,  storhugop  72, 1, 
kapsvhuia  74,2,  vükla  75,7,  storan  81, 11,  rgskr  85,1,  ü'</e>i»a  88,  4,  störom 
88,  6,  mckrre  89, 1,  ^cii/jar  89,  4,  toigrer  91,  5,  hunske  94, 1,  tmpre  94, 3, 
sfemt?«  97,  2,  itrboren  98,  3,  /"/-d/)  98,  5. 

Das  sind  für  die  Akv.  82  (davon  A  60),  für  die  Am.  57. 
Bei  gleicher  länge  der  gediclite  ergäbe  sich  für  Akv.  :  Am, 
ein  Verhältnis  von  180  :  57,  für  A  :  Am.  sogar  ein  Verhältnis 
von  226  :  57. 

2)  In  bezug  auf  Variationen  (s.  besonders  Heinzel,  Stil  der 
altgermanischen  poesie  s.  3  ff.)  ist  ebenfalls  die  Akv.  ungleich 
reicher  als  die  Am. 

a)  Wortvariation. 

In  der  Akv.  findet  sich  meist  nominale,  in  den  Am.  meist 

verbale  Variation. 

AliT.  at  ggrpom  kvam  Gjäkä  —  ok  at  Gunnars  hgllo  1,5.  6,  Knefrgdr  — 
seggr  enn  snprene  2,  5.  7,  nipjarge  —  ne  ngungr  annarr  9, 1.  2,  rynendr 
ne  räpendr  9,3,  ulfar  —  garnier,  grdnvarper  11,1.  3,  landrggne  —  gutin- 
hvatan  12, 1.  3,  Jieüer  —  ok  Jwrsker  12,  7,  lypa  —  rekka  dneissa  18,  4.  6, 
Gunnar  —  vin  Borgunda  19, 1.  3  (B),  Gunnarr  —  gmnna  drötten  24, 1.  2 
(B),  Gunnarr  —  geirniflungr  26, 1.  2  (B),  Bin  —  p  svinn  29, 1.  3,  rög- 
malme  skatna  —  dskunna  arfe  Kiflunga  (zu  der  gekreuzten  Wortstellung  in 
Str.  29  vgl.  Heinzel  a.a.O.  s.  10).  29,  2.  8.  4,    Atle  —  sifjungr  peira  31, 1.  4, 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXllI.  ^^ 


210  BECKER 

srarßa  —  nefnda  32,  3.  4,  menrgrp  —  dolgrgcjne  83  (d),  melta  —  da  at 
olkrösom  39,5.  7,  Erp  ne  Eitel  —  glreifa  tvaa  40,3.  4  (B),  ymr  —  aflcärr 
songr  —  gnijr  41, 1.  2;  bure  sväsa  —  unga,  öfröpa  41,8.  9,  Guprun  —  en 
gaglbjarta  kona  42, 1.  2,    hrunno  —  knigo  i  eld  heitan  45,  8.  10. 

Zu  dieser  fällen,  die  deu  normalen  Charakter  der  Variation  tragen 
(s.  Pachaly,  Die  Variation  im  Heliand  s.  3),  treten  noch  einige,  in  denen 
eine  nominale  Variation  in  anderen  casus  als  ihr  g-rundbegriff  erscheint, 
indem  sie  gleichsam  erst  nachträglich  hinzutritt:  Akv.21  (B):  frggo  fräJcnan, 
effjor  ihMc  Gotna  pjöjxmn  (nom.)  golle  Jcaiipa;  22  hjarta  skal  vier  Hggna 
i  hende  Uggja,  hlöpogt  6r  hrjüste  skoret  haldripa  (dat.)  —  sgnc  pjöp- 
koHungs;  25  Jdü  pa  Hggne,  es  til  hjarta  skgro  kvikvan  kumhlasmip  (acc). 

Am.  Kosthera  —  kona  kapps  guleg  6, 1.  3,  eige  kann  jgtnar  — 
galge  ggrvallan  30,  3.  5,      ef  at  ypr  hjge  —  ä  grip  lujgpe  30,  4.  6,      Bera 

—  hlip  i  hiig  siiiom  31, 1.  2:  hrnndo peir  Vinga  —  ok  i  hei  drnpo  38, 1.  2; 
feldan  —  lampan  til  heljar  4^i,  i.  5;  rep  hgggva  —  i  heJjo  pann  hafpe 
47,7.  9;    keppa  svä  kxinnc  —  kvgl  hann  velpolpeGl,  7.  8.  —  heta'aldrege 

—  ire  viniia  pcss  etke  u.s.w.  68,9.  10;  —  Atla  til  segja  —  dglja  inonk 
pik  eige  75,2.  3;    tgggtu  tiplega  —  trüper  vel  jgxlom   78,7.  8;    heimsko 

—  harpi-cepe  81,  7,  vcegja  —  vcetke  halda  —  kyrt  of  pvi  lata  95,  5 — 7, 
mund  —  meipma  fjglp  89,1.  2,    tepja  —  vinna  et  vergasta  59,7.  8. 

Die  Zählung-  ergibt  für  die  Akv.  25  fälle  (davon  für  A  19), 
für  die  Am.,  das  mehr  als  doppelt  so  lange  gedieht,  nur  15. 
Bei  gleicher  länge  der  gedichte  wären  also  für  die  Akv.  54, 
für  A  sogar  70  fälle  gegenüber  den  15  fällen  der  Am.  zu  erwarten. 

b)  Satzvariation. 

Die  Satzvariation  unterscheidet  sich  von  der  ihr  änsserlich 
ähnlichen  verbalen  Variation  dadurch,  dass  nicht  speciell  der 
verbalbegriff,  sondern  der  sinn  des  ganzen  satzes  variiert  wird ; 
auch  wenn  dasselbe  subject  bleibt,  tritt  diese  erscheinung  zu- 
weilen auf. 

Akv. 

Ulfar  mono  rä)?a  arfe  Niflunga 

gamler,  gränvarj?er,        ef  Gunnars  misser,  — 

birner  blakfjaller  bita  preftQnnom, 

gamna  greystöpe,  ef  Gunuarr  ue  kemrat.     11. 

Ein  skal  räpa        rogmalme  skatna, 

0  svinn  äskunna        arfe  Niflunga,  — 

1  veltanda  vatne        Ij'sask  valbaugar 

heldr  an  a,  hQudom        skine  Hüna  b^rnom.    29. 
seinat's  nü  syster        at  samua  Niflungom  — 
langt  es  at  leita       lypa  til  sinnes^).    18. 


')  Sievers,  Beitr.  6, 851  statt  sinnes  til 


DIE   ATLI-LTEDER   DER    EDDA.  21 1 

i  fJQtor  setto  —  ok  buudo  fastla.    19,  2.  4  B. 

Kallara  si}'aii  til  kiiea  finna 

Erp  ue  Eitel,  olreifa  tvaa,  — 

sera  sipan       i  sete  raipjo 

golz  raij'lendr  geira  skepta.    40  B. 

golle  S0re  CTUj'rün  — 

liriugom  raupoiu        reifpe  hüskarla    43, 1.  3.  4.  — 

Am. 

siglef»  er  SEeler  —  ok  sig-r  of  anief'    31,  3.  4. 
blöj'gau  bugj^ak  iiiaike        boren  6r  serk  pinom  — 
geir  liugpak  stauda        i  goguoni  J>ik  mipjau.    22. 
eggjak  y]n',  jarla,        auka  barm  störom 

vifs  ens  veglega 

kostep  svä  keppa,        at  klokkve  Gn]?rüii.    54. 
brseddr  vas  bvergteter,        belta  in  lengr  rüme  — 
kimne  klokr  verpa,        kleif  i  ro  bveija.    58, 1 — 4. 
at  ]>i\  SQk  sxjtter  —  ue  slökper  äpra    95,  3.  4. 

Die  Zählung  ergibt  für  die  Akv.  6  fälle  (davon  für  A  4), 
für  die  Am.  5,  Bei  gleicher  länge  der  gedichte  wären  für  die 
Akv.  13,  für  A  15  fälle  zu  erwarten. 

Nicht  hierher  gestellt  habe  ich,  als  nicht  zur  eigentlichen 
Variation  gehörend,  die  in  den  Am.  häufigen  parallelsätzchen 
abstracten  Inhalts,  die  den  gedanken  eines  satzes,  entweder  im 
voraus  oder  hinterher,  abstract  aussprechen  sollen.  Diese  sätze 
werden  vielmehr  da  zu  besprechen  sein,  wo  von  der  hinneigung 
der  Am.  zu  prosaischer,  abstracter  spräche  die  rede  ist  (§  8,  5). 

§  8.     Epische  und  prosaische  spräche. 
Im  gegensatz  zu  dem  specifisch  epischen  stil  der  Akv. 
steht  der  stil  der  Am.  der  prosa  näher. 

1)  Schon  einige  syntaktische  erscheinungen  weisen  nach 
dieser  richtung.  Annäherung  an  die  prosasprache  zeigt  zu- 
nächst das  häufige  auftreten  indirecter  rede  und  frage  in 
den  Am. 

In  der  Akv.  finden  sieb  nur  folgende  3  fälle:  frögo  frelman,  ef  fjor 
r/Me  (B)  21,1  ff.,  rnU  Uzk  gefa  mundo  5,1  (e),  at  varpa  Gunnare,  efhanus 
viija  kvceme  15,  4  (c). 

In  A,  der  bauptmasse  der  Akv.,  findet  sieb  nicbt  ein  einziger  fall. 
Dagegen  in 

Am.  hupo  peir  heim  Hggna,  ef  pä  heldr  fere  7,1,  het  pa  ferp  Gun- 
narr,  ef  Hggne  vilde,  Hggne  pvihUtie,  es  hinn  of  repe  7,5 — 8,    gd'tiesJc pess 

14* 


212  BECKER 

Glauuivgr,  at  rcere  granä  svcfna  20,3.  4,  eige  kann  Joinur,  ef  ä  >//>?•')  Jijge, 
galge  ggrvallan,  ef  ä  grip  hygpe  30, 8—6,  m(elte  af  manvite,  ef  mundo 
sdfttask  45,  5.  6,  vesall  Uzlc  vigs  peira,  es  shjlde  väss  gjalda  58,  5.  6,  tom 
Uzlc  at  eiga  tepja  vel  garpa  59,  5.  6,  fcgenn  Uzl;  p6  Hjalle,  at  hann  fjgr 
pcege  59,  9.  10,  savir  Uzlc  oh  Alle  at  sina  gorca  71,  3.  4,  freito,  hvat  skijlde 
72, 10,  enn  freite  Alle,  hvert  farner  vcere  74,  5,  sagpak  at  Jcalfs  vcere  78,  4, 
gat  fijr  Gnprüno,  at  vcere  grimmr  Atta  83,  7.  8,  talpe  happ  hgnom,  ef  hann 
hefnt  ynne  84,  3.  4,    Igtonik  pvi  valda  86,  3. 

Die  Zählung  ergibt  für  die  Am.  17  fälle  gegen  nur  3  in 
der  Akv.  Bei  gleicher  länge  der  gedichte  wäre  ein  Verhältnis 
von  17  :  7  (bez.  0)  zu  erwarten; 

2)  Dazu  kommen  zwei  kleinigkeiten.  Erstens  finden  sich 
die  in  der  prosa  so  häufigen  nebensätze  mit  pöat  in  den  Am. 
an  4  stellen:  Jjöt  vcr  ogn  frecjnem  13,  8,  2)6t  hann  rei])r  vcere 
50,  2,  pöt  vceret  sJcapJclit  86,  8,  2)6t  J)at  litt  r&kjak  91, 2,  in  der 
Akv.  nicht  ein  einziges  mal.  2)  Sodann  findet  sich  der  für  die 
prosa  charakteristische  gebrauch  des  plural  eines  pronomens 
bei  einem  namen,  wo  eine  andere  person  oder  mehrere  hinzu- 
gedacht werden,  in  den  Am.  an  zwei  stellen:  pau  Hggne  10,2 
(H^gne  und  Kostbera),  pau  Atle  39, 1  (Atli  und  seine  leute); 
in  der  Akv.  3)  findet  er  sich  nicht.  ^) 

3)  Eine  besondere  eigentümlichkeit  der  epischen  spräche 
sind  die  wörtlichen  widerholungen,  die  z.  b.  in  l3rymskvil'a  und 
Volundarkvij^a  besonders  deutlich  auffallen.  Diese  erscheinung 
zeigt  nun  die  Akv.  in  stärkerem,  die  Am.  in  geringerem  masse. 

AkT. 

vin  i  valhollo  2,  3  =  15,  2  c 

mar  enom  melgreypa  Myrkvip  okunnan    3,  3.  4  | 

mare  eua  melgreypo  Myrkvi]?  okiuinau    13,  3.  4  j 

mef>  hjalinom  arengreypom  at  sökja  heim  Atla  3,  7.  8  \ 

sem  hjalmom  areugreypom  at  sea  heim  Atla     17,  3.  4  | 


1)  Zu  diesem  vers  s.  Detter  und  Heiuzel,  Kommentar  2, 547 :  'Der  satz 
zeigt  unvollkommeu  entwickelte  oratio  obliqua.' 

^)  Sie  finden  sich  überhaupt  in  den  älteren  Eddaliedern  sehr  selten: 
in  der  Vqluspa  nirgends,  in  der  Völundarkvipa  einmal  (35, 11),  ebenso  bei 
prymskvipa  (4,  2)  und  Hampesmol  (30,  5). 

^)  Ebensowenig'  in  Vohispä,  I)rymskvif>a,  Hampesmgl;  V-ölundarkvipa 
an  den  correspondierenden  stellen  42,  3  ü  Velundr  und  43,  3  vit  Velundr. 

*)  Zwar  überliefert  Akv.  15,4  (penn  Gwinarc,  ef peir  ...)  und  Akv. 
45,  3  {peira  Gunnars);  aber  beidemale  ist  das  pronomen,  weil  metrisch  ganz 
störend,  mitSymons  zu  streichen,  während  Am.  10,2.  39, 1  keinen  anstoss  bieten. 


B 


DIE   ATLI-LTEDER   DER   EDDA.  213 

af  geire  gjallaiida    5,  3        \  ,   • 

mep  geire  gjallauda     15,  6  j     ^^^^^  ^ 

arfe  Niflmiga    11,2  =  29,4 

i  eld  heitan  20, 4  c  =  45, 10 

ok  ä  bjöp  logpo,  böro  fyr  Gunnar    23,3.  4        ) 

pat  ä  bjop  Iqgpo  ok  boro  fyr  Gunuar    25,  5.  6  J 

ripa  eyriude    3,  2  =  8,  8  c 

her  hefk  hjarta  Hjalla  ens  blaupa, 
'  oglikt  hjarta  HQgna  ens  frokna, 

es  mjok  bifask  es  ä  bjope  liggr    24,3 — 8 

her  hefk  hjarta  H&gna  eiis  frokna, 

öglikt  hjarta  Hjalla  ens  blaupa, 

es  litt  bifask  es  a  bj6f>e  liggr    26, 3 — 8 

bif  pesk  hqlfo  meirr  es  1  brjoste  lä    24,  9.  10    1 

bitpesk  sväge  mjok  pas  i  brjoste  la    26,  9.  10  j  '^ 
An  3  stellen  (15,  2.  20,  4.  8,  8)  hat  der  bearbeiter  c  einen  ausdruck  ans 
A  widerholt.    Die  grösste  ansdehuung  haben  die  widerholuugen  von  B,  wo 
bis  3  langverse  parallel  sind. 

Am. 

syn  vas  syipvise  ef  peir  sin  gtepe    7, 3.  4     1 

syn  vas  svipvise  ef  hann  sin  gajpe   70,  3.  4  J 

at  endlQngo  hase    18, 2  =  24, 2 

loket  pvi  leto    19,  7  =  71, 5 

rQskr  tQk  at  repa    50, 1  ==  85, 1 

ef  reyner  gorva   73,  8  i 

ef  gorva  reyner    75,  6  j 

dylja  monk  pik  eige,  dötter  Grimhildar    75,  3.  4  =  86, 1.  2 

seui  pü  sizt  skylder    77,  2  =  80,  6 

lygr  pü  nü        —       91, 1  =  96, 1 

kvap  at  orpe     —       29, 1  =  31, 1. 

Die  Zählung-  ergibt  für  die  xA.kY.  10,  für  die  Am.  9  fälle. 
Also  wäre  bei  gleicher  länge  der  gedichte  für  Akv.  :  Am.  ein 
Verhältnis  von  22  :  9  zu  erwarten.  Von  den  10  fällen  der 
Akv.  fallen  2  sehr  beträchtliche  partien  auf  B,  3  auf  A, 
5  kleinere  auf  c,  der  teils  an  A  sich  angelehnt  hat,  teils  sich 
selbst  widerholt  hat.  —  Im  gegensatz  zu  B,  das  grössere 
Strophenteile  parallel  hat,  fällt  es  auf,  dass  sich  diese  erschei- 
nung  in  A  nicht  häufiger  findet.  Aber  auch  in  den  Hampesmöl 
finden  sich  keine  widerholungen,  die  das  mass  eines  langverses 
überschreiten:  es  scheint  als  ob  im  gegensatz  zu  den  rasch 
dahinfliessenden  fornyröislagliedern  die  in  dem  schwerfälligeren, 
prunkvolleren  mälahättr  abgefassten  lieder  widerholungen 
grösserer  Strophenteile  schon  in  älterer  zeit  vermieden  hätten. 


214  BECKER 

4)  Besonders  charakteristisch  für  die  Am.  ist  ferner  deren 
neigung  zn  abstracter  ausdrucksweise.  Das  tritt  schon  darin 
zu  tage,  dass  die  Am.  einen  viel  grösseren  schätz  von  abstracten 
Substantiven ')  haben. 

Am.  samkundo  1,  3.  71,  7,  fctstom  1,  4,  einmcele  1,  5,  slvp  2, 1.  33,  3. 
45,  3,  hi/ggjo  2,  4,  hop  2, 7,  manvite  3,  2.  45,  5,  lag  3,  3,  orßa  3,  3.  29, 1 
u.  ö.,  fürs  4,  3,  saßr  6,  7.  44,  7,  porf  6,  8.  85,  4.  97, 5,  svipvise  7,  3,  ferp  7,5. 

88.2,  beine  8,2,    fjglp  8,3.  88,7.  89,2,   skil  9,2,   )#om  11,2.  Gl,  4.  66,2. 

62.7,  sinn  11,4.  14,4,  haue  12,7.  68,7,  %>me  13,2,  lce&  13,3,  oi/w  13,8, 
ästkynne  14,  3,  \prgmmon  16,  7,  heiioin  18,  5,  /ü/^r  19,  5.  31,  2  u.  ö.,  repa 
19,  8,  (70»!e  20,  2.  81,  6,  f/raMtZ  20,  4,  sue/iza  20,  4.  22,  3.  85,  2,  re/c  21,  5, 
glanmr  23, 3,  jlaugon  23,  4,  Zcz/jer  20,  6,  pjöste  24,  3,  «o«  25, 2,  ve?^  29,  5, 
f?7jrt  29,  6,  gl0X>r  29,  7.  81, 11,  Jcväma  29,  7.  36,  5,  gnp  30,  6,  sigr  31,  4, 
&a/r/(>ZZom  34,3,  /oZ;35,2,  life  4:0,4.  85,8,  ancZsjj/ZZe  43, 1 ,  eMa  43,  6, 
hjcddre  46,  7,  kvepja  44,  6,  «?«n  44, 8,  Z^7cHa  45, 1,  harpn^pe  46, 3.  81,  7, 
sÄ-wo  47,  5,  yj/pj-ifco  48, 1,  sökn  48, 7,  morgen  49, 1.  64, 5.  76,  5,  dag  49, 2.  4. 
58,  7.  63, 2,  Otto  49,  3,  7tZJo«  52, 1,  Jiarm  53,  8.  54,  2.  64, 3,  hnekking  56,  5, 
rMWie  58, 2,  tv^rs  58, 5.  65, 2.  86,  7,  «-«ss  58, 6,  tom  59, 5,  hik  60, 6.  68, 3, 
skrctkton  60,8,  b-pZ  61,8.  94,5,  ipröüa  63,4,  ?7>rar  65,3,  aldre  65,7,  on 
67, 1,  süüer  67,  3,  saÄ;ar  67, 4.  95, 3,  ^-osfom  69, 1.  94, 2.  61,  2,  o/?-/Z:e  69,  2, 
grunmjpge  70, 1,   svipvise  70,  3,  (ßdnjkkjor  71, 1,   er/"«  71, 2.  81, 12,  svorfon 

71.8,  cetn2,2,  ofrhefndl2A,  eile  13,  4,  rö  73,7,  reiße  73,7,  barnäsko  74,1, 
rp  75,7,  «J9te)m76,7,  ZtZHi  79,  3.  90,  6.  96,  3,  t'?7e  81, 1,  Jieimsko  81,7, 
sorger  82,  6,  daupa  82,  7,  fnrlmga  83,2,  heiptyrpe  83,  3,  /te?j)i  83,  5,  sUrrdpe 
83,  6,  vipfarar  84,  2,  Aajjijj  84,  3,  cp'n  S5,  8.  87,  5,  «re  86, 4,  Z?/^e  87,  5,  sc'jme 

88.3,  S0»0  89, 5,  r 6g  91,6,  Jiags  91,10,  aupno  92,7,  hrcedo  93,4,  nafn 
94,  4,  a«^r  94,  3,  /)m^e  95, 1,  gezko  96,  6,  ägcHes  90,  7,  s^jv/j  98,  2,  cZrpZ  98,  7, 
fZe'f/ra  98,  7,  a/re^-e  99,  3,  prchndde  99, 7. 

AkY.  rrcj'^e  2,  4,  rprZtZo  2,  6,  eyrinde  3. 2.  8,  8  c,  vgrnop  8,  4  c,  vegr 
8,  7  c,  }«o/je  9,  8,  Jmgr  12,  8,  fetom  13, 1,  Zi/ZrZe  15,  7  c,  harmbrQgpom  16,  7, 
szHnes  18,  4,  <?/Ja  28,  5  B,  eipa  32,  3,  dunps  33,  4  d,  «ienr/e  34,  4  d,  morpe 
35,  4.  45,  3,  fZj/»ir  35,  5,  väpnsgngr  35,  7,  (/ipZcZ  36,  4.  44,  8,  n//}  38,  6,  ymr 
41, 1,   sgngr  41,  2,   fifn«/r  41,  3,   skgp  42,  5,   Ze?7;r  43, 5,    banorp  46, 7  B. 

Die  Zählung  ergibt  für  die  Am.  120  verschiedene  abstracta, 
für  die  Akv.  26  (für  A  19).  Bei  gleicher  länge  der  gedichte 
würde  man  für  die  Akv.  doch  nur  57,  für  A  70  gegenüber 
den  120  der  Am.  erwarten. 

5)  Auf  die  Vorliebe  der  Am.  für  abstractionen  ist  auch 
die  grosse  menge  von  parallelsätzen  allgemeinen,  abstracten 


^)  Unter  der  bezeichnung  'abstracta'  fasse  ich  hier  alle  Wörter  zu- 
sammen, die  sich  nicht  auf  greifbare  dinge  beziehen,  sondern  auf  eigen- 
schaften,    Vorgänge,   gemütszustände,   zeit,   räum,   gelegenheit,  geschick, 


lautliche  äusseruug  u.  a. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  215 

Inhalts  zurückzufüliren,  die  wir  oben  §  7,  2  b  von  den  epischen 
Variationen  streng  scheiden  mussten,  Sie  stehen  bald  vor, 
bald  hinter  einem  satz  mit  concreterem  inlialt,  den  sie  in  ab- 
stracter,  allgemeiner  form  widerholen: 

Am. 

a)  Der  abstracte  parallelsatz  steht  voran:  sJcgp  öxo  sJcjgldimga  — 
:  sJci/ldo  fara  feiger  2, 1,  horsk  vas  hüsfrci/a,  —  :  hugpe  at  manvite  3, 1.  2, 
Jcend  vas  Kosthera,  —  :  Icunne  skil  rüna  9, 1.  2,  diiljjc  pess  ücbike,  — 
:  sagpe  horsk  hihne  10, 4.  5,  hygo  P^  «*  rgpom  —  :  far  i  sinn  annat 
11,2.  4,  loket  pvi  leto,  —  :  lidde  hver  reja  19,7.  8,  cikc  at  reposk,  — 
:  aller  ni  kröpo  45,  7.  8,  brä  pa  barnesko  hrepra  cn  kapsvinna,  skipict 
skaplega  —  :  skar  ä  hals  büpa  74, 1 — 4,  greipt  glep  störan  —  :  ggrt  hefr 
pü  put  erfe  81,11.  12. 

b)  Der  abstracte  parallelsatz  steht  nach:   (ekle  stop  störa  —  stridde 

ser  liarpla  2,  5.  6,      fare  sem  fgrcr  md'lek  —  fast  eigc  pvi  nita  31,  5.  6, 

vepr  mon  par  vaxa   —    verpa  6it  snintma  17, 1.  2,      hirpa  oss  hrdpa   — 

haf  pat  fram  sjaldan  37,5.  6.    pjgrJw  par  gorpo  peire  ras  vip  brugpet  — 

brä  of  alt  annat,  es  unno  bgrn  Gjüka  48, 1—4,    skerep  6r  hjarta  —  skolop 

pess  ggrver  55,  3.  4,     ä  galga  festep  —  bellep  pvi  hragpe  55,  G.  7,     eggjak 

ypr,  jarlar,  auka  liarm  storom  vifs  ens  veglega  —  viljak  pat  Uta  54, 1 — 4, 

kostep  svä  keppa  at  klekkve  Guprün   —   sea  pat  mäitak,  at  ser  ne  ynpct 

54,  5—8.    —    In  der 

AkT. 

findet  sich  nur  au  folgendeu  3  stellen  ähnliches:  —  let skiran  malm 

vapa  —  aeva  fljöp  etke  gäpe  fjarghüsa  42,5  —  8,  väpn  liafpe  etke  — 
varnapet  vip  Giiprüno  43,  3.  4,  hlo  pä  Hggne  —  klokkva  sizt  hitgpe 
25,  1.  4. 

Diesen  3  fällen  stehen  die  Am.  mit  einer  überzahl  von  18 
gegenüber.  Bei  gleiclier  länge  der  gedichte  würde  man  für 
die  AkY.  7  fälle  gegenüber  den  18  der  Am.  erwarten. 

6)  Ueberhaupt  ist  der  ausdriick  in  den  Am.  gern  abstract, 
blass,  der  in  der  Akv.  dagegen  sinnlich,  anschaulich.  Während 
die  Am.  einen  voFgaiig  durch  einen  abstracten  verbalbegriff 
bezeichnen,  fasst  die  Akv.  gern  die  in  die  sinne  fallenden 
nebenumstände  ins  aiige  (vgl.  Heinzel,  Stil  der  altgermanischen 
poesie  s.  20).  Einige  beispiele  aus  parallelen  stellen  der  ge- 
dichte mögen  das  zeigen: 

Am.  26  sagt  Gunnarr:  'es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  wir  kurz  leben 
werden'. 

Akv.  11  sagt  Gunnarr:  'die  wölfe  mögen  über  das  Nibelungenerbe 
walten,  wenn  Gunnarr  verloren  geht,  seh warzf ellige  baren  mögen  beissen 
u.  s.  w.' 

Am.  71,7.  8  wird  gesagt:  'dies  gelage  fand  mit  grossem  lärm  statt'. 


216  BECKER 

Akv.  37:  'es  erklangen  die  weinschweren  trinkschalen  Atlis,  als  in  der 
halle  zusammen  sich  die  Hunnen  unterhielten'. 

Am.  84, 5  ff.  heisst  es :  '  erschlagen  ward  da  Atli der  söhn  HQgnis 

und  Guprün  selbst  erschlugen  ihn'. 

Akv.  44::  'sie  gah  den  betten  mit  der  schwertspitze  blut  zu  trinken, 
mit  mordgieriger  haud'. 

7)   Aus  der  Vorliebe  der  Am.  für  abstractionen  wird  es 

endlich  wol  auch  zu  erklären  sein,  dass  sich  in  diesem  gedieht, 

im  gegensatz  zur  Akv.,  so  überaus  häufig  die  litotes  findet. 

Am.    feJIskat  sapr  svipre  =  sie  benahm  sich  höflich  6, 7,    dulpe  pess 

voetke  =  sie  redete  offen  10,  4,      ykr  mon  ästhjnne  eige =  es  geht 

euch  schlecht  14,  3,  dyljomJc  pnt  eige  ==  es  ist  mir  klar  14,  5,  prQmmon 
peyge  svd  litel  =  grosse  balgerei  16,7.  8,  ser  rep  litt  eira  =  war  frech 
30,  2,  hugpe  litt  vcegja  =  war  rücksichtslos,  kühn  37,  2,  varr  at  vettoge 
=  furchtlos,  tapfer  37,  3,  liaf  pat  fram  sjaläan  =  schweige  von  so  etwas 
37,  6,  föra  fctlt  peyge  =  gieug  furchtlos,  mutig  44,  3,  Mg  vasat  at  hjaldre 
=  war  unsanft,  rauh  46,  7,  peyge  hendr  shdfo  =  ihre  bände  griffen  fest 
zu  47, 10,  makak  pvi  leyna  =  es  ist  offenkundig  51,  6,  knäkak  pess  njöta 
=  das  ist  schlimm  für  mich  51,  8,  helta  in  lengr  rüme  =  lief  hin  und  her 
58,  2,  pd  vas  kostr  enge  etc.  =  er  musste  sterben  61,  2,  (Jn  es  pess  enge 
ich  lehne  ab  67, 1 ,  skQinm  mon  rö  reipe  =  der  zorn  beginnt  zu  toben 
73,  7,  skiptet  skaplega  =  handelte  übel  74,  3,  dylja  monkpik  eige  =  ich 
werde  es  dir  offenbaren  75,3,  glapa  monkpik  minzt  =  ich  werde  dir 
schmerz  bereiten  75,  5,  luartke  ser  unpe  =  beiden  war  es  ungemütlich 
84,  4,  emkak  litt  leikenn  =  mir  ist  sehr  mitgespielt  worden  85,  7,  hands 
kvap  pQrf  enga  =  fühlte  sich  tötlich  getroffen  85, 4,  lifs  telk  vgn  enga  = 
mit  mir  ist  es  aus  85, 8,  pöt  vceret  skaplekt  =  obwol  es  schlecht  gehandelt 
war  86,  8,  varpa  rön  lyge  =  es  war  Wahrheit  87,  5,  fannkak  i  hug  heilom 
hjona  vcetr  sipan  =  beiden  gatten  war  es  stets  schlimm  zu  mute  90,  9. 10, 
pöt  pat  litt  rekjak  =  obwol  es  mir  gleichgiltig  ist  91,  2. 

In  der  Akv.  einige  wenige  fälle:  nipjarge  kvgtto  ne  ngimgr  etc.  = 
alle  schwiegen  9, 1.  2,    björe  vas  litt  drukken  =  war  sehr  nüchtern  16, 4, 

klekkva  sizt  hugpe  =  war  fest,  tapfer  25,  4,    kallara  sipan sera  sipan 

=  mit  ihnen  ist  es  aus  40  (B),  aeva  fljöp  etke  güpe  =  sie  gab  reichlich 
42,  7,  ferrat  svä  sipan  briipr  i  brynjo  etc.  =  GuÖrüns  räche  war  einzig- 
artig 46  (B). 

Den  29  fällen  der  Am.  stehen  also  6  in  der  Akv.  (4  in  A) 
gegenüber  (Verhältnis  wie  29  :  13  [bez.  15]  bei  gleicher  länge 
der  gedichte). 

§  9.    Schlussbemerkung. 

Es  gilt,  das  bisher  festgestellte  kurz  zusammenzufassen. 
Die  Akv.  hat  eine  prunkvolle,  reiche  spräche,  zahlreiche  Zu- 
sammensetzungen,  zahlreiche  kenningar,   zahlreiche  epitheta. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER  EDDA.  217 

zahlreiche  Variationen;  ihren  specifisch  epischen  stil  bekundet 
sie  ausserdem  durch  zahlreiche  widerholungen.  Die  Am.  da- 
gegen haben  eine  einfachere  spräche;  sie  gleichen  den  mangel 
an  Substantiven  durch  Substantivierungen  aus,  nähern  sich  aber 
sonst  in  ihrer  spräche  der  prosa,  indem  sie  gern  indirecte  rede 
und  frage  anwenden,  constructionen  wie  2)au  Ho(jne  und  neben- 
sätze  mit  pöat  zeigen,  einen  grösseren  schätz  von  abstracten 
Substantiven  aufweisen,  abstracte  parallelsätze  in  fülle  haben, 
abstracten  ausdruck  lieben,  statt  des  sinnlichen  in  Akv.,  sehr 
oft  die  litotes  zeigen. 

Alles  dies  spricht  dafür,  dass  die  Akv.  hinsichtlich  der 
spräche  einer  älteren  strengeren,  die  Am.  einer  jüngeren  freieren 
kunststufe  angehören.  Es  gilt  nun,  die  lieder  nach  ihren 
poetischen  eigentümlichkeiten  zu  betrachten. 

3.   Poetische  eigentümlichkeiten. 
§  10.    Darstellung  im  allgemeinen. 

Während  die  diction  sich  in  Akv.  durch  reichtum,  die  der 
Am.  durch  einfachheit  auszeichnete,  finden  wir  in  bezug  auf 
die  poetische  darstellung  ein  umgekehrtes  Verhältnis :  für  die 
Akv.  ist  kurze,  straffe  darstellung,  für  die  Am.  dagegen  breite 
charakteristisch. 

In  rascher  folge  drängen  sich  die  ereignisse  in  Akv.:  der 
bericht  des  boten,  der  entschluss  Gunnars,  sein  abschied,  die 
fahrt  durchs  Hunnenland,  die  ankunft  bei  Atlis  bürg,  die  be- 
grüssung  durch  die  Schwester,  die  fesselung  Gunnars,  gegen- 
wehr  Hognis,  die  frage  nach  dem  gold,  das  ausschneiden  des 
herzens  bei  Hjalli  und  Hogni,  die  wegführung  Gunnars  zur 
mordstätte,  Gudruns  fluch,  Atlis  rückkehr  und  begrüssung  durch 
Gudrun,  das  gelage  und  die  enthüllung  der  greuel,  Gudruns 
letzte  geschenke,  Atlis  ermordung,  der  saalbrand. 

Dabei  ist  mit  Avenig  strichen  manches  schöne  bild  in  die 
erzählung  eingeflochten:  von  den  glänzenden  goldringen  in 
den  wellen  des  Eheins  (29,5),  von  den  Jugendübungen  der 
knaben  (40,  5  ff.  B),  von  den  früheren  Umarmungen  der  gatten 
im  kreis  der  fürsten  (43,5):  aber  die  darstellung  ist  auch  hier 
stets  kurz  und  knapp,  wie  in  einer  bailade,  jede  breitere  aus- 
führung  einer  scene  wird  vermieden. 

Dagegen  sind  in  den  Am.  einige  scenen  breiter  ausgeführt, 


218  BECKER 

teils  durtii  dialoge  (s.  u.  §  13  b),  teils  diircli  scliilderiing-.  In 
zwei  näclitlichen  dialogscenen  werden  sieben  traumbilder  ent- 
rollt. Dann  gehört  hierher  die  abschiedsscene  am  Fjorö.  wo 
GlaumvQr  und  Kostbera  die  scheidenden  begleiten,  sie  vergeb- 
lich zurückhalten  wollen,  Yingi  gefragt  wird,  ob  er  es  ehrlich 
meine,  Kostbera  segensAvünsche,  Hogni  trostworte  spricht,  und 
beide  teile  blicke  tauschen,  bis  sie  sich  trennen.  —  Sodann 
ist  Gudruns  eingreifen  in  den  kämpf  geschildert:  sie  wirft 
den  mantel  ab,  nimmt  das  nackte  seh  wert,  legt  unsanft  band 
an,  indem  sie  zwei  männer  niederschlägt,  dem  einen  von  ihnen 
den  fuss  abhaut.  —  Auch  die  scene,  wo  Gudrun  ihre  kinder 
schlachtet,  hat  der  dichter  der  Am.  (im  gegensatz  zu  dem  der 
Akv.)  reicher  ausgeführt.  Gudrun  lockt  die  kleinen  herbei, 
legt  sie  an  den  pf eiler,  sie  werden  furchtsam,  aber  weinen 
nicht,  flüchten  sich  in  den  schoss  der  mutter,  die  ihnen  nach 
kurzem  Zwiegespräch  die  halse  abschneidet.  —  Eine  scene  voll 
lebendiger  kleinmalerei  bildet  vor  allem  die  episode  mit  Hjalli. 
Als  er  hört,  dass  es  ihm  ans  leben  gehen  soll,  läuft  er  ängst- 
lich hin  und  her,  verkriecht  sich  und  beklagt  seinen  unstern, 
der  ihn  von  seinen  Schweinen  hinwegreisse.  Als  man  dann 
das  messer  nach  ihm  zückt,  schreit  er  laut  auf,  ehe  er  noch 
die  spitze  gefühlt  hat,  und  fleht  um  gnade,  bis  Hogni  der 
posse  ein  ende  macht. 

Diese  anschaulichkeit  der  Schilderung  geht  aber  keines- 
wegs durch  das  gedieht  durch.  Sehr  kurz  behandelt  wird 
die  einladung  (7, 1.  2)  im  gegensatz  zu  Akv.  str.  3  ff.;  ferner  die 
erschlagung  Atlis  (84, 5.  7.  8,  vgl.  Detter  und  Heinzel  s.  563). 
Breite  der  darstellung  bedingt  noch  nicht  zugleich  anschau- 
lichkeit. In  der  tat  hat  die  breite  und  die  daraus  folgende 
länge  des  gedichts  nur  zu  einem  teil  ihren  grund  in  der  be- 
vorzugung  der  Schilderung.  Sehr  beträchtlich  wirken  mit 
erstens  die  vielen  abstracten  parallelsätze  (s.  oben  §  8,5), 
zweitens  die  Vorliebe  für  lange  reden,  drittens  die  Vorliebe 
für  häufige  subjective  äusserungen:  von  den  beiden  letzteren 
eigentümlichkeiten  wird  unten  zu  reden  sein  (§  13  b,  14). 

§  11.    Zeit  und  ort. 

Die  erzählung  der  Akv.  spielt  sich  in  sehr  kurzer  zeit 
ab,  alle  ereignisse  von  der  abreise  Guunars  bis  zum  ende  des 


DIE   ATLI-LTEDER  DER   EDDA.  219 

gedic'lits  werden  von  einem  tag  umschlossen.  Die  erzälilung 
der  Am.  erstreckt  sich  auf  einen  längeren  Zeitraum.  Aber  wir 
vermissen  an  einigen  stellen  die  Überleitung,  sodass  Sprünge 
in  der  darstellung  entstehen.  Zunächst  findet  sich  ein  solcher 
zwischen  str.61  und  G2  (s.Mogk,  Grundriss  2-,  649),  wir  erfahren 
nicht,  wann  Gunnarr  zu  den  schlangen  gebracht  worden  ist. 
Dieser  sprung  lässt  sich  vielleicht  durch  annähme  einer  lücke 
im  text  entschuldigen  (s.  Sj'mons  ausgäbe  s.  454);  unm()glicli  ist 
das  dagegen  bei  dem  nächsten  falle:  vor  str.  71  liegt  ein  un- 
ausgefüllter  Zeitraum:  denn  einmal  war  es  allgemeine  sitte, 
30  tage  bis  zum  erbmahl  verstreichen  zu  lassen '),  und  zweitens 
sagt  Gudrun  selbst  str.  76,  dass  sie  seit  dem  tod  der  brüder 
sehr  selten  geschlafen  habe:  es  liegen  also  nachte  dazwischen. 
Einen  weiteren  nicht  überdeckten  sprung  finden  wir  in  der 
mitte  von  str.  74,  wo  Atli  sogleich  uacli  der  ermordung  der 
kinder  sich  nach  ihnen  erkundigt  und  erfährt,  dass  er  ihre 
herzen  gegessen  hat.  Auch  ist  nicht  klar,  wann  Gudrun  die 
kinder  geschlachtet  hat.  Die  Akv.  (36)  lässt  ganz  klar  er- 
selien,  dass  sie  vor  der  rückkelir  Atlis  geschlachtet  worden 
sind:  in  den  Am.  wird  dagegen  hintereinander  erst  vom  gelage, 
dann  vom  mord,  dann  von  Atlis  frage  erzählt.  Ein  weiterer 
Sprung  in  der  erzählung  liegt,  wie  Mogk,  Grundriss  22,  650 
zeigt,  zwischen  str.  82  und  83:  der  anstoss  zur  ermordung  Atlis 
geht  von  dem  Niflung  aus,  er  ruft  erst  wider  der  Gudrun  die 
Ilggna  vijtfayar  ins  gedächtnis:  das  deutet  auf  eine  dazwischen- 
liegende zeit  strecke  (s.  unten  dazu  in  teil  IT,  §  43). 

Wie  die  zeitliche,  so  ist  die  örtliche  Orientierung  in  der 
Akv.  völlig  klar.  Atlis  reich  liegt  südlich  von  dem  Gunnars, 
man  gelangt  hin  durch  den  Myrkviör  und  kommt  durch  grüne 
felder  zur  bürg  Atlis;  die  Niflunge  treten  in  den  saal,  wo  sich 
der  kurze  kämpf  abspielt;  die  schlangengrube  befindet  sich  in 
Myrkheimr;  nach  diesem  ort  wird  Gunnarr  auf  einem  wagen 
gefahren;  in  der  halle  findet  das  gelage  statt,  die  enthüllung, 
der  lärm;  in  seinem  schlafgemach  wird  alsdann  Atli  getötet. 
Anders  in  Am.  Zunächst  wird  die  himmelsrichtung,  nach  der 
die  Niflunge  fahren,  nicht  bezeichnet;  liass  der  kämpf  ausser- 


*)  Vgl.  Homeyer,  Der  dreissigste,  s.  199  if.  (Philologische  abhandlungen 
der  Berliner  acad.  d.  Wissenschaften,  1864). 


220  BECKER 

halb  der  halle  stattfindet,  wird  gesagt  (43);  aber  im  weiteren 
ist  nicht  klar,  wo  die  schlangen  sich  befinden,  auch  nicht, 
wo  der  kindermord,  wo  das  gelage  stattfindet;  da  nacheinander 
vom  gelage,  vom  mord,  von  Atlis  frage  berichtet  wird,  so 
müssen  wir  wol  annehmen,  dass  Gudrun  während  des  gelages, 
aber  in  einem  andern  räum  die  kinder  getötet  hat.  Endlich 
ist  auch  bei  Atlis  tod  die  Situation  nicht  klar;  es  heisst  83, 
dass  die  gatten  zusammensassen;  dann  kommt  die  Unterredung 
des  Mflung  mit  Gudrun;  dann  wird  von  beiden  der  schlafende 
Atli  getötet:  wo,  erfahren  wir  nicht  näher,  während  die  Akv. 
(44)  durch  erwähnung  des  bettes  die  scene  deutlich  in  das 
schlafgemach  verlegt. 

§  12.    Charakterzeichnung. 

a)  Atlakvil'a, 

In  der  Akv.  sind  die  einzigen  wirklichen  persönlichkeiten 
Gunuarr  und  Gudrun. 

Gunnarr,  der  in  allen  drei  stücken,  A,  B  und  c,  besondere 
Züge  trägt,  tritt  am  greifbarsten  natürlich  in  A  hervor.  Er 
zeigt  sich  zunächst  vor  der  abreise  als  ein  mutiger,  verwegener 
lield,  der  das  unheimliche  schweigen  bricht,  indem  er  sich  toll- 
kühn, beim  klang  der  goldenen  trinkschalen,  zur  fahrt  ent- 
schliesst  und  den  Wolfen  und  baren  sein  erbe  überlässt  für 
den  fall,  dass  er  nicht  widerkomme  (10.  11);  aber  ruhig  und 
gefasst  antwortet  er  seiner  Schwester  auf  die  Unglücksbotschaft 
(18);  zähen  sinnes  will  er  sein  gold  lieber  in  den  wellen  des 
Eheins  geborgen  wissen,  als  in  den  bänden  der  Hunnen  (29). 
Gunnarr  tritt  ganz  in  den  Vordergrund  gegenüber  Hogni,  der 
in  A  überhaupt  nicht  redet;  ihm  ist  daher  auch  das  letzte 
wort  vor  dem  ende  aller  Niflunge  gelassen,  wie  im  Nibelungen- 
lied dem  Hagen,  wie  in  den  Am.  dem  Hogni.  —  In  B  ist  Gunnarr 
speciell  der  mistrauische,  der  stets  zweifei  hegte,  solang  sein 
bruder  lebte,  und  der  erst  mit  dessen  tode  beruhigt  ist  (28). 
—  In  c  ist  Gunnarr  der  empfindliche,  dem  es  gegen  die  ehre 
geht,  geschenke  anzunehmen,  da  er  selbst  reich  genug  ist  (6.  7). 

Gudrun  ist  herb, -wortkarg  und  tränenlos,  eine  frauen- 
gestali,  wie  sie  die  jüngeren  dichtungen  nicht  mehr  kennen, 
aber  keine  leblose  statue;  als  treue  Schwester  Gunnars  warnt 
sie  diesen  (16,  5;  8  c),  und  als  er  zum  tode  geführt  wird,  schleu- 


DIE  ATLT-LIEDER  DER  EDDA.  221 

dert  sie  einen  flncli  gegen  den  wortbrüchigen  Atli,  den  tränen 
wehrend  (31.  32);  den  heimkehrenden  empfängt  sie  mit  unheim- 
lich zweideutigen  worten  (36),  und  sie  khirt  ihn  hernacli  kalt 
über  seine  Thj^estesmahlzeit  auf  (39);  keine  träne  vergiesst 
sie,  während  die  männer  weinen,  über  den  tod  der  brüder  und 
söhne  (41);  die  hausknechte  beschenkt  sie,  und  sie  gewährt 
ihnen  sowie  den  hunden  die  rettung  (42.  43),  aber  alle  andern, 
die  beim  mord  Gunnars  zugegen  waren,  auch  die  schildmädchen, 
verbrennt  sie  zusammen  mit  dem  ermordeten  galten,  als  busse 
für  die  brüder  (44,  8.  45). 

In  B  ist  sie  insofern  etwas  milder  gefasst,  als  sie  mit  zarten 
Worten  an  die  früheren  Jugendbeschäftigungen  der  knaben  er- 
innert (40,  vgl.  Sjmions  ausgäbe  s.  433). 

Die  Charakterzeichnung  dieser  beiden  gestalten  in  Akv.  A, 
auf  so  knappem  räume,  mit  so  wenig  mittein  ausgeführt,  kenn- 
zeichnet den  Verfasser  als  einen  echten  und  grossen  dichter, 
der  die  gestalten  der  sage  tief  zu  erfassen  und  einheitlich 
darzustellen  wusste. 

Die  anderen  personen  der  Akv.,  Atli,  Hogni^),  Hjalli, 
Knefrodr,  Hognis  söhn  und  Fjornir  haben  auf  der  anderen 
seile  wenig  oder  gar  keine  individuellen  färben:  sie  steigern 
aber  durch  ihre  blässe  die  "Wirkung  der  beiden  hauptpersonen. 

b)  Atlamf^l. 
Da  sich  die  Am.   durch   eine  grössere  personenfülle  aus- 
zeichnen, so  seien  zuerst  die  hauptpersonen  betrachtet,  dann 
die  nebenpersonen. 

a)  Hauptpersonen. 

Gunnarr  tritt  ganz  hinter  Hogni  zurück.  Er  macht  seine 
Zustimmung  zur  fahrt  erst  von  der  Hognis  abhängig  (7, 5) 
und  erklärt  hernach  in  matten  worten  (vgl.  damit  Akv.  10.  11) 
seinen  entschluss  zur  fahrt  (26).  Er  wird  zwar  von  Atli  der 
grimmige  genannt  (55,  5),  tritt  aber  nirgends  im  kämpf  hervor ; 
auch  spricht  er  weder  beim  abschied  noch  in  Atlis  land,  und 
er  zeichnet  sich  erst  durch  sein  harfenspiel  bei  den  schlangen 
aus,  das  bewegung  unter  den  zuhörern  hervorruft  (62). 

HQgni  steht  dafür  im  Vordergrund.    Schon  rein  äusserlich 


*)   ÜQgnis    wilde  tapferkeit  charakterisiert  20  (B  uud  c),    seine  un- 
erschrockenheit  24  und  26  (Hjallis  herz  uud  seines)  B. 


222  BECKER 

fällt  es  auf.  dass  seine  gaitin,  Kostbera,  die  boten  begTüsst, 
Gunnars  gattin  für  die  bewirtung  sorgt  (6),  dass  die  boten 
H^gni  und  nicht  Gunnarr  einladen  (7),  dass  zuerst  und  am 
intensivsten  H^gni  von  seiner  gattin  gewarnt  wird,  die  die 
runen  beim  feuer  gelesen  hat  (9  it.),  dass  zwei  erwachsene 
söhne  H^gnis  und  sein  schwager  mit  namen  eingeführt  werden 
(Sni^varr,  Sölarr,  Orkningr  28),  dass  HQgni  das  abschiedswort 
spricht  (32).  Seine  gesinnung  charakterisiert  er  selbst  str.  13: 
argwöhn  liegt  ihm  fern,  er  will  von  verderben  nichts  wissen, 
ehe  es  nicht  so  klar  vor  ihm  liegt,  dass  er  es  rächen  muss. 
Auch  in  Atlis  land  steht  Hogni  ganz  im  mittelpunkt:  er  klopft 
am  gitter  (35),  er  erwidert  Vingi  (37),  er  wird  zuerst  genannt, 
als  Atli  den  befehl  zur  tötung  gibt  (55),  er  antwortet  ruhig 
und  sicher  dem  letztern  (56);  um  seine  heldenhaftigkeit  ins 
licht  zu  setzen,  wird  Hjallis  feigheit  so  ausführlich  dargestellt, 
während  Akv.  darüber  kurz  hinweggeht  (57 — 59);  er  verlangt 
selbst  den  tod,  um  das  geschrei  Hjallis  nicht  länger  anhören 
zu  müssen  (60);  er  hinterlässt  einen  söhn  und  rächer  (84). 
Aber  H^gni  ist  es  auch,  der  seiner  Schwester  innerlich  am 
nächsten  gestanden  hat:  um  ihn  vor  allen  klagt  sie,  mit  dem 
sie  zusammen  aufgewachsen  sei,  gespielt  habe,  von  der  mutter 
beschenkt  worden  (67.  68);  und  als  sie  zur  räche  schreitet,  da 
ist  es  die  behandlung  HQgnis,  die  ihr  wider  in  den  sinn 
kommt  (84,2). 

Mit  der  prachtvollen,  lebenstrotzenden  gestalt  Gunnars  in 
der  Akv.  kann  sich  diese  ziemlich  tj^pisch  gezeichnete  gestalt 
allerdings  nicht  messen;  aber  sie  ist  dem  dichter  der  Am.  unter 
den  hauptpersonen  entschieden  am  besten  gelungen:  sie  ist  aus 
einem  guss. 

Die  Gudrun  der  Am.  ist  der  der  Akv.  in  ihrer  schwester- 
lichen liebe  verwant,  wie  wir  schon  sahen.  In  der  hauptsache 
ist  sie  aber  wesentlich  anders  gezeichnet  als  jene. 

Zunächst  wird  in  den  Am.  viel  stärker  als  in  der  Akv. 
ihre  klugheit  betont  (direct  vom  dichter  str.  3  und  70);  nicht 
nur  warnt  sie  die  brüder  durch  runen  (3.  4),  sondern  sie  stellt 
sich  sogar  später,  nach  anfänglicher  Zornesaufwallung,  Atli 
gegenüber  resigniert  (69),  und  heuchelt  leichten  sinn  (70, 7.  8), 
um  ihr  ziel  zu  erreichen. 

Ferner  ist  Gudrun  in  den  Am.  eine  streitbare  frau,  die 


DIE    ATLI-LTEDER   DER   EDDA.  223 

frülier  mit  Sigurör  und  ihren  zwei  brüdeni  auf  lieerfahrt  aus- 
gezogen war  (92.  93),  lieinacli  in  den  kämpf  zwischen  Atli 
und  den  briidern  selbst  eingreift  und  dabei  zwei  mämier  er- 
sclilägt  (47). 

Endlich  ist  diese  Gudrun  ebenso  schlagfertig  mit  der 
zunge  wie  mit  dem  scliwert:  sie  erwidert  Atli  auf  seine  klagen 
mit  so  scharfen  Worten,  dass  er  ihre  brüder  martern  lässt 
(53.  54.  55);  sie  droht  Atli  nach  deren  tode  mit  einer  schlimmen 
erbschaft  und  erklärt  jede  Versöhnung  für  ausgeschlossen  (G5. 
67);  sie  sagt  ihren  kindern,  dass  es  sie  schon  lange  gelüstet 
habe,  sie  vom  leben  zu  heilen  (73);  sie  lohnt  Atli  seine  höh- 
nische ankündigung  des  morgens,  indem  sie  ihm  den  abend 
ankündigt  (76),  und  erklärt  ihm,  keine  behandlung  sei  schlimm 
genug  für  einen  solchen  fürsten  (81);  sie  wirft  noch  dem  sterben- 
den die  früheren  zwistigkeiten  in  seiner  familie  und  seine  feig- 
heit  vor  (91.  95). 

Durch  diese  beiden  züge,  die  Streitbarkeit  und  die  Zungen- 
fertigkeit, hat  die  gestalt  an  äusserer  lebhaftigkeit  gewonnen. 
Dass  sie  aber  umgekehrt  an  feinheit  und  an  wirklicher  grosse 
dadurch  verloren  hat,  lehrt  der  vergleich  mit  der  Gudrun  der 
Akv.  Dadurch  dass  die  Gudrun  der  Am.  schon  am  anfang 
der  katastrophe  als  kriegerisches  weib  auftritt,  erscheint  ihre 
rachetat  an  Atli  (von  der  beihilfe  des  Niflung  ganz  zu  schweigen) 
bei  weitem  nicht  so  bedeutend  wie  in  der  Akv.,  wo  Gudrun 
sich  erst  am  schluss  über  die  schwäche  ihres  geschlechts  er- 
hebt. Auch  wird  durch  die  langen  vorhergehenden  und  nach- 
folgenden reden  der  eindruck  ihrer  taten  nur  abgeschwächt, 
im  gegensatz  zu  denen  der  wortkargen  Gudrun  der  Akv.  Zu 
wirklich  psychologischer  Vertiefung  haben  auch  die  reden 
Gudruns  nicht  geführt:  nur  Streiflichter  beleuchten  hier  und 
dort  das  Seelenleben  der  nordischen  frau:  wie  wenig  dem 
dichter  eine  wirkliche  Vertiefung  des  gesammten  Charakters 
gelungen  ist,  kann  Gudruns  brutale  Unterhaltung  mit  ihren 
kindern  vor  dem  mord  derselben  (73)  zeigen.  Hier  halte  man 
zum  vergleich  die  analoge  scene  in  Euripides'  Medea  daneben, 
wo  die  heldin  in  allen  ihren  seelenkämpfen  vorgeführt  wird. 
—  Auch  die  motivierung  lässt  öfters  zu  wünschen  übrig:  es 
wird  uns  nicht  verständlich,  wie  Gudrun  die  ermorduug  HQgnis 
vergessen  konnte,  an  die  sie  erst  wider  durch  den  Niflung 


224  BECKER 

erinnert  wird  (84);  wir  verstehen  aucli  nicht,  was  sie  zum 
scliluss  zur  milde  gegen  Atli  bewegt  (97.  98).  —  Dem  gegen- 
über ist  die  Gudrun  der  Akv.  einheitlich  und  klar  gezeichnet : 
sie  hält  sich  vom  kämpf  fern  (31,7),  redet  wenig,  führt  aber 
mit  der  ganzen  dämonischen  Wildheit  eines  gemishandelten 
weibes  ihre  räche  sofort  schlag  auf  schlag  aus  bis  zur  letzten 
consequenz. 

Atli  ist  in  den  Am.  im  gegensatz  zur  Akv.  wol  eine  wirk- 
liche persönlichkeit,  aber  eine  wunderliche.  Zunächst  ist  er 
eiu  grausamer,  habgieriger  tj'rann,  der  Gudruns  mutter  aus 
habgier  getötet  hat,  ihre  iiichte  hat  verhungern  lassen  (53,  3  ff.), 
der,  um  Gudrun  schmerz  zu  bereiten,  ihre  brüder  grausam 
töten  lässt  (54.  55).  —  Mit  dieser  eigenschaft  verbindet  sich 
aber  eine  auffallende  Sentimentalität:  Atli  beklagt  sich  in 
langer  rede  über  das  unheil,  das  ihm  durch  die  verwanten 
und  das  verderbliche  weib  zugefügt  sei,  über  den  tod  der 
Schwester,  den  er  am  meisten  empfinde  (50—52);  er  sagt,  als 
er  die  wunde  empfangen  hat,  Gudrun  habe  übel  getan,  einen 
vertrauensvollen  freund  zu  betrügen,  und  erinnert  sie  an  seine 
brautwerbung  mit  ihrer  reichen  ausrüstung  und  an  seine  statt- 
lichen brautgeschenke  (88.  89);  er  beklagt  sich  über  ihre  ge- 
ringe dankbarkeit,  und  über  ihre  Unfreundlichkeit  gegen  ihre 
Schwiegermutter  (90).  —  Ausserdem  ist  Atli  feige.  Nach  dem 
mord  sucht  er  die  zornige  gattin  durch  geschenke  zu  beschwich- 
tigen (66);  nach  dem  tod  der  kinder  lässt  er  jene  trotz  an- 
gedrohter todesstrafe  leben  (82),  und  noch  am  schluss  muss 
er  sich  seine  feigheit,  seine  nachgiebigkeit  gegenüber  der 
thingversammlung  vorwerfen  lassen  (95). 

Wenn  sich  nun  die  feigheit  auch  mit  dem  bild  eines 
grausamen  tyrannen  verträgt,  so  mutet  der  sentimentale  ein- 
schlag  in  Atlis  Charakter  seltsam  an.  Auch  bei  dieser  gestalt 
ist  es  dem  dichter  nicht  gelungen,  ein  einheitliches  bild  zu 
zeichnen.  Der  grund  ist  wol  darin  zu  suchen  i),  dass  er  dem 
heroischen  Zeitalter  schon  zu  fern  stand,  um  die  alten  sagen- 
gestalten noch  völlig  erfassen  zu  können.  Dadurch  erklärt 
sich  auch  die  anpassung  der  sage  an  specifisch  nordische  Ver- 
hältnisse, an  die  Umgebung  des  dichters:  das  gelage,  bei  dem 


1)  Vgl.  Mogk,  Gnindriss  2^,  651. 


DIE   ATLI-IJEDER   t)ER   EDDA.  225 

Gudrun  Atli  bewirtet,  ist  zum  erbmahl,  erfi,  geworden  (71); 
den  Staat  Atlis  kann  sich  der  dicliter  nicht  ohne  eine  thing- 
versammlung  denken,  die  die  macht  des  fürsten  einschränkt  (95). 

ß)  Nebenpersonen. 

Besser  als  Gudrun  und  Atli  sind  dem  dichter  die  neben- 
personen  Kostbera,  Glaumy^r,  Yingi,  Hjalli  gelungen.  Hier 
konnte  er  einfache  gestalten  nach  dem  leben  zeichnen.  Wenn 
wir  Atli  und  Gudrun  als  verunglückte  figuren  ansehen  müssen, 
sind  jene  als  wolgelungene  typen  zu  bezeichnen. 

Das  gilt  zunächst  von  Glaumv^r  und  Kostbera,  'zAvei 
frauen  in  ihrer  liebe  zum  gatten  und  mit  ihrem  weiblichen 
ahnungsvermögen  einander  gleich'  (Mogk,  Grundriss  2-,  648). 

Sodann  ist  Vingi  im  gegensatz  zu  dem  KnefrQdr  der  Akv, 
eine  greifbare  und  lebendige  gestalt:  er  fälscht  selbständig  die 
runen,  die  Gudrun  ihm  übergeben  hat  (4);  er  schwört,  als 
GlaumvQr  ihn  auf  seine  redlichkeit  prüfen  will,  die  joten 
mögen  ihn  holen,  an  den  galgen  wolle  er  kommen,  wenn  er 
auf  schaden  sänne  (30);  als  aber  die  Nifiunge  am  tor  vor 
Atlis  gehöft  anlangen,  da  offenbart  er  ihnen,  dass  betrug 
hinter  seiner  einladung  verborgen  gewesen  sei,  und  fordert 
sie  jetzt,  wo  es  zu  spät  ist,  höhnisch  auf,  wider  umzukehren, 
sonst  sollten  sie  warten,  bis  er  ihnen  den  galgen  gezimmert 
habe  (36). 

Eine  sehr  lebendige  gestalt  ist  endlich  Hjalli,  der  koch. 
Wie  er  den  Vorschlag,  ihn  statt  H^gni  zu  töten,  hört,  läuft 
er  hin  und  her,  verkriecht  sich  und  beklagt  sein  geschick,  dass 
er  für  anderer  leute  streit  büssen  solle,  seine  seh  weine  und 
seine  reichliche  nahrung  verlassen  müsse.  Als  er  dann  das 
das  blanke  messer  sieht,  da  schreit  er  und  will  gern  die  gras- 
plätze  düngen  und  die  schmutzigste  arbeit  verrichten,  wenn 
er  nur  sein  liebes  leben  retten  könne  (58.  59). 

Ganz  blass  gezeichnet  sind  dagegen  Sn^varr  und  Solarr, 
die  beiden  söhne,  und  Orkningr,  der  Schwager  HQgnis,  der 
wol  als  deren  erzieher  gedacht  ist  (28,  spec.  v.  4):  sie  fallen 
alle  drei,  nachdem  sie  im  tapfern  kämpf  achtzehn  feinde  ge- 
fällt haben  (49, 7  ff.).  Ebenso  sind  Beiti,  der  haushofmeister 
Atlis  (57)  und  der  Niflung  am  schluss  des  gedichtes  (83  ff.) 
gestalten  dritten  ranges. 

Beiträge  zur  geschichle  der  deutscheu  spräche.    XXXIII.  J^5 


226  BECKER 

Wenn  wir  die  Stellung  der  Charaktere  in  den  beiden  Atli- 
liedern  im  ganzen  vergleichen,  so  fällt  auf,  dass  dem  dichter 
der  Am.  viel  mehr  daran  gelegen  ist  als  dem  der  Akv.,  die 
Personen  in  den  Vordergrund  zu  rücken,  während  jener  als 
echter  epiker  den  hauptnachdruck  auf  die  taten  und  ereignisse 
legt.    Das  führt  uns  zu  einer  weiteren  beobachtung. 

§  13.    Lyrisches  und  rhetorisches  element. 

Die  Akv.  ist  ein  rein  episches  gedieht:  in  den  Am.  stossen 
wir  dagegen  auf  zwei  andere  elemente:  das  IjTische  und  das 
rhetorische. 

a)  Es  lag  in  der  entwickelung  der  eddischen  poesie,  dass 
sich  das  lyrische  verweilen  beim  ausdruck  von  gefühlen  immer 
stärker  in  den  Vordergrund  drängte,  wie  wir  das  in  GnpYÜ- 
narkvijm  I,  Sigurj^arkvipa  en  skamma,  HelreiJ?,  Odrünargrätr 
am  deutlichsten  ausgeprägt  finden. 

LjTisches  betonen  des  gefühlslebens   zeigen  nun  auch  in 

den   Am.   einige   stellen.     Am  schönsten   str.  68.  69,   wo  sich 

Gudrun  an  ihre  mit  H^gni  verlebte  Jugend  erinnert  und  dann 

zu  ihrem  gegenwärtigen  geschick  zurückkehrt: 

Alen  vit  iipp  vorom        i  eino  hüse, 
lekom  leik  margan        ok  i  luude  exom, 
gäMe  okr  Grimliildr        golle  ok  halsmenjom  — 
baua  mont  mer  brafra        böta  akkege  etc. 

Aber  —  so  fährt  sie  mit  erheuchelter  ergebung  fort  — :  das 
los  des  weibes  ist,  zu  leiden: 

kostom  drepr  kvenna  karla  ofrike, 

i  kne  gengr  hnefe,  ef  kvister  }>verra, 

tre  tekr  at  hniga,  ef  haggr  tog  uiidan: 

nu  matt  eiun,  Atle,  qIIo  her  raf>a. 

An  einer  anderen  stelle  (76)  sagt  Gudiün  dem  Atli,  wie 
sie  selten  geschlafen  habe  seit  dem  tode  der  brüder:  einst 
habe  er  ihr  den  morgen  angesagt,  nun  sei  es  abend  geworden. 

Sonst  aber  herscht  in  den  Am.  ein  kräftiger  ton.  Scharfe 
invectiven  sind  mehr  beliebt  als  eigentlich  lyrische  äusserungen. 
Insofern  stehen  die  Am.  in  der  mitte  zwischen  den  alten  rein 
epischen  gedichten,  wie  Akv.  und  Harap'esmr^l,  und  einem  von 
hoher  lyrik  durchzogenen,  wie  Gdkv.  I  (besonders  str.  17  ff.). 

b)  Dazu  tritt,  oft  mit  dem  lyrischen  verbunden,  das  rhe- 
torische element.    Hier  sei  von  subjectiven  rhetorischen  äusse- 


DIE   ATLT-LIEDER   DER   EDDA.  227 

rungen  des  dicliters  noch  nicht  die  rede.  Dagegen  sei  die 
tatsaclie  hervorgelioben,  dass  die  personen  der  Am.  sich  gern 
in  langer  rede  anssprechen  auch  da,  wo  es  der  gang  der  hand- 
lung  durchaus  nicht  nahelegt  oder  gar  notwendig  macht.  Schon 
äusserlich  fällt  auf,  dass  die  Am.  6  längere  dialoge  (11 — 19,6. 
21—26.  50—56.  64,5  —  69.  75—82.  85,5  —  97)  und  zwei  kurze 
(36 — 37, 6.  73)  besitzen,  während  die  Akv.  A  und  c  nur  je  einen 
kürzeren  (c  6 — 8.  A  16,5  — 17,4.  18)  aufweisen.  Heusler  (Der 
dialog  in  der  altgermanischen  erzählenden  dichtung,  Zs.  fda. 
46, 193)  hat  berechnet,  dass  allein  auf  die  Unterhaltung  zwischen 
beiden  gatten  in  den  Am.  248  kurzverse  fallen,  in  der  Akv. 
nur  30. 

Eine  13'riscli  gefärbte  rhetorik  finden  wir  da,  wo  Gudrun 
dem  Atli  enthüllt,  was  aus  seinen  kindern  geworden  ist  (75 
. — 79);  Akv.  A  hat  an  der  entsprechenden  stelle  nur  eine 
Strophe  (39).  Rhetorisch  ist  ferner  Atlis  klage  über  den  tod 
seiner  mannen,  seiner  brüder,  seiner  Schwester  (50 — 52).  Vor 
allem  gehört  hierher  Atlis  vorwurfsvolle  rede,  worin  er  auf 
seine  glänzende  brautfahrt  hinweist  (86,7  —  90),  und  Gudruns 
ablehnung  dieser  vorwürfe  und  erzählung  von  ihrer  glück- 
lichen Vergangenheit,  als  sie  Sigurds  gattin  war,  von  ihrer 
schmerzlichen  verwittwung  und  noch  schmerzlicheren  zweiten 
Vermählung,  von  Atlis  feigheit;  in  der  Akv.  fällt  am  schluss 
zwischen  den  gatten  kein  wort  mehr.  Auch  hinsichtlich 
solcher  rhetorischen  rückblicke  stehen  die  Am.  in  der  mitte 
zwischen  den  alten  einfach  epischen  gedichten  und  den  jüngeren 
sogenannten  Übersichtsliedern. 

§  14-.    Hervortreten  des  dichters. 

In  beiden  gedichten  kommt  gelegentlich  der  dichter  selbst 
zu  Worte.  Dieses  subjective  moment  der  darstellung  erscheint 
aber  in  der  Akv.  sehr  selten,  in  den  Am.  sehr  häufig  und  intensiv. 

a)  Von  reflexionen  hat  die  Akv.  sehr  wenig;  9, 5.  6  sagt 
der  dichter  in  bezug  auf  Gunnars  kühne  worte:  kvadde  ])d 
Giinnarr,  sein  konungr  skylde;  in  bezug  auf  den  mord  Atlis 
sagt  er  43,  5  ff.  oj^^  vas  leiJcr  hetre,  Jjds  pau  lint  shjldo  optarr 

um  faJmiasJc .    Dem  bearbeiter  c   gehören   alsdann   die 

worte   20,  5  svd  sMl  frehi  verjash  ftgndom  sinom  sem  Hggne 

var])e ;  dem  interpolator  d  34, 10  ff.  svd  sJcal  golle  frökn 

15* 


228  BECKER 

hringdrifc  vi])  fira  halda.  In  den  Am.  findet  sich  derartiges 
häufig.  Besonders  liebt  der  dichter  hinweise  auf  das  nur  ihm 
bekannte  ende,  die  die  objective  darstellung  der  Akv.  gar  nicht 
kennt.  Von  der  ratsversanmilung  an  Atlis  hof  heisst  es  1,  6 
yggt  vas  peim  sijmn,  oJc  et  sama  sunom  Gjiika,  es  v^ro  sann- 
rdlmer.    Weiter  reflectierend  str.  2 

SkQp  6x0  skJQlduüga,        skyldo  fara  feiger, 
illa  rezk  Atla,        ätte  po  hyggjo; 
felde  stoJ>  störa,        stridde  ser  harpla. 

Von  Viiigi  sagt  der  dichter  4,  3  fdrs  vas  flytande.  In  bezug 
auf  die  einladung  Vingis  7,  3  syn  vas  svipvise,  efpeir  sin  gcepe. 
Ueber  die  geringe  zahl  der  Niflunge  sagt  er  27, 8  liugat  vas 
Pvi  illa.  Als  sich  dann  am  fjord  die  wege  trennen,  da  sieht 
der  dichter  das  Schicksal  walten  (33):  Jxi  hyJck  slgp  skipta 
(1.  pers.  sing.!).  Von  Vingi  vor  Atlis  gehöft  sagt  er  (35,7.  8): 
orp  Iva])  ])d  Vingi,  ])ats  hetr  an  vcere.  Von  Gudruns  begrüssung 
(44,  6):  sü  vas  liinzt  kve])ja.  Eeflectierend  ist  auch  eine  paren- 
these  wie  60,  2  gerva  svd  fcere  (als  nämlich  HQgni  für  Hjalli 
fürbitte  einlegt). 

b)  Auch  lobeserhebungen  und  preis  der  heldentaten  sind 
in  den  Am.  stärker  vertreten  als  in  der  Akv.  x4.us  letzterer 
gehört  (abgesehen  von  den  oben  s.  227  besprochenen  reflexionen 
9,  5.  20,  5.  34, 10)  hierher  nur  die  Schlussstrophe  46  (B),  die  sich 
immei-  noch  in  bescheidenen  grenzen  hält: 

ferrat  svä  sipan 
brvi)7r  i  brjujo        bropra  at  befua, 
bou  befr  priggja        Jjjöpkonuuga 
banorf»  boret        bjqrt,  äfr  sylte. 

Stärker  in  den  Am.    Vom  kämpf  der  Niflunge  48 

pJQiko  J?ar  gOT]?o,        peire  vas  vif>  brugl»et, 
brä  of  alt  annat,        es  unno  bcjm  Gjüka. 

Von  den  getöteten   brüdern  63, 3.  4   Icto   a   leste  Ufa  iprötta. 

Mit  prachtvollen  Worten  feiert  namentlich  in  der  schlussstrophe 

der  dichter  die  kinder  Gjükis  als  unsterblich: 

ssell  es  bverr  sipan,        es  slikt  getr  fepa 
j6f>  at  afreke,        sem  es  61  Gjüke: 
Ufa  mou  J7at  epter        ä  lande  hverjo 
)?eira  f>räni£ele,        hvarges  J?j6p  beyrer. 

Diese  starke  betonung  des  nachruhms  hängt  aufs  engste  mit 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  229 

dem  gesteigerten  selbstbewusstsein  des  dicliters  zusammen.  Der 
dichter  weiss,  dass  er  es  ist,  der  den  lieldentaten  die  Unsterb- 
lichkeit sichert. 

c)  Das  subjective  moment  zeigt  sich  noch  in  einer  dritten 
erscheinung,  die  nur  den  Am.  eigen  ist.  Während  der  dichter 
der  Aky.  die  ereignisse  einfach  erzählt,  ohne  weitere  worte 
darüber  zu  verlieren,  liebt  es  der  der  Am.,  die  ereignisse  ein- 
zuleiten, vorher  zu  besprechen,  ehe  er  sie  darstellt,  besonders 
auch  die  personen  in  directester  weise  zu  charakterisieren  und 
die  Seelenvorgänge  zu  bezeichnen,  um  das  Verständnis  beim 
hörer  zu  erleichtern  (s.  zum  letztern  Mogk,  Grundriss  22, 651). 

Man  vergleiche  den  anfang  der  beiden  lieder.  Akv.  be- 
ginnt einfach:  Atle  sende  dr  til  Gimnars;  die  Am.  dagegen 
leiten  ein:  Freit  hefr  gld  öfö,  ])ds  endr  of  gerpo  etc.  Als  die 
Niflunge  zu  Atlis  bürg  kommen,  sagt  Akv.  einfach  str.  14  land 

SQO  ])eir  Atta  oh  lipskjalfar ;  die  Am.  dagegen  geben  eine 

Überleitung  35    litto  oh  lengra  —   loh  monh  ])ess  segja  —  hö 

SQO  peir  standa .     Als   HQgni  das  herz  ausgeschnitten 

wird,  sagt  die  Akv.  einfach,  25 

hl6  ]?ä  HQgne,        es  til  hjarta  skgro 
kvikvan  kumblasmip,        klekkva  sizt  hugpe. 

die  Am.  dagegen  str.  61,  mit  einleitung: 

prifu  peir  p'jöf'gopan  —        pä  vas  kostr  enge 
rekkom  rakklötom        räp  enn  lengr  dvelja. 
hlo  pä  HQgne,        heyrpo  dagmeger, 
keppa  svä  kunne,        kvQl  hann  vel  J^olpe. 

Wie  Gunnarr  bei  den  schlangen  gestorben  ist,  sagt  Akv.  ein- 
fach 35  Atte  Ut  rinna  lands  sins  d  vit  j6  eyrshaan ;  die 

Am.  dagegen  charakterisieren  Atlis  Stimmung  64  storr  pöttesh 
Atte,  ste  of  pd  hdpa.  Als  Gudrun  sich  nach  dem  mord  der 
Niflunge  verstellt  und  ergebung  heuchelt,  hebt  der  dichter 
Atlis  leichtgläubigkeit  und  Gudruns  falschheit  hervor: 

70, 1 — 4    gnott  vas  grunnyp'ge,        es  gramr  pvi  tnipie. 
syn  vas  svipvise,        ef  hann  sin  gsepe. 

Weiter  hebt  er  ihre  Verstellungskunst,  ihre  rachsucht,  ihre 
grausamkeit  hervor  (str.  70.  72.  74): 

70,  5—8    krQpp  vas  pä  Gujjrün,        kunne  of  hug  meela, 
lett  hön  ser  gerj^e,        lek  hon  tveim  skJQldom. 


230  BECKER 

72, 1 — 4    sti-QDg  vas  storhugo]?,        stridde  aitt  Bu)?la, 

Tilde  ver  sinom        viniia  ofrhefnder. 
74, 1 — 4    bra  pä  barnösko        bröpra  en  kapsvinna, 

skiptet  skaplega. 

Nach  alledem  ist  die  darstellungsform  der  Akv.  als  eine  mehr 
objective,  die  der  Am.  als  eine  mehr  subjective  zu  bezeichnen. 

§  15.    Schlussbemerkung. 

Die  betrachtung  und  vergleichung  der  poetischen  eigen- 
tümlichkeiten  der  beiden  gedichte  liess  starke  gegensätze 
hervortreten.  Kurze,  knappe  darstellung  fanden  wir  in  der 
Akv.,  breite  Schilderung,  lang  ausgesponnene  dialoge,  lyrik 
und  rhetorik  in  den  Am.;  klarheit  und  einfachheit  in  bezug 
auf  zeit  und  ort  in  der  Akv.,  mehrfache  Sprünge  und  Unklar- 
heiten in  den  Am.;  grossartig  heroische  Charakterzeichnung 
bei  den  hauptpersonen,  gänzliches  zurücktreten  der  neben- 
personen  in  der  Akv.,  unbeholfenheit  in  bezug  auf  zwei  haupt- 
personen, liebevolle  Zeichnung  der  nebenpersonen  in  den  Am.; 
völliges  zurücktreten  des  dichters  in  der  Akv.,  starkes  hervor- 
treten desselben  in  den  Am.  Nach  alledem  können  wir  sagen, 
dass  die  Akv. ')  das  werk  eines  klassikers  ist,  die  Am.  das 
eines  epigonen. 

4.   Einige  literaturgeschichtliche  fragen. 

§  16.    Beziehungen  der  lieder  zu  einander. 

Bisher  haben  wir  die  beiden  lieder  stets  als  selbständig 
nebeneinander  gestellt.  Nun  aber  erhebt  sich  zunächst  die 
frage,  ob  etwa  das  eine  im  anderen  benutzt  worden  sei.  Die 
Übereinstimmung  in  gewissen  (s.  unten  §  22)  grundzügen  der 
sage  beweist  hierfür  nichts.  Nur  formale  anklänge  könnten 
solche  beziehungen  beweisen. 

1)  Befragen  wir  zunächst  den  Wortschatz.  Unter  den 
zusammengesetzten  Substantiven  (in  der  Akv.  41,  in  den  Am.  33) 
finden  sich  nur  2  gemeinsame:  glshdler  und  hüsharlar.  Unter 
den  zusammengesetzten  adjectiven  (in  der  Akv.  37,  in  den  Am. 
36)  kehrt  nur  1  in  beiden  gedichten  wider:  afkdrr.  Unter  den 
abstracten  Substantiven  (Akv.  80,  Am.  134)  sind  6  gemeinsame, 


I 


*)  Hier  ist  wider  speciell  Akv.  A  gemeint,  da  sie  für  uns  der  einzige 
wirklich  greifbare  teil  des  gedichts  ist. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  231 

aber  es  sind  auch  ganz  gewöhnliche  Wörter:  sliQp,  hugr,  leih; 
rei])e,  dau])e,  meipmar.  —  Der  Wortschatz  spricht  also  nicht 
für  benutzung. 

2)  Wenn  wir  weiter  nach  w^örtlichen  anklängen  suchen, 
so  finden  wir  allerdings  einen  gemeinsamen  halbvers,  Akv.  25, 1 
=  Am.  61,  5  lilü  ])d  Ilggne.  Aber  auch  damit  ist  nicht  viel 
zu  erweisen,  denn  der  versanfang  JiJö  pd  +  name  findet  sich 
noch  mehrfach  in  den  heldenliedern  (Ham|:'esmol  20  Mo  Jjd 
JgnniinreMr,  Brot  10  Mo  J)d  BrynMldr,  Sigurp'arkvil'a  30  Mo 
J)d  Brijnlülä);  Gu}?rünarkvi]m  III,  9  Mo  pd  Atta  hugr),  ist  also 
formelhaft,  und  so  können  beide  dichter  ihn  unabhängig  von 
einander  gebraucht  haben.  Ebenso  möglich  ist  es  aber  auch, 
dass  die  Übereinstimmung  der  beiden  texte  auf  der  erinnerung 
an  eine  gemeinsame  quelle,  an  ein  älteres  drittes  lied  (vgl. 
Symons  ausgäbe  s.  453)  beruht.  Das  ist  sogar  hier  insofern 
wahrscheinlicher,  als  beide  mal  der  viersilbler  aus  dem  gefüge 
des  sonst  eingehaltenen  Mälahättr  herausfällt. 

Sonst  finden  sich  keine  wörtlichen  anklänge  zwischen 
irgend  einem  teil  von  Akv.  und  Am. 

3)  Auf  der  anderen  seite  spricht  gegen  beziehungen  der 
lieder  unter  einander  das,  was  sich  uns  am  schluss  des  zweiten 
teiles,  nach  betrachtung  der  sagengestalt  der  beiden  lieder, 
herausstellen  wird  (s.  unten  §  48).  Demnach  werde  ich  im 
folgenden  die  beiden  Atli-lieder  immer  als  zwei  von  einander 
unabhängige  denkmäler  behandeln. 

§  17.    Das  relative  alter  der  lieder. 

Da  directe  beziehungen  zwischen  den  beiden  liedern  nicht 
nachzuweisen  sind,  fehlt  es  natürlich  auch  an  directen  anhalts- 
punkten  für  die  entscheidung  der  frage  nach  dem  relativen 
alter.  Als  das  ältere  gedieht  ist  zwar  die  Akv.,  als  das  jüngere 
die  Am.  schon  mehrfach  in  anspruch  genommen  worden,  aber 
von  einem  strengen  beweis  für  die  richtigkeit  dieser  anschauung 
dürfen  wir  bisher  doch  kaum  reden.  Ein  solcher  beweis  lässt 
sich  aber,  wie  mir  scheint,  durch  herbeiziehung  der  Guj?rün- 
arkvil?a  II  (en  forna)  führen.  Ich  glaube  nämlich  zeigen  zu 
können,  dass  diese  vom  dichter  der  Am.  benutzt  worden  ist, 
ihrerseits  aber  die  Akv.  benutzt  hat,  also  in  der  mitte  zwischen 
den  beiden  Atli-liedern  steht. 


232  BECKER 

1.  In  den  Am.  finden  sich  zwei  nächtliche  scenen,  die 
ihrer  anläge  nach  in  der  Edda  nur  in  Gökv.  II  etwas  ähnliches 
haben.  Am.  14 — 19  werden  von  Kostbera  dem  H^gni  drei 
beängstigende  träume  erzählt,  die  dieser  jedesmal  ins  gleich- 
giltige  deutet.  Dann  werden  Am.  21—25  von  GlaumvQr  dem 
Gunnarr  vier  träume  erzählt,  deren  einer,  22,  von  Gunnarr 
ebenfalls  ins  gleichgiltige  ausgelegt  wird;  die  deutungen  zweier 
träume  (21a  und  24a)  scheinen  verloren,  und  der  letzte  träum, 
25,  wird  von  Gunnarr  kurz  abgetan  26  semat's  at  segja.  Mit 
diesen  scenen  ist  zu  vergleichen  Gökv.  II  str.  39 — 44.  Str.  39 
erzählt  Atli  einen  schlimmen  träum,  str.  40  deutet  ihn  Gudrun 
ins  gleichgiltige  und  günstige;  str.  41.  42.  43  erzählt  Atli  weiter 
drei  schlimme  träume,  worauf  ihn  Gudrun  str.  44  mderum  mit 
einer  deutung  ins  gleichgiltige  zu  beruhigen  sucht.') 

Dass  die  anläge  dieser  nachtscene  in  Gökv.  II  für  Am. 
vorbildlich  gewesen  sein  möge,  hat  schon  Finnur  Jönsson,  Litt, 
bist  1,  296  ausgesprochen.  Zui'  näheren  begründung  der  Ver- 
mutung möchte  ich  zunächst  auf  einiges  inhaltliche  hinweisen, 
das  beziehungen  zwischen  Gökv.  II  und  Am.  in  dem  genannten 
sinne  wahrscheinlich  macht. 

Auffallend  ist  zunächst  Glaumvcirs  zweiter  träum  (22). 
Sie  erzählt,  sie  habe  den  gatten  durchbohrt  gesehen,  nachdem 
sie  vorher  (str.  21)  erzählt  hat,  dass  sie  ihn  zum  galgen  habe 
schreiten  sehen,  und  dass  ihn  schlangen  lebendig  gefressen 
hätten.  Dieser  letztere  träum  (21)  soll  ganz  einfach  das 
vorhersagen,  was  sich  nachher  wörtlich  so  ereignet  (55, 6.  7.  8). 
Der  dritte  träum  (24)  ist  symbolisch,  der  vierte  (25)  führt  im 
sinne  des  Seelenglaubens  das  motiv  fort.  Dagegen  ist  der 
zweite  träum  (22)  hier  ohne  sinn  und  zweck:  er  gibt  direct 
eine  todesart  Gunnars  an,  die  hernach  gar  nicht  eintritt.  2)  — 
Erklärlich  wird  uns  dagegen  die  abschweifung  des  dichters, 
wenn  wir  annehmen,  dass  ihm  der  erste  träum  Atlis  (Gökv. 


^)  In  den  Eddaliedern  findet  sich  ausser  Am.  und  Gökv.  11  keine  ähn- 
liclie  scene,  dagegen  in  der  prosaliteratur,  vgl.  Gunnlaugssaga  c.  2  (Asmiind- 
arson  s.  3f.). 

^)  Der  Verfasser  der  VQlsungasaga  hat  gefühlt,  dass  die  beiden  träiime 
21  und  22  mit  zwei  verschiedenen  todesarten  nebeneinander  nicht  passen; 
er  hat  nur  den  zweiten  behalten  (cap.  35),  vielleicht  weil  ihm  der  erste  zu 
deutlich  erschien. 


DTE   ATLI-LTEDER   DER   EDDA.  233 

n,  39)  vorschwebte,   nach  welchem  Atli  von   GiuTri'm   durch- 
bohrt wird. 

Auffallend  und  für  sich  allein  unverständlich  ist  sodann 
an  der  stelle,  wo  Gudrun  die  busse  Atlis  abweist,  die  bemer- 
kung  (Am.  67,  3.  4):  sleü  eh  pd  satter,  es  vgro  sal-ar  minne  'ich 
lehnte  Versöhnung  ab,  als  es  sich  um  geringere  schuld  handelte'. 
Yerständlich  wird  sie  dagegen  sofort,  wenn  man  sie  als  reminis- 
cenz  an  Gökv.  II,  18 — 21  auffasst.  Grimhild  fragt  ihre  söhne, 
wer  der  Gudrun  busse  für  den  erschlagenen  söhn  und  gatten 
zahlen  wolle: 

18  hverr  vilde  sim        systor  beta, 
epa  ver  vegenn        vilde  gjalda. 

Beide  erklären  sich  bereit,  gold  zu  bieten: 

19  gQiT  lezk  Gminarr        goll  at  bj6]7a 
sakar  at  böta,        ok  et  sama  Hogne. 

Dann  kommen  ihre  bez.  Atlis  boten  zu  Gudiim  und  bieten  ihr 
kleinode  als  sühne  für  den  schmerz: 

21    hverr  vilde  mer        hnosser  velja, 
hnosser  velja,        ok  hngat  mtfela, 
ef  mgette  mer        margra  süta 
trygfer  viuna  —        ne  trua  gerpak. 

Sie  lehnt  die  busse  ab,  wie  sie  an  der  genannten  stelle  der 
Am.  sagt.  Da  betäubt  sie  Grimhild  mit  einem  trank  und 
raubt  ihr  mit  gewalt  —  zwar  nicht  die  erinnerung  an  Sigurds 
tod  (str.  30)  —  aber  den  zorn  gegen  die  brüder:  ne  sakar 
mynpjaJc:  sahir  nennt  auch  in  Am.  67  Gudrun  jene  frühere 
schuld.  Dass  Gudrun  den  tod  ihres  gatten  und  söhnchens 
immer  noch  für  ein  geringeres  (sakar  minne)  als  den  Untergang 
ihres  ganzen  geschlechts  bei  Atli  ansieht,  ist  selbstverständlich. 
Zu  diesen  beiden  stellen  in  Am.  treten  nun  noch  mehrere 
wörtliche  anklänge,  die  von  E.  Leonhardt  in  seiner  Unter- 
suchung über  den  mälahättr  der  Am.  hervorgehoben  worden 
sind.    An 

Gökv.  II,  26,  3  fjglß  ah  fear  erinnert  Am.  88,  7  par  vas  fjglp  fear;  an 
Gökv.  11,2,7  epa  goll  gloprautt  erinnert  Am.  13,  5.  6  —  golle  reifa  glopraupo; 
an  Gökv.  11, 10,1  svarape  Hggne  erinnert  Am.  32, 1  Hggne  svarape;  au  Gökv. 
n,  19, 4  ok  et  sama  Hggne  erinnert  Am.  1,7  oTc  et  sama  sunom  Gjüka. 

'Dass  diese  Übereinstimmungen  nicht  auf  zufall,  sondern 
auf  (bewusster  oder  unbewusster?)  nachbildung  beruhen,  ergibt 
sich  aus  folgendem:    a)  goll  mit  attribut.  glöpraupr  erscheint 


234  BECKER 

nur  an  den  citierten  stellen  der  Am.  und  Gökv.  II,  sonst  nir- 
gends in  der  Edda.  Eine  präteritalform  von  svara  begegnet 
im  vers  nur  noch  Ham]'esmol  13, 1.  Die  Verbindung  ßglp  fear 
ist  in  der  gesammten  Edda  ausser  in  Am.  und  Gökv.  II  nur 
noch  einmal,  Gröttasongr  5,  3,  zu  belegen.  Dem  allgemeinen 
dichterischen  formelschatz  gehören  diese  Wendungen  also  nicht 
an.  b)  Jeder  der  vier  verse  der  Am.,  die  anklänge  an  Gökv.  II 
zeigen,  enthält  irgend  eine  metrische  Unregelmässigkeit'  (Leon- 
hardt  a.a.O.  §  15, 5,  s.  dort  auch  das  nähere  über  diese  Unregel- 
mässigkeiten). 

Damit  ist  wol  als   erwiesen  anzusehen,  dass  der  dichter 
der  Am.  die  Gökv.  II  kannte  und  benutzte. 

2)   Nun  zu  den  beziehungen  zwischen  der  Gökv.  II  und 

der  Akv.    Dunkel  und  merkwürdig  bleibt  zunächst  trotz  aller 

erklärungen  str.  40  der  Gökv.  11,  in  der  Gudrun  Atlis  ersten 

träum  deutet: 

pat's  fyr  elde,        es  iarn  dreyma, 
fyr  dul  ok  vil        drosar  reipe; 
monk  pik  vif»  bqlve        brinna  ganga, 
likna  ok  Igekna,        pot  mer  leipr  seer. 

'Träumt  mau  von  eisen,  ist  aiissicht  auf  feuer,  und  frauenzorn  deutet  auf 

frohsinn  und  stolz,    ein  gebrechen  dir  werd  ich  durch  brennen  heilen,    ob 

auch  wenig  dir  hold,  dich  warten  und  pflegen' 

Übersetzt  es  Gering,  der  an  ausbrennen  eines  geschwüres  denkt 
(Übersetzung  s.  248  n.  1).  Merkwürdig  bleibt  es  immerhin,  wie 
Gudrun  hier  von  dem  schwer t,  von  dem  Atli  getränmt  hat 
39, 7,  auf  das  feuer  kommt,  zumal  sie  daneben  sogleich  in 
der  zweiten  zeile  eine  andere  deutung  des  mordtraumes  ver- 
sucht. Dem  dichter  scheint  ein  mit  Gudrun  in  Zusammenhang 
stehendes  feuer  vor  äugen  geschwebt  zu  haben:  was  liegt  da 
näher,  als  an  den  saalbrand  zu  denken,  den  Gudrun  nach  Akv. 
44,  5  ff.  (in  den  Am.  kommt  er  nicht  vor)  entfacht?  Die  er- 
inuerung  daran  könnte  bei  dem  dichter  der  Gökv.  II  die  hier 
etwas  unangebrachte  erwähnung  eines  feuers  durch  Gudrun 
veranlasst  haben. 

Schwerer  fällt  schon  in  die  wagschale  der  wörtliche  an- 
klang zwischen  Akv.  39,3.  4  und  Gökv.  11,42,  5.  6: 

Akv.    hjqrto  hr«dreyrog  vi]?  hunang  of  tuggen 
Gökv.  II    hJQrto  hug}?ak  peira  vij?  hunang  tuggen. 

Schon  Müllenhof f  (D.A.5,395)  hat  vermutet,  dass  hier  die  Gökv.  II 


DIE   ATLI-LIEDER   DER  EDDA.  235 

von  der  Akv.  beeinflusst  sei.  Um  zu  entscheiden,  welche  stelle 
die  ursprüngliche,  welche  die  nachgebildete  sei,  nehmen  wir 
widerum  zu  einer  metrischen  beobachtung  unsere  Zuflucht. 
Sievers  hat  nämlich  (Beitr.  6,  343)  darauf  hingewiesen,  dass  in 
Gökv.  II  als  in  einem  fornyrdislaggedicht  der  halbvers  hjgrto 
Jiugpali  pcira  anstössig  sei;  dass  man  nun  zwar  leicht  peira 
streichen  könne,  aber  dass  damit  der  parallelismus  zu  43,5 
{Jiold  lingpak  Jteira)  verloren  gehen  würde.  Schlecht  ist  also 
der  vers  in  Gökv.  II,  wir  dürfen  ihn  aber  nicht  verbessern, 
sondern  müssen  ihn  hinnehmen  wie  er  ist.  Ist  ferner  der 
entsprechende  vers  Akv.  39,  3.  4  metrisch  ganz  unauffällig,  so 
müssen  wir  ihn  auch  als  den  ursprünglichen  und  damit  als 
das  Vorbild  für  Gökv.  II,  46,  5.  6  ansehen.  Indem  der  dichter 
im  ersten  halbvers  der  zeile  hjgrto,  im  zweiten  vip  hunang 
titggen  widergab,  suchte  er  zugleich  im  eisten  noch  das  verbum 
mit  subject  Qmgpah)  und  das  bestimmende  pronomen  (peira) 
unterzubringen:  darunter  musste  der  halbvers  leiden. 

Einen  weiteren  anklang ')  zeigen  die  stellen  Akv.  44, 4  ok 
huelpa  leyste  und  Gökv.  II,  43, 2  hvelpa  losna,  der  nach  dem 
vorher  festgestellten  auch  als  ein  zeichen  der  abhängigkeit 
der  Gökv.  II  von  der  Akv.  anzusehen  ist. 

Die  stellen,  welche  uns  zur  annähme  dieses  Verhältnisses 
von  Akv.  und  Gökv.  II  geführt  haben,  gehören  nun  alle  der 
Akv.A  an.  Wir  können  daher  mit  bestimmtheit  nur  sagen, 
dass  A,  das  alte  mälahättrgedicht,  älter  ist  als  die  Gul:>rünar- 
kvi]>a:  damit  auch  älter  als  die  Atlamol,  die  von  der  Gökv. 
abhängig  sind. 

In  welchem  zeitlichen  verhältniss  dagegen  das  uns  als 
^AtlakviJ'a'  erhaltene  zusammengesetzte  und  interpolierte  ge- 
dieht zu  den  Am.  steht,  können  wir  nicht  wissen. 

§  18.     Die  bezeichnimg  en  grönUnzlia,  grmlenzlco. 

1)  Beide  Atli-lieder  werden  im  Codex  Regius  als  grön- 
ländisch bezeichnet.  In  bezug  auf  die  Am.  ist  die  herkunft 
aus  dem  amerikanischen  Grönland  über  jeden  zweifei  erhoben 
durch  Gröndal  (Ant.  Tidskr.  1861—63,  s.  373)  und  Bugge  (Forn- 
kvaedi  433).  Es  sei  gestattet,  ausserdem  auf  einiges  in  der 
darstellung  der  Am.  hinzuweisen,  was  an  grönländische  ver- 

»)  S.  Detter  und  Heinzel  2,  506. 


236  BECKER 

hältnisse  erinnert,  wie  wir  sie  aus  der  saga  von  Eirikr  dem 
roten  und  dem  Grünlendinga  J^ättr  kennen  lernen.  Gestalten 
aus  der  gescliichte  seiner  heimat  mögen  dem  dichter  vor- 
geschwebt haben,  als  er  die  gestalt  Gudruns  ausmalte.  Wenn 
er  sie  erzählen  lässt,  dass  sie  in  ihrer  Jugend  zusammen  mit 
ihren  brüdern  und  Sigurdr  auf  Seefahrten  ausgezogen  sei 
(Am.  92),  so  wird  man  erinnert  an  frauen  wie  Gudridr,  por- 
steins  gattin,  oder  Freydiss,  Eiriks  des  roten  tochter,  die 
zusammen  mit  den  männern  auszogen,  um  nach  dem  ver- 
heissungsvollen  Vinland  zu  gelangen  (Gr.  p.  Storm  s.  63.  66.  69). 
Besonders  mag  auf  die  Charakterzeichnung  der  grönländischen 
streitbaren  Gudrun  eingewirkt  haben  eine  gestalt  wie  Freydiss, 
die  mit  dem  schwert  in  der  band,  als  die  ihrigen  sich  zurück- 
ziehen, den  feindlichen  Skrselingar  entgegentritt  (Eirikssaga 
Storm  s.  40.  41);  die  aber  auch  mit  Gudrun  die  grausamkeit 
gemein  hat,  indem  sie  das  brüderpaar,  mit  dem  sie  nach  Vin- 
land gefahren  ist,  ermorden  lässt  und  eigenhändig  mit  der 
axt  mehrere  frauen  tötet  (Gr.  p.  s.  71).  Auch  die  bestattung 
in  einer  Jcista  (Am.  97)  findet  sich  hier  mehrfach  (Eirikssaga 
S.24;  Gr.  1^.  s.  64.  65). 

2)  In  bezug  auf  die  Akv.  hat  dagegen  Bugge  (a.  a.  o.  s.  428) 
angenommen,  dass  die  bezeichnung  en  grönUnzlca  fälschlich 
von  den  Am.  auf  die  Akv.  übertragen  worden  sei.  Die  frage 
concentriert  sich  für  uns  zunächst  auf  die  beiden  alten  teile 
des  gedichts,  A  und  B. 

In  der  darstellung  findet  sich  nichts,  was  für  entstehung 
an  der  grönländischen  küste  spräche.  Die  landreise  der  Niflunge 
durch  den  Myrkvidr,  zu  pferde  (in  den  Am.  finden  sich  nirgends 
solche  erwähnt),  durch  grüne  felder  (str.  13),  könnte  eher  da- 
gegen sprechen.  Ferner  können  wir,  wenn  Akv.  A  und  B  grön- 
ländisch sind,  ihre  entstehung  nicht  viel  vor  dem  jähr  1000 
ansetzen;  da  wir  aber  A  und  auch  gerade  B  mit  seinen  starken 
epischen  widerholungen  für  sehr  alt  halten  müssen,  so  möchten 
wir  nicht  gern  schon  das  jähr  985  als  obere  grenze  ansetzen, 
sondern  wol  eher  etwas  weiter  ins  10.  jh.  hinaufgehen.  Darum 
ist  es  auch  mir  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  alten  teile  der 
Akv.  grönländisch  sind.  Mogk  macht  auch  (Grundr.  2  2,  648) 
darauf  aufmerksam,  dass  es  für  Grönland  schwerlich  denkbar 
sei,  dass  sich  hier  die  deutsche  Nibelungensage  in  so  reiner 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  237 

form  erhalten  Iiabe,  wie  wir  sie  in  der  Akv.  finden  (s.  dazu 
unten  am  schluss  von  teil  II  §  48). 

Auf  der  anderen  seite  ist  aber  die  Überschrift  in  R  auch 
nicht  ganz  ausser  acht  zu  lassen.  Auf  reine  gedankenlosigkeit 
eines  abschreibers  (wie  F.  Jonsson,  Litt.  Hist.  1,306  will)  können 
wir  sie  schwerlich  zurückführen,  da  in  R  die  Akv.  vor  und 
nicht  hinter  den  Am.  steht  (Mogk,  Grundriss  2  2,  646).  Daher 
halte  ich  es  für  das  wahrscheinliche,  dass  der  redactor  der 
uns  erhaltenen  Akv.  diese  aus  alten  europäischen  liederteilen 
(A,  B)  in  Grönland  zusammengesetzt  habe.  Dann  konnte  das 
fertige  werk  in  der  tradition  sehr  wol  als  grönländisch  gelten 
(vgl.  auch  Symons'  einleitung  zur  ausgäbe  s,  ccxxxv). 

§  19.    Heidnische  und  christliche  Urheberschaft. 

Auch  in  bezug  auf  die  religion  scheinen  die  Atli-lieder  in 
ihrer  herkunft  verschieden  zu  sein. 

1)  In  der  Akv.  tritt  noch  die  altheidnische  religion  offen 
zu  tage.  Das  Niflungenerbe  stammt  von  den  äsen  29,  3,  Gudrun 
ist  mit  siegverleihenden  göttern  (sigtivar)  in  Verbindung  ge- 
bracht (in  der  verderbten  str.  31);  dem  Gunnarr  hat  Atli  eide 
geschworen,  ausser  bei  anderen  heiligtümern,  bei  Sigtyrs  berg, 
bei  UUrs  ring  32.  Man  darf  wol  annehmen,  dass  der  Verfasser 
der  Akv.  A,  dem  die  genannten  stellen  gehören,  noch  beide 
war;  von  christlichen  dementen  findet  sich  jedenfalls  in  der 
Akv.  nichts. 

2)  In  den  Am.  ist  es  anders.  Kein  einziger  göttername 
erscheint;  nur  den  göttern  im  allgemeinen  dankt  Gudrun  53,  9. 
Strophe  21,  5  findet  sich  rslc  ragna,  das  göttergeschick;  aber 
da  auf  einzelgötter  hier  nirgends  ein  bezug  ist,  wird  dieser 
ausdruck  wol  nur  in  abgeblasstem  sinne,  gleicli:  ende  der  weit, 
zu  verstehen  sein.  Weiter  findet  sich  allerdings  aus  dem  ge- 
biet der  niedern  mjihologie  der  helglaube,  der  seelenglaube, 
der  riesenglaube;  die  hei  (unpersönlich)  erscheint  38,  2.  41, 5. 
47,9.  51,3.  52,5.  91,7;  den  seelenglauben  spiegeln  wider  die 
träume  18  und  25,  von  dem  bluttriefenden  adler  und  von  den 
toten  frauen;  die  riesen,  joten,  sollen  Vingi  holen,  wenn  er 
lügt  (30,3). 

Nun  treten  aber,  wie  bekannt,  in  den  Am.  auch  einige 
Züge  von  speciflsch  christlichem  gepräge  auf,  die  den  gedanken 


238  BECKER 

nahe  legen,  dass  die  Am.  von  einem  Christen  verfasst  seien 
(Jessen,  Zs,  fdph.  8,  ^S  iirid  Mogk,  Grundriss  2^,651  nehmen  das 
an).  Hier  ist  nun  zunächst  zu  betonen,  dass  die  eben  zu- 
sammengestelUen  mythologischen  züge  jedenfalls  nicht  dagegen 
beweisen.  Die  Vorstellung  vom  ende  der  weit  stimmt  zu  der 
christlichen  lehre  vom  Weltgericht.  Die  Vorstellungen  von 
unterirdischem  auf  enthalt  der  toten,  von  folge-  und  schutz- 
geistern (Am.  18.  25)  sind  durch  das  Christentum  nicht  aus- 
gerottet worden,  das  zwar  die  götter  vertrieb,  aber  den  niedern 
aberglauben  nicht  vertreiben  konnte. 

Ebensowenig  wie  diese  züge  spricht  gegen  christliche 
Urheberschaft  der  in  den  Am.  so  stark  ausgeprägte  fatalistische 
schicksalsglaube.  Er  tritt  ganz  unpersönlich  auf  (2, 1  slop  öxo 
sliJQldunga,  33,  3  pd  hi/lJc  sJcop  slcipto,  45,  3  skopom  vipr  inange). 

Christlichen  einfluss  verrät  dagegen  zunächst  der  schluss 
der  Am.,  wo  Gudrun  von  bestattung  in  einem  sarg  spricht, 
Icisto  steinda  97,2  (Jessen  a.a.O.  s.  38).  Wenn  ausserdem  von 
einem  schiff  die  rede  ist  {higyy  mon  ek  Jicmpa),  so  soll  nach 
AVeinhold  (Altnordisches  leben  s.  479)  Atlis  sarg  auf  ein  schiff 
gesetzt  und  den  wellen  übergeben  werden,  wie  Scylds  leiche 
im  Beowulf  26  ff.  (die  aber  nicht  in  einen  sarg  geschlossen 
ist).  Man  kann  aber  auch  an  ein  schiff  im  grabhügel  denken 
(s.  Weinhold  ebda.  s.  495  ff.). 

Speciflsch  christlich  ist  sodann  die  äusserung  Gudruns 
82, 7.  8  frijyra  vilJc  daujja  fara  i  Ijös  annat,  wie  Detter  und 
Heinzel  2,  565  und  Mogk,  Grundriss  22,651  hervorheben.  In 
der  Akv.  fahren  die  toten  nicht  in  ein  anderes  licht,  sondern 
ins  dunkel  (niflfarna  36,  8,  was  an  Niflhel  erinnert). 

Auch  die  tatsache,  dass  Gudrun  dem  sterbenden  gatten 
die  bestattung  zusichert  und  auch  ihr  versprechen  hält  (97. 
98),  mag  auf  christliche  Stimmung  zurückgehen. 

Nach  alledem  ist  es  wol  als  sicher  anzusehen,  dass  der 
dichter  der  Am.  Christ  war  oder  zum  mindesten  christlichen 
kreisen  nahe  stand. 

§  20.    Beziehungen  zwischen  den  Atli-liedern  und  anderen 
heldenliedern  der  Edda. 

1)  Von  den  beziehungen  der  Atli-lieder  zur  Gökv.  II  war 
schon  oben  in  §  17  die  rede.    Im  weitern  findet  man  zunächst 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  239 

in  den  Hamj'esmol  einige  stellen,  die  an  stellen  der  Akv,  er- 
innern. Dass  die  Hm.  allein  ausser  Akv.  B  (40)  die  namen 
Erpr  und  Eitill  kennen  (Hm.  8,  2.  3),  kann  nicht  viel  beweisen, 
zumal  Str.  8  von  Eaniscli  (Zur  kritik  und  metrik  der  Hampismäl 
s.  5.  6)  als  eine  interpolation  walirsclieinlicli  gemacht  worden 
ist.  Dagegen  besteht  zweifellos  eine  beziehung  zwischen  Hm. 
und  Akv.  A:  Hm.  10  hwpr  grcetr  [pü]  Jnna  oh  hure  sväsa  er- 
innert alliterierend  an  Akv.  41, 7.  8  hr^pr  [sina]  herharjm  oh 
hure  sväsa;  Hm.  23,  6  i  hgrg  cnne  hgvo  erinnert  an  Akv.  14,  4 
d  hqrg  enne  hövo;  Hm.  25,  10  /  elcl  heitan  erinnert  an  Akv. 
45,10  i  eld  heitan;  die  beiden  letzten  übereinstimmenden  aus- 
drücke {hgrg  enne  hövo,  i  eld  heitan)  finden  sich  ausser  an  den 
genannten  stellen  nirgends  in  der  Edda;  deshalb  und  wegen 
Hm.  10  müssen  wir  eine  beziehung  zwischen  den  beiden  ge- 
dichten  annehmen.  In  welchem  sinne  diese  aber  zu  deuten 
ist,  d.h.  ob  Akv.A  oder  Hm.  älter  ist,  kann  ich  nicht  ent- 
scheiden; die  am  meisten  auffallenden  verse  Hm.  10  und  Akv.  41 
werden  beide  durch  ausscheidung  der  pronomina  (S3'mons'  aus- 
gäbe s.  434;  Ranisch  a.a.O.  s.  55)  unanstössig,  sodass  ein  me- 
trischer anhält  fehlt. 

Dagegen  ist  die  entscheidung  wol  leichter  bei  den  be- 
ziehungen  zwischen  der  Akx.  und  drei  jüngeren  liederu: 
Odrünargrätr,  Sigurparkvil^  en  skamma  und  Guj'rünarhvQt. 

2)  In  Odrgr,  erzählt  Odrün  der  Borgny,  wie  ihr  geliebter 
Gunnarr  in  der  schlangengrube  endete  und  H^gni  das  herz 
ausgeschnitten  wurde,  wobei  die  stelle  Odrgr.  26,  5.  6  peir  6r 
Hggna  hjarta  shgro  alliterierend  anklingt  an  Akv.  25, 1.  2  hlöpd 
Hggne,  es  til  hjarta  shöro.  Ferner  findet  sich  die  kenning  sverjja 
deiler  (Odrgr.  31,  7)  in  der  Edda  sonst  nur  noch  Akv.  39,  2. 

Daher  darf  man  wol  annehmen,  dass  der  dichter  des  Odrgr. 
die  Akv.  (A)  gekannt  habe. 

3)  Dasselbe  gilt  von  Ghv.,  wo  Gudrun  erzählt,  dass  dem 
Gunnarr  die  glänzenden  würmer  auf  den  leib  krochen  (til 
fjgrs  shrijw),  und  H^gni  nach  dem  herzen  geschnitten  wurde, 
wobei   die   stelle   Ghv.  18,  2 — 4   es  hjarta  til  homing  öhlaupan 

hvihvan  shöro   anklingt   an  Akv.  25,  2.  3 es  til  hjarta 

sh()ro  hvihvan (Symons'  ausgäbe  s.  471). 

4)  Endlich  zeigt  Sg.  sk.,  wo  Brynhild  das  ende  Gunnars 
in  der  schlangengrube  prophezeit  (58),  wörtliche  anklänge  an 


I 


240  BECKER 

die  Akv.;  alliterierend  Sg.sk.  16,7.8  got^s  at  rdjm  Binar 
malme,   zu   yergleichen   mit   Akv.  29, 1.  2  Bin  sJcal  rdJm  rög- 

vialme ;    Sg\  sk.  20,3.  4  yngra öfröpara,   zu    ver- 

gleiclien  mit  Akv.  41,9  unga,  öfr6])a;  ungr  und  öftöpr  findet 
sich  alliterierend  nur  an  diesen  beiden  stellen  der  Edda;  ferner 
Sg.  4, 1  seggr  enn  sujirene  =  Akv.  2,  7 ;  auch  dieser  ausdruck 
findet  sich  sonst  nirgends  in  der  Edda;  endlich  Sg.sk.  55, 4 
skatna  menge  =  Akv.  34,  4  d;  auch  dieser  ausdruck  ist  sonst 
nirgends  zu  belegen.  Es  ist  demnach  anzunehmen,  dass  die 
Akv.  von  der  Sg.  sk.  benutzt  worden  ist,  und  zwar,  da  die 
letzte  stelle  34, 4  dem  d  gehört,  offenbar  Akv.  A  und  ihre 
Interpolation  d. 

5)  Vielleicht  hat  ausserdem  die  Sg.  sk.  auch  die  Am.  be- 
nutzt. Auffallend  ist  erstens  die  tatsache,  dass  nur  Sg.  sk. 
als  einziges  von  allen  Eddaliedern  ausser  den  Am.  den  Sigurör 
enn  hunsJcr  nennt  (Sg.  sk.  4,  7.  9, 1.  18, 5.  65,  5.  66, 1  —  Am. 
94, 1);  ferner  erinnern  die  stellen  Sg.  sk.  2,  2  meijmia  ßglp 
(sonst  in  der  Edda  nur  noch  prymskv.  23,  5)  und  39,  4  meip- 
mar  pigyja  (nirgends  sonst)  an  Am.  89,  2  meipma  fjglp  piggja; 
auch  das  particip  fidlveget  Sg.  sk.  33,  2  findet  sich  in  der  Edda 
nur  noch  Am.  49, 5. 

Damit  ist  wol  als  sicher  anzusehen,  das  eins  der  lieder 
das  andere  benutzt  habe;  welches  der  beiden  lieder  aber  das 
ältere  ist,  kann  ich  nicht  entscheiden. 

IL    Sagengeschichtlicher  teil. 

§  21.    Vorbemerkung. 

Da  wir  Akv.  und  Am.  als  zwei  von  einander  unabhängige 
denkmäler  der  Nibelungensage  ansehen  (s.  §  16),  so  können  wir 
auch  zunächst  nicht  der  sagengestalt  eines  der  beiden  lieder 
in  bezug  auf  urspriinglichkeit  den  vorrang  erteilen.  Vielmehr 
soll,  soweit  unterschiede  in  der  sagengestalt  vorliegen,  jeder 
einzelne  fall  daraufhin  untersucht  werden,  ob  Akv.  oder  Am. 
das  ältere  oder  jüngere  zeigen.  Auf  diesem  wege  soll  ver- 
sucht werden,  die  züge  zusammenzutragen,  die  einst  der  den 
beiden  liedern  vorausliegenden  altnordischen  sagenform  an- 
gehört haben;  zugleich  soll  die  entwicklung  der  sagenzüge 
innerhalb  der  nordischen  sage  aufgezeigt  werden,  soweit  das 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  241 

möglich  ist.  Im  geg-ensatz  zu  der  als  altnordisch  bezeichneten 
form  wird  mehrfach  von  der  'älteren  deutschen'  form  die  rede 
sein:  damit  ist  die  deutsche  Nibelungensage  aus  der  zeit 
vor  ihrer  Wanderung*  nach  dem  norden  gemeint,  auf  die  wir 
als  auf  die  quelle  der  nordischen  sage  stets  rücksicht  nehmen 
müssen.  Vorangestellt  sei  eine  Übersicht  über  das  gemeinsame 
in  dem  Inhalt  der  beiden  lieder,  Avie  sie  uns  vorliegen;  dass 
dies  noch  nicht  gleich  der  zu  gründe  liegenden  altnordischen 
form  ist,  werden  wir  am  schluss  sehen.  Mit  den  unterschieden 
in  der  sagengestalt  der  beiden  lieder  werden  wir  es  dagegen 
in  den  folgenden  abschnitten  zu  tun  haben. 

§  22.    Das  gemeinsame. 

König  Atli  aus  dem  geschlecht  der  Bu]?lunge  (Akv.  45. 
Am.  51.  90)  schickt  an  die  Gjükunge  (Akv.  1.  Am.  99)  Gunnarr 
und  HQgni  eine  einladung  (Akv.  1  ff.  Am.  4  ff.)  und  erweckt 
hoffnung  auf  gescheuke  (Akv.  4  ff.  Am.  13,  5.  6).  Ihre  Schwester 
Gudrun,  Atlis  gattin,  warnt  die  brüder  (Akv.  8.  Am.  3).  Man 
zögert  mit  der  zusage  (Akv.  6  ff.  Am.  7,  5  ff.),  entschliesst  sich 
aber  endlich  zur  reise  (Akv.  11.  Am.  26).  Feierliche  begleitung 
der  Gjükunge  (Akv.  12.  Am.  28).  Ankunft  bei  Atli  (Akv.  15. 
Am.  39).  Gudrun  tritt  hervor  und  begrüsst  die  brüder  (Akv. 
16, 5  ff.  Am.  44.  45).  Ein  kämpf  zwischen  den  Niflungen  (Akv. 
26, 2.  Am.  44,  5)  und  Atlis  leuten  (Akv.  19.  20.  Am.  42.  47  ff.). 
Die  gaste  unterliegen  (Akv.  19.  Am.  49).  HQgni  wird  das  herz 
ausgeschnitten,  er  lacht  (Akv.  25.  Am.  61,  5).  Ein  Hjalli  spielt 
dabei  eine  rolle  (Akv.  23  ff.  Am.  57  ff.).  Zornige  rede  Gudruns 
gegen  Atli  (Akv.  32.  Am.  53).  Gunnarr  wird  schlangen  über- 
geben (Akv.  34.  Am.  55, 8),  schlägt  die  harfe  (Akv.  34, 7.  Am.  62) 
und  stirbt  als  letzter  (Akv.  35, 4.  Am.  63, 1).  Gudrun  tötet  ihre 
und  Atlis  söhne  und  bewirtet  diesen  mit  einem  trank  und  den 
herzen  der  kinder;  darauf  sagt  sie  ihm,  was  er  gegessen  hat 
(Akv.  36.  39.  Am.  71—78).  Gudruns  kostbarkeiten  (Akv.  42. 
Am.  43).  Gudrun  nimmt  räche  an  Atli  (Akv.  44.  Am.  84,  5 — 8). 
Ein  söhn  H^gnis  bleibt  leben  (Akv.  12,  6.  Am.  83, 5). 

Das  ist  alles,  was  sich  von  gemeinsamem  Inhalt  in  beiden 
liedern  findet. 

§  23.    Gunnarr  und  H(^gni. 

Ein  hauptunterschied  in  der  sagengestalt  der  einzelnen 

Beiträge  ziir  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXIIl,  \^Q 


242  BECKER 

Atli-lieder  bestellt  zunäclist  darin,  dass  Gunuarr  und  HQgni 
eine  verschiedene  Stellung  einnehmen.  Wie  wir  schon  bei  der 
betrachtung  der  Charaktere  in  §  12  (s.  220  ff.)  sahen,  steht  in 
der  Akv.  Gunnarr  ganz  im  Vordergrund .  Hogni  tritt  zurück, 
obwol  seine  tapferkeit  in  str.  20  B,  c  hervorgehoben  wird;  in 
den  Am.  dagegen  steht  H^gni  in  erster  linie  und  Gunnarr 
tritt  hinter  ihm  zurück.  In  den  Am.  zeigt  sich  das  besonders 
darin,  dass  H^gni  zwei  erwachsene  söhne  hat,  die  er  auf  die 
reise  mitnimmt,  und  dass  er  einen  söhn  und  rächer  hiuter- 
lässt,  während  von  Gunnarr  keine  nachkommenschaft  erwähnt 
wii^d.  Wir  können  dies  Verhältnis  nicht  nur  der  willkür  der 
dichter  zuschreiben.  Die  beiden  söhne  Snsevarr  und  Sölarr 
mögen  wie  die  namen  von  dem  dichter  der  Am.  erfunden  sein: 
aber  die  sage,  dass  HQgui  nachkommen  hat,  ist  älter  als  die 
Am.:  schon  in  der  Akv.  begegnet  ein  erfevgrp-  Hggna^),  und 
dieser  ist  hier  gewiss  keine  ausschmückuug  des  dichters  A, 
denn  derselbe  stellt  überall  gerade  den  andern  bruder,  Gunnarr, 
in  den  Vordergrund:  zu  Gunnarr  wird  der  böte  gesaut  (1,2.  6), 
Gunnarr  lädt  er  ein  (3,5),  Gunnarr  wird  bei  der  abreise  be- 
gleitet (Jandrggnc  12, 1),  Gunnarr  von  Gudrun  begrüsst  (16,  5), 
Gunnarr  wird  nach  dem  gold  gefragt  und  verweigert  das  gold 
(22.  29),  Gunnarr  wird  als  letzter  zum  tode  geführt  (30),  wegen 
des  eidbruchs  an  Gunnarr  flucht  Gudrun  dem  Atli  (32),  alle 
die  vom  morde  Gunnars  heimgekommen  sind,  verbrennt  Gu- 
drun (45,3). 

Wenn  wii^  nun  trotzdem  auch  in  der  Akv.,  in  Überein- 
stimmung mit  den  Am.,  nur  HQgni  im  gegensatz  zu  Gunnarr 
eine  nachkommenschaft  aufweist,  so  lässt  das  vermuten,  dass 
einmal  H^gni  in  der  altnordischen  sage  eine  hervorragendere 
Stellung  als  sein  bruder  einnahm,  dass  die  glänzende  Stellung 
Gunnars  in  der  Akv.  A  dagegen  eine  neuerung  bedeutet.  Daf üi- 
sprechen  nun  ferner   die   beiden  deutschen  sageuformen  (NL. 


>)  In  der  prosa  der  Edda  (Drap  Nifluuga)  begegnet  als  dritter  söhn 
Hognis  ein  Gjüki.  Vermutlich  hat  der  Sammler  der  lieder  diesen  namen 
aus  dem  geschlechtsnamen  der  Gjükunge  für  den  namenlosen  erben  Akv.  12,6 
abgezogen  (nach  dem  nordischen  brauch,  dass  der  enkel  oft  den  namen  des 
grossvaters  erhielt),  ähnlich  wie  Volsungasaga  38  die  bezeichuuug  Huifluugr 
für  den  namenlosen  söhn  H(jgni  (Am.  83, 5)  als  eigenuamen  gefasst  wird 
{er  Niflungr  het). 


DIE   ATLI-LIEDER  DER  EDDA.  243 

und  TliS.).  Hagen  stellt  überall  im  Vordergrund  der  handlung, 
während  der  schwache  Günther  eine  passive  rolle  spielt.  Er 
ist  der  mörder  Siegfrieds  (NL.  Bartsch  Av.  XVI  und  ThS.  347), 
er  strebt  nach  dem  schätz  Siegfrieds  (NL.XIX.  1107)  und  waltet 
eigenmächtig  darüber,  indem  er  ihn  in  abwesenheit  der  fürsten 
versenkt  (1137);  er,  der  dienstmann  Günthers,  wird  von  Kriem- 
hilt  danach  gefragt  (NL.  1741,  zum  zweiten  mal  2367;  ThS. 
373);  Hagen  ist  der  führer  auf  dem  weg  zum  Hunnenland  und 
steht  in  den  kämpfen  daselbst  im  Vordergrund;  er  überlebt 
Günther  und  stirbt  als  letzter  der  Nibelungen  (NL,  2373. 
ThS.  393). 

So  wird  auch  in  der  altnordischen  sage  H^gni  im  Vorder- 
grund der  handlung  gestanden  haben,  bis  Gunnarr  ihn  zurück- 
gedrängt hat.  In  diesem  fall  hätten  die  Am.  gegenüber  der 
Akv.  den  älteren  zug  bewahrt. 

§  24.    Burgunden  und  Goten. 

Akv.  19,  3  B  heisst  Gunnarr  vinr  Borgunda,  21,  3  B  Gotna 
f'jof'ann.  In  den  Am.  finden  sich  beide  völkernamen  nicht. 
Dass  beide  in  demselben  gedieht  für  den  gleichen  herscher 
verwant  werden,  braucht  uns  nicht  zu  verwundern.  Golther 
macht  (Germania  33, 474  f.)  darauf  aufmerksam,  dass  zur  zeit, 
als  die  sage  entstand,  die  Burgunden  an  der  Rhone  und  Saone, 
hinter  ihnen  die  Goten  sassen,  beide  als  feinde  der  Franken: 
so  habe  die  sage  Burgunden  und  Goten  im  gegensatz  zu  dem 
fränkischen  geschlecht  der  Wälsungen  als  ein  volk  aufgefasst; 
diese  Identification  sei  nicht  als  eine  nordische  neuerung  auf- 
zufassen. Es  hat  vielleicht  auch  eine  erinnerung  an  die  schlacht 
bei  Chalons  451,  in  der  der  Gotenkönig  Theodorich  im  kämpf 
gegen  Attila  fiel,  dazu  mitgewirkt,  dass  man  den  Burgunden- 
könig,  der  bei  dem  Hunnenkönig  sein  leben  lassen  musste,  als 
Gotenkönig  bezeichnete.  Ob  aber  diese  Identification  älter  ist 
als  die  Wanderung  der  sage  in  den  norden,  können  wir  nicht 
wissen,  da  in  der  aussernordischer  sage  Günther  nie  als  Gote 
bezeichnet  wird. 

Das  auftreten  des  Burgunden-namens  an  dieser  einzigen 
stelle  der  Edda  brauchen  wir  nicht  nachträglicher  deutscher 
beeinflussung  zuzuschreiben,  wie  Edzardi  wollte  (Germ.  23, 86). 
Dass  der  Burgundeu-name  auch  schon  in  ausserdeutscher  sage 

16* 


244  Becker 

sehr  alt  ist,  zeigen  die  angelsäclisisclien  gediclite  Widsid  und 
AValdere  ("Widsid  19  Burgendum  Gifica;  651  Burgendum  Gud- 
liere;  Waldere  B  14  wine  Biirgenda  für  Gudliere).  Die  Akv. 
hat  demnach  in  diesem  namen  einen  besitz  aus  der  älteren 
deutschen  sage  bewahrt,  der  sich  in  den  Am.  und  allen  anderen 
Edda-liedern  nicht  mehr  findet. 

Der  name  der  Goten  erscheint  ausser  Akv.  21  noch  mehr- 
fach in  den  heldenliedern  der  Edda,  in  verschiedener  bedeutung. 
Für  das  volk  der  Niflunge  (wie  Akv.  21)  erscheint  er  Gökv. 
II,  17,  6  (Grimhüdr,  goinesk  Tiona)]  Brot  9,  4  (Gjüla  arfe  oJc  Gota 
menge)]  Grip.  35,  6  (Gunnare  til  handa,  Gotna  drötne);  für  J^r- 
munreks  volk,  die  historischen  Ostgoten,  Ghv.  2, 12.  8,6.  16,4; 
Hm.  3,  8.  23,  4.  24,  4.  30,  2.  Ausserdem  herschte  der  von  Bryn- 
hild  getötete  könig  d  Got]))6Jjo  (Helreij?  8,  2). 

Im  übrigen  müssen  wir  mit  der  möglichkeit  rechnen,  dass 
Akv.  21.  Brot  9.  Grip.  35  gotar  oder  gotnar  einfach  'männer' 
bedeutet,  während,  in  der  Gökv.  II,  17  mit  gotnesJc  kona  doch 
nur  der  volksname  gemeint  sein  kann. 

§  25.    Hunnen  und  Hünm^rk. 

In  der  Akv.  wird  das  volk  Atlis  als  Hunnen  bezeichnet 
(2,  4.  4,  4.  7, 12.  13,  5.  16,  7.  17,  9.  29,  8.  37,  4.  41, 4).  Dieselbe 
auffassung  findet  sich  in  der  Edda  noch  Gökv.  II,  27, 1.  Gökv. 
I,  6, 2.  24, 8.  Die  Am.  dagegen  kennen  keinen  namen  für  Atlis 
volk.  Auch  hier  hat  die  Akv.  im  gegensatz  zu  den  Am.  einen 
alten  sagennamen  bewahrt:  dass  Attila  könig  der  Hunnen  ist, 
weiss  schon  Widsid  (35  ^tta  tveold  Hünum). 

Was  weiter  die  läge  des  hunnischen  landes  betrifft,  so 
haben  wider  die  Am.  darüber  keine  angäbe  und  keinen  anhält, 
es  zu  bestimmen:  Vingi  fährt  zu  den  Gjükungen  über  den 
Limafjord  (an  diesem  wasser,  nicht  am  Rheine  sitzen  sie,  Am. 
4, 7.  8,  vgl.  Akv.  18),  aber  von  welcher  himmelsrichtuiig  er 
kommt,  erfahren  wir  nicht.  In  der  Akv.  ist  die  läge  klarer 
orientiert:  die  Hunnen  sind  das  südvolk  (suprjijöj)  ii,b):  wenn 
man  von  den  f eisen  des  Rheins  (18)  durch  den  Myrkviör  zieht, 
gelangt  man  nach  der  südlich  gelegenen  HünniQrk  (13,  5).  Im 
übrigen  kann  man  aber  nicht  sagen,  dass  dieses  gebiet  des 
Süd  Volkes  mit  dem  in  der  oberdeutschen  sage  feststehenden 
Ungarn  (Pannonia  schon  im  Waltharius  4  u.  ö.)  identisch  sein 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  245 

müsse.  Im  gegenteil  dachte  man  sich  im  norden  den  sitz 
Atlis  sicher  ebenfalls  in  Deutschland,  nur  südlich  von  dem 
Gunnars.  Immerhin  mag  die  Akv.  in  der  Vorstellung,  dass 
man  vom  Rhein  aus  in  annähernd  südlicher  richtung  (nicht 
etwa  in  nordöstlicher,  nach  Westfalen  zu)  zu  Atli  gelangt, 
einen  zug  noch  aus  der  älteren  deutschen  sage  bewahrt  haben. 
Darauf  aber,  dass  man  sich  x4.tlis  reich  in  Deutschland 
gelegen  dachte,  deutet  die  weiterentwickelung  des  begriff  es 
Jiimskr,  der  schliesslich  in  abgeblasstem  sinn  =  'südländisch, 
deutsch'  verwant  wird. ')  So  wird  in  den  Am.,  die  den  Hunnen- 
namen für  Atli  und  sein  volk  nicht  kennen,  Sigurä^r  enn  hunske 
genannt  (Am.  94, 1):  ausserdem  nennt  noch  Sg.sk.  Sigurdr  den 
hunnischen  (4,  7.  9, 1.  18,  5.  65,  5.  66, 1),  wie  sie  ihn  4, 1  seggr 
enn  supröne  nennt  — :  wörtlich  ebenso,  wie  in  der  Akv.  der 
wirklich  hunnische  böte  Atlis  genannt  wird  (2,  7).  An  diesen 
beiden  stellen  (Akv.  2,  7  und  Sg.  sk.  4, 1)  sieht  man  die  ent- 
wickelung  des  begriffes  hunskr  von  seiner  eigentlichen  ethno- 
logischen bedeutung  zu  der  von  sup-änn."^) 

§  26.    Atlis  boten. 

Akv.  1  wird  ein  böte,  Knefr^dr,  an  Gunnarr  gesant,  in 
den  Am.  4.  6, 4  zwei  boten,  deren  einer  Vingi  heisst.  Welcher 
der  beiden  namen  der  ältere  ist,  lässt  sich  nicht  entscheiden. 

In  der  Akv.  ist  der  böte  ein  reines  Werkzeug  Atlis,  über 
dessen  weiteres  Schicksal  nichts  verlautet;  in  den  Am.  dagegen 
ist  er  eine  lebhaft  handelnde  persönlichkeit:  fdrs  vas  fhjtandc 
heisst  es  mit  recht  von  ihm  Am.  4, 3.  Er  fälscht  die  runen 
4, 2,  er  verschwört  sich  mit  einem  meineid,  dass  er  es  ehrlich 
meine  30,  er  enthüllt  höhnisch,  wie  es  zu  spät  zur  umkehr 
ist,  seinen  trug  und  reizt  damit  H^gni,  ihn  zu  erschlagen  36 
—38  (vgl.  oben  §  12b/9). 


>)  S.  Jiriczek ,  Deutsche  heldeusage  s.  91  (Sammlung  Göschen) ,  vgl. 
auch  Petersen,  Gammel  nordisk  geografi,  1834,  I,  263  f.  273  f. 

*)  Ferner  werden  in  Ghv.  3, 10.  6,  2  Hünkonungar  erwähnt,  mit  denen 
offenbar  die  südländischen,  deutschen  beiden  Gunnarr  und  HQgni  gemeint 
sind;  Hm.  11,  5  reiten  die  brüder  auf  ingrom  hünlenzkovi,  südländischen, 
deutschen  pferdeu.  —  Unklar  ist  die  läge  von  Hunaland  im  Odrünargrätr 
4,3:  hier  ist  es  jedenfalls  einmal  im  fernen  osten  gedacht,  da  es  Mornaland 
heisst  (1, 3). 


246  BECKER 

Da  wir  bei  dem  dichter  der  Am.  auch  sonst  die  neigung 
beobachtet  haben,  nebenpersonen  näher  auszuführen,  so  werden 
wir  wol  auch  die  erweiterung  der  rolle  des  boten  auf  den 
dichter  selbst  zurückführen,  die  einfachere  gestalt  in  der  Akv. 
für  die  ältere  halten  dürfen.  Auch  den  spielleuten  der  ThS. 
(leihnenn  359.  360)  und  des  NL.  (XXIV)  ist  keine  rolle  von 
der  bedeutung  Vingis  zugewiesen. 

Der  dichter  der  Am.  hatte  überdies  einen  besonderen 
grund,  Vingis  höhnende  rede  einzuführen  (36):  er  brauchte 
eine  motivierung  dafür,  dass  Atli  die  Niflunge  angreift:  denn 
das  alte  motiv  der  goldgier  kannte  er  nicht,  wie  wir  bald 
sehen  werden  (§  34):  mit  der  erschlagung  Vingis  schuf  sich 
der  dichter  einen  neuen  anlass  zum  angriff. 

Gemeinsam  ist  im  übrigen  den  boten  in  beiden  gedichten 
nur  der  zug,  dass  sie  hoffnung  auf  geschenke  zu  erwecken 
suchen;  am  deutlichsten  Akv,  4, 1  (5  c  ff.);  in  den  Am.  bringen 
die  boten  zwar  selbst  geschenke  mit  (5,  5),  sie  erwecken  aber 
offenbar  hoffnung  auf  weitere,  wie  aus  HQgnis  Worten  hervor- 
geht: 13,  5.  6  ohr  iuon  gramr  golle  reifa  glöpraujjo. 

§  27.    Gnitaheide. 

In  der  interpolierten  str.  5  der  Akv.  bietet  Atlis  böte  dem 
Gunnarr  die  Gnitaheide  an,  ein  goldreiches  gebiet,  wie  aus 
Gunnars  antwort  hervorgeht  6,  5  ff.  Diese  bedeutung  der 
Gnitaheide  weicht  ab  von  der  uns  geläufigen:  hier  ist  sie  ein 
teil  von  Atlis  reich,  während  wir  sie  sonst  nur  als  die  beide 
kennen,  wo  Sigurdr  den  Fäfnir  erschlug. 

Wenn  wir  aber  fragen,  woher  diese  geläufige  auffassung 
der  Gnitaheide  stammt,  so  finden  wir  sie  durchweg  in  pro- 
saischen quellen,  mit  ausnähme  Gripispä,  str.  11: 

mont  einn  vega        orm  enn  fräna 
f»anns  grQf>ogr  liggr        i  Gnitaheipe. 

Im  übrigen  die  prosa  der  Reginsmol  (nach  str.  14),  die  der 
FäfnismQl  (anfang);  endlich  V^lsungasaga  c.  13.  33  und  Snorra 
Edda  40  a  (aber  nicht  in  cod.  U,  der  zwar  noch  die  Verwand- 
lung Fäfnirs  in  einen  drachen  nach  Hreidmars  tode,  aber 
nicht   den   namen   Gnitaheide   kennt),  i)     Dazu   kommt    eine 


')  Im  folgenden  ist  stets  damit  zu  rechnen,  dass  der  weitere  exkurs 
über  die  Nibelungensage  von  Fäfnirs  Verwandlung  ab  (c.  40b  —  42)  nicht 


i 


DIE   ATLI-LIEDER  DER   EDDA.  247 

notiz  aus  dem  Itinerarium  des  abtes  Nicolaus  aus  der  mitte 
des  12.jh.'s  (Grimm,  H.S.^  N.  27),  der  von  der  gegend  zwischen 
Mainz  und  Paderborn  zu  erzählen  weiss:  og  J)ar  er  Gnüaheidr 
er  Sigurdur  vd  at  Fdfni.  Dagegen  schweigen  die  Strophen  der 
Fäfnism^l,  wo  wir  den  namen  am  ehesten  suchen  sollten,  völlig. 

Ich  möchte  glauben,  dass  der  interpolator  c  hier  einen 
alten  sagenzug  erhalten  hat:  dass  nämlich  die  goldreiche  beide 
ursprünglich  im  besitz  Atlis  war.  Eeichtum  ist  ein  wesent- 
licher zug  Attilas  in  der  sage.  Wie  der  Etzel  des  NL.  über 
unermessliche  schätze  verfügt,  so  verheisst  der  Atli  der  Akv.  A 
(4)  schätze  und  Wertgegenstände,  so  erwartet  in  den  Am. 
(13,  5)  HQgni  von  Atli  glutrotes  gold.  Nun  wusste  man  von 
Sigurdr,  dass  er  einen  unermesslichen  goldhort  gewonnen  hatte ; 
zweitens  erzählte  man,  dass  er  aus  dem  Süden  stamme,  ja  man 
nannte  ihn  selbst  einen  Hunnen  (Am.  und  Sg.  sk.,  s.  oben  §  25) 
— :  da  lag  es  nahe,  ihn  den  hört  im  hunnischen  Süden,  und 
zwar  auf  Atlis  Gnitaheide,  holen  zu  lassen.  So  wird  die  Gnita- 
heide  mit  Sigurdr  in  Verbindung  gekommen  sein.  Dass  sie 
einst  Atli  gehört  hatte,  geriet  dann  in  Vergessenheit,  wie  die 
entsprechende  stelle  der  V(;)lsungasaga  zeigt,  deren  Verfasser 
die  antwort  6,  5.  6  nicht  mehr  verstanden  hat,  sie  vielmehr  im 
neuem  sinne  umdeutete.  Gunnarr  sagt  c.  33  en  enga  konunga 
veit  ek  jafnmiket  gidl  eiga  sem  okkr,  ])vi  at  vit  ligfum  Jjat  gull 
allt,  er  d  GnitaJieipe  Id  (Symons,  Beitr.  3,  240  f.). 

Die  Gnitaheide  ist  allein  der  nordischen  sage  eigen,  weder 
NL.  noch  ThS.  kennen  sie.  Der  bericht  des  abtes  beweist 
nichts  für  bekann  tschaft  des  namens  in  Deutschland:  der  in 
Niederdeutschland,  wie  ThS.  zeigt,  bekannte  drachenkampf 
mag  an  dem  genannten  orte  localisiert  gewesen  sein,  die 
bezeichnung  Gnitaheide  dagegen  brachte  der  nordische  ge- 
lehrte hinzu. 

§  28.    Der  Myrkviör  und  die  grenze  gegen  Atlis  reich. 

In  anlehnung  an  str.  7  des  liedes  von  der  Hunnenschlacht 
spricht  der  interpolator  Akv.  5  von  stapir  Danjmr  und  Myrk- 
viör.   Aber  beide  localitäten  führt  er  in  veränderter  bedeutung 


in  cod.  U  überliefert  und  nach  Symons  (Beitr.  3,  209  ff.  Eiul.  s.  xlvii)  als 
späterer  zusatz  eines  bearbeiters  anzusehen  ist,  der  die  liedersammluug  der 
Edda  und  sogar  die  Yqlsungasaga  gekannt  hat. 


248  BECKER 

ein:  während  sie  im  liede  von  der  Hunnensclilacht  im  besitz 
des  Gotenkönigs  Angantyr  sind,  sind  sie  hier  im  besitz  des 
Hunuenkönigs.  Der  interpolator  führte  sie  deshalb  ein,  um 
neben  der  Gnitaheide  noch  zwei  andere  wertvolle  örtlichkeiten 
zu  nennen:  denn  in  der  Hunnenliedstrophe  7  heisst  das  gehölz 
Myrkviör  das  herrliche,  der  stein  im  gebiet  Danps  der  schöne. 
Er  verstiess  jedenfalls  mit  seiner  einfiihrung  des  Myrkviör  in 
diesem  Zusammenhang,  wie  wir  oben  §  3  sahen,  gegen  die  schon 
in  Akv.  A  herschende  Vorstellung  von  demselben  als  grenzwald. 
In  dieser  steht  Akv.A  nicht  allein. 

Der  name  Myrkviör  erscheint  ausser  Akv.A  3, 4  und  13, 4 
noch  H.Hb.  I,  53, 4.  Vkv.  1, 2.  Lok.  42, 5.  Während  aus  der 
stelle  im  Helgilied  sich  nichts  ersehen  lässt,  stimmen  Akv., 
Vkv.  und  Lok.  darin  überein,  dass  der  Myrkviör  ein  grenz- 
wald nach  Süden  ist:  in  Akv.  ist  er  der  grenzwald  gegen  das 
südliche  Hunnenreich');  in  Lok.  der  grenzwald  gegen  die 
Muspelsöhne:  42, 4.  5  en  es  Müspels  syner  rij)a  Myrkvi^  pßr; 
in  Vkv.  ist  er  der  wald,  über  den  hinweg  sunnan,  von  Süden 
(1, 1)  die  weiber  des  Südens,  droser  sup-mar  (1,  7),  nämlich  die 
valkyrien,  nach  norden  fliegen. 

Schon  die  Verbreitung  des  namens  Myrkviör  als  eines 
grenzwaldes  gegen  Süden  in  verschiedenen  nordischen  sagen 
legt  den  gedanken  nahe,  dass  hier  in  der  Nibelungensage  das 
auftreten  eines  waldes  als  grenze  gegen  das  südliche  reich 
Atlis  specifisch  nordisch  ist 2),  zumal  wir  in  allen  anderen 
Überlieferungen  der  Nibelungensage  eine  wassergreuze  gegen 
Attilas  reich  finden,  deren  Überschreitung  einen  wichtigen  teil 
der  reise  oder  gar  die  ganze  reise  ausmacht. 


I 


^)  Myrkheimr,  wo  Guuuarr  nach  Akv.  45, 4  seinen  tod  gefunden  hat, 
mit  dem  Myrkviör  gleichzusetzen  (wie  Gering  will,  Uehs.  s.  262,  n.  5)  liegt 
insofern  sehr  nahe,  als  dieser  ort  nach  35, 1.  2  offenbar  an  der  grenze  von 
Atlis  gebiet  liegt  (von  wo  er  zurückreitet  Jands  sins  ä  vit),  also  wol  der 
grenzwald  selbst  ist. 

2)  Dass  an  sich  die  Vorstellung  von  einem  grossen  walde,  der  'gleichsam 
auf  der  grenze  von  süden  und  norden  liegt  und  die  scheide  beider  welt- 
gegenden  macht'  uralt  ist,  hat  Müllenhoff  (Zs.  fda.  23, 168 f.)  durch  den 
hinweis  auf  den  saltus  Hercynius  und  den  Miriquidui  des  Thietmar  von 
Merseburg  (Erzgebirge)  wahrscheinlich  gemacht:  aber  speciell  für  die  Nibe- 
lungensage können  wir  die  Vorstellung  in  der  älteren  deutschen  sage  nicht 
nachweisen. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  249 

Mogk  hält  (Grnndriss  2^,  648)  die  Waldgrenze  der  Akv. 
für  das  ursprüiig-lichere  und  erinnert  an  die  landreise  der 
Burgunden  zur  Donauebene.  Am  ufer  der  Donau  befindet  sich 
allerdings  ein  wald  (NL.  1565),  aber  mit  der  Donau  liegt  doch 
noch  das  entscheidende  hindernis,  eben  das  wasser,  vor  ihnen, 
bei  dessen  Überschreitung  der  dichter  entsprechend  lange 
verweilt. 

Daher  möchte  ich  mit  Boer  (Untersuchungen  über  den 
Ursprung  und  die  entwickelung  der  Nibelungensage,  Halle  1906, 
bd.  1, 132)  die  wassergrenze  von  Am.  4.  28,  34  für  das  ursprüng- 
lichere halten;  dieselbe  Vorstellung  finden  wir  im  NL.,  ThS., 
Grimhilds  hgevn  A  und  C,  im  färöischen  Högnilied:  in  den  Am. 
ist  es  ein  fjord,  im  NL.  die  Donau;  in  der  ThS.  findet  sich  die 
unklare  Vorstellung  vom  zusammenfluss  des  Rheins  und  der 
Donaul)  (cap.363);  in  Gr. h.  A  18,  C  13  und  im  Högnilied  50 
ist  das  meer  die  grenze.  So  hätten  in  diesem  fall  die  Am. 
den  älteren  zug  bewahrt. 

Dagegen  ist  die  tatsache,  dass  der  meeresarm  in  den  Am. 
fjgrj)  Lima  heisst  (4,  7),  aus  der  geschichtlichen  bedeutung  des 
Limafjords  im  11.  jh.  zu  erklären,  wie  Mogk  (a.  a.  o.  s.  648) 
hervorhebt. 

§  29.    Warnung  und  begrüssung  durch  die  Schwester. 

Der  zug,  dass  die  Schwester  ihre  brüder  warnt,  findet  sich 
in  beiden  Atli-liedern,  aber  in  verschiedener  weise  dargestellt. 
Am  einfachsten  ist  der  Vorgang  in  der  Akv.A  16.  Gudrun 
tritt  ihren  brüdern,  sobald  sie  in  den  saal  kommen,  entgegen 
und  erklärt  dem  Gunnarr,  er  solle  schleunig  die  halle  ver- 
lassen, da  er  verraten  sei.     Mehr  erzählt  A  nicht. 

Als  eine  alte  Weiterbildung  dieses  einfachen  motivs  sehe 
ich  alsdann  das  an,  was  sich  in  der  interpolierten  Strophe  8 
findet,  Gudrun  hat  (durch  wen  wird  nicht  gesagt)  den  brüdern 
einen  ring  mit  eingeflochtenem  wolfshaar  gesant,  ein  symbol 
dafür,  dass  ihre  fahrt  wölfisch  sein  werde.  Solche  symbolische 
botschaften  gehören  einer  zeit  an,  die  die  schrift  noch  nicht 


1)  Boer  (1, 139)  hält  die  worte  par  sem  saman  Tcemr  Di'tnä  oc  Ein 
für  den  zusatz  des  umarbeiters,  der  südlichere  quellen  benutzte  (daher  die 
Donau  einführte),  während  sonst  entsprechend  der  norddeutschen  localisation 
des  Hunnenreichs  der  Rhein  die  grenze  sein  müsse. 


250  BECKEE 

kennt  oder  übt;  eine  ähnliche  sj^mholische  botschaft  senden 
bei  Herodot  IV,  cap.  131  f.  die  Scythen  dem  könig-  Darius,  um 
ihm  anzudeuten,  dass  er  bei  ihnen  zu  gründe  gehen  werde. 

Eine  parallele  darstellnng  desselben  sagenznges  weisen 
die  Am.  auf.  Gudrun  schneidet  warnende  runen,  Vingi  fälscht 
sie,  ehe  er  sie  abliefert  (4, 1—4),  Kostbera  liest  die  gefälschten 
zeichen  und  erkennt,  dass  Atli  den  brüdern  nach  dem  leben 
trachtet  (9.  11.  12). 

Ausser  dieser  letzteren  warnung  ist  in  der  sag'engestalt 
der  Am.  noch  der  alte  zug  erhalten,  wo  die  Schwester  ihren 
brüdern  entgegengeht,  er  hat  aber  den  Charakter  der  warnung 
verloren  und  ist  zu  einer  einfachen  begrüssung  geworden,  bei 
der  Gudrun  über  das  unentrinnbare  Schicksal  klagt  (45). 

Eine  spur  der  alten  warnung  der  brüder  durch  die  Schwester 
findet  Boer  (Untersuchungen  1, 143  und  244  ff.)  in  der  gestalt 
des  Eckewart  (ThS.  367.  NL.  1631),  die  der  von  Boer  heraus- 
gearbeiteten quelle  II  von  ThS.  und  NL.  angehört.  Ursprüng- 
lich sei  Eckewart  zur  warnung  der  brüder  von  Kriemhild 
abgesant  worden:  als  dann  aber  Kriemliild  die  feindin  ihrer 
brüder  wurde,  konnte  der  dienstmann  Kriemhildens  nicht  der 
warner  bleiben:  so  trat  Dietrich  in  dessen  rolle  ein,  selb- 
ständig, wie  er  in  ThS.  375  und  NL.  1724.  1726  auftritt  (in 
ßoers  quelle  I).  Diese  von  Boer  bezeichneten  stellen  lassen 
Jedenfalls  annehmen,  dass  schon  in  der  älteren  deutschen  sage 
die  Schwester  die  brüder  gewarnt  habe. 

§  30.    Die  träume  der  frauen. 

In  den  Am.  hat  in  der  nacht  vor  der  abreise  Kostbera 
drei  träume,  Glaumvor  dereu  vier,  während  in  der  Akv.  nichts 
derartiges  erscheint.  Wenn  wir  Kostberas  dritten  träum 
(Am.  18)  und  GlaumvQrs  vierten  träum  (Am.  25)  mit  dem  träum 
der  Uote  NL.  1509  und  dem  der  Oda  ThS.  362  vergleichen,  so 
finden  wir,  dass  sie  im  engsten  Zusammenhang  mit  dem  seelen- 
glauben  stehen.  In  Kostberas  träum  erscheint  ein  bluttriefender 
adler  und  wird  als  hanir  Atla,  als  folgegeist  Atlis,  angesehen. 
Glaumv9r  sieht  tote  frauen,  die  Gunnarr  zu  ihren  bänken  ein- 
laden: es  sind  die  disar,  die  schutzgeister,  die  seelen  verstor- 
bener anverwanter,  die  Gunnarr  nicht  mehr  schützen  können 
(weil  sie  kraftlos,  aflima,  geworden  sind),  sondern  ihm  seine 


DTE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  251 

baldige  Vereinigung  mit  ihnen  andeuten.  Auch  üotens  und 
Odas  träum,  nach  dem  alle  vögel  des  landes  tot  sind,  das  land 
verödet  ist  (NL.  1509,  ausführlicher  ThS.  362),  bewegt  sich  in 
demselben  gedankenkreis:  als  vögel  erscheinen  oft  die  seelen 
nach  altgermanischer  Vorstellung  (Mogk,  Grundriss  1,  1009): 
so  erscheinen  hier  die  seelen  der  dem  tod.  geweihten  als 
tote  Vögel. 

Die  gemeinsamkeit  der  grundrichtung  der  frauenträume 
vor  dem  auszug  der  Nibelunge  macht  es  mir  wahrscheinlich, 
dass  trotz  der  stark  subjectiven  behandlang')  doch  Am.  in 
dem  traummotiv  als  solchem  ein  altes  element  erhalten  hat, 
das  in  der  Akv.  verloren  ist. 

Wir  haben  oben  s.  232,  §  17  gesehen,  dass  der  dichter  der 
Am.  in  der  ausführung  der  traumscenen  von  Gökv.  II  abhängig 
ist.  Die  träume  in  Gökv.  II  sind  also  literarisch  die  älteren, 
sagengeschichtlich  dürften  sie  dagegen  jünger  sein.  Denn 
träume  Atlis,  die  sich  auf  den  bevorstehenden  Untergang  seines 
hauses  beziehen,  finden  sich  nirgends  in  der  sage  als  eben  in 
der  Gökv.  II;  sie  eignen  sich  auch  weniger  für  Atli  als  für 
eine  frau'und  sehen  wie  eine  erfindung  des  dichters  aus,  der 
die  ereignisse  der  Akv.  A,  die  er  kannte,  vorher  andeuten  wollte. 

§  31.    Unheilvolle  zeichen  auf  der  fahrt. 

Die  Am.,  die  eine  wassergrenze  gegen  Atlis  reich  kennen 
(oben  s.  248f.  §28),  erzählen  in  str.  34,  wie  die  Niflunge  beim 
starken  rudern  das  halbe  schiff  zerbrechen,  wie  die  ruder- 
bänder  zerreissen  und  die  ruderpflöcke  brechen.  ThS.  366  er- 
zähilt  ähnliches  zweimal,  was  sich  nach  Boer  (Untersuchungen 
1,  242.  243)  folgendermassen  auf  die  beiden  quellen  I  und  II 
verteilt:  I,  das  steuerband  reisst,  das  Steuer  blicht,  das  schiff 
schlägt  um;  II,  H^gni  zerbricht  durch  starkes  rudern  rüder 
und  ruderpflöcke,  das  schiff  schlägt  um.  NL.  1564  f.  erzählt 
ebenfalls,  dass  das  rüder  in  Hagens  band  zerbricht.  Dann 
berichtet  Grimhilds  hsevn  (Grundtvig,  D.G.F.  Kopenhagen  1853, 
1,44 ff.),  dass  das  rüder  zerbricht:  A  19  in  Falquors  band, 
C  15  in  Hogens  band.    Endlich  weiss  auch  das  färöische  Högni- 


1)  Sie  sind   'voll  von  künstlicher  Symbolik',  wie  Henzen  (Ueber  die 
träume  in  der  altnordischen  sagaliteratur,  Leipzig  1890,  s.  79  f.)  hervorhebt. 


252  BECKER 

lied,  57  (Hammershaimb  s.  37ff.),  dass  die  rüder  in  Högnis 
bänden  zerbrechen. 

Wilmanns  sieht  (Der  Untergang^  der  Nibelunge  in  alter 
sage  nnd  dichtung,  Berlin  1903,  s.  13)  in  den  unheilvollen  Vor- 
zeichen der  Am.  und  ThS.  einen  gemeinsamen  sagenzug.  Ob- 
gleich sich  nun  züge  wie  das  zerbrechen  der  rüder  auch  sonst 
in  nordischen  erzählungen  finden  (vgl.  Frid}?j6fssaga  str.  13 
hrusto  hdctir  halsar),  so  führt  mich  doch  diese  ähnlichkeit  in 
kleinen  zügen  an  demselben  punkt  der  Nibelungensage  in 
den  genannten  fünf  quellen  dazu,  mit  Wilmanns  hier  einen 
alten,  nicht  einen  specifisch  nordischen  zug  zu  erblicken,  den 
die  Am.  bewahrt  haben. 

Altertümlich  ist  ohne  frage  in  den  Am.  gegenüber  allen 
anderen  genannten  quellen  das  fehlen  eines  besonderen  fähr- 
mannes:  die  beiden  rudern  von  anfang  an  selbst.  Dass  der 
fähi'mann  nicht  alt  in  der  sage  ist,  erkennt  man  daraus,  dass 
er  im  NL.,  der  TliS.  und  den  übrigen  seine  function  gar  nicht 
verrichtet,  sondern  getötet  wird,  sodass  die  beiden  doch  selbst 
rudern  müssen. 

§  32.     Gerpot  far  festa. 

Die  Am.  erzählen  weiter  34,  7,  dass  die  Niflunge  das 
fahrzeug  nicht  festmachten,  ehe  sie  vom  strande  giengen.  Im 
NL.  (1581)  schlägt  Hagen  das  schiff  in  stücke.  Während 
Hagen  dieses  verhalten  NL.  1583  damit  begründet,  dass  er 
erklärt,  kein  feiger  solle  entrinnen,  fehlt  in  den  Am.  für  das 
ähnliche  verhalten  der  Niflunge  jede  angäbe  eines  grundes. 
Denn  obgleich  Gunnarr  und  H^gni  vor  der  abreise  düstere 
ahnungen  gehegt  haben  (str.  26.  32),  so  geben  sie  doch  keines- 
wegs von  vornherein  die  hoffnung  auf  rückkehr  auf,  da  ihnen 
ja  nicht  (wie  dem  Hagen  des  NL.)  der  Untergang  feststeht. 

Vielleicht  ist  dieser  zug  in  den  Am.  nichts  als  ein  zeichen 
einer  ursprünglichen  völligen  arglosigkeit  der  beiden.  Etwas 
ähnliches  ist  es,  w^enn  in  der  Akv.  Gunnarr  ohne  brünne  zu 
Atlis  halle  kommt  (17, 1.  2).  Ursprünglich  waren  gewiss  nur 
die  frauen  voll  trüber  ahnungen,  erst  später  übertrug  sich 
das  auf  die  beiden  selbst.  Dass  diese  mit  freiem  willen  in 
etwas  hineingehen,  wo  ihnen  der  tod  wahrscheinlich  (x4m.  26) 
oder  gewiss  (NL.  XXV)  ist,  lässt  sich  psychologisch  nicht  als 


DIE   ATLI-LIEDER   DER  EDDA.  253 

das  ursprüngliche  ansehen,  sondern  setzt  eine  entwickelung 
der  sage  voraus,  die  das  in  das  gemütsieben  der  lielden  vorher 
aufgenommen  hat,  was  sie  nachher  trifft. 

Gerade  dass  dieser  zug:  gm-lmt  far  festa  so  unvermittelt 
in  den  Am.  auftritt,  spricht  dafür,  dass  er  älter  ist  als  die 
Am.  und  dass  er  vielleicht  von  dem  dichter  selbst  nicht  mehr 
verstanden  wurde.  Wegen  der  ähnlichkeit  mit  der  Situation 
NL.  1581  werden  wir  annehmen  dürfen,  dass  schon  der  älteren 
deutschen  sage  der  zug  eigen  war,  dass  die  beiden  nicht  mehr 
für  ihre  rückkehr  Vorsorge  trafen  bez.  sich  dieselbe  unmöglich 
machten,  und  dass  ihn  aus  der  deutschen  die  altnordische 
sage  übernommen  hat. 

§  33.    Der  kämpf. 

Während  nach  den  Am.  27.  28  ausser  Gunnarr  und  HQgni 

noch  drei  andere  beiden  und  zehn  hausgenossen  zu  Atlis  gehöft 

ziehen,  kommen  in  der  Akv.  die  zwei  brüder  ganz  allein,  ohne 

begieitung,  zu  Atlis  halle.    Das  letztere  geht  unzweideutig 

hervor  aus  str.  18 

seinats  nü,  syster,      at  samna  Niflungom, 
laugt  es  at  leita      lypa  til  sinnes, 
of  rosmofjqll  Einar      rekka  öneissa, 

ebenso  aus  12, 1 — 4 

leiddo  landrogne      lypar  oneiser, 
gräteudr  gunnhvatan      6r  garp>e  Niflunga; 

die  recken  bleiben  weinend  zu  hause;  vor  allem  aus  12,7.8 
heiler  farep  oh  horsker,  Jivars  yJcr  (Dual!)  Imgr  teyger!  Von 
begleitern  Gunnars  ausser  H^gni  ist  nicht  die  rede.  Das 
primitive  der  Situation  (dass  zwei  könige  allein  zur  halle 
eines  anderen  köuigs  reiten)  erscheint  auf  den  ersten  blick 
altertümlich;  dass  aber  im  gegensatz  zu  den  Am.  und  NL. 
die  Akv.  hierin  einen  ältei'en  zug  bewahrt  habe,  soll  nicht 
behauptet  werden,  da  sonst  germanische  könige  nie  ohne  ge- 
folge  ausreiten. 

Akv.  ThS.  NL.  sind  darin  einig,  dass  ein  kämpf  in  einem 
saal  oder  eingehegten  räum  stattfindet;  die  Am.  kennen  dies 
nicht  (39.  43,  2.  3). 

Dass  in  der  Akv.  der  kämpf  im  saal  beginnt,  ist  aus 
16,  2.  8  und  c  20, 4  ersichtlich   (snemst  at  i  sal  kvgmo  —  hgll 


254  BECKER 

gal:h  6r  snimma!  —  en  enom  citta  hratt  i  eld  lieitan).  Quelle  I 
der  ThS.  kennt  den  kämpf  in  einem  baumgarten,  II  den  kämpf 
in  einem  saal,  der  angezündet  wird  (s.  Boer,  Untersuchungen 
1, 153  ff.  158  ff.  167).  Das  XL.  kennt  nur  den  kämpf  in  einem 
saal  (Av.  XXXIII  ff.). 

So  wird  hier  wider  die  Akv.  gegenüber  der  unklareren 
Vorstellung  der  Am.  einen  alten  sagenzug  erhalten  haben. 

In  bezug  auf  den  kämpf  selbst  ist  möglicherweise  etwas 
über  die  erste  phase  desselben  in  unserm  text  verloren  ge- 
gangen (Sjmons,  Ausgabe  s.  428);  denn  es  fällt  doch  sehr  auf, 
dass  wir  nichts  von  heldentaten  Gunnars  hören,  der  doch 
sonst  in  der  Akv.  ganz  im  mittelpunkt  steht  (oben  s.  242). 
Xur  HQgni  (Akv.  20  B,  c)  zeichnet  sich  im  kämpf  aus:  er 
schlägt  sieben  feinde  mit  dem  schwert  nieder  und  schleudert 
den  achten  ins  feuer.  lieber  seine  gefangennähme  finden  wir 
nichts:  da  aber  Vs.  37  davon  berichtet  {en  2>o  varp  kann  at 
lylimn  ofrlijn  horinn  oh  ligndum  tehnn),  so  nimmt  Symons 
(Ausgabe  s.  429)  hier  widerum  eine  lücke  im  text  an. 

In  den  Am.  40  ff.  entwickelt  sich  aus  dem  Wortwechsel 
zwischen  Atlis  leuten  und  einem  der  Xiflunge  (nach  Vs,  36  ist 
es  Hogni)  ein  kämpf,  den  Gudrun  für  einen  augenblick  durch 
ihr  erscheinen  unterbricht;  sie  greift  aber,  als  sie  ihn  nicht 
aufhalten  kann,  selbst  in  ihn  ein,  indem  sie  den  mantel  ab- 
wirft und  mit  dem  schwert  dreinschlägt.  Im  übrigen  stehen 
ihre  taten  ganz  im  Vordergrund.  Die  Xiflunge  werden  zwar 
im  allgemeinen  gerühmt  (48),  aber  weder  von  H^gni  noch 
von  Gunnarr  wird  eine  besondere  tat  erwähnt;  dagegen 
bringen  Beras  zwei  söhne  und  ihr  bruder  (49,9. 10)  vor  ihrem 
tode  achtzehn  feinde  zu  fall. 

Der  kämpf  selbst  spielt  sich  in  der  Akv.  kurz  ab;  da- 
gegen berichten  sowol  die  Am.  als  XL.  und  ThS.  von  einem 
langausgedehnten  kämpf.  Die  länge  des  kampfes  in  der 
deutschen  sage  hat  vornehmlich  ihre  begründung  in  der 
grossen  zahl  von  beiden,  die  daran  teilnehmen;  die  bedeuten- 
deren teilt  Wilmanns  (a.  a.o.  s.  15.  22)  in  zwei  gruppen,  eine 
ältere  (Osid,  Irinc,  Dietrichj  und  eine  jüngere  (Gernot,  Gi- 
selher,  Eüedeger,  Blcedel,  Hildebrand):  keiner  von  diesen 
findet  sich  in  der  nordischen  sage  am  kämpf  beteiligt  (auch 
nicht  Dietrich,  vgl.  Jiiiczek,  Deutsche  heldensagen  1, 160).    Die 


DIE  ATLI-LIEDER  DER   EDDA.  255 

länge  des  kampfes  in  den  Am.  berulit  dagegen  vorwiegend  auf 
der  teilnähme  Gudruns  und  der  einfülirung  von  Sn?evaiT, 
Solarr,  Orkningr  und  zwei  unbenannten  brüdern  Atlis. 

Was  die  söhne  und  den  bruder  Kostberas  betrifft,  so  sind 
sie  ohne  zweifei  gegenüber  der  älteren  nordischen  sage  eine 
neuerung  und  erst  vom  dichter  selbst  eingeführt.  Auch  das 
eingreifen  Gudruns  in  den  kämpf,  das  nur  die  Am.  erzählen, 
halte  ich  für  eine  neuerung,  die  wol  vom  dichter  herrührt;  es 
gehört  zu  der  ganzen  specifisch  grönländischen  Charakteristik 
Gudruns,  von  der  oben  s.  236  gehandelt  ist;  zudem  musste  der 
dichter  den  wünsch  haben,  Gudruns  tapferkeit  auch  äusserlich 
hervortreten  zu  lassen,  weil  sie  sich  ja  am  schluss  mit  dem 
Nifiung  in  das  rachewerk  teilen  muss.  Auch  bei  den  beiden 
brüdern  Atlis,  die  im  kämpf  fallen  (51,4),  liegt  schwerlich 
eine  alte  historische  erinnerung  (an  Bleda)  vor;  die  vier 
brüder,  von  denen  Atli  str.  51  erzählt,  sind  gewiss  alle  zu- 
sammen der  Phantasie  des  dichters  entsprungen  (oder  einer 
jüngeren  phase  der  nordischen  sagenentwicklung?). 

So  war  jedenfalls  in  der  altnordischen  sage  kein  grund 
vorhanden,  den  kämpf  der  Niflunge  so  weit  auszudehnen:  dem- 
nach wird  der  kurze  kämpf  der  Akv.  als  das  ursprünglichere 
anzusehen  sein.  Zu  beachten  ist  ferner,  dass  auch  in  der 
älteren  quelle  I  der  ThS.  der  kämpf  sich  kurz  abspielt  (s.  Boer, 
Untersuchungen  1, 158). 

Wenn  wir  endlich  die  frage  aufwerfen,  ob  einige  der  von 
Wilmanus  hervorgehobenen  beiden  der  ThS.  schon  der  älteren 
deutschen  sage  zuzuschreiben  sind  (sodass  sie  dann  der  alt- 
nordischen sage  verloren  gegangen  oder  überhaupt  nicht  nach 
norden  gewandert  wären),  so  müssen  wir  antworten,  dass  jeden- 
falls weder  Irinc  (nach  Wilmanus  s.  15  ein  alter  gott)  noch 
Dietrich  von  Bern  ursprünglich  etwas  mit  der  Nibelungensage 
zu  tun  hat,  in  der  es  sich  um  den  gegensatz  zwischen  den 
Burgunden  und  dem  Attila  der  fränkischen  (nicht  der  gotischen) 
Überlieferung  handelt;  ebensowenig  Eüedeger  und  Hildebrand ; 
auch  Gernot  ist  in  der  älteren  sage  (bez.  ihren  historischen 
grundlagen)  nirgends  zu  finden.  Deshalb  muss  man  diese  ge- 
stalten als  deutsche  neuerungen  ansehen.  Bei  Osid  (den 
Wilmanus  a.a.O.  s.  16  mit  Ospirin,  Attilas  gattin  im  Waltha- 
rius,  zusammenstellt),   bei  Bioedel  —  Bleda  und  Giselher  — 


256  BECKER 

Gislaliarius  wäre  es  denkbar,  dass  sie  schon  der  älteren 
deutschen  sage  angehört  hätten  und  dass  ihr  felilen  im  norden 
dann  als  verlust  zu  bezeichnen  wäre,  obwol  Wilmanns  bei 
Bleda  und  Gislaharius  an  spätere  aufnähme  in  die  sage  durch 
gelehrte  band  denkt  (s.  23.  24).  Ich  muss  diese  frage  offen 
lassen. 

§  34.    Atlis  fi^agen  nach  dem  gold. 

Das  motiv,  das  Atli  zu  seinem  verräterischen  Überfall 
führte,  ist  nach  der  Akv.  21.  27.  28  (alles  B)  und  29  (A), 
ferner  34,10  (d)  deutlich:  die  goldgier. 

Nicht  so  einfach  liegen  die  dinge  in  den  Am.  Denn 
leider  stossen  wir  hier  wider  an  einer  sagengeschichtlich 
wichtigen  stelle  auf  eine  lücke  im  text,  zwischen  str.  40  und 
41  der  Am.  (Symons,  Ausg.  s.  447).  Symons  vermutet,  Atli 
habe  in  der  lücke  den  angriff  motiviert  duixh  die  begierde 
nach  dem  horte  und  (mit  fragezeichen)  durch  den  wünsch, 
Sigurds  tod  zu  rächen;  er  schliesst  beides  aus  Vs,  36,  wo  es 

heisst:   fyrir  Igngu  liaf])a  ek  pat  mer  i  1mg at  nd  ypru 

lifi,  en  rd])a  gullinu  oJc  launa  ypr  ])at  nipingsverlc,  er  per 
svilu])  yParn  inn  hezta  mag,  oJc  sJcal  ek  hans  hefna.  Hier 
steht  die  nackte  goldgier  direct  neben  der  heuchlerischen 
anklage  bezüglich  Sigurds,  und  beides  nebeneinander  nimmt 
sich  merkwürdig  genug  aus. 

Wenn  nun  der  sagaschreiber  sich  an  dieser  stelle  wirk- 
lich streng  an  seine  liedervorlage  gehalten  hat,  was  bezweifelt 
worden  ist  (Symons,  Beitr.  3, 242),  so  hat  er  doch,  wie  ich 
glaube,  aus  den  Am.  höchstens  die  motivierung  durch  Sigurds 
tod  entnommen,  den  der  dichter  der  Am.  auch  sonst  kennt 
(94);  die  heuchlerisch -pathetische  anklage  passt  ganz  gut  zu 
dem  zmtterhaften  Charakterbild  Atlis  in  den  Am.,  das  wir 
oben  s.  224  kennen  gelernt  haben.  Schwerlich  kann  aber  an 
dieser  stelle  von  dem  gold  die  rede  gewesen  sein,  sonst  würde 
es  nicht  hernach  in  der  langen  scene,  in  der  Atli  den  befelil 
zur  grausamen  tötung  der  brüder  gibt  und  die  mit  dem  tode 
der  beiden  endet,  so  völlig  fehlen:  der  anlass  zur  marterung 
ist  nicht  irgendwelches  gold,  sondern  Gudruns  harte  rede,  die 
Atli  reizt.  Das  Niflungengold  findet  sich  überhaupt  an  keiner 
stelle  der  Am.  auch  nui'  angedeutet.    Ich  halte  daher  die  worte 


DIE   ATLI-LIEDER   DER    EDDA.  257 

der  Vs.  en  rdpa-guUinu  für  eiue  erinnerung  des  Verfassers  an 
die  sagengestalt  der  Akv. 

In  Ys.  36  (anfang)  findet  sicti  ausserdem  eine  stelle,  wo 
Atli  in  gute  zur  auslieferung  des  Schatzes  auffordert.  Symons 
glaubt  (Ausgabe  s.  447,  im  gegensatz  zu  seiner  früheren  an- 
sieht Beitr.  3, 242),  'dass  dem  sagaschreiber  eine  an  dieser 
stelle'  (zwischen  str.  39  und  40)  'vollständigere  redaction  der 
Atlm.  vorgelegen  hat',  dass  also  diese  aufforderung  Atlis  aus 
den  Am.  stamme.  Nach  dem  eben  gesagten  kann  ich  das 
nicht  für  wahrscheinlich  halten.  Viel  eher  könnte  meines 
erachtens  die  aufforderung  zur  herausgäbe  des  goldes  in  der 
schon  s.  254  aus  anderen  gründen  constatierten  lücke,  zwischen 
Akv.  18  und  19  (Symons,  Ausg.  s.  428)  gestanden  haben:  in  die 
Akv.  passt  eine  solche  aufforderung  ganz  zwanglos,  denn  dort 
spielt  ja  das  gold  die  beherschende  rolle.  Ferner  richtet  sich 
die  frage  Atlis  in  der  Vs.  an  Gunnarr,  der  ja  gerade  in  der 
Akv.,  im  gegensatz  zu  den  Am.,  im  Vordergrund  steht  (oben 
s.  242).  Auch  Gunnars  stolze  antwort  passt  sehr  gut  zu  dem 
Gunnarr  der  Akv.A:  die  worte  Jiann  vera  at  pü  veitir  Jjessa 
veidii  —  at  litüli  eym])  vi})  gm  oh  ülf  tragen  einen  ähnlichen 
Charakter  wie  Akv.  11,  wo  Gunnarr  die  wölfe  und  baren  ein- 
lädt für  den  fall,  dass  er  nicht  heimkehre. 

Die  Akv.,  wie  sie  dem  Verfasser  der  Vs.  vorlag,  wird  also 
zwei  fragen  Atlis  enthalten  haben,  eine  gütliche  vor  dem  be- 
ginn des  kämpf  es,  und  eine  an  den  gefangenen,  wo  es  sich 
um  tod  und  leben  handelte  (str.  21).  Im  NL.  finden  wir  nun 
auch  zwei  fragen  nach  dem  hört  (nur  ist  es  nicht  Etzel,  son- 
dern Kriemhild,  die  sie  stellt):  die  eine  vor  dem  ausbruch  der 
feindseligkeiten  (1739.  1741),  die  andere  an  den  gefesselten 
(2367).  Wenn  hier  Kriemhild  die  fragende  ist,  so  ist  auf  sie 
als  auf  die  eigentlich  handelnde  etwas  von  Etzels  früherer 
habgier  übertragen  worden  (s. unten  §  47  zu  Wilmanns'  ansieht): 
denn  das  motiv  ihres  handelns  ist  sonst  räche  für  den  gatten. 
So  fragt  sie  zweimal,  vor  und  nach  dem  kämpf,  nach  dem 
schätz,  wie  Atli  in  der  dem  sagaschreiber  vorliegenden  Akv. 
Aus  dieser  Übereinstimmung  darf  man  wol  schliessen,  dass  schon 
in  der  älteren  deutschen  sage  und  weiter  dann  in  der  alt- 
nordischen zwei  fragen  traditionell  geworden  waren:  eine  an 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  1^ 


258  BECKER 

den  freien  in  gute,  eine  an  den  gefangenen,  wo  es  sich  um 
lösung  des  lebeus  handelt. 

§  35.    Der  tod  der  Schwester  Atlis. 

Wenn  das  gold  in  den  Am.  nicht  der  anlass  zu  Atlis 
Überfall  war,  so  könnte  man  mit  Grimm,  HS.^  s.  11  vermuten, 
Atli  habe  Brynhilds  tod  rächen  wollen;  und  zwar  im  liinblick 
auf  Atlis  werte  52,  5.  6  sendoj)  systr  lieljo  :  sliks  ek  mest  ken- 
noml',  womit  gewiss  Brj'uhild  gemeint  ist,  die  in  der  Edda 
als  Schwester  Atlis  in  Gökv.  I,  24, 1,  Sg.  sk.  32.  38, 6.  55, 9.  10, 
Göky.  II,  28,  3.  4,  Odrgr.  15  erscheint;  ausserdem  als  Bul^la 
döttir  noch  Brot  8,  2.  14,  2,  Helrei]?  4, 2,  Grip.  27,  5.  Aber 
die  Vorstellung,  dass  Atli  Brj'nhilds  tod  durch  seinen  verrat 
habe  rächen  wollen,  findet  sich  weder  an  der  betreffenden 
stelle  der  Am.,  noch  überhaupt  in  irgend  einem  poetischen 
oder  prosaischen  bericht  des  nordens;  sie  ist  erst  von  neueren 
combiniert  worden  aus  der  tatsache  von  Brynhilds  tod  und 
der,  dass  Brynhild  Atlis  Schwester  oder  Budlis  tochter  heisst. 

Was  zunächst  Am.  52,  5.  6  betrifft,  so  wird  hier  jedenfalls 
der  tod  der  Schwester  keineswegs  derartig  betont,  dass  man 
in  ihm  den  anlass  zu  Atlis  Überfall  sehen  könnte:  er  wird  nur 
erwähnt  als  letzter  von  vielen  vorwürfen,  die  Atli  gegen  sein 
weib  und  seine  verwanten  (51, 5.  7)  schleudert;  nachdem  er 
zuvor  über  den  tod  seiner  krieger,  seiner  brüder  geklagt  hat, 
nennt  er  als  den  herbsten  verlust  den  tod  der  Schwester.  — 
Gemartert  werden  die  Niflunge  nicht  deshalb  (wie  sie  auch 
nicht  deshalb  überfallen  worden  sind),  sondern  um  Gudrun 
zum  weinen  zu  bringen  (54). 

Ferner  könnte  noch  Helreil?  4, 5  ff.  zu  der  annähme  ver- 
anlassen, dass  man  sich  zuweilen  Atli  als  den  rächer  Brvn- 
hilds  gedacht  habe.  Die  werte  in  Helrei]^  4  legen  einen 
solchen  gedanken  allerdings  für  den  ersten  blick  nahe:  'du 
hast  Gjiikis  söhnen  verderben  bereitet  und  das  glück  ihres 
hauses  vernichtet.'  Dass  aber  hier  die  katastrophe  bei  Atli 
gemeint  wäre,  die  Brynhild  durch  ihren  tod  herbeigeführt 
hätte,  ist  unmöglich.  Brynhild  ist  ja  eben  erst  tot,  ist  noch 
auf  dem  helweg:  da  kann  Atli  ja  kaum  erst  nachricht  von 
ihrem  tode  erhalten,  geschweige  denn  ihn  schon  gerächt  liaben. 
Vielmehr  will  die  riesln  sagen:  'du  hast  Zwietracht  und  mord 


DIE   ATLI-LIEDER  DER  EDDA.  259 

in  Gjükis  haus  getragen  und  seine  beste  stütze  in  Sigurdr 
vernichtet.' 

Auch  in  Odrgr.  überfällt  Atli  die  Gjükunge  nicht,  um  die 
Schwester  zu  rächen,  obwol  er  offenbar  um  deren  todes  willen 
eine  abneigung  gegen  sie  hegt  (sodass  er  keinen  mahlschatz 
vom  söhne  Gjükis  annehmen  will,  20).  Vielmehr  überfällt  er 
sie  wegen  des  verbotenen  liebesverkehres,  den  Gunnarr  und 
Odrün  gepflogen  haben;  s.  unten  §  36  zu  dieser  Jüngern  moti- 
vierung. 

Der  liedersammler  geht  allerdings  im  Drap  Xiflunga  einen 
schritt  weiter:  er  sucht  sich  zu  erklären,  warum  Gudrun  den 
Atli  heiratet  und  erzählt  daher:  Ofripr  var  J)d  ?nilU  Gjükunga 
oh  Atla:  kendi  kann  Gjükungom  vgld  um  andldt  Brynhildar. 
Aber  er  fährt  fort:  ])at  var  tu  scetta,  at  ])eir  slcyldu  gipta 
lionum  Giiprimu,  oh  gdfu  Jienni  ominnisveig  etc.  Also  wird 
Atli  durch  die  band  Gudruns  beruhigt,  und  davon,  dass  er 
seinen  spätem  Überfall  aus  räche  für  Brynhilds  tod  ausführte, 
findet  sich  kein  wort,  weder  im  Drap  Nifl.,  noch  in  der  Vs., 
noch  in  der  Sn.  E. 

§  36.    Abschliessendes  über  Atlis  motiv. 

Wir  müssen  uns  also  damit  abfinden,  dass  der  mordplan 
Atlis  gegen  die  Niflunge  in  den  Am.  schlechterdings  keine 
ausgesprochene  begründung  gefunden  hat.  Der  dichter  selbst 
spricht  davon  wie  von  etwas,  was  er  eigentlich  nicht  begreifen 
könne:  2,  3  ff.  üla  rezh  Atla,  dtte  ])ö  hyggjo,  felde  sto])  störa, 
striddc  ser  harpla.  Man  merkt,  dass  er  selbst  nicht  weiss,  wie 
Atli  zu  seinem  plan  gelangen  konnte, 

Dass  diese  sagenform  der  Am.  im  gegensatz  zu  der  der 
Akv.  mit  ihrer  klaren  motivierung  secundär  ist,  liegt  an  sich 
schon  auf  der  band.  Es  ist  aber  überhaupt  keine  frage,  dass 
die  Akv.  in  der  goldgier  Atlis  ein  altes  sagenelement  erhalten 
hat.  Die  vorhin  angeführten  stellen  des  NL.  (1739.  1741.  2367), 
ferner  ThS.  359  (en  Attila  honungr  er  allra  manna  fegiarnastr 
etc.),  vor  allem  endlich  die  geschichte  vom  Sigfridskeller,  wo 
der  habgierige  Attila  verhungern  muss  (ThS.  393.  423  ff.),  be- 
weisen, dass  man  sich  Attila  einst  auch  in  Deutschland  als 
habgierig  vorstellte,  obgleich  das  NL.  nichts  mehr  davon  weiss : 
dass  also  die  habgier  Attilas  schon  der  älteren  deutschen  sage 

17* 


260  BECKER 

angehört  und  schon  dort  den  grund  zur  Vernichtung*  der  Nibe- 
lunge  gebildet  hat.  Im  norden  hat  das  die  Akv.  bewahrt,  in 
den  Am.  ist  das  motiv  verloren  gegangen.') 

Der  mangel  eines  deutlichen  motivs  gab  dann  (nachdem 
das  alte  motiv  der  goldgier  in  Vergessenheit  geraten  war) 
anlass  zu  einer  neumotivierung,  wie  sie  im  Odrünargrätr  vor- 
liegt: Atli  vernichtet  die  Gjukunge  aus  zorn  über  den  ver- 
botenen liebesverkehr  Gunnars  mit  Odrün. 

§  37.    Die  herkunft  des  goldes. 

Akv.  29, 3  heisst  das  Xibelungenerbe  dslm])r  (nominativ 
nach  Gering,  Wörterbuch  z.  Edda,  1903)  'von  den  äsen  stam- 
mend,'. Das  muss  sich  2)  auf  irgend  eine  fassung  der  geschichte 
von  der  otterbusse  beziehen,  die  Sn.  E.  39  (auch  in  U)  und 
(mit  kleinen  abweichungen)  Vs.  14  erzählt  wird  und  von  der 
der  erste  teil  der  Eeginsmol  (prosa  und  str.  1 — 12)  handelt. 
Diese  Vorgeschichte  des  hortes,  die  von  den  äsen  nicht  zu 
trennen  ist,  betrachtet  man  als  speciflsch  nordische  neuerung. 
Das  wird  richtig  sein;  immerhin  nötigen  uns  die  Strophen  der 
EeginsniQl  im  Zusammenhang  mit  Akv.  29,  die  entstehung  der 
geschichte  ziemlich  hoch  hinaufzuschieben. 

Anschliessend  sei  auf  eine  naheliegende  frage  eingegangen. 
Seit  Eichard  Wagner  ist  uns  die  Vorstellung  geläufig,  dass  der 
Nibelungenhort  aus  dem  Ehein  stamme,  Eheingold  sei,  wie  er 
im  Eheine  sein  ende  findet  (s.  unten  §  38).  Ist  diese  Vorstel- 
lung in  der  nordischen  sage  nachweisbar? 

Der  Ehein  scheint  seit  alters  in  naher  beziehung  zum 
begriff  des  goldes  gestanden  zu  haben.  Schon  Ykv.  15  wird 
in  bezug  auf  Wielands  gold  gesagt:  ßarre  hylch  vdrt  land 
ßollom  Binar.  Sodann  reden  manche  kenningar  von  solchen 
beziehungen:  bei  Einarr  Skalaglamm  (Sn.  E.  I,  s.  404),  einem 
dichter  des  10.  jh.'s.,  heisst  das  gold  lUnar  grjöt;  bei  Härekr 
6r  pjöttu  (Heimskringia  c.  158),  einem  Zeitgenossen  Olafs  des 
heiligen:  Binar  leygr,  lohe  des  Eheins;    in  den  Bjarkamäl  6: 


')  In  anderem  zusammenliang  findet  sich  in  den  Am.  eine  erinnerung 
an  Atlis  habgier:  53,3.  4  mopor  tökt  mina  ok  myrper  tu  hnossa. 

')  Vorausgesetzt,  dass  sich  äskunna  hier  auf  arfe  Niflunga  und  nicht 
auf  g  {Ein)  hezieht,  mit  welcher  möglichkeit  Detter  und  Heiuzel,  Commentar 
2, 532  rechnet,  in  bezugnahme  auf  GrimnismQl  27, 8. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  261 

Rinar  raupmalmr^);  in  der  Sigur^arkvipa  en  skamma  16,8 
heisst  Sigurds  gold  direct  Binar  malmr.  Namentlich  dass  der 
letztere  ausdruck  bei  lebzeiten  Sigurds,  also  vor  der  Versenkung 
des  hortes  in  den  Rhein,  von  Gunnarr  gebraucht  wird,  kann 
den  gedanken  erwecken,  man  habe  sich  den  Nibelungenhort 
als  in  letzter  Instanz  aus  dem  rheine  stammend  gedacht,  also 
den  Andvarafors  (Egm.  pr.,  Vs.  14)  oder  das  wasser  in  Schwarz- 
alfenheim  (Sn.  E.  39),  in  dem  Andvari  schwimmt,  mit  dem 
Rheine  gleichgesetzt. 

Dagegen  ist  zu  beachten,  dass  nirgends  der  Rhein  tat- 
sächlich als  letzte  quelle  des  hortes  genannt  wird.  Ferner 
sagt  die  stelle  Ykv.  15,  wo  erst  von  Grani,  dann  von  den 
felsen  des  Rheines  die  rede  ist,  keineswegs,  dass  Granis  last 
aus  dem  Rhein  stamme.  Aber  auch  die  angeführten  kenningar 
beweisen  nicht,  dass  man  sich  den  Nibelungenhort  aus  dem 
Rhein  stammend  dachte.  Zum  teil  mögen  sie  auf  die  sage  von 
der  Rhein  Versenkung  gegründet  sein;  im  übrigen  lassen  sich 
solche  ausdrücke,  wie  Boer  (Untersuchungen  2,  71)  hervorhebt, 
ebenso  wie  Äegis  eldr  erklären,  als  'gold'  schlechthin,  und 
müssen  gar  nicht  stets  'Nibelungengold'  heissen.  So  wird  auch 
das  'Rheinerz'  Sg.  sk.  16,  8  in  diesem  abgeblassten  sinn  = 
'gold'  zu  verstehen  sein,  w^eil  der  dichter  nur  an  das  metall 
als  solches  denkt,  nicht  an  den  hört  'mit  seiner  geschichte. 
Den  anlass  dazu,  in  solchen  fällen  gerade  den  Rhein  zu  nennen, 
bot  die  schon  oft  hervorgehobene  tatsache,  dass  das  mittlere 
Rheinbett  goldhaltig  war. 

Es  verdient  daher  hervorgehoben  zu  werden,  dass  die  Vor- 
stellung von  einem  Nibelungen-Rheingold,  das  aus  dem  Rhein 
stamme,  in  der  nordischen  sage  nirgends  nachweisbar  ist. 

§  38.    Die  Versenkung  des  goldes  in  den  Rhein. 

Ueber  das  ende  des  Nibelungenerbes  belehrt  uns  widerum 

Akv.  29: 

Ein  skal  räpa        rögmalme  skatna, 

0  svinn  äskunna        arfe  Niflunga. 

Abgesehen  von  unserer  stelle  ist  die  Versenkung  in  den  Rhein 
durch  vier  denkmäler  bezeugt:  durch  das  NL.  19, 1137  ff.,  dann 


^)  Auf  die  drei  letzteren  stellen  macht  Grimm,  HS.s  N.  10  aufmerksam; 
im  context  citiert  und  erklärt  bei  Hungerland,  Arkiv  20,  s.  21.  24.  29. 


262  BECKER 

später  28,1742;  durch  Sn.  E.  c.  42  {en  d^r  2>eir  föru  heiman, 
Pd  fdlii  ])eir  gidlit  Fdfnisarf  i  Bin,  oh  hefir  Pat  gull  aldri  sipan 
fundist);  durch  das  norwegische  Volkslied  von  Sigurd  svein  str.49 
(Landstad  s.  123);  durch  das  Sigfridslied  str.  167.  Im  NL.  ist 
es  Hagen,  der  es  versenkt,  in  der  Edda  sind  es  die  Niflunge,  im 
liede  von  Sigurd  svein  und  dem  Sigfridslied  ist  es  Sigfrid  selbst. 

Nun  hat  Boer  (Untersuchungen  2,  70.  71)  geleugnet,  dass 
in  der  alten  sage  der  hört  überliaupt  in  den  Rhein  versenkt 
worden  sei.  Den  ausdruck  NL.  1742  den  hieben  mine  herren 
senken  in  den  Pdn  fasst  er  als  von  hause  aus  bildlich  gemeint 
auf,  =  'der  schätz  ist  zum  henker'.  Aus  dieser  stelle  sei 
alsdann  die  erzählung  von  der  Rheinversenkung  NL.  Av.  19 
abstrahiert,  die  Boer  einem  jüngeren  Verfasser  zuweist.  Bei 
dieser  auffassung  stützt  er  sich  auch  auf  Akv.  29.  Auch  diese 
Strophe  glaubt  er  bildlich  fassen  zu  müssen:  hier  könne  von 
einer  tatsächlichen  Versenkung  des  goldes  nicht  die  rede  sein, 
denn  der  gefangene  könne  nicht  über  den  schätz  verfügen. 

Hiergegen  lässt  sich  aber  verschiedenes  geltend  machen. 
Zunächst  wäre  es  doch  sehr  merkwürdig,  wenn  ein  bildlicher 
ausdruck  (nicht  ein  concreter  sagenzug)  ein  so  langes  leben 
gehabt  hätte,  dass  Akv.  und  NL.  ihn  beide  noch  aus  der 
älteren  deutschen  sage  besitzen  sollten.  Noch  merkwürdiger 
wäre  es,  wenn  dieser  ausdruck  mit  genau  derselben  folge- 
richtigkeit  von  zwei  getrennten  jüngeren  autoren  misverstanden 
worden  wäre:  Sn.  E.  c.  42  und  NL.  19  hätten  ihn  nämlich  beide 
im  eigentlichen  sinne  ausgelegt.  Dass  endlich  in  der  Akv. 
von  einer  tatsächlichen  Rheinversenkung  nicht  die  rede  sein 
könne,  lässt  sich  nicht  aufrecht  erhalten.  Allerdings  kann 
der  hört  nicht  von  dem  gefangenen  versenkt  werden,  aber  er 
kann  sehr  gut  vor  der  abreise  versenkt  worden  sein  (wie  das 
die  Sn.  E.  erzählt),  damit  er  nicht  in  fremde  bände  gerate. 

Daher  beweisen  m.  e.  die  getrennten  nordischen  und 
deutschen  Zeugnisse,  dass  schon  in  der  älteren  deutschen,  dann 
auch  in  der  altnordischen  sage  der  hört  von  den  Burgunden 
in  den  Rhein  versenkt  worden  ist. 

§  39.    HQgnis  herz,  Hjalli. 

Warum  Atli  dem  HQgni  das  herz  ausschneiden  lässt,  ist 
in  der  Akv.  klar  und  einfach  gesagt:  als  von  Gunnarr  das 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  263 

gold  verlangt  wird,  fordert  dieser,  man  solle  ihm  erst  H^gnis 
herz  zeigen:  dann  wird,  nach  kurzer  episode,  dem  Hcigni  tat- 
sächlich das  herz  ausgeschnitten.  Sehr  merkwürdig  ist  dagegen 
die  begründung  in  den  Am.:  einzig  um  Gudrun  zum  weinen 
zu  bringen,  soll  Hogni  das  herz  ausgeschnitten  und  Gunnarr 
den  schlangen  übergeben  werden.  Es  wäre  schon  an  sich 
kaum  zu  bezweifeln,  dass  die  einfache  motivierung  der  Akv. 
die  ältere,  die  wunderliche  dei'  Am.  die  jüngere  ist.  Zum 
überfluss  tritt  aber  die  deutsche  sage  des  NL.  hinzu  und  be- 
stätigt, dass  die  entscheidende  bedingung,  durch  die  der  eine 
held  den  tod  des  andern  veranlasst,  in  der  sage  alt  ist: 
str.  2367 — 2371  zeigen,  wie  schon  mehrfach  hervorgehoben 
wurde'),  eine  ganz  ähnliche  Situation  wie  die  Akv.  21 — 29: 
Kriemhild  fragt  den  gefangenen  Hagen,  ob  er  mit  dem  hört 
sein  leben  lösen  wolle;  er  erklärt,  ihn  nicht  herausgeben  zu 
können,  solang  noch  einer  seiner  herren  (d.  h.  der  allein  übrige  / 
Günther)  lebe;  Kriemhild  bringt  ihm  Günthers  haupt.  Der  / 
hauptunterschied  zwischen  der  nordischen  und  deutschen  fassung  | 
besteht  darin,  dass  im  NL.  die  frage  an  Hagen,  in  der  Akv.  \ 
an  Gunnarr  gerichtet  ist.  Nach  dem  oben  s.  243  über  das  ur-  I 
sprüngiiche  Verhältnis  von  HQgni  und  Gunnarr  gesagten  muss 
ich  hier  die  fassung  des  NL.  für  die  ältere  halten.  Wir  werden 
aber  die  fassung  der  Akv.  (frage  an  Gunnarr)  auch  schon  für 
die  ganze  altnordische  sage  in  anspruch  nehmen  dürfen,  da 
wir  dieselben  todesarten  auf  dieselben  personen  verteilt  (nur 
ohne  den  causalen  Zusammenhang)  auch  in  den  Am.  finden.  Die 
hervorhebung  und  Idealisierung  Gunnars  im  gegensatz  zur 
älteren  deutschen  sage  setzte  zuerst  in  der  altnordischen 
offenbar  an  diesem  punkte  ein:  Gunnarr  wurde  als  der  eigent- 
liche herr  des  Schatzes  angesehen  und  daher  gefragt;  die  Akv. 
gieng  dann  auf  diesem  wege  weiter. 

Charakteristisch  für  die  nordische  sage,  aber  in  keiner 
quelle  der  deutschen  sage  belegt,  ist  das  ausschneiden  des 
herzens.  Boer  (Untersuchungen  1, 166.  167)  vermutet,  dass  die 
quelle  I  der  ThS.,  die  als  einzige  Version  der  deutschen  sage 
den  Schlangenturm  zeigt,  ursprünglich  auch  das  ausschneiden 
des  herzens  gekannt  habe.    Beweisen  lässt  sich  das  freilich 


J)  Wilmanns,  Untergang  der  Nibelunge  s.  4  u.  a. 


264  BECKER 

nicht.  Ich  möchte  also  zunächst  diesen  zug  als  specifisch 
nordisch  ansehen.  —  Das  ausschneiden  des  herzens  erscheint 
ausserhalb  der  Atli-lieder  noch  Gökv.  II,  32,  7.  8  (geahnt  von 
Gudrun),  ebendaO,  5.  6  (angedeutet  in  einer  Verwünschung), 
Odrgr.  26,  5.  6,  Ghv.  18,  ausserdem  Drap  Nifl.,  Vs.  37  und 
Sn.  E.  42. 

Die  durch  die  todbringende  forderung  des  einen  beiden 
geschaffene  Situation  hat  weiterhin  im  norden  eine  gestalt 
erzeugt,  deren  hauptbedeutung  in  beiden  Atli-liedern  darin 
besteht,  dem  andern  der  beiden  beiden  als  folie  zu  dienen  und 
seinen  mut  ins  hellste  licht  zu  setzen'):  Hjalli  den  feigen 
(Akv.  23  ff.  Am.  57  ff.).  —  In  der  älteren  deutschen  sage  scheint 
Hagen  der  mutige  eine  andere  folie  gehabt  zu  haben,  wenn- 
gleich nicht  bei  dieser  gelegenheit:  Günther  selbst.  Dass  ur- 
sprünglich Günther  selbst  der  feige  war,  geht  deutlich  hervor 
aus  dem  Waltharius,  besonders  1413 — 15,  aus  dem  NL.  (Gün- 
thers Stellung  am  anfang  des  Sachsenkrieges  148.  153.  154; 
gegenüber  Brünhild  bei  den  kämpfen  und  in  der  brautnacht); 
aus  ThS.  228  (die  brautnacht)  und  vor  allem  noch  aus  der 
eddischen  Strophe  Vs.  28  (Symons,  Ausg.  s.  496,  frg.  3),  wo  Bryn- 
hild  zu  Gudrun  sagt: 

en  hlyre  ]?in       hvärke  porpe 
eld  at  rij^a       ne  yfer  stiga. 

In  der  speciell  nordischen  sage,  besonders  in  der  Akv.,  ist 
dagegen  Gunnarr  ins  heldenhafte  gesteigert  (s.  242),  infolge- 
dessen ist  an  seine  stelle  der  feigling  Hjalli  getreten.  — 
Akv.  nennt  diesen  nur  kurz  den  feigen  (24.  26),  sagt  aber 
sonst  nichts  über  seine  person.  Wenn  er  dagegen  in  den  Am. 
der  kesselhüter  (58),  der  koch  Budlis,  der  elende  sclave  (59) 
heisst,  so  brauchen  diese  züge  keineswegs  der  altnordischen 
sage  zu  entstammen,  sondern  können  auf  die  ausmalung  des 
dichters  zurückgehen,  der  gern  gerade  nebengestalten  ausführte 
(oben§12b/3). 

Dass  dem  Hjalli  das  herz  ausgeschnitten  wird,  hat  in  der 

Akv.  seine  volle  begründung:  Gunnarr  soll  durch  den  anblick 

I  des  herzens  betrogen  werden  und  den  schätz  ausliefern,  ohne 


1)   Akv.  24, 26  direct  die  gegenüberstellung :   Hjalla  ens  blaupa  — 
Hpgna  ens  fräkna. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  265 

dass  HQgnis  blut  fliesst:  der  betrug  ist  das  entscheidende.  In 
den  Ära.,  wo  dieser  betrug  Avegfällt  und  das  herz  Hognis  nur 
ausgeschnitten  werden  soll,  um  Gudrun  zum  weinen  zu  bringen, 
hat  der  Vorschlag,  statt  dessen  Hjallis  herz  auszuschneiden, 
keinen  sinn:  sein  herz  nützt  niemandem  etwas,  da  eben  nur 
der  bruder  Gudruns  sterben  soll.  Höchstens  müsste  man  an- 
nehmen, dass  Atli  sich  während  der  procedur  entfernt  hätte 
(und  Beiti  ihn  mit  Hjallis  herz  täuschen  wollte):  das  ist  aber 
ganz  unwahrscheinlich.  Auch  dieser  zug  wird  also  von  dem 
dichter  der  Am.  unverstanden  übernommen  worden  sein. 
Dafür,  dass  man  nicht  mehr  wusste,  was  Hjallis  tod  eigentlich 
nützen  sollte,  spricht  vor  allem,  dass  Hjalli  in  den  Am. 
schliesslich  gar  nicht  getötet  wird,  sondern  mit  der  todesangst 
davonkommt.  Das  ist  gegenüber  seinem  tod  in  der  Akv. 
natürlich  als  eine  degeneration  anzusehen. 

Dagegen  ist  die  grundbedeutung  von  Hjallis  ganzer  ge- 
stalt  in  den  Am.  noch  klar  erhalten.  Hjalli  dient  auch  hier 
dem  HQgni  als  folie,  aber  in  feinerer  weise.  In  der  Akv.  'tU  crHr  t«-^ 
wird  schlicht  und  roh  das  zitternde  herz  neben  das  ruhige  '^"^"'-^ 
gelegt:  die  Am.  charakterisieren  den  Hjalli  in  einer  aus- 
geführten scene  durch  sein  verhalten,  seine  worte  als  feigiing 
im  gegensatz  zu  dem  unerschrockenen  Hogni,  der  verächtlich 
erklärt,  ihm  sei  ein  solches  spiel  leichter,  und  es  sei  unmög- 
lich, länger  ein  solches  geschrei  anzuhören. 

Beide  Atli-lieder  stimmen  endlich  darin  überein,  dass 
HQgni  lacht,  während  ihm  das  herz  ausgeschnitten  wird 
(Akv.  25,  Am.  61).  Nach  dem  was  schon  oben  (§  16)  über 
diese  beiden  stellen  gesagt  ist,  können  wir  auch  diesen  zug 
schon  der  altnordischen  sage  zuweisen. 

§  40.    Die  Schlangengrube. 

Dass  Gunnarr  in  eine  schlangengrube  geworfen  wird, 
findet  sich  ausdrücklich  erwähnt  in  der  Akv.  34  d,  dann  Odrgr. 
26,  7.  8,  Sg.  sk.  58,  3.  4,  im  Drap  Nifl.,  Vs.  37,  Sn.  E.  42.  Ferner 
wird  der  ormgardr  Guunars  in  dem  schon  oben  s.  247  genannten 
itinerarium  des  abtes  Nicolaus  aus  dem  12.  jh.  erwähnt:  einige 
leute  behaupteten,  dass  er  sich  bei  der  Stadt  Luna  in  Italien 
befände  (die  857  von  den  Normannen  gestürmt  wurde,  s.  Mass- 
mann, Zs.  fda.  1,  396  und  Grimm,  HS.^  N.  27). 


266  BECKER 

Unklar  sind  dagegen  Am.  21  und  55,  wonach  Gunnarr  an 
einem  galgen  befestigt  werden  soll,  damit  ihn  schlangen  fressen, 
und  Ghv.  17,  wo  nur  gesagt  ist,  dass  glänzende  schlangen 
Gunnarr  auf  den  leib  krochen. 

Da  sich  die  Vorstellung  von  einem  schlangengehege,  in 
dem  Gunnarr  sein  leben  lässt,  auch  in  der  ThS. ')  findet  (quelle  I, 
s.  Boer,  Untersuchungen  1, 167),  so  muss  diese  Vorstellung  auch 
schon  der  älteren  deutschen  sage  geläufig  gewesen  sein.  Der 
ausdruck  ormgarp  cap.  383  (den  B  nicht  hat),  mag  auf  eddische 
beeinflussung  zurückgehen:  aber  an  der  tatsache,  dass  in 
Niederdeutschland  die  geschichte  von  einem  schlangenturm 
Günthers  bekannt  gewesen  ist,  darf  man  wol  nicht  zweifeln, 
da  zweimal,  cap.  383  und  394,  ausdrücklich  versichert  wird,  dass 
der  türm  in  Susat  stehe. 

Dass  der  bericht  der  Akv.  (34)  dem  interpolator  d  an- 
gehört, beeinträchtigt  seine  bedeutung  nicht.  Dieser  mit  der 
grössteu  trockenheit  berichtende  interpolator,  den  eine  bereits 
vorliegende  lücke  im  text  zur  abfassung  seiner  seltsamen  verse 
veranlasst  haben  mag  (oben  s.  203  f.),  gab  gewiss  nichts  anderes, 
als  was  die  herschende  sage  von  Gunnars  ende  erzählte;  von 
eigner  phantasie  werden  wir  bei  ihm  kaum  etwas  zu  befürchten 
haben. 

Gegenüber  der  klaren  Vorstellung  vom  ormgar])r,  die  wir 
in  der  Akv.  finden,  ist  die  unklare  der  Am.  als  eine  degenera- 
tion  anzusehen.  Man  wusste  in  Grönland  offenbar  nicht  mehr, 
was  ein  onngarjjr  war:  so  veränderte  sich  die  Vorstellung  zu 
der  eines  galgens,  bei  dem  mau  sich  ausser  aas  vögeln  offenbar 
auch  schlangen  hausend  dachte,  die  ja  nach  der  Vorstellung 
jener  zeiten  nicht  nur  bissen,  sondern  geradezu,  wie  raubtiere, 
menschliches  fleisch  fi^assen  (ganz  deutlich  Saxo  IX,  43,  s.  143 
Holder,  vom  tode  Ragnars,  Am.  21,  Sn.  E.  42).  Gunnarr  soll 
demnach  am  galgenbaum  angebunden  werden,  sodass  er  den 
schlangen  erreichbar  ist. 

Specifisch  nordisch  ist  widerum  im  gegensatz  zur  ThS. 
die  sage  vom  harfenspiel  Gunnars,  die  sich  in  Akv.  34,  Am.  62, 
Odrgr.  27,  Drap  Nifl.,  Vs.  37,  Sn.  E.  42  findet,  und  auf  die  sich 


*)  C.383  i  ormgarp;  nach  hs.  B:  i  einn  turn,  enßar  eru  mni  eürormar; 
c.  391  ormaturn. 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  267 

vielleicht  der  in  Nornagests  |?ättr  c.  2  erwähnte  Gunnarsslagr 
bezieht  (Bugge,  Fornkvsefti,  fortale  XLIII),  ferner  das  lied  von 
Sigurd  svein  str.  48  (Landstad  s.  122):  og  Gunnar  slagi  slög 
(als  Asgardreiter). 

Nun  ist  zunächst  zu  betonen,  dass  die  drei  genannten 
Eddalieder  von  einer  Wirkung  des  harfenspieles  auf  die 
schlangen  nichts  sagen.  Akv.  34, 10—12  (d)  gibt  überhaupt 
keinen  zweck  des  Spieles  an,  sondern  sagt  nur  reflectierend: 
svd  shal  goUe  frökn  hringdrife  vip  ßra  licüda  (ganz  im  sinne 
von  A  und  B,  wo  immer  das  gold  im  mittelpunkt  steht,  oben 
s.  256).  —  Nach  den  Am.  gibt  Gunnarr  der  herrlichen  (Gudrun) 
künde,  und  die  dachsparren  bersten.  —  Der  Odrgr.  lässt  Gun- 
narr durch  sein  spiel  Odri'm  zu  hilfe  rufen  (sie  kommt  aber 
zu  spät).  Von  diesen  drei  fassungen  ist  jedenfalls  die  letztere 
mit  Odrüns  gestalt  als  die  jüngste  anzusehen. 

Warum  spielt  nun  in  der  Akv.  Gunnarr  die  harfe?  Ich  / 
glaube,  nur  um  seine  todesverachtung  zu  zeigen.  Der  com-  [ 
mentar  von  Detter  und  Heinzel  s.  490  führt  mehrere  beispiele 
an,  nach  denen  leute  in  todesqual  Strophen  vortragen  oder 
singen:  Eagnar  in  der  Ragnarssaga  FAS.  1,282/3,  Kräkumäl  26; 
sein  söhn  Eirikr  am  spiess  FAS.  1,262/3,  Sigurd  Slembidjäkn 
FMS.  VII,  352,  der  psalmen  singt,  während  er  gepeinigt  wird. 
So  zeigt  auch  Gunnarr  hier  in  der  Akv.,  dass  sein  heldenmut 
nicht  zu  erschüttern  ist.  —  Die  Am.  motivieren  das  spiel  schon 
anders:  str.  62  rikre  röp  sagpe.  Gunnarr  will  also  offenbar 
Gudruns  hilfe  anrufen;  in  der  Akv.  war  das  unmöglich,  da 
Myrkheim  von  Atlis  bürg  weit  entfernt  lag  (35.  45).  —  Der 
Odrgr.  hat  dieselbe  motivierung,  mit  entsprechender  Ver- 
änderung: Gunnarr  will  seine  geliebte  von  Hlesey  herbei- 
rufen. —  Wenn  die  Am.  erzählen,  dass  Gunnarr  mit  den 
zehen  die  harfe  schlägt,  so  ist  das  als  eine  weitere  ausführung 
anzusehen,  die  logisch  aus  seiner  fesselung  hervorgehen  musste ; 
Sn.  E.  42  und  Vs.  37  sind  darin  den  Am.  gefolgt. 

Im  gegensatz  zu  den  drei  liedern  reden  nur  die  drei  prosa- 
berichte Drap  Nifl.,  Vs.  37,  Sn.  E.  42  von  einer  einschläferung 
der  schlangen;  schon  das  macht  die  sache  verdächtig  und  lässt 
an  jüngere  Weiterbildung  denken.  Dem  Sammler  der  lieder 
(Drap  Nifl.)  lagen  Akv.,  Am.,  Odrgr.  vor.  Ihm  konnte  nun 
leicht  Odrgr.  den  anlass  bieten,  die  sage  fortzuspinnen.    Odrün, 


268  BECKER 

die  durch  den  harfenklang  über  den  sund  lierbeigerufen  wird, 
kommt  zu  spät,  weil  Atlis  mutter  schon  in  Schlangengestalt 
Gunnarr  nach  dem  lierzen  gegraben  hat  (30).  Hier  konnte 
der  Sammler  fragen:  warum  ist  nur  von  der  einen  schlänge 
die  rede?  offenbar,  weil  die  anderen  sich  ruhig  verhielten. 
Wie  kamen  sie  dazu,  sich  ruhig  zu  verhalten?  offenbar,  weil 
sie  durch  eine  Zauberkraft  gebannt  waren:  als  solche  aber 
konnte  hier  nur  der  klang  der  harfe  in  betracht  kommen. 
Daher  nahm  der  Sammler  an,  Gunnarr  habe  die  anderen 
schlangen  durch  sein  spiel  eiugeschläfert.  —  Sn.  E.  42  be- 
richtet wesentlich  dasselbe  wie  Drap  Nifl.  —  Einen  schritt 
weiter  geht  der  Verfasser  der  Vs.:  Gudrun  reicht  selbst  dem 
bruder  die  harfe.  Die  schlänge,  die  Gunnarr  tötet,  hebt  der 
Verfasser,  offenbar  im  blick  auf  Odrgr.  30,  als  'grosse  und 
bösartige  natter'  hervor;  er  nennt  sie  aber  nicht  Atlis  mutter, 
ebenso  wie  er  auch  cap.  5  die  mörderische  wölfin  nur  unter 
vorbehält  als  Siggeirs  mutter  eingeführt  hatte. 

§  41.    Atlis  und  Gudruns  söhne. 

Dass  Gudrun  zwei  söhne  von  Atli  hat  und  sie  tötet,  be- 
richten Akv.  39.  40  und  Am.  74.  Auf  diese  tatsache  beziehen 
sich  kurz  Hm.  8.  10,2,  Ghv.  5, 4.  12,6;  projAezeit  wird  der 
tod  von  Atlis  söhnen  durch  Brynhild  Sg.  sk.  59,6;  geahnt  von 
Gudrun  Gökv.  II,  34, 8;  im  träum  gesehen  unter  bildern  von 
Atli  Gökv.  11,41.  42.  43;  ausserdem  erzählen  es  Sn.  E,  42  und 
Vs.  38,  w^ährend  die  erzählung  des  Drap  Nifl.  nicht  bis  dahin 
reicht.')  Für  die  altnordische  sage  steht  der  zug  jedenfalls 
durch  die  Übereinstimmung  der  beiden  Atli-lieder  fest. 

Dagegen  nennen  die  namen  Erpr  und  Eitill  nur  Akv.  40 
(B),  Drap  Xifl.  und  Hm.  8,  welche  Strophe  Eanisch  (Hamdismäl 
s.  5  f.),  wie  schon  oben  s.  239  bemerkt,  für  eine  alte  Interpola- 
tion hält.    Akv.  A  und  Am.  nennen  keinen  namen. 

Wenn  wir  nun  unter  den  namen  für  Etzels  söhne  in  der 
deutschen  sage  umschau  halten,  so  finden  wir  im  NL.  1913 
u.  ö.  Ortliep,  in  der  ThS.  c.  360.  379  Aldrian  für  Etzels  söhn 


*)  In  Drap  findet  sich  die  eigentümliclie  stelle:  en  er  GJükungar  Jcömu 
tu  Atta,  pä  baß  Gupriin  sonu  sina  at  bcepi  Gjükungum  lifs,  en  peir  vildu 
eigi,  was  Gering  (Uebersetzung  s.  241)  gewiss  richtig  als  einen  versuch  des 
liedersammlers  ansieht,  den  kindermord  zu  motivieren. 


DIE    ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  269 

von  Kriemhild;  ferner  im  Biterolf  3334  die  uamen  Orte  und 
Erpfe,  in  der  Eabenschlaclit  158.  172  u.  ö.  Orte  und  Scharpfe, 
in  der  TliS.  c.  56  Ortvinr  und  Erpr.  Die  letzteren  sind  alle 
söhne  von  der  Helclie  bez.  Erka:  daher  gehören  diese  drei 
paare  nicht  in  die  Nibelungensage,  sondern  in  die  Dietrichsage 
oder  genauer  in  die  gotische  Attilasage '),  die  die  historische 
königin  Kreka  erhalten  hat,  aber  Kiiemhild  und  die  Burgunden 
nicht  kennt.  Nun  hat  ferner  Kreka  als  die  erste  und  ursprüng- 
liche königin  und  gattin  selbstverständlich  kinder  von  Attila; 
Ildico  ist  dagegen  erst  eine  später  angenommene  gattin,  mit 
ihr  hat  Attila  nur  eine  einzige  nacht  zugebracht,  über  die  sich 
bald  dunkle  gerüchte  bildeten:  da  kann  man  von  vornherein 
zweifeln,  ob  Kriemhild  nach  der  ältesten  sage  überhaupt  von 
Attila  kinder  hatte. 

Wenn  nun  Kriemhild  im  NL.  ein  kind  von  Etzel  hat,  das 
Ortliep,  in  Akv.  und  Hm.  eines,  das  Erpr  heisst,  so  liegt  der 
gedanke  nahe,  dass  die  namen  Ort  und  Erpf  2)  aus  der  Attila- 
Helche-sage  in  die  Attila -Kriemhild -sage  eingedrungen  sind, 
d.h.  in  die  Burgunden -sage:  in  Deutschland  blieb  der  name 
Ort  als  Ortliep,  im  norden  der  name  Erpf  als  Erpr  erhalten 
für  je  einen  söhn  Kriemhilds  (ähnlich  Bugge  s.  6.  8).  ^) 

AVährend  aber  das  deutsche  NL.  eine  wirkliche  Verbindung 
der  gotischen  sage  mit  der  Burgundensage  zeigt,  ist  das  bei 
den  heldenliederu  der  Edda  bekanntlich  noch  nicht  der  fall 
(auch  nicht  in  Gökv.  III,  s.  Jiriczek  s.  160),  es  kann  also  auch 
in  der  älteren  deutschen  sage  noch  nicht  der  fall  gewesen 
sein.    Wir  dürfen  also  nicht  annehmen,  dass  ein  name  wie 

^)  Bugge,  der  ai;f  die  drei  paare  aufmerksam  macht,  bringt  den  namen 
Erp  in  ziisammeuhang  mit  dem  Heruac  des  Jordanes  c.  50  (Mommseu  s.  127, 
wo  auch  'ÜQmx  aus  Priscus  frg.  36  Muell.  citiert  wird),  Bugge,  Erpr  og 
Eitill  s.  4f. 

^)  Scharpfe  ist  wol  nur  eine  jüngere  volksetymologische  Umbildung 
des  später  nicht  mehr  verständlichen  Erpf. 

2)  Blej'er  leitet  freilich  (Beitr.31,566ff.)  den  namen  Ort  von  dem  namen 
eines  Gepidenfürsteu  Ardarich  ab,  der  in  der  ungarischen  sage  zu  Kriem- 
hilds und  Attilas  söhn  geworden  sei  (Aladär).  Hier  steht  Wahrscheinlich- 
keit gegen  Wahrscheinlichkeit.  Ich  für  meine  person  möchte  mit  dieser 
erklärung  nicht  rechnen,  weil  es  mir  nicht  naheliegend  erscheint,  den 
deutschen  namensstamm  Ort-,  der  auch  in  anderen  sagen  in  Ortuit,  Ortwin, 
Ortrün  auftritt,  hier  auf  diesem  wege  zu  erklären. 


270  BECKER 

Erpr')  aus  der  älteren  deutschen  sage  stamme,  sondern  müssen 
hier  einmal  mit  einer  späteren,  nachträglichen  aufnähme  eines 
namens  aus  deutscher  sage  rechnen. 

Wir  sahen,  dass  die  söhne  Ortliep  und  Erpr  nicht  von 
jeher  der  Verbindung  Kriemhilds  mit  Attila  entstammten. 
Ebensowenig  scheint  aber  auch  der  söhn  Aldrian  von  haus 
aus  dieser  Verbindung  zu  entstammen,  den  ThS.  c.  360.  379 
als  Attilas  söhn  kennt.  Denn  er  trägt  einen  namen,  der  sonst 
in  der  sage  Hagens  vater  zukommt,  ThS.  169  auch  Grimhilds 
vater.  Was  es  mit  diesem  namen  für  eine  bewantnis  hat, 
wei-den  wir  noch  unten  (§  43)  zu  erörtern  haben. 

Nach  diesem  allen  ist  es  sehr  zu  bezweifeln,  dass  die  ehe 
Kriemhilds  mit  Attila  in  der  ältesten  sage  überhaupt  kinder 
gezeitigt  hat.  Wol  aber  hat  in  der  weiterentwickelten  deutschen 
sage  Kriemhild  die  beiden  söhne  Helches  übernommen,  die 
mehr  in  den  hintergrund  trat,  obgleich  sie  und  ihre  kinder 
nicht  vergessen  wurden;  den  namen  des  einen  solmes  hat  das 
NL.  erhalten;  der  name  des  andern  ist  nach  norden  gekommen, 
wo  wir  ihn  in  der  Akv.B  und  Hm.  finden. 

Die  söhne  Helches  hat  aber  Kriemhild  vielleicht  erst  zu 
einer  zeit  übernommen,  wo  sie  in  Deutschland  nicht  mehr  die 
feindin  Attilas  war,  also  keinen  grund  hatte,  seine  söhne  zu 
töten.  Wir  können  jedenfalls  nicht  behaupten,  dass  einmal  in 
Deutschland  eine  sage  von  einem  kindermord  Kriemhilds  ge- 
herscht  habe;  wir  müssen  diese  sage  zunächst  als  eine  specifisch 
nordische  Weiterbildung  betrachten. 

Erst  einem  Jüngern  deutschen  Stadium  der  sage  gehört 
m.  e.  die  Opferung  des  einen  kindes  durch  Kriemhild  an  (NL. 
1912  dö  der  strit  niht  anders  Jcimde  sin  erhaben  etc.;  ThS.  359; 
Anh.  z.  Hb.),  durch  die  der  völlig  ehrenfeste  Etzel  zur  feind- 
schaft  gegen  die  Nibelungen  gedrängt  wird.  Ich  möchte  also 
nicht,  wie  Wilmanns  (a.  a.o.  s.  8)  und  Boer  (Untersuchungen 
1, 148)  vermuten,  dass  diese  Opferung  des  kindes  der  veränderte 
Überrest  einer  alten  deutschen  sage  vom  kindermord  Kriemhilds 
bedeute,  eben  weil  ich  nicht  glaube,  dass  sie  in  der  älteren 
deutschen  sage  überhaupt  kinder  von  Etzel  hatte. 


*)   Auf  diesen   Erpr   wideri;m   führt  Jiriczek  s.  108  den  namen   des 
bastards  Erpr  in  der  Ermanarichsage  (Ham)?esin61)  zurück. 


DIE    ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  271 

Ueber  die  geschichte  des  mit  Erpr  alliterierenden  zweiten 
namens  Eitill  wissen  wir  gar  nichts.  —  Zu  Bugges  ableitung 
s.  unten  §  42. 

Ist  nun  auch  der  name  Erpr  erst  nachträglich  nach  norden 
gedrungen  (s.  270),  so  werden  wir  doch  annehmen,  dass  die 
sage  von  Gudruns  kindern  und  ihrem  mord  im  norden  älter 
ist,  da  wir  sie  in  beiden  Atli-liedern  (auch  den  Am.,  wo  der 
name  Erpr  fehlt),  und  Hm.  10  finden.  Dann  bedeutete  also 
die  namengebung  der  beiden  kinder  eine  neuerung;  wahrschein- 
lich hatten  diese  frühzeitig  getöteten  ursprünglich  überhaupt 
noch  keine  namen:  darin  mögen  die  Am.  gegenüber  der  Akv.B 
das  ältere  erhalten  haben. 

§  42.    Die  mahlzeit. 

Die  bewirtung  Atlis  durch  seine  gattin  findet  in  der  Akv. 
sofort  nach  dessen  rückkehr  vom  mordplatz  statt.  In  den  Am. 
vergeht  bis  dahin  erst  eine  zeit  (76  svaf  ek  mjgh  sjaldan  sipans 
peir  fello),  wol  deshalb,  weil  die  bewirtung  in  den  Am.  als 
erbmahl  {erß  71.  81, 12)  aufgefasst  wird  (oben  s.  219).  Die  Akv., 
die  diese  auffassung  nicht  hat,  mag  in  der  einfacheren  form 
das  ältere  erhalten  haben. 

Von  der  mahlzeit  selbst  berichtet  am  einfachsten  Akv.  39. 
Atli  hat  die  herzen  seiner  söhne  mit  honig  gekaut  und  davon 
verteilt;  dass  er  blutgemischten  wein  getrunken  hätte,  wird 
nicht  gesagt,  ist  aber  wol  mit  Gudruns  kelch  gemeint,  den 
sie  Atli  darbringt  (36).  Ausführlicher  berichten  die  Am.  77  f.: 
aus  den  Schädeln  der  kinder  hat  Gudrun  trinkschalen  gemacht, 
blut  in  den  wein  gemischt,  die  herzen  am  spiess  gebraten,  als 
kalbfleisch  gereicht.  Ys.  38  und  Sn.  E.  42  geben  dasselbe;  nur 
fehlt  der  zug,  dass  die  herzen  als  kalbfleisch  gegessen  werden ; 
ferner  werden  in  Sn.  E.  die  schädelbecher  mit  gold  und  silber 
hergestellt,  d.  h.  überzogen. 

Grundtvig  (Ausgabe  der  Saem.  Edda-  s.  248)  und  Bugge 
(Erpr  og  Eitill  s.  10)  vermuten  in  dem  motiv  der  schädelbecher 
einfluss  von  selten  der  Wielandsage.  Ich  möchte  einen  solchen 
für  die  Am.  nicht  sicher  behaupten,  da  aus  schädelbechern  zu 
trinken  bei  den  Germanen  eine  verbreitete  sitte  war  (vgl. 
Alboin  und  Rosimund,  bei  den  brüdern  Grimm,  Deutsche  sagen 
s.  278  ff.,   erzählt  nach  Paulus  Diaconus).     Dagegen   besteht 


272  BECKER 

dieser  einfluss  zweifellos  in  der  Sn.  E.  42,  wo  von  gold-  und 
silberüberzog-enen  Schädeln  die  rede  ist,  ganz  wie  Ykv.  25.  37. 
In  der  genannten  sclirift  s.  10  vermutet  Bugge  ferner  eine 
beeinflussung  der  Am.  durch  die  antike  Tereussage,  wie  sie 
Ovid,  Metam.  VI,  636— 74  vorliegt.  Der  name  des  Itys  (des 
Sohnes  des  Tereus  und  der  Procne)  soll  ferner  quelle  des  namens 
Eitill  sein.  Aber  der  name  Eitill  fehlt  gerade  in  den  Am.,  die 
Bugge  als  besonders  stark  beeinflusst  ansieht  (er  steht  in  der 
Akv.B  und  Hm.);  und  Ovid  spricht  auch  nur  allgemein  von 
dem  zubereiteten  fleisch  des  Itj^s,  während  sich  das  charakte- 
ristische motiv  vom  verspeisen  der  herzen  schon  in  der  den 
Am.  im  alter  voranstellenden  Akv.  A  39  findet. 

So  halte  ich  die  darstellung  der  Am.  nur  für  die  selb- 
ständige ausschmückende  Weiterbildung  einer  sage,  die  in  ein- 
facherer gestalt  in  der  Akv.  vorliegt. 

§  43.    Der  Hniflungr  der  Atlam<)l. 

Am.  83.  84.  86  berichten  von  einem  Niflung,  einem  söhne 
H^gnis,  an  Atlis  hof,  der  der  Gudrun  seinen  grimm  gegen 
Atli  entdeckt,  in  ihr  die  erinnerung  an  H^gnis  tötung  weckt, 
von  ihr  zur  räche  angespornt  wird  und  sich  mit  Gudrun  in 
das  werk  der  räche  teilt;  das  letztere  berichtet  auch  Vs.  38 
und  Sn.  E.  42.  Woher  dieser  söhn  HQgnis  kommt,  wird  mit 
keinem  wort  angedeutet. 

Einen  versuch,  diese  dunkle  gestalt  zu  erklären,  finden 
wir  bei  Boer,  Arkiv  20, 185  ff.  Er  hält  den  nachgebornen 
söhn  HQgnis  in  der  ThS.  393.  423 — 27,  Aldrian,  für  einen  ur- 
sprünglichen söhn  der  Schwester  Grimhild  von  ihrem  bruder, 
den  sie  vor  dessen  tod  empfangen  habe ;  er  erklärt  ferner  den 
namen  des  ersten  Aldrian  der  ThS.  (Grimhilds  söhn  von  Attila 
360.  379)  als  eine  dunkle  erinnerung  eben  an  einen  solchen 
incest,  der  auf  beeinflussung  durch  die  Signysage  deute;  endlich 
dehnt  er,  allerdings  mit  vorbehält  (s.  194f.),  diese  auffassung 
auf  den  Niflung  der  Am.  aus. 

Für  die  jüngeren  sagenformen,  die  in  der  ThS.,  dem 
färöischen  Högnilied,  der  Hvenschen  Chronik,  endlich  in  Grim- 
hilds hgevn  C  vorliegen,  mag  diese  erklärung  von  Hognis  söhn 
das  richtige  treffen.  Für  die  Am.  halte  ich  aber  diese  er- 
klärung nicht  für  möglich  aus  dem  gründe,  weil  wir  nicht 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  273 

erweisen  können,  dass  in  der  Am.  vor  HQgnis  ende  eine 
nacht  vergangen  sei,  die  gelegenheit  ziu'  erzeugung  geboten 
hätte.  Die  str.  63,  an  die  Boer  erinnert:  doo  J)d  dyrer,  dags 
vas  heldr  snimma,  legt  zwar  die  annähme  einer  zwischennacht 
nalie,  aber  nach  der  voranstehenden  scene  (str,  54 — 61)  müssen 
wir  notwendig  doo  als  plusquamperfect  fassen,  =  'tot  waren 
sie'  (so  Gering,  Übersetzung  s.  278).  Atli  will  ja  die  brüder 
sofort  der  todesstrafe  ausliefern,  um  Gudrun  zum  weinen  zu 
bringen:  so  müssen  wir  annehmen,  dass  Gunnarr  sofort  zu 
den  schlangen  gebracht  wird,  wenn  er  auch  noch  nicht  sogleich 
stirbt,  und  dass  HQgnl  nach  dem  kurzen  Zwischenspiel  mit 
Hjalli  sofort  das  herz  ausgeschnitten  wird.  In  str.  61  schliesst 
sich  auch  dem  entsprechend  an  HQgnis  festnähme  unmittelbar 
sein  lachen  in  der  todesqual  an.  Also  ist  in  den  Am.  für  HQgni 
zur  erzeugung  eines  rächers  im  lande  Atlis  keine  gelegenheit. 

Ich  möchte  zur  erklärung  dieses  Niflungen  überhaupt  nicht 
auf  die  ThS.  und  andere  jüngere  quellen  zurückgreifen,  sondern 
eine  erklärung  desselben  aus  den  Atli-liedern  selbst  versuchen. 
Auch  in  der  Akv.  wird  ein  söhn  H^gnis  erwähnt,  ein  junger 
erbe  (12, 5.  6),  der  seinen  vater  offenbar  noch  nicht  auf  die 
reise  begleiten  kann.  An  dieser  gestalt,  die  keineswegs  eine 
blosse  zutat  des  dichters  zu  sein  braucht  (s.  oben  s.  242),  wird 
die  weitere  sage  angeknüpft  haben.  Man  fragte:  was  wurde 
nach  dem  Untergang  der  Niflunge  aus  dem  überlebenden  söhn 
HQgnis?  Für  ihn  konnte  es  nur  ein  amt  geben,  das  des 
rächers.  So  Hess  man  Gudrun  die  räche  aufschieben,  bis 
dieser  söhn  herangewachsen  war:  dann  kommt  er,  natürlich 
heimlich  und  unerkannt,  zum  hause  Atlis  und  teilt  sich  mit 
Gudrun  in  das  rachewerk:  das  ist  die  sage,  wie  sie  in  den  Am. 
vorliegt.  Ganz  ähnlich  kommt  in  der  griechischen  sage  Orest 
heimlich  und  unerkannt  zum  hause  Aegisths,  um  seinen  vater 
zu  rächen. 

In  keinem  fall  ist  diese  Weiterbildung  der  sage  dem  dichter 
der  Am.  zuzuschreiben.  Er  spricht  mit  äusserster  kürze  von 
dem  Xiflung,  lässt  kein  wort  über  dessen  Vorgeschichte  fallen; 
er  setzt  also  offenbar  alles  übrige  als  schon  bekannt  voraus. 
Die  geschichte  gehörte  also  bereits  einer  der  Jüngern  nordischen 
sagenschichten  an,  ehe  der  grönländische  dichter  sie  im  liede 
darstellte. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  j^g 


274  BECKER 

§  44.    Atlis  tod. 

Nach  Akv.  43.  44  wird  Atli,  während  er  sinnlos  betrunken 
{haße  öpan  siJc  druMet)  auf  seinem  bett  liegt,  mit  dem  Schwert 
erstochen.  —  Nach  Am.  84.  85  wird  Atli  auch  im  schlaf,  aber 
nicht  im  rausch,  tötlich  verwundet.  —  Dass  Atli  im  bett  er- 
stochen werden  würde,  prophezeit  Brynhild  Sg-.  sk.  59;  Atli 
träumt  Gökv.  II,  39,  von  Gudrun  erstochen  zu  werden.  —  Nach 
Sn.  E.  42  wird  Atli  nach  einem  grossen  metgelage  schlafend 
getötet;  ebenso  wird  Atli  in  Vs.  38,  nachdem  er  getrunken  hat, 
schlafend  getötet. 

Dass  Attila  in  schwerem  rausch  liegend  in  beisein  eines 
weibes  ums  leben  kommt,  berichtet,  wie  bekannt,  schon  Jor- 
danes  cap.  49,  der  sich  auf  Priscus  beruft.  Den  Übergang  von 
geschichtlicher  Überlieferung  zur  sage  bezeichnen  die  worte 
des  Chronisten  Marcellinus  Comes,  zum  jähre  454:  Attüa  rex 
Hunnormn  —  —  nodu  mulieris  manu  cuUroque  confoditur; 
quidam  vero  sanguinis  reiectione  necatum  perhihent  (Monum. 
Germ,  auctores  antiquissimi  11  s.  86).  Da  ausserdem  zwei 
deutsche  quellen,  Poeta  Saxo  aus  dem  9.  jh.  und  die  Quedlin- 
burger Annalen  aus  dem  11.  jh.  (Grimm,  HS.3  s.  10)  von  Attilas 
tod  durch  weibeshand  berichten'),  so  müssen  wir  annehmen, 
dass  der  in  der  nordischen  sage  feststehende  blutige  tod  des 
königs  schon  der  älteren  deutschen  sage  angehört  hat  und 
nicht  eine  von  den  geschichtlichen  grundlagen  unabhängige 
nordische  neubildung  ist. 

Die  Am.  haben  wider  einen  alten  charakteristischen  zug, 
die  trunkenheit,  verloren  (vgl.  Müllenhoff,  Zs.  fda.  10, 158). 

Attilas  blutiger  tod  ist  in  der  deutschen  dichtung  ganz 
vergessen  worden;  im  übrigen  gibt  es  aus  deutschen  sagen 
nur  einen  näheren  bericht  über  Attilas  ende:  die  geschichte 
vom  hungertode  Attilas  im  Sigfridskeller,  zu  dem  Aldrian  den 
könig  führt  (ThS.  423 — 426).  Auch  dem  dichter  der  Klage 
scheint  eine  ähnliche  sage  bekannt  gewesen  zu  sein  (2166. 
67.  68.  70).  Beide  züge,  die  verhungerung  Atlis  und  der 
Sigfridskeller,  können  jedenfalls  erst  der  späteren  deutschen 
sage  augehören,  da  auch  in  der  ältesten  deutschen  sage  Attila 


^)  Poeta  S.  (MGr.  Script.  I)  üb.  ü,  v.  26—34  (v.  29  vino  somnogue  gra- 
vatum!).  —  Ann.  Quedl.  MG.  Script.  III,  s.32  (Pertz). 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  275 

eines  blutigen  todes  stirbt,  und  der  hört  in  den  Rhein  versenkt 
wird.  Nachdem  in  der  deutschen  sage  Etzels  tod  durch  Kriem- 
hild  verloren  gegangen  war,  entstand  diese  sage,  die  an  seine 
noch  von  alters  her  überlieferte  habsucht  anknüpfte  und  den 
goldgierigen  mitten  im  golde  verhungern  Hess. 

§  45.     Gudruns  tod. 

Akv.  44  ff.  wird  erzählt,  dass  Gudrun  nach  der  ermordung 
ihres  gatten  die  halle  anzündete  und  alles  ausser  den  haus- 
knechten  und  hunden  verbrannte;  über  ihr  eigenes  Schicksal 
wird  nichts  gesagt.  In  den  Am.  findet  sich  nichts  von  einem 
feuer  am  schluss  des  gedichts,  dagegen  wird  ausdrücklich  ge- 
sagt, dass  Gudrun  weiterlebt  (98).  Vs.  und  Sn.  E.  berichten 
beide  vom  hausbrand,  zugleich  aber  vom  fortleben  Gudruns, 
indem  sie  ausführlich  die  Ermanarichsage  anschliessen.  Von 
Gudruns  fortleben  weiss,  ausser  Ghv.  und  Hm.,  noch  Sg.  sk.  61  ff. 

Es  ist  zunächst  zu  fragen,  wann  und  wie  starb  Gudrun 
in  der  älteren  sage? 

Was  die  deutsche  sage  in  ihrer  ältesten  form  über  die 
art  berichtete,  wie  die  mörderin  Attilas  starb,  können  wir 
nicht  mehr  wissen.  Soviel  ist  aber  sicher,  dass  in  den  beiden 
vorliegenden  deutschen  fassungen  Kriemhild  da  stirbt,  wo  die 
Nibelungensage  zu  ende  ist:  im  NL.  durch  Hildebrand,  in  der 
ThS.  durch  Dietrich;  von  einem  weiteren  fortleben  weiss  die 
deutsche  sage  nichts. 

Dafür  nun,  dass  auch  in  der  altnordischen  sage  Gudrun 
Atlis  tod  nicht  überlebt  habe,  spricht  zunächst  zweierlei:  ein- 
mal ihr  versuch  des  Selbstmords,  der  nur  durch  ein  natur- 
wunder  vereitelt  wird:  sie  stürzt  sich  ins  meer,  um  sich  zu 
ertränken,  aber  die  wogen  tragen  sie  zum  lande  Jönakrs  (Sg. 
sk.  61,  5  ff.  Ghv.  13.  Vs.  39,  wo  sie  noch  vorher  steine  in  den 
busen  tut;  Sn.  E.  42);  zweitens  die  Parallelität  von  Signys  tod 
Vs.  cap.  8;  denn  wie  man  auch  über  das  Verhältnis  der  Gudrün- 
sage  zur  Signysage  denken  mag,  eine  Wechselbeziehung  muss 
man  in  jedem  fall  annehmen,  s.  unten  §  46.  Auch  in  der 
Signysage  wird  die  halle  angezündet,  und  Signy  stirbt  frei- 
willig mit  dem  gehassten  gatten.  —  In  der  altnordischen  sage 
war  im  übrigen  nicht  der  geringste  grund  gegeben,  Gudrun 
fortleben    zu    lassen:    vielmehr   forderte    das   gefühl   für   die 

18* 


276  BECKER 

blutbefleckte  und  vereinsamte  den  tod,  als  sühne  wie  als 
erlüsung-. 

Dass  nun  Gudrun  nach  der  Edda  gerettet  wird  und  weiter- 
lebt, hat  seinen  g-rund  einfach  darin,  dass  ihre  tochter  Svanhild 
den  J^rmunrekkr  heiraten  soll:  dass  also  die  Ermanarichsage 
angeschlossen  worden  ist.  Dieser  anschluss  ist  specifisch  nor- 
disch (geuauer  norron)  und  erst  im  norden  erfolgt :  in  Deutsch- 
land findet  sich  die  sage  von  Ermenrich  nirgends  mit  der 
Nibelungensage  verknüpft.  Es  gab  demnach  auch  im  norden 
zunächst  eine  zeit,  wo  dieser  anschluss  noch  nicht  erfolgt  war: 
damals  wird  Gudrun  sogleich  nach  Atlis  ermordung  gestorben 
sein.  Und  zwar  sicher  in  den  von  ihr  selbst  entzündeten 
flammen,  wie  Signf  in  einem  saalbrand  (Jiriczek,  Deutsche 
heldensage,  Sammlung  Göschen  s.  55). 

Dann  bog  man  den  schluss  der  sage  um:  Gudrun  musste 
noch  eine  dritte  ehe  eingehen.  Und  nun  Hess  man  Gudrun 
einen  sprung  ins  wasser  (statt  in  die  flammen)  tun,  damit  die 
wogen  sie  zu  einem  neuen  strande  tragen  könnten,  während 
sich  bei  dem  hausbrand  keine  rettung  anknüpfen  Hess. 

Es  ist  weiter  zu  fragen:  wie  verhalten  sich  Akv.  und  Am. 
gegenüber  der  sage? 

Eanisch  (Eddalieder,  Sammlung  Göschen  s.  138)  nimmt  an, 
dass  nach  Akv.  45  eine  Strophe  weggefallen  sei,  in  der  erzählt 
wurde,  wie  Gudrun  sich  selbst  in  die  flammen  gestürzt  habe. 
Für  diese  annähme  spricht  m.  e.  deutlich  erstens  die  tatsache, 
dass  Gudrun  Akv.  42  ihr  gold  an  die  knechte  verschenkt,  ganz 
wie  eine,  die  auf  der  weit  nichts  mehr  zu  suchen  hat');  man 
vergleiche  die  stelle  der  Sigur|^arkviJ?a  (48  ff.),  wo  die  sterbende 
Brynhild  ihr  gold  verschenkt.  Ferner  spricht  dafür  die  aus- 
drucksweise der  Schlussstrophe  46 

liön  hefr  priggja        l^jofikonunga 
banorj?  boret        bjort,  äpr  sylte. 

Wozu  die  erwähuung  ihres  todes,  wenn  derselbe  jetzt  noch  gar 
nicht  eintritt? 

Da  Str.  42  der  Akv.  A,  str.  46  der  Akv.  B  angehört,  so  ist 


^)  In  Am.  scheint  dieser  zug  erhalten,  aber  wegen  des  veränderten 
Schlusses  umgedeutet  und  vom  schluss  weggerückt  worden  zu  sein :  Gudrun 
schleudert  aus  erregung  ihre  halskleinode  weg,  als  sie  vom  ausbruch  des 
kampfes  hört  (Am.  43). 


DIE  AlluI-LIEDER  DER  EDDA.  277 

anzunehmen,  dass  in  den  beiden  alten  parallelliedern  von  Gu- 
druns tod  die  rede  war;  welchem  die  ausgefallene  Strophe 
gehörte,  können  wir  nicht  wissen.  Diese  Strophe  hat  wahr- 
scheinlich niemand  anders  als  der  Sammler  der  Eddalieder 
entfernt:  der  darstellung  von  Gudruns  tod  an  dieser  stelle  der 
sage  widersprach  für  ihn  der  Inhalt  von  Ghv.  und  Hm.,  wo 
Gudrun  noch  lebte:  darum  mag  er  sich  amtext  vergriffen  haben. 
Da  Am,  98  ein  fortleben  Gudruns  ausdrücklich  behauptet 

wird:  fj.5p  vilde  Gudrun      fara  ser  at  spilla, 

urpo  dv(jl  dagra,      do  i  siuu  annat. 

so  muss  hier  die  Verbindung  von  Nibelungensage  und  Erma- 
narichsage  als  schon  eingetreten  vorausgesetzt  werden,  während 
sich  in  der  Akv.  keine  spur  davon  findet. 

Dass  sich  in  dem  saalbrand,  den  Kriemhild  in  NL.  und 
TliS.  entfacht,  eine  erinnerung  an  einen  abschliessenden  brand 
in  der  älteren  deutschen  sage  erhalten  habe,  auf  den  der 
nordische  zurückgehe,  ist  mit  Wilmanns  (Untergang  der  Nibe- 
lunge  s.  8)  als  möglich  anzusehen,  aber  nicht  als  sicher.  Da 
wir  ausserhalb  der  nordischen  sage  einen  solchen  abschlies- 
senden brand  nicht  finden,  werden  wir  diesen  zug  zunächst 
als  specifisch  nordisch  ansehen  müssen. 

§  46.     Gudrun  und  Signy. 

Anschliessend  an  Gudruns  tod  müssen  wir  zu  der  frage 
Stellung  nehmen,  wie  sich  die  gestalten  der  Gudrun  und  Signy 
zu  einander  verhalten:  da  sie  bekanntlich  in  verschiedener 
hinsieht  parallele  züge  zeigen,  so  kann  man  den  gedankeu  an 
eine  beziehung  nicht  ablehnen. 

Rieger  (Germania  3, 196  ff.)  hielt  die  gestalt  Gudruns,  wie 
wir  sie  im  norden  finden,  für  stark  beeinflusst  durch  die  ge- 
stalt Signj's.  In  der  ältesten  sage  hätte  die  gattin  den  gatten 
rächen  müssen:  die  von  der  deutschen  sage  verschiedene  Stel- 
lung der  Schwester  zu  ihren  brüdern  sei  der  einwirkung  der 
Signy-sage  zuzuschreiben.  Eieger  sah  darin  eine  benach- 
teiligung  der  sage:  alles  was  bei  Signy  richtig  und  angemessen 
sei,  sei  bei  Gudrun  verkehrt  und  widrig. 

Wir  können  die  gestalt  Signy s  nicht  aus  dem  Zusammen- 
hang der  sage  lösen,  wie  sie  in  der  Vs.  cap.  4 — 8  erzählt  wird. 
Diese  ganze  geschichte  zeigt  nun  überhaupt  eine  so  starke 


278  BECKER 

ähnliclikeit  mit  der  vom  Untergang  der  Nibelunge  nnd  von 
Atlis  ende,  dass  man  zu  dem  scliluss  getrieben  wird,  eine  der 
beiden  geschichten  sei  von  der  andern  abliängig.  Folgende 
Züge  sind  parallel  (z.  t.  schon  von  Jiriczek,  Deutsche  helden- 
sage  Göschen  s.  79  hervorgehoben): 

1)  Siggeirr  lädt  den  ihm  verschwäg-erten  VQlsungr  ein  und  überfällt 
ihn  verräterisch  (Vs.  4.  5),  wie  Atli  die  Niflunge. 

2)  Signy  ahnt  uuheil,  ehe  sie  in  Siggeirs  haus  kommt  (Ys.  4),  wie 
Gudrun,  ehe  sie  sich  mit  Atli  vermählt  (Gökv.  11, 32). 

3)  Signy  warnt  die  Wölsunge  (Vs.  5),  wie  Gudrun  ihre  brüder. 

4)  Siggeirr  gibt  die  überlebenden  einem  grausamen  tod  preis  (Vs.  5), 
wie  Atli  die  beiden  ^siflunge. 

5)  Die  mutter  Siggeirs  mordet  als  wölfin  (Vs.  5),  die  mutter  Atlis  als 
schlänge  (Odrgr.  30). 

6)  Signy  lässt  ihre  söhne  von  Siggeirr  töten  (Vs.  6.  8),  Gudrun  tötet 
ihre  söhne  von  Atli. 

7)  Sign^  betreibt  Siggeirs  tod  (Vs,  7),  Gudrun  den  Atlis. 

8)  Signy  stirbt  mit  dem  gehassten  gatten  im  feuer  (Vs.  8),  Gudrun 
einst  ebenfalls  (s.  oben  s.  276). 

Welche  der  beiden  geschichten  hat  auf  die  andere  ein- 
gewirkt? 

Zunächst  wollen  vdr  fragen,  welche  der  beiden  sagen,  die 
in  Ys.  cap.  4 — 8  erzählte  oder  der  zweite  teil  der  Nibelungen- 
sage, die  ältere  ist. 

Die  erzählung  von  der  einladung  der  Xibelunge  durch 
Attila  und  ihren  Untergang  bei  ihm  steht  als  einer  der  ältesten 
bestandteile  der  sage  fest.  Dasselbe  gilt  von  der  erzählung, 
dass  Attila  durch  weibeshand  seinen  tod  gefunden  habe. 

Was  nun  die  andere  sage  betrifft,  so  sind  die  gestalten 
Sigmund  und  SinfJQtli  in  der  sage  alt,  wie  Beowulf  876.  880 
und  Eiriksm^l  4  zeigen;  ausserdem  erscheinen  sie  in  beiden 
liedern  von  Helgi  Hundingsbani.  Aber  irgendwelche  an  den 
zweitenteil  der  Xibelungensage  erinnernde  geschichten  finden 
wir  vor  der  Vs.  nirgends  mit  ihrem  namen  verknüpft.  Von 
Signy  findet  sich  dagegen  vor  der  Ys.  nicht  einmal  der  name 
(während  Siggeirs  name  wenigstens  erwähnt  wird  HHb.  1,43); 
ebensowenig  von  Y(()lsungr,  dessen  name,  der  sicher  erst  vom 
geschlechtsnamen  der  YQlsungar  abgeleitet  ist,  von  vorherein 
keinen  anspruch  auf  alter  in  der  sage  hat. 


DIE  ATLI-LIEDER   DER  EDDA.  279 

Nun  sind  aber  ausser  Siggeirr  gerade  Signy  und  VQlsungr 
diejenigen  gestalten,  auf  denen  die  Übereinstimmung  der  sage 
mit  dem  zweiten  teil  der  Nibelungensage  beruht.  Higny  ahnt 
das  Unheil  voraus,  Signy  warnt  die  Wölsunge,  Signy  opfert 
ihre  söhne  der  räche,  Signy  betreibt  des  gatten  tod,  Signy 
stirbt  mit  dem  gatten  im  feuer;  Volsungr  ist  der  schwäher, 
er  wird  eingeladen  und  verräterisch  überfallen. 

Das  führt  mich  dazu,  die  Signj^ -Y^lsungr-sage  als  jünger 
anzusehen  als  den  zweiten  teil  der  Nibelungen-sage. 

Nun  könnte  ja  an  sich  die  jüngere  sage  in  einzelnen  zügen 
auf  die  ältere  eingewirkt  haben:  das  anzunehmen  haben  wir 
aber  keinen  grund.  Die  s.  277  angeführten  urteile  Riegers 
kann  ich  nicht  teilen.  Der  zweite  teil  der  nordischen  Nibe- 
lungensage ist  so  scharf  vom  ersten  und  von  der  Sigfrid-sage 
getrennt,  so  in  sich  geschlossen,  dass  die  rolle  der  Gudrun 
nicht  weniger  verständlich  ist  als  die  der  Signy.  Und  dass 
der  zweite  teil  so  scharf  vom  ersten  getrennt  bleiben  konnte, 
wird  verständlich,  wenn  wir  mit  Wilmanns  (a.  a.o.  s.  3)  an- 
nehmen, dass  in  der  ältesten  sage  Kriemhild  noch  gar  nicht 
die  gattin  Sigfiids  war. 

Daher  möchte  ich  die  Signy- V^lsungr-sage,  soweit  sie  mit 
der  sage  vom  Untergang  der  Niflunge  und  von  Atlis  tod  über- 
einstimmt, geradezu  als  eine  copie  der  letzteren  ansehen,  wobei 
man  den  Siggeirr  nach  dem  bilde  Atlis  zeichnete. 

Dass  die  sage  trotzdem  älter  ist  als  die  Vs.,  ist  über  jeden 
zweifei  erhaben.  Müllenhoff,  Zs.  fda.  23, 129  ff.  151  und  Symons, 
Grundriss  3  2,  653  haben  schlagend  nachgewiesen,  dass  dem 
sagaschreiber  auch  hier  lieder  vorgelegen  haben,  von  denen 
er  sogar  in  cap.  8  ein  fragment  citiert. 

Was  speciell  die  gestalt  der  Signy  betrifft,  so  vermute 
ich  nach  dem  oben  gesagten,  dass  sie  nach  dem  bilde  Gudruns 
gezeichnet  worden  ist,  wie  es  in  der  älteren  sage  stand. 

Wenn  nun  die  an  Gudrun  erinnernden  züge  Signys  jung 
sind,  so  ist  damit  noch  nicht  gesagt,  dass  die  ganze  gestalt 
Signj's  ebenso  jung  ist.  Ich  glaube  vielmehr,  dass  es  schon 
eine  ältere  sage  von  einer  Schwester  Sigmunds  gab,  die  von 
ihrem  bruder  einen  söhn  gebar:  den  incest  sehe  ich  als  den 
alten  kernpunkt  dieser  sage  an:  w^elchen  sinn  und  zweck  er 
ursprünglich  hatte,  können  wir  nicht  wissen.    Der  dichter  von 


280  BECKER 

HHb.  I  mag  von  dem  incest  gewusst  haben:  stjüpr  vast  Siggeirs 
(45);  vielleicht  kannte  er  sogar  schon  die  lieder,  die  der  Vs. 
cap.  4— 8  zu  gründe  lagen. 

Für  mich  kam  es  hier  nur  darauf  an  festzustellen,  dass 
wir  für  die  gestalt  der  Gudrun  nicht  heeinflussung  von  selten 
der  Signj'sage  anzunehmen  haben,  dass  vielmehr  das  entgegen- 
gesetzte Verhältnis  besteht. 

§  47.    Gudruns  Stellung  zu  ihren  brüdern. 

In  bezug  auf  Gudrun  müssen  wir  noch  auf  eine  andere 
frage  eingehen,  die  von  Wilmanns  angeregt  worden  ist  (Unter- 
gang der  Nibelunge  s.  7,  §  7).  Wilmanns  bezweifelt  nämlich, 
ebenso  wie  Eieger,  dass  die  Stellung  der  Schwester  zu  den 
brüdern,  wie  sie  die  nordische  sage  zeigt,  in  jeder  hinsieht 
schon  der  älteren  deutschen  sage  eigen  gewesen  sei.  Während 
die  nordische  sage  die  Schwester  nur  als  die  beschützerin  und 
rächerin  ihrer  brüder  kennt,  ist  sie  in  der  deutschen  Nibe- 
lungensage deren  feindin:  Wilmanns  macht  auf  die  Schwierig- 
keit aufmerksam,  wie  von  einer  der  nordischen  fassung  gleichen 
grundlage  die  spätere  deutsche  sage  entstanden  zu  denken  sei. 
Vielmehr  nimmt  er  an,  dass  schon  in  der  älteren  deutschen 
sage  Kriemhild  ihren  brüdern  feindlich  gesinnt  gewesen  sei 
und  als  die  eigentlich  handelnde  Etzel  zum  mord  veranlasst 
habe:  aber  nicht  um  der  gattenrache  willen,  wie  Eieger 
meinte  (die  Verbindung  Kriemhilds  mit  Sigfrid  hält  Wilmanns 
nicht  für  ganz  ursprünglich  s.  3,  §  2),  sondern  aus  habgier: 
die  tochter  des  geizigen  Nibelungengeschlechts  habe  den  hört 
für  sich  begehrt:  daher  habe  sie  Etzels  habgier  gereizt,  der 
schon  ui'sprünglich  eine  mehr  passive  rolle  gespielt  habe.  Für 
ihre  habgier  zeugen  ihre  zwei  fragen  nach  dem  schätz  im 
NL.,  1739  ff.  (dazu  ThS.  cap.  373)  und  2367:  am  stärksten  die 
letztere  an  Hagen,  dem  sie  gegen  auslief erung  des  Schatzes 
das  leben  verspreche.  So  habe  in  der  älteren  deutschen  sage 
Kriemhild  aus  habgier  die  brüder  vernichtet.  Dann  aber 
habe  sich  der  harte  sinn  des  weibes  gegen  Etzel  gewendet: 
sie  habe  alsdann  der  pflicht  der  blutrache  an  ihm  genügt. 

Auf  die  geschichtlichen  grundlagen  der  sage,  die  gegen 
eine  solche  passivität  Etzels  sprechen  würden,  möchte  ich  mich 
hier  nicht  berufen,  da  Wilmanns  diese  grundlagen  als  solche 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  281 

bezweifelt,  s.  1  f.  Dagegen  möchte  ich  betonen,  dass  auch 
Wilmanns'  auffassung  insofern  eine  beträchtliche  Schwierig- 
keit bietet,  als  sie  nicht  erklärt,  wie  der  plötzliche  Umschwung 
in  der  Sinnesart  Kriemhilds  zu  denken  sei.  Ausserdem  lässt 
sicli  aber  das,  was  das  NL.  über  Kriemhilds  habgier  andeutet, 
leicht  anders  erklären.  Etzel,  ursprünglich  der  habgierige 
(s.  oben  s.  257.  259),  trat  in  der  sage  unter  dem  einwirken  ver- 
schiedener factoren  in  den  hintergrund,  sodass  er  mehr  passiv 
und  schliesslich  ganz  fleckenrein  wurde  (NL.):  auf  Kriemhild, 
die  die  eigentlich  handelnde  wurde,  gieng  mit  der  mordlust 
zugleich  etwas  von  Etzels  habsucht  über,  die  ja  in  einer  sage, 
wo  der  Nibelungenhort  eine  rolle  spielte,  nie  ganz  in  Ver- 
gessenheit geraten  konnte.  Insofern  erkennt  Wilmanns  mit 
recht  an  den  stellen,  wo  Kriemhild  nach  dem  schätz  fragt, 
einen  alten  zug:  nur  gehörte  dieser  ursprünglich  nicht  Kriem- 
hild, sondern  Etzel  an. 

Daher  halte  ich  die  Stellung  der  Schwester  zu  ihren 
brüdern,  wie  die  nordische  sage  sie  zeigt,  für  schon  aus  der 
älteren  deutschen  sage  überkommen. 

§  4:8.    Zusammenstellung  der  ergebnisse. 

Nach  unseren  bisherigen  Untersuchungen  müssen  wir  zu- 
nächst für  die  altnordische  sage  vom  Untergang  der  Niflunge 
folgende  züge  ansetzen!): 

Gjüki,  könig  der  Borgunden  am  Rhein  (Akv.),  aus  dem 
geschlecht  der  Niflunge,  hat  drei  kinder  hinterlassen:  HQgni, 
Gunnarr,  Gudrun.  —  H9gni  nimmt  eine  gewisse  hervorragende 
Stellung  ein  (Am.)  und  hat  nachkommenschaft.  —  König  Atli 
von  HünniQrk  (Akv.),  aus  dem  geschlecht  der  Budlunge,  dessen 
reich  südlich  von  dem  Gunnars  liegt  (Akv.),  hat  Gudrun  zur 
gattin,  —  die  früher  Sigurdr  besessen  hatte  (Am.).  —  Atli 
begehrt  der  Gjiikunge  gold,  das  erbe  der  Niflunge  (Akv.)  und 
lädt  diese  ein,  ihn  zu  besuchen,  indem  er  hoffnung  auf  ge- 
schenke  erweckt.  —  Vor  der  abreise  haben  frauen  unheil- 
verkündende träume  (Am.).  —  Die  grenze  gegen  Atlis  reich 
bildet  Wasser  (Am.).  —  Auf  der  fahrt  begegnen  schlimme 
Vorzeichen   (Am.).   —   Nach  der  landung  befestigt  man  das 

^)  Wo  in  dieser  Zusammenstellung  der  altnordischen  sagenzüge  keine 
quelle  genannt  wird,  sind  beide  Atli-lieder  als  übereinstimmend  gemeint. 


282  BECKER 

schiff  niclit  (Am.).  —  In  Atlis  halle  angelangt,  werden  die 
briider  von  der  Schwester  gewarnt  (Akv.A).  —  Atli  fordert 
in  gute  den  schätz  von  ihnen;  ablehnimg  (für  Akv.  zu  er- 
gänzen aus  Vs.  36).  —  Kurzer  kämpf  im  saal,  wobei  H^gni 
sich  auszeichnet  (Akv.).  —  Gefangennahme  beider  brüder.  — 
Zweite  frage  an  Gunnarr,  ob  er  den  schätz  herausgeben  wolle, 
um  sein  leben  zu  lösen  (Akv.).  —  Er  will  erst  H^gnis  herz 
sehen  (Akv.).  —  Man  schneidet  einem  Hjalli  das  herz  aus  und 
bringt  es  Gunnarr,  er  erkennt  es  als  das  herz  eines  feigen 
(Akv.).  —  Man  schneidet  H^gui  das  herz  aus;  er  lacht.  — 
Gunnarr  weiss  den  schätz  im  Rhein  verborgen,  gibt  seinen 
ort  nicht  an  (Akv.).  Der  schätz  stammt  von  den  äsen  (Akv.). 
Gunnarr  wird  in  einer  grübe  (Akv.)  schlangen  übergeben, 
spielt  harte,  stirbt  als  letzter.  —  Gudrun  tötet  ihre  und  Atlis 
söhne  und  bewirtet  diesen  mit  den  herzen  derselben.  —  Sie 
sagt  Atli,  was  er  gegessen  hat.  —  Gudrun  verschenkt  kost- 
barkeiten  (Akv.).  —  Sie  ersticht  den  schlafenden  Atli,  —  wie 
er  im  schweren  rausch  liegt  (Akv.).  —  Gudrun  zündet  die  halle 
an  '(Akv.)  und  stirbt  in  den  flammen  (für  Akv.  zu  ergänzen 
aus  verschiedenen  anzeichen). 

Dem  seien  nun  im  folgenden  die  bedeutenderen  ab- 
weichungen  der  einzelnen  Atli-lieder  entgegengestellt- 

Akv.  Gunnarr  ist  ganz  zur  hauptperson  gesteigert  gegenüber  H(jgni. 
Es  fehlen  die  träume  der  frauen,  denn  die  reise  beginnt  anscheinend  gleich 
nach  der  einladuug.  Nicht  wasser  als  grenze  gegen  Atlis  reich,  sondern 
der  Myrkvidr,  demnach  keine  wasserfahrt. 

Die  söhne  Atlis  heissen  Erpr  und  Eitill  (B). 

Die  brüder  werden  nicht  mehr  persönlich  von  der  Schwester,  sondern 
durch  ein  symbol  (wolfshaar)  gewarnt  (c). 

Aui.  Es  fehlt  der  Burgundenname,  der  Rhein  (die  Niflunge  sitzen 
am  Limafjord,  dem  grenzwasser  gegen  Atli),  der  Hunnenname  in  Verbindung 
mit  Atli  (während  Sigurör  der  hunnische  heisst),  das  Xiflungengold.  Runen- 
stäbe werden  übersant  zur  warnung,  der  böte  fälscht  sie  eigenmächtig. 
Bei  Atlis  gehöft  verhöhnt  der  böte  die  Nifiunge,  wird  getötet:  äusserer 
anstoss  zum  kämpf.  Der  kämpf  findet  ausserhalb  des  saales  statt,  lang 
ausgedehnt;  Gudrun  ist  beteiligt.  Atlis  begierde  nach  dem  gold  und  fragen 
nach  dem  gold  fehlen,  ebenso  das  gold  selbst.  Der  grund  von  Atlis  ver- 
räterischer einladung  ist  ganz  dunkel.  Atli  hat  Gudruns  mutter  und 
Schwestertochter  getötet.  Mit  der  frage  Atlis  fällt  auch  die  bedingung 
Gunnars  weg,  die  Hjalli  und  Hogni  das  leben  kostete.  Die  grausame  tötung 
der  brüder  ist  Avesentlich  unmotiviert;  ebenso  unmotiviert,  wozu  Hjalli 
zuerst  das  herz  ausgeschnitten  werden  soll.    Hjalli  kommt  mit  dem  leben 


DIE   ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  283 

davon.  Die  schlangen  befinden  sich  am  galgen,  die  schlangengruhe  fehlt. 
Es  verstreicht  eine  zeit  bis  zum  erbmahl,  dann  Avider  bis  zum  heran- 
wachsen des  rächers.  Ein  Niflung,  Hcjgnis  söhn,  erscheint:  mit  ihm  zu- 
sammen führt  Gudrun  das  rachewerk  aus;  von  seinem  rausch  ist  nichts 
gesagt.    Der  hausbrand  fehlt.    Gudrun  lebt  weiter. 

Wie  wir  sehen,  sind  die  abweichungen  der  Akv.  von  der 
altnordischen  sag-enform  gering-,  die  der  Am.  beträchtlich. 
Wie  viel  von  allen  abweichnngen  der  einzelnen  lieder  den 
dichtem,  wie  viel  einer  ihnen  schon  vorliegenden  jüngeren 
sagenform  zufällt,  ist  unmöglich  zu  entscheiden.  Darum  sind 
hier  nur  die  bedeutenderen  abweichungen  zusammengestellt 
worden,  bei  denen  doch  eine  möglichkeit  besteht,  dass  sie 
schon  einer  jüngeren  sagenform  angehörten. 

Da  wir  die  grenze  zwischen  der  jüngsten  tradition  und 
der  subjectiven  erfindung  der  dichter  nicht  bestimmen  können, 
so  müssen  wir  im  weitern  auf  den  versuch  verzichten,  ihr 
literarisches  eigentum  festzustellen. 

Trotzdem  zeigen  die  angeführten  abweichungen  der  Am., 
namentlich  die  beträchtlichen  Verluste  gegenüber  der  altnordi- 
schen sage,  dass  in  den  Am.  mehr  vorliegt  als  subjective  Um- 
bildung der  sagenzüge  durch  einen  dichter:  dass  vielmehr  die 
sage  selbst  stark  in  Verwirrung,  Verdunkelung  geraten  war, 
ehe  sie  der  dichter  ergriff;  dass  man  sich  namentlich  über  die 
motive  und  zusammenhänge  der  haudlungen  in  Grönland  nicht 
mehr  klar  war. 

Hätte  der  dichter  der  Am.  die  Akv.  gekannt,  so  wären 
für  ihn  mit  einem  schlage  alle  Unklarheiten  aufgehellt  gewesen, 
die  bei  ihm  zu  tage  treten.  Gerade  diese  Verworrenheit  und 
dunkelheit  der  zusammenhänge  ist  für  mich  der  stärkste  grund 
dafür,  anzunehmen,  dass  der  dichter  der  Am.  die  Akv.  nicht 
gekannt  hat.  (vgl.  s.  231). 

Anhangsweise  sei  noch  kurz  das  Verhältnis  der  altnordischen 
sage  zu  der  älteren  deutschen  sage  dargelegt. 

Von  den  zügen  der  altnordischen  sage  gehörten  schon  der 
älteren  deutschen  sage  folgende: 

Gibich  1)  (Waltharius  u.  ö.),  könig  der  Burgunden  (^L.)  am  Rhein, 
hinterlässt  einen  söhn  Günther  (an  dessen  hof  Hagen),  und  eine  tochter. 


1)  Im  folgenden  ist  nicht  der  versuch  gemacht,  die  althochdeutschen 
oder  altniederdeutschen  formen  zu  reconstruieren. 


l 


n 


284  BECKER 

—  Hagen  ist  eine  hervorragende  persönlichkeit.  —  Etzel,  könig  eines  süd- 
lichen Hunnenreiches  (Waltharius) ,  aus  dem  geschlecht  der  *Botelunge 
(Boteluuc  heisst  sein  vater  NL.  1314.  1372)  hat  die  Schwester  zur  gattin, 
die  früher  Sigfrid  besessen  hatte  (NL.  ThS.).  —  Günther  besitzt  einen 
schätz,  der  Nibelunges  hört  heisst  (NL.).  —  Etzel  begehrt  nach  dem  schätz 
und  lädt  Günther  und  Hagen  zu  sich  ein.  —  Vor  der  abreise  träumt  eine 
frau  von  unheil  (NL.  ThS.).  —  Die  Bnrgunden  ziehen  über  ein  wasser 
(NL.  ThS.).   —    Auf  der  fahrt  begegnen  schlimme  Vorzeichen  (NL.  ThS.). 

—  Nach  der  landung  machen  sie  sich  die  rückkehr  unmöglich  (NL.).  — 
Bei  Etzel  angelangt,   werden  die  beiden  von  Günthers  Schwester  gewarnt. 

—  Etzel  fordert  in  gute  den  schätz  von  ihnen;  ablehnung.  —  Kampf  in 
einem  saal  (NL.  ThS.  II),  wobei  Hagen  sich  auszeichnet  (NL.  ThS.).  — 
Gefangennahme  der  beiden  (NL.  ThS.).  —  Frage  an  den  einen  der  beiden, 
ob  er  den  schätz  herausgeben  wolle;  er  weigert  sich  es  zu  tun,  solang  der 
andere  lebt;  man  tötet  diesen;  der  überlebende  gibt  den  schätz  nicht 
heraus;  der  schätz  ist  im  Rhein  versenkt  worden;  der  überlebende  Avird 
getötet  (NL.)  —  Einer  der  beiden  endet  in  einem  schlangengehege  (ThS.). 

—  Nach  einem  gelage  wird  Etzel  von  seinem  weib  erstochen,  während  er 
im  rausch  schlafend  liegt. 

Von  diesen  sageuzügen  sind  in  deutscher  sage  nicht  er- 
halten, aber  aus  nordischer  zu  recoustruieren  folgende: 

Etzel  begehrt  den  schätz  (Akv.),  die  Schwester  warnt  den  bruder 
(Atli-lieder),  Etzel  fordert  den  schätz  (Akv.),  die  Schwester  ersticht  Etzel 
(Atli-lieder),  im  rausch  (Akv.). 

Gegenüber  dieser  älteren  deutschen  sagenform  sind  folgende 
Züge  der  altnordischen  sage  specifisch  nordisch: 

Nifiungar  als  geschlechtsname  für  die  Gjükunge.  Gudrun  als  name 
für  die  Schwester.  HQgni  ist  der  bruder  Gunnars '),  hat  nachkommenschalt. 
Atli  lockt  durch  aussieht  auf  geschenke.  Die  entscheidende  frage  nach 
dem  schätz  richtet  sich  an  Gunnarr.  Der  schätz  stammt  von  den  äsen, 
HQgni  wird  das  herz  ausgeschnitten;  er  lacht.  Hjalli.  Gunnar  spielt  harfe 
und  stirbt  als  letzter.  Gudrun  hat  söhne  von  Atli,  tötet  sie  und  bewirtet 
Atli  mit  ihren  herzen,  enthüllt  ihm  darauf,  was  er  gegessen  hat.  Sie 
verschenkt  kostbarkeiten,  zündet  die  halle  an  und  stirbt  in  den  flammen. 


»)  Da  im  Sigfridslied  (175.  177.  179)  und  Anh.  z.  Hb.  Günther  und  Hagen 
bruder  und  söhne  Gibichs  sind,  so  könnte  man  annehmen,  dass  dieser  zug 
schon  der  älteren  deutschen  sage  angehört  hätte,  wenn  nicht  der  Waltharius 
(27  ff.  629  ff.)  diese  annähme  unmöglich  machte. 


DIE    ATLI-LIEDER   DER   EDDA.  285 


Inlialt. 

Seite 

I.  Literarischer  teil 193 

1.  Vorfrage  s.  193  (§  1.  Einheitlichkeit  der  Atlamol.  §  2.  Das 
alte  foriiyröislag  in  der  AtlakviJ?a  (B).  §  3.  Die  interpola- 
tion  c.  §  4.  Das  junge  fornyröislag  (d).  §  5.  Zusammen- 
setzung der  AtlakTi)ia). 

2.  Stilistische  eigentümlichkeiten  s.  205.  (§  6.  Eigentümlich- 
keiten im  Wortschatz.  §  7.  Adjectivische  epitheta,  Varia- 
tionen. §  8.  Epische  und  prosaische  spräche.  §  9.  Schluss- 
bemerkung). 

3.  Poetische  eigentümlichkeiten  s.  217.  (§  lO.^Darstellung 
im  allgemeinen.  §liii  Zeit  und  ort.  §  J2j' Charakter- 
zeichnung. §  13.  Lyrisches  und  rhetorisches  element. 
§  li.  Hervortreten  des  dichters.    §  15.  Schlusshemerkung). 

4.  Einige  literaturgeschichtliche  fragen  s.  230.  (§  16.  Be- 
ziehungen der  lieder  zu  einander.  %iT)  Das  relative 
alter  der  lieder.  §  18.  Die  hezeichnung  en  grenlenzka, 
gränlenzko.  §  19.  Heidnische  und  christliche  Urheberschaft. 
§  20.  Beziehungen  zwischen  den  Atli-liedern  und  anderen 
heldenliedern  der  Edda). 

n.  Sagengeschichtlicher  teil 240 

(§  21.  Vorbemerkung.  §  22.  Das  gemeinsame  im  Inhalt. 
§  23.  Gunnarr  und  HQgni.  §  24.  Burgunden  und  Goten. 
§  25.  Hunnen  und  HünniQrk.  §  26.  Atlis  boten.  §  27. 
Guitaheide.  §  28.  Der  Myrkvidr  und  die  grenze  gegen 
Atlis  reich.  §  29.  Warnung  und  begrüssung  durch  die 
Schwester.  §  30.  Die  träume  der  frauen.  §  31.  Unheil- 
volle zeichen  auf  der  fahrt.  §  32.  gerpot  far  festa. 
§  33.  Der  kämpf.  §  34.  Atlis  fragen  nach  dem  gold. 
§  35.  Der  tod  der  Schwester  Atlis.  §  36.  Abschliessendes 
über  Atlis  motiv.  §  37.  Die  herkunft  des  goldes.  §  38. 
Die  Versenkung  des  goldes  in  den  Rhein.  §  39.  Hognis 
herz,  Hjalli.  §  40.  Die  schlangengrube.  §  41.  Atlis  und 
Gudruns  söliue.  §  42.  Die  mahlzeit.  §  43.  Der  Hni- 
flungr  der  Atlamol.  §  44.  Atlis  tod.  §  45.  Gudruns  tod. 
§  46.  Gudrun  und  Signy.  §  47.  Gudruns  Stellung  zu 
ihren  brüdern.     §  48.    Zusammenstellung  der  ergebnisse). 

LEIPZIG.  JOHN  BECKER. 


ANTIKE  UND  MITTELALTER. 
STUDIEN  ZUR  LITERATURGESCHICHTE. 

I. 

Ueber  fabulistische  quelleiiangaben. ') 

Wolfram  von  Eschenbach  berichtet  in  seinem  Parzival 
453, 11  f.  von  der  merkwürdigen  auffindung  einer  von  dem  ebenso 
merkwürdigen  beiden  Flegetanis  herrührenden  aufzeichnung 
über  die  herkunft  des  grals  durch  den  provenzalischen  sclian- 
tiure  Kiot,  seinen  gewährsmann.  Die  entdeckung  wurde  zu 
Toledo  gemacht.  Das  Schriftstück  2)  war  in  einem  heidnischen, 
d.  h.  nichtlateinischen  und  nichthebräischen  aiphabet  ge- 
schrieben  und  der  Ander,  Kiot,   musste   dieses   erst,   ohne 3) 


^)  Die  vorliegende  abhandlung  bildete  die  grundlage  eines  auf  der 
49.  Versammlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  zu  Basel  am  Don- 
nerstag, den  26.  sept.  1907  gehaltenen  Vortrags,  zu  dem  ich  von  John  Meier 
aufgefordert  worden  war.  Ausser  den  in  meinen  Deutschen  legenden  und 
legendären,  Leipzig  1907  (WDLL.  abgekürzt)  s.  xiv  f.  verzeichneten  citaten- 
siglen  sind  die  bei  den  germanisten  und  klassischen  philologen  üblichen 
angewant.  Die  zweite  von  Wissowa  besorgte  aufläge  von  Paulys  Real- 
encyklopädie  ist  als  PWRE.  citiert. 

2)  Was  für  eine  form  das  gefundene  Schriftstück  hatte,  geht  aus  Wolf- 
rams Worten,  auch  aus  Parz.416,  20f.  nicht  hervor.  Rolle,  codex  und  tafel 
sind  denkbar,  ebenso  das  verschiedenartigste  material,  z.  b.  hast,  holz,  metall, 
stein,  elfenbein  und  pergament. 

2)  cme  Parz.  453, 17  wird  gewöhnlich  als  'ausserdem  noch'  gefasst. 
Nur  A.  Leitzmanu  scheint  der  interpunctiou  nach  zu  schliessen  die  stelle 
so  aufzufassen  wie  ich.  Sie  ist  keineswegs  eindeutig.  Zu  meiner  Inter- 
pretation veranlasst  mich  Parz.  453, 18—22.  Dagegen  lässt  sich  freilich 
wider  einwenden,  dass  Flegetanis  trotz  seines  heidentums  der  tougen  des 
grales  inne  wart.  Voller  Widersprüche  bleibt  der  ganze  passus,  wie  man 
ihn  auch  interpretieren  mag.  Zieht  man  Parz.  416,  20  f.  dazu  heran,  wird 
die  Verwirrung  nur  noch  grösser. 


UEBER   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN,  287 

schwarze  künste  dabei  zu  verwenden,  gelernt  haben,  ehe  er 
den  sinn  der  aufzeichnung  enträtselt  hatte.  Dass  er  die  taufe 
empfangen  hatte,  war  ihm  von  nutzen,  denn  keine  heidnische 
Wissenschaft  hätte  ihm  bei  der  entzifferung  der  worte  des 
Flegetanis  geholfen.  Es  wäre  alles  vergebens  gewesen,  und 
noch  heute  würde  man  nichts  von  den  geheimnissen  des 
grales  wissen. 

Als  Kiot  die  schwere  arbeit  der  entzifferung  und  Inter- 
pretation vollendet  hatte,  begann  er  nach  Wolfram  den  an- 
gaben des  Flegetanis  über  die  irdischen  gralspfleger  in  la- 
teinisch geschriebenen  büchern  nachzugehen.  Er  studierte 
vor  allem  die  geschichtlichen  aufzeichnungen  einzelner  länder 
und  bereiste  zu  diesem  zweck  unter  anderen  Britanien,  Irland 
und  Frankreich.  In  Anjou  fand  er,  was  er  wollte:  die  ge- 
schichte  der  gralspfleger  von  j\Iazadan  bis  auf  Parzival.  Auf 
grund  der  zu  Toledo  und  Anjou  entdeckten  Schriften  verfasste 
Kiot  ein  buch  über  den  gral  und  die  geschichte  seiner  ge- 
meinde.') In  ihm  legte  er  die  ergebnisse  seiner  forschungen 
nieder  und  schuf  so  die  quelle,  aus  der  Wolfram  geschöpft 
haben  will. 

Der  Verfasser  des  von  Kiot  in  Toledo  gefundenen  Schrift- 
stückes war,  wie  wir  schon  hörten,  beide.  Wolfram  erzählt, 
er  habe  wie  sein  heidnischer  vater  ein  kalb  angebetet.  Die 
mutter  war  israhelitin  und  gehörte  zur  nachkommenschaft 
Salomos.  Ihr  söhn  Flegetanis  war  physiker.  Was  er  über 
den  gral  aufschrieb,  hat  er  in  den  Sternen  gelesen. 

Diese  merkwürdige,  von  Wolfram  erzählte  schriftenauffln- 
dung  ist  auf  die  verschiedensten  grade  von  glauben  und  Un- 
glauben gestossen.     Man  hat  weniger  der  aufzeichnung  des 


*)  Der  scliluss  von  Friedrich  Vogt  iu  seinem  lichtvollen  aufsatz  NJJ. 
III  (1899)  139  'Also  was  er  [Kiot]  dort  ans  dem  arabischen  buche  geschöpft 
hat,  stammt  hier  vielmehr  aus  einer  lateinischen  chronik  von  Anjou'  ist, 
wie  wol  er  mir  richtig  scheint,  keineswegs  zwingend.  Ein  widersprach 
braucht  zwischen  Parz.  416, 27  und  455, 12  f.  nicht  zu  bestehen.  Kiot 
schweisste  offenbar  zwei  quellen  zusammen,  und  so  kann  Wolfram  416,  27 
schlecht  weg  sagen:  'Kiot  sah  die  erzählung  von  Parzival  heidnisch  ge- 
schrieben.' Dass  in  der  aufzeichnung  des  Flegetanis  nichts  von  Parzival 
und  der  gralsgemeinde  stand,  geht  aus  Wolframs  worten  nicht  hervor.  Im 
gegenteil  nach  Parz.  454,27  ist  es  sogar  sehr  wahrscheinlich,  dass  sie  da- 
rüber angaben  enthielt. 


288  WILHELM 

Flegetauis  beachtung  geschenkt,  als  vielmehr  der  des  Kiot. 
Dass  Flegetanis  seine  geschichte  von  der  herkunft  des  grals 
aus  den  Sternen  habe,  wird,  sollte  er  je  gelebt  und  eine  solche 
angäbe  gemacht  haben,  kein  vernünftiger  mensch  glauben. 
Für  irgend  eine  instanz  muss  eine  fiction  angenommen  werden. 
Die  werke  des  Flegetanis  und  des  Kiot  sind  unbekannte  grossen, 
nur  Wolframs  arbeit  kennen  wir.  Einer  von  diesen  drei  Schrift- 
stellern, vorausgesetzt  dass  Flegetanis  und  Kiot  geschichtliche 
Personen  sind,  muss  demnach  fingiert  haben.  Auf  Flegetanis 
fällt  zuerst  der  verdacht.  Kiot  und  später  Wolfram  wären 
ihrer  leichtgläubigkeit  zum  opfer  gefallen.  Schiebt  man  die 
fiction  dem  Kiot  zu,  so  vergrössert  sich  des  Kiot  schuld  gegen- 
über der  des  Flegetanis.  Denn  nicht  bloss  die  notiz,  dass  die 
erste  nachricht  über  die  herkunft  des  grals  für  die  gegenwart 
aus  den  Sternen  stamme,  sondern  auch  die  figur  des  Flegetanis 
sammt  der  Toledaner  aufzeichuung  wären  erfunden.  Inwieweit 
dann  die  angäbe  des  Kiot,  dass  er  nach  einer  in  Anjou  ge- 
fundenen quelle  erzähle,  richtig  ist,  muss,  wenn  man  einmal 
eine  fiction  durch  Kiot  annimmt,  zum  mindesten  als  völlig 
uncontrollierbar  angesehen  werden.  Auf  jeden  fall  bleibt  Wolf- 
rams kritiklose  leichtgläubigkeit  wunderbar;  noch  wunder- 
barer wäre  es  aber,  wenn  zwei  menschen,  Kiot  und  Wolfram, 
die  angaben  des  Flegetanis  für  bare  münze  genommen  hätten. 
Glaubte  aber  z.  b.  Wolfram  selbst  nicht  an  die  fiction  des 
Flegetanis,  dann  bekommen  seine  beruf ungen  auf  Kiot  als 
gewährsmann  einen  recht  sonderbaren,  ironisierenden  anstrich 
und  so  stünde  schliesslich  nichts  der  annähme  im  wege,  dass 
die  figuren  des  Flegetanis  und  des  Kiot  sammt  allem,  was 
drum  und  dran  hängt,  eine  erfindung  Wolframs  sind.  Ja  es 
darf  die  frage  einfach  so  gestellt  werden:  glaubte  Wolfram 
wol  an  die  von  ihm  erzählte  schriftauffiudung  oder  nicht? 
Glaubte  er  nicht  an  sie  und  gab  sie  dennoch  seinen  lesern 
als  wahr  und  mit  der  absieht  sie  zu  täuschen  zum  besten, 
dann  ist  unserem  modernen  empfinden  nach  AVolframs  schuld 
gewiss  ebenso  gross,  als  wenn  er  die  ganze  fiction  sammt  dem 
Kiot  erfunden  hätte.  Gerade  moralische  gründe  sind  es  häufig 
gewesen,  die  gegen  die  annähme  einer  Kiotfiction  durch  Wolfram 
angeführt  worden  sind.  Einem  so  edlen  und  hochstehenden 
Charakter  wie  dem  Wolframs  dürfe  man  eine  lüge  nicht  zutrauen. 


UEBER   FABULTvSTTSCHE   QUELLENANGABEN.  289 

Es  fragt  sich  aber,  ob  hier  unser  modernes  empfinden  für  die 
ältere  zeit  das  richtige  trifft,  ob  wir  überhaupt  im  falle  einer 
fiction  durch  "Wolfram  berechtigt  sind,  von  einer  lüge  zu  reden. 
Ich  glaube  das  verneinen  zu  dürfen  und.  hoffe  ähnliche  quellen- 
angaben  und  zu  literarischen  motiven  erstarrte  erzählungen 
über  ähnliche  mysteriöse  Schriftauffindungen  aus  alter  zeit  bis 
auf  die  tage,  da  Wolfram  lebte,  nachweisen  zu  können. i) 
Zugleich  hoffe  ich  ein  argument,  welches  immer  wider  zu 
gunsten  der  existenz  eines  Kiot  augeführt  wird,  zu  beseitigen, 
und  den  Vorwurf  einer  lüge  durch  Wolfram,  auch  wenn  er 
den  Kiot  fingiert  hat,  aus  der  weit  zu  schaffen  oder  wenig- 
stens auf  ein  minimum  einzuschränken. 

Rudolf  Hercher  hat  in  seinem  schönen  aufsatz  'Ueber  die 
glaub  Würdigkeit  der  neuen  geschichte  des  Ptolemaeus  Chennus ' 
JJ.  suppl.  I  (1855  56)  s.  269f.  zum  ersten  mal  auf  ähnliche 
fictionen  bei  antiken  Schriftstellern  hingewiesen,  wie  wir  sie 
für  einen  der  drei,  Wolfram,  Kiot  oder  Flegetanis  annehmen 
müssen.  Einundzwanzig  jähre  später  zeigte  Erwin  Eohde, 
gelegentlich  einer  polemik  gegen  Hercher  (Der  griechische 
roman '  s.  272  =  2  292),  die  quelle  dazu.  Es  war  die  sitte  der 
Ägj'pter,  ihren  toten  bücher  mit  ins  grab  zu  legen.  Weitere 
ergänzungen  gab  1892  Eduard  Norden  in  seinen  In  Varronis 
saturas  Menippeas  observationes  selectae  JJ.  suppl.  xviii,  327  f. 
und  in  neuester  zeit  hob  R.  Reitzenstein  in  seinen  hellenistischen 
Wundererzählungen  (Leipzig  1906)  s.  17  f.  nachdrücklich  den 
Zusammenhang  derartiger  angaben  bei  den  antiken  autoren 
mit  der  ägj^ptischen  aretalogie  hervor. 

Für  den  germ  anist en  würde  es  zu  weit  führen,  wenn  bis 
in  jene  zeiten  zurückgegangen  würde.  Die  Germanen  haben 
in  der  völkerwanderungszeit  Ägypten  nie  betreten  und  daher 
auch  nie  directe  fühlung  mit  ägyptischer  literatur  gewonnen. 
Was  von  da  nach  dem  norden  gewandert  ist,  ist  entweder 
durch  das  medium  der  antiken  literatur  oder  durch  die  bibel 
hingelangt.    Es  sollen  daher,  bevor  an  das  eigentliche  thema 

1)  Absichtlich  gehe  ich  auf  die  erzählunff  des  vom  himmel  gefallenen 
briefes  nicht  ein,  desgleichen  nicht  auf  die  märchenliteratur,  deren  heran- 
ziehung  auf  dem  gebiet  der  älteren  literatur  mehr  Verwirrung  als  segen 
gestiftet  hat,  weil  man  sich  nicht  um  die  Chronologie  kümmern  zu  müssen 
glaubt. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  ^9 


290  WILHELM 

herangegangen  wird,  ein  paar  allgemeine  bemerkungen  platz 
finden. 

Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  hei  grahöffnungen 
schon  in  antiker  zeit  bücher  gefunden  wurden,  deren  auffindung 
erstaunen  erregte.  Als  dann  die  alexandrinischen  bibliotheken 
angelegt  wurden  und  ihre  beamten  in  allen  teilen  der  alten 
weit  für  sie  bücher  einkauften,  mag  mancher  durch  eine  fäl- 
schuug  reich  zu  werden  versucht  haben.  Gewiss  sind  damals 
in  gräbern  auch  wertvolle  funde  gemacht  worden.  Schon  zu 
dieser  zeit  war  mancher  griechische  autor  eine  Seltenheit,  und 
ein  einziges  exemplar  hatte  ihn  gerettet.  Solche  bücher 
wurden  natürlich  hoch  bezahlt.  Sie  reizten  aber  auch  aller- 
hand Schwindler,  unter  der  vorgäbe,  das  von  ihnen  feilgebotene 
Schriftstück  irgendwo  ausgegraben  zu  haben,  ihrem  fabrikat 
einen  höheren  wert  zu  geben.  So  war  es  offenbar  im  jähre 
181  V.  Chr.  bei  der  ausgrabung  der  unter  dem  Janiculus  ver- 
grabenen aufzeichnungen  des  Numa,  von  deren  auffindung  nach 
den  verschiedensten  gewährsmännern  Plinius  h.  n.  XIII,  §  84 
— 87,  Augustinus  De  c.  D.  VII,  34,  Livius  XL,  29  und  Plutarch, 
Numa  22  berichten.  Die  entdeckung  sollte  wol  zugleich,  ähn- 
lich wie  das  unter  Hiskia  (4.Eeg.22,8;  2.Paral.34,14)  gelegent- 
lich der  tempelreinigung  gefundene  gesetzesbuch,  die  politischen 
gelüste  einer  cultpartei  legitimieren  und  deren  geschäfte  be- 
sorgen helfen.  Nicht  anders  wird  es  sich  bei  den  übrigen 
ausgrabungen,  welche  Rohde  und  Norden  a.  a.  o.  erwähnen, 
verhalten  haben.  Sie  alle  werden  wirklich  stattgefunden  haben 
und  sie  dürfen  nicht  als  ältestes  beispiel  für  die  Verwendung 
einer  mysteriösen  schriftaufflndung  als  literarisches  motiv  gelten. 
Es  ist  möglich,  dass  sie  selbst  schon  unter  dem  einfluss  eines 
solchen  stehen,  aber  Hercher  bleibt  Rohde  gegenüber  voll- 
kommen im  recht,  wenn  er  als  ältestes  beispiel  für  eine  solche 
fiction  in  der  antiken  literatur  die  hinstellt,  die  nach  Photius 
Bibliotheca  (Hercher,  Scr.  erotici  graeci  I,  237,  7  f .  =  MSG. 
103,  474  B  f.)  in  den  jivzcoviov  Jioyevovg  rmv  vjisq  &ovXt]v 
djiioTcov  Xöyoi  xd'  als  quellenangabe  diente.  Für  uns  ist  es 
jedenfalls  der  älteste  beleg. 

Photius  berichtet  in  seinem  auszug  dieser  uns  nicht  mehr 
erhaltenen  2.6yoi  von  der  fiction  etwa  folgendes:  Nachdem 
Deinias  dem  Kjnnbas,   der  gekommen  war,  um  ihn  zur  rück- 


UEHER  FABULTSTISCHE   QUELLENANGABEN.  291 

kehr  in  die  gemeinde  der  Arkader  aufzufordern,  seine  lebens- 
geschichte  erzählt  hatte,  befahl  er  dem  begleiter  des  Kymbas, 
dem  Athener  Erasinides  seine  erzählung  auf  die  von  der  Der- 
kyllis  herbeigebrachten  zypressentafeln  aufzuzeichnen.  Dem 
Kymbas  gab  er  den  auftrag,  das  erzählte  zweimal  aufschreiben 
zu  lassen;  die  eine  der  beiden  auf  Zeichnungen  möge  er  für 
sich  behalten,  die  andere  aber  der  Derkyllis  geben,  damit 
diese  sie  ihm  in  ein  kistchen  verschlossen  mit  ins  grab  lege, 
wenn  die  zeit  seines  lebens  vorbei  sei.  Zugleich  verfasste 
Antonius,  um  seiner  erzählung  den  beweis  der  echtheit  zu 
geben,  einen  brief  an  Faustinus,  in  dem  er  bekennt,  dass  er 
der  Verfasser  des  romans  und  der  Widmung  an  seine  Schwester 
Isidora  sei.  Er  sagte  darin,  dass  er  der  dichter  einer  jtaXcad 
xco{W)öia  sei,  und  dass  er,  wenn  er  auch  unglaubliches  und 
lügenhaftes  fabriciere,  doch  für  das  meiste  des  von  ihm  er- 
zählten die  Zeugnisse  älterer  besitze,  aus  denen  er  mit  mühe 
das  vorliegende  gesammelt  habe.  Vor  jedes  einzelne  buch 
der  Xoyoi  stellte  er  die  namen  der  männer,  die  das  darin  er- 
zählte eröffnet  hatten,  damit  es  nicht  scheinen  möchte,  als 
entbehre  das  unglaubliche  des  Zeugnisses.  An  den  anfang 
des  ganzen  Werkes  stellte  Antonius  einen  brief  an  seine 
Schwester  Isidora,  indem  er  ihr  die  widmung  anzeigte.  Darauf 
Hess  er  ein  schreiben  des  Balagros  an  seine  frau,  eine  tochter 
des  Antipater,  folgen,  in  dem  Balagros  folgendes  mitteilt.  Zur 
zeit  als  Tyrus  von  dem  Mazedonierkönig  Alexander  ein- 
genommen wurde,  und  fast  alles  schon  vom  feuer  verzehrt 
war,  sei  ein  soldat  zu  Alexander  gekommen  und  habe  ihm 
gesagt,  er  müsse  ihm  etwas  merkwürdiges  entdecken,  es  sei 
aber  ausserhalb  der  stadt.  Der  könig  habe  den  Hephaistion 
und  den  Parmenion  mit  sich  genommen  und  sei  mit  ihnen 
dem  Soldaten  gefolgt.  Dieser  habe  sie  zu  unter  die  erde  ver- 
grabenen Steinsärgen  geführt.  Auf  dem  einen  stand  ge- 
schrieben: 'Lysilla  lebte  35  jähre.'  Auf  dem  andern :  'Mnason, 
der  söhn  des  Mantinias,  lebte  66  jähre  von  71.'  Auf  noch 
einem  andern:  'Aristion,  tochter  des  Philokles,  lebte  47  jähre 
von  52.'  Auf  einem  weiteren:  'Mantinias,  der  söhn  des  Mnason, 
lebte  42  jähre  und  760  nachte.'  Auf  noch  einem  weiteren: 
'Derkyllis,  des  Mnason  tochter,  lebte  39  jähre  und  760  nachte'; 
und  auf  dem  sechsten  stand:   'D einlas  der  Arkader  lebte  125 

19* 


202  WILHET.M 

jähre.'  Als  sie  dies  gelesen  hatten  nnd  noch  über  die  in- 
schriften  (die  erste  ausgenommen,  denn  sie  war  klarer)  nach- 
dachten, hätten  sie  in  der  mauer  ein  kleines,  aus  zypressenholz 
gefertigtes  kästchen  gefunden.  Darauf  stand:  'Fremdling,  wer 
du  auch  seist,  öffne,  damit  du  erfährst,  worüber  du  staunst.' 
Als  die  begleiter  des  Alexander  das  kästchen  öffneten,  hätten 
sie  die  zypressentäfelchen,  die  offenbar  Derkyllis  gemäss  dem 
auftrage  des  Deinias  beigesetzt  hatte,  gefunden.  Dies  sollte 
nach  Antonius  Balagros  seiner  frau  geschrieben  haben.  An- 
tonius fügte  hinzu,  dass  Balagros  die  zypressentafeln  habe 
abschreiben  lassen  und  seiner  frau  mitgeschickt.  Dann  brachte 
Antonius  noch  die  rede  auf  die  lesung  und  die  Schrift  der 
zypressentafeln  und  darauf  folgte  in  seinem  werk,  was  Deinias 
dem  Kymbas  erzählt.  So  hatte,  schliesst  Photius,  Antonius 
Diogenes  tj  tmv  ögafiärcov  jrXccoic  gestaltet. 

Der  auszug  des  Photius  ist  in  einigen  punkten  unklar. 
Besonders  wenig  deutlich  sind  die  worte:  Aeyet  6s  savxov, 
ort  jioitjTr'/g  eoti  bis  xVQ^veiv  ra  ajiiora  (Hercher,  Scr.  erotici 
I,  237,  20—25).  Es  ist  nicht  klar  ausgesprochen,  weshalb 
Antonius  vor  den  einzelnen  büchern  seines  werkes  noch  be- 
sondere gewälirsmänner  namhaft  machte,  da  ja  seine  erzählung 
auf  den  aufzeichnungen  Erasinides  beruhen  soll.  Das  Hesse 
sich  bloss  dann  rechtfertigen  —  und  so  hat  wol  auch  Rohde 
(1273  =  2  294)  geschlossen  —  wenn  Antonius  neben  den  auf- 
zeichnungen des  Erasinides  noch  berichte  anderer  Schriftsteller 
über  die  wunder  jenseits  Thule  benutzte.  Aus  den  worten 
des  Photius  geht  das  nicht  unmittelbar  hervor,  aber  es  ist 
nicht  unwahrscheinlich.  Dass  diese  ganze  quellenangabe  bei 
Antonius  Diogenes  eine  fiction  war  und  von  den  Zeitgenossen 
und  späteren  lesern  auch  als  solche  aufgefasst  wurde,  kann 
nach  den  worten  des  Photius  (Hercher  237, 16  'O  yovi>  Aioyn-r/q 
■  •  •  ravra  üiävra  Asiv'iav,  uoayaycov  üxQoq  Kvfißav  reoazevoä- 
fiavov  •  • ;  237,  28  aXX'  nvr  elodyti  BälayQov  ' ' '  yQmfovra 
und  ebenso  238, 11)  nicht  bezweifelt  werden.  Sie  war  nicht 
ohne  ein  gewisses  raffinement  gemacht.  Antonius  handelte 
von  der  auffindung  der  zypressentafeln,  ihrer  schrift  und  ent- 
zifferung.  Die  schon  damals  von  der  sage  umwobene  gestalt 
Alexanders  des  grossen  trug  nur  dazu  bei,  die  sache  für  viele 
glaubliafter,   vor   allem   aber   auch   interessanter   zu  machen. 


UEBER   FABÜLISTISCHE   QUELLENANGABEN.  293 

Auch  die  aufflndung-  der  tafeln  iu  einem  grab  berührt  uns, 
da  wir  jährlich  in  alexandrinischen  gräbern  Schriftenfunde 
machen,  weniger  merkwürdig-  als  vielleicht  früher  und  den 
Zeitgenossen  des  Antonius  konnte  sie  in  keiner  weise  gezwungen 
erscheinen. 

Die  löyoi  des  Antonius  sind  wahrscheinlich  vor  den  liebes- 
abenteuerromanen  des  Jamblichus,  des  Xenophon  von  Ephesus 
und  des  Heliodor  (Rohde  i273f.  =  2293;  K.  Müllenhoff,  DA. 
12,391)  geschrieben.  Keiner  von  ihnen  hat  sich  auf  ähnliche 
quellen  berufen,  wie  Antonius  Diogenes.  Aber  ein  offenbarer 
nachahmer  der  'Ecfsoiaxä,  der  Verfasser  des  griechischen  Apol- 
loniusromans  hat  eine  ähnliche  deckung  gesucht.  Am  schluss 
der  recension  ß  der  Historia  ApoUonii  regis  Tyri  (Riese  2 
IIG,  1  f.)  wird  erzählt,  dass  Apollonius  mit  seiner  gemahlin 
74  jähre  gelebt  und  über  Antiochia,  Tjtus  und  Kj'rene  ge- 
herscht  habe.  Seine  erlebnisse  habe  er  selbst  beschrieben 
und  von  diesem  werk  zwei  exemplare  angefertigt.  Das  eine 
sei  im  tempel  von  Ephesus  niedergelegt,  das  andere  in  seiner 
biblothek  aufgestellt  worden.  Schon  Rohde  hat  ('424  =  2453) 
auf  die  ähnlichkeit  mit  der  fiction  des  Antonius  hingewiesen. 
Ob  die  quellenangabe  im  verlorenen  griechischen  original  aus- 
führlicher war,  als  im  lateinischen  text,  ward  sich  kaum  mehr 
feststellen  lassen.  Doch  liesse  sich  sehr  w^ol  denken,  dass  sie 
dort  ebenso  kurz  war.  Die  discrete  art,  mit  welcher  in  der 
recension  ß  auf  die  endquelle  hingewiesen  wird,  ohne  dass  der 
Verfasser  die  benutzuug  zugibt,  berührt  entschieden  angenehm 
gegenüber  dem  aretalogischen  schwulst  in  der  quellenangabe 
des  Antonius  Diogenes  und  anderer.  Einem  fein  gebildeten 
Griechen  darf  man  eine  solche  mässigung  selbst  bei  einer 
tp£vö?jg  löTOQia  wol  zutrauen. 

Sowol  Antonius  v>ie  der  Verfasser  des  Apolloniusromans 
verstecken  sich  im  grund  genommen  hinter  ihre  beiden  als 
gewährsmänner.  Sie  werden  dabei  ein  probates  mittel  der 
ygafifiazDcol  angewant  haben.  Diese  kamen  gar  oft,  wenn  sie 
in  den  antiken  salons  nach  einer  Homeruotiz  und  ihrer  her- 
kunft  gefragt  wurden,  in  die  läge,  sich  durch  eine  schlag- 
fertige, häufig  aber  auch  unwahre  antwort  aus  einer  Verlegen- 
heit retten  zu  müssen.  Wie  sollten  sie  ihr  auch  anders  als 
dadurch  entgehen,   wenn   ein   mächtiger  cäsar   wie  Tiberius 


294  WILHEI-M 

einen  von  ihnen,  den  Vertretern  der  alten  repnblikanischen 
freiheit,  ironisierend  nach  dem  text  der  Sirenengesänge  fragte? 
:Man  beantwortete  solche  fragen  mit  dem  zengnis  irgend  eines 
ohscnren  gewährsmannes.  j\Ianche  schenkten  der  antwort 
glauben,  andere  wussten  sie  richtig  einzuschätzen,  nahmen 
sie  aber  ruhig  hin  und  hatten  gar  noch  ihre  freude  an  dem 
aufschneider.  Auf  jeden  fall  war  den  auAvesenden  der  mund 
gestopft.  Dem  Homer  wante  sich  das  besondere  Interesse  der 
gesellschaft  und  der  yQaftfiarixoi  zu.  Jene  wollte  auskunft 
über  die  homerischen  nachrichten  und  diese  mussten,  um  zu 
imponieren,  mehr  wissen  als  der  vater  der  dichtkunst  selbst. 
Aus  solchen  antworten  mögen  sich  auch  die  namen  des  Iliers 
EoQirrog  und  des  Ouc/qoq  erhalten  haben.  Von  Ouc/qoq  näm- 
lich berichtet  Cl.  Aelian  v.  h.  14,  21,  dass  er  nach  Orpheus 
und  Musaios  gelebt  und  als  erster  den  trojanischen  krieg  be- 
sungen habe,  von  Köqiwoq  Eudokia  Makrembolitissa  in  ihren 
'icoviä  und  Suidas  s.  v.,  dass  er  älter  als  Homer  sei  und  zu- 
erst die  Ilias,  noch  während  des  trojanischen  krieges  geschrieben 
habe.  Beide  notizen  fügen  hinzu,  dass  Korinnos  schüler  des 
Palaraedes  (s.  Eudokia  dcccvi  und  Suidas  s.  v.)  gewesen  sei 
und  in  den  von  Palamedes  erfundenen  dorischen  buchstaben 
geschrieben  habe.  Er  habe  auch  ein  werk  über  den  krieg 
des  Dardanos  mit  den  Paphlagonen  verfasst.  Aus  seiner  Ilias 
sei  der  Inhalt  des  homerischen  gedichts  entnommen.  Nach 
Suidas  hatte  Palamedes  ebenfalls  gedichte  verfasst.  Homer 
soll  sie  aus  eif ersucht  und  ehrgeiz  vernichtet  haben,  'denn 
auch  bedeutende  männer  werden  vom  neide  geplagt'. 

Von  solchen  angaben  der  yQaf/ficcrixol  aus  war  es  nur 
noch  ein  kleiner  schritt,  memoiren  von  ehemaligen  Troja- 
kriegern  erscheinen  zu  lassen.  Das  älteste  werk  der  art,  von 
dem  wir  nachricht  haben,  war  wahrscheinlich  die  geschichte 
des  Trojanerkrieges  von  dem  Koer  I!lov(foc,  der  mit  Teukros 
vor  Ilion  war.  An  der  ehemaligen  existenz  eines  solchen 
buches,  dessen  Verfasser  sich  hinter  die  namen  des  Sisyphos 
und  Teukros  versteckte,  ist  seit  den  untersuchuugen  von  Her- 
mann Haupt  (Philologus  40  [1881],  107  f.)  und  Wilhelm  Greif 
(Neue  Untersuchungen  zur  Dictys-  und  Daresfrage  1)0  nicht 

*)  Dictys  Cretensis  bei  den  Byzantinern.  "Wissenschaft!  beilage  z.  jb.  des 
Andreas-realgymnasiums  Berlin  1900.  S.  J.  Türst.  Pliilologus  60  (1901),  229  f. 


UEBER   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  295 

mehr  zu  zweifeln.  Wir  kennen  es  leider  nur  aus  den  excerpten 
in  der  clironograpliie  des  Joannes  Malalas;  aucli  für  das  werk 
des  angeblichen  Diktys  scheint  es  benutzt  zu  sein.  Dem  Malalas 
lagen  für  die  erzählung  des  Trojanerkriegs  Sis3^phos  und  Diktys 
vor.  132, 19  f.  zieht  er  halb  und  halb  einen  vergleich  zwischen 
seinen  beiden  gewährsmännern.  Er  beteuert,  dass  das,  was  er 
erzählt  habe,  aus  dem  Y>-erke  des  Sisyphos  von  Kos  stamme. 
Dieses  solle  Homer  aufgefunden  und  für  seine  Ilias  aus- 
geschrieben haben.  Der  rest,  der  nicht  für  die  Ilias  verwant 
wurde,  sei  dann  von  Virgil  bearbeitet  worden.  Darauf  be- 
merkt er  weiter,  dass  gleiches  auch  in  der  schrift  des  Diktys 
erzählt  werde,  aber  diese  sei  viele  jähre  nach  Homer  und 
Virgil  zur  zeit  des  Claudius  Nero  in  einem  kästchen  gefunden 
worden.  Malalas  gibt  demnach  dem  Koer  den  Vorzug  wegen 
seines  alters.  Es  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  dem  werk 
des  Sisyphos  eine  ähnliche  einleitung,  in  der  seine  kriegs- 
kamei'adschaft  mit  Teukros  und  die  auffindung  seines  werkes 
erzählt  waren,  wie  im  prolog  des  Diktys,  vorgestellt  war.  Ja 
es  ist  gar  nicht  ungerechtfertigt,  wenn  Greif  s.  14  meint,  der 
prolog  der  Ephemeris  sei  erst  unter  einfluss  des  Sisyphos- 
buches  entstanden.  Aber  kaum  lässt  sich  aus  dem  zeugnis 
Joannes  Tzetzes,  der  Chil.  v.  829,  den  Sisyphos  den  yQafif/axtvg 
Tov  'TtvxQov  nennt,  schliessen,  dass  des  Koers  werk  die  me- 
moiren  des  Teukros  gewesen  seien  (s.  H.  Haupt,  Philologus  40 
[1881],  118  f.).  Denn  Chil.  v.  833  beruft  sich  Tzetzes  direct  auf 
die  Chronographie  des  Malalas  und  es  ist  daher  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  dieser  byzantinische  Spätling  den  Sisyphos  gar 
nicht  gekannt  und  das  über  Malalas  hinausgehende  yga^^arsvq 
durch  speculation  oder  ähnlich  speculierende,  auf  Malalas  fus- 
seude  quellen  erhalten  hat.  Vielleicht  wirkte  auf  diese  specu- 
lation bei  Tzetzes  auch  der  prolog  des  Diktys,  den  er  nach 
Chil.  V.  834  f.  wenigstens  dem  namen,  wahrscheinlich  aber  auch 
dem  werke  nach  kannte.  Dass  Homer  aber  den  Diktj^s  aus- 
geschrieben habe,  co^  i(f7iv  (wo?),  kann  er  aus  dem  lateinischen 
werk  nicht  haben,  ebensowenig  aus  dem  von  Septimius  steif  und 
fest  behaupteten  griechischen  original.  Denn  schwerlich  würde 
Diktys  so  dem  Homer  den  Vorwurf  des  abschreibens  gemacht 
haben,  da  er  dadurch  nur  selbst  sich  als  den  jüngeren  erwiesen 
hätte.    Vielleicht  liegt  irgend  eine  späte,  nachdiktysche  gram- 


206  WILHELM 

matikeruotiz  den  Worten  des  Tzetzes  zu  gründe,  möglicher- 
■weise  aber  auch  eine  confusion  des  Tzetzes  selbst.  Der  anlass 
kaun  die  ]\Ialalasstelle  gewesen  sein. 

Das  buch  des  Sis^-plios  war  vielleicht  für  die  folgezeit 
vorbildlich.  Denn  ähnliche  zwecke  wie  Sisj^phos  verfolgte 
sein  wahrscheinlicher  nachahmer  Diktys  Cretensis  in  seinen 
Ephermeridos  belli  Trolani  lihri  sex.  Der  streit,  ob  ein  grie- 
chisches original  davon  existiert  hat  oder  nicht,  ist  für  unseren 
zweck  ganz  gleichgiltig:  die  quellenangabe  des  uns  vorliegen- 
den Diktys  bleibt  trotzdem  eine  flction.  Nach  dem  prolog  der 
lateinischen  Übersetzung  stammte  Diktys  aus  Knossos  auf 
Kreta.  Er  lebte  zur  zeit  des  Atriden  und  verstand  spräche 
und  Schrift  der  Phoeniker,  deren  kenntnisse  von  Cadmus  in 
Achaia  verbreitet  worden  Avaren.  Idomeneus  (II.  A  145  f.  Od. 
r  191),  der  söhn  des  Deukalion,  und  Merion  von  ]\Iolos  (II. 
Ä'270.  iV249),  die  beide  mit  ihren  beeren  gegen  Ilion  ge- 
zogen waren",  hatten  ihn  zum  gefolgsmann.  Sie  beauftragten 
ihn,  die  annalen  des  krieges  um  Troia  zu  verfassen.  Deshalb 
schrieb  Diktys  neun  Volumina  über  den  ganzen  krieg  in  phö- 
nikischen  buchstaben  auf  lindeuholztafeln  oder,  was  tiliae  auch 
bedeuten  kann  (s.  die  Wbb.  s.  v.),  auf  lindenbast.  Nachdem  er 
alt  geworden  war,  so  erzählt  der  prolog  weiter,  sei  er  nach 
Kreta  zurückgekehrt  und  habe  sterbend  angeordnet,  dass  sein 
werk  mit  ihm  begraben  werde.  Man  erfüllte  seinen  letzten 
wünsch  und  gab  die  üliae  in  einer  kleinen  zinnernen  kiste 
verwahrt  mit  in  sein  grab.  Als  aber  in  den  folgenden  zeiten, 
im  13.  jähr  der  regierung  des  Nero  Knossos  von  erdbeben 
heimgesucht  wurde,  barst  unter  anderen  auch  das  grab  des 
Diktys,  sodass  die  vorbeigehenden  das  zinnkistchen  sehen 
konnten.  Hirten,  die  vorüber  giengen,  erblickten  es,  hofften 
einen  schätz  gefunden  zu  haben  und  trugen  es  weg.  Als  sie 
geöffnet  hatten,  fanden  sie  die  tiliae,  die  mit  ihnen  unbekannten 
buchstaben  beschrieben  waren.  Sie  trugen  sie  daher  sofort  zu 
ihrem  herren  Eupraxides.  Dieser  brachte  sie,  da  er  erkannt 
hatte,  dass  es  Schriftstücke  waren,  zu  Rutilius  Rufus,  dem 
Statthalter  (consularis,  vgl.  Teuffel-Schwabe^  §  423, 1)  der  insel 
mit  der  frage,  was  das  sei.  Rutilius  begab  sich  mit  Eupra- 
xides zu  Nero  und  übergab  ihm  die  tiliae,  da  er  vermutete, 
dass  sie  irgend  etwas  geheimes  enthielten.    Als  Nero  sie  in 


! 


UEBEIi   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  297 

empfang  genommen  und  als  punische  Schriftstücke  erkannt 
hatte,  berief  er  die  kenner  der  pnnisclien  spräche  zu  sich  und 
diese  interpretierten  alles.  Nachdem  Nero  weiter  erkannt 
hatte,  dass  man  es  mit  dem  literaturdenkmal  (d.h.  hier  3,5 
wol  monnmenta)  eines  aniiQuiis  vir,  der  mit  bei  Ilion  gelegen 
hatte,  zu  tun  habe,  befahl  er  es  ins  griechische  zu  über- 
setzen. Dadurch  wurde  die  richtigere  version  des  Trojaner- 
krieges bekannt.  Den  Eupraxides  schickte  Nero  reich  belohnt 
und  mit  dem  römischen  bürgerreclit  beschenkt  in  seine  heimat 
zurück.  Die  annalen  aber,  mit  dem  namen  des  Diktys  ver- 
sehen, nahm  er  in  seine  griechische  bibliothek  auf. 

Der  Übersetzer  des  angeblichen  griechischen  Originals, 
Lucius  Septimius,  leitete  seine  Übersetzung  mit  einem  wid- 
mungsbrief  an  den  Arkadius  Rufus  ein.  Darin  widerholt  er 
teilweise  die  angaben  des  prologs,  und  dies  mag  der  grund 
sein,  weshalb  der  offenbar  sehr  schlecht  überlieferte  brief  in 
den  meisten  hss.  fehlt.  Brief  und  prolog  widersprechen  sich 
aber  auch  mehrmals.  Nach  dem.  brief  war  das  grab  des  Diktys 
wegen  seines  alters  baufällig  geworden  und  dadurch  aufgedeckt. 
Von  einem  erdbeben,  das  nach  dem  prolog  der  grund  der  Öff- 
nung war,  wird  nichts  gesagt.  Doch  diese  beiden  angaben 
Hessen  sich  allenfalls  noch  vereinbaren,  kaum  aber  folgende. 
Nach  Septimius  war  Eupraxides  {Fraxim  1, 11  kann  verderbt 
sein)  dominus  loci^),  und  das  gefundene  Schriftstück  ein  mit 
punischen  lettern  chiffriertes  griechisch.  Eupraxides  legte  es 
dem  Nero  erst  vor,  nachdem  das  chiffrierte  Schriftstück  auf 
seine  veranlassung  hin  übersetzt  war.  Nach  dem  prolog  3, 5 
hatte  Diktys  sein  werk  wirklich  in  punischer  spräche  ge- 
schrieben und  erst  Nero  befahl  die  Übersetzung  ins  griechische. 
Am  schluss  seiner  Widmung  gibt  Septimius  noch  an,  dass  seine 
Übersetzung  eigentlich  eine  epitome  aus  dem  griechischen  werk 
sei.  Die  fünf  ersten  bücher  habe  er  als  solche  belassen,  da- 
gegen die  vier  letzten  in  eines  zusammengezogen. 

Dass  prolog  und  widmungsbrief  für  einander  und  mit  dem 
zweck,  dem  leser  ein  griechisches  original  glaubhaft  zu  machen, 


^)  Auch  diese  augabe  brauclit  noch  keinen  widersprach  zu  enthalten. 
Es  wäre  denkbar,  dass  Eupraxides  stadtpräfect  von  Knossos  Avar  und  der 
im  briefe  nicht  erwähnte  Rutilius  Rufus  eben  consulans  von  Kreta. 


298  WILHELM 

geschrieben  worden  sind,  hat  Greif  in  seinen  letzten  unter- 
suclmngen  überzeugend  dargetan.  Die  widerholten  liinAveise 
des  Diktj^s,  dass  er  als  augenzeuge  erzähle  im  werke  selbst 
(Meister  10, 13  f.  101,301  109,11),  zeigen  uns,  dass  Diktys 
und  der  Verfasser  des  prologs  ein  und  derselbe  mann  sind. 
Kleine  widerspräche  zwischen  diesen  hinweisen  und  dem  prolog 
finden  sich  genau  so,  wie  zwischen  dem  prolog  und  dem  briefe 
des  Septimius.  Der  Verfasser  des  prologs  sucht  sich  als  ein 
anderer  zu  gerieren  als  der  Verfasser  der  libri,  und  der  Ver- 
fasser des  Widmungsbriefes  als  ein  anderer  als  der  des  prologs. 
Das  ist  eine  praxis  und  die  gleiche  fabrik,  und  wir  dürfen  den 
Verfasser  des  Widmungsbriefes  ruhig  auch  für  den  Urheber  des 
ganzen  Diktys  ansehen.  Man  hätte  nie  an  das  von  ihm  vor- 
gegebene griechische  original  glauben  sollen.  Die  paar  graeci- 
sierenden  brocken  mögen  von  ihm  eingeschwärtzt  worden  sein, 
um  dieses  bei  oberflächlichen  und  kritiklosen  grammatikern 
glaubhafter  zu  machen.  Für  uns,  die  wir  wissen,  wie  sehr  in 
den  nachchristlichen  Jahrhunderten  die  griechische  mode  die 
römische  literatur  und  spräche  beeinflusst  hat,  beweisen  sie  es 
noch  lange  nicht.  Noch  weniger  hätte  man  an  eine  punische 
aufzeichnung  glauben  sollen,  wie  dies  Otto  Rossbach  in  PWRE. 
5, 589  zu  tun  scheint.  Denn  der  Schwindel  des  Puniers  Cae- 
sellius  Bassus  mit  dem  angeblichen  schätz  der  Dido  (vgl.  Tac. 
ann.  16, 1 1  Suet.  Nero  31 1  und  PWRE.  3, 1304)  war  doch  etwas 
anderes.  Dabei  handelte  es  sich  um  geld.  Er  hat  mit  den 
angaben  des  lateinischen  Diktys  vielleicht  nur  das  wort  'pu- 
nisch'  gemein.  Möglicherweise  steht  er  aber  insofern  zu  ihnen 
in  beziehung,  als  die  Diktyschen  angaben  an  jene  böse  blamage 
der  römischen  regierung  anknüpfen.  Vergleicht  man  nämlich 
den  ausführlichen  bericht  des  Tacitus  über  diesen  Schwindel 
mit  dem  widmungsbrief  und  dem  prolog  bei  Diktys,  dann 
nehmen  sich  die  beiden  letzten  wie  eine  parodie  auf  jenes 
wenig  schöne  ereignis  aus.  Dann  scheint  es,  als  sei  nicht 
ohne  grund  gerade  die  regierung  des  graeculus  Nero  als  zeit 
der  auffindung  des  Diktyschen  werkes  gewählt  und  das  punische 
original,  das  sich  auf  Kreta  höchst  merkwürdig  ausnimmt,  er- 
hält so  seine  erklärung. 

Wie  dem  auch  sei:    Diktys  fand  seinen  naclif olger.    Er 
hatte  ja  sein  werk,  wie  Sisyphos  von  Kos  in  griechenfreund- 


UEBER   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  299 

lichem  sinne  geschrieben.  Es  konnte  nur  verlockend  erscheinen, 
auch  einen  mann,  der  auf  trojanischer  seile  stand,  zu  "worte 
kommen  zu  lassen.  In  rhetorenkreisen,  die  dem  Homer  am 
zeuge  flicken  wollten,  um  ihre  Weisheit  glänzen  zu  lassen, 
hatte  man  das  längst  eingesehen.  So  beriefen  sich  schon 
Ptolomaeos  Chennos  und  sein  ausschreiber  Eustathios  (s.  Her- 
cher,  JJ.  supl.  I,  269  f.;  Meister  in  seiner  Daresausgabe  s.  xiii 
und  PWRE.  4,  2213)  in  einem  eigens  dazu  fabricierten  citat 
aus  der  schritt  eines  Antipatros,  auf  den  IL  £"  9  und  Virgil, 
Aen.  5, 369  f.  erwähnten  trojanischen  priester  Dares,  der  vor 
Homer  die  Ilias  geschrieben  und  dem  Hektor  den  rat  gegeben 
haben  soll,  Patroklos,  den  freund  des  Achill,  nicht  zu  töten. 
Nach  Cl.  Aelian  v.  h.  11,  2  war  diese  Ilias  des  Phrygiers  auch 
phrygisch  geschrieben,  und  soviel  er  sich  erinnern  kann,  seiner 
zeit  noch  erhalten. 

An  solche  oder  doch  ähnliche  angaben  knüpft  die  schrift 
Be  cxcidio  Troiae  historia  an.  Ein  literarisch  und  grammatisch 
nicht  gerade  tief  gebildeter  Römer  hatte  sie  unter  dem  namen 
des  Phrygiers  Dares  in  die  weit  gesetzt.  Von  der  eleganz 
des  Stiles,  auf  welche  sich  die  rhetoren  so  viel  zu  gute  taten, 
ist  in  dem  werke  nichts  zu  entdecken.  Alles  ist  hölzern  und 
unbeholfen.  Wie  wenig  gebildet  der  Verfasser  war,  geht  daraus 
hervor,  dass  er  sein  w^erk  als  eine  Übersetzung  des  Cornelius 
Nepos  ausgibt  und  sogar  einen  brief  des  Xepos  an  Sallustius 
Crispus  voranstellt,  in  dem  Cornelius  berichtet,  wie  er  ge- 
legentlich eines  aufenthaltes  in  Athen  die  schrift  des  Dares 
gefunden  und  sich  sofort  mit  grossem  eifer  an  ihre  Übersetzung 
gemacht  habe.  Er  glaubte  nichts  hinzufügen  oder  hinweg- 
lassen zu  dürfen,  sondern  alles  gleich  wahr  und  einfach')  im 
lateinischen  wddergeben  zu  sollen,  damit  der  leser  erkennen 
könne,  wie  die  dinge  sich  zugetragen  haben,  und  damit  er 
urteile,  ob  dem  Dares,  der  zur  gleichen  zeit  lebte  und  kriegte, 
da  die  Griechen  Troja  belagerten,  oder  dem  viel  jüngeren 
Homer  mehr  zu  glauben  sei.  In  Athen,  schliesst  der  brief, 
habe  man  allgemein  den  Homer  für  verrückt  gehalten,  weil 
er  behauptet  habe,  dass  die  götter  mit  den  menschen  gekriegt 
hätten.     Mag   man   auch   in   der   holprigkeit   des   Stiles    die 


1)  Doch  vgl.  ii,  9  f. 


300  WILHELM 

absieht  des  Übersetzers,  den  Wortlaut  des  alten  voracademischen 
Dares  widerzugeben,  erkennen  wollen,  so  fällt  dieses  argument, 
das  zu  gunsten  eines  vorlateinischen  Dares  sprechen  könnte, 
für  den  brief  an  Sallust  fort.  Auch  in  dem  brief  zeigt  sich 
aber  nichts  von  cornelischem  stil,  und  so  liegt  die  flction  offen 
zu  tage.  Der  Verfasser  dieses  lateinischen  Dares  ist  auch 
sonst  nicht  besonders  sorgfältig  zu  werke  gegangen.  Gerne 
würde  man  erfahren,  wie  er  das  buch  gefunden  hat  und  in 
welcher  spräche  es  geschrieben  war.  Darüber  schweigt  sich 
aber  der  widmungsbrief  aus.  Trotzdem  kenneu  wir  seine 
quellen.  Denn  ausser  dem  werk  des  Diktys,  das  er  kannte 
und  gegen  das  er  zwar  nicht  offen,  so  doch  absichtlich  schrieb, 
benutzte  er,  wie  die  Übereinstimmungen  mit  Malalas  gegenüber 
Diktys  beweisen,  das  werk  des  Koers  Sisyphos.  Das  hat  Her- 
mann Haupt,  Philologus  40  [1881]  107  f.  klärlich  dargetan. 

Bei  Teuffei -Schwabe^  §  471,  anm.  2  ist  wegen  des  hiebes 
gegen  Homer  am  schluss  des  Xeposschreibens  hinter  dem  Ver- 
fasser des  Dares  ein  Christ  vermutet  worden.  Der  grund  ist, 
wie  Otto  Rossbach  PWRE.  4, 2213  bemerkt,  nicht  zwingend, 
obwol  ihm  historisch  nichts  entgegensteht.  Denn  der  uns 
vorliegende  Dares  ist  jünger  als  der  im  anfangs  des  4.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.  verfasste  Diktj^s,  aber  vor  dem  ersten  buch 
der  etymologien  des  Isidor  von  Sevilla,  in  dem  er  cap.  42 
(MvSL.  82, 123  A)  erwähnt  wird,  geschrieben.  Damals  waren 
auch  bei  den  Christen  solche  aretalogische  quellenangaben 
längst  gebräuchlich.  Wie  sich  die  aretalogen  bei  ihren  beweis- 
führungen  am  liebsten  auf  augenzeugen  beriefen,  um  jeden 
zweifei  an  ihren  behauptungen  auszuschliessen,  so  taten  das 
nicht  minder  die  christlichen  legendenschi'eiber.  Immer  mehr, 
besonders  durch  die  Untersuchungen  von  Hans  von  Dobschütz 
und  R.  Reitzenstein,  hat  sich  gezeigt,  wie  sehr  die  altchrist- 
liche schriftstellerei  von  der  hellenistischen  kleinliteratur  ab- 
hängt und  wie  gerade  Ägypten  und  Syrien,  die  mutterländer 
der  aretalogie,  bestimmend  auf  sie  wirkten.  Sie  floss  teilweise 
aus  der  gleichen  quelle,  aus  der  die  aretalogische  schrift- 
stellerei der  antike  floss,  fand  diese  aber  schon  vor  und  konnte 
daher  au  sie  anknüpfen.  In  diese  kategorie  christlicher 
Schriften  gehörten  allem  anschein  nach  jene  von  den  kirchen- 
vätern  so  heftig  bekämpften,  uns  leider  nicht  mehr  erhalteneu 


I 


UEBER   FABUr.TSTISCnE   QUELLENANGABEN.  301 

werke,  deren  A^erfasser  sich  als  scliüler  der  zwölf  jünger  Christi 
und  als  zeugen  ihrer  taten  ausgaben.  Leukius  Charinus  hat 
dieser  literatur  den  namen  gegeben.  Ob  darin  auch  ähnliclie 
bucliaufflndungen  erzählt  wurden,  wie  bei  Antonius  Diogenes, 
Diktys  und  Dares  lässt  sich  natürlich  nicht  mehr  feststellen. 
Jedenfalls  bediente  man  sich  —  darüber  lassen  die  aussagen 
der  kirchenväter  keinen  zweifei  —  des  von  den  aretalogi- 
sierenden  rhetoren  so  viel  angewanten,  von  Lucian  so  oft 
verspotteten  mittels,  unglaubliches  durch  angebliche  augen- 
zeugen  berichten  zu  lassen.  Ein  später  ausläufer  von  jener 
leukianischen  literatur,  vollkommen  katholisiert,  ist  uns  aber 
doch  erhalten:  er  sollte  bedeutsam  für  die  literaturen  West- 
europas werden.  Es  ist  die  sogenannte  Abdiassammlnng.  Am 
ende  dieser  Sammlung,  anschliessend  an  die  Passio  Simonis  et 
Judae,  findet  sich  in  den  meisten  hss.  ein  epilog,  in  dem  er- 
zählt wird,  dass  Abdias,  der  von  den  aposteln  zum  bischof 
von  Babylon  ernannt  worden  sei,  die  taten  der  jünger  Christi 
in  hebräischer  spräche  beschrieben  habe.  Diese  hebräische 
Schrift  des  Abdias  sei  dann  von  seinem  schüler  Eutropius  ins 
griechische  und  weiter  von  Afrikanus  ins  lateinische  übersetzt 
und  in  10  bücher  eingeteilt  worden.  Der  Verfasser  des  epilogs 
behauptet,  diese  10  bücher  nur  excerpiert  zu  haben  (vgl.  Fa- 
bricius  II 2,  388  f.;  LpA.  1, 117  f.  und  WDLL.  28  f.).  Am  ende 
der  Passio  Simonis  et  Judae  wird  ebenfalls  von  der  Ordination 
des  apostelschülers  Abdias  zum  bischof  von  Babylon  durch  die 
apostel  Simon  und  Judas  berichtet  und  dann  epilogartig  hin- 
zugefügt, dass  beide  apostel  nach  Persien  gezogen  seien  und 
dort  missioniert  hätten.  Auf  diese  missionstätigkeit  des  Simon 
und  Judas  geht  der  Verfasser  der  Passio  aber  nicht  ein,  sondern 
verweist  auf  die  schrift  eines  Schülers  der  beiden  apostel, 
namens  Grathon,  der  in  10  büchern  alles  erzählt  habe,  was 
von  Simon  und  Judas  während  ihrer  dreizehnjährigen  missions- 
arbeit  in  Persien  geleistet  worden  sei.  Der  geschichtsschreiber 
Afrikanus  habe  das  Grathonische  werk,  von  dem  nicht  verraten 
wird,  in  welcher  spräche  es  geschrieben  war,  ins  lateinische 
übersetzt.  Aber  dem  leser,  meint  der  Verfasser  der  Passio, 
wird  das  gebotene  genügen. 

Es  kann  keinem  zweifei  unterliegen,  dass  die  Schlussworte 
der  Passio  Simonis  et  Judae  mit  dem  epilog  der  ganzen  Abdias- 


302  WILHELM 

Sammlung  in  Zusammenhang  stehen,  aber  wie,  das  lässt  sich 
vorläuflg  kaum  entscheiden.  Die  meiste  Wahrscheinlichkeit  hat 
die  Vermutung  von  LpA.  I,  117  f.  für  sich,  das  irgend  eine 
hs.-liche  Verderbnis,  etwa  der  ausfall  des  namens  Grathon,  zur 
einsetzung  vom  namen  des  kurz  vorher  erwähnten  Abdias  ge- 
führt habe,  und  dass  der  ursprünglich  nur  auf  die  am  schluss 
der  Abdiassammlung  stehende  Passio  Simonis  et  Judae  bezüg- 
liche epilog  irrtümlich  als  schlusswort  zur  ganzen  Sammlung 
aufgefasst  wurde.  Davon  und  von  den  sich  daran  anschlies- 
senden bedenken  (s.  WDLL,  30  f.)  wird  aber  die  hier  zu  be- 
handelnde frage  nicht  berührt.  In  beiden  schlussnotizen  haben 
wir  es  mit  den  üblichen  quellenangaben  der  aretalogen  und 
rhetoren  zu  tun.  Nach  den  obscuren  namen  der  apostelschüler 
Abdias  und  Grathon  werden  bekannte  literaturgrössen,  wie 
Eutropius,  der  Verfasser  des  Breviarium  Romanae  historiae 
und  Afrikanus,  der  christliche  historiker,  angeführt,  um  dem 
leser  vertrauen  einzuflössen.  Die  eigentliche  Abdiasnotiz  weist 
auch  die  übliche  erzählung  von  der  stufenweisen  Übersetzung 
der  grundschrift  auf.  Die  geschichte  der  Übersetzungen  des 
alten  testamentes  war  vielleicht  das  vorbild  für  diese  angaben, 
denn  auch  das  alte  testament  ist  aus  dem  hebräischen  ins 
griechische  und  dann  erst  ins  lateinische  übersetzt  worden. 
Aber  die  namen  der  Übersetzer  des  angeblichen  Abdiaswerkes 
sind  so  unglücklich  gewählt,  dass  jeder  einsichtige  weiss,  was 
er  davon  zu  halten  hat.  Nur  Christen,  die  mit  der  eigent- 
lichen antiken  literatur  in  keiner  fühlung  standen,  konnten 
auf  diese  angaben  hereinfallen.') 


^)  Mit  den  quellenangaben  der  leukianischen  literatur  hängt  wahr- 
scheinlich auch  die  angäbe  des  presbyters  Prokopios,  im  pseudo-dorotheischen 
index  apostolormn  discipulorumque  (s.  Theodor  Schermann,  Prophetarum 
vitae  fabulosae,  indices  apostolorum  discipulorumque  domini  Dorotheo,  Epi- 
phanio,  Hippolyto  aliisque  vindicata.  Leipzig  1907,  s.  159, 19  f.)  literarisch 
zusammen.  Prokop  beruft  sich  auf  die  collectaneen  des  ayuurärov  xal 
fcaxrjiojtrxTov  tnioxönov  xcd  fiÜQTVQOQ  JojQoS^inv,  die  er  zufällig  gefunden 
und  nach  143, 5  f.  und  151, 11  f.  aus  dem  lateinischen  ins  griechische  über- 
setzt haben  will.  Andere  stellen  stehen  damit  in  widersprach.  Nach  132,  6 
hinterliess  Dorotheos  sowol  griechische  wie  lateinische  Schriften,  denn  er 
Avar  beider  sprachen  mächtig,  und  nach  157,  5  waren  seine  aus  griechischen 
und  hebräischen  quellen  gefertigten  excerpte  lateinisch  abgefasst.  Prokop 
sucht  die  sache  offenbar  absichtlich  etwas  dunkel  zu  machen.  132,  6  f.  lässt 


ÜEBER   FABULTSTTSCHE   QUELLENANGABEN.  303 

Aelinlicher  mittel  wie  die  leukianisclie  literatur  bediente 
sich  die  seit  dem  ende  des  vierten  jalirliunderts  immer  mehr 
in  den  Vordergrund  tretende  mönchslegende.  Auch  sie  hat 
wie  das  mönchtum  iliren  Ursprung-  in  Ägypten  und  Kleinasien. 
Die  Verfasser  solcher  münchslegenden  versichern  hoch  und 
heilig,  nichts  unwahres  zu  schreiben.  Manche  führen  sich 
oder  andere  als  augenzeugen  ein,  andere  berufen  sich  auf  die 
Schriften  ihrer  gewährsmänner.  Von  der  bekehrung  der  hl. 
Pelagia  meretrix  erzählt  Jakobus  Diakonus  (s.  BHL.  959,  no.  1) 
als  augenzeuge.  Der  Übersetzer  des  Jakobischen  werkes,  Eu- 
stochius,  wendet  sich  in  zwei  distichen  an  die  leser  mit  der 
bitte,  seine  übersetzermühe  zu  bedenken.  Der  Verfasser  der 
dem  Sophronius,  bischof  von  Jerusalem,  zugeschriebenen  vita 
der  Maria  Aeg^^ptiaca  (BHL.  801,  no.  1)  führt  den  Zosimns, 
der  aber  mit  dem  häretiker  und  mathematiker  (vgl.  PRE. 
6,  2896,  no.  7  und  R.  Reitzenstein,  Poimandres  s.  8  f.  361?) 
nicht  identisch  sei,  als  augenzeugen  und  gewährsmann  an. 
Ein  Antonius,  der  das  leben  des  Symeon  stylita  senior  (BHL. 
1151,  no.  2;  MSL.  73, 328  D  und  334  B)  geschrieben  haben  will, 
gibt  sich  als  schüler  des  S^Tiieon  und  zeuge  seiner  taten  aus. 
Der  anonyme  Verfasser  einer  Vita  sei.  Onuphrii  erzählt:  er 
habe  das  leben  seines  heiligen  kürzlich  zwischen  griechischen 
gedichten  aufgefunden,  so  wie  er  es  einst  von  einem  ehr- 
würdigen und  weisen  mann,  namens  Gregor,  habe  erzählen 
hören.  Dieses  widergefundene  und  von  ihm  nunmehr  über- 
setzte Onuphriusleben  habe  der  hl.  Paphnuutius  in  griechischer 
spräche  verfasst.  Der  Übersetzer  bittet,  nicht  seinen  unbehol- 
fenen Stil  zu  tadeln,  sondern  vielmehr  die  grosse  mühe  und 
pein  zu  bedenken,  die  der  heilige  erduldet  hat,  um  ein  erbe 


uns  im  unklaren  über  den  umfang  der  griechischen  aufzeichnungen  des 
Dorotheos  und  somit  auch  über  Prokops  Übersetzertätigkeit,  und  auf  157,  5 
kann  man  nur  mit  der  frage  antworten:  weshalb  excerpierte  Dorotheos 
seine  griechischen  quellen  lateinisch,  wenn  ein  teil  seiner  coUectaneen  so 
wie  so  griechisch  geschrieben  war?  Weitere  Schwierigkeiten  ergeben  die 
notizen  über  den  streit  zwischen  dem  papst  Johannes  und  dem  patriarchen 
Epiphanius  von  Constantinopel ,  wofür  ich  der  kürze  halber  auf  Theodor 
Schermann,  Propheten-  und  apostellegendeu  {=  TU.  xxxi,  3)  §§  57.  58  ver- 
weise. Der  index  ist  nicht  frei  von  kirchenpolitischen  tendenzen  und  der 
name  Prokops  wahrscheinlich  selbst  fiction.  Vgl.  Wetzer  und  Weites  Kirchen- 
lex.  3'^  1995  f. 


304  WILHELM 

des  himmelreichs  zu  werden  (vgl  BHL.  916;  ASS.  Juu.  II, 
527  und  MvSL.  73,  211).  Solche  und  älmliche  angaben  linden 
sich  in  den  mönchsviten  häufig.  Die  gewährsmänner  waren 
alle  bei  den  buss-  und  betübungen  ihres  anachoreten  zugegen 
und  haben  seine  kämpfe  mit  den  versuchenden  teuf  ein  selbst 
angesehen.  Manches  was  berichtet  wird,  mag  wahr  sein,  das 
meiste  aber  ist  frommer  phautasie  entsprungen,  und  das  ge- 
wand,  in  das  man  alles  kleidete,  waren  die  griechische  und 
lateinische  spräche  und  die  damals  in  der  griechischen  und 
lateinischen  literatur  vorhandenen  literarischen  formen.  Auf 
diesem  weg  sind  auch  die  aretalogischen  quellenangaben  in 
die  mönchslegende  gelangt.  Viele  mönchsviten  liegen  noch  in 
den  papyri  vergraben.  Dort  wird  sich  noch  manches  finden, 
was  an  dieser  stelle  erwähnt  werden  müsste,  der  gegen- 
wärtigen Untersuchung  leider  aber  noch  vorenthalten  ist. 

Im  fünften  und  sechsten  Jahrhundert  fliessen  jene  beiden 
ströme,  die  apostellegende,  die  mit  dieser  schon  früher  ver- 
einigte märtyrerlegende,  und  die  mönchslegende  zusammen. 
Es  gehörte  nicht  mehr  bloss  zum  wesen  des  heiligen,  viele 
menschen  zum  worte  des  herren  bekehrt  und  sein  eigenes 
blut  für  Christus  geopfert  zu  haben,  sondern  man  musste  sich 
auch  der  fugenden  eines  anachoreten  befleissigt  haben,  man 
musste  gewacht,  gebetet,  gefastet,  keusch  gelebt,  dem  getriebe 
und  den  lüsten  dieser  weit  entsagt  haben.  So  entstanden 
damals  die  verschiedenartigsten  mischungen  von  legenden- 
typen,  die  dadurch,  dass  sie  sich  an  die  von  Sueton  geschaf- 
fenen biographischen  formen  anschlössen,  nur  noch  vermannig- 
facht  wurden.  Das  Martinuslebeu  des  Sulpicius  Severus  und 
die  Vita  sei,  Severini  von  Eugippius  sind  die  schönsten  und 
besten  Vertreter  dieser  entwickeluug.  Sulpicius  und  Eugipp 
folgen  nur  der  damals  üblichen  tradition,  wenn  sie  ihren  viten 
prologe  in  form  von  Widmungsbriefen  voranstellen,  in  denen 
sie  aufschluss  über  die  entstehung  ihrer  werke  geben.  Der 
brief  Eugipps  an  Paschasius  ist  inhaltlich  teilweise  eine  nach- 
ahmung  des  Sulpicischen  briefes  an  Desiderius.  Die  in  diesen 
briefen  gemachten  angaben  können  wir  nicht  nachprüfen.  Sie 
sollen  auch  hier  nicht  verdächtigt  werden.  Aber  dass  die  in 
ihnen  ausgesprochene  bescheidenheit  und  das  angebliche  zau- 
dern mit   der  Veröffentlichung  nur  rhetorische  floskel  ist  und 


I 


ÜEBER   FABULTSTISCHE   QUELLENANGABEN.  305 

ebensowenig-  wert  hat,  wie  älinliclie  Wendungen  in  manchem 
modernen  vorwort,  muss  doch  gesagt  werden.  In  dieser  hin- 
sieht sind  Sulpicius  und  Eugipp  in  der  folgezeit  vorbildlich 
geworden.  Zur  zeit  der  jVEerowinger  ist  der  zusammenfluss 
von  apostel-märtyrerlegende  und  mönchslegende  der  hauptsache 
nach  vollzogen.  Altes  läuft  natürlich  auch  da  noch  neben 
neuem  einher.  Aber  auch  das  neue  kann  in  den  wenigsten 
fällen  bei  den  quellenangaben  die  antike  herkunft  verleugnen. 
Die  Abdiassammlung-  mit  ihren  vielen  prologen  und  epilogen 
ist  damals  zusammengestellt  und  oft  abgeschrieben  worden. 
Als  Gregor  von  Tours  lebte,  bestand  sie  wahrscheinlich  bloss 
aus  passiones.  Nach  Gregors  eigenem  zeugnis,  MG.  scr.  rer. 
merov.  I,,827, 13,  gab  es  von  den  wenigsten  aposteln  sogenannte 
(XQeTal,  virtutes  oder  miracula.  Er  selbst  schrieb  Andreas- 
mirakel und  beruft  sich  darin  auf  eine  quelle,  die  er  excerpiert 
haben  will.  Seine  angaben  brauchen  wir  nicht  anzuzweifeln, 
denn  wir  können  den  Inhalt  jener  miracula  durch  andere 
Andreasacten  nachprüfen  und  diese  machen  die  existenz  einer 
ähnlichen  schrift  wie  die,  auf  die  sich  Gregor  beruft,  nicht 
unwahrscheinlich  (vgl.  LpA.  I,  562  f.).  Gleiches  gilt  von  den 
Miracula  Thomae  apostoli,  die  ein  nachahmer  der  Gregoria- 
nischen Andreasmiracula  schrieb.  Er  versichert,  den  Inhalt 
seiner  quelle  nach  dem  gedächtnis  widerzugeben.  Seine  an- 
gaben haben  sich  als  durchaus  richtig  erwiesen  (vgl.  WDLL. 
s.  23  f.). 

Die  klassische  zeit  der  legendenschreibung  war  damals 
noch  nicht  gekommen.  Viele  heilige  männer  und  fromme 
frauen  hatten  im  Merowingerreich  gelebt,  aber  nur  wenige 
hatten  einen  gleichzeitigen  biographen  gefunden.  Erst  als 
durch  Karl  den  grossen  das  Frankenreich  neu  erstarkte  und 
an  des  grossen  kaisers  hof  die  antike  eine  neue  auferstehung 
erfuhr,  wurde  auch  die  tätigkeit  der  hagiographen  lebhafter. 
Sie  konnten  sich  aber  von  dem  zauber,  den  die  römischen 
dichter  und  prosaiker  auf  den  noch  unförmigen  geist  der 
Germanen  ausübte,  nicht  freimachen,  und  mit  den  poetischen 
Wendungen  eines  Virgil  und  Horaz  hielt  auch  der  antike 
fabulist,  der  aretaloge,  seinen  einzug.  Jene  quellenangaben, 
die  auf  verloren  gegangene  oder  entdeckte  bücher  hinweisen, 
werden  häufiger  und  häufiger,  oft  aber  auch  recht  raffiniert. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXIIL  20 


306  ^^^LHELM 

Ganz  dieselbe  praxis  wie  im  epilog  der  Abdiassammlung 
begegnet  uns  in  der  karolingisclien  Vita  sei.  Seiierini  ab. 
Acaunensis  (MG.  scr.  rer.  merov.  III,  168).  Es  gibt  von  dieser 
vita  eine  kürzere  und  eine  länger<i  recension,  die  kürzere  ist 
die  jüngere.  Der  längeren  vita  ist  ein  prolog  vorangesetzt; 
darin  beruft  sich  der  Verfasser  auf  die  schrift  eines  presbjter 
Faustus,  der  ein  scliüler  des  hl.  Severin  gewesen  sein  und  ihm 
dreissig  jähre  gedient  haben  soll.  Auf  wünsch  des  erzbischofs 
Magnus  von  Sens  habe  der  Verfasser  diese  schrift  des  Faustus 
umgearbeitet  {transcrihcnteslQ'^^Q),  doch  so,  dass  nur  die  äussere 
form  des  Faustischen  Werkes  davon  betroffen  wurde,  nicht  der 
Inhalt.  Bloss  oifenkundige  fehler  des  Faustus  hatte  er  ver- 
bessert, den  gang  der  erzählung  aber  aufs  peinlichste  ein- 
gehalten und  nichts  eingefügt,  was  nicht  schon  sein  gewährs- 
mann  berichtet  hätte.  Die  sollertia  des  lesers  könne  das  gesagte 
leicht  nachprüfen.  Leider  ergibt  diese  nachprüfende  sollertia, 
dass  der  Verfasser  ein  fabulator  von  der  gewöhnlichsten  sorte 
ist.  Schon  Mabillon,  Annal.  ord.  sei.  Benedicti  I,  28  hat  be- 
merkt, dass  die  angaben  über  das  25.  jähr  der  regierung  Chlod- 
wigs I.,  d.  i.  das  jähr  507,  in  keiner  weise  mit  dem  überein- 
stimmen, was  wir  sonst  davon  wissen,  und  Krusch  hat  die 
starke  abhäugigkeit  des  Verfassers  von  den  briefen  des  Ennodius 
in  bezug  auf  namen  dargetan.  Die  legende  selbst,  in  deren 
mittelpunkt  die  heilung  Chlodwigs  durch  Severin  steht,  ist  aus 
allen  möglichen  legendenmotiven  zusammengestoppelt  und  fast 
eine  auf  Chlodwig  übertragene  nachahmung  der  Abgarsage  zu 
nennen.  Sie  weist  auch  starke  anklänge  an  den  syrischen 
Abgarbericht  bei  Eusebius-Eufinus  auf. 

Aber  noch  nicht  genug  mit  dieser  einen  aretalogischen 
quellenangabe.  Etwa  hundert  jähre  später  verfertigte  ein 
anderer  aus  dieser,  auf  einem  angeblichen  Faustus  werk  be- 
ruhenden vita,  das  werk  des  Faustus  selbst.  Die  methode 
war  sehr  einfach.  Der  prolog  \Mirde  gestrichen  und  an  den 
schluss  eine  art  subscriptio  gestellt,  in  der  es  heisst:  das  vor- 
liegende werk  wurde  von  Faustus,  dem  schüler  des  hl.  Severin, 
auf  befehl  des  königs  Chlodwig,  unter  dem  beistand  unseres 
herren  Jesu  Christi  verfertigt.  Dass  dieses  angebliche  Fausti- 
sche werk  jünger  ist  als  die  längere  vita,  beweisen  nicht  nur 
die  verderbten  namen,   sondern   auch  die  oft  um  ihren  guten 


ÜEBER   FABÜLTSTISCHE   QUELLENANGABEN.  307 

sinn   gebrachten   sätze   der   längeren   fassung.     Vgl.   Krusch 
167,  11  f.  1) 

Die  grösste,  raffinierteste  nnd  auch  folgenschwerste  quellen- 
angabe,  die  an  jenen  brauch  der  antiken  aretalogen  und  rhe- 
toren  anknüpft,  findet  sich  am  eingang  der  Vita  sei  Remigii 
ep.  Beimensis  (MG.  scr.  rer.  merov.  III,  250,  36  f.),  die  den  ver- 
logenen erzbischof  Hinkmar  von  Reims  zum  Verfasser  hat. 
Hinkmar  will  von  alten  leuten,  die  noch  die  zeiten  des  bischofs 
Tilpin  erlebt  hatten,  gehört  haben,  dass  diesen  ihre  vorfahren 
von  einem  umfangreichen,  von  alter  band  geschriebenem  buche 
über  das  leben,  die  fugenden  und  den  heimgang  des  hl.  Re- 
migius  erzählt  hätten.  Dieses  buch  sei  aber  zu  gründe  ge- 
gangen. Egidius,  der  vierte  bischof  auf  dem  Reimser  stuhle 
nach  dem  hl.  Remigius,  habe  nämlich  den  berühmten  dichter 
Fortunatus  gebeten,  aus  diesem,  in  schwülstigen,  mit  gallicismen 
durchsetzten  latein  geschriebenen  buch  einige  beim  volke  be- 
liebte mirakel  auszuziehen,  damit  sie  ohne  ärgernis  gehört 
werden  könnten,  und  das  volk  zur  Verehrung  gottes  und  seines 
schutzpatrones  angehalten  würde.  Zum  beweis  dieser  behaup- 
tung  führt  Hinkmar  eine  stelle  aus  der  von  ihm  zum  ersten 
mal  dem   Fortunat  zugeschriebenen  Vita  sei.  Remedü  (BHL. 


^)  Zwischen  diesen  berufungen  auf  den  Severinschüler  Faustus  und 
dem  angebliclien  Maurusschüler  Faustus,  der  eine  Vita  sei  Mauri  disciptiU 
sei.  Benedikti,  ab.  Glannafoliensis  (s.  BHL.  8-ib,  no.  1)  geschrieben  haben 
soll,  bestehen  entschieden  literarische  beziehungen.  Wie  aber  die  angaben 
literargeschichtlich  mit  einander  zu  verknüpfen  sind,  kann  ich  vorläufig 
nicht  sagen.  Die  in  der  BHL.  84:5,  no.  1  citierten  texte  geben  keinen 
rechten  aufschluss  über  die  handschriftliche  Überlieferung.  Die  ASS.  Jan. 
1, 1051,  sp.  b  veröffentlichte  praefatio  des  Odo  von  Glanfeuil  steht  mit  ihrer 
quellenaugabe  wol  unter  einfluss  der  Reimser  hagiographie  und  dürfte  erst 
nach  dem  jähre  878  geschrieben  worden  sein.  Das  darin  angegebene  jähr 
863,  in  dem  die  reliquien  des  hl.  Maurus  aus  furcht  vor  den  Normannen 
verborgen  wurden,  und  in  dem  Odo  im  reisekorb  des  klerikers  Petrus  die 
lebensbeschreibungeu  der  fünf  schüler  des  hl.  Benedikt:  Honoratus,  Simpli- 
cius,  Theodorus,  Valentinianus  und  Maurus  gefunden  haben  will,  kann 
kaum  zur  genaueren  feststellung  der  lebenszeit  von  Odo  benutzt  werden. 
Ob  der  Faustusbrief  in  den  hss.  oder  überhaupt  ursprünglich  auf  die  prae- 
fatio Odos  folgte,  scheint  mir  nicht  so  ohne  weiteres  klar,  wie  man  aller- 
dings nach  Mabillon,  Acta  saec.  I\  276  und  Wattenbach,  Schriftw^esen'  s.  412 
meinen  sollte.  Das  ist  der  grund,  weshalb  ich  die  quellenaugabe  der  Maurus- 
vita  nur  anmerkungsweise  behandle. 

20* 


308  WILHELM 

1039,  no.  1),  aber  absiclitlich  nicht  vollständig-  an.  Da  heisst 
es:  'wir  haben  uns  bemüht  weniges  zu  erzählen,  das  meiste 
zu  übergehen.'  Dieses  excerpt  des  Fortunat  habe  sich  bei  dem 
vülk  bald  grosser  beliebtheit  erfreut  und  sei  auch  wegen  seiner 
kürze  oft  abgeschrieben  worden.  Der  grosse  codex  aber  wäre 
seitdem  von  den  nachlässigen  nur  noch  nachlässiger  behandelt 
worden.  Als  dann  aber  der  krieg  zwischen  Karl  Martell  und 
Ragamfred  ausgebrochen  war,  während  dessen  die  christliche 
religion  beinahe  vernichtet,  die  bischofsstühle  laien  gegeben 
worden  wären,  und  Milo,  ein  zwar  mit  der  tonsur  versehener 
kleriker,  aber  in  sitten,  haltung  und  taten  irreligiöser  laie, 
fast  vierzig  jähre  die  stuhle  von  Reims  und  Trier  innegehabt 
hätte,  da  sei  der  codex  fast  vollständig  vernichtet  worden. 
Denn  die  wenigen  noch  übrig  gebliebenen  kleriker  hätten 
iliren  unterhalt  durch  handel  fristen  und  die  so  erworbenen 
denare,  um  sie  zu  verbergen,  in  Urkunden  und  bücherblätter 
einwickeln  müssen.  So  sei  die  grosse  hs.  durch  feuchtigkeit, 
mäussefrass  und  ausreissen  von  blättern  zerteilt  zu  gründe 
gegangen  und  daher  nur  weniges  von  den  zerstreuten  blättern 
widergefunden  worden. 

So  etwas  also  sei  in  neuester  zeit  vorgekommen.  Gleiches 
aber  habe  sich  auch  in  alten  zeiten  zugetragen;  und  nun  be- 
ginnt Hinkmar,  mit  einem  citat  aus  der  9.  Homilie  m  Matiheum 
des  Johannes  Chrysostomos  (MSG-.  57, 180)  einleitend,  aufzu- 
zählen, welche  bücher  von  gottesmännern  im  alten  testament 
als  vorhanden  bezeugt,  heute  aber  verloren  seien.  Er  spielt 
auf  das  von  Jojakim  verbrannte  buch,  welches  Baruch  aus 
dem  munde  des  Jeremias  aufzeichnete  (Jer.  36, 1  f.)  an,  auf 
die  entdeckung  des  gesetzbuches  während  der  tempelreinigung 
unter  Hiskia  (4.Reg.  22,  8;  2.  Paral.  34, 14),  auf  das  im  2.  Reg. 
1, 18  erwähnte  Liher  iustorum,  auf  das  im  Num.  21, 14  ge- 
nannte Liher  hellorum  JDomini  und  auf  die  an  verschiedenen 
stellen  des  alten  testaments  erwähnten,  aber  verlorenen  Schriften 
Salomos  (3.  Reg.  4, 32  f.;  11,411).  All  das  geschieht,  um  das 
verlorene  Remigiusleben  recht  glaubhaft  zu  machen.  Trotz 
dieses  grossen  Verlustes  lagen  dem  Hinkmar  ausser  einigen 
geschichten  und  den  pUaciola  des  grossen  codex  noch  land- 
läufige erzählungen  über  den  heiligen  vor,  sodass  er  mehr 
bieten  könne  als  der  Fortunatische  auszug.    Er  habe  zwar 


UEBER   FABULISTISCIIE   QUELLENANGABEN.  309 

immer  noch  gehoift,  dass  sich  irgendwo  ein  zweites  exemplar 
dieses  grossen  Remigiuslebens  finden  werde  und  er  sei  in 
dieser  hoffnung  durch  verschiedene  aussagen  bestärkt  worden, 
aber  seine  erkundigungen  erwiesen  stets  alles  bis  ins  tiefste 
innere  hinein  falsch.  Schliesslich  kommt  Hinkmar  noch  auf 
die  Stilunebenheiten  im  vorliegenden  Averk  zu  sprechen.  Er 
entschuldigt  sich  damit,  dass  er  die  von  den  altvordern  über- 
lieferten, offenbar  schriftlich  aufgezeichneten  geschieh ten  und 
den  Inhalt  der  schedulae  (=  pitaciola)  der  vernichteten  hs. 
wörtlich  widergäbe,  während  er  das,  was  er  vom  hörensagen 
habe,  in  seinen  Worten  erzähle.  Zur  entschuldigung  dafür, 
dass  auch  mündlich  überliefertes  aufgenommen  wurde,  dient 
ein  absichtlich  verdrehtes  citat  aus  der  praefatio  Bedas  zu 
seiner  kirchengeschichte.  Das  darauf  folgende  beschäftigt  sich 
mit  der  anordnung  des  Stoffes  und  den  dabei  befolgten  grund- 
sätzen.  Auch  hier  ist  Hinkmar  bemüht,  seine  peinliche  ge- 
wissenhaftigkeit  ins  nötige  licht  zu  setzen,  aber  etwas  für 
unseren  zweck  wichtiges  findet  sich  nicht  darin. 

Bruno  Krusch  hat  in  seinen  glänzenden  Untersuchungen 
über  die  Reimser  Remigiusfälschungen,  Neues  archiv20,  511  f., 
Hinkmars  werk  als  eine  zu  ganz  bestimmten  kircheupolitischen 
zwecken,  ums  jähr  878,  vorgenommene  fälschung  erwiesen. 
Hinkmar  wollte  zeigen,  dass  schon  zur  zeit  des  hl.  Remigius 
das  Reimser  archiepiscopat  mit  einem  vicariat,  einer  würde, 
nach  der  Hinkmar  vergeblich  gestrebt  hatte,  verbunden  war. 
Er  hatte  nicht  nur  die  von  ihm  herabgesetzte  Vita  sei.  Bemedii 
vollkommen  ausgeschrieben,  sondern  auch  den  schritten  des 
Sulpicius  Severus,  Gregor  des  grossen,  Rufinus,  Gregor  von 
Tours,  Fredgar  u.  a.  allerhand  motive  entlehnt  und  sogar  ein 
testament  des  hl.  Remigius  nach  bestimmten  formularen  fabri- 
ziert. Schon  damals  aber  hätte  dieses  bei  den  des  merowin- 
gischen  rechtes  kundigen  ein  stein  des  anstosses  sein  müssen. 
Trotzdem  wir  es  hier  also  historisch  mit  einer  fälschung  zu 
tun  haben,  muss  Hinkmar  an  dieser  stelle,  als  einer  der  haupt- 
vertreter,  welche  in  ihren  quellenangaben  an  antike  areta- 
logische  motive  anknüpfen,  genannt  werden.  Auf  die  späteren 
leser,  die  die  zwecke  des  Verfassers  nicht  kannten,  hat  Hink- 
mars vita  nicht  anders  gewirkt,  als  jede  andere  schritt  mit 
ähnlicher  quellenangabe. 


310  WILHELM 

Ganz  ohne  näheres  Vorbild  war  aber  auch  Hinkmar  nicht. 
Sein  ehemaliger  lehrer  und  späterer  scliützling  Hilduin,  abt 
von  St.  Denis,  hatte  auf  befehl  Ludwigs  des  frommen  im  jähr 
836  ein  Leben  des  hl.  Dionysius  von  Paris  geschrieben  (vgl. 
MG.  epist.  V,  328, 1  f.).  In  seinem  der  eigentlichen  vita  vor- 
gestellten brief  an  sämmtliche  gläubige  beruft  er  sich  auf  ge- 
heime alte  bücher,  die  er  und  seine  mitarbeiter  (so  darf  man 
wol  aus  MG.  epist.  V,  328, 35  f.  schliessen)  aufgefunden  hätten 
und  deren  Inhalt  er  der  Wahrheit  gemäss  widergäbe.  Damit 
aber  niemand,  der  geistig  gesund  ist,  daran  zweifle,  dass  ver- 
borgenes später  wider  an  den  tag  komme,  verweist  er  auf  die 
auffindung  des  gesetzbuches  unter  Hiskia  (MG.  epist,  V,  336, 21  f.). 
Dass  Hinkmar  die  schrift  seines  lehrers  Hilduin  gekannt  hat, 
ist  an  sich  schon  sehr  wahrscheinlich;  es  wird  aber  zur  ge- 
wissheit durch  seine  um  876  verfasste  Vita  ss.  Sanctini  et  An- 
tonn epp.  Meldensium  (ASS.  Okt.  Y,  586  F  f.;  auch  Wattenbach, 
Schriftwesen  3  412),  die  in  form  eines  an  Karl  den  kahlen  ge- 
richteten briefes  abgefasst  ist.  Der  eingang  dieser  vita  ist 
offenbar  veranlasst  durch  den  brief  des  bibliothekars  am 
apostolischen  stuhl  Anastasius  an  Karl  den  kahlen  vom  jähre 
875  (MSL.  129, 737  B  f.).  Anastasius  war  869  mit  auf  dem 
8.  öcumenischen  concil  zu  Constantinopel  gewesen  und  hatte 
dort  nachforschungen  über  die  verschiedenen  heiligen  des 
namens  Dionj'sius  angestellt.  Seine  ergebnisse  teilt  er  Karl 
in  jenem  briefe  mit.  Hinkmar  nun  erwähnt  in  seinem  brief 
den  Anastasius,  gedenkt  seiner  Übersetzung  der  Dionysiusvita 
von  Methodius  und  bezeugt,  dass  sie  mit  dem  übereinstimme, 
was  er  in  der  Jugend,  eben  bei  Hilduin,  vom  hl.  Dionysius 
gehört  habe.  Von  Hilduin  hat  also  Hinkmar  den  biblischen 
beweis  für  die  möglichkeit,  längst  verschollene  schritten  wider 
auffinden  zu  können,  entlehnt.  Er  hat  ihn  freilich  um  ein 
beträchtliches  vermehrt. 

Der  brief  Hinkmars  an  Karl  den  kahlen  gehört  aber  noch 
weiter  hierher.  Denn  was  Hinkmar  über  die  quellen  seiner 
Vita  sei.  Sanctini  sagt,  ist  ebenso  fabelhaft  und  verdient  genau 
so  wenig  glauben  wie  seine  Quellenangaben  im  Remigiusleben. 
Im  kloster  St.  Sanctin  zu  Meaux  sei  ein  abt  namens  Wandelmar 
gewesen,  der  in  dem  ihm  unterstehenden  gebiet,  das  wie  vieles 
andere  wegen  des  langen  alters    und  der  langen  krankheit 


UEBER   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  311 

bischof  Hilderichs  vernachlässigt  worden  war,  kleine,  stark 
abgeriebene  und  der  schritt  fast  beraubte  quaternionen  ge- 
funden habe.  Diese  habe  Wandelmar  dem  Hinkmar,  den  er 
für  einen  halb  wisser  hielt,  mit  dem  auftrage  übergeben,  sich 
von  dem  Inhalte  zu  unterrichten  und  eine  deutliche  abschritt 
davon  anzufertigen.  Er,  Hinkmar,  habe  den  auftrag  aus- 
geführt, sich  aber  auch  eine  abschritt  angefertigt.  Seitdem 
sei  lange  zeit  verflossen,  Wandelmar  längst  tot  und  das  kloster 
von  den  Normannen  eingeäschert.  Ihm  scheine  es  deshalb 
zweifelhaft,  ob  in  St.  Sanctin  noch  die  quaternionen  und  die 
für  Wandelmar  verfertigte  abschritt  vorhanden  seien,  und  er 
hält  es  daher  für  besser,  kaiser  Karl  sein  exemplar  zur  Ver- 
fügung zu  stellen.  Diese  angaben  halten  denen  des  Ptolemaeos 
Chennos  durchaus  die  wage. 

Hinkmar  scheint  mit  seiner  art,  quellenangaben  zu  machen, 
bahnbrechend  gewirkt  zu  haben.  Die  raubzüge  der  beiden 
und  Normannen  und  die  dadurch  veranlassten  bücherverluste 
spielen  bei  seinen  nachf olgern  eine  grosse  rolle.  Bei  einigen 
lässt  sich  die  bekanntschaft  mit  der  Eemigiusvita  unmittelbar 
nachweisen.  Das  ist  z.  b.  bei  Baltherns,  dem  Verfasser  der 
Vita  sei.  Fridolini  conf.  Seckingensis  (MG.  scr.  rer.  merov.  III, 
354  f.,  vgl.  dazu  die  elsässische  Übersetzung  bei  F.  J.  Mone, 
Quellensammlung  der  badischen  landesgesch.  I,  99  f.)  der  fall. 
Baltherus  hat,  wie  er  in  dem  an  seinen  ehemaligen  lehrer 
Notker  Labeo  in  St.  Gallen  gerichteten,  seinem  werke  vor- 
gestellten briefe  auseinandersetzt,  vier  jähre  lang  Gallien  und 
Spanien  als  fahrender  und  schamlos  bettelnder  cleriker  bereist. 
Er  hatte  so  eine  würdige  schule  durchgemacht.  Die  Sehnsucht 
trieb  ihn  in  die  heimat  zurück.  Auf  dem  heimwege  kam  er 
nach  Hellera,  einem  den  hll.  Hilarius  und  Fridolin  geweihten, 
au  der  Musella  gelegenen  kloster.  Dort  kehrte  er,  um  zu 
betteln  (so  die  Übersetzung,  oder  beten?),  ein.  Er  wurde  gut 
aufgenommen,  und,  nachdem  er  sich  legitimiert  und  als  ein 
mönch  eines  ebenfalls  den  hll.  Hilarius  und  Fridolin  geweihten 
klosters  ausgewiesen  hatte,  zeigte  ihm  der  pater  und  provisor 
des  klosters  zwei  bücher,  von  denen  jedes  für  sich  die  virtutes 
eines  der  beiden  heiligen  enthielt.  Als  er  sich  die  beiden 
bücher  näher  angesehen  hatte,  erzählt  Baltherus,  habe  er  sich 
erinnert,  dass  ein  gleiches  Hilariusleben  auch  in  dem  kloster 


312  WILHELM 

ZU  Secking'en  sei,  die  Fridolinsvita  aber  fehle.  Diese  sei  bei 
einer  Verwüstung  des  Seckinger  klosters  durch  die  lieiden  ab- 
handen gekommen.  Es  wären  aber  noch  viele  da,  die  das 
verlorene  buch  viel  gesehen,  oft  gelesen  und  auch  bezeugt 
hätten,  dass  sein  Inhalt  walir  sei.  Gern  habe  er  es  nach 
Seckingen  entliehen;  seine  diesbezügliche  bitte  sei  jedoch 
abschlägig  beschieden  worden.  Darauf  habe  er  es  an  ort  und 
stelle  abschreiben  wollen,  aber  pergament  und  tinte  fehlten. 
Da  endlich  habe  er  sich  hingesetzt  und  die  ganze  vita  aus- 
wendig gelernt.  Anfangs  sei  er  zwar  etwas  stutzig  geworden, 
weil  er  im  titel  die  namensform  Fridoldo,  nicht  Fridolino  an- 
gegeben fand.  Als  er  aber  auf  einer  anderen  paginida  von 
der  Überführung  der  Hilariusreliquie  aus  Poitiers  nach  einer 
Rheininsel  Alemanniens  durch  eben  jenen  Fridoldus  gelesen 
habe,  da  sei  er  überzeugt  gewesen,  dass  dieser  Fridoldus  kein 
anderer  als  Fridolinus  und  diese  insel  keine  andere  gewesen 
sei  als  die,  auf  der  sich  sein  kloster  befände;  denn  wie  Notker 
wisse,  hänge  ja  dort  in  einer  kapsei  verwahrt  jene  reliquie. 
Leider  sei  es  für  ihn.  der  seine  Verfasserschaft  von  dieser 
faJsitas  nicht  ableugnen  könne,  obwol  er  alles  wörtlich  wider- 
gäbe, schwer,  ohne  das  zeugnis  einer  angesehenen  persönlich- 
keit sein  werk  durchzusetzen.  Auch  müsse  er  bekennen,  dass 
er  nichts  erwidern  könne,  wenn  jemand  ihm  vorwerfe,  seine 
Schrift  sei  apokryph  und  verdammungswürdig,  weil  sie  ohne 
auftrag,  sondern  aus  eigener  initiative  geschrieben  sei.  Ausser- 
dem zweifle  er  nicht  im  geringsten,  dass  auch  andere,  gleichsam 
vom  düsteren  russ  der  fackel  des  neides  angeschwärzt,  ihn 
nicht  den  berichterstatter  der  Wahrheit,  sondern  den  betrüge- 
rischen scribenten  einer  ausgedachten  geschichte  nennen  würden. 
Deshalb  übersende  er  ihm,  dem  Notker,  sein  werk  mit  der  bitte, 
zu  entscheiden,  ob  es  wert  sei,  dem  feuer  übergeben  oder  auf- 
gehoben zu  werden.  Denn  ihm  sei  es  lieber,  von  Notker  in 
milder  weise  auf  fehler  aufmerksam  gemacht  zu  werden,  als 
den  absprechenden  und  nörgelnden  urteilen  der  neider  aus- 
gesetzt zu  sein.i) 

Der  scharfe  angriff  Wattenbachs,  Geschichtsquellen  I',  135, 


^)  Vgl.  den  brief  Eberwines  an  den  erzbischof  Poppo  von  Trier,  Ma- 
billon,  Acta  saec.  VI^,  372. 


UEBER   FABULISTISCIIE   QUELLENANGABEN.  313 

anm.  und  Krusch's  eindringende  erörternngen  in  der  einleitung 
seiner  ausgäbe  in  den  MG.  haben  Balthers  werk  für  den 
historiker  unbrauclibar  erwiesen.  Baltlierus  hat  Hinkmars 
Eemigiusvita  aus  einer  hs.  der  dritten  Masse  gekannt,  denn 
das  in  dieser  klasse  interpolierte  pseudo-hinkmarsclie  mirakel, 
welches  dem  bischof  3Ioderamnns  zustösst,  erzählt  er  von  Fri- 
dolin.  Woher  er  zu  seiner  quellen  an  gäbe  angeregt  war,  ist 
also  klar.  Aber  kaum  darf  man  dem  Verfasser  einen  schwe- 
reren Vorwurf  machen  als  den  Verfassern  des  Diktys  oder  des 
Dares.  Von  einer  fälsclmng  im  sinne  des  historikers  darf  man 
vielleicht  reden,  aber  nicht  im  sinne  des  sittenlehrers.  Baltherus 
sagt  doch  eigentlich  selbst  deutlich  genug  heraus,  dass  es  nicht 
viel  leute  geben  wird,  die  seine  schrift  für  Wahrheit  halten 
werden,  er  bezeichnet  sich  selbst  mit  wenig  schmeichelhaften 
namen  und  dem  Notker  sagt  er  ziemlich  deutlich  ins  gesicht, 
dass  er  ihn  bloss  als  folie  brauche,  um  seiner  arbeit  ansehen 
zu  verschaffen.  Selbst  wenn  Notker,  wie  es  wahrscheinlich  ist, 
Balthers  werk  nie  zu  sehen  bekommen  hat,  so  dürfen  wir  das 
dem  Verfasser  nicht  schwer  ankreiden.  Denn  wie  er  beurteilt 
werden  will,  hat  er  dem  leser  unzweideutig  gesagt.  Er  ist 
der  schalkhafte  aretaloge,  der  sich  zu  verstecken  scheint,  wo 
er  hervortritt,  und  hervortritt,  wenn  er  sich  verstecken  will. 
Auf  seiner  Wanderfahrt  in  gesellschaft  der  gyrovagen  mag- 
er das  handwerk  noch  besser  gelernt  haben.  Denn  viele 
motive  der  antiken  aretalogie  hat  das  fahrende  volk  ins  mittel- 
alter  hinüber  gerettet.    Das  werden  wir  noch  sehen. 

Hinkmars  Vita  sei.  Remigii  kannte  auch  der  anonyme 
Verfasser  der  3Iiracula  sei.  Martini  ab.  Vertavensis  (MG.  scr. 
rer.  merov.  III,  567, 9  f.).  In  ihnen  ist  das  von  Hinkmar  aus 
der  Vita  sei.  Remedii  entnommene  mirakel  an  einer  toledanischen 
Jungfrau  auf  einen  toledanischen  jüngling  übertragen  und  teil- 
weise mit  Worten  Hinkmars  erzählt.  Auch  die  quellenangabe 
steht  unter  Hinkmars  einfiuss.  Der  Verfasser  sagt:  er  könne 
leider  wenig  über  den  gottesmann  Martinus  berichten,  weil  die 
lebensbeschreibung  Martins  einst  in  Castro  Toaricense  ver- 
brannt sei.  Glücklicherweise  sei  aber  ein  kleines  buch,  ver- 
schiedene carmina  enthaltend,  übrig  geblieben  und  darin  habe 
sich  auch  eine  gekürzte,  in  schönem  und  wolklingenden  rhythmus 
abgefasste  vita  des  heiligen  gefunden.    Als  der  Verfasser  nun 


314  WILHELM 

ZU  dem  kloster,  in  dem  die  gebeine  des  heiligen  ruhten,  ge- 
kommen sei,  hätten  ihn  die  klosterbrüder  und  vor  allem  der 
abt  Eainaldus  mit  der  bitte  bestürmt,  aus  dem  rhythmus  eine 
conscriptio  planne  oraüonis  zu  verfertigen.  Weil  er  die  bitte 
nicht  ausschlagen  konnte,  habe  er  alles  mit  ausnähme  des  in 
poetischer  form  erzählten  in  prosa  umgeschrieben,  sich  aber 
dabei  der  weise  der  Interpreten  bedient  und  nicht  wort  für  wort, 
sondern  sinngemäss  übersetzt.  Weiter  habe  er  entsprechend 
der  bitte  der  klosterbrüder  hie  und  da  erweitert  und  ferner 
die  berichte  derer,  die  noch  das  verbrannte  Martinsleben  ge- 
kannt hatten,  sofern  sie  sich  nicht  mit  dem  im  rhythmus  er- 
zählten deckten,  hinzugefügt.  Das,  was  im  erhaltenen  codex 
stand,  habe  er  in  seinem  ersten  buche  (ASS.  Okt.  X,  806  f.),  das 
übrige,  die  mkacida post  mortem,  in  seinem  zweiten  (MG.  a.a.O.) 
zusammengefasst. 

Dass  wir  es  auch  bei  dieser  quelleuangabe  mit  fabeleien 
zu  tun  haben,  hat  wider  Krusch  s.  565  deutlich  bewiesen. 
Ausser  dem  aus  Hinkmars  Eemigiusleben  entlehnten  mirakel 
zu  Toledo  überträgt  der  Verfasser  ein  wunder  des  Martinus 
Turouensis  auf  seinen  Martinus  Yertavensis  und  lässt  ausserdem 
diesen  mit  dem  zweihundert  jähre  vor  ihm  lebenden  bischof 
Maximinus  von  Trier  nach  Rom  pilgern.  Das  klostermilieu 
ist  vielleicht  aus  Balthers  Fridolinsleben  entnommen,  doch  kann 
das  schliesslich  auch  eigene  zutat  sein.  Krusch  nennt  den 
Verfasser  vom  Standpunkt  des  historikers  aus  wider  einen 
fdlsarius,  aber  man  darf  ihm  nicht  einmal  den  Vorwurf  der 
lüge  machen.  Denn  wenn  er  sagt,  er  habe  aus  dem  rhythmus 
nur  das  widergegeben,  was  nicht  poetisch  sei,  so  heisst  das 
doch  nur  so  viel  als:  ich  habe  den  rhythmus  gar  nicht  be- 
nutzt, und  ob  er  dann  existiert  hat  oder  nicht,  ist  doch  ziem- 
lich einerlei.  Der  Verfasser  versteckt  sich  nach  der  fabulisten- 
weise  hinter  das  wort  poetice.  So  etwas  ist  ziemlich  unschuldig 
und  der  literarhistoriker  muss  hier  das  harte  urteil  des  histo- 
rikers mildern. 

Ganz  ähnliche  quellenangaben,  wie  in  dem  eben  bespro- 
chenen heiligenleben,  finden  sich  in  der  Fraefatio  zur  Vita  sei. 
Broctovei  ab.  Parisietisis,  die  um  860  von  Giselmar,  einem 
mönch  aus  Saint-Germain,  verfasst  wurde  (MG.  scr.  rer.  merov. 
III,  537).    Ein  teil  der  angaben  Giselmars  lässt  sich  als  richtig 


UEBER  FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  315 

nachweisen.  Cap.  14  (541,  20  f.)  erzälilt  er,  dass  die  kirclie 
seines  klosters  nicht  bloss  einmal,  sondern  beinahe  auch  ein 
zweites  mal  den  feuerbränden  der  Dänen  zum  opfer  gefallen 
wäre.  Tatsächlich  wurde  St.  Germain  dreimal  von  den  Nor- 
mannen gebrandschatzt  und  das  dritte  mal,  861,  wäre  fast 
das  ganze  kloster  eingeäschert  worden.  Giselmar  schrieb  also 
vor  861,  aber  nach  857,  dem  jähre  des  kellerbrandes  (näheres 
bei  Krusch  536, 10  f.).  Auch  was  er  über  die  benutzung  von 
Gregors  Frankengeschichte  und  den  dichtungen  Fortunats 
sagt,  ist  richtig.  Trotzdem  muss  aber  seine  quellenangabe 
in  die  reihe  der  auf  der  rhetorisch-aretalogischen  tradition 
der  antike  beruhenden  quellenzeugnisse  gestellt  werden.  Schon 
der  anfang  der  vita  zeigt,  woran  Giselmar  anknüpft.  Der 
alten  besondere  sorge,  sagt  er,  sei  es  gewesen,  vorzubeugen, 
dass  der  Scharfsinn  ihres  geistes  und  der  ruf  ihrer  beredsam- 
keit  ganz  durch  trägheit  oder  schweigen  untergienge.  Daher 
sei  es  gekommen,  dass  sie  nicht  durch  gute  sitten  und  werke, 
sondern  mit  erdichtetem  und  mit  Schriften  bei  der  nachweit 
sich  ein  denkmal  zu  setzen  gesucht  hätten.  Wenn  aber  die 
alten  sich  nicht  gescheut  haben,  falsches  zu  erdichten,  weshalb 
sollte  man  sich  scheuen,  die  wahrgesprochenen  denkmale  der 
in  Christo  gläubigen  schriftlich  aufzuzeichnen?  Das  sind  ganz 
die  gleichen  gedanken  Avie  bei  Otfrid  1, 1, 1  f.  So  dachte  man 
auch  am  hofe  Ludwigs  des  frommen. 

Nach  dieser  allgemeinen  einleitung  gibt  Giselmar  an,  er 
habe  das  leben  des  hl.  Droctoveus,  eines  Schülers  des  hl.  Ger- 
manus, stilgerecht  geschrieben  und  sei  dazu  mehr  durch  seine 
Verehrung  für  den  heiligen,  als  durch  dreisten  hochmut  be- 
wogen worden.  Das  einmal  in  St.  Germain  vorhandene  Droc- 
toveusleben  sei  bei  der  Zerstörung  des  klosters  durch  die  Dänen 
mit  anderen  büchern  der  bibliothek  im  brande  untergegangen. 
Damit  aber  niemand  sein  werk  mit  dem  einwand  bekämpfe, 
die  darin  erzählten  miracula  seien  zweifelhaft,  weil  longo  senio 
aevi  eins  gesta  tradita  ohlivioni  nullum  penitus  memoriale  sui 
nosirae  manclavere  aetati,  verweist  Giselmar  auf  die  dichtungen 
des  Fortunat  und  Gregors  Frankengeschichte  als  seine  quellen. 
Am  ende  dieser  ausführungen  erwähnt  er  auch  die  benutzung 
einer  Urkunde,  nach  der  Droctoveus  als  erster  zum  abt  von 
St.  Germain  bestimmt  worden  sei.     Diese  Urkunde   wäre   in 


316  WILHELM 

tJiomis  antiquissimis ,  die  im  kloster  St.  Germain  A^erwalirt 
würden,  erhalten.  An  dieser  notiz  zeigt  sich  deutlich,  dass  es 
auch  Giselmar  mit  seinen  quellenangaben  nicht  so  g-enau 
nimmt.  Kaum  wird  jene  wahlurkunde  so  gross  gewesen  sein, 
dass  sie  in  mehreren  bänden  aufbewahrt  werden  musste.  Es 
ist  jene  literarisch  -  rhetorische  Übertreibung,  die  dem  leser 
mehr  vertrauen  zur  Wahrheit  des  vorgetragenen  einflössen  will, 
aber  keineswegs  vertrauenerweckend  wirkt.  Dass  Giselmar 
auch  Fortunats  leben  vom  hl.  Germanus  (BHL.  517,  no.  1)  und 
die  passiones  der  hll.  Symphorianus  (BHL.  1153,  no.  1)  und 
Yincentius  (BHL.  1247,  no.  1)  für  sein  werk  benutzte,  sagt  er 
nicht,  vgl.  Krusch  536,  29  f..  Wie  es  sich  in  diesem  falle  mit 
dem  verbrannten  buch  verhält,  wird  sich  kaum  mehr  recht 
entscheiden  lassen.  Aber  dass  die  quellenangaben  Giselmars 
in  den  von  uns  besprochenen  kreis  hineingehören,  hat  die  ge- 
schichte  von  der  wahlurkunde  des  Droctoveus  deutlich  gezeigt. 

Auf  alte,  widergefundene  Schriftstücke  und  die  erzählungen 
von  eingeborenen  beruft  sich  auch  der  Verfasser  der  MG.  scr. 
rer.  merov.  III,  389  abgedruckten  Vita  sei.  Carilefß  sac.  et  ab. 
Anisolensis.  Er  ruft  sogar  den  heiligen  geist  zum  zeugen 
dafür  an,  dass  er  wahres  berichte.  Aber  diese  auslassungen 
sind  nicht  anders  zu  beurteilen  als  die  schon  besprochenen 
quellenangaben  (Krusch  388, 17  f.).  Weil  sie  sonst  nichts  inter- 
essantes für  uns  bieten,  können  wir  sie  kurz  erwähnend  über- 
gehen. 

Auf  den  Zusammenhang  mit  klassischen  Studien  werden 
wir  wider  durch  den  abt  Heriger  von  Lobbes,  den  Verfasser 
der  Translatio  sei.  Landoaldi  Sociorumque  (MG.  SS,  XV,  2,  602  f,) 
geführt.  603, 30  f.  beruft  sich  Heriger  auf  einen  Frangerus, 
der  bei  der  translatio  der  heiligen  von  Wintershoven  nach 
Gent  zugegen  gewesen  sein  soll.  Frangerus  habe  neun  jähre, 
bevor  die  Normannen  plündernd  einfielen,  in  Wintershoven,  der 
ehemaligen  ruhestätte  der  heiligenreliquien ,  gelebt.  Von  ihm 
habe  der  vor  wenigen  jähren  vom  presbyter  Sarabertus  mit 
eigener  band  begrabene  presbyter  Hildebrant  die  von  Heriger 
berichtete  geschichte.  Frangerus  habe  dem  Hildebrant,  und 
viele  hätten  das  dem  Hildebrant  bezeugt,  von  einem  buche, 
das  das  leben  der  heiligen  behandelte,  erzählt.  Dieses  buch 
sei   von   alter  band  geschrieben  gewesen,   aber  von   darauf 


ÜEBER   FABULTSTISCIIE   QUELLENANGABEN.  317 

geträufeltem  wachs  fast  unleslicli  und  schliesslich  bei  dem 
einfall  der  Ungern,  infolge  der  geringen  fürsorge  der  Wächter, 
mit  anderen  dingen  ein  raub  der  flammen  geworden.  Daraus 
habe  Frangerus  seine  aussagen  über  die  heiligen  entnommen. 

Keiner  der  drei  gewährsmänner,  Frangerus,  Hildebrant 
und  Sarabertus,  ist  nachweisbar,  der  hl.  Landoald  und  seine 
genossen  nicht  vor  Herigers  translatio.  Die  reden  der  heiligen 
in  Herigers  werk  strotzen  von  Wendungen  aus  Yirgil  und 
anderen  antiken  autoren.  Sie  haben  gewiss  nicht  so  gelautet. 
Das  sind  gründe  genug,  der  quellenangabe  Herigers  grösstes 
mistrauen  entgegenzubringen  und  sie  nicht  anders  einzuschätzen 
als  die  schon  besprochenen.  In  dieser  auffassung  wird  man 
nur  noch  bestärkt  werden,  wenn  man  liest,  dass  der  bischof 
Notker  von  Lüttich  bei  der  anfrage  Herigers,  ob  das  abfassen 
einer  Translatio  sei.  Landoaldi  sociorumque  genehm  sei,  zu- 
stimmend genickt  habe.  Die  innige  freundschaft  beider  männer 
ist  hinlänglich  bekannt  (ADB.  12, 111),  und  ihr  eifer  in  den 
klassischen  Studien  desgleichen.  Ihre  Interessen  lagen  ganz 
wo  anders  als  auf  dem  eigentlichen  gebiet  der  hagiographie. 
Wir  dürfen  wol  annehmen,  dass  sie  auf  das  'stilgerecht'  mehr 
wert  legten,  als  auf  eine  wortgetreue  widergabe  ihrer  angeb- 
lichen quellen.  Für  sie,  die  sich  gegenseitig  bei  ihren  lite- 
rarischen arbeiten  unterstützten,  war  es  eine  passende  gelegen- 
heit,  ihre  Vertrautheit  mit  dem  klassischen  stil  zu  zeigen. 
Ihre  quellenangabe  war  ein  Zugeständnis  an  die  allgemeinheit, 
die  sich  eben  die  lebensbeschreibung  und  die  translation  eines 
heiligen  mit  gutem  instinct  nicht  ohne  zeugen  denken  konnte. 
Böser  wille  braucht  übrigens  bei  solchen  gebeinaufflndungen 
und  reliquientranslationen  nicht  vorhanden  gewesen  zu  sein 
und  war  es  wol  auch  hier  nicht.  Dafür  darf  nur  auf  die  ent- 
deckung  der  reliquien  der  hll.  Gervasius  und  Prothasius  durch 
den  hl.  Ambrosius  von  Mailand  verwiesen  zu  werden:  die  ab- 
sieht zu  betrügen  war  da  vollkommen  ausgeschlossen. 

Andere  beispiele  von  merkwürdigen  buchauffindungen  und 
buchverlusten  begegnen  uns  nicht  weit  von  Herigers  wohnsitz 
in  Trier.  Auch  hier  haben  wir  es  mit  fabulistischen  angaben 
zu  tun.  In  der  in  den  ASS.  Jan.  II,  922  veröffentlichten  Vita 
SS.  Eucliarii,  Valerii  et  Materni  heisst  es  in  der  schlussnotiz, 
dass  der  Verfasser  das,  was  er  über  die  taten  der  hll.  väter 


318  WILHELM 

berichte .  in  zerstreuten  blättern  geschrieben  gefunden  habe, 
als  man  nach  der  Zerstörung  von  Trier  die  asche  auf  ihre 
reste  hin  untersuchte. 

Im  prolog  zur  Vita  sei.  Paulini  ep.  Treverensis  (ASS.  Aug. 
VI,  676)  werden  als  quellen  für  die  folgende  biographie  erzäh- 
lungen  älterer  leute  und  zerstreute  notizen  in  den  büchern 
über  die  heiligen  väter  genannt.  Der  unbekannte,  offenbar 
Trierer  Verfasser,  versichert,  dass  früher  in  Trier  ziemlich 
umfängliche  volumina  über  die  gesta  Paulini  existiert  hätten; 
sie  seien  aber  nach  gottes  unerforschlichem  ratschluss  ein  raub 
der  flammen  geworden. 

Aehnlich  lautet  die  quellenangabe  in  der  Vita  sei.  Felicis 
ep.  Treverensis  (ASS.  Mart.  III,  622  D  f.).  Durch  die  häufige 
Verwüstung  Triers  seien  viele  lebensbeschreibungen  von  Trierer 
heiligen  im  feuer  zu  gründe  gegangen  und  längst  wol  wären 
nach  der  meinung  des  Verfassers  deshalb  die  organa  zum  lobe 
dieser  heiligen  an  den  wassern  des  Trierer  Babels  (s.  Ps.  136,1) 
verstummt,  wenn  sie  nicht  erneut  worden  wären  durch  die 
wenigen  tropfen  eines  so  grossen  meeres,  welche  sich  in  alten 
zetteln  und  in  die  erde  vergrabenen,  bleiernen  oder  marmornen 
tafeln  befanden.  Nach  dieser  bombastisch-schwülstigen  angäbe 
erklärt  der  geistliche  fabulist  das  spärliche,  was  er  über  das 
leben  seines  heiligen  in  zerstreuten  notizen  gefunden  habe, 
kurz  zusammenfassen  zu  wollen.  Er  hätte  es  entschieden 
kürzer  tun  können.  Sein  vorbild  war  die  Martinusvita  des 
Sulpicius.  Er  hat  sie  eifrig  studiert,  aber  weder  inhaltlich 
noch  stilistisch  erreicht.  Mit  seiner  quellenangabe  hat  er 
offenbar  diejenige  der  Vita  sei.  Paulini  nachgeahmt.  Schon  die 
nennung  des  hl.  Paulinus  deutet  darauf  hin. 

Nicht  viel  anders  steht  es  mit  dem,  was  der  abt  Stephanus 
von  Lüttich  in  der  praefatio  zu  seiner  um  1107  verfassten 
Schrift  Vita  et  miracula  sei.  Modoaldi  ep.  Treverensis  (ASS. 
Mai  III,  51  Cf.)  über  seine  quellen  berichtet.  Die  Verwüstungen, 
mit  denen  die  barbaren  Gallien  und  Trier  heimsuchten,  sind 
nach  ihm  der  grund,  dass  quellenschriften  über  das  leben  des 
hl.  Modoald  fehlen.  Trotzdem  will  Stephanus  das,  was  er  da- 
rüber aus  den  erzähl ungen  älterer  leute  und  der  lectüre 
'authentischer'  (!)   Schriften   erfahren  hat,   in  seinem  werke 


ÜEBER  FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  319 

zusammenfassen.  Ein  antiker  aretaloge  oder  sclireiber  einer 
rpsv6/)g  loroQia  hätte  nicht  schöner  fabulieren  können. 

Auch  der  abt  Nizo  von  Mettlach,  Verfasser  einer  Vita  sei. 
JBasini  ep.  Treverensis  gehört  in  diesen  cliorus.  Nach  seiner 
praefatio  (ASS.  Mart.  I,  315  D  f.)  ist  die  furibunda  rahies  der 
Normannen  für  den  mangel  an  quellen  über  das  leben  seines 
heiligen  verantwortlich.  Durch  sie  sei  nämlich  nicht  bloss  die 
Vita  sei.  Basini  verloren  gegangen,  sondern  noch  eine  grosse 
zahl  anderer  Acta  Sanctorum.  Weil  es  aber  doch  nützlich  und 
heilbringend  sei,  ea,  quae  de  celehri  eins  vita  ad  nos  emanarunt, 
der  nachweit  zu  überliefern,  soll  trotz  des  fehlens  einer  quelle 
dem  leser  eine  stilgerechte  Basinusvita  geboten  werden. 

Solche  angaben  erinnern  sehr  an  die  Reimser  hagiographie, 
sie  werden  aber  auch  in  Trier  von  alters  her  üblich  gewesen 
sein.  Denn  nirgends  stak  man  so  tief  in  antiken  traditionen 
wie  hier,  und  nirgends  war  man  auch  so  stolz  darauf.  Eine 
altera  Borna  nennt  Stephanus  in  seinem  Modoaldusleben  die 
Stadt,  und  stolz  citiert  der  Verfasser  der  Gesta  Treverorum 
(MG.  SS.  VIII,  131, 6  f.)  die  verse  des  marmornen  Epitaphiums, 
welches  Hero  seinem  vater  Trebetas,  dem  gründer  von  Trier, 
setzte.  Auch  auswärts  scheint  dieses  offenbar  'ausgegrabene' 
denkmal  furore  gemacht  zu  haben,  denn  in  seiner  Willibrordus- 
vita  verweist  Thiotfrid  pietätvoll  auf  diese  jüngst  in  einem 
grabe  entdeckte  aufschrift,  und  nicht  minder  ehrfurchtsvoll  tut 
dies  Otto  von  Freising  I,  8  (vgl.  MG.  t.  c.  131,  49  f.). 

In  Trier  hat  man  aber  auch  noch  eine  andere  buchauffin- 
dung  gemacht.  Sie  ist  entschieden  die  originellste,  entbehrt 
jedoch  nicht  ganz  eines  kirchenpolitischen  Zweckes.  Dort  ent- 
deckte man  nämlich  das  buch  Hay  Matay  (n-^n^  ti),  d.  i.  das 
leben  Matthiae.    Nach  dem  prolog  der  wahrscheinlich  •)  anonym 

^)  Gegen  die  Verfasserschaft  des  mönches  Lambert,  die  seit  Hilar  (vgl. 
Waitz,  MG.  SS.  Yin,  226  f.)  angeiiommen  wird,  spricht  die  nichterwähming 
des  wideraufbaues  der  1131  abgebrannten  klosterkirche  von  St.  Eucharius 
und  deren  weihe  durch  Engen  III.  Die  auf  den  prolog  folgende  widmung 
ist  ausser  in  den  von  Lazius  benutzten  hs.  nur  noch  in  der  von  Hilar 
citierten  Trierer  vorhanden;  in  allen  übrigen  fehlt  sie.  Nur  in  der  von 
Hilar  eingesehenen  hs.  finden  sich  in  der  widmung  die  uameu  von  Lambert 
und  dem  seit  mitte  des  12.  jh.'s  regierenden  abte  Ludwig.  In  der  widmung 
steht  nichts,  was  nicht  aus  dem  prolog  stammen  könnte.  Mir  scheint  es 
kaum  glaiiblich,  dass  der  Verfasser  der  auf  das  Hay  Mathay  zurückgehenden 


320  WILHELM 

Überlieferten  Acta  sei.  MaUhiae  (ASS.  Febr.  III,  441  f.)  gieng 
das  folgendermassen  zu.  Der  Verfasser,  ein  möncli  des  dem 
lil.  Eucliarius  und  seinen  genossen  geweihten  klosters  in  Trier, 
hatte  den  heissen  wünsch,  das  leben  und  die  taten  des  hl. 
Matthias,  die  er  bei  keinem  kirchenschriftsteller  entdecken 
konnte,  aufzufinden.  Da  er  bei  seinen  bemühungen  keinen 
erfolg  hatte,  wurde  er  niedergeschlagen.  Ein  priester  mit 
dem  namen  Theodorus,  der  ihn  nach  dem  grund  seines  trüben 
Wesens  fragte,  und  dem  er  ihn  angab,  verwies  ihn  an  einen 
Juden,  der  im  besitz  eines  buches  sei,  das  den  titel  Liber 
Damnatorum  führe  und  von  dem  ende  des  Matthias,  der  beiden 
Jakobe  und  des  Stephanus  berichte.  Es  traf  sich  gut,  dass 
der  Verfasser  gerade  damals  bei  einem  Juden  Unterricht  im 
hebräischen  genommen  hatte.  Er  begab  sich  zu  dem  von 
Theodorus  bezeichneten  Juden,  bekam  aber  anstatt  des  Liber 
Damnatonim  die  schrift  Sir  Hasirim  (ni-iiu:!!  -iim),  d.  i.  das  hohe 
lied.  Darüber  war  er  so  entrüstet,  dass  er  beinahe  mit  der 
hand  ausgefahren  wäre,  denn  der  Jude  wollte  ihn  aus  an- 
geborenem hass  gegen  die  Christen  täuschen.  'Wie,  du  schmie- 
riger krämer',  sagte  er,  'du  willst  einen  cleriker,  der  tiefgelehrt 
in  den  hebräischen,  griechischen  und  lateinischen  Wissenschaften 
ist,  täuschen?  Kaum  ist  etwas  griechisches  oder  lateinisches 
in  eurer  bibliothek,  das  ich  nicht  kenne.'  Der  Jude  bekam  es 
mit  der  angst  zu  tun,  weil  er  glaubte,  es  könne  ihm  bei  seinem 
vorgesetzten,  zu  dem  der  Verfasser  in  guten  beziehungen  ge- 
standen haben  will,  schaden.  Er  versprach  alles  wider  gut 
machen  zu  wollen  und  brachte  ein  buch  mit  dem  titel  Hay 
Mathay  her.  "Weil  er  glaubte,  der  Verfasser  verstünde  alles, 
was  in  dem  buche  enthalten  war,  übersetzte  er  den  ganzen 
inhalt  der  Wahrheit  gemäss  für  einen  lohn  von  23  solidi.  Nach 
einem  jähr  bezeugte  ein  anderer  Jude  dem  erzbischof  von  Trier, 


acten  sich  das  datum  der  für  Trier  und  die  apostelreliqiiien  wichtigen  con- 
secration  der  klosterkirche  zu  St.  Eucharius  entgehen  Hess ,  wenn  er  die 
ASS.  t.  c.  448  E  f.  und  MG.  SS.  t.  c.  228  f.  veröffentlichten  acteu  benutzt 
hätte  (s.  Waitz  s.  226  f.).  Seine  neiguug  ist  es  gerade,  mit  festen  daten  zu 
paradieren.  Ich  kehre  also  zu  der  ansieht  von  Henschen  (ob  das  Lipsius 
stillschweigend  getan  hat,  weiss  ich  nicht)  zurück  und  meine,  entweder 
sind  die  namen  Lambert  und  Ludwig  oder  die  an  sehr  merkwürdiger  stelle 
stehenden  widmungsworte  überhaupt  Interpolation. 


ÜEBER   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  321 

dass  alles  in  des  Verfassers  werk  richtig  sei.  Er  bestritt 
nur,  dass  in  dem  anfangs  wort  des  dritten  verses  von  psalm  41 
(42)  mathay  (Tn  =  wann)  eine  anspielung  auf  den  namen  des 
apostels  enthalten  sei.  Dem  Juden  war  bei  dieser  Zeugnis- 
ablegung mit  dem  Verlust  seiner  ganzen  habe  gedroht  worden. 
Zu  gleicher  zeit  wurde  einer  nonne  nach  dreitägigem  fasten 
ebenfalls  der  Inhalt  der  acta  als  wahr  geoffenbart. 

Aus  den  citaten  der  acta  ergibt  sich,  dass  der  Verfasser 
ein  paar  hebräische  worte  wusste.  Er  hat  sie  aber  kaum  von 
einem  gelehrten  Juden,  sondern  aus  irgend  einem  bibelcommentar. 
Die  hebräischen  kenntnisse  giengen  keinenfalls  tief.  Das  zeigt 
deutlich  die  falsche  transcription  der  hebräischen  buchstaben 
chet  und  schin  durch  li  und  s.  Eine  hebräische  grundschrift, 
als  angebliche  quelle,  wählte  sich  aber  der  Verfasser  nicht 
aus  renommisterei,  wie  man  leicht  meinen  könnte,  sondern  aus 
ganz  bestimmten  gründen.  Er  knüpfte  an  die  quellenangabe 
der  Abdiassammlung  an.  "Wollte  er  nämlich  seinem  Matthias- 
leben glauben  und  ansehen  verschaffen,  so  konnte  er  sich  nur 
auf  ein  buch  berufen,  das  mit  der  angeblichen  quelle  der 
Abdiassammlung  gleichzeitig  und  gleichsprachlich  war,  und 
dieses  konnte  nur,  wie  das  werk  des  Abdias  selbst,  eine  alte 
hebräische  schrift  sein.  Vor  lauter  betonen  seiner  hebräischen 
quelleuschrift  ist  der  Verfasser  aber  aus  dem  concept  gekommen. 
Seine  entrüstung  lässt  sich  vollkommen  begreifen,  als  ihm  der 
Jude  statt  des  Liber  Bamnatorum  das  Hohelied  gab,  aber 
nicht  recht  fassbar  ist  es,  weshalb  er  sich  dann  mit  dem  buch 
Hay  Mathai/  zufrieden  gab  und  nach  dem  Liber  Damnatorum, 
das  doch  drei  heiligenleben  und  vielleicht  auch  von  dem  Uaij 
Mathaij  abweichende  nachrichten  bot,  nicht  weiter  forschte. 
Der  Verfasser  ist  nach  1131  an  die  arbeit  gegangen,  denn  er 
erwähnt  den  brand  der  klosterkirche  von  St.  Eucharius  (ASS. 
t.  c.  447  F),  der,  wie  die  wahrscheinlich  von  dem  Trierer  mönch 
Lambert  nach  1148  verfassten  Matthiasacten  (ASS.  t.  c.  450  D; 
LpA.  II,  2, 267  f.)  berichten,  1131  sich  ereignet  hat.  Wahr- 
scheinlich fällt  die  abfassung  der  Hay  Mathay-exteii  aber  erst 
in  das  fünfte  Jahrzehnt  des  12.  Jahrhunderts.  Die  darin  an  den 
tag  tretende  antisemitische  tendenz  passt  am  besten  in  die 
jähre  1145/46,  als  durch  die  kreuzzugsbewegung  der  hass  der 
Christen  gegen  die  Juden  entfacht  T\Tirde  und  förmliche  juden- 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche,    XXXIH.  21 


322  WILHELM 

hetzen  entstanden.  Ueber  das  jabr  1147  darf  man  die  nieder- 
scbrift  aber  kaum  hinausschieben,  weil  sonst  wol.  wie  in  Lam- 
berts acten,  der  an  den  iden  des  Januars  1148  durcli  papst 
Eugen  III.  vorgenommenen  weihe  der  wider  neu  errichteten 
klosterkirche  gedacht  worden  wäre.  Ist  diese  datierung  richtig, 
dann  liegt  es  nahe,  anzunehmen,  dass  die  schrift  mit  rücksicht 
auf  die  voraussichtliche  anwesenheit  Eugens  in  Trier  verfasst 
wurde.  Es  war  die  günstigste  gelegenheit,  von  dem  mit  seinen 
Römern  verzankten  papst  Zugeständnisse  zu  erlangen  und  eine 
art  beglaubigung  über  die  echtheit  des  Trierer  apostelgrabes 
zu  erwirken.  Ein  apostelgrab  hat  man  aber  ausserhalb  Roms 
nie  gern  gesehen,  vor  allem  in  einer  Stadt  nicht,  die  sich  als 
altera  Borna  gerieren  wollte.  Sobald  die  politische  Situation 
für  das  papsttum  besser  geworden  war,  hat  man  auch  von 
Rom  aus  die  echtheit  des  Trierer  apostelgrabes  energisch  an- 
gefochten und  ihm  durch  ablasse  genau  so  wie  dem  in  Sant 
Jago  concurrenz  gemacht.  Es  wäre  dann  weiterhin  nicht 
unmöglich,  dass  der  Jude,  der  ein  jähr  nach  der  auf  findung 
des  Hay  3Iatliay  dem  erzbischof  von  Trier  die  Wahrheit  des 
Inhaltes  der  angeblich  darauf  fussenden  acten  bezeugen  musste, 
wirklich  vernommen  worden  ist,  natürlich  dann  unter  schweren 
androhungen  oder  gar  folter.  Wir  können  offenbar  nicht  in 
alle  geschichtlichen  Vorgänge  jener  tage  hineinsehen  und  jeden 
faden,  der  damals  gesponnen  wurde,  erkennen.  Sehr  wenig 
vertrauenerweckend  ist  es,  dass  gerade  diese  acten  wahrschein- 
lich anonym  in  die  weit  gesetzt  worden  sind,  da  der  Verfasser 
doch  durch  das  entdeckte  Hay  Mathay,  wenn  es  eben  existiert 
hätte,  sich  einen  namen  machen  und  mit  gutem  gewissen  auch 
hätte  nennen  können.  Hier  ist  etwas  nicht  in  Ordnung.  Ich 
halte  die  Trierer  Hay  Mathay -acten  für  das  am  wenigsten 
harmlose,  was  seit  Hinkmars  Remigiusvita  auf  hagiographischem 
gebiete  geschrieben  worden  ist.  Literarisch  knüpfte  ihr  Ver- 
fasser an  seine  hagiographischen  Vorgänger  an  und  literarisch 
hat  er  nicht  anders  als  diese  gewirkt.  Deshalb  gehört  seine 
quellenangabe  hierher. 

Unschuldiger  ist  die  geschichte  von  der  auffi.ndung  einer 
Albanusvita  unter  Eadmar  dem  9.  abt  von  St.  Albans,  über 
die  Matthaeus  von  Paris  in  seinen  Vitae  viginti  trium  S. 
Alhani  abb.  (hg.  AMlhelm  Wats,  S.  25  D,  sp.  b  f.)  ausführlich  be- 


ÜEBER  FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  323 

riclitetJ)  Eadmar  hatte  nacligrabungen  in  der  alten  Römer- 
stadt Veriilam  anstellen  lassen.  Dabei  stiessen  seine  gräber 
auf  einen  in  die  niauer  eingelassenen  hohlraum,  der  einem 
almariolum  (d.  i.  wol  ^=  hnocMamer,  s.  Diefenbacli,  Gl.  lat.- 
germ.  48  c  f.)  glich  und  neben  kleineren  büchern  und  rollen, 
cumsdam  codicis  ignotum  volumen  enthielt.  Weil  das  buch 
da  so  lange  gelegen,  war  es  ein  wenig  defect.  Sprache  und 
Schrift  waren  wegen  ihres  alters  unbekannt,  die  buchstaben 
aber  schön  in  der  form  und  deutlich,  die  Überschriften  glän- 
zend in  goldenen,  verzierten  lettern.  Eichene  deckel  und 
seidene  bänder  hatten  für  einen  grossen  teil  des  buches  die 
ehemalige  deutlichkeit  und  Schönheit  erhalten.  Endlich,  nach- 
dem man  lange  schon  sich  bemüht  hatte,  näheres  über  das 
buch  zu  erfahren,  trieb  man  einen  uralten  priester,  namens 
Vnvvona  auf,  der  die  verschiedensten  sprachen  und  alphabete 
kannte  und  auch  die  schrift  dieses  buches  entzifferte.  Die 
übrigen  hss.,  welche  in  diesem  almariolum  gefunden  wurden, 
las  er  gleichfalls,  ohne  zu  zweifeln.  Das  grosse  und  rätsel- 
hafte buch  war  eine  Uistoria  de  sco.  Älhano  Änglorion  proto- 
martyre.  Es  war  in  der  schrift  geschrieben,  deren  sich  die 
einstigen  einwolmer  von  Verulam  bedienten;  seine  spräche 
war  brittisch.  Die  übrigen  bücher,  lateinisch  geschrieben, 
enthielten  heidnische  öpferriten,  gebete  an  Phoebus  und  Mer- 
curius,  von  den  Engländern  Vvoden  genannt:  sie  wurden 
sammt  und  sonders  als  teuf  eiswerke  verbrannt.  Die  in  'eng- 
lischer' oder  'britannischer'  spräche  geschriebene  Albanusvita 
liess  Eadmar  nach  den  Worten  des  alten  priesters  durch  be- 
gabte brüder  im  convent  erklären  und  durch  öffentliche  pre- 
digt verbreiten.  Nachdem  aber  die  vita  ins  lateinische  über- 
setzt war,  zerfiel  —  es  klingt  wie  ein  wunder  —  das  brittische 
original  plötzlich  un widerherstellbar  in  staub.  Das  heisst  doch 
uz  der  hühsen  gießen  stouhine  mergriezen! 

Aehnliche  buchentdeckungen  wie  in  Frankreich,  Deutsch- 
land und  England  wurden  auch  in  Italien  gemacht.  So  be- 
richtet Alexander  ab  Alexandro  in  seinen  Genial.  Dier.  3,  15 


')  S.  auch  Wattenbach,  Schriftwesen^  s.  413.  R.  Priebsch  hat  mich 
mündlich  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  auch  bei  deu  Iren  ähnliche 
geschichten  zu  finden  seien, 

21* 


324  WILHELM 

(auch  Felix  Liebreclit,  Des  Gervasius  von  Tilbury  Otia  im- 
perialia,  Hannover  1856.  s.  160).  dass  zu  den  zeiten  Ferdinands, 
des  ersten  königs  von  Arragonien,  der  heilige  mann  Cataldus 
nach  tausend  jähren  einem  seiner  nachfolger  auf  dem  Taren- 
tiner  bischofsstuhl  im  träum  erschienen  sei  und  ihn  aufgefordert 
habe,  ein  von  ihm  verfasstes,  an  einem  entlegenen  ort  ver- 
borgenes buch  über  göttliche  geheimnisse  auszugraben  und 
vor  den  könig  von  Neapel  zu  tragen.  Der  priester  habe  den 
traumgesichten  zuerst  keine  grosse  beachtung  geschenkt,  bis 
ihm  endlich  bei  einer  nachtwache  Cataldus  im  bischofsornat 
erschienen  sei  und  ihm  unter  androhung  schwerer  strafe  be- 
fohlen habe,  beim  nächsten  morgengrauen  seinem  auftrag  nach- 
zukommen. Der  priester  sei  daher  am  folgenden  tage  mit 
einer  grossen  prozession  dahingezogen,  wo  seit  langem  das 
buch  des  Cataldus  verborgen  lag.  Dort  sei  es  mit  tafelartigen 
bleiplomben  und  nageln  versiegelt  aufgefunden  worden.  Sein 
inhalt  seien  allerhand  Prophezeiungen  für  den  könig  gewesen, 
die  sich  später  alle  sanimt  und  sonders  erfüllt  hätten. 

Für  uns  ist  diese  mit  Neapel  in  Zusammenhang  gebrachte 
geschichte  deshalb  interessant,  weil  die  gleiche  in  der  sage 
vom  Zauberer  Virgil  vorkommt.  Gervasius  von  Tilbury  er- 
zählt sie  in  seinen  Ot.  imp.  cap.  112  (Liebreclit  s.  49f.):  Einst 
sei  zu  könig  Roger  von  Sicilieu  ein  hochgelehrter,  im  trivium 
und  quadruvium  wolbewanderter,  auch  mit  physik  und  astro- 
nomie  engvertrauter  magister  englischer  nation  gekommen  und 
habe  ihn  um  die  gebeine  des  dichters  Yirgil  gebeten,  wenn 
er,  der  Engländer,  sie  innerhalb  der  grenzen  des  königreichs 
auffinden  könne.  Der  könig  habe  die  bitte  gewährt,  und  der 
Engländer  sei  mit  geleitsbriefen  versehen  nach  Neapel  ge- 
zogen. Dort  habe  er  in  einem  berg,  wo  kein  riss  auch  nur 
eine  spur  von  einem  grabe  angedeutet  habe,  durch  seine  kunst 
allein  die  letzte  ruhestätte  des  dichters  gefunden.  Die  stelle 
sei  angegraben  und  nach  vieler  mühe  das  grab  blossgelegt 
worden.  Darin  habe  er  Virgils  körper  und  zu  dessen  häupten 
die  ars  notatoria  mit  anderen  in  Charakteren  geschriebenen 
Studien  von  Yirgil  gefunden.  Aus  dieser  ars  notatoria  will 
Gervasius  selbst  auszüge,  die  sich  ein  cardinal  Johann  von 
Neapel,  ein  Zeitgenosse  des  papstes  Alexander,  angefertigt 
habe,  gesehen  haben  (s.  auch  Germ.  4, 293  f.). 


UEBER   FABULISTISCIIE   QUELLENANGABEN.  325 

Es  ist  sehr  wol  möglich,  dass  einmal  ein  Virgil Verehrer 
aus  England  bei  Roger  nm  die  erlanbnis,  nach  dem  grabe  des 
dichters  forschen  zu  dürfen,  gefragt  hat.  Er  wird  auch  nach- 
gegraben und  vielleiclit  die  aufmerksamkeit  der  Neapolitaner 
auf  sich  gelenkt  haben.  Er  ist  möglicherweise  auch  auf  irgend 
ein  altes  grab  gestossen,  doch  wird  er  bei  seinen  ausgrabungen 
kaum  ein  so  geheimnisvolles  buch,  wie  Gervasius  berichtet, 
gefunden  haben,  vorausgesetzt  dass  es  nicht  von  vornherein 
auf  einen  schwinde!  angelegt  war.  Trotzdem  braucht  aber 
nicht  daran  gezweifelt  zu  werden,  dass  dem  Gervasius  aus- 
züge  aus  diesem  angeblich  damals  aufgefundenen  Virgilwerk 
vorgelegt  wurden.  Als  Gervasius  nach  Neapel  kam,  gab  es 
schon  eine  Yirgilsage  und  der  grosse  epiker  war  zum  wol- 
täter  und  Schutzpatron  der  Neapolitaner  geworden.  Ihn  fürch- 
teten sie  wie  einen  heiligen  und  ihn  suchten  sie  sich  gut  zu 
stimmen,  wie  man  sich  einen  fürsprecher  im  himmel  geneigt 
zu  stimmen  sucht.  Der  volksmund  hatte  auf  ihn  auch  heiligen- 
wunder übertragen.  So  wie  man  bei  ihm  die  ars  notaforia 
fand,  hatte  man  schon  im  jähre  458  bei  der  ausgrabung  der 
gebeine  des  hl.  Barnabas  auf  C3^pern  auf  der  brüst  des  heiligen 
liegend  ein  von  ihm  eigenhändig  geschriebenes  Matthaeus- 
evangelium  gefunden  (LpA.  II,  2,  300  f.).  Auch  hier  haben  wir 
also  wider  das  alte,  aus  den  östlichen  mittelmeerländern  stam- 
mende motiv  von  der  buchaufflndung  im  grabe  eines  längst 
dahingeschiedenen. 

Bis  jetzt  sind  bloss  werke  der  mittellateinischen  literatur 
zum  beweis  für  die  häufigkeit  des  antik-aretalogischen  buch- 
auffindungsmotives  bei  quellenangaben  im  mittelalter  heran- 
gezogen worden.  Es  hat  sich  gezeigt,  dass  die  hagiographen, 
also  gelehrte,  des  lateinischen  mächtige  männer,  mittelbar, 
aber  auch  hie  und  da  unmittelbar,  das  motiv  aus  dem  klassi- 
schen altertum  in  das  mittelalter  hinübergeleitet  haben:  geist- 
liche schriftsteiler  haben  es  in  der  mittelalterlichen  literatur 
heimisch  werden  lassen.  Nur  einmal  haben  wir  bis  jetzt  den 
einfluss  eines  anderen  Standes  auf  eine  solche  quellenangabe 
vermutet.  Balther,  der  Verfasser  der  Fridolinsvita,  hatte,  wie 
wir  hörten,  sich  mehrere  jähre  unter  den  fahrenden  herum- 
getrieben. Vielleicht  ist  es  richtig,  dass  er  einstmals  die 
klosterschule  von  St.  Gallen  besucht  hat,  und  er  könnte  daher 


326  WILHELM 

durch  literarische  quellen  zu  seiner  angahe  veranlasst  worden 
sein.  Es  ist  aber  auch  nicht  unmöglich,  dass  er  auf  seinen 
Zügen  als  handwerksbursche  mit  seinesgleichen,  fahrendem 
Volk,  zusammengekommen  ist  und  von  diesen  ähnliches  gelehrt 
oder  wenigstens  zu  seiner  quellenangabe  teilweise  mit  angeregt 
worden  ist.  Es  ist  bekannt,  wie  gerade  die  fahrenden  Sänger, 
die  minien  und  Jongleure  allerhand  aus  dem  klassischen  alter- 
tum  hinübergerettet  hatten.  Vom  verbummelten  rhetor  und 
Verl  lederten  docenten  des  spätrömischen  altertums  bis  zu  den 
bänkelsängern  des  mittelalters,  denen  die  aus  dem  kloster  ent- 
Avichenen  cleriker  und  der  pfarre  sich  entziehenden  geistlichen 
neues  blut  zuführten,  geht  eine  ununterbrochene  historische 
kette.  Es  darf  daher  nicht  wunder  nehmen,  wenn  wir  auch 
bei  Schriftstellern,  die  mit  den  spielleuten  in  enger  fühlung 
standen,  oder  bei  diesen  selbst  ähnliche  aretalogische  quellen- 
angaben  finden. 

In  der  französischen  literatur  sind  sie  schon  meist  national 
gefärbt,  denn  weitaus  am  häufigsten  berufen  sich  die  fran- 
zösischen spielleute  auf  bücher  zu  St.  Denis.  Der  Zusammen- 
hang mit  der  hagiologie  ist  klar,  wenn  man  sich  an  die  schrift- 
stellerische tätigkeit  Hilduins  und  Hinkmars  und  an  das  grosse 
Interesse  erinnert,  welches  die  späteren  Karolinger  der  Ver- 
ehrung des  hl.  Dionj^sius  entgegenbrachten.  Hier  in  St.  Denis, 
wo  die  kostbarsten  reliquien  aufbewahrt  (s.  auch  WDLL.  158) 
und  die  fi-anzösischen  köuige  zur  letzten  ruhe  gebettet  wurden, 
war  geweihter,  jedem  Franzosen  heiliger  boden.  Nichts  war 
also  natürlicher,  als  dass  die  Jongleurs,  wenn  sie  die  liebe 
ihrer  beiden  zur  dolce  France  priesen,  ihre  vortrage  durch 
berufungen  auf  im  nationalheiligtum  gefundene  oder  verwahrte 
Schriften  glaubhafter  zu  machen  suchten.  So  war  der  antike 
gebrauch  des  fabulistischen  quellencitats  zeitgemäss  um- 
gemodelt in  den  dienst  der  nationalen  idee  getreten,  eine 
erscheinung,  mit  der  Frankreich  gewiss  allein  dasteht,  und  die 
auch  im  kleinen,  die  hier  im  gegensatz  zu  Deutschland  vor- 
hersehende richtung  nach  national -politischer  concentration 
erkennen  lässt.  Schon  in  der  bloss  der  Oxforder  hs.  fehlenden 
tirade  lila  (nach  Stengels  text)  der  Chanson  de  Roland  wird 
V.  14371  auf  eine  zu  St.  Denis  befindliche  geste  hingewiesen. 
Sie  verbürge  alle  beim  tode  Rolands  vorgefallenen  wunder 


UEBER   FABULISTISCHE    QUELLENANGABEN.  327 

schwarz  auf  weiss.  Ein  ähnliches  citat  findet  sich  auch  v.  1684 
in  den  hss.  V.  C5.  LP  6.  Die  franco-italiänische  bearbeitung 
der  chanson,  V^,  beruft  sich  gleich  im  anfang  auf  eine  zu  St. 
Denis  befindliche  französische  geste. 

Eingehender  ist  schon  die  quellenangabe  im  Fierahras 
V.  2  f.  *)  Der  Verfasser  weist  energisch  den  Vorwurf  der  lüge, 
der  ihm  etwa  gemacht  werden  könnte,  zurück,  denn  die  von 
ihm  erzählte  geschichte  stehe  in  einem  zu  St.  Denis  gefundenen 
buche,  das  dort  150  jähre  verborgen  gelegen  habe.  Von  diesem 
buche,  aber  nicht  von  den  150  jähren,  weiss  auch  die  von 
Immanuel  Bekker  herausgegebene  provencalische  bearbeitung 
des  Fierabras,  v.  32  f.  Dort  werden  an  der  dem  französischen 
text  entsprechenden  stelle  noch  bischöfe,  äbte,  cleriker,  raönche, 
priest  er  und  heilige  als  zeugen  für  die  Wahrhaftigkeit  des  vor- 
getragenen augerufen.  In  der  ersten  tirade  dieser  bearbeitung, 
die  uns  in  den  hss.  des  französischen  Fierabras  nicht  erhalten 
ist,  erfahren  wir  mehr.  Nach  ihr  wurde  die  quelle  im  kloster 
St.  Denis  bei  Paris  unter  dem  hauptaltar  gefunden.  Der  glück- 
liche finder  war  ein  mönch  namens  Richier. 

Auf  Chroniken  in  der  abtei  St.  Denis  beruft  sich  auch  die 
einleitung  der  hs.  c  vom  Doon  de  Maience  (vgl.  Peys  ausgäbe 
s.  348).  Vielleicht  war  in  der  ursprünglichen  fassung  derselben 
auch  von  einer  buchauf findung  die  rede:  die  Überlieferung  des 
gedichtes  ist  sehr  schlecht  und  der  verderbte  v.  12  der  hs.  a 
scheint  darauf  hinzudeuten. 

In  den  werken  des  Adenet  le  roi,  die  nationale  Stoffe  be- 
handeln, begegnen  die  gleichen  quelleuangaben.  Auch  da  ist 
St.  Denis  der  ausgangspunkt  alles  wahren.  Adenet  hat  es 
dabei  verstanden,  die  grazie  des  Romanen  mit  der  Schalk- 
haftigkeit des  internationalen  Jongleurs  zu  vereinen.  Seine 
quellenberufungen  sind  hochpoetisch.  Selbst  der  griesgrämigste 
moralist  w^ii'd  sich  diesem  eindrucke  nicht  entziehen  können. 
In  seinen  Enfances  Ogier  erzählt  er,  dass  er  zur  zeit,  da  der 
Winter  aufhört  und  die  bäume  zu  blühen,  die  kräuter  emporzu- 
spriessen  beginnen,  nach  St.  Denis  in  Frankreich  gegangen  sei, 


*)  Meinem  collegen  dr.  Leo  Jordan  verdanke  ich  den  hinweis  auf  den 
französischen  Fierabras  und  Doon  de  Maience.  Er  macht  auch  noch  auf 
Floovaut  V.  9—13  aufmerksam. 


328  WILHELM 

um  nachzuforschen,  ob  vielleicht  sich  dort  etwas  finde,  worauf 
er  in  Wahrheit  die  erzählung  gründen  könne.  Denn  er  habe 
nichts  weiter  hinzufügen  wollen,  was  nicht  wahr  sei,  und 
wolle  lügenhaftes,  wo  es  sich  fände,  bekämpfen  und  ausjäten. 
Ein  feingebildeter  mönch,  Nikolaus  von  Reims  genannt,  habe 
ihm  dort  die  geschichte  vom  anfang  bis  zum  ende  erklärt 
(Hist.  litt,  de  la  Fr.  20,  698).  Derselbe  Niklas  tritt  auch  in 
Adenets  Bueve  de  Commarchis  als  vermittler  einer  zwar 
schönen,  aber  schlecht  gereimten  quelle  auf  (Gröbers  Grundr. 
22, 1,  783).  Sein  romans  de  Berte  aus  grans  pies  beginnt  mit 
einer  den  Enfances  Ogier  ganz  ähnlichen  Quellenangabe.  Am 
ende  des  April,  zur  herrlichen  und  schönen  zeit,  da  die  kräuter 
hervorspriessen,  die  wiesen  grün  werden  und  die  bäume  nur 
einen  wünsch  haben:  voller  bluten  zu  stehen,  will  der  dichter 
in  Paris  gewesen  sein.  Weil  es  gerade  Karfreitag  war,  sei  er 
nach  St.  Denis  gegangen,  um  zu  beten.  Dort  habe  er  die  be- 
kauntschaft  eines  mönches  mit  dem  namen  Savari  gemacht, 
und  dieser  habe  ihm  ein  buch  mit  geschieht en  gezeigt,  unter 
denen  sich  auch  die  erzählung  von  Berta  und  Pippin  und  von 
Pippins  löwenkarapf  befand.  Stümper  von  spielleuten  und 
dumme  scribenten  hätten  die  geschichten,  als  sie  von  ort  zu 
ort  herumziehend  sie  sammelten,  verfälscht.  Er  sei  deshalb 
bis  zum  dieustag  in  St.  Denis  geblieben  und  habe  so  die  wahre 
geschichte  mit  forttragen  können  (v.  1  f.  Hist.  litt,  de  la  Fr. 
20,  703;  J.  Bekker,  Fierabras  s.  175).  Diese  angaben  ent- 
sprechen ganz  denen  Balthers  in  der  Fridolinsvita  und  sie 
sind  ebensowenig  ernst  zu  nehmen.  Sie  tragen  den  Charakter 
des  fabulistischen  an  der  stii-n.  Die  frommen  gewährsmänner 
deuten  vielleicht  auf  Zusammenhang  mit  der  hagiographie.  Er 
war  gerade  in  den  kreisen,  zu  denen  Adenet  gehörte,  leicht 
möglich. 

An  die  praxis  des  Antonius  Diogenes,  des  Diktj's  und 
Dares  erinnert  die  prosaeinleitung  zum  Sone  de  Nausay  (Gold- 
schmidt 552, 1  f.),  die  mit  ihrer  art  der  quellenangabe  einzig 
in  der  altfranzösischen  literatur  dasteht.  Sie  zerfällt  in  zwei 
fingierte  actenstücke.  In  dem  ersten  erklärt  Fane  von  Bei- 
ruth, die  enkelin  des  beiden,  schloss-  und  erbherrin  von  Cj^pern, 
dass  sie  ihrem  cleriker  Branque  den  auftrag  gegeben  habe, 
die  taten   ihrer  vorfahren  aufzuzeichnen.    Sie  selbst,  damals 


UEBER   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  329 

140  jalire  alt '),  möchte,  dass  diese  taten  aiicli  noch  nach  ihrem 
tode  erzählt  würden.  Deshalb  gab  sie  den  auftrag.  In  dem 
zweiten  schreiben  spricht  der  cleriker  Branqne.  Er  erzählt, 
dass  er  der  schlossherrin  von  Cypern  40  jähre  gedient  habe 
nnd  magister  der  logik,  physik,  Juristerei  und  astronomie  sei 
und  auch  etwas  von  geometrie  verstehe.  Er  habe  sich  nie  um 
ein  kirchliches  beneficium  beworben  und  sei  so  105  jähre  alt 
geworden.  Die  dame  von  Beiruth,  seine  lierrin,  habe  ihm  den 
auftrag  zu  dem  vorliegenden  gedieht  gegeben,  ebenso  den  stoff 
geliefert.  Dann  gibt  Branque  eine  kurzgefasste,  nicht  in  allen 
punkten  mit  dem  gedieht  übereinstimmende  Inhaltsangabe 
seines  folgenden  werkes.  Am  schluss  des  Schreibens  setzt  er 
die  verwantschaftlichen  beziehungen  der  Fane  von  Beiruth 
zum  beiden  der  dichtung  auseinander. 

Es  bedarf  wol  keines  weiteren  beweises,  dass  wir  es  mit 
einer  fabulistischen  quellenangabe  zu  tun  haben.  Schwerlich 
wird  ein  mann  im  alter  von  105  jähren  noch  die  geistige 
frische  besitzen,  um  ein  epos  von  mehr  als  21000  versen  zu 
verbrechen,  und  eine  140  jähre  alte  dame  wäre  ein  mediciuisches 
phänomen.  ein  renommierstück  für  jedes  moderne  Sanatorium. 
Die  inhaber  von  Schaubuden  auf  kirch weihen  und  vogel- 
schiessen  würden  auch  heute  noch  mit  recht  ein  solches  wunder 
als  nie  dagewesen  anpreisen.  Goldschmidt  hätte  also  die  worte 
'wenn  wir  der  angäbe  in  der  . . .  prosaeinleitung  trauen  dürfen', 
ohne  sich  gewissensbisse  machen  zu  brauchen,  fortlassen  können. 
Schwieriger  ist  die  frage  zu  beantworten,  ob  diese  angäbe 
unter  dem  einflusse  der  französischen  spielmannsepik  entstanden 
ist,  oder  ob  sie  nicht  vielmehr  gelehrter  tradition  ihren  Ursprung 
verdankt.  Ihre  briefform  erinnert,  wie  schon  bemerkt,  in  ver- 
dächtiger weise  an  Diktys  und  Dares  und  an  die  art  eines 
hagiographen  wie  Hilduin,  der  das  schreiben  seines  auftrag- 
gebers  mit  zwei  von  ihm  verfassten  briefen  seinem  Dionysius- 
leben  vorausschickt.  Kaum  wird  sich  mehr  genauer  feststellen 
lassen,  wo  der  Verfasser  des  Sone  literarisch  anknüpfte. 

Wie  in  Frankreich,  so  war  es  auch  in  Deutschland.    Der 


•)  Der  text  ist  552, 10  uicht  ganz  iu  ordniiug.  Vgl.  G.  Paris,  Rom. 
31,118  und  Gröber,  Grundriss  2^,  1,  784.  Jordan,  den  ich  wegen  der  stelle 
zw  rate  zog,  hält  die  Gröbersche  fassnng  für  die  einzig  richtige. 


330  WILHELM 

antike  fabulist  hatte  sich  hier  gleichfalls  unter  die  spielleute 
und  Vaganten  gemischt  und,  seit  langem  bei  ihnen  eingewöhnt, 
fortgefristet.  Doch  in  Deutschland  fehlte  es  sehr  bald  an  einem 
nationalen  mittelpunkt.  Die  spielleute  waren  deshalb  auf 
kleinere,  aber  politisch  selbständigere  höfe  angewiesen.  Ihre 
quellenangaben  sind  infolgedessen  verschiedenartiger,  doch  auch 
weniger  national  gefärbt.  AVie  eng  sie  dabei  mit  halbgelehrter 
theologischer  tradition  in  fülilung  standen,  zeigt  vielleicht  am 
besten  die  notiz  im  Salman  und  Morolf  v.  2506  f.,  nach  der 
könig  David  vor  dem  trojanischen  krieg')  das  saitenspiel  er- 
funden haben  soll.  Das  erinnert  an  die  bemerkung  Aelians 
über  Oiagros  und  an  die  Korinnosartikel  bei  Suidas  und  Eu- 
dokia.  Es  ist  die  verkirchlichte  rhetorenfabel,  die  beste  theo- 
logische legitimation  des  spielraannsstandes  gegenüber  den 
angriffen  der  geistlichkeit. 

Der  älteste  beleg  für  einen  fabulistischen  verweis  auf  ein 
fremdsprachliches  buch  in  der  deutschen  literatur  ist  vielleicht 
die  (quellenangabe  im  herzog  Ernst  B  4466  f.  und  D  3623  f. 
Wie  sich  aus  B  2246  und  D  2049  f.  ergibt,  berief  sich  schon 
der  Verfasser  der  gemeinsamen  quelle  von  B  und  D,  der  'erste 
deutsche  dichter  des  herzog  Ernst'  auf  ein  in  Bamberg  befind- 
liches lateinisches  buch.  Nach  D  3634  lag  es  dort  im  dorn. 
In  der  gemeinsamen  quelle  wird  auch  der  Vorwurf  der  lüge 
ebenso  energisch  wie  in  B  und  D  zurückgewiesen  worden 
sein.  Gerade  solchen  emphatischen  Wahrheitsbeteuerungen 
muss  man  aber  das  grösste  mistrauen  entgegenbringen.  Wir 
haben  ja  gesehen,  dass  selbst  geistliche  den  heiligen  geist  als 
zeugen  für  die  Wahrheit  ihrer  h agiographischen  fabeleien  an- 
riefen. Wie  die  quellenangabe  in  dem  von  B  und  D  gemeinsam 
benutzten  alten  gedieht  des  näheren  aussah,  lässt  sich  natür- 
lich nicht  mehr  feststellen,  denn  es  ist  verloren.  Es  soll  auch 
auf  diesen  beleg  nicht  allzu  viel  gewicht  gelegt  werden,  und 
wir  wollen  denen,  die  im  vertrauen  auf  die  Wahrhaftigkeit 
aller  quellenangaben  bei  mittelhochdeutschen  Schriftstellern 
häuser  bauen,  ihren  glauben  für  den  herzog  Ernst  nicht  er- 
schüttern; wird  doch  in  neuester  zeit  bestritten,  dass  der  ver- 


')  So  sind  Tvol  die  worte  vor  der  alden  Troie  vers  2508  zu  inter- 
pretieren. 


UEBER  FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  331 

fasser  des  alten  g-edichtes  ein  spielmann  gewesen  sei  oder  mit 
spielmannskreisen  in  enger  fülilung  gestanden  habe. 

Ein  solcher  war  aber  sicher  der  Verfasser  der  Klag-e.  Schon 
Lachmann  (Zu  den  Nib.  n.  z.  Kl.  s.  296  f.),  Müllenhof f  (Z.  gesch. 
d.  Nib.  s.  73  f.)  und  Scherer  (Literaturgesch.'^  s.  731)  haben  seine 
quellenangabe  als  höchst  unwahrscheinlich  bezeichnet,  v.  4295  f. 
(=  Lachmann  2145,  Edzardi  4675  f.)  gibt  er  an,  Pilgrim  von 
Passau,  der  im  Nibelungenlied  erwähnte  bischof,  habe  zuerst 
die  geschichte  von  den  Nibelungen  aufzeichnen  lassen,  damit 
man  künftighin  von  ihrer  Wahrheit  überzeugt  sei.  Ihm  habe 
der  videlaere,  worunter  man  nur  den  Heunenspielmann  Swem- 
melin  verstehen  kann,  bericht  erstattet,  denn  er  sei  als  augen- 
zeuge  dabei  gewesen.  Durch  Pilgrims  Schreiber  und  meister 
Konrad  sei  die  geschichte  aufgeschrieben  worden  und  zwar 
in  latinischen  huoclistahen.  Dass  diese  lateinische  schritt  ein 
gedieht  war,  wird  nirgends  gesagt.  Seit  der  Konradischen 
aufzeichnung,  so  schliesst  der  Verfasser  seine  quellenangabe, 
sei  die  geschichte  oft  Stoff  dichterischer  behandlung  in  deutscher 
spräche  geworden  und  bei  alt  und  jung  bekannt. 

Auch  gar  nichts  ist  an  dieser  quellenangabe  glaubwürdig, 
wie  erst  kürzlich  Gustav  Roetlie ')  in  einem  Vortrag  versichert 
hat.  Ein  pocma  licroicum  hinter  der  aufzeichnung  Konrads 
zu  vermuten,  gibt  auch  kein  einziges  wort  des  gedichtes  an- 
lass.  Im  gegenteil,  der  als  augenzeuge  eingeführte,  mit  namen 
aber  nicht  genannte  Swemmelin  zeigt  deutlich,  zu  welcher 
art  von  quellenangaben  die  der  Klage  gehört.  Yixy  den 
deutschen  dichter  war  das  lateinische  buch  ungefähr  dasselbe, 
was  für  den  des  lateinischen  kundigen  geistlichen  ein  grie- 
chisches oder  hebräisches  war.  Es  ist  sehr  wol  möglich,  dass, 
wie  Friedrich  Vogt,  Pauls  Grundriss  2, 1^,  242  feinsinnig  be- 
merkt hat,  die  angäbe  der  Klage  eine  antwort  auf  den  hieb 
des  Verfassers  der  Kaiserchronik  (MG.  Deutsche  ehr.  I„  hg.  v. 
E.  Schröder,  v.  14176  f.  und  anm.  2  s.  337)  gegen  jene  Sänger  ist, 
die  Dietrich  von  Bern  an  dem  hofe  Etzels  erscheinen  Hessen. 
Leider   lässt   sich   aus   den   werten  der  Kaiserchronik  nicht 


')  G.  Roethe,  Humanistische  und  nationale  bildung,  eine  historische 
betrachtuug.  Berlin  1906,  s.  17  f.  Ueber  Nagls  ansieht  hat  schon  E.  Martin, 
DLztg.  1907,  sp.  220i  f.  das  richtige  wort  gesprochen, 


332  WILHELM 

entnehmen,  ob  die  ihrem  Verfasser  so  verhassten  spielleute 
sich  wirklich  auf  qnellenschriften  berufen  haben  oder  nicht. 
Die  möglichkeit  solcher  quellenang-aben  oder  gar  die  berufung 
auf  augenzeugen  wäre  bei  ihnen  kaum  ausgeschlossen.  Be- 
weisen lässt  sich  aber  nichts:  ihre  lieder  sind  wol  für  immer 
verloren. 

Vollkommen  gleich  den  in  diesem  aufsatz  gesammelten 
mittellateinischen  quellenangaben,  nur  nicht  so  weit  aus- 
gesponnen, ist  die  des  Ortnit  A,  1, 1.  Der  dichter  beruft  sich 
auf  ein  in  Suders  (s.  DHB.  3,  xxx,  anm.  1 ;  Zs.  fda.  38, 66)  auf- 
gefundenes, vielblättriges  buch:  cJa^  het  gesclirift  ivundcr.  Die 
beiden  sollen  es  vergraben  haben.  Der  Verfasser  verspricht 
dem  leser  viel  kurzweil  davon.  Hier  liegt  das  aretalogische 
motiv  offen  zu  tage  und  ein  zweifei  über  die  unglaubwürdig- 
keit  der  angäbe  kann  nicht  bestehen.  Schon  0.  Jänicke  hat 
DHB.  4, 239  auf  Diktj^s  als  parallele  verwiesen  (s.  auch 
W.  Grimm,  HS.3  249). 

Nicht  viel  anders  wird  es  sich  mit  der  quellenberufung 
in  den  ersten  sechs  Strophen  des  Wolfdietrich  D  verhalten. 
Lauter  historische  Wahrheit  ist  auch  da  nicht  alles.  Die  end- 
quelle  des  gedichtes  soll  im  kloster  Tagemunt  gefunden  worden 
sein.  Dort  habe  sie  viele  jähre  gelegen.  Später  sei  sie  ins 
land  der  Bayern  geschickt  und  dem  bischof  von  Eichstätt  be- 
kannt geworden.  Dieser  habe  'sich  siebzehen  jähre  die  zeit 
damit  vertrieben.  AVar  er  nicht  bei  guter  laune,  dann  habe 
er  zu  dem  buche  gegriffen  und  sich  an  seinem  Inhalt  erheitert. 
So  sei  es  bis  zu  seinem  tode  gehalten  worden.  Zehn  jähre 
später  habe  der  kaplan  des  bischofs  das  buch  gefunden.  Nach- 
dem er  es  durchgelesen  hatte,  habe  er  es  genommen  und  in 
das  frauenkloster  St.  Walburc  in  Eichstätt  gebracht.  Dort  sei 
die  schöne  äbtissin  von  dem  buche  ganz  entzückt  gewesen 
und  habe  zwei  meister  angestellt,  die  es  auswendig  gelernt 
und  seinen  Inhalt  durch  singen  und  sagen  in  der  Christenheit 
verbreitet  hätten. 

Jänicke  hat  sich  DHB.  4, 323  bemüht,  die  glaub  Würdig- 
keit (s.  W.  Grimm,  HS.^  251  f.)  dieses  wahrscheinlich  nur  dem 
Wolfdietrich  D  (s.  DHB.  4,  xxxiii  f.)  angehörigen  prologs  zu 
retten.  Er  hat,  wie  v.  d.  Hagen  (HB.  1,  xcix)  und  Müllenhof f 
(s.  DHB.  1.  c.)   in   dem   kloster  Tagemunt  die  abtei  Admont, 


ÜEBER  FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN.  333 

deren  name  in  mittelalterlichen  Urkunden  öfters  in  der  form 
Agmunt  erscheint,  erkennen  wollen.  Aber  selbst  wenn  die 
identificierung  von  Tagemunt  und  Agmunt  richtig  sein  sollte, 
so  wären  die  angaben  des  prologs  deshalb  nicht  glaubwürdiger 
geworden.  Der  Verfasser  des  Wolfdietrich  D  sagt  gar  nicht, 
dass  er  das  Tagemuuder  buch  je  in  bänden  gehabt  oder  zu 
gesiebt  bekommen  habe,  sondern  er  beruft  sich  auf  das  singen 
und  sagen  der  von  der  schönen  äbtissin  zu  St.  Walburc  an- 
gestellten meister.  Eine  fiction  hat  Jänicke  schon  hinter  den 
siebzehn  jähren,  die  der  bischof  von  Eichstätt  das  buch  ge- 
lesen haben  soll,  vermutet.  Es  hat  zwar  gerade  zu  der  für 
den  Wolfdietrich  in  betracht  kommenden  zeit  mehrere  bischöfe 
von  Eichstätt  gegeben,  die  siebzehn  oder  achtzehn  jähre  regiert 
haben.  Man  müsste  dann  annehmen,  dass  der  betreffende  Eich- 
stätter  bischof  das  Tagemuuder  buch  im  ersten  oder  zweiten 
jähre  seines  episcopats  erhalten  habe.  So  etwas  ist  gewiss 
möglich,  es  lässt  sich  aber  nicht  mehr  beweisen  und  wird 
entschieden  nicht  glaubwürdiger,  wenn  str.  3,  4  behauptet 
wird,  dass  zehn  jähre  nach  dem  tode  des  bischofs  sein  ehe- 
maliger kaplan  das  buch  gefunden  und  sich,  bevor  er  es  zu 
den  nonnen  von  St.  Walburc  brachte,  über  seinen  inhalt  in- 
formiert habe.  Man  sollte  meinen,  dass  der  kaplan  das  lieb- 
liugsbuch  seines  bischofs  schon  früher  gekannt  hätte  und  es 
nicht  nötig  gewesen  wäre,  es  erst  nach  zehn  jähren  wider  zu 
entdecken.  Einen  ganz  besonders  merkwürdigen  anstrich  be- 
kommt aber  die  quellenangabe  im  prolog  durch  das  herein- 
ziehen der  ausdrücklich  als  schön  bezeichneten  äbtissin  von 
St.  Walburc,  deren  freude  an  dem  Tagemuuder  buch  doch  nicht 
ohne  absieht  hervorgehoben  wird.  Sie  bekommt  enschieden 
etwas  pikantes,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  folgende  erzäh- 
lung  von  der  brautfahrt  Hugdietrichs  allerhand  behandelt, 
woran  eigentlich  eine  nonne,  und  am  wenigsten  eine  äbtissin, 
die  ihren  nonnen  doch  als  Vorbild  leben  sollte,  gefallen  finden 
durfte.  Das  ist  ein  kleiner  hieb,  natürlich  in  aller  ehrbar- 
keit.  Der  Verfasser  spielt  auf  ähnliche  gefühle  an,  wie  die, 
welche  nach  Geiler  von  Kaisersberg,  Post.  fol.  184  (Mhd.  wb. 
3,871,49  b  f.)  die  beguinen  beim  anblick  des  nackt  gemalten 
Christuskindes  hatten.  Doch  das  war  gewiss  nur  nebenbei. 
Yor  allem  wollte  der  Verfasser   mit  der  nennung   so  hoher 


334  WILHELM 

geistlicher  Würdenträger,  wie  dem  biscliof  von  Eiclistätt  und 
der  äbtissin  von  St.  Walburc,  sein  werk  empfehlen.  An  an- 
klang hat  es  ihm  auch  nicht  gefehlt.  Das  beweisen  die  vielen 
hss.,  in  denen  das  gedieht  erhalten  ist.  Die  schöne  geschichte 
von  der  buchanffindung  im  kloster  Tagemunt  mag  ihm  der 
eine  oder  der  andere  leser  im  mittelalter  geglaubt  haben:  wir 
werden  sie  richtig  einzuschätzen  wissen  und  dabei  um  so 
weniger  irren,  als  es  feststeht,  dass  der  schalkhafte  fabulist 
DHB.  4,  Y,  133  (=  Holtzmann  969)  sich  den  anschein  zu  geben 
versucht  hat,  Wolfram  von  Eschenbach  zu  sein.  Das  hat  ihm 
schon  der  Schreiber  der  hs.  Y  nicht  geglaubt.  Es  wäre  lächer- 
lich, deswegen  den  Verfasser  der  Urkundenfälschung  anzuklagen, 
wie  das  der  historiker  sicher  tun  würde.  Schon  im  mittel- 
alter, da  man  noch  keine  philologen  kannte,  hat  man  so  viel 
Stil  und  Sprachgefühl  gehabt,  dass  ein  literarisch  gebildeter 
mann  den  Wolfdietrich  D  nie  für  ein  werk  Wolframs  ge- 
halten hätte. 

Wie  wenig  ernst  und  schwer  man  damals  eine  solche 
'falsche'  quellenangabe  nahm,  zeigt  deutlich  das  glücklich 
widergefundene  und  in  den  ]\ISB.  philos.-philol.-hist.  kl.  1903, 
s.  292  f.  veröffentlichte  Heidelberger  bruchstück  des  jüngeren 
Titurel.  Uns  würde  es  doch  heute  als  eine  Unverfrorenheit 
ersten  ranges  erscheinen,  und  die  kritik  würde  im  gelindesten 
fall  einen  recht  hämischen  witz  machen,  wenn  es  einem  noch 
unbekannten  schriftsteiler  einfallen  sollte,  Schiller  oder  Goethe 
als  Verfasser  seines  werkes  anzugeben  mit  der  begründung: 
weil  es  so  besser  geht.  Der  dichter  des  jüngeren  Titurel  hat 
das  mit  Wolfram  von  Eschenbach  getan.  Wolfram,  meint 
Albrecht,  ist  längst  gestorben.  Niemals  hat  ein  mensch  ge- 
lebt, der  so  fein  und  geistvoll  —  d.  i,  clüvge  4,  7  —  zu  dichten 
verstand  wie  er,  und  lebte  jetzt  wirklich  einer,  der  ebenso 
chlvg  an  riclier  witze  wäre,  man  würde  ihm  nicht  den  zehnten 
teil  des  lobes  spenden,  das  Wolfram  zu  teil  geworden  ist. 
Deshalb  will  Albrecht  sein  ganzes  gedieht,  obwol  er  nur  die 
wenigen  von  Wolfram  hinterlassenen  fi-agmente  benutzt  hat, 
als  Wolframs  werk  ausgeben.  Nicht  um  den  grossen  dichter 
herabzusetzen  tut  er  es,  sondern  um  seine  arbeit  bei  lesern 
und  kritikern  zu  empfehlen.  Niemand  kann  Albrecht  auch 
nur  den  leisesten  Vorwurf  der  lüge  machen.    Aber  es  zeugt 


ÜEBER  FABULISTISOHE   QUELLENANGABEN.  3S5 

für  die  g-leicligiltigkeit  der  mittelalterliclien  leser  g-egenüber 
solchen  (luellenaiigaben.  wenn  sie  trotzdem  den  jüngeren  Titurel 
für  ein  werk  Wolframs  ansahen.  Sie  werden  auch  nicht  durch 
den  einwurf  entlastet,  dass  die  in  dem  Heidelberger  bruch- 
stück  enthaltene  widmung  möglicherweise  nur  einigen  wenigen 
exemitlaren  vorgesetzt  war,  und  nachdem  sich  die  Verhältnisse 
geändert  hatten,  getilgt  w^urde,  denn  an  mehreren  stellen 
seines  gedichtes  hat  Albrecht  deutlich  ausgesprochen,  dass  er 
nicht  Wolfram  sei. 

Aehnliches  wie  Albrecht  haben  die  Verfasser  des  Lohengrin 
versucht.  Ihnen  wird  niemand  eine  fälschung  vorwerfen.  Wenn 
der  Verfasser  des  Göttweiger  Trojanerkriegs  sich  als  Wolfram 
ausgibt,  so  verdient  der,  welcher  ihm  das  geglaubt  hat,  mehr 
tadel,  als  er,  der  der  Wolf  ramsch  wärmerei  seiner  leser  mit 
einem  nicht  gerade  mehr  neuen  und  besonders  feinsinnigen 
kniff  rechnung  trug.  Es  wäre  auch  unberechtigt,  w^ollte  man 
den  Verfasser  der  alemannischen  bearbeitung  des  zwergkönig 
Laurin  einen  falsator  heissen,  weil  er  sich  am  schluss  auf 
den  sagenhaften  Heinrich  von  Of terdingen  beruft. ')  Die  hörer 
verlangten  einen  bekannten  uamen,  weil  sie  etwas  gutes  hören 
wollten,  über  w^ert  oder  unwert  des  vorgetragenen  aber  nicht 
urteilen  konnten.  Die  Verfasser  wollten  ihren  werken  leser 
verschaffen,  und  so  mussten  die  damals  von  der  kritik  und 
der  sage  gefeierten  schriftsteiler  für  sie  ihren  namen  hergeben, 
ähnlich  wie  heutzutage  fürsten,  hohe  Staatsmänner,  componisten 
und  dichter  es  sich  gefallen  lassen  müssen,  dass  ihr  name  eine 
neu  in  Umlauf  zu  setzende  wäre  ziert,  damit  der  käufer  mehr 
angezogen  wird. 

Ein  schönes  beispiel,  wie  man  auch  nicht  im  geringsten 
ge Wissensbisse  über  eine  solche  'falsche'  quellenangabe  empfand, 
ist  noch  der  Stricker.  Er  hat  siclj  sicher  für  einen  sehr  ehr- 
samen und  braven  mann  und  nicht  für  einen  lügencere  und 
triegcere  gehalten.  Wir  wollen  ihm  diesen  ruf  auch  nicht  schmä- 
lern, denn  er  hat  zu  seiner  zeit  manch  mutiges,  echt  deutsches 
und  leider  auch  jetzt  wider  notwendiges  wort  gesprochen.  Aber 

^)  H.  Trist.  68A2  f.  gehört  auch  teilweise  hierher.  Es  werden  bei  Hein- 
rich aber  auch  künstlerische  rücksichteu  mitgewirkt  haben.  Die  bemerkuugen 
Bechsteins,  eiul.  x  scheinen  mir  das  richtige  (den  moralischen  begriff '  lüge ' 
ausgenommen)  zu  treffen. 


336  WILHELM 

das  fabulieren  nach  der  fahrenden  weise  hat  der  Verfasser 
des  pfaffen  Amis  nicht  sein  lassen  können.  Die  quellenangabe 
in  seinem  jugendwerk,  dem  Karl,  v.  115  f.,  ist  so  wahr  wie  nur 
etwas,  in  seinem  späteren  werk,  dem  Daniel  vom  blühenden 
tal  dagegen  vollkommen  fabulistisch.  Der  meister  Älhrich  von 
Bisense,  dessen  in  iceischer  ziingen  abgefassten  Daniel  er  über- 
setzt haben  will  (Dan.  v.  7  f.)  ist  aus  dem  Alexander  des  pfaffen 
Lamprecht  entlehnt.  Ja,  die  ganze  quellenangabe  des  Strickers 
ist  fast  eine  wörtliche  widergabe  der  Lamprechtschen  (s.  Eosen- 
hagens  anm.  z.  stelle).  Der  Stricker  scheint  sich  über  den 
biederen,  aber  nicht  mehr  modernen  geistlichen  Schriftsteller 
förmlich  lustig  gemacht  zu  haben.  Lamprecht  hatte  einst  mit 
vollem  recht,  aber  in  zu  des  Strickers  zeit  als  pedantisch 
empfundener  weise  von  Alberich  gesagt:  niman  enschulde  sin 
mih  :  loiic  er  so  liuge  ich;  der  Stricker  wendet  diese  worte 
ganz  nach  der  fabulisten  art  auf  seinen  fingierten  gewährs- 
mann  an:  nienian  der  enscheUe  mich  :  louc  er  mir  so  liug  ouch 
ich.  Was  bei  Lamprecht  bitterster  ernst  war,  ist  bei  ihm 
beissende  ironie.  Er  zieht  seinen  lesern  eine  lange  nase  und 
spottet,  sich  wie  der  vogel  strauss  versteckend,  auf  jene  alt- 
modischen leute,  die  allemal  genau  wissen  wollten,  woher  der 
Verfasser  seinen  stoff  hat.  Ist  das  ein  verbrechen  und  muss 
man  deshalb  bei  einem  autor,  der  eine  solche  angäbe  macht, 
gleich  einen  moralischen  defect  annehmen?  Ich  glaube:  nein. 
Sicher  haben  so  des  Strickers  Zeitgenossen  nicht  gedacht,  denn 
kaum  hätte  Rudolf  von  Ems  in  seinem  Wilhelm  von  Orlens 
V.  2230  f.  den  Daniel  so  gut  recensiert,  wenn  er  im  Stricker 
einen  Urkundenfälscher  und  moralisch  tiefstehenden  menschen 
erblickt  hätte. 

Auch  die  kritik  Gotfrids  an  Wolframs  Parzival  darf  nicht 
so  aufgefasst  werden,  als  würden  darin  aus  reiner  liebe  zur 
Wahrheit  Wolfram  moralische  vorwürfe  wegen  der  art,  wie 
er  seine  quellen  behandelt,  gemacht.  Gotfrid  hat  ebenso- 
wenig wie  seine  Zeitgenossen,  Wolfram  mit  einbegriffen,  so 
fein  wie  wir  zwischen  historisch  wahrem  und  fabelhaftem 
geschieden,  er  hat  aber  gleich  Wolfram  gewusst,  dass  dem 
dichter  manches  zu  sagen  erlaubt  sei,  was  man  im  gewöhn- 
lichen leben  nicht  glauben  würde.  Hätte  Gotfrid,  modern  ge- 
sprochen, rein  historisch  empfunden  und  von  diesem  Standpunkt 


ÜEBER   FABULISTISCHE   QUELLENANGABEN,  337 

aus  seine  kritiken  geschrieben,  dann  hätte  er  auch  Hartmann 
nicht  das  lob  spenden  dürfen,  das  er  ihm  gespendet  hat. 
Gotfrid  kann  sich  über  die  unwahrscheinlichkeit  der  erzählung, 
dass  eine  in  Irland  nistende  scliwalbe  nach  Kurnewal  übers 
meer  fliegt,  um  dort  für  ihr  nest  ein  frauenhaar  zu  holen,  auf- 
regen, ja  er  kann  dabei  sogar  gegen  seinen  concurrenten,  der 
die  geschichte  erzählt,  recht  ausfällig  werden,  er  kann  aber 
ebenso  heilig  und  teuer  versichern,  dass  ein  liebespaar  wochen- 
lang ohne  speise  und  trank  von  der  liebe  allein  zu  leben  ver- 
möge, und  sogar,  um  wider  denselben  concurrenten,  der  das 
gegenteil  erzählt,  zu  übertrumpfen,  hinzufügen,  dass  er  selbst 
schon  in  ähnliche  lagen  wie  die,  welche  er  schildert,  geraten 
sei.  Diese  beiden  stellen  gegeneinander  gehalten  zeigen  deut- 
lich, dass  die  kritik  Gotfrids,  wenn  für  ihn  literarische  lebens- 
interessen  auf  dem  spiele  standen,  vollkommen  subjectiv  und 
vom  eigenen  vorteil  eingegeben  war.  Gewiss,  Gotfrid  hat 
Wolframs  schwächen,  seine  literarischen  beziehungen  zur  spiel- 
mannsepik  und  den  damit  verbundenen  hang  zum  archaischen, 
unmodernen  vollkommen  erkannt,  er  hat  darüber  auch  manche 
treffende  und  feine  bemerkung  gemacht,  aber  wenn  er  den 
ihn  an  seelengrösse  und  gedankentiefe  weit  überragenden 
Parzivaldichter  zu  den  tvüdenaeren,  die  mit  den  Jcetenen  lie- 
(jent  stellt,  so  darf  man  nicht  mehr  als  eine  bosheit  darin 
erblicken,  wie  sie  auch  heute  noch  unter  literaten  und  ge- 
lehrten vorkommt.  Ich  erinnere  nur  an  die  nach  derselben 
manier  geschriebene  vorrede  zur  zweiten  aufläge  des  Heyne- 
schen  Wörterbuches.  Eine  gute  portion  schriftstellernervosität 
und  concurrenzneid  steckt  in  jener  Gotfridschen  kritik  über 
Wolfram,  und  man  darf  in  ihr  beileibe  nicht  ein  auf  historisch- 
kritischen erwägungen  beruhendes  urteil  über  Wahrheit  und 
Unwahrheit  Wolframischer  erzählung  erblicken.  Am  aller- 
wenigsten darf  man  aber  glauben,  dass  Gotfrid  damit  eine 
fälschung  im  rechtlichen  und  historischen  sinn  habe  aufdecken 
wollen. 

Mit  dem  begriff  der  fälschung  war  es  im  mittelalter  nach 
unseren  modernen  anschauungen  überhaupt  etwas  merkwürdig 
bestellt.  Man  nannte  ein  Schriftstück  oder  eine  angäbe  eine 
fälschung  und  erkannte  diese  als  solche  an,  wenn  sie  mit  der 
absieht  verfertigt  waren,  durch  rechtszwang  den  besitz  oder 

Beiträge  lur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXIIl.  22 


338  WILHELM 

die  verbrieften  rechte  eines  anderen  zu  schädigen.  War  dies 
nicht  der  fall  oder  waren  sie  doch  so,  dass  ein  anderer  sich 
indifferent  oder  aus  freiem  willen  entgegenkommend  ihnen 
gegenüber  verhalten  konnte,  dann  hat  man  nie  etwas  un- 
moralisches in  ihnen  erblickt.  So  war  es  z.  b.  fast  durchweg 
bei  der  fabrikation  von  heiligenlegenden.  Auch  sie  wurden, 
ähnlich  wie  alle  theologischen  und  philosophischen  Schriften 
des  mittelalters,  nur  dann  angegriffen,  wenn  sie  das  ansehen 
der  kirche  und  ihrer  lehren  zu  beeinträchtigen  schienen,  und 
das  ist  äusserst  selten  der  fall  gewesen.  Selbst  Hinkmars 
Remigiusvita  hat  sich  ohne  energischen  Widerspruch  durch- 
gesetzt. Geschichte  und  fabel  waren  eben  damals  noch  treu 
verbundene  Schwestern.  Sie  sind  sich  erst  seit  dem  Zeitalter 
des  humanismus  und  der  reformation  fremd  und  feind  geworden. 

Damit  ist  das  ende  der  vorliegenden  Untersuchung  erreicht 
und  es  gilt  nun,  die  lehren,  die  sich  aus  ihr  ergeben,  zusammen- 
zufassen, um  dann  noch  mit  ein  paar  Worten  auf  Wolframs 
quellenangabe  zurückzukommen.     Dreierlei  lehren  bringt  sie: 

1)  Die  von  uns  behandelten  quell enangaben,  deren  bei- 
spiele  sich,  ohne  dass  dadurch  die  Sachlage  geändert  würde, 
gewiss  verdoppeln  Hessen,  folgen  dem  alten,  von  den  antiken 
aretalogen  und  rhetoren  geübten  brauch,  unglaubliches  durch 
fingierte  zeugen  und  quellenschriften  glaubwürdiger  zu  machen. 
Sie  sind  im  mittelalter  über  den  ganzen  europäischen  continent, 
soweit  dieser  nicht  rein  slavisch  war,  und  über  Britannien 
und  Irland  verbreitet. 

2)  Vermittelt  wurde  dieser  typus  von  quellenangaben  dem 
mittelalter  durch  eine  gruppe  von  hss.  des  Apolloniusromans, 
durch  die  unter  dem  namen  des  Diktys  und  Dares  gehenden 
Schriften,  ferner  durch  eine  grosse  zahl  hagiographischer  werke 
und  die  mit  der  hagiographie  in  engem  Zusammenhang  stehende 
Virgilsage  und  schliesslich  durch  das  fahrende  volk,  die  spielleute. 

3)  Etwas  sittlich  anrüchiges  hat  das  mittelalter  in  solchen 
fabulistischen  quellenangaben  nicht  erblickt. 

Für  die  beurteilung  der  quellenangabe  in  Wolframs  Par- 
zival  folgt  aus  diesen  ergebnissen  ebenfalls  dreierlei: 

1)  Wolframs  angaben  über  Kiot  und  Flegetanis  entsprechen 
ganz  dem  typus  der  behandelten  fabulistischen  quellenangaben 


UEBER   FABULTSTISCHE   QUELLENANGABEN.  339 

und  sind  als  solclie  anzusehen.    Er  hat  kaum  selbst  an  sie 
geglaubt, 

2)  Wolfram  konnte  zu  seiner  quellenangabe  von  den  ver- 
schiedensten Seiten  angeregt  worden  sein  und  braucht  dafür 
nicht  aus  einer  französischen  quelle  geschöpft  zu  haben.  Man 
wird  zunächst  an  anregungen  denken,  die  von  der  deutschen 
spielmannsepik  oder  der  Yirgilsage  ausgiengen.  Es  wären  aber 
auch  solche  durch  die  hagiographie  nicht  ausgeschlossen.  Die 
predigt  kann  vermittelt  haben. 

3)  Der  einwurf  derer,  die  ^^^olfram  eine  fabulistische 
quellenangabe  nicht  zutrauen,  weil  sie  eine  lüge  mit  seinem 
Charakter  für  unvereinbar  halten,  ist  null  und  nichtig,  denn 
das  mittelalter  hat  in  solchen  angaben  etwas  anstössiges  nicht 
erblickt.  Sie  werden  sich  aber  auch  vor  die  alternative  ge- 
stellt sehen:  entweder  Goethe  einen  lügner  und  falscher  zu 
schelten,  weil  er  im  Werther  dasselbe  motiv  (W.  A.  19,  3  und 
141  f.),  sogar  mit  'fälschung'  von  briefen,  verwant  hat,  oder 
mit  uns  in  Wolfram  und  Goethe  zwei  ehrenhafte  deutsche 
dichter  zu  erblicken,  die  eben  nicht  dichteten,  um  moralisierenden 
Philologen  stoff  für  ihre  quellenuntersuchungen  zu  bieten,  son- 
dern um  ihre  mitmenschen  durch  den  reichsprudelnden  quell 
ihrer  goldenen  phantasie  über  die  mühen  des  alltagslebens  zu 
erheben  und,  wenn  auch  nur  auf  wenige  stunden,  zu  den  statten 
des  hohen  und  schönen  zu  führen,  die  ihr  geist  geschaut.  Ich 
meine,  was  dem  einen  recht  ist,  ist  dem  andern  billig. 

MÜNCHEN,  im  october  1907, 

FRIEDEICH  WILHELM. 


22* 


STUDIEN 
ZUR  KRONE  HEINRICHS  VON  DEM  TÜRLIN. 

I. 

Die  handschrift  no.  2779  der  kaiserlichen  liofbibliothek  in 
Wien  ist  in  braunes  Schweinsleder  gebunden,  auf  die  deckel 
sind  Ornamente  gepresst,  die  zur  einheitlichen  decoration  ver- 
bunden sind,  in  die  leeren  Zwischenräume  sind  heraldisch 
stilisierte  rosen  (wol  als  Mariensjmbol)  eingesetzt. 

Der  codex  enthält  170  blätter  ziemlich  gleichmässig  be- 
handelten Pergaments,  und  ist  durchweg  in  drei  columnen 
beschrieben.  Die  breite  der  blätter  beträgt  durchschnittlich 
25,5  cm,  die  höhe  35,5  cm,  der  freie  rand  unten  ist  4  cm  und 
etwas  darüber,  oben  2  cm  breit,  der  aussenrand  misst  3  cm, 
der  innere  2  cm.  Tinteulinien  sind  vorgezogen,  deren  distanz 
durch  löcher  am  rande  bestimmt  wird,  und  die  spalten  jede 
für  sich  durch  verticale  linien  eingerahmt.  Vier  bände  min- 
destens können  unterschieden  werden.  Die  erste  hat  Id — f 
und  die  37  zeilen  von  2a  beschrieben,  nach  denen  23  zeilen 
in  2  a  und  2  b  c  ganz  fi^ei  blieben.  Die  zweite  hand  beginnt 
2  d  mit  der  Kaiserchronik  in  der  Jüngern  bearbeitung  B,  60  zeilen 
auf  der  spalte  (vgl.  Edward  Schröder,  Einleitung  seiner  aus- 
gäbe s.  20f.)  und  erstreckt  sich  bis  90  f,  die  dritte  hand  be- 
ginnt 91a.  Schon  gegen  ende  der  arbeit,  ungefähr  von  60  a 
ah,  vermindert  sich  die  zahl  der  zeilen  auf  einer  spalte,  bis 
57,  56,  dann  überwiegend  bis  auf  51  zeilen.  Die  dritte  hand 
arbeitet  bis  130  f,  131a  fängt  die  vierte  an,  welche  bis  171  f 
ausdauert. 

Ueberblickt  man  die  masse  der  texte,  welche  in  diesen 
umfangreichen  codex  eingegangen  ist  (der  deshalb  seit  fünfzig 
Jahren  oft  beschrieben,   jedoch   niemals   wirklich   untersucht 


STUDIEN    ZUR   KRONE.    T.  341 

wurde,  vgl.  die  angaben  von  A.  Amelung-  im  Deutschen  helden- 
bucli  III,  s.  vi),  so  lassen  sich  deutlich  zwei  gruppeu  unter- 
scheiden: die  eine,  aus  grossen  epischen  werken  bestehend, 
welche  in  den  von  der  zweiten  bis  vierten  hand  geschriebenen 
teilen  den  hauptstock  ausmachen,  und  eine  zweite,  die  kleinere 
dichtungen  legendarischen  Inhaltes  befasst,  zumeist  dem  alten 
Passional  entnommen  (^'gl.  das  Verzeichnis  der  Wiener  alt- 
deutschen handschriften  durch  Hoffmann  von  Fallersleben  s.  14 
— 22  und  Tabulae  codicum  manuscriptorum  2,  131  f.).  Schon 
darnach  wäre  zu  erwarten,  dass  jene  grösseren  erzählenden 
werke  zuerst  bei  der  anläge  der  handschrift  dazu  bestimmt 
waren,  in  sie  aufgenommen  zu  werden,  die  gedichte  geringeren 
umfanges  und  geistlichen  Charakters  haben  dann  dazu  gedient, 
die  räume  auszufüllen,  welche  nach  der  eintragung  der  ur- 
sprünglich vorliegenden  und  der  geplanten  Sammlung  zu- 
gedachten stücke  erübrigt  waren.  Diese  Verwertung  lässt 
sich  erweisen,  sobald  man  die  beschaff enheit  der  handschrift 
im  einzelnen  genauer  prüft. 

Alle  drei  hauptmassen  von  texten  in  dem  codex  sind  mit 
regelmässig  zwischen  rot  und  blau  wechselnden  initialen  der- 
selben decorationsweise  geschmückt  (gleichviel  ob  dadurch  die 
anfange  von  schritten  markiert  werden  wie  beim  Ortnit  und 
der  Eabenschlacht  oder  von  grösseren  abschnitten  wie  bei  der 
Kaiserchronik,  beim  Iwein,  der  Krone  u.  s.w.).  Auch  die  durch 
umfang  und  aufbau  von  detailornamenten  ausgezeichneten 
anfangsbuchstaben  der  grossen  epen  besitzen  durch  den  ganzen 
codex  hin  denselben  künstlerischen  Charakter  und  rühren 
offenbar  von  derselben  hand  her,  woraus  bereits  erhellt,  dass 
sämmtliche  teile  der  handschrift  im  auftrag  eines  Sammlers 
und  wahrscheinlich  gleichzeitig  hergestellt  worden  sind.  Davon 
muss  man  ausnehmen  die  zwei  abschnitte  aus  dem  alten  Pas- 
sional von  Ic  —  2a,  deren  erster  überhaupt  keine  initiale 
besitzt,  sondern  nur  den  leeren  räum  dafür,  der  zweite  aber 
eine  initiale  aufweist  ohne  Ornamentik  und  von  ganz  anderer 
anläge  als  die  übrigen  der  handschrift.  Ferner  die  stücke, 
w^elche  von  85  d  —  90 f  eingetragen  sind;  diese  setzen  die  sonst 
für  den  codex  charakteristischen  initialen  und  ihre  schmuck- 
weise voraus  und  trachten  sie  deutlich  nachzubilden,  doch 
geschieht  das   sehr  unsicher  und   ungeschickt,    zugleich   mit 


34:2  SCHÖNBACIT 

unterschieden  in  den  teclmischen  details,  die  den  plumpen,  der 
arbeit  ungeAvolmten  nachahmer  kennzeichnen. 

Die  ganze  liandschrift  liegt  in  quinionen,  die  nur  zum  teil 
durch  custoden  gezählt  wurden.  Der  erste  dieser  custoden, 
den  schon  Edward  Schröder  bemerkte,  findet  sich  blatt  40 
unter  der  spalte  f  und  ist  klein  und  schmucklos,  wie  es 
scheint,  vom  Schreiber  selbst  beigefügt:  ütj.  Damit  waren  also 
die  ersten  vier  quinionen  gezählt,  auf  denen  die  jüngere  be- 
arbeitung  der  Kaiserchronik  steht.  Diese  erstreckt  sich  noch 
über  die  vordere  hälfte  des  nächsten  quinio,  hört  46  a  auf, 
wonach  ohne  eine  zeile  freien  raumes  Hartmanns  lAvein  folgt, 
der  68 c  schliesst,  worauf  ohne  Unterbrechung  die  'Heidin' 
und  71  d  Ortnit  folgen,  dieser  geht  85  c  mit  22  zeilen  zu  ende, 
30  vorgezogene  tintenlinien  bleiben  leer,  85  d  beginnt  das  ge- 
dieht Von  den  sieben  schläfern,  dem  bis  zum  Schlüsse  der 
zweiten  band  noch  sechs  stücke  geistlichen  Inhaltes,  zum  teil 
aus  dem  alten  Passional,  nachfolgen;  diese  ganze  partie  nach 
dem  Ortnit  charakterisiert  sich  eben  durch  die  anders  gearteten 
initialen.  Innerhalb  der  gesammten  texte  vom  Iwein  ab  sind 
grosse  römische  custoden  zur  Zählung  der  lagen  angebracht 
und  zwar  immer  auf  dem  unteren  rande  der  Vorderseite  des 
ersten  blattes  der  läge,  was  ja  der  allgemeinen  gewöhnung 
des  mittelalters  entspricht,  und  zwar:  51a — c  -H'-;  61a — c 
•  III'.;  71a — c  IUI'-;  81a — c  V-  Der  custos  l'-  fehlt,  er  hätte 
41  a=c  stehen  sollen,  aber  die  Kaiserchronik  dehnte  sich  eben 
bis  46  a  aus.  Meinem  ermessen  nach  lässt  sich  daraus  schliessen, 
dass  der  Schreiber  des  Iwein,  der  ja  auch  die  Kaiserchronik 
geschrieben  hatte,  für  seine  aufgäbe,  soweit  sie  mit  dem  Iwein 
anhub,  neue  lagen  pergament  sich  zurecht  machte:  er  kam 
nicht  dazu,  den  custos  .|'.  auf  41a — c  zu  setzen,  weil  wider 
sein,  erwarten  die  Kaiserchronik  noch  die  erste  hälfte  des 
nächsten  quinio  in  anspruch  nahm.  Die  weiteren  vier  lagen 
bis  zum  Schlüsse  der  ersten  grossen  partie  der  handschrift 
90  f  sind  dann  ordnungsmässig  gezählt  worden. 

In  der  zweiten  grossen  partie  des  codex  91a  — 130  f  finden 
sich  vier  römische  custoden,  ähnlich  denen  der  ersten  partie 
91a — c.  101  a — c.  lila — c  (nur  ein  quaternio).  119a — c.  Mit 
131a  oben  beginnt  die  Krone  Heinrichs  von  dem  Türlin,  von 
da  begegnen  150  e— f.  160  e — f.  170  e—f  die  richtigen  custoden 


STUDIEN    ZUR    KRONE.    I.  343 

||\  \\\\  IUI'.  Es  sind  also  die  zweite  und  die  dritte  partie  der 
liandschrift  schon  auf  diese  formalen  merkmale  hin  auseinander 
zu  halten,  wozu  noch  kommt,  dass  die  zweite  partie  60  zeilen 
auf  der  spalte,  die  dritte  hingegen  mit  der  Krone  nur  51  auf- 
weist. 166  f  ist  die  initiale  zu  v.  11037  Stvas  geschehen  sol, 
daz  geschiht  durch  besondere  pracht  ausgezeichnet. 

Noch  ist  folgendes  zu  beachten.  Sämmtliche  gedichte  des 
codex  schliessen  sich  aneinander  ohne  leere  Zwischenräume. 
Solche  begegnen  nur  vor  der  Kaiserchronik,  wo  das  zweite 
der  vorgeschobenen  stücke  37  zeilen  von  2  a  füllt,  die  weiteren 
23  Zeilen  sind  frei,  desgleichen  2  b.  c  vollständig.  Ferner  nach 
dem  Ortnit  und  vor  den  Sieben  schläfern  85  c,  wie  ich  bereits 
erwähnte.  Dann  am  Schlüsse  der  zweiten  gruppe  90  f,  wo  das 
letzte  stück  nur  noch  25  zeilen  bedurfte,  34  blieben  leer. 
Endlich  130  f.  am  ende  der  Rabenschlacht  und  vor  dem  an- 
fang  der  Krone  sind  24  zeilen  gefüllt,  36  frei. 

Dieses  gesammte  Verhältnis  zwischen  den  texten,  ihren 
gruppen  und  deren  Verteilung  auf  die  lagen  der  handschrift 
erkläre  ich  mir  folgendermassen:  der  den  codex  erstehen  Hess, 
nahm  sich  dafür  drei  Schreiber  auf  (die  erste  band  Id  —  2  a 
kann  ausser  betracht  bleiben)  und  ihnen  teilte  er  die  von  ihm 
gesammelten  und  zur  aufnähme  in  die  handschrift  bestimmten 
gedichte  zu.  Dem  ersten  waren  zunächst  der  text  B  der 
Kaiser  Chronik,  Hartmanns  Iwein,  die  Heidin  des  ßüedeger 
von  Hunkhofen  und  der  Ortnit  bestimmt.  Dem  zweiten  Diet- 
richs flucht  und  die  Eabenschlacht,  dem  dritten  die  Krone 
Heinrichs  von  dem  Türlin.  Begonnen  wurde  2d  mit  der 
Kaiserchronik,  das  blatt  1  war  zunächst  als  Umschlag  gedacht. 
Dort  wo  der  zugeteilte  text  noch  einen  grösseren  rest  einer 
läge  übrig  Hess,  wie  85  c  nach  dem  Ortnit,  hat  der  auftrag- 
geber  den  rest  der  läge  bis  90  f  durch  geistliche  gedichte, 
zumeist  aus  dem  alten  Passional,  ausfüllen  lassn.  Dasselbe 
geschah  im  eingange  der  handschrift  Id  —  2  a.  Der  ganze 
codex  ist  im  anfange  des  14.  Jahrhunderts  hergestellt  worden 
und  zwar,  was  alle  texte  bezeugen,  auf  österreichischem  Sprach- 
gebiete. Dafür  spricht  auch  die  aufnähme  von  Dietrichs  flucht 
und  Rabenschlacht,  sowie  der  Krone  und  der  Strickerschen 
stücke  no.  11  und  12  der  Tabulae. 

Jene  beiden  gedichte  erlauben  zugleich,  die  herstellungs- 


344  SCHÖNBACH 

zeit  der  liandsclirift  in  etwas  zu  begrenzen:  man  wird,  wie  ich 
meine,  nicht  weit  fehl  gehen,  wenn  man  diese  durch  die  jähre 
1290 — 1310  ungefähr  abschliesst.  Weder  die  aufnähme  noch 
die  reihenfolge  der  gedichte  wird  zufällig  sein.  Mit  einem 
historischen  werke  grossen  Stiles,  der  Kaiserchronik,  schon  in 
eine  dem  Zeitgeschmack  entsprechende  form  gebracht  (aber 
noch  ohne  die  neuen  diphthonge  in  die  reime  einzuführen,  wie 
Edward  Schröder  anmerkt),  wurde  der  anfang  gemacht.  Dar- 
nach stellte  der  Urheber  des  codex  den  Iwein  Hartmanns  von 
Aue,  vielleicht  weil  er  dieses  werk  für  das  charakteristische 
seiner  gattung  hielt.  Mit  der  'Heidin'  war  der  Übergang  zu 
der  spielmannsmässigen  volksepik  gegeben,  der  dann  Ortnit, 
Dietrichs  flucht  und  Rabenschlacht  angehören.  Den  schluss 
machte  die  Krone  Heinrichs  von  dem  Türlin,  widerum  ein 
höfisches  epos,  das  gewählt  werden  mochte  vielleicht  wegen 
der  heimat  des  autors  oder  aus  irgend  einem  mehr  localen 
Interesse.  Die  richtung  des  geschmacks,  der  sich  in  dieser 
Zusammenstellung  von  texten  bekundete,  weist  durchaus  auf 
einen  adeligen  kreis,  der  nicht  gerade  mit  besonderen  bildungs- 
tendenzen  erfüllt  zu  sein  brauchte.  Ein  anderes  Interesse 
tritt  in  den  füllstücken  an  den  tag,  mit  denen  die  freien  räume 
zwischen  den  grossen  texten  ausgenutzt  wurden.  Ich  sollte 
meinen,  dass  im  anfange  des  14.  Jahrhunderts  noch  nicht  ge- 
wöhnlich in  einem  adeligen  hause  das  alte  Passional  so  zur 
band  war,  dass  man  nach  dem  ungefähr  verfügbaren  pergament 
beliebige  stücke  daraus  zur  wähl  entnehmen  konnte.  Das 
alte  Passional,  dem  die  nummern  3.  4.  13 — 15  nach  der  Zählung 
der  Tabulae  ehtstammen,  gehört  zur  Deutschordenspoesie,  in 
diesen  kreis  auch  die  nummern  9  und  10  von  den  Sieben 
schläfern  und  von  Kreuzerfindung;  vielleicht  war  es  ein  dem 
deutschen  herrenorden  in  Österreich  verbundenes  haus,  in  dem 
die  handschrift  angelegt  und  ausgeführt  wurde.  Auf  ein 
geistliches  haus  weisen  die  beiden  gebete,  die  1  a  von  derselben 
band  eingetragen  wurden,  die  dort  eine  notiz  über  eine  Stiftung 
von  1358  beigefügt  hat,  erheblich  später  nach  der  herstellung 
des  codex.  In  dem  zweiten  gebete  spricht  Christus  am  kreuz 
eine  frau  an,  es  wäre  also  vielleicht  an  eine  gemeinschaft 
geistlicher  trauen  zu  denken,  in  deren  hause  sich  der  codex 
um  die  mitte  des  14.  Jahrhunderts  aufgehalten  hat.  Diese  beiden 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    I,  345 

stücke  und  die  danach  folgende  historische  notiz  auf  1  a  drucke 
ich  zunäclist  hier  ab. 

Wiener  hs.  2779. 

la  Hail  hab  du  heiliges  clireutz  du  vou  dem  heiligen  leichuam  des 
heiligen  christus  pist  geweicht,  und  von  seinem  heiligen  leichnani  pist  du 
geziert,  wis  mir  ein  sterch  und  ein  gewizzeu.  heschirmung  durch  den  der 
da  hieug  an  dir.  Ich  pit  dich  durch  den  der  da  an  dir  bechart  lebens  und 
tüdes  daz  du  mich  geuedichleich  erlosest  von  allen  sunden  und  von  allen 
angsten  und.   von  allem  übel  leibes  und  der  sele,    Amen. 

Ich  gen  für  unsers  herren  marter  pild.  ixnd  sich  im  in  den  mund. 
und  lazz  mir  sein  also  ob  er  Sprech  bor  tochter  und  sich  daz  laid  ich  alles 
umb  dich  mercb  an  mein  grozzeu  not.  und  sich  an  meinen  grimmen  töd 
den  ich  durch  dich  erliten  hau.  lazz  dir  in  in  dein  hertz  gau.  was  möcht 
nu  so  gros  sein  ich  tcet  es  durch  den  willen  dein  seid  ich  das  grosist  hab 
getan  daz  macht  du  selb  avoI  sehen  an  wild  du  mein  marter  spehen  so 
musst  du  mir  daes  selb  jehen  daz  nie  grozzer  geschach  den  da  der  tod 
mein  hertz  prach  chum  ouch  her  für  mich,  stan  macht  du  nicht  anders  so 
sich  mich  doch  au  daz  wirt  dir  ein  ewiges  leben  ich  wil  mich  selb  dir 
geben  Amen. 

Nach  Christi  gepürd  drewczehen  hundert  jar  dar  nach  in  dem  acht  und 
fuuftzigisten  jar  hat  in  ein  fraw  die  Turfinn  ir  opher  an  gehaben  ze  weich- 
nachten mit  zwelif  Wienner  phenning.  und  daz  hat  si  alle  jar  gemert  mit 
drin  phenniugen. 

Diese  drei  eintragungen  auf  der  Vorderseite  des  ersten 
blattes  des  codex  rühren  von  derselben  band  her,  die  um  einiges 
jünger  ist  als  die  schreiberhände,  die  an  den  folgenden  texten 
gearbeitet  haben.  Weisen  die  beiden  gebete  auf  eine  gemein- 
schaft  geistlicher  trauen,  und  wird  der  dritten  notiz  nach  im 
jähre  1358  von  einer  frau  aus  der  familie  der  Tursen  in  zur 
Weihnacht  eine  Stiftung  mit  12  Wiener  pfenhigen  gemacht 
und  dieser  dann  nochmals  jährlich  drei  pfennige  zugelegt,  so  ist 
es  wahrscheinlich,  dass  ein  solches  'opfer'  in  ein  geistliches 
haus,  in  ein  nonnenkloster,  gestiftet  und  die  eintragung  etliche 
jähre  nach  1358  vollzogen  wurde.  Es  braucht  die  notiz  nicht 
das  regest  einer  wirklichen  Urkunde  darzustellen,  denn  der 
betrag  ist  nicht  so  erheblich,  dass  eine  besondere  Urkunde 
darüber  ausgestellt  werden  musste,  die  notiz  mochte  genügen. 
Allerdings  wird  dabei  vorausgesetzt,  dass  die  handschrift,  in 
w^elche  sie  eingetragen  wurde,  so  bestimmt  für  den  besitz  des 
hauses  gehalten  wurde,  dass  man  eine  solche  vermögensrecht- 
liche aufschreibung  darin  vornehmen  durfte. 


346  SCHÖNBACH 

Die  Tiirsen  sind  ein  mächtiges  geschlecht  des  nieder- 
österreichischen  landadels.  das  man  mit  den  berühmten  be- 
sitzern  nngarischer  kupferberg-vverke.  den  Timrzos,  in  Ver- 
bindung gebracht  hat.  und  das  jedenfalls  im  14.  jh.  sich  in 
mehrere  linien  teilt,  die  nach  ihren  hauptsitzen  benannt  werden 
(Kauheneck,  Sunnberg.  Lichtenfels  u.  s.  w.).  Das  material 
niederösterreichischer  Urkunden  Aveist  um  1358  besonders  eine 
Frau  Katrey,  die  gemahlin  des  Hans  (Jans)  Turs  von  Rauh- 
eneck bei  Baden  näclist  Wien  auf.  Sie  wird  an  der  spitze 
verschiedener  schenkungs-,  kauf-  und  tauschbriefe  neben  ihrem 
gemahl  als  mitverfügend  genannt,  muss  ilire  ehe  1333/34  ge- 
schlossen haben  (denn  am  1.  november  1333  verkauft  noch  Jans 
allein  gälten  an  das  stift  Heiligenkreuz,  Fontes  rerum  Austria- 
carum  IG.  no.  clv,  am  15.  mai  1334  jedoch  bereits  Jans  und 
Katrei,  Fontes  16,  no.  clvii)  und  muss  1370  schon  gestorben 
sein,  denn  am  30.  märz  dieses  Jahres  stiftet  Jans  Turs  von 
Rauheneck  allein  drei  jahrtage  zu  Heiligenkreuz,  darunter 
einen  für  St.  Katharinentag,  Fontes  16,  289  f.  no,  cclxiii,  nach- 
dem er  noch  1367  mit  frau  Katrei  zusammen  geurkundet  hatte 
(Quellen  zur  geschichte  der  Stadt  Wien,  2.  abt.,  no.  714).  Auch 
aus  den  jähren  1356/57  sind  Urkunden  dieses  eliepaares  vor- 
handen, Fontes  16,  no.  ccxvii  und  ccxxi.  Unter  den  frauen- 
klöstern  zu  Wien  war  es  nun  hauptsächlich  das  1303  be- 
gründete kloster  der  Klarissen  zu  St.  Klara  unter  der  leitung 
der  Minoriten,  welches  vornehmlich  für  trauen  und  töchter  des 
niederösterreichischen  adels  bestimmt  war  (Geschichte  der  Stadt 
Wien  s.  886  ff.)  und  auch  wirklich  zum  grossen  teile  aus  diesen 
häusern  besetzt  wurde,  eine  Tursin,  Schwester  Katrey,  ist  1415 
dort  nonne  gewesen  (Quellen  zur  geschichte  der  Stadt  Wien 
1.  abt,  no.  4405).  Es  scheint  mir  die  annähme  nahe  zu  liegen, 
dass  die  eintragungen  der  handschrift  2779  in  diesem  Klarissen- 
kloster vorgenommen  sein  mögen.  Denn  dass  die  handschrift 
selbst  in  Wien  hergestellt  wurde,  wird  man  wol  vermuten 
müssen,  da  eine  grössere  anzahl  berufsmässiger  Schreiber,  wie 
sie  dabei  notwendig  war,  nicht  leicht  anderwärts,  wol  aber 
gerade  in  Wien  sich  vorfand.  Das  bezeugen  die  von  Uhlirz 
gesammelten  notizen  über  die  Wiener  Schreiber,  Geschichte 
der  Stadt  Wien,  besonders  s.  36  f.  und  anm.,  schreibernamen 
a.  a.  0.  s.  604,    Schreiber  im  dienste  der  Stadt  a.  a.  o.  s.  448, 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    IL  347 

schreiberzechen  s.  610.  899.  924,  Schreiber  bei  handwerker- 
zechen s.  643  ft".  Freilich  wird  man  unter  diesen  Schreibern 
zumeist  notarii  zu  verstehen  haben,  nicht  berufsmässige 
copisten.  aber  solclie  müssen  doch  aucli  darunter  gewesen  sein 
(die  Wiener  Dominikaner  bestellen  sich  zur  herstellung  eines 
messbuches  einen  Schreiber  aus  Wiener-Neustadt,  vgl.  Redlich, 
Eine  AViener  briefsammlung  no.  145).  Trifft  meine  früher 
ausgesprochene  Vermutung  zu,  dass  der  codex  2779  im  auf- 
trage eines  hauses  des  deutschen  ritterordens  hergestellt  wurde, 
dann  wäre  die  stattliche  kommende  zu  Wien  in  der  Singer- 
strasse (Geschichte  der  stadt  Wien  s.  875  ff.)  mit  Wahrschein- 
lichkeit als  der  entstehungsort  der  handschrift  anzusprechen. 
Dort  hätte  die  nötige  anzahl  von  Schreibern  zur  Verfügung 
gestanden,  um  gleichzeitig  an  dem  codex  zu  arbeiten,  und 
dieser  mochte  vom  hause  der  deutschen  herren  aus,  die  sich 
hauptsächlich  aus  dem  landsässigen  adel  Niederösterreichs 
recrutierten,  an  die  adeligen  frauen  von  St.  Klara  verliehen 
worden  sein. 

Gewiss  ist  das  geflecht  dieser  Vermutungen  über  die  pro- 
venienz  der  genannten  handschrift  etwas  dünn  gezogen,  es 
soll  aber  auch  nur  so  lange  dienen,  bis  es  durch  ein  festeres 
ersetzt  werden  kann. 

II. 

Die  im  folgenden  gedruckte  collation  von  Scholls  ausgäbe 
mit  der  Wiener  hs.  der  Krone  —  eine  arbeit,  die  von  den 
fachgenossen  widerholt  gewünscht  wurde  —  habe  ich  während 
der  ersten  monate  des  Jahres  1907  in  aller  bequemlichkeit 
angefertigt  und  spreche  dafür  dem  director  der  kaiserl.  hof- 
bibliothek  in  Wien,  herrn  hofrat  von  Karabacek,  auch  hier 
meinen  ergebensten  dank  aus.  Der  gedruckte  text  wurde 
unmittelbar  mit  der  hs.  verglichen,  dann  diese  mit  den  ge- 
druckten Varianten  und  endlich  nochmals  bei  der  Zusammen- 
stellung alles,  im  ganzen  zum  dritten  mal,  verglichen.  Dadurch 
glaube  ich  meinen  angaben  eine  gewisse  Zuverlässigkeit  ge- 
sichert zu  haben. 

2  den  red  4  iht  steht  da,  ist  aber  durch  den  unteren  teil  der  grossen 
initiale  verdeckt  5  mau  ein  treit  G  Swer  ged  auf  rasur  24  er  ie 
leuger  fleuhet  33  in  g-evlieheu  ist  h  zu  g  corrigiert  58  verfmit 
70   tuuchel        8i    Dar  er        94  glaz  oft  1.        98  preheud    114  Eins  ia. 


348  SCIIÜNBACH 


dez  andern  nein  123  Lazvre  124  gebeut  132  werlt  chron  151  oft 
w.  161  oft  g.  167  Ein  tail  181  wau  dez  in  fein  nie  verdroz 
223   chcerlinge  246    ein   t.  256   zeitleich         258   gar.    sunder   m. 

274  bezaiclient  diu  278  ouch  aus  doch  corr.  279  Dez  winters  herten 
twauchi'al  286  vrawe  287  wise  298  rat  299  Fortune,  e  aus 
ae  corr.  803  phyloFoplieiu  309  milt  311  get  321  zuerst  erworben 
und  getilgt  322  man  uiht  becbeunet  324  den  fvn  348  Di  a.  tet 
354  Da  peidiv  356  Da  369  yalcun  397  chom  414  valfchen  main 
415  als  iz  feit  an  im  fchain  444  Alfo  doch  maniger  tut  449  Dez 
füht-vrömdY  458  chranch  486  In  daz  laut  492  braht  ze  Br.  500  in 
dar  501  KoJ't  vud  france  510  wurden  578  waz  583  vor  liebe 
steht  leide  getilgt  590  Vud  fylliroys  Karlin  618  Do  dife  f.  a.  640  Ma- 
nigen  weis  641  uieile  646  felb  665  Vnd  den  harnafch  weit 
685  rieh  fehlt  724  lenger  817  erfach  847  Vnder  div  871  fv 
van'el  891  Geleich.  ez  wser  dez  898  vadi  hof  steht  e  getilgt  926  Sie 
fehlt       933   Vnder  dev       941   Ditz  mser.  c.  chomen  was.       951   Seiniv 

1000  adelers,  die  form,  die  auch  in  der  Vorauer  novelle  begegnet,  vgl. 
2837.  7189;  dagegen  adelar  :  dar  2837,  adelär  :  klar  15733  2  andern 
13  vor  privr  steht  priuk  getilgt  48  valfchhaft  59  Ichül  61  an 
dem  maiften  91  ze  t.  188  dirr  fandvnge  202  dar  in  217  ir 
ez  234  Der  da  waz  g.  245  m^'ft  270  begivzt  er  295  Sayweins 
323  Da  er  356  Da  er  361  zuerst  .e.  niht,  getilgt  und  am  rande  enite 
heigesetzt  375  Mauigiv  391  prvft  ein  Ivtlacheu  411  Wol  vergoz 
431  valfches  vnd  stset  448  Da  galt  451  zv  453  div  fchoz  459  böte 
501  immer  b.  515  wazzers  526  dehein  vreife  546  amor  550  het 
551   het  574   mit   al   velte  614   Charaille         617   Clameroy   Yfel 

737  Kort  745  bitter  galle  746  Daz  fehler  771  Niemen  781  hatzt 
783  Vnd  l'prach  799  Lvcans  848  Da  er  dez  chvuges  849  Sein 
h.  an  855  Dife  r.  867  tovget  ez  ob  898  mit  dem  claret  899  Dirre 
bot  wider  nam  900  fehlt  947  vor  gap  steht  bat  getilgt  955  Sselden 
chint       970   het       974   Daz  es  n.       994   eiu  degeu  aus  engegen  corr. 

2005  Rüntauel  24  vor  griez  steht  grovz  getilgt  24  fwartzeu 
rvz  tropfen  29  vor  tail  steht  hail  getilgt  30  Da  wachet  41  iamer- 
licher  51  Oft  66  mfz  86  Dehein  88  Verfeit  alle  r.  101  ge- 
wizzes  nah  harren  102  div  eh.  207  sin  fehlt,  V  hat  hier  einen  abschnitt 
228  Cvliantz  252  lelwet  257  vor  leit  steht  treit  getilgt  288  ze-ze  329  in 
Markvedormon  ist  d  zu  g  corr.  331  Vnd  treneren  360  Meister  Ha  (getilgt) 
Stperman  365  bos  402  felb  418  vor  streit  steht  trseit  getilgt  419  vor 
Klagen  steht  tragen  getilgt  439  Dietmarn  445  Hang  487  Nu  fehlt 
490  mich  her  g.  501  fehler  vor  in  g.  510  über  t  von  leit  steht  h 
519  Hat  zv  524  ze  mazen  feine  548  Eins  oder  beidiv  550  mvft  660  vor 
hin  steht  fein  getilgt  667  zuerst  zewechken  getilgt  688  auz  em  713  rehteu 
732  d.  ez  K.  830  Covrten  875  Keyn  876  geholde  aus  enholde  corr 
879   gewafens        891   In  ern  havs        990   Es  wart  eintweders  flach 

3048  Da  in  uiemen  74  da  v.  77  ifemerchlichen  83  miffe 
zam  113  habt  geuad  vnd  d.  128  Daz  lop  133  Nu  waz  158  anthaiz 
von  degeny      162   vor  vaut  steht  zoch  getilgt      169  lenger     188  bewaret 


STUDIEN    ZUR   KRONE.    II.  349 

225  Vnd  lat  278  frveu  291  Wez  298  die  zeile  auf  rasiir  300  Difer 
red  V.  376  Er  raak  380  Kelter  daü  der  chvlel't  m.  413  Alle  ntelit 
421  Vuor  er  446  nie  erg.  448  da  gefweich  453  So  fehlt  464  vor 
fchalcheit  steht  felikeit  getilgt  471  lisel  474  Swer  weip  497  gehört 
509  siu  523  Ze  meinr  g.  528  dife  534  het  537  Ob  ieraeu 
ander  Iwser  601  lenger  606  wser  gar  e.  fl.  609  wiffet  ir  aus  wiff 
■wir  con:  625  Hort  636  eintwer  639  erreitet  717  chelten 
718  fein  getilgt  721  gardin  725  het  760  getrouret  766  Vnd 
daz  ir  ivch  meinen  gr.  775  an  ivch  795  vor  ftreit  steht  ftret  getilgt 
822    Iseh        879   Ern  bit  f.        889  Ze  L 

4039  bei'ah  43  gerner  58  gleicbiv  59  g.  .dem  guten  w. 
60  behert  aus  bechert  corr.  82  Au  chleider  (tvol  =  an  kleider) 
91  immer  gefein  181  enthabt  209  ienien  219  aus  g.  249.  50 
sind  timgestellt  250  ein  fehlt  255  wsere  fehlt  266  ers  271  einen 
285  einr  293  aus  einem  b.  296  lein  f.  351  fchimpf  373  Do  fi 
1.  e.  fpr.  385  Nv  leht  war  402  mit  von  im  480  Vnd  lint  der  g. 
492  hie  dar  in  495  vor  ich  steht  ist  getilgt  503  In  dem  wiuder 
576  Vnd  vaften  606  Drvmer  o.  611  chomen  613  Da  dirre  663  auf 
di  h.  680  Daz  het  694  mere  701  S\v.  daz  er  v.  786  Mich 
entrieg  794  Dez  fvlt  796  ze  m.  805  b  Hut  nv  e.  877  dez  b. 
891   Vud  ein  eh.        897   Alfo  vil  m.        924   ein  fehlt       997   ir  die 

5036  Vnbetlicher  72  antwurt  80  gelübd  —  zebrochen  123  vn 
geloube  aus  im  geloupte  corr.  161  Ichu  wil  ouch,  wil  aus  weiz  corr. 
227  vor  oder  sieht  er  ir  getilgt  247  Do  er  251  envienget,  der  vers 
fehlt  nicht  259  vor  wir  steht  wse  getilgt  271  Wir  verdien  wol  gnad, 
vor  in  steht  dich  getilgt  290  vor  zunge  steht  zorn  getilgt  293  vor 
noch  steht  wirt  getilgt  296  gebt  —  Telheu  300  becheü  ivch  317  Nimt 
329  red  da  ia  330  fi  waer  367  neoerefpine  403  gewonlich  fite 
415  feuftlichen  416  werlt  niemeu  tvgen  418  Aid  einem  432  vürnd 
435  geent  r.  446  moht  464  weinaehten  530  povm  zart  532  Itahel 
bovm  578  vor  enbor  steht  vor  getilgt  610  Vnd  daz  620  Geriven 
640  Einen  g.  647  Iwanet  661  Ein  Iteik  662  Ze  britanie  gen 
dem  lande  668  zweimal  Nv  684  chom  744  gef prochen  745  weinseht 
810  mahaft  853  vil  vrage  882  e.  also  w.  911  vür  den  zol.  934  Der 
n  n.        941   der  fehlt       976   bechomen        984   vnvüch 

6005  chund  ivch  42  ermet  948  Ilseht  aus  flseft  corr.  121  i'ein 
Tchilt  133  vor  ner  steht  verre  getilgt  158  j.  mite  159  zegitte 
160  zwischen  er  und  fpehen  steht  Iparen  getilgt  165  vliezen.  184  Daz 
waer,  darauf  folgt  186  tind  dann:  Daz  doch  oft  ift  erhorn  250  in  ver- 
wazen  ist  w  aus  1  corr.  253  Ilaffer  256  het  281  waren  346  Gawein 
het  auz  cheret  350  Swer  an  vivr  wil  chvchen  355  Daz  er  binden 
tut  nach  373  feinr  fein  g.  876  Sam  eiuf  engeis  b.  380  Dez  geftat 
396  Vil  übel  408  prach  aus  fprach  corr.  414  Toteu.  vnd.  vngefvuden 
421  Toten  auf  hüben  445.  46  sind  vertauscht  449  Baudarap  452  brüder 
540   Von   in    dez   leibes  548.  49.    sind   vertauscht         582    chraft   loz 

610  von  dir  1.  632  noten  660  ader,  vor  waren  steht  lagen  getilgt 
674.  75  geloupt  :  houpt       693   allez      701   leut  aus  blüt  corr.      721  Do 


350  SCHÖNBACH 

liat  er  azan  givfe  743  Heienwizeu  784  vor  verbarc  steht  bedacht 
getih/t  785  gereirich  818  Ileter  lieh  ariz  g.  836  Sein  varwe  waz 
als  ein  v.  854  An  der  bertel  vnd  an  der  l'et  879  het  882  reitziere 
889  ein  veder  911  morel  917  vor  an  steht  ei  getilgt  919  vor  galt 
steht  palaft  getilgt  925  i'tarch  971  vor  fpeht  t^teht  chneht  getilgt 
974    vor  Sg.  steht  fp  getilgt        997   eim  rad 

7114  vor  fein  steht  mit  getilgt  214  vor  Tage  steht  chlage  getilgt 
220  danne  221  defter  mer  253  anderen  272  aht  277  gleichem 
299  ir  niemen  304  vor  liep  steht  heil  getilgt  323  vor  dacht  steht 
fleht  getilgt  326  jamerchlichen  348  Daz  fwand  in  di  fw.  360  vor 
holn  steht  doln  getilgt  372  zera  h.  412  Von  dem  alten  ze  dem  chinde 
418  fehlt  nicht  425  vor  begreif  steht  braht  getilgt  439  folt  548  (7er 
vers  steht  ztceimal  564  vewertet  568  Nider  dez  chinne  587  Da  v. 
614  da  von  g.  615  folt  693  zerbrach  695  niweu  704  wol 
eine  b.  gez.  714  iv  b.  726  an  eneben  728  barmen  756  Bedaht 
762  Aus  erfniteu  771  in  erholt  ist  r  aus  n  corr.  804  ir  nimmrr 
811  ir  aus  iv  corr.  819  ze  dem  820.  21  sind  vertauscht  824.  25  ver- 
tauscht 841  Swie  844  ze  der  848  wurdent  div  ors  857  den 
ander  862  einr  870  vor  man  steht  weip  getilgt  880  Ez  fprachen 
aber  nv  genVge,  der  vers  fehlt  also  nicht  919  allr  der  werlte  949  Wan 
ir  vatter       951   ze  tortivre        961   ze  deheinem        988  jvncfrowen 

8005  warn  11  torivi'n  80  vor  dicke  steht  ofte  getilgt  91  Vil 
fehlt  93  Da  fehlt  109  Diu  w.  111  triffet  der  ift  139  ketten 
153  Swaz  riechen  tut  gefvnden,  fehlt  also  nicht  177  Sich  het  an  ir  g. 
183  höh  pravn  bra  199  und  fehlt  201  nider  aus  uiht  corr.  255  vor 
liez  steht  waz  getilgt  257  diffe  258  topazi  260  Dez  265  ift 
fein  Kr.  280  cerauravs  313  gar  an  im  verfw.  364  Dan  384  vafch, 
]nau  aus  mein  corr.  426  fi  im  f.  459  tot  an  465  vnder  joch  beid  g. 
502  fehlt  507  maere  560  Wie  g.  m.  570  her  g.  609  ir  fehlt 
612  fi  vil  gerne  613  beid  wol  gezemen  615  Oft  hat  fich  626  Wie 
ez  im  dar  nah  ergienc  641  wil  lofen  652  er  ez  ze  dem  m.  653  golt- 
vaz  bot  683  mixft  vr.  687  da  730  Alfo  732  lie  gar  u.  765  dan 
ob  deheim  k.  781  Swenn  788  ich  fehlt  791  futtüch  809  da 
fehlt  813  vellen  fpern  814  vind  fein  819  in  gefigen  ist  i  aus  a 
corr.       901   mit  piders  t.       979   Swaz  iv  fi  fein  in  mitwift       987   fpern 

9006  Lohouis  15  fi.  e.  wolde  23  Katharach  37  Kambroyos 
39  Fimbeus  61  vor  felbes  steht  hant  getilgt  78  niht  enbeiten  110  de- 
hein  aus  deheiur  corr.  111  dann  ir  einr,  r  getilgt  118  warn  dan 
126  in  fehlt  127  Ein  chleinen  211  vor  riiffen  steht  rei  getilgt  239  Het 
erz  241  bei  in  beit  262  fein  fchaden  300  in  trugen  ist  g  aus  h 
corr.  307  ein  368  Vier  zen  371  vor  fweine  steht  favm  getilgt 
402  vor  komat  steht  kemnat  getilgt  404  ir  fehlt  411.  12  umgestellt 
420  vor  dem  falschen  brach  steht  das  richtige  barch  getilgt  440  vor 
Dar  vnder  steht  Da  von  getilgt  470  Vnd  kert  485  Auf  em  walde 
492  Ävf  em  498  hinder  im  510  vreiflichem  550  vil  fehlt  558  mvft 
dar  579  Saz  fehlt  607  vor  in  steht  fan  getilgt  646  mit  .e.  689  Ir 
kfemph  chom      711    ia  fehlt      731    den  rehten       773    Balahyn      780   Da 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    III.  351 

him  da  er  liet  g.  811  Zu  G.  864  geheizen  avs  gehellen  corr.  894  auf 
em  l'atelpogen  924.  25  umgestellt  962  gefpach  964  vor  bereit  sieht 
geleit  getilgt        980   zir  landen        982   vor  mant  steht  Avant  getilgt 

10003  Gawein  /e/i/<  9  niht  langer  33  vor  boren  steht  boten 
getilgt  58  Daz  er  in  het  erJtochen  91  fich  do  feiur  135  vor  ivch 
steht  joch  getilgt  183  al  eine  205  Auf  em  h.  215  Gavdin  223  Key 
345  Behalt  er  357  Div  raser  vlugen  drate  373  vor  gienc  steht  von 
getilgt  406  weit  ez  414  weib  luge  j.  426  herzenliebe  vrTnde  439  wurt 
vil  lobesara  445  mit  in  lo  448  Daz  enlüch  niemen  a.  452  Ein 
well  vliehen  gütiv  weip  485  Div  waz  534  wol  an  in  verfworn 
558  het  574  auf  fein  zweimal  595  deheinr  611  auf  em  fpot  631  an- 
derm  665  gleichem  668  Gafoein  fwaz  ez  kost,  fehlt  also  nicht  669  Do 
entweich  von  der  tjoft,  fehlt  also  nicht  672  lie  695  ein  belibt  radiert 
765  gvnne  iv  al  der  e.  811  dyaletige  836  iv  uil  gut  841  wil 
vürdern  849  Gaudin  881  Ift  fi  niht  w.  b.  900  Verfunet  vnd  Gafoein 
924  lenger  949  Diff  985  Leit  er  vil  gr.,  vor  vil  steht  vo  getilgt 
994   enfolhen  weis 

11002  Vnd  hiez  di  riter  weichen  31  Vrlobes  er  niene  nam,  fehlt 
also  nicht  39  Diff  114  Kert  er  dau  mit  eile  119  da  varen 
157  Nur  daz  165  Nur  daz  er  198  Da  er  202  bin  bezigen  223  In 
anders  dehein  a.  230  ein  raeil  g.  249  Gotegrein  263  moht  vahen 
302  Alfo  von  vrchunft  321  gevie  384  wiffet  454  div  haut  459  feis 
niht  475  aber  fehlt  493  gehen  aus  fehen  corr.  503  des  nie  gedahten 
507  in  zecharidol  511  vor  mser  steht  warheit  getilgt  514  Jamerchleicher 
524  Wau  riter  vnd  vrowen  548  vor  klar  steht  blank  getilgt  539  Hertzen 
breften  liden  chrachen,  fehlt  also  nicht  555  da  fehlt  581  jamerleich 
593  Ynd  da  fi  daffues  612  Da  er  639  vor  zuo  steht  fit  getilgt 
669  gern  von  im  675  er  mer  dehein  700  Wan  fi  in  kumber  wart  g. 
710  lide  ze  1.  712  wol  fehlt  715  fie  fehlt  722  chom  800  ir 
lafter  da  mit  851  Da  ich  ze  888  Die  fchilt  910  vor  baut  steht 
haut  getilgt     965  vor  fein  steht  fo  getilgt     984  do     992  Vnd  ftarch  Avsern. 

12018  vor  vürbaz  steht  fo  getilgt  43  wal  ftet  113  Den  zer 
114  Nv  vngelich.  nv  emieben,  fehlt  also  nicht  138  beide  div  m. 
156    Gaudin  170    von   dem  185    nimmer  226    uns   da   ein 

265   Allez  waz  — . 

III. 

Schon  vor  längeren  jaliren  hat  herr  Alfred  Anthony  von 
Siegenfeld,  k. k.  kämmerer,  die  gute  gehabt,  mich  aufmerksam 
zu  machen,  dass  Heinrich  von  dem  Türlin  die  wappen,  welche 
er  verschiedenen  in  seiner  'Krone'  vorkommenden  rittern  ver- 
leiht, adeligen  familien  aus  Kärnten  abgeborgt  hat.  Die  hoff- 
nung,  dass  er  selbst,  als  der  competenteste  forscher  auf  diesem 
gebiete,  sich  mit  dieser  für  die  beurteilung  der  'Krone'  und 
ihres  Verfassers  wichtigen  frage  beschäftigen  werde,  muss  man 


352  SCHÖNBACH 

wol  jetzt  aufgeben,  uud  so  nehme  ich  es  auf  mich,  unterstützt 
durch  die  gütige  hilfe  meines  freundes  prof.  dr.  Hans  Gross, 
vorzulegen,  was  ich  zu  ermitteln  wusste;  es  werden  sich  dazu 
gewiss  manche  correcturen  uud  ergänzungen  beibringen  lassen. 

Die  stelle  der  'Krone',  um  die  es  sich  hauptsächlich  han- 
delt, ist  die  beschreibung  des  grossen  turnieres  beim  kastell 
Sorgarda  (17648),  wo  Gawein  sämmtlichen  teilnehmenden 
rittern,  darunter  selbst  dem  Veranstalter  des  festspieles,  Lei- 
gamar,  obsiegt,  auf  den  ausgesetzten  preis,  die  band  der  Fursen- 
sephin  (=  fieurs  saus  epine  nach  Singer,  Zs.  fda.  38,263),  zu 
gunsten  seines  genossen  Quoikos  verzichtet  (18664)  und  von 
dannen  reitet  (18681).  Einer  der  hervorragendsten  ritter  dabei 
ist  Fiers  von  Arramis  (17920),  der  geliebte  der  Fursensephin, 
von  dem  es  17921  heisst: 

Des  herze  vert  nach  hohem  pris 
und  Tüert  eines  grifen  klä  — 

vgl.  18485  ff.  18500.  18505. 

Die  greifenklaue,  sofern  sie  hier  wirklich  als  wappenbild  ge- 
meint ist,  findet  sich  in  verschiedenen  wappen  (z.  b.  Grüeu- 
thal,  Wildenstein);  für  uns  kommt  hier  nur  das  der  freiherrn 
von  Dietrichstein  in  betracht,  weil  diese  die  alten  Kärntner 
Hohenburger  (mit  dem  lindwnrm,  vgl.  v.  Siegenfeld,  Steirischer 
uradel,  tafel  I,  8.  II,  8.  III,  6  u.s.w.  von  1204  ab)  beerbt  haben, 
ihre  greifenklaue  bringt  der  alte  Siebmacher  (1657)  1, 22 — 24, 
vgl.  Ralf  von  Retberg,  Die  geschichte  der  deutschen  wappen- 
bilder  (1887)  s.  56.  Den  greifen  selbst  führen  die  Greifen- 
felser,  ein  ganz  altes  Kärntner  geschlecht  (Steirischer  uradel, 
tafel  XIV,  2). 

Der  nächste  ritter  mit  einem  wappen,  dessen  die  'Krone' 
gedenkt,  ist: 

18046    Cavomet  von  Arabie 
mit  richer  massenie 
kam  ze  dem  turnoi. 

18076    Cavomet  der  msere 

ze  wäfen  einen  anker  vuort, 
da  mite  er  suochen  wolt  den  vurt 
an  dirre  juucvrouwen  — 

Dieser  anker  wird  unmittelbar  zurückzuführen  sein  auf  das 
wappen,  welches  Gahmuret  im  Parzival  Wolframs  von  Eschen- 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    III.  353 

back  annimmt  für  die  zeit,  während  Avelclier  er  im  dienste 
des  häruc's  von  Baldac  kämpft: 

Parz.  14,  8    dar  koin  der  jung  Anschevin : 
dem  wart  der  bariic  vil  holt, 
ja  nam  nach  dienste  aldä  den  solt 
Gahmnret  der  werde  mau. 

nu  erloubt  im  daz  er  müeze  hän 

ander  wäpen  denne  im  Gandin 

da  vor  gap,  der  vater  sin. 
15    der  herre  pflac  mit  gernden  siteu 

üf  sine  kovertiure  gesniten 

anker  lieht  hermin: 

da  nach  muos  ouch  daz  ander  sin, 

ufme  schilt  und  an  der  wät. 
20    noch  grüener  denne  ein  smärät 

was  geprüevet  sin  gereite  gar 

und  nach  dem  achmardi  var. 

daz  ist  ein  sidin  lachen: 

dar  üz  hiez  er  im  machen 
25    wäpenroc  und  kursit: 

es  ist  bezzer  denne  der  samit: 

hermin  anker  drüf  genst, 

guldiuiu  seil  dran  gedraet. 

sin  anker  heten  niht  hekort 
30    ganzes  landes  noch  landes  ort, 

15  dane  warn  si  ninder  in  geslagen: 

der  herre  muose  fürbaz  tragen 
disen  wäpenlichen  last 
in  manegiu  laut  der  werde  gast, 
5    nach  dem  anker  disiu  mal, 
wand  er  deheiner  slahte  twäl 
hete  ninder  noch  gebite. 
wie  vil  er  lande  durchrite 
und  in  schiffen  umbe  füere?  — 

Demnach  wird  Cavomet  (18445.  18453)  aus  Gahnuret  verlesen 
oder  verhört  sein.  Der  Krone  fehlt  an  dieser  stelle  auch  der 
häruc  Wolframs  nicht,  nur  ist  auch  er  entstellt  aufgefasst: 

18058    und  ein  jüngelinc  von  Syriä, 

ir  beider  mäc,  der  was  ouch  da, 
der  Väruch  was  genant. 

Es  wird  demnach  nicht  nötig  sein,  für  dieses  wappen  darauf 
hinzuweisen,  dass  Ulrich  von  Stubenberg,  als  er  sich  zur  fahrt 
ins  heilige  land  rüstete,  am  25.  juni  1216  mit  diesem,  dem 

Beiträge  lur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXIII.  23 


354  SCHÖNBACH 

Parzival  Wolframs  entlehnten  anker  siegelte  (v.  Siegenfeld. 
Steir.  uradel,  tafel  II,  9  und  Steierm.  wappenbucli  von  Zacli. 
Bartsch,  1893,  s.  131).    Darnach  folgt 

18080  und  wolte  sie  erhouweu 
mit  einem  swert  Melde, 

(schon  durch  Singer  a.a.O.  yehefisert) 
daz  vuorte  er  ze  velde 
durch  ir  edele  miune. 
vgl.  18308    Baruz  oucli  daz  selbe  tet 

Melden  und  durchstach  daz  swert  — . 

Dieses  schwert  im  wappen  kann  ich  zur  zeit  nicht  nachweisen, 
aber  vgl.  v.  Retberg  a.  a.  o.  s.  88.  Um  so  wichtiger  ist  das 
folgende: 

18081  Efroi  nach  sselden  gewinne 
vuort  Fortunam  üf  em  rade, 
und  daz  wart  manegem  schade, 
wan  er  ritterlichen  reit. 

vgl.  18304    da  wart  Fortuna  und  daz  rat 
vil  rilichen  durchstochen  — 

Denn  dieses  seltene  wappenzeichen  findet  sich  nach  einer 
antiken  gemme  auf  einem  alten  siege!  der  steirischen  Murecker, 
die  viele  beziehungen  zu  Kärnten  hatten  (Steirischer  uradel, 
tafel  1, 1). 

Nicht  belegen  kann  ich  vorläufig  das  nächste  wappen: 

18088    Iger  durch  bescheideuheit 

ein  sense  vuoi-t,  diu  was  breit. 

Auch  V.  Retberg  a.  a.  o.  s.  88  weiss  die  sense  nicht  vor  dem 
14.  jh.  zu  belegen.  Sehr  bekannt  ist  dagegen  der  leopard  im 
Kärntner  wappen  mit  derselben  farbengebung  (vgl.  v.  Siegen- 
feld, Das  landeswappen  der  Steiermark,  s.  116 — 119),  der  dem 
nächsten  ritter  der  Krone  gehört: 

18090    Poidas,  der  jüngelinc, 

brähte  ouch  an  den  rinc 
ein  wäfen,  daz  gelobet  wart: 
daz  was  ein  richer  lebart 
üf  zobel  von  härm  gesniten, 
und  alle,  die  mit  ime  riten, 
daz  selbe  wäfen  leiten. 

Ebenso  offen  liegt  die  beziehung  der  folgenden  verse: 

18097    einen  adelar  breiten 

vuort  Laamez  von  Babilöu. 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    IH.  355 

der  nach  der  meide  rainne  loa 
mit  siii  geselleu  was  verdälit. 

Einen  adler  mit  ausg-ebreiteten  fliigeln  führt  das  wolbekannte 
gesclilecht  der  Triichsen  (Trixen)  in  Kärnten,  und  zwar  zuerst 
1192  ganz,  später  die  obere  hälfte  (Steir.uradel,  tafel  1,3.  IX,  1). 

Die  fessel  kann  ich  nicht  aufweisen,  die  zunächst  folgt: 

18101     Aschaloue  ein  wäfeu  bräht, 

daz  was  ein  poi  von  golde, 
da  mite  er  sich  wolde 
der  meide  in  vancnisse  geben 
beidiu  mit  guote  und  mit  leben 

Hingegen  ist  das  wappen  des  häriic  18106  ebenso  selten  als 
gerade  deshalb  erkennbar: 

Väruch  vuort  ein  olifant 
dar  umbe,  daz  sin  eigen  lant 
deste  baz  w^ere  bekant. 
vgl.  18510    Väruch  mit  dem  olifant 

den  stach  nider  üf  den  sant. 

Der  elefant  ist  das  Wappentier  der  grafen  von  Helfenstein; 
vgl.  V.  Eetberg  a.  a.  o.  s.  45. 

Die  verse  18128  ff.  sind  ganz  lückenhaft  überliefert   (vgl. 

Singer  a.  a.  o.  s.  263),  deshalb  fehlt  die  angäbe,  wer  das  folgende 

Wappen  führte: 

—  sie  ze  velde  brähten: 
das  was  ein  einhorn: 
wie  gar  lihte  dem  wart  zorn, 
daz  hänt  ir  vernomen  e. 

18306  f.  wird  ein  träger  des  Wappens  genannt: 

da  wider  wart  durchbrochen 
der  einhorn  Marmoret  — 

Unter  den  verschiedenen  familien,  die  später  das  einhorn  im 
Wappen  führten,  Reig  im  alten  Siebmacher  1, 26,  Parchwitz  ebda. 
1,29  und  Prunner  von  Vasoltsberg  2,45,  wird  man  wol  die 
letztgenannten  als  besonders  alt  hier  anmerken  dürfen;  vgl. 
V.  Retberg  a.  a.  o.  s.  45. 

18134    den  gräve  von  Bigame 

und  Sorgarit,  sin  bruoder, 
die  truogen  diu  ruoder, 


wan  in  dem  nier  wa^  ii'  gewalt. 


23* 


356  SCHÖNBACH 

Das  müssteu  nach  lieraldiscliem  brauch  zwei  gekreuzte  rüder 
sein,  die  ich  jetzt  nicht  belegen  kann;  vgl.  aber  v.  Retberg 
a.a.O.  s. 82. 

18138    Heiraet,  ein  recke  balt, 

lind  dar  zuo  sinr  gesellen  dri, 
Eeins,  Greins  und  Eugri, 
die  truogen  alle  den  le wen. 

Einen  steigenden  löwen,  sehr  charakteristisch,  das  haupt  dem 
beschauer  zugekehrt,  haben  die  herren  von  Karlsberg  in 
Kärnten  im  wappen  (Steii\  uradel,  tafel  II,  7.  XII,  9);  vgl. 
V. Retberg  a.a.O.  s.  71. 

18142    ein  recke  guot  von  Ansgewen 
Mitarz  und  Cleir  von  der  Yoie, 
der  beider  wäfeu  was  ein  moie.') 

Ferner  18457    De  Syria  Äschalone 

tet  diu  groze  schände  we, 
dem  recken  mit  der  poien: 
Mitarz  mit  der  moien 
gert^)  er  ze  tjostiure. 

Dasselbe  wappen  führt  Galaas,  der  gegner  Gaweins,  nach 

10025  ff.    Gäwein  sich  binden  üz  stal 
under  diu  mit  sin  gesellen, 
und  kerten  mit  eilen 
üf  den  risen,  da  er  lac 
und  sius  gemaches  starke  pflac, 
10030    wan  er  vil  gar  an  angest  was 
und  wände,  ez  wsere  Galaas 
und  die  gevangen  von  Eigrftn, 
do  er  ersach  die  schilde  brün 
und  dar  üf  von  golde  boien 
und  einhalp  die  moien. 

Was  unter  moie  (sw.f.)  zu  verstehen  ist,  kann  ich  nicht  sicher 
ausmachen.  Vielleicht  ist  an  ein  tier  zu  denken,  und  dann 
wäre  die  Vermutung  zu  erwähnen,  die  dr.  Georg  Graber  in 
seiner  einstweilen  nur  handschriftlichen  Grazer  dissertation 
über  die  Krone  aufgestellt  hat:  moie  =  larus,  mewe,  müwe, 
der  Wasservogel  (vgl.  DWb.  6, 2166).  Er  beruft  sich  dabei  auf 
die  heutigen  kärntnerischen  mundarten,  in  denen  es  z.  b.  heisst: 


t 


^)  P  liest  der  moyn.    V  di  moren. 

')  gert  aus  gewert  corrigiert  auch  Singer,  Zs.  fda.  38, 2G4. 


STUDIEN   ZUR    KRONE.    IIT.  357 

is  a  moia  aufyJ^fJögn,  in  der  nähe  von  bächen  und  reichen. 
Als  wappenzeiclien  ist  die  niöwe  nicht  nachweisbar,  wie  denn 
überlianpt  die  zahl  der  in  der  heraldik  verwendeten  vogelarten 
sehr  gering  ist.  Die  moie  hier  mit  dem  moin  des  bruder 
Wernher  (vgl.  meine  Beiträge  zur  erklärung  altd.  dichtwerke 
4,  24  ff.)  zusammenzubringen,  wird  schon  wegen  der  differenz 
des  genus  nicht  angehen.  Die  deutung  v.  Retbergs  a.a.O.  s,  8: 
moie  =  birkenreis,  beruht  wol  auf  der  gleichung  moie  =  kämt, 
die  maie,  tirol.  der  maie  (DWb.  6, 1456);  ob  sie  zu  recht  be- 
steht, kann  ich  nicht  entscheiden.  Jedenfalls  ist  das  nicht  das 
einzige  wort  Heinrichs  von  dem  Türlin.  das  sich  der  vollen 
aufklärung  bis  jetzt  entzieht. 

Die  aufzähluug  von  neun  rittern  18145  ff.  wird  18153  be- 
schlossen: Die  nu  hoeren  wellen, 

waz  ir  aller  wäfen  weere, 

den  sage  ich  ditze  nigere, 

als  ichz  in  welsch  gelesen  hän: 

daz  was  ein  gar  wizer  swan. 

Vgl.  noch  18563. 

So  häufig  der  schwanenrumpf  besonders  als  helmzier  vorkommt 
(v.  Eetberg  s.  98),  so  selten  ist  er  als  Wappentier,  und  ich  kann 
ihn  für  Kärntner  nicht  nachweisen. 

Die  leute  des  herzogs  von  Aram  (18161.  18260)  führen  die 
vlüge  (18176.  18274.  18529)  im  wappen,  ohne  zweifei  das  zeichen 
der  mächtigen  grafen  von  Ortenburg  in  Kärnten  (Steir.  uradel, 
tafelll,8;  IX,  4.  5;  XII,  5). 

Die  Wappenbilder  der  gegner  des  Fiers  von  Aramis  kommen 
dann  noch  einmal  in  dessen  rede  vor:  der  adler  18417.  18443, 
sine  u-ite  vlüge  18423;  der  anker  18419.  18428.  18447.  18454; 
boie.  elefant  (noch  18510),  sense,  leopard  18430  f. 

Gawein  kämpft  mit  einem  Pseudonymen  wapi>en,  wie  aus 

18596  ff.  sich  ergibt: 

Der  helt  der  wsere  unbekant 
und  wsere  so  umb  in  gewant, 
daz  in  nieman  künde  erkennen 
unde  ouch  genenuen 
18600    an  wäfen  noch  an  kleinote, 
wan  daz  er  flamme  röte 
ze  wäfen  üf  swarz  vuorte, 
daz  man  sie  vil  Avenic  spurte, 
and  ze  kleinote  ein  ermel  wiz. 


358  SCHÖNBACH 

Da  liier  das  helmkleinod  offensichtlich  dem  nachgebildet 
ist.  welches  in  Wolframs  Parzival  Gawein  von  Obilot  annimmt, 
dessen  zwist  mit  Obie  ja  gleichfalls  hier  widerkehrt,  so  wäre 
für  die  roten  flammen  anf  schwarz  kaum  eine  anlehnung  zu 
erwarten.  Und  doch  ist  auch  dies  ein  historisches  wappenbild 
der  herren  von  Greiffenperg-  (im  alten  Siebmacher  1,  40,  2); 
nach  V.  Retberg  s.  50  als  vollständiges  wappenbild  erst  im  15.  jh., 
als  beiwerk  älter. 

Ausser  diesem  zusammenhange  werden  aber  noch  wappen 
in  der  Krone  erwähnt.  Als  Gawein  sich  von  Amurfina  ver- 
abschiedet, erhält  er  von  iln-  durch  den  zwerg  Karamphiet 
ein  Schwert. 

9100    und  einen  schilt  vesten, 
der  übel  mohte  zebresteii, 
der  was  ime  ein  ninre: 
sin  velt  was  von  lazüre, 
dar  vif  ein  sloz  von  golde  — . 

Die  folgende  auslegung  auf  die  gewalt  der  minne  scheint  einen 
realen  bezug  auszuschliessen  und  doch  kommt  das  an  sich  sehr 
seltene  wappenbikl  als  vorhangschloss  bei  dem  österreichischen 
geschlechte  von  Stadl  vor  (v.  Retberg  s.  84),  das  beziehungen 
zum  kärntnischen  adel  hatte. 

Von  der  bürg  Eigrun  kommt  Galaas : 

9808    her  abe  macht  sich  Galaas 

mit  vil  grozer  hochvart, 
9810    wol  gewäfeut  und  bewart, 

ze  Gawein  üf  daz  gevilde. 

er  vuorte  üf  sinem  schilde 

von  swarz  ein  ruhe  beruklä 

(der  schilt  was  gar  anderswä 
9815    an  dem  velde  von  golde), 

da  bi  man  wizzen  solde 

daz  er  was  wilder  danne  ein  her  — . 

Der  bär  kommt  als  wappenzeichen  schon  im  12.  jh.  häufig  vor 
und  den  wachsenden  bärenrumpf  führt  die  grosse  familie  von 
Truchsen  (Trixen)  des  kärntner  adels,  allerdings  erst  nach- 
weisbar 1250  (Steir.  uradel  tafel  XYI,  9);  auch  die  bärentatzen 
sind  alt  und  begegnen  bei  den  Tiroler  "llntlern,  die  viel  in 
Kärnten  zu  tun  hatten  (alter  Siebmacher  1,  42),  bei  den  Hoja 
(v.  Retberg  s.  37),  bei  den  Raffenberg,  Fierer  und  nachmals 


STUDIEN    ZUR   KRONE.    ITI.  359 


bei    den 

schlesisclien   grafen   Pfeil    (alter   Siebmacher  2,  17. 

18, 1.  35. 

50). 

Als 

Gasozein  wider  künig  Artus   in    den   kämpf   reitet, 

heisst  es 

10510    im  was  von  einem  blialt 

ein  wäfeu  gar  einvalt 

gesniten  sunder  zadel, 

dar  an  was  dehein  tadel, 
wan  ez  von  golde  was  erweben 
10515    da  mitten  unde  euneben 

von  lewen,  die  wären  groz; 

swaz  velt  beleip  goldes  bloz, 

da  schein  ez  sam  ein  pfäwen  zagel. 

Singer  meint  (Zs.  fda.  38,  259),  es  sei  10511  vielleicht  wäfcnkleit 
einzusetzen,  da  von  dem  eig-entlichen  wappen  erst  10542  ff, 
die  rede  sei.  Aber  es  genügt  wol  die  technische  bezeichnung- 
reit  10517,  um  annehmen  zu  lassen,  dass  auch  hier  ein  wappen 
gemeint  ist.  Und  was  hätte  das  besteck  mit  pfauenspiegelii 
sonst  zu  sagen,  das  nun  freilich  hier  nicht  als  helmkleinod, 
sondern  als  wappenzeichen  angeführt  wird.  Die  löwen  in  der 
mehrzalil  können  als  wappenbild  nur  drei  (aus  zweien  ent- 
wickelt) sein  (v.  Eetberg  s.  70  f.)  und  sind  schreitende  löwen 
übereinander  von  links  nach  rechts  (heraldisch),  das  gibt  das 
landeswappen  von  Kärnten,  allerdings  ei'st  nach  der  Schlacht 
von  Laa  124G,  vorher  gehörten  die  löwen  den  österreichischen 
Babenbergern.  zumal  ihrer  secundogenitur,  den  herzögen  von 
Mödling.  Es  scheint  mir  nun  durchaus  nicht  zufällig,  dass 
Gasozein,  diese  für  uns  so  unsympathische  persönlichkeit,  ge- 
rade mit  diesem  wappen  ausgestattet  wird;  Heinrich  von  dem 
Türlin  muss  diesen  beiden,  wie  sich  aus  manchen  anderen 
details  noch  ergibt,  ganz  anders  aufgefasst  und  beurteilt  haben. 
Die  pfauenspiegel  als  kleinod  können,  vornehmlich  bei  vasallen, 
sehr  wol  mit  den  schreitenden  löwen  verbunden  sein  und  sind 
es  widerholt  wirklich,  so  bei  den  alten  truchsessen  von  Wald- 
burg, und  bei  niemand  geringerem  als  Rudolf  von  Habsburg, 
Vgl.  über  die  löwen  im  kärntner  wappen  und  den  österreichi- 
schen pfauenstoss  v.  Siegenfeld,  Das  landeswappen  der  Steier- 
mark s.  252  ff. 

10542    ein  wäfen  vuort  der  recke 
äne  valscli  von  lasüre, 
und  ein  lewen,  sam  in  natüre, 


360  SCHÖNRACH 

105-1:5    dar  üf  geworht  het  von  golde, 

mit  gebsereii,  sam  er  wolde 

die  werlt  gar  verslinden, 

und  von  den  widerwinden 

gab  er  von  listen  einen  doz, 
10550    des  stimme  was  ze  mäzen  gröz, 

sam  er  lebte  und  scbriwe  da, 

und  hete  lange  scharpfe  klä, 

ze  mäzen  verre  üz  gezogen, 

und  het  sich  nf  diu  bein  gesmogen, 

vgl.  3820.  9421. 
10555    reht  sam  er  stüende  ze  Sprunge, 

und  vuor  ime  diu  zunge 

enwäge  in  der  chewen; 

ez  hete  den  selben  lewen 

ein  buckel  von  golde  bedaht, 
10560    dar  inne  lac  vil  maueger  slaht 

von  edelem  gesteine 

groz  unde  kleine. 

Man  braucht  sehr  wenig  von  dieser  besclireibimg  als  dichterische 
zutat  abzuziehen,  um  sie  A'^ollkommen  passend  für  den  schon 
früher  erwähnten  (s.  356)  steigenden  löwen  der  lierren  von 
Karlsberg  (Steir.  uradel  tafel  II,  7  von  1214,  XII,  9  von  1245), 
dann  derer  von  Silberberg  (Steir.  uradel  Tafel  XVI,  2  von  1249) 
zu  finden. 

Sollte  demnach  der  dichter  seinen  Gasozein  mit  zweierlei 
w^appen  ausgestattet  haben?  Durchaus  nicht,  das  Wappentier 
ist  dasselbe,  der  löwe,  und  kennzeichnet  den  Kärntner  als 
freien  fürstengenoss  und  als  dienstmann  (vgl.  die  erörterungen 
v.  Siegenfelds  in  seinem  buche  Das  landeswappen  der  Steier- 
mark s,  48  ff.).  Wusste  Heinrich  von  dem  Türlin  in  den  Ver- 
hältnissen seiner  zeit  bescheid,  dann  konnte  er  Gasozein  durch 
die  löwen  und  den  pfauenstoss  als  Oesterreicher  charakterisiert 
haben,  denn  in  den  Jahren  der  abfassung  seines  werkes  war 
noch  der  panther  das  kärntner  herzogs-  und  landeswappen. 

Bei  mancher  Unsicherheit  im  einzelnen  erhellt  aus  diesen 
darlegungen  doch  so  viel,  dass  unzweifelhaft  Heinrich  von  dem 
Türlin  die  beiden  seiner  dichtung  mit  wirklichen  wappen  edler 
geschlechter  seiner  zeit  und  zwar  insbesondere  aus  Kärnten 
versah,  ja  mit  wappen,  deren  kenntnis  eine  sehr  genaue  Ver- 
trautheit mit  dem  adel  Kärntens  voraussetzt.  Solche  Vertraut- 
heit erklärt  sich  am  leichtesten,  wenn  angenommen  wird,  dass 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    TU.  361 

der  dichter  selbst  aus  Kärnten  stammte.  Mit  dieser  annähme 
scheint  nur  eine  offene  tiir  eingestossen  zu  werden,  da  doch 
ziemlich  allgemein  in  der  Avissenschaftlichen  literatur  der  A'er- 
fasser  der  Krone  als  Kärntner  gilt.  Sieht  man  genau  zu,  dann 
verhält  es  sich  allerdings  so,  dass  ein  neues  argument  für  die 
herkunft  Heinrichs  von  demTürlin  aus  Kärnten  sehr  willkommen 
geheissen  werden  muss  (vgl.  Müllenhoff,  DAK.  4,  673). 

Die  form  seines  namens,  von  der  auszugehen  ist,  hat  der 
dichter  selbst  in  dem  durch  Bartsch  aufgefundenen  akrostichon 
(Germania  25,  96  f.)  überliefert:  Heinrich  von  dem  Tvrlin.  Diese 
persönlichkeit  ist,  wie  man  weiss,  bisher  weder  urkundlich  noch 
sonst  historisch  zu  belegen.  Nun  hat  Reissenberger  in  seiner 
Schrift  üeber  die  Krone  (programm  der  Grazer  staatsoberreal- 
schule  von  1879)  auf  einen  Konrad  von  dem  Türlin  verwiesen, 
der  bei  dem  steirischen  reimchronisten  vorkommt  und  in  ihm 
einen  angehörigen  desselben  geschlechtes  vermutet.  Dieser 
Konrad  war  bürger  der  Stadt  St.  Veit  an  der  Glan  in  Kärnten 
und  in  eine  Verschwörung  verwickelt,  die  der  Johanniterkomtur 
zu  Pulst  nächst  St.  Veit  angezettelt  hatte  und  die  darauf  ab- 
zielte, den  in  dieser  Stadt  weilenden  söhn  Ludwig  des  herzogs 
Meinhard  gefangen  zu  nehmen.  Das  unternehmen,  an  dem  der 
erzbischof  Konrad  von  Salzburg  und  der  graf  von  Heunburg 
durch  ihre  Unterstützung  sich  beteiligten,  gelang  insofern,  als 
herzog  Ludwig  wirklich  zu  St.  Veit  (dabei  wird  wol  Konrad 
von  dem  Türlin  behilflich  gewesen  sein)  im  Juli  1292  gefangen 
genommen  und  seine  habe  geplündert  wurde.  Doch  erreichte 
die  räche  des  herzogs  Meinhard  die  Verräter  geringeren  ranges 
bald  und  Konrad  von  dem  Türlin  wurde  mit  drei  genossen  zu 
St,  Veit  an  pferde  gebunden  durch  die  Strassen  geschleift  und 
solchermassen  hingerichtet.  Der  reimchronist  nennt  die  Ver- 
schwörer zuerst  (ed.  Seemüller)  v.  60603  f.: 

mit  dem  Karlspergsere 

iiud  mit  Kilon  dem  Fribergaere, 
60605    er  was  ouch  wizzenhaft  daran 

von  Friberc  her  Herman, 

und  ein  burger  zuo  der  zit 

was  gesezzen  zuo  Saut  Vit, 

hiez  her  Kuonrät  von  dem  Turnlin, 
60610    der  und  die  friuude  sin 

wurden  oucb  erbeten, 


362  SCHÖNBACH 

daz  si  phliht  heten 
an  der  imtriwe. 

Und  als  herzog  Meinhards  solin  Otto  die  strafe  vollziehen  lässt, 
heisst  es  61179  ff.: 

er  eiipliak'h  dem  iiiarschalc  ze  tuon, 
ÖllSO    daz  er  von  Friberge  Kixou 
und  den  Karlspergaere 
und  die  schuldigen  burgsere, 
von  dem  Turlin  hern  Kuonrät, 
und  swer  scbuldic  waer  an  der  tat 

zunächst  in  den  kerker  zu  legen  befiehlt,  sie  werden  dann  ver- 
urteilt. "Wie  man  sieht,  gibt  der  reimchronist  an  der  ersten 
stelle  die  form  Turnlhi,  an  der  zweiten  Turlin.  Dem  entspräche 
ein  lat.  turi-icula,  mlat.  turricella,  ttirricellus,  turriculus,  vgl. 
Du  Gange  8,  215  und  aus  diesem  fnrnUn  möchte  .sich  auch  der 
mangel  des  umlautes  von  n  sehr  wol  erklären,  der  bereits  Bartsch 
an  dem  akrostichon  aufgefallen  war.  Die  einzige  Urkunde,  in 
welcher  der  name  Konrad  von  dem  Turnliu  vorkommt  und  in 
der  herzog  Ulrich  III.  von  Kärnten  der  äbtissin  von  Göss  das 
eigentumsrecht  an  hüben  bestätigt  (zwei  spätere  bestätigungen 
derselben  sache  gibt  es  von  1281  und  1283),  welche  sie  u.  a. 
an  diesen  bürger  von  St.  Veit  ausgetan  hat,  steht  als  no.  2966 
im  vierten  bände  der  Monumenta  ducatus  Carinthiae,  s.  684  f. 
(ausgestellt  zu  Völkermarkt  am  16.  februar  1268)  und  bietet  den 
namen:  Chunrado  de  Turlin  de  sancto  Vito  elvi  (=  v.  Muchar, 
Geschichte  d.  herzt.  Steiermark  5,  329).  Demnach  hat  dieser 
TurUn  mit  porta  und  portula  nichts  zu  tun,  mit  denen  er  ins- 
gemein zusammengebracht  wird,  und  auch  nichts  mit  den  ver- 
schiedenen herren  de  Porta,  die  Reissenberger  a.a.O.  verzeichnet. 
Denn  das  sind,  wie  die  genannten  Monumenta  des  herrn  dr. 
Jaksch  von  Wartenhorst  lehren,  ganz  andere  leute:  Otto  de 
Porta  und  sein  bruder  Konrad  sind  ministerialen  zu  Wolfsberg 
in  Kärnten,  ihre  Porta  heisst  deutsch  Thörl,  Eherhardus  de  Porta 
jedoch  ist  ein  Krainer.  Vielleicht  ist  dagegen  der  familie  des 
dichters  ein  Heinrich  auf  dem  Thurm  (die  urkundliche  form 
kenne  ich  nicht)  zuzuzählen,  der  als  zeuge  neben  bürgern  von 
St.  Veit  bei  einem  tausch,  kärntner  guter  betreffend,  unter- 
schreibt, den  das  stift  Admont  am  19.  juni  1261  verbrieft:  die 
Urkunde  ist  zu  Friesach  ausgefertigt,  das  regest  findet  sich  bei 
V.  Muchar,  Geschichte  des  herzogtums  Steiermark  5, 294.    Ein 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    III.  3G3 

Thärnlein  hat  es  im  15.jli.  in  Südsteiermark  gegeben,  vgl. 
Y.  Muchar  7,  420.  Man  wird  dalier  wol  tun,  künftig  den  Ver- 
fasser der  Krone  nicht  mehr  als  Heinrich  von  dem  Tihiin  zu 
citieren,  sondern,  wie  es  Überlieferung  und  etymologie  verlangt, 
Heinrich  von  dem  Tnrlin  oder  T^irnlin.  Dass  der  genannte 
Konrad,  wenn  er  auf  der  Stadtmauer  von  St.  Veit  einen  türm 
besass,  sehr  gut  im  stände  war,  seinen  genossen  des  nachts 
das  übersteigen  der  mauern  zu  erleichtern,  wie  sich  aus  dem 
berichte  des  reimchronisten  a.a.o.  erschliessen  lässt.  sei  nur 
nebenher  erwähnt. 

Der  nächste  grund,  der  für  die  kärntner  abstammung  des 
dichters  der  Krone  geltend  gemacht  wird,  betrifft  die  beschaffen- 
heit  der  spräche  des  werkes.  Sie  ist  erörtert  worden  von  Reissen- 
berger  a.a.o.  s.  19  ff.,  einlässlich  von  Zwierzina  in  seinen  ']\[ittel- 
hochdeutschen  Studien'  und  von  dr.  Georg  Graber  in  seiner 
schon  erwähnten,  noch  ungedruckten  Grazer  dissertation.  Ich 
meine  allerdings,  dass  wir  heute  noch  nicht  weit  genug  sind, 
um  auf  rein  sprachliche  argumente  liin  ein  dichtwerk  einer  ein- 
zelnen landschaft  mit  voller  Sicherheit  zuzuweisen,  gebe  aber 
gerne  zu,  dass  die  bisherige  forschung  Kärnten  als  lieimat 
Heinrichs  von  dem  Turlin  wahrscheinlich  gemacht  hat. 

Es  wird  sich  im  zusammenhange  damit  nicht  vermeiden 
lassen,  eine  stelle  der  Krone  zu  erörtern,  die  bereits  vielfach 
behandelt  worden  ist,  aber  doch  noch  nicht  dazu  verwertet, 
die  aussage  des  dichters  darin  über  seine  eigene  heimat  (vgl. 
Saran,  ßeitr.  22, 151)  festzustellen.  Zuvörderst  muss  ich  die 
verse  aus  dem  Wigalois  ^Mrnts  von  Gravenberc  anführen,  auf 
die  Heinrich  von  dem  Turlin  sich  beruft.  Es  heisst  dort  (ed. 
Pfeiffer) :  216,  22  wurde  geuomen  ein  turnei 

von  den  Österherren  uf  daz  Saut 

(Saran,  Beitr.  21, 257  f.) 

da  wurde  gevaterschaft  zetrant. 
25    so  sich  die  poinder  fljehten 

und  nach  gewinne  daehten. 

ich  hän  ir  sliche  wol  gesehen. 

wie  si  nach  guote  künnent  spehen, 

so  sich  den  poinder  wirret 
30    und  si  diu  stat  niht  irret. 

da  mac  Verliesen  wol  ein  man, 

der  niht  mit  riterschefte  kan, 

swaz  er  ze  velde  bringet. 


304  SCHÖNBACH 

Nach  einer  lebhaften  beschreibung-  der  edlen  freuden  des 
turniers  (216, 4  ff.)  folgt  ein  ausfall  auf  die  Osterherren,  welche 
das  ritterliche  spiel,  wo  die  gelegenheit  es  erlaubt  und  beson- 
ders im  gedränge,  zu  ihrem  vorteil  ausbeuten,  indem  sie  ritter 
gefangen  nehmen,  "zäumen',  die  dann  ross  und  rüstung  um 
geld  auslösen  müssen.  Bei  diesen  kann  also  mancher  zu  schaden 
kommen:  Wirnt  hat  auf  dem  Sand  bei  Nürnberg  selbst  gesehen, 
wie  sie  es  treiben.  Es  werden  somit  die  Osterherren  beschul- 
digt, das  turnierspiel  aus  einer  Unterhaltung  in  einen  unedlen 
kämpf  um  schnödem  gewinn,  zur  eigenen  bereicherung,  um- 
gewandelt zu  haben.  Benecke  verstand  unter  den  'Osterherren' 
(anm.  zu  v.  8447)  'böhmische  oder  andere  slavische  ritter  — 
diese  waren  für  AVirnt  östliche  nachbarn';  dabei  bleibt  jedoch 
unberücksichtigt,  dass  nach  anderen  Zeugnissen  (Biterolf  8276. 
8442)  gerade  die  ritter  aus  diesen  ländern  durch  ihr  Ungeschick 
im  turnierwesen  bekannt  waren,  indes  ausgezeichnetes  geschick 
erforderlich  war,  um  in  der  angegebenen  weise  bei  turnieren 
sich  zu  bereichern.  Wol  deshalb  denkt  F.  Niedner  (Das  deutsche 
turnier  im  12.  und  13.  jh.  s.  16)  lieber  bei  'osterherren'  an  die 
deutschen  fürsten  und  ritter  jenseits  der  Saale,  aus  der  mark- 
grafschaft Meissen,  der  Lausitz  u.  s.  f.  Das  mag  dahingestellt 
bleiben.  Nun  nimmt  aber  Heinrich  von  dem  Turlin,  Krone 
2938  ff.  die  verse  Wiruts  in  folgender  weise  auf  (vgl.  Lichten- 
stein, Anz.  fda.  8, 15;  Niedner  a.a.O.  s.  17  f.;  Ehrismann,  Beitr. 
20,68.  22,436;  Saran,  Beitr.  22, 151;  Müllenhof f,  DAX. 4, 673  f.): 

uiht  uäch  den  Osterherren 

disiu  tjostiure  stuont, 
2940    die  alle  vinde  in  tuont 

mit  ritters  behendekeit. 

als  min  herre  Wirent  seit, 

swä  si  sint  ze  velde. 

in  hat  disiu  melde 
2945    geschadet  vil  starke, 

wan  die  von  der  Marke, 

wurden  si  sin  inne, 

si  entranten  mit  unminne 

vil  lihte  die  gevaterschaft. 

her  Wirent  ist  so  wärhaft. 
2950    der  ez  von  in  gesaget  hat, 

und  hat  euch  solher  witze  rät, 

daz  er  wol  erkennen  kau 


STUDIEN   ZUR   KRONE.    III.  365 

üz  solheu  siteu  den  man, 

wand  er  ez  dicke  hat  gesehen 
2955    zuo  velde  an  ritterlichem  schehen: 

ze  Karlingen  i;nd  Britanje, 

ze  Brick  (Brie)  und  vif  Tschampauje, 

ze  Wal  und  ze  Norwein, 

ze  Flandern  und  ze  Lohrein  (Lorein?), 
2960    ze  Normandie  und  ze  Engellant, 

ze  Hengouwe  und  ze  Bräbant, 

ze  Hessen  und  ze  Hespelgou, 

ze  Dürngen  und  ze  Brisgou, 

ze  Swäben  und  ze  Sahsen 
2965    daz  ist  uiht  gewahsen. 

daz  sol  man  im  gelouben. 

got  gesegene  vor  ir  rouben 

die  herren  vonem  Sande 

und  die  von  Westerlande, 
2970    Westväl  unde  Franken, 

swie  von  der  gedauken 

von  erst  diz  spil  entsprunge. 

swä  sich  ein  Feier  drunge 

ze  velde  mit  eim  Osterman, 
2975    der  wurde  also  in  getan 

von  siner  kunst,  im  euweege  heil,        (vgl.  6079) 

daz  im  geviele  dez  winster  teil. 

da  wider  ist  uns  ditz  guot, 

daz  ir  kunst  und  ir  muot 
2980    hie  ze  lande  niht  geschiht. 

den  aber  geschiht  von  in  iht, 

daz  sint  die  von  Vrigiule: 

der  garzüne  mit  hiule 

prisent  wol  den  turnoi 
2985    dort,  als  der  Franzoiser  croi 

tuot  mit  uns  und  bi  dem  Ein. 

weint  si  so  schedeliche  sin, 

so  beschin  si  nimmer  unser  schin! 

Singer  hat  (Zs.  fda.  38, 254)  die  ganze  stelle,  welche  der  Wiener 
hs.  fehlt,  Heinrich  abgesprochen  nnd  für  einen  einschub  erklärt: 
'Der  dichter  dieses  Stückes  scheint  ein  bewohner  des  Nürn- 
berger Sandes,  d.h.  ein  Baier,  so  wie  Wolfram  sich  einen  Baiern 
nennt.  Dasselbe  für  Heinrich  anzunehmen,  haben  wir  keinen 
grund.'  Das  scheint  mir  ganz  folgerichtig  gedacht,  wofern  die 
Osferherren  der  Krone  mit  denen  Wirnts  identificiert  und  diese 
für  Slaven  oder  für  Deutsche  von  jenseits  der  Saale  gehalten 


366  SCHÖNHACH 

werden.  Dann  niüsste  natürlicli  2946  von  TeneniarJce,  was  die 
Heidelbei'g-er  lis.  bietet,  stehen  bleiben  und  es  dürfte  nicht 
Ehrismanns  Verbesserung  (Beitr.  20, 68)  angenommen  werden, 
Avie  ich  getan  habe.  Wie  käme  nun  Heinrich  zu  dieser  kenntnis 
norddeutscher  Verhältnisse?  Woher  hätte  er  erfahren,  dass 
zwischen  den  Meissnern  usw.  und  andererseits  den  Dänen  die 
bände  der  verwantschaft  (gab  es  solche?)  aufgelöst  wurden, 
weil  diese  Deutschen  sich  auf  den  turnieren  habsüchtig  be- 
nommen hatten?  Und  was  hatten  die  Norddeutschen  auf  den 
turnieren  der  Baiern  oder  gar  der  Friulaner  zu  suchen?  Das 
führt  alles  in  ein  unschlichtbares  wirrsal.  Die  sache  scheint 
mir  ganz  anders  zu  liegen.  Die  stelle  ist  echt  (das  meint 
auch  Saran,  Beitr.  22, 151),  das  zeigen  schon  gewisse  lieblings- 
worte  Heinrichs  wie  melde,  schelten,  heil  iviyet,  daz  winster  teil 
(15892),  croi  :  turnoi  (vgl.  Lichtenstein  a.a.O.;  Reissenberger 
s.  27  ff.  und  Warnatsch,  Der  mantel  s.  99  ff.  reichen  nicht  aus). 
Vielmehr  verstehe  ich  den  ganzen  passus  so:  mit  dieser 
tjostiure  verhielt  es  sich  nicht  so,  wie  die  Osterherren  es  üben, 
die  alle  gegner  mit  ritterlichem  geschick  allerorts  beim  turnier 
gefangen  nehmen,  wie  das  herr  Wirnt  berichtet.  Dessen  er- 
zählung  hat  den  Osterherren  viel  abbruch  getan  (besser  viel- 
leicht: hätte  den  0.  sehr  schaden  können),  denn  wenn  die 
Steiermärker  davon  erfahren  hätten,  wäre  gar  leicht  im  zorn 
die  nahe  verwantschaft  zerrissen  worden.  Herr  Wirnt  nun, 
der  dieses  von  den  Osterleuten  behauptet  hat,  ist  so  wahrheits- 
liebend und  besitzt  überdies  so  viel  einsieht,  dass  er  sehr  genau 
aus  ge"\vohnheiten  solcher  art  den  mann  zu  beurteilen  versteht, 
denn  er  hat  dinge  der  art  oftmals  auf  den  turnierböden  beim 
reiten  der  ritter  gesehen:  in  so  und  so  vielen  ländern,  wo  er 
war,  sind  solche  brauche  nicht  aufgekommen.  Man  muss  ihm 
glauben  schenken  in  bezug  darauf.  Möge  gott  die  freunde  des 
lierrn  Wirnt  vom  Sande,  dann  weiter  die  der  westlichen  ländei', 
Westfalen  und  Franken,  vor  solchen  raubzügen  (der  Oster- 
herren) beschützen,  sie,  von  denen  das  kampfspiel  des  turuieres 
seinen  ausgang  genommen  haben  mag.  Wo  immer  ein  Baier 
beim  turnier  an  einen  Ostermann  geriete,  da  würde  er  durch 
dessen  kunst  gefangen  genommen,  wofern  nicht  das  glück  ihm 
beistünde,  und  zwar  so,  das  jener  dabei  übel  wegkäme.  Hin- 
gegen steht  es  um  uns  hier  zu  lande  insoferne  gut,  als  solcher 


STUDIEN   ZUR  KUONE.    III.  367 

(habsüchtiger)  sinn  und  bolche  gewantheit  bei  uns  nicht  bräuoli- 
lich  sind.  ])ie  aber  darunter  zu  leiden  haben,  das  sind  die 
herren  in  Friaul,  deren  garzune  doi't  mit  weherufen  das  turnier 
ebenso  rühmen,  wie  es  mit  dem  *kroi'  der  Franzosen  bei  uns 
und  am  Ehein  geschieht.  Wollen  die  Osterleute  bei  den  tur- 
nieren  solchen  schaden  stiften,  dann  möge  niemals  unsere  sonne 
auf  sie  scheinen  (mögen  sie  niemals  bei  uns  turnieren)! 

Alles  ist  in  dieser  darstellung  klar  und  steht  in  schönstem 
Zusammenhang,  wenn  unter  den  Osterherren,  Osterlkiten  hier 
die  Oesterreicher  zu  verstehen  sind,  bezeichnungen,  die  für  sie 
bei  Seifried  Helbling  gebraucht  werden  und  wahrscheinlich 
auch  in  Kärnten,  wo  der  lateinische  name  Australes  üblich 
war  (register  zum  3.  und  4.  bände  der  Monument a  ducatus 
Carinthie  4, 983).  Dann  ist  verständlich,  weshalb  die  angaben 
Wirnts  von  Gravenberg  die  gevatterschaft  der  Oesterreicher 
und  Steiermärker  schädigen  konnten  (die  gevattern  sind,  weil 
sie  unter  denselben  Babenbergischen  herschern  stehen)  —  was 
sonst  ganz  undenkbar  wäre,  gleichviel  ob  man  2946  Tenemarlce 
mit  der  hs.  oder  der  Marlce  mit  Ehrismann  liest  —  solche 
raubsucht  hätte  das  turnier  leicht  aus  einem  spiel  zum  ernst 
wandeln  können.  Herr  Wirnt  ist  nun  durchaus  glaubwürdig, 
es  ist  gewiss  keine  erfindung  oder  Verleumdung,  was  er  vor- 
bringt, denn  er  besitzt  urteil  und  erfahrung.  Daher  wird 
gottes  schütz  zunächst  für  die  freunde  Wirnts  angerufen,  die 
bei  turnieren  auf  dem  Nürnberger  Sand  mit  den  Oesterreichern 
zusammentreffen,  und  dann  für  die  übrigen  ritter  aus  West- 
deutschland, woher  das  turnierwesen  ja  gekommen  ist,  die 
aber  trotzdem  sich  auf  das  gewinnbringende  "zäumen'  nicht 
verstehen.  Den  Baiern  ergienge  es  schlecht,  wenn  sie  mit  den 
Oesterreichern  turnierten.  AVir  Kärntner  haben  davon  nichts 
zu  fürchten,  denn  bei  uns  sind  solche  turniersitten  nicht  im 
schwänge.  Dagegen  leiden  die  Friulaner  darunter  und  sie 
klagen  über  ihre  furniere  mit  den  Oesterreichern  ebenso  wie 
wir  uns  mit  französischem  kampfruf  bei  unserer  art  des  tur- 
nierens  in  derselben  weise  wie  die  rheinische  ritterschaft 
freuen.  Die  Oesterreicher  aber  mögen  uns  mit  ihren  künsten 
vom  leibe  bleiben. 

Es  hat  also  von  v.  2967—2988  Heinrich  von  dem  Turlin 
die  ritterschaft   der  verschiedenen  länder  aufgezählt,  die  von 


368  SCHÖNBACH 

den  Oesterreichern  beim  turnier  übles  erfuhren.  Wo  er  sich 
einschliesst  2978  ff.,  das  kann  sich  nur  auf  Kärnten  beziehen, 
es  bleibt  gar  kein  anderes  land  sonst  übrig.  Insofern  enthält 
also  dieser  passus  wirklich  ein  Zeugnis  für  Heinrichs  abstam- 
mung  aus  Kärnten.  Nur  wenn  die  Österherren  der  Krone  die 
Oesterreicher  sind,  was  Ehrismann  zuerst  gesehen  hat  Beitr. 
20,68,  dann  entfallen  alle  Schwierigkeiten.  Doch  mache  ich 
ausdrücklich  aufmerksam,  dass  damit  noch  nicht  bewiesen  ist, 
auch  Wirnt  habe  in  seinen  versen  über  die  österherren  die 
Oesterreicher  damit  gemeint;  ich  lasse  das  vorläufig  unent- 
schieden und  bin  nur  überzeugt,  dass  der  dichter  der  Krone 
die  österherren  des  citates  aus  Wirnts  Wigalois  für  die  Oester- 
reicher gehalten  hat.  Vielleicht  spiegelt  sich  auch  in  einzelnen 
Vorgängen  beim  turnier  zu  Friesach  von  1224  (vgl.  darüber 
Zs.  fdph.  28,  201  ff.  Monum.  duc.  Carinthie  4,  no.  1871)  diese  auf- 
fassung  österreichischer  turniersitten  wider.  Jedenfalls  sehe 
ich  es  als  ein  directes  zeugnis  für  die  richtigkeit  meiner  auf- 
fassung  an,  dass  die  Wiener  hs.  die  ganze  stelle  fortgelassen  hat. 
Diese  handschrift  ist  wahrscheinlich  (vgl.  ob.  s.  344  ff.)  für  adlige 
herren  aus  Niederösterreich  hergestellt  worden,  der  Schreiber 
oder  sein  auftraggeber  hat  den  passus  mit  recht  als  beleidigend 
für  die  ritterschaf t  Oesterreichs  angesehen  und  daher  unterdrückt. 
Ehrismann  stützt  dieselbe  ansieht  über  die  Österherren  auch 
auf  die  erwähnung  der  ritter  aus  Friaul  an  dieser  stelle  der 
Krone  v.  2981  ff.  Zu  meiner  widergabe  bemerke  ich  nun,  dass 
ich  sie  nicht  für  völlig  gesichert  halte,  nur  für  sehr  wahr- 
scheinlich. Denn  einmal  werden  2981  durch  aber  (der  vers 
ist  zum  guten  teile  corrupt)  die  Friulaner  den  vorher  erwähnten 
Kärntnern  entgegengesetzt,  die  von  den  Oesterreichern  nichts 
zu  leiden  haben.  Dann  wird  das  geschrei  ihrer  garzune  als 
hnden  bezeichnet.  Nun  weiss  ich  ganz  wol,  dass  dieses  wort 
ahd.  und  mhd.  gelegentlich  auch  freudenrufe  bezeichnen  kann, 
in  der  ganzen  altdeutschen  geschichte  des  wertes  überwiegt 
aber  die  bedeutung  'klagegeschrei,  weheruf'.  Und  zu  diesem 
sinne  allein  passt  auch  der  zweite  gegensatz,  wie  ich  ihn  ver- 
stehe, nämlich  zu  dem  französischen  kroi,  zu  den  freudenrufen, 
die  bei  den  furnieren  der  Kärntner  und  der  Kheinländer  im 
schwänge  sind,  wo  das  vergnügen  der  turnierenden  nicht  durch 
die  gewinnsucht  einzelner  teilnehmer  gestört  wird. 


STUDIEN   ZUR  KROXE.    ITI.  369 

Was  nun  die  bezieliungen  zwischen  dem  adel  von  Kärnten 
und  von  Friaul  anbelangt,  die  liier  auch  für  die  heimat  der 
Krone  zeugen,  so  habe  ich  schon  einmal  darüber  gehandelt  in 
meiner  schrift  'Die  anfange  des  deutschen  minnesanges'  (1898) 
s.  26 — 92.  Wider  die  dort  vertretene  annähme,  dass  Friaul, 
ein  italienisches  land  mit  deutschem  adel  (bis  ins  15.  jh.),  an 
der  Vermittlung  des  einflusses  der  provenzalischen  lyrik  über 
Italien  hin  sich  beteiligt  habe,  ist  einspräche  erhoben  worden, 
zumeist  von  Wilmanns,  Gott.  gel.  anz.  1900,  s.  831  f.  und  zwar 
hauptsächlich  aus  dem  gründe,  weil  die  tatsächlich  nach- 
gewiesenen beziehungen  zu  spät  liegen.  Wenn  die  richtigkeit 
meiner  auf  Stellung  nur  von  diesem  umstände  abhienge,  so  wäre 
sie  jetzt  völlig  gesichert,  denn  die  Monumenta  ducatus  Carinthie 
legen  in  einer,  sogar  für  mich  überraschenden  weise  dar,  wie 
alt  und  intim  der  verkehr  zwischen  dem  adel  von  Kärnten, 
Steiermark  und  Friaul  wirklich  gewesen  ist,  wie  notwendig 
durch  übergreifen  des  besitzes  und  der  lelien  von  einem 
Sprachgebiet  in  das  andere,  auf  der  grundlage  vor  allem  der 
ausdehnung  des  patriarchates  von  Aquileja,  und  wie  gefestigt 
durch  zahllose  bände  der  verwantschaft  zwischen  den  ritter- 
lichen geschlechtern.  Im  folgenden  verzeichne  ich  die  nummern 
der  Urkunden,  in  denen  die  bezüge  zwischen  den  Deutschen 
Innerösterreichs  und  den  Italienern  zu  tage  treten,  gemäss  dem 
Standard  work,  den  Monumenta  ducatus  Carinthie  des  dr.  Aug. 
Jaksch  von  Wartenhorst,  band  3  und  4,  1.  2  (1904—1906).  Die 
reihe  beginnt  mit  einer  gerichtsnrkunde  Adalberos  von  Eppen- 
stein,  herzogs  von  Kärnten  und  markgrafen  von  Verona,  über 
Bamberger  guter  in  Kärnten  vom  jähre  1013,  die  in  der 
recognition  einer  italienischen  kanzlei  vorliegt,  Monumenta  3, 97 
no.  224  und  erstreckt  sich  in  ununterbrochener  folge  bis  zum 
jähre  1269,  soweit  das  werk  jetzt  reicht.  Es  gehören  dahin 
die  stücke  no.  228.  321  (Kärntner  besitz  in  Friaul  und  um- 
gekehrt). 336.  532.  533.  541.  548  (deutsche  und  italienische 
zeugen  neben  einander  wie  noch  oftmals).  655.  673.  675.  676. 
709.  710.  780.  806.  844.  875.  877.  880.  900.  915.  925.  26.  928. 
1061.  1079.  1125.  1129.  1130.  1136.  1174.  1211.  1212.  1221. 
1225.  1232.  1233.  1234.  1235.  1236.  1238.  1246.  1248  (handels- 
verkehr  durch  das  Kanaltal  zwischen  Friaul  und  Yillach  vom 
j.  1179).  1264.  1269.  1296.  1302.  1307.  1312.  1322.  1330.  1349. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIIT.  24 


370  SCHONBACH 

1356.  1373.  1377  II.  (die  letzten  20  durchweg  aus  den  70  er 
und  80  er  jähren  des  12.  jh.'s).  1384.  1385.  1401.  1432.  1434. 
1440.  1471.  1503.  1512.  1524.  1540.  1583.  1587.  1662.  1672. 
1710.  1712.  1814.  1832.  1899.  1900.  2026.  2028.  2032  ff.  2041  f. 
2059.  2063.64.  2075.  2086.  2094.  2125.  2132.2139.2140.2147. 
2148.  2149.  2179.  2184.  85.  2243.  2320.  2378.  2433.  2440.  41. 
2445.  2451.  2457.  2473.  2474.  2487.  2489.  2513.  2515.  2518. 
2742.  Die  durchsieht  dieser  stücke  muss  jedermann  über- 
zeugen, dass  zwischen  den  deutschen  und  italienischen  ge- 
genden  ein  sehr  lebhafter  verkehr  der  personen,  austausch 
von  gütern,  handel,  transport  von  waaren  stattgefunden  hat, 
der  notwendigerweise  auch  von  gegenseitigen  einflüssen  der 
bildung  und  cultur  begleitet  sein  musste.  Als  ein  zeuge  dafür 
kann  auch  noch  Heinrich  von  dem  Turlin  selbst  aufgerufen 
werden. 

Es  wäre  nun  nicht  unmöglich,  dass  dieser  deutsch- italie- 
nische austausch  selbst  in  dem  Wortschätze  der  Krone  seine 
spuren  zurückgelassen  hätte.  In  der  tat  scheint  das  der  fall 
zu  sein.  Schon  Eeissenberger  führt  s,  27  seiner  schritt  das 
wort  ostelie  an,  das  er  auf  ostello,  herberge,  zurückführt.  Es 
heisst  dort:  mit  manec  haneJcie  tvas  disiu  massenie  vor  der  ostelie 
(es  folgen  noch  die  reimworte  vesperte  :  hräerie).  Schon  hier 
zeigt  sich  die  Schwierigkeit,  dass  nicht  entschieden  werden 
kann,  ob  das  von  dem  deutschen  dichter  gebrauchte  wort  aus 
dem  italienischen  oder  französischen  oder  aus  dem  latein  — 
von  allen  drei  sprachen  hat  wol  Heinrich  kenntnis  gehabt  — 
umgestaltet  wurde.  Denn  ital.  osteUo  leitet  Diez,  Etj^mol.  wb. 
V\  298  selbst  aus  altfranz.  hostet  ab,  das  also  auch  diesem 
ostelie  zu  gründe  liegen  könnte.  Etwas  sicherer  wird  es  sich 
wol  mit  folgendem  beispiel  verhalten:  2004  f.  da  in  gemeiner 
favele  die  von  der  runttavele  eins  äbents  gesäzen.  Denn  es 
steht  zwar  auch  hier  lat.  fahella,  fahida  zur  seite,  allein  gegen 
den  bezug  auf  fahida  spricht  das  v  des  deutschen  Wortes, 
gegen  fahella  die  durch  den  reim  gesicherte  betonung  fdvcle. 
So  wird  nur  ital.  fdvola  als  Vorbild  übrig  bleiben,  denn  auch 
franz.  fahle  gewährt  keinen  anhält.  Vgl.  Diez,  Et3miol.  wb. 
1, 174.  Beachtenswert  scheint,  dass  hier  das  wort  in  dem 
sinne  von  confahidatio  =  Unterhaltung  durch  gespräch  ver- 
wendet wird;  denn  an  den  übrigen  stellen  steht  fahel  und  zwar 


STUDIEN   ZUR  KRONE,    in.  371 

zumeist  dm  fahel  =  quelle  des  romans,  8835.  18113.  18179. 
22111  {fahel^lwY).  22202.  23217  {der  fabeln  sage).  27221.  29203, 
was  natürlich  sehr  wol  aus  lat.  fahida  oder  franz.  fahle  ab- 
genommen sein  mag.  Dagegen  kann  monfanie  ebenso  aus  franz. 
montaujne  wie  ital.  montagna,  lat.  montana  stammen,  die  ver- 
dumpfiing  zu  n  (muntäne)  ist  unterlassen  vne  in  dem  latini- 
sierenden contra fait  2255  neben  dem  gewöhnlichen  mhd.  Imnter- 
feit  (Wackernagel,  Kl.  sehr.  3,  274).  schilliers  2872  und  schelUer 
18191  werden  von  Lexer  unmittelbar  mit  ital.  schiniera  =  bein- 
harnisch  zusammengebracht,  das  Diez  1,  370  widerum  aus  ahd. 
slhia,  slcena  =  rijhre,  bein,  schiene,  ableitet.  Gewiss  aus  dem 
italienischen  stammt  carme  =  lied  in  den  versen  26845  f.:  tna- 
neger  hande  carme  hübsch  und  hoch  sie  vor  dem  hol  simgen. 
Der  italienischen  Umgangssprache  lieber  als  dem  latein  möchte 
ich  dtire  zui'echnen.  das  18399  im  reim  steht:  dar  under  huop 
sich  rtcher  schal  von  garzünen,  dar  zuo  diu  floife  hol  lüte  mit 
dem  tambürc,  uan  die  recJien  ze  düre  sich  häten  verläsen. 
2136  würde  ich  mit  Singer,  Zs.  fda.  38,  254  stern  auf  ital.  staro 
aus  lat.  sextarius  zurückführen,  wofern  ich  seine  auffassung 
der  Sache  teilen  könnte.  Ich  übersetze  jedoch  den  spott  Kei's 
über  herrn  Lanzelot,  der  aus  dem  zauberbecher  nicht  hat 
trinken  können,  folgendermassen:  'herr  Lanzelot,  es  weist  sich 
vortrefflich,  dass  der  becher  zu  voll  ist  (Lanzelot  hat  nämlich 
keinen  tropfen  bekommen),  darum  könntet  ihr  seiner  leicht 
entraten  {des  möhtet  ir  sin  lihte  enbern):  eher  könntet  ihr  euch 
an  einer  lamprete  oder  einem  stör  (seltenen  und  kostbaren 
fischen)  satt  essen'  (als  aus  diesem  becher  euch  satt  trinken, 
der  euch  keinen  tropfen  gewährt).  Den  gebrauch  von  castel 
an  verschiedenen  stellen  des  gedichtes  wii^d  man  auch  besser 
auf  ital.  castello  als  auf  franz.  chastel  zurückführen.  Direct 
aus  dem  italienischen  farando  scheint  13466  die  bezeichnung 
tarrant  für  einen  drachen  genommen.  Auch  das  widerholt  (4413. 
10757  U.S.W.)  vorkommende  vildn  wird  eher  auf  ital.  villano 
als  auf  franz.  villain  zurückgehen,  märel  6911  ist  wol  eher 
mit  Lexer  =  mardel  als  =  ital.  morello,  worauf  die  hs.  V 
führen  könnte.  Diesen  beispielen  italienischen  einflusses  auf 
den  Wortschatz  des  dichters  steht  nun  eine  ganze  reihe  von 
fällen  gegenüber,  wo  er  unzweifelhaft  Wörter  aus  seiner  fran- 
zösischen lectüre  übernommen  hat,  gewiss  auch   etliche,  wo 

24* 


372  SCHÖNBACH.   STUDIEN   ZUR   KRONE.    III. 

seine  bilduiig  ihm  anleilien  aus  dem  lateiii  erlaubte  (vgl. 
Eeissenberger  a.a.O.  s.  12).  Gewiss  gehört  zu  den  letzteren: 
cihorje  :  allectorie  (cleduarhtm,  vgl.  Du  Gange  1. 173.  181)  15699. 
Dunkel  ist  nmnsiol  28719,  das  eine  schale  zu  bedeuten  scheint 
und  vielleicht  am  besten  mit  nlat.  mensorimn,  missorium  (vgl. 
Du  Gange  s.v.)  zusammengebracht  wird,  übrigens  auch  dem 
besonderen  medicinischen  Wortschätze  Heinrichs  angehören 
mag.  hrünet  :  röset  6887  wird  mlat.  sein.  Alle  französischen 
Wörter  der  Krone  zu  besprechen,  wäre  zwecklos,  sie  sind  zahl- 
reich und  beziehen  sich  am  häufigsten  auf  die  gebrauchs- 
gegenstände  des  ritterwesens;  doch  erwähne  ich  pomver  pärät 
8798;  gramangir  7649;  olifant  18106.  18510;  parce-val  6390; 
torrinre  7951 ;  hräerie  699;  topliere  8891;  alzurn  1982  hat  Singer 
bereits  erledigt.  Der  Wechsel  zwischen  h  und  iv  in  Värucli 
18060  ff.  lässt  sich  vielleicht  aus  der  mundart  des  dichters 
erklären,  vgl.  Lessiak,  Die  mundart  von  Pernegg,  Beitr.  28, 
118.  124,  wogegen  der  abfall  von  li  in  ämit  für  MmU  18069 
darin  keinen  anhält  findet,  Lessiak  a.a.O.  s.  147  f.  Sicher  aus 
einem  slowenischen  worte  ist  icomat  9403,  bair.  das  hwimet, 
hervorgegangen;  andere  slawische  einflüsse  habe  ich  nicht 
wahrnehmen  können.  Wenn  der  dichter  das  adj.  icelMscli  ge- 
braucht, so  meint  er  16932  darunter  'brittisch',  die  spräche 
des  königs  Artus  und  der  seinen;  manegen  tvelsclien  tue  12104 
könnte  sich  auf  Italien  beziehen,  sicher  vier  ivelMsche  mUe 
11465  (vgl.  Tobler  in  den  Sitzungsberichten  der  Berliner  aca- 
demie  1907,  s.  187).  Es  fügt  sich  somit,  was  aus  dem  ge- 
brauch fremder  Wörter  sich  ermitteln  lässt,  durchaus  zu  der 
kärntner  abkunft  Heinrichs  von  dem  Turlin. 

GEAZ.  ANTON  E.  SGHÖNBACH. 


dtp:  HEIMAT  DER  GROSSEN  HEIDELBERGER 
LIEDERHANDSCHRIET. 

Ueber  die  frage  nacli  der  herkimft  der  liederhandschrift  C 
ist  bisher  noch  keine  einig-iing-  erzielt  worden.  Seit  Lassberg, 
Liedersaal  II,xLTiif.  ihre  entstehung  auf  den  Konstanzer  bischof 
Heinrich  von  Klingenberg  zurückführen  wollte  und  Lachmann, 
Walther  s.  vii,  auf  Lassbergs  ausführungen  mit  einer  ermun- 
ternden bemerkung  hinwies,  hat  man  immer  wider  von  zeit 
zu  zeit  den  Klingenberger  den  Manesses  und  Konstanz  Zürich 
als  concurrenten  entgegengestellt,  so  besonders  Kraus,  Die 
miniaturen  der  Manesse'schen  liederhandschrift,  Strassb.  1887, 
s.  13  ff.  Freilich  waren  die  Kraus'schen  ausführungen  so 
schwankend  und  von  Irrtümern  und  Widersprüchen  so  wenig 
frei,  dass  es  Zangemeister,  "Westdeutsche  zeitschr.  f.  gesch.  u. 
kunst  7,  333,  nicht  schwer  wurde,  sie  punkt  für  punkt  zu  ent- 
kräften. Aber  entscheidende  gründe  für  Zürich  hat  auch 
Zangemeister  nicht  vorgebracht.  Oechelhäuser,  Die  miniaturen 
der  Universitätsbibliothek  zu  Heidelberg  2,  350  f.,  sah  in  Zange- 
meisters erörterungen  sogar  nur  den  nachweis,  dass  Kraus 
'nicht  vermocht  habe,  seine  hypothese  so  sicher  zu  begründen, 
dass  sie  eine  bevorzugung  vor  der  älteren  beanspruchen  könnte', 
und  er  meint:  'die  fi^age  nach  dem  entstehungsorte  der  grossen 
Heidelberger  liederhandschrift  ist  noch  eine  offene,  ihre  lösung 
von  der  zukunft,  vielleicht  von  einem  zufall  zu  erwarten'.  In- 
zwischen hat  graf  Eberhard  von  Zeppelin ')  die  schon  von  Kraus 
herangezogene  stilistische  Übereinstimmung  von  Konstanzer 
Wandmalereien  mit  den  miniaturen  der  hs.  C  eindringlicher 
betont  und  unter  abermaligem  hinweis  auf  den  kunstliebenden 
Heinrich  von  Klingenberg,  und  unter  Verwertung  des  umstandes, 
dass  die  sogen.  Züricher  wappenrolle,  die  beziehungen  zu  C 
zeigt,  in  Konstanz  entstanden  ist,  glaubt  er  auch  die  entstehung 
von   C   dahin  verlegen   zu   können.     Bald  darauf  hat  Edw. 


^)  Der  deutsche  herold,  Zeitschrift  für  wappen-,  siegel-  und  familien- 
kunde,  29.  Jahrg.,  Berlin  1898,  s.  133.  Vgl.  das  referat  von  Brunuer  in  der 
beiiage  zur  Müucheuer  allgemeinen  zeitung  jahrg.  1899,  no.  73. 


374  VOGT 

Scliröder,  Zs.  fda.  43, 184  ff.  die  vermutiiug  ausgesproclien,  dass 
die  gemeinsame  quelle  der  kleinen  strophensammhmgen  in  der 
handscbrift  des  Rappoltsteiner  Parzival  (i)  und  der  Berner 
hs.  des  Matthias  von  Neuenburg  (p)  um  1320  in  Konstanz  ent- 
standen sei.  Da  aber  diese  quelle  in  wesentlichen  teilen  augen- 
scheinlich mit  den  quellen  von  B  und  namentlich  C  identisch 
sei,  so  sei  das  ein  wichtiges  moment  mehr  für  die  Realisierung 
sowol  der  hs.  B  als  auch  der  hs.  C  in  Konstanz,  die  vom  grafen 
Zeppelin  mit  der  besten  aussieht  auf  erfolg  verfochten  werde. 

Diesen  erfolg  glaubt  nun  graf  Zeppelin  schon  errungen  zu 
haben.  In  einer  nochmaligen  auseinandersetzuug  seiner  an- 
sichten  (Schriften  des  Vereins  für  geschichte  des  Bodensees  u. 
seiner  Umgebung,  heft  28,  Lindau  1899,  s.  33  ff.)  meint  er,  durch 
Schröders  Vermutung  und  merkwürdiger  w^eise  auch  durch  den 
urkundlichen  nachweis  von  zwei  malern  in  Konstanz  aus  den 
Jahren  1296  und  1325  'sei  die  kette  der  beweisführung  für  die 
entstehung  unserer  handschrift  und  ihrer  miuiaturen  in  Kon- 
stanz in  der  tat  jetzt  völlig  geschlossen'.  So  solle  denn  fortan 
die  grosse  Heidelberger  liederhandschrift  nicht  mehr  der  Ma- 
nesse'sche,  sondern  'der  Klingenberg- codex'  heissen. 

Auf  die  zahlreichen  mängel  in  graf  Zeppelins  ausführungen, 
die  unzureichende  bekanntschaf t  mit  der  einschlägigen  literatur 
und  die  schwächen  seiner  methode  brauche  ich  hier  nicht  ein- 
zugehen. Von  eigenem  rüstzeug  hat  er  zu  seiner  Untersuchung 
nur  die  eingehende  Vertrautheit  mit  der  Koustanzer  Wand- 
malerei mitgebracht.  Aber  die  sclilussfolgerung,  die  er  aus 
ihrer  stilverwantschaft  mit  den  C-miniaturen  zieht,  dass  diese 
in  Konstanz  entstanden  sein  müssten,  ist  übereilt.  Die  kunst- 
historiker  sind  einstimmig  in  der  ablehnung  solcher  Schlüsse. 
Lübke  hat  zuerst  bei  den  fresken  des  Monti'schen  hauses  in 
Konstanz,  die  Mone  in  den  Mitteilungen  der  antiquarischen 
gesellschaft  in  Zürich,  bd.  15,  heft  6  (1866)  veröffentlichte,  an 
die  bilder  der  'Manessischen  handschrift'  erinnert,  aber  nur 
um  die  zeit  der  Konstanzer  maiereien  ungefähr  festzusetzen. 
Eine  schärfere  bestimmtheit  des  Charakters  einzelner  schulen 
lehnt  er  für  jene  zeit  ausdrücklich  ab.  Selbst  Kraus  hat  bei 
hervorhebung  der  vergleichungspunkte  zwischen  den  Koustanzer 
fresken  und  den  illustrationen  in  C  ausdrücklich  Verwahrung 
dagegen  eingelegt,   dass  er  sie  als  entscheidendes  argument 


HEIMAT   DER   GROSSEN    HEIDELBERGER   LIEDERHS.  375 

gegen  Zürich  ansehe  und  auf  die  engen  und  zahlreiclien  be- 
ziehungen  zwischen  Konstanz  und  Zürich  verwiesen  sowie  auf 
die  einflüsse,  welche  die  Züriclier  kunst  auf  die  Konstanzer 
ausgeübt  habe.  Besonders  hat  aucli  Oechelhäuser  (Miniaturen 
2,  371  f.)  wider  vor  der  ansetzung  bestimmter  schulen  und  der 
zurückfülirung  der  C-miniaturen  auf  Konstanzer  maier  gewarnt, 
auf  die  weite  Verbreitung  der  in  frage  kommenden  typischen 
Züge  hingewiesen  und  mit  recht  die  weit  wichtigere  vergleichung 
der  buchmalerei  jener  zeit  betont.  Vor  allem  aber  sind  zwei 
neuere  entdeckungen  von  bildern  wichtig,  die  in  nächster  be- 
ziehung  mit  denen  der  hs,  C  stehen.  Durrer  und  Wegeli, 
Zwei  schweizerische  bilderzyklen  aus  dem  anfang  des  14.  jh.'s 
(Mitteilungen  d.  antiquar.  gesellsch.,  bd.  24,  Zürich  1899),  haben 
neben  den  den  C -bildern  stilistisch  verwanten  maiereien  der 
Galluskapelle  in  Oberstammheim  die  höchst  interessanten 
fresken  der  herrenstube  in  Diessenhofen  veröffentlicht  und  in 
diesen  nicht  nur  wider  sehr  bemerkenswerte  ähnlichkeiten 
mit  den  C-miniaturen,  sondern  in  einem  falle  auch  eine  directe 
nachbildung  von  einer  derselben,  nämlich  der  darstellung  des 
Scheibenwerfens  in  der  Illustration  zum  Meisner  (Kraus  s.  114) 
nachgewiesen.  Dem  umstände,  dass  Diessenhofen  und  Ober- 
stammheim etwas  näher  bei  Konstanz  als  bei  Zürich  liegen, 
haben  die  Verfasser  mit  recht  keinerlei  bedeutung  beigelegt. 
Ihre  nachweise  zeigen  vielmehr  nur,  dass  eine  der  hs.  C  eng 
verwante  w^andmalerei  keineswegs  auf  Konstanz  beschränkt 
war.  Auf  die  notwendigkeit  aber,  für  die  entstehungsgeschichte 
der  bilder  in  C  vor  allem  die  buclimalerei  heranzuziehen  und 
dabei  nicht  an  der  deutschen  grenze  Jialt  zu  machen,  führt  vor 
allem  die  zweite  entdeckung.  Paul  Ganz  hat  in  einer  aus- 
ländischen privatsammlung  zwei  miniaturen  gefunden,  die  aus 
einer  französischen  chronik  des  13.  jh.'s  ausgeschnitten  sind 
und  den  bildern  ^bl.  42  und  82'  direct  oder  indirect  als  vorläge 
gedient  haben,  i)    Nähere  angaben  fehlen  bisher,  aber  schon 


1)  Ganz,  Geschichte  der  heraldischen  kunst  in  der  Schweiz  im  12.  und 
13. Jb.,  Frauenfeld  1899,  s.  117;  vgl.  auch  Dürrer  und  Wegeli  a.a.O.,  wo 
nur  das  hild  von  Eost,  kirchherr  v.  Sarnen,  auf  bl.  9-1:  (so  nach  Kraus'  pagi- 
nierung-, alte  Zählung  lxxxii)  angegeben  ist.  Ist  mit  bl.  4-2  Kraus  s.  18 
(Albrecht  v.  Heigerlo)  gemeint?  Dann  sind  beide  von  der  band  des  ersten 
nachtragsmalere. 


376  VOGT 

die  vorhandenen  bieten  eine  schöne  bestätigung  der  hypothese 
E.  M.  ]\Ieyers,  Zs,  fda.  44, 197  f.,  dass  ein  teil  der  illustrationen 
unserer  liederhandsclirift  auf  abbildungen  zu  werken  der  er- 
zählenden literatur  zurückzuführen  sei. 

Unter  diesen  umständen  ist  es  nicht  möglich,  die  bilder 
in  C  auf  Konstanz  festzulegen.  Anderseits  darf  nicht  un- 
beachtet bleiben,  dass  im  g-rundstock  der  handschrift  dem  Zü- 
richer Hadloub,  wie  mit  recht  hervorgehoben  worden  ist,  sowol 
durch  das  doppelbild  als  durch  die  kunstreichste  initiale  eine 
bevorzugte  Stellung  zugewiesen  ist,  ebenso  unter  den  nach- 
tragen dem  in  Zürich  bezeugten  Dominikaner  Eberhard  von 
Sax  durch  das  Spruchband  mit  der  widmung  an  Maria.  Aber 
entscheidend  ist  auch  das  nicht,  und  man  wird  überhaupt  da- 
von absehen  müssen,  nur  auf  grund  der  bilder  die  handschrift 
genau  localisieren  zu  wollen. 

Und  auch  die  person  des  Heinrich  von  Klingenberg  wii'd 
man  gut  tun  bei  dieser  frage  auszuschalten.  Ist  die  hand- 
schrift C  zu  jung,  als  dass  der  i.  j.  1304  verstorbene  Rüdiger 
von  Manesse  an  ihrer  herstellung  noch  unmittelbaren  anteil 
gehabt  haben  könnte,  so  steht  es  mit  dem  1306  gestorbenen 
Kliugenberger  in  dieser  beziehung  nicht  anders.  Was  aber 
die  quellen  der  handschrift  betrifft,  so  kann  das  jedenfalls  als 
feststehend  betrachtet  werden,  dass  C,  als  die  unvergleichlich 
vollständigste  Sammlung  der  minnesinger,  deren  schweizerische 
beziehungen  offen  zu  tage  liegen,  gleichviel  durch  Avelche 
mittelglieder  hindurch  auf  jene  grosse  Sammlung  von  lieder- 
büchern  zurückgeht,  die  nach  Johann  Hadloubs  unzweifelhaftem 
Zeugnis  durcli  Rüdiger  und  Johannes  Manesses  eifriges  bemühen 
in  Zürich  zusammengebracht  wurde  und  an  Vollständigkeit  im 
ganzen  reiche  nicht  ihresgleichen  hatte.  Hätte  an  dieser  Samm- 
lung Heinrich  von  Klingenberg  irgendwelchen  besonderen  an- 
teil gehabt,  so  hätte  Hadloub  ihn,  seinen  gönner,  dessen  sanges- 
kunde  er  in  der  gratulationsstrophe  auf  Heinrichs  wähl  zum 
Konstanzer  bischof  lobend  erwähnt,  bei  seinen  ausführlichen 
angaben  über  die  Sammeltätigkeit  der  Manesses  unbedingt 
mit  nennen  müssen.  Statt  dessen  hebt  er  vielmehr  ausdrücklich 
hervor,  dass  das  grosse  unternehmen  der  Manesses  ganz  ihres 
geistes  kind  sei,  ein  werk  ihres  edlen  sinnes,  der  den  gesang, 
mit  dem  man  frauen  ehrte,  nicht  untergehen  lassen  wollte. 


HEIMAT   DER   GROSSEN   HEIDELBERGER  LIEDERHS.  377 

Deutet  man  A^ollends  Hadloubs  worte  in  dem  erwähnten  gra- 
tulationsgediclit  er  hau  ivtse  uude  tvort  darauf,  dass  der  biscliof 
selbst  deutsche  lieder  verfasst  habe,  wie  das  meist  geschieht, 
so  würde  das  nur  ein  weiterer  grund  gegen  Heinrichs  be- 
ziehungen  zu  der  grossen  liedersammlung-  sein.  Denn  es  würde 
doch  unerklärlicli  sein,  dass  diese  gerade  von  seinen  dichtungen 
nichts  enthält,  wenn  sie  auf  ihn  zurückzuführen  wäre.  Lass- 
berg-, der  diese  Schwierigkeit  nicht  unbeachtet  Hess,  glaubte 
in  Heinrich  von  Klingenberg,  dem  kanzler  könig  Rudolfs,  jenen 
'Kanzler'  sehen  zu  dürfen,  dessen  gedichte  die  hs.  C  beschliessen, 
eine  hj'pothese,  von  der  heute  nicht  mehr  die  rede  sein  kann. 
Es  bleibt  nach  alledem  nur  die  hohe  Wahrscheinlichkeit,  dass 
dem  Klingenberger  bei  seinen  Züricher  beziehungen,  seinem 
Interesse  für  minnedienst  und  liederdichtung  auch  die  Samm- 
lung der  Manesses  bekannt  war,  und  die  möglichkeit,  dass  er 
ein  Interesse  für  miunegesang  auch  in  Konstanz  betätigte. 
Soll  aber  die  entstehung  von  C  oder  einer  anderen  liederhand- 
schrift  in  Konstanz  erwiesen  Averden,  so  müssen  dafür  natür- 
lich andere  gründe  den  ausschlag  geben. 

Etwas  festeren  boden  gewinnen  wir  beim  verfolgen  von 
Konstanzer  beziehungen  erst  mit  der  handschrift  B.  Wir 
wissen,  dass  sie  mindestens  seit  dem  jähre  1613  dem  kloster 
Weingarten  gehörte,  dass  sie  aber  zuvor  eigentum  des  Marx 
Sdiidthaisen  suo  Costantz  gewesen  ist  (s.  Pfeiffers  abdruck  s.vii) 
und  dass  sie  im  jähre  1483  von  Konrad  Grünenberg  in  Kon- 
stanz für  sein  wappenbuch  benutzt  wurde,  Hire  entstehung 
in  Konstanz  ist  damit  freilich  auch  noch  keineswegs  erwiesen. 
Ganz  a.a.O.  s.  120  bemerkt,  dass  jenes  Scliidthais  nicht  amts- 
sondern  geschlechtsname  ist  und  dass  neben  einem  ehemals 
Winterthurer  geschlechte  der  Schultheils  am  Ort,  das  zu  Kon- 
stanz sesshaft  war,  auch  eine  Züricher  familie  der  Schultheils 
vom  Schopf  existierte,  die  mit  dem  rats-  oder  konstaffelherrn 
Marx  Schultheils  1563  ausstarb.  Dass  aber  Grünenberg  die 
hs.  benutzte,  beweist  nur,  wie  Ganz  mit  recht  hervorhebt,  dass 
sie  sich  damals  in  erreichbarer  nähe  befand,  also  in  Konstanz, 
St.  Gallen  oder  Zürich,  wie  auch  andere  Wappensammlungen, 
z.  b.  der  Haggenberg'sche  codex  aus  St.  Gallen,  dem  Konstanzer 
Ritter  zur  Verfügung  gestellt  worden  v/aren.  Für  die  frage 
nach  der  heiniat  von  C  vollends  ist  durch  die  beziehungen  der 


378  VOGT 

hs.  B  zu  Konstanz  um  so  weniger  gewonnen,  als  ja  C  nicht, 
wie  noch  graf  Zeppelin  uud  Brunner  voraussetzen,  aus  B,  son- 
dern aus  gemeinsamer  quelle  mit  B  geflossen  ist. 

Nach  alledem  ermöglicht  das  bisher  vorgebrachte  tatsachen- 
material  nur  Vermutungen,  keine  entscheidung.  Eine  solche 
ist  nur  aus  den  haudschriften  selbst  zu  holen,  aber  nicht  aus 
den  bildern,  sondern  aus  den  texten.  Man  hat  bei  allen  er- 
örterungen  über  die  frage,  ob  Konstanz  oder  Zürich,  merk- 
würdigerweise einen  durchgreifenden  unterschied  in  der  Schreib- 
weise von  B  und  C  nicht  beachtet,  wozu  eine  irreführende 
bemerkung  Lachmanns  beigetragen  haben  mag.  Lachmann 
hatte,  Walther  s.  vi,  anm.  **,  von  den  haudschriften  ABC  und 
dem  Nagler'schen  fragment  gesagt,  'dass,  wie  in  den  drei  letzten 
die  Orthographie  auffallend  übereinstimmt,  sich  alle  vier  durch 
schwäbische  oder  vielleicht  richtiger  thurgäuische  formen  aus- 
zeichnen'. Pfeiffer,  der  bei  seinen  buchstäblichen  abdrücken 
von  A  und  B  wahrlich  gelegenheit  genug  gehabt  hätte,  sich 
ein  schärferes  bild  von  der  Schreibweise  jeder  handschrift  nach 
deren  einzelnen  bestandteilen  zu  machen,  hat  sich  damit  be- 
gnügt, s.  VII  seiner  'Heidelberger  liederhandschrift'  Lachmann 
ungenau  nachzusprechen:  'wie  diese  letzteren  (B  und  C),  so 
ist  auch  A  im  südlichen  Schwaben  oder  noch  richtiger  im 
Thurgau  geschrieben.  Dahin  weist  die  Orthographie,  die  in 
allen  dreien  fast  dieselbe  ist.'  Tatsächlich  aber  unterscheidet 
sich  die  Schreibweise  der  hs.  B  in  einem  sehr  wesentlichen 
punkt  durchweg  von  den  andern,  und  nur  sie  kann  nach  diesem 
merkmal  schwäbisch  oder  auch  thurgäuisch  genannt  werden. 
B  und  nur  B  schreibt  ausnahmslos  ai,  sie  kennt  in  ihrem 
alten  bestände  kein  ci.  Dem  gegenüber  steht  C  mit  ebenso 
ausnahmslosem  ei.  Ziehen  wir  nun  zum  vergleich  die  in  den 
beiden  concurrierenden  Städten  seit  dem  ausgang  des  13.  Jahr- 
hunderts übliche  Schreibung  heran,  so  finden  wir  in  den  Kon- 
stanzer Urkunden  genau  mit  derselben  regelmässigkeit  das  ai 
wie  in  B,  in  den  Züricher  nicht  minder  ausnahmslos  als  in  C 
das  ei.  Die  Konstanzer  grundeigentumsurkunden  bei  Beyerle, 
Grundeigentumsverhältnisse  und  bürgerrecht  im  mittelalter- 
lichen Konstanz  bd.  2,  Heidelberg  1902  (vgl.  auch  Schriften  d. 
Vereins  f.  gesch.  des  Bodensees  lieft  34  [1905],  s.  79—82),  und 
anderseits  der  6.  und  7.  bd.  des  Urkundenbuchs  der  Stadt  und 


HEIMAT   DER   GROSSEN   HEIDELBERGER   LIEDEEHS.  379 

landschaft  Zürich  (Züricli  1905 — 7)  bieten  aiisreiclieiides  nia- 
terial  für  die  feststellung'  dieser  tatsaclie.  Die  grenze  zwischen 
ei  und  ai  in  ihrer  weiteren  ausdehnung'  hat  Khipper,  Germ, 
abh.  21,25  ff.  verfolgt.  Danach  kann  für  C  (mit  ausnähme  von 
Diessenhofen)  auch  der  ganze  Thurgau  und  St.  Gallen  ebenso- 
wenig wie  Konstanz  in  betracht  kommen.  Wie  fest  dieser 
unterschied  in  der  Schreibung  von  Zürich  und  Konstanz  auch 
in  der  folgezeit  bleibt,  kann  uns  z.  b.  Dierauers  ausgäbe  der 
Chronik  der  stadt  Züricli  (Quellen  z.  Schweiz,  gesch.  18,  Basel 
1900)  vergegenwärtigen.  Mit  cap.  46  setzt  hier  plötzlich  ai 
statt  des  bisherigen  ei  ein:  der  herausgeber  ist  bis  zu  dieser 
grenze  der  handschrift  des  Hans  Gloggner  von  Zürich,  von  da 
an  der  des  Klaus  Schulthais  von  Konstanz  gefolgt.  Und  ein- 
dringlich schildert  uns  Niklas  von  Wyl  (Transl.  s.  351),  wie  er, 
aus  Bremgarten  im  Aargau  gebürtig,  sich,  als  er  nach  Schwaben 
herauskam,  grosses  flysscs  gehruchd,  daz  ich  getvonte  ze  schrihcn 
ai  für  ei,  weil  das  von  alters  her  der  brauch  der  Schwaben 
gewesen  sei,  womit  sie  loblich  gesündert  tvaren  von  den  ge- 
ziingen  aller  vmh gelegenen  landen.  Jetzt,  wo  er  die  Trans- 
lationen herausgibt  (1478),  ist  die  ärgerliche  neuerung  auf- 
gekommen, dass  auch  die  schwäbischen  kanzleien  das  ei  auf- 
nehmen, so  dass  er  eigentlich  wider  umlernen  müsste,  das  ich 
aber  nit  tun  wil. 

Für  die  liederhandschriften  B  und  C  aber  kommt  noch 
ein  anderes  wichtiges  Unterscheidungsmerkmal  hinzu.  C  macht 
ausgiebigen  gebrauch  von  der  abbreviatur  c  für  -az  {de,  wc 
U.S.W.).  Diese  abkürzung  ist  wesentlich  alemannisch;  sie  findet 
sich  z.  b.  in  den  fragmenten  von  Isengrines  not,  in  den  bruch- 
stücken  des  Osterspiels  aus  Muri,  in  den  fragmenten  des  cgm. 
5153  von  Konrads  Trojanerkrieg.  Sie  greift  auch  hinüber  auf 
das  zunächst  angrenzende  ««-gebiet,  so  dass  sie  sich  neben  ei 
in  der  hs.  von  Grieshabers  predigten,  in  den  Wasserburger, 
jetzt  Donaueschinger  hss.  von  Sigenot  und  Ecke  und  von  Ru- 
dolfs Wilhelm  findet,  aber  in  Konstanz  ist  sie  durchaus  nicht 
üblich.  Das  reiche  material  bei  ßej^erle  bietet  kein  einziges 
beispiel  für  diese  abbreviatur.  i)     Dem   gegenüber   begegnen 


*)  Beyerle  bestätigt  mir  brieflich,  dass  er  sie  nicht  etwa  im  druck  auf- 
gelöst hat. 


380  VOGT 

lins  wider  in  Zürich  um  1300  die  de  wc  auf  scliritt  und  tritt. 
Man  vergleiclie  z.  b.  die  Urkunde  des  Züricher  rates  von  1296, 
in  der  nur  de,  nie  daz  oder  das  geschrieben  wird  (Züricher 
urkundenbucli  bd.  6,  no.  2389),  oder  die  Urkunden  von  1299  bis 
1301,  welche  glieder  der  familie  Manesse  betreffen  oder  von 
solchen  mit  unterzeichnet  sind  (a.a.O.  7,  no.  2501.  2506.  2510 
und  2512). 

Meine  feststellungen  über  die  Konstanzer  Schreibweise  der 
handschrift  B  gelten  ebenso  wie  für  ihren  hauptteil  (s.  1 — 170) 
auch  für  die  nachtrage  der  zweiten  und  dritten  band.  Dagegen 
setzt  mit  der  vierten  band  plötzlich  die  alemannische  schreib- 
regel  ein.  Wie  scharf  sich  die  beiden  Orthographien  scheiden, 
wird  einem  auf  den  ersten  blick  klar,  wenn  man  nur  die  selten 
216  und  217  der  hs.  (Winsbeke  str.  47— 55)  in  Pfeiffers  ab- 
druck  hintereinander  liest:  bis  zum  schluss  von  s.  216  nur  ai, 
dagegen  gleich  mit  dem  beginn  von  s.  217  nur  ei  und  sofort 
im  bunde  damit  auch  zahlreiche  de  wc,  die  bis  dahin  völlig 
ausgeschlossen  waren.  So  geht  es  dann  (abgesehen  von  einem 
vereinzelten  ivaiz  auf  s.  224)  weiter  bis  zum  ende  auf  s.  238 
der  hs.  Mit  der  fünften  band  (Frauenlob  s.  240—252  der  hs.) 
schwinden  die  de  wc  wider  völlig  und  ai  kommt  wider  zur 
herschaft,  doch  findet  sich  hier  daneben  auch  häufig  ei.  Mit 
verschwindenden  ausnahmen  ist  dagegen  die  Konstanzer  regel 
wider  von  der  sechsten  band  (Konstanzer  minnelehre  s.  253 
— 305)  durchgeführt. 

Man  wird  mir  wol  nicht  einwerfen:  Avenn  in  der  Konstanzer 
hs.  B  einer  der  nachtragsschreiber  die  streng  alemannische 
Schreibregel  angewendet  hat,  so  könnte  doch  immerhin  auch 
C  trotz  dieser  Schreibweise  in  Konstanz  entstanden  sein.  Das 
wird,  von  allem  andern  abgesehen,  schon  durch  die  tatsache 
widerlegt,  dass  nicht  allein  der  grundstock,  sondern  auch  sämmt- 
liche  nachtrage  der  hs.  C  die  alemannische  Schreibung  durch- 
führen. So  wenig  wie  in  dem  grundstock,  so  wenig  ist  mir 
bei  den  sieben  nachtragsschreibern  auch  nur  ein  einziges  ai 
begegnet.  Die  de  ive  finden  sich  bei  dem  ersten  von  ihnen 
(ß  nach  Apfelstedts  bezeichnung)  noch  häufig,  bei  den  andern 
werden  sie  seltener,  doch  ist  mir  nur  bei  F  kein  beispiel  be- 
gegnet, wie  es  auch  an  Züricher  Urkunden  nicht  fehlt,  die  die 
abbreviatur   meiden.     Während   wir    also    unbedenklich   an- 


HEIMAT   DER   GROSSEN  HEIDELBERGER  LIEDERHS.  381 

nehmen  können,  dass  unter  den  naclitragsschreibern  der  Kon- 
stanzer lis.  B  auch  einmal  ein  Alemanne  aus  dem  ei-ih-geMet 
vorübergehend  bescliäftigt  war,  der  seine  lieimische  Orthographie 
durchführte,  wird  niemand  behaupten  wollen,  dass  ein  werk  wie 
G,  an  dem  acht  verschiedene  Schreiber  etwa  30  jähre  hindurch 
tätig  gewesen  sind,  von  denen  kein  einziger  den  Konstanzer 
schreibgebrauch  beobachtet,  in  Konstanz  entstanden  sein  könne. 
Für  die  frage  nach  den  Konstanzer  beziehungen  der  maiereien 
in  C  ist  zu  beachten,  dass  in  dem  einzigen  falle,  der  für  das 
verhalten  der  maier  zu  der  schreibregel  in  betracht  kommt, 
nicht  das  ai,  das  in  B  auch  die  bilder  durchweg  zeigen,  son- 
dern das  ei  erscheint.  Es  ist  das  wort  HEID  auf  dem  bilde 
des  grafen  Friedrich  von  Leiningen  (Kraus  s.  13). 

Und  endlich:  auch  die  nächsten  verwanten  von  C  führen 
uns  nicht  nach  Konstanz,  sondern  in  die  Schweiz.  Das  Nagler- 
sche  bruchstück,  dessen  Stretlingen-bildnis  dem  in  C  so  eng 
verwant  ist,  zeigt  in  seinem  textfragmente  von  den  liedern 
des  Toggenburgers,  das  dem  text  von  C  nicht  minder  nahe 
steht,  ausnahmslos  ci,  und  die  de  ivc  noch  häufiger  als  C.  In 
den  umfänglicheren  Tross'schen  bruchstücken  begegnen  wir 
gleichfalls  keinem  einzigen  ai.  Da  ihr  Schreiber,  wie  Zange- 
meister mit  recht  bemerkt  hat,  erst  dem  15.  Jahrhundert  an- 
gehört, so  kann  man  das  abkürzungs-c  eigentlich  nicht  mehr 
bei  ihm  erwarten.  In  der  tat  gebraucht  er  abbreviaturen 
nur  noch  ganz  ausnahmsweise,  wo  ihm  der  zeilenraum  nicht 
ausreicht,  aber  dabei  findet  sich  doch  immerhin  noch  zweimal 
ein  de.  Wir  müssen  danach  annehmen,  dass  auch  die  unmittel- 
bare vorläge  von  C  und  den  genannten  fragmenten  nicht  nach 
Konstanz,  sondern  in  das  bezeichnete  engere  alemannische 
gebiet  und  wegen  des  einzigartigen  reichtums  von  C  am  wahr- 
scheinlichsten nach  Zürich,  der  heimat  der  reichsten  lieder- 
sammlung,  der  Manesseschen,  gehört.  Da  auch  hs.  A  die  ei-dc- 
schreibung  zeigt,  so  steht  die  hs.  B  mit  ihrer  Konstanzer 
Orthographie,  und  wir  dürfen  nun  hinzufügen  auch  mit  ihrem 
Konstanzer  Ursprung,  in  dem  kreise  der  genannten  hand- 
schriften  völlig  vereinzelt. 

MARBURG,  november  1907.  F.  VOGT. 


UTGARDALOKE  IN  IRLAND. 

Die  Annales  de  Bretagne  teilen  vom  10.  band  an  (1894/95, 
Rennes)  irisclie  märchen  nnd  sagen  mit,  die  Donglas  Hyde  in 
Irland  sicli  von  bauern  erzählen  Hess.  Links  steht  das  irische 
original  und  rechts  die  französische,  wie  mir  scheint,  wort- 
getreue Übersetzung  von  G.  Dottier. 

Band  12,  239  ff.  steht  ein  märchen:  Comment  Diarmuid  eut 
son  grain  de  beaute.  Die  erste  künde  davon  brachte  mir  eine 
sehr  hübsche  mir  handschriftlich  mitgeteilte  Übersetzung  in 
das  deutsche  von  herrn  dr.  Franz  Wolters  in  Berlin. 

Der  Inhalt  des  märchens  ist  dieser:  Diarmuid,  Cönan,  GoU 
und  Oskar  gehen  auf  die  jagd.  Sie  verirren  sich  und  sehen 
in  der  nacht  im  walde  ein  licht.  Dessen  schein  folgend 
kommen  sie  in  ein  kleines  haus,  in  welchem  der  alte  wirt 
sie  beim  namen  nennt  und  begrüsst.  Im  haus  lebt  dieser  alte, 
seine  junge  tochter  und  eine  katze.  Als  sie  essen,  steigt  plötz- 
lich ein  Widder,  der  am  boden  des  hauses  angebunden  war, 
auf  den  tisch.  Conan  soll  den  widder  anbinden,  aber  das  tier 
entledigt  sich  seiner  und  bringt  ihn  unter  seinen  fuss.  Ebenso 
ergeht  es  den  drei  anderen  beiden,  sogar  dem  Goll.  Sie  liegen 
alle  auf  dem  boden  und  der  widder  steht  mit  einem  fuss  auf 
jedem.  Darauf  erhebt  sich  auf  befehl  des  alten  die  katze, 
ergreift  den  widder,  packt  ihn  und  fesselt  ihn  an  den  boden 
des  hauses,  wo  er  vorher  war.  Die  krieger  erheben  sich  und 
schämen  sich  so  sehr,  dass  sie  nichts  essen  mögen.  Der  alte 
tröstet  sie  aber.  'Wenn  ihr  gegessen  habt',  sagt  er,  *so  werde 
ich  euch  erklären,  dass  ihr  die  tapfersten  krieger  der  weit  seid.' 
Und  nachdem  sie  alle  gespeist,  hebt  er  an:  'GoU',  sagt  er,  'du 
bist  der  beste  krieger  der  weit,  denn  du  hast  mit  der  weit 
gekämpft.  Die  kraft  der  ganzen  weit  ist  in  diesem  widder. 
Aber  der  tod  kommt  sogar  über  die  weit  und  diese  ist  der  tod.' 
Dabei  zeigte  er  auf  die  katze. 

Die  krieger  gehen  nun  zu  bett,  alle  in  ein  zimmer.  Die 
junge  tochter  geht  mit  ihnen  und  ihre  Schönheit  erhellt  den 
räum:  sie  ist  die  Jugend,    Alle  wollen  nun  zu  ihr,  doch  sie 


UTGARDALOKE  IN  IRLAND.  383 

entwindet  sich  ihnen:  'Ich  gehörte  euch  schon  einmal,  und 
ich  komme  nie  wider!'  Dem  letzten  aber  sagt  sie:  'wende 
dich  zu  mir,  Diarmuid,  und  ich  will  diesen  abend  ein  körn  der 
Schönheit  auf  dich  legen,  so  dass  keine  frau  dich  ansehen  kann, 
ohne  dass  du  sie  verführst!'  Diarmuid  gieng  zu  ihr,  sie  legte 
ihm  die  hand  auf  die  stirne  und  sie  Hess  dort  ein  körn  der 
Schönheit.  Es  gab  nun  keine  frau,  die  Diarmuid  anblickte 
von  diesem  augenblick  an,  ohne  dass  er  sie  verführen  konnte. 

Dies  märchen  besteht  aus  zwei  teilen:  im  ersten  unterliegen 
die  beiden  der  weit  und  die  w^elt  dem  tode,  im  zweiten  entflieht 
\0Y  ihnen  die  Jugend  und  nur  einer  erhält  das  körn  der  Schön- 
heit. Ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen  den  teilen  ist  wol 
bemerkbar.  Im  ersten  teil  unterliegen  die  beiden,  im  zweiten 
unterliegen  sie  noch  einmal.  Während  sie  aber  im  ersten  teil 
alle  schwächer  sind  als  die  weit,  wird  im  zweiten  teil  einer  von 
ihnen  in  einer  hinsieht  der  stärkste:  ihm  unterliegen  alle  frauen. 
Wir  werden  sehen,  dass  in  einer  früheren  form  des  märchens 
der  Zusammenhang  zwischen  den  teilen  noch  fester  gewesen 
sein  muss.  Immerhin,  er  bleibt  locker  und  es  scheint  fast,  als 
sei  in  einem  noch  früheren  Stadium  jeder  der  teile  ein  märchen 
für  sich  gewesen.  Denn  die  tocliter  des  alten,  die  in  dem 
ersten  teil  wol  genannt  wird,  spielt  darin  nicht  die  geringste 
rolle  und  gehört  eigentlich  auch  gar  nicht  hinein;  aus  dem 
zweiten  teil  ist  widerum  der  alte  ganz  verschwunden.  Ausser- 
dem ist  der  held  des  ersten  teiles  Goll  oder  er  soll  es  sein; 
an  ihn  Avendet  sich  wenigstens  mit  seinen  erklärungen  der 
alte  und  zeichnet  ihn  als  den  tapfersten  aus,  ob  wol  seine 
tapferkeit  nur  darin  besteht,  dass  er,  wenn  auch  ebenso  wie 
die  anderen,  so  doch  als  letzter  und  vielleicht  nach  heftigerer 
gegenwehr  überwunden  wird.  Der  held  des  zweiten  teiles  ist 
Diarmuid:  er  allein  erhält  das  körn  der  Schönheit,  ob  wol  wir 
wider  gar  nicht  hören,  warum  die  tochter  des  alten  gerade 
ihm  ihr  wundergeschenk  gibt,  i) 

Der  erste  teil  des  märchens  erinnert  unverkennbar  an  die 
göttersage  der  Edda  von  iDörr  und  Ütgardaloke  (Gylfaginning 
c.44-47.  S.E.  1, 140 f.).  Das  sah  sofort  F.Lot  (Ann.  deBret.  13,48) 


1)  Andere  irische  märchen  verwerten  das  motiv,  dass  Diarmuid  durch 
sein  schöuheitskorn  frauen  bezwingt,  Ann.  de  Bret.  13, 51. 


384  VON  DER  LEYEN 

und  soweit  mir  bekannt,  ist  dieser  hinweis  wie  das  irische  nmr- 
chen  der  aufmerksamkeit  der  germanisten  bislier  entgangen. 

In  der  Edda  werden  pörr  und  seine  begleiter  gedemütigt : 
Loke  im  essen,  pjalfe  im  laufen,  pörr  dreimal.  Er  soll  ein 
hörn  austrinken,  eine  katze  emporheben  und  mit  einer  alten 
frau  ringen.  Dabei  unterliegt  er  immer.  Zum  schluss  werden 
die  drei  durch  Ütgardaloke,  der  alle  diese  wettkämpfe  und 
stärkeproben  veranstaltete,  aufgeklärt:  Loke  hat  mit  dem  feuer 
um  die  wette  gegessen,  pjälfe  ist  mit  dem  gedanken  um  die 
wette  gelaufen,  porr  sollte  das  meer  austrinken,  die  Midgard- 
schlange  emporheben  und  mit  dem  alter  ringen.  Diese  aufgaben 
waren  selbst  für  ihn  unlösbar.  Als  der  gott  sich  aber  rächen 
will  und  nach  seinem  hammer  greift,  ist  alles  wie  ein  trüge- 
risches blendwerk  verschwunden. 

Wir  erwägen  nun  die  frage:  stammt  das  nordische  märchen 
aus  Irland  oder  das  irische  von  den  Vikingern?  Im  nordischen 
hängen  die  einzelnen  wettkämpfe  teils  mit  einheimischen  Über- 
lieferungen zusammen:  die  Midgard-schlange  ist  von  alters  her 
die  gegnerin  l36rs;  er  fischt  sie,  als  er  den  riesen  Hymer  be- 
sucht, aus  dem  Weltmeer  und  kämpft  mit  ihr  beim  Untergang 
der  götter  seinen  letzten  kämpf.  Lokes  wesen  ist  dem  des  feuers 
verwant:  die  erfindung,  dass  er  mit  dem  feuer  um  die  wette 
essen  soll,  war  daher  den  nordleuten  leicht  verständlich.  Zum 
andern  teil  beruhen  diese  wettkämpfe  und  stärkeproben  auf 
weitverbreiteten,  volkstümlichen  anschauungen  und  forde- 
rungen,  so  der  wettlauf  mit  dem  gedanken  und  die  aufgäbe, 
das  meer  auszutrinken  (von  der  Leyen,  Märchen  in  Edda,  s.  43 
u.  44).  Das  Symbol  aber,  das  alte  weib  ist  das  alter,  ist  klar 
und  leicht  verständlich,  und  an  ähnlichen  svmbolen  ist  die 
spätere  isländische  dichtung  reich.  Ich  erinnere  daran,  dass  es 
heisst,  die  schüssel  der  Hei  sei  Hungr  (hunger),  ihr  messer 
sei  SuU  (hunger),  ihr  knecht  sei  Ganglate  (der  zum  gehen 
träge),  dass  es  weiter  heisst,  aus  dem  mund  des  gefesselten 
Fenres Wolfes  rinne  geifer  und  bilde  einen  fluss,  der  sei  Wdn 
(die  hoffnung). 

Die  ganze  sage  von  pörr  und  Ütgardaloke  war  denn  auch 
im  norden  sehr  beliebt.  Anspielungen  darauf  bringen  das 
Härbar}?slj6J>  (76—80)  und  die  Lokasenna  (60, 1.  62, 1),  erinne- 
rungen  daran  die  isländische  pörsteinssaga  Boejarmagn  (F.  M.S. 


ÜTGARDALOKE  IN  IRLAND.  385 

3,174;  andere  form  F.M.S.3,135;  Flateyjarbök  1,  359),  sie 
vermischen  sich  dort  mit  erinnerungen  aus  der  fahrt  pors  zu 
Geirrol^r  und  ausserdem  mit  der  erzählung-  von  kraftproben, 
die  denen  gleichen,  die  die  deutsche  Brünhild  von  Günther 
verlangt  (Richard  Heinzel,  Wiener  S.B.  109,  697  ff.). 

Auch  der  abschluss  des  nordischen  ist  der  natürliche.  Im 
irischen  erwarten  wir  den  gleichen,  sehen  aber  zu  unserer 
Überraschung,  dass  sich  das  märchen  in  einer  ganz  anderen 
richtung  fortsetzt.  Es  scheint  uns  ferner  im  irischen  etw^as 
unklar  und  wunderlich,  dass  die  katze  der  tod  sein  soll  und 
dass  die  weit  in  der  gestalt  eines  widders  uns  alle  besiegt. 
Ich  bin  in  der  irischen  literatur  nur  schlecht  belesen,  glaube 
aber  kaum,  dass  man  in  ihr  parallelen  zu  solchen  Symbolen 
finden  wird.  Ein  einfluss  des  irischen  märchens  auf  das  nor- 
dische ist  mir  darum  schon  jetzt  nicht  wahrscheinlich.  Da- 
gegen erklären  sich  die  Seltsamkeiten  des  irischen,  wenn  man 
sie  als  entlehnungen,  genauer  als  unklare,  entstellende  erinne- 
rungen aus  dem  nordischen  auffasst:  aus  dem  nord.  stammt  die 
katze,  die  ja  porr  hochheben  soll,  aber  nicht  hochheben  kann. 
—  Nun  hiess  es  weiter  im  nordischen:  die  katze  ist  die  Mid- 
gard-schlange  und  diese  Midgard-schlange  umschliesst  die  weit. 
Das  konnte  leicht  misverstanden  werden  dahin :  die  katze  hat 
die  kraft  der  ganzen  weit  und  ist  darum  die  weit.  So  war 
es  wol  in  einer  früheren  form  unseres  irischen  märchens.  In 
der  unseren  schritt  der  verwechslungsprocess  noch  weiter  vor: 
als  weit  erscheint  nicht  die  katze,  sondern  der  widder.  Und 
die  Verwechselungen  dringen  immer  noch  weiter  in  den  Orga- 
nismus des  märchens:  der  widder  wird  durch  die  katze  besiegt, 
anstatt,  wie  wir  erwarten,  dass  der  held  zuerst  dem  widder 
unterliegt  und  dann  der  katze. 

Wie  der  widder  in  das  märchen  hineingeriet,  dafür  weiss 
ich  nur  eine  erklärung,  die  mich  aber  nicht  ganz  befriedigt; 
dass  nämlich  wider  eine  verworrene  reminiscenz  dem  erzähler 
die  bocke  pörs  in  einen  widder  verwandelte.  Die  bocke  werden, 
wie  man  weiss,  auch  in  dem  nordischen  bericht  vom  Utgarda- 
loke  erwähnt.  Auf  der  reise  zu  diesem  unhold  kehrt  Dörr  bei 
einem  bauern  ein,  wo  sie  alle,  der  bauer,  seine  beiden  kinder, 
Loke  und  porr  die  bocke  verspeisen. 

Die  irische  auffassung  von  der  katze,  sie  sei  der  tod  und 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXUI.  25 


386  VON   DER   LEYEN 

der  stärkste  überwinder,  verstehen  wir  wider  leichter.  Die 
katze  als  Midgard-schlaiige  war  im  nordischen  das  stärkste 
ungeheuer,  das  auch  der  kräftigste  gott  nicht  besiegen  konnte 
und  bei  Ütgardaloke  ringt  porr  mit  dem  alter.  Dies  ringen 
mit  dem  alter  konnte  leicht  zu  einem  ringen  mit  dem  tode 
werden,  besonders  leicht,  weil  manche  volkstümlichen  Über- 
lieferungen von  dem  vergeblichen  ringen  eines  beiden  mit  dem 
tode  erzählen  (von  der  Le3"en,  Märchen  in  Edda  s.  43;  Eoscher, 
Ephialtes,  Abhandlungen  der  sächsischen  gesellsch.  1901,  s.  52). 

Dass  aber  der  irische  held  ursprünglich  nicht  dem  tod, 
sondern  dem  alter  unterlag,  verrät  uns  das  irische  märchen 
noch  selbst.  Es  betont  das  alter  des  wirts,  und  wenn  dessen 
tochter  die  Jugend  ist  und  dem  beiden  sich  versagt,  so  setzt 
das  doch  als  anfang  des  märchens  den  voraus,  dass  die  beiden 
zuerst  dem  alter  unterlegen  sind.  Dieser  schluss  schafft  zu- 
gleich einen  festeren  Zusammenhang  zwischen  beiden  teilen 
des  märchens:  den  beiden  ist  die  Jugend  entflohen  und  das 
alter  bedroht  sie.    Nur  einem  ist  seine  Schönheit  noch  trost. 

Wir  dürfen  nun  behaupten,  das  irische  märchen  entstammt 
der  nordischen  göttersage.  Die  abw^eichungen  des  irischen 
vom  nordischen  stellen  sich  dar  als  Verwechslungen  und  Ver- 
wirrungen, die  halbes  hinhören  und  unklares  erinnern  mit  sich 
bringen,  die  ähnlichkeiten  als  entlehnungen.  Diese  ähnlich- 
keiten  betreffen  vor  allem  den  rahmen  der  beiden  geschichten 
und  sind  sehr  stark:  in  beiden  wird  ein  held  mit  seinen  be- 
gleitern  zu  seinem  höchsten  erstaunen  zuerst  gedemütigt  durch 
die  unscheinbarsten  und  lächerlichsten  gegner.  In  beiden  wird 
er  nach  dieser  demütigung  getröstet:  die  gegner,  die  so  verächt- 
lich aussehen,  waren  in  w^irklichkeit  unüberwindliche  mächte. 

Man  versuche  es  nun  einmal  mit  der  umgekehrten  annähme, 
dass  das  irische  märchen  das  original  sei,  und  die  nordische 
erzählung  ihm  nachgebildet.  Dann  hätte  der  nord.  erzähler  ein 
verw^orrenes  und  lückenhaftes  märchen  vorgefunden,  er  hätte  aus 
diesem  märchen  den  ei-sten  teil  abgesondert  und  diesem  eine  Vor- 
geschichte vorangeschickt,  die  enthielt:  zuerst  das  nachtmahl 
bei  dem  bauern  und  danach  die  erste  wirkliche  demütigung 
der  götter,  die  die  kommenden  so  wirksam  einleitet,  die  Über- 
nachtung nämlich  im  handschuh  des  riesen.  Er  hätte  ausser- 
dem die  demütigung  nicht  nur  vermehrt,  indem  er  sie  auf  die 


ÜTGADARLOKE  IN   IRLAND.  38? 

beg'leiter  des  gottes  übertrug,  er  hätte  sie  auch  noch  ver- 
ändert, damit  sie  mit  den  anderen  nordischen  Überlieferungen 
übereinstimmten.  An  stelle  des  kampfes  mit  dem  tod  hätte 
er  den  kämpf  mit  dem  alter  gesetzt;  an  stelle  der  katze,  die 
die  weit  ist,  die  katze,  die  die  Midgard-schlange  sein  soll;  und 
er  hätte  nicht  die  katze  den  widder  überwinden  lassen,  sondern 
den  beiden  doppelt  gedemütigt,  erst  durch  die  IVridgard-schlange, 
dann  durch  das  alter. 

Diese  annähme  setzt  voraus:  einmal  eine  schriftliche  vor- 
läge; denn  aus  der  erinnerung  lassen  sich  die  änderungen,  die 
ich  eben  nannte,  nicht  herstellen.    Das  irische  märchen  mit 
seiner  Verwirrtheit  und  seinen  Verwechselungen  trägt  aber  alle 
kennzeichen  mündlicher  Überlieferung.    AVeiter  setzt  die  an- 
nähme voraus:    ein   umdichten   und   ergänzen   nach   feinster, 
künstlerischer  erwägung  und  ein  sorgfältiges,  behutsames  ein- 
setzen  der  neugewonnenen  motive  in  den  Zusammenhang  der 
nordischen  Überlieferung.  Diese  Voraussetzungen  widersprechen 
der  art  der  erzählung  in  unserer  nord.  göttersage  durchaus. 
Sie  ist  leichthin  und  unbekümmert  und  setzt  sich  auch  über 
Unklarheiten  und  Widersprüche  getrost  hinweg  (von  der  Leyen 
a. a.o.  s.  44).    Sie  widersprechen  ausserdem  allem  andern,  was 
wir   bisher   über  die  entstehung  der  nordischen  göttersagen 
wissen.    Dass  ein  dichter  aus  dem  reichtum  vorhandener  mo- 
tive die  schönsten  auswählt  und  sie  in  wirksamer  Steigerung 
aneinanderreiht,  das  beobachten  wir  wol.    Ich  erinnere  an  die 
forschungen  Axel  Olriks  über  die  VQlospa  (Om  Eagnarök,  Kopen- 
hagen 1902,  s.  269  f.).    Ebenso  wissen  wir,  dass  spätere  dichter 
in  die  alten  sagen  ihre  mythologischen  kenntnisse  hineinfüllen 
(Andreas  Heusler,  Heimat  und  alter  der  eddischen  gedichte, 
Herrigs  Archiv  116, 255).     Aber  die  Verbindung  von  wissen- 
schaftlichem,   mythologischem    und   künstlerischem   takt   und 
erfindungsgabe,  mit  der  unsere  annähme  den  nord,  umdichter 
beschenken  müsste,  wäre  für  jene  zeit,  soweit  ich  sehe,  ganz 
undenkbar.  —  Noch  an  einer  anderen  tatsache  scheitert  unsere 
annähme:  wir  kennen  nämlich  die  quellen,  aus  denen  sich  die 
nordische  sage  von  Ütgardaloke  leicht  und  sicher  ableitet.    Es 
sind  märchen  von  der  überlistung  von  riesen  (später  des  teufeis) 
durch  menschen  oder  gütter,  an  denen  sich  die  Germanen  wie 
auch  andere  Völker  seit  langen  zeiten  ergötzten  und  die  auch 

25* 


388  VON   DER   LEYEN 

in  andere  göttersagen,  z.  b.  in  die  vom  riesenbaumeister  nnd  in 
dieHymeskviJ'a  eindrangen  (von  der Lej' en  a.a.O.  s.38.  42. 46  etc.). 

Diesen  Überlieferungen  müsste  das  irische  märchen,  wenn 
es  quelle  der  nordischen  göttersage  wäre,  nahe  stehen,  zum 
wenigsten  seine  ursprüngliche  form,  die  Avir  erschlossen.  Diese 
ursprüngliche  form  bringt  es  aber  nur  der  nordischen  sage 
näher;  von  den  volkstümlichen  überlistungsmärchen  steht  es 
weit  entfernt.  Es  zeigt  also  auch  diese  er  wägung,  dass  das 
irische  märchen  dem  nordischen  entlehnt  sein  muss. 

Die  berechtigung  eines  einwurfes  gegen  diese  annähme 
muss  ich  freilich  zugeben:  dass  sie  uns  zwingt,  den  irischen 
erzähler  mit  sehr  starken  Verwechselungen  und  Verwirrungen 
zu  belasten.  Derlei  überrascht  aber  den  märchenforscher  nicht; 
er  weiss,  welchen  Verwechselungen,  änderuugen  und  misver- 
ständnissen  märchen  ausgesetzt  sind,  die  sich  mündlich  über- 
liefern. Gerade  die  irischen  märchen  in  den  Ann.  de  Bret. 
sind  an  contaminationen  und  Verwechselungen  sehr  reich.  Ich 
gebe  zwei  beispiele:  in  dem  märchen  11,613  geht  das  märchen 
einäugiein,  zweiäuglein,  dreiäuglein  in  das  märchen  vom  hilf- 
reichen tier  über,  das  den  beiden,  den  es  gerettet,  bittet,  es 
zu  erschlagen  (Grimm,  K.H.M.  57),  dies  in  das  von  Perseus  und 
Andromeda,  dies  in  das  Goldener-märchen.  —  In  einem  anderen 
lässt  ein  held,  der  mit  seiner  geliebten  aus  der  behausung  von 
deren  vater,  einem  unhold,  flieht,  drei  kuchen  zurück:  den 
ersten  am  vestibül,  den  zAveiten  auf  der  treppe,  den  dritten 
vor  der  türe.  Diese  erzählen  dem  vater,  der  das  paar  ver- 
folgen will,  eine  geschichte  und  halten  ihn  dadurch  auf,  bis 
der  held  mit  seinem  mädchen  entflohen  ist.  Hier  geraten 
offenbar  zwei  motive  durcheinander:  das  erste  ist  das  von  den 
drei  blutstropfen  oder  Speichel  tropfen,  die  fliehende  in  dem 
haus,  aus  dem  sie  fliehen,  zurücklassen,  damit  sie  statt  ihrer 
antworten  (von  der  Leyen,  Herrigs  Archiv  114, 8,  anm.  4).  Das 
zweite  ist,  dass  ein  verfolgender  durch  erzählung  oder  fragen 
so  lange  hingehalten  wird,  bis  die  sonne  aufgeht,  deren  schein 
ihn  vernichtet.  Dies  letzte  motiv  begegnet  auch  in  den  götter- 
sagen  der  Edda  (von  der  Leyen,  Märchen  in  Edda  s.  49). 

Nun  wollen  wir  uns  zum  zweiten  teil  des  irischen  märcliens 
wenden,  ob  es  uns  gelingt,  auch  ihn  aus  der  nordischen  Über- 
lieferung zu  erklären. 


UTGARDALOKE   IN   IRLAND.  389 

Ich  weise  darauf  hin,  dass  in  der  sage  von  Ütgardaloke 
der  bauer,  bei  dem  porr  einkehrt,  eine  tochter  hat,  die  in  der 
erzählung-  gar  nicht  liervortritt.  Aelinlich  ist  es  im  ersten 
teil  des  irischen  märchens,  die  tochter  des  alten  ist  da,  hat 
aber  nichts  zu  bedeuten.  Wenn  nun  weiter  die  tochter  sagt, 
sie  sei  die  Jugend  und  darum  den  beiden  für  immer  entschwunden, 
und  wenn  sie  als  Jugend  einem  beiden  ein  körn  der  Schönheit 
schenkt,  so  kommt  uns  eine  andere  sage  der  Edda  in  das  ge- 
dächtnis:  die  sage  von  I)Hinn,  die  im  besitz  der  äpfel  war,  die 
den  göttern  Jugend  und  Schönheit  verleihen  und  die  ihnen  Loke 
zuerst  raubte,  dann  zurückbrachte. 

Nachklänge  dieser  nordischen  sage  von  der  Ip>unn  glaube 
ich  nun  in  einem  anderen  irischen  märchen  zu  entdecken  (Ann. 
de  Bret.  11,  83):  in  dem  bekannten  märchen  vom  goldenen  vogel 
(K.H.M.  57;  Reinh.  Köhler  zu  Kreutzwald  Diwe,  Esthn.  märchen 
s.  46).  Im  irischen  ist  der  vogel  ein  adler,  seine  äugen  sind  so 
gross  wie  der  mond  und  so  hell  wie  die  sonne.  Er  stiehlt 
einem  könig  die  äpfel  seines  gartens  und  ist  eine  verzauberte 
frau.  Der  held,  der  sie  nun  aus  ihrem  weit  entfernten  schlösse 
holt,  zieht  aus  seiner  tasche  eine  kleine  puderbüchse  und  wirft 
sie  über  den  vogel,  der  sich  sofort  in  einen  kleinen  Zaunkönig 
verwandelt  und  in  die  büchse  hüpft.  Der  held  schliesst  die 
büchse  und  springt  auf  sein  pferd.  In  demselben  augenblick 
hängt  sich  aber  der  kutscher  an  den  schwänz  des  pferdes. 
Der  held  hört  eine  stimme  ihm  in  das  ohr  sagen:  'die  not 
gross!'  'die  last  leicht!'  und  'zu  pferd  in  die  luft!'  —  er 
spricht  diese  worte  aus,  da  erhebt  sich  das  tier  in  die  luft 
und  fliegt  mit  der  geschwindigkeit  des  frühlingswindes  nach 
Irland,  während  der  kutscher  sich  an  den  schwänz  klammert 
und  so  laut  schreit  wie  er  kann.  Schliesslich  kommen  sie  alle 
drei  gesund  auf  der  erde  an  und  der  held  heiratet  die  Jung- 
frau, die  er  erlöste. 

In  dieser  fassung  des  märchens  sehe  ich  zwei  motive,  die 
ich  in  keiner  andern  widerfinde:  erstens  die  Verwandlung  des 
vogels :  dass  der  adler  in  einen  Zaunkönig  zusammenschrumpft 
und  in  einer  kleinen  schachte!  platz  findet.  Zweitens  den 
kutscher,  der  an  den  schwänz  des  pferdes  festgezaubert  wird 
und  an  ihm  sich  haltend  schreiend  durch  die  luft  fliegen  muss. 
Dies  letzte  motiv  jiimmt  sich  in  unserem  märchen  wider  sehr 


390  VON  DER   LEYEN 

sonderbar  aus.  Es  gehört  in  einen  ganz  anderen  märclien- 
kreis:  in  den  von  der  königstochter,  die  den  heiratet,  der  sie 
zum  lachen  bringt,  Sie  gerät  ins  lachen,  als  sie  einen  vogel 
sieht,  meist  eine  goldene  gans,  an  dem  eine  reihe  von  leuten 
festklebt,  sodass  sie,  mögen  sie  nun  wollen  oder  nicht,  hinter 
ihm  herlaufen  müssen. 

Beide  motive  nacheinander  enthalten  nun,  nicht  genau 
ebenso,  aber  sehr  ähnlich,  eine  und  dieselbe  nordische  götter- 
sage,  eben  die  genannte  von  den  äpfeln  der  Il^unu  (von  der 
Leyen  a.a.O.  s.  32ff.).  Es  heisst  dort:  Loke  verwandelt  die 
Ipunn  in  eine  nuss  —  ursprünglich  hiess  es  wol:  er  verkleinerte 
sie,  bis  sie  in  einer  nuss  platz  hatte  —  und  flog  mit  ihr  davon. 
Derselbe  ILioke  bringt  eine  andere  göttin,  die  tochter  des  riesen, 
dem  er  die  I|nmn  zuerst  zuführte,  dann  raubte,  dadurch  zum 
lachen,  dass  er  sich  (sein  glied)  an  den  bart  einer  ziege  fest- 
bindet, von  der  er  dann  nicht  loskommen  kann,  i)  Noch  deut- 
licher an  das  irische  erinnert  der  eingang  der  nordischen  sage. 
Loke  stösst  einem  adler  eine  stange  in  den  leib  und  wird  zur 
strafe  an  die  stange  festgehext,  während  der  adler  gemächlich 
weiterfliegt  und  den  gott  au  der  stange  unbarmherzig  mit- 
schleift. Es  ist  also  nicht  unwahrscheinlich,  dass  eine  erinne- 
rung  an  diese  nordische  sage,  die  auch  von  wunderäpfeln  be- 
richtete, die  motive  von  der  Verwandlung  und  einschachtelung 
der  Prinzessin  und  von  dem  festgehexten  kutscher  in  das 
irische  märchen  hineinbrachte.  Und  da  wir  darnach  vermuten 
düi'fen,  dass  die  geschichte  von  der  Ip'unn  den  Iren  nicht  fremd 
war  —  äpfel,  deren  genuss  unsterblich  machte,  kannte  ihre 
sage  schon  lange  (Bugge,  Arkiv  5, 13)  —  gewinnt  die  hypo- 
these  an  festigkeit,  dass  in  unser  erstes  irisches  märchen  von 
Diarmuid,  in  die  auffassung,  dass  die  tochter  des  bauern  die 
Jugend  ist,  auch  eine  eriunerung  aus  der  Ijnmn-sage  hineinklingt. 

Es  haben  gewiss  nicht  alle  der  hier  vorgebrachten  Ver- 
mutungen und  Schlussreihen  den  gleichen  überzeugungswert, 


*)  Die  komik  dieses  motives  beruht  auf  dem  nicht  loskommenkönncn. 
Der  inhalt  scheint  mir  —  aber  ich  sehe  hier  noch  nicht  ganz  klar  —  der 
nachklang  eines  primitiven  hochzeitsbrauches.  Ein  anderer  nachklang  sol- 
ches brauches  ist  in  derselben  sage,  dass  nämlich  Sk&pe  nur  die  füsse  Njor}7s 
sehen  darf  (Kietschmer,  D.  Litztg.  1899,  s.  1278  ff.;  Liebrecht,  Zur  Volks- 
kunde s.  408). 


PANZER,   ZUM   MEIER  HET.MBKECHT.  391 

Als  sicheres  ergebnis  darf  ich  aber  aussprechen,  dass  ver- 
schiedene nordische  göttersagen  zu  den  Iren  herüberwanderten 
und  dort  teils  in  ihre  märchen  eingiengen,  teils  sich  in  neue 
märchen  verwandelten.  Das  ist,  wenn  man  an  Bugges  ent- 
gegengesetzte behauptungen  zurückdenkt,  und  au  seine  Über- 
zeugung, dass  die  nordleute  den  Stoff  für  ihre  mythen  von  den 
Iren  holten,  eine  immerhin  nicht  unbedeutende  feststellung  und 
ein  nicht  unerheblicher  gewinn. 

Das  irische  märchen  von  Diarmuid  scheint  den  Iren  recht 
gefallen  zu  haben,  denn  da  es  anscheinend  aus  zwei  märchen 
zusammenAvuchs  und  sich  dann  noch  veränderte,  muss  man  es 
vielfach  erzählt  haben.  Wir  begreifen  das  leicht.  Trotz  aller 
entstellungen  und  Verwirrungen  geht  eine  phantastische  und 
geheimnisvolle  kraft  von  dem  irischen  märchen  aus,  die  das 
nordische  nicht  so  besitzt.  Wie  seltsam  und  grotesk  ist  doch 
die  Vorstellung  von  dem  widder,  unter  dessen  vier  füssen  vier 
beiden  liegen  und  den  dann  eine  katze  bezwingt.  Und  welch 
eine  fülle  symbolischer  und  märchenhafter  mächte  zieht  in 
der  kleinen  hütte  des  alten  in  sonderbarer  Verhüllung  an  uns 
vorüber:  heldentum  und  Schönheit,  Jugend  und  alter,  tod 
und  weit! 

MÜNCHEN,  november  1907. 

FRIEDEICH  VON  DER  LEYEN. 


ZUM  MEIER  HELMBRECHT. 

Der  besonders  durch  Keinz  vertretenen  anschauung  gegen- 
über, dass  Wernhers  dichtung  durchweg  ein  geschichtliches 
ereignis  widergebe,  hatte  ich  in  der  einleitung  meiner  ausgäbe 
betont,  dass  diese  ansieht  einzuschränken  sei.  Denn  sein  lite- 
rarischer Charakter  gliedert  das  gedieht  in  einen  ganz  bestimmten 
traditionellen  Zusammenhang  ein,  zudem  aber  sind,  wie  dort 
s.viii  gesagt  wird,  'nicht  unwichtige  stücke  der  erzählung  nach- 
weisbar aus  Neidhard  entlehnt'.    Zu  diesen  stücken  gehört  vor 


302  PANZER 

allem  die  erzählung-  von  Helmbreclits  haube  und  was  damit 
zusammenhängt;  Beitr  27, 109  f.  ist  das  näher  ausgeführt. 

W.  Braune  hat  kürzlich  (Beitr.  32,  555  ff.)  auf  grund  dieses 
Zusammenhangs  noch  bestimmter  ausgesprochen,  dass  die  er- 
zähluug  des  gedichtes  als  ganzes  ungeschichtlich  sei,  indem 
eben  jenes  haubenlied  Neidhards  geradezu  die  grundlage  der 
Helmbrechterzählung,  'die  keimzelle  der  ganzen  conception' 
geliefert  habe.  Als  weitere  stütze  dieser  ableitung  teilt  Braune 
eine  hübsche  beobachtung  mit:  alle  die  Ungeheuerlichkeiten, 
die  unser  gedieht  von  den  Stickereien  auf  der  haube  (die  ich 
wie  Braune  nie  in  der  Wirklichkeit  möglich  gedacht  habe)  über 
Neidhard  hinaus  berichtet,  finden  sich  bei  den  späteren  er- 
wähnungen  des  prunkstücks  nirgends  in  betracht  gezogen. 
Vielmehr  ist  da  stets  nur  von  vögeln  die  rede  wie  bei  Neid- 
hard, ja  einmal  (v.  277)  heisst  es  sogar,  widerum  wie  im  liede, 
fromvcn  hätten  die  vögel  gestickt,  während  doch  v.  104  ff.  eine 
nonne  als  Urheberin  genannt  war.  Braune  zieht  aus  diesen 
inconcinnitäten  den  schluss,  dass  die  verse  26 — 103  und  104 
— 130  vom  dichter  erst  später  eingeschoben  oder  vielmehr  an 
die  stelle  einer  Neidhard  noch  näher  gestandenen  darstellung 
gesetzt  seien. 

Man  wird  diesen  schluss  vielleicht  nicht  zwingend  finden, 
indem  sich  die  von  Braune  mit  recht  beanstandeten  Unstimmig- 
keiten möglicherweise  auch  anders  erklären  Hessen.  Es  kommt 
wol  auch  sonst  vor,  dass  dichter  an  einem  aus  bestimmter 
quelle  übernommenen  Stoffe  eine  änderuug  vornehmen,  ohne 
sie  folgerichtig  durchzuführen,  indem  ihre  dichtung  im  weiteren 
verlaufe  atavistisch  in  die  auffassung  der  vorläge  zurückfällt. ^ 
Nach  diesem  gesichtspunkte  Hessen  sich  wol  auch  die  Verhält- 
nisse in  unserem  gedichte  ohne  annähme  einer  nachträglichen 
Umarbeitung  des  eingangs  erklären;  doch  ist  an  sich  gewiss 
auch  Braunes  annähme  möglich  und  auf  jeden  fall  haben 
Braunes  ausführungen  die  anlehnung  des  epikers  an  Neidhard 
noch  sicherer  gezeigt. 

Beitr.  27, 110  f.  ist  dargelegt,  dass  noch  ein  anderes  bedeu- 


')  Einen  tatsächlichen  beleg  hierfür,  der  mir  gerade  gegenwärtig  ist, 
bietet  z.  b.  Hans  Sachs  im  Hürnen  Seufrid,  vgl.  Drescher,  Acta  Germ.  II,  3, 
384.  394  f. 


ZUM   MEIER   HELMBRECHT.  393 

tendes  stück  der  erzälilung,  der  vergebliche  versuch  des  alten, 
den  söhn  in  seinem  hause  und  stände  zurückzuhalten,  in  stoff 
und  wort  stark  durch  ein  anderes  lied  Neidhards  beeinflusst 
ist.  Es  scheint  aber,  dass  damit  die  traditionellen  elemente 
in  unserem  gedichte  noch  nicht  erschöpft  sind. 

Die  verse  695  ff.  geben  die  berühmte  erzählung  von  Helm- 
brechts erster  heimkehr.  Nachdem  der  bauernsolm  ein  jähr 
lang  bei  dem  raubritter  in  diensten  gestanden,  verlangt  ihn 
nach  haus.  Die  ganze  familie  stürzt  ihm,  als  sein  kommen 
gemeldet  wird,  in  freudiger  erregung  entgegen,  der  ankömm- 
ling  aber  redet  in  fremden  sprachen,  die  niemand,  versteht 
und  stellt  sich  als  wüsste  er  der  heimischen  mundart  nicht  zu 
brauchen,  sodass  die  eitern  an  sich  und  ihm  irre  werden.  Nur 
dass  die  nacht  herabsinkt  und  kein  wirt  nahe  ist,  der  ihn 
aufnehmen  könnte,  bestimmt  endlich  den  heimgekehrten,  seine 
spräche  nicht  länger  zu  'verkeren'.  Er  erklärt  sich  den  eitern 
in  der  angebornen  mundart  als  ihr  söhn  und  wird,  nachdem 
er  sich  dem  mistrauisch  gewordenen  vater  genügend  legitimiert 
hat,  mit  freuden  aufgenommen  und  glänzend  bewirtet.  Ihn  in 
hof  und  stand  zurückzuhalten,  will  dem  vater  freilich  nicht 
gelingen. 

Das  ist  im  gedichte  prächtig  ausgeführt  und  glänzend 
erzählt.  Die  form  ist  ganz  des  dichters  eigen,  nicht  aber  der 
Stoff ;  denn  mit  diesem  stellt  die  episode  sich  deutlich  in  einen 
grösseren  Überlieferungskreis. 

Es  gibt  einen  weit  verbreiteten  schwank  von  einem  bauern- 
sohn,  der  auf  die  schule  gegangen  war,  latein  zu  lernen.  Heim- 
gekehrt sucht  er  sich  mit  seinem  wirklichen  oder  angeblichen 
latein  breit  zu  machen,  wird  aber  bald  drastisch  auf  die  an- 
geborene spräche  und  art  zurückgeführt,  lieber  diese  anekdote 
hat  kürzlich  G.  Polivka  in  der  Zeitschr.  f.  österr.  Volkskunde  11, 
158  ff.  gehandelt,  wozu  noch  J.  Boltes  nachtrage  Zeitschr.  des 
ver.  f.  volksk.  16, 298.  445  zu  halten  sind.  Ich  widerhole  nicht 
das  reiche  material,  das  die  belesenheit  dieser  gelehrten  zu- 
sammengetragen hat,  sondern  will  versuchen  einen  kritischen 
überblick  zu  geben  und  hebe  im  einzelnen  nur  heraus,  was 
für  unseren  zweck  von  besonderem  interesse  ist. 

Man  darf  in  der  vielgestaltigen  Überlieferung  zwei  haupt- 
typen unterscheiden. 


394  PANZER 

Erste  gTiippe:  der  bauernsolin  hat  auf  der  scliiile,  wo  er 
lateiii  lernen  sollte,  nur  zeit  und  geld  vertan,  aber  nichts  sich 
angeeignet.  Als  der  heimgekehrte  dem  vater  hei  der  arbeit 
behaglich  zuschaut,  fragt  ihn  dieser,  wie  denn  die  mistgabel 
lateinisch  heisse.  'gabelinum'  ('mistgabelius'.  u.a.)  antwortet 
der  söhn.  Und  der  mist?  'mistelinum'  u.s.w.  Das  wird  dem 
alten  doch  zu  dumm,  er  heisst  den  gecken  das  gabelinum  nehmen 
und  künftig  mistelinum  aufladen,  wie  seine  väter  getan  haben. 

In  dieser  form  erzählt  zuerst  Montanus  in  seiner  Garten- 
gesellschaft (c.  10,  LV.  217.  272  f.)  den  schwank;  doch  hat  ihn 
vorher  (1512)  schon  Murner  in  der  Xarrenbeschwörung  citiert 
(Bolte,  Zeitschr.  d.  ver.  f.  volksk.  16,  449). 

Zweite  gruppe:  der  bauernsolin  hat  in  der  schule  oder  — 
dies  offenbar  Umbildung  nach  modernen  Verhältnissen  —  beim 
militär  lateinisch  oder  sonst  eine  fremde,  feinere  spräche  ge- 
lernt und  stellt  sich  nun,  da  er  nach  haus  zurückgekehrt  ist, 
als  ob  er  die  bauernsprache  der  seinigen  nicht  mehr  spräche 
oder  verstünde,  bis  er  in  einer  überraschenden  oder  sonstwie 
unangenehmen  Situation  unwillkürlich  oder  gezwungen  sich 
doch  wider  der  angeborenen  mundart  bedient.  Er  tut  z.  b. 
so,  als  wüsste  er  nicht  mehr,  was  ein  'rechen'  ist,  bis  er  zu- 
fällig einem  solchen  Instrument  auf  die  zahne  tritt,  sodass  ihm 
der  stiel  an  den  köpf  schlägt;  da  ruft  er  denn:  'o  du  teuf  eis- 
rechen', 'du  verfluchter  rechen'  u.dgl. i)  Oder  aber  er  redet 
so  lange  lateinisch,  bis  die  seinigen,  die  ihn  für  närrisch  halten, 
ihm  kaltes  wasser  über  den  köpf  oder  heisses  wasser  über  die 
hand  giessen,  dass  er  im  schmerz  in  seiner  muttersprache  auf- 
schreit oder  man  hat  ihm  die  leiter  von  dem  bäume  weggezogen, 
auf  dem  er  sitzt,  und  er  muss  sich  bequemen,  in  verständlicher 
spräche  nach  ihr  zu  rufen  u.  dgl. 

In  mehreren  der  zur  zweiten  gruppe  gehörigen  Varianten 


')  Eine  hübsche  parallele  zu  den  von  Polivka  und  Bolte  angeführten 
Varianten  dieser  formulierung  liest  man  in  0.  Asböths  Euss.  Chrestomathie, 
Leipzig  1890,  s.  4,  no.  17:  der  söhn,  aus  der  stadt  heimgekehrt,  wird  vom 
vater  aufgefordert,  bei  der  heuernte  zu  lielfen  und  einen  rechen  zu  nehmen. 
Er  lehnt  ab:  'ich  habe  die  Wissenschaft  gelernt,  aber  alle  bauern werte 
(My>j,-imKia  cjoea)  vergessen:  was  ist  das  »rechen?«'  Als  er  dann  auf  ihn 
tretend  geschlagen  wird,  ruft  er:  'welcher  narr  hat  auch  diesen  rechen  her- 
geworfen!' —  Eine  quelle  ist  nicht  angegeben. 


ZUM   MEIER   HELMBRECHT.  895 

redet  der  lieimg-ekehrte  ein  liiclierlicli  verderbtes  latein,  das 
man  ihm,  ihn  znm  besten  haltend,  beigebracht  hat.  Diese 
formulierung-  hat  innerhalb  dieser  gruppe  offenbar  keinen 
rechten  sinn;  zum  mindesten  ist  sie  überflüssig,  die  pointe  zu 
erreichen.  Man  kann  diese  Varianten  durch  anlehnung  der 
gruppe  2  an  1,  zu  der  diese  angäbe  notwendig  gehört,  ent- 
standen denken,  sie  demnach  also  als  gruppe  2^  zusammen- 
fassen. 

Man  sieht  nun  schon:  die  grundelemente  sind  unserer  Helm- 
brecht -  episode  mit  den  eben  charakterisierten  schwanken  ge- 
meinsam. Und  zwar  tritt  unser  gedieht  näher  zur  gruppe  2: 
der  bauernsohn,  der  in  der  fremde  vornehmere  sprachen  gelernt 
hat,  stellt  sich  heimgekehrt,  als  könne  er  nur  noch  diese  sprechen 
und  verstehen,  bis  er  durch  eine  unangenehme  Situation  ge- 
zwungen wird,  in  der  ihm  angeborenen  spräche  zu  reden.  Und 
da  namentlich  das  latein,  das  er  redet,  z.  t.  auch  die  anderen 
sprachen,  von  bedenklicher  authenticität  sind,  so  dürften  wir 
unsere  episode  geradezu  zur  gruppe  2 1  rechnen. 

Wie  nahe  die  erzählung  unseres  gedichtes  auch  im  ein- 
zelnen diesen  Überlieferungen  steht,  erhellt,  wenn  ich  den 
auszug  Polivkas  aus  einem  in  Galizien  aufgezeichneten  klein- 
russischen schwanke  hierhersetze.  'Ein  soldat',  heisst  es  da 
a.a.O.  s.  163,  'der  nach  haus  vom  Urlaube  [auf  Urlaub?]  zurück- 
gekehrt ist,  gibt  vor,  nur  mehr  deutsch  zu  können.  Nicht 
einmal  mit  seiner  mutter,  die  ihn  zärtlich  bewillkommt,  will 
er  anders  sprechen  als  »deutsch«.  Die  frau  ruft  den  Juden 
um  rat  und  der  sagt  ihr,  sie  soll  ihm  nichts  zu  essen  geben, 
dann  wird  er  schon  russisch  sprechen.  Und  richtig,  als  so 
der  Soldat  bis  abends  ohne  essen  sass,  meldete  er  sich  endlich 
in  seiner  muttersprache:  »mutter,  gebt  mir  etwas  zu  essen!« 
—  »Ach,  lieber  söhn«,  rief  die  arme  mutter,  »warum  hast  du 
das  nicht  früher  gesagt?«  —  »Weil  mir  das  deutsche  commando 
im  köpfe  war«,  antwortete  der  soldat.' 

Man  sieht,  hier  ist  die  Situation,  die  den  heimgekehrten 
endlich  veranlasst,  wider  in  verständlicher  spräche  zu  reden, 
ganz  dieselbe  wie  in  unserem  gedichte.  In  einer  anderen 
Variante  (a.  a.  o.  s.  162)  meint  die  mutter  (die  im  schwanke  oft 
au  stelle  des  vaters  als  gegenspieler  erscheint  wie  im  gedichte 
neben  ihm),  der  söhn  sei  im  köpfe  nicht  richtig,  was  sie  im 


396  PANZER 

g-edichte  (v.  732)  für  sich  und  den  gatten  befürchtet,  v.  760  ff. 
bietet  hier  der  vater  d^ni  heimg-ekelirten  dienste  an,  die  der 
söhn  in  flämenden  worten  abweist,  und  macht  sich  anheischig 
Y.  772  f.),  ihm  ein  huhn  zu  sieden  und  eins  zu  braten.  In  einer 
russischen  fassung  (a.  a.  o.  s.  164)  bietet  die  mutter  dem  söhne 
an,  ihm  ein  huhn  (kurocku)  zu  braten:  'nicht  kukurikus!'  ant- 
Avortet  der;  ein  entchen  (kacocku):  'nicht  kwakus!'  u.  s.  w. 
Die  mutter  weint,  dass  der  söhn  nur  noch  'deutsch'  spricht, 
wofür  sie  also  diese  pseudolateinischen  brocken  hält,  wie  unsere 
familie  sich  in  den  sprachen  des  fremden  herrn  nicht  recht 
auskennt. 

Dass  diese  berührungen  nicht  zufällig  sein  können,  ist  klar; 
eine  solche  complicierte  folge  wird  nicht  zweimal  selbständig  er- 
funden. Die  erklärung  kann  nur  die  sein,  dass  unser  dichter  und 
diese  schwanke  aus  derselben  älteren  tradition  geschöpft  haben. 

Nun  sind  die  schwanke  ja  nicht  alt  bezeugt.  Gruppe  1 
ist  nur  bis  in  den  anfang  des  16.  Jahrhunderts  zu  verfolgen, 
2  sogar  nur  aus  modernen  aufzeichnungen  bekannt.  Trotzdem 
wird  an  sich  niemand  für  wahrscheinlich  halten,  dass  die 
jüngeren  aufzeichnungen  etwa  aus  dem  Meier  Helmbrecht  sich 
ableiteten;  es  lässt  sich  der  gegenbeweis  aber  auch  positiv  führen. 

Die  fremde  spräche,  in  der  der  heimgekehrte  redet,  wird 
nicht  überall  in  derselben  weise  definiert.  Für  die  tendenz 
der  erzählung  genügte  eben,  dass  der  bauernsohn  eine  den 
seinigen  unverständliche,  für  vornehmer  geltende  spräche  redete, 
die  je  nach  dem  lebens-  und  anschauungskreise  sich  bestimmen 
liess;  darum  redet  z.  b.  der  galizische  Urlauber  in  der  oben  an- 
geführten Variante  deutsch.  Dass  aber  in  der  ursprünglichen 
fassung  es  sich  ums  lateinische  handelte,  schimmert  in  mehreren 
Varianten,  die  abweichende  definitionen  geben,  noch  seh]-  deut- 
lich durch ;  schon  das  oben  angeführte,  bei  einem  Soldaten  ganz 
unbegründete  kukurikits,  kwakws  u.s.w.  gibt  einen  beleg. 
Unser  gedieht  hat  nun  seinen  Urlauber  in  einer  sehr  an- 
sprechenden, seiner  zeit  und  umweit  durchaus  gemässen  weise 
in  wälschen,  flämischen  und  böhmischen  brocken  reden  lassen ; 
daneben  erscheint  aber  auch  in  ihm  das  lateinische,  noch  — 
so  dürfen  wir  sagen  —  das  lateinische.  Denn  es  ist  klar, 
dass  diese  spräche  für  die  besonderen  Voraussetzungen  unseres 
gedichtes  dui'chaus  unpassend  ist.    ^Yo  sollte  denn  Helmbrecht 


/ 


ZUM   MEIER  HELMBRECHT.  397 

sein  latein  gelernt  haben?  Er  war  doch,  seit  er  den  hof  ver- 
lassen, auf  der  'burc'  bei  dem  räubergesindel,  das  sich  doch 
gewiss  nicht  lateinisch  wird  unterhalten  haben?  Und  unser 
bauernsohn  will  doch  als  Junker  auftreten,  sprechen  die  denn 
lateinisch?  In  Wirklichkeit  zieht  denn  auch  die  Schwester  aus 
den  pseudolateinischen  brocken,  mit  denen  er  sie  begrüsst,  ganz 
richtig  den  nach  den  zeitverliältnissen  allein  möglichen  schluss 
(v.  741):  er  antivnrt  mir  in  der  laiin:  er  mac  ivol  ein  pliaffe  sin. 
Danach  aber  stand  nicht  der  ehrgeiz  des  jungen.  Hier,  meine 
ich,  verrät  sich  deutlich  die  nachwirkung  der  vorläge,  die  von 
unserem  dichter  sehr  hübsch  weitergebildet,  aber  doch  nicht 
ganz  aufgegeben  wurde.  Es  liegt  also  im  gründe  derselbe 
kunstfehler  vor,  der  oben  s,  392  angenommen  wurde,  um  die 
Unstimmigkeiten  innerhalb  des  gedichtes  in  bezug  auf  die 
haube  ohne  annähme  einer  späteren  Umarbeitung  des  eingangs 
zu  erklären.  Und  da  in  den  versen  1020  ff.,  wie  in  der  ein- 
leitung  meiner  ausgäbe  s.  xii  ausgeführt  ist,  ein  dritter  fall 
der  art  vorliegt  (die  traditionelle  klage  über  den  verfall  ritter- 
licher turniersitte  im  munde  des  bauern!),  so  mögen  diese  be- 
lege sich  gegenseitig  stützen  und  unserem  dichter  wol  auch 
das  frouiven  von  v.  277  trotz  der  nonne  in  v.  104  ff.  schon  in 
erster  conception  zutrauen  lassen. 

Für  den  besprochenen  schwank  aber  wird  durch  unser  ge- 
dieht erwiesen,  dass  er  schon  im  mittelalter  bestanden  hat,  offen- 
bar wirklich  als  eine  'schulanekdote'  von  einem  bauernsohn, 
der  auf  die  schule  gegangen  war,  latein  zu  lernen  —  oder,  was 
dasselbe  heisst,  geistlicher  zu  werden  — ,  der  dort  nichts  ge- 
lernt hat  und  nun  heimgekehrt  mit  pseudolateinischen  brocken  i) 


1)  Wenn  culturwissenschaftliche  dinge  sich  wie  naturwissenschaftliche 
beurteilen  Hessen,  so  wäre  wol  nicht  zu  bezweifeln,  dass  gruppe  2\  wie  unser 
kritischer  überblick  oben  es  darstellte,  geschichtlich  durch  Vermischung  der 
getrennt  entstandenen  typen  2  und  1  entstanden  wäre.  Die  oben  angenom- 
mene älteste  form  würde  aber  ja  zu  2 '  zu  rechnen  sein  und  es  dünkt  mir 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie  wirklich  die  grundform  war,  aus  der  die 
gesanimte  Überlieferung  sich  entfaltete :  sie  eine  form,  in  der  das  gewollte 
ziel  keineswegs  mit  dem  geringsten  möglichen  aufwand  an  kraft  erreicht 
war.  Wer  die  Sammlung  Polivkas  durchmustert,  wird  dort  einige  Varianten 
von  2^  finden,  bei  denen  trotzdem  eine  nachträgliche  beeinflussuug  durch 
typus  1  sehr  wahrscheinlich  ist.  Die  bunte  maunigfaltigkeit  dieser  dinge 
lässt  sich  nicht  einfach  construieren. 


398  SCHULZ 


um  sich  wirft,  bis  er  in  einer  üblen  Situation  veranlasst  wird, 
sich  als  der  bauer  zu  bekennen,  als  der  er  denn  auch  in  Zu- 
kunft festgehalten  wird.  Der  schwank  wird  von  einem  kleriker 
und  zwar,  nach  dem  Verbreitungsgebiete  der  Varianten  zu  ur- 
teilen, vermutlich  von  einem  deutschen  kleriker  erfunden  sein ; 
als  mittelalterlich  aber  verrät  er  sich  auch  durch  seine  tendenz. 
Denn  er  will  doch  deutlich  den  echt  mittelalterlichen  ge- 
danken  illustrieren,  dass  sich  nur  lächerlich  macht,  wer  auf 
das  iiinner  unmögliche  unternehmen  sich  einlässt,  über  den 
angeborenen  stand  hinaus  zu  kommen.  Und  eben  diese  mit 
der  seinigen  übereinstimmende  tendenz  war  es  offenbar,  die 
Wernher  dem  gärtner  die  aufnähme  des  schwanks  in  sein 
gedieht  nahe  legte. 

FRAXKFUET  a.  M.,  am  29.  sept.  1907. 

FRIEDRICH  PANZER. 


ZU  KÖNIG  TIROL. 

'Von  nachfolgendem  gedichte,  dessen  Verfasser  ritter  Poppo 
der  starke  ist,  den  wir  im  jähre  1167  am  hofe  Barbarossas 
finden,  kenne  ich  nur  ein  gedrucktes  manuscript  aus  dem  sieb- 
zehnten Jahrhunderte,  das  mir  auf  der  öffentlichen  bibliothek 

der  Franckeschen  Stiftungen  in  Halle  zu  bänden  kam ' 

]\lit  diesen  werten  leitete  F.  W.  Ebeling  seine  ausgäbe  des 
'Kunig  Tyrel  von  Schotten'  (Halle  1843)  ein.  Seine  apodik- 
tischen angaben  über  die  Verfasserschaft  Boppes,  wie  die 
widerspruchsvolle  bezeichnung  seiner  quelle  haben  den  folgen- 
den herausgebern  Schwierigkeiten  gemacht,  da  ein  derartiges 
manuscript  nicht  aufzufinden  war,  und  also  die  unklaren  aus- 
führungen  Ebelings  nicht  durch  genauere  ersetzt  werden 
konnten.  1)    Ich  möchte  nun  auf  die  folgende  stelle  in  Spangen^ 


^)  Vgl.  die  ausgaben  von  E.  Wilken,  Paderborn  1873,  s.  29  f.  und  von 
A.  Leitzmann,  Halle  1888,  a.  1. 


zu   KÖNIG   TIROL.  399 

berg-s  Anmutiger  "Weisslieit  Lust  Garten  (1621)  aufmerksam 
machen,  die  offenbar  Ebeling  bei  der  redaction  seines  textes 
vorgelegen  hat.  Hier  heisst  es  auf  s.  90:  'IN  der  Yätterlichen 
Vermahnungs  Lehre,  welche  der  Edele  Schottländer  Tirol,  vom 
Königlichen  gebliit  geboren,  an  seinen  Sohn  Friedebrand  ge- 
stellet. Welche  nachmals  der  alte  teutsche  Meistersinger  vn 
Eitter  Poppo,  der  Starcke  genant,  so  vmbs  Jar  Christi  1167. 
gelebt,  vnd  an  Keyser  Fridrichs  Barbarossa  Hoff  ein  Zeitlang 
sich  auffenthalte,  Reime  oder  gesangsweise  in  damals  gebreuch- 
liche  Teutsche  sprach  versetzt,  darinen  wird  ein  falscher 
Messpriester  mit  eim  grünen  vnd  dürre  Baum  verglichen. 
Solche  Reime,  weil  sie  fast  artig  seyu,  vnd  auss  denselben 
nicht  allein  zuvernemen,  was  man  vor  fünffhundert  Jahren 
von  Messpfaffen  gehalten,  sondern  wie  die  Teutsche  Sprach 
dazumal  gelautet,  hab  Ich  hieher  zu  setzen,  nicht  vmbgang 
haben  können.'  Und  nun  folgen  unter  der  Überschrift  'Kunig 
Tyrel  von  Schotten  vnd  Fridebrant  sin  Sun'  (=  Ebelings 
titel  * . . .  und  sin  sun  Yridebrant')  die  Strophen  1  bis  13  des 
rätselgedichts,  bei  Leitzmann  s.  17  ff.,  die  Ebeling  in  seiner 
ausgäbe  abgedruckt  hat  (s.  5 — 8).  Sein  abdruck  ist  ziemlich 
genau,  nur  die  Orthographie,  die  bei  Spangenberg  oft  der 
neuhochdeutschen  nahe  steht,  ist  nach  mhd.  weise  reguliert. 
So  braucht  Sp.  mitunter  grosse  anfangsbuchstaben  bei  sub- 
stantivis  und  bezeichnet  langes  i  mit  ic.  Diese  unterschiede 
hat  Ebeling  ausgeglichen,  auch  die  Überschrift  über  str.  5 
'Kunig  Yridebrant'  ist  weggefallen.  Weggefallen  ist  auch 
die  'Erklärung  etlicher  alter  Teutscher  Wörter  in  vorgehen  (!) 
Reimen',  die  Sp.  seinem  abdruck  der  13  Strophen  folgen  lässt. 
Ebeling  hat  diese,  wortgeschichtlich  nicht  uninteressanten  er- 
läuterungen  aber  doch  benützt,  wenn  auch  in  eigentümlicher 
weise.  Er  lässt  nämlich  am  ende  seines  Vorworts  die  'er- 
läuterung  einiger  worte'  folgen,  und  es  überrascht,  dass  er 
hier  nur  eine  auswahl  aus  Spangenbergs  erklärungen  gibt. 

Da  also  die  biographischen  angaben  Ebelings,  wie  auch 
sein  text  und  die  erklärungen  offensichtlich  zu  Spangenberg 
stimmen,  so  dürfte  damit  der  Lustgarten  von  1621  als  seine 
vorläge,  als  das  'gedruckte  manuscript  aus  dem  siebzehnten 
Jahrhunderte'  erwiesen  sein. 

Uebrigens  enthält  dieses  buch   eine  weitere  strophe  des 


400  HELM 

könig  Tirol  auf  s.  531  aus  dem  lehrgediclit  (=  Leitzmann  s.  22, 
110.  30),  ausserdem  ein  g-edicht  Ulrichs  von  Liclitenstein  auf 
s.  483  (=  Pfaff,  Die  Heidelberger  liederlis.  1900,  s.  823,  no.  311) 
und  eines  Eeinmars  von  Zweter  auf  s.  484  (=  Roetlies  aus- 
gäbe 1887,  s.  464,  no.  106),  endlich  auf  s.  389.  90  eine  längere 
ausführiing  über  Muscatblüt.  Aber  diese  letzteren  angaben 
gehen  sicher  auf  das  buch  seines  vaters  Cj^riacus  Spangen- 
berg, Von  der  Musica  ...  (1582)  zurück,  wörtlich  übernommen 
ist  jedenfalls  sein  Verzeichnis  der  gedichte  Muscatblüts  (ausg. 
der  Musica  in  der  Bibl.  d.  lit.  ver.  bd.  62,  s.  134.  35).  Vielleicht 
hat  Ebeling  mit  rücksicht  auf  diese  proben  angenommen,  dass 
AY.  Spangenberg  eine  grössere  handschrift  vorgelegen  hätte, 
aus  der  er  hier  und  da  ein  gedieht  mitteilte.  Möglicher- 
weise erklärt  sich  so  die  seltsame  bezeichnung  'gedrucktes 
manuscript '. 

FEEIBURG  i.  B.  HANS  SCHULZ. 


NACHTRAG  ZUR  AUSGABE  VON  HESLERS 
EVANGELIUM  NICODEMI. 

(Bibl.  des  lit.  ver.  no.  224). 

Die  bearbeitung  von  Heslers  Apokalypse  für  den  achten 
band  der  Deutschen  texte  des  mittelalters  hat  mich  genötigt, 
die  ganze  Überlieferung  dieses  gedichtes  nochmals  durchzu- 
prüfen. Von  den  der  Apokalypse  entnommenen  citaten  in  der 
einleitung  zu  meiner  ausgäbe  des  Evang.  Nicodemi  sind  auf 
grund  dieser  prüfung  nun  einige  zu  streichen  oder  zu  modifi- 
cieren,  da  es  sich  ergeben  hat,  dass  die  ihnen  zu  gründe 
liegenden  lesarten  zum  teil  nicht  dem  original  sondern  nur 
einzelnen  hss.  (speciell  St  und  K^)  angehören,  zum  teil  eine 
andere  auffassung  verlangen.  Ich  stelle  die  fälle  hier  zu- 
sammen und  bitte,  die  änderungen  an  den  betreffenden  stellen 
vorzunehmen.  Da  in  der  einleitung  zum  Evang.  Nicod.  die 
Apokalypse  nach  der  Stuttgarter  hs.  citiert  wurde,  die  eine 


NACHTRAG   ZU   HESLERS   EVANGELIUM   NICODEMT.  401 

reihe  von  plusversen  enthält,  so  sind  die  dort  begegnenden 
verszalilen  durchweg  etwas  höher  als  in  der  ausgäbe  der  Apo- 
kalypse; die  differenz  ist  anfangs  gering  und  wächst  bis  zum 
Schlüsse  des  gedichtes  bis  auf  etwa  30.  Auf  die  änderung 
all  dieser  zahlen  muss  ich  natürlich  verzichten;  ich  habe 
jedoch  bei  den  nachstehenden  Verbesserungen,  um  die  nach- 
prüf ung  zu  erleichtern,  die  richtigen  verszahlen  in  klammern 
beigefügt. 

S.  XXXYI  z.  14  V.  0.  streiche  larte  :  harte  (1899).  — 
S.  XXXVII  z.  1  v.o.  streiche  amen  :  flammen  (1246);  z.  2  v.o. 
streiche  ivät  (4338;  es  ist  liorgeivat  zu  lesen,  vgl.  dieses  wort 
im  Wortverzeichnis  der  Apokalypse).  —  S.  XXXIX  z.  6  v.  o. 
streiche  Ap.  14387  (14371);  14  v.o.  1.  :2elene  (1457);  13  v.u. 
streiche  1G793  (16779  er  :  her!).  —  S.  XL  z.  8  v.  o.  statt  naeren 
(inf.)  1.  den  naeren  (dat.  pl.)  x\p.  (8307);  z.  20  v.o.  streiche 
hevein  :  sün  (12222;  es  liegt  heviln  vor!).  —  S.  XLI  z.  9  v.o. 
streiche  784  (779);  z.  10  v.o.  1.  liht :  cjetiht  Ap.  77.  4087.  — 
S.  XLII  z.  9  V.  0.  statt  man  Untere  1.  dem  läutere  (8879);  z.  10 
V.  0.  statt  die  clutere  1.  dem  läutere  21742  und  streiche  16897. 
—  S.  XLIV  z.  17  v.o.  streiche  we  :  sie  (13969;  ive=^wie!)\ 
z.  18  V.  0.  1.  auf  e  in  priester  :  trester  Ap.  9833.  12937.  — 
S.  XLV.  z.  12  V.  u.  streiche  Uuonien  :  gevrumen  (7491)  und  die 
darauf  folgenden  fälschlich  mit  tio  angesetzten  reime  sune 
:  sjnme;  z.  7  v.  u.  streiche  ruoivet :  niuivet  (1575)  und  enhüsen 
:  muo^en  (4249,  enhuezen^\  z.  2  v.u.  und  später  (s.  XL  VI  f.) 
schreibe  lohe,  lohen.  —  S.  L  z.  14  v.  o.  streiche  den  sün  Ap. 
12235  (12222  s.  o.).  —  S.  LI  z.  4  v.  o.  streiche  die  sämmtlichen 
belege  massen  :  ivahsen  (hier  liegt  tvasse  bez.  wäz  vor;  vgl.  die 
stellen  im  Wortverzeichnis  der  Apokalypse).  —  S.  LH  sind  die 
Zeilen  17 — 14  v.u.  ganz  zu  streichen,  da  der  reim  nur  den  hss. 
K^  St  angehört,  vgl.  Ap.  v.  1727  anm.;  z.  12  v.u.  statt  Ap.  14387 
1.  taetic  Ap.  1437L  —  S.  LIII  z.  4  v.  u.  1.  wie  (13079).  — 
S. LXIV  z.  13  v.u.  ist  der  reim  gen  :  spien  zu  streichen,  da 
er  nur  St.  angehört.  —  S.  LXV  z.  4  v.  o.  streiche  vie  :  hie 
(nur  in  K^  St;  10205).  —  S.  LXVI  z.  6  v.  o.  streiche  gäten  Ap. 
14193  (14173)  und  den  missetäten  A^.  1701  (1687).  —  S.  LXVIII 
z.  6  V.  u.  streiche  got  :  verspot{et)  (451).  —  S.  LXXVIII  z.  6 
V.  0.  statt  2659  1.  3270. 

Im  text  des  Evang.  Nicodemi  sind  einige  druckfehler  stehen 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXllI.  26 


402  FEIST,  NIID.  KÖTEB. 

geblieben,  deren  Verbesserung  sich  von  selbst  ergibt;  ich  be- 
schränke mich  darauf,  hier  festzustellen,  dass  statt  er  in  v.  8 
und  13  der  zu  lesen  ist.  Auch  änderungen  anderer  art  sind 
da  und  dort  noch  nötig  und  ergeben  sich  meist  leicht  von 
selbst.  Nur  auf  den  v.  1998  sei  noch  hingewiesen:  die  con- 
jectur,  die  ich  dort  in  den  text  gesetzt  habe,  ist  nicht  haltbar, 
vielmehr  muss  an  icorte  (mit  S)  festgehalten  werden;  das  ergibt 
sich  daraus,  dass  der  ganzen  stelle  1994  ff.  die  stelle  Ps.  XXI,  1 
zu  gründe  liegt:  Quare  tue  dereliqiiisü?  Longe  a  salute  mea 
verha  delictorum  meorum.  Wie  allerdings  darnach  bei  H.  die 
stelle  vollständig  gelautet  haben  muss,  vermag  ich  nicht  zu 
sagen.    Für  v.  2157  gilt  das  gleiche. 

Ich  benutze  die  gelegenheit  endlich,  zu  meinen  ausführungen 
über  den  ort  Nawra  in  Preussen  (einleit.  s.  lxxxviii  f.)  einige 
jüngere  literatur  nachzutragen,  nämlich:  Maercker,  Ortsgesch. 
des  kreises  Thorn  2,392;  v.  Mülverstedt,  Zur  lösung  der  heimat- 
fi-age  der  v.  Depenow  und  Stange,  Zeitschr.  d.  histor.  Vereins  f. 
Marienwerder  1903,  s.  1  ff.  und  Henkel,  Bemerkungen  zu  Maer- 
ckers  Ortsgeschichte  des  Thorner  kreises,  Zeitschrift  des  west- 
preuss.  geschichtsvereins  45, 222.  Zu  seite  C  ist  über  das  späte 
eindiingen  der  Juden  in  Preussen  noch  zu  vergleichen:  Joh. 
Müller,  Die  Juden  in  Osterode,  Oberländische  geschichtsblätter, 
heft  5  (1903),  s.  38  ff. 

GIESSEN,  26.  juni  1907.  KAEL  HELM. 


NHD.  KÖTER. 


Die  gewöhnliche  ableitung  dieses  aus  dem  ndd.  stammenden 
Wortes  von  ndd.  Icot,  engl,  cot  'hütte'  wird  von  H.  Schroeder, 
Beitr.  29, 554  ff.  mit  recht,  wie  mir  scheint,  abgelehnt.  Er  nimmt 
ein  entsprechendes  got.  H-autareis,  as.  *Mtari  {*l-ötert),  ahd. 
'^Tcözari  an,  'eine  ableitung  eines  st.  *kaut-,  der  onomatopoetischen 
Charakters  mit  der  bedeutung  »bellen,  klaffen,  schreien«  gewesen 
sein  wird.  Nachdem  das  urgerm.  au  im  as.  zu  o  geworden  war, 
musste  das  verbum.  dessen  charakteristischer  Inhalt  eben  das 


LITERATUR.  403 

an  (yg].  wauwau)  gewesen  war,  weil  nunmehr  unbrauchbar, 
verloren  gehen'.  —  Ich  glaube  die  spur  eines  zu  dem  st.  "^Icaut- 
gehörigen  verbums  in  rlieinfr.  Ixauzcn,  ganzen  vom  bellen  eines 
kleinen  hundes  ('kläffer')  gebraucht,  widerzufinden.  Aus  einer 
gdf.  '""katjan  musste  sich  ein  alid.  *'Mzzen,  *h'izen  entwickeln, 
dessen  nachkomme  das  rheinfr.  kauzen,  ganzen  ist.  Auch  das 
unerklärte  nhd.  kotzen  lässt  sich  leicht  auf  germ.  Vcutjan,  die 
parallelform  zu  Viütjan,  zurückführen.  Das  bild,  das  diese 
bedeutungsentwicklung  veranlasste,  ist  ohne  weiteres  klar. 

Schwieriger  ist  es,  eine  etymologische  anknüpf ung  für 
diese  germ,  wzl.  *kaut-  zu  finden.  Sehen  wir  t  =  idg.  d  als 
determinativ  an,  so  bietet  sich  für  die  idg.  wzl.  *goti-d-  ein 
anhält  an  gr.  yaog  'laute  klage',  yot/q  'klagender',  yoaco,  yoöco 
'klagen'  (aor.  eyofov);  als  grundbedeutung  dieser  idg.  v,'zl.  "^goii- 
wäre  etwa  'heulen'  anzusetzen.  Doch  ist  auch  die  möglichkeit 
zuzugeben,  dass  germ.  *kaut-  lautnachahmend  gebildet  ist. 

BERLIN  N.  S.  FEIST. 


LITERATUR. 

(Verzeichnis  bei  der  redaction  eingegangener  Schriften,  vgl.  Beitr.  32, 154.) 

Adams,  Arthur,  The  syntax  of  the  temporal  clause  in  Old  Euglish 
prose  (=  Yale  studies  in  English  XXXII).  New  York,  Holt  a.  Co.,  1907. 
Vni,  245  s. 

Baesecke,  Georg,  Der  Münchener  Oswald,  text  und  ahhandlung 
(=  Germanistische  abhandl.,  hg.  v.  F.  Vogt,  28.  heft).  Breslau  1907.  — 
XVIII,  445  s.    M.  16.  — . 

Behaghel,  Otto,  Die  deutsche  spräche.  4.  aufl.  (=  Das  wissen  der 
gegenwart  54).  Wien  u.  Leipzig,  Tempsky  u.  Frey  tag,  1907.  —  380  s.  M.4. — . 

Brandstetter,  Eenward,  Die  Wuotansage  im  alten  Luzern  (Separat- 
abdr.  aus  dem  Gesehichtsfreund,  bd.  62).   Stans  [1907].  —  60  s. 

Eigenbrodt,  Wilhelm,  Untersuchungen  über  das  mhd.  gedieht  'diu 
guote  vrouwe'.   (Diss.)  Jena  1907.  —  46  s. 

Franck,  J.,  Der  name  der  Franken  (Sonderabdr.  aus  der  Westd.  zeit- 
schr.  f.  gesch.  u.  kunst,  26).   1907.  —  10  s. 

Gebhardt,  August,  Grammatik  der  Nürnberger  mundart.  Unter  mit- 
wirkung  von  Otto  Bremer  (=  Sammlung  kurzer  grammatiken  deutscher 
mundarten,  bd.  VIT).   Leipzig,  Breitkopf  u.  Härtel,  1907.  —  XVI,  392  s. 

26* 


404  LITERATUR. 

Heinrich  von  Hesler.  Apokalypse,  ans  der  Danzig-er  hs.  heraiisg. 
Ton  Karl  Helm  (=  Deutsche  texte  des  m.a.,  bd.  YIII).  Berlin,  Weidmann, 
1907.  —  XX,  414  s.,  2  tafeln. 

Heinzel,  Richard,  Kleine  Schriften,  herausg.  von  M.  H.  Jelliuek  u. 
C.  von  Kraus.   Heidelberg,  Winter,  1907.  —  Vm,  456  s. 

Meisinger.  Othmar,  Volkswörter  und  Volkslieder  aus  dem  Wiesentale. 
Gesammelt  von  0.  M.   freiburg  i.B.,  J.  Bielefelds  verlag.  —  72  s.   M.  2.  50. 

Paul,  Hermann,  Deutsches  Wörterbuch.  2.  vermehrte  aufl.  1.  hälfte 
[Aal  —  meisterlos].   Halle,  Max  Niemeyer,  1908.  —  352  s. 

Ranke,  Friedrich,  Sprache  und  stil  im  Wälschen  Gast  des  Thomasin 
von  Circlaria.   (Diss.)   Berlin  1907  (=  Palaestra).  —  52  s. 

Schatz,  J.,  Altbairische  grammatik.  Laut-  u.  flexionslehre  (=  Gram- 
matiken der  ahd.  dialekte  I).    Göttingen,  Vandenhoeck  u.  Ruprecht,   1907. 

-  VI,  183  s. 

Schönbaeh,  Anton  E.,  Studien  zur  erzählungsliteratur  des  mittel- 
alters.  6.  teil:  des  Nikolaus  Schlegel  beschreibung  des  hostienwunders  zu 
Münster  in  Graubünden.  Wien  (Sitzb.  d.  k.  akademie,  phil.-hist.  kl.  156)  1907. 

—  84  s.  —  Ders.,  Mitteilungen  aus  altdeutschen  hss.  9.  stück:  Bruder 
Dietrich.  Erbauliches  in  prosa  und  versen.  Wien  (Sitzb.  d.  k.  akad.,  phil.- 
hist.  kl.  1.56)  1907.  —  27  s. 

Strömberg,  Edvard,  Die  ausgleichung  des  ablauts  im  starken  prae- 
teritum  mit  besonderer  rücksicht  auf  oberdeutsche  Sprachdenkmäler  des  15. 
u.  16.  Jahrhunderts.  Göteborg,  Wettergren  &  Kerber,  1907.  —  YHI,  154  s. 
2.50  kr. 

Sütterlin,  Ludwig,  Die  deutsche  spräche  der  gegenwart.  Ein  hand- 
buch  für  lehrer,  studierende  und  lehrerbildungsanstalten.  2.  stark  veränderte 
aufl.   Leipzig,  E.  Voigtländer,  1907.  —  XXVIII,  451  s. 

Ulfilas,  Stamm-Hey ne's,  oder  die  uns  erhaltenen  denkmäler  der 
gotischen  spräche.  Text,  grammatik,  Wörterbuch,  neu  herausgeg.  von  Fer- 
dinand Wrede.  11.  aufl.  (=  Biblioth.  d.  ältesten  deutsch,  literaturdenkm. 
I.  band).   Paderborn,  F.  Schöningh,  1908.  —  XXVIII,  490  s. 

Von  der  Leyen,  Friedrich,  Einführung  in  das  gotische  (Handbuch 
des  dtsch.  Unterrichts  an  höheren  schulen,  hg.  v.  Ad.  Matthias,  2.  bd.,  1.  teil, 
1.  abt.).   München  1908.  —  X,  181  s. 

Walther  von  der  Vogelweide.  7.  ausgäbe  von  Karl  Lachmaun. 
Besorgt  von  Carl  von  Kraus.   Berlin,  G.Reimer,  1907.—  XXIV,  230s. 

Wilhelm,  Friedi-ich,  Deutsche  legenden  und  legendäre.  Texte  und 
Untersuchungen  zu  ihrer  geschichte  im  mittelalter.  Leipzig,  J.  C.  Hinrich, 
1907.  —  XVI,  234,  57*  s. 


DER  EINFLUSS  DES  MND.  AUF  DAS  DANISCHE 
IM  15.  JAHRHUNDERT. 

Quellen. 

1)  M.P.  =  C.  Molbecli  og  N.M.Petersen,  Udvalg  af  danske  Di- 
plomer og  Breve.   Kbh.  1858. 

2)  H.M.  =  Herr  Michaels  tre  danske  Riimvserker,  herausgeg.  v. 
Chr.  Molbech.   Kbh.  1836. 

3)  H.S.  =  Henrik  Suso,   Gudelig  Visdoms  Bog  ved  C.  J.  Brandt. 
Kbh.  1858. 

i)  F.K.  =  Thomas  a  Kempis,  Kristi  Efterfolgelse,  herausgeg.  v. 
E.Rönning.  Kbh.  1885. 

5)  M.R.  =  Mandevilles  Rejse  von  M.  Lorenzen.   Kbh.  1882. 

6)  Rsv.   =  Kolderiip  -  Roseuvinge,   Sämling  af  garale   danske 
LoveV.   Kbh.  1821— 46. 

7)  D.C.   =  Diplomatarium   Christierni   primi,   herausgeg.  v. 
H.  Knudsen  og  Wegeuer.   Kbh.  1858. 

8)  D.M.  =  Danske  Magazin.  I— VI.   Kbh.  1745-52. 

9)  Luc.  =  Lucidarius,  udg.  af  C.J.Brandt.   Kbh.  1849. 

10)  B.  =  Den  seldste  danske  Bibel oversaett eise,  udg.  af  Chr.  Mol- 
bech. Kbh.  1828. 

11)  R.D.  =  Romantisk  Digtning  fra  Middelalderen.  I — III,  udg. 
af  C.  J.  Brandt.   Kbh.  1869. 

12)  K.  =  Otto  Kaikar,  Ordbog  til  det  aeldre  danske  Sprog.  Kbh. 
1881  ff. 

13)  M.Gl.  =  Molbech,  Dansk  Glossarium.   I.  IL   Kbh.  1857.  66. 

14)  Rkr.  =  Den  danske  Riimkronike. 

15)  Sch.L.  =  Schiller  u.  Lübben,  Mnd.  Wörterbuch, 

Gegen  den  aiisgang  des  mittelalters  nimmt  die  Schrift- 
sprache des  dänischen  diejenige  gestalt  an,  in  der  sie  sich 
bis  znr  gegenwart  ziemlich  unverändert  erhalten  hat.  Diese 
moderne  form,  die  sich  während  der  zweiten  hälfte  des  14. 
und  im  15,  Jahrhundert  herausbildete,  weicht  so  wesentlich 
von  der  spräche  der  vorhergehenden  periode  ab,  dass  inner- 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXUI.  27 


406  MARQUARDSEN 

lialb  des  Zeitraums  von  1350 — 1500  eine  durchgreifende  Ver- 
änderung der  dänischen  spräche  zu  constatieren  ist.  Die  Ursache 
dieses  auffallenden  sprachwandels  ist  hauptsächlich  darin  zu 
suchen,  dass  die  fruchte  deutschen  einflusses  zu  einer  zeit 
deutlich  erkennbar  werden,  wo  sich  ein  fester  Charakter  der 
Schriftsprache  ausbilden  musste,  weil  man  sich,  auch  für  kirch- 
liche und  rechtsschriften,  der  landessprache  zu  bedienen  begann. 
Jetzt  erwies  es  sich,  wie  stark  diese  mit  fremden  elementen 
durchsetzt  war,  wie  viel  deutsches  sprachgut  sie  in  sich  auf- 
genommen hatte. 

Die  dänische  geschichte  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  be- 
antwortet die  frage,  Avie  eine  so  starke  germanisierung  der 
spräche  möglich  geworden  war;  denn  sie  zeigt  uns  die  deutsche 
hansa  als  Dänemarks  gefürchteten  feind,  als  seinen  mächtigen 
nebenbuhler  in  handel  und  Schiffahrt. 

Im  jähre  1370  musste  Valdemar  Atterdag  den  hansestädten 
Skäne  überlassen,  das  freilich  1386  wider  dänisch  wurde;  aber 
deutsche  vögte  blieben  im  lande  zurück,  und  die  hansestädte 
genossen  in  Dänemark  und  Schweden  uneingeschränkte  frei- 
heiten.  Sie  bohrten  sich  allenthalben  ein,  setzten  sich  überall 
fest.  Im  binnenlande  betrieben  niederdeutsche  kaufleute  einen 
ausgedehnten  kleinhandel,  und  an  den  küsten  vertrieben  ihre 
fischerbote  die  der  ansässigen  leute.  Sie  hatten  sitz  und  stimme 
im  rate  der  städte;  es  kam  sogar  vor,  dass  öffentliche  Ver- 
sammlungen in  niederdeutscher  spräche  abgehalten  wui'den. 
Zwar  drohte  die  Kalmarische  union  die  grundlagen  der  han- 
sischen Übermacht  zu  erschüttern;  doch  zersplitterte  Erik  von 
Pommern,  der  nachf olger  der  Unionskönigin,  seine  kraft  im 
kämpf  um  Schleswig  —  ein  erfolgloses  bemühen  —  denn 
Schleswig  blieb  mit  Holstein  vereint,  es  verlor  allmählich 
seine  spräche,  und  die  übrigen  landesteile  trugen  sprachlich 
unauslöschliche  spuren  deutschen  einflusses.  In  der  folge  gieng 
zum  teil  dieser  einfluss  von  den  fürsten  selbst  aus,  die  deutscher 
abkunft  waren,  deutsche  edelleute  an  ihren  hof  zogen  und 
deutsche  truppen  in  ihren  sold  nahmen.  Jedoch  waren  und 
blieben  die  hansestädte  der  wichtigste  factor  für  die  Ver- 
deutschung der  spräche.  Ende  des  15.  Jahrhunderts  nahm 
dann  Dänemark  die  buchdruckerkunst  aus  Deutschlands  band, 
und  die  spräche  wurde  mitsammt  dem  fremden,  was  sie  wäh- 


^ 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHE.  407 

rend  der  letzten  150  Jahre  in  sich  aufgenommen  hatte,  fixiert. 
Nun  ergab  sich  die  tatsache,  dass  das  dänische,  so  wie  es  sich 
am  ende  des  15.  Jahrhunderts  darstellt,  in  bezug  auf  den  wort- 
vorrat  ein  völlig  verändertes  gepräge  erhalten  hatte,  das  es 
dem  mnd.  verdankt.  Was  die  Veränderung  des  lautbestandes 
angeht,  so  berührt  sich  diese  nicht  unmittelbar  mit  ndd.  einfluss. 
Auch  in  bezug  auf  grammatische  formen  hat  das  nord.  seine 
eigenart  gCAvahrt,  wennschon  im  15.  Jahrhundert  germanismen 
nichts  seltenes  sind.  Aber  sie  haben  sich  kein  biirgerrecht  in 
der  spräche  erworben,  während  ihr  die  ndd.  lehn  Wörter  und 
Wortbildungselemente  als  eigentum  verblieben  sind.  Die  vor- 
liegende abhandlung  wird  daher  den  umfang  des  ndd.  einflusses 
nach  dieser  richtung  zu  bestimmen  suchen,  indem  sie  es  unter- 
nimmt, ihn  an  Schriften  des  15.  Jahrhunderts  nachzuweisen. 
Allerdings  zeigt  schon  die  dänische  Schriftsprache  des  13.  und 
14.  Jahrhunderts  spuren  ndd.  einflusses;  dafür  hat  Marius  Kri- 
stensens  Untersuchung:  'Fremmedordene  i  det  aeldste  danske 
skriftsprog  för  omtrent  1300',  Kopenhagen  1906  (vgl.  Kahle, 
Litbl.  1907,  150  ff.)  den  beweis  erbracht.  Aber  die  kircheu- 
und  rechtssprache  war  damals  noch  lateinisch,  und  das  wenige, 
was  in  dänischer  spräche  geschrieben  wurde,  beschränkt  sich 
zumeist  auf  gesetze  und  gesetzbücher,  die  doch  nur  ein  höchst 
einseitiges  bild  der  spräche  gewähren.  Das  16.  Jahrhundert 
bringt  eine  menge  neuer  mndd.  lehnwörter  hinzu.  Doch  be- 
ginnt während  des  reformationszeitalters  auch  das  hochdeutsche 
bei  der  germanisierung  des  dän.  eine  rolle  zu  spielen,  sodass 
es  kaum  möglich  sein  würde,  hoch-  und  niederdeutsche  demente 
in  ihrer  danisierten  form  reinlich  zu  scheiden.  Was  Jedoch 
während  des  15.  Jahrhunderts  von  deutschem  sprachgut  in  das 
dän.  übergieng,  das  wurde  ohne  frage  von  Niederdeutschland 
aus  hineingetragen.  Wo  sich  ein  wort  als  hochdeutschen  Ur- 
sprungs zu  erkennen  gibt,  da  war  es  allemal  im  ndd.  als  lelin- 
wort  vorhanden  und  gelangte  auf  diesem  umwege  ins  dänische. 
Meine  darstellung  gründet  sich  daher  auf  literarische  denk- 
mäler  des  15.  Jahrhunderts,  unter  denen  sich  auch  einheimische 
dichtungen  befinden,  während  die  prosa  durch  rechtsbücher  und 
Übersetzungen  vertreten  ist.  Aus  der  Übersetzungsliteratur 
haben  mir  der  Lucidarius,  Mandevilles  reise.  Die  nachfolge 
Christi  von   Thomas  a  Kempis,    Die   göttliche  Weisheit   von 

27* 


408  MARQUARDSEN 

Heinrich  Suso,  Romantisk  cligtning  fra  middelalderen  und  die 
älteste  bibeliibersetzung  nach  der  vulgata  als  quellen  gedient. 
Der  Lucidarius  gehört  vielleicht  noch  dem  ende  des  14.  Jahr- 
hunderts an  (s.  Brandts  ausgäbe,  einleitung  xx.  xxi).  Jedenfalls 
ist  er  unter  den  genannten  Schriften  die  älteste;  dafür  spricht 
der  noch  nicht  stark  vom  ndd.  beeinflusste  wort  Vorrat  und  der 
beschränkte  gebrauch  ndd.  vor-  und  nachsilben.  Thomas  a 
Kempis,  Mandeville,  Heinrich  Suso  und  Romantisk  digtning 
weisen  einen  ganz  bedeutenden  Zuwachs  an  lehnwörtern  auf, 
besonders  Mandeville  und  Romantisk  digtning,  denn  hier 
waren  die  Verfasser  gezwungen,  mit  einem  viel  mannig- 
faltigeren Wortschatz  zu  operieren,  als  die  Übertrager  geist- 
licher Schriften.  Ueberall  zeigt  der  häufige  gebrauch  ndd. 
Suffixe  und  präfixe  diese  als  nunmehr  eingebürgert.  Doch 
sind  es  nicht  die  Übersetzungen,  sondern  die  gesetzbücher  und 
diplome  aus  damaliger  zeit,  die  den  einfluss  des  mnd.  am 
eclatantesteu  widerspiegeln.  Man  würde  indes  einen  fehl- 
schluss  tun,  wollte  man  sie  als  muster  des  derzeitigen  Sprach- 
gebrauches und  als  massstab  für  den  umfang  des  mnd.  ein- 
flusses  ansehen.  Man  darf  nicht  aus  den  äugen  lassen,  dass 
sie  zum  grossen  teil  aus  den  kanzleien  der  fürsten  deutscher 
abstammung  hervorgiengen;  zudem  musste,  den  herschenden 
Verhältnissen  zufolge,  die  handeis-  und  rechtssprache  am 
stärksten  mit  ndd.  ausdrücken  verquickt  sein.  Die  sichersten 
Schlüsse  auf  die  eigentliche  beschaffenheit  der  spräche  dürfen 
wir  jedenfalls  aus  den  einheimischen  dichtungen  ziehen,  die, 
fi'ei  vom  zwang  der  Übersetzung,  nicht  mit  formelhaften  Wen- 
dungen durchsetzt,  das  treueste  bild  des  Stadiums  geben,  bis 
zu  dem  die  Sprachentwicklung  vorgeschritten  war.  Ich  denke 
hierbei  an  die  ersten  in  dänischer  spräche  gedruckten  bücher: 
Den  danske  Riimkronike  und  Hr.  Michaels  free  Riimvaerker. 
Von  diesen  zweien  möchte  ich  widerum  das  letztgenannte 
als  t3i)isch  für  den  Sprachgebrauch  des  ausgehenden  15.  Jahr- 
hunderts bezeichnen.  Der  Verfasser,  der  in  strophenform  eine 
lateinische  vorläge  frei  bearbeitete,  handhabt  die  spräche  mit 
grosser  gewantheit  und  poetischer  gestaltungskraft.  Das  ent- 
lehnte sprachgut  mutet  bei  Michael  nicht  mehr  wie  flicken 
auf  altem  gewand  an,  sondern  die  fäden  haben  sich  jetzt  fest 
verwoben  und  so  miteinander  verschlungen,  dass  etwas  einheit- 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHE.  409 

liclies  geworden  ist.  —  Diese  neue  spracliform  ist  die  des  neu- 
dänischen,  das  zu  der  spräche  der  deutschen  grenznachbarn 
niclit  nur  durch  urverwan tschaft,  sondern  auch  durch  ent- 
lelinung  in  naher  beziehung  steht. 

I.  Mud.  lehuwörter. 

Sie  sind  als  solche  nicht  ohne  weiteres  erkennbar,  denn 
bei  der  verwantschaft  beider  sprachen  ist  das  ndd.  lehnwort 
in  danisierter  form  für  äuge  und  ohr  vom  dänischen  sprachgut 
schwer  zu  unterscheiden.  Doch  geben  sprachgeschichtliche 
kriterien  in  vielen  fällen  über  den  fremden  bez.  ndd,  Ursprung 
eines  wortes  aufschluss.  Ich  nenne  unter  diesen  formellen 
kennzeichen  diejenigen,  die  für  das  ndd.  in  betracht  kommen. 
—  Lautliche  merkmale,  die  mit  Sicherheit  auf  mnd.  herkunft 
eines  wortes  schliessen  lassen,  sind  folgende  (vgl.  Tamm,  Fönet, 
kännetecken  pa  länord,  i  nysv.  rigsspr.,  Upsala,  Univ.  Arsskrift 
1887): 

0,  da  entsprechend  got.  an.  au,  ags.  ea  (lautgesetzlich  ist 
fürs  dän.  au  >  0): 


hop                 mild. 

hop 

ahd.  houf                  ags.  heap 

lod 

16t 

„     leaö 

rof 

rof 

„     roub                    „     reaf 

stop 

stop 

an.  stäup                  „     steap 

bom 

bom 

ahd.  boum                  „     beam 

lop 

16p 

an.  hlaupr 

dop 

dope 

ahd.  toufa 

haan 

hon 

got.  hauus                  „     hean 

Inlautendes  t 

,  « 

?  der 

Stammsilbe,  entsprechend  got.  an.  iu, 

ahd.  10,  eo  (lautgesetzliche  entwicklung  tu  >  y): 

fortred 

mml.  vordret                  got.  priutau 

kese 

„      keseu                      „    kiusan 

leef 

„      lef                          an.  Imfr 

stev  (fader) 

„      stef                         .,    stiup 

gt,  für  germ. 

ß 

agtig 

mnd 

achtig                   mhd,  haftic 

agter 

)i 

achter                     „     after 

hegte 

;) 

hechten                   „     heften 

kragt 

1? 

kracht                      „      kraft 

bekregtige 

!I 

bekrechtigen           „     bekreftigen 

sagt 

)) 

sacht                       „     senfte 

stigte 

;i 

stiebten                   „     stiften 

410  MARQUARDSEN 

dd,  eutsprecliend  urgerm.  <?  -\-  j: 

redde  mnd.  reddeu  ags.  hreddau 

Unbetontes  i  der  mittelsilbe  vor  der  endung  ke  (in  dieser 
Stellung-  unterlag  ein  nord.  i  der  synkope): 

bindike  mnd.  bindike 

freveke  „     frouveken 

wennike  „      wennike 

Andere  kenuzeichen,  die  für  entlelinung  in  weiterem  sinne, 
aber  einschliesslich  des  ndd.  sprechen,  sind  folgende:  |j 

Diphthonge,  die  nicht  durch  vocalisierung  von  consonanten 
(g,  v)  entstanden  sind  (lautgesetzliche  entwicklung:  monophthon- 
gierung alter  diphthonge): 

klein 
geist 
reise 
feide 
gei?el 

f,  ausser  im  anlaut  und  in  den  Verbindungen  fk,  fs,  ft 
(in  anderen  Stellungen  wurde  f>v): 

leef  mnd.  lef  straffe  mnd.  strafen 

leflig  „     leflich  skaffere  „     schaffer 

gt,  entsprechend  urgerm,  ht,  sofern  diese  Verbindung  nicht 
von  einem  auf  k  ausgehenden  einheimischen  wortstamm  her- 
rührt (in  den  nord.  sprachen  verschwand  das  h,  und  das  t 
wurde  unter  umständen  lang:  mäht  >  mdttr): 


,nd 

.  klein 

seideuspil 

mnd.  seidenspil 

)i 

geist 

heit 

„     heit 

)> 

reisen 

rein 

„     rein 

i; 

feide 

toiiwe 

„     touwe 

j; 

geisel 

agt                 mnd.  acht 

magt              mild,  macht 

digt                   „      dicht 

uagtegal           „      uachtegal 

frugt                 „      fr  licht 

pligt                 „      plicht 

fegte                ,,      fechten 

rygte                „     ruchte 

gigt                  „     gicht 

siegt                 „     siecht 

Die  Verbindung  ts,  ausser 

wenn  der  stamm  auf  t  ausgeht: 

kreds         mnd.  kreis 

trotz         mnd.  trotz 

lots             „     lots 

gautz           „     ganz 

platz           „     plass  (getöse) 

kands           „      kanze  (frz.  chance) 

spetz           ,,     spitz 

swantz         ,,      swaus 

Auslautendes  ch,  k,  entsprechend  urgerm.  h  {h  fiel  im  nord., 
ausser  im  anlaut  und  vor  s): 

ach  mnd.  ach  dog  mnd.  doch 


EINFLUSS   DES   MNÜ.   AUF   DAS   DÄNISCHE.  411 

s,  das  einem  durch  die  lioclideiitsche  lautverscliiebiiiig  ent- 
standenen £,  SS  entspricht: 

fräs  mnd.  vräs  steymetz        mnd.  stekemest 

fräser  „     vräser  metsmager        „     mestmaker 

d,  im   anlaut,   entspriclit  altgerm.  J)   (dieses  ])  wurde  im 

nord.  zu  t): 

dristig  mnd.  dristic  ags.  priste 

di  „     dien  got.  ]7eihan 

Didrik  „      Didrik  „     iDiudareiks 

i- Umlaut  vor  der  endung-  cre,  entsprechend  altn.  ari,  got. 

areis  (in  ari  wirkte  i  im  nord.  keinen  umlaut): 

forreder         mnd.  vorreder  misdseder       mnd.  missededer 

kremer  ,,     kremer 

/-umlaut  vor  der  adjectiv-endung  ig.    Die  entsprechende 

nord.  form  war  agr,  ugr,  seltener  igr: 

fellich  mnd.  vellich  mektig  mnd.  mechtich 

veldich  ,,      weldich 

a,  mit  voraufgehendem  j,  sj,  tj,  ausgenommen  in  satztief- 
tonigen  Wörtern  (im  nord.  trat  umlaut  ein): 

jage  mnd.  jagen  jamer  mnd.  janier 

skarlagen  „      scharlaken  jamerlig  „     jamerlich 

Einfaches  h  in  anderer  Stellung  als  im  anlaut,  wenn  nicht 
erAveichung  von  y  vorliegt  (im  nord.  wurde  b  >  v): 

sabel  mnd.  sabel  kobebe  mnd.  kobebe 

nobel  „     nobele 

Ein  nicht  im  anlaut  stehendes  t,  das  urgerm.  (/,  d,  J)  ent- 
spricht (im  nord.  ist  Ö  zu  erwarten): 

liet  mnd.  het,  heit  art  mnd.  art 

Ein  V,  entsprechend  germ.  w  vor  u,  o  und  ihren  umlauten 
(hier  schwand  im  nord.  tv): 

vund  mnd.  wunde. 

Manchmal  zeigt  ein  lehnwort  lautlich  keine  abweichung 
vom  einheimischen  wort,  und  nur  der  bedeutungswandel  kenn- 
zeichnet es  als  entlehnt.  Solche  alten  Wörter  mit  neuer  be- 
deutung  sind  z.  b.  arg,  hlide,  horgcr,  sind,  stund,  reh,  stycke. 
Es  kommt  auch  vor,  dass  ein  beiden  sprachen  eigentümliches 
wort  in  seiner  niederdeutschen  form  nicht  als  identisch  mit 
dem  entsprechenden  nordischen  erkannt  wird,  und  nun  brauclit 


412 


MARQUARDSEN 


man  beide  als  verschiedene  Wörter  nebeneinander.  In  der  Über- 
setzung der  vnlgata  kommt  mehrfach  arheyde  oh  cBrffivede 
vor.  Tautologien  sind  überliaupt  eine  häufige  folge  des  ein- 
dringens  mnd.  Wörter.  Ich  führe  als  beleg  eine  beschränkte 
zahl  von  beisi)ielen  an,  die  zumeist  der  altdän.  bibelübersetzung 
entnommen  sind,  denn  hier  begegnen  sie  reichlicher  als  in  anderen 
Schriften. 


-'ö'-ö 


dende  ellcr  hiktede  1.  M.  8,21 
finghfe  eller  begribedhe  1.  M.  7,  21 
boligh  eller  pawlun  1.  M.  12,  8 
koben  eller  mantelen  1.  M.  24,  65 
dwalde  eller  bleff  2.  M.  2, 15 
sorg  eller  bedr0vel.se  2.  M.  3,  8 
wordher  eller  bliwer  3.  M.  2,  3 
fortseres  eller  opsedhes  2.  M.  22,  5 
hellbreglide  eller  sundh  gjort.  3.  M. 

15,18 
wedkfBstse  eller  hoopp  3.  M.  4, 12 
rsedhe  eller  forfsere  3.  M.  26,  6 
steymetz  eller  kuyff  4.  M.  25,  7 
gulfingerufe   eller  gulring   4.  M. 

21,50 
aldaghen  eller  gantze  dagen  5.  M. 

28,32 


omgaf  eller  belagdhe  Jos.  10,  34 
udtbydelse  eller  tolkelse  Dom.  7, 15 
horsom  eller  Ij'delse  Rsv.  127 
gjomme  och  hegte  Esv.  561 
stemme  och  rest  H.M.  59 
lideth  och  kleynt  T.K.  17,  21 
ondskap  och  slemheth  T.K.  122, 10 
friheit  och  frelse  M.P.  104 
isevel  (egel)  seller  pinswiu  3.M.11,5 
bastes  eller  biiides  D.M.  I,  318 
d0th  oc  affgangeu  D.M.  HI,  209 
fattedom  oc  armod  H.S.  82, 28 
lym  seller  clgeg  1.  M.  14, 10 
glade  och  fro  KD.  141,1 
scheet  oc  gjort.  M.P.  157. 


Die  fremden  formen  verdrängten  die  einheimischen  nicht 
ohne  weiteres.  Es  herrscht  zwischen  ihnen  zunächst  noch  ein 
kämpf.  Der  nämliche  begriff  wird  von  einem  und  demselben 
Verfasser  bald  durch  das  einheimische,  bald  durch  das  mnd. 
wort  widergegeben.  So  lesen  wir  bald  eivig,  bald  evindelig; 
twnvel  neben  icBf]  armod  neben  fattigdom;  ividive  concurriert 
mit  enke\  gantze  mit  liele\  fager  mit  sJcmi,  froo  mit  glad.  Das 
ergebnis  des  kampfes  ist,  wie  das  neudänische  beweist,  häufig 
der  sieg  des  ndd.  Die  dänische  spräche  hat  eine  menge  ein- 
heimischer formen  zu  guusten  der  fremden  aufgegeben.  Doch 
haben  die  mnd.  lehnwörter  nicht  nur  ihnen  entsprechende 
nordische  Wörter  verdrängt.  Das  mnd.  wurde  das  medium, 
durch  das  den  skandinavischen  sprachen  ein  Wortschatz  zu- 
geführt Avurde,  der  eine  reihe  ganz  neuer  begriffe  in  sich  fasst. 
AVenn  die  dänische  spräche  dadurch  an  reinheit  eingebüsst 
hat,  so  hat  sie  an  mannigfaltigkeit  des  ausdrucks  gewonnen. 
Sie  hat  sich  allerdings  auf  kosten  ihrer  ursprünglichkeit  um 


j 


EINFLÜSS   DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHE.  413 

manches  wort  bereichert,  das  heute  ein  unentbelirlicher  hestand- 
teil  der  literatur-  und  umgangsspraclie  geworden  ist.  Viele 
der  im  15.  jahrh.  aufgenommenen  lehnwörter  sind  heute  wider 
ausser  gebrauch  gekommen.  Doch  legen  auch  diese  aus- 
gestorbenen lehnw^örter  mit  zeugnis  dafür  ab,  wie  stark  im 
15.  Jahrhundert  das  ganze  verkehrsieben  Dänemarks  mit  ndd. 
elementen  durchsetzt  war.  Ndd.  ausdrücke  für  handel,  ge- 
werbe,  Schiffahrt,  gericlitswesen,  kriegsdienst,  münze,  mass, 
gericht,  spiel  und  Unterhaltung,  kleidung,  speise,  trank,  fremde 
länder  und  deren  erzeugnisse  sind  in  beträchtlicher  anzalil 
überliefert,  und  nicht  nur  auf  socialem  und  industriellem,  son- 
dern auch  auf  dem  gebiet  des  geistigen  lebens  machte  sich 
das  dänische  die  ausdrücke  und  formen  der  verwanten  spräche 
zu  nutze. 

Ich  lasse  als  nachweis  für  den  umfang  des  einflusses  der 
mnd.  spräche  im  dänischen  des  15.  jahrh.  ein  alphabetisch  ge- 
ordnetes Verzeichnis  mnd.  lehnwörter  folgen,  die  Schriftwerken 
der  genannten  periode  entnommen  sind.  Ich  bemerke  jedoch 
ausdrücklich,  dass  eine  grenze  zwischen  der  letzten  hälfte  des 
14.  und  dem  anfang  des  15.  Jahrhunderts  nicht  scharf  und  fest 
zu  ziehen  ist,  und  dass  manche  der  angeführten  Wörter  schon 
während  des  14.  Jahrhunderts  aufgenommen  wurden.  Dagegen 
sind  deutsche  lehnwörter  aus  noch  früherer  zeit  nicht  mit  auf- 
geführt, ebensowenig  die  durch  das  deutsche  vermittelten 
lateinischen  lehnwörter,  die  sich  auf  das  kirchliche  leben  be- 
ziehen und  die  der  einführung  des  Christentums  zu  ver- 
danken sind. 

Nachstehendes  Avörter Verzeichnis  ist  auf  grund  einer  auf- 
merksamen durchsieht  des  materials,  das  mir  für  meinen 
zweck  vorlag,  zusammengestellt.  Mich  leitete  dabei  der 
wünsch,  meinen  gegenständ  möglichst  erschöpfend  zu  be- 
arbeiten. Andrerseits  folgte  ich  dem  grundsatz,  mit  vor- 
sichtiger Zurückhaltung  zu  werke  zu  gehen  und  ohne  triftigen 
grund  der  dänischen  spräche  nichts  abzuerkennen,  was  doch 
vielleicht  ihr  ureignes  besitztum  ist.  Die  mit  mnd.  präfixen 
und  Suffixen  gebildeten  Wörter  siud  in  den  zweiten  teil  meiner 
arbeit  eingeordnet,  weil  ich  glaubte,  dass  sich  auf  diese  weise 
der  einfluss  des  mnd.  in  bezug  auf  wortbildungsmittel  über- 
sichtlicher darstellen  würde. 


414  MAKQUARDSEN 

ach    ach  thu  daare,  T.Ä".  42, 19.    mnd.  ach 

alderdom  alderdom  kommer  met  sorgh  ach  werk,  H.3L29.  rnnd.  alderdöm 
agter    tha  skulle  j  akter  komme,  B.D.lßi:  ibd.123.    mnd.  achter 
alleene    tilbedendes  hauum  alleen?e,  if.il/.  3,  83;  D.3I.  JU  iO  n.  o.    mnd. 

allene 
almektig  gud  aUmtektuk,  1.  M.  28,  3;  s.  a.  D.M.  III  227;  M.B.  45,  9  ti.  o. 

mnd.  almechtich 
augestlik    thogh  saa  augestlich  aath  regne,  B.D.  I  14;  ibd.  I  175.    mnd. 

angestlich 
alto    j   skullse   sedhe  gammel  things  alzo  aelstse,  3. 3/.  26, 10.     mnd.  alto 

(sehr) 
arbeid  meth  daghlige  swarth  arbeide,  T.K.  38, 15;  s.  a.  Bsw.  158;  H.S.  1,16 

M.  0.    mnd.  arbeit 
arbeide    i  arbeydher  so  fofengelig,   if.S.  53,  35;   s.  a.  1.  Jf.  9, 18;   T.K. 

183, 17  u.  0.    mnd.  arbeiden 
arbeidsman     thi    skulle   skikke    hannum    arbedsmeu,    Bsv.  295.    mml. 

arbeidsman 
art    oc  anuamede  wü  foruempte  penniuge  met  saadau  art,  D. J/.  1 352. 

mnd.  art 
armod    Offte  ser  thet  siaelens  armodh,  T.if.  37, 1;  tfed.  45, 1;  ÜT.S.  38,32. 

mnd.  armot 
arrester e    oc  bliver  arresteret  ved  fogden,  Bsv.  267;  s.  a.  BJcr.  4647  tt.  ö. 

mnd.  arresteren 
bakke    hwilcken  som  utfar  til  straudbakke,  D.JI.  V  320.    mnd.  büke 
balgh    eil  balgh  smör,  M.Gl.  (1470).    mnd.  balje 

bange  (adj.)    then  tijd  scal  wordhae  tig  banghae,   H.JI.  148.    mnd.  bange 
bannere    ponue  eth  trse  som  en  banerse,  M.B.  29,8;  s.  a.  B.D.UIbß  u.  ö. 

mnd,  bannere 
banuerferer    thu  doctoris  forleper  oc  martiris  baunerferer,  H.S.  liö,A. 

mtid.  banervorer 
barfod  {altn.  berrferttr)    barfodh  til  kyrkeu  mwnne  ieg  gaa,  Bkr.  14;  s.  a. 

B.D.  m  76.    mnd.  barfot 
barfred    Ta  forbyudhe  wij  nogrse  flere  fester  eller  barfredh  at  bj'gges, 

M.G.  1396.    mnd.  berch-borchvrede 
bar  last    hwo  som  kaster  barlast  eller  annen  urenste  uti  haffu,  Bsv.  159, 

mnd.  ballast 
baste   enghen  man  skal  bastes  eller  bindes,  D.M.  1315;  K.  (1454).  (1441). 

(1466)  u.  ö.    mnd.  basten 
Bemeu   igommeu  Tidskselaud  jgömmen  Bemeu,  J/.JR.  15, 9.    7?iHf?.  Bemen. 
bede    I  pund  rugh.    I  fett  suyn,  medt  andre  beede,    i>.3/.  IIT  39.    mnd. 

bede.     Sch.L.  2)  (abgäbe). 
belede  somme  i  beleth  oc  somme  i  uthwortes  tegu,  T.K.  91,25;  s.  a.  H.S. 

48, 11.    mnd.  beide,  bilde 
benedide  for  thit  benedide  navn,  H.S.  43,21;  s.  «.  1.  M.  9, 1.  mnd.  bene- 

dien  (fehlt  Sch.L.). 
bindexe    een  bulöxe,  en  bindaxe.    mnd.  bindexe  (bindaxt)  [dinge 

bindike  ludzer  perller,  po  henues  boylle  oc  byudike,  I>.iH. IV 317.  vmd.  bin- 


I 


i 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF    DAS    DÄNISCHE.  415 

bliaut  sameth  och  sa  bliald,  R.D.  I  27;  s.  a.  1.  M.  41,  42  «.  ö.  /»»<?.  bliant 

{Seidenstoff) 
blide  sexten  blidher  bade  the  tber  rest,  Mr.  4661;  «0^.4959;  5.  3/.  20,20. 

mnd.  blide  {wurfm aschine) 
blide    tbu  waast  baadbe  drucken  och  bliidb,  H.M.  49;  E.D.  II  314.   mnd. 

blide  (fröhlich),    (cdtnord.  bliör  hat  iinr  die  hedeutum)  sanft,  milde) 
bliwe    the  skullte  ey  bliffnre  werr?e,   H.M.  119;  s.  a.  B.C.  192;  1.  Jf.  7,  3 

u.  0.    mnd.  bliwen 
hole    hau  war  drottningis  bolffi,  J?.D.  III,  111.   mnd.  hole 
bode   (altnord.  buö)    bodhjegeld,   soin  er  want  äff  at  gaa  oc  göres  äff  the 

bother  som  standeude  bliue  ower  winteren,  Esr.  124;  ibd.  89;  H.M.  155 

n.  ö.    mnd.  bode 
bomme    hwilcken  som  bryder  stadheus  läse  fran  porte  eller  frau  bomnie, 

Rsw.  157.    mnd.  bom 
borger  hwilcken  burgher  som  will  fisckse,   Esv.  161;  s.  a.  D.C.  118;  Suso 

142,  34  n.  0.    mnd.  borger.    (altnord.  borgari  bedeutet  nur  hesatzung 

einer  himf.    Stadtbeivohner  wird  altdän.  durch  byman  widergegeben) 
borgerret    Ingen  haaudverksmand  maa  bruge  vor  torv  til  at  selge  eller 

kiöbe  iiden  han  betaler  borgerrett,  Rsv.  271.   7nnd.  borgerrecht  (abgäbe) 
borgerraester    Fogedenn,  borgemester  eller  raadmendt,   Esr.  527;  s.  a. 

D.C.  I  36  u.  0.    mnd.  borgermester 
borgerskap    och  moste  siden  sit  borgerskaff,   .Ksv.  564;   tbd.  556.    mnd. 

borgerschap 
bowe    thiu  ful«  bowte,  R.D.  II  57;  ibd.  II  70.  III  111. 
holt    Item  I  jern  holt,  D.3I.  V  215.    mnd.  holt 
holt  skulle  iugen  fremmed  kiöbmsend  selge  borgerseerret  i  holte,  A'.  (1496). 

mnd.  holt.    (Seh  L.  holt  4) 
brask    mseth  stör  thordins  slagh  aellser  brask,  2.  Sam.  7.     iinid.  brasch 
braskelig   tha  saa  mandb  badhe  bissedh  och  her  mangen  jeldh  braskelig 

Icetbe,  R.D.  I  220.    Fehlt  Sch.L. 
brast    thet  skulde  worde  them  til  brast,    R.D.  II  9   (altdän.  bryst,  brest), 

innd.  brast  (nicht  belegt) 
brefwiser    theunse  brefuisser  Astradh  Sweussöu,  il/.P.  194;  s.  a.  Rsv.  303; 

D.M.  II  35  u.  0.    mnd.  brefwiser 
brink    thu  skalt  standhe  pa  flodens  brinkte,  2.  Jf.  7, 15.    mnd.  brink 
bruge  at  brughe  them  til  syn  nytthae,  HM.  3;  s.  a.  M.R.  173, 18;  D.C.  159 

u.  0.     mnd.  brukeu 
brugelig    for  et  brugelicht  pant  annamet  oc  unfanget  haue,   M.P.  140; 

s.  a.  M.M.  VI  76;  D.C.  I  33  u.  ö.     mnd.  brukelich 
br0d    Haus  Frost  hawer  giort  .«odanne  ugerningae  imod   sit  rfethe  brod, 

K.  1433;  s.  a.  Rh:  383  u.  ö.     mnd.  brOt.    (Schl.L.  bröt  2  dienst) 
buct    saa  finghae  wy  ther  tha  paa  them  bucth,  RJcr.  1476.    mnd.  bucht. 

(Fehlt  Sch.L.) 
bulder    mod  gud  reesdhte  thu  baadhse   bulder   och  kiiff,    H.3L  49;    ibd. 

57,112;  Rkr.  1466.     mnd.  bulder,  buller 
busk    En  busck  saa  Moyses  fuld  aif  ild,    if.iT/.  13;   s.a.  2.  iH.  3, 4  u.  o. 

mnd.  busch,  busk 


41G  MARQUARDSEN 

bnrsprak    Steu  Sture  hauer  boklet  mange  steclz  bursprock   i  Swerige, 

B.C.  372.    mnä.  bursprache 
bpegermager    Claus  b?pgermager,  K.  (1492).    mnä.  bekennaker 
baere    raedh  saa  dau   btere  som  tbe  matte  leweiidis  wsere,    B.B.  11  13. 

mnd.  bere  (boiehmen) 
bösse    ij  sware  busser,  item  V  busser,   K.  (1454);   s.  a.  BJcr.  4922.  4959. 

mnd.  busse 
botker    Reepwüiderse,  smedhser,  bötkene,  Esc.  84  ti.  ö.    mnä.  bodiker 
dagtiuge  {v.)    tba  dagthingethse   wij   saa  mellem  frw  Barbara  Oloff  oc 

raellem  frw  Birgittfe,   M.Gl.  1472.    mnd.  dacbdingeu,  degedingen 
dagtinge(s)    Da  skulle   alle  dagtingen  oc  breff  wpere  quitte   oc  döde, 

D.M.  II  42;  s.  a.  likr.  2867  u.  ö.    mnä.  dagediugeu,  degedingeu 
damast    VIII  ahme  gult   damask,   D.Jf.  IV316;  s.a.  D.M.  Y  214:.    mnd. 

damask 
deglig    Dog  bau  war  wijs  ocb  deylig  skapt,    iZ.Jf.  129;   s.a.  D.C  176; 

Ekr.  2217  u.  o.    mnä.  degelik 
deste    tbesstthe  bedre,  3IP.  56.    mnä.  deste 

di  wi  oc  Avore  wenuer  will  meth  bennje  di  ok  forderue,  3I.P.  12.   mnd.  dieu 
dige    Om    dige    eller   plancker   forderffues    eller   nederfalder,    Esv.  563. 

mnä.  dik 
dob    prelater  ok  alle  som  gud  gaff  dob,  H.M.  99;  BJcr.  2447.    mnd.  dope 
dobbel    Taber  nogeun  bymandz  lön  udi  dobbel,  J?si\565;  s.a.  H.M.  od 

u.  ö.    mnä.  dobelie  (Würfelspiel) 
düble    at  drickse  at  doble,   at  slaa  mig  fuld,  H.M.  166;  s.  o.  Bsv.  28  u.  o. 

mnä.  dobbelen 
dog    dog  hau  war  wjis  och  deylig  skapt,    H.3I.  129;   s.  a.  H.M.  SS;  Ekr. 

1418  u.  0.     mnä.  doch! 
doli    Hau  war  saa  doli  i  tuugse,  mr.  1364;   «M.  739.  1054;   E.D.  HI  61. 

mnä.  dol 
dranker    draukker  oc  fraatzer  oc  tbe  som  tipente  siu  bugb,   H.S.lb,il; 

s.  a.  M.B.  86,  2.    mnä.  drenker 
drek  skul  hau  al  tbennae  werldens  lyst  vyrde  sosom  drek,   H.S.hQS;  s.  a. 

Bkr.  2419.    mnä.  dreck 
dresel    item  skal  konning  haffne  sin  trsesel  i  hvert  rige,  D.C.  19.    mnd. 

dresel  (frz.  tresor) 
drinke    han  skal  tbet  met  got  oll  oc  icke  niet  drincke  opfylde,  Bsv. 29i. 
drinkebeer  och  schall  iugeu  kowenthe  driuckebeer  lade  therudi,  Bsv.28b. 

mnd.  drunke  {dünnhier) 
driste  Hvilkin  drysther  sigh  tili  ath  standhe  lengher,  Bsv.  89.  mnd.  dristen 
dristich  som  storse  oc  sterck«  wore  oc  dristige,  M.B,  174,  5.  mnä.  dristich 
drummedari  II  diur  kalles  drummeldarii,  B.D.lllWb.  m>id.  drummeldar 
dr abelig  wij  wäre  saa  drabelig  glade,  jRÄ;r.  3018;  «fcrf.  1458.  »«nrf.  draplik 
dr0ve   (subst.)    huo  andhet  g0r  hanuum  tymes  dr0ffu8e,   H.3I.  123;  s.  a. 

B.D.  II  74.    mnä.  drovenisse 
dr0velig  oc  theune  drollig  thing  heuder  mag  ofte,  HS.  Gl,  12;  ihd.  80,  23. 

mnd.  drovelik 
djAvel  aller  sa  ieg  ieu  leder  dywel,  B.D.  19.   7nnd.  duwel.  (Die  gewöhn- 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF   DAS    dXnISCHE.  417 

liehe  form  ist  djaevel.    Bas  meld,  wort  scheint  hier  mit  rücksicht  auf 

den  reim  hywel  geivähU.) 
edel  francizcus  then  xülae  försthse,  H.M.  6;  Luc.  51;  1>.C.  142  u.  ö.    mnd. 

ed(d)el 
elende  {adj.)  moderlöse  oc  fadherlöse  beru,  pilegrime  oc  aelende,  A'. (1440); 

ihd.  (1464).    mnd.  elende  (Sch.L.  1)  heimatlos 
emeker,  ernst    2  fad  emstöU,  D.M.IY  S18;  s.a.  A'.  1461.    mnd.  emkes, 

embsch  (ein  beckisch) 
end recht    i  kerlighet  oc  endregt,  H.S.  34,  3;  s.  a.  B.C.  18;  Rsv.  127  u.  o. 

mnd.  e(i)ndracht 
endrechtelig-    ath  vy  af  ju  berad,   hu  och  endracteligh  samtj'cke,    M.P. 

326;  s.  a.  Bsv.  297:  H.S.  43,23.     mnd.  e(i)udrechtich 
engelsk    een  sengilsk  eller  thre  smaa  paenninge,   ilf.P.  319;  s.a.Usv.  94; 

B.C.  180  u.  ö.    mnd.  eugelsch 
engsei    edher  trangh  aellser  senxsil,  Fiith  l,iS.    zu  mnd.  enge 
enig    och  elske  hannuiu  for  then  euigeskse  Gud,   H.M.  3;   ibd.  122;  3LP. 

58, 14  «.  ö.    mnd.  e(i)nich 
ewig    meth  troskap  göre  oc  bewise  scule  til  ewich  tiidh,  Bsv.  124;  s.  a. 

Bkr.  3157;  Luc  15  ti.  o.    mnd.  ewich 
fadiug    en   fading   gjorth   meth   konsten   fuld,   Ekr.  2283.    mnd.  vating 

(halskette) 
falsk  (subst.)    sorn  thu  holder  swo  met  falsch  och  swig,   H.M.  3i;   s.  a. 

R.B.  II  276;  B.C.  I  20  u.  o.    mnd.  valsch 
falsk  (adj.)  äff  thenne  falsk  verden,  H.S.  101,  20;  s.  a.  H.M.  122.  135  u.  ö. 

mnd.  valsch 
falske    tha  arbegdh  the  at  falske  henne,  Ü./S.  38, 15.    «mcZ.  valschen.    Bas 

tcort  ttmrde  als  vals,  valser  schon  früh  dem  lat.  entlehnt,  vgl.  Kristensen 

s.  37.    Lifolge   mnd.  einflusses  bekommt  seit  dem  15.  jahrh.  die  form 

falsk  das  übergewicht.  S.  Cleasby:  'falsk  occurs  only  in  the  15 '^^  Century', 
fane    met  process  oc  kors  oc  fane,  M.B.  137.    mnd.  väue 
fare  (subst.)    the  bserse  tha  frycht   och  mogel  fare,    H.M.  42;    s.  a.  Bkr. 

869;  B.B.  114  u.  ö.    mnd.  väre  (gefahr) 
fare  (v.)    for  hannum  törff  oc  intet  fare,  B.B.  II 10.    mnd.  vären 
farende    Her  Stygges  m0ller  skulde  hawe  haus  farende  koste  igen,   K. 

(1464).  (1441).    mnd.  vareude 
farge  (v.)    hau  fargede  alth  syth  glawu  i  haus  hiertse  blöde,  B.B.  III 127; 

7)}nd.  farwen 
farlos    til  graven  maa  jeg  farlöst  gaa,   if.ilf.  168;   ibd.  IbB;   iJf.P.  400. 

mnd.  varlosen 
fart    tho  gik  ieg  til  alt  meth  eu  farth,  Bkr.  31;  ibd.  1929.    mnd.  vart 
fastelagen    nu  fastelageu  usest  forleden,  K.  (1500).    mnd.  vastelaveut 
fei  de  (subst.)    hser  met  skulle  alle  feydhe  oc  twsedrecht  usether  legges, 

K.  (1346).    mnd.  veide 
feide  (v.)    oc  skule  aldrigh  noge  äff  Swerige  feyde  wrecke  eller  heffuse, 

B.C.  330.    mnd.  veiden 
feiig  (adj.)  frii  oc  felighe  tili  oss  at  komme,  B.C.  250;  s.  a.  B.M.  III 188; 

B.B.  III 13  ti.  ö.    mnd.  velich 


418  MARQUAUDSEN 

feiig  (subst.)    ther  the  ser»   algladest  och  ventse  töm  felich  och  roo  at 

haue.   Lucid.  58.    innd.  velich 
feie    met  thenne  wort  ohne  breff  feie  oc  leydhe  her  Aghe  Axels0n,  D.C. 

250.    mnd.  veligen 
f  icth   ieg  offuedhfe  uieg  i  kry  och  ficth,  Hkr.  179;  ibd.  197.  800.  mnd.  vecht 
ficthe    han  skirmse  eller  fiktser  for  edhser,  6.  M.  20,4;  s.  a.  Rkr.  831.  835. 

mnd.  vechten 
fin  Kouing  roleffs  dotther,  bode  fawer  och  fin,  Rkr.  2004;  ibd.  389.  mnd.  fin 
fingerne    hun  gaff  her  Iwan  eth  fingerue  äff  gull,  B.D.  II 155;  s.  a.  H.M. 

16;  U.S.  26, 11  u.  ö.    mnd.  vingereu 
fingerliu    tha  sa  hertoghen  sa  offthe  pa  hans  fingerlin,  JR.D.  1236;  ibd. 

259.    mnd.  vingerlin 
flugt   XI  kempper  gaffne  ther  tha  fluct,  Rkr.  1475;  s.  a.  1.31.  16,7;  D.M. 

1,  208  n.  0.    mnd.  vhicht  , 

flugtig    hwilchpe  staedher  skullse  vaerse   j   fluktuge  maeuz  hielpae,  4.  M. 

35, 11.    7nnd.  vluchtiig 
floiel    V.  alne  floeyell,  D.3L  IV  316;  ibd.  VI  268.    mnd.  fluweel 
foderdug    halffemte  al.  foderdugh,  K.  (1441).    mnd.  voderdök  i 

folde(bord)    Item  II  follebiirdb,  D.M.  V  214.    mnd.  \o\de  (ta fei)  ' 

forblseth    eu  riug  oc  ith  forblseth  forsainlet  til  eii  borde,   D.ilf.  III  332. 

mnd.  vorblade 
förborg    halue  delen  ij  aide  forburghene,   3I.F.  188;  M.Gl.  (1454).    mnd. 

vorborcbte  (vorwerk) 
fördeel    Swo  mughse  the  faugae  theu  samse  fordeel,  H.3L  119;  s.  a.  Rkr. 

3016;  3I.R.  22,  8  u.  o.    mnd.  vordel 
forespsenne    aermsespenuae  oc  forespoeuae,  1.  ilf.  38,  35.    mnd.  forespau 
fordre    och   medtborgere   f ordre   och   fremme,    Rsv.  528;   s.  a.  K.  (1450); 

Rkr.  2578  u.  ö.    mnd.  vorderen 
förgang    naer  du  seer  eller  foor  ath  veths  nogher  things  besynnerlig  för- 

gang,  H.S.  181, 14.    mnd.  vorgank 
fremmed  Kommer  nogen  fremmed  kiöbmand  til  nagen  kiöbsted,  Rsv.  501; 

s.  a.  ibd.  544.  545;  H.S.  3,9  ii.  o.    mnd.  vremde 
fri  (f.)    oc  byndher  jeg  mic  tel  at  frij  oc  hemblae  alth  thettae  forscriffnae 

gardh,  M.P.  188;  s.  a.  Rkr.  219.    mnd.  vrien 
fri  (adj.)    äff  viliaende  oc  fri  gudelighet,  H.S.  62,15;  s.  a.  H.M.  140;  Rsv. 

185  u.  0.    mnd.  fri 
frilig    at  jeg  motte  offer  frilig  alle  tbesse   thing,     H.S.  114,34.    mnd. 

vrilich.    {Das  ivort  fri  war  schon  im  altnord.  in  der  Zusammensetzung 

frials,   ahd.  fri -hals  vorhanden.    Diese  lebt  fort  als  frsels,  fraelse.    fri 

ivurde  dann  von  neuem  ivider  aus  dem  nd.  aufgenommen.    S.  Grimms 

tvörterbuch.) 
fr 00   Jeg  er  uo  worden  staerk  oc  froo,  H.3I.  167;  s.  a.  Rkr.  4108.  4421  «.  o. 

mnd.  \rö 
from  (adj.)    betenck  om  thet  er  frommae,    H.3I.  30;  s.  a.  Rkr.  852.  2340; 

R.D.  n  8  u.  0.    mnd.  vrome 
fromme  (v.)   thet  frommede  henne  mer  aen  mek,  R.D.  II  208;  s.  a.  H.M. 

55.  56  ?(.  ö.    mnd.  vromen 


EINFLUSS    DES   MND.    AUF   DAS    DÄNISCHE.  410 

frugt    tlie  baer?P  tha  frycht  och  mögel  fare,   H.M.  42.    mnd.  vruchte 
frygte   alle  cristne  rseddis  oc  fröcted,  lll).  III  109;  s.  a.  Mr.  2274;  H.M. 

66.    mnd.  vruchten 
frugtsommelig    nar  Gud  will  giffue  sin  naade  att  skoffuen  fructsom- 

melig   worder,    D.3f.  HI  41;    s.  a.  U.M.  12;    H.S.  116,9   ti.  ö.    mnd. 

vruchtsam 
Fryseii    I  Fryseii  skattsedse  ineg  hwer  mand,  Ekr.  2851 ;   «M.  4258.  mnd. 

Frisen 
fräds    girse  med  fratz  til  reedhse,  H.M.  hl;  s.a.  5.  M.  21,20.   mnd.  vräs 
frädsere    drankher  oc  fraatzer,  H.S.  75,11.    mnd.  vräser 
fule  {v.)    mith  elskelig  andl.  fuledes  off  spyt  och  blöd,   H.S.  19,18.  mnd. 

fülen  (beschmutzen) 
fulbyrd  rneth  luene  ryghens  radhs  fulbord  och  wilghe,   D.C\1;  s.  a.  Rsv. 

93;  MF.  114  u.  ö.    mnd.  vnlbort 
fulbyrde  (f.)    Intet  testamente  maa  fulbiurdes  eller  udgituis,   Rsv.  508; 

s.  a.  CD.  176.    mnd.  vulborden 
fuldmagt    iac  hawer  giuit  en  erlich  man  foldraacht,  ilf.P.  173;  ibd.21d; 

Rsv.  87;  -D.il/.  I  271  u.  o.    mnd.  vulmacht 
fuldmegtig  thes  skuUse  wy  wserse  fulmektigue,  Rsv. 91.  «j«fZ.  vulmecbtich 
fund    mange  fund  oc  synd  ögis  blaudt  folket,    Rsv.  127;    s.  a.  Rkr.  389. 

4352.    mnd.  vunt   (Sch.L.  2) 
fyrbßter    fick  jeg  oc  Per  fyrb0tther,  K.  (1498).    mnd.  vurboter 
ffedder    swaffwer  «Her  gudfather  peller  ftieddher,  3.  iJi.  25, 49.  mnd.weMer 
fselde    huad  the  fellae  thet  wsere  oc  bliwe  feld,   Rsv.  26.  27.    mnd.yeWen 

(Sch.L.  4) 
föge  (suhst.)  then  mur  ser  giord  ful  wsel  til  f0ge,  R.D.  I  318;  s.  a.  III 105; 

Rkr.  4869.    mnd.  voge 
f  0ge  (adj.)    thu  skalt  ey  taghe    ksermaal  for  föghe  thiug,    H.S.  42,  29. 

mnd.  voge 
föge  (v.)    them  vil  leg  fßghae  tili   lighe,    H.M.7S;   ibd.  12;   M.R.26,4:. 

mnd.  vogen 
fölgebrev    Breffue,  fundation,  folgebreffue, 
föle  (subst.)    udi  hans  syn,  d0n  eller  follse,   3I.R.  146,21;    s.a.  Mr.  446. 

mnd.  vole 
feie  (v.)    ath  fölse  om  han  mar  stserk,  Rkr.  854.    mnd.  volen 
förstinne   raeth  thenne  jsamme  aedlse  förstynue,  M.P.  129;  ibd.  133;  Rkr. 

4930  u.  0.    mnd.  vurstinne 
forstlig  hans  naade  förstinde  ach  förstelige  börn,  Rsv.  822.  wmrf.  vurstlik 
fitalje  englien  skulde  litstsedhe  uoghre  fittalghe  ut  at  seile  äff,  2>.6'.  111; 

s.  «.  Rkr.  3236.    mnd.  vitalie 
gans(k)e    ien  moghet  gammel  bog  oc  gants  lille,  H.S.  150,17;  s.  a.  H.M. 

30 ;  M.R.  36, 11  u.  o.    mnd.  ganz,  gans 
gast   ey  toordhen  ey  liungild,  ey  nogher  gast,  H.M.  23;  ibd.  75;  Rkr.  248. 

mnd.  geist  (fries.  gast?) 
geysel    met  geysler  wort  hau  slagen,  H.M.  26  mnd.  geisel.  Bie  gewöhn- 
liche form  ist  gisel,  isl.  gisl 
(hellig)  geist-huus,  Rsv.böl;  s.  a.  Ä'.  (1443).  (1477).    mnd.  geist 


420  MARQUARDSEN 

g-estlig    thet  er  badde  gestelig  raeth  oc  werdelig  rpeth,  K.  (1425).    mnd. 

geistlich 
gire  (v.)    im  bidh  oc  u\i  tidh  r0rdes  tlien  böghligh  hugh,   oc  tha  thettse 

girsedes,  H.S.  11,  27;  s.  a.  B.D.  III  64.    mnd.  giren  (altnord.  girna) 
girig    han  ser  gyregher,  H.S.75,2ö;  ihd.  129,6.    mnd.  girlik 
glaven    at  glavindh  stod  udh  midh  rygebien,  B.D.  II  118;  ihd.  114;  4.  Jf. 

33.  55  «.  ö.    mnd.  gleve,  glave 
glavenstage    wil  ieg  tage  en  glavenstage  aif  lern,   B.D.  III 151.    mnd. 

glevieustake 
gode  insend    huilkeun  god  manndt  annen  will  arge  paa  liff  eller  godtz, 

D.C.  196;  s.  a.  K.  (1468).  (1492).    Im  15.  und  im  IG.jahrh.  allgemeine 

bezeichnung  für  adlige,  besonders  wenn  sie  keine  ritter  tvaren.    mnd. 

gude  mau 
giidspeiiuing    eu  liwid  peuuiug  til  more  bradere  luis,   then  hwith,   som 

mau  kaller  gudz  peuningh,  K.  (1403).    mnd.  godespenuink 
grot    hwer  marken  saa  goth  som  fsem  skiling  grood,  M.P.  195;  ibd.  295; 

Bsv.  147  u.  0.    mnd.  grote  {münze) 
groff    mandrap  eller  anner  groff  brödhse,    Esv.  87;   s.a.  D.C.  ^12;   M.B. 

114,  7  u.  0.    mnd.  grof 
grue    tha  gruede  thet  at  stryde  meth  oss,  B.D.  III 124.    mnd.  gruweu 
gry selig  Iseg  paa  tith  hiarthe  thesse  grBeselighe  ord,  H.M.  38;  s.  a.  H.S. 

19, 1.    mnd.  greselik 
Greken   keyserens  stadh  i  Greken,  M.B.  6,2;  s.  a.  Bkr.  1133.  1023.  2056. 

mnd.  Greken 
grabe    thu  skalt  ikke  göre  thie  utskoren  sellaer  gröpt  thing,  2.  3f.  20, 4; 

ibd.  5.  M.  7,  25.    mnd.  gropen  (schnitzen) 
gylden  ottesiudztiuge  rinske  gyllene,  il/.P. 204;  s.  «.  D.ai62;  i>.J/.  VI268 

u.  0.    mnd.  gülden 
g'unst,  gyn  st    off  vor  synderlige  gunst  och  nade,  Bsv.  92;  s.  a.  H.M.  46; 

Bkr.  160.  274  u.  ö.    mnd.  gunst 
gynstelig    som  hau  siu  nadis  apne  breflf  gynstelighe   for  mik  screffuet 

haffde,  D.3I.  11  9.    mnd.  gunstlik 
gaek    hwilken  som  bleff  en  qwindes  gech,  H.3I.  13.    mnd.  geck 
gpekke    tith  ser  menniske  likth  ath  ladhe  sig  gsekke,  T.A'.  135, 13.    mnd. 

gecken 
hagebösse    III  b0sser  oc  II  hagheb0sser,  D.3L  V  215.    mnd.  bakebusse 
hagelvserk    Jeg  spranck  offner  köghe  haffuelwserk,   Ä3/.  169;  i?s».  206 

u.  ö.    mnd.  hakelwerk 
halsbjerg  ther  ower  haffdse  han  ieth  halsbierk,  jR.D.  1210.  ?«n(i.  halsberch 
handfred    then  forwessedse  handfreth  som  mellum  drothuiug  Margrete  och 

hertiginnen  off  Sleswig  wisset  och  lonet  war,  K.  (1409).   mnd.  hautvrede 
handf?esting    andre  apne  breff,  i   bwilke   som    wor   handfestuing   skall 

stände,  K.  (1440).    mnd.  hautvestinge 
handslset    o  handslset  o  manne  hiserte  innerst  suk,   H.S.  17,21.    mnd. 

hantslach  (das  schlagen  der  hände  ineinander  zum  zeichen  der  trauer) 
bärge  (subst.)    Maudhen  scal  gaa  met  harghse  och  plow,   H.M.  156;  s.  a. 

D.M.  V  215.    mnd.  harke 


EINFLUSS    DES    MND.    AUF    DAS    DÄNISCHE.  421 

hanske    eider  metli  eu  stolhaiiske,  Rkr.  1709.     vuul.  bausche 

harnske,  harnisk    bath  tbam  legge  tberis  hanisk  paa,  i^.D.  11131;  ibd. 

1277;  Mr.  1804.     mnd.  hämisch,  harnsch 
harenskmager  steghere  basiuiere,  barniskemagere,  ^".(1458).  ■»nnrf.harnsch- 

raaker 
hast    han  wil  thet  haffue  met  en  hast,  H.M.  G9;  ihä.  160;  Bkr.  1696  u.  ö. 

mnd.  hast 
hastelig    tba  wort  Kayn  wredh  basteligbe,  1.3/.  4,  5.     mnd.  bastelike 
hastemod    hwilckeu  aniier  kaller  skalck  eller  annet  tbes  lighes  1  hasteraod, 

Esv.  167;  s.  a.  K.  (1443).    mnd.  bastraot 
hastig    meii  wordher  strax  bastngh   oc  uroligb,    T.K.  ilh,h;    s.  a.  R.D. 

III  78.    mnd.  basticb 
hege  wor  kouniiiglic  friidb  wteru  oc  ba3ghe,  A'.  (1426);  /örf.  (1422).  iiind.hege 
bellig    pteblinger  scal  bedbes  btelacbt,  3I.F.  133;  s.  a.  D.M.  III 187.   mnd. 

hillich  hebben  {frei  haben).     Diese  bedetitung  scheint  entlehnt ;  das  tv ort 

selbst  ist  einheimisch 
heyl    Wilt  thu  haffue  lockne  och  siteleus  heyl,  Jff.il/.  163.    mnd.  heil 
h engst   maller,  gul  ok  sylff,  hiugxste,  bsestge,  stadb  oc  wilhors,  i^/.P.  237; 

s.  a.  M.B.  129,  8.  188,  3.    mnd.  hingest,  bengest 

hingst  ist  in  der  angeführten  stelle  nicht  als  pferd  im  allgemeinen, 

sondern,  loie  nach  der  auf  Zählung:  bingxte.  hfestse,  stadh  zu  schliessen, 

als  unverschnittcnes  münnlicJies  pferd  zu  fassen.     Diese  bedeutung  kam 

erst  im  lö.jahrh.  in  Deulschland  auf.    (S.  Heyne,  Wtb.) 
hellede  i  fedaelse  bseladbe!  E.i>.  III  63;  ibd.  1347.  II  340;  s.a.Bkr.U2B. 

mnd.  helt 
berieusen   Kaller  mau  anneu  tbiuf  eller  heriensen,  J?s/;.  26.   wimZ.  berien- 

sone  (Jiv/rensohn) 
herienshed    thu  skalt  wäre  middgoreligh  paa  thit  folkaens  bserisesheeth, 

2.  M.  32, 12.    mnd.  bergenscbeit 
bermelin     tu  temmer  hermelyndb,  D.ilf.  IV  316;    s.  a.  B.D.I127.    mnd. 

bermelen 
hebe    klostermend  och  prsester  fylger  met  i  hob,  H.M.  99;  s.  a.  MB.  34, 15; 

1.  M.  22,  9  u.  ö.    mnd.  höp 
(til)  höbe    Äff  sorg  thiuae  tsender  gaa  tba  til  bobse,  H.M.  1^8.  mnd.  to  hohe 
hofferd    äff  stör  hofferd  vidae  tee  ey,   B.D.  UI  40;   s.  a.  M.B.  73,22  u.  ö. 

mnd.  hovart,  hochvart 
hoff  aerdig    den  bogfserdige  konningh,  E.D.  III  99.    mnd.  boverdig 
bofmestere    Erik  Otteson,  hoffmester,  D.C.  208.     mnd.  bovemester 
hofwerk    thet  fyrste  hun  the  hoffwerk  saa,  B.D.  IL  77;  ibd.  III  41 ;  Bkr. 

1704.    mnd.  hovewerk 
hof sinne    jeg  kalledse  myne  bofsynner  bvser  meth  seg,    Bkr.  1523.     mnd. 

bovesiune 
högber  Bode-karlle  och  quindere  högher  oc  bogiskier,  Bsv.28b.  mnd.hoker 
hogiskier  {siehe  oben),  Bsv.  28ö.    mnd.  hokersche 
ho  gm  od  ig    tu  sielver  est  so  gyreger  ok  homodig,  B.D.  IV  112 
holk   trebundrede  holke  bade  ieg  til  sßes,  Bkr.  2b05;  «M.  2169.   »jm^  holk 

{lastschiff) 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  28 


422  MARQUAliDSEN 

Holtzen   niellora  Danmark  oc  boltzen  teslige,  J?/rr.  3152;  ibd.Uflb.    mnd. 

Holsten 
hovedbrev    som  thet  liovedbrev  udwiser.  7i.  14-62.     ?»«/?.  hovecll)ref 
hovedbanuer    at   haffiie  drabeth   meth   liimen  fore  spissen  äff  haffiietb 

baimeretb,  D.M.  I  2()7.     mnd.  hovedbauer 
busvsert  baus  hussevaert  skal  sige  bannom  det  er  stadsseus  loug,  Esv.ldl. 

mnd.  buswert 
buse   buo  som  bielper  eller  buser  denn  som  stadenn  saa  will  om  gaa  met 

skade,  Esv.  552.    mnd.  bnseu 
bysken   worde  the  slsebeth  ok  kästet  uuder  ett  bj'sken,  F.D.  111,72;  s.  a. 

Uhr.  592.  598;  Jisv.  517.    vvnd.  buseken 
bäbe  (r.)   hopes  tbom  at  te  tbet  ey  giordse  raetb  ursette,  D.M.  1368;  s.a. 

das.  VI  124  II.  0.    mnd.  bopeu 
hsegte  (subst.)   tba  skal  ban  ssettes  i  byes  becbte,  Bsv.  163;  s.a.  H.S.  76,6 

u.  ö.     mnd.  becbte  (gefängni's) 
bsegte  (v.)   eutbet  barnsk  kuune  begtbae  for  tbom,  E.D.  III  89;  ibd.  II  305. 

mnd.  becbten 
hsele    wij  kunnae  oss  ey  sckiulee  ocb  bselse,  H.M.  50;  s.  a.  Esv.  301.    mnd. 

belen 
berig    at  wäre  oss  borugbe  ocb  Ij'duge,    D.C  152;    s.a.  Xmc.  32;   B.D. 

III  7.     mnd.  boricb 
icbt   icbt  brydber  sender  baadbse  feder  ocb  baender,  H.M.  171.  mnd.  gl  cht 
indbolt    saa  stercke  wore  tbe  paa  indbolt  oc  plaucker,  Esv.  1533.    mnd. 

inbolt 
indkiobe  denn  wäre  som  bandt  derfore  indkiaber,  Esv. Ml.    mnd.  inkepen 
jage  ille  göre  i  atb  i  iageth  then  bwnd  sa  lenge,  E.D.  III  70;  ibd.  III  36. 

mnd.  jagen 
j  se  g  e  r  e   ban  war  en  starck  jegeree,   1.  M.  10, 9 :  s.a.  ME,  132, 13.  mnd.  jeger 
jsegt    skal  engen  boude  uagber  jsekt  atb  tagbe,  AT.  (1446);  s.  a.  3.31. 17,13: 

1.  M.  27,  3  u.  ö.    mnd.  jacbt 
jakant    pa  haus  bielm   skien  jen  lyus  karbunkel  stien  i  bans  nackse  ien 

jackantb,  ED.  I  320.    mnd.  jacbant 
jamer   burlundb  kau  tbettse  leffnetb  selskes,  som  haffuer  i  sigh  swa  meget 

iammer,  T.K.  119,  3.    mnd.  jamer 
jamerlig    sa  jamerlig  tba  epte   ban,   E.D.  122;   s.a.  Eh:  2440.     mnd.  f 

jamerlik  j 

jsevel    isevel  eller  pinswin,  3.  3f.  11,5.     mnd.  egel 
kag    tba  skal  han  hustrygis   til   kaghen,    Esv.  200;    ibd.  500  u.  o.    mnd. 

käk  (schandpfahl) 
kakerbille    kakerbille    ocb   Somsoss   fledye,    K.  (1411).    mnd.  kakebille 

(eine  art  bier) 
kämm  er     \  busser  met  XV  kammer,    K.  (1454).    mnd.  kamer   (behältnis 

für  ladung) 
kammermester    her   Eggert    Frilles    wor   kammermesteres   regbenskap, 

D.C.  19;  ibd.  40;  31. E.  167, 15.    innd.  kammermeister 
karamerwagen    then  karl  som  leb  hos  myn  ixnge  berres  camraerwagen, 

D.M.  1 174.    tnnd,  kammerwagen 


EINFUISS    DES    MND.    AUF    DAS    DÄNISCIIK,  423 

kanel    met  croco  oc  tistule  oc  canel,  JI.S.  i(),  19.     iimd.  kaiinel 

krauds   Hvem  locken   ey  wil  wa-re  meth  hau  taber  kaiizen  paa  eu  stetli, 

Kkr.  1197.  98.     vi  ml.  kanze  (mlat.  cadeutia) 
keyse,  keese    hau  soui  saa  keest  er,   JJ.il/.  IIT  41 ;   s.a.  Mt.  726  n.  o. 

■III nd.  keseii,  keisen 
keyserlig   oc  tlia  soiii  kuugeu  sidendis  pa  keyserlig  stede,  H.S.  57, 19  u.  ö. 

mnd.  keiserlik 
klarlig    thet  rcgheiiskab  gik  klarligh  ok  skelich  til,  K.  (1462).  mnd.  klarlik 
klaret    bodhe  modh  och  wiu  klareth,  J^.J>.  310;  s.a.  7). il/.  IV  818.    mnd. 

klaret  (wein) 
klaret   badh  keysereii  stede  i  basuuer  ok  i  klaritter,  J?.D.  III  73, 27.    mnd. 

klaritt  (trompete) 
klattig    Och  kongeu  hau  mine  klsedher  saa,   ath  the  hende  saa  klattige 

om  mig,  Bkr.  2629.     mnd.  klatterich 
klein    tha  «r  Imn  ren  oc  soo  cleyn  äff  nature,  Luc.  31;  s.  a.  3.  M.  13,30. 

mnd.  klein 
kleyensmid   äff  kleyensniid  embite  eeth  par  simrte,  Ä".  (1496).    wnrZ.  klein- 

smede 
kleinodie    gul),  sylff  och  klenodie,  D.C.  I  76;  s.  a.  Bkr.  2286  u.  ö.    mnd. 

klenede,  kleinode 
klovelog    redlegh  ok  kloff'legh,  4.  iV/.  11.  5.     mnd.  kluflok 
klus    i  Lumbardy  ther  Stander  jeth  hus  hwilked  man  kaller  Berne  klus, 

B.D.  II  3.     mnd.  klüse 
klseg    skowens  dall  haffde   monglie  Ij'ins  aeller  claegs  kelde,    1.  ilf.  14, 10. 

mild,  klei 
knabe    knablmer,    boffmen,   kobstsedhemen,    D.C.  1 152;    s.  a.  i?^T.  1344; 

Bsv.  25  u.  0.     mnd.  knape.    (Das  p   ist  wol  auf  dün.  boden  erweicht 

worden,  s.  Grimms  Wtb.) 
knub    lighse  som  een  man  hade  drageth  ther  frem  een  stoor  knub,  M.R. 

105, 10.     mnd.  kuobbe 
kobebe   fructen  er  skapt  som  kobebe,  3I.R.  25,12;  s.  a.  B.D.  1323.  mnd. 

kobebe 
kode    baadhse  keylser  och  koder  slar  ieg  paa  iordh,  H.M.  166.    mnd.  kote 
kokodrille    oc  siunerlighe  serje  ther  kokodrylly,  M.B.  105,6;  ibd.  187,26; 

3.  M.  11,  29.     mnd.  kokedril 
kompani   thet  som  the  fongse  skimt  oc  kompseny  äff,  M.B.  129,10.    mnd. 

kumpenie 
korde   en  kappe  graa,  oc  ther  til  en  monckse  korde,  Bkr.  4243.   mnd.  korde 
korteer    alten  alne  och  eet  korteer,  i>.iU.  I  270 
kowent    kowenthe  eller  drinkebeer,  i?si'.  285.     mnd.  kovent 
karacht    han  wisthse  allse  yrthers  dygd  och  karacht,    H.M.  131;   ibd.  96. 

128;   an  den  beiden  letzten  stellen  ist  krafft  geschrieben;  der  reim  auf 

macht  beweist  aber  die  ausspräche,     mnd.  kracht 
kram   at  nogher  kremmere  skule  stände  udhe  meth  theris  kram,  Bsv.  199; 

s.  a.  BD.  II  308;  K.  (1443).    mnd.  kram 
kravel    pa  then  gamle  krauell  gaff  jeg  skibmendene  manetz  penninge, 

A'.  (1487).    mnd.  krawel  (scltiff) 

28* 


424  MARQUARDSEN 

kredenciebrev   meth  wor  nadighe  herres  credencie  breff,  D.C.  111.    mnd. 

credeucie 
kreds    ther  forse  gik  ieg  meth  too  i  kretz,  Esv.  892;  ibd.  926:  R.D.  II  54 

M.  ö.     vuid.  kreis 
krig  (s.)   theu  kriigh  oc  orlogh,  D.C.  109;  s.  a.  Rkr.  1135.  1397  m.  o.    mnd. 

kricli 
kr  ige  (r.)    han  thordse  ey  krj'  men  giorde  en  pacth,  Bkr.  962;  ibd.258o. 

mnd.  krigeu 
krag    hwer  foghet  ladhse  byguae  krow  pa  hiiserie  fire  mile,  M.P.  56:  s.  a. 

Bsv.  526.  825.    mnd.  kroch,  krach 
krud    vellucteude  yrter  oc  dyrefule  kryde,  if.S'.  40,  20.    mnd.  krüt 
krutz    en  kalk,  en  krutz,  et  gulde  ring,  V.M.  III  382.   mnd.  krüze.    (Die 

gewöhnliche  form  im  dün.  ist  kors) 
kruse   thith  krusedhse  haar,  i?.3/.  31;  ifefZ.  164.    wmd.  krusen 
krykke   Krecken  iindher  then  andhen  arm,  H.M.llO;  ibd.lb;  E.D.  III 174. 

mnd.  krucke 
kraeft    11  iern  hatthe,   III  ki'effther,   en  kaffue,    D.M.  V  218.    mnd.  kreft 

(brustharnisch) 
kragerske    item  maa  hwar  man,  bode  bürgere  oc  krewerske  haue  danst 

eil,  Bsv.  147;  ibd.  63.    mnd.  krogersche 
kulsaetter    sester  Aelseff  Eriks  datter  IV  alne  kulssetter,   D.Jf.  III  300. 

mnd.  kolsesser  {Colchester) 
kuust   synde  mot  bogheligh  konst,  H.S.  2, 11;  s.  a.  Bkr.  437.  430;  Iaic.  154 

u.  0.     mnd.  kunst 
kuust  ig    ey  konstig  er  ieg,  ey  wiis,  ey  snild,  H.M.  68.    mnd.  kunstich 
kure   then  knre  blseste  i  sin  ludh,  B.D.  I  7;  ibd.  11  245;  Bkr.  1517.    mnd. 

kure  (wächter) 
kysk    han  war  kiosk  then  edele  mand,  B.D.  I  281;  s.  a.  Bkr.  2944.    mnd. 

kusch 
kär   kor  gifwes  edher,  uthwaelier  idagh,  Jos.  24, 15;  s.  a.  D.C.  1  u.  ö.   mnd. 

kor  (altnord.  kiörr) 
ksede    et  hoffuet-gull,   en   ksedhe,    et  halsbond,    D.M.  IV  316  u.  ö.    mnd. 

kede 
kaemener   item  skulle  tuo  allmuges  men  wsere  kaemener,  Bsv.  214.    m)id. 

kemener 
kßbmandskab   Huo  som  ferer  falsk  Kiöbmanskaif  iude  i  Rigidt,  Bsv.  Ml. 

ibd.  548.  197  u.  ö. 
kekkemester    embitz   mendt,   som   ere   Kjögemestere,    Bsv.  533.    mnd. 

kokenmeister 
kekkentyg    og  eet  got  keckentyg,  D.C.  75.     mnd.  kokentouwe 
kan    han  war  en  ksempe  ken,   Ji;.D.  I  82;   s.a.  Bkr.  Qi.  181.  314.    mnd. 

kone 
kölnisch  wicht   tiughe  lödich  mark  lödich  sölff  kölnisch  wicht,  M.P.151. 

mnd.  kollensch  wicht 
lak    ath  ieg  kunne  hade  the  samme  lack,  Bkr.  1614.    innd.  lak  (fehler) 
landfaering  uden  rsette  landfseringe  som  komme  fra  höstmarket,  Bsv.  199. 

mnd.  lantvarink 


EINFLÜSS    DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHR.  125 

landvarje    Inva  ther   will   jefter  bliffne  i  Runzeffall  som  laiidwarie  war, 

R.D.  III 159.    mnd.  lantwere  (grenzscheide) 
leyde  (s.)    konningens  leyde  gaa  oner  alt,  Rsv.  161.    mnd.  leide 
leyde  (r.)    item  niaa  peugen  wonllie  leydhet  uti  stadheii,    Rsv.  161;   s.  «. 

1).C.  199.  250  i(.  0.     mnd.  leiden 
leydehunt    inet  leydehunde  hiorth  ;vt  lede,  B.]).IQ2.     mnd.  leidehunt 
leytsk  Jen  briin  leisk  kabe,  K.  (1466);  .s.  a.  Ksr.  211 :  V.M.  VI  268.    mnd. 

leidesch  (J.ei/dener  tncli) 
lidkob   00  drycker  ther  ledköp  nppa,  Rsv.  151;  ihd.bi"!;  A'.  (1443).  (1479). 

(1496).    mnd.  litköp 
ligerwis    ligberwiis  som  adam  han  giordhse  strseng  penitentz,  H.M.  159; 

ibd.  142.  116.    mnd.  likerwis 
lig'g-ere   skulle  enge  gester  eller  kopiusen,  som  ikke  ivre  liggere,  A'.  (144.')). 

(1485).    mnd.  liggen  {von  lettten,  die  mit  einem  schiffe  ausliegen) 
liseu   munne  the  wordbe  thes  meer  lisen  i  there  arbegd,  U.S.  85,  22.    mnd. 

lise 
lev    thet  «r  megh  lefft,  R.B.  11 18;  ibd.  I  196.     mnd.  lef 
leve  (r.)    en  af  syne  gode  men  ther  kan  lyffue  almoen,    K.  (1492).     mnd. 

leven  (lieh  sein) 
levelig    ban  taled  til  hannuni  saa  lewelig,  i?.!).  I  301.     mnd.  leflik 
lod    XIII  loth  got  br^ndt  solffue,  J^.J/.  III  332.     »md  16t 
1  od b esse   ij  stenbosser  ok  en  lodbasse,  A'.  (1487);  efcrf.  (1486^.  (1454).    imid. 

lötbusse 
lodsmand   en  kyste  met  beer  som  een  loedzman  tilborde,  AT.  (1482).    mnd. 

lötsman 
Lojes    tili  at  boldse  sente  Loyes  en  msesse,    D.ilf.  III  332;    ibd.  336.  337. 

mnd.  Loie  (Eligius) 
love  (ä.)    then  gude  tro  och  loffue,  D.M.  II  19.     mnd.  love 
love  (f.)    ingen  quinde  tha  wil  jech  low«,  A'.Z).  II  55.     mnd.  loxen,  leven 
lüde    nokra  breff  Indende  pa  thette  forskreftne  godz,    3I.F.  157;    ibd.  123 

H.  0.     mnd.  luden 
lubesk,  lybesk    skylduch  at  wserse  öretywe  Lubske  mark,  ilf.P.  218;  ibd. 

IJ.C.  160;  n.M.  V  297  n.  o.     mnd.  lubesch 
lucht  (luft)    ingläi  i  luchten,  HM.  131;  ibd.  34  n.  ö. 
lucht  (geruch)   the  yrtlier  ther  stodhe  haffde  krafftig  lucht,  U.M.  133;  ibd. 

151;  Rkr.  2419  u.  o.    mnd.  lucht 
lugte  (v.)    ok  herren  dande  eller  luktedhe  sMheetz  den  eller  lukt,   i.  M. 

8, 21.     mnd.  luchten 
lune    skulse  bliffue  thes  bsedre  i  lune,  A^r.  4982.     tnnd.  lune 
läp    Adam  bleff  siug  effther  legomsens  laap,  H.M.  127;  ibd.  13.    mnd.  lüp 
Iseste   swo  moghet  som  ieg  kan  Iseste,  H.M.  68;  ibd.  145. 165;  A.D.  II 202. 

mnd.  lesten 
Iseggre   keyseren  laeggrede  syn  hser  nser  eth  slot,  A.D.  III 25.  wiuf/.  legeren 
lödig    firse  lödich  mark,  M.P.  216;  ibd.  157;  D.O.  39  ii.  o.    mnd.  lodich 
legner    ath  teligh  ien  lewner  er  icky  til.     mnd.  lognere,   altnord.  liugari 
madskab     Uuertt   aar  IUI  peuiiiugc   äff  huer  madskabb,    Rsv.  135.     mnd. 
matschap  {Jiandelsgescllschufi) 


426  MARQUARDSEN 

111  ay    xmge  folk  gonge  til  skow  oc  hngge  mey,    H.S.  197,10',   s.a.  likr. 

1514;  K.  (1491).    mnd.  meiböm 
raaygreve    scule  broderne  hnert  aar  paa  sancte  Walburg  dag  kese  en 

broder  til  meye  grevvae,  A'.  (1441).    vind.  lueigreve 
malewerk    malewerk  eller  aiiiier  tliolik  behseudigheet,   A'.  (1425).     mnd. 

nialewerk 
maledide   maledidhe  skulle  i  wordhte,  H.3I.  öS:  s.a.  l.M.  3,17  m.  ö.    mnd. 

maledieii 
Malmersi    j  fath  uialmersy,  K.  (1454);  ibd.  (1461).    7nnd.  malmesie 
mandsl?echtig    manslechticb  skalt  tbe  bedhse,    H.M.  62;    s.  a.  Esv.  491. 

mnd.  niansleclitich 
niandskab   encbtet  forbryde  amad  theu  eed  oc  mauscbab.  /f.  (1483).   mnd. 

manschap    Sch.L.  1  {treue  im  dienst),  —  altnord.  mannskapr  bedeutet 

1.  menschliche  natur,  2.  tüchtigkeit,  vgl.  Fritzner 
inarsk   her  Claus  Eonnow  war  marsk,  B.C.  249;  vgl.  D.  M.  VI  212.    mnd. 

marschalk 
mast    blaiidt  audre  kern  ther  eth  saa  haoth  som   eth  wort  mast  kuude 

waere,  Bkr.  2184.    mnd.  mast 
mart    sabel  skludh  mord   och  ther  til  hermelin,   J?.D.  1303;    /ferf.  II  308. 

mnd.  mart 
medlere    iech  star  her  eu  medhlere  i  melle  Gudh  oc  mau,    iZ.S.  29, 30. 

mnd.  middeler 
men  {adj.)    thessae   ord  scalt  tlm  gerae  meeuse,   H.M.Il;    vgl.  B.C.  1,1. 

mnd.  min,  mein 
menelige    the  lefuse  ickee  meujeligae  leugher  eu  sex  aar*,  3/.i?.  41,4;  ibd. 

113,  21.    mnd.  menlike 
menig   for  then  meiiige  bestondhe  oc  uyttelighed,  iiT.  (1436);  vgl.  Msv.lll; 

B.l).  I  43.     mnd   meulike 
merkatte    bvornte,  harte,  merkattse,  Jf.JJ.  132, 15.     mnd.  merkatte 
metsmager    Peyther  metzmaker,  M.Gl.  (1482).     mnd.  mestmaker 
mis-dsdere    Roland  redh  hiem  och  retthe  oifuer  the  mysdtedere;    B.D. 

III 18.    7nnd.  misdeder 
mishage   om  noger  sereuus«  eller  bref  rares  som  soldaueu  inishafuer,  3I.E. 

23, 15.    mnd.  mishagen 
mistr0Stig    een  mestrestich  darae,  il/.Ji.  186,  4.     mnd.  miströstich 
mordbr?ender   om  forrsedere,  mordbrseudere,  thywe,  B.C.  I  19.  mnd.  murl- 

berner 
mos    huer  dag  steg,  gred,  moes,  K.  (1442).    7nnd.  mos 
myndig    hinnse,  myndug  och  Avit  macht  at  holle,   K.  (1441)  u.  o.    mnd. 

mundich 
mogelik,  mygelik,    herr  gar  mik  thet  mogelikth,  T.A.  117, 18;  vgl.  Rsv. 

146.  507  M.  0.  —  som  haunum  ar  mygelykt,  Rsv.  30;  vgl.  T.K.  93,  22 

u.  0.    mnd.  mogelik 
mulsteder    fiek  jeg  oc  Per  fyerbetther  mulestader  iij  marck.    K.  (1498). 

mnd.  muleustoter  {bettlet-} 
mälsmand    til  Skyolden;t;s  uc  wor  malsmands  skogh,  il/.^r/.  (1469).    mnd. 

mälmau 


EINFLUSS    DES    MND.    AT'F    DAS    DÄNISCHE.  427 

m feglere    herreii  fer  midiere  eller  meglere,  D.M.  11, 10.    rnnd.  niekeler 

monster  tha  han  offrfedis  i  mensteret,  B.D.  III 147.:  vgl.  H.M.  11.  mnd. 
munster  {altnord.  mustari,  mystari) 

naktegale  tha  hortle  jeg  elfter  the  naktegale,  li.D.lib.  »(/f/.  uuclitegal 
—  Die  form  naktegale  kommt  hüujiger  cor  als  nattergal.  F.  Grundlvig, 
Fuglene  i  FolJcets  Digtning  s.  53  bemerkt  dazu:  'Ich  hingeneigt  anzu- 
nehmen, dass  der  vogel  im  mittelalter  ins  land  eingeivandert  ist  .  .  . 
man  darf  es  kaum  als  hedeidungslos  ansehen,  da><s  man  in  mittelalter- 
lichen Schriften  so  gut  ivie  überall  die  deutsche  form  des  namens 
findet. ' 

namaniug  skadeloss  for  all  iianianiug,  rpeckenscap  oc  tiltall,  K.  (1445). 
mnd.  namaniug 

nedherfellig  oc  wurdher  han  thermet  uedherfellig,  Esv.  200;  vgl.  M.Gl. 
(1471).  (1472).    mnd.  neddervellich 

ueglicken    neglickeu  ock  cardemome,  i?.X).  I  323.     mnd.  negelken 

nobel    thisse  forscrefue  thussende  nobel,  M.P.  207.   mnd.  nobele  {münze) 

nytte,  uutte  (s.)  til  konningeus  oc  stadsens  nutte,  Esc.  153;  vgl.  M.F. 
379;  H.S.  55,28  u.  o.     mnd.  nutte  {altnord.  nyt) 

nytte,  nutte  {adj.)  noket  nj'ttere  oc  bsethrse,  iT.  (1429);  Es?;.  124.  mnd. 
nutte  (altnord.  nytr) 

nyttelig,  nuttelig  som  fogeth  borgemestre  oc  radhmen  thycker  nutte- 
licht wsere,  Esv.  152;  vgl.  Ekr.  2391.    mnd.  uutlich  {altnord.  nytligr) 

nsesehul    hure  Isenge  fode  ser  mine  nsesse  hol,  H.S. 171, 11.   mtid. nesehol 

nodles   i  althing  nodtlesse  oc  scadelessfe  at  holle,  D.Jf.  I  352.   »«nt?.  nötlos 

noge  (s.)  at  hawe  igien  fongheu  til  min  noghe,  D.C.  45;  vgl.  K.  (1423). 
(1481).     mtid.  noge 

U0ge  (ü.)  met  there  kaelighet,  H.S.  10,36;  vgl.  E.D.  1 177;  D.C.  87  u.  o. 
mnd.  uogen 

nowe  jech  kan  mech  newue  roipe,  ii'.I>.  I  179;  vgl.  II  273;  ilf. Ji*.  lOG,  9. 
VDid.  uouwe 

nowelige  han  nowelighe  thagende  broderen,  uodhend  saghde,  1.  il/.  33, 11. 
mnd.  nouweliken 

ora    Labans  dotter,  thin  om,«,  l.il/.  28,  2.     mnd.  6m 

omhaug  rodh  cltede,  som  kom  til  thet  omhaug  ijaa  laudethiughet,  K. 
(1487).     mnd.  ummehank 

omlebe  vory  wy  omlubnse  til  jordeu  mellem  vore  beeu,  J/.ü.  180, 4.  mnd. 
ummelopen 

oml?egge  the  kselde  han  8er  alt  med  roser  omlagt,  M.D.IV2..  mnd. 
ummeleggen 

opbjude  Anders  Brok  lood  upbywthe  gul,  selff  oc  rsethe  prenningh  pa 
forde  thiug,  Ä'.  (1416);  ibd.{ii\S).  (1487).     »md  upbedeu 

opklappe  huilcken  broder  som  lenger  sider  i  laugshus  eud  skaffereu 
haffuer  3  sind  opklappet,  K.  (1478).    mnd.  upkloppen 

opsted  opstedhe  eller  forsampling  modh  oss  och  righet,  D.C.  1352;  s.  a. 
Esv.  198.     mnd.  npstot 

orfejde  Haue  the  fulmacht  at  göre  ac  lowe  orfeythe  oc  stathug  lone 
effter  haus  düth,  M.Gl.  1449.    mnd.  urfeide 


428  MARQUAUDSEN 

ouerbudig-    wor  kfere  nadighe  herre   haffwer  altiidh    w?eret   owerbudig 

meth  haus  raadh,  D.C.  333.     mng.  owerbodich 
ouerdädicb    Udger  ser  mauneligh  ok  oweidadigb,  E.Z>.III.S8: /fcrZ. III158; 

vgl.  likr.  1495.  3815  «.  ö.     unul.  owerdadich 
overfladich   ey  wredhse  oc  ej' ouerliodighsp,  ilf. J?.  188, 17.  rnnd.  overflodich 
over  gange    hau  owergek  wath  som  heder  Jaboth,    Li!/.  32,  22;  ngl.  Jos. 

4,11;  2.  »Sa;«.  17, 16.     7nnd.  owergän 
overgive   udeii  the  oftuergiffue  there  erabethe  oc  gilde.  K.  (1495);  vgl.  Bsv. 

214.  315.    mnd.  owergeweu 
0 verlobe   Huo  som  offuerleber  fogidt,  borgemestere  och  raadtmeudt,  Bsv. 

557;  vgl.  M.F.  319  u.  o.     mnd.  owevlöpen 
ouerl?ese    we  haue  seet,  hart   oc   overljest  kouiug  Erics  ohne  beseghlde 

papijrs  breff,  K.  (1461).    mnd.  owerlesen 
ouersee    iech  well  nu  oifuersee  meth   thee  righse,   som  liggfe  omkringli 

jodpp  land,  M.E.  79, 12.     mnd.  owersen,  Sch.L.  2 
ouerwege   thet  bor  at  offuerwseghes,  K.  (1425);  ihd.  (1458).  (1460),    mnd. 

owerwegeu 
palle   tog  hau  paa  syu  bare  kropp  en  sydh  bewoxet  palse,  EJcr.  3\24.    mnd. 

palle  (palliuni) 
palt    en  palt  wildhfe  i  ey  giffiise  raig  halft,  H.3I.  48.     mnd.  palte 
paltug   Imdhen  gitfs  offner  the  paltughe  been,  AM.  43:  ihd.  181.   zu  palt 
paltzgreffue   i  Bayern  wor  leg  en  kou,  paa  Ryn  en  palatzgreffue,  Bkr. 

3124.     mnd.  palanzgrewe 
pauuel    äff  fylsbien  theu  sadelbowe  war  theu  pannel  war  äff  blialt,  B.D. 

I  304;  ibd.  II  305.    mnd.  pannele 
papegoy   fremdelis  erne  strutzer  papscgoyer,  M.B.  129,22.    »ouZ.  papegoie 
patine    eble,  nödder,  pattiner  och  this  liges,  Bsv.  285.    mnd.  pat(t)ine 
pawlun   brodh  kej'seren  op  syt  pawlun,  JF^.i».  III  160;  vgl.  1.3/.  12, 8;  B.D. 

1  219  u.  0.    mnd.  pauwelün,  pagelün 
pelegrim    som  en   udleuuing  ok  pelegrjnn,    T.K.  2621;    rgl.  1.  il/.  12, 10;  g 

M.B.  3,  3.     mnd.  pelegrim    peregrini  kommt  auch  cor 
perlement    om  wi  wilde,   ath  thet  perlemeut  som  paa  ferde  war  skiilde 

bliffue  styrt,  D.C.  151.    mnd.  perlement,  Sch.L.  2  (streil) 
perment    Ho  giffuer  mek  permet  at  iech  maatte  sammel  skriffue,   H.S. 

29, 10;  ibd.  (1431).  (1467;;  D.C.  185.    mnd.  perment,  permet 
persefant   vor  elskelige  persefant.  ii. (1464).  mml.  nicht  belegt;  vgl.  Lcxcr, 

Wb.  parzivant,  persevant,  persouant,  ron  frz.  poursuivant 
pert    how  how  sade  ieg,  my  gode  perth,  Bkr.  506.    mnd.  pert 
pinsedag    pa  then   hilghse  pingx  dagh,   ilf.P.  256;  vgl.  M.B. '\S),h;  B.D. 

I  268  u.  0.    mnd.  pinxter  {dach) 
pladse    at  hindre  möde,  deele,  platzse  eller  i  uoger  made  at  uforrette, 

Bsv.  202;  vgl.  D.C.  118.  252  u.  o.    zu  mnd.  plas  (tmrnhe,  streit) 
plat    at  wserdzens  locke  gaar  fra  tig  plat,  H.M.  33;  vgl.  Bkr.  2907.    mnd. 

plat  {ganz) 
plege    äff  henues  ord  oc  eftersyu  plsegde  allse  at  styrkes,  H./S.  34, 15;  vgl. 

M.P.  298.  94 ;  D.C.  208  u.  o.    mnd.  plegen    —    In  anderer  hedeutung 

kommt  pliJbgha;  schon  früher  cor,  cgi.  Krislensen  s.  Ö3 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF  DAS    DÄNISCHE.  429 

pligt   ieg  beder  them  all«  gorpe  plicht  och  bood,  H.3I.  88;  vgl  M.lü  177,2 

V.  0.    mnä.  plicht 
plig'te  (r.)    tha  skal  hau  plictis  tili  at  slaas  tili  stubin,    Rsv.  87.    wnd; 

plichten 
plig'tug    huer  laessse   thet  hau  per  pligtug-  til,    Jl.lU.  115;    rgl.  J\sv.  81 ; 

D.3I.  I  270  «.  ö.     mncl.  plichtich 
podagel    podagel  staar  i  min  sidhse,  H.M.  171.    ?»»//.  podagel 
pol  exe    2-1  polloxer,  A'.  (1495).    mnd.  pollexe  (streitaxt) 
porteuer    hau  badh  theu  porteuer  ladhse  saeg  ind,  K.D.  I  14-1-;  ibd.  I  346. 

mnd.  por teuere 
postelats    een  postelats  gyldeu,  7v.  (1448).     mnd.  postellatieuguldeu 
prange  (v.)   och  mangelunde  meth  meg  pranghe,  Iikr.  il9ß.   »«m/.  prangen 

(streiten) 
p  r  e  d  i  c  k  86  s  1 0 1    tha  opsty  ieg  theu  predickse  stooll ,   Rh:  3378 ;  ihd.  3492 ; 

mnd.  predikstol 
Prytzeu    the  prytzen  wundh  oc  mange  laud,    Rkr.  287Ö.    mnd.  Prutzeu 
prewe    thet  proifues  i  mange  uiaade,    R.M.  15;    rgl.  iOd;   Ltir.29  u.  o. 

mnd.  proveu  {frz.  profa) 
put    the  ormse  paa  gullffueth  uthi  theu  puth,  Rh:  2300.     nnul.  piit 
ramme    lodh   greueus  raadh   commte  for  sigh  och  spordhe  om  the  haiftse 

uoghnet  aunaet  rauibeth,  K.  (1409).     mnd.  ramme  (erzielen) 
reb    skal  och  eugheu  gesth  malse  klfedhse   eller  Itereth  udeu  wedh  reb, 

Rsv.  90.    mnd.  rep.     Seh.L.  2  längemass     {Sch.L.  1  seil  entspricht  alt- 

nord.  reip,  dein,  reb) 
redde   leg  kau  tig  rgeddha?  frau  pynse  och  uod,  H.3L  18:  ibd.  R.D.  III  2; 

Rso.  163.    mnd.  redden 
redding    skal  hau  udhen  al  reddiugh  mista3  sith  embittse,  Rsv.  87.    mnd. 

reddinge 
regere,  reguere    plauether  reghera;  ferst  himeleus  lob,  J/.i)/.  127;  31. R. 

21,6;  Rkr.  1870  u.  o.     mnd.  regeren,  reguereu 
reguskap   meu  for  thik  siselff  wordher  thu  gere  regheuskai»,  2'./f.  127, 10; 

ibd.  B.C.  162;  D.3L  V  330  n.  o.    mnd.  rekenschop 
reb b esper    j  tenne  rebbesper,  A'.  (149.5).     m^nd.  rippesper 
remesuider    item  remsuiereu  XX  mark,  I>.il/.  IV  317.   mnd.  remeusuider 
rei    hwad  rey  mou  thettas  wser*,  A.D.  II  44.     mnd.  rei 
rein    wyll  maud  ey  hoUe  syn  Brostrede  reyn,  Rsv.  517.    mnd.  rein 
reise  (s.)    som  es  hadhee  styrkt  oc  hulpit  i  then  reyse,  3I.R.  183,8;  ibd. 

4,6;  i?Z^T.  4581.     ynnd.  reise 
retfserdige,  rectfserdige    ey  rtethfferduger  thik  siselff,  T.A.  129, 10;  vgl. 

Rsv.  286  u.  ö.    mnd.  rechtverdigen 
retgaug    udeu  al    hielpersethae   eller  ytermer  raetgangh,   K.  (1450);    ibd. 

(1485).    mnd.  rechtgauk 
rode    tili  the  peuuinge  skall  byeu  dele  i  XV  rodder,  Rsv.  213;   vgl.  3I.R. 

69,  24.    mnd.  rote 
rodemester    ther  scal   en  almugesmem   tillskickes  rodemesther  at  wsere 

ihwer  roddc,  Rsv.  213.     mnd.  rotmester 
rok    greweu  skulde  liude  sorte  rok,  jß.D.  II75;  t'^Z.  II  79.    mnd.  rok 


430  MARQITARDSEN 

ronw   sAva  at  hwer  mantz  rouw  ssedh  bliffuer  uskadh,  D.C.BIO,    m  nrl.  rn, 

ruwe 
ruerkop    Inio  som  kiöber  nogen  thino-  hanrtt  maa  samme  dag  wedersige 

och  binde  fire  skelling,  til  nierkob,  lisc.  öiS.     tnnd.  rauköp 
runieni    Das  wort  kommt  nach  K.  im  j.  1461  vor.    mnd.  rumeuie   {eine 

art  wein) 
rnstich    olletb  smagt  äff  rustidi  j?ern,  i?Av.  625:  ibd.  GiS.    »mr?.  rnsterich 
rab     0    rob,   som   skal   blihie   ewinuelig,    H.S.  17,22;    rf/l.  Ü.M.  108  u.  ö. 

mnd.  röp    {altnord.  hrop  bedeutet  spott,  Verhöhnung) 
räbe    som  rope  at  vertz  hedher  skal  forsmäs,  H.S.  88,6;  ibd.  H.M.  41,80; 

Luc.  15.    mnd.  ropen    (altnord.  hropa  bedeutet  verwundern) 
radstol    radhmen  sedendis  i  ther  radhstol.  /t.  (1430).     mml.  rätstol 
(til)  rygge    hoo  som  gaar  fran  Nazaretli   tilrygge,   igen  gemme  Galilee 

land,  M.R.  56, 15;  vgl.RD.  III  50.     mnd.  (to)rugge 
rächte  (s.)    thj'  naboes  hostru  scalt  thu  ey  gillyse   eller  heder  sckillise, 

H.3I.  62;  vgl.  T.K.  13, 19;  Jos.  9,9.     mnd.  ruchte 
ragte  (v.)    da  hun  foruam  at  henues  undhed  ryktedes,   D.M.  II  44:    vgl. 

D.C.  193.  (cütnord.  roegja  anMagen,  entsprechend  althd.  wrübjan,  mhd. 

rüegeu,  mnd.  wnigen.  dazu  ruchte) 
rosstse    rastae  seg  och  sade  ath  hau  willse  ficthse  for  raegh.    »i»//.  rüstigen 
sabel    branth  skarlogeu  meth  sabel  skindh,  R.D.  I  7.     mnd.  sabel 
sadel,  sadelraaker   af  sadelmagerembede  en  sadell,  A'.  (1496).  »?nf/.  sadel, 

sadelmaker    {altnord.  sööuU) 
sagwolder    och  them   thager  konniug  half  och  sagwolder  half,   Bsv.  32. 

mnd.  sakewolde 
sagt    saktere  ser  aldels  at  sen  alt  offuertrsedhe  i  erden,   T.ül.  32, 3;    vgl. 

Blr.  475:  3LR.  11, 15  n.  o.    mnd.  sacht 
sagtmodug   myn  fredh  ?er  meth  odmyghe  oc  saktmodugh  äff  hierte,  T.K. 

128, 7.    mnd.  sachtmudich 
sagtelig    sakteligere  maa  theu  dagh,  ther  fremfarn  8er,  igeukalles,  JI.S. 

25,28;  ibd.  S,S;  T.K.  151,20. 
sagte  (v.)    hiui  saktedhe  kongens  wrede,  Ji'.i'.  I  259.     mnd.  sachten 
saug   tha  er  liau  ien  saligh  man.  R.D.lbG;  vgl.  H.S.  8i,  26.  56,21.  mnd. 

salich    {altnord.  saelligr) 
sardug   swo  som  aer  klccdhe,  hiimle,  staal,  sarduch,  Rsv.  121.   mnd.  särdök 

{eine  art  Stoff) 
Sassen    äff  lauthse  sasseu  hertigheus  sah,  Rkr.  313;    ibd.  852.  886.    mnd. 

Sassen 

saye   tywe  kiortel  äff  sayen  widhe,  R.D.  I  296.   mnd.  saie  (feiner  Wollstoff)         , 
sedewer    kobebe  ok  sedewer,  Ü.D.  1  32.     ?»>if/.  sedewer  * 

seideuspil   allse  honnse  seyde  speel,  itf.ii.  127,  20;  vgl.  H.M.  67 ;  l.M.i,2. 

mnd.  seidenspei 
seidenspiller    fore  tham   gaa  all«  hond*  seydenspellerse,   Jlf.2?.  126, 7. 

zii  seydenspeel 
sejer    the  haffue  een  eller  to  seyere  äff  guld,   M.R.  127.8.    mnd.  seiger 

seger  {nhr) 


i 


EINFLUSS    DER    MND.    AUF    DAS    DÄNISCHE.  481 

selskab     tbet  selskaff  niaa  warae  gndz  samfund,    //.J/.  98;   s.a.  liscOS; 

H.S.  44,  22  u.  0.     »ind.  selschop 
sigel    som  thu  sendhse  sighel  i  ssedhen,  ö.  M.  16,9.     mnd.  sekele 
siud    gaff  haiinum  S3'ni:e  fiem  utwarthes  sind,  H.]\J.  131:  vgl.  H.S.  14:7,33; 

D.C.  2i6  u.  ö.     mnd.  sin.     J^rst  im  l.j.Jahrh.  kommt  siud  in  allen  be- 

deutungen  vor,  die  das  tcort  im  deutschen  angenommen  hatte. 
sinles    wi  som  wäre  sinbs,  H.S. lß,B3.    mnd.  sinnelos 
sindal    XVI  alne  sindall,  D.il/.  IV  Slfi.     mnd.  sindal  (Seidenstoff) 
sise    toldh  ziise  oc  auden  rettighed,  A'sr.293;  ibd.  292.     mnd.  sise  (accise) 
skaffere   wi  well  hawe  too  schaftere  tili  forstander,  ii.  (1441);  «6^/.  (1406). 

(1417).  (1443).     mnd.  schaffer 
skandh     tliin  fnlse  skandh  (tevfel),  R.D. 1237.    mnd.  schant 
skseude   bans  fadher  bafde  skpeudb  bannom,  1.  Sam.  20,34;  s.  a.  li.I).  II  l,o3. 

mnd.  scbenden 
skickniug    iegb  baffuer  taget    tbeu  luagt    ocli    skickuiug,    D.il/.  III 41. 

mnd.  scbickiuge 
skinbar    socbtse   effter  tben   skynbaren  gerning  oc  fundpe  tbem  obenbare 

rnvere,  D.M.  I  368.     mnd.  scbinbar 
skock     raet  manghse  scock  aengbae,  H.M.  130.     mnd.  scbok 
skonroggen    bnede  brod  ok  skonruggen,  K.  (1460).    mnd.  scbonroggen 
sknldre    lagda-    Agar   det    paa   benn;e    skuldrae,    l.il/.  21, 14;    vgl.  M.R. 

180,16.    mnd.  schulder 
skule    dodheu  kommer  .sclmleude,   ickse  tal  eth  ord,   H.M.  162;   ibd.  143. 

mnd.  schulen  (verbergen) 
sk\'  (?;.)   ta  villae  vi  geruae  hafuae  skyut  tben  stapd,  M.R.  182,3;  vgl.  R.D. 

I  224.     mnd.  schuweu 
skermbrekker   8  skermbrekere  oc  11  kamer,  if.  (1454);  /ör?.  (1487).    mnd. 

schermbreker 
skerme    skermedhe  paa  Brunkebergh,    iJ.C.  152;    .<;.  ff.  R.D.  1 160:   ö.  M. 

20,4.     mnd.  schermen 
skajrw    lodhet  haft'wer  tywe  skterff,  2.  M.  30, 13.    mnd.  scherf 
skewel    tbet  werte  then  skievel  mygbet  til  barm,  R.D.  II  77.    wujrf.  schewel 

(armer  tropf) 
sk0n_  meltae  tben  jomfru  skoua',  R.D.li  163;  vgl.  M.R.  \ä,i\  H.3I.8  u.o. 

mnd.  schön 
skeulig    oc  er  udentel  skonlige  bigd.    ilf.Ä.  37, 15 ;    vgl.  Luc.  48.     mnd. 

schönliken 
siebe   och  sleffuede  tbem  udb  oppaa  then  mark,  Rkr.  2024;  vgl.  R.D.  III 72. 

mnd.  slepen 
slem    met  slemme  synder  och  waerdens  las,  H.M.  29;   vgl.  Rkr.  832;  T.K. 

4, 14  u.  0.     mnd.  slim 
Slot     Slot  oc  fsiste  Scanör,    M.P.UO:    vgl.  M.R.  41,11:    R.D.  1100  u.  o. 

mnd.  slot 
slotslag    waele  wii  anname  alle  slotzlower  äff  wore  Danmarks  oc  Norges 

raad,  K.  (1483);  vgl.  D.C.  252.    mnd.  slotlowe 
snak    swodan  snak  ieg  ey  styrckoe  wil,  H.M.  115;  vgl.  R.D.  1245.  37  u.  o. 

mnd.  snak 


1  o2  MARQUARDSEN 

snakke    snackede  manth  glfiedhe  och  gammen,   i?.D.I2-}:8:  rgl.  3I.R.  lö,8. 

mild,  snaken 
sold   xij  kemper  hade  hnii  leyth  for  soldh,  i?/>:>-.  1603;  ihd.SlOQ.  mnd.  soll 
soue   och  haue  begrebet  och  forrauiet  svvodaii  datj'ughe  friid  oc  soue,  V.C. 

14;  vgl.  lUr.  37i3.    mnd.  sone,  sune 
spe   (s.)    Hau  hordhse  the  wethae  hanuuDi   spee  och  spot,    H.3I.  27;   vgl. 

84.  106.    mnd.  spe,  spei 
spe  (?'.)   ath  i  ey  meg  offner  niyu  skade  spee,  Ilkr.842;  ibd.  4:1,18.  Sch.L. 

nicht  belegt 
spemaiid    hwar  an-  im  spemanz  forsmseless,  H.S.  82,2S.    su  spe 
spei    jeth  lidet  spei  acthcr  jech  ath  skriwse,  R.D.  113;  vgl.  3I.Il  132,20; 

BJcr.  127  i(.  0.    »tnd.  spei.     Das  wurt  ist  scJion  früher  aus  dem  deutschen 

entlehnt  (vgl.  Kristensen  s.  55).    Im  l').jahrh.  überträgt  das  mnd.  alle 

bedcutungen  des  deutschen 
speluiand    ferse  thom  gongne  spellse  mend,    31. R.  129,7;    vgl.  EAr.  3643. 

tnnd.  spelmau 
spidse   the  ferste  som  stridder  i  spissen,  H.S.  133,  7;  vgl.  D.3I.  I  267;  Rkr. 

891  u.  0.     mnd.  spisse;  Sch.L.  2 
spitaals    hwa  som  fanger  spitaals  soot  \\ü  stadhen,    Rsv.  158;    vgl.  B.  31. 

13,  2  u.  ö.     mnd.  spitäl  (aussats) 
spitalsk    iugeim  spidalske  folck  maa  bliffwe  udi  kiebstedeiie,    Rsv.böl; 

vgl.  3.  31.  22.  4  u.  o.    mnd.  spittelsch  {aussätzig) 
stat    huad  frommer  them  theres  storue  wseldhse  there  stadt  there  godtz, 

H.3I.  56;  vgl  R.D.  III  132.  I  274;  D.O.  19  u.  o.    mnd.  stät,  State 
stekemes   med  stemetz  eller  audeu  wabeu,  Rsv.  132;  vgl.  4.3/.  25,7;  D.3I. 

III  230.    mnd.  stekemest 
stene    alt  folket  skal  steiie  hauuum,  3.  il/.  24, 14.    mnd.  stenen 
st  er  VC    tha  Woldemar  min  fader  sterffde,  Rh:  4708.    mnd.  sterven 
steffader    jegh  hauer  swyget  myu  steä'ader,    jK.D.  III  195;    ibd.llllbG; 

Rkr.  550.    mnd.  stefvader.    stef  kommt  auch  in  anderen  Verbindungen 

vor,   z.b.  Amleth  myn  steffsen,  E^t.  805;   myn  steffmoder,  jR.D. 

in  21 

stigt    uppan  hwilken  almosse,  fuudh  och  steffth,  D.3LIIV1.    m«fZ.  sticht 
stigte    til  at  stychte  oc  fundere  eet  altare,  ilf.C.  332;  ibd.'iib;  B.C.  161 

u.  0.    mnd.  stiebten 
stikke    U  rede  puder  af  dammask  stikket  met  guld,   i>.3f.  IV  320;   vgl. 

D.3L.  VI  268.    mnd.  sticken 
stanck    met  stanck  som  felgher  the  diefflse  ledh^e,  H.31.  hl-    mnd.  stank 
stob    XVI  andre  stobbe,  D.M.  V  215:  jRsv.  V  503.    mnd.  stop  {mass) 
stolb roder   han  tagher  met  sigh  stollbredrae  siw,  H.3I.  173;  vgl.  Rkr.  170; 

R.I).  1  161  «.  0.    mnd.  stolbroder 
straf    the  faa  baadae  straff  och  last,  H.3I.  114;  s.  a.  K.  (1491);  Rkr.  822; 

R.D.  1 161  u.  0.    mnd.  strafinge 
straffe  (r.)    then  tidh  han  sagde  straffendes  them,   H.S.B,\b;  vgl.  H.3L 

120;  M.R.  112,4  u.  o.    mnd.  strafen 
straff  uelik   Ihet  ser  megeth  btraffuelikth  och  skadhelikt,  ^/'.ä.  29,  30;  vgl. 

4. 31.  32, 22.    mnd.  sträflik 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHE.  433 

strax  Hun  laddhie  haunum  strax  up  til  syt  bryst,  H.M.(^0:  ihiJ.lO:  M.R. 

95,7:  Esv.  162  u.  o.    miuJ.  strackes 
streng  welbyrdighe  oc  strenge  riddere  her  Claus  Rnnnow,  D.C.  111.   mnd. 

streng.     Sch.J..  2  clireiule  hcteichnnufj  ron  personeii 
stribe    striber  haffuer  hun  fuld  loughse,  Il.M.Hi-.  7v'.  (1458).    wnd.  stripe 
sträl   100  lybesche  mark  i  griip  oc  stral,  3/.P.  185.    mnd.  stralengeld  {zu 

Stralsund) 
Stube    tha  skal  hau  plictis  tili  at  slaas  tili  stxibiun,  Bsv.  87.     mnd.  stupe 
stund    tree  stundhe   agiler  tywe  skulle  o  hoktydhe  mik,  2.  M.  23, 14:   rgl. 

4.  31.  19,  4  (diese  hedeutung  ist  entlehnt),    mnd.  stunt  (mal) 
stykke,  stukke    hwo  sik  forsymer  i  thisse  fornefnte  made  eller  i  noker 

anuer  stucke,  lisr.  12ö:  ibd.  i2i;  Mv.  4173;  il/.P.  92  u.  o.   w/if/.  stucke 

(Sch.L.  3).    Das  ivort  selbst,   altnord.  stycki,   ist  einheimisch.     Die  be- 

deuttmg:  ding,  sache,  punJct  ist  aus  dem  mnd.  übertragen 
styrte    och  guben  stortse  for  hanura  nedher,  R.S.  161.    mnd.  sturten 
stsemuie    tha  raaba'  the  sitelse  met  stemnice  och  rost,  H.M.  51;  rgl.  2.  M. 

32,27.    mnd.  stemme,  stimme    («//)<o>'(?.  stefna,  rechtsivort) 
Steverum   med  frij  dempning  och  steifvverom,  K.(14Si).  zu  wntZ.  stou wen 
stevning    med  dam  och  damsbondt,  med  frij  stoffning,  7C.  (1479).  (1492). 

mnd.  struwinge 
stevel     1  par  stofflpe,  K.  (14G7):  ihd.  (1486).    mnd.  stevel 
sukker   teth  er  giorth  aif  kallamell,  som  sukker  pleyer  at  wordae  äff,  M.R. 

71, 14.     mnd.  sukker 
sund  (s.)   stat  mek  for  liff  ock  suud,  R.D.  III  68;  s.  a.  RJcr.  222.  mnd.  sunt 
sund  (a.)   ther  bleft"  saa  manghe  sundh  oc  karsk,  Rkr.  2827;  vgl.  3.  31. 15, 13 

u.  0.    mnd.  sunt 
swans    man  saa  ther  fruer  och  jumfruer  danzse,    allte  i  thieres  hwide 

swandzsae,  iJ.D.  1278;  rgl.  H.3I.  31.     mnd.  swans  (schleppe) 
s woger  min  ki?ere  swoger,  her  Erngitzel  Nielsson,  X>.3/.  II39;  -5/tT.  1471. 

mnd.  s wager 
swasrme  tijl  meg  tog  ieg  hwer  howeth  hoss  ieg  fondh  om  londhen  swserme, 

Ekr.  1250.    myid.  swermen 
synde   at  the  ikke  skulde  synde  i  moth  mik,  1.  J/.  20,  6;  /ftcZ.  39,  9.    mnd. 

Sunden 
sädan    swodan  snack  ieg  ey  styrckse  vil,   H..3L  115;   vgl.  Esv.  271;   H.S. 

155, 19  u.  0.    mml.  sodau 
S0mme    kouingh  Artus  ey  somde  sigh,  J?.D.  I  53.    mnd.  sumen 
semmere    mange  wagne  och  sommere  flers,  3/.J).  I  274.    mnd.  somer 
S£»msk    eet  somsk  skin,   K.  (1469).    mnd.  semesch  {weiches  leder) 
tallerken    20  tallerken,  D.i¥.  V  214.    mnd.  teWer 
tant    ladee  tith  tanth,  du  driffwer  til  hoffue,  R.D.  II  267.    mnd.  tant 
tere    see  hvor  matnet  terer  segh,    B.D.  II;   vgl.l.Sam.lS,b.    mnd.  sik 

teren,  tieren 
tidskortning    stör  lest  och  thidkortniug,   ilf.E.  132, 12;  vgl.  R.D.UdS. 

mnd.  titkortinge 
torn   baadhai  kirkser  och  klosther  met  taarn  och  murae,  i/.il/.  41;  rgl.  M.R. 

40, 5  j  R.D.  I  37  u.  o.    mnd.  toru 


434  MARQUAKDSEN 

towe    toweu  war  äff  silky  hin  skisere,  B.l).  II  40.     mnd.  touwe 
tinnipitter    keyseren  lott  bltesfe  i  tnunpiiitter  ok  basmier,   Ji'.D.  III  57. 

mnd.  trumpit 
traffue    ta  kommer  huu  trafueudis,    il/.i?.  192. 25:    vgl.  Bkr.  Il'il.     mnd. 

ti-awen 
tucht    thenuse  tucht  mig  ey  äff  glommse  gaar,    Ü.M.  70:    ihä.  164:    Ekr. 

4035.     mnä.  tucht 
tucteligh    the  tuetelighen   allfe  for  Adam  stodhfe.   Ü.J/.  133:    vgl.  B.D. 

n  6     tnnd.  tuchtlich 
tyctelig    tycteligh  met  gode  sinue,  B.D.  I  41.    mnd.  tuchtlich 
tweling    thessse  spouuer  fera-  sosom  tweliugs  hiukalft'.  if.^'.  117, 36;   rgl. 

1.  Ji.  24,  67;  1.  3/.  38,  27.     »ntd.  tweliuk 
treck    Thetse  ser  thet  terstse  peregrimes  treck,  J/.i?.  217, 13.    mnd.  treck 
twedracht     nogle  artickle  som  the  om  misfeledt  och  twedracht  hagde, 

Bsi:  94:  vgl  B.C.  216.     mnd.  twedracht 
twifle   Wore  thet  swa  at  uogher  twiffwelde,  B.C.  379;  rgl.  B.D.  I  9.  mnd. 

twiwelen 
twiwelig   Om  thu  seer  dommen  wäre  wonsklige  ok  twifweligh,  5.  M.  17,  3. 

mnd.  twiwelik 
twewelmod  thet  ser  enghen  twyffuelmoth,  4.  3/.  32,  23.    )nn<?.  twiwelmot 
tyge   tha  tyghede  the  og  sworpe,  D.3I.  III 183:  vgl.  M.Gl.lib2.  mnd.  tugen 
tyde    Ah\nus,  siger  jeg  thet  thydse  wil,    H.M.  74:   ibd.  69:  B.C.  177  u.  v. 

mnd.  duden 
underdane    the  oc  theres  underdane,  i/.Ji.  4  u.  ö.    zu  tnyid.  uuderdon 
uuderdanich    lydughe  och  oc  undherdanige  thysensre,   D.C  330.    mnd. 

underdänich 
uudersate    vore  kijere  borgere  och  uudersotthe,  i?si-.  522:   rgl.  B.C.  117 

u.  0.    mnd.  undersäte 
underskeden   Item  meth  sodau  uuderskeden,  M.Gl.  1404.  mnc.  uudei-scheit 
underligge    ath   the   skull*   undherligge  sodau  dom,    JRÄt.  2036.     mnd. 

uuderligge 
uudertiden    Thi  burdhe  hwer  foi-stae  ath  selskse  the  som  skiÖ'ue  the  ger- 

uiug,  som  uudertiden  skee,  Bkr.  2155.  56.    mnd.  uudertiden 
udkomme    kiserde  forde  Casper  skriö'uer,   ath  the  penniugh  wor  ey  ud- 

kommen,  M.Gl.  (1469).     mnd.  utkomen  {bezahlen) 
udwortes    syne  fem  utwortes  sind,  H.M.  13L    mnd.  utwordes 
w andre    end  wij   sculd«  wandr«   thenae  wsec  swo  lang,   H.M.  103;    rgl. 

b.M.ö,3B.    7JJH<7.  wanderen 
■wantsnider    sksedere.  wantsnedere,  Bsr.  84.     mnd.  wautsnider 
wartavel    iet  wartawel  war  och  ther«,  B.B.l2i8.     mnd.  worptafel 
wedermot   swa  fangher  thu  twaug  och  wedermod,  H.M.  33;  ibd.  30:  Bkr. 

3864  u.  0.    mnd.  weddermöt 
wederspil    iech  hafuer  edher  wederspil  manghie  siunse  spilt,  B.B.  1232; 

ibd.  n  6-    mnd.  wedderspil 
wederstä    at  wederstä  the  Turcis,  D.3/.  I  352.     mnd.  wedderstän 
wekter   then  wekther  qwadh  ther  heftt  appaa,  B.B.  I  133;  vgl.  Bkr.  1971. 
mnd.  wechter 


EINFLUSS    DES   MND.    ALF   DAS   DÄNISCHE.  435 

wenuikc  skriederlon  for  eu  weiinike,  M.GL  (1481).  mnd.  weuneke  (Ideidcr- 

rock) 
wepener    Holgerdh  Hiuriksou  oc  Oleff  Morthensoii,  weimere,   V.C.  332; 

ibd.  333.    mnd.  wepener  (iraffenträger) 
wik belle  induen  foineft'nte  stads  marckeskiel  som  kalles  bierk  eller  wic- 

belle,  lisc.  20G.     mnd.  wikbelde 
wilbradh  han  atb  äff  bans  wilbradb,  1.  .1/.  25.  28;  vgl.  1.  JI.  27,19.    mnd. 

wiltbrat 
wilkommcn    og  bad  hannum  Gud  wilkonimen  wsere,    2?.D.  1 252.     »nid. 

■ttillekoiuen 
wilkar    ebwat  wilkar  eller  stat  bau  er  äff,  I>.3/.  91  VI;   D.C  159;   Esv. 

206  ti.  0.     mnd.  willekor 
wilkar e    item  wilkorper  jiiek  niyk  til  forde  Hr  Andirs  Jseipson  at  fri  ok 

bemlfe  tbettse  gotz.  3I.GJ.  1-403.     tnnd.  wilkoren 
worde    tba  wort  tilhieftnd  XIIII  danderaen  at  wordbse  bans  pant,    D.Gl. 

1462.    mnd.  worden  (taxieren) 
wrak  olt  Strand wragb  oc  sand  tbold  bwar  the  fallende  wordbe  iipa  kröne 

gründe,  D.C.  208.     mnd.  wrak 
wrag   Gudz  wrag  ocb  wredhae  off'uer  tbem  gaaer,  H.M. -il:  ibd.  157.   mnd. 

wrake  {räche) 
wrede    met  wrede  ocb  foracbt,  Bsr.  509;  rgl.  H.M.  41.     mnd.  wret 
wreke    feyde  wrecke  eller  beffde.   B.C.  300;   vgl.  Skr.  1280.  1308;   B.D. 

I  56  i(.  ö.     »ind.  wreken 
wund     Oc  gaff  tbem  tberes  dützens  wund,  Bkr.  408.     mnd.  wunde 
waerkmester    Jes  Petersens,  verkmester  upa  Kiöpenbaffns  bus,  iortb  oc 

gründe,     mnd.  werkmester 
wferktyg    wäre  tbet  swo  nt  nogeu  gulsmetb  begserette  en  annen  guld- 

smetb  werktyg,  D.3L  III  335.    mnd.  werktouwe 
segte    om  han  war  fedder  aÖ'  ectbse,  Ekr.  1310.     mnd.  echte 
segtebrev    then  dag  han  esker  embedet,  skal  han  legge  sit  ecktebreff  pa 

bordet,  M.Gl  (1492).    mnd.  ecbtebref 
sechtescap    ocb  bandt  tbem  sammen  met  gechtescaps  band,  H.M.  1B2.   mnd. 

echtschop 

II.   Mnd.  präflxe  und  Suffixe. 

Deutsche  vor-  und  nachsilben  spielen  im  neudänisclien  eine 
grosse  rolle.  Sie  sind  fast  alle  ndd.  herkunft  und  begannen 
im  14.  Jahrhundert  in  Dänemark  adoptiert  zu  werden.  Die 
folgenden  ausführungen  werden  nachzuweisen  suchen,  wie  weit 
das  gebiet  war,  das  die  ndd.  präflxe  und  suffixe  im  15.  jahrh. 
erobert  hatten. 

a)    Präfixe. 

an  (tritt  erst  im  15.  jahrh.  auf): 
anfald    uden  at  righet  swodant  anfald  fynghe.  D.C.  I  1.    mnd.  anval 


436  MARQUARDSEN 

anfectuing    aiifectiiigh  äff  nogliu  utlendis  herre,  K.  (1436);  vgl.  D.C.  19. 


mnä.  puvechtinge 


anforsee    som  til  vorse  tro  thitenerne  anforseer,  tro  oc  tilhobes,  2?s?;.  203. 

»itid.  nicht  belegt 
auname  thy  han  auamer  uuderstandelses  lius,  T.K.  6,29;  vgl.  H.S.  27, 14:; 

D.M.  IIP  183  u.  ö.     mnd.  annanieu 
auuamelig-    thet  a^r  meg  mer  auameligt,  Äf5.  63,  23.    mnd.  annamichlik 
auuiode    at  han  tha  aiimodher  tbennum  og  loulig  fnldfölger,    jRsr.  203. 

mnd.  anmoden 
ansee    wi  hawe  for  got  anseet,  Rsv.  275.    mnd.  anseii 
anskrig   och  giorde  ther  äff  anskrigh  och  bistand,  liier.  IVi^.  »«u(?.  anschri 
ausicth   Him  weiidhe  meg  sith  grumme  ansicth,  J?/^'.  1899.    «i/tJ.  ansieht 

hc.  Das  präfix  scheint  zufrühest  gegen  die  mitte  des 
14.jalirli.  im  dänischen  aufzutreten.  lu  Gammeldansk  Kroniker, 
dem  einzigen  denkmal  aus  dem  14.  jahrh.,  das  in  dänischer 
spräche  dänische  geschichten  übermittelt,  scheint  sich  noch 
keine  spur  davon  zu  finden.  In  kong  Valdemar  IV.  privileg 
for  Malme  1360  und  in  dem  für  Lund  1361  kommen  schon 
vor:  befinde,  behoff',  hestreden,  hesynderlig,  hesinde,  hewise,  he- 
iviselig,  heware.  Während  des  15.  jahrh.  ist  der  gebrauch  des 
präfixes  in  steter  zunähme  begriffen  und  das  neudän.  beweist, 
dass  er  in  der  folgezeit  nicht  wider  zurückgegangen  ist,  son- 
dern sich  unter  dem  späteren  einfiuss  des  hd.  weiter  ent- 
wickelt hat.i) 

bebinde    som  a^rae  beboudense  med  syndzens  bond,   H.M.'kl.    mnd.  be- 

biuden 
bebreve    som  jaek  ok  myn  brother  henne  bebrevet  haue,    M.P.  16ü;    vgl. 

H.H.  160;  Bkr.  lOQ!  u.  o.    mnd.  bebreven 
bebude  han  suarede  sengelen  som  hinne  bebaddet  sin  mandoms  imtfongelse, 

T.K.  214,  23.    mnd.  beboden 
bedrage    lad  ickaj  tidhen  tig  forsemelighen  bedraghe,    H.M.  160.    mnd. 

bedregen 
bedriwe    och  inghen  hanteriug  eller  Kiebmanskaff  bediiffue,    Bsv.  286; 

vgl.  jR.D.  I  228.  345  u.  o.     mnd.  bedriwen 
bedrefft    for  meuuiskens  synder  och  oud  bedrefft,   H.M.  5;  vgl.  JRkr.  90d. 

1119.    mtid.  bedref 


1)  In  das  Verzeichnis  der  mit  be  und  for  gebikleten  Wörter  sind  nur 
solche  aufgenommen,  zu  denen  es  mnd.  entsprechungen  gibt.  Es  finden 
sich  ausserdem  sehr  zahlreiche  Zusammensetzungen  von  he  und  for  mit 
nordischen  stammen.  —  Doch  sind,  wie  schon  bemerkt,  nicht  alle  der  hier 
aufgeführten  Wörter  als  entlehuungen  zu  betrachten,  weil  sich  im  nordischen 
häufig  dieselben  wortstämme  finden,  wie  im  niederdeutschen. 


EINFLUSS   DES   MNI).    AUF   DAS   DÄNISCHE.  437 

bedreve   for  thj'  miu  grym  bedrefd  samwit  war  fordiserf,  HS.2S,B1:  vgl- 

Ssv.  308:  B.D.  m  170  u.  o.    mnd.  beckowen 
befale    jek  befaledhe  hannuin  thin  hond,   4.  M.  21,34;    cgi  iH.2?.  34,  20 ; 

H.3I.  89  t(.  0.     »tnd.  bevalen 
befaling    och  alle  the  som  her  eerse  i  hans  befalinge,  D.C.  14;  vgl.  D.M. 

ni  42.     mnd.  bevalinge 
befatte    thet  Gardz   rnm   som  tili  thett  forscreffne  iiy  Huus  befattet  ser, 

D.3I.  I  270.     mnd.  beväten 
befindhe   for  godwilge  och  kserlighed  som  wü  befunueth  hawe,  D.C251; 

vgl.  Ekr.  3253  u.  ö.    mnd.  bevinden 
befeste    met  therres  secretse  och  iutzegle  befest  och  wederhenget,  D.C. 

262.    mnd.  bevesten 
befladdhen  (m/".  beflyde)    betladdhen  wor  hun  i  fraast  oc  sne,  Bkr.  1094. 

mnd.  bevleteu 
befri    och  were  werdigh  befridt  derfore,  Bsv.  132.    mnd.  beviien 
befrygde   oc  befrectede  at  wii  wilde  tage  Stocholm  fra  hauom,  D.C.lbl. 

mnd.  bevruchteii 
heg  ade    hon  ser  audelig  salt  med  huilket  vertz  menniske  begathes,  H.S. 

39, 14.     mnd.  begaden  (SchlL.  2) 
begawe   alt  thet  goth  som  miu  leff  begafuet  megh  met,  H.S.  26,  28.  mnd. 

begaweu 
begere    Huad  the  begerse  tili  liiff  och  siael,  H.3L  94;  vgl.  D.C.  176;  Bkr. 

394  «.  ö.     mnd.  begereii 
begerlik    at  hau  ey  haftuer  begerlige  kserlighet,  T.K.  166,18.    mnd.  be- 

gerlik 
begiftige   privilegier  oc  friiheder,  i  huilkse  the  thennem  meth  begiftiget 

hawe,  K.  (1480).    mnd.  begiftigeu 
begrawe    hans  senner  jordet  ok  begrofl'  hauuom,    1.  üi.  35, 29;   vgl.  Bkr. 

863;  M.B.  17,10  ti.  o.    mnd.  begrawen 
begriwe    af  all  thess«  bescrifuelse  kun  han  ey  begrype  hennse  som  hau 

felsket,  H.S.  13,  3;  vgl.  1.  M.  7,  24;  D.C.  249  u.  o.    mnd.  begripen 
begynne    mennisken  begjnthne  fuld  god  en  id,  H.M.^\   vgl.  iI.»S.  34, 3; 

D.C.  152  u.  0.    mnd.  beginnen 
begä    meth  messer  och  meth  liys  heedherlige  begaa,  M.P.  105;  vgl.  D.C. 

162;  D.3/.  111337.    mnd.  begän 
behage   han  behawede  henne  wel,  B.D.  lU  18;  vgl.  l.M.  20,15;  3I.B.  218,  6 

i(.  0.     mnd.  behagen 
behelpe    paa  thet  at  the  maa  them  berge  oc  behelpe,   Bsv.  292.    mnd. 

behelpen 
behelpelig    behielpelige  oc  bistendiighe,  -Rsr.  310 
behulpelig    tha  ther  til  behulpelicse  wäre,   M.P.  140.    mnd.  behelplik, 

behiilplik 
behielpning   hannum  ther  äff  behielpning  att  künde  fange,  D.3I.  IV 41. 

mnd.  behelpeninge 
behennelig    leg  giordhe  mange  behendelig  ting,  Bkr.  4:31.  mtid.  höhende 
behindrse   kunne  Othense  borghere  behindre  nogen  i  theres  by,  Bsv.  121; 
vgl.  H.M.  121.     mnd.  behinderen 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  29 


438  MARQUARDSEN 

behold    tha  skal  hau  wäre  feligh  oc  frii  at  komme  i  hans  behold  igen, 

3T.GI  1469:  vgl.  D.C.  200;  Bsv.  2i9.    mnd.  beholt 
beholde    haus  ers  behielt  hoshonden.    E.£>.  1251;   ?'6rf.  I  228.  345 :    3I.R. 

25. 19  it.  0.    mnd.  beholden 
behov    til  bsegges  ther  behoff,   i»/.P.  279;   vgl.  Bsv.  8b;   H.S.  Sb,  20  n.  o. 

mnd.  behöf 
behytte    hau  kau  sig  sieff  behytthse,  H.M.  3.    myid.  behodeu,  behudeu') 
behoring    meth  all  sin  behoriug,  D.M.  in  205.    mnd.  behoringe 
beheve   *hy  behofuer  ey  at  taghe  auctoritates,  H.S.  2, 17;  M.R.  31,11  u.  o. 

mnd.  behoven 
bekende  hwo  sig  seif  wel  bekeuner,  7'.Ä'.  4, 14;  ?6rf.  164, 13;  Jf.E.  146, 13. 

mnd.  bekeuneu 
bekenuere   thiu  selskere  oc  thin  welgeruiugs  bekennere,  T.Ä'.  124, 7.  mnd. 

bekeuner 
bekregtige   alle  hethuyngene,  hwilke  som  hau  hafte  bekrektith,  2.Sam. 

8, 11.    mnd.  beki'echteu 
bekommer    i  stör  bekommer  oc  wadhae,  Bkr.  2194.    mnd.  bekummeringe 
bekostniug   da  gielde  hun  atther  bekostniug,  Bsv.2bd.     mnd.  bekosting 
bekumre     oc  bekummer  sek  i  vertz  ferend,  H.S.  B9,  21;  vgl.  D.C.  201 
bekymre    bekymmerth  och  droffueth,  T.X^.  125,  8.     mnd.  bekümmern 
bekvem    to  beqwemme  pebliuge  ther  syunghe  kuune.  D.C.  160;  vgl.  R.D. 

1189;  Rsv.lb9.    mml.  bequemme 
bekvemlig    som  er  beqwemmelig  til  Guds  tieneste,  D.M.  VI  113.    mnd. 

bequemelik 
belade    the  wäre  medh  hanum  ilde  belath,  J?.D.  II  5.    mnd.  beläten 
beleglig  keysereu  sogh  hure  staden  stodh  belegligst  tili  at  wynne,  R.D. 

IV  50.    mnd.  belegelikt 
beiegge   see  giymme  dyr  belsegge  meg,  H.S.  143,  20;  Rh:  4443.  4910  u.  o. 

mnd.  beleggeu  (belagern) 
beleve    hawe  belevet,  fulburdh  oc  samthycht  then  dagh  mode,  D.C.  249. 

mnd.  beleven 
beligge  eu  moe  som  Eriik  Loreuseun  hadde  beliggeth,  D.il/.  VI  55.    mnd. 

beliggeu 
belaere  hwer  udi  sin  stedst  maa  sig  belaere  oc  effter  holde,  Rsv.  127.  mnd. 

belereu 
bemanne   trehuudrede  holkpe  hade  ieg  bemaunede  oc  wel  bespijsede,  Rkr. 

2506;  vgl.  R.D.  III 17.  104.    mnd.  bemauueu 
bemöye    beraöye  eller  forstj^rre  denuem,  Rsv.  275.    mnd.  bemoden 
benade   at  wi  them  met  privilege  oc  friiheet  benathe,  besorge  oc  bethenke 

wilde,  Rsv.  127.    mnd.  begnaden 
bepligte    tha  beplicte  wii  oss  oc  then  uieuighe  kepmeu,  D.M.  11  39;  vgl. 

D.C.  333  u.  ö.    mnd.  beplichteu  [bereden  {bezahlen) 

berede  wil  hau  ey  beraetthe  innen  daghen,  Rsv.  30;  vgl.  D.M.  II 19.    mnd. 


1)  Die  form  behytthce  könnte  fast  auf  hd.  einfluss  schliessen  lassen. 
Aber  da  sie  am  ende  der  verszeile  steht,  so  kauu  der  dichter  sie  auch  aus 
reimnot  verändert  haben. 


EINFLÜSS    DER    MND.    AUF    DAS    DÄNISCHE.  439 

bereclniiig-    oc  thack*  wi  haeime  gernae  forse  god  beredhnyng,  M.P.  288. 

7nncl.  beredinge 
be rette   som  avü  ider  well  beraitte  wele,  D.C.  151;  s.  a.  M.B.  30,2;  B.lJ. 

IV  9  u.  ö.    mnd.  berichten 
b  er  ige    ther  meth  leg  mecli  berijdde,  Rkr.  3227.     mnd.  berikeu 
beruktik    som  nieget  beriiktik  er,  aif  stör  rigdom,   M.i?.  115, 16.    mnd. 

beruchtig 
berygte    man  eller  qwiunse,  the  som  opeubare  beröchtede  sere,  Bsv.\&l\ 

vgl.  H.S.  97,  1.     mnd.  beruchten 
beräd    da  schall  han  settis  udi  stadsens  hegte,   saalenge  indtil  band  faar 

et  bedre  berad,   Esv.  ö08;   vgl.  1.  31.  i,  7;  D.ilf.  II  45  ?<.  ö.    mnd.  herÄt 

(i-0)-sat3) 
her  ade   theu  sagh  toghe  wii  tili  oss  oc  well  beradde,  K.  (1488);  vgl.  b.M. 

17,12;  n.C.  192.    mnd.  beraden 
besee    0  quiudhae,  besee  thyu  kserae  son,  H.3I.  87.    mnd.  besen 
besegle    thet  segel  som  ther  war  appaa  war  wel  beseglet  raedh  guld, 

B.D.  II  40.     mnd.  besegelen  (von  schiffen) 
besegle    oc  beseghle  meth  wort  maiastatis  incighle,   D.C.  12;  ibd.  ISO; 

D.M.  II  40  u.  V.     mnd.  besegelen 
besidde   besidd*  then  frygd  som  himmelen  beer,  if.iüf.  95;  vgl.  T.K.  113,8; 

M.B.  9, 10  u.  ö.    mnd.  besitten 
besinde   oc  kunne  wii  wel  besinne  oc  bethrachte,  D.C.  107;  ibd.  180;  B.D. 

III 170  u.  ö.    mnd.  besinnen 
beskade    ey  beschade  landyt  eller  landsens  inbiggere,  D.C.  14.    mnd.  be- 

schadeu 
beskatte    oc  enghen  man  skal  ther  fordeles  eller  beskatte  fore,   D.M. 

1319;  vgl.  D.C.  218  n.  o.    mnd.  beschatten  (Schätzung  auflegen) 
beskeden    hiiu  kom  allthiide  heem  i  beskeden  thiid,  M.Gl.  (1A88).    mnd. 

bescheden  (passend) 
beskeden    een  beskedhen  prest,  D.C.  159;  vgl.  M.Gl.  1463  u.  ö.    mnd.  be- 
scheden (titelhaftes  icort  für  bnrger  tmd  die  niedere  geistlichJceit) 
beskedelige   then  gor  ey  beskedeligh  som  gitfuer  alsammen  til  gledskap, 

S.K.  99,4;  vgl.  3I.B.  110, 18.    mnd.  beschedelik 
beskerme    Hon  beskermer  met  sin  vern,   ÄS.  101,36;  vgl.  Jf.jR.  82, 19; 

2.  31.  2, 17  u.  0.    mnd.  beschermen 
beskrive   som  thennom  saarett  giftue  och  beschriffue,  Bsv.  127;  vgl.  M.B. 

9, 13  n.  0.    mnd.  beschriwen 
beskue    beschoder  nu  allse  thennse  fulae  mand,   H.M.  82;   vgl.  T.K.66,9. 

mnd.  beschuen 
bespise    trehundrede   holke   hade  leg  bemaunede  oc  Avell  bespijsde,   Rh: 

2506.    7nnd.  bespisen 
bestalde   hertogen  och  grewen  mense  ath  bestallse  Flsensborgh,  Jf.P.  399; 

vgl.  Bkr.  4535;  B.D.  III 12  w.  o.    mnd.  bestallen  (belagern) 
bespytte    oc  bespyttet  mit  selskelig  andlet,  H.S.  19,6.    mnd.  bespien 
bestride   oc  bestridh  the  oud  diwr,  T.K.  126,  7;  vgl.  Bkr.  1144;  1.  31. 1, 10 

u.  0.    mnd.  bestriden 
besta    ellers  hade  han  oss  ey  bestodh,  Bkr.  211S.    mnd.  bestän 

29* 


440  MARQÜARDSEN 

bestand    den  helge  kirke  til  bestand,  D.C  178 

bestandelig:    soodant  lag  oc  rset  som  gantzse  menighpe  Norghes  rike  er 

bestandeligt  meth,  D.C.  5.    mnd.  bestantlik 
best 86 de    bestede   oc   bruge   til   byeus  nytthe,    Bsv.  159.    mnd.  besteden 

{Sch.L.  1) 
besunderlig  meth  al  oc  hwor  besuuderlich  thes  tilliggelse,  ilf.P.  266  u.  o. 
besynderlig    uden  handt  baffner  besynderlig  forloff,  Bsv.  MQ;  vgl.  M.P. 

241;  H.S.  117,27  u.  ö.    mnd.  besuuderlich 
beswaerje  huer  affthem  serdelis  skal  besuere  sin  Couscientz,  D.ili.  11140; 

vgl.  Kkr.  233.  1849;  1.  M.  24,  3.    mnd.  beswereu  (beschwören) 
besege    da  skal  fogden  med  to  mseud  besöge  haus  huus,  Usv.  271.   mnd. 

besoken 
besorge    besyrgedhse   adams    storse  fald,   H.3I.  139;  vgl.  Esv.  122;   T.K. 

56, 14.    mnd.  besorgen 
betale   elleue  huudreth  markjgeu  fongse  oc  betalse,  M.P.  254;  vgl.  Bsv.  30; 

D.C.  211  tt.  0.    mnd.  betaleu 
betecke    skensel  skal  betekke  mith  sentleth,  T.K  161, 12;  i¥.Ä.  107,21. 

mnd.  bedecken 
betegne   ser  han  oc  beteguet  met  korsset,  T.K.  195, 56;  H.S.  131, 12.  mnd. 

betekenen 
betenke    bethenk  nu  utaleghe  thiug,  H.S. 9,Si;  vgl.  Bsv.  12i.    mnd.  be- 
denken 
betragde    nor  tliu  betrakter  Jesu  Christi  leffneth,  T.K.  49,11;  D.C.  107. 

innd.  betrachten 
betro   de  som  meste  delen  äff  raadit  dertill  betro  wille,  Esv.  523;  vgl.  D.C. 

250.    mnd.  betruwen 
betrsede  hwilke  the  ther  i  theres  rye  betrsedhae,  J?sr.  204;  vgl.Bkr.29iß. 

mnd.  betreden 
betyde  hau  uudi-ede  hwat  thet  betidde,  B.D.U14:7;  ibd.  121;  M.B.  i69,b. 

mnd.  bedudeu 
beware    ethers  liff  bewares  thet  scully  i  see,   ff.ilf.  25;   vgl.  1.  M.  4, 18; 

H.S.  34,  31.    mnd.  bewareu 
b ewaring   Oc  til  mere  bewaringe  oc  wisssen  her  um,  M.P.  257  u.  ö.    mnd. 

bewaringe 
bewende    j  there  nyttse  at  beuende,  3I.P.  376.    mnd.  bewenden 
bewise    bewiser  glsedeligh  tilquem,  iT-S.  101,28;  D.M.  IIIIGB  u.  o.    mnd. 

bewisen 
bewisniug    mett  breff  oc  all  bewisuing,   ilf.P.  262;  vgl.  D.C.  26i;   H.S. 

34, 25.    mnd.  bewisinge 
bewäge    eet  stört   taam  kostelict  oc  stserkt  oc  falk  oppa,    som  staden 

bewoogse,  3I.B.  111, 12.    mnd.  bewaken 
bewsere   ther  scule  wi  oss  enktse  meth  bewaerje,  M.P.  140;  vgl.  H.S.  139, 35; 

1.  M.  4, 16.    mnd.  beweren  {Sch.L.  1) 
bewseve   hwilket  mik  offtae  forfarer  och  bedreffuer  hiudrer  oeh  heweffuer, 

T.K.  121, 9 ;  ibd.  56,  6.    mnd.  beweben 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHE.  441 

hi  (mnd.  U): 

bisprok   Minnes  altidh  thet  bisprok,  T.K.  4,1;  vfjl.  LM.  21,  27;  ö.ili.  28,37. 

mnä.  bisproke 
bis  tan  fl   for  theris  bestse  gaffu  och  bystaudh,  Bsv.  84;  vgl.  Ekr.  1479.    mnd. 

bistaut  (Sch.L.  bistandicheit) 
bistendig    felgachtige  oc  bisteudige,  D.C.  372.     mnd.  bisteudicli 

for  (mnd.  vor).  Dieses  präfix  begegnet  bereits  in  altdän. 
gesetzbüchern  vor  1300.  Kristensen  hält  es  schon  hier  für 
entlehnung  aus  dem  mnd.  trotz  der  Übereinstimmung  von  fore 
biutha,  fore  gaf  mit  fiirir  hjoda,  fijrlr  gefu.  Ich  neige  micli 
mehr  der  sonst  lierschenden  ansieht  zu,  dass  es  sich  in  den 
ältesten  Zusammensetzungen  mit  for  doch  wol  um  einheimische 
formen  handelt.  Jedenfalls  aber  bleibt  durch  das  vereinzelte, 
frühe  auftreten  des  präfixes  die  tatsache  unangefochten,  dass 
die  grosse  zahl  der  im  14.  und  15.  jahrh.  eingeführten  Wörter 
mit  for  teils  direct  entlehnt,  teils  nach  mnd.  muster  gebildet 
ist.  Im  14.  jahrh.  zeigt  sich  der  gebrauch  von  for  zunächst 
in  seineu  anfangen;  gegen  ende  dieses  Zeitraums  nimmt  er  zu, 
um  dann  während  des  15.  jahrh.  zu  einer  ungemein  häufigen 
erscheinung  zu  werden. 

foragt    med  wrede  eller  foracht,  Rsv.hOd.    mnd.  voracht 
forantworde    och  naar  the  breff  swo  forautwordyt  ?ere,    B.C.  14.    mnd. 

vorantworden 
forar beide    at  wor  uathige  herre  wil  forarbeyde  meth  pawen  oc  meth 

keysereu,  D.C  200.    mnd.  vorarbeiden 
f orarge    Huo  som  forarger  stadzens  plaucker  eller  weru,   Bsv.  554;  vgl. 

B.M.  II  22.     mnd.  verärgeren 
for  barme    forbarmse  tig  offner  os  baddhe,    H.M.  144;   ogl.  B.D.  III 129; 

Bkr.  3086.    mnd.  vorbarmeu 
forbedre    1  det  handt  forbedrer  quiudenn,  saa  forbedrer  handt  oc  hendis 

barn,  Esi\  531;  rgl.  128;  D.C.  176  u.  ö.    mnd.  vorbeteren 
forbide   effter  huer  dombreff  forbede  YI  uger,  AT.  (1471);  ibd.  (iiSd).   mnd. 

vorbeiden 
forbind    wden  alt  swigh  som  thennse  forbind  kan  komme  til  scadhse,  K. 

(1438).     mnd.  vorbunt,  vorbiudinge 
for  binde    wi  oss  til  samen  forbinde,  K.  (1438).    mnd.  vorbinden 
forbindning  nyde  alle  the  friiheet  och  forbynniug  som  forskreffuet  staar, 

D.C.  20.     mnd.  vorbindinge 
forblinde   thet  folk  er  iemmerlich  forblindeth,  Jf.E.  95,  5.  »mcZ.  vorbleudeu 
forbude   at  thet  forbiidhe  the  andre  righe  pa  leyeligh  stodh  ok  time,  K. 

(1483).     mnd.  vorboden  (entbieten) 
forbygge    sengen  forbygge  sin  nabo  med  hws  eller  steenbro,   Bsü.  507 

mnd.  vorbuwen  (Sch.L.  3) 


142  MARQUAKDSEN 

forbode    liurne  maeuuiskeu  skulle  reettelig   forbodlie   myst   glaedhe,    H.S. 

21,  36.     n»id.  vorbodeu  (strafe  zalilen) 
fordeytinge   besöuderlige  at  forsware  ocli  fordeitiuge  til  rettbe,  J?S';.  200; 

vgl.  D.M.  III  il;  B.C.  251.     mnd.  vordegetiugeu 
forderv    tba  mattbe  tber  affkomme  eu  stör  fordserff,  K.  (1452);  vgl.  B.C. 

216;  Bsv.  282.    mnd.  vorderf 
forde rve    then  skuUse  baus  datter  forbwsrffue,   som  tbeu  kempe  kunue 

forderffue,  Bh:  1374:  cgi.  1.  M.  6, 12.    mnd.  vorderven 
fordervelse    then  hselghe  stadz  forderfuels,  ÄS.  39,  9-    mtul.  vorderf 
fordrag   baff  meg  fordrag  tili  en  anden  tiid,  B.B.  III 115.   mnd.  vordrach 

(Sch.L.  2  ai(fschub) 
fordrage   leg  wil*  teth  ey  fordrawe,  Bkr.  1822;  vgl  M.Gl.  1452;  K.  (1454). 

(1456)  u.  ö.    mnd.  vordragen  (Sch.L.  3  vorschonen) 
fordriste    ikke  nogen  of  worse  fogder  skal  fordriste  sig,   J?s^-.  275.    mnd. 

vordristen 
fordriwe    Hau  beskermer  tbem  som  fordi'iste  sit  lefnet  i  godhe  arbegdes 

gerning,  H.S.  121, 1.    mnd.  vordriweu 
forene    bau  ser  foreut  med  sagwoldereu,   Esc.  169;   vgl.  B.C.  170.    mnd. 

Toreneu 
forfalde    saa  at  forscreffue  byguiug  icke  forfalle  skulle,  B.M.  II 19:    vgl. 

M.E.  88, 17.     mnd.  vorvallen 
forfaug   komme  til  scadbe  eller  forfaug,  K.  (1438):  vgl.  B.M.  II  14;  B.M. 

VI  84.     mnd.  Torvank 
forfare   at  vii  fornommetb  eller  forfaretb  haffue,  D.C  192;  «M.  373.   mnd. 

vorvaren  (erfahren) 
f orfarge    see  om  wanetb   forfariger   segh,    E.B. I32i.    mtul.  vorfavwen 

(fehlt  Sch.L.) 
forfinde    udeu  bandt  er  uret  forfuudenn,  som  för  er  rordt,  Esv.b2b;  vgl. 

B.C.  375;  K.  (1462)  u.  o.    mnd.  vorviudeu 
forflytteg   item  worder  noger  freth  less  eller  foräyttegb,  B.C.  19.    mnd. 

vorvlichtech 
forfaere    titb  biserte  skal  ey  forfsers,   T.iC.  135,20;    vgl.  Bkr.  2188;   1.  M. 

18,  5  u.  0.    mnd.  vorveren 
forfeige    bau  forfylgbede  tbem  ut  til  Dan,    1.  J/.  14,4;    vgl.  Born.  3,18. 

mnd.  vorvolgeu 
forfeigere    Gudb  st  emulator,  tbet  *r  forfylgere  seliger  elskere,   2.M. 

34, 11.     mml.  vorvolger 
for gange   nu  »er  forgaugen  IXXX  aar,  E.B.  III  56;  vgl.  1.  M.  3, 39;  1.  M. 

1, 19  n.  ö.     mnd.  vorgäu 
forgeuglig    forgjeugelig  lyst  oc  glsdbe,   H.3LJ9;    vgl.  D.C  159.    mnd. 

vorgeuglik 
forgiftig    tber  serae  mangse  ondae  forgiftigse  ormse,   3LE.  88,17.    mnd. 

vorgiftich 
forgive    forgiff  mig  syuder  myu«,  H.3L  86;   vgl.  E.B.  U.  153;  1.  M.  6, 11 

u.  0.    mnd.  vorgiwen 
forgylde    i  forgyllen  klgedber,  H.S.  12, 13;  vgl.  M.E.  28, 11;  E.B.  I  257. 
mtid.  vorgulden 


EINFLUSS   DES   MND.    AUF   DAS    DÄNISCHE,  443 

forg-i«lde    hwilket  liaiinura  gudh  forgaelde,   M.F.SOb;    vgl.  B.D.  I  218. 

mnd.  vorgelden 
forgsete    ath  foiga?dhe  sig-  sii«lff,  T.K  33,  36;  vgl.  Rh:  28;  H.M.  114  it.  ö. 

mnd.  vorgeteii 
forgifives    fofeugelige   ok  forgseffues,   T.7t.  15, 15;    vgl.  77.5.85,12  u.  ö. 

mnd.  vorgewes 
forhade   ridderskabeth  wille  the  forhade,  RJir.  •18-18.     mnd.  vorhateii  (rer- 

derbeii) 
for handle    the  skule   haue  fuldmacht  ther  ath  f erhandele  och  overtale, 

D.C.  li;  cgi.  H.M.  7.     vuid.  vorhandeleu 
forhaste    iugen  forhasted«  leg'  mig  appaa,  Rh:  3600.    mnd.  vorhasten 
f orhserde    och  mangheu  forherdes  uti  oudskaff,  H.M.  115;  vgl.  M.R.  142, 11. 

mnd.  vorherdeu 
forhsere   eller  syo  och  sand  scal  thet  forhfere,  77.iI7.  34;  vgl.  72.D.  111182; 

HS.  38, 13  u.  ö.    mnd.  vorheren 
forhere    wi  wilde  tale  met  wore  radh  att  forhere  aif  them,   D.C  373; 

vgl.  3I.R.  166,  28.     mnd.  verhören 
for  klare    thet  er  tüforu  forklaret  nog,  H.M.  95;  vgl.  D.O.  176;  Rkr.  1615 

i(.  0.     mnd.  vorklaren 
forklsede    hun  forkledde  sseg,  R.D.  II  78.    mnd.  vorkledeu 
for  komme    huo  som  forkommer  eller  borttager  äff  stadzens  wern,   Rsv. 

555;  ihd.  571.    mnd.  vorkomen  (verderben) 
forkropeu    thsenne  Avor  sen,  forkropsen  og  bertewin,  l.Ji.  49,  7;  vgl.  b.  M. 

21, 18.    mnd.  vorkrupen 
forkrcenke  om  vpor  nadighae  herrse  forkrsencht  haffwer  thsen  helgse  kirkpeus 

friihedt,  D.C.  192;  ihd.  21.     mnd.  vorkrenken 
forkyude    da  skal  borgemester  lade  det  forkyude,   Rsv.  275.    mnd.  vor- 

kunden 
forkyndug'e    thet  schule  kouning  ok  righens  men  strax,  ferste  thet  for- 

kerdh  ok  forkyndughet  worther  forstyre,  K.  (1438).    innd.  vorkundigen 
forkeb   Huo  som  giör  den  andeuu   bewiseligt  forkiöb,  Rsv.  553;  ibd.  505; 

K.  (1422)  u.  0.    mnd.  vorkop 
for  fange    forleng  thik  ey  for  mik,   :!/'.7f.  125, 14;   J2.D.  II  21   u.  ö.     mnd. 

vorlangen  (Sch.L.  1) 
forlenge    forlenger  theres  liiff,  77.J/.  93.     mnd.  vorlengen 
fori e wen  {pari,  perf.)   tu  est  en  gammel,  forlewen  krop,  A'Ar.  2098.   mnd. 

vorlewen 
forlide    naar  forscreffne  tii  aar  forledhe  oc  framgonghue  sere,   D.C.  147; 

vgl.  R.D.  II  301;  ibd.  III  146  u.  o.     mnd.  vorliden  (vergehen) 
fori  ige   tili  at  forhandele  ok  overtale,  forlige  eller  atskylise,  7).C'.  14;  ibd. 

170.     mnd.  vurliken 
for  lade    han  skal  ikke  forladhe  folket,   2.  .17.4,21;   vgl.  HM.  123;   R.D. 

II  126  u.  0.     mnd.  vorläten 

forlov    uuden  han  hauer  besynderlig  forloff,   Äst'.  547.    mnd.  vorlovinge, 

vorlof 
forlove    keyseren  forloffuede  at  giere  the  synder  mere  i  syne  dage,  R.D. 

III  ii;  vgl.  M.R.  74, 2.    mnd.  vorloveu 


444  MARQUARDSEN 

forlsene    tliet  gotz  som  Giidh  haffuer  rnegh  forleeth  poo  jordh,  K.  (1481); 

vgl  n.M.  VI  267.     mnd.  vorleneii 
forl«ste    Om  hun  kimde  thet  forlaeste,   H.3I.  12;    vgl  M.Gl  1477    (fehlt 

Sch.L.) 
formaledide    hau  inaledide  ingen  der  hau  vor  formaledidet,   Do».  9, 23; 

mml  vormaledieu 
forme  de  soo  offthe  seg  noger  formeder  eller  besteder  til  bagere  geruingh, 

K.  (1403).    mnd.  vormeden 
form  edel  st    formedelst  din  nade  ledh   mik,   T.Jf.  180,  29;   vgl  Rsv.  267. 

mnd  vermiddelst 
formode    nw  äff  tliy  at  wi  oc  worse  Righse   oss  sey  aimset  äff  thöm  for- 

modhom,  31.P.  186.     )nnd.  vormodeu 
form  er  e    och  haffuer  thennom  med  iiogre  artickle  formferitt,   Esc.  128; 

vgl  B.C.  331.     mnd.  vormeren 
formoge  (v.)   offthe  widhe  wi  ey,  hwat  wi  formoge,  T.K.  20,21;  vgl  B.D. 

1 273.    mnd.  vormogen 
formoge  (s.)    efter  thin  formoghe,  H.S.  20,33;  vgl  Bkr.  4860  u.  ö.    mnd. 

vormoge 
formserke    trsendse  storae  slemhetz  thegu  fformertthse  ieg  paa  theu  drot- 

ningens  veghn.    mnd.  vormerken 
fornedre    och  Guds  alm0sse  ey  fornethres,   D.M.  II 19;   vgl  Rkr.BiOß. 

mnd.  vornedereu 
fornedring    att  the  ey  foruamlle  Gudz  almessse  til  fornedriugh,   D.M. 

n  22.    mnd.  vornedderingen 
fornemme    Ok  da  hun  fornam,  D.M.  II  44:   vgl  Bkr.  732;   D.C.  192  u.  o. 

mnd.  voiTiemen 
fornimst    thet  gonger  ouer  myn  fornimst,  M.R.  165,21 
fornumst    effter  wort  rettse  sanwydh  och  fornumst,    D.M.  II 19.     mnd. 

vornumst 
fornum stich    thsette  breff  meth  flere  lerligh*   oc  fornumstighse  mseutz 

intzeylse,  D.C.  193;  H.M.  131  xi.  ö. 
fornymstich    forty  mense  sommse  ufornymstighte  menniskae,  M.E.  191,5. 

mnd.  vornuftich 
foruege    skule  wii  tha  betale  oc  fornege,  D.C.  147.     mnd.  vornogeu 
foruy   Hwer  dagh  skulle  wi  foruy  wor  forakth,  T.iC.  28,25:  vgl  Bsv.20b; 

H.S.  77,  23  u.  ö.    mnd.  vornieu 
fororde    at  wej  alle  horde  og  soghe  thesse  fomse  serende  swo  forordes, 

M.Gl  (1489).     tnnd.  vorworden 
forpante    at  hun  aldreg  vilde  eller  skulde  saelge,   bortgiftue,  forpante, 

D.M.  II  44;  vgl  D.C.  1.    mnd.  vorpanden 
forpligte   alle  thesse  forscreffne  artikle  forplikte  wii  oss  ath  halle,  D.C.  75. 

mnd.  vorplichten 
forplichtng  wäre  alle  the  gode  men  torplichtuge  tili  att  uuderwise  oss, 

K.  (1483).    mnd.  vorplichtich 
forprang    oc  giöre  forprang  i  there  forstrug,   Bsv.  283.    mnd.  vorprauk 

{rechtsheschränkimg) 


^ 


EIXFLÜSS    DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHE.  445 

forprauger     Bönder    eller   nogher   ander   forpraugher,    Esv.  286    (fehlt 

Sch.L.) ') 
for ramme   och  haue  endraclitelighe  begrebet  och  forraraet  swodan  datynge 

friid,  D.C.  14;  ibd.  249.     mnd.  vorramen 
forräde    meg  ath  forradhe  meth  sluettae,  BJn:  5016.     imul.  vorradeu 
forrjedere    tiiif,   forrpedere   eller   uoget    det,    Rsi.öii;    cgi.  M.J).  II  iQG, 

mml.  vorreder 
forsage    forsig  Mameuth,  R.D.  III  135.     mnd.  vorsaken  (absagen) 
forsamle    i  Feuedia  forsamblet  waar,  H.3I.  7;   vgl.  D.C.  179;  E.D.  III  44 

u.  ö.     mnd.  vorsameleu 
forsamliug    om  uogher  borger  giöre  vapresning,  forsambliug  eller  samel- 

bunde,  Bsv.  288  (fehlt  Sch.L.) 
forsee    hwi  forsaa  wi  os  ey  slelff  om  vor  helse,  H.S.  144,8;  vgl.  Rkr.  50; 

a.D.  III  379  u.  0.     mnd.  vorsen 
forsidde    huo  swadanne  loghe  daghe  forsithet  haffuer.   K.  (1446).    mnd. 

vorsitten 
forsigtig    kserlighetb   ter   forseiftigh   kj'sk,    stadugh,    T.K.  94,23.    mnd. 

vorsichtig 
forsinde     theii  friighe  ey  forsynnede  segh,  B.D.  II  158.     mnd.  vorsimien 
forskabe    forskapthee  i  dieffse  lighse,    ÄJ/.  130;    r<//.  if.»S'.  100, 18.    mnd. 

vorschapen 
forskalke    bloiidhet  oc  forskalketh,  il/.I?.  25,  25.     mnd.  vorschalkeu 
forskatte    audet  haffuer  hans  uade  voss  ey  forscatteth,  K.  (1497).    mnd. 

vorschatteu 
forskylden  (s.)   oc  vil  ieg  ey  at  hon  skal  mere  tröste  äff  sine  forskyllen 

sen  äff  min  gunst,  H.S.  68, 13.    mnd.  vorschult 
forskylde  (v.)  lak  haffuer  wel  forskylleth  ath  lidlie,  :/'.iC.  134,2;  vgl.  l.M. 

22, 29.     mnd.  vorschulden 
forslide    oc  swa  forsletz  thet,  K.  (1477).    mml.  vorsliten 
forslä    och  raenthen  forslar  ud  äff  hans  Iseu,  ^r.  251;   vgl.  B.D.  1176, 

mnd.  vorslän 
forsmaa    Agay  forsmode  sin  frue.  1.  M.  16,3;  vgl.  Bkr.  B9S8.  2559.    mtid. 

vorsmäu 
f erstände   for  klerkse  som  thet  forstandhse  kand,  H.M.  8;  vgl.  B.D.  II 163; 

Bier.  52  u.  0.     mnd.  vorstän 
fors winde    then  tid  band  forsuand  af  terres  asyu,  MB.  GG.  11;  vgl.  B.D, 

n  21.    7nnd.  vorswinden 
forstyrre    ikke  nogen  af  norre  fogder  skal  fordriste  sig  til  at  forstyrre 

dennem,  Bsv.  275;  vgl.  K.  (1438).     mnd.  vorsturen 
for  söge    fors0ge  oc  probere,  D.il/.  III  332 :  vgl.    kr.  4325.  mnd.  vorsokeu 
forselve    forgyldet  eller  forsolfuit,  D..1/.  III  333  (fehlt  Sch.L.) 
forseme    klerck  scal  ey  synse  tider  forseme,   H.M.  116;   vgl.  Jf.i?.  69,  20; 

B.D.  I  336  n.  0.    mnd.  vorsumen 


*)  Im  schleswigschen  platt  ist  das  wort  heute  noch  lebendig:  man  sagt 
peerdepranger.  Ob  das  wort,  wie  K.  vermutet,  aus  dem  dän.  ins  ndd.  ge- 
wandert ist? 


-M6  MARQUAKDSEN 

forsomelig    skede  thet  swo  at  sognepresten  oc  kirkeuserie  vilde  vpere 

forsomelige,  D.M.  I  271 
forsumelig  Imrfe  forsiimelig  telsker  thu  er,  H.S.  163,10.   ih»(?.  versuraelik 
fortie    wor  oc  bj-sseus  rett  scal  ey  forthies,  Rsv.  215.    mnd.  vortieu 
fortieue    effter  thi  som  liuer  fortipent  hafiier,    ilf..  63, 13;    vgl.  Ekr.  2b 

u.  0.    vind.  vordenen 
fortryde    lad  thig  thet  ey  fürtrydliee,    H.M.ll;   vgl  JI.R'di,22;   B.D. 

II  22  tt.  0.    mnd.  vordreten 
fortraden  (pari.)   Huelken  som  fortradeu  er,  M.Gl.  1492.   mnd.  vordrotten 
fortraeder  huo  som  een  fortrseder  uill  usere,  M.Gl.  (14:96).   mnci.  vordreter 

(Unruhstifter) 
fortred     sidder   han   leuger   overhörich    met   fortreedt,    Bsv.  554.    mnd. 

vordret 
fortreste    som  odmyugher  them  som  fortreste  uppa  siegh  siselful,    T.K. 
.      12,5;  ibd.  169,10  (fehlt  Sch.L.) 
fortjenke   tha  fortsenke  thesse  werdughe  faetlire  wsel,  P.C.  283;  vgl.  M.P. 

26:  M.Gl.  (1499)  u.  o.    mnd.  vordeuken 
fortsere     eu  biern  wildhse  haimum  fortfere,  AM.  24;    vgl.  H.S.  7,0;    ibd. 

114,  31  u.  ö.    mnd.  vorteren 
f orter ne    Gud  er  fortarnet  äff  meunisken,  H.M.  69;  vgl.  T.K.  10,8;  B.D. 

II 129.     mnd.  vortoruen 
forteve    tha  skal  thes  righeus  radh  som  herre  mest  haffuer,  ufortoffret 

bmthe   thet   auuet   righens  radh  til,   D.O.  18;    rgl.  I\kr.  3500.    vuul. 

vortoweu 
foruude    forthi  jeg  hauuum  forynthse.     mnd.  vorgunneu 
forware    oc  funde  wii  theu  kiiste  i  goode  maade  forwaret,  D.iT/.  1352; 

cgi.  D.C.  7;  Bh:  1101  u.  o.    mnd.  vorwaren 
forwaring    til  ydhermere  forwaring  och  nydhe,    D.C'.  2;    ibd.  1&).     mnd. 

Torwariuge 
f.orwaringsbreff    Alexander  screff  them  forwaringsbreff  tili.    mnd.  vor- 

waringsbref 
forwandle    sidhen  forwandles  himmel  och  jord,  H.M.iS;  ibd.  14ß;  D.M. 

II  22.     mnd.  vorwandelen 
forwide    thy  skal  engen  forwite  meg  her  efter,   H.S.  163,21;   vgl.  3.M. 

16,21;  3/.i^.  215,26  u.  ö.    mnd.  vorwiten 
fiOrwide    ati  tha  forwyte  ether  met  hwer  anueu  om  wor  och  riigens  best«, 

K.  (1497).     mnd.  vorweten 
forwilkaare    thet   wilkor   som   bau   haffde   forwilkoret  sig  emodh  wor 

nathige  herre,  K.  (1482).     mnd.  vorwillekoreu 
forAviude    och   worder  han  forwondet  med  III  lians  naboes  widne,  Bsv. 

130;  vgl.  M.B.  186, 2;  1.  31.  32, 25  u.  o.    mnd.  vorwiuneu  (Sch.L.  1) 
forwebne    han  Avar  hordelige  forwsebueder,   J?.D.  III65;   ibd.  162  (fehlt 

Sch.L.) 
forwende  the  bleffue  forweudae  paa  en  stedh,  Bkr.  2227.   mnd.  vor  wenden 

(Sch.L.  2) 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF    DAS    DÄNISCHE.  447 

und  (mnd.  ent): 

uudfare    tha  uufor  han  then  rett  och  giorthe  haunum  ykke,  M.Gl.  1409. 

innä.  entvareu 
uudfalle    at  the  skullpe  oc  uudhfalkB  inegb,  liier.  1722;   iüd.28[)0,    mnd. 

eutvalleu 
uiidfly   teth  ser  tbik  swartli  atb  tholle,  oc  tbu  wilt  untly,  T.K.19,4:;  vgl. 

11.8.  59, 11  u.  ö.    mnd.  eutvleu 
uudflygtig   oc  wore  tbet  swo  at  bans  son  wordb  uiidliöctngb,  M.Gl.l'^ßL 

{fehlt  Sch.L.y) 
undfere    Blaudzeflor  war  inaegl  undfard,  iJD.  1344:.    mnd.  entvoren 
\indfaa    at  noghet  quindfolk  kan  baru  uiidffaa,  H.M.12;  vgl.  E.D.  II  28; 

M.R.  46, 19  i(.  ö.    mnd.  eutvaugen 
uudfongelse    bau  suarede  aengelen  som  binne  beboddet  tbin  mandoms 

untfongelse,  T.K.  214,  232) 
nndgiselde   thet  sculle  i  nu  uudgifeldhae,  H.M.  56;  vgl.  E.D.  11121.   mnd. 

eutgelden 
iiudgaa    sidben  scullfe  the  uudgaa  tbeu  twaug  i  btslffuedse  aer,  H.M.  95; 

vgl.  T.K.  76,  25.    mnd.  entgäu 
undlade    oc  om   tbet  auuset,   bau  sautbe  ney  fore,   skiilde  ban  undladbee 

sig  paa  beiinie  wegn^e  met  rettbge,  M.Gl.  (1409).     mnd.  entladen 
IUI  dl  ei  de    oc  atb  tbe,  som  the  aft'  alder  vane  ei",  tber  undleyde  sigb  met 

rette,  Rsv.  203.    mnd.  entleddigen 
undlokke    huo  som  i  theri  embitbe  er  oc  uudlocker  byus  andenss  bion, 

M.Gl.  (1-196)  {f'eldt  Sch.L.)    vielleicht  seihständige  hildung  zu  lokka 
undlebe    i  torff  icki  acte,  i  sknllse  undlobe,  Ü.Z).  II 14.     mnd.  entlopen 
undrende    engen  kuune  bannum  imdreude,  jK. D.  III  67.    mnf?.  entrennen 
undrykke    thermeth  att  imdröcke  os  wore  oc  krouffnens  toldb,  i^s?;.  291; 

vgl.  T.K.  42, 11;  ihd.  99,  20.     mnd.  entrücken 
undsegle    tba  sknlle  bau  untseglaj  tben  neglee  tili  kysten,  M.Gl.  (1488). 

mnd.  eutsegeleu  {fehlt  Sch.L.) 
undstecke    bau  undstack  sigb  for  megb  i  skogbeu,    B.D.  HI  117   {fehlt 

Sch.L.  (bedeutung :  verstecken) 
undsegelse  breff  tbe  screifue  meg  tili  nusegelsae  breff,  i?Z;r.  •4645.   mnd. 

entseggesbref 
undssette   bau  meg  unsaette  alt  som  en  maud,  Eh:  4825;  vgl.  E.D.  II  24; 

ibd.  ni  74.    mnd.  entsetteu 
uudvende    tbu  kantb  teth  ey  undvsendbse,  H.3L  34.     mnd.  entwenden 
undvige    bun  kan  tbet  ey  uudwigba?,   H.3L  37;  ibd.  86.     mnd.  eutAviken 
uudAvaebue    tha  hau  haffdhse  undwebnedh  seg,  E.D.I21b.   {fehlt  Sch.L.) 


1)  AVol  selbständige  bilduug  zu  flygtig  im  anschluss  an  undfly. 
^)  Scb.L  gibt  kein  subst.  zu  entvangen,  aber  es  ist  doch  anzunehmen, 
dass  es  im  mnd,  ein  wort  gab,  das  undfongelse  entsprach. 


4i8  MARQUARDSEN 

b)   Suffixe. 
1)  Solche,  die  dem  iiord.  bisher  fremd  •waren: 
agtig  (mnd.  achtig,  aftich,  hafticJi): 

delagtig   oc  gier  sik  dielaktiigli  äff  alt  goth,  T.K.  196,6;  .«.  «.  D.C.  162; 

D.M.  VI  113.     mnd.  delachtig 
faragtig    faragtliuge   äff   usigeligh  iStzell,   K.  (1488).     mnd.  verachticb 

(ScJi.L.  nicht  belegt) 
fhxgtagtig    Galaad  er  tlngtaktigh  äff  Ephraim,  Dom.  12,4.    mnd.  vhicli- 

tachtich  (fehlt  Sch.L.) 
felgachtig   at  vaere  hannum  folgachtige  og  bistendige,  D.U.  372;  vgl.  K. 

(1483).     mnd.  volgaftich 
lifagtig  uteu  altid  at  vfere  ny  äff  lifaktige  ige  groels,  H.S.  105,6.   mnd. 

lifachticli 
leweuagtich    the  skulle  ikke  lydlie  loweiiaktighe  ordh,  2.  iüf.  5, 9.   mnd. 

logenaclitich 
negaftich    eller  setter  neghafftige  paut,  iC.  (1441).     mnd.  uothaftich 
spseglagtig    oc  oplyser  them  subtilelig  som  hawe  spgeglacteghe  lefaet, 

H.S.  12, 2  {icol  selbständige  hildung) 
tieustagtig   at  holl  sek  edming  og  tienstakteg,  /J.S.OOjl.  m»r?.  denstaftig 
Avarachtig   och  dorne  them  ukrenkelike  oc  warachtige  at  bliffuo,  i?sü.  205. 

mnd.  warachtig 

eise  (mnd.  eise,  nisse).  Das  suffix  ist  vereinzelt  schon  im 
altnord.  nachweisbar,  z.  b.  reylcelsi.  Doch  ist  es  zweifellos 
nicht  echt  nord.  Rydqvist  (Sv.  Spr.  Lagar  5,  25  ff.)  vermutet, 
dass  es  bei  der  Christianisierung  des  landes  vom  ags.  aus  ein- 
geführt wurde.  Erst  als  der  einfluss  des  mnd.  sich  stark 
geltend  zu  machen  beginnt,  werden  subst.  auf  eise  im  dän.  und 
schwed.  häufig.  Kock  vermutet  eine  angleichung  an  adject. 
auf  Uli.  Kristensen  schliesst  sich  in  Fremmedordene  s.  67  an 
Fred.  Tamms  erklärung  an,  ohne  doch  seine  eigne  hypothese 
einer  lautgesetzlichen  entwicklung  von  nisse  zu  eise  ganz  fallen 
zu  lassen.  Tamm  (Tränne  tj'ska  ändelser  i  svenskan  s.  12  ff.) 
setzt  einen  zweifachen  Ursprung  des  dänischen  und  schwedischen 
eise  voraus,  indem  es  erstens  dem  mnd.  eise,  eis,  zweitens  dem 
mnd.  nisse  entspricht.  Die  zu  der  ersten  kategorie  gehörigen 
Wörter  sind  im  ndd.  neutra  mit  concreter  bedeutung,  z.  b. 
hackeise,  hradelse,  hengelse,  mukelse,  rtwelse,  schrapelse  etc. 
Directe  entsprechungen  zu  solchen  Wörtern  sind  im  dän.  selten. 
Die  masse  der  im  dän.  mit  eise  gebildeten  verbalsubstant.  ent- 
spricht entweder  mnd.  subst.  auf  inye,  ninge  (hier  tritt  das  ndd. 
suffix  also  in  concurrenz  mit  einem  einheimischen)  oder  solchen. 


EINFLUSS   DES   MND.    AUF   DAS    DÄNISCHE.  449 

die  mnd.  auf  nisse  ausgehen.  Das  suffix  nis  findet  sich  mit 
ausnalime  des  nord.  hi  allen  germanischen  sprachen,  auch  im 
mnd.  war  es  häufig-  vertreten.  Das  dän.  nimmt  es  auf,  ver- 
wandelt es  aber  in  eise.  Diese  Umformung  wurde  einerseits 
dadurch  begünstigt,  dass  einzelne  Wörter  auf  che  sich  im  nord. 
schon  vorfanden,  zweitens  durch  anlehnung  an  das  mnd.  eise, 
drittens  vielleicht  auch  dadurch,  dass  das  ndd.  formen  auf 
ense  neben  eise  und  nisse  hat,  z.  b.  gremense,  scMppense,  spohense. 
Manchmal  stehen  im  mnd.  formen  auf  eise  und  nisse  neben- 
einander, z.  b.  decJcenisse,  decJcels;  dingenisse,  dingeis ]  ratnisse, 
radeis  u,  a.  m. 

Abstracta,  die  mit  eise  gebildet  sind,  werden  im  15.  jahrh. 
in  Dänemark  recht  allgemein.  Man  sieht  aus  dieser  häufigkeit 
des  gebrauchs,  dass  in  der  spräche  ein  bedürfnis  nach  der 
mögiichkeit,  abstracta  zu  bilden,  vorlag.  Das  nord.,  dem 
ausser  nis  auch  das  suffix  heit  abgieng,  war  an  abstract- 
bildungen  verhältnismässig  arm.  Darum  werden  die  ndd. 
Suffixe,  die  diesem  bedürfnis  entgegenkommen,  bald  im  norden 
heimisch.  Indem  die  dän.  spräche  sie  aufnahm,  hat  sie  sich 
um  ein  wesentliches  mittel  zu  grösserer  biegsamkeit  und  aus- 
drucksfähigkeit  bereichert. 

Nachstehend  ist  eine  reihe  von  verbalsubst.  auf  eise  nebst 
ihren  mnd.  entsprechungen  aufgeführt. 

begekkelse    spot   vor   isertegn,   begekkelse  for  kseunedom,   T.K.  115,6. 

mnd.  begekkinge 
begeugelse  liolde  eeu  hogtbiidelig  begengelse,  D.C'.182.  wucZ.  begenkuisse 
beginneise  begynnels  tbil  the  thing  tber  evinnelig  sere,  ÄS.  66,28.  mnd. 

beginsel 
beskermelse    for  sandbetz  ock  reetnisbetz  beskirmels,  -ff.S.  34, 13.    mnd. 

bescbermnisse 
beskrivelse   äff  allse  tbessse  beskriffuels  kau  ey  begiibse,  If.S.  13,3.  vmd. 

bescbriwinge 
betragtelse   tber  naest  en  stark  betragtelse,  T./f.20,29.  mnf?.  betracbtinge 
drovelse    thy  tba  haffiier  ban  offte  dreffuelse,  T.üT.  11, 19.  wmd.  drofnisse 
figtelse    jeulig  sellser  syuderlig  kamp  sellser  fiktelse,  l.Sam.  17,8.    vmd. 

vecbtinge 
forbiüdelse    sende  en  wissman  tili  Marsilius  ath  giere  eth  forbindelse, 

B.D.  ni  156.    mnd.  vorbindiuge 
forf serelse   rsetzel  innenfiold  paa  Abrabam  ok  stör  forfserdelse,  l.M.  15,12. 

mnd.  vorvernisse 
forhserelse    i  trongb  ok  forbserilse,  5.31.28,53.    mnd.  vorheringe 
forsraaedelse   oc  til  ewinnelig  forsmaelels,  H.S.bS,il.   »md.  vorsmadenisse 


450  MARQUARDSEN 

forsj'iuelse   ien  dell  fiell  nedher  for  therse  forsymmels,  H.S. 33,19.   mnd. 

versnmenisse 
forvarelse   hoff  foruarels  oc  forsyn  i  alle  fcrende,  11.8.4:2,24:.   mnd.  vor- 

vorwaringe 
maledidelse    thu  skalt  wore  uskadelige  äff  myu  maledidels,  1.  Jf.  24, 21. 

mnd.  malediiuge 
openbarelse   i  liugxciis  ovvergangels  äff  retzel  oc  oppenbarels,  jÖ.6'.  12, 35. 

mnd.  openbariiig 
overtraedelse    bagers  och  bryggers  ovvertradels   och   andre   sraaa   sagh, 

Rsv.  306.     mnd.  overtredinge 
prewelse    hans  hieertse  trengdes  äff  subtilest  prewels,  H.S.  10,20.    vind. 

prowiuge 
Straffelse    bagtal,  straffeise  omygelse,  ÄS.  20, 28.    mnd.  strafinge. 

Für  folgende  snbst.  auf  eise  scheint  das  mnd.  keine  entsprechungen 

auf  eise,  inge,  nisse  zu  bieten: 
begerelse    rj^deudes  äff  stör  begerels,  H.S.  12,1.    mnd.  beger 
fordservelse    then  hselghe  stadz  forderfuels,  ÄS.  39,  9.    mnd.  vorderf 
lugtelse    min  luctels  pintes  äff  und  dan,  ÄS.  22,  35.    mnd.  lucht 
overfledelse    i  luiüket  er   dudelige   glsedhers   owerfladels,    ÄS.  44, 12. 

mnd.  owerflot 

Das  Suffix  eise  wird  ausserdem  sehr  häufig  zur  bilduug 
von  subst.  aus  einheimischen  wortstämmen  verwant. 

eiif  als  endung  von  ländernamen  (mnd.  en,  ein  casussuffix, 
nämlich  der  dat.  pl.,  der  ursprünglich  von  einer  präposition 
abhängig  war).  Solche  aus  dem  mnd.  entnommene  länder- 
namen sind: 

Bemeu  3I.E.  15,  9  Eytzen  Bkr.  32,  91 

Flandereu  Bkr.  3537  Sassen  Bkr.  313 

Frisen  Bkr.  2857  Tartaren  M.B.  15, 12 

Hülsten  Bkv.  3152  Turcken  M.B.  4, 15 
Prytzen  3I.B.  15,  9 

ere  (mnd.  eren).  Die  endung  gehört  eigentlich  lat.-rom, 
lehnwörtern  an.  Diese  werden  im  dän.  teils  direct  aus  dem 
mnd,  übernommen,  teils  verwendet  die  spräche  das  suffix  selb- 
ständig, um  aus  lat.-rom.  Wörtern  verben  zu  bilden.  Später 
entstehen  auch  aus  einheimischen  oder  dem  deutschen  ent- 
lehnten Wörtern  denominative  verben  auf  ere.  Für  diese  art 
bietet  das  15.  jahrh.  noch  keine  belege;  denn  Jiantere  (aus 
hand  in  anlehnung  an  franz.  Jianter  gebildet)  ist  direct  aus  dem 
mnd,  entlehnt, 

arrestere    oc  büver  arresteret  ved  fogden,  Bsv.2ßl;  vgl.  Bkr.  4^41  u.  o. 
mnd.  aiTesteren 


EINFLUSS   DES    MND.    AUF   DAS   DÄNISCHE.  451 

florere    raserkt  med  blodiige  bogstawue  og  togherlig  floreret,  //IS.  19-i,  4. 

iiind.  vloreren  (mit  hJiimen  scJniii'icJccii) 
fuuclere   til  at  styclite  oc  funclere  eet  altare,  M.F.  332;  vgl  D.C.lb9  w.  o. 

(fehlt  Sch.L.) 
hantere    then  materi  som  ser  manne  mote  haudteret,  fl..S.  69,  7;  vgl.  M.B. 

8, 15;  B.B.  III  72.    mnd.  hantereu 
pollere   the  künde  ikke  polleres  for  therris  hordheth  skill,  M.M.diö  (fehlt 

Sch.L.) 
pr obere    at  forsege  oc  probere,  7J.J1/.  III  332  (fehlt  Sch.L.) 
studere    so  som  gamrael  fißdlienis  loflig  studere,  //.6'.  36,30  (fehlt  Sch.L.) 
traktere    ok  traktere  the  stekke  som  sere  til  Iserdom,   T.K.  13,10   (fehlt 

Sch.L.) 

eri  (mud.  erie).  Das  ursprünglich  romanische  suffix  ist 
aus  dem  franz.  ins  deutsche  und  über  das  mnd.  ins  dänische 
eingedrungen.  Hier  ist  es  im  15.  jahrh.  noch  nicht  besonders 
häufig-. 

fiskeri    agre,  mark,  skove  og  fiskerie,   l?sr.  273;  v^rZ.  Jf.P.  282.  293  u.a. 

mnd.  vischerie 
fräseri    hoghtidelig  kost  oc  fraseri,  H.S.  11,12  (Sch.L.  vräs) 
gaesteri   I  lagdhae  them  odbse  met  gaesterij,  H.3L  54;  vgl.  Rsv.  124.    mnd. 

gesterie 
ketteri    thu  ligger  saa  i  ketteri  meth  tben  som  slo  thy  hosbond  i  Meli, 

Ekr.  580  (die  bedeutioig  ist  ehchruch,  fehlt  Sch.L.) 
klerkeri   abeder,  prelater,  meuige  clerckeri,  D.M.  I  351;  vgl.  Bsv.  121  u.  ö. 

mnd.  kleresi 
krsemmeri    spidzerii  oc  kraemmerie,  Rsv.  2Sb  (fehlt  Sch.L.)  ^) 
seriveri    Isegedom,   scriverii,  maleAverk   eller  auner  thelik  behaendigheet, 

A'.  (1425).     mnd.  scbriverie 
spidzeri    spidzerii  oc  krsemerie,  Bsv.  285.    mnd.  spisseri 
tyverie   hwilken  mandt  som  worder  fundeu  i  tiufferie,  i?st'.  139;  vgl.i.M. 

31, 39;  3.  Mose  19, 11.    mnd.  duwerie 

i  (mnd.  ie)  desselben  Ursprungs: 
fogedi    Thi  fik  han  mig  tba  aeth  fogedhi,  BJcr.  1937  (fehlt  Sch.L.) 

hed  (mud.  het,  Jieit).  Das  suffix  bürgert  sich  während  des 
15.  jahrh.  vollständig  ein.  Es  nimmt  unter  den  dem  mnd.  ent- 
lehnten Wortbildungselementen  den  hervorragendsten  platz  ein. 
Auch  hier  sind  directe  entlehnungen  das  vorbild  für  häufige, 
selbständige  Verwendung  des  Suffixes. 

bar  milier  ticbed   Gud  forse  siu  storse  barmhiertichedh,  M.2?.  75, 16.   mnd. 
barmherticheit 

»)  Kommt  schon  in  Flensburg  bylov  vor;  vgl.  Kristeusen  s.  35. 


452  MABQUARDSEN 

fedellietli    bans   sere   fedljehetb.    makt   oc   storheth.    M.R.  161,9.    innd. 

ed(d)elbeit 
enfolleligbet    i  godhetb  oc  biaertens  eufolleligbed ,   H.S.  1,13;  vgl  Bkr. 

4761.    mnd.  einvaldicbeit 
falskbed   disefuelsens  falskhed  oc  swigb,  3LE.  178, 19;  vgl.  Bh:  1864  ti.  o. 

mnd.  valscbeit 
feligbed    tba  scbule  tbe  sengben  feligbet  eller  fredb  baue,  D.C.  14;   vgl. 

M.B.  11, 16.    mnd.  velicbeit 
forbserdigbed    menuiske  biserteus  forbserdiigbed,  T.Z^.  40, 14.    mnd.  vor- 

bardicbeit 
forträdenbed    for  tbj'  at  maune  serse  kommen  til  so  stör  fortradenhet, 

H.S.  34, 22.    mnd.  vordreticbeit 
frihed   wii  statbfestse  tbem  alle  tbesse  effterscreffne  fribedh,  2?s?'.  84;  vgl. 

3.  M.  19,  20;  K.  59, 15  «.  o.    mnd.  vribeit 
fugtigbed    waellnktendbe  yrter  tbere   tbogbse    sellajr   fugtugbeet,    1.  M. 

16, 13.     mnd.  viicbticbeit 
fulkommenbed    All  fulkommenbetb  i   tbette   leffnetb    baffuer  eu  uful- 

kommeligbetb  metb  sigb,  T.K.  7, 16.    mnd.  vulkomeubeit 
graeseligbed    tbiu  bortgongels  inledber  stsetzens  graeseligbeet,  H.S.6ö,B. 

mnd.  greseliebeit 
gyrigbed    beune   tbisene  the  metb  stör  gyrigbetb,  T.jK".  88, 4;   vgl.  Bkr. 

3532  u.  ö.    mnd.  giricbeit 
baanbed   ocb  lidbse  slig  baanbed  til  syu  krop,  H.M.  3b;  vgl.  T.K.  78  u.  ö. 

mnd.  bonbeit 
(u)b0rsombed    som  borgmester  ocb  raadt  tager  for  ubörsombett,    Bsv. 

519.    mnd.  borsambeit 
begbed   som  nu  i  bimmeriges  bogbed  boer,  if.il/.  94;  vgl.  1.  31.  6, 16;  H.S. 

46, 7.    mnd.  böcbeit 
bewiskhed   for  bennes  upresels  oc  befueskbet,  H.S.  89, 12;  vgl.  JB.D.  1349. 

tnnd.  bovlscbeit 
kosteligbed   allse  bonnse  kostselicbed,  guldb  selff,  dyrse  stense,  3I.B.  165,  4. 

ntnd.  kostlicbeit 
kyskbed    tbee  brydae  tberress  kyskbed,  Jf.i?.  73,  8.    mtid.  kiiscbeit 
leiligbed  naar  tbe  settbe  tberris  embitz  waare  eptber  tydzens  leyligbeet, 

Bsv.  518;  vgl.  Eh:  291.    mnd.  legelicbeit 
ligebed   tbu  skalt  eye  tberes  laudbse  for  thit  bisertse  ligbsebeet,  5.M.d,ö. 

mnd.  likbeit 
longbed   alle  underligbe  tbiugs  longbetb  oc  wiidbet,  H.S.  46,7;  vgl.  l.M. 

6, 16;  3LB.  222, 11  t(.  o.    mnd.  lankbeit 
lusteligbed  en  flodb  utgik  äff  lusteligbeetz  stsedb,  1.31.  2, 10;  vgl.  l.M. 

3,  22.    mnd.  lusticbeit 
lekkeligbed    sengen  lekkeligbbetb  atstunde  ber  i  werden,   T.K.  78,3. 

mnd.  luckicbeit 
manbed  jeg  baffuer  ofte  spord  bwad  manbetb  tbu  bauer  giort,  B.D.  in  140. 

imid.  manbeit 
megtugbed    jeg  gaff  etber  godtb  ocb  mecbtugbeed,   Äitf.  54;   vgl.  T.K. 
12, 11  ii.  ö.    mnd.  mecbticbeit 


EINPLUSS   DES   MND.    AUF    DAS   DÄNISCHE.  453 

menighed    Wy  borgermesterae,   radhmen  oc  all  menicliet,  M.P.290;  vgl. 

Bsv.  199;  Eh:  3-178  u.  o.    mnd.  meiiheit 
raugelighed    aeffter   thin    utlpennigs   mugeligheth,    T.K.  129,  16.    mnd. 

mochlicheit 
medhed    modheth  aeller  traetbed,  T.A'.  26, 16.     mnd.  modicheit 
natho  rftelighed    i  lians  nüthorfteligheth,  5.  M.  15, 10.  innd.  notrofticheit 
uyttelighed    oc  for  vor  iemcristens  nytelighed,  if./S.  4, 11;  vgl.'6.M.2,^ 

u.  0.    mnd.  untlicheit 
overflodughed   aif  orden.s  offuerfledugheth,  T.Ä'.1,13.  wm(i.  owerflodicheit 
qvemhed  ey  skalth  thu  tliaekke  thik  sselff  for  thin  qvemheth  eller  godbe 

nfemme,  1\K.  12, 14:.     mud.  quemelicheit 
r  e  t  f  e  r  d  i  g  h  e  d    f arse   med  saudhedh   oc  rethf erdiched ,   3I.B.  74,  4.    mnd. 

rechtverdicheit 
redeliglied   bliffue  wedh  rsedelighed  oc  bestand,  Esv.  199.  mwd.  redelicheit 
sagthed    seffter  storm  kommer  stör  stilbetb   eller  saktbeth,   T.K.  66,22. 

mnd.  sacbticheit 
sagtmodigbed    Gud   swared   met  sacbtmoodigbeed,   H.M.SO;   vgl.  Bkr. 

3599.    mnd.  sacbtmodicheit 
saligbed   theres  salighed  tbe  forgsettbse,  H.M.  114;  vgl.  M.B.  28,20  u.o. 

mnd.  salicheit 
skalletbed    i  sknlle  ey  gare  skalledbed,  5.  ilf.  14, 1.    mnd.  schallicbeit 
skjonbed    so  at  te  bafuae  lost  forae  bans  skonbetb,   3f.i?.  28, 15.    mnd. 

scbouicbeit 
slembed    oc  altiidb  myunes  sin  ondskap  oc  siembetb,    I'.Ä".  122, 20 ;   vgl. 

H.S.  11,  25.    mnd.  slimbeit 
stadug-bed    tbet  bieertes  i;bequembetb  oc  iistadugbetb,    T.Ä".  96, 6;    ihd. 

20, 14.     mnd.  stadicbeit 
stillbed    stör  stilbetb  eller  saktbetb,  T.K.  66,22.    mnd.  stillicbeit 
stserkbed   tag  tyl  tbik  igen  starre  stserkbed,  T.K.  97, 10;  vgl.  b.M.  18, 17; 

B.D.  1 155  1/.  0.     mnd.  starkbeit 
swarbed    om  tbu  fiuder  engen  swarhetb  eller  modg-angh,   T.Ä".  128, 28. 

mnd.  swarbeit 
swortbed    tba  war  giort  merkefuUe  swortbeed,  1.  ilf.  15, 17.    mnd.  swor- 

ticheit 
tolligbed   äff  tolligbetb  i  andre  wanstre  XVI  capitulum,  T.K.  1,20.   mnd. 

duldicbeit 
trefoldigbed    äff  then  beige  trefollugbetz,  T.K.%2\  s.  a,  D.C.  160  u.o. 

mnd.  drevaldicbeit 
trobed    tbet  bauer  ban  for  syn  trobetb  skyld,  B.D.  11136.    mnd.  trobeit 
tygtngbed    bur  stör  tyktngbetb  baffte  tbe,  T.ii.  28,  4.    mfid.  tncbticbeit 
wellwilligbed  til  all  welnillicbeth  ocb  ydmige  tieniste,  Bsv.  127.   mnd. 

welwillicbeit 
werdugbed    stör  weidugbet  fulde  bannum  til  grawe,  i?.D.  11  37.    mnd. 

werdicbeit 
willigbed    for  troskap,  willicbeet  oc  tieniste,   Bsv.  126.     mnd.  willicbeit 
wittigbed    oc  efftber  ty  at  tee  äff  tberrae  wittigbedb  serse  forblindsedse, 

M.B.  148, 22.    mnd.  witticbeit 

Beiträge  iur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  30 


454  MARQUARD8EN 

Niclit  selten  finden  sich  nebenformen  auf  hed  zu  suffixlosen 

mnd.  lehnwörtern,  z.  b.  zu  foraxjt,  fornumst,  hast,  hofferd,  lugt, 

spittal,  siind  die  gleichbedeutenden  formen: 

foragtedhed  ALB.  222,  U;  foruumstighed  mT.1482;  hastighed  if. J£  101 ; 
hofferdighed  HM.db;  (wael)luktighed  3.  Jf.2,9;  spittalighet  B.M. 
13,13;  simdhed  J?sr.  151. 

Es  ist  natürlich  nicht  ausgeschlossen,  dass  auch  das  mnd. 
diese  nebenformen  kannte;  aber  das  dänische  ist  für  ihr  Vor- 
handensein kein  zwingender  beweis;  eben  wegen  der  Selb- 
ständigkeit, mit  der  das  suffix  verwendet  wurde.  Nord,  adject. 
werden  in  grosser  zahl  mit  hilfe  von  hed  substantiviert;  wir 
finden  z.  b.  besJched,  faiverhed,  gahihed,  grumhed,  Icerlighed, 
ladhed,  mtskunhed,  ondhed,  sandhed,  sivarhed  u.  a.  m. 

inne  (mnd.  iyme).  Dies  suffix  tritt  schon  vor  dem  15.  jahrh. 
in  Dänemark  auf,  und  sein  gebrauch  scheint  während  dieses 
Zeitraums  keine  nennenswerten  fortschritte  gemacht  zu  haben. 
—  forstinne,  grevinne,  keyserinne,  mesterinne  sind  die  einzigen 
substant.  auf  inne,  die  mir  in  texten  aus  dem  15.  jahrh.  auf- 
gestossen  sind.  Doch  stellt  sich  ein  zweites  motionssuffix  da- 
neben ein,  nämlich 

ske  (mnd.  sehe).  Die  eigentliche  herschaft  dieses  suffixes 
beginnt  erst  im  16.  jahrh.,  aber  schon  im  15.  begegnet  es  ver- 
einzelt.   Dafür  zeugen  folgende  beispiele: 

brefförerske    theunae   uperwserendis   biefförerske   Frmie  Silse,   M.P.  189 

{fehlt  Sch.L.) 
effterlewerske   Jek,  Birgittae  Oliiffsdatther  i  Hammerstad,  Hr.  Aeregisel 

Nielsons  efftherlewerske,  D.31.  ^T  48;  vgl.  B.C.  340  {fehlt  Sch.L.) 
kruerske    huer  raandt  soin  borgere  er,   undertague  obenbare  kruersker, 

Bsv.  526;  vgl.  K.  (1445).    mnd.  krogeische 
bügerske    Högber  oc  bogiskier,  Msv.  285.    mnd.  bokersche 
ülwerske    Well   ölwerscke   ikke  giwe    moden,    Bsv.hVl   {in  Flensborgs 

stadsret  (1284)  steht  für  ölwerske  'ölkun') 

ligen  (mnd.  liJcen).  Von  dieser  adverbialendung  mnd.  Ur- 
sprungs finden  sich  im  15.  jahrh.  nur  spuren;  sie  kommt  erst 
in  der  folgezeit  in  häufigeren  gebrauch.  Einige  male  lässt 
sie  sich  in  H.M.  nachweisen: 

the  tuchtelighen  allse  for  adam  stodh,  H.M.  131.    mud.  tuchtlikeu 
the  mughse  tlier  wissselighen  lidse  upaa,  H.M.IH.    mnd.  wislikeu 

Nachdem  im  hoch-  und  niederdeutschen  das  en  der  adverbia 
abgefallen  war,  schwand  es  auch  im  dän.  und  schwed.  wider. 


EINFLUSS   DES   MND.    AUF   DAS    DÄNISCHE.  455 

Die  mnd.  deminutivendung-  ke,  ken  kommt  nur  an  directen 
lelinwörtern  vor;  sie  hat  im  nord.  keinen  eingang-  gefunden, 
obgleich  die  skandin.  sprachen  keinen  ersatz  dafür  haben  und 
sich  etwa  durcli  vor-  oder  nachsetzung  von  lille  behelfen.  z.  b. 
neudän.  farlille,  morlüle  (väterchen,  mütterchen).  Wörter  auf 
liein)  habe  ich  deshalb  dem  Verzeichnis  zu  I  eingereiht.  Es 
sind  ihrer  nur  wenige:  hindilce,  frevel'e,  hysken,  neglicken, 
tallerhen,  ivennike. 

2)  Suffixe,  die  dem  nord.  und  mnd.  gemeinsam  sind: 

ere  (altnord.  ari,  mnd.  er),  /-umlaut  vor  ere  beweist  ent- 
lehnung.  —  ere  gleicht  sich  dem  mnd.  er  an,  indem  es  in  vielen 
fällen  das  e  abwirft.  Daneben  bestehen  noch  die  formen  auf  ere. 

ig  ist  alt,  sofern  es  altnord.  agr,  ugr,  igr  entspricht.  Es 
ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  sieg  der  endung  ig  über  ag 
und  iig  auf  die  vielen  mnd.  lehnwörter  mit  ig  zurückzuführen 
ist. ')    Auch  hier  lässt  der  i-umlaut  auf  entlehnung  schliessen. 

ifik,  lif/f  sam  sind  alt,  aber  in  vielen  fällen  aus  dem  mnd. 
überführt. 

skap  (altnord.  skapr,  mnd.  scJiop).  Es  bildet  auch  im  dän. 
Wörter  teils  abstracter,  teils  collectiver  bedeutung.  Wo  es 
sich  nicht  um  lehnwörter  handelt,  lässt  es  sich  nicht  ent- 
scheiden, ob  neubildungen  mit  ship  auf  nord.  sJiapr  oder  mnd. 
sclwp  zurückzuführen  sind.  Man  kann  nur  feststellen,  dass 
die  Wörter  auf  ship  im  15.  jahrh.  häufiger  werden  und  darf 
diese  tatsache  wol  mit  recht  dem  einfluss  des  mnd.  zuschreiben. 

Anhang. 

Können  die  mnd.  lehnwörter  im  dänischen  als  beweisend 
für  das  Vorhandensein  des  ?-umlauts  von  o,  ü  im  mnd.  angesehen 
werden  ? 

Clara  Holst  hat  in  der  abhandlung:  Mnt.  omlydsforhold 
belyst  ved  danske  laaneord  (Archiv  for  nord.  Filologi  18,  210  ff.) 
über  denselben  gegenständ  gehandelt.  Sie  findet  durch  die 
mnd.  lehnwörter  die  ansieht  bestätigt,  zu  der  man  auch  auf 
andern  wegen  gelangt  ist,  nämlich  dass  der  umlaut  im  mnd. 
in  demselben  umfange  vorhanden  war  wie  im  mhd.  trotz  des 


1)  Vgl.  Tanmi,  Ou  tyska  äiidelser,  Upsala  uiiiv.  ärsskr.  1880. 

30* 


456 


MARQUARDSEN 


fehlens  graphischer  bezeichnung.  Das  resultat,  zu  dem  ich 
meinerseits  durch  die  Untersuchung  mud.  lehnguts  im  dänischen 
gelangt  bin,  möchte  ich  auch  für  diesen  fall  durch  beispiele 
zu  erhärten  suchen.  Folgende  im  Wörterverzeichnis  zu  I  und  II 
angeführten  Wörter  weisen  umlaut  von  o,  #  auf.i) 


bedreve           m 

nd.  bedroweu 

kysk 

nma 

l.  kusch 

behove* 

„     behowen 

kyskhed 

r> 

kuscheit 

befrygte 

,     befruchten 

kon 

)) 

kone 

bekymre 

,     bekiimereii 

kekentyg 

» 

kokentouwe 

bemoie 

,     bemodeu 

Lybeck* 

» 

Lübeck 

berygte 

,     beruchten 

lybsk* 

}) 

lubesch 

besynderlig* 

,     besuuderlik 

ledig 

» 

lodich 

betyde 

,     beduden 

lykke 

» 

lucke 

bedker 

,     bodeker 

legiier 

n 

logener 

besse* 

,     busse 

legnagtig 

ji 

logenaftich 

dreve 

,     di'owen 

mulsteder 

» 

muleustoder 

drevelig 

,     drowelik 

myndig 

jt 

muudich 

drevelse 

,     dröfnisse 

megelig* 

r> 

mogelik 

dywel 

,     duwel 

menster 

« 

muüster 

flygtig* 

,     vluchtik 

nytlig* 

n 

nutlich 

foruymst* 

,     vornumst 

nytte* 

« 

nutte 

fornymstig* 

,     vornumstig 

nyttelighed* 

n 

uuttelicheit 

forseme               , 

.     vorsumen 

negaftig 

j) 

nochaftich 

fors0inelig* 

,     vorsumelik 

nege 

» 

noge 

forterne              , 

,     Yortornen 

nege 

)! 

nogen 

frygt* 

,     vrucht 

overfledig* 

n 

owerflodich 

frygte* 

,     vruchten 

Prytzen 

» 

Pratzen 

fyrbeter             , 

,      furboter 

prewe 

H 

prowen 

fege                   , 

,     vogen 

(til)rygge 

!) 

torugge 

fege 

,     voge 

rygte* 

)) 

ruchte 

feie                    , 

,     volen 

ryste 

J! 

rüstigen 

ferste*                , 

,     vurste 

Rytzen 

»1 

Eutzen 

ferstinne*           , 

,     vurstinue 

sky 

J) 

schuwen 

gynst*                , 

,     gunst 

skeu 

n 

schon 

gynstlig* 

guüstlok 

skenlig 

» 

schonlik 

heger                  , 

hoker 

stykke* 

r. 

stucke 

herig                  , 

horich 

stymper 

« 

stumper 

hersom                , 

horsam 

styi-te 

« 

sturten 

hysken                , 

husekeii 

synde 

>• 

sunden 

kryde                 , 

krude 

semme 

n 

sunnen 

krykke                , 

kriikke 

semmer 

n 

sumer 

kregerske*          , 

krogersche 

tyde 

r> 

dudeu 

*)  Diejenigen  Wörter,  bei  denen  schwanken  des  umlauts  herscht,  sind 
durch  *  bezeichnet.  Die  mnd.  entsprechungen  sind  wie  in  den  Verzeich- 
nissen zu  I  ixnd  II  nach  Sch.L.  also  ohne  bezeichnung  des  umlauts  citiert. 


EINFLUSS   DES   MND.   AUF   DAS   DÄNISCHE,  457 

tyg  7nn(l.  touwe  towe  mml.  towen 

tyge  „     tilgen  owe  „     owen 

tygtelig*  „     tugtelich 

Wörter  wie:  hereve,  hesege,  forgylde,  forhynäe,  forkohe 
können  nicht  mit  in  betraclit  kommen.  Sie  stellen  nicht  etwa 
uingelaiitete  formen  von  herowen,  hesolcen,  vergulden,  verkünden, 
verkopen  dar,  sondern  sind  ziisammensetzung-en  von  präfix  und 
einheimischem  wortstamm,  Clara  Holst  citiert  rever  und  reve 
als  umgelautete  formen  von  mnd.  rorver,  rotven;  aber  altnord, 
raufari,  reyfan,  reyfa  konnten  sich  lautgesetzlich  zu  rever, 
reve  entwickeln.  Auch  hat  das  verb  im  deutschen  keinen 
Umlaut,  er  müsste  denn,  wie  Cl.  Holst  vermutet,  aus  dem  sub- 
stant.  eingedrungen  sein, 

Wörter,  denen  im  nord,  ein  verwantes  wort  mit  «-umlaut 
zur  Seite  steht,  können  durch  dieses  beeinflusst  sein.  Sie  be- 
weisen nichts  für  oder  gegen  die  tatsache  des  umlauts  im  mnd. 
Man  kann  annehmen,  dass 

herig,  harsoiii,  owerhoiig  durcJi  hare,  altnord.  heyra,  flygtig  durch 
flyja,  ferste,  ferstinne  durch  fyrst  (superl),  legner,  lognagtig  durch 
lywere,  lywe,  raynster  durch  mystari,  nytte,  nyttelig  chirch  nyt, 
iiytlige,  synde  durch  synd,  rygte  durch  rakja,  owerfledig  durch 
liyde,        stycke  durch  stycki,        tewe  durch  tefja 

beeinflusst  sind. 

Sowol  unter  diesen  letztgenannten,  als  auch  unter  den- 
jenigen lehn  Wörtern,  die  durch  keine  verwanten  nordischen 
formen  beeinflusst  sind,  flndet  sich  hie  und  da  schwanken  des 
umlauts.  Cl,  Holst  erklärt  diese  erscheinung  einesteils  dadurch, 
dass  sie  die  Schreibung  nutte,  lucke,  stucke  u,s,  w,  für  eine 
nachahmung  mnd,  Orthographie  hält,  aus  der  man  bekanntlich 
keine  unbedingten  Schlüsse  für  die  ausspräche  ziehen  darf. 

Für   die   rechtssprache    würde   eine   solche   nachahmung 

allerdings  denkbar  sein;  aber  die  umlautslosen  formen  sind 

auch  anderweitig  nachweisbar,  z,  b,: 

beruktig  M.B.  115, 16,  bekumre  H.S.  39, 21,  busse  Bh:  4922.  4959, 
foruumstig  R.D.  II  25,  forsumelig  H.S.  163, 10,  fruchte  Rh:  2274, 
mogelig  T.K.  117,        nuttelig  Bh:  2361,        ruchte  M.B.  109, 12. 

Hier  lassen  sich  die  umlautslosen  formen  kaum  auf  rech- 
nung  der  mnd,  Orthographie  setzen;  denn  keiner  der  in  betracht 
kommenden  Verfasser  arbeitete  nach  einer  mnd,  vorläge.  Auch 
sind  die  mnd,  lehnwörter  grösstenteils  nicht  auf  dem  wege  der 


•158       MAKQUARDSEN.    EINFLUSS    DES    MND.    AUF    DAS    DÄNISCHE. 

büclier,  sondern  meistens  durchs  olir  aufgenommen  worden.  Die 
dänischen  Verfasser  schrieben  ohne  zweifei,  was  sie  hörten,  da 
ihnen  graphische  zeichen  für  den  umlaut  zur  Verfügung  standen. 

AVeiter  erklärt  Cl.  Holst  das  schwanken  in  der  bezeichnung 
des  Umlauts  dadurch,  dass  die  mnd.  lehnwörter  auf  verschie- 
denen stufen  der  lautentAvicklung  aufgenommen  wurden.  Den 
beweis  für  diese  annähme  würde  man  erbringen,  wenn  man 
in  den  ältesten,  vom  mnd.  beeinflussten  schritten  etwa  die 
unumgelauteten  formen  vorhersehend  finden  würde.  Das  ist 
aber  keineswegs  der  fall,  sondern  von  der  ersten  zeit  des  auf- 
tretens  der  betreffenden  mnd.  lehnwörter  (also  im  14.  jahrh.) 
bis  zum  schluss  der  besprochenen  periode,  gehen  umlautslose 
und  umgelautete  formen  nebeneinander  her. 

Ich  möchte  noch  darauf  hinweisen,  dass  die  dänische 
spräche,  wo  der  umlaut  längst  durchgeführt  war,  die  um- 
gelauteten  formen  leichter  assimilierte  als  die  umlautslosen. 
Wir  sehen  den  umlaut  sogar  nach  analogie  verwanter  Wörter 
da  eindringen,  wo  er  keine  berechtigung  hat,  z.  b.  in  fornymst 
gynst,  flygt.  Auf  dänischem  boden  sind  die  uebenformen  ohne 
umlaut  sicher  nicht  entstanden,  sondern  es  ist  anzunehmen, 
dass  die  Dänen  sie  aus  dem  munde  der  Niederdeutschen  gehört 
hatten,  und  dass  der  gehörte  laut  durch  die  Schreibung  wider- 
gegeben wurde. 

Immerhin  dürfen  die  für  die  umlautsfrage  in  betracht 
kommenden  mnd.  lehnwörter  als  beweis  für  das  Vorhandensein 
des  Umlauts  im  mnd.  gelten.  Dadurch,  dass  die  skandinavischen 
sprachen  den  umlaut  von  ü,  ü  durch  0,  y  bezeichnen  konnten, 
ermöglichte  die  dänische  Schriftsprache  ein  genaueres  lautbild 
als  das  mnd.  selbst.  Wo  es  sich  um  Wörter  handelt,  die  im 
nord.  keine  entsprechuug  mit  umlaut  haben,  ist  eine  beeinflus- 
sung  des  dänischen  auf  den  vocalismus  des  lelmwortes  kurze 
zeit  nach  dessen  aufnähme  nicht  wahrscheinlich,  sodass  wir 
den  umlaut  von  ü,  ü  der  mnd.  lehnwörter  im  dänischen  des 
15.  Jahrhunderts  auf  ihre  heimat  zurückführen  werden. 

Das  schwanken  mancher  mnd.  lehnwörter  in  bezug  auf 
den  umlaut  spricht  andererseits  dafür,  dass  eine  feste  ausspräche 
für  das  ganze  gebiet  des  mnd.  nicht  vorauszusetzen  ist. 

FLENSBURG.  IDA  MAEQUARDSEN. 


KLEINE  BEITRÄGE  ZUR  GERMANISCHEN 
ALTERTUMSKUNDE. 

1.   Skäro  ä  skiM. 

IF.  17,  175  habe  ich  die  redensart  slcera  upp  liergr  zu 
erklären  versucht.  Das  iipp  stammt  aus  Wendungen  wie  slcera 
upp  hod  {herhoö,  pimjhod).  Hier  vertritt  es  die  präposition  d 
mit  einem  nomen,  welches  den  gegenständ  angehen  würde,  auf 
den  das  gebot  geritzt  wird.  Man  vergleiche  sinnverwante 
ausdrücke:  haÖ  liann  Poryeir  reisa  par  upp  ds  oh  skera  d 
karlligfÖa;  jarl  let  rista  hlöÖgm  d  halii  Jionmn;  kann  tök  viÖ 
horninu  ok  reist  ä  rünar  (Fritzner  3,  312  a.  117  a).  Ein  *skera 
lierhoö  {upp)  d  or  war  so  gut  wie  unmöglich,  weil  eine  solche 
abundanz  des  ausdrucks  dem  naiven  sprechen,  d.  h.  dem  sprach- 
lichen operieren  mit  geläufigen  und  als  bekannt  vorausgesetzten 
Vorstellungen,  immer  fern  liegt.  Zu  dem  skera  brauchte  nur 
entweder  die  or  oder  das  hod  genannt  zu  werden;  eins  von 
beiden  genügte. 

Die  abnormität  liegt  darin,  dass  statt  *skera  {upp)  d  Jiergr 
vielmehr  gesagt  wird  skera  upp  hergr.  Rein  sprachlich  be- 
schreiben wir  diese  Verschiebung  durch  die  proportion 

skera  lierboö  :  skera  heror 

(=  lata  fara  orvarboö ;  lata  fara  heror) 

=  skera  upp  herboö:  x 

X  =  skera  upp  herqr. 

Eine  ausreichende  erklärung  ist  das  jedoch  noch  nicht. 
Wie  konnte  skera  {upp)  d  heror  durch  die  neubildung  ver- 
drängt werden?  Einen  teil  der  Wahrheit  erfassen  wir  ver- 
mutlich schon,  wenn  wir  antworten:  für  die  anschauung  war 
der  pfeil  die  hauptsache,  nicht  die  Inschrift;  sein  symbolischer 
wert  überwog  die  bedeutung  der  zeichen ;  auch  wo  von  herhoÖ 


460  NECKEL 

die  rede  war,  schwebte  zuiiäclist  der  symbolisclie  pfeil  als 
solcher  vor,  nicht  die  zahlen  oder  runen,  die  er  trng-.  Oder, 
etwas  anders  gewant:  nicht  beim  schnitzen  verweilte  der  ge- 
danke,  sondern  bei  der  herumgeschickten  gr,  wie  denn  oft  — 
wenn  nicht  meistens  —  neben  dem  sJcera  das  lata  fara  nicht 
mehr  besonders  ausgedrückt  wird.  Daher  die  Vorliebe  für  den 
accusativus  des  resultats:  slcera  ujyp  hergr,  wie  slcera  heror. 

Aber  verliebe  und  ausschliesslicher  gebrauch  sind  zweierlei. 
Wir  dürfen  aus  dem  nichtvorkommeu  des  skera  d  gr  schliessen, 
dass  den  Isländern  und  Norwegern  der  schreibezeit  diese  Wen- 
dung nicht  mehi'  ohne  weiteres  verständlich  gewesen  wäre. 
Ohne  zweifei  haben  wir  es  mit  einer  umdeutung  zu  tun.  Man 
dachte  bei  dem  grvarhod  überhaupt  nicht  mehr  an  runen. 
Das  unverstandene  shera  upp  hat  vielleicht  gelegentlich  ein 
aufschneiden,  spalten  suggeriert.  Eine  andere  noterklärung 
bezeugt  der  vereinzelt  vorkommende  ausdruck  slicra  upp  Jnny 
(Fritzner  3, 313b);  hier  liegt  association  mit  standa  upp,  reisa 
upp  vor,  es  wird  an  die  aufbrechende  mannschaft  gedacht  wie 
in  in  nhd.  aufbieten. 

Das  Unverständnis  wird  damit  zusammenhängen,  dass  skera 
nicht  das  eigentliche  verbum  für  das  runenschnitzen  war. 
Doch  der  grund  kann  das  widerum  nicht  sein.  Es  bliebe  ja 
zu  erklären,  warum  man  nicht  *rista  d  hergr  sagte.  Die 
wii'kliche  Ursache  ist  zweifellos  die,  dass  die  alte  praxis  des 
grvarhod  zur  zeit  unserer  handschriften  entweder  längst  aus- 
gestorben war  oder  höchstens  in  formen  fortlebte,  die  mit  dem 
beritzten  pfeil  direct  nichts  zu  tun  hatten. 

Vielleicht  wird  man  sagen:  dieses  ergebnis  war  auf 
kürzerem  wege  zu  gewinnen;  es  ist  ja  die  einfachste  folgerung 
von  der  weit.  Gewiss,  aber  mir  kam  es  darauf  an,  den 
survival-charakter  unserer  phrase  recht  grell  zu  beleuchten. 
Um  so  bedeutsamer  erscheint  es  nämlich,  wenn  wir  an  einer 
Eddastelle  das  ritzen  des  heeraufgebots  noch  als  lebendige 
Vorstellung  belegen  können. 

Es  handelt  sich  um  Vsp.  20,  5— 12: 

Uro  hetu  eina,  aöra  Veröandi  — 

skäru  ä  skiöi    —  Skuld  ena  priöiu; 

paer  iQg  iQgÖu,  pser  lif  kuru 

alda  bQrnum    —  «ilQg  seggia. 


i 


KLEINE   BEITRÄGE   ZUR   GERMAN.   ALTERTUMSKUNDE.  1-      461 

Skdru  d  sMÖi  fasst  man  mit  recht  als  'sie  schnitzten 
(runen)  in  die  holztafel'  (Gering-,  Vollst,  wb.  932).  Auf  diese 
tätigkeit  der  nornen  bezieht  man  geAvöhnlich  v.  8 — 12.  Der 
sinn  müsste  sein:  sie  schrieben  das  Schicksal  der  menschen 
auf.  Detter  und  Heinzel  denken  bei  dem  sldd  an  einen  los- 
stab,  sagen  aber  nichts  über  den  Zusammenhang.  Auch  wenn 
wir  den  losstab  aus  dem  spiel  lassen,  ist  der  Zusammenhang 
nichts  weniger  als  befriedigend.  Jedenfalls  haben  wir  m.  w. 
keine  vergleichbare  Überlieferung.  Wenn  also  schon  der  In- 
halt dazu  ermutigt,  eine  bessere  erklärung  zu  suchen,  so  ver- 
langt die  form  gebieterisch  danach.  Was  ist  @rlQg  segyia? 
Bugge  bemerkt,  seggia  sei  3.  plur.  Aber  ein  präsens  kann 
man  hier  nicht  gelten  lassen  —  abgesehen  von  der  schiefen 
beziehung  des  seggia  zu  leggia  und  kiösa.  Gering  (Eddaüber- 
setzung, Vollst,  wb.  890)  fasst  seggia  als  gen.  plur  von  seggr: 
'der  männer  Schicksal',  und  Boer  hat  sich  dem  angeschlossen 
(Zs.  fdph.  36,  349,  n.  1).  Jedoch  scheint  die  menschenanhäufung 
in  der  letzten  langzeile  kaum  weniger  bedenklich  als  die 
wechselnden  tempora;  Boer  betont  mit  recht  die  dürftigkeit 
des  inhalts,  der  sich  bei  dieser  Interpretation  ergibt. 

Die  nächstliegende,  auch  durch  die  Wortstellung  empfohlene 
auffassung  —  diejenige,  die  Bugge  ausschliessen  wollte  —  halte 
ich  zugleich  für  die  richtige :  seggia  ist  Infinitiv,  orlgg  seggia 
ist  aufzufassen  wie  erlog  drijgia  im  Wielandsliede:  es  heisst 
'krieg  anzusagen".  Das  ist  finale  ergänzung  zu  sMru  d  sMÖi, 
welches  notwendig  einer  aufrundung  bedarf:  'sie  schnitzten 
runen  auf  dem  stabe,  krieg  anzusagen'. 

Grammatisch  und  stilistisch  zunächst  ist  gegen  diese  deu- 
tung  nichts  einzuwenden.  Die  verschlingung  der  sätze  hat 
nicht  ganz  spärliche  parallelen  (Zs.  fdph.  39,  296),  auch  in  der 
Vsp.  selbst,  deren  skaldischen  neigungen  sie  gemäss  ist  (Vsp.  12, 
wegen  des  nachklappenden  schlussverses  16,  8).  In  unserm  fall 
geht  die  verkünstelung  besonders  weit.  Nicht  nur  die  lang- 
zeileneinheit  wird  syntaktisch  ignoriert,  auch  die  helming- 
grenze  gilt  nichts  mehr.  Das  ist  aber  widerum  auch  anderswo 
belegbar  (Akv.,  E]?.).  Es  ist  ein  Charakteristikum  jüngerer 
denkmäler.  An  anderm  orte  gedenke  ich  auf  diese  erscheinungen 
in  ihrem  zusammenhange  einzugehen.  Unsere  stelle  hat  in 
keiner  hinsieht  etwas  unwahrscheinliches. 


■102  NECKEL 

Inlialtlich  ist  noch  weniger  anstoss  zu  nehmen.  In  str.  21 
ist  von  dem  ersten  fölkvig  die  rede.  Seine  entstehung  durch 
die  kriegsansage  der  nornen  schildert  eben  str.  20.  Als  her- 
rinnen  des  Schlachtfeldes  erscheinen  letztere  auch  in  den 
Ham(Msmäl,  wo  die  wölfe  grey  norna  heissen.  Dieselbe  Vor- 
stellung dürfen  wir  in  unsern  versen  20,9 — 11  suchen.  Bei 
log  hat  der  dichter  vielleicht  an  aldrlag  'tod'  gedacht.  Dann 
erhalten  wir  einen  sinnvollen  gegensatz:  'sie  setzten  tod,  er- 
kiesten leben  den  menschenkindern',  mit  deutlicher  beziehung 
auf  die  wechselfälle  des  krieges.  Uebrigens  hat  man  auch 
bislang  schon  die  nornen  an  unserer  stelle  als  kriegsanstifte- 
rinnen  aufgefasst  (Müllenhoff,  DAk.  5,95;  Boer,  Zs.  f dph.  36, 348). 
Diese  Vermutung  wird  bei  unserer  Interpretation  zur  gewissheit. 

Man  kann  die  frage  auf  werfen,  ob  der  dichter  wirklich 
das  heeraufgebot  gemeint  oder  ob  ihm  vielmehr  eine  felide- 
ansage  vorgeschwebt  hat.  Der  ausdruck  sMö  muss  wol  letzten 
endes  als  mehrdeutig  gelten.  Bei  weitem  das  wahrscheinlichste 
dürfte  allerdings  sein,  dass  er  auf  einen  runenstab  geht. 
Möglicherweise  aber  haben  wir  es  mit  einer  uneigentlichen 
bezeichnung,  wenn  nicht  des  pfeiles,  so  des  symbolischen 
Schwertes  oder  kreuzes  zu  tun.  Sollte  letzteres  gemeint  sein, 
so  spräche  das  für  das  aufgebot.  Denn  auf  friesischem  gebiet 
hat  man  ein  schwertchen  aus  eibenholz  gefunden  mit  einer 
runeninschrift,  die  Siebs  (Pauls  Grundr.  2'-^,  521  f.)  {k)edoe  hod- 
P{ing)  oder  {l)cd(e  hodJ)(ing)  oder  {r)edce  hodJ){ingce)  liest.  Dies 
schwertchen  diente  also  sicher  zum  aufgebot.  Seine  form  lässt 
vermuten,  dass  nicht  das  dingaufgebot,  vielmehr  das  kriegs- 
aufgebot  seine  ursprüngliche  function  war.  Uebrigens  be- 
stätigt dieser  fund  den  schluss,  den  ich  IF.  17, 175  f.  aus  dem 
sprachlichen  phänomen  des  skera  upp  gezogen  habe:  es  liat 
wirklich  beritzte  Symbole  wie  schwert  und  pfeil  gegeben. 
Dass  die  Schwerter  auch  im  norden  gebraucht  wurden,  ist  au 
sich  Avahrscheinlich  und  scheint  bestätigt  zu  werden  durch 
das  vorkommen  von  kreuzen  in  ähnlicher  function  (belege  bei 
Fritzner  2, 353).  Ein  roh  geschnitztes  schwert  ist  von  einem 
lateinischen  kreuz  nur  unwesentlich  verschieden;  nichts  ist 
natürlicher,  als  dass  man  solche  friedlichen  zwecken  dienende 
Schwerter  in  christlicher  zeit  Icross  zu  nennen  sich  gewöhnte, 
—    Diese    kreuze   sind    wahrscheinlich    von    wikingen    nach 


KLEINE    BEITRÄGE   ZUR   GEKMAN.   ALTERTUMSKUNDE,    1.      463 

Schottland  gebraclit  worden.  Sie  haben  sich  dort  eingebürgert 
und  wurden  noch  im  18.  jh.  angewant.  Walter  Scott  hat  sich 
darüber  von  einem  manne  berichten  lassen,  der  bei  den  Stuart- 
scheu  Unruhen  1745  46  selbst  ein  solches  kreuz  in  Umlauf  ge- 
setzt hatte  (note  zu  The  Lady  of  the  Lake  3, 1.  Aus  Scott 
hat  der  lexikograph  Armstrong  geschöpft,  den  Jacob  Grimm, 
RA.  1 ',  226  f.  citiert).  Auch  das  wort  kefli  ist  ins  englisch- 
schottische übergegangen  (Sievers  in  Pauls  Grundr.  1^,  252; 
Wright,  The  English  Dialect  Dictionary  I  458.  III  412.  428). 
Doch  dies  liegt  ziemlicli  weit  ab.  Mit  viel  grösserer  Wahr- 
scheinlichkeit haben  wir,  wie  gesagt,  in  dem  skia  einen  ein- 
fachen runenstab  zu  sehen.  Solche  stäbe  wurden  ebenfalls  zu 
ladungen  gebraucht.  Dafür  haben  wir,  soweit  ich  sehe,  zwei 
belegsteilen.  Die  eine  steht  in  der  Niälssaga.  Einige  zeit 
vor  der  grossen  brenna  in  Berg]:'örshväll  sieht  ein  mann  einen 
gespenstischen  reifer,  der  einen  feuerbrand  in  der  band  hält 
und  eine  Strophe  spricht  mit  der  widerholten  Schlusszeile:  svd 
er  um  Flosa  rdd,  sein  fari  hefli.  Flosi  ist  der  anführer  der 
verbündeten,  die  den  anschlag  gegen  Niäll  vorbereiten.  Man 
liat  die  zeile  schon  ganz  richtig  so  aufgefasst,  dass  hier  die 
Schnelligkeit,  mit  der  die  gefahr  heraufzieht,  betont  werden 
solle.  Vigfusson  denkt  dabei  an  eine  rollende  walze,  Fritzner 
an  einen  geschleuderten  stab.  Beides  ist  gleich  willkürlich 
und  pointelos  und  gewiss  abzulehnen,  kefli  ist  vielmehr  hier 
wie  meistens  ein  runenstab.  fara  erhält  sein  licht  von  der 
stehenden  phrase  lata  fara  grvarhod.  Die  Schnelligkeit  war 
mit  dieser  art  des  aufgebots  eo  ipso  gegeben.  Wie  Scott  be- 
richtet, durchlief  das  'feurige  kreuz'  im  jähre  1745  eine  strecke 
von  32  engl,  meilen  in  drei  stunden,  i)  Derartiges  hat  auch 
dem  dichter  unserer  Strophe  vorgeschwebt.  Er  will  sagen: 
der  plan  des  Flosi  gedeiht  so  schnell,  er  sammelt  seine  leute 
so  geschwind,  als  bediente  er  sich  eines  kefli.  Kein  gedanke 
kann  besser  in  den  Zusammenhang  passen.  Die  Verschwörer 
verständigten  sich  mündlich.  Sie  brauchten  kein  kefli,  weil  sie 
in  der  läge  waren,  sich  zeit  zu  lassen.    Aber  als  sie  sich 


1)  V.  Peucker,  Das  deutsche  kriegsweseu  1, 234  ff.  hat  nachrichteu  des 
Caesar  und  Tacitus  zusammengestellt  über  die  Schnelligkeit,  mit  der  die 
Germanen  bei  römischen  einfallen  sich  sammelten.  Man  darf  für  diese 
zeit  schon  eine  ähnliche  einrichtuug  wie  das  (^riarboö  mutmassen  (s.  u.). 


464  NECKEL 

saiiimelteii.  sah  es  doch  aus,  als  wären  sie  auf  so  eilige  weise 
citiert  worden.  —  Der  zweite  zeuge  tritt  im  16.  jli.  auf.  Olaus 
Magnus  berichtet  von  einem  hacidus  trqmlmatus,  der  noch  zu 
seiner  zeit  in  Schweden  die  runde  machte,  sobald  eine  feind- 
liche landung  drohte  (J.Grimm,  RA.  1^,227).  Dieser  haculus 
und  jenes  Jiefli  sind  jedenfalls  nahe  verwante  des  runenbrettes, 
das  als  Vorstufe  der  böhmischen  ladebrettchen  zu  vermuten  ist. 
Auch  das  skid  der  V^luspä.  Aber  kann  letzteres  nicht  auch 
ein  fehdezeichen  sein?  Der  im  Hunnenschlachtliede  erwähnte 
herstafr  wird  ein  rimakefli  gewesen  sein.  Doch  diese  alter- 
native ist  gewiss  zu  verwerfen.  Wie  alda  hormim  20, 11  zeigt, 
müsste  der  dichter  die  nornen  und  menschen  als  gegner  ge- 
dacht haben,  und  das  ist  einigermassen  ungereimt.  Auch  liesse 
sich  die  offenbar  vorhandene  beziehung  zu  den  zwischen- 
stehenden Sätzen  l(>g  Iggdu,  Uf  hiru  kaum  aufrecht  erhalten. 
Eine  Vorstellung  wie  die  von  den  sahrünar,  die  Odin  zwischen 
freunden  hin  und  her  trägt  (HHu.  2,  34;  Saxo  374:  inskliosae 
legationis  cura  arctissimam  regum  concordiam  lahefectavlt;  vgl. 
Härb.  24)  wird  durch  den  Wortlaut  unserer  stelle  ausgeschlossen. 

So  werden  wir  doch  bei  dem  heeraufgebot  bleiben.  Es 
ist  ein  sinnreicher  einfall  des  dichters,  den  krieg  als  ein  herboö 
der  nornen  in  die  weit  kommen  zu  lassen.  Dieser  einfall  ist 
aber  zugleich  für  seine  anschauungsweise,  vielleicht  auch  für 
seine  lebensstellung,  lehrreich.  Wir  sehen  hier,  er  betrachtet 
den  krieg  weder  vom  Standpunkt  des  berufsmässigen  kriegers 
noch  vom  Standpunkt  des  historikers.  Von  beiden  liesse  sich 
erwarten,  dass  sie  die  wirklichen  gründe  und  ziele  des  krieg- 
führens  —  ruhmgier,  herschsucht,  habsucht,  hass  —  irgendwie 
im  poetischen  bilde  zeigen  würden.  Für  unsern  dichter  ist 
der  krieg  ein  Schicksal,  das  von  oben  kommt.  Er  sieht  ihn 
als  runengeschnitztes  herbod  von  gehöft  zu  gehöft  wandern. 
Liegt  die  Vermutung  nicht  nahe,  dass  dieser  dichter  selbst  ein 
l)auer  war,  der  einmal  oder  öfter  mit  dem  leiöangr  ziehen  musste? 

Zu  unserni  ausgangspunkt  zurückkehrend,  stellen  wir  fest: 
das  sJcera  u^jp,  das  in  der  schreibezeit  nicht  mehr  recht  ver- 
standen wurde,  war  dem  Verfasser  von  str.  20,  5—12  der  Ysp. 
noch  geläufig.  Er  liefert  uns  eine  nahe  parallele  zu  dem  zu 
erscliliessenden  '^sJcera  d  gr.  Hier  verweilt  nun  wirklicli  die 
Vorstellung  auf  der  tätigkeit  des  skera.    Die  nornen  treten 


KLEINE   BEITRÄGE   ZUR   GERMAN.    ALTERTUMSKUNDE.  1.      465 

runen  ritzend  auf;  das  aussenden  der  botschaft  steht  erst 
bevor  [erlgg  seggia,  final).  Es  ist  klar,  dass  die  walil  des 
ausdrucks  mit  diesem  stilistischen  Charakter  der  stelle  zu- 
sammenhängt. Gewiss  ist  dem  dichter  auch  die  Wendung- 
sl(era  upp  lierhoÖ  geläufig  gewesen.  Sie  passte  nur  nicht  in 
seinen  Zusammenhang,  und  daher  sagte  er  slccra  d  sldd,  wobei 
freilich  durchaus  nicht  feststeht,  ob  das  stabende  sUö  durch 
die  phrase  der  Umgangssprache  vorgeschrieben  war. 

Es  ist  an  sich  wahrscheinlich,  dass  unsere  stelle  schon 
bei  ihrer  ersten  aufzeichnung  nicht  mehr  genau  verstanden 
wurde.  Dafür  zeugt  positiv  die  überlieferte  textgestalt.  Ob- 
gleich noch  niemand  m.  w.  hier  anstoss  genommen  hat,  halte 
ich  Vrd  hehl  eina  u.  s.  w.  —  das  verbum  im  plural,  die  namen 
im  acc.  —  für  unursprünglich.  Die  Schreiber  haben  sich  wol 
die  nornen  selbst  als  subject  gedacht,  jedenfalls  doch  nicht 
die  'leute'  (wie  R]^  39,  8).  Beides  ist  aber  im  gründe  gleich 
unmöglich.  Die  nornen  als  subject  sind  nur  gefolgert  aus  dem 
folgenden  sMru  d  sMÖi,  das  man  mit  dem  doppelton  acc.  Slmld 
ena  priäiu  als  einheit  fasste:  'sie  verzeichneten  als  dritte  die 
Skuld  auf  der  tafel'.  So  haben  denn  auch  die  meisten  neueren 
herausgeber  diese  zeile  verstehen  wollen;  sie  setzten  hinter 
sMdi  kein  komma.  Abgesehen  von  der  inhaltlichen  Unmög- 
lichkeit ist  das  nur  eine  consequente  folgerung  aus  dem  über- 
lieferten Wortlaut.  Aber  es  scheint  evident,  dass  Shdd  durch 
ein  misverständnis  zum  acc.  gestempelt  worden  ist.  Das 
ursprüngliche  war: 

Urör  het  ein,        qnnur  VerÖandi  — 
skärii  ä  skiöi    —    Skuld  en  priöia  u.s.iv. 

Bestätigend  sagt  die  Ep.:  Kundr  het  einn  (41,9).  Wie  ich  an 
anderer  stelle  zu  zeigen  hoffe,  bestehen  zwischen  R]\  und  Vsp. 
berührungen,  die  kaum  zufall  sein  können.  So  hat  gerade  die 
eitler te  Strophe  in  ihrer  gliederung  mit  keiner  stelle  eine  so 
auffallende  ähnlichkeit  wie  mit  Vsp.  12.  Daher  ist  die  Ver- 
mutung berechtigt,  dass  Kundr  het  einn  auf  Vsp.  20  beruht. 
Ferner  kann  man  vergleichen  Vkv.  2:  ein  . .  gnnur  . .  en  Jjriöia. 
Es  ist  unverkennbar,  dass  durch  unsere  änderung  die  verse  an 
klarheit  und  dadurch  an  ästhetischem  wert  erheblich  gewinnen. 

Nachtrag.  In  der  Verbindung  0rl(^g  seggia  haben  wir  eine  der  ur- 
sprünglichsten gebrauchsweisen  des  wortes  orlgg.     Diese  bildung  erklärt 


406  NECKEL 

sich  aus  redeusarten  wie  au.  seggiask  ör  Iggum  viö  e-n.  Ein  g-egenstück 
claau  ist  altd.  urfehde  scJnvören,  das  ebenfalls  eine  der  ältesten  anwendungen 
des  Wortes  mhd.  urvehe{de)  zeigt. 

2.  Wgerni.  schar. 

Bei  vorstellender  Untersuchung  scheint  ein  gewinn  für  die 
etymologie  abzufallen. 

lieber  schar  'cohors'  bemerkt  Kluge  (Et.  wb.),  die  bedeu- 
tung  füge  sich  nicht  zu  scheren.  Aehnlich  Paul,  Dt.  wb.  373: 
'abzutrennen  ist  schar  in  pflugschar,  zu  scheren,  wovon  auch 
das  andere  schar  abgeleitet  zu  werden  pflegt,  aber  ohne  ge- 
nügenden grund;  die  wurzel  scheint  vielmehr  den  sinn  »ordnen«, 
-^verteilen«  gehabt  zu  haben'.  Detter  (Dt.  wb.,  Lpz.  1897,  s.  94) 
meint:  'vielleicht  zu  scheren  »schneiden«,  also  eigentlich  »ab- 
teilung«'.  Diese  auffassung  hatte  Hej'ne  (Dt.  wb.  8,  2170)  als 
zweifellos  richtig  hingestellt.  Er  meinte  demnach,  dass  hier 
das  beer  oder  volk  'zerschnitten'  gedacht  werde,  etwa  wie 
man  einen  apfel  vierteilt.  Daran  ist  selbstverständlich  nicht 
zu  denken;  etymologien  wie  diese  hat  Meringer  mit  recht 
gegeisselt.  Wer  die  bedeutungeu  nicht  besser  zu  vereinigen 
weiss,  muss  in  der  tat  die  verwantschaft  bezweifeln. 

Aber  die  bedeutuugen  kommen  auf  anderem  wege  zu- 
sammen. Wir  haben  gesehen,  dass  man  einst  den  heerbann 
durch  rimenstäbe  aufbot  und  dass  diese  art  des  aufgebots 
im  an.  mit  hilfe  des  verbums  slcera  sprachlich  bezeichnet 
wurde.  Dürften  wir  annehmen,  dass  beides,  sitte  und  bezeich- 
nung,  einst  gemeingermanisch  war,  so  wäre  der  Zusammenhang 
zwischen  schar  und  scheren  fast  ohne  rest  aufgeklärt.  Die 
schar  konnte  'schnitt'  oder  'ritzung'  heissen,  insofern  es  einer 
runenritzung  bedurfte,  um  sie  zur  stelle  zu  bekommen.  Haftete 
dem  Worte  von  hause  aus  der  sinn  'abteilung'  an,  im  gegen- 
satz  zum  heerganzen,  so  wäre  daran  zu  erinnern,  dass  die 
altgerm.  heeresverfassung  auf  territorialer  basis  ruhte.  Eine 
schar  wäre  dann  das  aufgebot  eines  bezirkes  gewesen,  i)  Es 
lässt  sich  ja  annehmen,  dass  man  bei  einer  mobilmachung  in 
grösserem  massstabe  nicht  nur  ein  aufgebot  schnitzte,  sondern 
etwa  je  eins  für  jeden  bezirk.    In  Schottland  pflegte  der  böte, 


*)  Vgl.  die  dingordüung  des  Södermannagesetzes :   bupkafle  en  scal  i 
fiarpung  hwarn  (Noreeu,  AscliAved.  lesebucli  s.  16). 


i 


KLEINE   BEITKÄGE   ZUK   ÜERMAN.   ALTERTUMSKUNDE.  2.      iOl 

der  das  ^feurige  kreuz'  trug,  miindlicli  den  Sammelplatz  anzu- 
geben. Dasselbe  berichtet  Ülaus  Magnus.  Vermutlich  stand 
diese  angäbe  früher  auf  dem  holze  selbst.  Man  kann  sich 
wenigstens  schwer  vorstellen,  was  die  runen  sonst  enthalten 
haben  sollten.  Alle  andern  Vorschriften  waren  dem  gegenüber 
unwesentlich,  auch  der  Zeitpunkt,  der  notgedrungen  mit  einem 
selbstverständlichen  '(juam  celerrime'  abgetan  wurde.  Wenn 
nun  jeder  bezirk  seinen  Sammelplatz  hatte,  so  folgt  schon 
hieraus,  dass  für  jeden  bezirk  und  damit  für  jede  schar  beson- 
dere runen  geritzt  werden  mussten.  Also  schar  =  runenschnitt. 
Das  wort  ahd.  sJcara  u.  s.  w.  'schar'  ist  im  nord.  in  dieser 
bedeutung  nur  als  lehnwort  vorhanden  (in  der  piörekssaga 
sk(>r,  in  anderen  jüngeren  quellen  skari,  s.  Cleasby-Vigf.  und 
Fritzner).  Einheimisches  nordisches  skgr  hat  von  der  grund- 
bedeutung  'schnitt'  aus  verschiedene  andere  gebrauclisweisen 
entwickelt,  von  denen  zwei  hervoi-gehoben  seien:  slgr  'haupt- 
haar',  eig.  w^ol  'schür',  anfangs  von  der  abgeschnittenen  wolle 
des  Schafes  i),  dann,  vielleicht  ursprünglich  spöttisch,  ausschliess- 
lich vom  menschlichen  haar,  und  die  redensart  shrida  til  sJmrar 
'es  zur  entscheidung  kommen  lassen',  über  die  unten  gehandelt 
werden  soll.  Dass  die  bedeutung  'schar'  nicht  darunter  ist, 
liegt  daran,  dass  sich  hierfür  die  ablautbildung  sl:or  (f.)  fest- 
gesetzt hatte.  Dieses  skor  ist  zwar  nur  spärlich  und  in  ver- 
engerter function  belegt  {eru  ßogur  hundrud  i  skor,  Fritzner, 
3,367  b),  doch  wird  er  durch  das  abgeleitete  verbum  skora 
(vgl.  ahd.  skarön)  'herausfordern',  'eitleren'  gestützt.  Wenn 
man  sagte  skora  e-n  til  einvigis,  d  höhn,  tu  leiÖangrs.  skora 
e-m  Mim,  so  vergleicht  sich  damit  das  oben  angezogene  skera 
iq)})  ping,  das  zwar  mit  skera  upp  liergr  u.  dgl.  associiert,  aber 
nicht  daraus  entstanden  war.  Sollte  nicht  bei  beiden  verben 
ursprünglich  das  ritzen  des  aufgebots,  bez.  der  herausforderung 
gemeint  sein?  skor  bedeutet  auch  'einschnitt',  skora  'ein- 
schnitte machen'.  Allerdings  handelt  es  sich  dabei  nicht  um 
runenzeichen.  Aber  es  lässt  sich  in  unsern  quellen  überhaupt 
kaum  eine  erinnerung  an  diesen  gebrauch  des  Wortes  erwarten, 
da  er  auch  bei  skera  nur  noch  an  einer  einzigen  Eddastelle 


1)  Der  t.  t.  für  die  Schafschur  ist  in  historischer  zeit  Tdi])pa  (daneben 
ryja  '  rupfen ',  Schönfeld,  Isl.  hauernhof  8.  220  f.).  Dies  spricht  nicht  da- 
gegen,  dass  mau  einmal  skera  uU  so  gut  sagte  wie  skera  mon,  skera  här. 


ißS  NECKEL 

direct  belegt  ist.  Die  besproclienen  phraseu  sJcera  npp  grvarhod, 
skera  hergr  u.s.  w.  sind  ebenso  erstarrte  formein  wie  skora  e-in 
höhn.  Letztere  spiegelt  aber  genau  die  oben  vermutete  an- 
gäbe der  örtlichkeit  auf  dem  Stabe.  So  wird  man  die  annähme 
nicht  zu  kühn  finden,  dass  skor  'häufe  von  400  mann'  in  der 
tat  aus  der  grundbedeutung  'ritzung',  'runenschnitt'  zu  er- 
klären ist. 

Diese  erklärung  dürfte  jener  andern  vorzuziehen  sein,  die 
das  aus  dem  nord.  entlehnte  engl,  (a)  score  'kerbholz',  '20'  an 
die  band  gibt.  Danach  wäre  die  bedeutungsentwicklung  diese 
gewesen:  kerbe  —  kerbe  als  gedächtnishilf e  (s.  Fritzner  s.  v. 
skor  1)  —  eine  bestimmte  anzahl  solcher  kerben  (etwa  so 
viele,  wie  auf  ein  kerbholz  von  bestimmter  länge  gehen): 
'kerbung'  —  diese  anzahl  als  solche  (20)  —  die  quadratzahl 
davon  (400)  —  truppe  von  400  mann.  Man  müsste  dann  aber 
mindestens  statuieren,  dass  die  letzte  specialisieruug  unter  dem 
einflusse  des  deutschen  lehnwortes  skari,  skgr  erfolgt  sei.  Denn 
die  semantische  Übereinstimmung  mit  dem  verwanten  west- 
germ.  skara  wird  nicht  zufall  sein.  Diese  hypothese  wäre  bei 
der  beschaffenheit  der  belege  nicht  a  limine  abzuweisen.  Doch 
scheint  die  umgekehrte  annähme  vorzuziehen:  ein  älteres  skor 
schar  überhaupt'  nahm  die  bedeutung  'schar  von  400'  an, 
weil  man  daneben  ein  gleichlautendes  wort  des  sinnes  '20' 
(vielleicht  auch  '20x20')  hatte. 

Ob  diese  erwägungen  ein  unserer  annähme  günstiges  vor- 
lU'teil  in  beti'eff  des  wgerm.  skara  erzeugen  können,  lasse  ich 
unerörtert.  Zu  berücksichtigen  ist  aber  zweierlei:  einmal  ist 
es  an  sich  höchst  wahrscheinlich,  dass  die  nordisch -friesische 
Sitte  des  aufgebot-ritzens  einst  auch  in  Deutschland  gegolten 
hat.  Diese  sitte  war  allem  anschein  nach  im  norden  autochthon; 
andererseits  ist  ihr  Zusammenhang  mit  den  von  Meringer,  IF. 
16, 114  besprochenen  böhmischen  brettern  kaum  zu  leugnen. 
Was  zweitens  das  verbum  skera  betrifft,  so  war  sein  gebrauch 
für  das  runenritzen  im  nordischen  des  13.  jh.'s,  wie  \m  sahen, 
veraltet.  Das  begünstigt  die  Vermutung,  dass  dieser  gebrauch 
früher  allgemeiner  war.  skeran  dürfte  der  alte  technische  aus- 
druck  für  das  schneiden  der  runen  in  weiches  holz  gewesen 
sein.  Ein  schnitzen,  bei  dem  späne  abfallen  (s.  die  von  Sievers 
in  Pauls  Grundr.  l^,  251  citierte  stelle  der  Gisla  saga),  wird 


KLEINE   BEITRÄGE   ZUR   GERMAN.    ALTERTUMSKUNDE.  2.      460 

durch  dieses  verbuni   besser  bezeichnet  als  durch  ivritan,  das 
inschriften  auf  härterem  material  uns  aufbewahrt  haben. 

Mir  scheint,  "wir  besitzen  ein  nicht  zu  verachtendes  sprach- 
liches Zeugnis  für  die  vorhistorische  function  von  germ.  skeran. 
Dabei  gehe  ich  wider  vom  nordischen  aus.  Hier  hat  skera 
u.a.  die  bedeutung  'entscheiden'.  Sie  haftet  in  einigen  festen 
formein  und  an  dem  compositum  slcera  ör  (Fritzner  3,  312  b. 
313a),  wozu  das  abstractum  orshurdr  'entscheidung'  gehört 
(danach  slita  ör,  örslit  in  gleicher  bedeutung).  Was  zunächst 
das  ör  angeht,  so  vergleicht  Fritzner  (2, 915  a)  treffend  wgerm. 
tirteil.  Die  entsprechung  lässt  vermuten,  dass  die  bildung  alt 
ist,  zumal  die  hier  vorliegende  function  von  U2-  isoliert  zu 
stehen  scheint.  Wir  dürfen  demnach  das  einfache  shera,  so- 
weit es  mit  shera  ör  synonj'm  ist,  auf  urgerm.  *ussJceran  zurück- 
führen. 

Eine  der  formelu,  in  denen  unser  nord.  sJcera  auftritt,  ist 
lata  skapat  skera  'das  Schicksal  entscheiden  lassen'.  Das  er- 
innert an  hd.  bescheren,  worüber  J.  Grimm,  DWb.  1,  1563  ff. 
schön  gehandelt  hat:  ^scheren,  schar  und  bescheren  gemahnen 
an  fii-Qog,  ,u£Qig,  fi£Qi^oo  und  (io'iqcc,  heidnische  Vorstellungen 
liegen  ihnen  allen  im  hintergrund'.  Mhd.  beschern  wird  be- 
sonders von  der  Vorsehung  und  dem  Schicksal  gebraucht  (Mhd. 
wb.  2,2, 155a;  Lexer  1,206).  Aehnliches  lässt  sich  im  as.  und 
ae.  beobachten,  Ettmüller  (Lex.  angios.)  führt  an:  scolde  Mm 
beon  dead  scyred;  gif  pe  alwalda  ure  dryhten  scirian  wille, 
])cet  ])u  rondwigum  rumor  möte  frcetwa  dcelan  (entsprechende 
as.  fälle  s.  u.).  Nun  handelt  es  sich  hier  ja  allerdings  um  ein 
schwaches  verbum,  das  als  denominativum  von  schar  zu  fassen 
ist.  Aber  das  ist  nicht  ausschlaggebend.  Der  gebrauch  des 
Wortes  weist  darauf  hin,  dass  Vermischung  eines  alten,  wgerm. 
nicht  mehr  belegten  skeran  'bestimmen'  und  eines  nur  wgerm. 
"^skarjan  'einer  schar  zuteilen',  'wohin  weisen'  stattgefunden 
hat.  Ad  oculos  demonstriert  wird  diese  Vermischung  durch 
einen  vergleich  zwischen  dem  ae.  und  dem  an.  Der  an.  formel 
skapa  ok  skera  entspricht  ae.  scieppan  ond  scirian.  Dabei  be- 
steht eine  lehrreiche  bedeutungsdifferenz.  skajja  ok  skera  ist 
eine  rein  tautologische  doppelheit,  ungefähr  synonym  mit 
jedem  seiner  glieder  (s.  die  belege  bei  Fritzner  3,284):  'ent- 
scheiden', 'die  entscheidung  haben'.  Anders  im  ae.    Dort  fehlt 

Beiträge  zur  geschichte  der  ileutschen  spräche-     XXXIIl,  31 


470  NECKEL 

die  tautologie.  die  formel  Avird  z. t.  gebrauclit  wie  blosses  scirian 
in  dessen  gewöhnlicher  bedentung  'wohin  weisen'.  Gen.  65: 
Sceöp  pä  ond  scyrede  scyppend  üre  I  oferliidig  cyn  engla  of 
heofnum  'wies  .. .  aus  dem  himmel';  d.  menschen  geschicke  95: 
Jorf  . . .  jßond  middanseard  monna  crceftas  j  sceöp  ond  scyrede 
'schuf  ...  und  verteilte'  (die  belege  aus  Greins  Sprachschatz; 
auch  0.  Hoffmann,  ßeimformeln  im  wgerm.  s.  70,  hat  nur  diese 
beiden).  Es  ist  wol  klar,  dass  das  ursprüngliche  auf  nordischer 
Seite  ist.  Der  ae.  gebrauch  hat  seine  Voraussetzung  in  der 
Verdrängung  eines  veralteten  sJceran  durch  scirian. 

Dieselbe  "S'erdräuguug  beobachten  wir,  wenn  scirian  'zählen' 
bedeutet.  Das  beruht  auf  sJceran  im  sinne  von  'einen  einschnitt 
in  ein  kerbholz  machen'. 

Die  grundbedeutung  des  swv.  sherian  liegt  vor  im  Hilde- 
braudsliede:  dar  man  mih  io  sherita  in  sceotantero  folJc,  im 
Heliand:  thuo  ivurdun  tliar  gisJcerida  . . .  iverös  te  theru  ivahtu 
(5761  f.),  ferner  in  mlat.  scariti  'die  aufgebotenen'  (Waitz,  Verf.- 
gesch.  4,  612);  die  ebenso  ursprüngliche  bedeutung  'aufstellen', 
an.  fylhia  zeigt  Hei.  2848:  Mt  tliat  gwnono  folk  sherian  enti 
sheöan.  Von  diesen  ausgangspunkten  lässt  sich  zwar  begreifen, 
wenn  sherian  allgemein  'wohin  weisen'  ist  —  so  ganz  gewöhn- 
lich im  ae.,  ahd.  (z.  b.  Petruslied  v.  5),  mhd.  (Mhd.  wb.  2, 2, 155  a. 
156a)  —  aber  schwerlich,  wenn  es  'bestimmen',  'verhängen' 
—  von  irdischen  gewalthabern  und  vom  Schicksal  —  bedeutet. 
Dies  ist  aber  in  zahlreichen  belegen  aus  allen  wgerm.  dialekten 
der  fall.  Ich  begnüge  mich  mit  einigen  altsächsischen:  {God) 
sJcerida  im  tJiö  te  tvitea,  that  he  ni  malita  enig  word  spreJcan; 
hie  was  iu  than  te  doöe  gisJcerid;  thena  habdun  sia  gisherid  te 
thiu  (Hei.  164.  5446.  5647).  Schon  Schmeller  (Bayr.  wb.  2^,  451) 
hat  mit  diesem  sherian  isl.  shora  verglichen.  Noch  besser  hätte 
er  shera  herbeigezogen.  Man  denkt  hier  zunächst  an  shera 
upp  ])ing  'ein  thing  berufen',  dann  aber  an  shera  in  der  be- 
deutung 'entscheiden'.  Diese  ist  perfective  modificierung  von 
'bestimmen'.  In  letzterem  sinne  etwa  wurde  das  urgerm.  sheran 
gebraucht,  das  in  wgerm.  *sharjan  aufgegangen  ist. 

AVie  kam  das  verbum,  das  'schneiden'  bedeutete,  zu  diesem 
gebrauch?  Nach  dem,  was  oben  ausgeführt  wurde,  liegt  die 
antwort  nicht  fern.  Die  willensäusserungen,  um  die  es  sich  hier 
handelt,  wurden  ursprünglich  als  runenritzungen  gedacht. 


f 


KLEINE   BEITRÄGE    ZUR    GKRMAN.    ALTERTUMSKUNDE.  2-      471 

Dabei  sind  in  der  theorie  verschiedene  fälle  auseinander 
zu  halten:  der  durch  botschaft  ausgehende  befehl;  die  zauber- 
runen,  durch  die  mensch  oder  g-ottheit  das  Schicksal  beeinflussen; 
die  losstäbe. 

Die  nächste  beziehung  zu  scliar  hat  der  erste  fall.  Von 
hier  ist  die  Vermischung-  der  beiden  verben  ausgegangen.  Wer 
eine  schar  sammelte  (an.  skera  upp),  hatte  sie  in  der  regel 
auch  zu  ordnen  und  zu  führen  (wgerm.  skarjan).  Beide  tätig- 
keiten  giengen  ineinander  über.  Die  folge  war,  dass  die  verben 
zunächst  promiscue  gebraucht  wurden,  "^skarjan  z.  b.  auch  'auf- 
bieten' hiess  (mlat.  scarithi).  Da  aber  von  den  concurrenten 
der  eine  (skeran)  auch  eine  ganz  andere  function  versah 
('scheren',  'schneiden'),  so  musste  er  sich  notwendig  auf  diese 
beschränken  und  dem  *skarjan  das  feld  überlassen.  So  be- 
greift sich  das  fehlen  der  militärischen  bedeutung  bei  wgerm. 
skeran  und  damit  auch  der  semantische  abstand  zwischen 
scheren  und  schar. 

Auf  runenaberglauben  geht  zunächst  bescheren  zurück. 
Wie  durch  Zaubersprüche  geholfen  und  geschadet  wurde,  so 
auch  durch  runen,  und  das  geheimnisvolle  eingreifen  der  göttin 
geschah  durch  dasselbe  medium,  i)  Zeugnisse  dafür  haben  wir 
natürlich  nur  aus  dem  norden.  Sie  werden  besprochen  von 
Gering,  Weissagung  und  zauber  (Kieler  rectoratsrede  1902) 
s.  20  f.  (vgl.  das.  s.  8. 12).  Man  erregt  durch  runen  liebe,  bewirkt 
Vergessenheit,  krankheit  und  tod.  Andererseits  werden  tote 
zum  leben  erweckt  und  krankheiten  weggezaubert.  Letzteres 
geschieht  so,  dass  man  die  krankheitsrunen  abschabt  und  durch 
heilrunen  ersetzt. 

Das  gemeinwgerm.  wort  harmskara  ist  bisher  nicht  be- 
friedigend erklärt.  Am  nächsten  wird  J.  Grimm  der  Wahrheit 
gekommen  sein,  wenn  er  RA.  2*,  255  sagt:  ^Scara  ist  aufläge, 
herrenauflage,  frohne,  harmscara  folglich  was  zur  pein  und 
quäl  (von  der  obrigkeit)  auferlegt  wird.'  Er  hat  selbst  später 
diese  erklärung  bezweifelt 2),  und  es  ist  leicht  zu  erraten,  warum. 
Zwischen  härm  'leid'  und  skara  'herrengebot'  ist  eine  beziehung 
nur  gezwungen  herzustellen.    Das  compositum  könnte  höchstens 


1)  Ueber  die  analogie  zwischen  zauberer  und  gottheit  vgl.  v.  d.  Leyen, 
Germ.  abh.  für  H.  Paul  s.  51  ff. 

■■*)  S.  die  fussuote  der  herausgeber  a.  a.  0. 

31* 


472  NECKEL 

•leidvolle  fronarbeit"  bedeuten.  Wenn  es  aber  gemeinwgerm, 
für  ' Unglück'  überhaupt  gebraucht  wird,  so  hat  eine  beziehung 
zu  sJcara  im  angegebenen  sinne  nicht  bestanden.  Der  zweite 
bestandteil  von  harmskara  muss  ungefähr  'schicksaP  bedeutet 
haben.  Es  lässt  sich  aber  beobachten,  dass  harmskara  an- 
nähernd =  härm  ist.  Entsprechendes  haben  wir  in  einer  reihe 
an.  composita  mit  dem  zweiten  bestandteil  stafir: 

blundstafir    =    blundr 
bolstafir    =    bql 
feiknstafir    =    feikn 
fl£erÖarstafir    =    tlserö. 

Diese  ausdrücke  sind  synonym  mit  harmskara;  alle  bezeichnen 
ein  übel,  das  dem  menschen  widerfährt.  Die  Zusammensetzung 
mit  stafir  zeigt,  dass  man  sich  das  übel  einmal  als  durch 
runenstäbe  veranlasst  gedacht  hat.  Mancher,  der  sich  von 
hQl  betroffen  fülilte,  argwöhnte  einen  von  einem  Widersacher, 
wenn  nicht  gar  von  einer  gottheit  geritzten  ^])nrs\  wie  Skirnir 
der  Gerör  mit  dem  purs  und  drei  andern  uuglücksstäben  droht. 
Wenn  aber  stäbe  'geschoren'  wurden,  so  begreifen  wir  auch 
die  harmschar:  es  ist  eine  'harmbescherung'.  Beleuchtet  wird 
das  noch  durch  eine  altertümliche  redensart,  die  uns  die  Xiäls- 
saga  aufbewahrt:  mikill  harmr  er  at  oss  kvedinn,  er  ver  skulum 
svd  mikla  ügcefu  saman  eiga  (Niäla,  Kaupmaunahöfn  1875,  c.  129, 
96  f.).  Der  erklärende  zusatz  zeigt,  dass  der  erste  teil  des 
Satzes  feste  formel  war.  kveöa  at  e-m  ist  'etw.  über  jem.  ver- 
hängen', natürlich  mittelst  eines  zauberliedes  (kveöa  'recitieren'). 
Setzen  wir  statt  des  liedes  die  verschwiegeneren  runen  ein, 
so  erhalten  wir  harmr  er  at  oss  *skorinn,  die  Voraussetzung 
für  wgerm.  harmskara.  AVir  dürfen  es  für  zufall  erklären, 
wenn  dieses  wort  im  nordischen  selbst  nicht  nachgewiesen  ist. 
—  Beachtenswert  ist  das  vorhersehen  des  schädlichen  zaubers. 
Die  belege  für  runenzauber,  soweit  er  nicht  zum  eigenen 
schütze  dienen  soll,  gehören  überwiegend  auf  diese  seite. 
Hierher  stellt  sich  auch  harmskara,  und  so  wird  man  das 
bairische  V schert  'mit  Unglück  behaftet"  ebenfalls  aus  heid- 
nischem aberglauben  herleiten  dürfen. 

Endlich  die  losstäbe.  Dass  man  für  das  ritzen  der  losrunen 
auch  einmal  skeran  gesagt  hat,  bezeugt,  glaube  ich,  die  an.  phrase 
skrida  tu  skarar  'es  zur  entscheidung  kommen  lassen',  skrida  ist 


1 


KLEINE    BEITRÄGE   ZUR   GERMAN.    ALTERTirMSKUNDE.  3-      473 

g-ewühnlicli  'gleiten'  oder  'kriechen'.  Damit  kommen  wir  hier 
nicht  durch;  Vigfussons  'to  slide  to  the  edge  of  the  ice,  i.  e. 
to  fig-ht  desperately'  ist  keine  erklärung.  Nun  berulit  ja  der 
nordische  gebrauch  von  slcrida  sichtlich  auf  später  speciali- 
sierung.  Wenn  irgendwo,  so  kann  sich  die  ältere,  allgemeinere 
bedeutung  in  stabenden  formein  gehalten  haben.  Eine  solche 
formel  ist  skrida  i  shard  'einen  schaden  wider  gut  machen', 
eig.  'in  die  lücke  treten',  skrida  tu  sJcarar  aber,  aufs  nächste 
vergleichbar  der  technischen  phrase  ganya  tu  frettar,  ist  ur- 
sprünglich 'zum  losen  schreiten',  genauer  'zum  ritzen  der  los- 
zeichen schreiten'.  Hier  liegt  derselbe  secundäre  gebrauch 
von  schreiten  vor,  der  heute  im  nhd.  ganz  gewöhnlich  ist  {zur 
dbstimmung  schreiten  u.  dgl.). 

Interessant  ist  die  parallele  der  Wörter  los  und  Jcahel. 
Ersteres  bedeutet  von  hause  aus  einen  losstab,  dann  auch 
'anteir  und  'Schicksal'.  Der  anteil  ist  das,  was  man  erlöst, 
ebenso  das  Schicksal.  Mit  los  in  der  letzten  bedeutung  ver- 
gleicht sich  unmittelbar  harmshara,  dessen  Zusammenhang  mit 
dem  runenstabe  dadurch  scharf  beleuchtet  wird.  Wir  beobachten 
hier,  dass  die  Vorstellungen  'los'  und  'schicksalrune'  ineinander 
übergehen.  Der  losstab,  den  man  selbst  geritzt,  dem  aber  eine 
höhere  macht  beim  los  werfen  erst  die  Wirkung  gibt,  und  der 
Stab,  dessen  runen  durch  sich  selbst  wirken,  beide  werden  mit 
gleicher  abergläubischer  scheu  betrachtet.  —  Was  ndd.  kabel 
betrifft,  so  erscheint  beachtenswert,  dass  es  die  bedeutungen 
'reihenfolge'  und  'anteil',  besonders  'arbeitsanteil'  mit  schar 
gemein  hat  (DWb.  5,  7  f.  8,  2175).  Die  ursprüngliche  bedeutung 
'runenstab'  zeigt  an.  Tcefii.  Auch  im  norden  galt  einmal  kefli 
für  den  losstab,  me  das  im  östlichen  und  nördlichen  England 
verbreitete,  sichtlich  entlehnte  cavel  {to  cast  cavels,  Wright, 
Dialect  Dict.  1,  548)  bezeugt.  Aus  diesem  gebrauch  erklären 
sich  'reihenfolge'  und  'anteil'.  Ebenso  wird  die  entwicklung 
bei  schar  gewesen  sein. 

3.   Centuni  iHigi. 

Caesar  will  über  die  Sueben  gehört  haben,  dass  sie  100 
gaue  hatten  (Bell.  Gall.  4, 1).  Dasselbe  berichtet  Tacitus  von 
den  Semnonen,  einem  teilvolk  der  Sueben  (Germ.  39).  Die 
Hillevionen  wohnten  nach  Plinius  (Hist.  nat.  4,96)  in  500  gauen. 


174  NECKEL 

Eine  jüngere  lateinische  (luelle  weiss  von  centum  pagi  zwischen 
Rhein  und  ocean  (Müllenhoff,  DAk.  4, 461) ,  die  Gesta  Fran- 
corum  endlich  ebenso  von  100  gauen  der  Germanen  oder 
Franken  (Waitz,  Verf.-gesch.  1^  223,  n.  2). 

Diese  angaben  wecken  schon  durch  ihre  stereotype  eiu- 
förmigkeit  und  die  runden  zahlen  starke  zweifei.  Zwischen 
den  berichten  des  Caesar  und  Tacitus  besteht  überdies  ein 
Widerspruch.  Die  Verwirrung  wächst  noch,  wenn  wir  einige 
weitere  data  herbeiziehen.  Caesar  lässt  sich  von  den  Treverern 
erzählen,  pagos  centum  Sueborum  ad  ripas  Bheni  consedisse, 
qui  liJienum  transire  conarentur  (1,  37).  Das  würde  sich  mit 
seiner  späteren  angäbe  über  die  Sueben  nur  vertragen,  wenn 
das  gesammtvolk  gemeint  sein  könnte.  Dies  wird  aber  durch 
den  Wortlaut  und  den  Zusammenhang  ausgeschlossen.  Es  han- 
delt sich  hier  um  leute,  die  dem  Ariovist  nachfolgen  wollten, 
mit  dem  gewiss  schon  tausende  von  Sueben  in  Gallien  waren ; 
sie  erleiden  später  durch  die  Ubier  eine  schwere  schlappe 
(1, 54).  Nicht  minder  auffallend  ist  eine  stelle  der  Germ, 
c.  6.  Hier  ist  die  rede  von  der  gemischten  truppe,  die  vor 
der  germanischen  schlachtreihe  kämpft:  centeni  ex  singulis 
pagis.  Man  hat  diesen  bericht  zu  retten  gesucht,  so  besonders 
Müllenhoff  (DAk.  4, 177  f.),  aber  auch  er  kann  nicht  umhin, 
'eine  ungeuauigkeit  der  darstellung  und  einen  Irrtum'  anzu- 
nehmen (a.a.O.  s.  176). 

Ich  glaube,  dass  der  Irrtum  sich  nicht  auf  diese  stelle 
beschränkt.  Die  römischen  berichte  über  das  heerwesen  der 
Germanen  hängen  offenbar  alle  mit  einander  zusammen.  Wir 
haben  hier  eine  tradition,  an  deren  anfaug  ein  verhängnis- 
volles misverständnis  steht:  die  hundertschaft  der  ger- 
manischen oder  gallischen  gewährsmänner  fasste  man  als 
*100  gaue'  auf.  Das  wird  irgendwie  damit  zusammenhängen, 
dass  diese  einheiten  nicht  ausschliesslich  militärischen  Cha- 
rakter hatten,  sondern  auch  einen  gau  (pagus)  bedeuteten. 

Diese  auffassung  ist  nicht  neu.  Waitz  (Verf.-gesch.  1^, 
220  f.  223  f.)  erklärte  Caesars  bericht  für  eine  fabel  uud 
suchte  hinter  den  centum  pagi,  ebenso  hinter  den  centeni  des 
Tacitus  die  misverstandene  hundertschaft;  er  wante  dies  auch 
auf  die  Hillevionen  an,  bei  denen  er  auf  Attundaland,  Tiunda- 
land  verwies.    Der  historiker  scheint  aber  mit  seiner  ansieht 


KLEINE   BEITRÄGE   ZUE   GERMAN.   AliTERTUMSKUNüE.  3.      475 

wenigstens  bei  germanisten  niclit  viel  anklang  gefunden  zu 
haben.  Bremer  (Pauls  Grundr.  'S-,  828)  und  Mucli  (Dt.  stammes- 
kunde  s.  136)  glauben  noch  an  die  500  gaue  der  Hillevionen, 
unter  denen  sie  darum  alle  Skandinavier,  bez.  alle  Ostskandi- 
navier verstehen  wollen.  •)  Hierin  kann  man  diesen  forschern 
schon  deshalb  nicht  folgen,  weil  ein  solcher  gesammtname  für 
jene  zeit  durchaus  unglaubhaft  ist.  Wir  haben  allen  grund 
anzunehmen,  dass  sich  die  Skandinavier  damals  noch  nicht 
merklich  von  den  südlicheren  Germanen  abhoben  und  sich 
diesen  gegenüber  nicht  als  einheit  fühlten. 

Neuerdings  hat  A.  Bugge,  offenbar  unabhängig  von  Waitz, 
von  neuem  die  Vermutung  ausgesprochen,  die  angäbe  des 
Plinius  beruhe  auf  der  misverstandenen  nachricht,  dass  die 
Hillevionen  in  fünf  hnndertschaften  wohnten  (Vesterl.  Ind- 
tiyd.  s.  16). 

Bei  dieser  Sachlage  scheint  es  mir  nicht  überflüssig,  die 
frage  noch  einmal  im  zusammenhange  zu  behandeln.  Ein  so 
angesehenes  werk  wie  der  4.  band  der  Müllenhoffschen  Alter- 
tumskunde vertritt  noch  immer  ex  professo  die  autorität  der 
antiken  Schriftsteller,  und  andererseits  hat  Waitz,  der  die 
ansieht  seiner  gegner  einer  Widerlegung  für  unwert  hielt,  sich 
kürzer  gefasst,  als  im  Interesse  der  sache  lag,  und  ist  dabei 
auch  im  verwerfen  zu  weit  gegangen.  Im  folgenden  kommt 
es  mir  nicht  am  wenigsten  darauf  an,  den  wahrheitskern 
klarzulegen,  der  namentlich  in  dem  berichte  Caesars  steckt. 

Kein  Römer  hat  vom  germanischen  heerwesen  klare  Vor- 
stellungen gehabt.  Es  ist  deshalb  verfehlt,  aus  ihi^en  dürftigen 
notizen  grundlegende  aufklärung  schöpfen  zu  wollen.  Vielmehr 
müssen  wir  von  den  einheimischen  quellen  ausgehen.  Diese 
liefern  uns  die  hundertschaft  und  stellen  es  durch  ihre  Über- 
einstimmung ausser  zweifei,  dass  namen  und  sache  alt  sind  — 
höchst  wahrscheinlich  älter  als  Caesar. 

Wenn  Caesar  zu  hören  glaubte,  '100  gaue'  der  Sueben 
hätten  sich  am   Rhein  gelagert,  so  waren  einfach  suebische 


1)  Bei  Bremer  finden  sich  allerdings  daneben  spuren  der  Waitzschen 
auffassung.  Er  erklärt  c.  pagis  habäant  durch  'nach  hundertschaften  or- 
ganisiert' (s.922)  und  spricht  von  der  den  Sueben  und  Semnen  'gemein- 
samen eiurichtung  der  hundertschaften'.  Much  hält  sich  folgerichtig  auch 
hier  an  die  quellen  (s.  110). 


470  NECKEL 

huudertscliaften  gemeint;  von  ihrer  zahl  war  keine  rede. 
Ausgeschlossen  ist  es  dabei  nicht,  dass  der  Schriftsteller  später 
gegen  sein  besseres  wissen  (vgl.  4, 1)  die  "100  gaiie"  hat  stehen 
lassen,  damit  man  in  Rom  von  ihnen  läse;  ein  paar  hundert 
Germanen  schienen  nicht  genügend,  um  das  vorgehen  gegen 
Ariovist  zu  rechtfertigen. 

Die  spätere  stelle  (4, 1)  lautet  vollständig:  Hi  {Suebi) 
cenium  pagos  habere  dicuntur,  ex  quibus  quotannis  siugula 
inilia  armatorum  hellandi  causa  ex  finihiis  educiint.  Heliqui, 
qui  domi  mansermit,  se  atqiie  illos  ahmt;  hi  rursus  invicem 
anno  post  in  armis  sunt,  Uli  domi  remanent.  Sic  neque  agri- 
Cidtura  nee  ratio  atque  iisus  belli  intermittitur.  Danach  hätte 
das  jährliche  aufgebet  der  Sueben  sich  auf  100  000  mann  be- 
laufen, ihre  gesammte  mannschaft  etwa  auf  das  doppelte. 
Dies  stimmt  annähernd  zu  der  gesammtzahl  der  Germanen, 
die  Caesar  in  Gallien  vorfand:  es  Avaren  nach  angäbe  des 
Aeduers  Divitiacus  rund  120000  (1,31).  Nun  heisst  Ariovist, 
der  fühi-er  dieser  scharen,  auch  rex  Sueborum  (DAk.  4, 29). 
Deshalb  hat  man  sich  berechtigt  geglaubt,  sein  beer  mit  dem 
aufgebet  der  Sueben  zu  identificieren,  und  man  hat  die  zahlen 
vollends  gleich  gemacht,  indem  man  in  den  centum  pagi  ein 
grosshundert  sah  (Nitzsch  und  Müllenhoff,  Zs.  fda.  10,  552  f.). 
An  dieser  combination  hat  Mülleuhoff  bis  an  sein  lebensende 
festgehalten  (DAk.  4, 177  f.).  Gleichwol  fi^agt  es  sich,  ob  sie 
richtig  ist.  Ariovist  Hess  dem  Römer  u.  a.  sagen,  seine  nie 
besiegten  truppen  seien  14  jähre  lang  unter  kein  dach  ge- 
kommen (1, 36).  Diese  angäbe  ist  sicher  glaubwürdig  in  dem 
sinne,  dass  der  stamm  des  heeres  wirklich  so  lange  auf  der 
Wanderung  gewesen  war.  Bestätigend  tritt  der  bericht  des 
Divitiacus  ein,  nach  dem  zuerst  —  das  heisst  doch  wol:  vor 
mehreren  jähren  —  15  000  über  den  Rhein  gekommen  waren, 
deren  zahl  allmählich  auf  120000  angewachsen  war.  In  dieses 
wetterharte  kriegerleben  setzte  der  germanische  heerkönig 
seinen  stolz,  wie  das  noch  ein  Jahrtausend  später  die  nordischen 
scelconungar  taten:  liotti  sd  einn  med  fullu  mega  heita  sa^honungr, 
er  hann  svaf  aldregi  undir  sötkum  dsi  oJc  dralxh  aldregi  at 
arins  horni,  Heimskr.  1,57;  Bognvaldr  konungr  var  ])d  niestr 
hermadr  i  Vestrlgudimi;  pat  var  prid  vetr,  er  hann  Id  üti  d 
herskipum  svd  at  hann  hom  eigi  undir  sötJcan  raft,  Fiat.  2,517. 


KLEINE   BEITRÄGE   ZUR   GERMAN.    ALTERTUMSKUNDE.  3.      477 

Lag"  also  ein  beträchtlicher  teil  von  Ariovists  heer  schon  jahre- 
lang im  felde,  so  kann  es  nicht  mit  dem  suebischen  aufgebot 
identisch  sein.  Denn  dieses  wechselte,  wie  Caesar  ausdrück- 
lich sagt,  von  jähr  zu  jähr,  und  gerade  das  haben  Avir  allen 
grund,  ihm  der  hauptsache  nach  zu  glauben  (s.  darüber  weiter 
unten).  Ferner  ist  es  eine  allzu  gewagte  behauptung,  dass 
die  Germanen,  mit  denen  Caesar  kämpfte,  lauter  Sueben  waren. 
Caesars  meinung  ist  dies  jedenfalls  nicht  gewesen  (1,  51).  Und 
selbst  wenn  alle  120  000  sich  als  Sueben  betrachtet  hätten, 
so  wüssten  wir  immer  aoch  nicht,  ob  diese  zahl  nicht  die 
trauen  und  kinder  einschliesst  (vgl.  1,  50, 4 — 5.  51,  3.  53, 4). 
Nicht  gegen  diese  möglichkeit  spricht  es,  wenn  die  Aeduer 
mit  den  120  000  gekämpft  haben  (1,  31),  denn  es  scheint  sich 
hier  um  eine  reihe  kleinerer  gef echte  zu  handeln;  von  der 
zahl  der  Streiter  ist  also  keine  rede. 

Die  gegenstandlosigkeit  jener  gleichsetzung  erkennen  wir 
vollends,  wenn  wir  den  bericht  von  dem  auszuge  der  singida 
milia  armatorum  (4, 1)  richtig  würdigen.  Wir  tun  gut,  von 
den  schematischen  zahlen  zunächst  abzusehen.  Was  dann 
übrig  bleibt,  ist  dies:  alljährlich  zieht  etwa  die  hälfte  der 
Sueben  in  den  krieg,  die  andere  hälfte  bestellt  zu  hause  den 
acker  und  sorgt  für  den  unterhalt  des  ganzen  volkes,  und  dies 
geht  von  jähr  zu  jähr  um.  Auch  in  dieser  fassung  steckt  noch 
etwas  von  jenem  Schematismus,  der  dem  römischen  Offizier 
und  Staatsmann  nahe  lag.  Wir  erkennen  aber  doch  mit  leichtig- 
keit  den  bedeutenden  wahrheitskern,  denn  wesentlich  dieselben 
zustände,  die  Caesar  hier  im  äuge  hat,  bestanden  bei  den 
nordischen  Germanen  noch  tausend  jähre  später. 

Wer  in  den  skandinavischen  quellen  belesen  ist,  kennt  die 
sitte,  dass  man  im  sommer  auf  die  heerfahrt  geht.  Mit  an- 
bruch  der  wärmeren  Jahreszeit  schwärmen  die  wikinge  aus, 
um  im  herbst  mit  beute  und  rühm  heimzukehren.  Sie  nannten 
sich  demgemäss  siimarUdar.  Solche  sumarlidar  waren  es,  die 
zu  beginn  des  9.  jh.'s  die  fränkischen  und  englischen  küsten 
heimsuchten.  Erst  allmählich  gewöhnten  sich  diese  Normannen, 
im  fremden  lande  regelmässig  zu  überwintern.  Daraus  ent- 
standen dann  die  grossen  Normannenheere. ')    Daneben  aber 


*)  Man  vergleiche  darüber  Steenstrup,  Normauuenie  I.  IL 


478  NECKEL 

hörten  die  sommerlichen  züge  aus  der  heimat  nicht  auf.  Die 
Sachsenchronik  erwähnt  zufällig-  einen  solchen  zum  jähre  871'), 
wie  es  scheint,  für  die  zeit  um  ostern.^)  Auf  den  Orkney- 
inseln, dem  letzten  Schlupfwinkel  des  wikingwesens,  hielt  sich 
diese  lebensform  bis  ins  12.  Jh.  Besonders  interessant  ist  der 
bericht  der  Orkneyinga  saga  über  Sveinn  Äsleifarson.  Er 
vereinigte  landbau  und  heerfahrt  auf  vorbildliche  weise.  Im 
früh  jähr  säte  er  mit  seinen  leuten  das  sommerkorn,  beerte 
dann  auf  den  Hebriden  und  in  Irland  bis  zur  erntezeit  (was 
vdruiJcing  hiess)  und  segelte  nach  der  ernte  noch  einmal  auf 
haustviking,  wovon  er  erst  gegen  ende  September  heimzukehren 
pflegte  (Fiat.  2,  512). 

Die  gewohnheit  der  sommerlichen  raubzüge  ist  im  norden 
sicher  weit  älter  als  die  sogenannte  wikingzeit.  P.  A.  Munch 
hat  bereits  richtig  erkannt,  dass  wir  hier  nichts  anderes  vor 
uns  haben,  als  eine  den  landesverhältnissen  entsprechende 
ausgestaltung  uralter  germanischer  lebensformen.  Latrocinia 
tiuUani  habent  mfamiam,  quae  extra  fines  ciiiusque  civitatis 
ßunt,  atque  ea  iuventutis  exercendae  ac  desidiae  minuendae 
causa  fieri  iwaedicant,  sagt  Caesar  durchaus  richtig  (6,  23). 
Er  schildert,  wie  solche  Unternehmungen  zu  stände  kommen: 
ein  princeps  erklärt  in  der  Volksversammlung  seine  absieht 
auszuziehen  und  findet  dann  regelmässig  ein  zahlreiches  ge- 
folge  (ebd.).  Auch  dies  dürfen  wir  Caesar  aufs  wort  glauben. 
Hier  kommt  das  Germanentum,  wie  wir  es  aus  den  Isländer- 
geschichten  kennen,  ungeschminkt  zum  Vorschein.  Caesar 
schreibt  in  der  eile  gegen  sein  besseres  wissen,  wenn  er  6,  35 
sagt:  Cogunt  equitum  duo  milia  Sugambri.  Der  beutezug, 
der  im  folgenden  anschaulich  geschildert  Avird,  entsprang  sicher 
auch  der  initiative  irgend  eines  princeps,  oder  vielleicht  meh- 
rerer (vgl.  Nasuain  et  Cimherium  fratres  1,  37).  Es  ist  der 
einzige,  von  dem  Caesar  mit  deutlichen  Avorten  berichtet,  weil 
es  der  einzige  ist,  der  über  den  Ehein  gieng  und  den  Römern 
gefährlich  wurde.  Zahlreiche  solche  räubereien  und  fehden 
aber  spielten  fortwährend  zwischen  den  stammen  im  Innern 
Germanien.    Wenn  die   Usipeter  und  Tencterer,   der   drang- 


')  cuom  micel  swmor  lida,  zu  ergänzen  lierel 

'-')  Es  heisst  unmittelbar  darauf:  ontl  pces  ofer  Eastron  $efor  JtJpered 
eyning. 


KLEINE   BEITRÄGE   ZUR   GERMAN.   ALTERTUMSKUNDE.  3.      479 

salierung  durch  die  Sueben  überdrüssig-,  schliesslich  auswandern, 
die  Ubier  ihnen  zins  zahlen,  so  sind  die  'kriege',  die  dem  voran- 
gieng-en,  keine  grossen  Volkskriege  gewesen,  sondern  einfalle 
einzelner  häuptling-e.  Bedeutsam  ist  das  zeugnis  Caesars  6,  23: 
Civitatatibus  maxima  laus  est  quam  latissime  circuni  se  vastatis 
ßnibus  solitudines  hahere  . . .  hoc  se  fore  tutiores  arbitrantur 
repentinae  incursionis  timore  sublato  (vgl  4,3). 

Wir  sind  nun  vorbereitet,  die  vielberufene  beschreibung 
der  suebischen  lebensweise  zu  verstehen.  Schon  aus  der  stelle 
selbst  g-eht  hervor,  dass  es  sich  um  sommerliche  auszüge  han- 
delt. Denn  krieg  wird  nur  in  der  guten  Jahreszeit  geführt, 
und  nur  in  dieser  erfordert  der  ackerbau  menschenkräfte. 
Also  sitzt  im  winter  die  ganze  bevölkerung  daheim  —  soweit 
sie  nicht  im  felde  geblieben  ist,  müssen  wir,  mit  Ariovists 
quattuordecim  anni  vor  äugen,  hinzufügen.  Im  frühling  zieht 
man  aus.  Educimt  ist  zu  verstehen  wie  oben  cogunt:  nicht 
das  Volk  beschliesst,  sondern  einzelne  führer  unternehmen. 
Stände  nicht  beilandi  causa,  sondern  praedandi,  so  wäre  nie- 
mand auf  den  gedanken  gekommen,  dass  es  sich  hier  um  einen 
besondern  fall  handle,  der  sich  aus  dem  kriegszustand  mit 
Galliern  und  Römern  erkläre  (DAk.  4,  32  f.  370  f.).  Diese  alt- 
germanischen Völker  waren  immer  oder  nie  im  kriegszustand, 
je  nach  dem,  was  man  unter  krieg  versteht,  bellare  und 
praedari  sind  auf  dieser  culturstufe  nahezu  identisch.  AVas 
Caesar  hier  bellare  nennt,  ist  ziemlich  genau  das  nordische 
heria.  In  doppeltem  sinne  appelliert  der  princeps  an  seine 
Volksgenossen:  lasst  uns  reich  tum  erkämpfen  {afla  ser  fidr) 
und  rühm  suchen  {leita  ser  semdar).  Beides  kommt  in  dem 
oben  citierten  capitel  (6,23)  deutlich  genug  zur  geltung.  Es 
ist  auch  an  unserer  stelle  hinzuzudenken. 

Caesar  selbst  hat  bei  dem  bellare  der  Sueben  nicht  an 
ihren  kriegszustand  mit  den  Galliern  gedacht,  sondern  an 
ihre  lebensweise  im  allgemeinen,  die  sich  ihm  gerade  un- 
angenehm bemerkbar  gemacht  hatte.  Nicht  nur,  weil  Caesar 
im  begriff  war,  die  Sueben  in  ihrem  eigenen  lande  aufzu- 
suchen, schiebt  er  am  anfange  des  vierten  buches  diese  Schil- 
derung ein  (so  Müllenhoff,  DAk.  4,  32).  Der  unmittelbare 
anlass  war  vielmehr  der,  dass  die  Sueben  durch  ihr  bellare 
die  Usipeter  und  Tencterer  über  den  Rhein  getrieben  hatten. 


480  NECKEL 

Es  bestellt  eine  deutliche  beziehung  zwischen  dem  exayitati 
hello  (4,1,2)  und  dem  folgenden  hellanäi  causa  (4,1,4).  Ebenso 
läuft  die  Schilderung-  in  c.  3  wider  auf  die  kriegerischen  sitten 
des  Volkes  aus,  womit  der  Schriftsteller  über  die  Ubier  zu  den 
Usipetern  und  Tencterern  zurückkehrt. 

Darf  man  nun  annehmen,  dass  es  gerade  die  liälfte  der 
streitbaren  raannschaft  war,  die  so  jedes  Jahr  ihren  führern 
folgte,  und  dass  ausziehen  und  daheimbleiben  jähr  um  jähr 
abwechselte?  Mir  scheint  unbez weifelbar,  dass  die  regel- 
mässigkeit, die  an  eine  gesetzliche  Vorschrift  denken  lässt, 
interpretatio  romana  ist.  In  Wirklichkeit  war  hier  ungleich 
mehr  ungebundenheit,  als  die  Römer  sich  träumen  liessen. 
Man  hat  dem  römischen  feldherrn  erzählt,  wol  die  hälfte  der 
Sueben  treibe  sich  jeden  sommer  auf  der  heerfahrt  herum,  zu 
tausenden  zögen  sie  aus,  so  unstät  sei  die  art  dieser  leute 
(darauf  geht  auch  das  folgende:  7ieque  longiiis  anno  remanere 
imo  in  loco  colendi  causa  licet).  Vielleicht  hat  er  ausserdem 
gehört,  dass  mancher  nur  ein  jähr  ums  andere  den  acker  be- 
stelle, der  not  gehorchend,  dazwischen  aber  seiner  neigung 
folge  und  auf  die  ehrenvollere  jagd  nach  vieh,  waffen  und 
goldenen  ringen  gehe.  Aus  solchen  data  etwa  formte  sich 
im  geiste  des  Römers  jenes  schematische,  unlebendige  bild, 
das  unserer  zeit  schon  so  viel  kopfzerbrechen  gemacht  hat. 
Caesar  hatte  eben  nichts  vom  ethnographen  in  sich,  noch 
weniger  als  Tacitus,  bei  dem  die  liebe  grösser  gewesen  sein 
dürfte  als  das  Verständnis.  Es  ist  scherzhaft,  in  was  für 
kostümen  Gallier  und  Germanen  in  den  commentarien  auf- 
treten.   Es  erinnert  an  Horatius  bei  Corneille. 

So  haben  wir  den  richtigen  gesichtspunkt  für  die  zahlen 
an  unserer  stelle  gewonnen.  Den  zu  gründe  liegenden  Sach- 
verhalt dürfen  war  so  formulieren:  das  suebische  volk  zerfällt 
in  hundertschaften;  aus  jedem  dieser  gaue  ziehen  jährlich 
starke  häufen,  vielleicht  die  hälfte  der  mannschaft,  auf  die 
heerfahrt.  —  Man  kann  Müllenhof f  (DAk.  4, 178)  nicht  zu- 
geben, dass  pagus  hier  eine  tausendschaft  bezeichne.  Wenn 
der  2)agus  1000  krieger  ins  feld  schickt  und  ebenso  viele  zurück- 
bleiben, so  ist  seine  ganze  mannschaft  2000  köpfe  stark!') 

'j  Dies  liat  schon  Waitz  hervorgehobeu  (a.  a.  o.  8.  224). 


KLEINE   BEITRÄGE   ZUR    GER5IAN.    ALTERTUMSKUNDE.  3.      481 

Doch  ich  meine  genügend  gezeigt  zu  haben,  dass  dieses 
genaue  rechnen  überhaupt  wertlos  ist.  Auf  wie  schwachen 
füssen  das  Müllenhoffsche  System  steht,  erhellt  schon  daraus, 
dass  cenhnn,  cenfeni  bei  ihm  bald  100,  bald  120  bedeuten 
müssen')  (Zs.  fda.  10,  552:  'ein  grosshundert  aber  als  teilungs- 
zahl  von  12000  genommen,  ergibt  die  hundertschaft,  100  mann 
oder  50  reiter  und  50  fussgänger',  vgl.  DAk.  4,  178).  Das 
'gespenst  der  suebischen  Verfassung',  das  Müllenhoff  verjagt 
zu  haben  glaubte,  hat  gerade  aus  dem  mystischen  zahlen- 
opfer,  das  er  ihm  brachte,  neues  leben  getrunken. 

Wir  kommen  zum  Tacitus.  Der  fragliche  passus  in  c.  6 
der  Germania  lautet:  Deßnitur  et  numerus:  centeni  ex  singulis 
pagis  sunt,  idqtie  ipsum  inter  suos  vocantur,  et  qiiod  primo 
numerus  fuit,  iani  nomen  et  lionor  est.  Besonderes  gewicht 
legt  Müllenhoff  auf  die  zahl  der  reiterei  des  Ariovist,  die  nach 
Bell.  Gall.  1,  48  6000  mann  zu  pferde  und  ebenso  viele  zu  fuss 
enthielt.  Diese  12000  bilden  genau  ein  zehntel  der  gesammt- 
menge,  wenn  mau  diese  nach  1,31  =  120000  kriegerrechnet. 
Dasselbe  Verhältnis  hat  nach  Müllenhoff  Tacitus  im  äuge.  Der 
gau  {pagus),  aus  dem  die  100  mann  der  gemischten  truppe 
genommen  sind,  soll  also  eine  tausendschaft  sein. 

Auch  diese  rechnung  überzeugt  nicht.  Die  tausendschaft 
ist  bei  den  alten  nirgends  belegt;  die  zahl  der  krieger  Ario- 
vists  steht  nicht  fest;  und  die  runden  zahlen,  das  glatte  deci- 
male  Verhältnis  erregen  um  so  stärkere  bedenken,  als  es  in 
der  römischen  geschichte  fast  die  gleiche  heeresverfassung 
gibt,  die  Caesar  in  der  tat  für  Ariovists  scharen  angenommen 
zu  haben  scheint:  das  beer  des  Romulus  soll  aus  300  rittern 
{celeres)  und  3000  mann  fussvolk  bestanden  haben.  Caesar 
sagt  nicht,  aus  welcher  quelle  seine  angäbe  der  stärke  der 
germanischen  reiterei  fliesst.  Die  Vermutung  liegt  nahe,  dass 
er  sie  geschätzt  und  die  zahl  auf  grund  jenes  altrömischen 
Verhältnisses,  das  ihm  unbewusst  als  norm  galt,  fixiert  hat. 
Ist  das  richtig,  so  kommt  Caesar  für  die  Interpretation  des 
Tacitus  nicht  in  betracht.  Denn  das  wird  niemand  annehmen 
wollen,  dass  letzterer  tatsächlich  das  Verhältnis  1  :  10  gemeint 
und  es  aus  den  eben  erwähnten  stellen  bei  Caesar  abstrahiert 


0  Vgl.  Waitz  a.a.O.  s.220,  n.2. 


482      NECKEL,   KL.  BEITRÄGE   ZUR  GERMAN.  ALTERTUMSKUNDE.  3. 

habe.  Dazu  sind  die  ausdrücke  an  der  Germaniastelle  viel 
zu  unbestimmt.  Ich  glaube  nicht,  dass  der  Schriftsteller  hier 
überhaupt  eine  klare  Vorstellung  ausdrückt.  Vielmehr  weist 
alles  darauf  hin.  dass  ein  misverständnis  im  spiele  ist.  Hinter 
den  centeni  steckt  nach  allgemeiner  annähme  die  hundertschaft. 
Tacitus  weiss,  dass  das  zahl  wort  im  germanischen  zu  einem 
nomen  geworden  ist.  Aber  er  hält  diesen  namen  für  einen 
ehrennamen,  offenbar  deshalb,  weil  er  ihn  nur  in  Verbindung 
mit  der  vor  der  front  aufgestellten  gemischten  truppe  kennt. 
Das  kann  uns  nicht  auffallen,  denn  bei  Tacitus  zeigen  sich 
auch  sonst  misverständnisse  seiner  germanischen  quellen,  und 
in  Rom  wusste  man,  wie  gesagt,  nichts  von  der  germanischen 
hundertschaft.  Der  kern  des  berichtes  ist:  eine  aus  reitern 
und  fussgängern  gemischte  hundertschaft  pflegt  vor  der  front 
zu  stehen.  Tacitus  verstand  'hundertschaft'  so  wenig  wie 
andere  und  machte  daraus  in  erinnerung  an  Caesars  'je  1000 
aus  einem  gau'  sein  centeni  ex  singulis  pagis. 

Auch  seine  nach  rieht  über  die  Semnonen  scheint  direct 
mit  Caesars  Suebeustelle  zusammenzuhängen.  Mau  versteht 
diese  und  andere  einzelheiten  bei  Tacitus  am  besten,  wenn 
man  mit  MüUeuhoff,  DAk.  4, 17  f.  annimmt,  er  habe  seinen 
Vorgänger  zwar  gekannt  und  manche  seiner  angaben  teilweise 
ungenau  im  gedächtnisse  gehabt,  aber  nicht  ihn  benutzt. 
Tacitus  war  kein  gelehrter  Schriftsteller.  Seine  werke  wären 
für  uns  ungleich  wertvoller,  hätte  er  sich  die  mühe  genommen, 
gewissenhaft  seine  quellen  zu  nennen,  wie  Ari.  Er  entschädigt 
uns  dadurch,  dass  er  die  Germanen  so  merkwürdig  findet. 

BEESLAU,  10.  juli  1907.  G.  NECKEL. 


HERREN  UND  SPIELLEUTE  IM  HEIDEL- 
BERGER LIEDERCODEX. 

Seit  das  einzige  buch,  die  alte  Pariser  liederhandschrift, 
wider  dalieim  ist,  haben  arbeiten,  die  ihr  besonders  von  histo- 
rikern  und  kunsthistorikern  gewidmet  wurden,  unsere  kenntnis 
im  einzelnen  berichtigt  und  bereichert,  aber  die  allgemeinen 
ansichten  über  die  Sammlung  sind,  mit  einer  ausnähme,  bisher 
nicht  erschüttert  worden.  Hier  stehen  wir  noch  immer  bei 
Friedr.  Heinrich  von  der  Hagen.  Bei  der  frage  nach  Walthers 
Standesverhältnissen  habe  ich  (oben  s.  36)  die  angaben  der  hs. 
zweifelnd  gestreift.  Was  dort  nur  angedeutet  werden  konnte, 
lege  ich  in  dieser  Untersuchung  vor,  welche  die  vier  handhaben 
zur  bestimmung  des  geburtsstandes,  die  uns  die  Sammlung 
bietet,  auf  ihre  griff  Sicherheit  prüfen  will:  die  reihenfolge  der 
Sänger,  die  wappen,  die  bilder  und  die  titel. 

I.    Die  anordming  der  Sammlung. 

Die  absieht  des  Sammlers,  in  der  reihenfolge  der  sänger 
eine  rangordnung  nach  dem  geburtsstande  durchzuführen,  ist 
auf  den  ersten  blick  deutlich.  Ein  kaiser,  gefolgt  von  königen, 
fürsten  und  grafen,  eröffnet  die  Sammlung,  spielleute  beschliessen 
sie,  'herren'  bilden  ihren  kern.  Schulte  hat  in  einem  lehr- 
reichen aufsatz  (Zs.  f.  gesch.  d.  Oberrheins,  n.  f.  7,  542 — 559  und 
Zs.f da.  39,185 — 259)  eine  noch  genauere  abstuf ung  nach  ständen 
durchgeführt  und  die  Sammlung  in  folgende  gruppen  zerlegt: 
1.  fürsten,  2.  grafen  und  freiherren,  3a.  ministeriale  des  reiches, 
b.  ministeriale  und  unfreier  landadel,  4.  stadtadel,  geistliche,  ge- 
lehrte, spielleute  und  bürgerliche.  Den  schwachen  punkt  in 
Schultes  einteilung  lässt  schon  dieses  schema  hervortreten. 
Warum  soll  der  stadtadel  —  für  den  übrigens  kein  einziger 
Vertreter  nachgewiesen  ist  —  von  dem  übrigen  unfreien  adel 


484  WALLNER 

losgerissen  und  mit  den  geistlichen  zu  den  spielleuten  und 
bürgerlichen  geschlagen  sein?  Und  wer  sind  diese  spielleute. 
die  keine  bürgerlichen  sind  und  doch  nicht  unter  den  herren 
aufgeführt  werden?  Dabei  hat  Schulte  einen  sehr  zahlreichen 
stand  bei  seiner  eint  eilung  ganz  vergessen:  die  klasse  der 
rittermässigen,  die  ehedem  den  siebenten  heerschild  ausmachte, 
die  einschildritter,  edelknechte  oder  edelleute.  Wie  sich  um 
die  wende  des  13.  jh.'s  das  reich  nach  ständen  abstufte,  zeigt 
recht  deutlich  eine  stelle  im  Seifried  Helbling  (8,  345  ff.): 

swie  ricli  ein  gebüre  waer, 

billiche  er  riterschaft  verbaer. 

einschiltem  riter  ich  nicht  gan 

daz  er  si  ein  dienstman. 

ein  dienstman  sol  weseu  fri 

daz  er  niht  ein  gräve  si. 

ich  wil  raten,  daz  ein  gräf 

habe  niht  richer  vürsten  hof. 

ein  YÜrst  treit  küneges  kröne  niht, 

e  wal  und  wihe  an  im  geschiht. 

der  k eiser  get  den  künegen  vor, 

wan  in  der  bähest  hebt  enbor 

ze  houbte  al  der  kristenheit.  >) 

Dieser  stand  der  rittermässigen  war,  bei  der  grossen  zahl  seiner 
mitglieder,  gewiss  auch  in  der  dichtung  nicht  unbedeutend  ver- 
treten. 

Sehen  wir  Schultes  gruppen  durch,  so  finden  wir  unter 
den  grafen  und  freiherren:  Heinrich  v.  Veldeke,  den  von  Kürn- 
berg,  Christian  von  Hamle,  Heinrich  von  der  Mure  und  Hein- 
rich von  Morungen.  Die  beiden  letzten  sind  als  ministeriale 
nachgewiesen,  die  andern  wird  niemand  für  freiherren  halten. 
Absolute  richtigkeit  kann  man  ja  billigerweise  vom  sammler 
oder  Schreiber  nicht  verlangen,  und  Schulte  rechnet  denn  auch 
nur  mit  dessen  subjectiver  meinung.  Wenn  aber  der  Schreiber 
Heinrich  von  Yeldeke  —  die  hs.  B  gibt  ihm  den  meistertitel 
und  er  selbst  legt  sich  ihn  bei,  En.  13465  —  unmittelbar  hinter 
den  grafen  ansetzt  2),  so  räumt  er  ihm  diesen  ehrenplatz  offenbar 


I 


^)  Auf  fränkischem  boden  ereifert  sich  Hugo  von  Trimberg  im  Eenner 
1503  ff.  über  die  halpritter,  die  den  gebüren  nicht  ihre  töchter  zur  ehe  geben 
wollen,  obgleich  ihr  adel  mehr  dem  stadel  als  dem  sattel  gesippet  sei.  J 

-)  Zwar  schliessen  sich  an  Veldekes  hintermaun  (Gottfried  von  Neifen) 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  485 

als  dem  almlierrn  aller  liöfisclieii  diclitung  ein,  als  dem  tvisen 
man  der  rehter  rime  allererst  hecjan.  Er  lässt  also  seine  reihen- 
folge  nicht  bloss  durch  den  geburtsstaud  bestimmen,  sundern 
hie  und  da  auch  durch  andere  rücksichten.  i) 

Hinter  Heinrich  von  Morungen  setzt  Schulte  eine  gruppe 
von  reichsministerialen  an:  den  schenken  von  Limburg,  den 
schenken  von  Winterstetten  und  herrn  Reinmar  den  Alten 
(no.  35 — 37).  Man  fragt,  wie  Reinmar  in  diese  gruppe  käme  ? 
Schulte  antwortet:  weil  Gottfried  von  Strassburg  wahrschein- 
lich ihn  mit  der  nachtigall  von  Hagenomve  meint  und  der 
Schreiber  dies  Hagenau  als  das  elsässische  verstehen  musste, 
das  stauflscher  besitz  war.  Ich  glaube,  in  diesem  falle  hätte 
der  Schreiber  das  prädicat  von  Hagenouwe  nicht  verschwiegen. 
Und  wie  erklärt  sich  Schulte  das  fehlen  des  Füllers  in  dieser 
gruppe,  den  er  doch  auch  nach  Hagenau  versetzt,  wenn  der 
Schreiber  um  diese  Stadt  und  den  alten  besitz  der  Staufer 
noch  im  14.  jh.  so  genau  bescheid  weiss?  Auch  der  reichs- 
dienstmann  Hiltbold  von  Schwangau  fehlt  hier  und  es  ver- 
bleiben somit  nur  die  beiden  schenken,  und  die  stehen  nur 
darum  an  der  spitze  der  ministerialen ,  weil  Schulte  neben 
H.  V.  d.  Mure  auch  H.  v.  Morungen  gegen  urkundliche  nachweise 
(und  gegen  das  Zeugnis  der  hs.  B)  noch  zu  den  freiherren  zog. 
Diese  gruppe  ist  vielmehr  mit  Ulrich  von  Gutenburg  abzu- 
grenzen. 

In  Schultes  ministerialengruppe  begegnen  die  fi'eien:  Fried- 
rich von  Hausen,  der  burggraf  von  Rietenburg,  Wilhelm  von 
Heinzenburg,  von  Sunegge,  Bligger  von  Steinach,  Bruno  von 
Hornberg,  Wachsmut  von  Mülhausen,  von  Wissenloh.  Bei 
Bligger  liegt  Verwechselung  mit  einem  Thurgauer  dienstmannen- 
geschlecht  vor.  Bei  den  andern  wird  das  versehen  durch  Un- 
kenntnis des  Sammlers  verschuldet  sein,  der  freilich  einigen 
von  ihnen  das  richtige  wappen  gibt.  Neben  diesen  freiherren 
erscheinen  aber  als  ministeriale  Klingsor  von  Ungerland,  der 
Düring  (F),  Winli  (F),  der  Tanhäuser,  meister  Heinrich  Tesch- 
1er  (F),  Rost  kirchherr  zu  Sarnen  (F),  der  Hardegger,  der  Schul- 

noch  die  grafen  von  Heigeiioh  imd  von  Homberg,  aber  das  sind  nachtrage 
der  dritten  und  vierten  band. 

1)  Auch  Walther,  den  die  hs.  B  an  letzter  stelle  bringt,  wird  aus 
ähnlicher  rücksicht  so  weit  vorgeschoben  sein. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.   XXXIII.  32 


486  WALT>NER 

meister  von  Esslingen  (E),  meister  "Walther  von  Breisach  (G) 
und  der  Taler.  Einige  dieser  nanien  sind  zwar,  wie  man  sieht, 
nachtrage,  aber  dem  Sammler  stand  es  doch  frei,  sie  am  rich- 
tigen orte  einrücken  zu  lassen. 

Und  wie  steht  es  um  die  letzte  gruppe?  Sie  enthält  neun 
namen  mit  dem  herrentitel,  ferner  den  burggrafen  von  Regens- 
burg und  endlich  die  herrennamen  von  Obei'nburg,  von  Buwen- 
burg,  Heinrich  von  Tettingen  und  Kunz  von  Eosenheim  (E). 
Der  burggraf  von  Eegensburg  soll  in  diese  gruppe  geraten 
sein,  weil  in  der  südwestdeutschen  heimat  des  Schreibers  die 
burggrafen  ländliche  oder  städtische  ministerialen  waren;  damit 
wäre  zugleich  die  einreihung  des  burggrafen  von  Rietenburg 
unter  den  unfreien  landadel  erklärt.  Schultes  Zusammenstel- 
lung der  elsässischen  flecken  und  Städtchen  mit  der  reichsstadt 
Regensburg  kommt  mir  allerdings  bedenklich  vor,  nicht  minder, 
dass  die  derselben  gegend  wie  C  angehörige  hs.  B  den  burg- 
grafen von  Rietenburg  richtig  unter  die  grafen  und  freiherren 
einreiht.  Aber  vielleicht  ist  Schultes  annähme  immerhin  dis- 
cutabel ;  richtig  ist  sie  nicht.  Unsere  hs.  hat  einfach  die  num- 
mern  104. 106. 107. 108. 109  (Alram,  Ha  wart,  Günther,  Friedrich 
den  Knecht  und  den  burggrafen  von  Regensburg)  aus  der  quelle 
AC  in  der  reihenfolge  übernommen,  wie  sie  dort  standen ;  vgl. 
Wisser,  Das  Verhältnis  der  liederhss.  B  und  C  zu  ihrer  gemein- 
samen quelle  s.  34. 

V.  Buwenburg  soll  als  geistlicher  hier  untergebracht  sein, 
denn  der  Sammler  hielt  ihn  für  den  cantor  Konrad  von  Buwen- 
burg des  klosters  Einsiedeln.  Nun  ist  aber  die  deutung  des 
beigegebenen  bildes  auf  den  Überfall  dieses  klosters  durch  die 
Schwyzer  bauern  (im  jähre  1314)  recht  unwahrscheinlich.  Mit 
den  drei  reitern  in  kettenpanzer,  handschuh,  halsschutz  und 
eisenkappe,  in  rotem,  blauem  und  purpurnem  wappenrock,  auf 
pf erden  mit  gold verziertem  sattel  und  zäum  können  doch  keine 
Schwyzer  bauern  gemeint  sein.i) 


')  Dass  die  gedichte  des  Buwenburgers   einen  geistlichen  Verfasser 
geradezu  ansschliessen,  liat  Schulte  mit  Bartsch  ganz  übersehen: 
Liep,  mir  ist  ouch  nach  dir  wol  alse  gäch, 
des  muoz  ich  verjehen  mit  hulden, 
daz  ich  dir  in  secken  e  sliche  nach, 
biz  min  wDle  würde  begangen   (MSH.  2, 262  a). 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  487 

Wie  man  sieht,  räumt  Schulte  dem  Sammler  oder  Schreiber 
ziemlich  grosse  freiheit  ein:  er  kann  einen  geistlichen  herrn 
auch  unter  den  spielleuten  unterbringen,  während  er  bruder 
Eberhard  von  Sax  und  den  als  mönch  abgeschilderten  Heinrich 
von  der  Mure  unter  die  freiherren,  den  Augsburger  canonicus 
Ulrich  von  Winterstetten  unter  die  reichsministerialen  reiht. 
So  kann  er  auch  den  spielmann  herrn  Walther  unter  den 
ministerialen  auffuhren,  die  'herren'  Reinmar  den  fiedler, 
Niuniu,  Geltar  u.s.w.  aber  fügt  er  der  letzten  gruppe  ein. 
Und  noch  immer  sind  die  maschen  zu  eng  gezogen:  wie  kommen 
herr  Günther  von  dem  Forste,  von  Obernburg  und  Heinrich 
von  Tettingen  in  diese  gruppe? 

Die  vorgeschlagene  einteilung  stimmt  also  nicht  und  sie 
kann  nicht  stimmen:  Schulte  hat  ebensowenig  wie  seine  Vor- 
gänger erkannt,  dass  uns  in  der  sog.  Manessischen  handschrift 
keine  einheitliche  Sammlung  vorliegt,  sondern  ein  plan- 
mässig  geordneter  teil  und  ein  gänzlich  ungeordneter  anhang 
von  nachtragen.  Die  beiden  teile  haben  fast  gleichen  umfang 
und  decken  sich  ungefähr  mit  v.  d.  Hagens  erstem  und  zweiten 
teil  der  Minnesinger.  Der  erste  teil,  der  grundstock  der  Samm- 
lung, beginnt  mit  kaiser  Heinrich  und  schliesst  mit  den  Wins- 
bekestücken  und  dem  Wartburgkrieg. 

Es  ist  allgemeiner  brauch,  eine  lyrische  Sammlung  mit 
grössern,  gewöhnlich  lehrhaften  dichtungen  abzuschliessen.  So 
setzt  die  Wiener  hs.  no.  509  (MSH.  4, 900)  an  den  schluss  einer 
reihe  von  liederdichtern  den  Winsbeke;  die  Würzburger  Samm- 
lung (MSH.  4,  901)  schliesst  eine  reihe  von  liedern  und  spruch- 
gedichten  mit  Heinzelins   Minnelehre  ab;   die  Jenaer  lieder- 


"Wird  man  sclion  derlei  rohheiten  —  die  stelle  ist  nicht  vereinzelt  —  einem 
geistlichen  nicht  zutrauen,  so  ist  dies  noch  weniger  möglich  bei  dem  be- 
kannten ausfall  gegen  den  minnesang  der  spielleute: 

Swer  getragener  kleider  gert, 

der  ist  niht  minnesanges  wert, 

die  sol  man  stillen 

durch  minne  willen, 

wan  ir  minnesanc  ist  wibes  schände. 

So  abweisend  kann  sich  nur  ein  weltlicher  herr  äussem ;  ein  mönch,  dem 
die  höhnische  gegenfrage  drohte,  ob  denn  minnesang  pfaffendomäne  sei, 
hätte  das  nie  gewagt. 

32* 


488  WALLNER 

handsclirift  setzt  ans  ende  ihrer  spielmannsreihe  den  Wartburg- 
krieg. Aehnlich  ist  die  anordnung-  der  Leipziger  lis.  (MSH. 
4,  905)  und  der  lis.  Moser  -  v.  d.  Hagens  (MSH.  4.  905).  AVie 
steht  es  nun  um  die  hauptquelle  von  C,  deren  abbild  uns  in 
der  Weingartener  Sammlung  vorliegt?  Die  hs.  B  enthält  25 
dichter  mit  bildern,  denen  Wolfram,  Neidhart,  Winsbeke,  Wins- 
bekin,  Gottfried,  Frauenlob  und  Heinzelins  Minnelehre  an- 
geschlossen sind.  Der  grundstock,  der  die  25  mit  bildern 
versehenen  dichter  umfasst,  ist  von  der  ersten  band  geschrieben : 
s.  1 — 170.  Dann  folgen  nach  7  leeren  selten  zwei  andere 
bände  (178—197.  198—204:  Wolfram  und  Neidhart).  S.  205 
ist  leer;  hierauf  beginnt  der  Winsbeke.  'Die  selten  206 
— 214  scheinen  wider  von  der  ersten  band  herzu- 
rühren' (Pfeiffer  s.  vii).  Es  folgen  drei  weitere  bände.  Der 
lu'spriingliche  bestand  der  Sammlung  waren  also  25  lieder- 
dichter  und  die  beiden  Winsbekegedichte.  Diese  hat  der 
erste  Schreiber  entweder  nicht  vollendet,  oder  der  schluss 
gieng  verloren  und  wurde  von  späterer  band  ergänzt.  Der 
rahmen  der  Sammlung  war  demnach:  kaiser  Heinrich 
—  Winsbeke. 

Dieser  rahmen  liegt  auch  der  grossen  Heidelberger  hs. 
zu  gründe.  Der  Schreiber  des  grundstockes  hat  eine  Sammlung 
von  60  liederdichtern  geplant.  Er  übernahm  die  25  dichter 
der  B-quelle  und  vermehrte  diese  zahl  um  35  dichter  aus  un- 
bekannten quellen  (über  die  no.  77 — 79  s.  unten).  Diese  reihe 
von  60  liederdichtern  schloss  er  mit  den  beiden  Winsbeke- 
gesprächen  und  dem  Wartburgspiel  ab.  Die  60  minnesänger 
wurden  nach  ihrem  geburtsstande  eingereiht,  wie  ihn  der 
Schreiber  ermittelte  oder  schlankweg  annahm.  Es  ergaben 
sich  ihm  folgende  gruppen:  1  kaiser,  2  köuige,  2  herzöge i), 
6  grafen,  13  freie  (davon  4  wahrscheinlich  fälschlich  hier  ein- 
gereiht: 16.  26.  27.  31),  37  ministeriale  (darunter  6  freie:  41. 
42.  51.  58.  59.  67  und  einige  aus  tieferer  kaste2):  45.  50?  52. 


^)  Der  herzogstitel  des  grafen  von  Anhalt  stammt  aus  der  quelle  AC ; 
Tgl.  hs.  A  fol.  35b  Der  herzöge  von  Anehalten. 

^)  Dass  Walther  von  der  Yogelweide,  Leuthold  von  Seveu,  Walther 
von  Metz  und  Rubin  keinem  ministerial engeschlecht,  deutlicher  dieust- 
h er r engeschlecht,  das  lehen  zu  vergeben  hatte,  angehören,  bedarf 
keiner  erörterung. 


HERKEN   UND    SPIELLEUTE.  489 

53,  54).  Wenn  man  die  unmögliclikeit  erwägt,  in  so  später 
zeit  authentisches  über  die  herkuuft  zeitlich  und  örtlich  weit 
entlegener  sänger  zu  erfahren,  so  wird  man  die  absieht  einer 
Scheidung  der  freien  und  ministerialen  für  überaus  wahrschein- 
lich finden. 

Die  ursprüngliche  Sammlung  umfasst  nur  lierren;  nun  halte 
man  dagegen  den  zweiten  teil.  Da  tauchen  namen  auf,  die 
man  vorher  vergebens  sucht:  der  Püller  (83),  der  Tanhäuser 
(90),  der  Hardegger  (95),  der  Taler  (101),  der  tugendhafte 
Schreiber  (102),  der  junge  Meissner  (114),  der  Marner  (118), 
der  Dürner  (131),  der  Litschauer  (139),  der  Kanzler  (140). 
Diese  namen  wechseln  mit  unzweifelhaften  herrennamen ;  mitten 
unter  spielleuten  erhält  der  burggraf  von  Regensburg  seinen 
platz.  Ebenso  planlos  sind  die  nachtrage  eingeschoben:  der 
Düring  und  A\'inli  (F)  zwischen  Hetzbold  von  Weissensee  und 
Ulrich  von  Liechtenstein,  Süsskind  der  Jude  (F)  zwischen  dem 
Marner  und  dem  von  Buwenburg.  Hatte  der  erste  Schreiber 
wenigstens  in  der  Zusammenfassung  der  meister  (124 — 136) 
eine  ordnende  hand  gezeigt,  so  reissen  jetzt  vier  nachtrage 
von  E  (128 — 131)  und  einer  von  F  (126)  auch  diese  gruppe 
auseinander,  nachdem  F  schon  vorher  den  Meister  Heinrich 
Teschler  (93)  hinter  hern  NUhart  eingereiht  hatte.  Dieselben 
bände  haben  aber  im  ersten  teil  ihre  nummern  (21.  62  und  63) 
richtig  eingereiht,  sei  es  aus  eigener  erkenntnis  der  auordnung 
oder  über  hinweis  des  Sammlers. 

Die  hs.  deutet  aber  auch  durch  ein  äusseres  merkmal  au, 
dass  nur  die  no.  1 — 72  als  geordnete  Sammlung  galten,  nämlich 
durch  die  alte  Signierung  der  lagen.  Als  die  hs.  im  17.  jh.  zu 
Paris  ihren  neuen  einband  bekam,  wurden  sämmtliche  lagen 
numeriert.  Neben  dieser  jungen  Signierung  weist  die  hs.  noch 
eine  alte  auf,  die  sich  aber  nur  auf  die  lagen  1 — 21  erstreckt 
und  23  nummern  umfasst,  da  auch  ein  vorgeklebtes  blatt  (fol.61) 
gezählt  wurde  und  auf  fol.  98  die  Zählung  von  10  auf  12  springt. 
Die  no.  23  steht  auf  dem  blatte,  mit  dem  der  Wart- 
burgkrieg abschliesst  (vgl.  Oechelhäuser,  Die  entstehung 
der  Manessehandschrift,  Neue  Heidelberger  Jahrbücher  3, 169  ff.). 
'Ein  grund  für  das  plötzliche  aufhören  der  Signaturen  ist  nicht 
einzusehen',  meint  Oechelhäuser  (s.  171,  anm.  9).  Uns  ist  es 
klar,  dass  dadurch  der  erste  teil  der  Sammlung  sammt  ein- 


490  WALLNER 

gesprengten  nachtragen  als  geordneter  teil  gekennzeiclmet 
werden  sollte,  während  man  nm  die  reihenfolge  der  übrigen 
nummeru  und  ihre  mögliche  Verwirrung  unbekümmert  war. 

Bei  dieser  strengen  Scheidung  des  ersten  und  zweiten  teils 
der  Sammlung  ist  eines  befremdend.  Die  dichter  aus  der  B-quelle 
sind  in  der  Sammlung  des  ersten  Schreibers  von  C  als  folgende 
nummern  eingereiht:  1.  6.  10.  12.  19.  24.  26.  29.  33.  34.  35.  36. 
37.  38.  40.  42.  43.  44.  46.  47.  48.  50.  52.  ...  62.  63.  Der  ab- 
stand der  beiden  letzten  nummern,  Munegur  und  Raute,  ist 
gewiss  auffallend.  Sie  erscheinen  sogar  erst  hinter  Winsbeke, 
Winsbekin  und  Wartburgkrieg,  also  im  zweiten  teil  der  Samm- 
lung. Und  doch  bringt  sie  der  Schreiber  als  nachbarn  und  in 
derselben  abfolge  wie  die  Weingartener  handschrift!  Nahm 
er  etwa  anstoss  an  den  namen?  Der  rätselhafte  name  Munegur 
(C  schreibt  Munegilr  und  Muney^)  folgt  in  B  unmittelbar  hinter 
Morunge.  ^)  Man  vergleiche  einmal,  mit  leichter  correctur,  die 
beiden  namen  31  or  im  ge 

M  im  eg  or 
und  man  wird  sich  des  Verdachts,  dass  hier  ein  anagramm 
vorliege,  schwer  erwehren  können.  Gelöst  ist  damit  das  rätsei 
keineswegs,  nur  um  eine  stufe  weiter  gerückt. 2)  Begreiflich 
aber  wäre  es,  wenn  der  Schreiber  von  C  sich  an  dem  wunder- 
lichen namen  stiess  und  bei  einmal  gewecktem  mistrauen  auch 
den  nachbarnamen  Piaute  (so  in  B  und  dreimal  in  C)  verdächtig 
fand.  Ein  anagramm,  etwa  einen  Harttvig  vd  Trave  als  seiten- 
stück  zu  dem  Heinrich  vd  Muore,  braucht  man  freilich  darin 
nicht  zu  suchen,  aber  dem  alemannischen  Schreiber  lag  die 
gieichsetzung  mit  Fäute,  Boute  gewiss  fern.  Zur  aufnähme 
dieser  sonderbaren  namen  in  seine  geordnete  Sammlung  konnte 
er  sich  nicht  entschliessen;  als  aber  die  Sammlung  durch  nach- 
trage fortgesetzt  wurde,  brachte  er  unter  diesen  auch  Munegur 
und  Raute  unter. 

Die  möglichkeit  dieses  Sachverhalts  wird  man  zugeben, 
wahrscheinlicher  ist  mir  aber  eine  andere  erklärung.  In  B 
stehen  Munegur  und  Raute  hinter  Morunge,  in  C  sollte  man 


*)  Diese  nameusforin  haben  B,  A  und  die  bildaufsclirif t  in  C ;  Morunh 
schreibt  die  Berner  handschrift. 

*)  Die  ersten  zwei  Strophen  Munegius  (MSH.  2, 62, 1),  die  in  B  fehlen, 
müssen  in  der  sonderquelle  BC  gestanden  haben. 


• 


HERREN   UND   SPIELLEÜTE.  491 

sie  also  auch  in  der  nähe  dieses  namens  erwarten,  wenn  auch 
durch  die  übliclien  einschübe  davon  getrennt.  Auf  Morunge 
folgen  in  C  die  schenken  von  Limburg  und  Winterstetten 
(fol.  76  b  —  95  a).  Die  mit  fol.  87  beginnende  läge  trägt  die 
alte  Signatur  10,  die  nächste  mit  fol.  98  beginnende  aber  zeigt 
die  alte  Signatur  12.  'Das  springen  der  Signatur  von  10  auf 
12  ist  unerklärlich.  Dass  hier  nicht  etwa  eine  läge  ausgefallen 
ist,  geht  aus  dem  Inhaltsverzeichnis  hervor'  (Oechelhäuser 
s.  171,  anm.  7).  Oechelhäuser  vergisst,  dass  das  115  dichter 
umfassende  Inhaltsverzeichnis  leicht  jünger  sein  kann  als  die 
Signierung  der  lagen,  i)  In  der  Zwischenzeit  konnte  ganz  wol 
die  hier  vermisste  11.  läge  absichtlich  oder  aus  versehen  an 
einen  andern  platz  gerückt  worden  sein.  Ist  das  geschehen, 
dann  kommt  dafür  nur  die  (nach  heutiger  Zählung)  22.  läge 
in  betracht,  die  Ulrich  von  Liechtenstein,  Munegur  und  Eaute 
umfasst.  Diese  läge  müsste  also  die  Signatur  11  aufweisen; 
leider  ist  sie  heute  nicht  mehr  lesbar:  'mijgiicherweise  hat  auf 
dem  jetzt  unten  sehr  abgegriffenen  blatte  237  a'  (damit  beginnt 
die  läge)  noch  eine  Signatur,  die  letzte,  gestanden' 
(Oechelhäuser  s.  171,  anm.  9). 

II.    Die  wappeu. 

lieber  die  wappen  haben  Zangemeister^)  und  A.  v.  Oechel- 
häuser^) gehandelt.  Beide  treten  mit  wärme  für  die  glaub- 
würdigkeit  der  Sammlung  ein  und  Oechelhäuser  formuliert 
(s.  4:17)  den  satz:  'das  wappen  des  Manesse-codex  ist  so  lange 
für  richtig  zu  halten,  bis  das  gegenteil  bewiesen  oder  wenig- 
stens sehr  wahrscheinlich  gemacht  ist.'  Das  gilt  nur  noch  für 
die  strittigen  oder  bisher  nicht  nachgewiesenen  wappen,  denn 
für  einen  grossen  teil  der  Sammlung  steht  richtigkeit  oder  Un- 
richtigkeit bereits  fest.  Die  gruppe  der  richtigen  einerseits, 
die  der  unrichtigen  anderseits  erlauben  uns  aber  schon  einen 


^)  Die  siguierteu  fol.  42  und  190  (Heigerloli,  Ringgeuberg)  können 
ursprüngliche  leere  einlagebogen  sein,  da  bei  den  voraufgehenden  dichteru 
die  läge  gänzlich  ausgenutzt  wurde. 

2)  Die  wappen,  helmzierden  und  Standarten  der  grossen  Heidelberger 
liederhaudschrift,  1892. 

3)  Die  miniaturen  der  Universitätsbibliothek  zu  Heidelberg  (II,  s.  90 
-412),  1895. 


492  WALLNER 

ziemlich  sichern  schluss  auf  die  griippe  der  zweifelhaften 
Wappen,  und  die  tatsächlichen  Verhältnisse  lassen  sich  viel 
bestimmter  formulieren,  als  es  von  Zangemeister  und  Oechel- 
häuser  geschehen  ist.  Das  will  die  folgende  Untersuchung 
erweisen,  die  in  ihrer  knappheit  die  genannten  zwei  werke 
voraussetzt,  ohne  darum  von  ihnen  abhängig  zu  sein. 

Mit  Wappen  versehen  sind  118  bilder;  davon  werden  zwei, 
das  Wappen  der  Stadt  Eegensburg  (no.  109),  und  die  Standarte 
des  bischofs  von  Konstanz  (?  no.  119),  im  folgenden  nicht  be- 
rücksichtigt. Auszuscheiden  sind  zunächst  18  wappen,  die  aus 
der  gemeinsamen  quelle  der  grossen  Heidelberger  und  der 
"Weingartener  Sammlung  stammen.  Es  ist  eine  reihe  teils 
richtiger,  teils  falscher,  teils  nicht  nachweisbarer  wappen,  die 
C  kritiklos')  aus  der  vorläge  übernahm.  Diese  enthielt  auch 
eine  anzahl  wappenloser  bilder  (kaiser  Heinrich,  Fenis,  Hausen, 
Yeldeke,  Vogelweide),  von  denen  die  hs.  C  nur  eines  (Hausen) 
ohne  zutat  belässt,  während  sie  die  übrigen  mit  wappen  be- 
denkt. Auch  Yeldeke  erhält  eins,  trotzdem  dass  C  die  in  B 
erscheinende  namensform  Veläeg  zu  Veldig  verbösert  zeigt  und 
nach  diesem  misverständnis  kaum  in  der  läge  war,  geschlecht 
und  wappen  des  dichters  festzustellen,  zumal  auch  die  A-quelle 
(Veltkilche)  nicht  auf  die  rechte  spur  helfen  konnte  und  der 
text  keine  weitere  quelle  andeutet. 

Zwei  dichter,  Rubin  und  Morungen,  führen  in  C  wappen, 
die  von  denen  in  B  gänzlich  abweichen.  In  B  folgen  Seven 
und  Rubin  aufeinander,  in  C  steht  zwischen  ihnen  ^^^alther 
V.  Metz.  Diesem  wird  in  C  das  wappen  beigelegt,  das  in  B 
Rubin  führt.    Zangemeister  meint,  B  habe  den  Walther  v.  Metz 


*)  Dafür  ein  beispiel:  der  truchsess  von  St.  Gallen  führt  den  hirsch  im 
Schilde;  als  kleiuod  erscheint  aber  nicht  das  als  helmzier  so  beliebte  hirsch- 
geweih,  sondern  ein  halbierter  stern,  in  B  rot,  in  C  golden.  Dass  dieser 
auf  ein  undeutlich  gezeichnetes  hirschgeweih  der  vorläge  zurückgeht,  macht 
mir  das  wappen  Stretliugeus  in  Xaglers  bruchstück  überaus  wahrscheinlich. 
—  Das  wappen  Dietmars  von  Ast  steht  in  der  Zur.  wappenrolle  als  no.  149 
unter  Tengen.  Zangemeister  (s.  6)  denkt  hier  an  einen  Schreibfehler,  da  die 
rolle  noch  ein  anderes  wappen  (no.  201)  unter  Temjen  bringt.  Dieses  mag 
einer  Seitenlinie  gehören,  denn  no.  149  wird  als  wappen  Teugens  auch  von 
Stumpf  129b  bezeugt,  üebrigens  ist  das  eiuhorn  ein  beliebtes  wappenbild 
des  minnegehrenden  ritters:  Der  fuort  daz  einhürne  durch  daz  in  vienc 
diu  minne  J.  Tit.  3978  (mit  andern  belegen  bei  Seyler). 


HERKEN   UND   SPIELLEUTE.  493 

der  quelle  übersprung-en  und  aus  versehen  dem  nachliar  Rubin 
dessen  wappen  zugeteilt.  Wir  haben  aber  nicht  den  geringsten 
anlass,  der  hs.  B  die  ausschaltung  eines  dichters  zuzutrauen, 
während  C  massenhaft  einschübe  vornimmt.  Es  ist  daher 
wahrscheinlicher,  dass  C  ihrem  einschub  Walther  v.  Metz  das 
Wappen  Rubins  gegeben  und  für  diesen  dann  das  redende 
Wappen  (ring  mit  rubin)  erfunden  habe.  Dabei  war  die  vor- 
wegnähme des  Rubinwappens  eher  absieht  als  versehen,  denn 
JRubhi  bot  zu  einem  redenden  wappen  die  handhabe;  auch  Aväre 
sonst  wol  das  bild  mit  übernommen  worden.  Das  ist  nicht  ge- 
schehen; der  maier  widerholt  vielmehr  das  reiterbild  Rugges. ') 
Aehnlich  steht  es  um  Morungen.  Sein  bild  verwertet  C 
schon  für  den  v.  Gliers  und  componiert  dann  für  Morungen 
nicht  nur  das  bild  neu,  sondern  auch  das  (wider  redende) 
wappen.  Möglich  wäre  ja  auch,  dass  die  quelle  das  richtige 
mansfeldische  Morungenwappen  (halbmond  im  schild,  mohr  auf 
dem  heim,  vgl.  Zangemeister  s.  7)  enthielt,  das  dann  B  und  C 
verschieden  angeglichen  hätten,  indem  die  eine  das  kleinod 
im  Schilde  widerholte,  die  andere  das  schildzeichen  auf  dem 
heim.  Unwahrscheinlich  ist  Oechelhäusers  Vermutung,  das 
wappen  habe  in  der  quelle  gefehlt,  denn  dann  könnte  man 
beruhigt  annehmen,  dass  es  auch  in  B  fehlen  würde.  Aber 
wie  dem  auch  sei,  eins  ist  ausgeschlossen:  dass  nämlich  C  mit 
bewusster  kritik  das  wappen  der  quelle  durch  das  mansfeldische 
ersetzt  hätte.  Dies  halbmondwappen  als  illustration  des  namens 
Morungen  liegt  so  nahe,  dass  es  bei  Grünenberg  auf  tafel  35 
der  mohr  unter  den  hl.  drei  königen  erhält,  auf  tafel  128  b 
Der  Edel  moringer  der  zuo  Lips  begraben  litt  Damit  meint 
Grünenberg  keineswegs  den  minnesänger,  wenn  er  auch  wie 
die  Zimmersche  chronik  von  dessen  Leipziger  aufenthalt  weiss, 
sondern  den  Moringer  des  Volksliedes.  2)    Das  zeigt  schon  die 


^)  Die  Ruggebilder  in  B  und  C  und  das  bild  zu  Metz  stimmen  auf  das 
genaueste  zusammen,  während  das  Sevenbild  in  B,  das  nach  Zangeraeisters 
Vermutung  das  Metzbild  der  quelle  gewesen  wäre,  stark  abweicht. 

'•')  Er  hält,  wie  mich  nachträglich  Vogts  abh.  (Beitr.  12,  431  i¥.)  über- 
zeugt, beide  für  identisch;  sein  wappen  wird  darum  nicht  glaubwürdiger 
(corr.-note).  Da  Grünenberg  auch  das  wappen  Morungens  aus  B  aufnimmt, 
so  denkt  er,  wie  noch  die  Zimm.  ehr.,  an  zwei  minnesänger  dieses  namens. 
Sollte  wirklich  neben  Heinrich  ein  schwäb.  Ulrich  v.  M.  existiert  haben? 


494  WALLNER 

ziisammeustellimg-  in  einer  coniposition  mit  nUthurt  dem  Buren- 
vigcnd  von  Ziffelmur,  dem  grossen  landfahrer  Hans  von  Mande- 
ßlen  (Mandeville,  vgl  Goedeke  1'^,  37G  f.  und  Pauls  Grundr.  2, 410) 
und  dem  lielden  Haimo  'der  guo  Willie  heyralen  litt',  noch  deut- 
liclier  die  bezeiclmung  Ber  Edel  moringer  und  das  lielmkleinod, 
eine  frau  mit  pilgermuscheln  in  den  bänden.  Auf  ein  der- 
artiges fabel Wappen  eines  wappenbucbs  wird  das  -scbwäbische' 
Morungenwappen  in  B  (vgl.  das  des  königs  von  Aegypten  bei 
Griinenberg,  tafel  42  b  und  wol  auch  no.  5  der  Züricher  wappen- 
rolle), sowie  das  recht  ungenaue  'mansf eidische'  in  C  zurück- 
gehen. 

Nach  abzug  dieser  20  wappen  verbleiben  96,  von  denen 
75  dem  maier  des  grundstockes,  3  dem  ersten,  16  dem  zweiten 
und  2  dem  dritten  nachtragmaler  zugehören.  Die  wappen  der 
hauptgruppe  zeigen  folgende  Verhältnisse: 

Eichtig:  8  Anhalt,  9  Brabant,  10  Neuenburg,  11  Toggen- 
burg, 13  Leiningen,  17  Xeifen,  22  Klingen,  23  Rotenburg, 
24  Heinrich  von  Sax,  28  Gliers,  29  Teufen,  30  Stretlingen, 
35  Limburg,  36  AVinterstetten ,  38  Hohenfels,  39  Eeinach, 
69  Landegge,  80  Altstetten,  81  Hornberg,  87  Augheim, 
99  Wengen. 

Diese  21  wappen  können,  wenn  man  es  nicht  zu  genau 
nimmt  1),  als  richtig  bezeichnet  werden.  Zieht  man  die  beiden 
fürsten  ab,  so  verbleiben  19  grafen  und  herren,  sämmtlich 
schwäbisch-alemannischer  herkunft. 

Falsch:  1  kaiser  Heinrich,  2  könig  Kourad,  3  könig  Tyro 
von  Schotten,  12  Kilchberg,  15  Hohenburg,  26  Kürnberg, 
31  Hamle,  47  Eschenbach,  61  Brennenberg,  66  Wildonie, 
67  Sunegge,  68  Scharfenberg,  77  Liechtenstein,  84  Trostberg, 
85  Starkenberg,  86  Stadegge,  90  Tanhäuser,  91  Buchheim, 
95  Hardegger,  98  Wissenlob,  103  Steinmar,  107  Forst,  121  Bu- 
wenburg,  122  Tettingen. 


Daun  könnte  die  vorläge  von  BC  an  der  —  nach  ihrer  meinung  —  fehler- 
haften widerholuug  des  namens  in  ihrer  vorläge  anstoss  genommen  und 
diesen  fehler  faute  de  mieux  durch  das  anagramm  Munegor  verdeckt  haben. 
')  So  haben  Anhalt.  Brahant.  Winterstetten,  Hohenfels  und  Leiningen 
ein  anderes  kleinod;  Jveuenburg  sollte  nur  einen  pfähl  haben;  Teufens  schwan 
sieht  mehr  einem  weissen  adler  gleich;  hei  Rotenburg  fehlt  der  heraldische 
berg;  bei  Limburg  sind  3  statt  5  Streitkolben  angegeben. 


HERREN   UND    SPIELLEUTE.  495 

Dem  kaiser  Heinrich  ist  der  zweiköpfige  reichsadler  bei- 
gegeben, den  erst  die  Habsburger  eingeführt  haben  (vgl.  MSH. 
4, 4,  anm.),  =  Züricher  wappenrolle  no.  12  (Rom).  Kleinod  und 
kröne  sind  unrichtig  angegeben.  König  Konrad  der  junge  (wer 
ist  das?)  führt  das  Jerusalemkreuz.  Der  maier  denkt  also  an 
einen  kreuzfahrer,  vielleicht  gar  an  kaiser  Konrad  HL,  wie 
'kaiser  Heinrich'  von  Goldast  als  Heinrich  IV.,  von  dem  Chro- 
nisten Eüeger  als  Heinrich  der  vogler  (vgl.  Geim.  31,437)  ge- 
deutet wurde.  Eine  bairische  miniatur  von  1188  stellt  Fried- 
rich Eotbart  mit  diesem  wappen  dar  (Seyler,  Gesch.  d.  heraldik 
s.  128).  König  Tyro  von  Schotten  führt  das  namenlose  wappen 
no.  4  der  Züricher  wappenrolle  (Irland?);  das  richtige  wappen 
von  Schottland  wird  im  Turnier  von  Nantes  und  im  Reinfried 
von  Braunschweig  beschrieben  (Oechelhäuser  s.  99,  anm.  2), 
Verwechselung  mit  ähnlich-  oder  gleichnamigen  geschlechtern 
liegt  vor  bei  Hohenburg,  Eschenbach,  Brennenberg.  Der  Tan- 
liäuser,  der  Hardegger  und  Steinmar  gehören  nur  dann  in 
diese  gruppe,  wenn  sie  der  maier  gleichnamigen  herren- 
geschlechtern  zurechnete. 

Nicht  nachweisbar:  16  Veldeke,  25  Frauenberg,  33  Mure, 
40  Lüenz,  45  Vogelweide,  49  Sachsendorf,  54  Rubin,  57  Adeln- 
burgi),  59  Mülhausen,  70  Winsbeke,  83  Füller^-),  88  Stam- 
heim^),  89  Göli,  100  Pfeffel,  101  Taler,  102  tugendhafter 
Schreiber,  104  Gresten,  105  Reinmar  der  fiedler,  106  Hawart, 
108  Friedrich  der  Knecht,  110  Niuniu,  111  Geltar,  112  Dietmar 
der  Setzer,  113  Zweter,  117  bruder  Weruher,  118  Marner, 
125  Hadlaub,  133  Sonneuburg,  138  Boppo,  139  Litschauer. 

Es  stehen  also  beim  maier  des  grundstockes  21  richtigen 
wappen  24  falsche  und  30  nicht  nachweisbare  gegenüber.    Die 


1)  Sein  wappenbild  sind  wol  krebsschereu,  nicht  klauen  oder  fcäustlinge. 

-)  Das  wappen  der  Holienburger,  zu  denen  man  den  Püller  stellen 
möchte,  ist  gespalten  von  blau  und  gold,  vorn  mit  einem  stern.  Da  in 
unserm  wappen  der  stern  fehlt  und  die  tinkturen,  besonders  blau,  gänzlich 
unzuverlässig  sind,  so  ist  die  verwantschait  der  wappen  nicht  erweisbar. 
Denselben  schild  bringt  die  Zur.  wappeurolle  unter  Bordorf  (no.  166),  einen 
ähnlichen  namenlos  (no.  118). 

^)  Das  wappen  der  schwäb.  Stamheim,  denen  Grimme  den  dichter  zu- 
weisen will,  ist  (bei  Grünenberg  bl.  118)  ein  grüner  papagei  in  rotweissem 
feld;  das  wappen  in  C  zeigt  einen  braunen  vogel,  etwa  eine  birkhenne,  in 
goldnem  feld.    Der  helmschmuck  ist  gänzlich  verschieden. 


496  WALLNER 

richtig  widergegebenen  wappen  gehören,  nach  abzug  der 
fürstenwappen,  ausnalimslos  schwäbisch-alemannischen  dichtem 
an.  Unrichtige  wappen  hat  der  maier  sämmtlichen  Oester- 
reichern  (im  heutigen  wortsinn)  und  sämmtlichen  Baiern  bei- 
gelegt, aber  auch  einigen  dichtem  seiner  schwäbisch-aleman- 
nischen heimat. 

Kein  wappen  wurde  beigegeben  den  bildern  zu:  71  Wins- 
bekin,  72  Klingsor,  82  Werbenwag,  92  Neidhart,  IIG  Obern- 
burg, 123  Rudolf  dem  Schreiber,  124  Gottfried  von  Strassburg, 
127  Konrad  von  Würzburg,  134  Sigeher,  135  Alexander, 
136  Eaumsland,    137  Spervogel,    140  Kanzler. 

Bei  den  nachtragen  stellt  sich  die  Verteilung  ganz  ähnlich. 
1)  Eichtig:  19  Homberg,  64  Turn?  65  Ehenheim.  2)  Richtig: 
4  Böhmen,  5  Breslau,  6  Brandenburg,  7  Meissen,  18  Heigerloh, 
20  Warte?  21  Eberhard  v.  Sax,  62  Ringgenberg,  63  Raprechts- 
wil,  74  Weissensee?  Falsch:  73  Luppin.  Nicht  nachweisbar: 
75  Düring,  76  Winli,  93  Teschler,  94  Rost,  126  Regenbogen. 
Ohne  wappen:  96  Schulmeister  von  Esslingen,  114  der  junge 
Meissner,  128  Rosenheim.  3)  Falsch:  131  Dürner.  Nicht  nach- 
weisbar: 132  Frauenlob.  Ohne  wappen:  129  Rubin  und  Rüdiger, 
130  Nüssen. 

Auch  hier  sind  ausser  den  fürstlichen  wappen  nur  die 
schwäb.-alemannischen  richtig  angegeben.  Eine  ausnähme,  an 
die  ich  nicht  zu  glauben  vermag,  müsste  man  bei  dem  Thüringer 
Weissensee  feststellen.  Insgesammt  sind  34  wappen  (darunter 
Sax  zweimal  gezählt)  richtig,  26  falsch,  36  nicht  nachweisbar, 
18  wappen  fehlen. 

Für  die  glaubwürdigkeit  bei  den  nicht  nachweisbaren 
wappen  ist  zunächst  die  treue  und  Sorgfalt  entscheidend,  mit 
der  überlieferte  vorlagen  behandelt  sind.  Da  bieten  sich  vor 
allem  die  20  wappen  der  Weingartener  Sammlung  zum  ver- 
gleiche. Nur  bei  Botenlaube  ist  genaue  Übereinstimmung  fest- 
zustellen, i)  Bei  Gutenburg  ist  das  kleinod  mangelhaft  wider- 
gegeben, bei  öevelingen,  Singenberg  und  Raute  ist  es  abweichend 
tingiert.  Bei  Schwangau  ist  der  schwan  nach  links  gekehrt, 
mit  abweichend  tingierten  nebendingen.     Bei   allen   übrigen 


*)  Das  —  als  altes  Henuebergisches  —  sehr  frei  behandelte  wappen 
hat  nicht  nur  die  ZWR.,  sondern  auch  Stumpf  112  b  unter  Hetlingen. 


HERREN  UND   SPIELLRUTE.  ^^497 

Wappen  sind  die  tinkturen  geändert,  bei  Johansdorf  ist  der  in 
B  fehlende  scliild  erfnnden  (?  ancli  bei  Griinenberg.  aber 
richtiger  mit  den  drei  blumen  des  kleinods). 

Von  den  zu  der  Züricher  wappenrolle  stimmenden  nummern 
weichen  bei  könig  Konrad  (ZWR.  122),  Neifen  (85)  und  Winter- 
stetten  (63)  die  tinkturen  ab,  bei  kaiser  Heinrich  (12),  Klingen 
(138),  Tyrol  (4),  Leiningen  (46),  Hohenfels  (283)  und  Altstetten 
(276)  das  kleinod,  bei  Anhalt  (19)  und  Warte  (495)  tinkturen 
und  kleinod,  während  bei  Meissen  (82),  Hornbeig  (93)  und 
Hadlaub  (478)  die  wappen  in  einzelheiten  auseinander  gehen. 
Uebereinstimmend  sind  Böhmen  (14.  81),  Breslau  (83),  Branden- 
burg (42),  Toggenburg  (35),  Homberg  (24),  Sax  (140),  Landegg 
(178)  und  Reinach  (489). 

Da  die  angaben  der  hs.  B  und  der  Züricher  wappenrolle 
in  nicht  wenig  fällen  erweisbar  richtig  sind,  dagegen  die  ab- 
weichungen  in  C  in  keinem  falle  als  echt  beglaubigt,  so  fallen 
sie  der  Willkür  des  maiers  zur  last.  Eine  ausgesprochene  Vor- 
liebe zeigt  er  für  die  blaue  tinktur,  die  er  für  schwarz  (37. 
44.  52.  53.  60.  78.  79),  für  rot  (27.  51.  55.  58)  und  für  grün 
(50)  auflegt.  Auch  färbe  neben  färbe,  metall  auf  oder  neben 
metall  ficht  sein  heraldisches  gewissen  nicht  an;  eine  erkleck- 
liche anzahl  seiner  wappen  wären  als  emviht  von  den  turnier- 
schranken zurückgewiesen  worden. 

Auffallend  freigebig  ist  er  mit  dem  gold,  das  doch  ur- 
sprünglich nur  edeln  und  späterhin  nur  rittern  zukam.  So 
beschreibt  Heinrich  v.  Freiberg  (um  1300)  Tristans  erhezeichen, 
den  eher  im  schild: 

des  selben  tieres  bilde 

was  von  silber  wiz  geslageu, 

üz  sinem  houbte  sach  man  ragen 

zwene  zende  guldtu: 

dar  an  wart  offenlichen  schiu, 

daz  der  herre  ritter  was  (1946  ff.)- 

Nicht  weniger  als  30  unter  den  falschen  oder  nicht  nachweis- 
baren Wappennummern  unserer  hs.  weisen  gold  auf,  darunter 
Düring,  Füller,  Tauhäuser,  Rost,  Pfeffel,  Gresten,  Reinmar  der 
fiedler,  Hawart,  Friedrich  der  Knecht,  Niuniu,  Geltar  und  Diet- 
mar der  Setzer.  Beim  Tanhäuser  ist  diese  auszeichnung  doppelt 
unpassend,  wenn  er  —  wie  Oechelhäuser  meint  —  als  ordens- 


498  WALLNER 

ritter  darg-estellt  ist.i)  Und  wenn  der  maier  bei  Regenbogen 
im  AMtticliwappen  der  schniiedezunft  das  gold  meidet  {ein 
hamer  und  gang  von  golde  rot,  ein  nuter,  diu  ist  von  silber 
wiz  Yirginal  652,  7),  so  haben  ihn  sicher  nicht  Standesbedenken 
dazu  bewogen.  Charakteristiscli  ist  ferner  für  eine  anzahl 
dieser  zweifelhaften  wappen,  dass  ihnen  schildzeichen  und 
kleinod  fehlt;  ich  nenne:  Veldeke,  Hamle,  Wildonie,  Sunegge, 
Scharpfenberg,  Luppin,  Püller,  Tanhäuser,  Hardegger,  Steinmar. 
Ebenso  bescheidene  phantasiearbeit  bekunden  die  blumen- 
wappen  bei  Lüenz,  Wissenloh,  dem  tugendhaften  Schreiber, 
Friedrich  dem  Knecht,  Geltar,  bruder  Wernher,  Marner,  Sonnen- 
burg und  Boppo. 

Die  redenden  wappen  (Kiirnberg,  Yogelweide,  Winsbeke, 
Liechtenstein,  Buchheim,  Stamheim,  Pfeffel,  Taler'''),  Reinmar 
der  fiedler,  Hawart,  Forst,  auch  Siwnegge,  und  Stadegge, 
vgl.  ZWR.  s.  14)  wären  an  sich  unbedenklich;  hier  aber  ver- 
raten sie  sich  wenigstens  zum  teil  als  erfindung  ad  hoc.  Den 
namen  Winshelce  (über  dem  text  oder  in  seiner  liste)  verstand 
der  oberdeutsche  maier  trotz  der  bildvorschrift  Winfpach  als 
Wins-becJce  und  setzte  ihm  drei  goldene  brotlaibe  in  den 
Schild;  vgl.  Bekburg  (heute  Bechburg)  in  der  ZWR.  no.  162, 
Beckenhof en?  bei  Siebmacher  II 140  (V  203)  und  Beckhlin  ebda. 
V2763)  (die  namen  auf  -heke  führen  regelmässig  den  bach  im 
wappen).  Das  wappen  Liechtensteins  nimmt  auf  den  Frauen- 
dienst bezug;  ein  gewissenhafter  heraldiker  hätte  dem  buch 
das  darin  beschriebene  wappen  des  dichters  —  zwei  schwarze 
barren  im  weissen  feld,  str.  999  —  entnehmen  können.  Den 
namen  BuocJiein  illustriert  ein  buch  und  eine  —  henne!^)   Das 


^)  Man  sal  das  vleisiclichen  behalden,  daz  man  . . .  schüde  mit  golde 
ader  mit  silbere  ader  mit  anderer  tcerltlicher  varhe  gemalet,  ane  notdurft 
icht  vure  Deutsch-ordensgesetze  bei  Vossberg,  Gescb.  d.  preuss.  münzen  und 
Siegel  s.  14  (Seyler  s.  126). 

*)  Vgl.  die  Schilf kolben  derer  von  Talwyl  (bei  Stumpf  145b  und  Sieb- 
macher 5, 188). 

^)  Auf  dem  bilde  könig  Wenzels  bringt  der  maier  die  vier  hofämter 
an:  schenk  (mit  dem  becher),  truchsess  (mit  dem  brot,  d.i.  mit  einer  golduen 
Scheibe  wie  im  Winsbekewappen),  kämmerer  (gürtel),  seneschalk  oder  mar- 
schalk  (schwert). 

*)  Das  klingt  ja  unglaublich,  aber  man  vgl.  Stamhein:  die  beiden 
namen  haben  nichts  als  die  silbe  kein  geraeinsam  und  —  die  henne  im 


HERREN   UND    SPIELLEUTE.  499 

aufg-esclilagene  buch  enthält  die  worte:  Minne  Sinne  Tivinget 
Strale  Quäle  Bringet,  was  wol  zu  ordnen  ist:  3Iinne- Sträle 
Sinne  Tivinget,  Quäle  Bringet  Hawarts  wappen,  durch  das 
bärenkampfbild  veranlasst,  zeigt  ein  bärenhaupt  mit  auf- 
fallend grossen  zahnen  (vgl.  die  Saxischen  bärenköpfe),  deutet 
also  den  namen  als  Hauwart,  i)  Wäre  das  wappen  in  diesem 
sinne  authentisch,  so  würde  es  den  eher  zeigen;  vgl.  die  Strass- 
burger  Hauer-  (recte  Hawart-)  Strasse,  'rue  du  sanglier',  mit 
dem  eberzeichen  (damit  will  ich  noch  nicht  Kindlers  beliebter 
Identification  beitreten). 

Vielleicht  gehört  auch  Reinmar  von  Zweter  hierher. 
Dessen  auffallendes  wappen  (ein  dreiköpfiger  adler)  könnte 
zwar  durch  MSH.  2,  205a  (154)  angeregt  sein:  ich  tvcere  ungerne 
üf  des  heim  ein  är,  der  sich  der  milte  wert,  Sinen  schilt  den 
lüolt  ich  nie  mer  zieren.  Wahrscheinlicher  aber  ist  mir  die  an- 
regung  durch  Eeinmars  beinamen  Erenhote.  Das  wort  bedeutet 
dasselbe  wie  erenhold  'herold'  und  der  herold  führte  auf  seinem 
amtsrock  wenigstens  den  zweiköpfigen  adler  (s.  Seyler  s.  38). 

Zu  diesen  wappen,  die  wir  als  erflndung  des  maiers  an- 
sprechen müssen,  gesellt  sich  das  Alrams  von  Gresten  mit  dem 
Worte  AMOB  auf  dem  schrägbalken  des  Schildes.  Oechel- 
häuser  (s.  285)  möchte  zwar  das  wappen  durch  den  hinweis 
auf  ein  siege!  (Ulrichs  v.  Mosen)  vom  j.  1239  verteidigen,  das 
die  aufschrift  Ave  Amor  enthält,  aber  siegel  und  schild  sind 
nicht  dasselbe;  so  selbstverständlich  die  schrift  auf  einem 
Siegel  ist,  so  auffällig  wäre  sie  auf  einem  schild. 

Dass  der  maier  wirklich  wappen  erfindet,  lässt  sich  an 
einem  beispieie  schlagend  beweisen.  Der  Wappenschild  zu 
hiinig  Tyro  stammt  aus  der  ZWR.  (oder  ihrer  quelle),  wo  das 
wappenbild  (der  hl.  Patrick?)  als  helmkleinod  widerholt  wird. 
Abweichend  davon  zeigt  unsere  hs.  als  helmzier  einen  kinder- 
kopf ;  der  maier  wollte  eben  auch  Fridehrant  sitien  sun  heral- 
disch erwähnen. 

Als  Phantasiewappen  gelten  unbestritten  (mit  einer  aus- 
nähme: 63  Raprechtswil)    auch   die   zahlreichen  wappen  der 


wappen!    Bei  Stamhein  istseine  birkhenne,  da  stamJienne  offenbar  als  baiim- 
henne  gedeutet  wurde. 

')  Uebrigens  ist  die  ursprüngliche  bedeutung  des  namens  Hawart  nicht 
heu-ivart,  wie  Oechelhäuser  meint,  sondern  natürlich  'kampfwart':  Haduwart. 


500  WALLNER 

nebeiiflgureii  auf  den  bildeni  zu:  Brabant,  Anlialt,  Leiningen, 
Homberg,  Klingen,  Frauenberg-,  Ehenheim,  Düring,  Dietmar 
dem  Setzer  und  dem  Dürner.  Hier  findet  Pfeffels  wappenabt 
schon  einmal  Verwendung  (bei  Homberg),  der  wolfskopf  des 
Setzers  gar  zweimal  (bei  Brabant  und  bei  Homberg). 

Für  eine  reihe  von  wappen  lässt  sich  das  vorbild  in  der 
Züricher  wappenrolle  aufzeigen.  Unter  anderm  namen  er- 
scheinen dort:  Liienz:  no.  142  (Güttingen);  Sachsendorf:  no.  91 
(Gutenburg);  Füller:  no.  16G  (Rordorf);  Trostberg:  no.  332 
(Tos);  Buwenburg:  no.  74  (Greifenstein).  Unbezeiclmeten 
nummern  entsprechen  Frauenberg  (no.  242),  Hardegger  (no.  533), 
Niuniu  (no.  548)  und  Hadlaub  (no.  478).  Dies  letzte  wappen  ist, 
wie  in  C  so  auch  in  der  ZWE.,  ohne  heim,  und  zwar  als  ein- 
ziges der  Sammlung.  Sj^stematisch  benutzt  wurde  die  namen- 
lose reihe  'ferner  reiche  und  fabelhafter  persönlichkeiten', 
ZWR.  1 — 12.  116—126;  ihr  sind  entnommen:  kaiser  Heinrich : 
no.  12;  könig  Konrad:  no.  122;  könig  Tyrol:  no.  4;  Dietmar  der 
Setzer:  no.  116.  Auch  Düring  (vgl.  no.  123)  und  Frauenlob  (vgl. 
no.  124),  vielleicht  auch  Füller  (vgl.  no.  118)  werden  aus  ihr 
angeregt  sein. 

Das  ergebnis,  das  diese  einzelkritik  über  die  glaubwürdig- 
keit  der  nicht  nachgewiesenen  wappen  liefert,  wird  durch  eine 
ganz  allgemeine  erwägung  bestätigt.  Unsere  Sammlung  zeigt 
das  princip,  jedem  sänger^)  ein  wappen  beizugeben.  Nun  hat 
aber  unmöglich  jeder  eins  geführt.    Wie  käme  ein  spielmann. 


^)  Die  bloss  umrissenen  schilde  bei  Werbenwag  und  Keidliart  haben 
als  argument  für  die  gewissenbaftigkeit  des  maiers  keineswegs  das  gewicht, 
das  ihnen  beigelegt  Avird.  Das  Neidbartwappen  kann  aus  blosser  laune  weg- 
geblieben sein,  wie  in  den  andern  fällen,  wo  nicht  raummangel  seine  an- 
bringung  verwehrte.  Der  leere  uniriss  beirrte  den  maier  so  wenig  wie  das 
leere  fenster  der  zuscbauergalerie  bei  Kubin  oder  wie  die  ausnahmslos  leeren 
Schriftblätter,  von  denen  zwei  (bei  Kürnberg  und  Moruugeu)  gleichfalls 
nur  mit  metallstift  vorgezeichnet  und  dann  unfertig  belassen  wurden.  Bei 
"Werbenwag  allerdings  liegt  die  sache  anders.  Des  maiers  gewöhnliche 
vorläge,  die  ZWR.  (oder  ihre  grundlage)  versagte  hier  wegen  eines  Schreib- 
fehlers (Berwag  ZWR.  no.  291,  vgl.  Zangemeister  s.  xi),  und  der  maier  ver- 
zichtete auf  die  aubringung  des  wai^pens,  indem  er  den  betthimmel  gleich 
am  obern  bildrande  befestigte.  Nun  muss  ihm  jemand  die  beschaffung  des 
authentischen  Wappens  versprochen  haben,  denn  er  änderte  den  entwurf. 
Dass  er  für  das  schwäbische  geschlecht  der  Werenwag  kein  phautasie- 
wappen  riskierte,  ist  leicht  verständlich. 


HERREN   UND   SPIELLEüTE.  501 

z.  b.  der  Litscliauer,  zu  schild  und  Siegel?  R.M.Meyer  meint 
allerdings  (Zs.  fda.  44, 200),  die  wappen  hätten  in  den  spiel- 
mannsliederbücliern  gestanden.  Wird  aber  damit  nicht  eine 
recht  moderne  anschauung  in  die  alte  zeit  hineingetragen? 
Keine  der  immerhin  zahlreichen  liss.,  die  uns  alte  lyrik  über- 
liefern, zeigt  davon  eine  spur,  obgleich  mehr  als  eine  unmittelbar 
auf  Spielmannsliederbücher  zurückgehen  wird.  Auch  in  den 
epenhandschriften,  wo  man  das  wappen  des  dichters  noch  eher 
erwarten  dürfte,  findet  sich  nichts  dergleichen.  Wappen  er- 
scheinen nur  in  Verbindung  mit  bildern,  und  es  finden  sich  wol 
bilder  ohne  wappen,  aber  nie  wappen  ohne  bilder. 

Die  dichter,  um  die  es  sich  hier  handelt,  gehören  durch- 
wegs noch  dem  13.  jh.,  mancher  sogar  dessen  frühzeit,  ja  dem 
12.  jh.  an.  Wenn  der  herrentitel,  den  viele  führen,  ihnen  mit 
recht  zukommt,  dann  gehören  sie  meist  in  die  klasse  der  ritter- 
mässigen,  der  sog.  einschildritter.  Diese  besassen  nach  der 
mitte  des  13.  jh.'s  noch  kein  eigenes  wappen,  wie  die  Heidel- 
berger bilderhs.  des  Sachsenspiegels  und  zahlreiche  dichter- 
stellen beweisen  (vgl.  Seyler,  Gesch.  der  heraldik  s.  130  ff.),  i) 
Erst  Hugo  V.  Trimberg  klagt  über  die  anmassung  dieser  'halp- 
ritter',  sich  namen,  titel  und  wappen  wie  herren  beizulegen: 

Wir  sehen  die  trahten  nach  grozzen  eren 

Die  nie  wurden  herren  kint 

vnd  weder  gebnre  noch  ritter  sint 

gewaltiger  vf  hohen  pferden 

Machent  in  namen  hie  vf  erden 

vnd  manik  her  zeichen  gar  achtper 

Daz  verre  schine  so  dirre  und  der 

an  ein  drieckot  hritlin 

Heizzet  molen  vnd  an  ein  tuchlin 

ein  tierlin  oder  ein  vogellin 

Oder  manik  ander  zeichenlin, 

Seht  so  wil  er  ein  herre  sin. 

Eenner  1091  (Seyler  133). 

Es  sind  offenbar  vereinzelte  erscheinungen,  die  hier  ge- 
tadelt werden,  und  im  allgemeinen  erhält  sich  ja  der  brauch. 


^)  Vgl.  auch  Ficker,  Vom  heerschilde  s.  143  (citiert  von  Seyler  s.  8): 
• . .  homines  nomen  et  caracterem  nohilitatis  Qiabentes),  etsi  non  sunt  mili- 
taribus  insignüs  clecorati,  dummodo  sint  de  militari  prosapia  civiliter  sive 
legitime  descendentes  (a.  1256). 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  38 


502  WALLNER 

dass  die  angehörig-en  des  7.  lieersclnlds  die  wappen  ihrer  dienst- 
lierren  führen,  auch  weiterhin.  Die  nicht  nachweisbaren 
Wappen  unserer  hs.  aber  sind  fast  ausnahmslos  keine  mini- 
sterialenwappen  und  sind  dadurch  wenigstens  bei  den  altern 
Sängern  als  erfind ung  des  miniators  gekennzeichnet.  Wie 
käme  etwa  sonst  Walther  v.  d.  Vogelweide  zu  einem  wappen? 
Widerspräche  nicht  seine  dichtung,  so  könnte  man  ihn  für 
den  ritter  eines  ministerialen  halten.  Als  solchem  wäre  ihm 
im  12.  jh.  weder  der  herrentitel  noch  ein  Ortsname  als  eigenes 
prädicat  zugestanden  (vgl.  Ficker,  Germ.  20,  271  f.).  Er  führt 
beides,  und  ich  habe  (oben  s.  36)  versucht,  dafür  eine  erklärung 
zu  geben.  Ein  wappen  aber  konnte  er  unter  keinen  umständen 
führen. 

Zieht  man  die  Schlussfolgerung  aus  den  vorstehenden 
erörterungen,  so  muss  sie,  von  der  eingangs  citierten  Oechel- 
häusers  beträchtlich  abweichend,  lauten:  der  'Manessecodex' 
gibt  die  wappen  der  f  ürsten  und  der  schwäbisch-alemannischen 
herren  im  allgemeinen  richtig  an;  sonst  hat  jedes  wappen  so 
lange  als  unrichtig  zu  gelten,  als  nicht  durch  andere  Zeugnisse 
das  gegenteil  erwiesen  wird. 

III.   Die  bilder. 

Von  der  teclmik  der  bilder  sehe  ich  ab^);  mir  ist  nur  um 
ihren  Inhalt  zu  tun.  Bei  v.  d.  Hagen  sind  sie  noch  ausgiebig 
zur  aufhellung  des  Standes  und  der  lebensverhältnisse  heran- 
gezogen; auch  spätere  forscher  haben  gelegentlich  die  person 
des  Sängers  nach  dem  bilde  beurteilt.  Das  ziel  meiner  Unter- 
suchung ist  eine  antwort  auf  die  frage:  haben  die  bilder  bio- 
graphischen gehalt? 

Eine  reihe  von  bildern  hat  der  maier  aus  der  B- quelle 
übernommen.  Die  motive  dieser  vorläge,  wie  sie  die  hs.  B 
überliefert,  waren  nicht  zahlreich.  Sie  zeigen  eine,  höchstens 
zwei  personen;  der  dichter  sitzt  sinnend  im  freien  oder  zu 


^)  Vgl.  darüber  Rahn,  Studien  über  die  Pariser  liederhandschrift. 
Kunst-  und  wanderstudien  aus  der  Schweiz  s.  79ff. ;  v.  Oechelhäuser,  Die 
miniaturen  der  univ.-bibliothek  zu  Heidelberg,  2.  teil ;  R.  M.  Meyer,  Hadlaub 
und  Manesse,  Zs.  fda.  44, 197 — 222;  allenfalls  auch  Schulz,  Typisches  in  der 
gr.  Heidelb.  liederhandschrift,  Göttinger  diss.  1899.  —  Der  folgenden  Unter- 
suchung liegt  zu  gründe  die  lichtdruckausgabe  von  F.  X.  Kraus. 


Herren  und  spielleute.  503 

hause,  ungewaffnet  oder  das  scliwert  in  der  liaiid,  er  sprengt 
zu  pferde  einher,  unterhält  sich  mit  seiner  dame  oder  fertigt 
einen  boten  an  sie  ab.  Er  wird  somit  als  dichter,  als  ritter 
oder  als  minnesänger  dargestellt.  Individuelle  bilder  sind  nur 
vier  vorhanden:  kaiser  Heinrich  auf  dem  throne,  das  Walther- 
bild Ich  saz  üf  eime  steine  und  Hausens  meerfahrt;  der  esel- 
treiber  bei  Dietmar  von  Ast  entzieht  sich  —  wie  das  bild 
überliefert  ist  —  der  deutung.  Den  dichternamen  aus  der 
darstellung  erraten  zu  lassen,  war  nicht  die  absieht:  fast  überall 
ist  das  Schriftblatt  für  den  namen  beigegeben. 

Die  hs.  C  hat  die  meisten  bilder  der  quelle  übernommen 
(nur  32.  34.  46.  51  und  54  in  C  zeigen  keine  directe  Überein- 
stimmung) und  hat  die  vorgefundenen  motive  auch  bei  andern 
dichtem  verwertet,  besonders  die  botensendung.  Sie  hat  aber 
auch  neue  motive  eingeführt:  Widmung,  brettspiel,  falkenbeize, 
kämpf  und  turnier,  liebesscenen.  Von  diesen  bildern,  die  zum 
dichter  in  so  loser  beziehung  stehen,  dass  man  sie  nach  belieben 
vertauschen  könnte,  wird  hier  abgesehen. 

Ganz  persönlichen  zuschnitt  haben  die  aus  gedichtstellen 
geschöpften  motive,  die  man  kurzweg  textillustrationen  nennen 
kann.  Keben  Hausen  und  Yogelweide  gehören  hierher  das 
bild  zu  Sachsendorf:  schienung  eines  gebrochenen  beins  (vgl. 
Ld.  no.  39, 27  in  der  dienst  mir  ah  brach  min  hein  und  min 
vuoz);  vielleicht  das  bild  zu  Wachsmut  von  Mülhausen:  be- 
drohung  mit  dem  liebespfeil  (vgl.  MSH.  I  328  IV  diu  lichten 
ougen  dm  ein  sträle  hänt  geschozzen  in  daz  herze  min)]  das 
bild  zu  Altstetten:  Umarmung  (vgl.  Ld.  no.  91,  28  ein  umbevanc 
mit  armen  hianc,  des  ivünscliet  dem  der  den  reien  sanc);  das 
bild  zu  Steinmar:  gelage  (vgl.  das  herbstlied  Ld.  no.  76,  21  ff.); 
das  bild  zu  Hornberg:  fesselung  durch  die  dame  (vgl.  MSH.  II 
66  I  Miner  froiven  minne  striche  hänt  gebunden  mir  den  lip)\ 
die  bilder  zu  Hadlaub :  briefanheftung  und  fingerbiss  (vgl.  MSH. 
II  278  ff.;  Ld.  no.  87, 1  ff.);  das  bild  zu  Kol  von  Müssen:  Ver- 
lockung in  den  wald  (vgl.  MSH.  II  336).  Nicht  hierher  zähle 
ich  das  schmiedbild  Starkenbergs,  das  nach  v.  d.  Hagen  durch 
die  verse  Ez  muoz  in  ir  dienst  erhrachen  beide  schilt  und  ouch 
daz  sper  (MSH.  II  73  III)  angeregt  wäre.  Dagegen  wird  das 
bild  zum  tugendhaften  Schreiber  hier  aufzunehmen  sein:  links 
sitzt  ein  herr  in  fussschellen.    Hinter  der  bank  stehen  zwei 

33* 


504  WALLNER 


Personen,  die  eine  auf  das  gold  weisend,  das  ein  diener  aus 
dem  quersack  schüttet,  die  andere  mit  der  geste  des  zählens. 
Vor  der  bank  ist  eine  wage  angebraclit.  R.  M.  Meyer  erblickt 
darin  das  kampfgespräch  zwischen  Gawein  und  Kei,  'während 
ein  Schiedsrichter,  der  landgraf,  zuhört  und  ein  diener  die 
handlung  des  abwägens  übernimmt'  (Zs.  fda.  44, 202).  Er  hat 
also  die  fussschellen  übersehen,  auf  die  schon  Oechelhäuser 
hinwies,  ohne  darum  über  v.d.Hagensbilddeutung  (der  Schreiber 
als  Schatzmeister)  hinauszukommen.  Es  ist  vielmehr  der  los- 
kauf eines  gefangenen  dargestellt.  Wenn  die  scene  nicht  eine 
verworrene  anspielung  auf  den  Wartburgkrieg  ist,  dann  muss 
sie  wol  aus  dem  liede  3Iinne  was  so  tiure  daz  man  sie  mit 
guote  niht  künde  vergelden  (Ld.  24, 1)  angeregt  sein.  Da  heisst 
es  von  der  minne:  Die  da  wilent  wären  ein  houbet  ir  ere,  die 
wigt  si  so  ringe  . . .  die  hohen,  die  heren,  die  hat  sie  gebunden; 
nu  hänt  sie  den  banden  sich  vaste  uz  enttviinden  mit 
herzen,  mit  handen.  Die  eine  der  beiden  personen  hinter  der 
bank  ist  in  der  tat  eine  frau;  vgl.  dieselbe  flgur  auf  den  bil- 
dern  zum  Hardegger  und  zu  Boppo. 

Leiningens  bild  denkt  an  die  liedstelle  Owe  der  leiden 
verie  die  dann  gen  Fülle  tuot  min  lip  (Ld.  31, 36),  denn  der 
graf  erscheint  im  kämpf  mit  einem  beiden,  i)  Horheims  bild 
zeigt  einen  persönlichen  zug  in  dem  weinen  der  frau;  es  ist 
der  abschied  vor  der  fahrt  nach  Apulien,  MF.  114,  21.  Einen 
abschied,  hier  vor  der  kreuzfahrt  (MF.  87, 13),  stellt  auch  das 
bild  zu  Johansdorf  dar.  Hiltbold  von  Schwangau  erhält  ein 
tanzbild  als  anspielung  auf  das  lied  Ld.  20, 51  (Bi  der  ich  also 
schöne  an  eime  tanze  gie  20,55);  die  mädchen,  zwischen  denen 
der  ritter  im  tanze  geht,  sind  Elle  und  Else  des  refrains:  Mle 
und  Else  tanzent  ivol,  des  man  in  beiden  danken  sol.  Sonder- 
barerweise ist  der  tänzer  in  voller  rüstung,  was  sich  nicht 
aus  einem  tanze  nach  dem  turnier  erklären  lässt,  wie  Meyer 
meint.  Der  maier  griff  einfach  zu  diesem  mittel,  um  schild 
und  heim  anzubringen,  für  die  auf  dem  bilde  sonst  kein  platz 
war,  da  er  die  Ziergiebel  vor  dem  flgurenbilde  eingemalt 
hatte.    Das  tanzbild  bei  Stretlingen  ist  ebenfalls  durch  ein 


^)   Auch  Ludwigs  Kreuzfahrt  hebt  hervor,  dass  gräve  Friderich  von 
Lmingen  tut  mit  strite  den  heulen  we  3135  ff.  (MSH.  4,  60). 


HERREN  UND   SPIELLEUTE.  505 

tanzlied  angeregt  (Ld.  62, 1).  Ob  die  kranzholung  Toggen- 
burgs  von  dem  rosenliede  Ld.  48, 25  ff.  ausgeht,  bleibe  dahin- 
gestellt. 

Das  bild  Liechtensteins  stellt  seinen  ausritt  als  frau  Venus 
dar;  die  frauengestalt  auf  dem  bilde  Reinmars  von  Zweter 
spielt  auf  frau  Ehre  an.  '  Unter Aveisung'  ist  das  motiv  der 
Winsbekebilder  und  könig  Tyrols;  das  Klingsorbild  führt  den 
Wartburgkrieg  vor;  die  bilder  zu  Regenbogen  und  Frauenlob 
beziehen  sich  auf  den  sangeswettstreit  der  beiden;  das  Neid- 
hartbild illustriert  einen  'neidhart'.  Auch  die  raeisterbilder 
zu  Gottfried  von  Strassburg  und  Konrad  von  Würzburg  sind 
hier  zu  nennen,  desgleichen  die  drei  engverwanten  compositionen 
zum  Hardegger,  zu  bruder  Wernher  und  Spervogel,  deren  spiel- 
mannscharakter  aus  der  dichtung  erschlossen  ist. 

Eine  dritte  gruppe  umfasst  die  namenbilder:  der  maier 
entnimmt  das  motiv  dem  namen  des  dichters.  Da  gewähren 
amtsbezeichnungen  und  titel  den  bequemsten  anhält.  Ein 
königssohn  erlustigt  sich  auf  der  falkenjagd  (könig  Konrad 
der  junge),  der  schenk  von  Landegge  überreicht  seinem  herrn 
den  becher,  der  burggraf  von  Regensburg  sitzt  zu  gericht,  der 
Schulmeister  von  Esslingen  hält  Unterricht  und  Rudolf  der 
Schreiber  fertigt  Urkunden  aus.  Ebenso  hilfreich  erweisen 
sich  die  beinamen:  hruoder  Eberhart  von  Sax,  ein  hredier,  liegt 
im  gebet,  Reinmar  der  fledler  geigt  zum  tanze,  Süsskind  der 
Jude  meldet  sich  zur  taufe,  i) 

Eine  stattliche  reihe  von  bildern  sind  bilderrätsel,  deren 
lösungswort  der  name  des  dichters  ist.  Das  verfahren  nimmt 
seinen  ausgang  offenbar  von  der  heraldik,  und  zwar  von  den 
redenden  wappen.  Wie  hier  der  gleichklang  einer  silbe  genügt, 
ein  heraldisches  kennzeichen  zu  schaffen,  sodass  etwa  Portugal 
durch  ein  tor  (Zur.  wappenrolle  no.  10),  S taufen  durch  drei 
becher  stoufe  (ZWR.  no.  378),  EghreJit  durch  ein  geecktes  brett 
(ebda.  no.  425)  ausgedrückt  wird,  so  gibt  auch  unser  maier  die 
namen  durch  ähnlich  benannte  Situationen  oder  gerate  wider. 
Hier  wie  dort  ist  die  beziehung  oft  seltsam  ausgeklügelt  (man 


^)  Das  ist  mir  wahrscheinlicher  als  die  nichtssagende  deutuug,  er  trete 
vor  seinen  geistlichen  schutzherrn;  warum  wäre  es  denn  gerade  ein  geist- 
licher? Man  beachte  auch  die  gebärden  der  Überraschung  bei  den  ueben- 
figuren. 


506  WALLNER 

denke  an  das  \Yappen  der  Mcttenlucli  ZWR,  no.  220:  ein  hahn, 
der  zur  mette  ruft!),  und  die  grundbedeutung  eines  wortes 
bleibt  gänzlich  unbeachtet;  Ot  a  dem  Band  (ZWE.  no.  427) 
hat  im  schild  eine  rübe  'rande',  Oherriedcrn  (436)  ein  rüder, 
Wolfurt  (298)  einen  wolf  und  eine  fürt  (vgl.  auch  das  wappen 
Ortuins  in  der  Kudrun  1371  da  Stent  örter  inne).  Man  muss 
sich  diesen  Ursprung  gegenwärtig  halten,  um  die  absonderlichen 
rätselspiele,  in  denen  besonders  der  maier  des  gruudstocks  und 
der  des  zweiten  nachtrags  sich  gefallen,  richtig  zu  beurteilen. 
Bisher  sind  nur  die  bilder  zu  Spervogel,  Hetzbold  und  Warte 
als  derlei  rebusse  erkannt  worden.  Wir  beginnen  mit  dem 
zweiten  nachtrag. 

Herzog  Heinrich  von  Press elä  holt  sich  den  turnierdank, 
umdrängt  von  garzunen,  krojierern  und  spielleuten:  jjresse 
'gedränge,  schar'  (mit  sines  hoves  presse  Martina  138;  mit 
(jrözer  presse  Jcomen  Wigam.  1781):  pressure  'häufe,  gedränge' 
(sin  ors  truoc  in  durch  die  pressure  manecvalt  Troj.  kr.  bl.  220). 
Noch  eine  einzelheit  des  bildes  spielt  auf  den  namen  Presselä 
an.  Auf  dem  Schilde  des  herzogs  ist  ein  rotes  bändchen  mit 
flatternden  enden  befestigt;  die  ungewöhnliche  zier  wird  erst 
verständlich,  wenn  man  an  pressel  'streifen,  band'  denkt  {per- 
gamenene  pressel]  pressellöcher  Schmeller  I  471). 

Das  bild  zu  Jakob  von  Warte  zeigt  einen  greis  im  bade, 
von  vier  frauen  bedient.  Die  eine  reibt  ihm  den  arm,  die 
andere  reicht  ihm  einen  warmen  trank,  die  dritte  bekränzt 
ihn  mit  rosen,  die  vierte  facht  das  kesselfeuer  an.  'Die  wähl 
des  bildes  könnte  auf  einem  w^ortspiel  mit  dem  namen  Warte 
beruhen',  mutmasste  schon  E.  M.  Meyer  (Zs.  fda.  44,  218).  Wenn 
er  aber  —  wie  Gottfried  Keller  in  seiner  Hadlaubnovelle  — 
einen  zug  von  biographischem  wert  darin  erblickt,  dass  der 
dichter  als  greis  dargestellt  wird,  so  kann  man  fragen,  wer 
sich  zum  gegenständ  derartiger  betreuung  besser  geeignet 
hätte,  als  ein  kranker  oder  gebrechlicher  greis.  Uebrigens 
bezieht  sich  die  hauptfigur  der  bilder  nur  selten  auf  die  person 
des  dichters. 

Die  bilder  zu  Einggenberg  und  Scharpfenberg  stellen 
klopf  f  echt  er  im  kämpf  spiel  dar,  uugerüstete  männer,  nur  mit 
rundschild  und  schwert  bewehrt,  vor  Zuschauern.  Das  eine, 
vom  maier  des  grundstocks,  illustriert  durch  einen  kämpf  mit 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  507 

scharpfe  den  nameii  Scliarpfenberg,  das  andere,  die  copie  des 
zweiten  nachtragsnialers,  führt  ringer  'gladiatores'  vor  als 
hin  weis  auf  den  namen  Ringgenhcrg  {r  ingeer  e  'kämpf  er";  ein 
eimvic  ringen  Diemer  96, 10;  zu  vüz  nach  hieppischen  siten 
riingen  sie  mit  luste  Albrecht  v.  Halberstadt  453  a).  Die  ety- 
mologie  Ringgcnherg  =  Ringenherg  ist  noch  immer  harmloser 
als  das  ringwappen  der  Bineg  ZWR.  306. 

Das  bild  zu  Luppin  gemahnte  mich  zuerst  an  eine  Iwein- 
scene:  der  held  verfolgt  den  herrn  des  brunnens  bis  ins  burg- 
tor,  wo  ihm  das  fallgatter  (auf  dem  bilde  stark  hervortretend) 
verhängnisvoll  wird.  Aber  das  aussehen  des  verfolgten  stimmte 
schlecht  zu  dieser  deutung:  ein  asiatischer  bogenschütz,  der 
auf  der  flucht  pfeil  um  pfeil  nach  rückwärts  sendet.  Nun  war 
mir  auch  die  meinung  des  maiers  klar:  Liipp'  in!  Der  sla- 
vische  name  des  dichters  erinnerte  ihn  an  lup)p>e,  luppen  (ge- 
Itipte  sträle  Pass.  335,1;  ich  hän  vünf  strcellin  diu  sint  luppic 
Frauenlob  368,6;  der  Sarrazine  geschöz  sint  geliippet  sam  diu 
nätern  Uz  Wolfr.  Willeh.  324,  5).  Das  burgtor  soll  wol  den 
beisatz  ein  Büring  andeuten. 

Die  eberjagd  auf  dem  bilde  zu  Hetzbold  von  "Weissensee 
hat  schon  v.  d.  Hagen  als  anspielung  auf  den  namen  Hetzhold 
erkannt. 

Der  Düring.  Sturm  auf  eine  bürg.  Die  feinde  berennen 
die  tür,   über  der  zur  Verteidigung  der  held  des  bildes  steht. 

Das  Winlibild  zeigt  den  turnierhelden  als  frauenlieb - 
ling.  Die  eine  hat  ihm  den  heim  abgenommen,  die  andere 
reicht  ihm  den  dank,  einen  ring;  vor  der  tribüne  hält  ein  knappe 
das  stampfende  streitross. 

Herr  Heinrich  der  Rost,  Schreiber  (so  die  Vorschrift),  kniet 
vor  seiner  dame,  die  ihn  für  eine  allzu  gewagte  liebkosung 
bestraft,  indem  sie  ihm  den  schöpf  abschneidet;  schmerzlicher- 
weise mit  einem  messer,  da  ihre  mitleidige  vertraute  die 
schere  nicht  herausgab  (sie  hält  sie  an  die  brüst  gedrückt). 
Das  messer  ist  nach  Oechelhäuser  'goldig';  ich  halte  diese 
färbung  —  der  gipfel  weiblicher  grausamkeit!  —  für  rost. 
Der  maier  hat  sich  dann  keine  der  beiden  deutungen,  deren 
der  name  Bost  fähig  ist  —  frixorium  (im  wappen),  ferrugo 
(auf  dem  bilde)  —  entgehen  lassen. 

Bei  dem  maier  des  grundstockes  treten  die  namenbilder 


508  WALLNER 

erst  gegen  den  schluss  hin  zahlreicher  auf,  doch  fehlen  sie 
von  beginn  an  nicht.  Mit  naiver  deutlichkeit  redet  das  bild 
des  'herzogs'  von  Anhalt  (ÄneJialten  A).  Drei  im  turnier  an 
der  partei  des  Anhalters  vorbeisprengende  ritter  werden  von 
diesem  und  seinen  zwei  genossen  angehalten,  indem  jeder 
einen  gegner  beim  köpf  packt  und  zurückreisst.  Der  name 
Botenlaube  wird  das  später  öfters  widerholte  motiv  der 
botensendung  veranlasst  haben,  und  zwar  schon  in  der  B-quelle 
(die  hs.  B  hat  aus  raummangel  das  bild  verstümmelt). 

Auf  dem  Hamlebilde  setzt  das  aufziehen  des  liebhabers 
mit  der  winde  einen  abgrund,  eine  klippe,  eine  schroffe  burg- 
oder  bergwand  voraus;  das  heisst  mhd,  hamel  (Lexer  I  1162), 
Auch  das  wappen  zeigt  die  klippe:  eine  silberne  spitze  im 
blauen  feld.  Die  mönche  auf  dem  bild  zu  Heinrich  von  der 
Mure  haben  schon  v.  d.  Hagen  und  Lassberg  auf  das  kloster 
Mure  bezogen;  freilich  hielten  sie  die  beziehung  für  ernsthaft, 
Dass  das  kosende  paar  auf  dem  bilde  zu  Werben  wag  eine 
Werbung  vorstellen  soll,  versteht  sich.  Auf  den  namen  Hart- 
manns  von  Starkenberg  spielt  das  schmiedbild  an.  Der 
ursprüngliche  entwurf,  in  bleiumrissen  noch  sichtbar  (aber 
nicht  bei  Kraus),  war  noch  deutlicher:  'der  ritter  holte  mit 
einem  gewaltigen  schlegel  über  den  rücken  hinüber  aus'  (Oechel- 
häuser  s,  258),  Als  die  figur  mehr  zur  seite  gerückt  wurde, 
fiel  dies  motiv  aus  raummangel  weg.  Uebrigens  ist  hier  mit 
der  bildfigur  gewiss  nicht  der  dichter  gemeint;  ein  heim  liegt 
auch  auf  dem  amboss  Eegenbogens,  Die  innigen  blicke  der 
liebenden  auf  dem  Augheimbild  lassen  sich  nicht  mis verstehen; 
und  das  bild  zu  Wengen,  ein  paar,  das  wang  an  wange  legt, 
kann  nicht  deutlicher  sein. 

WissenlO:  ein  eiternpaar,  auf  dem  ruhebett  sitzend,  zwi- 
schen ihnen  das  kind,  sichtlich  bemüht,  das  gleichge wicht  zu 
halten.  Der  vater  stützt  es  noch  leicht  mit  der  band  und 
hält  die  andere  hilfsbereit,  die  mutter  lässt  eben  des  kindes 
band  los:  erster  gehversuch.  Ich  traue  es  dem  maier  wahr- 
haftig zu,  dass  er  das  bild  Wiselös  betitelte,  denn  der  richtige 
name  des  dichters  war  Wiselö.  Das  Hawartbild  ist  ein 
Seitenstück  dazu.  Es  bringt  einen  bärenkampf;  der  mann 
durchrennt  mit  einem  spiess  das  hochaufgerichtete  tier.  Auf- 
fällig ist  das  grinsende  gesiebt   des   Jägers;   soll   nicht  dies 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  509 

mienenspiel  den  ausruf  Ha  ivartl  illustrieren?')  Gesprochene 
Worte  bildlich  darzustellen,  ist  ja  einem  maier  des  mittelalters 
ganz  geläufig;  die  sonst  üblichen  Spruchbänder  (vgl.  z.  b.  den 
bärenkampf  in  der  bilderhs.  des  Wälschen  gasts,  Pal.  Germ. 
389,  fol.  51b)  ersetzt  auf  unserm  bilde  die  aufschrift.  Zu  der 
ausdeutung  des  namens  im  wappen  {Hamvart)  hätte  eine  Sau- 
hatz besser  gepasst;  aber  bei  jagdbildern  vermeidet  der  maier 
die  widerholung;  er  bringt  je  eine  falkenjagd,  eberjagd,  hirsch- 
jagd,  bärenjagd,  hasenjagd. 

Das  bild  zu  Günther  aus  dem  Vorste  ist  eine  rast  im 
walde.  Auf  den  namen  Friedrich  der  Knecht  zielt  der  mit 
kettenhemd  und  eisenkappe  gerüstete  reiter,  der,  von  zwei 
ungerüsteten  verfolgt,  ein  mädchen  entführt.  Das  ist  wol  die 
von  ihrem  bruder  so  streng  bewachte  schöne,  von  der  der 
dichter  singt.  Der  name  Bu  wen  bürg  vermittelt  dem  maier 
einen  hiuccere  oder  hüiveman,  der  ein  paar  stück  vieh  und  eine 
henne  zu  markte  bringt.  Drei  rittersleute  geben  ihm  das 
geleit,  ohne  dass  ihre  freundliche  oder  feindliche  absieht  zu 
erkennen  ist. 

Heinrich  von  Tettingen  (Vorschrift:  tetinge)  erhält  ein 
sonderbares  bild:  ein  gebundenermann,  barhaupt  und  spornlos 
auf  ungesattelter  Schindmähre,  die  mit  baststricken  gezäumt 
ist,  wird  von  zwei  reisigen  escortiert.  Es  ist  ein  verurteilter: 
'ein  ehrloser  ritter  sollte  Stiefel  ohne  sporn  tragen,  ein  pferd 
ohne  huf eisen,  ohne  sattel  und  mit  bastenem  zäum  reiten' 
Grimm,  Rechtsaltertümer  2,  304.  Die  darstellung  erklärt  der 
dichtername.  Dettingen,  auch  dettigen,  tetigen  =  tagedingcn 
(Lexer  2, 1388  f.)  Hiber  einen  gericht  halten'. 

Bei  Friedrich  von  Sonnenburg  erscheint  der  dichter  in 
der  mitte  zweier  knaben.  Der  eine  macht  eine  abwehrende 
handbewegung,  der  andere  verschränkt  trotzig  die  arme.  Der 
meister  nimmt  den  einen  bei  der  band,  den  andern  am  köpfe 
und  zieht  sie  gegen  einander.  Es  ist  ein  Versöhnungsversuch; 
die  namensform  der  hs.  lautet  nämlich  Snonenhiirg. 

Der  wilde  Alexander.    Oechelhäuser  (s.  336)  meint,  dass 


*)  Die  kühnheit  wäre  nicht  grösser  als  etwa  bei  dem  wappen  der  Eeel- 
niarx  in  der  ZWR.  no.  338:  'zwei  bände  bilden  eselsohren  und  sagen  damit 
augenscheinlich  esel,  merhsV  (Runge,  ZWR.  8.15). 


510  WALLNER 

lediglich  das  beiwort  dem  maier  die  Idee  des  bildes  —  ein 
wilder  ritt  —  eingegeben  habe.  Das  trifft  zunächst  nicht  den 
mhd.  sinn  des  beiworts,  Wilt  ist  hier  der  gegensatz  von  sess- 
haft,  heimisch,  also:  unstät,  schweifend.  Namen  wie  Der  tvilde 
man  oder  Der  tvilde  Alexander  besagen  ungefähr  das  gleiche 
wie  Irreganc  (vgl.  das  altnord.  vlllr  vega  Hävam.  47,  3).  Aber 
der  maier  denkt  gar  nicht  an  das  beiwort,  sondern  illustriert 
den  namen  Alexander.  Auf  einem  schwarzen  ross  mit  glühenden 
äugen,  das  sich  wiehernd  bäumt,  sitzt  ein  knabe,  der  stolz  zur 
Zuschauergalerie  empor  grüsst.  Es  ist  der  junge  Alexander, 
der  den  Bukephalos  bändigt.  Der  mann  in  meistertracht, 
Aristoteles,  scheint  durch  handgebärde  auszudrücken,  er  habe 
diesen  erfolg  vorausgesehen.  König  Philipp  gibt  lebhaftes 
erstaunen  kund.  Olympias  war  dem  maier  weniger  geläufig, 
denn  die  mittelfigur  der  galerie  ist  Schablone:  die  öfters  wider- 
kehrende musizierende  frau. 

Merkwürdig,  dass  noch  niemand  das  bild  zu  Raumsland 
verstanden  hat:  'ein  Jüngling  ist  im  begriff,  ein  pferd  zu  be- 
steigen, welches  ein  anderer  ihm  hält;  oben  an  den  zinnen 
einer  bürg  erscheinen  zwei  spielleute,  welche  zwei  Jünglingen 
und  fräulein  zum  tanz  aufspielen'  (v.  d.  Hagen  4,  671).  Eine 
abreise  während  des  festes  —  was  ist  deutlicher  als  diese 
Illustration  des  namens  Eämdant? 

Auf  dem  Spervogelbild  tritt  ein  fahrender  vor  ein  vor- 
nehmes paar;  in  der  band  hält  er  einen  speer,  an  dem  vögel 
baumeln.    Die  anspielung  ist  von  jeher  verstanden  worden. 

Boppo.  Das  bild  wird  als  eine  schwertleite  gedeutet; 
mit  unrecht.  Es  zeigt  zwei  herren,  die  sich  auf  vorgesetzte 
Schwerter  stützen,  neben  ihnen  eine  dame:  alle  mit  lebhaften 
gebärden  der  Verwunderung.  In  ihrer  mitte  steht  eine  fremd- 
artige bärtige  gestalt  von  ungewöhnlicher  grosse,  der  langes 
haar  über  brüst  und  arme  herabwallt.  Der  Wildling  hält  in 
bänden  einen  gürtel,  den  er  wol  abgeschnallt  hat,  um  ihn 
vorzuweisen.  Es  ist  ein  Stärkegürtel,  wie  ihn  Laurin  trug, 
der  davon  zwölfmännerstärke  erhielt  (191  ff.  535  ff.  1174  ff.), 
oder  wie  ihn  ein  zwergeukönig  dem  Scherfenberger  verhiess, 
der  mit  ihm  die  kraft  von  zwanzig  männern  erhalten  sollte 
(Grimm,  Deutsche  sagen  no.  29,  aus  Ottokars  Oest.  reimchron, 
62534—62907).     Der  dichter   ist  nämlich  der  starke  Bopße. 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  511 

So  nennt  ihn  nicht  nur  die  meistersingertradition  (MSH.  3, 408 
der  starJce  Pop  hat  disiu  liet  getihtet  unt  gesungen,  vgl.  auch 
MSH.  4,  692.  906  b),  sondern  auch  der  prediger  meister  Jordan, 
in  einer  von  Konrad  von  Megenberg  (1349)  ausgehobenen  stelle: 
Si  (die  Chorherren)  singen  ir  tag  zeit  nicht,  ivolt  got,  daz  si  si 
spreechen  mit  andäht  und  süngen  niht  tverltleicher  lieder.  so 
singt  der  ainen  Fraivenlop,  der  ainen  Marner,  der  ainen 
starken  Poppen.  Der  Poppen  ist  so  vil  worden,  daz  si  der 
gotshetiser  guot  und  er  verpoppchit  (Megenberg  197,  8;  Wacker- 
nagel, Literaturgesch.  s.  148,  anm.  15).  Schon  Berthold  von 
Regensburg  gebraucht  den  namen  appellativisch,  wenn  er  von 
denen,  die  ihre  kraft  nicht  zu  guten  werken  verwenden,  sagt : 
sunt  ut  Poppones,  qui  videlicet  duplicem  hahiit  virorum 
fortitudincm  et  unum  diem  vel  etiam  parasceve  ieiunare  non 
potuit  (Zs.  fda.  3, 239).  Mit  der  Übertreibung,  wie  sie  sonst 
der  heldensage  geläufig  ist,  reden  von  seiner  stärke  die  Col- 
marer  aunalen  (zum  j.  1270):  in  Basilea  fuit  quidam  Boppo 
nomine,  vir  mediocris  stature,  qui  dicehatur  X  vel  XX  vel 
etiam  multorum  amplius  vires  hominum  hahuisse  (Wacker- 
nagel, Zs.  fda.  8,  348).  Mit  der  heldensage  verquickt  ihn  auch 
der  Ackermann  aus  Böhmen,  wo  der  tod  sagt,  er  habe  um 
Dietrich  von  Bern,  den  starken  Poppen  und  den  Hörnen 
Siegfried')  nicht  so  viel  mühe  gehabt  (s.  47;  DHS.  no.  120b). 
Wackernagel  hat  zuerst  (Zs.  fda.  8,  347)  die  wesensgleichheit 
des  starken  Boppe  mit  dem  dichter  behauptet,  indem  er  auf 
die  angeführten  belege  verwies;  zu  ihnen  gesellt  sich  also 
noch  unser  bild. 

Der  Litschower.  Der  meister  bringt  zwei  knaben  vor 
den  fürstlichen  vater.  Sie  haben  etwas  verbrochen,  beteuern 
aber  ihre  Unschuld.  Sprechend  ist  der  ausdruck,  mit  dem  sie 
die  band  aufs  herz  legen:  4ch  solls  getan  haben?!'  Der  vater 
aber  ruft:  'ins  gesiebt  schauen!'  und  der  zuchtmeister  Vi^endet 
ihnen  schulter  und  köpf  gegen  den  vater.    Diese  hübsche  scene 


1)  Siegfried  hat  nach  dem  volksbuch  (str.  48)  die  stärke  von  24  männern, 
lind  die  pidrekssaga  (c.  162)  gibt  dem  einjährigen  knaben  schon  die  stärke 
von  vierjährigen,  als  sie  die  ausfahrt  des  nengebornen  im  glastopf  erzählt. 
Ist  es  vielleicht  gar  ein  verworrener  zug  aus  der  Siegfriedssage,  Avenn  der 
starke  Poppo  bei  Wagenseil  s. 503  'ein  glalsbrenner'  genannt  wird? 


512  WALLNER 

hat  der  maier  dem  dicliternamen  abgeguckt;  der  heisst  nämlich 
in  der  Vorschrift:  d^  litsfchomv\^) 

Es  ist  natürlich  nicht  möglich,  die  bizarren  etymologien 
des  maiers  überall  aufzudecken.  Bei  dem  anglerbild  Pfeff  eis 
habe  ich  an  den  pfeffervisch  als  fastengericht  der  pfaffen  ge- 
dacht oder  an  des  papstes  flscherring  und  an  sanct  Peter  der 
vordes  manige  stunde  niht  anders  nitcan  vischen  Jcunde  (W.  gast 
8764),  ohne  zu  einer  halbwegs  wahrscheinlichen  deutung  zu 
kommen.  Vielleicht  entgeht  uns  ein  terminus  aus  der  reich 
ausgebildeten  kunstsprache  der  fischerei.-)  Das  Kanzlerbild 
zeigt  einen  herrn  zwischen  zwei  spielleuten  sitzend  und  ihren 
tönen  lauschend.  Im  winkel  steht  eine  landel.  Gewiss  deutet 
dies  gerät,  wie  der  pfeil  bei  Luppin,  das  messer  bei  Rost,  der 
Speer  beim  Spervogel,  der  gürtel  beim  starken  Boppe  einen 
namenrebus  an;  aberweichen?  Bei  Buochehi  mag  der  holz- 
becher  auf  den  namen  anspielen,  bei  Wahstnuot  von  Mülhausen 
der  liebespfeil?3)  Diesen  trägt  Endilliart  von  Adelnburg  schon 
in  der  brüst  und  weist  klagend  der  geliebten  die  w^inde  {ande  — 
hart?).  Liutold  von  Seven  trägt  einen  grimmblickenden  falken 
auf  der  faust,  auf  den  die  dame  mit  dem  finger  weist.  Sie 
fragt  w^ol:  'beisst  er  oder  ist  er  lint-hold?'  Das  bild  zu  Chuonzc 
von  Rosenheim,  für  das  der  text  keinen  anhält  bietet,  zeigt 
eine  falkenbeize  auf  hühner  im  kornfeld.  Es  muss  eine  sprich- 
wörtliche redensart  über  'Kunz  den  falkenjäger'  dahinterstecken 
(vgl.  DWb.  5,  2752  'Junker  Kuonz  ein  Jäger'  und  2755  'Kunzen- 
jäger'),  denn  die  bilderhs.  des  Wälschen  gasts  (Pal.  Germ.  389) 
zeigt  auf  fol.  62  b  (zu  v.  3968  ff.)  gleichfalls  einen  falkenjäger 
CHVONZ,  ohne  dass  der  text  einen  namen  nennt.  Das  bild 
zu  Otto  vom  Turne  (Nl)  zeigt  wol  die  heimkehr  vom  turnier; 
auch  der  Dürner  (N3)  erhält  ein  turnierbild.^) 


^)  In  der  Jenaer  liederhs.  wird  der  name  bekanntlich  als  liet-scoutvcere 
gedeiitet. 

'■')  P/'a^' heisst  das  kielmark  bei  der  feäerangel,  pfaffenlaus  ist  der  name 
des  kaulbarschs. 

^)  Erst  das  hinzutreten  des  namens  gab  den  ausschlag  für  das  motiv, 
denn  die  phrase  diu  liehten  oiigen  diu  ein  sträle  hänt  geschozzen  in  daz 
herze  min  ist  ein  gemeinplatz  des  minnesangs. 

^)  Schulz  erklärt  die  zwischen  den  kämpfern  erscheinende  frau  nach 
Liechtensteins  Frauendienst  (185, 17  —  187, 17  und  486—487). 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  513 

Eine  reihe  von  bildern  entzieht  sich  der  deutimg-,  weil 
sie,  wie  ich  überzeugt  bin,  irrig"  eingereiht  sind.  In  einem 
falle  wenigstens  lässt  sich  die  vertauschung  sicher  nachweisen. 
Ich  setze  die  beschreibung-  des  bildes  zu  no.  129  (Rubin  und 
Rüdiger)  her,  wie  sie  v.d.Hagen  (MS.  4, 644)  gibt:  'ein  knappe, 
mit  Schild  und  speer  an  der  seite,  fasst  eine  maid  an  der  hand 
und  weiset  auf  den  wald  vor  ihnen,  wohin  er  sie  führen  möchte: 
während  die  hier  voraustehende  strophe  nur  eine  liinwegführung 
der  geliebten  im  herzen  meint.' ^)  Unter  der  nächsten  nummer 
(Kol  von  Niussen)  steht  nun,  aus  Niuniu  widerholt,  ein  lied, 
in  dem  der  knappe  das  mädchen  in  den  wald  lockt: 

vrö  maget  hsete  ich  iuch  in  eime  holz, 

daz  nseine  ich  vür  den  kränz 

den  ir  zesamene  hänt  gelesen 

von  maneger  hande  bluot. 

'knappe  lät  iuwer  wünschen  stän, 

diu  rede  ist  gar  verlorn. 

l'olde  ich  mit  iu  ze  holze  gän, 

mich  staeche  lihte  ein  dorn. 

so  slüege  mich  diu  muoter  min, 

daz  waere  mir  lihte  zorn.' 

Er  nam  si  bi  der  wizen  haut 

er  vuorte  si  in  den  walt  ... 

Das  ist  offenbar  die  scene,  die  das  bild  bei  Rubin  und  Rüdiger 
illustriert.  Schon  Goldast  hat  das  erkannt  und  an  den  rand 
des  bildes  geschrieben:  'diese  figur  gehört  zu  dem  nachfolgenden 
lied.'  Auf  dem  andern  bild,  das  also  ursprünglich  für  Rubin 
und  Rüdiger  bestimmt  war,  passt  hierzu  erstens  die  zweizahl 
der  Personen :  der  eine  schiesst  auf  häher,  während  sein  genösse 
die  pferde  hält.  Dann  ist  deutlich,  dass  der  maier  das  ältere 
Rubinbild  der  Sammlung  (no.  54)  gekannt  hat,  denn  er  hat 
seinen  Rubin  wie  den  alten  dargestellt:  mit  der  armbrust  auf- 
wärts zielend.  Die  vertauschung  der  bilder  ist  um  so  auf- 
fallender, als  dieser  maier  nur  vier  nummern  (129.  130.  131. 
132)  illustriert  hat. 

Die  bilder  der  Steirer  Wildonie  (briefüberreichung  an 
einer  'stadtecke'?),    Suon egge  (hirschjagd)    und   Stadegge 


1)  V.  d.  Hagen  denkt  an  die  hieher  verirrte  strophe  Johausdorfs,  MF. 
95,6  Wol  si  scelic  wija  diu  mit  ir  ivtbes  güete  daz  gemachen  kan  daz  man 
si  vüeret  über  se.    Dadurch  kann  das  bild  denn  doch  nicht  angeregt  sein. 


614  WALLNER 

(Versöhnung  1))  stimmen  gar  nicht  zu  den  namen,  und  doch 
hätte  Wil dorne  so  gut  wie  Hetzhold  zu  einem  jagdbild  die 
anregung  geboten,  Siwnegge  ebenso  gut  wie  Suonenhurg  zu 
einer  versöhnuiigsscene  und  selbst  Stadegge  liätte  sich  bildlich 
ausdrücken  lassen.  Ich  halte  daher  die  bilder  für  vertauscht. 
Dieser  Sachverhalt  setzt  freilich  voraus,  dass  die  hs.  erst  nach 
eintragung  sämmtlicher  110  nummern  des  grundstocks  in  die 
bände  des  maiers  wanderte. 

Das  bild  zu  Niuniu  zeigt  ein  boot  auf  den  wellen,  mit 
Schiffer  und  schifferin  und  einem  liebespaar.  Auf  dem  Marner- 
bild  rastet  ein  fahrender  mann  auf  der  bank  neben  dem  herd- 
feuer  und  führt  einen  mächtigen  becher  zum  munde;  vor  ihm 
der  wirt  mit  dem  krug,  mit  fragender  handgebärde.  Wie  gut 
dies  bild  zu  dem  namen  Niuniu,  der  'niuwe  zeitung'  verheisst, 
passen  würde,  und  wie  selbstverständlich  das  andere  den  namen 
Marner  verbildlicht,  liegt  auf  der  band. 

Geltar  bekennt,  ihm  sei  not  nach  alter  wät  und  ihm 
ivoern  vier  kappen  lieher  denne  ein  h-enzeltn.  Das  bild  mit 
der  mantelschenkung  steht  aber  bei  S  ige  her.  Und  welch 
prächtige  handhabe  hätte  der  name  Sigeher  für  ein  kampfbild 
geboten!  Dies  bild  —  tötung  des  gegners  im  Zweikampf  — 
ist  aber  Dietmar  dem  Setzer  beigelegt,  während  der  name 
Geltars  als  aufschrift  eine  fuchs-  und  hasenhetze  ziert.  Das 
jagdbild  erklärt  sich  leicht,  wenn  es  ursprünglich  für  den 
Setzer  bestimmt  war  und  der  maier  die  Vorschrift  in  seiner 
liste  —  man  denke  wider  an  Hetzbold!  —  als  Hetzer  las 
(auch  die  Vorschrift  im  codex  selbst  ist  recht  unleserlich). 
Die  definitiven  bildaufschriften  aber  rühren  nicht  von  den 
malern  her,  sondern  von  einem  Schreiber. 

Die  vertauschung  der  acht  bilder  des  gründstockmalers 
Hesse  sich  mit  der  annähme  erklären,  dass  ihm  unbezeichnete 
blätter  seiner  Skizzenmappe  in  Verwirrung  geraten  wären. 
Wahrscheinlicher  ist  aber  ein  anderer  Sachverhalt.  Oechel- 
häuser  hat  betont,  dass  bei  den  pferdebildern  der  nummern  8, 


^)  Der  ritter  zaust  mit  einer  hand  die  dame  am  haar,  mit  der  andern 
streichelt  er  ihr  beruhigend  das  kinn.  Sie  zeigt  entsetzte  oder  zornige 
äugen,  aber  einen  lächelnden  mund.  Der  maier  hat  das  nacheinander  als 
nebeneinander  widergegeben  und  führt  zwist  und  Versöhnung  in  einem 
bilde  vor. 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  515 

9  und  59  die  ganz  unmögliche  zügellage  nur  auf  flüclitiger 
und  verständnisloser  widergabe  einer  vorläge  beruhen  kann, 
denn  sonst  ist  die  zügellage  auch  bei  den  schwierigsten  Stel- 
lungen (z.  b.  18.  29.  54)  richtig  angegeben  (vgl.  Oechelhäuser 
s.  111.  205).  Der  ungeschickte  copist  von  8.  9.  59  hätte  das 
nie  aus  eigenem  zuwege  gebracht  und  umgekehrt  kann  der 
sachverständige  Zeichner  von  18.  29.  54  auch  bei  der  copierung 
nicht  so  fehlgegriffen  haben.  Es  bleibt  nur  die  erklärung 
übrig,  dass  diese  einander  ausschliessenden  bilder  —  und  damit 
sämmtliche  des  grundstockes  —  auf  vorlagen  beruhen,  die  der 
nachzeichner  einmal  glücklicher,  ein  ander  mal  ungeschickter 
widergab.  Auf  die  gleiche  Vermutung  führt  das  bild  Leiningens. 
Sein  kampfgegner  zeigt  auf  schwarzem  Schilde  die  weisse  In- 
schrift HEID.  Ich  kann  mir  das  nur  so  erklären,  dass  dieses 
wort  ursprünglich  die  anbringung  eines  heidnischen  wappen 
vorschrieb,  wie  sie  z.  b.  die  ZWR.  zur  auswahl  bietet.  Un- 
verstand hat  dann  die  Vorschrift  gewissenhaft  ausgemalt.') 
Wir  haben  es  also  nach  aller  Wahrscheinlichkeit  mit  zwei 
malern  zu  tun,  von  denen  der  eine  die  vorlagen  zeichnete-), 
der  andere  sie  in  die  hs.  eintrug  und  colorierte.  Ob  krank- 
heit  oder  tod  oder  ein  anderer  grund  den  ersten  maier  an 
der  durchführung  seiner  aufgäbe  hinderte,  ob  meister  und 
geselle  derselben  Werkstatt  sich  in  die  arbeit  teilten,  können 
wir  natürlich  nicht  wissen.  Oechelhäusers  Vermutung,  dass 
alle  oder  die  meisten  grundstockbilder  auf  die  B-quelle  zurück- 
gehen (s.  376),  ist  keineswegs  zwingend,  da  das  Stretlingenbild 
in  Naglers  bruchstücken,  auf  die  Oechelhäuser  sich  stützt,  ganz 
wol  eine  frühe  copie  von  C  sein  kann. 

Das  sonderbarste  aller  bilder,  das  zu  Heinrich  von  Sax, 
würde  auch  etwas  verständlicher,  wenn  es  unter  Heinrich  von 
der  Mure  stünde.  Da  aber  dessen  bild  sich  leicht  aus  dem 
namen  erklärt  und  anderseits  kein  anlass  vorliegt,  Heinrich 
von  Sax  wie  seinen  bruder  Eberhart  zu  münchen,  so  ist  hier  an 
eine  vertauschung  nicht  zu  denken.    Das  bild  zeigt  eine  mauer 


1)  Die  Wappen  waren  auf  den  zeichenskizzen  natürlich  noch  nicht  vor- 
handen, was  ja  auch  das  hild  zu  Werbenwag,  die  rüstung  des  tanzenden 
Hiltbold  und  die  zahlreichen  notplätze  der  wappen  zeigen. 

^)  'Ein  Florentiner  gesell,  an  beiden  münstern  tätig',  wie  Gottfried 
Keller  meint  (Hadlaub  s.  76),  kann  es  freilich  nicht  gewesen  sein. 


516  WALLNER 

und  auf  deren  zinnen  einen  mann,  im  begriffe  lierabznspringen. 
Unten  stellt  im  offnen  tor  eine  frau,  die  ein  ziegentier  (bock 
oder  geiss) ')  bei  liorn  und  kinn  lierausscliiebt.  R.  M.  Mej^er 
(s.  216)  wird  durch  das  bild  an  Tristans  Sprung  (Eilhart  7808) 
erinnert;  'das  untere  bild'  (d.h.  der  untere  teil  des  bildes) 
'würde  Gariole  vorstellen  und  der  Steinbock  die  jagdlust  ihres 
galten  sjmibolisieren.'  Wahrscheinlich  ist  das  nicht.  Tristan 
nimmt  teil  an  den  spielen  der  königsmannen  {etliche  scliozzen 
den  schaß,  etliche  sprnngin  ohir  eine  graft,  sumeliche  worfm 
den  stein  7739  ff.  Do  ging  der  here  unde  sprang  ohir  einen 
graben  sere  tvit  7808.  Mit  dieser  scene  steht  das  abenteuer 
mit  Gariole  gar  nicht  in  Verbindung,  wo  übrigens  von  einer 
Steinbock jagd  (in  der  Bretagne!)  nichts  verlautet,  wol  aber 
von  einer  rehjagd  (9114).  Mich  gemahnt  die  scene  an  das 
fablel  Von  der  meirin  mit  der  geiz  (Gesammtabenteuer  XL). 
Die  frau  trägt  der  kupplerin  eine  botschaft  für  den  ritter  auf: 

wir  haben  eine  geiz, 
Da  gruobeu  nehten  wolve  zuo; 
sprechet  ze  ime,  daz  er  also  tuo 
Und  daz  er  sinen  schuoler  heiz 
slichen  heimlich  zuo  der  geiz. 
So  weiz  ich  wol,  ze  der  selben  zit 
daz  der  meier  niht  verlit, 
Er  loiift  allez  binden  nach, 
Er  schrit  'haha,  du  muost  hie  län!' 
so  kan  der  ritter  in  daz  hus  gän  (102  ff.). 

Wollte  der  maier  diesen  schwank  illustrieren,  so  konnte  er 
eine  einfachere  und  deutlichere  darstellung  als  sie  unser  bild 
zeigt,  gar  nicht  erfinden:  die  frau  bringt  selbst  die  ziege  vor 
das  tor  und  der  ritter  passt  den  augenblick  ab,  da  er  über 
die  hofmauer  hereinspringen  kann. 

Dass  der  mal  er  diesen  schwank  im  sinne  hatte,  scheint 
mir  ziemlich  sicher.  Nun  erhebt  sich  die  frage:  hat  er  das 
bild  selbst  entworfen  oder  hat  er  eine  vorläge  copiert?  Daran 
hängt  die  weitere  frage:  stammen  die  bilder  der  hs.,  soweit 
sie   nicht    einfache    'porträts'    sind,    aus    illustrierten    epen- 


*)  Ein  Steinbock  ist  das  nicht,  wie  es  v.  d.  Hagen  immer  wider  nach- 
gesprochen wird.  Dafür  ist  das  gehörn  zu  schwach  (man  vgl.  die  steiubock- 
wappen  der  ZWR.)  und  der  Steinbock  ist  doch  kein  haustier. 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  517 

liandscliriften?  R  M.  Meyer  liat  das  behauptet  und  eine  ganze 
bibliothek  von  bilderliandschriften  postuliert,  die  dem  maier 
in  der  bücliersanimlung  der  Manesse  zu  geböte  gestanden  hätte. 
Da  gab  es  nicht  nur  eine  illustrierte  Eneide,  sondern  auch 
illustrierte  'ausgaben'  des  Frauendiensts  und  der  Kudrun,  des 
Tristan  und  des  Wolfdietrich,  sogar  ein  illustriertes  Steinmar- 
liederbuchi);  dazu  bibelhss.  und  jagdbücher.  Und  obendrein 
soll  der  maier  abhängigkeit  von  andachtsbildern,  grabreliefs 
und  wandfresken  verraten.  Ich  nuiss  gestehen,  dass  ich  Mej-er 
auf  diesem  wege  auch  nicht  einen  schritt  weit  folgen  kann. 
Sobald  man  dem  maier  das  ganz  erhebliche  Zeichengeschick 
zutraut,  alle  diese  vorlagen  zu  copieren  und  deren  mannigfaches 
format  auf  eine  bestimmte  grosse  zu  bringen,  muss  man  ihm 
auch  die  fähigkeit  zu  selbständiger  composition  einräumen. 
Und  Me3^er  tut  dies  auch;  er  hält  z.  b.  das  bild  zu  Regenbogen 
für  eine  Originalzeichnung.  Und  er  muss  auch  zugeben,  dass 
die  vermuteten  vorlagen  fast  nie  unverändert  übernommen, 
ja  sehr  oft  bloss  in  der  idee  benutzt  worden  seien.  AVozu 
dann  überhaupt  die  hypothese  einer  vorläge,  da  doch  die  an- 
regung  durch  gelesenes,  gehörtes  oder  erlebtes  vollauf  genügte! 
Die  drei  bilder,  auf  die  Meyer  seine  construction  baut:  Wissen- 
loh, Starkenberg  und  Warte,  sind  oben  als  namenbilder  gedeutet 
worden,  und  ich  glaube,  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit,  als 
sie  Meyers  ausdeutung  auf  Ascanius  den  jonyelinc  (En.  805), 
Venus  und  Vulcan  (En.  5671)2)  u^^  ^{q  badescene  eines  epos 
innewohnt. 


1)  Und  dessen  illustrationen  nutzte  der  maler  auch  für  andere  dichter 
aus!  Man  hätte  also  für  das  grosse  prachtwerk  einen  künstler  von  so  be- 
scheidener technik  und  phantasie  gewonnen,  dass  er  einen  Steinmar-  oder 
Hadlaubillustrator  bestehlen  musste. 

ä)  Die  ähnlichkeit  des  bildes  in  der  Berliner  Eneide  (s.  Schultz,  Höf. 
leben  2,  71)  beschränkt  sich  darauf,  dass  Vulcan,  wie  unser  schmied,  einen 
heim  an  der  zange  hält  (vgl.  Regenbogen),  auf  den  er  loshämmert.  Sonst 
weichen  die  bilder  von  einander  ab :  die  platze  der  figuren  sind  vertauscht, 
Venus  hält  ein  Spruchband  in  bänden.  Der  ursprüngliche  entwurf  in  C 
zeigte  auch  den  schmied  in  anderer  Stellung.  Uebrigens  galt  die  miuiatur- 
malerei  des  12.  Jh. 's  den  französierenden  illuminatoren  des  14.  jh.'s  sicher 
als  überwundener  Standpunkt.  Hat  unsere  hs.  Vorbilder  benutzt,  woran 
ich  zweifle,  dann  sind  sie  eher  in  französischen  miuiaturen  zu  suchen 
(s.  unten). 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  34 


518  WALLNER 

Das  Wissenlolibild  hatte  Meyer  ursprünglich  anders  ge- 
deutet. Mit  laune  berichtet  er,  wie  er  darin  eine  Hadlaubscene 
entdeckte  {Ach  ich  sach  st  trkiten  wol  ein  Idndelin  Ld.  87, 120) 
und  dadurch  auf  die  kühnsten  zusammenhänge  geriet.  'Ich 
suchte  nach  Hadlaubbildern  in  der  Heidelberger  hs.  und  fand 
sie  natürlich  auch;  ich  sah  den  Zusammenhang  Hadlaubs  mit 
dieser  hs.  und  damit  den  manessischen  Ursprung  der  Samm- 
lung unantastbar  bezeugt'  (s.  197).  Mir  ist  ähnliches  passiert. 
Seit  ich  aus  Könneckes  atlas  das  bild  zu  Dietmar  von  Ast 
kenne,  dachte  ich  an  beziehungen  zu  Salman  und  Morolf.  Das 
Astbild  konnte  durch  Morolf  als  krämer  oder  Morolf  als  krüppel 
auf  dem  esel  angeregt  sein,  oder  noch  besser  durch  den  Morolf 
des  Spruchgedichts,  der  mit  einem  kram  durchs  land  zieht, 
bis  vor  einer  bürg  unter  den  kauflustigen  trauen  ihm  die  lang- 
gesuchte königin  entgegentritt.  Als  ich  jetzt  anlass  hatte, 
mich  mit  den  miniaturen  der  Heidelberger  hs.  zu  befassen, 
nahm  ich  denn  für  eine  ganze  reihe  auffallender  darstelluugen 
Plünderung  einer  alten  bilderhandschrift  von  Salman  und  Mo- 
rolf an,  deren  existenz  ja  aus  den  von  ihr  abhängigen  bilder- 
hss.  sicher  zu  erschliessen  ist  (vgl.  Vogt  s.  xix).  Die  schach- 
spielgruppe  bei  Brandenburg  gieng  auf  die  scene  zurück,  wo 
Morolf  mit  Salme  beim  Schachbrett  sitzt,  in  gefahr,  das  spiel 
zu  verlieren,  und  die  brandwunde  an  ihrer  band  entdeckt. 
Pfeffels  auglerbild  war  angeregt  durch  Salm,  und  Mor.  270  Sie 
giengen  schouwen  ziio  dem  se.  3Iörolf  sprach  ze  der  hinigin 
'ivüt  du  mit  mir  gein  Jerusale?'  und  291  'ich  muoz  üf  den 
tvilden  se  vil  ivunderltchen  holde  vischen  der  edelen  hunigin 
her!  Der  bootfahrt  Niunius ')  entsprach  str.  575  Morolf  und 
diu  juncfrouwe  zogeten  an  die  hiele  dan.  Si  fuoren  über  den 
wilden  se  in  die  giiote  stat  Jerusale  (oder  Morolfs  heimfahrt 
mit  der  Salme  773  f.).  Das  Marnerbild  zeigte  Morolf  und  den 
pförtner  (631):  er  nam  einen  Jcopf  in  die  hant.  der  was  von 
golde  unmäzen  cluog  mit  edelm  lüterdranJce  er  Mörolfen  für 
die  j)orten  truog.  Also  Morolf  dö  getranc,  er  (der  pförtner) 
saz  zuo  im  üf  die  hanc.  Buwenburgs  rindertreiber,  den  drei 
gewappnete  reiter  einholen  und  zui'  rede  stellen,   war  Morolf 


^)  Vgl.  die  meerfahrt  im  Müucbener  Tristan   (Woltmann,  Gesch.  der 
maierei  1, 354). 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  519 

als  metzger,  der  zu  Akkers  r Inder  imde  sclidf  einkauft  und 
unmittelbar  darauf  von  den  mannen  könig  Princians  angehalten 
wird,  die  nach  Morolf  dem  spielmann  fahnden  (702  ff.).  Als 
verstellter  krüppel  war  M.  auf  einem  esel  von  der  bürg-  Prin- 
cians abgezogen.  Um  die  Verfolger  zu  täuschen,  verkleidete 
er  sich  unterwegs  als  wallbruder  und  Hess  den  esel  stehen. 
Die  heiden  yäliten  ivider  dan;  dö  fiinden  si  den  esel  gän,  si 
fuorten  in  se  Alcers  in  die  stat  (682).  Aus  dieser  episode 
konnte  das  Tettingenbild  hervorgegangen  sein.  Und  die 
plattenschur  bei  Rost  mochte  durch  str.  328  angeregt  sein: 
er  nam  ein  scharsas  in  die  hant,  er  schar  im  eine  hlate. 
Ganz  genaue  nachbildung  einer  Morolfillustration  aber  lag  in 
dem  bilde  des  burggrafen  von  Regensburg  vor:  der  mittel- 
punkt  der  scene  ist  ein  sich  duckender  bärtiger  mann  in  einem 
mantel,  der  die  eine  hand  zum  schlag  erhebt  und  die  andere 
auf  einen  krückstock  stützt.  Fünf  lebhaft  gestikulierende 
männer  umringen  ihn  und  den  sitzenden  richter  oder  fürsten, 
der  gleichfalls  die  hand  erhoben  hält.  Man  vergleiche  damit 
Str.  362  ff.:  Morolf,  als  waller  verkleidet,  tritt  vor  könig  Sal- 
man;  ein  kämmerer  schlägt  den  groben  bettler,  der  den  schlag 
erwidert.  Uf  s^wimgen  Salmans  man,  Morolf  hiiop  sich  gein 
des  sales  tur  dan;  'ich  hän  die  krucJcen  dristunt  gefiiort  über 
se,  tuen  ich  da  mit  getvihe,  der  gedenTict  min  imer  nie.  Salman 
von  dem  gestuole  tif  spranc,  er  winde  sinen  heiden  ivider  mit 
der  hant  (vgl.  auch  str.  193  ff.). 

Indessen  —  die  einen  dieser  bilder  haben  sich  aus  dem 
dichternamen  ableiten  lassen,  andere  wurden  durch  die  an- 
nähme einer  vertauschung  verständlich.  Daher  halte  ich  auch 
die  allerdings  frappierende  Übereinstimmung  auf  dem  bilde  des 
burggrafen  nicht  für  zwingend,  an  eine  copie  zu  denken.  Bisher 
ist  die  abhängigkeit  von  bildervorlagen  für  den  maier  in  keinem 
falle  erwiesen'),  wenn  auch  seine  phantasie  von  da  her  ebenso 
gut  wie  von  literarischen  motiven  ihre  anregung  mag  empfangen 
haben. 


*)  Wie  ich  nach  abschluss  dieser  arbeit  ans  einer  anzeige  Schröders 
(Anz.  fda.  31, 127)  ersehe,  behauptet  Ganz  (Gesch.  d.  heraldischen  kunst  in  der 
Schweiz  s.  117),  dass  in  Privatbesitz  blätter  aus  einer  französischen  chronik 
des  13.  jh.'s  aufgetaucht  seien,  welche  die  directen  vorlagen  zu  den  bildern 
42  und  82  bieten.    Die  luotive  der  beiden  bilder  (abfertigung  eines  boten 

34* 


520  WALLNER 

Kommen  wir  nun  auf  die  eingangs  aufgeworfene  frage 
nach  dem  biographischen  gehalt  der  bilder  zurück,  so  hat  die 
Untersuchung  bisher  keine  spur  davon  aufzeigen  können.  Die 
liälfte  aller  bilder  sind  titel-  und  namenbilder;  zu  ihnen  gehört 
auch  das  bild  zum  starken  Boppe  und  das  zu  'Barthel  Regen- 
bogen dem  Schmied'.  Ebenso  wenig  aufschluss  über  die  person 
des  dichters  gewähren  die  textillustrationen  und  die  typischen 
scenen  aus  dem  ritterleben.  Unter  diesen  hat  man  das  bild 
zu  Brabant  als  die  schlacht  von  Wöringen  gedeutet;  da  aber 
der  gegner  des  Brabanters  nicht  das  luxemburgische  wappen 
führt',  ist  die  deutung  hinfällig.  In  dem  bilde  zu  Heigerloh 
wollte  man  den  kämpf  bei  Lintstetten  (Ottokar  71107—71240) 
erkennen,  in  dem  der  graf  fiel;  das  bild  stellt  ihn  aber  als 
Sieger  dar.  Was  der  maier  mit  dem  bilde  Hassos  von  Eeinach 
meinte,  der  als  woltäter  der  armen  erscheint,  wissen  wir  nicht. 
Wenn  er  den  Hardegger,  bruder  Wernher  und  Spervogel  als 
fahrende  darstellt,  so  konnte  er  ihren  stand  ebenso  gut  wie 
wir  aus  ihrer  dichtung  erschliessen.')  Die  annähme  von  Bartsch, 
das  fechterbild  bei  Einggenberg  hänge  mit  dem  fehlen  des 
herrentitels  zusammen,  hat  sich  als  ebenso  irrig  erwiesen  wie 
Herzogs  ausdeutung  des  Buwenburgbildes. 

Es  bleibt  noch  ein  bild  zu  erwähnen,  das  seit  v.  d.  Hagen 
biographisch  ausgelegt  wird  und  sogar  bei  ermittelung  der 
person  des  dichters  den  ausschlag  gab.  Es  ist  die  'ermordung 
Reinmars  von  Brennenberg'.  Muss  in  der  ganzen  reihe,  wo 
sonst  keine  spur  biographischen  wisseus  sich  zeigt,  diese  einzige 


und  Umarmung  eines  liebespaares)  bieten  so  wenig  charakteristisches,  dass 
die  Übereinstimmung  leicht  zufall  sein  kann.  Ein  urteil  darüber  wird  erst 
die  publicatiou  der  blätter  erlauben. 

*)  Wenn  er  trotzdem  zweien  ein  wappen  zuteilt,  so  beleuchtet  das 
wider  die  Zuverlässigkeit  seiner  wappen.  Einige  von  ihnen  scheinen  sogar 
erst  durch  das  bild  veranlasst  zu  sein,  so  der  bärenkopf  bei  Hawart,  viel- 
leicht auch  die  auffallende  grüne  tinktur  bei  Luppin.  Bei  Wachsmut  von 
Mülhausen  können  gleichfalls  die  goldnen  pf eilspitzen  des  wappeus  sich 
auf  den  goldnen  liebespfeil  (Diu  sträle  de?-  minne  ist  von  rotem  golde,  niht 
von  stäle,  Neidh.  Ld.  25, 147)  auf  dem  bilde  beziehen,  iind  der  spielt  auf 
den  namen  an.  Buwenburgs  wappenbild  ist  eine  copie  von  no.  74  der  ZWR. 
(Greifenstein) ;  doch  ist  der  greif  durch  weglassung  des  löwenrumpfs  in  einen 
vogel  verwandelt  worden,  der  bedenklich  an  die  schwarze  henne  des  bauers 
auf  dem  bilde  gemahnt. 


HERREN   UND   SPIELLEÜTE.  521 

ausnalime  wirklicli  zugegeben  werden?  Wär's  noch  der  Marner! 
Aber  dass  der  alemannisclie  maier  über  einen  unberühmten 
fränkisclien  dichter  auf  einmal  bescheid  wissen  sollte,  wäre  zu 
überraschend.  Es  gibt  einen  ausweg.  Brennenhery  lieisst  im 
Volkslied  der  held  des  herzemseres: 

De  valschcu  kleffer  Schloten  einen  rat 
dat  Brunuenberch  gefangen  wart, 
gefangen  up  frier  Straten, 
in  ein  toru  wart  he  gelaten 

(Uhland  no.  75,  str.  5). 

Ich  glaube,  an  die  ermordung')  dieses  Brennenberg  hat  der 
maier  gedacht.  Die  minnesängersagen,  die  uns  als  Volkslieder 
späterer  zeit  entgegentreten,  giengen  schon  früh  im  14.  jh.  um. 
Ein  Zeugnis  dafür  ist  auch  das  Tanhäuserbild.  Das  ist  nicht 
der  lustige  töre  herzog  Friedrichs,  sondern  ein  büssender  Avaller. 
Auch  kein  kreuzfahrer  und  kein  Ordensritter:  schwertlos,  auf 
dem  pilgermantel  ein  schwarzes  kreuz,  zieht  er  seine  Strasse, 
mit  einer  wankelmut  und  anfechtung  abwehrenden  handgebärde: 
ich  tvill  gen  Born  wol  in  die  statt  auf  aines  hapstes  treiven. 

Gehört  auch  das  bild  zu  Morungen^)  in  diese  gruppe? 
Die  darstellung  der  B-quelle  hat  der  maier  verschmäht;  nicht 
an  und  für  sich,  denn  er  verwendet  sie  für  den  von  Gliers, 
aber  als  Morungenbild,  Das  sieht  aus,  als  hätte  er  dafür  etwas 
eigenes,  bezeichnenderes  zu  bringen  gehabt.  Das  bild  zeigt 
einen  mann  auf  dem  lager,  angekleidet,  mit  dem  mantel  zu- 
gedeckt; eine  fr  au,  die  sich  von  ihm  abwendet,  mit  einer  ge- 
bärde, aus  der  Oechelhäuser  liest:  'dem  ist  nicht  mehr  zu  helfen!' 
Sollte  das  die  hauptscene  der  Moringersage  sein?  Das  Volks- 
lied erzählt:  nach  sieben  jähren,  clo  der  edel  Moringer  in  einem 


1)  R.  M.  Meyer  hat  mit  recht  betont ,  dass  das  bild  die  gleiche  com- 
position  zeige  wie  das  Neidhartbild.  Dessen  Variante  ist  es  aber  kanni, 
denn  naturgemäss  muss  das  spätere  bild  von  dem  frühem  abhängen.  Die 
mordsceue  wandelt  sich  auf  dem  Neidhartbild  in  die  freundschaftliche  be- 
drängung des  dichters  um  ein  lied.  Dem  maier  wird  Ntthart  als  bezeich- 
uung  eines  ausgelasseneu  liedes  geläufiger  gewesen  sein  denn  der  '  bauern- 
feind'. 

^)  Eeinhart  von  Brennenierg  und  Heinrich  von  Morungen  nennt  neben 
einander  die  Zimmersche  chronik,  und  das  'Lofsbuch'  aus  dem  15.  jh.  (DHS. 
no.  125)  zählt  sie  unter  den  vier  buhlern  auf:  Wolfram  von  Eschenbach, 
Mor  inger,  Prennberger,  Füfs  der  inder  (Neidhart  Fuchs). 


522  WALI.NER 

garten  lag  tinä  schlief,  träumt  ihm,  ein  engel  rufe  ihm  zu: 
entivache,  Mor'mger!  es  ist  seit,  Iciimst  du  Jieint  nit  heim  zuo 
lant,  der  jung  von  Neifen  ninit  dein  weih  (Uhland,  no.  298, 
Str.  14).  Der  Moringer  des  bildes  ist  erwacht  und  sieht  im 
geiste,  wie  seine  frau,  die  ihn  tot  glaubt,  sicli  von  ihm  wendet 
zu  neuer  ehe.  Der  maier  könnte  naiver  weise  diese  vision  auf 
dem  bilde  verkörpert  haben  (wie  er  doch  auch  bei  Eeinmar 
von  Zweter  ein  traumgesicht  darstellt).  Vielleicht  hat  ihn 
schon  der  name  Neifens  zur  ablehnung  des  alten  Morungen- 
bildes  angeregt.  Denn  auch  das  Neifenbild  könnte  sich  auf 
die  Moriugersage  beziehen:  die  fi^au  —  es  ist  genau  dieselbe 
wie  auf  dem  bilde  Morungens  —  zeigt  unschlüssigkeit  und 
bedenken  gegen  die  Werbung  des  ritters.') 

Ist  die  deutung  dieser  bilder  richtig,  so  ergänzen  sie  die 
Charakteristik  des  maiers  mit  einem  bedeutsamen  zug:  er  zeigt 
—  als  söhn  des  14.  jh.'s  —  denselben  mangel  an  historischem 
sinn  und  die  gleiche  Vorliebe  für  die  künstlersage  wie  die 
meistersingertradition. 

IV.   Die  titel.2) 

Es  finden  sich  drei  gattungen  von  titeln:  1)  die  bezeich- 
nung  von  amt  und  würde  (kaiser,  könig,  herzog,  markgraf, 
burggraf,  graf,  schenk,  marschall,  bruder).  Mangel  an  kritik 
hat  hier  die  einreihung  könig  Tyrols  veranlasst  und  den 
herzogstitel  des  grafen  von  Anhalt.  2)  Der  herrentitel.  Er 
erscheint  nicht  neben  einem  andern  titel  (ausnähme:  her 
Chuonrat  der  Schenhe  von  Landegge)  und  wird  nur  vor  den 
rufnamen  gesetzt:  Her  Friderich  von  Husen,  her  Beinmar  der 
Alte  U.S.W.  Wo  der  rufname  fehlt,  erscheint  die  form  Der 
von  N.  oder  einfach  von  N:  Der  von  h'irenberg,  der  von  Cliers, 
der  von  Sachsendorf,  der  von  Johansdorf,  der  von  Wildonie; 
von  Suonegge,  von  Scharpfenherg,  von  Munegür,  von  Baute, 
von  Trosherg,  von  Stadegge,  von  Stamhein,  von  Buochein,  von 
Wissenlo,  von  Wengen,  von  Ohernhurg,  von  Bimenhurg.    Bei 


1)  'Die  gegeuüberstehencle  geliebte  wendet  sich  spröde  ab,  blickt  nach 
der  andern  seite  und  streckt  abwehrend  die  rechte  band  empor',  Oechel- 
häuser  s.  129. 

2)  Literatur:  F.  Grimme,  Germ.  33, 437  ff.  und  Neue  Heidelb.  Jahrbücher 
4,  85  ff. ;  A.  Schulte,  Zs.  f.  gesch.  d.  Oberrheins  7,  553  f.  und  Zs.  fda.  39, 210  ff. 


HERREN   UND    SPIELLEUTE.  523 

Johansdorf,-.  Muneg-ur  und  Raute  ist  der  rufname  in  der  hs.  B 
überliefert;  fehlte  er  der  sonderquelle  BC  oder  liess  ihn  C 
aus  nachlässig-keit  fort?  3)  Der  meistertitel.  Ihn  führen  Hein- 
rich Teschler  (F),  Walther  von  Brisach  (G),  Goffrit  von  Stras- 
burg, Johans  Haäloub,  Chuonrat  von  Würzhurg,  Heinrich 
Vrouwenloh  (F),  Friderich  von  Suonenhurg,  Sigeher,  Bumslant 
Die  säng-er  der  ersten  und  zweiten  gruppe  gelten  —  mit  aus- 
nähme bruder  Wernhers  —  für  freie  und  ritter,  die  der  dritten 
für  bürgerliche. 

Die  titellosen  namen  zerfallen  in  vier  gruppen:  1)  namen, 
die  auf  bürgerlichen  stand  oder  beruf  hinweisen :  Rost  Jälcherre 
26  Same,  Siieskint  der  Jvde  von  Trimberg,  der  Schuolmeister 
von  Esselingen,  der  tuginthafte  ^)  Schriber,  Buodolf  der  Schriber, 
Chanzier,  der  Dürner.  2)  Beinamen:  Klingesor  von  vngerlant, 
Steimnar,  der  Marner,  Gast,  Eegenboge,  llidiin  von  Faiedeger  (!), 
der  Tcol  von  Nüssen,  Spervogel.  3)  Heimatnamen:  Her  Hüring, 
der  Füller,  der  Tanhuser,  der  Hardegger,  der  Taler,  der  jung 
Misner,  der  alte  Missener,  der  Litschoiver.  4)  Blosse  ruf- 
namen:  Winli,  der  tvilde  Alexander,  Boppo.  Die  beiden  letzten 
führen  in  der  Jenaer  liederhandschrift  den  meistertitel. 

Die  Sänger  dieser  vier  gruppen  gelten  teils  für  herren, 
teils  für  bürgerliche.  Sicherheit  über  die  meinung  des  Schreibers 
ist  nicht  zu  gewinnen,  da  die  Sammlung  auch  fälle  bietet,  wo 
der  herrentitel  gegen  ihre  sonstige  gepflogenheit  fehlt.  Es 
sind  die  namen:  Wachsmuot  von  Künzingen,  Endilhart  von 
Adelburg,  Johans  von  Finggenberg  (E),  Kristan  von  Luppin  (F), 
Hartman  von  Starlienberg,  Heinrich  von  Tettingen,  Chuonze 
von  Fosenhein  (E).  Bei  Adelburg,  Ringgenberg  (liste,  am 
rande:  Her  Johans  von  Finggenberg),  Luppin  und  Tettingen 
ist  die  herrenwürde  nicht  zweifelhaft;  Wachsmuot  von  Kün- 
zingen führt  den  titel  her  in  der  hs.  B.  Es  wird  also  das 
fehlen  des  titeis  auch  bei  Hartman  von  Starkenberg  und  Kuonz 
von  Rosenheim  nur  versehen  oder  nachlässigkeit  sein.  Davon 
konnten  aber  natürlich  auch  die  namen  der  früheren  gruppen 
getroffen  werden. 

Weit  auffallender  als  diese  Unterlassungssünden  sind  die 


1)  Formelhaftes  epitheton;  von  J.  Grimm  wird  Zs.  fda.  6, 187  eiu  Andre 
der  tugentlich  Schreiber  (Eaiu  a.  ISiö.  1316)  beigebracht. 


524  WALLNER 

fälle,  wo  der  lierrentitel  gegen  die  allgemeine  ggpflogenheit 
gesetzt  wird.  Er  erscheint  nämlich  viermal  vor  beinamen: 
her  Buh  in,  her  Ffeffel,  her  Näiiü,  her  GeltarS)  Wie 
kommen  diese  namen  zu  dem  herrentitel? 

E  üb  ins  dichtung  ist  fast  ausnahmslos  minnesang.  Sie 
bietet  also  keinen  anlass,  den  herrenstand  zu  bezweifeln,  ist 
aber  auch  noch  kein  beweis  für  ihn,  denn  erwiesen  bürger- 
liche dichter  wie  Eost  und  meister  Heinrich  Teschler  haben, 
nach  der  Überlieferung,  ausschliesslich  den  minnesang  gepflegt. 
Man  hat  Eubin,  wie  seine  nachbarn  Walther  von  Metz  und 
Liutold  von  Seven,  ohne  zureichenden  grund  nach  Tirol  ver- 
setzt 2),  wo  es  einst  herren  von  Eubin  gab.  Des  minnesängers 
redendes  wappen  stimmt  nicht  zu  dem  des  tiroler  geschlechts. 
Einen  Ortsnamen  schliesst  überhaupt  die  namensform  her  Ruhm 
{hcrre  Paihin  hs.  B)  aus.  Zwar  sagt  Wolfram  einmal  her  Vogel- 
iveid,  aber  dies  prädicat  ist  ihm  kein  ortsname  und  er  hat  die 
polemische  absieht,  das  deutlich  zu  machen.^)  Bei  Eudolf  von 
Ems  begegnet  her  Vlec  der  guote  Kuonrät,  aber  Vlec  ist  als 
beiname  nachzuweisen.  Und  wenn  der  Marner  der  Venis  sagt* 
so  hat  er  diesen  fremden  Ortsnamen  (deutsch:  VineU)  eben 
auch  für  einen  beinamen  (fcnis)  gehalten,  vne  denn  dieser  name 
auch  sonst  als  Fhoenis,  Phoenix  verstanden  und  gebraucht  wird; 
vgl.  MSH.  4, 47.  Wo  Eubius  name  sonst  noch  genannt  wird, 
erscheint  er  als  personenname:  Heinrich  der  Veldeggoere,  Wahs- 
muot,  Buhtn,  Nithart  (Marner,  MSH.  2,246  a);  Walther  von  Metz, 
Ruhin  und  einer,  hies  Wahsmuot  (Eeinmar  von  Brenneuberg, 
MSH.  3, 334  a);  Reimar,  Walther,  Rubin,  Nithart,  Vridrich  der 
Suonhurgcere  (Hermann  Damen,  MSH.  3, 163). 


')  Den  in  mehrfaclier  hinsieht  zweifelhaften  namen  her  Goeli  lasse  ich 
heiseite. 

2)  Bei  Walther  von  Metz  hat  die  annähme  tirolischer  herkunft  schon 
Hanpt  (MF.  s.  225)  abgelehnt,  v.  d.  Hageus  Walther  von  Metz  beruht  auf 
einem  lesefehler;  vgl.  Schöubach,  Zs.  fdph.  5, 163,  aum. 

^)  Dies  Wolframische  her  Vogeliveid  gehört  in  eine  reihe  mit  Hans 
Vogeliceidt  aus  Boplingen  (1514),  Walter  der  Voyelweid  von  Yeltheim  (1391. 
Mon.  Boica  XVI 159)  und  Walther  der  Vocjelioaid  aus  Fürstenfeld  in  Steier- 
mark (1368:  vgl.  Palm,  Zs.  fdph.  5,  205).  Daraus  lässt  sich  auf  ein  simplex 
iceid  swm.  =  iceideman  schliessen  (vgl.  icaltweide  swm.  'wilder  mann", 
icHiceide  adj.  und  nahtivcide  swf.).    Vogeliveid  ist  also  'auceps"  und  Walther 


HERREN   UND    SPIELLEUTE.  525 

Mit  dem  persoiiennamen  PMhin  betreten  wir  bekanntes 
gebiet.  Fiiihin  heisst  der  buhle  der  krämersfrau  im  osterspiel, 
ein  narr  in  der  'Xarrenschule',  die  lustige  person  im  scliwert- 
tanzspiel,  ein  bauernkneclit  im  fastnaclitsspiel  (no.  55  lluUing), 
kurz:  "Rubin  ist  der  ältere  name  für  diejenige  person  des 
deutschen  lustspiels,  die  man  bei  den  englischen  comödianten 
Pickelhäring  nannte'  (Heinzel,  Abh.  z.  altd.  drama,  WSB.  134, 
X  64).  Da  die  krämerscene  im  osterspiel  wahrscheinlich  auf 
eine  französische  quaksalbercomödie  zurückgeht  (vgl.  Heinzel 
s.  55f.)')  und  Robin  als  dienername  auch  in  französischen 
stücken  begegnet  und  allgemein  einen  vilain  bezeichnet 2),  so 
liegt  der  schluss  nahe,  dass  der  name  aus  der  französischen 
pastorele  herstamme,  wo  Bohin  der  typische  name  (bei  Bartsch 
in  70  nummern)  des  bäuerlichen  liebhabers  ist.  Bekanntschaft 
mit  der  französischen  pastorele  brauclit  für  Deutschland  im 
13.  Jahrhundert  nicht  erst  bewiesen  zu  werden  (vgl.  Wacker- 
nagel, Altfranzös.  lieder  und  leiche  s.  235  f.).  Wenn  nun  ein 
deutscher  sänger  des  13.  jh.'s  den  namen  Robin  führt,  so  kenn- 
zeichnet ihn  der  sicher  nicht  als  herren.  Die  Jenaer  hand- 
schrift  bringt  einen  spruchdichter  Bohyn  (diese  namensform 
hat  auch  das  Wolfenbütteler  osterspiel;  auch  der  stein  heisst 
mhd.  nihin  und  rohtn:  Salm.  5,  3),  der  mit  seinem  nachbar 
Meister  Ruodiuger  in  der  hs.  C  als  nachtrag  der  fünften  band 
erscheint:  Riihin  unde  Büedeger.  Ist  der  minnesänger  mit 
diesem  Robin  identisch?  v.d.  Hagen  nimmt  es  an,  Bartsch 
bezweifelt  es,  weil  Robin  sere  :  Magehoere  reimt,  was  einem 
tirolischen  dichter  nicht  zukäme.  Aber  dieser  Tiroler  reimt 
auch  vrö  :  ho  :  also  Zupitza4,  20;  hm  :  in  18,11;  steu  :  sen 
23, 19.  Den  letzten  reim  wollen  freilich  Bartsch  und  Zupitza 
durch  einsetzung  von  gm  berichtigen;  man  urteile,  mit  welchem 
erfolg:  die  dame  rät  dem  scheidenden  kreuzfahrer:  cnmiige  im 
niht  der  ougen  blic  ze  staten  steu,  so  läse  er  daz  herze  vür  diu 
Öligen  —  gen!    Wenn   es  wenigstens  Messe:   vür  die  vüeze 


der  Vogeliveid  dürfte  der  ursprüngliche  name  des  dicliters  gewesen  sein,  mit 
dem  sich  Heinrich  der  Vogelcere  (Dietrichs  flucht  8000)  yergieicht. 

^)  Vgl.  hesanczen  (besants),  Alemenje,  Arras. 

-)  Vgl.  auch  Riibi  knecht  (Socin  160);  villicus  quondam  dictus  Uohin 
(ebda.  559).    Nicht  hierher  gehört  der  judenuame  Eobin  =  Rüben. 


52G  WALLNER 

gen!  Es  liegt  also  kein  grund  vor.  die  beiden  zeit-  und  heimat- 
genossen,  die  der  seltsame  name  verbindet,  zu  trennen,  zumal 
auch  der  minnesänger  spuren  von  spruchpoesie  zeigt:  9, 1  {Ein 
sinne  ticke  scelic  tvip;  vgl.  MSH.  2,  353a,  no.  2?)  und  12, 11  (Nie- 
man  an  vröuden  sol  vertagen]  vgl.  Eobins  Nieman  ze  vruo  sol 
pnsen  bei  Zupitza  IX). 

Der  name  her  Pfeffel  sieht  aus  wie  ein  goliardenwitz. 
Ueberliefert  sind  drei  gleichgebaute  Strophen  mit  künstlicher 
reimstellung:  eine  minnestrophe,  ein  lehrhafter  spruch  und  ein 
gehrspruch  an  herzog  Friedrich  von  Oesterreich: 

Vröude  diu  ist  erwachet,  gelebt  ich  noch  den  tac, 

Diu  e  verborgen  lac  daz  mich  frou  Sselde  erkande, 

so  lange  in  Österlant;  als  si  eteswenne  pflacl 

die  hat  uns  uf  erhaben  min  habe  ist  worden  kleine, 

der  vürste  Yriderich;  mir  ist  von  schulden  ande, 

Des  maniger  wol  erlachet,  so  man  allenthalben  git, 

der  sin  ist  worden  rieh;  unt  mich  verkiuset  eine: 

er  kan  die  siechen  laben  daz  lenget  mir  die  zit. 
mit  milte  gebender  haut. 

Diese  bettelklage  spricht  nicht  eben  für  einen  herrn. 

Wie  herrn  Rubin,  setzte  v.  d.  Hagen  auch  Niuniu  nach 
Tirol  als  herren  von  Neun.  Aber  Niimiu  kann  ebensowenig 
wie  Buhin  ein  Ortsname  sein.  Es  ist  wol  ein  marktschreie- 
rischer spielmannsname,  der  itenimviu  niumcere  anpreist.  Das 
Wappen  ist  das  der  Schönnen  von  Zürich  bei  Stumpf  155  b. 
Wegen  der  bunten  zusammenwürfelung  der  unter  seinem  namen 
überlieferten  lieder  hat  Burdach  (ADB)  den  dichter  Niuniu 
streichen  wollen;  er  hält  ihn  für  einen  bloss  reproducierenden 
spielmann,  dessen  liederbuch  die  hs.  A  kritiklos  aufgenommen 
habe.  Diese  Vermutung  geht  zu  weit,  da  die  hs.  nicht  nur 
dem  Niuniu  und  Gedrut,  dem  jungen  Spervogel  und  Liutold 
von  Seven  derlei  fremdes  eigentum  unterschiebt,  sondern  auch 
dem  truchsessen  von  Sanct  Gallen,  wie  überhaupt  ihre  anord- 
uuug  in  heilloser  Verwirrung  ist.  Aus  dem  nach  abzug  des 
fremden  gutes  verbleibenden  rest  blickt  mit  volkstümlich  frischen 
Zügen  (hs.  A  Strophe  6.  8.  13)  unverkennbar  eine  individualität. 
Charakteristisch  ist  die  Verspottung  des  minnedienstes: 

Leider  sine  minnent  alle  niht  alse  ich, 

die  da  wibes  minne  vlizent  sich; 

des  sol  min  vrouwe  län  geniezen  mich. 


HERREN    UND    SPIELLEUTE.  527 

Jone  bin  ich  uiht  der  valscher  minne  gert, 

valscber  wil  ich  niemer  werden  wert: 

des  hän  ich  wol  behalten  drizic  verti') 

Geltars  name  bezeichnet  seinen  träger  als  den  ewigen 
Schuldner,  der  nie  seine  pf ander  lösen  kann. 2)  Aus  seinem 
bettelleben  macht  er  kein  hehl:  Man  singet  minneivise  da  ze 
hove  und  inme  schalle:  so  ist  mir  so  not  nach  alder  ivät,  deich 
niht  von  vrouwen  singe  Ld.  57, 10.  Seine  dichtung  ist  ganz 
auf  Satire  gestellt.  Höhnend  misst  er  den  conventioneilen 
minnesang  an  der  Wirklichkeit  und  verspottet  die  flämisch- 
französische moderichtung.  Er  will  nicht  als  ein  wceher  Flceminc 
vor  die  frauen  dringen;  dem  typischen  Streitgespräch  zwischen 
mutter  und  tochter  gibt  er  die  überraschende  Wendung,  dass 
die  mutter  plötzlich  ihren  zorn  fahren  lässt,  als  sie  hört,  der 
mann,  mit  dem  die  junge  nach  rösen  will,  sei  ein  'Waleis': 
liehen  hint,  daz  ist  ein  man,  der  senede  sorge  tuenden  kan:  Jon' 
ime,  das  ist  ivol  getan!  Ld.  57, 42.  Wenn  er  einen  knecht 
hätte,  der  von  seiner  'frouwe'  sänge,  spöttelt  er  in  dem 
Spruche  gegen  Alram,  Ruopreht,  Friderich,  so  müsste  der  sie 
ihm  deutlich  nennen,  dass  man  nicht  etwa  glaubte,  es  wäre 
sein  weib  gemeint,  —  Diese  drei  stücke  gibt  ihm  die  hs.  C; 
sie  stehen  in  A,  unter  dem  namen  Gedrut^),  mit  einem  sprüche- 


^)  D.  h.  '  ich  bin  so  treu,  dass  ich  voriges  jähr  von  dreissig  liebschaf ten 
keine  aufgegeben  habe';  da  war  Hiltbold  noch  recht  bescheiden:  mir  tvart 
nie  so  ive,  da  ich  ivol  vieren  für  eigen  mich  bot  (Ld.  20,  8).  Die  entstel- 
lung  unter  Rotenburg,  MSH.  1,80  a:  vahches  tvil  ich  nie  mer  werden  wert, 
daz  hob  ich  her  hehalden  drizek  vert  kommt  gegen  A  120,  6  und  C  (MSH. 
2,172  a)  nicht  in  betracht. 

-)  Vgl.  mit  schoenen  gebcerden  si  mich  ze  ir  brühte  (die  minne)  und 
leitet  mich  als  boese  geltccre  ie  hänt,  die  ivol  geheizcnt  und  gelt  es  nie  dähten 
Rud.  von  f  enis,  MF.  80,  ü);  er  ist  noch  gelter  darumh  'hat  noch  nicht  be- 
zahlt' Lexer  1,826;  Henricus  de  Endingen  dicttis  der  Gelter  a.  1261,  ein 
baueruname,  bei  Socin  ili;  Gelterin  a.  1295,  ebda. 

^)  Bartsch  hält  das  für  einen  f rauennamen ;  eher  könnte  man  an  Ge- 
trüt  'Liebetraut'  denken,  wenn  nicht  die  hs.  A,  die  Heinrich  der  Eiche 
(=  von  Bticlce),  Wahmuot,  Btidolf  Offenburg  (=  Botenburg),  Heinrich  von 
VeltJcilchen  {=VeldeTie)  schreibt,  auch  hier  eines  lesefehlers  dringend  ver- 
dächtig wäre.  Geltar  und  Gednit  haben  nicht  nur  Ge  gemeinsam,  sondern 
auch  die  zahl  der  buchstaben,  und  die  Verlesung  von  It  in  dr  einerseits, 
die  des  schluss-r  in  t  anderseits  wäre  nicht  auffällig.  Erwägt  man  schliess- 
lich, dass  dem  dichter  'Gedrut'  nicht  eine  zeile  verbleibt,  sobald  man  Geltar 


528  WALLNER 

paar  verbunden,  das  von  Kunzechcu  kern  Wahsmuot  wegen 
seines  zarten  minneselmens  hänselt.  Das  stück  stimmt  ganz 
zu  dem  ton,  den  Geltar  sonst  anschlägt  und  zeigt  auch  die 
merkmale  seiner  technik;  die  reimstellung  der  Stollen  abc  abc 
erscheint  auch  in  den  beiden  andern  stücken  und  die  nach- 
lässige reimbehandlung  (schiede  :  liehe,  trüege  :  ungeväege  :  gnüe- 
gcn)  hat  in  der  reimfolge  h-enzelin  :  sin  :  siht  ein  seitenstück, 
wenn  hier  nicht  eine  zeile  fehlt.  Die  hs.  C  hat  in  gewohnter 
Willkür  (vgl.  Wisser,  Das  Verhältnis  der  minneliederhss.  B  und  C 
s.  35)  dies  sprüchepaar  unterdrückt. 

So  weit  uns  bei  diesen  vier  Sängern  —  Rubin,  Pfeffel, 
Niuniu,  Geltar  —  name  und  dichtung  einen  schluss  erlauben, 
führen  sie  sämmtlich  den  herrentitel  mit  unrecht.  Mit  diesen 
nummern  ist  aber  die  reihe  bedenklicher  namen  in  der  hs.  C 
noch  nicht  erschöpft.  Wie  hier  name  und  titel  einander  aus- 
schliessen,  so  widersprechen  sich  bei  drei  andern  Sängern  titel 
und  beiwort.  Es  sind  lier  Beimnar  der  vidiller,  her  Friderich 
der  hiecht  und  her  Dietmar  der  Sezzer. 

Reinmar  der  fiedler.  'Nach  dem  glaubwürdigen  zeugnls 
der  hs.  C  ein  adliger  herrc\  bemerkt  Roethe  (ADB.  28,  97), 
während  er  bei  hern  Dietmar  anmerkt:  'das  zeugnis  der  hs. 
ist  hier,  wo  es  sich  um  einen  unbedeutenden  fahrenden  han- 
delt, unzuverlässig.'  Ich  wüsste  nicht,  wodurch  der  eine  be- 
deutender wäre  als  der  andere.  Reiumars  wappen  ist  —  wie 
das  Volkers  (DHS.  93, 14)  —  eine  goldene  fiedel.  Seine  spruch- 
dichtung  stellt  ihn  zu  den  gehrenden  leuten: 

Maneger  lät  mich  uugegrüezet, 

daz  er  färbtet  deich  in  bite, 

der  doch  selten  kumber  büezet 

iemau  nach  der  milden  site    (MSH.  2, 162  b). 

Auch  die  schelte  gegen  kunstgenossen  fehlt  nicht.    In  Liutold 

von  Seven  bedenkt  er  einen  gefährlichen  w^ettbewerber  mit 

ii'onischem  lob  (Ld.  29): 

Wir  mugen  wol  alle  stille  swigen,  da  her  Liutold  sprechen  wil: 

ez  darf  mit  sänge  nieman  giuden  wider  in. 

er  swiuget  also  hö  ob  allen  meistern  hin, 

ern  werde  noch,  die  nü  da  leben,  den  brichet  er  daz  zil. 


in  seine  rechte  einsetzt,  so  wird  man  sich  getrost  zur  Streichung  dieses 
namens  eutschliesseu. 


HERREN   UND    SPIELLEUTE.  529 

Ob  sicli  Eeinmar  hier  selbst  auch  zu  den  meistern  zählt,  wird 
nicht  klar;  sein  beiname  drückt  ihn  zu  einer  niedrigeren 
kateg-orie  herab.  Als  Ottokar  die  spielleute  könig-  Manfreds 
aufzählt,  fügt  er  hinzu: 

Swaz  ich  ir  nü  hän  geuaiit, 
an  die  was  diu  er  gewaut, 
daz  si  lueister  wären: 
sold  ich  ir  namen  vären, 
Die  noch  vidlsere  hiezen, 
des  möht  iuch  wol  verdriezeu. 

Oesterr.  reimchron.  (Mon.  Germ.  5, 1)  347  ff. 

Friedrich  der  Knecht.  Das  attribut  hnelit  wird  als 
'knappe'  erklärt.  Eine  solche  Standesbezeichnung  aber  kann 
das  beiwort  hier  nicht  sein;  das  erhellt  schon  aus  der  art  und 
weise,  wie  der  dichter  es  selber  zu  anrede,  selbstanrede  und 
Umschreibung  des  ich  gebraucht:  Ich  vröudelöser  Kneht;  Liebe 
vröudeloser  Kneht!  (MSH.  2, 169a);  Vrcelichen  sol  der  Kneht 
hiure  aber  reigen  (170b).  i)  Ber  Kneht  ist  also  kein  appella- 
tivum,  sondern  ein  beiname,  wie  etwa  Jenninus  dictus  Knechtli 
a.  1292  (Socin  479).  Wes  Standes  der  Sänger  ist,  zeigt  seine 
dichtung.  Sogar  das  miunelied  stellt  er  in  den  dienst  der  bettelei: 

diu  milte  wil  verswinden, 

dar  under  so  ist  min  vröude  laz. 

gaeben  mir  die  herren  mer, 

so  möht  ich  wol  volenden  den  willen  min. 

leider  sus  muoz  ich  sin 

lange  versümet:  ich  meine  ein  vrouwelin. 

(MSH.  2, 170  a). 

Er  verheisst  seiner  schönen  für  ihre  gunst  alles  was  die  herren 
ihm  das  jähr  über  —  yersprechen  würden:  stvaz  ich  disen  winter 
mit  geheize  mac  ertverhen  und  alz  daz  jär,  nimet  min  ir  gilete 
war  und  ir  genäde,  daz  gibe  ich  allez  dar  (ebda.).  Das  Neidhart- 
motiv von  den  frostroten  füssen  des  schönen  kindes  nutzt  er 
zu  einer  grotesken  pointe  aus  -)  und  fast  nie  zeigt  sein  minne- 


*)  Wären  nur  die  beiden  ersten  stellen  überliefert,  so  könnte  man 
kneht  einfach  als  'kuabe,  gesell'  deuten.  Die  dritte  stelle  aber  widerlegft 
diese  annähme  und  zugleich  Burdachs  folgerung,  dass  der  dichtername  erst 
aus  diesen  beiden  stellen  abgeleitet  wäre. 

2)  A  liest  si  ez  dir  so  beherzint  (=  sit  es  dir  so  behermet?)  nv  wiz 
vro  die  wil  ich  ir  wer  min  vnder  beiden  vüzen  {min).    Da  Pfeiffer  zu  viizen 


530  WALLNER 

sang  ein  ernsthaftes  gesicht:  Diu  vil  minnecltche  die  ich  da 
meine  manegen  eit  lidn  ich  da  verlorn  (wortspiel  mit  meineiden), 
nu  enswere  ich  doch  niht  üz  einem  steine.'^)  diz  leit  wcere  haz 
verhorn,  daz  si  mir  geloubet  niuwan  einez:  oh  ich  hienge,  daz 
ich  üf  der  erde  gerne  ledecUchen  gienge!  .  .  .  nach  ir  ist  mir 
so  rehte  we  daz  ich  geslafe  niemer  niht  —  so  ich  tvache,  dar 
ZUG  tvirde  ich  selten  vrö  wan  —  so  ich  von  herzen  lache  MSH. 
2,  169  b. 

Geltar  greift   einmal  drei   concnrrenten   an,   die  vor  den 
lierren  von  Mergersdorf  in  minneliedern  schmachten  (Ld.  57, 1): 

Het  ich  einen  knebt,  der  suuge  lihte  von  siner  frouweu, 

der  müeste  die  besclieidenliche  uemnen  mir, 

daz  des  iemeu  wände  ez  W8ere  min  wip. 

Alrani,  Ruopreht,  Fr  id  er  ich,  wer  sol  iu  des  getroiiwen, 

von  Mergersdorf  daz  so  die  herren  effet  ir? 

W8ere  gerihte,  ez  gienge  iu  an  den  lip. 

Ir  Sit  ze  veiz  bi  klagender  not: 

waer  iemen  ernst,  der  sich  also 

nach  minnen  seuet,  der  Iseg  inner  järes  friste  tot. 

Knappen  zu  Mergersdorf  können  die  drei  feisten  minnesänger 
nicht  sein;  so  dicht  gesät  waren  die  höfischen  poeten  denn  doch 
nicht.  Lehnt  man  aber  diese  beziehung  ab,  dann  ist  v.d.Hagens 
Vermutung  nicht  so  unwahrscheinlich,  der  in  zweien  der  an- 
gegriffenen Alram  von  Gresten  (vgl.  MF.  3, 17,  anm.)  und  Fried- 
rich den  Knecht  erblickt."^)  Derartige  Witzeleien  mit  dem 
namen  eines  rivalen  waren  ja  unter  den  spielleuten  beliebt, 
wie  die  Wortspiele  mit  Marners,  Singufs  und  Frauenlobs  namen 
zeigen. 


nicht  auf  die  Variante  von  C  vhfen  verweist,  hält  er  wol  die  lesart  von  A 
für  richtig.  Mit  nnrecht,  da  der  derbe  scherz  auf  den  brauch  anspielt, 
kindern  die  froststarren  bände  unter  den  'üehsen'  zu  erwärmen. 

^)  nv  fwer  ich  doh  niht  vs  eine  fteine  C;  ist  mit  stein  ('hohler  stein, 
bürg,  türm'  s.  Lexer  1, 116)  hier  ein  kerker  gemeint?  Vgl.  Salm.  u.  Mor. 
300  in  hetten  sine  liste  uz  einem  herten  stein  getragen  und  str.  634  in  jenem 
wizen  steine  da  ist  verwirkt  diu  Jcunigin.  Der  schwiir  eines  gefangenen  im 
kerker  verdient  keinen  glauben;  er  hatte  auch  rechtlich  keine  giltigkeit: 
Sachsensp.  3,  41, 1. 

*)  Ich  wage  beiläufig  eine  frage  nach  dem  dritten :  könnte  Geltar,  der 
ja  französelnder  flunkerei  stets  grob  entgegentritt,  nicht  hier  herrn  Eobin 
an  seinen  derbdeutschen  namen  Ruopreht  erinnert  haben?  Der  einfall 
setzt  natürlich  die  Stichhaltigkeit  der  hypothese  v.  d.  Hagens  voraus. 


HERREN   UND    SPIELLEUTE.  531 

Dietmar  der  Setzer.  Man  hat  dies  bei  wort  von  einem 
Ortsnamen  Sooss  {Sasse  a.  1216)  bei  Vüslau  herleiten  Avollen 
(MSH.  4, 486;  Kummer,  Herrand  von  Wildonie  64)  oder  von 
einem  örtclien  im  Manhartsviertel  (R.  Müller,  Zs.  fda.  31, 101), 
aber  dagegen  spricht  die  gepflogenheit  der  lis.,  welche  nur 
bei  fehlendem  rufnamen  den  Ortsnamen  in  dieser  form  gibt 
{der  Hardegger,  der  Litschomver  etc.).  Dietmar  der  Seszer 
aber  muss  beurteilt  werden  wie  Kiionrät  der  SchenJce,  Sües- 
liint  der  Jude,  Friderich  der  Kneht,  Beinmar  der  Videler, 
Rudolf  der  Schriber.  Der  name  ist  vom  setzen  'versetzen, 
pfand  setzen'  herzuleiten'),  das  bekanntlich  im  leben  des  spiel- 
manns  eine  vielberiifene  rolle  spielt  (Walth.  25, 39;  MSH.  3, 143. 
3,95;  Ld.  221,  24).  Der  Geltcere  und  der  Sezzcere,  die  in  der 
hs.  nachbarn  sind,  würden  gut  zusammenpassen  als  spielmanns- 
flrma,  wie  Werhelin  und  StveimeUn,  Ruhin  und  Rüedeger, 
Fridlin  und  Ottlln  (bei  Schönach  von  1343—1360  sechsmal 
belegt).  Von  Dietmar  sind  nur  vier  Sprüche  erhalten:  MSH. 
2, 174.  Einer  ruft  den  kargen  herren  zu:  Der  muten  stuol 
wart  nie  gesehen  ze  lieUe,  noch  der  kargen  ze  himelrtche\  ein 
anderer  bespricht  die  unstete  des  lebens,  die  übrigen  zwei 
warnen  die  leute  vor  falschen  zungen: 

die  selben  haben  künic  Karies  reht  verdrimgen ; 

ir  lip  der  müeze  büezen, 

als  der  üf  dem  rade  verschiet! 

Si  wellen  alle  propheten  sin, 

die  die  liute  da  grüezen, 

ixut  si  denne  verraten; 

den  g-it  man  semein  unt  den  win, 

Pfenninge,  hüenre,  vische  unt  veizte  braten. 

Das  Chronicon  Colmariense  (MG.  SS.  XVII 253)  erzählt  De 
visione  vagabundi  dicti  Seczere: 

Burcgravia  in  Sulczmatin  a  patre  se  audisse  retulit,  quod  Secerus 
a  socio  suo  mortuo  bis  per  rusticos  ad  domum  desertuui  vocatus  fuit; 
sed  Secerus  adire  noluit.  Deinde  circa  aquam  milites  multos  sed  mortuos 
equitantes  vidit.  Hos  sequebatur  socius  Seceri.  Secerum  fugieutem 
monet  socius,  ne  f ugiat,  quo  non  moriatur,  et  dixit  ad  eum :  '  Die  domino 
de  Schwarczenburc,  quod  in  brevi  satisfaciat  Domino  de  peccatis  suis  et 


»)  Vgl.  Isengrin  1598  do  er  kern  Brünen  alse  hlöz  sah,  er  sprah: 
guote  her  capüan,  tvar  haut  ir  iwer  huotelhi  getan?  hänt  irz  gesezzet 
iimhe  wtn? 


532  WALLNER 

restituat  niouachis  de  ...  res  suas  et  accipiat  crucem  et  trausfretet ; 
alioquiu  clara  die  per  aiiram  niirabiliter  morietur.'  Hec  Sezarius  dixit 
et  factus  est  oinnibus  iu  derisum.  Post  paucas  septimanas  congregans 
comes  Albertus  de  Svarczeuburc  milites,  ut  veniret  in  adiutorium  ex- 
coimiiunicatis  homiuibiis  imperatoris  Friderici;  clara  die  veuit  pluvia  cum 
tonitru  et  iuterfecit  euni.  —  'Die  comiti  Eudolfo  de  Habsburc,  eum  fu- 
turum regem  Romauorum;  quod  reges  impugnabit  et  vincet,  15  auuis 
reguabit,  pacem  faciet  iu  terra,  et  per  pueros  suos  amicos  plurimos  sibi 
copulabit;  a  tempore  Caroli  Magui  uou  fuit  ei  similis  gloria,  poteutia, 
lionore  et  divitiis;  sed  imperialem  corouam  non  poterit  obtinere. ' 

Haupts  Vermutung  (Zs.fda.6,399),  dieser  schweifende  Wahr- 
sager und  der  dichter  seien  eine  person,  hat  viel  für  sich.  Dann 
gehörte  Dietmar  noch  in  die  erste  hälfte  des  13.  Jahrhunderts. 

Die  besprochenen  namen  sehen  aus  wie  nach  einem  model 
geprägt;  der  titel  steht  zum  beinamen  oder  attribut  in  hand- 
greiflichem gegensatz:  her  Friderich  der  Kneht  und  her  — 
Rohin  (typischer  bauernname),  her  Beinmar  der  videler  und 
her  —  Nümiu  (bezeichnüng  eines  gemeinen  spielmanns),  her  — 
Pfeffel  (vagant),  her  —  Gelfar  und  her  Dietmar  der  Sezzer 
(Schuldner  und  versetzer).  Das  kann  kein  zufall  mehr  sein, 
denn  darin  steckt  methode. 

Ich  habe  diese  namen  schon  einmal  gestreift,  als  ich  den 
namen  her  Walther  von  der  Vogehveide  aus  der  absieht  des 
dichters  erklärte,  damit  seinen  minnesang  scherzhaft  zu  dra- 
pieren. Erklärt  sich  nicht  aus  ähnlicher  absieht  auch  der 
name  her  Nithart  von  Btutvental?  Der  allegorische  ge- 
brauch des  namens  Ehacental  bei  ihm  selbst,  bei  Hadlaub  und 
im  Jüngern  Titurel,  wozu  sich  als  seitenstücke  Barhiän  und 
Trüebenhüsen  bei  Süsskind  und  dem  von  Gliers  bieten,  ist  ja 
bekannt.  Auch  der  name  Nithart  hatte  schon  damals  allgemein 
die  bedeutung  'neidischer  misgünstiger  mensch'  (vgl.  Wacker- 
nagel, Kl.  sehr.  3, 102.  112  und  Wolframs  anspielung  im  Wille- 
halm 312,11  auf  den  dichter  Neidhart).  Der  ausgangspunkt  für 
Neidharts  dichtung  ist  und  bleibt  die  pastorele  mit  der  tj'pischen 
rolle  des  ritters,  dem  die  dorfschöne  einen  bauer  vorzieht  und 
der  mit  neid  und  verdruss  abziehen  muss:  Hat  dich  der  schimpf 
geroutven,  so  zeuch  dus  ivider  anheim !  Aus  dieser  rolle  heraus 
dichtet  Neidhart  und  aus  ihr  lässt  sich  nicht  nur  sein  auf- 
treten als  ritter  oder  edelknecht,  sondern  auch  der  so  gut  zu 
ihr  stimmende  name  Nithart  von  Riuivental  erklären;  selbstironie 


HERREN    UND    8PIELLEUTE.  533 

ist  ja  cliarakteristisch  für  den  pastorelendicliter  (vgl.  Gröbers 
Grdr.  2, 1,  670). 

Aus  fremder  rolle  heraus  redet  nun  auch  der  spielmann, 
der  den  minnesang  pflegt,  denn  er  ahmt  ja  nur  die  adelige 
dichtung  nach;  die  in  seinen  minneliedern  begegnende  anspräche 
her  und  ritter  ist  also  darnach  zu  beurteilen,  i)  Und  wie  nahe 
lag  ihm  der  anlass,  sich  für  diese  rolle  einen  ständigen  herren- 
namen  zu  Wählen!  Ein  nom  de  guerre  zu  führen,  ist  ja  der 
spielmann  gewohnt  und  stolze  titel  legt  er  sich  seit  jeher 
gerne  bei.  Als  her  Volker  schmuggelt  er  sich  in  der  dichtung 
in  die  reihe  der  herren;  warum  soll  er's  nicht  auch  im  leben 
versucht  haben?  Das  war  immerhin  noch  harmloser,  als 
wenn  er  sich  geradezu  den  namen  Wolframs  von  Eschenbach 
oder  Heinrichs  von  Ofterdingen  beilegte,  wie  es  in  seinen  epen 
geschah. 

Der  angenommene  herrenname  sollte  gewiss  zunächst  wie 
ein  echter  wirken  und  ernst  genommen  werden,  bis  dieser 
brauch  von  sängern,  die  für  den  sinkenden  minnesang  nur 
noch  cynischen  höhn  haben,  parodiert  und  der  herrentitel 
einem  gemeinen  spielmannsnamen  vorgesetzt  wird.  Eigener 
witz  und  fremder  spott  wird  so  die  reihe  der  oben  besprochenen 
grotesken  namen  geschaffen  haben. 

Wir  sind  freilich  gewohnt,  im  herrentitel  ein  unantastbares 
Vorrecht  der  höhern  geistlichen,  der  edeln  und  der  ritter  zu 


1)  Auch  sonst  ist  bei  der  annähme  eigenen  erlebnisses  vorsieht  geraten. 
Wenn  z.  b.  der  miunesanggeguer  Taler  eine  botensendung  erzählt,  so  ver- 
raten schon  die  knechtsnamentypen  Heinz  und  Kunz  die  ironische  fiction: 
der  dichter  führt  einen  adeligen  niinnesänger  vor.  Auch  in  der  boten- 
sendung Walthers  von  Metz  darf  man  aus  der  anrede  edel  ritter  noch  nicht 
auf  den  stand  des  dichters  schliessen,  zumal  dieser  anderwärts  sich  als  fah- 
renden berufsäuger  gibt :  Waz  hüfet  mich,  daz  ich  ze  vremden  vröuden  var? 
solde  ich  den  gesten  vröude  machen,  die  wile  ich  selber  trüric  bin?  (MSH. 
1,308b).  Vgl.  auch  MSH.  1,307  a  stoaz  ich  ivirbe  in  allen  landen.  — 
Fiction  ist  auch  meistens  das  kriuzliet,  das  Eeinmar  der  fiedler  im  reper- 
toire  des  spielmanns  anführt;  so  bei  Rubin  und  avoI  auch  bei  Walther, 
wenngleich  mancher  gehrende  sänger  das  hl.  land  wirklich  gesehen  hat, 
wie  Freidank,  Neidhart  und  der  Tanhäuser.  Richard  Löwenherz  nahm  den 
spielmann  Ambroise  mit  ins  morgenland  (den  verf.  der  Histoire  de  la  guerre 
sainte),  wie  sein  vater  Heinrich  in  den  schottenkrieg  den  clerc  Jordan 
Fantosme  als  augenzeugen  geschickt  hatte  und  wie  könig  Manfred  seinen 
spielmannshaufen  auch  im  kriege  um  sich  behielt. 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutscheu  spräche.     XXXIII.  35 


534  WAI.LNER 

sehen.  Geht  man  aber  dem  Ursprung-  dieser  ansieht  nach,  so 
kommt  man  wider  auf  den  ]\ranesse-codex  zurück;  sie  ist  erst 
aus  ihm  abgeleitet  worden.  'Seit  wann  ist  der  hand werker 
«herr»?  doch  erst  seit  der  französischen  revolution',  meint 
Schulte  (Zs.  39,  213).  Er  ist  damals  auch  den  behörden  gegen- 
über 'herr'  geworden;  im  privaten  verkehr  führte  der  bürger- 
liche diesen  titel  auch  vordem.  Und  das  Jahrhundert,  dem 
wir  das  wort  'höflichkeit'  verdanken,  war  mit  dieser  titulatur 
sogar  freigebiger  als  unsere  zeit.  Ganz  bedeutungslos,  formel- 
haft wird  im  13.  jh.  der  herrentitel  gebraucht.  Her  Dietrich 
heisst  im  volksepos  der  Amelungenkönig,  her  Isegrim  der  wolf 
im  tierepos;  her  ist  stehend  in  der  anrede,  auch  vor  sachnamen 
und  abstracten:  Her  Meie,  her  Stoc,  her  Rite,  her  Pfenninc, 
her  Anger,  her  KrameJcorp.  Ein  ironisches  'herr  von'  steckt 
darin  so  wenig  wie  im  herrentitel  der  engel  und  heiligen:  her 
Michahcl,  her  Gabriel,  unser  herre  sente  Johannes. 

Heinzel  notiert  mit  einigem  befremden,  dass  in  deutschen - 
und  französischen  dramen,  schon  im  13.  Jh.,  knechte  und  sonst 
personen  niederer  lebensstellung  mit  herren,  ritter;  seigneur, 
Chevalier  angeredet  werden.  'Auch  das  publicum  wird  zuweilen 
mit  herren  angesprochen,  was  es  doch  nur  zum  geringsten 
teile  war'  WSB.  134,  X  67  f.  Im  schwank  vom  schrätel  redet 
der  Norman  den  bauer  mit  herre  an,  v.  74.  Auch  der  Heidel- 
berger liedercodex  gewährt  beispiele.  Der  Kanzler  erwähnt, 
wie  ihn  mancher  edle  frage:  her  Kanseler,  ...  tvas  tuot  iuch 
guotes  bar?  MSH.  2,  397a;  in  dem  unter  Winlis  liedern  stehen- 
den leich  lässt  sich  der  dichter  her  türner  anreden,  was  kaum 
auf  einen  herrn  von  Turn  gehen  wird.  Nicht  nur  in  der 
zweiten  person,  auch  in  der  dritten  steht  her  vor  bürgerlichen 
dichternamen;  so  wird  der  Fnjdanhis  vagus  (Zs.  fda.  4, 573) 
oft  her  genannt  (Grimm,  Ueber  Freidauk  s.  4).  Heinrich  der 
Glichezaere  ist  sicher  ein  spielmann  (er  hat  das  huoh  gedihtöt 
umbe  Isingrtnes  not.  siver  gihet,  das  es  gelogin  si,  den  Jät  er 
siner  gehe  fri  1789);  der  Überarbeiter  des  gedichtes  aber  gibt 
—  in  der  ersten  hälfte  des  13.  jh.'s  —  seinem  Vorgänger  den 
herrentitel:  das  hat  der  Glichesmre  her  Heinrich  getihtet  (2250). ') 


')  In  den  zeitgenössischen  dichterlisten  herscht  in  hezug  anf  den  herren- 
titel völlige  Sorglosigkeit.    Ulrich  von  dem  Türlin  führt  Hartman  von  Aue 


HERREN    UNI)    SPIELT.EUTE.  535 

Nach  dem  braucli  im  leben  müssen  wir  die  anwendung  des 
lierrentitels  im  Heidelberger  liedercodex  benrteilen,  denn  der 
ist  doch  keine  urkiindensammlnng-.  Uebrigens  spiegeln  auch 
Urkunden  den  allgemeinen  brauch  wider.  Grimme  hat  in  den 
Neuen  Heidelb.  jahrb.  4,  85  ff.  auf  die  beiden  deutschen  Urkunden 
des  Zürichei-  urkundenbuchs,  bd.  2  hingewiesen  und  Schultes 
nachprüf ung  (Zs.  fda.  39, 212)  bestätigt  seine  angaben.  Die 
ratsliste  von  1254  (no.  893)  gibt  sämmtlichen  ratsherren,  auch 
nichtrittern,  den  herrentitel.  Aus  Schultes  ausführungen 
geht  hervor,  dass  auch  ehemalige  ratsherren  den  titel  erhalten, 
und  Zeller -Werdmüller  fügt  hinzu,  dass  erst  nach  der  Brun- 
schen  Umwälzung  von  1336  die  titulatur  her  wider  auf  die 
wirklichen  ritter  beschränkt  wurde  (Zs.  fda.  39,  214,  anm.).  Die 
andere  deutsche  Urkunde  (no.  848)  ist  eine  zeugenliste  von  1252. 
Die  herausgeber  merken  an:  ^die  zeugenliste  zeigt  deutlich, 
dass  her  in  dieser  nahezu  ältesten  Urkunde  des  Züricher  rats 
gar  nicht  auf  adel  oder  ritterstand  deutet,  nicht  einmal  auf 
ratsherren  beschränkt  ist'  (Züricher  urkundenbuch  s.  368, 
anm.  7). 

Diese  Sachlage  entzieht  dem  herrentitel  im  Heidelberger 
liedercodex  als  einem  argument  für  den  stand  der  sänger  jeg- 
liche bedeutung.  Wie  der  maier  jedem  sänger  ein  wappen 
beigeben  wollte,  so  konnte  der  höfliche  Schreiber  auch  die 
absieht  haben,  jedem  namen  das  prädicat  her  vorzusetzen, 
also  auch:  Klingsor,  Winli,  Steinmar,  Süsskind,  Rudolf  dem 
Schreiber,  Eegenbogen,  Eubin  'von  Rüdiger',  Spervogel,  Boppo 
und  Kanzler.  Bei  diesen  zehn  namen,  wo  das  her  ebenso  gut 
möglich  war  wie  bei  Geltar  und  genossen,  kann  es  wie  bei 
den  vier  oder  fünf  wirklichen  herrennamen  aus  versehen  oder 
Sorglosigkeit  weggeblieben  sein.  Hat  aber  der  Schreiber  hier 
den  titel  mit  absieht  fortgelassen,  dann  hat  er  sich  mit  den 
'herren'  um  Geltar  einen  scherz  geleistet  oder  er  hat  —  was 
mir  wahrscheinlicher  ist  —  die  namen  schon  so  vorgefunden. 


als  Meister  HaHman  auf;  und  hätten  wir  zur  Standesbestimmung  nur  das 
dichterverzeichnis  in  Rudolfs  Alexander,  so  müssten  wir  den  wisen  Hartman 
und  von  Veldich  den  künstertchen  Heinrich  mit  dem  Strickoere,  dem  ivisen 
Gotfrit  von  Sträzhurc  u.nd  dem  sinnerichen  Frigedanc  für  bürgerliche 
meister  halten,  dagegen  von  Heimesfurt  hern  Chuonrät  und  von  Zezichofen 
kern  Uolrich  für  ritterliche  herren. 

35* 


536  WALLNER 

Für  die  bestimmuug-  des  geburtsstandes  sonst  nicht  nach- 
weisbarer Sänger  ist  somit  der  titel  her  in  der  Heidelb.  hs. 
ebenso  unbrauchbar  wie  ihre  wappeu  und  bilder.  Steht  der 
name  im  geordneten  teil  der  Sammlung,  so  haben  wir  damit 
noch  ein  zeugnis  für  die  meinung  des  Sammlers;  steht  er  im 
anhang,  so  fällt  auch  diese  fragwürdige  stütze  weg.  Zuverläs- 
siges über  die  person  eines  Sängers  ist  nur  aus  seiner  dich- 
tung  zu  erfahren;  ihr  fällt  in  diesen  fragen  die  entscheidung 
zu.  Sänger,  die  ausschliesslich  das  gebiet  der  spruchpoesie 
anbauen,  haben  trotz  wappen  und  herrentitel  als  bürgerliche 
zu  gelten,  so  der  biedere  Reinmar  von  Zweter,  der  —  als 
no.  113  —  die  mit  Reinmar  dem  fiedler  beginnende  herrenreihe 
abschliesst.  Sänger,  die  ihre  dichtung  als  gehrende  leute 
kennzeichnet,  sind  aus  der  liste  der  herren  zu  streichen,  auch 
wenn  sie,  wie  Walther  und  die  ' Tiroler '-gruppe  Liutold  von 
Seven,  Walther  von  Metz  und  Rubin,  in  dem  ersten  teil  der 
Sammlung  eingereiht  sind. 

Auch  Liutold  ist  ein  gehrender.    Als  concurrenten  eines 

spielmanns  zeigte  ihn  schon  der  spruch  des  üedlers  Reinmar; 

da  erscheint  ^ her  Liutold^ ^)  als  ein  man  der  mit  iverder  hmst 

den   lüden  kürzet   langes  jär  und  sein  vielseitiges  repertoire 

stimmt   zu   diesem   gewerbe.     Er   singt:    Imudiet,    twingliet, 

schimpfliet,  loheliet,  rüegliet,  tageliet,  Idageliet,  hügeliet,  zügeliet, 

tandiet    Erhalten  ist  uns   davon  nur  wenig,   wie  denn  wol 

eigenes  und  fremdes  in  seinem  Vortrag    sich    mischte    (sein 

'liederbuch'  in  A  weist  acht  fremde  namen  auf);  doch  zeigt 

ein  Spruch  Liutolds  selbst,  dass  ihm  einige  dieser  gattungeu 

geläufig  waren: 

Ich  hoere  manegen  vrägen, 

"vvä  von  die  singer  also  selten  singen? 

daz  wil  ich  wol  bescheiden  den: 

man  vant  e  nnder  zwelven  wilent  eteswen, 

der  einen  drüf  behielt, 

Torst  erz  mit  schelten  wägen. 

des  enist  nü  niht,  swaz  si  alle  mugen  twiugen, 

daz  büezet  an  in  niht  ein  brot. 


^)  Damit  vergleicht  sich:  her  Walther,  her  Vogelweid  bei  "Wolfram 
(neben  Hartman  der  Ouwcere),  von  Kunzechen  her  Wahsmuot  Ld.  56;  in 
diesen  polemischen  stellen  hat  her  die  gleiche  nuance  wie  etwa  in  den 
plänkeleien  moderner  germanisten. 


HERREN   UND   SPIELLEUTE.  537 

swer  ouch  vergebne  lopte,  daz  waer  äue  not, 

Sit  maus  so  kleine  [wielt]. 

Ouch  irret:  singet  ieman  iht, 

daz  enlernet  uiemen.i)  von  den  valschen  Sachen 

si  hänt  ze  vröuden  harte  kleine  zuoversiht. 

wer  solt  dur  so  verloruez  tihten  wachen? 

diz  ist  des  sanges  slac, 

ouch  schadet  der  riehen  erge,  diech  niht  genuzzen  mac. 

MSH.  3,328  a  (III  2). 

Was  für  eiue  devise  dieser  herre  fahrte,  lässt  der  gleich- 
gestimmte Spruch  III  1  ersehen: 

Sold  ich  den  jungen  raten, 

die  unbetwuugen  libes  unde  guotes 

sint  unt  hohe  sohlen  varn, 

den  seit  ich  wol,  daz  werdekeit  mit  grozem  sparn 

nie  üf  daz  rat  gesaz. 

Wie  die  biderben  täten, 

den  man  nach  tode  danket  werdes  guotes? 

die  uämen  ere  vür  daz  guot. 

In  diesem  bettelsänger,  der  sich  so  unumwunden  zu  dem  guot 
vür  ere  bekennt,  ein  glied  des  ansehnlichen  tiroler  dienstherren- 
geschlechtes  der  von  Sähen  zu  sehen,  geht  denn  doch  nicht  an, 
abgesehen  davon,  dass  weder  vorname  noch  wappen  stimmt.-) 
Wie  Liutold,  sollen  auch  die  andern  landfahrenden  herren- 
sänger  lauter  jüngere  söhne  von  ministerialen  sein:  eine  merk- 
würdige Versorgung  der  cadetten,  sie  als  spielleute  auf  die 
Strasse  zu  stossen!  Vereinzelt  wäre  ja  ein  solcher  fall  denkbar, 
aber  eine  ganze  kategorie  von  Sängern  lässt  sich  nicht  durch 
den  hinweis  auf  ein  Kölner  weistum  des   12.  jh.'s  erklären. 


*)  Eine  wichtige  bemerkung,  die  uns  eiublick  in  den  alten  dichtungs- 
betrieb  gewährt.  Im  eigenen  naraen  redet  der  berufsänger  nur  in  gehr-, 
lob-  und  echeltsprüchen ;  das  minnelied  aber  concipiert  er  schon  in  der 
absieht,  es  andere  zu  lehren,  natürlich  gegen  entgelt.  Er  arbeitet  also 
für  fremden  gebrauch  und  bedarf,  wol  öfters  auch  auf  bestellung.  Damit 
verflüchtigt  sich  so  ziemlich  jeder  biographische  gehalt  dieser  lieder; 
'bruchstücke  einer  grossen  coufession'  darf  man  im  minnesang  der  spiel- 
leute nicht  suchen. 

*)  v.d.  Hagen,  MSH.  4,  491,  anm.  2  notiert  ein  Seven  in  Steiermark 
(foris  in  (h'pl.  hoc  legitiu-  Saven,  quae  vicinia  est  penes  fl.  Sava  seu 
Saven  non  procul  a  canonia  PöUensi).  Sevental  {Seuntal  bei  Ottokar 
63020)  heisst  das  Sanutal  in  einer  Urkunde  von  1256  (Urkundenbuch  des 
herzogt.  Steiermark  3,  278).  —  Ueber  den  unmöglichen  reim  neven  :  Seven 
(=  Selben)  vgl.  Schatz,  Zs.  d.  Ferdinandeums  1901,  s.  175  f. 


538  WALLNER 

'Wie  war  es  denkbar',  fi-agt  Schulte  (s.  194),  'dass  am  Babeu- 
bergisclien  hofe  oder  an  dem  des  landgrafen  von  Thüringen 
dienstmannen  sich  einfanden,  welche  aus  w^eit  entlegenen  gauen 
stammten  und  weit  entfernten  herren  gehörten?'  Und  er  findet 
die  erklärung  dafür  in  einer  bestimmung  des  dienstmannen- 
reclits  von  Köln,  von  einem  gebiet  also,  das  alle  paar  jähre 
seinen  herrn  wechselte,  der  sich  natürlich  gegenüber  der  an- 
gefallenen masse  der  dienstmannen  einige  fi-eiheit  sichern 
musste.  Diese  bestand  darin,  dass  er  beim  abieben  eines 
ministerialen  nicht  verhalten  war,  dessen  jüngere  söhne  mit 
einem  lehen  zu  versorgen,  w^ogegen  es  ihnen  dann  freistand, 
sich  einen  andern  herrn  zu  suchen.  Solange  diese  bestimmung 
nicht  auch  für  andere  gebiete  nachgewiesen  ist,  gewinnt  man 
wenig  damit,  denn  entlaufene  söhne  St.  Peters  von  Köln  w^aren 
Reinmar,  "Walther,  Wolfram  und  Neidhart  nicht.  Auch  dass 
sie  dienstmannen  der  Babenberger  herzöge  oder  des  land- 
grafen waren,  bleibt  erst  zu  erweisen.  Von  dem  Verhältnisse, 
in  dem  der  ritt  er  Wolfram  zur  Wartburg,  Reinmar  und  Neid- 
hart zum  Wiener  hofe  standen,  wissen  wir  gar  nichts;  Walther 
verweilte  dort  wie  hier  nur  als  gast.  In  den  Urkunden  finden 
sich  ihre  namen  nirgends,  während  doch  selbst  ein  joculator 
in  kaiserurkunden  erscheint,  da  er  zum  kaiserlichen  hofhalt 
gehörte  (Rupertus  joculator  regis  als  zeuge  in  einer  Urkunde 
Heinrichs  VI.  von  1189). 

In  einem  falle  sind  wir  über  die  Sänger  im  gefolge  eines 
fürsten  genau  unterrichtet,  nämlich  über  hinic  Mehtfrids  spiel- 
mannsgarde.  Ottokar  zählt  in  der  Oesterr.  reimchronik  (309 
— 346)  ihre  namen  auf:  meister  Wlldunc,  meister  Wernlier  von 
Buofach,  meister  Fridrich  von  Valschenherc  (Valchenherg?), 
meister  JRamivoU,  meister  Pah,  meister  Walther  von  der  Sittou, 
meister  Fridrich  von  Wirzpurc,  meister  Kuonrät  von  Bötenberc, 
meister  Sihot  von  Ertfurt,  meister  Otte,  meister  Heinrich  von 
Landeskrön,  meister  Gebehart,  meister  Uolrich  der  Glesin,  meister 
Walther  von  Swinitze,  meister  Alberich  von  Mersptirc,  meister 
Kuonrät  von  Tyrol,  meister  Perhtold  von  Sumereck  Ich  denke, 
niemand  mrd  in  dieser  reihe  einen  ritter  suchen;  hätten  aber 
die  Sänger  im  Manessecodex  aufnähme  gefunden,  so  würde 
dessen  dichterliste  um  ein  paar  meister,  aber  auch  um  ein 
paar  herren  mehr  zählen. 


HEUREN    UND    SPIEI.LEUTE.  539 

Um  Friedricli  II.  vou  Oesterreicli  sehen  wir  Neidhart,  bruder 
AVernher,  Pfeffel  und  den  Tanhäuser.i)  Diesen  Sängern  stehen 
herzog  Friedrich  und  lier  Troestelin  so  gegenüber  wie  könig 
Manfred  und  der  gräve  Icemerlinc  (Ottok.  689,  nacli  Seemüllers 
anm.  Manfred  Maletta)  den  oben  genannten  meistern  in  Fülle. 

Werfen  wir  einen  blick  auf  die  troubadours,  über  die  wir 
besser  unterrichtet  sind  als  über  die  deutschen  sänger,  so  sehen 
wir  männer  edler  herkunft  unter  den  fahrenden  nur  als  seltene 
ausnahmen.  Da  ist  Eaimbaut  von  Vaqueiras,  eines  armen 
ritters  söhn,  der  als  ritter  und  sänger  am  hofe  des  markgrafen 
von  Montferrat  lebt  und  sich  im  vierten  kreuzzug  ein  lehen 
in  Griechenland  erkämpft;  da  sind  zwei  geistliche,  der  canonicus 
Peire  Cardinal,  der  mit  einem  spielmann  an  die  höfe  zieht, 
und  der  prior  von  Montaudon,  der  in  der  mönchskutte  als 
fahrender  sänger  umzieht  und  die  spenden  der  herren  seinem 
kloster  zuwendet.  Sonst  sind  wol  alle  namhaften  troubadours, 
wenn  man  von  ihrem  ahnherrn  graf  Wilhelm  von  Toulouse 
und  dem  mehr  durch  sein  leben  als  durch  seine  dichtung  be- 
deutenden Bertran  de  Born  absieht,  bürgerlicher  herkunft: 
Cercamon  ein  spielmann,  Marcabru  ein  findelkind,  Bernhard 
von  Ventadorn  der  söhn  eines  knechts  und  einer  magd,  Arnaut 
von  Mareuil  ein  Schreiber,  Folquet  von  Marseille  ein  kaufmanns- 
sohn,  der  'kaiser'  Peire  Vidal  ein  kürschnerssohn,  Arnaut  Da- 
niel ein  spielmann,  Gaucelm  Faidit  ein  bürgerssohn,  Aimeric 
von  Pegulha  der  söhn  eines  tuchhändlers,  Guilhem  Figueira 
ein  Schneiderssohn. 

Ich  sehe  keinen  grund,  für  Deutschland  andere  Verhält- 
nisse vorauszusetzen.  Gewiss  hatte  auch  hier  das  bürgerliche 
element  entscheidenden  anteil  an  der  dichtung  und  gerade  die 
bedeutendsten  sänger,  die  dichter  von  beruf,  werden  dieser 
untern  schiebt  entstammen.  Verrittert  hat  die  lyrik  des 
13.  jh.'s  erst  die  Heidelberger  liederhandschrift  mit  ihren 
Wappen  und  titeln,  oder  vielmehr:  uni^ere  irrige  auffassung 
dieser  naiven  zutaten  hat  das  sog.  bürgerliche  element  aus 
der  mhd.  dichtung  fast  ganz  hinausgedrängt.    Der  anteil,  den 

^)  'Wer  hält  noch  toren  wie  er  tat?'  seufzt  dieser  iu  seiner  klage  um 
Friedrich ;  vgl.  den  spielmanusnamen  Torler  =  törlcere  bei  Seifried  Helbling 
7,  836,  und  Oesterr.  reimchron.  323  da  worht  ouch  manic  törenwerc  meister 
Kuonrät  von  Bötenberc. 


540  WAT.LNEU 

die  lis.  dabei  zu  verantworten  hat,  beschränkt  sich  auf  die 
epigonentendenz  zu  idealisieren.  Wie  der  meisterg-esang  seine 
berühmtesten  ahnherren  gesellschaftlich  emporhob  und  Walther 
zu  einem  landherrn  aus  Böhmen,  Wolfram  zu  einem  landherrn 
aus  Ungarn,  den  Marner  zu  einem  adeligen  machte,  so  hebt 
auch  unsere  Sammlung  ganze  reihen  von  älteren  Sängern  bona 
fide  unter  die  herren  empor.  Wie  die  meistersinger  an  kaiser 
Otto  die  anfange  ihrer  holdseligen  kunst  knüpften,  so  wird 
unsere  dichterreihe  mit  einem  kaiser  Heinrich  eröffnet.  Als 
warnendes  omen  steht  dieser  name  am  eingang  der  Sammlung. 
Hier  hat  die  B-quelle  einem  Sänger,  von  dem  sie  wol  nur  den 
namen  Heinrich  kannte,  die  kaiserkrone  aufgesetzt,  irregeleitet 
durch  ein  paar  Wendungen  in  seinen  gedichten:  MF.  5,  23.  5,  36 
—  6,1.  'Ein  könig'  —  sagt  Haupt  —  'wird  weder  bei  der 
geliebten  auf  diese  weise  seines  königtums  gedenken  noch, 
wenn  er  irgend  verständig  ist,  metaphorischen  ausdruck  und 
den  ausdruck  der  lebensstellung  die  er  würklich  hat  wunder- 
lich und  ungeschickt  vermischen.  Aber  nicht  sonderlich 
verständig  waren  die  Sammler  der  mhd.  lieder  und  es 
ist  bei  ihnen  keine  kritik  zu  suchen.' 

GRAZ,  Januar  1908.  ANTOX  WALLNER. 


DREI  SPIELMANNSNAMEN. 

Wizlav. 

'^Mzlav  IV.,  fürst  von  Eugen,  urkundlich  seit  1284,  erbte 
1302  mit  seinem  bruder  Zambor  und  erhielt  bei  der  teilung 
die  insel  Eugen.  Seit  dem  tode  des  bruders  (1304)  bekam  er 
das  ganze  fürstentum'  (Bartsch,  Liederdichter  no.  LXXXIV). 
Ebenso  wenig  wie  Bartsch  zweifeln  Ettmüller,  Pyl,  Kuntze  und 
Seelmann  an  Wizlavs  fürstenwürde,  wie  denn  seit  Docen, 
der  zuerst  die  Vermutung  ausgesprochen  hat,  Wizlav  der 
junge  sei  identisch  mit  dem  von  Frauenlob  und  dem  Goldener 
gefeierten  Widav  dem  jungen  helde  in  Puigelande,  diese  iden- 


DREI   SPIELMANNSNAMEN.  541 

tität  als  erwiesene  tatsache  behandelt  wurde.  Es  ist  aber 
doch  recht  auffallend,  dass  weder  Frauenlob  noch  der  Goldener 
in  ihren  lobsprüchen  Wizlavs  kunst  auch  nur  mit  einem  worte 
erwähnen,  so  nah  es  für  den  einen  gelegen  hätte  {des  ivlrt  sin 
lop  von  gernüer  diet  hreit  unde  lanc  f/erecket  Frauenlob,  MSH. 
3, 123).  Noch  auffallender  ist,  dass  Wizlavs  dichtung  gar  nichts 
enthält,  was  auf  einen  fürstlichen  dichter  schliessen  Hesse. 
Während  sonst  die  fürstlichen  sänger  ausschliesslich  den  minne- 
sang  pflegen,  ist  Wizlavs  poesie  vorwiegend  Spruchdichtung. 

Er  Avarnt  vor  dem  nahen  weltende  (I  1),  betet  fromme 
Sprüche  (I  2.  3.  6.  II  2),  legt  —  wie  Rümzlant,  MS.  2,  396  b  — 
Nabuchodonosors  träum  aus  (II  7.  8),  kehrt  seine  gelehrsamkeit 
hervor,  indem  er  —  wie  Frauenlob,  MS.  3, 386a  —  Christus 
als  Äljjha  und  0  anredet  (I  3)  oder  von  M.  Curtius  erzählt 
(14),  wie  der  Hennenberger  von  Trajanus,  MS.  3, 41a.  Er 
behandelt  sprichwörtliche  redensarten  Mir  geschilit  niht  ivan 
mir  geschaffen  ist  (vgl.  z.  b.  des  Meissners  beite  unz  morne  MS. 
3, 100),  singt  den  mannen  unt  den  wiben  ein  lied  nach  der 
sehnenden  weise  des  Ungelarten  (IV  f.),  klügelt  eines  der 
beliebten  rätsei  zusammen  (I  5),  eifert  gegen  schälke  (II 1.  VI), 
mahnt  zur  freigebigkeit  {Ich  ivarne  dich  vil  junger  man  gezarte, 
halt  milden  muot  YIII)  und  feiert  ganz  im  stile  Goldeners  oder 
Frauenlobs  von  Hülsten  eisten  herren  ivert  (I  10).  Das  ist,  mit 
einem  halben  dutzend  mai-  und  minneliedern,  zarten  und  un- 
zarten, und  einem  herbstlied  in  Steinmars  manier  das  typische 
repertoire  eines  allen  anforderungen  gerechten  spielmanns  um 
die  w^ende  des  13.  Jahrhunderts. 

Entscheidend  für  Wizlavs  spielmannscharakter  ist  der  ort, 
an  dem  seine  gedichte  überliefert  sind:  die  Jenaer  handschrift. 
Man  lese  nur  einmal  ihre  inhaltsliste:  3Ieyster  Stolle.  Bruder 
Wirner.  Meister  Kelyn.  3Ieister  Zilies  von  Segne.  Meister  Ale- 
xander. Bohgn.  3Ieyster  Rudinger.  Spervoghel.  Der  Helleviur. 
Meister  Gervelyn.  Der  Urenheymer.  Der  Hynncnherger.  Der 
Güter.  Der  Unvürtzaghcte.  Der  Liet  scomvere.  Der  Tanuser. 
Meister  Singof.  Beynolt  von  der  Lippe.  Der  Goldener.  Meyster 
Rumelant.  Faunelant  von  Swahen.  Meister  Vriderich  von  Siinnen- 
burc.  {Wizlav).'^)  Der  Mysnere.  Meyster  Conrat  von  Wertzeburc. 


*)  Der  name  fehlt  durch  ausschnitt. 


512  WALLNER 

(Frouivenlo2))J)  Meister  Toppe.  Ilerman  Damen.  {Klingsor). 
Das  ist  eine  gesellscliaft  von  ausnahmslos  bürgerlichen  Sängern, 
in  der  wir  einen  fürsten  von  Rügen  nicht  suchen  werden.  Wo 
wir  ihn  aber  bestimmt  erwarten  dürften,  fehlt  er:  in  der  fürsten- 
gruppe  des  Manessecodex. 

Den  namen  Wizlav  kennt  auch  die  deutsche  heldensage. 
Eine  gewiss  einst  vielbelachte  episode  der  piörekssaga  erzählt 
die  befreiung  Widgas  durch  Isung  den  hauptspielmann  und 
seinen  baren  Widav,  in  dessen  haut  eigentlich  held  Wildifer 
steckt.  Es  wäre  denkbar,  dass  sich  in  Niedersachsen,  der 
lieimat  der  piörekssaga,  ein  spielmannspaar  die  namen  Isung 
und  Wizlav  beigelegt  hätte.  Da  wir  aber  weder  von  dem 
altern  Wizlav,  den  die  bezeichuung  Wizlav  der  junge  voraus- 
setzt (vgl.  'der  junge  Spervogel,  der  junge  Stoll,  der  junge 
Meissner'),  noch  von  seinem  fraglichen  gefährten  Isung  etwas 
wissen,  werden  wir  für  unsern  spielmann  einfach  an  slavische 
herkunft  zu  denken  haben. 

Megenhogen. 

Nach  der  tradition  der  meistersinger  war  Barthel  Regen- 
bogen —  wie  Heinrich  Rafolt,  der  dichter  des  Nussbergs  (Ge- 
sammtabenteuer  1, 445)  —  ursprünglich  ein  schmied,  wie  denn 
schon  der  Heidelberger  liedercodex  ihn  als  schmied  abbildet 
und  ihm  hammer  und  zange  ins  wappen  setzt.  Den  namen 
Begenhogen  wird  dann  Barthel  der  schmied  erst  als  spielmann 
erhalten  haben.  Sollte  der  name  etwa  die  allzu  bunte  tracht 
dieses  spielmanns  verspotten  (vgl.  Parton.  15293),  wie  einer, 
wol  nach  dem  ungewöhnlichen  kopfsclimuck,  Hanenlcamp  heisst 
{Hanchampf  cantori;  ystrioni  Hanencanq)  bei  Schönach  a. 
1294  5)?  Oder  liegt  eine  gelehrte  anspielung  auf  das  boten- 
amt  der  spielleute  vor?  Albrecht  von  Halberstadt  verdeutscht 
die  götterbotiu  Iris  mit  liegenboge:  si  sprach  zem  Begenhogen 
der  ir  trihver  hüte  ivas  452  a;  Jimö  hiez  den  Regenbogen  gän 
11, 13.  Möglich  ist  eins  und  das  andere,  aber  keines  wahr- 
scheinlich. 2)    Dass   der  name  frühzeitig  als  'arcus  caelestis' 


*)  Der  name  fehlt  durch  ausschnitt. 

■•*)  Wie  Burdach  den  namen  versteht,   der  ihn  (Walther  v.  d.  Yogelw. 
8.26)  in  einer  grujjpe  von  bezeichnuugen  aufführt,  die  die  unbehaust- 


DREI    SriELMANNSNAMEN.  543 

verstanden  wurde,  zeigen  die  Überschriften  in  den  hss.:  Jlegcnhog 
in  der  Manessischen,  llcgcnhoge  in  der  Heidelberger  hs.  no.  350 
(MSH.  3,344).  1)  Erst  bei  Wagenseil  (Von  den  zwölf  meistern 
s.  506)  erscheint  die  form  Jkgenhogen:  Der  Acht  zu  Maintz 
safs,  ivar  ein  Schmied,  Hiefs  mit  Kamen  Barthel  Regenbogen, 
Hat  die  Kunst  lieh,  war  ihr  geivogen  (In  der  geschwinden  pflug- 
weis Paulus  Fischers).  Diese  nhd.  form  verbleibt  dem  namen 
weiterhin;  vgl.  Ambros  Metzger,  Cyriac  Spangenberg  und  Sing- 
schule von  1630  (MSH.  4,  891— 894). 

Nun  begegnet  aber  diese  nhd.  wortform,  die  als  appel- 
lativum  erst  im  16.  jh.  neben  regenhogc  und  regenhog  sich  zu 
zeigen  beginnt  (DWb.  8,  516),  als  name  unseres  spielmanns 
schon  zweihundert  jähre  früher.  Der  dichter  nennt  sich  selbst  an 
drei  stellen  seiner  Sprüche,  deren  echtheit  freilich  recht  zweifel- 
haft ist:  Ich  Begenbog,  icär  tet  ich  ie  min  sinne?  (MSH.  3,354a); 
Kent  ir  mich  gern?  ich  binz  geheimen  Regenbogen  (:  ungelogen), 
der  sanges  ie  ein  meister  ivas,  nach  dem  tuon  ich  mich 
nennen'-)  (MSH.  3,  345a);  Ich  Regenbog  ( :  gezogen),  ich  ivas 
ein  smit  (Kolmarer  hs.,  MSH.  3, 346b).  Zweimal  (gegen  ein- 
maliges Regenboge)  ist  also  die  form  Regenbogen  durch  den 
reim  gesichert.  Einen  dritten  beleg  liefert  Schönach,  Spiel- 
leute in  Tirol  (Zs.  fda.  31, 176):  item  in  Media  silva  (dorf  Mitte- 
wald im  Eisacktal)  cuidam  cantori  diclo  Regenpogen  Ib.  II 
(a.  1302). 

Diese  allem  anschein  nach  authentische  namensform  kann 
nur  eine  jener  imperativbildungen  sein,   wie  sie  gerade  seit 


lieit  des  spielmanns  ausdrücken  (danmter  auch  Hagedorn]),  vermag-  ich 
nicht  zu  erraten.  —  Die  redeusart  üf  den  regenhogen  hüiven  '  auf  unbestän- 
diges vertrauen ',  an  die  man  auch  denken  könnte,  gewährt  keinen  anhält. 

1)  Bei  den  meistersingern  begegnet  durchwegs  die  form  Begenboge: 
Der  Eegenboge,  den  VromvenJop  hestünt  gelfcher  icer  Leupold  Homburg 
(um  1320);  Eegenhogs  vhcr  langer  don,  Regenhogs  vber  gidder  don,  Begen- 
bogs  don  (MSH.  4,  633 — 642).  Auch  der  gen.  Begenbogen  wird  wol  einen 
nom.  Begenboge  voraussetzen :  Li  des  Begenbogen  blaicen  ton,  giädin  thon, 
kurtzn  thon,  langen  ton,  vber  langen  thonn,  laid  dorm  und  brieffthon 
MSH.  ebda. 

*)  Grimme  bringt  in  der  Germ.  32,  417  einen  BeinboU  Begenboge  bei, 
der  mit  Heinrich  Vrowentrut,  Lumperlin  von  Strazpurg  u.  a.  im  jähre  1336 
aus  Speier  verwiesen  wird.  Die  namen  der  ausgewiesenen  verraten  sie  als 
Spielleute. 


bii  WALLNER 

dem  ende  des  13.  jli.'s  als  spielmannsnanien  im  schwänge  waren: 
Snurrenphcyl,  Nernsncibcl,  Lohdenfrumen,  Bupfdenman,  Piümz- 
laut,  Sorgnit,  Versiveigseinnit,  Suochenivirt,  Suochensmn.  Der 
nanie  JRegenhogen  d.  i.  liege  den  ho  gen,  den  Bartliel  der 
Schmied  als  spielmann  führte,  ist  dann  ein  seitenstück  zu  dem 
namen  lleinmar  der  videler. 

Der  Freudenleere, 

Ulli  behauptet  in  der  Zs.  fda.  41. 291,  dieser  dichtername 
sei  ein  unding  und  Der  Wiener  meerfahrt  habe  einen  un- 
bekannten zum  Verfasser.  Ein  zeugnis  dafür  ist  ihm  zunächst 
die  Schreibung  der  beiden  hss.  vröiidenlcere  und  vreuden  lere. 
Dann  macht  er  geltend:  der  dichter  spreche  von  sich  vorher 
in  der  ersten  person,  von  seinem  gönner  aber  in  der  dritten: 

Mir  hat  ein  wärhafter  munt  was  der  here,  daz  ist  war 

eine  rede  gemachet  kuut,  40  gen  vremden  und  geu  vrunden. 

80  die  mac  wol  heizen  wunderlich:  des  mache  in  got  von  sunden 

also  hat  verrihtet  mich  dort  an  der  sele  vri 

von  Dewin  hurgräve  Herman,  durch  sine  hosten  namen  dri. 

der  ni  schänden  mal  gewan  der  sagete  mir  ditz  mere: 

au  schentlicher  missetät.  45  daz  hat  der  Vreudeulere 

35  daz  im  der  sele  werde  rät,  gemachet  als  iz  dort  geschach, 

des  sol  man  im  von  schulden  biten.  als  man  im  ze  Wiene  jach 

er  was  ein  man  von  guten  siteu,  von  guter  lüte  worte, 

gezogeu  unde  getrüwe  gar  da  er  daz  m§re  hörte. 

Nach  Uhl  geht  der  vreudenlere  auf  des  dichters  gewährs- 
mann  und  besage  so  viel  als  'der  selige  Hermann  von  Dewin', 
denn  vröude  bedeute  vor  allem  'weltfreude'.  Und  endlich  sei 
ein  spielmannsname  Der  Vreudenlcere  ganz  unglaublich. 

Was  ühl  hier  vorbringt,  ist  punkt  für  punkt  abzuweisen. 
Eigennamen  werden  in  altdeutschen  haudschriften  nur  selten 
durch  majuskel  kenntlich  gemacht;  die  Schreibung  ist  also 
kaimi  ein  zeugnis  auch  nur  für  die  meiiiung  des  Schreibers.  J) 
Der  Personenwechsel  erklärt  sich  leicht  aus  der  Unmöglichkeit, 
den  autornamen  Der  Vreudenhere  in  Verbindung  mit  der  ersten 
person  in  den  vers  zu  bringen.  Dies  hin-  und  herschwanken 
lässt  sich  in  mhd.  gedichten  an  der  stelle,  wo  der  Verfasser 
sich  nennt,  oft  genug  beobachten;  man  lese  nur  die  folgenden 


')  Vgl.  die  lesarten  71  ivmne  C,    61  wienen  C,     14:1  prvzzen  (=Priu- 
gen)  H,    pruzen  C,    215  iviencn  C,    470  loiennere  HC,    471  iciennen  C. 


DREI   SPIELMANNSNAMEN.  545 

proben:  ^g,.  j^  _  ^g^  ,.g^g  —  begunde,  daz  bin  ich 

von  Fuozesbruniien  Kuourät 
und  ez  ouch  volendet  hat. 

Kindh.  Jesu  3022. 

des  bitte  ich  iuch  in  der  miune, 
der  aller  schuldigste  man 
der  briesters  namen  ie  gewan, 
er  ist  geheizen  Alber. 

Tnugd.  2182. 
Johannes  von  Yriberk 
der  mangez  wunderliche  Averk 
Üf  der  erdeu  wirken  kan, 
der  wil  aber  heben  an 
Und  uns  ein  buechel  tihten 
von  seltssenen  geschihten. 
Ez  ist  war  daz  ez  geschach, 
wen  der  ez  hört  unde  sach, 
Der  sagte  mirz  vür  die  wärheit. 

Das  redelin  (Ges.  abent.  LVIII)  1. 

Sprich  ich  swarz,  si  sprichet  wiz, 

dar  an  kert  si  allen  iren  vliz 

Und  tuot  daz  sere  wider  Got: 

diz  msere  tihte  Sibot. 

Em  meinte  nie  keine  vrouwen  da  mit, 

im  behaget  wol  aller  ir  sit: 

Wau  daz  ich  si  mit  zühten  man. 

Der  vrouwen  zuht  (Ges.  abent.  III)  13. 

Ganz  aus  der  luft  gegriffen  ist  die  behauptung,  dass  vröude 
im  mM.  die  irdisclie  freude,  die  lust  dieser  weit  bezeichne. 
Warum  heisst  dann  Christus  vröudenkäuic,  Maria  vröudentrör 
und  vröudensange,  die  ewige  Seligkeit  vröudensinse,  himelvröude, 
das  hallelüja  vröudengcsanch,  der  himmel  daz  froudericJie  lant 
oder  dat  vaderlant  vol  eren,  vroiveden  inde  sicherheide? 

Wenn  schliesslich  Uhl  den  namen  der  freudenleere  für  ein 
unicum  unter  den  spielmannsnameu  hält  —  'ich  fürchte,  man 
wird  um  parallelen  verlegen  sein',  meint  er  —  so  genügt  der 
hinweis  auf  die  spielleute  Vreufdenricli  (a.  1294)  und  Nhnmer- 
selich  (a.  1325)  bei  Schönach,  Zs.  fda.  31, 171  ff.:  vgl.  auch  icJi 
vroudelöser  Kneht  (Fridrich  der  Knecht  MSH.  2, 169  a).  Gegen 
diese  bekrittelung  des  beinamens  an  sich  hat  übrigens  schon 
Edw.  Schröder  Stellung  genommen,  der  aber  sonst  Uhl  bei- 
stimmt und  den  schwächsten  punkt  in  dessen  argumeutation 


546         WALLNER.    DREI   SPIELMANNSNAMEN,    —   BERICHTIGUNG. 

ZU  stützen  sucht.  Es  ist  die  angäbe:  d«7^  mere  .  .  .  hat  der 
Vreudenlere  gemachet  als  is  dort  geschach.  Das  kann  natür- 
lich nicht  vom  gewährsmann  gesagt  werden,  sondern  nur  vom 
dichter.  Schröder  schlägt  daher  vor,  gemachet  in  gemerchet 
zu  ändern.  Dass  die  correctur  bei  der  völligen  haltlosigkeit 
der  einwände  Uhls  unstatthaft  ist,  versteht  sich  von  selbst. 
Wenn  aber  vScliröder  die  wendung  ein  mcere  machen  nur  in  der 
bedeutung  'redensarten  machen,  ausfluchte  vorbringen'  kennt, 
sei  er  an  folgende  steilen  erinnert: 

Hie  endet  sich  diz  msere; 
daz  macht'  der  Zwingewsere. 

Ges.  abent.  XXR^  539. 

Diz  ungelogen  msere 

macht'  uns  der  Vriolsheinisere. 

Ges.  abent.  XXX  129. 

GRAZ,  Januar  1908.  ANTON  WALLNER. 


BERICHTIGUNG. 

Zu  den  bemerkungen  über  gehent  Heinrichs  Tristan  60  (Beitr.  32,  533) 
bin  ich  durch  ein  exemplar  von  Bechsteins  ausgäbe  veranlasst  worden,  wo 
das  wort  gebeut  accentuiert  war.  Nachträgliche  vergleichung  belehrt  mich, 
dass  dieser  accent  nicht  dem  drucke  angehörte.  Mhd.  belege  für  benen 
sammelt  —  darauf  macht  mich  auch  Michels  aufmerksam  —  Bech,  Germ. 
26,  257. 

A.  WALLNER. 


DIE  ETYMOLOGIE  VON  HOLEN. 

Seit  Lottner  (K.  zs.  5,  399  [=  1856]  und  F.  A.  Pott  (Etym. 
forsch.- II 3, 189)  ist  man  gewöhnt,  das  verbum  holen  {diM.halön, 
Jiolön)  und  die  verwanten  Wörter  mit  der  wurzel  von  gr.  y.altm, 
lat.  caläre  u.  s.  w.  etymologisch  zu  verknüpfen.  Da  Jialon,  holön 
in  der  ahd.  literatur  manchmal  als  gleichbedeutend  mit  dem 
lat.  vocare  vorkommt,  so  ist  der  bedeutungswandel  scheinbar 
sehr  einfach.  Von  halön,  holön  'rufen'  lässt  sich  der  sinn 
'herbeirufen,  herbeiholen,  herbeischaffen'  ohne  mühe  ableiten, 
und  darauf  sind  weiter  alle  übrigen  an  Wendungen  von  holen 
leicht  zurückzuführen. 

Gegen  diese  auffassung  lässt  sich  aber  einwenden,  dass  wir 
für  die  wurzel  von  holen  die  bedeutung  'rufen'  nur  aus  dem 
ahd.  belegen  können,  und  ausschliesslich  aus  solchen  quellen, 
welche  wie  Tatian  direct  aus  dem  lat.  übersetzt  sind,  oder 
wie  Otfrid  von  einem  lateinisch  gebildeten  Verfasser  herrühren 
und  einem  lat.  original  nachgebildet  sind.  Den  übrigen  ger- 
manischen sprachen  ist  ein  solcher  gebrauch  durchaus  fremd. 
Weiter  ist  es  wenigstens  sehr  merkwürdig,  dass  von  der  sog. 
ursprünglichen  bedeutung  'rufen'  in  der  späteren  zeit  keine 
spur  geblieben  sei  und  dass  holen  jetzt  eine  bedeutung  an- 
genommen hat,  welche  gewissermassen  zu  der  ursprünglichen 
im  Widerspruche  steht.  Sehr  scharf  wird  dieser  gegensatz  von 
E.  Hildebrand  ins  licht  gesetzt  {Hola!  und  hailoh!  mit  ihrem 
alten  hintergrunde,  Zs.  f.  d.  deutschen  Unterricht  3, 400):  'an- 
streugung  um  etwas  herbeizuschaffen  ist  der  kern  des  begriffs 
[von  holen]  . . .  Daher  kann  ich  mich  nicht  dazu  verstehen, 
unser  wort  mit  gr.  xaXsco,  lat.  caläre  rufen,  als  schlechthin 
urverwant  eins  anzunehmen,  wie  man  schon  lange  tut.  Heisst 
es  doch  z.  b.:  'ich  habe  ihn  schon  so  oft  gerufen,  er  kommt 
nicht,  ich  werde  ihn  holen  müssen'.    Hier  muss  vor  gewissen 


548  MANSION 

verkehrten  yorstellungen  gewarnt  werden,  welche  von  der  oben 
genannten  etymologie  herrühren  und  eine  weite  Verbreitung 
gefunden  haben.  Wenn  es  in  den  mhd.  Wörterbüchern  von 
Benecke-Müller  und  von  Lexer  heisst,  dass  mhd.  hahi,  holn 
bisweilen  noch  'rufen'  bedeute,  so  kann  dies  entschieden  ver- 
neint werden.  Kein  einziges  der  angeführten  beispiele  be- 
rechtigt zu  dieser  annähme.  Nur  weil  man  glaubte,  ahd.  Jialöu 
heisse  'rufen',  hat  man  fürs  mhd.  eine  ähnliche  bedeutung 
annehmen  wollen.  Es  muss  uns  übrigens  nicht  wunder  nehmen, 
dass  sich  hervorragende  gelehrte  durch  etymologische  er- 
wägungen  irreführen  Hessen,  wenn  es  sich  um  eine  vergangene 
Sprachperiode  handelte.  Man  bedenke,  zu  welchen  falschen 
Vorstellungen  ähnliche  etymologische  annahmen  einen  geborenen 
Niederländer  in  der  beurteihmg  der  eigenen  muttersprache  ge- 
führt haben:  heisst  es  doch  im  Woordenboek  der  Nederlandsche 
taal  s.v.  halen,  das  wort  sei  in  der  bedeutung  'doen  komen' 
noch  in  vielen  fällen  'volmaakt  synoniem  met  roepen  of  onthieden\ 
Wer  nur  ein  bischen  ndl.  Sprachgefühl  hat,  weiss,  dass  zwischen 
halen  und  roepen  die  grenze  ebenso  scharf  als  zwischen  holen 
und  rufen  zu  ziehen  ist. 

Ferner  muss  hervorgehoben  werden,  dass  man  die  bedeu- 
tungsentwicklung  von  holen  zu  einseitig  betrachtet,  wenn  man, 
wie  es  gewöhnlich  geschieht,  von  dem  begriff  'herbeiholen, 
herbeischaffen'  ausgeht  und  nur  diesen  berücksichtigt.  Es 
gibt  noch  eine  reihe  von  anderen  bedeutungen,  die  man  nicht 
ausser  acht  lassen  darf.  Ich  erinnere  nur  an  engl,  to  hale,  to 
haut,  an  die  mannigfaltigen  Verwendungen  von  halen  im  ndl., 
die  z.  t.  mit  dem  engl.,  z.  t.  mit  dem  hd.  gebrauch  überein- 
stimmen. Ferner  kommen  noch  ausser  dem  ahd.  die  übrigen 
altgermanischeu  sprachen  in  betracht:  aus  dem  as.  und  afries. 
lässt  sich  vieles  für  die  erklärung  unserer  wurzel  beibringen. 
Ich  glaube  daher,  dass  die  ansieht,  ahd.  halön,  holö7i  heisse 
'rufen',  auf  einer  oberflächlichen  beobachtung  der  tatsachen 
beruht,  dass  also  die  etymologische  frage  einer  neuen  Unter- 
suchung bedarf.  Nur  aus  einer  neuen  prüfung  der  beispiele 
in  allen  germanischen  sprachen  wird  sich  ergeben,  ob  die  her- 
kömmliche deutung  von  holen  stichhaltig  ist  oder  nicht. 

Was  ist  nun  die  ursprüngliche  bedeutung  von  holen?  ]V[it 
dem   ganz   allgemeinen  begriff   'herbeiführen,  herbeischaffen' 


DIE   ETYMOLOGIE   VON   HOLEN,  649 

kommt  man  nicht  ans:  eine  so  unbestimmte  Vorstellung  lässt 
sich  wol  aus  den  einzelnen  bedeutungen  erschliessen;  dass  sie 
aber  die  ursprüngliche  sei,  wird  dadurch  nicht  einmal  wahr- 
scheinlich. Ungemein  wichtiger  sind  die  nebenbedeutungen, 
die  nebeubegriffe,  welche  mit  dem  hauptbegriff  verbunden  er- 
scheinen und  uns  gewissermassen  die  müglichkeit  geben,  den 
ursprünglichen  vorstellungskreis  festzustellen,  in  den  das  wort 
eigentlich  hineingehört.  Für  unser  wort  hat  E.  Hildebrand 
(vgl.  oben  s.  547)  'die  anstrengung'  als  den  'kern  des  begriffs' 
bezeichnet.  Seine  ausführungen  beruhen  offenbar  nur  auf 
dem  mhd.  und  nhd.  Werden  aber  die  übrigen  germanischen 
sprachen  mit  herangezogen,  so  tritt  uns  desto  deutlicher  die- 
selbe Vorstellung  der  anstrengung,  des  sich  mühe  gebens,  des 
gewaltigen  kampfes  entgegen.  Ahd.  Otfr.  IV  12,  61  flg.  Er 
[Christus]  ciuam  so  risi  hera  in  laut  joh  krefÜger  yigant;  in 
einwigi  er  nein  streivita,  ther  richi  sinaz  darota;  then  furiston 
therera  ivorolü  notagan  giJtoloti,  in  hant  inan  gilegiti,  er 
furdir  uns  ni  deriü.  Die  Vorstellung  ist  hier,  als  sei  Christus 
ein  gewaltiger  kämpfer,  der  ganz  allein  {in  sines  eisten  Jcrefti, 
oben  60;  weil  die  jünger  geflohen  sind)  seinen  gegner  über- 
windet und  gefangen  nimmt.  Weniger  ausgepi'ägt,  aber  immer 
mit  dem  nebenbegriff  einer  gewissen  anstrengung  (Joh.  20,  15 
ego  euni  tollam)  Otfr.  Y  7,  51  ih  giagaleizon  . . . ,  tlias  ih  inan 
giJwlon  thar  (nämlich  den  toten  Christus). 

As.  Hei.  (Heyne  ^)  2559—2561  is  jiingron  . . .  quaäim  tliat 
sia  tliar  iveldin  human  mit  kraftu  endi  losian  tliat  Tcrud  thanan, 
lialon  it  mid  iro  Jiandon;  2568 — 2569  tJian  faran  wi  thar  alla 
tuo  halon  it  [nl.  that  Tirud\  mid  -usson  Jiandon.  Hier  ist  halon 
'  Unkraut  ausreissen',  also  mit  kraft  und  anstrengung  reissen, 
ziehen.  1159 — 1161  Also  git  Jiir  an  lordanes  ströme  fisJcos 
gifahad,  so  shidun  git  noh  firiho  harn  halon  te  inJcun  handun. 
Der  parallelismus  mit  fähan  'fangen'  und  mit  der  oben  an- 
geführten stelle  aus  Otfr.  IV  12,  61  {notagan  giholoti)  ergibt 
hier  auch  die  leiblich  gedachte  Vorstellung  eines  gewaltigen 
ergreifens  {te  inhun  handun). 

Afries.  mith  compe  halia  'durch  richterlichen  Zweikampf 
erhalten'  (zw^eimal  belegt  in  v. Eichthofen,  Afries.  wb.);  en  raff 
hallath  v.  Eichthofen,  Afries.  rechtsquellen  210,4  '(wenn  ein 
mann)  einen  raub  holt,  d.h.  etwas  raubt';  halath  . . .  en  fiar- 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    XXXIII.  36 


550  MANSION 

fote  quic  39, 16  'ein  vierfüssiges  stück  vieli  lioltj  d.  li.  wegführt, 
raubt'.  Diese  ausdrücke,  die  sich  auf  den  richterlichen  Zwei- 
kampf, auf  die  raub-  und  plündersitten  der  alten  Germanen 
beziehen,  müssen  ohne  zweifei  als  sehr  alt  betrachtet  werden. 

In  der  späteren  spräche  bleiben  dieselben  nebenbegriffe 
lebendig.  Mhd.  Gudrun  135,  3  er  holte  hi  dem  häre  ivol  drizic 
in  die  ünde.  Mengl.  Laj.  16709 — 16712  toutvard  Hengest  he 
leop,  swulc  it  a  liun  weore,  and  igrap  hine  hi  pan  toppe  & 
hine  cefter  htm  halede.^) 

Mndl.  hi  erachte  halen  'buit  maken'  inhalen  'rooyen'  (Ver- 
wijs  en  Yerdam,  Middelnederlandsch  "Woordenboek  unter  halen). 

Xndl.  Het  onJcriiid  uit  den  grond  halen  V.  Dale;  uyt  't 
hoofd  de  haeiren  haelen;  De  oogen  uit  den  Iwp  halen  (vgl. 
Woordenboek  d.  Ndl.  taal  unter  holen  iii). 

Nndd.  He  hol  [=  holte]  hum  de  här  üt  de  hop  (ten  Doorn- 
kant  Koolman,  Wb.  der  ostfr.  spräche,  Norden  1879 — 84,  unter 
holen). 

Letztgenannte  beispiele  zeigen  uns  eine  schlagende  Über- 
einstimmung mit  der  bedeutung  'ausreissen'  im  as.  hud  halon. 

Es  steht  also  fest,  dass  wir  schon  in  den  älteren  belegen 
der  Wurzel  von  holen  den  hauptbegriff  mit  den  nebenvorstel- 
lungen  'gewalt',  'anstrengung'  u.s.w.  verbunden  finden,  welche 
von  haus  aus  mit  dem  sinn  'laut  schreien,  clomare^  nicht  zu- 
sammenzugehen pflegen.  Wie  gesagt,  ist  in  den  altgermanischen 
sprachen,  ausser  dem  ahd.,  kein  einziges  beispiel  vorhanden, 
woraus  man  die  bedeutung  'vocare'  für  halön  u.s.w.  mit  Sicher- 
heit herleiten  könnte.  Im  ahd.  selbst  ist  diese  bedeutung  auf 
diejenigen  schritten  beschränkt,  welche  von  lateinisch  gebildeten 
mönchen  herrühren.  Da  die  bedeutung  'rufen'  also  nur  auf 
der  etymologie  beruht,  da  es  sich  gerade  darum  handelt,  diese 
etymologie  zu  prüfen,  wii'd  man  doch  eingestehen  müssen,  dass 
es  keinen  zwingenden  gruud  gibt,  von  dieser  sehr  wenig  ver- 
breiteten bedeutung  auszugehen.  Als  ausgangspunkt  empfiehlt 
sich  dagegen  eine  andere  viel  weiter  verbreitete  anwendung 
der  W'Urzel.  Lassen  wir  das  hd.  beiseite,  und  wenden  wir  uns 
den  übrigen  germanischen  sprachen  zu,  so  heisst  es  ndl.  holen 


1)  Dass  mengl.  hälien  nicht  aus  dem  franz.  entlehnt  sei ,  habe  ich  zu 
beweisen  versucht  in  einem  in  den  Melanges  Godefroid  Kurth  (Liege  1908) 
erscheinenden  aufsatz. 


DIE   ETYMOLOGIE   VON  HOLEN.  551 

Hrekken'  (V.  Dale),  miidl.  lialen  'trekken'  (Verdam,  Mndl. 
"W.boek)'),  engl,  io  hale,  später  to  haul  'to  draw  or  pull',  dän. 
hale,  schwed.  lidla  'ziehen'.  Ausser  dem  germ.  sind  noch  zu 
erwähnen:  franz.  lialer  'ziehen,  schleppen'  und  zahlreiche  ent- 
sprechende verben  in  anderen  roman.  sprachen:  span.  halar 
u.  s.  w.  Dass  die  romanischen  sprachen  die  Wörter  haier,  Jialar 
u.  s.  w.  aus  dem  germ.  entlehnt  haben,  dass  fürs  englische  eine 
entlelmung  aus  dem  franz.  2),  für  die  nordischen  sprachen  aus 
dem  ndd.  möglich  oder  sogar  wahrscheinlich  ist,  macht  eigent- 
lich nichts  zur  sache,  da  es  sich  weder  um  junge  entlehnungen, 
noch  um  neuentstandene  bedeutungsentwicklungen  handelt. 
Die  bedeutung  'ziehen'  ist  für  die  wurzel  hal-,  hui-  schon  in 
alter  zeit  belegt  und  in  den  verschiedensten  germanischen 
und  sogar  nicht  germanischen  sprachen  weit  verbreitet.  Dass 
sie  wirklich  die  ursprüngliche  sei,  will  ich  nunmehr  zu  be- 
weisen versuchen. 

A)  Germ.  *hal-,  *hul-  heisst  allgemein  'ziehen'. 
1)  Es  kommen  in  betracht  die  oben  s.  549  angeführten 
beispiele.  As.  Irüd  halon  'ausreissen'  (Hei.  2561  und  2569,  s. 
oben  s.  549).  Entsprechend  im  ndl.:  onh-uid  uit  den  grond 
halen\  de  oogen  uit  den  hop  lialen.  Aehnlich  im  ndd.  (ostfries.): 
de  Jiär  lU  de  Tcop  hälen.  Fürs  hochdeutsche  möchte  man  ge- 
neigt sein,  die  bedeutung  'ziehen'  in  abrede  zu  stellen:  holen 
in  der  Schiffahrt,  an  einem  tau  oder  seil  ziehen,  ist  sehr  wahr- 
scheinlich ndd.  entlehnung.  Aber  einige  beispiele  aus  der 
älteren  spräche  weisen  deutlich  auf  den  begriff  'ziehen'  hin. 
Kotker,  Mart.  Cap.  I  13  (Piper  I  711,  20  flg.)  Nam  flamma  .  . . 
ab  ipsius  kacauminis  exanclata  .i.  exhausta  fomitibus  ex  ferri 
predicta  anhelebat  urna.  üser  demo  iseninen  eimherine  ddz 
ten  siinier  hezeichnet.  slüog  taz  heiza  fiur  hehöletez  üzer  dien 
zinselöden  seiher 0  dero  scddeli  'das  feuer  geholt,  gezogen  aus 
der  hitze  der  spitze  selber '.3)    Besonders  wichtig  ist  das  bei- 

')  Van  Dale  wie  Verdam  gibt  die  bedeutung  'ziehen'  als  haupt-  und 
grundbedeutung  von  lialen  an.  Im  Woordenboek  der  Nederl.  taal  dagegen 
Avird  von  der  bedeutung  'rufen'  ausgegangen,  wozu  viele  anweudungen  von 
halen  sicli  nicht  bequemen. 

^)  Wie  oben  s.  550  bemerkt,  glaube  ich  nicht  an  eine  entlehnung  von 
mengl.  hülien  aus  franz.  haier. 

^)  N.  scheint  kacauminis  (corrupte  lesart)  als  cacuminis  'spitze'  auf- 
gefasst  zu  haben. 

36* 


552  MANSIOl? 

spiel  mild.  Gudrun  135, 3  er  holte  hl  dem  liäre  ivol  drizic  in 
die  ünde.  Hier  ist  wol  kein  zweifei  daran  möglich,  dass  es 
im  mild,  eine  bedeutung  'ziehen'  für  holn  gegeben  hat.  Und 
in  solchen  beispielen  wie  mhd.  süft  lioln,  nhd.  atem,  liift  Jiolcn 
(ndl.  adem  holen)  muss  daher  holen  als  gleich  'ziehen'  auf- 
gefasst  werden.  Im  mndl.  gilt  für  Verdam  (Mndl.  Woorden- 
boek)  die  bedeutung  'ziehen'  als  hauptbedeutung:  nicht  nur  in 
der  Schiffahrt  (dat  seil  halen),  sondern  auch  sl  dedet  aenhalen 
(das  rohrkästchen,  worin  Moses  ausgesetzt  war).  Aus  dem 
mengl.  kann  man  sehr  zahlreiche  beispiele  anführen.  Lajam. 
16709  flg.  tomvard  Hengest  he  leop  . . .  and  hine  cefter  hine  halede 
=  hier  'schleppen'.  Für  die  neuere  sprachperiode  sind  die  be- 
lege im  engl,  und  ndl.  wol  überflüssig  (über  ndl.  halen  'trekken' 
sehr  zahlreiche  und  mannigfaltige  beispiele  im  AV.boek  der  Ndl. 
taal  unter  halen  iii).  Nndd.  (ostfries.)  häl  dat  schip  an  de 
wdl,  ten  Doornkaat  Koolman,  Wb.  d.  ostfries.  spräche. 

2)  Eine  eigentümliche  abart  der  bedeutung  'ziehen'  er- 
scheint in  der  Zusammensetzung  mit  über,  welche  den  sinn 
hat  'über  einen  fluss  setzen',  'herüberbringen',  eigentlich  'zu 
sich  herüberziehen'.  In  demselben  sinn  findet  man  auch  holen 
ohne  über.  Aus  dem  imperativ  halö  aus  halön  würde  nach 
E. Hildebrand  (Zs.  f.  d.  d.  Unterricht  a.a.O.)  der  ausruf  hola,  hailoh 
entstanden  sein.  Mhd.  Nu  hol  mich  hie  verge  Nib.  1490,2;  daz 
in  der  schifman  überholte  Flore  3516  (nach  Benecke- Müller). 
In  derselben  bedeutung  sagt  man  mndl.  overhalen.  Das  mengl. 
liefert  auch  ein  beispiel  S.  Cristoph  86  Ä  voiz  come  &  gradde, 
hole  hale!  ])at  he  him  over  ladde.  Aus  dem  ndd.  kann  man 
anführen:  häl  öiver!  ruft  man  dem  fährmann  (F.  Woeste,  Wb. 
d.  westfälischen  mundart).  —  Hierher  scheint  auch  ein  bild- 
licher gebrauch  derselben  Zusammensetzung  zu  gehören,  näm- 
lich ndl.  overhalen,  ostfries.  (ten  Doornkaat  Koolman)  aferhälen 
'überreden',  eigentlich  'zu  einer  andern  meinung  ziehen,  herüber- 
bringen', 

3)  In  engem  Zusammenhang  mit  dem  begriff  'ziehen'  steht 
die  bedeutung  'anziehen,  eine  anziehungskraft  ausüben'.  Schon 
im  ahd.  Otfr.  I  1, 118  (Krist)  ther  sie  [nämlich  die  Franken] 
^imo  holeta,  zi  giloubon  sinen  ladota  'Christus,  der  die  Franken 
an  sich  zog,  zu  seinem  glauben  lud'.  Natürlich  kann  man  hier 
holen  als  'rufen'  verstehen  und  eine  vollkommene  synonymie 


DIE  ETYMOLOGIE  VON  HOLEN.  553 

mit  laäön  annehmen.  Aber  diese  auffassung  ist  gar  nicht 
notwendig:  in  der  cliristlichen  spräche  wird  die  wirknng  der 
gnade  bald  als  die  einer  fast  unwiderstehlichen  kraft,  bald  als 
eine  blosse  einladung  vorgestellt^)  As.  Hei.  4169  flg.  Jnvand  Jie 
gihaloda  mid  tliiu  heäina  liudi  iveros  an  is  tvilleon  'denn  er 
zog  dadurch  die  heidnischen  Völker,  die  leute  an,  nach  seinem 
willen'.  Mndl.  aenlialen  'door  vriendelijkheid  en  voorkomen- 
heid  tot  zieh  trekken'  (Verdam);  ivies  diese  daertoe  haelde  = 
'lockte'  Wap.  M.  I  904.  Ebenso  mengl.  Jidlien  =  'draw,  attract' 
(Stratmann'').  Selbst  wenn  das  mengl.  verbum  entlehnt  wäre, 
so  bleibt  doch  der  parallelismus  mit  den  übrigen  beispielen 
bestehen,  da  der  ausgangspunkt  jedenfalls  die  bedeutung 
'ziehen'  ist. 

B)  Holen  bedeutet  in  einer  reihe  von  fällen  'mit  sich 
ziehen  oder  schleppen,  gewaltsam  fortführen,  rauben'.  Das 
oben  s.  550  angeführte  beispiel  aus  Lajamon  16709  hine  cefter 
him  Miede  weist  schon  eine  sehr  nahe  verwante  bedeutung  auf. 

1)  Mit  dem  teufel  und  anderen  ungeliebten  personen  als 
subject.  Mndl.  ic  woudse  de  duvel  moesten  halen  (Verdam). 
Nhd.  der  teufel,  der  henher,  die  pest  hole  dich  (Grimm,  DWb.). 
Nndl.  de  drommel,  de  duivel,  enz.  haaVje  (Wb.  d.  Ndl.  taal  u.s.w.). 
Nnd.  ostfries.  de  diifel  schal  dt  hellen. 

2)  Weniger  ausgeprägt  tritt  der  begriff  des  gewaltsamen 
fortreissens  hervor  in  ähnlichen  beispielen,  wo  holen  mit  gott 
als  subject  gebraucht  wird. 

As.  Genes,  (ausg.  Heyne*)  135  ac  so  gihaloda  ina  hier  he- 
danas  waldand  endi  ina  tliar  gisetta  . . .  und  so  (vgl.  133.  134 
quiJcana,  lihhiendan  an  it  lichaman),  d.  h.  lebend,  in  voller  lebens- 
kraft  holte  ihn  [EnochJ,  führte  ihn  fort  der  herr  des  himmels 
und  versetzte  ihn  dahin  (wo  er  immer  in  wonne  leben  soll 
U.S.W.).  Ich  glaube,  dass  die  haudlung  noch  deutlich  gewaltsam 
gedacht  wird. 

Mndl.  Walewein  3146—3148  (vgl.  Verdam  unter  halen)  ic 
ivists    Gode    danc   vele   meer,   hadsoe   ghelevet   Dan   hise  noch 


1)  Man  vergleiche  den  folgenden  .satz  aus  einem  modernen  erbauungs- 
büchlein:  'wenn  Gott  nns  rnft,  uns  zieht,  dem  zuge  der  gnade  folgen 
mit  der  einfalt  eines  kindes  . . . '  T.  Pesch,  Der  christ  im  weltleben,  15.  auü., 
s.  334  (Köln,  Bachern). 


554  MANSION 

ghehaelt  hevet.    Haien  =  hier  noch  deutlich   'hinreissen',   die 
Vorstellung  ist  die  des  todes  als  beraubung. 

Nndl.  ik  ivoti  dat  OnselieveJieertje  mij  maar  haalde  (Wb.  d. 
Ndl.  t.)  hat  nicht  mehr  den  gleichen  sinn:  es  ist  gemeint  'dass 
gott  mich  zu  sich  aufnähme,  abholte'.  Dem  hd.  Sprachgebrauch 
scheint  diese  anwendung  von  liolen  fremd  zu  sein. 

3)  Holen  mit  weib,  braut  u.  s.  w.  als  object  heisst  heiraten, 
zur  frau  nehmen.  Der  ausdruck  wird  wol  ohne  zweifei  auf  eine 
ursprüngliche  gewaltsame  brautraubsitte  zurückzuführen  sein. 

Ahd.  Tat.  29,  2  tliie  thar  tliie  furlazanun  halot,  Jiuorot  = 
Mt.  5,  32  qui  dimissam  duxerit,  adulterat;  79, 1  halota  sia  (Mc. 
6, 17  duxerat  eam). 

127,3  noJi  quenun  ni  höhnt  (Lc.20, 3^  neque  ducunt  uxores); 
100, 5  ther  thia  forlazzanun  gihalot  (Mt.  19,  9  qui  dimissam 
duxerit). 

As.  Hei.  301 — 302  ni  welda  sia  imo  te  brudi  tJio  Jialon,  imo 
ti  Jiiwon. 

Afries.  en  wif,  ene  breyd,  froiva  u. s.w.  halia  =  heiraten. 

Mndl.  doe  icse  haelde  (nl.  de  hruid)  Walew.  3161. 

Nhd.  sich  eine  frau  holen  (Grimm,  DWb.).  Nndl.  eene  hruid, 
eene  vromv  halen. 

In  allen  diesen  fällen  wird  holen  empfunden,  als  sei  die 
bedeutung  nicht  'rauben',  sondern  heimfähren,  abholen.  Schon 
afries.  (v.  Elchth.  98, 17  flg.)  hiversa  ma  tvif  halat  müh  hörne 
andmith  lüde  u.s.w.  'wenn  man  eine  frau  mit  hornblasen  und 
mit  klang  und  schall  heimführt'.  Diese  auffassung  kann  doch 
nur  als  eine  umdeutung  des  ursprünglichen  brautraubes  be- 
trachtet werden. 

4)  Eine  bedeutung  'gewaltsam  abbringen,  fortführen'  ist 
noch  aus  der  neueren  sprachperiode  zu  belegen.  Nhd.  da  holeten 
sie  Simson  aus  dem  gefengnis  (Richter  16,  25,  Luthers  übers., 
—  vgl.  Grimm,  DWb.).  Nndl.  iemand  uü  zijn  huis  halen,  door 
Gendarmes  uit  zijne  ivoning  gehaald  ivorden  (Wb.  d.  Ndl.  t.). 
Nndd.  ostfries.  si  holen  hum  fürt  'bringen  ihn  fort'  (Wb.  d.  ostfr. 
spr.);  vgl.  afries.  415, 17  soe  aeghma  oen  to  faren,  ende  da  wr- 
heergens  of  to  haliane. 

5)  In  den  vorigen  beispielen  war  das  gewaltsame  fort- 
reissen,  das  mit  sich  fortführen,  fortschleppen  die  hauptsache. 
Der  bedeutung  'fangen'  liegt  dieselbe  Vorstellung  des  an  sich 


DIE   ETYMOLOGIE   VON   HOLEN.  555 

reissens  zu  gründe,  aber  der  begriff  der  gewaltsamen  besitz- 
ergreifung  tritt  hier  in  den  Vordergrund  und  bildet  den  Über- 
gang zu  der  bedeutung  'bekommen,  erlangen'.  Schon  angeführt 
sind  as.  Hei.  1160—1161  firilio  harn  halon  'menschenkinder 
fangen'  und  ahd.  Otfr.  IV  12,  63  then  furiston  therera  tvorolti 
notagnn  giholoti  (oben  s.  549).  Ebenso  bedeutet  das  mndl.  com- 
positum in-halen  'gevangen  zetten'  (Verdam),  und  so  scheint 
auch  das  afries.  inhalia  'überführen'  aufzufassen  zu  sein:  395, 
8 — 9  liit  ne  se  dat  Imn  di  sclielta  mitta  iiuge  in  hcdia  ivil  'wenn 
ihn  nicht  der  schulze  mit  zeugenbeweise  überführen  [eigentl. 
fangen,  bändigen]  (lat.  convmcere)  will'. 

C)  Mit  einem  sachnamen  als  object  heisst  holen  u.  s.  w.  'zu 
sich  ziehen,  an  sich  reissen,  rauben'  (vgl.  den  vorhergehenden 
abschnitt).  Daher  hat  Jialön  und  besonders  das  compositum 
gilialön,  giholon  in  der  älteren  spräche  die  allgemeine  bedeu- 
tung 'erwerben,  erlangen,  bekommen'. 

1)  Die  ursprüngliche  Vorstellung  ist  die  des  raubes,  des 
gewaltsam  erlangten  besitzes.  Darauf  hin  weisen  die  schon 
oben  angeführten  ausdrücke:  afries.  raf  halia,  mit  compe  licüia, 
mndl.  hi  erachte  halen  u. s.w.  Dazu  kommt  noch  afries.  236, 17 
hiversa  . . .  inna  others  lond  . . .  sada  halat  iefta  elay  'gras 
oder  lehm  holt,  d.  h.  raubt,  stiehlt'.  Nndl.  roof,  huit  halen 
(W.boek  d.  Ndl.  taal)  U.S.W.  Mndl.  onthalen  'weglmlen,  weg- 
nemen,  outrooven,  dikwijls  met  het  bijdenkbeeld  dat  dit  met 
moeite  gepaard  gaat,  iemand  iets  afhalen,  het  hem  ontwringen. 
Kil.  auferre'  (Verdam).  Weiter  sind  noch  zu  eitleren:  mhd. 
jJris  hohl  =  mndl.  prijs  halen,  mhd.  die  dventiiire  hohl  Parz. 
617,29  =  'sie  bestehen';  siver^  da  guot  geivan,  der  holte  ez 
unsanfte  Gudr.  1437,  3  'welcher  von  beiden  auch  siegen  mochte, 
dem  kostete  es  grosse  anstrengung'  E.Martin,  in  loc. 

2)  Dieselbe  Vorstellung  einer  gewaltsamen  anstrengung, 
eines  mühevollen  ringens  verbindet  sich  auch  mit  holen,  auch 
da,  wo  das  erlangte  als  durchaus  nicht  wünschenswert  gedacht 
wird.  Da  wird  in  spottender  Ironie  der  kleinliche  erfolg  dem 
mühsamen  streben  entgegengesetzt.  Auch  wird  es  uns  nicht 
wunder  nehmen,  wenn  dieser  gebrauch  von  holen  schon  sehr  alt  ist. 

Aengl.  Cur.  Past.  209  '. . .  äcßt  hie  öonne  hcehhen  mid  äy 
scame  geholode  (Cotton  hs.  geholude)  . . .  that  they  have  only  got 
disgrace  therehy'  Sweet  (einziger  beleg  für  holen  im  aengl.). 


556  MANSION 

Mild,  di  lieren  von  Indiä  di  lioleten  grözen  scaden  da  L. 
Alex.  4563 — 64:  er  holt  och  an  ir  letze  en  tot  Parz.  205,  12; 
des  holte  maneger  da  den  tot  Nib.  1362,4;  Mndl.  Daer  menech 
haelde  grote  scande  (Verdam). 

Nhd.  Zu  holen  ist  hier  nichts  als  beulen  Goethe  (s.  DWb. 
unter  holen). 

3)  Die  nebenvorstellimg  von  kraftaufwand,  von  gewaltsamer 
anstrengung  erscheint  in  vielen  beispielen  nicht  besonders  aus- 
geprägt; zuweilen  ist  sie  gänzlich  verschwunden.  In  solchen 
fällen  heisst  holen  'erwerben,  erlangen,  bekommen'  ohne  weiteres. 

Ahd,  Tat.  90,  5  oha  her  alle  werlt  in  cht  gihalot]  Mt.  16,  26 
mundum  Universum  lucretur;  151, 5  thin  mna  gihalota  zehen 
mnas]  Luc.  19, 16  decem  mnas  adquisivit;  Otfr.  III 11,  27.  &i 
thiu  giholota  siu  thar  . . .  thera  dohter  thaz  guat  'das  gut  (d.  h. 
die  heilung)  verschaffte'  (von  der  kananäischen  frau,  vgl.  Mt. 
15,  22  flg.);  III  20,  72  thaz  Höht  thir  heim  giholota  {holota  F). 

As.  gihalon  hefjanrihi,  himilrihi,  hiniiles  rlJci  (Hei.  1840. 
2367.  3260). 

Mhd.  den  pris,  den  hört  holn;  mit  dienste  geholt  =  'ver- 
dient'; lere  holn  =  nndl.  les  halen;  SLiich.  heholn,  crhohi,  geholn, 
verholn  =  'erlangen,  bekommen'. 

Mndl.  pardoeti  hehalen  'aflaat  bekomen';  jpn)'.s  Juden. 

Nhd.  huchiveizen  . . .  holte  36  thlr.  hanco  (DWb.). 

Xndl.  Er  is  daar  niets  te  halen.  Gewöhnlicher  ist  die 
Zusammensetzung  hehalen  'bekommen'.  Auch  bedeutet  halen 
'erreichen':  den  oever,  de  haven  halen  'bereiken'  u.s.w.  (Wb. 
d.  Ndl.  taal). 

4)  Hier  mögen  einige  ausdrücke  zusammengestellt  werden, 
die  sich  auf  die  richterliche  spräche  beziehen.  Gleichwie  die 
römische  occiqmtio  auf  eine  gewaltsame  besitzergreifung  hin- 
weist, so  bewegen  sich  auch  die  altgermanischen  ausdrücke  für 
'richterlich  auffordern  oder  erlangen'  in  dem  vorstellungskreis 
von  holen  'reissen,  rauben,  fangen'. 

Schon  angeführt  ist  das  afries.  mith  compe  halia.  Häufig 
belegt  findet  man  auch  mith  ethum  halia  'mit  eiden  erlangen'. 
—  Ebenso  mndl.  . . .  mit  sinen  eede  halen  mochte  ende  winnen 
op  den  ghcnen,  daer  hise  op  eisschet  (Verdam).  Weiter  aenhalcn 
=  'aanhouden,  in  beslag  nemen'  (brieven,  geid);  af halen  'boeten 
invorderen':  inhalen  'renten  innen'. 


DIE  ETYMOLOGIE  VON   HOLEN.  557 

Mhd.  cm  guot  nfJiohi  'praedium  revindicare  sibi';  D6  Jiolten 
die  degcre  ir  1ms  iif  mit  urteil  an  gerillte  (Lexer). 

D)  Wir  kommen  jetzt  zu  der  anwendung  von  holen,  lialen, 
welche  im  nhd.  und  im  nndl.  wol  als  die  wichtigste' empfunden 
wird,  nämlich  zu  dem  begriff  'zu  sich  kommen  lassen,  herbei- 
bringen, herbeischaffen'.  Wie  sich  diese  bedeutung  aus  dem 
sinn  'ziehen'  entwickelt  hat,  kann  man  sich  an  dem  gebrauch 
von  engl,  to  Imul  up  veranschaulichen.  Dieser  ausdruck  lieisst, 
laut  dem  N.E.D.  'to  bring  up  for  a  reprimand,  to  call  to  ac- 
count',  also  eigentlich  einen  widerspenstigen  zu  sich  ziehen 
oder  schleppen.  Dass  diese  Zwischenstufe  zwischen  blossem 
'ziehen'  und  'herbeiholen'  wirklich  existiert,  beweist  uns  das 
mndl.  onthalcn  'iemand,  een  ambtenaar,  een  getuige,  ergens  bij- 
halen  of  oproepen',  das  also  vollständig  mit  to  haut  up  über- 
einstimmt. Und  ich  zweifle  nicht  daran,  dass  wir  an  verschie- 
denen stellen  von  Tatian  für  ahd.  gihalön  dieselbe  nüance 
anzunehmen  haben. 

1)  Tat.  99,  4  Tho  gihalota  inan  sin  Jierro  (Mt.  18,  32  tuuc 
vocavit  illum  dominus  suus:  es  handelt  sich  um  den  knecht, 
der  seinen  mitknecht  ins  gefängnis  hat  werfen  lassen)  i);  108, 1 
Inti  gihalota  inan  inti  quad  imo  (Lc.  16,  2  et  vocavit  illum  et 
ait  illi:  der  ungerechte  Verwalter  wird  zur  Verantwortung 
gezogen)."-)  Vielleicht  auch  Tsüt.  212,  b  gihalotemo  u-altamhahte 
=  accersito  centurione.  Ursprünglich  scheint  also  die  bedeutung 
gewesen  zu  sein:  'zu  sich  schleppen:  gewaltsam  zu  sich  kommen 
lassen'.  Dass  der  nebenbegriff  'gewaltsam'  so  verblasste,  dass 
schon  ahd.  halön,  holön  einfach  'zu  sich  kommen  lassen'  heisst, 
darf  uns  ebensowenig  wunder  nehmen,  als  die  ähnliche  ver- 
blassung von  gihalön  'rauben,  gewaltsam  erlangen',  später 
einfach  'bekommen';  oder  der  ganz  parallele  Vorgang  in  er- 
rungenschaft,  wo  der  begriff  des  ringens  gewöhnlich  gar  nicht 
mehr  empfunden  wird. 

2)  Holen  'zu  sich  kommen  lassen',  wird  während  aller 
Sprachperioden  massenhaft  gebraucht.  Die  meisten  ahd.  bei- 
spiele  werden  später  angeführt,  da  sie  als  Übersetzung  von 
lat.  vocare  vorkommen.  Sonst  kann  man  noch  eitleren:  ahd. 
Otfr.  IV  4,  6  tha2  sie  . . .  imo  einan  esil  holetin  {giholotin,  holotin 

')  Ebenso  halota  Monsee  fragm.  (ausg.  Hench)  12, 17. 

^)  lieber  die  widergabe  von  vocare  durch  halön  ii.s.w.  siehe  unten. 


558  MANSION 

andere  liss.  [vgl.  Mt.  21,  2]).  As.  Hei.  3229—3230  lialo  tJii  thar 
oäran  to  goäaro  gumono  (Mt.  18, 16  adhibe  tecum  adhuc  iinum 
Tel  duos);  3794  gihalodan  te  lielpu  tlies  heroston  man  Erodeses 
tJicgan.  —  Afries.  156,24  halia  sinne  ncsta  sit  'seinen  nächsten 
gefälirten  holen';  156,  27  halath  ma  tlia  Jcocar;  206, 13.  30  ihene 
papa\  232,  25  thene  prester  'die  liocar  (gew.  gerichtspersonen) 
den  pf äffen,  den  priester  holen'.  Aehnliche  belege  im  mhd., 
nhd.,  mndl.  und  nndl. 

3)  Mit  einem  sachnamen  'herbeischaffen'.  Ahd.  muas 
Jiolön  (Otfr.  II  14, 11);  tvazares  giholön^)  (id.  II  14, 14).  Notker, 
Beet.  III  70  (Piper  1 175, 27—31)  Nunc  superest  ut  agnoscas, 
unde  possis  hanc  veram  petere  ...  so  habest  tu  nü  sebechen- 
nenne  uuär  du  sia  hölön  sülist.  —  As.  hröd  halon  Hei.  2852. 
Ebenso  im  mhd.,  mndl.  u.s.w. 

Zuletzt  lasse  ich  eine  reihe  von  bedeutungen  folgen,  welche, 
obwol  weniger  verbreitet  und  offenbar  ans  den  vorigen  abzu- 
leiten, doch  erwähnenswert  scheinen. 

a)  Bringen.  Im  DWb.  wird  der  unterschied  von  holen 
und  bringen  folgendermassen  charakterisiert:  ^ Holen  heisst  all- 
gemein zu  sich  kommen  machen  ...  im  gegensatze  von  bringen, 
das  zwar  manchmal  an  holen  rührt,  dessen  grundbedeutung 
aber  nur  bewegen  und  überliefern  von  einem  orte  zum  andern 
schlechthin  bezeichnet,  während  bei  holen  der  eigene  wille  des 
subjects  und  eine  vorgängige  bewegung  an  den  ort,  wo  das 
object  sich  befindet,  verstanden  wird.' 

Ahd.  Tat.  133, 13  thiu  [scaf\  gilimphent  mir  zi  halonne  = 
Joh.  10, 16  illas  oportet  me  adducere. 

Afries.  180,18  halath  hit  aeng  mon  'bringt  irgend  ein 
mensch  es  herein  . . . '  (nl.  lith  'ein  verbotenes  getränk'  [?] ). 
]\[nl.  inhalen  'binnenbrengen,  terugvoeren'.  Hierher  scheinen 
auch  zu  gehören  die  begriffe  ein-,  ab-holen,  ndl.  inhalen,  ont- 
halen,  eigentl.  'einbringen,  oder  von  einem  gewissen  pnnkt  ab 
bringen'  (ont-  =■  ab-).  Uebrigens  scheint  holön  ahd.  die  be- 
deutung  'empfangen'  (ndl.onthalen)  zu  haben:  Otfr.  V 20, 69 — 70 
richi,  thaz  er  garota  ...  er  iuih  thara  holoti  'damit  er  euch  darin 
empfinge,   eigentl.   dahin  führte'.    Tat.  152,  3   ili  ivas  gast  inti 


0  Hier  vielleicht  noch  'zieheu':  franz.  tirer  de  l'eau  (d'un  puits),  lat. 
(Joh.  4, 7)  haurire  ag^uam. 


DIE   ETYMOLOGIE  VON   HOLEN.  559 

xr  halohd  mih\  Mt.  25,  35  collegistis  me;  lh2,  4  gihalotunmes  = 
collegiinus;    152, 6  ni  gihalotut  mih  =  non  collegistis  me. 

ß)  Betten.  Aus  einer  gefährlichen  oder  irgendwie  bösen 
läge  herausziehen,  befreien,  erretten,  heisst  holen  in  ein  paar 
beispielen.  As.  Hei.  4924  halon  fan  hclliu  an  Mmilrihi.  Ahd. 
Isid.  (ausgäbe  Heuch,  QF.  72)  43,  8  wir,  dhea  Christ  chihaloda... 
=  lat.  redempti. 

y)  Erheben.  Ludwigslied  4  Holoda  inan  truhtin  magaczogo 
warth  her  sin  'der  herr  erhob  (errettete?)  ihn,  ward  sein  er- 
zieher'.  Der  sinn  ist  nicht  ganz  deutlich:  es  will  mir  doch 
vorkommen,  dass  holoda  in  Zusammenhang  mit  dem  folgenden 
verstanden  werden  muss:  gab  er  imo  dugidi,  fronisc  githigini, 
stuol  hier  in  Vrankon. 

ö)  Endlich  heisst  halia  im  afries.  'veranlassen':  160,26 
ther  tlia  case  halad  heth  'der  den  streit  veranlasst  hat'.  Ebenso 
168,  27. 

Ahd.  halon,  holön  als  Übersetzung  von  vocare. 

Für  den  begriff  'jemand  zu  sich  rufen'  verfügen  die  alt- 
germanischen sprachen  über  keinen  gemeinschaftlichen  ausdruck. 
Gr.  xalslr  wird  in  diesem  sinn  gotisch  meist  durch  haitan  wider- 
gegebeu  (z.  b.  Mk.  1,20  haihait  ins);  das  synonyme  qcovUnv  der 
regel  nach  durch  tvöj^jatt.  Altenglisch  erscheint  in  den  west- 
sächsischen Evangelien  für  lat.  vocare  regelmässig  clipian,  in 
den  anglischen  quellen  dagegen  ctegan.  Nirgends  kommt  das 
verbum  rufen  (got.  hröpjan,  aengl.  as.  hrüpan,  ahd.  (h)nwfan) 
in  dieser  bedeutung  vor,  da  es  nur  intransitiv,  mit  dem  sinn 
'schreien,  ausrufen'  gebraucht  wird.  Im  got.  und  altengl.  war 
die  aufgäbe  der  Übersetzer  in  bezug  auf  die  verba  y.aXnv, 
cpcovEviLv,  vocare  verhältnismässig  leicht,  da  für  diese  Wörter 
ein  und  dasselbe  germanische  wort  überall  eingesetzt  werden 
konnte.')  Untersuchen  wir  nun,  wie  in  ähnlichen  fällen  ein 
althochdeutscher  Übersetzer,  z.  b.  die  Übersetzer  des  Tatian, 
verfährt,  so  ergibt  sich  bald,  dass  hier  die  Schwierigkeiten 
viel   grösser   waren   als   im  gotischen.    Die  mannigfaltigkeit 

^)  Neben  haitan  und  tvöpjan  findet  sich  noch  ein  paar  male  rp'pan  oder 
namnjan.  Dazu  kommt  noch  lapön  'berufen',  lapöns  'benifung'  {xaltlv, 
x/.ffOig)  vor  allem  in  den  Paulinischen  briefeu. 


560  MANSION 

der  gebrauchten  ausdrücke  zeigt  uns  schon  allein,  dass  das 
Problem  nicht  einfach  zu  lösen  war.  Neben  halön  (Iwlön) 
kommen  als  Übersetzungen  von  vocare  noch  folgende  Zeitwörter 
vor:  nemnen,  gi-nemncn,  heizzan,  gi-lieizzan,  gi-Jcewcn  (nur 
einmal  141,  7),  ladön,  gi-ladön,  suohhen,  riiofan  (intrans.,  einmal 
207, 3).  In  den  meisten  fällen  entspricht  der  gebrauch  genau 
dem  heutigen.  So  heisst  es:  2, 5  nemnis  ihu  sinan  namon 
loliannem;  156,2  ir  heizset  mih  meistar  =  Joh.  13,13  Vos  vo- 
catis  me  magistrum.  Dass  ludön  in  solchen  fällen,  wo  vocare 
'nennen'  bedeutet,  nicht  möglich  ist,  wird  uns  nicht  ver- 
wundern; allein,  wenn  man  wirklich  von  dem  sinn  'schreien, 
ausrufen'  auszugehen  hätte,  so  würde  die  entwicklung  zu 
'nennen'  ebensogut  zu  verstehen  sein  als  ein  ähnlicher  be- 
deutungswandel  in  xaXüv  oder  vocare,  die  beide  von  dem  sinn 
'schreien'  zu  dem  begriff  'nennen'  gelangt  sind.  Wenn  es 
sich  um  die  göttliche  berufung  handelt,  scheint,  entsprechend 
dem  gotischen,  das  verbum  ladön,  giladön  bevorzugt  zu  werden: 
56, 4  ni  quam  zi  tJmi  tliaz  ih  giladoti  rehte;  Mt.  9, 13  non  enim 
veni  vocare  iustos;  109,  3  manege  sint  giladote;  Mt.  20, 16  multi 
enim  sunt  vocati.  Dieses  selbe  ladön,  gi-ladön  übersetzt  häufig 
vocare  'einladen'  oder  mvitare.  Nur  in  einer  bedeutung  kann 
vocare  durch  Jialön  widergegeben  werden,  nämlich  wenn  der 
sinn  ist  'zu  sich  kommen  lassen,  herbeirufen,  herbeiholen'.  In 
solchen  fällen  findet  man  in  der  heutigen  spräche  gewöhnlich 
das  verbum  rufen:  aber  daraus  darf  keineswegs  gefolgert 
werden,  dass  ahd.  Jialön  genau  dasselbe  wie  rufen  bedeute. 
Vielmehr  ist  in  vielen  fällen,  wo  das  ahd.  halön  gebraucht, 
noch  heute  die  Übersetzung  mit  holen  möglich;  rufen  wird  nur 
deshalb  gewählt,  weil  es  sich  mit  dem  lateinischen  worte  im 
haupt-  und  nebenbegriff  vollkommen  deckt,  nicht  weil  holen 
sinnwidrig  wäre.  Diese  bemerkung  gewährt  uns  einen  nähern 
einblick  in  die  folgenden  beispiele: 

Joh.  4, 16  Vade,  voca  virum  tuum;  Tat.  87,  5  uar  inü  halo 
thinan  gomman  'geh  hin,  hole  deinen  mann';  Otfr.  1114,47 
Holo,  qiiad  er,  sar  zi  erist  thinan  gomman,  thar  er  ist  'hole, 
sprach  er,  zuerst  sofort  deinen  mann  da,  wo  er  ist';  Mt.  2, 15 
Ex  ,Egypto  voca  vi  filium  meum;  Tat.  9,4  fon  J^gyptin  gihalota 
ih  minan  sun  'aus  Aegypten  habe  ich  meinen  söhn  geholt'; 
Mt.  20, 8  Voca  operarios  et  redde  illis  mercedem;    Tat.  109,2 


t)lE  fiTYMOLÖÖIE   VON   HOLEN.  561 

)ialo  tliie  uurhton  inti  gilt  in  mieta  'hole  die  arbeiter  und  gib 
ihnen  den  lohn';  Joh.  9, 18  Non  crediderunt  ...  donec  voca- 
verunt  parentes;  Tat.  132, 11  Ni  gdouUun  . . .  iinz  sie  gihalohm 
sine  eldiron  'sie  glaubten  nicht  bis  sie  seine  eitern  herbeigeholt 
hätten';  Joh.  9, 24  Vocaverunt  ergo  rursum  homineiu;  Tat. 
132, 14  gihalolim  then  man  ahur  'sie  holten  den  mann  noch 
einmal  herbei';  Joh.  2, 9  Yocat  sponsum  architriclinus;  Tat. 
45, 7  gihalota  then  bnitigonwn  thic  furistsizscnto  'der  speise- 
meister  holte  den  bräutigam'. 

In  allen  angeführten  beispielen  würde,  bei  dem  fehlen 
eines  verbums  für  rufen,  der  gebrauch  von  holen  noch  heute 
sehr  gut  zu  rechtfertigen  sein.  Wol  fällt  uns  jedesmal  eine 
kleine  ungenauigkeit  in  der  widergabe  von  vocare  auf,  der 
hauptsinn  aber  bleibt  doch  immer  deutlich.  In  dem  begriff 
vocare  'zu  sich  rufen'  sind  zwei  bestandteile  zu  unterscheiden : 
erstens  wird  besagt,  dass  die  betreffende  person  angeredet 
wird,  zweitens  dass  man  sie  nach  einem  bestimmten  orte  zu 
bringen  sucht.  Nur  aus  dem  Zusammenhang  ergibt  sich,  ob 
dies  wirklich  geschehe  oder  nicht.  Wenn  aber  Jtolen  gebraucht 
wird,  so  ist  nur  so  viel  klar,  dass  das  subject  eine  person  nach 
einem  bestimmten  orte  mit  sich  führt.  Es  fehlt  also  der  begriff 
'anreden',  ebenso  kann  die  handlung  als  gewaltsam  oder  fried- 
lich vor  sich  gehend  gedacht  werden.  In  den  oben  angeführten 
beispielen  ist  der  sinn  ganz  deutlich:  das  anreden  ist  nur  neben- 
sache,  es  versteht  sich  von  selbst,  dass  dem  'rufen'  folge  ge- 
leistet wird  und  zwar  freiwillig,  nicht  gezwungen.  Holen 
gibt  also  allein  das  zweite  element  des  begriffs  vocare  wider, 
und  selbst  das  noch  ungenau.  Die  Übersetzung  ist  also  jeden- 
falls mangelhaft,  aber  die  nur  schwach  gedachten  nebenvorstel- 
lungen  werden  aus  dem  Zusammenhang  leicht  ergänzt,  sodass 
schliesslich  für  den  leser  nichts  wesentliches  verloren  geht. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den  fällen,  wo  holen  für  vocare 
nicht  eingesetzt  werden  kann.  Auffallend  ist  in  dieser  hin- 
sieht die  stelle  Joh.  11,  28  Et  cum  haec  dixisset,  abiit  et  vo- 
cavit  Mariam  sororem  suam  silentio  dicens:  magister  adest  et 
vocat  te;  Tat.  135, 17  Mit  diu  her  thisiu  quad,  gieng  inti  gi- 
halota Mariun  ira  suester  stülo  quedenti:  meistar  ist  az  inti 
suohhit  thih]  Otfr.  III  24,  37  So  si  thaz  giselita,  thia  suester  si 
sar  holeta:  ther  meistar,  quad  si,  Mar  ist,  gibot  thir,  thaz  thu 


562  MANSION 

qiiamist  'und  als  er  dies  gesagt  hatte,  gieng  sie  hin  und  holte 
ihre  Schwester  Maria,  leise  sprechend:  der  meister  ist  da  und 
sucht  dich.'  'Als  sie  das  gesagt  hatte,  holte  sie  die  Schwester 
sogleich:  der  meister,  sprach  sie,  ist  hier,  er  gebot  dir,  dass 
du  kämest.'  Die  form  vocavit  hat  einen  ganz  ähnlichen  sinn 
wie  in  den  oben  s.  560  besprochenen  fällen,  wird  daher  auch 
durch  holön,  gihalun  widergegeben.  Dagegen  ist  vocat  ab- 
weichend durch  siiolihit,  gihot  tliir,  thaz  thu  qiiomist  übersetzt. 
Der  grund  ist  der,  dass  hier  die  bitte,  Maria  soll  zu  dem  meister 
gehen,  hauptsaclie  ist,  nicht  die  handlung  selbst;  überdies  ist 
die  actionsart  hier  deutlich  Ingressiv,  nicht  perfectiv,  was  für 
Jiolen  immer  der  fall  ist.  Es  stimmt  also  wider  der  ahd.  Sprach- 
gebrauch zum  neuhochdeutschen.  Aehnlich  sind  noch  andere 
beispiele  zu  beurteilen.  Joh.  1,  48  Priusquam  te  Philippus  vo- 
caret  . . .  vidi  te;  Tat.  17,  5  er  thanne  dili  Fhilipims  gruozti  . . . 
gisah  tliih  'bevor  Philippus  dich  grüsste,  anredete  ...  sah  ich 
dich';  Otfr.  II  7,  63  Ih  sah  thih,  er  thih  Jioloti  joh  Fhüippus 
güacloti  'ich  sah  dich,  ehe  Philippus  dich  geholt  und  eingeladen 
hatte'.  Otfrid  behandelt  den  text  mit  einer  gewissen  frei- 
heit:  der  sinn  erhellt  aber  deutlich  aus  den  folgenden  zeilen, 
wo  noch  einmal  dasselbe  widerholt  wird:  Irlcanta  ih  thino 
giiati  ...  er  er  thih  thes  gibeitti,  thaz  er  thih  hera  leitti  (giheiten 
=  Jadön,  leiten  =  holön).  Bei  Tatian  dagegen  wird  in  an- 
schluss  an  das  original  ein  einziges  verbum,  gruozen  gebraucht, 
das  wol  'angehen,  anreden'  bedeutet.  Dass  damit  'rufen'  ge- 
meint ist,  muss  aus  dem  Zusammenhang  erhellen.  Luc.  15,  26 
Et  vocavit  unum  de  servis;  Tat.  97,6  Inti  gruozta  einan  fon  then 
scalcnn  'und  er  redete  einen  der  knechte  an'.  Hier  wird  wider 
in  vocare  nur  das  element  'anreden'  zum  ausdruck  gebracht. 
Joh.  10, 3  Et  proprias  oves  vocat  nominatim  et  educet  eas; 
Tat.  133,  6  Inti  eiganu  scaf  ncmnit  namahafto  inti  leitit  sie  uz 
'und  er  nennt  die  eigenen  schafe  mit  namen  und  führt  sie 
heraus'.  Es  besteht  wol  kein  zweifei,  dass  die  verben  gruozen 
und  nemnen  sehr  ungenaue  widergaben  von  vocare  sind.  Warum 
hätte  holön,  halön  hier  nicht  gebraucht  werden  können,  wenn 
es  schlechthin  'vocare'  bedeutete?  Dass  die  Übersetzer  an  ein 
so  gewöhnliches  und  so  oft  mit  vocare  verbundenes  wort  nicht 
gedacht  hätten,  ist  durchaus  unwahrscheinlich.  Die  verben 
gruozen,  nemnen  sind  also  nur  daher  gewählt,  weil  ein  besseres 


DIE   ETYMOLOGIE   VON   HOLEN.  563 

wort  fehlte.  Die  ersten  (oben  s.  560)  angefülirten  beispiele 
haben  gezeigt,  dass  lialön,  Iwlon  selbst  da,  wo  es  vocare  über- 
setzt, nicht  'rufen'  zu  bedeuten  braucht;  jetzt  erhellt  aus  einer 
reihe  von  beispielen,  dass  es  diese  bedeutung  in  vielen  fällen 
sicher  nicht  haben  kann.  Die  Übereinstimmung  mit  dem  heu- 
tigen Sprachgebrauch  ist  also  vollkommen:  wo  wir  holen  sagen 
können,  da  steht  ahd.  halön,  hoJön;  wo  Jiolcn  unmöglich  ist; 
da  steht  auch  niemals  ein  halön  oder  holön.  Der  schluss  wird 
somit  sein,  dass  das  ahd.  wort  nicht  'rufen',  sondern  'holen' 
bedeutet. 

Auf  grund  der  bis  jetzt  gewonnenen  ergebnisse  können 
wir  nun  weiter  gehen  und  eine  deutlichere  einsieht  in  den 
gebrauch  von  ahd.  halön  erlangen.  Es  empfiehlt  sich,  genau 
festzustellen,  was  gihalön  (giholön)  im  ahd.  gegenüber  einfachem 
halön  (holön)  bedeutet. 

a)  In  der  bedeutung  'bekommen'  erscheint  regelmässig 
gi-holön,  nicht  holön.  Nur  Otfr.  III  20,  72  holota  F  neben  gi- 
holota  VP.  (mhd.  dagegen  prls  holn  u.s.w.). 

ß)  Ahd.  gihalön  scheint  ferner  den  sinn  'zusammenholen, 
zusammenbringen'  zu  haben.  Bei  Tatian  kommt  es  häufig  als 
Übersetzung  von  convocare  vor,  und  in  vielen  fällen,  wo  einfach 
vocare  steht,  ist  der  sinn  doch  'versammeln'.  Wie  ga-  in  got. 
galisan,  garmnan,  ahd.  </a/vV/aw 'coire',  ^armw«« 'coagulari' hat 
gl-  hier  noch  seinen  vollen  et3^mologischen  wert. 

Mt.  10, 1  Et  convocatis  duodecim  discipulis  suis  dedit  illis 
potestatem;  Tat.  44,  2  Inti  gihaloten  sinen  ziielif  iungiron  gah 
in  giwalt  'und  da  er  seine  zwölf  jünger  zusammengeholt  hatte, 
gab  er  ihnen  gewalt';  Lc.  7, 19  (lohannes)  convocans  duos  de 
discipulis  suis  misit'  Tat.  64, 1  lohannes  . . .  gihalota  sine  iun- 
giron suene,  santa  sie  'Job.  holte  seine  zwei  jünger,  sante  sie'; 
Mt.  15, 32  convocatis  discipulis  suis  dixit;  Tat.  89, 1  gihaloten 
sinan  iimgoron  quacl;  ähnlich  118,  1  (convocans);  Lc.  16,  5 
Convocatis  itaque  singulis  debitoribus;  Tat.  108, 3  Gihaloten 
tho  suntar  giivelihen  sciddigon;  Lc.  15,  6  convocat  amicos;  Tat. 
96,2  gihalot  sine  friiinta  'holt  seine  freunde  zusammen';  ähn- 
lich 96,  5;  Mc.  8,34  Convocata  turba  cum  discipulis;  Tat.  90,  5 
gihalatero  menigi  mit  sinen  iimgoron  'da  er  das  volk  und  seine 
jünger  zusammengeholt  hatte';  Lc.  23, 13  Pilatus  autem  con- 
vocatis principibus  sacerdotum  . . .;  Tat.  197, 1  Pilatus  gihalota 


564  MANSION 

ihie  heroston  tJtero  hisgoffo  . . .  'Pilatus  holte  die  höchsten  der 
priester  zusammen  . . . ' ;  vielleicht  noch  8,  4  gilmJoten  magin. 
Einen  ähnlichen  sinn  vermute  ich  ferner  noch  in  den  drei 
folgenden  stellen,  wo  lateinisch  einfaches  vocare  steht,  althoch- 
deutsch aber  gihalön,  wie  mir  scheint,  mit  der  bedeutung  'con- 
vocare';  Mt.  25,14  Sicut  enim  homo  proficiscens  vocavit  servos'; 
Tat.  149,1  Soso  man  farenti  gihalota  sine  scalca  ...  'wie  ein 
mann,  im  begriffe  fortzureisen,  seine  knechte  versammelte  ...' 
(Mons.  frag.  20,  3  halota)]  151,2  Gihdloten  tho  sinen  zehen  scal- 
con\  151,4  gibot  ...  tJiaz  man  gihaloti  sine  scalca.  Für  'con- 
vocatis  ad  se  turbis'  (Mt.  15, 20)  findet  sich  einmal  güadön: 
Tat.  84,  6  giladoten  zi  imo  menigin. 

7)  In  einer  dritten  anwendung  scheint  gilialon  den  sinn 
'zu  sich  holen,  zu  sich  nehmen,  zu  sich  kommen  lassen'  zu  haben. 
Das  gi-  würde  hier  die  bedeutung  von  halön  etwa  so  modifl- 
cieren  wie  herbei  in  nhd.  herbeiholen.  Unter  holen  allein  wii'd 
gewöhnlich  verstanden,  dass  das  subject  auf  eine  bestimmte 
person  zugeht  und  sie  bewegt,  mit  ihm  zurückzukommen; 
herbeiholen  dagegen  besagt  nur  so  viel,  dass  das  subject  die 
andere  person  irgendwie  zu  sich  hat  kommen  lassen.  Sehr 
deutlich  hat  giholön  diese  bedeutung  in  Tat.  98,  2  giholo  mit 
thir  noh  thanna  einan  odo  zivene  (Mt.  18, 16  adhibe  tecum 
adhuc  ununi  vel  duos)  'hole  noch  einen  oder  zwei  mit  dir 
herbei';  Mt,  12,45  Tunc  vadit  et  assumit  Septem  alios  Spiritus; 
Monsee  frag.  7, 15.  16  Danne  gengit  enti  gahalot  sibiini  andre 
gheista  (Tat.  übersetzt  hier  nimit);  Mt,  18,  2  Et  advocans  Ihesus 
parvolum  statuit;  Tat,  94,  2  Liti  gihalota  der  heilant  luzil  hind, 
sazta  . . ,  'und  der  heiland  holte  ein  kleines  kind  herbei,  stellte 
es  . . , ' ;  Mt.  4, 21  Et  procedens  inde  vidit  alios  duos  fratres  . . . 
et  vocavit  eos;  Tat,  19,  3  Thanan  tho  furdir  ganganti  gisah  an- 
dare  zuene  briioder  . . ,  inti  gihalota  sie;  Mt.  3, 13  vocavit  ad 
se  quos  voluit  ipse;  Tat.  22, 5  giholota  thie  zi  imo  thie  her 
wolta;  Lc.  6, 13  Et  cum  dies  f actus  esset,  vocavit  discipulos 
suos;  Tat.  70, 2  Tho  tag  ivas  giivortan,  gihalota  zi  imo  sine 
iungiron-  Lc.  13, 12  Quam  cum  vidisset  Ihesus  vocavit  ad  se 
et  ait  illi;  Tat.  103,  2  Thie  mittiu  gisah  ther  heilant,  gihalota 
sia  zi  imo  inti  quad  iru;  Mt.  20,  25  Ihesus  autem  vocavit  eos 
ad  se  et  ait;  Tat.  112,  3  Ther  heilant  gihalota  sie  zi  imo  inti 
quad;   Mt.  20, 32  Et  stetit  Ihesus  et  vocavit  eos  et  ait;   Tat. 


DIN  ETYMOLOGIE   VON   HOLEN.  5G5 

115,2  Inii  siuont  ther  heilant  inti  gihalota  sie  inti  quacl  (Mens, 
fragm.  14, 26  halota);  Joh.  18,  33  Introivit . . .  Pilatus  et  vocavit 
Iliesum  et  dixit  ei :  Tu  es  rex  . . . ;  Tat.  195, 1  Ingicng  . . .  Pi- 
latus inti  gihalota  then  heilant  inti  quacl  imo:  thii  bis  cuning  . . . 

In  den  letztgenannten  beispielen,  die  ich  absichtlicli  ohne 
Übersetzung  angeführt  habe,  kann  natürlich  gihalön,  giholon 
entsprechend  dem  lat.  vocare  durch  'rufen'  widergegeben  werden. 
In  den  meisten  fällen  muss  man  sogar  gestehen,  dass  holen, 
herbeiholen  keine  sehr  befriedigenden  Übersetzungen  wären.  Ich 
glaube  jedoch  nicht,  dass  wir  das  recht  haben,  aus  diesen  bei- 
spielen zu  folgern,  dass  gihalön  wirklich  'rufen'  bedeute,  denn 
der  sinn  fordert  jedesmal  nur  einen  sehr  allgemeinen  ausdruck 
'zu  sich  kommen  lassen'.  Dass  es  sich  um  ein  wirkliches 
'rufen'  mit  directer  anrede  handele,  geht  aus  dem  Zusammen- 
hang gar  nicht  so  deutlich  hervor  wie  in  den  oben  s.  561  flg.  be- 
sprochenen beispielen,  wo  halön,  gihalön  vermieden  wird.  Dass 
das  element  'anreden'  nur  eine  nebenrolle  spielt,  dagegen  das 
'zu  sich  kommen  lassen'  hauptsache  ist,  beweist  der  häufige 
gebrauch  von  zi  imo,  selbst  da,  wo  der  lateinische  text  ad  se 
nicht  hat. 

6)  Es  bleibt  uns  noch  übrig,  eine  reihe  von  belegen  zu 
erörtern,  in  denen  der  begriff  'einladen'  (lat.  vocare  oder  in- 
vitare)  durch  halön,  gihalön  widergegeben  wird.  Joh.  2, 2 
Vocatus  est  autem  ibi  et  Ihesus  et  discipuli  ejus  ad  nuptias; 
Tat.  45, 1  Gihalot  icas  ouh  thara  ther  heilant  inti  sine  iim- 
giron  zi  thero  briitloufti]  Lc.  14, 13  Sed  cum  facis  convivium, 
voca  pauperes  ...;  Tat.  110,4  Oh  thanne  thu  gounia  tues,  gi- 
halo  thurftigon  . . . ;  Mt.  22,  2  ...  fecit  nuptias  . . .  (Lc.  14, 16) 
et  vocavit  plures;  Tat.  125, 1  teta  brutloufti  . . .  inti  giholota 
manage;  Mt.  22,  3  misit  servos  suos  vocare  invitatos;  Tat. 
125,2  Santa  sine  scalca  si  halonne  thie  giladotim;  Mons.  fragm. 
15,  6 — 7  sentita  sine  scalcha  halon  dea  Jcaladotun. 

Es  muss  zugegeben  werden,  dass  die  unter  6)  gleichwie 
die  unter  /)  angeführten  beispiele,  wenn  sie  allein  ständen, 
als  ausreichend  betrachtet  werden  könnten,  um  die  bedeutung 
'rufen'  für  halön  zu  erweisen.  Wenn  wir  uns  deren  beweis- 
kraft  zu  verringern  bemühen,  so  muss  daran  erinnert  werden, 
dass  wir  aus  verschiedenen  gründen  durchaus  berechtigt  sind, 
an    der    Zuverlässigkeit    des    hier    gelieferten    Zeugnisses    zu 

Beiträge  zur  geschichte  der  deutschen  spräche.     XXXIII.  27 


566  MANSION 

zweifeln.  ^Die  kiinst  der  Übersetzung',  sagt  Sievers  (Tatian^ 
LXX),  'ist  im  ganzen  niclit  gross.'  Das  entschieden  deutsche 
gepräge,  das  den  Schriften  Notkers  eigen  ist,  fehlt  hier  voll- 
ständig. Anderseits  steht  gegenüber  den  nicht  zahlreichen 
beispielen  aus  der  fast  sklavischen  ahd.  Übersetzung,  die 
unserem  heutigen  Sprachgefühl  widerstreben,  das  einstimmige 
Zeugnis  aller  alt-  und  neugermanischen  sprachen,  von  denen 
keine  einzige  eine  berührung  zwischen  den  begriffen  'rufen' 
und  'holen'  aufweist.  Die  zahlreichen  glossen  vocare  :  halöJi^) 
haben  die  Übersetzer  irreführen  können.  Von  den  unter  6) 
gegebenen  beispielen  ist  mir  nur  45, 1  gihalot  was  unverständ- 
lich. Die  übrigen:  gihalo  thurftigon,  giholota  manage  können 
bedeutet  haben:  'hole  zusammen,  versammle  die  armen',  und 
'er  holte  viele  leute  zusammen'.  Tat.  125, 2  ist  natürlich  zi 
lialonne,  vocare  invitatos,  zu  verstehen  'zu  holen,  abzuholen'. 
Die  diener  werden  geschickt,  um  den  gasten  zu  berichten, 
dass  das  mahl  bereitet  sei  (vgl.  Mt.  22, 4),  und  mit  ihnen  zurück- 
zukommen. 

Wollen  wir  die  ergebnisse  zusammenfassen,  so  kommen 
wir  zu  dem  schluss,  dass  die  bedeutung  'rufen'  für  halön,  Jiolön 
noch  immer  möglich  bleibe,  aber  doch  unwahrscheinlich  sei. 
Man  bedenke  einerseits,  dass  von  Tatian  und  Otfrid  an  der- 
selben stelle  Joh.  11,  28  die  zwei  bedeutungen  von  vocare  sorg- 
fältig unterschieden  werden,  dass  bei  der  hypothese  eines  halön 
'rufen'  die  Übersetzungen  gniozen,  suohhen,  nenmen  für  vocare 
unbegreiflich  werden,  dass  schliesslich  der  Sprachgebrauch  der 
gesammten  germanischen  weit  und  unser  eignes  Sprachgefühl 
sich  gegen  ein  halön  'rufen'  sträuben.  Anderseits  spricht  für 
die  bedeutung  'rufen'  nur  das  zeugnis  einer  einzigen  quelle, 
die  sich  weder  durch  die  gewantheit  der  Übersetzer,  noch  durch 
ein  besonders  ausgesprochenes  deutsches  gepräge  auszeichnet. 
AYenn  sich  also  eine  mehr  oder  weniger  beträchtliche  zahl 
belege  findet,  die  an  Wendungen  von  halön  aufweisen,  welche 
mit  dem  sonst  bekannten  gebrauch  von  holen  in  Widerspruch 
stehen,  so  kann  doch  die  autorität  der  anonymen  Übersetzer 
des  Tatian  das  zeugnis  der  gesammten  deutschen  und  ger- 


^)  Die  glossierung  beweist  an  und  für  sich  nichts  für  den  sinn  von 
halön.  Man  vergleiche  etwa  die  Übersetzung  von  ndl. /taZen  durch 'vocare' 
in  Kiliaen,  zu  einer  zeit,  da  doch  sicher  halen  keineswegs  'rufen'  bedeutete. 


DIE   ETYMOLOGIE   VON   HOLEN.  567 

manischen  sprachweit  nicht  aufwägen.  Dass  nicht  sehr  ge- 
scliickte  Übersetzer  an  ihrer  muttersprache  sündigen,  ist  eine 
überall  bekannte  nnd  leicht  erklärliche  tatsache;  dass  aber 
die  eigentliche  und  ursprüngliche  bedeutung  eines  wertes  in 
der  Übersetzungsliteratur  zahlreich  belegt,  dagegen  sonst  nir- 
gends zu  entdecken  sei,  ist  sehr  unwahrscheinlich.  Es  wäre 
jedenfalls  sehr  sonderbar,  dass  gerade  im  Tatian,  der  in  seiner 
wörtlichen  Übertragung  dem  lat,  text  schritt  vor  schritt  folgt, 
die  grundbedeutung  von  lialön  besser  erhalten  wäre,  als  in 
irgend  einer  andern  schritt  der  althochdeutschen  literatur! 

Die  Wurzel  lial-  im  nordischen. 

Die  altnordischen  Wörterbücher  geben  für  das  wort  liala 
'ziehen'  einen  einzigen  beleg,  nämlich  Mariusaga  1054'^:  /rm/^- 
menn  hala  sik  undir  ströndina  par  til,  er  ])eir  nd  alclcerislcegi. 
Selbst  an  dieser  stelle  könnte,  wie  prof.  Bley  mir  schreibt,  das 
wort  hala  für  das  altisländische  in  abrede  gestellt  werden,  da 
hala  sik  'sich  ziehen,  sich  schleppen'  sehr  leicht  in  hafa  sik 
'sich  halten'  oder  besser  (wegen  des  accusativs  mit  undir) 
'sich  bewegen  oder  richten  nach'  verändert  werden  kann. 
Ausser  dem  altnordischen  finden  sich  schwed.  norw.  hala,  dän. 
hak  'ziehen,  holen',  hauptsächlich  in  Schiffahrtsausdrücken.  Es 
fragt  sich  nun,  ob  diese  Wörter  als  echt  nordisch  oder  als 
aus  dem  westgermanischen  entlehnt  zu  betrachten  sind.  Einer- 
seits sprechen  für  die  entlehnung  das  fehlen  der  wurzel  hal- 
im  ostgermanischen,  das  seltene  vorkommen  bez.  fehlen  von 
hala  im  ältesten  nordgermanischen,  und  die  auf  die  schiffahrts- 
sprache  beschränkte  Verwendung  der  neunordischen  Wörter, 
Gerade  die  bedeutung  'an  einem  tau  oder  seil  ziehen'  haben 
z.  b.  die  meisten  romanischen  sprachen  aus  dem  germanischen 
entlehnt.  xA_nderseits  kann  man  für  ein  echt  nordisches  hala 
'ziehen'  verschiedene  beweisgründe  gelten  lassen:  der  begriff 
'ziehen',  wie  oben  gezeigt,  gehört  zu  dem  ältesten  vorstellungs- 
kreis  der  wurzel;  die  lautliche  gestalt  von  hala  gibt  für  die 
hypothese  der  entlehnung  keinen  anhält;  das  fehlen  einer 
bedeutung  holen  'to  fetch'  erklärt  sich  durch  das  Vorhanden- 
sein eines  verbums  isl.  hcimta,  schwed.  hämta,  dän.  hente  'holen, 
to  fetch',  das,  gleichwie  das  aengl.  feccean,  die  stelle  genommen 
haben  wird,  die  im  hoch-  und  niederdeutschen  durch  holen, 

37* 


5(38  MANSION 

halcn  eingenommen  wird.  Dass  iu  der  dänischen  schiffahrts- 
spraclie,  auch  in  bezug  auf  hale,  niederländischer  einfluss  ge- 
golten habe,  scheint  aus  folgenden  beispielen,  die  mir  dr. 
A.Beets  aus  Leiden  mitteilt,  zu  erhellen:  dän.  Hai  an  (Sljd- 
dcrne)\  ndl.  'haal  (schooten)  aan!'  Hai  ind  paa  Luv  Braser! 
'haal  de  loef brassen  in!'  Hai  ind  Besanen!  '(haal)  bezaan  in!' 
Haie  ned  et  Flag  'een  vlag  neerhalen'  u.s.w.  Man  muss 
hier  doch  zwischen  wortentlelmung  und  ausdrucksentlehnung 
unterscheiden:  das  \iL  holen  'ziehen',  z.  b.  in  'ein  schiff  in  den 
hafen  holen'  ist  als  wort  zwar  hochdeutsch,  als  ausdruck  aber 
wahrscheinlich  aus  dem  niederdeutschen  entlehnt.  So  kann 
auch  liale,  haJa  echtnordisch  sein,  aber  hauptsächlich  in  ent- 
lehnten ausdrücken  vorkommen.  Die  frage  scheint  also  nicht 
leicht  zu  entscheiden.  Während  Falk  und  Torp  in  ihrem 
Etym.  Ordbok  sich  für  die  eutlehnung  aussprechen,  welche 
meinung  auch  von  dr.  A.Beets  (vgl.  Woordenboek  der  Ndl. 
taal  unter  lialen)  vertreten  wird,  erwähnt  sie  Tamm  nicht 
einmal  in  seinem  Etymol.  Svensk  Ordbok,  und  prof.  Gebhardt 
erscheint  diese  hypothese  auch  nicht  genügend  bewiesen.') 
Für  die  feststellung  der  ursprünglichen  bedeutung  der  wurzel 
von  liolen  wird  man  also  am  besten  noch  das  nordische  bei- 
seite lassen.  Ob  entlehnt  oder  nicht  ist  die  bedeutung  'ziehen' 
im  nordischen  für  unsere  ansieht  jedenfalls  günstig;  selbst 
wenn  man  beweisen  könnte,  dass  hala  im  nordgermanischen 
ursprünglich  ist,  würde  dies,  wegen  des  spärlich  belegten 
materials,  unsere  kenntnisse  kaum  bereichern. 

Schluss. 

Die  Wurzel  von  xaXüv,  caläre  u.  s.  w.  hat  im  germanischen 
sehr  zahlreiche  Vertreter.  Ahd.  hei  'laut,  tönend',  hellan  'er- 
tönen', mhd.  hal  'hall,  schall',  isl.  Mal  'geschwätz'.  Mala 
'schwätzen',  huellr  'laut,  tönend',  slmal  'plauderei',  sTcal  dass.. 


1)  Bei  der  untersucliung  nach  der  herkimft  von  nord.  hala  u.  s.  w.  habe 
ich  mich  grosseuteils  auf  fremde  hilfe  verlassen  müssen.  Die  herren  prof. 
A.  Bley  (Gent),  prof.  F.  "Wagner  (Charleroy),  prof.  Gebhardt  (Erlangen,  durch 
vermittelung  von  prof.  Wagner),  dr.  A.  Beets  (Leiden),  prof.  Muller  (Ut- 
recht), prof.  J.  Franck  (Bonn),  prof.  Heuser  (Göttingen)  sind  mir  hierin  aufs 
freundlichste  behilflich  gewesen.  Allen  sei  an  dieser  stelle  herzlichst  dank 
gesagt. 


DIE   ETYMOLOGIE   VON   HOLEN.  569 

sl^QÜ  'geläcliter',  nscliwed.  slcvclla  'widerhallen',  alid.  scellan 
'schallen',  aengl.  Jih'mman,  lihjmman  'klingen,  tönen,  rauschen, 
brüllen',  lilöu-an,  ahd.  {h)Iöjan  'brüllen'  u.s.w.  (vgl.  Zupitza, 
Guttur.  49, 107.  118.  119).  Mit  dieser  wurzel  hat  die  sippe  von 
Jiohn  ausser  den  lauten  nichts  gemein.  Dass  irgendwo  auf 
germanischem  gebiete  zwischen  einem  halön  'rufen'  und  hei 
'tönend',  die  doch  sehr  leicht  in  einer  stabreimenden  forme! 
vereinbar  waren,  ein  Zusammenhang  im  Sprachgefühl  empfunden 
worden  sei,  wird  wol  niemand  behaupten.  Gegenüber  hei-,  hal-, 
sl-el-,  sJmI-  'tönen,  schreien,  schwätzen'  steht  hal-,  hui-  mit  dem 
sinn  'ziehen,  reissen,  an  sich  reissen,  rauben,  zu  sich  ziehen 
oder  kommen  lassen'.  Nichts  weist  darauf  hin,  dass  beide 
wurzeln  etwas  mit  einander  zu  schaffen  hätten.  Wenn  der 
nebenbegriff  einer  gewaltsamen  anstrengung,  der  so  oft  mit 
hole7i  verbunden  erscheint,  zuweilen  verblasst,  so  bleibt  doch 
immer  die  actionsart  deutlich  punctuell,  perfectiv,  was  man 
bei  einer  ursprünglichen  bedeutung  'rufen'  nicht  erwarten 
würde.  Für  die  Zugehörigkeit  von  holen  zu  hellem  u.s.w. 
kann  man  als  einzigen  beweisgrund  anführen  das  zeugnis 
einiger  stellen  von  Tatian,  worin  gihalon  als  widergabe  von 
vocare  erscheint.  Oben  haben  wir  gezeigt,  dass  in  den  meisten 
fällen  halön,  selbst  als  Übersetzung  von  vocare,  doch  die  be- 
deutung 'holen'  bewahrt;  dass  die  beispiele,  die  von  dem 
heutigen  Sprachgebrauch  abweichen,  sehr  selten  sind;  dass  die 
altdeutschen  Übersetzer  mit  dem  verbum  vocare  häufig  in 
Verlegenheit  geraten  sind.  Es  ergibt  sich  somit  deutlich, 
dass  haJöri  im  ahd.  niemals  'rufen'  bedeutet  hat  und  bloss 
infolge  der  uubeholfenheit  der  Übersetzer  diesen  sinn  zu  haben 
scheint. 

Wenn  die  wurzel  hal-,  hui-  'ziehen'  also  in  keinem  Zu- 
sammenhang mit  hellan  'tönen',  caläre,  xaXio)  steht,  so  wird 
mau  sich  für  sie  nach  einer  andern  etymologie  umsehen 
müssen.  Ich  erinnere  hier  an  die  von  mir  früher  (Gutturales 
grecques  s.  251)  vorgeschlagene  Verknüpfung  von  hal-  'ziehen' 
mit  gr.  xäXw^  'seil,  tau,  kabel'. ')  Damals  habe  ich  an  die 
bedeutung  'rufen'  für  ahd.  halön,  holön  geglaubt  und  folglich 


1)  Kri}Mv  'eine  art  pumpe',  das  ich  früher  für  mit  y.cO.ojq  verwant 
hielt,  bleibt  besser  beiseite. 


570  MANSION.      —      WILHELM 

diese  Wörter  von  ndl.  Imlcn,  engl,  to  hale,  to  haul  u.s.  w.  ge- 
trennt. Jetzt  hindert  nichts,  xäXmq  mit  as.  lidlön  'ziehen, 
reissen',  ndl.  ndd.  haJen  'ziehen',  ahd.  liolön  'ziehen'  (Notker), 
mhd.  liohi  'ziehen',  mQ,\ig\.  lidlien  'ziehen,  schleppen'  n.s.w.  zu 
verbinden.  KdXcog  würde  zu  einer  wurzel  Ical-  'ziehen'  in  dem- 
selben Verhältnis  stehen  als  aisl.  taug  'tau'  zu  der  wurzel  von 
ziehen,  got.  tiuJian. 

LÜTTICH.  JOSEPH  MANSION. 


EIN  WICHTIGES  REGENSBURGER  ZEUGNIS 
FÜR  DIE  HILDESAGE  IM  12.  JAHRHUNDERT. 

lieber  die  Verbreitung  der  Hildesage  in  der  Oberpfalz  im 
12.  Jahrhundert  hat  bis  jetzt  eigentlich  nur  die  bekannte  stelle 
Rol.  266, 19  aufschluss  gegeben.  Dass  die  sage  von  Hettel  und 
Hilde  schon  in  der  zweiten  hälfte  des  11.  Jahrhunderts  in  Ober- 
bayern bekannt  war,  hat  Müllenhoff  mit  recht  aus  dem  vor- 
kommen des  namens  Hörant  in  Tegernseeer  Urkunden  aus  dem 
anfang  des  12.  Jahrhunderts  geschlossen,  s.  Zs.  fda.  12,  314.  Zu 
diesen  wichtigen  Zeugnissen  tritt  folgende  Obermünsterer  Ur- 
kunde, die  den  ältesten  hd.  beleg  für  die  namensform  Hettel 
bringt,  hinzu;  sie  steht  in  dem  Obermünsterer  Traditionenbuch 
(München,  K.  allgemeines  reichsarchiv,  kloster  Ober -Münster, 
fasc.  no.  5),  das  im  14.  Jahrhundert,  nach  1307,  zusammen- 
gestellt wurde: 

Bl.  46  b.  NOtiim  sit  omnibus  Christi  fidelibus,  quod  quidam  comes  nomine 
Sighehardus  pro  annona  trium  filiarum  snarum  tradidit  ad  altare  sancte 
Marie  quicquid  predij  habnit  in  ixilla  Hohodorf  cum  XIIII  mancipijs  et 
cum  omnibus  illuc  pertinentibus,  quesitis  et  uon  quesitis,  et  cum  omni 
legalitate,  qua  sibi  seruitio  fuit,  presente  uxore  et  filijs  suis.  Isti  sunt 
testes:  Rütpreht.  Item  Eutprebt.  Magans.  Ercbenpreht.  il«tt?7.  Adalprebt. 
Volrat.  Cunthart.  Sarbilo.  Einrieb.  Helempreht.  Babo.  Dietrih. 

Diese  nicht  datierte  Urkunde  ist  schon  von  Thomas  Ried,  im 
Codex  chronologicus  -  diplomaticus  episcopatus  Ratisbonensis 
(Regensburg  1816)  I  222  als  no.  239  fehlerhaft  abgedruckt  und 
in  das  jähr  1151   gesetzt  worden.    Welches  die  gründe  für 


EIN  ZEUGNIS  FÜR  DIE  HTLDESAGE.  5?1 

diesen  ansatz  wai-en,  weiss  ich  nicht.  Sie  wird  eher  in  frühere 
als  in  spätere  zeit  zu  setzen  sein.  Die  bll.  42  b — 48  b  enthalten 
die  eintragungen  von  18  traditionen.  In  der  zweiten,  bl.  43a, 
wird  die  äbtissin  HademMis,  die  1117  (am  l.nov.)  zum  letzten 
mal  in  einer  Urkunde  auftritt,  erwähnt.  Die  den  bll.  42b  f. 
voraufgehenden  bll.  31a  —  42  a  enthalten  kirchenpolitische 
schreiben  des  13.  Jahrhunderts,  und  diesen  sind  bll.  24b  —  30b 
die  eintragungen  von  11  traditionen  vorgestellt,  von  denen 
die  fünfte,  bl.  26b,  aus  dem  11.  Jahrhundert  stammen  muss: 
ein  prefedus  Aeschivin  und  seine  frau  HiUaburg  tradieren  an 
Obermünster  per  manus  domine  ahhatisse  Wille  snique  aduocali 
Hartivici.  Unter  den  zeugen  erscheint  ein  Hagano  und  ein 
Bvmolt.^)  Die  äbtissin  Willa  tritt  urkundlich  zuerst  am 
14.  juli  1052  auf  und  zuletzt  am  27.  oct,  1073.  In  diese  zeit 
gehört  demnach  die  Urkunde.  In  der  ersten  tradition  ver- 
macht Bertha,  quidatn  (!)  nohilis  matrona  eines  Sigehardus 
unter  bestimmten  bedingungen  tale  predium,,  qiiale  ad  Prisinga 
potestatiue  habehat  an  Obermünster,    Als  zeugen  fungieren: 

Pabo.  Mag-ouus.   Archo.   Werenhardus.   Megenhalm.  Kafolt.  Herraut.  Eu- 
gilpht  (sie!).  Hitto.  Gotpolt.  Otto.  Eremprelit.  Heinrich.  Regiuolt. 

Die  datierung  fehlt,  wie  den  übrigen  zehn  Urkunden.  Es  wäre 
sehr  wol  möglich,  dass  der  Sigehardus,  dessen  'wirtin'  hier 
tradiert,  derselbe  ist,  der  die  Urkunde  auf  bl.  46b  ausstellte. 
Etwas  sicheres  lässt  sich  natürlich  nicht  ermitteln.  Jedenfalls 
ist  klar,  dass  die  Urkunden  der  bll.  24b  —  30b  und  42b — 48b 
eher  der  zeit  von  1050 — 1120  angehören,  als  einer  späteren. 
Darauf  hin  deutet  ja  auch  die  spräche.  Wir  können  jetzt, 
glaube  ich,  sicher  sagen,  dass  zur  zeit,  als  der  pfaffe  Konrad 
sein  Eolandslied  schrieb,  in  Regensburg  und  Umgebung  ein 
gedieht  bekannt  war,  das  die  Hildesage  behandelte.  Hagen, 
Hettel,  Hilde,  AVate  und  Horant  werden  darin  vorgekommen 
sein.  Der  name  des  entführers  der  Hilde  wird  schon  damals 
Hettel,  nicht  Beten  gelautet  haben. 

Ob  in  diesem  gedieht  auch  von  Hildes  tochter  Gudrun  die 
rede  war,  wissen  wir  nicht.  2)    Ich  glaube  nicht,  dass  man  aus 

^)  Bl.  25b  erscheint  eine  if27<e;  h\.  26h  ein  Rüdlant;  bl.  4:6a  ein  Ortwin. 
'Das  vorkommen  dieser  namen  ist  viel  zu  häufig,  als  dass  es  für  die  auf- 
helluug  der  heldensage  benutzt  werden  könnte,  s.  Förstemanu,  Altd.  nb.  s.  v. 

2)  Vgl.  verf.  Frühling,  Münchner  Wochenschrift  1, 19  f. 


572     WILHELM,  EIN  ZfiUGNIS  FÜR  DIE  HILDESAGE.    —   LITERATUR. 

dem  vorkommen  des  namens  Gudrun  gleicli  den  schluss  zielien 
darf,  dass  da,  wo  er  anzutreffen  ist,  aucli  die  sage,  wie  sie 
das  gleichnamige  mlid.  epos  erzählt,  bekannt  war.  Der  name 
könnte  auch  aus  irgend  einer  anderen  sagensphäre  stammen. 
Mit  dem  namen  Hettil  ist  das  anders.  Er  ist  unlöslich  mit 
der  deutschen  Hildesage  verbunden.  Er  beweist  wirklich 
etwas.  In  Förstemanns  Altdeutschem  namenbuch  fehlt  die  hd. 
form  Heitel. 


MÜNCHEN. 


FRIEDRICH  WILHELM. 


LITERATUR. 

(Verzeichnis  bei  der  redaction  eingegangener  Schriften,  vgl.  Beitr.  32, 15-i.) 

Books  printed  in  Iceland  1578 — 18i4.  A  fourth  Supplement  to  the 
British  Museum  Catalogue  with  a  general  index  to  the  four  Supplements 
(=  Bibliographical  Notes  VI).  Ithaca,  New  York  (Cornell  University  Library), 
1907.  —  48  s. 

Brandstetter,  Jos.  Leop.,  Ortsnamenstudien  auf  Menzberg.  (Sep.-abdr. 
aus  Geschichtsfreund  bd.  62.)  —  24  s. 

Hortung,  Ivan,  Studien  über  die  ö-verba  im  altsächsischen.  (Diss.) 
Helsiugfors,  Centraldruckerei,  1907.  —  IV,  115  s. 

Martens,  Ernst,  Entstehungsgeschichte  von  Burkard  Waldis  Esop. 
(Diss.)   Göttingen  1907.  —  83  s. 

Schröder,  Edward,  Die  deutschen  personennamen.  (Acad.  festrede.) 
Göttingen  1907.  —  22  s. 

Seemüller,  Joseph,  Deutsche  mundarten.  I.  (no.  XI  der  berichte  der 
phonogramm-archivs-commission  der  k.  acad.  d.  wiss.  in  Wien  ==  Sitzungs- 
berichte, phil.-hist.  kl.  158, 4).   Wien,  A.  Holder,  1908.  —  28  s. 

Waag,  Albert,  Bedeutungsentwickluug  unseres  Wortschatzes;  ein 
blick  in  das  Seelenleben  der  Wörter.  2.  vermehrte  auf  1.  Lahr,  Moritz  Schauen- 
burg,  1908.  —  XVI,  183  s. 


I 


Dr-ack  von  EhrhariU  Karras,  Halle  a.  S. 


^1 


%• 


PF 
3003 

B5 
Bd.  33 


Beitrage  zur  Geschichte  der 
deutschen  Sprache  und 
Literatur 


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