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fiatt i'^o
■ i.
I^arbarl) College ILi&rars
FKOM THS BlqjJBST OF
MRS. ANNE E. P. SEVER,
OF BOSTON,
WiDow OF CoL. James Warrbn Sevbk,
(CUss of 1817)
r
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INHALT.
Seite
Zur Parzivalfrage. Von J. Lichtenstein 1
Zu Wolframs liedern. Von E. Kück 94
Die heimut der altnordischen lieder von den Weisungen und den
Nibelungen. I. Von S. Bugge 115
Zu Heinrich von Mügeln. HI. IV. Von K. Helm 135
Zum Wigalois. Von F. Saran 151
Das todesjahr des Ulfilas und der übertritt der GK)ten zum ariaiüs-
mus. Von F. Jostes 158
Zur gotischen etymologie. Von C. C. Uhlenbeck 188
Miscellen. Von demselben 193
Althochdeutsches in den slavischen Freisinger denkmälem. Von
W. Vondrak 201
V eher gät I get im hainBchevL. Von K. Bohnenberger ... 209
Einige fälle von consonantenschwund in deutschen mundarten.
Von W. Hörn 217
Grammatisches und etymologisches. Von H. Hirt 223
Zur germanischen wortkunde. Von E. Wadstein 238
Grammatische miscellen : 1 1 . Ags. weorold : worold. Von E. S i e v e r s 255
Znr nachricht!
Es wird gebeten, alle auf die redaction der * Beiträge* bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Tumerstrasse 26) zu nchten-v^OOglc
BEITRÄGE
ZUR
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR. .
UNTER MITWIRKUNG VON
HEBMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HBRAUSGEGEBEN
I VON
I EDUARD SIEYESS.
XXIL BAND.
HALLE A. S.
MAX NIMMBTBB
77/78 OR. 8TEIN8TRAS8B
1897
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MJ.VCV ^i.vs6,
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Zur P^^rzivalfraifC. ^'<>u J. Lithteuptoin 1
J Zu Wolfnuus UfilsTn. Von hi. iv::"k «i
!Die heimat der altnor(ii:*^hen lie»ii:r von dou ^Vr^kuiii^.ii niui df.n
Mbeluugiu. I. Von S. ilugge Hü
Zu Heinrich von Mftrroln. ÜJ TV. Von K. Helm 135
Zum W^grJoü». Von F. Saran 151
j Dii3 tüdesjuhr des Ullilas luid der übertritt der Goten zum ariaais-
iaus. Von F. Jostes 15S
Zur gotischen etymologie. Von C. C. Uhlenbeck 18S
Miscellen. Ton demselben , . . . : 19.X
Althochdeutsches in den slayischen Freisinger dr nkmälcrn. Yon.
W. Vondräk 201
T'eW qät t get im bairLs^hen. Von K. Bohnenberger . . . 2ou
Einige flfllfc ron consouantenschwnud in deutschen m^Jindarten.
Von W. Hörn ' .... 217
Grammatisches und etymologisches. Von H.Hirt 223
Zur germai.isohcn wortkunde. Vvm E. Wadsteii:/J 238
Grammatisch'; miscellen: 1 1. Ags. weorold: u'c;;<ul'ti. Von E. S ie ver s 255
üntersuchi:n:^*»!u über das mhd. gedieht von der Minneburg. Von
G. Ehriismann • 257
Zur dänischen heldensage. Von R. C. Boer 342
1 Satz verbindende partikeln bei Otfrid und Tatian. Von W. E.
1 6cholt.in ^. . 391
Bemerkungen -:nm Hildebrandslied. Von A. Erdmann . . . . 424
Etymologie von Jielw 'Steuerruder'. Von J. Hoops 435
Zur Krone. Von-G. Ehrisuianii 130
Zur Sprache des Leidener Williram. Von W. vanHelteu . . 437
Wortgeschichtliche beitrage. Von K. v. Bah der 52ü
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INHALT.
S«ite
Etymologisches. Von C. C. ühlenbeck 536
Zar lautgeschichte. Von demselben 543
(I. Die yertretnng der labioyelaren media aspirata im anlaat:
s. 543. — 2. Nochmals hana : Jan: s. 545.
Klassensnffixe. Von R. M. Meyer 548
An. gabba, BLgs. ^(ibbt'an. Von G. Ehr is mann 564
Zum todesjahr Wulfilas. Von W. Streit her g 567
Antwort auf den aofsatz Eanffmanns ^ Der arrianismns des Wnlfila \
VonF. Jostes 571
Noch einmal gotisch oiAr. VonE. Zupitza ....... 574
Znr herknnft des deutschen reimyerses. VonE. Luick . . . 570
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PROSPEKT.
Are]
fUr
Celtische Lexikographie.
Unter diesem Titel beabsichtigen die Unterzeichneten in einer
Eeihe zwangloser Hefte Beiträge zur Lexikographie der
celtischen Sprachen herauszugeben und fordern ihre Fachgenossen
zur Mitarbeit auf.
In Ermangelung umfassender wissenschaftlicher Wörter-
bücher soll das Archiv dazu dienen, den künftigen Lexiko-
graphen der Einzelsprachen den Weg zu ebnen, dem Sprach-
forscher neues Material an die Hand zu geben, und ein besseres
Verständnis der Litteratur zu befördern.
Die Beiträge werden sich auf sämtliche celtische Sprachen
und Sprachperioden erstrecken. Vor allem soll der Wortschatz
der mittelirischen Sprache, in welcher die grosse Masse der
irischen Litteratur überliefert ist, soweit er nicht in Windischs
Wörterhuch und Atkinsons Glossar zu den Passions and Homüies
vorliegt, Gegenstand der Sammlung sein, während auf alt-
celtischem und altirischem Gebiet Holders Sprachschatz und
Ascolis Glossarium nach ihrer Vollendung kaum mehr als eine
Nachlese erfordern werden. Auch die noch unveröffentlichten
einheimischen Glossare, die trotz ihrer vielen Mängel doch
manches seltene Wort bewahren, sollen nach und nach heraus-
gegeben werden.
Auf dem Gebiet der britannischen Sprachen wird das Archiv
nächst einer kritischen Ausgabe der altkymrischen, altbretonischen
und altkomischen Glossen auch alphabetisch geordnete Indices zu
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diesen Glossen bringen; ferner ein Verzeichnis der in Beunans
Meriasek vorkommenden, in Williams' Leancon nicht enthaltenen
kornischen Wörter. Desgleichen sind Sammlungen aus dem
Sprachschatz der mittelkymrischen Litteratur (Mabinogion, Four
Ancient Books of Wales u. s. w.) und Listen von Lehnwörtern
in den verschiedenen Sprachen beabsichtigt. Auch aus den noch
lebenden Dialekten hoffen die Herausgeber unter Mitwirkung
einheimischer Gelehrter Wörtersammlungen bringen zu können.
Schliesslich liegen auch Onomastika, welche die celtischen
Personen- und Ortsnamen Irlands, Schottlands, Wales' und der
Bretagne enthalten sollen, im Plane des Archivs.
Beiträge zum Archiv, die in deutscher, englischer, fran-
zösischer oder italienischer Sprache abgefasst sein können, werden
an die Adresse eines der Unterzeichneten erbeten.
Die Herausgeber:
Whitley Stokes, Knno Meyer,
15, GrenyiUe Place, London S.W. 57, Hope Street, Liverpool.
Die Verlagsbuchhandlung:
Max Nlemeyer,
HaUe a. S.
Druck von Ehrhardt KariM, HaUe a. 8.
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ZUR PARZIVALFRAGE.0
1. Einleitnng.
Wolfram von Eschenbach dichtete seinen Parzival bald
nach 1200. Etwa zwanzig jähre früher war derselbe stoff
von dem grössten französischen epiker des mittelalters, Crestien
von Troyes, behandelt worden; sein Conte del graal ist zugleich
die älteste und die bedeutendste darstellung der gralsage in
der französischen literatur, doch hat er sein werk nicht voll-
endet. Wolfram nennt Crestien am ende seines Parzival, aber
nur, um seine fassung der sage in gegensatz zu der Crestiens
zu setzen. Als Urheber der von ihm benutzten rehten maere
bezeichnet er vielmehr den Provenzalen Kyot, der franzö-
sisch gedichtet habe (416, 25. 28). Er nennt ihn la schantiure,
was nur einen lyriker oder einen Verfasser von volksepen
(chansons de geste) bedeuten kann und nebenbei W.'s merk-
würdiges französisch illustriert; und er nennt ihn ferner den
meisier wol bekant (453, 11). Sonderbar ist es nun, dass wir
gerade von diesem hochberühmten dichter und seinem werk
sonst auch nicht eine spur auffinden können. Wir müssten
1) Mit dem blossen namen der yerfasser sind im folgenden citiert:
S im rock, Parz. und Tit. übersetzt und erläutert, 2. nnd 5. ansg. — Ur-
bach, Ueber den stand der frage nach den quellen des Parz., Zwickan 1872.
— Bartsch, Die eigennamen in Wolframs Parz. und Tit., Germ. Studien
2, 114 ff. — Zarncke, Zur geschichte der gralsage, Beitr. 3, 304 ff. —
Birch-Hirchfeld, Die sage vom gral, Leipzig 1877. — Kupp, Die
unmittelbaren quellen des Parz., Z8.fdph. 17, Iff. — Hertz, Die sage Tom
Parz. und dem gral, Nord und süd 18 (1881), 94 ff. (auch separat). — Piper,
Wolfram T. Eschenbach, Stuttgart [1890]. — Heinzel, Ueber Wolframs
von Eschenbach Parzival, WSB., phil.-hist. kl. bd. 130 (1894). — Wacker-
na gel, Altfranz, lieder und leiche, Basel 1846.
Belteftge rar getohiebte dm dealaolwii ■piMbe. ZXn. \
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2 LICHTENSTEIN
denn eine alte, viel bestrittene Vermutung •) wider aufnehmen,
wonach der lyriker und spätere Satiriker Guiot de Provins
gemeint ist, der durch seine anwesenheit bei dem ritterfest in
Mainz 11842) auch in Deutschland bekannt geworden sein
kann, und dessen name daher sehr gut als eine autorität
gegen Crestien ausgespielt werden konnte, mochte nun ein
misverständnis zu gründe liegen oder nicht. Einen Parzival
hat dieser Guiot jedoch nicht gedichtet
Wenn also schon die einfache nennung der quelle bei
Wolfram der kritik Schwierigkeiten bereitet, so liegt das
schwerste bedenken gegen seine angäbe in dem umstände,
dass tatsächlich sein werk mit dem uns erhaltenen unvoUen-
"deten gedachte Crestiens eine beinahe vollständige Parallelität
der handlung, vielfach lange stellen wörtlicher Übereinstim-
mung, und dazu eine reihe von misverständnissen aufweist,
die nur durch entlehnung aus Crestien erklärt werden können.
Dem gegenüber steht allerdings auch wider eine grosse zahl
von abweichungen und Überschüssen bei Wolfram, so vor allem
die Vorgeschichte in buch 1. 2, der abschluss der erzählung in
buch 14—16, die erklärung des grals, die bei Crestien fehlt,
und die beziehung auf das haus Anjou.
Um diese Schwierigkeit zu lösen, haben San Marte (Germ.
3, 445), Bartsch s. 114 und Hertz angenommen, Wolfram habe
zwei vorlagen für sein gedieht benutzt, Kyot und Crestien.
Das entspricht nun schon nicht dem einfachen Wortlaut der
angaben Wolframs, und dann ist es doch fraglich, ob man
dem dichter Wolfram eine solche kritische tätigkeit, wie sie
die vergleichung und Verarbeitung zweier gralwerke darstellt,
zutrauen darf. 3)
Bleibt man aber bei den angaben Wolframs stehen und
nimmt Kyot als seine einzige quelle an, dann fordern die ähn-
lichkeiten zwischen Kyot und Crestien eine erklärung. Drei au-
slebten hierüber sind möglich und tatsächlich verteidigt worden:
*) Zuerst aufgesteUt von Wackernagel, Altfranz, lieder und leiche
8. 191. Dass Wolfir. im Wh. 437, 11 die Stadt Provis kennt, braucht nicht
als gegenbeweis zu gelten, vgl. Heinzel 16.
>) Guiots Bible t. 278 If.; vgl. Wolfarts ausgäbe in San Martes Parz.-
stud. 1, einl. s. 5.
') Zamcke s. 318 anm. Golther, Born, forsch. 5, 116.
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ZUR PARZIVALFRAGE. 3
1. Crestien hat Kyot als quelle benutzt (Haupt, Bartsch
s. 114).
2. Kyot hat Crestien als quelle benutzt (Wackemagel
s. 191 anuL, Simrock V, 489, Martin, QF. 42, 19, Piper s. 110).
3. Crestien und Kyot schöpften aus einer gemeinsamen
quelle (Kupp s. 8, Heinzel s. 39).
Die erste annähme ist literarhistorisch und kritisch un-
haltbar, wie Zarncke, Beitr. 3, 317 1 und Heinzel s. 29 ff. nach-
gewiesen haben. Aber auch die zweite erklärung führt zu
unglaublichen consequenzen (s. Birch-Hirschfeld s. 275 1 280 f.
Heinzel s. 37 ff.). Eine art Übergangsstandpunkt von 2 zu 3
vertritt Golther, Rom. forsch. 5, 116 ff.: 'Guiot hat erst nach
Crestien gedichtet, er hat den Crestien gekannt und vielleicht
auch aus ihm entlehnt, daneben aber auch ältere quellen be-
nutzt.'J) Woher dann die beinahe vollständige congruenz der
beiden darstellungen mit ihren zahllosen wörtlichen Überein-
stimmungen und directen misverständnissen kommt^ bleibt da-
bei unerklärt. 2)
Diese Schwierigkeit wird auch durch Küpps und Heinzeis
hypothese nicht genügend gelöst. Kupp setzt einfach für alles
was bei Crestien fehlt oder abweicht, Wolfram = Kyot. Heinzel
betont stark Wolframs Selbständigkeit gegenüber seiner quelle
und weist eine grosse summe von dem plus das Wolfram
gegenüber Crestien hat, als Wolframs eigentum nach; dann
aber stellt auch er alles von jenem plus übrig bleibende auf
Kyots rechnung. Ein zwingender grund hierzu liegt nicht vor.
Unsere kenntnis der mittelalterlichen literatur wird stets un-
vollständig bleiben, und in bezug auf den Inhalt des uns ver-
lorenen kommen wir über Vermutungen nicht hinaus. Hat es
da mehr Wahrscheinlichkeit für sich, eine grosse menge von
abschweifungen (die ja nach Heinzel s. 7 die französischen
dichter des 12. jL's nicht so sehr lieben wie die deutschen
des 13.), anspielungen, namen und deutungen dem uns un-
1) Aehnlich San Harte, Z8.fdph. 15,411.
>) Eine vermittelnde anschanung anderer art ist es, wenn Urbach
8.36 und Hertz s. 94 in Kyot nur eine verloren gegangene erweiterte re-
daction (Interpolation) des Werkes von Crestien sehen. — Auch die oben
unter 2 genannten forscher n&hem sich mehr oder weniger diesem Stand-
punkt.
1*
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4 LICHTENSTEm
bekannten Kyot zuzuschreiben oder Wolfram, dessen Vorliebe
für derartige dinge wir kennen? Ueberall wo sich Wider-
sprüche, dunkelheiten, Seltsamkeiten der composition ergeben,
soll nach Heinzel s. 22 ff. die unbekannte quelle die lösung
enthalten. Aber solche unvollkommenheiten finden sich in
jedem mittelalterlichen roman. Und bei dem weitschichtigen
material das Wolfram verarbeitete, ^sind solche irrungen so
natürlich, dass man sich eher wundem möchte, deren so wenige
zu finden' (Heinzel s. 26). Ja, Heinzel geht so weit auch die
kette von motivierungen und beziehungen, durch die bei
Wolfram im gegensatz zu jenen abschweifungen und Uneben-
heiten eine gewisse einheit in den gang der handlung ge-
bracht wird, als Kyots werk zu bezeichnen (s. 29 ff.). Das
heisst aber, um mit Golther zu reden, *) die grossen geister
der literaturgeschichte, denen sich alle späteren willig unter-
ordnen, jeder eigenen phantasietätigkeit verlustig erklären und
alles bedeutende und neue von sehr hypothetischen Vorläufern
tun lassen, die dann nur abgeschrieben zu werden brauchten.
Dies trifft nicht nur Wolfram und Crestien, sondern auch
Kyot. Denn wenn Wolfram wirklich bei letzterem alles ver-
einigt gefunden hat, sowol die abweichungen von Crestien als
die Übereinstimmungen, dann werden wir zu der unhaltbaren
annähme geführt, dass Crestien, der eigentliche Schöpfer des
höfischen romans in Frankreich, und Kyot, der von Wolfram
noch über ihn gestellte meister, beide die hauptteile ihrer dar-
Stellungen aus der gemeinsamen quelle entnommen haben, und
zwar zum grossen teil mit demselben Wortlaut. Kyot hat
sich dann ausserdem willkürlich in gegensatz zu der in Frank-
reich herschenden graltradition gesetzt, oder er, der franzö-
sisch dichtende Provenzale, hat sie selber misverstanden, oder
endlich er hat sie ebenso misverständlich und unvollständig
überliefert wie Crestien.^) Bevor wir uns zu einer so gewagten
annähme entschliessen, werden wir doch noch einmal den ver-
such machen, durch eine genaue vergleichung der beiden vor-
handenen dichtwerke aus ihnen selbst die abweichungen zu
erklären, und nur wo diese erklärung uns im stich lässt, uns
0 Sitz.-ber. der bair. akad., ph.-hi8t. kl. 1890, bd.2,216.
>) Birch-Hirechfeld s. 275 f.
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ZUR PARZIVALFRAQE. 5
nach einer anderen quelle umzusehen. Bezüglich des grals
ist diese aufgäbe bereits von Zarncke und Birch- Hirschfeld
glänzend gelöst. Ich verweise dafür auch auf das urteil Böt-
tichers, der am Schlüsse seiner prüfung der Wolfram-literatur
anerkennt, dass Birch-Hirschfelds beweisführung *der schwerste
einwand gegen die existenz Kyots ist, und dass alles früher
beigebrachte dagegen unwesentlich wird'. Aber 'die Kyot-
frage ist durch Birch -Hirschfeld noch nicht aus der weit ge-
schafft; daher ist und bleibt es wünschenswert, dass ein jeder,
der sich in diese fragen vertieft, sein scherflein zu ihrer lösung
beitragen möge'. Von grösster Wichtigkeit ist nach Bötticher
eine genaue und zuverlässige vergleichung der zu erwartenden
kritischen ausgäbe CrestiensO mit dem Parzival.
Eine vergleichung von Wolfram und Crestien ist auszugs-
weise schon 1858 von Rochat und 1884 von Kupp geliefert
worden. Aber Bötticher (W.-lit. 46 anm. und 59) und Heinzel
(Gralr. 1) bemerken mit recht, dass solche auszüge und inhalts-
angaben immer durch die auffassungen und absiebten des Ver-
fassers beeinflusst werden und somit als eine objective grund-
lage für die beurteilung nicht dienen können. In der tat
kommen die beiden Verfasser bei ihrer vergleichung zu ent-
gegengesetzten ergebnissen. Eine vollständige gegenüberstel-
lung der entsprechenden textstellen aus Wolfram und Crestien
und eine genaue feststellung des nichtentsprechenden habe ich
bereits vor mehreren jähren vorgenommen. Diese in extenso
hier zu veröffentlichen, verbietet der räum; es ist auch nicht
so notwendig, da ja das meiste immerhin seit Rochat und
Kupp bekannt ist. Nur wo ich neue zusammenhänge gefunden
habe für stellen die man bisher als abweichend betrachtete,
oder wo sonst das Verhältnis Wolframs zu Crestien eine cha-
rakteristische beleuchtung empfängt, werde ich die textworte
selbst anführen. Im übrigen kann ich mich darauf beschrän-
ken, zahlenmässig eine vollständige Übersicht zu bieten. Wo
die darstellungen beider dichter sich in inhalt und form decken,
setze ich das zeichen i^; wo nur der inhalt übereinstimmt, das
zeichen =; blosse ähnlichkeit in worten bei abweichendem
0 Eine kritische ausgäbe, die prof. Baist vorbereitet, ist leider noch
nicht erschienen.
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6 lilCHTENSTEIN
sinne bezeicline ich durch c^. Die unterschiede gebe ich jedes-
mal mit möglichster genauigkeit an, und Überschüsse oder
stärkere abweichungen zeichne ich durch [ ] aus.
Zahlen wirken freilich nicht überzeugend und sind nur
ein notbehelf, damit man die betreffenden stellen auffinden
und gegen einander halten kann. Aber die Übersichtlichkeit
gewinnt dabei, und es ist meines er achtens nicht nur für die
entscheidung der quellenfrage, sondern auch für culturhistori-
sche und stilistische Untersuchungen von Wichtigkeit zu wissen,
ob eine stelle im Parzival dem deutschen dichter allein zu-
kommt, oder ob sie ihr vorbild im Conte del graal hat, und
was Wolfram aus dem vorliegenden stoff gemacht hat. Das
ist aber durchaus nicht leicht, da sich die entsprechuugen
häufig an ganz verschiedenen stellen finden. »)
Für die gralsage insbesondere ist es kaum anders mög-
lich als sämmtliche in betracht kommenden stellen im Zu-
sammenhang zu untersuchen. Hierfür wird man doch immer
auf die umfassenden arbeiten von Birch-Hirschfeld und Heinzel
zurückgreifen müssen; ich kann daher diese teile aus meinen
nachWeisungen ausscheiden. Eine weitere abkürzung wird mir
leider durch persönliche Verhältnisse geboten, so dass ich meine
Übersicht vorläufig mit dem schluss des sechsten buches von
Wolfram abbrechen muss. Ich hoffe aber, dass auch dies ge-
nügen wird, um die enge des Verhältnisses zwischen Wolfram
und Crestien vollständiger als bisher zu veranschaulichen, um-
somehr als häufig auch späteres dabei zur spräche kommt.
Die zusammenfassende betrachtung der unterschiede, die ich
der Übersicht folgen lasse, stützt sich auf die vergleichung
des ganzen textes.
2. Textvergleichnng.
Farzivals eitern.
Das Originalgedicht Crestiens, welches in der ausgäbe von
Potvin (abgesehen von einem kurzen prolog, Potvin 2, 307 f.)
mit V. 1283 beginnt, führt uns sogleich mitten in seinen eigent-
lichen gegenständ hinein, während Wolfram der geschichte des
^) Weiühold, Deutsche franen P, 161 f. führt nach Parz. 512, 16 eine
sitte als echt deutsch an, die aas C. 8205 ff. stammt.
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ZUR PARZIVAIiFRAGE. 7
beiden diejenige seines vaters vorangehen lässt (buch 1. 2).
Schon Eochat (Genn. 8, 119) hat entdeckt, dass der name Gab-
muret aus C. stammt: C. 1661 roi Ban de Gonieret, Variante
Gamoret Der name kommt dort allerdings nicht Parzivals
vater zu, von dem nur im vorhergehenden die rede ist; die
ganze stelle aber — es ist die klage der mutter beim abschied
— bringt weitere mitteilungen über Parzivals geschlecht und
liefert interessante anhaltspunkte zu vergleichen, die bisher
noch nicht genügend beachtet worden sind.
w. 5, 23
Gahmuret der wigant
yerlos aus bürge unde lant
da sin vater schone
truoc zepter unde kröne
mit grözer küneclicher kraft
unz er lac tot an riterschaft.
17
künge, gräven, herzogen,
(daz sag ich iu für ungelogen)
daz die da huobe enterbet sint . . .
vgl. 7,27. 8,8. 12, 16 f.
108, 12
sin prls gap sd hdhen ruc,
niemen reichet an sin zil
8W& man noch ritter prüeven wil
317, 22
— daz iuwer vater w«re
manlicher triuwe wise
ont witvengec höher prise.
318,1
nn ist inwer prls ze valsche komn.
ow€ daz ie wart vemomn
von mir daz Herzeloyden bam
an prlse hat sus missevam.
vgl. 56, 21.
Dann berichtet bei C. die mutter auch von ihrer abkunft:
1617 car jou sui de Chevaliers nee
de mellours de ceste contree;
es illes de mer n'ot linage
meUor del mien en mon eage.
Ihr geschlecht ist nun aber sowol bei C. (7790) wie bei W.
(476, 12 f.) das der gralkönige. Dass diese auch von C. als
C. 1632
ses grans tieres, ses grans tresors
que il avoit come prendom,
ala tout a pierdission;
si cha'i en grant povret6;
apovri et desirete
et essilie furent a tort
li gentil home apr^s la mort
(Uter Pandagrons qui rois fu*)
et peres le bon roi Artu).
1610
n'ot Chevalier de si haut pris,
tant redoute ne tant cremu,
biaus fius, com vostre peres fu,
en toutes les lies de mer.
de öou vos poes bien vanter
que vous ne decees de rien
de son lignage ne del mien.
0 W. 56, 12 wird ütepandragftn als grossoheim Gahmurets genannt.
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8 LICHTENSTEIN
Chevaliers bezeichnet werden, und zwar als die besten es illes
de mer, darf nicht übersehen werven, wenn man nach dem
Ursprung des gralrittertums bei W. forscht.
[C. 1621— 28 moralische betrachtung; vgl. W. 103, 20— 23
oder 4, 27 — 5,51.] — Die Verwundung des vaters (W.106, 15 — ^17.
C. 1629 — 31) wird verschieden geschildert, bei C. in derselben
art wie die des flscherkönigs (C. 4687—91 = W. 479, 8—12).
C. 1650. 53—82 erwähnt zwei brttder Parzivals (s. zu W. 177,14).
Der held selbst trägt zunächst keinen namen; er heisst
bei W. der knappe (117, 30. 119, 9 u. ö.) = C. U volles (1323. 38
u. ö.) oder ganz zuerst des werden Gahmuretes kint (117, 15),
fil li roi Gahmuret (122, 28) o^ 0. li fius a la vaive danie (1288).
Für seine spätere widererkennung durch Sigune (140,4 — 7)
sind die zärtlichen benennungen wichtig, die ihm die mutter
beilegt. Man hat bisher gemeint, diese habe W. ganz allein;
sie sind aber fast wörtlich aus C. entnommen:
W. 113, 1 C. 1562
die künegin des gelüste mais grant joie ot en icele eure
daz sin vil dicke kuste. qu'ele le Toit, et pas ne pot
si sprach hinz im in allen Alz celer sa joie qn'ele en ot;
'bon ftz, scher fiz, b^ä fiz.' car come mere qui moult Taime,
keurt contre lui et si le claime
biaus fils, biaux fils, plns de
.C. fois.
Dass W. statt des mehrfach widerholten hiaus ßs wech-
selnde adjectiva setzt und dabei seine französischen sprach-
keimtnisse zeigt, entspricht der sonstigen art des dichters. Zu
vergleichen sind noch die widerkehrenden anreden biaus fius
oder Maus dous fius bei C. 1582.90. 1602.7.12 u.ö.i)
*) In dieser benennung haben wir eine wichtige berührung der Parz.-
sage mit der vom Schönen unbekannten, was Mennung in seiner disser-
tation: Der Bei inconnu, HaUe 1890, ttbersehen hat. Auch die wurfspiesse,
die M. yermisst, finden sich C. 1800, ebenso die hohe Stellung und der
spätere stürz des vaters 1610 ff. 1632 ff. Die Jugend des beiden stimmt
genau überein, und auch sonst -finden sich viele verwante ztige. Da der
Schöne unbekannte nach Mennung nicht der ursprüngliche träger der
Schlangengeschichte und ebensowenig Parzival der der gralsage ist (vgl.
Hertz s. 103), so könnten beide aus einer und derselben dümmlingsfigur
hervorgegangen sein. Jedenfalls haben die verschiedenen bearbeiter jenes
Stolfes die ähnlichkeit gefühlt, was sie durch mannigfache entlehnungen
bekunden (OrguiUous de la Lande, Giflet etc.).
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ZUB PABZIVALFBAGE.
9
Parzivals erziehung.
Auch diese einleitung ist nur bei W. ausgesondert, bei C.
sind die entsprechenden angaben in die erzählung eingestreut.
W. 116, 28
[fron Herzeloyd din riche]
ir diier lande wart ein gast.
117,4
si Tloch der werlde wnnne.
7
sich zöch din yronwe j&mers halt
üz ir lande in einen walt
116,30
si truoc der freuden mangels last.
117,14
si br&hte dar durch flühtesal
des werden Gahmuretes kint.
117,8
— in einen walt
zer waste in Soltäne;
(niht durch) bluomen
üf die
plane.
117,16
liute, die bi ir da sint
müezen büwen und riuten.
117,20
ir volc si gar für sich gewan
22
den gebot si allen an den lip,
daz se immer ritters wurden lüt.
*wan friesche daz mins herzen trüt,
welch ritters leben waere,
daz wurde mir vil swsere.
nu habt iuch an der witze kraft,
und helt in alle riterschaft.'
118,4
bogen unde bölzelln
[die sneit er mit sin selbes hant,]
und schoz vil vögele die er vant.
120,2
er lernte den gabilotes swanc,
d& mit er mangen hirz erschöz,
des s!n muoter und ir volc genoz.
ez wsere seber oder snß
dem wilde tet sin schiezen w§.
C. 1644
[Vostre peres] ce manoir ot
ici en ceste foriest gaste;
ne pot Mr, mais en grant haste
en litiere aporter s'en fist.
76
et j'euc le vie moult amere
sofPerte puis que il fu mors.
51
petis esties et alaitans
poi avi^s plus de .U. ans.
1288
li fius a la vaive dame
de la gaste foriest soutaine.
1283
(Ce fu el tans c') arbre florissent
fuellent boscage, pre verdissent.
1296
erceours ke sa mere avoit
qui ses tieres li ahanoient.
1532
que destoumer Ten quidoit Ten
que ja Chevalier ne veist
ne lor alfaire n'apresist.
1602
^Biaus dous fius, de chevalerie
vous quidoie je bien garder,
que ja n'en oissies parier
ne que ja nul n'en veissies,
n'estre Chevaliers deüssies.'
1414
*Dont vault mius li .1. de ces trois
gaverlos que vous vees chi;
car, kanke jou voel, en ochi
oisiaus et biestes au besoing
et si les ocis de si loing
que on poroit .1. boigon traire.*
vgl. 1309 f.
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10
LICHTENSTEIN
118,8
(den vogel) des schal Yon sänge
was so groz.
13
alle morgen.
eme künde niht gesorgen,
ez enwsere ob im der vogekanc,
die süeze in sin herze drauc:
daz erstract« im siniu brüstelin.
vgl. 118,24—28.
1285
et eil oisel en lor latin
docement cantent au matin.
1300
et maintenant li cuers del ventre
por le doue tans se resjooit,
et por les cans que il ooit
des oisiaus qni joie faisoient;
toutes ces coses li plaisoient.
[W. 118,9— 10. 118,29 — 119,15 P.'s schmerz über die
von ihm erschossenen vögel. Die mutter befiehlt, alle vögel
zu töten. — 118, 11 — 13 P.'s Schönheit, er wäscht sich alle
morgen am bach. — 120, 7 — 10 er trägt das wild unzerlegt
heim.] — W. 118, 18—22 (^ C. 1560 f.
W. 119, 17
*6w§ muoter, waz ist got?'
'snn, ich sage dirz äne spot.
er ist noch liehter denne der
tac,
der antlitzes sich bewac
n&ch menschen antlitze.
119,22
sun, merke eine witze,
und flehe in umbe dine not.'
W. 119, 25— 27 = C. 1326— 30.
C. 1354
et ne me dist ma mere fable,
qui me dist que li angle sont
les plus beles coses du mont,
fors dex ki plus est biaus que
tuit.
vgl. 1577—81.
1590
— 'Biaus fius, a dieu te rent;
car moult ai grant paor de toi.
Begegnung mit den rittem.
W. 120, 11 — 125,26. C. 1290— 1557.
C. 1300—4. 1354—57. 1414—19. 1532—34 s. vorigen ab-
schnitt. [C. 1290 — 93 P. steht früh auf, sattelt sein pferd und
nimmt 3 gavrelots. Bei W. hat er 1 gabylot (120, 16), aber
kein pferd (126, 20). — C. 1305—6 er nimmt dem pferde den
zäum ab.]
W. 125, 25—26 = C. 1294—96. — W. 120, 11—12. 16 ^
C. 1299. 1307—11. — W. 120, 14—15. 24—26 ^ C. 1314—16.
23—24. — W. 120, 17—24. 16 ^ C. 1325—38 (vgl. W. 119, 25
—27). — W. 122, 1—12. 120, 25. 121, 14 c^ C. 1319—22. 41—48.
W. 120, 27—28. 121, 30. 122, 1. 21—24. 120, 29 — 121, 2.
122, 25—28 ^ C. 1348—50. 58—70.
Bei C. sind es 5 ritter, bei W. zuerst 3, ein vierter kommt
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ZUB PABZIVALFBAÜE. 11
nach, er ist ihr herr 121,13—15.23. Dazu vgl. C. 1371—79
der herr der ritter befiehlt seinen gefährten, zurückzubleiben,
um den knappen nicht zu sehr zu erschrecken.
W. 121,3— 9 ^ C. 1454— 60. — W. 121,29.15 ^ C.1380
— 81. — [C. 1382—85 er grüsst Parz. und sucht ihm seine ver-
meintliche furcht zu benehmen; P. verwahrt sich dagegen.] —
W. 122,29 — 123,4 ^ C. 1386— 90.
W. 123,13 C. 1391
D6 lac din gotes knnst an im. mais vous estes plus biaus ke dex;
16
nie mannes varwe baz geriet car fusce Jon ore autreteus,
124, 18
,öwi wan wser din schoene min! ansi luisans et ausi fais!'
Bei C. bewundert Parz. die Schönheit des ritters; W. über-
trägt dies lob auf seinen beiden, zum teil mit denselben worten;
vgl. W. 118, 11. 122,13.
W. 122, 15—16. 20 (121, 16—22) = C. 1396—97. Die an-
zahl der verfolgten ritter und Jungfrauen weicht ab, wie die
meisten Zahlenangaben. — Die frage wird bei C. mehrmals
widerholt (1421—23. 1466—69. 1503—6), weü P. nicht ant-
wortet.
Die folgenden aufklärungen über waffen und ritterschaft,
bei W. kurz zusammengefasst, bilden bei C. einen sehr leb-
haften, teilweise in halbzeilen verlaufenden dialog: W. 123, 19
—27. 124,1—4 ^ C. 1400— 3. 24—26. 70—73. — W. 124,5
—10 ^ C. 1409. 13. 36. 40—41. 75. 82—85.
W. 123, 28 — 30 vergleich mit den kammerfrauen seiner
mutter, gerade wie C.1919 — 22.
W. 124,11—14 ^ C. 1485— 88. — W. 124,15—16 ^ C.1443
_47. _ w. 124, 17. 19—21. t^ C. 1448—53. 61—64. — W. 123,
6—10 ^ C. 1497. 1501—2. 44—46.
[C. 1547—54 der könig sei in Carduel, wo ihn der ritter
vor vier tagen verlassen habe.]
W. 124, 22— 30 c/) C. 1507— 22 die ritter kommen [C: von
Parzival geführt] zu den pflügern [C: in den destroit de Val-
done\ — Zu W. 124, 30 vgl. noch C. 1535. 39 boviers.
W. 125, 17—24. 124, 27 ^ C. 1523—31. — W. 125, 1—10
== C. 1535 — 43 der führer der ritter [nach C: Parz. für ihn]
erkundigt sich bei den pflügern nach dem von den verfolgten
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12 LICHTENSTEIN
eingeschlagenen wege. — W. 125, 12 lt. C. 1555 — 57 er setzt
ihnen eiligst nach.
[W. 121, 18—22. 26—27. 125, 11. 13—16 der beweggrund
der Verfolgung, der erfolg und die namen der beteiligten.
Melja{h)kang 125, 11 = Meljaganz Hartm. Iw. 5680; vgl. W.
343,26. 387,1. 583,10.]
Farsivals auszug.
W. 125, 27 — 129, 4. C. 1558—1819.
W. kürzt auch diesen auftritt und verwendet das material
anderweitig: (W577— 81. 90— 94. 1602—6.44—52.76—77 s.
unter a^'s erziehung'; C. 1562—67. 1610—43 s. T.'s eitern';
C. 1653—82 s. *bei Gurnemanz'.
1. P. kommt zur mutter. W. 125, 27—29 =- C. 1558—59.
— [C. 1560—61. 68—72 die mutter ist wegen P.'s ausbleiben
in grosser angst gewesen; vgl. W. 118, 19 f.] — W. 125, 30—126,
4.15 '^ C. 1597— 1601. — W. 126,9— 11 ^i C. 1584— 88. 96.
Hier fügt C. die nachrichten über die familie des beiden
ein, die im deutschen gedieht anderwärts verwertet sind. Da-
für bringt W. ein anderes stück familiengeschichte, um zu
motivieren, dass P. nicht in seine länder zurückkehren kann,
und damit den zustand widerherzustellen, wie er vor der ein-
schiebung der bücher 1 und 2 vorhanden war: [W. 128,3 — 10.
s. auch 140, 25 — 141, 7 die getreuen P.'s sind von Lähelin, dem
eroberer seiner länder, erschlagen und gefangen worden; vgl.
C. 1609 vos aiitres amis und 1641 les tieres furcnt essilies],
W. 126, 12—14. 16—18 ^ C. 1687—91. — [W. 126, 19—20
P. verlangt von der mutter ein pferd. C. 1683 — 85 er verlangt
zu essen; ein pferd hat er bereits nach 1291 f.]
2. P.'s ausrüstung mit torenkleidern (C. a 1u guise de Gales).
Die veranlassung zu der Übersetzung Horenkleider' entnahm
W. aus C. 1455 f. que Galois sont tuit par nature plus fol quo
bestes en pasture; vgl. W. 121, 5 ff.
W. 126, 26—27. 127, 1—9 ^ C. 1692—98. 1798. — W. 144,
26—27 = C. 1795—97. — W. 145, 1—2 = C. 1799—1805 er
nimmt sein gabyUt mit. [Nach C. lässt ilim die mutter von
seinen 3 gaverlos 2 wegnehmen, damit er nicht gar zu sehr wie
ein Galois aussehe.] — [W. 144, 23—25 bastzaum; schwaches
pferd.] [C. 1806 — 7 une roote, por son ceval ferir.] — W. 127,
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ZÜB PAIIZIVALPRA.GE. 13
11—14 ^ C. 1699—1700 die mutter hält ihn noch drei tage
fW. eine nacht] zurück [W. um ihn zu belehren].
3. Die 4 lehren der mutter. W. 127, 13— 14 k^ C. 1721— 22.
a) Kuss und ring einer frau erwerben W. 127. 25 — 128,2
= C. 1740 — 50. — (C. 1745 öainte öainttire u aumosniere, vgl.
W. 131, 17 fürspan.) — [C. 1727—39 dienst und hilfe den damen.
Diese Weisung hat W. mit recht der ritterlichen belehrung
durch Gumemanz vorbehalten (s. W. 172, 7 — 173, 6). Nach dem
vorangegangenen muss es ja auch auffallen, wenn bei C. die
mutter diese lehre so begründet (1725 f.): du wirst in kurzem
ritter sein, und ich billige es!]
b) Betragen gegen fremde. W.^127, 19 — 20 grüssen, stimmt
zu C. 1876 1 2552—54, ist also an unserer stelle von W. richtig
ergänzt. [C. 1751 — 56 alle gefährten auf wegen und herbergen
um ihren namen fragen.]
c) Bei biedermännern belehrung suchen W. 127, 21—24 =
C. 1757—60.
d) [Kirchen und münster besuchen C. 1761—88. Diesen
rat übergeht W. auch an den beiden anderen stellen, wo er
bei C. widerkehrt, nämlich in den Unterweisungen des Gurne-
manz und des Trevrezent 2855—63. 7816—32; s. zuW. 169,16.]
— [W. 127, 15 — 18 hat dafür die lehre, dunkle fürten zu ver-
meiden; veranlassung dazu gab C. 2506 ff., s. u.]
W. 128, 11—12 t^. C. 1789—92 P. drückt seine bereitwillig-
keit aus, der letzten mahnung zu folgen, die aber in den beiden
texten nicht die gleiche ist.
4. Abschied, tod der mutter. W. 128, 13—22 ^ C. 1793
— 94. 1814 — 19 (bei C. sieht er die mutter niederfallen, kehrt
sich aber nicht daran. Erst nachher bei Gurnemanz regt sich
sein gewissen).
C. 1810 — 13 die mutter betet zu gott um glück für ihren
scheidenden söhn. W. 128, 23 — 129, 4 der mutter treue wird
im himmel ihren lohn finden; getreue frauen aber sollen ihrem
söhne heil wünschen.
Die dame im zelte.
W. 129, 5 — 137, 30. C. 1820—2025.
1. P. kommt zu dem zelte.
W. 129,5—6. 12—23 i^ C. 1823— 37 durchgehends wörtUche
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14 LICHTENSTEIK
Übereinstimmung. Der rest der beschreibung ist abweichend
[W. 129, 24—26. C. 1838—46].
[C. 1847 — 60 der lehre seiner mutter eingedenk, will P. in
das münster gehen, das er vor sich zu sehen glaubt. W. hin-
gegen, 129,7 — 11, lässt ihn die mahnung befolgen, dunkle fürten
zu vermeiden, genau dieselbe vertauschung wie oben.] Jedoch
hat W.'s text seine wörtlichen entsprechungen in späteren
stellen C.'s:
W. 129,10 C.2506
durch daz sin fluz sd tiinkel was, mais en Fenwe n'entra 11 mie,
der knappe den fort dar an vermeit qn*il le vit moult parfonde et noire, —
9
den tag er gar demeben reit si s'en ya tout selonc la riye.
vgl. auch C. 4166—72.
W. 129, 28— 29. 130,3.20 ^ C. 1862— 66. — [C. 1867— 70
ihre Jungfrauen waren ausgegangen, um frische blumen zum
streuen zu suchen.] — Der name Orüus de Laiander W. 129,27
ist aus C. 4991 vorweggenommen.
[Zusätze bei W.: die titel duc und hereoginne 129, 27. 30,
der name der Jeschüte (nach Bartsch s. 133 aus gisoit C. 1864
misverstanden) und die Schilderung ihrer reize 130, 1 — 2. 4 — 19.
21—25. 131, 23; der name des waldes Briuljan 129, 6 aus Iwein
263. 925.]
W. 131, 1—5 oo C. 1871—74 die dame erschrickt und er-
wacht, bei C. durch das wiehern des pferdes, bei W. durch P.'s
ungestüme annäherung. — C. 1875— 80 s. zu W. 132,23— 24.
2. Gewaltsame umarmung und raub des ringes.
W. 132, 6—8. 131, 6—15. 19—21 '^ C. 1881—88. 94—1900.
— (C. 1901—3 er küsst sie 20mal; vgl. W. 132, 20.) — W. 130,
26. 29—30. 131, 16 ^ C. 1904. 6—7. 15. — [C. 1909—12 sie wei-
gert sich den ring gutwillig herauszugeben. — 1917 — 18 er
wendet sich zum gehen.] — C. 1919—22 s. zu W. 123, 28—30.
3. P. isst und zieht weiter.
W. 132, 10—14 \^ C. 1923— 27. 1885—86. 92—93. — W. 132,
15—16. 131, 22 = C. 1928—31. — W. 131, 27—28 ^ C. 1932.
37. — W. 132, 1—3 ^ C. 1938—44. 1953—54. — [C. 1945—52.
55 er ladet die dame zum mitessen ein; sie erwidert kein wort.
Er deckt den rest wider zu.]
W. 132, 23—24 s^ C. 1956—59. 1876—80. — [C. 1960—64
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ZÜB PARZrVALPBAGE. 15
sie möge sich um ihren ring nicht grämen; bevor er sterbe,
werde er ihr ihn widergeben; vgl. W. 132, 17—18.] — W. 132,
21 — 22 = C. 1965 — 73 sie verweigert ihm den abschiedsgruss
(hier wird durch die parallele die interpretation W.'s gefördert).
4. Eifersucht des gatten.
W. 132, 28 — 133, 13. 133, 15—18 ^ C. 1974—84 (charak-
teristisch für W. ist, dass er die herabsetzenden ausdrücke
durch ein lob der Schönheit seines beiden ersetzt; dieses dient
ihm zugleich als verstärkendes motiv für die eifersucht des
gatten 133,21. 271,4).
W. 133, 14. 19—20. 22 ^ C. 1988. 92—95. 2000. — [ W. 133,
23 — 28 sie weist die Verdächtigung durch berufung auf ihren
fürstenrang zurück. C. 2002 — 11 sie gesteht, P. habe sie wider
ihren willen geküsst; der gatte glaubt nicht an ihre Unschuld.]
[W. 133, 29 — 135, 15 reminiscenzen aus dem Erec, hervor-
gerufen durch den umstand, dass auch dort ein Orgueülous de
la lande vorkommt, s. Bartsch s. 125.]
W. 135, 16— 18 anticipiert C. 2234— 38. — W. 135, 21— 24
anticipiert C. 4642 f. und 5001.
W. 136, 24— 25. 137,1—4. 136,29—30. 137,15—19. 135,
19-20 = 0.2012—24. — [W. 135, 25 — 136, 22. 136, 26— 28
Scheidung von tisch und bett. Die fürstin bittet um ritter-
liches gericht. — 137,5 — 12 die angekündigte strafe wird an
dem Sattelzeug des pferdes sogleich vollzogen. — 137, 20 — 30
sentimentaler epilog.] — [C. 2025 der eifersüchtige gatte setzt
sich zum essen nieder.]
Die folgende partie bietet die erste bedeutendere abwei-
chung. W. schiebt 138, 9 — 142, 2 eine begegnung P.'s mit
seiner cousine ein. Bei C. fehlt dieser auftritt hier; die einzel-
heiten sind aber der späteren begegnung bei C. entlehnt, s.
zu W. 249, 11. — Das motiv dieser einschiebung bei W. ist
offenbar, dass er seinen beiden nicht länger unbenannt lassen
wollte. Er selbst sagt das 140, 10:
nu hoert in rehter nennen,
daz ir wol müget erkennen,
wer dirre ayentiure hßrre si.
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16 LICHTENSTEIN
Erstes auftreten bei hofe.
W. 138, 1—8. 142, 3 — 161, 8. C. 2026—2496.
1. Der Wegweiser.
In diesem kurzen Zwischenstück zeigt sich starke Ver-
schiedenheit. W. 138, 2 = C. 2026. — [W. 138, 5—8. 142,6—10
P. folgt dem zweiten rat der mutter. 142,11 — 143,7. 143,
10 — 20 er kommt zu dem hause eines geizigen flscKeig, dem
er für eine herberge das fürspan der Jeschute gibt] [C. 2027
— 28 er trifft einen köhler, der einen esel vor sich hertreibt.]
— W. 143,8—9. 144,5—7. 9—10. 17—18 = C. 2029. S1--32.
34-35. 55—56. 51 1. 53—54.
[C. 2036— 50 episode vom könig Bion^)]
[W. 144, 11—16 ein bauer darf sich dem hofe nicht nahen;
vgl.Wh.187,26— 29, SanMarte, Ueb.Wh. S.67. — 143,21—
144,4. 144,20 — 22 zwei polemische ausfälle auf Hartmanns Erec
und Eilharts Tristrant. — 145, 4 — 6 anspielung auf buch 2.]
Artus' residenz heisst bei W. Nantes (vielleicht misver-
ständnis aus ./. asnes C. 2028), bei C. Carduel.
W. 144,23 — 145,2, s. s. 12.
2. Der rote ritter.
W. 145, 7. 30. 146,1. 145,22. 25—27. 17—18 ^ C.2057— 66.
[W. 145, 8—12. 15 nach der lehre der mutter grüsst P. den
ritter, dieser dankt. Des ritters name und verwantschaft mit
Artus (der name ItMr von Gaheviejs, vgl. Wh. 467, 3, kann aus
Hartm. Erec 1657 stammen, wo die hs. Iher Gdheries hat; s.
Heinzel s. 5). — 146, 5—12 P.'s Schönheit.] — [C. 2067—78
P. will schnurstracks zum könige gehen und die waffen von
ihm fordern.]
W. 146,13— 15. 17— 18. 21— 231. 145,13—14. 146,2 =
C. 2076—77. 80—89. — [W. 146, 26—30 hinweis auf die alt-
deutsche rechtsform der besitzergreifung mittelst strohwischs,
8. Grimm, RA. 196.] — [W. 147, 9 f. P. nimmt den auftrag an.
C. 2090 f. er hört nicht darauf.] — W. 147, 11. 28 = C. 2092—94.
3. Im palast.
[W. 147, 12— 15. 148,19—22. 150,30. 151,7—10 P. wird
wegen seiner Schönheit von allen umdrängt; s. C. 2169 — 70.]
0 Nach Heinzel b. 38 einBchnb , den C. ans einer anderen erzfthlnng
entnahm. YieUeicht aber ist es nur eine Interpolation?
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ZÜB PABZIVALFBAOE. 17
[W. 147, 27 — 29 P. wird von Iwanet zum palast geführt,
wo er, die anwesenden übertönend, seinen auftrag ausrichtet,
ohne dass ihn der könig hört, s. 148,29. — C. 2095— 2103 P.
reitet in den zu ebener erde gelegenen saal, wo die bei tische
sitzenden ritter mit einander sprechen, während der könig selbst
in nachdenken versunken ist; über die Ursache s. C.2136£t =
W. 150, 6 ff.]
W. 147, 19—22. 148, 2—8 = C.2104— 6 P. weiss nicht, wen
er grüssen soll.
W. 147, 16 C.2117
Iwfinet dar näher spranc Tant c'nns seijans contre lin vint
158,1.17. var.:
Yw&net Tant qu'Yvonnet . . .
W. 147, 22—23. 17. 25—26. 30 — 148, 1 \^ C. 2109. 11—15.»)
[C. 2116 — 29 der könig bleibt nachdenklich und stumm,
auch als P. ihn zum zweiten male anredet, worauf dieser un-
willig umkehren will, dabei aber aus Ungeschicklichkeit des
königs kappe herabwirft.]
W. 149, 6— 7. 150,6—8.10 = C. 2180— 31. 88— 39.
W. 145,16 C.2142
den roten riter man in hiez li Yermans Cheyaliers a nom
29
der künec von Kukümerlant de la foriest de Kinkerloi
5505
Einkenroi
Man beachte an dieser stelle die wörtliche Übereinstim-
mung und zugleich die für W. typischen abweichungen: un-
genaue namenwidergabe und titel.
[C. 2144—47 die königin sei hingekommen, um die ver-
wundeten ritter zu pflegen.]
^) Daraus dass P. bei W. sagt, seine mntter habe ihm befohlen,
k6nig und königin zu grüssen, und Herzeloyde 127, 13 davon nichts gesagt
hat (wol aber bei C. 1706), schliesst Heinzel s. 46, dass sowol W. wie C.
hier etwas aus der gemeinsamen quelle weggelassen haben, ersterer den
auftrag, letzterer die botschaft. Das ist schwerlich richtig: denn eben-
sowenig hatte ihm die mutter besonders aufgetragen, die yon der tafel-
runde zu grüssen (148, 4- -6) oder Ither (145,9) oder die traurigen sowol
wie die fröhlichen (138, 25 f.)- P. wendet yielmehr nur die allgemeine
lehre 127, 19 f. jedesmal auf den concreten fall an (8.138,5—8). Schliess-
lich ist auch bei C. 1706 Ton einem auftrage den könig zu grüssen gar
nicht die rede.
Beiferige lox gwohioht« d«r deutaohan tpnohe. ZXII. 2
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18 LICHTEN8TBIN
W. 146, 22— 24 ^ C. 2150— 54. — [W. 147, 1—2. 148,13
— 14 sucht die Unschicklichkeit des roten ritters zu entschul-
digen, die C. 2154 laide et vilaine nennt.] — W. 149, 2 — 4 =
C. 2155— 57. — W. 149, 15— 16 = C. 2160— 65. — W. 148, 22
—28. 149, 1 = C. 2166—70 (dies ist die erste stelle, wo auch
C. einige worte über die Schönheit des helden hat). — W. 149,
23—24. 8—10. 17—22 = C. 2171—76. 83—85.
W. 149, 11—16. 25—30 = C. 2178—82. 86—92 P. verlangt,
auf der stelle zum ritter gemacht und mit den waffen des
roten ritters beschenkt zu werden, [W. 150, 1 — 2 sonst werde
er welche von seiner mutter erhalten, die eine königin sei].
— W. 150, 11—14 = C. 2193—99 der seneschall [welcher ver-
wundet ist, C] erklärt in boshafter Ironie die forderung für
berechtigt. P. möge sich die waffen holen. — W. 150, 23—26.
3—4 = C. 2200—5 der könig nimmt P. in schütz. — W. 150,
16 — ^22 Keie begründet seine ansieht durch Sentenzen; desgl.
bei C. 2206— 25 der könig.
4. Die lachende Jungfrau.
W. 150, 29. 151,3. 11—19 = C. 2226—38, vgl. 2251—54. —
W. 151, 21— 30 = C. 2240— 44. — W. 152, 23— 28. 153,9—13
= C. 2246—54.
Unterschiede (nach Hagen, Germ. 37, 124): bei W. lacht
Cunneware und wird deshalb, ohne dass sie ein wort gesprochen
hat, von Keie sofort bestraft. Sie wollte niemals lachen, es
sei denn, dass sie denjenigen sähe, der den höchsten rühm be-
sässe oder noch erwerben wüi-de. In demselben sinne wollte
sich Antanor des Sprechens enthalten; er ist nur scheinbar
ein;tor. — Bei C. lacht eine Jungfrau, die zehn jähre lang
nicht gelacht hat, und sagt dem P., er werde einst der beste
ritter sein. Dasselbe hatte ein narr vorausgesagt, dass näm-
lich die Jungfrau nicht eher lachen werde, als bis sie den
besten ritter gesehen habe.
Von diesen unterschieden ist nur das nichtsprechen wesent-
lich, das sowol W. wie das mabinogi*) unabhängig von C.
einführen. Für diesen 6inen märchenhaften zug scheinen sie
^) Dort begrüssen ein zwerg und eine zwergin, die ein jähr stumm
gewesen sind, den Peredur als die blute der ritterschaft und werden deshalb
von Eei gezüchtigt.
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ZUB PABZIVALFBAGE. lÖ
somit eine andere quelle benutzt zu haben (vielleicht jedoch
ist W.'s fassung nur ein misverständnis von C. 2444 fi, einer
stelle, die W. auch im übrigen hierher versetzt hat: li sos,
hi sist jouste le feu, ot la parole et saut en pies .. . et dist;
ot = habuit (bekam) statt = audit^)). — Dagegen wäre es
ein Irrtum anzunehmen, dass auch Cunneware bei W. sich
stumm verhalten sollte. Ihr nichtsprechen ist rein zufällig;
die Worte, die ihr C. 2231 ff. in den mund legt, sind bei W.
151, 14 ff. einfach erzählend widergegeben. Das lachen, worauf
es bei ihr ankommt, hat W. mit C. gemein, wie sich auch
sonst zahlreiche Übereinstimmungen ergeben. Die zehn jähre
bei C. sind unerheblich und nur des reimes wegen gesetzt.
W. hat die roheit Keies gemildert: bei C. schlägt er der Jung-
frau mit der band ins gesicht, dass sie zu boden stürzt, und
dem toren gibt er einen fusstritt, dass er ins brennende
kaminfeuer fliegt. Ebenso nimmt W. den Antanor in schütz,
wenn er den Vorwurf der torheit als mit unrecht gegen ihn
erhoben darstellt.
Die Prophezeiung des toren W. 152, 30 — 153, 8 anticipiert
C. 2444 — 66. — Der ausdruck la puchiele la romne C. 2439 =
*die Jungfrau der königin' könnte von W. fälschlich apposi-
tioneil au^efasst worden sein, indem er die Cunneware zur
fürstin macht. — Der stab und die zöpfe können aus C. 3971.
75 stammen, wo Ken /. bastonet hat und treäes dlune trece ist.
[W. 152, 1—22. 153, 14—22 scheltreden Keies, P.'s ent-
rüstung. Verwantschaft der Jungfrau mit Orüus und Lähelin.
Namen: Cunneware und Antanor, letzterer aus Veldeke En. 3326.]
6. Der kämpf.
W. 151, 1 C. 2259
Iw&net in an der hende zöch Ton6s les sentiers savoit, . . .
63
für eine lonben niht ze hdch. ist par .1. vergier de la sale
4
ouch was diu loube so nidr ... et par une posteme ayale . . .
Falls diese parallele richtig ist, so liegt hier ein neues
misverständnis W.'s vor, das notwendig auf dem Wortlaut C.'s
basiert. — Weiterhin nimmt W. an, dass der gegen seine ge-
^) Heinzel s. 12. Anf dieselbe yennutimg war ich vorher selbständig
gekommen.
2*
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20 lilCHTENSTBIN
nossen diensteifrige Iwanet (C. 2260 1) den Parz. führe; dazu vgl.
W. 147,17 C.2260
der knappe valßches vrie et moult volentiera aportoit
der bot im kamp&nie. noveles a ses compagnons.
W. 153, 21— 24. 154,4-6. 153,28 ^ C. 2256— 58. 75— 77.
— W. 158, 25—27. 154, 3 = C. 2279-81. 86—88. — W. 154,
19—21 = C. 2282—85. — W. 154, 8—10 = C. 2289—93. —
[W. 154, 11—18 ironische antwort des ritters. 154, 24 — 26 er-
innerung an Lähelin, vgl. 128, 3—10.] — W. 155, 1—3. 154, 27
—30. 155,4—11 ^ C. 2294— 2311. — [W. 155, 12— 18 epüog.]
6. Der waffenraub.
[C. 2312—14 P. steigt erst jetzt ab und entfernt zunächst
lanze und schild.] — W. 155, 19—28 = C. 2315—21 vergebliche
versuche, den heim und die schinnelier [C: den heim und das
Schwert] zu lösen. — [W. 155, 29 — 156, 8 durch das wiehern
der pferde angelockt, kommt Iwanet, der verwante der frau
Ginover, herbei.]
W. 156, 9—10. 15—21 = C. 2322—43 (von fuoze üf = jus-
ques en T ortet), — W. 156, 25 — 157, 2 ^ C. 2344—56. P. will
die ihm von der mutter gegebene kleidung und besonders die
ribbalin nicht ablegen. [C. 2357—64 praktische gründe. — Der
deutsche Parz. wird durch das ethische motiv bestimmt] —
W. 157, 3—8. 10. 12—13. 22 — 158, 2. 5 ^ 0. 7365—72. 75—83
wörtlich. Nur fehlen bei W. der heim (C. 2373—74), bei C. die
schinnelier (W. 157, 13 s. o.).
[W. 158, 3—4. 6—12 Unterweisungen Iwanets, weitere aus-
führung von C. 2375 — 78; dies greift jedoch der belehrung durch
Gurnemanz vor.] — [C. 2386 — 88 er schenkt Yonet sein pferd.]
— [W. 157, 17—21 Iwanet behält ihm sein gabyUt als nicht
rittermässig zurück; vgl. C. 2344 ff. und 1802— 5.] — [W. 158,
13 — 16 hinweis auf die deutsche kunst: dieser muss von dem
deutschen dichter stammen trotz der berufung auf die quelle.
Uebrigens hat die stelle ihr Vorbild bei C. 2374 und 3008—10.]
— W. 158, 17 — 159, 3 ^ C. 2384-85. 89—95. 99.
7. Der schluss dieses abenteuers bietet viele Verschieden-
heiten.
[C. 2400—30. 37—43 bericht des knappen bei hofe; viele
widerholungen. W. hat hiervon nur zwei zeilen 159,20 — 21.]
— C. 2444—73 s. W. 153, 1—8. — [C. 2431—36. 74—96 der
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ZUB PABZIVAIiFRAGE. 21
könig beklagt Keus torheit, die Parz. vom hofe vertrieben
habe.] — [W. 159, 5 — 161, 8. 155,11—18 der tote ritter wird
bei hofe beklagt und feierlich bestattet. Dies folgt aus dem
von W. eingeführten verwantschaftsverhältnis.]
Bei Gumemanz von Graharz (Gomemans de Grohort).
W. 161, 9 — 179, 12. C. 2497—2890.
1. Ankunft.
W. 161, 9—16 == C. 2635—37 Vorzüge des pferdes. — W.
161,21—22 = C. 2497— 98. — (C. 2499— 2517 terrain-schilde-
rung, vgl. W. 129, 7—12, s. s. 14.) — W. 161, 23—27 ^ C. 2518
— 20. — [W. 161, 28 — 162, 5 naive betrachtung über das schloss.]
[C. 2521 — 38 detaillierte beschreibung des Schlosses.]
W. 162, 8 C. 2538
da vor stuont ein linde breit enmi le pont ot nne tonr,
üf einem grttenen anger: et deyant, .1. pont tomeis
der was breiter noch langer qni estoit fais et establis
niht wan ze rehter m&ze. a ce qne la droitnre aporte.
43
daz ors und onch din strftze li varl^s vers le pont cemine;
in truogen d& er sitzen vant viestos d*une renbe d^ermine
des was diu bnrc unt onch daz lant. s^aloit .1. prendom esbatant
par sns le pont, et si atant
celni ki viers le pont venoit.
Wir finden hier neben wörtlichen entlehnungen und mis-
verständnissen (cemine verb 3. sg. — diu sträze) die grösste
freiheit der darstellung. Dass P. bei W. den burgherm unter
der linde sitzend trifft (s. auch 162,21—22) entspricht deutschem
brauch.
C. 2550— 51 dem burgherm folgen 2 knappen. W. 162,20.
26. 163, 7 — 12 er sitzt zunächst allein, auf ein zeichen von
ihm kommen mehrere knappen heraus. — W. 163, 25 ^ C. 2552
—55. — W. 162, 25. 27—28 = C. 2556—58. — W. 163, 21—22
= C. 2560—62. — W. 162, 29 — 163, 6. 15—16 s^ C. 2594—98.
2605—10. — [W. 162, 15—19 grosse müdigkeit lässt P. seinen
Schild ungeschickt schwingen, vgl. C. 2630 — 34. Hiermit moti-
viert dann 173, 14 Gumemanz die notwendigkeit der Unter-
weisung in ritterlichen künsten.]
Bei C. folgt unmittelbar auf die begrüssung die frage des
Wirtes, woher P. komme 2559; W. verschiebt sie dem höfischen
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22 LIGHTENSTEIN
brauche gemäss bis zum folgenden tage 169,25 — 28. Bei C.
findet noch am selben tage die waffenübung statt, während im
deutschen gedieht P. ermüdet am abend ankommt und sich,
nachdem er gegessen hat, schlafen legt, sodass die ganze
handlung einen tag mehr füllt.
W. 163,13—14 = C. 2603—5. 2729—30. P. erhält herberge.
— W. 163, 20— 164,5 = C. 2611— 14 P. wird [nach langem
sträuben, W.] veranlasst abzusteigen und entwaffnet. Bei C.
besorgen das die beiden knappen, bei W. eine anzahl ritter
[163,17—19]. — W. 164, 6— 8 ^ C. 2615— 18. — [W. 164, 11
— 23 P.'s Schönheit. 164, 24 — 165, 14 seine wunde wird von
dem Wirt mit eigener hand gewaschen und verbunden; vgl. C.
2816 ff.] — W. 165, 15 — 173, 10 s. unter no. 3. 4. 5.
2. Waffenübung.
[W. 173, 11—20 der wirt hält P. seine steife schildhaltung
vor (s. 0. 162, 15) und erklärt eine Unterweisung in ritterlichen
künsten für notwendig. C. 2576 — 91 i&r preudom stellt mit P.
ein kleines examen in der kenntnis des waffenhandwerks an
und lobt ironisch seine naiven antworten; desgl. später zur
repetition 2643 ff. 2702 ff.] — [W. 173,21—26 der wirt lässt
pferde und lanzen herausbringen; ritter und knappen beteiligen
sich. C. 2619 — 24 der preudom nimmt P.'s sporen, schild und
lanze und besteigt dessen pferd.]
W. 173, 12—13. 19—20. 27 — 174, 5 = C. 2625—35. — W.
174, 6—9 cx^' C. 2638—64. 73—76 pädagogische begründung. —
W. 174, 10 — 175, 9 = C. 2665—72. 77 — 2700 P. bekundet in
einer reihe von proben seine angeborene tüchtigkeit, vgl. be-
sonders W. 174,25 : C. 2672 und W. 175,7—9 : C. 2677—82.
Bei C. führt er diese Übungen di-eimal allein, dem beispiel
seines lehrmeisters folgend, aus; bei W. stellt ihm der schloss-
herr gegner aus seinen rittem, von denen er fünf niederwirft.
— [C. 2702—26 gebrauch des Schwertes. P. sagt, er habe schon
bei den ochsentreibem seiner mutter tüchtig gelernt, sich gegen
angi'iffe zu verteidigen.] — W. 175, 4 = C. 2727—28.
3. Mahlzeit.
Dieser auftritt ist bei W. verdreifacht: 165, 15 — 166, 4.
169, 21 — 170, 6. 175, 10 — 177, 8.
W. 169, 5—6. 21. 175, 19 ^ C. 2731. 41^2. — [C. 2732
—38 der lehre seiner mutter folgend, fragt P. nach dem namen
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ZUB PABZIVALFBAGE. 23
des Wirts.] — W. 162, 6 u. ö. Gumemana de Gräha/rz = C. 2740
Gonemans de Gelbort, Berner hs. Gomemans de Groort, 8084
Gonemans de Gohort W. gibt diesen namen gleich am anfang
des abenteuers, verschiebt dagegen die mitteilungen P.'s über
seine reise bis hierher. W. 169, 25 — 170, 2 ^ C. 2659. 69—72.
[C. 2563 — 67 der schlossherr bemerkt, der könig habe jetzt
doch wol anderes zu tun, als ritter zu machen: das kann auf
den roten ritter gedeutet werden. W. 170, 3 — 6 der wirt
erkennt mit schmerz, dass es sich um den roten ritter handele;
er überträgt diesen namen nun auf R; vgl. C. 5339.] — [C. 2743
— 48 ein knappe bringt einen kurzen mantel und zwar ganz
aus eigenem antriebe; vgl. W. 167, 1. — C. 2749 Gomemans
besitzt reiche und grosse häuser; nach W. 176, 2—3 ist sein
wolstand nicht eben gross.] — C. 2750 er hat schöne kinder;
W. nennt die schöne Liaze und drei söhne (s. no.6). Alles was
W. über das benehmen der Liaze und die heiratspläne des
Vaters sagt, ist von C. unabhängig [175,10—18.21 — 176,12.
176,18—25. 177,3—4. 178,8—10. 178,27 — 179,6]. Vgl. je-
doch W. 175, 7—15 mit C. 3052—65.
W. 165, 15. 169,22. 175,20 = C. 2751— 52. — W. 165, 26.
169, 23 ^ C. 2753—57. — [W. 176, 16—17 P. muss sich bei der
dritten mahlzeit zwischen seinen wirt und dessen tochter setzen.
— W. 165, 16—25 P. hat grossen hunger.] — W. 165, 26—30
= C. 2758—60. — W. 166, 5. 170, 7 ^ C. 2762.
4. Ritterliche kleidung.
W. 166, 6—9 vgl. C. 4302—7. — W. 166, 11. 14—20 der
wirt führt den müden P. an eine bettstatt; dieser schläft fest
bis zum tage. C. 2787 — 91 sie gehen schlafen; am morgen
kommt der wirt an P.'s bett. — W. 166, 12—13 u-^ C. 2797
—2813 P. sträubt sich anfangs, sich von den von seiner mutter
gemachten kleidern zu trennen. — W. 168, 2—14 = C. 2792
—96. 2814, vgl. auch 2994-96. — W. 168, 21. 23 = C. 2790.
[C. 2816—30. 2886 P. wird zum ritter gemacht, indem
Gomemans ihm selbst den rechten spom und das schwert,
zahlreiche knappen die anderen Waffen anlegen.] [W. 164, 24
— 165, 14 Gura. wäscht und verbindet mit eigener hand P.'s
wunde. 166,21—167,30 Jungfrauen bereiten ihm ein bad.]
5. Gumemanz' lehren.
a) Nicht immer die mutter im munde führen W. 170, 9—14
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24 LICHT£NfiTEIN
i^ C. 2867—80. — [W. 170, 15—20 knüpft daran einen anderen
rat: ir suU niemer iuck ver Schemen; vielleicht ist das ein mis-
verständnis von C. 2873 vos pri que vos en chastids.]
b) Bedrängten helfen W. 170, 23— 171, 6 = C. 2848— 54.
— C. fasst männer und frauen zusammen, W. widmet dem
verhalten gegenüber den frauen einen besonderen abschnitt
172, 7 — 173, 6, welcher aus den lehren der mutter bei C. 1727
—39 hierher versetzt zu sein scheint. — [W. 170, 27 mäte;
171,7 — 16 rechte masshaltung zwischen Verschwendung und
knauserei. Diese erweiterung darf wol dem deutschen dichter
zugeschrieben werden, vgl. 297, 16 — 29.]
c) Zu vieles reden und fragen vermeiden W. 171, 17 — 24
= C. 2840—48.
d) Besiegten rittem pardon geben W. 171,25—30 ^ C.2831
— 39. — [W. 172, 1 — 6 äugen und bände von rost waschen beim
ablegen der rüstung.]
e) [Fleissig ins münster gehen, nur C. (2855—66); P. er-
innert sich dabei der gleichen lehre seiner mutter (s. s. 13),
und dies gibt veranlassung zu der belehrung a.]. Zu vergleichen
wäre aus W. 169, 15—20, wo beim Schlossgottesdienst P. opfern
und sich segnen lernt.
W. 173, 7—9 ^ C. 2881—85. Trotzdem W. die reihenfolge
der lehren geändert hat, hat er am schluss die antwort P.'s
beibehalten, die auf die lehre a bezug nimmt.
6. Abschied.
W. 176, 28 — 177, 2 cx^ C. 2763—70 um sich in ritterlichen
Übungen weiter auszubilden, will P. fort bei W., während
bei C. gerade dasselbe motiv ihn an Gurn. fesseln soll; aber
hierfür hatte W. ja das heiratsproject erfunden. Die besorgnis
um die mutter, welche im französischen gedieht den beiden
forttreibt [2771—86. 2893—94], durfte er auch deswegen nicht
äussern, weil er ja gelehrt worden war, von seiner mutter zu
schweigen (er hatte sie auch nicht niedersinken sehen, wie
in C); aber der deutsche Parz. trägt darum nicht weniger die
mutter im herzen, s. W. 173, 8 f. 169, 10—14, vgl. 223, 17 ff.
Bei W. pflegt man ihn 14 tage, bei C. möchte man ihn
einen monat oder am liebsten ein ganzes jähr dabehalten.
W. 177, 9— 10. 178,10. 179,7—8 = 0.2887—92; vgl. be-
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ZÜB PASZIYALFRAGE.
25
sonders 178, 10 (sif) . . . mtn lant in niht behagt, 2890 qm li
demorers vos anuie,
W. hat diese abschiedsscene bedeutend erweitert durch die
erzählung, die Gumemanz von seinen drei söhnen gibt. Auf
den ersten blick scheint es, dass er dies aus einer anderen
quelle geschöpft oder frei erfunden haben müsse; denn G. sagt
(2750) nur, dass G. schöne kinder gehabt habe. Sieht man
aber näher zu, so findet sich ein deutliches vorbild für jene
erzählung in der abschiedsklage der mutter bei C. Schon bei
besprechung der lehren des Gurnemanz wurden wir veranlasst,
auf diejenigen der mutter zurückzugreifen. Und in der tat ist
die Situation in den beiden scenen eine so ähnliche, dass die
annähme nicht zu gewagt erscheint, W. habe aus der einen
Züge für die andere entlehnt. P. nimmt abschied, dort von
einer liebenden mutter, hier von einem zweiten vater, welche
beide ihm lehren fürs leben mitgeben und dann im augenblick
des scheidens ihrer anderen söhne gedenken, die vordem auf
ritterschaft ausgezogen und nicht mehr nach hause zurück-
gekehrt sind. Man vergleiche besonders folgende stellen:
W. 177, 23
diu drin füLr rninin werden kint
din eUenthaft erstorben sint.
sns lönt iedoch din ritterschaft:
ir zagel ist j&merstricke haft.
178,4
des ist mir dürkel als ein zun
min herze von jämers sniten.
25
(des) lac min wip, sin mnoter,
tot:
groz jämer irz n&ch im gebot.
177, 14
ir Sit min vierder snn verlorn,
ja wand ich ergetzet waere
drier jsemerlichen msere.
178,6
nü Sit ir alze frno geriten
von mir trostelosen man.
C. 1650
.n. monlt bians freres avi6s . . .
69
as armes farent mort andni.
62
en .1. jour andni li vallet
adonbet et Chevalier furent,
et en .1. jor mesmes momrent.
75
doudoeldes fius morn li pere,
et j*enc le vie moult amere
sofiferte puis qne il fu mors.
78
vous estiies tous li confors
qne jou avoie et tous li biens,
car il n'en i a plus des miens,
que plus ne m'avoit dex laissie
dont je fusce joians et lie.
Im einzelnen finden sich natürlich viele ab weichungen; so
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26 LICHTETNÖTBIN
hat W. die zahl der söhne um einen vermehrt, und die affären
bei denen sie ihren tod finden, teils einer späteren stelle C.'s
entnommen (Kingrün — s. C. 3484 car ./. ck ses freres gier-
mains, de ceste guerre, U hocis), teils dem deutschen Erec (W.
178,11 — 24) mit hinzufügung einiger anderer namenJ) Ich
glaube, damit ist erwiesen, dass an irgend eine unbekannte
quelle hier nicht zu denken ist.
In Pelrapeire (Biau-Bepaire).
W. buch 4. C. 2891— 4151.
1. Ankunft.
W. 179, 18—15 ^ C. 2891—92. — [W. 179, 16 — 180, 2 P.
kann den gedanken an Liaze nicht los werden. C. 2892 — 94
P. sehnt sich nach der mutter.] — W. 180, 3—8 ^ C. 2895
—97. — W. 180, 15. 21—23. 181, 5. 180, 24-25 ^ C. 2898—2903.
— W. 181, 3. 9— 10 ^ C. 2904— 6.
[W. 180,9— 14. 180,29—181,2. 181,7—8 drastische ver-
gleiche.] — Die namen Brohare und Tampenteire scheinen ledig-
lich dem reime auf Gräharz und Pelrapeire ihre entstehung
zu verdanken. — [W. 181, 11—24. 182, 2—4. 6 die ritter der
Stadt halten ihn für einen feind und ziehen sich aus furcht
zurück.]
W. 181, 26—27. 182, 1. 7—8. 11. 5 == C. 2907—11. — W. 182,
13—17 ^ G. 2914-16. — W. 182, 20— 29 c^ C. 2917— 22. 27.
Bei W. wird P. wider als feind gefürchtet, er erbietet sich je-
doch zur hilfe. — [C. 2928 — 30 P. beginnt aufs neue zu klopfen.]
2. Empfang.
W. 183, 3. 11. 13. 17. 184, 1—3. 7—11. 22—25 ^ C. 2934
—35. 31—33. 36—40. 60—65. Man beachte die wörtlichen ent-
sprechungen sarjande = serjanf, haschen = haces, femer mete
= cydre cervoise, kraphen = paste. Daneben hat wider jeder
der beiden dichter seine besonderheiten in der Schilderung.
[W. 183, 4—10. 16. 20—30 die milizen der Stadt; der marschall;
die befestigungen, vgl. C. 2521—33. — 184, 4—6 der graf von
Wertheim; 184, 24 Trühendingen; 184, 27 — 185, 9 des dichters
^) Bartsch s. 124. Heinzel s. 5. Auch der name Schenteflürs in dem
C. entnommenen abenteuer ist dem deutschen Erec entlehnt. Diese wunder-
liche mischung von namen und abenteuern gehört nur W. an, ebenso die
Übertragung des frauennamens Genteflur q,\4 einen manu.
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ZÜB PABZIYALFBAGE. 27
eigene annut.] [C. 2948—57 zwei klöster; zu vgl. W. 190, 21 die
einsiedeleien der beiden oheime, f emerW. 196, 13 kirchen münster.]
— W. 185, 10—18. 194, 7—8. 16—17 = C. 2941—47. 58—59.
W. 185, 21—22. 30 = C. 2966—68 P. wird hineingeführt
und entwaffnet. — W. 185, 21— 26 = C. 3027— 84. 3136—38.
— [W. 185, 27—29 man legt einen teppich auf das gras —
vielleicht misverständnis des französischen covert cFardaise 2966,
var. de gloise. — Die deutsche linde. — 186, 1 — 6 P. wäscht
sich von rost und gleicht an glänz der sonne. — 186, 11 — 14
er nimmt den verschlag an, die herrin zu sehen.] [C. 2973 — 76
ein knappe bringt sein pferd in den stall.]
W. 186, 15—16. 7—9 J^ C. 2969—72. — W. 186, 28 — 187,
1. 7—8 ^ C. 2980—86 (durchaus wörtlich). — W. 186, 24—27
s. C. 3104 — 5, C. erwähnt einen oheim des fräuleins mouU sains
hom et relegious; W. macht daraus zwei und identiflciert die-
selben mit den beiden edlen herren welche beim empfang das
fräulein führen.
Die lange Schilderung der Schönheit bei C. 2987—3021
wird von W. abgekürzt und in einzelne skizzen aufgelöst, in
denen er vielfach die beschreibung in handlung umsetzt (vgl.
Bock, QF. 33, 11). Auch scheint er einzelne züge von C.'s ge-
mälde anderwärts verwertet zu haben: C. 2994 — 96 vgl. W. 168,
12—14; C.3052— 65 vgl. W.175,7— 15; C. 3019— 21 vgl. W.148,
24 — 28.30. — Im übrigen beruht W.'s darstellung trotz der
eingestreuten anspielungen auf Erec und Tristan vollständig
auf dem texte C.'s: W. 187, 12—18. 188, 6—8 = C. 2997—3001.
3019—21. — W. 186, 17—20. 188, 10—14 ^ C. 3012—18 (der
ieidiu wiz ist unde rot = li vermatts sor le blanc asm; daz
fuogte ir gaste groze not = por embler euer et sens de gent etc.).
W. 187, 2—6 = C. 3022—26. 38. 41. 43. — W. 187, 7. 9. 27
—29. 188,15—21 ^ C. 3044— 51. — W. 187, 24— 26. 3 = C.
3056—61. — W. 187, 30 =C. 3067— 68. — W. 188, 25— 30 ^
C. 3069—73. — W, 189, 6. 13—20 ^ C. 3074-84. — W. 188,27.
190, 3—8. 10. 13. 11 (14—15) ^ C. 3093—97. 3102—9 (beachte
zwelf pröt = y. miees\ zwei buzzel mit wtn = ./. boucel piain
de vincuit). — W. 189, 21— 26 vgl. C. 4302— 7. — [W. 190, 16
— 25 die beiden oheime reiten nach ihrer einsiedelei zurück,
vgl. C. 2948—57 die beiden klöster.] — W. 190, 26 — 191, 1. 3
—& ^ 0,3110—14.
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28
3. Die nacht.
W. 191, 7. 10—11. 21—24 = C. 3115. 22—26. — [W. 191,25
—27 P. schickt die ihn geleitenden ritter zorück and wird von
knappen entkleidet.] [C. 3116—21. 3267—71 die eine halfte der
mannen geht schlafen, die andere nbeminunt die wache.] —
W. 191, 27 sän er slief '^ C. 3135. — W. 191, 28—30 i^^ C. 3156
—63. — W. 192, 5— 8 i^ C. 3139— 43.
C. 3146
si s'est en aTentnre mise
come hardie et coragense,
mais ce nest mie wysense;
ains se porpense qa'ele iia
a son hoste et li dira
de son affaire one partie.
44
mantel de soie taint en graine
a afabl4 sonr sa cemise.
W. 192, 9
dö gienc diu kttneginne
niht n&ch selber minne . . .
(din) meide wip heizet,
si suochte helfe nnt frinndes rat.
an ir was werlichiu wät,
ein hemde wiz sidln:
waz möhte kampflicher sin ...
18
oncb swanc din fronwe nmb ir lip
von samlt einen mantel lanc.
si gienc als si der knmber twanc.
W. 192, 21—23 ^ C. 3264—66. — W. 192, 24—25. 30. 193,
1.16—21 !^ C. 3156— 64 — W. 193, 8— 10 = C. 3169— 71.
C. 3127
trestonte Taise et le delit
que on puist deviser en lit
ot li Chevaliers cele nuit,
fors que seulement le dednit
W. 193, 2 de pncele, se lui pleüst,
si heten beidiu kranken sin, u de dame le recheüt;
er nnt diu küneginne, mais il ne savoit nule rien
an bi ligender minne. d'amor ne de nule autre Wen.
Die vergleichung der angeführten stellen zeigt, dass W.
einfach seiner quelle gefolgt ist, mithin der ihm wegen dieser
scene gemachte Vorwurf (Piper 1, 12) unberechtigt ist.
W. 103, 22—24 ur. c. 3172—73. — [C. 3174—80 sie bittet,
dass er sie nicht für schlecht halte, weil sie fast nackt ge-
kommen sei.] — W. 193,25— 29. 194, 2—4 = G. 3241. 46— 53 ».
— W. 194, 14—301 = 0. 2941—43. 3456. 3191—98. 84—90. CU-
mide der künec von Iserterre W. 220, 6 = Clatnadex des üles
0. 3197. 3952, Clamediu 3805. Kingrün sin scheneschlant 194, 15
~ - Engrevains li senescaus 3196, var. En-{Ä')guigeron, gut-
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ZUR PABZTVALPBAGE. 29
grenon, Äguingeron Berner hs. 2693 = Potvin 3914, Guingeron
Pariser hs. 12577 bei Potvin 2, s.113 randnote, Quingeron prosa
1530 bei Potvin 2, s. 132 anm.
W. 195, 1—5 s. a 3484 f. — [W. 195, 6—11 P. wird durch
die erinnerung an Liaze traurig gestimmt] — [C. 3199 — 3202
die dame beklagt die getöteten und die gefangenen ritter, s.
W. 195, 16.J — C. 3205 ff. s. W, 210, 17 ff.
W. 195, 12—13 ^ C. 3239—40. 42. — W. 195, 16—17 =
C. 3203—4. — W. 195, 18—26 = C. 3214—26. 3379. — W. 195,
27—196,1 = C. 3317— 19. — W. 196, 2— 3. 5— 8 (vgl. 192, 21
—23) = C. 3261—66. — W. 196, 4 = C. 3174.
[C. 3230—38. 3250—61. 3272—8316 die dame verstellt sich
und bittet ihn widerholt, dem gefährlichen kämpfe auszuweichen
und sie zu verlassen, immer in der absieht, ihn nur desto mehr
in seinem vorhaben zu bestärken. Sie küssen sich und liegen
die nacht hindurch mund an mund und arm in arm. Am
morgen kehrt sie noch einmal zurück- Er fordert ihre liebe
als lohn. Sie will seine amie werden (vgl. W. 200, 7), aber
angeblich nicht unter der bedingung, dass er für sie sterbe.]
4. Parzivals kämpf mit IQngrun.
[W. 196, 12—19 das volk sucht kirchen und münster auf
(vgl. C. 2948—57); P. und die königin hören den gottesdienst,
den der schlosskaplan abhält.] — W. 196, 20—23 ^ C. 3330
—35. — W. 196, 30—197, 2 i^ C. 3336—53 die bfirger geben
P. das geleit bis zum tor und beten für sein heil; bei C. 18 verse,
bei W. nur 3, dafür der gottesdienst, s. o. — W. 196, 24. 26. 28
^ C.3354. 59—60. — [C. 3355—58. 61—87 Guingeron glaubt,
man wolle ihm das scMoss übergeben und beginnt ein hoch-
mütiges gespräch mit ihm; vgl. W. 197, 14 — 19.]
W. 197, 4-7 = C. 3390—95. — [W. 197, 8 beide kämpfer
werden herabgeworfen. C. 3396 — 3400 Guingeron kommt allein
zu falle, P. steigt ab.] — W. 197, 12—13 ^ C. 3397—99. —
W. 197, 9—10. 20 — 198, 1 = C. 3402—11.
W.198,2 C.3412
(sin Sicherheit) et eil li dist qne il n'i a
ir enwolde niht der mit im streit de la merci ne tant ne quant.
[C. 3414—23. 36 — 43 P. wird erst durch die erinnerung an
Gomemans und die inständigen bitten des besiegten bewogen,
diesem pardon zu gewähren, s. W. 212—30 — 214,3.]
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80 lilCHTENSTEIN
W. 198, 8—12 = C. 3424. 30—35. — W. 198, 3—4 = C. 3468
—70. — W. 198, 5—7 (214, 8—12) = C. 3480—88. Nach W.
ist es der söhn, nach C. der bruder des Guraemanz, der in
diesem kriege umgekommen ist. W. ist hier viel kürzer als
C. und bringt dieselben gespräche noch einmal ausführlich bei
Clamides besiegung. Die reihenfolge der beiden ersten vor-
schlage ist bei W. umgekehrt. Bei C. wird Gomemans immer
als der besitzer des schöngebauten Schlosses bezeichnet, vgl.
C. 2521—38, W. 183, 23—27.
W. 198, 13—22 = C. 3445—55. 57—67. — W. 198, 23—24.
199, 3—4. 9—10. 198, 25 — 199, 2 \^ C. 3489—99. — W. 199, 13
—17. 203, 21—22 = C. 3500—4. — [W. 199, 19—21 das äussere
heer wird mutlos, bleibt aber vor der Stadt liegen, s. 203, 23.
C. 3505—7 das belagerungsheer zieht ab.] — [C. 3508—13. 16
— 29 die bürger bedauern, dass ihr feind nicht in ihre bände
geliefert oder getötet worden sei.] — W. 199, 22—25. 29—30.
200,1—2.6—7 = C. 3514— 15. 30— 38 (3306).
5. Die schiffe mit lebensmitteln. Die hochzeit.
Bei C. ist es nur 6in schiff, welches erst später ankommt.
W. 200, 10—19 ^ C. 3700—10. - W. 200, 28 die koufliute s^
C. 3713 marceant somes. — W. 200, 24 — 201, 3 = C. 3721—33
die kaufleute erhalten glänzende bezahlung. — W. 201, 4. 7 =
C. 3732— 33. 15— 16. — W. 201, 8— 18 ur, C. 3737— 41. 47— 49.
54 — 61 die Speisung der hungrigen. W. lässt dabei, wie schon
vorher beim einkauf, P. eine weise vorsieht zeigen.
Dass P. die geliebte und ihr land gewinnt, wird bei C.
erst am schluss des ganzen abenteuers deutlich ausgedrückt,
4088 ff.; vorher gehen mehrfache zärtliche Zusammenkünfte.
Auch bei W. ist ja das erste beilager nur formell, aber das
zweideutige des Verhältnisses wird damit beseitigt (vgl. auch
das gebende).
6. Clamides ankunft.
W. 203, 12—22. 25 — 204, 3 ^ C. 3539—63. Die beiden
langen stellen stimmen wörtlich überein. W. 203, 16 des ors
zen siten was durchslagen scheint ein misverständnis zu sein
von C. 3548 que de ses puins ses ceviaus trait
[W.204,5— 12. 15—17 der könig kann den schnellen glücks-
wechsel nicht begreifen; ein ritter bestätigt die nachricht.
C. 3564 — 68 der könig ist ratlos; der knappe schlägt ihm vor
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ZÜB PABZIVAIiFRAGE. 31
umzukehren.] — W. 204, 7—10 = C. 3540—41. — W. 204, 18
—19 = C.3565. — W. 204, 13. 21. 28— 29 = C. 3569— 76. —
[C. 3577 — 86 der alte ritter macht den könig auf die hungersnot
in der Stadt aufmerksam. Dieses motiv konnte W. nicht brau-
chen, da nach ihm die neue .zufuhr schon eingetroffen war.
Um den könig zu ermutigen, lässt er daher den fnrsten sagen,
dass Eingrun gar nicht ernstlich ihre allgemeine sache ver-
fochten habe.] — W. 204, 30 — 205, 2 ^ C. 3587— 89.
C.3593 ist zum ersten male der name der geliebten P.'s,
Blancheflour, genannt und dann nur noch einmal am schluss
des abentieuers, 4090. Es wäre denkbar, dass W., der nicht
so zurückhaltend im namengeben ist, jene benennung bei C.
überhaupt übersehen oder erst hinterher gefunden hat. Viel-
leicht behagte ihm der name Blancheflour auch deshalb nicht,
weil er schon für eine person in Eilharts Tristran bekannt
war. Eine änderung war ja nicht so sehr kühn, da der name
bei C. eine so geringe roUe spielt. Wie dem auch sei, eins
ist sicher, dass der bei W. eingesetzte name Condwir ämürs
(Cundwierämürs 282, 28) nicht aus einer französischen quelle
stammt. Es ist eine deutsche Imperativische bildung aus dem
deutsch-französischen verb condwieren und dem object ämür.
Das verb condwieren kommt bei W. vier mal vor (155, 18.
199,22. 495,22. 696, 18), das zugehörige Substantiv conä{e)wier
zwei mal (401, 13. 741, 15). Besonders zu beachten ist 495, 22
ir minne cofidtoierte mir freude in daz herze min. Danach ist
W. die bildung dieses namens wol zuzutrauen. 0
[W. 205, 9 — 14 namen, offenbar W.'s eigener zusatz: Qor
logandres der herzöge von Gippones stammt aus Hartm. Erec
1661 Galagaundris und fil dou Giloles, Ein fürste uz UJcer-
lant und 210, 2 norden über den Ukerse sind ganz unfranzösi-
sche und unsinnige bildungen nach dem muster von 121, 27
leh cons ülterlec^),]
W. 205, 3— 8 1^ C. 3590— 91. 3599—3602. — [C.3604r-9
der könig lobt diesen rat; vgl. W. 205, 8. — C. 3609 si les
prendroThs come gent morte oo W. 205, 16 den man töten truoc
0 327, 20. 508, 22 bildet W. den acc. Condwiren ämürs. Vgl. Martin,
QF.42,8. Heinzel b. 11.
*) Bartsch s. 151. Heinzel s. 13 f.
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32 LICHTENSTEIN
her dan.] [W. 205, 17 — 206, 4 die bürger rüsten sich zur Ver-
teidigung und verbrennen die belagerungsmaschinen.]
Hier folgt bei W. 206, 5 — 207,5 die reise Kingruns zu
Artus; der letzte vers scheint anzudeuten, dass W. hier selb-
ständig das nuBre unterbrochen habe, um diesen teil einzu-
schieben, der bei C. mit der reise Clamides verbunden ist.
W. 207, 6—8. 14. 12—13. 15. 9. 16—18 ^ C. 3610—11. 15
—25. 29 (durchaus wörtlich). — W. 207, 21—26 die bürger
stechen zuerst grausam airf die von P. besiegten ritter ein
(ähnlich sticht P. selbst bei C. 3626 — 28), dann nehmen sie
auf P.'s geheiss 20 lebend gefangen (vgl. C. 3610 vint Chevaliers).
C. 3630 — 31 P. übergibt die gefangenen und ihre pferde den
damit beauftragten.
Der kämpf gegen die zweite abteilung entwickelt sich
verschieden. [W. 207, 27 — 208, 4 P. merkt den plan und um-
geht den feind.] [C. 3632 — 59 als das hauptheer den unter-
gang der kameraden sieht, kommt es in auflösung heran, wäh-
rend die belagerten sich geschlossen an das tor zurückziehen
und von den nachdrängenden einen teil innen gefangen nehmen,
den andern durch ein falltor zerschmettern.]
W. 208, 5— 6. 18—20 = C. 3660— 61. 64— 66. — [C.3667
— 87 der alte Waffenmeister ermahnt den könig auszuharren,
die bürg werde durch hungersnot in weniger als drei tagen
bezwungen werden; vgl W. 208, 16 der kundez her wol manen
(208, 17 er fällt an des königs seite). — C. 3688—91 sie la-
gern sich.]
W.208,23— 25.27— 28. 209,1 ^ C. 3692— 98. — [W.209,
2—7 die gefangenen kehren zu dem äusseren beer zurück.
Dadurch wird motiviert, wie Clamide von der frischen ver-
proviantierung der bürg erfährt, s. C.3762 ff.]. — W. 209, 8—10
^ C. 3742-46. 65—67. — (C. 3700—61 s. auch unter no. 5).
7. Einzelkampf zwischen P. und Clamide.
W.209, 15—29 i^ C.3762— 63. 69—75. 79—81. — [C.3776
—78. 3782—3816. 3820—21. 28 das fräulein und alle herren
und damen des Schlosses bestürmen P. mit bitten, dem gefähr-
lichen kämpfe fernzubleiben; vgl. 3230—38 etc. s.29.] — W.
209, 30 — 210, 3 = C. 3834—37. — W. 210, 4r-6 = C. 3817
—20. 24—25. 29—33 (W. bezeichnet das pferd Clamides als
ein gewäpent kastelän, C. das P.'s als ein cheval norois), —
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ZUR PARZiyAIiFBAGE. 33
[W. 210, 7—13 die herkunft des pferdes, norden vgl. C. norois;
Ukersi s. zu 205, 14] — W. 210, 14. 20 tusent sarjcmt tmd fünf-
hundert riUer ^ C. 3607—8. 34—35 JV. cens Chevaliers armes
et mil serjans taus acesmes.
W. 210, 27 = 0.3826—27. — W. 211, 10— 13. 15— 29 =
C. 3838—53. — [W. 211, 30 — 212, 16 zwei vergleiche zur be-
lebung des kampfbildes, vgl. 197, 22—26. — C. 3854^57 bricht
ab.] — W. 212, 17. 21— 22 = 0.3858—59. — [W. 212, 24— 29
P. wirft seinen gegner zu boden, reisst ihm den heim herab
und ist im begriff ihn zu töten; vgl. 197,28. C. 8410 f.]
Die Verhandlungen über die Unterwerfung kürzt C. mit
hinweis auf die gleiche scene mit dem seneschall ab (s. s.30);
W.'s längere reden holen hier das früher übergangene nach.
W. 212, 30 — 213, 21=0. 3412—13. 19--35. — W. 213, 29 —
214, 12 = 0. 3414^18. 68—70. 80—88. 3865—67.
W. 214, 18 C.3191
d& täten gnote ritterschaft de .m. cens Chevaliers et dis
ninn hundert ritter die wol striten dont eis castiaus estoit gamis,
21
und fünfzehn hundert saijant: n'a öaiena rem6s qne X.
25
ir kom ouch küme der s&me widr. et .n. et dis malus de .LX. .
Diese angaben beziehen sich bei W. auf die von Gurne-
manz geschickten hilfstruppen, bei 0. auf die gesammte be-
satzung; O.'s zahlen sind etwas unklar.
[0.3862 — 64 er soll sich nach BiaurRepaire in die gefangen-
schaft begebe^.] — W. 214, 29—30. 215, 2. 6—9 = C. 3868:-73.
Das bei W. stets kundgegebene bedauern für Ounneware (statt
desrach^efühls, bei 0.) hat. ein vorbüd in 0. 4074 cor de la
buffe se doloit qui U fu enla goe assise (dÄS subject des haupt-
satzes kann verschieden ergänzt werden).
[0. 3876 — 84 P. lässt Olamide versprechen, dass er die
gefangenen ausliefern und nie wider etwas feindseliges gegen
die Schlossherrin unternehmen werde. — W. 215, 10 — 18 P.
lässt Olamide geloben, dass er sich der geschlagenen Jungfrau
als gefangenen stellen werde.] — [0. 3887— 95 die auslief erung
der gefangenen. — W. 215, 30 — 216, 1 die bestattung der toten.J
— W. 216, 2—4 = 0. 3885—86. [W. 216, 4 das land Löver s.
S.43.]:
Beiteige sar geeohiehte der deataohen ipnohe. XZII. 3
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84 IiICHTBNSTEIN
8. Eingron und Clamide ziehen an den hol
Die beiden reisen, bei C. zusammengefasst, sind bei W.
getrennt beschrieben 206,5 — 207,3 und 216,3 — 222,9; vgl.
s. 32. Auch C. fängt zweimal an zu erzählen, 3924 und 3961.
[W. 206, 7—9 Artus hält sich zuerst im Jagdhaus Karminal
auf.] — C. 3898— 3905 S.W. 217, 23. — 0.3910-23 S.W. 222,
12—28.
W. 206, 5—6. 216, 3—12 \^ C. 3906—9. 24—25. 29—31.
BianazArün W. = Dinatirony Dinaderon en Gates C. (s. s.43).
— W. 206, 10— 11.20.28. 207,1 = C. 3934^39 (messenie =
maisnie). — W. 216, 13—18. 217, 10—13. 218, 15 [16] i^ C. 3961
—65 (pfinxtac =pentecoste etc.). — W. 217, 19—27 = C. 3932
—33. 3900—5. — W. 217, 28— 30 = C. 4070— 71. — W.218,
1—12 = C. 4072—75. 4020—26. — W. 279, 7—8 (beim empfang
des Oriius) = C. 4074-84.
Bei C. kommt er zu der geschlagenen Jungfrau erst ganz
zuletzt) sie sitzt in den gemachem bei den hofdamen der königin;
nach W. isst die königin mit Cunneware allein an einem be-
sonderen tische. Nach C. stellt er sich dem könige als gefan-
genen, nach W, der Cunneware, und zwar mit den gleichen
Worten.
W. 218, 17—24 = C. 3969. 4050—54 (doch wmne ich des,
erst üf gelogen = le tient a mottlt grant musardie; der wider-
saa im ein teil = par estoutie). — [C. 3970 — 4005 der äussere
prunk des seneschalls (vgl. W. 151, 28. 24) contrastiert mit der
bosheit seiner zunge (W. nimmt ihn in schütz 218, 25 ff., vgl.
152, 7 ft 296, 13 — 297, 29). Der könig will nicht eher essen,
als bis sich ein abenteuer seinem hofe naht (denselben zug
verwertet W. 309, 3—9)]. — [W. 218, 28 — 219, 3 man nimmt
dem Clamide den heim ab, das ermöglicht seine widererkennung.]
W. 219, 4—6. 11—13 s^ C. 3934. 41—43. 59—60. — [W. 219,
14 — 220,10 vgl. 213,22—28 Clamide ergeht sich in liebes-
klagen, indem er die Pilatuslegende und die erzählung von
Mabonagrin streift, vgl. 178,23. — Bei C.4017 sagt er nur ce
poise mot]. — W. 220, 11—13. 17. 19—22 = C. 4015—18. 36—41.
— C. 4020—26 s. W. 218, 3—12. — [C. 4028—35 Artus erkun-
digt sich nach P.'s ergehen.] — [W. 220, 14^18. 23—24. 206,
24—26 anspielung auf eine frühere feindschaft zwischen Cla-
mide und Artus. — 220, 25 — 221, 6 gedränge bei hofe; moti-
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ZÜS PASZirAIiFKlGE. 85
vierender Übergang zum folgenden.] — W. 221, 7—8. 10—12 =
C. 4060 — 65 dem ankömmling wird gesellschaft erwiesen bei
W. von Gawan, bei C. von Yvain und Gyfl6s (Giflet). Hiermit
sind zwei andere stellen zu vergleichen, wo teils einer, teils
zwei der genannten in ähnlichem zusammenhange auftreten:
W. 277, 4. C. 5464 nach der ankunft des Orilus und W. 311, 6
— 7. C. 6096. 99 nach der ankunft Parzivals, bez. nach der an-
kunft der gralsbotin bei hofe. An diesen drei stellen erscheinen:
bei W. bei C.
1. Gawan Yvains und Gyfl6s
2. Gawan und Jofreit fiz Idoel Gawains
3. Gawan und Jofreit fiz Idoßl Gawains und Gifl6s li Aus Do.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich schon mit grosser
Wahrscheinlichkeit, dass auch an der ersten stelle bei C. Ga-
wains für Yvains zu lesen sein wird, und diese Vermutung
wird noch sicherer durch die Charakteristik des betreffenden
ki amande totAS ciaus qui a lui s'accompagnent, die viel eher
auf Gawain passt.
W.221, 13 — 222,6 = 0.3943—56. 4034—35. — W.222,
7—9 oo C. 4056—59 (bei C. vom könige gesprochen). — [C. 4042
— 49 neue Prophezeiung des toren, vgl. 2444 ff. W. 152, 30 ff.
— 4086—87 der könig behält Clamide an seinem hofe, vgL 3938
—39].
9. P.'s abschied von seiner gattin.
W. 222, 12—28 oo C. 3910—23 die freude im lande, im ein-
zelnen ganz abweichend geschildert. — W. 222, 29 — 223, 14
i^ C. 4088—94. — W. 223, 17—22 = C. 4095—99. — [W. 223,
23 fügt als zweites motiv den wünsch nach abenteuern hinzu.]
— [W. 223, 26 — 30 P. nimmt Urlaub, den ihm seine gattin aus
Hebe nicht versagt; er trennt sich von seinen mannen und
reitet allein fort. C. 4100 — 4151 P. wagt nicht von seiner
geliebten Urlaub zu nehmen, sie versagt ihm denselben (ähn-
licher unterschied beim abschied von Jeschute); auch alle
mannen bestürmen ihn mit bitten. Er verspricht widerzu-
kommen mit seiner mutter, wenn sie noch lebt, sonst allein.
Die mönche und nonnen geleiten ihn in feierlicher procession;
er verspricht, seine mutter in ihrem kloster nonne werden zu
lassen oder für ihre seele messen zu bestellen.]
3*
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36 LIGHTENSTEIN
Ich übergehe nun P.'s besuch auf der gralburg und scheide
auch aus dem folgenden abenteuer alles aus, was sich auf die
gralwunder bezieht.
FarsivalB oousine (Sigune).
W. 249— 255. 138—142,2. C. 4606— 4864.
C. gibt in diesem abschnitt ausser einigen andeutungen
über den gral den ohne grund so lange verschwiegenen namen
des beiden. Letztere aufgäbe hatte W. schon in einem früheren
einschub (s. s. 15) erledigt und verweist hier noch ausdrück-
lich darauf, indem Sigune zweimal als diejenige bezeichnet
wird, die P. seinen namen gesagt habe (252, 13. 28 — 29). Auch
aus den versen 139, 20 und 141, 26 scheint hervorzugehen, dass
die ganze scene früher hinter dem gralabenteuer gestanden
hat. Zur gewissheit vollends wird die annähme, dass W. eine
derartige teilung vorgenommen habe, >) durch die tatsache, dass
beide Sigunen-abenteuer sich ergänzen und nur zusammen ge-
nommen den Inhalt des einen auftritts bei C. vollständig wider-
geben. Wir erhalten bei der vergleichung bald doppelte ent-
sprechungen, bald entspricht nur der erste oder der zweite
abschnitt W.'s dem französischen texte.
W. 138, 1—2. 13—14. 17—19 (249, 1—2. 11—15) ^ C. 4606
— 11 (5?a, huof siege hrous = trace\ brach ir langen zöpfe = se
deraisne; üe rehtem jämer schrei, einer frouwen stimme jcemer-
lieh = qui crie et pleure; üf einer linden = soas. .1. kaisne,
hs. von Mons sor). — [C. 4612 — 30 lange klagen der Jungfrau.
W. 139, 24 drückt dies in einer einzigen zeile aus, dagegen
betont er 249, 15. 18—20. 24—25. 139, 25 — 140, 2 widerholt die
treue Sigunens.] — W. 138, 22—23 (249, 16—17) = C. 4632
—33. — W. 138, 15. 20 (249,21—22) ^ C. 4634^35. — W.
(138, 25—27. 139, 25—28) 249, 26. 250, 1 i^ C. 4636—38. —
W. 138,28 — 139,2 (249,27—30) sö C. 4639— 41. — W. 141,
8—10 == C. 4642—43 (vgl. auch W. 135, 21 Mute morgen =
hui matin).
W. wird hier sogleich concret: er nennt den namen des
Schionatulander,^) der bei C. fehlt, und den namen des Orilus,
^) Schon ürbach 8. 18 äusserte diese ansieht u. y. a.
*) Wahrscheinlich nach GanaMander im Erec 1690 gebildet; s. Bartsch
s. 126. Heinzel s. 5.
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ZUB PASZIVALFBAGE. 87
der bei C. erst 4991 vorkommt; er sagt auch sogleich ausdrück-
lich, dass dieser d^n tod des ritters verschuldet habe, was h^
C. erst 4823 und 5001 ganz unbestimmt angedeutet wird. An
der letzteren stelle wird erzählt, dass Orilus soeben einen
getötet habe, wie er jeden töte, der seine gattin anspreche
(s. S.39). Diese unmotivierte grausanikeit konnte W. schon
aus dem gründe nicht gebrauchen, weil bei ihm P. unmittelbar
nach dem abenteuer mit Jeschute die Sigune mit dem toten
ritter trifft. Er gibt deshalb eine andere veranlassung zu dQ^l
kämpf oder vielmehr zwei verschiedene motive an [140, 28 —
141, 7 die Verteidigung der erbländer P.'s; 141, 16 — 23 die ge-
schichte vom brackenseil, weiter ausgeführt im Titurel].
W. 139, 7—8. 141, 27—28 (249, 27—30) = C. 4810—13. —
[W. 139, 9—22 F. greift in den köcher und findet Jeschutens
ring nnd Spange; das veranlasst den dichter zu einigen be-
merkungen.] — W. 253, 6— 8 i^ C. 4804— 6. 8— 9. — 0.4802
—3. 7. 16 — 19 P. schlägt der Jungfrau vor, mit ihm weiterzu-
ziehen; sie will das um keinen preis tun, auch ihren geliebten
nicht verlassen, bevor er beerdigt ist. Dazu vgl. W. 253, 9 — 18
Sigune ist durchaus nicht gewillt, sich mit einem anderen
manne zu trösten, wie Lunete im Iwein das geraten hatte. —
W. 141, 11— 12.24 (252,19—23) = C. 4783— 87.
W. 140, 4 C. 4748
si YTigte in wie er hieze. 'coment av^s vos nom, amis?'
10
si erkant in bl dem namen s&n. et eil ki Bon nom ne savoit
16
'deisw&r du heizest Parziv&l ... devine et dist que il avoit
26
einWäleis Tonder mnoter din .. .' Percevaus li Galois a nom.
251,29
do sprach si 'dn bist Parziy&r.
Bei C. weiss er seinen namen nicht und rät ihn; bei W.
kennt er nur seine kosenamen (140,6, s. s. 8), daran erkennt
ihn die cousine, und sie erkennt ihn ein zweites mal, da ja
die begegnung verdoppelt ist, an seiner stimme [251, 28]. Die
glückliche änderung W.'s ist vorbereitet durch C. 4772 je te
eonois mius que tu moi. — W. gibt auch eine deutung des
namens ParzivcH [140, 17 der name ist rehte enmitten durch],
dennoch bezweifele ich stark, ob er. den namen so verstanden
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38 LICHTEFSTEIN
hat, wie wir ihn heute verstehen, und wie er schon im alt-
fyanzösischen gedeutet wurde >): perce val oder perce aml^ son-
dern er scheint nur an die praeposition par gedacht und daher
auch den namen entsprechend umgestaltet zu haben. — [W,
140, 25 ein Änschevtn].
W. 140, 21—24. 141, 13 (252, 15) ^ C. 4772—77. — [C. 4769
—71 P. erfährt den tod seiner mutter.] Seltsamerweise em-
pfängt er dieselbe nachricht noch einmal bei dem eremiten,
o^ne erkennen zu lassen, dass er sie schon weiss. W. unter-
drückt die erste stelle sammt der folgenden argumentation
[C.4797 — 4801], benutzt aber einiges für die spätere Unter-
redung: W.476,12— 13.25— 26. 490,20—25 i^ C. 4769— 71 =
7766—72. — W. 476, 21—24 s^ C. 4788—93. — W. 476, 16—18
ur^ C. 4796— 98.
W. 141, 30 — 142, 2 = C. 4820—29 sie zeigt ihm den weg
zu dem mörder ihres geliebten: nach W. einen falschen weg,
weil sie P.'s tod fürchtet; nach C. wünscht sie nicht, dass P.
nachziehe (offenbar aus demselben gründe), und doch hasst sie
den mörder tödlich. *)
W. 250, 3—5. 20—23 s^ C. 4644—50 drtßec mtln = bounes
y.liues). — W. 250, 19 vgl. C. 4658— 60. — [C. 4652— 57 sie
findet sein pferd gut verpflegt.] [W. 250, 6 — 11 sie macht ihn
auf die gefahren der gegend aufmerksam.] — W. 250, 13 — 16
= C. 4661— 70.
W. 255, 30 i^ 0.4862. — [W. 255, 21— 29 P. möchte sein
vergehen wider gut machen; Sigune aber will nichts mehr von
ihm wissen.]
Orilus.
W. 256— 279. C. 4865— 5463.
[W. 256, 1—10 Übergang: P. wird von reue und von der
hitze des tages gequält.]
1. Begegnung mit Jeschute.
W.256,11— 12. 256,14—257,25. 260,6—7. 258,24-29. 257,
27 ^ C. 4865-4913. 4930, vielfach wörtlich übereinstimmend, nur
dass W. die hässlichen spuren [C. 4906] unterdrückt, überhaupt
») HoUand, Crest. von Troyes s. 55. Hertz s. 104. Heinzel s. 90.
■) Eüpp 8. 25 hat hier C. misTerstanden, er interpretiert: 'doch wtlnscht
die den tod des m^rders nicht \
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ZUB PABZIYALFRAGE. 39
die Schönheit der dame weit mehr hervorhebt als C. (dieser
sagt nur biek et genta fast) und ausserdem ihre Vornehmheit
[W. 257, 7] und vor allem ihre edle Weiblichkeit [257, 23—24.
26 — 30. 260, 8 — 11] im gegensatz zu ihrer augenblicklichen
demütigung betont. — W. 256, 16. 259, 2—4 j^ C. 4914—17. —
[C. 4921—51 klagen der dame.]
Die folgende Unterhaltung zeigt recht interessant, wie W.
ein stellenweise etwas unklares stück C.'s ausdeutet und dabei
die Situation unbewusst verschiebt.
W. 285, 1 C. 4952
d6 Parziv&l graoz gern ir sprach lors li dist: ^bele, dex tos sant!'
62
[an m si erkeuieclichen sach]. 'ciertes, je ne pens ne ne croi
5 qne jon onqnes mais vos ve%3ce,
si sagete 4ch h&n iuch % gesehn. ne riens nnle vos meffesisce.'
dft von ist leide mir geschehn: 'si as, fait eile, que je süi
doch mttez in frende nnt 6re tant caitive et tant ai anni' . . .
got immer geben m6re 57
'li tnens cners ait ce qu'il yoroit!
denn ir um mich gedienet h&t.' et se n*i ai jon mie droit.'
Bei C. erwidert die dame P.'s gruss unfreundlich, und als
er nach dem gründe fragt — er habe sie doch nie gesehen
und sich durch nichts gegen sie vergangen — da antwortet
sie: 'doch, denn ich bin so unglücklich, dass mich niemand
griissen darf.' Darin also besteht in ihren äugen (und in denen
ihres mannes) sein vergehen, dass er sie gegrüsst hat. Dass
sie ihn erkennt, davon steht nichts da. W. aber bezieht das
Sias! der antwort auch auf das vetsce in v. 4963 (was ja sehr
nahe liegt), und das vergehen bezieht er auf jene frühere
Umarmung, wodurch die bei C. zunächst fehlende Verbindung
der abenteuer hergestellt wird. Daher W. 258, 2 an in si er-
kennedichen sach und dann der Vorwurf 258, 10 — 14 (dazu vgl.
C. 4968— 69).
W. 258, 15— 23 = C. 4961. 70— 80. — [W. 259, 5— 10. P.
bietet ihr gutherzig sein kurstt an.] — W. 259, 11 — 18 = C.
4981—88. — W. 259, 19— 22 = C.4989— 96. — W. 259, 23—
26 = 0.4949-51. — W. 260, 3— 5 = C.4998. — (C.5001 =
W. 135, 21— 24, s. S.16). — [C. 4997— 5000. 5002—4 der gatte
töte jeden, der sie anspreche, und erzähle vorher jedem den
grund seines zomes, s. s. 37.] — [W. 260, 12—17 motivierender
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40 lilCHTEKSTEIK
Übergang. Während P. sich kampfbereit macht, beginnt sein
ross zu wiehern; dadurch wird Orüus aufmerksam.]
2. Dazwischenkunft des Orüus.
W. 26Ö, 18—19. 22—26 = C. 5005—8. — [W. 260, 27 — 262,
13 Schilderung der waffen des Orüüs, als eigene ^utat W.'s er-
kennbar durch die compUation aller möglichen vorher dagewe-
senen namen und detaUs: ein roter Speer von Gaheviez, heim
von Trebuchet gefertigt, schild aus Dolet, Kailets lande, etc.
Das land Tenabroc, schon erwähnt 282,25, stammt aus dem
Erec 2233. 2240, 2352 (s. Bartsch s. 125).]
C. 5009— 91 Li Orguellous erzählt die Ursache seines zomes.
P. gesteht, dass er selber der Urheber gewesen sei, und be-
teuert die Unschuld der dame; drohende wechselreden. W. gibt
von den bekannten tatsachen, die dem streite zu gründe liegen,
nur ein kurzes r6sum6 264; die beteuerung P.'s enthält der
wunderliche eid nach dem kämpfe 269, und auf den anfang
seines zomes kommt Orilus noch einmal 271 zurück. Ueber-
einstimmung in allem wesentlichen und selbst wörtliche an-
klänge sind nicht zu verkennen, nur dass C. historisch schlicht
erzählt, während W. iil seiner etwas krausen, hastigen art
vorgeht, eigene betrachturigen einmischt [264,4 — 5.16 — 19.25
— 30], den Trevrezent mit seiner klause anticipiert [268,25 — 30]
und aus Hartmanns Erec und Iwein den wilden Dodihes ») ein-
führt, dessen bruder einen speer dort vergessen haben soll
[271, 10—13].
W. 264, 1—19 = C. 5030—33. 51—72, vgl. besonders:
W.264,2 C.5051
daz sin wip wol gebom por ce quic jou qu'il giut a li . . .
d& vor was gendtzogt ... 58
8 or en ä Bon loier si der
unt daz si gun^ret m^amie com 11 li apert:
het ir kiosche iinde ir prts qui fait folie sei compert,
mit einem andern fi.mis. si qu'il se gart del renkeoir.
des lasters nam er phlihte. moult m^en pot on iri^ yeoir
ouch ergienc sin gerihte quant jou reving et jou le soi,
über si . . . et jurai moult ke droit en oi.
4
er was iedoch ir rehter vogt
*) Erec 1636. Iwein 87. 4696; s. Bartsch 8.125. — Der name Troys
W. 271, 10 dient nur zum reim auf poys.
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ZÜB PASZIVALFRAGE.
41
Zu C. 50»4— 50 vgl. W. 201, 21 — 202, 18.
W. 271, 8
^fOrs f5rest in Brizy&n
reit ich dö »in juven pojB.'
2
d5 ich die süezen eine liez
269, 20
ob misset&n
disin fronwe habe, dd diz geschach
daz i'r fürspan yon ix brach.
och faort ich m^r goldes dan.
ich was ein t6re nnd niht ein man,
gewahsen niht pt witzeh.
yil Weinens, d& b! switzen
mit jftmer dolte yil ir llp.
C. 5019
'yoiis ert k'alte el bois estoie,0
et ceste damoisele ayoie
laissie en an mien payellon,
et n'amoie rien se li non;
tant ke par ayentnre ayint
qne uns yarl^ galois i tint . . . '
75
'amis^ or 8aci6s sana dotance.
qne ele a fait sa penitance,
car je sni eil qni le baisa
mangr^snen, et monlt Ten pesa,
et Bon anel en son doi pris,
ne plus n'i ot ne plns nl fis;
84
sist benamn ein nnschuldic w!p. de 6oü ne fis je pas qne fols.'
Ueber die bedeutung des gcdois s. s. 12. — Dass P. bei
W. seine handlung anders beurteilt als bei C, fällt nicht ins
gewicht. Die grundzüge zu jenem merkwürdigen eide bei W.
sind unverkennbar bei G. vorhanden. Ja selbst die ganze
scenerie sammt dem gemalet sper hat eine verdächtige ähn-
lichkeit mit einer späteren stelle C.'s, die dort bei W. fehlt:
W. 268, 25
da wart niht langer d& gebitn ...
28
eine ke&en Parziy&l da yant:
ein gemälet sper derb! d& lent.
269,2
er nam daz heiltuom, drüf er swnor.
C. 7573
.1. monlt pressiens saintnaire
li a on maintenant fors trait,
et il a le sairement fait
qne il metra tote sa paine
a qnerre la lance qni saine.
Auch die veranlassung, diese eidscene einzuschieben, hat
W. aus C: 5319 gt*e le mal n'avoit ele mie deserm, ce te puis
jurer.
3. Der kämpf.
W. 262, 14^19. 265,10—13. 263,2—5 ^ 0.5092—5100.
— W. mustert diesen kämpf mit kennerblick [262,20 — 263,1.
263, 6 — 30. 265, 4 — 9], aber er verändert durchaus subjectiv die
kampfordnung, indem er den schwertkampf noch zu pferde
*) Variante oen en hois dies estoie, Germ. 3, 98. Bartsch im commentar
yermutet. dass der yon W. benutzte text en ioene bQi$ las.
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42 lilCHTENSTEIN
ausftthren lässt (268,23) und daran ein ringen anschliesst,
durch welches P. den gegner aus dem sattel hebt und mit
ihm zu boden springt. Bei C. räumen sie die Sättel beim
lanzenstoss, et porte U uns Vautre jus, Uebrigens hält C. es
fiir verlorene mühe, von dem kämpfe viel worte zu machen
(5306—7).
[C. 5101 — 5304 Interpolation der Monser hs.; s. Urbach s, 19.]
W. 265, 1. 4. 18—19 (265, 80 — 266, 6) \^ C. 5805. 8—10. — Bei
W. weigert sich Orilus zunächst sich zu ergeben mit denselben
Worten, die P. bei C. vor dem kämpfe spricht: W. 265, 24. 26
j^ C. 5090—91. — [W. 265, 27 — 267, 8 er wird noch einmal
von P. bedrängt, will sich aber auch jetzt nicht zur Versöh-
nung mit seiner gattin verstehen, bietet vielmehr ein land
seines bruders und sein eigenes herzogtum als lösegeld an.] —
[C. 5811 — 14 P. erinnert sich der lehre des Gomemans.] —
— W. 265, 20—28. 266, 7—9. 267, 25—80. 269, 18—21 1^ C.5815
—20; vgl. s. 41.
4. Die Versöhnung der gatten.
W. 270, 28 — 271, 1. 6—7 ^ C. 5321— 27. — W.267, 12—24
(276, 21) = C. 5384—41. 47—58. Der gruss an Artus' frau.
W. 267, 21 ist anticipiert aus C. 5424; umgekehrt ist die be-
zeichnung Chevalier vermel C. 5889 hier übergangen, aber W.
276, 21 angewendet. — [C. 5328 — 33 es wird ihm auch befohlen,
seine frau durch bad und pflege wider frisch und gesund zu
machen, wozu er sich 5368—65 bereit erklärt. Bei W. tut er
dies aus eigenem antrieb 272. — C. 5842—46 er soll das aben-
teuer bei hofe erzählen; vgl. 5002—4.] — [W. 268, 7—24. 270,
2 — 22 ausbruch der gattenliebe. Die eidesscene scheint erst
nachträglich zwischen diese beiden abschnitte hineingeschoben
zu sein.] — W. 268, 3—6 cx) C. 5859—62. — W. 271, 18—28 =
C. 5366—75. — W. 271, 25—27. 272, 4—6 ^ C. 5328—81; statt
des rice manoir C.'s setzt W. das poulün, das wir von der
ersten begegnung her kennen. — W. 272, 1. 4—6. 27. 273, 15
—25 = C. 5862—65. 76—79.
W. stattet diese versöhnungsscene mit einer menge gemut-
voller einzelheiten aus, wobei das meiste als eine weitere aus-
führung des Crestien'schen et tant li fist d'aaisement gelten
kann: [271, 27 — 30 das volk nimmt herzlichen anteU an der
Versöhnung; die niessenie muss bei dem plus rice manoir C^'s
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ZUB PASZIVALFRAOE. 48
ja auch als anwesend gedacht werden. 272, 21 zwölf schOne
jongfranen besorgen das bad. 272, 2—3. 20. 273, 12—13 Orilus
alber nimmt ein bad. 272, 11—18 reflexion ttber die liebej.
5. Empfang bei hofe.
Hier treffen wir anf grössere differenzen: a) Artus' residenz
befindet sich nach C. 5382 in Carlion, von wo er erst nach
der anknnft des Orilns aufbricht. Nach W. 273, 1 — 11 scheint
er sich schon unterwegs zu befinden, aber nachträglich erfahren
wir erst, dass er von seinem hause in Ka/ridod aufgebrochen
war (280,2). Karidoel ist auch nicht identisch mit Carlion,
sondern mit Carduel C. 1548. 2031. Bei W. sind überhaupt
die orte etwas durcheinander geraten. Zur klarstellung gebe
ich hier eine fibersicht über die residenzen des Artus in den
einzelnen abenteuern bei W. und C:
1. P.'s 1. auftreten: NanUs W. 144, 8 Carduel C. 1548. 2031.
2 a. Kingnin: Karminal in Bertäne 206,6 — 9 \ Dinattran en Gales
b. Clamide: Dianazdrün m L&ver 216, 4. 7. 10 / 3907. 3929
3. Orilns 1 (Karidcd 280, 2) / 3. Carlion 5381.
4. P/s 2.begegiiimg J üf einem plan 273, 2. 274, 28 5533. 5984.
bi dem FlimizaA ze XaX 273, 10 c 4. en une praerie
281, 14 I les une foriest
üfdem PlimieasUsplän 415, 12 ' 5538—39.
5. Gawans böte: Berns bi der Korea 610, 17 en Oranie 10258
(5ien en ai la novde oie)^)
Nimmt man an, dass, wie ich s. 16 vermutet habe, Nantes
ein misyerständnis aus .i. asnes (C. 2028) ist, dann hat man
den Schlüssel zu der ganzen Verschiebung der namen bei W.
Dass er für Eingrun noch einen besonderen empfangsort an-
setzt, kommt daher, dass er die reisen Eingruns und Clamides
getrennt schildert (s. s. 34). Das land Gales konnte W. für
Artus nicht gebrauchen, da dies bei ihm ja das land P.'s ist
(Wals oder Waleis = Valois)\ statt dessen finden wir bei ihm
Löver^) und Bertäne, wie es scheint promiscue; diese dürften
ihm wol als länder des Artus bekannt gewesen sein.
b) Die empfangs-formalitäten. Bei G. ist es Artus, der
die huldigung der besiegten empfängt, sie b^^nadigt und zu
*) Von W. misyerBtaiiden nach Bartsch, anm. zu W. 610, 17.
*) Nach Heinzel s. 13 identisch mit Logres C. 10007, dem gebortsland
der Orgelnse, bei W. Lögroys 67, 15. 506, 25. Noch mehr passt hierher C.
7543 li roiaumes de Logres, falls die stelle echt ist
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44 LICHTENSTEDT
der von Ken geschlagenen Jungfrau führen lässt. W. kehrt
die scene in der regel um: der besiegte stellt sich als gefan-
gener der Cunneware, die ihn freigibt und ihm gastfreundschaft
erweist; dann begrüsst er den könig (W. 275, 12—13. 19—20.
276, 1—11. 278, 8—23. 279, 11—30). Das hängt mit der ver-
änderten Stellung der Cunneware zusammen, die W. zur fürstin
gemacht hat (s. s. 19).
c) Cunneware ist bei W. Orilus' Schwester [275, 20 — 276,
3. 27—30; vgl. 135, 14—15. 152, 20—23].
d) Die rolle der Jeschute, der gattin des Orilus, die sich
bei C. ganz passiv verhält, gewinnt in dem deutschen gedieht
an bedeutung. Sie ist hier die treue gefährtin ihres mannes,
stets bereit ihm zu dienen [W. 274,24—25. 275,6], obwol sie
von königlichem geschlecht und eine Schwester Erecs ist [277,
18—29 vgl. 134, 2 ft]
e) W. setzt zwischen Orilus und dem hofe gespannte be-
ziehungen voraus [277, 30 — 278, 5, vgl. 135, 7—13], ebenso bei
Clamide, s. s. 34.
f) Die ähnlichkeit dieser scene mit dem empfange Cla-
mides veranlasst W. von dort einige kleine züge zu entlehnen:
der besiegte erscheint in demselben aufzuge wie er aus dem
kämpfe kam (274,6—11. 275,2—4 vgl. 217, 21— 27 = C. 3898
—3905). Gawan und Jofreit fiz Idoel [dazu Clamide u. a.J bieten
ihm ihre dienste an (277, 4 — 11 vgl. s. 35); die veranlassung zu
dieser anknüpfung bot C. 5463 1 et puis desarmer k commande;
et messire Oawains dema/nde — Cunneware hat die schuld
nicht vergessen (W. 279, 4—8 vgl. C. 4074—84, dort von W.
übergangen). — Dagegen unterdrückt W. die jedesmal wider-
holte Prophezeiung des toren [C. 5450 — 54] und berührt nur
kurz die immer darauf folgenden vorwürfe gegen Keie (W. 277,
1—2 = C. 5455—59).
Man braucht nur ein wenig W.'s eigenart bis hierher be-
obachtet zu haben, um zu erkennen, dass man alle diese
änderungen ihm eher als irgend einem anderen zutrauen kann.
Dasselbe gilt wol auch von der beteiligung des volks beim
abschied (s. o. bei der Versöhnung) und von der einf ührung des
ritters, der den weg zu Artus weist [W. 273, 1—11. 274, lAr—
18. 22—23]. — Die pouUn des Artus 273, 3. 274, 20 sind anti-
cipiert aus C. 5527. — Schliesslich nimmt noch bei W. einen
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ZUB PABZIVALFIUGE. 45
breiten räum die wappenschildenmg ein, die das motiv der
widererkennung des Orilus durch seine Schwester ergibt [275,
21. 276,10. 278,14^20 vgl. 262,-^^-13. 265,17].
W. 274, 13. 19—20. 24-29. 273, 2 = C. 5380— 85. — W.
275, 8. 17—19. 276, 4-^ = C. 5386—95. — [C. 5396—5410. 5415
—22 der könig heisst ihn voll freude willkommen (W. 275, 18)
und fordert ihn auf sich zu entwaffnen. Orilus will zuvor die
königin mit ihren Jungfrauen sehen; diese werden herbeigeholt]
— W. 275, 12—15 = C. 5411—14. 37—38. — W. 276, 11 = C.
5462. — W. 276, 19— 26 (277,12) = 0.5423-29.39—49. —
W. 277, 14— 16 vgl. C. 5430— 31. — [C. 5432— 36 Oril. erzählt,
wie er seine frau behandelt habe, vgl. W. 278, 3—5. — C. 5450
—54 widerholte Prophezeiung des toren.] — W. 277, 1—3 =
C. 5455 — 59 vorwürfe gegen Keie (bei C. vom könige aus-
gehend, wie früher). — W. 278, 21. 277,4—11 ^ C. 5463—64
(s.o.). — W.279,16— 18 = C.5460— 61. — [C. 5464— 5510
auf Gawans frage erzählt der könig ausführlich P.'s erstes
auftreten bei hofe, vgl. W. 278, 24—26. 280, 11—15.]
C. hat hier unendlich viel widerholungen. Die botschaft
wird mit denselben Worten vorgetragen, wie sie angetragen
wurde; dann folgt die Prophezeiung des toren mit den vor-
würfen des königs und schliesslic}i die ganze lange erzählung
des königs Artus. W. bringt nicht nur abwechslung in die,
reden, er gibt. auch der ganzen scene neuen reiz durch das
schwesterliche Verhältnis der Cunneware zu Orilus, und wir
empfangen den eindruck eines gemütlichen familienfestes [vgl.
Urbach s. 21).
Paroivals zweite begegnung mit dem hofe.
W. buch 6. C. 5511— 6191.
1. Der aufbruch des hofes.
In W.'s gedieht, wo sich der hof schon bei der ankunft
des Orilus unterwegs, befindet (vgl. 8.43), werden hier, dem
französischen text entsprechend, die näheren umstände des
aufbmchs nachgeholt.
W. 280, 1—3. 5. 8—10 =^ C. 6511. 18. 33—34. — [C. 5522
—32. 35—37 zurüstungen zur abreise; vgl. zu W. 273, 3 s. 44.
die königin mit allen frauen nimmt teil.] — [W.280, 7 acht
tage ist.der könig unterwegs.] — W. 280, 19 — 281, 9 tx^ C. 5512
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46 LICHTEM STEIN
—21 gelübde: bei C. gelobt Artus, nicht zwei nachte nach-
einander in einer kammer za liegen, bevor er P. gefanden
hat; die ritter fügen sich; — bei W. lässt Artus die ritter
geloben, sich in keinen kämpf ohne seine besondere erlaubnis
einzulassen; dies ist anticipiert aus C. 5728 — ^34.
2. Die drei blutstropfen.
W. 281, 12—13. 282, 4—6. 9. 11 = C. 5540=48. — W. 282,
13—21 = C. 5549-60. 6^^-66. — W. 282,23—29. 283, 5—9.
16—23 i^ C. 5572—90. 92.
Unterschiede: bei C. ist P. aufgestanden, um abenteuer
zu suchen, bei W. hat er die nacht im freien zugebracht
Bei C. sind die gänse durch den schnee geblendet, bei W. hat
der falke durch den schnee den weg verloren. Sein erscheinen
wird bei W. begründet und an das vorhergehende angeknüpft;
zugleich dient er mit seinem nächtlichen verweilen als folie
zu P. [281, 23 — 282, 3. 12]. — Bei C. lässt der falke von dem
kämpfe ab, weil er zu matt ist; bei W. findet die verfolgte
unter einem gefällten baumstamm Unterschlupf, sie ist zum
hochfliegen nicht mehr fähig. — Bei W. wird P. durch die
drei blutstropfen auf dem schnee nicht nur an die färben in
dem gesicht seiner gattin, sondern auch an die formen des-
selben erinnert [283, 10—13]. — [W. 281, 14—22 literarischer
seitenhieb.]
Im übrigen zeigt sich engster anschluss und namentlich
gegen den schluss wörtliche Übereinstimmung, z. b.
V^. 288, 16 C.5580
BUS begnnder sich verdenken, si pensa tant qne il s^oblie.
mus daz er nnversnnnen hielt.
23 93
BUS hielt er als er sliefe. si quidoient qn'il somellast.
3. Kampf mit Segramors.
W. 283, 24—29 = C. 5591—92 (bei C, mehrere knappen,
bei W. der knappe der Cunneware). — W. 285, 11—13. 284, 4.
285, 2—10 = C. 5594—99 (die kurze Charakteristik des Segra-
mors ist bei W. anschaulich ausgeführt, wobei auf den Rhein
bezug genommen wird). — W. 284, 8 — 22 waffenruf des knap-
pen, vgl. 407, 13 ft; als zeichen der herausf orderung gilt es,
die lagerschnüre zu durchreiten (284,22) und mit au^rich-
tetem speer zu rosse in der nähe des lagers zu halten. Diese
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ZUB PABZIVAIiFBAGS. 47
offenbar aus den ritterlichen anschanungen der zeit genom-
menen zutaten W.'s bedingen weitere änderungen, insofern es
sich nui^ bei den tafehoinden von vornherein um kämpf han-
delt, während nach C. Parz. nur an den hof gebracht werden
soU. Nur einmal 294, 5 hat W. verabsäumt, diese änderung
durchzufahren.]
W. 284, 24— 27. 1—3 = C. 5600— 5 (bei C. ist Segramors
der fragende, bei W. viele ritter; bei C. kurze wechselrede,
bei W. indirecte und erzählende form). — W. 285, 14r— 15. 19.
29 = C. 5608 — 11 (bei W. ist die königin Gynover mit herein-
gezogen). — [W. 285, 16 — 18. 20 spasshaftes Intermezzo. —
286, 1 — 14 als neues motiv für sein verbot führt Artus die
nähe der gralburg an. Dieser zusatz ist nicht ganz gerecht-
fertigt: denn woher konnte Artus wissen, dass die gralburg
in der nähe sei? — 285,21—27.30. 286,15—22 auf die für-
sprache der königin, seiner verwanten, erhält Segramors die
erlaubnis zum kämpfe.] [C. 5612 — 14 der könig befiehlt Se-
gramors und bittet ihn zugleich, den ritter an den hof zu
führen.]
W. 286, 23—26. 287. 5—6 = C. 5615—21. — [W. 286, 27—
287, 4 humoristische Schilderung. — 287, 11—18 persönliche
bemerkung des dichters über die minne.] — W. 287, 7 — 10. 25.
28 — 288, 3 = C. 5622—31 (C. geht von der aufforderung, an
den hof zu kommen, aus, W. von dem Vorwurf der beschim-
pfung des königs, s. o.). — W. 288, 5—6 = C. 5632—35. —
W. 288, 7—9. 14r-16. 20—26 = C. 5638—46 (bei C. wird P.
durch einen anruf des Segramors wider zum bewusstsein ge-
bracht, bei W. durch eine instinctive Wendung seines pferdes,
welche die blutstropfen seinen blicken entzieht). — [W. 288,
17—19 s. zu 271, 10-13 s. 41.] — W. 289, 3—4. 13—14. 20.
290,3—5 = C. 5647—55 (W. 289, 14 dojs si Pa/rzivalen sähen
vielleicht falsche deutung von C. 5649 et dl U voient).
[W. 288, 27 — 289, 2. 289, 5 — 290, 2 P. beginnt wider auf
die blutstropfen zu starren, während Segramors zu seinen ge-
nossen zurückkehrt, wo er seinem ärger Inf t macht. C. schweigt
darüber, was die beidwi kämpf er nachher tun; indessen die
analogie des zweiten kampfes (C. 5706 — 7) und, mit bezug auf
Segramors, die worte Eeies (C. 5655 ve^ com Saigremars re-
vient) können recht wol die veranlassung zu dieser erweiterung
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48 LICHTEETSTEIK
geboten haben, die übrigens durchaus in Wolframs stile scher-
zender reflexion gehalten und mit heimischen reminiscenzen
geschmückt ist: 289, 17 = Veldeke,MSF. 66, 16; femer 289,24
vgl. Winsb. 20, 9.]
4. Kampf mit Eeie.
W. nimmt offen Keie in schütz (besonders 296,13—297,30),
er bemüht sich, ihn von jedem vorwnrf freizumachen (W. 290, 3
Keye der Mene man : C. 5652 Kex qui onques ne se pot tenir
(fe felonnie dire, vgl. auch s. 19. 21. 44); und aus diesem gründe
übernimmt er den spott gegen Segramors auf eigene rechnung
(W. 289, 5—12 : C. 5655—57).
W. 290, 8—22 = C. 5660—66 Keie erhält die erlaubnis
zum kämpfe (bei C. den auftrag, den ritter herbeizubringen,
vgl. unter no. 3). — W. 290, 23—28. 293, 19—21 = C. 5667^71
(vgl. besonders 290, 28 ejg ist sünde, swer im mer nu tuot :
C. 5671 il n^avoit d'autre cose soing).
[W. 291, 1 — 293, 13 umfangreiche abschweifung über die
macht der minne, mit beziehung auf Heinr. v. Veldeke; vgl
289,16—17; femer 283, 18— 19. 287,11—18. 288,30. 290,29—
30. 293,24-27. 294,9.21-30. 296,5—12. 300,14-19; aus C.
stimmt hierzu 6249 — 52.]
W. 293, 28 — 294, 8 = 0. 5672—75. — [W. 294, 10^20. 295,
1—9 selbst ein schlag von Keies lanzenschaft rüttelt P. nicht
aus seiner erstarmng auf; erst die Wendung seines rosses zieht
seinen blick von den blutstropfen ab, vgl. den vorigen kämpf.]
— W. 295, 1—2. 10—30 = C. 5676—97 W. hat in diesen kämpf
einige abwechslung hineingebracht, z.b. wird das rosa des. geg-
ners getötet, während es bei C. wie im vorigen kämpfe ledig
ins lager zurückläuft Die Verwundung Keies ist vermehrt,
indem zu dem gebrochenen rechten arm noch das linke bein
gefügt wird. Hat vielleicht das .wort canoU C. 5688 hierzu
veranlassung gegeben? — Von den Übereinstimmungen sind
charakteristisch: W. 295, 19 übern ronen ^n C. 5687 sor une
roce. W. 295, 28 sus galt ewei bliwen der ga^t = C. 5692 si
com li SOS le devina.
W. 296, 1—4 =- C. 5706—7. — W. 298, 2—5 = C. 5700—5.
5723. — [W. 296, 13 — 297, 30 ehrenrettung Keies mit hinweis
auf die zustände am thüringischen hofe.] — [C.5708— 22. 24—26
der kOnig ist sehr betrübt über das Unglück seines seneschalls,
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ZUR PARZIVALFRAGE. 49
den er liebt, und schickt ihm seinen arzt und zwei Jungfrauen
aus der schule desselben; zu vgl. W. 575, 1 — 576, 19.]
5. Gawan führt P. an den hof.
W. 298, 6. 8 = C. 5727 (C. 5728—34 ist bei W. vorweg-
genommen 280, 20—25 s. s. 46. — C. 5738—41 ist später an-
gebracht W. 301, 21—25, ebenso C. 5742—47 = W. 300, 9—10).
— W. 298, 9—11 oo C. 5735—37 (bei W. beklagt Gaw. den
Keie und nennt ihn seinen freund, vgl. C. 5787 biatis dos amis).
— W. 298, 12—28 = C. 5748—49. 59—63. 72—79 (gegen die
redefertigkeit Gawans). — W. 298, 29 ^ C. 5764—67. 77. —
W. 298, 30 — 299, 2 or, C. 5750—51, — W. 299, 3—12 = C. 5752
—58. 68 — 71 Vorwurf der feigheit, bei beiden dichtem eigen-
artig ausgeführt; vgl.
W. 299, 3 C. 5768
och enist hie ninder fronwen här . . . ciertes, en .1. bliant de soie
5
ez enwsere doch ein veste bant pori^ ceste besongne faire
ze wem strites iuwer hant. (vgl. W. 301, 28—29).
W. 299, 13 der wol gelobte man und 299, 16 wol gezogne
man = C. 5797 eil ki de toutes Us hontes a los et pris. —
W. 299, 20—26 == C. 5782—87. — [C. 5791—95 der könig lobt
Gawans entschluss, aber er solle alle waffen mitnehmen.] —
W. 299, 27— 30 = C. 5796— 99 [bei W. reitet er ohne schwert
und Sporen aus].
W.300,1— 2.6— 8 ^ C. 5800— 3. 5810—12. — W.300,9
—10 = C. 5742—47. — [C. 5804—9 da bereits zwei tropfen
und auch der dritte schon zum teil von der sonne angetrocknet
sind, ist P. nicht mehr so sehr in sein nachdenken verloren.
W. verschmäht dieses einfache und natürliche motiv und wählt,
wie in den beiden vorhergehenden fällen ein stärkeres mittel,
um P. seinen träumen zu entreissen: Gawan breitet ein sei-
denes tuch über die drei tropfen 301, 28—30, vgl. C. 5768—69.]
— W. 300, 11—12. 301, 1—3 = C. 5813—19.
[W. 300, 12—30. 301, 5—19 P. antwortet weder auf den
gruss, noch auf die sanfte drohung, noch auf die bitte Gawans.
Echt wolframisch sind darin die beiden digressionen über die
minne (300, 14—19. 301, 3—25, vgl. s. 48), wovon die zweite
auf ein uns unbekanntes abenteuer aus Gawans leben anspielt.
Die ganze erweiterung lehnt sich an stellen aus C. an: W. 301,
Beltxftge na geaohiohte der dflotaohen spraobe. XXII. 4
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60 LtcHi'KKSTem
1—3 = C. 5816—19 s. 0.; W. 301, 21—25 = C. 5738—41 s.
s. 49.]
W. 302, 1—30. 305, 1—6 = C. 5808—9. 20—34 W.'s dar-
stellungsweise ist hier durchaus frei und originell Nach ihm
erfährt P. auf seine fragen erst durch Gawan von den vorauf-
gegangenen kämpfen, während er bei C. eine erinnerung davon
hat. — W. 303, 1—4 c^. C. 5835— 37. — W. 303, 5— 10 ^ C.
5840—43. — W. 303, 14. 25— 28 = C. 5860— 64 bei C. fragt
Gawan zuerst P. nach seinem namen, nachdem er in ihm den
vom könige gesuchten erkannt hat 5856 — 59, dazu vgl. W.
308,24 — 25. Eine weitere parallele bietet eine spätere stelle
C.'s (1. Gawan -episode), die hier offenbar von W. anticipiert
worden ist:
W. 303, 25 C.6999
min nam ist ouch vil nnverholn, sire, Ganwains sui apiel^s;
an allen steten nnverstoln: onqnes mes noms ne fa cel§s
linte die mich erkennent, en liu on il me fast reqnis.
G^w&n mich die nennent.
W. 304, 1—7. 303, 29 = C. 5865—73. 77—78. — [W. 303,
15 — 24 Gaw. nennt Artus seinen herm und Lot seinen vater.]
— W. 304, 8— 21 ^ C. 5844-55. — [W. 304, 22— 24 Gawan
zeigt P. die spuren des kampfes.] — W. 304, 30 ^ C. 5874—76.
(C. 5877—78 s. o., desgl. W. 305, 1—6.) — [C. 5879—91 sie um-
armen sich und lösen ihre helme. Knappen bringen die nach-
richt zum könige, vgl. W. 307, 17—18.]
6. Empfang.
W. 305, 9—12 --: C. 5892—94. — [C. 5895—5911 Keu spottet
über den sieg ohne Schwertstreich.] — W. 305, 13. 24. (306, 10
—11) 306,24—25. 29 = C. 5912— 21 (bei W. empfängt P. die
kleider von Cunneware statt von Gawan, er hat daher auch
aus dem cambrelen eine juncfrowe gemacht).
Der empfang durch Cunneware geht dem durch den könig
voraus, bei C. ist es umgekehrt, vgl. s. 44. — W. 305, 14. 16 —
18, 26 — 306, 4 -- C. 5974—80 (bei W. dankt Cunneware ihm
für die geleisteten dienste, bei C. für das anerbieten, ihr ritter
sein zu wollen). — Zusätze: die erwähnung ihres bruders und
seiner gattin Jeschute, wodurch das ganze ein familiäres ge-
präge erhält [305, 19—20]; der kuss [306, 5—9]; die vertraulich
gemütlichen zurüstungen, die kostbaren Stoffe [306, 12 — 20.
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Zü£ FABZIVALFRAGE. 51
306, 30 — 307, 6]; das lob der Schönheit des beiden und das
waschen [305,22—23. 306,23—28. 3ü7,7— 12].
[W. 307, 13 — 30 der könig hat so lange die messe gehört
und kommt nun mit den tafelrundem in Gawans zeit, um P.
zu begrüssen. Antanor springt ihm vor und frohlockt über
Keies demütigung; dem entspricht C, 5948—53.] [C. 5922—32.
36 — 40 Gawan kommt hand in hand mit P. zum zeit des königs
und stellt ihn als den gesuchten vor. Auf befragen des königs
nennt P. seinen namen, wie schon einmal Gawan gegenüber
5860 f., s. s. 50.J
W. 308, 4—15. 23—29 = C. 5933—35. 41—56. — W. 309,
3 — 11 Artus' gewohnheit, nicht eher zu speisen, als bis sich
ein abenteuer dem hofe naht, ist aus C.4000 — 4 hierher ver-
setzt — [W. 309, 12—30 einrichtung der tafeirunde s. u.] —
W. 310, 1—2. 8—12 = C. 5957. 60. 62—64 (bei W. fuhrt Artus
Parzival und Cunneware an der hand, bei C. befindet diese
sich in der begleitung der königin).
C. 5965 — 73 P. und die königin tauschen höflichkeiten und
complimente aus. W. 310, 13 — 26 liefert dazu ein witziges
gegenstück. Wie vorher (281, 16) Artus der meienbcBre man
ihn zur satire gereizt hatte, so travestiert er hier la plus
hele, la mellor de toutes dames qui soient durch die einladung
des königs an Parzival ich tml iweren clären Up leben küssen
min aUez wip.
[W. 310, 27 — 311, 3 die königin verzeiht ihm den tod Ithers.]
— W. 311, 4—30. 309, 15—16 = C. 5981—83. 86—88 fest zu
ehren P.'s, im einzelnen ganz verschieden geschildert; bei W.
langer excurs über die Schönheit des beiden. — Jöfreit fijg Idcel
aus C. 6099, vgl. s. 35. — C. 5984—85 rückkehr nach Carlion
s. W. 336, 6.
7. Die gralbotin.
Die Schilderung der hässlichkeit zeigt ebenso viele wört-
liche anlebnungen wie freiheiten. Einige der schlimmsten
Züge bat W. unterdrückt [C. 6009— 15. 2—3], und er entschul-
digt sich noch hinterher wegen dessen was ihn die Wahrheits-
liebe zu berichten gezwungen habe [313, 26—28]. Seine zusätze
andrerseits sind geeignet, diese hässliche person etwas zu heben
[312, 9 — 313, 13 ausrüstung ihres maultieres; kenntnisse, name
und kostbare kleidung der Jungfrau]; so auch die erste ein-
4*
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^2 LiCHTENSTEÜt
führung ein magt gein triwen wol geborn und am schluss ihr
mitgefühl 318, 5 ff. 27 und die bezeichnung diu unsiiesie und
doch diu fiere 319, 2.
W. 312, 1—8 ^ C. 5988—90 (ein mül val = une fauve
mule). — W. 312, 15. 313,1—3 = C. 5994— 97. 6018—19. —
W. 313, 17 — 314, 9 = C. 5991—6008 (ein eopf sware = .IL
tresces trestoutes noires; genaset als ein hunt = ses nes fu de
singe u de cat\ zwen ebers zene = ses levres d'asne u de buef,
si dent sambloient mioel d^uef\ gevar als eines äffen hüt truoc
hende diz gcebe trat die nagele wären niht ze UM = ains ne
veistes si noir fer come ele ot les mains et le cor; ein geisel
fuorte se in der hant = tint en sa main destre une escorgie).
W. 313, 20. 24—25 scheint der Schilderung des hässlichen
knappen der Orgeluse entlehnt zu sein (sie sind bei W. ge-
schwister):
W. 313, 19 C.8350
(zopf) swarz, herte und niht ze clär, les kevians ot melles et rous,
linde als eins swines rückeh&r. roides et contremont dreci6s
24
ietweder wintprä sich dranc come pors qni est hireci^s;
mit Zöpfen für die harsnnor. et les sourcins ot antrete
vgl. auch 313, 18. 23. que tout le vis et tout le nes
li couroient jusqu'es gemons,
qu'il les avoit tom6s et Ions.
W. 314, 11—13 = C. 6016—17. — [W. 314, 14—18 grup-
pierung der speisenden; die königin von Janfuse s. s. 54.] —
[W. 314, 23 — 315, 19 Cundrie versagt Artus und der tafeirunde
den gruss, weil dieselbe durch P. entehrt seL Nach C. 6020
—22 grüsst sie den könig und seine barone, nur P. nicht.]
W. 315, 20 — 316, 28 = C. 6026—47. — Die parallele wird
ergänzt durch die Trevrezent-scene W.'s, wo ähnliche aufklä-
rungen über den gral erfolgen. W. 483, 22—23. 484, 3—8 =
C. 6049 — 52 (ern sol ab nienier hünec wesen darf vielleicht er-
klärt werden durch übersehen von C. 6051 und mis verständ-
liche auffassung von C. 6054 del roi qui tiere ne tenra), —
[C. 6053—61 unheilvolle folgen der unterlassenen frage.] —
[W. 317, 3— 10 Feirefiz.] — W. 317, 22 — 318, 4, s. s. 7.
W. 318, 11—24 i^ C. 6062— 82. — [C. 6083—92 es gut, eine
Jungfrau auf Montesclaire zu befreien und das schwert as es-
tranges ranges zu gewinnen. Das ist offenbar ein besonderes
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ZUR PARZIVALFRAGE. 53
abenteuer, von dem auf Castel Orguellos verschieden, aber es
wird bei C. nicht fortgesetzt, und daher ist es vermutlich von
W. übergangen worden; aber die Übergangszeilen 6079 — 82
verwendet er mit bezug auf das erste abenteuer.]
W. 318,20 C.6079
al äventinre ist ein wint, mais ki vorroit le pris avoir
wan die man da bezalen mac, de tout le mont, je qnic savoir
höher minne wert bejac. le liu et la piece de terre
u on le poroit mius conquerre.
Den namen Castel Orguellos C. 6067. 6101 verwandelt W.
in Schastel tnarveil 318, 19 und nennt auch das land Terre mar-
veile 557, 6 wegen des Lit marveüe 557, 7 = C. 9179 lia de la
merveille\ das ist bewusste angleichung. — Die Insassen des
Schlosses sind nach W. vier königinnen und 400 Jungfrauen,
nach C. 570 ritter, von denen jeder seine geliebte bei sich hat;
aber nach C. 8890 ff. sind drei königliche frauen, gegen 500
knappen und eine menge frauen, alte und junge, dort; vgl, auch
C. 8603 ff. 9092 f. W. 534, 27 ff. 600, 15.
W. 318, 25—26. 319, 19 f. = C. 6093—95. — [W. 318, 5—10.
318,27 — 319,18 mitgefühl Cundriens, des dichters und der
anwesenden.]
Nach C. erklären sich sofort Gawan, Perceval und eine
grosse anzahl ritter bereit aufzubrechen. W. hat alles, was
mit dem aufbruch zusammenhängt, ans ende des buches ver-
schoben: doch wol in bewusster künstlerischer absieht.
8. Kingrimursel.
Kingrimursel (C. Guigambresilj ßemer hs. GuinguebresiT)
fordert Gawan zum Zweikampf auf den vierzigsten tag (ains
le cief d'une quarantaine 6168) vor dem könig von Ascalun
(le roi de Cavalon 6169, d'JEscavahn 6694, vgl. Hartm. Iwein
2274 Mnec Ascalön) in der hauptstadt Schanpfanzun (nach
Bartsch aus tans et raison C. 7100 entstellt). Kingr. ist dem
hofe bekannt (W. 325, 3—4), aber er selbst scheint Artus und
Gawan nicht zu kennen, da er sie sich zeigen lässt [320, 14
— 16]; C. 6133 sagt ausdrücklich Guigamhresil le roi conut —
Im übrigen schliesst sich W. eng an C. an, aber sein stil wird
weitläufiger; der ausdruck der gefühle und der teilnähme der
anwesenden nimmt einen breiten räum ein [319, 28 — 320, 8.
320, 29—321, 4. 321, 23—322, 30. 325, 5—16]. [W. 320, 10—13
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54 LICHTENSTEIN
deutsche rechtsform der gerichtlichen anklage, s. Grimm, RA,
878. — W. 324, 11— 18 verwantschaft zwischen Kingr. und
seinem könige.]
W. 319, 20—27. 320, 9 = 0. 6125—32 (die wappenschilde-
rung übergeht hier W., während er sonst eine Vorliebe dafür
hat). — W. 320, 20—27. 321, 5 = C. 6134 -35. — W. 321, 8—15
= C. 6136— 43. — W. 321, 16— 22 ^ C. 6166— 71. — W.323,
1—23 = C. 6146—52 (für Agrevains setzt W. Beäcurs, behält
aber die apposition der stolze man = li orguelleus bei; ferner:
der spranc üf, sprach zehant = a son frere saut e le tire et i
si U dist. Bei W. wendet er sich zuerst an Kingr. und dann
an seinen bruder). — W. 323, 24—30 = C. 6153—65. — [W. |
324, 1 — 10 Kingr. weist ebenfalls das anerbieten des Beacurs i
zurück.] — W. 324, 25 — 28 freies geleit, anticipiert aus C.
7516—22:
'ouch gib i'm vride über al daz lant, 'sire Ganwain, sire Gauwain,
niwan von min eines hant: je vos avoie en condnit pris,
mit triwen ich vride geheize mais tant i a que je vos dis,
üzerhalp des kampfes kreize.' que ja si hardis ne fussi^s
que vous ei castiel entrissies
u'en cit6 que meaire eüst,
se destorner vos en pleüst.'
9. Die abreise.
Hierher zieht W. auch das Zwischenstück 0. 6096 — 6125
(s. s. 53). Auch sonst ist die scene ziemlich frei umgestaltet
und erweitert. Die abreise P.'s und der übrigen vergisst C.
ausdrücklich zu erwähnen; nur Gawans auszug wird genau
beschrieben. W. macht die Versäumnis gut, indem er einen
weitschweifigen bericht mit vielen fremdartigen Zusätzen ein-
schiebt: [W. 325, 17— 326.3. 326,15—329,24. 330,1 — 331,10.
332, 1 — 333, 30. 334, 9—30. 336, 1—4. 7—30. 337 nachtrag zu
der erzählung der gralbotin über P.'s eitern. Die heidin Ekuba
von Janfuse, deren auftreten dui'ch nichts moti\1ert ist, be-
richtet über Feirefiz, der grieche Clias über die vier königinnen
auf dem wunderschlosse.») Jedermann beeilt sich, P. zu trösten
0 Diese einflickung ist ungeschickt und mit dem übrigen schlecht
verbunden (vgl. Heinzel s. 40). Man muss annehmen, dass Artus und der
ganze hof die namen Amive, Sangive etc. gänzlich überhören, denn sonst
mussten sie doch sofort wissen, um wen es sich handele, und später 672, 1 if.
könnte Artus nicht in Unkenntnis über die namen sein.
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ZUR PABZIVALFBA6E. 55
(s. u.), dessen hochstrebender geist jede hilfe, auch die gottes
zurückweist. Die geschichte Clamides und Cunnewares wird
durch eine heirat zum abschluss gebracht. Nach der all-
gemeinen abreise rechtfertigt sich der dichter den frauen
gegenüber in einem epilog 337; vgl. 313, 26—28. 334, 10.
26—30].
W. 325, 1—2 = C.6175. — W. 326, 5— 14 = C. 6184— 90
grosse trauer bei hofe: nach C. um Gawan, nach W. um Parz.
und Gaw.; vgl. auch W. 327, 21— 30. 331,1—10. 335,4—9. —
W. 329, 25—30 = C. 6105—18. — W. 331, 11—30 Artus und
Gawan bieten P. hilfe an, vielleicht aus C. 6096: et mesire
Gauwains saut stis et dist que son pooir fera de U secorre.
Das li, das sich bei C. auf das fräulein von Montesclaire be-
zieht, könnte von W. falsch bezogen worden sein. — C. 6099
Giftes, li ftus Do s. zu W. 311, 6 s. 51 und s. 35. — C. 6103 Cor
hadins vgl. W. 351, 12 Kahett, Kahadi, Ortsname; 386, 6 die
Kahettne, Kahadtne. — W. 334, 1—7. 23 = C. 6100 f. 6119—24.
— W. 335, 1—3. 10—21 = C. 6176—83 Gawan rüstet sich, er
nimmt mit: 3 (2) Schilde, 7 (7) rosse, 12 Speere (7 knappen).*)
Nach W. 335, 19 nimmt er die Speere ze sinen friwenden-,
Bartsch erklärt 'als seine freunde und begleiter'; richtiger
wol 'von seinen freunden' (wie 384, 29 t 465, 28); W. 355, 26
— 29 Artus gibt ihm reiche geschenke mit; vgl. C. 6188: que
hon cheval et hone lanee et hon elnie et hone espee ot present
a lui, mais lui ne plot quHl emportast rien del omtrui, was die
prosa von 1530 übersetzt: lesquelles choses lui furent plusi^eurs
foys presentees par ses amys chevalliers,
W. 336, 5 vgl. C. 5984 Artus kehrt nach Karidoel (Carlion)
zurück (bei C. unmittelbar nach P.'s empfang); vgl. s. 43.
In dem epilog 337 führt W. zum beweise dafür, er Tcunde
wihen sprechen haz, an: 1) die königin Belakane mit ihrer
treue gegen den toten geliebten; 2) froun Herzeloyden troum\
3) froun Ginoveren klage an Itheres endetage\ 4) seine anteil-
nahme an der trauer Jeschutens und 5) an der Züchtigung Cun-
newarens und seine genugtuung über die herstellung der ehre
beider. Von diesen punkten sind 2 — 5 sicher W.'s freie zutaten
*) Die eingeklammerten zahlen sind die C/s. Die knappen erwähnt
W. 352, 27 ff. 384, 29 ff. 429, 3 ff.
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56 LIGHTENSTEIN
(zu 3 s. S.21; zu 4 s.39 und W. 137, 20— 30. 257,26—30. 260,
8—11; zu 5 s. 33 und 44 und W. 158, 27 ff. 198, 30 f. 206, 15.
215, 9. 276, 13). Es wird dadurch im höchsten grade wahr-
scheinlich, dass auch die figur Belakanens ebenso zu beurteilen
ist, dass also W. sich zu seiner rechtf ertigung nur auf scnöpf-
ungen seines geistes beruft.
3. Ergebnisse der Tergleichnng:
das Terhältnis zwischen Wolfram und Crestien.
Aus der vergleichung, die wir bis zu dem einsetzen der
ersten Gawan-episode geführt haben, ergibt sich zur genüge,
dass die abhängigkeit W.'s von C. erheblich grösser ist, als
man bisher annahm. Für vieles, was man als abweichungen
ansah, findet man bei widerholtem vergleichen die Vorbilder
bei C. Von solchen hier besprochenen punkten hebe ich her-
vor: P.'s vater (s. 7), P.'s brüder bez. Gumemanz' söhne (s. 25),
P.'s kosename und seine erkennung durch Sigune (s. 8. 37), den
vergleich mit den kammerfrauen 123, 28 (s. 11), die bezeichnung
torenkleider (s. 12), die Warnung der mutter vor dunklen fürten
(s. 14), die belehrung bei Gurnemanz über das verhalten gegen
frauen (s. 24); die stummheit des toren und seine erste rede
bei W. 153, 1 (s. 19), Keies stab und die zöpfe der Cunneware
(s. 19), die laube im palast des Artus (s. 20), die polemik gegen
die frauen 201, 22 (s. 30), P.'s heirat (s. 30), Gawan und Jofreit
fiz Idoel (s. 35), P.'s widererkennung durch Jeschute (s. 39), P.'s
eid, Taurians speer (s. 41), Artus' residenzen (s. 43), sein verbot
des kampfes (s. 46), Kingrimursels freies geleit (8.54).
Unter den abweichungen führt Kupp auch Vergulahts
feenhafte Schönheit an. Diese hat ihre genügende entsprechung
in C. 6169 devant le roi de Cavalon qui plus est biaus que Ab-
salon\ — 7093 dont li uns estoit jouvendaus sor tos les autres
gratis et biaus. Eine klare erinnerung an die erste stelle be-
wahrt W. 796, 8 f. Was bei W. hinzukommt, ist nur die ab-
leitung seines geschlechts und seiner Schönheit von der famosen
fee Terdelaschoye aus Feimurgan (400, 8). — Der jagd Vergu-
lahts auf einen reiher W. 401, 1. 19 entspricht bei C. genau
an derselben stelle und mit demselben ausgang eine jagd Ga-
wans auf eine hirschkuh (7053 — 61), so dass auch hier nicht
die tatsache an sich, sondern nur die änderung in frage kommt.
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ZÜK PARZIVALFBAGB. 57
Das Verhältnis zwischen W. und C. können wir auf grund
unserer beobachtungen folgendermassen formulieren:
1. Der gang der erzählung ist der gleiche; die wenigen
ausnahmen erklären sich ungezwungen (erstes Sigunen - aben-
teuer, s. 15 und 36).
2. Lange stellen wörtlicher Übereinstimmung, entsprech-
ungen selbst in unbedeutenden nebensächlichkeiten weisen auf
eine so enge beziehung W.'s zu C. hin, dass zui- erklärung
dieser tatsache die annähme einer gemeinsamen quelle für
Kyot (W.'s vorläge) und C. oder einer selbständigen neubear-
beitung auf grund von C. nicht hinreicht. Die beiden werke
müssten in grossen teilen geradezu identisch gewesen sein.
3. Die misverständnisse des Crestien'schen textes bei W.,
die nach den bisherigen forschungen >) schon auffallend genug
waren, und deren zahl sich durch unsere vergleichung noch
vermehrt hat,*) haben eine directe benutzung C.'s durch W.
zur notwendigen Voraussetzung.
4. Auch da wo W. von C. abweicht, behält er meist einzel-
heiten und worte aus letzterem bei, welche uns die quelle ver-
raten: viele beispiele in P.'s erziehung, s. 9 f.; femer das
Schönheitslob 123,13, s. s. 11; kumpanie 147,18, s. s. 20; Gur-
nemanz unter der linde 162,8—12, s. s. 21; P.'s antwort 173,
7 — 9, s. s. 24; Gumemanz' söhne, s. 25; Clamides botschaft 218,
1 — 12 t^ C. 4015 — 21, s. s. 34 u. s. w. Die änderung ist bis-
weilen nicht vollständig durchgeführt: der kirchenbesuch, s.
s. 65; die einholung P.'s, s. s.47; die belagerung vonBearosche^)
1) Bartach s. 133 f. Heinzel 8. 11 ff. Birch-Hirschfeld ß. 274. 278.
«) C. 2028 ./. asnes : Nantes W. 144, 8 (s. 16); 2439 la pucide la
roinne : si was von arde ein ßirstin 152, 19 (s. 19); 2263 vergter : loube
151,2 (8.19): 2444 ot la parole (8.19); 2543 ccmtwe verb. 3. sg. : diu
sträze 162, 12 (s. 21); 2872 chasties : verschemen 170, 16 (8.24); 3548 de
8€S puins ses cevtaus trait : des ors zen siten was durchslagen 203, 16
(8. 30); 4965 'St as' (s. 39). Spätere fälle sind: 8910 .1. sages clers d'astre-
netnie que la rome en amena (vielleicht qui yeretanden?) : einphaffeder
wol zouher las, mit dem diu frouwe ist hin gewant 66, 4 ; 9657 as feniestres
d^une tomiele u esgardoit une puciele et un Chevalier : Gäwän sach in der
siule fiten ein riter und ein frouwen 592, 22; 9376 et voient le pats en-
tour : diu lant umb giengen 590,9; 9890 se lance verb. 3.8g. : stn ^er
602, 26.
^) So erklären 8ich anch die bei Heinzel s. 102 aufgeftlhrten Wider-
sprüche. Vgl. endlich unten das auftreten P.'s in den Gawanepisoden.
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58 LICHTENSTEIN
(s. unten). Die veranlassung zu seinen abweichungen findet
W. häufig in C.'s texte selbst, sei es durch misverständnisse,
sei es durch andeutungen, die ihn zu weiterer ausftihrung
reizten (s. die eidesscene s. 43; die digressionen über minne
und Gawans erlebnis s. 48. 49 etc.).
5. Umgekehrt ändert W. auch an stellen, die sich sonst
völlig entsprechen, bis in unbedeutende kleinigkeiten hinein.
Einen seltsamen beleg hierfür bieten die differenzen in den
Zahlenangaben.*) P. trifft im walde 4 (3) ritter, welche 2 (5)
ritter und 1 (3) Jungfrauen verfolgen. Er wird von Gume-
manz als sein vierter söhn bezeichnet, während er bei C. der
dritte söhn seiner eitern ist (s. 25). Condwiramurs erhält von
ihrem oheim 12 brote und 2 huzzel mit wein (5 mices et 1 houcel
piain de vin cuit, s. 27); der andere oheim sendet ihr ebenso
viel (bei C. nur ein oheim, aber s. s. 27). Neue lebensmittel
kommen ihnen auf zwei schiffen (einem schiff, s. 30) zu.
Clamides Verstärkungen betragen 500 (400) ritter und 1000
(1000) sarjant, ähnlich differiert die zahl der besatzung von
Pelrapeire (s. 33), die zahl der Insassen des wunderschlosses
(s. 53), Gawans ausrüstung (s. 55). Manchmal lässt sich ja
auch für diese abweichungen ein grund erkennen, so wenn W.
beidemal (225,21. 250,22) die einöde um die gralburg auf
30 meilen im umkreise angibt, während C. an der ersten stelle
(4199) von 20, an der zweiten (4648) von 5 meilen spricht^
oder wenn er der Symmetrie halber in dem gralzuge zwei
silberne messer statt 6ines tailleoir d'argent aufführen lässt 2)
Aus der gesammtheit der fälle aber ergibt sich, dass es nicht
zulässig ist, aus Zahlendifferenzen auf eine unbekannte vor-
läge für W. zu scldiessen. Aendert er doch auch unbesorgt
und geradezu willkürlich die überlieferten namen: Kinkerhi >
KuMmerlant, Escavdlon > Ascalün, I>maHron > Bianazdrtm,
Guingambresü > Kingrimursel, Guiromelans > Gramoflanz,
Griogoras > Vrians, Gtfles li fitis Do > J6 freit fiz Idcel, Tie-
haut > Lippatd (Libattt), Gerin le fil Berte > Scherules; Ar-
nive ist vielleicht nur ein anagramm aus Ugierne; vgl. Bartsch
s. 123. Das adjectiv Wäleis = Galois gebraucht er auch als
1) Die eingeklammerten zahlen beziehen sich auf C.
*) Birch- Hirschfeld s. 278 f. Heinzel s. 14 schliesst aus der zweizahl
hei W. auf eine andere quelle.
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ZUR PARZIVALFRAGE. 59
Substantiv = Valois (Bartsch s. 117), und Ortsnamen verwan-
delt er häufig in personennamen und umgekehrt, z. b. Ter-
deUzschoye, Feimurgän^ Gahmuret, der künec Translaptns <
Transalpina GaUia (Martin, QF. 42, 5). Ebenso frei verschiebt
er die verwantschaftsverhältnisse: Gahmuret s. Bartsch s. 117;
P.'s brüder, s. s.25; Gawans brüder s. Bartsch s. 118; Gumemanz'
bruder wird sein söhn Schenteflurs, s. s. 26; der alte gralkönig,
der vater des reichen fischers, wird zum grossvater desselben,
s. Birch-Hirschfeld s. 281.
Dass es je eine darstellung des Parzivalstoffes gegeben
habe, die sich mit der Wolframs in den hier angeführten
punkten deckte, muss als ausgeschlossen betrachtet werden.
Ja, man kann sagen, dass W. fast nie nur einfach nacherzählt
(man vergleiche die eidesscene, die Schilderung der Condwira-
murs, der gralbotin, der drei blutstropfen), dass er alles, was
er sagt, so mit elementen seines geistes durchdringt, dass etwas
ganz neues und eigenartiges daraus entsteht. Und das eben
ist der grund, weshalb über seine quellen so viel zweifei und
Streitigkeiten möglich sind trotz der engen beziehungen zu C.
4. Wolframs behandlung des Stoffes im Willehalm.
Uin einen massstab für die beurteilung der abweichungen
und Überschüsse im Parzival zu gewinnen, müssen wir die art
und weise feststellen, wie W. überhaupt mit den ihm vorliegen-
den Stoffen verfährt. 9 Wir erkennen dies aus dem Willehalm,
dessen quelle, die Bataille d' Aliscans, uns vorliegt; ausser-
dem konunen dann noch die zahlreichen stellen im Parzival
wie im Willehalm in betracht, in denen der dichter mit seiner
persönlichkeit und seinen künstlerischen absiebten hervortritt.
*Im WlUehalm hat W., dem die chansons über Willehalms
Vorgeschichte nicht bekannt waren, die begründung des krieges
und die frühere lebensgeschichte Willehalms aus wenigen
andeutungen der Bataille d' Aleschans und den reminiscenzen
aus der deutschen spielmannspoesie glücklich componiert und
die einzelnen details mit künstlerischem bewusstsein durch
das ganze gebiet seiner dichtung hin verstreut.'*) ^Eine reihe
») Bötticher, W.-lit. 59.
') Seeber, Progr. von Brixen 1884, s. 8, nach Suchier, Ueb. die quelle
Ulrichs V. d. T. 39 f. 43.
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60 LICHTENSTEIN
von abweichungen von der Bat. AI. konnte San Marte nicht
erklären; er nahm deshalb an, dass W. noch andere dichtungen
gekannt und aus ihnen einzelheiten Qptnommen habe. Eine
eingehendere kenntnis des französischen textes hat nun er-
geben, dass die meisten abweichungen entweder durch mis-
verständnis der chanson oder durch die dem deutschen dichter
eigentümliche darstellungsweise herbeigeführt wurden.' ^ W.
gestaltet das lose gewirre der französischen dichtung nach
einem selbständigen, einheitlichen plan um und versetzt scenen
und gespräche.'-*) Er bringt seinen geist und sein gefühl hinein
und ändert unbesorgt, was dem widerstreitet. 'Nicht der
glaube, sondern die minne ist die kraft, welche mit gleicher
stärke den Christen und den beiden in den kämpf treibt.' 3)
Die minne erscheint als motiv für abenteuerzüge Wh. 6, 1 — 7
(zugleich mit der enterbung). 7, 4. 22, 22 ff. 24, 5 ff.; weibes
minne und gottes minne verbunden (doppelmotiv) 9, 7 — 20. —
'Je mehr gegen den schluss, desto mehr entfernt sich der
dichter von seinem vorbilde.' Das 8. buch ist *ein freies
phantasiestück W.'s, berechnet auf den geschmack seiner
ritterlichen Zeitgenossen.'^) — Die beziehungen auf deutsche
heldensage, auf das Rolandslied, auf zeitgenössische dichter,
auf den Parzival, die deutschen Ortsnamen und die beziehungen
auf deutsche Specialgeschichte gehören W. an, ebenso das ein-
gangsgebet.*)
Wir werden alle diese züge in den abweichungen des
Parzival widerflnden, und wenn wir hinzunehmen, wie der
dichter sich in seinen werken selbst gibt, so werden wir
nicht im zweifei sein, was wir als sein eigentum betrachten
dürfen.
*) Saltzmann, Progr. von Pillau 1S83, s. 1. Ueber misverständnisse
im Wh. vgl. Bartsch s. 133: künec Antikote < U rois cTantiquite] lignum
älöe < aloer; 46, 17 er sluoc Libilun, Arofels stcester sun < fiert k tieceu
Arofte le blon AI. 351 u.s.w.
«) Seeber a.a.O. s. 11. 17. San Marte, Ueb. W.'s v. E. rittergedicht
Wilh. V. Orange s. 63. 76. ^
^) Saltzmann a. a. o. s. 9 f.
*) San Marte a. a. o. s. 87.
*) San Marte a. a. o. s. 20—102. Seeber a.a.O. s. 7. Ueber die zahl-
reichen namen, die aus dem Parzival in den Willehalm eingeführt sind, vgl.
ßartsch s. 131.
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ZUB PABZIVALFRAaE. 61
5. Wolframs Persönlichkeit
als massstab fflr die beurteilung der abweiehungen.
Aeussere lebensamstande.
Wolfram ist bekanntlich nicht zurückhaltend mit äusse-
rungen über seine person, seine erlebnisse und seine anschau-
ungen. Er spricht von einer ganzen reihe von deutschen
örtlichkeiten und ereignissen, und wir wissen fast nur aus
diesen erwähnungen, wo er gelebt und wann er gedichtet hat.
Diese zusätze, die sich im Wh. sowol wie im Parz. finden,
sind natürlich sein freies eigentum, wie überhaupt alle stellen
wo seine person oder deutsches wesen hineinspielt (z. b. der
hinweis auf die deutsche kunst 158, 13, die bezugnahme auf
den Rhein in der Charakteristik des Segramors 285, 6). Auch
die genaue kenntnis steirischer Ortschaften, die er mit Gandin,
Gahmuret und Trevrezent in Verbindung bringt (496,15. 498,26),
brauchte er gewis nicht aus einem französischen dichter zu
holen, 1) zumal da sie von dem sonstigen Schauplatz der erzäh-
lung weit ab liegen. Er kann jene angaben den Schilderungen
eines freundes (Walthers) verdankt haben, 2) falls wir nicht
einfach annehmen wollen, dass er hier persönliche reiseerinne-
rungen einflicht, denn mir scheint W. aus erf ahrung zu sprechen,
wenn er gerade im anschluss an die steirischen reisen bemerkt
(499,9): swcr Schildes ambet Heben wil, der muoz durchstrichen
lande vil. 'Mit diesen steirischen localitäten, der erflndung W.'s,'
sagt Heinzel, * hängt das wappen des hauses von Anjou zu-
sammen und die ableitung von könig Gandins namen 498,26.
101, 17.'3)
Ueberhaupt liebt es W. nicht nur, bei jeder gelegenheit
seine persönlichen Verhältnisse und die ihn umgebenden zu-
stände mit den geschilderten in vergleich zu bringen, sondern
sie beeinflussen deutlich auch unmittelbar seine darstellung.
^) S. Haupt bei Beiger, H. als academischer lehrer s. 281 f.
*) Bartsch s. 136. Heinzel s. 20. Dass W. erst durch eine stelle seiner
vorläge zu der yerwechslung des orientalischen Bohas mit dem steirischen
berg und dadurch zu der einflechtung der anderen steirischen orte geführt
sei, ist eine überflüssige annähme. Derartige Verwirrungen geographischer
begriffe gehören zu den eigenheiten W.'s (vgl. s. 59), und den namen Bohas
= Edessa konnte er in der zeit der kreuzzüge oft genug gehört haben.
») Vgl. Haupt, Z8.fda. 11,48. Bartsch s. 136.
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62 LIGHTEKSTEIN
Aus welchem anderen gründe wol nähme er im Wh. sowol
wie im Parz. die erblosigkeit des helden zum ausgangspunkt
der erzählung und knüpfte daran betrachtungen, wenn er da-
bei nicht an sich gedacht hätte? In der quelle stand davon
nichts, in der Schlacht von Aliscans ebensowenig wie in einer
französischen gralerzählungJ) Die gelehrte anmerkung aber
von dem welschen recht, das auch in einem deutschen landes-
teile gilt (4, 28) stammt wie manche anderen gelehrten zusätze
bei W. aus Otto von Freising (s. unten), und ihr Inhalt wird
bei den deutschen lesem als bekannt vorausgesetzt (4, 30).
Wenn f emer W. in der ehrenrettung Keies (296,13—297,30),
die wir als seinem geiste entsprungen ansehen dürfen, das
gedränge an Artus' hofe mit dem beim fürsten Hermann von
Thüringen vergleicht, so ist das mehr als ein vergleich: hier
hat die erinnerung an das selbsterlebte erst die ganze stelle
mit ihrer polemischen tendenz hervorgerufen.
Mit besonderem nachdruck betont W., dass er ritter sei
(115, 11), und dieses hohe gefühl von der würde des Standes
wird von seinem helden geteilt (269, 4 ff. 472, 1 ff. 612, 7). Ein
kämpf nach den regeln der kunst erfüllt den dichter mit be-
friedigung (262, 20 — 265, 17), und er benutzt seine erfahrung
darin, um ein grosses detail zu entrollen (buch 7, vgl. Wh.
buch 8). Abenteuerfahrten und minnedienst geben wie im Wli.
(s.S. 60) das motiv für viele Verwickelungen; sie spielen eine
entscheidende rolle in dem leben des Gahmuret, des Galoes,
des Anfortas, des Trevrezent, des Schionatulander. Als Parz.
das gralschloss verlässt, brennt er sogleich vor begierde, sich
im dienste des gralkönigs und seiner nichte auszuzeichnen
(246,11—18. 248,20—30; ebenso vor Pelrapeire 182,25—28);
der wünsch seine mutter widerzuselien tritt zurück vor dem
verlangen nach ritterlichen taten (177, 2—8. 223, 23, s. s. 24
und 35).
Die minne bildet ein lieblingsthema W.'s (s. s. 48 und W.
532. 533. 584, 5); auch in sein leben hat sie bedeutsam ein-
gegriffen, und er kommt widerholt mitten in der erzählung
auf dieses persönliche Verhältnis zu sprechen (114,8. 334,10.
26. 337. 827, 25). Er verherrlicht vor allem die eheliche liebe
*) Abgesehen von der dunklen andentung bei C, s. s. 7.
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ZUB PABZIYALFBAGE. 63
(Belakane, Herzeloide, Condwiramurs, Sigune, Jeschute: s. ferner
468, 1. 474, 14), die stcete, die keuschheit und die edle weib-
Uchkeit (3,25. 24,8. 26,10. 115,2. 176,12. 192,2. 201,21). In-
dessen ist der dichter von prtiderie so weit entfernt, dass er
auch der Sinnlichkeit und ihren freuden ihr recht gibt (vgl.
W.'s lieder), mehr in dem geschmacke seiner Zeitgenossen als
in dem unsrigen (vorbild bei C. s. s. 28 — 30). Seine ritter
werden bei der begrüssung regelmässig von den damen ge-
küsst (20,25. 23,30. 46,1 — 48,2. 175,26. 176,9. 187,2. 310,15
u. ö.) und von reizenden Jungfrauen bedient (167. 176,18. 243,20.
423,5. 430,27. 549,1. 550,15. 551,3. 552,25. 553,26. 575,1).
Für die Schönheit des weibes wie des mannes hat der
dichter einen lebhaft empfindenden sinn (s. z. b. 450, 1), und
neben den herzenseigenschaften sollen uns auch äussere Vor-
züge für seine gestalten einnehmen. Die Schönheit des beiden
ist überall, wo er hinkommt, der gegenständ höchster bewun-
derung (s. s. 11. 16. 22. 51; bei C. nur eine stelle: 2166—70),
und auf ihn werden auch bemerkungen C.'s übertragen, die
anderen personen gelten (s. s. 11. 27). Die Schilderung der
hässlichkeit widerstrebt dem dichter, er kürzt sie ab und ent-
schuldigt sich noch überdies bei den damen, auf deren bei-
stimmung er wert legt (s.38. 51. 55; vgl. 114,5. 827,25).
Auf höfische zucht und gute sitte hält W. sehr (2,13 —
3,10. 188,15 — 189,3. 193,23. 230,25. 297. 576,20. 582,11
etc.). Die Vorschriften, die wir bei ihm den lehren des Gur-
nemanz hinzugesetzt finden, oder die von seinen personen be-
obachtet werden, sind der deutschen gesellschaft der zeit
gemein: mute (170,27. 191,1. 297,20. 336,17. 394,22; vgl,
142,15. 150,11) und möge (171,13. 3,4. 13,4) werden als
wichtige tugenden empfohlen. Der ritter soll sich vom rost
waschen, nachdem er die rtistung abgelegt hat (172,1. 186,2.
228.1. 272,3. 306,21. 550,11; femer 118,13. 167. Erec 3654.
Biterolf 1809, s. Schultz, Höf. leben 12,224); er soll vom pferd
steigen, wenn er einer dame zu fuss ansichtig wird (217, 28.
437, 3. 509, 2, s. Schultz 1, 181), und er soll die waffen ablegen,
bevor er an den hof kommt (275,10. 437,11; vgl. Nib. A391.
1583. 1683. 1799—1805. Konr. v. Haslau 712. 724). Ritterlich-
keit wird auch gegen feinde geübt (527, 23—27. 539, 25 —
540.2. 543,9—26; Schultz 2, 172. Erec 827). Unter der linde
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64 LICHTENSTEIN
sitzend empfängt Gurnemanz, der hauptmann der wahren zucht,
seinen gast (162,8.21); unter einer ummauerten linde wird P.
in Pelrapeire entwaffnet (185, 27, vgl. Schultz 1, 663). Mit
aufgerichtetem speer in der nähe des hofes zu halten oder gar
die lagerschntire zu durchreiten, gilt als herausforderung und
beschimpfung (281,1. 284,3.22. 593,24); der waffenruf kündet
die drohende gefahr (284, 13. 407, 13). Deutsche rechtsformen
spielen öfter in die darstellung hinein: besitzergreifung mittels
strohwischs 146, 26, s. Grimm, RA. 196; anklage vor gericht
320, 10—13, RA. 878; gerichtsverhandlung 525, 11 — 529, 23,
RA. 633. 684; das gericht der standesgenossen 136, 15. 152,14.
347, 24. 415, 19. Deutsch sind ferner die vier hofämter mar-
schall, kämmerer, truchsess und schenk (666,23—29. 183,20.
353, 4. 354, 9. 662, 17. 20), und die Vorliebe W.'s für titel und
rangerhöhung (duc, herzoginne s. s. 14; künec von Kükümerlant,
s. s. 17 u. s. w.) darf man wol ebenfalls als deutsch bezeichnen.
Nicht minder gefällt sich W. in der Schilderung von wappen,^)
und er verwendet sie bisweilen wirksam als motiv der wider-
erkennung (s.S. 45, ferner W. 18, 5. 80,11). Da das wappen
von Anjou seine erflndung ist (s. s.61), so dürften die übrigen
ebensowenig auf alter Überlieferung beruhen. Das drängen
und schauen bei der begrüssung von gasten und hervorragen-
den Personen, das W. nie zu erwähnen vergisst,^) ist charak-
teristisch als eine höfische sitte, deren auch andere deutsche
dichter gedenken. 3) — Der gralzug, der ceremonielle empfang
bei hofe, die hochzeiten und die feste der taf eirunde (309, 3
—30. 311, 5—9. 775, 1 — 778, 15) beweisen W.'s sinn für schöne
formen, und es wäre auffallend, dass er zweimal die ceremonie
des ritterscldags übergeht (C. 2816—30. 10538—55), wenn nicht
die von C. geschilderte form specifisch französisch wäre (s.
Schultz 1, 182—184). Ebenso unterdrückt er dreimal (s. 13. 24)
den rat, kirchen und klöster zu besuchen, sowie dessen törichte
») W. 14, 12 ~ 15, 7. 50, 1. 64, 23. 70, 22. 99, 11. 101, 7 Gahmuret; 474,
5— 9 Gral; 262,4—13. 263,16. 275,21. 276,10. 278,14 Oriluß; 736,10.
741,16. 768,24 Feirefiz; 575,27 Gawan; 383,2 üinot.
>) W. 147,12. 148,19. 150,30. 151,7. 216,26. 217,28. 220,28. 275,8.
305, 9. 320, 6 u. ö.
«) V^^'alther 20, 7. 28, 15 (s. Wilmanns, anm.). Winsbeke 23. Konrad
V. Haslan 153. 191 (s. Hildebrand, Germ. 10, 144).
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ZUR PABZIYAIiFBAGE. 65
anwendung durch P. (C. 1847—60, s. s. 14) und setzt dafür
einmal die beim Schlossgottesdienst erfolgende belehrung 'zu
opfern und sich zu segnen' (bekreuzigen) aus dem einfachen
gründe, weil auf den deutschen schlossern die tägliche messe
in der schlosskapelle gehört wurde und nicht in der kirche,
welche oft weit entfernt und unter umständen gar nicht zu
erreichen war (Schultz 1, 111; vgl. W. 196, 12—19, femer 378,
21—25 gegen C. 6860 f. und W. 705, 1—9; ein rest ist stehen
geblieben 461,4).
6. IndiTidnelle charakterzflge.
So zeigt sich, dass W. getreu das leben seiner zeit und
seiner Umgebung copiert, und noch manches vielleicht wird
sich aus dem milieu erklären lassen, in dem sein werk ent-
stand. Andererseits aber ist er ein durchaus origineller geist
der das gepräge seiner Individualität unverkennbar allen seinen
Schöpfungen aufgedrückt hat. Directe Zeugnisse seiner denkart
sind die einleitungen und Schlüsse des ganzen werkes und ein-
zelner bücher, ferner zahlreiche in die erzählung eingestreute
reflexionen und excurse, wozu auch die reden des Trevrezent
zu einem grossen teile gerechnet werden müssen, da sie sich
in ihren erweiterungen nur noch scheinbar an Parzival, tat-
sächlich aber an das publicum richten (s. 463, 27 ff.). Der
gesammteindruck, den wir daraus von W. empfangen, ist der
einer imponierenden persönlichkeit, eines durchaus selbständig
denkenden kopfes, überreich an gedanken (4, 2 ff.), von hohem
sittlichen ernst und von tiefem gefühl. Dieser mann, das er-
gibt sich ohne weiteres, wird sich nimmermehr zum dolmetsch
der gedanken eines andern machen; und wenn man eine noch
vollständigere vorläge für sein gedieht zu finden hofft, so wird
sie doch ebenso wie C.'s roman grundverschieden sein von dem,
was er daraus gemacht hat.
Eigenartig ist W. zunächst in seiner religiösen richtung.
Eine Vorliebe für dieses gebiet bezeugt schon die wähl der
Stoffe im P. und Wh., mehr noch die art, wie W. sie behan-
delt, die tiefsinnigen erörterungen, die er einflicht. So ist im
Wh. das Zwiegespräch über Christentum und muhamedanismus
(215 — 220) sein eigentum*), und ebenso bis auf wenige wen-
>) San Marte, Ueb. Wh. v. Orange 8. 73.
BeltiAge sur geaohlohto der deuiMhen tpcMhe. ZXII. 5
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&6 LICHTENSTEIN
düngen ') das tief empfundene eingangsgebet. W. steht aller-
dings im allgemeinen durchaus auf dem boden der anschau-
ungen der mittelalterlichen katholischen kirche;^) auch von
ilirer scholastischen gelehrsamkeit hat er sich ein gut teil
angeeignet (463—465. 481, 19 ff. 482, 12 ff. 518 u.a.), und aus
der übergehung des rates, kirchen zu besuchen, darf man nicht
ohne weiteres einen abweichenden Standpunkt folgern (s. s. 65).
Und doch welch tiefgreifender unterschied zwischen C. und
ihm in der Trevrezentscene: bei dem einen das festhalten an
den kirchlichen formen, der gottesdienst unter assistenz des
Priesters (C. 7717 ff. 7867 f.), das gebet mit den hochheiligen
namen gottes, die man nur in grosser gefahr aussprechen darf
(7855 — 66): bei dem anderen der laienbeistand des menschlich
fühlenden, ritterlich ratenden Trevrezent (462, 11. 489, 1. 501,
18), der herzbewegende hinweis auf die liebe gottes, des wahren
minncßres (W. 466, 1; vgl. 119, 24). Die Werkheiligkeit tritt zu-
rück, innere heiligung, deutscher mysticismus tritt an ihre
stelle. Die beiden klöster in Pelrapeire, die lange procession
der mönche und nonnen und die Zusicherung der totenmesse
(s.27. 35) fehlen bei W.; nur ihm dagegen gehören an die ein-
siedeleien der beiden oheime der Condwiramurs £ier wilden
alle Musen (190, 22, s. 27), die waldklause der Sigune, die
selten messe hörte, deren ganzes leben jedoch gottesanbetung
und ewige minne war (435, 24 ff.). Auf edle menschlichkeit
und teilnahmvolles fühlen werden auch die geheimnisse des
grals von W. zurückgeführt (255, 17. 315, 30. 473, 1); ihrer
würdig ist nur, wer falschheit und halbheit (zwtveT) in sich
überwunden und sich zu unverzagtem mannesmut, zu Cha-
rakterfestigkeit {stmte) und treuer, keuscher gesinnung durch-
gerungen hat.
Das ist die stiurey die idee, die W. selbst in der einleitung
aus seinem werke abstrahiert; und am Schlüsse desselben fasst
er noch einmal das ideal des lebens, wie er es in seiner dich-
tung verwirklicht hat, in den Worten zusammen:
827, 19 swes lebn sich so verendet,
daz got niht wirt gepfendet
^) Rolin, Aliscans, einleitung.
') Sattler, Die religiösen anschanimgen W.'s, Graz 1895.
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ZUB PABZIVALFBAGE. 67
der sßle durch des libes schulde,
und d<er doch der werlde hnlde
behalten kan mit werdekeit,
daz ist ein nützin arbeit.
Diese durcMringiuig geistlicher und weltlicher ideen, wie
sie sowol den Parz. wie den Wh. beherscht, ist speciflsch wolf-
ramisch.') Aus ihr entsprang die Vorstellung von jener ritter-
lichen brttderschaft, der er den namen templeisen gegeben hat
in anlehnung an den zu jener zeit viel genannten namen der
tempelritter. Bei dieser Weiterbildung der fabel, die übrigens
auf andeutungen bei C. beruht, lässt sich also der nach weis
erbringen, den Bötticher (W.-lit. 59) fordert, dass sie nämlich
der ideenrichtung W.'s angemessen und aus ihr leicht zu er-
klären sei.
Die idee W.'s, wie sie in der einleitung zum Parzival
gekennzeichnet ist, setzt psychologische entwickelung voraus.
Dass W. ganz der mann dazu war, diesen gesichtspunkt in
die geschichte Parzivals einzuführen, zeigen seine widerholt
eingeflochtenen reflexionen, durch die er die aufmerksamkeit
von dem äusseren geschehen auf die inneren beweggründe,
auf das Seelenleben des beiden lenkt. Hierher gehören die ein-
leitungen zu buch 4, 5, 9 (433, 17 ff.), 15 (734, 23 ff.), der schluss
von 14 (732. 733), aus buch 6 der excurs über die gewalt der
minne 291,1 — 293,16; femer im Innern der bticher kürzere
bemerkungen an wichtigen Wendepunkten 161, 7. 256 1 ff.
319, 1 ff. 443, 1. 445, 30. Statt des dichters übernimmt oft der
held selbst die rolle, seine Seelenstimmung zu schildern^):
329, 18 ff. 332,1 ff. 441, 4 ff. 461, 9 ff. 472,1 ff. seine seelen-
schmerzen, Verzweiflung an gott; 688,24ft sein schuldbewusst-
sein; vgl. 689, 26 ff. (Gawan) der sieg über sich selbst. Eine
ausdrucksf orm von plastischer anschaulichkeit und dramatischer
kraft fand W. in den träumen Herzeloydens und ihres sohnes
(103,25.245; vgl. 374, 6), die zu den perlen wolframischer
poesie gerechnet werden müssen. Häufig beschränkt sich die
Charakteristik auf ein blosses epitheton, z. b. der knappe tump
unde wert 126, 19, unser teerscher knabe 138, 9, der unverzagte
») Vgl. Vogt in Pauls ömndr. 2 a, 277.
') Vgl. Urbach s. 21, der besonders anf die anwendnng yon monologen
bei W. zom aosdrnck der gedanken aofinerksam macht.
5*
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68 LICHTENSTEIN
138,3, der hoch gemuot 267,9, der freudenflühtec man 733,25;
und auch ohne solche directen hinweise erkennt man öfter
das streben nach psychologischer Vertiefung. So malt sich die
Stimmung an manchen stellen wirksam in der Situation: 180, 3
P.'s gedankenloses hin- und herreiten, 282, 1 sein nächtliches
verweilen am unwegsamen orte, den falken zur seite. Bei C.
kommt P. bereits ganz zerknirscht zu dem eremiten, W. lässt
uns den inneren Vorgang seiner demütigung beobachten. Die
innere entwicklung ist dem dichter so sehr die hauptsache,
dass darüber die an die erwerbung des grales geknüpfte
äussere bedingung, dass die frage ungewarnet geschehen solle,
schliesslich unberücksichtigt bleibt. Der held ist des grales
würdig geworden, da wird denn die lösung höchst einfach und
kunstlos durch eine Inschrift am grale und durch eine aber-
malige entsendung der gralbotin herbeigeführt. Was jedoch
den beiden von vornherein vor allen anderen dazu befähigt,
hüter des grales zu werden, und was ihm in den schwierigsten
lebenslagen halt verleiht, das ist der von vater und mutter
her ererbte adel der gesinnung, die angeborene werdekcit
146, 6 f. 149,25. 164,19. 174, 24 f. 179,24. 212,2. 301,5. 317,
11 f. 325, 30 ff. 451, 3 ff. u. ö.); damit rechtfertigt sich denn
die ausführliche Vorgeschichte.
Während der französische dichter, abgesehen von dem
kurzen prolog, vollständig zurücktritt, mischt sich W.'s stark
subjective natur überall mitten in die handlung ein, polemi-
siert gegen seine Zeitgenossen, bringt seine gefühle zum aus-
druck oder wendet sich an die der leser, sucht seine personen
in unserer achtung zu heben, indem er ihre edle gesinnung
(trtuwe) betont, und nimmt das wort für einen verkannten
Charakter (Keie s. s. 48, gralbotin s. 51 f., Jeschute 257, 23 — 30.
260, 8—11 s. s.38f., Obie 365, Antikonie 427, 5, Orgeluse 516, 3).
Was an seinen personen anstoss erregen könnte, sucht er zu
entschuldigen oder psychologisch zu motivieren (s. die eben
erwähnten beispiele, femer Ither s. 18, Antanor s. 19, Lippaut
3ü5,27, Klinschor 618, 1. 656, 1. 20 ff. 659,8); roheiten und
Unziemlichkeiten mildert er oder unterdrückt sie ganz (mis-
handlung Cunnewarens s. 19, P. handelt mehr aus mitleid für
Cunneware als aus räche gegen Keie s. 33, P.'s Ungeschick-
lichkeit C. 2116—29 s. 17, Blancheflours Verstellung s. 29. 32,
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ZUB PARZIYALFRAGB. 69
Orilus' grausamkeit s. 37, Obies ohrfeige C. 6417; vgl. über Wh,
Seeber s. 10. Eolin, einl. 25).
Wie in dieser herzlichen anteilnahme des dichters sich
seine deutsche gemütsrichtung offenbart (vgl. Hartmann von
Aue), so auch in der sinnigen art, womit er sozusagen alle
Personen seines gedichts zu einer grossen familie vereinigt.
Nur wenige ausätze hierzu fand er bei C. vor. Auch dort ist
Sigune der Herzeloyde verwant, der einsiedler ist bruder des
gralkönigs und oheim P.'s, die graljungfrau ist nichte des
königs, Gawan Artus' neffe. *Bei W. sind diese familiären
beziehungen ausgedehnter. Zwischen Parz. mit seiner gral-
sippe und Artus mit seinen tafelrundem sind mittelpersonen
eingeschoben.'») So ist P. mit Artus durch Gahmuret ver-
want (769), P. mit Vergulaht durch Gahmurets Schwester Flur-
damurs (420, 6), Kingrimursel mit Vergulaht (324, 11), Gawan
mit Vergulaht (503, 14), Ither mit Artus und Parz. (145, 11,
498, 13), Condwiramurs mit Gumemanz (198, 27), Cunneware
mit Orilus (s. 44), Segramors mit Ginover (285, 21). Durch
heiraten werden neue verwantschaftsbande geknüpft (327, 1.
397, 3. 730, 27). Wo nun einige dieser personen zusammen-
treffen, da entfaltet sich ein gemütliches familienleben, das
den leser mit behagen erfüllt, so besonders zwischen Orilus
und seiner Schwester (s. 45) und bei P.'s ankunft am hofe
(s. 50). Eine woltuende wärme ist über jede häuslichkeit aus-
gegossen: ohne das walten züchtiger frauengestalten wäre sie
für den deutschen dichter nicht denkbar. Ihm haben wir da-
her die einführung der töchter im hause des Gumemanz und
Plippalinot, der mutter im hause des Lippaut zu danken; er
machte aus den pilgernden herren und damen (C. 7716 f.) einen
ritter mit frau und töchtern, die P. in der kälte mitleidsvoll
eine wärmende Unterkunft anbieten (446, 10. 448, 27). Hierzu
kommt eine fülle von kleinen zügen, die dem leben abgelauscht
sind, wie die ihre puppen anbietende Clauditte 372, 18, P.'s
weise und patriarchalische Verteilung der speisen nach der
hungersnot 201, 8, Arnives mütterliche fürsorge für den schwer-
verwundeten Gawan 574, 5. 578, 4 — 581, 26, der geizige fischer
(ein gegenstück zu dem gastfreundlichen fährmann Plippalinot),
») ürbach 8.21,
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70 LICHTBNSTBIN
der nur für sich und seine kinder sorgt 142, 26. Echt deutsch
und wolframisch schliesslich sind scenen von ergreifender ge-
mtttstiefe, wie der schmerz des kindes Parzival über den tod
der unschuldigen vögelein 118, 9. 23; die rührende bestattung
Ithers, das blumendach und die klagen der frauen 159, 13;
vor allem jene versöhnungsscenen zwischen Orilus und Jeschute
(268, 15. 270, 6, s. s.42) und zwischen Obie und Meljanz (896, 21
s. Martin, QF. 42, 3), in denen das hervorbrechende gefühl so
meisterhaft zum ausdruck gelangt.
Wie diese familiären und gemütlichen züge geeignet sind,
uns die auftretenden personen menschlich näher zu bringen, so
gilt dies auch von einer anderen zutat. Die erwähnungen
früherer abenteuer, von denen uns sonst nichts überliefert ist,
dienen nämlich bei W. vielfach nur dazu, alle mitwirkenden
mit einander in irgend eine persönliche beziehung zu bringen.
Er gibt von ihnen nicht nur die namen, die zum grossen teil
in seiner vorläge fehlen, sondern auch ihre lebensgeschieke,
so dass sie uns vertraut werden und nicht mehr als blosse
Statisten die bühne füllen. C. 4774 f. und W. 141, 13 berichten
übereinstimmend, dass Sigune von P.'s mutter Herzeloide er-
zogen wurde. W. 805, 6 lässt nun aber auch Condvnramurs
bei Sigunens mutter Schoysiane erzogen werden, was nach
Titurel 25 unmöglich ist, wie Heinzel s. 45 zeigt. Mir scheint
das dafür zu sprechen, dass dieser zug unecht, d. h. ein zusatz
W.'s nach analogie jenes früheren bei C. ist. Schianatulander
ist bei C. nur der tote geliebte der Sigune (auch die namen
fehlen bei C); W. macht ihn zum Verteidiger der erbländer
P.'s (s. S.37. 81. 83) und bringt ihn im Titurel in ein ähnliches
Verhältnis zu Gahmuret wie Sigune zu Herzeloide. Eine ähn-
liche Stellung bei Trevrezent nimmt Ither ein (498, 14), den
wir bei C. nur als roten ritter kennen lernen. Trevrezent,
der einsiedler, hat wie alle anderen beiden (s. s. 62) aben-
teuerfahrten im minnedienst unternommen und ist dabei mit
Gahmuret zusammengetroffen (495, 13). Clamide und Orilus
spielen bei C. eine bloss episodenhafte rolle; W. erhöht ihre
bedeutung, indem er ihnen frühere fehden mit Artus zuschreibt
(s. s. 34. 44). Den Orilus bringt er ausserdem in Zusammen-
hang mit den abenteuern des Erec (s. s. 15), weil auch dort
ein Orgueülous de la lande (Hartm. 2575 der höchvertige Lando)
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zun PASZIYALFRAQE. 71
vorkommt,') und seiner gemahlin Jeschute dichtet er eine
verwantschaft mit Erec an, um ihr eine königliche abkunft
zu geben (134,2) und dadurch um so mehr mitleid mit ihrer
unverdienten demtttigung zu erwecken (277, 19). Charakte-
listisch ist die einführung des wilden Dodines aus Hartmanns
Erec bei gelegenheit der aus verschiedenen stellen C.'s zu-
sammengearbeiteten eidesscene (s. 40) und die anknfipfung an
Erecs vater Lac bei der erwähnung von Trebuchets brunnen
(W. 254, 1 = C. 4848 qui la voie tenir sauroit \ au lac).^) Ein
klassisches beispiel aber ist der bericht W.'s von den söhnen
des Gumemanz (s. 26), diese sonderbare verquickung von namen
und tatsachen aus C. mit personen und abenteuern aus dem
deutschen Erec.
Die letzten fälle machen es unzweifelhaft, in wem wir
den gemeinsamen Urheber dieser erweiterungen zu suchen
haben, die eine durchgehende künstlerische absieht verraten.
Zugleich fuhren sie uns auf die frage nach W.'s literarischen
kenntnissen und nach seiner geistigen bildung überhaupt.
7. Wolframs geistige bUdnng.
W. citiert eine ganze reihe von deutschen dichtem und
deren werken, teils direct und meist polemisch, teils in an-
spielungen oder vergleichen.») Hartmann von Aue (134, 21),
Veldeke (292, 18. 404, 2B), Walther (297, 24) und Neidhart (Wh.
312, 12) nennt er mit namen und zeigt sich mit ihren werken
vertraut. Die beiden ersteren waren offenbar die muster, nach
denen er sich bildete, und Hartmanns Erec insbesondere be-
nutzte er als eine wahre fundgrube für namen.^) Dass er
auch abenteuer daraus in seine erzählung verwebte, ist oben
(s. 70 f.) bemerkt worden. Ebenso ist in die erzählung ver-
flochten der frauenräuber Meljakanz 125, 11. 343, 26 u. ö.,
dessen name aus dem Iwein 5680 stammen kann, dessen aben-
teuer mit Lanzelot aber (387, 2. 583, 8) nur aus einer uns
^) Bartsch s. 125. Dass Hartmanns werk zu gründe liegt, beweist der
Ortsname Prurin 134,12, Euerin Hartm. Erec 2241. 2353, Ecrotc Crestiens
Erec 2131 ; s. Heinzel s. 5.
«) Bartsch s. 122. 124. Heinzel s. 12.
s) Bartsch s. 124 ff. Heinzel s. 4 ff.
*) S. Bartsch und Heinzel a.a.O.
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72 lilCHTEKSTEIN
unbekannten Übersetzung von C.'s Karrenritter, wenn nicht
aus diesem selbst, genommen sein kann. Aehnlich verhält es
sich mit der bezugnahme auf den Cliges (334, 11. 586, 27. 712, 8).
Anspielungen und entlehnte namen weisen ausserdem auf be-
kanntschaft mit Eilharts Tristan und Ulrichs LanzelotJ)
Femer muss W. eine reihe von erzählungen gekannt haben,
die uns heute verloren sind: von Gawans liebe zur königin
Inguse von Bahtarliez 301, 8, von Garel 583, 12, von Artus'
söhn Hinot 383, 4. 575, 28. 585, 30, von Lämbekin von Brabant
74, 1. 270, 20. Dass diese anspielungen W.'s eigene zutat sind,
wird allgemein zugestanden; es ergibt sich auch schon daraus,
dass sie grösstenteils in betrachtungen und vergleichen an-
gebracht sind, 'also an stellen, wo Selbständigkeit W.'s wahr-
scheinlich ist' (Heinzel s.7). Am allerdeutlichsten aber sprechen
für seine Selbständigkeit die dem Liddamus in den mund ge-
legten beziehungen auf die deutsche heldensage (Nibelungen
und Ermenrich 420,22 — 421,28),') auch insofern als W. der
einzige unter den grossen höfischen epikern ist, der fühlung
mit der volkspoesie sucht. Sogar in der darstellung macht
sich das bemerkbar; er verwendet einige male volksmässige
formein (390,9. 461,8), und die scene, welche den oben er-
wähnten anspielungen vorausgeht (411 — 412), ist ganz im Stile
und geiste des volksepos gehalten. Allerdings forderte die
stelle bei C. durch manche ähnlichkeit mit dem letzten kämpfe
der Nibelungen zu weiterer angleichung auf.*) Wie dort be*
reits der an der turmtür gegen seine gastgeber kämpfende
Gawan an den grimmen Hagen erinnert, so hat offenbar W.
bei dem edlen landgrafen Kingrimursel an Rüdiger, bei dem
schwachen, wankelmütigen könig an Etael gedacht. Hat er
also auch hier widerum die darstellung nach seinen literarischen
0 Für Eilhart beweist hauptsächlich die namensform Isolde 187, 19,
für Ulrich mit den schcenen (U. Wehten) schenkein Maurin ^. 662, 19. Ulr.
3052. Heinzel hält es auch hier für möglich, dass W. die französischen
originale gekannt habe.
') Ueber die im Wh. vorkommenden anspieliingen auf das Nibelungen-
lied, die Ermenrichsage und das Rolandslied s. San Harte, Ueb. Wh. 28—102.
Kant, Scherz und humor 89 f.
*) Der hypothetische satz C. 7428 se ü estoit ens avoec lut hat ver-
mutlich Veranlassung zu W.'s auifassung gegeben, dass Kingrimursel wirk-
lich in den türm gehe.
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ZUR PABZIYALFRAGE. 73
reminiscenzen frei umgestaltet, so spricht doch wol die Wahr-
scheinlichkeit dafür, dass die im ersten buche auftretenden
deutschen namen Isenhart und Fridebrant von Schotten, Schil-
tunc, Hiuteger, Hemant, Herlinde derselben quelle entstammen;
zum mindesten bedürfte es eines sicheren gegenbeweises, ehe
man an ihren französischen Ursprung glauben kann.«)
Bei W. wenigstens ist es eine bekannte tatsache, dass er
allerlei füllwerk anzubringen suchte, um seiner dichtung einen
reichen Inhalt zu geben, und leider überschritt er darin bei
weitem das rechte mass. 'Sicherlich hatte W. bei seinem
erstaunlichen gedächtnisse allerlei kenntnisse in sich auf-
gesammelt, und bei seiner neigung für anspielungen und be-
ziehungen dürfen wir auch glauben, dass er reichlich von
ihnen gebrauch machte' (Bartsch s. 131). Ausser namen, die,
aus allen möglichen quellen zusammengeholt, oft in langen
listen bei einander stehen (65,29 — 67,28. 770. 772), ausser
den schon erwähnten angaben über wappen (s. 64), über genea-
logische und persönliche Verhältnisse (s. 69ff.) gehört hierzu
eine für uns recht auffallende summe von gelehrten notizen.
Jedoch muss man sich vor äugen halten, dass bei der im
nüttelalter herschenden encyklopädischen Verbreiterung und
Popularisierung des Wissens mancherlei kenntnisse, zum teil
recht abenteuerlicher natur, ins volk gedrungen waren und
offenbar von mund zu mund giengen. Auf diesem wege könnte
unserem dichter seine medicinische und astronomische weis-
heit,2) seine kenntnis von den wunderbaren eigenschaften vieler
tiere und steine») zugeflossen sein. Es lässt sich aber erweisen,
dass er directe entlehnungen aus ganz bestimmten literarischen
werken gemacht hat, die unmöglich in so unveränderter form
bei ihm aufnähme gefunden hätten, wenn er sie aus zweiter
band, etwa aus einem französischen roman übernommen hätte.
Eine solche gelehrte quelle ist, wie Martin, QF. 42, s. 5
*) Der hinweis auf Gormond und Aquin (Heinzel s. 87) gentigt nicht.
«) 109,13 — 18. 480,3 — 483,18. 484,13—18. 489,24 — 490,30. 492,23
— 493, 8 (521, 21 f. s. C. 8280—8305). 575, 20 - 576, 19 (vgl. C. 5708—26).
577,18—24. 578,8—11. 579,12-22. 580,19— 30. 581,9— 21 (vgl. C. 9337-42).
736, 10—14. 741, 16. 789, 4 — 790, 13. 792, 1—7. Wh. 216, 5—23.
») Steinkunde: 566, 21 f. 589,18—22. 592,1. 741,6—14. 743,5—8.
757,2—5. 775,5. 791.
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74 LICHTBNSTEIN
nachgewiesen hat, Solinus' Polyhistor. Von den 59 per-
sonen- und völkemamen, welche in dem Verzeichnis der von
Feirefiz besiegten könige (770) vorkommen, lassen sich 31 mit
Sicherheit bei Solin widerfinden, bei 8 weiteren ist entlehnung
wahrscheinlich. Manche sind nach einem bestimmten System
verändert, wie wenn jemand sich eine kunstsprache, einen
Jargon zurecht macht, aber immer auf directer grundlage der
lateinischen form, so die völkemamen auf -jente und -jentesin
(= gentes + -in adj.-endung), z. b. Trogodjente 770, 1 = Troglo-
dytae populi Sol. 28, 1 u. ö.; Nomadjentestn 8 = Nomades populi
15, 14 u. ö. Hervorgehoben zu werden verdient der name Lid-
damus 4 = Lygdamis Sol. 1, 74, weil dieser selbe name 416, 19,
für eine andere (bei C. unbenannte) person gebraucht, den
dichter zu der ersten berufung auf seine autorität Kyot ver-
anlasst. Das vorkommen des namens in jener liste 770 beweist
für die entlehnung aus Solin; es ist aber durchaus unwahr-
scheinlich, dass W. denselben zweimal aus verschiedenen quellen
geschöpft habe. Von den anderen namen in jener liste inter-
essieren besonders Äjsagouc und Zazamanc, die bekanntlich im
ersten buche als länder Belakanens auftreten und sogar in das
Nibelungenlied {Äzagouc nur in recension C 439, 2) eingang
gefunden haben. Die herleitung aus Solins Äzachaei und Ga-
ramantes wird von Martin für zweifelhaft gehalten und bei dem
zweiten wort nur unter annähme einer textverderbnis für
möglich erachtet. Bei ÄzacJiaei ist das jedenfalls nicht nötig,
denn der erste teil des wertes stimmt ganz, und der letzte
teil wird bei W. fast immer verändert, z. b. Hiberborticon <
Hyperborei populi Sol, I6j l.^) Und nun beachte man die teils
auf Irrtum teils auf Willkür beruhenden Verstümmelungen, die
W. an den bei C. überlieferten namen (s. 58) und sogar an
denen aus deutschen Schriftstellern (Heinzel s.5f.) vorgenommen
hat, die wunderlichen misverständnisse im Parz. und im Wh.
(s. 57. 60), die bizarren Wortbildungen W.'s (Berns bi der Korea,
s. s. 43; Ligweiz prelljtls; Lischoys Gwelljus; Av' estroit mävoie,
s. Bartsch s. 121 f.), so wird man auch geneigt sein, der ablei-
tung Zojsamanc < Garaniant^s im Zusammenhang mit den
*) Vielleicht dachte W. hei Äeagmic an die bihlischen länder Gog
und Magog.
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ZUR PiJtZIVALFEAGE. 75
anderen namen der liste zuzustimmen, zumal es sich hier um
einen lateinischen Schriftsteller handelt und treue ihm gegen-
über für W. nicht geboten war. Manche namen der liste
sind ebenso wie Äjsagouc und Zazamanc von W. noch ander-
weitig benutzt worden, so namentlich Nomadjentestn Wh. 356, 5;
Orastegentesin < Orestae populi (Sol. 9, 4) P. 336, 22. 385, 6.
Wh. 22, 20. 23, 22. 'Auch abgesehen von abschnitt 770 hat W.
Solins Polyhistor als namenverzeichnis benutzt und ganz be-
sonders da, wo es sich um Feirefiz handelt' (seine geliebte
Secundille stammt aus Solin 1, 88, deren land Tribaliböt < Po-
libotra Sol. 52, 12, ihre Stadt Tabronit < Taprobane Sol. 53, 1
U.S.W.). Ebenso verdankt er die kenntnis der zauberhaften
Wirkung des bocksblutes 105, 18 ff. dem Solin 52, 59. Die stelle
W. 657, 28 Fersida da erste zouher wart erdäht ist eine wort-
getreue Übersetzung aus des Honorius von Augustodunum
Imago mundi 1. 1. c. 14 Fersida ... in hoc primum orta est ars
magica (Martin, QF. 42, 6).
Ein mehr als zufälliges zusammentreffen ist es femer,
dass eine reihe solcher Specialkenntnisse W.'s sich auf Otto
von Freising zurückführen lassen: 1) von dem welschen
erbrecht 4, 28 ff. = Gesta Friderici 2, 29, s. Zarncke, Beitr.
3,323; — 2) von äem katolico von Ranculat, dem armenischen
Patriarchen 563, 7 f. = Chronicon 7, 32, s. Heinzel s. 21. Wilken,
Kreuzzüge 7, 42. Haupt, Zs.fda.l 1,42; — 3) von den zweige-
walten im Orient, der geistlichen des baruch in Baldach und
der weltlichen des admirats entsprechend dem römischen papst
und kaiser Parz. 13, 22. Wh. 45, 16. 217, 23. 434, 1 = Chronicon
7, 3 ff., s. Heinzel s. 8; — 4) von dem priester Johannes, der an
Feirefiz' nachkommenschaft angegliedert wird wie der schwanen-
ritter an die Parzivals 822, 23. Nach Oppert, Der presbyter
Johannes in sage und geschichte», Berlin 1864, s. 13, ist Otto
V. Freising derjenige schriftsteiler, welcher zuerst (Chron. 7, 33)
den presbyter namentlich erwähnt und ausführlich von ihm
berichtet.
Noch interessanter ist es, dass wir für eine gelehrte ein-
schiebung W.'s nicht bloss die lateinischen quellen, sondern,
wie es scheint, sogar die textrecension des Werkes nachweisen
können, aus dem sie stammen. Es ist die liste der 58 edel-
steine W, 79J, Hierfür hat Bartsch in seinem commentar die
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76
LICHTEK8TEIK
nachWeisungen aus Albertus Magnus (Museum f. altd. litt.
2, 141), aus Josephs Gedicht von den edelsteinen und aus
Marbods weit verbreitetem Liber lapidum seu de gemmis
beigebracht. Nun stimmen aber viele namensformen nur un-
genau zu denen Marbods, wie sie in den ausgaben stehen,
genauer dagegen zu den lesarten der Prager hs., deren Va-
rianten in Zachers exemplar des Marbod (ed. Beckmann, Gott.
1799), das sich jetzt auf der Halleschen universitäts-bibliothek
befindet, eingetragen sind.') Ich stelle nachfolgend die betref-
fenden fälle zusammen:
w.
Marb.
Prager hs.
791,4 coralis
§ 20 coraUus
coralius
5 optaüiis
49 ophthalmius
optalius (Joseph
var. opiaüius
optaliiis)
7 eljotröpiä
29 heliotropia gefntna
dliropia (sonst -n«)
8 antrodrägmd
48 androdramanta
androdrama
14 echiUs
25 aetites
echites
15 Ugürius
24 lyncuritis
liguri%L8
gagätes
18 gagates
agagates ?
16 cegölitm
55 tecoUihus
cegoUtus
17 jacinctus
6 u. 14 hyacinthm
iacinctus
19 alahanda
21 alabandina
alahanda
24 lippareä
45 laparaea
liparaea
28 melochttes
54 molochites
melochiUs
30 beriüw
12 beryüos
periUoB.
G periUus
Dies sind die sicher nachgewiesenen literarischen quellen;
dass W. aber noch andere benutzt hat, besonders für die arabi-
schen planetennamen 782 (vgl. Bartsch s. V^2) und die schlangen-
namen 481, 8 (wo er sich auf die arzetlmoche beruft), ist mit
höchster wahrecheinlichkeit anzunehmen.
Es erhebt sich nun die frage: wie ist W. zu diesen dingen
gekommen? Zwei möglichkeiten sind offen: entweder hatte
er gelehrte freunde, die ihm diese kenntnisse zubrachten, oder
er hatte aufzeichnungen darüber, collectaneen oder dgl. zur
band. Im letzteren falle muss man natürlich die alte ansieht,
dass W. nicht schreiben und lesen konnte, fahren lassen; aber
auch im ersten falle ist sie kaum aufrecht zu erhalten. Wie
konnte er, der ritter, derartige gelehrte notizen, wie konnte
») Hierauf hat mich herr professor Sievers anfiaerksam gemacht.
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ZUR PABZIVALFBAQE. 77
er jene lateinischen namen aus Solin im köpfe behalten, um
sie an den betreffenden stellen, zum teil mehrmals mit solcher
genauigkeit anzuwenden? Als ein unding aber erscheint es
geradezu, dass er jene 58 lateinischen steinnamen in verse und
reime bringen konnte, ohne sie geschrieben vor sich zu sehen.
Man mag sein gedächtnis noch so hoch veranschlagen, man
mag auch die spielleute und wandernden rhapsoden anführen,
die viele tausende von versen im gedächtnis bewahrten; aber
das waren eben verse, die sie noch dazu unzählige male wider-
holten, bis sie ihnen zum geistigen besitz wurden, und vor
allem es waren dinge, die in ihrem vorstellungskreise lagen!
Hier aber handelt es sich um gelehrte notizen, um lateinische
namen, es handelt sich, alles in allem genommen, um einen
höfischen roman, den W. aus einer fremden spräche übertrug,
und zu dem er weitere fremdartige zutaten von beträchtlichem
umfange hinzufügte. Die art, wie er dieses ungeheure mate-
rial zu einem kunstvollen gewebe verarbeitete, indem er be-
ständig vor- und zurückgriff, lässt ebenfalls die annähme, er
habe dies alles ohne Unterstützung durch das äuge fertig ge-
bracht, als nicht recht glaublich erscheinen. Darum wird nichts
anders übrig bleiben, als in seiner äusserung P. 115, 27 ine
kan decheinen buoclistap eine polemische Übertreibung zu sehen,
was auch durch den folgenden vers wahrscheinlich gemacht
wird, der ja deutlich auf Hartmannn zielt.')
Ganz ähnlich steht es mit der anderen frage, was wir
von W.'s kenntnis des französischen zu halten haben. Auch
hier hat man sich durch eine polemische äusserung W.'s irre
führen lassen: Wh. 237, 5 ein ungefäeger Tschampäneys künde
vil bau franzeys dann ich, swiech franzeys spreche. Das geht
doch nur auf das wie, auf die qualität seines französisch.
Damit war es allerding-s nicht weit her; das zeigen die formen
la schantiure, der pareliure 456,21, scJmhtelakunt 43,19. 52,15,
maJiinande 646, 30 u.s.w.2) und seine misverständnisse des fran-
zösischen textes (s. s. 57. 60 anm.), obgleich man hier nicht den
heutigen massstab anlegen darf. Dass er aber eine grosse
menge französisch verstand, das geht schon aus dem umstände
») Vgl. HoUand, Gesch. der altd. dichtung in Baiern (Regensburg 1862)
8. 127. San Marte, üeber Wh. s. 106.
>) Bartsch s. 138. Heinzel s. 11.
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78 LICHTENSTEIN
hervor, dass er unter allen mhd. dichtem die meisten fran-
zösischen Wörter und redewendungen in seine darstellung ein-
mischte.*) Bisweilen gibt er auch die deutsche bedeutung dazu,
z. b. beä curs, der name ist Huschen schoener Up 187,22. Wir
sehen hieraus femer, dass W. im stände war, französische
namen zu machen, denn Beacurs begegnet bei ihm auch als
eigenname (323, 1). Er verrät sich häufig durch unfranzösische
bildungen oder gebrauchs weisen, wie Condwir ämürs (s. 31),
Salväsche ah Muntane 261, 28, Schenteflürs als mannesname
(s. 26 anm.). Er bildete zu lAt marveile eine Terre marveüe
und ein Schastel marveil (s. 53) und ebenso zu MunsalvoRSche
eine Terre de Salvcesche 251,4 und Fontäne la Salvätsche
452,13. Ja, dieses Munscdvmsche oder Salväsche ah Muntane
ist vermutlich nichts weiter als eine Übersetzung von Wilden-
berc, dem namen seines eigenen lehens, mit dem er das gral-
schloss contrastierend vergleicht 230, 13. 242, 29.^) Da sieht
man, was es mit W.'s vielgerühmter treue gegen die Über-
lieferung (Haupt, Zs. fda. 11, 48) auf sich hat. Ich halte es
sogar für eine offene frage, ob nicht W. noch andere fran-
zösische gedichte gekannt hat ausser den beiden, die er
bearbeitet hat, ob er nicht vielleicht gar selber einmal in
Frankreich war oder wenigstens mit französischen rittem sich
unterhalten hat. An gelegenheit dazu dürfte es ihm nicht
gefehlt haben. 'Damals war es an den deutschen höfen sitte,
die französische spräche zu reden und die kinder darin unter-
richten zu lassen. Landgraf Hermann und sein bruder Ludwig
waren im knabenalter zu ihrer ausbildung nach Paris gesant
worden. Von daher mag auch des landgrafen schätz fran-
zösischer bücher herrühren, die der bücherfreund deutsch be-
arbeiten liess, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er selbst
und seine nähere Umgebung der französischen spräche mächtig
gewesen sei. Gewis haben an seinem geräuschvollen und nach
W.'s eigenem zeugnis von ab- und zuströmenden gasten über-
füllten hofe auch französ. adlige und ritter sich eingefunden.''»)
*) Otto Steiner, Die fremdwörter in mM. dicht werken, Germ. stud.
2, 245. Leo Wiener, French words in Wolfram von Eschenbach, American
Journal of philology 16 (1895) 1326 ff.
') Bartsch s. 139. Heinzel s. 8.
«) San Marte, Ueber Wh. 117 ff. — Vgl. Schultz, Höf. leb. 1«, 157.
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ZUR PABZIYALFBAOB. 79
Uebrigens ist bei W. nicht alles echt französisch, was so aus-
sieht: ja, die namen in der liste der von Parz. besiegten fürsten
(772) erinnern stark an volapük und dürften wol zum grossen
teil reine phantasiegebilde W.'s sein.
8. Stil and composition.
Wii' können nach dem vorstehenden gegenüber der be-
hauptung Haupts von der treue W.'s in bezug auf die Über-
lieferung constatieren, dass sich W. in allen beziehungen die
grössten freiheiten erlaubt hat (vgl. s. 58 f.). Dieser Charakter
prägt sich auch in seinem stil aus.^) Er schaltet souverän
mit der spräche und lässt seiner subjectivität ungehindert die
zfigel schiessen. Fast nie bewegt er sich in gerader linie vor-
wärts, sondern er erlaubt sich die wunderlichsten absch wei-
fungen und Sprünge. Sein gedankenreichtum und eine gewisse
Unruhe des geistes sind die treibenden kräfte. Wo er belehren
will, verfällt er alsbald ins phantastische, in 'fliegende bei-
spiele'; wo er erzählt, da greift er beständig vor und fühlt
ausserdem das bedürfnis, den gang der erzählung, das vor-
läufige verschweigen wichtiger umstände dem publicum gegen-
über zu rechtfertigen, obwol er sich in völliger Übereinstim-
mung mit seiner quelle befindet (241. 338. 453. 734). Lange
reden kürzt er oder löst sie in gespräche und erzählung auf
(klage der Jeschute C. 4921—51 s. 39, der Sigune C. 4612—30,
s. 36, Orüus C. 5009—91 s. 40, Artus C. 5464—5510 s. 45, klage
der mutter C. 1602 — 82 s. 7. 8. 9. 25); aber auch die knappen
wechselreden C.'s sind nicht sein fall. Häufig überstürzt sich
bei ihm der redende, und muss hinterher nachholen, was er
gleich anfangs hätte sagen sollen (P.'s eid s. 40, Gawan 303, 15.
Obie346,3).
Diese eigenart kennzeichnet W.'s darstellung überhaupt
und kommt auch in der Ökonomie der einzelnen bücher zum
ausdruck: anfangs rasches vorwärtsdrängen, am schluss behag-
liches ausmalen der Situation, nachträgliche erwähnung von
namen und persönlichen beziehungen (s. besonders buch 6).
Man hat die verspätete einführung der auftretenden personen
^) Kinzel, Zur Charakteristik des Wolframschen stils, Zs. fdph. 5, 1.
yog:t in Pauls Grundr. 2 a, 281. Ausserdem habe ich mündliche anregungen
des herm prof. Sievers benutzt.
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80 LICHTENSTEIN
besonders auffällig gefunden in den ersten beiden büchern.
Hier werden wir erst gegen den schluss über die Personalien
unterrichtet (56. 108,5); manche namen wie Galoes und Schoette
werden überhaupt nur nebenbei genannt (80, 14. 92, 24). *Nun
kann man zugeben', sagt Müllenhoff,*) *dass diese art unprag-
matischer erzählung bei W. ganz die gewöhnliche ist; halb
vergisst er, weil er zu lebhaft mitten in den dingen steckt,
seine personen am ersten orte ihres auf tretens mit namen zu
nennen; ähnlich wie der volksepiker setzt er oft den Stoff als
bekannt voraus und beruhigt sich dann, wenn er weiterhin
oder gelegentlich das nötige nachholt, teils unterlässt er auch
aus künstlerischen absiebten, um dramatisch und erfolgreich
zu wirken, die nennung oder schiebt sie hinaus; ja man kann
sagen, dies unterlassen der nennung wird bei ihm aus beiden
gründen beinahe zur manier. Aber hat er die fabel selbst
allein erfunden und sagt dann seinen hörern nicht gleich im
anfange: der sterbende fürst war Gandin von Anjou u. s. f., so
ist das ... der abgefeimteste betrug.' Dieser ausspruch enthält
eine starke Übertreibung, denn Gandin, Galoes und Schoette
sind nur nebenpersonen, Gahmuret hingegen ist an der rich-
tigen stelle genannt. Dass ausserdem die beurteilung der
Sachlage falsch ist, ergibt sich aus der vergleichung mit
Crestien. Wo W. auf C. fusst, bringt er die namen früher
als dieser: Parzival (s. 15), Condwiramurs (s. 31), Gahmuret
(s. 7), Herzeloide (bei C. gar nicht benannt), Gurnemanz (s. 23),
Orilus (s. 36). Hier ist er ruhiger und besonnener; hingegen
wo seine eigene erfindungskraft tätig ist, da geht er viel
weniger sorgfältig zu werke: man darf wol sagen, es fehlt
ihm an der künstlerischen mässigung, um ordnungsgemäss zu
berichten.
Das gleiche Verhältnis lässt sich auch in anderen dingen
beobachten. C.'s darstellung bewegt sich vielfach in allgemeinen
ausdrücken und dunkeln andeutungen, z. b. über die folgen der
frage und ihrer Unterlassung 4767. 6054. 7542, über feinde des
königs Artus und des vaters des beiden 1629—48. 2036—50.
W. bevorzugt demgegenüber concrete angaben: er lässt es von
vornherein nicht im zweifei, dass die frage dem oheim genesung
1) Bei Martin, QF. 42, 17; vgl. auch Bötticher, Zs. fdph. 13, 428.
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ZUR PARZIVALFRAaS. 81
und Parzival den gral erwerben solle (240, 2—9. 253, 20—30.
255,17—20. 315,30—317,2. 483,20—484,8); ihre Unterlassung
bringt schände und gewissenspein (245. 255, 12. 315, 20. 318, 1
u. ö.); auch die bestimmung des Schwertes bleibt nicht im un-
klaren (240. 5. 254, 15). Als feinde der sippe Parzivals werden
Orilus und Lähelin genannt, als frühere feinde des Artus Cla-
mide und Orilus (s. 12. 34. 37. 44). Den Zusammenhang zwischen
dem tode Schianatulanders und dem folgenden Orilusabenteuer
muss man bei C. mehr erraten; W. stellt dies klar, allerdings
nicht in dem sinne C.'s (s. 37). Das zweideutige, das bei C.
in dem Verhältnisse P.'s zu seiner geliebten liegt, wird durch
eine formelle hochzeit beseitigt (s. 30). Das abenteuer der
verfolgten ritter und Jungfrauen im walde ergänzt W. in einer
weise die den Stempel freier erfindung deutlich an sich trägt
(s. 12). Einige dunkle andeutungen C.'s unterdrückt er ganz:
über die foles bretes, die leichtfertigen bretonischen Jungfrauen
8070; die verwundeten ritter an Artus' hofe 2144—47. 2193:
das abenteuer auf Montesclaire 6084 s. s. 52. Dessenungeachtet
ist W.'s gedieht voller dunkelheiten. Seine springende dar-
stellungsweise, seine neigung, überall anspielungen und ver-
gleiche anzubringen, seine originelle spräche, die das ungewöhn-
liche und entlegene zu suchen scheint, geben dem leser oft
auf schritt und tritt rätsei auf. Er kennt diese seine schwäche,
er weiss auch, dass man ihn deswegen angegriffen hat (Wh.
4, 19. 237, 8, s. Gottfr. v. Strassb. 118, 16), aber er folgt unbeirrt
seinen eigenen bahnen und macht sich über diejenigen lustig,
die ihm in seinen kühnen gedankenverbindungen nicht folgen
können (1,15). Allerorten guckt bei W. der schalk heraus,
der sich mit seinen lesem herumneckt und ihnen schlankweg
die Verantwortung zuschiebt für das was bei ihm wunderbar
und unglaublich erscheinen möchte. *) Was ergibt sich hieraus?
Offenbar, dass die dunkelheiten W.'s aus ihm selber, aus seinen
stilistischen gewohnheiten und seinen zutaten zu erklären sind.
Keine von den dunkelheiten C.'s findet sich bei ihm. Es
kann gar nicht zweifelhaft sein, dass W. ganz der mann dazu
war, zusammenhänge und deutungen selber zu suchen, wo sie
in seiner quelle fehlten. Wir sind demnach weder berechtigt
1) Vgl. Kant, Scherz und humor s. 63 f. San Marte, Zs.fdph. 16, 133.
Beitrag« xur gescblcliie der deutaches spraobe. XXII. g
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82 lilCHTENSTBIK
anzunehmen, dass, ^wo W. in auffälliger weise kurz erzählt,
die quelle mehr geboten haben müsse', noch ^dass seine quelle
hier bis zur un Verständlichkeit kurz gewesen sei' und W. sie
so copiert habe, ohne dem mangel abzuhelfen. Beide erklä-
rungsweisen wendet Heinzel s. 21 f. an. Von den dort an-
gefühlten fällen sind die ersten beiden auszuscheiden (197, 12
P.'s kämpf mit Kingrun, 200, 10 die landung zweier schiffe
vor Pelrapeire), weil in diesen W. wörtlich mit C. überein-
stimmt (s. s. 80) und die kürze hier nur stilistische eigen-
tümlichkeit ist. Es fehlt hier überhaupt nichts was zum
Verständnis nötig wäre. Der dritte fall aber, das abenteuer
des griechen Clias im wunderschloss 334,8, ist ganz gewis
eine zutat W.'s (s. s. 54 nebst anm. 1), weil diese hineinziehung
von Personen fremder Sagenkreise in die von C. überlieferten
tatsachen zu W.'s eigentümlichkeiten gehört (s. s. 70 ff.).
Zu den fällen wo Heinzel auslassung oder kürzung seitens
W.'s für wahrscheinlich hält, gehört das Verhältnis Gahmurets
zur königin Ampflise von Frankreich. Hier erkennt man aber
vielmehr daraus, wie W. immer neue einzelheiten nachbringt,
nachdem er anfangs nur ein sin friundin und deren geschenke
erwähnt hat») (12, 3, 76, 6. 325, 27. Tit. 38 f. 54. 92. 96. 99), dass
diese geschichte erst nach und nach in seinem köpfe entstanden
ist. Ganz ebenso verhält es sich mit der liebesgeschichte Si-
gunens und Schianatulanders, die schliesslich den dichter so
sehr interessierte, dass er ihr ein besonderes epos widmete.
Von einer ausscheidung dieses Stoffes aus seiner vorläge
(Heinzel s. 22 — 26) kann keine rede sein. Wenn W. die voll-
ständige erzählung von anfang an vor sich gehabt hätte, dann
hätte er sich schwerlich enthalten können, an den entsprechen-
den stellen, z. b. bei gelegenheit der orientfahrten Gahmurets
(8,2. 12,3. 101,21. 105,3. 498,13), einen hinweis auf die be-
teiligung Schianatulanders und sogar auf dessen weitere Schick-
sale anzubringen, wie er es bei allen in seine geschichte ver-
flochtenen abenteuern tut. Denn vorgreifen und verdeutlichen,
nicht zurückhalten und verdunkeln ist seine art gegenüber
den überlieferten Stoffen (vgl. s. 88). Ich erblicke also in dem
verschw^eigen wichtiger umstände an der gehörigen stelle ein
0 Vgl. Schultz, Höf. leb. 1«, 183 anm. 2 und 3.
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ZUR PARZIVALPRAGE. 83
kriterium für deren spätere erflndung durch W. und für seine
Selbständigkeit in den betreffenden einflechtungen überhaupt.
Daher auch der unbestimmte ausdruck daa muost ze Alexan-
drie sin 18, U, wo nachträglich noch eine waffentat Gahmurete
in den diensten des baruchs erwähnt wird;») daher die auf-
fallende kürze in der erzählung dieser abenteuerfahrten Gah-
murets 14,3 — 15,29 und in der seines todes 102,23. Auch
in diesen fällen wird der bericht erst nachträglich durch den
mund des meisterknappen Tampanis 105, 13 und durch den
mund Trevrezents 497,23 ergänzt.
Eine solche ergänzung hat W. auch am schluss seines
sechsten buches für notwendig erachtet. Hier sind nicht bloss
die beiden letzten dreissiger, welche in den meisten band-.
Schriften fehlen, ein späterer zusatz W.'s, wie Heinzel s. 27
zugibt, sondern auch die andern nachtrage (325, 17 — 326, 3.
326,15 — 329,14, s.S. 54 f.) und schon die erste einflechtung
von Feireflz in der rede der gralbotin 317, 3 — 10 sind W.'s
eigentum. Ja, die heidin Ekuba von Janfuse scheint eigens
aus dem morgenlande gekommen zu sein, nicht durch mcere
unt zerkennen aventiure, wie es W. 329, 2 in seiner Verlegen-
heit motiviert, sondern eben um jene genaueren notizen über
den Orient und Feireflz anzubringen.
Nun gar die geschichte von dem Warenlager der Secun-
dille, die durch nachträgliche aufklärungen immer complicierter
wird (519, 2 — 520, 2. 616, 15 — 617, 30. 623, 20. Wh. 279, 13;
vgl, Heinzel s. 27. 31). Den ausgangspunkt bildet das Schach-
spiel- und Juwelenlager des reichen eshiekier^) vor der wunder-
burg bei C. 9013. Es musste erklärt werden, wie dieses dorthin
kam, und dabei fand sich zugleich die möglichkeit, auch für
andere wunder und kostbarkeiten den Ursprung zu bestimmen
(zwerge, wundersäule, kostbare Stoffe und steine 519, 2. 589, 10*
592, 18. 629, 20) und, wa$ noch wichtiger war, drei bei C. ge-
trennte Personen mit einander in Verbindung zu bringen:
>) Die -widererkennung G^hmur^t» durch . ^en marschaU der königin
ist vielleicht der Siegfrieds durch Hagen .^achgebildef.
*) Heinzel s. 30 übersetzt eskiekier mit * Wechsler*; das ist unrichtig;
eskukietr \&t ein verfertiger von eskies s. C. 9014; er ist damit beschäftigt,
einen eschenstab zu glätten, führt aber auch arbeiten in gold, silber und
edelsteinen aus; er ist also kunstdrechsler und Juwelier zugleich.
G*
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84 LICHTENSTEIN
Anfortas — Orgeluse — Klinschor. Und dazu kommt noch,
dass die namen Secundille, Tribalibot, Tabronit von W. aus
Solin entlehnt sind (s. 75).
Liegt demnach sachlich kein grund vor, an kürzungen
oder auslassungen W.'s zu glauben, so darf man sich am
allerwenigsten durch gewisse poetische Übergänge bei ihm
täuschen lassen, durch welche er scheinbar andeutet, dass er
mehr sagen könnte, wenn er wollte (Heinzel s. 21). Dass diese
Wendungen rein phraseologisch sind und nach ihrer scherz-
haften färbung einen bestandteil seines 'persönlichen humors'*)
bilden, ergibt sich bei näherer prüfung und vergleichung mit
C. durchweg. W., der personen und namen so gerne häuft
(vgl. s. 73), lässt, nachdem er fast 2 x 30 zeilen mit den wun-
lichen namen besiegter könige gefüllt hat, Parz. bemerken:
772, 26 aolt ich gar nennen da ich streit,
daz wseren unkundiu zil:
durch not ichs muoz verswigen yil.
Wer wird das ernst nehmen? Derselbe fall liegt im siebenten
buche vor, das W. mit hilfe seiner Sachkenntnis und phantasie
zu einem grossen schlachtengemälde mit einer menge einzel-
kämpfe erweitert hat (s. s. 62); schliesslich bricht er ab mit
den Worten:
388, 4 solt ich se in alle nennen,
ich wurde ein immttezec mau.
Diese geradezu stereotypen redewendungen sind dem Parz. mit
dem Wh. gemein, für den der dichter doch gewis keine zweite
vorläge hattte: zu vgl. P. 277, 8 (s. s. 44). 699, 28. 809, 23. Wh.
319, 16. 446, 29. Es ist überhaupt in so gut wie allen fällen
nichts weiter zu sagen oder zu verschweigen, es handelt sich
um ausschmückungen, um füllwerk, also um erweiterungen W.'s
(vgl. noch 515, 8. 642, 10. 731, 9. 773, 18). Der Übergang selbst
enthält manchmal alles was man noch erwarten könnte, z. b.
816,1 — 7, oder aber 'der dichter stellt sich zuerst, als wolle
er etwas übergehen, erzählt es dann aber doch' 401, 28. 403, 15
(Heinzel). Dass W. sehr viel aus eigener anschauung und
Phantasie geschöpft haben mag, verraten schliesslich solche
schalkhaften Wendungen wie: 'wenn ihr noch mehi* wissen
wollt, dann fragt nur die leute, die es gesehen haben' (504, 5)
*) Kant, Scherz und humor s. 67.
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ZÜB PABZIYALFBAGE. 85
oder 'die nachbarn' (Wh. 208, 28) oder ^die fahrenden leute,
die bei jener hochzeit gäbe empfangen haben' (397, 7) oder
'die sachverständigen baulente nnd küchenmeister' (403, 15.
637, 1).
In Übergängen, Verbindungen und motivierungen entfaltet
W. überhaupt eine originale kunst, da C. hiervon nichts hat
und unvermittelt abenteuer an abenteuer reiht. Das bestreben,
den verlauf der handlung glaubhaft zu machen, tritt dabei
deutlich zu tage. Es verrät sich einmal in directer psycholo-
gischer motivierung (s. s. 67—69), ausserdem aber in kleinen
abänderungen und Zusätzen, durch welche die innere Wahr-
scheinlichkeit gehoben wird; 133, 17. 133, 27 (s. 15). 155, 29
(s.20). 162,15. 173, 14 (s. 21), 177, 1 (s. 24). 204,22 (s.31).
209,2 (s.32). 218,28(8.34). 221,1 (s. 35). 140, 6 (s. 37). 281,23
—282, 3 (s. 46). 361, 1, vgl. C. 6548. Als P. durch das anstarren
der drei blutstropfen in eine art von hypnotischem zustand
versetzt worden ist, da bedarf es besonders starker motive,
um ihn zum bewusstsein seiner läge zurück zu bringen (s. 47.
48. 49).
Wie wenn W. sich hierin nicht genug tun könne, häuft
er bisweilen die motive. Diese erscheinung, die Bötticher,
Zs. fdph. 13, 424 für zwei stellen des zweiten buchs beanstandet
und gegen W. auslegt, ist vielmehr bei diesem ganz gewöhn-
lich und geradezu charakteristisch. Sie begegnet im Wh. (s.
s. 60) und kehrt im Parz. bei vielen gelegenheiten wider, und
zum teil an stellen, wo W.'s Selbständigkeit ausser zweifei
steht (z. b. 737, 25). Zwei gedanken begleiten P. durch alle
Prüfungen und kämpfe: die Sehnsucht nach der gattin und
nach dem gral 389,10. 425,5. 441,4. 467,26. 619,4. 737,27.
740, 19. Wer W. kennt, wird nicht zweifeln, dass das erstere
motiv sein zusatz ist (vgl. s. 62 f. 69). Zwei gründe bestimmen
P., von seiner gattin abschied zu nehmen: der wünsch, die
mutter widerzusehen, und auch durch äventiure zu 223, 23
(s. 35). Zwei veranlassungen führen den kämpf zwischen
Orilus und Schianatulander und den tod des letzteren herbei:
die fehde um P.'s erbländer und ein minnedienst 140, 28. 141, 16
(s.37). Hiermit vergleiche man das tumier vor Kanvoleiz:
zwei verschiedene, für sich durchgeführte und nur äusserlich
in der person Gahmurets verbundene motive laufen hier neben
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86 LICHTENSTEIN
einander her: die fehde zwischen Hardiz und Kailet 67, 29.
.89,9. 100,21. 48,11 und das turnier um Herzeloydens band
60,9. 85,13. 88,25. 96,1. Jenes stammt möglicherweise aus
der von W. hier eingeflochtenen erzählung von Lämbekin
von Brabant 89, 13, vgl. s. 72); dieses ist für die haupthand-
lung notwendig und W.'s erfindung wol zuzutrauen. Das
ganze hat ausserdem ein analogon in dem turnier vor Bea-
rosche im siebenten buch. Auch diesem liegt keine einheit-
liche anschauung zu gründe: C. spricht nur von einem turnier
(6211.42. 48 U.Ö.), W. macht daraus eine kriegerische belage-
rung (349, 7. 351, 25); aber die sache läuft auf dasselbe hinaus,
denn einerseits hat auch C. die vermauerten tore 6274, andrer-
seits schwankt W. noch zwischen den beiden begriffen 347, 13
'ez si striten oder turnei, vgl. 355, 19. 356, 11. 386,28. 387,30.
Das motiv des Melianz bei C. ist einfach, sich in- rittertaten
auszuzeichnen, wie die dame es geraten hatte, 6247; bei W.
kommt ein . edler zorn und das verlangen nach räche hinzu,
weil er dem vater mitschuld an seiner demtitigung beimisst,
347, 9. Vergleicht man die beiden darstellungen, so sieht
man deutlich, wie eine aus der anderen hervorgegangen ist,
und W. brauchte gewis keinen vermittler, um diese Weiter-
bildung der fabel vorzunehmen, die mit ihrer tiefen seelischen
erregung und mit ihren germanischen rechtsanschauungen (ge-
richt der genossen 347, 24, mannentreue 354, 30) durchaus für
seine Urheberschaft spricht. In ähnlicher weise kann man
vielfach bei W. eine entwicklung der Vorstellungen beobachten
(vgl. s. 82), dergestalt dass die anfangs herschende begründung
einer handlung zuinicktritt und einer neuen auffassung platz
macht. Das kampfverbot des Artus 280, 20 ist zuerst eine
massregel zur aufi^echterhaltung der disciplin, nachher 286, 10
führt der könig die nähe der gralburg als grund an; das ist
aber ein zusatz, der keine berechtigung hat, wie s. 47 gezeigt
worden ist. Gahmurets auszug wird zu beginn der erzählung
4, 27 mit seiner erblosigkeit motiviert; si)äter wird dieser
grund durch den edelmut des bruders hinfällig,') und nun ist
es einfach der tatendrang, der ihn aus der abhängigkeit und
Untätigkeit hinaus in die freie weit und zur eroberung eines
') BötticheV, Zs. fdph. 12, 378.
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ZUB PABZIVALPBAGE. 87
eigenen herdes treibt (7, 19. 8, 8). Nichts verbietet, diesen
gedankengang dem dichter tatsächlich zuzuschi-eiben, Seinen
abschied von Belakane motiviert Gahmuret ihr selbst gegen-
über in einem briefe (55,24. 56,26) mit der Verschiedenheit
ihres glaubens. Als entscheidenden grund aber gibt er später
(90,29. 96,29) die Zurückhaltung von ritterlichen taten, die
sie ihm auferlegte, und die besorgnis sich zu verliegen an.
Dieses zweite motiv hat nach Bötticher (Zs. fdph. 13, 424) W.
hinzugefügt, 'um den sittlichen makel, der seinem beiden an-
haftete, von ritterlichem gesichtspunkte aus, so weit es mög-
lich war, zu vertuschen'. Das erste motiv aber war darauf
berechnet, auf Belakane eindruck zu machen. Sei es nun,
dass dieses nur ein vorwand war, oder dass Gahmuret wirk-
lich zu seinem schritte durch mehrere erwägungen bestimmt
zu denken ist, oder endlich dass in dem köpfe des dichters
die eine Vorstellung die andere ablöste : ein grund zur annähme
einer verlorenen quelle liegt nicht vor.
Aus all dem angeführten geht eins mit Sicherheit hervor,
dass wir W. die tendenz zu motivieren und zusammenhänge
herzustellen in hohem grade zuschreiben dürfen; damit ist frei-
lich nicht gesagt, dass dieses princip nun überall gleichmässig
durchgeführt wäre. Wie in bezug auf die eingestreuten an-
spielungen und beziehungen, so gibt er auch hierin stellen-
weise ein zuviel, während anderwärts mancher unvermittelte
gedankensprung stehen geblieben oder vielmehr durch W.'s
stilistische eigenheiten erst hineingekommen ist.
Ein streben nach einheitlichkeit und besserer Verbindung
gibt sich auch in der anordnung des Stoffes kund, die gegen
C. manche Verschiebungen innerhalb der einzelnen abenteuer
aufweist. Urbach s. 23 führt eine ganze reihe von beispielen
auf, wo bei W. Unterbrechungen des dialogs (P. und die ritter
im walde, P. und die mutter, P. und Sigune) oder der erzäh-
lung (die schiffe vor Pelrapeire, die schmähreden der damen
in Bearosche) durch Umstellung beseitigt und ein zweckloses
zerreissen des gedankenzusammenhangs glücklich vermieden
ist. Ich möchte besonders auf den schluss des sechsten buches
hinweisen, wo alles was sich auf die abreise bezieht (auch
das Zwischenstück zwischen dem erscheinen der gralbotin und
des Kingrimursel und die rückkehr des bofes nach Karidoel,
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88 L1CHTBN8TBIN
s. s. 53. 64. 55), bis zuletzt verschoben und hier zu einer gemüt-
vollen abschiedsscene ausgesponnen ist. Umgekehrt ist am
anfang des dritten buches zusammengestellt, was C. erst später
gelegentlich über die erziehung P.'s sagt, und diesem teile
wider ist die geschichte der eitern vorausgeschickt, die auf
motiven aus der abschiedsscene bei C. beruht. Anticipationen
bilden überhaupt die regel unt«r den Umstellungen W.'s. Nicht
nur namen finden wir bei ihm früher (s. s. 80) und andeutungen
späterer abenteuer (135, 14. 21. 340, 1), sondern es sind in die
darstellung eine menge einzelner züge und ganzer scenen ver-
webt, die bei C. viel später und bisweilen in einem ganz
anderen zusammenhange ihre wörtliche entsprechung finden:
P.'s kosenamen (s. 8), die entführung der Arnive (s. 57, anm. 2),
die lehren über das grüssen und über die Vermeidung dunkler
fürten (s. 13. 14), das erste Sigunenabenteuer (s. 15), die Prophe-
zeiung des toren, Keies stab, die zöpfe (s. 19), der tod des
Schenteflurs (s.26), Trevrezents hefse und Taurians speer bei
P.'s eid, vorweggenommen aus Gawans eid (s. 41), Gawans be-
merkung über seinen namen (s. 50), Kingrimursels sicheres
geleit für Gawan (s. 54). Die Verfluchung P.'s durch Sigune
255,2 wird von Kupp s. 25 unter den Überschüssen W.'s auf-
geführt; ich meine aber, dass sie nichts weiter ist als eine
vorgreifende nachahmung der Verfluchung durch die gralbotin.
Sigunens rede ist im anfange bei beiden dichtem überein-
stimmend ein weheruf, dann aber schwebte W. die spätere
stelle vor, luid er konnte der Versuchung nicht widerstehen,
schon hier, unmittelbar nach der Verschuldung P.'s, den fluch
einzuführen.
In solcher weise hat W. oft bei parallelen scenen aus-
gleiche vorgenommen, vgl. den empfang der besiegten ritter
(s. 44), Gawan und Jofreit fiz Idoel (s. 35). Aber unangenehme
widerholungen unterdrückt er: das schweigende verhalten des
königs auf P.'s zweimalige anrede C. 2099. 2116 (s. 17), Iwanets
bericht (s. 20), die nachricht vom tode der mutter (s. 38), die
erzählung des Orilus (s. 40), Clamides botschaft, die Prophe-
zeiung des toren, Artus' erzählung (s. 45), die zweimalige
namensnennung P.'s (l 5860 f. 5936—40 (s. 51), die zweimalige
erinnerung an Gumemanz auf der gralburg C. 4380—90. 4421
—31 =W, 239, 8— 17, den dreifach widerholten streit der
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ZUR PARZIVALFRAOE. 89
damen in Bearosche C. 6376 — 94. 6408 — 29. 6898 — 6946 =
W. 357, 28 — 358, 14, das zweimalige erwachen des Griogoras
C. 7949. 8325 «^ W. 506, 18. Geschickt versteht er es, ab-
wechslung zu schaffen, siehe Orilus' zusammentreffen mit
seiner Schwester (s. 45 f.), P.'s kämpfe mit Segramors und Keie
(s. 48). In fast allen parallelen scenen hat W. entlehnungen
von vor- oder rückwärts gemacht und dadurch oft eine pas-
sendere anordnung genommen: siehe die lehren der mutter
und des Gumemanz (s. 13. 24), P/s kämpfe mit Kingrun und
Clamide (s. 30. 33), die hässlichkeit der gralbotin und des
knappen Malcreatiure (s. 52), die scene auf der gralburg und
die erklärung derselben durch Sigune, Kundrie und Trevre-
zent (s. 52).
Nichts nötigt oder berechtigt uns, auf einen dritten zu
schliessen, der unserm W. die hier erwähnten änderungen so
zurechtgelegt hätte, wie er sie widergibt. Das ist bei W.'s
bekannter Selbständigkeit sogar im höchsten grade unwahr-
scheinlich und in einigen der angeführten fälle direct aus-
geschlossen (vgl. auch W/s verhalten im Willehalm, s. 60).
Ausserdem ersieht man aus den theoretischen excursen, in
denen W. den gang der erzählung verteidigt, 241. 338. 453.
734, dass er sich mit bewusstsein von künstlerischen principien
leiten lässt.
Wie von der zweckmässigen anordnung und Verbindung
des einzelnen, so gilt dies insbesondere von dem planvollen
anfbau des ganzen. Dass wir den romantorso (\'s bei ihm
vom und hinten ergänzt finden, ^111 noch nicht viel bedeuten :
das hätte ein unbedeutenderer bearbeiter auch vermocht. Die
abgerundete form jedoch und die übersichtliche disposition, in
der das ganze bei W. erscheint, ist das werk eines grossen
dichters. Die geschichte des beiden gliedert sich darin in
fünf grosse abschnitte:
1. P.'s Jugend bis zur Verfluchung durch Kundrie (b. 3—6).
2. P.'s trotzige Verzweiflung: erste Gawanepisode (b. 7 — 8).
3. P.'s bekehrung und absolution (b. 9).
4. P.'s reumütiges suchen nach dem gral: zweite Gawan-
episode (b. 10—13).
5. P.'s bewährung und erlangung des gralkönigtums (b. 14
-16).
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90 LICHTBNSTBIN
Man braucht gar nicht anzunehmen, dass W. diese disposition
in ihrer abstracten form vor äugen gehabt und etwa danach
gearbeitet habe: es genügt, dass sich das vorliegende werk
dieser betrachtungsweise ungezwungen fügt. Und W. ist nicht
ohne verdienst daran.
Die störenden Gawanepisoden wegzulassen oder erheblich
einzuschränken, dazu konnte er sich freilich nicht entschliessen,
weil er überhaupt so gut wie nichts weglässt (ausgenommen
einige widerholungen, dunkle andeutungen und rohe züge, s.
s. 88. 81. 68): insofern also ist er treu gegen die Überlieferung.
Aber er hat ein anderes mittel gefunden, um die Störungen
des Zusammenhangs nicht zu völligen Unterbrechungen werden
zu lassen und sie sogar für die darstellung der inneren ent-
wicklung des beiden in geschickter weise zu verwerten. Er
lässt diesen fortwährend im hintergrunde der scene erscheinen
und bewirkt dadurch, dass wir nie aufhören, uns in gedanken
mit ihm zu beschäftigen. Die entstehung dieser meisterhaften
einflechtungen will Kupp s. 25 in die hypothetische gemeinsame
quelle verlegen, 'weil bei der erzählung eines so wichtigen
und ausführlich berichteten ereignisses' der held des gesammten
gedichtes *doch nicht gänzlich vergessen gewesen sein kann'.
Heinzel s. 37 erblickt darin einen 'künstlerischen vorzug' des
nicht minder hypothetischen Werkes von Kyot, 'den C. wol
gewürdigt und beibehalten hätte', wenn er ihn in der gemein-
samen quelle vorgefunden hätte. Ich meine aber, dass dieser
zug demjenigen angehört, der selbst im Willehalm sich nicht
enthalten konnte, beziehungen auf Parzival anzubringen, der
scene für scene die gelegenheit wahrnimmt, auch die übrigen
Personen des dramas an der handlung zu beteiligen (vgl. Cla-
niide in der Orilusscene 277,6, das turnier von Kanvoleiz 65,
29 ff. 68, 22), und der die getrenntesten abenteuer mit einander
in Verbindung zu bringen gewusst hat (Anfortas — Orgeluse
Klinschor). Hier haben wir die übereinstimmenden merkmale
einer dichterindividualität, die nirgend wider mit solcher be-
stimmtheit in der mittelalterlichen literatur auftreten. In den
uns überlieferten französischen gralromanen ist von einer plan-
mässigen anordnung und Verteilung des Stoffes überhaupt
keine rede: die Gawanepisoden nehmen bei den fortsetzern
C.'s einen immer breiteren räum ein, W. allein hat es ver-
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ZÜB PABZIVALFRAGE. 91
standen, sie in den rahmen des ganzen einzufügen,») und er
folgte dabei wol nur einem glücklichen instinct seiner eigen-
artigen dichtematur, jenem triebe, überall beziehungen her-
zustellen.
Wie wenig abstract logisch er dabei verfuhr, zeigt die
ziemlich inconsequente durchführung des planes. Golther unter-
scheidet deshalb s. 116 ganz richtig eine doppelte umgestaltende
tätigkeit innerhalb des Parzival: einmal den planmässigen
aufbau der geschichte. andererseits die zahlreichen Ungleich-
heiten, Seitensprünge und abschweifungen. Letztere zusammen
mit der ethischen auffassung will er W. vindicieren, erstere
schreibt er Guiot (Kyot) zu. Das ist jedoch durch nichts be-
wiesen; die Vereinigung beider selten in einem dichtergeiste
ist möglich und für W. sicher zu erweisen. Der trieb, überall
beziehungen anzubringen, der sich auch im Titurel und Wille-
halm so bestimmt ausprägt, führte ihn einmal zur Verbindung
des zusammenhangslosen, in seiner Übertreibung aber bewirkte
er die einflechtung von allerlei überflüssigen und störenden
hinweisen und verschuldete es so, dass jene einheit unvoll-
kommen blieb.
Nun wird jeder zugeben, dass es leichter ist, einen über-
lieferten Stoff planvoll auszugestalten, als in eigener erdichtung
das rechte mass zu beobachten. Freie erfindung war überhaupt
nicht die stärke des deutschen dichters im mittelajter. Dürfen
wir uns also wnindern, wenn \\ir gerade in den ersten beiden
bücheiTi des Parzival, die von C. so gut wie una\)|lÄngig sind,
so viel des überflüssigen finden? Der eigentliclw^ gegenständ
dieser bücher ist die geschichte von P.'s eitern; aber wie Böt-
ticher, Zs. fdph. 13, 421 bemerkt, macht dieselbe nur einen teil
ihres Inhalts aus: 1 — 15 Gahmurets abenteuerfahrten, 58, 27 —
8(5, 30 turnier vor Kanvoleiz, 87, 1—6. 96, 1 — 97, 12. 98, 15 —
») Dass wir es mit einer neuening W.'s zu tun haben, erkennt mau
auch ans dem Übergang IX, 433, 14. 434, 4, wo der dichter ganz wie (•. 7586
— 90 voraussetzt, dass der leser von Parz. seit seinem abschied von Artus
in VI nichts wisse, während doch Vn, 383, 23. 388, 8. 392, 20. Vm, 424, 18
von P. die rede gewesen ist, vgl. Heinzel s. 102. Hätte sich dieser Wider-
spruch schon in W.'s vorläge befunden, dann müsste W. widerum gedanken-
los übersetzt haben, statt dass er nach unserer annähme nur verabsäumt
hat, alle spuren der alten, von ihm geänderten fassung zu verwischen, vgl.
8. 57, 4 und aum. 3.
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92 LICHTENSTEIN
101, 20 Vermählung, 101, 21 — 114, 5 Gahmurets tod und Par-
zivals geburt. 'Diese abschnitte enthalten alles, was zum
Verständnis der geschichte P.'s nötig ist': alles übrige ist
überflüssig und geeignet, das Interesse von dem hauptzweck
abzulenken, so vor allem die geschichte der mohrenkönigin
Belakane, welche den grössten teil des ersten buches füllt.
Die einführung ihres sohnes Feirefiz, der allerdings zum
Schlüsse des Parzival in directer beziehung steht, bedurfte
keineswegs einer so umständlichen motivierung. Das ist voll-
kommen richtig, aber diejenigen, welche bei dem dichter con-
sequenz und beschränkung auf das streng notwendige suchen,
vergessen die lust am fabulieren, welche auch bei W. stark
entwickelt war. Die ansieht, dass die bücher 1 und 2 nur dann
W.'s erfindimg angehören könnten, wenn sie die aufgäbe, eine
Vorgeschichte des eigentlichen romans zu bilden, vollkommen
und ausschliesslich erfüllten, beruht auf einer falschen Voraus-
setzung; sie überschätzt W.*s kunst in der composition und
die kunstanforderungen der zeit überhaupt. Wenn man von
einem meisterhaften aufbau des Parzivalgedichts spricht',
sagt Hertz s. 108, *so kann das nur für den phantastischen
Stil seiner zeit, nicht für die strengeren anf orderungen des
modernen kunstverstandes gelten. Die epen der ritterlichen
dichter lieben wie ihre bürgen mehr den eindruck malerischer
Willkür als architektonischer notwendigkeit.' Wollte man übri-
gens unsere berühmtesten neueren romane daraufhin prüfen,
Goethes Wilhelm Meister nicht ausgeschlossen, es würde so
manches capitel von dem tadel Böttichers getroffen werden.
Die mangelhaftigkeit der composition in den beiden ersten
büchern des Parz. spricht also nach dem gesagten weit eher
dafür, dass W. sich hier in selbständiger erdichtung versuchte,
als dass er eine fertige vorläge bearbeitete. Zu dieser er-
kenntnis ist auch Bötticher am Schlüsse seiner hier und oben
s. 80 citierten abhandlung«) gekommen: * gestützt auf den
') Zs.fdph. 13, 420. Erwähnt mag noch werden, dass die Verwechs-
lung von hämisch und zeit in huch 1 und 2, die nach Bötticher s. 428
'eins der wichtigsten momente sind, welche die annähme einer verlorenen
quelle unbedingt fordern', gar nicht existiert, wie Heinzel s. 99 nachweist,
sondern nur hai-^iasch in einer weiteren bedeutung (kriegsansrilstung sammt
dem zeit) gebraucht ist wie 353,9. 362,17,
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ZUR PASZIVALFRAQE. 93
umstand, dass Kyot in diesen beiden büchern nicht genannt
wird, und mit rücksicht darauf, dass W. den Kyot ganz me-
chanisch und gedankenlos übersetzt haben müsste, wenn er
die Vorgeschichte bei ihm schon so, wie er sie uns gibt, vor-
fand, könnte man vermuten, dass Kyot die Vorgeschichte gar
nicht hatte, sondern dass W. die verschiedenen erzählungen
... zu einer einleitung in die geschichte P.'s verarbeitete.'
Fassen wir die vorstehenden ausführungen über die per-
sönlichkeit unseres dichters zusammen, so ergibt sich, dass die
versuche, aus den abweichungen W.'s von C. eine einheitliche
vorläge zu construieren, zu künstlichen und unwahrscheinlichen
deutungen führen, dass vielmehr alle die scheinbar so ver-
schiedenartigen bestandteile sich am einfachsten und ungezwun-
gensten als aus dem geiste W.'s hervorgegangen erklären. Man
hat meines erachtens bei der ganzen Untersuchung allzu sehr
das logische element betont und den psychologischen gesichts-
punkt darüber nicht genügend beachtet. W. ist ein mann, in
dem sich starke Widersprüche vereinigen: ritterliche kämpf es-
lust und grübelnder tiefsinn; Verehrung edler Weiblichkeit und
sinnliche derbheit; echt deutsche richtung in sitte, denken
und gefühlsleben und prunken mit französischen sprachbrocken ;
enger anschluss an seine vorläge und fi'eiheit, ja Willkür in
unzähligen einzelheiten; klarheit gegenüber unbestimmten an-
deutungen in seiner quelle und geheimnisvolle dunkelheit in
seiner eigensten ausdrucksweise; planmässige anordnung, syste-
matische Verknüpfung des unzusammenhängenden und locke-
rung des gefüges durch abschweifungen und nebenbeziehungen.
[Nachtrag. S. 30 ist bei no. 5 durch ein versehen der
letzte absatz ausgefallen: W. 201, 19—20. 202, 26—30. 203,
2—3. 6—11 c^. C. 3750—53. 3807—13. 4088—93 (vgl. 3260—
61). — W. 203, 1 /swen tage unt die dritten naht-, nach 0. 3926
beträgt die Zwischenzeit zwischen den beiden kämpfen P.'s
drei nachte. — W. 201,21 — 202, 9 moralisierende betrachtung,
die sich inhaltlich vielfach berührt mit C. 5034—50 und 8542 ff.
— W. 202, 10—14 = C. 8205—14. — [W. 202, 25 deutsche sitte.
— 203, 3 — 5 P. erinnert sich der lehren der mutter und des
Gumemanz.J ]
LISSA. JULIUS LICHTENSTEIN.
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zu WOLFRAMS LIEDERN.
1. Die echtheit der beiden letzten lieder.
Ueber die echtheit des bei Lachmann s. 9 und des in der
vorrede s. xii abgedruckten liedes ist schon viel gestritten, ohne
^dass bisher die acten über diese frage geschlossen wären. Das
erste lied ist von Lachmann zwar der Sammlung einverleibt,
aber nachträglich auf eine bemerkung Wackernagels hin ein-
geklammert. Paul (Beitr. 1, 202), dem Behaghel (Germ. 34, 488 ff.)
und Roethe (Zs. fda. 34, 95) gefolgt sind, nimmt die drei ersten
Strophen für Wolfram in anspruch. Andere (v. d. Hagen, Goe-
deke, San Marte, Kant, Bartsch) halten an dem wolframischen
Ursprung des ganzen liedes fest.
Ich teile die ansieht Pauls und bemerke zu ihrer stütze
noch folgendes: ,
Die mythologische anspielung in str. 5 (Venus diu gotinne)
steht in Wolframs liedern einzig da. Für Paul sprechen ferner
die anklänge von ir frömde Tcreriketz herze min (10, 7) an Mö-
rungen und ir fremeden krenket mir daz herze min (MF. 126, äö)
und von daz schaffet mir ir röter munt, ir minneclichez lachen
kan mir wol gemachen hohen muot (10, 18 — 21) an Walther
daz hat ir schoene und ir giiete gemachet und ir roter munt,
der so liepUchen lachet (110, 18). Auch durliuhtic rot ist ir
munt als ein rubbin (10, 2) enthält einen häufig vorkommenden
vergleich. Ob dem unbekannten Verfasser hierbei gerade Par-
zivalstellen vorgeschwebt haben {einen munt durliuhtic röt
13Ö, 5; sin munt als ein rubin schein 63, 16), mag dahingestellt
bleiben; dagegen zeigt, worauf schon von anderer seite hin-
gewiesen ist, die Hauige rose' (9,38) im zusammenhange mit
den andern gründen sicher den bewussten nachahme Wolframs
(Wh. 270, 20. Tit. 110, 1). Und am Schlüsse welche nachlässig-
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zu WOLFBAM0 LIEDEBN. 95
keit des ausdnicks: dm hat gehoehei mir den muot und eine
reihe weiter: ir minnecUchez lachen kan mir wol geniachcn
hohen muotl
Gegen den gemeinsamen Ursprung der drei ersten Strophen
hat man wol den Übergang von der anrede der geliebten (str. 1
und 2) zur dritten person (in str. 3) angeführt und deshalb
Wolfram auch die dritte Strophe absprechen wollen (Stosch,
Zs. fda. 27, 321 anm. 2). Dieser grund ist nicht stichhaltig: um
ein beispiel herauszugreifen, so wird in dem Morungischen liede
MF. 132, 27 von der geliebten in der dritten, dann in der
zweiten und in der schlussstrophe wider in der dritten person
gesprochen. Der vlins von donresträlen (in str. 3) begegnet
freilich auch ^\Ti. 12, 16 — 18, aber dieser umstand allein darf
unser lu-teil nicht beeinflussen; da str. 3 nach ihrem Inhalt
und ihrer sprachlichen und metrischen form genau zu den
beiden vorhergehenden stimmt, so haben wir uns dahin zu
entscheiden, dass Wolfram sich späterhin im Willehalm wider-
holt hat: eine bekanntlich bei ihm häufiger zu beobachtende
erscheinung.
Das lied dürfte somit von einem nachahmer Morungens
und Wolframs zu seiner heutigen gestalt erweitert worden sein.
Auf diese mulier desinens in piscem folgt in C ein lied,
das Lachmann aus metrischen gründen von vornherein aus-
geschlossen und nur in der vorrede abgedruckt hat. Behaghel
(a.a.O.) weist Lachmanns begründung als nicht beweiskräftig
zurück und schreibt Wolfram das gedieht zu, räumt aber
ausdrücklich ein, dass es * nicht besonders origineir sei.
Nun haben Lachmanns gründe freilich wenig bestechendes,
aber dennoch dürfte sein urteil das richtige getroffen haben.
Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich auch dieses lied
als das product eines nachahmers erweisen.
Vgl. mich hat leit in trüren bräht XII, 11 : mich hat ein
Uep in trüren bräht Reinmar, MF. 158, 9. Ferner: der ich mine
tage habe gedienet üz der maze zil XII, 15 : disiu sorge get mir
für der mäze zil Morungen, MF. 138, 8. Ausführlicher ist ein-
zugehen auf XII, 18—20:
geschiht des niht und stirbe ab ich,
frowe min, nu sprich,
üf wen erbe ich danne dise not?
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96 KÜOK
Der dichter kann nur meinen: 'auf wen soll ich im falle meines
vorzeitigen todes meine liebesnot vererben, sc. damit er dich
in liebe bezwingt und so mich rächt?' Die ergänzung dieses
gedankens ist nicht gerade leicht; der dichter lässt sich hier
ohne zweifei von Morungen (MF. 124, 32 — 125, 18) ins Schlepp-
tau nehmen. In diesem bekanntlich auch von Walther (72, 31
— 73,22) nachgeahmten gedichte heisst es:
mime kinde wil ich erben dise n6t
und diu klagenden leit diuch hän von ir.
waenet si dan ledic sin, ob ich bin tot,
ich läz einen trost doch hinder mir,
daz noch schoene wirt min ßun,
daz er wunder ane g^
also daz er mich reche
und ir herze gar zerbreche,
so sin also rehte schceuen se.
Es findet sich zwar, wie Behaghel nachweist, im reim und
ausdruck einiges was an Wolfram erinnert, aber nach den
bisherigen ausführungen ist dies auf die rechnung eines be-
wussten nachahmers zu setzen. Ausserdem geht die erste
Strophe auch unter den namen Gedruts und Rubins von Rü-
deger, ein umstand, der die Verfasserschaft Wolframs von
vornherein in bedenklichem lichte erscheinen lässt und dies
um so mehr, als das lied in C an letzter stelle steht.
Ich fasse meine darlegungen dahin zusammen, dass im
gegensatze zu dem ersten teile des vorletzten (8.) liedes der
zweite teil und ebenso das letzte (9.) lied von nachahmungen
verschiedener dichter durchsetzt sind und schon aus diesem
gründe schwerlich Wolfram zum Verfasser haben können.
Roethe, dem ich vor längeren jähren als Student dieses mate-
rial vorlegte, zog aus dem umstände, dass die nachahmung
Wolframs und Morungens sich über 8,2 und 9 erstreckt, den
allerdings wol unabweisbaren schluss, dass der fortsetzer des
achten und der dichter des neunten liedes eine und dieselbe
person seien.
2. Die reihenfolge der lieder.
Die von San Marte zuerst ausgesprochene ansieht, dass
wir in den liedern Wolframs einen cyklus von lyrischen
erzeugnissen hätten, die einem und demselben liebesverhältnis
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zu WOLFRAMS LIBDE&N. 97
ihre entstehung verdankten, lässt sich nicht aufrecht erhalten«
Zuletzt hat Domanig in einem aufsatze 'W. v. Eschenbach und
seine gemahlin' (Hist. jahrb. d. Görres-gesellschaft 3, 1, 67 ff.)
die frage berührt, aber sein dort gegebenes versprechen, über
die lieder Wolframs eingehender zu handeln, noch nicht eingelöst.
Er setzt richtig den hebel bei dem dritten liede an, betrachtet
es im zusammenhange mit der einlage zwischen buch 2 und 3
des Parzival») und folgert hieraus, dass der dichter damals
mit seiner ersten geliebten zerfallen gewesen sei, sie mit schelt-
gedichten verfolgt und sich hierdurch 2) den hass der frauen-
weit in seinen kreisen zugezogen habe. Somit bezöge sich
das dritte lied auf eine zweite geliebte, während alle übrigen
an die erste gerichtet seien (s. 70 annu 1). Ich stimme Domanig
bei einmal in der Verteilung der lieder auf zwei liebesverhält-
nisse und darin, dass in an die zweite geliebte gerichtet sein
muss, aber im übrigen bin ich bei der näheren durchforschung
der uns hier beschäftigenden frage vielfach zu anderen ergeb-
nissen gelangt und halte Kinzels (Jahresber. f. kl. ph. 4, 140)
beistimmendes urteil nur teilweise für berechtigt.
Ausgehend von der 'künstlerischen Wahrhaftigkeit' Wolf-
rams — und nur die Überzeugung von der richtigkeit dieser
ansieht berechtigt uns zu solchen Untersuchungen — haben
wir zunächst die vier tagelieder (I, II, V, VII) derselben
zeit und demselben Verhältnisse zuzuschreiben: der
gleiche Inhalt, die gleiche kecke und doch von lüsternheit
freie Sinnlichkeit durchzieht sie und hebt sie scharf von den
übrigen liedem ab, in gedanken und ausdruck finden sich auf-
fallend viele Übereinstimmungen.*) Auch der umstand, dass
*) Uebrigens sah schon v. d. Hage» (Minnes. 4, 227), dass die im dritten
lied genannte schuldhafte frau jene wankelmütige sei, deren in der einlage
des Parzival erw&hnung geschehe. Die richtigkeit dieser bemerkiing er-
kannte auch Haupt an (Zs.f da. 11,49); was Haupt im übrigen in seinem
Wolframcolleg über die lieder gelehrt hat, ist leider von Beiger in Haupts
biographie (vgl. s. 278) nicht veröffentlicht worden.
*) Besser * hierbei', denn nicht die schmähgedichte an und für sich
erregen die erbitterung der frauenweit, sondern die angriffe, zu denen sich
der gekränkte dichter gleichzeitig gegen die frauen schlechthin fortreissen
lässt (s.u.).
») Ich zähle 25 stellen, an denen zwei oder mehr tagelieder zusammen-
klingen.
fieitrige sur getchiohto der daatiohen fpiaobe. XXII. 7
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98 kDck
epische elemente, wenn auch ungleichmässig, in alle eingestreut
sind und jedes lied — offenbar der abwechslung wegen —
eine andere Staffage zeigt (in I spricht nur die dame, in 11
Wächter und dame, in V ritter und Wächter, in VII ritter und
dame), darf mit als beweis hierfür benutzt werden. Eine
chronologische anordnung der tagelieder scheint sich dagegen
nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vornehmen zu
lassen.^
Weshalb ist nun die dame mit der Wolfram nach dem
ausweis des dritten liedes und der Parzivaleinlage sich über-
worfen hat, die geliebte der tageslieder? Die worte der
Parzivalstelle (114,5):
wan einer bin ich nnbereit
dienstlicher triuwe:
min zorn ißt immer niuwe
gein ir, sit ich se an wanke sach^
beweisen zunächst, dass der bruch durch die untreue einer
geliebten herbeigeführt ist. Der dichter muss also bereits
die gunst seiner dame genossen haben: nur so rechtfertigen
sich seine klagen über ihre untreue, nur so lässt sich sein
leidenschaftlicher hass gegen sie verstehen. Ich denke, das
weist deutlich genug darauf hin, dass die ungetreue und die-
jenige dame, mit der er in der zeit der tagelieddichtung ver-
trauten Umgang gepflogen hat, dieselbe person ist. Noch eine
andere erwägung führt zu diesem resultat: im dritten buch
desParzival (str.172), d.h. nicht lange nach dem beginne der
neuen liebe (s. u.), spricht der dichter durch Gurnemanz' mund
ein Verdammungsurteil über die unsitte und unsittlichkeit der
gefahrvollen nächtlichen liebeshändel: er selbst hat also da-
mals die tageliedperiode bereits überwunden, und diese muss
*) Im metrischen bau zeigen I und n mit ihrem sechszeiligen auf-
gesange und seiner reimstellung abc abc eine nähere verwantschaft gegen-
über dem am kunstvollsten von allen tageliedem gebauten VII. liede, wäh-
rend y in der zahl und der reimstellung der auftaktszeilen mit I und 11
übereinstimmt, andererseits in den gleitenden reunen des abgesanges an
die reimkünste von VII erinnert. Möglicherweise wäre also die reihenfolge
I, n (II, I?), V, Vn anzusetzen. Was die beimischung epischer elemente
betrifft, so sind diese in I, dem vielleicht ältesten tageliede, am stärksten
vertreten (66 proc), dann folgt freilich VII (33 proc), V (25 proc.) und
schliesslich n (20 proc).
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2ü WOliPRABÄS iiiEt)ÄRl^. 99
mit dem ersten Verhältnis zusammenfallen. Dass aber die
tageliedperiode sich nicht etwa zwischen der abfassung der
Parzivaleinlage und derjenigen von P. 172 abgespielt hat, zeigt
deutlich das dritte lled; denn in diesem, das ungefähr gleich-
zeitig mit der ersten Parzivalstelle entstanden sein muss, er-
scheint der dichter seiner neuerwählten geliebten gegenüber
so kleinmütig und verzagt, dass er unmöglich sich kurz darauf
als feuriger liebhaber einem ausgelassenen sinnestaumel in die
arme geworfen haben und dann bis P. 172 zu seinem peccavi
gelangt sein könnte.
Das dritte lied und die Parzivaleinlage sind somit später
als die tagelieder anzusetzen. ^) Der an beiden stellen zu tage
tretende hass des dichters gegen die ungetreue wird uns nun
noch verständlicher bei der betrachtung des vierten liedes,
dessen abfassungszeit unschwer zu bestimmen ist. Der dort
angeredete Wächter, der bisher ie gegen dem tatge dcus sure
nach dem silezen sanc und für die Zukunft seinen weckgesang
unterlassen soll, ist doch offenbar der Wächter der tagelieder,
der wenn auch fingierte Wächter auf der bürg von Wolframs
geliebten, der vertraute ihrer nächtlichen Zusammenkünfte,
und ihm kann doch vernünftigerweise — wenn auch bloss in
der fiction — stillschweigen nur geboten werden*) zu einer
zeit wo die erste, die in den tageliedern gefeierte leidenschaft
noch andauert. Folglich gehört das lied noch dem ersten
liebesverhältnis an. Daraus ergibt sich weiter, dass Wolfram,
weil dieses Verhältnis nicht zur ehe geführt hat, das lied als
unvermählter gedichtet hat — trotz San Marte, der die von
ihm selbst nicht bewiesene behauptung aufgestellt hat, dass
ein unvermählter dichter mit einem solchen preise des ehe-
glücks sich lächerlich gemacht haben würde. Wahrscheinlich
ist das lied gedichtet zu einer zeit wo Wolfram der gefahren
^) Bemerkenswert ist noch, dass der im dritten liede hervortretenden
neuen liebe in der einlage noch keine erwähnung geschieht. Sollte wol
Wolfram, wenn ihn diese bereits bei der abfassung des Parzivalstückes
ergriffen hätte, diesen trumpf gegen die Verdächtigungen der frauenweit
auszuspielen versäumt haben? Möglicherweise ist also das genannte lied
erst etwas später als die einlage gedichtet.
') Vergleichen lässt sich 4, 20 — 24, wo der Wächter ebenfalls zum still-
schweigen aufgefordert wird — dort allerdings von der dame, die in der
Verblendung der leidenschaft den geliebten noch bei sich behalten will.
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100 kOck
des bisherigen liebesverkehres überdrüssig war, vielleicht auch
bei seiner tief angelegten sittlichen natur das unwürdige des
Verhältnisses mehr und mehr erkannte und es auf gesetzliche
grundlage zu stellen suchte. Ein ganz ähnlicher wünsch gab
Botenlauben (Bartsch, L. 125) die worte ein:
diu kuslich munt, din lip klär unde sneze,
din drücken an die bnist,
din umbey&hen lät mich hie betagen.
Daz ich noch bi dir betagen müeze
&n aller vröude vlust!
so daz geschiht, so endürfen wir niht klagen.
Und bei Morungen (MF. 143, 30) heisst es:
ow6, sol aber er iemer mß
den morgen hie betagen,
als uns diu naht eng^,
daz wir niht dürfen klagen?
Der unterschied ist nur der, dass während Botenlauben sich
unmittelbar an die dame wendet und Morungen seinen herzens-
wunsch der geliebten in den mund legt, Wolfram — nach
meinem empfinden eine sehr feine einkleidung — seine worte
an die adresse des beteiligten Wächters richtet. Die Situation
ist entweder die, dass der wider einmal beim morgengrauen
von der seite der geliebten verscheuchte dichter dem Wächter
sein verlangen nach der gefahr- und mühelosen ehelichen liebe
mitteilt, oder — wofür ich mich wegen des praeteritums du
sunge noch lieber entscheiden möchte — dass er nach einer
längeren zeit der trennung mit der Sehnsucht nach Vermählung
heimkehrt und nun diesem verlangen eine poetische fassung
verleiht.
Vielleicht stand dem dichter bei der abfassung des liedes
die erfüUung seines herzenswunsches schon in naher aussieht,
da kam der schlag, der den von den edelsten absichten er-
füllten liebhaber doppelt schwer treffen musste.
Das vierte lied ist also vor dem als product des zweiten
liebesverhältnisses oben erwiesenen dritten liede und nach den
tageliedern entstanden. Dieses heranrücken von IV an die
tagelieder empfehlen auch verschiedene anklänge: vgL 5,34
mit 4,31, ebenso mit 4,18—20; 5,35 mit 4,23; 5,37.38 mit
4,39; 5,40 mit 6,21; 5,41 mit 5,1; 5,42 mit 4,24. Auch die
wol nicht ohne absieht gewählte Variation, dass allein der
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zu W0LFBAM8 LIEDERN. 101
ritter spricht, scbliesst diesen 'abschied von dem tageliede'
passend mit den eigentlichen tageliedern zu einem ganzen zu-
sammen.
Wolframs erste geliebte gehörte der vornehmen gesellschaft
an; denn wenn er seine schmählieder einem höheren damen-
kreise vorträgt, so darf man daraus schliessen, dass die frühere
geliebte in ihm heimisch ist, ferner vgl. P. 115, 5 — 7. Die ent-
schuldigungen femer, mit denen er in der letzten Strophe von
ni der neuen geliebten gegenüber sein vorgehen gegen die
damenweit vor misdeutungen zu schützen sucht, finden nur so
ungezwungen ihre erklärung, wenn man annimmt, dass jene
demselben damenkreise, dessen hass er sich zugezogen, dem-
selben also wie die erste geliebte, angehörte und dass der be-
ginn der neuen liebe in eine zeit fällt, wo der eklatante abbruch
des vorigen liebesverhältnisses und das wild -leidenschaftliche
gebahren des getäuschten dichters noch unvergessen im ge-
dächtnis der damen lebten.
Es bleibt noch übrig, die chronologische bestimmung von
VI und VIII (str.l— 3), deren gleiches thema (unerhörtes liebes-
werben) für gleichzeitige abfassung zu sprechen scheint. >)
Domanig weist beide — offenbar, weil nach seiner ansieht
der dichter bei der abfassung von Parz. 216 (im vierten buche)
bereits vermählt ist (s. u.) — dem ersten liebesverhältnis zu,
d.h. also einer zeit, wo die liebe zur geliebten der tagelieder
noch keine erhörung gefunden hat. Nun wissen wir aber ein-
mal nicht, dass Wolframs liebe zu dieser dame anfangs lange
zeit erfolglos gewesen sei, wol aber hören wir ihn im sechsten
buche des Parzival an verschiedenen stellen über erfolglosen
minnedienst klagen:
and ouch diu strenge minne,
din mir dicke nimt sinne
nnt mir daz herze unsanfte regt,
ach not ein wip an mich legt:
wil si mich alsus twingen
unt selten hilfe bringen,
^) Die von anderer seite gelegentlich angezogenen Übereinstimmungen
im ausdruck (guot toip 7, 29 und 9, 3; Uehez etide 7, 32 und 9, 13) sind als
nicht beweiskräftig bei seite zu lassen, weil guot n^p auch 8, 9 begegnet und
mit din Ihdfdich gebot (7, 30) und mit ein helfelichez wort (7, 38) auch eine
stelle des dritten liedes {si treit den Mfeliefien gruoz) sich vergleichen lässt.
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102 KüCK
ich 8ol sis underziehen
und von ir tröste vliehen (287, 11).
Ganz ähnlich 292, 1 ff., wo es unter anderm heisst:
het ir (frou Minne) mir geholfen baz,
min lop w8Br gein iu niht so laz
und 334, 10:
ich pin doch frouwen lönes laz.
Ich bin überzeugt, dass Wolfram an diesen stellen von der
erfolglosigkeit seiner liebe zu derjenigen dame spricht, an die
er sich im dritten liede wendet, denn ebenso wie er dort dem
kreise der damen gegenüber seinen hass gegen die eine ent-
schuldigt, wegen dessen man ihn nicht schlechtweg zum weiber-
hasser stempeln dürfe, und zugleich einer andern (der zweiten)
geliebten seine huldigung darbringt, sagt er gleich nach den
soeben angeführten Parzivalstellen:
nu weiz ich, s welch sinnec wip,
ob ßi h&t getriwen lip,
diu diz msere geschriben siht,
daz si mir mit w&rheit gibt,
ich künde wiben sprechen baz
denne als ich sanc gein einer maz.
ich tsetz iu gerne fürbaz kunt,
wolt ez gebieten mir ein munt,
den doch ander füeze tragent
dan die mir ze Stegreif wagent
(337, 1—7 und 27—30).
Wie Domanig die zuerst angeführten drei Parzivalstellen
(287,11. 292,1. 334,10) als aus der liebessehnsucht des von
seiner gattin (!) räumlich getrennten dichters») hervorgegangen
>) Auch P.272,7if.:
do lac frou Je^chüte
al weinde bi ir trüte,
vor liebe, und doch vor leide niht,
als guotem wibe noch geschiht.
ouch ist genuogen liuten kunt,
weindiu ougn hänt süezeu munt —
und 283,10 fr.: des beides ougen mäzen,
als ez dort was ergangen,
zw^n zäher an ir wangen,
den dritten an ir kinne —
diese gedaukeu brauchen dem dichter durchaus nicht, wie Domanig will,
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zu WOLFRAMS LIEDESN. 103
bezeichnen kann, ist mir völlig unbegreiflich. Ueberhaupt
scheint mir die hypothese, dass Wolfram in str. 216 als ver-
mählter erscheine, sehr problematisch. Dort wird nämlich
geschildert, wie könig Artus mit den rittem und damen ein
fest begeht; darauf fährt der dichter fort (v.26):
ich entsetes niht decheinen wis
(ez was dö manec tnmber lip),
ich brsehte ungerue nu min wip
in also gr6z gemenge:
ich vorht nnkunt gedrenge.
etslicher hin zir sprseche,
daz in ir minne steeche
und im die frende blante:
op si die not erwante,
daz dienter vor unde nach.
mir wsere 6 mit ir dannen gäch.
ich h&n geredet um min dinc:
nu hcert wie Artflses rinc u.s.w.
Hieraus soll nach Domanig hervorgehen, dass Wolfram damals
bereits verheiratet war. Seine hauptstütze ist das nu (v. 28),
das er durch den druck hervorhebt und so zu deuten scheint,
als ob der dichter bald nach der hochzeit diese worte ge-
schrieben habe (* bemerkenswert ist, mit welch eifersüchtigem
stolze W. vor der weit von seiner jungen gattin redet'): aber
die stelle lässt sich auch so auffassen, dass mit dem nu der
dichter sich und seine zeit den personen und der zeit des
geschilderten gelages entgegenstellt, wie er ähnlich kurz vor-
her (216, 20) nach der Schilderung der paniere hinzusetzt: ejs
diuhten nu vil groziu dinc. Ich interpretiere also: 'wenn in
unserer zeit dieses fest stattgefunden hätte, so würde ich
wenigstens [significant an den anfang gestellt] meine frau (sc.
wenn ich verheiratet wäre) ungern mitnehmen; es gieng dort
nämlich etwas locker zu.' Ich glaube, diese auffassung wird
der stelle durchaus gerecht, und sie ist notwendig, weil die
aus dem sechsten buche des Parzival oben aufgeführten stellen
den dichter nach meinem urteil als unvermählt zeigen.*)
erst durch erlehnisse seines ehelehens nahegelegt zu sein. Man vgl. doch
in den tageliedem (!) 3, 26 weindiu otigeti, mezer frouen kus und 3, 16 ir
ougen diu heguezen ir heider wengel.
») Auch P. 201,21 ff., wo Wolfram manchen frauen seiner zeit grosse
unmässigkeit [im liebesgenuss vorwirft, müsste im munde eines kürzlich
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104 KÜCK
Eins könnte noch eingewant werden, dass Wolfram beim
beginn der zweiten liebe von freudiger hoffnung auf erfolg
erfüllt sei (vil lihte erschinet noch der tac, daz fnan mir muoz
vröiden jehen. noch größer wunder ist geschehen 5, 25 — 27) und
dem die aus den stellen in Parzival VI und den liedem VI und
Vini) herv^orgehende aussichtslosigkeit des Verhältnisses nicht
zu entsprechen scheine. Aber einerseits bezeichnet der dichter
mit den letzten Worten den von ihm erhofften erfolg immerhin
noch als ein 'wunder', und andererseits beweisen die nach den
obigen ausführungen auf das zweite Verhältnis sich beziehen-
den Strophen 287. 292 und 334 des Parzival deutlich, dass der
erfolg tatsächlich den anfangs gehegten erwartungen nicht
entsprochen hat.
Wir haben somit folgende reihenfolge der lieder fest-
gestellt:
vermählten oder kurz vor der Vermählung stehenden dichters sich etwas
eigenartig ausgenommen haben. — Uebrigens würde, selbst wenn jemand
Domanigs auffassung von P. 216 teilen sollte, damit meine ansetzung
der lieder VI und VIH und meine auffassung der widerholt erwähnten drei
Parzivalstellen nicht hinfällig werden. Man mtisste sich dann eben so
entscheiden, dass der verheiratete dichter in diesen beiden liedem und
währen^ der abfassung des sechsten buches des Parzival einer fremden
dame gehuldigt hätte. Da aber die danie, in deren dienst er hier st^ht,
wie oben nachgewiesen, die zweite geliebte ist, so würde man dann zu
der absurden folgerung geführt, dass Wolfram trotz seiner neigung zu der
zweiten geliebten irgend einer ungeliebten dame seine band gereicht und
nun als vermählter im dienst der zweiten geliebten verharrt hätte.
') Im achten buche (401, 1 if.) huldigt der dichter bei der erwähnung
der schönen Antikonie einer markgräfin, diu dicke vonme Heitstein über
nl die marke schein . . . Neben Heitstein (Lachmann) findet sich in der
G-klasse der handschriften auch aitsteine und beitsieifi, daneben hat je eine
handschrift beider klassen die form hertstein. Wenn sich der bündige be-
weis erbringen Hesse, dass der dichter sich der letzteren form bedient habe,
so könnte dies zugleich hinsichtlich des achten liedes zu einem wichtigen
resultat führen. Dort spielt nämlich der dichter in z. 9 und 10, wie schon
von anderer seite bemerkt ist, mit seinem namen Wolfram] eine ähnliche
Spielerei mit dem namen der geliebten würden wir bei der obigen Voraus-
setzung in der dritten (unserer schluss-) Strophe annehmen dürfen, wo es
heisst : got müez ir Ji^ze enoeichen und ein vlins von donresträlen möht ich
2aUen malen hän erbeten, daz im der herte entwicJie ein teil. Ich wollte
die gelegenheit nicht unbenutzt lassen, die ])eobachtung hier kurz mitzu-
teilen: vor der band erscheint mir ihre unterläge nicht stark genug, dass
ich weitere Schlüsse daraus ziehen möchte.
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zu WOT^FBAMS LIEDEBN. 105
Die vier tagelieder (I, II, V, VII) und nach ihnen IV,
sämmtlich dem ersten liebesverhältnis entsprungen; dann folgen
die verloren gegangenen scheltlieder; producte der zweiten
liebe sind HI und später die beiden lieder VI und Vm, deren
reihenfolge sich aber ebensowenig sicher wie die der vier
tagelieder bestimmen lässt. Danach hätte also der lyriker
Wolfram sich anfangs in der mit starker Sinnlichkeit getränkten
lyrisch-epischen tagelieddichtung versucht und wäre später
(mit der absage an das tagelied, III, VI und VIII) zu den von
jeder Sinnlichkeit sich freihaltenden gedichten übergegangen.
Der entwicklungsgang von Wolframs liebesieben, soweit dieser
aus seinen liedern erkennbar ist, wäre danach kurz der fol-
gende: zunächst die liebesabenteuer der tagelieder mit einer
adligen dame, hierauf der wünsch des dichters nach Vermäh-
lung (IV), kurz vor ihr bruch des Verhältnisses durch die un-
treue der geliebten, nicht allzu lange darauf beginn einer
aussichtsvollen liebe zu einer dame desselben kreises (III),
lang andauernde erfolglosigkeit des neuen Verhältnisses (VI
und VIII).
Am schluss des sechsten buches des Parzival ist der
dichter noch un vermählt, wahrscheinlich noch im anfang des
elften buches:
bi mir ich selten Rchonwe,
daz mir &beuts oder fnio
solch ftventiure sliche zuo (554, 4—6).
3. Die einlage zwischen dem zweiten und dritten
buche des Parzival.
Schon mehrmals ist oben auf die enge Verbindung hin-
gewiesen, die zwischen Wolframs lyrischem dichten und dieser
einlage besteht. Unter dem titel 'Wolframs Selbstverteidigung'
hat Stosch (Zs. fda. 27, 313 ff.), ohne übrigens von dem im jähre
zuvor erschienenen aufsatz Domanigs notiz zu nehmen, eine
längere abhandlung veröffentlicht, die, wenn die darin auf-
gestellten behauptungen billigung verdienten, meine behaup-
tungen in betreff der entstehung der wolframischen lieder
wenigstens zu einem grossen teile in frage stellen, zugleich
auch eine nach meinem urteil vollständig verkehrte auffassung
des dritten liedes zur folge haben würde. Aus diesem gründe
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106 kOck
kann ich nicht umhin, zu dem genannten autsatz Stellung zu
nehmen.
Stosch versucht nachzuweisen, dass der abschnitt P. 114, 5
— 116, 4 nicht, wie Lachmami,0 vorrede s. ix und Haupt, Zs. fda.
11,49*) meinten, zu einer zeit gedichtet sei, wo der tadel der
trauen im anfang des dritten buches anstoss erregt hätte, son-
dern dass den anlass zu der Selbstverteidigung die von dem
dichter gegen eine dame gerichteten und ihn bei der übrigen
damenweit discreditierenden scheltlieder gegeben hätten; von
einer tendenz daneben auf das dritte buch könne keine rede
sein (s. 314). Nachdem dann Stosch den Inhalt der Selbstver-
teidigung eingehend erläutert hat (s. 315— 23), gelangt er zu
dem resultat, dass der abbrach eines liebesverhältnisses, den
wir im fünften und sechsten buche des Parzival schrittweise
sich vollziehen sähen, zur zeit der abfassung des Zwischen-
stückes bereits vollendete tatsache geworden sei und die ent-
stehungszeit der einlage somit ungefähr mit derjenigen der
letzten partien von Parzival VI zusammenfalle. Am ende des
sechsten buches sei also Wolframs minnedienst zu ende, und
aus diesem gründe dürften auch die Schlussworte dieses buches
nicht mehr wie bisher als huldigung für eine dame aufgefasst
werden, sondern dieselben enthielten wahrscheinlich eine Wid-
mung an den — landgrafen von Thüringen (s. 332).
Sehen wir zunächst, zu welcher paradoxen behauptung
in betreff des dritten liedes Stosch durch seine hypothesen
gedrängt wird. Die letzte Strophe lautet dort:
Seht waz ein storch den saßten schade:
noch minre schaden h&nt min din wip.
ir haz ich nngern üf mich lade,
diu nu den schuldehaften lip
gegen mir treit, daz l&ze ich sin:
ich wil nu pflegen der zUhte min.
Diese Strophe zeigt, dass das lied während des Zerwürfnisses
des dichters mit der damenweit und bald nach dem brach des
Verhältnisses entstanden ist. Nehmen wir die beiden ersten
») Seiner ansieht schloss sich übrigens auch Simrock an (Parz. u. Tit.
1,510).
*) Diws es sich um sclieltlieder handele, sah auch Haupt bereits, er hielt
daneben aber die von Lachmann behauptete beziehung auf den anfang des
dritten buches aufrecht.
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zu WOLFRAMS LIEDERN. 107
Strophen, in denen er einer neuen geliebten huldigt, hinzu, so
ergibt sich mit evidenz, dass Wolfram bald nach der lösung
des ersten Verhältnisses ein neues begonnen hat.
Auch Stosch bezieht die dritte Strophe richtig, wie Haupt,
T. d. Hagen und Domanig, auf den abbruch der liebschaft. Da
dieser nun nach ihm ungefähr gleichzeitig mit der abschliessung
von P. VI vor sich gegangen ist, so setzt er folgerichtig auch
die dritte Strophe für diese zeit an. Mit den beiden ersten
Strophen aber kommt er ins gedränge: seine h}T)othese näm-
lich, dass der schluss des sechsten buches eine Widmung an
den landgrafen enthalte, hat ihre hauptstütze an der annähme,
dass im laufe dieses buches der minnedienst des dichters zu
ende gehe. Nun aber zeigt das dritte lied in der überlieferten
form die recht unbequeme tajtsache, dass der getäuschte dichter
alsbald in neuer liebe entbrannt ist und an das tragische ende
des früheren minnedienstes nach kurzer zeit den hoffnungs-
freudigen anfang einer zweiten minne geknüpft hat! Was tut
nun Stosch in dieser Verlegenheit? Anstatt die drei ein ab-
gerundetes, durchaus unanstössiges ganze bildenden Strophen
als ein solches hinzunehmen und aus den beiden ersten Stro-
phen die bald nach dem bruch geschehende anknüpfung eines
neuen Verhältnisses und aus der dritten einen zu gleicher zeit
auf das gelöste geworfenen rückblick herauszulesen, zerschlägt
er das lied in zwei zeitlich auseinander liegende teile, von
denen er den ersten (str. 1 und 2) noch beim bestehen des
(zweiten) liebes Verhältnisses, hingegen den zweiten (str. 3)
nach seiner lösung entstanden sein lässt. Zur rechtfertigung
der Mandgrafen-hypothese' muss also Wolfram im laufe des
sechsten buches den minnedienst aufgeben, und zur beseitigung
einer dieser letzteren annähme entgegenstehenden tatsache
muss das dritte lied sich eine zerschneidung gefallen lassen.
Uebrigens leuchtet mir auch die annähme, dass im sechsten
buche sich schrittweise der bruch eines Verhältnisses vollziehe,
nicht ein. Ich vermag aus den — bereits oben angeführten
— stallen nur das herauszulesen, dass der dichter seinen klagen
über die erfolglosigkeit seiner minne ausdruck verleiht. Ueber-
haupt glaube ich schon im zweiten teile der abhandlung (s. 102)
zur evidenz gebracht zu haben, dass die geliebte, mit der
Wolfram nach dem ausweis der Parzivaleinlage gebrochen
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108 KÜCK
hat, eine andere ist als diejenige auf die sich seine klagen
im sechsten buche beziehen. Schon hieraus ergibt sich, dass
die einlage nicht erst gleichzeitig mit dem sechsten buche des
Parzival entstanden istJ) Es liegt folglich auch gar kein
grund vor, an der bisherigen ansieht, dass der dichter am
Schlüsse des sechsten buches einer geliebten dame gedenkt, zu
zweifeln und eine Widmung an den landgrafen anzunehmen,
ganz abgesehen davon, dass die worte
ich t»tz iu gerne fürbaz kunt,
wolt ez gebieten mir ein mnnt,
den doch ander füeze tragen!
dan die mir ze Stegreif wagent,
nach meinem dafürhalten ohne jeden zweifei den fehdelustigen
reiter und ritter im gegensatz zu der zarten, vorzugsweise in
haus und Wirtschaft waltenden dame schildern sollen. Eine
beziehung auf den landgrafen Hermann liesse sich aus diesen
Versen wol nur in einem falle herauslesen, wenn er nämlich
— das zipperlein gehabt hätte.
Auf Stoschs hypothese in betreff des dritten liedes noch
näher einzugehen, ist nach dem gesagten unnötig. Nur dar-
über wünschte man eine nähere erklärung, ob nach seiner
ansieht Wolfram die letzte Strophe als einen zusatz zu str. 1
und 2 oder als selbständige einheit verfasst hat. Im ersteren
falle wäre ein ganzes zu stände gekommen, in dessen erstem
teile der dichter eine geliebte anfleht, mit der er im zweiten
gebrochen hat, im zw^eit^n hätte Wolfram ein einstrophiges
lied verfasst, das — sonderbar genug — mit einem seiner an-
dern gedichte zu einer passenden einheit zusammengeschweisst
wäre.
Nach meiner ansieht steht die Selbstverteidigung des dich-
tei-s nicht nur an ihrer richtigen stelle, sondern es ist auch
die von Stosch gegen Haupt aufgestellte behauptung, dass
jene nicht zugleich auf die durch Wolframs scheltlieder her-
vorgerufene Verstimmung der damenweit und auf den anfang
») Auch P. 137, 29 (im dritten buch):
wser mir aller wibe haz bereit,
mich müet doch froun Jeschüt^n leit,
lä88t sich, wie auch bereits geschehen, dafür verwerten, dass die apologe-
tische partie an ihrer richtigen stelle steht.
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zu WOLFRAMS LIEDERN. 109
des dritten buches sich beziehen könne, zurückzuweisen. Ich
denke mir den Vorgang folgendermassen: Wolfram ist mit der
geliebten durch deren schuld zerfallen. Sein zom kennt keine
grenzen und versteigt sich in einer unberechtigten, aber bei
dem heissblütigen Wolfram psychologisch leicht erklärlichen
Verallgemeinerung zu angriffen auf die frauenweit überhaupt.
Das muss in den scheltliedem geschehen sein, denn die worte
(oo7, 1 0): jj^ ^eJ2 j^jj^ swelch siiinec wip,
ob si h&t getriweu l!p,
diu diz msere geschriben siht,
daz si mir mit wärheit gibt,
ich künde wiben sprechen baz
denne als ich sanc') gein einer maz,
beweisen, dass Wolfram in denselben liedern, in denen er gein
einer sanc maz, auch die frauen im allgemeinen angriff. Es
werden ähnliche angriffe gewesen sein, wie der in den ein-
leitungsworten des dritten buches, doch noch schärfer und
allgemeiner gehalten:
ez machet trüric mir den lip,
daz also mangiu heizet wip.
ir stimme sint geliche hei:
gennoge sint gein yalsche snel,
etsliche valsches Isere (!): ...
daz die geliche sint genamt,
des hat min herze sich geschämt,
wipheit, din ordenllcher site,
dem vert und fnor ie triwe mite.
Durch diese angriffe kommt er in den ruf eines weiberhassers
und mag unter der hierdurch hervorgerufenen misstimmung
des ihm bekannten damenkreises nicht wenig gelitten haben.
Allmählich kehrt der von der leidenschaft fortgerissene dichter
zu ruhiger besonnenheit zurück und singt in der einlage seine
palinodie. Er gibt die erklärung ab, dass er hinfort gegen
die frauen im ganzen nichts einzuwenden habe, und nur die
eine hasse und hassen werde (114, 5 — 15). Er erklärt zugleich,
wer die schuld an seinen ausfällen gegen das weibliche ge-
*) Sollte diese stelle nicht auch dafür sprechen, dass der bruch nnd
die Schmählieder, folglich auch die einlage, bereits einer weit früheren zeit
angehören, nicht erst, wie Stosch will, der zeit wo der schluss des sechsten
buches entstanden ist?
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110 KÜCK
schlecht trage, nämlich einzig die ungetreue: ^sie hat mich so
schmählich behandelt, dass ich mir in meinem hasse gegen sie
keinen rat weiss. Darum [sc. weil ich mich durch diesen hass
zu falschen Verallgemeinerungen habe hinreissen lassen] hassen
mich die andern (v. 16 — 19).' Und er setzt hinzu: owe warumbe
tuont si daz? d. h. 'ein anlass, mich zu hassen, liegt nach meinen
nunmehrigen erklärungen nicht mehr vor'. 'Doch mag mich
der — für die zukunft unverdiente — hass der trauen noch
so sehr schmerzen, der adel ihrer Weiblichkeit ist — auch
von meiner seite — unantastbar; ich erkläre dies, weil ich in
der letzten zeit anders und zwar falsch gesprochen und hier-
durch an mir selbst schändlich gehandelt habe; das wird nicht
wider vorkommen (21 — 25).' ») Wenn somit Wolfram der frauen-
schaft als ganzem gegenüber klein beigibt, so hält er docli
mit seiner ansieht nicht zurück, dass er unter den einzelnen
damen sehr wol einen unterschied zu machen ^isse.
Ich glaube, diese ausführungen zeigen schon zur genüge,
dass an Haupts auffassung der einlage nicht gerüttelt werden
darf und das dritte lied, das ungefähr gleichzeitig mit der
Parzivalpartie entstanden und mit ihr der angelpunkt für alle
Untersuchungen über Wolframs liebesieben ist, durch Stosch
eine vollständig falsche und zugleich wegen der Wichtigkeit
des liedes doppelt energisch zurückzuweisende beurteilung er-
fahren hat.
lieber die andern lieder äussert sich Stosch (s. 321 und
s. 329 anm.) nur so weit, dass VI und VIII 1—3 (auch er hält
nur die ersten drei Strophen für wolframisch) möglicherweise
mit ni 1. 2 einem und demselben — später abgebrochenen —
Verhältnis entsprungen seien (er vergleicht liebejs ende 7, 32
und 9, 13); über die tagelieder spricht er überhaupt nicht.
^) Einen ganz ähnlichen gedankengang schlägt die dritte strophe des
dritten liedes ein: 'ich — der bekehrte dichter — schade den frauen so
wenig wie ein storch den saaten. Ihr hass schmerzt mich — und ist hin-
fort ungerecht, denn mag sich auch die eine gegen mich Tergangeu haben,
ich will fortan mich eines höfischen benehmens befleissigen, nicht mehr die
zuht durch ungalantes betragen gegen die damenweit schlechthin ver-
letzen' (vgl. in der einlage an einer späteren stelle: sin lop hinket ame
spat, swer allen frouwen sprichet niat durch sm eines frouwen).
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zu WOLFRAMS LIEDERN. 111
4. Einzelne bemerkungen.
Den scliluss des ersten liedes (4, 3—7) halte ich für ver-
dorben:
(1) swelh schiltser entwnrfe daz
geBelleclIche
als si 14gn, des wsere onch dem gennoc.
(2) ir beider liebe doch vil sorgen truoc.
(8) si phl&gen minne an allen haz.
Mag die Schreibweise Wolframs noch so lapidarisch gewesen
sein, es ist ganz undenkbar, dass an den zweiten gedanken,
der einen gegensatz zum ersten enthält, der dritte, widerum
dem zweiten entgegengesetzte gedanke ohne jede dieses logi-
sche Verhältnis andeutende Verbindung angeschlossen wäre.
Da der dritte gedanke auf den ersten wider zurücklenkt, so
sind die beiden schlussgedanken offenbar so angeordnet ge-
wesen, dass der zweite gegenüber dem dritten etwas zurück-
trat. Ich betrachte ir als einen eindringling aus 4, 2 {ir munde,
ir brüste) und setze dafür swie ein (swie doch = obgleich):
8 wie beider liebe doch vil sorgen tnioc,
si phlägen minne an allen haz.
Zur Stellung des doch vgl. Pauls Mhd. gramm. § 352, 7 und das
dort angeführte beispiel: er was so wol bescheiden, swie er
doch woßre ein heiden.
Mehrfach ist schon die frage erörtert, ob das im anfang
des zweiten liedes (4,8.9) sich findende kühne bild des an-
brechenden tages:
sine kläwen
dnrh die wölken sint geslagen
Wolframs dichterisches eigentum oder anderswoher — etwa
aus der mittelalterlichen hymnenpoesie — entlehnt sei. Zu
irgend welchem ergebnis ist man meines Wissens nicht gelangt,
wie auch der vom dichter gebrauchte bildliche ausdruck noch
keine hinreichende erklärung gefunden hat. Wo steckt das
tertium comparationis? Nahe liegt der vergleich mit der
QoöoödxTvXog i^cig des ionischen Sängers, und hierbei mag der
hinweis auf die bemerkung von Ameis zu Odyssee 2, 1 gestattet
sein, dass die bezeichnung Qo6oÖdxxvJLO(i ('rosenfingerig') her-
zuleiten sei von den fünf blassroten, pei-pendiculär am horizonte
aufeteigenden lichtstreifen, die in Kleinasien und Griechenland
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112 KÜCK
vor dem aufgange der sonne wahrzunehmen seien. Sollte es
nicht denkbar sein, dass unserm nordischen dichter die beob-
achtung einer ähnlichen naturerscheinung und zwar grauei*,
in form einer klaue sich ausbreitender lichtstrahlen das bild
eines mit seinen gi-auen klauen das dunkle gewölk zerreissen-
den raub Vogels vor die seele gezaubert hätte?*)
Eine andere frage ist die nach der Originalität des Ver-
gleichs. In der bibel findet sich nur eine stelle, die sich viel-
leicht vergleichen liesse, Psalm 139 [138], 9. 10: si sumpsero
pennas meas düuculo et habitavero in extremis maris, etenim
illuc manus tua deducet me et tenebit me dextera tua. Hier
liegt das bild der flügelgleich ausgespannten morgenröte zu
gründe, aber haben die mittelalterlichen dichter es benutzt
und weitergegeben? Meines Wissens nicht. Und warum sollte
nicht auch die phantasie des dichters hier selbsttätig haben
arbeiten können? Ihm, dem mit der natur und ihren geschöpfen
so innig vertrauten ritter und Jäger, der an einer andern
stelle (im dritten liede) den blick des falken und den der
eule im gleichnis verwendet, konnte auch unser vergleich
nicht allzu fern liegen. Und haben mr nicht auch bei Goethe,
dem man Wolfram in der auffassung der natur so gerne con-
genial sein lässt, mehrfache personiflcierungen gerade des an-
brechenden tages? Man vgl z. b. den anfang der 'zueignung'
und die worte Clärchens, die sie im fünften act beim anbruch
des tages spricht: *ja, er wird grauen, der tag! vergebens alle
nebel um sich ziehen und wider willen grauen.'
Die erste Strophe des vierten liedes. Die ansieht
Lucaes, dass der heMen minne ir klage eine Umschreibung des
Wächters enthalte (De nonn. loc. Wolfram, p. 1 — 14) hat bereits
Paul, ßeitr. 1, 202 f. verworfen, der mit Lachmann diese worte
*) Roethe weist in der receiision der dissertation De Gruyters über das
tagelied (Anz. fda. 34) darauf hin, dass in der tagelieddichtung, wenigstens
ihren früheren erzeugnissen, von den dichtem bei der Schilderung des an-
brechenden tages scharf unterschieden werde zwischen der roten und der
ihr Yoraufgehenden grauen färbung des himmels. Dass an unserer steUe
der dichter von der letzteren ausgeht, zeigen deutlich die folgenden worte
ich sih in gräicen Beiläufig mag hier die bemerkung platz finden,
dass ähnlich die griechischen dichter von der QoöoöaxzvXoq i^wg die xqo-
geonenXog, d. h. die safrangewandige, unterscheiden (lat. aurora lutea).
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2Ü WOLB^RAMS Lt£D£RK. 113
als object zu du sunge und den vers dcusf süre nach dem sueaen
als nähere erklärung zu der helden minne ir klage fasst. Eine
parallelstelle zu dieser auffassung bietet auch 4, 18 — 20:
wahtser, dn singest
daz mir manege frende nimt
nnde m^ret mine klage.
Mit unrecht aber entfernt sich Paul in anderer hinsieht
von Lachmann. Er fasst nämlich, indem er nach z. 39 einen
punkt und nach z. 36 ein komma setzt, die ersten sechs verse
zu einem satze zusammen: 'du sagst immer worte, über die
die heimliche liebe klagen musste (der helden minne ir klage
du sunge ie), das bittere nach dem süssen, so dass sie sich
scheiden mussten, welche minne und weiblichen gruss auf
solche wehe (d.h. verholne) empfiengen.' Diese zurückbeziehung
des alsö^) ist schon wegen der entfemung nicht leicht und
misfällt besonders deshalb, weil aus der helden minne (der
heimlichen liebe) bloss der begriff des heimlichen zur ergän-
zung herausgenommen wird: wie gefällig dagegen schliesst
an das also (alse) sich das folgende an: daa si sich muosen
scheidend) Ich behalte daher Lachmanns anordnung bei, und
zwar nehme ich den satz swer minne (37) . . . sine (42) als
eine art anakoluth. Wolfram wollte ungefähr sagen: *wer
liebe und weiblichen gruss nur um den preis des scheidens
empfieng, wie wenig hat der gewonnen!' Nach dem Vorder-
satze aber ergreift ihn sein gefühl so mächtig, dass er den
ursprünglich beabsichtigten nachsatz unterdrückt und die
eigentlich sich erst aus ihm ergebende Weisung an den Wächter
unmittelbar an den Vordersatz anschliesst. Zur Verdeutlichung
dieses logischen Verhältnisses der sätze wird man nach z. 39
am besten einen gedankenstrich setzen. — In der zweiten
Strophe kehrt dann Wolfram zu dem ausgelassenen gedanken
zurück, beleuchtet ihn aber nunmehr von der entgegengesetzten
Seite (^e glücklich ist der zu preisen, der eheliche liebe ge-
*) Zu schreiben ist übrigens aUe enpfienc (überliefert also)^ entspre-
chend den Worten der nächsten Strophe dannen streben. Paul vermutet so
enpfienc.
*) Vgl. auch 4,34 er gab sich miner tritce also, daz ih in brcehte
otich wider dan.
Beitrftge zar gesohichte der deatsohen spräche. XXII. 8
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114 KlJCk, Zü WOtiFRAMS LtEDSRK.
niesst'). Eine Streitfrage knüpft sich ferner noch an den
schluss der ersten Strophe:
swaz du d6 riete in beiden,
dd üf gienc
der morgensterne, wahtser, swlc, d& von
niht gerne sine.
Paul (a. a. o.) sieht gerne, weil es in B fehlt, in C nach sing
steht, als Schreiberzusatz an und ersetzt es durch mere. Doch
wenn auch für Walther B in textlicher hinsieht über C steht,
so gilt dies nicht ohne weiteres auch für Wolfram. Vielmehr
zeigt eine vergleichung der lesarten für III — V, dass beide
Überlieferungen gleichwertig sind. Daher haben wir, da nach
dem ausweis der zweiten Strophe an unserer stelle sowol B
wie C verdorben ist, das gerne von C dankbar anzunehmen,
selbst um den preis der Umstellung. Sehen wir doch auch
den grund, weshalb der Schreiber sing gerne schrieb: er wollte
reimbindung mit morgensteme herstellen, weil der reim gienc :
sine durch verderbung des ersten wertes zu gie zerstört war.
8, 33. 34 Ir ougen naz dd wurden baz: och twanc in klage:
er muose [dan] von ir.
Dan, das in beiden handschriften fehlt, ist von Lachmann er-
gänzt. Sollte wegen der parallelstellen er muoz et hinne (4,28)
und er muos et dannen (6,40) nicht die lesart er muose doch
von ir vorzuziehen sein?
ROSTOCK. EDUARD KÜCK.
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DIE HEIMAT DER ALTNORDISCHEN LIEDER
VON DEN WELSUNGEN UND DEN
NIBELUNGEN.
I.
In der zweiten reihe meiner Studien über die entstehung
der nordischen götter- und heldensagen habe ich die ansieht
begründet, dass die Helgilieder der älteren Edda von nor-
wegischen dichtem, zum teil unter benutzung dänischer lieder,
in Brittannien verfasst worden sind. Daselbst habe ich
ferner die ansieht angedeutet, dass die Norweger auch die
sage von Sigfrid und den Nibelungen zuerst in Brittannien
kennen lernten und dass die meisten Volsungenlieder der
älteren Edda dort von norwegischen dichtem verfasst wor-
den sind.
Im folgenden werde ich untersuchen, inwieweit die Vol-
sungenlieder der älteren Edda») sprachlich und in betreff
der poetischen ausdrücke den einfluss angelsächsischer dich-
tung verraten oder wenigstens darauf hinweisen, dass die
norwegischen Verfasser derselben in England, Schottland oder
Irland gelebt haben. Später hoffe ich die sagen dieser lieder
behandeln zu können.
Siguröarkviöa in skamma.
Nachdem die einleitenden Strophen dieses gedichts von
dem ersten besuch Sigurds bei Giuki und dann von der hoch-
zeit Gunnars und von der Sigurds in kurzen und raschen
Zügen erzählt haben, wird der mord Sigurds ausführlich moti-
viert. Dies geschieht durch monologe und gespräche; Bryn-
hild, Gunnar und Hogni sind die auftretenden personen. In
^) Die citate beziehen sich auf meine ausgäbe, Christiania 1867.
8*
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116 BÜOOE!
wenigen kräftigen Strophen folgt dann eine zusammengedrängte
darstellung des mordes. Nach einer rede des sterbenden Si-
gurd >) hören wir das Jammergeschrei Gudruns bei seiner leiche
und einen gewaltigen ausbruch der leidenschaft Brynhilds.
Der ganze übrige teil des gedichte (str. 31— 70) enthält nur
wenige erzählende Strophen. Die scenen, welche hier unmittel-
bar nach dem morde vorgeführt werden, finden darin ihren
abschluss, dass Brynhild, um die sich alles hier gruppiert^
durch eigene band stirbt, um mit Sigurd auf den Scheiter-
haufen gelegt zu werden. Die Situationen und die Charaktere
werden hier fast ausschliesslich durch reden, namentlich durch
die ausführlichen äusserungen Brynhilds beleuchtet. Sie sucht
ihre handlungsweise durch einen rückblick auf ihr frühere.s
Schicksal zu erklären. Dann prophezeit sie ihren nächsten,
welches Schicksal sie erwarte. Endlich bestimmt sie, wie Sigurd
und sie selbst auf den Scheiterhaufen gelegt und verbrannt
werden sollen.
Auf das Verhältnis dieses gedichts zu andern Eddaliedern
und auf die Unterscheidung älterer und jüngerer Strophen gehe
ich hier nicht ein.
In Übereinstimmung mit Gudbrand Vigfusson habe ich
bereits früher nachgewiesen, dass die Siguröarkviöa mehi-ere
Wörter und ausdrücke enthält, welche aus dem angelsächsi-
schen entlehnt sind.
So Mlkr ^becher' Sig. 29 aus ags. cdlic (auch coelc). Das
wort Mlhr findet sich in vielen Eddaliedern (Skim., Lok., Hym.,
Rigs}?., Atlakv.), auch in der prosa bei sagengeschichtlicher
erzählung in der Ynglinga saga und in der Gull)?6ris saga.
Allein es lässt sich nicht nachweisen, dass das wort in der
alltäglichen spräche in Norwegen gebräuchlich gewesen.
vala mengt Sig. 66, 4 * viele knechte', aus ags. wealh pl.
wealas 'knecht', eig. ein mann von brittannischer herkunft.
So findet sich das wort valir nicht in der alten isländischen
oder norwegischen prosa angewendet. Auch mengi n. scheint
aus dem ags. (men^eot) entlehnt; s. 'Helge-digtene' s. 35.
*) Sigurd sagt tröstend Sig. 25: 'weine nicht, Gudrun, so bitterlich!
per braör JUifa: dich schonen deine brttder'. Statt Ufa muss man Mifa
lesen.
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HEIMAT DER ALTN. WEL8ÜNGEN- U. NI6.-LIEDER. 117
li eine art schmuck Sig. 49 und Lok. 20. Korm. str. 77,
aus ags. sigle *halsschmuck'. In Sig. 49 in der Verbindung
hrofit sigli Dies particip kommt im anorw. sonst nicht un-
zusammengesetzt vor, findet sich aber im ags. hroden *omatus,
deauratus' wider.
Das nicht seltene an. gulJ/roÖinn ist = ags. goldhroden,
nicht von rjööa 'röten'.
Der anorw. ausdruck drekJca ok dcema Sig. 2 (auch RigsJ?.
und Herv. saga) ist, wie das mengl. }ay dronken & dalten &
detned (Sir Gawayne 1668), eine umdeutung des ags. drincan
mid drenian (dryfnan), s. meine 'Studien' 1, s. 5. 542.
Finnur Jönsson meint (Lit. bist. 1, 63 anm.), dass diese
Wörter für die heimat derjenigen lieder, in welchen dieselben
vorkommen, gar nichts beweisen. Die Wörter können nach
ihm aus England nach Norwegen gekommen und dort in der
spräche eingebürgert sein.
Allein drekka ok dcmui und wahi-scheinlich hroöit sigli
sind poetische ausdrücke imd müssen daher aus englischen
gedichten herübergenommen sein.
Im folgenden werde ich nachweisen, dass der einfluss der
angelsächsischen dichtung auf die ausdrücke der Siguröarkviöa
so umfassend und tief ist, dass das gedieht in England ent-
standen sein muss.
Der dichter schildert die eifersucht Brynhilds. Sie sitzt
abends einsam draussen. Str. 6:
nam hon *8va bert'
um at mselask.
Der t6xt muss entstellt sein, denn die allit^ration fehlt ; allein
man hat eine evidente besserung nicht gefunden. Ich lese jetzt:
nam svä äbert
nm at maelask.
Die entstellung entstand dadurch, dass der Schreiber das wort
dbert nicht kannte und dass ein a unmittelbar vorausgieng.
Ein ags. adjectiv dehoßre, *(Bbere ^manifestus' kommt in den
aasdrücken se ceherapeof, debcere nmnsla^an in den gesetzen vor.
Bei Lajamon 1, 96 findet sich noch ])u ehure (var. ebare) sot
Dies ags. wort cebere hat der norwegische dichter nach meiner
Vermutung als dbert aufgenommen, indem er ags. cfe durch d
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118 BUGOE
widergab, weil an. d regelrecht dem ags. d entspricht (an.
rdda = ags. rdedan, an. Svdfa = ags. Swckfa u. s. w.).
Brynhild offenbart ihre bösen gedanken in Worten.
Sig. 8:
er )?an Gudrun
ganga & beö
ok hana SigurOr
Bveipr i ripti,
konuBgr inn hünski
kvan ^fria' sina.
Früher (Norr. fornkv. 420») habe ich die Vermutung aus-
gesprochen, dass ein zeilenpaar (eine langzeile), das den an-
fang einer neuen strophe gebildet habe, vor konungr fehle.
Dies hat bei Sv. Grundtvig, Hildebrand, Müllenhoff beifall ge-
funden, scheint mir aber jetzt unnötig. Finnur Jönsson erklärt
konungr inn hönski
kvan fria sina
für unecht. Die annähme solcher Interpolationen erklärt mei-
stens nur wenig, wenn man nicht zugleich erklärt, warum, in
welchem sinne, wo oder wann die angeblichen Interpolationen
zugedichtet worden seien.
Halbstrophen die aus 5 (6) zeilenpaaren bestehen, finden
sich oft in der Siguröarkviöa (4. 8. 11. 13. 14. 37. 39. 44. 45. 56.
58. 60. 65) und in anderen Eddaliedern. An einigen der ge-
nannten stellen macht es die bedenklichkeit des ausdrucks
wahrscheinlich, dass eine spätere intei-polation die erweiterung
der halbstrophe verschuldet habe. Allein Sievers (Altgerm,
metrik § 42, 3 und anm. 1) hat gewis recht, wenn er behauptet,
dass halbstrophen, welche aus 5 oder 6 langzeilen bestehen, ur-
sprünglich sein können.
In kvdn fria sina ist fria ein unpassender ausdruck, wenn
man das wort als Infinitiv versteht. Ich vei-stehe es jetzt
vielmehr als acc. sg. fem. vom adj. /WV, und dieselbe auf-
fassung habe ich, nachdem dies geschrieben war, bei Lüning
gefunden. Dies fria ist hier aus angelsächsischem einfluss zu
erklären. Vgl. . . . and his wif somed, freo fcegroste Genesis
4561, freolic wif freoUcu folccwen (fcemne, m€owle)\ mengl.
that lady freo, pat fre quene, that leuedi fre. Das adjectiv
gieng von der bedeutung 'frei' in die von 'hochgeboren, edel'
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HEIMAT DER ALTN. WELSUNGBr- ü. NIB.-LIEDER. 119
ttber. Der poetischen darstellung wegen vgl. Faerösk antho-
logi HO. 18. V. 90: Hergeiri liggur % sonffini og favnar friöa frü.
Vigfiijsson hat in Sig. 8 frida tär fria eingesetzt; allein
das metrnm zeigt, dass fr0a nicht das richtige ist.
Sig. 9, 1. 2. Brynhild sagt:
VQn geng ek Ti]ja
'yers oc beggia'.
Diese wunderliche Wortstellung erklärt Müllenhoff (D.alt 5,375)
daraus, dass der dichter ein stümper sei Finnnr Jönsson hat
in seiner ausgäbe ok vers beggja eingesetzt. Allein hiergegen
spricht Guör. 1, 23:
Vqü 8^ 8Ü vsettr
Yen ok bama,
und F. J. hat selbst in Litt. bist. 1, 290 die änderung auf-
gegeben. Vigfusson hat bama statt beggia in Sig. 9 eingesetzt.
Ich wage eine andere unsichere Vermutung zu nennen. Hat
die verszeile in einer ags. verszeile
weres and b^ja
ihr Vorbild gehabt? Dies be^a war nach meiner Voraussetzung
als bea^a gen. pl. von becks 'ring' gemeint. Vgl. begas Genesis
1876; 6^ Beow. 3164; b^h Beda 5, 21. Andere beispiele bei
Sweet, Old. engl, texts s. 615. Allein ags. be^a konnte auch gen.
pl. zu be^en 'beide' sein. Darf man es dem norwegischen ver-
fa^er der Siguröarkviöa zutrauen, dass er das bega der ihm
bekannten ags. verszeile so verstand und daher durch beggja
widergab? Richtig hätte der dichter bei dieser Voraussetzung
sagen sollen: Yqü geng ek yi^a,
vers ok banga.
Dass dies dem zusammenhange nach trefflich passen würde,
erhellt aus den Worten Brynhilds v. 38:
l^k m^r meir i mnn
meiOmar )^ggja,
banga ran5a
bnrar Sigmnndar.
Sigurd besass ja den schätz Fafnirs.
Sig. 12, 5 — ^8 liest F. Jönsson gewis richtig so:
byeim verOr hQl5a
hqnd l^ttari
sSBan til sitta,
at sonr lifit.
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120 BUGGE
*Wenn der söhn (eines getöteten) nicht mehr da ist, wird es
leichter andere verwante zu versöhnen?' Die handschrift hat
hefnd statt h^d und lifi statt lifit, das Sv. Grundtvig zuerst
gefunden hat.
Für ai 'dadurch dass', 'wenn' mit conjunctiv vgl. atpann
hjdlm hafi Fafn. 19, at petta tregröfum talit vosri Guör. hv.21,
at i hrynju fcerir Akv. 16, at kann ßgr ^mgi Am. 63.
Ein ausdruck der dem JiQnd lettari til .,, völlig entspricht,
findet sich in ags. dichtung (Widsiö 71 f.):
se hsefde moncyimes mlne gefrseje
lichteste hond lofes to wyrcenne.
Sig. 13: 'Beipr' varö Gunnarr
ok hnipnaöi.
Hier fehlt die alliteration, und reiär ist dem sinne nach un-
passend. Man hat dafür u.a. hrceddr oder hryggr vermutet
reiffr ist hier doch wol nicht unrichtige Übersetzung des ags.
hreow 'moestus'? Ags. hreow kann auch 'iracundus' bedeuten.
Dies wäre an sicli neben hnipnaSi nicht unpassend; vgl. äd
wearp Cain suide hrcedlice irre and hnipode Gregor. Pastor,
ed. Sweet 235, 6.
Sig. 14: pat var eigi
'arar' titt,
at fra 'konnng dorn'
kvanir gengi.
Gegen das metrum hat man drar in avar (afar) geändert. Dies
hat eine weitere änderung hervorgerufen: hönom afar titt (F.
Jonsson) oder afar titt hdnum (Gering). Nichts darf hier ge-
ändert werden.
Ich verstehe jetzt drar als lehnwoit aus dem ags. ceror
'früher'; vgl. an. dr, das s. v.a. ags. <3§r bedeutet und an. sidar.
Für den vocal der ersten silbe vgl. dbert aus cebere. Neben
drar kann titt * gewöhnlich' bedeuten und braucht nicht als
* angenehm' verstanden zu werden.
Statt lionungdom hat mir rector Jon porkelsson die
besserung konungom mitgeteilt. Dasselbe wort hat Vig-
fusson eingesetzt. Also: * es war früher nicht gewöhnlich, dass
könige von ihren gemahlinnen verlassen wurden', konungar
ist hier neben kvdnir gestellt wie ags. oynin$as and cwene
Kätsel 508.
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HEIMAT DER ALTN. WELSÜNGEN- U. NIB.-UEDER. 121
Sig. 18 heisst es in den worten Hognis:
ef fimm sonn
fcBOam lengi,
attomgööa
(Bxla knsettim.
Der nominativ fimm (in der handschrift ver v,) wird durch das
vorhergehende meöan g6rir v6r
fölki raOnm
ok sa inn hunski
herbaldr lifir
erläutert. Jene fünf männer sind Gunnar, Hogni, Guthorm,
Sigurd und entweder Giuki oder ein vierter söhn Giukis.
Mehrere forscher haben gesehen, dass lengi 'lange' hier
unpassend ist. Dies wort müsste voraussetzen, dass sowol
Guthorm als Hogni und Gunnar zu der zeit w^o Hogni dies
spricht, je wenigstens einen söhn hätten. Allein dies ist der
sage unbekannt. Auch mit rücksicht auf den alten Giuki,
wenn er mitgezählt ist, ist 'lange' hier, wie MüUenhoff be-
merkt, sonderbar. Allein man hat die Schwierigkeit nicht
überzeugend gelöst.»)
Ich vergleiche Beowulf 2730 — 2733, wo der sterbende Beo-
WUlf sagt: Nu ic suna minum syllan wolde
SnÖ-jewsedu, pser me jifeöe swä
senij yrfeweard sefter wurde
lice jelenje,
yrfeweo/rd lice ^elen^e 'erbewart zu dem leibe gehörig' be-
zeichnet 'leibeserbe'. Sowol in der Siguröarkviöa als im Beo^
wulf finden wir einen bedingungssatz, und dieser satz bezieht
sich an beiden stellen auf die möglichkeit, dass ein leibeserbe
einem fürsten vergönnt werde,
Ags. len^e findet sich in derselben bedeutung wie seiende.
Ich vermute daher, dass der dichter in der Sig. das ags. adj.
lenge oder gelenge nachgeahmt hat und dass
ef fimm sonu
foeöum 1 eng ja
gemeint war: 'söhne die zu uns gehören', d. h. leibeserben;
0 Vigfosson setzt unga statt lengi ein. MlUlenhoff (D. alt. 5, 377 f.)
und Banisch (Arkivö, 170) erklären lengi aus der Ungeschicklichkeit eines
interpolierenden poeten. Gering im Glossare versteht lengi als 'in zukunft';
allein diese bedeutung hat das wort nicht.
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122 BUOQE
Söhne, die unser fleisch und blut sind. Das adjectiv hebt den
Zusammenhang (die leibliche beziehung) zwischen vätem und
söhnen stärker hervor.
Es war natürlich, dass ein Isl&nder dies let^gia vor dUam
nicht verstand und daher statt dessen lengi vor dttom einsetzte.
Sig. 22: hynbirt tarn, hyn- in verstärkender bedeutnng
'mire' ist in der alten spräche nicht nachgewiesen, auch nicht
hirta = skyggja (statt Myrbirtr bei Vigf. hat Fritzner nach
Fiat, hl^ljartr). Daher vermutet dr. Falk, dass kynbirt ein
ags. \ynehirht widergebe; vgl. cyneröf. Ich hatte an dasselbe
gedacht.
Sig. 24. Gudrun erwachte freudenlos,
er hon ^fre^s vinar'
flaut 1 dreyra.
In den Hämo. 7 wird dieselbe Situation in den folgenden nahe
verwanten ausdrücken dargestellt: boekr pinar . . . flutu
i vers dreyra. Wie für Sigurd hier vers *des gatten' gesagt
ist, erwartet man, dass Sigurd in Sig. 24 nicht als *der freund
Freys', sondern in seinem Verhältnisse zu Gudrun bezeichnet
sein sollte. Ags. tmne bezeichnet oft den geliebten eheherm.
Nach meiner Vermutung hat ein ags. gedieht, das hier
das Vorbild des norwegischen dichters gewesen ist, den Sigurd
(Sefert) durch freawines *ihres geliebten eheherrn' bezeichnet.
Ags. freawine ist aus dem Beowulf bekannt. Anorw. freyr
war wesentlich dasselbe wort wie ags. freu. Der norwegische
dichter gab daher freamnes durch Freys vinar wider.»)
Sig. 36. Die zeilen
pB. er m^r jöAongri
eiga eeldi
ok mer jööougri
'ara' tal5i
hat Finnur Jönsson mit recht als die zweite hälfte einer
atrophe bezeichnet, dei-en erste hälfte verloren ist.
Mit unrecht hat man dagegen ara in aura geändert, denn
dies gibt eine unnatürliche Wortstellung.
Die verlorene Strophenhälfte lässt sich nicht mit sicher-
0 Nach Munch (Norske folks hist. 1, 1, 59) und Noreen (UppealaBtudier
223) entspricht Ingunar-Freyr Lok. 43 dem ags. fria Ingwina. Anden Axel
Kock.
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HEIMAT DER ALTN. WELSUK6EN- U. NIB.-LIEINCR. 128
heit herstellen. Durch die folgende restitution will ich den
sinn anschaulich machen. Nach der Strophe (39)
Peim h^tuink pa
)>]öOkonimgar
folgte, wie ich vermute:
[Vartat sa, Gonnarr!
er Grana reiO,
p6 hefr br68iir mins
bauga pegna]
pÄ er m4r jö^jungri
eiga seldi
ok m^r j6dnngri
dra talM.
dra verstehe ich als eine nachahmung des ags. ^eara 'vor
Zeiten'. Mit meiner restitution vgl. VqIs. s. cap. 29, wo Bryn-
hild zu Gunnar sagt: hvat geröir J>u af hring Peim er ek selda
per, er Buäli konungr gaf mer at efsta skilnaÖi (s. 150) und
zu Sigurd: eigi reid Gunnarr eldinn til vdr (s. 152).
Sig. 41: 'At )>eygi' skal
pimngeö kona
annarrar ver
aldri leiöa.
In diesem unabhängigen satze ist At peygi sinnlos.») Ich
habe früher At gestrichen oder statt At ein Oc vermutet; F.
Jönsson schreibt At pvige. Das ursprüngliche war, wie ich
jetzt vermute, Ac peygi: ac =-- ags. ac *aber, allein'. Im ags.
findet sich die Verbindung ac hwcedere. Es war natürlich, dass
ein isländischer abschreiber, der Ac nicht verstand, dies später
in At änderte, denn c und t sind in isl. handschriften oft
einander so ähnlich, dass man sie leicht verwechseln kann.
Sig. 47: aOr sik miölaöi
msekis eggjnm
*sich durchbohrte'. An. midla hat sonst eine weit verschiedene
anwendung: 'mitteilen, vermitteln'. Ags. gemidlian bedeutet
'in der mitte teilen, dimidiare'. Daher ist die anwendung von
midla siJc Sig. 47 wol (wie dies auch dr. Falk vermutet hat)
aus angelsächsischem einfluss zu erklären. '
») Was Hildebrand zu dieser stelle bemerkt, ist mir unyerständlich.
/Google
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124 BUGGE
Sig. 52 sagt Brynhild zu den mägden, welche mit ihr nicht
sterben wollen:
P6 man a beiniim
brenna yOmm
ffleri eyrir,
}>a er er fram komiO
'n^it menio god'
min at vitja.
Die fünfte zeile ist bisher nicht genügend erklärt worden.
Hildebrand (ergänzungsband zur Zs. fdph. 132 f. und in seiner
ausg.) liest nevit (was nirgends vorkommt) statt neit, versteht
göf als subst. n. pl. und übersetzt 'noch die schätze der Menja'
(d. h. gold). Aehnlich meint Müllenhoff (D. alt. 5, 283), dass
n^t sich zu eyvit wie ags. ndwiht zu dwiht verhalte, was laut-
lich bedenklich ist.
Ich lese nach der handschrift neitt Mmju god und fasse
dies als mit fceri eyrir coordiniert. god ist hier subst. sg. neutr.,
und diese anwendung ist aus dem einfluss des ags. god n. 'gutes,
gut (subst.), das gute, das man einem erzeigt' zu erklären. Das
vorkommen des neitt 'kein' in einem unabhängigen satze, wo
keine negation vorausgeht, deutet auf den einfluss des ags. ndn
hin. Ich deute neitt Menju god so: 'keine gute gäbe der Menja',
'kein segen der Menja', d. h. kein gold.
Jedoch hat, wie ich vermute, neitt Menju god einen älteren
einfacheren ausdruck ersetzt, worin statt Menju eine form des
subst. n. mew (ags. fmne\ gen. pl. menja, genannt war. Etwa
ags. ndn mene ^öd.
Sig. 57 ist wol so zu lesen:
MargB dk minnask,
hve viö mik foni
«keyti skoeöa
Hkatna mengi.
Diese zwei letzten zeilen finden sich in der handschrift sinnlos
nach 56,2. Durch meine Umstellung erhält man zwei regel-
mässige Strophen.*)
Brynhild war als walküre skeyti sk<ed skatna mengi 'durch
geschosse vielen beiden schadenbringend':
^) Ebenso sind wol nach cala mengt 66, 4 mit Umstellung die folgenden
Zeilen zu lesen: peira'r sultu
meö SigurÖi.
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HEIMAT DER ALTN. WELSUKOEN- ü. NIB.-LIEDER. 125
sin scöz mit snellen degenen lunbe minne den schaft
Nib. 325 L.
Sigfrid sagt Nib. 352 L.:
ja h&t diu küneginne so vreisllche sit,
swer umb ir minne wirbet, daz ez im hdhe stät.
An. slcaii ist ein anderes wort als ags. sceaöa, allein die
anwendung des sceaSa in ags. gedichten wirkt, wie es scheint,
anf die des an. skati ein. Man schrieb Helgi Uaddingia scapi
und H. H.-scati Mit skatna mengt (auch Akv.31 in einer späten
zeile und Fomald. ss. 2, 319) vgl. ags. sceaSena preatum Beow. 4.
In Sig. 60: pvit honum Guörun
*grymir' a beö
snQrpum eggjum
af sarum hng
findet sich ein sonst nicht bekanntes verbum grymir, Ist dies
vielleicht eine umdeutung des ags. ^ehrineö 'berührt, greift an',
das hier dem sinne nach trefflich passen würde? Vgl. me sdr
^ehrdn GAöl. 1000; ic purh hest hrino hildepilum (instrum.) ld&
sewinnum Rätsel 16, 28.
Bei der widergabe und umdeutung fremder namen wird
inlautendes n im anorw. oft in m geändert.^) Die form grymir
ist wol, wenn die combination richtig ist, ohne beachtung des
anorw, hrina, von ags. ^eryman, anorw. ryma beeinflusst; vgL
ryma (aufbrechen) ßalir i gölfi, jgrdin rymdi sik ok opnaöi.
Ob gehrineff in einem entsprechenden ags. verse mit hhn
alliteration gebildet hat, lasse ich unentschieden.
Sig. 64: Hana munu bita
Bikka rafi,
}Mat jQrmnnrekkr
6j7arft lifir.
Vigfusson hat gesehen, dass lifir hier unpassend ist; allein seine
änderung ist willkürlich.
Ich möchte ein ags. vorbild voraussetzen. Dies hatte, wie
ich vermute, den ausdruck Ufeä = ^elifed (selyfe^, sdiefeö);
d. L vertraut (glaubt) dem Bikki. Dies wort wurde wegen
*) Kölgrimr für Colgrinus bei Galfridus; Heimgestr aus Hetigest;
Sighjälmr aus Sichelmus. Namsbargar Strengl. s. 24 aus franz. des Nauns
(Nantes); Zetnon = Zenon Heil. s. 5. Vgl. lychamis Cockayne, Leechdoms
1, 50 = Xvx^iq; schwed. Hymelandh = HüncUand piör. 5. Siehe Arkiv
5, 35 anm.
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126 BUOGE
des lautlichen anklanges an lifad (lyfaö, liofad) zu dem hier
dem sinne nach unpassenden anorw. lifir 4ebt'.
Aehnliche entstellungen kommen bei der traditionellen
Wanderung volkstümlicher dichtungen häufig vor. So z. b. IsL
fomkvaeöi no. 38 A 14 hcegt hün hlö ^nicht hdtt h. h.) nach
dem dänischen höght (höjt) hun lo. Isl. fomkv. no. 44 A:
drla myrgins, klerkrinn saung, allein in dänischen liedem:
aarle om morgen, lerk^n sang. Aehnlich in Sprichwörtern,
z. b. morgenstund hat gold im mund, dagegen nisl. morgunstund
her gull i mund (d. h. in der hand). In allen diesen fällen hat
man bei der Übertragung in eine fremde spräche den ungefähren
laut des einzelnen wortes festgehalten, aber den sinn desselben
vollständig geändert.
Sig. 65: Uttu sTä breiöa
borg i velli . . .
66: Tjaldi par um pd borg
tJQldum ok skJQldnm.
VqIs. s. gibt dies borg durch hol wider. Ebenso wird das wort
von Ülfr Uggason angewendet: borg sonar Odins (Snorra Edda
1,264). Dasselbe wird von Ülfr in einer anderen Strophe so
ausgedrückt: k^tr sd er goÖ hlöffu at m^g fallinn hrafnfreist-
aöar (Sn. Edda 1, 240).
Dr. Falk vermutet, dass borg in dieser anwendung eine
umdeutung des ags. beor^ ^grabhügeF sei; vgl. z.b. Beow.3096 f.:
b«Rd p»t x6 jeworhton . . .
in bffilstede beorh )>one h4an.
Dies lässt sich mehrfach stützen. Statt (twder ane) berh^e
La^amon 2, 89 hat der jüngere text borewe, statt (vnder) beer-
ten 2, 451 boreice. In nordischen namen w^echselt -bjorg (dän.
bif^gh) mit -borg (dän. ftwiv^A); s. *Helge-Digtene' s. 127.
Sig. 68. Brynhild bestimmt:
Liggi okkar enn i miUi
milmr hringrariOr.
egghvast earn
'8Ta endr lagiÖ\
|>a er Tit b«rti
beft einn stignm.
Finnui* J6n$$on hat gesehen, dass z. 1—2 aus
Liggi okkar
euii i müli
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HBIMAT DER ALTK. WSLSUNO£N- U. NIB.-LtEDEK. 127
erweitert sind; dasselbe hatte ich unabhängig von ihm ge-
funden.
svd endr lagiö u. s. w. ist: 'das ebenso damals gelegt war,
als wir — '. Finnur Jönsson setzt sem statt sva ein. *So wie'
ist hier einfacher, allein dabei erwartet man ein verbum flnitum.
Ich vermute, dass ein ags. Vorbild in einer entsprechenden
verszeile swd hatte, was im ags. 'sowie' bedeuten kann. Die
ags. verszeile mochte etwa so gelautet haben: swd hit ceror
iflp^; vgl. swd hit (kror wces Beow. 3069. Das svd wurde in
dem anorw. gedichte beibehalten, obgleich svd im anorw. 'so',
nicht 'so wie' bedeutete.
Sig. 69, wo Brynhild von der ankunft Sigurds in die heimat
der toten spricht, heisst es:
Hiyi^a honam pa.
ä hsel peygi
'hlYN blic haUar*
hringi litknö.
Die herausgeber schreiben hlunnblik hallar. Die V^lsunga saga
gibt die stelle so wider: ok eigi felh honum pd hurö d hcela.
MunnbUk kann nicht die tür bezeichnen, denn hlunnr ist ein
stock, der als unterläge dient, wenn man etwas (besonders ein
schiff) zieht, und blik ist 'glänz, das blinken', hlunnblik ist
überhaupt sinnlos. Nach meiner Vermutung ist das Ursprung-
^^^^^' hlyn blikhallar
'die tür (eig. 'das türgitter') der glänzenden halle'.
Der cod. reg. der Saem. Edda hat öfter t? für y; siehe meine
ausgäbe s. x f., die phototyp. ausg. s. xxxi. Auch ältere hand-
schriften haben v für y, z. b. Reykjaholts mäldagi U fvlgia
U.S.W. (ausg. 8.23 a). Cod. reg. hat öfter j^ für w; siehe meine
ausgäbe s. xii, die phototyp. ausg. s. xxv. Ich vermute, dass der
Schreiber des cod. reg. nach seinem originale Uvn für hlyn,
ohne es verstanden zu haben, geschrieben habe, hlyn scheint
mir aus ags. *AZynte = *hleonu, *hUnu entlehnt.
Im ags. gedichte Walfisch im Exeterbuche v. 78 bezeichnet
helle hlinduru die tür der höUe, durch die niemand der hinein-
gekommen ist, wider entschlüpfen kann. Andreas 995 wird
hlinduru von der tür des gefängnisses angewendet. Ebenso
bezeichnet Minroeced in Andreas und Juliana ein gefängnis,
Minseua in denselben gedichten 'tenebrae carceris'. Dem sinne
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128 , BUGGE
nach passt es hierzu trefflich, dass hlyn in der Siguröarkviöa
die tür der halle der totenweit bezeichnet, welche, wenn je-
mand eingetreten ist, zuschlägt.
Das geschlecht des hlin- ^ kann ich aus dem angelsächsi-
schen nicht belegen. Nach ahd. hlina (hlinun cancelli), mhd.
Une vermute ich ags. *hlinu fem. Der norwegische dichter
hat hlyn als neutr. pl. angewendet, wol weil die sinnverwanten
an. Wörter hliff und M- neutra waren.^) Wegen des y von
hlyn vgl. ags. hlyniende = hleonigende, hlynigen praes. conj.
3. ps. pl.
blikhgll *die glänzende halle' bezeichnet die halle der toten.
Mit diesem ausdrucke vergleiche man einerseits bUkjanda bgl,
den namen des bettvorhanges (Sn. Edda 1, 106) oder der tür
(Sn. Edda 2, 494) der Hei, andrerseits Breidailik, die wohnung
Baldrs.
Der tür Qilyn) ist das epitheton hringi litkuÖ *mit einem
schönen ringe geschmückt' gegeben. Der ring wird hier her-
vorgehoben, weil davon die rede ist, dass die tür klirrend zu-
schlägt. Türringe werden in der tiorrönen literatur nicht
selten erwähnt, siehe Fritzner ^ unter hringr, huröarhringr.
Mehrere solche sind aus alter zeit im norden noch jetzt be-
wahrt, und türringe sind ja noch jetzt gebräuchlich. Auch
der ausdruck hringi litJcuä ist aus ags. einfluss zu erklären.
Denn litka bedeutet im anorw. sonst nur 'färben' (neunorw.
dial. likka, siehe Aasen und Ross), z. b, moldu litkaör (befleckt),
litkadr = rauäleitr. Dagegen wird ^ewlite^ad in ags. dichtung
in der bedeutung 'geschmückt' mit einem instrumentalen dative
verbunden: wuldre gewlite^ad.^)
') Grein und Bosworth-ToUer schreiben hlin,
*) Aisl, stafröf neutr. ist aus ags. sicefrätv fem. entlehnt.
«) Finnur Jönsson ändert hrifigi in hringa und erklärt hHnga litkop
*der Schwerter röter' als appos. zu hönom (z. 1). Dies scheint mir aus
folgenden gründen nicht richtig: 1) hringr bedeutet nur in den kunst-
gedichten derskalden, nicht in den Eddaliedern * seh wert'. 2) liikubr wird
so sonst nicht angewendet , lituör nur in den kunstgedichten der skalden.
3) Die pluralform hringa ist unpassend, da Sigurd nach der sage nur mit
dem einen Schwerte Gram kämpft. 4) Die apposition neben honum ist
wenig passend. 5) hringi ^ die handschriftliche form, gibt einen richtigen
ausdruck. Auch die erklärung Geringe : hringa litkud ^ röter der panzerringe'
ist nach dein Torhergeheuden gewis abzuweisen.
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HEIMAT DER ALTN. WELSUNGEN- ü. NIB.-LIEDER. 129
Von den im vorhergehenden gegebenen deutungen mögen
manche zweifelhaft sein. Allein jedenfalls glaube ich eine
sehr umfassende einwirkung der angelsächsischen dichter-
sprache auf die Siguröarkviöa nachgewiesen zu haben. Diese
beweist, dass der norwegische Verfasser lange in einer land-
schaft gelebt hat, wo englische gedichte neben nordischen
bekannt waren. Es wird sogar wahrscheinlich, dass die Si-
guröarkviöa zum teil die umdichtung eines angelsächsischen
gedichtes von dem berühmten Volsungr oder (wie dieser name
in ags. form gelautet hat) Wmlsins •) ist. Dies wird durch die
ausführlichkeit welche wir in der Schilderung des gemüts-
zustandes der personen und in den repliken Brynhilds finden,
gestützt. Brynhild hält wie Beowulf lange reden, nachdem
sie tätlich verwundet ist. Wie Beowulf spricht Brynhild vor
ihrem tode eine bitte aus, welche sich auf das verbrennen
der leiche bezieht. Brynhild wie Beowulf bittet, dass man
den Scheiterhaufen mit Schilden schmücke. In beiden gedichten
wird angegeben, welchen platz die hauptperson (hier Brynhild,
dort Beowulf) auf dem Scheiterhaufen erhält. Bei dem tode
Brynhilds wie bei dem Beowulfs wird sowol ein rückblick
als eine aussieht in die zukunft gegeben. In beiden gedichten
sucht die sterbende person sich zu rechtfertigen.
Die von mir in der Siguröarkviöa angenommene Sprach-
mischung ist darum weniger auffallend, weil wir wissen, dass
die nordischen und die englischen demente sich auch in der
englischen spräche sehr intensiv gemischt haben; man denke
z. b. an die inschrift aus Aldborough, Holderness, Yorkshii-e:
Ulf het arceran cyrice for hanum and for Gunware saula.
Siehe Kluge in Pauls Grundr. 1, 785—92.
In der Siguröarkviöa finden wir zugleich mehrere andere
Übereinstimmungen mit ags. gedichten in betreff des poetischen
ausdruckes. Von diesen betreffen manche poetische formein, die
dem uralten gesammtgermanischen vorrate an poetischen for-
mein angehört haben können, bei denen es, namentlich weil
die gotischen gedichte ims unbekannt sind, niclit entschieden
') Wenn Sigurd in Sig. 1,3, 13 als VgUungr bezeichnet wird, erkläre
ich dies aus der anwendung des ags. Wcelsins (vgl. Beow. 877). Was
Finnor Jonsson (Litt. bist. 1, 290 anm.) hiergegen anführt, ist nicht be-
weisend.
Beiixilge xar ge«chichte der deutschen spräche. XXII. 9
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130 BÜGGE
werden kann, bei welchem germanischen stamme sie zuerst
ausgebildet worden sind; z. b. nü er pgrf mikil Sig. 44 (vgl.
Häv. 148), ags. htm wa's pearf micel, as. thes is iharf mikil
(Sievers, Heliand s.394); af grimmum hug Sig. 9 und sonst, as.
grim hugi (Sievers s. 398), vgl. ags. hy^e^rim; varat kann i
augu ydr um Uhr ne d engt Mut at dlitum Sig. 39, vgl. as.
uuesan an is dädion gilic, an is ansiunion (Sievers s. 415);
ufidir svella Sig. 71 (von der sterbenden Brynhild), vgl. ags.
sio wund on^on swelan and swellan Beow. 2713 (von dem
sterbenden Beowulf); hveim JigMa Sig. 12, ags. hasleda gehwcem
Metra 7, 13; firrask 6r fiandgar^t Sig. 26, vgl. ags. me feondum
dfyrr Psalm 68, 14; hgll i brynju Sig. 37, vgl. ags. bealde byrn-
tvi^^ende Jud. 17; moskis eggjum Sig., ags. 7neces ecsmn, as.
mäkeas eggiun; lifs arvcena Sig., ags. aldres (feores) orwena.
Man kann bei mehreren in Sig. vorkommenden ausdrücken
auch einen einfluss der dichtung westgermanischer auf dem
festlande wohnender stamme auf die spräche der nordischen
skalden für- möglich halten. Allein da ich in der Siguröar-
kviöa einen starken einfluss der spräche der englischen dich-
tung nachgewiesen habe, liegt es auch bei den im folgenden
genannten ausdrücken ebenso nahe oder meistens näher hieran
zu denken.
ödaltorfa Sig. 62, auch bei pjoöölfr Arnörsson, Sn. Edda
1,454; vgl. ags. poet. edelturf (Corp. poet. bor. I, lxi). — e^-fi"
vQrdr Sig. 63, Guör. hv. 14, Atlakv. 12, bei Starkaör Fas. 3, 26,
auch in Noregs konunga tal {arfvgrör Sigvatr Öl. s. h. Heims-
kr. 13 und Haukr in Isl. dr. 11), nie in der spräche der gesetze;
vgl. ags. erfeweard, yrfeweard (as. erbiward). — seggr inn
suörwni Sig. 4 und Atlakv. 2; ags. süderne sec^ Kätsel63»
(Corp. poet. bor. 1, 557). — heita at rünum Sig. 14, Guör. hv. 12,
entstellt hvetja at riinum Sig. 44, vgl. ags. het J>d ^efcti^an . . .
tö rüne Jul. 60 — 62. Elene 1161 f. — grimmar urdir Sig. 5
(sonst nur VrÖr sing.), vgl. ags. t^rdde uyrde.
mJQtudr Sig. 71 (in verschiedenen Verbindungen auch in
anderen gedichten), vgl. ags. meotud (as. metod) (Corp. poet.
bor. 1, 558). — nmömar f. pl. Sig. 2. 15. 38. 46, auch in prym.,
Rigsp., Akv., Am. (nie in der prosa) 'kleinode'; vgl. ags. mdömas
m, pl. *kleinode', wie as. meämos (got. maipms ^geschenk').
Vgl. besonders meiäma fjglö Sig. 2, Am. 95 {fjolÖ . . . meiöma
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HEIMAT DER ALTN. WELSUNQEN- U. NIB.-LIfiDEB. 131
pryni. 23) mit ags. mdöfna fela Beow. 36 (im Heliand meömo
filu); an. meiöniar piggja Sig. 38, ags. mdömas pic^ean.
Ob der gen. pl. haukstalda Sig. 31, Og. 6, auch bei pj6ö-
61fr Arnörsson, Sn. Edda 1, 462 (in dem verse Sn. E. 2, 469 un-
richtig s. Y. a. konunga) eine umdeutung des ags. ha^usteaM,
Jue^esteald, hce^steald ist, kann zweifelhaft sein, da ein urnord.
name HagustaldaB vorkommt und da in neunorweg. mund-
arten hogstall, haugstall *witwer' bedeutet. Allein vinr hauk-
stalda Og. 6 scheint durch ags. hw^stealdra wyn Genesis 1862
(von Pharao) beeinflusst zu sein, obgleich an. vinr 'freund'
ein anderes wort als ags. wyn *wonne' ist. Ob die in Sig.
und in mehreren anderen gedichten vorkommende anwendung
von svelta für * sterben' ererbt (vgl. got. swiltan) oder aus
ags. einfluss zu erklären ist, lasse ich unentschieden.
edhim gööir Sig. 70, vgl. ags. ceffelum ^6d Beow. 1870. —
seldusk eida Sig. 1; ungum gram eiÖa seldak Helr. 6; mer licßr
SigurÖr selda eida, eida selda Brot 2. Dieser ausdruck findet
sich weder in den gesetzen noch in den sagas. Vgl. dagegen
ags. sealdon . . . hdlige ddas Metra 1, 24 f.; auch in der spräche
der ags. gesetze: heora celc sylle J>one ad, P(et u.s.w. — niceki
nidlfän Sig. 4, auch Skirn. 23, 25; vgl. ags. sweord fyrmcelum
fd^ Andr. 1136.
Die angeführten ausdrücke beweisen jedenfalls, dass eine
Übertragung aus der ags. spräche an vielen stellen des gedichts
sehr leicht war.
Schliesslich mache ich darauf aufmerksam, dass ein zug
in der Sig. kv. mit dem schottischen Volksglauben überein-
stimmt. Als Brynhild das Jammergeschrei Gudruns bei der
leiche Sigurds hört, lacht sie laut auf. Gunnar sagt dann
(Sig. 31): *dein gelächter bedeutet nichts gutes. Warum wech-
selst du die färbe? Nicht fern ist dein tod : du bist feig\^)
1) MüUenhoff (D. alt. 5, 380) versteht nicht den ausdruck ä gölfi, denn
er meint, derselbe sei hier ohne alle berticksichtigung der Situation ge-
braucht. Brynhild, die zu bette liegt (til hvilo Sig. 30), wird als eine Wöch-
nerin bezeichnet. Von Wöchnerinnen wird liggja ä golfi gesagt, s. Fritzner.
Brynhild hat die ungeheuer, mit welchen sie schwanger war, geboren
(fetkna foeÖir).
Aehnlich heisst es von der Medea Ovid. Heroid. 12, 208: ingentis par-
turii ira minas,
9*
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132 BUGGE
Vergleiche hiermit den schottischen glauben "that men
become violently hilarious, fey, just before a violent death'
(Revue celt. 4, 180).
Siguröarkviöa kann nach ihrem von mir nachgewiesenen
Verhältnisse zu der angelsächsischen spräche und dichtung
nicht, wie dies Finnur Jönsson (Litt. bist. 1,68 ff.) meint, in
Grönland verfasst sein.
Er begründet seine meinung durch den hin weis auf Sig. 8:
Opt gengr innan
ilLz nm fyUd
isa ok JQkla
aptan hvern,
wo er isa ok jgkla als accusative auffasst.
Ich will die richtigkeit dieser auffassung vorläufig voraus-
setzen. Allein daraus folgt gar nicht, dass das gedieht in
Grönland verfasst sei. Der dichter könnte ja Brynhild ihren
einsamen gang über eisbelegte strecken im winter wandern
lassen. Sowol angelsächsische als altnorwegische dichter ver-
binden ja die Vorstellung von kummer. und pein mit kälte.
Vgl. z. b. h(efde htm tö ^esiöde \ sor^e and lon^aÖ, \ winter-
cealde wrcece D6or 3 ff. Das vfovijghla würde dann am ehesten
von eisbelegten strecken zu verstehen sein. Vgl. z.b. nor\^^
Aldi, jukleföre bei Aasen, joklelaupen bei ßoss; ags. land wderon
freori^ cealdum cylegicehmi Andr. 1261 f.
Dass der dichter grönländische Umgebungen wenigst-ens
nicht consequent durchführte, ersieht man aus Sig. 29:
gulln viö
gsess i tüni.
Da innan neben gengr steht,*) erwartet man bei gengr
keinen accusativ, der die strecke, worüber Brynhild geht, be-
zeichne. Die metaphorische anwendung von isa okjgkla (gen.)
habe ich durch kaldnfjadr, kell mik i hgfuÖ, ^iöni sorgir ge-
stützt. Ich habe dabei Merl. 1, 51: k^ld hrimi hvers konar hJQrtu
lyda hervorgehoben, weil der ausdruck hier mehr specialisiert
{hvers konar) ist. x\uch mehrere gelehrte, denen das islän-
dische muttersprache war, haben isa ok jgkla als genetiv mit
fplld verbunden. Björn Olsen erklärt jgkla hier als mit klaka
\) Ich verbinde tmmn mit gengry nicht mit fi/Ud.
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HEIMAT DER ALTN. WEL8UNGEN- ü. NIB.-LIEDER. 133
synonym; vgl. hierüber jgkulV) bei Fritzner. Finnui' Jonsson
verwirft fylld isa ok jghla, weil dies unästhetisch, mehr als
geschmacklos wäre. Was sagt er denn von Ovid. Met. 7, 33:
tum femim et scopnlos gestare in corde fatebor?
Die eifei-süchtige Brynhild ist fylld isa ok jgkla, nachdem Si-
gurd der gatte eines anderen weibes geworden ist. Es verdient
beachtung, dass es von der eifersüchtigen Medea, welche schau-
dert, als sie die Verbindung lasons mit einem anderen weibe
ahnt, Heroid. 12, 142 heisst: in toio pectore frigus erat Ich
werde hierauf vielleicht zurückkommen.
Wie die in Sig. (und in Atlam.) vorkommende bezeichnung
des Sigurd als hünskr, inn hünski für die grönländische heimat
des gedieht« (wie Finnur Jonsson meint) sprechen sollte, ist
mir unverständlich. Es ist meine absieht, diesen ausdruck bei
der behandlung der sage zu besprechen.
[Nachträge. Zu s. 117. Ags. cebere. Dies adjectiv, da«
•manifestus' bedeutet, findet sich nicht nur an den angeführten
stallen, sondern auch sonst in den ags. gesetzen: cebere morö
Onut 2, 64, debcere hörctvenan Edw. u. Gudhr. 11. Noch im Or-
mulum 7189 (Holt 1,249): all pe^^re cebcere unpannkess.
Wie ich mit Mätzner u. a. vermute, ist ags. cebere mit
ahd. äjriri 'apricus\ mhd. wber, oberd. aber 'von schnee frei,
blossgelegt' zusammenzustellen. Ahd. äpiri ist eine nebenform
zu *äi)ar, oberd. aber.
Im ahd. *äpar, *äbar vermute ich das privative praefix ä-
und das adj. bar. In äpiri aus *äbari (vgl. fagiri = fagari)
ist das wort als nicht zusammengesetzt behandelt. Im fränk.
äfer ist das f wie v in amfränk. leren, belire u.8.w. (Braune,
Ahd. gr.) zu erklären.
Dass ahd. "^äbar mit bar zusammengesetzt ist, wii'd in
betreff der bedeutung durch mhd. ein aber tnan *ein armer
von geld und gut entblösster mann' gestützt.
Die Zusammensetzung ahd. *ä'bar ist, worauf mich dr. Falk
aufmerksam macht, mit nnorw. dial. avberr ganz analog. Dies
bedeutet s. v. a. oberd. aber 'blossgelegt' (wo der schnee aufgetaut
«) Die stelle ist in Timaiit 15, 115 f. (von Björn Olsen), 1«, 35—37 (von
Finnnr Jonsson), 16, 82 f. (von B. Ö.) discutiert worden.
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134 BUGGE, HEIMAT DER ALTN. WEL8UNGEN- U. NIB.-LIEDER.
ist). Das nord. af- entspricht dem sinne nach dem adeutsch. a-\
vgl. dän. afnmgt aus mnd. amacht.
Lye hat bereits ags. (khere mit ags. dbarian ^denudare,
detegere, prodere' zusammengestellt. Das praefix ags. ce- bei
nominibus entspricht dem bei verben angewendeten d-. Die
in der jüngeren handschrift des Lajamon vorkommende mengl.
form ebare spricht dafür, dass das wort mit har, ags. beer zu-
sammengesetzt ist. Ags. cehere entspricht dem sinne nach
wesentlich dem anorw. berr, ostnord. har\ siehe z. b. aschwed.
in den gesetzen bar oi atahin *auf frischer tat ertappt'.
Zu s. 125. Ein anorw. verbum gry^nm, das mit 8Lgs,^ery^man
identisch und mit an. ryma synonym ist, findet sich, wie es
scheint, in einem verse des Einarr Skälaglam Snorra Edda 1,246,
wo berys grymi-ld drerga eine kenning für 'dichtung' ist. Drei
hss. haben grymi. Die versuchten Änderungen sind gewis nicht
richtig. Ich deute den ausdruck so: 'die welle der zwerge.
welche den berg öffnet' (d. h. welche veranlasst, dass man den
berg durchbohrt, so dass Ööinn die Gunnl^ö im berge besucht).
gryma verhält sich zu rynia wie anorw. grdda zu dän. rede.]
CHRISTIANIA, october 1896. SOPHUS BUGGE
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zu HEINRICH VON MÜGELN.
III.
Heinrich von Mügeln, Heinrich von Neustadt
und Alanus de Insulis.
Was aus Heinrichs von Mügeln werken über seine lebens-
schicksale und seine person geschlossen werden kann, das ist,
wie im 21. bd. dieser Beiträge gezeigt wurde, nur sehr wenig.
Sein name, seine heimat, die höfe zu denen er während seines
lebens in beziehung trat, das ist alles: was über seine person
und lebensstellung behauptet worden war, hat sich als un-
haltbar erwiesen (a. a. o. s. 2400). Auch keiner seiner Zeit-
genossen hat uns von ihm berichtet. Wol lebt sein name in
Verbindung mit seinen meisterliedern fort, aber halb sagenhaft
wie der Frauenlobs. Mit diesem zusammen nennt ihn die
tradition der meistersinger unter ihren ersten zwölf meistern.
Dass ihm dabei der titel eines doctors der theologie^) zugelegt
wurde, darauf darf man natürlich kein gewicht legen. Die
einseitige Würdigung Heinrichs als eines meistersingers hat
bis auf unsere tage reichlich nachf olger gefunden. Zu diesen 3)
gehört offenbar auch Wolkan (Geschichte der deutschen
literatur in Böhmen bis zum ausgang des 16. jh.'s), der an den
0 ich ha))e dem in den Beiträgen 21 au8^efi\hrten nachzutragen, dass
Lambel bereits 1877 in seiner einleitung zu Volmars Steinbnch s. xxxi
zweifei an der riehtigkeit von Schröers ansieht über H.'s Stellung am hofe
Karls IV. und über die entstehung der Cröttinger hs. geäussert hat.
*) Puschmann, Hall, neudr. 73 s. 4 : Und mal nemlich der ersten Meister
in dieser Kunst an d-er zal zicölffe (feicesen, deren Namen ich zu mehrem
Unterricht hiebet/ verzeichnen will . . . JJoctor Frauetüobj Doctor Mügeling,
bei/le Doctores Tfieologiae.
8) Auch Scherer (s. 252) und Vilmar (s. 385) kennen H. mir als meister-
singer.
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136 HELM
weiligen bei Lambel (s. 126 ff.) abgedruckten Strophen genügen-
des material zu besitzen glaubt, um über H.'s bedeutung sein
endgiltiges urteil abzugeben, das dahin geht, man. werde nach
diesen proben wohl kein bedürfnis nach weiteren Veröffent-
lichungen haben.
H.'s bedeutung berulit aber zum geringsten teil auf seinen
allerdin^ selir zahlreichen meist^rliedern und fabeln, sondern
darauf, dass er einer der hauptrepräsentanten der im 14. jh.
so beliebten didaktisch - mystischen dichtung ist. Am besten
Iwiri man ihn als einen polyhistor bezeichnen, denn geschichte,
/ astronomie, chemie, geistliche sjonbolik und allegorie sind ihm
in gleichem masse vertraut. Doppelt bedauerlich ist deshalb
die Unkenntnis, in der wir uns in beziehung auf sein leben
befinden. Ob er selbst dem gelehrtenstande angehörte, ob er,
wie Martin (Mitteilungen des Vereins für gesch. der Deutschen
in Böhmen bd. 16) vermutet, mit seinen dichtungen in irgend-
welcher beziehung zu der Prager hochschule stand und ob
liinter Puschmanns notiz, dass er doctor der theologie gewesen
sei, doch etwas wahres versteckt ist? Der gedanke hat viel
bestechendes: leider besteht jedoch, wenn uns nicht irgend ein
neuer inhaltsreicher fund zu hilfe kommt, keine aussieht, in
dieser fi-age weiteres zu erfahren. Mit dem material das uns
bis jetzt zu geböte steht, sind wir am ende unserer Weisheit.
Als Heinrichs hauptwerk kennzeichnet sich schon rein
äusserlich durch seinen umfang Der meide cranz, nicht minder
aber durch seinen inhalt, der am cliai-akteristisehsten für die
besprochene mystisch -theosopliische richtung ist. Schon Ger-
vinus ') machte, allerdings ohne genügende beachtung zu finden,
die bemerkung, dass dieses werk an Heinrichs v. Neusta^lt
gediclit Von gotes zuokunft (mit dem Apollonius desselben
Verfassers im auszug hg. von Strobl, Wien 1875) erinnere. Im
folgenden soll gezeigt w^erden, dass H. v. M. dieses gedieht bei
abfassung von Der meide cranz benutzt hat. Dabei w^erden
wir vor die frage gestellt werden, ob H.v. M. auch über H.
V. Neustadt direct auf dessen quelle zurückgegiiffen hat, näm-
lich auf den Anticlaudianus des Alanus de Insulis (vgl. Migne,
^) Handbuch d. gesch. der poet. uational-litei-atur d. Deutschen, 2. aufl.
8 107.
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zu HEINRICH VON MÜ6ELN. 137
Patrologia latina 210). Dass Heinrich dazu eine ausreichende
lateinkenntnis besass, beweisen seine umfangreichen über-
setzungswerke, andererseits war Alanus im 14. jh. ausser-
ordentlich bekannt; auch Frauenlob nennt ihn gelegentlich
(Strobl s.7).0
Bei A und N wird die prudentia (Weisheit) von der natur
zu gott geschickt, bei M die tugenden von der natur herbei-
gerufen, um bei der krönung der theologie anwesend zu sein.
In beiden fällen wird ein wagen gezinmiert, dessen bau aus-
führlich beschrieben wird. Bei X (A) bauen ihn die sieben
freien künste, die als dienerinnen der Weisheit (bei A der natur)
erscheinen: die grammatik baut die deichsei, die logik die
achse, die rhetorik schmückt beide aus, die anderen künste
machen die räder. Bei M bauen die tugenden den wagen
selbst (v. 1100): gerechtigkeit, friedfertigkeit, barmherzigkeit,
fi'eigebigkeit die räder, die Wahrheit die deichsei, die kraft die
achse. Eine beschreibung fügt M nur dem letzten der räder
hinzu (v.1106): daz virde rad von golde gar. Dazu vergleiche
man N 887 daz virde rad mit golde fin, zurückgehend auf A
357, 13 nascitur ex auro rotu quarta. Es ist nur eine un-
bedeutende einzelheit, die aber im Zusammenhang doch be-
merkenswert erscheint. Jedenfalls ist die idee des wagen-
baues auch trotz der Verschiedenheit der handelnden pei-sonen
bei beiden dichtem durchaus dieselbe. Gelenkt wird der wagen
bei N(A) von der ratio, bei M von der vemunft (v. 1123),
gezogen wird er bei N(A) wie bei 11 von fünf pf erden, die
als die fünf sinne interpretiert werden, wobei auch in einzel-
heiten interessante Übereinstimmungen zu constatieren sind.
Baz erste ros hiez das sehn, sagt M 1111, rot tvas sin farhe
höre ich jehn. Dies ist zu vergleichen mit A 358, G
iUum
respei-sus caudore color siibnifus inaiirat.
\) Abkttrziingeu werden j^ebraiicht: A = Anticlaudianus des Alaiuis,
N = H. V. Neustadt, M = H. v. Mügeln; und zwar wenn kein znsatz dabei
ist, stets Von gotes zuokunft bez. Der meide cranz. Die citate für N sind
nach Strobl, oder bei stellen die dieser nicht abdruckt, nach Cod. pal. gefm.
401. M ist citiert auf ^rund der hss. Orthographische eigenheiten sind
bei N und M beseitigt, Inhaltsangabe von M vgl. Schröer, WSB. 55, 491 if.;
über das handschriftenverhältnis s. unten.
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188 HELM
Dadurch ist schon erwiesen, dass H. v. M. auch A selbst gekannt
hat; denn N schreibt anders (v. 905):
da2 erste ros was daz sehen,
an dem rosse mag man spehen
swarz flecken vnd wiz.
Auch in der Schilderung der Schnelligkeit des pferdes steht M
A näher als N. Die entsprechenden stellen sind:
A 358, 8 non meat imo volat nee enim discrimine passus
inscribit terram, nee gramen curvat eundo,
sed celeri cursu terram delibat euntis
passus et in terra vestigia nulla relinqnit
M 1118 keyn mensche siner füezze phat
noch sinen trit erkiesen kan.
das gras ez treit uf keiner ban.
N beschränkt sich hier auf den einen zug (v. 916) rnd dodi nit
hehl nidertrat
A 358, 10 anticipat monitum cAlcAris, sponte meatnm
aggreditur.
M 1121 ouch gar snellen lonfes ez phlag:
man dorft im gel)en keinen slag.
Das zweite pferd ist wenig geringer als das erste: cursa re-
miss^ior Uli (A 458. 28); bei N (919) ez iviis freidig vnd geil,
doch was ez dreger ein teil (hs. P. freudig), und bei M, der
diesmal im ausdruck sich eng an X anschliesst (v. 1131):
vil na ez sam daz erste was,
doch ez sin Sprunge treger mjiz.
Das dritte, vierte und fünfte i)ferd erledigt N dann ganz kurz
mit den werten die dru sinf ouch ahibere, enphinden riechen
rnd gesniac. M kann hier nur auf A selbst zurückgehen. Die
anklänge sind indes nicht mehr so evident.') Beim dritten
pferd wird die Unbestimmtheit der färbe ganz ähnlich aus-
gedrückt wie bei A:
M 1155 sin i'arbe glich was in der schiebt
als wann »ich hift in nebil flicht.
A 351], 9 subtilis respergit euni mistura coloris,
sed fngicns ocnlos visum color ille recusat.
Das vierte pferd wird bei A als weit tiefer stehend gedacht:
^) In der Schilderung des 5.pfenles haben A und M gar nichts gemein-
sames.
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zu HBINBICH VON MÜGBLN. 139
A 359, 22 praedictiß famulan» illo8 qiiaHi prorsus adorat
ancillatur eis nee se negat esse clientem
honim, sed tanqnam dominis nt verna ministrat.
M nennt das pferd zwar grosses goldes wert, dann aber fährt
er scharf tadelnd fort, und wo bei A (359, 43) steht:
hoc speciale sibi retinet, propriumqne reservat,
quod celer ad potnm non obliviscitnr escam,
potibns indolget, pro cnnctis solus ad esum
currit, et in potu defectns snpplet eqiiomm,
da finden wir bei M die worte (v. 1161— 64)
in frasse phlag ez Sprunge vil.
wer im den zogel lassen vil
vnd des zu halden nicht genicht,
dem ist von gote wol verflucht.
Dabei erhalt-en auch die Böhmen einen seitenhieb, v. 1159: daz
res die Behym lohten auch (P narren statt Behym). Diese be-
merkung geht vielleicht auf N zurück, dessen gedieht ja zum
teil eine Strafpredigt gegen die sitten Oesterreichs und \Viens
ist, speciell auch gegen die Üppigkeit im essen, v. 466 ff.:
frazheit genomen hat obem hant
und aUermeist in Osterlant.
trunken vol vnd vbersat
ist manic man in Wiener stat
und etlich frouwe ouch alda . . .
Dass M die stelle auf die Böhmen bezieht, ist für ihn ja nahe-
liegend, vielleicht wirkte dabei bestimmend auch eine stelle
des Apollonius, in der auch in diesem sinne eine anspielung
gemacht wird: v. 18329 nämlich nennt der dichter nach auf-
zählung einer grossen reihe von fischen einen offenbar wol als
feinschmecker bekannten mann mit der bemerkung, nicht ein-
mal dieser habe so gute fischweiher. Der genannte ist ein
Böhme: von Peheim herre Dobisch het so guoter wter mcht)A)
Die rolle der freien künste ist in N (A) und M ganz ver-
schieden: dort sind sie nebensache, hier treten sie in den Vorder-
grund. Aber N und A geben bei dem bericht von der erbauung
des Wagens für jede der künste in einer reihe von versen eine
beschreibung, die sich mit den beschreibungen bei M vielfach
eng berührt. Von der grammatik berichtet A (342, 11): sunt;
tarnen in multo lactis torrente natantes tnammae. Damach M
^) Aehnliche stelle 13696.
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140 HELM
(v. 514) ir hrnstelin waren milche vol. Dem entspricht M 172
welch kint \\z miner brüste tich
trinket, daz erkennet wol
wi ez sin latin reden sol
und 212 zwei kint ich ner an miner brüst.
Bei weitem auffälliger ist die congi'uenz bei der logik.
A (345, 14) schildert ihre erscheinung:
haec habitii gestn macie paUore figorat
insomnes auimi motus.
N (826) schreibt dafür
mit sinne sie dort her sleich,
die waz mager und bleich,
und fast wörtlich dasselbe lesen wir bei M (221) bleich vnd
mager ir gestalt.
Als attribute teilt ihr Alanus blumen und schlänge zu
(345,25): dextra manus floris donatur honore, sinistram
scorpius incidens candae mucroue minatur,
und später (346, 42)
florem dextra resiguat
ad praesens aliisque vacat, serpensqne sinistram
exit.
N ändert ab, indem er an die stelle der blumen die taube setzt :
827 ein dube in der rehteu hant.
die linke dnig einen serpant,
und so hat es M übernommen v. 223f.:
ein tube trug ir rechte hant,
ein «lange sich durch die linke want.
Wahres und falsches zu unterscheiden wird als erste kunst
der logik an die spitze gestellt, A 345, 36:
vis logicae veri facie tunicata recidit
falsa, uegans falsum veri latitare sub iimbra.
X 829 mit den creaturen gelinge
bezeichen warheit vnd luge.
Endlich M (v.225):
si sprach 'in aller rede gar
ich kenne wol falsch und war.'*)
Die weitere ausführung bei M muss auf eine andere, mir
*) Vgl. dazu H. 's von Muffeln kleinere gedichte Septem arten und Von
uUen frieu kuHnten, wo sich fast wörtlich die gleichen ausdrucke linden.
AVir kommen darauf unten im Zusammenhang zurück.
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Zu HEINRICH VON HÜGELN. 141
unbekannte quelle zurückgehen; auch im abschnitt von der
rhetorik ist M von A und N unabhängig. Dagegen wird die
arithmetik») als Ursprung alles bestehenden wider mit den
Worten des Alanus geschildert:
A 351, 13 qnomodo coucordi numerus ligat omnia nexu,
singula componit, mundum regit, ordinal orbeni^
astra movens
M 331 des himels stern, des meres griez
und alles daz rechenunge hiez,
daz iloz durch mines herzen rinc.
nach mir buwet nature ding.
Doch ist hier auch wider directe anlehnung an den ausdruck
von N nachweisbar (v. 852):
die Sterne und des meres griez
zelet sie sunder driez.
Noch deutlicher ist die entsprechung zwischen M und A in
folgenden stellen:
A 351, 21 Qnomodo principium numeri, fons, mater, origo,
est monas, et numeri de se parit unica turbam.
M 335 Ein ding vor allen dingen was,
daruz sich alles zelen mas:
eins ist kein zal, wizz ane wank,
doch ist ez zal ein anefang.
Auch die folgende erläuterung über die einzelnen zahlen-
und rechnungsgattungen kann wol von A inspiriert sein, gegen
dessen ausführungen sich M freilich nur ziemlich unbeholfen
ausnimmt; doch muss man ihm auch hier für einzelnes Selb-
ständigkeit zuerkennen (z. b. 344 wie man die zal denarius
steÜich mit zehen zelen muz u.s.w.).
Die geometrie erscheint bei N (A) und M wesentlich als
die messkunst, sie trägt deshalb eine messrute als attribut:
A 354, 41 Virgam virgo gerit, qua totum circuit orbem,
qua terrae spatium metitur, qua mare claudit
limitibus eertis, qua circinat ardua coeli.
N 868 fügt neu hinzu, woraus die messrute gefertigt ist:
sie drug ein messe gerten M 371
von golde rot in der hant. die trug ein rute von golde rot,
da mite misset sie diu laut da mit sie sich zu mezzen bot.
und des firmamentes stege
*) Ich folge hier der anordnung der Göttinger hs., vgl. unten.
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142 HELM
und des wilden meres wege 377
und der abyssen straze. der himels stemen speren kreis,
sie kan alle maze. wi hoch sie sint, mein zirkel weiz.
381
daz mer vnd erde nach mazes trift
uz meinem zirkel ward gerift.
feur ilam ich messe und ouch die Inft,
dem fege feur vnd helle gruft,
den mezz ich irre tieffe zil.
Aber auch als geometrie im eigentlichen sinne erscheint
sie; allerdings sind die der lehre vom kreis und vom winkel
entnommenen beispiele des Alanus bei M ziemlich unverständ-
lich geworden.
In der rede der musik folgt M nur ganz wenig N, näm-
lich in der angäbe des attributes das dieser kunst beigegeben
wird: M 420 die trug ein harff in irre hant, N356 dy trug ein
harpher^ in der haut, während A von einer cither spricht (353, 11)
dum citharam manus nna gerit, manus altera chordas
soUicitat.
Darauf folgt bei N nur noch ein vergleich mit David, während
M noch in einer längeren partie die fachausdrücke erklärt, die
sich bei A hier vorfinden:
A 353, 47 in diapason
quis resonet cantus, vel quis sesqualter ad illum
Sit sonus, aut illi Concors sonet in diapente;
quae vocum junctura parit diatesserou.
M 439 die noten, die da lauffen sin,
in di octauen uz der prim,
der wise wisse suuder wan,
die ist genant dyapason.
die wise dyapente sal
han uz der quinten Iren val:
80 sal sich uz der quarten Ion
die wise dyatesseron.
In der astronomie zeigt M sich wol bewandert: er steht
hier, abgesehen von der rhetorik, seinen quellen am selbstän-
digsten gegenüber.
N beschränkt sich hier auf wenige verse (881):
der sonnen louf, des manen gang:,
der siben himel vmbevang
künde sie erkennen wol;
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zu HEINRICH VON MÜGELN. 143
ir kleit was liehter sterne vol,
sie kennet wol der sterne kraft.
M führt zunächst das letzte weiter aus:
473 sie sprach 'waz tat zu knnftic ist,
daz offent miner kunste list.
477 wen hnnger sterben komen sal,
von strite menschen wen zn tal
gemeinlich vallen mnoz durch not,
dez ich der werlt ie vor entbot/^)
Im weiteren über die bewe^ng des himmels geht M Alanus
folgend mehr ins einzelne, praecisiert aber auch dessen angaben
über den lauf der sterne durch nennung von zahlen:
A 356, 42 Quis Innae motiis, quae solis sphaera, quis orbis
Mercurii, Veneris quae semita, quae via Martis,
quae mora Satumium retinet, quo limite currit
steHa Jovis. motusque vagos quis circulus aequat.
M 489 die achte spere sunder spar
loufft sechs und drizig iar;
Satumius drizig, zwelf Jupiter,
Mars zwTi*), geloube mir der mer.
ein jar die sonne louffen muz,
acht stund mynner«) hat Venus,
Mercurius*) dri virtel jar,
der mond vir wochin sundir spar.*)
Daran schliesst M endlich noch eine aufzählung des tierkreises,
die mit weitläufiger ausfühi'ung und entwicklung astrologischer
Weisheit am Schlüsse des gedichtes widerkehrt.
Wir sehen also H;sv. M. gelehrte erörterungen über die
künste zusammengesetzt unter benutzung von N und A und
hinzufügung einzelner eigener ztige; doch müssen ihm auch
wol noch andere quellen zu geböte gestanden haben. Im ein-
zelnen hat ihm in der auswahl dessen was er von seinen Vor-
gängern übernehmen oder beiseite lassen wollte, oft vielleicht
nicht der Inhalt bestimmt, sondern das bestreben, jeder der
künste die gleiche verszahl (50) zu widmen.
Weitere parallelstellen zwischen N (A) und M finden sich
in der beschreibung der wolmung der natur und dieser selbst.
•) Auch sonst von Heinrich gern behandeltes thema. Vgl. Von der
kunst astronomie ((xött. hs. 199); Wa^ der cometa bedütit (G. hs. 196).
'-) PWL drei. ^) FW ein wenig minner.
*) PW vnd d. Stern Mercurius. ^) PW . . wochen loufen muz.
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144
HELM
Der zuging zur wohimng der natiir ist bei N wie bei M
(Alanus hat davon nichts) abgesperrt durch die vier elemente,
die bei N als vier türme, bei M als riesen an den vier toren
dargestellt werden, und zwar ist bei M dies niotiv zweimal
angebracht, bei der ankunft der künste im reich der natur
und bei der ankunft -der tugenden.
1) Das teuer (ich folge der reihenfolge von M, s. unten):
M901
in des langes mittel lag
ein bürg, ^er ersten phorten phlag
ein rise groz vnd vngeheur,
der liez tz sinem halse feur
in grim über alle berge gen.
908
daz tor gein Süden*) waz gericht.
später 1185
sie quamen an daz erste tor.
da vor so lag ein rise groz,
daz feur uz sinem halse schoz.
2) Das Wasser:
M909
sie gingen fnrbaz an ein tor.
do stund ein ander rise vor,
der waz durchsichtig vnd groz.
ein Strom durch sine kele floz,
der was gar tief breit unde lang,
gen Westen was des tores gang.
später 1198
.. füren da ein weiser man
dort stund, der gar durchsichtig was.
1202
der w^ize man daz wazzer ist,
daz ist durchsichtig vnd dar.
1208
manich wunder ist darin gesmit.
3) Die luft:
M918
(am dritten tor) da lag ein ander
920 rise vor.
zwelf wind liez er durch sinen munt.
922
daz tor gen norden 2) was gericht.
N 127
do sach er einen toni sten.
vz dem tome sach er gen
fuwer, dez flamme was hoch.
die flamme sich vmb den tom zoch
an dem ecke unmazen groz,
gein meridie der schoz
mit ungefuoger hitze.
NUl
der eine tom w^iz erschein
als ein lichtes helfenbein.
uz dem wizen tome groz
manig edel brunne floz.
118
bi dem tome stunt ein se,
der was michel und lang;
gein occidente was sin gang,
da sach er inne besunder
manig mer wunder,
dier, fische, menschen bilde,
und manig wunder wilde
N 138
von dem tom ein wint brach,
me danne an hundert enden.
143
der tom was bla als ein lasur.
einhalp druz ging ein schür,
*) P norden, G osteu.
ä) P Süden.
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S5Ü HEINRICH VON HÜGELN. 145
später 1216 anderhalp ein nazzer regen,
da stund in blaer wete vor daz ander teil het sne gewesen,
ein man der vientlichen bliez.
zwelf wind er uz dem munde liez,
den hagel, sne schaur unde
regen.
4) Die erde:
M 924 N 152
(am vierten tor) da lag in grüner (der vierte türm) der het sin richez
wete vor obedach.
ein rise starck und lobelich. ^az waren poume und grunez loup.
mit boumen groz er dackte sieh. IßO
daz vird tor gen osten») ging. gein Oriente was der phat.
später 1230
da lag in grüner wete vor
ein man der ewiglichen slief.
manich tier uf sinem halse lief
und barg sich in des mannes wat.
In der reihenfolge der elemente stimmen M und N nicht
überein, aber auch die himmelsrichtungen die den einzelnen
zugewiesen werden, sind verschieden, ja darin weichen die
einzelnen hss. von M selbst von einander ab. Nur für das
Wasser nennen beide, übereinstimmend mit N, den westen. Da-
gegen gibt für das feuer P norden, G osten an. Die lesart
von P ist sinnlos, aber auch die von G scheint mir nicht richtig
zu sein. Bei N ist die reihenfolge der himmelsgegenden westen,
Süden, norden (der nicht ausdrücklich genannt wird), osten.
Man sieht, dass dies der gedachten Situation (Alanus um die
bürg der natur gehend) nicht entspricht: darin mag wol für
M der grund gelegen haben, überhaupt zu ändern. Eine ände-
rung in der Zuteilung der einzelnen himmelsgegenden an die
verschiedenen elemente war dagegen durchaus unnötig, und
überdies entspricht gerade die Verteilung bei N den natürlichen
Verhältnissen am besten. Wir haben deshalb für das feuer
auch bei M den Süden eingesetzt. Die lesart von G (osten)
ist aber auch deshalb bedenklich, weil die dadurch entstehende
reihenfolge (osten, westen, norden, Süden) ebensowenig als die
von N der Situation (hier die künste um das reich der natur
fahrend) entspricht. Dass für die luft der norden (P süden),
1) G Süden.
Baiirige nur gesohiohte der deuUcbon spnusbe. XXIL 10
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146 BELM
für die erde der osten (G Süden) die richtige lesart darstellen,
ergibt sich aus dem vorher gesagten von selbst.
Natürlich ist nur der weg wo die erde herscht, passierbar;
er führt zu dem hause der natur, vor dem sich eine wiese
ausbreitet:
N M 946
der weg trug in an ein tor. ein anger vor dem huse was.
da Btuut ein liebte anger vor.
Einen verwanten zug hat Alanus, wenn er berichtet, wie die
I)ferde (d. h. die sinne) die schwelle des himmels nicht über-
schreiten können, wie der wagen bei M drei tore nicht pas-
sieren kann.
Die natur wird gescliildert als eine schöne frau:
N 301 M 980
Nature was das schönste wip, ir aneplik so schone was,
die ie gesach keins inannes lip. daz mensche ny so schone wart.
N 307 M 983
ir heubt drug ein kröne. von siben Sternen was ir cron.
do stunt uf schone
sieben stem herlich.
N 312 M 1024
die sonne vn d'mane auch stund uf irer achsel schrank
stunde als zwei tassel die sunne vnd auch der monde dar,
uf den abseien sinewel. und leuchten ir zu dinste dar.
Ihr mantel mrd dann beschrieben, in M ganz kurz, 1018:
in ires mantels valten vil
tir, vische, mensche wonte da.
der gründe was ir feie na,
wen aneuang die grün bedeut,^)
bei N ausführlicher (v.323):
ir mantel waz ein feie groz,
die werlt hat nit ir genoz;
da was uf manig bilde
mit maniger forme wilde;
zwelf tier gar wunderlich
mit golde dar uf geworbt rieh;
») Grrün als färbe des anfangs bei H. v. M. noch öfters, dagegen nicht
bei H. V. N, bei dem auch der mantel der natur blau ist. Vgl. für H. v. M.
im gedieh te Der dom strophe 23 di grüne anevanc bedut, anvanc der gloube
nam vfid grünet uz dines fierzeti stam (Lambel s. 128). Die stelle aus Ha-
damar, auf die dort hingewiesen wird, ist Strophe 243 (nicht 343) gruen
anevanges meine u.s.w.
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zu HEIKBICH VON MÜGELN. 147
333 der mantel was lasnrbla.
die tierlin stunden hie nnd da
gefilzet nf den mantel.
Bei M findet sich das motiv auch noch auf die erde übertragen
bei deren Schilderung bei ankunft der tugenden v. 1232 (s. oben).
Damit ist jedoch noch' nicht erschöpft was auf eine be-
kanntschaft H.'s von Mügeln speciell mit Alanus hinweist.
H. von Mügeln hat die freien künste noch in zwei kleineren
gedichten behandelt (Cod. pal. germ. 693)*), die Schröer unter
VIIA und VIP bespricht. Ob die von Schröer dort ausgespro-
chene ansieht über die reihenfolge ihrer entstehung richtig ist,
kann für unsere zwecke füglich ausser betracht bleiben.
Zwingend ist Schröers beweisführnng ja nicht, auch dass in ^
dem gedieht Von allen frien kunsten die zahl der künste auf
15 erhöht ist, kann nicht unbedingt als beweis dafür gelten,
dass dieses zuletzt entstanden ist: es ist sehr wol denkbar,
dass H. es vorgezogen hat, die nicht besonders glückliche er-
weiterung des kreises der freien künste später wider einzu-
schränken. Immerhin steht so viel doch wol fest, und das
ist das einzige worauf es uns ankommt, dass Der meide cranz
nicht als erstes der drei gedichte von den freien künsten ent-
standen ist, denn jene beiden gedichte, die untereinander und
mit Der meide cranz im einzelnen oft wörtlich übereinstimmen,
machen doch in zu vielen punkten geradezu den eindruck von
vorarbeiten. In beiden kleinen gedichten findet sich nun ein
in Der meide cranz nicht vorkommender zug aus A wider,
dass nämlich am ende jeder Strophe einer der hervorragendsten
Vertreter der betreffenden disciplin genannt wird. Die an-
knüpfung ist meist ganz mechanisch. Die namen decken sich
allerdings nicht, auch abgesehen davon, dass bei A meist eine
ganze reihe, bei H. von Mügeln stets nur einer genannt wird.
Bei der musik nennt A den Michalus, H. v. M. den Boethius,
bei der astronomie wird bei A kein name genannt. Auf diese
Verschiedenheiten ist jedoch kein gewicht zu legen.
Eine kleine stilistische reminiscenz an A dürfen wir viel-
leicht in der häufung der verba an folgenderstelle erkennen;
Sept. art. ein iczlich don nynipt uz niusica do seyn zyl,
se wirket, bawet, miuizit allis zeytenspil.
*) Siehe oben s. 140 anm.
10*
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148 HELM
An der entsprechenden stelle findet eine solche häufung bei
Alanus allerdings nicht statt, sie ist indes bei ihm ausserordent-
lich beliebt; am charakteristischsten sind dafür vielleicht die
folgenden verse:
341,29 Ergo Minerva videns tanto spleudore Sophiae,
tot donis, tantisque datis, spleudore aorores,
ordinat, injiingit, jubet, imperat, orat, ut instans
quaelibet istarum coro i tum, comitante Sophia,
corpore, meiite, fide, studeat, desiidet, anhelet,
instet, et efficiat, nt cursns eurrat adesse.
Endlich weist aber auch die ganze anläge von Der meide
cranz auf Alanus zurück. Mit dem urteil des kaisers (789 — 814)
ist das thema eigentlich erschöpft, das gedieht konnte damit
schliessen. Nun aber folgt ein weiterer teil von beinahe 1800
vereen: die Sendung der künste zu der natur, der Wettstreit
der natur und der tugenden, wobei die künste immer mehr
zurücktreten mit ausnähme der theologie, die als richterin
erhaben über den anderen thront; v. 1263:
die künste sassen suuderlich
und auch die togende lobelich;
zu mittelst in der selben schul
erhaben stand ein richer stul,
darauf theoloya saz . . .
Aehnlich heisst es von der theologie bei der ankunft der Pru-
dentia in A Ecce puella poli residens in culmine (367, 44).
Die idee, das urteil durcli die natur bestätigen zu lassen,
ist so merkwürdig, dass dies allein uns schon veranlassen
müsste, uns nach einer quelle umzusehen, in der künste und
natur in engerem Zusammenhang erscheinen. Hatte H. v. M.
den Anticlaudianus vor äugen, in dem sie geradezu in dem
Verhältnis von dienerinnen und herrin stehen, so erklärt sich
sein plan von selbst.
Auch für die beziehung die in M einige künste zur geburt
Christi für sich in anspruch nehmen,') wobei das dogma der
^) Arithm. M 364 : sind ich nach zal gegeben han
hie gotes kinde sin gelit.
Geometr. M 405 : da got sin kint in menschen art
sante, ich maz im sein gelid.
Musik 4^1 : min sang was ewig von der mait,
durch die den menschen leben tait.
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zu HEINRICH TON MÜGELN. 149
unbefleckten empfängnis stets besonders hervorgehoben wird,
findet sich in A ein Vorbild bei der arithmetik:
351^23 Quomodo virgo parit, gignens manet integra, simples
sese mnltiplicat, de sese gignit, et in se
incomipta manet, partus imitata parentis.
Ja in nuce ist selbst der Wettstreit der künste in A schon
enthalten. Der wert jeder einzelnen in ihrem Verhältnis zu
den andern wird schon hier kürzer oder länger besprochen:
Non cultu facieque minor, non arte seciinda
tertia virgo (A 347, 43)
heisst es von der arithmetik; ähnlich von der geometrie (A 354,33):
instat sexta soror operi, se fundibos nrget
ad Studium, studio reliquis studiosius haerens.
Am deutlichsten und zugleich am meisten schon im sinne H.'s
von Mttgeln endlich ist dies ausgesprochen bei der arithmetik :
A 350, 30 Quarta soror sequitur, quartae rota prima sororis
est opus, huic operas operose dedicat iUa.
et quamvis haec quarta foret, tarnen esse secundam
se negat in facto, contendens prima vocari.
IV.
Das Verhältnis der hss. in denen uns Der meide cranz
überliefert ist, lässt eine betrachtung der in den einzelnen
fehlenden verse leicht erkennen. Für den teil des gedichtes,
dessen text uns alle hss. bieten (die Leipziger reicht bis 718,
die Weimarer bis 864, nur die Heidelberger [P] und die Göt-
tinger sind vollständig) ergibt sich nämlich folgendes:
es fehlen in P und W die verse 316. 409—414;
es stehen an falscher stelle in P v. 496 — 98,
in Wv. 497—98;
es felilen in L v. 1-68. 496-498 und sind geändert v.87-98;
es fehlen in G v.426. 613—15, es sind geändert 262— 68.
661—68.
Wir haben darnach eine hs. x anzusetzen, aus der einerseits
durch unbekannte Zwischenstufen G, andererseits eine hs. y
min don der slug und brach dy luft,
biz daz ich in des herzen gruft
lokte got als ez im zam,
un^l menschheit von der meide nani,
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150 HELM, Zu HEINRICH VON MÜGELN.
hervorgegangen ist, in der die verse 496 — 98 an falsche stelle
gerieten. Aus dieser giengen dann hervor: L, das die falsch
gestellten verse verlor, und z, das sie behielt, aber die verse
316 und 409—414 verlor. Aus z flössen P und W, von denen
P die verse 496—98 an falscher stelle liess, W nui- 497—98,
496 dagegen richtig stellte:
z L iT
P w
Für die textherstellung hat also 6 einerseits und PWL
andererseits gleich viel gewicht; wo eine hs. der gnippe PWL
zu G stimmt, wird, besondere ausnahmsfälle abgerechnet, da-
durch die ursprüngliche lesart gesichert erscheinen.
Verschieden von G sind die hss. der gruppe P auch in
der reihenfolge der freien künste, indem bei ihnen die musik
vor arithmetik und geometrie treten. Hier ist die lesart von
G vorzuziehen. Sie entspricht vor allem der anordnung in
H.'s V. M. kleineren gedichten.
Bei Alanus ist die reihenfolge anders: arithmetik, musik,
geometrie. Für H. v. M. w^äre als grund, dass er gegen A
ändert, wol die absieht anzunehmen, die enger zusammen-
gehörigen künste arithmetik und geometrie zusammenzustellen.
Die weitere Umstellung, durch die die musik dann an ei-ste
stelle kam, hätte in y vor sich gehen müssen und könnte
darin begründet sein, dass die arithmetik von der musik gerade
so redet, als habe diese schon vorher gesprochen. Aus dem-
selben gründe hätte y dann aber auch die geometrie und
astronomie vorstellen müssen, auf die die arithmetik auch be-
zug nimmt, v. 323:
buchstaben hat grammatica
in zal, ir spruche loyca,
der rethor varben bat in zol,
der musicus fa und sol,
geometria hat ir bunt
in zal, so hat der ziffer fnut
astroloyam wol geriebt,
als mir Vernunft der künste bicht.
Es wäre freilich auch denkbar, dass das original von M
noch so anordnete wie A, und dass erst die späteren hss. —
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SAB AN, ZUM WIGAL0I8. 151
also sowol G als y — dann, um arithmetik und geometrie neben-
einander zu stellen, in verschiedener riclitung geändert haben.
Ich ziehe jedoch die oben ausgeführte annähme vor.
HEIDELBERG, September 1896. K HELM.
ZUM WIGALOIS.
Zu meiner Untersuchung über Wirnt von Grafenberg und
den Wigalois (Beitr. 21, 253 ff.) möchte ich hier verschiedene
nachtrage geben und bei dieser gelegenheit zugleich einige
versehen berichtigen.
Zu § 5 (Wirnt und die dichtkunst) bemerke ich, dass
Heinrich von dem Türlin in der Krone Wirnts einleitung be-
nutzt. Vgl. Wig. 7, 3 ff. und Krone v. 4 ff. Ebenso Wig. 6, 3 ff.
und Krone v. 32 ff. 40 ff. 89 ff. Dass Heinrich den Grafenberger
genau kennt, habe ich schon a. a. o. § 2 gezeigt.
Was übrigens die in § 2 besprochene stelle aus der Krone
V. 2939 — 90 anbetrifft, so fehlt sie bekanntlich in der Wiener
hs. V. Singer, Zs. fda. 38, 255 meint daher, die verse seien un-
echt und in P eingeschoben. Mir ist das sehr wenig glaublich.
Sollte nicht der Schreiber von V oder ein Vorgänger die stelle
ausgelassen haben, weil der dichter darin die herren vom Oster-
land sehr schlecht behandelt? Osterland konnte auch als Oester-
reich verstanden werden. Ein patriotischer österreichischer
Schreiber oder jemand der auf Oesterreich nichts kommen lassen
wollte, musst« alsdann an den versen anstoss nehmen. Im stil
scheinen sie mir durchaus in Heinrichs art. Ist nun die stelle
echt, so würde sie \ielleicht im verein mit der des Wigalois,
auf die sie deutet, dazu verwendet werden können, die heimat
Heinrichs zu bestimmen. Freilich bedarf sie noch der erklärung.
V.2971 1. swie, 2973 1. swä, 2979 1. kunst Ist 2985 hvei aus
turnei entstellt und der für den zu lesen? Zwei gleiche reim-
worte auch v. 3536/37.
In § 10 der abhandlung ist s. 282, z. 10 v. o. statt *prosa-
erzählung' bloss ^erzählung' zu lesen. Tgl. dazu s.412.
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152 SABAN
In § 11 ist durch ein versehen unterlassen worden, die
s. 281, 333 und 334 citierte arbeit E.Kölbings, Engl. stud. 1, 121 ff.
(1877, also noch vor Mebes erschienen) zu würdigen. Kölbing
ist der erste der sich bemüht, das Verhältnis zwischen Wigalois,
Desconöu und Libeaus auf grund einer textvergleichung fest-
zustellen. Er und nicht Mebes hat also zuerst den richtigen
weg zur ermittelung des Sachverhalts betreten. Ich hole
darum hier das versäumte nach und bitte, die folgenden be-
merkungen auf s. 286 meiner arbeit hinter dem ersten absatz
eingeschaltet zu denken.
Kölbing glaubt mit Meissner, dass Wirnt nicht nach münd-
licher Überlieferung gedichtet habe. Vielmehr habe ihm ein
knappe die äventiure aus einem französischen buch vorgelesen
bez. übersetzt, da der dichter nicht französisch verstanden.
An dem so überlieferten stoff nahm Wirnt wenig änderungen
vor: sein werk spiegelt also wol die quelle treu wider. Auch
der englische Libeaus folgte seiner quelle treulich. Demnach
erhebt sich die frage: wie verhalten sich diese von dem mhd.
und engl, gedieht repräsentierten frz. romane und der Des-
conöu zu einander? Kölbing zeigt nun, dass alle drei viele
motive gemeinsam haben, an einigen wenigen, jedoch nicht
unwichtigen stellen aber Wigalois mit Libeaus gegen Desconeu
stimmt. Daraus wird gefolgert, dass W nicht aus D geflossen
sei, sondern mit ihm auf eine gemeinsame quelle zui-ückweise.
Das Verhältnis der drei texte beurteilt K so: alle drei gehen
ohne allzu viel mittelglieder auf ein älteres X zurück, etwa
nach dem Schema
X
0 j LI
W D L
Der inhaJt von X kann somit durch die combinationen WDL
WD, DL mit Wahrscheinlichkeit erschlossen werden. Was im
Wigalois auf die mit I) und L stimmenden teile folgt, ist nach
K.'s meinung unecht, d. h. dem ursprünglichen anfang von einem
fortsetzer zugefügt. Eben diesem schreibt er auch die Vor-
geschichte zu. In der quelle des Libeaus sieht er die relativ
ursprüngliche fassung des Stoffes.
So ist Kölbing auf grund der erwähiiten stellen im wesent-
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ZUM WIGALOIS. 153
liehen zu derselben ansieht über das verwantsehaftsverhältnis
der texte W, D und L gelangt die ich a. a. o. auf grund einer
genauen inhaltsvergleiehung, dureh erörterung von wider-
sprüehen (§§ 25 — 27) und direeten naehweis der quelle für
den Wigalois gewonnen habe. Nur freilieh kann man den
wenigen parallelen die von K. angeführt werden, unmöglieh
so viel bedeutung beilegen, dass sie das Verhältnis wirklich
sicherten. In der tat haben auch die forscher welche das
Problem neu aufnahmen, Mebes, Bethge u. a., jene beweis-
führung nicht als durchschlagend anerkannt. Man ist vielmehr,
wie meine darstellung a. a. o. s. 286 ff. lehrt, zu anderen auf-
stellnngen fortgeschritten, allerdings ohne damit dem richtigen
näher zu kommen.
Zu § 28 ff. Die ausgäbe des Chevalier du Papegau, worauf
ich in meiner arbeit bereits bezug nehmen konnte (s. 336 anm.),
ist inzwischen erschienen. In der einleitung dazu hat der
herr herausgeber, wie ich sehe, eine andere ansieht über das
Verhältnis der texte \V und P aufgestellt, als ich in meiner
Untersuchung. Auch sonst modificiert er meine resultate mehr-
fach. Was jene neue ansieht anbetrifft, so halte ich sie für
sehr unwahrscheinlich, da sie ein mittelglied mehr ansetzt
als die meinige und dadurch unnötig umständlieh wird. In
fragen wie die worum es sich handelt, auf dem boden des
hypothetischen, ist aber A^ einfachste stets das wahrschein-
lichste. Ich verweise insonderheit auf § 50 s. 404 und § 31 s. 345
meiner arbeit.
Im einzelnen bemerke ich folgendes. Die begründung, die
Heuckenkamp für den wegfall der drei episoden auf s. xxxii
gibt, hält nicht stich: auf s.xxxiii gesteht er selbst ein, dass
eine tapferkeitsprobe auch bei Artus wol angebracht ist. Dazu
vergleiche man den titel des romans in der hs. (s. v) und text
1, 25 ff. Man sieht hieraus, dass Artus von dem dicliter keines-
wegs schon als der berühmte könig der berühmten tafeirunde
eingeführt wird. Ebensowenig überzeugt die ansieht H.'s, dass
der Verfasser von P die Lion-bestrafung im Wigalois hätte
streichen müssen (s. xxxi). Schleppend ist diese gesehiehte,
aber das ist offenbar Wimts schuld: dass sie in 0 oder gar
in dem alten Guiglois, den H. fordert, schleppend war, ist doch
keineswegs sicher. Jedenfalls hängt sie mit dem grund-
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154 SARAN
gedanken des hauptteils von W genau zusammen (vgl. meine
abh. s. 294 und s. 419 unten). Dass sie mehr historisch gefärbt
ist und somit von dem stil des Artusromans etwas abweicht,
dürfte P kaum beunruhigt haben.
Gegen die ausführungen von s.xxxiuff. halte ich an meiner
ansieht fest, dass in P eine ältere Version mit motiven einer
neuen contaminiert ist. Dass die erzählung wenigstens an
einer stelle unklar ist, gibt H. s. xxxviii selber zu. Dass sich
der dichter s. 5, 22 den papagei als Wanderpreis vorstellt,
möchte ich nicht behaupten. Hier soll wol der ritter zunächst
nur den papagei bekommen: aber später hat Artus papagei
und zwerg. Ich möchte darin eher einen neuen Widerspruch
erblicken. Dass hoftag (5, 15) und monatsversammlung (5, 30)
neben einander bestehen, also vom dichter als zwei verschie-
dene feste gedacht sind, davon kann ich mich nicht über-
zeugen. Die Chevaliers de la contree (5, 19) und Us aultres de
la contree (5, 27), d. i. um Causuel herum, sollen doch offenbar
dieselben leute sein. Man könnte ja denken, die dame führe
Artus zum hoftag (5, 20), und ehe sie dorthin konmien, treffen
sie die Versammlung vor Causuel (6,31). Aber damit ist die
Sache um nichts klarer. Wir haben hier eben eine recht ober-
flächliche Verschmelzung anzuerkennen.
Die möglichkeit, dass Beauvoisin aus Belnain verlesen sei
(s. xl), habe auch ich erwogen: herr prof. Suchier hat mich bei
gelegenheit darauf aufmerksam gemacht. Ich halte diese an-
nähme aber nicht für wahrscheinlich. Wir haben zwei ver-
schiedene bericlite über die grundlagen des grossen abenteuers
(§§ 39. 40). Das königreich um das es sich handelt, hat zwei
verschiedene namen (Pap. 25, 26. 25, 28): wenn nun auch der
name des königs doppelt angegeben wird, so entspricht das
nur dieser Sachlage und weist auf quellenverschmelzung zurück.
Ebenso heisst im Wigalois Laries vater einmal Lar, das andere
mal Jorel.
Die bemerkungen Heuckenkamps über die episode von
Schaffilun (s. xli) sind gewis richtig. Vgl. auch die begegnung
des Wigalois mit dem zwerg Karrioz Wig. 169, 2 ff.
In der erzählung vom confanonnier nehme ich s. 374 an
der stelle Pap. 59, 28 ff. anstoss. Ich habe sie nicht anders
verstanden als Heuckenkamp s. xlui, d. h. als ausdruck der
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ZUM WIOALOIS. 155
bekannten Überzeugung, dass die gegenwart der damen den
mut ihrer ritter erhöhe. Nur finde ich, dass das liebenswürdige
anerbieten des bannerträgers hier sehr wenig am platze ist,
wo es gilt den ritter von der bürg fernzuhalten. Die tjost
mit dem truchsessen im Wigalois ist freilich, wie H. richtig
gesehen, auch nicht gerade glücklich motiviert. Aber das
motiv scheint trotzdem in Artusromanen beliebt gewesen zu
sein. Man vergleiche die entsprechende scene im Desconeu
(a. a. 0. § 24) und Libeaus, der mit dem steward der zu er-
lösenden dame kämpft. Mir ist darum meine s. 321 angedeu-
dete auffassung der scene noch immer wahrscheinlich: der zu
hilfe kommende ritter muss zur probe seiner tüchtigkeit noch
mit einem gewaltigen beiden von der partei der zu erlösenden
einen letzten, gefährlichen kämpf bestehen. Siegt er auch
hier, so ist er ein tapferer kämpe, der aussieht hat das aben-
teuer zu vollenden. Dieser ursprüngliche sinn ist dann sowol
in W wie P verdunkelt worden: dort, weil vielleicht Wimt
das mcere tiure war (a. a. o. s. 282), hier, weil der confanonnier
zum gegner der prinzessin und mann des marschalls gemacht
wurde. Diese erzählung würde danach mit der vom Chevalier
du passage in ihrer bedeutung zu vergleichen sein (erschwe-
rungsmotive; vgl. H. s. lxi). Für secundär halte ich im gegen-
satz zu H., dass in P der confanonnier als ritter der prin-
zessin bezeichnet wird.
H. hält femer meine annahmen in §§ 39. 40 für unnötig
und führt dagegen betrachtungen über die mythische bedeutung
des Zauberabenteuers ins feld (s. xliv). Was diese betrifft,
so mögen sie richtig sein, aber zur erklänmg der widereprüche
in P genügen sie nicht, und ich halte an dem fest, was ich in
jenen Paragraphen erörtert habe. Ich kann mir die Situation
der Flor de mont auf grund der botenerzälüung mutatis mu-
tandis nicht wesentlich anders vorstellen als die der Condwir-
amur im Parzival. Flor de mont und der marschall liegen
im kriege, der marschall belagert die bürg. Was soll sonst
Pap. 26, 4 et si la (die bürg) tient a moult peu de gens en-
contre le mareschal bedeuten? Wer kann bei der ersten
lectüre unter der gent (26, 10) etwas anderes verstehen als die
belagerer?
Dass man bei nachsichtiger interpretation die risse die
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156 SABAN
Überall sichtbar sind, überkleistem kann, bezweifle ich nicht.
Ich bin auch überzeugt, dass beim vorlesen in der gesellschaft
die Widersprüche nicht bemerkt worden sind: für den zweck
den der Verfasser verfolgte, war die einheitlichkeit gewis ge-
nügend eiTeicht. Aber es ist doch zweierlei, ein kunstwerk
zu gemessen oder so zu erklären, dass der genuss nicht beein-
trächtigt wird, und andererseits auf kritischem wege das ver-
wantschaftsverhältnis zweier texte festzustellen. Tut man das
letztere, so ist die von Heuckenkamp (s. xlv anm.) nicht ge-
billigte unerbittliche kritik eine notwendigkeit. Natürlich
müssen Widersprüche unanfechtbar sein, wenn man sie kritisch
verwerten will: aber umgekehrt darf man dergleichen auch
nicht verdecken, wo sie die unbefangene lectüre nahe legt.
Ganz scharfe Widersprüche kann man von vornherein überhaupt
nicht erwarten: das Messe an dem kunstverstand der alten
dichter zweifeln, und dazu ist hier keine veranlassung. Eine
philologische Untersuchung muss sich darum naturgemäss auf
Unebenheiten stützen, die ein unbekümmert geniessender nur
selten bemerkt und die mit einer nachsichtigen deutung auch
zur not weggeräumt werden können.
Mein zweck war eine quellenuntersuchung: darum also die
unerbittliche kritik. Ich bin übrigens persönlich überzeugt,
dass man im vorliegenden falle auf gruud der inhaltskritik
noch über X und Y zurückkommen könnte. So kann man das
abenteuer der zauberburg gewis ablösen von den motiven die
auf bürg Korentin bezug nehmen u. s. w.: ich habe aber solche
betrachtungen unterdrückt, weil sie nicht zum thema gehörten.
Ich meine also, wenn man die von mir gerügten Widersprüche
nicht in ganz evidenter weise durch eine bessere Interpretation
des textes beseitigt, so bleiben sie bestehen.
Nun denke ich mir die entstehung einer contaminations-
scene keineswegs so mechanisch, wie H. das s. xlvi anm. aus
meinen erörterungen herausliest. P hatte natürlich nicht etwa
links die quelle Y, rechts die quelle N liegen, um daraus nach
bedarf hier oder dort abzuschreiben. Contamination ist ein
weiter begriff, der viele arten umfasst. Hier dürfte P seine
quelle Y aus der erinnerung an eine andere geschichte auszu-
schmücken begonnen haben. Denn dass ein dichter jener zeit
eine nicht geringe literaturkenntnis besass, kann man doch
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ZUM WIGALOIS. 157
annehmen. Allmählich trat hervor, dass die zusätze aus der
geschichte N nicht recht passten, alsdann hörte P auf, die neu
angenommene Situation streng durchzuführen: das alte machte
sich wider geltend und blieb. Ich finde eine solche annähme
gar nicht unwahrscheinlich, um so weniger als der Verfasser
von P sicher auch im gewöhnlichen sinne des wortes contami-
niert hat. Vgl. Heuckenkamp s. xxxi.
Die bemerkungen H.'s über die tierbeschreibung in P
(s. xLvi und vii) treffen zu, dagegen überzeugen mich die über
den drachenkampf nicht. Ein dankbarkeitsmotiv liegt in W
nicht vor, während es P ganz deutlich enthält.
Zur Ruelepisode (H. s. li) füge ich hinzu, dass das motiv
überaus beliebt war und vielfach widerkehrt. Man findet es
z. b. Krone 9129 ff. 9340 ff. Hier geschieht die befreiung zwar
nicht durch das wiehern des rosses, aber in einer weise die
mit Pap. 72, 11 einigermassen verglichen werden kann (Krone
9439 ff.), jedenfalls vom Wigalois ganz abweicht. Dort liest
man auch eine beschreibung des ungetümes. Der held der
episode ist Gawein. Ich bin überzeugt, dass Heinrich hier
seiner frz. quelle treu folgt. An einer solchen zu zweifeln,
liegt, soweit ich sehe, gar kein grund vor. Im gegenteil weist
die Schachteldisposition der Krone unzweideutig auf eine solche
hin. Die frz. quelle oder deren vorläge schon, hat wie es
scheint, die romane Chrestiens auf Graweinerzählungen hin ex-
cerpiert und diese Stoffe mit andern Gaweinmotiven zu einer
grossen compilation verarbeitet.
Vielleicht kann man auf grund der Krone behaupten, dass
ursprünglich Gawein der held von Y war und dann erst Wi-
galois seine rolle übernahm. Es würde das mit der bedeutung
die Gawein im älteren Artusroman hat, wol stimmen.
HALLE a. S. F. SARAN.
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DAS TODESJAHR DES ULFILAS UND DER
UEBERTRITT DER GOTEN ZUM ARIANISMUS.
Die neuerdings wider wach gewordenen meinungsverschie-
denheiten über das todesjahr des berühmten Gotenbischofs
lassen sich nach meiner ansieht endgiltig begleichen, wenn man
die nachrichten des Auxentius und des Maximin mehr in ihrem
Verhältnisse zu einander betrachtet als es bisher geschehen ist.
Die beiden Schriftsteller verfolgen verschiedene zwecke, darum
sind auch ihre Interessen verschieden und müssen ihre angaben
nach diesen Interessen verschieden beurteilt werden. Der anlass
aus welchem die schrift des Auxentius entstanden ist, lässt
sich nicht deutlich erkennen, wol aber die absieht welche ihn
beim schreiben leitete: der unverhältnismässig grosse räum
der den damaligen unterscheidungslehren gewidmet ist, beweist,
dass es Auxentius zuerst und vor allem darauf ankam die
theologische Stellung des Ilfilas zu diesen möglichst scharf zu
betonen: alles andere ist für ihn mehr nebensache. Wir haben
es also weniger mit einem eigentlich historischen bericht als
mit einer theologischen apologie zu tun. Da aber Auxentius
ein Schüler des Ulfilas war uiid in inniger beziehung zu ihm
gestanden hatte, so muss seinen wenigen geschichtlichen an-
gaben der grösste wert beigemessen werden. Soweit sie für
uns hier in betracht kommen, besagen sie, dass Ulfilas, als er
vierzig jähre bischof gewesen, von Theodosius zu einem con-
cile nach Constantinopel berufen sei, um gegen eine oder
mehrere religiöse parteien zu disputieren. Aber als er bald
nach seiner ankunft in der oströmischen hauptstadt die läge
des concils, an dem viele arianischen bischöfe teilnahmen, erwog
und überlegte, wie er seine gegner von ihrem irrtume über-
zeugen und zur wahren kirche (die für Auxentius die gemein-
schaft der strengsten Arianer, der Anomöer war) bekehren
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DAS TODESJAHB DBS ULFHiAS U.S.W. 159
und so vor dem ewigen verderben bewahren könnte, da sei er
krank geworden») und gestorben, nachdem er seinem volke
sein glaubensbekenntnis als testament zurückgelassen habe.
Da es nicht nur umstritten ist, ob Auxentius mit einer
runden biblischen zahl rechnet, sondern wir auch das jähr
nicht kennen, in welchem Ulfilas zum bischof geweiht wurde,
so können wir mit der angäbe, er sei vierzig jähre bischof
gewesen als er auf dem concile gestorben, nicht operieren.
Man hat geglaubt, es würde sich die zeit des conciles genau
und sicher bestimmen lassen, wenn die stelle leserlich wäre,
an der die gegner genannt waren, gegen welche Ulfilas dis-
putieren sollte. Ich glaube nicht, dass wir damit viel weiter
kämen, denn welche gegner Auxentius im äuge hatte, scheint
mir sich unschwer erraten zu lassen. Einmal wissen wir ganz
genau, welches ziel Theodosius in den ersten jähren seiner
regierung verfolgte: er suchte eine allgemeine einigung
aller parteien zu stände zu bringen; dass er sich für eine
reduction derselben interessiert, für die eine (mit ausnähme der
der Homousianer, die hier nicht in betracht kommt) zu Ungun-
sten der andern massregeln ergriffen habe, davon wissen wir
nichts, und es ist auch im höchsten masse unwahrscheinlich.
Auxentius sagt auch ganz deutlich, dass es ein concil war
auf dem die disputation stattfinden sollte, und zu einem solchen
mussten sämmtliche bischöfe des oströmischen reiches ein-
geladen werden. Und da Ulfilas gewis nicht allein seine
gegner in dem einladungsschreiben angezeigt bekommen hätte,
so hätte der kaiser ja, wenn er die gegner bestimmt hätte,
von vornherein die heftigsten debatten beabsichtigen müssen,
und zwar offenbar zu Ungunsten derjenigen partei der er
selbst am nächsten stand. Wir dürfen daher mit Sicherheit
annehmen, dass Theodosius auch Ulfilas nicht ausdrucklich die
Parteien angegeben hatte, gegen die er disputieren sollte. Für
') Wenn Martin annimmt, Auxentius habe durch den yergleich
des Ulfilas mit dem in seiner krankheit vom könige Joas besuchten pro-
pheten Eliseus besagen wollen , Ulfilas habe auf seinem todesbette den
besuch des kaisers Theodosius empfangen, so ist das gewis unrichtig: das
würde Auxentius deutlicher ausgedrückt haben. Aber anch Bessell irrt,
wenn er meint der vergleich sei 'recht äus8erlich\ Das'tertium compara-
tionis liegt in den Worten ctirrtis Israel et auriga eins 4. Beg. 2, 12.
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160 J0STB8
Auxentius aber war es selbstverständlich, gegen welche er
gestritten haben würde: gegen alle die welche Ulfilas nach
seiner angäbe das ganze leben hindurch scharf bekämpft
haben soll: die Manichäer, Marcionisten, Montanisten, Pauli-
nianer, Anthropianer, Patripassianer, Photinianer, Novatianer,
Donatisten, Homousianer, Homoiusianer und Macedonianer, d. h.
gegen sämmtliche christliche parteien (soweit sie noch vor-
handen waren) mit ausnähme jener, der Auxentius selbst an-
gehörte, der anomöischen. Diese werden wol mit einem Sammel-
namen — denn für viele worte bietet die lücke keinen räum
— an der jetzt unlesbaren stelle genannt sein. Für die Ano-
möer sogar zu Ungunsten der mittelparteien zu kämpfen,
dürfte der kaiser schwerlich selbst befohlen haben, es wäre
das der denkbar falscheste weg gewesen, die gewünschte union
zu erzielen. Die benennung der gegner dürfte also dem
Auxentius zugeschrieben werden müssen, und die welche er
im äuge hat, hat er bereits früher genannt.
Aber so viel ist festzuhalten, dass auf dem einberufenen
concile zwecks einer union disputiert werden sollte und dass
viele arianische bischöfe in Constantinopel anwesend waren.
Es war also keine unbedeutende Versammlung, und bei den
reichhaltigen quellen, die wir für die geschichte jener zeit
besitzen, müssen wir daher annehmen, dass sie mit einer von
denen identisch ist, die uns bekannt sind. An sich könnten
da drei in betracht kommen, die von 381, 382 und 383. Auf
der ersten waren aber nur Homousianer und Macedonianer
anwesend, auf der zweiten gar nur Homousianer. Diese beiden
kann schon deshalb wenigstens Auxentius nicht im äuge gehabt
haben: es bleibt bei seinen angaben somit nur das concil von
383 übrig, da zu diesem auch die arianischen bischöfe ein-
geladen waren, und zwar zum zwecke einer disputation. •)
Für dasselbe concil spricht auch noch eine andere angäbe
des Auxentius. Dieser berichtet, dass Ulfilas den Goten testa-
mentarisch sein glaubensbekenntnis hinterlassen habe und teilt
dasselbe mit. Es beginnt mit den Worten Ego Ulfila episkopus
*) ^Ekeyiv (Theodosius) xe Öeiv yvfÄvaa&ijvai ro x^Q^^^^ ^«S ixxhi-
alaq ^r^iiaxa xr^v xe öiayovlav ixnoöutv notifOavxag, Ofio^wviav xatg
ixxXfiolatg i^yaoaüB-ai Socrates 5, 10.
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DAS TODESJAHB DES ULFILAS Ü.8.W. 161
et confessor . . . testamentum facto ad dominum. Die phrase
testamentum facere ad dominum ist sprachlich anstössig und
schien sich mir auch durch einwirkung des griechischen oder
gotischen nicht recht erklären zu lassen. Ebenso befremdete
es mich, dass ein seit vierzig jähren seinem volke genau be-
kannter bischof auf seinem Sterbebette das bediirfnis empfunden
haben sollte, für jenes volk ein glaubensbekenntnis aufzusetzen,
das ebenso kurz wie in wichtigen punkten mindestens zwei-
deutig ist. Ich kam daher auf die Vermutung, dass hier testa-
mentum vielleicht als testimonium aufzufassen oder gar zu lesen
sei. Deshalb bat ich meinen freund Bedier in Paris, in der
betreffenden hs. der nationalbibliothek ») einmal nachzusehen.
Er fand an der betreffenden stelle weder testamentum noch
testimonium geschrieben, sondern ganz deutlich — situm. Ein
fachmann wie herr Omont glaubte noch zwei weitere buch-
staben mit Sicherheit erkennen zu können: t,.nsitum. Es
kann demnach keinem zweifei unterliegen, dass wir nicht
testamentum, sondern transitum zu lesen haben, was auch
grammatisch sehr gut passt.
Ulfllas leitet sein glaubensbekenntnis also mit den worten
ein: 4ch U., bischof und bekenner habe immer so geglaubt
und gehe in diesem allein wahren glauben zum herm, d. h.
in diesem glauben habe ich gelebt und will ich sterben'. Das
ist eine nicht ungewöhnliche phrase, 2) aber indem XJlfilas die
form des praesens von facere wählt, gibt er doch zu erkennen,
wie mir scheint, dass er den tod bereits in nächster nähe
sieht. Die form eines testamentes hat er aber seiner letzten
erklärung nicht gegeben, und inhaltlich geht ihr der Charakter
eines solchen ebenfalls vollständig ab. Man lese nur einmal
genau die wenigen zeilen und vergleiche sie mit den übrigen
Symbolen, die uns aus jener zeit überliefert sind, dann wird
man nicht verkennen können, dass es sich unter den obwal-
tenden Verhältnissen für das gotische volk sehr wenig eignete:
es ist, wie ich schon bemerkte, zu knapp und zu zweideutig
für das volk, namentlich dann, wenn Ulfllas der extreme
0 Sie träg^ jetzt die Signatar Lat. 5809.
•) So beginnt auch das symbolum des märtyrers Lucian: tavttjv
ovv I ;( orrc g x^v niaxiv xal iS di^ijg xal fiixQi xiXovq exoweg . . . Vgl.
unten s. 170: nos ab initio didicimtis (zweite antiochenische formel).
Beitrüge ivr genhichto der deatielien spraolie. XXIT. \\
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162 Josrfcö
Arianer war, als welchen ihn Auxentius hinstellt; wenn dieser
die paar Zeilen einer so langen und wortreichen ausdentung
für bedürftig hielt, so ist er dabei von einem durchaus rich-
tigen gefühle geleitet gewesen. Ein bischof der vierzig jähre
lang seinem volke den arianismus in der schroffsten form ver-
kündet und alle anderen richtungen auf das schär&te bekämpft
hatte, von dem sollte man doch annehmen müssen, dass er auf
seinem Sterbebette in bedenklichen zeitläuften — und bedenk-
lich stand die sache der Arianer in den ersten achtziger jähren
des 4. jh.'s zweifellos — in einer deutlicheren und entschiede-
neren spräche redete, als es hier geschieht. Denn namentlich
ist der hauptstreitpunkt zwischen den Arianem und Homou-
sianern, das Verhältnis des sohnes zum vater (wie ich unten
weiter ausführe) hier so obenhin und mehrdeutig bezeichnet,
dass strenge Arianer zu jener zeit dadurch in ihrem glauben
eher wankend gemacht als gestärkt werden konnten.
Auf keinen fall gibt uns also Ulfilas selbst eine handhabe
für die annähme, er habe das glaubensbekenntnis für sein
Volk bestimmt. Wenn Auxentius es so bezeichnet, so braucht
das nicht mehr zu besagen, als wenn auch wir heutzutage
noch die (auch zufällig) letzte willensäusserung eines mannes
'sein testament' nennen.
Irgend eine veranlassung zu der abfassung des Schrift-
stückes muss für Ulfilas nun aber doch vorgelegen haben; ein
inneres bedürfnis allein kann dabei nicht entscheidend gewesen
sein: es wäre dann sicher nicht so lakonisch ausgefallen. Ein
solcher äusserer anlass ist nun in der tat noch nachweisbar.
Nachdem nämlich die einladung zu dem concil von Constan-
stinopel im jähre 383 bereits erfolgt war, setzten es die Ho-
mousianer in Verbindung mit den Novatianem beim kaiser
durch, dass die versprochene disputation untersagt wurde.
Statt der mündlichen ordnete Theodosius insoweit eine schrift-
liche Verhandlung an, als er den bischöfen der verschiedenen
Parteien glaubensformulare einzureichen befahl, aus denen er
eins auswählen und allgemein anzunehmen befehlen wollte.
Schon Krafft hat die Vermutung ausgesprochen, dass unser
testamentum auch als ein solches glaubensformular für den
kaiser gedient habe; jetzt nachdem sich testamentum als ein
lesefehler herausgestellt hat, dürfen wir bei dem ganzen
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DAS TOD£SJAHlt DfiS ÜLl^ItiAS U.S.W. 163
Charakter des Stückes unbedenklich annehmen, dass es allein
und ausschlieslich fttr Theodosios bez. für das concil bestimmt
war. Ob es freilich nach dem tode des ülfilas noch in dessen
bände gelangte, muss dahingestellt bleiben: unwahrscheinlich
ist es grade nicht. ' Auxentius sagt von dem weiteren verlaufe
des concils überhaupt nichts; mit dem tode des Ulfilas hat es
das Interesse für ihn verloren, oder er setzt das weitere als
bekannt voraus.
Bei dieser annähme verliert die abfassung eines solchen
glaubensbekenntnisses alles auffällige, das sie sonst behält,
wie man die sache auch immer wenden und kehren mag.
Denn für jenen zweck war es nicht so ungeeignet: bei der
Vermeidung des Wortes omoimos einer- und dem anschluss an
die ausdrucksweise der älteren zeit über das Verhältnis des
Sohnes zum vater andrerseits — wobei die damalige kluft
zwischen den parteien allerdings mehr verschleiert als über-
brückt wurde — konnte XJlfllas bezüglich dieses punktes viel-
leicht noch wol eine allgemeine annähme erhoffen. Mit an-
deren Worten: ich halte das testamentum lediglich für einen
verschlag zu einer unionsformel und nicht für einen dem
gotischen volke gesetzten Wegweiser.
Doch wie dem auch immerhin sein mag: was in den an-
gaben des Auxentius für ein bestimmtes concil spricht, spricht
deutlich für dasjenige vom jähre 383: für ein anderes spricht
gar nichts.
Genau zu demselben ziele werden wir durch Maximin
geführt, freilich nicht auf einem directen wege, denn die
person des Ulfilas ist für ihn nur von nebensächlicher bedeu-
tung. Ihm kommt es lediglich darauf an, die beiden illyrischen
bischöfe Palladius und Secundianus in ihrer haltung auf dem
concil von Aquileja zu rechtfertigen und zu zeigen, auf welche
weise sie gehindert worden seien, selbst vor aller weit den
nachweis zu führen, dass nicht sie, sondern Ambrosius und
seine anhänger die häretiker seien. Zu diesem zwecke will er
auch die glaubensformeln angesehener bischöfe*) der früheren
*) Unbegreiflich ist der irrtmn KaufmannB, welcher meint, dass diese
bischöfe mit Ulfilas auf der synode in Constantinopel gewesen seien. Die
beiden welche genannt werden, Eusebios und Theognis, waren ja schon
11*
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164 JÖSTES
zeit mitteilen — u. a. das des kirchengeschichtsschreibers Euse-
bios und das des Theognis von Nicaea — die dasselbe gelehrt
und geglaubt hätten. Allein diese formeln sind ihm nicht zur
band gewesen, mit ausnähme einer einzigen, der des Ulfilas,
welche ihm in der schritt des Auxentius vorlag. Da die letz-
tere im wesentlichen eine mehr oder minder zutreffende, für
Maximin jedenfalls brauchbare ausftthrung der formel bildete
und sie zugleich als das glaubensbekenntnis eines weiteren
bischofs gelten konnte, so nahm er die ganze schritt einfach
so auf wie sie ihm vorlag.
Es ist im gründe also blosser zufall, dass diese schfift
jetzt ganz allein als beweisstück für die behauptung des Ma-
ximin dasteht. Maximin lebte augenscheinlich in einer gegend
wo die schritt des Auxentius verbreitet war, die werke der
Orientalen ihm aber nicht zur band waren. Aus seiner leb-
hatten Sympathie grade für Palladius darf man vielleicht
schliessen, dass er ein nachf olger desselben im bischofeamte
war; persönlich nahe kann er ihm nicht gestanden haben,
da er sich für die anwesenheit der beiden bischöfe auf der
Synode von Constantinopel auf eine schrittliche quelle (gw-
stula^)) beruft und von dem divinum magisterium des Arius
spricht, während Palladius auf dem concil von Aquileja von
einer ideengemeinschatt mit Arius nichts wissen wollte. Ma-
ximin gehört eben einer späteren generation an, die sich
bereits ausdrücklich und mit stolz als anhänger des Arius
bekannte.
Da nun aber die schritt des Auxentius formell nicht
deutlich bei Maximin als eine der von ihm versprochenen
professiones erscheint, zumal sie einige geschichtliche angaben
enthält, wird das gefühl erweckt, dass sie den Zusammenhang
der schritt Maximins unterbricht, und dieses gefühl wird noch
dadurch verstärkt, dass dieser an das stück in einer weise
anknüptt, als wenn er gar keine anderen professiones habe
bringen wollen. Denn da Ulfilas — was an sich ganz neben-
jahrzehnte tot! Die memorati episcopi sind natürlich Palladins und Se-
cundianus.
^) Die Schrift des Auxentins kann damit nicht gemeint sein; ich
möchte eher an den hrief des kaisers Theodosius denken, in welchem dieser
den Palladius zum concile berief.
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DAS TODESJAHR DBS ULFILAS U.S.W. 165
sächlich ist — auf demselben concil anwesend war wie die
beiden illyrischen bischöfe, so benutzte Maximin diesen um-
stand, um zur fortsetzung seiner eigenen erörtemngen wider
überzuleiten. In Wirklichkeit war Ulfilas ja gar nicht in die
angelegenheit jener beiden bischöfe verwickelt; auf dem concil
von Aquileja — über das wir sehr gut unterrichtet sind —
war er nicht einmal anwesend, geschweige denn angeklagt
oder gar verurteilt worden; nicht einmal sein name kommt in
den acten desselben vor. Deshalb konnte er sich auch gar
nicht, wie Palladius und Secundianus, in Constantinopel recht-
fertigen wollen. In beiden Sätzen, in denen Maximin den
Ulfilas erwähnt, geschieht dies ganz nebenher, das subject
bilden Palladius und Secundianus; von Ulfilas konnte auch
unmöglich gesagt werden, er habe sich ad alium comitatum
begeben.
Ich kann daher Waitz und seinen nachfolgern nicht zu-
stimmen, wenn sie meinen, dass durch den verlust der zeilen
unmittelbar vor der schrift des Auxentius der Zusammenhang
vollständig verdunkelt worden sei; mir will scheinen, dass
dieser trotz der lücken des textes doch noch deutlich genug
erkenntlich ist. Derselbe ist nämlich nach meiner meinung
dieser: das verfahren des Ambrosius und seiner anhänger in
Aquileja gegen Palladius und Secundianus war durchweg
ungerecht: nicht die majorität sondern die minorität hat dort
den glauben der alten kirche vertreten, wie das die professiones
der bischöfe alter zeit beweisen. Dies haben auch Palladius
und Secundianus in Constantinopel selbst öffentlich nachweisen
und sich damit rechtfertigen wollen, aber das durch die Um-
triebe der gegner erlangte verbot des kaisers hat es unmög-
lich gemacht.
Also nicht der eigentliche gedankengang Maximins ist
dunkel, wol aber ist es seine aussage über das concil selbst,
und zwar ist sie es hauptsächlich dadurch geworden, dasis er
das was bereits in der schrift des Auxentius stand, nicht hat
widerholen, sondern nur ergänzen wollen. Deshalb sagt er
auch nicht ausdrücklich, dass die bischöfe sich zu dem bereits
formell einberufenen concil nach Constantinopel begeben
hätten, von dem Auxentius spricht. Dass er aber dieses und
kein anderes meint, beweisen die worte ut sanctus Auxentius
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166 J08TE8
exposuit, denn dieser spricht nur von einem einzigen concile,
und zwar von einem nicht noch zu erbittenden, sondern be-
reits formell einberufenen. Dabei schiebt er — und das er-
klärt sich durch den speciellen zweck seiner schrift — den
Palladius und Secundianus, die Auxentius nicht einmal erwähnt,
ganz in den Vordergrund und stellt die sache fast so dar, als
ob sich das ganze concil um sie gedreht hätte und lediglich
durch sie und für sie erbeten gewesen sei. Wenn es nun auch
nicht zu bezweifeln ist, dass die beiden an ein orientalisches
concil appelliert hatten und ihre sache auf dem programm des
einberufenen stand, so hatte dieses doch sicher noch andere
und noch wichtigere aufgaben zu lösen, von denen Maximin
nichts sagt. Sein verfahren ist das aller einseitigen apologeten
und deshalb nicht befremdlich. Aber ganz misverständlich,
wenn nicht geradezu unrichtig ist es, wenn er angibt, dass
Palladius und Secundianus erst nach ihrer ankunft in Con-
stantinopel — denn das besagt doch wol der Wortlaut — das
concil von den kaisem erbeten hätten. Das muss vorher
geschehen sein! Denn was war noch zu erbitten, wenn es
sich hier um dasselbe concil handelt, von dem Auxentius
spricht? und das tut es doch nach Maximins eigenen werten!
Und wann hätten sie die beiden kaiser (imperatores) in
Constantinopel um ein concil bitten können? Was hatte
Gratian, bei dem übrigens Palladius schon vor der synode
von Aquileja eine audienz hatte, mit einem orientalischen
concil zu tun? Man mag sich für ein beliebiges concil ent-
scheiden, diese angäbe des Maximin bleibt mindestens unver-
ständlich. Sie ist übrigens auch nicht von wesentlicher be-
deutung für die beantwortung unserer frage, denn einmal ist
klar, dass Maximin von demselben concil spricht wie Auxen-
tius, und dann ist bei venissent und adissent, wie das alt um
comitatum beweist, an Ulfilas als subject überhaupt nicht zu
denken.
Ueberhaupt scheint es mir auch ganz unmöglich zu sein,
die bittreise von der concilsreise zu trennen. Denn nach
Auxentius wurde Ulfilas zu einem concile berufen und starb
während desselben. Deshalb kann er nicht an einer bittreise
der beiden illyrischen bischöfe teilgenommen haben, die nach
diesem concile fiel. Aber auch dann, wenn man mit Sievers
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DAS T0DE8JAHB DES ULFILAS U.S.W. 167
die bittreise vor das concil verlegt und jene 380/81, diese
383 ansetzt, ist noch keineswegs ^ alles in schönster Ordnung',
vielmehr ist diese annähme ebenso unmöglich wie die andere.
Denn da Palladius und Secundianus von dem erkenntnisse der
Synode zu Aquileja an ein orientalisches (bez. allgemeines)
concil appellierten, müsste auf jeden fall die bittreise ebensogut
wie das concil selbst nach dieser synode stattgefunden
haben. Nun begannen aber die Sitzungen der synode von
Aquileja erst im September des jahres 381, zu einer zeit, als
das concil des gleichen jahres in Constantinopel bereits beendigt
war. Selbst die bittreise könnte daher kaum mehr in das
jähr 381 fallen, und ganz unmöglich ist es, dass das auf der-
selben erlangte versprechen eines concils durch das gesetz vom
10. Jan. 381 rückgängig gemacht worden sei. Wenn Ulfllas
mit Palladius und Secundianus in Constantinopel gewesen ist
— und daran zu zweifeln ist unzulässig — dann muss er
jedenfalls das jähr 381 überlebt haben, und muss das concil
von dem Auxentius und Maximin sprechen, ein anderes sein
als das jenes jahres.
Meines erachtens liegt die (übrigens nebensächliche) frage
der bittreise so: Maximin will sagen, dass die beiden illyrischen
bischöfe nicht bloss zu dem concile berufen seien, sondern auch
das versprechen gehabt hätten, dass ihre angelegenheit auf
demselben verhandelt werden sollte. Das ibique imperatores
bleibt aber auf jeden fall für uns unerklärlich.
Hat nun aber Ulfilas — und das steht, auch nach Maximin,
unbedingt fest — die synode von Aquileja und somit auch das
concil von Constantinopel des gleichen jahres überlebt, dann
werden wir widerum zu dem concil vom jähre 883 geführt,
auf welchem die bischöfe aller parteien zu einer disputation
versammelt waren.
Dass nun die änderung des ursprünglichen planes, statt
mündlich gewissermassen schriftlich zu verhandeln — wodurch
der Charakter eines conciles überhaupt verloren gieng — nur
durch einen kaiserlichen erlass erfolgen konnte, liegt auf der
band. Aber dieser erlass war doch wol nur an die bischöfe
selbst gerichtet und wurde nicht in die allgemeinen gesetze
aufgenommen, so dass der irrtum des Maximin, der nach dem-
selben in einer gesetzsammlung suchte, leicht erklärlich ist
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168 J08TE8
Vorzüglich imterrichtet ist Maximin überhaupt nicht; er
hätte sich sonst gewis nicht auf das glaubensbekenntnis des
Eusebios berufen können; sein glaubensgenosse Philostorgios
beurteilt diesen ganz anders und viel richtiger.
Nach alledem scheint es mir keinem zweifei mehr unter-
liegen zu können, dass Ulfilas auf dem concile vom jähre 383
gestorben ist. Ob die angäbe des Philostorgios, dass er von
Eusebios von Nikomedien geweiht sei, auf einem irrtum beruht,
oder (was ihr auch noch nicht einmal widerspräche) Auxentius
eine runde biblische zahl gebraucht, wenn er dem Ulfilas ein
genau vierzigjähriges bischofstum zuschreibt, darüber mag man
meinetwegen streiten; Sievers hat das letztere zum mindesten
sehr wahrscheinlich gemacht, und wer das bestreben hat,
scheinbare Widersprüche der quellen in möglichst wenig gewalt-
samer weise auszugleichen, wird auf seine seite treten müssen.
Ich habe vorhin schon nebenbei bemerkt, dass es dem
sogenannten testament des Ulfilas an deutlichkeit fehle. Da
die Worte des einganges semper sie credidi als beweis dafür
dienen, dass die angäbe des Socrates u.s.w., Ulfilas habe ur-
sprünglich zur gemeinschaft der orthodoxen gehört, unwahr
sei, so dürfte es nicht überflüssig sein, auf dieses ^testament'
etwas näher einzugehen. Ist es doch verschieden genug be-
urteilt worden! Während Waitz auf grund desselben den
Ulfilas einer milderen richtung des arianismus zuwies, pflegt
man in neuerer zeit seine entschiedenheit immer mehr zu ver-
schärfen, wobei man weniger auf die worte des Ulfilas als
auf die des Auxentius fusst. Nun ist es aber jedenfalls un-
gerechtfertigt, den lehrer dann nach den Sätzen des Schülers
zu beurteilen, wenn die des lehrers selbst noch vorliegen.
Hätte Ulfilas alles das sagen wollen was Auxentius sagt, dann
hätte er das selbst können; und wenn er es unterliess, so wird
das seine guten gründe gehabt haben. Wir bedürfen der bei-
hilf e des Auxentius gar nicht, um das glaubensbekenntnis
seines lehrers richtig beurteilen zu können.
Vergleichen wir es mit den übrigen uns erhaltenen Sym-
bolen jener zeit,^ so stellt sich das urteil etwas anders heraus;
>) Hahn, Bibliothek der sjmbole und glaubensbekenntnisse der alten
kircbe', Breslau 1877. Die sjmbole wurden jeweilig nicht nur nach den
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DAS TODESJAHB DES ÜLPILA8 Ü.8.W. 169
man mnss dabei jedoch bedenken, dass man damals auf den
blossen Wortlaut nicht viel gewicht legte; ist es doch vor-
gekommen, dass auf ein und derselben synode vier verschiedene
formein neben einander aufgestellt und gutgeheissen wurden!
Unter allen formein nun scheint mir, was den hauptstreit-
punkt zwischen Arianern und orthodoxen anlangt,
keins so sehr mit dem des Ulfilas fibereinzustimmen als das
des heiligen Basilius (f 379). Ich stelle zum vergleiche hier
die texte neben einander:
Iliatsvofiev xal öfioXoyovfiev Svtx Ego Ulfila episkopns et confessor
/lovov ahjdivöv xal aya^ov d^ibv semper sie credidi et in hac fide
xal naxi^a navxoxQoxoga, ii ov sola et vera tiansitum facio ad do-
ta Kttvxa, xov &eov xal naxi^a xov minum. Credo nnnin esse deum so-
xvqIov rjiiwv xal ^eov *itjaov Xqi- lum ingenitum et invisivilem et in
axov, Kai ^va xov fjiovoysvtjv av- nnigenitnm filium eins dominnm et
xov vibv, xvQiov xal d^ebv ^fiwv deum nostrnm, opificem et üactorem
*lrj<fovv Xqioxov fiovov dkij^ivov, nniyerse creatnre, non habentem si-
öl* ov xa ndvxa iyivexo, xa xs milem samn — ideo nnns est dens,
OQaxa xal dogaxa, xal iv <j> xa qui et dei nostri est dens — et nnun
navxa ... Sq iv fiOQipy ^sov vnaQ- spiritnm sanctum yirtatem inlomi-
Xofv ovx a^ayfibv fiyijoaxo slvai nant«m et sanctificantem . . . nee
laog ^€(p, du.* iavxbv ixivtoae, xal denm nee dominnm sed ministrum
dia Xfjg ix TtaQ^ivov yevi^aewg (aoq- Cristi . . . snbditnm et oboedientem
ipiiv öovXov kaßwv xal axvf^axi svqc- in omnibos filio, et filium subditum
^elQ wg av^Qwnoq navxa xa eig et oboedientem in omnibus deo
avxbv xal negl aixov y^ygafifiiva patri.
inkf^i^iüci xaxa xt^v ivxoXrjv xov
TioxQbg, yBvofiBvoq vnijxoog fiixQ''
d'avdxov . . xal ^v fiovov nvevfia
ayiov, xbv naQaxXrjxov . . *)
Man sieht, es existiert bis auf die frage vom hl. geist gar
kein wesentlicher unterschied zwischen den beiden formein;
selbst das so stark betonte qui et dei nostri est deus findet
sich bei Basilius wider: xov ß'sov xal ^taziga rov xvqIov iifimv,
zeityerhältnissen , sondern sogar nach den personen die sie abzulegen
hatten, im Wortlaute abgeändert. So mussten die zur Orthodoxie zurück-
kehrenden Apollinaristen ein von Hieronymus aufgesetztes glaubensbekennt-
nis unterschreiben, in das dieser auf wünsch des papstes Damasus die be-
zeichnung Christi als homo dominicus aufgenommen hatte. Vgl. Hefele,
Conciliengeschicht« 2, 40.
0 Man beachte auch, dass Basilius sich (wie alle Orientalen und auch
Ulfilas) bemüht, auch in den worten sich möglichst biblisch auszu-
drücken.
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170 J08TES
und diese stelle bei Basilius macht es sogar wahrscheinlich,
dass der fehler der hs. de nostris nicht aus dei, sondern aus
domini (di) nostri der vorläge entstanden ist; sachlich ist das
freilich gleichgiltig. Basilius war ein Zeitgenosse des Ülfilas;
es gibt noch eine ältere form, die man zum vergleiche herbei-
ziehen kann; es ist die erste der synode in Encaeniis (341),
auf der vielleicht Ulfllas zum bischof geweiht wurde; jeden-
falls gehört sie derselben zeit an: (nam) nos ab initio didt-
cimus, in unum deum totius universitatis , omnium verum
quae tum mente tum sensu percipiuntur opificeni et creatorem
credere: et in unum filium dei unigenitum, qui fuit ante omnia
saectila et una cum patre, qui cum genuerat, exstitit: per quem
omnia visibilta et invmbilia facta sunt: qui in novissimis diebus
secundum patris benepUidtum descendit et carnem de sancta
virgine assumpsit: qui omnem patris voluntatem eplevit
Credimus etiam in spiritum sanctum : et si quid amplius adiun-
gendum est, credimus camis resurrectionem et vitmn aetemam
(Harduin 1, 606).
So viel ist sicher, dass, auch wenn Ulfilas sein ganzes leben
von dem Verhältnisse des sohnes zum vater so geglaubt hat,
er ebensowol mit seinen Goten zur gemeinschaft der ortho-
doxen kirche gehört haben kann wie etwa Basilius. Wenn
Auxentius aus dem texte etwas anderes heraus liest, als ich
darin finde, so muss man doch das zugestehen, dass sich aus
Basilius' worten genau dasselbe herauslesen lässt. Muss es
nicht auch höchst merkwürdig erscheinen, dass Auxentius
nicht einen einzigen ganz unzweideutigen beleg für die dem
Ulfllas von ihm zugeschriebenen ansichten aus dessen anderen
Schriften, die ihm doch bekannt sein mussten, beibringt?
Warum lediglich diese paar zeilen, die einer so ausführlichen
und mindestens gewaltsamen Interpretation bedürftig waren?
Es ist richtig, dass Ulfilas das wort omousios vermeidet
aber das taten auch orthodoxe theologen,«) selbst solche, die
') Sogar Athanasius sagt : tiqoc dl xohg dnoSsxo/jtivovc tcc fitv aXka
navxa ttäv iv Ntxalft yQafpivtwv^ nsQl 61 fiovov xo bfioovaiov dfnpißaX-
?.ovtag xQh f^h *i? TiQoq ix^Qovq öiaxfta&ai. xal yag xtxi ijfielQ ovx »C
ngbQ k^eiOfjtaviraQ, ovS' mq fiaxofiivovg ngog tovg naxigaq iviordfis^ay
dkk* wg dd$k(poi fj/Hv öidvoiav ^/ovrcrc, nBql 61 xo ovofia fiovov 6i<$tdr
'C,ovxag, De »ynodis no. 41.
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DAS TODBSJAHB DBS ULFILAS U.S.W. l7l
unter die heiligen der kirche aufgenommen sind. Andrerseits
vermeidet er auch das schiboleth der damaligen Arianer, dass
der söhn eine ^creatur' des vaters sei, und ebenso nennt er gott
vater inrisivüem, während wenigstens die strengen Arianer
gott für ebenso erkennbar hielten als sich selbst (Eunomins).
Soweit vermag ich aus dem stücke keinen anderen ein-
druck zu erhalten als den dass es inhaltlich orthodox ist,
dass wir aber in ihm einen Vorschlag zu einer unionsformel
vor uns haben, in der das für beide Seiten anstössigste fort-
geblieben ist und die spräche der mittelpartei geführt wird.
Ganz anders steht es mit Ulfilas' ansieht vom hl. geiste.
Von den Arianem alten Schlages war derselbe überhaupt noch
nicht in die discussion gezogen worden, oder wenigstens war
kein streit über ihn entstanden. Erst lange nachdem Ulfllas
bischof geworden war, war die frage durch Macedonius zu
einer brennenden geworden; das Nicaenum sagte nur: credo et
in spiritum sand/am. Wenn nun Ulfilas vom hl. geist sagt:
nee deum nee dominum sed ministrum Cristi, so eignet er
sich damit ganz unstreitig das schiboleth der Macedonianer
oder Pneumatomachen an, die er nach Auxentius immer be-
kämpft haben soll, und wer ihn lediglich nach seinem ^testa-
mentum', ohne rücksicht auf die Interpretation des Auxentius
richtig unterbringen will, der kann ihn nur zu jenen stellen
und nicht zu den eigentlichen Arianem. Uebrigens zeigt diese
stelle, dass Ulfilas auch auf seinem Sterbebette noch wol deut-
lich das zu sagen verstand, was er sagen wollte.
Dieser umstand nun, dass Ulfilas grade beim hl. geiste
sich so entschieden ausdrückt, scheint mir auch darauf hinzu-
weisen, dass dieses ^testament' auf dem concil von 383 und
für dasselbe abgefasst ist. Denn man hatte diese frage nur
auf kleineren synoden behandelt, bis das concil von 381 die
lehre der Pneumatomachen verurteilte, und deshalb war es
selbstverständlich, dass die angelegenheit wider zur Verhand-
lung kommen würde. Und hierbei war es viel weniger sicher
als bei dem amousios, wie der entscheid ausfallen würde, denn
auch hochangesehene orthodoxe theologen, z. b. Basilius, hatten
sich bisher hier sehr reserviert verhalten. Bardenhewer sagt
von letzterem: * nichtsdestoweniger hat er mit rücksicht auf
die den Pneumatomachen günstigen Zeitverhältnisse (ob allein
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172 JOSTES
deshalb?) fort and foi-t scheu getragen den hl. geist geradezu
gott zu nennen'. <) Es ist immerhin auch sehr auffallend, dass
Ulfilas allein bei diesem punkte seine meinung mit
schriftstellen stützt.
Die behauptung der griechischen kirchenschriftsteller, dass
Ulfilas ursprünglich zur gemeinschaft der orthodoxen gehört
habe, brauchte durch das semper sie credidi also auch dann
noch nicht einmal als erschüttert betrachtet zu werden, wenn
man diesen ausdruck viel schärfer auffassen dürfte, als es bei
seiner formelhaftigkeit erlaubt ist.
Vollends unzulässig ist es hier * orthodoxe entstellung',
^fälschung der Überlieferung' u.s.w. anzunehmen; wenn man
diese glaublich machen wollte, müsste man sie doch mindestens
psychologisch begreiflich zu machen wissen. Aber kein mensch
wird angeben können — geschweige denn dass es bisher ge-
schehen wäre — was die orthodoxen damit hätten bezwecken
können, wenn sie behaupteten, Ulfilas habe nicht von anfang
an zu den Arianem gehört, sondern sei erst später zu ihnen
übergetreten, und zwar erst als bischof. Mir ist weder aus
der erfahrung noch aus der geschichte ein fall bekannt, dass
ein apostat — sei es nun religiöser, politischer oder auch
wissenschaftlicher art — sich von seite seiner früheren Partei-
genossen einer liebenswürdigeren behandlung erfreut hätte als
die welche nie zur partei gehört. Im gegenteil ist er immer
der am schärfaten beurteilte: nie gereicht es ihm zur ent-
schuldigung, dass er ehemals andei*s gedacht, wol aber wird
ihm in der regel vorgeworfen: im herzen habe er eigentlich
nie zur partei gehört, und er hätt« viel besser getan bereits
früher auszuscheiden! Die drei griechischen kirchenhistoriker,
Sokrates, Sozomenos und Theodoret, hätten demnach psycholo-
gisch gleichmässig wunderbar veranlagt gewesen sein müssen,
wenn sie hätten glauben sollen, ihrer sache einen dienst zu er-
weisen, indem sie Ulfilas erst als bischof arianisch werden Messen.
An und für sich braucht man diese kirchenhistoriker, die
rund 60 oder mehr jähre nach dem tode des Ulfilas schrieben,
nicht für zeugen erster klasse zu halten, allein ihre angäbe
wird, und das ist von grosser bedeutung, durch Zeitgenossen
>) I'atrologie s. 159.
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DAS TODESJAHR DBS ULFILAS U.S.W. 173
bestätigt Wir kommen damit zu der frage nach dem über*
tritte der Goten zum arianismas überhaupt.
Bei der behandlung dieser frage scheint man mir von der
ansieht auszugehen, dass die Stellung des arianismus zur da-
maligen Orthodoxie ungefähr der heutigen Stellung des Pro-
testantismus und zwar des freisinnigen Protestantismus zum
katholicismus entspräche, wobei dann hier und dort auch noch
die 'schweren sorgen um glaubensfreiheit' bei den Arianem
betont werden. Nun abgesehen davon, dass dieser moderne
begriff damals noch fehlte und die toleranz auf seite der
Arianer*) mindestens nicht grösser gewesen ist als bei den
orthodoxen, ist die gleichstellung schon deshalb falsch, weil
beide parteien sich nur in der lehre, nicht aber im cultus
unterschieden. Damit lag es wesentlich an den bischöfen und
allenfalls noch manchmal an den ftirsten, zu welcher partei
eine gegend oder eine gemeinde gehörte. Waren diese ge-
wonnen, dann vollzog sich der übertritt, wie auch z. b. der der
Goten zum katholicismus, sehr leicht und unauffällig. So er-
klärt sich auch das ewige schwanken des besitzstandes der
beiden parteien im vierten Jahrhundert. Deshalb müsste, wenn
Ulfilas von anfang an Arianer gewesen wäre, auch sein volk
im ganzen wenigstens arianisch gewesen sein, denn einen
orthodoxen bischof neben ihm hat es nicht gegeben. Dass
dies aber nicht der fall gewesen ist, lässt sich aus den zeit-
genössischen Schriftstellern mit voller Sicherheit beweisen. Die
Wichtigkeit der hier in betracht kommenden stellen hat am
besten der scharfsinnige Bessell gewürdigt, wenn er auch leider
bei der auffassung und auslegung mehrerer von ihnen einen
irrweg gegangen ist.
Von grosser Wichtigkeit ist zunächst das urteil des Mai-
länder erzbischofs Ambrosius, dem der kaiser Gratian wie ein
söhn ergeben war, und der ganz gewis zuverlässig unterrichtet
sein konnte. Am Schlüsse seines zweiten buches De fide (ab-
gefasst378) redet er den kaiser an: Gog iste Gothus est, quem
iam vidimus exisse, de quo proviUtitur nobis futura victoria . . .
Nee ambiguum, sancte Imperator , quod qui perfidiae alienae
pugnam excepimus, fidei catholicae in te vigente habituri sumus
*) Diese tauften die orthodoxen sogar von neuem, was umgekehrt nicht
geschah.
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17i J08TE8
auxilium, Emdens enim antehac divinae indignationis causa
praecessii: ut ihi primum fides Romano imperio frangeretwr,
übt fracta est deo. Non licet confessorum neces, tormenta, exilia
recordari, piorum sacerdoiia, proditorum munera. Nonne de
Thradae partibus per ripensem Daciam et Mysiam omnemque
Valeriam Pannoniorum, totum illvm limitem sacrilegis pariter
vodbus afjdivimus inhorrentem?
Bessell») bemerkt dazu: 'wenn es bekannt gewesen wäre,
dass die Goten gar durch einen offenen vertrag mit Valens
vorher schon Arianer geworden, ja dass sie überhaupt Christen
waren, so hätte man doch ganz andere Wendungen des Am-
brosius zu erwarten gehabt. Er hätte in jenem kämpfe eher
eine sich selbst^) zerfleischende häresie sehen müssen, und den
krieg, den der kaiser Gratian, an welchen jenes werk gerichtet
ist, eben zu unternehmen im begriff war, mindestens unter
den gesichtspunkt gestellt, dass er in den Goten selbst die
häresie zugleich bekämpfe, während er doch in den Worten,
die er in bezug auf den zu erwartenden sieg des kaisers
schreibt: »wir, die wir den kämpf mit der häresie aufgenommen
haben, werden in te vigente eine hilfe des katholischen glaubens
haben«, nur an eine mittelbare Unterstützung von Seiten des
kaisers denkt.'
Das unterschreibe ich vollständig bis auf die annähme,
Ambrosius habe hier die Goten überhaupt noch nicht für
Christen gehalten: sie ist unmöglich. Man muss bedenken,
dass bei Ambrosius (und hierin ist ihm Philostorgios ganz
gleich) die Sympathie für seine glaubensgenossen durch seine
sorge um die cultur gezügelt ist und er in den Goten doch
'barbaren' sieht, welche diese cultur zu vernichten drohen.
Dass die zunächst betroffenen stamme arianisch waren, kommt
für ihn gar nicht in betracht; er will trotzdem den kämpf
und trotzdem, dass die Goten gut und blut für den glauben
dahingegeben haben. Und diesen glauben hält er für seinen
eigenen.
Die zweite stelle findet sich in seiner Expositio evang. sec,
Lucam lib. 2, cap. 2.*)
>) A. a. 0. 8. 66.
') Weil in Thracien und Mösien 'damals der arianismus blühte'.
') Bardenhewer, Patrologie s. 404 sagt, dass dieses werk aus 385—387
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DAS TODESJAHR DBS ULFILAS Ü.S.W. 175
Da Bessell diese stelle nicht im zusammenhange gelesen
oder doch nicht gewürdigt hat, ist er einem misverständnisse
anheimgefallen.
Die betreffende homilie hat nämlich den vorsprach: factum
est autetn in diebtis Ulis, exiit edictum a Caesare Äugusto, ut
censum profiteretur universus arbis und handelt Ober die be-
rufung der Völker zum Christentum. Die uns hier interessie-
rende stelle lautet: vis Christi audire censores? lubentur
censere (d.h. das Christentum anzunehmen), sed non virgis:
nee terrore sed gratia plebetn quaerere: condere gladium, non
possidere aurum. Talibus censoribus acquisitus est orbis,
Defiique; ut scias, censum non Augusti esse sed Christi, totus
orbis profiteri iubetur. Quando nascitur Christus, omnes pro-
fitentur, quando mundus concluditur, omnes per iclitantur, Quis
ergo poterat professionem totius orbis exigere, nisi qui totius
habebat orbis imperium? Non enim Augusti, sed domini est
terra et pUnitudo eius, orbis terrarum et universi qui habitant
in eo. Gothis non imperabat Augustus, non imperabat Arme-
niis, imperabat Christus. Acceperunt utique Christi censores,
qui Christi martyres ediderunt Et ideo fortasse nos vincunt,
ut praesentia docent, quoniam quem Uli oblatione^) san-
guinis fatebantur, huic Ariani quaestionem generis
inferebant
Wenn Bessell meint, ^dass Ambrosius in bezug auf das
Christentum der Goten nicht von der gegenwart spricht', so
liegt da ein arger Irrtum vor: es handelt sich hier um das
censere, d.h. um die annähme des Christentums ( — hätten
die Goten es in der arianischen form angenommen, würde er
sie auch gewis nicht so unmittelbar neben die katholischen
Armenier gestellt haben — ), und die gehörte bei den Goten
wie bei den Armeniern der Vergangenheit an. Dieser irrtum
hat dann die ganzen weiteren ausfährungen ßessells entgleisen
lassen, so die, dass Ambrosius das zweifelnde fortasse gewis
nicht gesetzt haben würde, *wenn er die siegreichen Goten
allgemein für katholiken gehalten hätte'. Nun, das fortasse
gehaltenen homilien entstanden sei. Diese homilie ist sicher älter als das
jähr 385, wie die historische anspiehmg beweist. Bessell setzt sie frühe-
stens nach 379.
*) Bessell liest obliviane, was offenbar ein dmckfehler ist.
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176 JOSTES '
hat Ambrosius gesetzt, einmal weil den ausgang eines krieges
doch niemand mit Sicherheit vorhersagen kann, and dann, weil
er den sieg der Goten aus sorge um das reich und die cultur
nicht wünschte, trotzdem es seine glaubensgenossen waren.
Darin wird aber jedermann Bessell recht geben, dass sie
damals, also c. 380, keine Arianer waren (wenigstens dass Am-
brosius sie nicht dafür hielt); beiden können sie aber auch
jener worte wegen nicht mehr gewesen sein, das ist unmöglich.
Somit sehen wir, dass Ambrosius die Goten bis minde-
stens zum jähre 380 für seine glaubensgenossen hielt, und dass
ein mann der so wie er mitten im getriebe der kirchlichen
und weltlichen politik stand und, wie sein vorgehen gegen
Palladius und Secundianus beweist, wol ein scharfes äuge für
Arianer besass, hier schlecht unterrichtet gewesen sein soll,
das ist doch ganz unwahrscheinlich. 0
Aber Ambrosius steht mit seiner ansieht auch keineswegs
allein, vielmehr besagen eine reihe anderer zeitgenössischer
berichte genau dasselbe. Ich führe hier zunächst die Goten
an, auf deren aussage Augustin fusst, wenn er in der Civitas
dei 18, 52 sagt: nisi forte non est persecutio camputanda,
quando rex Gothorum in ipsa Gofhia persecutus est Christianos
crudelitate mirabili, cum ibi non essent nisi catholici,
quorum plurimi martyrio coronati sunt, sicut a quibusdam
fratribu^, qui tunc (370 — 372) illic pueri fuerant, et se ista
vidisse incunctanter recordabantur, audivimus.
Dazu stimmt, dass nicht nur Nicetas mit seinen genossen,
sondern auch die beiden zur gemeinde des Ulfilas gehörenden
*) Dass Ambrosius über die yerhältnisse unter den Goten nicht un-
unterrichtet war, beweisen die acten des concils von Aqoileja, wo von
einem yerlanfenen, auch arianisch gesinnten priester Julianus Valens, der
sich bei ihnen henimgetrieben hatte, die rede ist. Die stelle beweist auch,
dass Ambrosius wusste, dass damals noch nicht alle Goten christlich waren.
Mit derartigen indiyiduen ist indes nicht viel zu beweisen, sie versuchen
immer ihr heil mit yorliebe auf neuerworbenen boden. Auch die angaben
des Eunapius über die qualität des gotischen Christentums dürfen wir nicht
zu hoch taxieren, nicht weil er ein beide war, sondern weil er seinen
massstab von dem Christentum der gebildeten Städter nahm. Namentlich
wenn der übertritt massenhaft erfolgt, ist es auch bei redlicher Über-
zeugung eines Volkes nicht möglich, ihm gleich reine begriffe beizubringen.
Vgl. BesseU a.a.O. 8.611.
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DAS TODESJAHR DKS ÜLFILA8 Ü.8.W. 177
priester Vereka und Batvins (Yericas und Bathusis) in das
römische martyrologium aufgenommen sind. Die annähme
Kaufmanns, dass dies geschehen, trotzdem man gewusst habe,
dass es Arianer gewesen seien, scheint mir schon an sich ganz
unannehmbar; eher könnte man noch an einen irrtum denken,
aber dazu liegt auch nicht der geringste anlass vor, und die
aussage Augustins u. s. w. steht dem als ein nicht zu beseitigen-
des hindemis im wege.
Nicht anders als die weströmischen lauten die oströmischen
Zeugnisse in dieser sache. Die von Bessell s. 69f. aus Sozo-
menos und Theodoret angeführten erzählungen setzen, wie er
bereits richtig bemerkt hat, voraus, dass die Goten zu ende
der siebziger jähre mindestens keine Arianer waren. 'Aber
als noch wichtiger muss das zeugnis des Gregor von Nazianz
gelten, der während des Gotenkriegs eine reihe kirchlicher
reden zu Constantinopel hielt, die uns erhalten sind . . ., wenn
er (aber) etwa in der mitte des jahres 379 sagt,») dass man
die niederlage der Römer, die doch einst den erdkreis unter-
worfen hätten, nicht erklären könnte aus ihrer feigheit, son-
dern nur aus ihrer verderbtheit und der gottlosigkeit der
nicht-trinitätslehre, so ist sein urteil offenbar dasselbe
welches Ambrosius in demselben jähre aussprach und Trajanus
sowol wie Isaak ausgesprochen haben sollen. Es muss das
um so mehr geltend gemacht werden, als derselbe redner in
der mitte des jahres 380, also sogleich nach dem zweiten fluss-
übergange der Goten, in bezug auf die arianischen kämpfe
sagt: »nach der auflösung der eintracht durch die Verschieden-
heit der meinungen verfolgen wir uns mit fast grösserer grau-
samkeit als die jetzt uns mit krieg überziehenden barbaren,
welche die aufgelöste trinität vereinigt.« Nach dieser
^) deivhv 61 xal ta vvv OQtofjLfva rs xal dxavofisva' naxgldfq
dviatdiuevai xal fivQidSeq nlmovaai' xal xdfivovaa yij tolg alfjiaai xal
ToZg nxwfjtaoi xal Xabq dXXoyXwaaog wg oixeiav 6iatQix<ov ztjv dXlo-
TQiav ov 6l dvavÖQiav zwv nQO/Ltaxofiivofv xatTjyoQehüf fitiSelq, ovroi ydg
eiai ol fxixQov näaav tqv oixovf/ivijv nagaatriadiLisvoi, dkXa 6ia xr^v r^fic-
rigav xaxiav xal trjv inixQaxovaav xaxa xf^q Tgidöog daißsiav. Oratio 22
no. 2 (Migne, Patr. gr. 25, 1133).
Beitrftge znr gesohichte der deatsohen ipraobe. XXII. 12
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178 .tOSTES
bemerkung kann kein zweifei sein, dass die Goten damals
gleich als Arianer aufgetreten sind.'«)
Hier liegt offenbar wider ein misverständnis Bessells vor;
Gregor kann mit jenen worten unmöglich sagen wollen, dass
die Goten Arianer seien, sondern er will sagen: wir sind un-
eins, und ein grosser teil von uns Römern hat sich gegen die
trinität verfehlt, indem er sie nicht anerkennt. Und weil wir
sie aufgelöst haben, hat sie sich von uns abgewant und l[)e-
günstigt jetzt die barbaren. Gregor hätte doch eine merk-
würdige logik und eine noch merkwürdigere pastoral haben
müssen, wenn er seinen zuhörem hätte beibringen wollen, die
trinität begünstige die Goten zu Ungunsten der Römer, weil
jene in der leugnung ihrer existenz (im orthodoxen sinne)
einig, sie aber nur zum teil Arianer seien!
Man sieht übrigens, dass Gregor (ebenso wie Ambrosins)
über die tatsache, dass die Goten seine glaubensgenossen
waren, ganz sanft hinweggleitet. Welche waffen würden die
beiden in bänden gehabt und wie würden sie dieselbe ge-
schwungen haben, wenn die politischen zugleich ihre religiösen
gegner und glaubensgenossen der arianischen minderheit ihres
Volkes gewesen wären!
Nach alledem kann es keinem zweifei unterliegen, dass
die koryphäen der zeitgenössischen orthodoxen Ambrosius und
Gregor von Nazianz die Goten mindestens bis zum jähre 380
für ihre glaubensgenossen ansahen, und ihr zeugnis ist um so
wertvoller, als es nicht nur von sonst sehr gut unterrichteten
männem herrührt, sondern auch ganz nebenbei, ohne jeden
apologetischen zweck abgegeben ist. Ja man kann wol sagen,
dass sowol die Stellung des Ambrosius wie Gregors eine wesent-
lich günstigere gewesen wäre, wenn sie die * barbaren' auch
als Arianer hätten behandeln können. Dass sie dies nicht
taten, kann an nichts anderm gelegen haben als daran, dass
es nicht gieng.
Zu dieser tatsache stimmen nun aber anscheinend nicht
ganz die angaben der drei griechischen orthodoxen kirchen-
*) KaxiSiq fxlv xovq dXXi^Xofv imxriQOVfAiv xaiQoiq xal xo ovfixvxov x<p
hsQoöoSfp Xvaccvxegj fnxQOv xal xwv vvv noksfjtovvxwv ijfiiv ßoQßagwv,
ovg fj Tgiaq kvof/ipTj avviaxfiaev. Or. 33 no. 2.
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DAS TODESJAHR DES ULFILAS Ü.S.W. 170
historiker Sokrates', Sozomenos' und Theodorets wenigstens
insofern nicht, als sie den übertritt der Goten zum arianismus
früher, 360 oder 375, ansetzen. Sie schrieben aber alle drei
erst rund sechzig jähre nach dem tode des Ulfilas; es ist daher
nicht unangebracht ihre Zeugnisse nach dem Ursprünge zu
untersuchen, zumal dieselben sich auch unter einander wider-
sprechen. Vergleicht man sie mit einander, so stellt sich als
allen dreien gemeinsame angäbe diese heraus: Ulfilas trat in
Constantinopel zu einer zeit als dort mehrere häupter der
Arianer versammelt waren, (durch sie beeinflusst) mit den Goten
zum arianismus über. Das müssen schon die quellen gehabt
haben, und wahrscheinlich gaben diese auch an, dass es auf
einem concile geschehen sei. Sokrates fand den namen des
Ulfilas nicht in den concilsacten, natürlich auch nicht in denen
vom jähre 383, da er ja schon beim beginne des concils ge-
storben war. Und da arianische bischöfe mit Ulfilas zu-
sammengewesen waren, blieb für ihn nur die annähme übrig,
dass die Arianersynode von 3G0 gemeint sei. Dass Ulfilas an
dieser teil genommen, davon wissen wir sonst nichts, nur
Sokrates (und der von ihm abhängige Sozomenos) hat die
nachricht. Sie ist schon früher angezweifelt, i) und mit vollem
rechte; denn wenn einer, so hatte Auxentius Interesse daran
sie zu erwähnen, er sagt aber nichts davon, sondern erwähnt
nur ein einziges concil an dem Ulfilas teil genommen, deus
auf dem er starb. Sokrates gerät durch diese annähme auch
in Widerspruch mit den oben erwähnten lateinischen schrift-
steilem, und was auch etwas besagen will, sogar der sonst
nicht sehr kritische Sozomenos hat sich an ihr gestossen.
Theodoret hat Sokrates nicht gekannt; er oder schon sein
voi^änger dachte bei dem übertritt in Constantinopel an die
zeit da Ulfilas angeblich als gesanter zu Valens nach Con-
stantinopel geschickt sei, und schrieb die schuld dem längst
verstorbenen arianischen bischof Eudoxios zu, den er vielleicht
mit Eunomios verwechselte.
Sozomenos, der anscheinend die quellen beider vor sich
hatte, hat weder mit ihren angaben auskommen zu können
geglaubt, noch auch der combination des von ihm benutzten
^) Sieyen, Gnmdx. 2, 67 bezeichnet sie nur als ^walir8cheiiilich\
12*
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180 JOSTES
Sokrates getraut. Er hat offenbar noch andere nachrichten ge-
habt, die mit dieser nicht in einklang zu bringen waren. Er
übernimmt dieselbe zwar, fügt aber hinzu, dass die teilnähme
des Ulfilas an der Arianersynode von 360 mehr aus Unvorsichtig-
keit erfolgt sei, da er nach wie vor kirchengemeinschaft mit
den Nicänem gehalten habe.^) Die erzählung von dem Über-
tritte anlässlich der gesantschaft und den religionsverhand-
lungen mit den arianischen bischöfen ist ihm ebenfalls zweifel-
haft vorgekommen, sonst würde er sie nicht mit X^yerat ein-
geleitet haben. Wenn dabei irgendwie ein confessionelles
Interesse ersichtlich wäre, könnte man verdacht schöpfen.
Aber das ist nicht der fall: Sozomenos denkt nicht daran
ülfllas für seine partei in ansprach zu nehmen. Wann aber
grade sein übertritt erfolgt, das war nun doch sehr gleich-
giltig. Dass aber die bedenken des Sozomenos nur zu gerecht-
fertigt waren, haben wir oben gesehen.
Offenbar wusste man um die mitte des 5. jh.'s in den
kreisen dieser schriftsteiler nicht mehr genau die zeit, in der
die Goten arianisch geworden waren, sondern mu- noch, dass
Ulfilas den anstoss dazu gegeben hatte, und zwar in Constan-
tinopel. Angesichts dieser tatsache und den übereinstimmen-
den nachrichten der oben genannten Zeitgenossen scheint mir
nur eine möglichkeit übrig zu bleiben, nämlich anzunehmen,
dass Ulfilas erst im jähre 383 in Constantinopel öffentlich als
mehr oder weniger entschiedener Arianer aufgetreten sei und
dass der übertritt der Goten durch sein 'testamentum' ver-
anlasst wurde. Nimmt man das an, dann wären alle Wider-
sprüche gehoben und die Irrtümer der kirchenhistoriker er-
klärten sich leicht. Aber dieser annähme steht ein zeuge
entgegen: der schüler des Ulfilas, Auxentius. Es ist daher
notwendig auf dessen schrift hier näher einzugehen. Kauf-
*) ^'^aneg 61 x^Q^^ dnodidovg OvaXsvti, xal öia ndvtafv fpiXoq elvai
niaxovfiBvoq, ixoivwvijas z^q avzov ^^axelag, xal zovg neid^ofisvovq
avT<p ßagßaQovq snsid^ev wSs ipQOVElv. Ov rovzo 61 fxovov oifxai airiov
yiyovev, siaeTi vvv näv xb tpvXov ngoote^vai xolq xa ^Apeiov 6o§dZovatv.
*AXXa yaQ xal OvX<plX.aq 6 nag avxolq xoxe hQiOfiivoq, xa fjilv iiQwxa
ov6hv 6ie<pipexo nQoq xijv xa^okov ixxXrjalav, inl 6h xr/v Ktovaxavxiov
ßaaikelaq, dnsQiaxinxwq olfiai fiexaaxd>v xolq afitpl Ev66^iov xal Äxd-
xiov xrjq iv Kwvaxavxivovnökei avv66ov, 6tifieivs xoivmviUv xolq iepovai
xwv iv Nixala avvBkO^ovxofv,
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DAS TODESJAHR DES ÜLFILA8 Ü.8.W. 181
mann^ sagt: 'die schrift des Anxentins ist also eine partei-
schrift, verfasst, um in entscheidender stunde den arianismus
gegen die angriffe der durch den thronwechsel plötzlich zum
siege gelangten Athanasianer zu verteidigen. In diesen käm-
pfen ist die geschichtsfälschung eine gewöhnliche waffe. Ten-
denziöse Sammlungen von briefen und actenstücken, tendenziöse
berichte und protokoUe sollten die menge gewinnen und vor
allem die massgebenden personen im kaiserlichen palaste'
u. s.w. Wenn das wahr ist, und es ist wahr, dann tut man
doch besser, nicht wie Kaufmann ohne jede weitere prüfung
trotzdem zu erklären: 'die schrift ist der lautere ausdruck des
eindruckes den Auxentius von seinem grossen lehrer empfangen
hat'. Ein parteischriftsteller darf immerhin doch etwas con-
troliert werden, zumal wenn seine behauptungen mit unserm
sonstigen wissen in Widerspruch stehen: ganz fehlt es uns
hier dazu nicht an den mittein.
Sehen wir zunächst einmal, welches bild wir aus der
dai-stellung des Auxentius von dem theologen llfllas gewinnen;
ich führe hier einzelne ausspräche an, denen es an deutlichkeit
nicht fehlt:
1) qui (deus pat^) . . . unigenitum deum creavit et genuit,
fecit et fundavit,
2) Onwusionorum odivilem et execrabilem, praham et per-
versani professionem ut diabolicam adinventionem et denwniorum
doctrinam sprevit et calcavit . . . sed et Omoeusianorum errorem
et inpietatem flevit et devitavit
3) OmoiAsiofwrum sectam destruebat, quia non conftisas et
concretas persorms, sed diseretas et duitinctas credebat , . .
4) Secundum Macedonianam fraudulentam pravitatem et
perversitatem
5) Omnes huereticos non cristianos sed antecristos, non
pios sed impios, non religiosos sed inreligiosos, non timoratos
sed temerarios, non in spe, sed sine spe, non cultores dei sed
sine deo, non doctores sed seductores, non praedicatores sed
praevaricaiores adserebat, sibe Manicheos sive Marcionistas sive
Montanistas sive Paulinianos sive Fsabellianos sive Antro-
pianos sive Patripassiunos sive Fotinianos sive Novatianos
V Zs. fda. 27, 206.
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182 JOSTES
sive Donatianos sive Omoustanos sive Otnoeusianos sive Mctee-
donianos. —
6) prabam eorum dodrinam repeUehat . . . lupos graves et
canes, maios operarios effugabat
7) Quia et una est eclesia dei vivi . . . cetera vero [omnia]
canventicula non esse edesias dei sed synagogas esse satanae
adserehat et contestabatur. Et haec omnia de ditnnis sribturis
dixisse et nos describsisse, qui legit intellegat Qui et ipsis
tribus Unguis plures tractatus et multas interpretationes volen-
tibus ad utilitatem et ad aedificationem, sibi ad aetemam tnemo-
riam et mercedem post se dereliquid.
Wenn das alles wahr sein sollte, was Aoxentius hier von
seinem lehrer sagt, dann wäre dieser ein denkbar schroffer
Streittheologe gewesen, der jedem, auch unorthodoxen anders-
denkenden weder luft noch licht gegönnt hätte. Das hätte
dann doch aber auch kaum unbekannt bleiben können, und
namentlich würde das wolwollen das die orthodoxen kirchen-
historiker für ihn offenbar haben, sich dann nicht erklären
lassen. Mir erscheint hier aber der grosse Ulfilas zu einem
kleinen Auxentius gemacht zu sein, und das ganze bild auch
zu einem Arianer der alten zeit nicht zu stimmen.
Angaben wie die no. 3 sind auch höchst sonderbar, denn
confusas et concretas personas nahm auch kein Homousianer an.
Eine behauptung ist aber unter den obigen, die sicher
unwahr ist, die in no. 1 enthaltene. Die worte unigenitum
deum creavit et genuit, fecit et fundavit enthalten das
schiboleth der damaligen strengen Arianer, und wenn Ulfilas
deren ansieht in diesem punkte geteilt hätte, dann hätte er
als ehrlicher mensch das in seinem glaubensbekenntnisse sagen
müssen. Das hat er aber nicht nur nicht getan, sondern das
glaubten seine Goten selbst zur zeit des Theodoret noch nicht
einmal, obwol sie damals schon lange aus der orthodoxen
kirchengemeinschaft ausgeschieden waren. Denn dieser sagt
ausdrücklich (4,33): Ov &}j iiftxay fttXQi xal ri^ftegov oi Fotd^oi
fisl^ova fisv TOP jtaxBQa Xiyovoi xov viov, xtlofia de top
vlov el:jt€lp ovx dpixovxai, xalxoi xoivmvovvrtq xolq JU-
yovoi. Die übrigen schüler des Ulfilas dürften deiftnach doch
wol ganz anderer meinung über die ansieht ihres lehrers
gewesen sein und das auch aus dessen Testament' nicht haben
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DAS TODESJAHB DES ULFILAS U.S.W. 183
entnehmen können, was Anxentios Ince clarius darin zu finden
vermeint.
Und wenn es nun sicher ist, dass die angäbe des Auxen-
tius über die Stellung des ülfllas (und damit auch der Goten)
zu der fundamentallehre des damaligen arianismus (Arius
selbst war so weit nicht gegangen) unrichtig ist, handeln wir
dann noch wissenschaftlich correct, wenn wir ihm alles andere
trotzdem ohjie weiteres glauben? Welche beweise bringt er
denn lir die geradezu haudegenmässige tätigkeit seines lehrers
vor, von der sonst niemand etwas erwähnt? Obwol ülfllas
zahlreiche Schriften in drei sprachen hinterlassen hat, beruft
er sich nicht auf eine einzige, sondern nur auf das von ihm
(in dieser schrift?) mitgeteilte mündliche wort desselben.
Wenn aber ein lehrer eine reihe schriftlicher werke hinter-
lässt, so tut man doch gut sich auf diese zu berufen: gegen
das geschriebene fällt das wort eines auch noch so begeisterten
Schülers nicht sehr ins gewicht; selbst nach einem coUegien-
hefte werden sich nicht viele lehrer beurteilen lassen wollen,
am wenigsten wenn der schüler so befangen und wenig be-
fähigt erscheint wie es Auxentius tatsächlich tut. Ein ein-
ziges schriftliches zeugnis führt dieser allerdings an: das
*testamentum'; und wenn man erwägt, was ich oben über
den inhalt beigebracht habe, dann wird man sich dem ge-
danken nicht verschliessen können: wenn Auxentius nichts
anderes für seine weitgehenden behauptungen beibrachte, dann
hat er sicher wenigstens nichts besseres anzuführen gehabt!
Es ist übrigens allgemein angenommen, soweit ich sehe, dass
die schrift des Auxentius im wesentlichen nichts anderes ist
als eine ausdeutung eben dieses Schriftstückes, und man sollte
doch meinen, dass die gewaltsamkeit, die dabei zu tage tritt,
unbegreiflich wäre, wenn ülfllas die ganze lange zeit seines
bischoftums seine ansichten vor aller weit klar und energisch
zum ausdruck gebracht hätte, wie das nach den oben an-
geführten stellen der fall gewesen sein müsste. Das konnte
auch damals nicht verborgen bleiben, und wenn es bekannt
war, was war dann noch zu beweisen? Was hätte dann über-
haupt noch die ganze schrift sollen? Warum führt Auxentius
nicht an, dass ülfllas sich auf den synoden, etwa auf der der ent-
schiedenen Arianer zu Constantinopel 360, so gezeigt hätte, wde
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184 J08TBS
er ihm gegenüber persönlich es getan haben soll? Ulfilas
hätte dann jedenfalls auch das symbolum dieser synode unter-
zeichnet und sich damit angeeignet. Dieses aber wäre für
den zweck des Auxentius jedenfalls viel brauchbarer gewesen
als das ^testamentum', abgesehen davon, dass es die streng
arianische gesinnung seines lehrers schon 23 jähre früher be-
zeugt hätte. Vergessen geblieben ist dies und anderes offenbar
nicht, offene türen werden nicht eingerannt, sondern man fühlt
'an dem herzschlag des mannes', dass es noch keineswegs so
allgemein anerkannt war was er behauptet, er will die leser
oder hörer noch erst davon überzeugen! Auch Kaufmann sieht
in dem Schriftstück ja eine zu einem praktischen zwecke ver-
fasste parteischrift, und solcher bedurften die Arianer 383 sehr.
Der verlauf des cöncils hatte ihre politische bedeutung so gut
wie vernichtet; sie schickten nach allen selten briefe an ihre
anhänger, um diese darüber zu trösten, dass so viele zu den
Nicänem übergetreten seien, 0 als sich die staatssonne für sie
verfinsterte. Bei dieser läge der dinge dürfte es sehr begreif-
lich sein, dass man einen allgemein hochgeachteten mann
— und dass Ulfilas das war, scheint mir noch deutlich genug
aus den Worten der orthodoxen kirchenhistoriker herauszu-
klingen — der nach dem 'testamentum' nun doch nicht mehr
als Parteigänger der orthodoxen durchgehen konnte, der partei
der allein übrig gebliebenen Anomöer zu vindicieren suchte,
zu der er, wie allein schon die spätere Stellung der Goten
zeigt, sicher nicht gehörte. Bei Basilius hätte Auxentius mit
dem gleichen verfahren mindestens keine grösseren Schwierig-
keiten gehabt und mit leichtigkeit bessere beweise für seine
behauptungen beibringen können als bei Ulfilas.
Man braucht bei alledem an *fälschung' (mit deren an-
nähme man hier, freilich nicht bei Auxentius, sonst nicht
sparsam gewesen ist, trotzdem sich kein grund dafür finden
liess) gar nicht einmal zu denken; auch in jüngerer zeit lassen
sich bei subjectiv ehrlichen Schreibern, die aufregende kämpfe
mitmachten, wol ähnliche fälle nachweisen. Ulfilas gehörte
eben einer ganz anderen generation an als Auxentius; wenn
auch Philostorgios unrecht damit hätt^, dass er ihn durch
») Sokratesö, 10.
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DAS TODESJAHR DBS ULPILAS U.S.W. 185
Eusebios von Nikomedien weihen lässt, so können wir doch
wol annehmen, dass er diesem in seinen ansichten nicht allzu
fem stand, dass er jener mittelpartei angehörte, die da mit
recht oder unrecht annahm, dass man sich viel zu viel um
Worte streite. Von den ganz durch die Philosophie des Euno-
mios beherschten Arianem der achtziger jähre war diese
partei mindestens so weit entfernt wie von den Athanasianem.
ülfilas kam dann in ein amt, das ihm ein gerütteltes und
geschütteltes mass von arbeit und mühsal einbrachte. Männer
in solchen Stellungen werden keine doctrinäre, und wenn sie
es waren, hören sie bald auf es zu sein. Nichts hören wir
davon, dass Ulfllas sich während seiner vierzigjährigen amts-
dauer öffentlich an den Streitigkeiten jener zeit beteiligt
hätte; nui- von einer synode wissen wir sicher, dass er daran
teil genommen hat, aber ihren abschluss hat er nicht erlebt.
Als er damals am ende seines lebens in Constantinopel an-
kam, mag er sich als zeuge einer längst entschwundenen zeit
vorgekommen sein — er war es wirklich — : denn wenn auch
vieUeicht im lebensalter, in der amtsdauer war ihm kaum
einer voraus. Die mittelpartei alten Schlages war verschwun-
den; als ihre Stellvertreter konnten etwa die Macedonianer
allenfalls gelten; sonst gab es nur noch versprengte, die nicht
entweder zu den Homousianem oder zu den Anomöern ge-
hörten, denn die Novatianer unterschieden sich in ihren lehr-
meinungen nicht von den ersteren. Um worte stritt man
nicht mehr: was nicht bestimmt und klar für die eine oder
andere partei sich entschied, das verstand man nicht mehr.
Historisch dachte und urteilte die junge generation nicht.
Man sieht das deutlich bei Maximin, der den kirchenhistoriker
Eusebios zum Parteigenossen des Palladius macht, man sieht
es auch bei Auxentius, der dem ülfilas den glauben an die
creatürlichkeit des sohnes zuschreibt! Wenn nur etwas nicht
zur oi-thodoxie jener zeit stimmendes vorlag, dann war man
bald damit fertig, den lu'heber einer zur zeit bestehenden
partei zuzuschreiben.
üebrigens brauchen wir den Auxentius wahrhaftig auch
nicht allzu sanft zu behandeln: eine offenbare Unrichtigkeit
berichtet er zweifellos, und die einzige schriftliche quelle die
er anführt, behandelt er durchweg mindestens sehr gewaltsam.
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186 JOSTES
Er ist eii]i ausgesprochener tendenzschriftsteller, zu dessen
gnnsten wir nicht notwendig haben, von den urteilen der
übrigen Zeitgenossen abzusehen, bei denen eine tendenz nicht
sichtbar ist.
Streng genommen sagt er auch gar nicht, dass Ulfllas
von anfang an dem arianismus angehört habe; wenn man an
und für sich einen ausdruck auch dahin deuten könnte, so
macht es der ganze bombastische schwulst seiner spräche
doch unmöglich, seine worte auf die goldwage zu legen.
Belegen kann er die unorthodoxie nur von dem ende
seines lebens mit dem 'testamentum', und am wenigsten
dürfte man genötigt sein, aas des Aviemtnuf «mtea ra M-
geiTi, dass Ulfllas niemals mit den Nicänern in kirchen-
gemeinschaft gestanden habeJ) Das glaubensbekenntnis
*) Man hat freilich auch in der bibelübersetzung ein zeuguis für den
arianismus des Ulfilas sehen wollen: ich glaube, mit unrecht. Man wirft
ihm damit doch vor, dass er absichtlich falsch übersetzt habe, und einen
solchen Vorwurf soll man ohne not überhaupt nicht erheben. Wollte er
fftlschen zu gunsten seiner partei, dann hätte er grade die stelle nehmen
müssen, welche die Homousianer am meisten betonten: Joh. 10, 30 iydt xal
o natyQ ^V iofifv] aber da übersetzt er ganz wörtlich: ik iaJi atta meins
ains siju. Dieser fall sollte doch von vornherein daran zweifeln lassen,
dass er bei Philipper 2, 6 (laa ^fip = galeiko gupd) anders verfa-hren sei.
Um aber herauszubringen, dass ^gleich* im gotischen nicht dasselbe be-
deutet habe wie jetzt, construiert man willkürlich einen unterschied
zwischen den Zusammensetzungen mit ga- und sama-. Schon Grimm ist
darüber stillschweigend hinweggegangen, indem er Gr. 2, 749 sagt: *man
halte epan-alt zu ki-altrOy epan-h'h zu ka-lüi, epan-hlozo zu ki-hlozo, sin-hiran
(coniuges) zu gi-hdeih: für gishido setzt Otfrid (5,9,18) satnan-sindo\
Auch gotisch ist der unterschied niclit vorhanden, wenigstens aus dem
sprachgebrauche des Ulfilas nicht festzustellen. Das wort }looq kommt über-
haupt nur selten im N. T. vor (viermal als adjectiv, einmal iaovayyekoi
und zweimal ia6ti]c). Davon fehlen indes im gotischen mehrere fälle. In
den erhaltenen ist das adjectiv nicht zweimal gleich übersetzt:
Luc. 6, 34 TU taa = Hamalaiul: Luc. 20, 30 laovayyfloi = ihnana
aggilum und Phil. 2, G loa (^i(p = galeiko gupa. Noch mehr: Phil. 3, 32
gibt ibnaskautis avßifOQog, dagegen Körner 19; 0 gawiljts ofio&vfjiadov
wider. Lucas 6, 20 übersetzt samaleiko sogar xara ra avrd, während
es sonst auch mehrfach ofiotwg widergibt. Und wenn galeiks nur 'ähn-
lich* hiesse, dann könnte mtitsaleiks ^uah m\r dissimüts und nicht rar»«s
bedeuten. An den drei stellen wo es vorkommt (Marc. 1,34. Luc. 4, 40.
2. Tim. 3, 0) entspricht es aber stets dem griechischen noixiXoq. Für die
bedeutung von sama- ist besonders die stelle Phil. 2, 2 interessant; GVfx-
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DAS TODESJAHR DES ULFILAS U.S.W. 187
Ulfilas konnte zur zeit seines amtsantrittes ganz wol als
orthodu gelten; wegen seiner logoslehre brauchte er aus der
orthodoxen lardiengemeinschaft nicht auszuscheiden, und Aber
das wesen des hl. gwtes wurde derzeit noch nicht gestritten.
Aber während seiner vieTKiQftluigen amtstätigkeit hatte sich
vieles geändert, und 383 konnte d«s ^testamentum' schlechter-
dings nicht mehr als orthodox angesehen umten, und wenn
sich die gotische geistlichkeit auch auf den standfOdLt des-
selben stellte, dann wurde eine trennung von der katholischcÄ
kirche unbedingt notwendig. Ich glaube, dass wir diese fac-
tische trennung unmittelbar nach dem tode des Ulfilas anzu-
setzen haben; erscheint meine annähme zu kühn, nun, ich bin
zufrieden, wenn die Untersuchung von jemand wider auf-
genommen wird, der mit den Verhältnissen jener zeit vertrauter
ist als ich es bin und meine Vorgänger es waren.
^wxoi, tb ?v fpQOvovvtBq = samasaiwalai, samafrapjai. Wahrlich,
Xassmann hat seine durchaus richtifipe ansieht Castiglione yiel zu leicht
preisgegehen — Dass der Hehräerhrief fehlt, heweist nichts ; einmal braucht
er in der Übersetzung nicht gefehlt zu haben, wenn er auch in der einen
oder anderen handschrift fehlt, und dann bringt unsere handschrift auch
nnr die paulinischen briefe, und zu diesen rechneten auch die ortho-
thodoxen den Hebräerbrief nicht allgemein. Noch zur zeit des Hieronymus
gab es hier meinungsverschiedenheiten ; er selbst denkt ausser an Paulus
auch an Lukas als autor.
FREIBÜEG, Schweiz. FRANZ JOSTES.
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ZUR GOTISCHEN ETYMOLOGIE.
1. Aba. In meinem Etynt wb. habe ich zweifelnd die
alte erklärung dieses Wortes (zu ahd. uobo, uoban u.s.w.) an-
genommen, weil ich eben nicht im stände war etwas neues
und besseres zu geben. Es soll aber eine andere möglichkeit
in betracht gezogen werden, nämlich dass aba ursprünglich
ein onomatopoeticum mit einer allgemeineren bedeutung als
*ehemann' gewesen sein könnte. Das vorgerm. ^ajxi *vater,
lieber' u.s.w. wäre dann in die analogie der n- stamme ge-
raten, wie es mit dem nach der lautverschiebung neu gebil-
deten aita (s. mein Etym. wb. s. v.) tatsächlich der fall ist. Äpd
wäre ein ähnliches lallwort wie gi*. ütajtjta, nanxo<;, türk. baba,
maori papa u. dgl. Oder dürfen wir an eine koseform zu *pdte^''
denken (vgl. Fick 1*, 470)? Bezzenberger (BB. 21, 296 anm.2)
fi'agt jetzt, ob aha Rns^ogven- entstanden und mit lit usi^vis
^Schwiegervater', uszve ^Schwiegermutter' verwant sei. Weil
diese Vermutung auf einer unrichtigen Voraussetzung beruht,
dürfen wir sie mit bestimmtheit ablehnen: aus *okuen- hätte
im germ. nur *a(7)w;rw-, niemals aber *a6cM- werden können.
2. Brüps, Das unerklärte brnpi' kann ursprünglich ein
verbalabstractum gewesen sein und etwa 'Versprechung, Ver-
lobung' bedeutet haben. Dass solche abstracta oft auf per-
sonen übertragen wurden, ist eine bekannte tatsache, vgl.
z. b. aind. ärati' *feindseligkeit' und ^feind', riiss. netnoci
^schwäche, krankheit' und ^schwacher, kranker'. Besonders
lehn-eich in dieser hinsieht ist Wolter, Eazyskanija po voprosu
0 gi'ammaticeskom rode, St. Petersbiu^g 1882. Es liegt darum
nahe in brupi-, das auf *mrnti- zurückgehen kann, eine abstract-
bildung zu aind. brdnmi, avest. mraomi zu vermuten. Indog.
*mrati- wäre eigentlich *das sprechen', woraus sich die bedeu-
tungen ^-erabredung, Versprechung, Verlobung' entwickelt hätten.
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ZUR GOTISCHEN ETYMOLOGIE. 189
8. Fagrs, Neben fagrs und "^föyjan (indog. *pÄ^--) steht
bekanntlich eine wurzelvarietät mit indog. media im auslaut.
Dazu gehören ausser lat. pango, gr. jtrjyi^vfii und aind. pajrd-
noch einige slavische Wörter welche bis jetzt als isoliert be-
trachtet werden, nämlich russ. slov.jpar *fuge', üoy. pag, wend.
pckzen ^bretterwand' u. s. w. (s. Miklosich 234), deren bedeu-
tungen sich nahe mit denen von hd. fach (s. Kluge ^ 95) be-
rühren.
4. Galga. Auffällig anklingend an got. galga (urverwant
mit lit. zalgä, armen. cbaXk 'stange') ist ein lesghisches wort
für *baum', nämlich Varkun kalka, Akuäa galgi, chürkilinisch
galga (von Erckert, Die sprachen des kaukasischen Stammes 44).
Loewe (IF.3,146f.) hat zwei gotische lehnwörter im ossetischen
nachgewiesen (yau, qau *dorf' aus gawi und mid ^met, honig'
aus *midt^), was uns auf den gedanken bringt, ob auch dieses
kalka, galgi, galga nicht etwa ein lehnwort aus dem gotischen
sein könnte. Man hätte wol ossetische vermittelung anzu-
nehmen. Ein anderes gotisches wort im Kaukasus wäre viel-
leicht kabardinisch x^«^ *garten' (von Erckert a. a. o. 70),
tschetschenisch kart, kerth 'zäun, einfassung' (von Erckert
a. a. 0. 155), vgl. got. gards, garda,
5. Gunds. Ausser gr. xavd-vXr^, das Holthausen (KZ.
28,282) herangezogen hat, sind vielleicht noch russ. md 'das
jucken', zudefi 'jucken' hierher zu stellen, welche auf '^ßgdü,
*zQdeti zurückgehen können. Der grundbegriff wäre etwa
'hautentzündung'.
6. Hana : hön. Es kann kaum bezweifelt werden, dass
as. hön, ahd. huon eine vrddhi - ableitung von hana ist. Dass
nicht nur das arische (wie von Bradke, ZDMG. 40, 361 ff.) an-
nimmt), sondern auch schon die indog. Ursprache secundäre
ableitungen mit vrddhi bildete, meist mit adjectivischer oder
coUectiver bedeutung, darf für sicher gelten (s. Bechtel, Haupt-
probleme 175 f. Streitberg, IF. 3, 379 ff.), und es gibt gute gründe
anzunehmen, dass hana schon ursprachlich eine wilde hühner-
art bezeichnet hat (s. Schrader, Sprachvergleichung und Ur-
geschichte ^ 366, vgl. Hehn« 328. 580). Ein schlagendes beispiel
von secundärer vrddhi ist aksl. slava 'rühm' : slovo 'wort'.
Slovo ist bekanntlich ein 5-stamm (gen. slovese) und identisch
mit aind. grdvas, avest. sravah-, gr. xXiog, weshalb ich slava
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190 UHLEKBBCR
auf indog. *klöHö8 zorückfübre, das eine collective ableitung*
von indog. Vcleuos war (zom teil anders Meillet, M6nL de la
soc. de liug. 9, 146). Im auslaut musste das s im slavischen
verloren gehen, wodurch der übertritt von slava in die ä-klasse
veranlasst wurde. Aehnlich ist der ursprüngliche r- stamm
voda *wasser', nachdem das auslautende r von indog. *ffadör
(vgl. gr. vöa}Q) geschwunden war, in die o-klasse übergegangen.
Ausser slava möchte ich auch slav. "^labqM (poln. lab^, ka§ub.
Idbqdz U.S.W.) : lebedX ^schwan' als eine secundäre vrddhi-ab-
leitung auffassen, zumal weil das gegenseitige Verhältnis dieser
beiden worter lebhaft an dasjenige von huhn zu hdhn erinnert:
nur ist zwischen *labqdt und Ubedi (m-verwant mit ahd. eUns,
ags. ielfetu, an. elptr, glpt, gegen Miklosich 162) kein bedeu-
tungsunterschied nachzuweisen. Vgl. noch fälle wie slav.
bagno 'sumpf : ahd. bah, ahd. bruoh : aind. giri-bkraj-, ahd.
mtwr : meri, ahd. luog : aksl. -logü, an. not : net, mhd. btu)8t :
bast, ahd. nodal : adal, mhd. gruose : gras u. a., welche zum
teile schon von andern hervorgehoben sind. Besonders sei
noch got. wokrs 'wucher', ahd. wiwhhar 'ertrag, gewinn, nach-
kommenschaft' genannt, das sich durch seine bedeutungen als
ein coUectivum zu erkennen gibt. Am nächsten steht apers.
vasifha-, npers. bueurg 'gross', vgl. ferner aind. vdjra-j avest.
vassra- 'keule, donnerkeil' : die Wörter gehören mit hd. wachen^
wachsen, wacker (s. Kluge*) zu einer und derselben wurzel.
Beiläufig weise ich noch hin auf die analoge bedeutungsent-
wicklung von pehlevT vaxs (= avest. vaxsa- : ux^geiti, aind.
ükshati, gr. ad§a), got. waJisjan), das nicht nur 'anwachs, zu-
nähme, Sonnenaufgang', sondern auch ganz wie hd. wucher
'anwachs des capitals, Zinsen' bedeutet. Ich schliesse diese
erörterung über indog. vrddhi mit einem erklärungsversuche
von ahd. muos, as. mos, ags. mos 'gekochte speise, speise'.
Dieses wort kann nämlich auf indog. *mät$0' zu aind. mdisya-,
avest. masya- 'fisch' beruhen, welches nach alter annähme
zur sanskritwurzel mad 'sättigen' gehört und einmal die all-
gemeine bedeutung 'speise' gehabt haben wird. Dass ein
wort für 'speise' die specialisierte bedeutung 'fisch' annehmen
konnte, beweisen gr. Ix^vc^ lit. iuv\s und armen, deukn, deren
aind. verwanter kshü- nach der tradition ein synonym von
dnfui- ist.
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ZUR OOTlSCHfiK ETYMOLOGIE. 191
7. Hawi. Jetzt stelle ich hawi, an. hey, ags. hie^, ahd.
hewi, hau zu mss. kavyU 'federartiges pfriemengras in den
steppen', wobei eventueller Zusammenhang mit an. hgggva, ags.
heawan, ahd. hoawan, lit. kduU, aksl. kovati natürlich nicht
ausgeschlossen ist. Trifft meine Vermutung das richtige, so
muss lit, szeJcus, aind. gaka- ferne bleiben. Gr. xolij, xoa
darf auf keinen fall herangezogen werden, denn durch lit.
piva 'wiese' ist das anlautende jt als indog. p gesichert (s.
Kretschmer, Einleitung in die geschichte der griech. spräche
s. 168).
8. Lamb. Mikkola (BB. 21, 219 f.) vergleicht lett. läps
'hausvieh', das auf *lafnpas zurückgeht. Von urverwantschaft
kann freilich keine rede sein, denn lamb war ursprünglich ein
neutraler 5 -stamm und also wurzelbetont. Aus vorgerm.
"^Umpes- konnte aber nicht germ. '^lambis' hervorgehen, wes-
halb wir vielmehr *l6mbhes' als grundform ansetzen müssen.
Dass lamb ursprünglich ein oxytoniertes coUectivum gewesen
sei, wie Mikkola annimmt, lässt sich durch nichts wahrschein-
lich machen, denn in allen germ. sprachen wird, so viel ich
sehe, nur das einzelne tier damit bezeichnet. Ist lett. U^s
wirklich mit lamb identisch, so wird es wie Ann. lammas,
läpp, labbas aus dem germ. entlehnt sein (von coUectiver be-
deutung ist auch im finnisch-lappischen keine spur, s. Thomsen,
Den got. spr. indflydelse 128).
9. Stikls. Schon früher habe ich für stikls slavischen
Ursprung vermutet. Jetzt stelle ich aksl. sWdo 'glas' (die
materie) zu einer wurzel *stek- 'fest sein, starr sein, spröde
sein', wobei das X als Schwächung von e zu betrachten ist: vgl.
lett. siakans 'trinkglas', stakle, staklis 'gabel, zacke, zinne, ge-
rüste' u. s. w., avest. staxra- 'steif, fest', vielleicht auch apr.
'Staclan, ahd. stcJial 'stahl'. Zubaty (Sitzungsberichte der kgl.
böhm. ges. 16 [1895], 18) hat neuerdings diese sippe besprochen
und sie in einen weiteren Zusammenhang einzureihen versucht.
Kuss. stakdn 'trinkglas' dürfte nach ihm baltischen Ursprungs
sein: ist aber sttklo echt slavisch Qitsüklas ist daraus entlehnt),
so liegt es nahe auch russ. stakdn für einheimisch zu halten.
10. Pragjan, Gegen die oft angenommene verwantschaft
von Pragjan mit gr. tq^x^^ f^t. d^gigofiai spricht ein wort für
'töpferscheibe', nämlich gr. rgoxog, armen, durgn, welches kaum
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192 UHLENBECK
von TQix(o getrennt werden darf. Durgn weist auf eine wurzel
mit dh und gh (s. Hübschmann, Armen. Studien 28), weshalb wir
TQiX(x^ auf *dJireghö, nicht aber auf *threkl^ zurückführen
müssen. Auch was den vocalismus betrifft, ist es nicht un-
bedenklich, Pragjan mit rgtx^ zu verbinden, denn die zu
ersterem gehörigen keltischen Wörter scheinen auf eine ö- wurzel
hinzuweisen (s. Whitley Stokes, Urkelt. Sprachschatz 136, der
daneben ein kelt. treg-, trog- *vertere' annimmt).
11. Wamba. Pedersen (BB. 20, 238) wird mit seiner glei-
chung wamba : aind. gabha- ' Vulva' doch das richtige getroffen
haben; dann aber müssen cymr. gunibe-, bret. gwamm wol aus
dem germ. entlehnt sein. Wamba und gabhd- gehören zur
Wurzel *^henibh' 'klaffen' (in meinem Et. wb. s. v. watnba ist
natürlich zu lesen: *aus velarem ^A'), welche noch folgenden
Wörtern zu gründe liegt: aind. gabhird-, gambhird *tief', gdm-
bhan- 'tiefe, grund', gambhdra- 'tiefe', poln. g^ba, czech. huba
' maul', russ. guba 'lippe', slov. göbec 'maul' (anders Fick 1*, 33).
12. Wandus. Got. wandus, an. vgndr 'rute' wird meist
zu windan gestellt, wofür allerdings die bedeutungen der lehn-
wörter Ann. vanne 'vimen vel circulus ligneus, quo vasa con-
stringuntur' und läpp, vuodda 'ligamen calceamenti' (die ent-
lehnung des letzteren ist freilich nicht sicher, s. Thomsen
a. a. 0. 158) zu sprechen scheinen. Nun ist aber wind- wahr-
scheinlich aus *wind- entstanden und aus der wurzel *j«ei- in
aind. vdyati, lat. vi^re, lit. ryti, aksl. viti weitergebildet (wozu
vermutlich noch waddjus und wein: s. über letzteres Schrader
a. a. 0. 468 f. Jensen, ZDMG. 48, 464 f.), welchenfalls der ablaut
wind-, wand; wund- nicht ursprünglich sein kann. Wandus
hat aber einen durchaus altertümlichen Charakter, denn die
M-klasse ist auf germ. boden keine productive kategorie ge-
wesen. Es dürfte also kaum zulässig sein, wandus als eine
ableitung von windan zu betrachten, und wir müssen uns nach
einer besseren erklärung umsehen. Eine solche bietet sich aber
ungesucht dar, denn wandus kann als 'dasjenige, womit man
schlägt' zu aind. vadh- 'schlagen' gehören (indog. *jf€ndh',
*uondh-, *imdh-). Sind vielleicht auch wunds, wundufni hier-
her zu stellen, deren verwantschaft mit lit. voüs u. s. w. jeden-
falls nicht für sicher gelten darf? 'Wund' wäre also eigent-
lich 'geschlagen, zerschlagen'.
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MI8CELLBN. 198
13. Wöpjan, Got. trffpjany an. äpa, ahd. wuoffan u.s.w.
habe ich in meinem Et. wb. nicht erklären können. Jetzt
identiflciere ich es mit slav. rabiti 'heranlocken, herbeirufen'.
In lit. vapeti 'schwätzen, plappern' könnte vielleicht eine
Wurzelvarietät mit tenuis im auslaut vorliegen (vgl. noch
aksl. vupiti 'schreien'); eher ist es aber eine ähnliche ono-
matopoetische Schöpfung.
14. Zum Schlüsse berichtige ich zwei störende fehler in
meinem Et. wb. der got. spräche: s. v. hneiwan lies germ.
*kneigt€- (statt ^gneigw-), s. v. silubr lies ^Ifißgog (statt HU-
ßQog), Unter löfa hätte noch kurd. lapk 'pfote' (Justi bei
Kretschmer a.a.O. 102), unter skaban noch pers. äikaftan 'spal-
ten' (Nöldeke, s. Hom, Neupers. etym. 175, vgl. Hübschmann,
Pers. Studien 80) erwähnt werden sollen. Auch ist s. v. stiur
J. Schmidts meinung (Die Urheimat der Indogermanen 7) nicht
genau widergegeben: nur ein teil der indog. stiemamen (ravQog
U.S.W.) könnte nach ihm aus dem semitischen stammen.
AMSTERDAM, mai 1896. C. C. UHLENBECK.
MISCELLEN.
1. Zur lehre von den geminaten.
Die urgerm. geminaten hh, ff,pp und gg, bb, dd sind nicht
auf lautgesetzlichem wege zu stände gekommen, sondern con-
taminationsproducte von kk, pp, tt mit A, /", p und g, b, d (s.
Kluge, Beitr. 9, 176 f.). Das einschlägige material aus den
agenn. sprachen hat Kluge (a. a. o. s. 157 — 162) zusammen-
gestellt und zum teile erklärt, es bleibt aber noch vieles
etymologisch dunkel. Einige der hierher gehörigen fälle auf
ihren Ursprung zu prüfen, habe ich mir im folgenden zur
aufgäbe gestellt.
I. Wörter mit hh, ff, ])]).
Ags. teohhian, mhd. zechen 'anordnen' neben ags. teon, ahd.
gizehön können, wie Kluge (Et. wb.^ 414) annimmt, mit got.
B«iMlg» E«r gatöhlohte der dentaehen •pnohe. XXII. 13
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104 UHLENBECK
tewa 'Ordnung', gatm^jan 'verordnen', ags. $etdwe 'rüstung',
tdwian 'bereiten' auf eine wurzel "^dSq- hinweisen, deren exi-
stenz aber durch keine andere spräche gestützt mrd: gr.
östjivov ist jedenfalls ferne zu halten, denn es beruht auf
einer wurzel mit auslautendem p (s. Prellwitz s. 70). Darum
ziehe ich es vor, tewa und seine nächsten verwanten mit
tuujan zu verbinden und teohhian — jsechen auf die indog.
wurzel *dek- zurückzuführen, von welcher in mehreren sprachen
ableitungen vorliegen: s. Fick*s. 66 und Prellwitz s. 70. Hier
seien nur diejenigen erwähnt, deren bedeutung am nächsten
mit der von germ. texx-, tex- übereinstimmt. An erster stelle
muss lat. decus genannt werden, dem aind. dagas- in dagdsydii
'leistet dienste, verehrt, ist gefällig' vollkommen entspricht.
Auch aind. daga 'zustand, läge' erklärt sich aus dem begriffe
der 'Ordnung' und dasselbe gilt vielleicht von dem gleich-
lautenden Worte, das 'die am ende eines gewebes hervor-
ragenden zettelfäden, fransen, Verbrämung eines gewandes'
u. dgl. bedeutet: man wird es dann freilich von got. fagl
trennen müssen. Die dehnstufe der wurzel liegt vor in aind.
dägati 'beweist ehre, bringt verehrend dar, gewährt, verleiht',
dessen ältere bedeutung wol 'ordnet an' gewesen ist.^)
[1) Mir sind beide etymologien, die alte wie die neue, verdächtig, weil
wie ich glaube zeche und sippe mit not wendigkeit auf eine «-wurzel zurück-
geführt werden müssen. Das deutsche jseche bietet mit seinem e natürlich
keinen beweis für eine e- wurzel. Dagegen sind die spätws. formen t€ohhf
teohhian etc. nur die gewöhnlichen spätformen für älteres tiohh etc., das
durch /t-brechung aus "^tihh entstanden ist. Dies folgt direct aus der angl.
form ^etihhade im leben des hl. Chad, Anglia 10, 143, 86, deren i innerhalb
des angl. eben nur auf vorags. i zurückgehen kann. Man könnte nun
freilich dies i durch annähme eines t-umlauts (Hüihj- aus *tShhj') erklären
woUen. Dem widersprechen aber die altws. formen. Von den altws. texten
hält nämlich die Cura pastoralis auch noch den später im südengl. schwin-
denden unterschied zwischen io und eo (vgl. Beitr. 18,411 if.) so ziemlich fest.
Das wort erscheint aber, s. Cosynl,40f., in G 2 mal mit io, Imal mit eo,
in H aber 13 mal mit io, 8 mal mit eo. Das io aber schliesst die annähme
eines z-umlauts aus, da in diesem falle Hiehh-, *U'}ih' zu erwarten wäre.
Ebensowenig fordern die kent. formen tihhap, tihodon, getdhhod, die im
Boethius begegnen, die annähme eines solchen umlauts, da ja auch sonst
altes io (nicht eo) später mit y, i wechselt (am nächsten liegt hier spätws.
myx neben meox aus miox mist). Freilich hat derselbe Boethius auch die
formen iehhap, ^etehhod: aber die brauchen bei einem so mit kenticismen
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MISCBLLEK. 195
Ags. wuhhung 'rabies' und mhd. wuchzen 'brüllen' scheinen
mit got. aulijön (aühjön?) Wärmen' verwant zu sein, womit man
lett. auka 'Sturmwind', serb. uJca 'geschrei' und andere Wörter
vergleicht. Der onomatopoetische Charakter wontcuhhun^ tt.s.w.
macht es unmöglich, mit Sicherheit verwante ausserhalb des
germ. nachzuweisen. Gewis erst im germ. gebildet sind ags.
cohhettan, nl. kuchen, hd. keuchen und ags. ceahhettan, mhd.
kochen, kacheen. Dagegen geht die sippe von ags. pohha (s.
Franck s. 745 s. v. pok) in ein höheres altertum zurück, denn
lat. hucca, büäna, gr. ßvxdvi] u.s.w. setzen eine indog. Wurzel
*buk- 'aufblasen' voraus.
üeber ags. seohhe, ^eneahhe, *sihhmn (engl. sigh\ ahd. se%
scahho, zuliha s. Kluges aufsatz und über das rätselhafte ags.
reohha, rohha s. Franck s. 803 s. v. rog. Zur erklärung dieser
Wörter weiss ich nichts neues zu sagen.
Ags. woffian 'delirare, lärmen' stellt sich zu aksl. vüpiti
'schreien', vüplt 'schrei', vypü 'larus' welche natürlich von
got. wöpjan zu trennen sind (s. über wöpjan oben s. 193).
Ags. lyffettan 'schmeicheln' ist ein schwieriges wort: das
ff weist auf einen alten Wechsel pp : f aus indog. pn : p, wes-
halb man nicht an verwantschaft mit got. Hufs, lat. lubet, aind.
lubh- u. s. w. denken darf (ebensowenig ist got. lubja-, air. luib
heranzuziehen).
Nicht viel besser steht es mit ags. wlceffetere 'narr' (?) :
man könnte an die indog. wurzel ^uelep- anknüpfen, vgl. lat
volup, voluptäs, gr. iXxlQ, kljtco(^, hknl^oD, iXxofiat (wozu auch
BlXaxlvrj 'festschmaus').
Ags. hoffin^ 'kreis' gehört offenbar zu hof, das nicht nur
'hof, gehöft', sondern auch 'kreis, bezirk' bedeutete (s. Kluge,
Et. wb.* s. 170 s. V. hoß. Im anord. ist hof eigentlich 'tempel
mit dach', was auf die Vermutung bringt, dass germ. ^hofa-
aus ^hufa-, vorgerm. *küpo- zur wurzel *keup- 'wölben' ge-
hört, vgl. ahd. hovar 'buckel', hubil 'hügel', lit. kuprä 'höcker',
küpstas 'hügel', lat. cüpa 'tonne, kufe', gr. xvjtsXXov 'becher',
xvxi]' xQmyXfi^ xvjtQog 'ein getreidemass', aind. küpa- 'grübe,
durchBetzten texte natürlich nichts anderes zu bedeuten, als die kent. ent-
sprechongen von ws. tyhhap, ^etyMod. Der germ. befand weist also unsere
Wortsippe deutlich zur w. dik. E. S.]
13*
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196 ÜHLEKBBCK
höhle, brunnen' (vgl. noch die sippe von hd. häufen, lit. kaüpaSy
aksl. hupü und mit /'aus j)A apers. kdufa-, avest. kaofa- *berg' :
s. Prellwitz s. 169).
Mit ags. ^affetun^ *obscenity' ist nicht \iel anzufangen
(vgl. unten). Ueber ags. snoffa 'schnupfen' s. ausser Kluges
aufsatz noch sein Et. wb.* 332 und 334 (schnauben, schnüffeln,
schnupfen).
Von den spärlichen belegen von urgerm./^ lässt nur mengl.
laPpe, ahd. latta, nl. tat eine befriedigende erklärung zu. Kluge
(Et. wb.* 227) verbindet es mit hd. laden, mhd. lad€, das ur-
sprünglich 'brett' bedeutete, und vergleicht ir. slat, bret. Icu^
'rute, Stange', welche mit cymr. llath auf urkelt. *slatta hin-
weisen (s. Whitley Stokes, Urkelt. Sprachschatz 319). Indog.
*lat' findet sich noch in russ. lotök * flaches holzgefäss'. Da-
gegen sind czech. laf, slow, latva, serb. letva, poln, wend. lata
(Miklosich s. 161) und franz. latte, it. latta, span. lata (Diez *
s. 190) aus dem germ. entlehnt.
Ob wir in ags. moppe (mohpe), mhd. motte, an. motte und
ags. oppe, got. aippau (as. efäo, fries. ieflha) urgerm. pp an-
nehmen dürfen, ist ganz zweifelhaft (s. Sievers, Ags.gramm. 99).
Ahd. spottön, an. spotta, nl. spotten hat urgerm. pp, ist aber
etymologisch dunkel: vgl. etwa aksl. spyti 'vergebens', spyttnü
'vergeblich' (indog. *S2)üt-), welche begrifflich Adelleicht zu weit
ab liegen. Andere unklare fälle finden sich bei Kluge und
können hier unerwähnt bleiben: nur auf ein wort, das nach
Kluge pp haben soll, werde ich noch eingehen. Ich meine
ahd. ratto, ratia, dessen verschiedene formen bei Kluge (Et
wb.* 295) und Franck s. 774 gesammelt sind. Man vermutet
fremden Ursprung: 'das tier selbst, dem altertum noch un-
bekannt, tritt erst nach der zeit der Völkerwanderung in
Europa auf. Dennoch halte ich ratte für ein germ. wort, in-
dem ich annehme, dass ratto, ratta aus dem niederdeutschen
stammen: dafür sprechen oberd. ratjs 'ratte', hess. thüring. ratz
'marder', bair. schwäb. ratz auch 'raupe', welche hd. ta aus
urgerm. tt zeigen. Das wort kann ursprünglich 'nager' be-
deutet haben und ein nomen agentis {*ratt', *raten' aus indog.
*ra(hi', *raden') zu aind. rddati 'kratzt, ritzt, hackt, nagt',
lat. rödo 'nage', rädo 'schabe, kratze' gewesen sein. Bei dieser
auffassung gibt ahd. rato (rado) aus urgerm. *raä^', das neben
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MISCSLLEN. 197
ratio steht, einige Schwierigkeit: dürfen wir vielleicht eine
wurzelvarietÄt mit auslautendem dh oder t annehmen? Auf
indog. *ra(n)dh' scheint aind. rdndhra- 'spalte, höhlung' hin-
zuweisen, das auch im Petersb. wb. mit rad- verbunden wird.
IL Wörter mit gg, hb, dd,
Ags. frocga (neben frocca) 'frosch', vgl. an. fraukr und mit
Verlust eines gutturallautes an. frosTcr, ags. forsc, ahd. frosc:
bisher unerklärt. In deutschen mundarten wird der frosch
* hupf er' (höppc)\ J^pt^ger, s. Kluge, Et. wb.'^ 121) genannt
und ein indischer name des tieres ist plaiahgama' (plavaga-),
was auch für frocga und seine nebenformen eine ursprüngliche
bedeutung ^Springer' wahrscheinlich macht. Germ, ru kann
auf indog. r zurückgehen und es ist durchaus erlaubt *frukk',
* frühen- aus älterem *prghn', *prghen' zu erklären. Aber
dann liegt es nahe, die ganze sippe von froc^a-frosch von der
Wurzel *spergh-, *sprengh'j ^prengh- abzuleiten, welche weit im
indog. verbreitet ist: vgl. gr. ojtiQxofiai 'eile', aind. spfhayati
'eifert, strebt'; mit nasal ahd. ags. springan 'springen'; ohne
das anlautende s aksl. j>t-^5rw 'heuschrecke', tx^9^, prygaü, pryg-
nuü 'springen' (mit y durch urslav. dehnung aus ü vor nasal?).
Zieht man aber vor das ru in frocca u. s. w. wegen an. fraukr
auf indog. ru zurückzuführen, dann bietet sich jedenfalls russ.
prygati, prygnutt zur vergleichung dar. Die oben gegebene
erklärung dürfte jedoch in allen hinsichten empfehlenswerter
sein, denn dadurch wird der germ. froschname mit russ. pryg-
in eine allgemein -indog. Wortsippe eingereiht. Zum Schlüsse
bemerke ich, dass das k in an. fraukr aus kk (indog. ghn) ver-
einfacht ist und dass sein ait durch übertritt in die w- reihe
erklärt werden kann.
As. roggo, ahd. rocko : aksl. rüzt, lit. rug^s und an. vagga :
ahd. wa^a : got. ga-tvigan sind etymologisch klar, und ags. cluc^e,
ahd. ghcka ist ein lehnwort aus dem keltischen (s. Kluge, Et.
wb.*141f.). Mhd. wacke 'feldstein', mit ck aus gg, stelle ich
zu gr. ayvvfii (vgl. für die bedeutung lat. rüpes : rumpo), wo-
mit Keni (Tijdschr. v. ned. taal- en letterk. 10, 114), nl. wak n^
an. vQk f., schwed. vak m. 'Öffnung im eise' verbunden hat.^)
*) Au. vok, gen. rakar ist nach Kern = gr. dyt}. Dagegen führe ich
nl. wak, plur. ivakken^ auf indog. *^agn6- 'gebrochen' zurück. Derartige
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198 UHLENBECK
Andere Wörter mit urgerm. gg, wie ags. doc^a, flocgian,
hoc^ian weiss ich nicht zu erklären.
Auch die zahlreichen fälle, in welchen man urgerm. hh
annimmt, sind zum teile dunkel. Ags. ebba 'ebbe' wird wol
mit recht zu ahd. ippihhön 'revolvere' und got. ibuks *sich
rückwärts bewegend' gestellt, und mengl. sobbin, engl, sob ge-
hört mit hd. seußen zusammen (vgl. Kluge, Et. wb."^ 347).
Unter den klareten fällen gehört noch ags. nl. drahbe 'hefe'.
das ich schon Beitr. 16, 563 mit hd. treber zu lit. drebiu 'werfe
breiiges' gestellt habe. Ueber krabbe, knappe, rappe, läppen,
quappe, knüppel, krüppel vgl. Kluge, Et. wb.
Ahd. Jiäppa *hippe, sichel' lässt sich am besten als * ge-
bogene' auffassen und mit der indog. wurzel "käp-, *kump-
* biegen, krümmen' verbinden: eine ablautsstufe *kep- findet
sich auch in aind. cäpa- 'bogen'. In diesem falle beruht lii.pp,
urgerm. bb auf contamination von pp aus im und 6 aus vor-
tonigem i>. Vgl. aber Kluge, Et. wb.^ 168 s.v. hip2)e.
Ags. ^abbian, an. gabba 'deridere', ags. ^abbun^, an. gabb
'derisio' sind wegen Bigs. ^affetung 'obscenity' auf eine wurzel
mit auslautendem i> zurückzuführen: ausserhalb des germ. kann
ich aber keine anknüpfung finden. Ags. lobbe, scrob, ahd. trappa
und andere Wörter bleiben leider unerklärt.
Seltener sind Wörter mit urgerm. dd, wie ags. poddettan
'pulsare' (das wegen seines dd, contaminiert aus tt und (f, auf
eine wurzel mit auslautendem dh oder t zurückgehen muss,
also zu aind. tuddti, lat. tundo u.s.w. nicht recht passt), brod-
diun 'luxuriare' (neben brottettan, \gl. etwa die sippe von nl.
brodden, Franck s. 147), codd 'sack' (an. kodde 'pillow'), sceadd
'maifisch', an. todde = ahd. jsotto 'zotte', ahd. chratto 'korb'
(s. Franck s. 510). Keine Schwierigkeit bietet ags. ruddtic 'rot-
kelchen' : got. rcmps.
Ags. btidda 'käfer' würde sich, wenn der vocalismus es
-no -participia mit assimiliertem n sind z. b. hd. strack aus *strj(jpi6'
(*8trognö-?) zu derselben wurzel wie hd. stark und got. ga-staürknan: nl.
slak * Schnecke' aus *slakkD, indog. *8ldgnd zu gr. Aiyycü, XayaQoc] hd.
hock = air. bocc aus *bhugn6- zu gr. tpsvywj aind. bhuj- u.s.w.; ahd.
loc 4ocke' zu gr. kvyll^oj u.s.w.; hd. dick zu yedeihen] hd. speck zum
wurzelnomeu aind. sphij- 'hüfte'; mnd. soppe ^fleischbrühe' zu süpan.
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MISCBIiLEN. 199
gestattete, gut aus lat. fodio *ich grabe', aksl. bodg, 'ich stosse',
lit. badaü *ich steche, stosse' als 'gräber' oder 'nager' erklären
lassen (vgl. Kluge, Et. wb.* 180 s.v. käfer). Nun hat Sievers
(Beitr. 16, 234 ff.) einige fälle nachgewiesen, wo germ. u ohne
die nähe von liquida oder nasal sich aus einem unbestimmten
vocale entwickelt hat: ist auch das u von buddu so zu be-
urteilen?
Ein schwieriges wort ist noch an. padda, nl. päd, paddik,
engl, paddock *kröte\ ürgerm. *padd- weist auf einen alten
Wechsel *patt-y ^paäen- und wir dürfen also annehmen, dass
wir es mit einem alten n- stamm zu tun haben, der vor der
lautverschiebung ^badhn-, ^adhen- oder ^hatn-y *baten- lautete.
Vielleicht ist gr. ßdzQaxoQ, ßotQaxog (daraus mit Umsetzung
des Q auch ßQozaxog), ßa&Qaxog 'frosch' verwant, das aus
einem r- stamm (wegen ßd&Qaxog wol eher ^badher-, *badhr'
als *bater-, *batr-) erweitert zu sein scheint. Andere halten
das ß in ßazQaxog u.s.w. für indog. g und vergleichen ahd.
chreta, chrota, indem sie ßgoraxog als eine ursprüngliche form
betrachten: mir scheint die obige erklärung.den Vorzug zu
verdiene^.
2. Etymologien.
Ags. horh, gen. Iwrwes, ahd. as. horo 'kot, schmutz' wird
bei Prell witz s. 159 zu gr. xogico 'fege, reinige', xoQog *besen'
gestellt. Falls dies richtig ist, dann muss das h : w aus indog. g
suffixal sein. Ich führe germ. ^urxt^a- auf indog. ^kfqo- zu-
rück und vergleiche noch russ. sör 'schmutz, kehricht', soriti
'beschmutzen'.
Nl. smuylen 'subridere' (Kilian), mhd. smielen 'lächeln' ist
offenbar verwant mit russ. U'Chmyljdü-sja, das ebenfalls 'lächeln'
bedeutet.
Nl. varken, mnd. ferken ist zunächst mit aksl. pra^i* 'männ-
liches tier, bock', russ. pöroz 'männliches schwein, stier' ver-
gleichbar: indog. *porg- ist eine varietät von *pork' in ags.
fearh, ahd. farah, air. orc, lat. porcus, gr. jcogxog, aksl.jpras^,
lit. pärseas.
Nl. zwerk 'wolkenhimmel', aind. svargd- 'himmel' (s. Franck
s. 1233) hat auch im slavischen einen verwanten, nämlich den
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200 UHLENBgK, M18CELLEN.
namen des alten himmelsgottes Svarogu, Ich betrachte Sva-
rogü als eine vrddhi-ableitung von zwerk-svargd- und nehme
als ursprüngliche bedeutung an *der himmlische'. lieber andere
vrddhi-bildungen habe ich in einem vorigen aufsatze (hana-Jiön)
gehandelt, wozu noch russ. skvdzina 'riss, Öffnung, Schlüssel-
loch': skvöjsX * durch' nachzutragen ist.
AMSTERDAM, sept. 1896. C. C. UHLENBKCK.
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ALTHOCHDEUTSCHES IN DEN SLAVISCHEN
FREISINGER DENKMÄLERN.
Die slav. Freisinger denkmäler wurden im j. 1803 in einem
lat. codex der sich bis dahin im kloster zu Freisingen befand,
entdeckt. Jetzt wird der codex in der bibliothek zu München
bewahrt (sign, cim. 6426). Den hauptinhalt desselben bilden
verschiedene lat. sermone und homilien. Auf bl. 78 steht I. eine
slav. beichtformel in 35 zeilen, und auf bl. 158 b — 160 a folgen
dann die zwei anderen slav. denkmäler, nämlich II. eine beleh-
rung oder betrachtung über den sündenfall und die beichte (sie
endet auch mit einer aufforderung zur beichte) in 113 gebro-
chenen Zeilen; HI. und das dritte denkmal ist ein beichtgebet,
das 75 gebrochene zeilen umfasst. Die denkmäler wurden
von P. J. Koppen im j. 1827 in seinem Sbornik slovenskich
pamjatnikov herausgegeben; sprachlich beleuchtet hat sie in
dieser ausgäbe Vostokov; später von Kopitar in seinem be-
kannten werke ^Glagolita Clozianus' (1836) s. xxxiii — xlvii.
Die texte allein erschienen dann noch mehrmals.
Was das alter der denkmäler anbelangt, so lässt prof.
E. Mühlbacher, von dem ich mir ein diesbezügliches gut-
achten erbeten habe, das erste in der wende des 10. u. 11. jh.'s
entstehen, das zweite und dritte teilt er der zweiten hälfte
des 11. jh.'s zu. Der director der Münchener bibliothek (i. v.
Laubmann meint, sie seien ende des 10. oder in der ersten
hälfte des 11. jh.'s entstanden. G. H. Pertz hielt sie für älter
(10. oder selbst 9. jh.), ebenso Jac. Grimm (9. oder erste hälfte
des 10. jh.'s.). Schon in den ersten ausgaben musste mau eine
gewisse verwantschaft dieser denkmäler mit althochdeutschen
beichtformeln zugeben. Prof. W. Braune lenkte zuerst die
aufmerksamkeit auch der deutschen philologen auf dieselben,
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202 VONDRAK
indem er zeigte, wie sich darin in mehreren punkten die alt-
hochd. Orthographie äussere (Die altslov. Freisinger denkmäler
in ihrem Verhältnisse zur althochd. Orthographie, Beitr. 1 (1874),
s. 527-534). Er wies insbesondere darauf hin, dass in den Freis.
denkmälem die dentalen Spiranten s, e mit z und die cacumi-
nalen s, z in der regel mit s (f) bezeichnet werden, woraus
eben rückschlüsse auf die lautliche geltung des ahd. s erlaubt
waren. Weiter hob er hervor, dass die dentale affricata c
vor e und i mit c (das vor a, o, u, vde im ahd. mit k als be-
zeichnung der gutturalen tenuis wechselt) und zwar 4 mal (in
Wirklichkeit nur 2 mal) und ausserdem mit z und zwar vor
dunklen vocalen stets, aber auch vor hellen bezeichnet werde.
In der doppelten ahd. anwendung des z als dentale affricata
und dentaler spirant sah Braune am deutlichsten eine beein-
flussung der Freisinger denkmäler durch die ahd. Orthographie.
Er sah aber noch andere berührungspunkte. Das slav. ch
werde am wortende wie im ahd. mit h (z. b. nzeh nioih greh),
selten mit ch widergegeben, das im inlaut regel ist, ebenso
wie auch im anlaut (das deutsche h konnte man hier nicht
brauchen, da es im anlaut den blossen hauch bezeichnete).
Das slav. /; werde ebenfalls nach ahd. weise im anlaut und
im inlaut zwischen vocalen mit uu {nv, vu) widergegeben und
mit einfachem u stets im auslaut (wie auch vor und nach
consonanten). Bei der bezeichnung des j bemerkt Braune,
dass sich II von I und III unterscheide (was er übrigens im
geringeren grade bei der bezeichnung des s bemerkte). In
I und ni wird im anlaut und inlautend zmschen vocalen
ausnahmslos j durch i dargestellt, wogegen in II anlautend
vorwiegend g und seltener i stehe; inlautend zwischen vocalen
wechsle g mit i ab. Zur erweichung des n wurde ebenfalls
g verwendet: pomngu 1, 13. Endlich führt Braune an, dass
in II im anlaut 17 mal statt des slav. p das weiche b ge-
schrieben wurde und einmal auch im inlaute {gozhod 89), was
übrigens schon den ersten herausgebern dieser denkmäler auf-
gefallen war. Diese angaben Braunes sind im grossen und
ganzen richtig, und es kann höchstens nur in dem angeführten
statistischen material hie und da eine kleine correctur vor-
genommen werden. Ferner verdient hen'orgehoben zu werden,
dass auch das dritte denkmal teilweise aus dem rahmen der
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AHD. IN DEN SLAV. FREIBINGE& DENKMÄLERN. 203
durchschnittsorthographie dieser denkmäler heraustritt, und
zwar insbesondere hinsichtlich der bezeichnung des slav. v,
da hier vu nur 1 mal, v nur 4 mal, uv dagegen und vv gar
nicht vorkommt (auch für u steht hier nie r), was in den bei
den anderen denkmälern sich anders verhält. Man ersieht da-
raus, dass die denkmäler auf verschieden geartete vorlagen
zurückgehen, wenn auch das ü. und III., wie wir noch sehen
werden, von derselben band herrühren.
Mit den Freisinger denkmälern und namentlich mit der
frage nach ihrer herkunft habe ich mich in letzterer zeit ein-
gehender beschäftigt. Da aber meine diesbezügliche arbeit in
böhmischer spräche unter den publicationen der böhm. akademie
der Wissenschaften in Prag als Frisinsk6 pamätky, jich vznik
a vyznam v slovansk6m pisemnictvi (Die Freisinger denkmäler,
ilire entstehung und bedeutung im slav. Schrifttum), Prag 1896,
4<>, 82 s. mit 9 tafeln erschienen ist und somit wegen der spräche
nicht allen germanisten zugänglich ist, so sei mir erlaubt, hier
aus der arbeit das hervorzuheben, was sie interessieren dürfte.
Zunächst möchte ich nur anführen, dass ich eine wörtliche
Übersetzung des sog. St. Emmeramer gebetes in dem altkirchen-
slav. glagolitischen Euclwlogium sinaiiicum, das von (Teitler
herausgegeben ist, gefunden habe. Diese slav. Übersetzung
gibt uns sogar aufschluss über eine etwas corrupte stelle des
ahd. textes. Einzelne stellen dieser Übersetzung finden sich
nun auch im dritten der Freisinger denkmäler, so dass sich
diese nun noch mehr als Übersetzungen althochdeutscher ori-
ginale herausstellen (vgl. meinen kurzen bericht darüber im
Archiv für slav. phil. 15, s. 118 — 132: Althochdeutsche beicht-
formeln im altkirchenslavischen und in den Freisinger denk-
mälern). Dass die slav. texte Übersetzungen deutscher originale
sind, zeigt sich auch deutlich in den misverstandenen ahd.
relativsätzen wie: trohttn, du in desa uneroU qudmi suntiga
ga generienna, kauuerdo mih gahaltan etc., was im slav. wört-
lich, also ohne relativpronomen übersetzt wurde, was hier
unmöglich ist. So haben wir es im Euch, sin., ähnlich auch
im I. Freis. z. 17 (in der transscription): hoze, ti pride sc nebese,
uze se da ,.. etc., statt etwa b., ize jesi prisel u. s. w. In HI
lesen wir schon ganz richtig z. 67 — 71: Kriste, bozi simi, ize
jesi racil na si svet priti etc. uchrani u.s.w. In allen drei
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204 VOMDRAK
denkmälein wie auch im texte des Euch. sin. kommt weiter die
phrase vor ispoueden vsech gredi, was eine Übersetzung des
deutschen bigichtig allero suntono ist.
Was nun speciell die Freisinger denkmäler betrifft, so
zeigt sich darin der einfluss der ahd. Orthographie ausser in
den von Braune hervorgehobenen punkten noch in einigen
anderen. Am deutlichsten sieht man ihn in der widergabe
des slav. y mit ui, z. b. bui (by), mui (my) u, s. w., aber das
zeigt sich nur in II und hier nur nach den labialen b und w.
Ja, einmal haben wir hier auch muzlite (=myslite 1184),
also ganz wie im ahd., wo auch mitunter u st. ü geschrieben
wurde. Noch interessanter ist folgender in der ahd. literatur
sonst verhältnismässig seltener fall. Der diphthong iu gieng
um 1000 in // über, was auch iu und u geschrieben ^nu-de,
so dass dieser laut mit dem umlaut ü zusammenfiel (Braune,
Ahd. gramm. § 49). Daneben finden wir aber auch vereinzelt
z. b. die Schreibweise ntgir (neben fnir, vuim etc. 1. c. anm. 3).
Ganz in derselben weise wird nun in II das slav. y geschrieben
und zwar im worte neimuyi z. 15 -- ncimy (part. praes. ^-
*non habens'). Es muss auffallen, dass nur in II das slav. y
auch graphisch unterschieden wird, wenigstens in einigen
fällen, während in I und III dafür einfach i steht. Statt des
slav. k ist in II im anlaut zweimal ch geschrieben: diifto 80
( küzulo) und in dem verstümmelten ausdruck choife ih 23
(wol für koichze) und im inlaut einmal g\ pagi 14 st. paki. In
dem ei-wähnten chifto 80 haben wir auch t statt d und im
Worte defd II 1 steht td statt d.
Wie im ahd. j in anlehnung an den vocal i oder den
diphthong ci steht: fri, frier, aber auch friger, frtge (Braune
§ 117), so haben wir auch hier ugongenige II 23, zcepafgenige
11,39, balouvanige U 92, aber es beschränkt sich diese eigen-
tümlichkeit wider nur auf 11, denn wir finden sonst niezelie
I 34 (und nicht vuezelige), pomiflenie III 63 u. s. w\
Der ahd. einfluss zeigt sich jedoch in II in einigen fällen
die in lautlicher hinsieht beachtung verdienen. Wie man aus
dem facsimile ganz deutlich ersieht, hat der Schreiber zuerst
rafzbtü (eig. roßbui) z. 22 (taf. 3, col. 2, z. 22) geschrieben. Erst
nachdem er irgeiidwe auf den fehler aufmerksam gemacht
worden war^ corrigierte er es zu mfzboi. Analog verhält es
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AHD. IN DEN SLAV. FREI8INGER DENKMÄLERN. 205
sich mit cnivtn 51 (tat 4, col. 1, letzte zeile), das er nachträglich
auch zu crotwi corrigierte. Ebenso mit preßupam {preftopam)
25 (taf . 3, col. 2, z. 8) und wol auch mit bovvedal 88 (tat 5, col. 2.
z. 3), wo er anfänglich auch ein u statt o schreiben wollte.
Der Deutsche war also geneigt ein slav. o als u aufzufassen
(man vgl. Weinhold, Bair. gr. s. 43: -dazu kommt die über das
ganze gebiet verbreitete neigung o in t« zu verdumpfen'). So
alte belege für diese erscheinung wie in unserem falle ver-
dienen gewis beachtung. Weiter hat der Schreiber ursprüng-
lich zpoßtel II 91 (tat 5, col. 2, z. 6) geschrieben und corrigierte
es zu jspafitel, ebenso das schon oben erwähnte rofzbui, das
er zu raßboi machte. Es ist dies wider eine eigenttimlichkeit,
die den Deutschen verrät (vgl. Weinhold a.a.O. s. 37 §22: 'eine
reiche quelle des unechten o ist die neigung des bairischen a
sich zu verdumpfen. Wir können sie durch Jahrhunderte ver-
folgen'). Auch hier dürften so alte belege, wie sie unser denk-
mal bietet, willkommen sein.
Höchst auffallend ist der deutsche einfluss in boß raba
II z. 109 — 110 (tat 6, z. 7 — 8) und grechi vuasa gleich in der
nächsten zeile (beides schon zum schluss des denkmals). Man
hat bis jetzt grosse mühe mit der erklärung dieser ausdrücke
gehabt, und doch ist die sache sehr einfach. Bekanntlich
zeigen die kurzen und langen e der endsilben im späteren
bairisch (10. und 11. jh.) eine starke neigung in a überzugehen
(Braune, Ahd. gr. § 58 anm. 3). Es ist also hier bozi rabe und
grechi vase zu lesen, was auch der sinn verlangt. Wie im ahd.
in endungen i neben e auftritt, so haben wir auch hier moßm
II 106 statt mofem ( = moiem possumus) und vielleicht noch
andere ähnliche fälle.
Wie im ahd. die sog. secundärvocale sich nach dem vocal
der folgenden silbe richten, also bißUhit, aber befelahanne
(Braune § 69 a), so werden auch die slav. halbvocale durch e
und i ersetzt, wobei auch der vocal der nächsten silbe nicht
ohne einfluss zu sein scheint: nezegreßl 11 2, zimifla HL 49,
Hmnicach II 52 u.s.w.
Auch spuren einer accentbezeichnung scheinen sich in
unseren denkmälem erhalten zu haben, wie dies in einigen
ahd. handschriften der fall ist (vgl. darüber s. 35 — 38 meiner
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206 VONDRAK
Nun ist aber noch ein wort zu erwähnen, welches ganz
den deutschen habitus hat, nämlich cruz II 90 (tat 5, col. 2,
z. 4), wenn man bedenkt, dass das deutsche criuz ab und zu
im ahd. auch so geschrieben wird (vgl. cruce bei Braune § 49
anm. 1). Die ganze stelle, die das wort enthält, heisst naf
gozhod zueti Cruz ife geft bali telez naffih i zpaßtel duf nafßh
ton bozzledine bcUouvanige pofledge pozftaw i iicazal ge ...
U.S. w. Man sucht unter cruz eine Verstümmelung von Christus,
welches wort man hier etwa erwartet. In III kommt es auch,
allerdings in der form Crifte 67, vor. Allein so wie das wort
in II erscheint, kann es nur der reflex des deutschen criuz
(cruz) sein. Ks muss demnach hier ein misverständnis ob-
walten, welches auf die wol nicht ganz richtig hier erfasste
vorläge zurückgeht. II und III rühren von einem und dem-
selben Schreiber her: das bestätigte mir auch E. Mühlbacher.
Während wir aber in II so viele lautliche germanismen fanden
(wie a statt e im auslaut, b statt p im auslaut u. s. w.), ist in
III keine spur davon: hier sind nur die allgememen ortho-
graphischen traditionen gewahrt (z. b. die widergabe des slav.
s und i etc.), wozu wir auch die ausdrücke wie sancte petra
ni 14 hinsichtlich des sancte rechnen müssen, da sie sich
auch in ahd. denkmälern vorfinden. Das spricht dafür, dass
die vorlagen verschieden waren. Die vorläge zu III war
schon in einer für den Schreiber verständlichen foim da, also
offenbar auch in lateinischer schrift; daher hat der deutsche
Schreiber einfach nur das hier wort für wort abgeschrieben,
was er in seiner vorläge lesen konnte, und brauchte nicht dem
einflusse seiner muttersprache in lautlicher hinsieht zu unter-
liegen. Anders verhielt es sich offenbar mit der vorläge des
zweiten denkmals. Die so starke beeinflussung von selten des
ahd. in lautlicher hinsieht spricht dafür, dass 11 nach dem
gehör geschrieben wurde und dass keine vorläge in lateinischer
schrift vorlag. Sie war wol in einer anderen schrift verfasst,
und zwar spricht vieles dafür, dass sie glagolitisch war und
von den Kroaten, bei denen damals der glagolismus herschte,
herrührte. Unter den Slovenen irgendwo in Krain oder
Kärnten hat sich dann die deutsche geistlichkeit diese glago-
litischen texte zu nutze gemacht; daher verraten die denk-
mäler auch einen starken slovenischen einfluss, und es hat
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AHD. IN DEN 8LAV. PREISINGER DENKMÄLERN. 207
Sprachforscher gegeben, die sie für rein slovenisch hielten,
was unrichtig ist. Aber bei den Kroaten selbst sind die glag.
altkirchenslav. texte ursprünglich nicht entstanden. Es ydri
dies schon dadurch unwahrscheinlich, wenn wir bedenken, dass
sie aus althochdeutschen texten geflossen sind. Dazu fehlen
die Vorbedingungen bei den Kroaten. Wie einige bohemismen
oder slovacismen bezeugen, sind die ahd. texte irgendwo in
Mähren oder unter den Slovaken, wo einerseits die deutsche
geistlichkeit wirkte, andererseits auch der slav. gottesdienst
eingeführt war, so gut es gieng, ins altkirchenslavische tiber-
setzt worden und von dort erst kamen die texte zu den
kroatischen glagoliten. Es würde natürlich zu weit führen,
wollte ich hier alle umstände anführen, die dafür sprechen,
dass die Übersetzung aus dem ahd. zuerst altkirchen-
slavisch war.
Ob derjenige der den text von II dictierte, auch ein
Deutscher war, oder ob der Schreiber von II selbst den glago-
litischen text, so gut es gieng, las und dann mehr nach dem
gedächtnis niederschrieb, iässt sich freilich schwer beweisen.
Uebrigens ist mir das zweite nicht recht wahrscheinlich. Es
wurde auch, wie einzelne fehler beweisen, nicht alles ver-
standen. Dafür spricht auch das oben erwähnte cru0. In
der glag. vorläge dürfte die abbreviatur chü, wie gewöhnlich
für Christus, gewesen sein, was wol als krstü, kstü (kreuz)
gedeutet wurde. Das könnte namentlich von Seiten eines
Deutschen erklärlicher sein, der das anlautende k mit ch
verwechselte. Uebrigens wird in späteren kirchenslav. denk-
mälem selbst auch Christ mitunter mii^* geschrieben. Und
selbst wenn schon die vorläge hier krstü (kreuz) enthielte,
dürften wir in II nicht cruz erwarten, sondern entweder
ebenfalls etwa krist, krst oder unter dem böhmisch-slovenischen
einflusse kriz (also crif). Cruz bleibt hier also unter
allen umständen ein deutsches wort.
So gehören die Freisinger denkmäler zu den slavischen
texten die auch der deutsche philolog in den bereich seiner
Untersuchungen ziehen kann, und sie zeigen uns eine merk-
würdige Verkettung in der art wie man sich die literarischen
producte die von anderwärts kamen, zu nutze zu machen
wusste. Ursprünglich althochdeutsche texte (wol auf grund-
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208 VONDBAK, AHD. IN DEN 8LAV. PREISINGER DENKMÄLERN.
läge von lateinischen verfasst), werden sie bei den Slaven
übersetzt, machen bei ihnen mannigfache Wanderungen durch,
werden schliesslich widerum von einem Deutschen für die
Slaven in seiner weise abgesclirieben (wenigstens sicher TI
und ni) und lassen sich den Stempel der jeweiligen behand-
lungsweise ruhig aufdrücken.
WIEN, juli 1896. W. VONDRÄK.
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UEBER GAT I G£T IM BAIRISCHEN.
Was sich bei Untersuchung der frage nach dem gebrauche
der ä' oder ^-form der verba gän und stän in der bairischen
mundart ergiebt, ist recht charakteristischer art. Ist es an
sich unwahrscheinlich, dass entsprechend der gewönlichen an-
nähme die bairische mundart durch die ganze ahd. und mhd.
zeit hindurch im ind. praes., inf. und part. die a- und c-formen
neben einander benützt hat, so lässt sich wirklich erweisen,
dass von der ahd. zeit bis zur gegenwart an diesen stellen nur
eine der beiden formen gilt. Sodann zeigt sich, dass für die
fraglichen formen die spräche der ahd. quellen und der im
letzten viertel des 13. ih.'s beginnenden Urkunden ohne weiteres
zusammenstimmt, dass die dazwischen liegende periode aber
abweicht. Hier wird die einheimische mundartliche form und
eine fremde neben einander verwendet. Dieser schwankende
gebrauch geht von den autoren selbst aus, und er beruht auf
praktischen gründen.
Dass in der heutigen bairisch-österreichischen mundart
nur die e-formen gelten, ist gemeine annähme. Die e-formen
herschen auch in den Urkunden des 13. und 14. jh.'s. Es
liegt hierfür ziemlich reiches material vor, in erster linie dank
den österreichischen publicationen. Auf bairischem boden ist
wenigstens bd. 35 der Monumenta boica für unsere zwecke
verwendbar. >)
^) MB = Monumenta Boica. — ÜB. d. 1. o. d. E. = ürkundenbuch des
landes ob der Enns. — ÜB. v. Kr. = ürkundenbuch für die geschichte des
B. St. von Kremsmünster. — F. r. A. = Fontes rerum Austriacarum, 2. abt.
Diplomata. — Not.-bl. = Notizenblatt, beilage zum Archiv für künde öster-
reichischer geschichtsqueUen. — Oe. ws. = Oesterreichische weist ttmer ges.
V. d. ks. ak. d. wiss. — Eine gründliche Verarbeitung des sprachlichen mate-
rials dieser österreichischen publicationen wäre sehr zu wünschen, sie ist
aber nur bei kenntnis der lebenden mnndait möglich.
Peitr&fe cur gMchiebt« der dcutachan «praobe. XXII. t4
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210 BOHNENBERGEB
München 1293: gett, sten MB. 35, 2, 13; 1294: get. stet, stennt MB. 35,
2,14; 1304. 131«: MB. 35, 2, 28. 47. — PaHsau 1288: stet, gesteh Uß. d. 1. o.
d.E. 4, 96. — Linz 1288: stet UB.d.l. o.d. E.4, 81. — KremsmttnRter
1293. 1300: Stent, hegen ÜB. v. Kr. 151. 158. — Wintendorf 1292: stefit
ÜB. d. 1. 0. d. E. 4,1(59. — Kloster Neuburg 1311: sten, gen, stet F.r. A.
10,127. — Wien 1284: «/cn F.r. A. 31,420; 1291: stet \:B.A.Io. d.E.
4,158; 1297. 1300. 1305. 1307: Stent, stet, get F. r. A. 18,94; 15,2,1; Not.-
bl. 4,9: F.r.A. 15,21. — Heiligenkreuz (?) 1294: stet, get F.r.A.
11, 275. — 0. 0. 1274: get F. r. A. 31, 325. - Hzgt. Salzburg 15. jh.: geen,
steeti (Hallein, Oe. wst. 1, 143); gettt, steet, get, geen (Mittei-sill, Oe. wst. 1, 284).
— T iro 1 1387 : «tef (Neustift ira'stubaithal, Oe.wst. 2, 279) ; 1434 : get (Muttera,
Oe. wst. 2, 252); 1444: gen (Brandenberg, Öe. wst. 2, 135. — Kärnten 1283:
Stent (Klagenfurt, F.r.A. 1,213); 1337: get (St. Paul? F.r.A. 39,227). —
Steiermark 1278: Stent, gen (Wildon, F. r. A. 1,192); 1330: steent, steet
(o. 0. Oe.wst. 6,160); 1434: get, stet (Admont, Oe. ws. 6,268).
Ebenso weisen die ahd. quellen des 9 — 11. jh.'s in
MfiUenhoff-Scherers Denkmälern' durchweg ^-formen auf:
Muspilli: get 6, stet 44. 45. 61. 87, sten 81, stetU 89. — Otlohs
gebet: geti 18. — Predigten (86): stest A, 1,15; ste^i A, 4,7, 8; fir-
stennt, stet, sten, gen, Stent, firsten B 1,23; 2,34. 52. 54. 55; 3,29; stet,
rohtet C 1,1; 2,12. — (Geistliche ratschlage (85): ken 3.
Auch im 12. jh. haben einige quellen noch durchweg
e- formen:
Benedictbeurer glaube I (87): ersten 14. -— Bened. gl. III
(96): stet Ib. — Wessobrunner gl. IT (95): gestent 22, sf^hite 26. —
Pater noster (43): gesten 6,6, resten 6,11; ergen: ersten %,*^y stet 10,1.
irgent 11,2, irgen : irsten 11.3 und durch den reim noch ausdrücklich ge-
sichert stetite : ellente 20, 7. Trotz der beträchtlichen länge kein reim mit ä,
Gegentiber diesen e-formen finde ich solche mit ä in alter
zeit auf bairischem sprachboden nur in den Pariser und
Hrabanischen glossen geschrieben (vgl. Bremer, Beitr. 11, 43).
Mit diasen quellen begründet auch Braune (Ahd.gr. §383 anm.2)
seine angäbe, dass sich bairisch nicht ganz selten a- formen
finden. Umgekehrt haben wider die Emmeramer glossen
e : uuidarstcm (iSteinmeyer-Sievers, Ahd. gll. 2, 103, 62, vgl. auch
Ludw. Wüllner, Hrab. glossar, 1882, s. 133).
Nun zeigen aber die zuvor aufgeführten belege zu deutlich
einen geschlossenen bestand von c-formen, als dass ihnen gegen-
über aus denkmälern von der art der glossen ein gegenbeweis
zu erbringen wäre, zumal bei einer an sich so unwahrschein-
lichen Sache, wie es die doppelform get / gät ist. Nicht die
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GAT ! Gtrr IM BAIBI8CHKN. 211
bestimmung der mundartlichen formen kann hier von den
glossen abhängen, sondern man hat nun umgekehrt zu er-
klären, ^ie die glossen zu nicht -bairischen formen kommen.
Dieser frage habe ich hier nicht weiter nachzugehen. Ich
hebe nur hervor, dass Pa auch gangis, gangit hat (Steinmeyer-
Sievers, Ahd. gU. 1, 20, 8. 34, 28) und weise noch darauf hin, dass
nach den Verhältnissen welche Fischers Sprachatlas zeigt, auch
ein grenzbezirk mit a-formen für gen, sten gegenüber sonstigem
wesentlich bairischem sprachbestande unter die in erwägung
zu ziehenden möglichkeiten gehört. Als rest einer bis ins
8. jh. herabreichenden doppelbildung gan / gen, die mit ausgang
des 9. jh.'s aus der gesprochenen mundart verschwunden wäre,
wird man die fraglichen formen kaum erklären wollen. Dann
treten d-formen neben solchen mit c von der mitte des
11. jh.*s an im reim auf. Diesen formen zulieb scheide ich
zunächst einmal die zweite hälfte des ll.jh.'s aus, und ich
nehme diese formen mit den entsprechenden doppelformen der
nächsten zeit zusanmien. Somit bleibt die zeit vom 9. jh. bis
zur mitte des ll.jh.'s. In dieser sind auf bairischem boden
allein e-formen nachzuweisen, und sie sind daher auch allein
der bairischen mundart zuzuerkennen.
Nun bleiben die zwei Jahrhunderte von 1050 bis zum
auftreten der Urkunden nach 1270. Sie müssen die Verbin-
dung für die vorhergehende und die folgende zeit bilden und
es sind daher gleicherweise auch hier ausschliesslich
c-formen zu erwarten. Hiemit lässt sich die spräche der
quellen ohne Schwierigkeit vereinigen und die grammatik hat
daher künftig allein gen für die bairische mundart zu
verzeichnen.
Die literarischen quellen schreiben vom 12. jh. ab sowol
e als d, und schon seit mitte des ll.jh.'s ist beides im reim
nachzuweisen. Eine grosse anzahl von quellen hat im reim
vorhersehend d-formen, verwendet aber auch e-formen, wo
sich ein reim für diese bietet. Einige quellen, zumal solche
geringen umfanges, haben im reim nur d-formen. Wo gen mit
Sien gebunden ist, wird bald d bald e geschrieben, mehrfach
im anschluss an das verfahren im Innern des verses. An dieser
letzteren stelle erscheint in einem teil der quellen vorwiegend
oder auch ausschliesslich P, andere haben auch hier viele d.
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212 BOHNENBERGEB
Diesen bestand erkläre ich so. Die dichter haben die
fremden a-formen kennen gelernt, sie haben dieselben im
reim, wo sie sehr bequem verwendbar sind, bald häufig
benützt. Da für die e-formen im reim sehr wenig Verwendung
ist, so wiegen im reim die ä -formen recht bedeutend vor.
Hiemit wird die a-form sehr geläufig, und es entsteht die
gewohnheit, sie auch da zu setzen wo man ihrer nicht bedarf:
im innem des verses und da wo gen mit sUn gebunden ist.
Zwischen den beiden extremen, die mundartlichen e-formen
wo immer möglich festzuhalten, oder auf die tiberflüssigen
e-formen ganz zu verzichten, finden sich daher mittelstufen in
grosser menge.
Original und copie, dichter und Schreiber können dabei
auch verschieden verfahren. So lässt sich vermuten, dass für
einen teil der formen abänderung des Schreibers vorliegt, wenn
im innem des verses stets e-formen auftreten, im reim dagegen
regelmässig mit ä gat : stat geschrieben wird. Dass dieser
bestand schon vom dichter stammt, ist nicht wahrscheinlich,
wenn auch nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist, dass
der dichter wol an der reimstelle die dort herschende a-form
auch für den reim gat : stdt verwendet, und im innem des verses,
aber frei verfahrend bald a-formen bald solche mit e benützt
hat. Der Schreiber, der sich vor änderungen im reim hütet,
hat dann gat : stat unverändert gelassen^ im Innern hat er zu
gunsten der heimatlichen ^-formen ausgeglichen. Dagegen ist
m. e. mit der weiteren möglichkeit, dass alle a-formen mit aus-
nähme der wenigen dui-ch den reim gedeckten dem Schreiber
zuzuweisen sind, nicht ernstlich zu rechnen. Da für die
dichter die e- formen im reim nicht verpönt sind, werden sie
von ihnen auch ausserhalb des reimes nicht gemieden worden
sein. Und wenn all die vielen ^-formen in nichtreimender
stelle von den Schreibern stammen, so wäre zu erwarten, dass
die Schreiber auch den rest der ungedeckten a-formen beseitigt
hätten.
Ich gebe im folgenden eine reihe von belegen. Wem die
bände weniger gebunden sind als mir, der wird manche da-
von durch bessere ersetzen können. An dem gesammt-
ergebnisse wird sich kaum viel verschieben. Ich ziehe auch
solche quellen bei, bei welchen bairische herkunft nicht be-
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GAT I G^T IM BATRI8CHEN. 213
stimmt erweisbar oder selbst bestritten ist. Ausscheidung der-
selben ändert ebenfalls an dem ergebnisse nicht viel, es ist
aber von interesse zu sehen, wie ihr verfahren von dem der
sicher als bairisch bestimmbaren quellen nicht abweicht.
Genesis (das stück, welches in den Wiener Sitzungsberichten 47, 636 ff.
von Diemer nach der Vorauer handschrift veröffentlicht ist, verglichen mit
der Wiener [Hoffmanns Fundgruben 2] und der Milstätter hs. [Genesis und
Exodus n. d. Milst. hs. hg. v. Diemer]): trgen : nnUen 4ß, Rtihen : stenlly
chouften : gen 92, besten : lessefi 864, lobent : uirstent 1031 (M abweichend);
man : gan 61, getan : irgan 621, gat : fftat 1169. Dazu gen : stSfi 7 mal mit
i in VWM, 1 mal mit c in V, «in WM und 1 mal mit e in VM gegen gen :
stan in W. Ohne reim oder in ganz unreinem reim 4 mal e in VWM, 2 mal
^ in V gegen ä in WM, 1 mal e in VM gegen ä in W.
Frau Ava (nach Zs. fdph. 19, 129) : Johannes : Nazareth : stet 91 ;
sian : man 49, ergan : han 71, gegan : hegan 223, man : gegan 263, hat : gat
361, stan : man 405, man : gan 421 ; gende : etstend^ 337. Jüngstes ge-
richt: we : zergen 29^] zergat : hat bl -, getan: gan Sb, begat : rat 227 ;
zergen (schreiber!) : getan 115, dazu e ohne reim oder im reim gen: sten
12 mal. Weitere reime mit e aus dem Leben Jesu (nach Langguth, Zu
den gedicht^n der A., 1880, diss., s. 6), gefi : Betlehe^n, Jerusalem, Effrem
243. 389. 401. 1155. 1433. 1121.
Johannes baptista aus Baumgartenberg (Deutsche gedichte
des 12. jh.'s hg. v. C. Kraus, 1894): stan : gan 1, e : xmrsten 21.
Johannes baptista von Adelbreht (ebda.): Elüabeth : stet 49,
getan : gan 188.
Kaiserchronik (hg. v. Schröder, MG.), 1—1200 und 16500 ft'.: Jeru-
salem : gen 721. 865. 1079; gesian : man 197; man : gan 549. 1047; gan :
erslun 16708; verlät : gestät 16720; getan : gan 16983.
Heinrich von Melk (hg. v. Heinzel) 1—200: stat, gat : hat, tat AX
161. 170; gen : sten 2 mal mit c, 2 mal mit ä.
Kürenberger: entstdn:man, 2mal a, 3mal e.
Dietmar von Eist: d im reim 8mal, e ohne reim') 3mal.
Burggraf von Regensburg: we : entsten.
Burggraf von Bietenburg: ä im reim 2mal.
Hartwig von Rute: ä im reim 2mal, ohne reim Imal, e Imal.
Konrad von Fussesbrunn: Kindheit Jesu (hg. v. Kochendörffer,
QF.43) 1—1000 und 2500 ff.: ä 9 mal im reim, i 2 mal (Eh'sabet 2S9, Na-
zaret 2543), ausserhalb des reimes fast durchweg e.
Walt her: ohne reim weitaus vorhersehend i, bei reim gin : stHi
t^ils d, teils d, sehr viele reime auf anderweitiges d.
*) Hierzu ist weiterhin auch der reim gen : sten gerechnet , falls dcr-
selbe nicht noch besonders aufgeführt wird.
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214 BOHNENBERGER
Heinrich von dem Türlin, Krone: ohne reim in der regel i, aucli
g^ : 8tSn mit i. Neben den reimen auf ä ziemlich häufig solche auf ^,
z.b. zwin 3894. 4204. 428Ö. 5134; liet 29677.
Stricker, Karl, Amis, Daniel: viele reime auf a, ohne reim nach
den ausgaben im Karl (Bartsch) und Amis (Lambel) vorhersehend i, im
Daniel (Rosenhagen, vgl. auch dessen Untersuchungen über D., 1890, diss.,
8. 40) immer ä.
Wernher, Helmbrecht: reime auf «: 19. 115. 211. 333. 585. 631.
852. 1163. 1601, ohne reim S: 335. 1392. 1717. 1916, d 1309.
Ulrich von Lichtenstein, Frauendienst: sehr viele reime auf d,
ohne reim und im reim g&n : sthi viele e, aber auch n.
Herrand von Wildonie: reime auf ä, ausserhalb des reimes c
und ä,
Scharpfenb erger: stet, (jän, ga.
Nibelungenlied: ohne reim meist i, aber bei reim gdn : stift mehr
fi als e. ABC weichen von einander ab. Klage wie das lied: reim mit S:
Mackazen : gesten 965 (B). Gudrun: ohne reim in der regel e.
Ich fasse das ergebnis daliin zusammen: die literarischen
kreise in Baieni haben von der mitte des ll.jh.'s an oder jeden-
falls bald nachher die fremde sprachform mit ä gekannt,
sie haben sich derselben neben der einheimischen bedient
und zwar zunächst da, wo die fremde form praktischer war,
dann auch in anderen fällen, immer aber ist auch die ein-
heimische daneben literarisch in geltung geblieben. So sind
parallelformen in die literatur gekommen und die spräche der
denkmäler ist keine einheitliche mehr. Olnie zweifei haben
wir dies ergebnis über den einzelnen fall hinaus zu erweitern,
und es fehlt in den mhd. denkmälern nicht an formen, welche
verwanten Charakter vermuten lassen. Das problem, um wel-
ches es sich dabei handelt, ist dem der Schriftsprache ähnlich,
aber es steht doch nicht direct mit diesem in Zusammenhang:
ja es enthält auch momente welche der schi'iftsprache ent-
gegen stehen. Die Schriftsprache verlangt dem gi-undsatze
nach einheitlichkeit der sprachform, wenn diese auch nicht
immer consequent durchgeführt ist; hier aber handelt es sich
im princip darum, dass zweierlei formen neben einander
verwendet werden. Die Schriftsprache wählt die fremde
form, weil man sich deren in massgebenden kreisen be-
dient, weil sie för feiner und höfischer gilt: hier wird diese
gewählt, weil sie leichter zu handhaben ist, also weil sie
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gAt ! Gtr IM BAIBI8CHE17. 215
praktischer, nicht weil sie feiner ist als die andere. Manche
erscheinung zu deren erkläning man sonst die Schriftsprache
beiznziehen hätte, wird man ans der aufnähme der prakti-
scheren form erklären können. Man hat hienach auch weniger
als je die texte zu normalisieren. Nicht allein von der nor-
malisierung nach einer Schriftsprache, sondern auch von der
normalisierung nach einer mundart hat man nur sehr vorsich-
tigen gebrauch zu machen. Wo die handschrift formen ver-
schiedener herkunft neben einander zeigt, hat man nicht so
ohne weiteres die eine dem schreiber und die andere dem
autor zuzuweisen: der autor selbst kann beide gebraucht
haben. Sind solche doppelformen demnach nicht aus den
texten auszuscheiden, so um so ernstlicher aber aus den
grammatiken der mundarten. Hierin hat noch viel zu ge-
schehen. Je mehr quellen aber erschlossen werden, welche
nicht aus den literarischen kreisen im engeren sinne stammen,
und die dagegen örtlich und zeitlich genau bestimmbar sind,
desto eher kann man dieser aufgäbe nachkommen.
Wie das fremde gät auf bairischem boden in der literatur
auftritt, so ist get in schwäbisch -alemannischen') quellen
möglich. Daher kann der reim Vrien : sten bei Hartmann
(Iwein 4184) nicht mehr auffallen. Man darf nun auch nicht
ohne weiteres in den schwäbisch -alemannischen denkmälern
alle nicht durch den reim gedeckten e-formen tilgen. Da für
die fremde form auf schwäbisch-alemannischem boden im reim
^) Wenn ich filr das schwäbisch - alemannische gebiet in literarischer
zeit im grossen und ganzen die d-form ansetze, so lasse ich dabei nicht
ansser acht, dass für die heutige mundart des äussersten SW (canton Bern
bis Monte Rosa) formen angegeben werden, welche i voraussetzen. Für
das hanptgebiet sind die d- formen von ältester literarischer zeit her zu
sicher als die einzig mundartlichen erwiesen, als dass unsere aulfassung
durch jene Mormen beeinflusst werden könnte. Dabei soll dort, so viel ich
sehe, e in der flexion mit ä wechseln: git aber gän. Ich glaube nicht,
dass wir berechtigt sind, darin eine ältere alemannische stufe zu sehen,
die in vorliterarischer zeit im alemannischen weitere Verbreitung gehabt
hätte. Alt mnss das e freilich sein, aber kaum auf alemannischem boden.
Man pflegt heute gar nicht mehr mit burgundischen resten zu rechnen:
ob hier nicht doch ein solcher vorliegt? Die Urkunden des Bemer ge-
bietes schreiben zu ende des 13. und beginn des U. jh.'s auffalleuder-
weise gät
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216 BOHNENBEEGBR, (^AT / G^ IM BAYRISCHEN.
viel welliger Verwendung ist als auf bairischem, so wird auf
ersterem die ^-form vom dichter ausserhalb des reimes auch
weniger häufig verwendet worden sein, als die a-form auf
letzterem, aber ausgeschlossen ist die e-form auf ersterem damit
nicht: im 14. und 15. jh. tritt sie auch in recht ansehnlicher
zahl auf.
TÜBINGEN, September 1896. K. BOHNENBERGEE.
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EINIGE FÄLLE VON CONSONANTENSCHWUNI)
IN DEUTSCHEN MUNDARTEN.O
I. Schwund eines anlautenden ».
Nach dem Schweizerischen idiotikon 1, 164 ist Schweiz.
äcke, fcke (nacken, bug), bair. äck, gäck aus anke * verkürzt':
* Verstümmelung aus nacken anzunehmen, empfiehlt sich nicht,
weil die bedeutung bug ziemlich absteht und n viel leichter
vortritt als wegfällt, l'nerklärt bleibt der umlaut, der in der
ausspräche e sich als alt ausweist/ Bei der ableitung von
äcke aus anke wäre der ausfall des n unbegreiflich. Aus nacken
lässt sich das wort befriedigend erklären.
Sicher ist, dass anlautendes n von Substantiven als un-
bestimmter artikel aufgefasst werden und abfallen kann 2);
dass der vortritt eines n sich leichter vollzieht als der abfall,
ist ganz natürlich, denn es gibt mehr Substantive mit vocali-
schem anlaut als mit anlautendem n.
Ein w^eiteres hindernis, äcke von nacken abzuleiten, sind
dem Idiotikon die bedeutungen des Schweiz, wortes: vgl. äcke
'nacken, (knie-) bug, kleine bodenerhebung' mit mhd. anke *ge-
nick, fussgelenk', gr. ayxcir *ellenbogen, vorsprung an einer
maner, Vorgebirge'. Aber auch nacken kann einmal eine wei-
tere bedeutung gehabt haben: bair. nacken ist ein knochen,
») AbkürznngeD : BM. = Baienis mnndarten, heraung. von Brenner und
Hartmann. — DM. = Frommanns Deutsche mnndart«n. — Schmellers Mund-
arten Baiems und Kanffmanns Geschichte der schwäb. mnndart sind mit
den namen der verf. citiert.
•) Beispiele s. bei SchineUer §§ 610. Hll. Lexer, Kämt. wb. s. xiii.
JeUinghaus, Nl. volksma. s. 118. DM. 5,451. BM. 1, 242: eiger (bair. wald)
= nabiger, engl, auger, nl. (n)avigaar', nd. nl. äk (nachen); otier (engl.
nl. adder) : fuUier; verbreitet ist est (negt), Mnd. wb. 3, 142.
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218 HORN
das keltische cnocc, cnoch, das von Kluge mit unserem wort
verglichen wird, bedeutet *hügel, erhebung'.
Der Umlaut, den das Idiotikon unerklärt lässt, ist aus dem
dat. sing. *neckin eingedrungen 0; vgl. altobd. henin zu hano,
netnin zu namo (Braune, Ahd. gr.^ § 221, anm. 2). 2) Damit ist
aber nur (^che (mit geschlossenem e) erklärt; das viel weiter
verbreitete äcke hat secundären umlaut: unter einwirkung
der übrigen casus bildete sich neckin zu na^ckin um, wo dann
später der umlaut doch durchdrang, aber nur bis zu ä ge-
langte.
IL Schwund eines anlautenden g.
Kluge erwähnt in seinem Wörterbuch für gips auffälliges
Schwab. -bair. ips. Das wort findet sich auch im Odenwald
mit dem zugehörigen verbum ips9; es ist aber im aussterben
begriffen, da seit etwa 80 jähren kein ips mehr als dünge-
mittel auf die kleeäcker gestreut wird. Dazu bemerkt Ph.
Lenz 3): ^ob der ausfall des anlautenden g durch eine ältere
ausspräche *ji2JS oder durch falsche auffassung des g in dem
verbum gipsen als vorsilbe ge- zu erklären ist, bleibt ungewis.'
Jips kommt tatsächlich vor im Elsass*), auch in der Schweiz*)
(neben ips).
Romanisches dz, z (= lat. j oder g) wird dort in mehreren
Worten durch j widergegeben: f/ew/' (Genf), jentsian (gentiana),
jnstement (justement); vgl. A. Heusler, Alem. cons. s. 89. Beitr.
18, 347. Aber seh wund des j vor vocalen, wie ihn Lenz und
das Idiotik. annehmen, kann höchstens in unbetonter satzstelle
erfolgen: schwäb. westböhm. nachdrucksloses ^ für jp (ja).«)
Gehen wir vom verbum gipsen aus, so löst sich das rätsei:
im part. praet. gipst konnte g als vorsilbe ge- erscheinen; so
bildete sich ein neuer infinitiv ipso, der nur in gegenden vor-
zukommen scheint, die participia wie gessen, gehen gebrauchen:
') Diese erklärung des ^ hat herr prof. Behaghel im germ. seminar
vorgetragen.
[*) ^^&1- lioch alem. tmentig aus mam'rUag, 0. Behaghel.]
•'*) Handschuhsheimer dialekt, nachtrag, progr., Heidelberg, 1892, s. tl.
*) Alemannia 5, 200.
*) Schweiz, id. 3, 5(5.
•) Kanffmami § 180 aum. BM. 2, 355.
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C0N80NANTBNSCHWÜND. 219
gipst : ipso = g^ : ^9. Ebenso darf wol Schwab, ^/v? (gären)
erklärt werden, das Kanffmann § 180 anm. aus Balingen citiert.
Anders steht es natürlich mit ilge (lilie) in silddeutschen
mundartenJ) Kanffmann § 182 sagt; *unter nicht bekannten
bedingungen ist g vor i geschwunden, vgl. gilgen > ilgo' Ilge
muss aber nicht notwendig aus gilge entstanden sein; aus lilje,
tilge lässt es sich mit annähme totaler dissimilation leicht er-
klären.
Wie aber erklärt sich gilge mit anlautendem g? Heyne
im DWb. (unter lilie) meint, gilge habe sich wie im rom. (it.
giglio) dissimilierend aus lilie entwickelt. Aber eine solche
erscheinung hätte im deutschen kein analogon; wegen der it.
form vgl. Meyer-Lübke, Gr. d. rom. spr. 1, § 573. Eher dürfte
man vielleicht an eine art assimilation des anlautenden l an g
in lüge denken; vgl. dial. sunst < sunst Aber wie wollte
man damit die form jilge^) in einklang bringen? Wir haben
oben gesehen, dass rom. dz dui'ch j widergegeben wird: aus
it. giglio konnte zunächst jilge werden, das mhd. gilge ge-
schrieben, in manchen gegenden auch gesprochen wurde.
Denn der mhd. w^echsel zwischen j und g ist nach ausweis
der heutigen ma. nicht überall nur orthographisch. In man-
chen dialekten ist j vor e, / zu g geworden, vgl. Behaghel in
Pauls Grundr. 1, 580. Aus diesen ma. können übrigens nhd.
gäreti, gischt, guten stammen, es wird daher nicht nötig sein,
mit Wadstein, Zs. fdph. 28, 525 in gären ein r/c- compositum zu
sehen.
III. Schwund eines s.
Otto Aron hat Beitr. 17, 225 f. folgende hypothese für die
entstehung von s aus s in Verbindung mit bestimmten conso-
nanten vorgetragen: s entstand aus s wortinlautend nach r
und in st, sofern folgendes i, j die vorhergehenden consonanten
mouillieren konnte (jgast : gcste). Im wortanlaut entwckelte
sich s zxis nach r des vorangehenden wortes, *wenn unmittelbar
ein den hauptaccent nicht tragender laut folgte': er sivimmt >
') Schw. id. 1, 179. ScluneUer, Bair. wb. 1, ()7. Kauflfmann §§ 180. 182.
Taubergmnd Ux^y Buchen ilije,
») Elsasß JiU Alem. 5, 200. Schw. id. 1, 179. Henneberg, DM. 2, 498.
Blätter f. landesk. Nieder-Oestr. 23, 137 (J^liny).
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220 HORN
er Swimmt, aber er sägt mit erhaltung des s. Wo Aron da-
mit nicht auskommt, nimmt er seine Zuflucht zur lautlichen
analogie'. Ausser anderen gründen sprechen gegen die an-
nähme, s vor l, m U.S.W. sei dem das vorausgehende wort
schliessenden r zuzuschreiben, die lautverhältnisse der Brienzer
ma.: dort wird nämlich s nach (alveolarem!) r nicht zu s, den-
noch sagt man Stein, Spilan u. s. w. (Beitr. 18, 387). Auch die
entwickelung von s + consonant in der mundart von Basel
lässt sich kaum mit Arons hypothese in einklang bringen (vgl.
s. 267): dort haben wir dieselbe erscheinung wie in Brienz,
aber r ist velar.
s ist ganz geschwunden in swer^ swaz, wofür im 14. jh.
wer, wcus auftritt. Paul, Mhd. gr.^ § 342, 2 und Behaghel, Pauls
Grundr. 1, 585 nahmen an, das verallgemeinernde swer, swag
sei durch das einfache interrogativ wer, waz verdrängt worden.
Neuerdings vertritt herr prof. Behaghel in seinen Vorlesungen
über deutsche grammatik die ansieht, dass swer auf lautlichem
weg zu wer geworden sei. Swer ist bekanntlich aus so wer
entstanden, und sw war schon zu sw geworden, als sich sower
allmählich durch *sewer zu swer entwickelte. Behaghel nimmt
nun an: nach dem lautgesetz sw > sw wirkte das lautgesetz
sw > w, und verweist auf nhd. sehlohweiss : scfilossweiss, alem.
{n)o9mo (neizwd\ niewa, niewer {neizwer).^) [Das ergebnis einer
älteren zusammenrückung ist schwäb. odsmd (neizwä) neben
Qanio, Germ. 36, 433. In einer Schweiz, chronik von 1482 ist
neuwaz belegt, vgl. Geschichtsfreund 38, 225.] Vgl. ausserdem
Jcawasser 'käswasser' (in den Alpen), Schmeller § 660.
Ich glaube, dass ebenso ein lautgesetz sm> m gewirkt
hat. So erklären sich die von Kauffcnann § 152 anm. 1 an-
geführten Wörter: mu<>mr {muoz man), lanie {läz mich), aber
las hleibd, las gao.
Auch für den lautwandel sn > n finden sich belege;
Schmeller § 660 verzeichnet: Sinzau'n (Sinzhausen), Massn-
hau'n (Mässenhausen). Westböhmen (BM. 2, 225. 345) bietet
folgende beispiele: bin = bis + n (n ist die vorausgenommene
personalendung der 3. pei-s. pl., vgl. Schmeller § 722); won =-
was + w; an -- *asn ^= *aus dem', aun :^ 'aussen'.
») Ö. DWb. unter neiss.
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C0NS0NANTEN8CH WÜND, 22 1
Auch vor r scheint s geschwunden zu sein: an der Nah
und Pegnitz, im Ochsenfurter gau, im Taubergnind sagt man
unr^) für unser, in Buchen im Odenwald ör,^) In Westböhmen
(BM.2,345) findet sich (m'ar neben aussar (ausser).
Auch in folgenden fällen haben wol die erörterten gesetze
gewirkt:
Schweiz, ma. haben da (das), wa (was); da ist auch fränkisch
und westböhmisch. 3) Der Schwund des s ist aus dem sandhi
zu erklären: es schwand, wenn das folgende wort mit s oder
w, m, n (r) anlautete. Ebenso können die ä -losen formen von
müssen*) erklärt werden: müez^i verliert z vor n, muoz vor
folgendem s, w, n, w (Heusler, Alem. cons. § 108 hält müend
für eine analogiebildung: tuost : tuend = muost : müend). Man
beachte auch bei Schmeller § 662: ostlech. er wads : i waa' et
(ich weiss nicht); der abfall des anlautenden n von * nicht',
der sich auch im schwäb., in gegenden der Schweiz, in nl.
mundarten*^) findet, beruht auf falscher abtrennung im Satz-
zusammenhang (z. b. hin nicht > hin icht). Man dachte daran,
et sei vielleicht = iht^); da aber in Kärnten (DM. 2,340) et
nach vorangehendem vocal net gesprochen wird, liegt es näher,
et aus niht abzuleiten.
Diese betrachtungen werfen wol licht auf das unaufgeklärte
gdw^ in Nordschwaben, in teilen Baierns, im Odenwald (bei
alten leuten, sonst gdw^t), Fischer, Geographie der schwäb.
ma. S.56 sagt: 'darf man daran erinnern, dass die lautgesetz-
liche form gewem wäre? Das r konnte vor n fallen. Aber
vgl. das auffallende allgäuische gwe9X9' '*) Im Odenwald wäre
ausfall des r nicht möglich.
Nach obigen erörterungen wird getvesn zu geteert Die
nasalierung, die strichweise in gewen, gew}d erscheint, kann'
0 Schmeller § 660. Bavaria, 8, 210. Heilig, \Vb. der ma. des Tauber-
grundes, progr. 1894.
*) Breunig, Laute der ma. von Buchen, progr. 1S91, s. 33.
8) Weinhold, AI. gr. § 188. Bavaria 3, 209. BM. 2, 345.
♦) Weinhold, Al.gr. §151. Schmeller § 662. BM. 2, 245. Bav.3,210.
*) JeUinghaus, Nl. volksmaa. s. 103.
«) So schon Grimm, Gr. (neudruck) 3, 714; nenerdiiiefs Fischer. (Teogr.
der schwäb. ma., s. 57.
') S. kaite 24 von Fischers Sprachatlas.
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222
durcli das n bewirkt sein; möglicherweise aber ist sie zu be-
urteilen wie in lais (leise): gerade vor s findet sich im schwäb.
eine unaufgeklärte nasalierung (vgl. Fischer s. 57). Aber wie
steht es mit gicqdocd an der oberen Hier? Auch im romanischen
schwindet s vor cons., am frühesten vor nasalen und liquiden.
s war in manchen gegenden vor dem ausfall zu einem yj- o^'er
ic-ähnlichen laute geworden, der sich noch in heutigen mund-
arten findet'); auch mhd. lehnwwter aus dem französischen
weisen h für s vor cons. auf: schalitel — afrz. chastel\ foreht
(im reime mit sieht) Parz. 601, 10. ') So hat vielleicht auch
im deutschen eine Zwischenstufe x oder x (+ cons.) bestanden,
die sich im allgäuischen giv^dXr) erhalten hätte.
*) Vgl. z. b. Bulletin de la soc. des pariere de France 1, 8.73.85.
*) Meyer-Lübke, Ur. d. rom. spr. 1, §§ 468. 529. Was Köritz, s vor cons.
im frz., diss. 1885, s. 34 ^^g^w F. Neumanns ansieht (Zur laut- und flexions-
lehre des afrz. s. lOH) vorbringt, ist nicht stichhaltig.
GIESSEN, juni 1896. WILHELM HÖRN.
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GRAMMATISCHES UND KTYMOLOGISCHES.
1. Zu den germanischen auslautsgesetzen.
Axel Kock und \V. van Hellen beschäftigen sich Beitr.
21, 429 ff. und 476 f. mit der frage nach dem abfall des aus-
lautenden u im gotischen. Dabei ist van Heltens hinweis auf
lat. comu gegenüber germ. hom verfehlt. Das v^ort hom ist
nämlich nicht nur im germanischeu ein o-stamm, sondern auch
im keltischen, wie Hesychs galat. xaQvor' rijv oalmyya be-
weist. In folge dessen bedarf vielmehr, falls man nicht eine
indogermanische doppelheit statuieren will, die lateinische form
der erklärung. Eine solche ist auch schon von Danielsson in
Paulis Altital. Studien 8, 188 versucht worden. Er nimmt an,
dass ein alter dual *cornö, comiis aus *cornous sich zu cornüy
comüs ausgeglichen habe und dieses dann singularisch ge-
braucht sei. Man braucht nur an aengl, nosu, dura zu denken,
um diese erklärung für sehr wol möglich halten zu können.
Ganz anders wiegt der hinweis Kocks, dass tdr im aisl.
nicht umgelautet ist. Man müsste */(>»* erwarten, wie es tat-
sächlich vQnd, orr heisst. Kock erwägt zwei möglichkeiten
für die erklärung: es könne das u von *tagru, Ab. es im ab-
soluten auslaut stand, früher geschwunden sein als das gedeckte
Uj oder "^tagru habe sich schon vor der Wirkung der auslauts-
gesetze der flexion der a- stamme angeschlossen, da ja vor-
geschichtlich eine menge Wörter auf analogischem wege aus
der einen flexionsklasse in die andere übergetreten seien. Kock
entscheidet sich für diese annähme, gegen die sich, wie mir
scheint, doch einiges geltend machen lässt. Im ahd. flectiei^t
nämlich zahar im plural nach der «-declination. Belegt sind
zahaH gl. K., 0. 3, 24, 72. 1, 20, 9; zaharin K. 4, 0. 3, 24, 9. 48. 58;
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224 HIRT
5,6,36. T. 92. 138. Ein Wechsel zwischen a- und «-declination
ist zwar sehr gewöhnlich, aber doch nur der art, dass zu den
alten i- und w- stammen der plural auf -a häufig, selten aber
ein plural auf 4 bei sicheren a- stammen gebildet wird, vgl.
V. Bahder, Verbalabstracta s. 18. Das ae. tear, north. tcehJher
zeigt den reinen o-sUmm, ist also insignificant, aber immerhin
lassen sich das ae. und ahd. am leichtesten aus der alten
iz-flexion erklären, die demnach wahrscheinlich im wgerm. noch
vorhanden war. üer übertritt in die a-flexion wäre dann also
nur gotisch-nordisch.
Es fragt sich zunächst, ob dieser übertritt in diesen beiden
sprachen gemeinsam vollzogen ist, oder ob wir etwa eine plau-
sible erklärung für einen dieser dialekte allein finden können.
Vor allem muss ich gestehen, dass Kocks annähme einer ana-
logischen Umwandlung der flexion mich deshalb nicht befriedigt,
weil w-stämme sonst nicht zu a-stämmen geworden sind. Mir
ist kein einziger fall ausser tagr bekannt, obgleich nicht gerade
wenig indog. t*-stämme in das germanische hinein gekommen
sind. Die blosse annähme eines analogischen Übertritts ohne
den nachweis, dass gewisse lautlich zusammengefallene formen
oder gewisse begriffskategorien oder endlich irgend ein der be-
deutung nach verwantes wort den übertritt bewirkt haben,
verschiebt die Schwierigkeiten nur, ohne sie zu lösen.
Vielleicht wird uns eine genaue Untersuchung der im ger-
manischen vorhandenen möglichkeiten der entwicklung von
*dakru klarheit über den wert der gotisch -nordischen formen
verschaffen. Grr. däxgvj lat. dacrumu, lacrunia, lacrima, corn.
dagr, pl. dagrou, ahd. pl. fsdhari, in Verbindung mit aengl. tear
lassen eine indog. form *ddkru n. erschliessen. Wie sidi dazu
aind. dc7-u n. verhält, ist einstweilen unklar. Aber das eine
steht fest, dass es eine ganze menge indog. *reimwörter' gibt,
die sich nur durch das plus oder minus eines anlautenden
consonanten unterscheiden. Man vergleiche aind. krmish
und lat. vermis, got. dags, lit. dägas, aind. ahas. Es darf
nicht verschwiegen werden, dass es im indischen auch
ein a^rdm gibt, welches indessen weder im Rg. noch im
Atharvaveda auftritt, und dass das lateinische nicht un-
bedingt für einen w- stamm spricht. Indessen ergibt sich
aus griechisch, cornisch und wgerm. der w - stamm mit
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OBAMMATISCHEB UND ETTMOLOGISCHES. 225
voller Sicherheit. Ausser dem got.-nordischen ist nirgends ein
o-stamm zu spüren, und damit ist wol die indog. doppelstäm-
migkeit ausgeschlossen,
Weiter ist zu fragen, wie der indog. w- stamm flectierte.
Bekanntlich gibt es in dieser klasse zwei arten von flexion, ent-
weder 'US, gen. -ous, oder -tts, gen. -uos, die sich zum teil noch
recht gut scheiden lassen. Doch ist diese Unterscheidung ziem-
lich bedeutungslos für das germanische, da hier fast durchweg
die flexion -tis, -ous gesiegt hat, wie am besten got. kinnus =
aind. hdnush, gr. yipvQ, yivvog beweist. Das doppel-n des germa-
nischen erklärt sich aus obliquen casus wie "^kinues, die später
die endungen der w-stämme angenommen haben. Andere bei-
spiele sind: aind. mddhuas, mddhvas, 67 mal belegt gegenüber
13 mddhös, und gr. fiid^v, fiiß-vog, an. migdr nach der ««-decli-
nation, und aengl. 7modu; aind. pa^vds gegenüber ahd. fihiu,
an. fidr.
Wir werden also für das urgermanische eine flexion "^tdhru,
Hdhrous u.s.w. anzunehmen haben. Wie der nominativ plu-
ralis anzusetzen ist, dürfte zweifelhaft sein; entweder als
*tagriwö oder Hagruwö. Aus jenem erklärt sich die ahd. form
zahari lautgesetzlich, womit dann zugleich der genuswechsel
klar wird. Doch ist es nicht unbedingt nötig, sie vorauszu-
setzen, vgl. Michels, Zum Wechsel des nominalgeschlechts s. 21 f.
Im nordischen sind der dat. plur. t^om und gen. plur. tdra als
formen des w-stammes verständlich; und weiter hätte eine dem
gr. ödxQva entsprechende pluralform wol über Hahrum zu tgr
geführt. Da das wort neutrum geblieben ist, stand es als
w-stamm vollständig isoliert, und unterlag naturgemäss dem
einfluss der neutralen o- stamme, so dass sich als nom. sing,
nach dem muster von born : harn zu t^ ein tdr ergeben
.musste. Es scheint mir demgemäss wol möglich zu sein, die
nordische form ohne rücksicht auf das gotische zu erklären.
Hier aber versagen alle versuche, den übertritt in die a-flexion
durch den zusammenfall irgend welcher u- und a- formen zu
erklären, und ich glaube, wir müssen doch wider unsere Zu-
flucht zu dem abfall des u im nominativ "^tagru nehmen. Aber
*tagru, dessen u im absoluten auslaut stand, beweist zunächst
nichts für -us und -um, wie Kock mit recht hervorhebt. Da
Kock ferner auf die Verhältnisse des Eöksteins hinweist, in
Beitrage cor geaohlchte der dentsohen tpracbe. XXII. |5
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226 HIBT
denen i geschwunden, u aber erhalten ist, so erhalten wir eine
treffliche illustration der behandlung der auslautenden vocale
im gotischen, und ich erkenne demnach an, dass -us und -um
in zweiter silbe im gotischen noch erhalten waren. Mehr nnd
mehr haben uns ja die nordischen runeninschriften gelehrt,
dass die germanischen apokopierungsgesetze, die für die histo-
rischen dialekte auf ein einziges lautgesetz zurückzugehen
scheinen, in eine reihe zeitlich getrennter Vorgänge zerfallen.
Man kann daher auch sehr wol mit van Helten anerkennen,
dass -um im gotischen in dritter silbe (fadar) bereits ge-
schwunden ist, in zweiter dagegen erhalten war. Freilich
fragt es sich, ob -um aus -m unbedingt mit altem -um auf
einer linie stand. J. Schmidt hat Kritik der sonantentheorie
s. 80 den zusammenfall der beiden laute geleugnet. Aber da die
alten consonantischen stamme ßtus, handtis entweder vom acc.
sing, oder vom acc. plur. (*fotum, "^fotuns)^ eventuell auch vom
dat. plur. (*ßtum-x) in die w-flexion übergetreten sein müssen,
so kann das lautgefühl der Goten hier keinen unterschied mehr
statuiert haben. Immerhin waren die beiden u verschieden
betont, da die w- stamme überwiegend oxytoniert waren, -um
aus -m aber nicht den ton tnig. Aber wir haben ja leider
noch gar keinen anhält, um die Wirkung des indog. accentes
auf den abfall oder die bewahrung der auslautenden vocale
im germ. festzustellen. Dass *(l4kru im Singular wurzelbetont
war, ist, glaube ich, ziemlich sicher. Der tönende spirant
stammt aus dem plural.
Ich lege indessen nicht allzu viel gewicht auf diesen einen
punkt, da wir ja darüber einig sind, dass auch für das gotische
dieselben auslautsgesetze anzunehmen sind, wie für das nord-
und westgermanische, nämlich früherer abfall der vocale nach
langer als nach kurzer Wurzelsilbe.
Auf die bemerkungen van Heltens a. a. o. s. 480 ff. des
näheren einzugehen, möchte ich vermeiden. Ich habe aus
ihnen nichts mich überzeugendes entnehmen können, und fühle
mich ausser stände, meinerseits neue argumente ins feld zu
führen. In solchem falle ist von einer erneuten discussion
nichts erspriessliches zu erwarten. Einige versehen muss ich
jedoch berichtigen. Die ausführungen auf s. 482 erledigen sich
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 227
dadurch, dass van Helten auf den wesentlichen unterschied
verschiedenmoriger vocale, auf die ich jetzt in erster linie die
behandlung der längen zurückführe, gar nicht eingeht. Ich
verkenne nicht, dass die terminologie und accentbezeichnung
des litauischen auf den fernerstehenden verwirrend wirken
kann. Lit. rankä und szirdts tragen zwar die gleiche accent-
bezeichnung, sind aber in ihrem Ursprung ganz verschieden.
Der gravis bezeichnet hier nur den sitz des accentes, über
die ursprüngliche qualität desselben erhalten wir erst durch
die Sprachgeschichte aufschluss, welche lehrt, dass rankä auf
*rankd und weiter auf "^rdnkä zurückgeht. Femer sagt van
Helten: 'die kürzung war nach der accenttheorie die folge
einer stosstonigen (d.h. haupt- oder nebentonigen) ausspräche
der ultima.' Ich brauche wol kaum zu bemerken, dass die
in klammern angeführten worte falsch sind, da auch unbetonte
Silben ebensogut verschiedene accentqualitäten besitzen können
wie sie lang und kurz sein können.
Van Helten löst die Verkürzungsfrage jetzt dahin: 'wenn
die Spiranten d und ]) abgefallen waren, sind die längen ge-
kürzt, bei Schwund von t = indog. d sind sie erhalten.' Diese
lösung, über deren innere Wahrscheinlichkeit man wol ver-
schiedener meinung sein kann, hilft leider nicht über die
Schwierigkeiten hinweg, die die nasalierten silben bieten, und
den unterschied von got. hairai = indog. *b}ieroü und haitada
vermag sie nicht aufzuklären. Dass ausserdem bei van Heltens
versuch eine reihe von formen unerklärt bleiben (s. 485>) und
formen zur erklärung herangezogen werden, die es nicht gibt
(s. 487 3 f. J. Schmidts dativendung -e aus -ei und -ö aus -öi),
dient ihm nicht gerade zur empfehlung. Ich halte auch diesem
neuesten versuch gegenüber die 'accenthypothese' für uner-
schüttert.
2. Gab es wgerm. reflexe von got. -ans, -ins, -uns
des acc. plur.?
Diese frage hat van Helten Beitr. 20, 516 f. gegen Scherer,
Mahlow, Kluge, Jellinek und mich verneint, aber mit unrecht,
wie ich nicht weiter ausführen will. Erkennt man aber die
gleichung aengl. sunu = got. sununs an, so wird man nicht
umhin können, aengl. acc. plur. mna mit got. dagans zu ver-
15*
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228 HIRT
gleichen. Auch im aengl. muss eine Unterscheidung des nom.
und acc. der a-stämme existiert haben, die im got vorhanden,
im ahd. und as. noch nachweisbar ist. Die formen mussten
lauten dmnas und *döma. Die durch den nom. verdrängte
accusativform der a-stämme hat aber bei den kurzsilbigen
M-stämmen ein unterkommen gefunden, während die langsilbigen
die nominativform herübergenommen haben, feldas.
3. Gr. öTOfia, got. mun]>s.
Got. munps, ahd. mund m., ags. müd, aisl. munnr, urgerm.
*mnpae hängt ziemlich sicher mit lat. mentum 'kinn bei men-
schen und tieren' zusammen. Des weiteren kann man aber
gr. öTOfia, CTOfiazog leicht mit den beiden Wörtern verbinden.
Ich halte zunächst die ^flexion des griechischen hier wie in
zahlreichen anderen fällen für alt. orofia geht dann auf
*stömnt zurück, das sich zu *mnt6- aus *simntö- verhält vne
e / o o
*di'kmt *10* zu *kmt6m aus "^dkmtom. Derartiger fälle, in denen
der vocal der ersten silbe völlig geschwunden, und die an-
lautende complicierte consonantengruppe alsdann vereinfacht
ist, gibt es ja genug, ich erinnere nur an gr. xQajc^C^a aus
*ptra'^ *qtra-jr6^a, an gr, xTslg, xrtvoc aus *pkten6s zu lat
pecten, pectinis. Die Verbindung von mund mit maul, ahd.
mula f. ist unter diesen umständen freilich aufzugeben. Die
Wurzelbetonung des germanischen muss auf accentverschiebung
beruhen. Ich lasse zunächst einige ähnliche fälle von schwimd
der ersten silbe folgen.
4. Gr. orofiaxog, ahd. mago.
Den mugen mit mögen, vermögen in Zusammenhang zu
bringen, hat nahe gelegen, so unwahrscheinlich das auch bei
genauer Überlegung scheinen mag. Denn die körperteil-
bezeichnungen widersetzen sich der herleitung aus verbal-
wurzeln und gehören zum ältesten bestand der spräche über-
haupt. Die im titel angeführte vergleichung von gr. OTOfiaxoc
mit ahd. m^go ist genau so gut möglich wie die von mund
mit öTO/M«. Die bedeutungen stimmen vortrefflich. Die n-flexion
der germanischen wird auf dem einfluss der übrigen körper-
bezeichnungen, namentlich von ahd. nioro, herm beruhen.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 229
5. Ahd. muodi,
Ahd. muodi *müde', alid. muqjan 'beschweren' gehören zu
lat. möle^ 'anstrengung, muhe, last', mölestus * beschwerlich',
gr. fiAkog 'anstrengung', fi<5Xvc: 'matt, trag'. Eine erkennbare
ablautsstufe der w. mö, eine stufe m9 ist bisher noch nicht
gefunden; das weist darauf hin, dass wir es mit einer zwei-
silbigen formation zu tun haben. In der tat kann man sie
leicht mit gr. xafiarog, xfii^rog, aind. gamitds u. s. w. verbinden.
Ahd. mwodi wäre aus *(Jc)mö^os herzuleitbn. Nach den IF. 7, 203 f.
gegebenen auseinandersetzungen muss die basis keniö die ab-
lautsstufen %eni9 und lie)mö zeigen. Letztere war bisher nicht
aufzufinden, und liegt in mö vor, da die anlautsgruppe km
wahrscheinlich schon im indogermanischen das k verloren hat.
Gr. xfZfjTog spricht nicht dagegen, da man hier ^^ als Ver-
treter der indog. gruppe em9 auffassen kann. Sonst findet sich
im gr. nur xfnXed^Qov, das nach Pamphilus in E. M. p. 521. 28
= liiXa^Qov sein soll. Nun hat man dieses zwar mit ahd.
himil zusammengebracht, was indes immerhin unsicher bleibt.
Ich glaube also, dass vor der hand xfiiXeß^gop nicht gegen die
annähme eines indog. abfalls des k spricht.
6. Got. möps *zorn'.
Got. mups m. 'mut, zorn' hat man mit abulg. sü-mejq,
'wage', gl', fialofiai 'strebe, trachte', ptaifiaco 'verlange heftig'
zusammengestellt. Ich will diese möglichkeit nicht bestreiten,
schlage aber eine andere vor. Vergleicht man die bedeutungs-
entwicklung von gr. d^vptog gegenüber lat. famus, abulg. dymü,
aind. dhümds, so kann man möds aus *dhmötds herleiten und,
mit aind. dhmätds von dham, dhma 'blasen, durch blasen an-
fachen (das feuer)' vergleichen. Der anlaut dm wurde im
germanischen oder schon früher vereinfacht (vgl. auch Osthoff,
lat. mäteries, Festgruss an Roth s. 126), und die bedeutungs-
entwicklung von 'angefacht, angeblasen' zu 'zorn, mut' ist
einfach und verständlich.
7. Got. dius.
Man hat längst, um got. ditts n. 'wildes tier' zu erklären,
auf lat. animal zu animtis verwiesen, und daher lit dvesiü
'hauche', dväse 'atem, geist', abulg. dusa 'atem, seele' heran-
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230 HIRT
gezogen. Man kann mit einiger Wahrscheinlichkeit auch lat.
bestia aus ^duestia wie bellum aus duellum vergleichen, in
dem die ablautsstufe dves gegenüber germ. *deus in demselben
sinne verwant ist. Freilich geht lat. dues auf indog. du zu-
rück, während das germ. wort auf dh weist, aber dasselbe
Verhältnis besteht auch zwischen ahd. bari und lat. barboy für
das wir farba erwarten, und ein Wechsel zwischen media und
media aspirata ist auch sonst belegt.
8. Ahd. bör.
Ahd. ber geht mit as. bcrswin, ags. bar, auf urgerm. ^baira-
zurück, und das indog. blioiro- ist ein reimwort zu gr. x^^Q^c,
alb. der ^schwein' aus ghoiros. Mit russ. borovü *eber' kann
das wort natürlich nichts zu tun haben. Vielmehr ist dieses
aus einer form *bartvs, vgl. mhd. bare, ahd. baruy, barh, aengl.
bearh, an. b^rgr entlehnt.
9. Got. usgrudja,
Got. usgrudja wairpan, übersetzt das griechische ixxaxttv.
Das wort kommt weder in den übrigen germanischen sprachen
vor, noch ist es etymologisch erklärt. Ich verbinde es mit der
aind. wurzel hvr, hru, hur. Bekanntlich wechselte die laut-
gruppe tj im indog. häufig mit ru, und zwar kann man mit
ziemlicher bestimmtheit behaupten, dass diese aus jener ent-
standen ist. Den stamm hrüt finden wir im Veda in der be-
deutung 'feind', hru aber heisst *von der graden richtung
abbiegen oder abbiegen machen'. Dass sich daraus die got.
bedeutung * mutlos, träge' entwickelt haben kann, unterliegt
wol keinem zweifei.
10. Got. Wulfs.
Ueber die verwantschaftsverhältnisse von got. tvulfs spre-
chen sich die et3^mologen sehr verschieden aus. Ganz neuer-
dings trennt Uhlenbeck, Kurzgef. et. wb. d. got. spräche lat. Imms
von dem deutschen wort, sicher aber mit unrecht, hqms und
gr. kvxoQ gehören entschieden zu dem allgemein verbreiteten
wort. Ihr anlaut ist als echtes In zu fassen, das im indog.
aus vi entstanden ist, vgl. Wackernagel, Aind. gr. § 184, s. 206.
Das p lässt sich aus sabinischem einfluss erklären, und dann
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GRAMMATISCUES UND ETYMOLOGISCHES. 231
wird man nicht umhin können, lat. vulpes (trotz Kluge, Et. wb.)
mit ahd. wulpa, an. ylgr, aind. tjkish zu verbinden. Die flexion
vulpes, vulpis weist auf die alte j(^-declination, für die auch
noch vulplnus spricht. Wie man dazu kam, die wölfin eine
frau ftichsin zu nennen, erklärt unsere deutsche tiersage, der
in diesem punkt ein altes tiermärchen zu gründe liegt, da ja
begattungen von fuchs und wölfin in der tat vorkommen.
11. Got. augo.
Man darf wol behaupten, dass das germanische wort für
*auge' trotz aller bemühungen noch nicht einwandsfrei erklärt
erklärt ist. Sowol der einfluss von ausö wie eine contamina-
tion von *ag und *ttw? scheinen mir nicht überzeugend zu sein.
Nun führt aber die nächste erwägung dazu, in got. augö eine
redupHcierte bildung zu sehen. Denn der indog. stamm lautet
ob", was im germanischen zu au- führen kann, und in dem g
sehe ich den andern laut, der als entsprechung von k^^ an-
genommen werden darf, augö führte also auf *ok^'9h'a, das
sich direct mit gr. ojtcojn^ vergleicht. Nur muss man im ger-
manischen an stelle des voUstufenvocals ö ein a voraussetzen.
Freilich, sicher ist diese deutung deshalb nicht, weil wir über
die verschiedenen lautvorgänge, die hier eine rolle haben
spielen müssen, noch nicht genügend unterrichtet sind. 9 wird
vielfach durch a, z. t. aber auch durch u vertreten. Um die
erhaltung der labialisation zu erklären, jnussten wii- hier das
erste annehmen. Ueber die bedingungen, unter denen schwache
vocale schwinden, sind wir gleichfalls noch nicht genügend
unterrichtet, vgl. IF. 7, 194, wenngleich ich nicht zweifle, dass
sie schwinden, so dass diese etymologie als gesichert erst be-
trachtet werden kann, wenn die lautgesetze genügend fest-
gestellt sind.
12. Germ. hund.
Vielleicht hat sich schon mancher gefragt, wie kommt
eigentlich das germanische wort für 'hund' zu dem ableitenden
dental, von dem sich in den übrigen sprachen keine spur zeigt:
gr. xvcov, lat. canis, lit. szä, aind. f rä. Wir haben es hier
m. e. mit einer Umbildung unter dem einfluss verwanter worte
zu tun. Man könnte fast sagen, es gibt im germanischen ein
tiersuffiz -nt wie im slavischen, nur dass es fast ausschliesslich
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232 HIRT
in einsilbigen Worten erscheint, so dass wir diese worte mehr
unter dem begriff der ^adaptation of sufflxes' betrachten müssen.
Die meisten beispiele sind bekannt Mit kind kann man be-
ginnen, weil hier der dental alt ist, und got. ulbandus, mhd.
olbente darf man in gleichem sinne hinzufügen. Dann ahd.
Jdnta *hirschkuh', ahd. Und, Unt 'schlänge', an. Kwnr, ahd. tvint
'Windspiel', ahd. hrind n. 'rind', neben nl. rund, ahd. wisunt.
Es ist bekannt, dass sich im slavischen wirklich ein tiersuffix
-nt entwickelt hat, vgl. russjagnjd, serh Jagnje,jagnjeta gegen-
über lat. a^nw^; russ. jf?orö5Ja, serb. i^ro^e gegenüber lat. j>oreei5,
ahd. farh\ femer russ. ditjd, teljd, hur ja u.s.w.
Wie jung das suffix 4 ist, erkennt man daran, dass es
in weiteren ableitungen fehlt, vgl. z.b. telenoM.
13. Nhd. hornung.
Nhd. hornung ist schon um dessentwillen auffällig, weil
es der einzige altgermanische monatsname ist, der sicli bis
heute erhalten hat. Die bisherigen etymologischen deutungen
befriedigen nicht. Eine beziehung zu hörn ^cornu', der monat,
in dem die hirsche ihr gehürne *geweih' abwerfen, wie Schade,
Altd. wb. s.v. meint, lässt sich nicht halten. Eine ableitung
von horo 'kot, schmutz' widerspricht der natur der dinge.
Wichtig für die etymologie sind ein paar sachliche erwägungen.
Die alten Germanen haben sicherlicli keine monatseinteilung
besessen, wie sich weniger aus dem fehlen alteinheimischer
monatsnamen als aus allgemeinen culturhistorischen erwägungen
ergibt. Der name hornung kann daher ursprünglich mu- eine
durch bestimmte naturerscheinungen im allgemeinen charak-
terisierte, nicht eine im kalender genau abgegrenzte zeit ge-
meint haben. Man könnte fast sagen, es war ein jahres-
zeitennamen wie herbst, lenz u.s.w^ Einen weiteren anhält
gewährt der von J. Grimm, Gr. 2, 360 anm. citierte bauernreim:
der kleine hörn (februar) spricht zum gi'ossen hörn (Januar),
woraus sich ergibt, dass hörn mindestens einen zweimonat-
lichen Zeitraum bezeichnete. Die bedeutung ist nun schon
ziemlich sicher zu eiTaten. Wenn etwas januar und februar
charakterisiert, so ist es die kälte, und diesen begriff wird man
zunächst in dem worte suchen. Ich stelle hörn daher zu lit.
smrrnä 'pruina', lett. serma, sarnia, niss. serenu 'reif, wozu
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OKAMMATI8CHE8 UND ETYMOLOGISCHES. 233
aus dem an. hjam *gefrorner schnee oder erde' zu ziehen ist.
Der Wechsel von m und n im sufflx fällt nach dem, was J.
Schmidt, Kritik der Sonantentheorie s. 87 ff. an parallelen bei-
gebracht hat, nicht weiter auf, wenngleich die erklärung J.
Schmidts mir nicht in allen fällen zuzutreffen scheint. Was
die bedeutung betrifft, so verhält sich an. hjam zu hom wie
gr. xi(Dv zu lat. hietns. Natürlich könnte man ja auch an ent-
fernteren Zusammenhang mit got. haürn, lat. comu denken, da
sich ja in der härte des hornes und des gefrorenen bodens eine
bedeutungsähnlichkeit ergibt, die eine ableitung des einen vom
andern als möglich erscheinen Hesse.*)
14. Got. födjan.
Got. födjan, aengl. (edan verbindet man mit gr. xariofiat,
'esse, verzehre'. Bei Schade s. v. findet sich auch der hinweis
auf B.\)vlg. pitati *eniähren'. Kluge hat Et.wb.'^ diese glei-
chung ebensowenig aufgenommen, wie TTilenbeck, Kurzgef. et.
wb. der got. spräche, höchst wahrscheinlich, weil die ablauts-
verhältnisse nicht stimmen. Wenn wir aber von einer o/-wurzel
ausgehen, so können wir die germanischen worte mit dem
slavischen vereinigen. Gehört gr. jtariofiai, wie wegen ahd.
fatunga 'nahrung, speise' wahrscheinlicli ist, hierher, so haben
wir es mit einer der zahlreichen ablautsentgleisungen zu tun,
die zur genüge bekannt sind, vgl. W. Schulze, KZ. 27, 422.
jtmfia, jiijtcoxa zu jtld^i, jtlvco und jrorot:, jtijtorai bieten eine
genaue parallele.
15. Ahd. riiiti.
Ahd. rhiti und seine verwanten haben im alicl., namentlich
in Ortsnamen, ihre spuren hinterlassen. Aus der weiten Ver-
breitung der bildungen auf -rode, -ried, -reut muss man scliliessen,
dass das wort im agerm. ganz gewöhnlich war. Bei Kluge, Et.
wb.* s.v. reuten fehlt die anknüpfung an die verwanten spra-
chen, die schon Schade gegeben hat. Ahd. rhäi ist jo-ableitung
und starkes neutrum und führt lautgesetzlich auf indog. retäiöm.
Es ist wahi-scheinlich reu-tioni zu teilen, das sich als zu reti-,
rti' stellen würde. Vocalisch auslautende wurzeln werden mit
[») Vgl. Weinhold, Die deutßclien monatuamen s. 46. E. S J
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234 HIÄT
'tjp' weiter gebildet. Das entsprechende verbum ist erhalten
in ]ii.rauti *mit der wurzel ausroden, jäten' (nicht bei Eurschat),
raveti ^das kraut aus den blumen jäten', lett. raut 'reissen,
ziehen, raufen, sclüeppen', rav^t * jäten', abulg. ryti 'graben',
weiter dann im got. raupjan *ausreissen, abrupfen'- Auch lat.
rüSy rüris *das land im gegensatz zur Stadt, feld, besitzung,
landgut' kann verglichen werden. Ebenso gehört ahd. riostar,
eig. 'Werkzeug zum reuten' hierher, s. Schade s. v.
16. Got. bru])s,
Got. brups bedeutet 'Schwiegertochter, braut, junge frau'.
Kluge s. V. braut bezeichnet es als etymologisch unaufgeklärt.
Uhlenbeck, Et.wb. verweist auf die 'gewöhnliche', mir aber neue
vergleichung mit lat. Fmtis, einem beinamen der Venus. Da-
mit steht es aber sehr zweifelhaft. Denn Fru^is ist vielleicht
etruskischer name der Venus, und nach 0. Müller, Etrusk. 2, 74
aus gr. 'A^Qoölt?] entlehnt. Wie weit das richtig ist, vermag
ich nicht zu sagen. Bugges deutung, Beitr. 13, 184 als *p»r-
adhis 'die heimgeführte' scheint mir auf wenig beifall rechnen
zu können. Ich halte die angesetzte form aus den verschie-
densten gründen für unmöglich, will mich aber nicht weiter
mit ihrer Widerlegung aufhalten.
Morphologisch ist das wort ein ^i-stamm mit endbetonung
und regelrechter Schwundstufe der wurzel. Die ^-stamme
haben gewöhnlich eine abstracte bedeutung, die aber zur con-
creten werden kann. Unter der annähme, dass indog. mr im
germ. zu br geworden sei (vgl. Johansson KZ. 30, 445 ff. Ost-
hoff, MU. 5, 123 ff.), könnte man brüßs mit aind. braviti, avest.
mrü verbinden, die sicher mit mr anlauteten (vgl. Osthoff a.a.O.).
*mrutis wäre ursprünglich 'die Versprechung, die Verlobung',
lat. sponsio, gr. lyyvrioiq. In betreff des Überganges zum con-
cretum vgl. Delbrück, Grundr. 3, 102 ff.>)
17. Got. rauSy ahd. rör,
üot. raus, ahd. rör hat man mit lat. ruscus, 'binse, busch,
mäusedom, ruscus aculeatus L.' bedeutend verglichen, mit un-
recht wol, wie auch Kluge im Et. wb.* annimmt. Ich möchte
[») Vgl. auch oben s. 188. E. S.]
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GRAMMATISCHES UND ETTMOLOOISCHE8. 235
das wort lieber mit gr. ogotpoq m. 'rohr' verbinden, grundform
indog. roghif. Dazu kann dann auch mit Grimm, Gr. 3, 370
serb. rogoe 'rietgras', poln. rogoz *binse' gestellt werden.
18. Ahd. bona.
*Es ist noch nicht gelungen den urgerm. pflanzennamen
mit den gleichbedeutenden lat. faba, abulg. hohü (gr. ^xtxog
'linse') zu vermitteln', sagt Kluge im Etwb. Hier nur ein
versuch, eine möglichkeit. Ich nehme auch hier den ausfall
eines gutturals an, der uns auf eine indog. form *bhagMnä
oder *bhakunä führen würde. Eine vermittelung mit dem grie-
chischen oder lateinischen ergibt sich nur, wenn wir verschie-
dene entlehnungen annehmen. Denn ohne weiteres kann germ.
bhaku nicht mit gr. q)ax6g, ^axfj vereinigt werden, weil die
gutturale Schwierigkeiten bereiten, zumal wenn alb. baOs f.
'Saubohne' mit palatalem guttural mit G. Meyer, Et. wb. zum
griechischen zu stellen ist. Auf der anderen Seite wäre eine
vermittelung mit lat. faba möglich, wenn dieses aus dem umbr.
osk. entlehnt auf *bhaghm zurückgienge. Kann aber das slav.
bobü ein lehnwort sein? Mir scheint auch hier alles auf Ver-
hältnisse hinzuweisen, wie sie beim worte erbsc (vgl. Kluge,
Et. wb. s. V., Hehn, Kulturpflanzen und haustiere 211) vorliegen,
d. li. entlehnung mit mannigfachen kreuzungen aus dem osten;
vgl. das folgende.
19. Ahd. rokko 'roggen'.
Ahd. rokJco, as. roggo zeigen eine »-bildung wie bona,
gegenüber aengl. ryse, an, rugr, die zu lit. rugys 'roggenkorn',
rugiat pl., abulg. ruzl 'roggen' stimmen. Man hält die germ.
lit. sla vischen worte für urverwant, wogegen sich aber starke
bedenken erheben lassen. Ein glücklicher zufall hat uns den
thrakischen namen ßglQa erhalten, der den roggen bezeich-
nete. Da im phrygischen walirscheinlich u zu i geworden ist
(vgl. die namen BQlyeg und ^Qvytc), so können wir dies auch
für das nah verwante thrakische voraussetzen. Wir kommen
auf eine grundform *brugia, das wahrscheinlich für *wrugia
steht, denn die Griechen mussten anlautendes w durch ß
widergeben. Die form stimmt nun ausgezeichnet zur lit. sla-
vischen, denn im lit. slav. ist wr im anlaut zu r geworden,
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236 HIRT
nicht aber im germanischen. Das germanische wort muss
daher ein uraltes lehnwort sein, wahrscheinlich nicht aus dem
lit.-slavischen, sondern aus einem sudöstlichen dialekt. In das
griechische ist oQv^a entlehnt, das ebenfalls eine tormurugiu
voraussetzt. Woher es stammt, lässt sich freilich nicht sagen.
Auch aind. vnhi ^reis* kann mit dem griechischen wort zu-
sammengehören, natürlich nur auf dem wege der entlehnung.
20. Nhd. schlürfen,
Nhd. schlürfen ist im mhd. und ahd. unbelegt, wegen nl.
slurpen aber wahrscheinlich alt. Es stimmt laut für laut mit
lat. sorhere, wenn man annimmt, dass hier ein l oder r in der
ersten silbe durch dissimilation verloren gegangen ist, vgl.
vogel und geflügel
21. Got. haims,
Got. hainis zeigt eine eigentümliche mischung in der decli-
nation. Im sing, geht es nach der fem. i-, im plural nach der
ö-declination. Jene ist in den übrigen germanischen sprachen
so wenig wie das feminine geschlecht zu belegen. Ahd. heim
ist n., an. heimr m., as. h4^m st. m. und n., ags. hdm m. Aus
den verwanten sprachen ergibt sich zunächst lit. k€h)ias 'bauem-
hof ' und gr. xcifitj *dorf ' als verwant, von denen dieses offenbar
das feminima collectivum zu jenem ist. Ausserdem ist im
apreuss. Vocabular caymis *dorf' überliefert. Die mit dem got.
übereinstimmende flexion und bedeutung machen mir die an-
nähme von entlehnung wahrscheinlich, zumal sich solcher ent-
lehnungen ja gerade im preussischen noch mehrere finden. Sie
stammen offenbar aus der zeit, wo die Goten nachbani oder
herren der alten Preussen waren.
Im gotischen sind von Singularfoimen nur nom. haimsy acc.
Imim und dat. haimai überliefert. Letztere kann man unmittel-
bar mit ahd. heimi, keime, as. h^ie *zu hause' vergleichen und
als alten dativ - locativ eines o- Stammes auffassen. Wir
sind jetzt wol ziemlich darüber einig, dass got. daga lautlich
dem instr. ahd. tagu entspricht. Für den dativ tage müssten
wir im got. "^dagai finden, und eine solche form könnte sich
wol in haimai erhalten haben. Auch haims und Imim können
formell masculinformen sein. Da nun zu dem masculineu
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 237
Singular ein femininaler plural gehörte, so wurde der Singular
auch femininum, vielleicht noch unter dem einfluss von hanrgs,
vgl. die Verbindungen du paim bisunjane hainwm jah baurgim
Mc. 1,38; baurgs alias jah haimös Mt. 9, 35; in haimös aippati
baurgs Mc. 6, 56; and baurgs jah haimös L. 8, 1. Man ist also
keineswegs genötigt, eine doppelte stammbildung bei diesem
Worte anzunehmen, vielmehr erklärt sich alles, wenn man
neben einem singularischen o-stamm haima- = lit. Mmas mit
der bedeutung 'haus' ein femininales ^hmmä = gr. xcaptri
*dorf' ansetzt, das nur im plural gebraucht wurde. Der dativ
haimai wäre dann ausserdem für das gotische eine hohe alter-
tümlichkeit. Er steht aber nicht allein. Für den einmal er-
scheinenden dativ sunnin setzt man den nominativ sunna an,
was indes unnötig ist, da die flexion got. sunnö, sunnin der
ahd. sunno, sunnen entspricht. Ebenso ist das einmal belegte
bi sunja neben gewöhnlichem sunjai die dem ahd. dativ-instru-
mental gebu entsprechende form. Ags. dat. häm wird man
am besten der alten instrumentalform gleichsetzen.
LEIPZIG-GOHLIS. H. HIRT.
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ZUR GERMANISCHEN WORTKUNDE.
1. Deutsch böse u. a.
Von d. böse sagt Graff 3,216: * kommt weder im got noch
im ags. und nord. vor', eine angäbe, die fortwährend in den
etymologischen wörterbuchern widerholt wird. Ich glaube
indessen, dass es zu diesem worte im nordischen entsprechende
formen gibt, und zwar norw. baus ^hitzig, heftig, übermütig,
stolz' (vgl. norw. bausa * [blindlings] darauf losgehen', bauste
* unverzagt und heftig heranstürmende person', bausta-kar
* dreister und etwas gewaltsamer mann', s. Aasen und Ross)
und schwed. dial. bös *wild, verwegen daherfahrend' (Rietz)
auch * dicktuerisch' (in Östra härad, Smäland, z. b. in der Zu-
sammenstellung kavat d bös ^hochmütig und dicktuerisch', nach
einer mitteilung von lic. 0. Lagercrantz *). Aehnliche bedeu-
tungen bei dem hier in rede stehenden deutschen stamme sind
schon aus dem ahd. belegt; man beachte ahd. gebose 4evitate
(arrogantiae)', Graff 3,217, bösa ^Widersetzlichkeit, trotz' (Kelle,
Gloss. d. spr. Otfrids), *herzenshärtigkeit' (Piper, Gloss. zu Ot-
frid) und ahd. bösa als gegensatz zu milti (s. Graff 3, 216).
Diese Zusammenstellung von d. böse mit norw. baus, schwed.
dial. bös (alle aus urgerm. *batis-) wird dadurch kräftig gestützt
dass ein paar besondere bedeutungen von d. böse auch im nord.
bmis- anklänge haben. Wie im DWb. 2, 252 erwähnt wird,
kommt d. böse dialektisch in einer der gewöhnlichen fast ent-
gegengesetzten bedeutung vor, und zwar in Verbindungen wie
en bösa jeger *ein geschickter, trefflicher Jäger', ein böser
mann *ein feiner mann'. Hiermit sind zu vergleichen: norw.
*) Dieses schwed. dial. bös ist gewis ein echt schwedisches, und nicht
ein lehnwort aus dem deutschen, da die bedeutungen mit denjenigen der
angeführten norwegischen Wörter vollständig übereinstimmen.
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ZUR GEBMANI8CHBN WORTKUNDE. 239
baust adv. 'tüchtig, reichlich', banse 'bedeutender mann' und
norw. böse 'tüchtiger mann' (Aasen). Die bedeutungen von
ahd. bösa 'albemheit' (Schade), bösi 'ineptus' (Graff) finden
sich auch in der nord. sippe wider: norw. beysing 'hervor-
stürmender narr', häl{v) -beysing 'halbnarr' (Boss); vgl. auch
schwed. dial. byssing (aus urgerm. *6tiÄ-) 'alberner kerl'. Hierzu
stellt sich ja auch gut nl. bexieeling 'gehaltlosigkeit, narr-
heit' etc.
Schon früher (s. Kluge, Et. wb.) ist d. böse mit engl, boast
'prahlen, sich rühmen' in Zusammenhang gebracht worden. Die
Zusammengehörigkeit dieser Wörter wird bestätigt durch norw.
baus 'stolz, hochmütig', bausa 'laut, schnell und rücksichtslos
sprechen' (vgl. ahd. bösön 'blasphemare', Graff 3, 217), bausta
'mit etwas herausplatzen', bausha 'aufechneiden, prahlerische
geschichten (norw. 'skronor') erzählen' (s. Aasen und Ross;
vgl auch das schon — s. Franck, Wb. — zu d. böse gezogene
vl.b€tizel, älter böeele 'malligheid, leugen' und mnl. benzel-maren
'fabelachtige tijdingen', Oudemans Wb.O).
Die schon im ahd. und mhd. bei bösi etc. vorkommende
bedeutung 'schlecht' = 'wertlos, nichtig' könnte von ahd. gi-
bösi als glosse zu 'levitas (arrogantiae)' (oben aus Graff an-
gefahrt) beleuchtet werden, üebermut und dicktuerei sind ja
gewöhnlich mit nichtigkeit verbunden. Indessen stehen auch
andere von den oben verzeichneten bedeutungen des hier in
rede stehenden Stammes (wie 'narrheit, gehaltlosigkeit', 'leugen')
jener bedeutung nahe.*)
») Hierher scheint auch ahd. hosa 'frivola', Ahd. gll. 2, 498, 42 (in fol-
gendem znsammenhang: nimirum vacuae credentur frivola famae, Pni-
dentius, Psych. 231) zu gehören und vielleicht auch hose in sua getan gechose
('rede') dtiz dunchet mich so hostj Graff 3, 216; Tgl. femer in der note
8. 240. Schon früher ist vorgeschlagen worden, mlat. bausiare *faUere, deci-
pere*, prov. bausios *faUax* etc. (s. z. b. DWh. unter böse) mit böse zu-
sammenzubringen. Die bedeutungen dieser formen schliesseu sich ja den
hier oben angeführten gut an.
') Im Mhd. wb. scheint mir die bedeutung * schlecht' = 'wertlos, ge-
ring, armselig' bei bcese zu viel hervorgehoben zu sein. Nach der dort
gegebenen darstellnng könnte man glauben, dass im mhd. jene bedeutung
die bei weitem gebräuchlichste und mithin die eigentliche sein sollte.
Sieht man aber die mitgeteilten belege näher an, so findet man, dass in
vielen ebensogut die bedeutung ^schlecht' = 'schlimm, arg (malus, pravus)'
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240 WADSTEIN
Zu dieser sippe iirgerm. *baus-, hUs- Mieftig, übermütig
etc.' gehören offenbar auch mhd. büs (paus) *aufgeblasenheit,
schwellende fülle', nhd. batis 'abundantia, tumor, inflatio', hausten
'turgere', mhd. ftti^en * schwelgen', nhd. ftaw^en ^tumere, turgere',
'largiter potare, schlemmen und demmen' (DWb.), vKSÜL.huysen,
engl, house 'zechen'; vgl. norw. Uisa i seg 'gierig fressen, hinter-
schlingen', busen 'gefrässig', banse 'wolemährte person', bansten
'appetit habend' (Aasen und Ross). Femer stellen sich gut
hierher: d. bausch Humor, wulst, geschwulst' (DWT).), mhd.
busch * wulst, schlag der beulen gibt, knüttel', biuschen 'schlagen,
klopfen', nhd. bauschen 'tumere, turgere', *ferire, schlagen,
schwellen machen' (DWb.).
Diese von mir gemachten Zusammenstellungen werden
durch bedeutungen hierher gehöriger slavischer Wörter be-
stätigt. Auf meine frage, ob sich vielleicht im slavischen
verwante von dieser germanischen sippe bans : büs 'schwellen,
aufgeblasen sein etc.' finden sollten, hat mich mein freund
Mikkola auf das slav. budi- (aus ieur. blwus-) von ähnlicher
bedeutimg aufmerksam gemacht. Zu diesem stamme gehörige
formen der verschiedenen sla\ischen sprachen finden sich bei
Miklosich, Et. wb. s. 23 verzeichnet. Russ. buchnutX bedeutet
eben 'schwellen, sich werfen', neuslov. buhnoti 'anschwellen',
serb. nabuhnuti 'anlaufen, anschwellen, intumescere'; — vgl.
d. bauten 'schwellen' etc. oben. Die bedeutung von norw.
baus, schwed. dial. bös 'übermütig' findet sich in den mir von
Mikkola aus dem kaschubischen mitgeteilten bucJta 'hochmut'
und busni 'hochmütig' wider. Poln. buchntjLc, buchac bedeutet
u. a. 'gewaltig hervorbrechen, herv^orbrausen, herausplatzen';
vgl. norw. bausa '(blindlings) darauf losgehen' etc. Auch die
bedeutung von norw. bausa 'laut und rücksichtslos sprechen'
ei-scheint im slav.: czech. bauchati 'liitzig reden', auch 'schwä-
tzen, plappern, gehirnlos reden'. Die letztere bedeutung
angesetzt werden kann. Auch andere bedeutungen können unterschieden
werden. So ist bcese rede in lat bcese rede und iuot diu werc Iw. 5009
und im Wigal. 2267 offenbar mit * grossprahlerisclie reden' zu übersetzen.
In b(F8e herren Walth. 26, 33 * schlechte, die versprechen und ihr wort nicht
halten ' kommt eine ähnliche bedeutung zum Vorschein. Ebenso ist in swu
8idi der bwse selbe lobt Iw. 2499 gewis in bcese die nebenbedeutung 'gross-
prahlerisch, dicktuerisch' mit einbegriffen.
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ZUR GERMANISCHEN WORTKÜNDE. 241
erinnert an germ. *baus' *narr, albern' (s. oben); vgl. auch
czech. bauchnauti sc ^sicli vemarren (in etwas)'. Ferner be-
deuten poln. huchac 'gierig fressen, hinterschlingen' und czech.
hauchaii (tv se) 'gierig fressen', also ganz dasselbe wie mhd.
husen 'schwelgen' etc. (s. oben). Mit poln. buchac (kogo) '(jemand)
derb prügeln', czech. hauchati 'einen schlagen' ist d. hauschen
'ferire, schlagen etc.' (s. oben) zu vergleichen, *)
Zu der hier behandelten sippe stelle ich femer auch isl.
hysia 'to gush' (von blut, thi^änen), vgl. poln. huchac 'mar-
quant l'action unique, des choses liquides: jaillir, saillir,
sourdre, s'echapper avec abondance', Janusz, Dict pol.-fran?.)
norw. heysa 'gewaltsamer windstoss', hysja 'böe, windstoss',
schwed. dial. husa 'stark blasen' (vgl. poln. huchac \cd\ 'heftig
aushauchen, gewaltsam ausatmen', Booch - Ärkossy). Ebenso
gehört wahrscheinlich hierher isl. norw. hyrr, schwed. dial. hyr,
hör, dän. her 'wind'.
2. Deutsch gipfel u.a.
Von hd. gipfel ist bisher keine einigermassen wahrschein-
liche etymologie gegeben worden (s. Kluges Wb.). Das wort
ist in keiner germanischen spräche oder dialekt ausser im
oberdeutschen gefunden worden. Man hat nicht einmal einen
verwanten davon im ganzen germanischen Wortschätze an-
treffen können. 2) Dies ist in der tat auch nicht zu erwarten,
da hd. gipfel, wie aus dem folgenden hervorgehen dürfte, nicht
ein echt germanisches wort, sondern aus dem romanischen
entlehnt ist.
Wie bekannt tritt gipfel in der literatur ziemlich spät auf.
Nach Weigand kommt das wort erst im 16. jh. als allgemein
üblich vor. Einzelne belege sind jedoch aus älterer zeit ge-
funden worden und zwar steht der älteste mir bekannte in
einer oberdeutschen quelle von 1429, welche das mlat. cirna
mit gipfel glossiert (s. Diefenbach, N. gl. s. 90» und s. xvi, no. 52).
Auch in schweizerischen dialekten bedeutet gij^fel, mit der
*) Die bedeutungsangaben der polnischen und czechischen Wörter habe
ich den wörterbtichem von Booch-Arkossy und Jungmann entnommen.
*) E. Lid^n stellt es BB. 21, 115 zu schwed. gippa * wippen'; vgl. in-
dessen darüber verf. in derselben zeitsclirift 22, 116.
BeilTftge xnr geachiohie der dcutaohen aprache. XXII. |5
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242 WAD8TETN
nebenform hpfel, noch besonders 'oberster teil von pflanzen'
(s. Schweiz, id. 2, 390); vgl. auch baii*. dial. gipfling 'der oberste,
noch ganze teil eines gefällten baumes' (Schmeller 1, 928).
Der Wechsel von anlautendem g und k in oberd.^ gipfel
und kipfel erklärt sich am einfachsten bei annähme von ent-
lehnung; denn bei solchen, zumal romanischen, tritt ein der-
artiger Wechsel bekanntlich oft auf. Heber denselben verweise
ich auf Grimm, Wb. 4, 1, 1 sp. 1109 unter S^, wo hervorgehoben
wird, dass 'in fremd Wörtern, besonders romanischen, ein k (c)
gern als g erscheint; so in oberd. gant . . . Gaspar . . . gerner
camarium, guster küster, gtimpost compost'^); vgl. ferner Wein-
hold, Bair. gramm. 175, Alem. gramm. 211 und Franz, Die lat.-
roman. elemente im ahd. s. 30.
Das wort gipfel findet sich auch, wie aus der vorher-
gehenden erwägung zu erwarten ist, im romanischen wider
und zwar in dem afranz. cepel Dieses cepel ist (s. Godefroy)
ein diminutivum zu afranz. nfranz. cep, das (s. z. b. Hatzfeld-
Darmesteter) dem lat. äppus 'stamm, stock' etc. (vgl. unten)
entsprangen ist. Afranz. cepel, das folglich auf ein ursprüng-
liches *ä2)pil- zurückgeht, bedeutet 'rejeton'; es wird z. b.
von sepeaiix (aus cep-) et souches de la vigne (s. Godefroy)
gesprochen. Es stimmt also das romanische wort sowol hin-
sichtlich der form wie liinsichtlich der bedeutung (man beachte,
dass das mlat. einia auch mit sprösslein glossiert wird —
s. Diefenbach, Gl. — und dass span. cepellon 'busch reiser, welche
aus einem stamme geschossen sind' bedeutet) mit dem hier in
frage stehenden germanischen worte vollkommen überein.
Wie franz. cepel und d. gipfel die oben angeführten be-
deutungen bekommen haben, ist leicht zu sehen. *Cippil-,
diminutivum zu dppns, bedeutet ja eigentlich 'stämmchen,
stöckchen'. Daraus erklärt sich ohne weiteres die bedeu-
tung 'rejeton' ('sprössling'). Die bedeutung 'oberster teil
von pflanzen, bäumen' könnte auf folgende weise entstanden
sein: lat. cippus bezeichnete eigentlich nur den unteren
dickeren teil eines Stammes; vgl. z. b. cippus 'truncus'
») Vgl. auch bair. gipfel : kipfel 'spitze brod' SchmeUer 1, 928. 1278,
(l. gipf' kippe 'spitze' unten s. 247 u.a.m.
^) Mau beachte besonderfl auch die paraHele gupfie) : kuppe.
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ZUR GERMANISCHEN WORTKUNDE. 243
(s. Forcellini) und span. cepa 'der stamm eines baumes. eigent-
lich der untere teil desselben nebst der wurzel, aber ohne den
übrigen teil des baums' (Franceson). *Cippil- {gipfeJ) 'kleiner
stamm' ist somit eine sehr naheliegende benennung des dün-
neren, kleineren oberen teiles eines Stammes.
Die Identität von afranz. cepel und d. gipfel, Jcipfel vnrd
ferner durch ein hierher gehöriges verbum gestützt, das auch
aus dem romanischen ins deutsche gewandert ist. Es ist dies
das mit lat. cippus zusammengehörende (s. Littre) franz. re-ceper
Herme de jardinage: couper un arbre jusqu'au collet afln de
reconstituer une nouvelle charpente', 'forstwesen: abschneiden,
abholzen' (Sachs -Villatte), prov. cepa *receper, couper net'
(vgl. auch prov. cepage, mlat. ceppaißum 'recepage' und franz.
cepage 'abästen der reben'). Aus diesem romanischen verbum
stammt offenbar das d. kippen von ganz derselben bedeutung :
'im forstwesen, äste an den bäumen abhauen, um wider junges
holz darauf zu ziehen' (Heyne), nach dem D\\'^b. 'die spitze
abschneiden, truncare' (die oberdeutsche form kipfen findet sich
in Altenstaigs vocabular vom j. 1508 und wird da den tolden
im bäum abhauen, decacuminare übersetzt; s. DWb. unter
kipfen). Im nl. kommt dieses kippen mit der bedeutung 'de
spitz abhakken' (auch 'treffen, slaan') ebenfalls vor (s.Franck»).
*) Dieses kippen (vgl. auch engl, ehip und nord. kippa) entbehrt bis
jetzt einer etymologie (Franck sagt darüber: 'schijnt als onoinatopee te
kunnen worden opgevat'). Ich traue mir nicht zu, bestimmt zu entscheiden,
oh diese verba nur denominativa von cippus sind, oder ob die bedeutung
'hauen, schlagen' bei dieser sippe eine ursprünglichere ist. Lat. cippufi
bezeichnet indessen gerade einen behau enen stamm, stein (' säule, pfähl ')
s. unten; vgl. auch dass cipp^ta im.Vet. gloss. [s. Forcellini] xop/noc glossiert
wird). Prov. cepa * couper *, (rom.-)germ. kippen Miauen, schlagen', lat.
cippus könnten deshalb zu der bei Fick, Wb 1*, 421 angeführten sippe H'eip-
* bohren, schlagen' gehören, wozu u. a. gr. xlßöri 'metall seh lacke', xlßdwv
M) e r g m a n n ' , xißöyg ' falschmünz er ' und (von Persson, Wurzelerweit. 177)
d. schiefe)', im mhd. * Splitter von stein und bes. von holz ', geführt worden
sind (beachte engl, chip u.a. = *a small, and esp. thin, piece of wood.
stone ... separated by hewing', chip verbum, vom steinhauen benutzt, s.
Murray, Dict. chip v. * 3, c und chipped^\ mi\ xlßdrjQ 'falschmtinzer' ist d.
kipper ' müuzfälscher ' zu vergleichen). Die ältere von Fick, KZ. 20, 361
gemachte Zusammenstellung von cippus mit lat. »cipio, gr. axinwv *8tab'
(wozu nach Johansson, IF. 3, 213 auch skr. ^epa 'penis' gehören sollte) wäre ja
mit der hier vorgeschlagenen von cippus sehr leicht vereinbar (skr. ^epa ^penis'
ist geradezu von Fick a.a.o. zu *Z'f/ji- 'bohren, schlagen' gestellt worden).
IG*
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244 WADSTEIN
Der hier in frage stehende romanische stamm dp-, cep-
kommt indessen in noch mehreren belegen im germanischen
vor. Er ist in der tat ein dort überaus häufig auftretender
gast, was bis jetzt nur wenig») beachtet worden ist. Wenn
man sich an die bedeutungen und anwendung von lat. cippus
erinnert, wird es auch kein wunder nehmen, dass dieses wort
sich so stark verbreitet hat. Es bedeutet cippus 'spitzsäule
aus stein oder holz a) als leichenstein, b) als grenzstein,
c) von den pfählen eines schanzwerks' (Georges, Wb.). Ueber-
dies bezeichnete cippus*^) d) ^petite colonne ou pilier, que les
anciens pla?aient en divers endroits des grandes routes, et qui
offrait des explications sur le chemin' (Littr6 s. v. cippe^) und
ferner auch e) 4igneum vinculum, ad instar ancilis factum, quo
damnatorum pedes vinciebantur aut servorum' (Forcellini*)).
Wegen dieser bedeutungen des wortes ist es ja offenbar, dass
dpptis fast gleichzeitig mit dem auftreten eines römischen
heeres in einem fremden lande dort bekannt werden, und dass
es mit dem vordringen der Römer gleichen schritt halten
musste. Es drang auch ins keltische ein: vgl. unten anm. 1
und Littr6 unter cep: 'ce mot est dans le celtique: ga61. ceap
tronc, kymr. kyf, bas.-bret. kef^ und es drang ins germanische
ein, wo es, wie ich jetzt ausführlich zeigen werde, sehr festen
fuss fasste und sich besonders stark verbreitete.
Zuerst wende ich mich zu den fällen, wo im germanischen
hip-, l'ep-^) (der vocalwechsel berulit auf dem romanischen über-
*) S. The Century dict. unter chipf wo ags. cyp, cipp als ein lehnwort
aus lat. cippus erklärt wird, und Pauls Gnindr. 1, 309, wo Kluge *ahd. chipfcij
and. ae. cipp (ir. cepp) ' zu cippus stellt (über ir. cepp < cippus s. die von
Kluge a. a. o. citierte abhandlung von Güterbock, Lat. lehnwörter im iri-
schen s. 25).
') Von diesen bedeutungen d) und e) scheint es keine belege aus dem
klassischen latein zu geben; sie können aber doch alt gewesen sein.
^) Vgl. auch it. cippo ' mezza colonna . . . senza capitello . . . per addi-
tare la strada ai viaggiatori' (Tommaseo e Bellini, Diz.).
*) Vgl. über die bedeutungen von lat. cippus auch die bei Du Gange
citierten alten versus memoriales:
Est cippus truncus, terrae cnmulns, momunentum,
Petra tegens cimiterium, cippus quoque lignum,
Quo captivonim vestigia stricta tenentur. .
^) Mit ki-, ke- aus lat. (-rom.) ci-, ce- vgl. dieselbe eutsprechung in d.
kiste, kicJi€r'(erbs€)j keUer, kerbel u.a.m.
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ZUR GBRMANI8CHBK WOBTRÜKDE. 245
gang von X zu e, vgl. Gröber, Arch. f. lat. lex. 1, 5460) in der
bedeutung etwa ^stamm, stock' vorkommt. Es sind diese:
as. kip ^stipes' (beleg bei Steinmeyer und Sievers, Ahd. gU.
2,585,53), ags. cyp *a chip, beam, log, trunk of a tree, . . .
stipes' (Bosworth-Toller), isl. Iceppr *a cudgel, club'*) (Cleasby-
Vigfusson), norw. kjep * stock, stecken, stummel von einem
zweige', auch *von einem grossen stamme, baumstamm' (Aasen),
aschwed. kcepper * stecken, stab' (Schlyter, Söderwall), nschwed.
kapp, dän. kjep dass., schwed. dial. kip2)el * Stäbchen, das in den
mund der füllen, zicklein, lämmer gelegt wird, damit sie nicht
saugen können' (hierzu schwed. dial. kippla, keppla *kippel in
den mund setzen', norw. kipla dass., aschw. kipla 'knebel in
den mund legen', s. Rietz, Aasen und Schlyter 3)); — vgl. mlat.
cippus : truncuSf eyn blök, eyn deue stok\ cypa : stock (Diefen-
bach, 61. und N. gl.), cepus, ceppus, ceppa Hruncus, stipes' (Du
Cange), it. ceppo 'stamm, baumstamm, klotz, block', cippo
* almosenstock', span. cepa *der stamm eines baumes', *der wein-
stock', proveng. cep ^tronc', cejw 'souche, ce qui reste d'un
arbre coupe', ft*anz. cep *reben-holz, -stock, stamm'.
Der bedeutung * stock, stamm' schliessen sich die folgenden
*) Auch im irischen ist nach Güterbock, Lat. lehnw. im ir. 25, lat. ci'p'
zu ce})- geworden. Zuweilen könnte deshalb, in hierhergehörigen nordger-
manischen Wörtern (z. b. in isl. kepjjr, das möglicherweise über Irland ent-
lehnt worden ist), e statt i auf diesem irischen übergange beruhen.
^) E. Liden hält, Uppsalastudier s. 89, isl. keppr für eine ablantform
zu isl. keipr 'ruderdulle' (vgl. auch Noreen, Urgerm. lautl. s. 21). Auch Frauck
kann das hier in frage stehende wort nicht richtig gefasst haben, da er
(unter keper) as. kip 'stipes' mit mnd. keper 'het balkwerk van het dak,
de daksparren' etc. zusammenbringt und dadurch für bewiesen erachtet,
dass keper ein echt germanisches wort sei. Erstens ist (vgl. oben) as. kip
selbst kein echt germanisches wort, und zweitens können kip und keper
doch nicht zusammengehören, da man keper nicht von der (im DWb. unter
käpfer angeführten) form kapfer mit derselben bedeutung scheiden kann.
Letztere bestätigt die meinnng, dass man es bei diesen bautechnischen
benennungen mit entlehnungen zu tun hat, die mit it. capra * bock der das
gerüst trägt', franz. chevre * hebebock beim bauen', chevron * dachsparre ',
mlat. capi'o zusammenhängen (s. a. a. o. ; man beachte auch, dass mnd. keper
gerade mit * capreolus ' glossiert wird, s. Schiller-Lübben unter k^ere).
') Zu dem oben behandelten kip-, kep- * stecken', kippel * Stäbchen'
gehört meines erachtens wahrscheinlich auch d. kepf- eisen ^ein hohnwort
für das seh wert' (DWb.), mhd. kip fei-, kepel-isen *8pött. benennung eines
bäurischen Schwertes' (Lexer).
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246 WADSTEIN
Wörter au: alid. Upfa etc., mhd. Tcipfe *humerulus, runge, stemm-
leiste am wagen' (aucli chiph, JcipjjJiel, Diefenbach, Gl. 191c),
ulid. kipf, Mpfe, Schweiz, dial chi2)f, chipfe^, (ßpfe^ (Schweiz,
id. Ij, 408) dass., nl. dial. hip 'dwarshout aan den wagen, waarop
de achterste rongen staan' (Franck); engl, cliep 'a piece of
timber forming the sole of a tum-wrest plough, the piece of
wood on which the share is fixed', chip *the share-beam of a
plough' (Murray); ags. dpp *a coulter, plough-share, dentale'
(Bosworth- Toller) und holl. Idp *smalle strook houts aan den
ploeg, die het ploegijzer vastknelt' (Franck); — vgl. span.
cepo * deichsei am gestell eines geschützes', poit. cepo *achse
am gestell eines geschützes', auch ^pflughaupt', und franz. c^^,
scp 'pflughaupt'.
Auch die bedeutung Migneum vinculum' von lat. dppus
tritt im germanischen auf: anfr. Icip, fuotkip *compes' (s. Heyne,
Kl. and. denkm., Gloss.), ninl. kep 'pedica' (s. Diefenbach, Gl.
wwi^r pedica und Diutiska 2, 227); vgl. mlat. cijypus, ceppus
* instrumentum quo reorum pedes constringuntur. posterioribus:
carcer ipse' (Du Gange; cippus wird auch glossiert stock in
einer gefangmiss , Hoch da man gefangen lüde ynne seczette,
pyngereytschap, Diefenbach, Gl.), it. ceppo * gefangenstock', span.
cepo * stock für gefangene', franz. cep pl. 'fesseln', auch * stock,
wodurch die füsse der gefangenen gesteckt werden', cix)pe 'ehm.
folter-, fuss-fessel' (Sachs -Villatte*)).
Eine weitere bedeutung des hier besprochenen Stammes
ist 'falle'. Diese liegt in folgenden formen vor: mnl. kip
*knip, vogelknip, fall, strik' (Oudemans), nl. kip, d. kippe
* falle', *decipula, qua? dejecto pondere resurgit' (DWb.); vgl.
mlat. cippus, ceptis *rete' (Du Gange; Diefenbach, Gl. unter
cippa), span. cepa * falle für wölfe', port. cepo 'wolfsfalle'.
*) lieber die conHtriiction dieser fesseln vgl. Godefroy unter cepel:
' proprement , instniment en bois, consistant en deux planches echaucrees
de maniöre ä recevoir les pieds et les mains des prisouniei*8 , et dans les-
queUes on les assiyetissait ' ; ancli die citate bei Du Cange : tunc irati niiliten
mittunt eum in ci'ppum novum et nodoHisstmumy da ut iertio puncto
fjus tibi US eoarctarent und deinde eum jussä in rarcemn tru<it\ et
in arcto cippo eutendi. Noch eine andere art niarterfrerät war da,**
a.a.O. in folgendem citate erwähnte: »lehan aeigneur de Montcarrei fu min
en un cep voulant, auquel le dit checidier fu pendu pur lontftemps
tu Vai}\
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ZUR GEBMANISCHBN WOBTKÜKDE. 247
proven^. cep *pi6ge\ Franck sagt vom nl. Mp 'falle': *van
kippen »wippen, kantelen« (vermoedelijk een onomatop. forma-
tie)'. Es könnte aber umgekehrt sein, so dass kippen 'wippen'
ein denominativum zu kip 'falle', und eigentlich von der
schnellen bewegung einer zusammenklappenden falle benutzt
worden wäre. Dagegen ist Franck gewis im recht, wenn er
sp.448 sagt: 'de bet. van kippen »vangen, grijpen«* zou zieh
aan kip »knip« kunnen aansluten.' Mnl. kippen wird nämlich
geradezu 'betrappen' (vgl. trappe 'falle') übersetzt; andere
bedeutungen sind: 'onderscheppen, met list achterhalen, heime-
lijk wegnemen' (Oudemans); vgl. auch d. dial. (Schweiz.)
kippen 'schnell und heimlich wegnehmen', 'stehlen, suppilare,
clepere, furari' (DWb.). Hierher stelle ich auch proveng. dpa,
chipa 'attraper, gnpper, saisir, derober, prendre', fr^nz. chiper
'derober' (über chi- aus *«- s. Diez, Gramm, s, 363), das bis jetzt
einer etymologie entbehrt. Zum teil könnten indessen diese
verba in der bedeutung 'fangen' zu kip-, cep- 'fessel', 'gefäng-
nis' gehören; vgl. mlat. cippare 'pedes in cipo stringere' (Du
Cange): stocken, stoken, hlogern (Diefenbach, GL).
Lat. dppus 'leichenstein' findet sich auch im germani-
schen, und zwar im mnl. keppel, kepel 'zuil, piramide, graf-
naald' (Oudemans). Im mlat. bedeutete oippus auch 'grab'
überhaupt; vgl. dppus, cipus : dotengrab (auch sarch, Diefen-
bach, Gl). Aus dieser anwendung ist wol die bedeutung von
dj)}^^^ : terrae eumtdtis (s. die versus memoriales oben s. 244
anm. 4), Jiau/f erden, erden hoep (Diefenbach, Gl.) entwickelt
worden. Dieselbe scheint auch im germanischen aufzutreten,
vgl. d. dial. Mppel 'kleiner hügel', engl. dial. (schott.) kip
'spitzer hügel' (s. DWb. unter kippe 1^).
Endlich kommt im germanischen kip(') auch in der be-
deutung 'spitze' vor: d. gijyf '(berg)spitze' (bei H. Sachs, s.
DWb. 5, 2773), d. dial. (schweiz.) (^ii/* 'spitze' (des eies u.s.w.,
Schweiz, id. 2, 390), d. dial. (westfäl.) kip 'spitze', d. kippe (bei
Luther einmal kipfe) 'spitze' (s. über diese formen das DWT).
unter Uppe); vgl. auch d. kiplen von den spitzen der ähren
(DWT). unter kippldn). Vielleicht gehören auch hierher mnd.
kip 'der zipfel an der kapuze' (Schiller-Lübben) und engl,
dial. (schott.) kip 'a jutting point' (The Centmy dict.). Die
bedeutung 'spitze' hat kij)- offenbar dadurch bekommen, dass
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248 WADSTBIN
ein äppus (wie noch oft grab-, grenz- und wegsteine) ge-
wöhnlich spitz war: vgl. z. b. ci2)pu8 ^spitzsäule' (Georges)
und mnl. kepel ^pyramide'. Diese bedeutungsentwicklung hat
dann mit dem oben s. 242 für d. gijjfel dargelegten zusammen-
gewirkt, so dass schliesslich gipfel — um auf dieses wort zu-
rückzukommen, im allgemeinen * spitze', ^der höchst« teil eines
ragenden emporstrebenden gegenständes' 9 (eines baumes, eines
felsens u.s.w.) bezeichnen kann.
3. Deutsch grans u. a.
Der Ursprung von d. grans * Schiffsschnabel u.s.w.' ist (vgl.
Kluges Et. wb.) bis jetzt dunkel geblieben. Ursprünglich muss
aber das wort aus *^a- -rans- entstanden sein. Neben ahd.
grans * Schiffsschnabel', mhd. grans * Schnabel der vögel, maul
oder rüssel anderer tiere, hervorragender teil eines körpers,
Schiffsschnabel' kommt nämlich auch ein mlid. rans -rüssel,
maul U.S.W.' vor (s. Lexer). Allerdings tritt die form grans,
ohne vocal zwischen dem g und r, schon im Hrabanischen
glossar auf. Da aber letzteres auch andere beispiele von
Synkope dieses präfixvocals aufzuweisen hat (freilich nur vor
vocalischem anlaut, s. Wüllner, Das Hrab. gloss. s. 40, vgl. aber
auch fleosan statt far-leosan daselbst, Wüllner s. 44 und Braune,
Ahd. gramm. 71 anm. 4), so ist kein grund vorhanden, grans
anders denn als eine ga-hildxmg zu rans aufzufassen.
Dieses rans hat im nordischen ein rane von derselben
bedeutung zur seite: isl. rane ^rostrum suis' (Egilsson; vgl.
auch liöt-rannadr 'foedo rostro, de lupo', ibid.) auch ^schnauze
einer natter', * spitze eines sw/w-fylkings' (Fritzner). Im nor-
wegischen bedeutet rane 'spitze, hervorragender f eisen', ' Stange,
hoher schmaler bäum' und wird *auch von einem grossen,
hageren manne' gebraucht (Aasen). Hierher gehört offenbar
mhd. ran (mit ä, nicht mit ä, wie Lexer ansetzt, s. das DWb.
unter rahn) 'schlank, schmächtig' (z. b. in alse ein gerte ran
mit swanc Lexer), mnl. ran *rank, dun' (Oudemans), nhd. (ver-
altet) rahn *dünn, schlank, schmächtig, auch von schlanken,
dünnen bäumen gesagt' (DWb.). Ferner stellt sich deutlich
hierher schwed. dial. rana 'schnell in die hohe wachsen' (Rietz).
') Saiulers gibt diese defiuition von gipfel
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ZUR GERMANISCHEN WORTKÜNDE. 249
Jetzt dürfte auf der hand liegen, dass diese Wörter mit
d. rennen u. s. w. zusammengehören müssen. Im norw. bedeutet
renna u. a. 'hervorspriessen, emporwachsen, von bäumen oder
pflanzen* (Aasen); schwed. räntia upp bedeutet * schnell empor-
wachsen'. Neben den foimen mit nn sind von diesem stanmie
schon formen mit einfachem n bekannt (man fasst ja das
zweite n als praesensbildendes element); ich erinnere an ags.
ryne *a couise, run, running' und isl. runi *a flux'. D. rahn,
nord. rane u.s.w. bedeuten mithin eigentlich etwa * her vor-
springend'. Hinsichtlich der form verhält sich mhd. ran, isl.
ran-e u. s. w. zu mhd. rinnen, isl. renna wie z. b. mhd. gram
zu grimmen oder mhd. weich, isl. vähr, zu mhd. wichen,
isl. vikia.
Die form mit s (mhd. rans u.s.w\) ist zu vergleichen mit
den zu demselben rinnen u.s.w. gehörenden got. run-s, ahd.
run-s, run-s-a 'alveus' und mit isl. r^s *lauf', das nach Xo-
reen, Urgerm. lautlehre s. 100 und Ark. f. nord. fil. 3, 37 aus
"^rans- entstanden ist.
4. Ags. hrystan u, a.
Ags. hrystan, hyrstan * ausstatten, schmücken u.s.w.' und
ahd. nisten, mhd. rüsten * rüsten, bereiten, schmücken' werden
gewöhnlich zu ags. hreodan •schmücken' und isl. hriööa *rein
machen, aufräumen, abladen', hroöenn 'geputzt' gestellt. Ich
hoffe im folgenden einen näheren verwanten von hrystan u. s. w.
aufweisen zu können. Ob trotzdem ags. hreodan u.s.w. mit
diesen Wörtern zusammengehört, lasse ich dahingestellt sein.
Wenn man die anwendung von ags. hrystan, hyrstan ge-
nauer untersucht, so findet man, dass dieses verbum zuweilen
nur * überziehen, decken', ohne den etwaigen nebenbegriff von
'schmücken' bedeutet. Ich hebe folgende fälle hervor. In
einer grenzbeschreibung vom j. 976 (s. Kemble, Cod. diplom.
3,130,131) heisst es: his metis rus hoc gyratiir. ^rest of
isenhyrste gate ... (s. 131) ... Öon eft in on isenhyrsten
^eat Hier kann isenhyrst ^eat nur 'mit eisen beschlagenes
(nicht 'geschmücktes') tor' bedeuten, da der ausdruck in einer
so prosaischen Urkunde vorkommt. Ebenso ist Menol. 35, 3()
hrime ^ehyrsted, ha^olscürum fwrd ^eond middangeard Mar-
tins rede zu übersetzen 'mit hagelschauern fährt der grimmige,
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250 WADSTEIN
mit reif bedeckte m. über die erde'. Man kann hyrsted hier
nicht im sinne von ^geschmückt' auffassen, da (der monat)
märz dem dichter offenbar gar nicht schön, sondern überhaupt
grausam vorgekommen ist. In Bosworth - ToUer's Dict. wird
auch bei hyrstan neben der bedeutung *to Ornament etc.' die
bedeutung Ho deck' angesetzt.
Meines erachtens ist gerade die bedeutung ^überziehen,
decken' bei unserem verbum die ursprünglichere. Ich stelle
nämlich ags. hrystan u.s.w. zu lat. crustare, das eben ursprüng-
lich ^überziehen', dann aber auch *mit einem schmückenden
Überzug decken' (näheres vgl. unten) bedeutet. Die im lat.
crmtare, subst. crusfa * rinde, kruste' vorliegende sippe ist schon
mit schwachem ablautstadium für die germanischen sprachen
nachgewiesen worden. Wie bekannt gehören hierher ahd.
{h)ro$a (? hroso) *crusta, glacies' und ags. hrüse- ^earth, soil,
ground' (s. Fick, Et.wb. 1*, 393 und Grimm, Deutsche myth.^
s. 230; vgl. dass lat. crusta auch *die erdkruste, härtere
obere erdschicht' bezeiclmet (Georges, Wb.). Zu diesen füge ich
norw. ruSy ros 'dünne schale, auch von fischschuppen' (Aasen;
vgl. Plinius' sunt autem tria genera piscium, primum quae mollia
appellanhir, dein contecta crustis tenuibus etc., Georges unter
crusta).
Die allgemeine bedeutung von einfach 'überziehen' bei
lat. crustare erscheint z. b. in lat. porfa hostilis crasso ferro
er US tat a (citat bei Forcellini), das ja dem oben angefülirten
ags. isen-hyrst ^eat vollständig entspricht. Mit ags. hrmie
^ekyrsted (s. oben) ist das lat. crusta in der bedeutung 'eis-
• kruste, -rinde' : crustae pruinarum (citat bei Georges) zu ver-
gleichen.
Auch die bedeutung 'schmückender Überzug' bei lat.
crust- findet sich bei dem germ. hrust- wder. Lat. crustare
bedeutet u. a. 'mit dünnen platten von ciselierter arbeit über-
ziehen' und lat. crusta 'die eingelegte arbeit, dünne platte mit
und oline cälierte arbeit, halberhabener zierat' (vgl. Georges).
In diesen bedeutungen erscheint crustare, crusta z. b. in vasa
potoria crustata, cymhia argentea aureis crustis üligata
(belegsteilen bei (reorges). (janz dieselbe art von schmuck
der trinkgefässe ist offenbar gemeint im Beowulf 2761 f.: fyrn-
nianna fatu ... hyrstum behrorene 'die trinkgefässe in alten
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ZUR GEBMAN18CHEN WORTKUNDE. 251
Zeiten lebender menschen, der eingelegten Zieraten entkleidet';
vgl. auch Beow. 2255 sceal se hearda heim, hyrsted golde,
fcetum befecUlen 'dem mit gold eingelegten helme' (lateinisch
könnte dieses geradezu mit galea auro crustata widergegeben
werden) ^werden die eingelegten goldplatten abfallen';') («'gs.
fcet = *a thin plate of metal, gold-leaf, omament').
Mlat. crustum kommt auch etwa in der bedeutung ^kleinod'
vor, s. das citat bei Du Gange unter crustmn 2: min sitior,
talenta, vel crnsta, vel jocalia ('Juwelen') emunxit. Aehnlich
ist die anwendung von ags. hyrst im Beow. 3164 f.: hv^ and s^i^lu,
eall swylce hyrsta ^ ringe und Juwelen, alle solche kleinodien'.
Die bedeutung von mlat. crusta, crosta: eyn stucke van
metaile, blech, die gleste am yeschirr (hiermit ist wol Pferde-
geschirr gemeint) hat auch etwas entsprechendes bei germ.
hrust'. Mit ags. hryste Q;ehyrste) wird nämlich mehrmals pha-
lerae glossiert, so z. b. in den Corpusglossen, Sweet, OET. 63
{Isit phalerae = 'der blanke . . . schmuck . . . der pferde, bestehend
in ... schildchen, mit denen das riemenwerk ... geschmückt
war' Georges).
Im mlat. bezeichnet crusta ferner restis species rarmjato
colore ex purpura et alio mixta (Du Cange). Auch cmstatns
erscheint in ähnlicher anwendung, von Du Tange 'acupictus,
intertextus, gall(ice) brode uel broche' erklärt, z. b. in albam
(= 'vestis seu tunicae species') supra et infra aiiro crustatam,
tunicas crustatas (belegstellen bei Du Cange). Ebenso wird
germ. hmst- von pninkenden kleidern benutzt; vgl. z. b. mhd.
rüsten 'schmücken, besonders von der kleidung gesagt' (iihd.
wb.), refl. 'schmücken, kleiden' (Lexer; in Schweiz, dialekt^n
kommt rüsten noch in der bedeutung * festlich kleiden' vor,
s. DWT).).
Zum schluss ist zu bemerken, dass lat. crust-, wie ags.
hyrst y ahd. ginisti, sogar in der allgemeinen bedeutung *orna-
mentum' benutzt worden ist. Es werden nämlich cnistis:
ornamentis und crustu: ornatu, frcetivun^e glossiert (die
') Ags. hyrsted sweord Beow. (372 wird also nicht einfach 'geschmücktes
Schwert* zu übei^setzen sein, sondern 'ciseliertes (mit eingeleimter arbeit
geziertes) schwert*. Ebenso ist z. b. mit dem bei Lajamon 25811 erwähnten
sceld ... irusi al mid golde oifenbar ein mit eingelegter goldarbeit aus-
gestatteter Schild gemeint.
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252 WADSTEDf
stellen finden sich beiWright-Wülker,Anglo-sax.vocabb.l, 526,4
und 1, 384, 22).
Die Zusammengehörigkeit der lat. und germ. Wörter dürfte
aus den angeführten Übereinstimmungen als ganz sicher hervor-
gehen. Da die bedeutungen des germ. hrust- in vielen fällen
so genau zu denen des lat. crust- stimmen, liegt indessen die
Sache vielleicht so, dass jene zum teil von den lat. auf die
verwanten germ. Wörter übertragen worden sind.
Durch die verwantschaft dieses germ. hrtist' und lat. crusta
wird auch die bedeutung ^waffenrüstung (hamiscli)' bei ags.
kyrst, ahd. rtist u. s. w. klargelegt. Diese Wörter bedeuten also
eigentlich geradezu 'fester Überzug aus metallplatten oder dgl.';
vgl. lat. crusta 'die harte . . . Oberfläche eines übrigens weichen
körpers, rinde, schale', 'platte' (Georges), mlat. crtista : blech,
eyn stucke van metalle (Diefenbach, Gl. und N. gl.), 'lamina
quaelibet vel ... argenti, vel alterius metalli' (Du Cange).
5. Deutsch ranzen u. a.
Weigand erklärt das d. ranzen 'sich bald da-, bald dort-
hin wenden, springen', 'sich begatten, von vierfüssigen raub-
tieren, hunden' aus ^rankzen, zu mhd. ranken 'sich dehnen,
sich strecken, hin und her winden oder bewegen'. Bei ranzen
'sich begatten u.s.w.' fügt er ferner hinzu: 'schwerlich ab-
geleitet von ranken 'bi-üUen, laut schreien, vom esel, löwen,
hirsch etc.' Auch ranzen in anranzen 'jemand schreckend an-
fahren' sollte nach Weigand aus einem ^rankzeti entstanden
sein (näheres a.a.O.). Das DWb. lässt es unentschieden, ob
ranzen in seinen verscliiedenen bedeutungen aus früherem
^rankzen, 'von rank ' Wendung, drehung als iterativ gebildet',
entsprungen sei, oder ob es mit rennen zusammenliänge.
Kluge, der im Et. wb. nur ranzen 'jem. anranzen' aufnimmt,
sagt davon: 'wol für ^rankzen zu mhd. ranken »wie ein esel
schreien«; kaum zu engl, rant »lärmen, schreien«'.
In der tat ist aber für ranzen nicht eine grundform
"^rankzen anzunehmen. p]s gibt nämlich ein nordisches wort,
das die frage nach dem Ursprung von ranzen anders entscheiden
dürfte. Ich setze das d. ranzen ^=-- schwed. dial. rannta (Eietz),
norw. ra7ita (Ross. der es — wie die schwed. form zeigt —
unriclitig als ein ursprüngliches vranta auffasst), wozu es
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ZUR GERMANISCHEN WORTKUNDE. 253
lautlich vollständig und aucli begrifflich gut stimmt. Schwed.
dial. rannta bedeutet nämlich 4iin und her rennen, unnützer
weise herumlaufen', norw. ranta heisst *ohne ziel sich herum-
treiben, sich herumtummeln'. Das subst. rannta bedeutet in
schwedischen dialekten 'rennerin, weib (mädchen), das selten
zu hause bleibt, sondern hinaus- und fortrennt'; vgl. das im
DWb. unter vb. ranzen 2) angeführte d. ranz-hesen 'namentlich
das erwachsene mädchen, das »ranzt«' ( = 'sich herumtreibt',
mit schlechter nebenbedeutung: ranzen 'herumlaufen, auf buhl-
schaft ausgehen') und d. ranze 'liederliche weibsperson'
(Sanders).
Schwed. norw. ran(n)ta, d. ranzen ist offenbar ein itera-
tivum (bez. intensivum) zu schwed. ränna, norw. renna, d. rennen
u. s. w. (vgl. Rietz unter rinna). Auf diese weise erklärt sich
auch die bei d. ranzen vorkommende bedeutung 'sich begatten'
(Adelung: 'sich begatten oder ungestüm nach der begattung
verlangen'). l!sorw. rennast bedeutet nämlich u.a. 'befruchtet,
trächtig werden (von tieren, besonders von kühen)', schwed.
dial. ränna 'brünstig sein (von sau, widder)' und rännas wird
in der bedeutung 'brünstig, läufisch sein (von schafen)' benutzt
(s. Rietz); vgl. auch schwed. dial. ränn-uks 'stier', runn-vmre
'(spring)\)^adder' u.a.m.
Die bedeutung von d. an-ranzen 'jemand schreckend an-
fahren', 'scheltend anfahren u.s.w.' aus urspr. 'heftig anrennen'
(vgl. mhd. f an£f 'streit', eig. wol 'anrennen, anfahren'), ist ja
sehr erklärlich. Hiermit ist zu vergleichen, dass (s. Rietz)
schwed. dial. rannta ebenfalls eine art von eifrigem sprechen
ausdrücken kann; es bedeutet nämlich u. a. 'klatschen' und das
subst. rannta heisst auch 'klatschmaul' (vgl. mnl. ranten sowol
'scheiden' als 'pratende mededeelen', s. unten).
Das nord. ran(n)ta dürfte auch die bedenken beseitigen,
welche gegen die identificierung des d. ranzen mit engl, rant
(und dem damit bekanntlich schon zusammengestellten mnl.
ranten) erhoben worden sind (s. Kluge, Et. wb.). Die bedeu-
tungen der Wörter sind auch sehr verwant. Es bedeuten
engl, raw^ vb. 'wild, ausgelassen sein u.s.w.' (Flügel) und rant
subst. 'the act of frolicking; a frolic; a boisterons merry-
making, generally accompanied with dancing' (The Century
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254 WADSTEIN, ZUR GERMANISCHEN WORTKUNDE.
dictJ)). ferner *a kind of dance' (s. a.a.O.), engl, ranty heisst
u.a. 'wild, ausgelassen, übermütig, lärmend', engl, ranti-pole
*das wilde ausgelassene mädchen, zügellose dime, das umher-
schwärmende frauenzimmer'; — vgl. mhd. ranzen 'ungestüm
hin und her springen' (Lexer), d. dial. (s. DA^'b. unter ranzen
vb*) ranzen 'sich üppig und heftig bewegen', ranze 'herum-
schwärmen, ausgelassen springen, von kindern, toben', schwed.
dial. ranhta 'kleines lebhaftes mädchen', d. ranz-hesen 'herum-
laufendes mädchen' (s. oben). Ferner bedeuten engl, rant (s.
Flügel) 'schwärmen, wüten, toben', ranty 'ausser sich vor zorn,
wütend', ranti-pole 'das wütig schreiende, ungezogene kind, der
wilde ungezogene junge'; mnl. ranten heisst u. a. 'razen, uit-
varen, scheiden, doorhalen' (Oudemans); — vgl. mhd. ranz
'streit', d. anranzen 'scheltend anfahren', d, dial. ränzefi
'knurren, keifen' (s. DWb. unter ranzen 6), ranze 'bezeichnung
eines wilden unartigen kindes' (s. oben), einen ranzen 'ihm
übel mitspielen' (DWb. a.a.O.). Mnl. ranten 'pratende mede-
deelen' stimmt zu schwed. dial. rannta 'klatschen'. Was end-
lich die bedeutungen von engl, rayit * hochtrabend sprechen,
sich hochfahrend ausdrücken u.s.w.', subst. rant 'die heftige
ungestüme schreierei u.s.w.' betrifft, so ist damit zu ver-
gleichen, dass (s. oben) auch d. ranzen (mnl. ranten) und schwed.
dial. rannta von heftigem oder eifrigem sprechen benutzt
werden.
•) Man beachte das a. a. o. mitgeteilte I hae a good copiscience
unless ü he about a rant aviong the lasses^ das an d. ramen 'hernmlanfen
auf bulüschaft ausgehen ' (s. oben) erinnert.
LEIPZK^. ELTS WADSTETN.
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GRAMMATISCHE MISCELLEN.
11. Ags. weorold : worold.
Die lautgruppe weo vor einfachem r, l geht bekanntlicli
im ags. teils in wo über, teils bleibt sie als weo erhalten; das
typischeste beispiel ist worold neben weorold.
Es scheint nun noch nicht beachtet zu sein, dass wir es
hier mit einem nicht unwichtigen dialektunterschied zu tun
haben. Es gilt nämlich tvo im westsächsischen und dem durch
das Durhambook und das Rituale von Durham vertretenen
(nördlicheren) teil des northumbrischen, iveo aber im (süd-
licheren) northumbrischen des Rushworth^, im mercischen und
kentischen. Dass sich daneben in unreinen texten gelegentlich
mischungen finden, braucht nicht wunder zu nehmen.
So hat gleich die hs. H der Cura pastoralis nach Cosijn,
Altws. gr. 1, 39 etc. hier 4: weo, die aber gegenüber sonst her-
schendem wo kaum ins gewicht fallen k()nnen, sondern ent-
weder altertümlich oder — was ich für wahrscheinlicher halte
— diu-ch Schreiber eingeschleppt sind. Die Chronik aber hat
nur wo, das z.b. auch bei yElfric durchaus die norm bildet.
Von den nörthumbr. texten hat das Durhambook ausschliess-
lich 20 WO' (Cook 214), das Ritual 19 tvo- (Lindelöf 27).
Dagegen ist bereits für Rushworth^ weo charakteristisch:
?reor(w)MeMc.4,19. 10,30. L. 1,55. 70. 18,30. 20,34.35. J.9,32.
Natürlich hat auch Rushworth » nur tveo- (8 mal, Brown 1, 33),
ebenso der Yesp. Psalter (ca. 175 weo, 2 we-, aber kein wo\
ebenso die von Zupitza edierte merc. hs. Royal 2A20 des
Britischen museums (7 weo, Zs. fda. 33, 54). Für das kentische
sind beweisend die ui'kundlichen belege uueorolde, weoroldcun-
dwn Sweet, OET., urk. no. 37, 29, weorldare (Surrey) 45,53,
uniaralde 40, 20. So versteht man auch wie noch in den jungen
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256 SIEVERS, GRAMMATISCHE MISCELLEN.
Metra, die so stark mit kenticismen durchsetzt, überhaupt wol
in Kent gearbeitet sind (vgl. Beitr. 10, 197), über 30 weoruld etc.
stehen, während diese form in den übrigen poetischen texten
ganz selten ist. Vgl. ferner z. b. aus halbkentischen hss. der
predigten Wulfstans stellen mit weo- wie 216, 3. 217, 9. 219,
14. 31. 223, 3 (2) der ausgäbe Napiers, u. dgl. m.
Alles in allem genommen ist mir die form weorold nie in
absolut reinen westsächsischen texten begegnet, sondern stets
nur in Verbindung mit anderen dialektformen, die entweder
nach Kent oder nach Mercien weisen. Da das wort an sich
ziemlich häufig ist, so bietet es ein nicht zu verachtendes
praktisches kriterium für die dialektscheidung.
Die übrigen Wörter hier vorzuführen, die unter dieselbe
regel fallen oder sich damit berühren, verbietet der räum.
LEIPZIG- GOHLIS, 14. Januar 1897. E. SIEVERS.
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/ /
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Verlag von Joseph Baer n. Co., Frankfurt a. H.
Soeben erschien und steht auf Verlaogen gratis zu Diensten :
AiiMq^mHsch^' Anzeiger 4t55:
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Deutschen Litteraturgeschichte.
im 11. und 12. Jahrhundert
von
Friedrich von der Leyen.
1897. 8. Preis geh. Mark 2,40.
Druck von EhrhanU Ktirrai, Jlftllc .1. S.
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BEITRÄGE
ZUR
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.^, ^
' ^'j! 30 ^'^"/
UNTER MITWIRKUNG vblt..^^^ , "'
HERMANN PAUL UND IVILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIETERS.
XXII. BAND. 2. HEFT.
"i
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEINSTRASSE
1897
Die henren niitarbeiter werden gebeten, zu ihren manuscripten
nur lose quartblätter zu verwenden, nur eine seite zu be-
sebreiben und einen breiten rand freizulassen. r^ t
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■11
INHALT.
Saite
Untersuchungen über das mlid. gedieht von der Minneburg. Von
G. Ehrismann 257
Zur dänischen heldensage. Von R. C. Boer 342
Satz verbindende partikeln bei Otfrid und Tatian. Von W. E.
Schölten 391
Bemerkungen zum Hildebrandslied. Von A. Erdmann . . . . 424
Etymologie von heim 'Steuerruder'. Von J. Hoops 435
Zur Krone. Von G. Ehrismann 436
Znr naehrlchtl
Es wird gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
lOOgle
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UNTERSUCHUNGEN
UEBER DAS MHD. GEDICHT VON DER
MINNEBURG.
Von den minneallegorien des 14. jh/s war nach Hadamars
Jagd die von der Minneburg die beliebteste, sie fand eine
ziemliche Verbreitung und ist in einer verhältnismässig reich-
lichen anzahl von handschriften überliefert. Bis jetzt wurde
sie von der forschung wenig beachtet. Ihr wert als selb-
ständiges kunstwerk ist auch erstaunlich gering, sie bildet fast
das letzt erreichbare ziel einer für andere zeiten und menschen
ungeniessbaren manier. Doch ist sie als typus unter einer
gruppe von erscheinungen für die geschichte der literatur und
cultur wol nicht ohne Interesse. Auch für sprachliche beob-
achtungen ist sie ein nicht ungeeignetes object, wie sie denn
hinsichtlich des Wortschatzes schon früher von A. Schönbach
erfolgreich benutzt worden ist.
I.
Die Überlieferung.
1. Die einselnen handsohriften.
Die handschriften der Minneburg sind angegeben von
Baab, Ueber vier allegorische motive in der lateinischen und
deutschen literatur des mittelalters s. 36 anm. 69 (ausser 1 )
und von Bartsch, Die altdeutschen hss. der universitäts-biblio-
thek in Heidelberg no. 208 (ausser 1 und c).
P, die Heidelberger pergamenths. Cod. pal.germ.456, 15. jh.,
beschrieben von Bartsch a. a. o. no. 246, vgl. auch Stejskal, Zs.
fda.22,281f. Das gedieht steht auf bl. 86 a— 202 b, ist aber
nicht vollständig überliefert; ausserdem ist die letzte seite
(202 b) abgerieben. Voraus gehen eine prosaische Inhalts*
Beltrfttf« «or gatohloht« der dMitflohai ipr»ah«. XZn. 17
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258 BmusMAn
angäbe. bL 84». darauf bis bL 8ob drei in sehr gelLänstelter
reimverschlingnng abgefeisste gediehte religiösen inhalts (^s.
unten).
Die mundart von P ist ostfränldsch: es fehlen die speciell
alemannischen and bairischen kennzeichen ebenso wie die
rhein- and mittelfrankischen nnd die thäringisch-ostdeatschen:
amgekehrt finden sich einige erscheinnngen, die zusammen-
gefasst den ostfrankischen dialekt ergeben, keine^ die ihm
direct widersprechen.
Znm Tocalismns ist zn bemerken: d ist häufig zu 6 ge-
worden, besonders in ztcor, mofze, kro, klo, dag^^n meist cm
= äne. Der umlaut von ä ist e. Für ie steht oft i, besonders
in -tr, -iren : tir, schir, zirde, infinitiv -iren^ nnd in dineni
immer in ging, hing, ei gUt für altes ei nnd für die contrac-
tion aas egi. u bezeichnet sowol u, ü nnd uo als auch häufig
ü, iu, üe, yihäL au ist au, o in flog, betrog. Mhd. öu ist eu,
der nmlaut ist auch eingetreten in heubt, gdeuben, bereuten.
Die diphthongierung von i zu ei, u za au, iu zu eti ist nicht
durchgedrungen, es finden sich nur etwa anderthalb dutzend
fälle, worunter mehrmals kaum.
Der consonantismus steht ganz auf gemeinmhd. stufe, die
Verschiebungen sind durchgeführt, auch d zn t Das mhd.
auslautsgesetz vom Wechsel zwischen lenis und fortis ist nicht
mehr streng beobachtet aber es zeigt sich noch in einzelheiten.
so ist z. b. mit einer gewissen regelmässigkeit nom. acc. burk
gegen gen. dat. bürge {= bürge) bez. mit apokope bürg ge-
schrieben. — sl, sm, sn, SU) sind noch nicht schl U.S.W.,
auch ttc ist erhalten, ebenso qu in quecklich, quam, quemen
(neben kam, kernen); dagegen ist rw zu rb geworden; auch
aA zu mm (oft einfach m geschrieben), jedoch immer umb; im
«idaut hält sich 7nb bez. mp länger, vgl. Rnckert, Entwurf
•aKT sfstemat. darstellung der schlesischen ma. hg. von Pietsch
iuirr. Behaghel, Pauls Grundr. 1,592. v.Bahder, Zs.fdph.12,485
TÄ ^«m. 23, 199 (die hier angeführte Schreibung umbe ist
jnjif""^" »^elrecht ist umb, e ist abgefallen ehe mb zu mm
VT t assimilation, um aus umbe, ist satzdoublette
a ' stelle von j in gebluwet, muwet, gluwende,
^m. § 110 anm. 2 und § 359 anm. 8. v. Bah-
i.
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DAS MHD. GEDICHT VOK 1)ER MIKNBBUBO. 259
Im einzelnen ist hervorzuheben:
1. Die dem dialekt des gedichtes entsprechenden infinitive
ohne n (s. unten) sind in den reimen immer bewahrt und finden
sich vereinzelt auch im innem der verse, sie waren also dem
Schreiber von P mundgerecht.
2. Schwacher conj. praet. mit umlaut begegnet in sente,
wente, mechst = mechtest
3. Jcumen hat als wurzelvocal u, nie o, auch im part. perf.^
dagegen steht o entgegen der ma. im part. perf. ge-, ver-nomen,
4 Immer sulch^ sulcher.
5. Die verba gen, sten haben e, ä nur in reimen wie hdn :
gän, tat : stdt.
6. Zu den verba praeteritopraes.: praes. ind. sg.: sul, pl.
sullen, sollen, conj. sulle, praet. solde; mag — mugen — mohte;
darf — dürfen — dürfte \ kan — kunnen — künde, ^wollen'
flectiert wil — wollen — wolte.
7. Schwacher gen. plur. ist häufig bei künsten, der künsten
sptse, der künsten sterke, künsten fruhtic, ähnlich der sinnen
durf witeenkünstenlös, witzenhaft u. a., vgl. Jänicke, Zs. fda.
17, 507. Bech, Germ. 26, 258; zu sinnen vgl. Roethe, Reinmar
s. 13 anm.31.
8. Für präfix er- steht sehr oft das dem ostfränkischen
ganz geläufige der-. Die zwei ältesten belege für der- stammen
aus dem 12. jh., worunter der eine aus dem ostfränk., nämlich
aus der hs. von Himmel und höUe, vgl. MSD. 2\ 158. Das an-
lautende d ist aus dem Satzzusammenhang zu erklären, z. b.
im Übergang von er häTerslagen entstand in er hat derslagen
eine dem im ahd. und mhd. häufig begegnenden td entsprechende
articulation, deren physiologische beschaffenheit Faul, Beitr.
7, 129 erörtert hat.
9. zu gilt für Präposition und präfix, nie ze; aber zer-,
nicht zur-.
10. entwurt subst., cntwurten verb. sind in Ostfranken ge-
bräuchlich für antwurt, antwurten, vgl. Bayerns ma. 1, 885.
Rückert-Pietsch s. 29; das e ist umlaut, entstanden in formen
wie antwürie, antwurten.
11. Für wüeste subst. begegnet einmal (üf ein) wuchsten,
^ine sonst nur im bairischen öfter belegte form (Schmeller-Fr.
2, 842. Weinhold, Bair. gramm. § 184). Femer der hirtze, vgl.
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260 . EHBI$MAKN
DWb.4,2, 1563f.; und immer tville für tvtle, eine in hss. ver-
einzelt begegnende Schreibereigenheit, die keine lautliche be-
deutung hat
Der ostfränkische dialekt findet unten eingehendere be-
handlung. Hier sei aus dem obigen nur so viel herausgehoben,
als zu einer näheren grenzbestimmung der hs. P innerhalb
Ostfrankens dienen kann:
1. heubt, geleuben, bereuben. Nach Brenner, Mundarten und
Schriftsprache in Bayern s. 24 'geht ein streifen landes von der
Pfalz herüber ins diesseitige Franken, wo sich die form keufen
imit Umlaut) festgesetzt hat, mitten durch das reich der un-
umgelauteten form kaufen'. Femer s. Schmeller, Die mund-
Arten Bayerns §§ 177 und 178 (gleb, keff, reff, teff am Mittel-
main, gl^ u.s.w. auf der Ehön). Bavaria 3, 1, 213: 'nirgends
im Bambergischen, aber sehr häufig im Würzburgischen und
der Ehön: ech käfft, eck gläb u.s.w.', s. auch ss. 211. 245. 258.
Firmenich 2, 407 a. Bayerns ma. 1, 283 und 285. Als engere ab-
grenzung der mundart von P ergibt sich also der westliche
teil des ostfränkischen dialekts, während der östliche, das hoch*
Stift Bamberg, ausgeschlossen bleibt.
2. Gegen Bamberg spricht femer, dass die diphthongierung
von I zu ei u.s.w. nur sehr selten in der hs. vorkommt In
Bamberg aber ist der neue vocalismus schon gegen die mitte
des 14. jh.'s durchgedrungen, in Würzburg eigentlich erst um
die mitte des 15./jh.'8.
Eine weitere specialisierung ergibt sich durch die aus-
Scheidung des Hennebergisch-ostfränkischen: es findet
sich nie das in den Henneberger Urkunden sehr geläufige sdl
für sol\ ebenso nie die allerdings auch in den genannten Ur-
kunden gemiedenen he neben er, forte für forhte (vgl. From-
manns ma. 4, 238 und 459), dat. sg. mi, di (ebda, s.459).
Als mundart von P ergibt sich demnach der westliche
teil des ostfränkischen, also Würzburg, bez. dessen engeres
dialektgebiet
(f, 2 blätter einer papierhs. des 14. jh.'s in der fürstlich
Fürstenbergischen hofbibliothek zu Donaueschingen (no. 108),
vgl. Barack s. 104f.; enthält v, 2860— 2931 und v. 3075— 3147.
Die dialektischen merkmale: e für mhd. (b, ei für < und et>
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DAS MHD. OEBIOHt TOK DES MINNEBÜRG. 261
au für ü und ou, eu für tu, i für U (für uo als monophthong
liefert die Schreibung keinen anhält; es wird geschrieben u,
ä> ü)j femer einige male chiürk (chvmen, minnenburch), einmal
anlautend pttürb (pin)j dann noch sülcher — weisen auf Böhmen
als heimat der hs. (vgl. Knieschek^ Ackermann aus Böhmen
s. 86 f. Benedict, Das leben des heil. Hieronymus s. xlöi ff.).
1. Das im liederbuch der Hätzlerin abgeschriebene gedieht
Wie ainer fein fräd wolt begraben^ Haltaus ü, no. 25, s. 180 ff. ist
der Minneburg entnommen und bildet daselbst v. 2399^2664.
c, hs. des historischen archivs der Stadt Cöln no.360, papier,
folio, 15. Jh., einspaltig. Die Minneburg steht auf bl. 1« — 41b, sie
bildet den einzigen Inhalt der hs. Laut aufischrift auf der Innen-
seite des deckblattes gehörte die hs. einst zu Wallrafs biblio-
thek {Ferd, WdUrafProf. Colon,). Zum einband ist als falz ein
pergamentßtreifen einer Urkunde verwendet, worauf der name
der ffirst-äbtissin [des Stiftes Essen] El^abeta zu Mander-
scheidt-Blankenheim zu lesen (über diese, die 1575 — 1578
dem stifte vorstand, s. Grevel in den Beiträgen zur gesch. von
Stadt und stift Essen, heft 13, 3—96). Es ist nicht unwahr-
scheinlich, dass die hs. einst zu der berühmten bibliothek der
grafen von Manderscheidt-Blankenheim gehörte, aus welcher
viele hss. in Wallrafs besitz übergiengen (Ennen, Zeitbilder
aus der neueren gesch. der Stadt Köln s. 345. Suchier, Zs. fdph.
13, 257 f.).
Eine zweite bemerkung auf der rückseite des deckblattes
lautet: K B. ^Dies Ms. ist im J^er iSlö abgeschrieben worden\
worauf ein ohne nähere anhaltspunkte unleserlicher namenszug
folgt. Die notiz rührt ohne zweifei von F. W. Carove her,
wie sich aus einem briefe E. v. Grootes an Jakob Grimm vom
18. märz 1817 ergibt (abgedruckt von Reifferscheid in Picks
Monatsschrift für rheinisch-westfäl. geschichtsforschung 1, 1561).
Groote schreibt hier: * seither habe ich nun noch eine hübsche
hs. 41 blätter kl. folio auf papier, jede seite 42 — 44 zeilen, er-
halten, von welcher Ihnen vielleicht Carov6 schon geschrieben,
der sie 1816 abgeschrieben hat. Den Verfasser weiss ich nicht;
das ganze aber ist ein grosses, meist allegorisches gedieht
über die minne) in welchem anspielungen auf die Niebelungen^
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262 EHRISMANN
auf den Gral, den Tristan, Wiglisz (Wigolais), Blantschiflor,
Laurin und Lancelot vorkommen Wenn es Ihnen der mühe
wert scheint, so teile ich Ihnen nächstens eine probe daraus
mit.' Alle angaben stimmen auf die Cölner hs. der Minneburg,
auch die form Wiglisz (v. 3157; Laurin hat Groote aus dem
unsinnigen und unmöglich zu entziffernden Laurmtipe y. 3158
der hs. erschlossen, aber sicher mit unrecht). Dadurch wird
auch der namenszug verständlich: er bedeutet WC ^=W. Ca-
rove. Aus dieser abschrift Carov6s stammt dann jedenfalls die
von W.Grimm, Heldensage 2 283 f. mitgeteilte stelle. — Eine
undatierte abschrift von c aus v. d. Hagens nachlass (identisch
mit der Carov6s?) befindet sich in der kgl. bibliothek zu Berlin
(Ms. Genn. oct. 269).
Dialekt von c. Vocale: ä und a sind oft von nach-
schlagendem i begleitet, und zwar ist d etwa 80 mal, a etwa
50 mal ai. Dasselbe findet sich ebenfalls, aber seltener, nach
ö und ö, für d besonders in groiß, vereinzelt bloiß, ibe)sloife,
floiß, schoife, genoifz, troist, doit, noit, hoich\ für o bes. in
woilf seltner IwiffCy goitt, spoitt, besloifzen. Nach u kommt
dieses i besonders vor in suiß (^r^- stiege), etwa 25 mal, gegen
ebenso viele suß, süfz\ vereinzelt in huiß (= hüs), guiz
(= giuji{e])j gruifz (= gruoz), durchstuicket (= durchstücket).
Für umlauts-c steht i in mircklich, stircke, stirckte, gegen-
wirtekeyt, wirt (^^ werte 'er wehrte'), michtig, geslicht, gliter, ie
n riede sb., rieden vb.; für e steht i in entunder, wo auch nlid.
geschlossenes e\ umgekehrt e für i in erdisch, errend, wedder
(* wider'), derbedemt; ausserdem ist * auch durch ie vertreten
besonders in dieser, wieder, liedic, friede, hieniel, siech ('siehe').
Ursprüngliches i ist erhalten in iz, wilch ( = got. hileiks, as.
hwilik). Alle diese Schreibungen sind jedoch nicht regelmässig
durchgeführt.
Der Umlaut von ä ist e, auch in fregende, frege sb.
0 ist durch a ausgedrückt in den seltenen ab, wanen und
durchweg in zabel 'zobel', welche md. form auf mlat. sabelum,
frz. sohle aus lit. sdbalas zurückgeht, während zohel direct aus
russ. soboV, poln. sobol stammt.
0 ist u in uffen, uffenlicJie.
u, auch mit index u, ü (über ui s. oben) gilt unterschieds-
los für u, ü, ü, iu^ uo und iie\ zu o ist u geworden vor n:
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DAS MHP. GEDICHT TON DEB UINKEBUBG. 263
wonder, wende, überwanden^ sonne, könne u. a.; vor r: dorch,
borg, woreel, horase u. a.; desgleichen üixlo m wonsch, Jconing,
fonf XL a^ worde, verlöre, dorre, worffei, gehorte u. a.
Die diphthongienmg von <, u ist sehr selten eingetreten,
bei I einige male im aaslaut und vor vocal {sey, Arabey, treseney,
arzeney, gekreyet, gefreyet), bei ü in gepawen, trawen.
et ist ei und ebenso ege > ei-^ ou ist au (aä), öu ist eu (eä)y
auch in gleuben, heupt, erleupt, verkeuffen; ie bleibt ie und wird
selten zu i, dann meist in -iren und zir,
Consonanten: die gemein-mhd. lautverschiebungen sind
durchgeführt, auch rd zu rt, doch neben anlautendem ^ aus ei
findet sich nicht selten d und vereinzelt begegnen unverscho-
bene p, pp va plag, hoppen : droppen, unerschopplich, scharpes.
Dem mhd. auslautsgesetz gemäss steht auslautend pimh und
^ für d, aber g bleibt und tritt oft sogar für ursprüngliches k
ein, besonders in starg, — hs zvl ss in wassen, sez; für ht ist
neben häufigerem vorhte zweimal vorthe geschrieben, wol des-
halb, weil vorhte dem Schreiber nicht die geläufige form war,
sondern vorte^); h schwindet einige male in ho, hoesten, gescha.
Einzelheiten: neben gewöhnlichem sol, solt erscheint auch
sal, Salt, neben brennende auch burnde, burnede\ für zmschen
wechseln thuschen, zwuschen, zuschen\ vor vertritt für als ad-
verb, Präposition und präfix.
Zur flexion sind zu notieren vereinzelte dative sg. masc.
auf -en beim starken adj., gen. und dat. sg. fem. auf -er beim
schwachen; zur Wortbildung fem. abstracta wie stirckt = sterke,
kurczt, glimpfft, gesmekt Endlich durchgehends antzlitz, und
leren für lernen.
Die Orthographie von c ist keine einheitliche, neben den im
allgemeinen geltenden regeln der büchersprache (über ostfränki-
sche spuren s. unten beim hss.- Verhältnis) gehen die angeführten
mundartlichen besonderheiten des Schreibers. Diese weisen auf
das rheinfränkische gebiet. Gegen Süden ist die gi-enze bestimmt
durch wassen, das heutzutage nach Wrede, Anz. fda. 21, 261—263
*) Der Schwund des h in der lautverbindung rht beruht darauf, dass h
ac^-laut war und somit dem r, dem es in der articulation sehr nahe stand,
assimiliert wurde; ebenso ist der Übergang von vorhte zu vohte zu erklären
(▼gl. dazu besonders Sievers, Oxforder Benedictinerregel s. ix ff.). Auch in
dwr für durch ist ch als oc^laut an das vorangehende r assimiliert.
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264 EHRISMANN
bis nördlich von Ems, Homburg, Hanau, Gelnhausen reicht.
Von dem überbleibenden nördlichen teile sind auszuschliessen
die eigentlich hessische mundart und das nassauische, denn es
fehlen die pron. her he, dit, unse, sowie die contractionen sien,
geschien gänzlich (vgl. Sievers, Benedictinerregel s. xiv und s. xi).
Es ergibt sich also etwa die Wetterau als die für den dialekt
zu bestimmende landschaft,
Im eingangs- und ausgangsstück fallen einige von dem
sonstigen schriftgebrauch abweichende Schreibungen auf: neben
mehrfachem freude etwa zehnmal freide, dazu frdde, frede, fro-
driches und eredget\ femer schdpfer, ie für üe in giete (dreimal)
und gestiel, hriefer (je einmal), endlich th im anlaut bei {huon
(elfmal), than (tannwald), thosen, und im reime bäl = baJd
(: al), gesynne = gesinde (: mynne). Die teile, welche diese
spuren aufweisen, nehmen auch sonst eine Sonderstellung ein
(s. unten).
w, hs. der k. k. hofbibliothek zu Wien no. 2890, papier,
folio, 15. Jh., einspaltig, vgl. Hoffmanns Verzeichnis no. LUE.
Tabulae codd. mss. praeter graecos et orientales in bibl. pal.
Vind. asservat. 2, 151. Die hs. enthält nur die Minneburg, und
zwar auf bl. Ib bis 53a.
Die mundart des Schreibers ist schwäbisch. In der Ortho-
graphie zeigt er ein lobenswertes bestreben, bestimmte regeln
einzuhalten. Bei der verhältnismässig sorgfältigen Schreibweise
ist die hs. ein muster des schwäbischen dialekts.
Vocale: umgelautetes a wird bezeichnet 1. durch e;
2. seltener und fast nur in fällen jüngeren umlauts durch d, a,
wie in dlmdchtig : drytrdchtig, geschlächt, widerwärtige, er-
bdrmde, gegenwärtigkeit, pfärd, einfältig, gewältig, täglich,
cläfferin, mänlich, schnäbelin, fränckisch (dies hat auch nach
Seb. Helber, Syllabierbüchlein ed. Roethe s. 19, 12 offenes e),
einmal e in m echten-, 8. der ältere umlaut durch d, ö in schöpffer,
störckst, löschen, öpffel : tröpffei, wollen; ö auch für die schon
mhd. geschlossenen e in Idwe (daneben leöwe mit auch sonst
belegter, vom lateinischen beeinflusster Schreibung) und dort =
dert 'dort', vgl. Kauffmann, Gesch. der schwäb. ma. § 65 b und
§ 84 anm. 1. v. Bahder, Grundlagen des nhd. lautsystems s. 170.
Doppelformen sind manges, mangen (aus manag) neben menger,
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DAS MHD. GEDICHT VON DBB MINNEBUBG. 265
mengen (aus manig) und einmal mdnig (vgl. Bohnenberger, Zur
gesch. der schwäb. ma. im 15. jli. s. 35).
Für ä ist ausser dem meist gebräuchlichen a auch ä ein-
getreten, vor nasalen o : on[e] (immer), hon, Ion, ston, geton,
somen u.a., seltner han, lan u.s.w.; au in laussen, autem,
aubentür.
Der Umlaut des ä ist d {e einmal in wer : ler\ selten e :
widerspenig, weck (='w(jehe), spech (= spcehe), seid (=^ scelde)
u. a., vgl. Bohnenberger s. 47 — 51.
Mhd. i ist d in öwig.
Zu bemerken ist die Schreibung fienster *fenster', die drei-
mal vorkommt (daneben zweimal venster, einmal vinster)] vienster
hat auch die schwäbische Schildbergerhs. in Heidelberg, bl. 58,
vgl. Germ. 7, 376 und Langmantels ausgäbe s. 132, anm. zu s.82, 14.
'Mhd. e ist wie e behandelt in faestr' u. s. w., Kauffmann § 72
anm. 4.
Für i und I werden in den hss. des 14. und 15. jh.'s i und y
verwendet, und zwar meist ohne bestimmte regel. Ueber die
anwendung des y haben besonders Rückert, Entwurf hg. v.
Ketsch S.33 und Pietsch, Trebnitzer Psalter s.xxxviit fördernde
beobachtungen niedergelegt, dagegen ist v. Liliencrons annähme,
es werde durch y in manchen fällen eine abweichende aus-
spräche bezeichnet (J. Rothes Düringische chronik s. 712), un-
haltbar. Das y hat seine eigene geschichte, die von Otfrid bis
auf J. H. Voss reicht. Für das 14. und 15. jh. hat y seine eigent-
liche Stellung in folgenden fällen :
1. Vor oder nach n, nn, m, mm, aus rein äusserlichen
gründen, weil das i als einfacher strich hier mit den n- und
m- strichen zusammen ein unleserliches gebilde ergibt (woher
die häufigen Verwechslungen in mhd. hss. zwischen diu und din,
nu und im u. a., vgl. z. b. 0. Zingerle, üeber eine hs. des Pas-
sionals, Wiener SB. 105, 13—15).
2. y ist i, insofern es aus i+j ==i -{-i besteht, vgl. nl. ij,
weshalb es bei den grammatikern des 16. jh.'s das zwyfache
und lange y heisst gegenüber dem kurzen und einfachen /, vgl.
Joh. Kolrosz bei Müller, Quellenschriften und gesch. d. deutsch-
sprachl. Unterrichts s. 69. 70. 72. Fab. Frangk ebda. s. 99. Peter
Jordan s. 114. J. H. Meichszner s. 161. Laurentius Albertus hg.
vwi Müller -Fraureuth s. 27; ferner s. Kauffmann § 74 anm.
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266 EHBISMANN
Bohnenberger s. 61 und 68. Nohl, Die spräche des Niclaus von
Wyle S.40.
3. y steht in diphthongen vor folgendem vocal (t/ = y) und
im wortauslaut, vgl. Joh. Kolrosz: so das lang y. ^wüschen mjoeen
stimMchstaben gesetzt wärt, so thüt es ein i. vnd ein halb g,
Exemplum, Meyer, Beyer, ayer, ndyen, sdyen . . . Müller, Quellen-
schriften s. 75, vgl. auch Kauffmann § 182 anm. Fabian Frangk:
i: wird ans end eines worts, nicht gesttlUt, sondern das y, als
drey, dabey etc., Müller s. 99; s. auch Laurentius Albertus s. 33.
Joh. Clajus hg. von Weidling s. 12 f. Joh. Becherer, Zs. f. d. d.
Unterricht 9, 708.
4 Endlich steht y im wortanlaut in ye und in den damit
zusammengesetzten Wörtern wie yeman, yeglich, yeaunt etc.,
offenbar um anzuzeigen, dass der diphthong ie auf dem i zu
betonen ist, zum unterschied vom steigenden diphthongen, wo
i oder j statt hat, wie jagen, jugent. So schreibt Joh. Kolrosz
(Müller s. 69 und 75 f.) Jesus, ieger und stellt dagegen ye vnd ye,
yedermun, yedes unter diejenigen Wörter, die das i betonen.
Der Schreiber von w hat sichtbar das bestreben, einen
unterschied zwischen i und y zu machen, und zwar gemäss den
angegebenen vier grundsätzen. Für kurzes i ist y überhaupt
nicht sehr oft gebraucht, dann aber mit ganz wenigen aus-
nahmen wie rysen, rysel und in einigen fremdwörtem, der
regel 1 entsprechend neben n und m: mynne, synn, nym, ynnec-
lieh, yngesinde und besonders in ynier, nymer. Seine haupt-
sächlichste Verwendung findet y für die länge (regel 2), woneben
viel seltener i, dieses jedoch immer in min, din, sin. Beispiele
für regel 3: dat. pl. zwayen, aber zwein, mayen (acc. sg.), weye,
imp. zu mhd. wodjen mit echt schwäbischem ey für cej, vgl.
Kauffmann § 66 anm. 3. Bohnenberger s. 47 — 51. H. Fischer,
Geographie der schwäb. ma. s. 33 anm. 7. Nohl s. 64; zway, de-
hmnerlay, schray, ey (interjection) und die fremdwörter Agleye,
Troy. Für regel 4: ye, yeglich, yemant, yetzunt gegen jagen,
jamer, jar, jugent, jung. — In den beiden schon besprochenen
hss. P und c sind diese regeln über die Verteilung von i und y
bei weitem nicht so correct durchgeführt wie in w, aber trotz
der Verwirrung noch bemerkbar und zwar in P deutlicher als
in c (hier eigentlich nur regel 1 und 2).
i wird sehr oft zu ü nach w, besonders in der lautgruppe
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DAS HHD. GEDICHT VON DER MIKNEBUBO. 267
toir-y vereinzelt auch vor r ohne vorangehendes w, hier jedoch
sichtlich meist nur des reimes wegen: ick würd, du würst, er
wurty diu würde, würde : gürde (= girde sb.), der würt, würs,
würff, erwürbt : stürbt, würcken, würcket : eürcket, zur ekel,
gewürckt : bürgkt, ich würb : ich stürb (ind. praes.), zwüretj
jstmschent, fürne, femer ich wüst, süben, tüschelin, vmer neben
ymer, aber nie im pronomen wir; vgl. Kauffmann § 86 anm.
Bohnenberger s. 58 — 61. v. Bahder, Grundlagen s. 181.
Die diphthongierung von i, ü, iu ist, dem schwäbischen des
15. jh.'s entsprechend, nicht durchgeführt; vereinzelt ist ge-
{e)weyot : gefreyot zu eimer^, frien.
Die umgelauteten vocale sind von den nicht umgelauteten
reinlich geschieden, o = o und 6, dagegen d, ö = ö, ce; u = u
(im anlaut v) und ü, dagegen ü,ü = ü und iu (sowol ursprüngl.
diphthong als umlaut von ü bez. iu), ü = uo, dagegen ü = üe.
Damit lässt sich feststellen, dass keinen umlaut haben die in-
tensiven verba rucken, drucken, zucken, durchstucken, gebuckct,
geschmückt, geknuckt (aber erkück), femer brück * brücke', ver-
lupt ^vergiftet', luppendig, nutzlich, guldin, genuchtig : suchtig
(v. 2627, aber süchtig : brüchtig v. 1657), sül, vgl. Kauffmann
§ 124. H. Fischer, Geogr. s. 74 und Germ. 36, 422. v. Bahder,
Grundlagen s. 199 ff.; suffix -nus.
Schwanken der umlautsbezeichnung herscht in der Verbin-
dung iuw : trüwe und truwe, üwer und uwer, und in iich, uch,
wie auch sonst im schwäbischen des 15. jh.'s, vgl. Bohnenberger
s. 116 — 122; über heutiges üw s. H. Fischer, Geogr. s. 41—43.
Mhd. ei ist ai; davon ist die contraction von egi als ei ge-
schieden, vgl. Kauffmann § 91—93. H. Fischer, Geogr. s. 44 — 48.
Bohnenberger s. 104 — 113: treit, seit, geleit, gein — daneben die
unter schwachem satzton entstandene form gen (über schwäb.
gae und g€ s. H. Fischer, Germ. 36, 419), Statt ei aus egi wird
ai nur der reimgenauigkeit wegen geschrieben, wenn die betr.
Wörter mit einem ai enthaltenen worte gebunden sind, das
ihnen als reim vorausgeht: wyszhait : gesait, vestigkait : trait u. a.
Umgekehrt steht mehrfach ei für ai, aber nur in unbetonter
silbe in -heit, -keit, arbeit und selbstverständlich durchweg in
der interjection ey\ femer zweimal beide neben sechsmal baide
(vgl. Bohnenberger s. 110). Das zweimal erscheinende tceding
verhält sich zu mhd. teiding wie masdle zu meidle (zu diesem
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268 BHBISMANN
s. V. Bahder, Zs. fdph. 12, 485. H. Fischer, Geogr. s. 47 1 Germ.
36,419 und Zur gesch. des mhd. s. 66 anm. 3.i) tcßding (vgl.
Bohnenberger s. 110 — 113) ist = tagading, teiding = *tagiding
> tegiding mit assimilation des mittelvocals an das i der
Schlusssilbe (vgl. Braune, Ahd. gramm. § 68 und § 27 anm. 4).
Mhd. ie ist ie, ye.
Für uo vor nasal findet sich ganz selten o in ton, stand,
vgl. Kauffmann § 97, 2. Bohnenberger s. 132—135. — Präpo-
sition und adverb sind durcheinander ^ü und zu geschrieben,
hier also hat der index keine lautliche bedeutung mehr.
Mhd. ou ist ou und o ohne unterschied, z. b. berauben und
beroben, gelouben und geloben, äugen und agen u.a., aber nur
0 vor m: bom, trom und in frowe und och = auch; vereinzelt
steht g^iaw (Kauffmann § 94. H. Fischer, Geogr. s. 40. Bohnen-
berger s. 122—128).
Der Umlaut von ou ist ö: fr Öde, erzögen, ögen, verströwet,
trömen.
Die schwäbische nasalierung findet statt in zweimaligem
sünfftzen gegen einmaliges süfßzen, s. Kauffmann § 134.
H. Fischer, Geogr. s. 56 f. und Germ. 36, 423. Alemannia 3, 296.
Synkope und apokope der schwach betonten e ist ganz
geläufig, erstere u. a. z. b. in gwel, gnatc, gbunden, gsind, .
Consonanten: die medien g und b bleiben; für b steht in
fremdwörtern anlautend auch p in panier, paner, perlin neben
berlin, pensei neben bensei, sonst nur etwa zweimal {plickte,
plödigkait). Oefter tritt auf anlautend t für d: tack (Kauff-
mann § 166, s. 219 unten), tachs, tiessen, getagcn, türres, tringen;
selten th: thün, thorhus, vnderthdnig (Kauffmann § 158 anm. 3);
mehrfach dt für mhd. d und t; bt znpt: blipt, lepten, gehapt u.a.;
mt zu mpt: zimpt, nempt u. a. Gutturaltenuis ist c oder t, nie eh.
Verdoppelung des m ist oft vereinfacht: tunier, verstumet.
w wird auslautend nicht zu 6: farw, und steht nach langem
vocal in blaw, graw\ im inlaut wechseln rw und rb, Iw und Ih.
Für qu erscheinen die i-formen erJcücken, kecklich neben queck
(vgl. Kauffmann § 156 anm.). sl, sm, sn, sw sind zu sohl u.s.w.
geworden, tw zu zw, g für j in blügender (vgl. Kauffmann
§ 180 s. 255), w als übergangslaut in füwr vor sonantischem r,
*) Vgl. auch magan zu man, megin zu mein 'kraft'.
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DAS MHD. GEDICHT VON 1>EB MINNEBUBO. 269
unterbleibt vor consonantischein r: dat. füre, adj. fürin^ fürig.
Wechsel zwischen h im inlaut und ch im auslaut ist eingehalten
in wäher — to&ch u.a., dagegen ist bei hoch die spirans auch
in den inlaut gedrungen: hocher, hochem u.s.w.; vorgesetzt ist
h in herfüchtj herwandelieren, hemütvet (vgl. Kauffmann § 158
anm. 1).
Zur flexion und Wortbildung: verbum: die zweite person
plur. endigt neben gewöhnlichem -et auf -ent, besonders im
imperativ; part. perf. einmal auf ot: geweyot (entstellt aus ge-
jnceyot, s. oben s. 267) : gefreyot Der conj. des verb. subst. hat
neben den gemeinmhd. formen si u. s. w. in der 1. 3. sg. sig,
2. sigst, pL ir sigent (vgl. Kauffmann § 182 s. 254 f.). In dem
einmaligen verlor, 3. sg. conj. praet., ist die ablautsstufe des ind.
sg. praet. eingedrungen. Der vocal in den seltenen sten, gen
— gewöhnlich stan, gan — ist aus der vorläge übernommen.
— Oefter begegnen die abstracten fem. auf -in: Uebin, gütin
(gen. dat. sg., vgl. Kauffmann § 114, § 116 und § 135 s. 164), und
-solche auf -ntt^; häufig ist dennocht, dannocfU (Weinhold, Alem.
gramm. s. 141), einmal steht gelemet = geUret.
Einige der angeführten mundartlichen eigentümlichkeiten
gehören speciell in das westliche Schwaben: die beibehaltung
der; alten i, ü, iu, wofür ostschwäbisch im 15. jh. ei, au, eu gilt
.(Kauffmann § 138. H. Fischer, Germ. 36, 423—426. Bohnenberger
s. 62 — 70); auch ei aus egi, wofür ostschwäbisch gern ai auftritt
(Bohnenberger s. 113). Noch einem bestimmter abgegrenzten
westlichen gebiet gehören ütv für iuw, sünffteen und ßenster an,
s. dazu die nachweise oben s. 267, s. 268 und s. 265, zu fienster
auch Kauffmann § 77 anm. 2.
d, hs. der fürstlich. Fürstenbergischen hofbibliothek zu
Donaueschingen no. 107, papier in 4», 15. jh. (1468), vgl. Barack
s. 102 — 104, enthält auf bl. 1» — 69b die Minneburg, und zwar
von zwei verschiedenen bänden geschrieben: d» von bl. la — 38a
(v.1905), db von bL38b (v.l906) bis 69b (schluss der Mbg.).
Die roten anfangsbuchstaben an den absätzen und meist auch
oben an den selten in db sind vom zweiten Schreiber kunst-
reich und gewant mit blattomamenten, köpfen und phantas-
tischen tiergestalten verziert. Auch die arabesken bl. 33 b und
34a in der partie des ersten Schreibers sind vom zweiten nach-
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270 EHRISiiANN
träglich hinzugezeichnet. Die hs. geliörte laut einer aufechrift
auf der ersten seite vom jähre 1688 (Mnrij S. Magnj Fiefsa'
1688) einst dem kloster S. Mang in Füssen, kam später an
Lassberg und aus dessen nachlass in den besitz der Donau-
eschinger hofbibliothek. Sie ist in den beiden bibliotheks-
katalogen, die von der einstigen bibliothek in St. Mang erhalten
sind, nämlich im Catalogus bibliothecae Sancti Magni de annis
1628—1686—1695 in der fürstlich Wallersteinschen bibliothek
zu Mayhingen und im Clm. 1387, nicht verzeichnet. In seinem
briefe an Uhland vom 16. august 1821 (Briefwechsel s. 23) be-
richtet Lassberg, dass er aus einer schweizerischen hs. der
Minneburg eine abschrift genommen habe. Es ist möglich, dass
diese * schweizerische' hs. eben diese jetzige Donaueschinger hs.
ist.') Ueber den verbleib der abschrift konnten mir die Ver-
waltung der fürstl. hofbibliothek sowie die tochter Lassbergs,
fräulein Hildegard von Lassberg in Mersburg, keine auskunft
geben.
Der dialekt der beiden teile d» und db ist ebenfalls schwä-
bisch, aber in nicht so einheitlicher Orthographie, auch nicht
phonetisch so genau widergegeben wie in w.
Zum vocalismus: a zu o vor n, besonders in on[e\ — Für
alle e und ebenso für e und m haben beide teile e, mit aus-
ausnahme von geschl. e > ö m kölscher, wollen, schöpffer,
öpffel, löschen und etwa einem dutzend ä bez. « für « in d^;
dazu leowe, leuwe für lewe in da. — i wird zu ü unter den
nämlichen bedingungen wie in w, aber nur etwa in der hälfte
der fälle; zu e in hrenge (da), vgl. Kauffmann § 75. Bohnen-
berger s. 58. In der Verwendung von y für i verfolgt da ähn-
liche grundsätze wie w, daneben tritt ie auf in diese,^) db da-
gegen braucht y fast nur in synn und mynne, wofür auf den
letzten blättern jedoch wider i regel wird. — Der unterschied
1) S. unten s. 274.
>) dieser erscheint in hss., bes. mittelfränk., auffallend häufig mit ie,
auch in solchen die sonst nicht ie für i brauchen (s. auch oben 8.262).
Dies kann einen lautlichen grnnd haben : ie kann auf *the zu thie, die stark-
tonige form des pron. demonstr., zurückgehen, wonach dieser in beiden com-
positionsteilen flectiert ist ; vgl. Isidor dheasa (Braune, Ahd. gramm. § 288
anm. 3e. Höfer, Germ. 15, 71). Auf dieselbe weise ist wol das in der Jolande
erscheinende dyser (John Meier s. xxviii) zu erklären, indem y hier für ie
stehen kann.
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DAS MHD. GEDICHT VON DEB MINNEBUBG. 271
von mhd. ei > ai und egi > ei ist durchgeführt. — Der Um-
laut von ou ist in da ö, öu, eu, in db nur ö, — ie ist ie, e in
neman (vgl. Kauffmann § 96, 2. Bohnenberger s. 114 f. Wein-
hold, Alem. gramm. § 37, e). — Indices über vocalen sind in d^
im übermass gesetzt, abgesehen von allen umgelauteten vocalen
massenhaft beliebig auf andern. Dieses verfahren zeigt so recht,
dass diese zeichen keineswegs immer einen umlaut bedeuten,
sondern oft nur eben die vocalische natur des betr. buchstabens
hervorheben sollen. — Nasaliert sind sünftzen und siinst (db).
— Schwund des schwachen e ist häufig.
Zum consonantismus: für anlautende h und d finden sich
mehrfach 2> und t {tack etc.), für t th in th&n\ femer begegnen
queck und kecklich (da), erquicken und erkücken (d^) neben
einander; prothetisches h erscheint wie in w (s. oben s. 269);
w zu n in Aam (da), vgl. Kauffmann § 189, 4; gäischlich für
geistlich (db), vgl. Kauffmann § 153 anm. 2.
Zur flexion und Wortbildung: -ent lautet die flexion der
2. plur. imp., selten -en; der conj. sig für s% ist häufig; über-
einstimmend mit w kommt einmal verlor (3. conj. praet.) vor
(da), ebenso d^mnochty dennocht (da und db), gelernet = geler et
(db); die abstracta auf -in (auch -t) begegnen nur in da, die
auf -nups, -nüfz in beiden teilen. Von dem schwäbischen typus
weicht nur eine form gänzlich ab, das in da etwa siebenmal
erscheinende sal für sol. Die form ist ganz unschwäbisch und
beruht auf einer nicht mehr zu ergründenden laune des Schreibers
von da.
In den beiden teilen da und db sind nicht genau die gleichen
Schreibgebräuche befolgt, die Verschiedenheiten sind aber nicht
mundartliche, sondern nur orthographische. Jedenfalls liegt
beiden ein und dieselbe vorläge zu gründe, wie sich auch aus
der beobachtung des textes ergibt, da und db gelten deshalb
als eine hs., d.
h, die Heidelberger papierhs. Cod. pal. germ. 385, 15. jh.,
beschrieben von Bartsch no. 208. Der in den sich nur in dieser
hs. befindenden eingangsversen (s. Bartsch a. a. o.) als Verfasser
genannte Maisier Nectanerus stammt aus dem Inhalt des ge-
dichts. Eine abschritt von h, gefertigt von dem pfälzischen
pfarrer und historiker J. Q. Lehmann im jähre 1847 (vgl. Germ.
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272 EHRISMANN
22, 120) befindet sich jetzt in der kaiserl. universitäts- und
landesbibliothek zu Strassburg.
Die mundart in h ist schwäbisch, jedoch einige in w und d
bemerkenswerte kennzeichen fallen hier weg oder treten noch
mehr zurück als in d, wogegen andere aber weniger ausgeprägte
neue erscheinen. Der Schreiber von h zeigt das bestreben,
sich mehr der allgemeinen geschäftssprache anzupassen, wäh-
rend w in der starken betonung mundartlicher eigenheiten
einen sonderstaatlichen Charakter trägt. Auch dem alter nach
ist h wol einige Jahrzehnte von w getrennt und gegen das
ende des 15. jh.'s in die zeit der drucke Steinhöwels und Niclas'
von Wyle zu setzen.
Vocalismus: ä wird o vor nasal, immer in on[e].
Für die «-laute werden drei zeichen verwendet, e, e und ä,
und zwar werden im grossen und ganzen damit die geschlossenen
und offenen laute unterschieden: e steht für altes e, altem um-
laut (wofür auch ö: löschen, schöpf er etc.) und e; e für altes e
besonders vor r und l (kern, her, mel, heln) und für ce; ä für
den Jüngern umlaut (täglich, schäntlich, schnäbeln, gefängnus)
und ebenfalls für as. Natürlich ist dieses etwas verwickelte
System nicht ganz pünktlich durchgeführt.
Die rundung des i zu ü ist noch seltener als in d {zwü-
schen, süben, würde sb.). Im Wechsel zwischen i und y sind
die oben gegebenen regeln zwar nicht streng eingehalten, aber
grösstenteils noch sichtbar; ausserdem steht ie in dieser, wieder,
friede, wiessen u.a.
u bezeichnet das lange w; für w, ü, tu, uo, üe steht ü (im
anlaut v\ für uo auch ä; aber immer du, vnd] meist jgu, aber
mr, mm. — Vor doppeltem nasal und vor nasal + cons. wird
u zu 0, meist ö geschrieben, wie denn das umlautszeichen mehr-
fach auch über nicht umgelauteten o und 6 steht und andrer-
seits bei umgelauteten ö, ce fehlt: sönnder, wönnder, wönnde,
sonne, wönne, wönsch, kömmer; w > ö in konig, konigin,
ü ist 0 in körn, vor nasal, vgl. Kauffmann § 82, 2. Bohnen-
berger s. 91—96.0
^) küme nimmt auch sonst in hss. eine Sonderstellung ein: ü ist oft
anch in solchen hss. diphthongiert, die sonst meist ü bewahren, alemannisch
z. b. in der Bemer hs. der von Bachmann und Singer herausgegebenen Volks-
bücher (Lit. ver. 185) a. lxxxv koum oft, und versoumpi, versowmbnufe.
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DAS HHD. GEDICHT VON DEB HINNBBUBO. 273
Beide ei, das ursprüngliche und das aus egi entstandene,
sind ai, nur unt^r schwacher betonung tritt ei ein, daher gein,
einander, wie im bair. hochtonigem ain gegenüber schwach-
toniges ein (Bartsch, Germ. 24, 198 1).
Mhd. ie ist nur in ich ging durch i widergegeben.
Mhd. ou ist ou, aber bom; öu ist ö. Bemerkenswert ist
schün ( : sun) für schön ( : san). >)
raumpt; s. auch Bosenhagen, Untersnchnngen über Daniel vom blühenden
tal B. 3. Im bairischen ist um nnter den frühest diphthongierten lautverbin-
dnngen am stärksten vertreten, vgl. Weinhold, Bair. gramm. §100. Im
heutigen schwäbischen ist ü vor nasal zu äö geworden, sonst zu 9u (Eauff-
mann § 82,2). S. auch Toischer, ülr. v. Eschenbach, Alexander s. xix (kam[e])
und oben 8.258.
1) Im schwäbischen tritt manchmal vor nasal u für o ein, s. Bohnen-
berger 8. 75. L. Voss, Ueber Friedrich von Schwaben (dissertation, Münster
1895) s. 6 {schün, lün, dün, krün; tl soll hier vermutlich ou widergeben,
vgl. Kauifmann § 80 anm. 1). Aber gerade für schön adv. ist schün öfter
zu belegen, so in der Wiener prosaischen Minneburg (s. unten s. 275), in dem
derselben hs. angehörenden gedieht von Friedrich von Schwaben (s. Voss
a.a.O.), bei dem von H. Hofmann herausgegebenen ^Nachahmer Hermanns
von Sachsenheim ^ v. 541 und 1159 (im reim auf thün). Dazu erscheint als
adjectiv schüen bez. schiefi bei dem letztem (superl. schienst : dienst v. 305),
bei Bolmenberger s. 84. Anz. fda. 5, 224 und in vielen beispielen bei Michels,
Studien über die ältesten deutschen fastnachtsspiele s. 1 1 5 f. Besonders lehr-
reich für die formen schüen adj. — schuon adv. ist die Schreibung in dem
gedieht von der sultanstochter im blumengarten , das Bolte in der Zs. fda.
34, 18 ff. aus einer hs. des frauenklosters Inzigkofen bei Sigmaringen heraus-
gegeben hat. Hier werden die umgelanteten vocale von den unumgelauteten
durch index pünktlich geschieden: mhd. u ist durch u widergegeben, mhd.
ü, iu, üe durch u, femer mhd. uo durch ü. Nun haben das a^j. und das
abstracte fem. subst. immer u, niemals ü, d. h. schün (siebenmal), schüni
(isweimal) ; das adverb dagegen viermal ü, schün, die daneben dreimal vor-
kommenden schün können nicht auffallen, da a^j. und adv. nicht mehr streng
getrennt gehalten wurden. — Es fragt sich, ob schüen — schuon nur mund-
artliche entwicklungen von schcen — scfiön sind oder etymologisch davon
verschiedene formen. Michels hat das letztere angenommen. Und wol mit
recht. Denn schüen — schumx haben ein weites Verbreitungsgebiet, auch
über mundarten die sich feme stehen. Auch würden als reime beim Nach-
ahmer Sachsenheims angesetzt werden müssen die streng dialektischen
«c/*5 : ti oder schäd : täö, schenst : denst oder schälst : däest, die über die.
sonstige Zulassung der mundart bei ihm doch hinaus giengen, statt schuon :
tuon, schüenst : dienst. — Etymologisch stünden dann schüen — schuon zu
schäme — schöne in demselben ablau ts Verhältnis wie guome zu youme, ge-
mäss Michels erklärung.
Beitrftge snr geiohloht« der deutachen apraoho. XXII. 18
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274 EHRISMANK
Nasaliert sind günst = giuj^ und sümt
Synkope und apokope des schwachen e sind in h viel sel-
tener als in w und d, vielmehr wird umgekehrt sehr häufig
am wortende ein etymologisch überflüssiges e zugefügt, z. b.
der Sturme, den munde, ich vande, tvarde u.s.w.
Zum consonantismus: neben d kommen anlautend, wie in
w und d, einige t vor; für h ist p sehr häufig {plüme, plüt,
pringen); qu nicht k in erquicken (kecklich fehlt in der hs.);
h statt j in wehe (mhd. wceje); prothet. h in herfücht, hertvan-
delieren; twznaw; sl u.s.w. zu schl u.s.w.
Zur flexion und Wortbildung: 1. sg. ind. praes. geht oft auf
-ew aus, besonders im hiatus, sagen ich, ich wirden ouch\ die
endung -ent ist in allen zweiten personen des plurals neben
-en sehr häufig und findet sich auch in den ersten; das gerun-
divum hat als flexion -ende, die conjunctivform sig{e) ist selten.
— Wie in w und d finden sich die abstracta auf -in (auch -i),
liehi, güttin, und auf -nüß{e), und dannocht, dennocht Ausser-
dem sind anzumerken yena, nyena, swürnot.
Die für h gegenüber w und d charakteristischen mund-
artlichen bez. orthographischen erscheinungen sind: uixlo vor
nasal, egi zu a?', anfügung eines überflüssigen e, anlautend p
für h, Lsg. praes. ind. auf -en, -ent in allen zweiten personen
des plurals und auch in der ersten person. Sie kommen alle
auch sonst im schwäbischen vor: o für n vor nasal ist echt
schwäbisch, vgl. Kauffmann § 81, 3. H. Fischer, Geogr. s. 28.
Bohnenberger s. 87— 91; ai für egi s. bei Bohnenberger s. 110
— 113 und s. 106; die überflüssigen e sind aus den gleichzeitigen
schwäbischen Schriften reichlich zu belegen, vgl. Eauffmann
§ 122 anm. 2. Nohl, Sprache des Niclaus von Wyle s. 65—71;
I? für ft besonders bei Steinhöwel, s. Weinhold, Alem. gramm.
s. 114. Karg, Die spräche H. Steinhöwels s. 23; die besprochenen
Verbalendungen auf -en und -ent bei N. v. Wyle (Nohl s. 73),
bei Steinhöwel (Karg s. 38).
Die drei schwäbischen hss. w, d, h stimmen in sehr vielen
einzelnen auffallend mundartlichen Schreibungen so buchstäb-
lich genau überein, dass an einer gemeinsamen schwäbischen
vorläge (über ostfränkische spuren s. unten s. 278) kein zweifei
sein kann. Dass sie auf ein und dieselbe quelle zurückgehen,.
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DAS miD. GEDICHT VON DER MINNBBÜBG. 275
wird durch das Verhältnis der Varianten bestätigt (s. s. 277).
w hat die ursprüngliche mundartliche färbung am besten be-
wahrt, d hat etwas mehr davon abgestreift, h hat sich einem
neuen princip zugewendet ohne da« alte ganz zu verwischen.
In dem oben s. 270 angeführten briefe bemerkt Lassberg,
dass Conz in Tübingen eine hs. der Minneburg besitze. In
der tat bespricht Conz in seinen Kleineren prosaischen Schriften
2, 807 und 327 das gedieht in einer weise, aus der hervorgeht,
dass ihm eine hs. muss vorgelegen haben (in der ersten fassung
jenes aufsatzes in seinen Beiträgen für Philosophie s. 82 — 131
fehlen die beziehungen auf die Minneburg). Leider ist es mir
trotz gütiger bemühungen des herm dr. Bohnenberger in Tü-
bingen nicht gelungen den gegenwärtigen aufbewahrungsort
dieser hs. zu erfahren. In der Universitätbibliothek zu Tübingen
und in der öffentlichen bibliothek zu Stuttgart sowie in der
kgl. hofbibliothek daselbst befindet sie sich nicht, auch konnte
mir herr stadtpfarrer Conz in Canstatt, ein nachkomme des
Tübinger professors, keine auskunft über sie geben.
Ausser der gereimten Minneburg existiert noch eine Um-
arbeitung in prosa. Diese ist überliefert in der papierhs.
der k. k. hofbibliothek zu Wien no. 2984, 15. jh. (1463), auf
bl. 246 a— 273 b, vgl. Hofmanns Verzeichnis no.LXXXIX. Tab.
codd. mss. 2, 168. Toischer, Aristotilis heimlichkeit s. 1. L. Voss,
Friedr. v. Schwaben (s. oben s.273) s. 6.
Auch diese hs. ist im schwäbischen dialekt abgefasst, und
zwar tritt das mundartliche element stark hervor, z. b. sehr
häufige au und ä für ä, seltner o vor nasal für ä, geschlossenes
e zu ö (stärker, hörtt, hör *heer', kräftig u.s.w.), i zu ie vor r
(stiern, unert, gegenwiertigen, h'iers; vgl. Kauffmann § 75 anm. 1.
H. Fischer, Geogr. s. 27. Bohnenberger s. 58—62), iznü (würd,
suben, vermuschen), öu zu d (fröd etc.), w zu o vor nasal, ent-
rundung von o zae (besen), üe zu ie (griener), eu zu ai (fraind),
nasalierung in mnfftzen, erhaltene schwere flexions- und ab-
leitungssilben wie superl. edlost, sterkost, part. perf. gelemof,
conj. praet. romtin, wöltist, adverb hinncm, abstracta auf -in
(hertm, lyebin, hcechin), das echt schwäbische niemen =^ nemcn
(Kauffmann § 70 b. Bohnenberger s.41 — 47), houch, troust (Kauff-
mann § 80 anm. 1. Bohnenberger s. 75), scMn = schön (s. oben
18*
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276 EHRISMANN
s. 273); m zu n in hain = heim (s. oben s. 271), cÄ für A (secken,
fliedien, Stachel, Kauffmann § 158 anm. 2), st für seht in erhist,
gewonst (Kauffmann § 153 anm. 2). Erwähnt sei noch die syn-
taktische Umschreibung des praeteritums das kind tmd sein
aniy . . . dätten sich fröwen.
2. Das handsohriftenverhältnis.
Die hss. des gedichtes veiteilen sich zunächst auf zwei
Massen, A und B, die sich im wesentlichen durch die abwei-
chende behandlung des eingangs und des Schlusses und, damit
zusammenhängend, durch ihren umfang unterscheiden; das
mittlere stück stimmt in beiden überein. Die auf diese weise
sich ergebenden je drei teile, Ai An Am und Bi Bn Bm,
verhalten sich folgendermassen zu einander: der eingang ist in
A (Ai — V. 1—80) gänzlich verschieden von dem in B (Bi =
V. 1—180 B); darauf folgt der beiden gemeinsame hauptteil
(An = Bn); der widerum sondergebildete schluss ist in B
(Bm = 3319—3628 B) bedeutend kürzer als in A (Am =
V. 3119 — 5488). Dabei sind jedoch gewisse stellen im eingangs-
und Schlussteil bei A und B inhaltlich gleich und nur in der
sprachlichen fassung verschieden; es sind dies die verse 1 — 80
sowie 3119—3172 und 3605—3825 in der Zählung von A.
A zählt in der vor dem schluss abgebrochenen hs. P schon
5488, B nur 3628 verse. Vorausbemerkt sei, dass, wie sich
erst aus der beobachtung der reime ergibt (s. unten), A das
ursprüngliche gedieht darstellt und dass die in B abweichen-
den eingangs- und Schlussstücke (Bi und Bm) erst änderungen
eines späteren bearbeiters sind.
A ist vertreten durch die hs. P und die bruchstücke d,
wozu wahrscheinlich noch das bruchstück 1 kommt.
P gibt einen lesbareren text als jede andere hs., die zwei
blätter von d ausgenommen, ist jedoch von flüchtigkeiten nicht
freL Solche sind einige male vom Schreiber selbst gebessert.
Ausserdem aber hat eine spätere band mit blasser tinte zahl-
reiche correcturen angebracht, und zwar meistens unter bei-
ziehung einer auf x (= wdh) zurückgehenden hs., denn
mehrere änderungen stimmen mit sonderlesarten jener schwä-
bischen gruppe überein. Die zur richtigstellung benutzte hs.
war eine andere als die uns erhaltenen hss. wdh.
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DAS MHD. GEDICHT VOK DER MINNEBURG. 277
Dass d, welches die verse 2860—2931 und 3075—3147 um-
fasst, zu A gehört, beweist der umstand, dass die letzten 29
in jenen Schlussteil, wo A und B auseinander gehen, fallenden
verse (3117 — 3147) den text von P bieten. Im Wortlaut stimmt
d mit P fast durchweg überein; wo beide verschieden sind, hat
in der mehrzahl der fälle ö die ursprünglichere lesart, wie sich
durch vergleichung mit B ergibt. Es erhellt aus der beiziehung
von d, dass P, was für die beurteilung ihres textkritischen
wertes von Wichtigkeit ist, in einzelf allen vielfach von dem
grundtext abweicht.
Die Stellung von 1, das die verse 2399—2664, mit aus-
lassung von 2403 f., 2465 f. und 2597—2616, aufweist, lässt sich
gleich durch die ersten verse 2399 — 2402 näher bestimmen:
diese fallen in eine lücke der B-hss., 1 zweigt also jedenfalls
nicht von ex ab, auch die abweichungen im Wortlaut, die für
ex bezeichnend sind, teilt 1 nicht. 1 stimmt in weitaus den
meisten fällen mit P, kein einziger spricht dafür, dass 1 mit B
eine gemeinsame vorläge hatte; man wird daher nicht fehl
gehen, wenn man dieses bruchstück, obgleich bei seinem ge-
ringen umfang eine Übereinstimmung mit fehlem von P nicht
nachgewiesen werden kann, dem grösseren gedichte A zuteilt.
— Der text von 1 ist sehr entstellt und manchmal ganz un-
verständlich, kann aber doch zur herstellung einiger kleinig-
keiten mit nutzen verwendet werden.
Die übrigen hss., e w d h, gehören zu der kürzeren fas-
sung, B. w d h weichen im mittelteil (Bn) an sehr vielen
stellen, worunter zahlreiche gemeinsame fehler, in gleicher
weise von e und An ab, desgleichen im anfangs- und endstück
(Bi und Bni) von e, so dass eine gemeinsame vorläge der drei
hss., X, leicht ersichtlich ist. Eine solche hat sich schon durch
die übereinstimmende Orthographie in den dialektformen (s. oben
S.274) als wahrscheinlich erwiesen, x war, jenen zufolge, in
schwäbischer mundart abgefasst. Innerhalb der gruppe x kom-
men w und d (da und d^ sind ihrer vorläge gleichmässig genau
gefolgt, gelten also auch in ihrem textkritischen werte als ein-
heit) dem texte Alle am nächsten, sind auch in bezug auf
die widergabe desselben ziemlich gleichwertig, während h unter
allen hss. ausser 1 von dem original am meisten abweicht.
Unter sich stimmen je zwei dieser hss. mehrfach, jedoch nicht
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278 EHBISMANN
häufig, gegenüber der dritten in fehlem überein, am meisten
noch w und d. Da aber in diesen fällen die sehr frei ver-
fahrende hs. h durch eigene änderung ursprüngliches wider-
hergestellt haben konnte, so ist daraus auf ein näheres zu-
sammengehen von w und d nicht zu schliessen. Für die
herstellung des grundtextes ist eine entscheidung darüber
auch nicht von Wichtigkeit, da h dazu entbehrlich ist. —
X war eine sehr willkürlich ändernde hs.
Viel geringer sind die besonderheiten von c. Die gemein-
same vorläge von c und x war im Wortlaute von An nicht
erheblich verschieden. Am meisten treten auslassungen von
kleineren und grösseren stellen hervor: es fehlen in ex die verse
135 f. 247—343. 405 f. 1711 f. 2218. 2391—2402, die für den
Zusammenhang meist unentbehrlich sind. Sinnstörend um-
gestellt sind, mit änderung einzelner verse, v. 1974 — 2018
hinter 1672.
Die beschaffenheit jener gemeinsamen vorläge lässt sich
auf folgendem wege näher ergründen: es ist oben (s. 264) ge-
zeigt worden, dass der eingang und der schluss von c (ci und
cm) formen enthalten, die einer andern mundart angehören
als der mittlere, der hauptteil (cii). Diese wenigen merkmale
lassen eine sichere heimatsbestimmung nicht zu, weisen aber
auf das schwäbische oder südrheinfränkische. Da nun aber
keine ausgeprägt schwäbischen kennzeichen in jenen teilen
vorkommen und da ferner, wie sich aus den reimen ergibt
(s. unten), der ui*sprüngliche Verfasser jener stücke (Bi und
Bin) im südlichen Eheinfranken zu hause war, so ist anzu-
nehmen, dass jene mundartlichen besonderheiten in ci und cm
Überbleibsel des südrheinf ränkischen Originals Bi Bm sind
(in X, das seinen schwäbischen dialekt streng durchfülirte,
sind sie grösstenteils getilgt worden, ball und gesinn sind,
weil im reime stehend, erhalten geblieben). Daraus lässt sich
nun ferner die Zusammensetzung der vorläge von ex erkennen;
das mittlere stück, das in c keine rheinfränkischen Sonder-
heiten enthält (selbstverständlich auch nicht in x), wol aber
ostfränkische (Infinitive ohne -», sowol in c als in x, allerdings
nur ganz vereinzelt), ist gar nicht durch die feder des süd-
rheinf ränkischen beai^beiters von Bi Bm gegangen, sondern
unmittelbar aus einer ostfränkischen vorläge herübergenommen
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DAS MHD. GJSDICHT VON DER MINNEBÜRG. 279
worden, anfang und ende, die er in seiner heimischen mundart,
dem sfidrheinfränkischen, neu hinzu dichtete, sind von ihm ein-
fach jenem ostfränkischen mittelteile vor- bez. zugesetzt worden.
— Ist nun zwischen ex und B ein mittelglied anzusetzen?
Kaum. Ein solches würde, in welcher landschaft es auch ent-
standen sein mochte, in c jedenfalls mundartliche spuren hinter-
lassen haben, auch würden bei dem durchgehen durch eine
Zwischenhandschrift die in ci cm sich noch findenden südrhein-
fränkischen eigenheiten mehr verwischt worden sein. Aus dem
Wortlaut des textes lässt sich für diese frage nichts gewinnen,
da dieser schon in seiner ursprünglichen anläge ganz verworren
und oft unverständlich war, wie aus den sicheren bestand-
teilen, den reimen erhellt. Mit dem gänzlichen mangel des
bearbeiters an schriftstellerischer begabung lässt es sich auch
vereinigen, dass er solche Störungen des Zusammenhangs, wie
sie durch die s. 278 angeführten auslassungen entstanden, ohiie
anstand bestehen liess.
Das so festgestellte Verhältnis der hss. des gedichts lässt
sich in folgendem Schema veranschaulichen:
Ai Am An
I \
A Bn Bi Bm
I' , \
P rf 1
1
X
w d h
Der prosa liegt das kürzere gedieht B zu gründe, der
eingangs- und Schlussteil sind in der hauptsache aus B über-
tragen. Jedoch ist in einzelheiten des Wortlauts für die ab-
schnitte wo B denselben Inhalt hat wie A, nur in anderer
sprachlicher darstellung, beide male eine hs. von A beigezogen.
So sind innerhalb des eingangs mitten unter den B-versen die
verse 73 — 78 aus A verwendet. Besondere eigenartig zeigt
sich die benutzung von A im schluss. Hier gehen die lesarten
von A und B so durcheinander, dass ersichtlich der prosa-
bearbeiter je eine hs. von A und B vor sich hatte und die
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280
EHRISMANN
Worte bald aus der einen bald aus der andern nach belieben
auswählte.') Z. b.:
Prosa bl. 268a.
vnd täding selbs mit der frowen das geschach, myfie überwand wes ei
yrrett vnd gebar jn der bürg ain kind dz wider myüe hieffz recht
als si gebom ward Sy ward herr jn der bürg vnd da ward fröde sunder
zal in der bürg me daii kain band geschriben ktinde.
A (=.P) V. 3146— 3161.
vnd teyding selber mit der
frawen
die mynne die volgt dem rat
nach
vnd tet ez gern vnd geschach
was mynne da irret daz vber
want
sie vnd gebar auch allzuhant
in der bürg ein edel kint
däz waz zum mol gesiebtes blint
B V. 3140—3151 (nach w).
vnd haimlich selb zu tAding ste
da by erkenn die burgfrow
die minn vnd iren flyfz anschow
das geschach die minn bezwang
mit rechter güit dar nach sie rang
vnd gebar in der bürg ain
kind
vnd hiez auch wider mynne
daz kint jn rechtem synne
wart gebom in sulher art
als mynne vor gebom wart
daz ir gehört habt hie vor
minne wurden do die burgtor
vif geslofzen vber al
do hübe sich freude ane zal
mer dann geschriben mag kein
haut.
das was so gar des Wunsches find
vnd ward die wider minn genant
als sie geboren was erkant
sie ward da in der bürg der
her
in aller fr6d nach Wunsches ger
me dann volsprechen kan kain mund.
Ferner: prosa bl. 269»
Die bürg ward von aiuera grossen hör beräutt Die fraisslichen stürmten
vnd fchussen vnd wurffen. vor irem stürmen künd sy nit besten Ir
geschoflz was scharpff vnd brautt die jngestüle von zipperes von ge-
stain jn der bürg jr bleyden frevsslich brachen ärker türu vud
mänig starck gewelb Alles jr stürmen was zobell töttlich färb dz veld
gar beströwett ward mit rotten für in zungen.
A (=P) V. 3630— 3650.
daz die burk vil vefte
wart vö eim grofzen her be-
rant
die freislich stürmte allzuhant
vor irem stürme kund niht be-
sten
sie wurden vast hin zu gen
der slug der schoz yener warf
ir geschoz waz also scharf
daz ez die edeln gestul verbrant
die an der bürge waren bekant
die waren also hübsch vnd kurk
^) Es ist dies ein sicheres beispiel für eine sonst im mhd. ungebräuch-
liche arbeitsmethode, vgl. Paul, Beitr. 1, 309. Steinmeyer, Gott. gel. anz.
1887, 780 if. StOBch, Anz. fda. 19, 302 anm. £. Kettner, Zs. fdph. 23, 20&.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG. 281
als yene dort zu mynnenburk wann daz must alles samt entzwey
die ich vor genennet han ir stnrm waz mit grofzem geschreye
daz gestnl zum mol yerbran ir banir yelt yil garbe
tum vnd erker mnsten lyden waz von zobel tötlich varbe
lytlich gebrechen von den plyden darin waz vil gedrungen
rotter vintlicher zungen.
B V. 3190—3201 (nach w).
ain grosses her die bürg beranten gestül von Ciprefz vnd gestain
stürmen werffen schiessen blyden gewelb ercker dum
geschach da vnuerdriessen brachen von des Sturmes zum
das sie deshalb nit wol bestilnden der was fraislich tätlich zobel
geschoÜE das scharpfF tett sie wunden das veld durch ain ander strobel
das in der bürg blaib gantz dekain was beströwet mit fürin zungen.
Die hs. welche der prosa für den mittleren teil, wo A
und B zusammengehen, vorlag, hatte die einzelabweichungen
von X sowie mehrere c und x gemeinsame fehler nicht, ebenso
nicht einige fehler von P. — Der text der Wiener prosahs.
ist sehr entstellt (er scheint aus einer schwer lesbaren vor-
läge flüchtig abgeschrieben), im ausgang oft ganz. sinnlos;
offenbar hatte schon der prosaumarbeiter das confuse mach-
werk von B gar nicht verstanden.
Unter solchen handschriftlichen Verhältnissen lässt sich
der ursprüngliche text der Miimeburg annähernd richtig nur
im mittleren teile herstellen (An = Bn). Für Ai und Am
liegt nur die vielfach ändernde, aber doch einen verständlichen
text bietende hs. P vor. Bei der kritischen herstellung der
in B umgeänderten partien Bi und Bm fehlt alle Sicherheit,
da der Verfasser selbst keinen lesbaren text zu stände ge-
bracht hat.
II.
Metrik. Sprache des Originals.
Die Minneburg ist in der für die erzählenden und lehr-
haften gedichte meist gebrauchten form der paarweise gereimten
verse von vier hebungen abgefasst.
1. Rhythmus.
Hebung und Senkung. Es herscht das princip der regel-
mässigen abwechslung zwischen hebung und Senkung. Die
Minneburg gehört also in bezug auf die rhythmische gliederung
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282 EHRISMANN
ZU der zweiten der von Paul, Grundr. 2, 945 unter den gedichten
des späteren mittelalters unterschiedenen gruppen. Die zwei-
silbigkeit der füsse ist jedoch nicht streng durchgeführt. Nicht
selten fehlt eine Senkung, am häufigsten zwischen der vorletzten
und letzten hebung, sowol in ein und demselben worte bei
starkem nebenton der zweiten silbe, wie oügstetn, ßurstetn,
ürsprinc, herberg(e), winbräw{e), drmüot, gefenkmss(e), helbünc,
klüochett, wisheM, hilUch, ddnnbck, verellendet u. a., als bei zwei
Wörtern: stein bran, bürc Ug(e), heim gan, in die burc gan, Uep
hete, we im u. a. Dem gegenüber finden sich öfter auch schwere
Senkungsfüllungen, z.b. er künde kriechisch er künd(e) kaMeisch
(v. 468), oder von der fünf sinne kceren (v. 650), wirklich
Wirkung des willen (v. 631) u.a.
In der behandlung der schwachen e folgt der dichter je
nach bedarf entweder seiner mundart oder der seit dem 13. jh.
überlieferten fortdauernden literatursprache, denn er gebraucht
sowol die syn- bez. apokopierten formen (wie die reime
zeigen), .als auch die nicht gekürzten, was daraus hervorgeht,
dass dieselben schwachen e Senkungen zweisilbiger füsse und
klingende ausgänge dreihebiger verse bilden können. 0
Die quantität der Stammsilbe kommt dabei nicht mehr in
betracht. In dieser doppelten behandlung der schwachen e
stimmt die Minneburg zu dem allgemein üblichen gebrauche
derjenigen gedichte des 14. 15. jh.'s welche den syn- bez. apo-
kopierenden mundarten angehören. Jedoch ist nicht in jedem
einzelnen fall die entscheidung möglich, wie sich der dichter
denselben gedacht hat. Da indess im princip einsilbigkeit der
Senkung gilt, so wird tilgung des schwachen e da vom dichter
gemeint sein, wo durch sie dreisilbige füsse auf zweisilbige
zurückgeführt werden können.
Das zusammengehen von logischer und rhythmischer be-
tonung ist öfter gestört. Verletzung des natürlichen satztons
liegt vor an stellen die zum teil unter den begriff der schwe-
*) Diese zwiefache Verwendung von Wörtern mit schwachem e in der
schlasssilbe, je nach bedürfnis für klingenden oder stumpfen reim, begegnet
schon in der zweiten hälfte des 13. jh/s, besonders bei den schwierigeren
strophenbildnngen wie z. b. im Lohengrin (Rückert s. 270 f.). Aus dem Lor-
engel (Zu. fda. 15, 180 ff.) sei ein auffallendes beispiel erwähnt: in Strophe 22
(s. 185) reimt er auf her, in der darauf folgenden Strophe ire auf Ure.
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DAS MHD. GEDICHT VON DEU MINNBBURO. 283
benden betonung fallen, z. b.: sag(e) ich dir ddz so hetrüg{c)
ick dich (v. 782), swaz er mir sdgt{e) solide) ich daz sagen
(v. 451), der vor dem tag üf hrichet und so diu sünn{e) üf
Stichel (v. 1943 f.) u.a.
In der setzung des auftakts bestehen keine regeln; die
auftaktlosen verse bilden jedoch die minderheit, etwa ein achtel
der gesammtzahl. Zweisilbiger auftakt ist nicht selten.
Dass der hiatus nicht vermieden wird, beweisen verse wie
under dem dache ouch durchfrischet (v. 212), denn wollte man
in solchen fällen elision des e vorziehen, so würden übermässig
viele einsilbige füsse entstehen, was dem Charakter der rhyth-
mischen gliederung des gedichtes widei^spräche.
Versausgang. Bei stumpfem ausgang haben die verse
regelrecht vier hebungen, nur ganz vereinzelt begegnen drei-
hebige. Die klingenden reime von den stumpfen zu scheiden
ist sehr oft nicht möglich, da die ersteren durch apokope oder
Synkope des schwachen e als stumpfe gelten können. Jedoch
können unter folgenden zwei gründen sicher klingende aus-
gänge festgestellt werden: einmal sind als klingend endigend
aUe diejenigen verse aufzufassen, welche durch tilgung des
schwachen e zu stumpf endigenden mit nur drei hebungen
würden, da der dichter dreihebige verse mit stumpfem reim
meidet. Und zweitens bilden die zweisilbigen Wörter mit
langer paenultima und -el, -em, -en, -er in der ableitungs-
bez. flexionssilbe wie wandel, wunden, guoter jedenfalls klingende
reime, wie in der mhd. blütezeit. Abgesehen davon, dass solche
Wörter physiologisch nicht als einsilbig gelten können (Paul,
Beitr. 8, 188), lässt sich aus der metrik des 14. 15. jh.'s. selbst
der beweis führen, dass sie als zweisilbig anerkannt und die
sie enthaltenden verse als klingend angesehen wurden: Suchen-
wirt gebraucht sie nie in vierhebigen versen, die bei ihm immer
stumpfen ausgang haben, sondern nur in dreihebigen, stets
klingend endigenden, während er als stumpf auch solche zwei-
silbige Wörter mit langer paenultima verwendet, deren letzte
Silbe auf e oder mit bestimmten einschränkungen (vgl. Kober-
stein, Ueber die spräche P. Suchenwirts s. 55) auf e + geräusch-
laut ausgeht. *Der meide kränz' von Heinrich von Mügeln
hat nur stumpfe reime, und darunter keine von der metrischen
form *länge + -el, -em, -en, -er' (Benedict, Die metrik in H.'s v.
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284 BHBISMANN
Mügeln 'Der meide cranz' s. 9 f). Hermann von Sachsenheim
hat in den 3040 reimpaaren seiner nur stumpf gereimten Mönn
nur sechs solcher Wortpaare (Martin s. 39), keine in Jesus der
arzt (die consonantverbindung r + \e\n gilt naturgemäss als
einsilbig: jarn : warn^ ern : kern : sem, vgl. Martin a.a. o. Wil-
manns, Walther ^ s. 26 und 47 und Beiträge zur geschichte der
älteren deutschen lit. 4, 96 ff. Paul, Beitr. 9, 118), der ebenfalls
nur stumpf reimende 'nachahmer' Sachsenheims hat keine.
Selbst noch bei den meistersingern waren 'gezwungene reime'
wie betragn : sagn verpönt, diese 'sind mit gewalt aus klingen-
den zu stumpfen gemacht', ebenso die 'schnurrenden reime'
mit kürzungen wie feur für feuer (s. Plate, Strassburger Stu-
dien 3, 216). lieber häufigere Verblendung von Wörtern des
angeführten masses als stumpfe reime im jüngeren Sigenot s.
Steinmeyer, Altd. Studien s. 85; bei Ulrich Fürtrer s. Hamburger,
Untersuchungen über Ulr. Fürtrers dichtung von dem Gral s. 9;
im lied vom Hürnen Seyfrid s. Golther s. xvii f. — Diese sicher
zweisilbigen Wörter werden nun nicht nur in versen mit drei,
sondern auch in solchen mit vier hebungen verwendet, und
solche klingend endigenden verse mit vier hebungen sind nicht
selten, reimen auch mitunter auf dreihebige. Schon des dichters
landsmann Hugo v. Trimberg hat sie reichlich gebildet, zum
König vom Odenwald s. v. Bahder, Germ. 23, 207.
Ausser diesen durch die angegebenen kriterien als klingend
endigend erwiesenen versen besteht noch eine ziemliche anzahl
solcher, deren reimgattung schwankt. Es sind dies alle die-
jenigen vierhebigen verse, deren reimwort in der endung ein
schwaches e allein oder vor einem geräuschlaut enthält. Diese
können unter verschweigung des e als stumpf oder mit bei-
behaltung desselben als klingend schliessende gelesen werden.
Zweisilbige Wörter mit ursprünglich kurzer paenultima
+ schwachem e treten, in Übereinstimmung mit der mhd. metrik,
meist in vierhebigen versen auf, seltener, abweichend von dieser,
in dreihebigen. In manchen fällen mag schon dehnung der
Stammsilbe eingetreten sein, aber es bilden den ausgang drei-
hebiger verse auch solche kurzstämmige Wörter, deren stamm-
vocal niemals verlängert worden ist, z. b. Ü£! finderhöh gesniten
(v. 191), wan ümb die minne götes (v. 871). Doch enthält in
dreihebigen versen dann das reimwort in der ableitungssilbe
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DAS HHD. GEDICHT VOM BER MTNNEBUBG. 285
meistens sonantisches l, m, w, r, selten wie in dem letzt-
angeführten beispiel bloss schwaches e allein oder von geräusch-
laut gefolgt. Bei dieser Verwendung der kurzstämmigen zwei-
silbigen Wörter in versen mit nur drei hebungen gilt demnach
in der Minneburg eine ähnliche, nur nicht so folgerichtig
durchgeführte einschränkung wie bei Suchenwirt, nämlich dass
nur die Wörter mit silbebildendem nasal oder liquida als
klingende reime angesehen wurden, während bei den andern
Wörtern unter tilgung des schwachen e stumpfer reim eintrat.
Das Zahlenverhältnis der stumpfen und klingenden
reime ist je nach dem inhalt abschnittweise ein verschiedenes.
Die klingenden ausgänge werden mit verliebe angebracht in
den lyrischen minnereden (rede), die zwischen die erzählung
(materge) eingestreut sind (s. unten). Demnach verteilen sich
die beiden reimarten im grossen und ganzen in folgendem
Verhältnis*):
Anfang bis v. 1614 materge ca. 33 proc. klingende ausgänge
V. 1615— 2034 rede „ 56 „ „ „
Y.2037—2d04 materge „ 31 „ ,, ,,
V. 2305— 2677 rede „ 60 „ ,, „
\.2677—S272 materge „ 35 „ „ „
V. 3273— 3596 rede „ 50 „ „ „
V. 3597 bis schluss materge ,, 29 „ „ „
(die in diesem letzten capitel eingestreuten minnereden v. 4267 ff.
und 5013 ff. haben nicht den hohen procentsatz klingender reime
wie die früheren).
In den minnereden ist der lieblingsvers des dichters der
dreihebige mit klingendem ausgang, in stil und verskunst sind
hier die gedichte Egens von Bamberg sein vorbild (s. unten).
Die beiden von diesem erhaltenen minnereden haben ca. 54
bez. 57 proc. weiblicher Schlüsse.
Der procentsatz der klingenden ausgänge, der sich selbst
^) Als klingend sind gerechnet 1. alle reim Wörter, bei denen durch
tilgung des schwachen e ein dreihebiger stumpf endender vers entstehen
wurde, und 2. alle langstämmigen reim Wörter mit sonantischem I, m, n, r
in der schlusssilbe ; als stumpf ausser den von natur stumpfen reimwörtem
auch diejenigen, die in vierhebigen versen stehend tilgbares, nicht von l,
m, n, r gefolgtes e enthalten. Die zweisilbigen ausgänge mit kurzer
paenultima sind nicht mitgezählt.
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286 SHBTSMANV
in den allegorisch erzählenden abschnitten zwischen 29 und
35 proc. bewegt, ist also auch hier schon ein grosser gegenüber
den meist in den erzählenden gedichten des 14. jh.'s geltenden
Zahlenverhältnissen, wie sie von Kochendörffer, Zs. fda. 35, 290 f.
und von Schröder, Zwei altd. rittermären s. x beobachtet worden
sind. Bei den allegorien, lyrischen und didaktischen 'reden'
und reimsprüchen treten überhaupt die klingenden ausgänge
im allgemeinen weniger zurück. So werden z. b. in den im
Liederbuch der Hätzlerin und in Lassbergs Liedersaal ab-
gedruckten minnereden 20 proc. öfter überschritten, ebenso in
vielen Sprüchen Suchen wir ts, in den fünf paarreimigen reden
Hugos V. Montfort u. a. Die klingenden reime beim König vom
Odenwald halten sich zwischen 20 und 44 proc.
Enjambement. Stärkere Verletzungen des Sprechtaktes
bez. der logischen betonung durch enjambement sind häufig.
Getrennt sind durch den versschluss z. b.:
Partikel bez. adverb und verb:
V. 851 swaz dinem geminten an
8t^t daz dankt dich wol getan.
V. 1520 und wil ouch iezunt iemer an
ruofen dinen zarten lip.
y. 2247 siufzen swenn ez dir niht wol
g^t in dim wirken als ez sol.
V. 3685 geschehener schade ist niht ze bringen
wider zw&r mit keinen dingen.
V. 4043 d&yon weiz ich daz du niht an
mich muotest daz wer(e) missetän.
V. 5002 so sprach firou Triuwe und heizet reht
teilen als ez st fllr gezelt.
Verbum finitum und dazugehöriges persönliches pronomen :
V. 1300 ez sprach: * lieber meister wart
ich gebom aleine?'
Reflexives verb und dazugehöriges pron. reflexivum :
V. 1866 min ongen künden nie derlnoder(n)
sich der zarten frouwen rein.
Zusammengesetztes tempus oder genus verbi:
V. 1454 gip mir als vil als du mir h&st
genomen, ich mein din herze.
y. 3976 daz ir dammb zefüeret
werd all ir frönd in trftren gar.
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DAS MED. GEDICHT VON DER inNNEBURa. 287
Y. 4117 80 das sie im gekündet
habe wie sie angezündet.
V. 4666 getihtes geist onch verstarret
ist in mir und verdampfet.
Hilfsverbum und inflnitiv:
V. 3745 daz ich mich vor den boesen sol
verbergen, ach, ez stet niht wol.
V. 3669 als vil als ir die banier moht
begrifen 8w& daz iemer toht.
Copula ^sein' mit prädicatsnomen:
V. 3828 daz minne von natüre ist
ein edel erznie diu da heilt.
Artikel und Substantiv:
V. 244 da sach ich enmitten ein
mannes bilde vor mir st&n.
V. 5221 und sprach also: ^waz meinet die
kr&, daz ich ir noch nie . . . '
Adjectivisches attribut und Substantiv:
V. 820 minne, du h&st dinen werten
friunt als dich selber liep.
V. 866 waz ist &n got daz nützest und edelst
dink üf aller erden hie?
V. 1051 d&von sol ein sdget&n
wip eins mannes rede empfän.
V. 2970 von härmen ist der vierde
sinn durchliuhtet und durchziert.
Genitivisches attribut und Substantiv:
V. 4570 geloubestu der philosophien
meister schrift und 16re?
Eeimbrechung. Diese ist in den ^reden' im princip, wenn
auch mit manchen durchbrechungen, durchgeführt, auch in Egens
gedichten herscht sie vor, ist jedoch dort nicht so stark aus-
geprägt. In den allegorischen teilen ist im allgemeinen die
beziehung zwischen satzschluss und reimpaar frei gelassen, in
einzelnen teilen überwiegt aber auch hier die reimbrechung
das rime samenen.
Der rhythmus ist podisch, der abstand in der betonung
zwischen hebungen und Senkungen gering. In den * reden' liegt
ein Schwerpunkt auf den seltsamen reimen, also am ende des
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288 EHRISHANN
Verses. Begründet ist dieses nicht, in logischen Verhältnissen
des satzsinnes, sondern in ästhetischen liebhabereien (über die
spehen rtme s. unten IV unter *stir). Die inhaltliche füUung
der einzelnen verse ist meist erstaunlich dürftig; oft könnte
bei den schleppenden widerholungen, tautologien, unnötigen
Umschreibungen, doppelgliedrigen formein, überflüssigen, nur
des reims wegen angebrachten flickwörtem und phrasen, ja
ganzen Sätzen, das was in mehrere verse gedehnt ist, in wenige
Worte zusammengezogen werden ohne dass dem gedanken ab-
brach getan würde. Die armut des inhalts, die bei der beob-
achtung des Verhältnisses zwischen dem gesammtstoff und der
ausdehnung des ganzen gedichtes so auffällig ist (s. unten III)
zeigt sich somit schon im einzelnen verse.
2. Reim,
a. Reim und spräche.
Um reine reime zu gewinnen, macht der dichter sehr oft
von mundartlichen formen gebrauch. Die Untersuchung der-
selben ergibt zugleich seine heimat: diese ist Ostfranken.
Zur feststellung der mundartlichen erscheinungenO sind die
ostfränkischen gedichte Hugos von Trimberg (der Renner),
des Königs vom Odenwald (v. Bahder, Germ. 23, 193 — 222 und
292—314), Ruprechts von Würzburg erzählung Von zwein kauf-
leuten (Zs. fdph. 7, 65—88), stellenweise auch der sprach vom
Würzburger städtekrieg (Liliencron 1, 161 ff.) beigezogen.
Vocale.
Sehr häufig werden Silben, die in der mhd. literatursprache
als kürzen gelten, gebunden mit längen; so reimen a : a häufig
z. b. in an : getan : han : wän, kan : han : getan : wän, bran :
stän : han, versan : han; gar : dar : war : zwar : äne vär :jär :
'iär, dar : nar : {ge)var : {ge)war : schar : tar; nach : sprach :
^) Der Kenner ist zum yergleich genommen als wichtigstes ostfränkisches
denkmal des 13./14.jh/8, Ruprechts erzählung, weil darin möglichste rein-
heit und dialektfreiheit der reime erstrebt ist; des Königs vom Odenwald
gedichte, deren dialekt von K. v. Bahder a. a. o. trefflich behandelt ist, und
der Städtekrieg sind es als ausgeprägt mundartliche dichtungen. — Nach-
träglich verweise ich auf die reichhaltige einleitung M. H. JeUineks zu der
psalmenübersetzung des Ostfranken Melissus (Braunes Neudrucke no. 144 —
148), welche nach abschluss vorliegender abhandlnng erschienen ißt.
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DAS MHD. GEDICHT VON BEB MIKNEBURO. 289
besuch : geschach; gemäht : gedäht; tag(e) : wäg{e)\ hast : gast :
glast : last; tat : bat, hat : blat : mat : stat, rät : stat, stät : bat;
underlaz : daz; im klingenden reim: namen : amen, mäsen : nasen.
Offenes e : e = (B: ber : swer 3769, swer : ger 49, w^r : enhih-
4749, ttw^ : vermert 1733. 3891, wem : gern : *<9rn 2851. 401,
bewem : gern 4711, uern : em(e)^) 79, wmftewe^-» : ewfeern 1053;
</c^^^(f?) : Gamuret (vgl. Franck, Zs. fda. 25, 223) 2991; bre€h(e) :
frech(e) 4795; ez : re£'(tO 3033. 4109; klingend: geeder : leder 2443,
/tea^r^ : eder^ 2453, geneheti : sehen 1141, brehet : wä^^ 2433,
hetrehtic : bedehtic 5337; weWc^ : unseldet 1273.
Geschlossenes e : t' = (b: en«'ew : den 2145.
Geschlossenes e : e: rede : 6edc 4613.
i :i: hin : «i» 25, smitten : margariten 2467, micÄ : fröuden-
rich 1557. Die persönlichen feminina wie künigin werden auf
Wörter mit kurzem und langem i gebunden, z. b. hin : künigin,
auch keiserinne : minne, neben m^isterin etc.: schin : min; des-
gleichen die adjectiva auf -lieh: ewiclieh : mich : didi : sich :
sprich : 5<icÄ und dgenlich : rieh, ebenso die adverbia auf -liehen :
festiclichen : sticlum und festidichen : wichen, und ^eKe A : rieh so-
wie (^eBcÄ : dich : eige^ilich,
i und i : «c vor r bez. h: gir \ fier 5097, siht : ZieÄ< 3229. Im
Renner Her : M^r, vgl. v. Bahder, Ueber ein vocal. problem des
md. s. 36.
0 : 6: vor : Amor 2821, von : Salomon 3355, wort : gehört
(3. pers. sg. praes., ohne umlaut, vgl. Weinhold, Mhd. giamm. ^
§ 111) 2061.
n : ü: fluz : Hz 1043.
ü : wo: dw : ztw 1039, w?i : ;?wo 5365, ww : <«o 2107.
*) « in ante ist jüngerer nmlant (^Mnk. alem. äm\ KInge, Et.wb. unter
ernte) j denn Tatian hat im dat. ami (Sievers, einleitnng § 07). Das mhd.
siibst. diu erne für ahd. diu am, aran ist ans Verallgemeinerung des häufig
gebrauchten dativs in formein wie ahd. zi ami, mhd. in der erne abzu-
leiten und nicht aus dem plural. Dieselbe erklärung gilt auch für 'ernte':
Verdrängung des Singulars durch den plural ist gerade bei diesem worte
seiner bedeutung nach nicht wahrscheinlich. In dieser beziehung gehört
also erne, ernte zu den von Paul, Mhd. gramm. § 127 anm. 1 zusammen-
gestellten Wörtern. — Der öfter vorkommende reim erne : gerne (Grimm,
Gramm. !♦, s. 279. Gute frau Zs. fda. 2, 391. König v. Odenw. Germ. 23, 196.
Minneburg v. 3567) ist also rein.
Beitrftge aar gwchlohte der deutaohen spräche. XXII. t9
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2Ö0 EHBISMANK
In der heutigen ostfränkischen mundart ist die dehnung
älterer kürzen in grossem umfang eingetreten, vgl. bes. C. Franke,
Bayerns ma. 1, 28 ff. Nach diesem finden sich u. a. gelängt: an,
kann, statt, frech, ich, mich, dich, sich, fitiss. Es ist demnach
möglich, dass manche der angeführten reime in der heimat-
lichen ausspräche des dichters schon rein klangen. Andrer-
seits können in dieser gedäht, bedehtic u. a. schon gekürzt ge-
wesen sein. — Im Renner wird a : ä sehr häufig, ca. 180 mal,
und o : (J ca. 40 mal gebunden, dagegen nie i : I und u:ü: hier
herscht also dasselbe Verhältnis wie bei Wolfram (vgl. Wimmer,
Ueber den dialekt Wolframs, programm von Kalksburg 1894/95,
s. 12), dass wol a: ä, o : ö, aber nicht i : i und u : ü reimen.
a ist im ostfränkischen zu 6 geworden,') daher die häu-
figen (ca. 20) reime ä : ö wie nach : hoch : zocli, här : tdr{e),
stnt : rot, äne : schone, tröst : hast, underläz : gröz, läzen : grozen
u. a. Sie finden sich auch beim König vom Odenwald (Germ.
23, 196), werden aber von dem der literatursprache strenger
folgenden Hugo v. Trimberg nicht gebraucht.
ä> 0 reimt auf mhd. o in lohen : gevähen 1959, auf ow in
Jcrotich : nach 4331.
e = ce und e werden in der Minneburg so wenig gereimt
als in den s. 288 genannten ostfränkischen gedichten. Die
laute sind als offenes' und geschlossenes e phonetisch getrennt :
in der schritt wird allerdings in Übereinstimmung mit der md.
Orthographie ce ebenfalls durch e ausgedrückt. Das gleiche
ist der fall im elsässischen: hier wird ebenfalls c geschrieben,
aber mhd. e nicht auf w gereimt, z. b. bei Altswert (Karl Meyer,
Meister Altswert, programm von Göttingen 1889, s. 37), im Par-
zifal von Claus Wisse und Philipp Colin. •-^) Desgleichen im
Wetterauer dialekt der Heil. Elisabeth und der Erlösung (Rieger
s. 30. Bartsch, Germ. 7, 3), in Athis und Prophilias (W. Grimm,
Kl. sehr. 3, 240), im md. Schachbuch (Sievers, Zs. fda. 17, 385),
im böhmischen des Ulrich von Eschenbach (Toischer, Ueber die
spräche Ulrichs v. Eschenbach, programm von Prag- Neustadt
^) Getadelt von Fabian Frangk (Müller, Quellenschriften s. 106), auch
von Joh. Nast, Gnindsätze der tentschen recht Schreibung (Herrigs Archiv
t»5, 425).
*) Die ersten 10000 verse habe ich darauf hin geprüft.
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BAS MHD. GEDICHT VON DER MINKEBURG. 291
1888, s. 13), im schlesischen in Ludwigs kreuzfahrt (Zs. fdph.
8, 381), vgl. auch v.Bahder, Grundlagen s. 110.
Dem entsprechend ist auch der unterschied zwischen
offener und geschlossener ausspräche des kurzen e gewahrt
(offenes e reimt auf geschlossenes e nur in bestrebt : entsebt).
Da das praet. weste im mhd. geschlossenes e hat, so sind reime
der Minneburg wie weste : beste 975 : reste 1797 : veste 3629 :
veste{n) 3115 genau. Das abstracte fem. erge reimt auf her-
berge (1477.2543) und plur. ergen auf verbergen (3627.3749),
daneben schreibt P 3297 irge : gebirge (die stelle fehlt in B).
Die aus ad jectiven abgeleiteten fem. Substantive auf i schwanken
zwischen älterem und jüngerem umlaut. In einzelnen sprech-
gemeinschaften gilt der erstere in der volks-, der letztere in
der gebildeteren spräche. Dem jüngeren umlaut entsprechend
bilden erge : herberge : verber ge{n) reine reime; t für c in irge
auf gebirge lässt sich als älterer umlaut mit geschlossenem e
auffassen, wobei allerdings noch eine reimungenauigkeit vor-
läge. Es sind aber möglicherweise diese beiden reimwörter
in der einzigen hs. die sie überliefert (P) verderbt und es ist
zu lesen erge : geberge, welch letzteres bei Lexer aus Megen-
berg mehrfach neben gebirge belegt ist.
Auch im Renner sind offenes und geschlossenes e beinahe
niemals gebunden, beim König vom Odenwald und bei Ruprecht
von Würzburg gar nicht. Diese genaue Unterscheidung der
beiden e beruht nicht etwa auf einer besonderen feinhörigkeit
der ostfränkischen Verfasser, sondern sie gilt als gesetz für
die ganze mhd. poesie, das noch viel strenger eingehalten
worden ist als meist nach den grammatiken und sprachlichen
einzeluntersuchungen sich schliessen lässt. Denn in diesen
werden die e ihrer qualität nach fast nie ganz genau aus-
einandergehalten. Darauf hat bezüglich Konrads v. Würzburg
Edw. Schröder hingewiesen im Anz. fda. 19, 155. Es wäre auch
auffallend, dass z. b. die alemannischen, bairischen, österreichi-
schen, ostfränkischen u. a. dichter zwar den verschiedenen
klang bei den langen ce und e wol bemerkten und in ihrer
reimkunst berücksichtigten, aber nicht denselben unterschied
bei den kurzen e.
w für 0 ist regel im inflnitiv Jcunien (: frumen sb. und verb.
2687. 2899. 3661), part. perf. {rollen)kuni€n (: fmmen 3083. 3707.
19*
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292 feä^tsliÄNN
5189), demnach auch part. (ge-, ver')numen (: kunten) mehrfacli;
"ebenso im Renner und beim König vom Odenwald, auch die
jetzige ostfränkische ma. hat diese u bewahrt.
u:uo in ruom : Icum 2579, vgl. zum König vom Odenwald,
Germ. 23, 198.
ei aus egi in (ge)seit, leite, geleit, treit, freist reimt mit altem
ei (fünfzehn mal mit der ableitungssilbe -heit, -keit, auf c%mter-
feit und zesneit, einmal meist : treist), viermal sind die betr.
Wörter unter sich gebunden. In gelegt : regt (4241. 4393) und
geäugt : gesagt (4631) wie in klagt : verzagt (4903) ist in Über-
einstimmung mit der ebenfalls ostfränkischen hs. P erhaltung
des g anzunehmen. Im Renner reimen behaget, {ge)klaget,
maget, unver zaget nur unter sich oder auf saget, welch letz-
teres nur sehr selten ei auf\^'eist; beim König vom Odenwald
vereinzelt unverzeit, Germ. 23, 307, v. 22; bei Wirnt sind die
formen mit ei aus egi reichlich vorhanden, vgl. H. Fischer, Zur
gesch. des mhd. s. 51.
Noch mehr als die im vorhergehenden behandelten mund-
artlichen reime weicht von der literatursprache die bindung
von selic : heilic {heilig P, helge ex) 2641 ab. Im heutigen Würz-
burger und anderen ostfränkischen dialekten ist ai > (ß ge-
worden, demnach gäbe selic (= scelic) : helic (= IubUc) einen
vollständigen gleichklang. Es erscheint aber gerade in gegen-
den des heutigen ostfränkischen jenes weitverbreitete hel^g,
das Kögel, IF. 3, 287 in as. halag, Schweiz, hälig, hHig (Schweiz,
id. 2, 1148) nachgewiesen hat: so henneberg. hclig adj. und be-
sonders adverbiell gebraucht 'recht, tüchtig, arg, sehr', hell-
tage '^f eiertage', Spiess, Beitr. zu einem henneberg. id. s. 99f.;
Die fi-änk.-henneberg. ma. s. 4; Volkstümliches aus dem fränk.-
hennebergischen s.l4. Frommanns mundarten 5,515: heiig *sehr
gross, ungeheuer' (und ebenda 7,297); femer in den nachbar-
mundarten von Salzungen (Hertel, Wb. der Salzunger ma. s. 19);
Ruhla (Regel, Die Ruhlaer ma. s. 201. 207); im fuldischen (Vil-
mar. Id. s. 163f.): heMig schcen 'ganz besonders, ausgezeichnet
schön', heltag, heltag 'festtag' (wol aus helgtag ■= Schweiz.
heligtag)S) üass heiig im älteren ostfränkischen auch die
*) Die gnindbedentting des wertes kann in dem verstärkenden adver-
bialbegriff 'ungfeheiier, sehr gross, sehr' noch erhalten sein, wonach halat^
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MTNNEBUB6. 293
bedeutung von 'heilig' hatte, beweisen JieUtage *feiertage' und
die lesart h4^lig für heilig in der Würzburger hs. des Eenner
V. 12000. — Kögels Vermutung, dass in manchen ahd. und
mhd. quellen heiig mit kurzem e anzusetzen sei, bestätigt sich
entschieden, vgl. auch DWb. 4,2, 827. Ich habe keine er-
schöpfenden Sammlungen angelegt, es ergaben sich mir aber
doch folgende gesichtspunkte. Wenn in einer quelle vereinzelt
e für ei eintrat, so fand sich unter den betr. Wörtern fast
regelmässig auch heiig, oder, allerdings in selteneren fällen,
es fand sich gar kein ei> e und doch heiig. Im ahd. erscheint
helag, heiig nicht häuüg (s. Braune, Ahd. gramm. § 44 anm. 4.
Milstätter blutsegen, Fulder beichte hs. B), auch in den ge-
dichten des 11. 12. jh.'s nicht oft, dagegen tritt es mit dem
überhandnehmen der mundartlichen Schreibung in den hss. des
14. 15. jh.'s sehr oft auf und ist in allen md. und obd. dialekten
nachweisbar: im mittelfränkischen (hier im cölnischen abgelöst
durch hillig), rheinfränkischen, thüringischen, obersächsischen,
schlesischen und ostdeutschen, im ostfränkischen und böhmischen,
im elsässischen und eigentlich alemannischen, weniger im schwä-
bischen (doch ist hier noch gebräuchlich helgle 'heiligenbild',
aus heligle, neben hglge, welches nach Kauffmann § 92 anm. 3
und H. Fischer, Geogr. s. 45 ei als wurzelvocal hat), und im
bairisch-österreichischen. — Auch ein reim seilig : heilig wäre
denkbar, et für ce in seilig ist keineswegs nur eine zufällige
Schreiberlaune, sondern es hat lautliche geltung. Es reimt
hdig zu gr. n^XwQ, niXwQov 'ungeheuer', nhl<oQoq^ neXwQioq 'ungeheuer
gro88; riesenhaft', lat. ex-ceüo, ex-celsus u.s.w. gestellt werden kann. Das
ungeheure, erhabene erfüllt den menschen mit ehrfnrcht und heiliger scheu.
— Brenner steUt Beitr. 19, 482flF. einen t-umlaut von ai auf, der auch in
hailtc > ÄcZic stattgefunden habe. Aber dieser umlaut müsste doch in viel
grösserem umfange im ahd., mhd. und nhd. zu belegen sein, auch sind
einige der beispiele nicht einwandfrei (so der umlaut flesk = *flaisk(i)j der
umlaut in toenic = *waintc, während doch ahd. ursprünglich nur wenac
belegt ist, u. a.), und die ganze an sich ansprechende theorie muss mit
uuverhältnismässig vielen ausgleichungen rechnen.
*) Auch das verbum bezeichnen findet sich verhältnismässig oft mit e,
bezechnen, geschrieben. Hier ist wol eine einwirkung der verwant^n wurzel-
form germ. teih-, taih- (ahd. zech) anzunehmen, die ja ursprünglich auch im
germanischen nicht bloss die eingeschränkte bedeutung von zihen 'zeihen'
gehabt hat, vgl. got. gateihan 'anzeigen, erzählen, verkündigen', ahd.
zeiyön 'zeigen'.
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294 EHBISMANN
seilic : unmeilic in der Martina 6, 55') und 81, 87 und begegnet
allzu häufig in mlid. quellen verschiedener landschaften, s. Wein-
hold, Mhd. gramm.2 § 89 und 95. Alem. gramm. § 49 und 58, 5.
Wackernagel, Ad. predigten LV, 43 ff. Bachmann-Singer, Volks-
bücher s. Lxxxiv. Mon. boica 41, 163 (Lexer, Handwörterbuch
unter scelec). Docens Mise. 1, 140 ff. Heil. Hieronjmus hg. von
Benedict s. xlvi. Etickert-Pietsch, Entwurf s. 100. Lacomblet,
Urkundenbuch 3, 758 (Weinhold, Mhd. gramm.'- § 95). Zs. fda.
19, 78. Zs. fdph. 27, 205. Beitr. 3, 515 u. a. Leitzmann, ebda. 14,
476. 491; ebenso seilikeit und seilde für saslde, s. Weinhold, Bair.
gramm. § 66. Alem. gramm. § 49. Mhd.gramm.^ § 95. Waag, Beitr.
11, 95. Zs. fdph. 11, 247. Möglicherweise findet seilic seine er-
klärung in folgendem psychologischen Vorgang: man hatte helic
und heilic nebeneinander und bildete danach zu scelic ein seilic,
darauf seilikeit und seilde; vgl. auch Leitzmann a.a.O. s. 491.
Apokope und synkope des schwachen e ist ganz geläufig.
Stärkere tilgungen sind lit{e) (1. sg. conj. praet.) : unfrid(e) 2601,
wer(e)n : gem{e) : ern{e) 2851. 79, kern : wer(e)n 401, icli, ge-
lernt(e) : ir ger(e)nt 5363, web(be) : widerstrebe) (subst.) 4277,
velt : äb€rhel{le)t 2905, liuht{et) : diuht{e) 4789, ruo(we) : fruo :
zm 947. 4607. 4731 u. a.
Consonanten.
Die consonanten stehen auf gemeinmhd. lautverschiebungs-
stufe, das ist eben die oberfränkische, g ist auch im auslaut
verschlusslaut c, vgl. Inac : smac 907, herc : werc 2487. 3803.
3815, getwerc : werc 683, danc : dranc (praet. zu dringen) 3439.
Abweichend von dem obd. lautstand wird d mit t gebunden
in stauen : gewaten 69, leiten : scheiden 2263, hrädem : ätem 1967
(indess ist ädern auch in obd. quellen öfter zu finden, d steht
hier in grammatischem Wechsel zu t, vgl. v. Bahder, Grundlagen
s. 244. Braune, Ahd. gramm. § 163 anm. 6). Im Renner, beim
König vom Odenwald und bei Ruprecht von Würzburg kommt
dies nicht vor, aber im heutigen ostfränkischen sind d und t
nicht unterschieden, vgl. besonders Brenner, Bayerns ma. 2, 269 ff.
H. Fischer, Geogr. s. 61 anm. 5.
*) Die hs. hat meilic, es muss aber unmeilic heissen, was vou VTeiu-
hold, Alem. gramm. § 58, 5 und von Lanchert, Alemannia 17, 213 übersehen
worden ist.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER HINNEBURQ. 295
h fällt zwischen vocalen aus (nicht im Renner, König vom
Odenwald, Ruprecht von Würzburg): empßn : sögetän 1051,
an : van 2299, stal : quäl(e) 4567.
hs wird zu zu ss in hessen ^kniekehlen'; cipressenl93, wtios:
zuckermuos 3285. Dieser Übergang findet nach der grenz-
bestimmung bei Wrede, Anz. fda. 21, 201 auch in einem grossen
teile der heutigen ostfränkischen ma. statt und ist besonders
im hennebergischen gebräuchlich. Hasse, hesse s. bei From-
mann, Ma. 2, 49. 496. 7, 292. Spiess, Beitr. zu einem henneberg.
id. s. 95. Der Renner, König vom Odenwald und Ruprecht von
Würzburg haben nichts einschlägiges, aber im Städtekrieg reimt
fuchs : sus 1923.
m reimt auslautend auf n: heim : rein{e) 1785, desgleichen
beim König vom Odenwald (Germ. 23, 199. 205), bei Ruprecht
man : genozsam : getan 120, heim : enein 426, in : vernim 643,
im Städtekrieg Berchtheim : klein 1191, hein in den gesetzen
Ottos von Wolfskel, Archiv für Unterfranken 11, s.95; in der
heutigen provinz Unterfranken ist heim zu hS geworden, Bayerns
ma. 1, 27.
Zu zesem : besem 1879, beide dat. sg., vgl. Lexer unter eese
und Zs. fda. 17,383; kresem : eesem bei Frauenlob, EttmüUer
s. 22, 18, 1. Trebnitzer psalmen hg. von Pietsch s. lix.
Consonantisches i in lateinischen Wörtern wird zu g: ge-
sperge : mcUerge 461. 1631, bergen : latwergen 3509, ziborge : gUrge
3307, brisilgen : tilgen 1949, geschedige{n) : remedige 5385. Dieser
Übergang von i> g kennzeichnet die umdeutschung dieser
lehnwörter, während daneben die fremdwortform hergieng
und meist die Oberhand gewann, wie z. b. materie. Andere
obd. beispiele ausserhalb der Minneburg sind: fi : rg, in reimen:
sorgen : ystorgen in Sachsenheims Spiegel (Keller, M, Altswert
s. 151, V. 6), historgen : sorgen in dessen Goldenem tempel v. 823;
ausserhalb des reims storie 'schar' geschrieben storige, s. Lexer
s.v., ebda, ziborge unter 'zib6rje\ notarius — nottarge Mörin2923;
S. Märgen aus S. Mariam, vgl. Behaghel, Grundriss 1, 581. —
li > lg: evangelig : swilg Mörin 2179, gilgen : Ceeilgen Sachsen-
heims Spiegel s. 197, v. 30; gilge 'lilie', Gilge 'Aegidius', peter-
silge *petersilie'. — ^i > ng: venige : menige Vetter, Reinbot
V. Tum s. CXLIT, katzedenigen : menigen K. Meyer, M. Altswert
s. 9. 38, fontangen : mangen Otto Baldemann v. 47, plange : lange
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296 EHBI8MANN
s.Lexer unter jßlänie] feiner Spanigen oft, Barsillonger Schleier-
tüchlein bei Keller, Altswert s. 216, v. 9, Babilonge (Kramm,
Ueber Konrads v. Heimesfurt spräche, dissert. von Freiburg i.Br.
1882, s. 12); menig{e\ minig 'mennig' aus minium, Apottomus
> Plönniges, Antonius > Dönniges (Wackernagel, Kl. sehr.
3, 298 f.). i nach anderen consonanten: mhd. metjsjer 'metzger'
aus *macearifis (Kluge, Et. wb. s. v.), nietzje * metzig'; Venetia —
Vmedige, Md. einschlägige reime s. bei Weinhold, Mhd. gramm.^
S.225 oben und s.239 f.; viele beispiele, besonders auch von i> g
nach vocalen bei Grimm, Gramm. 1^, 368 ff. Kauffmann § 181
und 18. Leitzmann, Beitr. 14, 510. Dieses g folgt der landschaft-
lichen ausspräche des ursprünglichen g, ist also entweder ver-
sclüusslaut oder reibelaut — Die lateinischen lehnwörter im
ahd. sind unter andern sprachlichen principien aufgenommen
worden, vor allem haben sie, im gegensatz zu den erst im mhd.
überkommenen, ihre betonung der deutschen art angepasst,
auch ist das i noch nicht zu g geworden, vgl. jyfelll, oli, mu-
nistri, -ärius > äri, flra, lector = lectorium und viele andere
(s. z. b. Sievers, Beitr. 16, 264), als j erscheint es in kevia, minio
(MSD. 2\ 190. DWb. 6, 2020), woraus mhd. kevje, kefige 'käflg',
minige, minig *mennig' mit dem obigen Übergang von i zu g.
— Unerklärt sind die nebenformen mit ch: ahd. e2)fth neben
c2)fi 'eppich, apium\ mhd. lullich, lulch(e) neben ahd. loUi (Stein-
meyer-Sievers, Ahd. gU. 1,720,27), Schweiz, lulle (Schweiz, id.
3,1263) 4olch, lolium\^)
Iw, rw reimen auf Ih, rb: salbet : valwet 2355, entverwe :
herbe 4935. 5231.
Inlautendes mb reimt auf mm: schimmert : gezimbert 240b,
nimmer : gezimber 3741, timber : Schimmer 4793.
Der wahrscheinlich satzphonetische dental in iemant (vgl.
Kauffmann § 149 d, ^ und anm. 1. Rieh. Schmidt, IF. 1, 57) ist
schon angetreten: es reimt auf fce/ra«< 2265. In der Würzburger
^) Bei lolch, das erat im mhd. belegt ist, kann allerdings ch ^= g
sein, voransgesetzt dass das wort in einem der dialekte anfgenonimen
wunle, der g spirantisch sprach, vgl. Kluge, Et. wb. s. v. Franck, Au«, fda.
11,23. Aber fiir das ahd. epßh (s. Kluge unter eppich) kann weder der
guttural noch die länge des l im suffix aus apium erklärt werden. Hier
liegt also doch wol eine suffixale Umbildung, sei es im lat. oder erst im
deutschen, vor.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINMEBUR6. 297
lis. des Michael de Leone sind ieniant, nieniant viel seltener als
ieman, niemmi, im Renner, beim König vom Odenwald und
Ruprecht von Würzburg begegnen sie nicht.
Consonantisch ungenaue reime sind bist:gesUistSbb, niergen :
tieren 3985, schcensten : gekrcentsten 1897. 2001.
Zur flexion.
Die 3. pl. praes. ind. endigt auf -en, z. b. sie leben : üf geben
(inf.) 1171, üg dem vinen : sie schinen 3451 u. a. Das verbum
substant lautet in dieser person sin: hin : sin 25, sin : schin
593. 1347.
Im Infinitiv fällt -n bez. mit apokope des e die ganze en-
dung -en häufig weg: si(n) : U 639, tuo{n) : zuo 767. 2705. 4847,
we : ge{n) 2139, mer : erwer{n) 1921, bruoder : derluoder(n) 1865,
betiut€{n) : Hute 2043, reme(n) : queme 1095, verterke(n) : sterke
2085, wein(en) : scfiinebein 2571, tac:jag(en) 1, u.a. Diese Infini-
tive ohne -» sind für das ostfränkische und thüringische 0
charakteristisch und begegnen ausserordentlich häufig auch in
den zum vergleiche beigezogenen gedichten von Hugo v. Trim-
berg u. s. w. Ueber ihr vorkommen im ahd. s. Braune, Ahd.
gramm. § 126, anm. 2 und die daselbst angegebene literatur; für
die gegenwart: Schmeller, Ma. Bayerns § 586. 916. Bavaria 3, 1,
242 f. CFranke, Bayerns ma. 1,275 ff. Spiess, Fränk.-henneberg.
ma. s. 26 — 28. Hertel, Salzunger ma. s. 110. Regel, Ruhlaer ma.
s. 100 ff. Die aufgäbe des n beruht auf einem andern Vorgang
als die sonstige weit verbreitete reducierung der flexionssilbe
-en zu </ (mit oder ohne nasalierung). Jene n-losen infinitive
treten mit einer gewissen häufigkeit schon zu einer zeit auf, in
der die n in den übrigen endungen noch fest sind. Femer haben
einige thüringische und ostfränkische mundarten die ganze
inflnitivendung -en in bestimmten fällen abgeworfen, also z. b.
tciss, woll, ge, tu, jag, kauf, während das -en der andern flexions-
Silben nur reduciert ist. Endlich erlauben sich die genannten
ostfränkischen gedichte den abwurf eines -n mit ganz wenigen
ausnahmen eben nur im Infinitiv, während derselbe, wenn er
in md. und mhd. gedichten anderer ma. vorkommt, nicht auf
*) Steht diese dialektgemeinschaft in Zusammenhang mit der hesiede-
lung Ostfrankens durch Thüringer? Zu dieser vgl. John Meier, Beitr. IH, 1 13 f.
Wrede,Zs.fda.37,291.
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298 EHRI8MANN
den infinitiv beschränkt ist, überhaupt aber nur vereinzelt
auftritt. Der Schwund dieses n kann also, wegen der ab-
weichenden behandlung der übrigen auslautenden -en, nicht
auf rein phonetischer entwicklung beruhen, wie etwa der alle
endungen betreffende abfall des n im altnordischen. Der
Wechsel zwischen inflnitiven mit und ohne n beruht wol auf
nachbildung eines schon vorhandenen und geläufigen typus,
möglicherweise auf den parallelformen der 1. pers. praes. ind.
der e- und ö-conj. wie luib^n — habiy scdbdn — salbS, voraus-
gesetzt dass die zweitgenannten n- losen formen schon in die
zeit der frühest belegten inflnitive ohne -n, d. h. an den anfang
des 9. jh.'s hinaufdatiert werden dürfen. Es hätte sich also
nach dem muster der ersten personen auch in den Infinitiven
neben hab^ ein habi, neben salbdn ein salbä im Sprachgefühl
eingebürgert, und darnach wäre Übertragung auf die andern
conjugationen erfolgt, worauf schliesslich die secundären n-losen
formen auch im infinitiv in einigen gegenden allein üblich
wurden wie allgemein in der 1. person. Bemerkenswert ist,
dass gerade in dem altostfränkischen des Williram die doppel-
heit der 1. personen wie habon — habo reichlich belegt ist.
Der conj. praet. hat in der 1. schwachen conjugation Um-
laut: senten : elementen 1831, Uuht(et) : diuht(e) 4789, auch im
Renner und im Henneberger urkundenbuch, vgl. Bech, Germ.
15, 149. 154. 24, 140. Rückert-Pietsch, Entwurf s. 29.
gän, stän haben im ind. praes. und inf. ä, im conj. i-, von
gän erscheint das praet. gie ( : nie 4321) und gieng ( : hieng :
gevieng 5467. 1837), mit ie, dem ostfränkischen gemäss.
Das praet. ind. und conj. von Mn wird mit offenem kurzen
e oder langem e^=-(B gebunden; die quantität ist nicht zu ent-
scheiden, da auch kurzes offenes e SLuf e = ce reimt; es lautete
also entweder nur hete mit offenem e oder auch hete = hcete.
Ein unterschied zwischen ind. und conj. ist nicht festzustellen.
Im einzelnen zu bemerken ist der reim hete : an der stete 103.
Der gen. dat. und plur. stete reimen im mhd. überhaupt oft auf
offenes e, z. b. Parzival stete : bete 621,23. 746,5; Wigalois stete :
bete 1594. 1807 : tete 6966. 6997, bete : stete igetete 305. 2201, vgl.
Grimm, Gramm. 1*, 885; Gotfrids Tristan stete : tete (Mhd. wb. 3,
134b); Heinrichs Tristan Antret : stet 4627; Ulrich v. Lichten-
stein, Frauendienst stet : tet 88, 21, bet : stet 482, 1. 485, 9, stet :
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBUBG. 299
Lamilet 484, 9; Krone stet : het 21802, tet : stet 25691; Meleranz
stete : bete 7433, Servatius (Zs.fda. 5) täte : stete 2139; Warnung
(Zs. fda. 1) bete : stete 3575; H. Ernst D s. 15» tet : stet; Mönch
V. Heilsbronn tet : stet Merzdorf s. 78, 297; Zingerle, lieber eine
hs. d. Passionais tet : stet s. 70, 9. 71, 41. 73, 125. 74, 175, stet :
pet 77, 291. 79, 355, gepet : stet 78, 319. 82, 443. 84, 93. Zu Ulrich
V. Eschenbach, s. Toischer, lieber die spräche Ulrichs v. Eschen-
bach s. 19. 24, zu Landgraf Ludwigs kreuzfahrt s. Kinzel, Za
fdph.8, 390f. Es liegt in dem offenen e in stete wol psycho-
logische umlautung vor: in anlebnung an den nom. stat und
an die zwillingsformel von an der stete : an der stat ist nur
jüngerer umlaut eingetreten.")
Zur Substantivflexion seien angemerkt die analogisch ge-
bildeten plurale stemer (: gerner 1685), geister (: meister S3b7)y
unumgelautet bander {: galander 2027), bandem (: andern 1893,
vgl. Heinzelein von Eonstanz s. 105, 125 und Pfeiffers anmer-
kung^)); zum heutigen dialekt s. Bayerns ma. 2, 321. Bloss des
reimbedürfnisses wegen steht manger hander (: Schionatulander)
4539, eine art syntaktischer assimilation.
Eine sonst im ganzen gedichte nicht zu belegende pro-
nominale dialektform, dat. sg. di = dir (gegenüber häufigem
dir, mir im reim auf wir, ir, gir) ergeben die reime 2191 f.:
sol man mich von art einen er nennen oder ein si? der
nieister sprach, daz sag ich di,
Doppelformen,
je nach dem bedürfnis des reimes angewendet, sind haben —
han, läzen — län, {ge)legt — (ge)leit, saget — seitj gieng — gie,
0 Aelter als hete mit offenem e ist hete mit altem 2-umlaut, also mit
geschlossenem e, jedenfalls alemannisch nnd bairisch, entsprechend dem alt-
alemann. bez. -bair. hebita (Kögel, Beitr. 9, 520. Weinhold, Alem. gramm.
s. 385 f. Bair. gramm. s. 319. Mhd. gramm.^ s. 424 f. Braune, Ahd. gramm.
§ 368). Mte ist nach Edw. Schröder, Zs. fda. 38, 98 (vgl. auch Grimm, Gramm.
1^,886), eine nachbildung von tete; zur Öffnung des e in Mte kann auch
der offene laut in Jicete beigetragen haben. Es sind also zwei formen mit
kurzem e, mit geschlossenem und mit offenem, in die mhd. grammatik auf-
zunehmen.
*) Nachdem nun das vorkommen eines plurals handtr zu hant sicher
belegt ist, wird man bei Pfeiffers erklärung dieser stelle gegenüber der
Sprengers Zs.fdph. 27, 115 bleiben dürfen.
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300 EHRISMANN
m€r(e) — me, ferner bede ( : rede 4613) und beiden ( : scheiden 3577),
niht (igeschiht 5043, : geriht 4207, : enwiht 5121. 5285 u.a.)
und nit (: mit 1663. 2855, :^eft7 3361. 4345. 4479 u.a.), hö (:wö
5283) und hoch (: »acA 5287), baz/c^er (: waszer 3501) neben ftosr,
adjectivischer comparativ auch (/wofer ( : fruoter 1901) neben
bezzer, Vernunft (: A;«w/? 611, : zunft 793) und t;erwwnÄ^ (: gunst
603. 641, : hinst 5411); statt des adjectivs süeze erscheint auch
das adverbiale suoz ( : gruoz 1683), vgl. König vom Odenwald,
Altd. Wälder 2, 84 ff. v. 27. Suchenwirt xl, 238.
Für die spräche des gedichtes sind aus der
Syntax
einige Verbalumschreibungen erwähnenswert, die erst im 14. jh.
geläufiger werden. So ist das praet. wart mit inf. recht häufig,
z. b. ich wart treten, sie wurden werfen u. a. Seltener sind das
praes. von werden mit inf. als Umschreibung des futurums
{da^ ich . . . werd ezz&n leides zidelbast 2313, so wirt min herze
pßmpfen 2341), der conj. praet. würde als conditionalis {tit sie
da>z so würd mir dorren min herze 2333), tuon mit inf. {da^
si tuo schuofen 1678, ir minne pfeffer tuot mir murzen 2363).
Zur Vervollständigung dieser skizze des ostfränkischen
dialekts sei noch verwiesen auf die aus der hs. P beigebrachten,
nicht bloss den reimen, sondern mehr noch dem Innern des
textes entnommenen mundartlichen formen oben s. 258 ff. 0
0 Für die bekannte mitteilung Hugos von Trimberg über die aus-
spräche einiger auslautender consonanten im Kenner 22252 if.
wan T und N und R
sint von den Franken verre
an manges Wortes ende:
wer wil dar umb sie pfendeV
gilt die erklärung von Sievers, Beitr. 19, 549: es soll damit die * nachlässige
ausspräche' dieser laute bezeichnet werden. Und in der tat ist dies eine
eigenschaft des heutigen ostfränkischen. Eine reihe von fällen fllr ab-
fallendes t bez. d führt C.Franke in Bayerns mundarten 2, 83 ff. an; für n
ebda. s. 85 ff. (*wol am meisten von allen consonanten ist im ostfränkischen
n dem Schwunde ausgesetzt', wozu wol auch der abfall des n im infinitiv,
vgl. MüUenhoff, MSD. 2«,392); auch das auslautende r wird strichweise nur
schwach articuliert, ebda. s. 92. Vgl. auch Socin, Schriftsprache u. dialekte
6. 119.
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bAS IkHD. GieiDtCHT VON BEB MINNEBURO. 301
b. Arten des reims.
Die stumpfen und klingenden reime s. oben s. 283 ff.
Rührende reime sind selten: grborn : durcMwm 669,
enmm : willevam 3139, Fröudenberc : Minnenberc 3163; die
compositionsglieder -heit und -lieh, z. b. wtsheit : kluovJieit 3073,
verborgenlich : sicherlich 3799, verdroezenlichste : unnützlicJisfp
933. 939. Letztere tragen entweder allein den reim, w^e in
den eben angeführten beispielen, oder sie bilden mit der Stamm-
silbe erweiterte reime, indem dieselbe mitgebunden wird,
z. b. wärheit : varlmt 1311, kluochrit : gefuoch^t 857, fruothich :
guotlich 1229, kluoclich : gefuoclich 1225, ßedellicher : edelUcher
1265. Weniger bemerkbare fälle von erweitertem reime,
wie solche, wo untrennbare Partikeln ge-, rer-, er-, zer-, dvrch-
mitreimen, sind häufig, z. b. gesezzen : gmiezzen 399, gesprach :
geschach \\\9^ verdorret : rerstorret 2S17 u.s.w.; hy*fticlich:rn'-
nunfticlich 809.
Vier gleiche reime bilden die verse 2337 — 2340 sowie die
gleich darauf folgenden 2341 — 2344.
Von besonderem einfluss auf den gesammteindruck der
metrischen form sind die spehen oder kluogen rime (s. unten
unter IV). Andere reimkünsteleien, klangspiele u. dgl. werden
gemieden.
Hauptsächlich durch die überaus zahlreichen, sonderbaren
und seltenen reimwörter herscht eine ziemliche mannigfaltig-
keit in dem in den reimen niedergelegten Wortschatz. Er-
müdend sich widerholende bindungen begegnen nicht. Ein
lieblingsreim des dichters ist minne : sinne bez. niinnen : sinnen,
der gegen 50 mal vorkommt (vgl. Bock, Wolframs bilder für
freud und leid s. 54), nur viermal, trotz der unendlich aus-
gedehnten liebesklagm, herze{n) : smerze{n)\ häufige reimwörter
sind ferner u. a. muot (27 mal) und guot (34 mal). Der dichter
handhabt, ohne eigentlich gewant zu sein, die reimbildung mit
einiger leichtigkeit.
c. Zeit der entstehung und engere heimat des
gedichtes.
Aber es ist doch ein gewaltiger abstand zwischen der
künstlerischen form der Minneburg und derjenigen des nur
etwa fünfzig jähre vorher in derselben landschaft verfassten
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302 EKBTSHANN
Renner, besonders in der einfährung mundartlicher formen,
wodurch nur allzu oft erst Genauigkeit der reime erzielt wird.
In der anwendung derselben verfährt der dichter der Minne-
burg sogar noch etwas freier als der König vom Odenwald,
jedoch hat dieser einige andere in der Minneburg nicht vor-
kommende dialektische reime, wie s : £f, abfall des n im dat.
plur. (*normalplurar), plurale auf -lech, gewest, fregen. Da-
gegen ist der Städtekrieg mit anwendung von dialektismen
noch weiter vorgeschritten, z. b. in reimen wie ? : ?> vor andern
conss. als h und r, oder wie a: o, ei : eu.
In hinsieht auf die mundartlichen formen wird also das
gedieht nicht zu weit gegen den anfang des 14. jh.'s, sondern
mehr gegen die mitte desselben zu setzen sein. Viel spätere
entstehung anzunehmen verbietet die noch im 14. jh. abgefasste
hs. 6. Diese datierung stimmt mit der Schönbachs (erste hälfte
des 14. jh.'s, s. Lexers Handwb. 2, iv) ziemlich überein. Das
gedieht noch in das 13. jh. hinaufzurücken, wie Saab tut
('zweite hälfte des 13. jh.'s', s. 36 seiner abhandlung Ueber vier
allegorische motive; vgl. auch Georg Richter, Beiträge zur
Interpretation des mhd. gedichtes * Kloster der minne', Berliner
diss. 1895, s. 9 anm. 1), geht nicht an.
Versucht man den dialekt der Minneburg innerhalb des
gesammten ostfränkischen gebietes näher zu begrenzen, so
weist der Übergang von hs zu ss auf den westlichsten teil
und auf das hennebergische. Für letzteres kann noch der
einzige dativ di = dir sprechen, sonstige speciell hennebergische
kennzeichen, wie sal für sol, fehlen. Es wäre darum doch
möglich, dass der dichter dem heutigen Unterfranken, dessen
mittelpunkt Würzburg ist, angehörte: er konnte die ihm aus
der nachbarmundart bekannte form di eingeführt haben, um
einen passenden reim auf m zu bekommen. Man wird also
bei der engeren Umgrenzung am besten bei der negativen be-
stimmung stehen bleiben, dass die heimat des Verfassers Ost-
fi-anken, aber nicht das hochstift Bamberg ist.
Anhang.
Keim in Bi nnd Bin.
Die ungenauigkeiten und dialektismen sind hier andere
als in A. Zwar könnten reime wie rerstozen : ungeJazen 51,
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DAS MHD. QEDICHT VON DER MINNEBURG. 303
ir : schier 3243, gnaden : misseräten 7, grcest : hcest 3327, wol
auch bestuonden : wunden 3193 auch da vorkommen. Aber es
fehlen vor allem ganz die inflnitive ohne -n, dagegen treten
folgende in A keine beispiele habende freiheiten auf: offenes
und geschlossenes e reimen in weter : bleter 3459, wert : mert
3305, sele : fcele 3525; ferner verschiet : gelit 55, son : schön 53,
tom : eom 3197, fftwte (subst.) : huote 3495, versinkt : misselingt
129, was : färhaz 155, meeze : metresse 9, minne : gesinde 3285,
bald : all 3289.
Es ergibt sich daraus, was bislang stillschweigend voraus-
gesetzt wurde, dass der Verfasser von Bi und Bin nicht der
von A ist, dass also der ursprüngliche dichter und der be-
arbeiter nicht ein und dieselbe person sind. Die heimat von
ßl Bm ist nicht Ostfranken, auch alemannische und bairische
sowie mittelfränkjische und ostdeutsche kennzeichen fehlen: so
bleibt als dialektgebiet nur das rheinfiänkische, wol genauer
das südrheinfränkische. Hierher passen auch die bindungen
tornizam, son: schön, seh: fasle, verstoßen : ungelözen, minne:
gesinde ^== ge sinne, bald ^= ball : all.
Zur genaueren bestimmung der abfassungszeit von B —
ebenso von der prosa — fehlen anhaltspunkte. Den jüngsten
termin bezeichnet die datierung der hs. d v. j. 1468, für die
prosa die der Wiener prosahs. v. j. 1463.
III.
Inhalt.
Das gedieht zerfällt in fünf capitel, die im laufenden text
selbst bezeichnet sind; ausserdem ist der hs. P die capitelein-
teilung mit kurzer Inhaltsangabe in prosa vorangesetzt.")
Cap. I (v. 1 — 353). Der dichter kommt an einem heissen
sommertag in ein rauhes gebirge, das von einem wildbach
durchströmt ist. Ein floss, das er besteigt, bringt ihn auf
einen schönen, blumenduftigen anger. Bald erblickt er eine
prachtvolle, stark befestigte bürg, deren brücke von riesen,
löwen und hunden bewacht ist. Ein starkes unwetter schläfert
0 Die iuhaltsangabe bei Raab a. a. o. s. 36 f. beruht auf w , gilt also
nnr fi\r die kürzere fassung. Ausserdem ist sie lückenhaft, da die wichtigen
verse 247—343 in w fehlen.
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304 EHBTSMAKN
diese hüter ein und zwingt den dichter zugleich, in der bürg
schütz zu suchen. Innerhalb der bürg befindet sich eine runde,
mit erker, gesinis und fünf spiegelfenstern vei-sehene, aus gold
und edeln steinen überaus kunstreich gearbeitete säule. Wäh-
rend er diese bewundert, erscheint der kämmerer, empfängt
ihn höfisch, nennt ihm auf sein befragen den namen der bürg,
Minneburg, und schliesst ihm die säule auf. Da drinnen steht,
hinter den fenstem, aus glas das bildnis eines mannes, ober-
halb desselben das stählerne bildnis einer fiau. Wenn das
frauenbild sich neigt, so blickt es in das gläserne bild des
mannes und sieht in demselben, was sich darin von aussen
hinein durch die fenster der säule hindurch abspiegelt. Ein-
mal erscheint in diesem glasbildnis das l^ild eines mannes.
Lange blickt das frauenbildnis dieses abgespiegelte bild an;
es wird darauf scli wanger und gebiert sofort ein kind; das
ist stark, kennt alle sprachen, es hat ein schwaches augen-
licht und erblindet bei zunehmendem alter.
In cap. II (v. 354 — 669) will der dichter daz Uspel reht
ndegm. Er durchzieht alle statten der Wissenschaft, um einen
weisen meister zu finden, der ihm die natur des kindes deute.
Endlich trifft er einen solchen in dem meister Neptanatis zu
Alexandrien. Dieser fährt mit ihm zur Minneburg zurück und
erklärt: das kind ist die minne, die bürg ein reines weib, der
löwe (hier nur einer, in cap. I ist von mehreren die rede) ist
ihre eigene hut und ehrgefühl, die sie vor schänden bewahren,
die riesen sind ihre angehörigen, die hunde sind kläff er und
Verleumder. Wenn diese Wächter schlafen, dann mag der
minner ohne schaden in die bürg gehen. Weiter deutet er:
die Säule ist ein reines weib, die fünf fenster sind ihre fünf
sinne, der gläserne mann ist ihre Vernunft, die stählerne frau
ihr freier wille, sie sind vater und mutter der minne.
Cap. III (v. 670—2285) besteht aus fragen des kindes und
antworten des meisters über das wesen der minne, ist also
durchaus didaktischen Inhalts. Dazwischen ist ein underbini
gemacht, v. 1421—2034, enthaltend persönliche herzensergies-
sungen des dichters an seine frouue und darauf eine rede
über das thema ich hin eigen der besten, der schwnsten und
der vesten (v. 1615—2034), wobei diese eigenschaften in streng
eingehaltener disposition der reihe nach begrifflich erörtert
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DAS MHD. GEDICHT VON DEB MINMEBURO. 305
und begründet werden. — Mit v. 2285 sclüiesst das cap. III,
darauf ist wider bis v. 2673 ein underbint eingeschaltet, die
anrufung der geliebten, eine minnerede.
Cap. IV (v. 2677—3177). Fortsetzung der allegorischen
erzählung. Das kind geht mit seiner Jungfrau Cupido, begirde,
spazieren. Sie gelangen zu einer schönen bürg, die wie die
Minneburg von einem löwen, riesen und hunden bewacht wird.
Cupido treibt das kind an, diese zu erobern. Folgt Schilde-
rung der bestürmung der bürg durch das gesinde des kindes,
der unmasse, unsittigkeit, Unbesonnenheit und anderer, und
ihrer Verteidigung durch masse, stärke, Weisheit. Nach wechsel-
haftem, für das kind anfangs unglücklichem kämpfe kommt
man zu friedlichen Unterhandlungen überein. Der rat der
Weisheit wird gebilligt, nach welchem schliesslich das kind
selbst in eigener person in der bürg mit der burgherrin ver-
handelt. Die beiden, die minne und die frau, verständigen
sich, aus ihrer Vereinigung entsteht ein kind, die ^widerminne'.
Es erhebt sich freude ohne zahl, die werte bürg wird genannt
daz edel hüs zu Fröudenberc,
V. 3178—3592 ist eine minnerede, underbint, dazwischen
eingeflochten eine minneklage an herrn Amor und Venus,
die der dichter in einem felsgebirge antrifft, in das er vor
minnekummer gelaufen. Darauf folgt
Cap. V (v. 3193 bis schluss). An einem sonntag gehen das
kind und seine amie, gegen die Warnung der huote, vor der
bürg spazieren. Da wird dieselbe von einem grossen heer,
den kläffern und prüfem, berannt. Auf rat der Weisheit ver-
birgt sich das kind mit seinem gesinde, den belagerem werden
die burgtore geöffnet. Da sie das kind nicht finden, entfernen
sie sich wider. Nun bleibt das kind herr in der bürg: sus ist
daz kint noch sicherlich gewalticlich gewaltic des hüses da
zu Fröudenberc. — Nach so hergestelltem frieden will sich das
kind seinem gesinde, der treue, Weisheit und gerechtigkeit,
für die geleistete hilfe gefällig erweisen. Welche der frauen
einen treuen diener hat, der begründete klagen über seine
geliebte vorbringen kann, dem will es zu seinem rechte ver-
helfen. Darauf beginnt eine gerichtsverhandlung. Die drei,
Weisheit, gerechtigkeit und treue, führen ihre diener, minnende
edelknechte und ritter, vor den richterstuhl der minne, und
Beiträge cur ^etohlohte der deatoohen spräche. XXII. 20
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306 EHRT8MANN
diese fällt ihr urteil über die ungetreuen damen. Mit dem
diener den frau Treue vorführt (v. 4138 ff.), ist der dichter
selbst gemeint, und der ergreift nun das wort zu endlosen
minneklagen. Am anfang einer neuen rede bricht die hs. P
ab. Wie viel noch bis zum ursprünglichen schluss fehlt, wie
weit diese minneklagen noch fortgesetzt wurden, kann aus der
Ökonomie des ganzen nicht gefolgert werden, da schliesslich
jedes mass in der composition des Stoffes aufgehört hat. Doch
ist das V. cap. jedenfalls das letzte gewesen, da es vom dichter
selbst als solches bezeichnet wird (v. 3188 und 3597).
Das ist in allgemeinen zügen der inhalt des gedichtes
von der Minneburg. Als wichtigste motive treten folgende
hervor, die sich zugleich mit der capiteleinteilung decken:
1. Natureingang. Beschreibung der Minneburg und der
Säule = cap. I.
2. Auslegung der allegorie des I. capitels durch einen
weisen meister ^= cap. II.
3. Minnefragen und antworten = cap. III.
4. Bestürmung und einnähme der Freudenburg = cap. IV.
5. Sturm der kläffer auf die Freudenburg. Gericht der
minne = cap. V.
Alle diese motive oder wenigstens verwante züge begegnen
in den gleichzeitigen minneallegorien und sind beliebte inventar-
stücke derselben: keines beruht auf des dichters eigener erfin-
dung. Er suchte die überkommenen zu vereinigen, aber es ist
ihm nicht gelungen, sie zu einem organischen ganzen zu ver-
arbeiten. Sie eingehender zu würdigen könnte nur geschehen
auf grund zusammenfassender Untersuchung der gesammten
mittelalterlichen literatur der minneallegorien, zugleich unter
beobachtung der historischen entwicklung der einzelnen vor-
stellungskreise.") Eine solche fehlt bis jetzt, auch sind viele
dieser gedichte noch gar nicht durch den druck allgemein
zugänglich gemacht. Das umfassendste einschlägige wert
Trojels Middelalderens elskovshofer, behandelt nui- einen teil
des Stoffes.
*) Die von Erich Bachmann in seiner gehaltvollen dissertation über
Everhard von Cersne (1891) angekündigte zusammenfassende darstellung
(daselbst s. 55) ist bis jetzt nicht erschienen.
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DAS MHD. QEDICHT VON DER MINNEBURQ. 807
Es sind nun aber, worauf zuerst Raab hingewiesen hat,
mit der zu gründe liegenden rein weltlichen allegorie züge
aus der geistlichen literatur verquickt. Die darstellung der
geburt der minne aus Vernunft und freiem willen ist eine der
mystik entnommene idee. Vernunft und wille sind die höheren
kräfte der seele, und die oberste der beiden ist die vemunft;
die minne aber ist 'eine neigung des willens, die aus der er-
kenntnis der vemunft entspringt' (Preger, D. mystik 2, 151,
vgl. auch s. 420. 422 u. ö.).') Auch im einzelnen finden sich
mystische gleichnisse und bilden v. 2230 ff. wird die minne
einem edeln bäum gleichgesetzt, was an die ms^stische palm-
baumallegorie (vgl. Strauch, Anz. fda. 9, 121) erinnert. V. 2654
wird der ausspruch der Martha, Joh. 11, 21 beigezogen: die
Martha und ihre Schwester Maria behandelnden bibelstellen
(Luc. 10, 38. Joh. 11, 21) sind häufig gegenständ der predigten
und mystischer Symbolik. Aber alle diese der mystik und
predigt entlehnten Vorstellungen sind hier durchaus in welt-
lichem sinne aufgefasst, sie beziehen sich immer nur auf die
irdische minne. Gerade die Verwendung jener stelle Joh. 11, 21 :
domine, si fuisses hie, frater mens non fuisset mortuus, ist
ein deutliches beispiel der verweltlichung des religiösen Stoffes.
Die verse der Minneburg lauten:
2654 wann ich mac sprechen als Martha sprach:
*frou, fron, werst du hie gewesen,
m!n frönde diu w^r wol g-enesen
und w^r von tod erloeset*.
Es klingt fast wie eine profanierung der heiligen worte.
In dem gi-undmotiv selbst, von dem das gedieht den namen
hat, in dem von einer bürg der minne sind ursprünglich zwei
ganz getrennte vorstellungskreise vereinigt. Den ausgang für
die weltliche allegorie bilden einige stellen in Ovids Amores,
vgl. Raab s.35, wie habet sua casträ Cupido, castra Ämoris.
Hingegen quelle für geistliche auslegung sind alttestamentliche
stellen, Psalm 60, 4 und Hohes lied 4, 4 turris David, und beson-
ders die oben erwähnte neutestamentliche Luc. 10, 38 et ipse
intravit in quoddam ca^tellum (vgl. hiezu besonders Salzer, Die
*) Die queUen des Stoffes, worüber oben nnr andeutnngen gegeben
sind, hoffe ich bei anderer gelegenlieit in einem grösseren zusammenhange
behandeln zu kOnnen.
20*
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308 BHRISMANK
Sinnbilder und beiworte Mariens s. 12. 284 — 292), die auf die
Jungfrau Maria gedeutet wurden. Dem entsprechend ist in
der weltKchen allegorischen dichtung das im bild der bürg
dargestellte weibliche wesen die irdische geliebte, die amie,
in der geistlichen die heilige Jungfrau. Es lag also schon im
Stoffe des mhd. gedichtes eine beiziehung religiöser elemente
nahe. — Ebenfalls ein anknüpfungspunkt an die geistliche
literatur liegt in der episode von der erstürmung der Freuden-
burg. Dieselbe entspricht dem alten geistlichen thema vom
kämpf der tugenden und laster, welches Baab s. 25 ff. schön
entwickelt hat. Und widerum steht dieses motiv der psycho-
machie in ideenverbindung mit dem von der heiligen Jung-
frau als castellum, turris dadurch dass diese bürg verwahrt
ist durch Verteidigungswerke, das sind die tugenden (Salzer
s. 284 ff.).
Das zu gründe gelegte schema der fünf capitel, in welches
sich der Stoff gliedert, ist klar und durchsichtig, und diese
anordnung ist im gedichte auch eingehalten. Aber die ein-
zelnen elemente des Stoffes sind nicht durchweg in glatten
Innern Zusammenhang gebracht und sind ganz ungleichmässig
behandelt. Von einer richtigen Verteilung, einer ebenmässigen
gliederung ist keine rede. Es mangelt dem dichter überhaupt
der begriff füi* Verhältnisse des masses und die fähigkeit der
abwägung verschiedener werte. So ist wichtiges und unwich-
tiges unterschiedslos und gleichwertig behandelt. Diese form-
losigkeit nimmt im verlauf des gedichtes immer mehr zu. So
ist in den beiden ersten capiteln die erzählung und allegorische
deutung verhältnismässig einheitlich durchgeführt und nicht zu
weitläufig, wie sich schon an dem geringeren umfang dieser
capitel bemerken lässt. In den beiden letzten dagegen steht
die ausführung in gar keinem Verhältnis zu dem dürftigen
inhalt. Die übermässige anschwellung bei der armut des
Stoffes wird besonders veranlasst durch die reden, lyrische
zwischenschiebsel, welche der dichter underbint nennt, zum
unterschied von dem eigentlichen thema, der niaterge (s. oben
S.285). Diese minnereden unterscheiden sich in metrik (s. s.285)
und Stil (s. s. 313) von der allegorischen erzählung und den
lehrhaften stellen. Sie wirken mit ihren geschraubten phrasen
besonders ermüdend und die eintönigkeit, die das lesen des
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DAS MHD. GEDICHT VOK DEB MINNEBURG. 809
gedichtes unerquicklich macht, wird in ihnen am meisten
verspürt.
Es scheint, nach diesem fortschreitenden anwachsen des
umfangs, dass der dichter seine arbeit urspriinglich kleiner
beabsichtigt hatte, im laufe des hervorbringens aber, vom
Stoffe beherscht statt über ihm stehend, seiner redseligkeit
keine schranken mehr zu setzen wusste.
Mit dieser Planlosigkeit hängen auch andere mängel in
der behandlung des Stoffes zusammen. Mehrfach werden mo-
tive widerholt, so die geburt der minne in CAp. I, der wider-
minne in cap.V; die Schilderung der Minneburg in cap.I und
der bürg zu Freudenberg in cap. V; der stürm auf die Minne-
burgJn-capJ2^ auf Freudenberg in cap. V; Spaziergang" des
Endes in cap. IV und V. Auch in diesen widerholungen zeigt
sich die mangelhafte erfindungsgabe des Verfassers. — Anderes,
das stark betont war, wird in der folge vergessen. So wird
die mit dem alter zunehmende erblindung, die in cap. I und
bei der auslegung in cap. III als wesentliche eigenschaft des
kindes hervorgehoben ist, im verlauf der erzählung ganz ausser
acht gelassen. Ueberhaupt lässt sich die Vorstellung von der
allegorischen flgur der minne, wie man sie aus cap. I — III ge-
winnt, mit den ausführungen von cap. IV und V nur schwer
vereinigen. — Auch offenbare Widersprüche finden sich. So
kurz nach einander in cap. 11 bei der deutung der Minneburg
und der Säule : beide, sowol die bürg, worin die säule steht,
als diese säule bezeichnen ein reines weib.
Der dichter hat sich von vornherein keinen festen plan
gebildet, hat sich selbst die verschiedenen motive nicht deut-
lich vorgestellt. Darauf und auf der künstelei des Stiles be-
ruht die Unklarheit, die man ihm mit recht zum Vorwurf
gemacht hat (Kaab a.a.O.); doch liegt die un Verständlichkeit,
die Eaab rügt, zum teil in der beschaff enheit der von ihm
benutzten Wiener hs. (w), in welcher die unentbehrlichen
verse 247 — 343 ausgelassen sind (s. oben s. 303).
Es ist indes immerhin möglich, dass der dichter ursprüng-
lich zwei ausgaben veranstaltet hatte, eine kürzere, die, wie B,
mit der endgiltigen behauptung der Freudenburg durch die
minne abschloss, und eine um das minnegericht und die dort
eingestreuten reden nachträglich verlängerte, wie sie in A
'P.
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310 EHRI8MANK
(=P) vorliegt. Dafür dass in der ersten anläge in der tat
das minnegericht nicht einbegriffen gewesen wäre, könnte der
umstand sprechen, dass in der Inhaltsangabe, die im text selbst
das V. capitel einleitet (v. 3596 — 3604) und in prosa in dem
allgemeinen register dem gedichte vorgesetzt ist (s. s. 257), nur
angeführt wird, dass die minne. die bürg gewann und wie die
btirc behalten wart, von dem gerichte aber, das mit den ein-
gestreuten reden doch über 1500 verse beansprucht, gar nicht
die rede ist. Die oben getadelten auswüchse in der composition
wären dann vom dichter zum teil erst bei der erweiterung
hineingebracht worden. Das unerweit^rte gedieht würde dann
bis V. 3806 der jetzigen fassung A gereicht haben, womit auch
ein passender schluss gegeben wäre:
V. 3800 sus ist daz kint noch sicherlich
gewalticlich gewaltic
mit ereil manicfaltic
des hüses d& zu FrÖudenberc;
ez h&t ouch daz zubrochen werc,
daz d& gevallen was demider,
allez schon gebftwet wider.
Aber mit Sicherheit ist in dieser frage, zumal ohne kenntnis
des Schlusses von A, der ja in P fehlt, kein urteil abzugeben.
Inhalt von B.
Der gimsere teil von B, v. 81 — 3118(A) hat den gleichen
text wie A, verschieden sind der eingang und der schluss
(s. s. 276): statt v. 1 — 80 in A hat B 180 verse, davon steht den
Versen 1 — 134B in A gar nichts entsprechendes gegenüber.
Auf eine anrufung der geliebten (v. 1 — 17) lässt der bearbeiter
in V. 17 — 28 eine anspielung auf seine änderung des textes
folgen, wenn anders die hier gegebene erklärimg dieser
schwierig zu verstehenden verse richtig ist:
V. 17 ff. B wes sich hie min sin vervächt
min anderwinde, in dem an fang und dem end,
ob ich bin des der blinde so bin ich doch der bekennt,
der sich in fremdung wirret, ich sprich: 'daz mittel prisen
so blibt doch ungeirret gedichtes kunst die wisen'.
daz bezzer nie vor gemacht. merket nu des underscheid!
nu fürbaz hin, vememt uns beid!
*Mein unterfangen {underwinde, ein zu sich underwinden aufs
geratewol gebildetes Substantiv), wenn ich auch damit ein blinder
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MIimEBURG. 311
bin, der sich ins fremde verirrt (anakoluth) — so bleibt doch
ungestört (unangetastet) das niemals vorher besser gemachte
(nämlich der unübertroffene mittelteil des gedichtes). Wessen
ich mich auch unterfange am anfang und am ende, so be-
kenne ich doch und spreche: die mitte preisen die kunst-
verständigen. Merkt nun den unterschied darin! Nun wolan,
vernehmet uns beide (d.h. den ursprünglichen dichter und mich)!'
V. 29 — 134 B enthalten einen preis der dreieinigkeit und
göttlichen minne. v. 135 — 180 B schildern dann ebenfalls den
Sommerspaziergang des dichters, aber in anderer auffassungsart
und darstellung als A: er kommt in einen schattigen, quell-
durchrauschten tannwald, dann, am ufer eines baches entlang,
auf das blumige gefllde. Der Spaziergang wird in eine freund-
lichere gegend verlegt als in A, wo die Schrecknisse des gebirgs
und des wildbachs zu überwinden sind. Darauf folgt das in
A und B gleiche mittel Mit v. 3119 beginnt B wider von A
abzuweichen. V. 3119—3177 in A sind in B (v. 3219—3272)
nur im Wortlaut verändert, nicht auch im Inhalt. Der in A
folgende underbint v. 3178 — 3592 ist in B weggelassen, dieses
setzt wider ein mit cap. V und erzählt, inhaltlich wie A aber
in verschiedener sprachlicher widergabe, den Spaziergang des
kindes, den stürm der kläffer auf Freudenberg und die wider-
herstellung der ungestörten herschaft der minne (v. 3273 — 3426 B
= 3605 — 3825 A). Der ganze weitere Inhalt des cap. V bei A,
das gericht der minne mit den eingeflochtenen minnereden, ist
von B weggelassen und dafür ein ganz selbständiger schluss
gebildet (v. 3427—3627 B). Dieser ist, wie der eingang v. 29—
134 B bezeichnend für den bearbeiter: es wird hier wie dort
ein religiöses moment in den interessenkreis gezogen, von dem
die längere fassung frei ist. V. 3427 — 3564 preist er die minne,
aber nicht lediglich die irdische, sondern er fasst unter diesem
begriff die himmlische mit ein und macht in ihrer beider
Wesenheit keinen unterschied. Ganz der religiösen betrach-
tung ist das ende geweiht (v. 3565 — 3628). Es sind wider
fragen des kindes und antworten des meisters: *es ist betrü-
bend, dass der tod die liebe scheidet': — * deshalb sollst du
ganz die liebe gottes in dich aufnehmen'; dann die frage: 'wer
ist gott?' und zuletzt: *wie wirkt gottes gnade im menschen?'
B ist um etwa 1500 verse, d.h. mehr als ein viertel, kleiner
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312 EHRTSMANN
als A; gerade die so breit ausgesponnene, mit dem vorlier-
gehenden in gar keinem notwendigen Zusammenhang stehende
Schlusspartie von dem gericht der minne fehlt, und dies zum
vorteil für die abrundung und einheitlichkeit.
Die gründe für seine änderungen hat der bearbeiter in den
obigen versen (s. 310) nicht angegeben. Es sind zwei wesent-
liche punkte, in denen seine fassung von A, so wie es in P
überliefert ist, abweicht, einmal eben die kürze des schluss-
teils — doch ist nicht zu entscheiden, ob er hier wirklich
selbständig eine dem umfang von P entsprechende redaction
des gedichtes gekürzt hat, oder ob ihm nicht überhaupt jene
oben s. 309 f. in frage gebrachte erste kürzere ausgäbe vorlag.
Und dann sein religiöse tendenz. Damit ist, wenigstens stellen-
weise, eine Verschiebung des ethischen hintergrundes ein-
getreten. Während in A auch die dem religiösen gedankenkreise
entnommenen teile des Stoffes ganz nur der Verherrlichung der
irdischen minne dienen, strebt seine Sehnsucht über das ver-
gängliche hinaus zum ewigen, zu der liebe gottes und seiner
barmherzigkeit. Aber seine kräfte sind zu schwach um der
grosse dieser idee ausdruck verleihen zu können, und in
äusserlicher weise, unvermittelt mit dem das ganze beherschen-
den geiste, sind am anfang und am schluss seine frommen
gedanken in ungelenken versen ausgesprochen.
Die prosa.
Die prosa benutzte die bearbeitung B als grundlage, nur
in nebendingen des Wortlautes ist auch auf A eingegangen
(s. s. 279). Umgeändert ist die kurze abhandlung über die
dreieinigkeit, die B im eingang enthält, indem andere eigen-
schaften derselben hervorgehoben werden. Grössere abweich-
ungen finden sich sonst nur in den fragen und antworten des
cap. in, von denen einige ganz weggelassen, andere nicht in
der ursprünglichen reihenfolge aufgenommen rind. Dreimal
finden sich einschaltungen lehrhafter art: 1. auf Zählung der
kenntnisse des weisen meisters, 2. die vier stufen im Wachstum
der minne, 3. Verhältnis der minne zu seele und leib mit be-
rufung auf Aristotücs und sein Btioch von der natur. Am meisten
aber ist der ursprüngliche Charakter geändert durch weg-
lassung der minnereden. Das IjTische element ist demnach
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DAS MHD. GEDICHT VOK DER MINKEBURG. 318
zurückgedrängt, das allegorisch -didaktische herscht durchaus.
Belehrung ist der hauptzweck. Darum auch die form der
prosa. Besonders die Zergliederung des wesens der minne in
dem Schema von fragen und antworten macht den eindruck
eines mittelalterlichen lehrbuchs in art des Lucidarius oder
eines wissenschaftlichen tractates (vgl. unten gegen schluss
von IV).
An umfang ist die prosa noch kürzer als B, besonders
durch die abstossung der minnereden. Dadurch ist aber auch
das Verhältnis von Inhalt und ausdehnung ein ebenmässigeres
geworden als in B und noch mehr als in A. Auch die glie-
derung des Stoffes ist in annehmbaren massen gehalten. Er
verteilt sich in folgender weise:
3 Seiten der hs. religiöse einleitung,
ca. 11 „ „ „ allegorische erzählung,
ca. 22 „ „ „ lehren in fragen und antworten,
11 „ „ „ wider allegorische erzählung,
6 „ „ „ schluss, betrachtungen über die
minne, über gott ihren Urheber.
IV.
Stil. Die geblümte rede. Meister Egen.
Der dichter hat, wie schon bemerkt, innerhalb des eigent-
lichen themas, der niaterge, grössere abschnitte Ijrischen und
reflectierenden Inhalts eingeschaltet {underhint oder undcrhunt),
die er selbst mit rede bezeichnet. Er hält die Scheidung
strenge ein und unterlässt nie es ausdrücklich zu bemerken,
wenn eine rede anfängt. Wie im Inhalt, so sind auch in der
metrischen form (s. s.285) und im Stil materge und rede von
einander unterschieden. In den erzählenden und lehrhaften
teilen, in der materge, entfernt er sich nicht von der normalen
ausdrucksweise. Charakteristisch aber für ihn und für eine
gewisse richtung des 14. 15. jh.'s ist der stil der reden. Hier
ist die darstellung zur geschmacklosesten manier ausgeartet,
als oberster ästhetischer grundsatz gilt: um jeden preis originell
sein. Lächerlich geradezu wirkt die sucht, etwas noch nicht
dagewesenes zu bieten, den bombast der Vorgänger noch zu
übertrumpfen. Der mangel an innerer Wahrheit soll verdeckt
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314 EHRISMANN
werden durch unendlichen phrasenschwall, und in diesem
haschen nach effecten zeigt sich am grellsten die ganz mittel-
mässige begabung des Verfassers. Vom ästhetischen Standpunkt
aus ist das abfällige urteil von Gervinus (Gesch. d. d. dichtung
2''», 443) gerechtfertigt, von diesem aus verdient das gedieht
keine weitere beachtung. Entwicklungsgeschichtlich be-
trachtet ist jedoch diese manier nicht ohne interesse, denn
sie beruht nicht auf den verrückten einfallen eines einzelnen,
sondern sie ist typisch für eine absonderliche geschmacksrich-
tung in der späteren mhd. dichtkunst und findet sich nirgends
so ausgeprägt, so deutlich von dem gewöhnlichen stile ab-
gehoben als eben in der Minneburg. Es ist die sogenannte
gehlüemte rede. Der dichter selbst wendet diesen technischen
ausdruck an v. 468f.:
er künde kriechisch, er knnde kaldeisch
mit gebltiemter rede gemacht gnoter;
ferner mit Worten wol geblüeniet v. 1651. 1811. 1939, diu kluoge
rede v. 2395. 2719, ein rede fin v. 5346, es sind wcehe Sprüche
V. 689, wildiu wort v. 696. 4641, die nicht jedermann versteht,
deren abfassung sowol als auslegung einen gewissen grad ge-
lehrter bildung voraussetzt. Durch diese bezeichnungen ist
die manier passend gekennzeichnet. GeUüemt sind die minne-
reden durch eine Überfüllung mit gesuchten und geschraubten
bildern, vergleichen und hyperbeln, und durch * wilde', d. h.
seltsame und fremdartige worte und Wortbildungen.
Doch nicht nur durch die stilistische, sondern auch durch
die metrische form zeichnen sich die reden von der materge
aus. Als besonderheit des versmasses in den lyrischen stücken
ist schon oben s. 285 die beliebtheit der klingend endigenden
verse angegeben. Die formale künstelei besteht aber vor allen
dingen in der wähl der reimwörter, der effect soll erzielt
werden durch auffallende, bislang unerhörte bindungen. Des-
halb finden sich die wilden wort in grosser anzahl in diesen
reimen der minnereden. Der dichter nennt sie spehe rime
V. 2303, als gegensatz zu den slehten rimen v. 4285, und spielt
auf sie wol auch an mit dem ausdruck mit kluoger süezer rime
tritel (tritt) v. 351. Indem so der Schwerpunkt in den reim
verlegt wird und der ausgang des verses überwiegend das
interesse auf sich zieht, ist auch das *ethos' der verse in den
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DAS MHD. GEDICHT VOK DER MINNEBUBG.
315
reden ein merklich verschiedenes von dem der in ebener Stim-
mung verlaufenden Zeilen der erzählung und lehre.
Am besten wird ein beispiel die Verschrobenheit und den
schwulst der geblümten rede zeigen:
V. 2305 ff.:
5 ach got wie ist verselket,
vermftret und verkelket
in mich der Minne knnder!
die Minne h&t niuwe wunder
mir in daz herz gestiftet.
10 ich forht, mir si vergiftet
min fröudenricher wandel,
daz ich für fröuden mandel
werd ezzen leides zidelbast!
ir minneclicher süezer glast
15 mich in dem herzen kützelt,
daz mir min fröude verhutzelt
ist und ouch gar verdorret,
also bin ich verstorret!
si h&t mir ab geblondert
20 min fröude, daz mich halt wundert
wie ich si so veraffet.
ich hän sie angeglaffet
lang mit miner ougen zwirbel,
daz mines libes sinnes wirbel
25 ist ftf sie getorkelt.
nu beert wie sie mich morkelf,
zudresch und ouch zumtirschet,
zusluoc und ouch zupfnürschet!
ob sie vor fröuden kittert
30 wenn mir min herze zittert,
und ob sie darumb snöuwet
ob ich mich durch sie fröuwet?
t^t sie daz, s6 würd mir dorren
min herze glich dem dürren stor-
35
[ren.
also würd ich gederret!
ist daz sie mir derkerret
min herz, daz ez derkirret
und sam ein doner zirret,
so bin ich fröud verirret.
40 swie sie sich von mir virret,
so wirt min herze pfimpfen
und sam ein kole dimpfen
daz ich vor ungelimpfen
niht fürbaz mac geschirapfen.
45 darzu wird ich zuhadert,
zuzerret und zufladert,
zurizzen und zulumpert,
daz trftren umb mich slumpert
ob sie sich gein mir wildert
50 und nicht gein mir gemildert.
Diese probe zeigt ischon, wie der dichter sich ablietzt mit
ästhetischen figuren, metaphorischen ausdrücken und hyperbeln,
aus deren wirrsal sich kaum eine deutliclie Vorstellung los-
ringen kann. Eine auslese der gesuchtesten und abgeschmack-
testen bilder und vergleichungen möge noch zur Verdeutlichung
der geblümten rede angeführt sein'):
V. 458 wie der künste ein blüendez zwi
durchsaffet hab im (dem meister Neptanans) sluiu lider.
0 Der dieselbe ebenfalls charakterisierende Wortschatz soll an anderer
stelle behandelt werden. Viele gar nicht oder selten belegte Wörter sind
nach der Wiener hs. w
und 3 geliefert worden.
von Schönbach für Lexers Handwörterbuch bd. 2
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316
EHRISMANN
V. 670 ff.:
ei kunst, tuo mich mit wiz durchborn,
wenn ich ob künsten tischelin
sitze und hän niht sinnes win
darüf noch künsten wilpr^t!
ich hftn von wiz ouch kein geret
daz mir min grobez herze erquick
und künsten sterke in mich schick.
Oder
mins armen herzen fiurstein
rüert hart an alle zerte
din (d. i. der minne) stahelfiurisen
herte,
da zwischen hat gestozen znnder
ein zartez wip, des lobes ein wunder,
bewart von meiles smerzen,
daran mins leides swefelkerzen
für w&r sin entzündet,
die hän fürbaz angekündet
daz ich der höhen künsten kluoc
biz her nie h&n gehabt genuoc
zu ezzen noch zu smecken
und sie niht moht gestecken
under mines sinnes riben,
des ist min sin gar klein bekliben
reht alsam ein klein getwerc.
1562 ft:
mins herzen hüs, daz ez &n stiure
st^t in höhen lohens fiure
und brennet st§te tac und naht,
der rouch mir tempfet libes mäht,
ei kum, vil süeze troBsterinne,
lesch mich mit tröstes wazzers
minne !^)
hilf mir üz noeten, die ich dol,
wann miner fröuden swarzer kol
glimmet s^r in leides hitze.
daz sie mit violischen Sprüchen
den liuten in ir ören rttchen!
V. 1708 ff.:
künd ich mit lobes gezierde
die sinne hier umbzismen,
durchbalsmen und durchbismen,
V. 2550 f.:
ez sint mins herzen hend und bein zusamen ouch gelidet
V. 3730 ff.:
reht als der dahs daz fliuhet
da der fuhs gehamet h&t,
sin art in niht beliben IM
swä im der selbe smac wirt kunt:
also, Minne, swä ir ein stunt
Sit reht gewesen genzlich
von iuwerm smac krefteu rieh
haz und nit der keinez
noch ihr gesieht unreinez . • .
mügeu gewonen nimmer
genzlich in dem gezimmer.
Etwa ein dritteil der Minneburg ist in dieser schwülstigen
manier abgefasst. Sie wird, als in den reden, vornehmlich da
angewendet, wo gesteigerte gefühle zum ausdruck gebracht
werden sollen, hier natürlich meist solche der minne. Da wirkt
der hohle bombast oft geradezu lächerlich, in dem phrasentum
tritt des Verfassers mangel an künstlerischer begabung nur
*) Statt 'mit dem trostwasser der minne'.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBUBG. 817
allzu deutlich zu tage. Nicht unwillkürlich kleiden sich die
gedanken in bilder, sondern mit Spitzfindigkeit sind diese aus-
geklügelt. Abgesehen von der Überfüllung und der nicht
seltenen geschmacklosigkeit decken sich die tropen oft gar
nicht mit den zu gründe liegenden gedanken oder sind in sich
nicht einheitlich und logisch durchgeführt. In folge der mehr-
fachen bezugnehmungen auf die maierei könnte man ein ge-
schärftes beobachtungsvermögen bei dem dichter voraussetzen.
Aber es mangelt ihm die anschauungskraft, die gegenständ-
liches in scharfen umrissen zu fassen versteht, und ein sicheres
und geordnetes vorstellungsvermögen.
Ein in der geblümten manier übertrieben angewendeter
stilistischer kunstgriff besteht darin, statt eines einfachen
Substantivs eine uneigentliche substantivische composition, Sub-
stantiv^ mit vorangehendem substantivischem genitiv, zu setzen,
wobei der ursprüngliche begriff in den genitiv tritt. Je nach
dem logischen Verhältnis beider begriffe ist die so entstehende
Umschreibung mehr oder weniger passend, jedenfalls ist sie oft
schwerfällig und gekünstelt, in den meisten fällen überhaupt
überflüssig, indem von dem durch ein Substantiv (dem im
genitiv stehenden) ausgedrückten grundgedanken durch die
erweiterung vermittelst eines zweiten Substantivs doch nichts
wesentlich neues ausgesagt \^drd, z. b. äne zwifels rite ist so
viel wie äne zwifel, der rede kri = diu rede, zornes pfliht =
zorn, von gewaltes sinnen = von gewalte, an spotens hon =
äne spot, der steine rotschen = 'f eisen', der vemunft list =
* Vernunft' u. s. w., vgl. auch Weinhold, Lamprecht von Regens-
burg s. 16. In weiter ausgeführten bildern häufig angewendet
tragen sie hauptsächlich zur verschnörkelung des Stiles bei,
z. b. V. 1750 ff.: seine dame ist dem dichter feindselig, diese
tatsache ruft in ihm die Vorstellung eines bildes von einem
kämpf hervor: die frau nimmt ihrer minne lanzen (vgl.
Parz. 76, 14) und wirft sie auf seines sinnes blatten (blatten-
harnisch); sie gibt ihm manchen stoss auf seines muotes heim,
dass er auf der sorgen melm vor sie *burzelt'; dann zieht
sie ihn mit leides seil auf der sorgen erker, lässt ihn in
trauerns kerker fallen und schlägt ihn in unmuts block
U.S.W. Häufig sind die beiden Substantive fast bedeutungs-
gleich, umgekehrt besteht oft ein innerer Zusammenhang
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318 BHRISMANN
zwisclien ihnen überhaupt nicht, sondern willkürlich sind in
dem rahmen eines einmal begonnenen bildes einzelne bestand-
teile dieses bildes auf einzelne begriffe der zu gründe liegenden
idee angewendet. So sind an eben angeführter stelle aus dem
bilde heraus die Vorstellungen von lanze, blatte, heim
U.S. w. ohne weiteres den der zu gründe liegenden gedanken-
reihe angehörenden abstracten begriffen minne, sinn, muot
u. s. w. beigelegt. Auf diese rein äusserliche weise sind viele
der bildlichen ausführungen des gedichtes entstanden. Die
beiden gedankenreihen, die der nackten tatsache und die in
tropen gekleidete, kreuzen sich dabei fortwährend, ein los-
gelöstes, in sich abgeschlossenes und durch sich selbst inter-
essierendes bild entsteht nicht. Eines der stärksten beispiele
für diese manier bilden die von W.Grimm, Heldensage* s. 283
angeführten verse. — Einige male ist das logische Verhältnis
der beiden Substantive im sprachlichen ausdruck geradezu
umgedreht, so z.b. v. 565 f. ejsf st denn dae enbrinne der starken
weter minne statt diu starken weter der minne; 15751 ei
kum, vil siieze troesterinne, lesch mich mit trostes wazzers
minne statt *mit dem trostwasser der minne' (s. s. 316).
Weniger häufig kommen zweigliedrige ausdrücke, aus
Synonyma bestehend, vor, mit und ohne bindewort, z. b. ergalmt
und erdoz 31, mit gir und auch mit grdzem git 292, zutrennet
und zutrant 300, mit här mit Mute 1726, umb stiur umh helf
1675, wenden kSren 22; asyndetische aneinanderreihungen be-
gegnen überhaupt öfter, so noch: daz kint die kamer er die nämen
522, waz st diu hure diu siule umgrabt 668, wer din leben in
herz in Üb 785 u. a. Auch dreigliedrige synonymische formein
finden sich, wie durdiftnet, durchglenzet und dtirchschinet 147.
Bei all seiner Virtuosität beherscht der Verfasser die
spräche doch nicht recht, das zeigt sich in groben Verletzungen
gewöhnlicher sprachregeln, z. b. Vernachlässigung der flexion
V. 240f.: daz gap dar inne vil liehtem schtn dann uzen dran
und glenzer (statt glenzem) im reim auf genzer, Fehler in
modus und tempus des verbs v. 2326 ff. (vgl. s. 315) nu hcert
wie sie mich morkelt (ind. praes.), zudresch (conj. praes.) und
oudh zumürschet (ind. praes.), zusluoc (ind. praet.) und ouch
zupfnürschet (ind. praes.) u. a.
Den Stil ins einzelne zu verfolgen dürfte sich bei der
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG. 319
massigen literarischen bedeutung des gediclites nicht lohnen,
und allgemein giltige ergebnisse können nur aus der betrach-
tung der verwanten dichtungen insgesammt erzielt werden.
In erster linie kommen hierbei die typischen formein,*) die
immer widerkehrenden metaphern, auch formelhafte reime in
betracht. Eine Sammlung derselben mit statistischer beobach-
tung würde am besten die Unselbständigkeit jener epigonen
zeigen und zugleich ihre abhängigkeit von den meistern der
mhd. dichtung. Denn der einfluss Wolframs und Gotfrids lässt
sich in solchen einzelheiten durch die ganze periode hindurch
verfolgen (s. unten). So geht die Umschreibung eines begriffes
durch Substantiv und genitiv besonders auf eine bekannte
eigenheit Wolframs zurück, der in der Minneburg speciell
nicht hervortretende parallelismus zweier Substantive auf
Gotfrid. Ein kunstmittel jedoch, das sonst in zeiten gesun-
kenen geschmacks, wie z. b. bei der zweiten schlesischen
schule, zur verschnörkelung und auszierung wirksam ver-
wendet wird, tritt in der 'geblümten rede' zurück, das ist das
malende beiwort.
Ebenso gibt es einen ständigen Vorrat einzelner motive,
gemeingut der literarisch gebildeten, aus dem die dichter
nach belieben schöpften. Auch in der Minneburg finden sich
solche vielfach verwertet, die daneben in andern dichtungen
der nachblütezeit widerkehren, so die weit ausgesponnenen
symbolischen Wappendeutungen, das prunken mit edeln steinen
und fremdartigen pflanzennamen, farbensymbolik, turnier, jagd,
der baumzucht entlehnt der beliebte tropus von dem auf einen
bäum neu gepfropften reis, beschreibung des epitaphs der minne
(diese stelle, 2638 ff., führt R. M. Werner im Anz. fda. 7, 146 an
zum vergleich mit MSF. 129, 36 ff., wozu nachzutragen Veldekes
Eneide8333. Parzivall07,30. Willehalm 73,27. Wigalois211,32.
Mai u. Beaflor 174, 32. Massmann, Alexius 66, 85. Ulrichs Ale-
xander 11105—11820, lat in Frommanns Herbort s. 309. Zs. fda.
33,252 u.a.). Individuelle züge sind nur wenige zu ver-
zeichnen. Indessen sind doch manche dem Verfasser allein
eigen, so die geschmacklosigkeit in der specialisierung der
^) Solche sind auch die ans der geistUchen literatnr, der Marieudich-
tung, vor allem Konrads Goldener schmiede entnommenen bilder zum preise
der geliebten, wovon Raab a. a. o. s. 36 anm. beispiele anführt.
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320 BHBISMANN
recepte gegen die niinnesehiisuclit, deren bestandteile genau in
pfunden und quintinen vorgeschrieben werden (v. 3828. 5442 ff.),
die beiziehung der maierei (s. unten), eine beschreibung meh-
rerer folterproceduren (2562 ff., Hätzlerin 2, 25, 160 ff., s. 181).
Dem entsprechend steht der dichter auch in seinen son-
stigen literarischen und gelehrten anspielungen auf dem niveau
seiner zeit. Es werden beigezogen die heldensage (das von
W.Grimm abgedruckte stück, Heldensage^ s. 283), der Par-
zival bez. der jüngere Titurel (Gral, Muntsalvas, Artus, An-
fortas, Gamuret, der baruch, SchastelmarveU, Sigune und Schio-
natulander; die beschreibung des gralstempels und des palastes
des priesters Johannes mit der Säule im j. Titurel hat offenbar
bei der Schilderung der Minneburg im cap. I vorgeschwebt;
daz fiur von Ayrimonttn s. unten. Aus Wolframs Wille-
halm entnommen sind die hinweisung auf sant Wilhelmen
Mag um Viviane v. 4532 ff. und 1921 ff. dusi mlde mer moht
mch mit nihte des erwer, oh sie (die geliebte) einen finger dar
in stiezy ez gewann an süeze den geniez sam ez üa honiges
hrunnen flüzze daz sin Hut und vihe genüzze sicaz da wer
gesezzcn: die entsprechende stelle des Wülehalm (62, 11 ff.) ist,
unter nachweisung anderer nachahmungen, eingehend von
Stosch, Zs. fda. 33, 127 f. und 38, 138 ff. besprochen worden.
Bemerkenswert ist, dass hier in der tat Wolframs zehe durch
das, wie Stosch richtig bemerkt, unserem geschmack mehr zu-
sagende finger einsetzt ist. Ferner werden genannt Kamille,
von der in Eneas man saget (4174 ff.), und als beispiele be-
rühmter liebespaare Helena und Paris, Wigalois und Larie,
Lanzelet und Iblis (3169 ff.) Verhältnismässig häufig treten
namen aus der bibel, besonders aus dem alten testamente auf;
aus der legende der weithin verehrte S. Martin als muster
der barmherzigkeit {der sinen mantel haU) zusneit und in üf
einen blözen leit 2529 f.) und S. Lienhart, bekannt als erlöser
aus banden {din trost mich also süezlich labt in diser gefenknis
hart, reht als mich Sant Lienhart hob dannen bräht genuhtic
2624 ff.). Als männer der Weisheit und Wissenschaft werden
genannt Salomo, Aristotiles, Alanus, Ypocras (3356 ff.),
als berühmte ärzte Avicenna, Pitagoras, Galien und
widerum Ypocrates (54151), als statten der gelehrsamkeit
Lunders, Brügge, Paris, Dolet 186 f., Paris, Salem,
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DAS MHD. OEDICHt VOK 1>BR tfIKKEBÜRO. 321
Padaw, Montpelier, Dolet 388 ff., und, als heimat des
Neptanaus, Alexandrie 398. — In dem weisen meister der
nm anskunft fiber das wesen der minne angegangen wird und
der die fragen des kindes beantwortet, stellt der dichter sein
ideal eines meisters der Wissenschaft, der sieben freien künste
dar. Er gibt ihm den namen des Zauberers der nach der
sage von Alexander im grössten teil der Oberlieferung dessen
vater war und für ein gefäss der Weisheit galt. A (P) hat
Neptanaus (464 Naptanaus\ die verschiedenen lesarten von B
gehen auf eine grundform Necianabus oder Nectanebus zurück.
Die erstere form mit pt stimmt zu derjenigen in der pseudo-
Rudolfschen Weltchronik (Neptanabus, vgl. R. M. Werner, Die
Basler bearbeitung von Lamprechts Alexander s. 7), in Ulrichs
von Eschenbach Alexander (ebenfalls Neptanabus) und im
'grossen' Alexander (Beitr. 10, 346. 348). Ulrich schildert die
minne des Zauberers zur königin Olimpiadis als eine tat der
frou Amor (v. 301), der frou Minne (v. 315) und es ist
nicht unmöglich, dass diese scene mit der personification der
minne (v. 300 — 350) die veranlassung dazu abgab, dass der
dichter der Minneburg gerade den Neptan(J[jti\us als sachver-
ständigen im minnewesen wählte.») Die formen von B (Nectu-
nabfis U.S.W.) und der prosa (Nectanabris) mit et scheinen dann
wider dem sonst in der Alexandei*sage gewöhnlichen Nectanebus
nachgebildet.
Einen tiefern ethischen gehalt wird man in dem gedieht
nicht suchen. Von gemeinheiten oder lüsternen anspielungen
hält sich der Verfasser zwar frei, aber seine begriffe von liebe
erheben sich nicht über den äusserlichsten minnedienst. Die
Übertreibungen im preis seiner dame, die endlosen liebesklagen
lassen den mangel wahrer empfindung nur um so stärker her-
vortreten. Das dichten ist für ihn in der tat eine kunst in
der mhd. bedeutung des wortes, eine technische fertigkeit.^)
Bei allen auf gef ühlserregung berechneten effecten kein gemüt,
1) Vielleicht hat die in vielen bearbeitnngen der Alexandersage vor-
kommende Schilderung des tempels des Jnpiter und der Jnno in Aeg^'pteu
mit den statnen dieser beiden gottheiten das vorbild geliefert für die dar-
stellnng der s&ule in der Minneburg (oben s. 304) mit den bildnissen eines
niannes nnd einer frau.
*) Vgl. hierzu besonders Roetlie, Reinmar s. 18«if.
Beitiftge zar geaebicbte der deaischen iprAche. XXII. 21
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322 SHttlSMANK
in den gesachten ideenverbindongen keine klare anschaulich-
keit, Plattheit neben unwahrer Sentimentalität. So ist die
Minneburg ein ausgeprägtes beispiel für eine kunstveriming
der abblühenden mhd. dichtung, welcher das wesen der
poesie in der Übertreibung und masslosigkeit stilistischer
formen liegt.
Für die Stilistik der nachbltttezeit der mhd. literatur ist
die beobachtung der mit dem terminus technicus ^geblümte
rede' bezeichneten stilgattung von einschneidender bedeutung.
Ein nicht unbeträchtlicher teil der denkmäler ist darin ab-
gefasst. Es ist eine mit bestimmten hier aus der Minneburg
erwiesenen kunstmitteln und meist unter bestimmten beding-
ungen von deu dichtem angewante technik. Wol zu bemerken
ist: die schwülstige darstellung ist, mit wenigen ausnahmen,
nicht die durchgehende, einem autor unter allen umständen
eigene, individuelle ästhetische ausdrucksform, sie ist nicht
*der Stil des dichters', sondern ist ihm nur ein stilistisches
mittel, um gewisse stellen seines Werkes sinnfällig auszu-
schmücken, besonders den eingang, seltener auch den schluss,
oder um, ganz durchgeführt, gedichten meist kleineren umfangs,
besonders lobpreisungen, einen — vermeintlich — höheren
Schwung zu verleihen. Beide stilarten, die ungeschminkte
darstellung und das phrasentum der geblümten rede, gehen
oft in ein und demselben gedichte nebeneinander her, wie ge-
rade in der Minneburg. Darum ist Gervinus' urteil über den
Stil der Minneburg insofern nicht erschöpfend, als der Vorwurf
des bombastes vorzüglich nur die lyrischen einschaltungen,
nicht das ganze gedieht trifft. Häufig sprechen es die dichter,
wie der der Minneburg, selbst aus, dass sie in ^geblümten
Worten' reden wollen oder bedauern ihre Unfähigkeit, dieses
nicht genügend tun zu können.
So besonders Suchenwirt, und dessen erläuterungen sind
für den gegensatz der beiden stilarten belehrend. Z.b. gibt
er zum ged. IV in v. 557 — 559 die stilistische bemerkung: die
red han ich gedichtet, mit tvorten siecht berichtet, ah sich die
rais ergangen hat, und in der tat ist das gedieht ohne über-
triebene redensarten im tone eines historischen berichtes ab-
gefasst. Ebenso XL, 5 f.: daz ich mit Sprüchen slechter wort
tveltleicher läuff beticht ein ort: das gedieht ist in schlichter
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DAS MHD. GEDICHT VOK DER MtNNEBÜRG. 323
form gehalten. Desgleichen ist das gedieht XIV 'nngeblttmt'
gelassen in äbereinstimmnng mit v. 5f.
pluemt ich na end und aneyank,
so würd di red ein tail ze lank.
Von diesen Sprüchen unterscheiden sich die, in denen der
dichter auf seine anwendung der geblümten rede bezug nimmt,
durch mehr oder weniger stark aufgetragenen schwulst. Es
sind dies no.I, IH, VIII, XIII, XVI, XVH, XVIII, XXI, XLI,
XLVI. Sein gewöhnliches verfahren ist, dass er am eingang
in einigen phrasen seinen mangel an fähigkeit zur ausübung
der 'geblümten kunst' beklagt' (einmal am schluss XXV, 371).
Gerade in diesen einleitenden versen sind die redeblumen am
verschwenderischesten ausgestreut, während dann der hauptteil,
die Schilderung der ruhmestaten des gepriesenen herrn, fast
immer (nicht durchweg) in einfacher darstellungsform gehalten
ist. Der schluss ist öfter gehoben, doch weniger pompös als der
eingang. Dieses Schema hat er nun natürlich nichtliberall streng
durchgeführt, aber es besteht doch eine überwiegende neigung
es einzuhalten. In den oben angeführten vei-sen XIV, 5 f. spricht
er dies letztere selbst aus. Die technischen ausdrücke für die
geblümte rede bei Suchenwirt sind spceche fünde, warhafte wort
geplümet I, 5 und 19; wit^f und wol gewegne wort, wol bedachte
sinne mit Weisheit auz und inne geplümt u.s.w. III, 2 ff.; ge-
plimte chunst VIII, 5; dy veynen wort XIII, 4; gepluemten wort
XVI, 9; gepluemte red XVII, 7; di spcehen fünd, reim unde wort
XVIII, 16; speher fände chram, di spehen sprtlch durchflorirt
XLI, 18 ff.; clAge sprüch, die fremden wort XLVI, 1 ff.
Derartige bezeichnungen des manirierten Stils finden sich
häufig in der literatur des ausgehenden 13., des 14. und 15. jh.'s.
So bei Suchenwirts Verehrer Hugo von Montfort: er (Suchen-
wirt) vacht'z mit geblüemten Worten an II, 143 (Wackemell);
geblüemte wehe wort, mit gflorierten Worten, gar spehi wort
XXXI, 5. 13. 26; cluoge wort XXVIII, 245. XXXVI, 1. XXXVIII,
98; süessi wort XXIV, 5. 98; mit bezug auf versmass und reim-
kunst: kluoge silmen III, 6; kluoge rime XVIII, 110. XXIV, 106;
silmen rime cluog XXXI, 25; sucssi wort mit rimen schon ge-
messen XXIV, 5 f. Dagegen ist wider die einfache ausdrucks-
weise gemeint III, 69 ff.: du la dir nieman tichten, schrih us
dins hertsen grund siechte wort mit trüwen richten,
21*
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324 EHRISMAKN
Weitere beispiele: Frauenlob (Ettmüller) Sprüche no.370,
s. 210 ff.: ich wil des sinnes lie florieren, mit roselohten Worten
schon probieren, mit redebluomen sunder vrist hie riolvar
voMeren ein lop u.s.w. swer ez sol spcehe hlüemen. Selbst
bei diesem dichter sind verschiedene grade stilistischer form-
gebung zu bemerken: der höchste bombast in Marienieich und
in den lobsprüchen, dagegen beschränkung in den lehrhaften
gedichten.
Der minne falkner (ed. Schmeller, Hadamar v. Laber)
s. 207, y. 183 ff.: ist mit spcehe das gedichte noch clüg an allen
orten, so sey doch sein die slichte mit groben reimen und
unbesniten Worten. Kluoge fünde und spashe sprüche
sind mir tewre.
Quilichinus-Alexandreis: mit versen gefl^rieret Beitr.
10, 335.
Lassbergs LS. 1, 105, v. 1 ff.: kör^ ich mit rosenlechten
sprachen wbl geflechten vndmit geblümpten Worten vl.s.w.;
2,698 V.127 spcehe rede.
Hätzlerin 2, 73, v. 137: vnd plümt es mit hübschen
Worten.
Keller, Fastnachtspiele s. 260, 5 f.: und habs mit
Worten nit verplümt und unversunnen herausjs lan farn;
s. 262, 17: wann ich kan meine wort wol plümen.
Hermann von Sachsenheim, Goldener tempel (Martin)
s. 232, V. 1: spehe wort, v. 100 f.: mitt klugen Worten min
stifftung spech subtyln, v. 500 und 555: floriern (= *mit
Worten schmückend preisen*); Grasmetze, Hätzlerin 2, 72, v.162:
kluoge spräche gespengelt.
Besonders lehrreich für die theorie der geblümten manier
ist Der meide kränz von Heinrich von Mügeln. Der
eingang ist hier ganz geschraubt, die reden der einzelnen vor
dem kaiser auftretenden künste sind es weniger, sehr stark
dagegen, und dies ist bezeichnend, die der Rhetorica. Sie
gibt zugleich ein musterbeispiel für geblümten stil. Die ganze
stelle lautet nach Cod. pal. geim. 14, mit beiziehung der Göt-
tinger hs. (g): 1,1.9a.
dy yirde kvnst rehto'ica dar ein gar meisterlich gesät
ging fnr den wMen keysfer] da. yil manig phim von golde rieh:
pla sam lasiir was ir wat, ui ich gesach des cleides geleich.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNBBURO.
325
bl 9b.
iiym czaichfi diser kranckeu scbrift:
^des Zornes flafii wekt mordes gift.
wa czornes sw^ dez keysers reist,
da ist der yeinde guft verweist,
in leides norden auch zehant
ir frenden sumer wirt gewant.
ob schnld erwecket sinen czom,
nz sent er sinner räche dorn,
damit er braches stftrm verhert
und rechter czom sein fride wert,
wa aber schnld genaden gert,
czu wachse wirt sins czornes swert;
das y^sneit (= vor sneit?) griffier deli
ein fewr,
daz gibet solt der genaden {g, schult
genaden P) steur.'
wer tihten kan, der merket io,
wy daz hi lauft transsumptio
der färben; sechs und dreyszig sein
der worter nach der lere mein,
der sinne vir vnd czwanczig hau.
manch tichter ir nicht czwelfe kan,
da mit er felschet meine kunst
u. s. w.
Vgl. auch bl. 24b:
dy yirde {die rheiorik) sechczig yarben seczt,
da mit si plÄmet ynd yereczt
waz rostes in dem tichte lag.
Sehr deutlich zeigt vsich der untei*schied der beiden stilarten
in seinen von W. Müller herausgegebenen fabeln und minne-
liedern; die ersteren sind rein erzählend, also in natürlicher
spräche abgefasst, die lyrischen gedichte dagegen sehr geblümt.
Die rhetorik ist diejenige der sieben freien knnste, die die
feine und zierliche, besonders aber auch die blumige spräche
lehrt (vgl. Diefenbach, Glossar 496b: Rhetor u. a. schöner
redner, lerer der schonen und hubischen red, zierer
der red u. a. [auch die minnesinger bez. meistersinger heissen
rhetores']^ Rhetorica ein kunst von der zierheit der
rede, von schon reden, s. auch Nov. gloss. s.318). Deswegen
preisen sie die dichter des 14. 15. jh.'s häufig, z. b. Regen-
bogen MSH. 3, 4681 no. 5: wer singen wil unt vrte kunst hie
wegen, der nem retorica die schcen, ir bluomen wol behak:
si blüemt vür alle bluomen in dem hak, si blüemt vür alle
varwe glänz, ir bluomen gent cur galt, edelz gestein, die silben
Hm mit warten glänz (oder ganz nach J. Meier, Jolande s. 75)
mit blüender red gesliffen uf ein stein; si blüemet wol ge-
sanges kränz u.s. w.; ebenda no. 6: grammatica, si heldet wärheit
unt daz reht hilft ir blüemen schon retorica. — Muscat-
blüt (Groote) s. 250, iv: ich wil die dritte sptsen, die loben auch
die wisen^ si heizt rethorica, der wil ich mich gerüenien, alle
wort kan si wol blüemen und heizt der künste krön, si kan
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326 EHRISMANN
wisUchen dichten, manch scluenez wort üzrichten u. s. w. —
Kolmarer liederhandsclirift (Bartsch) s. 93: rethorica.
auff spechen Spruch wort vnnd red florieren] s. 320, 25 ff.:
rethorica ich lohen uil: gesanges spil durchhliiemct sie;
s. 424, 27: rethorica mit Worten wis. — Vintler v. 10128 f.:
so chan ich nicht rethorica, die hübsche red pricht enzwai,
— Keller, Fastnachtspiele s. 740, 18 ff.: Tullius lert reto-
rica, hübschlich reden nein und ja und mit geblümten
Worten dictiren und sach von sach spedficireti. — Ritter-
spiegel von J. Rothe (Bartsch, Md. gedichte) v. 2645 ff.: di
derte daz her gesmucJcte rede hobischlichin kan uz gerichte
und manchirlei gerime darmede und schone materien getichte.
— Pf äff von Kaienberg (Bobertag, Narrenbuch) s. 7, v. 7ff.:
das ich nit hob auff' disse fart suptile und geplümpte wart,
alsz die rethorica hat in ir.
Die lehre vom stil gehörte im unterrichtswesen des mittel-
alters in das gebiet der rhetorik und war somit ein gegenständ
der schulen und Universitäten. Die manii'iertheit des stils war
für das ästhetische gefühl der epigonen der ideale ausdruck
der poesie. Diese konnte gelernt werden, und somit die kunst
selbst. So trifft die dichtkunst zusammen mit dem kanzleistil,
in den schon seit anfang des 15. jh.'s die florierte rede ein-
geführt war, vgl. Zs. fda. 37, 111; Muscatblüt s. 251, iv 55 von
der rhetorica: in mancher kantzeleyen wont si den fursten by,
und mit dem briefstil. Diese hatten ihre lehrbücher in den
zuerst lateinischen, dann seit ende des 15. jh.'s auch deutsch
abgefassten formelbüchern und rhetoriken, die als technische
ausdrücke für die ausschmückung ebenfalls die wolgezirt ge-
plömte red, gezierte geblümbte synonima, auch hostlich co-
lores der rethorica gebrauchen, vgl. besonders Edw. Schröder,
Jacob Schöpper von Dortmund s. 28. Szamatölski, QF. 67, 19 ff.
Joachimsohn, Aus der Vorgeschichte des * Formulare und deutsch
rhetorica' Zs. fda. 37, 24 ff. Weinkauff und Crecelius, Alemannia
6, 68. 200. Daran schliessen sich die complimentierbttcher, deren
Hoffmann v. Fallersleben ein beispiel im Weimar, jahrb. 1, 322
— 327 herausgegeben hat, vom jähr 1654, wo am schluss ein
^Extract der verblühmten Reden und Spruch-Wörter
zusammen getragen' ist, vgl. auch Denecke, Beiträge zur ent-
wicklungsgeschichte des gesellschaftlichen anstandsgeffihls
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DAS MHD. GEDICHT VON DEB MINNEBUBO. 327
(progr. V. heil. Kreuz in Dresden 1891) s. xxv ff. Die redeblumen
waren für die letzgenannten zwecke natürlich wider anderer
art als in der dichtnng, zumeist Synonyma. — Weitere bei-
spiele für bläemef^, verblüemen in dem speciellen hier behan-
delten sinne, besonders aus dem 16. 17. jh., s. DWb. 2, 160 und
12, 146. Heyne, DWb. 1, 459 f. und 941 (floskel). Im DWT). 12, 146
wird der ausdruck redeblumen direct an Cicero und Quinc-
tilian (flores verborum u. dgl.) angeknüpft, es ist aber für das
mhd. blüenien u.s.w. Vermittlung des mlat. und roman. wahr-
scheinlicher, vgl. Du Gange unter florere, flos, flosculus u. a.
Im mhd. kommt blüenien in übertragener bedeutung besonders
in der phrase mit lobe blüenien oder {ein) lop blüemefi ausser-
ordentlich häufig vor, zuerst in Gotfrids Tristan v. 23.
Schliesslich sei noch auf die berührung mit der schwester-
kunst musik hingewiesen. Auch diese hat unter ihren tech-
nischen ausdrücken die flores, auch colores, eoloratxir, blunien,
colorierefi, blümen, vgl. Jacobsthal, Zs. fda. 20, 75 f. Plate, Die
kunstausdrücke der meistersinger, Strassburger Studien 3, 198.
Adam Puschmann, Gründlicher bericht hg. von Jonas s. 11. 16. 26.
Wagenseil, Von der Meister-Singer Holdseligen Kunst s. 531 f.
Gräters Bragur 3, 82, und die Vereinigung von dichtkunst und
tonkunst ist ausgesprochen in stellen wie der Kolmarer lieder-
handschrift 320, 25 ff,: rethorica gesanges spil durchblüemet
sie; 407,21 f.: rethorica .. . diu ziert gesanc mit hohefti lobe;
597, 89 f.: rethorica, da mite er blüeniet sin gesanc.
Um die historische entwicklung des geblümten stils in
der deutschen dichtkunst bis zur quelle zu verfolgen, sind
noch einige frühere belege für das vorkommen der betr. tech-
nischen ausdrücke anzuführen. So leitet Heinrich von Frei-
berg seinen Tristan ein: wä nu richer künste hart, wä scheine
rede, wä blüende wort u. s.w., v. 34 f . wol geblüemet und
wol geberlt ist siner (Gotfrids) blüenden vünde kränz,
V. 1302 f. geblüemet schone und hübeschltch tccLS alle sine rede
gar. — Erlösung v. 85 ff. ich kan niht vil gesmieren noch die
wort gezieren. Ich tml die rede furrieren an allez florieren.
Geblümet rede seit der gräl, u.s.w des rede ich ernest-
liehe dar mit blözen warten iinde bar; ähnlich derselbe dichter
in der Heil. Elisabeth v. 43— 45 und 54 ff. — Ganz geblümt
ist der schluss des Lohengrin, darin u. a. die kunstausdrücke
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328 EHRISMANX
mit geflörten warten 7567, die brief mit grammaticä het
meisters kunst gehlüemet 7577,*) vremde Sprüche 7626,
als der von Eschenhcich sie {diu wort) schon floriert mit richer
witze gesmehe 7635 f. u.s.w. Endlich beispiele aus dem Jüngern
Titurel: ob ich da sunderlichen geprvfen künde mit geblv-
meten worten 862,1; mit svzzer rede geblvmet sin pris da
wart bezellet 5097, 1 (vgl. Becli, Germ. 10, 404). Und aus Kon-
rad von Würzburg, Trojanerkrieg v. 8 ff. (la): da von midi
wunder nemen sol, daz beide riefte mid arme sint an eren worden
also blint, daz si> die wisen ringe wegent, die wol gebluomter
rede pflegent] Goldene schmiede v. 60 ff.: er muoz der kütiste
meijen ris tragen in der brüste sin, swer dtner wirde sdiapelin
sol blüemen unde richten, daz er mit roeselehten Sprüchen ez
floriere und allentlialben ziere mit Violinen Worten, so
dajs er an den orten vor allem valsche ez liuter und wilder
rime kriutcr dar under und dar zwischen vil schone künne
mischen in der süezen rede bluot u. s. w. 'Und hiermit sind wir
bei den unmittelbaren quellen angelangt. Diese sind der j.
Titurel und Konrad von Würzburg, besonders dessen Goldene
schmiede. Den letzteren preisen als ihren unerreichten meister
Heinrich von Mügeln (Zingerle, Wiener SB. 37, 340. Schröer,
ebda. 55,457): von Wirzburg Konrad baz poliret Mt diu loses
glas, der blünder spruch ein bilder was, ein former und ein
houbetsmid: icann ich getichtes twerc von Mogelin Heinridi
solchez werc nicht mac floriern, der kutiste berc ist mir zu
*) An der steUe der die beiden letzten citate entnommen sind, rühmt
der dichter des Loheugrin die stilistische kunst des Ton papst Benedict (VIII.)
an Heinrich U. gesanten eiuladungsbriefes znr kaiserkrönung. Anf die stili-
stische abfassnng solcher, wie überhaupt der verschiedensten arten briefe
wurde unter umständen eine besondere Sorgfalt in der wähl des ausdrncks
verwendet, und es gab dafür bestimmte muster, die in den briefsteUem und
formelbüchem gesammelt waren. So enthält z. b. der zu ähnlicher zeit
wie der Lohengrin abgefasste Baumgartenberger formularius einige bei-
spiele für päpstliche, auf die kaiserkrönung bezug nehmende briefe, vgl.
Rockinger in den Quellen und erörterungen zur bayr. und deutschen ge-
schichte 9, 806. Dieser gebrauch mag der gnmd sein, weshalb der Verfasser
des Lohengrin das betr. schreiben des papstes in solcher redekunst abgefasst
sein lässt. Es ist darum zweifelhaft, ob gerade für diese stelle, wie J.
Meier, Beitr. 18, 404 annimmt, eine besondere uns unbekannte quelle vor-
liegt, wenn auch diese möglichkeit nicht zu bestreiten ist
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MIKNEBURO. 329
hoch, ich sture bit; Suchenwirt XLI, 8 ff.: ah vor mit nuiüter-
scheffte von Wirtzpärch maister Chünrat dich wirdikleich ge-
preiset hat, Maria m&ter unde matt er saz in speher
fände chram, bestrewt mit plümen unde kle ,.. und tycht
aus seines hertzen grünt di spehen sprach, durchflorirt;
Hermann von Sachsenheim im Goldnen tempel (Martin)
V. 554 f.: von Wärtzhurg nieister Conraut kund es florieren
bas; vgl. auch W. Grimm, Goldene schmiede s. xix fif.
Die geblümte manier ist eine seit den letzten Jahrzehnten
des 13. jh.'s allgemein beliebte stilgattung, nicht nur die nach-
ahmer Wolframs wie die dichter des j, Titurel und des Lohen-
grin sind ihr verfallen oder rühmen sie wenigstens, sondern
auch die Verehrer Gotfrieds wie Konrad von Würzburg. Schon
Rudolf von Ems beklagt um die mitte des ih.'s in der litera-
rischen stelle seines Alexander das überhandnehmen der effect-
hascherei bei der Wortwahl: alliu unser arbeit ist nu an wildiu
wort gedigen, diu vor uns wären ie verswigen und selten ie
me vemomen, an diu wollen wir nu konien. Die poetische
begabung schwindet eben in dieser zeit, und das ideal der kunst
wird in trivialen äusserlichkeiten der form gesucht. Bei weitem
nicht alle dichter haben diese mode mitgemacht. So unter-
scheiden sich, um nur ein beispiel zu nennen, des Teichners
gedichte von denen seines landsmanns Suchenwirt formal
nicht nur durch den metrischen bau der verse, sondern wesent-
lich auch durch den klaren, einfachen stil. In der volkstüm-
lichen dichtung ist sie überhaupt nie heimisch geworden.
Egen von Bamberg.
Als sein unerreichtes vorbild in der erfindung der kluogen
rede, der wehen spräche nennt der dichter der Minneburg an
vier stellen den meister Egen von Bamberg:
V, 451 ff. Ich könnte nicht halb das erzählen, was mir der
weise meister Neptanaus sagte:
ez müest inch sageu Meister Egen v. B88.
von Babenberc der wise man, ez (dasbüchlein) ist oiich nihtgefriet
von dem ich vil gehoeret han mit weher Sprüche siegen,
wie er der kunst ein meister si ez hete sicher Meister Egen
nnd wie der künste ein blttendez zw! von Babenberc getihtet baz.
dnrchsaffet bab im sinin lider.
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330 EHRISMANN
T. 2706. wann er die klnogen rede neme
erfüer ez daune Meister Egen, die er mit Worten kan beschreme.
daz ich daz büechlin tihte, t. 5426.
ich weiz in in der pflihte ich weiz für war, daz Meister Egen
und in den triuwen die er hat, ist an witzen so durch vimt (= alt
daz er mir gebe dar zuo rat . . . geworden, ergraut^
mich wundert zwar etwenne, daz er die kunst h&t gar durchkimt
der vor guoten meister hie.
Von meister Egen sind zwei gedichte im Cgm. 714 fol. 161b
—170a (vgl. Keller, Fastnachtepiele 1377 f.) in schlechter Über-
lieferung erhalten, in der hs. überschrieben Dy klag der mynn,
in 108 reimpaaren, und das herz, in 69 reimpaaren, beides
minnereden; in beiden nennt sich der Verfasser, am schluss
der ersten also redet meister Egen de amore, an dem der
zweiten die red hat tneister Egen gemacht. Sie sind durchaus
in dem schwülstigen stil der geblümten rede abgefasst. Die
künstelei in den metaphern und seltsamen Wörtern ist hier noch
stärker als in der Minneburg, und der dichter derselben hat
recht, wenn er dem meister Egen in dieser beziehung seine
bewunderung zollt. Es ist ihm in der tat nicht gelungen, ihn
zu erreichen. Es ist kaum möglich, aus diesem wüst von
Phrasen einen vernünftigen sinn herauszulesen.
Der Stoff des ersten der beiden gedichte, De amore, gleicht
ganz den lobpreisungen der geliebten in den reden der Minne-
burg. Das andere gedieht, Das herz, eine Zwiesprache des
Verfassers mit seinem herzen über dessen liebespein, ist nach-
geahmt in V. 501 3 ff. der Minneburg. — Auch in einzelheiten
ist der einfluss des meister Egen auf die Minneburg zu er-
kennen in entlehnungen von reimen und einigen floskeln. So
sind dem erstgenannten gedieht Egens entnommen die reime
äseln : beknüseln Mbg. 2371, kützelt : verhutzelt 2315, krisefn :
hisem 1337 und 3589, krahelt : zabelt 2367; nachgebildet sind
Mbg. 2387 honig : diptonig, vgl. Egen I, 3 honig : personig,
Mbg. 687 gezwiet : gefriet, vgl. Egen 1, 5 gedriet : gefriet; femer
die ausdrücke Mbg. 1628 tcerlich atzein, vgl. Egen 1, 47 tcerlidi
achzeln, Mbg. 4005 der zungen hamer = Egen 1, 140, Mbg. 3526
clarifieieren = Egen 1, 13 u. a. Im zweiten gedieht Egens
stimmen zu der Minneburg der reim Mbg. 3291 prasteln : kra-
steln = Egen II, 17, die Umschreibungen Mbg. 1495 triacicers
tröst = Egen II, 49, Mbg. 122 der sterne trön = Egen II, 118,
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURO. 331
Mbg. 2431 fiur von Ägrimoniin = Egen ü, 124 (aus dem j.
Titurel str. 6064); die ganze stelle Mbg. 2411—2472 ist eine
erweiterte nachalimung von Egen II, 123-133. Auch stilistische
kunstmittel sind in derselben weise gebraucht wie von Egen.
Ueber die person Egens ist nichts bekannt. Wilken, Gesch.
der Heidelberger büchersammlungen s, 459. 481 hielt ihn, in
falscher auffassung der oben angegebenen citate, für den Ver-
fasser der Minneburg, welcher fehler auch in Goedekes Grund-
riss übergegangen ist (P, 267, zurückgewiesen von Strauch, Anz.
fda. 11, 252) und auch sonst widerholt wurde (z. b. von Stejskal,
Zs, fda. 22, 282. Richter, Kloster der minne [s. oben s. 302] s. 8.
Jos. Haupt im Gesammtkatalog der hss. der Wiener hofbibl. 2, 168
[s. oben s. 275]. H. Holland, Gesch. der altd. dichtkunst in Bayern
S.304). Im übrigen hat die behauptung Wilkens keinen anklang
gefunden. Ausser letzterem und Goedeke haben über Egen
noch besonders gehandelt Docen, Altd. mus. 1, 153. v. d. Hagen,
Grundriss s.412. 442. Gervinus 2^, 443. Wackernagel, Lit.-gesch.
P, 373. 466. Bartsch, ADB. 2, 36 und Heidelberger hss. no.208.
Zum versmass der gedichte Egens s. oben s. 285. In den
reimen finden sich noch mehr mundartliche und andere frei-
heiten als in der Minneburg, ausser e: ce, ce: ö und inf. ohne -n
(gern[e] : lern[en], härm : erbarm[en]), auch öu : ei (frmidc : heide :
leide), ü : m (übel : triubel), 6 aus ä : uo (hdn = hän : tön =
ttwn) u. a. Die Willkür in den reimen erlaubt kaum einen sichern
schluss auf die heimat des Verfassers, doch kann er wol in Ost-
franken bez. Bamberg zu hause gewesen sein, vgl. besonders
die Infinitive ohne -n. Der dialekt der hs. ist bairisch.
Nur von den gedichten des meisters Egen konnte unmittel-
bare einwirkung auf die Minneburg festgestellt werden. Da
die hauptmasse der formein und bilder gemeingut der verwanten
literatui- war, so ist gegenseitige entlehnung im einzelnen schwer
mit bestimmtheit zu constatieren. Eine sichere nachahmung
wichtiger bestandteile der Minneburg ist nachzuweisen. Es
sind dies die verse 480 — 537 bei dem nachahmer Hermanns
von Sachsenheim. Die entstehung und das wesen der minne
sind hier nach der Minneburg geschildert. Dass diese Vorbild
war, dafür spricht auch der name des Schlosses Frödenburg,
V. 880 und 1303 beim nachahmer. Die Minneburg konnte ihm
leicht bekannt sein, da sie ja gerade in Schwaben Verbreitung
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332 EHBISMANN
gefunden hatte (schwäbische gruppe x). In seinem stil zeigt
sich keine beeinflussung durch unser gedieht.
Eine gewisse, freilich nur oberflächliche ähnlichkeit mit
der naturschilderung im eingang der Minneburg zeigen die
verse35— -77 von Otto Baldemanns Rede von dem laufe
des römischen reichs (hg. von J. M. Peter, Allegorisches
gedieht auf den verfall des hl. römischen reichs, programm
von Münnerstadt 1841/42, vgl. auch Zs. fda. 3, 441 f. Archiv f.
Unterfranken 11,32. MSH. 4,882). Der Verfasser war aus Karl-
stadt am Main und plebanus zu Ostheim bei Aschaffenburg
(s. Archiv f. Unt^rfranken a. a. o.), also ein landsmann des Minne-
burgdichters. Er vertritt in seinem gedichte, einer 1341 ge-
fertigten Übersetzung des Dictanien de modemis cursibus von
Leopold von Bebenburg, dieselbe kunstrichtung wie jener
in seinen Reden, denn sein stil ist in hohem grade geblümt.
Es liegt darum nahe, zwischen beiden gedichten eine gewisse
beziehung anzunehmen. Die einwirkung müsste wol von der
Minneburg als dem monumentaleren werk ausgegangen sein
und nicht von dem kürzeren und wenig beachteten spruche
des pfarrers. Wenn diese blosse, auf keine sicheren gründe
gestützte Vermutung das richtige treffen sollte, dann wäre als
späteste grenze für die abfassung der Minneburg etwa das
jähr 1340 anzusetzen. Jedenfalls sind die verse Baldemanns
ein weiteres beispiel für die beliebtheit der geblümten rede
in Ostfranken.
Zum schluss ist noch der stil der bearbeitung B und
der prosa zu berühren. Der Verfasser von B kommt dem
dichter des Originals gleich an phrasenschwulst, steht aber in
der beherschung der spräche noch hinter ihm zurück. Er ist
entschieden ungebildeter. Er hat überhaupt keinen rechten
begriff von satzbau, weshalb oft schwer zu erraten ist, was
er eigentlich sagen will. Die bearbeitung ist also wie in der
reimkunst, so auch in der behandlung der stilistischen form
roher als das ursprüngliche gedieht. — Die prosa schliesst
sich sprachlich eng an ihre vorlagen an und nimmt viele
einzelheiten unmittelbar aus ihnen herüber, doch sind die reime
kaum mehr bemerkbar. Da sie die lyrischen stellen, die
^underbinde' und minnereden, auch die bezugnehmungen auf
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEfiUBG. 333
meister Egen, weglässt, überhaupt die gedrechselten phrasen
und auffallenden Wörter möglichst meidet, so ist damit die
geblümte rede ganz geschwunden. Auch der satzbau ist ein-
fach. Somit ist die form, wenn auch unbeholfen und zu wenig
frei aus dem originale herausgearbeitet, doch eine ungeschminkte,
einer prosaabhandlung angemessene. Der stil erinnert mehr-
fach an nicht allzu überschwängliche mystische tractate oder
an die schulprosa des Lucidarius, vorübergehend auch an die
predigt (vgl. oben s. 313).
V,
Der dichter.
Aus der beobachtung der reime hat sich als heimat des
dichters Ostfranken, als zeit der abfassung seines werkes die
erste hälfte, genauer vielleicht das zweite viertel des 14. jh.'s
ergeben. Nach Ostfranken gehören auch die beiden einzigen
ihm gleichzeitigen persönlichkeiten, die er in seinem gedichte
nennt, nämlich meister Egen von Bamberg und der maier
Arnold von Würzburg. Letzterem sind folgende verse ge-
widmet:
T. 4466. briailgen varb konfen kein,
ich wolt üzer m&zen gern er n^m nur sin pensel rein
daz meister Amolt der mäl^r nnd habt in an ir röten mnnt:
von Wirzburc in ir (d. i. der geliebten) zehant und an derselben stunt
kuntschaft w§r! so vil der rcBte dar !n schttzze
an guot müest ez in helfen s^r, daz ein ganzez j&r dann ill\zze
wen er bedörft nieraer mßr Paris varb genuoc dar ftz.
Diese stelle ist interessant für die geschichte der maierei
als eines der frühesten Zeugnisse für die Würzburger maler-
schule. Man hat angenommen (s. Janitschek, Gesch. d. d. maierei
s. 218), dißser maier Arnold sei der gleiche wie der 'maier
von Würzburg' in Rosenplüts gleichnamigem spruch (Keller,
Fastnachtspiele s. 1180 ff.). Aber dieser schwank beruht auf
einem internationalen theraa, in einer früheren fassung (Keller,
Erzählungen s. 173 ff. Bartsch, Germ. 18, 41 ff.) ist der Schau-
platz gar nicht Würzburg, sondern eine Stadt am Rhein. Ausser-
dem gibt es noch eine im stoff ganz abweichende erzählung,
die ebenfalls *Der maier von Würzburg' betitelt ist (Keller,
Erzählungen s. 251 ff). Ueber Rosenplüts schwank und die
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334 EHBTSMANN
hierher gehörige literatur vgl. Michels, Studien über die ältesten
deutschen fastnachtspiele s. 163—169.
Die einzige anspielung auf eine bestimmte örtlichkeit ist
enthalten in den versen
1956 sie {d.i. die geliebte) kan onch also helle lochzen
als eins nahts enbriinnen w^r
der groze walt der Scherenz^r
und vor finr g^b höhen lohen.
Damit ist die Scharnitz in den oberbairischen Alpen gemeint,
im mittelalter häufig genannt, z. b. als südwestlicher grenzpunkt
des bistums Freising bei K. Roth, Beitr. 1, 92 (in silna scarinza);
von Veit Arnpeckh hg. von Deutinger, Beitr. zur gesch. des
erzbistums München und Freising 3, 544 (pro restitutione cer-
torum terminorum silve Schernitjs); als wilde Waldgegend,
in deren einsamkeit sich Weif, der Schwiegervater Ludwigs
des frommen, zurückzog, beim Annalista Saxo, MG. SS. 6, 764
a. 1126 (juxia silvam que Scerenzerewald dicitur), s. auch
K. Roth, Kozroh's Renner s. 19. 29. 104 und besonders die vielen
beispiele bei Förstemann 2, 1233 und Schmeller-Fr. 2, 469. —
Das oben angeführte citat gehört zu den vielen ausschmücken-
den hyperbeln des gedichtes; das Waldgebirge konnte dem Ver-
fasser durch eigene anschauung oder auch vom hörensagen
bekannt sein: weitere Schlüsse lassen sich aus seiner erwähnung
nicht ziehen.
Ueber seine lebensumstände gibt der dichter keine aus-
kunft. An einer stelle des letzten capitels scheint er aber
auf seine person anzuspielen. Bei dem gericht der minne stellt
die treue als letzte der klägerinnen ihren diener, einen edel-
knecht, vor mit der bemerkung, dass ihn und den der diz buoch
getihtet hat ein und dieselbe mutter geboren habe (v. 4246 ff.).
Führt er sich in der tat in dieser Verkleidung selber ein, dann
ist er wol von adligem stände, ein junker, gewesen.
Was sich über sein geistiges leben aus seinem werke ent-
nehmen lässt, bezieht sich auf seine künstlerischen fähigkeiten
und auf seine bildung. Davon ist gelegentlich des Stoffes und
des Stils die rede gewesen.
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DAS MHD. GEDICHT VOK DER MINNEBUBG. 335
Sohluaa.
Die Minneburg war eine der beliebtesten minneallegorien
des 14. 15. jh.'s: das beweist die anzahl der hss., welche ^ie der
meisten verwanten gedichte übertrifft: es sind, einschliesslich
der prosa und des auszugs bei der Hätzlerin, 8 hss. direct über-
liefert, andere lassen sich als Zwischenglieder aus dem hand-
schriftenverhältnis sowie aus Lassbergs mitteilung erschliessen;
das beweist femer die Umarbeitung in prosa und die aufnähme
der minnerede in das liederbuch der Hätzlerin. Die erhaltenen
hss. zeigen, dass das gedieht von Ostfranken aus in Böhmen
und in der Wetterau, besonders aber in Schwaben (hier auch
die nachwirkung bei Sachsenheims nachahmer) Verbreitung
gefunden hat. — In Ostfranken ist die gattung der minne-
allegorien ausser durch die gedichte des meisters Egen und
die Minneburg noch durch den Spruch von der minne im
garten, Cod. pal. germ. 358, bl. 74a— 82b (vgl. Karl Meyer,
Meister Altswert s. 6) vertreten. Dass auch dieses gedieht ost-
fränkisch ist, zeigen die reime deutlich: von dialektischen
formen erscheinen nur die inf. ohne -n, diese sehr häufig.
Auch das versmass ist glatt, die spräche nicht übertrieben.
Diese allegorie steht künstlerisch in jeder beziehung höher
als die Minneburg.
Anhang I.
Die aufstellung der mundartlichen erscheinungen s. 258 ff.
und 8. 288 ff. hat eine reihe charakteristischer eigenschaften
des ostfränkischen ergeben, als deren hervortretendste das
fehlen des n im Infinitiv und nur in diesem zu bezeichnen
ist. Diese hat es zwar mit dem thüringischen und meissnischen
(Heinrich von Krolewitz) gemein, es unterscheidet sich jedoch
von ihnen durch den mangel anderer diesen eigenen besonder-
heiten. Es fehlen dem ostfränkischen überhaupt die haupt-
sächlichsten md. kennzeichen, denn unter den von Paul in
seiner Mhd. gramm. §§ 90 — 109 angeführten md. merkmalen
sind nur w fw j und die graphische Vertretung von ce durch
e hier heimisch. Gerade im letzteren punkt unterscheidet
sich das ostfränkische vom thüringischen und meissnischen,
indem dort e aus ce und altes e auch lautlich zusammenfallen
(es reimen da z. b. were : sere u. s. w.).
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336 EHBISMANK
Auf grund der oben festgestellten merkmale des ostfrän-
kischen ist die heimat verschiedener mhd. gedichte anders
oder genauer zu bestimmen als bisher geschehen. Behaghel
hat jüngst in seiner rectoratsrede 'Schriftsprache und mundart'
auf einen merkwürdigen zufall in der Ortsbestimmung mittel-
hochdeutscher denkmäler aufmerksam gemacht, wonach so viele
derselben in 'grenzgebieten' entstanden sein sollen. Gerade
Ostfranken wird oft als * Übergangsgebiet' in anspruch ge-
nommen, wenn bairische und mitteldeutsche, oder gar bairische
und schwäbische und mitteldeutsche bestandteile in einem denk-
mal vereinigt vorzukommen scheinen. Es läuft dabei der Irrtum
unter, dass man dem ostfränkischen einen stärker ausgeprägten
md. Charakter zuschreibt als wirklich der fall ist.
So lag nach Rosenhagen (Untersuchungen über Daniel vom
blühenden tal s. 47) die heimat des Strickers 'etwa im öst-
lichen Franken'. Mit recht bezweifelt SeemtiUer, dass aus den
sprachlichen eigentümlichkeiten allein diese abgrenzung sich
ergebe (Anz. fda. 19, 250). o für w in den praett. pl. si verlort^,
si erkom, si flogen, si enlogen, si engolten ist nicht ostfränkisch ;
umgekehrt fehlen die inünitive ohne w, die bei einem der
mundart einigen Spielraum gewährenden Verfasser nicht ge-
mangelt hätten.
Den in bruchstücken überlieferten roman von Blanschan-
din (hg. von J.Haupt, Germ. 14, 68 ff.) sowie dessen hs. verweist
Rosenhagen (a. a. o. s. 44) ebenfalls nach Ostfranken. Aber im
gedichte passen dazu nicht die bindungen sere : were 3, 27,
auch nicht in anbetracht der sonstigen genauigkeit der reime
fiten : vermiden 3, 88. Die hs. vollends hat eine reihe vom ost-
fränkischen abweichender eigentümlichkeiten, so häufig d für t
bit für mit, ritt^schaf, ffinem 3, 98; ginhalh 3, 64 für jenem ,
jenhalb; simelickee 3, 107 für semelichez.
Als entstehungsgebiet von Herzog Ernst D nimmt Bartsch
(H. Ernst s. lvii) die grenze zwischen Baiem und Mitteldeutsch-
land (etwa das heutige Mittelfranken) an, ebenso Ahlgrimm
(Untersuchungen über die Gothaer hs. des 'H. Ernst', diss. von
Kiel 1890, s. 32) »), Weinhold Ostfranken (Mhd. gramm.^ s. 106
1) Die ausgesprochen rheiiifränk. hs. zeigt nach Ahlgrimm s. 23 ^ein
mischungsverhältnis md. und obd. dialektes, welches etwa auf das lieutige
Mittelfraukeu hinweist, wo md. und obd. Sprachgebiet zusammenstossen '!
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DAS IfHD. GEDICHT VON DER MINNBBUBO. 387
und 135). Mitteldeutsche bestandteile sind allerdings vorhanden,
aber gerade deshalb ist die heimat des dichters nicht in den
drei bairischen Franken zu suchen. Freilich noch weniger in
Baiem, denn dafür kann der einzige in betracht kommende
reim ü : ou in rüm : zederhoum, gount : rum, goumen : versümen
nicht massgebend sein, zumal die diphthongierung von u : ou
gerade vor m am frühesten eingetreten zu sein scheint (s. oben
s.272f.).
Auch Otte's Eraclius gehört nicht nach Ostfranken, denn
das t der flexion in der 2. sg. praes. fehlt öfter und der
Schwund des h ist ganz geläufig, auch neben consonanten (Graf
s.24f. Herzfeld, Zu Otte's Eraclius, diss. von Heidelberg 1884,
s. 19 ff. E. Schröder, Gott. gel. anz. 1884, 565 anm.); umgekehrt
kommen infinitive ohne n nach Graf nicht vor (oder doch nur
ganz vereinzelt?).
Holz verlegt die bearbeitung A des Rosengartens (s. xci
seiner ausgäbe) nach Ostfranken, Jänicke den Wolfdietrich
C nach bair. Mittelfranken (Berliner heldenbuch 4, s. xxvii f.).
Die reime geben für beide annahmen keine anhaltspunkte.
Der Trierer Aegidius zeigt nach Roediger *md. bin-
dungen', die von ihm Zs. fda. 21, 396 gesammelt sind; viele da-
von beweisen, dass das gedieht jedenfalls nicht ostfränkisch
Ist, wie Roediger ebda. s. 397 vermutet. Als heimat des
Schreibers des Trierer Silvester nimmt Kraus in seiner
ausgäbe, wo das mundartliche ausführlich behandelt ist, den
nördlichsten teil Ostfrankens an (s. 43), wegen der form dit
für die, die im benachbarten Hessen gebräuchlich ist. Es
scheint mir eher eine nördlichere gegend, also Tiiüringen, an-
zusetzen zu sein.
Der Stricker und Otte, der Verfasser des Blanschandin
sowie der Schreiber der. hs., der dichter von Ernst D und der
des Trierer Aegidius haben ihre heimat in Rheinfranken.
Für Otte werden daher die bestimmungen von Graf und Herz-
feld geltung behalten. Er mag eher noch etwas südlicher als
in der Wetterau heimisch gewesen sein.
Umgekehrt sind ins ostfränkische zu verlegen:
Die erzählung Der vrouwen turnei (v. d. Hagen, GA. 1,
371 — 382) wegen der vielen »-losen infinitive (vgl. Grimm,
Gramm. 1 ^, 849) bei abwesenheit strenger md. kennzeichen
Beiträge zur geaahiohte der deuteohen spraotae. XXII. 22
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338 SHBISMANN
(der reim zwitraht : werhaft v. 19 ist nicht dialektisch, sondern
den unreinen reimen unvuoge : suone 57, armuot : not 199 zu-
zugesellen); und aus denselben gründen Des hundes not (vgl.
Beissenberger s. 21; da^ die 2. sg. praes. ind. im dialekt
des dichters auf -s ausgeht, ist nicht zu erweisen, da der reim
ainges : swinges 11 bloss von dem Schreiber eingeführt sein
kann). Die mundart in der Klage Adams und Evas (v. d.
Hagen, GA. 1, 5—16. H. Fischer, Germ. 22, 316—341, die reime
s. ebda. s. 333) ist auf das ostfränkische zu beschränken.
Schliesslich noch eine bemerkung zum Mönch von Heils-
bronn. Die ungenauigkeit seiner reime erschwert eine sichere
Ortsbestimmung. Jedenfalls aber zeigen sich md. formen, vgl.
Wagner, QF. 15, 17 ff. (nachzutragen ist 2. sg. ind. praet.
mehte im reim auf gebrehte und knehte im eingang und schlnss
des Fronleichnam), gemäss welcher er unmöglich in bair. Mittel-
franken, wo das kloster Heilsbronn liegt, noch auch in Ost-
franken zu hause gewesen sein kann. Da nun sehr häufig
Infinitive ohne n begegnen (ausserdem wird flexions-n nur nach
nasalisch endendem stamm unterdrückt in den part. perf.
vernomen : iom, drum : kumen, und in der 1. plur. wir
lernen : stern, was als reimfreiheit aufzufassen ist), so muss
die heimat des mönchs Thüringen gewesen sein. Dahin passt
auch die 3. praes. ind. sei ^er sagt' im reim auf gebet
(Wagner s. 19. 21), vgl. H. Fischer, Zur gesch. des mhd. s. 29.
Er war also ein Thüringer, der in dem kloster Heilsbronn
lebte. 1) Die spräche seiner Umgebung hatte einfluss auf ihn,
und aus der damit entstehenden uneinheitlichkeit mögen sich
viele der reimungenauigkeiten ergeben haben. — Auch die
von Wagner (s. 3) zum vergleich mit dem dialekt des mönchs
beigezogene Tristan-hs. aus Scheinsfeld (Kutschera, Zs. fda. 19,
76 ff.) ist zu sehr md. gefärbt, als dass sie dem ostfränkischen
entstammen könnte, und hat überdies keine apokopierten
Infinitive.
Keine spuren ihrer ostfränkischen herkunft zeigen die
werke der guten zeit der mhd. dichtkunst. wie der Wigalois,
Winsbeke, oder die lieder des giafen von Botenlouben. Erst
0 Ueber ^dialektmischung^ dnrch aufenthaltsweehsel veruraacht' s. Be-
haghel, Schriftsprache und mundart 8. 29.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURQ. 339
die bürgerlichen dichter wie Ruprecht von Wfirzburg und
Hugo von Trimberg nehmen die mundart auf, aber zunächst
mit Zurückhaltung. Um die mitte des 14. jh.'8 ist sogar ein
nachahmer der höfischen dichtung wie der Verfasser der Minne-
burg, nicht mehr im stände, sich dem einfluss der mundart
zu entziehen.
Anhang n.
In der hs. P schliessen sich unmittelbar an die prosaische
Inhaltsangabe (s. oben s. 258) in nicht abgesetzten Zeilen drei
lyrische gedichte an, eingeleitet durch die worte vnd dite buch
heipet sich an mit dryn liedem rnd sprechen also (bl. 84» — 85*>):
1.
1 Die sinne wert an got ich wirdic brise,
wlse, die er fif minn geleget hat.
ez hftt sin r&t
durch minne gunne uns schön nach im gebildet.
5 got mildet sich gen Moys^ durch minn hie vor mit spise.
Sin minn die wert hie her von anegenge "*
strenge, wan er nam an sich menschlich w&t,
dar In er trat
durch menschlich kunne daz im daz was verwildet.
10 gezildet hat er &ne w^ uns zu der engel menge.
Hie got wol wert daz minne ist daz beste
wan er durch uns gar veste
an des kriuzes este
durch minne wart genegelt,
15 da mit uns wart verhegelt
der helle brunne, ob sttnden uns bevildet.
ez glt der grise
sich uns zu spise
daz sin minne üf uns rise;
20 sin überflttzzic minnen runs gen uns ie minne gert.
2.
1 Nie bezzerz wart wan daz man got durchsinnet,
minnet, daz bringet ^wiclichez heil,
so machet geil
5 vor Af« hs. 10 gezildet = gezilt. 11 wert = 'bewährt', hs. wirt.
15 rer/^eln 'umzäunen', bei Lexer nicht belegt, vgl. Schmeller-Fr. 1, 1067
' vtrhägeiiyterhageti\ Schweizer, id. 2, 1073 f. 16 bevildet = beiHt. 20 der
schwache gen. mirnien ist hier wie 3 v. 12 beibehalten, denn er kann wol
dem original angehören, ebenso wirden 3 v. 18; vgl. oben s. 259.
22*
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340 EHBISMANN
der minue glnot wo sie die herz enbrennet.
5 sie trennet sorgen bant enzwei wohin sie suoze rinnet.
Der minne wart die machet trüric herzen
scherzen und bint sie an der frönden seil,
gar Blinder meil
sie sanfte tuot wo man sie reht erkennet.
10 sie bennet mort und jämers schrei und Avendet allen smerzen.
Die minn die wart ir dürer vor nnteten,
in wirden orden treten
l^ret sie ir steten
und macht sie ^ren giric,
15 ir fröude st^t und wiric.
sie gibt dem muot der sie zu frouwen nennet.
die minne bringet
daz den gelinget,
der muot n&ch irem willen ringet.
20 ir l^re snldet sam ein grät, sie hat ie mezzers art.
3.
1 Sit minne leit so genzlich kan behüren,
trüren; fttr w&r daz wil ich varen lan,
wan ich mir h&n
mit liebes bant ein liep in mich gestricket,
5 daz zwicket mir min sendez herz daz ich bi ir muoz trf^ren.
Min herz ie leit groz liep ftf sie gehiure
tiure, daz ich der lieb niht abe gän.
gar sunder w&n
ich nie derkant kein wip so schon geschicket.
10 sie blicket sam ein valkenterz ftz heizer gilete fiure.
Strit ich ie leit von mins gedanken witzen,
daz ich der minnen kritzen
ir nie torst ergitzen,
die mich gar hat bekreizt
15 und bi mir ist erbeizt,
daz ich empfant min herz also zerbicket.
wer kan durchloben
ir wirden kloben
und ouch ir lop daz unbestoben,
20 und kan durchwird daz süeze wip des lip wit sunne treit.
4 starker plur. herzie)^ des versmasses wegen. 1 0 bennet] hs. wendet.
11 'die minne bewahrt die ihr dauerhaft anhangenden vor Untaten.'
15 iriric * dauerhaft', bei Lexer nur zweimal belegt. 12 krifzen, 14 be-
kreiden, IH zerbicken, 17 durdUoben sind nur selten belegt, 13 ergitzen,
19 unbestoben, 20 durchv^irdeii bei Lexer gar nicht.
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DAS MHD. GEDICHT VON DER MINNEBURG. 341
Dass diese lieder in der tat von dem dichter der Minne-
burg verfasst sind, das beweist schon das sonst unbelegte
ergitzen in 3,13, das auch in der Minneburg vorkommt und
zwar dreimal, v. 1174 und 4933 im reim auf tmUen, v. 4103 auf
gesitzen; es ist = er-gickessen und bedeutet 'stammeln, stot-
tern', vgl. Schmeller-Fr. 1, 884 gigken, gigkezen. Ebenso ist den
liedern und der Minneburg gemeinsam die phrase der minnen
kritzen lied 3,12 = Mbg. 3302f. die do der minnen kritzen
kerten wo sie walten hin. Auch der schwülstige Stil in den
liedern trägt ganz die art des Minneburgdichters: hier eben-
falls die besonders in den reimen angebrachten, gesuchten
Wörter, die in form von subst. mit Substantiv, genitiv aus-
gedrückten metaphern, deren mehrere in der Minneburg wider-
kehren. Die reime sind in den liedern verhältnismässig rein,
doch begegnen auch hier kürzen auf längen gebunden: 1, 2.
3. 7, 8 hat, rät, wät, trat, 2, 11. 12. 13 untHen, treten, steten.
Die mundart kommt zur geltung in den apokopierten inflni-
tiven gtmne 1, 4 und im versinnern in durchwird{e) 3, 20, wo
beide male schon die hs. richtig n weglässt. Gezilt, bevilt
werden des reimes wegen zu gezüdet, hevildet 1, 10. 16 in folge
falscher auf ungenügender sprachkenntnis beruhender etymo-
logie nach dem muster von bint = bindet etc.
In den lyrischen gedichten ist ein strenger rhythmus be-
sonders auch hinsichtlich der einsilbigkeit der Senkung regel.
Nun herscht in diesen Strophen dieselbe freie behandlung des
schwachen e vde in der Minneburg. Die apokopierten formen
im reime mildet{e) 1, 5, }ierz{e) 3, 5 zeigen, dass es weggelassen
werden kann, takte wie dne \ genge 1, 6, vdren \ Idn 3, 2, dass
es selbst nach mhd. kürze + nasal bez. liqu. als Senkung ver-
wendet werden darf. Darum wird z. b. die 3. sg. praes. ind.
sowol mit schwachem e gebraucht, wie niacJiet 2, 3. 6, als ohne
dasselbe, wie macht 2, 14. Die aus den freier gebauten versen
der Minneburg erschlossene regel (s. 282) wird also durch diese
lieder bestätigt.
HEIDELBERG. GUSTAV EHRISMANN.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
In der Äsmundar saga kappabana spricht der von dem
kämpfe mit Hildibrandr zurückkehrende Äsmundr zu der
königstochter vier Strophen, deren erste (Detters ausgäbe s. 99,
Str. vi) lautet:
Litt yar)>i mik laga peira,
at mik mannz einskis öfyrr kvseöi,
päs mik til kappa kuru Hünmegir
atta sinnum fyr JQfiirs riki.
Es fragt sich, wer die z. H erwähnten Hünmegir sind.
Die Hünmegir haben Äsmundr til kappa, zum kämpfer, ge-
wählt. Eine natürliche Interpretation der zeile wird deshalb
die Hünmegir als Äsmunds freunde auffassen, wie denn auch
die prosa erzählt, dass die Schwester der sächsischen herzöge
Äsmundr aufforderte, für die erhaltung ihres reiches zu
kämpfen. Darauf habe Äsmundr mit den berserkem Hildi-
brands, welche die herzöge herausforderten, entw^eder einen
mann ihnen gegenüber zu stellen, oder ihren besitz preis zu
geben, gekämpft. Aehnlich ist die Vorstellung welche Saxo
von den dem kämpfe vorangehenden begebenheiten gibt.
Die Hünmegir wählen Äsmundr zu kämpfen fyr jgfurs
riki, d. h. für das reich ihres, des von Hildibrandr bedrängten
fürsten, nicht für das der feinde.
Wenn man unter den Hünmegir Äsmunds feinde verstehen
will, muss man kapjyi durch 'Widersacher' übersetzen. Doch
interpretiert man in diesem fall in die Strophe einen sinn
hinein, der der prosa widerspricht; denn in kjosa liegt doch
der begriff des wählens, und nicht die feinde haben Äsmundr
gewählt: sie wussten nicht einmal, dass er sich in der nähe
aufhielt.
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ZUR DÄNISCHEN HKLDENSAOE. 343
Noch grössere Schwierigkeiten bereitet uns in diesem
fall der ausdruck fyr jgfurs rüci. Kaum jemand wird im
ernst diese worte als eine selbständige bestimmung zu kuru
auffassen wollen und übersetzen: *um das reich ihres fürsten
auszubreiten, wählten sie mich achtmal zum Widersacher'.
Detter, der in den Hönmegir x4smunds feinde sieht, fasst den
jgfurr als Asmunds fürsten auf, so dass zu übersetzen wäre:
'sie wählten mich (das muss dann bedeuten: sie forderten mich
auf) achtmal, für das reich meines fürsten zu kämpfen'. Ab-
gesehen von der unnatürlichkeit, in dieser weise sich auszu-
drücken, ist noch zu bemerken, dass die fürsten für welche
Asmundr ficht, weder in der saga noch bei Sa^to Asmunds
fürsten sind. Asmundr kommt als ein fremder, er leiht den
herzögen seinen beistand und reist wider ab. Dass die feinde
gesagt hätten: * wehre das reich deines fürsten', wäre noch zu
verstehen; dass aber Asmundr noch nach seiner rückkehr in
Dänemark die fremden herzöge 'mein fürst' genannt habe, ist
nicht anzunehmen. Also kämpft Asmundr für den fürsten der
Hönmegir, welche ihn dazu erwählt hatten.
Von der Voraussetzung ausgehend, die Hünmegir seien
Asmunds feinde, emendiert nun Detter z. 2 und liest:
at menn einvigs ofair kveddi,
d.h. in Zusammenhang mit z. 1: 'ich erwartete nicht solche
kampfregeln (vgl. die vtkingalgg), dass mehrere leute (sc. öinen)
zum Zweikampf auffordern wüi'den'. Femer schliesst Detter
aus dem umstände, dass Saxo den inhalt der z. 1. 2 mit der
handschriftlichen Überlieferung in Übereinstimmung, von seiner
emendation aber abweichend übersetzt, dass die verse schon
Saxo in einer feehr verderbten gestalt, derselben in der sie
die saga mitteilt, vorlagen.
Abgehen davon dass es ein wagnis ist, aus einer ziemlich
gewaltsamen conjectur so weitreichende Schlüsse zu ziehen,
abgesehen auch von dem nicht belegten Substantiv einvig an-
statt einvigi, verliert diese Interpretation der z. 2 ihre Voraus-
setzung durch die auffassung der Hünmegir als Asmunds
freunde. Für die richtigkeit der handschriftlichen Überlieferung
sprechen ferner noch die folgenden gründe:
1. Asmundr ist ausgezogen, um ruhmreiche taten zu voll-
bringen; bei Saxo erschlägt Haldanus, welcher dem Asmundr
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344 BOBB
der saga entspricht, schou beim beginn der reise zwSltpuffiles
der königstochter; es ist daher nicht wahrscheinlich, dass ein
kämpf mit mehreren berserkem ihm so gar unerwartet ge-
kommen sei.
2. Dass Saxo die stelle richtig verstanden hat, indem er
die verse auf die dem Haldanus durch die Verlobung seiner
braut zugefügte schmach bezog, beweist die antwort der Gyu-
ritha (der ^Esa der saga), welche zweifelsohne wie Asmunds
Worte auf alten Strophen beruht. In 16 verszeilen, welche die
Äsmundar saga nicht kennt, entschuldigt Gyuritha ihre Ver-
lobung mit der mitteilung, sie sei zu dieser heirat genötigt
worden; in dem glauben, Haldanus sei vor Hildigerus gefallen,
habe sie dem fremden prinzen ihre band zugesagt; ihre liebe
zu Haldanus sei aber dieselbe wie zuvor.
Diese verse setzen voraus, dass Haldanus auf eine gering-
Schätzung angespielt hat, welche er von selten der Gyuritha
erfuhr in dem augenblicke wo er die Strophe sprach: die an-
spielung muss in z. 1. 2 der Strophe enthalten sein. Dem wider-
spricht nun ofyrr in z. 2, was auf eine früher erlittene schmach
zu deuten scheint, nicht, wenn man Petra richtig übersetzt.
Ich fasse Peira in prägnanter bedeutung auf und übersetze
die halbstrophe auf folgende weise: *wenig erwartete ich das-
selbe urteil (jetzt) zu vernehmen, wie damals wo man mich
nichts wert aclitete'.
Auf die frage, wann Äsmundr nichts wert geaclitet wui-de,
gibt die saga keine antwort. Aufscliluss erhalten wir durch
Saxo. Dort heisst es s. 243, Hildigerus (der Hildibrandr der
saga), der wusste dass Haldanus sein bruder war, habe, als
dieser sich zum Zweikampf darbot, sich geweigert cum homine
parum spectato nianum conserturum; aus dem gründe habe er
andere athleten in den kämpf gesendet, bis Haldanus deren
so viele erschlagen hatte, dass dem Hildigerus kein vorwand,
sich dem Zweikampf zu entziehen, mehr übrig blieb.*)
1) Die Strophe selbst teilt mit , das» Asmundr - Haldanus die gering-
schätzung, auf welche z. 2 anspielt, damals erlitt als die Hünmegir ihn
zum kämpfer wählten. Wenn das nicht der fall wäre, könnte z.H noch
auf zwei andere berichte Saxos bezogen werden. S. 241, 28 heisst es: hw'uit
(Drote) Borcarique filiuH Haldartus fuit; cuiun muente inicia stolidüatis
api'mofie referta fuere, nequefUi uero etas fulgenUssimis operum hisignilms
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ZüK DÄNISCHEN HELDENSAGB. 345
Wir kehren nun zu der tatsache dass die Hunmegir
Asmunds freunde sind, zurück. Wir stossen also in der
Strophe auf dieselbe Vorstellung welche Saxo von dem Schau-
platz des kampfes gibt, wo Haldanus nach Busda zieht, um
den bedrängten Rufkeni hilfe zu leisten. Die Realisation
Htinalands in Russland in altnordischen quellen ist eine be-
kannte tatsache, auf welche ich an dieser stelle nicht ein-
gehe (Arkiv 8, 108). Die richtige auffassung der Strophe wurde
bisher erschwert durch die vierte Strophe, welche Äsmundr
spricht, Str. IX der ausgäbe, wo Hildibrandr, Äsmunds gegner,
Hünakappi genannt wird. Wenn Hildibrandr der Hünakappi
war, lag es nahe, die Hönmegir als Hildibrands freunde auf-
zufassen. Denn dass Hünmegir und Hünir innerhalb vier
zusammengehöriger Strophen einmal appellativum, das zweite
mal name eines Volkes sein sollte, ist nicht anzunehmen.
Daraus ergibt sich aber, dass str. ix nicht demselben gedichte
wie Str. vi angehören kann und demnach zu streichen ist.
W^ider stützt die Überlieferung Saxos, der die Strophen in
versform getreu widergibt, und sogar, wie Gyurithas antwort
beweist, das gedieht in vollständigerer gestalt kannte als der
Verfasser der saga, das auf anderem wege gewonnene resultat.
Denn Saxos verse enthajten nichts der str. ix entsprechendes:
er hat sie augenscheinlich nicht gekannt.
Damit verschwindet nun der name und die gestalt Hildi-
iümtris euusü maxmisque uäe ornamenU's indaruit Also war Haldamis,
wie 80 mancher held, in seiner Jugend untüchtig. — S. 242 f. wirft Gyu-
ritha dem um sie werbenden Haldanus zunächst seine unedle abkunft vor:
nee generi« ohscuriiateni ejcprobrasse contenta eciam oris deformitatem
impropercU. Von dieser Unterredung weiss die saga, welche sie durch ein
anderes motiv ersetzt, nichts; doch stimmt sie mit den übrigen berichten
von der geringschätzung welche Haldanus in seiner Jugend ertragen
musste, nur zu gut. Man wäre sogar geneigt, auf diese erzählung z. 2 zu
beziehen , wenn nicht z. 3. 4 zu beweisen schienen , dass von Hildigerus'
Weigerung, mit Haldanus zu kämpfen, die rede ist. Wenn pä er in der
bedeutung siöan aufzufassen erlaubt wäre, so dürfte die strophe eine an-
spielung auf Haldanns' frühere Unterredung mit Gynritha enthalten, und
es wäre zu übersetzen: * seitdem die Hunnen mich achtmal zum kämpfer
gewählt haben, um für das reich ihres fürsten zu kämpfen, hätte ich nicht
erwartet dasselbe urteil noch einmal zu vernehmen wie damals, wo man
(d. h. du) mich enskts mannz achtete. Doch wäre in dem fall z. 2 wol
kvasöir zu lesen.
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346 BOER
brands au8 dem gedichte und entsteht die vermutong, dass
wir es nicht mit einer durch einfluss heimischer sagen um-
geformten Hildebrandssage, sondern mit einer dänischen sage
zu tun haben, welche züge aus der Hildebrandssage in sich
aufgenommen hat. Wie aber kam die gestalt Hildibrands
in die sage hinein? Saxo kennt sie noch nicht: bei ihm heisst
der gegner des Haldanus Hildigerus. Doch findet sich bei
ihm schon ein ansatz zu der contamination mit der sage von
Hildebrand. Es sind die zeilen s. 244, 34 — 38, welche str. iii,
4 — 6, s. 99 der saga entsprechen und in demselben Zusammen-
hang wie hier mitgeteilt werden.*)
Dass Str. iii ursprünglich nicht ausgesehen haben kann
wie sie überliefert ist, bemerkt schon Detter (einleitung s. liii);
er glaubt dass nach iii, 3 etwa zwei zeilen verloren sind, aus
denen, falls sie überliefert wären, hervorgehen würde, dass in
dem alten gedichte der tod von Hildibrands söhn nicht als
auf dem Schilde gemalt vorgestellt, sondern in anderem Zu-
sammenhang mitgeteilt wurde.
Ich verstehe nicht, wie das möglich ist. Wenn die Äs-
mundar saga eine Hildebrandssage erzählt, welche unter dem
einflusse dänischer sagen dergestalt umgebildet wurde dass
ein kindesmord durch einen brudermord ersetzt wurde, weil
die voretellung von einem brudermorde den Dänen vertrauter
war, und dass Hildebrand aus gründen welche die erzählung
forderte, statt des mörders zum gemordeten bruder wurde, so
kann ein dichter, für den diese Umformung ein fait accompli
war, der Hildibrandr von seinem bruder getötet werden Hess,
doch nicht zu gleicher zeit erzählt haben, Hildibrandr habe
seinen eigenen solin getötet. Der Stellvertreter des sohnes
wäre eben Äsmundr, der noch lebt, imd von dem Hildibrandr
selbst getötet wird. Hier kann doch von einer im laufe der zeit
umgebildeten sage, welche an frühere Überlieferungsformen ein-
*) Die Strophe lautet:
Stendr [mer] at hqf Öe hlif en brotna,
ero par talfter tigir (/. tigar) ens atta
manna peira, er at moröe varök.
Liggr [par] enn svase 8onr at hoföe,
eptrerfing^ es ei^ gatk.
üvi^'ande aldrs syi\jaÖak.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 347
zelne reminiscenzen bewahrt hat, nicht die rede sein; zwei
ganz verschiedene, einander widersprechende formen der tra-
dition würden an dieser stelle schroff und unversöhnt einander
gegenüber stehen: eine inconcinnität, welche geschaffen zu
haben man einem dichter altnordischer heldenpoesie um so
weniger zutrauen kann, als er kein moderner philologe war,
der in dem ihm vorliegenden stoffe einen alten sagenkem
völlig abweichenden inhalts witterte. Die einzige erklämng
des Widerspruchs ist die, dass str. iii, 4 — 6 interpoliert sind.
Der bericht der prosa s. 98, 18 — 20, Hildibrandr habe in einem
anfall von berserkerwut seinen söhn getötet, zeugt gewis eher
gegen als für die zeilen; die ungeschickte weise in der der-
selbe angebracht ist, beweist, dass der sagaschreiber davon
auf grund lebendiger tradition nichts zu erzählen wusste; er
schob die kurze bemerkung nur aus dem gründe ein, damit
der leser doch nicht vollständig unvorbereitet auf die überaus
auffallende str. iii, 4 — 6 stossen möchte; diese verszeilen sind
die einzige quelle der stelle. Ich glaube, es ist kein zweifei
darüber möglich, dass die drei zeilen aus einem verlorenen
Hildebrandsliede in unser gedieht geraten sind, l^nd zwar
schon früh. Denn auch Saxo hat, wie gesagt, die verse schon
an dieser stelle gekannt.
Es ist in den meisten fällen nicht leicht, den grund für
die aufnähme fremder elemente in ein gedieht mit Sicherheit
anzugeben, indem manchmal kein anderer grund als das be-
streben, herrenlose fragmente unterzubringen, vorhanden war.
Doch hat an dieser stelle ohne zweifei eine durchaus zufällige
lautliche ähnlichkeit mitgewirkt; dieselbe ist so schlagend, dass
sie sogar zur erklämng des phänomens genügen würde. —
III, 1 lautet: stendr [mer] at h^ße JiUf en brotna; iii, 4 (die
erste zeile der interpolation): liggr [Par] enn svdsi sonr at
hgfde. Es lag nahe, die drei zeilen, deren erste eine Variation
von ni, 1 zu sein schien, nachdem sie aus ihrem natürlichen
Zusammenhang geraten waren, als diesem gedichte und zwar
dieser strophe zugehörig aufzufassen. Auf diese weise wurden
die verse welche der alte Hildibrandr bei der leiche seines
Sohnes sprach, zu einem berichte über die bemalung eines
Schildes. Die ursprüngliche vierte zeile der str. ni ist verloren.
Diurch die entf emung der str. in, 4 — 6 gewinnen wir für die
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348 BOER
untersucliung der Äsmundarsaga einen anhaltspunkt. Für die
Hildebrandssage ergibt sich, dass diese im skandinavischen
norden früh bekannt und besungen war, und zwar nicht in
einer nach heimischen Vorbildern umgebildeten, sondern in
einer dem alten Hildebrandsliede nahe stehenden gestalt Drei
Zeilen von einem gedichte welches Hildebrands klage enthielt
und also dem verlorenen teil des liedes entsprach, sind durch
einen glücklichen zufall auf uns gekommen.
Die aufnähme der Zeilen iii, 4 — 6 in das gedieht hat nun
eine weitere beeinflussung der sage durch die von Hüdebrand
veranlasst. Bei Saxo hat dieselbe noch nicht stattgefunden.
In der saga begegneten wir ihr bis jetzt in dem namen Hild-
ibrandr, der an die stelle von Saxos Hildigerus tritt. Wir
verfolgen nun diese und andere damit zusammenhängende ein-
flüsse weiter, und richten zunächst unsere aufmerksamkeit auf
die Vorgeschichte. Es ist für die Untersuchung notwendig,
dieselbe, so wie sie in beiden quellen mitgeteilt wird, kurz zu
widerholen. Die saga erzählt sie auf die folgende weise:
* König Helgij Hildibrands söhn aus Hünaland, kommt zum
könige BtiÖli in Schweden und heiratet mit Buölis Zustimmung
dessen tochter Hildr; der söhn heisst Hildibrandr; dieser wird
zu seinem grossvater in Hünaland geschickt; Helgi reist i hemad
und fällt (84, 21). — König Älfr in Vanmark hat eine tochter
jEsa en fagra; sein kämpe heisst Akt. Alfr zieht nach Schwe-
den, um des alten Buöli reich zu erobern; Buöli fällt, Älfr
nimmt die königstochter gefangen und gibt sie dem Aki. Der
söhn heisst Äsmundr. Ein verwanter Hildibrands ist könig
Atli (var. Lascinus\ Ihm macht Hildibrandr zwei jarlar in
Saxland zinsbar. Dann reist er nach Dänemark und tötet
könig Alfi-. — Äsmundr wirbt um die königstochter, besteht
eine freierprobe, gelobt den tod des königs Älfr zu rächen,
zieht nach Saxland, das von Hildibrandr und Atli (Lascinus)
bedrängt wird, kämpft für die jarlar und besiegt Hildibrands
berserker und schliesslich ihn selbst. Nach Dänemark zurück-
gekehrt, heiratet er ^sa efi fagra, und tötet einen neben-
buhler, ok er sd eigi nefndr (doch wurde bei der freierprobe
ein nebenbuhler Eyvindr skinnkgll, wol mit diesem identisch,
genannt).'
Saxo erzählt: 'in Norwegen regiert könig RegncUdus.
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ZÜU DÄNISCHEN HELDENSAGE. 349
GunnartiSy fortissimus Stieionvm besiegt ihn; er kommt um.
Gunnarus raubt Regnaldus' tochter Droia aus ihrem versteck
und zeugt mit ihr, ohne sie zu heiraten, einen söhn Hüdigems.
Dieser ist von roher gemütsart; er geht in den dienst des
Schwedenkönigs Aluerus. Alf, der söhn des Dänenkönigs
Sigarus, hatte einen kriegsgefährten Borcarus. Mit ihm
kämpft er wider seine geliebte Äluilda, welche er besiegt
und heiratet. Ihre freundin Gro wird dem Borcarus gegeben.
Die tochter Alfs und der Aluilda ist Gyuritha; der söhn des
Borcarus und der Gro ist HarcUdus Hyldetan (dieser bericht
ist ein irrtum, dem auch Saxo selbst s. 246 widerspricht, wo
Harald Hildetand ein kleinsohn des Borcarus ist).
Zur zeit als könig Kegnaldus fiel, war Sigarus' geschlecht
schon untergegangen bis auf Alfs tochter Gyuritha; Borcarus
führt das regiment. Er tötet nun Gunnarus und heiratet
Drota, welche in ihm den rächer ihres vaters liebt (man
muss annehmen, dass Gro inzwischen gestorben war, was Saxo
nicht erzählt). Der söhn des Borcarus und der Drota heisst
Haldanus, Nachdem Borcarus im kämpfe gefallen, wirbt nun
Haldanus um Gyuritha. Diese wirft ihm seine unedle abkunft
und seinen mangel an Schönheit vor; er verspricht nicht eher
zurückzukehren, als bis beide fehler durch den rühm seiner
taten aufgewogen werden. Nachdem er die pugiles der Gyuritha
getötet, zieht er zu den Huthenen, welche von könig Aluerus
bedrängt werden. Aluerus hat ausgezeichnete berserker, deren
vorzüglichster Hildigerus ist. Es folgt die beschreibung des
kämpf es. Haldanus kehrt darauf nach Dänemark zurück; er
tötet einen nebenbuhler namens Siuarus aus Saxland und hei-
ratet die GjTiritha.'
Wenn man diese beiden erzählungen mit einander ver-
gleicht, fällt zunächst der mangel an Übereinstimmung in den
Personennamen auf. Die königstochter welche die beiden
brüder gebiert, heisst in der saga Hildr, bei Saxo Drott', ihr
vater in der saga Budli, bei Saxo Regnaldus; der könig in
dessen dienst Hildibrandr-Hildigerus geht, in der saga Ätli
(Lascinus fasst Detter mit recht als eine änderung auf), bei
Saxo Aluerus. Diese namen geben viel zu denken. Aili und
Budli können von Uildihrandr schwerlich getrennt werden;
wo es nun feststeht, dass dieser erst später in die saga auf-
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850 BOBR
genommen ist, entsteht der gerechte verdacht^ dass auch ÄtU
und Budli, welche ja stets in Verbindung mit Hildibrandr ge-
dacht wurden, an die stelle anderer dieser saga ursprunglich
zugehörigen gestalten getreten sind. Dieselbe erklärung drängt
sich auf hinsichtlich Hildr, der tochter Buölis; man denke an
die beiden tochter Hildr des königs Buöli der V^lsunga saga
und der Egils saga ok Äsmundar, welche mädchen als Bryn-
hildr und Bekkhildr unterschieden werden.
Was die Hildr betrifft, so liefert die saga selbst den be-
weis der oben aufgestellten hypothese, indem die mutter der
beiden beiden in str. i Drött genannt wird (i, 3 pik Droit of
bar af [1. {?] Danmgrko), Das beweist aber in Zusammenhang
mit dem erörterten, dass auch Atli und BuM der sage ur-
sprünglich fremd waren.')
Daraus folgt femer, dass str. n, wo die beiden Schwerter,
deren geschichte am anfang der saga erzählt wird, Budlanautar
heissen, nicht von demselben dichter herrühren wie str. i, wo
die königstochter Droit heisst — denn Droit und BegnoMtis
gehören zusammen wie Hildr und Budli — , sondern dass sie
derselben schiebt wie str. ix angehört, welche Hildibrandr
Hünakappi nennt. Entsprechende verse fehlen, was zu erwarten
war, bei Saxo. Man ersieht daraus, dass die verse der Äs-
mundar saga nicht nur mit fremden elementen interpoliert,
sondern auch in späterer zeit mit neugedichteten Zusätzen ver-
sehen sind.
Ein analogieschluss der viel Wahrscheinlichkeit für sich
hat, ist dieser, dass auch die übrigen Personennamen welche
in den beiden Überlieferungen nicht übereinstimmen, bei Saxo
in ursprünglicherer form als in der saga überliefert sein
werden. Es sind zunächst Asmundr - Haldanus und Helgi-
Gunnarus. Für die grössere ursprünglichkeit Saxos in bezug
auf diese beiden namen werde ich weiter unten noch gründe
^) Die anpassnng dieser namen an einen fremden sagenstoff ist die
Ursache, dass Ätli, welcher in anderen quellen stets als BuSUs söhn er-
scheint, hier in einem ganz fremden lande regiert. Die sage war vor der
aufnahoie dieser namen im skandinavischen norden localisiert: so wurde
Buöli zu einem könige in Schweden. Weil aher Hildibrandr Uünahappi
heisst und auch Atli als Hunnenkönig hekannt war, wurden diese beiden
gestalten von Buöli getrennt und nach einem anderen land verlegt.
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ZUR DÄNISCHEN HELDEN8AOE. 351
anffthren. Es bleibt dann nur noch übrig AM-Borcarus, der
wol nicht allein eine ausnähme machen wird, um so weniger
als auch der name AJci der deutschen heldensage zu entstammen
scheint (vgl. den Aki ^rlungatrausti der piöreks saga).
Dass die isländische Überlieferung könig Helgi an die
stelle des unbekann);en Gunnarus (Gunnarus ist bei Saxo kein
könig) einsetzte, erkläre ich daraus dass die geschichte des
Gunnarus mit dem des Skj^ldungen Helgi mehrere bertihrungs-
punkte darbot. Gunnarus raubt ein mädchen, welches später
die gemahlin eines fremden fürsten wurde. So raubt und heiratet
Helgi die Yrsa, welche später die gemahlin Aöils' von Schweden
wird. Zwischen den beiden kindern der Drott entbrennt eine
feindschaft, welche damit endet dass der eine den tod des
anderen bewirkt; es ist Gunnarus söhn, der durch des bruders
band umkommt. Helgis söhn Hrölfr kraki wird durch seine
Schwester Skuld, die tochter des Aöils, und durch ihren gatten
H](jrvarör getötet. Die ähnlichkeit der beiden sagen war
gross genug, um eine weitere beeinflussung der einen durch
die andere zu ermöglichen. Das ist denn auch in hohem
grade geschehen: die aufnähme der gestalt Helgis in die sage
war nur der erste schritt auf diesem wege.
Eine ziemlich bedeutende änderung, welche partielle an-
gleichung an die Helgisage verrät, ist die dass die eroberung
des landes und die tötung des königs Regnaldus durch eine
friedliche Werbung ersetzt ist. Dadurch wurde keine voll-
ständige Übereinstimmung erreicht — in gewisser hinsieht ist
die neuerung sogar als eine abweichung von der Helgisage zu
betrachten, denn Yrsa wurde geraubt — , aber doch eine grössere
ähnlichkeit, denn auch Helgi nahm nur die frau mit sich, liess
aber das land in frieden, und noch mehrere jähre später lebte
die mutter, welche in jener sage die stelle des vaters vertritt.
Dass wirklich angleichung vorliegt, zeigt sich aber hauptsäch-
lich darin dass durch die friedliche Werbung für Borcarus-Aki
jeder grund, Gunnarus-Helgi zu töten, hinwegfällt. Die saga
lässt den Helgi, während der söhn im kindesalter ist, i hemaö
ziehen und irgendwo im unbekannten lande umkommen. Ganz
analog mit Helgi Hälfdans söhn (bei Amgrimr, Saxo, Ynglinga
saga). Dadurch fällt nun dem Borcarus-Aki die rolle des
räubers zu. Er tritt als solcher auf im gefolge des königs
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852 BOEU
Älfr, und dem jungen Hildigerus-Hildibrandr liegt die pflicht
ob, seinen grossvater von mutters seilen zu rächen. Das motiy
lag ziemlich nahe, und mit gewisheit liesse sich kaum behaupten,
dass es nicht aus den gegebenen elementen der sage sich selb-
ständig entwickelt haben könnte. Doch ist, seitdem einmal
contamination mit der Helgisage eine erwiesene tatsache ist,
die Vermutung gewis nicht grundlos, dass auch dieser zug auf
einfluss der Helgisage (freilich nicht der sage von Helgi Half-
dans söhn, sondern der von Helgi Hj^rvarös söhn, welche mit
dieser schon früh in Verbindung gebracht wurde) zurückzuführen
sein wird.') Wie es sich aber damit verhalten möge, dass es
zu der sage von Hildigerus und Haldanus ursprünglich nicht
gehörte, zeigt die Überlieferung noch klar genug. Denn sowol
die isländische wie die lateinische quelle heben hervor, und es
ist auch die pointe der erzählung, dass Äsmundr-Haldanus nicht
weiss, wer Hildibrandr- Hildigerus ist: er weiss den namen,
aber das zwischen ihnen bestehende verwantschaftsverhältnis
ist ihm unbekannt. Wenn aber die tochter des königs Älfr
den Äsmundr aufgefordert hätte, an Hildibrandr ihren vater
zu rächen, so wäre es ja unerhört, dass Äsmundr nicht wissen
sollte, was jedermann wusste, aus welchem gründe Hildibrandr
den Älfr getötet hätte, und die verwantschaft der brüder wäre
ihm kein geheimnis geblieben. Es kommt hinzu, dass wenn
Äsmundr-Haldanus ausgezogen wäre, um den kämpf mit Hil-
digerus-Hildibrandr zu suchen, er kaum den langen um weg,
sei es zu den Buthenen, sei es nach Saxland gewählt hätte,
und wenn es galt, Hildibrandr selbst zu treffen, wäre die be-
gegnung mit den übrigen berserkerft ein bedeutungsloser auf-
schub der räche. Das tragische der Situation besteht darin,
dass die brüder dadurch dass sie im feindlichen lager einander
gegenüber stehen, zum kämpfe genötigt werden. Dass Hal-
^) Um nichts zu übersehen, bemerke ich, dass auch der sage von Helgi
Halfdans söhne das motiv nicht ganz fremd ist, obgleich es weniger in den
Vordergrund tritt. Denn Helgi war nicht nur Yrsas gemahl, sondern auch
ihr vater. Hrölf krakis räche an AÖils über Helgis tod (der nach der Aber-
liefenmg, welche in der Hrolfs saga kraka vorliegt, von AÖils getötet wurde),
konnte also als die räche ilber seinen grossvater angesehen werden. Doch
ist die sagenfonu welche Helgi durch AÖils umkommen lässt, schon etwas
jttnger (vgl. unten); auch wird AÖils von Hrölfr nicht getötet, und über-
haupt scheint mir die Ähnlichkeit weniger schlagend.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAQB. 353
danus den HUdigenis nicht kennt, erklärt sich gerade daraus,
dass dieser ein zwar durch seine taten berühmter, aber doch
in gewisser hinsieht, namentlich in bezug auf seine abkunft
unbekannter soldat in dem beere eines fremden königs ist;
dass solches nicht einschliesst, dass auch Haldanus dem Hil-
digerus unbekannt sein musste, leuchtet ein.
Also wurde vor der Verbindung mit der Helgisage könig
Älfr von Hildigerus-Hildibrandr nicht getötet; Älfr und Bor-
carus-Aki waren demnach nicht die mörder des Begnaldus-
Buöli, sondern Saxo erzählt richtig, dass Gunnarus Regnaldus
tötete und darauf selbst von Borcarus erschlagen wurde.
Nicht ohne Zusammenhang mit den besprochenen Umfor-
mungen ist ein anderer wichtiger unterschied. In der saga
ziehen Älfr und Aki zusammen aus, um wider Buöli krieg zu
führen; sie rauben zusammen die Hildr, welche der könig so-
dann seinem gefährten schenkt mit der ziemlich rohen bemer-
kung: vil ek gipta }6r Hildi BudladoUur, pott hon eigi dör
bonda. Aki meint, sie sei darum nicht schlechter. Diese
Unterredung hat die deutliche tendenz zu erklären, dass der
könig die geraubte königstochter nicht für sich selbst be-
hielt, und lenkt gerade dadurch die aufmerksamkeit auf die
unWahrscheinlichkeit. Doch ist die bemerkung, ein anderer
habe sie zuvor besessen, eine dürftige erklärung. Eine bessere
erhalten wir durch Saxo. Als Borcarus den Gunnarus tötet,
ist Alf schon früher erschlagen; er nimmt also an dem kriegs-
zug keinen teil; früher aber ist Borcarus zusammen mit Alf
auf heerfahrten gewesen und hat auch einmal mit ihm und
für ihn in einer Schlacht ein weib erkämpft. Das war die
Aluilda, welche der könig nicht seinem kriegsfährten schenkte,
sondern selbst zum weibe nahm; Borcarus aber erhielt damals
Alnildas freundin Gro, Zwei abenteuer des Borcarus sind
also in der saga zu 6inem geworden. Dass auch hier das
Verhältnis der beiden quellen nicht das entgegengesetzte ist,
beweisen m. e. vollständig einerseits die oben erwähnte Unter-
redung des Älfr mit dem Aki, andererseits die erzählung von
Alf und Aluilda, welche eine der schönsten geschichten der
Siklingensage ist und sowol wegen ihres umfanges als wegen
ihres poetischen wertes und ihrer ähnlichkeit mit anderen
erzählungen desselben Sagenkreises unmöglich als ein durch
Belirftge mux geaoblohte dar deotaohui spraobe. XXII. 23
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354 BOEH
Spaltung entstandener zweig der in der Äsmnndar saga mit-
geteilten erzählung von Älfr, Aki und Hildr aufgefasst werden
kann. Also verdient auch hier Saxos darstellung vor der der
saga den Vorzug.
Wenn aber Älfr bei der entführung der Drött nicht zu-
gegen war, so ist das ein weiterer beweis, dass auch Älfr den
Eegnaldus-Buöli nicht erschlagen hat, und dass Hildigerus-
Hildibrandr keinen grossvater zu rächen hatte.
Die saga berichtet von einer freierprobe, welche Äsmundr
zu bestehen hat. Nachdem er den nebenbuhler besiegt hat,
stellt iEsa, ehe sie sein weib zu werden zustimmt, noch die
bedingung, dass er ihres vaters tod räche. Dieses motiv ist,
wie oben nachgewiesen wurde, an die stelle eines anderen ge-
treten, wo Haldanus auszieht, um so viel rühm zu erwerben,
dass die königstochter dadurch ihn als ihren ebenbürtigen freier
anzuerkennen genötigt werde. Mit dieser sagenform verträgt
sich das motiv der freierprobe, wenigstens so wie die sage es
erzählt, nicht. Denn wenn Haldanus die probe schon bestan-
den hätte, brauchte er nicht auszuziehen um rühm zu erwerben.
Das motiv wurzelt in dem berichte am Schlüsse der beiden
erzählungen von einem nebenbuhler, den der vom kämpfe mit
Hildigerus heimkehrende Haldanus am hofe der königstochter
trifft. Saxo erzählt davon ausführlich; die saga hat nur den
unverständlichen satz: en (Äsmundr) drap pann er hennar
hafdi beffit, ok er $d eigi nefndr. Derjenige der früher um die
königstochter geworben hat, kann nur der freier sein, von dem
vor Äsmunds reise die rede war; das war aber kein grund
ihn zu töten; die saga weist somit auf eine quelle, in der
dieser nebenbuhler, wie bei Saxo, Äsmunds abwesenheit be-
nutzt hatte, um einen versuch zu wagen sich der königstochter
zu bemächtigen. Dass dieser freier sie schon früher gebeten
hatte, kann ein alter zug sein; ich vermute dass in einer form
der sage welche den kämpf mit Hildibrandr noch nicht als
einen racheact vorstellte, gerade dieser kämpf die probe war,
durch welche Äsmundr sich als seinem nebenbuhler überlegen
erwies.*) Nachdem das rachemotiv an dieser stelle aufgenommen
*) Die einzige abweichung dieser von mir vorausgesetzten der isl.
Überlieferung zu gründe liegenden sagenform von der erzählung Saxos
wäre, dass hier der nebenbuhler sich schon vor Äsmunds abreise gemeldet
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ZUR DANISCHEK HELDENSAGE. 355
war, wurde eine neue freierprobe eingeschoben; das verstAndnis
der Überlieferung wurde dadurch bis zu dem grade getrübt,
dass der Verfasser der Äsmundar saga sogar von zwei neben-
buhlem Äsmunds spricht und es beklagt, dass der zweite in
der quelle nicht genannt ist.
Der anfang der Äsmundar saga enthält eine erzählung
von zwei fremden schmieden, welche dem könig Buöli das
verhängnisvolle schwert schmieden, mit dem Hildibrandr nach-
her erschlagen wird. Bei Saxo finden sich nur unklare remi-
niscenzen an die geschichte. Die Vorstellung der saga ist ziem-
lich verworren und einer näheren Untersuchung bedürftig.
Zwei fremde namens Olit^ und AUtis kommen zu dem
könige und bitten um aufnähme. Auf des königs frage, welche
kunst sie verstehen, antworten sie, sie seien in der schmiede-
kunst erfahren; darauf werden sie gastlich aufgenommen.
Abends wird ein von den schmieden des königs angefertigtes
messer vorgezeigt. Alle loben es, ausgenommen Olius und
Alius; sie brechen von dem messer die spitze ab und ver-
sprechen, dass sie ein besseres schmieden werden. Darauf
schmieden sie ein messer welches jede probe besteht. Auf
befehl des königs schmieden sie nun einen goldenen ring (viel-
leicht eine später hinzugefügte reminiscenz an den Andvara-
nautr). Der könig sagt nun, sie sollen ihm zwei Schwerter
schmieden, welche so viel besser als andere Schwerter sind
wie J>essi smid ykkur die arbeit anderer schmiede übertreffen.
Olius droht, wenn sie zur arbeit gezwungen werden, so könne
das schlimme folgen haben; der könig lauscht der Warnung
nicht und befiehlt ihnen die Schwerter zu schmieden. Bald
darauf bringen sie dem könige zwei Schwerter. Zueilt wird
das schwert welches Olius geschmiedet hat, erprobt; es besteht
die probe schlecht (lagöiz sveröit litt). Dann nimmt der könig
Alius' schwert in die band; es besteht jede probe. Sodann
lobt der könig beide Schwerter (!) und fragt, welches die natur
des zweiten Schwertes ist. Alius sagt dass mit seinem
Schwerte das andere besiegt werden kann. Der könig zer-
bricht Olius' schwert und befiehlt ihm, ein neues zu schmieden.
hätte. Nach heiden qnellen wäre er ansgezogen, um die königstochter
durch nihmreiche taten zu verdienen.
23*
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356 BOEB
Das neue schwert bestellt die probe wie das des Alius; Olius
aber spricht eine Verwünschung aus: er sagt, das schwert
werde des königs beiden tochtersöhnen den tod bringen. Der
könig will Olius und Alius töten; während er nach Olius
schlägt, verschwinden beide (hier vernehmen wir, dass sie
brüder sind). Der könig lässt das schwert bei Agnaflt in das
meer versenken.
Diese erzählung ist so ungereimt wie sich nur denken
lässt. Ich hebe das folgende hervor:
1. Olius droht dem könig, es werde schlimme folgen haben,
wenn er wider seinen willen zu schmieden genötigt werde.
Der könig nötigt ihn, und nun schmiedet Olius ein untflchtiges
schwert. Erst als er zum zweiten male genötigt wird, bringt
er dem könige ein verwünschtes schwert.
2. Die brüder Olius und Alius schmieden zusammen; das
gute messer ist ihre gemeinschaftliche arbeit; ebenso der ring
(falls dieser ursprünglich ist); jeder von ihnen aber schmiedet
ein schwert, und ein gewisser antagonismus tritt zu tage,
wenn Alius sagt, sein schwell werde das seines bruders be-
siegen. Dem widerspricht wider, dass der könig beide die
Verantwortlichkeit für den fluch tragen lässt, dass er beide
töten will und dass beide verschwinden.
3. Die Schwerter sollen so viel besser sein als andere
Schwerter, wie die kostbarkeiten welche die brüder früher ge-
schmiedet haben, besser sind als andere kleinode. Man würde
nun erwarten, dass ein anderes schwert, welches nicht die arbeit
der brüder war, zur vergleichung herbeigeholt werden soUt€?,
wie auch ihr messer dieselbe probe besteht, welche einem von
des königs schmieden angefertigten messer zu schwer war.
4. Nachdem sich Olius' schwert als untauglich erwiesen
hat, sagt der könig dennoch: oh er hvdrttveggja goU; und un-
mittelbar darauf zerbricht er das schwert und befiehlt Olius
ein anderes zu schmieden.
So widerspruchsvoll die Vorstellung sein mag, so glaube
ich doch dass das richtige wol herauszufinden ist, weil die
Widersprüche auf einen fehler der schriftlichen Überlieferung
zu beruhen scheinen. Ursprünglich haben zweifelsohne die
brüder Alius und Olius zusammen nur ^in schwert geschmiedet,
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ZUR DiNISGHEir HELDENSAGE. 357
während das andere schwert die arbeit eines Schmiedes des
königs war. Das ist noch klar aus einer Olius in den niiind
gelegen bemerknng, nachdem das schwert die probe nicht
bestanden hat, zu ersehen: smi/frinn kvaö Jnit ofraun 9verfinu,
ok let Pat tu hgggs Mit en eigi til reisHngar. Die person welche
das schwert geschmiedet hat, heisst hier smidrinn (vgl. 1, 14),
während Olius und Alius stets bei ihrem namen genannt
werden. Die worte ziemen auch besser einem einfachen
schmiede der sein bestes geleistet, aber weiss dass er nicht
alles vermag, als einem übermütigen menschen der absichtlich
ein schlechtes schwert geschmiedet hat. Die phrase aber be-
weist zu gleicher zeit, dass noch eine schriftliche quelle des
überlieferten textes den schmied des königs als concurrenten
der brüder kannte, woraus folgt, dass wir es hier nicht mit
einer Umformung der sage während der zeit der mündlichen
tradition, sondern einfach mit einem handschriftlichen fehler
zu tun haben.9
Die brüder schmieden also zusammen ein schwert welches sich
als vorzüglicher als das von des königs schmiede angefertigte
erweist. Alius sagt mit gerechtem stolze, wenn dieses schwert
dem anderen Schwerte welches zu gleicher zeit dem könig ge-
zeigt wird, im kämpfe begegne, so werde der träger seines
Schwertes den sieg djfvontragen. Olius aber fügt eine ver-
^) Die ursprüngliche form des textes kann man noch mit ziemlicher
genauigkeit widerherstellen. Z. 14 stand ursprünglich konungs snU&r oder
smidrtnn wie z. 19. Nachdem hier irrtümlich Olius geschriehen war, wurden
die folgenden änderungen notwendig. Z. 5: tvau sverÖ ßau statt sverÖ pat
Z. 11—12: serhvärr statt serhvarir. Z. 22. 25: Alius statt jbeir broB^. Diese
letzte änderung braucht nicht einmal angenommen zu werden: es ist mög-
lich, dass der urtext schon Alius hatt«, weil sehr gut einer der brüder
anstatt beider genannt werden konnte: auch ist es Alius der dem könige
das schwert überreicht und zuerst über dessen natur aufschluss gibt. —
Da nun Olius einen fluch ausspricht, der nur an einem vorzüglichen Schwerte
haften konnte, wurden z. ^^—^^'.siÖan—vandkviKbis, wo der könig das schwert
zerbricht und Olius ein neues schmiedet, hinzugefügt. Z. 34 ist statt Hann
zu lesen OUus. — Die worte des königs z.25: ok er hvdrttveggja gott werden
durch diese besserung verständlich; der könig lobt seinen schmied, der ge-
leistet was er vermochte, obgleich das schwert der brüder besser ist. Alius'
worte z. 28: ok mä p6 kaUa kosti eina okjafna können ursprünglich sein;
sie sind dann als eine höflichkeit dem fremden schmiede gegenüber auf-
zufassen.
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358 BOBB
wünschung hinzu: 'dieses schwert wird deinen beiden tochter-
söhnen den tod bringen'. Zusammen sind die brüder für die
eigenschaften des Schwertes verantwortlich, und der könig will
aus diesem gründe beide töten; beide aber verschwinden.
Durch diese interpretation wird femer ein Widerspruch, der
Detter aufgefallen, gelöst, nämlich der dass Alius sagt, sein
schwert werde das seines bruders besiegen, während nachher
nicht Alius', sondern Olius' schwert sich als das siegreiche er-
weist. In der tat besiegt das schwert der brüder das von dem
schmiede des königs geschenkte schwert.
Aus dem angeführten geht hervor dass die oben s.350 schon
als jüngere zutat erkannte str.ii, in welcher die beiden Schwerter
Buölanautar genannt werden, aus der zeit der schriftlichen
Überlieferung stammt, denn sie erzählt dass die beiden Schwerter
von Zwergen geschmiedet sind. Als machwerk erweist sie sich
ferner dadurch dass sie, um ein reimwort zu finden, von dvergar
dauffir spricht, obgleich zu der annähme, Olius und Alius seien
gestorben, gar kein grund vorhanden ist, und man aus ihrem
verschwinden vor des königs äugen eher schliessen würde, dass
sie heutzutage noch leben. Dass andererseits beide Schwerter,
obgleich nur eines die arbeit der mystischen brüder war, zu
dem älteren bestand der sage gehören, beweist die stelle bei
Saxo, wo beide — exquisita fabrorum opera — genannt werden.
Dass übrigens bei Saxo die bedeutung der Schwerter vergessen
ist, bemerkt schon Detter.
Dass zwei zwerge zusammen auf befehl eines königs ein
schwert schmieden und dass einer von ihnen einen fluch hin-
zufügt, erzählt u. a. auch die Hervarar saga. Die geschichte
hat mit der von Olius und Alius so viel ähnlichkeit, dass es
gewis kein wagnis ist, beide für Variationen einer und der-
selben erzählung anzusehen. Auch dort werden nidingsverh
und ausrottung des ganzen geschlechtes prophezeit und bruder-
mord damit begangen. Ohne mich hier auf eine in die tiefe
gehende vergleichung beider sagen einzulassen, constatiere ich
die ähnlichkeit der gestalten von Olius und Alius einer-, Dul-
ins und Dvalins anderseits, und glaube daher eher mit Detter
(einl. s.XLvn), dass Olius und Alius als zwerge aufzufassen
sind, als ich geneigt wäre, in ihnen nach Svend Grundtvigs
Vermutung (Udsigt over den nord, oldt. her. d. s. 58) einen
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 359
nachklang des Bolwisus und Bilwisus<) der sage von Hagbarör
zu suchen. Doch kann ich mich der ansieht Deiters, dass in
Alius das lateinische zahlwort zu suchen und Olius dem Alius
angeglichen sei, nicht anschliessen. Eher dürften wol Olius
und Alius latinisierte formen von zwergennamen sein; etwa
Öinn (Öi?) und Äi (Sn. E. 1, 68. 66). Doch ist das für die oben
besprochenen fragen nebensächlich, und es bleibt ihre zwergen-
natur von ihrem namen, wenn dieser auf Schreiberpedanterie
beruhen sollte, unberührt.
Olius spricht, als das schwert dem könige überreicht wird,
den fluch aus, es werde des königs beiden tochtersöhnen verda
at bana. Der fluch geht nicht in erfüllung; nur Hildigerus-
Hildibrandr wird getötet. Wenn die zwergengeschichte ein
ursprüngliches dement der sage ist, so muss der ausgang des
Zweikampfes in -einer älteren sagenform ein anderer gewesen
sein, und eine Überlieferung, nach der beide brüder im kämpfe
fallen, einmal existiert haben. Dass das tatsächlich der fall
war, scheinen die verse welche bei Saxo der sterbende Hildi-
gerus spricht, zu denen ich noch einmal zurückkehre, zu be-
weisen. Die verse beruhen wie schon gesagt auf Strophen,
deren einige in der Äsmundar saga bewahrt sind. Saxo scheint
hier wie bei den versen welche von Äsmunds heimkehr han-
deln, noch Strophen benutzt zu haben welche dem Schreiber
der saga unbekannt geblieben sind. S. 244, 38 — 245, 7 können
eine rhetorische ausmalung von str. v sein; ebenso liegt s. 244,
13 — 20 wol kaum mehr als str.i,l — 2 zu gründe. Einen fremden
gedanken enthalten nur s. 244, 24 — 28. Die zeilen lauten:
En pia progenies triicibns concnrrere teils
ansa perlt; sndo pronati sangoine fratres
lllata sibi cede raunt, dmn cnlmen aventes
tempore deficinnt, sceptriqne ctipidine nacti
exiciale malnm socio Styga fanere yisent.
Diese worte sagen unzweideutig aus, dass die brüder beide
umkommen; denn die deutung, Hildigerus habe sagen wollen
dass solches oft begegnet, während in dem vorliegenden fall
gerade das entgegengesetzte stattfindet, indem nur ein brüder
tödlich verwundet wird, der andere aber am leben bleibt.
*) Von Bolwisus und Bilwisus wird unten noch die rede sein.
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860 BOER
würde dem Hildigerus eine durchaus leere phrase zumuten
und ist aus diesem grund unzulässig. Die verse sind zu in-
haltsschwer, um als eine Weitläufigkeit Saxos aufgefasst zu
werden. Also weisen sie auf die einstmalige existenz einer
oder mehrerer Strophen und somit einer sagenform, in der Hil-
digerus und Haldanus im Zweikampf fallen. Jene Strophen
können nicht demselben gedichte wie die übrigen angehört
haben, obgleich Saxo sie in diesem Zusammenhang kannte.
Sie gehören demselben Sagenkreise wie die übrigen Strophen
an, repräsentieren aber die entwicklungsstufe der sage, wo die
Weissagung der zwerge in erfüllung gieng. Die aufnähme des
liebesmotivs des Haldanus und der Gyuritha durch die Ver-
bindung mit dem Siklingengeschlechte hat die Umformung
bewirkt. Der name Haldanus deutet darauf, dass die sage
schon frühzeitig an die SkJQldunge, unter denen brudermord
eine charakteristische missetat war, geknüpft worden istJ)
Zwei Seitenstücke zu dem gegenseitigen brudermord bietet die
Ynglinga saga (Unger c. 28. 24). Es verdient beachtung, dass
die beiden bruderpaare Alrekr und Eirikr und Alreks söhne
Alfr und Yngvi zu den SkJQldungen in naher beziehung
standen, indem Yngvis tochter dem Dänenkönig Frööi friösami
vermählt und die mutter des älteren Hälfdan Frööason wurde,
der im lauf dieser Untersuchung noch genannt werden wird.
Die entstehung der sage von Haldanus und Hildigerus
aus der deutschen Hildebrandssage wurde oben entschieden
abgelehnt. Doch scheint eines ihrer motive seine entstehung
dem einflusse eines der deutschen heldensage zugehörigen, aber
weitverbreiteten sagenstoffes zu verdanken. Es ist die episode
vom berserkerkampfe. Eine grosse ähnlichkeit mit der ge-
schichte Walthers von Aquitanien kann hier nicht geleugnet
werden. HaManm- Äsmundr entspricht dem Walther, Hildi-
gerus-Hildibrandr dem Hagen, Äluerus-Ätli dem Günther, Zwar
entführt Haldanus keine braut, doch hängt für ihn wie für
Walther der besitz der braut von dem ausgange des kampfes
ab. Günther fordert alle seine kämpfer auf, mit Walther sich
zu messen, und nacheinander fallen alle; schliesslich bittet er
Hagen, der auf grund der alten freundschaft — nach mehreren
0 Näheres über Haldanus unten s. 362 ff.
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ZUR DANISCHBN HELDENSAGE. 361
quellen sind Hagen und Walther blutsbrttder — wider Walther
zu kämpfen sich sträubt, bis ihn die furcfht vor der schände
zu dem Zweikampf bewegt; vgl. Saxo s. 245, 9 — 11: (Hildigerus)
iccirco se süencio usum esse dicebat, ne aut pugnam detrectando
ignauus, aut committendo scelestus existimari passet. — Aller-
dings existieren auch unterschiede. Walther kämpft anfangs
jedesmal mit einem einzelnen kämpen, Äsmundr-Haldanus mit
einer zunehmenden anzahl; doch finden sich im Walthariliede
schon ausätze zu der auffassung der nordischen sage: auch
Walther wird schliesslich von vier feinden zu gleicher zeit
angegriffen. — In der Walthersage kämpft schliesslich auch
Günther mit; doch ist dieser unterschied unwesentlich, weil
Günther, und in weit höherem grade der könig in der nordi-
schen sage, nur nebenperson ist; dieser verschwindet sogar
gegen das ende der erzählung spurlos. Sodann wird Hagen
nicht getötet; er kommt, nachdem er ein äuge und sechs
backenzähne eingebüsst, mit dem leben davon. Daneben stehen
aber andere fassungen derselben sage, in denen alle Verfolger
mitsammt ihrem anführer im kämpfe umkommen; ich verweise
auf die abgesehen von einer anspielung im Biterolf nui- in der
nordischen piöreks saga überlieferte sage von Herburt und
Hilde. — Schlagenden Übereinstimmungen stehen also unbedeu-
tende unterschiede gegenüber. Ich stelle mir das Verhältnis
der beiden sagen so vor, dass die ähnlichkeit des Stoffes —
kämpf zwischen brüdem (bez. blutsbrüdern) — vor der Spal-
tung der sage von Haldanus in eine isländische und eine
dänische Überlieferung, eine ausmalung der kampfscene dieser
sage nach dem vorbilde der über Nordeuropa verbreiteten
deutschen sage zur folge hatte. Dieser beeinflussung durch
die Walthersage verdanken wir die str. vu. viii und die ihnen
entsprechenden verse bei Saxo. Darauf ist wol auch die Vor-
stellung der saga, dass der kämpf am Eheine stattfand, zurück-
zuführen. Zwischen dem Hunnenlande und Saxland ist der
ßhein auf keinen fall zu suchen, wo man sich Hünaland auch
localisiert vorstellt; denn in allen quellen wo Hünaland nicht
Saxland ist, liegt es im osten. Der Schauplatz des kämpf es
aber, wo Walther mit den ihn verfolgenden burgundischen
königen kämpft, ist gerade die Rheingegend. Saxo, der die
geschichte kurz erzählt, nennt den Bhein nicht; er hält sich
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802 BOBR
an die gegend wo der bruderkampf unabhängig von der
Walthersage localisiert war.
Aus obiger Untersuchung ergeben sich die folgenden Stadien
für die entwicklungsgeschichte der sage von Haldanus' kämpf
mit Hildigerus:
1. Aelteste gestalt. Ein könig nötigt zwei zwerge für
ihn ein schwert zu schmieden. Als sie ihm das schwert über-
reichen, prophezeien sie ihm den tod seiner beiden tochter-
söhne. Diese Prophezeiung geht später in erfüllung. Die
sage erscheint in ihrer ältesten gestalt an das geschlecht der
SkJQldunge geknüpft. Eine geringe Variation knüpft sich an
das geschlecht Heiöreks (Hervarar saga).
2. Anknüpfung an die Siklingensage. Borcarus, Haldanus'
vater, wird ein genösse des königs Älfr; Haldanus heiratet
Alfs tochter Gyuritha. Dadurch wird der ausgang des kam-
pfes umgestaltet. — Motiv der nebenbuhlerschaft am Schlüsse
der erzälilung.
3. Beeinflussung durch die sage von Walther von Aqui-
tanien. Ausbildung des motivs vom berserkerkampfe.
4. Interpolation dreier Zeilen aus einem verlorenen Hilde-
brandsliede. Diese Zeilen veranlassten
5. eine völlige Umgestaltung der sage und änderung der
namen in der isländischen Überlieferung (Äsmundar saga).
6. Wahrscheinlich gleichzeitig mit 5 anknüpfung an und
Umgestaltung der Vorgeschichte durch die Helgisage. Verdop-
pelung des motivs der nebenbuhlerschaft und der freiei'probe
(gleichfalls nur in der isländischen Überlieferung).
7. Unrichtige auffassung der zwergensage zufolge eines
fehlers der schriftlichen tradition. Interpolation der neu hin-
zugedichteten Str. II. IX.
HaUanus, der töter des Hildigerus, ist nach Saxos Vor-
stellung der Stammvater eines neuen geschlechtes; sein weib
Gyuritha ist die letzte der Siklinge. Das bedeutet bei Saxos
weise die königsgeschlechter chronologisch aneinander zu reihen,
dass die durch die Siklinge unterbrochene reihe der könige
aus dem SkjQldungengeschlechte bei Haldanus wider anhebt
Dass dieser ein SkJ9ldung ist^ deutet, wie oben s.860 gesagt,
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ZUB DÄNISCHEN HELDENSAGE. 363
schon der name an. Es fällt auf dass auch der letzte Skj^lduqg,
der vor den Sildingen .auf 4>em ^Ikmehen throne sitzt, Haldanns
heisst. Mehrere gründe sprechen dafür, dass diese beiden
Haldani durch Spaltung aus 6iner gestalt entstanden sind;0
die einreihung des Siklingengeschlechtes bewirkte die Spaltung.
Doch folgt daraus nicht, dass jene gestalt eines einzigen Hal-
danus nicht auf mehr als eine persönlichkeit zurückgehen kann.
Dass das tatsächlich der fall ist, hoffe ich nachzuweisen, nach-
dem ich zuerst die angedeutete Spaltung besprochen haben werde.
Wenn man das Siklingengeschlecht ausscheidet, regieren
unmittelbar nacheinander zw^ei könige Haldanus, was an sich
schon auffällt. Die übrigen quellen kennen nirgends zwei
Halfdane nacheinander. Von beiden wird hervorgehoben, dass
sie eine Zeitlang kinderlos sind, später aber einen söhn er-
zeugen, der erstere Haldanus in ziemlich hohem alter (s. 224), 2)
der zweite nachdem das orakel befragt und dessen befehl be-
folgt worden ist. Beide erschlagen einmal eine schar berserker
mit einem knüppel (s. 222. 243).») Es kommt die folgende er-
wägung hinzu.
Dass Haldanus Borcari fiUtis niemand andens ist als der
könig von Skäne Hdlfdan snjcUli, wird wol niemand bezweifeln.
Sein söhn ist HaraMus hyldetan (s. 230 wird Haraldr hilditann
irrtümlich ein söhn des Borcarus genannt). Also ist aus Saxos
königsreihe Jtvarr viöfadmi ausgefallen; seine taten sind zum
teil auf Haraldi" übertragen. Auf die zeit des Halfdan snjalli
und Ivarr viöfaömi passt die beschreibung von dem zustande
des reiches bei Haldanus' und Haraldus' regierungsantritt.
Hälfdan regierte nur über Skäne, obgleich das geschlecht
welches von den Skj<jldung Hröarr abzustammen vorgab, wol
auf die herschaft über das ganze Dänenreich anspruch erhob.
Obgleich das alles Saxo unbekannt ist, geht doch auch bei
ihm die widereroberung des reiches von Skäne aus; über dieses
0 Anders Olrik, Sakses oldhistorie 2, 81 ff., der den vor den Siklingen
regierenden HaMawus als eine norwegische sagengestalt auffasst. Vgl. da-
gegen jetzt auch Steenstrup, Arkiv 13, 152.
') Doch stirbt er einige zeileu weiter kinderlos.
*) Wenn das ein beweis nordischer herkiinft sein soll, wogegen anch
St^enstmp a. a. 0. einsprach erhebt, so ist auch Haldanas Borcari filius ein
norwegischer sagenheld.
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364 BOEB
land gewinnt Haraldos die herschaft dadurch da^s er den
viking Wesetus tötet (doch wird nicht gesagt, dass Wesetus
könig in Skäne war). Später eroberte er Julia und Lethra
(also Seeland), und wol auch Fünen. Dass H41fdan snjalli
geraeint ist, steht also fest. Doch hiess Hälfdans vater nach
anderen quellen (Amgrimr Jonssons Compendium, s. Axel Olrik,
Aarbeger 1894, s. 121) nicht Borcarus, sondern Haraldr {Har-
aldm cmtiquus bei Amgrimr). Diesen namen trägt bei Saxo
der vater des älteren Haldanus, der vor den Siklingen regiert,
was in Zusammenhang mit dem schon früher gesagten beweist,
dass in einer gestalt der Überlieferung welche älter war als
Saxos geschichte, diese beiden Haldani 6ine person waren,
deren vater Haraldus hiess. Doch zeigt das was wir femer
über Haldanus Haraldi fllius vemehmen, dass der gestalt welche
bei Saxo in Haldanus Haraldi filius und Haldanus Borcari filius
gespalten ist, ausser dem Hälfdan snjalli wenigstens noch eine
ältere persönlichkeit zu gmnde liegt. Haldanus wird im Zu-
sammenhang mit Ingellus (Ingjaldr) und Frotho {Frodi) ge-
nannt. Zwischen Ingjaldr und Froöi ist, abweichend von
anderen quellen, welche Froöi als Ingjalds söhn kennen, noch
ein könig Olavus eingeschoben, auf den ich an dieser stelle
nicht eingehe. In den alten quellen ist Hälfdan entweder ein
bmder Ingjalds (so bei Amgiim), oder ein bruder Frööis
(Hrölfs s.); einstimmig berichten sie, dass er durch bmderhand
umkommt. Saxos bericht steht der Vorstellung der zweiten
grappe nahe. Indem aber die Überlieferung auf welcher Saxos
darstellung beruht, diesen Hälfdan mit Hälfdan snjalli zu einer
person macht, schiebt sie, wie schon bemerkt wurde, an dieser
stelle Harald, den vater des Hälfdan snjalli ein, und erzählt
nun, dass Haraldr durch seinen bruder Froöi getötet wird.
Haldanus vertritt nun die stelle des sohnes; so kommt es dass
bei Saxo von ihm und einem bruder Haraldus', den diese
Überlieferung ihm beilegt, erzählt wird was andere quellen,
namentlich die Hrölfs saga kraka, von den söhnen Hälfdans,
Hröarr und Helgi berichten. Die eraählung, wie Haldanus
und Haraldus von Eegno versteckt und mit hundenamen be-
legt werden, und wie sie schliesslich Frotho töten, stimmt
im einzelnen bis auf geringe abweichungen mit der geschichte
von der räche Hröars und Helgis für ihren vater Hälfdan
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Ztm DÄNISCHEN HELDENSAGE. 365
genau überein. Hier ist also unter Haldanus Hälfdan der
bruder Ingjalds bez. Frööis zu verstehen.
Noch ein dritter held scheint für die gestalt des Haldanus
Haraldi filius züge abgegeben zu haben. Es ist Hälfdan der
söhn des Frööi friösami und der Inga. Auf ihn können die
kriege des Haldanus mit dem Schwedenkönige Ericus — Ei-
rikr ist zwar nach Amgrimr und Snorri, welche freilich
auch unter einander hierin abweichen, kein Zeitgenosse Hälf-
dans, sondern etwas älter — zurückgehen, denn auch die
Ynglingasaga kennt ihn als eroberer Schwedens. Doch wird
es sich nachher zeigen, dass auch hier wie bei der erzählung
von der räche an Froöi Übertragung aus der sage von Helgi
wenigstens mit im spiele ist. Doch hat der bericht, dass Hal-
danus bruderlos stirbt, ohne zweifei in diesem Hälfdan seinen
grund (Yngl. s. c.22). Weil Haldanus aber bei Saio nicht nur
eroberer Schwedens, sondern auch könig in Dänemark ist —
was der alte Hälfdan nicht war — kommt bei seinem tod der
thron Dänemarks offen zu stehen. Somit war hier die geeig-
nete stelle, das Siklingengeschlecht, welches die sage schon
früher zu den Hälfdanen in ein freundschaftliches Verhältnis
gesetzt hatte, in die königsreihe einzuverleiben. Sie füllen
den Zeitraum aus, den in anderen quellen Hrölfr kraki und
seine nachfolger, von denen Saxo an anderer stelle berichtet,
einnehmen.
Ich widerhole kurz die züge der drei Hälfdane welche in
Saxos darstellung widerkehren;
1. Hälfdan Frööason friösama erobert Schweden und stirbt
kinderlos.
2. Hälfdan Ingjaldsson (oder Frööason fraegja) wird von
seinem bruder Froöi rv^ (bez. Ingjaldr) getötet. Seine söhne
rächen ihn.
3. Hälfdan Haraldsson, der könig von Skäne, ist der vater
des eroberers von Dänemark (Ivarr viöfaömi).
Aus diesen drei gestalten entsteht ein könig Haldanus,
dessen vater Haraldus heisst (3), der zusammen mit seinem
bruder den vater rächt (2), Schweden erobert (1 oder 2, vgl.
unten), der lange kinderlos bleibt (1), der später dennoch vater
wird (2. 3), dessen söhn (Haraldr hilditann, indem Ivarr viö-
faömi übersprungen wird) von Skäne aus Dänemark erobert.
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366 BOER
Bei Saxo ist die gestalt wider gespalten. Haldanus I be-
hält den vater Haraldus, die räche über den vater, die erobe-
rung Schwedens. Haldanus II bekommt die Vaterschaft über
den eroberer Dänemarks. Der zug der kinderlosigkeit und
der späteren Vaterschaft ^) geht auf beide über; doch tritt bei
Haldanus I die kinderlosigkeit, bei Haldanus 11 die Vaterschaft
in den Vordergrund. Daher denn nach Haldanus I die Siklinge
regieren.
Im grossen und ganzen vertritt also Saios Haldanus
Haraldi filius die beiden älteren, Haldanus Borcari filius den
skänischen Hälfdan, aber die züge sind verwischt und nur
durch gewissenhafte heranziehung der übrigen . quellen ver-
mögen wir sie einigermassen zu unterscheiden. Saxo knüpft
die sage von dem kämpfe mit Hildigerus an den jüngeren,
also an Hälfdan snjalli. Ob das auf alter tradition oder auf
gelehrter combination beruht, ist schwer zu entscheiden. Denn
es ist sehr leicht möglich, dass Saxo nur aus dem grund Hälf-
dan snjalli zu einem söhne des Borcarus gemacht hat, weil
seine quelle schon Hälfdans vater Haraldr auf den älteren
Hälfdan übertragen hatte, wodurch er sich genötigt sah, dem
Hälfdan snjalli einen neuen vater herbeizuschaffen. Da ihm
nun eine sage von einem Hälfdan, dessen vater Borcarus hiess,
bekannt war, könnte die identificierung mit Hälfdan snjalli
sehr wol seine arbeit sein. Es fragt sich aber, ob nicht die
übrigen quellen auf eine der beiden anderen Hälfdane als ur-
sprünglichen held der sage weisen. Von Hälfdan snjalli wie
von Hälfdan Frööason fraegja (Ingjaldsson) wird erzählt, dass sie
durch ihren bruder ermordet wurden; bei beiden existiert die
Schwierigkeit, zu erklären, wie Saxo dazu kam Haldanus siegen
zu lassen. Diese Verwechslung wird wol ihren grund haben
in der einmal verbreiteten sagenform, von der ich oben spuren
nachwies, die beide brüder im kämpfe umkommen liess. Dass
man dies von einem der beiden in betracht kommenden Hälf-
dane erzählt habe, geht aus den übrigen quellen nicht hervor.
Man kann nur Vermutungen aufstellen.
Wenn Hälfdan snjalli der ursprüngliche held der erzählung
ist, so könnte man sich vorstellen, dass die Vorstellung eines
^) Damit widerspreche ich nicht Olriks anziehender yermntniig, dass
Asmondiis der söhn des Haldanns I der bekannte GnoÖar-Asmondr ist.
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ZU& DANISCHEK HELDENSAGE. 367
gegenseitigen brudermordes seinen grund hätte in dem schnellen
tode, den der könig Guöreör in Skäne bald nach der ennordung
seines bruders durch die band seiner gattin, derselben welche
ihn zum brudermord gereizt hatte, erlitt. Doch liesse sich eine
solche hypothese schwerlich über den wert einer nicht un-
ansprechenden Vermutung erheben. Weit wahrscheinlicher
kommt es mir vor, dass die sage auf den älteren Hälfdan zu-
rückgeht, und zwar aus den folgenden gründen:
1. Die Zwergengeschichte weist auf ein höheres alter der
sage, welche in ihren grundzügen kaum jünger als die Über-
lieferung von den kämpfen der älteren Skjijldungen sein kann.
2. Der tod des Hälfdan Frööa- (Ingjalds-)son hat auch ab-
gesehen von dieser erzählung für die geschichte der dänischen
sage eine weit grössere bedeutung als der des weit weniger
bekannten Hälfdan in Skäne. 3. Es existiert zwischen der er-
zählung von Haldanus und Hildigerus und der von Hälfdan
und seinem bruder Ingjaldr (Frööi) noch eine schlagende Über-
einstimmung darin, dass Hälfdan, wie der Haldanus-Äsmundr
der sage, nur ein halbbruder seines feindes ist; er stammt
von einer aus Schweden geraubten mutter, welche von dem
vater als concubine behandelt wurde, während sein bruder
Ingjaldr nach Arngrimi- ein filius legitimus war (Haldanus
und Hildigerus haben eine gemeinschaftliche mutter, doch ist
auch sie von schwedischer abkunft und wird einmal geraubt).
4. Hälfdan Frööason tritt bei Saxo auch im zweiten buch auf.
Er ist der vater des Helgo und Roe (Helgi und. Hröarr).
Saxo erkennt ihn natürlich nicht als mit seinem Haldanus
Haraldi filius identisch wider. Hier hat dieselbe Verwandlung
der sage stattgefunden welche uns oben auffiel; hier ist Hal-
danus im gegensatz zu allen übrigen quellen, welche Hälfdan
durch seinen bruder getötet werden lassen, selbst der mörder
seiner bruder Scato und Roe. Also hat eine sagenform exi-
stiert, und Saxo kannte sie, nach welcher Hälfdan Frööa-
(Ingjalds-)son nicht von seinem bruder getötet wird, sondern
ihn tötet. Dieser tatsache lege ich vollständige beweiskraft
bei und schliesse also^ dass der Haldanus der Hildigerus be-
siegt, den die saga Asmundr nennt, niemand anders ist als
Hälfdan Frööason fraegja (bez. Ingjaldsson), der bruder Ingjalds
(bez. Frööi des vierten). Die Übertragung auf Hälfdan snjalli
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368 BOBB
ist die arbeit Saxos, der die aus drei helden zusammengeworfene
gestalt des Haldanus Haraldi filius der einreihung der Siklinge
in die reihe der könige zu liebe wider gespalten hat.
Wie die zwergengeschichte so gehört wol die zufällige
begegnung der brüder einem sagenkem an der ttber die
SkJQldunge hinausweist. In der SkJQldungensage ist stets von
absichtlichem mord die rede.
Schon mehr als einmal berührten wir im vorhergehenden
die sage von Helgi H&lfdans söhn, dem SkJQldung, und es ist
nicht überflüssig, die vielbesprochene gestalt in diesem Zu-
sammenhang noch einmal revue passieren zu lassen.
Dass zwischen diesem Helgi und dem Hundingtöter ein
gewisser Zusammenhang besteht, ist allgemein anerkannt; so
viel ich weiss hat zuerst Sijmons (Beitr. 4, 177 ff.) die Ver-
mutung ausgesprochen, auch Helgi Hundingsbani gehöre zu
den SkjQldungen; die herschende ansieht dürfte wol die sein,
dass zwei sagengestalten gleichen namens, vielleicht sogar
demselben geschlechte angehörig, in den quellen contaminiert
sind, so dass taten des einen auf den andern übertragen sind,
wie z. b. Saxo Hundingr und HQÖbroddr von Helgi, dem söhne
H&lfdans, getötet werden lässt, während eine dem Helgi Hund-
ingsbani im übrigen entsprechende figur ihm unbekannt ist»)
Ich glaube dass Helgi Hälfdans söhn und Helgi Hundingsbani
von haus aus identisch sind und erst durch die von Sijmons
nachgewiesene, in ihren anfangen schon in der SkJQldungen-
sage vorliegenden anknüpfung an die Siklingen- und die
Vglsungensage zu zwei verschiedenen gestalten sich entwickelt
haben. Diese Identität wird m. e. durch einen den ganzen
lebenslauf beider helden begleitenden parallelismus bewiesen.
Um denselben klar zu sehen ist es notwendig, sich zuvor über
den wert der verschiedenen Überlieferungen rechenschaft zu
geben. Wo eine prosaische und eine poetische Überlieferung
neben einander existieren, kommt es oft vor dass jene diese
benutzt hat. In einem solchen fall sind inconcinnitäten oft
*) So z. b. Olrik, Skjoldungasaga s. 161: *kong Helges tilnavn »Hun-
dings og Hodbrods bane« er länt fra en helt anden sagnhelt ; og när Vong
Bos banemand useynes Hodbrod, mä det efter al rimelighed have fortrsengt
et i Skoldnngsagnet l\jemmeh0rende nayn/
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ZUB DÄNISCHEN HELDENSAGE.
einem mangel des sagaschreibers an Verständnis für die alte
poesie zuzuschreiben. Da in einem solchen fall die verse der
prosa weit vorzuziehen sind, ja die letztere sogar oft, wie z. b.
in vielen excursen zwischen den Strophen der Eddalieder, zu
dem wert eines dürftigen interpretationsversuches hinabsinkt,
ist allmählich eine gewisse geringschätzung der prosaischen
tradition zur jnode geworden, und scheint eine hypothetisch
begründete Interpretation eines alten gedichtes in vielen fällen
das einzig mögliche mittel, die älteste form einer sage zu
reconstruieren. Wo aber eine prosaische erzählung nicht aus
bewahrten liedeni geschöpft ist, zumal wenn der Schreiber
nicht einmal wusste dass sein held mit dem beiden eines Edda-
liedes von haus aus identisch war, ist das Verhältnis der quellen
auf eine ganz andere weise zu beurteilen. In einem solchen
fall hat die prosaerzählung, sei es dass sie auf verlorenen
liedern oder auf lebendiger tradition beruht, immer den wert
einer selbständigen redaction der sage, und sie wird um so ver-
trauenswürdiger sein, je weniger ihr inhalt mit anderen sagen
verknüpft ist. Da nun die sage von Helgi dem Hundingstöter
mit zwei anderen sagencomplexen aufs innigste verwachsen ist,
während das von Helgi Hälfdans söhn nicht nachgewiesen ist,
tun wir gut, wenn wir bei der bevorstehenden Untersuchung
von Helgi Hälfdans söhn ausgehen.
Die namen in beiden sagen sind bis auf den beiden ver-
schieden. Dass mehrere namen in der sage von Helgi Hund-
ingsbani unursprünglich sind, z. b. Sigmundr, SinßQtli, welche
aus der VQlsungen-, Sigarr, Sigrün, welche aus der Siklingensage
stammen, ist eine anerkannte tatsache, welche ich nur wider-
hole, um darauf hinzuweisen, dass man aus dem mangel an Über-
einstimmung in den namen nicht auf verschiedenen Ursprung
der sagen schliessen kann. Ein beispiel dass in zwei fassungen
derselben sage nur der name einer einzigen nebenperson (könig
Älfr) derselbe ist, haben wir noch am anfang dieses aufsatzes
in der sage von Haldanus und Hildigerus gefunden. Wir gehen
jetzt zur Untersuchung der Überlieferung über.
In der geschichte von Helgi dem söhne Hälfdans, welche
wir aus der Hrölf s saga kraka, der erzählung Trä Hrölfi kraka'
in der Snorra Edda, der Ynglinga saga und Arngrimr Jönssons
compendium kennen, unterscheiden wir die folgenden episoden :
UeltrAge xar gesohiohte der deutaohen ipraohA. XXII. 24
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370 BOER
L Jugend und vaterrache (Hrolfs s., Ämgrimr, Saio, hier
übertragen auf Haldanus).
n. Rache für den bruder (Hrölfs s., Saxo zweimal, Äm-
grimr unvollständig).
ni. Liebesgeschichte (Hrölfa s., Amgrimr, Saxo kurz,
Yngl. s.).
In der sage von Helgi Hundingsbani:
I. Eine Strophe welche zur Jugendgeschichte zu gehören
scheint; hier wird Hundingr genannt. Die tötung Hundings.
n. Tötung der Granmarssöhne.
m. Liebesgeschichte.
I. Die Hrölfs saga kraka berichtet ausführlich, was Arn-
grimr nur andeutet, wie Hröarr und Helgi, nachdem ihr vater
Hälfdan durch ihren oheim Froöi ermordet war, heimlich bei
einem bauer namens Vifill aufwachsen, wo sie mit hundenamen
Hoppr und Ho genannt werden, bis der könig vernimmt, wo
sie sich aufhalten. Vergebens versucht er ihrer habhaft zu
werden; mit hilfe ihres pflege vaters Reginn entkommen sie zu
ihrem Schwager Saevill jarl, wo sie unter ziegen verkehren.
Einmal kommen sie zur halle des königs und werden entdeckt;
doch entkommen sie. Bald darauf zünden sie das haus, in dem
sich der könig befindet, an. Die geschichte ist, wie schon ge-
sagt, bei Saxo auf Haldanus Haraldi fllius und seinen bruder
Haraldus übertragen; die Varianten sind für unsern zweck
ohne bedeutung.
Das zweite Helgilied hebt mit einer strophe an welche
bisher schlecht verstanden worden ist. Sie lautet:
Seg H^miiige at Helge man,
hvern i bryujo bragnar feldo,
6r ulf gräan inne hqffopj
]7arB Hamal \mgpe Hundingr konongr.
Wer H^mingi' ist ist nicht leicht zu sagen. Die vorhergehende
prosa, welche mit ihm keinen rat weiss, macht ihn zu einem
söhne Hundings. Man würde in z. 4 denselben namen wie in
z. 1 erwarten. Aus diesem gründe liest auch Sijmons, Zs.fdph.
18, 118 z. 4 Hmningr anstatt Hundingr. Er glaubt dass die«e
Strophe, sowie die folgenden str.2— 13 nicht auf Helgi Hundings-
bani bezogen werden müssen, sondern dass sie den verlorenen
-firarw?;W angehören und also von Helgi Haddingjaskati handeln.
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ZUR DANISOH&N fiELDENSAGE. 871
Aus dem gründe liest er str. 13, 9 Hdlfdanar (anstatt Hggna)
7n€ßr, weil K&ra HdlfdanardoUir genannt wird. Ueber str. 2—4
und 5 — 13 wird im folgenden besonders gehandelt werden;
doch bemerke ich schon jetzt dass es mir aus gründen welche
ich unten entwickeln werde, in hohem grade unwahrscheinlich
ist, dass Str. 2 — 4 den Käruljöö angehört haben können. Nach
meiner ansieht beziehen sie sich nicht einmal auf einen beiden
der Helgi hiess. Darum glaube ich auch nicht dass str. 1 — 13
als ein gesonderter strophencomplex aufzufassen ist; ich trenne
vielmehr str. 2 — 4 von str. 1, welche Helgi nennt, beziehe diese
Strophe auf Helgi Hundingsbani und emendiere anstatt z. 4
z. 1, wo ich lese Seg HundingiJ)
Helgi erinnert sich hvern i brynjo hragnar feldo. Diese
Worte deuten nach meiner ansieht auf den tod von Helgis
vater, also dem Hälfdan der Skjpldungensage, den Helgi zu
rächen sich vorgenommen hat. Dann sagt Helgi mit einer
anspielung auf den geschlechtsnamen Ylfingar: ihr (die feinde
Hundings) hattet in eurem hause einen grauen wolf — man
vergleiche dazu Hroars und Helgis besuch bei Frööi, wo sie
anfangs nicht erkannt wurden — ; Hundingr aber meinte es
sei Hamall. Der gegensatz ulfgrdan erfordert an dieser stelle
nicht den namen eines fremden menschen, sondern den eines
unschädlichen tieres. Freilich ist ein subst. hamall in dieser
bedeutung im altn. nicht bekannt; doch beweist das nicht dass
das wort nicht existiert haben kann; vielmehr setzt das nomen
proprium, welches der Sammler der Eddalieder und die meisten
interpretatoren bis auf den heutigen tag in dem Substantiv
suchen, ein appellativum 'hamalV voraus. Als solches fasse
ich das wort an dieser stelle auf. Ob die bedeutung voll-
ständig mit der des deutschen wortes übereinstimmte, ist für
unsem zweck gleichgiltig; jedenfalls hat das wort ein castriertes
tier angedeutet (vgl. hamla Verstümmeln'); ich übersetze es
ohne rücksicht auf eine eventuelle geringe Variation der be-
deutung durch hamniel^) Die Zeilen bedeuten demnach: ihr
*) VieUeicht ist Haemingi auf einen Schreibfehler in der quelle der
Sammlung zurückzuführen.
2) Ich bemerke hier, dass auch Detter (Zs. fda. 36, 15 if.) in einem
anderen Zusammenhang die auffassung des Wortes hamdU in der bedeutung
hammd verficht, und dafür noch andere gründe anführt, welche zu widerholen
24*
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372 BOER
hattet einen grauen wolf (einen gefährlichen feind, einen Ylfing)
unter eurem dache; Hundingr aber glaubte es wäre ein hammel
(ein unschädlicher mensch). Die verse bestätigen also, was von
Hröarr und Helgi berichtet wird, dass sie sich unter ziegen
aufhielten; auch dass sie Hoppr und Hö genannt wurden, ge-
hört zu demselben vorstellungskreise. Diese auffassung der
Str. 1 setzt voraus dass Helgi an Hundingr den vater rächt
Das wird in dem sehr fragmentarischen liede nicht erzähltw
Die VQlsungasaga berichtet abweichend, Helgi habe Hundingr
getötet, als Sigmundr noch lebte, Hundings söhn Lyngi aber
sei der töter Sigmunds. Auf den doppelten Widerspruch, dass
lange nachdem Helgi das ganze geschlecht Hundings aus-
gerottet hat, noch ein söhn Hundings am leben ist und sogar
als nebenbuhler Sigmunds auftritt, hat schon Sijmons (Beitr.
4, 188) hingewiesen. Dass der Verfasser der VQlsungasaga hier
vergebens einen verständlichen Zusammenhang herzustellen ver-
sucht hat, ist anerkannt. Das vorhergehende aber zeigt m. e.
klar den grund des Widerspruchs, den der sagaschreiber nicht
zu lösen verstand: er hat nämlich hier wie an so mancher
stelle, namentlich in Sigurös geschichte, abweichende sagen-
formen chronologisch aneinander gereiht. Ich bin da-
von tiberzeugt dass neben der sage welche Sigurör die räche
über Sigmundr vollziehen lässt, einmal eine Überlieferung exi-
stiert hat welche dasselbe von Helgi berichtete. Die mörder
waren Hundingr und seine söhne. Ob Sigmunds nebenbuhler
Hundingr oder Lyngi war kann dahingestellt bleiben; in
überflüssig ist. Mit recht vergleicht er auch den namen Hamr, den Helgi
in der Hrölfs saga bei Stevill jarl trägt, und ft\hrt ein im älteren dänischen
belegtes harn in derselben bedeutung an. Seine auffassung des namens
H^iingr als ableitung von demselben stamme und die Übersetzung durch
Hämmling ist zwar an sich ansprechend, doch stimme ich ihm darin nicht
bei. Wenn Detter recht hat, ist H^ingr Helgis bruder, der bei Saevill
Hrani genannt wird, und die Strophe enthielte in diesem fall eine botschaft
an Uröarr, Dagegen spricht 1. dass Helgi sich selbst an dieser stelle mit
seinem rechten namen nennt und behauptet, HamaU sei ein beiname, 2. die
dritte zeile er ulf gräan tnne hgfpop, welche beweist, dass die Strophe an
einen freund FröÖis resp. Hundings gerichtet ist; sie kann daher nur eine
botschaft an den bösen könig enthalten. Somit bleibt die not wendigkeit
bestehen in z. 1 und z. 4 denselben namen, entweder Hemingr {Hcnnhigr) oder
Hvndvngr zu lesen und den namen auf den mörder von Helgis vater 2U
beziehen.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 873
letzterem fall warb Hundingr für seinen söhn. Mir kommt
das erstere wahrscheinlicher vor. Hundingr tötete Sigmundr
und wurde darauf sammt seinen söhnen von Helgi getötet.
Weil aber nach einer anderen wol zur zeit der abfassung der
Vglsungasaga mehr verbreiteten ansieht Sigurör der rächer
seines vaters war, wurde nun der grund, weshalb Helgi
Hundingr tötete, vergessen, und ein aus seinem grabe erstan-
dener söhn Hundings wurde Sigmunds nebenbuhler. Dass
Hundings tötung Helgis erste grosstat war, spricht femer für
die richtigkeit der hier begründeten Vermutung.
Die erzählungen von Helgis und Sigurös vaterrache haben
einander im laufe der zeit in hohem grade beeinflusst. Man
könnte sie sogar für Variationen einer und derselben geschichte
ansehen. Zumal fällt die gestalt Regins auf. Wenn diese
ursprünglich zu der VQlsungensage gehörte, was freilich nicht
feststeht, so würde sie beweisen, dass die Helgisage schon in der
gestalt, in der wir ihr in der Hrölfs saga kraka begegnen, an
die VQlsungensage geknüpft war. Dass Beginn nicht erst in
dem relativ späteren Zeitalter der schriftlichen tradition, etwa
durch einen phantasierenden Schreiber, dem die ähnlichkeit der
Situation auffiel, in die Helgisage gelangt ist, beweist Saxos Regno
in der erzählung von Haldanus und Haraldus. Obgleich die er-
zählung hier an andere personen geknüpft ist, entspricht doch
Regno vollständig dem Beginn der Hrölfs saga. Der name
scheint also aus der Helgisage in die Vplsungensage gedrungen
zu sein und hat den Mime der deutschen Überlieferung ver-
drängt. Für frühe Verbindung mit der sage von den Vplsungen
spricht auch die ähnlichkeit der mutter Hröars und Helgis Sigriör
mit der Sign^ der V<jlsungensage. Wie diese verbrennt Sigriör
mit ihrem gatten, den sie nicht liebt, obgleich sie sich über
die an ihm vollzogene räche freut. Auf grund obiger aus-
führungen würde ich geneigt sein anzunehmen, dass der name
Hundingr aus der Vplsungensage in die Helgisage übertragen
und an die stelle Frööis (bez. Ingjalds) getreten ist, wenn nicht
dagegen spräche, dass die deutschen quellen von einer vater-
rache Sigurös nichts wissen. Aus dem gründe kommt es mir
wahrscheinlicher vor, dass Hundingr aus einem unbekannten
Sagenkreise in die Helgisage gedrungen und zusammen mit
dieser später mit den VQlsungen verbunden ist. Man kann
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374 BOBR
in anschluss an das vorhergehende die frage stellen, ob nicht
ein beträchtlicher teil der Jugendgeschichte Sigurös, von dem
die deutsche Überlieferung so wenig weiss, auf Helgis Jugend
zurückzuführen ist. Doch gehe ich auf diese frage nicht ein
und weise nur auf ihre berechtigung hin.
H. Hu. II, 6 antwortet Helgi auf Sigi-üns frage, wer er sei:
Uamall Icetr fljöta ftey viö baJcka. Die zeile hat wahrscheinlich
nicht weniger als die unbekanntheit mit der sage, auf welche
Str. 1 anspielt, die auffassung Hamals in str. 1 als n. pr. be-
wirkt. Dass Helgi statt sich selber einen genossen als führer
des heeres nennen würde, ist aber überaus auffällig; auch weist
nichts darauf, dass er von einem genossen begleitet ist. Ich
verstehe die zeile so, dass Helgi der seinen namen nicht nennt,
ironisch sich den namen beilegt den er in str. 1 als appella-
tivum benutzt; der gedanke ist dann: der führer ist jener
Hamall, von dem Hundingr zu erzählen weiss, wie ungefährlich
er ist (Helgi hat nämlich kurz vorher Hundingr getötet). Darauf
sind Sigruns worte in str. 13 en Hggna mcer Helga kennir —
eine sehr zutreffende antwort. Str. 6, 1 beweist auf jeden fall,
dass Str. 6 — 13 zu demselben gedichte wie str. 1 gehören. In
bezug auf str. 2— 4 lässt sich aus dem angefülirten nichts fol-
gern; über diese s. unten s. 381 ff.
II. Die Hrolf s saga kraka erzählt s. 24 ff., wie Hrökr, der
söhn Saevils und der Sign^, also Helgis schwestersohn, Hröarr
tötet imd dann von Helgi verstümmelt wird. Bei Arngrimr
töten Ingjalds söhne Hrörekr und Froöi den Hröarr. Da
Arngrims Ingjaldr dem Frööi der Hrölfs saga entspricht, ent-
sprechen Ingjalds söhne einem oder mehreren söhnen Frööis,
welche die saga nicht kennt, und an deren stelle Hrökr auf-
tritt. Weil die ermordung Hröars bei Arngrimr nach Helgis
tode erfolgt, wurde die räche wol von Hrolfr kraki vollzogen,
was Arngrimr nicht mitteilt, und zwar an Frööi, denn noch
nach Hrölfs tode lebt Hrörekr (Olrik, Skjoldungasaga s. 160).
Bei Saxo liegt die erzählung in zwei fassungen vor. Saxo, der
taten Helgis, u. a. die Jugendgeschichte auf Haldanus Haraldi
fllius überträgt, erzählt auch, wie Haldanus seinen bruder
Haraldus an dem Schwedenkönige Ericus rächt. Die andere
erzählung knüpft sich bei ihm an Helgi selbst; der Schweden-
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ZUR DANISCHBM HELDENSAGE. 375
könig Hothbrodus besiegt den könig Roe dreimal — wie Ericus
den HaraJdns — nnd tötet ihn schliesslich; dann wird er von
Helgi besiegt und getötet.
Diese Überlieferungen stimmen alle darin mit einander
überein, dass Helgi den tod seines bruders rächt (nur Arn-
grimr erzählt die räche nicht); sie gehen darin aus einander,
dass der mörder bei Ärngrimr und in der Hrölfs saga ein
verwanter der brüder, in den beiden erzählungen Saxos ein
fremder fürst, ein Schwedenkönig, ist. Dass Saxo den Hoth-
brodus der sage von Helgi Hundingsbani entlehnt, wird all-
gemein angenommen und steht auch in gewissem sinne fest.
Saxo hat nun einmal die beiden lange vor seiner zeit getrenn-
ten Helgigestalten wider zusammengeworfen, und wenn er in
demselben Zusammenhang von Hundingr spricht, so beweist
das nur um so klarer, dass er taten des Hundingtöters auf
Helgi Hälfdans söhn überträgt. Der grund dieser Übertragung
muss aber in der ähnlichkeit beider gestalten gesucht werden,
welche ihrerseits wider auf deren ursprünglicher identität be-
ruht. Nun fällt es in hohem grade auf, dass die tötung des
Hothbrodus als ein racheact für Helgis bruder vorgestellt wird.
Man kann das freilich wider für eine willkürliche combination
erklären, und behaupten, Saxo habe der Skjpldungensage das
raotiv der räche für den bruder, der sage von Helgi Hundings-
bani aber den namen Hothbrodus entnommen und aus diesen
dementen eine eigene sagenform geschaffen; wahrscheinlich
aber ist das schon auf grund der abweichung von der Über-
lieferung der SkJQldungensage (wo der mörder ein verwanter
ist) nicht. Eher haben wir es hier mit einer gestalt der sage
von Helgi Hundingsbani zu tun, welche das motiv der bruder-
rache noch kannte, bevor derselbe durch das der nebenbuhler-
schaft ersetzt wurde. Wenn diese auffassung richtig ist, so
ist Helgis kämpf mit HQÖbroddr nur eine Variation derselben
erzählung welche in der Hrolfs saga als Hrökrs Verstümme-
lung, bei Saxo als Haldanus' kämpf mit Ericus erscheint.
Die Helgilieder tragen zur beurteilung der frage wenig
bei. Zufolge der anlehnung an die Siklingensage hat hier
das motiv der nebenbuhlerschaft ein anderes ersetzt, und wel-
ches das andere war, kann aus der Überlieferung nicht mit
Sicherheit geschlossen werden. Detter (Arkiv 4, 67 ff.) hat in
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876 BOER
den beiden scheltgedichten (i,82 — 46. ii, 19 — 24) eine noch
nicht von der Siklingensage beeinflusste sagenform zu finden
geglaubt, und mir scheint es dass er recht hat. Sinfj^tli wirft
dem Guömundr vor, Helgi habe das land der Granmarssohne
erobert; der krieg scheint also nicht um den besitz eines
weibes, sondern um ein land geführt zu werden. Wenn aber
um ein land ein krieg geführt wird, so beweist das nicht, dass
dazu kein anderer grund als blosse eroberungssucht vorhanden
war; in den meisten fällen wird das entgegengesetzte der fall
sein. Nimmt man an dass Hpöbroddr einen bruder Helgis
erschlagen hatte, wol auch in der absieht sich seines landes
zu bemächtigen, so versteht es sich von selbst, dass Helgi,
der den bruder rächt, zu gleicher zeit Hpöbrodds land erobert.
Man kann also aus dem Vorwurf Sinfjptlis ebensowenig
schliessen, dass Helgi an Hpöbroddr einen bruder zu rächen
hatte als das entgegengesetzte. Doch beweist str. 24, 1 (Bugge)
Pyhkiat mer goöir Grannmrs synir, sowie die anspielungen auf
frühere schlachten (str. 20. 21. 24), dass von einem während
längerer zeit fortgesetzten psychologisch motiviei-ten kriege
die rede ist; und weil Hgöbroddr und Helgi einander nicht zu
kennen scheinen,*) ist anzunehmen dass in früheren kämpfen
ein verwanter Helgis dem H^öbroddr gegenüber stand. Die
weise in der Helgi die Schlacht bei Möinsheimar erwähnt,
scheint anzudeuten dass Hpöbroddr aus dieser siegreich her-
vorgieng. Detter (a. a. o. s. 75) vermutet dass es diese schlacht
war in der HQÖbroddr den Isungr erschlug, dessen tod i, 20
erwähnt wird. Da nun der Zusammenhang nötigt isungr als
einen verwanten Helgis aufzufassen, glaube ich dass dieser
name ziemlich früh zufolge einer unbekannten combination an
die stelle eines andern getreten ist, und dass Isungr einen
bruder Helgis vertritt.
Der Verfasser der scheltgedichte und der Strophe welche
Isimgr nennt, hat nicht mehr gewusst wer Isungr war. Die
gedichte bewahren an die schlacht bei Möinsheimar nur ver-
blasste erinnerungen. Und das ist ganz natürlich. Durch die
Verbindung mit der VQlsungensage welche in diesen liedem
*) Detter a.a.O. s. 71 ; doch scheint mir diese deutung der Strophe nicht
unanfechtbar.
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ZUR DÄNISCHEN VLELDY^ß^ "^7
vorliegt, wurde Helgis bruder Hröarr durch Smfjptli ersetzt,
von dem man wol wusste dass er nicht durch H^öbroddr um-
kam; er lebt noch während des kämpf es mit den Granmars-
söhnen, und das motiv der räche für den bruder verblasste,
bevor noch das neue motiv der nebenbuhlerschaft zur vollen
entfaltung gekommen war. Doch beweist grade die gestalt
des Sinfj^tli, dass man sich Helgi von einem bruder begleitet
vorstellte, wie Helgi HÄlfdans söhn jähre lang von seinem
bruder Hröarr begleitet war.
Den namen Hpöbroddr erkläre ich als eine reminiscenz
an eine uralte form der sage. Wie die geschichte von der
vaterrache in der sage von Helgi Hundingsbani durch die an-
knüpfung an die VQlsungensage bis zur Unkenntlichkeit um-
geformt wurde, so wurde in der Skjpldungensage die Über-
lieferung getrübt durch die widerholung des motivs vom ver-
wantenmoitl. In der Hrolfs saga und bei Amgrimr, welche beide
diese entwicklungsphase der sage repräsentieren, ist, wie schon
hervorgehoben wurde, der mörder Hröars ein naher verwanter
der bruder. Olrik hat gezeigt dass diese auffassung des Ver-
hältnisses der kämpfenden parteien in der dänischen königs-
sage verhältnismässig jung ist; sie ist zwar in der isländischen
Überlieferung die gewöhnliche, aber mit ihr stehen ältere,
angelsächsische quellen im widersprach. So wenige spuren jener
älteren sagengestalt in der altnordischen literatur erhalten
sein mögen, so glaube ich doch in dem namen Hpöbroddr die
Heaöobeardnas des Beowulf, welche unter den königen Froda
und Injeld wider die Dänen kämpfen, widerzufinden. Das
erste Zusammensetzungsglied der beiden namen ist vollständig
identisch; nur mit rücksicht auf das zweite glied sind ab-
weichende auffassungen möglich. Man könnte den gleichklang
an dieser stelle für zufällig halten; in diesem fall würde nur
das erste glied die Zusammengehörigkeit beider namen an-
deuten, und ihr Verhältnis wäre zu beurteilen wie etwa Signy,
Sigarr, Sigriör und der geschlechtsname Siklingar, welcher als
Sig-lingar erklärt wird. Man kann aber die frage aufwerfen,
und ich glaube dass die antwort bejahend lauten wird, ob
nicht Hgöbroddr eine ganz natürliche Umbildung des volks-
namens ist; die Umbildung hätte stattgefunden, nachdem das nicht
verstandene wort einmal als personenname aufgefasst worden
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878 BOEB
war. Der name wäre in dem fall ursprünglich eine bezeichnimg
Ingjalds oder Frööis als des königs der Haöubarden.*) Wie
der volksname im altn. gelautet hat, ist unsicher. Im zweiten
glied steckt wol nicht barg ^bart', sondern ein in der bedeu-
tung mit der ableitung barda 'beil' übereinstimmendes sub-
stantivum. Neben dem schwachen subst scheint das germa-
nische in dieser bedeutung bildungen auf -u gekannt zu haben
(Kluge, Etym. wb. s.v. barte); aus germ. *bar^ujs ergäbe sich
altn. *bgrdr\ der lautgesetzliche name HgÖbQrÖr wäre aber
für ein späteres geschlecht, welches kein ^bgrdr *beü' kannte,
durchaus unverständlich und musste wol notwendig zu Hgä-
broddr umgedeutet werden. Mit barö *bart' vertrug sich
weder die bedeutung des ersten noch das p des zweiten
gliedes; broddr gab einen verständlichen, der ursprünglichen
bedeutung des Wortes nahestehenden sinn; und die lautliche
Übereinstimmung war bis auf geringe abweichungen voll-
kommen. Vielleicht deutet noch Saxos Schreibung Hothbrodus
mit einfachem d eine ausspräche an, welche der ursprünglichen
namensform näher stand.
Wenn Saxo den H^öbroddr zu einem Schwedenkönige
macht, so beruht das auf einer combination, von der noch die
rede sein wird. Dass er ihn aber als einen fremden fürsten
und zu gleicher zeit als Hröars mörder darstellt, halte ich
nach dem gesagten für ursprünglich. Es ist die sage von
Helgi Hundingsbani, welche hier züge bewahrt hat welche
die Überlieferung von dem söhne Hälfdans vergessen hat.
III. Die liebesgeschichte der beiden beiden hat auf den
ersten blick wenig ähnlichkeit. Helgi Hälfdans söhn zieht
/ viking; in Saxland bemächtigt er sich mit gewalt und list
der königin ÖlQf; er hält sie drei tage und drei nachte als
geliebte bei sich; sie gebiert eine tochter, welche nach ihrem
hunde Yrsa genannt und wie die tochter einer dienstmagd
erzogen wird. Nach dreizehn jähren kommt Helgi wider nach
Saxland; er raubt das mädchen und heiratet sie. Ihr söhn
ist Hrölfr kraki. Helgi und Yrsa lieben einander sehr. Als
*) Aehnlich wird z. b. in den sQgur ein bewohner Islands oft. mit dem
namen tslendingr augeredet.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 879
Hrölfr drei jähre alt ist, kommt Olpf nach Dänemark und ent-
hüllt das geheimnis; Yrsa reist mit ihr nach Saxland zurück;
später wird sie dem Schwedenkönige Aöils vermählt. Auf
diesen ereignissen beruhen zum teil die späteren feindselig-
keiten zwischen Hrölfr kraki und Aöils.
Nach den meisten quellen (Arngrimr, Saxo, Yngl. s.), zu
denen auch die oben besprochene Vorgeschichte der Äsmundar
saga zu zählen ist, zieht Helgi, nachdem Yrsa ihn verlassen,
wider / viking und fltllt in unbekannten gegenden.
Die geschichte des Helgi Hundingsbani und der Sigrün
trägt ein ganz anderes gepräge. Sigrun ist valkyre; Helgi
heiratet sie wider den willen ihres vaters und tötet den vater
und den bräutigam; Sigrüns bruder vollzieht an Helgi die
räche. Das hauptmoment ist, wie von andern widerholt be-
tont wurde, die leidenschaftliche liebe des jungen paares,
die klage Sigrüns, die rückkehr Helgis. Dass hier anlehnung
an die Siklingensage vorliegt, ist eine bekannte tatsache, auch
dass ursprünglich die erzählung von Sigrun mit der tötung
HQÖbrodds nichts gemeinsam hatte. Wenn man diesen zug
ausscheidet, bleiben übrig: die entführung einer valkyre wider
den willen des vaters, die tötung des vaters, die räche durch
einen verwanten (sei es, wenn der kämpf mit dem vater ur-
sprünglich ist, für des vaters tod, sei es für die entführung,
wie in der sage von Hagbarör), die widerkehr des verstorbenen
beiden, welcher zug in der Vorstellung einer glühenden leiden-
schaft seinen grund hat.
Die liebesgeschichte des Helgi Hälfdans söhn hat mit dieser
einige züge gemein, und in ihren verschiedenen fassungen
zeigt sich allmählich eine entwicklung in der richtung nach
der in den liedem vorliegenden sagenform. Man muss an-
nehmen dass ein jüngeres Zeitalter, welches an dem blut-
schänderischen Verhältnis des beiden zu seiner eigenen tochter
anstoss nahm, dieses Verhältnis dadurch beseitigen konnte,
dass es die beiden geliebten Helgis als eine person auffasste.»)
Aus den beiden entftthrungsgeschichten wurde also gleichfalls
1) Auf ähnliche weise wurden, wie ich Arkiv 8, 116 f. nachgewiesen habe,
die beiden geliebten des älteren Starkaör Qgn und Alfhildr in In^bjqrg
zu einer person.
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380 BOER
eine einzige, und ein vater trat, vielleicht unter dem einflass
einer fremden sage, an die stalle der mutter, für welche nun
kein platz mehr übrig war. — Von Olpf heisst es femer (Hrölfe
saga s. 17), dass sie for nieÖ sJcjqIcI ok brynju ok gyrd sveröi
ok hjdlm d hQfÖi\ sie war also valkyre wie Sigrün. Ihre heimat
ist im Süden (Saxland), wie die der Sigrun, welche Helgi
suörcen nennt. Von Helgi und Yrsa wird gesagt, dass sie
einander sehr lieb hatten, wie Helgi und Sigrün. In der
Hrolfs saga kraka findet sich zuerst die auffassung, dass
Helgis tod eine folge seines Verhältnisses zu Yrsa war; hier
tritt, abweichend von der älteren Überlieferung, die Helgi
auf einer heerfahrt umkommen lässt, Aöils als Helgis mörder
auf.«) Aöils als Yrsas gatte ist darauf angewiesen den raub
zu rächen; in der sage von Sigrün, welche neben Helgi
keinen zweiten gatten kennt, ist er durch einen bruder ersetzt.
Und die vorwürfe welche Yrsa nach Helgis tod dem Aöils
macht (s. 34), sind der prototypus zu der Verwünschung Dags
durch Sigrün. Ferner findet sich schon in der sage von Helgi
HÄlf dans söhn ein anfang zu der in der sage von dem Hundings-
töter herschenden Vorstellung, welche Helgis tod als eine folge
der tötung Hpöbrodds auffasst, indem eine jüngere quelle, Saxo,
den Athislus zu einem söhne des Hothbrodus macht, daher denn
auch Hothbrodus in Schweden regiert.
Noch muss bemerkt werden, dass auch die weitere aus-
führung des liebesmotivs, welche auf einfluss der Siklingensage
zu beruhen scheint, gerade dadurch auf Helgi Hälfdans söhn
weist, denn gerade an derselben stelle, wo in der Skj^ldungen-
genealogie Helgi eintritt, nach dem Hälfdan den Saxo irrtümlich
Haraldi filium nennt, der aber wie oben gezeigt wurde niemand
anders als Helgis vater ist, gerade an jener stelle ist auch die
sage von den SkjQldungen mit der Siküngensage verbunden.
Die Verbindung trägt hier einen friedlichen Charakter, doch
konnte sie der ausgangspunkt für weitere berührungen werden.
Freilich gehört die poetische ausschmückung der erzählung
und die tiefere auffassung des liebesverhältnisses der dichtung
von dem Hundingstöter allein an. Ich habe nur zeigen woDen,
*) Ein ähnlicher gedanke liegt Saxos bericht s. 53, nach einiger mei-
nnng habe Helgi vor schäm über das Verhältnis zu Yrsa sich selbst das
leben genommen, zu gründe.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 381
dass die meisten charakteristischen eigentümlichkeiten der er-
zählung von Helgis und Sigrüns liebe teilweise in der ältesten
gestalt der sage von Helgi und Öl^f-Yrsa, teilweise in ihren
späteren entwicklungsphasen sich schon angedeutet finden.
Für die Helgi-Sigrünsage ergeben sich aus dem erörterten die
folgenden entwicklungsstufen:
1. Aelteste gestalt: Helgi raubt die valkyre Öl^f, später
ihre tochter Yrsa. Helgi und Yrsa lieben sich sehr. Yrsa
verlässt Helgi und heiratet Aöils. Helgi kommt im fremden
lande um.
2. Helgis tod wird als eine folge des raubes aufgefasst.
Aöils tötet Helgi (Hrolfs s. kr.).
3. Helgis tod wird zur tötung HQÖbrodds in beziehung
gesetzt (Saxo, wo HQÖbroddr Aöils vater ist).
4. Aus 2 und 3 folgt unmittelbar eine beziehung zwischen
der tötung Hijöbrodds und dem raube der Yi-sa. HQÖbroddr
wird Helgis nebenbuhler. So in den liedem.
5. ÖlQf und Yrsa werden zu 6iner person. Nur in den
liedem. Dadurch wird Yrsas zweiter gatte eliminiert; ein
bruder vertritt die stelle.
6. Ausmalung des liebesmotivs unter dem einfluss der mit
der SkJQldungensage schon verbundenen Siklingensage.
Nur das motiv der tötung des vaters ist in der älteren
sage nicht angedeutet. Doch lag die möglichkeit seines ent-
stehens in dem raub des mädchens. Ich verzichte darauf zu
entscheiden, wie weit es unter dem einfluss anderer sagen
ausgebildet ist; nur bemerke ich dass durch obellstehende
Untersuchung die möglichkeit fremder einflüsse nicht geleugnet
wird; oben wurde nur der same nachgewiesen aus dem m. e.
ein beträchtlicher teil der herrlichen Helgidichtung empor-
gebltiht ist; doch folgt daraus nicht, dass alles was die dich-
tung von Helgi dem Hundingstöter erzählt, notwendig in dem
söhne Hälfdans seinen grund hat. Solche einflüsse gehören
einer entwicklungsstufe der sage an welche zu verfolgen in
diesem Zusammenhang meine absieht nicht ist. Nichts hindert
z. b. daran, die tötung des vaters mit Sijmons (Zs. fdph. 18, 117)
auf die Hildesage oder einzelne züge Sigrüns auf die. sage von
Helgi dem söhne HjQrvarös zurückzuführen.
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882 BOER
Das zweite gedieht von dem Hundingstöter enthält drei
Strophen, deren inhalt, wie es scheint vollständiger, in der
Hrömundar saga Greipssonar mitgeteilt wird. Es sind die
schon gestreiften str. 2 — 4, wo Helgi in frauenkleidern bei
Hagall versteckt ist. Sijmons hat zuerst (Beitr. 4, 194) die
Vermutung ausgesprochen, dass diese Strophen zu den ver-
lorenen Käruljoö gehören, und diese ansieht in seiner bespre-
chung des Corpus poeticum boreale (Zs. fdph. 18, 118 f.) weiter
entwickelt (vgl. oben s.370). Diese Vermutung beruht auf
den folgenden tatsachen: 1. die schlussprosa der H. Hu. ii
erwähnt die Käruljoö, welche von Helgi Haddingjaskati ge-
handelt haben sollen; 2. die Hrömundar saga erzählt von
Helgi Haddingjaskati; 3. die Hrömundar saga hat unsere
Strophen benutzt. Die folgerung, dass str. 2 — 4, welche die
Hrömundar saga in besserem Zusammenhang als das Helgilied
kennt, Strophen der Käniljöö sind, hat viel anziehendes. Doch
kann ich mich dieser auffassung nicht anschliessen.
Was den Ursprung des sagenmotivs betrifft, so vermutet
Sijmons mit recht auf grund des Bäviss der saga, welcher
name eine Verderbnis von BQlviss ist, dass es aus der Siklingen-
sage, und zwar aus der sage von Hagbarör und Signy stammt
Daraus würde noch nicht folgen, dass die Strophen nicht ge-
dichtet sein könnten, nachdem die Verbindung des motivs mit
der Helgisage vollzogen war, in welchem fall sie Strophen
eines Helgiliedes sein würden. Wenn sie auf Helgi Hundings-
bani zu beziehen wären, müsste man annehmen dass sie zu
der jugeBdgeschichte Helgis gehören, wie auch der Sammler
des gedichtes sie an den anfang stellt, und dass sie also eine
Variante der erzählung der Hrölfs saga kraka wären, wo
Frööi Helgi und Hröarr vergebens bei VifiU, bei dem sie sich
unter hundenamen aufhalten, sucht. Die gestalt des Blindr
enn bglvisi wäre dann aus der Siklingensage in die Helgisage
aufgenommen und entspräche den begleitern des königs; die
versuche Vifils, die knaben dui*ch list zu erretten, wären durch
das motiv der Verkleidung ersetzt. Das wäre denkbar; doch
würden auch in diesem fall str. 2 — 4 nicht demselben gedichte
wie Str. 1 angehören können, wo Helgi durch den namen
Hamall auf die fassung der sage welche in der Hi-ölfs saga
vorliegt, anspielt; aus demselben gründe wären str. 2 — 4 von
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 383
Str. 6 ZU trennen. Da nun der inhalt der Strophen anderswo
in besserem Zusammenhang mitgeteilt wird, so ist es von
vornherein wahrscheinlich, dass sie ursprünglich zu einem
anderen liede gehört haben, und verhältnismässig spät zufolge
der ähnlichkeit der Situation in die Helgidichtung aufgenommen
sind. Es ist in diesen Strophen von einem beiden der sich
vor einem feinde versteckt, die rede; auch Helgi wurde in
seiner Jugend vor einem feinde versteckt; dass str. 1 davon
handelte, verstand der Sammler noch, obgleich ihm die bedeu-
tung der Strophe nicht klar war, und str. 2 — 4 wurden nach
Str. 1 eingeschoben. Dazu mag die lautliche ähnlichkeit der
namen Hamall und Uagall mitgewirkt haben; der Verfasser
der prosa von 2 scheut sich nicht, auf grund dieser ähnlichkeit
Hamall zu einem söhne Hagais zu machen.
Ich glaube dass diese Strophen das einzige bewahrte frag-
ment eines liedes von Hagbarör sind. Die zu gründe liegende
Überlieferung wäre von der erzählung, welche Saxo von Hag-
barör mitteilt, nicht sehr verschieden; bei Saxo und in den
dänischen liedern dringt Hagbarör in frauenkleidern in den
palast des königs und wird dort ergriffen; hier scheint eine
form der sage vorzuliegen, nach welcher Hagbarör die Signy
zu einem seiner freunde entführt, wo er, als die diener des
königs ihn suchen, sich in frauenkleidern aufhält.')
Untersuchen wir nun den Zusammenhang in dem die den
Strophen entsprechende prosa in der Hrömundar saga Greips-
sonar mitgeteilt wird, so ergibt sich dass sie schwerlich als
Paraphrase eines fragments der Käruljöö aufgefasst werden
kann. Die K&ruljoö handelten von Helgi Haddingjaskati und
seiner geliebten Kära. Die Hrömundar saga erzählt, wie Helgi
dadui'ch dass er ohne absieht die ihn schützende valkyre
tötet, seinen eigenen Untergang bewirkt. Wenn diese episode
*) Str. 4, 5—7 wurden hinzugedichtet, nachdem die verse auf Helgi
bezogen waren. Auch wenn str. 2—4 einem Helgigedichte angehörten, so
könnte an dieser stelle noch von Sigarr und Hggni, deren bekanntschaft
Helgi erst später macht, nicht die retle sein. Die ursprünglichkeit der
z. 6 Hesse sich verfechten auf gnmd der tatsache, dass Sigarr auch eine
gestalt der HagbarÖssage ist; doch wäre es unverständlich, wie Hag-
barör, der vor Sigarr sich verbirgt, sich für eine Schwester Sigars ausgeben
könnte.
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384 BOER
auf versen beruht, so sind das zweifelsohne Strophen der
K&ruljöö gewesen.
Aber die erzählung welche auf H.Hu.n,2 — 4 und mehreren
verlorenen Strophen ähnlichen inhaltes beruht, ist in der saga
nicht an Helgi, sondern an Hrömundr geknüpft. Man kann
nun annehmen dass der Verfasser der Hrömundar saga die
Käruljöö zwar gekannt, aber sehr ungeschickt benutzt hat,
und dass er willkürlich einige Strophen auf Helgi, andere auf
Hrömundr bezog, Füi- des Verfassers Verständnis für die alte
poesie nehme ich es nicht an; doch spricht das was die saga
mehr von Hrömundr erzählt, gegen diese annähme. Der inhalt
der saga beweist m. e. sonnenklar, dass der sagaschreiber mit
recht diese Strophen auf Hrömundr bezogen hat.
Die Hrömundar saga enthält nämlich nicht nur verblasste
reminiscenzen, sondern auch eine zwar verderbte und ein wenig
modernisierte, aber beinahe vollständige Überlieferung der
Hagbarössage, welche an die person des Hrömundr geknüpft
ist; dass der Verfasser mehrere liederfragmente gekannt hat,
steht fest.
Bisher wurden mit grösserer oder geringerer Sicherheit als
motive der Hagbarössage anerkannt: 1. die gestalt des Bäviss,
2. das Verkleidmotiv. Ich glaube beweisen zu können, dass
auch das wichtigste motiv der Hagbarössage, die liebes-
geschichte, in der Hrömundar saga einen reflex gefunden hat.
Und die gestalt des BqIvIss finde ich nicht nur in dem Bäviss
der saga wider, sondern noch in einer andern persönlichkeit,
deren auftreten dem des Bolwisus bei Saxo weit ähnlicher ist
als das des Bäviss. Eine nicht geringe Verwirrung ist ent-
standen durch die Verbindung zweier von haus aus verschie-
dener sagen, Hrömunds liebesgeschichte und sein kämpf mit
Helgi Haddingjaskati. Es kommt hinzu, dass dem sagaschreiber
das richtige Verständnis für seinen stoff abgieng und dass er
sehr gedankenlos arbeitete. Ein beispiel genüge. S. 371 gibt
Hrömundr einen ring einum manni, peim er Hrökr het Dieser
Hrökr kann kaum jemand anders sein als Hrömunds s. 365
genannter bruder; das hatte der Schreiber sechs Seiten weiter
vergessen. Hrökr wird von Voll getötet; doch fallen später
auf den Vaenisiss Hrömunds sämmtliche acht brüder, also auch
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ZUR DANISCHEN HELDENSAGE. 385
Hrökr.^ Man muss also die berichte der saga mit vorsieht
aufnehmen. Gleichwol sind die zu gründe liegenden sagen noch
ziemlich klar zu unterscheiden.
Hrömundr Greipsson kommt zu einem könige ÄUr; dieser
red fyrir G^Öum i DanmQrk, Bei dem könige stehen zwei
böse männer, BiWr und Voli, in hohem ansehen. Helgi be-
siegt fflr den könig in einer schlacht die brüder Hrangviör
und Helgi; jener kommt um, diesem wird das leben geschenkt.
Nachdem Hrömundr einem gespenste namens präinn ein schwert
abgewonnen hat, wird er sehr berühmt. Voli tötet nun Hrökr
(vgl. oben); der könig sagt dass er das später bestrafen werde,
was nicht geschieht (der bericht soll nur zeigen wie böse
Voli ist). Der könig hat zwei Schwestern, eine von ihnen,
Svanhvit, wird eine freundin Hrömunds. Dieser spricht wider-
holt mit ihr und fürchtet weder Voli noch Bildr; doch ver-
leumden diese ihn bis zu dem grade, dass er den hof verlassen
muss. Svanhvit verwünscht vergebens Voli und Bildr. — Die
Haddingjar (Haldingjar hat die ausg. und einige hss. fehler-
haft), zwei Schwedenkönige, in deren gefolge sich Helgi,
Hrangviös bruder, aufhält, fordern könig Öläfr zum kämpfe auf
dem eise des Wenersees auf. Nun will Hrömundr nicht mit
in den krieg fahren, tut es aber, von Svanhvit dazu auifeefor-
dert, dennoch. Er kommt an, nachdem der kämpf schon be-
gonnen und seine acht brüder nebst Bildr getötet worden sind.
Er besiegt die könige, tötet Helgi (episode von Kära), wird
aber verwundet; dann begegnet er Voli, der an dem kämpf
nicht teilgenommen hat, und tötet ihn. Nun kommt Hrömundr
zu Hagall, wo Svanhvit ihn heilt. Aber ein mann namens
Blindr enn Uli (später Elindr er Bdviss het genannt) sagt dem
könig Haddingr, dass Hrömundr noch lebt; der könig sucht
Hrömundr zweimal vergebens bei Hagall; das zweite mal war
Hrömundr in der Verkleidung eines mädchens (also der Inhalt
der H. Hu. II, 2—4). Im winter hat Blindr böse träume, welche
er dem könige mitteilt; bald darauf überfallen Öläfr und
Hrömundr könig Haddingr und Blindr er höt B&viss; Hadd-
1) Zu den remimscenzen an fremde sagen gehört auch die erzäUnng,
wie Hrömundr sein schwert, welches in den V^^enersee gefallen ist, zurück
bekommt. Man vergleiche die gewinnung des bei Agnafit yersenkten
Schwertes in der Asmundar saga kappabana.
Baiürtge rar gMohioht« d«r dentaohaii wptmdhB. XXII. 25
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386 BOER
ingr wird totgeschlagen, B&viss gehängt. Hromundr heiratet
Svanhvit.
Diese wenig zusammenhängende geschichte muss inter-
pretiert werden wie ein ft-agmentarisches und zu gleicher zeit
mit zutaten versehenes gedieht. Offenbar hat der Schreiber
von seinen quellen, welche schon nicht einheitlich waren, nichts
verstanden; nicht einmal einen namen der in einigermassen
abweichender gestalt an mehreren stellen widerkehrte, hat er
widerzuerkennen vermocht. Die folgenden widerspräche sind
besonders zu betonen.
Der könig Haddingr wird auf dem eise des Wenersees
geschlagen; dennoch behauptet er, wie es scheint, das Schlacht-
feld und die macht über die gegend, denn er lässt Hromundr
suchen um ihn gefangen zu nehmen. Dass sich dieser aber
auf dem gebiete des königs Öläfr, und zwar ziemlich nahe bei
der königsstadt aufhält, geht daraus hervor dass die königs-
tochter ihn heilt») Femer entsprechen Toli und Bildr genau
dem Bolwisus und Bilwisus der Hagbarössage; die namen sind
augenscheinlich entstellungen dieser namen; wenn also Bol-
wisus später wider als Blindr er Bäviss h6t auftritt, so be-
deutet das nur, dass dem Schreiber der saga quellen zu geböte
standen, in denen der name auf verschiedene weise verderbt
war, so dass er Bäviss für eine von Voli verschiedene gestalt
ansah. Weil er nun in seiner quelle Voli und Bildr später
nicht widerfand, lässt er sie beide in und nach der Schlacht
auf dem Vaenisiss umkommen. Es sind also Voli und Bildr,
oder einer von ihnen,^) welche Hromundr bei Hagall suchen;
Voli und Bildr aber sind Öläfs, nicht Haddings männer. Das
stimmt zu der Vorstellung, dass Hromundr sich in Olafs land
aufhält und von der königstochter geheilt wird. Das stimmt
») Wie Hromundr auf einmal von dem Wenersee nach Dänemark
kommt, bleibt unerklärt; die geographische Vorstellung ist ganz verwirrt;
wenn Hromundr bei Hagall sein schwert, welches er auf dem see verloren,
zurückbekommt, so scheint er doch von dem Schauplatz des kampfes nicht
so fem zu sein. Die erwähnung des Wenersees ist aber wol eine remini-
scenz an die erzählung von Adils' kämpfe mit Ali (Sn. E. 1, 394).
■) Bildr ist entweder eine entstellung von Bliftdr oder von Büriss.
Voli ist B^lviss. Wenn Bildr == Blindr ist, so entsprächen Voli und Bildr
beide dem B^lviss.
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ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE. 387
auch zu dem anfang der saga, wo gesagt wird, dass Voli und
Bildr den Hrömundr gerade wegen seines intimen Verhältnisses
zu der königstochter verleumden.
Wir gewinnen durch diese auffassung des Blindr er B&viss
h^t als mit Voli und Bildr identisch eine sagenform, welche
genau mit der oben für die Hagbarösage vermuteten form
übereinstimmt:
Hrömundr kommt zu dem könige Öläfr und kämpft zwei-
mal für ihn. Er knüpft mit der königstochter ein intimes
Verhältnis an; die bösen ratgeber verleumden ihn; der könig
jagt ihn fort. Die königstochter besucht Hrömundr, der sich
bei Hagall versteckt hat; der könig und die bösen ratgeber
suchen ihn dort; er hat frauenkleider angezogen und wird
nicht gefunden.
Auch von Hagbarör wird erzählt dass er anfangs ein
freund der Siklinge war, bis Bolwisus Unfrieden stiftete.')
Von hier an gehen die erzählungen auseinander, und es zeigt
sich die Überlieferung der Hrömundarsaga als die jüngere durch
den friedlichen ausgang. Hrömundr heiratet die königstochter,
während Hagbarör gehängt wird. Die jüngere sagenform for-
dert dass B^lviss gestraft wird. Der träum des Bäviss scheint
eine poetische quelle zu haben; wenn das der fall ist, so kann
das gedieht kaum entstanden sein, bevor diese jüngere sagen-
foim ausgebildet war;«) bei Saxo wird zwar die magd welche
geplaudert hat, aber nicht Bolwisus gestraft.
^) Dass BcHwisM und Btltoisus ÖÖinn sind, halte ich ftir anagemaeht.
Dafür spricht n. a. das folgende: 1. öäinn heisst B^lverkr, 2. er tritt anf
als Blindr oder enn blindi-, 3. er tritt mehrfach unter zwei correlativen
nameu auf, von denen z. b. Bäleygr und Bileygr den Bglviss und Bilviss
lautlich sehr nahe stehen. Man könnte sogar an voUstAndige Identität
dieser namen denken, wenn man das zweite glied des Bolwisus als latei-
nische Übersetzung von -eygr aufzufassen wagte, wogegen aber die nordi-
schen formen Bäviss und enn hglvisi angeführt werden können; 4. Öl^inn
stiftet stets Unfrieden unter den männem, wie Bäviss. Auch bei Saxo
tritt ÖÖinn oft als friedensstörer auf, z. b. s. 255, 25. S. 248, 22 erscheint er
orbus oculo (wie oft in an. quellen; man denke an die verpf&ndung von
ÖÖins äuge), was dem Bolwisus huninibus capttts genau entspricht. Auf
grund des angeführten trenne ich Bilwisus und Bolwisus vollständig von
den Zwergengestalten Alius und Olius (s. oben s. 359).
*) Doch könnte man sich vonteUen, dass dem gedichte von BqIvIss'
träumen die erzählung von der räche für Hagbarös tod, welche Saxo s. 238 f.
25*
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388 BOEB
Ich gflaube bewiesen zu haben, dass die erzählung der
Hrömundar saga eine am Schlüsse modernisierte Variation der
Hagbarösage ist, welche auf Hromuüdr tibertragen ist. Der
Verfasser benutzte fragmente eines liedes von Hagbarör. Drei
Strophen jenes gedichtes sind im zweiten Helgiliede bewahrt.
Ich muss hier bemerken, dass durch meine erklärung der
Strophen der poetischen Überlieferung nicht mehr gewalt an-
getan wird als durch die annähme, dass str. 1 — 13 zu den
K&ruljöö gehören. Zwar trenne ich str. 2 — 4 von str. I und
5—13; aber ich vereinige wenigstens stofflich str. 1. 5 — 13 mit
den folgenden Strophen, so dass nach meiner auffassung nur
3 Strophen der Helgidichtung von haus aus vollständig fremd
sind, während die andere auffassung 13 Strophen verurteilt.
Der prosaischen Überlieferung der Hrömundar saga aber wird
nur meine auffassung gerecht.
Da der sagaschreiber der erste war der den Bäviss zu
einem manne Haddings gemacht hat, ist er es wol auch der
hinzuphantasiert, dass Haddingr zusammen mit Bäviss getötet
wird. Ursprünglich kam wol Haddingr mit-Helgi auf dem
VsBnisiss oder wo der kämpf sonst localisiert war, um. Doch
hebe ich ausdrücklich hervor, dass jene sage welche Helgi in
Zusammenhang mit könig Haddingr nennt, von der oben be-
sprochenen grundverschieden ist. Zwei sagen sind in der
Hrömundar saga mit einander verflochten.
Hrömunds kämpf mit Helgi ist ein letzter ausläufer der
sage von den SkJQldungen und den Haöbarden. Selbst das
motiv der räche für den tod des bruders fehlt hier nicht; es
ist aber auf die andere partei, welche diesmal den sieg davon-
trägt, übertragen. Hrömundr rächt an Helgi seine brüder.
Einer dieser brüder heisst Hrokr, wie der töter Hröars in der
Hrölfs saga kraka. Nach den aettartQlur (Fiat. 1, 24) gehören
Hrömundr und Hrökr zu demselben geschlechte wie Hpöbroddr,
den wir aber als Haöbarden erkannten. Wie die Siklinge in
nahem freundschaftlichen Verhältnis zu den SkjQldungen, so
berichtet, zu gründe liegt. Die Schlacht bei Walbnuma musB einst sehr
berühmt gewesen sein.
>) Auch Helgi hat an Hrömundr einen brüder Hr^ngriör zn rächen;
doch ist die yorstellung hier sehr verwirrt. Gehört das abenteuer ursprüng-
lich zu dieser sage?
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ZUB DÄNISCHEN HBLBEKSAOB. 889
erscheinen die feinde der Siklinge, das geschlecht zu dem
Hagbarör gehört, als mit den Haöbarden befreundet und ver-
want schon dadurch, dass die Überlieferung eine erzählnng
von Hagbarör auf Hrömundr überträgt. Dazu stimmt dass
der vater des Hr6kr svarti, von dem Hrömundr stammt, Hä-
mundr hiess wie Hagbarös vater und bruder. Dass jener
Hämundr H(jröajarl genannt wird, beweist nur die Überführung
des geschlechtes nach Norwegen.
Ich kann demnach Olrik, dessen aufeatz über die Skj^ld-
unga saga ich übrigens viel anregung verdanke, darin nicht
beistimmen, dass der gegensatz zwischen SkJQldungen und
Haöbarden in der norrönen Überlieferung bis auf geringe
spuren verwischt ist. Zwar gehören in der nordischen tradi-
tion Ingjaldr und Frööi zu den SkjQldungen, wie auch in
einigen quellen Hrökr zu einem Skj(jldung geworden ist. Doch
stossen wir in zahlreichen quellen auf den alten gegensatz.
Auf der einen seite stehen die SkjQldunge, als deren haupt-
vertreter in der hier besprochenen Überlieferung Hälfdan und
Helgi erscheinen,») und die Siklinge: Sigarr und seine söhne;
auf der anderen seite die Haöbarden HQÖbroddr, Hrökr, Hrö-
mundr und das ihnen nahe verwante geschlecht der söhne
Hämunds: Hagbarör und seine brüder.
Die geliebte des Helgi Haddingjaskati gibt sich durch den
namen des vaters (Halfdan) als ein glied des Skj^ldungen-
geschlechtes zu erkennen.
[Nachschrift. Dieser aufsatz war geschrieben, als Bugges
bedeutende schrift *Helge-digtene i den aeldre Edda' erschien,
welche einige der hier besprochenen fragen mit Bugges be-
kannter gelehrsamkeit und weit ausführlicher, als oben ge-
schehen, behandelt. Manches wird dort ähnlich wie oben be-
urteilt; namentlich verficht auch Bugge die identität des Helgi
Hundingsbani mit dem söhne Hälfdans. Doch habe ich diesen
aufsatz nicht zurückzuhalten für meine pflicht gehalten, einer-
seits weil er zum grossen teil über fragen handelt, auf welche
Bugge nicht eingeht, andererseits weil ich in manchen punkten
zu anderen resultaten gelangt bin. Wo, wie z. b. in der auf-
1) Aach die Haddingjar gehören nach den aettarti^lnr zn demselben ge-
schlechte.
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890 BOERy ZUR DÄNISCHEN HELDENSAGE.
fassong H^öbrodds als Haöbarden, ein übereinstimmendes re-
sultat erreicht wurde, möge das für die richtigkeit jenes
resultates zeugen. Die reiche belehrung, welche jeder der sie
liest aus Bugges schritt schöpfen wird, habe ich hier nicht ver-
wertet, damit nicht die ursprünglichkeit dieser arbeit verloren
gehe: ich hätte dadurch das recht verloren, sie als eine selb-
ständige Untersuchung herauszugeben. Doch bin ich davon
überzeugt, dass wenn Bugges buch ein halbes jähr früher er-
schienen wäre, nicht nur einige Seiten dieser abhandlung als
überflüssig zurückgehalten wären, sondern auch andere dabei
gewonnen hätten.]
LEEUWARDEN, october 1896.' R C. BOER.
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SATZVERBINDENDE PARTIKELN BEI OTFRID
UND TATIAN.
Vorliegende arbeit sucht festzustellen, welche wörtchen
im Otfrid und Tatian zur Verbindung gleichwertiger und un-
gleichwertiger Sätze gebraucht werden; m. a. w. welche coordi-
nierenden und subordinierenden conjunctionen sie kennen, und
welche bedeutung diese haben. Dabei ist nicht nur rücksicht
genommen auf die reinen conjunctionen, sondern auch die
wörtchen sind in den kreis der betrachtung gezogen, die an
den einen stellen noch als adverbia nur einem satz angehören,
an andern stellen aber auch zur Verbindung mehrerer sätze
dienen. Die bedeutung dieser wörtchen ist aber noch nicht
überall fest ausgeprägt; die meisten weisen mehrere bedeutungen
auf, die häufig in einander übergehen.
Otfrid und Tatian stammen beide aus dem 9. jh. Tatian
ist höchst wahrscheinlich in der klosterschule zu Fulda ent-
standen, deren schttler Otfrid gewesen ist; beide werke sind
in fränkischer mundart geschrieben. So ergibt sich in dieser
Untersuchung naturgemäss in vielen punkten Übereinstimmung.
Aber Otfrid hat ein in versen geschriebenes, originaldeutsches
werk geliefert, der Tatian bietet in prosa die oft sklavische
widergabe einer lateinischen vorläge. Es haben sich darum
auch manche unterschiede aufweisen lassen. Zur vergleichung
wurden ausser andern ahd. denkmälern besondei-s der Isidor
herangezogen, weil auch er die Übersetzung einer lateinischen
vorläge ist.*)
0 Von früheren arbeiten ähnlicher art lagen mir yor: Erdmann ,
Grundzüge der deutschen syntax. — Grimm, Deutsche grammatik 3* (Gr.).
— Koch, Die bildung der nebensätze, in Herrigs Archiv 14, 267 ff. —
Tobler, Conjunctionen mit mehrfacher bedeutung, Beitr. 5, 358-388. —
Erdmann, Syntax Otfrids (E. S.), bd. 1. — Ohly, Die Wortstellung bei
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392 SCHÖLTEN
§ 1. avur,
bei 0. häufig als adv. und conj., im T. als conj. sehr selten,
wird in beiden denkmälem gebraucht zur scharfen gegeniiber-
stellung von personen und Sachen, gleich unserem * anderer-
seits, dagegen', z. b. 0. 2, 19, 3 ther loizzod gibot . . . , iÄ avur
sagen iw; T. 174,4 thisu werdlt gifihit, ir hirut abur gitruohie
{vo8 autem). 0. verwendet avur femer zu einfacher fortfiihrung
der erzählnng = 'aber', z. b. 4, 8, 12 rietun thes ginuagi, wio
man inan irsluagi: sie forahtun avur innan thes menigi thes
Hutes. Zuweilen hat avur auch die erläuternde nebenbedeutung
eines 'nämlich', z.b. 5, 12, 100 thia filu sconun wunna, thaz hevsit
avur minna! Verstärktes adversatives avur: 0. 1, 9, 27 avur
ihara ingegmi.
§2. er
hat im 0. bei positivem hauptsatz die bedeutung 'bevor, ehe',
z. b. 2, 7, 66 irkanta ih thino guati . . . , er er thih thes bati, thojs
. . . ; nach negativem hauptsatz '(nicht) eher als bis', z. b. 4, 20, 25
er es er io nirwant, er er allaz thie lant gidruabta ... Im
T. wird in derselben bedeutung gebraucht er thanne, und zwar
1. bei positivem hauptsatz = 1. antequam, priusquam^ z. b.
131,25 er thanne Abraham uuari, er bim ih (er ist hier als
Übersetzung von ante, prius eigentlich noch temporales adv.);
2. bei negativem hauptsatz = 1. donec, z.b. 158,2 ni izzu ih
iz mit iu, er thanne ie gifullit uuirdiL Nur je einmal hat O.
er thanne 3, 18, 62 (wo die alte bedeutung priu,s . . . quam noch
besonders lebendig ist) und T. er = antequam 5, 7.
Im übrigen ahd. lautet die conj. er. Is. hat 17, 4 aer, 47, 2
und 4 aer dhanne.
Otfrid. — Starker, Die wortotellang der nachsätze in den ahd. Über-
setzungen des Matthänseyangeliums, des Isidor nnd Tatian. — Dittmar,
lieber die altdeutsche negatiou ne in abhängigen Sätzen, Zs. fdph., erg.-bd.
1874, 183 ff. — Gering, Die causalsätze und ihre partikeln bei den ahd.
Übersetzern des 8. und 9. jh.'s. — Mensing, Untersuchungen über diesyntax
der concessivsätze im alt- und mhd. — Tobler, üeber *und', Germ. 13, 91 ff.
— Frey, Die temporalconjunctionen der deutschen spräche in der Über-
gangszeit vom mhd. zum nhd. — Löhn er. Die wortsteUung der relativ-
und abhängigen coigunctionalsätze in Notkers Boethius. — Rannow, Der
satzbau des ahd. Isidor im Verhältnis zu seiner lateinischen vorläge (dazu
Tobler, Anz. fda. 16, 379). -— Wunderlich, Beitrage zur syntax des
Notkerschen Boethius.
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SATZVERB. PABTIKBLir BEI OTFBID ü. TATIAN. 893
Der bei 0. nicht seltene hinweis auf den nebensatz durch
ein adverbiales er im vorangehenden hauptsatz, z. b. 4, 4, 3.
3, 2, 20, findet sich auch im T. 131, 25. Im folgenden hauptsatz
hat 0. ausserdem ein so 2, 1, 3. 13. 17.0
§ 3. giuuesso,
das 'eine auffallende menge verschiedener conjunctionaler an-
wendungen' in sich vereinigt,^ wird von 0. nie conjunctional
verwant. Im T. dagegen wird durch giuuesso (zweimal beim
Schreiber d und d' in der form giuuisso, Sievers s. xlix) wider-
gegeben 1. etiam = 'auch'; z. b. 83, 2, ebenso Is. 5, 2; — 2. autem,
vero = 'aber, dagegen', z. b. 84,3. 226,3. Is. 5,8. 11,12; —
3. quidein= 'zwar', in der Verbindung gwidew — autem (vero)^
z. b. 141, 23. 181, 6. 172, 5; inti giuuesso = et quidem, z.b. 116,6,
hinter einem hervorauhebenden wort, z.b. 91,4; — 4. itaque
= 'daher, deswegen', z. b. 100, 3. 129, 7; — 5. siquidem, quippe
= 'denn', z.b. 94,1. 74,8.-^)
§ 4. ja
wird bei 0. dadurch dass es den gesammtinhalt eines satzes
hervorhebt, im Zusammenhang 1. causal, ja = 'denn — ja,
da — ja', z. b. 1, 25, 5 wio niag sin, ja bin ih smaher scalg
thin, thaz thih henti mine »i doufenne birine?; 1, 6, 18; — 2. ad-
versativ ja = 'aber', 4, 22, 9 ja ist iu in thesa eiti zi giwona-
heiti .. est autem consuetudo vöbis. Neben avur 2,8,51.*)
Im T. kommt ja nicht in aussagesätzen, sondern (ausser
77, 5) stets in rhetorischen fragen an stelle lateinischer frage-
wörtchen vor.
§ 5. inti.
0. und T. gemeinsam ist der häufige gebrauch von inti
zur Verbindung coordinierter Satzteile und sätze: inti =
'und', z.b. T.2,6 gifeho inti blidida = 1. et 0. 1,27,55 after
mir so quimit er, inti ailo ziti was er er, 0. 1, 1, 100. T. 3, 8.
^) Der bau dieser sfttze mit er und er thanne ist derselbe, vgl. Erd-
mann, Grundzüge § 191, z. b. 0. 4, 13, 35. T. 161, 4. 0. 3, 20, 77. T. 146, 3.
») Tobler s. 367, vgl. GraflF 1,1110.
>) Das cansale so auh chiuuisso bei Is. (Bannow s. 123. Gering s. 43)
kommt im T. nicht vor.
*) Dass ja an diesen stellen aber noch adv., nicht conj. ist, wie auch
noch mhd., beweist* die Wortfolge, die ja fordert: ja v 8 x (t? = verbum,
8 = subject, X = jeder andere Satzteil).
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394 SCHÖLTEN
Bei 0. ist diese Verbindung nicht immer rein copulativ,
sondern hat einen adversativen nebensinn: inU= *und dennoch,
dagegen', z. b. 2, 3, 8 th<zjs si ist ekord eina, muater inti thiama ;
2, 14, 18 (ebenso im Ludwigslied v. 18); oder inti ist gleichzeitig
causal, etwa gleich *und' mit folgendem 'doch', z. b. 4, 11, 22
ist . . ffilumplichj thcus thu nu wasges mih; inti ih bin eigan
scalk thin? Ganz vereinzelt dient inti zur einleitung einer
lebhaften frage: 5, 9, 23 inti thu ni hortos? = et non cognovisti?
Im T. wird inti = 1. et ausserdem gebraucht zur hervor-
hebung eines einzelnen begriffs in der bedeutung 'auch', z.b. 156, 2
ob ih vvuosc iuuuere fuozzi,,,, inti ir sulut ... uiuisgan\ 106,5.
Die Verbindung inti ouh ist bei 0. sehr häufig in der be-
deutung des lateinischen et, z. b. 1, 17, 18 wuntar filu hebigaz
. . . inti ouh zeichan sin sconaz\ 1, 10, 22 (auch im Is., z. b.
15,19. 21,29). Im T. ist sie sehr selten, und dann im sinne
von etiam (vgl. ouh). Andererseits hat der T. die Verbindung
inti — inti = 1. et — et 104,8. 139,6.»)
§ 6. joh,
bei 0. häufig, sehr selten im T., wird von 0. im allgemeinen
gebraucht wie inti zur Verbindung grammatisch coordinierter
Satzteile und sätze. Wo ein negatives und positives glied durch
joh verbunden werden, können wir 'dagegen, sondern' brauchen,
z. b. 2, 13, 21 ther avur ni ferit thnnana joh quam fon himile
obana\ 4, 37, 22. Logisch coordiniert brauchen die glieder nicht
zu sein: joh = 'und zwar', z.b. 1,17,42 mit in gistuant er
thingon joh filu halingon\ 1, 22, 35.
Im T. steht joh der bedeutung 'auch' näher (=1. etiam)
und dient zur hervorhebung einzelner Wörter, z. b. 67, 3 joh
diuuala sint uns untarthiutite = ^etiam denionia\ 145, 17.
Die Verbindung joh ouh ist 0. ganz geläufig, T. hat sie
nicht, joh -^ joh = 1. et — et braucht nur T. 170, 6, nicht 0.
(vgl. Is. 21, 6 = 1. sive — sive, N. = tam — quam, Gr. 3, 271.^)
^) Die Wortfolge nach inti ist meist s v x, vgl. £. S. 1, § 72; doch scheüit
den Übersetzern des T. die inversion anch ganz geläufig gewesen zu sein;
z.b. 2,5. 13,2. 18,1; beide Stellungen neben einander 19,2 et ait — inti
qtiad Jier; et faciam — inti ih tuon. Die sonstigen von Tobler, Germ. 13,
91—104 angeführten bedeutnngen haben 0. und T. noch nicht.
«) Die Verbindung endijoh Is. 7, 25 (Gr. 3, 273 f. Graff 1, 362) begegnet
weder bei 0. noch im T,
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFBID U. TATIAN. 395
§ 7. min .
ist bei 0. mir adverbialer comparativ =■ 'weniger'. Die Ver-
bindung ni (ihes) thiu min (z. b. 3, 8, 47. 5, 23, 152) nähert sich
an einigen stellen schon der adversativen bedentung unseres
* nichtsdestoweniger, trotzdem', z. b. 5, 7, 12 5t ü cd irsuachit
habeta; ni sualUa siu thar thes thiu min\ 1,22,57.
Im T. kommt min öfter vor als finale, negative conj. =
1. ne 'damit nicht' 0, z. b. 74,6 iro ougun hisluzun, min sie mit
ougon sihtitumne gisehen = ne ... videant; 107, 3. 147, 7. Meist
ist min mit odouimn verbunden zur Übersetzung des 1. forte,
z.b. 27,2. 39,7; = Ine 122,2; min odo = \.ne forte 110,4;
min odouuan = 'dass, ob' 13,19 ist durch 1. ne forte hervor-
gerufen; 33,1?
§ 8. ni.
Graff 2, 973 belegt ni in den bedeutungen 'wenn nicht,
dass nicht, der nicht' und erklärt, die conjunctionale bedeutung
liege nicht in ni, sondern im conjunctiv des verbs. Diese be-
merkung ist richtig für die conditionalen nebensätze; in den
andern fällen steht ni einer conj. sehr nahe, denn 1. ist die
form dieser sätze durchaus die des nebensatzes;*) 2. steht ni
nicht, wie sonst stets, beim verb, sondern an der spitze des
Satzes, wie jede subordinierende conj.
Dieser gebrauch von ni, der sich aber beschränkt auf die
consecutive ausführung von einfachen oder doppelten negationen,
ist im 0. beliebt, im T. ganz unbekannt.
Nach einfach negierten hauptsätzen braucht 0. dies ni =
'dass nicht' a) zur einleitung von inhaltssätzen, z.b. 4, 14, 3
ni werd ig ... ,ni wir fuarin mit ginuhtin; 1, 8, 21 ; auch 4, 14, 18
(gegen Erdmann, ausgäbe s. 448); — b) der satz mit ni gibt
den inhalt eines vorangehenden adjectivs mit so an; 1, 22, 40
ni was er io so mari, ni thiz bifora wari; 1, 11, 10 (vgl. suntar
1, 24,6); — c) der hauptsatz mit dem verb nist, ni ward dient
nur zur Verallgemeinerung der aussage des nebensatzes; vor
ni = 'dass nicht' ergänzen wir ein 'so gross, so weit' u. dgl.
und können, da das subject des hauptsatzes im nebensatz als
pronominales subject oder object widerkehrt oder zu ergänzen
^) Ausser im T. noch in einigen interlinearversionen; Graflf2, 799.
») D. h. modus: conjunctiv, subject am anfang, verb möglichst dem ende
nahe. 23 mal von 44 steUen ganz am ende.
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896 SCHÖLTEN
ist, den nebensatz auch durch einen negativen relativsatz mit
'der nicht, das nicht' widergeben, z. b. 4, 26, 21 nist guates wiht
in woroUi, ni er untar uns Mar worahti; 1, 23, 31. 1, 5, 48. 49.
Nach einer doppelten negation im hauptsatz steht ni *pleo-
nastischV) für unser gefiihl heisst hier m *dass'. Die zweite
negation des hauptsatzes ist meist ein negatives verb, z. b.
H. 153 ni lazetj ni ir gihugget joh mir ginada thigget\ 2, 24, 32;
selten anders, z. b. 5, 19,4. 1, 1,116. — 3,7,59 muss man für
ruachent negative bedeutung annehmen.
Dies conjunctionale ni ist auch in andern ahd. quellen be-
kannt (ebenso im mhd.). Nur steht es dort nicht an der spitze
des Satzes. Gerade so wie 0. gebraucht es Is. 9, 17.^)
§ 9. ni st,
ni si ist ein formelhafter negativer bedingungssatz ohne
conj.: *wenn es nicht der fall ist, es sei denn', der zu seiner
ergänzung eines inhaltsatzes mit thas bedarf.^) Ein solches
conditionales ni si thaz steht im T, = 1. nisi 25,7. 82,11; =
1. nisi forte 80,4 (ebenso Hei. 121), z. b. 80, 11 ni si thaz ir
ezzei fleisc mannes sunes = nisi manducaveritis ... 0. hat
ni si thaz 2, 13, 23. 2, 17, 9. 3, 10, 24.*) Es ist aber hier nicht
conditional, sondern leitet in der bedeutung 'ausser dass' einen
aussagesatz ein, wie auch T. 155, 6 = 1. nisi ut und ni si ohne
thaz 0. 4, 8, 10; z. b. 2, 17, 9 zi wihtu iz {thaz salz) sid ni hilßt,
ni si thaz man iz firwirfit Will dagegen 0. mit ni si einen
wirklichen bedingungssatz einleiten, so setzt er nicht thaz,
sondern die bedingende conj. oba hinzu: ni si oba: 3, 25, 10
alle these liuti gihubent . . ., ni si oba wir biginnen ... 5, 23, 94.*)
§ 10. noh
dient im 0. und T. zur negativen Verbindung von Satzteilen
und Sätzen (im letzteren falle meist mit ni beim verb, im T.
* Dittmar a. a. o. s. 297.
') Ich nehme demnach hier nicht, wie Rannow a.a.O. 8.89, conjunc-
tionslose Verbindung des nebensatzes an, sondern sehe in ni die coiy.
«) Vgl. Dittmar s. 197.
*) 1)2^52 halte ich tJiaz für das pron. rel. In der erklänmg obiger
stellen weiche ich ab von E, S. § 264 nnd Dittmar s. 215.
ö) m si = * ausser' vor einzelnen worten, die einem teil des voran-
gegangenen Satzes parallel sind, findet sich oft bei 0., z. b. 2,4,10.98.
4, 9, 22; im T. nur 162, 3. 178, 4. 198, 4 = 1. nisi (also nur beim Schreiber ?>
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SATZTERB. PABTIKSLN BEI OTPBID U. TATUN. 397
ohne lat. vorbild). Es hebt nach vorangegangener negation
die gleichartigkeit hervor: 'und auch nicht, noch', z. b. 0. 1,5,49
hming nist in waroUi . . . nah Jceisar untar manne . . . ; 3, 18, 10.
T = 1. neque, z. b. 13, 22 utMU taufist thu, oba thu Christ ni bist
nah Helios noh uuimgo?; 141,11; — 2, 6 für eMn negativem
satz. 86, 1 = et (ubi) nan; 197, 3 = sed neque (vgl. Is. 31, 20.
24 u. ö.; im übrigen ahd. nicht häufig). T. hat oft beim ersten
glied ein noh : noh — noh * weder — noch' = 1. neque — neque^
z. b. 132, 2 noh theser suntota noh sine eldiron; 36,1; bei 0.
nur 2,14,63. 3,7,40?«)
Hinter einem positiven satz führt noh die erzählung weiter
in der bedeutung 'und nicht, aber nicht', z. b. 0. 1, 19, 17 siu
fuart er, noh ni dualta, in lant, thas ih nu zalta; 1, 24, 10.
T. = 1. nee, z. b. 60, 3, sed non 119, 4. Auch zur negativen her-
vorhebung einzelner Wörter dient noh: 'auch — nicht'; im 0. nur
3, 17, 57 noh ih ßrmonen ihih; im T. öfter, z. b. 120, 7. 152, 8
= 1. neque; noch stärker hervorhebend: 'nicht einmal' nur T.
118,3 ther fimtatigo ... ni uuölta noh ougun ei himile heuan\
240,2. 0.1,20,30?
Im T. allein, nicht bei 0., wird noh endlich gebraucht zur
widergabe von neque enim 'denn nicht': 104, 1 noh sine bruoder
gihubton in inan = neque enim fratres eius credebant in eum;
88, 7. 127, 3 (hier unmittelbar an noh — noh = 'weder — noch*
angereiht); = 1. non 168, 4 (ebenso Is. 33, 9).
Die Verbindung noh ouh 0. 3, 14, 1. 96. 92 u. ö. ist im T.
unbekannt.
§ 11. nu,
als conj. bei 0. häufig, im T. selten, hat auch als conj. die
beziehung auf die zeit meist bewahrt. 0. betont mit nu zu-
gleich den inneren gegensatz einer vorliegenden tatsache zu
einer andern: 'aber jetzt', z. b. 2, 11, 23 iz scolta wesan betahus
, . . nu duent ig man ginuage zi scahero luage; 2, 7, 24; auch
ohne hinweis auf zeit und umstände: 'aber', z. b. 4, 4, 69. Oder
das zweite ereignis stellt sich dar als folge aus dem ersten:
'darum jetzt', z. b. 3,10,44; so besonders nach einem causal-
^) Das 0. 4; 30, 13. 14 stehende {ni) wedar — noh ist nicht unser 'weder
— noch', sondern das wedar ist hier noch pronominal = 'keins von beiden
und fasst die beiden folgenden glieder zusammen.
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398 SCHÖLTEN
satz, z.b. 2,6,47; und vor auff orderungen, z.b. 3,4,45; auch
2,6,26 ivant er nan koii joh firslani, nu buen anderae lant
Femer führt der satz mit nu ein ereignis an als erklärung
oder grund für das eintreten eines anderen; nu vor haupt-
sätzen = *denn jetzt' z.b. 2,7,45, 'denn' z.b. 5,7,3; nn vor
nebensätzen = 'weil, da (jetzt)', z.b. 1,27,45 ziu feristu inti
doufist, nu thu ther heilant ni bist? = 1. enim; 3, 13,31. 2, 14, 121.
Das causale nu fasst gleichzeitig recapitulierend das vorher-
gehende zusammen: 'da also', 3,23,58. 5,24,15; öfter mit con-
secutivem nu im folgenden satz, z.b. 3,23,59.60 nu er then
tod suachit ... nu simes garawe alle mit imo zi themo falle.
Vor einem hauptsatz in der form einer rhetorischen frage gibt
der mit nu beginnende nebensatz die veranlassung oder berech-
tigung zu dieser frage an. nu leitet auch einen schluss a minore
ad maius ein; an den meisten stellen lag 0. ein bedingungs-
satz mit ni vor. nu = l.si = 'wenn schon', z. b. 4, 11, 47 nu
ih sulih thultu . . . , wio harto mer zimit iu.,., =^ si ergo; 2, 22, 37.
Schliesslich glaube ich nu concessiv == 'obwol also' fassen zu
müssen 3, 22, 51 (T. hat hier 134, 8 oba; vgl. Is. 3, 10 nu so =
'während doch').»)
Im T. findet sich nu = 'jetzt aber' nur nach conditionalen
Perioden für nunc auteni, nunc vero 5 mal, z. b. 131, 16. 195, 4
nu giuuesso = nunc autem, Consecutiv ist nu, ohne ent-
sprechende lateinische partikel, vielleicht 111, 3 arstant nu
inti far = surge, vade\ 120,7 (im Is. ist consecutives nu da-
gegen häufiger). Für causales nu bietet T. auch keinen sicheren
beleg; denn 18,5 und 182,7 kann man besser temporal fassen,
obwol das Verhältnis der sätze causal ist, wie es 18, 5 das lat.
enim und 182, 7 im griechischen text ein yaQ bezeugt.') Für
concessives nu ist vielleicht 122, 2 anzuführen, wo nu ein con-
cessives oba = 1. etsi verstärkt.
§ 12. nub (0.), nibi (T.).
Diese conj. (bei T. auch in der form niba, nibu, noba ohne
deutlichen grund für den Wechsel) ist in beiden denkmälern
») Rannow § 22. Tomanetz, Anz. fda. 16, 383; vgl. GraflF 2, 976, der für
concessives nu keinen beleg bietet. Die von Mensing § 109 ans Fragm.
theot. 7, 9 angezogene stelle braucht nicht concessiv gefasst zu werden.
*) Erdmann» Gnindzüge § 158 b kennt im T. kein cansales nu. Die
von Gering sonst noch angeführten stellen dürften wol nicht hierher gehören.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID U. TATIAK. 399
oft belegt, aber in durchaus verschiedenen functionen. Das
got. niba(i) (< ni iba[i\) entspricht griechischem tt fii^, iav (i/j.
In gleicher weise wird nibi bei T. =^ 1. nisi gebraucht, nicht
bei 0. Doch nur 139,3 leitet es — mit folgendem ind. bei
positivem hauptsatz — eine gewöhnliche negative bedingung
ein in der bedeutung 'wenn nicht': nibi thcus com .., tot uuirdit,
ihaz selha eino uuonet (ebenso Is.9, 28. 31,14); ähnlich vor
irrealem bedingungssatz 197, 9J) Sonst führt niU — mit fol-
gendem conj. bei negativem hauptsatz — die einzige bedingung
an, deren erfüUung aber auch unbedingt notwendig ist, wenn
die allgemeine negative aussage des hauptsatzes, wie erwünscht
ist, in eine positive verwandelt werden kann: nibi = * (nicht)
ausser wenn, (nicht) es sei denn, dass, (nicht) ohne dass', z. b.
82, 9 nioman mag queman si mir, nibi thie fater . . . jsiohe inan;
82, IIa. 62, 6. 119, 2. 3.«) (Is. 5, 12). Die negation im hauptsatz
wird hervorgehoben durch ein anderunis 55,3.
nibi steht im T. ferner nach negativem hauptsatz = 1. nisi
in der bedeutung 'ausser, sondern nur' vor Satzteilen und Sätzen,
z. b. 78, 8 nioman iro gireinit uuard nibi Neman (her Syr;
57,2. — 78,6. 24,3. 108,7 (ebenso Is. 11,23. 19,9. 29, 6).»)
Aus dieser bedeutung entwickelt sich im T. die fähigkeit,
durch nibi einen gegensatz zu bezeichnen, nibi = 1. sed =^
'aber' 80, 4. 82, 7, nach negationen 'sondern'; z. b. 21, 9 ther hei-
lant ni toufti, nibi sine iungiron; 82, 2. 6. 118, 3 (auch Is. 35, 24.
Der Boeth. hat für sed 16 mal nube, Will. 3 mal nobe.)^)
§ 13.
Ganz abweichend vom vorhergehenden heisst nibi 'dass
nicht' T. 239, 4 ni quad imo ther heilant nibi her sturbi, oh :
uuilla thaz her uuone um ih quimu = non dixit Jhesns: non
moriiur, sed ... Dieselbe bedeutung^) gewinnt nibi nach den
^) Soll habet ÖS die gewisheit der behauptung ansdrttcken^ oder ist
der ind. nur ein Schreibfehler für habet ts? Vgl. 0.4,23,41.
«) Vgl. Dittmar s. 220.
•) Rannow s. 69.
*) Bannow s. 94. Femer ftthrt Grimm, Gr. 3, 273 f. je ein nieht ein —
nubejoh nnd nieht ein — nube ovh für nan solum — sed etiam an. Aehnlich
GraflF 1, 77.
») Vgl. Hei. 122, 11. 140, 13 nebti = quin. Im Boeth. für taz nieht in
folgesätzen nube, Wunderlich a.a.O.
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400 SCHÖLTEN
hauptsätzen nist 44, 17; uuelih (ist) 67, 12. 67, 14; uuer ist 69, 6.
Da aber das subject des hauptsatzes stets als pronominales
subject im nebensatz widerkehrt, so können wir die Sätze mit
nibi auch als negative relativsatze widergeben: 'das nicht, der
nicht'. Dem entspricht sogar im lateinischen 44, 17 qiwd nan:
niouuiht nist bithactes, noba iz inthekit uuerde = quod non
revelabitur (67, 12 steht in der vorläge eine vom deutschen
ganz abweichende satzform; 67,14 und 69,6 eine frage mit
nonne). Der hauptsatz nist, utieUh, uuer ist dient zur Verall-
gemeinerung der aussage des nebensatzes (wie bei ni).
Diesen letzten gebrauch finden wir auch für nub bei 0.
Doch lautet hier der hauptsatz stets nist, z. b. 5,2,11 nist
fiant Mar in riche, nub er Mar fora inttciche] 2, 14, 106. 5, 19, 8.
5, 20, 24. 5, 23, 137. 138. 5, 16, 42; auch 1, 1, 186 (hinter ffidrckie
ist zu ergänzen: 'mit ihnen zu fechten'; vgl. dagegen Erdmann,
ausgäbe O.'s s. 341); auch 2, 12, 18? (vgl. E. S. 1, § 266. Piper^
Wörterbuch zu O.).0
Nur 0., nicht T., kennt sodann noch den gebrauch von
nuh nach negierten negationen, nach denen die in nub steckende
negation 'pleonastisch' (wie bei n%) steht und nub also dem
nhd. *dass' entspricht; es findet sich so meist nach negierten
negativen verben; z. b. 3, 8, 36 wiht ni dualta er es sar, nub
er zi ganne in thrati sih fon themo shife dati, S. 34. 5, 25, 13.
37 U.Ö. Nach alleswio ni 5,9,36. Auch 5,19,17 {ingangan,
nub er = 'entgehen dem, dass er'). 2,12.37 (ni wuntoro =
ni ßrlaugne), 4, 13, 25. 26 (zu ergänzen ih ni gisnichn, vgl. E. S.
§266, ausgäbe s.447. Tat. 161, 3). 2,14,38?
^) Aehnliche stellen für thaz, die durch positiven relativsatz übersetst
werden können, z. b. 2, 17, 13. 3, 4, 24 u. ö. An den steUeu T. 62, 6. S2, 9.
21,5. 82, 11 a. 1 19, 1. 129, 10 können wir auch den satz mit nibi durch einen
negativen relativsatz widergeben. Doch ist 1. nibi hier conditional = 'wenn
nicht', nisi; 2. lautet der hauptsatz ni mag, nicht n/st; 3. enthält nicht der
nebensatz, sondern der hauptsatz die hauptaussage, die noch daza durch
den nebensatz eingeschränkt wird. Die Übereinstimmung zwischen 0. und
T. im gebrauch dieser co^j. beschränkt sich also auf die an Wendung, wie
sie sich 44, 17 findet; und auch hier ist noch der unterschied zu beachten,
dass das nomen neben nist bei 0. stets ein subst. (oder ein zu ergänzendes
subst.) ist, T. 44, 17 dagegen ein adj.; vgl. unter ni und K. S. §265 ff.
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SATZVEBB. PABTIKRLN BEI OTFBID U. TATIAN. 401
§ 14. oba
ist wie in der ganzen ahd. spräche auch bei 0. and T. die
gewöhnliche conditionale conj.: *wenn, im fall dass', z. b. O.S.27.
2, 12, 59. T. 24, 2. 84, 7 Uinter oba blintemo leitidon forgibit,
beidae in gruobe uallent Bei widerholten handlangen (stets
im ind. praet.) *so oft als' nur bei 0. L. 21. 51. 5,20,77; vor
einer selbstverständlichen Voraussetzung für die realisierung
des hauptsatzes, auch nur bei 0. 'wenn nur, wofern nur', z.b.
S.33. 2,22,40. 2,10,2.»)
Anm. Negative bedingnngen drückt 0. meist durch coignnctioiiBloBen,
invertierten satz aus, z. b. 2, 12, 31 nist ther in himürichi queme, ther geist
joh wazar nan nirbere, T. 145, 16? T. hat statt dessen meist oba ni =
1. 8i non, z. b. 34, 7. 108, 5. 170, 4. 5; bei 0. nur 1, 11, 60. 4, 6, 56. 4, 23, 42.
(T. 197,9). 3,26,15. 0. gebraucht femer 2 mal tu 8i oba, T. 2 mal ni si
thaz, vgl. ni si; ausserdem T. allein ntbi = 1. nisi (s. d.) ; Is. kennt auch
titbUf K. Bo. hat einige male ane und ane daz = nisi.
Oft weist auf den satz mit oba eine demonstrative partikel
des hauptsatzes hin: ihanne 15 mal bei 0., im T. in der mehr-
zahl der fälle; so 0. L. 21 (noch 4 mal). T.121,3; nur bei 0.
so — ihanne 5,16,31 (3 mal); nu 2,4,29. 4,30,17; sar 3,18,5.
§ 15.
Der Inhalt des hauptsatzes einer conditionalen periode wird
verwirklicht beim eintreten der bedingung. DiQ3es ist also
logisch der grund für jenes. Zuweilen ist dieser causale Zu-
sammenhang sehr deutlich, wo der nebensatz eine schon ver-
wirklichte tatsache enthält; oba bei folgendem nebensatz =
^da ja' nur 0. 3, 18, 13 was missiquedan tcir, oba ther diufal
^) Der coi\j. praes. steht nur bei imperativischem oder optativischem
hauptsatz; z.b. glv. (glv. = 'gegen lateinisches vorbild'; olv. = 'ohne lat.
Vorbild', = Iv. = 'gleich lat. vorbild') 2, 4, 55. 73. 2, 21, 1. Im T. stets glv.,
z. b. 28, 2. 15, 3. 4. 205, 3. Doch steht bei imperativischem hauptsatz auch
der ind., z. b. 0. 1, 2, 19. 3, 2, 19. 2,4, 29. T. = Iv, 27, 1. 145, 18. 91, 2; vgl.
E. S. § 181. Grundzüge § 187. Der ind. praet. im T. (114, 2. 170, 2. 187, 5)
bezeichnet nicht die widerhoinng in der Vergangenheit, oba also nicht =
'so oft als'. Der conj. praet. steht nach oba in irrealen bedingungssätzen,
wo auch der hauptsatz coiy. praet. hat (z. b. 0. 1, 19, 27. T. 138, 7), oder in
abhängiger rede, z. b. 0. 2, 6, 7. 8. T. 132, 13. Der ind. im hauptsatz dient
zur hervorhebung der aussage 0. 4, 17, 15. Bei optativischem oder impera-
tivischem hauptsatz ist coig. praet. H. 1 wol dem reim zu liebe gesetzt.
T. 221,4 nami für nämis?
B«ibrä0e cur geaobioht« der deuttohMi spiMlM. XXIL 26
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40Ö SCHÖLTEN
ist in thir?j bei vorangehendem nebensatz 'wenn also, da also'
nur im T., = 1. si, z.b. 100,5; si ergo, z.b. 38,3. 184,5 ob ir
mih suohet, lazet these hina gangan = si ergo me queritis; *da
aber' = si autem 88, 131 Aehnlich bei einem schluss a minore
ad maius, oba = 'wenn schon' 0. 5,21,5 oha ther scal sin in
beche tlher armen brot ni brecJie: wcus ther inan ubar thajs ni
liaz haben sinaz?; 5, 21, 9 {oba ouh), 11. T. = si 38, 5. 40, 7 u. ö,
meist vor rhetorischen fragen; vgl. dazu nu.
Die positive Wirklichkeit des nebensatzes ist ebenso klar,
wo oba == 'während' zwei unbestrittene tatsachen vergleicht:
0. 2, 7, 13 oba ihae thie liuti neritajoh hungeres biwerita, irretit
thia mit worton thia worolt fon then sunton; T. 104, 6. Der in-
halt des hauptsatzes kann sogar im gegensatz zu dem des neben-
satzes stehen, oba concessiv = 'wenn auch, obgleich, selbst
wenn'; im hauptsatz steht ein thoh: 0. 3, 22, 62 ob ih ni bin
iu thrati, giloubet thoh thera dati] ni thoh bithiu 3, 22, 15; neben
oba ein ouh 5, 20, 107. 3, 18, 39. Keine partikel im satz: 5, 7, 38.
3, 16, 47-0 Die concessive function von oba scheint jedoch nicht
sehr kräftig gewesen zu sein, da die Übersetzer des T., ver-
anlasst durch die ebenfalls zusammengesetzte lat.. conj., meist
eine verdeutlichende partikel hinzusetzen: oba nu = etsi 122,2;
inti oba = etsi 161, 3. 40, 3; eisperi ob und eisperi oba = etiamsi
135, 15. 161^5; doch auch oba = etsi 134, 9: ob ir mir ni uuellet
gilouben, giloubet then uuercon = etsi mihi non vulti^ credere;
oba = si 134, 8.
Vereinzelt steht, nicht bei 0., aber im T. oba = 1. si tem-
poral = 'dann, wann' 139, 8 ob ih erhaban uuirdu fon erdu,
alliu thir^u zi mir selbemo = si exaltatus fuero a terra, omnia
traham ad me ipsum, 162, 1.
§ 17.
In ganz anderer Verwendung steht oba bei 0. und T. zur
einleitung von indirecten fragen = nhd. 'ob', im T. = si, je
einmal = 1. si- quidem, an; z.b. 0. 1,27,29. 3,4,20. T.67,14.
69,2.4 ih fragen iuuih, oba iz arloubit si = si licet, und oba
zu beginn eines Wunschsatzes = 'o wenn doch', bei 0. durch
thoh verstärkt 2,6,43. 5,7,39 oba iaman thoh giquati, wara man
0 Gegen Erdmaun, Qrundz. § 184, 2. Nach Mensing § 104 ist bei N.
concessiyes übe * recht häufig*.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID U. TATIAN. 403
nan dati ..., thaa i& . . . wojs thionestes gidati themo lieben manne;
T. 166, 6 oba = si.
§ 18. odo
verbindet im 0. und T. in der bedeutung 'oder' coordinierte
Satzteile und sätze; z. b. 0. 1, 1, 20 i^t iz prosun slihti ..., odo
rtietres kleini; 3, 10, 4. T. 25, 4 thaz ih qüanii eutia si losenne
odo uuizagon; 44,9. Steht odo zwischen zwei nebensätzen,
so lässt 0. das einleitende wort in dem zweiten satz aus, z. b.
5,9,12. L. 88, während es im T. 143,6 nach der lateinischen
vorläge widerholt wird.')
Sehr häufig steht im T. odo = 1. an in doppelfragen; z. b.
147,9 quidis ssi uns thesa parabola oda zi allen?] 64, 1. 195, 2.
Im 0. nur, = 1. aw, 5, 21, 8. 4, 22, 12. 3, 16, 18. uuedar — odo
= utrum — an T. 104, 5«) (Is. 23, 11) ist im 0. unbekannt, vgl.
3, 16, 18. Im T. steht schliesslich odo vor einfachen fragen,
die einen neuen gedanken lebhaft vorbringen, = 1. aut, z. b.
96, 5 odo uuelih uuib habet zehen dragnuis . . . ; 40, 6 (Is. 9, 8) =
1. an 109, 3 (neben auf). 185, 5.
0. liebt die Verbindung odo ouh, odouh. odo — odo =
aut — aui 'entweder — oder' T. 37, 1. 62, 9, = et — et 'sowol
— als auch' 161, 3 kennt er nicht.
§ 19. ouh
verbindet bei 0. gleichartiges: 'gleichfalls, femer, ebenso auch'.
Es dient sehr häufig zur anfügung ganzer sätze, z.b. 1,2,4
fingar thinan dua anan mund minan^ theni ouh hant thina in
thia zungun mina (vgl. 3, 18, 30), oder zur hervorhebung ein-
zelner Worte, z.b. 3,22,49, zuweilen = 'sogar', z.b. 4,26,18
ja wurtun tote man ouh les queke sines Wortes; an anderen
stellen ist ouh dagegen zu 'und' abgeschwächt, z. b. 1, 19, 15 er
0 Der modus beider nebensätze ist meist der coi^nnctiv; nnr L. 88
und 2,4,22 der indicativ. Der erste nebensatz steht im ind., der zweite
im coig. 1, 23, 46. An einen negativen hauptsatz knüpft 0. mit odo einen
satz an, der den inhalt der negation steigert 2,4,106. 4,2,28. 5,12,87.
5, 20, 35. Diese angeknüpften sätze scheinen aber nicht als hanpt-, sondern
als nebensätze empfiinden worden zn sein; denn alle stehen im conj., nnd
die drei ersten stellen haben das verb ganz am ende. Umgekehrt wird
aus dem co^j. im zweiten satz der ind. 5, 1,37.
«) uuedar in seiner eigentlichen bedeutung *wer, was von beiden*
T. 141, 14. 15.
26*
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404 SCHÖLTEN
faar . . nahtes, fhoLZ ie ni tvurti mari . . . , ejs ouh hcus ingiangi . . .
1, 18, 32.
Die beiden glieder sind nicht immer logisch gleichwertig :
das zweite ist die folge des ersten, ouh =^ ^ darum auch, infolge-
dessen' 1,8,27 er giheilit thiz lant, heiz man ouhheilant (vgl.
3, 7, 7); oder das zweite dient zur erläuterung, begrttndung des
ersten gliedes, ouh -- 'nämlich, denn' 1,14,3 tho scoltun siu
. . . then wizod ir füllen, then situ ouh ... 1, 21, 9; 'und zwar'
4, 35, 36.
Im T. steht satzverbindendes ouh in der bedeutung 'ferner'
nur 15, 4 = 1. rursum: ouh ist giscriban . . . , sonst findet sich
ouh nur = 1. et (im sinne von eiiam) bei hervorzuhebenden
Worten, z. b. 178,9 giheilagon mih selbon, thae sie selben sin
ouh giheilcyot = et ipsi\ 78, 4. Zuweilen steht füi^ et in dem-
selben sinn inti — ouh 131, 23. 141, 25. 171, 2. 179, 4 (einmal
beim Schreiber e, dreimal bei g; vgl. Is. endi auh = et 15, 19.
17, 24; iteni 9, 13; quogue 17, 17. — 35, 32); tho ouh 125, 5; sama
ouh = similiter et 56, 5 (vgl. Is. 5, 10. 27, 19. 15, 30). In den
andern für 0. nachgewiesenen bedeutungen findet sich ouh im
T. nicht (während im Is. erläuterndes ouh nicht unbekannt ist:
= \. enim 7,13; endi auh = 1. nam et 15,5; olv. 15,7; vgl.
s. 393 anm. 3).
Die im 0. so beliebten Verbindungen von copulativem
ouh mit joh, odo, noh kennt der T. nicht.
§ 20.
Während im T. ouh in der bedeutung 'ferner' nur einmal
zur Satzverbindung dient, führt ouh häufig in der adversativen
bedeutung 'aber' die erzählung weiter. Da dies ouh häufig in
der Schreibung oh auftritt, muss man vielleicht eine andere
grundform annehmen;») z.b. T. meist = 1. sed 51,4 ih folgen
thir, ouh er kuf mih fursa^en then thie in huse sint; 104, 7.
174, 4; oh = sed et 107, 1. 226, 1 (Is. = 1. sed, z. b. 13, 5. 25,23.
= 1. autem 27, 1). Den gegensatz stärker betonend: 'trotz-
dem' =r'- Ised 60,2. 176,5 (vgl. Is. oh = tarnen 9,27). Nach
negationen heisst ouh oft 'sondern', z.b. 90,2 fleisc inti hluot
*) oh öfter beim Schreiber ö und stets (bis auf 135, 7) bei ?, vgl- Sievers*
8. LI. Ueber die entsprechenden gotischen partikeln ai4k, ak, dkei vgl. Gr.
3, 277. öraff 1, 119.
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SATZVEBB. PARTIKELN BEI OTFRID U. TATIAN. 405
m gioffonata thir tkae, oh min faier, der in himile ist; 84,6
(Is.z.b. 7,24. 13,11).
Im 0. kann man an einigen stellen fortführendes ouh mit
'aber' übersetzen, z.b. 3,6,13 (= lautem). 1,11,2; doch be-
zeichnet es nur selten einen wirklichen gegensatz: 3,17,31
quati er, man sia liaai quat er ouh bi noti, tliaz . . . ; 1,19, 24.
ouh = 'sondern' 3, 14, 86?
Ein eccorodo ni — ouh = non solum — sed etiam T. 88, 6,
wo ouh beide bedeutungen, sed und etiam, in sich vereinigt,
kommt, wie überhaupt im ahd., auch bei 0. nicht vor. Grimm
belegt Gr. 3,273 dafür zweimal nieht ein — suntarjoh, je ein-
mal nubejoh — nube ouh,
§ 21. std,
auch als temporales adv. 'seitdem, später' im T. ganz unbekannt,
wird von 0. noch gebraucht als temporale conj.: 'seitdem, nach-
dem'; z. b. 5, 17, 15 fuar . . js^i sin selbes riche, sid er in tode
sigu nam, im hauptsatz mit jsi erist 2, 8, 54, sidor 5, 12, 64. Die
beiden zeitlich auf einander folgenden ereignisse stehen logisch
in causalem Zusammenhang: sid = 'seitdem, weil'; das begrün-
dete ereignis folgt stets im hauptsatz, der stets ein auf den
Zusammenhang hinweisendes adv. enthält: sid 1,26,2.3; so
1, 16, 5; nu 3, 26, 53: sid man nan . . . gidotta ..., nu birun fro
in muate. sid ist ohne beziehung auf die zeit rein causal
4, 29, 46. 47. Oder die beiden ereignisse stehen in concessivem
Verhältnis: sid = 'obwol, obgleich'; im folgenden hauptsatz ein
sid 5, 12, 11, im vorhergehenden ein thoh 3, 24, 30: so wer so in
mih giloubit, zi Hb er thoh biwirbit, sid er hiar irstirbit
Ein concessives sid belegt Mensing § 109 auch für N. Bo.
4, 1 (227, 16). Im Is. kommt dieser gebrauch von sid so wenig
vor wie im T.
§ 22. so
steht in hauptsätzen = 'so, dann' bei 0. sehr oft nach con-
ditionalen Vordersätzen jeder art, z. b. 2, 21, 42. 2, 9, 16. 1, 3, 30.
1, 18, 46. 5, 16, 34 und nach temporalen Vordersätzen jeder art,
z.b. 2,1,5. 1,23,3. 1,16,6. 3,20,50. 1,22,8. 2,8.20. 1,2,40.
3, 26, 41 ; z. b. 2, 1, 5 er se joh himil wurti, ... so was io wort . . . ;
zuweilen in den Verbindungen so — thanne, z. b. 2, 4, 74; so —
tho 2, 14, 13; so — sar 4, 4, 33. Im T. findet sich dieser gebrauch
verhältnismässig selten, doch stets in einer art, die beweist,
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406 SCHÖLTEN
dass er der spräche der Übersetzer ganz bekannt gewesen sein
muss, nämlich nach conditionalem imperativ olv.: 121, 3 uuirph
thih in then seo, so uuirdit iz = icLcta te in mare, fiet; den
ersten imp. glv. dem zweiten subordinierend, so = 1. et: 60,2
sezzi thina hant uhar sia, so lebet siu = inpone manum super
eam et vivit; 121,4. inti so = et 60,11; nach verallgemeinern-
dem relativsatz olv. 30,5. 79,5; nach temporalem so lango so
olv. 132, 3.
0., nicht T., gebraucht so = ^da, daun*^ sogar nach haupt-
sätzen zur einleitung eines folgenden hauptsatzes, z. b. 1, 7, 24
tcas siu after thiu mit iru sar thri manodo thar\ so fuar si
zi iro sclidon mit allen salidon; 2,11,4; mit sar 2,8,2; Uta
2, 4, 4; ouh 3, 25, 15, parallel ttmnne 4, 7, 39, und im innem von
Sätzen zur widerholung Vorangegangenersatzglieder, z.b. 3, 14,82
alkus guat zi wäre so floz fon imo thare\ 2, 8, 1. 2.
Dem hauptsatz gehört so ferner noch ^n bei 0. vor con-
secutiven nebensätzen, meist mit thaz = 'so . . . , dass', z. b.
2, 18, 22. 1, 22, 53 Wdz ist so hebigaz, thaz ir mih suahtut bi ihojg?
Im T. steht so thaz = ita ut geschlossen an der spitze des
nebensatzes, z. b. 19, 7 gifultun beidu thiu skefso thaz siu suffun
= ita ut m^gerentur\ nur 119,9 ist so von thaz getrennt =
1. sie .,., ut.
Ein doppeltes so — so = «so — wie, wie — so' ist 0. und
T. bekannt; z.b. 4,7,61 duetir ouh so, so ther duit; 1,3,21.
T. 44, 16. 0. 5, 20, 47. T. 47, 8 so thu giloubtus, so »i thir =
sicut credidisti, fiat tibi. Das demonstrative so kann auch fehlen,
z. b. 0. 3, 1, 7. 8. T. 168, 1, und der relativsatz verkürzt werden,
z.b. 0.4,12,61. T. 91,1. Das demonstrative so wird oft ver-
treten durch sus, das relative verstärkt bei 0. durch al, io,
so, selb, im T. durch so, sama, so seih (Is. so selb so 39, 1.
11,27.30; so sama so 33,25 u.ö.).
Ebenfalls vergleichend vor comparativen gebrauchen beide
so — so = * je — desto' 0. 3, 7, 81. 4, 36, 21. T. 86, 2 so her iz
mer uorbot, so sie iz mer predigotun = quänto — tanto.
§23.
Der gebrauch von so in andern nebensätzen weist bei 0.
und T. viele unterschiede auf. 0. kennt so in der bedeutung
'als, nachdem' zum ausdruck der Vorzeitigkeit, 'als, indem'
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SATZVERB. PARTIKELir BEI OTFRID ü. TATIAN. 407
zum ausdruck der gleichzeitigkeit; z.b. 4,20,9 sprah ther heri-
zoho zi in, so er uzgigiang ingegin in ,.,\ 2, 9, 51 so er (Abra-
ham) thaz suert thenita, ther engil imo hareta\ oft verbunden
mit {ho\ ferner in der bedeutung 'sobald als', z. b. 5,8,33 si
nan sar irkanta, so er tfien namon nanta, meist in den Ver-
bindungen so erist und so sliumo, z. b. 1, 22, 49. 5, 16, 37, und
*wenn, wann', z. b. 3, 13, 37 druhtin giliit, so er sin urdeili duit,
allen, so sie .. Mar giwerhotun. Neben so ein tJianne 2,8,49.
Die temporale bedeutung geht über in die conditionale: 3, 7,73
so thu thaz thanne giduas, so wehsit thir tJmz Kristes muas\
1, 18, 45, besonders in den Verbindungen selb so, sama so =
*wie wenn' vor irrealen bedingungssätzen, die einen vergleich
anführen, *in denen das zui* vergleichung herbeigezogene er-
eignis als bloss vorgestellt angezogen wird'; i) z. b. 5,10,3 tho
det er selb so er wolti joh rumor faran scolti; 5, 8, 31. Ferner
ist so concessiv = 'obwol, obgleich': 3,20,24 thaz kleibt er
imo, so er es ni bat, in thero ougono stat Schliesslich hat so
vielleicht causale bedeutung *da': 3, 17, 7 si ihara tho in farun,
so sie ubilwillig warun.
Von diesem ausgedehnten gebrauch des so bei 0. findet
sich im T. öfter nur der zuerst angeführte, so = L ut c. ind.,
nur von 79,4 — 82,3 = 1. cum c. conj. (Sievers*-' lxxiii): 'als,
nachdem' stets mit tho, z. b. olv. 81, 4 so sie tho gistigun in skef,
bilan ther uuint\ 82,1; 'indem', z. b. 18,2 so er then buoh in-
teta, fant thie stat ... 184,3; mit tho olv. 79,13. 196,3; auch
soso, z.b. 80,8; für 'sobald als' steht nur einmal so sliumo so
4, 4: so sliutno so thtu stemna uuard thines heilizinnes in minen
orun, gif ah in gifehen kind ,.. = ut facta est; 'wie wenn'
sama so = quasi 108, 1 (vgl. Is. 47, 4). Die übrigen bedeu-
tungen des so bei 0. sind im T. nicht belegt, dagegen die bei
0. nicht nachgewiesene, von Tobler s. 373 angeführte consecu-
tive bedeutung 'so dass': 92, 6 uuard saniaso toter, soso ntanege
quadun : toot ist her = factus est sicut mortuus, ita ut multi
dicerent.
Correspondierend mit dem temporalen so des nebensatzes
enthält der hauptsatz oft ein demonstratives tho, so, sar, sliumo
sar; im T., seltener als bei 0., nur tho, aber zuweilen olv.
19,6. 21,10.
0 £. S. § 193.
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408 SCHÖLTEN
§ 24. sar,
das in hauptsätzen zu temporalem so oft erscheint, wird von
0. auch selber als temporale conjunction gebraucht zum aus-
druck der unmittelbaren aufeinanderfolge mehrerer ereignisse;
zunächst noch in Verbindung mit so : sar so = * sobald als,
wenn', z. b. 1, 15. 37 er quimit mit giwelti, sar so ist woroltenti;
2, 8, 19. Aber auch sar allein in derselben bedeutung, z. b.
5, 6, 33 ia^lih sih kumit, sar sih fhaz herza rumit; 5, 15, 41; von
der Vergangenheit nur 1, 17, 55. Der hauptsatz enthält zu-
weilen ein so.
Im T. ist sar stets adv. = statimi ebenso im Is.>); sar
so und sar kommen als conj. nur noch einige male in der
Benedictineregel und im Muspiüi v. 2 vor.
§ 25. suntar,
bei T. nur 108, 3 als adv. gebraucht, hat im 0. oft conjunc-
tionale bedeutung. Es steht coordinierend nach negationen =
^sondern', vor Satzteilen und Sätzen; z. b. 1,2,46 thae nist bi
werkon minen, suntar ... bi thinero ginadu; 1,2,17. 2,12,79.
3,20,11. Subordinierend findet es sich wie ni, nub nach ne-
gierten negativen verben mit folgendem conjunctiv*) in der
bedeutung 'dass': 3,20,132 bimidan thu in tvolles, suntar thu
imo folgest 1,11,38. 2,9,49. 2,12,39; und nach nist, wo der
satz mit suntar wider als negativer relativsatz übersetzt werden
kann: 1,5,63 nist wiht, suntar werde, in thiu iz got woüe;
1,23,54. 1,24,6.3)
§ 26. thanne.
Der gebrauch von tJianne ist bei 0. und T. ungefähr der-
selbe. Es dient in der bedeutung 'sodann, ferner, und dann,
0 Aach wol 31, 27 gegen Rannows annähme 8. 76.
') Trotz des folgenden coi\junctiTs ist suntar = ^sondern' 1, 20, 29. An
den stellen 3, 1, 35. 5, 7, 32 ist m. e. der conj. statt des ind. gesetzt unter
dem einiluss des reims. 5, 25, 64 gehört suntar nicht zu grubüo, sondern
zu finthä.
^) An den meisten stellen wo suntar mit folgendem conj. = 'dass'
ist, ist die Übersetzung mit 'sondern' nicht unmöglich. Darum ist vielleicht
dieser gebrauch von suntar zu erklären aus der zusammenziehung zweier
nebensätze, von denen der erste negativ: ni c. co^j., der zweite positiv:
swUar c. ind. gewesen wäre: (m meid sih) ni si ougti + suntar si ougia
s= suntar si ougti.
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SATZVEBB. PARTIKELN BEI OTPBID ü. TATIAN. 409
und' zur Verbindung gleichwertiger Satzteile und sätze, z.b. 0.
1, 24, 18 so wer manno so sih buazit ..,, thaz thanne warliclw
duat; 1, 21, 16. 3, 13, 30 (parallel joÄ 5, 21, 16). T. = 1. et tunc:
39,6 aruuirph jsi heristen balcon fon thinemo ougen, thanne
ffisihis thu.,.; 42, 3 u. ö.; = 1. et 40, 2; = 1. particip 40, 3; im 0.
zuweilen neben joh, oah, noh; im T. neben inti = 1. et tunc
und et noh thanne heisst aber im T. ^zu der zeit noch'.
Nicht selten hat ff^anne adversativen sinn: *aber, dagegen': 0.
3, 3, 27. 4, 4, 68; T. = 1. autem 29, 2 thanne ih quidu tu = ego
autem dico vobis\ 77, 2 u. ö.; *und — dennoch, und — nichtsdesto-
weniger' 0. 3, 23, 32 si farent thines ferehes . . . : nu suachist sie
afur thanne?] 3, 18, 31. 3, 20, 164.^) thanne steht auch causaler
bedeutung nahe, was Grimm, Gr. 3, 167 nur vermutet; so T.
44, 13 iu ist thanne gigeban in thero eiti = dahitur enim vobis
in illa hora. 88, 2 =: L enim (145, 14 thanne = 1. enim tunc?);
im 0. vielleicht H. 4. Im Is. ist dhanne einige male causal,
im Bo. oft.2)
In hauptsätzen zu conditionalen Vordersätzen wird thanne
als demonstratives adv. in der bedeutung ^dann, in dem falle'
von 0. gegen 20 mal gebraucht, z. b. 2, 4, 73 oba thu sis gotes
sun, far thanne heimortsun. Auch so — thanne 2, 4, 74. 3, 7, 80.
Im T. findet es sich weit häufiger (z. b. olv. 36, 3 oba thin ouga
aruuertit uuirdit, thanne ist dl thin lihhamo finstar; 172, 3), und
zwar um so öfter, je selbständiger der Übersetzer die lateinische
vorläge widergibt; so auch statt des coordinierenden et 39, 2. 3.
47, 4 (vgl. so). Im T., nicht bei 0., steht femer dies thanne
nach temporalen Vordersätzen, zuweilen = 1. tunc, z. b. 45, 7.
131,11; aber auch olv., z.b. 8,4. 152,5; = 1. et 113,1.
§27.
Als temporale conj. dient thanne an der spitze des neben-
satzes im T. zur angäbe eines einmaligen ereignisses der Ver-
gangenheit in der bedeutung * damals als' = 1. quando; z. b.
233, 1 Thomas ni uuas mit in, thanne ther heilant quam; 116, 3,
im 0. bei widerholung in der Vergangenheit 'dann, wann; wenn;
>) Ay 22, 13 heisst thanne avur 'aber damals'. Dagegen hat Is. dhanne
neben andern adyersatiyen co^j. zn deren Verstärkung: oh dhanne := atUem
27, 1 ; olv. 23, 6.
') Hanno w s. 53. 57. Löhner s. 210.
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410 SCHÖLTEN
SO oft als', z. b. 4, 19, 7 thanne ih lerta, iz thisu woroU horta;
1, 11, 45. T. hat in dieser letzteren bedeutong mitthiu thanne:
88, 2 mittiu danne ih quimu, ander eer mir nidarstigit; 96, 5.
Bei noch nicht vollendeten ereignissen ist thanne noch rein
temporal 'dann, wann' 0. 3, 24, 24. T. = 1. cum 128, 9 u. ö..
besonders wenn es sich im T. auf ein vorangehendes tempo-
rales Substantiv zurttckbezieht, z. b. 132, 3 quimit naht, thanne
nioman mag uuirkan; 87,5. 145,1.2. Es steht aber conditio-
naler bedeutung nahe; z. b. 2, 16, 35 thanne se zellent . . al ubil
anan iuih, tluug liegent sie al thuruh m%h\ 1, 4, 61. 3, 2, 11. Im
T. = 1. cum, z. b. 108, 2 ih uueiz uuaz tuon, thanne ih amuorfan
utiirdu fon themo ambahte; 57, 6.
Der hauptsatz zu einem nebensatz mit thanne enthält oft
ein demonstratives tho, thanne, im T. = 1. tunc oder olv. Im
0. so 3, 26, 39.
Gemeinsam ist 0. und T. endlich der gebrauch von thanne
nach comparativen = 'denn, als', z. b. 2, 18, 6 ni eigxit ir merun
guati, thanne thiz heroti] 2, 22, 8. 20. Nach ander 4,37,4. T. z. b.
13,17 niouuihtmer, thanne iu gisezzit si, tuot ir; 21,9. Im T.
auch nach guot ist 95,4,5; bitherbi ist 28,2,3. üeber thanne
hinter er s. er.
Concessives tlianne, das (nach Mensing § 109) im Is. und
N. vorkommt, kennen 0. und T. nicht.«)
§ 28. thar
wird von 0. gebraucht als temporale conj. 'als, während, in-
dem' (z. b. 3, 24, 48 mit zaharin si thie bigoz, thar si then bruader
liobon roz\ 5, 12, 61) und 'wenn, wann, so oft als', z. b. 5, 16, 39
dote man irquiket, thar ir zi mir es thigget] 1, 23, 16. Eine
consecutive bedeutung 'so dass' oder finale 'damit' braucht man
für die stellen 2,24,10. 3,6,37. 3,16,61. 5,17,13 nicht anzu-
nehmen, wie Piper will, da an allen diesen stellen der satz
mit thar nur temporal oder modal die handlung des neben-
satzes begleitende umstände angibt; z. b. 3, 6, 37 thaz brot . .
umahs in alagahun thar sie alle zuasahun. Ebenso 4, 1, 8.
*) thanne wird femer noch gebraucht = 'doch' zur Terstärknng eines
imp. 0. 3, 13, 21. 4, 7, 7, was im T. aber nicht vorkommt, und = 'denn
zur belebung einer frage, z. b. 0. 4, 19, 74. T. 13, 21. Diese yerwendun^
kennen auch Is. und N, Tobler s. 364. üraff 5, 46.
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SATZVERB. PABTIKfiLN BEI OTFRID U. TATIAN. 411
5,12,61, WO es parallel temporalem tho steht. 2,3,52 hat P
tlmr, V und F tho, Adverbiales fho neben thar 4, 1, 8. 3, 6, 49.
Im T. kommt conjunctionales thar nicht vor, was um so
auffälliger ist, als Is. es wol kennt und im Will, temporales
cum einmal mit dar übersetzt ist.«)
§ 29. thaz
wird, wie im ahd. überhaupt, auch bei 0. und T. gebraucht in
der bedeutung *dass, damit, so dass' = 1. quia, quod, quoniam,
ut vor Substantiv- und adverbialsätzen; z.b. 0. 2, 14, 99 in quam
tho in githahti thojs man imo iz hrahti, T. 78, 5 uuar qnidu ih
tu, fhaz nihein uuijsago antphengi ist . . . ; besonders vor final-
und consecutivsätzen. Der hauptsatz enthält oft eine mit thaz
correspondierende partikel: so vor consecutivsätzen (s. so); bi-
thiu, nur bei 0., vor finalsätzen, z. b. 4, 10, 3 thes muases gerota
ih bithtu, tha>z ih iz azi mit iu\ 2,12,93. 4,7,59 (das hithiu
thaz T. 104, 6 ist auch wol trotz des lat. quia final zu fassen,
wie auch Is. 29, 16 hidhiu dhaz final ist). &i thiu vor final-
sätzen bei 0. und T., meist unmittelbar vor tliaz, z.b. 1,4,45
thie ungüouhige gikerit er zi libe, zi thiu thaz er gigarawe thie
liuti wirdige. T. zi thiu thaz = 1. ut, z.b. 143,3 ni quam ih
zi thiu thaz ih duomti miUilgart zi thiu thaz ni = 1. ne, z. b.
35,2. = 1. ut non 93,3. olv. 44,23; nur 195,6 zi thiu = lad
hoc. zi thiu vor consecutiv- und andern adverbialsätzen nur
bei 0., hier nie unmittelbar vor thaz, z. b. L. 10 zi thiu due
stunta mino, theih scrihe dati »ino\ 3, 6, 30. mitthiu vor einem
adverbialsatz 0. 3, 24, 60. lieber mitthiu tha^, ni si thaa, nibi
thaz in nebensätzen s. das erste wort.
An einigen stellen, meist nach verben des affects, gibt
thaz den Inhalt des verbs an; es heisst dann * dadurch, darüber
dass', oder, da in der angäbe des Inhalts zugleich der grund
liegt für die im hauptsatz enthaltene tatsache: 'weil', z. b. 0.
3, 24, 92 thir thankon . . . , thaz thu . . . irfullis minan willon.
T. == 1. quod, z. b. 2, 10 wuntorotun thaz her lazzeta in templo;
63,3; = 1. quia 119,7; rein causal 'weil' 0.3,20,9.
Dass fhaz auch conditionalen sinn haben kann, wie Tobler
und Erdmann annehmen,^) glaube ich nicht, da an den von
1) Rannow s. 70 ff.
*) Beitr. 5, 365. Genn. 12, 258. E. S. 1, § 111.
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412 SCHÖLTEN
ihnen angeführten stellen der Zusammenhang die gewöhnliche
auffassung nicht ausschliesst.
Thiu, der casus instr. des pron. dem. thojg, dient in Verbin-
dung mit gewissen präpositionen im 0. und T. häufig zur Ver-
bindung mehrerer Sätze.
§ 30. after thiu
ist im T., nicht bei 0., bekannt als Übersetzung von postquam,
posteaquam ^n8iChAem\ z. b. 7,2 after thiu gifulta uuarun Uiga
sinero sübarnessi = postquam impleti sunt . . . ; 67, 13. Auch
Is. hat conjunctionales after dhiu olv. 5, 19; after thiu so =
postquam 35, 16.
§ 31. U thiu
steht in der bedeutung 'darum, deswegen' im T. = 1. ideo,
propterea zu anfang, im 0. auch inmitten des hauptsatzes,
insbesondere in hauptsätzen zu nebensätzen mit wanta, z. b. O.
2, 4, 28. 3, 5, 11. T. 74, 5. 131, 20. Im 0. auch bei finalen neben-
sätzen mit thaz (s. d.) und ohne thaz 4, 12, 10.
Im nebensatz kommt hithiu bei 0. nur selten vor; als
causale conj. = 'weil, denn' nur 2,12,85. 3,16,68; am ende
des vorhergehenden hauptsatzes thuruh thaz 3,8,4.
Im T. wird dagegen bithiu gerade so und ebenso häufig
gebraucht wie wanta und bithiu wanta (s. d.), also = 'weil,
denn' für 1. quia, quoniam, eo quod, nam; z. b. 71, 3 bithiu
sie ni habetun vvurzalun, furthorretun; 84,2. 145,9. 19,8 =
1. rel. qui. Femer = 'dass' für lat quia statt des acc. c. int,
z. b. 107, 3 gihugi, bithiu thu intfiengi guotiu in thinemo libe;
68,4; und := 1. quia = ort zur einleitung directer rede, z. b.
100, 5 ih quidu, bidiu so uuelih uorhizzit sina quenun . . . huo-
rot; 49,5.
§ 32. fon thiu
ist 0- wie den meisten ahd. quellen unbekannt. T. hat es
einige male als demonstratives adv., darunter 175, 3 = 1. tfe hoc
'deswegen' vor folgendem wanta. Im nebensatz steht es als
temporale conj. =^ \, ex quo 'seitdem' 92, 4 vvuo michil stunta
ist fon thiu imo thaz giburita?\ 102, 2. In derselben bedeutung
steht T. 138, 12 fon thes = ex quo.
§ 33. in thiu
ist m. e. bei 0, im wesentlichen nur conditional, während Erd-
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SATZYERB. PABTIKISLN BEI OTFRID U. TATIAK. 413
mann S. § 251 conditionale, finale, causale und temporale be-
deutung annimmt. Es fahrt in der bedeutung ^wenn nur,
wofern nur' eine selbstverständliche Voraussetzung für das
eintreten des hauptsatzes an (wie an einigen stellen auch oba);
z. b. 1, 5, 63 nist tmht, suntar werde, in thiu is got wolle; 2, 4, 86.
Ebenso (nach Erdmann final) 1, 7, 12. 4, 2, 23.«) Vielleicht ist
final 4, 20, 24. Zu temporaler bedeutung neigt in fhiu 1, 20, 32.
0. 2, 7, 38 ist in thiu = * darin' (nach Ei*dmann causal). Auch
die Verbindung in thiu fhcus ist conditional, 1, 2, 42; auch 3, 7, 78
(V F in thiu, P in thiu fhaz).
An der einzigen stelle wo im T. in thiu conjunctional
gebraucht wird, 74,7, ist es causal, denn es übersetzt quia
und steht causalem hithiu parallel.
§ 34. mit thiu
kennt 0. nur als adv.;-) im T. steht es nur conjunctional, und
zwar sehr oft. Es bezieht sich auf die Vergangenheit: 'als,
indem, während' == 1. cum, z. b. 2, 3. 5, 7; = dum 136, 1. 151, 4;
oder 'als, nachdem' = cum, z. b. 48, 1 mit thiu thie heilant quam
in Pett-uses hns; 100,1; auf die gegenwart oder zukunft be-
züglich heisst es 'wenn, wann, zu der zeit wo, so oft' = 1. cum,
z. b. 44, 15 mit thiu sie iuuer ahtent in therro burgi, ftiohet in
andera; 133,7; = dum 27,2. 139,10. Es kommt dabei einer
bedingenden conj. sehr nahe, z. b. 22,16. 23,4; mit thiu thcus
= cum 44, 28. Im nebensatz steht neben mit thiu oft ein ad-
verbiales tho, z.b. 97,6. 124.6; auch thanne 88,2. 96,5. Sel-
tener enthält der hauptsatz ein demonstratives tho 116, 1 und
72,3 = tunc; olv. 84,8. 180,3; thanne olv. 124,4 = tunc
131,11 u. ö.
Wie lat. cum bezeichnet mit thiu neben der zeitlichen
auch die causale folge: 'da, weil (denn)', z.b. 120,5 mit thiu
sie thuruhutwnetun inan fragente, . . . quad in = cum perseve-
rarent ...; =^1. nam 92,2; = lat. particip 54,3. Wie cum
wird mit thiu endlich auch concessiv gebraucht: 'während', z. b.
40, 7 mit thiu ir ubile birut, uuizut guot zi gebanne iuuueren
Jcindon; 104,4.
^) In seiner ausgäbe fasst £. 1, 7, 12 ebenfalls conditional, nicht final
>) £. S. 1, 253 fasst einige stellen final.
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414 SCHÖLTEN
§ 35. zi thiu
steht bei 0. und T. als adv. gern unmittelbar vor finalem thaj^,
0. setzt es auch vor conjunctionslosen finalsatz, von diesem
noch getrennt durch die cäsur 2,21,11; im selben halbvers
2, 6, 12 *gott liess dem Adam freie Verfügung über das ganze
paradies', ei thiu er fhie (das eine verbot) gihialti. Hier scheint
ei thiu selber final zu sein: * damit'.
§ 36. tho
weist als adv. ganz allgemein auf den zeitlichen Zusammen-
hang mehrerer ereignisse hin. So steht es oft in hauptsätzen
zu temporalen Vordersätzen, z. b. 1, 14, 2 so ther antdag sih
tho ougta, ... tho scoltun siu ... then wizod ir füllen; 2,11,55.
T. olv. 7, 11. 84,8. Dieser Zusammenhang ist oft zugleich con-
secutiv, so dass tho etwa unserem 'darum, infolgedessen' ent-
spricht, z. b. 0. 2, 6, 27. T. 52, 7. Die temporale bedeutung kann
aber auch ganz schwinden und tho führt einfach die erzählung
weiter: *da': T. 13, 20 tho fragetun sie inan = hinterroga-
verunt eum\ 0. 1, 12, 5; 'und': 0. 2, 14, 11 thie jungoron iro ^-
lotun, in koufe in muas tho holetun] T. 4,1.2; ^^ 1. et 'aber',
z- b. 0. 4, 13, 17 ie was harto egislih; tho betota ih selbo bi thih,
T. 53, 7 = 1. at Oft steht es neben andern fortfuhrenden con-
junctionen. 0. bezeichnet femer mit tho einen stärkeren gegen-
satz: 'dagegen', z. b. 1, 9, 5; 'dennoch, trotzdem': 2, 8, 56 er
ougta sina kraft joh sina guallichi; tho giloubtun ekordi eine
thie jungoron sine. Im T. übersetzt es öfter enim 'denn, näm-
lich': 43,4 wuntarotun ... ubar sina lera; uuas her tho sie
lerenti soso giuualt hahenter.
Auch wo tho subordinierende conjunction ist, ist die tem-
porale grundbedeutung meist erhalten, fho = 'als, nachdem',
im T. = cuniy dum, ut, quando, z. b. 0. 2, 11, 53 tho er then tod
uharwan, thes thritten tages tJuinan quam; T. 7, 11; 'zu der zeit
wo, während', z. b. T. 5, 13 tho sie thar uuarun, vvurdun taga
gifulte; 148, 6. 0. 1, 11, 55. 3, 14, 59\ Doch wird auch hier tho
causal 'da, weil', im T. = ami, quta, z. b. T. 149, 7 ubil scalc
inti lazeo, tho du uuestos . . . = serve male et piger, sciebas . . . ;
0.5,23,240.
§ 37. thoh,
bei 0. häufig, im T. verhältnismässig selten, führt bei 0. in
hauptsätzen die erzählung adversativ weiter: 'jedoch, aber.
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8ATZVEBB. PABTIKBLN BEI OTFBID U. TATIAN. 415
allein', z. b. 4,11,28 = Lautem: thaz ih nu meinu mit thiu,
unhund harto ist iz tu; t> wirdit ethestvanne fhoh in ei m-
sänne; 2, 14, 67 = 1. sed. ni (höh = * jedoch nicht', allein-
stehend, dient im 0. zur abweisung einer an sich möglichen
Vorstellung, z. b. 1, 4, 57 sprah ther gotes boto tho, ni thoh
irholgono . . . Bei gegenäberstellung von personen und Sachen
hebt es den gegensatz stärker hervor: ^dagegen, andererseits',
z. b. 3, 20, 148 ih sunnun er ni gisah, thoh soouwot ir nu alle . . . ;
L. 71 ; 'dennoch, trotzdem', z. b. 1, 1, 36 nist si so gisungan, mit
regulu bithuungan, si habet thoh thia rihti . . .; 3, 26, 9 = 1. tarnen;
In dieser bedeutung steht es besonders nach concessiven Vorder-
sätzen, 1, 18, 6. 3, 22, 15 u. ö.
Im T. steht thoh in der bedeutung 'aber' = 1. autem 79, 8;
= 1. tarnen 87, 7. Gewöhnlich ist es jedoch mit uuidaro ver-
bunden, thoh uuidaro ^= 1. verumtamen 'aber', z. b. 32, 8 thoh
uuidaro minnot iuuara fianta; 92, 1; 'dennoch' = 1. tarnen, z. b.
220, 3 gisah thiu lininun lachan gilegitiu, ni gieng thoh uuidaro
in; 104,3; nach einem concessiven Vordersatz nur 122,2 =
1. tarnen. Das streben nach wörtlicher Übersetzung ist es wol,
das die widergabe von verumtamen durch uuar — thoh 65,3, thoh
uuar 65, 5, uuar thoh uuidaro 160, 3 veranlasst. Auch Is. gibt
tarnen meist durch dhoh dhiu huuedheiu wider, z. b. 19,10;
ebenso hat der Weissenburger katechismus thoh thiuuidero
(Braune, Ahd. lesebuch z.93)J)
Nicht adversativ, sondeni erklärend = 'denn' steht thoh
0. 2, 4, 46; wie nhd. 'doch' hinter dem den satz eröffnenden verb
3, 10, 37. 40 gismekent thoh (die hündlein) thia meina thera selbun
aleiba . . . = 1. nam; zu anfang des Satzes 1, 5, 57. 2, 6, 53? 2)
§38.
Auch in nebensätzen hat 0. thoh sehr häufig in der be-
deutung 'obwol, obgleich', z. b. 2,3,25 sie kundtun thar then
liutin, thoh si es tho ni ruahtin; 3,19,27; 'selbst wenn', z. b.
») Vgl. Mensing § 56. Gr. 3^ 187.
*) 0. gebraucht Ihoh ferner noch in hanptsätzen in der bedeutung
* wenigstens* zur hervorhebung einzelner begriffe, z. b. 4,19,25. 2,17,10
<auch T. 82, 1=1. veT), bei imperativen, z. b. 1, 27, 29, und in Wunschsätzen,
z. b. 2,6,43; = *doch' und 'doch bekanntlich' 4,38,10. 4,35,6? An ein-
zelneu steUen scheint eine Übersetzung yon ihoh unmöglich zu sein, z. b.
5, 25,99»>.
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416 SCHÖLTEN
nist nian, thoh er wolle, thajs gumisgi cd gi/geUe; 4,9,33. Ein-
zelne solcher stellen sind fast irreale bedingungssätze, 2, 3, 43.
5, 23, 267. Ein ouh neben thoh verdeutlicht dessen concesaive
bedeutung 2,6,53. 5,23,267 (vgl. 'wenn — auch'). An der
stelle 3,7,69 dient dieses ouh zur hervorhebung des zweiten
concessivsatzes gegenüber dem ersten. Mit dem concessiven
thoh des nebensatzes correspondiert oft im hauptsatz ein de-
monstratives thoh, s. 0.
Im T. steht nur 21, 9 ein concessives thoh uuidaro =^
1. quamquam : thoh uuidaro ther heilant ni toufti, nibi sine
iungiron, und vor verkürztem satz ein thoh thoh = \Mcet 79,5-0
Anderen ahd. quellen ist concessives thoh wol bekannt, aach
Is., z.b. 9,26. 27,16.
§ 39. unz.
Hiermit führt 0. einen zustand an, während dessen ein
anderes ereignis eintritt: 'während', z. b. 3, 2, 25 unz er fuar . . . ,
gagantun imo hlide thie holdun scalka sine, 2, 14, 100; oder einen
zustand, der eine tatsache von gleicher dauer bedingt oder
veranlasst: 'so lange als', z.b. 3,20,21 unz ih hin thiar in
worolti, so bin ih Höht beranti; 5, 10, 29; oder ein ereignis, durch
das ein zustand beendet wird: 'so lange bis, bis dass', z.b. 1,19,5
in Aegypto wis thu sar, unz ih thir zeigo aour tJiar . . . ; 4, 17, 12.
Im T. ist unz meist in der letzten bedeutung gebräuchlich;
z.b. donec: 44,7 thar uuonet, unz ir uzfaret; 147,1; usquedum
8, 15; quoadusque 244, 1; dum 151,2. In der ersten bedeutung
kommt es gar nicht vor, als 'so lange als' 132, 3 mih gilimphit
uuirJcan unz iz tag ist = 1. donec; 139, 10 = 1. dum.
0. setzt neben unz öfter ein tho, z. b. 1, 11, 29.^) Der haupt-
satz enthält zuweilen ein tho, thar tho, so — Um, so. Im T. ist
an unz öfter ein sufflx angehängt: unza 108,7; unzan 5,10;
unz az 80,7; unzin 96,5.
§ 40. uz, uzar, uzouh
werden im T. (aber nur vor 44, 13 und nach 119, 8: Sievers»
s. 51) als adversative conjunctionen gebraucht, r== 1. sed 'aber':
173, 1 noh nu hüben ih iu managu zi quedanne, tuf ir ni mugut
iz fortragan; uzouh 24,1. 131,24; nach negationen 'sondern':
^) Mensing § 57.
>) unz thaz 1,4,70 ist nicht coig., sondern heisst 'bis dahin*.
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SATZVERB. PARTIKELN BEI OTFRID ü. TATIAN. 417
iie 133,14. 168,4, M^ar 4, 11; uzouh oft, z.b. 25,4 ni quam ih
zi losenne, uzouh zi fullenne; 31,8 (vgl. ouh).
Im 0. sind diese partikeln alle unbekannt; auch im übrigen
ahd. sind sie selten: uz kommt noch zweimal vor, uzar einmal,
uzouh überhaupt nicht.^)
§ 41. wanta
ist in der ganzen ahd. spräche die causale conj. xar i^oxrjv;
so auch bei 0. und T. Es heisst *denn, weil, da', z.b. 1,4,76
theru spraha er bilemit was, want er giloubig ni was; T. 57, 4;
und ist oft mehr erklärend als begründend, besonders wenn es
sich auf ein wort des vorhergehenden bezieht, wie 0. 1, 14, 7
(hicumn inan heilant), wanta er then Hut heilit; T. 13, 8; oder
es erklärt, warum die aussage, frage u.s.w. des hauptsatzes
berechtigt ist, z. b. T. 87, 5 uuir betomes, daz uuir uuizzumes,
uuanta heili fon Judeis ist; 0. 4, 18, 24.')
Wenn der nebensatz mit wanta zwischen zwei zugehörigen
hauptsätzen steht, wird diese Zugehörigkeit von 0. in dem fol-
genden satz verdeutlicht durch nu H. 46. 1, 7, 7; tho 4, 3, 5; bithiu
1, 3, 14 u. ö. Dies geschieht auch, wenn nur ein hauptsatz zu
wanta gehört und dieser folgt; er enthält dann an der spitze
ein nu, z. b. 2, 6, 26, bithiu 2, 4, 27 u. ö. Auch wenn der haupt-
satz vorangeht, wird ihm, aber verhältnismässig sehr selten,
eine solche partikel zugesetzt: thuruh theus stets am ende, z. b.
2,4,102; bithiu, meist an der spitze, unmittelbar vor wanta
nur 3, 23, 52.
Auch T. hat dies bithiu, aber stets an der spitze des haupt-
satzes; = 1. ideo, propterea, z. b. 84, 5. 131, 20; fon thiu =^ 1. de
hoc 174, 3 (vgl. Is. 25, 23. 37, 14). Am ende des vorangehenden
hauptsatzes steht bithiu im T. zwar nicht (wie 0.3,23,52);
dass das jedoch der spräche nicht fremd war, ist aus dem zu
einem wort gewordenen bithiu uuanta herzuleiten, das gerade
so gebraucht wird wie uuanta allein ;5*) also ^^ *weil, denn',
z. b. 23, 2 uue iu thie thar gisatote birut, bithiu uuanta ir hun-
») Gräfin, 434. [MSD. 23,336. E.S.]
*) Beachtenswert ist die wortsteUnng nach wanta, nämlich teils die
des hauptsatzes, teils die des nebensatzes; im T. oft glv. wanta svx. 0.
1, 2, 21. T. 140, 1 ; wanta xvsx. 0. 2, 16, 3. T. 167, 4; — wanta sxv. 0. 1, 3, 42.
T. 164, 3; wanta xsv. 0. 3, 16, 40. T. 21, 2; vgl. Rannow s. 13.
3) Vgl. Sievers' Tatian* s. 50.
Beiträge zur gMoblehto der dealMhen ipraohe. XXII. 27
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4iö scsottti»
geret\ mit demonstrativem hithiu im folgenden hauptsatz 169, S.
T. 22, 17 und 79, 11 lautet die conj. uuanta hifhiu in derselben
bedeutung.
Im übrigen ahd. ist causales hithiu uuanta auch bekannt,
besonders gebraucht es Is., z.b. 5,5. 5,11.
Auf diesen causalen gebrauch ist wanta bei 0. beschränkt i)
Im T. steht uuanta und ebenso hithiu uuanta (wie thoB) noch
zur Übersetzung des lat. quia, quoniam nach verb. dicendi statt
des richtigeren acc. c. inf., wir übersetzen also ^dass', z. b. 177, 5
nu forstuontun uuanta allu thiu du mir gabi fon thir sint
117, 3. Femer dienen uuanta und hithiu uuanta zur Übersetzung
von quia und quoniam vor directer rede, wo wir sie ganz un-
übersetzt lassen müssen, z. b. 133, 9 uuar, uuar quidih tti, hi-
thiu uuanta ih him duri scafo; 188,3; vgl. hithiu.
§ 42. uuarlihho,
im 0. (und Will.) nur in der bedeutung vere belegt, wird im
T. auch conjunctional verwendet in der bedeutung 'aber' für
lat. vero 69,3. 172,5; autetn, z.b. 6,6 Maria uuarlihho gihieU
allu thisu wort ahtonti in ira hereen\ 4, 9; mit stärkerer be-
tonung des gegensatzes: 'dagegen', z. b. 133, 11 ih hin guot
hirti, ther asni uuarliho fliuhit, 90, 1. Femer dient uuarlihho
zur widergabe von ergo = 'dämm, also', z. b. 130,2 oha Dauid
uuarlihlu) in geiste nemnit inan truhtin, wuo ist her sin sun?
= si ergo; 13,14; inti uuarlihho = etigitur 174,6. Schliess-
lich übersetzt e^ = 'denn' lat. enim, z. b. 236, 6 uuas uuarlicho
nackot = erat enim nudus; 2, 6; itaque 184, 1 'weil'?
Uebenieht.
A. Partikeln der hauptsätze.
Otfrid: Tatian:
1. Copulative.
inti *und'
(oft inti ouh)
— 'auch' (zur henrorhebung)
(oft inti ouh)
— inti — inti = * et — et *
joh *uiid' (häufig) joh — (sehr selten)
„ *und zwar' —
') Concessiven sinn 1, 4, 67 mit Mensing § 109 anznnehmen ist
nicht genötigt.
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8ATZVSRB. PABTiKfiLK BEI OTFttlD Ü. TATtAK. 41d
Otfrid: Tatian:
joh
— ^auch* (zur hervorhebong)
(oft^oÄ ouh)
—- joh— joh = *et — et'
9t oA 'und auch nicht, noch'
„ ^and nicht, aber nicht'
„ 'auch — nicht' (zur hervorhebung)
— 'nicht einmal' (2m0
noh — noh = 'weder — noch'
(2 m.) (oft)
011 A 'gleichfalls, femer' 'femer' (Im.)
„ 'auch, sogar' (zur hervorhebung)
. 'und' -
inti, joh, odo, noh ouh inti ouh
thanne 'sodann, femer, (und) dann, und'
joh, ouh, noh thanne inti thanne
tho
80 'da, dann'
'da, und'
giuuesso = 'etiam, auch' (Im.)
odo --odo = 'et — et, sowol
— als auch'
2. Adversative.
avur
(käuilg)
„ 'aber'
nu
„ 'aber'
ouh 'aber' (seltMi)
'andrerseits, dagegen'
(selten)
'aber jetzt' (T. 5m.)
ouh, oh 'aber' (sehr häufig)
— 'trotzdem'
— (Im.?) 'sondem'
— eccorodo ni — ouh = 'non solum
— sed etiam '
thanne 'aber dagegen'
„ 'und dennoch' —
thoh 'jedoch, aber, allein'
(häufig) (selten, meist thoh uuidaro)
„ 'dennoch, trotzdem'
„ 'dagegen, andrerseits' —
tho 'aber'
„ 'dagegen' —
„ 'dennoch' —
inti 'und dennoch, dagegen' —
joh 'dagegen, sondem' —
ja 'aber' —
ni thes thiu min 'nichts- —
desto weniger'
27*
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420
SCHOLTEK
Otfrid:
suntar 'sondern'
wanta *
bithiu '
(im.)
avur 'nämlich' (erläuternd)
ja 'denn — ja'
inti 'und — doch'
nu 'denn jetzt, denn'
ouh 'nämlich, denn'
thoh 'denn, — doch'
Tatian:
gtuuesso = 'antem, vero;
aher, dagegen'
nibi = 'sed; aber, sondern'
uz, uzar, uzouh = 'sed; aber,
sondern'
uuarlihho = 'vero, antem;
aber, dagegen'
3. Causale.
'denn'
'denn'
(oft)
(?)
-(?)
bithiu
tho
nu 'darum jetzt'
ouh 'darum auch'
odo
(oft odo ouh)
giuue8so = ^ siquidem, qnippe ;
denn'
noh == 'neqne enim; denn
nicht'
thanne = 'enim; denn'
tho = 'enim; denn, nämlich'
uuarlihho = 'enim; denn'
4. Consecutive.
'darum, deswegen'
'darum, infolgedessen'
(Im.?)
fon thiu 'de hoc; deswegen'
giuuesso = 'itaque; daher,
deswegen'
uuarlihho = *ergo; darum
also'
5. Disjunctive.
'oder'
odo — odo = 'aut — aut; ent-
weder—oder'
6. Im hauptsatz stehende, auf einen nebensatz
hinweisende partikeln:
a) bei temporalem nebensatz:
80 (oft) so (selten)
tho tho
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SATZYERB. PARTIKELN BEI OTFBID U. TATIAN. 421
er (oft)
sid
Otfrid: Tatian
er (Im.)
sar
ihanne
b) bei cansalem nebensatz:
bithiu
bithiu
nu
sid
—
so
ihuruh thae
fon thiu
c) bei finalem nebensatz:
zi thiu
bithiu
zi thiu
d)
bei consecutivem nebensatz:
so
ei thiu
so
e) bei conditionalem nebensatz:
thanne thcmne
so (seltener) so
nuy sar (yereinzelt) —
f) bei concessivem nebensatz:
ihoh thoh (1 m.)
g) bei comparativem relativsatz:
sOf sus so
B. Partikeln der nebensätze.
1. Temporale.
er 'bevor, ehe' er thanne = antequam, prius-
quam'
iho 'als, nacbdem*
'zn der zeit wo, während'
so 'als, indem'
„ 'als, nachdem' so tho 'als, nachdem'
„ 'sobald als' (meist so sliu- so sliumo so 'sobald als' (1 m.)
mo, so erist)
„ 'wenn, wann' ■—
thanne — Ihanne = ' quando ; damals als '
„ 'dann, wann, wenn, mitüuu thanne wann, wenn,
so oft als' so oft'
ufiz 'während' —
„ 'so lange als' (T. 2m.)
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422 SCHÖLTEN
Otfrid: Tatian;
um ^80 lange bis, bis dass'
(öfter tmz tho) (uma, uman etc.)
sid 'seitdem, nachdem' —
sar (so) 'sobald als, wenn' --
thar *al8, während; indem; —
wenn, wann; so oft als'
—
oba = 'si; dann, wann'
—
after thiu = 'postqnam; nachdem*
~
fon thiu (fon thes) = 'ex quo;
seitdem'
mitthiu = 'cum, dum ; als, indem'
„ 'während'
„ 'als, nachdem'
„ 'wenn, wann'
„ 'so oft als' (sehr oft)
mitthiu thaz (Im.)
2. Causale.
wanta
'da, weil'
bithiu
'weil'
(selten)
(oft)
—
bithiu wanta 'weil' (oft)
tho
'da, weil'
(Im.)
(öfter)
thaz
'dadurch dass, weil'
nu 'weil, da (jetzt),
da also' - (?)
oba 'da
ja' (1 m.)
—
sid 'seitdem, weil'
—
so 'da'
(Im.)
—
—
oba 'wenn, da also'
—
in thiu = 'quia; weü' (Im.)
"
mitthiu = 'cum; da, weil'
3. Finale.
thaz
'damit'
zi ihiu
damit'
in thiu (1 m.)
min = 'ne; damit nicht'
— bithiu ihaz (\m.?)
4. Comparative.
oba 'wenn schon'
„ 'während'
so — so 'wie — so, so — wie'
n 'je — desto'
al, io, so, selb so so, so selb, sama so
thanne 'denn, als' (nach comp.)
nu 'wenn schon' —
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8ATZVEBB. PARTIKELN BEI OTFBID ü. TATIAK. 423
Otfrid: Tatian:
5. ConsecntiTe.
thaz 'dass'
— 80 thaz = *ita ut'
— 8080 = 4ta nt; so dass*
6. Conditionale.
oba 'wenn, falls'
„ *8o oft als' —
„ 'wenn, wofern nur' —
thanne *(wann), wenn'
** *^ i *wie wenn' 8ama8o = 'qnasi' (Im.)
sama 80}
80 'wenn' (selten) —
in thtu * wenn nnr, wofern nnr ' —
in thiu ihaz
— nibi 'wenn nicht, ausser wenn,
es sei denn dass'
fd 8i oba 'wenn nicht' —
— ni 8i thae 'wenn nicht'
7. Concessive.
oba 'wenn auch, obgleich, selbst wenn'
oba ouh ci8peri oba, mti oba = 'etsi,
etiamsi'
thoh 'obgleich' (sehr oft) (höh uuidaro = 'qnamquam'
thoh Ofth (1 m.)
nu 'obwol also' (tm.) oba nu = 'etsi' (Im.)
8id 'obwol, obgleich' —
80 'obwol' (Im.) —
8. Partikeln zur einleitung von snbstantiT-,
adverbial- oder inhalts&tzen.
thaz 'dass'
oba 'ob'
nub 'dass nicht, (dass)' nibi 'dass' (Im.)
m 'dass nicht, (dass)' —
suniar 'dass' —
_ min = 'ne forte; dass' (Im.)
— uuanta 'dass'
— bithiu 'dass'
— bithiu uuanta 'dass'
— - uuedar — odo ' ob — oder'.
BAEMEN. W. E. SCHÖLTEN.
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BEMERKUNGEN ZUM HILDEBRANDSLIED.
I. y. 1 ff. Ik gihorta Oat seggen Öat sih urh^ttnn senon muotinO
Hiltibrant enti Haöubrant untar heriun tu^m
sunnfatarungo.
Die erste verszeile des gediclits ist hauptsächlich auf zwei
vei*schiedene weisen erklärt worden, deren hauptunterschied
darin liegt, dass nach der einen urhettun verbum und niuotin
nomen, nach der anderen und jetzt wol allgemein angenom-
menen aber urhettun nomen und muofin verbum sein soll
Nach meiner ansieht hat noch keine erklärung vollständig das
richtige getroffen. Die erstere erklärungsweise kommt aber
der Wahrheit bedeutend näher als die letztere.
Die erstere auffassung ist die ältere. Lachmann übei'setzt
1833 (Kl. Schriften 1, 417): 'ich hörte das sagen ... dass sich
herausforderten im Zweikampf Hiltibrant und Hadhubrant
zwischen zwei beeren.' Müllenhoff hält an dieser auffassung
noch in der zweiten ausgäbe (1873) seiner Denkmäler fest,
wo s. 260 gesagt wird: *es bleibt daher dabei dass urhettun
verbum ist, und das schwachformige enon kann in Verbindung
mit muoti begegnung allerdings nur die gesteigerte bedeutung
von alleinig, singularis, solitarius haben.' Auch Möller st^ht
auf dieser seite, d. h. ihm ist urhettun verbum und muoiin
nomen; s. z. b. a.a.O. s. 81, wo der anfang des liedes in der
älteren (von Möller erschlossenen) Schreibung der vorläge ge-
gegeben wird: Ik {gi)h(iorta Öat sih urheittun aenöm mootim
Hiltibrant enti Haöubrant.
^) Betreffs der länge der ersten verszeile Tgl. Möller, Zur ahd. allit-
terationspoesie 188S s. 86 (== Möller) und Kauffmann, Das Hildebrandslied,
in den Philologischen Studien, festgabe für E. Sievers 1896 s. 143 (= Kauff-
mann).
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BEMEBKUNGEN ZUM HILDEBRANDSLIED. 425
Dem gegenüber hatte Grein schon 1858 in den erläute-
rungen seiner ausgäbe des Hüdebrandsliedes s. 22 f. sich gegen
die Lachmannsche deutung von cenon muotin als 'certamen
singulare' ausgesprochen, und cenon als nom.plur. (soIi), urhetiun
als nomen ('als herausf orderer') erklärt. Zweifelnd verhält sich
Braune; in der 2. aufl. (1875) seines Ahd. lesebuches hatte er
urhettun als verbum, muotin als dat. plur. von niederd. muot,
mot f. ({) begegnung, concursus (zu got. mötjan) erklärt. In
der 3. aufl. (1888) sagt er s. 213: ^[muoszen] ahd. unbelegt; as.
motian sw. v. I. begegnen . . . Hierher vielleicht muotin Hilde-
br. 2, das aber doch wol (Beitr. 7, 121) in muotun zu ändern
sein dürfte. Vgl. auch muoen, für welches das einfache t
spricht.' Dagegen vertritt Kögel mit« bestimratheit die Grein-
sche auffassung sowol 1890 in Pauls Grundr. 2a, 176 als 1894
in seiner Geschichte der deutschen lit. 1. Er übersetzt daselbst
s. 212: 4ch hörte das erzählen, dass sich als kämpf er (d.h. in
der Schlacht) allein begegnet seien Hildebrand und Hadubrand
zwischen zwei beeren.' Auch Steinmeyer in der von ihm be-
sorgten 3. aufl. der Denkmäler ist gänzlich mit dieser deutung
einverstanden. * Unter die wenigen zweifellosen f ortschritte,
welche kritik und erklärung des Hildebrandsliedes seit dem
erscheinen der zweiten aufläge der Denkmäler gemacht, rechne
ich' — sagt er 2,18 — 'die deutung des zweiten verses, wie
sie nach anderer Vorgang Paul, Beitr. 7, 121 anm. festgestellt
hat: urhettun ist Substantiv, muotin cj. praet. des schwachen
verbs muoten : dass sich als herausforderer, kämpfer allein be-
gegneten.' Der letzte der meines wissens die stelle behandelt
hat, ist Kauffmann in seiner sehr lehrreichen arbeit über das
Hildebrandslied (s. oben s. 424 anm.). Obwol Kauffmanns an-
sichten über das lied im übrigen fast durchgehends in scharfem
gegensatz zu den bisher allgemein geltenden stehen,*) bleibt
0 Es soU nicht geleugnet werden, dass die MüUenhoffsche theorie hin-
sichtlich der textconstitution — bei welcher ich bis auf weiteres bleibe —
an bedeutenden Schwierigkeiten leidet. Aber auch diejenige lösung welche
neuerdings von Kaui&nann in seiner scharfsinnigen schrift geboten, ent-
behrt solcher Schwierigkeiten keineswegs. So will mir z. b. die hypothese
welche Kauffmann s. 135 zur erklärung des t in urhettun, lutiila, sitten,
tuem, ti u. a. m. vorbringt , gar nicht einleuchten. Eine solche bewusste
Fälschung von selten eines mittelalterlichen Schreibers ist mir im höchsten
grade unwahrscheinlich. Uebrigens hat Kaufiinann Müllenhoffs ansieht
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426 ERDMANK
er in diesem punkte beim alten: er fasst urhettun als nomen,
muotin als verbum (s. 144. 134). Es darf wol also diese erklä-
mngsweise als die zur zeit herschende betrachtet werden« Ich
glaube aber, sie lässt sich kaum aufrecht erhalten.
Meine gründe sind die folgenden. Bat sih , . mtwtin kann
nicht 'dass sich . . . begegneten' bedeuten. Es kann dies nicht,
weil ahd. sih nur accusativ ist und muotin, wenn es verbum
wäre, das object im dativ erheischen würde. Es ist ja evident,
dass man nicht berechtigt ist, aus der vorliegenden stelle, deren
erklärung eben streitig ist, einen schluss betreffe der rection
des ahd. verbums zu ziehen, der allen gesicherten tatsachen
zuwider läuft. Als solche tatsachen, von denen man bei der
beurteilung der frage auszugehen hat, betrachte ich erstens
die rection des verbums mötean muotian im altsächsischen
und in anderen altgermanischen sprachen, zweitens die rection
des ahd. verbums gaganen nebst Zusammensetzungen, welches
im ahd. das anscheinend schon verloren gegangene *muo£fjgen
vertritt. Das as. verbum regiert den dativ sowol im eigent-
lichen (ffiat hie im thar an uuege muotta Hei. 5950 ed. Sievers)
als im übertragenen sinne (huucmd it simbla motean scal erlo
gehuuilicomu sulic so he it odrumu gedod HeL 1700). Ebenso im
mnd., s. moten schw. v. in Schiller-Lübbens Mnd. wb. 3, 126. An.
mceta schw. v. hat immer den dativ m, einum. Im afries. st^t
meta 'begegnen' mit dat. und (zweifellos jünger) acc. (s. Rieht-
hofen, Afries. wb. s. 926). Die einzige ausnähme hinsichtlich der
rection dieses verbums macht unter den altgermanischen spra-
chen das altenglische, wo {se)metan den accusativ regiert Ueber
den grund dieser jüngeren rectionsveränderung s. unten.') Da
teilweise misTentanden. Er redet widerholen tlich yom abschreiben einer
niederdentschen vorläge, z. b. s. 134 oben: 'wie hätten denn die Schreiber,
wenn sie eine nd. vorläge mechanisch copiert haben, auf chind, chuning
n.8. w. verfallen können?' vgl. auch s. 129 unten. MüUenhoff sagt Denk-
mäler* s. VIII : 'das Hildebrandslied, in Fnlda aus dem gedächtnis anf-
gezeichnet, . . ' nnd s. ix : 'er (der aufzeichner) wollte oder sollte ein wesent-
lich niederdeutsches gedieht zur anfzeichnnng bringen, aber nnr an hoch-
deutsche Schrift und rede gewöhnt, kam er in der widergabe der abweichen-
den laute und formen nicht über eine gewisse grenze hinaus.' Vgl. auch
Kauffmann s. 131 mitte.
^) Der grund ist die erweiterung der Wortbedeutung. Ae. (geymetan
bedeutet nicht nur 'begegnen, entgegen gehen', sondern auch 'finden,
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BEMERKUNGEN ZUM HILDEBBANDSLIED. 427
also einerseits das gemeingermanische verbam *inöHan in allen
altgermaniscben sprachen, wo es wirklich vorkommt — mit
ausnähme des altenglischen (und teilweise des späten altfries.)
— den dativ regiert, und andrerseits sein äquivalent im ahd.
(mhd. nhd.)) gaganen, begangenen u. a., bekanntlich keinen andern
casus des objects znlässt als den dativ, so muss man, scheint es
mir, den schluss ziehen, dass auch das unbelegte ahd. *muo2jsen,
wenn es wirklich auf hochdeutscher stufe fortlebte, den dativ
verlangt habe. Der niederdeutschen construction muotian cdat.
eine sonst ganz unbekannte, nur aus der vorliegenden stelle
erschlossene, hochdeutsche construction ^muozeen^) (oder muoten
nach Eauffmann s. 130) c. acc. entgegenzustellen, ist daher metho- ^
disch unberechtigt. Folglich darf schon aus diesem gründe öat
sih muotin nicht mit 'dass sich ... begegneten' Übersetzt werden.
Aber muotin gibt ausserdem bei dieser auffassung anlass
zu zwei anderen bedenken, wie auch schon von anderen hervor-
gehoben worden. Erstens man erwartet doppelte tenuis, *muot'
tin, und zwar ebensowol wenn man bei der älteren ansieht
über die textconstitution der hs. bleibt, als wenn man sich der
von Kauffmann a. a. o. dargelegten anschliesst: jedenfalls sollte
das praeteritum von rechtswegen zwei t haben. Die Schreibung
mit einfachem t statt des doppelten steht im Hildebrandsliede
isoliert da. Die Vermutung, sie sei daraus zu erklären, dass
das wort in der hs. auf zwei zeilen verteilt ist, scheint mir
nichtig; man würde sich auf diesen umstand ebenso gut oder
treffen, antreffen', und es ist deshalb die ältere constmction des yerbnms
nach der analogie yon findan umgebildet worden. Eine schlagende parallele
zu diesem yorgang, welche noch im werden ist, bieten die ae. yerben des
folgens. Auch bei diesen, fuügdn, fuUgangan, folgian, fyU^an, ist der
ältere casus des objects der dativ; nachdem sich aber neben der filteren
bedeutung 'folgen' die jüngere ' vollführen, ausführen' entwickelt hat, wird
auch der accusativ gebraucht, wie bei fuUwyrcan, getoyrcan u. dgl. (s. Wttl-
fing, Syntax Alfreds des grossen s. 88).
1) Wahrscheinlich war das wort im ahd. ausgestorben. Es ist erst
mhd. belegt, muoten (md. muten) 1) 'begegnen', mit dat., nur im md., im
Marienlob des bruders Hans vom Niederrhein, 14. jh. (s. Pauls Grundr. 2 a,
375); 2) in der rittersprache: 'feindlich entgegen, zum angriff sprengen',
mit dat. oder praep. an (zweifellos als lehnwort aus dem niederdeutschen,
wahrscheinlich flandrischen); entmuoien sw. v. 'feindlich entgegensprengen',
muote st. f. 'die begegnung, bes. das begegnen im kämpfe, der angriff' (s.
Lrexer 1, 2243. 577. 2242).
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428 EBDMAKN
besser berufen können, wenn es im gegenteil gälte, eintritt von
doppelschreibung statt eines etymologisch richtigen einfachen
consonanten zu erklären.*) Zweitens, der conjunctiv muotin
statt des indicativs "^muotun (richtiger *muottun) ist auffallend
nach ih gihörta dat seggen. Zwar hat man versucht den conj.
zu rechtfertigen, indem man auf die ausführungen Behaghels,
Die modi im Heliand, 1876, § 23, hingewiesen, aber meines
ermessens nicht überzeugend. Es handelt sich in diesem
(Ja^- Satze um eine tatsache die dem erzähler und seinen Zu-
hörern wolbekannt und sicher ist. Auch der fall von Müspilli
V. 37 f.: dcus hörtih rahhön dia uueroltrehtuuison daz sadi der
antichristo mit Eliase pagan, ist in dieser hinsieht sehr ver-
schieden. Wenn Braune sagt (s. oben s. 425), dass muotin *in
muotun zu ändern sein dürfte', so wäre er daher ganz im
rechte, vorausgesetzt dass muotin hier praet. eines verbums
wäre. Diese Voraussetzung ist aber unrichtig, muotin ist Sub-
stantiv, das verbum des satzes ist urhettun,
Urhettun ist praet. des denominativen verbums as. urhetian,
welches vom as. *urhet, ahd. urheie m. 'herausf orderung, auf-
stand, empörung, kühnheit', ae. oret pugna, labor gebildet ist
(s. Lachmann a.a.O.; vgl. Grein a.a.O. Rieger, Germ. 9,308. Paul,
Beitr. 7, 121 anm. Kauffmann a.a.O. s.l44). In betreff der be-
deutung schliesst sich as. urhetian nahe an eine gewisse kate-
gorie von altgermanischen verben an, nämlich die verba der
bedeutung 'bitten, fordern, fragen', z. b. as. hiddean, bedian
(zwingen), eskön, fergon, frägön, thiggian; shi, bitten, gabeiten,
eiscön, fergon, fragen; ae. biddian, ^ebädan, dscian, fricsean.
Alle diese verben stimmen darin überein dass sie den acc.
pers. und den gen. rei regieren, z. b. so huues so (hü mi bidis
Hei. 2756; thdh thü mi tJiesaro lieridomo halbaro fergos ib. 2757;
ef he ina bedid baluuuerko ib. 1496; ni uuilliu ik is sie thiggien
nü ib. 3585; saget mir is al tlies iuih eiscön hiar nu scal Otfrid
3, 12, 6; got ist alles thir gilos, so uues so thü nan fergös ib.
3, 24, 18; fraget inan es ib. 3, 20, 93 (s. auch Grimm, Gramm. 4,
631 f. Winkler, German. casussyntax 1, 523. Wülfing, Syntax
Alfreds 1, 14 f.).
1) Das wort nach einer Vermutung Braunes (s. oben 8.425) von muoen
herzuleiten, 'für welches das einfache i spricht', ist schon wegen der be-
deutung wenig ansprechend.
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BEMEBKUNGEN ZUM HILDEBBANDSLIED. 429
Im anschluss an die construction dieser verben fasse ich
den vorliegenden passus des Hildebrandsliedes so auf, dass ich
sih als acc. pers. und muotin als gen. rei vom praet. urhettun
abhängig mache, und also die worte sih urhettun cenon muotin
übersetze: ^sie forderten sich allein zum kämpf heraus, sie
forderten einander zum einzelkampf heraus.' Dass diese Über-
setzung sowol betreffs des sinnes als der gi-ammatik befriedigt,
ist wol unbestreitbar. Und ausserdem bietet sie nach drei
Seiten hin bestimmte vorteile im vergleich mit den beiden
bisher vorgebrachten erklärungen. Erstens, die veranlassung
zu irgend einer textesänderung fällt weg: muotin braucht
weder in *muottin noch in *muotun oder *muottun geändert
zu werden. Die überlieferte form muotin ist ganz in der
Ordnung, da das wort gen. sing, des nomen actionis germ. *m6'
tini-, as. muoti vom schw. v. germ. *mötian, as. muotian ist und
deshalb von rechtswegen einfaches t hat. Zweitens, man wird
von der syntaktischen Schwierigkeit befreit, welche noch bei
Lachmanns erklärung vorlag, muotin (oder gar cenon muotin)
als dativ (sing, oder plui\) zu deuten; denn die Übersetzung
dieses dativs 'im kämpfe' war doch immer nui' ein notbehelf,
ein solcher gebrauch des dativs ist sonstwo kaum zu belegen.
Drittens, das lied setzt mit einem viel kräftigeren tone ein.
muotin bedeutet hier nicht 'begegnung im allgemeinen', die
erst durch urhettun 'als herausf orderer, kämpf er', d.i. in der
Schlacht, präcisiert wird, sondern es bedeutet an sich 'feind-
liche begegnung, kämpf, wie ae. ^emetin^ Beow. 2002, gumena
^emot iEöelstän 50; mhd. muot, s. oben s. 427 anm. Der dichter
fängt also damit an, dass er sagt, er habe erzählen hören,
*dass vater und söhn sich zum einzelkampfe herausforderten',
nicht 'dass vater und söhn als kämpf er sich (zufällig) begeg-
neten'. Denn nur eine zufällige begegnung kann muotin als
verbum hier bezeichnen, sonst läge ein hysteron proteron vor,
was sich die altgerm. poesie bekanntlich nicht gern erlaubt:
den Vorbereitungen zum kämpfe würde die erwähnung des
kampfes selbst vorausgehen. Dagegen folgen bei meiner deu-
tung auf die herausforderung zum einzelkampfe die letzten
Vorbereitungen dazu ganz natürlich.
Die Worte untar heriun tuem sind von alters her so ver-
standen worden dass man sich den einzelkampf Hildebrands
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430 ERBMANK
und Hadnlxraikds als eine episode des allgemeinen kampfes
vorgestellt hat, welcher gleichzeitig zwischen den beiden
heeren Otachers und Tlieoderichs anfieng oder schon im gange
war. Kauffmann hat in seinem interessanten mehrmals er-
wähnten au&atze eine andere und sehr ansprechende auffassung
dargelegt: *er (Hildebrand) marschiert Hdt Dietrich zusammen
und bringt ein hunnisches heer mit; d«r gotische heerbann
war aufgeboten und der hunnischen macht entgegen geschickt
worden. Aus beiden lagern giengen kundschafter ab: Hilde-
brand von den Hunnen, Hadubrand von den Goten; sie reiten
üf die wart (nach mhd. Sprachgebrauch), und wenn man vw^
gleichen will, wird man nicht an Glaukos und Diomedes, son-
dern an Alphart und Witege erinnern, für die genau wie in
unserem fall das heer Dietrichs und das heer des kaisers von
Bom den hintergrund bilden. Das sind die Voraussetzungen,
unter denen das Hildebrandslied beginnt. Alphart bindet sich
den heim fest, als er Witege anreiten sieht, als der ältere
fragt Witege den partner nach seinem namen, die Unterredung
spitzt sich immer feindseliger zu bis diu vräge nam ein ende,
der vride wart üf gegeben — es ist von nutzen, an diesen ver-
lauf der dinge im Alphartlied zu erinnern, um der typischen
anläge solcher scenen inne zu werden.' Diese inscenierung
passt vielleicht besser zu der gewöhnlichen von K aufgenom-
menen Übersetzung der beiden ersten zeilen des liedes als zn
der oben von mir verteidigten. Das zufällige aufeinander-
stossen von zwei kundschaften! würde passend durch das sih
muotin 'sie begegneten einander' bezeichnet sein. Dass auch
eine herausforderung zum einzelkampfe öfters die natürliche
folge eines solchen Zusammentreffens gewesen, mag zugegeben
werden. Aber man würde doch dabei ungern eine vorausgehende
erwähnung der ersten begegnung vermissen. Bei der Situation
aber, welche bisher allgemein als die dem geiste des Sängers
und der hörer des liedes vorschwebende gedacht wurde, der
nämlich, wonach der allgemeine kämpf der beiden beere ent-
weder im begriff stand zu beginnen oder schon einige zeit
gedauert hatte, brauchte es solcher vorbereitenden worte nicht;
die allgemeine Situation ist der kämpf der beere, und dass
die beiden beiden daran teilnehmen sollen und wollen ist selbst-
verständlich. Hier allein hervorzuheben ist die herausforderung
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^ElkERKÜNOEN 2UH HILDEBRANDSLIBD. 431
zum einzelkampfe. Und die gfibt der text. Dass in den
schlachten der alten Germanen — nicht nur in denen der
Griechen — solche herausf orderungen vorkamen, wird man
a priori annehmen können, mit hinsieht auf die damalige
kampfesart, welche in der regel ein handgemenge war. Es
liegt deshalb meines ermessens kein grund vor, die bisherige
auffassung in bezug auf die eröffnungssituation des liedes auf-
zugeben.
Ich will hier schliesslich nur an eine kampfesschilderung
erinnern, die bei aller Verschiedenheit mehrere anklänge an
die Vorgänge des Hildebrandsliedes darbietet. Die nordische
Saga PiÖreks konungs afBem, die im 13. jh. nach mündlichem
bericht deutscher kaufleute aus Soest von einem Norweger auf-
gezeichnet ist, erzählt cap. 333 den einzelkampf pethers und
Yiögas. I>eth^rs und pidreks bruder Erp ist eben in der
Schlacht von Viöga erschlagen worden, und pether, der Um zu
rächen trachtet, greift Viöga aufs schärfste an. Diesei wünscht
ihm auszuweichen, um nicht in die notlage zu kommen, auch
den zweiten bruder des königs zu töten; aber pether dringt
nur um so heftiger auf ihn ein: Nu mcelU ViÖga, Pat vceit
guÖ med mer at Pat geri eh nauöigr, efek dreprpik, firir saJcir
pins hrodar PiÖreks konungs af Bern. Bei einem erneuten
angriff pethers stürzt Yiögas pferd tot zu boden durch einen
hieb pethers: Nu m<Blti ViÖga, ]>ar sem han stendr a iordunni.
Jnit vceit hinn hmlgi gud, at nu geri ek ^at verk at vist hugda
eh at ceigi shylda ek gera. oc sua mikil naud hamdir mik nu,
at nu verd ek lata mitt lif eÖa enn aßrum kosti verd ek nu at
drepa pik, pether fällt.
II. y. 26. degano dechiBto mit Deotilche.
Dechisto ist zuerst von Lachmann erläutert worden, wel-
cher sagt (Kl. Schriften 1, 427): * . . . dem hochdeutschen adjec-
tivum decehi entspricht das nordische Peckr »lieb, angenehm«'.
Dann hat Scherer (Zs. fda. 26, 378 f.) vorgeschlagen, dechisto in
denchisto zu emendieren. Die vorläge unserer hs. hat nach
Scherer dechisto gehabt oder jedenfalls gemeint, und *die nächste
anknüpfung bietet das mhd. adjectivum in-denke «eingedenk«^
weiterhin mhd. an-denke »denkend an etwas« dar'. Dass
dechisto sehr leicht statt dechisto verschrieben sein könnte, ist
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432 EBDHANN
gewis zuzugeben. Die etymologische deutung aber, nach wel-
cher ahd. declvisto und an. ^ekhr an die eben angeführten mhd.
adjectiva und an die spätahd. glosse indenchi vel liupi (Stein-
meyer-Sievers 2, 283, 15) angeknüpft werden, muss aber nach
meiner ansieht bestimmt abgelehnt werden (s. über ahd. indenchi
schon Graff 5, 170 und 5, 167 in thanJce grata, in danche gratus,
auch von Scherer a.a.O. s. 378 angeführt). An Scherers auf-
fassung haben sich Möller (Zur ahd. allitt.-poesie s. 76) und
Heinzel (degano denchisto, s. Wiener SB. 1889, bd. 119, s. 40)
angeschlossen. Zu derselben neigt sich auch Braune, Ahd.
leseb.8 s. 182: 'dechisto? Hild. 26; nach Zs. fda. 26, 378 wol statt
denchisto zu derichi adj. (denkend), liebend, ergeben (vgl. an.
^ekkr »lieb, ergeben«)'. Kögel dagegen vermutet, dcchisto sei
in dehtisto zu bessern nach ahd. ktdeht devotus H., gotedeht
N. Bo. 35a 'gottergeben'. Kauffmann ist vollständig davon
überzeugt dass diese Vermutung richtig ist: *es ist kein zweifei,
dass Kögels scharfsinnige Vermutung dehtisto (ein specifisch
hd. wort!) das richtige getroffen hat. Diese schlagende con-
jectur schien nur die hs. gegen sich zu haben. Meines erachtens
deckt sie sich aber vollkommen mit ihr, wenn wir nur an-
nehmen, dass dechisto für dethisto verlesen ist'.
Ich glaube es ist an der überlieferten lesart nichts zu ändern.
Dechisto ist der Superlativ eines sonst im deutschen verlorenen
adjectivs ahd. dechi, decchi (über ch, cch s. Braune, Ahd. gr.
§ 144anm. 3; Hild. v.47 reccheo), das in form und bedeutung
völlig mit dem an. adjectiv 2>^kkr übereinstimmt. Man hat
aber bisher, so viel mir bekannt, die etymologie dieses an.
Wortes unrichtig beurteüt. Es gehört nicht zum germ. verbal-
stamme J>ank-, got. J>agkjan, ahd. dencJien, denken, as. thenkian,
ae. ^encean, an. J)ekkja, sondern zum germ. verbalstamme ]>€g-
(J>eh-), ahd. diggen, as. thiggian, a^e.pic^ean, sji.piggja, dessen
grundbedeutung * empfangen, erhalten, annehmen' ist. Von
diesem stamme ist das adjectiv mittelst des suffixes ni ab-
geleitet, vorgerm. ^tok-ni > germ. *paJcki-, SLn.pekkr adj.; vgl.
ahd. flucchi (ndd.) 'Mgge' zu ahd. fliogan, altnorthumbr. lycce
(Bosworth- Toller, Ags. dict. s. 650) 'lügnerisch' zu ae. leosan
(s. Kluge, Stammbild. § 229 f.).
Die function des suffixes ni war die, verbaladjective der
möglichkeit oder notwendigkeit zu bilden; BJLPekkr^ slM. dechi
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BEMEUKUNQEN ZUM HILDEBRANDSLIED. 438
{BÄ.'^thekM etc.?) also 'annehmbar, annehmlich, angenehm, lieb'.*)
Von demselben verbalstamme bildet das altnordische mittelst
des gleichwertigen sufflxes i das gleichbedeutende adj. Jxjegr <
*])dgi' (z. b. atpekkr okJxBgiligr mun t^erÖa; gtiÖi pcegr =pekkr);
vgl. auch an. tcekr ^annehmbar' zu taka.
Im westgermanischen ist das ad jectiv mit ausnähme des
vorliegenden falles nicht zu belegen. Der umstand aber dass
das wort nur im Hildebrandsliede vorkommt, darf uns m. e.
nicht hindern die ahd. existenz desselben anzunehmen; denn
wir finden ja in diesem alten gedichte mehrere sonst ahd.
unbelegte Wörter, z. b. sunufatarungo v.8, staimhort v. 6< Uebri-
gens würde derselbe einwand die nachgebesserte form denchisto
noch stärker treffen. Von einem ahd. adjectiv dencM mit der
bedeutung 'liebend, ergeben' gäbe es sonstwo kein beispiel,
weder im ahd. noch mutatis mutandis in den anderen altgerm.
sprachen; denn das spätahd. indenchi, mhd. indenke, später in-
gedenke ist nach meiner ansieht als eine junge adjectivbildung
zu betrachten, die vielleicht auf ahd. in {gi)danke fusst; vgl.
Wilmanns, Deutsche gr. 2, s. 540. Dagegen wird ahd. dechi vom
an. pekkr gestützt. Das zu decJii gehörige verbum lebt im west-
germanischen in ahd. diggen u. s. w. fort, ebensogut wie das
zu *denchi gehörige ahd. denchen u.s.w. Der grund weshalb
ahd. dechi (as. *thekki u. s. w.) verloren gieng, war wol die all-
mähliche Verdrängung desselben durch die gleichbedeutenden
bildungen vom germ. ne^nan, adj. *nemi-, ahd. ginämi 'angenehm'
u.s.w. Das an. hat beides bewahrt: ^ekkr, Poegr^) und nwmr.
Auch das verbum, ahd. diggen u. s. w., ist später aus den west-
germ. sprachen verschwunden,^) während es in den nordischen
fortlebt, z. b. schwed. tigga.
Die Schreibung dethisto statt dehti^to hätte gewis nichts
auffallendes (s. Braune, Ahd. gr. § 154 anm. 5). Aber es ist doch
*) Das wort lebt noch heute in den nord. sprachen fort, z. b. schwed.
tack * hübsch, niedlich'.
*) Formeller zusammenfall von zwei verben im an. pekkja 1. = got.
pagkjaHy 2. an. denominativ vom 2l^. Pekkr \ das praet. des letzteren hat das
alte praet. des ersteren fast gänzlich verdrängt. Im ostnord. sind die verben
noch getrennt, z. b. schwed. iänka : täckas. Auch im an. pcegja liegt zu-
sammenfall von zwei verschiedenen verben vor.
>) Mengl. ihigge v. to ask as alms, to heg, schott. thtgger s. ist wol
als skandinavisches lehnwort zu betrachten (s. Century dictionary s. 6289).
Beiirftge snr geMhiohte d«r deuUehen ipraohe. XXII. 28
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434 ERDHANN, BBBIERKUNGEK ZUM HILDEBBANDSLTED.
unbedingt vorzuziehen, die überlieferte lesung unverändert bei-
zubehalten, und dies sollte immer geschehen, wenn dieselbe
ohne zwang einen vollkommen befriedigenden sinn gibt. Man
könnte auch fi'agen: wenn die vorläge dethisto geboten hätte,
warum sollte der ags. Schreiber, der nach Kauffmanns meinung
(a.a.O. s. 135) sonst in so vielen Wörtern den buchstaben c in t
geändert hat, um *die ihm geläufige Orthographie der betr.
Wörter durchzuführen', hier umgekehrt dethisto in dechisto ge-
ändert haben, da immerhin th einem Angelsachsen — wenn
er nicht gerade ein Northumbrier war — geläufiger sein musste
als ch.
Die bedeutung des an. adj.^eÄrÄ-r ist nur passiv * angenehm,
lieb' (nicht auch activ 'liebend, ergeben''))? und es liegt kein
grund vor, das ahd. adj. dechi anders als in demselben sinne
aufzufassen. Die 26. verszeile ist folglich zu übersetzen: 'der
liebste von den mannen, die mit Theoderich waren', d.h. der-
jenige von Theoderichs mannen welcher ihm der liebste war.
*) S. Fritzner, Ordbog2, 1014. Scherer an der oben 8.431 angeführten
stelle hat Cleasby-Vigfü-ssons 'pliable, tractable, obedient' misverstandeu.
UPSALA. AXEL ERDMANN.
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ETYMOLOGIE VON HELM 'STEUERRUDER'.
Ags. hümay -an m. (ne. helm)^ das schon im Corpusgl.* 4 als
äquivalent von lat. clavus belegt ist, hat, wie so manche andere
nautische ausdrücke, in älterer zeit nur auf nd. und nord. ge-
biet verwante: mnd. lielm, helmholt 'rüder-, steuerholz', nl. heim-
stock 'griff des Steuerruders', an. hjalm f. 'Steuerruder'. Das
nhd. heim ist erst in junger zeit aus dem nd. eingedrungen.
'Wo im Sachs, nord. Sprachgebiete', sagt Kluge (Et. wb.* 164),
'der tenn. techn. seine ursprüngliche heimat hat, lässt sich wie
bei den meisten andern nautischen ausdrücken nicht feststellen.'
In diesem falle glaube ich es wahrscheinlich machen zu können,
dass wir es mit einem erbstück aus der indog. urzeit zu
tun haben. Die germ. gruppe stellt sich nämlich vortrefflich
zu der sippe von gr. xiXXco, xtXofiai, xeXsva); lat. cello, eoccello,
celer u.s.w. Das gr. xtXXtD wird vorzugsweise von der fort-
bewegung des Schiffes gebraucht, teils transitiv xiXXsiv
vavv 'navem appellere', teils intransitiv = 'appelli' oder auch
allgemein = 'schiffen, fahren'. Z. b. rtja fjsv ... IxdXaafitv;
xeXoac In axxa% vavn6Q0\)Q\ EvqItcov 6iä jftv^ttrcov xiXaaoa;
olav ixeXoag odov u.s.w. (Steph. Thesaur. 4, 1426). Bei Homer
kommt das wort sogar nur in der Verbindung vfja xiXaai vor
(Pape, Handwb. der gr. spr. s. v. xiXXo).
Dieselbe beziehung auf die Schiffahrt tritt auch in einigen
verwanten Wörtern noch deutlich hervor: xiXr]g, -rixoc, 6 'jacht,
schnellsegelndes schiff'; xsXsvori^g 'der mann der den rüderem
den takt angibt'; xsXevöfia 'der takt nach dem gerudert wird'.
Im lat. haben wir nur noch in dem worte celox, -öcis, f. 'jacht'
eine spur dieser alten bedeutung, während -cello sonst durchweg
einen übertragenen sinn angenommen hat.
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^
436 Hoops, HELM ' Steuerruder'. — ehrismann, zur kröne.
Aus der ttbereinstimmung des germ., gr. und lat. scheint
sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu ergeben, dass die indog.
WZ. Icel- 'vorwärts treiben' ursprünglich der seemannssprache
angehörte, von wo aus sie früh auf andere beziehungen über-
tragen wurde. In ähnlicher weise werden sämmtliche wurzeln
von einer ganz eng begrenzten grundbedeutung aus ihre Sphäre
allmählich erweitert haben.
HEIDELBERG, 8. märz 1897. JOHANNES HOOPS.
ZUR KRONE.
Die von F. Saran, Beitr. 22, 151 gegebene Vermutung über
die verse 2938 — 2988 der Krone sowe die angefügten text-
besserungen sind schon von Diemer, Wiener SB. 11, 249 und
MüUenhoff bei Niedner, Das deutsche turnier s. 16 — 18 auf-
gestellt worden, welche citate ich in einem von Saran nicht
beachteten artikel Beitr. 21, 68 angeführt habe. Auch für twef
V. 2985 ist schon eine, der Sarans vorzuziehende, conjectur ge-
macht worden, nämlich eroi, von Lichtenstein, Anz. fda. 8, 15.
HEIDELBERG. G. EHRISMANN.
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Verlag von Max Niemeyer in Halle a. S.
Deutsches Wörterbuch
von
Hermanii Paul,
Professor der deutschen Philologie au der Univeisitüt MiVtiehcü.
1897. Lex. 8. VI. 576 S. Mk. 8,-. In Halblederband Mk. 10,—.
Dieses Werk wendet sich an alle Gebildeten, die ein Bedürfnis em-
pfinden, über ihre Muttersprache nachzudenken. Insbesondere soll es ein
Hilfsbuch für den Lehrer der deutschen Sprache sein, aus dem er sicli
Rats erholen und tllr den Unterricht geeignetes Material entnehmen kann.
In der Einrichtung weicht es von allen bisher vorhandenen Wörter-
büchern ab. Es verzichtet auf eine vollständige Aufzählung sämtlicher
Wörter und Wortbedeutungen, sowie auf überflüssige Erklärung des allge-
meiu Verständlichen. Hierdurch wird Raum gewonnen für das, worüber
Aufklärung zu erhalten ein wirkliches Bedürfnis besteht. Dahin gehören
zunächst die landschaftlichen Verschiedenheiten im Wortgebrauch, femer
die nicht unerheblichen Abweichungen von der heutigen Sprache bei den
klassischen Schriftstellern des vorigen Jahrhunderts, sowie die noch viel
beträchtlicheren der Bibelsprache. Femer war bei allen Wörtern, die über-
haupt eine Mannigfaltigkeit in der Verwendung zeigen, das Verhältnis
der verschiedenen Gebrauchsweisen zu einander darzulegen und der ver-
dunkelte Sinn traditioneller Verbindungen aufzudecken. Die einzelnen
Wörter mussten in ihren etymologischen Zusammenhang eingereiht werden.
Lautform, Flexion, syntaktische Konstruktion hatten, soweit es in dem
Rahmen eines Wörterbuches möglich war, Berücksichtigung zu finden.
Die ältere Sprache ist nur soweit behandelt, als es für das Verständnis
der Verhältnisse in der gegenwärtigen Schriftsprache, sowie der oben be-
zeichneten Abweichungen erforderlich ist. Fremde Sprachen sind nur
ausnahmsweise zur Vergleichung herangezogen. Das Werk will also dem
etymologischen Wörterbuch von Kluge keine Konkurrenz machen, sondern
verfolgt in der Hauptsache ganz andere Zwecke. Ebensowenig wUl es die
Dienste eines Fremdwörterbuches leisten. Der Verfasser ist bemüht ge-
wesen, soweit es die Form des Wörterbuches ermöglicht, den Zusanunen-
hang hervortreten zu lassen, der zwischen den Bedeutungsentwickelnngen
der einzelnen Wörter besteht, den Grundsätzen gemäss, die er in seiner
Abhandlung über die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie
(Sitzungsberichte der philosophisch - philologischen Classe der bairischen
Akad. d. Wissensch. 1&94, S. 53) ausgesprochen hat.
Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S.
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Ausgegeben den 4. Oktober 1897.
BEITRÄGE ^
ZUR
GESCHICHTE DER DEÜT.SCHENSPIUCHE
UND LITERATUR. ^
h
\
• UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAIL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSOEGEBEN
VON
EDUARD SIEVERS,
XXII. BAN». S. HEFT.
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77 78 GR. STEINSTRASSE
1S97
Die herren njitarbeiter werden gebeten, zu ihren mannscripten j
nur lose quartblätter zu verwenden, nur eine sdte^^v^begl^
anlirAihf^Ti nnd AinAn lirpifAn rjind frp.i7.nl aflflpn
INHALT.
Seite
Zur spräche des Leidener Williram. Von W. van Helten . . 437
Wortgeschiclitliche beitrage. Von K. v. Bah der 520
Etymologi.sches. Von C. C. ühlenbeck . . . 536
Zur lantgeschichte. Von demselben 543
(1. Die Vertretung der labiovelaren media aspirata im anlaiit:
s. 543. — 2. Nochmals hatia : Aö« : s. 545.
Klassensnffixe. Von R.M.Meyer 548
An. gabba, Si^fi. ^ahbian. Von G. Ehrismann 564
Zum todesjahr Wulfilas. Von W. Streitberg 567
Antwort auf den aufsatz Kauffmanna 'Der arrianismus desWulfila'.
VonF. Jostes 571
Noch einmal gotisch alPic. Von E. Zupitza . . . , . . . 574
Zur herknnft des deutschen reimverses. VonK. Luick . . . 576
Znr nachricht!
Es wird gebeten, alle auf die redaction der * Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
üigitized roy VjOOQ IC
ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM.
§ 1. Dass die spräche des sogenannten Leidener Williram
der mittelfränkischen dialektgruppe angehört, ergibt sich mit
Sicherheit aus den neben z (für t) begegnenden v (inlaut) : f
(auslaut) dieses denkraals. Busch lässt den Verfasser desselben
(s.Zs.fdph.10,173) aus dem nördlichsten Mittelfranken oder dem
südlichsten teile des (nördlichen) grenzdistrictes gebürtig sein;
Kögel denkt (s. Anz. fda. 19, 226) an entstehung des textes nahe
an der niederländischen grenze. Ob mit recht oder unrecht,
wird sich hoffentlich im laufe dieser Untersuchung herausstellen,
worin die giammatischen formen unsrer quelle, insbesondere
(wenn auch nicht ausschliesslich) insofern dieselben mit der
mundart und der jüngeren entwickelung der spräche des über-
lieferten textes in Zusammenhang stehen, zusammengestellt und,
wenn nötig, mehr oder weniger ausführlich erörtert werden
sollen.
Bekanntlich entfernt sich der Leidener Williram (LW) nicht
nur dialektisch von der grossen gruppe der Williramhss. (B — R
nach Seemüllers bezeichnung); er steht auch in anderen stücken
dieser gruppe gegenüber (s. QF. 24, 14 und 63 ff., sowie Zs. fdph.
10, 214 f.). Demnach sind die lesarten der vorläge vom LW
in lexikalischer hinsieht nur mit Wahrscheinlichkeit aus B, 0
etc. zu erschliessen. Für die morphologie dieser vorläge aber
ist die spräche gedachter hss. im grossen und ganzen als mass-
gebend zu betrachten; denn dass der Umschreibung ein ostfrk.
und nicht etwa ein aus dem ostfrk. in irgendwelche nicht-ostfrk.
mundart umgeschriebener text zu gründe gelegen hat, ergibt
sich aus den aus der vorläge stehen gebliebenen formen fahent
2. pl. imp. 20, 10, mende (s. unten § 39), drüie (s. § 12), von denen
die erste nicht gerade für bairische, die zweite gegen rhein-
B«ltrft«e nur gesohiotate dsr deakaohan apiaoh«. XXII. 29
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438 VAN HELTEN
frk.,^) die dritte gegen alem. und bair. vermittelung spricht.
Nur gilt dieses massgebende selbstredend nicht für einzelheiten,
weil ja die möglichkeit dialektisch abweichender, der spräche
der vorläge eigentümlicher erscheinungen nicht ausgeschlos-
sen ist.
Für die ausscheidung etwaiger aus der vorläge in die
Umschreibung hineingeratener nicht -mfrk. demente fehlt uns
also eine völlig sichere handhabe; wir müssen uns hier eben
mit dem überlieferten oder besser gesagt mit dem in Hoff-
manns und Seemüllers ausgaben vorhandenen, leider nicht
vollständigen handschriftlichen material und mit den in Graffs
wb. aus einigen hss. citierten lesarten behelfen. Indessen steht
diesem übelstand glücklicherweise als günstiger umstand die
tatsache gegenüber, dass der im LW vorliegende text, sofern
sich uns die gelegenheit zur controle bietet, ganz entschieden
als eine Umschrift zu erkennen ist, deren consequenz nur
äusserst selten duixh ein aus der vorläge stehen gebliebenes
nicht-mfrk. residuum durchbrochen wird, d.h. als eine Umschrift
die im allgemeinen sich durch Unabhängigkeit von der vorläge
kennzeichnet und mithin als eine zuverlässige quelle für die
erforschung der mundart der Umschreibung zu gelten hat. Man
beachte die nahezu ausnahmslose Verwendung von d (^^germ.d,
s. unten § 12), von an-, in- und auslautendem th (insofern es
nicht durch anlehnung mit s, t oder z zusammenstösst oder
ihm / oder n unmittelbar vorangeht, s. § 13), von dem nom.
acc. sg. ntr. des starken adjectivs ohne -a^ (-ee) (s. § 41), von
is als 3. sg. praes. ind. des verb. subst. (s. § 61), von unt- in
untfingast, -fähon 33, 16. 35, 23, iintduo, -däde 41, 27. 43, 10. 24,
untwichan 51, 10 (woneben die als residua zu fassenden en-, m-
in enquethen 20,24, insläphan 70, 27^); und die ausnahmslose
Verwendung von inlautendem v : auslautendem f (s. § 6), von
dem nom. sg. masc. und fem. des starken adjectivs ohne -er (oder
-er), -M (-o) (s. § 41), von den pronominalformen himo, hine, -o,
hiro etc. (s. § 47).
») fiend, fient {flgeiidy nnt) findet sich nach Graff 3, 381 ff. nur in alem.
und bair. denkmälern (H, N, Nm und Ps. ] 38) sowie in den Williranihss.
») Sonst ersetzt die Umschreibung das verbale compositum durch in
släpho 15, 19, an släphon 70, 12 (statt des part.) und s/aopAe (simplex) 23, 27.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 43$
I. Die consonanten.
1. Die halbvooale.
§ 2. Formen mit germ. tvr im anlaut begegnen in unserer
quelle nicht. Mit l aus ul steht anluzea 19, 26. 28. Erhalten
ist tr in quethen, gequelet, quekken, erquihfo etc.
Inlautendes w erscheint in gegarewet, garewa adv., truwa,
niwen, -az, iuwera etc. und bo(ü)west, -et, -ende (s. § 18 zu ü\
rouwon 'reue' (s. § 19 zu m); ausserdem als hiatusfüllender laut
(vgl. § 10 zu Ä im inlaut) in scütvest, -an 64, 8. 23, 13. (W*) sca-
hest, -an), bethuwan 'unterdrücken' 25,20 (W bedüJian; LW 13, 17
steht behudan als Schreibfehler für das residuum aus der vor-
läge bedahan),
Schwund von w begegnet in iu{c)h (s. § 46; man beachte
gegenüber iutcera, -en etc. die in hii(c)h vorliegende Schreibung,
die zu der Vermutung führt, dass hier dieselbe form gemeint ist,
welche durch iu{c)h dargestellt wird, und das i in -i(c)Ä also
nur noch einen rest der alten Orthographie repräsentiert), iergen
'irgendwo', iet 'etwas' 10, 20, ieht 'etwas, in etwa' 53, 3. 55, 27.
65,3, nid nihil, non 7, 11. 8,7. 10,21. 12,18. 15,27. 17,19.
20,2. 21,26. 27,19. 36,2 etc., nieht 28,25. 30,20. 33,3. 58,6.
64, 21. 66, 7. 70, 7. 73, 8. 28 (woneben ieweht, nie{u)wehtes, s.
unten und vgl. noch § 9);
nach l und i in wiäre, -en piscinae, -is und zrie 'zweimal'
77,6») (vgl. as. thriwo 'dreimal' und s. wegen ie aus io § 19);
der ausfall ist mit rücksicht auf das in einigen ahd. quellen
erhaltene w wol als eine dialektisch auftretende erscheinung
zu fassen; vgl. z. b. uumuäri Tat. 88, 1. 2, gihlunenne Tat. 100,5,
hiuuisges Tat. 109,1.2. 113,1, hmuiskes, -e Tat. 44,16. 72,4.
124,1.5.12, gihmuent Tat. 127,3, also bei schreib, y ff ß a a,
doch higisgi, -es Tat. 147, 8. 10, hlgi Tat. 147, 1, bei schreib, g;
sowie in folge des durch den nom. sg. auf -o veranlassten
Übertritts des t«7a- Stammes in die schwache masc. flexion in
*) Für die ohne beigefügte zahlen citierten formen verweise ich auf
Hofimanns glossar, vermittelst dessen sich die betreffenden belegatellen
bequem finden lassen.
•) Mit W bezeichne ich die ostfrk. lesarteu in Hoffmanns und See-
mUllers ausgaben.
») Vgl. das bei Lezer ans Pass. citierte ztcies, zwts. In W steht zuiren.
29*
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440 VAK HELTEK
nachtscadan nom. pl. und scada dat. sg. zu {naght)scada nom.
sg. (wegen der endungen und wegen des acc. sg. scado 21, 14
s. § 36 und § 3 zu w).
Neben -o und -o- (aus -w, -w-) in ^aZo sordidus 7, 20. 8, 8
und garoda praet. 43, 15 stehen -a und -e in den prädicativ ver-
wanten gara n. sg. f. 57, 21, goldfare n. sg. m. 37, 19: durch die
Vorliebe für -a als endung des n. sg. f. bei Verwendung der
flectierten form des prädicativ stehenden adjectivs mit ja-stamm
(s. § 41) wurde der gebrauch von prädicativem gara im n. sg. i
für unflectiertes *garo veranlasst; nach dem muster von prädi-
cativem scöna etc. n. sg. f., scöne etc. n. sg. m. entstand neben
*-fara (wie gara) n. sg. f. ein n. sg. m. -fare.
Auf entwickelung von u vor einfachem w nach e und e
von ie (vgl. Braune, Ahd. gr. § 114 anra. 3) ist zu schliessen aus
vreuwen, freuwe, gefreuweda, -et 7,9. 28,15. 12,6, freuwe ^freude'
27, 28. 28, 15, leuwon *löwen' 33, 12, nieuwehtes 52, 10 (33, 26
steht die Schreibung leuon, 26, 17. 18 ieweht, 44, 13. 45, 18 nie-
wehtes).
Vor hellem voc. stehen g und i (= altem j") : getan 'jäten'
59, 25, gesende 'gährender' 70,6, gitthswanne irgendwann' 21,16,
gittheswilcharo (1. -welJcharo mit rücksicht auf das constante tce-
Iwh, -es, -e, -a unseres denkmals) irgendwelcher' 21, 17 (mit
gitthe{s)' als compromissbildung aus *etthe{sy und neben iefthes-
zu vermutendem ^gifthes-; vgl. ahd. etthes-, edde{sy etc.. Braunes
Ahd. gr. § 167 anm. 10 und § 295 d und wegen des / in den Alt-
niederrhein, psalmen stehendes ifteswanne aliquando 3», 12),
ieftheswär ^irgendwo' S8. 24, 26j iehent 9,17. Das i des zweit-
letzten citates neben g von gitthe{s)' berechtigt, im verein mit
dem § 8 zu erörternden lautwert von palatalspirans bezeich-
nendem i, die i und g obiger belege als gleichwertige zeichen
für palatalspirans zu fassen.
Wegen des intervocalischen j beachte hluoyent-, -ye, -ie (13,20
bluoes als Schreibfehler oder als alte form ohne j?), -fluoiende
71, 6, gruoient 35, 28, wäiet, -ie, reion capreae, -is, winian, lilia,
2. Die liquidae und nasale.
§ 3. Altem rj entsprechende lautverbindungen {rij oder tr)
begegnen nicht; besueron 1. sg. praes. ind., biiren 3.pl. praes. opt.
20, 14 haben analogisches r.
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ZUB SPBACHE DBS LEIBEKEB WILLIBAM. 441
Für e *ehe, bevor' W steht im LW immer er {eer\ für wä
^wo', da *da\ da relativpartikel in W hat LW war, thär, thar
(für da und das einmalige de xxvi23 bei Hoffm., 52,21 bei
Seem. als relativpartikel auch mitunter das sonst in dieser func-
tion übliche und Williramschem der entsprechende ther 53, 19.
54, 10, 24. 55, 7 oder thie 26. 23. 27, 5. 32, 9, vgl. § 49), mit aus-
nähme der residua wä 16,23, tha, (ha 9,1. 17,3. 52,5; sä 'so-
gleich' W ist entweder ausgelassen, nämlich 27, 10, oder durch
so (so?) ersetzt, 20, 14. 23, 1. 66, 28; die entsprechung von hie{r)
'hier' fehlt 17,26. 23,21. 27,28. 56,19 und 64,8 findet sich
statt dessen ie.
Metathesis begegnet nicht in forghtent, naghtvorghta, thurft;
demnach ist gewrocht 30, 28 entweder Schreibfehler oder aus
der feder des anfrk. copisten (vgl. § 11 zu luzzeron etc.) ge-
flossene form.
m wird nicht zu n vor ft: cumftlgh, samfio, -ero, unsemfte.
Für endungs-w steht ausnahmslos -w. Vgl. auch hin dat.
pL und bin neben him, bim (s. § 47. 61).
Neben uns, unser, kunste, kundegan, cunde, -ent etc., mundes,
ander, samfto etc. begegnet custigan 47, 23 als Schreibfehler und
suthene in süthenewind 39, 10. 16 als importierte form (vgl. das
bei Lexer verzeichnete Süden).
Wegen cunig 7, 6 neben normalem kuning und cu-, kuning-
innan, cuningllchero, phenningo vgl. Braune, Ahd. gr. § 128
anm. 2.
Wegen heyzetvir 6, 14, wesewir 66, 15, helphewir 74, 8, rfö-,
ste-, ghiewir 66, 14. 16, duotvir 74, 1, ophenewir 74, 13 etc. neben
louphenwer 7, 2, uougen- (1. uiiogen-) wir 74, 4, manonwir 74, 23,
wizzonwir 45, 24 etc. vgl. Zs. fdph. 20, 249.
Abfall von n im auslaut bieten die 3. pl. prt. opt. muga
27, 12. 36, 3. 52, 25. 59, 26. 70, 6, wara 73, 16 (wegen -a für -e
aus 'i vgl. § 57), kunne 22, 28 sowie die dat. acc. sg. m. wi-
themo 28, 12, boumgardo 36, 24 und lichamo 31, 5, mennisco 67, 5,
scado (s. § 2 zu w?), deren relative häufigkeit die annähme von
schreibversehen verbietet. Vergleichung der erscheinung mit
der MSD. 2"», 392. Zs. fda. 8, 301. Zs. fdph. 7, 419 hervorgeho-
benen (wesentlich auf das ostfrk, beschränkten und) meist nur
beim int zu beobachtenden apokope des nasals ist ausgeschlossen.
Hingegen ist, was die verbalformen im LW betrifft, zu erinnern
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442 VAM HELTEN
an die bei Otfrid im reim begegnenden bildmigen für die 3. pl.
prt. opt. mohtl, wäri, gieretl, (n)irbarmett (s. QF. 37, 9): es liegen
ja hier wie im LW alte, mit Kluges regel vom verklingen des
-n nach -i (s. Beitr. 12, 380 ff.) in Zusammenhang stehende laut-
gesetzliche formen vor, für welche nach der Wirkung des er-
wähnten lautgesetzes die sonst üblichen, mit nach dem muster
der 3. pl. pl. praes. opt. hergestelltem -w gesprochenen bildungen
eingetreten sind (vgl. auch im LW die 3. pl. prt. opt. dürren,
cunnen, -an, mugan, sulen, wäran, geirredan, moghtan, § 60.
56. 57). ^) Für die erwähnten schwachen dat. acc. sg. aber
sind die parallelen altostniederfränk. bildungen leimo, hcrro,
niäno dat. sg. Ps. 68, 3. 55, 11. 71, 5, bogo, h^rro, namo etc. acc.
sg. (s. Cosijn, Oudnederl. ps. 11) zu vergleichen: hier wie im LW
-o für 'on im acc. durch einwirkung des nom., im dat. nach
dem muster der im acc. neben einander stehenden -o und -on.
8. Die labialen geräueohlaute.
§ 4. Altem p entspricht im anlaut ph oder p, im in- und
auslaut nach vocalen ph (f, ff), nach liquida ph (/), nach nasal
ph; für altes pp steht ph (pf):
phenningo, phlaneene 11, 21, gephlanzet 39, 5, gepUanzot
8,28 (bei Hoffm. falsch mit ^; m^,ph), Uzphlanm 36,11 —
palmon, palmboum, pardon, pmenton, pimentare, pigmentaren,
geplmentadon, porte, -an, -on, puzza\
dotiphe, louphen, rlphon, driuphet, drejyhed, overdrephenf,
scephet haurit, gescaphe 66, 18, -o, -ot, -at, -eda, geselskiphe,
scäphe, släpho, apheldera, aphalderbounia, ophan, -eno, -enent,
begriphan, umbegrtphet, geslophan 42, 14, draph 'traf, rieph,
drouph, begreiph, scaaph, houph ^liaufen' 59,29, etc. etc.; selten
mit ff, f: uf 19, 6. 11. 21, 8. 27, uffa 26, 14, -en 62, 3. 8. 12 (wo-
neben upho 11,12. 29,5, n2)ha 25,28. 49,27, -e 74,3, uphon
36, 27, -en 64, 18. 22, uph und uph- passim), drofeeent (aus der
vorläge, vgl. § 58 am schluss), huffelon, -an ^wangen';
*) Beachte auch bei Otfritl im reim die durch umgekehrte analogie-
bildung entstandenen 3. pl. praes. opt. {bi)fine, plnö etc. und die nach diesen
3. pl. gebildeten 1. pl. firsmgP, Uche (QF. 37, 8). Einmal steht auch im LW,
66, 19, für die 3. pl. praes. opt. bluoie; ob als aus der feder des umschreibers
geflossene form oder als Schreibfehler, ist natürlich nicht zu entscheiden.
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ZUR SPBACHE DBS LEIOENEB WILLIRAM. 443
werphan, -ent, worphe, helphewir, helph imperat., helpha, -o
*hilfe', skarphe 'schärfe', scarph 44,28, elphondbeine 49,15, el-
phondbeimn 49, 11, elphandm, -inimo 61, 1. 3. 8, thorphon 66, 15;
einmal mit f geworfan 30,2;
bethemphet 37,24;
naph *iiapf ', dropheden stillabant 43, 10 (oder mit ph aus p?
vgl. ahd. iropfo, iroffoj as. dropo), epheles, -a, -o, -an, epholon pomi
etc. (oder mit ph aus p? vgl. ahd. apful, affuT), und uupfela
* Wipfel' (1. uuipfela)\ — wegen offer 32,27 (W opfer) vgl. as.
offron, nicht ahd. opfarön; wegen geknuffe junctura 58,20 die
(nach Graff 4, 583) im Trier, ms. W.'s belegte form gecnuffe, nicht
gec(h)nupfe der anderen Williramhss.
Mit ph nach vocal ist selbstverständlich ff bez. f gemeint.
Als zu dieser kategorie gehörend sei noch besonders erwähnt
leffa labia 35, 6. 48, 11 mit lephan dat. pl. 65, 23 und lepphan
nom. pl. 30, 6, dessen pph, wie in opphenent 31, 7 und wie das
eck in macche 72, 17, nur Schreibfehler sein kann; wegen der
form mit ff oder ph aus altem p vgl. das bei Seemüller aus G
und 7 verzeichnete leffa, -on.
Spirantische ausspräche hat auch zu gelten für ph na^h
liquida und zwar auf grund des belegs geworfan.
Im anlaut und nach m stehendes ph sowie ph (für pp)
kann nicht pf bezeichnen: affricata würde nicht stimmen zu
dem aus v — f {= hd. b, s. § 6) zu erschliessenden mfrk. Cha-
rakter unsrer mundart, und der annähme von aus der vorläge
entnommenem ph (d. h. pf) widerspräche das oben § 1 hervor-
gehobene consequente verfahren bei der Umschreibung. Es ist
demnach das ph als eine (sehr wahrscheinlich auf veranlassung
des in der vorläge stehenden) zur darstellung von aspiriertem p
verwante Schreibung ^ zu fassen. Nun lässt sich zwar solches
p für das südmfrk. aus dem urkundenmaterial nur in anlau-
tender antevocalischer Stellung folgern (phant, phenning Isen-
burg, phancerin, phünt, phantlose Bassenheim, pJhennyck, 1. -ynck,
Sayn, s. Hof er 2, 96. 157. 158); doch ist zu beachten: primo dass
sich in einer aus Leiningen, also einem dem südmfrk. benach-
barten nordrlieinfrk. Sprachgebiet stammenden Urkunde auch
1) Wegen ähnlicher entlehnung eines schriftzeichens aus der vorläge
vgl. § 19 zu ou.
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444 VAN HELTEN
phleger findet (s. Hof er 2, 163")); secundo dass, wie uns die bei
Heinzel, Niederfränk. geschäftssprache s. 317.350. 371. 398 und
Beitr. 1, 5 aus südmfrk. und nordrheinfrk. Urkunden citierten
belege lehren, die aspirierte ausspräche von im anlaut aspirier-
tem p in der regel in diesen quellen nicht bezeichnet wurde,
mithin die möglichkeit des gleichen Verfahrens bei der Schrei-
bung eines nordrheinfrk. vor conson., nach m stehenden bez.
gedehnten aspirierten p ins äuge zu fassen ist; tertio dass es
ganz gut begreiflich sein dürfte, wenn in einem dialekte, der,
wie wir unten § 11 sehen w^erden, in die südliche grenzzone
des mfrk. Sprachgebietes zu verlegen ist, also in einer sich mit
dem nordrheinfrk. berührenden mundart dem nicht zu pf ver-
schobenen p auch noch sonst als in anlautender antevocalischer
Stellung aspirierte ausspräche von p eigen war (uuipfeki ist
natürlich aus der vorläge stehen geblieben).
Ob nun aus diesem lautwert für das p von pahnboum, porta
etc. nicht aspirierte ausspräche zu folgern ist? Bei entlehnung
der fremdwörter vor entstehung der aspirierten ausspräche
hätte sich auch in diesen ph entwickeln müssen. Und bei
späterer entlehnung wäre ebenfalls nur phalmboum etc. mög-
lich gewesen, denn es liesse sich kaum denken, dass behufs
dieser fremdwörter eine nicht einheimische ausspräche des p
eingeführt wäre. Die abweichende Schreibung aber erklärt
sich unschwer aus dem umstand, dass der umschreiber in seiner
vorläge phenningo etc., jedoch palntbomn etc. vorfand.
§ 5. Mit hb findet sich cribbon 16, 9. 10, stubbe 24,8. 42, 22.
Ob der conson. indessen als reine media und nicht vielmehr als
media f ortis zu fassen sei, möchte ich bezweifeln (vgl. Tijdschrif t
voor nederl. lett. 15, 153).
§ 6. Im inlaut steht v, im auslaut f= hd. b: havon, -an,
grava fossae, ravon *rabe', hmdkaho, navalo, huvela, -e 'hügel'
16, 3. 32, 24, bitherve, levon, over, ava 43, 23, ovojs, gescriven,
lives, salva, selvo, revon ^reben', tvivo etc. etc.; salfivcrz (1. -würz),
lief, wiif, af, of^ oh, wenn', siarf, verdreif, seif (s. Anz. fda. 19, 222
anm.), vö/'Svenn' 9,25. 10,1. 22,22, hafda 14,5. Mit rücksicht
auf die noch jetzt im südfrk. herschende bilabiale ausspräche
*) Heinzel citiert (Geschäftsspr. 398) iioc^\i phle.gen aus Höfer 2, 179; ich
finde den beleg aber daselbst nicht.
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ZUR SPBACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 445
dieses f ist dieselbe auch für die ältere periode anzusetzen.
Es kann mithin die offenbar zur bezeichnung verschiedener
lautqualität vom umschreiber verwante verschiedene Schreibung
des letzteren f und des auf p zurückgehenden Spiranten nicht
die Unterscheidung von labiodentaler und bilabialer consonanz
bezweckt haben, und es bleibt demnach nur die möglichkeit,
dass besagte zweierlei Schreibung mit ungleicher engenbildung
beim sprechen der fricativgeräusche in Zusammenhang stand,
m. a. w. dass die aus der Verschiebung des p hervorgegangene
Spirans ihrer entst^hung gemäss mit stärkerer hemmung des
luftstromes und infolgedessen mit grösserer geräuschstärke, der
andere reibelaut mit schwächerer hemmung und geringerer
geräuschstärke hervorgebracht wurde. Die vereinzelten /* statt
ph sind also als ungenaue Schreibungen zu fassen (das zeichen ph ,
ist selbstverständlich nachbildung des Zeichens ch für den aus k
verschobeneji laut, vgl. § 7).
Das h von arheyd 23, 10 etc. bildet keine ausnähme zur
obigen regel: der erste teil der Zusammensetzung (aslov. robu
zu vergleichender w- stamm, vgl. Kluges Et. wb. i. v.) sowie von
altostnfrk. arbeit, -de etc. (s. Tijdschr. voor nederl. lett. 15, 160
anm.), mnl. arbeid, as. (Mon. Cott.) arbed, -i, arbid, -i, mnd. arbeit
steht zum compositionselement von aonfrk. arvithi, -on, arvit
etc. (s. Tijdschr. a.a.O.), as. (Cott.) arZed, -/, arabit, ags. earfod,
-eäe, wie ahd. rabo, chnabo etc. zu rappo, chnappo etc. (vgl.
Beitr.9,166f. 12, 520 ff.).
Im anlaut ist v = germ. f die regel ausser vor l, r und u:
varan, verid, vard, vahs, veld, raste 75, 5, van{e)f -a, -o,
vone (s. § 15), venstron, vesto 19, 5, gevestenent, vers, anamnged
14, 22, vindan, -et, vand, naghtvorghta, viand, ver-, vol, vol{le)-,
twepräp.oderadv.17,16. 19,21. 26,9. 31,13. 47,21. 61,13.22.
62, 15, vore- 18, 24, vure adv. 17, 14. 19, 13. 39, 4. 42, 7, vure- 11,9.
20, 3. 24, 2. 35, 4. 10, vilo, vortheron 'eitern', rortheret, -ent, -oda,
etc., doch auch faran 73, 1, gefaran 51, 9, ferit, overfähent 38, 7,
fenstre 42, 27, fand 45, 2, fernoman 18, 10, forghtent, fiever^ fiur,
fol, fore 50, 14, goldfare und frägan, freiiwe 'freude' 27, 28.
28, 15, gefreuwet 12, 6, frühe, iuncfrouwa, friunt, -din(n)a, friund-
schephe, gefremet, frunngheide, fruo (ausnahmsweise vreuwen 7, 9),
fliugh 78, 5, fliezent, -ende, fhzan, flle, -eeh, -Itcher, erfloigat 57, 5,
fluoghe 72, 8, wereldfureston, verfaulet 26, 13, verfullene 50, 23,
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446 VAN HELTEM
geßhtet, fundan 22,1. 68,22, fuoze, -en, füre adv. 17,25. 18,2.
68,24. 74,24, füre- 18,17. 43,2. 55,14. 65,25.28. 71,23 (wo-
neben jedoch auch vure{'), s. oben, twgat *fügt' 31,4, uougentvir,
1. uuogenwir 74, 4, vuchta, -an 8, 16. 18). Dem f vor u mag wol
nur das bestreben, einer Verwechslung mit uu, dem zeichen für
wu, vorzubeugen, zu gründe liegen. Das nahezu constante f
vor l und r weist jedoch auf eine härtere ausspräche der Spi-
rans vor liquida hin. Ob der durch v und f dargestellte laut
labiodental oder bilabial war, mag ich nicht entscheiden.
Sicher als bilabial anzusetzen sind aber: das v (= germ. ß
in diuvel (mit rücksicht auf die Beitr. 1,25 hervorgehobenen
bildungen grebe, nebe, briebe, höbe mit 6, d. h. w, für aus f
erweichtes bilabiales r), tavelon, getavela und avor *aber, wi-
derum' ') (= ahd. afur, avtir? doch könnte die form auch ahd.
abar entsprechen; hevtge 73, 12 ist keine einheimische form, wie
aus der sonstigen Verwendung von hong 16, 14, houch 50, 13,
hoogh 55,20, hough 71,8 = hebig, hevlg W zu schliessen);
das in zuiflariy -eda 43, 8. 1 gesprochene f das sich zu den
eben erwähnten v verhält wie die f von wnf salf- etc. zu v in
u'lvOy salva etc.;
sowie (auf grund der Schreibung) (ge)scripht{e), -a 10, 27.
32, 19. 38, 28. 23, 1) das f in gescrifte, -an 61, 7. 45, 3, -haft{lg)
in slozhaft, eerhaft, ernesthafto, ^spunliaft, liumhafttg(h), heftent,
after, craft, -o, crefte, thurft, slaftheyde 41, 8, slafto ^erschlaffe'
39.27, samfto, -ero, unsemfte, iefteswär (s. § 2 zu^").
Aus ft entwickeltes ht begegnet in unsrem denkmal nicht.
Ein mst für mft gewähren vernumst, cuomM (s. § 17), woneben
jedoch cumfilgh.
4. Die gutturalen geräusohlaute.
§ 7. Altem Iz entspricht im anlaut h {c) oder ch (kh\
im in- und auslaut nach vocalen ch {h,gh), nach liquida und
nasal k (c) oder ch; für altes kk steht kk (cc, ck\ k (im auslaut)
oder cch (kch, ch):
winkclnere 14,9, kevese, bekennan, -o, -es, -eni 22. 14. 17.
62. 28. 7, 3. 9,26. 29,13, {be)keran, -et, -ed, -e, keisere, hhidkalves,
-e, kind, verkiusest, cuman^ -e etc., cornelino, coronan, {ge)köse,
*) W hat statt dessen dbo, -e, -er.
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ZUR SPRACHE DBS LBIDENER WILLIRAM. 447
kündet, -e, -ent etc., kuning, kunnen, kan etc., kunste, cusse,
diigon, 'Ost, cleyna, becnttodelet, craft, -o, crefte, cristinen, krüd
etc. und bechennent, -ed 47, 4. 46, 6, diela 50, 18. 65, 8, khüze
60, 15 (woneben kizze 31,28, rehhizeon 32, 5. 60, 18);
machon, -ost etc., michol, sprechet, gesprochan, veychenes,
Weltekes, -e, ruochest, buch, ouch, sprach, gelieh, sangleich, 'lieh,
ich, mich, thich, sich, unsich, iuch etc. etc.; mit relativ höchst
seltener Schreibung h,gh rlhduom, -es 30, 1. 73,25, mih 14,27.
42,18, ^■A37,12, mÄ 41, 12. 45, 10. 13. 51,3.4, iWÄ70,24, unsih
49. 10. 57, 25. 66, 20, thigh 39, 9, spragh 22, 3, wereldllgh 28, 3,
ough 23,20 und sogar fluoghe 72,8;
stank, -e 7, 3. 18, 28. 34, 23. 35,8 etc. und stanches 38,4.18,
stinchende, -ene, -et, -ent 6, 6. 11, 14. 12, 7. 13, 6. 39, 11. 67, 15,
drank 40, 7, verdrank 10, 16, drinkan, -et 47, 15. 41, 2, drunkan
41, 3 und dranche 61, 19, drinchenes, -e 59, 6. 18. 65, 22, drun-
chan 68, 7, gedrenchet 59, 24, drenchent 64, 15. 65, 3, skenkan
69, 18 und schenchene 59, 8, gethanko, -ka, -kon, -con, unthankes,
thencon 14, 6, -ke 71, 24, thancan, werkan, -on 12, 15. 17 und
werch, wercho, -on 20, 5. 8. 28, 22. 35, 21. 37, 9. 43, 14. 20. 49, 5.
10. 50, 22. 52, 21. 54, 8. 56, 2. 58, 14. 69, 26. 72, 26, werchman
49,1, wirche, -et -ont 49,1. 74,19,21. 53,26, ^/arc 72, 5. 19. 27.
74. 11, gestarcode 19, 1 und gestarchent 20, 15, gesterchent 67, 2,
merchene 23,21;
smekkest 63, 25, smecket 65, 8, sniak 65, 15 und smecdient
50, 21, lukkon 'lücken' 52, 23 und lucchan 56, 5, rokche 42, 14,
(ge)locchet, -eda 35, 1. 65, 12. 67, 18. 48, 3, uecchan 23, 28. 70, 23,
tceched 15, 12, anazncchont 9, 15, umbesteccJiet 59, 23, thicco 6, 2.
40, 4. 9, thickest 19, 15, quekken, -on, -estan 38, 22. 43, 12. 48, 12,
quekkent 35,27, erquekkeda 49,23, akker, lokka, -o 42,1. 30,14;
beachte noch besonders doych(e)ne mysterium oder -a 10, 27. 31, 7.
61, 5 •) mit kk (vgl. doickene, toickene nach Graff 5, 376 im Stuttg.
ms. von Will; in den andern hss. steht toigene, tougene), wie in
den Beitr.9, 178 verzeichneten bildungen, und näc/ian, genaachat
ebenfalls mit kk (? s. § 9).
Selbstverständlich bezeichnet ch in machon etc. (wegen
der Schreibungen h, gh s. § 9) und buch etc. die spirans; sonst
*) doychene steht auch 21,18, hier aber durch ein Tersehen des um-
schreibers, der hoychene der vorläge für doychene ansah.
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448 VAH HELTEN
aber, sowie auch Tich, die aspirierte tenuis*) (man vergleiche
wegen solches ch in südmfrk. Urkunden Erdianfrida neben Er-
kanfrida Trier a. 853, s. Beyer, Urkb. 1,83, Chuonrädo und Folck-
linde Coblenz a. 1092, Beyer 1, 387, holzmarchen Laach oder Treis
a. 1163 und Trier im anfang des 13. jh., Beyer 1, 640. 2, s. 438,
wianei«;ercÄ terramdominicalem, Trier^a. 1160, Lac. 1,400, nieys-
werhc, spurcelwerhc, huchgeshude'^) Prüm a. 1222, Beyer 1, 153.
184, chunt, chind{er), chomen, urchunde Isenburg a. 1325, march
Bassenheim a. 1332, s. Höfer 2, 96 und 157; beachte noch Beitr. 9,
383 ff.). Nach stanches, wercho, smecchent etc. und heclienneni
etc., Tchizze ist somit auch das h (c) von stank, werka, gefhanko,
sfnecchest, thicco etc. und hekennan, kevese, kind etc. als zeichen
für aspirata zu fassen. Das fehlen von ch vor liquida und nasal
weist auf nicht aspiriertes k vor diesen consonanten hin (vgl.
auch Beitr. 9, 385 anm.). Und die nämliche folgerung ist für
unsern dialekt geboten betreffs des im anlaut vor dunklem
betonten vocal stehenden k (c) trotz Chuonrado, chunt, chomen,
urchunde der oben citierten Urkunden.
Ausnahmsweise findet sich c oder k für postvocalisches ch
in (ge)welic 10, 7. 45, 20, gelilc 16, 4, ic 23, 2, scandUkes 10, 20,
haveko 19,21, beken 47,8, deren beurteilung schwierig ist.
Liegen hier vereinzelte reste von unverschobenem k vor (vgl.
Tijdschrift voor nederl. lett. 15, 154 ff.) oder hat hier der nieder-
frk. copist (s. unten § 11 zu luzzeron) die hand im spiele ge-
habt oder stehen am ende die c ganz oder teilweise durch
schreibversehen für cA?
Seh und sc, sk stehen abwechselnd vor hellem vocal oder
daraus hervorgegangenem laut: geeischedon, schilds, -en, dische,
-es und diskes, gemisket, frmndscJwphe, geselskiphe, gescheytlian
und underskeithet, skeythe, schenchene, geschihe, gescliehan, schein,
schmet und skinet, scheyne und skeynet, beschirman und beskir-
man, schirme 31, 23 und skirm, schephet, enzuischan (vgL
§ 23), wasche etc. Hingegen erscheint kein seh vor dunklem
vocal oder consonanten: scöne, -a, -on, scorenon, -en, scoutoest,
scundich, scundont, scuohe, scüwest, -an, scule, -en, -et, zeltscara,
scames, -ent, scandliches, scada, -o, nacht-, naghtscada{n), gescriren,
*) Also das zeichen ch in zweifacher function, wie ph (vgl. § 4).
*) Die stelle lautet : duas pelles de corduano, qxn huchgeshüde appel-
lantur.
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ZUR SPRÄCHE DES LEIDENER WILLIRAM. 449
gescriphte etc. Hieraus folgt, dass die afficierung von sk zu
s + Spirans nur der Stellung vor hellem vocal zukam; dass
also das seh in mennischon 35, 1 (woneben mennisco, -sko, -scon)
aus der flectierten form auf -en (vgl. § 36) stammen muss; in
wascha auf anlehnung an wasche (vgl. § 32), in geschaphot, -at
(woneben gescaphe, -o, -eda, s. § 57, mit sc = seh oder sk?) auf
anlehnung an *schep]uin, schephet etc. beruhen muss. Für disk
ist wol nach disches, -e afficierte ausspräche anzusetzen. In
erlescMn, -scan, l(;i)esket (vgl. § 53 zum sg. praes. ind.) war dem
ersten beleg zufolge die «cA- ausspräche auch vor dunklen
endungsvocal eingedrungen. Ueber den lautwert von sc in
erthiscan, -esco{n) lässt sich nichts entscheiden.
§ 8. Anlautendem, vor hellem vocal. stehendem g ist der
einige male für die Schreibung g eintretenden bezeichnung mit
% gi oder ghi zufolge {iegen ^gegen' 21,13, iegivan 25,12, te
gievene 47, 12, ghiewir 'gehen wir' 66, 14) palatale qualität bei-
zumessen.
Inlautend vor hellem vocal stehendes spirantisches g wird
z. t. durch g, z. t. durch gh dargestellt: geargerent, mugen 75, 12,
gehuge, -et, steigeretit, sage 9, 4, menlge 75, 25, morginröd, eyne-
genio 17, 18, einege 70, 25, willegero 20, 25, besigelad, -at 35, 26,
36, 7, dugetha 35, 27 etc. und höghe subst. 16, 21, höghen adj.
16,22, säghet 'sähet' 22,4, ligh^t 26,14 (bei Hoffmann falsch
lighit), loghent 'flammen' 73, 7, eineghe 74, 9. 18, cundeghe 78, 10,
insighela 72, 18, dughethen, -e 15, 16. 76, 16. Aus der Schreibung
gh ist unbedingt auf nicht -palatale ausspräche zu schliessen
(die übrigens auch ohnehin aus der §§ 21. 22. 24. 26. 27 er-
wähnten afficierung von -e(-) durch vorangehenden tönenden
guttural hervorgeht).
Zur bezeichnung des in den auslaut tretenden spirantischen
(inlautendem g gemäss ebenfalls als nicht -palatal zu fassen-
den) g wii'd g oder gh oder auch, aber viel seltener, ch verwant:
hough 'hoch' 71,8, hoogh 55,20 (hierher?), lioug 16,14, houch
16, 28. 50, 13 '), niagh passim, mag 19, 21, mach 20, 2, lagh 20, 1,
hurgh 44, 22. 61, 26, hurg 21, 28. 31, 21, hurgwachtero, bergh
0 hougQi), houch = agntn. haugr (vgl. Noreen, Abriss 151); die oben
citierten höghe, -en mit aus jener f onn entnommener consonanz ; hoogh ent-
weder zu höghe, -en gehörig oder mit regelrechter consonanz, wie hö?^e
subst. 32, 8. 38, 8. 60, 21, höhen a^. 33, 11. 78, 20.
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450 VAN HELTEN
62,21, druog 'trng\ dagh 82,1.20, dach 9,6, 20,21, hontgh
35, 7. 15, unghüs, wighwäphane, lmmhafttg{h) 37, 9. 39, 18, ge-
mantghfaldet 45, 5, armstrangtgh, gewaldlgh, unbärigh, thur-
gnahtigh, ädellgh 76, 23, twlllgliUclio, städeghheid, weinlgh 73, 27,
einigh,-egh 26,20. 37,21. 54,21.22, amghb9,18, einedi 22,22.
49, 1. 56, 28, änlch 59, 7, werthlch 8, 2, sältch, zldech, flfzecti,
ungenätheltch, gehörsamegheyd 22, 25, eynvaldlgheyd, frumlg-
heide, bitherregheyd, mantgslachtagan 13, 7, ses-, aght-, zehan-
zogh etc. Das gh war von haus aus natürlich etymologische
Schreibung, wie g, doch hatte es in der periode, woraus
unsere hs. stammt, diesen Charakter eingebüsst: gegenüber
relativ seltenem gh im inlaut (vgl. oben) steht häufiges gh im
auslaut, und zwar infolge des umstandes, dass gh auch als
zeichen für eine mit verhältnismässig schwacher geräuschstärke
gesprochene stimmlose gutturalspirans aufgekommen war (s.
unten § 9). Wegen der Schreibung ch s. a. a. o.
Entwickelung von i aus g vor d begegnet in gebreyde p.
prt. 11, 5 (vgl. as. bregdan 'flechten'), das die stelle von W.'s
gebroihta 'gebogen' vertritt») (s. noch § 54).
Die Verbindung ng wird im auslaut meist etymologisch
geschrieben: kuning, cuningltch, gang, sangleich, iungfrouwan,
'On etc., doch auch iuncfrouwan, -on 6,6. 27,23. 50,28, 70,21.
Wegen des wahrscheinlich als media fortis zu fassenden gg in
heggeholeran, -on 19, 8. 20 vgl. Tijdschr. voor nederl. lett. 15, 153.
§ 9. Altem h entsprechende spirans bezeichnen im auslaut
sowie vor t die Schreibungen h, ch und gh (die letztere als die
üblichste): gescagh 'geschah' 28,14, wogfA passim, woA(-)33, 7.
21. 62, 23, noch 15, 12. 22, 1, thogh passim, thoch 16, 15. 26. 27.
21,13.16. 22,13. 34,15. 51,21.23. 54,24.26, douch 37,18; die
imperative sg. fliugh 'fliehe', zieh 'ziehe';
light, -es lux, -eis, lihtfaz (oder Itght, Ithtfaz? s. § 19), liugh-
tent, Itghto leviter, Wit levis (vgl. § 18), naghtvorghta, forghtent,
naght, -es, naghtscada, -drophon, nachtscadan, thurg{h)nahttgh,
veghtan, -ande, vuchta(^n), waghtära, btirgwachtero, doghter, doch-
teran, dohter, drohtin, -es, geslightat, kneghta, knehto, -flught 53, 2,
*) Beachte zu dem ahd. verb. noch gebröhta, -hrotihta, -hroihia * beugte'
W (XI, 15 bei Hoffm., 19, 3 bei Seem.; ein paar mss. haben hier die auch im
LW erscheinende lesart gebraehtä) und vgl. mnl. broeken 'beugen' (Mnl.
wb. 1,1454).
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ZUR SPBACHE DES LETDEKER WILLIRAM. 451
suoghta 22, 2. 23, 1. 44, 15, moghta, -e etc. und mochte, mohte
(s. § 60), nicLchtu 2. sg. 10, 4 (zweimal mit etjTnologischer Schrei-
bung magt 19, 22. 25), maghtlga, -an, slaghta, -o, -e 24, 8. 19.
31, 25. 46, 22. 76, 5, slahta, -e, -o 35, 27. 28. 30, 13. 23. 24. 26, 28.
68,11, slachta, -en, -o 11,18. 19,3. 31,2. 43,8. 49,24, mamg-
slachtagan 13, 7, dalaslaghia 56, 11, bräghta 23, 15, -bräht 18, 17,
gebrächta 11, 1^, erqtnhto 71,19, gethruhian * gedrückt' 69,20,
rahta ^reckte' 42, 26, recht, -e, geri{c)htan, rihtich 43, 14, züchte,
geßhtet, ambcchtent, gesihte etc.
Das nonnale ch als zeichen für die aus k verschobene
Spirans (s. § 7) und die behufs darstellung von altem h im ver-
gleich zu ch weit häufiger verwanten schriftzeichen gh und h
erinnern an ph und f als zeichen bez. für die aus p verscho-
bene Spirans und altes f. Auch bei den guttwalen stimm-
losen Spiranten muss die verschiedene Schreibung mit verschie-
dener articulierung der laute in Zusammenhang stehen: ch
normales zeichen für den mit stärkerer hemmung des luft-
stroms und grösserer geräuschstärke gesprochenen reibelaut;
für einen mit schwächerer hemmung und geringerer geräusch-
stärke hervorgebrachten fricativlaut hingegen in der regel ä,
das alte hergebrachte schriftzeichen, oder gh, das zunächst
durch Schreibertradition die tönende vor hellem vocal stehende
Spirans darstellte (vgl. Kögel, Anz. fda. 19, 223 f. und s. oben § 8),
dann aber, indem es graphisch mit ch in Verbindung gebracht
wurde, auch für die bezeichnung einer in der energie der hem-
mung und in der geräuschstärke dem durch ch dargestellten
laut nachstehenden tonlosen spirans Verwendung fand. Die
seltenen h und gh statt normaler ch (s. § 7) und die seltenen
ch statt normaler gh und h sind demnach als ungenaue Schrei-
bungen zu fassen (dasselbe gilt auch für die seltenen zur
bezeichnung von in den auslaut tretendem g verwanten ch,
s. § 8).
Anmerkung. Auffällig ist neben normalem thurgJi(') stehendes thurg{-)
11,15.23. 12,5.27. 14,20. 15,19. 16,7.8. 21,9. 22,5. 23,1. S3, 18 [nie hin-
gegen ihurh{-) oder ihurch{r)\ dessen Schreibung g nach dem muster des
im auslaut mit gh wechselnden, ebenfalls den mit geringerer geräusch-
stärke gesprochenen tonlosen Spiranten bezeichnenden g (s. § 8) in
schwang kam.
Verklingen der spirans vor t in tonloser oder schwach
betonter silbe ist zu erschliessen aus iet, niet nihil, non (s. § 2
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452 VAK HELTEK
ZU w), woneben ieht, nicht, ieweht, ni€{u)weh{es, deren ht nur
auf erinnerung an die alte, x^ darstellende Schreibung beruhen
kann (bei noch herschender ausspräche x^ mttssten neben nieht
etc. auch nieght und niecht erscheinen).
Vor $ steht nur h: vahs, wdhs cera. Der buchstabe rührt
aber nur aus der alten Orthographie her, denn aus thr&jc-, thräx-
lere 49, 1. 59, 12 (s. § 18) ergibt sich für die alte Verbindung
hs eine ausspräche ks, — Neben zesewa dextra, gewasduom
63, 26, seszogh finden sich mit ebenfalls vor zweifacher conso-
nanz (im flectierten p. prt. ^giwassn- für *giwa}isn-) assimilier-
tem h (vgl. Beitr. 7, 193 ff.) wassei, 'en(t) crescit, -unt, gewassen
p. prt. (auf die Verallgemeinerung der formen ohne h wirkte
wol auch das abstractum {ge)wasduom ein).
Gedehntes h steht in den neben nehein nullus 25, 2. 29, 9.
37,18. 39,5. 43,20. 44,5. 46,13 etc. und nein 76,18 begeg-
nenden neghein 23, 12. 27, 16. 28, 3. 33, 2 mit gh zui* bezeich-
nung von altem hh (vgl. Braune, Ahd. gr. § 154 anm.6), nechein
33, 7. 36, 5, woneben mit Schwund von ne- (vgl. Beitr. 6, 559
anm.) auch chein 27, 7. 33, 6. 64, 8. 71, 1 >) (dessen ch als zeichen
für spirantisches h auf eine ungewöhnlich häufige Verwendung
der ungenauen Schreibung nechein schliessen lässt, die wol
dadurch veranlasst wurde, dass die meist vorkommende ge-
dehnte Spirans, d.h. die aus k hervorgegangene, der durch ch
zu bezeichnende laut war). Zweideutig sind nächan 32,25,
genaacJiat 44, 2: entweder mit ch als ungenauer Schreibung
für gedehntes h (vgl. nähhitun M, Braunes Ahd. gr. § 154 anm. 6)
oder mit ch als zeichen für aspiriertes k (vgl. md. neken mit kk,
Beitr. 9, 179, und beachte oben § 7).
*) Für da8 k des in mfrk. Urkunden des 14.jh/s auftretenden kein
(s. u. a. Zs. fdph. 10, 316) ist selbstredend weder oberdeutsche beeinflussung
noch die Beitr. 6, 559 für oberdeutsches kein vorgeschlagene deutung geltend
zu machen. Die abnormalität eines im anlaut stehenden tonlosen guttural*
Spiranten führte die ersetzung des lautes durch verwantes aspiriertes k
(vgl. § 7) herbei.
Fassung von neghein als = negein (vgl. ih^gein, neieina im Trier, capit.
und in sttdmfrk. Urkunden begegnendes ^em, Zs. fdph. 10,316) wäre unratsam:
erstens wegen der constanten Schreibung gh (es wechselte gh als zeichen
für tönende Spirans mit g, s. § 8); zweitens weil es nicht wahrscheinlich
ist, dass derselbe dialekt dreierlei bildungeu, mit Iih, mit g und mit aspi-
rata h, gekannt hätte.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 453
§ 10. Anlautendes A vor liquida, nasaJ und w ist aus-
nahmslos geschwunden: gelathod, liumunt, ravon *rabe', reinen,
naph *napf', neyget, wanda, welich, weizes etc.
Der antevocalische hauchlaut fehlt anlautend nur in uoräre
moechus 25, 17.
Im inlaut stehen neben zweimaligem seent (d. h. se-ent)
vident 8, 10. 11 und reion capreae, -is s?äo, -es, -et, gemJiest, ver-
sehent, {ye)sahon, iehent, thlhent, geschihe, vohon vulpes, höhe,
-en (s. § 8 fussn.), overfähent etc.; doch ist das h nur rest alter
Orthographie, denn aus seüwan, -est, bethüuan (s. § 2) geht das
gänzliche verklingen der aspirata hervor. Beachte noch bevele,
-volan.
Auslautende, für die spirans eingetretene (in der über-
lieferten Periode noch zum teil schriftlich erhaltene) aspirata
haben wiroches, -e, wirochhureU 32,24 (durch anlehnung an
*wihan\ eine deutung aus wi-hroeh vertrüge sich nicht mit der
den composita zukommenden Silbentrennung) und ioh *auch,
sogar, und' 16,14. 18,20.21. 29,11. 33,4.19. 55,10. 62,17. 67,
2. 8 etc., näÄ*nach'7,2. 9,27. 17,1.5. 21,4. 23,1. 28,10. 30,2.
36, 17. 19. 39, 28. 56, 2. 63, 11. 66, 18 etc., woneben ausnahms-
weise mit Spirans iogh 22, 24. 23, 13. 53, 17, ioch 32, 4. 71, 14,
nägh 22, 23, nach 18, 25. 22, 5 (auf die hier vorgetragene fassung
führt berücksichtigung des umstandes, dass, wo es sich um die
darstellung der spirans handelt, das zeichen h numerisch be-
deutend hinter gh zurücksteht; der hauchlaut entstand in der
proklitischen Verbindung von ioh und näh mit formen, die mit
vocal, liquida, nasal oder w anlauteten; man beachte die auf
gleichem wege entstandenen ahd. thur^ dure, dur, mhd. io, nä,
as. thur{u\ mnd. dor, nä, mnl. dore, na und nä, no nee). Auch
der imp. sih ist als (durch sihen, -est etc. entstandenes) si zu
fassen; vgl. durch anlehnung an diesen imp. für sc- verwantes
si- in sino ecce (got. sai nu, ahd. se: nn) und beachte auch die
Schreibung ch, gh in fliugh, zieh (s. § 9). Mit reh- in reJckizzon
32, 5. 60, 18 könnte rex gemeint sein, wahrscheinlicher aber
ist wegen des beide male verwanten scliriftzeichens h anleh-
nung an ein aus rehes, -e entstandenes simplex reh.
Beiträge sur geeohichte der deutacben iprAche. XXII. 30
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454 VAN HELTEN
6. Die dentalen geräusohlaute.
§ 11. Altem t entspricht mit ausnähme der bekannten
Verbindungen (truwa, bitteremo, lüttere, craft etc.) xr, zz {z wird
in der regel nach conson., langem voc. oder diphthong, zz nach
kurzem betonten voc. geschrieben; selten üzzenGQ, 19, gehiezzer
6, 1, heizza 8,9, -faze 73,9; einige male steht zh mit h nach
dem muster von th: aghtzhogh 53, 8, unzhin 32, 20, gezhelt 7,22);
auch in den passim begegnenden pronominalformen hiz, thaz,
thiz, waz, alUz, deren z (vgl. Beitr. 1, 10 f. Zs. fdph. 10, 313), in-
dem es keinesfalls als residuum aus einer vorläge zu fassen
ist (s. oben § 1), für die mundart unsrer Umschreibung auf die
hart an das rheinfränkische grenzende zone des (in § 4 aus
rphy Iph < rp, Ip und der aspirierten ausspräche von p und k
erschlossenen) südmfrk. Sprachgebietes hinweist, d. h. auf den
von Lothringen bis zum Westerwald sich erstreckenden, die
landstriche, in denen heutiges tages die drei auslautsverschie-
bungen von was, korb, bleib divergieren, enthaltenden grenz-
district (vgl. Anz. fda. 21, 282. 267. 19, 97), in den wir demnach
gelegentlich sich vorfindende ttbergangsdialekte mit einerseits
nicht zu w entwickeltem v: f (vgl. § 6), andrerseits zu z ver-
schobenem suffix des nom. acc. sg. ntr. zu verlegen berechtigt
sind. Dreimal findet sich tJiat 6, 16. 23, 21. 27, 10, sei es als
dem ursprünglichen text der Umschreibung angehörender, aus
der zwischen that und thaz schwankenden periode herrührender
nachzügler, sei es als durch den gleich unten zu erwähnenden
niederfrk. copisten in die überlieferte hs. hineingebrachte nfrk.
form. Fürs übrige beachte man sazton, gesezzet, gegruozcf,
enzuisckan (nicht satton etc., vgl. Beitr. 1, 6 und Tijdschrift
voor nederl. lett. 15, 12)!
Turtul- in turtulduvan, pwienton etc. mit ptmentäre etc.,
*arzät in arzätwurze, gearzätant 68,9, und tarelon, getarela
sind natürlich spät aufgenommene lehnwörter. Ob das t von
porte, -an, -on sich aber aus jüngerer entlehnung des Wortes
herschreibt, dürfte fraglich sein mit rücksicht auf ostfrk phorta
Tat. und puzza Will., pucza Rb 317', aus welch letzterem her-
vorgeht, dass in den anlautendes p verschiebenden dialekten
die entwickelung von z aus t jüngeren datums ist als die ent-
stehung von pf aus p (man vgl. auch wegen der relativ jungen
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2UB St»RACHB DES LEIDENER WILLIRAM. 455
Verschiebung von t MSD^ s.xiii). Die sache verhält sich viel-
mehr so, dass r folgendes tautosyllabisches t ebenso vor Ver-
schiebung schützte wie in der anlautenden Verbindung tr: also
ursprünglich "^port bez. "^pfort nom. sg., flect. "^porm, *pform
etc., Bovde *}curt, flect. '^kurzes etc. (vgl. ciirt, clmrt etc. neben
churz, Tcurz, Braunes Ahd. gr. § 159 anm. 1).»)
Neben lüttere 32, 18, geluttered 14, 11 erscheinen auch hiz-
zeron 47, 20, lutzer 26, 16, die, wie nietzemer 26, 12 (neben
niet{t)eniery s. § 13), für die überlieferte (der bibliothek des Eg-
monder klosters einverleibte!) hs. auf einen niederfrk. ab-
schreiber schliessen lassen, der in folge der von ihm beobach-
teten durchgängigen correspondenz zwischen den z {zz) seiner
mfrk. vorläge und den t der eigenen mundart einige male ein
t seiner vorläge in z änderte. Mit rücksicht hierauf wäre es
sogar denkbar, dass der ursprüngliche text der Umschreibung,
wenn demselben in der tat die soeben erwähnten that an-
gehören, noch mehr fÄaf-formen enthalten hätte. Dass übrigens
solchem abschreiber andrerseits mitunter eine nfi-k. form aus
der feder schlüpfen konnte, liegt auf der band; und wir
werden ausser dem oben erwähnten (hat und gewrocht, (ge)-
tveUc etc. (?) (s. § 3 und 7) im laufe dieser Untersuchung noch
mehreren formen begegnen, für die eine solche möglichkeit ins
äuge zu fassen ist.
Wegen tt in lüttere s. oben. Die in Braunes Ahd. gr. § 16
anm. 3. 4. 5. 6 besprochenen ei^cheinungen begegnen in unserer
quelle nicht: kein hd etc. für ht etc., kein dr für tr, keine
Schreibung htt, ftt, kein abfall von t in ht etc.
Synkope von t bietet lussam (auch in AV; wegen anderer
belege für diese form s. Graff 2, 286).
§ 12. Altem d entspricht d: dagh, deil, dohter, overdrephet,
dugeiha, drinJcan, drohtJn, duon, gehreydet, hehaldon, Jando,
hande *hände', tvunda, wlde, liude^ muoder, nöde, sido, gebodan,
yetredan, -da und -d- der präteritalbildungen (s. § 54. 57 ff.),
-ende im p. praes., wlngardon, wordo, -an, antwarde etc. (nicht
mit rt, vgl. Sievers, Oxforder benedictinerregel s. xvi ff. und
Braunes Ahd. gr. § 163 anm. 1) und hedde, bidden, midden, midde-
löthe (wegen deren dd man Tijdschrift voor nederl. lett. 15, 153
*) So begreift sich auch das MSD. 2 3, 240 erwähnte porce.
*30
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456 VAN HELTEN
vergleiche); besonders zu beachten ist durch enklise des pron.
ir in den silbenanlaut tretendes d von machodir 39, 19, mugadir
39,17, sculedir 41,7.9, bechennedir 46,6. Der conson. ist mit
rücksicht auf den § 4 und 11 erschlossenen stidmittelfrk. Cha-
rakter unserer mundart und die in anderen südmfrk. quellen
neben d begegnenden t (s. Tijdschrift voor nederl. lett. 15, 152
und vgl. auch Hovestete neben Uovestede bei Lacombl. 1, 252.
278) als media fortis zu fassen.
Als ausnahmen finden sich jedoch corter, -äre grex 29, 5.
7. 12, getan 'jäten' 59, 25 und drüte amico 45,21.22. 52,3. 65,22
zu drüt 45, 20. 22. 50,26. 51,18. 52,6. 71,7 (vgl. auch drat amica
10,4, wo W trütin hat). Corter, -äre weist sich durch herd-
nisse, -en 9, 8. 22. 27. 10, 7 (wo W cortäron, -äre, -er hat) als
der mundart des umschreibers fremdes wort aus, dem kein
mfrk. reflex mit d entsprach. Für das einmalige getan wäre
durch nachlässigkeit des umschreibers aus der vorläge stehen
gebliebenes t möglich zu erachten. Für drute, drüt hingegen,
statt deren man nach druden amica im Amst. Marl. 226 und
drüde im mfrk. Legendär 38 (s. Zs. fdph. 10, 135) drüde, drüd
(drut) erwarten dürfte, ist natürlich eine solche fassung aus-
geschlossen; ebenso aber wäre hier mit rücksicht auf das im
Isid., dem Ludw. und anderen rheinfrk. quellen belegte material
(vgl. Braunes Ahd. gr. § 163 anm. 1 und Pietsch, Zs. fdpL 7, 408)
entlehnung einer form mit tonlosem inlautendem dental aus dem
benachbarten rheinfrk. undenkbar; es bleibt demnach m. e. nur
einer annähme räum, nach welcher das nomen als ein in der
mundart der Umschreibung nicht übliches wort aus der vor-
läge ungeändert in den umgeschriebenen text eingetragen
wäre (wegen der hier postulierten ostfrk. formen vgl. drute,
drüt in der Trierer hs. des Williram, s. Graff 5, 472).
Für in den auslaut tretendes d wird meist die etymolo-
gische, selten die phonetische Schreibung (t) verwant: krud,
morginröd, ziid, stad, wäd, -heyd (s. § 19), tcord, hoyved Caput,
stand imp., gewald, wereldliche, hindkalvo, herdnisse, scand-
likes, städllcho, wädstank etc.; doch got 11, 14 (auch gott 27,20,
wie quiitt 26,22, iss 4st' 24,9.21, wiss 'sei' 21,6), liumunt,
thüsent, stuont43,9, woledät bl, 27, gezhelt 7,22, hintJcalvo vl ä.;
bei den personalendungen bilden aber -et, -ot 3. sg. und 2. pl. und
beim suffix des p. prt. -et, -ot die regel, -ed, -od die ausnähme
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ZUR 8PBACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 457
(verthrazed 15,1, ligad 11,25, werthed 14,28, grlphed 14,27,
drephed 15, 14, berid 13, 12, lled 24, 11, gewared 20, 27, vinded
15, 18, anavinged 14, 22 u. ä., geslred 11, 1, ungeerid 13, 11, (/e-
fattod 10,11, erwarmed 44,12 u.a., vgl. noch §54. 57. 58);
ebenso meist mit, seltener mid (s. § 13); in der 3. pl. immer
sint, -ent, -ant, -ont] ebenso stets unt- (s. § 1).
Synkope von d begegnet in anluzza 19,26.28, woneben
andwarde praesentia, *andwurde responsa (s. § 30) und geant-
fristet 'erklärt' 31, 10 (wahrscheinlich dem umschreiber fremdes
wort; an der andern stelle, wo W das verbum hat, 12, 4, bietet
LW eine lücke).
§ 13. Altes th bleibt (bez. als tonloser und tönender con-
son.) erhalten im an-, in- und auslaut, ausser nach l, n, wo es zu
d bez. im auslaut t wird (hier jedoch immer etymologisch durch
d dargestellt), und bei enklitischer Verbindung nach s, t und z,
wo es als t erscheint: ther, thanne, thancan, bethemphet, thenke,
thihent, thln, thick, thorphon, thurft, gethrät, thicco, wmthrUvo,
thuinget, ethele, bilethe, leythes, genätha, beithe, weythe, wither,
werthin, erthesco, -on, -iscan, skeythe, bitherve, Itthan, gesithele,
other, vortheron, niith, dooth, leith 'leid' und *litt', sneith
'schnitt', etc.;
hold, -en, hulde, veld, veldbluome, tvaldholz, gold, -e, wildes-
had 7, 25, mundes, kind, kündet, -ent, cundeghe, -an 78, 10. 14,
ander, künde opt. prt., begunda, begonda, -an, nendet, mendet,
-ent (in vand, vindan ist das d zweideutig);
lemostu 69, 10, leystestu, (ge)sih€stu etc. (vgl. auch -st 2.sg.),
theste 11,15. 12,27. 27,20. 39,11. 41,22 etc. (mit etymologi-
scher Schreibung auch sihesthu 17,3, thes the 11,23. 45,27),
bist(t)u, machtu (mit etymol. Schreibung magt thu 19, 22, scalt
thu), (n)iet{t)€mer 13, 18. 55, 26. 56,20. 59, 14. 60,3. 73,8 (wegen
nietzemer 26, 12 vgl. oben § 11), thaz tu 68, 25 (nach spirans h
bleibt th: no{g)hthanne 22, 11. 62, 23). .
Zweimal ist d aus der vorläge stehen geblieben, nämlich
in behudan (Schreibfehler für bedühan, s. § 2) und drähent
'duften' 48, 7 (mhd. drcehen), in letzterem vielleicht (wie das t
in cortäre, -er und drüte, drüt, vgl. § 12) in folge des umstandes,
dass dieses wort dem dialekt des umschreibers fremd war.
Von den formen mit th beanspmchen besondere erwäh-
nung:
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458 VAN HBLTEN
lampreythe muraenae (s. § 27 anm.) und Davithes, -is 30, 27.
31,9.10, über deren auf rom.-lat. ^zurückgehendes th man
Zs. frph. 20, 322 vergleiche.
wätheltch formosa 7, 21 mit wäthltcho subst. 8, 2, wäthe-
llcheyt 10, 2 und unwäthellche deformes 7, 25 mit ursprünglicher
consonanz (?) gegenüber den an wät angelehnten (?) ahd. bil-
dungen {un)wätlich (s. Graff 1, 743 und beachte wäthllch im \V
mss. B 7 nach Seemüller 9, 2 var. sowie unwahtlth Gh. 3, un-
wädlth gl K,Ba); die neben mid 11,1.6.8. 14,16.17.25. 15,4.
17, 18, mit 6, 10. 17. 13, 7. 26, 7. 28, 15. 31, 16. 32, 3. 15. 34, 20.
39, 15. 16 etc., mide 11,18. 20,6. 27,26. 30,10. 39,17.54,4
begegnenden müh 7,26.27. 8,13. 9,9.20. 11,16. 12,6. 13,6.
16, 18. 19, 23. 24, 16. 19 etc. (auch in mit themo, mit ihm, thero,
mit thinan 6, 1. 6. 11. 7, 4. 35, 18. 38, 19. 45, 2. 74, 7 mit tih =
th th?), mühe 38, 15, mithewiste, -wäre, -wära 52, 10. 14. 19 (vgl.
wegen solcher doppelformen aofries. mithi, -e, mith neben selte-
neren mit, met, Aofries. gr. s. 97).
Gedehntes, der Schreibung tth gemäss als tonlos zu fassen-
des th steht in mitthon 78, 16 (vgl. Braunes Ahd.gr. § 167 anm. 10)
und gittJiewanne, gittheswilcharo (s. § 2 zu j).
Synkope von th findet sich in qtiU, quiit 6, 8. 7, 13. 10, 3.
16, 5. 18. 18, 15. 19, 5 etc. (daneben qtiithes 7, 14. 12, 21 und
wirtliet, werthet, -ed, s. § 53).
§ 14. In betreff des s sind nur r für s in den pronominal-
formen thirro (vgl. Braunes Ahd. gr. § 288 anm. 1 und s. unten
§ 50) und die Schreibung js statt s in vore thejs 17, 16 und vor-
kuze (s. § 28) zu erwähnen.
II. Die vocale und diphthonge der Stammsilben.
1. Die kurzen vooale.
§ 15. Altes nicht zu a gewordenes o (=^ indog. o, vgl. IF,
3,277. 5, 182) bieten ioh, iogh, ioch (s. § 10, gotjah) und üone
24, 7. 8. 29, 8. 27. 30, 23. 32, 8. 35, 28. 37, 19. 38,23. 39,5. 41, 19.
43, 27. 45, 16. 17. 20, 23. 46, 2. 6. 53, 1 und noch passim bis zum
ende des denkmals, von 27, 14, 23. 48, 6. 54, 10. 11. 55,25. 59,24.
26. 73,18. 75,3. 78,15 (woneben ^'ane 7, 4. 26. 10,5. 14,11.
17, 12. 22, 6. 9, vana 14, 6, vano 6, 14. 15. 8, 26, van passim von
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ZUR SPRACHE DBS LEIDENER WILLIRAH. 459
s. 6—25, von da an nur noch 44, 11. 51, 12). [Auffällig ist die
Verteilung dieser van etc. und von etc. über unsere quelle.
Vgl. auch das Verhältnis von suester, -a 34, 3. 6. 16. 85, 25.
40, 5. 41, 27. 42, 2. 46, 26 zu suster 73, 27. 74, 5, von sielan
6,16, 14,20. 15,14. 27,15.28. 45,13 zu sela, -an 44,9. 50,28.
53, 14. 70, 24, von vano, -a, van, vone thiu 6, 15. 14, 6. 16, 20.
30,4. 32,8. 35,28. 37,19 und vane fhen 7,4 zu von{e) thannon
27, U, 60,21, von(e) thannan 46,20. 53,24. 57,9. 58,16. 61,7.
63,16. 64,9. 76,15. 78,14, vone thannen 75,13 (in W überall,
mit ausnähme von vone diu 6, 15, von(e) dannan, -en), M. e.
dürfte man hieraus auf die arbeit zweier umschreiber schliessen,
von denen der eine, der die erste hälfte der transscription bis
nach 45, 13 (sielan) in Hoffmanns ausgäbe (etwa bis § 85 incl.)
verfasste, seinem Sprachgebrauch gemäss suester, sielan, van
etc. neben von(e) schrieb und von(e) dannan, -en seiner vor-
läge durch vano etc. thiu ersetzte (sela 44, 9, von thannon 27, 14
wären dann als residua aus der vorläge zu fassen), der andere
als Verfasser des übrigen teils ebenfalls seinem Sprachgebrauch
gemäss die formen suster, sdan, von{e), von{e) thannan, -on, -en
verwante {suester 46, 26 residuum, van 51, 12 Schreibfehler oder
aus der feder des nfrk. copisten, vgl. § 11 zu luzzeron etc.)].^
Der Umlaut von a fehlt:
in gegarewet p. prt. (vgl. Braunes Ahd.gr. §27anm. 2a;
natürlich auch im synkopierten prt. garoda); in skarphe
* strenge', andwarde praesentia (t-bildung), harde unflect. form
des adj. 73,3, verwardet corrupta 71,20 {\g\, W verwartit uni
verwertit, Graff 1,958), thurghfmhtiga, maghtlga, -an mit asso-
ciativer entwickelung (harde durch compromiss aus *hard und
*herde = ahd. hart, herti; verwardet durch beeinflussung von
Seiten der synkopierten form *-ward, vgl. unf erwarte etc. bei
Graff a.a.O.) und martero mit auf späte, nach der umlauts-
wirkung erfolgte entlehnung hinweisendem a\ wegen un-
gestörten Umlauts vor r- Verbindung und cht beachte riuchgerda
24, 7, gester chent trans., geverda 50, 7, anibechtent, -ant\
1) Denkbar wäre es indessen auch, dass sich die arbeit des ersten
umschreibers noch weiter, bis irgendwo vor 50, 28 (wo silan steht), erstreckt
hätte, in weichem faU vone thatifian 46,20, nicht aber suester 46,26 aus
der Torlage stammen müsste.
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460 VAN HELTEN
in eynvaldlghcydy gewaldlgh, liumhafiig(h), armstranglgh
manu fortis 31, 11 (vgl. sträng 72, 21), getavela und gegaihenia
(s. § 30) durch anlehnung; auch in vaste (? vgl. § 41 zum nom.
sg. fem.);
in mantga, -er etc. und gemamghfaldef^ nmntgslachtugan mit
-ig{') für 'eg{') (s. § 27; daneben das abstractum mentga, -e
mit -lg- für -ig-);
in samftero (s. § 44 am schluss);
im durchstehenden ande *und' (W unte, unde), wo die ton-
lose ausspräche den umlaut verhinderte.
Wegen £ra«^a, wände, hande etc. neben crefte; dragat, wasset
neben verid etc. s. § 33. 34. 53.
Bemerkenswert ist noch der adverbialcompar. hez 52, 11
mit associativ gebildetem umlaut, wie het des Monac. und mnl.
mnd. bet Wegen euiv in vreuwen etc. s. § 2 zu w.
§ 16. In der en- bez. proklise entstandenes e aus t be-
gegnet in den pronominalbildungen her (neben ä«>), -es, her{o)
gen. pl. (neben hiro), mer (neben mir, thir) («. § 46. 47 und vgl.
§ 18 zu t\ den präpositionen jse (nie zi), he in hetJiiu 8, 2. 10, 21
(woneben hi then, thero) und der negativen partikel ne (wo-
neben selteneres ni 16, 4. 25, 13. 26, 17. 27, 17. 18. 28, 10. 36, 5.
47, 6. 59, 6. 12. 14. 61,22. 72,6 etc.). Ebenfalls durch schwachen
ton entwickeltes e haben ieweht, nie(u)wehtes, woneben mit Syn-
kope ieht, nicht, iet, niet (s. § 2).
Neben stimma 18, 10. 77, 20. 26. 28 findet sich stetnnm 10,25.
15, 26. 19, 26. 31, 9. 41, 26. 61, 4.
Durch anlehnung entwickeltes e erscheint in erquekkeda
(s. § 54) und ungetvedere 18, 2 (woneben gewidere 18, 5), herdon
(1. herdo, s. § 30) pastorum (nach *herda 'lierde', vgl. herdnisse,
-efi, § 32), erthesco, -on, -iscan, werthich 8, 2 (neben wirthegaro);
vgl. wegen phonetischer erhaltung von i vor r irre adj., (ge)-
irren, -e, -ed, -edan, wirehe, -et, -ont, wirthet (s. § 53), skirm,
schirmo, beskirnian, -ent. Neben letzteren formen steht beskier-
mes 9, 12 mit ie als vereinzelter bezeichnung des vor rm zu ie
gebrochenen lautes.
Durch anlehnung entstandenes i haben rieht 64, 3 und atui-
sihen, ergivon u. s. w. (s. § 53).
Durch anlehnung an wara 'wohin' 51,9.10.14 und thare
^dahin' 21,21 entstand hara ^hierher' 11,4. 50,1 für '^hera
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 461
(vgl. das bei Graff 4, 694 aus Notker, Tat. und Rc. citierte
hara, -e).
Wegen suster (mit u durch *tvu aus *w'/; beachte auch
suster in den jüngeren mfrk. quellen, Weinhold, Mhd. gr. § 50)
und suester ist § 15 zu vergleichen.
Wegen le{u)won s. § 2 zu w.
§ 17. Zu M und 0 weise ich im vorübergehen auf thor-
nlna, -an, forghtent, wunot 11,22, begonda, -an und begunduj
hmde opt. prt., worphe (s. § 53) und drohtln, -es (vgl. IF. 5, 187 ;
oder liegt hier sowie in ahd. trohtin, as. drohtin nach Kluges
Vermutung eine form mit ö aus au vor?) Sonst ist noch zu
achten auf neben gold, -e 37, 20. 46, 17. 21, goldfaze 37, 19, hold,
-en vorkommendes guold 26, 19, dessen uo auf gebrochene, aus-
nahmsweise in der schrift dargestellte ausspräche von o vor Id
hinweist; auf neben cumftigh, vernumst erscheinendes cuonist
6, 2, mit uo als residuum aus der vorläge (vgl. c(h)uonft nach
Graff 4, 675 in der Bresl, Ebersb., Kremsmünst. und Stuttg. hs.)
oder als bezeichnung von einheimischer brechung vor nist (und
w/Z?); auf neben normalem thogh, tJwch (s. § 8) begegnendes
thach 7, 27. 8, 2, das auf rechnung des nfrk. abschreibers (vgl.
§ 11 zu luzjseron etc.) zu stellen ist (beachte das vereinzelt in
mnl. denkmälern begegnende dach, Mnl. wb. 2, 12).
FtirW's miewelile) 'rund' hat LW 48, 27. 49,8 sinowolde
(flect.) als verbaladj. nach art von zoraht, wunt etc. (s. Kluge,
Nomin. stammbild. § 222 f. und vgl. bei Lexer aus Diefenbachs
Gloss. citiertes nd. sin-, senewolt). Ob das o des inf. bewollan
'beflecken' 42, 16 Schreibfehler ist oder wirkliches o aus e
repräsentiert, mag ich nicht entscheiden.
Zur bezeichnung von ü begegnet / in geknisedon coUisa
38,20 (auch in der Ebersb. hs. gehiisiton nach Hoffmanns glossar
und Graff 4, 574), p. prt. zu *knussan, und thinket 'dünkt' 55,21
(sonst u in thunket 55, 23. 56, 1. 3, scundont, scundich, iviroch-
huvele 32, 24, verfallene, gehugef, hulde etc.).
2. Die langen vooale.
§ 18. Die länge des vocals wird durch doppelschreibimg
bezeichnet: scaaph 9, 5, getnaazot 10, 11, daaden 17, 22, ra^idu
30, 2, meer 11, 14. 12, 27, eerltch 12, 21, geet 29, 5, geent 29, 18,
sii 15, 19, fiigboum 18, 17, wiila 12, 26, geliichon 15, 18, nood
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462 VAN HELTEN
8, 9, scoona 17, 10. 12, verloosda 10, 14, suule 25, 28, verfuulei
26, 13 etc.
Kürzung der langen quantität zur halblangen (die ich
durch y bezeichne) in V(ht levis, lighto adv., bräghta etc., ge-
ßhtet ist zu folgern aus fhr&clere (s. unten zu ä).
Aus durch die Schreibung oy er^^desenem umlaut von ou
(s. § 19) ergibt sich, dass auch bei langem vocal sich der-
selbe process vollzogen hatte. Bezeichnet wird solche afficie-
rung von a jedoch nicht: maara *rede(n)' dat. sg. und acc. pU
fnaara fama, sälich 9, 11, igon, -igosta(n), änich, -Igh 59, 7. 18,
unbärtgh, städeghheid (vgl. § 27), märthe (s. § 31), gespräche,
gebäre, gethrätenaph (s. § 41 zum nom. sg. m.), thräde, -a, -on
'schnell', mithewäre, -a * sanft'.
Doch findet sich auch thr exlere 49, 1 (s. § 9 zu /w; die en-
dung des nomens geht zurück auf das doppelsuffix -iZ-aW; vgl
ahd. dräA^eZ, ^rä/^Ä^7*drechsler'); aber eben aus der Schreibung
mit e folgt, dass hier der vor x Qis) stehende vocal seine alte
quantität eingebüsst hatte und zu einem sich dem e aus a
nähernden halblangen laute geworden war, der übrigens wegen
solcher Quantität ebensogut noch durch die alte Schreibung a
in thraxlere 59, 12 dargestellt werden konnte (also thrSx-, thräx-
lere). Nicht zu bestimmen ist der lautwert von ä in wäde
(s. § 34 zum gen. pl.), wtg(g)ewäphene (regelrechtes ä oder ä
durch anlehnung an *wäphan?), gewädet (s. § 58 am schluss),
wate, -et (etwa mit ä aus den j-losen formen?), wäre, -a, -an
und däde, -a opt. (s. § 56. 61), wända prt. (regelrechtes ä oder o
durch anlehnung an ^wänen?). Wegen -däda, -e s. § 34. Nächan
inf. und genaachat (s. § 9 am schluss) sind mit ä anzusetzen,
das, wenn ch = k ist, aus den synkopierten flexionsbildungen
stammt, wenn ch gedehnte spirans bezeichnet, auf die rech-
nung von" umlauthindernder ein Wirkung dieser consonanz zu
stellen ist.
Altes ß2 erscheint als ie: fiever, gehiez, gierig, ziere adj.
52, 15. 63, 19. 21, gczierct 33, 10. 64, 11 (woneben gesnred, -et
11,1. 27,26. 59,2, zlret, -ent 35,20. 13,8, halsztretha, -e mit i
-- dem vocal von as. ags. tir honor).
Neben wir (aus *wir) und ir (aus *'ir für *jiz statt *juz
-- gotjus) stehen durch Schwächung entstandene wer, er (s. § 46
und vgl. mer, § 16).
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 463
Aussprache von i als i + nachschlagendem überkurzem e
vor heterosyllabischem ch ist zu folgern aus der sporadischen
Schreibung ie in wiechet, -e, -en cedit, -at, -ant 32, 21 und 2.
20, 22, woneben wtchan 51, 10 und rlchon divitibus, himelriche,
luchent, misliiche, -llcho, geliichon 15, 18. 70, 26, besulchet 25, 25
mit i, ii zur bezeichnung des nämlichen lautes.
Statt des normalen uo (in zuOy stuol, bluoyes, -e, bluoth
* blute', muojgan, ruom, muode animo, bluodes, -e sanguinis, -e,
gruoient 35, 28, bruothera, muoder, stuont, buochon libris, suona,
suonere etc.) stehen oo, o in röwes 'ruhest' 9,5 (neben ruowan
20, 1, geruowet 12, 26, ruowon, -an *ruhe'), gebhomed 'geblümt'
12,25 (neben bluome etc., s. §37 am schluss), döt imp. 27,24,
döwir (neben duowir, duon, duost etc., s. § 62), behoodan 'be-
hüten' 8, 24, hoodere 'hüter' 8, 22, mürhödela 'mauerhüter' 44, 23
(neben {be)huoden, -et, -ent U, 27. 76, 16. 27. 77, 8 und hbdan
10, 6 mit 0 als zeichen für uo, wie in moder 23, 14 und rbd,
s. § 19 zu o), goodan 14, 21, gödero 31, 26. 37, 9 (neben guod,
guodes, -e, -en, -ero passim, guod, -es subst.), und zwar als ge-
legentliche Schreibungen zur darstellung von unter bestimmter
bedingung (in offener silbe?) aus uo entwickeltem geschlos-
senen ö (vielleicht mit nachschlagendem überkurzen o« oder
ähnlichem laute; wegen der entwickelung von uo zu der-
aiügem laute im mfrk. vgl. Weinhold, Mhd. gr. § 141 ff.). In-
wiefern die überlieferten uo (den geschlossener silbe eigentlich
zukommenden) diphthong bezeichnen sollen oder nur noch reste
der alten Orthographie sind, lässt sich natürlich nicht er-
mitteln. Mit suör 'schwur' 17, 16 kann selbstredend swuor
gemeint sein.
In der proklise gekürztes o hat ausser tho 'als' auch jzo
'zu' 24,16. 26,18.
Der nach hoyved etc. (s. § 19) anzunehmende umlaut von
uo wird in der schrift nicht bezeichnet: suoze, -en etc., suoze
subst., gemuozcgan, -at (vgl. § 27), muotke 'müde', muotheda
'wurde müde', gruone^itybecnuodelet'eT\jo\ii\ woste^vm&t^' (mit
tvo als Schreibung für wuo\ gefuore. Nicht ermittelbar ist
demnach der lautwert von uo in u{u)ogat, -en 'fügt, fügen'
(mit u\u\o für vuo, vgl. § 6), gegruozet, suochan, -en, -ent etc.,
ruochest (mit regelrechtem oder mit aus dem prt. und [flectier-
tem] p. prt. entlehnten laute?) für huoden etc., s. oben, ist wegen
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464 VAN HELTEN
behoodan etc. letzteres als feststehend zu. betrachten), hluoyefit
etc., -fluoiende, gruoient (s. § 2 und vgl. oben zu wäie, -et).
Aussprache von u a\& a -^ nachschlagendem überkurzem o
vor m ergibt sich aus der Schreibung uo in rtiom 'räum' 28, 3.
Vor w wird ü zu ou (vgl. auch rouwon *reue', § 19 zu iu) in
bo(u)west, -et habitas, -at 27, 24. 77, 18, bowunde (1. boteende,
s. § 55 zum p. praes.): annähme von diphthongierung vor vocal
wird verboten durch das l in vtande, -an, und es ist demnach
das w dieser formen nicht als hiatusfüllender, sondern als im
verbum purum zwischen wurzel- und endungsvocal entstan-
dener laut zu fassen. Sonst findet sich ü oder uu: buch, ge-
brOchan, wlghüs, -e, müra, wlnthrUvo, brud, verfaulet (wegen
drut, -e s. § 12).
Umlaut von u liegt sicher vor in cruce, -e^, gecrUciget,
drügon siccis 49,24 (vgl. ags. dry^e); möglicherweise auch in
husero domuum, suule, -en, wildeshuda 7, 25, verthrüjsed, -et
(s. § 53), bethüwan (s. § 2 zu «;), gefähtet 36, 4 (wegen ü vgl.
am anfang dieses §), thusent, -endon {ü durch *-m^, vgl. § 22
zu -/-, oder u aus der nebenform *thusunt?).
Gekürzten vocal haben lüttere, geluttered etc. (s. § 11).
8. Die diphthonge.
§ 19. Für ei steht e in ädellgh 'verlustig' 76, 23 (W ätei-
llg, -lc\ heyderhed 18,3; vgl. auch noch smethellchon blan-
dientibus 39, 15 (W smehllchen und stneichlichen), das wahr-
scheinlich aus smeckeltchon verderbt ist. Sonst findet sich et:
deil, 'heyd, -heyde 10, 2. 28. 11, 23. 12, 5. 27. 14, 22. 20, 25. 25, 9.
71, 14. 73, 19, steigcrent (W stegerent\ eygene, breyd, Uynet,
neyget, neigande 71, 7, meila, gereynet, veychenes etc. Speciell
zu beachten ist weinlgh, weynega, -a, -cus, -on (nie mit ^).
Wegen sela, -an und sielan s. § 15 und vgl. Beitr. 20, 508.
Neben er, era, eerllch, eeront, leret, lerda, lera, leer an, -et, ge-,
bekeret etc., seredan, geseeret begegnendes bekierent 34, 1 weist
auf eine (in der regel nicht schriftlich dargestellte) afflcierung
von e vor r hin (vgl. gelierot in den amfrk. Ps. 2, 10 und be-
achte die in Weinholds Mhd. gr. § 99 aufgeführten belege für
t vor r aus e).
Statt ö (aus au) begegnet uo in gruoz 'gross' 64,4 und
ruod, -en, -ero, -e, -on 'rot' 26,28. 30,17. 36,12. 37,28. 66,19.
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ZUB 8PBACHE DES LEIDENEB WILLIBAH. 465
69, 20, röd 46, 2 (wegen 6 vgl. § 18 zu uo\ ruode ^röte' 36, 18,
woneben röda, -on adj. 30, 7. 56, 13, rode subst. 30, 9. 24, nior-
ginröd 55, 15 und döden, -on adj. 38, 14. 49, 23, nöde necessitati
22, 23 (oder mit ö?); hieraus lässt sich auf entwickelung von
uo bez. erhaltung von ö vor d (f) und z schliessen (ob uo vor
tauto-, ö vor heterosyllabischer consonanz oder umgekehrt, ist
nicht zu ermitteln). Sonst ö in dooth, -es, -a, släphlöson, äron,
lönes, nood.
Umgelauteter vocal ist anzunehmen für bröthe fragilitatis,
genödo (s. § 32), scöne adj., scöne subst.; möglich ist derselbe
zu erachten für boosliches (man beachte aber aofries. häs, mnl.
boos, die auf einen w- stamm hinweisen, s. Aofries. gi\ § 295 b),
{ge)köse (doch könnte hier auch anlehnung an *köson =rzz ahd.
kösöfi vorliegen), höghe und höhe subst. (vgl. § 32), hosen, er-,
verloosda, -et, nöde (s. oben); für das l-abstractum rode ist
wegen ruode (s. oben) nichtumgelauteter vocal für wahrschein-
lich zu halten.
Im gegensatz zu den ostfrk. Williramhss., die oi nicht
nur in ho-ibet, toigene secreta, erfloiget ^erschreckt', oige, -e7it
* zeige, -en', oigte * zeigte', zoige * zeige', geloibon, -an recedo,
-ere (s. \V und Graff i. voce), sondern auch in geloiben fidis, -i,
^ro«/ 'stillavit, toiwesrori^^ oigen, -on * äugen', wiroiches, loifon
curremus (s. \V und Graff) bieten, findet sich im LW diese
Schreibung nur in den formen mit altem i oder j in der en-
dung: hoyved, -e, doych{e)ne (s. § 7), erfloigat, zoyga 19, 26. Die
hieraus hervorgehende folgerung liegt auf der band: das nach
den W.-hss. auch für die vorläge der Umschreibung anzuneh-
mende zeichen oi fand in letzterer Verwendung ^), jedoch nur
behufs darstellung von umgelautetem ou; sonst wui'de ou ge-
schrieben in {ge)louvan, -on subst. (s. § 36), drouph stillavit
48,24, dotiwes, louphenwer, houph 'häufen' 59,22, sowie auch
in den verben gelovuon (1. gelouvon) recedo 8, 12, belouvan re-
cedere 42, 24, ougant 61, 5, erougade * zeigte' 44, 18, verlouivan
* erlaubt' (verschrieben für verlouved) 39,23, denen also aus
dem prt. und flectierten p. p. entnommener nicht umgelauteter
diphthong beizumessen ist, und douphe, -a (s. § 32) durch an-
0 Wegen ähnlicher entlehnnng eines schriftzeichens aus der vorläge
vgl. § 4.
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466 VAN HELTEN
lehnung an das verb. *Joup}ian mit ou, wie in gelouvon, be-
louvan.
Wegen des ou in hougQi), houch s. § 8 fussnote. Buomffardo
36, 12 ist Schreibfehler; vgl. boumgardo 36, 24, boutnelln und
häufiges (-)bouni, -a. In wlroches, -e und wlrochhurele 35, 9. 19.
32,24 liegt eine fonn mit altem u vor; vgl. w%ro{h)ches -e in
Williramhss. und wlro{c)h in anderen ahd. quellen (Graff 2, 437).
Erhaltung von ie für io (aus ew, a««;, i-o, e-o) ist die norm:
dier, lief ^\\eV, fliezent, -ende, siechon adj. 38,20, siecheduotn
45, 15 (in 49, 24 Schreibfehler sicheduom), wie, ie, nie mit ietnan,
iegellch, nieman etc. (wegen nie[u]we}ites s. § 2 zu w), ^tv>
(a.a.O.), rieph etc. ('ontraction zu f begegnet aber vor tauto-
syllabischer tonloser gutturaler spii'ans und vor -e(-) der endung:
Itght, -es lux, -eis 73,9. 55,27, lihtfajs 73,6 (oder mit t, wenn
die § 18 zu ä erörterte kiirzung jüngeren datums ist als die
contraction), jsich 'ziehe' 7,2, zlhen,'ent 'ziehen' 17,22. 60,16.
65, 2 (wegen h als zeichen für Silbentrennung s. § 10; daneben
zieheni 32, 3 mit ie durch anlehnung an *zie1io{n) 1. sg. praes.
ind. und einen inf. *ziehan), ththe femori 25, 3. 9 (woneben regel-
rechtes thieho femorum 58, 20).
Durch anlehnung entstandenes ie hat gelievan commendare
52, 8 (W geluiban).
Wegen iu als regel (nur einmal ni in liiide 10, 26 durch
schreibversehen oder einfluss der vorläge, für die nach W in
als norm zu vermuten ist) vgl. gebiudest, verUusest, driuphei,
fliugh (s. § 53), liughtent 73, 11, dinren, -er, -esto, diuvel, liu-
munt, liumhafUgQi), ansiune, ungestiuro (s. § 30), liud, -es, -e, -Cfi
(s. § 33), stiured 14,21, friund, ßur 73, 17 etc.; beachte speciell
niudest superl. 20, 28 mit regelrechtem tu vor altem -ist (W nie-
tesia), niud subst. 57, 25 (vgl. as. «-stamm niud gegenüber ahd.
a-stamm niot, niet) und hieran angelehntes nindsamere 45, 27
(doch nied, nietsam 34, 17. 48, 5. 50, 19. 23 sowie niedet 'freut'
14,4; in riuchgerda virgula fumi 24,6 kann iu schwerlich
etwas anderes sein als Schreibfehler für ou\ eine form mit
ablaut iu ist meines Wissens nirgendwo bezeugt). Hingegen
steht ü vor alter aspiration (wofür in überlieferter periode
hiatusfüllendes w, s. § 2) und organischem w: scuwest, -an
(vgl. a. a. 0. und beachte wegen der nämlichen erscheinung im
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 467
alem. (ir-), pizühit gl. K und Ra, s. Kögel s. 22 ^), trüwa * treue'
33, 21. 52, 3. 9; jedoch mit den ausnahmen iuwera, -es etc. poss.,
iu{f)(c)h (s. § 2 zu «') und niwen, -aiz) 'neuen, -es' 65, 16. 68. 11,
von denen sich die erste erklärt als die folge von anlehnung
an /«, die letzte auf neutralisierung der einwirkung von w
durch i und j der endung hinweist. Das u von soawest, -an
kann umgelauteten oder aus dem praet. und flectierten p. p.
entnommenen nichtumgelauteten vocal repräsentieren: denn
contraction von altem iu in den vorliegenden formen zu w,
nicht zu ü, ist zu folgern aus rouwon 'reue' 42, 23 (in der hs.
verschrieben ruowon\ dessen ou, wie in honende etc. (s. § 18
zu m), auf ü zurückgehen und also die fortsetzung eines vor w
aus iu entsta,ndenen n sein muss (in trmva erhielt sich der
vocal durch anlehnung an das verb. "^trüön oder Hruon). Dass
die Verwendung des schriftzeichens iu in den obigen belegen
mit diphthongischer ausspräche in Zusammenhang steht, ist zu
erschliessen aus der nichtVerwendung dieses Zeichens für um-
gelautetes u (vgl. § 18 zu n und beachte in W geluiteret, ye-
fuihtet, huisero neben gebuitest, verkuisest, truiffet, fluieh, luih-
tent etc.); in wiefern hier aber iu oder iü (vgl. Behaghel,
Germ. 34, 247. 370) vorliegt, ist kaum zu entscheiden.
III. Die vocale der end- und miitelsilben und präfixe.
§ 20. Der erörterung der Schicksale der end- und mittel-
silben ist die bemerkung vorauszuschicken, dass unser dialekt
in ähnlicher weise, wie die aus später zeit tiberlieferten ahd.
mundarten, vielfach eine durch anlehnung, analogie-
bildung oder Übertragung entstandene Verwilderung
des alten declinations- und conjugationssystems
aufweist und dass demnach die phonetische entwickelung der
endungsvocale sich manchmal nur aus den formen ersehen
lässt, die in folge ihrer Isolierung einer solchen alteriening
nicht ausgesetzt waren.
*) Auch W hat scühest, -an ; doch berechtigt dieses ü nicht unbedingt
zu einer folgerung, weil ü iu den Williramhss. mitunter statt m als
zeichen für den aus iu entwickelten laut verwant wird; vgl. anasüfie, tü-
resio, türer, siüret.
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468 VAN HELTBN
1. Die vocale der ungedeckten endsilben.
§ 21. Altes -a {^^ ahd. -a; ich gehe hier und im folgenden
von dem alten ahd. lautstande aus) wird zu -e nach kurzer
(unbetonter) paenultima der endung und nach kurzer (schwach-
toniger) paenultima pro- oder enklitischer formen: ere aus
*-era in der starken adjectivflexion (s. § 41. 48 zum gen. dat.
sg. fem. und gen. pl.), -ere nom. sg. ntr. des comparativs (wo-
neben -era nom. sg. ntr. fem. durch sj-stemzwang, s. § 43), tlkere
gen. pl. aus "^thera (§ 49), -ede (§ 57; wegen analogisch gebil-
deter -cfe. -te, -ode s. § 57. 59. 60. 63), ovme 'oberhalb' 17,3. 30,28
(wegen *-ena vgl. ahd. innena Pa, üzzena Pa, Graff 1, 296. 536;
doch innena 14, 28. 39, 26. 57, 6 durch anlehnung an oränö, ni-
thäna, s. unten), ane praep. 56, 15, vane, rone (s. § 15; doch ratia,
ana praep. 7, 9. 15, 16, sowie ava 43, 23 mit -«, das ursprüng-
lich nicht-proklitisch stehender form zukam), hine *liin' 73,21,
thare 'dahin' 21, 21 (doch tiara 'wohin' 51,9. 10, 14, hara 'hier-
her', s. § 16, mit -a des betonten adverbs), vore, fore praep.
und adv. (s. § 6; dem adv. kam eigentlich eine form mit -a zu),
wole 12, 25. 25, 2. 48, 5. 52, 16. 22. 55, 17. 24, 70,4.6 (doch auch
wola 14,11. 20,25.26. 35,24. 39,26. 41,5. 57,8.24. 66,8;
erstere form entstand in der adverbialen proklise), hinv eum
(woneben auch ursprünglich in die betonte Stellung hinein-
gehörendes hina, s. § 47). Wegen der ausnahmen huvela etc.
und apheldera etc. s. § 29 und 37. Dass dieses -e als -9 zu
fassen ist, geht hervor aus ane, vane, thare: entwickelung von
alten ana, rana, thara zu ance, vance, tharce in oder nach der
Periode in der -e (^-^ -ve) nach a der vorsilbe zu -a wurde
(s. unten), wäre undenkbar; vor besagter periode entstandene
ance, vance, tharce hätten bei eintritt gedachter afficierung ana,
vana, thara ergeben.
Nach hochtoniger silbe und nach langer (nebentoniger)
paenultima der endung bez. pro- oder enklitischer Partikeln
behauptet der vocal seine Qualität: -a nom. acc. sg. der ö-sub-
stantiva (s. § 31), acc. sg. fem. des starken adjectivs und des
Possessivs (s. § 41. 48; über durch anlehnung gebildetes -e für -a
s. daselbst), nom. acc. pl. masc. der a-substantiva (s. § 29), nom.
sg. f. und nom. acc. sg. ntr. der schwachen declination (s. § 37.
38. 42), -da, -ta, -eda (aus *'eda), -oda (s. § 57. 59. 60. 63; wegen
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ZUR SPBACHB DBS LBIDBITBB WILLIBAM. 46d
analogisch gebildeter -eda der 1. klasse s. § 57), vana, ana etc.
(s. oben), ana adv. oder postpositum 8, 11. 12, 1. 14, 22. 30, 22.
31, 18. 44, 17 und in dem häufigen alligana 4mmer', ovana 'ober-
halb' 60,6. 64,4 und nithäna 17,4. 60,6. 64,3, aana 'ohne'
28, 21. 26. 29, 1. 15. 30, 17, uffa, upha (s. § 4), wanda 'denn'
passim. Neben letzteren formen ausnahmsweise uphe 74, 3,
wände 49,2. 61,22. 63,7, entweder mit aus der vorläge ent-
nommenem -e (W hat öfters uffe, wante) oder mit -e für -a
nach dem muster der vielen Partikeln mit -e und -a. Sonst
noch anne 'an' 29,23. 66, 14. 68, 16. 17.27. 71,4 und hinne in
hinne füre 'hinfort' 68,23 (woneben regelrechtes hinna vure
39,4) mit -e nach analogie von ane, hine.
Altes -e (= ahd. -e) bleibt -e: -e dat. sg. der a-declination
(s. § 29), nom. acc. pl. der starken adjectiva und possessiva
(s. § 41. 48), 1. 3. sg. praes. opt. (s. § 55), imp. sg. nach 3. schw.
conjugation (s. § 59), ni-, newanne, sowanne, gitthewanne (s. § 2
zuj), thanne (das einmalige thanna 26,12 kann nur Schreib-
fehler sein), me 42, 13, inne 10, 16. 19, 22. 53, 10. 69, 9.
Altes 'i {= ahd. -i) wird zu -e: die -e der ja-declination
(s. § 30 und 41 zum nom. sg. m. f. und am schluss; beachte auch
unflect. mojge 30, 7. 14, muothe 26, 23, scöne 12, 20), der i-stämme
(s. § 33. 34), im imp. sg. 1. schwacher klasse (s. § 55), der 1. 3.
sg. prt. opt. (s. § 56. 60), sowie unze 'bis' 20,20. 32, 1. 34,20
(vgl. ahd. unm B, M, gl. K, Ra), ande 'und' (s. § 15), mide, mühe
(s. § 13), withere 21, 5. 42, 15. 57, 16, 17 (ahd. widiri), vure, füre
adv. (s. § 6).
Altes '0 (= ahd. -o) begegnet als -o: die -o und -ero des
gen. pl. (s. § 29. 33. 34. 41. 48), des schw. nom. sg. m. (s. § 36.
42), der 1. 3. sg. praes. opt. (nur belegt in minno, s. § 59), der
adverbia (s. §'44), in upho praep. (s, § 4) und tvithero 'zurück'
22, 10. 23, 16. 42, 25, deren endung sich dem -o von got. aftarö,
undarö, ufarö vergleicht.
Altes 'U (= ahd. -u) erscheint als -o: die -o des alten in-
strumentals (s. § 29), des gen. und dat. sg. der ö-substantiva
(s. § 31), der ti-declination (s. § 35), der pronominalen suffixe
-emo, -ero (gen. dat. sg.) (s. § 41. 48), des nom. acc. pl. der starken
adject. und possess. (s. § 41. 48), der 1. sg. praes. ind. der starken
und 1. schwachen flexion (s. § 55); hierzu gehört auch sino ecce
(vgl. § 10 am schluss).
Beiträge aur gesehlchte der deotechen ipnushe. XXIL 31
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470 VAN HELTEN
Altem 'l (= ahd. -i) entspricht, wie die endungen der
t-feminina lehi-en (s. § 32), -e. Ob -de im opt. prt. (s. § 57.
59. 60) auf 'dl (= Notkers -ti) oder auf -di zurückgeht, ist also
nicht zu entscheiden. Weil aber die kttrzung von langem
ungedecktem vocal feststeht, ist für den nom. acc. pl. der ff-sub-
stantiva (s. § 31), auch wenn die endung hier dem Notkerschen
-ä entsprechen sollte, -a (nicht -ö) anzusetzen.
Aus 4 entstandenes -e wurde in der überlieferten periode
als e« oder -a« gesprochen; vgl. dugathw 37, 1, scönceöS, 19 (bei
Hoffmann falsch scone). Hieraus ist die nämliche Qualität für
auf 't zurückgehendes -e zu folgern. Dass aber auch -e =
altem -e denselben lautwert hatte, geht hervor aus dem um-
stand, dass diese drei -e nach tönendem guttural und
nach a oder ä + einfacher oder gedehnter consonanz
in -a übergehen (s. wegen der belege für diese erscheinungen
und der gelegentlich durch systemzwang hervorgerufenen aus-
nahmen § 29 zum dat. sg., 30. 32. 33 zum nom. acc. pl., 34. 40. 41
zum acc. sg. f. und nom. acc. pl., 55 zum opt.* und imp. sg., 59
zum opt. praes. und imp. sg., 60 zum opt. praes.). Wegen des
chronologischen Verhältnisses zwischen den beiden afftcierungen
s. das § 24 zu dugatha bemerkte. Nach paenultima der endung
wird -e zu -o: milocho (s. § 34) und vielleicht auch himolo (s. § 30).
lieber -e»- (-ar) statt -ere {-arc) und über elision von -o
der 1. sg. praes. ind. und des endungsvocals von -da, -in (oder -de,
•te) vgl. § 41. 48. 49. 55. 57. 60.
2. Die kursen vooale gedeckter endaüben.
§ 22. Gedecktes -a (= ahd. organischem oder anorgani-
schem -a) wird -e (d. h. -9, vgl. § 21) vor r und l: under, hinder,
otlier *oder', ahkery uuocher^ winter, offer, wcuszer 39, 1 {wcuszar
38, 27 nach den flectierten formen, s. § 24), sunder, tvither 8, 16.
18. 33, 24. 36, 2. 39, 13. 44, 27. 61, 10, silver, aus tnaheldaga zu
folgerndes niahel (das nicht an muhel angelehnte compositum
hätte mdhaldaga gelautet, vgl. § 26). Vor anderen consonanten
bleibt a erhalten: -an acc. sg. masc. pronominaler flexion (s. § 41.
48), -an inf. starker und 1. schwacher flexion (s. § 55; daneben
-en aus *;;aw), -an p. prt (woneben -en aus den fliectierten casus,
s. § 56), lachan, ophan, regan, voran 23, 20 (as. foran), ingegan
(s. unten), ovae 36, 24. 56, 10. 64, 20. 68, 11, magath (s. § 40).
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ZUR SPRACHE DE8 LBIDBNBR WILLIBAM. 471
Gedecktes -e (= ahd. -c) bleibt in der regel -e: ander, after
(vgl. Beitr.6,247), over 18, 4. 71, 7. 72, 18, suester, suster (s. § 15),
muoder, die endung -es gen. sg., -en in der schwachen declina-
tion (s. § 42), -et, -ent 2. 3. pl. praes. ind. und imp. pl. starker
und 1. schwacher flexion (s. § 55), -eg (s. § 27), noven ^sondern'
22, 24. 28, 10. 55, 28 (aus nove = ahd. nube und angelehnter
negation; vgl. anfrk. novan aus nova ~r^ ahd. nobd). Zwei-
deutig ist -er in wa-, newether (s. § 52 und beachte Beitr. 6, 247).
Gedecktes -i (= ahd. -i) wird in der regel zu -e: thuscnt
(vgl. Beitr. 6,237), iergen 'irgendwo', iegen 21, 13, angegen 73,22,
(:in)gegen 62,rS. 72,20.21.27. 73,1. 75,20, tiw^ew 15, 13. 22.
67, 14. 69, 9. 70, 23 (ahd. unzin B, Tat. 96, 5. 98, 4. 102, 2; um-
hin, vgl. § 11, mit erhaltenem vocal durch anlehnung an m), -en
dat. pl. der ja- und «-stamme (s. § 30. 33. 34), grindel, holer nom.
pl. ntr. (s. § 30), frnozer etc. und fltdicher etc. (s. § 43. 44), lujs^jsel,
die endungen 'es(i), -et, -ed 2. 3. praes. ind. starker und 1. schw.
flexion (s. § 55), -et, -ed p. prt. 1. schwacher flexion (s. § 57), -est
(woneben -ist, s. § 26 zu -«-), hoyred, -et (vgl. § 19 zu aw).')
Wegen der ausnahmen -list, -rid, -rit nach umlaut e s. § 55
zur 2. 3. sg. praes. ind. und § 57 zum p. prt. Wegen cuning,
-ig und drohtin s. § 26.
Mit ungedecktem -e (- -e und aus -i und -i) übereinstim-
mend (s. § 21 am schluss) wird gedecktes -e (r^ -e und aus -i)
nach tönendem guttural und nach a oder a + einfacher
oder gedehnter consonanz zu -a (vgl. wegen der belege
und der durch systemzwang hervorgerufenen ausnahmen § 29
und 30 zum gen. sg., 33 zum dat. pl., 34. 41 zum- gen. sg. f. acc.
sg. m. und gen. dat pl., 42. 55 zum sg. und zur 3. pl. praes. ind.,
zum opt. und imp. pl., 56 zu -ast und -et, 57 zum p. prt., 60 zum
opt. praes.). Auf eine phonetische ausnähme der regel, auf er-
haltung der cb- Qualität nach umlaut e + g ist zu schliessen
aus iegen, an-, (in)gegen (s. oben; das einmalige ingegan 62,4
ist compromissbildung aus ingegen und *ingagan, wie amfrk.
gaien-, s. Tijdschrift voor nederl. lett. 15, 160, aus ^gegin- und
*gagan), [Belege für hiernach zu erwartende formen mit sol-
chem eg + auslautendem e fehlen; doch beachte man als
") In oley 6,13 stammt -e- wol aus den flectierten formen, denn in
*oUj (vgl. anfrk. ölig) musste tantosyl labisches j das -i- vor Übergang in
'€- schützen.
31*
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472 VAN HELTEN
Übereinstimmende ausnähme der § 24 erwähnten afficiemng
von mittelsilbigem -ge- aus egeslich zu folgerndes egeso und
vgl. auch das § 25 zu hegge- bemerkte.]
Gedecktes -u {= ahd. -u) wird -o: avor 'aber, widemm'
(ausnahmslos für W's abo, -a, -er), legor 4ager' 33, 12, miloch,
ernost 73, 17, wicÄo/ 8, 9. 11, 25. 63, 22, rat?on 'rabe' 46, 19
(vgl. Beitr. 6, 241. 245), seszogh, aghtzhogh, zehenzogh, die -on
im dat. pl. der a-substantiva (s. § 29), im acc. (dat. gen.) sg.
masc. ntr. und nom. acc. pl. masc. der schwachen flexion (s. § 36.
42), die -on, -ot des pl. prt. ind. (s. § 56. 57. 59). Wegen liumuni
s. § 26.
Wegen der synkope von -t- von altem iuwich s. § 2 zu tr.
8. Die langen vooale gedeckter endsilben.
§ 23. Gedecktes -a (= ahd. -ä) begegnet als a (die kürze
ist aus der behandlung der anderen gedeckten langen endungs-
vocale zu erschliessen): hinan 17, 24. 20, 22. 30, 1. 32, 2. 22.
33, 27. 43, 24. 45, 7. 53, 2 etc., wanan 8, 14, toannan 71, 25,
thanan 43, 25, von{€) thannan (s. § 15). Demnach ist für die
endung von innen 70, 10, Uz{z)en 48, 15. 69, 19, uphen, äffen
(s. § 4) anlehnung an innena, ovene (s. § 21 zu -o) u. ä. anzu-
nehmen. Die 'On und -en in vone thannon, -en 60, 21. 75, 13
begreifen sich im hinblick auf -on und -en neben -an im dat.
pl. (s. § 41): vorangehendes von{e) konnte ja die fassung von
-an als casussuffix veranlassen. In. uphon 36, 27 liegt Schreib-
fehler vor oder die form steht als compromissbildung aus upho
(s. § 21 zu -o) und uphen.
Die behandlung von altem -e (= ahd. -e) vor nasal
ergibt sich aus dem isolierten enzuischan 11, 21.24.
Mit rücksicht hierauf sind die -an des dat. pl. pronominaler
flexion, des praes. opt., des inf. der ß-klasse und die -ant letz-
terer conjugation sowie die daneben erscheinenden -en, -eni
und -en der 1. pl. praes. ind. starker und 1. schwacher conju-
gation (s. § 41. 48. 55. 59) zu beurteilen.
Vor anderen consonanten steht -e für altes -e: unser (s. §48),
-es im opt. praes. (s. § 55. 59), 'es{t), -ed, -et in der 2. 3. sg. praes.
ind. und -ed, -et im p. prt. der ^-flexion (s. § 58. 59). Durch die
mit der behandlung von ungedecktem und gedecktem -e (= altem
-e, 'i, 't, s. § 21 am schluss und § 22) übereinstimmende afficie-
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 473
rnng dieses endungsvocals nach tönendem guttural
und a oder ä + einfachem oder gedehntem conson.
(s. die belege sowie die durch systemzwang veranlassten aus-
nahmen § 59) wird die kürze des nicht afficierten endungs-
vocals erwiesen.
Gedecktes -f (= ahd. -f ) erscheint als -c in -ed, -et, -en
des prt. opt. (s. § 56. 60) und -en im gen. dat. pl. der f-decli-
nation (s. § 32). Wegen der ableitungsendungen -in und -eg, -ig
vgl. § 27.
Gedecktes -ö (= ahd. -ö) wird -o (die kurze ist aus ge-
deckten -a, -e, -0 für -e, -f, -ü zu erschliessen): -on im gen. dat.
pl. der o-stämme und der schwachen declination (s. § 31. 36. 37.
38. 42), 'or, -ost der adverbialen comparative und Superlative
(s. § 44), -ofiy •os(t), 'Ot, -od, -ont der 2. schwachen conjugation
(s. § 59). Demnach kann der endungsvocal von okkeret 'nur'
nicht auf -ö- zurückgehen.
Gedecktes -u (= ahd. -u) wird -o : -on im gen. dat. sg. fem.,
nom. acc. pl. fem. ntr. der schwachen declination (s. § 37. 38. 42).
4. Die kuraen vooale offener mittelsilben.
§ 24. Altes -a- (= ahd. -a-) bleibt erhalten nach a der
Wurzelsilbe: navalo, reydewaganon, wcusza/rOy -e, -on 38, 22. 73, 13.
47, 10 {wazeeron 47, 20 durch anlehnung an wcuszer, s. § 22 zu -a),
wighwäphane 31, 2 (die ausnahmen gemahela, s. § 36, tavelon
haben -e-, d.h. -9- bez. -ce-, durch anlehnung an *fnahel 'ehe-
vertrag', vgl. § 22, und getavela, s. unten zu -«-). Ueber die
behandlung von -a- nach anderen lauten lässt sich nichts be-
stimmtes sagen: silvere, hittera, -eremo, veychenes, eesewa (mit
-ce- = altem -6- oder mit -9-, vgl. § 21, aus -a-, wie in der com-
positionsfuge? vgl. § 25); ovojse 65, 16 kann an ovaz (s. § 22)
angelehnt sein, wie magathe (s. § 40) an magath.
Altes -e- (== ahd. -e-) bleibt in der regel erhalten: andere,
-en, iuweres, -en, unseren, opheno adv., o(p)phenent, eygenen,
die endungen -enen, -enon, -ene des p. prt. (s. § 56), innena
ovene (s. § 21 zu -a), ze samene, -a (s. § 29), eynega, -e, -ar, -an
-atno 15,18.22. 27,17. 43,3. .70,25. 74,9.18. 75,18, weinega,
-on 36, 13. 16, 20, ovezo, -es, die endungen -emo, -ere, -ero der
pronominalen flexion (s. § 41. 48). Nach mittelsilbe -m- wird
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474 VAN HELTEN
'€' ZU -«-, wie -en (dat. pL des starken adjectivs für -an, s. § 41)
zu 'in: elphandlnimo 61, 8, cedrlnin 74, 5.
Altes 'i' (= ahd. -t-) wird -e-: eÜieU, bileffie, gewidere, un-
gewedere, gezimhere, getavela (vgl. § 30), huvela 16, 8, luzselon,
mUrhödela, uvelo, -en, weythenent, hezeychenent, ung{g)et€äphen€,
die endungen -ero, -eron, -eran gen. dat. pl. ntr. (s. § 29), -era
etc. des comparativs (s. § 43), -ethe (aus *-tiht, s. § 31), -ed- der
1. schwachen conjugation (s. § 54), etc. In friundina (s. § 31)
erhielt sich -i- durch anlehnung an die bildungen auf -inna.
Beide -e- werden zu -a- nach tönendem guttural,
wenn die folgende silbe kein -e{-) hat: wirthegaro, stadi-
gare 39, 18 (mit -9 für -a, s. § 21 zu -a), eyne-, eynagamo (s. § 41),
doch geargerent, steigerent, dugJiethe gen. sg. oder pl., -en dat, pl.
(s. § 34), iugetliet 'verjüngt' 6, 16. In eynegemo, tviüegero dat.
sg. (s. § 41) steht das zweite -e- durch systemzwang; in gehu-
gega 7, 10 durch anlehnung an das -eg- von eynega, weynega
etc. In vingera nom. pl. und erougade opt. (s. § 57) stammen
die mittelvocale aus den flexionsformen mit regelrechtem -e-
{*vtngeres, -e) bez. -a- {*erougad9, -pn). In dugatJuB nom. pL,
•oen gen. pl., -en dat. pl. (s. § 34) beruht -a- auf anlehnung an
*dugath für *dugeth aus *dugith (vgl. § 22). Zweideutig ist
der mittelvocal in dugetha nom. pl., -athan dat. pl. und tnsigheki
dat. sg. (s. § 30), weil die analogisch entwickelten endungen
älteren oder jüngeren datums als die entstehung von -a- aus
-e- sein können; dugatha nom. pl. Hesse sogar (vgl. § 34) noch
eine dritte deutung zu. [Instructiv für das chronologische
Verhältnis zwischen den beiden § 21 am schluss und § 22 er-
wähnten -a(-) aus -6'(-) ist der gen. sg. dugatlia mit -a- durch
anlehnung au *dngath und durch dieses -a- hervorgerufenem
-a für -e. Dazu stimmt auch mamgara nom. pl. (s. § 43) mit
•ara aus *-arc und -a- aus den flexionsbildungen mit regel-
rechtem -ga-. Im p. prt. zu *besigelen konnte nach dem oben
beobachteten kein -ga- aus -ge- entstehen; wenn sich dennoch
die nach § 22 durch ihr -ad, -at auf *besigalad hinweisenden
formen besigelad, -at 35, 26. 36, 7 (mit -e- durch anlehnung an
%esigelen, -es(f), -et, -ent etc.) und lesigaladen 36, 4 (vgl. § 27
anm. 1) finden, dann ist hier das nach g stehende -a- als die
folge von anlehnung an ein prt. *hesigalda {r= ahd. pisigalta,
s. Graff 6, 145) zu fassen.] Eine phonetische ausnähme der
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ZUB SPBACHE DES LSIDENEB WHiLlBAM. 475
erwähnten afflcierung bietet aus egeslich zu folgerndes egeso
(s. 26 am schluss) mit -ge- nach umlaut e (vgl. die § 22 hervor-
gehobene ausnähme iegen etc.).
Altes -0 (== ahd. -o) erscheint als -o in mannorine.
Altes -tt (= ahd. -u) wird zu -o: himole, -o (s. § 29), epholon
14. 6, jere samone (woneben ze samene, -a, s. § 29 und vgl. Beitr.
6,241).
Gelegentliche assimilierung begegnet in manlgslachtagan
13. 7, eynagamo 15, 28 und steynlochoran (neben -hcheron, -ho-
leron, -an, s. § 29).
Bezüglich der sjukope bez. erhaltung von mittelvocal sei
im vorbeigehen auf die § 30 und 54 verzeichneten derivata auf
'(e)the und präteritalbildungen mit -(6)d- sowie auf hirzon cervis
und winstra hingewiesen;
hervorgehoben seien aber unsermo, mtnro, thlnro (s. § 48),
thirro gen. dat. sg. f., andere gen. pl. (s. § 50 und 41; auch unser
für unsere aus unser eraf s. § 48), in denen zwischen zwei r
stehendes -e- ausfiel (vgl. Beitr. 12, 552. Zs. fdph. 7, 443. MSD.
2\ 324), heilsamo dat. sg. 61, 19 (auch in W) mit Schwund des
zwischen zwei m stehenden -e- (Vereinfachung von rr, mm nach
schwachbetonter silbe, vgl. Braunes Ahd. gr. § 93 anm. 1).
Hinsichtlich der vocalentfaltung erwähne ich gegarewet,
garewa, jsesewa, sinowolde (s. § 17) und thurg{h\ forghtent, naght-
vorghta, thurft, starc, arbeid etc.
6. Die vooale in der compositionsflige.
§ 25. Der behandlung der im vorigen § zur spräche ge-
brachten vocale entspricht die behandlung der in der compo-
sitionsfuge stehenden laute:
anagimia 20, 15. 37, 2, analigad, ananemet, anasihen, ana-
vinged, anazucchont (doch anegeduon 42, 15, anneselian 69, 18
durch anlehnung an ane, anne, s. § 21 zu -a), dalaslaghta 56, 11;
hingegen lineherga, -on, dischesitheles, siecheduom 45, 12. 49, 24,
smUhesctrethe 10, 23. 28, mirrehergo, voUekunian, -cume, -cunian,
-bringan 34, 20, -volgon, -wardon, -wunderan, woledäda, -e, -an
(doch woladädu mit anlehnung an wola, s. § 21 zu -a), tvole-,
welelusten (s. § 34), vorecundent 18, 24, sütJienewind 39, 10. 16;
in scameltche, ungenäthelich erklärt sich das -e- als analogie-
bildung nach den composita mit regelrechtem -e-\
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476 VAN SELTEN
reydewaganon (vgl. anfrk. reidiwagon), hereberga, -on, erve-
giiod 53, 26, listeltche 73, 15 und heggeholeron, -an, minndicho
26, 4, wunnedische (mit -e-, d. h. -ce, aus -i- des t-stammes oder
mit -e-, d.h. -»-, aus für -i- eingetretenem -a-, vgl. ahd. Aella-
gruoba, -wlzi, -grünt neben helUgrtwpa, -wiai, -rüna, Grimms
Gr. 2, 458; das -e- von eventuellem hegge- aus Äcflf^*- wäre nach
dem § 22 zu iegen etc. als phonetischer ausnähme bemerkten
zu beurteilen), vure-, füre- (s. § 6), mitheware, -a 52, 14. 19, m«-
thewiste 52, 10, umbegmt, -grlphed, -leged, -stecchet, gefkrOdenaph
(s. § 41 zum nom. sg. m.).
6. Die kursen vooale in gesohlossener mittelsilbe.
§ 26. Altes 'Or {= ahd. -a-) bleibt erhalten: mande, -an
(s. noch unten; wegen vtende vgl. § 39), elphandtn, -Immo 61, 1. 3
(wo -min als Schreibfehler steht für -in), 8 (s. noch unten),
aphalderbouma 71,18 (in apheldera 13,23.24 muss demnach
-el- auf anlehnung an ein adject. *aph€ld(i)rtn mit umlaut von
-a- beruhen).
In bezug auf -e- sei bemerkt, dass umlaut von -a- in ge-
schlossener mittelsilbe regel ist: -ende im p. praes. und -ene
im gerund, starker und 1. schwacher flexion (s. § 55; dass hier
neben -e- aus -ja- auch -e- aus -a- vorliegt, geht hervor aus
durchstehenden -ende, -ene neben -an, -en des inf.), werelde
(und hieran angelehntes wereld). [Nach tönendem guttural
wird dieses -e- zu -a-, wie in der endsilbe; vgl. § 22 und
beachte neigande, woneben stigeno durch systemzwang, s. § 55.]
Die ausnähme elpJmndm etc. begreift sich als die folge von
anlehnung an *elphand\ für vmnde (s. § 39) sind zwei factoren
in anschlag zu bringen, entweder die i- flexion des nomens
entstand nach der umlautSAvirkung oder der plur. ist an den
sg. angelehnt.
Die derivata auf altes -ish erscheinen mit -i- und -e- in
der mittelsilbe, die superlativa auf altes -ist mit -i- und -e- in
der mittel- und der endsilbe: erthiscan 73,23, -€sco{n) 42,22.
54, 9, mennisc(h)o, -on, mste 23, 21, fureston 62, 15, heresta,
-en, diuresto, lieveston, hezzesta, -en, quekJcestan, -on etc., erist,
minnist, erest, thickest, niudest etc. Im hinblick auf die be-
handlung von gedecktem -i in der endsilbe (s. § 22) ist -i- als
eigentlich der mittel-, -e- als eigentlich der endsilbe zukommender
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ZUB 8PBACHE DES LETDENEB WILLIBAM. 477
laut ZU fassen. Vgl. auch -nisse, -es (s. § 30. 32), friundinna,
hu-, cuninginnan, meysUinnan (s. § 31), warningan 31, 23, phen-
ningo, cuninges, -a (hiernach hu-, cuning mit -ing für -eng,
vgl. § 22, es sei denn dass in folge von conservativer ein Wir-
kung von ng das -i- auch der endsilbe eigentlich zukam;
mnig 7, 6 mit -i- durch anlehnung an cuning; auch für droh-
tines, drohtin, wegen dessen endungsvocaJs man IF. 5, 187 be-
achte und Notkers truhten vergleiche, ist erhaltung des alten
-«- durch einwirkung von cuning{') zu vermuten), miliche, -o
(woneben mileche durch anlehnung an *mil€ch, s. § 34). Thu-
senden nach thusent (s. § 22 zu -i).
Diesen -i- : -e- gemäss hat -u- als der eigentlich geschlos-
sener mittel-, -0- als der eigentlich geschlossener endsilbe zu-
kommende laut zu gelten; vgl. manungo. Es muss also das
-0- von milocho, -e (s. § 34) aus der unflectierten, das -w- von
Uumunt aus den flectierten formen stammen.
Die nämliche behandlung (von -a- etc.) ist zu erwarten
für den in geschlossener silbe stehenden vocal der endsilbe
eines ersten compositionscomponenten. Und es begegnen in
der tat dementsprechend cristanheyd, bilithlich 65,27 (gegen-
über bileihe), morginröd (gegenüber nach § 22 zu -i anzusetzen-
dem morgen), turtuldüvan sowie zehenzogh, ernesthafto (emest-
mit -e- im ablaut zu -w- in *emust, woraus ernost, s. § 22 zu -w),
cuningllchero. Doch findet hier auch oft die an das simplex
angelehnte form Verwendung: mäheldaga (s. § 21 zu -a), sunder-
liehe, '0, witherdrivan 31,20, nithergeganganj underleged, -skei-
thety 'ivindan, egesltch 52, 15. 22. 56, 4 (nach dem § 24 zu -a-
aus -e- erwähnten egeso, dessen einwirkung auch die nicht-
afficierung von -e- nach g erklärt), himolrlche, elphondbeinin,
'beine 49, 11. 14 (das hieraus zu erschliessende elphond ist wol
neben aus elphandln, s. oben, zu folgerndem elpJiand entstanden
nach dem muster von *wisand neben *wisond = ahd. wi-
sant, -unt).
7. Die langen vooale der mittelsilben.
§ 27. Aus der Verwendung von a zur darstellung von
umgelautetem ä der paenultima in den personennamen auf
altes -äri (s. § 30 und vgl. wegen der umlautung das unten
zu middelöthe bemerkte) ist zu schliessen, dass hier in der
mittelsilbe alte länge nicht zum kurzen vocal geworden war
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478 VAN HELTEH
(vgl. § 18 ZU a). Aus mit der behandlung von kurzem -e- nach
tonlosem guttural (s. § 24) fibereinstimmender afflcierung des
mittelsilbenvocals in frägadot, gethrangada, -on (s. § 59)*) er-
gibt sich kurzes -e- und -o- für altes in der mittelsUbe stehen-
des -e-, -0- in der 2. und 3. schwachen conjugation. Indem
nun für diese kürzung die annähme von analogiebildung auf
der band liegt (s. a. a. o.), ist aus -äre zu folgern: alte länge
der mittelsilbe hat sich in der überlieferten periode unsei-er
mundart nicht auf phonetischem wege zum kurzen vocal ent-
wickelt. [Mit der nicht-lautgesetzlichen entstehung von mittel-
silbigem -e- in der 3. conjugation steht die erhaltung der
e-qualität vor nasal im p. praes. und gerund, dieser verbalklasse
(s. § 59) in Zusammenhang; antenasalisches -a aus -c, s. § 23,
entstand nur bei regelrechter kürzung.]
Mit rücksicht auf das oben erörterte begreift sich die
erhaltung der alten qualität von in der mittelsilbe stehendem
vocal der diminutivendung und des adjectivsuffixes -in in cor-
nellno, cristlnen 8,18, cedrinin 74,5, elphandtnimo 61,8, gul-
dlnen, silverine, -eii, -ero, marmorine, thomtnan, -a 28, 5. 7
(aus den flectierten formen wurde die endsilbe -in entnommen,
statt deren nach § 23 bei regelrechter entwickelung -en zu
erwarten wäre: boumehn, gebundelin, cedrln 13,2, elphandin
61, 1, elphondbeintn 49, 11, guldtn 26,2. 19. 48,27 (wo Hoffmann
falsch gülden las). 49,8, silvertn, cypressln); beachte auch ge-
ordinedon 48, 2 (aus einem prototji)US mit -i- wäre geordenedon
hervorgegangen). Und ebenso erklärt sich das -l- in cti(n)-
stlgan, willlgo, ewlga, -an, einlga sola, maghtiga, -an, heyhga,
'On, -an, säligon, 'Osta(n), nmntga, -er, -ar, -ara (und hieran
angelehntem abstractum nieniga, -e, s. § 15), in denen jedoch
nur zum teil auf altes -ig zurückgehendes suffix vorliegt
(vgl. ahd. heiUic, -eg-, manac-, maneg-, Beitr. 6, 280 ff.): offen-
bar waren ja die adjectiva auf altes (in der überlieferten
Periode sowol im aus- als im inlaut verwantes) -e<7(-)^) Biit
^) Ueber maneda und das p. gescapheda ist nichts sicheres zu sagen
(-€- regelrecht oder regelwidrig, wie in bewaret etc.? vgl. § 59): für mittel-
silbiges -a- aus -e- nach a der vorsilbe gibt es keinen zuverlässigen beleg,
denn hesigaladeti (s. § 24) kann auf anlehnung an *hesigalad beruhen.
*) Von altem -ag und -ag- findet sich in unserer quelle keine spur,
denn in den § 24 am schluss verzeichneten formen mit -o^- ist der vocal
nicht als altes -a- zu fassen.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 479
denen auf altes -ig- in berührung gekommen, indem regelrecht
aus altem -ig geflossenes -eg mit -eg der anderen bildungen
zusammenfiel (daher auch aus den flectierten bildungen ent-
nommenes -tgh, -Ich nicht nur in den derivata mit altem -ig
werthlch 8, 2, gewaidtgh, sälich 9, 11, cumftlgh, einigh sola 54, 21.
22, etc., sondern auch in getnanlghfaldet, manigslachtagan, einigh
uUum 37, 21 (neben eynega, -ar etc., s. § 24 zu -e-), toeinigh
73, 27 (neben tveinega, -an, s. a. a. o.), deren suffix nach ahd.
rnaneg-, eineg-, weneg-, s. Beitr. 6, 230 ft, auf -eg zurückgeht,
und umgekehrt ilego, giregan, willegero, wirthegaro, ewegan 76, 22,
genmozegan, -at, cundeghe, -gan 78, 10. 14 mit ursprünglichem
-c^- statt -i^-'); in den -ig-hMiingen fllzech, zldech ist -e- laut-
gesetzlich, wie in einegh, -eck ullus, -um 22,22. 26,20. 49,1.
56, 28; für bithervegJicyd, städeghJieid, gehörsamegheyd 20, 25 ist
anlehnung an ein simplex mit -egQi) anzunehmen; nach dem
muster dieser unter sich wechselnden -ti/(-) und -e^(-) entstand
honlgy -a für honeg, -a).
Wie -tg- (und -tg) ist auch das häufige -liehe, -es, -o etc.
(und -lieh) zu beurteilen. Schwächung zu -e- weist nur suleche
11,6. 41,20 auf (mit -e- aus unflectiertem *sulech\ woneben
sultchemo 14, 25 und weliches, -e, -a 33, 21 {welleh, gewelleh)^
iegellchan {iegelteh s. § 52).
Wegen -a- vgl. noch oväna, nithäna (s. § 21 zu -a). Langer
und (nach dem § 26 über den umlaut von vocal in langer
mittelsilbe bemerkten) umgelauteter vocal ist anzusetzen in
middelöthe. In sällgosta{n) 55,6 liegt vielleicht durch anleh-
nung an -ost (vgl. § 23) gekürzter vocal vor.
Zu den mittel vocalen, für die entwickelimg zum kurzen
laut zu leugnen ist, sei bemerkt, dass hier die möglichkeit von
entwickelung der alten quantität zur halblangen nicht zu über-
sehen ist. Ausdrücklich betone ich deshalb, dass die in dieser
Untersuchung angewante längebezeichnung der mittelvocale mit
rücksicht auf diesen vorbehält aufzufassen ist.
Anmerkung. Das ey von lamprei/ihe (s. § 13) hat nicht als mittel-
vocal zn gelten^ denn die entlehnnng des Wortes aus dem afranz. (man
beachte nach Meyer -Lübke, Rom. gr. § 170. 172 und Zs. frph. 20, 322 flf. als
Zwischenstufe zwischen lampreda, nfranz. lamproie anzusetzendes lampreiäe)
lässt auf betonung vorletzter silbe schliessen.
•) Für gehugega 7, 10 kann ich den prototypus des Suffixes nicht ermitteln.
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480 VAN HELTEK
8. Die vooale der präflxe.
§ 28. Es stehen ausnahmslos be- (hi- natürlich in bitherve,
-ere etc.), er-, ge- {ie-, s. § 8) und ver- (der Schreibfehler vorkuze
contemnat 68,24 kann nicht als beleg für vor- dienen; es ist
verkieze zu lesen mit z für s, s. § 14) neben ze- in zehreident,
zegeet auch z- in zueyvet dispergite 20, 15 (W hat zewerfet);
wegen unt- und en-, in- s. § 1.
IV. Declination der substantiva.
1. Die a-declination«
§ 29. Als Suffix für den gen. sg. m. ntr. steht neben nor-
malem -es zweimal -as durch phonetische entwickelung aus -es
(s. § 22) in thingas 44, 26, bergas 50, 11; daneben cuninges durch
systemzwang. In Davithis Sl,9 liegt wol durch vorangehendes i
veranlasster Schreibfehler vor.
Für den dat. sg. m. ntr. steht in der regel -e, seltener -a
oder 'O:
dranche 61, 19, stänke 7, 3. 13, 6, dische 27, 9. 12. 19, mroche
24, 7, scuohe 58, 10, hoi/vede 42, 12. 47, 1. 70, 9, -holze 50, 16,
lande 17,26. 18,11, ovaze 65,16, himole 11,14. 16,8. 21,12.
26,9, cusse 6,1, stuole 11,13, wlghüse 31,10.16. 62,8, bluode
27, 1. 56, 12, bluothe (themo) *blüte' 20, 13. 56, 12. 66. 18, bede
'gebete' 29,17, halse 42,27, fenstre 42,28, overthruze 45,17,
glasfaze 73,9, etc.;
wega 7,5. 22,2, daga 27,27. 28,11.14, honlga iO,7, thinga
37. 6, grava 16, 11. 12, raada 30, 2, hoyveda 14, 26, -holza 13, 24,
'bouma 71,18, dootha 26,7. 28,16.17. 75,27; beachte auch ze
samena 74,4 neben ze samene 31,4. 51,21. 62,23. 63,10 und
ze samone 30, 13;
himolo 16, 12, ovezo 36, 13, hind-, hintkalvo 16, 13. 21, 7.
78.7, bergo 21,15. 29,6. 32,24. 62,27, sUpho 15,19. 17,13.
19, 12 (in 70, 12 auch an släphon, dessen n wol durch den
schlussconsonanten des part. der vorläge veranlasster Schreib-
fehler ist, vgl. oben s. 438 fussnote 2), scfiirnw 31, 23, angripho
42, 28, haveko 19, 21.
Wegen -a nach g, ng und in grava, raada vgl. § 21 am
schluss») (daneben durch systemzwang ovaze, glasfaze).
1) Das -a nach g, ng erinnert an die im Monacensis beobachtete vor
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In hoyveda etc. beruht die endung auf analogiebildung nach
den formen mit phonetisch entwickeltem -a. Das -o ist die
auch in ahd. quellen begegnende alte instrumentalendung (vgl.
M8D. 2^, 94. 449); es steht meist, aber nicht ausschliesslich bei
präpositionaler Verbindung des nomens (vgl. wegen reiner dativ-
verwendung die belegsteilen für hind-, hintkalvo und beachte
übrigens gkoto Uebosta Vom heiligen Georg 4, wo die MSD.
2\ 94 vorgeschlagene änderung von -o in -c nicht geboten ist).
In Mmoh könnte -o auch auf -e zurückgehen (vgl. § 21 am
schluss; himole 11, 14. 16, 8. 21, 12. 26, 10, samone mit -e durch
systemzwang).
Wegen inine) hüs 69, 10. 15 vgl. Beitr. 12, 553. Für den
dat. diuvel 36, 2. 61, 10 ist anschluss an den dat. *viand nicht
zu verkennen.
Im nom. acc. pl. -a (thorna, kneghta, bouma, lokka, cuninga
etc. und huvela 16, 3, diuvela, mürhödela^ vingera mit -a durch
systemzwang für lautgesetzliches -e, vgl. § 21 zu -a; in der
mischconstruction thlne thüsent phenningo 77, 5 steht das subst.
im gen.).
Einmal -e in keysere 33, 22, entweder residuum aus der vor-
läge (vgl. heisere in der Trierer und Bresl. hs., s. Graff 4, 527)
oder, wie die ostfrk. form, analogiebildung nach dem n. a. pl.
auf 'äre (d. h. -äre) und *-cre (s. § 30; man beachte auch hruo-
there nom. pL § 39).
Im nom. acc. pl. ntr. holer und bein, waldholz, hind, Jcrüd,
scaaph 9, 5. 21, thing, werch, word 20, 7. 48, 13. 50, 21. unif, ge-
sfheÜ, legor 33, 12, lihtfae 73, 6; sowie gOfode 69, 11, diere 16, 21,
unghwäphane 31, 2, waemre 73, 13 und wercho 35, 21 mit aus
der starken adjectivflexion entnommenem (vgl. § 41) der endungs-
losen form angehängten suffix {hüse 7, 24 Schreibfehler für hüser?
vgl. hüsero gen. pl.).
Im gen. pl. -o als norm (knehto, hkko, gezeldo, wercho, wordo,
bergo etc. und hüsero)] ausserdem auch wwa 51,9 (neben wwo
9,26. 45,21. 55,5), dala 13,11 mit -a für -o nach dem muster
liebe für -a statt -e nach guttural (vgl. Schlüters Untersuch. 213 If. und
Beitr. 21,488); nur war die ein Wirkung im mfrk. dialekt, wie aus drmwhe,
disehe etc. hervorgeht, auf stimmhafte consonanz beschränkt (es wäre dem-
nach für den dat. sg. -a des Mon. neben altem -a auch -a aus -e anzu-
nehmen).
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482 VAN HEI.TBN
des dat.pl. -an neben -on (s. unten); und spore 22,22, golde
46, 17 (bei Hoffmann falsch golda\ scäphe 10, 6 (neben scäpho
29, 8), entweder residua aus der vorläge (vgl. worte gen. pl. in
der Trierer hs., s. Graff 1, 1021) oder, wie diese ostfrk. fornu
analogiebildungen nach dem gen. pl. der «-stamme mit -e und -o
(vgl. § 33).
Im dat. pl. neben hergon 16, 2. 50, 14. 60, 24, tcerdum 43,
14. 20. 50, 22. 69, 26. 72, 26, wordon 48, 15. 19, venstron, hirzon.
dagon, dieron, waszaron etc., steynhcheron 19,20, heggeho-
leron 19,21 auch bergan 32,11, werkan 12,15, wordan 28,24.
45,3, tJwrnan 1S,15, scäphan 29,37, buochan 23,2, steinlochoran
(s. § 24 am schluss), heggeholeran 19, 9 nach dem muster der
feminina mit -an neben -on (s. § 31; bei den masculinen auch
durch anlehnung an -a des nom. acc. pl.); sonst noch werchen
28, 22, zeychnen 24, 13, entweder residua aus der vorläge (vgl.
tverken, bergen in der Trierer hs. nach Graff 1, 964. 3, 184) oder,
wie diese ostfrk. formen, analogiebildungen nach dem dat. pl.
der ja- und «-stamme mit -en und -on (vgl. § 30. 33).
2. Die ja- und tt;a- stamme.
§ 30. Auf altes schwanken zwischen -an und -äri (s. Zs.
fdph. 7, 340) weisen hin die nom. acc. sg. tiirix-, thräxlere (vgl.
§ 18), suonere 75, 23, wmkelnere 14, 9, uoräre moechus 25, 7,
der dat. sg. hoodere 8, 22, die nom. acc. pl. burgwachtero, wagh-
tära etc. (s. unten) und die dat. pl. pigmentären 47, 24, wlären
piscinis 61, 16 (wegen des lautwertes von a in -äre s. § 27).
Gemäss der einwirkung von tönendem guttural auf -e
(s. § 21 am schluss) findet sich im nom. acc. sg. ntr. der ja-
Stämme neben normalem -e {bedde, [ge\köse, geknuffe, gereidc,
gerustej gesithele, gesnüthe, bilethe, middelöthe, stubbe, himol-
rtche, ungewedere) gethinga 19, 23. 27, 16. 59, 16, woneben durch
systemzwang gethinge 28, 1; ausserdem mit analogiebildung
nach dem nom. acc. pl. auf -a und -e (s. unten) geverda 50, 7,
anaginna 37, 2 (anluzza nom. sg. 19, 26. 28 ist fem^ vgl tMn
anluzza (is) scöna).
Im gen. sg. gethinges mit -es durch sj'stemzwang (vgl. § 22),
gelichnisses 12, 19, der einzige beleg für ein ntr. auf -nisse.
Im dat. sg., wie bei den a- stammen (s. § 29), neben hoo-
dere, bilethe, gewidere, stubbe, gespräche, bedde 14, 25. 51, 19
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ZUB SPRACHE DBS LEIDBNEK WILLIBAM. 483
auch anaginna 20, 15, insighela 72, 18, incuxra 'rede' (mit suo-
zenio) 48, 4 (-a ist hier wegen des ä der wui-zelsilbe nicht als
die folge von phonetischer entwickelung zu fassen, vgl. § 18
zu ä und § 21 am schluss) und beddo 21, 24, ungestiuro 'un-
gestüm' 17, 18 (abstractbildung nach art der in Kluges Norain.
Stammbild. § 111 erörterten ja-derivata).
Der nom. acc. pl. m. der jo-stämme endet auf -a, -e oder -o:
waghtära 44, 21 und plmentäre 48, 7, wtäre piscinae 61, 12. 22
(wegen der erhaltung von -e vgl. das oben zu tnaara bemerkte),
spune (mene) 'brüste' 6, 5. 31, 27. 34, 16. 22. 60, 14 und spunne
63,27. 67,5. 68,21. 75,3.8 (wegen n neben nn vgl. Beitr. 16,
278 und 21,475»)), burgwachtero 22,3. Das -e steht für -a
(wie im ostfrk., vgl. wahtäre, plmentäre, iviäre, spunne in W)
neben en dat. pl. nach dem muster von -e nom. acc. pl. neben
-en in der t-declination (oder vielleicht schon *-i für -a neben
*'in nach *-« neben *-tn). Das -o entwickelte sich, wie im
nom. pl. des i-stammes epl^elo (s. § 33), neben -c nach dem
muster des gen. pl. mit neugebildetem -e (s. unten) und altem *-o.
Im nom. acc. pl. ntr. findet sich neben normalem -e (ge-
sfmthe 46,22, das auch sg. sein kann, gesperre, gemmbere, ge-
fuore 54, 9, wigewäphene, 1. wigge-, 31, 25, wurebedde, andtvarde,
1. andwurde, responsa 44, 28, zuey k{h)izee 'zwei Zicklein' 31, 28.
60, 15 2)) auch -a durch analogiebildung nach dem nom. acc.
pl. masc. auf -e und -a: getaiela 13, 2, gegafhema 'gemacher'
7, 7. 22, 11, maara (thiu) acc. 46,5 (vgl. das oben zum dat. sg.
maaara bemerkte).
Der gen. pl. spune (thtnero) 7, 10, spunne (ther) 73, 28 ent-
stand, wie in der t-declination (s. § 33; auch W hat dtnero,
der spunne). Herdon pastorum 10, 1 kann nur Schreibfehler
sein für herdo.
Im dat. pl. begegnen neben jngmentären, wiären (s. oben
und vgl. Braunes Ahd. gr. § 198 anm. 6) gebergon 21, 7, rehkizjson
32, 5. 60, 18.
^) Die formen mit nn begegnen zu oft nm als residna an» der vor-
läge gelten zn können (W hat immer spanne^ s. anch Graff 6, 344).
') Indem die diminntiva der fränkischen regel gemäss anch in nnserer
mundart 4n haben {boumeUn, gebundetin, comelino) ist dieses nomen nicht
als In-, sondern als ^'a-stanun zn fassen (vgl. bei Otfrid endi ^stim' neben
sonstigem endi, andine, -um, Braunes Ahd. gr. § 196 anm. 3). Auch W hat
kiege (s. Hoffmanns gloss. i. y. zikhin).
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484 VAN HELTEN
Der einzige beleg für M?a-stainm ist douwes 42, 1. Wegen
des tc^a-stammes scado s. § 2 zu «^ und § 36.
8. Die ö-declination.
§ 31. Im nom. acc. sg, ist -a die norm (stemma, stimma,
salva, rinda, here-, lineherga, eera, naghtvorghta etc., -gerdu,
mnda, minna etc.). Dreimal jedoch im nom. -o nach dem
muster der im gen. dat. sg. mit -a wechselnden -o: genätho
7, 11, (neben genätha 6,10. 27,9. 57,21. 64,20), wambo 42,28
(neben wamba 59, 22), weifho pascuum 60, 23. Bemerkenswert
ist die häufig begegnende nominativform friundina 12,13. 13, 16.
17,9.10. 19,6.9. 28,19. 33,1. 41,27. 42,3. 52,14.17 etc. mit
altem -in + a (also nicht die aus dem acc. entlehnte form);
daneben einmal friundinna 10, 11 (residuum aus der vorläge?
W hat die form auf -in, s. auch Graff 3, 786).
Im gen. sg. -a und -o: slachta, sla((g)hta 11, 18. 24, 19. 35.
27.28. 36,23.24.26. 46,22. 49,24. 68,11, stimma 77,28 und
sla(jg)hto, slachto 24, 8. 31, 2. 36, 13, minno 14, 17, ewo 7, 13,
martero 30, 21, Uro 31, 26.
Im dat. ebenfalls: hüm 21,15, minna 14,20, lera 33,27.
45, 24 und helpho 23, 15, gävo 59, 4, manungo 44, 12.
Der nom. sg. murthe *berühmtheit' 65, 9 ist l-stamm (wegen
ahd. -«cfö- s. Kluge, Nomin. stammbild. § 125); vgl. auch smithe-
sctrethe nom. sg. oder pl. 10, 23. 28, halszlrethe acc. sg. oder pl.
11, 3. Nach dem muster dieses -the entstanden weithe nom. acc.
sg. 29, 23. 32, 11 (neben weitho nom., s. oben) und lampreythe
'lamprete' gen. sg. 11,4. Die jar- stamme helle nom. sg. 72,21,
wunne nom. sg. 26, 10, gen. sg. 27, 19 (neben tvunna nom. sg.
26, 15) stehen in einer linie mit ahd. brunnt, redt, eun, mmni,
wunm (vgl. Beitr. 7, 108 f. 21, 474 und Braunes Ahd. gr. § 210
anm. 2). Von den suffixlosen nomina der ^-klasse finden sich
tolse dat. sg. 11, 4 und sume stunde 78,17 (neben sume stund
17, 20.21. 39,24. 74,22, alle wile 66, 15 (neben sume wOa 12, 26,
eine, thie uüla 41, 20. 20, 27), ersteres mit aus der flexion der
fem. i-stämme entlehntem dativsuffix, die anderen bildungen
als pluralia mit aus gedachter declination entlehnter endung
des acc. pl. (demnach könnte auch in sume stund, vgl. thrie
stund 33, 17, und sume wtla ein plur. stecken). Wegen des gen.
sg. sla(ff)hte, slaehten s. § 34. Eesidua aus der vorläge sind
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ZUK SPRACHE DBS LBIDENEK WILLIRAM. 485
möglicherweise der neben wara 8, 8. 20, 13. 27, 24. 56, 11. 66, 17
begegnende acc. sg. wäre 56, 26 und der dat. sg. porte 61, 13
(W hat an derselben stelle wäre aus "^warlf sonst wara\ in
der Trierer hs. steht nach Graff 3, 350 ebenfalls der dat. sg.
porte vermutlich mit aus der t-declination entnommener endung
zu *porf, das als alter suffixloser nom. sg. der öi-flexion dem
mnl. poert, s. meine Mnl. gr. s. 370, entsprechen würde). Für
rinde acc. sg. 37, 28 ist (durch voranstehendes ruode veran-
lasstes) schreibversehen zu vermuten.
Uebertritt in die schwache flexion (vgl. § 37) ist zu beob-
achten in den gen. sg. minthon 72, 27, ewon 34, 26, genäthan
57, 19, den dat. sg. cribbon 16, 10, wambon 16, 9, minnon 45, 16.
73,22, palmon 63,26. 64,3, meystrit^nav. 8,25, erthan 11,15,
warningan 31, 23, portan 61, 22 und dem acc. sg. cribbon 16, 9;
rouwon *reue' (s. §19zuiw), minnon 14,24. 15,1.28. 45,12.
73,6.18, eron 55,9, genäthan 20,24, -an 11,26 können gen.
sg. oder pl., ruowan 26, 26, minnon 27, 11, genäthan 27, 18.
41. 19. 55, 26, -on 75, 19 dat. sg. oder pl., ruowon 41, 20 acc.
sg. oder pl. sein.
Der nom. acc. pl. hat -a oder mit übertritt in die schwache
flexion -on, -an: eera 27, 3 (vgl. § 41 am schluss), iseltscara 52, 23,
üzphlanza 36, 11, leffa 35, 6. 48, 11 und lepphan 30, 6, hereberga
52, 25, -an 7, 25, aha ' Wässer' 73, 14, genätha 7, 7. 20, 22. 21, 10.
33,21. 52,4.10 (oder sg.?), salvon S8, 17, cuninginnan bb,6,
huffelon 10, 19. 30, 16, -an 47, 22, ptmenton 39, 12, sielan 6, 16.
14.20. 15,14. 27,15.28. 45,13, selan 50,28, 53,14. 70,24,
wundan 34, 9. Sonst noch thrie stund und vielleicht auch sume
stund (s. oben und vgl. Braunes Ahd. gr. § 281).
Der gen. pl. hat -on oder auch, wie in der schwachen flexion
(s. § 37), -an: salvon 7, 3. 34, 23, pimenton 24, 9, wundon 19, 16,
huninginnan 53, 8, sorgan 42, 17.
Der dat.pl. ebenfalls: salronQ,&. 38,10.19, stundon7b,4,
porton 67, 16, linebergon 16, 26. 17, 3, ptmenton 40, 6, halvon
36, 1, genäthan 7, 5, herebergan 9, 28, sträzan 21, 28, sorgan
44, 21, lephxin 65, 23.
4. Die feminina abstracta auf -f.
§ 32. Diesen nomina kommt als norm für die casus des
Singulars -e zu (vgl. § 21): nom. acc. bitherve, suojse, skarphe,
Beitrüge zur gMohiohte der deuteoben npraohe. XXII. 32
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486 VAN HBLTEK
gebäre (wegen der erhaltung von -e in dieser form vgL das
§ 30 zum dat. sg. maara bemerkte), tcoste, were, rode und ruode
(vgl. § 18), andwarde (vgL § 15), thimsternisse 20, 27, herdnisse
9,22. 10,7 und märthe (s. § 31); geiL freuwe, ansiune, hröthe
'zerbrecUichkeit' und wunne (s. § 31); dat. höhe 32,8. 38,8.
60, 21, wereldthimstre 32, 17, ansiune, grimme, were, wosie, rode.
Für eine form mit vor der endung stehendem tönendem guttural
ist nach § 21 am schluss -a zu erwarten: menlga nom. acc sg.
29. 11. 30, 14, gen. sg. 61, 14; daneben durch systemzwang auch
menlge acc. sg. 75, 25 und Jiöghe dat. sg. 16, 21 (auch durch
einwirkung von höhe, s. oben; wegen gh vgl. s. 449 anm.).
Scöna nom. sg. 29, 1 (neben scöne acc. dat. sg. 13, 27. 38, 8),
thiu maara 34, 28 (vgl. das § 30 zum dat. sg. muara bemerkte)
und doupha dat. sg. 6,17. 16,11 (neben douphe dat. sg. 12,10.
16. 12. 33, 16) können auf analogiebildung nach meniga beruhen
oder in einer linie stehen mit den ahd. bildungen toufa, resia
etc. neben toufly restt etc. (vgl. Braunes Ahd. gr. § 213 anm. 2;
der übertritt dieser nomina erfolgte durch analogie nach taunna,
minna etc. nebei wunni, minni etc.). Sicher sind als die
folgen solcher Übersiedelung zu fassen vesto 19,15 als nom.,
wäthlicho (s. § 13) als acc. sg. (vgl. wegen -o § 31 im anfang),
reyno 15, 15 und genödo 33, 3 als dat. sg. (vgl. W gnöte und
nöte in der Stuttg. hs. nach Graff 2, 1045; beachte noch Notkers
gnöti summa, gnöti individuitate, Graff a.a.O.). Schwierig ist
die beurteilung von wasche lavacro 29, 28 und wascha eben-
falls dat. sg. 29,8: in W steht waske, doch hat Otfrid 3, 20, 26
einen dat wasgu\ also im LW wasche residuum aus der vor-
läge und wasclia die der mundart des umschreibers zukom-
mende form nach der öi-declination? oder wasche als mfrk.
t-stamm und wascha mit -a, wie in doupha?
Ein nom. acc. pl. kann vorliegen in smtthesctrethe, hals-
zlrethe (s. § 31) sowie in were 74, 3, doych{e)ne 10, 27. 31, 7.
61,6 (die aber auch als sg. zu fassen wären); under (he herd-
nisse 9, 8 (mit under c. acc.) entspricht ur^ter den corteron in
W, könnte aber doch sg. sein (wegen the acc. sg. f. s. § 49).
Scöna acc. pl. 8, 10 (als pl. zu fassen wegen des begleitenden
mino, vgl. § 48) gehört zur kategorie vesto; dasselbe gilt für
den nom. pl. halszlreüia 58, 21, es sei denn dass hier wirklicher
j-stamm vorläge. Der gen. pl. herdnissen 9, 27 hat -en (aus
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ZUR SPBACHE DBS LEIDBNEB WILLIBAM. 487
*-m für *-ino, wie on aus *-öfi für *'&no, vgl. § 23 und 31).
Die endung des dat. pl., die -en (aus *-fn, vgl. § 23) lauten
musste, ist indirect belegt durch bluamen (s. § 37 am schluss),
6. Die masoulinen und neutralen i- stamme.
§ 33. Von langsilbigen masculinen der i-declination ist
der gen. sg. belegt durch epheles, der dat. durch sinne, Liudes,
-e können zum masc. gehören (vgl. die unten belegten liude
acc. pU -en dat. pl.) oder zum ntr. (vgl. vore ander Und 31, 13
und sin litAd acc. sg. 57, 13).
Von den kurzsilbigen masculinen findet sich nur tcine und
zwar in den folgenden formen des sg.: nom. toine 9, 4. 11, 20. 26.
12,20. 13,22. 16,1. 39,20. 66,14. 68,12. 78,6 und w?mo 16,12.
17,7. 20,19. 21,6. 42,26. 44,8. 46,2. 51,9.10. 52,4, gen. «^me«,
dat. wine 43, 23. 66, 5 und unno 43, 10, tvinan 14, 25, acc. unne
22, 4. 23, 2 und tcino 21, 25. 22, 8. 45, 11. Das -o des nom. acc
beruht auf Übertragung aus der u-flexion der kurzsilbigen, für
deren nom. acc. sg. nach den belegten acc. frühe 75, 4 und sido
21, 13 die beiden endungen -o und -e anzusetzen sind {frithe,
*side neben *fritho, sido durch einwirkung von *frithes, -c,
*sides, -e und nach dem muster von wine mit tvines, -e). Im
dat. winon liegt durch den nom. wino veranlasster übertritt
in die schwache flexion vor; der dat. tvino steht entweder
neben diesem winon wie withemo, bounigardo neben den nor-
malen on-bildungen (vgl. § 3 zu «), oder er hat aus der a-decli-
nation (vgl. § 29) entlehntes -o.
Das genus von mere acc. sg. 49, 24 (vgl. Braunes Ahd. gr.
§ 202 anm. 1) ist nicht zu ermitteln.
Im nom. acc. pL steht neben -e auch -a: liude 76, 6, sinne
32, 18 (vgl. W sinne), Schilde 31, 1. 22, zene 29, 6, fuoze 42, 15,
stank-y arzättvurze 34,24. 67,15. 78,22 und ^Fon^a 58, 9, sprunga
16, 7 mit phonetisch entstandenem -a (s. § 21 am schluss), sowie
ephela 13,26. 56,13 durch analogiebildung nach ganga etc.
oder mit fibertritt in die a- flexion (vgl. ahd. winta, kruoga
etc. neben winti, kruagi etc., Braunes Ahd. gr. § 216 anm. 3).
Sonst noch epheh nom. 66,19 mit -o, wie in burgwachtero
(s. § 30 zum nom. acc. pl).
Für den gen. pl. begegnen -o und -e, letzteres durch ein-
wirkung des dat. pl. auf -en und nach dem muster von -o gen.
32*
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488 VAN HELTEN
pl. neben -ön dat.pl. der a-declination: e^Aefc 36,12. 65,8.11, stanc-
würze 78, 8, iaduinde 48, 28. 49, 9, wurme 11, 5 (vgl. für gleich-
gebildete genitive wiMrme W und nach Graff 1, 1044 auch in
der Palat. und in der Stuttg. hs., iechante, epfele nach Graff
1, 594. 173 in der Trierer hs. des W, sowie die im Wiener Notker
begegnenden formen liuti, zahari, uurmi, s. Heinzeis citate in
den Wiener sitzungsber. 81, 216. 336).
Für den dat. pl. gelten -en und aus der a-flexion entlehntes
•an: liuden 13, 22, Schilden 31, 24, fuozen 49, 25. 28, beken 47, 8,
Sprüngen 16, 2 (mit -en durch systemzwang) und ephohn, -elon
14, 60. 69, 20.
6. Die femininen i- stamme.
§ 34. Die langsilbigen enden im gen. dat. sg. normal auf
-e: werelde 14,23. 28,15.19. 45,17. 62,16. 64,28. 70,26, mitJw-
fviste 52, 10, frumlgheide 71, 13, dure 43, 23 (daneben als ö-stamm
dur<i nom. acc. sg. 74, 3.4), sla{g)hte 31,25. 36,28. 76,5 (oder pl.?
s. unten zum gen. pl.; daneben sla(jg)hta, -o, slachta, -o generis,
s. § 30; wegen eines i-stammes slaght genus vgl. den in Willi-
ramhss. passim begegnenden gen. sg. slahte, Grraff 6, 780) und
werelde 33, 22. 44, 18. 53, 3. 6. 64, 28, node, liste, hinste, euckte,
misheyde 22,17, slaftheyde 41,8, arbeide 38,27 (oder zum- ntr.
arbeid gehörend? vgl. neghein, michol arbeyd acc. sg. 23, 12.
63, 22), wände 16, 24. Daneben dugatha gen. 39, 18, woledäda
dat. 31, 15, mit phonetischem -a für -e (s. § 21 am schluss; wole-
dade 24t, 20 mit -e durch systemzwang) und dalaslaghta con-
valli 56, 10 mit analogischer endung; sowie milocho dat. 47, 9
mit assimiliertem -o für -e (neben miliche, -ecke 74, 8. 34, 19)
und milicho 40,9 durch comprom'iss aus -ocho und -iche (auch
miloche 35, 18 durch systemzwang). Wegen der suffixlosen
formen gen. wereld 25, 6. 26, 25, cristanheyd 10, 28, dat. gewM
28, 17, gehörsamegheyd 20, 25 vgl. Braunes Ahd. gr. § 218 anm.2
und Beitr. 15, 487.
Die belege für kurzsilbige stamme sind st<id nom. sg., ge-
selskiphe gen. sg., stede, friundscliephe, geselsUphe dat. sg.
Der nom. acc. pl. endet auf -e (-«) oder auf aus der ö-decli-
nation entlehntes -a: süle 25, 28. 49, 27, kevese, gehiste, dugafhce
37,1 (mit 'Ce durch systemzwang); dugetha 35,27, gescriphia
33,1, wildeshüda 7,25; in dugatha 19,3. 36,23 und woladäda
27, 17 kann das -a auch phonetisch entstanden sein.
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ZUR SPRACHE DES LEIDEKER WILLIRAM. 489
Im gen. pl. steht neben -o aus der masc. t-declination ent-
lehntes -e: crafto 21, 28, geiae 29, 5. 12, kevese 53, 9 und viel-
leicht (die übrigens auch als gen. sg. zu fassenden) sla(g)hte
(s. oben und vgl. das unten zu erwähnende slachten), gescrifte,
(߀)scriphte 10, 27. 32, 19. 61, 7, dughethe 76, 16, crefte 38, 4,
arbeide 26,25 (vgl. arbeite in a nach Seemüller 52,23), wade
35,9 (mit -e durch systemzwang, es sei denn dass hier um-
gelautetes a vorliegt, vgl. das § 30 zum dat. sg. maara be-
merkte); [wegen gleichgebildeter genitive vgl. geijse, kebese in
W und die aus dem Wiener Notker von Heinzel, Wiener sitzungs-
ber. 81, 216. 274. 336 citierten formen arbeite, geuurhti, dieti, -e,
giscrifte, giluste, ietati; sodann in den Altnfrk. psalmen crefle
virtutum 67, 13. 68, 7, fluodi fluctuum 64, 8.] Als die folgen
neuer analogiebildung finden sich femer in diesem casus duga-
th(m (bei Hoffmann falsch -en) 37,2, manlger stockten 19,3
(und diesem plur. nachgebildetes einegar slachten 43,8 0): -en
für -e neben -en dat. pl. nach dem muster von -on gen. pl. zu
'on dat. pl. der J- stamme (einwirkung des neben -en dat. pl.
stehenden -en gen. pl. der i-stämme, s. § 32, ist wegen der sel-
tenen Verwendung solcher pluralia nicht wahrscheinlich).
Der dat. pl. hat -en oder als aus der e^-flexion entlehnte
Suffixe -an, -an (vgl. § 31): sülen, wole-, welelusten 71, 6. 63, 20,
dugathen 33, 19, dughethen 15, 16 und dugathan 19, 4. 24, 16,
brüsten 11,22, -an 11,25, daaden 17,22 und woUdädan 29, 17,
crafton 9, 9, gescriftan 45, 3.
Wegen des i-stammes bluom vgl. § 37 am schluss.
7. Die u-deolination.
§ 35. Ueber sido, frithe s. § 33. Vilo begegnet als *mul-
tum' im nom. acc. Sun findet sich nur im nom. sg.
Wegen hand dat. sg. 58, 22, hande nom. pl., hande gen. pl.
59, 4 (oder gen. sg.?), handon dat. pl. beachte das § 34 über die
i-feminina erörterte.
8. Die sohwaohe deolination.
§ 36. Die masculine flexion hat -o und -on (auch im gen.
dat. sg.):
0 Vgl. mnl. tne-j eenwerven (s. 498 fossn. meiner Mnl. gramm.) nach
twe-, driewerven.
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490 VAN HELTBK
nom. sg. navalo, mäno, wlnthruvo, mennisco, namo, heyl-
brunno]
gen. sg. lichamon, gethancon 42, 23, rnngardon;
dat. sg. gardon 35, 28. 38, 9. 51, 19, heerron;
acc. sg. (nuz)gardon 39, 11. 21. 40, 5. 56,9, wingardon 8, 23.
75, 24, 76, 26, Uchamon 35, 20;
nom. acc. pl. gesellon, wingardon, lewon, Uchamon, menni-
schon, wereldfureston, thrUvo (1. fhrUvon) 12, 2;
gen. pl. gesellon, leuwon, pardon, menniskon 35, 20 (67, 5
mennisco, 1. -on), naghtdrophon\
dat. pl. (wln)gardon, menniskon, wlnthrUvon, revon (oder
fem.?), vortheron, gethankon (oder zu dem im acc. pl. getkanka
62,25 belegtem a- stamm; wegen des schwachen Stammes be-
achte obiges gethancon gen. sg. und die unten zu erwähnenden
nom. sg. gethanko, -a).
Wegen der dative und accusative sg. auf -o s. § 3 zu n. Die
vereinzelten dat. sg. brunnen 36, 5, garden 36, 25 sind entweder
reste der alten flexion (wegen -ew in der schwachen adject.
declination vgl. § 42) oder residua aus der vorläge.
Statt -0 und -on begegnen nicht grade selten aus der femi-
ninen flexion (s. § 37) entlehnte -a und (fast nur im sg.) -an:
nom. sg. wlngarda 56, 12 (neben wtngardo 20, 12. 66, 17), ge-
thanka 57, 4 (neben getlianko 53, 6), naghtscada 'nachtschatten'
32, 2. 22 (s. § 2 zu w); gen. sg. gehuan (1. gelouvan) 18, 4 (neben
gelouvon 73, 19); dat. sg. (ge)louvan 22, 19. 23, 15. 16. 29, 16,
willan 28,11. 56,2, scada 'schatten' 14,3 (Schreibfehler für
scadan oder »-lose form, wie tvithemo, boumgardo, s. § 3 zu n);
acc. sg. gethingan 23, 13, willan 12, 7. 16, 7. 23, 10. 26, 24. 28, 8.
34, 8. 43, 8. 13. 28. 50, 22. 60, 9. 70, 27. 72, 28 (neben willon
11, 15. 15, 19. 21, 9. 39, 13); nom. pl. nachiscadan 20, 21 (s. § 2
zu w\ Wie aus diesen belegen hervorgeht, zeigen einige no-
mina Vorliebe für die endungen -a, -an,
§ 37. Die feminina haben -a im nom. sg., in den anderen
casus 'on (vgl. § 23) und mitunter an das -a des nom. an-
gelehntes -an:
nom. sg. summ, düva, chela, binda, meilxi macula (oder
stark?) und apheld^ra, lilia, {ge)mahela 19, 6. 25, 16. 33, 8. 13.
34, 3. 7. 35, 6 mit -a durch systemzwang für lautgesetzliches -e
(d.h. -3, vgl. §21 zu-a);
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ZUR SPBACHE DBS LEIDEITEB WILLIBAM. 491
gen. sg. reion capreae 21, 13. 31, 28. 60, 15, mirron 11, 21
43,11.12 und {turtuT)düvan 12,14. 18,10. 28,20.27. 47,7, co-
ronan 27, 25. 28, 6, heraan {nitner) 43, 3 (das nomen steht meist
als ntr., s. § 38);
dat sg. reion 16, 3. 21,6. 78,7, spieeon, mirron 24,7, eungon
(wegen durch znfall nicht belegter endung -an vgl. meystrinnan
etc., § 31);
acc. sg. mirron 48, 12 und mirran 40, 6, lilian 13, 17, corofuiny
icinian;
nom. acc. pl. bluomon 17,25, figon, vohon, iunc-, iungfrouwon
15,10. 27,23. 50,28, -an 6,16. 26,5. 45,10. 70,21, Ulion 48,
12.13, an 51,21, lukkon 'Ittcken' 52,23 und lucchan 56,5,
(turtuT)düvan 10,19. 47,19, jngan 9,28, thieman 55,4;
gen. pl. thieman 53, 9;
dat. pl. röiow 15, 11, tavelon74,5, Ulion 20, 20. 32,1. 59,23,
-an 32, 18. 52, 5, gazmn 21, 28.
Auch hier ist Vorliebe einiger nomina für -an zu beobachten.
Auffällig sind die neben bluomon nom. pL begegnenden
bluom nom. sg. f. 18, 27, veldbluome nom. sg., bluomen dat. und
acc. pl. 14, 16. 13, 12: aus bluom, -en dat. pl. ist auf die existenz
eines t- Stammes zu schliessen; dieser dat. bli4omen und der
zugehörige nom. acc. pl. *bluome, deren endungen mit denen
der f-stämme (s. § 32) zusammeniSelen, konnten die fassung des
nomens als f- stamm herbeiführen, woher die neubildung -bluome
nom. sg.; bluomen acc. pl. ist Schreibfehler oder gelegentliche
compromissbildung aus *bluome und bluomon.
§ 38. Im nom. acc. sg. ntr. steht neben -a auch -o nach
dem muster der masculina auf -a und -o (s. § 36): herm 21,21.
37, 6. 72, 18 (der nom. min herea 41, 18 kann auch fem. sein,
vgl. § 48), herzo 34, 3. 4.
Für die anderen casus gilt neben -on auch, wie in der
fem. declination, an das -a des nom. acc. sg. angelehntes -an:
gen. sg. herzan 41,23; dat. sg. Iherzon 43,27, -aw 11,24; nom.
acc.pl. ougon 41,23. 53,1. 61,12, -an 12,14. 15,28. 20,21.27.
47, 7; gen. pl. ougan 34,5; dat. pl. öron 19, 27, ougan 28, 23,
herzan 9, 12. 59, 26. 73, 11 (das an den beiden letzteren stellen
auch dat. sg. sein kann).
Wegen herzen dat. sg. 44,12 vgl. die § 36 erwähnten
hrunnen, garden.
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492 VAN HELTEN
9. Die oonBonantiaohe deolination.
§ 39. Zu den masculinen ist zu bemerken:
im nom. acc. pl. stehen bruothera 46, 25 und bruothere 14, 2,
letzteres mit -e für -a nach dem muster der personennamen mit
-are und -ära (d. h. -äre, -ära), *-ere und *'era im nom. acc. pl.
(s. § 30 und vgl. auch heisere nom. pl., § 29); neben friund 77, 19
auch friunde 41, 2. 4. 77, 27 und vland^ 9, 16, vlende 52, 26
(-end- ist angesichts vland^ und vlandan 39, 24 wol als aus der
vorläge stammend zu fassen), deren -e auf *-i zurückgehen
muss, das durch analogiebildung nach den fem. consonant-
Stämmen entstanden war: wenn einerseits die endung des nom.
acc. pl. der a- stamme auf den sufflxlosen nom. acc. pl. über-
tragen wurde (vgl. ahd. friunta, ftanta neben friunt, ftant,
north, friondas, ßondas), konnten andrerseits ebensogut die
einer bestimmten älteren periode angehörenden nom. acc. pl.
*idi$i und *idis, *burgi und *burg etc. die entstehung von
yriundiy *ftandi neben friund, *fiand veranlassen (vgl. auch
das in einigen Williramhss. vorkommende vtende, Seemtiller
13, 11 var., und in der Trierer hs. begegnendes friunte, Graff
3,784); sonst noch man nom. pl.;
im dat. pl. vlandan (s. oben) mit -an für -on nach der
a-flexion (s. § 29).
§ 40. Von den femininen consonantstämmen sind zu ver-
zeichnen:
mtioder gen. sg., magath dat. sg. 13, 13 und niagathe gen.
sg. 16, 9 (mit -e durch systemzwang, vgl. § 34 zum gen. dat. sg.),
hurg dat. sg. 21,28. 31,21 und wereldburga dat. sg. (wegen -a
vgl. § 21 am schluss); wegen miloclw etc. s. ebda.);
suestera acc. pl. 46,26, dochteran dat. pl. 13, 17 mit -an für
-on nach der ^-flexion (s. § 31); wegen brüsten, an s. § 34.
V. Declination der adjectiva (participia und indefinita).
1. Die starke deolination.
§ 41. Paradigma:
maso.
fem.
ntr.
nom. sg.
—
—
—
pl.
— e
gen.
— es
— ero
- -es
— ero
dat.
— emo
~ero
— emo
en
on j
acc.
— en
— e
-^
e
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ZUR 8PBACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 493
Belege und ausnahmen:
nom. sg. m. guod liumunt 19, 5, negheyn wereldUgh strepitus
28, 3, ein ra/von 46, 19, shahaft gardo 35, 25, ander einech werch-
man 49, 1, all her, her all 50, 18. 23 (wegen al min iamer 45, 4,
al thtn gethanko s. unten zum nom. sg. fem.) und scifne tclnbUioth
19. 5, ethele mnthrüvo 11, 27; in gethrode naph crater tomatUis
59, 6 (W gedräter naph), das wegen ther gethräde naph 59, 17
nicht für Schreibfehler zu halten ist, liegt nicht adjectiv +
Substantiv vor, sondern appositionelle composition mit gethräde
= ahd. gidräti tomatura (opus tomo factum; vgl. auch ge-
dräte naph in der Einsiedler Williramhs. nach Seemttllers aus-
gäbe 113, 1 var.);
nom. sg. fem. michol nood 8, 9, nehein eala 53, 9, nehein
virtus 37, 18, neghein meila *kein flecken' 33, 2, ein stad 12, 2,
eyn riuchgerda 24, 6 {dl hiro woledät 51, 27, cd mtna scönheyd
12,22, al ^n operatio 49,3 ist nicht beweisend, vgl. Grimms
Gr. 1,476); daneben auch eine binda 30,7, alle thiu genätlia
64, 20, vaste mUra 75, 5 (zu einem mit as. fast, ags. fa^t zu
vergleichenden "^vast, es sei denn dass wir es hier mit vaste,
compromissbildung aus *m5^ und "^vesti = ahd. festi zu tun
hätten) und gethrangada zeltscara 52, 16 (W wolegedrangetiu
zeltscara) mit aus dem acc. sg. entlehnter endung (in eyn cleyna
riuchgerda 24, 6, eine röda binda 30, 7 kann -a endung des
schwachen adjectivs sein, vgl. § 42); recht häufig findet sich
letzteres suffix bei prädicativer Verwendung eines ja-stammes,
vgl. scöna 12, 13. 14. 15. 21. 19, 28. 28, l'9. 20. 22. 24. 33, 1. 3. 52,
14. 17. 55, 16. 24 (neben scönce, -e 63, 19. 20), suoza 19, 28 (neben
suoze 50, 18. 65, 11. 26), mithewara 52, 15 (neben -wäre 52, 19,
unsemfte 38, 28, ziere 52, 15. 63, 19. 21, bitJierve 12, 27, harde
73,3 und die participia veghtande 63,22, -fluoiende, neigande
71.6. 7 (vgl. auch über gara, goldfare oben § 2);
nom. acc. sg. ntr. üzgegozzen oley 6, 13, ander waldholz. Und
13, 25. 31, 34, negJieyn arbeyd, gethinga 23, 12. 27, 16, eynegh,
nehein ander gesmlthe 26, 20. 37, 21, zldech, ald (pvaz) 64, 19.
68, 12, nein deil 76, 18, elphandtn wtghus 61, 1 ; weynegaz hau-
meltn 38, 1 hat demnach als residuum aus der vorläge zu gelten
(auch in niwa [ovaz] steht das adj. vielleicht als Schreibfehler
für solches niwaz); dem dialekt der Umschreibung gehören je-
doch an ailaz, -iz in thaz allaz 30, 24, thiz alliz 64, 12, tha^
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494 VAN HELTEN
alliz 28, 10, dlltjs thaz geverda 50, 7, allizana 'immerfort' neben
(d in over al(T) 57, 14. 78, 14 (wegen des durch anlehnung an thüf
entstandenen allü vgl. die nämliche in W passim erscheinende
form; wegen allaz, -iz gegenüber üzgegozzen, ander ete. beachte
mnd. mnl. dllet\ wegen al in dl Umb geruste 31, 26, dl fhln
desiderium 52, 21, all sm guod 73, 21, al fhaz 60, 8 vgl. Grimms
Gr. 1, 476; als adverb. steht natürlich aQ;
gen. sg. fem. gödero Uro 31, 26, michelero digniiatis 88, 11,
manltchero dughethe 76, 16 (oder pl.? vgl. § 34 zum gen. pL),
wirthegaro rouwon (oder pl.? vgl. § 31) mit regelrechtem -a-
(s. § 24); neben dieser unnrsprünglichen endung auch aus ^-era
geflossene -ere, -are (vgl. § 21 zu -a) in michelere crefle 38,3
(oder pl.?), stadtgare dugatha 39, 18; sodann mit Synkope von
-e (vgl. die anm. zu § 48) in den Verbindungen, worin das
adjectiv gewissermassen als compositionsteil steht, aller $la(g)hta,
slachto 46,22. 68,11. 31,2. 35,27.28. 36,23.24, sla(g)hte (oder
pl? vgl. § 34) 31, 25. 36, 28. 76, 5 (woneben allero sla(g)hta, -o
24, 8. 36, 13. 26), und manlgar slaghta 24, 19, einegar slachten
(vgl. § 34 zum gen. pl.), allar slachta 49, 24 mit phonetisch bez.
analogisch entwickeltem -a- (vgl. § 22);
im dat. sg. masc. ntr. steht neben häufigem -emo einmal
'ifno in elphandmimo (s. § 24 zu -e-); zweimal -amo in eyne-
gamo, -agamo 15, 22. 28 mit regelrechtem -a- für -e- (s. § 24;
daneben eynegento 17, 18 durch systemzwang); wegen heilsamo
vgl. § 24 am schluss; anderen in therro ther ein ze anderen . . .
cohaerent 36, 21 ist wol als ein durch die vorläge veranlasster
dat. pl. zu fassen (die W.-hss. haben nach SeemttUer 68, 9 die
der ze einanderen oder zeinen anderen . . . cohuerent; vgl. wegen
dieser offenbar dem umschreiber nicht geläufigen constmction
Grimms Gr. 3,83); ob allen in in allen themo lande 17,26 der
mundart der Umschreibung zukam oder residuum aus der vor-
läge ist (die p]insiedler und die Kaisersheimer hss. haben nach
SeemüUer 39, 2 var. ebenfalls allen), lässt sich schwerlich ent-
scheiden, rätselhaft ist die form aber im einen wie im andern
fall (vgl. noch zi allen dtnenio dionosti Otl. 18, woneben in aüe
dinemo dionosti Otl. 8, wie in alle denw lante an der parallel-
stelle vom LW 17,26 in der Bresl. und Ebersb. hs.);
im dat. sg. fem. zuinelero züchte 29, 9, allero amditate 54, 13,
allero thero werelde 64,28, ey^iero nöde 22,23, sowie müegero
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ZUB SPRACHE DES LEIDENER WILLIBAM. 495
gehörsameghejfd 20, 25 mit regelwidrigem -e- (vgl. § 24); sonst
Hoch mit analogischem -aro (nach *-5wro) gitthestvilcharo doy-
chene 21, 18 (s. § 2 zu j und s. 447 anm.) und einer genödo 33, 3
(vgl. oben zum g«iL sg. f.);
im acc. sg. masc. middem dach 9,6, suojien stanc 18,28. 48,6,
allen (wereldllchen) n(c)hdt$om 30,1. 76,21, iuwere(n) uvelen
tvillan 39, 13, necheinen fructum 36, 5, neheinen favarem 48, 20,
anderen then populum 75, 15, einen 34, 10. 12 mit -en füi* -an
dnrch anlehnung an -e^, -emo und then; daneben mit alter
endung eynan disk, ruom 25,27. 26,9. 28,3, einen iegellchan
34, 10. 12 (oder schwach? vgl. § 42) und (speciell) die prädicativ
verwanten gethruhtan 69, 20, giregan 73, 25 (oder mit gan aus
-gen? vgl. § 22); sodann auch tvereldUchon ruom 54, 8, gepltnen-
tadon unn 69, 19, einon 75, 23, dUen wereldllchon richduom 76, 21
(oder schwach? vgl. § 42) durch entlehnung der endung aus
dem schwachen acc. sg. masc, der nach den für die schwachen
gen. und dat. sg. masc. ntr. belegten -en, -an, -an (s. § 42) mit
eben denselben suffixen anzusetzen ist (vgl. auch miTwn acc.
sg. masc. § 48);
im acc. sg. fem. sunderUche scGne 13,27, mUcke arbeyd
41, 20, necheyne rugam 33, 7, neheine renumerationem, fortitu-
dinem 59, 15. 60, 2, eine ecclesiam 75, 28, aUe contradictionem
43, 25, ruode rinde 37, 28, unhewollene (prädic.) 52, 19 {mme
stund, sunie wlla, weltche halsztrethe, silvenne were können sg.
oder pl. sein, vgl. § 31 und 32) mit -e für -a durch anlehnung
an -en acc. sg. masc. für -an; daneben auch mit alter endung
thräda vart 39, 1 {welicha genätha 33, 21 kann sg. oder pl. sein,
vgl. § 31), scöna (prädic.) 33, 14 und mit alter endung oder -a
statt -e (vgl. § 21 am schluss) eynega geliichon 15, 18 (doch
einege gellchon 70,25 durch systemzwang); wegen al thie we-
reld 18,4. 57, 12. 58, 12, al thie wiila 20, 27 vgl. Grimms Gr. 1, 476;
im nom. acc. pl. masc. fem. ntr. steht neben häufigem -6
der alten masculinen endung mitunter -a, das nach anderer
consonanz als tönender guttural die ursprünglich dem fem. zu-
kommende endung repräsentiert, nach tönendem guttural zwei-
deutig ist (vgl. § 21 am schluss), und von haus aus dem ntr.
zukommendes -o; masc. bitherva kneghta 24, 27, andera 7, 5, aila
fideles 62, 28, thie alla 29, 9, gescapheda (prädic.) 56, 13, maniga
gardon 36, 14, gehugega (prädic.) 7, 10, genuoga 61, 28 (doch
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496 VAN HELTEN
eineghe 74, 9. 18 durch systemzwang) und andero wereldfureston
33, 23; fem. slna hittera figon 18, 18, sie alla 54, 8, welicha ge-
nätha (? s. zum acc. sg. fem.), gethrangada eeltscara 52, 22, hey-
llga sielan (sdan) 14, 20. 50, 28, eynega woledäda 27, 17, mantga
virtutes 57,26 und ethelo revon 12, 1 (oder masc.?); ntr. andera
dona 15, 4, 70, 14, alla werch 49, 5. 10. 58, 14, alla thiu officia
68, 26, mantga incrementa 36, 16, junga (subst. verwant) 19, 22,
maghttga (prädic.) 49, 5 (doch hevlge wazzare 73, 12 durch system-
zwang) und allo ward, werch 20, 7. 8, starko {hing 43, 6, erthesco
gefuore 54,9;
im gen. pl. neben häufigem -ero (wegen andero 8, 25. 22, 15
s. § 24 am schluss) auch auf ^-era zurückgehendes -ere (s. § 21
zu -a) in bithervere knehto 31, 25 (s. noch oben zum gen. sg. f.);
sonst noch, wie im gen. sg. f., mamger slachten (s. § 34 zum gen.
pl.) mit regelwidrigem -e- (vgl. § 22), aller sla{g)hte (oder sg.?),
allerthicJcest, gernost, erest, niudest und (mit aus diesen Verbin-
dungen entlehntem aller) aller wtvo scönesta, saUgosta{n) 45,
21. 55, 6; endlich mit elision aller egeltdh (1. iegelich) 22, 6 (neben
allero iegelich 24,28);
im dat. pl. neben regelwidrigem, durch anlehnung an then
hergestelltem -en und aus dem schwachen dat. pl., der auf -en
und 'On endete (s. § 42), entlehntem -on auch mitunter noch
regelrechtes -an (für *-en aus *-^«, s. § 23); vgl. guldtnen fuozen
49, 28, anderen heillgon, bergan 50, 13. 14, then allen, allen then
38, 4. 77, 24. 78, 10, allen then hortis, salvon 39, 5. 38, 10, an-
deren dochteran, woledädan, menniseon, linden 13, 16. 29, 17.
50, 15. 13, 22, silverinen sulen 26, 14, allen halvon 36, 1, guodeti
werchon, werkan 50,22. 12,15 und drügon fuosen 49,25, throdon
terroribus 39, 14, allon then continentibus 33, 5, ruodon ephelon
69. 20, anderon heyligon 23, 6, mantgon thusendon 46, 3, armon
vortheron 16, 17, allon crafton 9, 9, allon, guodon werchon 43,20.
69, 26, smethelichon (1. sniech- oder smeich-, s. § 19 zu ei) blandi-
mentis 39, 15, sowie enjsuischan (s. § 23), iuwan goodan bilethen
14. 21, reynan gethankon 12, 16, allan, guodan werken 12, 17.
43, 14 und maghtlgan (adv.) 25, 3, mamgslachtagan virtutibus
13, 8, einegan meritis 75, 18, deren -an übrigens zweideutig ist
(vgl. § 22; beachte noch manlgen zeychnen 24, 13 mit -en durch
systemzwang); wegen cednnin tavelon vgl. § 24 zu -e-.
Starke declination nach pronomen oder bestimmtem artikel
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILTilRAM. 497
begegnet nicht selten: ther fliegende brunno 38, 25, ther uphgende
morginröd 55, 15, ther gesende most 70, 7, ther suoee stank 65, 16
(in diesem casus, wie sich aus den belegen ergibt^ nur bei ja-
Stämmen); thiu muoderllche suoee 34, 25, thise wereldltche thim-
stemisse 20,27; thae eriste vers 28,21, thaa brinnende fiever
37,23; thes guodes stanches 38,18; thirro wereldlichere thim-
8temisse2\^hy thero cuninglichero purpurae 6Sj7; thie thornina
coronan 28, 7; thie lüttere, scöna sinne 32, 18; thie guode, eihele
sielan 27, 15. 53, 13, thie bittera figon 18, 24, thie meysto eera
27, 3 (acc. pL).
Anmerkung. Dem mitdaUo, bei aUo omnino in W entspricht im
LW mit aUa 33, 1. Die endung erinnert an -a in fan wege rechta der
Amfrk. psalmen 2, 12 und an arviÜU mlna der Anfrk. psalmen 65, 14; sie
dürfte die auf ablativisches *-et zurückgehende instrumentalendung sein,
die sich anderswo als dat. widerfindet (vgl. Beitr. 21,478).')
2. Die schwache flexion.
§ 42. Zu beachten ist die gelegentliche Verwendung von
schwacher declination nach indefinita und possessiva.
Im nom. sg. masc. stimmt das schwache adj. mit dem
schwachen subst. (vgl. § 36): ther uvelo (Hoffmann las falsch
uvele) uorare 25, 17, ther diuresto, wurgedo wln 65, 9. 26. 69, 27
und ther thln weinega gardo 36, 13.
Ebenso im nom. sg. fem. und im nom. acc. sg. ntr. (vgl.
§ 37.38): scoona 17,10.12. 41,28. 42,5, scönesta 9,26. 45,21.
50, 10, erweleda 55, 1, einiga 54, 28, thurghnahtlga 54, 22, winstra,
jsesewa, ich eina 71, 15, thiu heizza sunna 8, 9, eyn cleyna gerda
und eine röda binda (? vgl. § 41 zum nom. sg. fem.), thiu gethran-
goda^ thiu wole gescapheda zeltscara 55,17. 56,4; aller golde
(s. § 29 zum gen. pl.) bezzesta 46, 17, thaz brandu silver 26, 16,
thajB ewiga erveguod 53, 26, hiro levenda corpu^s 38, 12, thaz
heresta gesithele 27, 3. Wegen thaz eino 23, 20 vgl. § 38.
In den anderen casus unterscheidet sich die adjectivische
declination von der substantivischen nach zweierlei richtung
hin: erstens hat sie die alte endung -en nicht nur nicht zurück-
*) Das rein instrumentale -a im LW Terbietet die in der Tijdschrift Toor
uederl. lett. 15, 170 Torgeschlagene annähme eines amfrk. aus der substan-
tiyiBchen declination entlehnten datiTSuffixes; ob das oben citierte mtna
reüduum aus der amfrk. vorläge ist, wird mithin fraglich.
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498 VAN HELTBK
oder etwa gänzlich verdrängt (vgl. § 36. 38), sondern sogar
nach dem muster der im gen. dat. sg. masc. ntr. neben einander
geltenden -en, -on (und -an) in andere casus neben -on (und -an)
eingeführt (nur für den dat. sg. feuL und gen. sg. fem., acc. sg".
masc. ist die existenz von -cn nicht bez. nicht sicher bezeugt);
zweitens findet sich im plur. des adjectivs neben -o», -en nur
äusserst selten und zwar grade beim masc. durch anlehnung ent-
wickeltes -an (im gegensatz zu -on und einmaligem -an im
masc., -an und -an im fem. ntr. pl. des Substantivs, s. § 37. 38),
d.h. es ist hier -an, das den gedachten ausnahmen mit -an
zufolge ehemals dem fem. und ntr. pl. zukam (vgl. das a.a.O.
über die entstehung von -an im masc. erörterte) und auch im
masc. pl. mehr oder weniger üblich gewesen sein muss, durch
-on und -en zurückgedrängt. Belege:
gen. sg. masc. ntr. thes ruoden ephcles 30, 17, thes reinen
gebedes 32,28, slnes eigenen oveees 39,22; thes heiligan gelou-
{v)an 18, 4, thes ewtgan lives 26, 10. 29, 24. 30, 15. 59, 16, thes
etvlgan rihduomes 73, 25, stnes heiligan bluodes 28, 13 mit
doppeldeutigem -an (vgl. § 22); alks erthiscan guodes 73,24;
thes erthescon gethnncon 42,22;
gen. sg. fem. thero micholen genäthon 11, 26 (oder pl.? vgl.
§ 31); thero heiligan scriphte 32, 19 (oder pl.? vgl. § 34) mit
doppeldeutiger endung; therro quekkestan mirron 43, 12; therro
aldon ewon 34,26;
dat. sg. masc. ntr. themo suoisen släpho 19, 12, themo besi-
galaden brunnen 36, 4, themo niwen ovaze 65, 16, themo älden
wme 65, 17; themo ewtgan dootha 28, 17 mit zweideutigem suffix;
themx) scönan gewidere 18,5; eynegamo {-agamo\ cheinemo fre-
reldltchon strepitu 15,22. 16,1. 71,1;
dat. sg. fem. (oder ntr.?) js^e aller tvivo saligosta (1. -an) 55,6;
acc. sg. masc. mmon eygenen wmgardon 8, 23 (oder stark?);
einen iegeUchan und allen wereldlichon richduom (oder stark?
vgl. § 41);
acc. sg. fem. thie höghen maiestatem 16,23 mit -en durch
systemzwang; thiu erestan ecclesiam 8, 28; geliichon 15, 18.
70, 26, the quekkeston mirron 48, 12;
nom. acc. pl. thie scönen, suozen ephela 13,26, thie döden
Uchamon 38, 14, thie ruoden epheh (1. -ela) 66, 19, thie diuren
stancwurze 78, 22, thie rechte (1. -en) 7, 16, thie suoeen figan
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 499
18,25, thie diuren sdlvon 38,17, thie meyston thrüvo (1. -ön)
12, 2, thie rödan ephela 56, 13, thie geknisedon (vgl. § 17), sie-
chon lichamon 38,20, thie geordlnedon wurzhedde 48,5, thie
luezelon vohon 20, 10, thie rlphon flgon 18, 24, thie gethran-
gadon hereberga 52,25, heyligon 16,3, mitie lieveston 41,3.4,
fhie släphlöson 67,28, dödon 49,23, thie eii»on 48,8;
geiL pl. therro quekken wazzaro 38, 22, thero höJien hergo
33, 11, ther suoaen ephelo 65, 8 (s. auch oben zum gen. sg. fem.),
holden 40,11. 51,25; thero scorenon seapho 29,8, armon 27, 5;
und wereldwiisan 22, 16, thero bithervestan (kneghto) 24, 18;
dat. pl. then holten hergon 78, 20, then auineUn rehkizzon
32, 5, then rinnenden beken 47, 8, then bezzesten^ heresten, guoden
salvon 6, 6. 38, 10. 19, then scorenen scäphan 29, 27, cristmen
8, 18, holden 26,9. 47, 12. 73, 17; then eustigan (1. cunst-) pig-
mentären 47, 23 mit -an aus -en (s. § 22); then weynegon, mi-
cheUm dieron 16, 20. 21, theti luzzeron wazzeron 47,20, tlien
nehon wazzeron 47, 10, then zuinelon rehkizzon 60, 18, then
einon 72, 6, then sältgon 50, 20, then armon 60, 8, heyltgon
20.28. 23,6. 50,13. 78,19; beachte auch das neben normalem
samo (s. § 44) adverbial verwante samon similiter 13, 23. 26.
14, 15.
3. Die oomparative und Superlative.
§ 43. Die comparative haben z. t. schwache, z. t. starke
flexion: bezzera nom. sg. fem. (prädic.) 6, 7, niudsamere nom. sg.
ntr. (prädic.) 45, 27 und natürlich thiu üzera rinda 68, 6 (wegen
-ere und -era s. § 21 zu -a);
manlgara mennischon . . . exercitia 35, 1. 3 mit -ga- für -ge-
(s. § 24; das beide male verwante -a ist angesichts der son-
stigen Seltenheit von -a, vgl. § 41, als die phonetisch aus -e
entwickelte endung zu fassen, vgl. § 21 am schluss), scöner,
suozer, holder, bezzer nom. sg. fem. (prädic.) 7, 12. 11, 23. 34, 24.
63, 1, diuret nom. sg. ntr. (prädic.) 26, 19. 37, 20, bezzere nom.
nom. pl. m. (prädic.) 6,4. 34, 22, m^rre nom. pl. f. (prädic.) 20, 12;
in ze meeron ruowan 26, 26 ist das adj. zweideutig, weil
das subst. pl. oder sg. sein kann.
Der Superlativ erscheint in unserem denkmal meist mit
voranstehendem pron. (bestimmtem artikel) oder in substanti-
vischer Verwendung (s. die belege § 42). Wegen starker flexion
beachte man jedoch thaz himo edler niudest is 20,28 und
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500 VAN HELTEN
Üidz minnist 73, 23 (vgl. § 41 am schluss; auch W hat hier
dejs minnisf).
Neben 'est(-), -w^(-) (s. § 26) einmal -ost- in säligosta(n) 55, 6
(s. § 27).
4. Die adjeotiv-adverbia.
§ 44. Regel ist -o: ilego, hardo, ophenOy thrädo, gemo,
verro, Vfghto, gewisso, wärlwho, samfto etc.; beachte auch samo
similiter, tamquam, wie die gleiche bei Will, und in Notkers
Schriften erscheinende form, mit -o nach dem muster der ad-
verbia für "^sama = der in den anderen ahd. quellen verwanten
schwachen accusativbildung. Selten erscheint -e oder -a: unde
6, 13. 13, 5, suoze 12, 7, inllche 28, 21 *) und garewa 70, 6, un-
bequama 58,2; die endungen beruhen auf anlehnung an die
neben ßdtchor 11, 16, verror 27, 20 (vgl. § 28) stehenden com-
parativformen flullcher 41, 22, thräder 39, 11, verrar 35, 1
(-e und -a zu -er, -ar, wie -o zu -or). Wegen bez s. § 15. Neben
normalem vilo begegnendes vile 14, 11 stammt aus der vorläge
(W hat hier vile sowie lx, 16 = 128, 1 bei Seem.) oder es ist ein-
heimische, dem rätselhaften Williramschen und Notkerschen vüe
(s. Graff 3, 473) entsprechende bildung.
Die comparative auf -er (s. ausser den obigen belegen noch
leyiher 9, 17, slther 19, 2) und -ar entstanden durch anlehnung
an die adjectivischen comparative mit -er- und ar- (-ar also
zunäclist in bildungen mit vor der endung stehendem tönenden
guttural, vgl. §43, dann auch in verrar u.a.). Eine merk-
würdige bildung begegnet im adv. samfiero 49, 1, d. h. samßer
(für *samftor) mit angehängtem adverbialem -ö.
Von den Superlativadverbien steht neben erist, -est (ze,
zaller erist), thickest auch gemost (vgl. § 26 und 23).
VI. Die Zahlwörter.
§ 45. Zu den numeralia ist nur zu bemerken, dass die
in der starken adjectivdeclination übliche Verwendung der
masculinen form im nom. acc. pl. fem. ntr. (s. § 41) auch hier
zu beobachten ist: thrie stunt (s. § 31 zum nom. acc. pl.), beithe
*) W hat hier inlachenes (vgl. mhd. ndachens, Lexer i. v.), sowie auch
XXIX, 2. XXX, 18, wo der umschreiber aus der ostfrk. und der mfrk. form eine
mischbildung inllchenes fabricierte.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 501
nom. pl. fem. 48, 28, nom. pl. ntr. 50, 2 und in adverbialer Ver-
wendung passim (nur einmal mit alter endung beitho 61,9).
Für *zwei' jedoch mene masc, jsmey ntr. Wegen hin beühon
60, 12 vgl. § 41 zum dat. pl. Thrin 33, 19 mit -n wie sonst
im dat. pl. Sonst noch thusendon dat. pl.
VII. Pronomina.
1. Ungeschleohtige pronomina.
§ 46. Neben mm 7, 8. 19, 15. 21, 18. 19. 44, 16, ihm 17, 14
steht im gen. thmes 9,25 in der Verbindung mit selves (vgl.
noch § 51). Der gen. plur. ist belegt durch unser 27, 5.
Neben normalen mir, tvir, ir begegnen in tonloser Stellung
entmckelte mer 7,6. 8,16. 11,27. 12,22. 14,6. 17,7. 19,26.
20, 7. 19. 21, 5. 10, 11. 22, 6. 8. 28. 23, 8, wer 7, 2. 8, er 27, 23. 28
(2 m.). 28, 1, 2. 4 (kein ther neben thir wol durch zufall).
Charakteristisch ist die Verwendung von accusativformen
im dat. und umgekehrt: neben normalem dat. mir (mer\ thir
im gleichen casus auch mich 15, 2. 70, 12, thich 7, 9. 11,6. 12,22.
69,9.16.19; neben normalem acc. mi(c)h im selben casus auch
mir 7,27. 69,16 (2 m.), mer 7,6. 14,6 (kein thir im acc); sich
auch in dat. 35,2. 52,1. 65,12; uns dat. 7,9. 16,15. 17,1.
20,10. 27,9. 45,26. 48,17 etc. und acc. 7,9. 27,6; iu dat.
39, 13. 46, 5. 52, 6. 7. 9, nicht im acc; unsi{c)h acc 16, 17.
45,22.27. 49,10. 57,25 und dat. 66,20; iui{c)h und iu{c)h
(vgl. § 2 zu «f^) acc 28, 3. 9. 70, 21 und 15, 10. 14. 41, 12. 45, 10.
13. 52,8. 70,21.24, doch dat. 28,2 und 15,16. 51,3.4. Mit
rücksicht auf die vereinzelt auch in ahd. queUen zu beobach-
tende Verwechslung von uns, iu und unsih, iuwih (s. Braunes
Ahd. gr. § 282 anm. 5) ist für unsere mfrk. mundart als ent-
wickelungsgang anzusetzen: zunächst Verwirrung im plur.,
dann im sg. Der acc. thi 10, 17 ist entweder Schreibfehler
oder er rührt von der band des nfrk. abschreibers des über-
lieferten codex her (vgl. s. 455 zu luezeron etc.).
2. Gesohlechtiges pronomen der 8. person.
§ 47. Es findet sich neben si-stamm kein i-, sondern aus-
nahmslos Äi-stamm (demnach sind gehiezser 6, 1 und ivistes 57, 4
auf gehiee her und wista [-e] hes zurückzuführen).
Bellrftfre cur geactaichta der dentechen iprache. XXII. 33
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502 VAK HELTEW
Im nom. sg. her (nie htr\ siu (das einmalige sie 65, 14
residuum aus der vorläge? W hat sie, wie übrigens noch an
einer anderen stelle, s. Hoffm. lxv 11 und Seem. 123, 3; docli
vgl. man im LW thie nom. sg. f. § 49); im nom. acc. hiz
(nie hejs);
im gen. sg. in possessiver function hiro fem. (für das masc.
ntr. wird das possessiv verwant), in anderer function sin masc.
21,26. 22,1.44,15. 76,27, '^hes ntr. in wisies (s. oben);
im dat. sg. himo passim (reflex. verwant 25, 20. 27. 28, 12.
55, 27), hiro 39, 13. 17 (reflex. 55, 25. 65, 15);
im accsg. Am 27,26. 44,15. 45,23. 51,11. 61,18.20 {him
14, 12 ist wol Schreibfehler), hina 14, 10, hine 21, 26. 27. 22, 2.
23, 5. 8. 9. 42, 14. 46, 6. 52, 7 und 22,21 (wo Hoffmann unrichtig
hino las) (wegen -a und -e s. § 21 zu -a), hino 22, 8. 9 (2 m.).
18. 26 mit -0 nach himo; sie 23, 24, se (mit vorangehendem sie)
23, 28 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 283 anm. 2 c);
im nom. acc. pl. masc. sie passim, se (mit vorangehendem
sie) 8,18. 65,4. 75,11 (vgl. Braune a. a. o.), fem. «6 (nom.) 20,
12. 15, ntr. siu 49, 5 und sie 35, 22. 23. 50, 22 (siu masc. 25, 1
ist natürlich Schreibfehler);
im gen. pl. in possessiver function hiro passim, Aero 54, 8,
zweimal hira (s. § 48) und hires 27, 1 in der Verbindung mit
selves (vgl. thtnes selves § 51); in partitiver function hiro 9,21.
30. 5. 39, 27. 40, 13, hiro alhro 10, 6, hero 25, 2, hero aüero 40,26
und mit elision her allero 24, 28 (wegen des e von Aer[o] s. § 16);
im dat. pl. Um 8, 1. 10, 8. 23, 14. 32, 20. 36, 18 (reflex.
13,18. 27,17.21), hin 17,5. 26,16. 60,12. 61,15 (reflex. 48,6.
70. 6. 74, 23) und aus dem sg. entlehntes himo 30, 23 (reflex.
27, 15. 47, 5).
3. PoBsessivpronomina.
§ 48. Die declination der possessiva stimmt im allgemeinen
zur starken flexion (s. § 41). Also im nom. sg. f. mtn etc. als
norm, mlna 12,22; im gen. sg. fem. minero etc. als norm, wf-
nere, thtnere 6,7. 8, 12; im dat. sg. sg. masc. ntr. minemo etc.
(14, 25 steht minon, 42, 14 mlnen als Schreibfehler oder aus
dem plur. entlehnte form; vgl. then dat. sg. ntr. § 49 und be-
achte himo dat. pl. § 47), einmal mit synkope unsemw; im dat.
Sg. fem. minero etc. als norm; im acc. sg. masc. mtnen, -an etc.
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAH. 503
passim, mmon 8,23. 11,15. 14,25. 15,19. 76,25; im acc. sg.
fem. mtne etc. als norm, ^na 42, 26, iuwera 15, 18. 70, 26 (mit
-a durch systemzwang, vgl. § 21 -ä) und vielleicht mma minna,
cera 20, 7. 28,26 (wo auch ein plur. vorliegen könnte; thln in
ihm anluaza [wegen des subst. vgl. § 30] ist durch dm ant-
hizze oder antlutte der vorläge veranlasster lapsus des um-
schreibers);
im nom. acc. pl. comm. gen. mtne etc. als norm, stna masc.
16, 7, fem. 18, 17, ntr. 15, 4. 44, 2, mtno fem. 8, 10, mtno, thlno
ntr. 20, 7. 8. 60, 18 (das einmalige thln in thln ougan 12, 14 ist
wahrscheinlich residuum aus der vorläge) ; im gen. pl. minero
etc. als norm, zweimal mit sj-nkope thlnro, sinro 21, 18. 22, 22,
sonst noch thlnere 7, 3. 10. 9, 8; im dat. pl. mlnm etc. als norm,
mmon 19,27, mman etc. 7,4. 11, 21.25. 12,17. 17,22. 20,28.
28,23.24. 29,10. 39,23.24. 43,4.
Speciell zu beachten sind die nicht grade selten begeg-
nenden, aus der proklitischen Verbindung des possessivums mit
folgendem Substantiv zu erklärenden synkopierten formen miner
etc. im gen. sg. fem. 8, 15. 43, 3. 22. 72, 27 (stner minnon 15,
1. 28 kann sg. oder pl. sein), dat. sg. fem. 35, 8. 44, 12. 73, 22
(wegen unser s. unten), gen. pl. stner 15, 1. 28 (?) und unser
(s. unten); vgl. § 41 zum gen. dat. sg. fem. und gen. pl.*).
Die pluralpossessiva begegnen in verkürzter und nicht
verkürzter form: unser nom. sg. masc. 17, 5. 20, 12, nom. sg. f.
51,16 (vgl. § 41), iuweres 28,5, unsermo 18,11, iutüeren acc.
sg. m. 28, 8 (auch iuwere, 1. -en, 39, 12), iuwera acc. sg. f. (s. oben),
tmseren dat. pl. 67,16; und unse nom. sg. f. 73,27. 74,5, nom.
sg. ntr. 12, 25 mit -e für -a durch anlehnung an -es, -ero, -emo
etc., unsen dat. pl. 13,4, iuwan dat. pl. 14,21; der dat. sg. f.
und gen. pl. unser 16,24. 13,2 ist zweideutig (entweder die
verkürzte form mit -er oder auf ^unserer zurückgehend, vgl.
§ 24 am schluss).
Bemerkenswert sind die für hiro, hero eintretenden hiron,
-an, heran vor im dat. pl. stehendem subst.: hiron wordan,
gescriftan 45,3, hiron dogmatibus, auditorihus, successoribus
20,16. 30,22. 35,10. 61,8. 67,17, hiran herzan 9,11, hiran
*) Ich führe die synkopierte endnng auf -ere (aus *'era) zurück, weil
man bei annähme der entstehnng von -er aus -ero auch für mmemo etc.
vereinzelt auftretendes minem etc. erwarten müsste.
33*
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504 VAN HELTEN
buochan 23, 2, heran lando (1. -on) 8, 19; hiron = hiro + durch
einwirkung des folgenden Substantivs angehängtem n; hiran
(heran) für hiron (*heron) nach dem muster von mlnan etc.
neben mlnon. Durch anlehnung an solches hiran entstand
der gen. pl. hira für hiro: mith hira docirina 13,5, in hira
conventicula 9, 18.
4. Demonstrativprononiina.
§ 49. Die normale flexion des demonstrativs (das auch
als relativ fungiert, und zwar ohne oder mit angelehnter Par-
tikel ther, tha oder thie^), vgl. § 3) ist:
niAM.
fem.
ntr.
nom. 8g. t?ier
thiu
thaz pl. thie m.f. thiu ntr.
gen. thes
thero
tfies thero
dat. themo
thero
themo ihen
acc. ihen
thie
ihaz wie im nom.
Im nom. sg. masc. mitunter auch the 25, 28. 26, 7. 53, 19.
54, 10. 66, 17 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 287 anm. la);
im nom. sg. fem. auch aus dem acc. entlehntes thie 8,28.
18,27. 19,19. 21,10.11. 63,1.2 (vgl. auch relatives the 7,7,
vermutlich verschrieben für thie);
im nom. acc. sg. ntr. auch that (s. § 11);
im gen. sg. fem. auch ther in ther minnon 73, 6 (oder pl.?)
und therro 34, 26. 43, 12. 55, 19 mit aus thirro (§ 50) ent-
lehntem rr;
im dat. sg. ntr. einmal then 16, 11 (Schreibfehler oder aus
dem pl. entlehnte form? vgl. minon, -en als dat. sg. § 48);
im dat. sg. fem. einige male theno 22,21. 53,6. 55,22.
57,13, wie im gen. sg. f.;
im acc. sg. masc. einmal thene 25, 10 (Schreibfehler oder
aus der nfrk. feder, vgl. § 11 zu lusaseron etc., geflossene form?);
im acc. sg. fem. neben thie nicht selten the 7, 7. 9, 1. 10, 27
(oder pl.? vgl. doychne §32). 12,5. 16,9. 21,10. 25.9. 44,26.
48, 12 (vgl. Beitr. 21, 459 f.) und ein paar male aus dem nom.
eingedrungenes thiu 8,27. 11,23;
im nom. acc. pl. masc. fem. mitunter the 7,24. 9,10.11.
10, 6. 9. 10. 13, 17. 20, 11 und 6, 15. 16. 9, 8. 10, 27 (oder an
den beiden letzteren stellen acc. sg., vgl. § 32 am schluss;
1) thie = as. aonfrk. thia (s. Beitr. 21, 458 anm. 2).
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ZUR SFBACHE DES LEIDENEB WILLIRAM. 505
schluss; thiu nom. pl. f. 47, 19 ist wol Schreibfehler?); im ntr.
neben thiu auch thie 16,21. 18,25. 19,18. 31,22.23. 47,22.
50, 2. 62, 26. 57, 7. 76, 16 und the tö,7 {(he, nicht the, wegen
ihm im dat. pl.!); thei n. pl. ntr. 44,28 entspricht ahd. dei
(wenn es nicht am ende nur schreib versehen ist für thie)\
im gen. pl. pl. auch there 9,27 (aus proklitischem *thera,
dem eigentlichen gen. sg. f., vgl. § 21 zu -o), ther 65, 8. 73, 6
(? s. oben zum gen. sg. f.). 15 (für there, wie mlner für mtnere,
s. §48) und therro 13,11. 19,1. 25,18. 36,21. 37,1. 38,22.
42,1.8. 60,7.8 74,25 mit rr, wie in therro gen. dat. sg.;
für den dat. pl. ist then (nicht then) anzusetzen mit rück-
sicht auf die einwirkung dieser pronominalform auf die endung
des dat. pl. starker adjectivischer flexion (vgl. § 41); die kürze
entstand, wie in the nom. acc. pl., durch anschluss an die nu-
merisch überwiegenden flexionsformen mit the-.
Wegen thiu instr. s. die belege in § 16 und 16 sowie 9, 13.
27, 12. 45,8; wegen the und te vor comparativ vgl. § 13 und
Beitr. 16,294f.
§ 50. Von dem pron. ^dieser' sind zu belegen: nom.sg.f. thisa
55,14 (mit aus altem *-sö des acc. herrührendem -sa?), thise 20,27
(mit -e, wie in unse nom. sg. f., s. § 48), thiusa 24, 5. 71, 5
(vgl. wegen mfrk. bildungen mit iu die in Weinholds Mhd. gr.
§ 485 — 487 gesammelten mfrk. belege düse, -eme, -en etc. sowie
düsir, -e Höfer2, 36, düsem, -en Günther 3, 346); nom. acc. sg.
ntr. thiz 15,26. 64.12; thirro gen. sg. f. 25,6. 45,17. 62,15
und dat. sg. f. 21,4. 32,17. 33,2. 44,17. 53,3 {thiro 26,25
Schreibfehler oder mit r nach dem muster von (hero? vgl. therro
§ 49; wegen thirro vgl. § 24 am schluss).
§ 51. Self^ifse^ hat schwache und starke flexion; erstere
im nom. sg. her, ther sponsus, ich (m.) selvo 6, 3. 16, 17. 24. 17,
18.22. 50,11. 65,27. 76,19. 77,4, siu, ich (f.) selva 15,13.22.
28, 28. 75, 2, im acc. sg. fem. mich selvon 14, 15, im acc. pl.
sich selvon 53,17; letztere im nom. sg. siu seif 70,23. 71,2
(vgl. § 41), im gen. fem. thines selves (s. § 46), im dat. sg. himo,
mir selvemo 25, 20. 27. 28, 12. 55, 27. 56, 16, Uro selvero 55, 25.
65, 15, im gen. pl. hires selves (s. § 47); nicht zu unterscheiden
sind die beiden flexionen im acc. sg. him (1. hin\ mich, sich
selvon masc. 14,12. 21,3. 73,2, im dat. pl. him, hin, uns, iuich,
iuch selvon 27, 17. 21. 74, 23. 7, 9. 28, 2. 15, 16 und himo selvon
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506 VAN HELTEN
27, 15. 47, 5 (vgl. § 47). Als adv. = 'sogar, selbst' stehen seif
66,24. 67,9. 72,28 und selvo 55,10.
Mit artikel und in der bedeutong 4dem' finden sich: ther
selvo numerus y naph 53, 24. 59, 17^ thiu selva genätha, tcunna
6, 10. 26, 14. 57, 21, (hat selva vers 23, 19, then selvan wtsduom
11, 8, thie selvon auditores 64, 14, the selvo (1. selvon) doctores
10, 28, then selvon worden 48, 15 und thero selvero zungan,
stede 35, 15. 71, 28.
6. InterrogatiTa ujid indefiiüta.
§ 52. Belegt sind:
von den interrogativa wer, w<ie\ welich nom. sg. m. f., weUc
(s. § 7), weliches, -e und weltcha acc. sg. oder pl. fem. 33, 21
(s. § 41);
von den indefinita so wer (so) 26, 24. 73, 10, so wen so
73, 23, so wether so 35, 21 [keine form mit s für so, vgl auch
so wie so, so war (so), so wanne (so)]; gitfheswilckaro (l. we-
lich' und s. § 2 zu/); newether acc. sg. ntr. 39,27, newetheremo
39, 17 (niwether conj. 13, 19. 16, 4); nehein, nein, neghein, nechein,
chein (s. § 9); gewellch 9, 21 (geweltc, s. § 7); iegelich, -an 22, 6.
24, 28. 25, 15.18. 34,10. 12 (wegen der flexion vorstehender pro-
nomina s. § 41); iet, niet, ieht, nieht, ni€(u)wehtes (s. oben s. 439);
(n)ieman mit niemanne dat.
VIII. Conjugation.
1. Flexionsformen der starken verba und der sohwaohen
1. klasse.
§ 53. Betreffs der präteritalbildung und der Stammsilben
starker verba ist folgendes zu verzeichnen:
die praeterita wurthan 24, 17. 36, 16. 43, 11, quäthan 72,8,
(ge)sahon 48, 3. 55, 5, besähe 56, 10 (woneben säghet 22, 4 als
dem dialekt der Umschreibung zukommende oder aus der feder
des nfrk. copisten, vgl. § 11 zu lujseeron etc., geflossene form?),
die participia worthan 11, 27. 12, 10. 33, 15. 56, 11. 70, 10, ge-
schehen 57,19. 71,25;
begunda, begonda, -an (kein began, begunnon);
vuchtan (s. § 56) und worphe opt. 45,7 mit unursprflnglichem
0 für ü\
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ZUB SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 507
neben gescagh 28, 14, geschehan begegnendes geskiede 28, 11,
das mit rücksicht auf das fehlen von südmfrk. belegen für
letztere form (s. Zs. fdph. 4, 258 ff. 10,322) auf die rechnung
des nfrk. abschreibers zu stellen ist;
stuont 43, 9;
gieng 49, 25. 56, 9 neben untfingast 33, 16, anavinged 14, 22;
die participia ohne präfix fundan, runden, tvorthan, drun-
chan 68, 7, mman (nie mit ge-)^ scorenon, -en 29, 7. 27 (sonst
ge- in gescriven, geboran, gehundan, geschehan etc.);
die singularia praes. ind. gebiudest 78,9, verkixisest 77,9,
dntfpÄ^e 48, 15 [verfhrüzedy -et piget 14,23. 15,1. 25,14 gehört
nicht zu einem verbum mit ie, denn es wäre für den fall nach
dem § 19 über iu erörterten vertfiriujsed, -et zu erwarten (be-
achte auch in W, das den aus tu contrahierten laut meist
durch ui, selten durch u darstellt, bedrue{e)et, -it an allen drei
parallelstellen); es ist hier demnach an eine dialektische form
mit u nach art von sufan etc. zu denken]; (ge)siho, -esif), -et,
geligon, liget, -ad, givo{n), -et, liset, quitho, -es, quit(t) (s. § 13),
zimet, bired 13, 26 (13, 12 steht berid als verschreibung für
bired), doch sprechet 17, 7, -nemet 24, 20; gebristet, wirtho, -est,
-et 64,26. 78,12. 27,4. 31,10. 37,13. 54,17. 63,11. 64,10.21.
27. 67, 8. 69, 22 neben werthe 1. sg. praes. ind. (vgl. § 55), -es(t)
33, 9. 69, 12, -ed, -et 14, 28. 25, 12. 27, 18. 39, 26, lesJcet 37, 23
(woneben liesket 37, 22 als durch die existenz von doppelformen
mit t und e veranlasste verschreibung); ferit 24, 5. 57, 12. 71, 5,
verid 16,2. 17,27, doch dragat (vgl. § 55), tcasset 29,21;
mit durch ausgleichung entwickeltem i anasihen int 57, 18
(neben häufigen sehan, -ene, -e, -ent)y ergivon inf. 69, 14, givon
8. pl. praes. opt. 60, 8, iegivan und gegivon p. p. 25, 12. 37, 13
(neben gievene 47, 12), geschihe 53, 11 (neben geschehan), wirthe
63, 13, -ent 38, 20. 64, 28. 65, 3 (neben häufigen werfhan, -e, -es,
-en etc.), gebristent 38, 1;
die imperative sg. fliugh 78,6 und /sich (s. § 19 zu io); sih
33,21 (s. § 10), wisis) 21,6. 78,6, vemim 11,2 und helph 7,4;
der nach vemim gebildete imper. pl. vernimet 8, 14 neben ver-
neinet 46, 5, eazet, wertJiet.
§ 54. Hinsichtlich der präteritalbildung der schwachen
verba ist zu achten:
auf die einfache consonanz in under-, umbeUged imper. 14,
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508 VAN SELTEN
15. 16, gehuget 2. pl. praes. opt. 28, 4 und dem inf. gehugan
11, 25, erhugon 60, 1 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 358 anm. 1) und
die gedehnte consonanz in umbesteccket * umsteckt' 59,23 (vgl.
die nämliche form in W und kestecchit fiia bei Xotk.);
auf die bindevocallosen praeterita und participia saldon,
zaldon, sazta, -on (woneben gesezzet), rahta * reckte', erquihto
71, 19 (neben erquekJceda 49, 23 mit e durch anlehnung an
quek, quekken etc.), gethruhtan 'gedrückt' 69, 20 und gewrocht
(s. § 3), bräghta, gebrächta, furebräht (vgl. § 18), suoghta; wegen
verwardet s. § 15;
auf die praeterita Üeday -e, skeynede^ erquekkeda, zulflt'da,
hungredo, heileda, seredun, geirredan 17, 17, gcherdedet 14, 23,
eraugade (vgl. § 19 zu ou und 24) neben tvlsda 10, 16. 14, 9, er-,
verlösda 57, 13. 71, 26. 10, 14. 30, 10, wända, lerda, thursta, ga-
roda, rihtich, maJ^lda und dereda 72, 6, gefreuweda, gebtirede 8, 15;
auf die participia geleredes, wurzedo 69, 27, hesigaladen (vgl.
§ 24) und gethrat 48, 28 neben branda ustum 26, 16, gehreydet,
gelieiled 38, 20, b€zegch(e)net, geßhtet (vgl. § 18), gemisket, ver-
looset 28, 16, etc., geslightat etc. (s. § 57) und geleget, genezzety
gequelet, gefreuwet, erwelet, ungeerid (s. § 57), erweleda, gekni-
scdon (vgl. § 17; W hat ausser geknisiion auch gekniston zu
knisten collidere und gechnusten, s. Seem. 70, 10); vgl. noch ge-
hreyde 'geflochten' mit übertritt des durch die entwickelung
von eg zu ei (s. § 8) aus dem rahmen der ablautenden verba
herausgetretenen und formell mit hreydan 'breit machen' zu-
sammengefallenen verbums (vgl. as. brugdun, ags. bre^dan,
brcegd, bro^den)]
auf die präfixlosen participia wurzedo, branda (s. oben).
§ 55. Wegen der endungen der präsensformen nach starker
flexion und schwacher 1. klasse ist zu bemerken:
in der 1. sg. ind. stehen mit -on und seltnerem -o Itthon,
besueron, biddon 45, 13, behaldon, geicinnon, untfähon 35, 23,
gegriphon, slaphon, gcligon, givon 29,4. 67,4 und givo 11,6,
qtiitho, siho, wirtho, laazo, (fure)bringon 22, 10. 65, 25, hetigon,
skeinon, gelouvon, thencon 14, 6 und bekcnno 7, 3, meino 21, 20.
64,23. 75,24. 76,3, leisto 52,3, scundich 7,5 mit synkoi)e; sonst
noch ausnahmsweise bidden 9, 6. 13, räden 52, 7, hoseti 10, 17
(vielleicht auch für werthe 32,21 zu lesendes werthen, doch
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 509
konnte hier natürlich auch Schreibfehler für tcertho vorliegen)
mit durch das -c- der anderen indicativfomien beeinflusster
endung und gestiigan 64, 22, lolbringan 10, 18 mit nach tönen-
dem guttural für -e- eingetretenem -a- (vgl. § 22) oder mit -a-
für -0- durch einwirkung von regelrechtem -a- für -e- der
anderen indicativbildungen '), sowe skenlan 69,18 mit ana-
logischer endung;
in der 2. sg. ind. begegnen mit -est und seltnerem -es ge-
biudesf, verJchisest, wirthest, tcerthest (s. § 53), ruochest, howest
etc. und sihes 17, 3, lazes (mit regelwidrigem -e-, vgl. § 22),
quithes (s. § 13), (uph)ri(c)htes, tccrthes 69, 12, heJcennes, hluoes
13,20 {mit ^yMvs^ {ge)sih€stu etc.); sodann noch meinost &h^2\
(neben meynest 28, 25), behaldost 52, 19, getvinnostu 58, 24
(s. unten zur 3. sg.; belege für -a^t] nach tönendem guttural,
vgl. § 22, fehlen); in zelist 76, 27 steht der endungsvocal in
einer linie mit dem -/- von ferit (s. zur 3. sg.);
in der 3. sg. ind. erscheint -ed, -ei als norm; -ad, -at nach
tönendem guttural und a + nicht -mehrfacher consonanz (vgl.
§22) bieten dragat 10,24. 31,8.9. 61,3.4, ligad, -at 11,25.
45,16, ttö(7a< * fügt' 31,4, ^^^«^25,3. 56,5 (daneben lig{h)et
26,142). 70,8, f/ifimflfc^ 30, 13, springet \Q,% neggct 17, l,b
durch systemzwang); -it behauptet sich (wie -ist, s. oben) nach
liquida mit vorangehendem umlaut e in fcrit, verid 24, 5. 57, 12.
71, 5. 16, 2. 17, 27 (man beachte daneben hired, s. § 54, ziret
35,20, leeret 28,28, huret 29,21; weret 68,20.25.28 hat -et
durch systemzwang; vgl. noch § 57 zum p. prt.); in gcwinnot
72, 14 sowie in den oben erwähnten bildungen auf -ost, in ge-
winnont 3. pl. 53, 15. 54, 5. 77, 14, hehaldont 53, 22, brinnont
') Der umstand, dass mit ansnahme von werthtin'i) im LW -en an
eben denselben steUen steht, wo auch W -cn für -on ofler -o hat, berech-
tigt nicht zur annähme von im LW aus der vorlade stehen gebliebenem
-CM, denn die endung -an (die in W nicht begegnet) weist , mag sie auf
die eine oder die andere der erwähnten weisen entstanden sein, auf in dem
dialekt der Umschreibung vorhandene beeinflnssung des suffixes der 1. sg.
durch die endnngen der anderen präsensformeu hin. Die hervorgehobene
Übereinstimmung kann also nur auf eine in den gedachten lesarten mit
W' übereinstimmende vorläge schliessen lassen, deren -en in der Umschrei-
bung nicht geändert wurde, weil eben auch die mundart des transscriptors
solche endung kannte.
■) Wo Hoffmann falsch lighit las.
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510 VAN HELTEN
73,11, scundont 49,10, wirchont 53,26, anazucckont 9, lo, in
den Optativen bringos 69, 16, givon 60, 8, behoMon 47, 14 und
in den inf. ergivon 69, 14, erhugon 60, 1 (woneben gehugan 11,25)
liegt gelegentlicher, durch das nebeneinander der -ö(-) und -6(-)
Suffixe bei den schwachen verba 2. und 3. klasse (vgl. § 58)
veranlasster übertritt in die o-flexion vor (mit dem -e- der
starken und 1. schwachen conjugation war ja das -e- ans -e-
der 3. schwachen klasse, vgl. § 59, zusammengefallen; vgL
wegen einer gleichen ostfrk. entwickelung die in W erschei-
nenden formen behaltont, guinnont Hoffm. xxxviii 12. 13. Lxxvn
14, Seem. 70, 4. 5. 146, 8, werdon opt. H. xlvii 17, bringen inf.
H. XI 9, Strotan, geserot H. xliv 23. xlv 4, Seem.*84, 2. 11, ge-
zierot H. xi 1, Seem. 17, 6);
in der 1. pl. ind. stehen mit aus dem opt. entlehntem soffix
(vgl. Braunes Ahd. gr. § 307 anm. 5 und beachte unten zum opt)
loupheUy vreuwen, suochen, heizewir (vgl. § 3 zu n);
in der 2. pl. ind. mit -ed, -et vinded, -et, drephet\ wegen
bechennedir s. § 12;
in der 3. pl. ind. mit -ent und ziemlich seltenem, nach dem
muster der anderen für die 3. pl. geltenden endungen entstan-
denem -en werthent, drephent, sijszent, cument, wassent 12,3,
suochent, heftent, bluogent, forghtent etc. und werthen 8, 4. 10, 8.
37, 9, wassen 12, 1, schtnen 36, 28; sonst noch mit nach tönendem
guttural entwickeltem -a- (vgl. § 22) ougant ostendunt 61, 15
(doch sttgent 21,. 15, bringent 32, 18 mit -e- durch systemzwang),
mit nach dem muster von -a«(0 und -en(^) der 3. schw^achen
flexion (s. § 59) verwantem •an{t) ambechtant 61, 5 (neben am-
bechtent 10, 26. 31, 6), hodan 10, 6 und mit -ont (s. oben zur 3.sg.)
behaldont, brinnont, scundont, wirchont (woneben behäldent 38,
12. 13, brinnet, -ent 30, 11. 73, 7, -ende 37, 23, wirchet 49, 1 und
die unten zu verzeichnenden optativformen mit -e etc.);
im opt. erscheinen mit eigentlich dem sg. und der 2. pl.
zukommendem -6?(-) beginne, lese, geschihe, slaaphe 23,27 (mit
regelwidrigem -e, vgl. § 21 am schluss), sieze, irre, bluoye 13,18.
56, 27. 66, 17, cusse etc., bluoes 13, 20, werthes, keines, beskiermes,
wesewir, helphewir (s. § 3 zu n), wiechen 20, 22, sezisen 74, 24,
besuochen 39, 24, buren 20, 14, wisen 9, 10, huoden 76, 27, ifen
67, 19, werthen 47, 17, vuogen (-e- regelwidrig, vgl. § 22) und
behaldont 74, 28, werthent 67, 3, gesterchent {-nt durch wechsel-
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ZUR SPBACHB DES LEIDENER WIIiLIRAM. 511
Wirkung aus der 3. pl. ind.), irred, -et 15, 21. 71, 1. vindet 45, 11,
kündet 45, 12. 15, we{c)hed, -et 15, 12. 70, 23, gehuget 28, 4 (-e-
regelwidrig) und mit eigentlich der 1. und 3. pI. zukommendem
-a(-) (vgl. § 23) nema 64, 20, cuma 26, 21 (neben cumCy kume
6, 3. 9, 14. 20, 21. 26, 26. 39, 20), wertha 9, 20 (neben werihe, -es
passim und wirthe 63, 13), skella 19, 27, meynas 20, 6, vollecuman
67, 14, wecchan 23, 28, bekeran 66, 25; beachte auch bringa 14, 7.
23, 16. 66, 1, -an 34, 21, mit zweideutigem endungsyocal; sonst
noch mit -o- (s. oben zur 3. sg.) bringos, givon, behaldon (wo-
neben bringa, -an, behaldes 33, 15, -ent, s. oben, sowie wirche
76, 19, wirckewir 74, 2); wegen bluoie (?) 3. pl. vgl. oben s. 442
fussnote;
für den schwachen imperat. sg. steht neben normalem -e
{wende, künde, Ue etc.) phonetisches bez. analogisches -a in
gi^yga ostende 19,26, gekuga 19,18. 72,24 (doch gehuge 19,14.16)
und skeyna 21,19 (neben ^ifceyne 21,17);
für den imperat. pl. -et, -ed, wie für die 2. pl. ind., in ver-
nimet, ezzet, stiured, umbe-, underleged (letzteres mit nach dem
§ 22 zu tegen etc. als phonetischer ausnähme bemerkten zu
beurteilendem -e-) etc.; ßhent capite 20, 10 ist residuum aus
der vorläge;
im inf. begegnen mit normalem -an cuntan, werthan, sehan,
vergezzan, bekennan, suochan^ zutflan, scutcan etc., mit seltnerem,
aus der schwachen flexion stammendem -en werthen 16, 16.
46,13, sprechen 17, 4:j enquethen 20, 24, vindenb2,7, zthen 19,22
(vgl. § 19 zu io), anasihen 57, 18, suochen 21, 27, geirren 13, 19;
sonst noch er givon, erhugon (s. oben zur 3. sg.; jedoch bringan
11,9. 36,6); im gerund, drinchenes, vernemene, drinchene, mer-
chene, verfallene, schenchene etc. (vgl. wegen -e- § 26 und be-
achte das ausnahmslose, nach nebentoniger silbe vereinfachte n,
wozu Braunes Ahd. gr. § 93 anm. 1 zu vergleichen ist); in sti-
geno 64, 19 steht -o als Schreibfehler oder es bezeichnet eine
nach dem muster der dative auf -o und -e (s. § 29) für -e ein-
getretene endung (wegen -ge- vgl. § 26);
im part. stinchende, fließende, overfiuoiende etc. (vgl. § 26),
woneben neigande 71, 7 mit -a- aus -e- (s. a.a.O.) und veghtande
63, 22 mit analogischem -a-; in bowunde ^wohnend' 77, 24 ist u
(durch folgendes künde veranlasster) Schreibfehler,
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512 VAN HELTEN
§ 56. Betreffs der endungen der starken präterital-
bildungen ist zu achten:
auf antfingast 33, 16 mit -ast aus *'est (§ 22), d. h. -e
(=^ ahd. -i) mit angehängtem st;
auf die in der 3. pl. ind. neben (ße)sähon 48, 3. 55, 5, wäron
18, 19. 40, 16. 44, 28. 49, 5. 9. 65, 5 (vgl. § 22 zu -w) begegnen-
den Waran 26, 1, quäthan 72, 8, gehiezan 57, 22, skinan 19, 3,
vuchtan 8, 16 (s. auch 8, 18, wo vuchta als Schreibfehler steht),
fundan 22,2, 44,21, wurthan 24, 17 . 36,16.43,11, gävanU,27,
nätnan 44, 23, sluogan 44, 22 und rieden 45, 6, driven 8, 19 mit
aus dem schwachen praet. (vgl. § 57. 59) entlehnten suffixen;
für die 1. und 2. pl. gibt es keine belege;
auf die optativformen worphe 45, 7, besähe 56, 10, tväre
2, 7. 17. 51, 2. 58, 6, anavinged 14,22, säghet (s. § 53; wegen des
an dieser belegstelle verwanten dubitativen Optativs vgl. an
der parallelstelle in W stehendes sähet) mit -e, -et aus -I, -it
(s. § 23; -vlnged, säghet mit -et durch systemzwang, vgl. § 22)
und warn 3. sg. 20, 7. 52, 6. 56, 11, wäran 56, 13. 73, 15. 74, 10,
wära 3. pl. (s. § 3 zu w) mit in folge des Zusammenfalls der
-€, 'CS, -et im praet. und praes. opt. aus letzterem tempus (vgl.
§ 55) entlehntem -a(-) [der annähme von -a(-) für -e(-) nach ä
(vgl. § 18. 21. 23) widersetzt sich der opt. geirrcdan, § 57];
auf die neben normalen cuman, henonian, besuichan, ge-
thumjan, gefaran etc., flect. scorenen, -on, unbewollene (vgl. Beitr.
6, 239 ff.), vorkommenden participia gewassert 18, 5. 36, 25. 27,
iJUsgegozzcn 6, 13, vunden 36, 23 (doch fundan 22, 1. 40, 23), ge-
scriven 27,10, gebunden 62,23. 63,11, gehalden 11,6 mit aus
den flectierten formen entnommenem suffix und gegivon 37, 13
(doch iegivan 25, 12), gehaldon 60, 13. 68, 12. 77, 7. 11 (doch
gehalden, s. ob.), gewunnon 75, 20 mit -on für -en in anschluss
an die Vorliebe dieser verba (s. § 55 zur 3. sg. ind.) für -ost,
•oiy 'ont statt -est, -ei, -ent (auch W hat neben sonstigen -an
gelmlton 129, 2 bei Seem., wie in behaltont, s. § 55 a. a. o.).
§ 57. In bezug auf die endungen der schwachen präte-
ritalbildungen ist folgendes zu bemerken:
nach dem § 21 über -c {-ii) aus -a erörterten wären für
die 1. und 3. sg. praet. ind. bei ungestörter entmckelung thursta
etc. und ilede etc. zu erwarten; doch finden sich als die nor-
malen formen nicht nur thursta, tv'isda, sazta etc. (s. § 54),
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 513
sondern auch im anschluss an die letzteren bildungen und an
•oda, -eda der 2. und 3. klasse erquekkeda, eulfleda etc. (s. a.a.O.);
nur ausnahmsweise begegnen ilede 24, 12 (neben Heda 71, 11),
skeynede 17,22; ebenfalls selten sind die durch anlehnung an
den plur. entstandenen erquihto 71,19, hungredo 49,21; mit
Synkope steht rihtich 43, 14;
für die 3. pl. ind. stehen scuston, saldon, eaUon und mit
anlehnung an -da auch begondan und seredan (vgl. noch § 59);
für die 1. und 2. pl. fehlen die belege;
wegen der Optative erougade 44, 18, geburede 8, 15, geher-
dedet 14, 23, geirredan 17, 17 vgl. § 56 zum opt. prt.;
die participia enden in der regel auf -et, -ed, -ed- (s. die
belege § 54); das -i- von ungee^id 13, 11 vergleicht sich dem
-i- der 2. 3. sg. praes. ind. ferit, vmd (s. § 55; beachte daneben
die partt. gezlred, -et 11,1. 27,26. 59,2, gezierei 33,10. 64,11
und ges&ret 34,2.4. 45,4; in erwelet liegt systemzwang vor
und anlehnung an flectiertes ei-weleda); in erfloigat 'erschreckt'
57, 5, besigelad, -at und besigaladen steht lautgesetzliches -a-
für -e- (s. § 24 und 22); ebenfalls in genaachat (vgl. § 9. 18
und 22); geslighiat 27, 11 hat analogisches -a-; wegen geleget
ist der imper. -leged (s. § 55) zu vergleichen.
2. Die sohwaohen verba 2. und 3. klasse.
§ 58. Charakteristisch für den LW sowie für W ist die
Vermischung der beiden klassen nicht nur bei den verben, die
sich in ahd. denkmälem mit zweifacher flexion finden (vgl.
Braunes Ahd. gr. § 369 anm. 1. Kelle in den Wiener sitzungs-
ber. 109, 260 f. Zs.fda. 30,298.319), sondern auch bei denen,
die sonst (mit ausnähme von W) mit constantem -ö- (-o) oder
-e- (-e) begegnen (die Übereinstimmung zwischen LW und W
ist selbstredend mit rücksicht auf die normale Unabhängigkeit
der Umschreibung nicht auf entlehnung aus der vorläge zurück-
zuführen»)). Ich gebe hier ein Verzeichnis der im LW er-
scheinenden verben und zwar nach den folgenden kategorien
geordnet: 1. derjenigen die beiderlei flexion haben, indem sie
auch anderswo mit -ö- (-o) und -e- (-e) vorkommen (wegen der
*) Die Beitr. 13, 468 ff. für mhd. (alem.) machen etc. : machan vor-
geschlagene deutung wäre hier unbedingt abzuweisen, weil die -e(-) des
LW keine -d{-) sind (vgl. § 21—27).
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514 VAN HELTEK
ahd. belege s. ausser der oben erwähnten literatur Graff i. voce;
wegen der belege in W s. Hoffmanns und Seemüllers glossare),
2. derer welche der alten e- oder der alten ö-conjugation mehr
oder weniger untreu geworden sind und auch in W die näm-
liche anomalie aufweisen (wegen der belege für W s. die
glossare), 3. derer die im LW, nicht aber in W Vermischung
zeigen, 4. derer für die aus LW keine Übersiedlung in die
andere klasse zu belegen ist, 5. derjenigen deren ursprüng-
liche flexion nicht zu ermitteln ist, indem sie nur aus LW
und W oder nur aus LW zu belegen sind.
1. {ge)bilethen inf. 41,8, an 70,4, -ene 63,8. 74,24, -et 55,2,
-ent 32, 12, -eden 36, 19 und -ot 56, 2, -ont 60, 25 — frägan inf.
22, 27, frägadot 52, 5 und -odot, -odet (oder edot? s. § 59 zum
praet.) 46, 4. 51, 1, rädfrägoda 44, 25 — geran inf. 53, 2 und
gero 1. sg. ind. 39, 2, -ost 40, 9, -oda 14, 3 — leydoda 14, 8,
geleidos praes. opt. 69, 17 und Uydede 7, 6 — manonwir 74, 23
und muneda 23,24 — gescapJio 33,22, gescJiaphot 31,23 und
gescaphe opt. 66, 19, gescJiaphat 19, 19. 77, 2, gescapheda p. p.
56, 4 — wtson ich 40, 10 und -est 67, 6, -et 51, 25, -eda 43, 3,
gewlset 40, 10 — voUewardon 1. sg. 69, 14 und wardet 16, 25,
-eda 46, 16.
2. Von alten ^-verben haves 45, 23, -est 21, 19. 66,20. 77,20,
havestu 34, 2. 4, Jiavct, -ed 3. sg. 8, 9. 9, 22. 10, 7. 12, 6. 13, 26.
14, 12. 65, 16 etc., -et 2. pl. ind. 15, 16. 28, 1. 41, 5, -ent 3. pl.
11, 7. 27, 2. 33, 6. 50, 22. 53, 1. 60, 9. 28. 69, 21, ant 30, 14, an
7, 24. 27, 16. 32, 16, -e 1. 3. sg. opt. 76, 20. 26. 77, 1. 2, -es 2. sg.
opt. 68, 27, gehave imper. 10, 5, Itava imper. 21, 13, Imren inf.
60, 4. 61, 20, (be)havan 10, 2. 23, 14. 46, 26. 64, 7 und luiton
Lsg. 19,19. 22,1. 23,5. 33,17. 35,28. 40,16.17.19. 41,19.
43, 26. 52, 6 etc., Jmvo 1. sg. 8, 1. 10, 10. 13, 3. 20, 26. 31, 23.
42, 17. 22, -ost 21, 10, wir havon praes. 51, 12, hehavon inf. 9, 1
— levenda 38, 12 und ich levon 8, 11 — liichent 20, 7, misliiche
opt. 28, 24 und misltclio opt. 10, 21 — sage imper. 9, 4, -a im-
per. 45, 26. 51, 10. 14, gesagan inf. 22, 7. 28, versagat p. p. 27,
10. 19 und sagon 1. sg. praes. 46, 6. 51, 4, sagode 51, 3, -on 48, 8,
gesagot 52, 6 — gestarchent 'stark werden* 20, 15 und gesiar-
Code 19, 1 — wadiot 3. sg. praes. 41, 18;
von alten ö-verben gearger ent *zu schänden machen* 20, 11
— heydet 7,8 — gebloomed 'geblümt' 12,25 — gevestenont
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ZUB SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 515
37, 6 und -ent 13, 5 — vor-, fortheroda 21, 25. 44, 17 und vor-
theret 59, 13, -ent 59, 14 — guodlichant 30, 21 — gecrüciget
49, 22 — (ge)locchet 35, 1. 65, 12. 67, 18 und loccheda 48, 3 —
machon ich 8, 5, -ost 6, 11, -ot 18, 27. 67, 28. 68, 7. 73, 24. 25,
machontvir 11, 5, machodir 39, 19 (vgl. § 12), machont 63, 3.
68, 2. 10, 'OSt opt. 9, 12, -on opt. 66, 27, -oda 25, 26, gemachot
31,17. 75,27. 78,1 und ma{c)che imper. 66,23. 72,17 — ge-
meret 3. sg. 61, 27 — minnon 1. sg. 69, 24, -o 9, 9, -of 7, 16,
-on 3. pl. ind. 6, 15. 7, 16, -ont 27, 20, -o opt. 7, 18 und -ß opt.
14, 12. 14, -an int 14, 10 — niedet * freut' 14, 4 — ophenewir
opt. 74, 13, o(p)phenent 10, 27. 31, 7. 61, 6, geophmet 64, 28 —
gephlanzot 8, 28 und -e^ 39, 5, phlamene 77, 21 — geordlnedon
p. p. 48, 5 — gethrangoda p. p. 'gedrängte' 55, 17 und gethran-
gada, -an 52,16.23.25 — salvado praet. 11,19 (oder Schreib-
fehler für scUvoda?) — skeythe imper. 10, 4. 78, 14, underskeithet
49, 12 (vgl. ahd. scddön; das starke verbum erscheint im p. p.
gescheythan 23, 6) — scouwest 56, 15 — hesuäreni gravant
42,12 — hewaret 25,16, -ent 25,6. 62,15, -et p.p. 36,1, -an
inl 47, 21 — weithenot 60, 20 und -et 20, 20. 32, 7. 52, 5, -ent
9, 21. 32, 1, -en ind. 32, 17, -es, -e opt. 9, 5. 51, 20, -e imper.
9, 28 — gewertheda dignatus est 46, 25 — wunder on 1. sg.
57,9, -ost 56,14. 57,19. 71,21, -ot 55,9 und wunderan inf.
55,20 {geantfristet ist vermutlich residuum aus der vorläge,
vgl. § 12).
3. {ge)lemes 10, 8, -ent 18, 12, -an opt. 47, 15. 19 und ler-
nostu 69, 10, lemon 64, 12, -ont 61, 20 (in 18, 12 und an den
drei letzteren belegstellen steht das verbum in der bedeutung
*docere') — gemantghfaldet 45, 5 — gesamenet hi,2h — wunot
'wohnt' 11,22.
4. Von den verben mit -ö(-) und -^-) im ahd. arnodan
meriti sunt 27,2 — eeront 55,11 — geeinoda 43,13, geeinot
64,18 — geeischedon 48,4 — clagon Lsg. 7,27, -ost 58,2 —
gelathot 24, 14. 33, 17 (W geladot und -et) — lovenden (1. -eden)
'lobten' 55,7 — siechon Lsg. 14,18. 45,12 — scames 10,20,
-ent 30, 20 — gesniühot 58, 21 — ^Äanca« inf. 11, 16 — ich
vollevolgon 69,9;
von alten ^-verben erheveda 42, 28 — verfuulet 26, 13 —
gruonent 47, 3 — hangent 31, 1, -en 3. pl. ind. 31, 21 — muo-
thest 63, 23, -eda 49, 21 — quekkent 'lebendig werden' 35, 27
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516 VAN HELTEN
— SHCvct,-e^itSh, 12. 61,13.22. 62,24 — tholet 70, 7, -cn^39,4,
-eda 41, 22, -edo 34, 8, -eden 39, 3, -an inf. 15, 27 — cnvarmed
44, 12;
von alten ö-v.erben gebathot 47, 9 (W gebadet) — gemauzot
10.11 — gethingon Lsg. 68,16. 69,15.
5. hörechent 77, 19. 27 — geblachfnälad 'mit eingegrabener
arbeit verziert' 11, 5 (W -ot) — gemuozegan vacare inf. 78, 11,
-at p. p. 42, 17 (W -et, doch nach Graff 2, 909 in der Stuttg. hs.
-ot) — gcinmentadon p. p. 69, 19 — röwes 2. sg. opt. 9, 5, riwwan
inf. 20, 1, geruowet p. p. 12, 26;
gearzätant 68, 9 — droplieden stillabant 43, 10 — gegradet
'gestuft' 26, 4 — iugethet 'verjüngt' 6, 16 — cundeghe 1. sg. opt.
78, 10, -gan inf. 78, 14 — loghent 'brennen' 73, 7 (W hat lohe-
zenty wie 43, 10 troffezoton = dropheden LW; dies verleiht
grund zur Vermutung, dass der mundart der Umschreibung
verba auf -ezen aus -atjan nicht geläufig waren; in drofezent
48. 12 wäre demnach -czent als residuum aus der vorläge zu
fassen) — nistdes, -ot 19,7.20 — slafto 'erschlaffe' Lsg. ind.
39,27 — getvared 'währt' 20,27.
Zum schluss sei noch bemerkt, dass zui- kategorie 2 auch
gehören können gereinont 61, 18 und -ent 21, 21, gereynet 12, 10,
gewädet 'gekleidet' 6, 17; doch ist im hinblick auf ahd. gereineti
und -ön, tvättan und ivatön die möglichkeit mittelfränkischer
wechselformen nach 1. und 2. klasse nicht zu übersehen.
§ 59. Bezüglich der endungen der schwachen 2. und
3. klasse sei noch folgendes bemerkt:
antenasalisches -a- aus -e- für -e- (s. § 23) findet sich als
regel im inf. (jgehilethan, frägan, geran, (be)havan, gesagan,
minnaUy ben^arati, wnnderan, thancan, tholan, gctnuozegan,
rtiotvan, cundegan), woneben als ausnähme durch anlehnung
entstandenes -en {Inlethen, }iaven)\ in der 3. pl. praes. ind. sind
hingegen durch einwirkung von -c- der anderen formen die.ses
tempus regelwidriges -cnt bez. -en die norm geworden und
steht nur ausnahmsweise -ant oder -an {Jiaran(t\ guodllclMni,
gearzätant)', im p. praes. und gerund, stehen nach § 27 -ende,
-ene (lerenda, bUethene, phUinzene\ wegen -n- vgl. § 55 zum
ger.); we^en der formen für den opt. praes. beachte minne,
weithene, -e^s, röwes (s. § 18 zu no), opheneiviry doch lernan 3. pl.
und vgl. § 55 zum opt. praes.;
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ZUR SPRACHE DES LEIDENER WILLIRAM. 517
-a(-) nach tönendem guttural und nach a oder a der Vor-
silbe (s. § 27. 21 am schluss und 23) steht im prt fragadot,
in den p. prt. gesc{h)aphat, versagat, genmoeegat, geblachmälad,
gethrangada, -on und den impp. hava, saga; analogisch ent-
wickeltes -a- bieten salvado (? s. § 58 zu* 2.) und geplmentadon
(sonst im p. prt. -ed, -et, -ed-)] in folge von systemzwang be-
gegnen aber die p. bewaret, gecrüciget, die impp. gehave, sage,
cundeghe, der inf. haven, die formen des praes. ind. haves{t),
scames, havet, -ed, bewaret, gewared, havent, bewarent, besuarent,
scament, hangen(t), hghent, sowie des opt. gescaphe, have, -es;
wegen gescapheda, maneda vgl. § 27;
aus -a- für -e- in geschlossener ultima und in der paen-
ultima geht kürze des stammvocals -e- an denselben stelleü
hervor, was auch zur ansetzung von -on (-ö), 'Os(t), -ot, -ont,
-od, -ot, -oda berechtigt (die kürzung entstand in vorletzter
silbe durch analogie, vgl. § 27);
für die 1. sg. praes. ind. tritt neben -on kein -an (aus *-5n)
oder durch anlehnung entstandenes -en auf; mitunter statt -on
erscheinendes -o (gero, geseapho, havo, slafto) entstand nach
dem muster des -o neben -on in der starken und 1. schwachen
conjugation (s. § 55);
die 2. sg. praes. ind. hat neben -esty -ost auch -es in haves,
gelernes, scames, nisteles; im opt. steht neben geleidos, haves
etc. auch machost;
wegen -n für -nt der 3. pl. ind. hangen, weythenen, havan,
niinnon vgl. § 55;
neben normalen radfrägoda, geroda, hydoda, erbeveda (Hoff-
mann hat falsches -de) etc. stehen mit analogisch gebildetem
-de sagode, gestarcode (vgl. § 57 und s. noch § 60); wegen tho-
ledo und salvado (?) vgl. erquihto, hungredo (§ 57); wegen neben
sagodon, geäschedon, frägodot, -adot vorkommender amodan,
biletheden, love{n)den, tholeden, dropheden, frägodet (oder ver-
schrieben für frägedot?) vgl. begondan, seredan, moghtan, woldan
(§ 57. 60 und 63) und scolden (§ 60; die häufigkeit von -eden
weist auf bevorzugung von -en, d.h. -dn, nach -e- hin);
Optative prt. sind nicht belegt mit ausnähme von hadde
44, 2 mit assimilierung des v (neben hafda ind. 14, 5 mit er-
B«itritftt ma gMohiobto d«r dmtMbaa ipnob«. XXIL 34
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518 VAN HELTEN
haltung der durch f dargestellten tönenden Spirans durch be-
einflussung der präsensbildungen).
Das präfix des p. prt. fehlt in iugetliet 6, 16 (vgl. § 57).
3. XJnregelmässige verba.
§ 60. Von den flexionsformen der praeteritopraesentia sind
hervorzuheben:
die im plur. praes. ind. neben wizzon, kunnon, sculon 25, 23
begegnenden, durch analogiebildung nach den praeterita auf
-an und -en (§ 56) entstandenen smlan 24, 1. 25, 7. 8. 11, sculen
62,28. 64,12, mugenlS, 12 [wu^fan 13, 17. 19. 16,4.36,6. 56,19.
60, 4. 73, 18 kann opt. sein, vgl. die an den betreffenden stellen
in Hoffmanns und Seemüllers text, bez. in den varr. zu 35,6.
67,9 (-^ XVI 4. xxxvi9 bei Hoffm.) stehenden optati>^omien;
auch mugan 47,6 und sulen 18,8, denen in W mugon, sculon
entsprechen, Hessen sich als opt. fassen];
die nach § 56 (zum opt.), § 4 (zur apokope von n) und
§ 21. 22 (zur behandlung von -e und -e- nach tönendem guttural)
zu beurteilenden Optative 1. sg. sule 14, 10, scule 43, 7, kunne
15, 5, ctinna 70, 16, muoze 68, 23, muga 22, 22. 44, 10, muge
78, 10, 2. sg. wizzest 33, 18, mugas 53, 4, -est 11, 25, 3. sg. muoze
. 76, 14, muga 25, 18. 27, 8. 31, 20, 1. pl. miiozen 57, 18, 2. pl.
sculed, -et 41, 8. 52, 8, sculedir 41, 7. 9 (vgl. § 12), wizzet 50, 27
(in imperativer Verwendung), mugat 52, 7, mtigadir 39, 17, 3. pl.
dürren 70, 4, cunnen 74, 16, -ar^ 25, 10, kunne, mugan 21, 21.
56, 6. 63, 15. 74, 17 (s. auch oben), muga, sulen 18, 25 und 18, 8
(? s. oben);
die praeterita ind. moghta 22, 26. 44, 18. 46, 13, mit Syn-
kope moghtich 22, 17, wistes (s. § 47), und moc(h)te 8, 23. 9, L
18, 23, wiste 57, 8, scolde 71, 15 mit analogisch gebildetem -e (vgl.
§ 57), moghtan 73, 13. 16 (vgl. § 57), scolden 72,3 (vgl. § 59);
die praeterita opt. scolds 43, 2. 48, 9, muoste 44, 19, moghk
44, 3, künde 22, 7 und moghta 45, 9, -an 26, 6 (vgl. § 56. 57. 59).
§ 61. Für das verb. substantivum gelten im praes. ind.
neben häufigem him einige male hin 7,21. 11,22. 19,15. 59,4,
bist (nie bis), is (nur zweimal und wol aus der vorläge stam-
mend ist 10,23. 53,22), aus dem opt. entlehnte siin l.pl. 27,5,
siit 2. pl. 27, 28 {sint 14, 20 kann nur Schreibfehler sein), und
^n 3. pL 7, 24. 10, 19. 18^ 5. 58, 9. 75, 3 woneben normales sint\
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ZUR SPRACHE DBS LEIDENER WILLIRAM. 519
im praes. opt. st, sls(f), st, sin 3. pl. (sii 1. pl. 27, 9 Schreib-
fehler); im inf. stn (neben wesan); ein p. praes. ist nicht belegt;
für den imper. steht tcis(s).
§ 62. Von duon, gan, stän sind belegt:
duon 1. sg., duost, duot, diwnt; duo 1. sg. opt., duowir 1. pl.
opt. 74, 1, döwir 66, 16 (oder opt.? wegen ö vgl. § 18); duo und
diiot imper. (auch döt, s. § 18); duon int; deda, däde 1. 3. opt.
35, 5. 43, 10. 24 und -a 56, 11 (s. § 56 zum opt); gedaan,
thurgdän;
versteen 1. sg., geet, steed 3. sg., geent; ge 3. sg. opt., gewir,
ghiewir (s. § 8), stewir; geet imper.; gende] gen 9, 7. 20, 3. 24, 2,
gaan 26,28, sten inf.; versteen p, p. 20,26 (doch gegangan).
§ 63. Das verbum ^wollen' begegnet in willo 1. sg. 21, 27.
22, 21. 23, 9. 32, 25 (= ahd. wülu), woneben willon 1 1, 16. 12, 26.
20, 24. 21, 26. 22, 20. 23, 8. 56, 21. 22 (vgl. § 55 zur 1. sg ind.),
Wille 11, 25. 43, 21, -a 32, 23 (vgl. Braunes Ahd. gr. § 385 anm. 1)
und tcelle 9, 19 mit aus dem alten plur. *%cell- entnommenem
stammsilbenvocal, thu teilt, her teile 66, 9 (= ahd. toilt), -a 17,4.
66, 8 mit nach dem muster der im opt. praet. neben einander
geltenden -a -e (s. § 56) für -e verwanter endung, her tvela
15, 27 mit e wie in der 1. sg. tvelle, wir willon 7, 11 mit i für
e oder o durch einwirkung des präsens und -on nach dem
muster von wiszon etc., wollent 60, 1. 74, 11 (vgl. Braunes Ahd.
gr. § 385 anm. 4); in den optativformen willes 10,2, -an 11,3,
'cmt 60, 9 mit i wie in wir willon (wegen -a und -nt vgl. § 55),
ivollelhA^. 20,22. 70,24.27. 71,2, -a23,28;
in wolda, woldest ind. 20, 1 mit -e- (d. h. -d-) durch anleh-
nung an -e der 1. 3. sg. "^wolde (vgl. mochte etc. § 60), woldan
ind. 18,20. 19,2. 22,17 (vgl. § 57).
[S. 441, 8 V. u. 1. § 56. — 455, 8 v. u. und 461, 10 v. o. 1.
drohtin. — 462, 14 v. u. 1. § 56. 62.]
GRONINGEN. W. VAN HELTEN.
♦34
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WORTGESCHICHTLICHE BEITRÄGE.
1. aar.
Kluge hatte in seinem au&atze 'Aar und adler' Zs. fdph.
24, 311 f. als resultat seiner nachforschungen über den gebrauch
dieser beiden Wörter es ausgesprochen, dass von einem poeti-
schen aar im 16. 17. jh. nichts zu verspüren sei. Dagegen hat
sich Jeitteles in derselben zs. 29, 177 f. gewant und durch
einige belege den nach weis zu erbringen versucht, dass das
ganze 16. jh. hindui'ch bis über die grenze desselben ar, am
*im Sprachgebrauch fortlebte, und zwar keineswegs bloss in
der ungebundenen rede, sondern, was Kluge bezweifelt, auch
in der dichtung anwendung fand '. Diese tatsaclie hatte indes
auch Kluge nicht rundweg bestritten, er betonte nur, und
unzweifelhaft mit recht, dass damals aar nicht wie in der
neueren spräche seit mitte des vorigen jh.'s ein specifisch
poetisches wort gewesen sei. Allerdings wird aar im 16. jh.
nicht ganz so selten gebraucht wie Kluge annahm; immerhin
ist sein zurücktreten hinter adler nicht zu bestreiten und nur
die composita wie fischaar, hühneraar u.s.w. zeigen es noch
bei vollem leben. Dabei kommt aber noch ein umstand in
betracht, der weder von Kluge noch von Jeitteles berücksich-
tigt worden ist. Ar, am wird allerdings wie adler gebraucht,
so in den von Jeitteles angeführten stellen aus Burkard Waldis,
ferner z. b. auch bei Mathesius, Sarepta (Nüi'nberg 1571) 88^:
ob nun schon das Keiserthumh hifsweilen eben schwach oder
fcderlofs gestanden {denn es habens die Römischen fi^cher zu
iren federangeln eben Jiart berupffet vnd wer es vermocht hat
davon gezwackt), dennoch ist noch der Adler bliben bifs auff
dise stunde. Es hat wol mancher gemeinet, er wolt dem Ahr
zun haupten wachsen. Aber wen Oott erhöhet, den kan niemand
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WORTGESCHICHTLICHE BEITBÄGE. 521
durch eigen krafft nidrigen, wie alle historien bezeugen, Ueber-
wiegend aber bedeutet damals ar nicht 'aquila', wofür sich
adler festsetzte, sondern bezeichnet einen kleineren raubvogel.
Nach Diefenbachs Gloss. latinogerm. gibt zwar ar, arn öfter
aquila (44a), mehrfach aber auch milvus (361b) wider; vgl.
auch im Voc. theut. (Nürnberg 1482) nn6b wey oder ar milvus,
in einem anderen von Diefenbach unter milvus angeführten
glossar aer oder geyer. In der von Jeitteles angeführten stelle
aus Seb. Francks Sprichwörtern heisst es: arn oder wyhen vier
die kennen ziehen. Daran schliesst sich die eine der meines
Wissens beiden einzigen stellen, an der ar bei Hans Sachs vor-
kommt, Fastnachtsspiele (ed. Götze) 27,247; sinds drauff wie
ein aer au ff einr Hennen (dagegen ein grofser ar = adler in
Gödekes ausg. 1, 91). Auch Aventin, der ar öfter gebraucht,
scheint es von adler zu unterscheiden, vgl. Bair. chron. (ed.
Lexer) 1,294,28: wen ainer nur etwan ainen adler, ainen am
oder dergleichen vogel fiedrauchen sach. Dass bei ar die mhd.
bedeutung * adler' jetzt mehr zurücktritt, erklärt sich aus dem
einfluss der composita hünerar, meusar, bussar u. s. w., bei denen
ar einen kleineren raubvogel bezeichnet. Der etymologische
Zusammenhang zwischen ar und adler (adelar) wurde freilich
nie ganz vergessen, und so hat es nichts auffallendes, dass im
17. jh. mehrfach ar = adler angegeben wird (Kluge s. 314),
woraus indes keineswegs hervorgeht, dass man, wie Kluge
s. 312 will, diese Wörter damals allgemein für gleichbedeutend
angesehen habe. Die Wörterbücher setzen überwiegend ar in
anderer bedeutung als adler an; so heisst es bei Schottel (1664)
Aar vultur, accipit^r, bei Stieler (1691) AJir, arn aesalo, species
accipitris vel vulturis, bei Dentzler (1709) Ahm aesalon, bei
Eädlein (1711) Aar epervier, bei Steinbach (1734) J.ar vultur.
Dass in allen diesen fällen ar nur aus den compositis abstra-
hiert worden sei, ist man schwerlich berechtigt anzunehmen;
das fast völlige fehlen des Wortes in der literatur (doch vgl.
man den von Kluge s. 313 erwähnten, angeblichen Opitzischen
vers) ist freilich auffallend, wird aber erklärlich, wenn wir
annehmen, dass das wort — wenigstens hochdeutsch — nur
zur bezeichnung einer art weihe wirklich üblich war. Das
ändert sich dann um die mitte des 18. jh.'s. Schon Frisch
(1741) hat Aar *jeder grosse raubvogel, besonders adler' und
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522 VON BAHDEB
wenig später beginnt die Verwendung des Wortes = 'adler'
in der literatur. Dass diese widerbelebung von aar in der
alten bedeutung von den nd. mundarten ausgegangen ist, wie
Kluge vermutet, erscheint mir sehr wahrscheinlich, obgleich
ich meinerseits nichts zur begründung dieser ansieht vorzu-
bringen weiss.
2. abschach.
Bekanntlich kommt dies wort in Lessings Nathan (2. aufzug
1. auftritt) vor.
Sittah. So bleibt es? Nun dann : schach und doppelt scbach !
Saladin. Nun freylich; dieses abschach hab ich nicht
gesehn, das meine königin zugleich
mit niederwirft.
Von den erklänmgen des Wortes kann die im DWb. 1, 94
gegebene 'ab dem schach sein' ausser betracht bleiben, da sie
offenbar nur der etymologie ihr dasein verdankt und durchaus
unpassend ist, denn nach dem folgenden kann abschach nur
ein zug sein, durch den Sittah ihren mitspieler bedroht hat.
Auch Düntzer trifft nicht das richtige, wenn er in seinen
erläuterungen zu Lessings Nathan s. 97 abschach erklärt als
*der zug, welchen man unmittelbar nach einem dem gegner
gebotenen schach tut, gleichsam der rückzug aus dem angrei-
fenden schach, der aber ein neues schach sein kann'. Was
man sich unter dem rückzug aus dem angreifenden schach
unmittelbar nach dem schachbieten vorstellen soll, ist mir nicht
recht klar, jedenfalls bleibt bei dieser erklärung der Zusammen-
hang, in dem an unserer stelle das abschach doch offenbar mit
dem doppelten schach steht, ganz im dunkeln. Wenn v. Böht-
lingk vor kurzem in den IF. 7, 270 abschach als 'schach der
königin' erklärt hat, so wird er ebenfalls dem klaren Wortlaut
unserer stelle nicht gerecht. Meistens wird abschach als gleich-
bedeutend mit doppelschach genommen und als 'schach dem
könig und zugleich der königin' erklärt (so auch bei Sanders
2, 876). Nun ist aber, wie merkwürdigerweise allen erklärem
der stelle unbekannt geblieben zu sein scheint, auch schon im
mhd. abschach belegt. In Heinrichs von Freiberg Tristan wird
eine Schachpartie zwischen Marke und Isolde geschildert, es
heisst V. 41551:
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W0BTOE8CHICHTLICHE BEITBÄGE. 523
inredes der kttnic sprach
zu der küni^nne: ^sch&ch!^
'd& sch&ch!' sprach die künig^n.
'hie buoz mit dem ritter min,
absch&ch!^ sprach derkünic sän.
sie ged&ht«: ^absch&ch wirt in get&n:
mich dnnket, er si aber knmen,
von dem mir sorge wirt bennmen/
Die letzten worte beziehen sich darauf, dass Tinas als
böte Tristans anwesend ist und Isolde darum ihren freund in
der nähe vermutet. Der herausgeber Bechstein hat (wie schon
vor ihm Wackemagel in der abhandlung Das deutsche Schach-
spiel im mittelalter, El. sehr. 1, 112) die stelle insofern nicht
ganz richtig aufgefasst, als er v. 4158 der königin zuweist,
hiiojg möchte er als imp. = büejse oder büezet nehmen. Die
königin wfirde also den könig, dem sie schach gesagt hat,
auffordern, dieses schach mit ihrem eigenen ritter abzuwehi'en:
eine völlige Sinnlosigkeit. Das überlieferte buoe >) ist offenbar
als ausruf (mit zu ergänzendem ich tuon) zu nehmen. Man
könnte den vei-s nun wol auch der königin als antwort auf
des königs schachsagen (zugleich mit anspielung auf Tristan?)
in den mund legen, doch würde er seltsam nachhinken, nach-
dem sie vorher schon selbst schach gesagt hat. Viel näher
liegt es die worte Marke zuzuweisen: ihm ist schach gesagt,
er schiebt den ritter zur deckung des königs vor und durch
wegrücken dieses Steines wird er nun selbst in die läge ver-
setzt schach sagen zu können. Ahscluich ist nämlich nichts
anderes als abzugsschach. Selenus, Das schach- oder könig-
spiel (Leipzig 1616) sagt s. 111, nachdem er vorher vom schach-
geben gehandelt hat: Geschichts aber nicht öffentlich, besondern
ntihr durch Entdeckung eines Steines, wan nemlich derselbe
Stein, welcher zwischen einem König und einem Stein, der
sonsten, wan die linie zu dem Könige frey und offen wehre,
Schach geben honte, eingestanden, fortgerucket wird und also
den andern auf den König, dafs Er ihm Schach gibt, entdecket,
so heisset mans einen Ab-Schach. Wan aber der tveggeruckte
^) des Schaches huoz tuon oder hüezen muss technischer ausdruck des
mittelalterlichen Schachspiels gewesen sein, vgl. Walther 31, 32 nü büezet
mir des gastes, daz tu got des schäcJies büeze und schäches huoz bei Scherz
2, 1368.
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524 VON BAHDEB
Stein zween Steine auf den König dergestalt entblöset — so
heisset mans einen doppelten Ab-Schach. Wan aber mit dem
Steine, welcher gerucJcet worden und den Ah-Schack vom andern
Steine eu wege gebracht, zugleich auch Schach gegeben wird,
so nennet mans einen doppelten Schach oder Schach und Ab-
Schach. Durch diese deutliche beschreibung wird auch die
Situation im Nathan vollkommen klar. Sittah zieht eine ihrer
figuren weg und kann dann schach (d. i. abschach) sagen,
ausserdem sagt sie aber auch mit dem weggerUckten steine
selbst schach (also doppelschach) und bedroht dadurch zugleich
auch die königin. Es fragt sich ob Lessing den ausdruck
abschach aus der damaligen spräche des Schachspiels oder aus
einer älteren quelle entnommen hat. Wackemagel sagt zwar
a. a. 0^ der ausdruck sei jetzt noch geläufig, stützt sich aber
dabei vielleicht nur auf die stelle im Nathan. Von sach-
kundiger Seite wird mir versichert, dass der ausdruck jetzt
nicht mehr üblich sei. Er kommt auch, soweit mir bekannt,
in keinem Wörterbuch des 18. ]h.'s vor; ebensowenig habe ich
ihn in schachbüchem aus dieser zeit gefunden.
Was die entstehung des wortes abschach betrifft, so geht
schon aus dem vorhergehenden hervor, dass Bechstein nicht
das richtige trifft, wenn er es aus aberschadi (wie die hs. O
auch hat) 'abermals schach, doppelschach, die überbietung des
einfachen schach' erklärt. Von doppelschach ist an der Tristan-
stelle nicht die rede. Es ist auch nicht stichhaltig, wenn B.
weiter bemerkt: *die kürzung von aber in ab ist bekannt und
sie zeigt sich auch sonst in Zusammensetzungen'. Allerdings
steht hier häufig abe-, ab- neben aber-, niemals aber sind die
kürzeren formen aus der längeren entstanden, sondern abe-
und aber- sind in ihrer entwicklung zusammengefallen und
können das gleiche ausdrücken. Die lesart von 0 für das
ursprüngliche anzusehen, liegt kein grund vor, dies aberschach
wird vielmehr nachher als jüngere bildung seine erklärung
finden. Auf der anderen seite kann ab- hier auch kaum in
seiner ursprünglichen bedeutung genonmien werden; an 'rück-
zug aus dem schach' ist ja nicht zu denken und abschach
einfach als *abzugsschach, wegrücken eines steines zum zwecke
des Schaches' zu deuten trage ich bedenken, da ich nicht eine
einzige entsprechende bildung anzuführen wüsste. Vielmehr
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W0RTGE8CHIGHTLICHE BBITRÄQE. 525
scheint es mir sicher, dass v. Böhtlingk, obgleich er das wesen
des abschach nicht richtig bestimmt hat, doch auf dem rechten
wege war, wenn er das abschach als ein geringeres, minder-
wertiges Schach gedeutet hat. Als solches galt es, da es nicht
durch vorrücken eines angreifenden Steines, sondern nur durch
wegrücken eines Steines erreicht wurde, ab- findet sich zur
bezeichnung des verkehrten, minderwertigen, negativen (Wil-
manns, Deutsche gr. 2 § 422. 1) schon ahd. in abgot, vereinzelt
auch in ahkeeeal oblivione (Gl. 1, 221) für gewöhnliches ägezzali,
und mhd. breitet sich dieses ab- weiter aus, indem es vielfach
an stelle eines älteren a- tritt. So steht mhd. abegunst mis-
gunst neben ägunst, äbunst, abekust Schlechtigkeit neben akust,
abJcosen (Gramm. 2, 707) delirare neben äkosen, spätmhd. abweg
avia neben äwicke, vgl. auch mnd. afname beiname neben mhd.
äname; afwise torheit (bei Hans Sachs abweis) neben äwise.
Sonst zeigt ab- in dieser bedeutung noch mhd. abebü Vernach-
lässigung des baues, äbeburt abortus, abeschiht mangel, abewort
misgünstiges wort (nicht 'gegenwort'), dbort, mnd. afort ent-
legener ort, mnd. afhoste, aftegede kleinzehente, von adjectiven
spätmhd. abholt, abhelUg, ablütig absonus, abschätzig u. a. Im
nhd. tritt dann noch abglaube, abkrafl, abgeschmctck, abart auf.
Diesen bildungen könnte sich abschach als * geringeres schach'
recht wol anreihen.
Wie durch ab- das ältere d- eingeschränkt und später
ganz verdrängt wird, so tritt an stelle dieses ab- später aber-.
Damit gewinnen wir eine erklärung des in hs. 0 überlieferten
aberschäch. Auch in der neueren spräche scheint aberscJiach
vorzukommen, da es von Sanders neben abschach angesetzt
wird. Dies aber- ist nicht aus oft-, abe- entwickelt (etwa unter
einfluss von ober-), sondern nur in seiner entwicklung mit dem
negierenden ab- zusammengetroffen und wird dann als die
deutlichere form vielfach bevorzugt. Die bedeutungsentwick-
lung dieses präfixes aber- ist von Wilmanns a.a. o. 2 im wesent-
lichen richtig dargestellt. Nur möchte ich die bemerkung,
dass aber- im ahd. in der doppelten bedeutung von ^widerum'
und * gegen' erscheine nicht so aufgefasst wissen, als wenn eine
völlige trennung dieser beiden bedeutungen eingetreten wäre.
Bei den Wörtern, die für * gegen' angeführt werden, ist auch ganz
gut von ^widerum' auszugehen: eigentlich kommt nur avarhäcco
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526 VOK BAHDER
in betracht, das zunächst 'widerholter haken' sein wird (das
von W. noch angeführte avur minna bei Otfrid 5, 12, 100 ist kein
compositum). Die bedeutung 'widerholt' hat sich bis ins nhd.
erhalten. Aus dieser bedeutung sind folgende andere hervor-
gegangen: 1. eine steigernde (wie bei an. afar-) in mhd. aberdhte
(dies wort aus dem mnd. overahte abzuleiten liegt kein genügen-
der grund vor), dem sich das erst im 16. jh. belegte aberban
anschliesst, wol auch in aberlist (Liedersaal 3, 519 möchte ich
nicht mit Lexer die bedeutung 'unklugheit' annehmen); 2. die
des entsprechenden in aherziel, wofür im Schweiz, id. 1, 41 die
bedeutung *correspondierendes grenzzeichen' gegeben wird, aus
den belegen im DWb. 1, 35 ergibt sich etwa die bedeutung
*ziel nach dem man sich zu richten hatV) in abermal bei
Keisersberg, aberzeichen bei Murner, Narrenbeschw. 84,58 ('war-
zeichen des Zieles' nach Spanier); 3. die von 'nach hinten, zu-
rück' in abervater grossvater (bei Luther), abereni (bei Goldast),
abereltern (Schweiz, id. 1, 41), femer in mhd. aberwette hint-er-
legtes pfand, wol auch in nhd. aberJclaue ungula posterior;
andererseits in aberwandel 'rückgang', aberwank (16. jh.); 4. die
des minderwertigen, verkehrten. Diese bedeutung mit Wilmanns
von der in der alten spräche nicht einmal sicher bezeugten
'gegen' ableiten zu wollen, ist gewis nicht richtig, da man
dann dies aber- von den gleichbedeutenden abe-, after- seiner
entstehung nach trennen müsste; sie ist vielmehr aus der 3.
hervorgegangen, also ursprünglich 'zurückstehend' (ähnlich wie
abe- ursi)rünglich 'ferner liegend'), woraus sich allerdings die
bezeichnung eines gegensatzes entwickeln konnte. Diese be-
deutung dürfte vor der mitte des 15. jh.'s nicht nachzuweisen
sein; mehrfach — bei den nachher mit * versehenen worten —
steht aber- neben älterem ab-. Zu den ältesten belegen gehört
aberschanze ungünstige Chance,^) zweimal bei H.v. Sachsenheim,
'^aberwitze in Diefenbachs voc. v. 1470, ^^aberglaube^) im Voc.
>) aberzil kommt auch schon bei Herrn, t. Sachsenheim, Möiin 4456.
Jesus der arzt 103 vor. Martin nimmt hier — kaum mit recht — die be-
deutung 'falsches ziel' an.
") Durch ein komisches misverständnis gibt Grimm für dies wort die
bedeutung 'der hintere' an.
') Lexer citiert auch Hpt. H. lied zu 95, 13. Das wort ist hier von
später band am rande der hs. bemerkt.
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WORTGESCHICHTLICHB BEITRÄGE. 527
praed. (Strassburg 1486 d 7 a), bei Brand, Narr. 38, 37 u. ö., auch
Layenspiegel J 1^, dann bei Luther (neben ahglaube), weiter im
16. jh. nach DWT). 1, 32 f. Frisch 4c 5a aber geistlicher, *ahergott,
*abergunst, *aberhold, äberkeiser, aberknoblauch, aberJcönig, "^aber-
kosen, *abername, aberpäbst, aberreden, abersinn^ *abertceg u. a.,
wozu dann noch die umgedeuteten aberesche, aherraute kommen.
Für dies aber- kommt nun, wie in der 3., so auch in der 4.
bedeutung auch after- vor, so dass auch dies präfix in den
kreis der negierenden gezogen wird; vgl. neben mhd. afterhdke,
afterwette, afterkosen die auch schon spätmhd. afterglaube (auch
bei Luther), afterwan verkehrte meinung (Schmeller-Fr. 1, 46),
nhd. afterklaue, afterkönig u.s.w. Dies after- ist jetzt allein
noch in der besprochenen bedeutung productiv^ und hat die
anderen formen bis auf einzelne reste verdrängt. Man vgl.
die Stufenleiter awitee, abewitee, aberwttze, aftertcitz,
3. fant
Kluge, Et. wb.* 99 bemerkt über den Ursprung des Wortes:
^nd. form (vgl. ndl. vent kerl) für mhd. vanz m. schalk, noch in
alfans! eigentlich hergelaufener^) schalk'. Heyne in seinem DWT).
1, 865 knüpft ebenfalls an mhd. vanz an, meint aber, dass die
umprägung des Wortes nach form und bedeutung wol unter
einfluss des it. fante *knabe, knecht, fusssoldat' erfolgt sei.
Auf dies it. fante war schon J. Grimm, DWb. 3, 1318 zurück-
gegangen, und auch Paul, DWb. 134 spricht sich für diesen
Ursprung des wortes aus, indem er beziehung zu fanz leugnet.
Andere wider haben an mhd. vende ^bauer im Schachspiel' (im
12. jh. auch noch in der ursprünglichen bedeutung 'krieger zu
fuss') angeknüpft, eine ableitung die ich auf sich beruhen lassen
kann, da sie weder von Seiten der lautform noch der bedeutung
etwas für sich hat. Dagegen möchte ich das Verhältnis zu
mhd. vanz und it. fante etwas näher untersuchen, und es wird
sich dabei zugleich ergeben, dass als die eigentliche grundlage
unseres wortes, in dem allerdings verschiedene bildungen zu-
0 Vereinzelte neubildungen mit aber- sind auch in neuerer zeit vor-
g-ekommen, vgl. im DWb. aberklug (Götter), abemeise (Goethe), aberwille
(Hirzel).
^) Etwas abweichend bnter alfanzerei, wo al- mit dem in alhern ent-
haltenen wort verglichen wird.
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528 VON BAHDER
sammengefallen sind, ein drittes wort von ganz verschiedenem
Ursprung anzusehen ist.
Was das Verhältnis unseres Wortes zu fam betrifft, so ist
zunächst hervorzuheben, dass dies wort fast nie schlechtweg die
bedeutung * junger bursch' hat, die fant zeigt, allerdings meist
mit dem nebenbegriff des unreifen, leichtsinnigen, eitlen, der
indes keineswegs notwendig ist (vgl. Sanders 1, 411). Dagegen
ist fam zunächst *possenreisser'; dass das wort germanisch ist
zeigt an. fantr ^gaukler, vagabund', dän. fanU *tor, narr', norw.
auch *bettler, zigeuner', norw. fenta •landstreicherin'. Im älteren
deutsch ist das wort nicht häufig belegt. Es begegnet ahd.
ganavenzon cavillari, mhd. das dim. vänj^elin, *bastard', eig.
wol ^närrchen' (vgl. gouch *narr' und ^bastard'). An das daraus
zu erschliessende vanjs ^schalk, narr' bloss angelehnt sind ah-
vanz und firlefanz, die sicher auf romanische worte zurück-
gehen. Zugegeben ist das bei firlefanz (auch firlefet), zunächst
*eine art tanz', das auf afrz. virelai zurückgeht, und zugleich
an firl 'kreisel' (vgl. Hertel, Thüringer Sprachschatz 95 farle
^kreisel', farlig ^zwirbelnd', ferlefiks 'flinker mensch') angelehnt
worden ist. Aber auch alafanz, alefanz, alfanz kann nicht
deutschen Ursprungs sein; gegen die deutung *aus der fremde
gekommener schalk' spricht ausser der lautform schon, dass
das wort ganz fiberwiegend und in den ältesten belegen als
abstractum in der bedeutung * betrug, betrügerischer gewinn,
schalkheit' erscheint, die persönliche Verwendung 'betrüger,
schalk' erfolgte (wie auch später bei firlefanz) unter einfluss
von fanz (das umgekehrt in neueren mundarten auch abstract
gebraucht wird, vielleicht unter einfluss von alfanz). Schmeller
(Fr. 1,55) sah richtig, dass it. alV avanzo 'zum vorteil, zum
gewinn' zu gründe liegt, den alefanz slahen (it. metter e aiV
avanzo?) wird zunächst irgend eine betrügerische manipulation
beim handel bezeichnet haben. Erst in der neueren spräche
fällt alfanz in der bedeutung mit firlefanz zusammen. — Das
einfache fanz kommt im 16. jh. vor {die schönen fanzen =
'narren' in Wurstisens Basler chronik), fenzig 'geputzt, niedlich'
bei Hans Sachs u. a. Die sippe ist jetzt im ober- und mitteld.
zu finden, vgl. Schweiz, id. 1, 877 fanz 'mutwilliger toller ein-
fall, possenmacher, mutwilliger mensch', fänzele^ 'spotten', fänzig
'zierlich, niedlich, wunderlich geputzt, nichtig, lustig, neckisch',
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W0BTGBSCHICHTL1CHE BEITKÄGE. 529
Schmid 156 fänz machen -prahlen, wind machen', Birlinger 153
fam *kerl, barsche', Schmeller-Fr. 1, 785 fanz *nebulo, nequam',
fänzig ^galant, artig, munter', 736 fenzeln ^zum besten haben',
gefenz, Schöpf 119 fanzig, gfanzig ^galant, sauber', 131 fenzen,
feanzen ^foppen, auslachen', Höfer 197 fanzen ^kindisch tun',
Vilmar 99 fanzen *possen treiben, irre reden', Hertel 92 fanzen
^possen treiben, spielen, bes. mit feuer', gefanz, fanzenei, fanzen
(pl.) 'possen, torheiten'.
In den nd. idiotiken sucht man entsprechende formen ver-
gebens, i) das macht die annähme, dass unser fant nichts an-
deres als ein nd. fanz sei, von vornherein unwahrscheinlich,
auch wenn fant nicht als obd. dialektwort nachgewiesen wäre
(s. u.). Dagegen findet man das lautlich und in der bedeutung
anklingende fent in der vorwiegenden bedeutung 'junger bursche',
vgl. Woeste 286 fänte *bursch, knabe, junger windiger leicht-
sinniger bursch', Brem. wb. 1, 870 vent *ein jüngling, ein unver-
heirateter junger mann, oft auch junger leichtsinniger mensch',
Doornkaat-Koolmann 1,438 fent 'bursche, bes. junger mensch von
unmännlichem aussehen und wesen, laffe', Danneil 50 fent,
fentken 'fant', Dähnert 116a fent 'junger bursche, mehrenteils
als Schimpfname'. Im mnd. ist vent, rente 'knabe, junge' (ohne
üblen nebensinn), auch oft im dim. ventken. Diesen nd. formen
entspricht nun nl. vent 'bursche' (dim. ventje), das mit vennoot
'genösse, gesellschafter' eig. identisch ist; zu gründe liegt mnl.
veinooty entstanden aus veenmoot, veimnoot, veimgenoot (nl. veem
ist 'genossenschaft', während bei mnd. venie sich nur die ein-
geschränkte bedeutung 'heimliches gericht' nachweisen lässt),
die bedeutungsentwicklung ist wie bei bursch, geselle (= 'junger
mensch'), vgl. Franck, Et. wb. 1065. Bei Kilian 1599 findet sich
s. 579 veyn oder veynt (als fris.) 'rusticus, operarius, agi'icola;
adolescens, juvenis caelebs; socius, sodalis', veynoot, veynnoot,
vennoot, veyngnoot (als hol. zeland. fland.) 'socius; coUega, so-
cius in magistratu aut publico munere', s. 581 vent oder veyn
'juvenis, adolescens, puer'. Die neuere vsprache hat vent und
vennoot in der bedeutung ganz geschieden.
Dies nl. nd. vent ist nun nicht, wie Franck a.a.O. will.
>) Doch vgl. Brem. wb. 1, 376 fmteln 'tändeln, nichtswürdige dinge
tun oder sagen '.
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530 VON BAHDBR
von unserem fant zu trennen, sondern bildet vielmehr die
hauptgrundlage dieses Wortes. Das nd. wort ist auch ins md.
eingedrungen und erscheint im 14. 15. jh. im thüringischen, vgl.
(bei Lexer unter rende): ein jung vent im Apollonius, einen
jungen vend^n im Mühlhauser ratsbuch.') Aus einem hessischen
drama von 1597 führt Vilmar, Id. 101 i^ente * junger mensch,
knabe, söhn' an und bemerkt zugleich, dass fent jetzt im hes-
sischen sehr üblich sei (Pfister s. 310 gibt an, dass das von ihm
rende geschriebene wort in Oberhessen einen jungen zwischen
14 und 18 Jahren bezeichne). Die fenten begegnet auch bei
dem Thüringer Filidor (s. Vilmar und DWb.). Aus seinem Thü-
ringer dialekt gibt nun auch Stieler 459 das wort fanfe und
fente ^juvenis adolescens', ein junger fent ^levis inconsideratus
juvenis'. Fanfe hatte schon Henisch angeführt, aber nicht als
deutsches wort, wie Heyne in seinem Wb. annimmt, sondeni
als gi'undwort des it. fanteria. Auch Stieler wird durch ids
italienische zu der form fante geführt worden sein (2297 wird
fent mit trabant und infanteri zusammengebracht.*) In der Ute-
ratui- erscheint fant geraume zeit hindurch noch nicht, sondern
nur fent (oft fänt geschi'ieben), namentlich im dim. fentehen,
fäntchen, das im DWb. aus Weise, Hölty, Kl. Schmidt belegt
wird. Die Wörterbücher haben das woi*t meist nicht, erst Frisch
führt ein junger fänt * junger landmann, bauernknecht' als nsäcfe.
an, ebenso bezeichnet Kindleben (Idiotikon 1781) fäntdien als
nsächs. und Adelung bemerkt, dass dies dim. nur in einigen
gegenden bekannt sei und einen jungen menschen zwischen
dem knaben- und Jünglingsalter bezeichne. Fent wird noch
von Voss verwendet (Sanders 1, 411). Der erste der fant ge-
brauchte, war Wieland; er erklärte es im glossar zum Oberou
als Jüngling oder knappe: 4n Niedersachsen, wo es so viel als
knecht ist, wird es fent ausgesprochen; im isländischen lautet
es fant. Das italiän. fante ist damit vielleicht einerley Ur-
sprungs. Auch die bauern (pions) im Schauspiele werden in
einigen gegenden fant oder fänt genannt.' Aus der letzten
bemerkung ergibt sich jedenfalls, dass fant nicht etwa nur
falsch von Wielahd aus fäntchen erschlossen ist, sondern dass
0 vafidefi in Alpharts tod 150, 1 gehört nicht hierher and ist wahr-
scheinlich entstellt.
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WORTGESCHICHTLICHB BEITRÄGE. 531
ilim diese form, die er mit dem nd. fent zusammenwarf, aus
mundarten bekannt war. Sie ist auch im obd. verbreitet, vgl.
Schweiz, id. 1, 874 fant *possenreisser, geck', fanten (pl.) 'possen,
mutwillige grillen, spässe', fanten *possen treiben, schnurren
vorbringen', Schmid 176 fante *geck', fandet ^bursche', Schmeller-
Fr. 1,734 fant, fantel 'junger mensch, junge' fantlicht *nach art
eines jungen menschen unbedachtsam', 735 fanten * grillen,
possen', Castelli 124 fantl 'leichtsinniger junger mensch'. Dass
überall it. fante 'knabe, bursche, bube im kartenspiel, gerie-
bener mensch' zu gründe liegt, wird durch bair. spadi fantl
(auch entstellt zu sparifantl, sparifankl u. s. w.) eig. il fante di
spada 'piquebube', dann 'der teufel' sicher gestellt. Durch
die ent Wicklung der bedeutung 'possenreisser' und den ab-
stracten gebrauch des Wortes 'possen'") nähert sich das wort
in der bedeutung dem mhd. vanz allerdings sehr an. Durch
Wieland ist das wort schriftsprachlich geworden und erscheint
seit Campe in den Wörterbüchern.
Als resultat dieser etwas verwickelten Untersuchung wäre
anzusehen, dass in unserm fant ein nl. nd. vent eig. 'socius',
dann 'adolescens', vielfach auch 'nebulo' zusammengekommen
ist mit einem obd. auf it. fante beruhenden fant, bei dem
sich auch die bedeutung 'nebulo' entwickeln konnte. Dagegen
ist das hd. fanz nebst alfanz und firlefanz fem zu halten.
4. götze.
Die geschichte dieses Wortes bietet noch manche punkte,
die der aufhellung bedürftig sind. Auch die etymologie ist
keineswegs gesichert. He3^ne hat sich in seinem DWb. die
ältere ansieht angeeignet, nach der von giessen auszugehen
ist; er sagt, götze urspr. gussbild gehöre etwa so zu giessen,
wie schütze zu schiessen. Dies 'etwa' zeigt schon die schwache
Seite der ableitung an: eine zu giessen gehörige ja-bildung
könnte nur gütze lauten. Kluge und Paul äussern darum
zweifei an dieser etymologie, und ersterer meint, götze könnte
vielleicht kurzform zu götterhild sein. Diese Vermutung trifft
zwar nicht ganz das richtige, da götterhild ein junges wort
^) Man vgl. dass anch das im obd. verbreitete fantast, das wol auf
fa^U eingewirkt haben könnte, im alem. abatract gebraucht wird als 'toUer
einfall; mntwiUe, Vorstellung \ Schweiz, id. 1,875.
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532 TON BAHDBR
ist, schlägt aber insofern den rechten weg ein, als sie an dem
Zusammenhang von götze und gott, den schon J. Grimm ver-
trat, festhält. Nur macht es Schwierigkeiten die verschiedenen
bedeutungen, die das wort namentlich in der älteren spräche
zeigt, von gott aus zu gewinnen. Es mag erst über diese das
nötige bemerkt werden.
Erst seit Luther lässt sich götze in der bestimmten be-
deutung *bild eines abgotts' und ^abgott' selbst nachweisen.
Vorher bezeichnet es entweder ein bildwerk oder einen dummen
unbeholfenen menschen. Der erste beleg begegnet in dem nach
Michels, Studien über die ältesten deutschen fastnachtsspiele
8. 163 f. Eosenblüt angehörigen schwank *Der maier von Wirz-
burg', Keller, Fastnachtsp. 3, 1181, und diese stelle hat Lexer
veranlasst, als bedeutung * gottesdienstliche bildsäule' anzu-
setzen. Er hat aber, wie mir scheint, mehr hinter dem worte
gesucht als erlaubt ist. Götze wechselt in dem gedieht mit
hilde\ allerdings ist an aus holz geschnitzte crucifixe oder
heiligenbilder zu denken, also * gottesdienstliche bild werke',
aber götze bezeichnet das an sich nicht, ist vielmehr bilde
gegenüber der weniger edle ausdruck. So sagt die frau zum
probst: so stet ir zu den andern goczen da, und der maier ruft,
als das angebliche bilde ihm entlaufen ist: die göczen lauffen
mir alsampt wegk^) Götze ist also nichts anderes als 'aus
holz geschnitztes bildwerk' (dass die heiligenbilder hier schon
im Lutherischen sinne als *götzen' bezeichnet sind, wird niemand
annehmen). Auch später fehlt diese bedeutung, auch ohne jede
beziehung auf abgötter, nicht. Wenn Dasypodius (1537) 345
angibt: götz oder bild, Idolmn, latine simulachrum irnago, so
scheint das schon auf eine weitere bedeutung des wortes hin-
zudeuten. Mehrfach muss sie bei Frisius angenommen werden,
vgl. 252 b colossica onera, gross vnd schwer lest vnd bürdine^i
*) In dem zu gründe liegenden älteren gedieht Genn. 18,43 heisst es:
liaht «/; mir louft min bilde hin, daz ist mir unversumten von dem kruce
entrunnen. Michels sagt s. 168: 'an die stelle des Christnsbildes — ist in
der bearbeitung ein götzenbild getreten ' und will das aus dem einflnss der
antike und der kirchlichen gesinnung Bosenblüts erklären. An ein götzen-
bild kann aber nach dem Zusammenhang unmöglich gedacht werden, vgl.
80 Idehen die frawen yr wachsliecht daran; ein pild — ich wolU morgen
verkauffen u.s.w.
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WORTGBSCHICHTLICHB BEITRÄGE. 533
wie ein blochgötjs, 343 b crepundia, allerley ding damit die hind
hirtzweylend als tocken schallen krügle bilder vnd götzle vnd
dergleydien, 935 b osdlla klein bildle oder götzle so die alten
dem Satutno für jr vnd der jren sünd aufopffertend. Auch
Maler bestimmt sehr allgemein: götg, ein bild oder gleichnuss
eines dings. Idolum und götz oder bild einer mmlichen grosse.
Amplitudine modica simulachrum. Wenn später götze auf ab-
göttische bilder beschränkt wird, so ist das auf den einfluss
Luthers zurückzuführen, der seit 1520 götze in dieser bedeutung,
namentlich auch in beziehung auf heiligenbilder, gebraucht,
nach ihm Zwingli und viele andere.
Ebenfalls zurückgetreten, wenn auch nicht völlig ver-
schwunden, ist die andere bedeutung, die götze in der älteren
spräche hat, die von 'dummer mensch'. Im Narrenschiff 46, 14
heisst es: der ist ein nar vnd doreht götz. Im Promptuarium
des Trochus G3b findet sich stultus etc. ein leffel gansz gotze
äffe hundemelcker. Aus der bedeutung 'dummkopf ' konnte sich
leicht die von 'Schwächling' entwickeln. Diefenbach, Gloss.
latino-germ. 195c führt aus einem glossar des 15. jh. an: effe-
minare goczczen, effeminatus weych von fleisslicher kranckeit t
gosse,^) 526a aus demselben semivir gocze. Hans Sachs, der
götze in dem Lutherischen sinn gebraucht (z. b. Keller 15, 284),
kennt doch auch noch die bedeutung 'dummkopf ', z. b. Fabeln
(ed. Götze) 185, 112 von einem dummen bauem: plieh darnach
der göcz wie vorhin, Keller 13, 121 als scheltende anrede: alles
götzen! und Fastnachtsspiele (ed. Götze) 8, 17 du alter götz!
Luther selbst ist diese bedeutung nicht unbekannt, vgl. Jenaer
ausgäbe 8, 319» weil jr götzen da jm ampt sitzet vnd könnet
nichts von gottes wort.
Man könnte daran denken, götze in dieser bedeutung ganz
von götze 'bildwerk' zu trennen und es von dem namen Gotfrit
herzuleiten; dagegen spricht aber, dass Ölgötze auch beide be-
deutungen vereinigt und dass hier jedenfalls von der letzteren
auszugehen ist. Ueber das vielbesprochene wort hat E. Hilde-
brand in der Zs. f. d. d. Unterricht 5, 202 f. in anregender weise
») Für gozel Doch vgl. Diutiska 2,89 (von einem bauern) der arm
gas (:ge8tos)j wofür es aber Liedersaal 3, 413 der arm grösz heisst. Jeden-
falls darf nicht, wie es im Mhd. wb. geschieht, an mhd. göz 'gussbild' an-
geknüpft werden.
Beitrage sur getobioht« d«r deataohen ipraotae. XXIL 35
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534 VON BAHBBR
gehandelt und es m. e. sicher gestellt, dass Ölgötze ursprünglich
eine menschenähnliche figur bezeichnet hat, die das licht (die
lampe) trägt, götze selbst erklärt H. als *hausgeist, kobold',
dann 'abbild eines kobolds' und meint, der ausdruck rühre
wol von den christlichen bekehrem her, die die Verehrung der
hausgötter nicht auszurotten vermochten. Diese auffassung
von götze scheint mir zutreffend, nur über den Ursprung des
Wortes urteilt H. nicht richtig, da er sich von der ansieht
leiten lässt, dass von der bedeutung 'abgott' ausgegangen
werden müsse, götze ist aber nichts anderes als diminutiv
von gott^) und ist als vertrauliche benennung anzusehen. Diese
ansieht ist freilich durchaus nicht neu (schon Adelung deutet
sie an), J. Grimm, Gramm. 3, 694 glaubte aber wie Kluge in
götze eine verkürzte form sehen zu müssen, und da fand sich
kein compositum, das als grundlage angesehen werden konnte
(Grimm wollte an goteshüs denken), götze kann aber ganz
gut von gott gebildet sein, wie spatz von mhd. spar, wie petz
von här. götze ist also gleichwertig mit götelin, gütel, das
auch in entsprechender weise gebraucht wird, vgl. Wolfdietrich
B 578, 2 din got ist ein gütel lieber gütel, gütUin als name
von kobolden s. Grimm, Myth. 3*, 139 (dazu güttgen 'cobalus'
Schmeller-Fr. 1, 963) und vgl. Hans Sachs (Keller) 4, 357 er
macht wol ein schein, sprach sie, als ob er heiss der gütle und
12,218 komht er zum heutel umb das wunschhütel so wird ich
heissen nicht d^r gütd.^) Die ursprüngliche bedeutung von
götze zeigt sich wol noch in dem von Heyne angeführten Volks-
lied (Uhland 754), in dem der hauskobold götze genannt wird,
noch ganz naiv als der traute hausgott.
Die weitere bedeutungsentwicklung macht keine Schwierig-
keit. Da die bilder der hausgötter gewis meist sehr roh ge-
schnitzt waren, konnte sich leicht die bedeutung * geringes bild-
werk' einstellen. Das starre und fratzenhafte dieser bilder konnte
weiter zur bedeutung 'dummer, unbeholfener mensch' führen,
die ja noch jetzt bei ölgötz lebendig ist. Oder sollte diese
^) Da kobolde sehr häufig mit menschlichen namen bezeichnet werden
(Myth> 1,417. 3, 145), könnte götze = 'kobold' vielleicht auch auf Ootfrit
zurückgeführt werden.
*) Zu diesen nicht völlig klaren redensarten vgl. noch Henisch 1717
hat ein jedes kind sein rechten namen, so heist du nicht Peter götz.
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WORTQESCHICHTLICHE BEITRAGE. 535
bedeutung sich direct aus der von 'kobold' entwickelt haben?
An analogien dazu würde es nicht fehlen. Ich erinnere nur
an mhd. troUe, ferner an das schon in den älteren Nürnberger
fastnachtsspielen häufige diltapp *dummkopf ', das kaum etwas
anderes sein kann als der auf der diele tappende d. i. polter-
geist (vgl. Myth. 1* 418). Ebenso erklärt sich wol das gleich-
bedeutende dilman, tilman: Hildebrand a.a.O. verglich diesen
ausdruck allerdings mit Ölgötze = 'lichtträger' (nach Franck,
Sprichw. du stast als ein Motz, ölgöte, Tilman, lüchter), aber da
nur formen mit i oder ie vorkommen, nie solche mit ü, ist es
nicht erlaubt an tüUe 4ampenröhre' anzuknüpfen. — Zu rech-
tem leben hat erst Luther dem worte götjse verholfen, indem
er es für ^abgott' gebrauchte, eine bedeutung, die zwar schon
nach dem Ursprung des wortes nicht fern lag, die aber doch
erst von Luther in entscheidender weise ausgeprägt worden ist.
LEIPZIG. K. VON BAHDER.
35*
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ETYMOLOGISCHES. 0
1. elo.
Das germ. und baltoslav. haben eine ganze menge von
adjectiven mit einander gemeinsam, und mehrere darunter sind
bisher ausschliesslich in diesen beiden Sprachgruppen gefunden,
so z. b. ags. bldt, ahd. bleijs, aksl. bledü * bleich*; ahd. slaf, nl.
slap, aksl. slabü 'schwach, schlaff'; got. Jialts, an. Jialtr, ags.
healt, ahd. hah, russ. kold- 'hinkend' (s. Et. wb. der got. spräche
s. 68); ags. rot, aksl. radü 'froh'; ahd. muntar, lit. mandrüs
'munter', aksl. iw^drw 'weise'; B>g&. ferse, ahd. /Wsc, lit. pr^kas,
Siksl prestnü 'frisch, ungesäuert'; Sigs, pystre, Peostre, and. thius-
tri, russ. tüsMyj 'finster' (ein anderes wort für 'finster, dunkel',
nämlich ags. deorc, engl, dark, vgl. lit. dargüs 'regnicht' und
ddrgana 'regnichtes wetter', findet sich auch im keltischen, s.
Stokes, Urkelt. Sprachschatz 149). Auch ist daran zu erinnern,
dass die farbennamen mit suftix -wo- nicht nur im germ. und
it., sondern auch im baltoslav. keineswegs selten sind. Mir
sind folgende Übereinstimmungen zwischen dem baltoslav. und
dem germ. bekannt: an. fylr, ags. fealu, ahd. falo, lit. pälvas
'falb', aksl. plavu 'weiss' (weitere verwante bei Kluge* 96);
an. sglr, ags. salu, ahd. scdOy aksl. slavo- 'glaucus' (s. Beitr. 20, 564);
ags. s^olOy ahd. gelOy lit. zelvas 'grünlich' (Zubat^, Arch. f. slav.
phil. 16, 420; auch lat. helvus). Diesen drei fällen möchte ich
noch einen vierten anreihen.
Ahd. elo 'gelb' braucht nicht aus lat. helvus (eltms) ent-
lehnt zu sein, denn es lässt sich ungezwungen mit einem
litauischen worte verbinden. Kui-schat kennt nämlich ein plur.
tantum ehgtos, das 'die birkenen seitenstangen einer schaukel'
bedeutet, also urspr. wol ein wort für 'birkenzweige' gewesen
ist. Deshalb vermute ich, dass es dereinst einen birkennamen
*) Als ich diesen aufsatz einsante , war mir £. Zupitza, Die german.
gutturale noch nicht in die hände gekommen. Ueber hocken ygl. ZupitEa
s. 121, über höcker ebda. 11. [Correctomote].
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ETTM0L0GI8CHES. 537
*elvas oder *ehils gegeben hat (vgl. iehps 'ein grünender
stamm' : zelvas). Nun gehört bekanntlich hd. Wrie, lit. herzas,
aksl. hreza, osset. härZy aind. hhürja- zur indog. wz. %herg'
^glänzen, weiss sein', was auch für lit. "^elvgs eine ähnliche
grundbedeutung vermuten lässt. Aber dann liegt es nahe an
ahd. elo anzuknüpfen und anzunehmen, dass ehgtos, *elvgs auf
einem adj. "^elvas beruhen, das 'hell, weiss' oder dgl. bedeutete.
Femer dürfte auch aksl. olovo *blei', russ. olovo 'zinn', apr.
altvis 'blei', lit. alvas 'zinn' als 'das weisse metall' hierher
gehören (die urslav. form war olovo und die halt. Wörter sind
wahrscheinlich aus dem slav. entlehnt, s. Brückner, Die slav.
fremdwörter im litauischen 67. 167. 191) und wir hätten dem-
nach einen ablaut *oZo- : *c?- anzunehmen. Ueber das zinn
und das blei vgl. man Schrader, Sprachvergl. und Urgeschichte*
310 ff.
Auf grund des gesagten sind fälle wie ahd. geh, lat. helvtis
nicht mehr als eine besondere Übereinstimmung zwischen dem
germ. und it., sondern als altes erbgut zu betrachten, denn
der umstand, dass in wenigstens drei sprachgruppen eine ka-
tegorie von farbennamen mit suffix -uo- vorhanden ist, lässt
sich kaum anders erklären. Auch dem keltischen sind solche
bildungen nicht fremd (kelt. ^lävo- = lat. flävus, Stokes, Ur-
kelt. Sprachschatz 187, und cymr. salw = ahd. sah, Stokes
a. a. 0. 291) und jedenfalls eine findet sich selbst im äussersten
Osten unseres Sprachgebietes (aind. gyävd- 'dunkelbraun', vgl.
aksl. sivu, apr. sywan 'grau'). Ich brauche wol kaum hervor-
zuheben, dass Hirts anregender aufsatz über partielle Überein-
stimmungen zwischen dem germ. und dem it. (Zs.fdph.29, 289 ff.)
mich zu dieser erörterung veranlasst hat. Wahrscheinlich wird
die zahl der Sonderentsprechungen bei sorgfältigerer durch-
forschung der indog. sprachen immer mehr hinschwinden. So
ist lat. combrHum, lit. szvSndrai 'schuf nicht ausschliesslich
lat. und lit., sondern auch germ. (an. hvgnn, s. Noreen, Urgerm.
lautl. 173) und lat. vacilh, aind. vaücati ist kein ital.-indisches
wort, sondern mit got. -wähs verwant (s. mein Et. wb. der got.
si)rache s. v. unwahs, waggareis). Demnach sind diese beiden
fälle aus Kretschmers listen (Einl. in die gesch. der griechischen
spräche 148. 134) zu streichen. Auch unter den Wörtern, welche
als ausschliesslich germ.-baltoslav. betrachtet werden, gibt es
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538 UHLBNBEGK
einige, welche auch sonst nicht unbekannt sind, und mehrere
dieser art sind schon von Hirt erledigt worden. Ich füge
noch hinzu, dass ahd. chiuwu, aksl. ätvq, (Kluge, Pauls Grundr.
1, 320) sich in pers. dzavtdan widerlSndet (Htibschmann, Pers.
Studien 49) und verweise für got. guip, aksl. iskUo, lett. /selts
und got. galga, lit. Mgä (Eretschmer a. a. o. 108) auf mein Et
wb. der got. spräche.
2. fuhs.
Ahd. fuhs, mhd. vuhs, nhd. fuchs, ags. engl, fax, nl. vos
und got. faühö, an. foa, ahd. foha, mhd. vohe werden meistens
als * geschweiftes tier' aufgefasst und mit sinä. püccha- * schwänz,
schweif* verbunden, wobei man annehmen muss, dass püccha-
auf indog. *puksk(h)o' zurückgeht. Ich halte dieses für richtig
(mit der Hesychischen glosse g:ovai * aXcijtsxeg, worauf Schrader,
BB. 15, 135 f. hinweist, ist nichts anzufangen), umsomehr weil
es noch im slavischen eine ganze Wortfamilie gibt, welche sich
sowol mit fuhs wie mit püccha- verbinden lässt. Dort finden
wir nämlich eine wurzel puch-, pych-, puch- (Miklosich 268),
welche * blasen, aufblasen, anschwellen, aujfeedunsen sein, dicht
und wollig sein' u. dgl. bedeutet und deren ch auf indog. Jcs
(= ahd. hs in fuhs) zurückgehen kann: neben ^puks- steht eine
kürzere wurzelform in got. faühö. Auf grund der folgenden
russischen Wörter und ausdrücke glaube ich diese combination
für zwingend halten zu müssen: puch 'flaumfedem, daunen,
milchhaar, feines wolliges haar an tieren', pusistyj 'wollig,
dicht, buschig', pusistyj chvost (oder in der jägei-sprache pu-
ststaja trubd) 'wolliger, buschiger schwänz' (insbesondere vom
fuchs gesagt, s. Tolstoj, Sämmtliche werke 6, 355), raspusüX
chvost (tnlbu) 'den schwänz ausbreiten' (ebenfalls vom fuchs,
s. Tolstoj, a. a. o.), pusnoj tovdr 'pelzwerk' u. a. m.
Es sei noch daran erinnert, dass Franck (Notgedrungene
beitrage 22 ff.) den germ. fuchsnamen gern als 'faucher, fauch-
tier' erklären möchte. Auf grund von rws. puch, pusistyj u.s.w.
ziehe ich es vor 'geschweiftes tier' als grundbedeutung anzu-
setzen; falls man aber den Grimmschen gedanken bevorzugt
und mit Franck von dem begriffe des fauchens und schnaubens
ausgehen will, dann darf man an eben dieselbe slavische Wort-
sippe anknüpfen, denn russ. pychdtX, pysdti, pychnüti bedeuten
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ETTMOLOOISCHES. 539
^stark blasen, atmen' (jpycht/fi ^keuchen', /jyinjj; 'aufgedunsen,
üppig, prächtig' u.s.w.).
3. hocken.
Hd. hocken gehört mit mhd. hacken, mnd. hüken, nl. huiken,
an. hüka (part. hokinn) zusammen (Kluge* 170, Franck 389).
Ausserhalb des germ. sind zu vergleichen poln. kuczeö * hocken',
serb. cucati, slov. 6u6eti 'hocken, kauern' (s. Miklosich 37),
welche auf eine wurzel *keuk- hinweisen und deshalb zu an.
hüka — hokinn nicht recht stimmen. Man bedenke aber, dass
das k in hüka nach langem vocale aus kk vereinfacht sein kann
und dass hokinn sein k statt des zu erwartenden g von hüka
beziehen konnte. Germ. *äwM-, *huk(ky, *Au^- würde, wenn
die slav. Wörter wirklich verwant sind, auf vorgerm. *kukn-,
*kakn', *kuk' zurückgehen. Andere verbalstämme, welche bis
jetzt nur im germ. und baltoslav. nachgewiesen sind, findet
man in meinem Et. wb. der got. spräche s. v. hairgan, blandan,
gliimunjan, greipan, hilpan, lisan, swers\ bei Kluge* s.v. dre-
schen, klafter, kneipen, kneten, krähen, lahm, quäl, schtciil,
jsergen; bei Franck s. v. delven (nur zu aksl. dlübq, und seinen
baltoslav. verwanten), schrapen, smakken. Vgl. femer z. b.
Beitr. 16, 563 (drabbe), 21, 105 (sluiken), 22, 193 (tvupjan), 22, 199
(smuylen) und unten (zwecchön). Neuerdings hat Bugge (Beitr.
21,425) noch norw. tira mit lit. dyrbti verbunden.
4. höcker,
Hd. höcker, mhd. hocker, hogger, hoger (mit urgerm. kk : ^)
lässt sich nicht, wie Kluge* 170 will, mit aind. kubjd- ver-
einigen, wol aber mit bulg. serb. kuka 'haken', serb. kuka
'Windung eines flusses', aksl. kuko-nosü 'krummnasig', welche
ich früher (Arch. f. slav. phil. 15, 488) unrichtig beurteilt habe.
Vielleicht dürfen wir auch an die sippe von got. hauhs an-
knüpfen.
Es sei mir bei dieser gelegenheit gestattet auf andere
substantiva aufmerksam zu machen, welche nur im germ. und
baltoslav. gefunden aind. An erster stelle nenne ich ein synonym
von höcker, nämlich ahd. hovar, lit. ktiprä. Dann ahd. harti
'Schulterblatt', russ. dial. kortyski 'schultern'; ahd. fast, aksl.
p^t%\ ahd. rippi, aksl. rebro\ nl. speen, lit. spenfjfs; got. hairjbra,
aksl. cresla; ahd. snahul, lit. snäpas\ nl. stront 'faeces', aksl.
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540 UHLENBEOK
trgdü 'art krankheit', vodo-trqdovitü ^^hQiwv\ slov. tröd 'nöka
boleöina v ör6vih', poln. trqd 'aussatz'; ahd. ügi, aksL alüci,
alöa, lit. tsz-alkis 'hunger'. An tiernamen habe ich nur fol-
gende aufzufinden vermocht: ahd. harmo, lit. sjsarm&^)\ ags. ich
fetu, ahd. elbijs, aksl. lebecß; ags. leax, ahd. lahs, russ, poln.
lösosl, lit. läsjsfis, hisjsisjgä; got nuilü, an. m()?r, aksl. moß'; ags,
wifel, ahd. m^«6«7, lit. väbalas. Unsicher sind ahd. hrind, apr.
klente, clynth] ahd. rapa 'raupe', aksl. ryba 'fisch' (Pogodin,
s. IF. Anz. 7, 161); ahd. hahuh, poln. Ä:oWec 'lerchenfalke', russ,
iöbec 'falco apivorus' (Pogodin a.a.O.; ich halte *kobtci für
ein lehnwort, vgl. Miklosich 122 s. v. kobueü). Vgl. noch Et.
wb. der got. spräche s. v. swdn und Beitr. 22, 199 (varken), Lit.
väszkas und aksl. voskü stimmen trefflich zu ahd. wahs, s. aber
Kluge ^ 392. Der pflanzennamen gibt es nur sehr wenige, welche
ausschliesslich geim. und baltoslav. sind: ahd. aspa, ags. cesj),
an. Qsp^ poln. osa, russ. ostna, apr. abse, lit. apusjns; ags. bearu
'Wäldchen', aksl. ftorw 'pinus', bulg. ftor'tanne', serb. 6or'f5hre\
czech. bor 'kieferwald', poln. bor 'fichtenwald', russ. bor 'nadel-
wald'; ahd. hemera 'nieswurz', aksl. (femcrlf 'gift', cemerica 'helle-
borus'. Slov. dren, serb. drjen, russ. deren 'comus mascula*
sind wol nicht urverwant mit ahd. tirn- und ahd. rocko, lit.
rug^s, aksl. rüz^ ist auch thrakisch. Ganz unsicher ist die
Zugehörigkeit von mnl. sporkel 'februar' zu lit. spürgas 'pflanzen-
auge', das übrigens auch in andern sprachen verwante hat.
Sonstiges aus der natur findet man bei Kluge ^ s. v. weU^,
tvetter, Et. wb. der got. spräche s. v. asans (die Zugehörigkeit
von lat. annöna ist sehr zweifelhaft), ßn, mahna, stafs, stains,
peihwö, waggs: einiges darunter ist aber ziemlich unsicher
(vgl. noch an. mJQlnir, myln, aksl. ntlunija). Dann mehrere
Wörter welche sich auf die menschen, ihre gesellschaft und
Wirtschaft beziehen: s. Et. wb. der got. spräche s.v. liudan (ahd.
Hut, liuti, lett. Ijaudis, aksl. Ijudü, Ijudi), femer s. v. barn, driu-
gan, Jbius, dann s. v. gards, hainis, Franck s. v. grendel, wegge;
Kluge* s. V. masche. Ahd. jsarga ' Umzäunung' ist mit lit. därias
'garten' verwant und in demselben Verhältnis dürfte ahd. scalm
zu aksl. clünü (d. i. *cli7iu) 'kahn' stehen (weniger sicher ist
ahd. farm, slav. *pormü, s. Miklosich 259). Die waffennamen
lasse ich vorsätzlich zur seite, weil hier der verdacht der
1) Vgl. jedoch Meyer-Lübke, IF. anz. 7, 76.
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ETTM0L0GI8GHBS. 541
entlehnung sehr nahe liegt (wol aber weise ich hin auf ahd.
g^ta, aksl. zrUdX, Beitr. 19, 519 f.). Ausschliesslich germ.-balto-
slav. viehzuchtausdrücke findet man im Et. wb. der got. spräche
s. V. hairda, hairdeis und bei Kluge* s. v. stuie, Namen von
speisen und getränken sind kaum aufzutreiben, denn aksl. olü
^sicera', apr. alu *met', lit. alüs *hausbier' (vgl. ags. ealu u.s.w.)
sind der entlehnung verdächtig. An abstracten begriffen sind
hervorzuheben: an. hros Mob, rühm', aksl. hrasa * Schönheit';
hd. nutzen^ lit. naudd; hd. härm, aksl. sramü ^schände'; ags.
gleo, ^leam, an. gly, glaumr, lit. glaudas 'kurzweil'; s. noch Et.
wb. der got. spräche s. v. dailSy gaidw, naups, lists. Endlich sei
noch auf einige vereinzelte Wörter hingewiesen: ahd. hring,
aksl. krq^gü; nl. romp (s. Franck s. v.), aksl. rqbu, rqbiti (s. Mi-
klosich 281); an. ags. sot 'russ', aksl. saida, lit. sodis.
5. hugi.
Ahd. as. htigi, ags. hy^e, an. hugr, got. hugs 'sinn' darf
natürlich nicht zu lat. capto gestellt werden, das vielmehr mit
aind. küpyati 'wallt, zürnt' und aksl. kypiti 'wallen' auf einer
WZ. *keup' beruht, und ebensowenig ansprechend ist eine an-
dere etymologie, welche zwar die lautgesetze nicht vernach-
lässigt, aber semasiologisch nicht die mindeste Wahrscheinlich-
keit für sich hat, welche nämlich an aind. gocati 'leuchtet,
glüht, brennt, trauert' anknüpft. Der grundbegriff von hugi
ist nicht 'glut, quäl, schmerz, kummer' (bedeutungen von aind.
göka-), sondern 'wallung, geistige erregung, begehren, freude,
hoffnung', wie man aus Franck 367 ersehen kann, der das
wort mit den meisten etymologen zu gocati stellt. Es ist be-
kannt, dass hd. berühren, nl. beroeren, ontroeren und aind.
mathnäti {hrdayäny äma^nantha, sampramathya indriyagrämam,
BR, vgl. auch nian-matlia- 'liebe') oft vom geiste gebraucht
w^erden, dass gr. {^v/atk ursprünglich ein wort für 'wallung,
heftige bewegung' gewesen ist und die bedeutungen 'erregung,
gemüt, zom' angenommen hat, dass russ. retivoje, eig. das
'unruhige' (vgl. gr. Qo^og), in dichterischer Volkssprache ein-
fach 'herz, gemüt' bedeutet, und somit dürfte es kaum Wider-
spruch erregen, wenn wir hugi auf eine wurzel mit der sinn-
lichen bedeutung 'rühren' oder dgl. zurückführen wollten.
Darum gebe ich zur erwägung hugi mit gr. xvxaco 'rühre ein',
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542 UHLENBECK
xvxadtv 'mischtrank', xvxt^d^Qov 'rtthrkelle' zu verbinden, wozu
auch aksl. kyciti 'stolz machen' gehören kann.
6. sübar.
Ahi. subar, sübiri; ss.sUbri, B^.syfre 'sauber, rein, schön'
wird von Pedersen (IF. 5, 64) zweifelnd mit aksl. chubavü 'pul-
cher', chuhosU 'pulchritudo' auf eine wurzel mit anlautendem
hs zurückgeführt. Dieses ist aber wenig empfehlenswert, denn
das südslav. *cäw6w scheint vielmehr ein lehnwort aus dem
iranischen zu sein, vgl. pers. chub 'gut, schön', worüber Hom
(Grundr. der neupers. etym. 111) und Hübschmann (Pers. Stu-
dien 57) nachzuschlagen sind. Andere iranische lehnwörter im
aslav. sind suto 'hundert' (aus iran. sata-)^ casa 'becher' (aus
iran. *casa', worüber Hübschmann a. a. o. 51), vielleicht bogü
'gott' (aus iran. baga-).
An Zusammenhang von sübar mit aind. gobhate 'glänzt'
dürfen wir aus phonetischen rücksichten kaum mehr denken,
und deshalb mag es wol gerechtfertigt sein, dass ich mich
nach einer anderen erklärung umsehe. Am nächsten liegt es
sübar, sübiri für eine ableitung von lat. super, gr. ijjiiQ zu
halten, dessen comparativ superior 'trefflicher' bedeutet: so
könnte auch sübar erst 'obenanstehend', dann 'hoch, edel, treff-
lich' und zuletzt erst 'sauber, rein, schön' bedeutet haben.
Für mehr als eine Vermutung gebe ich diesen erklärungs-
versuch natüi'lich nicht aus.
7. zwecchön.
Kluge (Beitr. 9, 171) sagt: 'das aus ahd. stecchal >^steil«
erschlossene stikJcö- »steigen« darf an ksl. stignati »eilen« und
skr. stighnoti »er schreitet« angeschlossen werden.' In dem-
selben aufsatz erwähnt er 'ae. twiccian, ahd. zwecchön ^carpere,
vellere« neben ahd. zwigön^ ohne an eine aussergerra. Wortsippe
anzuknüpfen (a.a.O. 163, vgl. sein Et. wb.^^ s. v. zweck, zwick,
zwicken). Ich vermute, dass zwecchön — twiccian trotz hd.
zwacken, dessen ablautsform ja leicht unursprünglich sein kann,
auf einer i- wurzel beruht, und vgl. aksl. dvignqii, dvigati,
dvizati 'heben, in bewegung bringen'. Das kk von germ. Hwikk-
entspricht dem gyi von dvignqti.
AMSTERDAM, Januar 1897.
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ZÜB LAUTOK8CHICHTE. 548
ZUR LAUTGESCHICHTE.
1. Die Vertretung der labiovelaren media aspirata
im anlaut.
In seinem wertvollen buche ttber Die germ, gutturale (Berlin
1896) nimmt Ernst Zupitza an, dass die anlautende labiovelare
media aspirata, gerade wie Osthoff (IF. 4, 268 ff.) es für das
keltische wahrscheinlich gemacht hat, im germanischen durch-
aus seine labialisation aufgegeben habe und ausschliesslich
durch g vertreten sei. Ich glaube, mit unrecht Fassen wir
seine belege (97 f.) näher ins äuge.
Norw, gand ^pflock', an. ggndoU *virga virilis' : aind. hdnti,
gr. d^slvw, ^ovoq u. s. w. Gegen diese gleichung ist aber fol-
gendes zu bemerken: 1. gand lässt sich kaum als eine ableitung
von einer auf n auslautenden wurzel begreifen, denn ein indog.
dh' (oder ^) suffix mit instrumentalbedeutung ist nicht nach-
gewiesen; 2. Wadstein (IF. 5, 30 f.) hat gand mit grosser Wahr-
scheinlichkeit aus "^ga-wand- gedeutet und zu windan gestellt
(ob got. wandus hierher gehört, ist zweifelhaft: s. Beitr. 22, 192).
In an. gunnr, ags. güff, ahd. gundea 'kämpf, welche natürlich
nicht von aind. hatya und hdnti zu trennen sind, hat das an-
lautende ^w, ehe es durch Sievers' gesetz zu w werden konnte,
vor u seine labialisation eingebüsst: vgl. das folgende.
Got. -gildan, an. gjalda, ags. ^ieldan, ahd. geltan : gr.
reXB-oq * abgäbe' u. s. w. Diese gleichung wird richtig sein,
kann aber nichts für Zupitza beweisen. Osthoff (IF. 4, 269)
sagt schon das folgende: •und kann in got. fra-gildan, aisl.
gjalda u.s.w. das anlautende ^- an sich ein früheres <?m?- =
indog. ^h- vertreten? Wo nicht, so wäre hier ... der einfluss
der schwachstufigen formen got. -guldum, -guldans heranzu-
ziehen, um ^elff-, gild-, so auch in den nominen got. gild . . . ,
gilstr ... zu erklären.' Diese andeutung Osthof fs trifft gewis
das richtige und demnach sind -guldum, -guldans wie an.
gunnr, ags. s^Ö, ahd. gundea zu beurteilen.
^nd., goshe, nhd. (;w5CÄe 'mund' : dmA. ghoshati 'verkündet,
ruft aus', gr. j€L<pavcxa> * lasse leuchten, gebe kund, zeige an,
gebe zu verstehen'. Mir scheint es geraten, das griechische
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544 ÜBLENBECK
wort aus dem spiele zu lassen, doch selbst wenn es hierher
gehört und das g in gusche als indog". ^h erweist, so haben
wir nur einen weiteren beleg für den frühzeitigen vertust der
labialisation vor «.
Mild, gumpen, gatnpen * springen' u.s.w. : gr. aß^efißovaa'
dxoXaaralvovca, Falls diese combination richtig wäre, könnte
man das g in gumpen als lautgesetzlich betrachten: von dort
aus wäre es auf gampen übertragen. Aber ad^efißovaa ist
kaum von atBußco zu trennen, das sicher einen ursprünglichen
dental hat (s. J. Schmidt, Kritik der sonantentheorie 65, vgl.
Bartholomae, IF. 7, 93). Uebrigens zieht Zupitza noch gr. (päip
* wilde taube' heran, das aber wol besser erklärt werden könnte
(in den meisten sprachen heisst die taube nach ihrer färbe:
got. 'dabo, aksl. golqbt, aind. kapöta-, gr. niXua u. s. w.).
An. grunr 'verdacht', gruna 'bezweifeln' : gr. (p^, tpQovim,
q>Qovrlq u.s.w. Für ganz sicher darf dieses nicht gelten, denn
grunr, gruna lassen noch eine andere erklärung zu (aus *^a-
run-, Wadstein, IF. 5, 28). Bestenfalls kann grunr nur dasjenige
beweisen, was von vornherein wahrscheinlich ist, nämlich dass
die labialisation des anlautenden ^w auch vor consonanz ver-
loren gieng, und folglich ist es für Zupitza's hypothese nicht
zu verwerten.
An. ged Leidenschaft, gemüt' : gr. jtoO^oc, Diese com-
bination ist schon darum unsicher, weil jro^oc sich mit dem-
selben rechte zu aind. hädhate, got. bidjan stellen Hesse. Kann
ged nicht mit der sippe von got. göds, gadiliggs, aksl. godü,
goditi verwant sein? Für das slavische geht Miklosich 61
von der grundbedeutung des erwartens und wünschens aus,
wovon 'leidenschaft' nicht zu weit abliegen dürfte.
IJeber an. geiga 'schwanken' : lit. zvaigineju brauche ich
nicht zu sprechen, denn lit. /y weist auf indog. g{h)ii.
Im gegensatz mit Zupitza nehme ich auf grund der fol-
genden drei gleichungen an, dass indog. ^A im anlaut durch
germ. tv vertreten wird, ausgenommen vor u und consonanz
(s. oben).
Ahd. warm, an. varmr u. s. w. : aind. gharmd', lat. formus,
air. gortn, apr. gorme (dazu mit e gr. B^eQfioQ, armen, dzerm).
Es scheint mir nicht empfehlenswert, warm von ghw-md- und
sippe zu trennen und es mit aksl. vreti, lit. vhii 'kochen', aksl.
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ZUR LAUTOESCHICHTB. 545
rarü *glut', variti 'kochen', armen, rarefu ^zünde an' zu ver-
binden (mit apr. wan/m«, wormyan, urmtnan 'voV und klein-
russ. vermjanyj ist nicht viel anzufangen, vgl. aber Zubaty,
IF. 6, 156).
Got. tvamba, an. vQmb u.s.w. : aind. gabhä- 'vulva' (Pe-
dersen, BB. 20, 238), gdmbhan-, gambhdra-, ga{m)bhird', slav.
*gQha (s. Beitr. 22, 192).
Got. wöPeis, ags. wede u. s.w. : gr. ^imttov XQoagxXigj
f]dv (Hoffmann, BB. 18, 288). Zupitza 84 identificiert (pmttov
mit ir. hdid 'süss', indem er anzunehmen scheint, dass tpcortov
für *tpii6iov verschrieben sei. Ist es aber nicht besser (f^vinov
zu lassen, wie es uns tiberliefert ist? Dann stimmt es zwar
nicht zu ir. hdid, wol aber zu got. wöpeis.
Ich glaube, dass durch diese erörterung der annähme einer
germ. entlabialisierung des anlautenden gh der boden ent-
zogen ist.
2. Nochmals hana : hon.
Ein beispiel von secundärer vrddhi, das sich in allen hin-
sichten mit as. hön : got. hana vergleichen lässt (s. Beitr. 22,
189 f.), ist baltoslav. *uämä * krähe', lit. vdma, russ. voröna,
serb. vräna zu baltoslav. *tforno- 'rabe', lit. värnas, russ. vöron,
serb. rrän (s. über die vocal- und accentverhältnisse Hirt, Der
indog. akzent 133). Ursprünglich wird *Hörnä 'die zum raben
gehörige, die rabenhafte oder rabenähnliche' bedeutet haben.
Aehnlich ist das Verhältnis von lit. kdrwe, iniss. koröva, serb.
krava 'kuh' zu lat. cervus (vgl. Hirt a.a.O. 136).
Auch aksl. klada 'block, balken', russ. kolöda, serb. klada
aus *kölda (s. Hirt a. a. o. 137) dürfte trotz seiner bedeutung
eine vrddhi-ableitung von ahd. holz sein ('block' als 'hölzernes'),
was mich auf den gedanken bringt, auch aind. däru auf diese
weise zu erklären.
In seiner jetzigen fassung kann Brugmanns gesetz über
die Vertretung des mit e ablautenden o in offener silbe durch
indoii^an. ä nicht richtig sein. Das beweisen sichere etymo-
logien wie aind. ddma-, gr. öoiioq, lat. donius, aksl. doniü zu
gr. öififo] aind. ghand-, gr. q)6vo(; zu aind. hdnmi, gr, d^Bivco
U.S. w. : s. neuestens Meillet (M6m. de la soc. de ling. 9, 142 ff.),
der alles was gegen Brugmanns gesetz spricht oder zu sprechen
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546 UHLENBECK
scheint, kritisch durchgemustert hat. Auch die einschränkang^
des gesetzes, welche Osthoff (MU. 4, 303 anm.) vorschlägt, näm-
lich dass die regel nur für hochbetontes o gelte, befriedigt
nicht, weil ddniu-, bhdra-y tdror u.8.w. damit in unlösbarem
Widerspruch stehen. Dennoch muss die proportion xartQa :
loga r^ pitäram : svdsäram (Streitberg, IF. 3, 364) uns die
Überzeugung aufdringen, dass das Brugmannsche gesetz, wenn
nicht ganz, doch wenigstens zum teile wahr sein muss.
Ich formuliere das gesetz folgendermassen: das mit e ab-
lautende 0 wurde im arischen zu ä in offener, unmittelbar
nachtoniger silbe, oder in anderen worten in offener
Silbe mit abhängigem svarita. So erklären sich sofort
^ « ^ « »
die accusative svdsäram, ndptäram, kdrtäram, ddtäram, räjä-
nam, dgmänam, sdkhäyam und ebenso die pluralischen nomi-
native wie svdsäras und die dualformen wie svdsäräu, weiter
> \ 1 *
die verbalformen bhdränias, küpyämas, vartdyänms und bhdrävas,
küpyävas, vartdyävas. Die accusative mit ä im stamm wie
dätäram, ätmänam^ pädam, väcam, ushäsam (neben ushdsam =
riod) — so auch datdras, dätdräu u.s. w. — müssen es auf ana-
logischem wege erhalten haben, und dasselbe gilt von dem ä
in limpänuis, limpdvas, das sich leicht durch den einfluss der
anderen themavocalischen präsensklassen erklären lässt. Auch
aind. jajdna neben jajdna fügt sich unserer formulierung am
besten, wenn wir nur annehmen wollen, dass jajdna ursprüng-
lich die orthotonierte form, jajäna dagegen enklitisch war.
Natürlich wurde in einer zwei-, drei- oder mehrsilbigen verbal-
form, auch wenn man sie enklitisch gebrauchte, eine silbe am
meisten accentuiert und gr. yeyoi^s wie auch die analogie der
aind. vocativbetonung (s. Hirt a.a.O. 181) macht es wahrschein-
lich, dass es die anfangssilbe war. Aber aus "^yegbne ergibt
sich lautgesetzlich jajäna!
Sind die obigen ausführungen richtig — und ich glaube,
dass ihnen keine tatsachen entgegen stehen, welche sich nicht
anders deuten Hessen — , so hat man nicht das recht aind.
ddru unmittelbar mit gr. öoqv gleichzusetzen. Aber warum
kann däru, das doch vor allem den coUectiven begriff 'holz'
repräsentiert, keine vrddhi-ableitung von einem indog. ^doru
oder "^dei'u 'bäum' sein? Eine ähnliche erklärung ist auch für
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ZUB liAÜTGBSCHICHTE. 547
jänu möglich, wenn man nämlich annimmt, dass in der Ur-
sprache neben *genu 'knie' ein collectivum *gönu 'die beiden
knie' vorhanden war.
Ich zweifle nicht, dass manches Avas bis jetzt nicht mit
Streitbergs dehnungsgesetz in einklang zu bringen war, seine
erklärnng durch die unumgängliche annähme d}iiamischer
Steigerung in ausgedehntem masse finden wird (das gilt z. b.
wol von der dehnstufe der causativa wie aind. grävdyatiy plä-
vdyati, grähdyati, värdyati, sväpdyati, aksl. slaviti, plaviti, gra-
hiti, valiti, lat. söpire). Denn dass das dehnungsgesetz den
kern der sache getroffen hat, ist durch Hirts aufsatz über die
dehnung im serbischen (IF. 7, 135 ff.) um vieles wahrschein-
licher geworden.
AMSTERDAM, febr. 1897. C. C. UHLENBECK.
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KLASSENSUFFIXE.
H. Pauls wichtiger Vortrag 'lieber die aufgaben der wort-
bildungslehre' (Sitzungsberichte der philosophisch-philolog. und
histor. klasse d. k. b. akademie d. wissensch., 1896, heft 4, 692 f.)
gibt mir anlass, eine von mir grossenteils iin coUeg seit jähren
vorgetragene theorie der beurteilung der fachgenossen zu unter-
breiten.
Paul wendet sich a. a. o. (s. 693 f.) gegen die übliche gleich-
stellung von wortbildungs- und flexionslehre. Sie entsprechen
sich, lehrt er, nur insoweit, als die wortbildungslehre bloss
morphologie ist. So weit aber ihre nähere bearbeitung eine
mehr individualisierende behandlung aufgrund der bedeutung
erfordert, stehe die wortbildungslehre auf einer ganz andern
linie als die flexionslehre.
Ich meine nun, dass der von Paul klar und scharf hervor-
gehobene unterschied dennoch nur ein gradueller ist und dass
von der einen kategorie zu der andern sich ein allmählicher
Übergang nachweisen lässt.
In den von der flexionslehre behandelten fällen dienen die
Suffixe dazu, regelmässig aus wurzeln oder stammen einzelne
Worte zu bilden, die (bei primären suffixen) zu der betreffenden
Wurzel oder (bei secundären suffixen) zu dem betreffenden
stamm in einer bestimmten beziehung stehen. In den von
der wortbildungslehre behandelten fällen dienen die suffixe
dazu, facultativ aus (selten wurzeln, zumeist aber) stammen
neue stamme zu bilden, die zu dem betreffenden mutterstamm
(oder der wurzel) in einer schwankenden beziehung stehen.
Daraus folgt: in der ersten kategorie sind mindestens der
theorie nach alle flexionsformen möglich; obwol tatsächlich
gewisse casus eines einzelnen nomens (seltener auch gewisse
personalformen und tempora eines einzelnen verbs) nie gebildet
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KLASSBNSÜFFIXE. 549
werden. Vor allem fehlen häufig ganze numeri und nur die
erfahrung kann uns Aber solche singularia oder pluralia tantum
belehren oder uns berichten, welche stamme gewisse ihnen der
regel nach zukommende endungen tatsächlich nicht gebrauchen.
Immerhin bleibt für die ungeheure überzahl der fälle die regel
bestehen, dass jede theoretisch mögliche flexionsform auch wirk-
lich vorkommt. — Dagegen gibt es überhaupt keinen einzigen
fall, in dem ein stamm alle an sich möglichen bildungen der
zweiten kategorie tatsächlich annimmt; und ebensowenig gilt
auch nur für die allerhäuflgsten stammbildungssuffixe — wie
indog. -a, mhd. -cpr<?, nhd. -ung — dass sie von allen Stämmen,
die sie der theorie nach annehmen könnten, \\irklich auch
angenommen werden. Vielmehr muss es in jedem einzelnen
fall aus der praxis festgestellt werden, welche ableitungen zu
den verschiedenen nominal- und verbalstämmen vorkommen.
Vollständige nachweise hierüber wären sehr erwünscht; denn
die Wörterbücher geben fast niemals eine erschöpfende auf-
zählung. Und ganz ebenso muss immer erst aus dem gebrauch
eimittelt werden, an welche stamme die einzelnen wortbildungs-
suffixe antreten; worüber wir in der Stammbildungslehre Kluges,
Wilmanns' Deutscher grammatik, 2. abt. und ähnlichen arbeiten
mindestens für die selteneren sufflxe annähernd vollständige
Verzeichnisse besitzen.
Beispiele zu diesen allgemein bekannten tatsachen anzu-
führen ist überflüssig.
Zweitens aber folgt aus der oben von uns vorgenommenen
gegenüberstellung der flexivischen und wortbildenden sufflxe
der nicht minder wichtige umstand, dass das Verhältnis der
mit einer beliebigen 'endung' gebildeten form zu der Stamm-
form oder den anderen abgleiteten formen ohne weiteres dem
sinn und Inhalt nach völlig klar ist. Fügen wir an einen
nominalstamm das sufflx des genetiv singularis, an einen verbal-
stamm das sufflx der 3. person pluralis, so hat die neu ent-
standene form genau dieselbe bedeutung wie jeder andere gen.
^g"-? j^*^ andere 3. pl. Angenommen, es wäre zufällig der
g-enetiv irgend eines bestimmten nomens seit dem Ursprung
der spräche noch niemals gebildet worden, so würde allen,
die ihn heute zum ersten mal hören würden, sofort klar sein
was er bedeutet. Ganz im gegensatz dazu ist das inhaltliche
Beiträge rar geiohlohte der deaiaohen fpraobe. XXII. 3Q
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550 ]fET£K
Verhältnis einer neuen wortableitung zu ihrem stamm und zu
ihresgleichen — wie eben grade Paul a. a. o. näher nachweist
— keineswegs von vornherein genau bestimmt. Die gleiche
ableitung kann beim antritt an zwei verschiedene stamme zwei
Worte von ganz verschiedener bedeutung ergeben. Ein fehler
(a.a.O. s. 697) ist ganz etwas anderes als ein führer, obwol
das eine wort genau so von fehlen, wie das andere von führen
abgeleitet ist. Auch sind solche abweichungen keineswegs
immer erst historisch entstanden — was zwar principiell gar
keinen unterschied macht — , sondern die Verbindung des
gleichen wortbildungssuffixes mit zwei verschiedenen stammen
kann von der ältesten zeit her zwei abweichende bedeutungen
ergeben haben.
Wir sehen also: beide kategorien unterscheiden sich durch
die viel stärkere freiheit der zweiten. Man kann jede flexions-
form bilden, und jede hat sofort einen vorher genau bestimmten
sinn. Dagegen kann man nie vorher wissen, welche ableitung
von irgend einem stamm zu einer bestimmten epoche, in einer
bestimmten spräche oder einem dialekt vorkommt, und eben-
sowenig, welche der verschiedenen an sich möglichen bedeu-
tungen die einzelne ableitung tatsächlich besitzt.
So schroff nun aber die Verschiedenheit scheint — nach
Schillers terminologie würde man sagen: im reich der flexion
herscht der zwang der natur, im gebiet der Wortbildung die
freiheit — , es liegen doch deutlich vermittelnd tlbergänge
zwischen beiden suffixkategorien.
Zwischen den flexi vischen Sendungen' und den wortbilden-
den 'ableitungen' stehen Suffixe mitten inne, die ich klassen-
bildende Suffixe oder klassensuffixe nenne. Sie teilen
mit den flexivischen die eigenschaft, dass die neu entstandene
ableitung in ihrem sinn fest und unzweideutig bestimmt ist.
Sie teilen mit den wortbildenden die eigenschaft, dass die ab-
leitung keineswegs von jedem stamm, bei dem sie an sich
möglich wäre, tatsächlich vorkommt. Ob an einen stamm ein
bestimmtes klassensuffix tritt, kann nur die erfahrung lehren;
tritt es aber an, so ist die Verbindung inhaltlich so unzwei-
deutig bestimmt wie ein casus oder eine verbalform.
Dabei ist es noch besonders wichtig und lehrreich, dass
diese klassensuffixe auch unter sich selbst eine abstufung von
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KLASSENSÜFFIXE. 551
der strengen regelung der flexion zu der beweglichen freiheit
der Wortbildung zeigen. —
Am nächsten stehen den flexivischen suffixen die der
comparation, die man denn auch vielfältig direct diesen
zuzählt. Aber wir finden von der ältesten zeit her ein neben-
einander von zwei comparativ- und zwei superlativsufflxen.
Die comparativsuffixe scheinen zwar principiell geschieden,
indem -{eSy -ties primär, -ero, -tero secundär ist; aber nun tritt
bei beiden widerum eine doppelform auf, die nicht ohne wei-
teres eine reinliche Scheidung ermöglicht. Noch weniger ge-
lingt diese bei den beiden superlativsufflxen. Wol gibt Brug-
mann an (Grundr. 1, 156) dass -wo in wörteni die zahl, rang,
räumliche und zeitliche anordnung u.dgl. bezeichnen, und -w, -to
bei dem primären comparativsufflx -is (ebda. s. 228) auftritt;
man sieht aber, wie schwankend diese Scheidung ist. Dazu
wird sie gekreuzt durch allerlei combinationen: Superlativ von
der Wurzel oder vom comparativ, wechselnder bindevocal, sogar
doppelte Steigerung. Das ergebnis ist, dass man tatsächlich
keineswegs mit der gleichen Sicherheit die comparativsuffixe
eines bestimmten Stammes vorher bestimmen kann wie die
endungen. Die abweichungen tragen auch nicht etwa wie
der vereinzelte fibergang eines nomens oder verbs in eine
neue flexion den Charakter späterer Zerrüttung, sondern von
ältester zeit her stehen verschiedene bildungen in mehreren
sprachen oder sogar in ein und derselben spräche neben-
einander. Noch in mhd. zeit finden wir mehrere Spielarten
in gleichzeitigem gebrauch: vorderist und vorder ost u.dgl.
Femer aber wird diese relative unbestimmbarkeit noch
gesteigert durch die von der urzeit her vorhandenen fälle, in
denen die comparation durch sufflx Oberhaupt ausgeschlossen
ist und in denen zwei oder drei etymologisch völlig unverwante
Stämme zusammentreten, um eine Steigerungsreihe zu bilden.
Dass bestimmte positive (wie z.b. die farbenbezeichnungen)
überhaupt keine comparation zulassen, lässt sich wol allen-
falls a priori begreifen; obwol gerade hier ausnahmen wie
das volkstümliche weisser als der schnee, schwäreer als die kohle
u. dgl. die Unzulänglichkeit solcher Voraussetzungen dartun.
Dass aber gut und böse, klein und gross ihre Steigerungsformen
von fremden stammen entlehnen, ist schlechterdings nur aus
36*
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552 METEB
der erfahrung zu entnehmen. Und doch ist nicht zu bezwei-
feln, dass ihre Verbindung mit comparativsuffixen — die im
verlauf der sprachlichen normalisierung sich ja vielfach durch-
gesetzt hat — in der urzeit absolut ausgeschlossen war.
Sobald aber nun durch ein oder das andere suffix, durch
anleihen bei werten von m^prünglich comparativischer oder
superlativischer bedeutung oder wie sonst die reihe hergestellt
ist, läuft sie jeder andern aufs genaueste parallel und hesser
steht zu gut genau so wie schöner zu schön. —
Der flexion sehr nahe steht zweitens die adverbial-
bildung. Für spätere epochen nimmt sie fast völlig den
Charakter der flexion an: schon mhd. kann z. b. fast von jedem
adjectiv auf regelmässige weise ein adverb gebildet werden;
wobei immerhin die ausnahmslosigkeit der eigentlichen flexion
nicht erreicht wird. Für die älteren zeiten ist die unbestimm-
barkeit ungleich grösser. Es ist nicht die rede davon, dass zu
jedem adjectiv (oder jeder wurzel einer bestimmten bedeutungs-
gruppe) ein adverb gebildet werden könnte; vielmehr treten
ganz überwiegend hilfsformen ein: erstarrte casus, alte avya-
yibhäva-compositionen wie postridie, av^'j/iiQor, Mnaht, idm^es.
In der ältesten geschichte überwiegt die bewahrung alter, sonst
abgestorbener casussufflxe, in der jüngeren die hypostasiemng
noch lebendiger obliquer casus. Daneben tritt eine reihe
eigentlicher adverbialsufflxe auf, die zwar selbst nur nach-
bildung alter casussufflxe sind, nun aber auch (wie es scheint)
neu an adjectivstämme treten können, ohne continuität der
alten flexion des adjectivs. Sie bringen es zu immer grösserem
ansehn und schliesslich kommt es wenigstens so weit, dass
principiell mindestens jedes adjectiv (mit verschwindenden aus-
nahmen) sein adverb bildet. Aber bis in die gegenwart reicht,
wie bei der comparation, daneben die Verwendung alter adverbia
von eigenem stamm: wie gut sein hesser und hest neben sich
hat, so leiht es sich auch ein erst jetzt absterbendes wol zum
adverbialgebrauch.
Besonders merkwürdig ist nun aber, dass inmitten dieser
der ungebundenheit in der Wortbildung nahe kommenden klasse
die älteste zeit für eine kleine gruppe eine adverbialbildung
von fast flexivischer festigkeit besass. Die ortsad verbia bilden
zu jedem pronominalstamm eine vollständige reihe von *corre-
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KLASSEKSUFFI2E. 553
lativis': ableitungen mit der bedeutung der ruhe, der nähern-
den und der entfernenden bewegung lassen sich ursprünglich
von jedem dieser stamme bilden. Die zeitadverbia nähern sich
dem einigermassen; die präpositionaladverbia haben mindestens
die eigenschaft, dass zu fast jeder alten präposition ihrer eine
existiert, auch mit älmlichen bildungen (vocalische Verlänge-
rungen), aber doch nicht mit einem einheitlichen sufflx.
Nun ist freilich die ganze bildung von adverbien zu ad-
jectiven, wie schon erwähnt, eine verhältnismässig junge er-
scheinung, die in der indog. epoche erst vorbereitet war —
vorbereitet eben durch die bildung von adverbien aus prono-
minalstämmen. Sie hat sich aber doch allmählich in allen
indog. sprachen zu einer regelmässigen ableitungsform aus-
gewachsen und gerade die langsamkeit dieser entwickelung
lässt den gang deutlich übersehen. Sind wir doch gerade jetzt
wider im begriff, ein neues adverbialsuffix, das vorerst noch
facultative -weise, zum allgemein verwendbaren ableitungs-
mittel zu machen, sei es noch in syntaktischer form (in fried-
licher weise), sei es als composition {unbegreiflicher weise, nur
durch die Schreibung von bildungen wie frz. agredblement
verschieden). —
Die dritte und bei weitem die vmnderbarste gruppe der
klassensuffixe bilden die der Zählung. Und zwar handelt es
sich hier um zwei verschiedene erscheinungen: einmal um das
System der cardinalzahlen, das skelett des ganzen zählwesens,
und zweitens um die ableitung der übrigen zahlworte aus
(wurzel oder) stamm der cardinalia. Uebrigens umfasst die
formenbildung dieser gruppe in sich selbst eine so grosse
mannigfaltigkeit, dass sie allein schon die scheinbar kaum zu
überbrückende kluft zwischen flexion und Wortbildung aus-
füllen könnte.
Die reihe der cardinalzahlen bildet eine der merkwürdig-
sten erscheinungen im ganzen gebiet der spräche. Welche
ungeheuere leistung der menschlichen abstractionskraft das
zählen überhaupt ist, hat man oft mit nachdruck hervor-
gehoben. Wie compliciert aber das hierzu dienende Werkzeug,
eben das System der cardinalia, ist, und zugleich doch wie
genial concipiert (wenn man sich so ausdrücken darf), das hat
meines Wissens noch niema»d mit genügender schärfe hervor-
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554 MEYER
gehoben. Man rechne es mir nicht als anmassnng, wenn ich
eine (meines wissens, muss ich immer hinzusetzen) neue auf-
fassung dieser einrichtung vortrage; mir scheinen aber gewisse
merkwürdige eigenheiten der zahlworte ohne sie schlechter-
dings unbegreiflich. Was für gewöhnlich einfach als compo-
sition aufgefasst wird, glaube ich hier als eine art flexion
bezeichnen zu müssen.
Man pflegt die cardinalia als eine reihe lose nebeneinander
stehender einzelworte anzusehen, etwa wie die benennungen
der körperteile, der eigenschaften oder (um ein moderneres,
aber dafür genauer zutreffendes analogon zu wählen, wie die
titel einer geistlichen, militärischen oder sonstigen hierarchie:
Worte, die vom verstand zu einer bestimmten Vollständigkeit
geordnet sind, von vornherein aber keinerlei beziehungen zu
einander haben. Wir sagen secondelieutenant, premierlieutenant,
hauptmann\ als man aber in Bayern noch sagte unterlieutenant,
oberlieutenant, hauptmann war es ganz dasselbe, und würde
morgen die benennung capitän für liauptmann wider ein-
geführt, so würde das genau so gut die betreffende stelle des
Systems ausfüllen. Gegen diese gleichstellung der Zahlenreihe mit
irgend einer andern wortreihe der spräche protestiert aber vor
allem eine eigenheit der cardinalia. Dass sie sich gegenseitig
stark beeinflussen, ist zwar zu beachten, kommt aber auch
bei andern begriffsgruppen (z. b. den tages- und Jahreszeiten)
vor. Auch die überall rasch eintretende bildung besonderer
zeichen für die zahlworte hat eine zwar nicht geringe, aber
doch keine ausschlaggebende bedeutung. Völlig einzig ist da-
gegen die erscheinung, dass es in der reihe der cardinalia
keine Synonyma gibt. Flexivische unterschiede, auf die
man ja sogar indog. urdialekte oder urälteste Völkerscheidungen
gründet, kommen natürlich nicht in betracht. Beide aber ist
nicht etwa synonymum zu zwei, sondern bedeutet ganz etwas
anderes: es heisst (wie z. b. gr. und mhd. noch schön deutlich
zu erkennen) * nicht nur — sondern auch' und ist ein verein-
zelter dual, der in die reihe der echten cardinalia so wenig
gehört wie selbander, selbdrüt, selbviert oder anderthalb, dritt-
halb U.S.W.
Diese merkwürdige und uralte erscheinung ist nun aber
m. e. nur zu erklären, wenn die ganze Zahlenreihe von vom-
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KLASSEKSÜFFIXE. 555
herein als eine einheit gefasst wurde. Ton vornherein' heisst
natürlich nicht im anfang aller dinge; es gab eine zeit wo es
nur ein paar zahlen gab und keine weitreichende reihe. Da-
mals gab es sicher auch synonyma, damals gab es auch gewis
noch kein bewusstsein von der Zusammengehörigkeit dieser
begriffe. Aber in der ältesten uns erreichbaren schiebt, in der
frühesten indog. urzeit, die für uns erfassbar ist, war die
Zahlenreihe bereits eine geschlossene einheit. Nicht nur in
begrifflicher hinsieht — worüber Potts * Zählmethoden' zu ver-
gleichen — sondern vor allem auch in grammatikalischer hin-
sieht. Um aber ihr wesen zu begreifen, muss man sich von
zwei uns fast unvermeidlichen anschauungen auf einen augen-
blick freimachen. Wir müssen von derjenigen Ordnung der
Zahlenreihe, die uns selbstverständlich ist, absehen und ebenso
von der Vorstellung, als gebe es überhaupt nur drei numeri:
sg., du., pl.; haben doch tatsächlich manche sprachen für weiter-
gehende Zählung noch eigene flexion.
Nachdem sich also das bewusstsein von der Zusammen-
gehörigkeit einer lückenlosen reihß von zahlworten heraus-
gebildet hatte, finden wir folgendes System. Wir besitzen die
zehn (bez. zwölf) grundworte, die zu einer geschlossenen folge
verbunden sind wie etwa später die namen der Wochentage
oder monate. Sie sind überwiegend der flexion im gewöhn-
lichen sinn unteilhaftig, und waren ursprünglich vielleicht
sogar sämmtlich indeclinabel; die ersteh zahlworte hätten
dann später bruchstücke der declination von andern pronomi-
nibus — etwa durch Vermittlung von halbzahlwörtem wie
beide — entlehnt. Dagegen aber flectieren unsere zehn grund-
worte in ihrer eigenen art, d.h. indem sie so viel numeri
bilden, wie zehner in dem decünalsystem vorhanden sind.
Zwei flectiert also, indem es einen numerus 2 + 10, einen
2 + 20, einen 2 + 30 bildet. Diese numeri der grundzahlen
sind denen des nomens völlig gleichartig, nur eben in der
Zählung genauer. Väter heisst vermutlich ursprünglich nichts
anderes als etwa *vater und mehrere', zweiundawanzig heisst
*zwei und zwei zehner'. Die grundform bleibt stamm der neu-
bildung hier wie dort. Die neubildung selbst aber geschieht
ganz einfach auf dem gleichen wege, auf dem nach der her-
schenden ansieht alle flexion geschieht; durch Verschmelzung
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556 MEYER
ursprünglich selbständiger Wörter. Vierjs^ehn ist im princip
nicht anders gebildet als got. nasi-da- (falls das sw. praet.
wirklich mit dem hilfsverbum tun gebildet ist). Noch stärker
tritt aber die analogie zu der üblichen flexion da hervor, wo
statt der addierenden die multiplicative zahlbildung angewant
wird. Von der grenzzahl wird ein abstractum gebildet: die
zehnzahl\ ursprünglich gewis ganz concret gefasst wie unser
eine handvoU; lässt doch noch Herodot den Xerxes sein beer
durch bürden zählen, in die immer eine bestimmte menschen-
zahl hineingetrieben wird. Nun wird neben den dvandva-
compositis 12, 22, 32 eine reihe von t^tpurushas gebildet 20,
30, 40; oder vielmehr jene setzen diese ja schon voraus, wenn
auch nicht notwendig als feste composita. Hier erhält nun der
stehende zweite teil zehnieil völlig den Charakter des suffixes
und aus vierzig hört zwar jeder die vier, aber nur der sprach-
lich geschulte die zehn heraus.
Wir haben also ein von 1 — 99 reichendes System, durch
copulative und suffigierende ableitung entstanden. Im sinn der
Urzeit müssten wir nicht 1—2 — 3 — 4 ordnen, sondern 1 — 11 —
21 — 31 U.S.W.; 2 — 22 — 32 u.s.w.; wie noch unser einmaleins
von den grundzahlen (und grundworten) ausgeht. Das gleiche
System wird dann weiter auf grösseren rahmen gespannt, zehn
zehnheiten, das grosshundert kommen dazu; aber in der art
der numeralen flexion macht dies keinen untei-schied.
Betrachten wir nun diese einrichtung vom gesichtspunkt
der morphologie. Die numerischen ableitungen von den grund-
zahlen stehen den flexivischen insofern ganz nahe, als sie un-
bedingt jedesmal gebildet werden können. Dagegen sind sie
den wortbildenden darin verwant, dass nirgends ein bestimmtes
ableitungsmittel zur alleinigen herschaft gelangt ist. Wol gilt
überall dasselbe princip: das der copulation zweier zahlbegriffe,
wie es durch den numerischen wert der gesuchten neuen zahl
gegeben ist. Aber bei der addition finden wir Schwankungen
in der Wortstellung: neben dem gewis ältesten system, das die
grundzahl voranstellt, ein jüngeres, das ihr den zweiten platz
anweist; finden wir Schwankungen in der form der Verbindung:
neben der gewis älteren einfachen juxtaposition die Verschmel-
zung durch eine conjunction. Noch heut nach allen normali-
sierungen haben wir nebeneinander vierzehn und vierundzwanzig.
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KLASSENSUFFIXE. 557
Dazu kommt eine reihe einzelner sonderbildungen bei den
anfangs- und Schlusszahlen jeder zehnschaft: statt der addieren-
den composition subtrahierende (undeviginti); ja sogar völlige
aufgäbe des princips, die neue zahl aus zwei alten aufzubauen:
ainlif, iwalif. — Bei der multiplicativen neubildung hat sich
zwar füi' 30 — 60 indog. ein festes princip durchgesetzt; aber
bei 20 weicht sogar innerhalb des germanischen die westgerm.
bildung mit hypostasiertem dativ von der ostgerm. ab, und
für 70—100 finden wir indog. schwanken, germ. neuschöpfungen.
Die freiheit der eigentlichen Wortbildung wird also in
bezug auf die wähl der ableitungsmittel zwar nicht erreicht, die
strenge der eigentlichen flexion aber noch viel weniger. Denken
wir uns einen nominalstamm, der über sg. du. pl. heraus noch
seclis weitere numeri hätte, so würde uns (ohne Verdeutlichung
von aussen her) die bedeutungen der verschiedenen endungen
nur dann klar sein, wenn eine ganze reihe anderer stamme
mit genau denselben endungen für ersten, zweiten, dritten
plural neben ihm ständen. Die zahlworte können sich da-
gegen den luxus auf engem räum mannigfach wechselnder
bildungen gestatten, weil sie in folge ihrer besonderen natur
jedenfalls unzweideutige neubildungen schaffen. Die addieren-
den, subtrahierenden, multiplicierenden zahlworte sind nämlich
deshalb unbedingt verständlich, weil sie streng symbolisch sind.
Das compositum ahmt genau die wirkliche handlung des zählens
nach, indem es 3 zu 20 legt, viermal zehn nimmt, eins von
zwanzig abzieht. Dadurch allein ward es möglich, dass eine
begriff sgruppe, die von vornherein eine strengere einheit des
ausdrucks zu fordern scheint als irgend eine andere, tatsächlich
sich eine Willkür der ableitung gewahrt hat, wie sie sich sonst
nirgends der uniformierung späterer perioden gegenüber be-
haupten konnte.
Dies also ist die erste form, unter der das klassenbildende
siiffix bei der Zählung erscheint: die verschiedenen zahlabstracta
der grundzahlen selbst treten als ableitungsmittel der cardinalia
auf, lassen aber verschiedene möglichkeiten der anordnung und
der Verbindung neben einander bestehen. Dasselbe wort, das
in zweiundzwamig eine art suffix ist, tritt in viginti duo als
eine art präfix auf; wie ja auch beim verb neben der sufflgie-
rung die präfigierung (in augmenttemporibus) ableitend wirkt.
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558 METER
Und hier ist denn noch einmal darauf aufmerksam zu machen,
dass diese technik der spräche, die wir hier als 'numerische
flexion' bezeichneten, so befremdend sie auf den ersten blick
wirkt, keineswegs principiell von andern methoden der ableitung
verschieden ist. Die bildung der abgeleiteten zahlworte ist
eben nichts anderes als eine reduplication (vgl. über redupli-
cation bei zahlworten allgemein Pott, Doppelung s. 156. Zähl-
methode s. 29). Wie man mit ich halte ein tempus bildete «cä
halte — halte, so bildete man von drei eine zahl drei — drei
zehnheitcn\ wie dort das eine glied bis aus blosser andeutung
verkürzt ward, so hier: in vierzig ist gerade wie in hailudd
nur noch der eine factor der combination kenntlich.
Zweitens aber finden die klassensuffixe innerhalb der Zäh-
lung noch anwendung bei der ableitung anderer zahlwort-
kategorien von den cardinalien. Vor allem bei den cardinal-
zahlen, deren bildung so stark an die Steigerung erinnert und
mit ihr die willkür der suffixe teilt: öixaxo<; neben decimus.
In der tat ist das verfahren der benennung hier ganz dasselbe
wie bei der Steigerung: ein einzelnes glied wird aus einer
kette gleichartiger glieder herausgehoben. Er ist der mäch-
tigste könig ist brachylogie für die drei Sätze: *es gibt viele
könige; alle sind mächtig; dieser ist aber sehr mächtig'.
Und gerade so ist es eine Verkürzung, wenn wir sagen dies
ist der dritte turnt \ das bedeutet: 'hier stehen mehrere türme;
an zweien sind wir schon vorbeigegangen; nun sind wir bei
diesem hier'. Aber selbst abgesehen von dem Wechsel der
suffixe finden wir ein schwanken in der bildung der ordinalia.
Die Ordinalzahl der einzahl ist überall eine jüngere ergänzung;
der erste ist eben von vornherein der zählende selbst, der kein
Zahlwort braucht. Aber auch weiter finden wir nebeneinander
in uraltem tausch ableitung von der wurzel und von der car-
dinalzahl, und bei den zusammengesetzten Ordinalzahlen haben
wir neben der wol ursprünglichen juxtaposition der ordinalien
(tertius decimus) die tendenz auf die bildung einheitlicher
Worte, die dann schliesslich zur ableitung vom zusammen-
gesetzten ordinale führt: der dreizehnte. Immerhin ist die
ableitung der Ordinalzahlen im ganzen die strengste, die wir
bisher auf unserm boden trafen, und bei den zusammengesetzten
Zahlworten insbesondere ist einesteils in der urzeit, anderer-
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KLASSEN8DFFXXE. 559
seits in späten historischen epochen wol überall ein princip
der ableitung zu ausschliesslicher geltung gelangt. Die bilduug
von Ordinalzahlen ist so streng obligatorisch wie die von no-
minal- oder verbalendungen; die einzige ausnähme^ die einzahl,
musste sich der uniformierenden regel in allen indog. sprachen
fügen.
Eine ganze reihe weiterer zahlworte haben im schroffen
gegensatz hierzu grosse freiheit. Wie viele zahlen midtipli-
cativer adverbien mit indog. -s oder welche ei-satzmittel dafüi*
angewant werden (z. b. ahd. -stiuit, mhd. -werbe, nhd. -waf), das
lässt sich lediglich aus der praxis erlernen; erst nhd. ist das
suffix -mal zu der regelmässigkeit eines flexivischen ableitungs-
mittels gelangt. Dasselbe gilt für die multiplicativen adjectiva
und für die distributiva. Bis zur vierzahl scheint indog. die
ableitungsform einheitlich und die ableitung obligatorisch ge-
wesen zu sein; darüber hinaus beginnt überall ein willkürliches
schaffen mit den mittein der Wortbildung. Ja sogar für die
uralten zahlabstracta hat das mächtige beispiel der zehnheit
nicht die durchführung eines gleichen suffixes für alle zahlen
durchsetzen können; ob wol immerhin die bildung hier, wie
bei den ordinalien, der regelmässigkeit flexivischer ableitungen
sehr nahe kommt — freilich immer nur für die einfachen
zahlen. Nie hat man in älteren perioden nach dem muster der
achtkeit etwa eine jgwölßahl gebildet; hier erlahmte das von
der freiheit der Wortbildung zu der strenge der flexion fort-
strebende suffix. —
Blicken wir zurück, so sehen wir in der Zählung schon
auf germ. boden allein fast alle möglichkeiten vertreten, die
zwischen den beiden extremen liegen. Immer widerholten sich
aber doch, nur in verschiedenen Schattierungen, die beiden
kennzeichen unserer suffixkategorie: facultative ableitungs-
fähigkeit, genau bestimmte bedeutung. Beides treffen wir
endlich noch in einer vierten gruppe, die völlig zur Wort-
bildung überführt: bei der modification. Der eigentümliche
Charakter dieser giuppe ist nie beachtet worden, so dass man
die hierher gehörigen bildungen lediglich unter der Wortbildung
behandelt, wie die comparation unter der flexion. Aber unser
kriterium, die genaue bestimmbarkeit der bedeutung, scheidet
die modification von anderen Zusammensetzungen mit präfixen
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560 METER
ab. Wie wir nämlich schon bei der Zählung präfix neben
Suffix trafen, so begegnet uns hier das präfix ausschliesslich.
Modificierende präfixe sind nun freilich in allen indog. sprachen
massenhaft vorhanden: es sind die an das verb anwachsenden
Partikeln, vor allem die präpositionen. Diesen aber mangelt
die genaue bestimmbarkeit. Verbinden wir dasselbe präfix
ver- mit sprechen oder mit hauen, so gibt es dem simplex in
versprechen eine ganz andere richtung als in verhauen. Nur
allein die klassensuffixe der modification verändern den sinn
des simplex in unzweideutiger und unwandelbarer weise.
Diese präfixe treten vor adjectiva und sind durch ihre
gebundenheit an diese bestimmte Wortklasse den steigernden
und adverbbildenden suffixen vergleichbar; sie sind aber erheb-
lich seltener und zum teil auch absolut selten. Sie stellen
eine uralte, schon indog. composition her (Kluge in Pauls Grundr.
1, 399), die aber wenigstens bei der wichtigsten modification
in den einzelsprachen noch sehr stark weiter wuchert.
Hierher gehören
a) die negation mit dem indog. suffix n. Sie ist sehr
weit verbreitet, immerhin doch nicht so, dass man ohne empi-
rische feststellung wissen könnte, welches adjectiv in be-
stimmten sprachen und perioden das negierende präfix an-
nimmt. Selbst heut, wo wir es sogar auf substantiva in ma^s^e
anwenden (unJcunst), gibt es fälle, in denen es sprachwidrig
bleibt: wir können unhräftig (von unl'raft) sagen, nicht unstark,
nicht unwuchtig u.s.w. Nicht einmal das kriterium genügt,
die negation trete an das adjectiv nur da, wo kein wider-
sprechendes adjectiv sie erspart: wir bilden neben leicht —
unschwer y neben verstimmt oder traurig — unfroh, aber nicht
neben arm ein unreich, neben dünn ein undick, obwol es un-
dicht gibt, U.S.W.
b) Die minderung mit dem indog. präfix dus-. Ich wähle
die benennung 'minderung', weil dies füi- den späteren gebrauch
die häufigste bedeutung ist; ursprünglich aber liegt in dem
präfix lediglich eine färbung des simplex, der zusatz *in malam
partem'. So got. tuz-werjan ^schwergläubig sein', eig. 'sich
im Übeln sinn mit dem gewissen, mit dem sicheren zu tun
machen'; oder gr. öv^xXtrig *der einen namen hat, aber einen
schlechten'. Später nimmt allerdings diese bedeutung ver-
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KLASSEKSUFFIXE. 561
schiedene nuancen — meist eben die der minderung — an;
aber in indog. zeit, für die allerdings ein so breiter gebrauch
wie gr. ind. nicht vorausgesetzt werden darf, scheint die be-
deutung völlig fest und unzweideutig.
c) Die Verstärkung mit dem indog. präfix su-, germ.
(ausser in Su-gambii) geschwunden, ersetzt durch das verwante
m- in got. sivihunps u.a.; aber auch durch andere präfixe
wie in ahd. bora-lang, filu-wis; wie das vorige gr. und ind.
besonders beliebt. Ursprünglich waren beides vielleicht halb-
religiöse, liturgische begleit worte: *es sei mit gutem omen ge-
sagt', *es sei zu seiner schände gesagt', und die starke Ver-
wendung mag mit besonderen abergläubischen gewohnheiten
jener beiden Völker zusammenhängen.
d) Die klage mit dem urgenn. präfix wc- wie in alt re-sall,
der 'minderung' nahe verwant, nur mit klagender färbung statt
der tadelnden.
In all diesen fällen der modification, denen möglicherweise
noch einige andere beizugesellen sind, verleiht das präfix dem
Simplex eine ganz bestimmte unzweideutige färbung. Dass das
gleiche in der urzeit mit den untrennbaren Partikeln der fall
war, ist unwahrscheinlich: diese präfixe, überhaupt lediglich
zur näheren bestimmung des verbs verwant, mussten wol von
anfang an vielerlei begriffsnuancen darbieten. Unsere modi-
flcierenden klassensuffixe dagegen verdanken ihre ursprüngliche
unzweideutigkeit ihi^er alten syntaktischen Selbständigkeit:
Partikeln der Verneinung, des euphemismus und schlimmen
auguriums, der klage sind nur einer deutung fähig, ob sie nun
lose im satz oder proklitisch beim adjectiv stehen.
Es fällt auch ohne weiteres ins äuge, wie nahe diese
modificationssuffixe andern klassen derselben kategorie benach-
bart sind. Die Verstärkung steht den Steigerungsgraden sehr
nahe, vor allem dem elativisch gebrauchten Superlativ Qiomo
optimus 'ein sehr guter mann'); die minderung und die nega-
tion aber bilden gleichsam als absteigende stufen zu den auf-
steigenden stufen der comparation ein selteneres gegenstttck.
Wird ja doch auch der wirkliche comparativ mindernd ge-
braucht: eine ältere fr au ist nicht so alt wie eine alte fran
(der comparativ bedeutet dann eben nur entfernung vom po-
sitiv und älter kann so gut 'nicht so gut' als 'in höherem
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562 METER
grade alt' bedeuten, gerade wie dasselbe wort lat. altus 'hoch'
und 'tief oder dieselbe composition 'gestern' und 'morgen'
heissen kann).
Wir glauben somit nachgewiesen zu haben, dass von der
flexion zur Wortbildung zahlreiche Übergangsformen überleiten
und dass unter diesen insbesondere eine grosse kategorie deut-
lich charakteristisch ist: die der klassensuffixe. Ihre gemein-
schaftliche eigenheit ist, wie wir widerholt hervorhoben, dass
sie die facultative bildung mit den wortbildenden, die unzwei-
deutige bestimmung mit den flexivischen Suffixen teilen. Auf
der letzteren eigenschaft beruht es, dass sie 'klassenbildend'
wirken: jedes suffix der comparation, der adverbialbildung,
der Zählung, der modification stellt die neue bildung in klarer
weise mit allen anderen Steigerungsgraden, adverbien, zahl-
worten, negierten u.s.w. adjectiven auf dieselbe stufe. Dies
ist mit anderen Suffixen nicht der fall, welche sich von der
freien Wortbildung her unserer kategorie nähern. Allerdings
zeigen wol alle sprachen die neigung, bestimmte suffixe (be-
sonders für appellativa) einem speciellen gebrauch zuzueignen;
so hat Kluge in seiner Stammbildungslehre in dankenswerter
weise ableitungsmittel für baumnamen, färben, körperteüe,
krankheiten, münznamen, vogel- und völkemamen, sogar für
korbbenennungen zusammengestellt. Diese fälle sind sehr
bedeutsam, weil sie einen wichtigen beleg mehr für die be-
ständige Strömung von der Willkür der Wortbildung zu der j
strenge der flexion geben; aber die bedeutungsfestigkeit
unserer klassensuffixe wird überall nur eben angestrebt, nicht
erreicht. Nicht einmal die patronymica und die diminutiva
— zwei eng verwante gruppen — haben es zu dieser ge-
nauigkeit in der modification der simplicia gebracht; die grund-
bedeutung ist zwar überall die eines kleineren von einem
grösseren abgelösten gliedes — das kind wird als teil des
Vaters aufgefasst — , aber diese grundbedeutung schimmert
doch in so viel nuancen, dass die nötige unzweideutigkeit
nicht erreicht wird. Man beachte aber, wie auch hier dieselben
modificationen widerkehren: das diminutiv steht zu seinem Sim-
plex wie das geminderte adjectiv zu dem seinen, und viele
sprachen besitzen ja auch für substantiva entsprechende ver-
grösserungssuffixe: it. brigantone ist der comparativ zu brigante.
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KLASSENSUFFIXE. 563
Sogar in unserer uniformierenden epoche haben die pro-
ductiven sufflxe keine völlige bedeutungsfestigkeit erlangt.
Unser -erei wird fast nur in tadelndem sinne gebraucht und
modificiert den sinn der abgeleiteten worte also ähnlich wie
indog. dtis-; aber das junge hücherei steht zu bücher in ganz
anderem Verhältnis als etwa Mnderei zu Jcinder, Dabei hat es
aber auch nicht den sinn der älteren suffixcombination -er, -ei:
bücher ei ist nicht wie bäckerei der ort wo gebucht wird, sondern
der wo viele bücher stehen (nach dem älteren gebrauch würde
allerdings bücherei zu got. bokareis gehören und besser zur
Verdeutschung von *bureau' und *comptoir', als zum ersatz für
'bibliothek' dienen). Freilich liegt bei diesem nicht eben glück-
lichen neologismus eine 'gelehrte' neubildung vor; deren blosse
möglichkeit beweist aber, wie entfernt unsere wortbildenden
Suffixe auch heute noch von der unzweideutigkeit der endungen
und der klassensuffixe bleiben.
Ich gebe gleichwol nochmals die möglichkeit zu, dass den
vier hier aufgestellten gruppen von klassensufftxen sich weitere
zur Seite stellen lassen. Sie würden ja unsere behauptung von
dem fliessenden Übergang zwischen flexion und Wortbildung
auch nur noch weiter erhärten. Dass aber etwa alle wort-
bildenden sufflxe an diesen eigenheiten teil hätten oder auch
nur eine verhältnismässig grosse anzahl, wird nach Pauls aus-
einandersetzungen weniger noch als sonst behauptet werden
können.
Praktisch wird man deshalb doch am besten fortfahren,
die sufflxe wie bisher anzuordnen, insbesondere also die Stei-
gerung bei der adjectivflexion, die modiflcation bei der Wort-
bildung zu behandeln. Theoretisch aber ist es für die be-
urteilung der Wechselbeziehungen zwischen form und sinn,
morphologie und bedeutungslehre von grosser Wichtigkeit,
diese Übergangsformen auf der linie von flexion zu Wort-
bildung in ihrer eigenart zu würdigen.
BERLIN, 9. juni 1897. RICHARD M. MEYER.
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AN. GABBA, AGS. GABBIAN,
Zu den an. und ags. belegen dieser Wortsippe, die Uhlen-
beck, Beitr. 22, 198 besprochen hat, kommen, wie ich Beitr.
20,47 wahrscheinlich gemacht zu haben glaube, auch ober-
deutsche, nämlich gaffel ^plaudertasche', gaffcln ^schwätzen',
gefeie ^klappermaul, vorlauter mund'; feiner noch engl, to gahhk
* schwatzen', nl. gabberen ^spotten' (Franck, Et. wb. s. v.), afries.
gabhia S^erklagen, peinlich verfolgen' (v. Richthof en, Afries. wb.
s. V.), und die romanischen entlehnungen it. gahbo * scherz, scherz-
rede', verb. (/afciare, afrz. flfafc, gaber u.s.w. In der bedeutung
kommen hauptsächlich zwei nuancen zur geltung: 1. 'schwätzen'
(in ags. ^af, ^egafsprcec, engl, to gabble, obd. gaffel, gaffeln, ge-
feie), 2. S^erspotten, höhnen' (in an. gabb, gahba, aigs. jabhian,
sabbun^y saffettan, ^affetun^, nl. gabberen). Anknüpfungspunkte
dieser Wortsippe an andere indog. bez. germ. Wörter sind noch
nicht gefunden. Ich glaube, dass hier ursprünglich eine schall-
nachahmende Wurzel vorliegt. Es gibt im germ. zwülings-
wurzeln onomatopoetischen Ursprungs, die einerseits mit labialen,
andererseits mit gutturalen consonanten schliessen (Variationen
mit anderen schlussconsonanten kommen für den vorliegenden
deutungsversuch nicht in betracht). Beispiele: hiacken,knacksefi:
der Txnack, der Imacl'S] schall wort Icnacli, JcnacJcs, engl, hiack,
isl. knakkr u. a. (DWb. 5, 1327 ff. Kluge, Et. wb. unter knackeji)
gegenüber knappen^ knapsest, schallwort hiapp, knaps, engl.
to Inap, schwed. knäppa, dän. kneppe u.a. (D'WTb. 5, 1338ff.);
— klaeken, klatzen, klatschen (= klacke2en)\ der kla^k, der
klacks-, schallwort klack, klacks (D\M). 5, 889 ff.) gegenüber
klaffen, klapfen, klappen, klappern; der klapf, der klapp, schall-
wort klapp (DWb. 5, 892 ff. Franck, Et. wb unter klap)-, — ahd.
klocMn gegenüber klojyfön * klopfen' (Kluge unter klopfen); —
blecken 'blöken' gegenüber blaffen 'bellen', blappern 'plappern'
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AN. GäBBÄ ü. 8. w. 565
(DWb. 2, 60. 88 und 7, 1896 f. Wackeraagel, Voce» variae animan-
tium s. 62. 66. 93 1 Kluge unter plappem)] mM.ru€kezen 'gurren,
gingen' gegenüber roffezen 'rülpsen' (Wackemagel s. 59. 70. 81 f.
DWb. 8, 1375. 1109). Auch im indog. wurzelschatz sind solche
Variationen reichlich zu belegen, woftir viele beispiele beiPersson,
Studien zur lehre von der Wurzelerweiterung an verschiedenen
orten.
In derselben weise steht neben der onomatopoetischen sippe
von obd. gacken, gaken, gackern (DWb. 4, 1, 1127 ff. Kluge unter
gackern) mit schliessendem guttural die gruppe gabba u. s.w.
mit schliessendem labial. Hinsichtlich ihrer lautlichen form
können also gacken und gabba in etymologischen Zusammenhang
gebracht werden. Auch begrifflich finden sich bei beiden
gruppen Übereinstimmungen:
Im an. bedeutet nach Cleasby-Vigfusson gagg 'geheul des
fuchses', gagga 'heulen wie ein fuchs' und 'über einen spotten',
gagarr *hund'; nach Fritzner 1^, 536 gaga 'spotten, sich lustig
machen', und daselbst ist auf den nämlichen bedeutungswandel
von der naturlautbezeichnung des hundes zu dem übertragenen
sinne 'verspotten, verhöhnen' in geyja 'bellen' und 'verspotten',
goögd 'gotteslästerung' hingewiesen. Vgl. auch deutsch klaffen
'bellen, vom hund', dann 'schwätzen', und kläff ein 'von hohn-
reden und fopperei' (DWb. 5, 894. 898).
Es ist also in bezug auf den wortinhalt bei den beiden
gruppen gabba und gacken die nämliche bedeutungsverschiebung
anzutreffen ('schwatzen' — 'verspotten'), es ist ferner bezüg-
lich der lautlichen form oben durch die paare knacken — knaffen
u. s. w. nachgevriesen worden, dass onomatopoetische wurzeln
mit schliessendem guttural und labial parallel gehen: so wird
man auch für gabba, wie für //cwim, schallnachahmenden Ur-
sprung annehmen und beide gruppen als etymologisch zusammen-
gehörig betrachten dürfen. Jedoch ist zu bemerken, dass die
gruppe gacken vielfache berührung mit einer anderen, lautlich
zum teil gleichen, etymologisch aber gesonderten gruppe hat,
nämlich mit gagein 'sich närrisch benehmen', DWb. 4, 1, 1124 ff.,
gackelicht 'närrisch', Schwab, gagg 'einfaltspinsel', steir. gack
'tölpel', ebda. sp. 1128, femer mit geck, mhd. giege u. a. (Kluge
unter 'geck', 'gaukler'. DWT). 4, 1, 1914 ff.). Von diesen Wörtern
aus können unbewusste einwirkungen durch ideenassociation
Beiträge cur getohlchta der dentsohen epraohe. XXIL 37
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566 BHKISMANN, AN. GABBA Ü.S.W.
auf die au8t)ildung des begriff es von * spotten' = ^zum narren
haben' bei dem ersten gachen u.s.w. und dann bei gabha u.s. w.
ausgeübt worden sein.
Die etymologie von gabha bei Fick, Vergl. wb. 3 *, 101 und
demnach Zusammenhang mit mhd. gampel ist lautlich unmög-
lich. Auch entlehnung der germanischen Wörter aus dem kel-
tischen (vgl. Diefenbach, Vergl. wb. 1, 169 f.; ir. gop ^mund,
Schnabel, schnauze', Stokes, Urkelt. Sprachschatz s. 114) ist
ausgeschlossen, doch kann in gewissen gegenden gegenseitige
beeinflussung beider sprachen stattgefunden haben. Umgekehrt
sind die lit. gahloti 'necken', gablgs *necker', poln. gabac ^reizeru
necken' (Zupitza, Die germ. gutturale s. 170) wol aus dem germ.
entlehnt.
Im afries. ist gabbia zu einem ausdruck der rechtssprache
geworden = 'verklagen, peinlich verfolgen'. Dieselbe juris-
tische Verwendung findet der begriff 'höhnen' in afries. häna
'kläger, verklagter', hänethe 'anklage', mnd. hön 'höhn, rechts-
kränkung' (vgl. van Helten, Altostfries, gramm. § 23a).
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I
HEroELBERG. G. EHRISMANN. I
ZUM TODESJAHR WULFILAS.
In den randbemerkimgen zu den acten des concils von
Aqiüleia (3. September 381), die uns in der hs. Lat 5809 der
nationalbibliothek zu Paris überliefert sind, heisst es bekannt-
lich gegen schluss : unde et cum sancio Hulfila ceterisque con-
sortibus ad alium comitatum Constantinopolim venissent ibique
etiam et imperatores adissent adque eis promissum fuisset con-
cilium, ut sanctus Auxentius exposuit, agnita promissione prefati
prepositi heretici omnihus viribus institeruni, ut lex dafetur
quae concilium prohiberet sed nee privatim in domo nee in
publico vel in quolibet loco disputatio de fide haberetur, sicut
textus indicat legis. Hieran schliesst sich der Wortlaut zweier
gesetze, deren erstes aus dem jähre 388 stammt (vgl. Codex
Theodosianus 16, 4, 2), während das zweite dem jähre 386 an-
gehört (Cod. Theod. 16, 4, 1).
Dass diese angaben auf einem Irrtum des Schreibers be-
ruhen, hat Bessell, lieber das leben des Ulfllas s. 17 ff. zur
evidenz nachgewiesen. Er selber sucht mit nicht geringem
Scharfsinn darzutun, dass es sich um den erlass vom 10. Januar
381 handle (vgl. Cod. Theod. 16, 5, 6). Seine annähme hat
allgemeine Zustimmung gefunden. Der glaube daran ist selbst
dann nicht erschüttert worden, als Sievers in Pauls Grundr.
2, 1, 68 und in diesen Beitr. 20, 302 ff. den zwingenden beweis
führte, dass Wulfila im jähre 383, nicht, wie man bisher an-
zunehmen pflegte, schon im jähre 381 gestorben sei. Freilich
war durch diese Verschiebung des todesjahres der Zusammen-
hang zwischen jenem erlass und dem concil, auf dem Wulfila
gestorben ist, unmöglich geworden. Aber Sievers wusste eine
neue beziehung herzustellen, indem er von der berufung Wul-
filas zum concil des Jahres 383 eine bittreise trennte, die er
im Winter 380/81 gemeinsam mit den illjTischen bischöfen
37*
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568 STREITBERG
Palladius und Secundianus nach Constantinopel unternommen
habe, um vom kaiser ein concil zu erlangen. Dem gesuch
der bittsteller sei anfänglich zwar entsprochen worden, aber
den Umtrieben der orthodoxen partei sei es gelungen, das
verheissene concil zu vereiteln und obendrein noch das edict
vom 10. Januar 381 durchzusetzen.
In ein neues Stadium trat die frage durch den anfeatz
von Jostes, Beitr. 22, 158 ff. Dieser erbrachte den, wie mir
mir scheint, überzeugenden nachweis, dass die bittreise mit
der berufungsreise identisch sein müsse. Denn es handle sich
in den Worten unde et cum sancto Hulfila etc., wie schon die
grammatische construction zeige, gar nicht um eine action
Wulfllas, sondern um einen recurs der vom concil zu Aquileia
verurteilten bischöf e Palladius und Secundianus bei Theodosius.
Nur bei dieser auffassung seien die worte ad alium comitcUum
verständlich; denn Palladius habe vor dem concil schon eine
audienz bei Gratian gehabt.
Da nun aber das concil von Aquileia erst am 3. September
381 stattgefunden hat, ist es unmöglich, dass die durch seine
entscheidung veranlasste bittreise des Palladius und Secundianus
schon in den winter 380/81 falle; damit ist aber zugleich auch
die Unmöglichkeit dargetan, dass ein kaiserlicher erlass, den
jene randbemerkungen unmittelbar an die bittreise der beiden
illyrischen bischöf e anknüpfen, mit dem edict vom 10. Januar
381 identisch sein könne.
Für jeden, der die beweisführung von Jostes anerkennt
(und ich wüsste nichts, was man gegen sie einwenden könnte),
erhebt sich nun von neuem die frage, die man seit Bessell
endgiltig erledigt wähnte: auf welches kaiserliche edict können
sich die andeutungen der randbemerkungen beziehen? Ich
glaube, dass sich hierauf eine völlig befriedigende antwort
geben lässt.
Es existieren nämlich aus dem jähre 383 zwei kaiserliche
erlasse, die aufs genaueste der kurzen Inhaltsangabe entsprechen,
wie sie uns in den randbemerkungen überliefert ist. Dabei
muss natürlich beachtet werden, dass wir nicht erwarten
dürfen den satz ut lex daretur quae concilium prohiberet
durch ein edict irgendwie bestätigt zu finden: warum dies
nicht der fall sein kann, hat Sievers, Beitr. 20, 307 f. aufs
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ZUM TODESJAHR WÜLFILA8. 569
treffendste ausgeführt. Es wird sich daher lediglich um die
fortsetzung: nee privatim in domo nee in publieo vel in quolibet
loco disputatio de fide haberetur handeln müssen.
Die beiden edicte sind an den praef. praet. Postumianns
gerichtet; das erste ist vom 25. juli, das zweite vom 3. Sep-
tember 383 datiert.
Ihr Wortlaut ist folgender:
1) Omnes omnino, quoaeunque diversarum haeresum error
exagitat, id est JSunomiani, Äriani, Mticedoniani, Pneumato-
machiy Manickaei^ EncratitaCy Äpotactitae, ScLceophori, Hydro-
parastaiae, nullis circulis coeant, ntdlam coUigant multitudinem,
nuUum ad se populum trahant, nee ad imaginem ecclesiarum
parietes privatos ostendant, nihil vel publice vel privatim, quod
catholicae sanctitati ofßcere possit, exerceant Äc si qui exsti-
terit qui tarn evidenter vetita transscendat, permissa omnihus
facultate, quos rectae observantiae cultus et pulchritudo delectat,
communi omnium bofiorum conspiratione pellatur, Dat, VIIL
Kai Äug, Constantinopoli, Merohaude IL et Saturnino Coss,
((^od.Theod. 16,5,11).
2) Vitiorum institutio deo atque hominihus exosa, Euno-
miana scilicet, Äriana, Macedoniana, Äpollinariana eeterarumque
sectarum, quas verae religionis venerabili cultu catholicae ob-
servantiae fides sincera condemnat, neque publids, neque privatis
(iditionibus intra urbium, atque agrorum ac villarum loca atit
colUgendarum congregationum aut constituendarum ecclesiarum
ropiam praesumat, nee celebritatem perfidiae suae vel solenni-
tatem dirae communionis exerceat, neque xillas creandorum
sacerdotum usurpet atque Iiabeat ordinationcs. Eaedeni quoque
(lomus, seu in urbibus seu in quibuscunque locis passim turbae
professorum <ic ministrorum talium colligentur, fisci nostri
ilominio iurique subdantur, ita ut hi, qui vel doctrimmi vel
mysteria conventionum talium exercere consueverunt, perquisiti
ib Omnibus urbibus ac locis propositae legis vigore constricti
\rpellantur a coetibu^, et ad proprias, unde oriundi sunt,
U'rras redire iubeantur, ne quis eorum aut commeandi ad
luaelihet alia loca aut evagandi ad urbes habeat potestatem.
\>nod si negligentius ea, qua^ serenitas nostra constituit, im-
ileantur, et off da provincialium iudicum et principales urbium,
n quibus coitio vetitae congregationis reperta monstrabitur,
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570 STREITBERG, ZUM TODESJAHR WÜLPILAS.
sententiae damnationique suhdantnr. Bat HL Non. Sept
Constantinopoli, Merobaude IL et Saturnino Coss, (Cod. Theod.
16, 5, 12).
Dieses zweite edict bezeichnet zweifellos das ende des
Constantinopeler concils, dessen unmittelbare folge es nach
Sozomenos 7, 12 gewesen ist. Der umstand, dass die Apollina-
risten zum erstenmal in diesem gesetz unter den irrlehrern
genannt werden, sowie die bestimmung, dass die lehrer und
priester der häretiker ausserhalb ihrer heimat weder umher-
schweifen noch ihr amt ausüben dürfen, deutet darauf hin,
dass der erlass der anregung Gregors von Nazianz seine ent-
stehung verdankt; denn dieser hat in seinem 125. briefe an
den Statthalter Olympios von Kappadokien diese beiden punkte
berührt.
Welches der beiden gesetze die lex sei, die der Schreiber
der randnotiz im äuge gehabt hat, lässt sich natürlich nicht
bestimmen; aus dem umstand, dass trotz des Singulars lex
nachher zwei erlasse (wenn auch durch versehen nicht die
richtigen) angeführt werden, darf man vielleicht schliessen,
dass dem Schreiber die beiden edicte vom jähre 383 vor-
schwebten.
Es braucht wol nicht besonders hervorgehoben zu werden,
dass durch den nachweis dieser beiden erlasse die Sievers'sche
datierung von Wulfilas todesjahr aufs neue glänzend bestä-
tigt wird.
FREIBUKG (Schweiz). WILHELM STREITBERG.
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ANTWORT AUF DEN AUFSATZ KAUFFMANNS
*DER ARRIANLSMUS DES WULFILA'.
Im neuesten hefte der Zs. fdph. (30, 93 ff.) wendet sich Kauff-
mann scharf gegen meine oben 158 ff. mitgeteilten ansichten
über die Stellung des Ulfllas zu den kirchlichen parteien seiner
zeit. Wenn er glaubt, meine arbeit leide an * Unklarheit und
nnbestimmtheit', so mag er recht haben: unrecht ist es aber,
diesen Vorwurf gegen die meinige allein zu erheben: er trifft
alle anderen über denselben gegenständ ebenso und vielleicht
noch mehr — seine eigene nicht ausgenommen. Es liegt das
nicht so sehr an den Verfassern als an den verworrenen Ver-
hältnissen des 4. jh.'s, dessen männer sich mit ihren ansichten
und empfindungen nicht so leichter band in bestimmte rubriken
glatt unterbringen lassen: wer das zu können vermeint, ist
sicher von der Wahrheit am weitesten entfernt. Wenn aber
K den titel meiner arbeit etwas mehr beachtet hätte, dann
wäre es nicht so schwer gewesen, einen richtigeren Standpunkt
für die beurteilung dei^selben zu gewinnen, von dem aus ihm
die dinge vielleicht auch weniger unklar und verschwommen
erschienen wären. Denn der titel drückt es deutlich genug
aus, dass es sich für mich zunächst und vor allem um die
bestimmung der zeit handelte, zu welcher die Goten den
arianismus angenommen haben, und erst in zweiter linie um
die kirchliche Stellung des Ulfllas. Ueber diese lässt sich
m. e. niemals einige Sicherheit gewinnen, ohne dass der über-
tritt der Goten zum arianismus zeitlich festgelegt ist. Wenn
meiner arbeit überhaupt irgendwelche bedeutung zukommt,
dann ist sie darin zu erblicken, dass sie die zeitgenössischen
nachrichten über das kirchentum der Goten mehr in ihrer
bedeutung würdigte als das bisher geschehen war. Und hier
grade wird jede weitere fördernde arbeit über den gegenständ
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572 josTES
einzusetzen haben: ich werde solche freudig begrüssen, mag
ich nun recht behalten oder nicht. Kauffmann aber setzt
sich grade über diesen punkt leichten fusses hinweg, vertieft
sich dafür um so mehr in die schwierigsten theologischen
Probleme, von denen er — trotz der weisen belehrungen, die
er mir zu teil werden lässt — doch nicht viel mehr versteht
als ich — und das ist bei weitem nicht genug. Wenn ich dem
*testamentum' des Ulfilas das symbolum des Basilius gegen-
über stellte, so hatte das lediglich einen negativen zweck,
nämlich zu zeigen, dass man aus dem stücke viel zu viel
Wesens gemacht habe.
Kauffmann gibt sich hinsichtlich der brauchbarkeit seines
dogmatischen materials ganz gewaltigen Illusionen hin: das
wird nächstens auch den auf diesem gebiete nicht bewanderten
klar genug werden, wenn er nämlich den versprochenen beweis
für den wulfilanischen bez. gotischen Ursprung des Opus im-
perfectum antritt. Er setzt ihn indes jetzt schon als aus-
gemacht voraus und zieht ihn sogar hier in die beweisfühi-ung
hinein, indem er schreibt: 4ch darf wol behaupten, dass durch
meine entdeckung eines gotischen, vermutlich von Wulflla
stammenden Matthäuscommentars (vgl. beilage zur Allg. zeit.
1897 no. 44) die ganze Streitfrage — namentlich auch mit
bezug auf die ausführungen von Jostes auf s. 182. 183 seiner
arbeit — erledigt ist'. (!) Diese petitio principii muss erst zu
etwas anderm werden, d. h. K. muss seine beweise für die —
übrigens schon bejahrte und keineswegs von K. entdeckte —
hypothese vorgebracht haben, bevor ihm zu antworten ist.
Grade an dieser seiner entdeckung wird sich zeigen lassen,
wie es mit der Solidität seiner ganzen beweisführung steht.
K. hält sich keineswegs immer zur sache, und bisweilen
scheint es sogar, als setze er bei mir motive voraus, die ausser-
halb der grenzen wissenschaftlicher forschung liegen: das wäre
weder schön noch recht! Ich fühi-e hier nur ein beispiel an:
4ch möchte gern wissen', schreibt K. s. 102, ^weshalb Jostes
diesen satz [in dem symbolum des Basilius {: og iv dgx^ ?/r
jtQog TOP d-sov)] ausgelassen hat. Mit dem Wortlaut des wul-
filanischen formulars {deum solum unigenitum) ist er jeden-
falls (!) nicht in einklang zu bringen'. Was ich damals in
jedem speciellen falle gedacht habe, weiss ich nicht mehr: im
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ANTWORT 573
allgemeinen habe ich mit den Streichungen nur bezweckt, die
entsprechenden Sätze der beiden symbola sich örtlich möglichst
gegenüber zu stellen, und nichts anderes. Nicht für mich ist
die auslassung charakteristisch, wol aber für Kauffmann der
anstoss den er an ihr nimmt, und zwar sehr charakteristisch;
denn er beweist, dass er sich ohne hinreichende kenntnis,
selbst in den elementarsten dingen, an die lösung der schwie-
rigsten aufgaben macht: die ausgelassenen worte sind nämlich
aus dem evangelium des Johannes 1, 2 genommen. Sapienti sat!
Weiteres werde ich vielleicht antworten, sobald Kauffmann
das Opus imperfectum dem Germanentum wissenschaftlich zu-
zuweisen versuchen wird. Da einmal etwas angetönt ist, will
ich übrigens ausdrücklich noch bemerken, dass ich aus guten
gründen meine Untersuchung wenigstens vorläufig nicht ver-
öffentlicht haben würde: nicht ich trage daran die schuld,
dass es geschehen ist, sondern — Sievers, und der wird von
all dem verdachte frei sein, der gegen mich schon auf-
gestiegen ist.
FREIBURG (Schweiz). FRANZ JOSTES.
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NOCH EINMAL GOTISCH ALEW.
Much hat Beitr. 17, 34 einen nenen weg zur erklärung
des sonderbaren gotischen al^v eingeschlagen. Nach ihm wäi-e
es das auf dem umweg über das keltische entlehnte altlateinische
*oleivo)7L Ebenso urteilen mit geringfügiger abweichung Solm-
sen, IF. 5, 344 f., Uhlenbeck, EtjTn. wb. d. got. spr. 9 und Kretsch-
mer, Einleitung in die gesch. d. griech. spr. 112. Die frage ist
wichtig genug, um hier noch einmal auf sie zurückzukommen.
In der debatte war zwar viel vom keltischen die rede, aber
immer in einer weise, als handle es sich um eine spurlos unter-
gegangene spräche. Sehen wir daher einmal nach, was tat-
sächlich vorliegt. 'Öl' heisst air. ola (der älteste beleg ist ind-
olachridnn olivae Würzb. cod. 5 b, 26), ncymr. olew, nbret. oleo{u\
Schon in der Grammatica celtica (s. 57) wird gerade got. aUic
neben die keltischen worte gestellt. Indess muss die frage,
ob sie eine gi'undform *olevo- vertragen, verneint werden. Wie
diese sich entwickelt haben würde, lässt das wort für gott
urkelt. *d^i;ö5 erkennen: dieses lautet (vom irischen selie ich
ab) ncymr. Dmv (aber meudwy 'eremit' = ir. mug De), nbret
Do(u)e, Ungezwungen können olew oleo(ti) nur auf ein "^oUio-
zuiückgeführt werden, auch ir. ola stimmt dazu. Ein *olevom
ist im altlateinischen ebenso wie im spät(vulgär-)lateinischen
einfach unerhört. Das klassische oleuyn hat zur nächsten Vor-
stufe "^oleium gehabt, die romanischen sprachen bezeugen eine
vulgäre ausspräche *oljum. Das v von ola olew ist daher
etymologisch wertlos, es ist ein im keltischen munde entstan-
dener gleitlaut. ola olew verhalten sich zu lat. oleum gerade
wie ciiithe = cymr. pydew 'grübe' zu lat. puteus (siehe dazu
Loth, Revue celtique 17, 425). Im gallischen wird das öl aller
Wahrscheinlichkeit *olevon geheissen haben. Kann das die
quelle von alew sein? Ich denke nicht. Weniger weil dann
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ZUPITZA, NOCH EINMAL GOT. ÄLEW. 575
gotisch e einem gallischen e entspräche. Dasselbe ist ja wol
in kelikn ^jtvQYO(;, dvciyaiov^ der fall, denn gallisch celicnon
(vgl. zum Suffix patronymica wie Druticnos, Toutissicnos,
Oppianicnos, Taranucnos, irische diminutiva wie duinen
'menschlein') gehört so gut wie sicher zu lat. celstis, columna
\LfkW. Aber das a von alei4? wäre bei so später entlehnung
sehr auffällig. Allen diesen betrachtungen lässt sich freilich
sehr leicht der boden entziehen. Man behauptet einfach, das
gallische habe das lateinische wort für öl eben schon früher
übernommen als die übrigen keltischen dialekte. Das lässt
sich natürlich ebensowenig widerlegen wie beweisen. Ihm
widerspricht aber alles, was wir über gallisch -irische und
gallisch -britannische handelsbeziehungen wissen oder doch
vermuten dürfen. Die Gallier waren die naturgemässen ver-
mittler zwischen Italien und ihren entfernter wohnenden
stammesgenossen. Ein directer handelsverkehr zwischen
Gallien und Irland ergibt sich, wenn man die angaben des
Tacitus Agricola 24 mit der tatsache combiniert, dass der Ire
mit Galt den fremdling überhaupt bezeichnet (vgl. Zimmer,
Zs. f da. 32, 236 anm. 1, Ueber d. frühesten berührungen d. Iren
mit d. Nordgermanen s. 2 anm. 1). Hätten die Gallier ein ^olei^on
besessen, so hätten sie nicht verfehlt, es ihren stammesgenossen
in Britannien und Irland zu übermitteln. Dann lag aber für
diese kein triftiger grund vor, später eine directe anleihe beim
lateinischen zu machen. Unmöglich, widerhole ich, ist Muchs
hypothese nicht, und ich kann keine bessere an ihre stelle
setzen. Es trägt jedoch zur klärung der anschauungen bei,
^venn man sich der Schwierigkeiten vollauf bewusst wird.
BERLIN. E. ZUPITZA.
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ZUR HERKUNFT DES DEUTSCHEN
REIMVERSES.')
In den vor kurzem erschienenen Philologischen Studien
(Festgabe für Eduard Sievers zum 1. october 1896. Halle 1896)
hat Saran in seinem aufsatze *Zur metrik OtMds von Weissen-
burg' auch über die herkunft des Otfridischen verses gehandelt
und ist dabei zur annähme gelangt, er sei eine Weiterbildung
des verses des altgermanischen lieds, also derselben form, von
der sich in vorhistorischer zeit der alliterationsvers abgelöst
hat, die aber nie ganz ausgestorben sein kann (s. 201 ff.). Möge
es mir gestattet sein, darauf hinzuweisen, dass ich wesentlich
dieselbe annähme bereits vor vier jähren ausgesprochen habe,
in Pauls Grundr. 2 a, 997 f. Der weg auf dem ich zu ihr ge-
langte, war allerdings ein ganz anderer. Die auffallenden
Übereinstimmungen zwischen dem englischen nationalen, d.h.
von romanischen einwirkungen freien reimvers mit dem deut-
schen Hessen mich, da eine unmittelbare entlelmung aus-
geschlossen ist, auf eine gemeinsame Urform schliessen, und
als solche ergab sich ungezwungen der vorhistorische alt-
germanische gesangsvei-s, den Sievers als Vorstufe des über-
lieferten alliterationsverses reconstruiert hat. Saran hat
offenbar meine ausführungen nicht gekannt; um so erfreu-
licher ist das zusammentreffen im ergebnis. Vielleicht darf
ich aber bei dieser gelegenheit die aufmerksamkeit der ger-
manisten auf die mittelenglische metrik überhaupt lenken,
deren mannigfaltigkeit in folge des Zusammentreffens sehr
verschiedenartiger Strömungen und einflüsse mir auch für den
nichtanglisten sehr lehrreich scheint.
GRAZ, 17. februar 1897. KARL LIJICK
[') In folge eines Versehens der redactiou verspätet zum abdruck ge-
langt. E. S.]
Halle a. S., Druck tou Ehrbardt Karraa.
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Verlag von Max Niemeyer in Halle a. S.
Benez^, E., Sagen und litterarhistorische Untersuchungen.
Heft 1/2. 1897. 8. Jt, 5,20
I. Das Traummotiv in der mittelhochdeutschen Dichtung
bis 1250 und in alten deutschen Volksliedern. ^^ 2,40
IT. Orendel, Wilhelm von Orense und Robert der
Teufel. Eine Studie zur deutschen und französischen
Sagengeschichte. .^ 2,80
Blanckenbnrgy C, Studien Über die Sprache Abrahams a
S. Clara. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Druck-
sprache im 17. und 18. Jahrhundert. 1897. 8. .J( 2,40
Braune, W., Althochdeutsches Lesebuch zusammengestellt und
mit Glossar versehen. 4. Auflage. 1897. gr. 8. Ji 4,50
Elster, E., Prinzipien der Litteraturwissenschaft. Bd. 1. 1897.
8. .4 9,00
Fürst, R., Die Vorläufer der modernen Novelle im achtzehnten
Jahrhundert. Ein Beitrag zur vergleichenden Litteratur-
geschichte. 1897. 8. .^ 6,00
Gothein, iM., John Keats. Leben und Werke. 2 Bde. 1897.
kl. 8. .A 10,00
Meier, J., Aeltere deutsche Grammatiken in Neudrucken.
IV. Die deutsche Grammatik des Albert Oelinger, heraus-
gegeben von Willy Scheel. 1897. kl. 8. ^5,00
Jacob, A., Die Glossen des Cod. S. Pauli. D/82. Dissertation.
1897. 8. j«. 1,20
Klage, F., Angelsächsisches Lesebuch zusammengestellt und
mit Glossar versehen. Zwc^ite verbesserte und vermehrte
Auflage. 1897. gr. 8. J«. 5,00
Holz, G., Laurin und der kleine Kosengarten. 1897. 8. Ji 7,00
Altnordische Sagabibliothek, herausgegeben von Gustaf
Cedcrschiöld, Hugo Gering und Eugen Mogk.
VI. Eyrbyggja Saga, herausgegeben von Hugo Gering.
1897. 8. .«8,00
Braune, W., Sammlung kuncer Grammatiken germanischer
Dialekte.
VIII. Altnordische Grammatik IL Altsehwedische Grammatik
mit Einsehluss des Altgutnischen von Adolf Noreen.
Erste Lii^ferung. 1897. 8. Ji. 3,60
Drmk \ on KhrliariJl Knrrua, Ilallv a. S.
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BEITRÄGE
zun
GESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSQEGEBEN
VON
EDUARD SIEYER8.
XXin. BAND.
HALLE A.S.
MAX NIBMEYEB
77/78 OR. STBINSTRA.8SB
1898
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INHALT.
S*it6
üeber Hartmann yon Aue. Von F. Saran 1
Anglosaxonica. IV. VonP. J. Gosijn 109
Die dehnong der mlid. kurzen stammsilbenTocale in den volks-
mnndarten dee hochdeutschen Sprachgebiets anf gnind der
vorhandenen dialektliteratnr. Von A. Bitzert 131
Kleine beitrage zur deutschen Wortforschung. Von B. Lieb ich 223
Zur altwestfriesischen lexikologie. Von W. van Helten . . . 232
Zu Beitr. 22, 543 ff. Von E. Zupitza 237
Gotes. Eine bemerkung zur altdeutschen Wortstellung. Von
I. Harczyk 240
Zum Narrenschiff. Von A. Goetze 245
Brunhildenbett. Von W.Braune 246
Aprikose. Von W. Hörn 254
Zu den labialisierten gutturalen. Von Th. Siebs 255
Ueber die ausgäbe der Bevers saga. Von G. CederschiSld . . 257
Grammatisches und etymologisches. Von H.Hirt 288
(I. Zum ablaut der sef-wurzeln: s. 288. — ü. Zur Vertretung
der labiovelare: s. 312. — IH. Zu den t-praesentien: s. 315.
— IV. Zur Chronologie germanischer lautgesetze: s. 317. —
V. Zum Spirantenwechsel im gotischen: s. 323. — VI. Zu den
germ. lehnwGrtem im slavischen und baltischen: s. 330. —
Vn. Etymologien: s. 351)
Studien zu BeinMed von Braunschweig. Von P. Gereke . . 358
Der o-umlaut und der Wechsel der endvocale a : i(e) in den alt-
nord. sprachen. VonA. Kock 484
(I. Der Wechsel der endvocale a : «(e): s.484 [Excurs 1:
Der Wechsel u: o im part. pass. der ostnord. sprachen : s. 503.
— Excurs 2: Zur frage nach dem palatalumlaut: s. 506]. —
n. Zur frage nach dem a-umlaut von u in den altnord.
■^I^ Digitized by VjOOQIC
IHHALT.
Sprachen : s. 514'[Sx(nin!4He behandlimg des germ. diphthongs
eu und der Wechsel iü : io in' den altnord. sprachen: s. 532].
m. Znr tege .nach dem a-nnÜAUt yon t in den altnord.
sprachen: 's. 544)
Die chronolpgie des ftbergangs yon^genn. e zn « yor v -}' ^f 9* X-
Von K. Helm* .:%'••••''• • 556
Meerrettich. Von J. Hoops 559
Wcrwolf. Von A. S. Napier 671
Zun Opns imperfectom. Von W. Streitherg 674
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Ausgegeben den O. Februar 1898.
BEITRÄGE
ZUB
GESCHICHTE DER DEpSCHEN SPRACHE
UND LITERATüi
UNTER MITWIBKUN6 VQN
HEBMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HBRAUSQEOEBEK
VON
EDUARD SIEYER8.
XXin. BAND. 1. HEFT.
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/78 QR. STEINBTRASSB
1898
Die herren mitarbeiter werden gebeten, zu ihren manuseripten
nur lose quartblätter zu verwenden, nur eine seite zu be^vi^
schreiben und einen breiten rand freizulassen.''^ '""^^y^'^'^ö^^
INHALT.
Seite
üeber Hartmann von Aue. Von F. Saran 1
Anglosaxonica. IV. Von P. J. Cosijn 109
Die dehnung der mhd. kurzen stammsilbenvocale in den volks-
mundarten des hochdeutschen Sprachgebiets auf grund der
vorhandenen dialektliteratur. Von A. Ritzert 131
Kleine beitrage zur deutschen Wortforschung. Von B. Liebich 223
Zur altwestfriesischen lexikologie. Von W. van Helten . . . 232
Zu Beitr. 22, 543 ff. Von E. Zupitza 237
Gotes. Eine bemerkung zur altdeutschen Wortstellung. Von
I. Harczyk 240
Zum Narrenschiff. Von A. Goetze 245
Brunhildenbett. Von W. Braune 246
Aprikose. Von W. Hörn 254
Zu den labialisierten gutturalen. Von Th. Siebs 255
Zur nachriebt!
Es wird gebeten, alle auf die redaction der 'Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
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UEBER HARTMANN
Die ergebnisse meiner dissertation 'Hartmann von Aue als
lyi'iker' (Halle 1889) sind in den letzten jähren von verschie-
denen selten her angefochten worden. F. Vogt hat in einer
eingehenden besprechung (Zs.fdph.24,237) mancherlei bedenken
erhoben. Andere machte dann E. Henrici im Jahresber. fc
germ. phil. 13, 263 geltend, und neuerdings hat noch A. Schön -
bach in seinen Untersuchungen über Hartmann von Aue (bes.
s. 343 ff.) meine arbeit einer scharfen kritik unterzogen.
Obwol ich trotzdem nach wie vor überzeugt bin, dass die
resultate meines buches in allem wesentlichen unerschüttert
stehen, so wiegt doch nicht weniges von dem was jene gelehrten
beibringen, schwer. Es sind von ihnen, besonders von Vogt,
in der tat mängel meiner beweisführung bloss gelegt worden,
so dass eine ergänzung am platze ist, wenn anders die ergeb-
nisse der arbeit bestehen bleiben sollen.
Aus anderen gründen empfiehlt es sich, die Untersuchung
überhaupt noch einmal aufzunehmen, wenigstens zum teil.
Diese gründe sind vorzugsweise rhythmischer natur. Ich
stand 1889 in dieser beziehung auf einem Standpunkt, den ich
jetzt nach mehrjährigem Studium der musikalischen und
poetischen rhythmik als ungenügend erkannt und darum ver-
lassen habe. Aendert sich auch — wie ich vorweg bemerken
will — bei der neuen, richtigeren betrachtung an dem schluss-
resultat nichts von belang, so ist es doch notwendig, bei
besserer einsieht das frühere nachzuprüfen.
Ich habe in meiner schrift von 1889 nachzuweisen ver-
sucht, erstens eine Chronologie der lieder Hartmanns und des
ersten büchleins (H.'s klage), zweitens die unechtheit des so-
genannten zweiten büchleins, des künstlichen Schlusses des
ersten und weniger lieder, die schon andere vor mir beanstandet
Beitrftge nx gatohiohta dex deattchan tprsohe. XXUI. 1
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2 8ABAN
haben. Diese ergebnisse zu sichern werde ich im folgenden
meine frühere Untersuchung ergänzen, wo es nötig ist, und
verteidigen, wo ich gegenüber Vogt, Henrici und Schönbach
im recht zu sein glaube.
Die lieder.
I. Zur kritik und erklärung.
Vogt tadelt a. a. o. s. 241 die weitgehende Zerlegung, die
ich mit den liedem Hartmanns vorgenommen habe. In der
tat ist das was ich H. v. A. s. 5 ff. darüber vortrage, einzu-
schränken und zu berichtigen.
Schon Lachmann hat zu Walther 53,33 und 74,20 da-
rauf hingewiesen, wie schwer es ist, aus den Strophenreihen
die die handschriften überliefern, lieder mit einleuchtendem
gedankenfortschritt herzustellen. Dann hat besonders Wil-
manns, Zs. fda. 13, 229 ff. auf diesen punkt geachtet: er zerlegt
einige der lieder Walthers, die Lachmann angenommen, wider
in einzelne von einander unabhängige Strophen. In seiner
ausgäbe des dichters (2. aufl.) s. Ol sagt er darüber: 'freilich
stehen zuweilen einzelne Strophen mit anderen desselben
tones nicht in unmittelbarem, engeren Zusammenhang, aber
sie können doch zugleich mit diesen entstanden und vor-
getragen sein. Der fall, dass zwei selbständige in sich ab-
geschlossene lieder nach derselben weise gehen, begegnet nur
einmal: 63, 8 und 112, 17'. Nur zuweilen also fehlt nach Wil-
manns der Zusammenhang. Dies und der umstand, dass es
Lachmann öfters für nötig hält die fiberlieferten Strophen
gegen alle handschriftliche autorität^ rein nach eigenem er-
messen anzuordnen, und dass dann Wilmanns mehrfach solche
lieder Lachmanns wider zerschlagen muss, beweist, dass beide,
Lachmann sowol als Wilmanns, an die reihe der überlieferten
Strophen eines tones zunächst den massstab dessen anlegen
was man heutzutage unter einem liede versteht. Andernfalls
hätten versuche sie zu ordnen keinen zweck. Offenbar fordert
Lachmann für die Strophen eines tones inneren Zusammenhang
und gedankenfortschritt. Wo sich ein solcher aus der über-
lieferten folge nicht ergibt, sucht er durch Umstellung nach-
zuhelfen. Erst wenn auch dies mittel vei-sagt, entschliesst er
sich, solche Strophen von den andern zu trennen. Diese f&lle
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UEBEB HABTMANN VOK AUE. 3
werden im druck durch breiten Zwischenraum kenntlich ge-
macht.
Er und Haupt verfahren in MF. ganz ebenso. Ich glaube
nicht dass man beider absiebten verkennt, wenn man annimmt:
die Strophen eines tones welche im druck eng an einander
geschlossen sind, soll der leser als einheitliches lied mit be-
stimmtem gedankenf ortschritt ansehen, wenn dieser auch oft
schwer zu erkennen sein mag. Nur diejenigen Strophen stehen
ausserhalb des Zusammenhanges, welche auch im text isoliert
bleiben. Vgl. Hartm. 206, 10. 208, 32. 210, 35—211, 8.
So fassen auch diejenigen die Sachlage aui^ die im anschluss
an MF. Untersuchungen angestellt haben. Denn die zahlreichen
vorschlage, hier die Strophenordnung zu verändern, dort eine
oder mehrere Strophen selbständig zu machen, haben doch nur
dann einen sinn, wenn ihre Urheber von eben den Voraus-
setzungen ausgehen, die ich oben betreffe der ausgäbe an-
genommen habe.
Gerade diese tatsache nun, dass so häufig anlass ist, über
umfang und gedankengang von minneliedem zu schwanken,
lehrt, dass Lachmanns und Haupts ausätze nicht Überall über-
zeugen, dass nicht immer ein gedankenfortschritt in den
Strophen aufgefunden werden kann, die der text von MF. in
der weise eines liedes zusammenstellt. Diese erkenntnis hat
Paul zu der ansieht geführt, die er Beitr. 2, 510 ff. ausspricht.
Er macht hier den mangel an innerem gedankenfortschritt
geradezu zum princip der mhd. lyrik. 'Die lieder Eeinmars
wie die der meisten minnesinger haben in der regel keine
durchgeführte gedankenentwickelung. Ein logischer Zusammen-
hang zwischen den einzelnen Strophen ist sehr oft kaum oder
gar nicht zu bemerken, jede Strophe könnte für sich ein ganzes
bilden, woher es auch kommt, dass die hss. in der Strophen-
ordnung so oft von einander abweichen.* Wenn wir überall
da, wo der Zusammenhang fehlt, teilen wollten, so würden wir
noch eine menge einstrophiger lieder bekommen. Aber schwer-
lich würde dies verfahren richtig sein. Wir müssen vielmehr
annehmen, dass auch solche eines inneren Zusammen-
hanges entbehrende Strophen doch äusserlich zu
einem liede aneinandergereiht waren, d.L zusammen
vorgetragen wurden. Ueber den umfang und die grenzen
1*
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4 8ABAN
eines solchen liedes in jedem einzelnen falle zu entscheiden,
haben wir kein mittel mehr.'
Das was die Strophen zu liedem zusammenhält, ist also
nach Pauls ansieht mehr der äussere umstand dass sie zu-
sammen vorgetragen wurden, als das band des gedankens.
Die gleichheit in strophenbau und melodie hat seiner meinun^
nach mindestens eben so grosse bedeutung für das verketten
einzelner Strophen zu einem ganzen wie der inhalt. Vgl. auch
Paul, Waltherausgabe 2, einl. s. 24. Schönbach, Untersuchungen
s. 357 stimmt ihm darin bei. Folgerechter weise hätten unter
diesen umständen anordnungsversuche nur sehr bedingten wert
Wie weit Pauls ansieht richtig ist, kann nur die durch-
arbeitung eines grossen materiales ergeben. Jeder minnesinger
muss einzeln darauf hin geprüft werden. Für Hartmann bin
ich jedenfalls in der annähme von völlig selbständigen einzel-
strophen zu weit gegangen. Ich glaube jetzt, dass Zusammen-
hang von Strophen eines tones beabsichtigt sein kann, auch
wenn ein eigentlich logisch greifbarer fortschritt der ge-
danken nicht zu finden ist. Ich halte es darum nicht für richtig,
dass Bech in der dritten aufläge seines zweiten bandes meinem
Vorgang öfters genau folgt und die Verbindung in mehreren
tönen auch äusserlich gänzlich löst. Er versieht Strophen die
ich abgesondert habe, mit besonderen nummern und einleitungen
(z. b. 211, 2 ff. 206, 19 ff. 205, 1 ff. 209, 25 ff.) und verleiht ihnen
dadurch grössere Selbständigkeit als der dichter wirklich
gewollt.
Dass die weitgehende Zerlegung der töne von MF. zu
unwahrscheinlichen consequenzen führen würde, habe ich
übrigens selbst schon während des druckes meiner arbeit er-
kannt und darum die im text vorgetragene ansieht nach-
träglich in einer anmerkung etwas verändert (H. v. A. s. 13
unten). Ich schlage. dort für Strophenreihen, deren glieder
sich im inhalt folgerichtig aneinander anschliessen, gegen
einander also unselbständig sind, den namen Strophenkette
vor. Solche deren glieder, wenigstens gegen einander, selb-
ständig sind und nur durch die beziehung auf ein gemeinsames
thema zusammen hängen, nenne ich strophenkreis. Die
Zusammengehörigkeit muss in allen fällen kenntlich gemacht
werden; zum besseren Verständnis würde es aber dienen, wenn
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UEBEB HARTMANN VON AUE. 5
sich ein nicht zu auffallendes mittel finden liesse, fügungen
der zweiten art auch im druck anzudeuten. Der leser bleibt
dann über den mangel streng logischer folge keinen augen-
blick im zweifei und verliert seine zeit nicht mit unnützen
constructionen.
Es ist zweckmässig, einmal rein theoretisch die Verhält-
nisse aufzustellen, welche im Inhalt zwischen den Strophen
eines tones obwalten können. Wie viele von diesen logischen
möglichkeiten wirklich praktische bedeutung haben, kann nur
die einzelforschung ermitteln. Es sind folgende.
I. Die Strophen eines tones enthalten einen durch-
laufenden gedankengang (strophenketten).
a) Die gedanken schreiten streng an einander geschlossen
vorwärts, eine Strophe nimmt den gedanken da auf, wo ihn
die vorausgehende hat fallen lassen. So MF. 218, 5 oder Walth.
39, 11. Jede einzelne Strophe ist also in hohem grade unselb-
ständig.
b) Die Strophen geben gleichsam nur die hauptmomente
einer handlung, eines gedankenganges oder Stimmungsverlaufes.
Das dazwischen liegende ist als minder wesentlich fort-
gelassen, kann aber bei aufmerksamer lectüre ergänzt werden.
Auch hier ist ein regelmässiger fortschritt vorhanden, nur dass
er nicht continuierlich, sondern sprungweise erfolgt.
Die Strophen solcher reihen sind gegen einander minder
unselbständig, sie können sogar, isoliert betrachtet, oft ab-
geschlossen scheinen.
Zu dieser kategorie gehören z. b. Wechsel wie MF. 4, 17.
8, 1 — 9, 29. Beispiele bei Hartmann werde ich unten erörtern.
c) Formen die sich aus a) und b) mischen. Hier sind
combinationen verschiedener art denkbar.
n. Die Strophen eines liedes enthalten keinen durch-
laufenden gedankengang (strophenkreise).
a) Die Strophen sind ihrem inhalt nach völlig unabhängig
von einander. Jede hat ein besonderes thema. Dass fälle
dieser art vorkommen, ist mir etwas zweifelhaft. Schwerlich
hat je ein minnesinger Strophen von ganz heterogenem inhalt
in ein lied zusammengepfercht.
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6 SABAK
b) Die Strophen sind völlig selbständig und abgeschlossen,
entspringen aber insgesammt demselben ereignis oder derselben
Stimmung. Im übrigen ist der Inhalt verschieden, ein gemein-
sames thema nicht nachweisbar. Strophenreihen des Schemas
a) und b) könnte man 'aggregate' nennen.
c) Die Strophen sind formell völlig selbständig und ab-
gerundet, behandeln aber alle denselben grundgedanken. Sie
sind gleichsam Variationen über ein bestimmtes thema. Diese
art ist mit Ib nicht zu verwechseln: dort bilden die Inhalte
der Strophen eine fortlaufende reihe, nur dass die vermittelnden
gedanken nicht ausgedrückt werden; hier in IIc bilden sie
keine reihe und gibt es keine gedankenvermittlung zwischen
ihnen. Theoretisch wäre ihre anordnung gleichgiltig, nur dass
sich in solchen tönen gewisse Strophen besser zur einleitung,
andere besser zum abschluss eignen. Trotz innerer Unabhängig-
keit braucht also doch die Stellung der einzelnen Strophe nicht
willkürlich zu sein. Beispiele für diesen fall sind häufig.
Einige auch bei Hartmann.
d) Mischformen; z. b. von drei Strophen hängen 1 und 2
nach c zusammen, no. 3 ist selbständiger, 2 : 3 dabei nach
a oder b.
in. Kreuzungen von I und n.
Ich zähle nur einige fälle auf:
a) Von 3 (5) Strophen können 1 — 2 (1—4) nach la oder
Ib logisch zusammenhängen, no. 3 (5) ist loser damit nach IIa,
b oder c verknüpft.
b) Von 6 Strophen können 1—3, 4 — 6 oder 1 — 4, 5 — 6
nach I oder 11 in sich als zwei gruppen zusammenhängen, in
dem ton aber als kleine ganze doch nach IIa, b oder c aos-
einanderf allen u.s.w.
Ueber die art des Zusammenhangs kann zunächst nur die
schärfste teitinterpretation auskunft geben. Die reihen-
folge in den hss. ist immer mit vorsieht aufzunehmen. Es
gibt aber doch noch eine reihe von kennzeichen, die das ge-
schäft der Strophenordnung sehr erleichtem können. Hierher
gehört die erscheinung der responsion, auf die Er. Schmidt,
Reinm. v. Hag. s. 6 ff. und dann mit nachdruck Burdach, Eeinm.
u. Walth. s. 84 ff. hinweist. Vgl. H. v. A. s, 6 ff. Femer die
Strophenverkettung, über die Giske, Zs. fdph. 20, 189 ff.
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ÜEBEB HABTM A9K VON AUE. 7
handelt. Eis kommen rein formale kriterien dazu. Körner
weist Giske Zs. fdph. 18, 57 ff. nach. Eefrain findet sich ge-
legentlich. Auf analyse des Inhalts und der gedankenent-
wicklung darf aber nie verzichtet werden, wie das z. b. Giske
allzu sehr tut.
Auch die anzahl der in einem ton vereinigten Strophen
scheint keineswegs gleichgiltig zu sein. Es ist schon oft ge-
sagt worden, dass in der späteren zeit des deutschen minne-
sangs mit Vorliebe lieder von 3, 5 oder 7 Strophen gedichtet
seien, eine regel die nach Wackemagel aus der frz. kunstlyrik
übernommen sein soll (Wackemagel, Lit.-gesch. 1', 298. Afrz.
lieder und leiche 124. 224). v. d. Hagen bemerkt darüber MS. 1,
einl. s, 33, meister Konrad habe fast lauter gedritte lieder,
Nifen und Wintersteten fast ebenso viel gefünfte, Lichtenstein
meist gefünfte und gesiebente. 'Manchmal vervollständigen sich
die zahlen durch vergleichung der hss., und die manessische
lässt häufig gerade so viel räum für das fehlende'. Auch die
meistersänger bevorzugen lieder von drei und fünf Strophen.
Vgl. J. Grimm, Meistergesang s. 46. 47.
Die gewohnheit der manessischen hs., platz zu lassen, wo
ein ton weniger als fünf oder drei Strophen umfasst, hat man
bereits benutzt, um an der Überlieferung kritik zu üben. Vgl.
Haupt, vorrede zu Nifen. W. Uhl, Unechtes bei Neifen, Gott,
diss. 1888. Vgl. darüber rec. Vogt, Zs. fdph. 24, 247 ff. Mir ist
nur so viel wahrscheinlich, dass die Schreiber der hs. C der
meinung waren, drei oder fünf Strophen sei der reguläre um-
fang eines liedes. Da sie aus erfahrung wussten, wie weit
einzelne Strophen solcher lieder im laufe der zeit versprengt
werden konnten, so Hessen sie hinter tönen von geringerem
umfang platz für künftige nachtrage, gewis oft mit unrecht,
oft mit recht. Jene regel werden sie aus der poetischen
tradition geschöpft haben, und ihre bedeutung scheint in der
tat grösser gewesen zu sein als man jetzt meint, nicht nur
für die späteren minnesinger, sondern auch für die früheren.
In Walthers minneliedem (vgl. Pauls ausg. abt. 1) z. b. über-
wiegen die lieder von drei, fünf und sechs (3 + 3, 4 + 2?)
Strophen entschieden. Wie es scheint auch bei Reinmar. Man
wird auch an Scherers fünfergi-uppen beim anonymus Spervogel
denken. Ich bin überzeugt, dass man bei benutzung aller dieser
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8 SABAN
mittel noch zn bestimmten grundsätzen hinsichtlich der Strophen-
folge kommen wird. Es scheint — die folgende untersnchnng
wird das bestätigen — gewisse typen für die weise des strophen-
znsammenhanges im lied zu geben, die es im einzelnen nach-
zuweisen gilt. Natürlich mnss die Untersuchung für jeden
Sänger besonders geführt werden. Für Hartmann möge sie
hier folgen.
M. e. enthalten folgende lieder Hartmanns sicher einen
wirklich folgerechten gedankengang: MF. 209, 5 (2 Strophen).
212,37 (3). 214,12 (2). 216,1 (4). 216,29 (3). 217,14 (3). 218,5 (3).
Diese sieben töne wären also Strophenketten. Man beachte,
dass davon die mehrzahl, nämlich vier, dreistrophig ist. Von
allen anderen Strophenreihen habe ich in meinem buch be-
hauptet, dass sie keinen erkennbaren gedankenfortschritt auf-
wiesen. Vogt widerspricht dem und bespricht zunächst aus-
führlich ton III (207, 11 ff.): H. v. A. s. 11 ff.
Die Strophen dieses tones werden in folgender Ordnung
von den hss. überliefert:
MF.
208,8
207, 71
207, 35
208, 32
207, 23
208, 20
Vogt erkennt an, dass die reiheufolge in MF. nicht befriedigt
und stellt eine neue her, in der er logischen gedankenfort-
schritt findet. Er ordnet MF. 207, 11. 207, 35. 208, 8. 207, 23.
208,20. 208,32. Aber schon 207,11 und 207,35 lassen sich
auf keinen fall verbinden.
In jener Strophe nimmt der dichter ein früher gegebenes
versprechen zurück, seiner dame immer leben zu wollen. Er
hat, wie er versichert, sein herz von ihr genommen; jenes ver-
sprechen bezeichnet er nun als tuniben antheiz, den er noch
rechtzeitig aufgegeben, ehe ihm das vergebliche werben siner
järe, d. i. wol seiner Jugendjahre (Schönbach s. 284) gänzlich
beraubt habe. Von nun an will er einer andern seinen dienst
zuwenden.
Stimmung und gedanken dieser worte kann man unmög-
lich anders verstehen, als dass sich Hartmann soeben (für dise
c
B
A
5
3
—
6
4
7
7
5
—
8
—
10
9
6
8
to
9
9
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UEBEB HARTMAKN VON AÜE. 9
zitl 207, 21) von seiner dame losgesagt hat. Ob er es wirklich
und namentlich offenkundig getan, ob er nur in augenblicklicher
erregung für sich den entschlnss gefasst, ob er alles nur fin-
giert, ist eine andere frage.
Die Verbindung der Strophe mit 207, 35 stellt nun Vogt
folgendermassen her: 'man darf mich deshalb nicht treulos
schelten'. Den Inhalt der letzteren umschreibt er mit den
Worten: 'untreue war mir stets verhasst; lediglich meine treue
hat mich nicht schon eher, so viel ich auch zu leiden hatte,
aus ihrem dienste scheiden lassen. Jetzt schmerzt mich, dass
sie mich ohne lohn lassen will'. Vogt legt Hartm|tnn damit
den etwas spitzfindigen gedanken in den mund: 'ich bin des-
wegen nicht untreu: im gegenteil, ich bin sehr treu, denn
sonst hätte ich ihr schon längst den dienst gekündigt'. Ich
bezweifle aber, dass dies der sinn der strophe ist. Zunächst
ist e V. 38 nicht überliefert, sondern zusatz von MF. Der
sinn fordert die partikel keineswegs, und darum hat man es
wider zu streichen. Ich übersetze: 'ich bin der untreue immer
feind gewesen (sc. und bin es noch). Und doch würde mir
untreue, wollte ich untreu sein, weit mehr vorteil bringen als
der umstand, dass mich meine treue, die mir befohlen in ihrem
dienst zu verharren, nicht hat von ihr scheiden lassen'. D. h.
untreue würde mir nützlicher sein als meine beständigkeit in
ihrem dienst. Es folgt der grund. 'Es bringt mir nämlich
nun schmerz, dass sie mir nicht lohnen will'. 'Aber trotzdem',
fährt er fort, 'werde ich bloss gutes von ihr sagen'.
So kann doch nur einer sprechen, der seiner dame seit
langem — wenn auch ohne lohn — treu und ergeben dient
und der das einseitige minneverhältnis trotz trüber erfahrungen
weiter fortsetzen will. Was bedeutet v. 38 ff. anders als die
behauptung unwandelbar treu geblieben zu sein? Nun hat
sich aber der dichter von 207, 11 soeben von der dame los-
gesagt, wenigstens in diesem poetischen erguss. Also ist es
unmöglich, mit Vogt in 207,35 die unmittelbare und genaue
fortsetzung von 207, 11 zu sehen. Beide Strophen sind zudem
in der Stimmung ganz verschieden. Die erste ärgerlich und
fast grob, diese resignierend und sentimental.
Auch die erklärung die Vogt von 208, 20 ff. gibt, kann
ich mir nicht aneignen. Er schreibt 208,23 gegen die über-
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10 8ABAK
lieferung (A tröstet, BC trcestet) tröste. Aber die ändemng ist
nur für den nötig, der alle Strophen dieses tones zu einer
Strophenkette von enger bindung vereinigt und sie mit einer
aufkündigung beginnen lässt. Für den sinn der Strophe an
sich ist sie überflüssig. Diese schildert, wie 207, 35, eine
gegenwärtige Stimmung. Ich übersetze also: 'mir sind die
jähre die ich ihr gewidmet habe, durchaus nicht verloren.
Denn ist mir auch minnelohn von ihr bis jetzt nicht zu teil
geworden, so gibt mir doch angenehme hof&iung darauf trost.
(Daran kann ich mir genügen lassen.) Ja auch meine wünsche
würden sich sogar nicht höher versteigen als dazu dass ich
sie nach wie vor als meine dame bezeichnen, d. i. als dass ich
mich nach wie vor als ihren diener betrachten dürfte. Es
stirbt ja mancher mann, ohne dass ihm je erhörung zu teil
wird, nur immer hoffend, es werde doch noch geschehen —
und diese hoffnung genügt ihn froh zu machen'. Die Zeilen
24—26 enthalten einen gedanken, der den von 23 noch über-
bieten soll. Zu als e (^ so wie früher) ist nicht mit Heinzel
s. 127 anm., Vogt und H. v. A. s. 12 anm. 1 'wider' sondern
'jetzt' zu ergänzen. Bei jener auffassung wäre das Verhältnis
gelöst und alsdann hätte v. 23 keinen sinn: lieber wän wäre
dann eben ausgeschlossen. Auch würde diese lesart voraus-
setzen, dass dem dichter das Verhältnis angesagt ist. Davon
steht aber in dem ganzen ton kein wort: im gegenteil, überall
wird vorausgesetzt, dass aufhören oder fortsetzen des dienstes
im belieben des dichters liegt (207, 11 ff. 208, 32 ff.) und dass
die dame den dienst hinnimmt (208, 12 ff.), ohne freilich gnade
zu üben.
Bei meiner erklärung der beiden Strophen ist der dichter
von seinem in 207, 11 kund gegebenen entschluss längst zurück-
gekommen. Man kann nicht bescheidener wünschen als es
der dichter in 208, 24 ff. tut. Damit ist nun aber wider die
Strophe 208, 32 ff., in welcher jene erste ausdrücklich wider-
rufen wird, für einen genauen gedankenzusammenhang nicht
passend. 208, 20 würde offenbar besser dahinter als davor stehen.
Somit scheint mir diese neue anordnung und erklärung
Vogts ebenso wenig haltbar als die zahlreichen andern, die
vorgebracht sind. Gleichwol enthält der sehr ansprechende
gedanke den Vogt seiner darlegung zu gründe legt, einen
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UXBEB HARnCAKN VON AÜE. 11
berechtigften kern. Vogt meint nämlich, Hartmann schildere in
diesem ton, wie er — freilich nur in gedanken — von der
aufkündigung aus durch eine Stufenleiter versöhnlicher betrach-
tungen hindurch zur förmlichen zurücknähme jener aufsage
gefuhrt sei
Die sechs Strophen darf man nämlich nicht, wie ich früher
getan, schlechthin isolieren, sondern sie ordnen sich, wie ich
jetzt glaube, dem inhalt nach in zwei gruppen von je drei.
Die erste gruppe umfasst MF. 207,11. 208,32. 208,20, die
andere 208,8. 207,35. 207,23.
Die Strophenordnung in der ersteren dürfte so wie ich
sie gegeben, sicher sein. 207,11 fällt sicher vor 208,32, weil
sich diese auf jene bezieht (207,22 : 209,4). Auch sonst
nimmt die zweite Strophe auf die erste bezug. Dort wird als
grund dafür dass der dichter sich von der dame abgewendet
hat, angegeben: ein so vergebliches werben raube dem mann
seine besten jähre:
der läse in (sc den tumben anthei^) k der tage
§ in der strlt
beronbe sfner j&re gar.
Hier wird dies ausdrücklich zurückgenommen und dabei das
gegenteil behauptet:
208, 37 ff. swer yon der siner strebet,
der babe im daz;
in betr&get siner j&re tu (so die /ws.),
d.h. wer von seiner dame loszukommen trachtet, der mag es
tun; seine Jugendjahre werden ihm sehr freudlos dahinfiiessen.
Wahren genuss seines lebens hat man eben nur im minne-
dienst. Vgl. 2. Büchl. 65 ff. Uebrigens erklärt Naumann s. 47
den vers 208, 36 nicht richtig. Vgl. dazu 205, 26. Die dame
lebt so, dass sie nur auf ihren guten ruf bedacht ist. Sie will
sich nur nicht compromittieren und darum allein versagt sie
dem dichter ihre gunst.
Die gedanken dieser strophe 208, 32 kehren nun in 208, 20
wider. So
208,20 mir sint diu j&r yil anverlorn
diu ich an si gewendet bän, -
d. h. meine jähre, die ich im minnedienst wenn auch vergeblich
verbracht habe, sind nicht unnütz angewendet. Auch ich habe
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12 SABAN
die freude, die sich ein mann wünscht, wenn auch nur als teän
und gedinge. 208, 24 ff. weist auf 208, 32 f. zurück, wo in v. 33
die zu betonen ist: 4hr und keiner anderen zu ehren'.
Diese drei Strophen lassen sich nun in der tat als ein lied
(strophenkette Ib) auffassen, durch welches sich der gedanke
hinzieht, den Vogt als thema des ganzen tones angibt. Drei
hauptmomente eines Stimmungsverlaufs werden herausgehoben
und dargestellt, die verbindenden mittelglieder fehlen. 207, 11 ff.:
irgend etwas erregt den dichter, er widerruft im zom sein
versprechen *ihr' immer zu dienen, er nimmt sein herz zurück,
das er ihr geschenkt hat. Der dienst scheint ihm eine torheit
die dem jüngling seine schönsten jähre kostet. Von nun an
will er einer anderen dienen. Diese Stimmung hält nicht
lange an. Er sieht ein, dass die dame nicht anders handeln
kann, wenn sie ihren ruf nicht aufe spiel setzen will, dass sie
ihn nicht hasst, sondern sich bloss nicht compromittieren will.
Nun widerruft er. 208,32: nicht einer anderen (anderstcar)
will er dienen, sondern eben der der er bisher gedient hat.
Er ist nun überzeugt, dass sie nicht launisch handelt, sondern
nicht anders kann. Nun ist der dienst nicht mehr eine tor-
heit die die Jugend raubt, sondern es wird im einklang mit
den andern minnesingern behauptet, nur im minnedienst
könne der mann seiner Jugend froh werden. Es ist nicht
mehr klugheit, solchen gelübdes sich zu entledigen (207, 15 ft),
sondern falschheit (209, 1 ff.): so kommt er zu der erklänmg
209, 4 von ir ich niemer kometi wil (vgl. 207, 11).
Man sieht, beide Strophen sind in ihren gedanken einander fast
genau entgegengesetzt.
Die letzte 208, 20 begründet nun den neuen entschluss
und geht schwärmerisch ebenso weit über das rechte hinaus,
als die erste ärgerlich dahinter zurückgeblieben war. Die
Jugendjahre, deren Verlust 207, 18 beklagt wurde, sind nicht
verloren. Hat der dichter auch keinen lohn von der geliebten
empfangen, so hat er doch als tröstliche freude noch immer
die angenehme aussieht auf erhörung, in der ihn der dienst
erhält. Damit erklärt er alle seine wünsche für erfüllt, Ja
er würde, wenn man ihm einen wünsch freistellte, nichts
weiter begehren als eben die fortdauer dieses schon lange
bestehenden Verhältnisses. Gehe es doch auch vielen anderen
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UEBBR UABTMANK VON AUE. 13
nicht besser, als dass sie nur wahnfreude genössen — und
doch w&ren sie befriedigt.
Dieser gruppe steht die der übrigen drei Strophen ganz
selbständig gegenüber. Die hss. lassen sie in der Ordnung
208, 8. 207, 35. 207, 23 folgen und es ist nicht nötig dieselbe
zu ändern. Denn die drei Strophen gleichen sich im inhalt
so sehr, dass ich wenigstens darin keinen logischen gedanken-
fortschritt erkenne. Sie bilden m. e. einen strophenkreis (II c,
oben s. 6). Das thema, das dreimal variiert wird, lautet: ob-
wol sie mir lohn versagt und mir dadurch leid antut, will
ich ihr nicht böses mit bösem vergelten. Die beiden ersten
Strophen bringen es negativ, die letzte wendet es positiv.
Besonders ähnlich sind 208,8 und 207,35. Sie enthalten
die gedanken
208,8—11 vgl. 208,4: ich werde nichts böses von ihr
ausbringen.
208, 12—15 vgl. 207,38—208,3: ich diene ihr treu, aber
sie lohnt mir nicht.
208, 16—19 vgl. 208,5—7: die schuld ist mein.
Die dritte Strophe enthält den letzten gedanken nicht. Ihre
beiden ersten Zeilen (207,23.24) fassen den zweiten kurz zu-
sammen, aller nachdruck liegt auf der positiven Versicherung :
ich werde böses mit gutem vergelten. So schliesst die Strophe
mit einem heileswunsch für die geliebte und ist darum zum
abschluss der gruppe sehr geeignet.
Es enthält also meiner ansieht nach ton III eine strophen-
kette und einen strophenkreis. Jede dieser gruppen besteht
aus drei gliedern, von denen wider die beiden ersten durch
parallelismus oder contrastierung der gedanken enger zu-
sammenhängen, also nach dem Schema (1 + 2) + 3 oder 1, 2. 3.
Was ich über abweichende Voraussetzungen in den ein-
zelnen Strophen des tones II (206, 19 ft) H.v. A. s. 9 t vor-
bringe, hält Vogt für unzutreffend, ohne freilich sein urteil
zu begründen. Ich habe in der tat die Situation der Strophe
206,29 unrichtig aufgefasst, wenn ich sage: *in ihr wird bei
der dame, von der der dichter wol durch merkcere fem gehalten
wurde, ein gewisses wolwoUen vorausgesetzt'. Dies liegt nicht
in den worten. Die Strophe schildert nur die besondere art,
wie der dichter der dame seine gedanken offenbaren muss.
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14 SARAN
Er muss sich, wenn er ihr sein leid klagen will, des liedes
bedienen, da ihm persönliche ausspräche nicht möglich ist.
Was diese verhindert, wird nicht gesagt, aber v.32 'nun ist
mir das glück nicht so hold, dass ich ihr meine gesinnung
selbst darlegen könnte' kann sich verbunden mit v. 35ff. wol
nur auf räumliche trennung beziehen, die vielleicht rein
äussere gründe hat. Von merkern wird nichts berichtet. Man
übersetze also: ^könnte ich der schönen, was ich empfinde, so
wie ich wünsche d.i. persönlich sagen, so Hesse ich meinen
sang. Nun aber ist mein glück nicht so gut: darum bin ich
genötigt ihr im gesange meine leiden zu klagen. (Das tue
ich auch, denn) wenn ich ihr auch noch so fern bin, so schicke
ich ihr doch diesen boten, mein lied, zu, den sie gar wol hören
wird und doch nicht sieht. Der wird mich dort (wo meine
dame weilt) nicht verraten'.
Den Inhalt dieser Strophe setzt 207, 1 ff. passend fort.
Gleich zeile 1 nimmt bezug auf 206, 33. 34. Die leiden werden
übrigens für die geliebte 'erneuert', weil sie der dichter
gleichsam von neuem durchmacht, indem er sie dem liede
anvertraut. Vgl. MF. 187, 32. Bechs Übersetzung scheint mir
den sinn nicht genau zu treffen. Es liegt nicht in den worten,
dass der dichter schon öfter lieder gesant hat. Also: 'das
lied nun, in dem ich der edeln meinen schmerz kund tue,
ist eine klage und nicht ein gesang'. V. 207, 4 — 6 führt genau
aus, was 206,34 nur andeutet: *ich bitte sie um erhörung und
sie versagt; diese schwere zeit dauert schon allzu lange (als
dass ich noch fröhlichen sang ertönen lassen könnte)'. Aus
dieser trüben Stimmung ergibt sich von selbst der leise wünsch,
der in den versen 7 — 10 beschlossen liegt: *wem es möglich
wäre, solchen kämpf (solche bemühungen), der kummer und
nie freude gibt, aufzugeben — mir ist es aber nicht möglich
(Mhd. wb. 1, 806 b) — der wäre ein glücklicher mensch'.
Die beiden Strophen hängen also sehr gut zusammen.
Die noch übrige ist freilich mit ihnen nur lose verknüpft.
MF. stellt sie mit AC an den anfang. Dahin passt sie aber
keinesfalls, wenn man den ton mit MF. als eine Strophenkette
betrachtet. Denn die zeilen 206, 27 und 28 bilden einen ent-
schiedenen schluss. Nun steht der inhalt dieser Schlusszeilen
doch wol mit 207, 7—10 in beziehung: der leise wünsch, den
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UEBBR HABTMANK VON Aü£. 15
diese verse enthalten, wenn er auch mit einem des ich niene
hm sofort unterdrückt wird, dieser leise wünsch wird 206,
27. 28 ausdrücklich ins gegenteil gewendet und der Inhalt von
207,4 — 6 (auch der ausdmck gnaden hiten) kehrt wider in
206, 24—26. Wir werden also in 206, 19 den abschluss des
Strophenpaares 206,29 und 207, 1 erblicken dürfen; sie bringt
eine art palinodie für den schluss der zweiten von ihnen.
Freilich muss man festhalten, dass diese Strophe den gedanken
nicht schai-f aufnimmt und folgerichtig weiter führt: sie kommt
nach einer besonderen allgemeinen erwägung (206, 19—23), in
der V. 20 ein neues motiv anschlägt, zu ihrem endresultat.
Doch wird auch hier das unglückliche liebesverhältnis voraus-
gesetzt, von dem str. 1 und 2 eine besondere Situation ausmalten.
Dafür dass die Strophe 206,19 den schluss des kreises
bildet, spricht auch der umstand, dass die erste zeile von
ton m 207, 11 direct an sie anknüpft: die pointe des ganzen
tones n wird darin zunächst negiert. Man sieht femer leicht,
dass sich dieser ton II im Inhalt mit der Strophenkette aus in
sehr nahe berührt. Abgesehen von der eben erwähnten, un-
mittelbaren hindeutung von III auf 11 ist das in rede stehende
lied nichts anderes als eine widerholung des wesentlichen In-
halts von II, nur in stärkerer potenz: der wünsch von 207, 7 ff.
wird in 207, 11 wenigstens vorübergehend zum entschluss. In
beiden die neigung den dienst aufzugeben, in beiden der wider-
ruf. Beide lieder sind darum wol zeitlich benachbart.
In dem fünfetrophigen ton 205, 1 ff. haben die heraus-
geber von MF. die letzte Strophe abgesondert: mit recht. Sie
ist mit dem was vorausgeht zwar verwant, weil auch sie
voraussetzt, dass der dichter mit seinem werben bei der dame
kein glück hat, sie löst sich aber ab, weil sie als neues motiv
den tod des dienstherren mit aufnimmt. Die hss. überliefern
folgende reihe:
c
B
MF.
1
1
205,1
2
«
3
2
205, 10
206, 10
4
—
206,8
*11 — 205, 19.
Die letzte Strophe ist durch ein verweisungszeichen hinter C2
angebracht. Sie wird in einem der von C benutzten lieder-
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16 SASAN
bücher vermutlich hinter 205, 10 gestanden haben. Oder hat
der Schreiber über den gedankengang nachgedacht? In der
tat lässt sich, was ich früher nicht erkannt habe, ein solcher
nachweisen, wenn man 205, 19 nicht mit C hinter 205, 10,
sondern an die zweite stelle, also hinter 205, 1 rückt Die
vier Strophen bilden dann, ganz ähnlich wie es in ton III der
fall ist, die hauptmomente eines stimmungsverlaufs, der mit
fast zorniger erregung gegen die dame einsetzt und damit
endet, dass der dichter ihre handlungsweise als die einzig
mögliche anerkennt und schliesslich nicht die dame, sondern
sich selbst tadelnd zurecht weist. Es ist ein winterlied.
205, 1. Meine treue bringt mir keine freude, denn ich
habe meiner dame leben und dienst vergeblich gewidmet und
lange vergeblich gehofft. Ich müsste ihi* darum eigentlich
fluchen, doch will ich meinem zom keinen andern ausdruck
verleihen als den: 'sie hat nicht schön an mir gehandelt'.
Würde der dichter seiner erregung nachgeben, so würde er
ihr einen fluch wegen ihrer untreue zuschleudern.
205, 19. Bald kommt ihm das törichte solches zomes zum
bewusstsein. Er macht sich den einwurf: 'damals als ich ihr
diente, ohne dass es auf sie eindruck machte (d. h. den sommer
durch), schien es mir aber doch ganz angemessen, dass sie die
edle sich mir versagte, und dieser ihr entschluss ist in der
tat ganz berechtigt gewesen. Zürne ich nun, so wird sie
darüber spotten und mich macht es (vorzeitig) alt. (Nein, ihre
Zurückhaltung verdient meinen zom nicht.) Sie hat sich vor
den vielen mangeln, die mir anhaften, gescheut und sich von
mir zurückgezogen, mehr um dem gerede zu entgehen als weil
sie mir übel wollte. Sie meint offenbar, sie werde sich so ihren
ruf besser wahren'. V. 205, 23 nimmt 205, 8. 9 zurück. Vgl
auch V. 19 und 7, 19—22 und 6—7.
205, 10. Die person die meinen zom verdient, ist also
nicht meine dame, vielmehr: 'wollte ich den hassen der mir
leid zufügt, so hätte ich guten grund mein eigener feind zu
sein. Viel ist an meinem äusseren und meinem geist (bildung?)
zu tadeln: das hat eben mein unglück offenbart. Dass also
meine dame nichts von mir wissen will, davon ist die schuld
mein. Denn da nur lebensklugheit den mann glücklich macht,
terheit aber nie ein dauerhaftes glück erlangt, so bin ich daran,
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UEBEB HARTHANN VON AUE. 17
falls ich wirklich nicht mit verstand zu dienen weiss, eben
ganz allein schuld'. V. 18 da — an geht auf v. 14. Die Strophe
gibt zugleich genauer an, was unter wandet zu verstehen ist.
Es fehlt dem dichter offenbar an äusserer gewantheit und
Sicherheit im auftreten, wie an innerer reife. Er ist wol etwas
ungeschickt und harmlos, jedenfalls noch recht jung. Die
dame die seinen dienst annähme und ihm dadurch ohne wei-
teres ihren werden lip als belohnung in aussieht stellte, würde
sich dem aussetzen, dass sie der jugendliche liebhaber gelegent-
lich einmal durch irgend eine Ungeschicklichkeit in das gerede
brächte (205,26.27). Nur weil er im minnedienst noch zu
unerfahren ist, findet er mit seiner Werbung kein gehör.
206, 1. Also darf ich nicht zürnen oder mich auch nur
über mein misgeschick verwundern: ich muss sogar ganz zu-
frieden sein. *Sie hatte mich nur oberflächlich gekannt, als
sie sich zuerst meinen dienst gefallen liess: dadurch dass sie
später an mir so viel zu tadeln fand, haben mich dann meine
fehler und ihre einsieht wider fortgestossen. Sie hat wirklich
erfüllt, was sie mir in aussieht gestellt hat, alles was sie mir
schuldig gewesen ist, habe ich auch bekommen — : ein tor,
der etwas anderes (sc. als das ihm zukommende) verlangt!
Sie hat mir gelohnt dem wert entsprechend, den sie mir bei-
legte: mich trifft* nichts anderes als mein eigen seh wert'.
wtsheit ist wol kenntnis höfischen lebens und Wesens, lebensart.
gehiejg (206, 5) setzt kein bestimmtes versprechen voraus. Die
dame die sich einen dienst gefallen lässt oder gar ausdrück-
lich annimmt, stellt damit ohne weiteres lohn in aussieht. Zur
bedeutung vgl. Trist. 1405. Hinter 206, 5 ziehe ich einen punkt
vor. Vgl. die Stellung des fünften verses in den andern Strophen.
Von den vier Strophen hängen 1 und 2 enger zusammen:
beide beschäftigen sich mit dem zorn des dichters (v. 205, 8
und 205, 23). Ebenso 3 und 4, in denen über wert und unwert
seiner person gehandelt wird (205, 12. 206, 3).
Der gedankengang ist also kurz der. In der ersten strophe
wird die erregung des dichters geschildert und ihr grund: er
hat am ende des sommei-s den gehofften lohn, den werden Itp
der dame nicht genossen. In der zweiten erkennt er das
törichte und grundlose seines zomes: die handlungsweise der
dame wird milder beurteilt. In der dritten sieht er ein, dass
Beiträge snr geachichte der deutectaeu aprache. XXIU. 2
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18 SARAN
die Ursache ihrer abneigung in ihm selbst liegt, er also selber
die schuld an seinem unglück trägt. Die vierte kommt sogar
zu dem ergebnis, dass er alles von der dame erlangt habe.
was er habe vernünftiger weise fordern können: 206, 5 nimmt
205,9 zurück.
Wir haben also in diesem ton eine strophenkette und eine
mehr selbständige schlussstrophe, nach dem Schema (1 + 2) +
(3 + 4). 5.
Ich habe nun H. v. A. s. 30 nach dem Vorgang Bechs und
anderer angenommen, die Strophen dieses tones I setzten die
förmliche aufgäbe des minnedienstes voraus, von dem sie
handeln. Ich habe die Wendung 206, 16 gmäde widerseit so
verstanden, als verbitte sich damit die dame förmlich den dienst
des dichters, den sie sich bis dahin gefallen lassen. Diese
auffassung ist aber nicht richtig. Schon Heinzel hat Zs.fda.
15, 130 darauf hingewiesen, dass jene worte nichts von einem
plötzlichen bruch oder gar von einer ^aufkündigung' melden.
Genade wider sagen bedeutet 'jemandem eine gunst, um die er
bittet, nicht gewähren'. Vgl. Iw. 5654. Es bedeutet nicht,
4hm ein wolwoUen, dessen er sich bis dahin erfreut hat, ent-
ziehen'. Die stelle besagt also nur, dass Hartmann seiner ver-
ehrten einmal eine bitte vorgetragen hat und abschlägig be-
schieden ist. Die Worte meinen etwa dasselbe wie v. 205, 14
min vroutve gert min niht {= will nichts von mir wissen).
Es ist darum ganz wol möglich, dass Hartmann
auch nach diesem liede, trotz jenes abschlägigen be-
scheides, üf genäde weiter dient, wie er es vorher
getan. Die Situation von ton I ist darum nicht wesentlich
verschieden von der welche ton III schildert, nur dass jenes
lied auf einen speciellen Vorfall hindeutet, da die versagoiig
und der tod der herren als zwei historische facta neben
einander erwähnt werden. Wann der Vorfall sich ereignete,
ist eine zweite frage. Er kann längere zeit zurückliegen.
Man wird kaum fehl gehen, wenn man den Inhalt des
ersten büchleins hierher bezieht. Jenes ereignis von ton I
dürfte dasselbe gewesen sein, was zur Klage anlass ward.
Hartmann liebt eine dame und
H. Klage 99 ff.
unz ich st mtnen mnot Tersweic gein ir graoze ich dicke neic
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UEBEB HABTHANN VON AUE. 19
und het mich dö als einen man swenn ich s! innen brsehte
dem ein wip ir hulde gan. daz ich ftz al der werlt ein wip
du wände ich bezzern min heil: ze frowen über minen lip
do geviel mir daz wirser teil. für al hsßte niht erkom:
i(;h wände mich ir nsehte d& mite h&n ich s! yerlom.
Dazu Vgl. ebda.:
14 dö si im des niht gfunde
daz er ir wsere nndert&n
(si sprach er solte s! erlän),
doch yersnochte erz zaller zit.
V, 99—102 gibt die realen grundlagen zu MF. 205,5—7. V. 103 ff.
erläutert recht gut 205, 14 min vrouwe gert min niht (vgl. auch
Büchl. V. 16). Die gedanken 205, 15—18 und 205, 24 ff. bilden
n breiter ausftihi'ung den Inhalt von 603 ff. 1281 ff. Trotz der
infänglichen misstimmung wird der dienst nachher wider auf-
Ifenommen.
Jedenfalls steht wol so viel fest, dass das minneverhältnis,
v'orin wir Hartmann in ton I finden, einseitig war, und dass
Lso von einer 'aufkündigung' seitens der dame keine rede
ein kann. Durch den tod des herrn und den kreuzzug schloss
iese episode im leben Hartmanns von selbst ab.
Die sechs Strophen des tones V (209,25) sind in der
)lge überliefert, in welcher sie MF. bringt. Sie sind da auf
vvei lieder verteilt: 1 — 4, 5 + 6. Dass die Strophen ihrem
ihalt nach in dieser weise nicht zusammen passen, habe ich
Jion H. V. A s. 19 erkannt und halte an dieser ansieht fest,
leichwol sind sie nicht, wie ich dort getan, zu isolieren, son-
jrn es gehören, wie ich jetzt glaube, immer je drei zusammen,
dass der ton aus zwei Strophenkreisen besteht.
Der erste kreis umfasst 209,25. 210,11. 210,35. Zu-
Lchst einiges zur texterklärung. 209, 25 ist kriuze natürlich
s kreuzeszeichen, das symbol dafür dass sich sein träger
tt geweiht hat, das symbol der heiligung. Schönbach (s. 157)
ft dem wort liier die bedeutung *kreuzfahrt' bei, aber dies
irde der Strophe gerade die anschaulichkeit rauben, die sie
szeichnet. Der eigentliche sinn ist durchaus gewahrt. Vgl.
33 — 36. — Die lesart von 210, 15 ist bekanntlich strittig.
e hss. haben C der hacchen, B her haccJien und stellen
5serdem 210, 15—18 vor 210, 11—14. Die überlieferte lesart
2*
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20 SARAN
ZU halten habe ich mich H. v. A. s. 18 einer Vermutung Höfers
angeschlossen, der wie MSH. 4, 263 in hacchen den namen eines
dämonischen wesens vermutet. Dagegen polemisiert Schönbach
s. 159, und seine bemerkungen treffen durchaus zu. Ich lasse
also die annähme fallen. Schönbach selbst kehrt zu der Haupt-
schen deutung (MF. anm. z. st.) ^Jiacken d. i. angelhaken der
weit' zurück, eine deutung die auch Bech nur etwas andei-s
gewendet (hacken dat. plur. Lockungen') festhält. Was aber
Schönbach sie zu stützen vorbringt, ist keineswegs beweisend.
Ob man unter dem haken einen angelhaken oder einen fang-
haken für raubtiere versteht, ist wirklich ganz gleich: das
manegen tac nach loufen passt zu keiner von beiden bedeu-
tungen. Denn in der Vorstellung des nachlaufens liegt hier
doch inbegriffen, dass sich der gegenständ dem der dichter
nachläuft, vor ihm her bewegt: das trifft aber bei keinem
haken zu. Wenn femer auch der teufel kurzweg hamtis heisst,
so bezweifle ich sehr, dass die sinnliche bedeutung des w^ortes
schon ganz verschwunden ist. Mir scheint, dass sich der stelle
durch ein einfaches mittel aufhelfen lässt. Man behalte die
Umstellung der Stollen mit MF. bei und lese statt d^ hacchen
der lachen, d. i. deren (der weit) lächeln bin ich nachgelaufen.
V. 15 würde alsdann passend auf den gedanken von v. 11 zu-
rückweisen. — V. 17 da — fnae ist nur eine Umschreibung für
*welt'; stcete nimmt das triegcnt v. 11 wider auf und bedeutet
also einfach die Unbeständigkeit der weit, die anders lohnt als
sie verspricht. Schönbach versteht darunter (s. 160) die reli-
giöse tugend der perseverantia: aber diese tugend kann mau
doch unmöglich an der weit vermissen. Zu v. 19 ff. vgl. Schön-
bach s. 160. 161.
210, 35 ist froide die fröhliche teilnähme an dem was die
weit, besonders das ritterlich-höfische treiben in der schönen
Jahreszeit angenehmes bietet, und die daraus entspringende
Stimmung. Während Hartmann sich der weltfreude hingibt,
ist er innerlich nicht wirklich ruhig und froh: die sorge um
das Seelenheil (v. 35) mischt sich stets ein und stört den vollen
genuss. Eeine freude und ungetrübte heiterkeit des gemütes
geniesst er erst jetzt, wo er sich zur annähme des kieuzes-
zeichens bez. der kreuzeszeichen (Schönb. s. 163) entschlossen
hat und sie nun auf seinem gewande erblickt.
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UEBEK HABTHANN TON AÜE. 21
Die sorgen des verses 35 sind also gewis nicht weltliche,
wie Schönbach s. 164 aus v. 211, 14 vermutet. Das würde nicht
passen. Der hinweis auf eine Sommerzeit, die in jeder be-
ziehung (gar) eine weide der äugen sein wird und der aus-
druck Kristes bluomen (37), die solchen sommer voraus-
verkünden, zeigen m. e. deutlich, dass diesen versen die
sinnliche anschauung einer frühjahrssituation zum hintergrunde
dient. Der dichter denkt bei den oben hervorgehobenen worten
an die bescheidenen blumen des frühlings, die den reicheren,
schöneren blfitenschmuck des sommers vorausdeutend anzeigen.
Zu diesen blumen des frühlings stellt der dichter die blumen
Christi, d.L die kreuzeszeichen, in gegensatz: zwischen beiden
hat er seine wähl treffen müssen (kos v. 37). Kristes (v. 210,37)
ist zu betonen. Die beiden arten von blumen sind natürlich
nur Symbole. Mit blumen schmückten sich herren und damen
bei den geselligen Unterhaltungen und schmückte man die
hallen bei festen. Das aufspriessen der blumen im frühjahr
bedeutete somit für jene zeit die widerkunft des fröhlichen
treibens, dem man sich nur im sommer wirklich hingeben
konnte und an dem der dichter auch schon oft teilgenommen.
Diese blumen verkünden also eine fröhliche und schöne Sommer-
zeit. Aber dieser sommer kann dem dichter doch nicht wahre,
volle freude geben, sop^ern nur eine gemischte, eine freude,
die von sorge uinihls Seelenheil getrübt wird (210,35). Jene
volle freude vertfa^ nur der paradiesessommer zu spenden, der
also ga/r in süe/ftr ougenwcide Ut. Die Vorboten dieses sommers
sind die blumfln Christi, die zu der zeit im lande aufspriessen,
als die kreuAredigt ertönt. Wer nun die blumen der natur
wählt, der f^lgt dem heiteren ruf der weit: blumen sind ja
Symbole ihrei geselligen freuden. Wer Christi blumen wählt
folgt dem ruf gottes und entsagt der weit: das kreuz ist das
Symbol der eiitsagung.
Da nun klso der dichter seine lossagung von der weit und
seine hinweädung zu gott unter dem bild einer überlegten
wähl (koj^lO, 37) zwischen den blumen des frühlings und denen
Chriafel darstellt, so ist doch klar, dass sich ihm die bluten
der jj^atur und das kreuz zu gleicher zeit zur wähl dargeboten
ha^en, dass also die kreuznahme (und damit wol auch die
«Sfassung der Strophe) in einen frühling fällt, wo Hartmann
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22
SARAH
wirklich zwischen blumenkranz u
gott wählen konnte. Die angel
dann das schöne motiv an die
wäre das ganze nur ein witzige
Schönbach tadelnd anmerkt (s.1'
auf die datierung * nicht aus dei
des dichters, sondern aus meine
selben', so kann ich das nicht gi
ich H. V. A. s. 21 diesen schluss
gestellt. — Das uns v. 211,3 n
guten menschen überhaupt, die
ziehen. Das scheint mir wenig
der sinn seiner einwendung ni^
meine frühere erklärung (H. i
211, 7 dient mit 5. 6 nur zur näh
Chores: es st^ht statt eines relfiti
^'ns ist gleich 'mir und euch, äU
j \ ^^n unter dem frischen eh
durch ,
. „ ^ kreuz an seinem ge
umstellu , , ..\
, , , '^och zunachj
der lachen, , i^
V. 15 wurde n^^
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UBBEB HARTMANN VON AUB. 23
will nicht, dass der mit ihm bezeichnete nach seinem belieben
handle. Er soll entsagung üben, denn was nützt es auf dem
kleid, wenn nicht gleichsam auch das herz damit bezeichnet ist?'
210, 11 zieht nun der dichter daraus die folgerungen, die
sich für ihn ergeben. Er hat das kreuz genommen und will
nun auch diesem zeichen gemäss leben, er will nun auch seine
weltlust zügeln. Aber das ist schwer, und darum erbittet er
Christi hilfe, seinen entschluss auszuführen. *Die weit lächelt
mich trüglich an und winkt mir. Nun bin ich ihr zwar bis
jetzt, wie das ein junger mensch eben tut (vgl. 209, 30), ge-
folgt. Ihrem lächeln bin ich manchen tag nachgelaufen, ihr,
der wankelmütigen, unbeständigen nachgeeilt. (Jetzt aber in
diesem entscheidenden moment, wo sich die weltfreude wider
ankündigt, will ich ihr nicht wider folgen), nun hilf mir, herr
Christus, dass ich mich durch das kreuzeszeichen hier auf
meinem gewande vom teufel losmache'.
Str. 210, 11 zeigt also den mit dem kreuz bezeichneten
dichter noch schwankend zwischen der weit, die ihm wider
einmal lockend erscheint, und Christo, der von seinem christ-
lichen beiden hilfe verlangt. Die absage an die weit wird
ihm, dem lebenslustigen Jüngling, schwer. Darum ruft er
Christum selbst in seiner bedrängnis an. Sehen wir Hartmann
hier noch zwischen der nachfolge der frau Welt und der nach-
folge Christi schwanken, so verkündet die letzte strophe, dass
der dichter den sieg über seine weltlust errungen hat: der
Jüngling hat sich für Christum entschieden. Das bild von der
wähl zwischen weit und Christus wird beibehalten: nur treten
statt der personen der zweiten strophe {weit v.ll; Kr ist 19) ihre
Symbole ein: blumen und kreuzeszeichen. Uebrigens hängt die
Strophe loser an der zweiten, als diese an der ersten. Das
Schema ist (1 + 2). 3.
Auf das kreuz wird mit denselben Worten wie in v. 22
hingewiesen (v. 38). Seine Wirkungen machen sich bereits
geltend. Das kurze gebet in 211, 3 ff., worin die anwesenden
mit eingeschlossen werden, gibt einen vortrefflichen abschluss
des ganzen.
Das eben zusammengestellte lied zeigt den dichter trotz
der kreuzesnahme noch im streit mit seiner weltlust: er macht
sich vor unsem äugen von der weit los, er entscheidet sich
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24 SARAN
eben erst für das kreuz und entsagt den blumen. In den noch
übrigen drei ist der kämpf von vorn herein entschieden. War
dort das thema 'kreuzeszeichen und weltleben', so lautet es
hier 'rittertaten und kreuzfalirt', * weltdienst — gottesdienst'.
Am besten rundet sich der Strophenkreis, wenn man ordnet:
209, 37. 210, 23. 211, 8.
In allen dreien wird auf die kreuzfahrt selbst hingewiesen:
210, 8 dcLJSf er da wol gevert
210,32 min vart die ich hän genomen
211, 18. 19 swenn ich in Kristes schar
mit fröiden wünnecUchen var.
Ferner wird fiberall das thema hervorgehoben:
weit und gott: 210, 3 und 5. 211, 8 und 12,
weltfreude und Seelenheil: 210,10. 210, 25 und 29,
Hartmanns völlige abkehr von der weit: 210,25. 211,8.
Dass 210, 23 ff. sich gut an 210, 11 ff. anschlösse, wie Schön-
bach s. 161 meint, finde ich nicht. Hier genügt der tod des
herm, Hartmann die weit zu verleiden, dort entsagt er ihr
unter schweren kämpfen, weil es das kreuzeszeichen verlangt.
Dass ferner die sorge, von der Hartmann 211, 14 spricht, nicht
mit Schönbach mit der sorge in 210, 35 zusammenzustellen ist,
habe ich schon oben angedeutet. Die beziehung auf Friedrichs
Verordnung, die ich H. v. A. s. 23 annehme, gebe ich nach Schön-
bachs einwendungen s. 165 auf. Aber warum übersetzt dieser
211, 18. 19 'wann immer (also nicht gerade jetzt) ich in der
heerschar Christi mit wonne und in freuden ausfahre'? Die
verse deuten doch ohne zweifei auf die künftige abreise, und
swenne kann bei ereignissen, die in der zukunft liegen, ganz
wol auch bei einmaligen handlungen verwendet werden: Paul,
Mhd. gr.-* § 348, 2. Also 'wenn ich dahin reisen werde'. Sorge
steht ganz allgemein, man denke einfach an wirtschaftliche
nöte, die manchen in der heimat zurückhielten. Ueber die
schwache flexion vgl. Lm. z. Iw. 1534.
Auch in dieser Strophengruppe hängen die ersten zwei
glieder eng zusammen. Hartmann beginnt mit der allgemeinen
aufforderung an die ritter, indem er die kreuzfahrt empfiehlt.
Sie brauchten bei der kreuzfahrt auf der wirlte lop nicht zu
verzichten, und der sele heil sei ihnen sicher. 210, 23 stellt
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UEBER HARTMANN VON AUE. 25
er an tverlte (v. 10) anknüpfend diesem gedanken seine persön-
liche Stellung gegenüber: *wie es auch mit der weit (ist zu
betonen) nach dem tode meines herren stehen mag, ist mir
freilich gleichgiltig. Dieser hat den besten teil meiner freude
mit dahingenommen'. Der werlte lop kann und will er nicht
mehr erwerben, aber der sele heil, darum will er sich nun
kümmern. Der Inhalt der Strophe wendet deutlich die ge-
danken von 210, 10 auf den besonderen fall des dichters an.
Dagegen nimmt die dritte Strophe die begriffe werlt und got
aus 210, 3 und 5 wider auf. Sie hängt loser an der zweiten.
Das Schema wäre (1 +• 2). 3.
TonVII (211, 27) enthält drei Strophen, von denen zwei,
nämlich 211,35 und 212,5, gut zusammenhängen. 211,27 ist
selbständiger, wenn sie auch in Stimmung und gedanken den
andern nicht fremd ist. Es sind beziehungen zu 212,5 er-
kennbar: vgl. 211,28 und 32 mit 212,8. Vielleicht stellt man
darum am besten die in MF. vorausgesetzte Strophe an dritte
stelle. Man gewönne damit wider das Schema (1 + 2). 3, das
schon öfter ermittelt worden ist.
Ton VII (212, 13) sind wider drei Strophen. 1 und 2
haben dieselbe Situation (trennung von der geliebten) zur
Voraussetzung und hängen dadurch etwas enger zusammen.
Die dritte steht allein: Schema 1, 2. 3.
Ton IX (212, 37) halte ich jetzt für unzweifelhaft echt.
Dies resultat ergab sich mir schon H, v. A. s. 79 als wahr-
scheinlich.
Ton X (213, 29) sind zwei unzusammenhängende Strophen.
Sollte eine in der mitte fehlen und das ganze alsdann zu be-
urteilen sein wie die strophenkette von ton III?
Den sinn der verse MF. 34 ff. verstehe ich nicht. Ich
setze hinter v. 34 ein komma, hinter 35 einen punkt und
hinter 38 ein komma. Statt ze v. 35 1. ez, d. h. meine an-
wesenheit bei ihr. Die stelle v. 36—39 ist nach Paul, Mhd.
gr.* § 338 und 360 anm. 1 zu beurteilen. 214, 10 1. mit Bech
nach in verderben.
Ton XI (214, 12) schlägt Becker, Altheim, minnesang
s. 139 für z. 25. 26 vor: von friunde .,. bi der. Das fehlen des
artikels wäre zu begreifen: Paul, Mhd. gr.< § 223, 1. 7. Die
bessemng scheint mir in der tat nötig wegen v. 33.
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26 SARAN
Ton XII (215, 14). Es gehören 215, 14 und 215,30 eng
zusammen. Str. 215, 22 steht für sich und hat auch in den
hss. die letzte stelle. Vgl. H. v. A. s.l7. Sie ist aber in Stim-
mung und inhalt den vorausgehenden verwant. Also wider
das Schema (1 + 2). 3.
Ton XVI (218, 5). Die zweite der bedeutungen, die ich
H. V. A. s. 26 für minne in anspruch nehme, verwirft Schön-
bach s. 166. Seine bedenken sind berechtigt: ich nehme jene
auffassung zurück. In 218, 27 und 28 stehen sich nicht sowol
die gegenstände der liebe gegenüber, als vielmehr die arten
des liebeswerbens: ihr liebt unglücklich, ich glücklich. Die
von mir unter no. 3 angesetzte bedeutung minne = Caritas
(liebe gottes zum menschen) bezeichnet Schönbach als nicht
katholisch. Es sei vielmehr die liebe des menschen zu gott.
Darin wird er ohne zweifei recht haben. Dadurch wird der
gedankengang auch klarer, da nun überall minne als liebe
des dichters z u jemandem gefasst werden kann. Somit spielt
Hartmann hier mit folgenden bedeutungen des Wortes : 1) minne
zur geliebten, 2) minne zu dem verstorbenen herm, 3) minne
zu gott. In Str. 1 denkt der hörer zunächst an die erste be-
deutung, der dichter hat natürlich auch 2) und 3) dabei im
sinn. In str. 2 tritt die zweite heraus. Hartmann hat ja nach
210, 31 ff. nicht nur für sein Seelenheil, sondern auch für das
seines heiTu den kreuzzug gelobt. Darauf spielt er hier v. 17 ft
an. *Seht wie die minne (zu meinem herm) mich über das
meer führt. Und doch: lebte mein herr noch, so würde mich
keine macht der erde aus dem abendlande fortbringen.' Hier
steht für den dichter von den drei bedeutungen die zweite im
Vordergrunde. Den hörer, der immer noch an die minne in
erster bedeutung denkt, muss die erklärung der zeilen 19 und
20 überraschen, und das ist auch der zweck des geistreichen
Spieles. Die letzte Strophe spitzt sich auf die dritte bedeu-
tung zu.
An der Schreibung lebte min herre, Salatin . . . muss ich
trotz Schönbachs Widerspruch s. 361 festhalten. Min her Sa-
latin = monsieur S. ist für Hartmann unmöglich, weil bei
ihm das min nie seine eigentliche bedeutung verliert, wie ich
H. V. A. s. 25 gezeigt habe. Und selbst wenn man es als mög-
lich erweisen könnte, so wäre es hier nicht stilgemäss. Das
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UEBER HARTMANN VON AUE. 27
einfache Sälatin ist unter allen nmständen das einzig stil-
gerechte. So lange man diese beiden gründe, den grammatischen
und stilistischen nicht widerlegt, nützen alle Umschreibungen
und deutungen der stelle im anschluss an MF. gar nichts.
Auch Vogt hätte s. 238 darauf eingehen sollen, denn wesent-
lich diese beiden gründe und nicht die vergleichende heran-
ziehung der historischen literatur ist für mich bei der datie-
rung des liedes ausschlaggebend gewesen. Vranken erkläre
ich jetzt mit Martin als bezeichnung des abendlandes.
Was den umfang der lieder Hartmanns anbetrifft, so haben
meine betrachtungen zu folgendem ergebnis geführt:
einstrophig: ton VI 211,20 (nicht vollständig)
zweistrophig: „ IV 209, 5 + 15 (strophenkette)
„ X 213, 29. 214, 1
„ XI 214, 12 + 23 (Strophenkette)
dreistrophig: „ n 206,29 + 207, 1. 206, 19 (strophenkreis)
„ m» 207, 11 -f 208, 32 + 208, 20 (strophenkette)
„ m« 208, 8. 207, 35. 207, 23 (strophenkreis)
„ V> 209, 25 + 210, 11 + 210, 35 (strophenkette)
„ V* 209, 37 + 210, 23. 211, 8 (strophenkreis)
„ Vn 211, 35 -f 212, 5. 211, 27 (desgl.)
„ Vm 212,13; 212,21. 212,29 (desgl.)
„ IX 212, 37 -f 213, 9 -f 213, 19 (strophenkette)
„ Xn 215, 14 + 215,30. 215,22 (strophenkreis)
„ XIV 216, 29 -f 216, 37 + 217, 6 (strophenkette)
„ XV 217, 14 + 217, 24 -\- 217, 34 (desgl.)
„ XVI 218, 5 + 218, 13 + 218, 21 (desgl.)
vierstrophig : „ XIII 216, 1 -f 216, 8 + 216, 15 + 216, 22 (str.-kette)
fünfstrophig: „ I 205, 1 -f 205, 19 + 205, 10 + 306, 1. 206, 10
(strophenkreis),
d. h. von 18 liedem, die sich aus der betrachtung des metrums
und Inhaltes ergeben, sind
dreistrophig 12
fünfstrophig 1
vierstrophig 1
zweistrophig 3
[einstrophig 1].
Da nun das einstrophige lied sicher unvollständig ist, so
stehen 13 drei- und fünfstrophige lieder gegen vier zwei- bez.
vierstrophige. Es sind also die gruppen mit ungerader strophen-
anzahl weitaus in der majorität.
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28 SARAN
Was nun die composition der lieder anbetrifft, so sind
von den zwei- und vierstrophigen drei ketten und nur eins
(ton X) ein kreis, wenn man bei zwei Strophen so sagen darf.
Sehr möglich dass dies unvollständig auf uns gekommen ist
(vgl. oben s. 25). Von den 13 drei- und fünfstrophigen sind
6 ketten, 2 (nämlich III^ und VIII) reine Strophenkreise nach
der oben gegebenen deflnition. Die übrigen 5 sind *misch-
formen', d. h. sie sind nach dem Schema (1 + 2). 3 oder (1 + 2)
+ (3 + 4). 5 gebaut. Von den beiden reinen Strophenkreisen
gilt aber auch, dass ihre beiden anfangsstrophen einander
näher stehen als der dritten. Wenn man also die liedertypen
Hartmanns angeben will, so wird man sich, glaube ich, auf
zwei beschränken dürfen:
1) reine Strophenketten von 2, 3 und 4,
2) Strophenkreise von 3 und 5 gliedern, wobei ich auch
die Schemata (1 + 2). 3 und (1 + 2) + (3 + 4). 5 einstw^eilen
schlechthin mit diesem namen belegen will.
Es ist sehr möglich, dass dieser 'mischtypus' der eigentlich
berechtigte ist, während die * reinen' Strophenkreise secundär
entwickelt sind. Darüber kann nur eine umfangreiche Unter-
suchung licht verbreiten.
Mit dem was hier rein durch analyse des liedinhalts er-
mittelt ist, stimmen nun sehr auffällig gewisse beobachtungen
Giskes. Aus dessen arbeit über die körner ergibt sich, dass
in drei- und fünfstrophigen liedem entweder alle Strophen
durch körner gebunden sind (s. 59 — 61), oder aber die grup-
pierung (1 + 2). 3 bez. (1 + 2 + 3 + 4). 5 vorliegt. Letztere ist
besonders beliebt (s. 61 ff.). Ganz ähnliches beobachtet Giske
bei der Strophenverkettung. Auch hier (Zs. fdph. 20, 191 ff.) die
Schemata 1+2 + 3 bez. (1 + 2). 3. Entsprechend s. 197 ff.
(2 + 2). 1 oder 4. 1. Allerdings kommen noch andere typen
vor, aber jene scheinen ganz besonders beliebt zu sein. Wie
weit übrigens jene anderen formen berechtigt sind, wäre zu
untersuchen. Auf den Inhalt geht Giske leider nicht ein.
Aus dieser Übereinstimmung meiner resultate mit denen Giskes
ergibt sich mindestens so viel mit Sicherheit, dass die von mir
am Inhalt nachgewiesene typische Strophenordnung nicht zu-
fällig ist.
Wenn nun der typus von drei oder fünf Strophen mit
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UEBEB HARTM ANN VON AUE. 29
lose angehängter letzten nicht zufällig, sondern beabsichtigt
ist — und daran kann man nicht wol zweifeln — , so ergibt
sich ein interessanter ausblick auf das problem, mit dem sich
ühl bei Nifen beschäftigt. Uhl nimmt als richtschnui- für
seine liederkritik die regel (s. 17): 'dann aber müssen wir, wie
überall, so besonders gegen das ende der fünfstrophigen lieder
den fortgang der gedanken aufs schärfste verfolgen und da,
wo sich uns eine logische schwäche, ein abirren vom thema
zu zeigen scheint, ohne rücksicht das kritische messer an-
setzen'. Auf grund dieser regel werden dann die fünften
Strophen vieler lieder Nifens für unecht erklärt. Aber etwas
mehr rücksicht auf die Überlieferung wäre doch angebracht.
Warum sollte Nifen nicht wie Hartmann in ton I den typus
4. 1 bez. (2 + 2). 1 gebraucht haben? Dann wäre die Sonder-
stellung der Schlussstrophe nicht auffallend und metrische
freiheiten in ihr nicht ohne weiteres als kriterien für die un-
echtheit zu verwerten. Der grund der Sonderstellung der
fünften bez. dritten Strophe kann melodisch -rh)'thmisch sein.
Vgl. Strophe — antistrophe, epode in der antiken choi-poesie.
n. Chronologie. Kritik ihrer prinoipien.
Literatur.
W. Wilmanns, Zu Hartmanus yon Aue liedern und bttchlein, Zs. fda.
14, 144. — F.Bech, Iwem» 1868 («1873. »1888) einl. b. viff. — RHeinzel,
Ueber die lieder Hart manns von Aue, Zs. fda. 15, 125 if. — Schreyer, Unter-
suchungen über leben und dichten Hartmanns von Aue, Progfr., Pforta 1874.
— L. S chm id, Des minnesängers H. v. A. stand, heimat und geschlecht 1874
(8.53 ff.). — Lungen, War H. v. A. ein franke oder schwabe? Diss., Jena
1876. — H.Paul, Beitr. 1,535. 2, 476 ff. — Naumann, Ueber die reihen-
folge der werke H.'sv. A., Zs. fda. 22, 25 ff. — Jacob, Das II. btichlein ein
Hartmannisches, Diss., Leipzig 1879. — Greve, Leben u. werke H.'s v. A.,
Progr., Fellin 1879. — K auf f mann, Ueber H.'s Lyrik, Diss., Leipzig 1884.
— Rec. von Burdach, Anz. fda. 12, 189 ff. — F. Saran, H. v. A. als lyriker.
Halle 1889. — Rec. von Vogt, Zs. fdph. 24, 237. — A. Schönbach, Ueber
H. V. A., Graz 1894, s. 355. — P. Piper, Höfische epik IL H. v. A. und seine
nachahmer, 1894 (s. 16 ff.).
Hartmanns lieder ihrer Zeitfolge nach zu ordnen hat man
die verschiedensten methoden teils angewendet, teils vor-
geschlagen. Der welcher die arbeit zuerst in angriff nahm,
war Wilmanns. Er gieng rein vom inhalt der lieder aus.
Er versuchte aus den andeutungen des dichters die tatsäch-
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30 SARAK
liehen grundlagen seines liebeslebens zu erschliessen, das er-
mittelte mit einander in beziehung zu setzen und so den
historischen veriauf festzustellen. Auf diesem wege gelangte
er dazu, zwei minneverhältnisse anzunehmen, eines, welches
noch vor der kreuzesnahme gelöst, ein anderes, welches bald
nach ihr begonnen wurde. Eine gewähr für diese teilung
schien ihm auch die Überlieferung zu bieten. Denn von den
liederbüchem, die er aus ihr herausschälte, umfasst no. 1 lieder
die sich auf das erste, no.3 solche die sich auf das zweite
beziehen. No. 2 enthält wesentlich werke der Übergangsperiode,
no. 4 Strophen aus verschiedenen zeiten. Das L büchlein fallt
zum ersten, das II. zum anderen Verhältnis. Wilmanns' ergeb-
nisse wären in übersichtlicher Zusammenstellung:
Erstes Verhältnis:
ton 205,1. 206,19. 207,11. 209,5. 213,29. I. büchlein.
Uebergangszeit:
ton 216,29. 209,25. 211,20 (kreuznahme 1195).
Zweites Verhältnis:
214,34. 215,14. 212,13. 216,1. 217,14. 218,5. 214,12.
IL büchlein.
211,27 ist ein gedankenspiel und ohne realen hin tergrund.
Gegen die annähme mehrerer minneverhältnisse und gegen
das princip, die handschriftliche Überlieferang für chronologische
zwecke zu benutzen, sprach sich alsbald Bech aus (a.a.O. s.x t).
Er für seine person meint. Hartmann habe seine lieder nur
einer dame gewidmet. Die Ordnung der Strophen in den hss.
ist nach seiner ansieht für das problem der Chronologie schwer-
lich von bedeutung.
Andere als Wilmanns geht Heinzel vor. Er legt wert
darauf, dass in A zwei auch innerlich zusammenhängende
lieder in der richtigen reihenfolge stehen, während BC ab-
weichen. Diese zwei lieder (206, 19. 207, 11) sind seiner Über-
zeugung nach der kern eines liederbuches, woran sich später
noch andere töne angeschlossen hätten. Die gedichte des
liederbuches beziehen sich auf ein langjähriges erstes minne-
verhältnis, was dann vor der kreuznahme gelöst wird (s. 130).
Dieser zeit rechnet Heinzel zu die töne 206, 1. 206, 19. 207, 11.
209,5. 209,25. 211,20. 213,29. 214,12. 215,14.216,1. n.büchL
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UEBER HABTMAKK VON AUE. 31
217, 14. I. büchl. Darauf entspann sich ein zweites Verhältnis,
und dieser Periode gehören an: 210,35. 214,34. 212,13. 212,37.
211, 27. 218, 5. Dies Verhältnis fällt nach dem kreuzzug von
1197. 212, 9 deutet möglicherweise auf ein drittes Verhältnis.
216, 29 wird eben dahin gestellt (s. 136). Heinzel geht also,
umgekehrt wie Wilmanns, von der Überlieferung aus. Er zer-
legt sie in liederbücher und findet dann, dass diese lieder ent-
halten die auch inhaltlich zusammengehören.
Dagegen polemisiert Schreyer von einem Standpunkt aus,
welcher dem Bechs nahe liegt Hartmann lebte nur einer
dame. Die lieder die er in ihrem dienst dichtete, fallen vor
und nach dem kreuzzug von 1197. Das princip wonach Schreyer
verfährt, ist lediglich betrachtung des inhaltes. Auf die Ord-
nung in den hss. legt er keinen wert.
Schmid glaubt. Hartmann habe zwei kreuzzüge mit-
gemacht, den von 1189 (auf ihn gehe 209, 25 und 211, 20) und
den von 1197 (auf ihn 218, 5). Er trennt also die kreuzlieder
von einander. Dies billigt Lungen, der wider zwei minne-
verhältnisse annimmt. Die liederbfichertheorie misbilligt er
mit Schreyer und Bech.
Seit Pauls einschneidender kritik ist diese nicht mehr
für die feststellung der Chronologie benutzt worden. Die Über-
zeugung, dass allein innere gründe für die anordnung mass-
gebend sein können, ist seitdem wol allgemein durchgedrungen.
Von denen die sich weiterhin mit dem problem beschäf-
tigt haben, bringen weder Naumann (s. 73), noch Jacob (s. 25),
noch Kauffmann (s. 42 f.) etwas neues. Sie corabinieren die
angaben die Hartmann über seine liebe macht, und entscheiden
sich bald für ein, bald für zwei Verhältnisse.
Unter hinweis auf sein buch 'Reinmar der alte und Wal-
ther von der Vogelweide' sprach nun Burdach in seiner recen-
sion von Kauffmanns schrift nachdrücklich die ansieht aus,
dass die principien, auf denen die bisher besprochenen arbeiten
beruhen, unrichtig seien. Die biographische ausdeutung der
minnelieder sei mit wenigen ausnahmen unfruchtbar, ebenso
nütze es fast nie etwas, die handschriftliche Überlieferung zu
berücksichtigen. Es sei zunächst allein von der künstlerischen
gestaltung des inhaltes auszugehen. Aus dieser müsse man
eine Chronologie gewinnen, indem man genau und kritisch
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32 SARAN
analysiere, was der dichter darstelle und wie er das tue. Man
habe sich also an die wähl der motive und an die technik
zu halten.
Wie subjectiv die aufstellungen der gelehrten sind die
wesentlich vom inhalt der Strophen ausgehen, ist auch mir
nicht verborgen geblieben. Ich habe darum a.a.O. versucht,
eine Chronologie auf ganz objectiven kriterien aufzubauen.
Abgesehen von den historischen anspielungen welche die ge-
dichte bieten, und den sicheren beziehungen worin einige von
ihnen zu einander stehen, verwende ich statistisch dargelegte
beobachtungen über die entwicklung der rhythmik Hartmanns.
Die richtigkeit dieser methode wird nicht im princip, wol
aber im einzelnen von Vogt bestritten.
Die neuste einschlägige arbeit ist die von Schönbach.
Er erkennt durchaus die richtigkeit der bemerkungen an, die
Burdach gemacht hat. Trotzdem zieht er es vor — meinen
versuch berücksichtigt er überhaupt nicht — zu dem älteren
verfahren zurückzukehren, nicht ohne dass er besorgt, man
werde es vielleicht * brutal' nennen (s. 365). Er gruppiert die
gedichte, von denen die kreuzlieder zunächst ausgeschlossen
bleiben, nach der beschaffenheit der minneverhältnisse, auf die
sie sich beziehen und die nach seiner meinung einige deutliche
kennzeichen besitzen (s. 357). Worin diese bestehen wird nicht
angegeben; die lieder werden, wie dies zuerst Wilmanns getan,
schlechthin nach den andeutungen geordnet die Hartmann über
sein minneleben gibt. Das resultat ist folgendes. Hartmann
sind zwei minneverhältnisse nachzuweisen. Zum ersten ge-
hören die folgenden töne, etwa in der Ordnung wie sie auf-
gezählt werden: 206,19. Lbüchlein. 213,29. 215,14. 207,11.
205, 1, auch 209, 5. Hartmann ist noch nicht ritter. Vor der
kreuznahme (für den zug von 1189) wird das Verhältnis gelöst.
Es folgen zwei kreuztöne: 209, 25. 211, 20. Dem zweiten Ver-
hältnis entspringen die lieder: 214,12. 212,3. 212,37. H.büch-
lein. 216, 1. [216, 29?]. Hartmann ist ritter. Nicht sicher ein-
zuordnen sind: 214,34 (Schönbach hält es für echt). 211,27.
216, 29 (dies vielleicht zum zweiten Verhältnis gehörend). 217, 14.
218,5 (geht auf den kreuzzug von 1197).
Mir scheint, dass Schönbach bei seiner Verteilung der
lieder auf zwei minneverhältnisse etwas von dem gedanken
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URBEK HABTMAKN VON AUE. 3o
beeinflusst worden ist, jedem der büchlein entspreche ein be-
sonderes Verhältnis und diese müssten sich auch in den liedem
widerspiegeln. Wenigstens hat er manche gedanken erst aus
dem zweiten büchlein in die lieder hineingelegt, gedanken die
nicht darin zu finden sind, wenn man den text rein für sich
betrachtet. Denn dass Hartmann ritter sei kann aus keinem
einzigen seiner lieder bewiesen werden. 214,34 ist von Paul
und mir als unecht nachgewiesen, wird übrigens auch von
Schönbach nicht zur construction verwendet. Darüber dass er
durch huote von der geliebten fern gehalten werde, klagt der
dichter nie in den liedern. Nur das II. büchlein kennt diese
Situation. Hartmann braucht das wort huote in seiner lyrik
bloss einmal: 215, 25, in einem liede das Schönbach jedoch zum
ersten Verhältnis rechnet; klagen über die hüte bringt er
nirgends. Es wäre doch sonderbar, wenn sich der dichter
dies beliebte und fruchtbare motiv hätte entgehen lassen, falls
es ihm die Wirklichkeit an die band gab.
Auch die gründe halten nicht stich mit denen Schönbach
die oben aufgezählten töne dem andern Verhältnis zuweist.
Unzweifelhaft, sagt er s. 359, müsse 214, 12 einem zweiten
minnedienst zugehören, denn es werde im zweiten büchlein,
der reifen, poetischen frucht dieses zweiten Verhältnisses citiert.
Warum soll denn aber der dichter dieses büchleins, wenn es
Hartmann war, nicht ein lied aus seiner früheren zeit citiert
haben? Und mit welchem recht bezeichnet Schönbach das
IL büchlein als eine frucht des zweiten Verhältnisses? Ausser-
dem enthalten die Voraussetzungen jenes liedes 214, 12 nichts
von huote: eine trennung irgend welcher art ist sein anlass,
mehr wird nicht angedeutet. Warum soll femer Hartmann,
so lange er im gedankengang des I. büchleins lebte, unfähig
gewesen sein, 216, 29 zu dichten (s. 360)? Das büchlein be-
ginnt ja gerade damit, dass der leib seine unlust am minne-
dienst ausdrückt. Und wer, wie Schönbach annimmt, zu jener
zeit 207,11 dichten kann, der kann gleichzeitig, meine ich,
auch 216, 29 singen. Auch die Verteilung der kreuzlieder auf
zwei kreuzzüge, nämlich 209,25. 210,35 auf 1189 und 218,5
auf einen späteren (1197?), ist doch wenig glaublich (s. 361).
Ich vermag mich mit Schönbachs anordnung ebenso wenig
zu befreunden wie mit den anderen die nach demselben princip
Beitrag« zur geschloMe der deutschen epraohe. XXIJI. 3
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34 SARAN
hergestellt sind, und glaube nicht, dass durch sie die lösung
des Problems wirklich gefördert ist. Wenn Schönbach betont
(s. 361 unten), er sei im ganzen zu gleichen resul taten gelangt,
wie Wilmanns und Heinzel, so trifft das weder zu, noch wäre
es, wenn es zuträfe, ein beweis für die richtigkeit seiner Chro-
nologie. Heinzel rechnet die töne 216, 1. 214, 12 nebst dem
IL büchlein zum ersten Verhältnis, weist also beide büchlein
einer epoche zu (s. 135. 136, besonders s. 139 oben), Scbön-
bach verteilt sie auf beide: dies ist ein wichtiger unterschied.
Andererseits ist zu bedenken, dass Wilmanns und Heinzel
im wesentlichen dasselbe princip der anordnung wie Schönbach
angewendet haben, dass also von vornherein Übereinstimmung
der resultate erwartet werden muss. Wenn nun trotzdem
die anwendung dieses princips bei Schönbach wider zu einer
neuen, z. t. sehr abweichenden Ordnung fülirt, so scheint
mir das eher ein beweis gegen als für seine brauchbarkeit
zu sein.
Ich sehe also keinen grund, warum ich den Standpunkt
verlassen sollte, den Burdach a.a.O. einnimmt und auf den
ich mich seiner zeit auch gestellt habe. Ich halte es im
gegenteil für notwendig, alle die consequenzen solcher be-
trachtungsweise zu ziehen. Es ist mir natürlich nicht zweifel-
haft, dass die lyriker jener zeit — wie die aller zeiten — die
Stimmungen welche sie überzeugend darzustellen vermögen,
auch alle durchlebt und durchempfunden haben. Aber der
inhalt der Situationen die sie zur künstlerischen darstel-
lung solcher Stimmungen benutzen, braucht im einzelnen falle
nicht die mindeste realität gehabt zu haben. Diese Situationen
gehören, wie die metra, die formein, auf anderem gebiet die
dramatischen fabeln u. ä. zu den mittein des poetischen aus-
drucks, die nicht zum kleinsten teil traditionell waren, und
die sich dem dichter zunächst darboten, wenn er für seine
eigenen inneren erlebnisse nach ausdruck rang. 'Diese kunst
des dichters können wir auch bei Hartmann objectiv erkennen . ..,
seine person, sein leben, seine intentionen — all dies liegt im
nebel, und wenn im glücklichen fall einzelne umrisse hindurch-
scheinen, so werden sie immer schwankend und schwer fixierbar
bleiben' (Burdach a, a. o. s. 191). Ein versuch, die lieder
Hartmanns zu ordnen, muss darum von ihrer kunst-
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UEBER HARTHANN VON AUE. 35
form ausgehen: eine Chronologie die sich wesentlich oder
ausschliesslich auf die biographische Verwendung des inhaltes
beschränkt, isl nach meiner Überzeugung von vornherein
verfehlt.
Aus dem ganzen minneleben Hartmanns ist durch die lieder
wol nur dies 6ine bezeugt, dass ihm eine dame, die er umworben,
wirklich ihre huld versagt Dies wird in 206, 16 mir hat ein
wip genade underseit, der ich gedienet han mit stcetekeit ...
ausdrücklich gesagt, und da der dichter kurz vorher auch den
tod seines herm beklagt, so wird wie dies Unglück so auch
jenes eine tatsache sein. Denn man kann doch kaum an-
nehmen, dass hier ein historisch wirkliches mit rein fingiertem
verbunden sei.
Will man darüber hinaus über die art dieses Verhältnisses
etwas erfahren, so empfiehlt es sich vielleicht, mehr nach dem
zu forschen was der dichter nicht sagt, als die positiven an-
gaben die er scheinbar macht, zu pressen.
Aus dem was oben über das Verhältnis von H. kl. (I.büchl.)
zu ton I gesagt ist, würde folgen, dass die dame zunächst von
Hartmanns * dienst' nichts wusste. Ebensowenig natürlich
andere leute. Als er sie schliesslich bittet, sich seinen dienst
gefallen zu lassen, weist sie ihn ab. Ich glaube die Wirklich-
keit wird dem entsprochen haben. Denn hätte sie um seine
neigung gewusst, hätte sie ihn hingehalten und dann schliess-
lich doch abgewiesen, so würde sich der dichter dies stärkere
poetische motiv gewis nicht haben entgehen lassen.
Ebensowenig hat Hartmann gewagt, sich seiner dame in
irgend einer weise zu nähern die nicht der sitte entsprach.
Denn wenn er nie über huote klagt (215,25 ist keine klage),
so hat er wol auch nie von der huote wirklich zu leiden ge-
habt. Das wäre aber nicht ausgeblieben, wenn er mit oder
gegen den willen seiner dame versucht hätte, zu ihr zu dringen.
Dies passt ganz zu der läge, in der die einleitung des I. büch-
leins den dichter zeigt: hier ist für den neid der merker kein
räum, und darum ertönt dies motiv auch nicht in den liedern.
Alles andere liegt im dunkeln. Es ist sehr möglich, dass
Hartmanns ganze minnelyrik oder wenigstens fast die ganze
aus diesem einzigen, wirklich beglaubigten noch dazu ganz
einseitigen liebesverhältnis geflossen ist. Ich halte es sogar
3*
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36 SARAN
für wahrscheinlich, weil ich grund habe anzunehmen, dass die
lieder dieses dichters sich in ganz wenige jähre zusammen-
drängen (vgl. unten). Warum soll auch Hartmann nicht
Strophen wie 211, 27 ff. 213, 29 ff. 216, 29 ff. gedichtet haben,
wenn ihm die dame minder freundlich schien als sonst, oder
warum soll er nicht trüben Stimmungen bei reiferer kunst in
liedern wie 212, 37 ff. ausdruck verliehen haben? Ich halte
es geradezu für unzulässig, aus einer Strophe wie 212, 5 ff.
auf eine untreue Hartmanns zu schliessen. Das gedieht ist
ein Stimmungsbild mit humoristischem anfing, dessen re^le
Ursache nicht erkennbar ist — wenn es überhaupt eine solche
hat. Selbstverständlich darf man andeutungen eines minne-
sängers über liebeserlebnisse nicht vernachlässigen, aber sie
kommen, wie Burdach mit recht betont, erst in zweiter linie.
Es sind momente von secundärer beweiskraft., deren wert erst
gesichert werden muss.
Unter den kiiterien nach denen man beurteilen kann, wie
weit ein dichter bereits in seiner entwickelung zu höherem
können fortgeschritten ist, steht in vorderster reihe die metrik.
Namentlich in einer zeit des aufblühens ist es von hohem wert
und nicht schwer, zu beobachten, wie die kunst zu immer
voUkommneren formen fortschreitet. Hier heben sich die
verschiedenen stufen deutlicher von einander ab, als wenn die
entwickelung bis zur Vollendung gediehen ist. Ich habe darum
den nachdruck auf die betrachtung der metrischen technik
Hartmanns gelegt und die Chronologie seiner lieder auf eine
Statistik ihrer auftaktverhältnisse gegründet. Die berechtigung
so zu verfahren wurde vorher nachgewiesen, indem zunächst
rein aus dem Inhalt mehrerer töne und aus deutlichen be-
ziehungen z\\dschen ihnen eine kleine reihe ermittelt wurde,
die als chronologisch ziemlich sicher angesehen werden darf
(H. V. A. s. 29 ff.). Das resultat ist von Bech in vollem umfang
angenommen und in seiner ausgäbe (3. aufl.) verwendet. Paul
erkennt Grundr. 2*, 1, 937 wenigstens das princip als richtig
an. Ebenso Vogt (s.240).
Ich habe schon in meiner schrift betont und widerhole es
hier, dass ich die reihenfolge die ich gewonnen, keineswegs
für sicher und bis ins einzelne genau ausgeben will (H. v. A.
S.31 anm. s.89 oben). Ich habe das princip nur darum streng
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UEBER HARTMAKN VON AUE. 37
durchgeführt, um zu sehen, ob sich dabei Widersprüche er-
gäben. Dies ist nicht der fall gewesen, im gegenteil. Eben
in diesem erfolg sehe ich eine bürgschaft für die richtigkeit
der methode.
H.V.A. S.35 gebe ich folgende anordnung der töne:
X 213,29 XI 214,12
Xm 216,1 n 206,19 I
Vm 212,13 m 207,11 l
Vn 211,27 I 205,1 )
XIV 216,29 V 209,25 |
IV 209,5 VI 211,20 > krenzlieder
XV 217,14 XVI 218,5 )
IX 212,37
Das ergebnis bestätigt, dass die drei kreuztöne einander
zeitlich nahe stehen und gewis nicht auf zwei kreuzzüge ver-
teilt werden dürfen. Dass dies zugleich das wahrscheinlichste
ist, wird niemand bezweifeln. Aus der tabelle folgt weiterhin,
dass die töne I, II, ni zusammenzustellen sind. Auch dies
bestreitet niemand: sie werden stets ein und demselben minne-
verhältnis zugewiesen. Ihre Ordnung bestimmt Schönbach
überdies genau so wie ich getan, nur dass er zwischen II und
ni. I noch einige andere gedichte einschiebt. Dass sie vor
bez. kurz vor die kreuznahme fallen, wird auch allgemein
angenommen. Drittens ergibt mein princip einen neuen grund
für die unechtheit von MF. 318, an der wol niemand ernstlich
zweifelt, und für die von 214, 34, welche wenigstens von Paul
nachdrücklich verfochten wird. Wenn also meine Chronologie
dem nicht widerspricht was man aus gründen des Inhalts und
des Stiles, jedenfalls aus rein objectiven gründen annimmt,
sondern dies im gegenteil bestätigt, wenn sie hingegen nur
mit dem streitet was man unter biographischer ausdeutung der
lieder combiniert hat, so sehe ich darin keinen grund, sie für
unrichtig zu halten und ihr princip zu verwerfen. Ich finde
darin nur einen beweis für die richtigkeit des Standpunktes
den ich nach Vorgang Bui-dachs eingenommen habe.
Mag man auch über die einzelheiten abweichender ansieht
sein — vollkommene genauigkeit steht natürlich nicht zu er-
warten — , so viel glaube ich doch nachgewiesen zu haben,
dass in den liedem Hartmanns eine starke tendenz zur
auftaktregulierung waltet, mithin die lieder welche darin
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38 SAKAN
am regelmässigsten sind, auch als die letzten lyrischen erzeug-
nisse des dichters zu gelten haben.
Freilich gebe ich olrne weiteres zu, dass meine alte be-
weisftihrung in H. v. x\. manche mängel hat. Zum teil weist
schon Vogt auf sie hin, zum andern teil sind sie mir selbst
bei meinen Untersuchungen über musikalische und poetische
rhythmik sichtbar geworden.
Das schwerste bedenken welches Vogt erhoben hat, näm-
lich das gegen die ansetzung so vieler Strophen als einzel-
strophen, ist von mir, wie ich hoffe, im ersten abschnitt
dieser Untersuchung beseitigt worden, im sinne meiner H. v. A.
s. 12 eingefügten anmerkung und im sinne Pauls und Vogts.
Es hat sich herausgestellt, dass in den tönen der Zusammen-
hang der Strophen verhältnismässig eng ist, enger als ich
früher zugestanden.
Die einbeziehung von ton 211,20 in die Statistik ist
nicht zu billigen, weniger aus dem gründe den Vogt s.238
vorbringt als deshalb, weil das lied offenbar nicht voUstÄndig
auf uns gekommen ist. Sein Inhalt macht aber die einordnung
nicht zweifelhaft.
Wie weit mehrsilbige Senkungen anerkannt werden
müssen, lasse ich dahingestellt. Lachmann und Haupt haben
ihre anzahl zu beschränken gesucht: im gegensatz zu ihnen
hat Paul für Walther viele der beseitigten wider auf-
genommen. Die entscheidung dieser für die herausgäbe mlid.
texte sehr wichtigen frage kann nur eine genaue metrisch-
statistische Untersuchung eines grossen materiales geben, die
ebenso sehr die gesetze der systematischen wie historischen
rhythmik zu berücksichtigen hat. Mir scheint, dass die
herausgeber von MF. die grenzen zu eng gezogen haben.
Aber auf die autorität der hss. in diesem punkte zu bauen,
halte ich entschieden für unzulässig. Auch über die möglich-
keit von *küi*zungen' denke ich anders als Paul (Beitr.8,181ff.),
da ich von der existenz einer mhd. dichtersprache überzeugt bin.
Man hat vor allem streng zu scheiden zwischen gesungenen
liedern (vocaltexten) und gesagten gedichten. Der rhythmus
folgt, wie ich anderswo schon oft hervorgehoben habe, in
beiden gattungen ganz verschiedenartigen gesetzen: dort denen
der musik, hier denen der poesie. Diese arbeitet mit den
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UEBER HARTMANN VON AÜE. 39
mitteln welche ihr der sprachton an die hand gibt, jene mit
zeitverhältnissen die dem lebendigen woil; fremd sind und es
bis zu einem gewissen grade sogar vergewaltigen. Wo also
zur erreichung einer bestimmten Wirkung in der poesie eine,
zwei oder mehr Senkungen vielleicht nötig sind, können sie im
gesang überflüssig sein, ja stören — und umgekehrt. Gesang
und poesie sind auf jeden fall gesondert zu behandeln.
Im gesang ist nun eine zweisilbige Senkung (arsis) an
sich weder schön noch hässlich. Der eindruck den man beim
lesen von minnesängertexten empfängt, ist natürlich für die
ästhetische beurteilung ihres rhythmus in keiner weise mass-
gebend: diese werke sind eben nicht zum lesen bestimmt.
Metrisch sind zweisilbige Senkungen an sich ebenfalls gänzlich
unauffällig: statt 1- steht einfach Iv.^. Im reihenauftakt
sind sogar drei silben möglich (w^^|-). Ob freilich und wie
weit die Sänger von diesen möglichkeiten gebrauch gemacht
haben, ist eine andere frage. Sie ist nicht mit theoretischen
erört^rungen, sondern allein auf dem wege der Statistik zu
lösen. Eine solche aber wird zweckmässig nur mit grösserem
material unternommen und so dass man dabei die sprach- und
Schreibgewohnheiten der hss. berücksichtigt. Ich muss hier
darauf verzichten. Dass sich für die Chronologie der Hart-
mannischen lieder daraus ein kriterium ergeben werde, glaube
ich nicht. Darin ist die regelung doch schon zu weit dui'ch-
geführt
Innere zusammenziehung (thesis + arsis = .-1-; nach
Westphal ^synkope der Senkung') nehmen die herausgeber von
MF. in Hartmanns liedern nirgends an, meiner Überzeugung
nach mit recht. Wo sie überliefert ist, lässt sie sich durch
ganz leichte und unbedenkliche änderungen beseitigen. So
205.3 sdncsüle (so die hss.), MF. ohne zweifei richtig: ensüle,
205.4 dcLs selbe tuot ouch, MF. daz selbe daz tuot ouch, wo
vielleicht Bechs emendation daz selbe tuot ouch der min s, m,
vorzuziehen ist. 210, 11 lese ich mit Haupt. Nimmt man an
der Umstellung anstoss, so könnte man auch an tverelt denken,
eine zweisilbige form, die in älteren liedertexten aufzunehmen
sich zuweilen empfiehlt. Für den leser ist Haupts besserung
entschieden gefälliger, die musikalische rhythmik würde da-
gegen keinen anlass haben, zweisilbige ai-sis hinter der zweiten
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40 SARAN
thesis des Vordersatzes (_1 s.^1 L ) zu tadeln, da
sie gerade an dieser stelle öfters vorkommt und rhythmisch
begründet ist. Vgl. abschnitt IQ. Entscheiden kann wider
nur die Statistik. Von bedeutung für die Chronologie Hartmanns
ist also auch die erscheinung der zusammenziehung nicht
Den ausschlag gibt die beobachtung der auftakt-
verhältnisse. Die bedenken welche Vogt dagegen erhebt,
dass ich die auftaktfrequenz in procentzahlen umgerechnet für
die Chronologie verwerte, kann ich nicht teilen. Denn wenn
in den 45 versen des tones 205, 1 der auftakt einmal fehlt, in
den 24 von 215, 14 aber auch nur einmal, so ist das doch ein
grosser unterschied. Da jenes lied fast doppelt so viel verse
hat als dieses, so fehlt der auftakt dort natürlich um die
hälfte seltener als hier. Umrechnung in procente ist darum
keineswegs ein * aufbauschen' (Vogts. 239): im gegenteil wäre
es falsch die ziffem direct mit einander zu vergleichen. Man
würde in diesem fall ihre bedeutung verschleiern und von den
wirklichen Verhältnissen ein ganz schiefes bild erhalten. Dass
ich den abstand von 205, 1 und 214, 12 H. v. A. s. 36 für be-
deutsamer gehalten als er wirklich ist, leugne ich nicht, um
so mehr als ich jetzt das 'daktylische' lied dort einstelle.
Der oder die verlornen leiche Hartmanns sind wol kreuzleiche
gewesen. Sie würden, wenn dieses richtig ist, unter die kreuz-
lieder einzureihen sein.
S. 239 bemerkt Vogt: 'der Verfasser hat bei der aufstellung
seiner tabelle entweder ganz vergessen, dass dieselbe die fort-
schreitende regelung des auftaktes veranschaulichen soll oder
er sieht diese regelung ausschliesslich in dem gleichmässigen
setzen, nicht auch in dem gleichniässigen fehlen des auftaktes
und ebensowenig in dem bestimmten Wechsel von versen mit
und ohne auftakt; denn nach seiner Übersicht steigen unter-
schiedslos mit der zahl der auf taktlosen verse eines tones auch
jene procentzahlen, deren allmähliches anwachsen nur immer
weiter zurück auf die stufen geringerer kunstfertigkeit des
dichters führen soll; die denkbar niedrigste stufe derselben
würden wir demnach mit der denkbar höchsten procentzahl
erreichen, d. h. in einem consequent ganz ohne auftakt gebauten
gedieht! Ein solches findet sich nun allerdings bei Hartmann
nicht, wol aber gebraucht er strophenscheraata welche das
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UEBEB HARTMANK VON AUE. 41
fehlen des auftaktes an bestimmter stelle erheischen'. Die
gerügte vergesslichkeit wird mir Vogt hoffentlich nicht im
ernst zutrauen. Von den beiden möglichkeiten die er offen
lässt, ist die zweite richtig. Ich habe mit bewusstsein nur
ein princip in der auftaktregulierung anerkannt und halte
auch jetzt daran fest, dass das von mir ermittelte durchaus
die entwickelung beherecht. Neben ihm kommt kein anderes
wirklich zur geltung. Gleichwol hat Vogt richtig gesehen,
dass meine ausführungen an dieser stelle der ergänzung be-
dürfen. In einigen liedem fehlt allerdings der auftakt ent-
schieden nicht ohne absieht. Doch widerspricht dies, wie sich
zeigen wird, meinem princip keineswegs, fügt sich ihm vielmehr
auf das best«. Vgl. abschnitt VI.
Auf einen mangel meiner Statistik muss ich selbst auf-
merksam machen, da ihn niemand bemerkt hat. Er liegt auf
rein rhythmischem gebiet und zwar in der kolotomie. Die
mhd. liedertexte werden so gedruckt, dass im allgemeinen eine
reimzeile auch eine druckzeile ausfüllt. Dass damit der bau
der Strophen nur unvollkommen widergegeben werde, haben
sich die herausgeber von MF, nie verhehlt. In den meisten
fällen ist nun die reimzeile gleich einer rhythmischen reihe,
oft aber beträgt sie weniger (bei binnenreim u.s.w.), oft mehr
(bei waise und reihenverschleifung). Der rhythmische wert
einer druckzeile in MF. kann somit im einzelnen falle drei-
fach sein: 1) reihe, 2) reihenabschnitt, 3) zwei oder mehr reihen
bez. eine ganze periode. Als erstrebenswert muss ein druck-
schema bezeichnet werden, worin jede zeile den wert einer
rhythmischen reihe hat, und worin die anfange der perioden
durch grosse buchstaben deutlich gekennzeichnet sind. Alles
andere ergibt sich daraus dem kundigen leser von selbst.
Entwirft man nun nach dem princip, das ich verwendet,
eine statistische tabelle der auf takte, so muss man vor allem
die functionen genau scheiden. Man darf also nur die auftakte
am reihenanfang mit einander vergleichen, man muss sich da-
gegen hüten *binnenauftakte' mit in die rechnung einzubezieheu.
Femer hat man, um wirklich genaue zahlen zu bekommen,
die anzahl der kola einer Strophe rhythmisch zu bestimmen
und darf sich nicht nach den unrichtigen schematen der drucke
richten. So habe ich z. b. MF. 211, 27 im anschluss an den
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42 SARAN
text als eine strophe von 8 reihen angesehen und die procente
auf diese zahl berechnet. Dies ist falsch, denn die Zeilen 211, 28
und 30 sind notwendiger weise in je zwei kola zu zerlegen,
während 211, 32. 33 ebenso notwendig in eines zusammengezogen
' werden müssen. Die strophe besteht also nicht aus 8, sondern
aus 9 reihen und damit ändert sich auch der statistische wert
der auftaktziffer etwas. Ferner fällt damit der auftakt von
211,33 ausser betracht, denn er ist nicht die erste arsis einer
reihe, sondern nur erste arsis eines abschnitt es (reihenteiles),
also vom Standpunkt deskolons aus gesehen ein *binnenauftakt\
Es bedarf also meine frühere arbeit vorzugsweise im punkte
der rhythmik einer revision. Denn die grundlage einer Unter-
suchung, wie die ist welche ich geführt habe, muss vor allem
eine genaue kolotomie sein. Ich will diese kolotomie und
überhaupt die rhythmisierung der lieder, so weit sie für meinen
I unmittelbaren zweck von nöten ist, hier nachholen.
I
!
m. Zur rhythmik von MF.
I Was einem wirklichen Verständnis der lyrik der minne-
I Singer bisher im wege gestanden hat und noch immer im wege
I steht, ist der umstand, dass man die überlieferten denkmäler
dieses kunstzweiges nicht als das behandelt was sie sind und
allein sein sollen: vocal texte. Man nimmt sie für poetische
werke, für gedichte und beurteilt sie im wesentlichen ebenso,
wie man es mit gedichten moderner lyriker tut. Man vergisst
dass sie nur mit der melodie zusammen wahrhaft lebten, dass
also beim lesen ein grosser teil ihrer ästhetischen Wirkungen
schwinden muss. Eine erotische deutsche buchlyrik gab es
! damals nicht. Es gab keine gedichte, sondern nur lieder.
Macht sich dieser fehler der betrachtung schon bei der
literarischen beurteilung oft recht störend geltend, so noch
mehr bei der rhythmischen. Man stellt hier die Strophen
dieser sänger auf eine stufe mit den reimdichtungen der er-
zähler, man überträgt beobachtungen die man an sprechversen
gemacht, auf gesangsverse, kuizum man lässt den grossen
unterschied ausser acht, der tatsächlich zwischen musikalischen
und poetischen rhythmen besteht. Dadurch wird eine befrie-
digende auffassung der minnelieder unmöglich.
Es ist für die metrik der minnesinger unbedingt festzu-
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UEBRR HARTMANN TON AUE. 43
halten: das für den ästhetischen eindrnck massgebende, das
formende element ist der musikalische rhythmus. Dessen
formen hat sich der text sowol im accent wie in der gliederung
anzttbeqnemen. Diese musikalisch -rhythmischen formen sind
aber ihrem wesen und ihrer entstehung nach von der spräche
und ihren accentverhältnissen als solchen gänzlich unabhängig,
sie können z. b. in der Instrumentalmusik eine existenz ohne
Sprachtext führen. Weil sich nun aber der text dem musika-
lischen rhythmus fügen muss, weil er von diesem geformt wird,
soweit es die natur der spräche nicht hindert, so wird er da
wo die melodie nicht erhalten ist, die möglichkeit bieten, den
rhythmus zu erkennen den er begleitet. Aus den eindrücken
die der rhythmus im text hinterlassen, kann man also um-
gekehrt seine form reconstruieren. Aber dies ist nur dann
möglich, wenn man sich über wesen und gesetze des musika-
lischen rhythmus unterrichtet hat: ohne kenntnis dessen was
in musikalischen rhythmen möglich ist, kann die rhythmi-
sierung der texte nicht gelingen. Denn der text spiegelt
eben nicht alle Wirkungen des rhythmus ab, sondern nur einige.
Ja selbst dann, wenn uns die melodien der alten minnelieder
erhalten wären, würde aus text und melodie allein die rhyth-
mische form nicht construiert werden können. Denn die notie-
rung alter melodien jener epoche bedarf, wie mich ein kenner
der mittelalterlichen notenschrift, H. Riemann, versichert, selbst
erst der rhythmischen deutung auf grund des textes.
Die einzige möglichkeit in das wesen der alten kunst
einzudringen ist also die, dass man an modernen musikstücken
verwanter art, d.h. an einfachen liedem, die formen und ge-
setze des musikalischen rhythmus studiert, danach die erhal-
tenen texte rhythmisiert und dann die resultate durch statis-
tische vergleichung corrigiert. Man wird so, wie ich überzeugt
bin, wenn nicht völlig, so doch hinreichend genauen aufschluss
erlangen, zumal die sache verhältnismässig recht einfach liegt.
Ich werde im folgenden nach dieser methode verfahren. Die
grundsätze die ich im einzelnen befolge, werde ich vorher an-
geben. Ich muss dies in dogmatischer form tun, erhebe aber
hier nicht den anspruch darauf, etwas endgiltiges zu geben.
Doch möchte ich bemerken, dass meine art der behandlung
und die folgende kurze rhythmische Übersicht sich auf die
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44 SARAN
durcharbeitung eines reichen materiales stützt. Ich habe tau-
sende von musikalischen compositionen aller gattungen und
grossen analysiert und die gewonnenen regeln an sämmtlichen
liedem aus MF., den meisten Walthers und zahlreichen späterer
Sänger erprobt und als stichhaltig erfunden. Ich glaube ihnen
darum einigen wert beilegen zu dürfen. Im einzelnen hoffe
ich meine grundsätze bald in einer systematischen darstellung
der allgemeinen musikalischen rhythmik rechtfertigen zu können.
Einstweilen verweise ich auf R. Westphals * Allgemeine theorie
der musikalischen rhythmik seit Bach' und ebendessen *Aristo-
xenos' bd. 1 (von mir bearbeitet und herausgegeben), wo sich in
den prolegomena ein abriss der musikalischen rhythmik findet.
Beide Schriften zusammen genügen im ganzen zur rhythmisie-
rung der minnelieder, so viel verfehltes auch darin enthalten
ist. Will man sich die Schemata der minnelieder beleben, so
nehme man dazu choralmelodien. Deren rhythmik steht —
von dem feierlichen tempo natürlich abgesehen — ungefähr
auf dem Standpunkt der lieder in MF. Von der heranziehung
der kinderlieder sieht man am besten ab, da diese eine Sonder-
stellung einnehmen.
Die rhythmik der minnelieder in MF.
1. Der rhythmus und seine factoren.
§ 1. Lässt man ein monodisches oder unisones (ev. be-
gleitetes) lied auf sich Avirken, z. b. das bekannte * Frisch auf,
kameraden, aufs pferd, aufs pferd' und zwar gesungen so wie
es an seiner stelle sinn- und stilgemäss gesungen werden muss,
so findet man dabei im bewusstsein — wenn man einmal von
andern Wirkungen absieht — die Vorstellung einer gewissen
zeitlichen gliederung, die zugleich als angenehm gefühlt wird.
Dies ist der rhythmus des liedes, die ästhetisch wolgefällige
Zeitform des akustischen Vorgangs.
§ 2. Analysiert man nun diesen Inhalt des bewusstseins,
so enthüllt er sich als die Wahrnehmung eines Systems von
Zeitbeziehungen, das die tonreihe in uns entstehen lässt, und
zwar eines Systems, das sich in mehreren Ordnungen aufbaut,
die so zu sagen über einander stehen. Sie folgen diesem
Schema:
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UEBER HABTMANN VON AUE. 45
4. p
3, r : r
r : r
dann auf jeder seite weiter:
3. r :
r
2. __a^_ : _£_
a
: a
1. f : f f ! f
0. 8:s 8;8 8:8 8:s
f : f
R n 8 :
f : f
8 8:8 8:8
D. h. diese tonreihe ist so beschaffen, dass ihre teile, nachdem
sie ins bewusstsein getreten sind, nicht vereinzelt bleiben, son-
dern nach dem mitgeteilten Schema auf einander bezogen, also
vom geist zu gruppen vereinigt werden, von denen eine immer
die nächst niederen einschliesst.
§ 3. Jede einzelne rhythmopöie ist also in rhythmische
gruppen verschiedener Ordnungen zerlegbar. Diese sind von
unten nach oben gerechnet:
1) der f uss (f) bestehend aus zwei schlagen (s), die arsis
und thesis (aufschlag und niederschlag) heissen,
2) der abschnitt (a),
3) die reihe (r),
4) die Periode (p);
eventuell kommen hinzu
5) der absatz,
6) die Strophe.
Jede gruppe höherer Ordnung zerlegt sich zuerst in die der
nächst niederen und dann so fort. Die folge der schlage, diese
ohne beziehung zu einander gedacht, heisse das rhythmische
niveau (im Schema mit 0 angedeutet).
§ 4. Dies wolgefällige Zeitensystem ist psychologisch be-
trachtet eine leistung des bei^aisstseins. Die mittel die die seele
anregen, es zu erzeugen, d. h. die factoren des rhythmus sind
1) das metrum, d. h. alle die festen Verhältnisse worin
die dauerwerte der einander beigeordneten töne und tongruppen
in den verschiedenen Ordnungen stehen. Metrum ist also der
inbegriff der mathematisch festgestellten dauerverhältnisse in
der tonbewegung. Mit 'rhythmus* darf der begriff nicht ver-
wechselt werden.
2) die dynamik, d.h. der inbegriff der Stärkeabstufungen,
die in einer tonreihe bemerkt werden,
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46 BARAK
3) das tempo,
4) die agogik, d.h. kleine dehnungen oder ktirzungen
die die normaldauer eines wertes erleidet, ohne dass die grund-
proportion für das bewusstsein gestört wird,
5) die tonarticulation (legato, staccato u.s.w.),
6) die tote pause, d.h. irrationale leere zeiten, die als
grenzen gebraucht werden,
7) die melodie mit ihren bedeutungsvollen intervall-
schritten und Schlüssen,
8) der text, der durch syntaktische gliederung und den
Wechsel accentuierter und nicht accentuierter silben die rhyth-
mische gruppenbildung wesentlich fördert,
9) das euphonische des textes, z. b. reim, alliteration
u.dgl., was ebenfalls den rhythmus stützt.
§ 5. Nur das zusammenwirken aller oder doch der meisten
dieser factoren erzeugt den rhythmus. Es brauchen aber nicht
alle in gleicher richtung zu wirken. Einige können wider-
streben, die dann durch stärkere Wirkung anderer in ihrer
tätigkeit compensiert werden. In solchen fällen — und es sind
wol alle — ist das ideale rhythmische System mehr oder weniger
verschleiert. Gerade in der feinen Verwendung der gegensätze
in den factoren besteht die kunst der rhythmischen arbeit
2. Die grundformen der rhythmischen grnppen.
Es folge nun eine kurze Charakteristik der einzelnen rhyth-
mischen gruppen, soweit sie für meinen zweck nötig ist.
§ 6. Der fuss. Für den minnesang, soweit dessen texte
in MF. vorliegen, kommen nur vier in betracht:
_i- anapäst») (J I J) | -i_ daktylus«) (| J J)
^1. Jambus (J^l J) | -v^ trochäus (| JJ^).
Die füsse kennen also entweder das gerade (1 : 1) oder das
ungerade (1:2, 2:1) Verhältnis. Analysiert man eine rhythmo-
pöie nach takten, d.h. von thesis (hebung) zu thesis ohne rück-
sicht auf das fusssystem, so erhält man für MF. natürlich nur
zwei einfache taktformen: den geraden | 1_ | = | JJ | und
den ungeraden JL ^ = | J J^ | . Bei anapästen und jamben heisst
dann die erste arsis der reihe *auftakt'.
*) Ich hrauche diesen namen in etwas anderem sinn als die antike.
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UEBER HAUTMANN VON AUE. 47
§ 7. Die reihe. Es isfibt in der musikalischen rhythmik
überhaupt nur fünf reihenformen: den zwei-, drei-, vier-, fünf-
und sechsfüsser (bez. -takter, wenn man nach takten zählt).
Es empfiehlt sich die neutralen namen 'zweier, dreier, vierer,
fünfer und sechser' zu benutzen, die schon das 18. jh. brauchte.
Meist sagt man : dipodie, tripodie, tetrapodie, pentapodie, hexa-
podie. Von diesen reihen kennt MF. nur drei:
1. den vierer (tetrapodie), weitaus die beliebteste und
häufigste; z.b.
«_!_• _1_ • anapäst.
, , . , . vierer,
daktyl. * '
2. den sechser (hexapodie), nächst dem vierer die belieb-
teste reihe und auch sehr häufig; z.b.
_-i_j-_i'_-i._l_- (anap. sechser),
3. den zweier (dipodie), selten und vielleicht nirgends
anzuerkennen. Durch Verbindung mit nachbaraeilen kann er
wol immer vermieden werden. Dieser reihentypus ist überhaupt
in der musikalischen rhythmik einer der seltensten.
Dreier und fünfer sind in MF. nicht anzunehmen, weil
man ohne sie glatt auskommt und diese reihen jederzeit sehr
selten gewesen sind. Man darf sie nur da ansetzen, wo sie
positiv nachgewiesen werden können.
Am schluss jeder reihe steht eine cäsur, die dui-ch die
Verwendung der rhythmischen factoren in sehr verschiedener
weise zum bewusstsein gebracht werden kann. In der vocal-
musik pflegt des atmens wegen tote pause mit ihr verbunden
zu sein.
§ 8. Der abschnitt. Jede reihe, der zweier ausgenommen,
zerfällt in zwei rhythmische abschnitte, die sich mehr oder
weniger von einander abheben. Bei deutlicher Scheidung steht
binnencäsur, die ich im Schema durch ein Semikolon bezeichne.
Der vierer zerlegt sich so: _1---.; __L_ •, der sechser
entweder -^.-jl; -i'-- --1--: oder _ _ _ .: __!.__•; ^-^j.
d. h. nach dem reihenverhältnis 1 : 2 oder 2:1, nie nach dem
Verhältnis 1:1, also nie _ 1 _ - _ ^; _ 1 _ _. _ 1 . Solche bil-
dungen sind nicht reihen, sondern zweigliedrige perioden!
Da der sechser rhythmisch eine enge Verbindung des
Zweiers und Vierers ist, so enthält sein langer teil (der vier-
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48 SABAN
füssige abschnitt) zwei Unterabschnitte, die zuweilen auch
durch untercäsur deutlich getrennt werden.
Man hat also haupt- und Unterabschnitte zu scheiden.
Von den zwei typen des sechsers ist der nach v = 2 : 1
(also mit dem langen teil voran) stets der seltenere, darum
nur dann anzusetzen, wenn dazu positive veranlassung ist.
Die normalen binnencäsuren der reihen sind die zwischen
den abschnitten; doch sind sie meist verdeckt, besonders im
vierer, so dass sie nicht ins bewusstsein fallen.
Anm. 1. Ich bemerke hier, dass vierer nnd sechser mit anapästischen
fttssen (—— ) der germanischen rhythmik von alters her eignen. Auf den
ersten gehen, wie ich gezeigt habe (vgl. Sievers, Altgerm, metrik cap. VIT),
die 'normalverse' der altgermanischen alliterationspoesie zurück. Auf den
sechser (die hexapodie) anapästischer form dagegen weisen, wie ich hier nur
mitteilen will, die ' schwell verse' hin. Deren einzelne formen lassen sich
aus dem sechser in ganz analoger weise ableiten wie die normalverse ans
dem vierer. Und zwar geht der westgerm. schweUvers auf die form zweier
4- vierer (v = 1 : 2) zurück, also auf den sechser mit schliessendem langen
teil. Der nordische schwellvers im dröttkvsett aber ist aus der form vierer
4- zweier (v:=2:l) entwickelt. Auch die langzeile des IjöÖahattr gehört
hierher. Luicks complicierte theorie ist unmöglich. Die formanalyse des
textes die Sievers zuerst gegeben, entspricht durchaus dem genetischen
Sachverhalt. Wie der ursprünglich vierhebige miLsikalische vierer in folge
seiner deutlich dipodischen structur zum wesentlich zweihebigen poetischen
normalvers umgewertet wird, so der musikalisch sechshebige rhythmus zum
dreihebigen schwellvers. Die von Sievers festgestellte gliederung in ein
X — + normalvers oder normalvers 4- -L x ist nichts weiter als der letzte
Widerschein der musikalischen gruppierung nach 1 : 2 oder 2:1. Die regeln
über die 'Senkungen' und eventuelle 'nebentöne' im schweUvers können
denen des normal verses analog entwickelt werden.
§ 9. Die Periode. Es ist eine für das Verständnis von
rhythmopöien höchst wichtige tatsache, dass in der musik der
culturvölker, jedenfalls in der des abendlandes von der \iar
etwas wissen, reihen für sich allein nicht vorkommen, ver-
schwindend geringe ausnahmen abgerechnet. Es müssen immer
mindestens zwei zu einer gruppe höherer Ordnung, der periode
zusammentreten. Isoliert kommen reihen nach meinen beob-
achtungen nur als Signale u. ä. vor. Die kunst kennt sie nur
da wo sie solche Signale nachahmt. Die reihe als bestandstück
der periode heisst glied (kolon).
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UEBER IIARTMANN VON AUE. 49
§ 10. Die ursprüngliche form der periode ist die zwei-
gliedrige. Sie besteht aus Vordersatz (a) und nachsatz (b).
Sind mehr glieder vorhanden, so haben sie entweder (in MF.
immer!) die function von Vordersätzen (a', a" u.s.w.) oder aber
die von nachsätzen (b', b" u.s.w.). Letztere tragen den Cha-
rakter von schlusswiderholungen und Schlussbekräftigungen.
Es ergeben sich also folgende Schemata:
dreigliedrige periode: a — a' — b oder a — b — b',
viergliedrige periode: a — a' — a" — b, a — a' — b — b'
a — b — b' — b" U.S.W.
Die periodenglieder werden durch die cäsuren getrennt. Hier
ist im text der hiatus stets erlaubt.
§ 11. Für die gliederfolge gilt die specialregel: zwei
dipodien können nie in der function von reihen auf einander
folgen. Wo dies scheinbar der fall ist, hat man es mit einem
vierer zu tun, dessen binnencäsur scharf ausgeprägt ist. Die
zweier sind in solchen fällen also abschnitte, nicht glieder.
§ 12. Hinter der periode ist ein starker rhythmischer
einschnitt, den ich diäresis nennen will. Zeichen: || (doppel-
strich).
§ 13. Wie die reihen zur periode zusammentreten müssen,
so können sich wenigstens die perioden zu absätzen ver-
einigen.
% 14. Die absätze, wo solche vorhanden sind, andernfalls
die Perioden unmittelbar, treten zu Strophen zusammen. Auch
eine periode kann schon strophische function übernehmen (z. b.
im lied *Es zogen drei burschen'. Periode = a — b — b' =
Strophe). Als Strophenteile heissen die absätze im minnesang
aufgesang und abgesang, die Strophe ist also ev. zweiteilig
zu analysieren, nicht dreiteilig.
3. Die rhythmischen sprossformen.
Die unter no. 2 aufgestellten grundformen können nun
modificiert werden durch rhythmische Veränderungen. Ich führe
nur die wichtigsten davon an.
§ 15. Auflfisung. Jede normale thesis (1) kann in zwei
half ten gespalten werden: l = v!^(J = /J'). Eine halbe,
reine thesis heisst schlechtweg kürze' (more). Ebenso kann
Beiträge xur gesohiohte der deutsohen spräche. XXIIT. 4
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t
t
50 BARAK
eine arsis gespalten werden, wenn sie von der daner einer
thesis (1) ist: _ = ^^ ( J = //)• I^i^ zeit der reinen thesis,
dann auch die einer gleich langen arsis, nennt man gewöhn-
lich schlechtweg eine länge. Daher die bekannte regel: eine
länge ist gleich zwei kürzen.
§ 16. Eine arsis von dem wert ^ (/), also die arsis der
Jamben und trochäen, darf im minnesang nicht gespalten werden.
Die kürze ist also wie im griech. und lat. die kleinste mög-
liche rhythmische zeit (xc^oi'og xQAxoq, mora, masszeit).
Es gilt also auch für MF. die regel von der Unteil-
barkeit der kürze (der masszeit, mz.).
§ 17. Die füsse können in MF. darum nur in folgenden
artformen auftreten:
anapäst: -1
daktylus: !._
Jambus: y^L
trochäus: L^
Es gibt also in MF. höchstens viersilbige takte. Füllen vier
Silben den takt, so müssen die beiden ersten (die thetischen
Silben) *verschleifbar' sein, d.h. sprachlich die form ^x haben.
Anm. 2. Für die moderne musik gilt diese regel nicht mehr. Nur
der gemeindechoral befolgt sie noch.
Anm. 3. Die steUen wo auflösung stattfindet, sind nicht schlechthin
willkürlich. Die rhythmische gruppierung kann durch sie bedeutend ge-
fördert werden. Darum ist auflüsung beliebt im 'auftakt', z. b. ww-^ -
— — — — , um den reiheneingang zu markieren. Im inneren der reihe steht
sie gern auf der dritten arsis (anfang des zweiten abschnittes), z. b. - i. — —
v.yw — — — , bes. passend für die hezapodie ww^-_-l ^^^ILj:^- L^j-,
Femer steht sie gern auf ^nebenhebungen', da durch auflOsung die kraft
des ictus gebrochen wird: —L-.Z^ — _l_vLw.
§ 18. Zusammenziehung. Die zeit einer thesis kann mit
der der arsis die unmittelbar folgt, vereinigt werden. Dann
entstehen tiberlängen, vier- bez. dreizeitige takte.
Die rhythmischen Symbole sind: -(J) = 4^ = 1 + _(JJ)
Durch diese zusammenziehung fallen arsen (ohne Zeitverlust)
aus. Westphal nannte den Vorgang unzweckmässig ^synkope
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UEBEB HABTMANV VON AUE. 51
der Senkung'. Reihen mit zosammenziehung heissen ^asynar-
tetisch', solche ohne zusammenziehung 'synartetisch'.
Anm. 4. Die zusamiuenziehimg dient wie die anflösung auch zur
förderung der rhythmischen grappiemng. Sie dient dazn, den schlnss der
reihen zu markieren, findet sich darom besonders nm die letzte arsis
(katalexis):
analog >^ — ^^ _:_ v^ u_ — und — \^ -u^ — ^-/ ti .
Sie ist femer ein gutes mittel haupticten zu verstärken. Beliebt sind darum
in MF. formen wie _ i- ^ _ ^ -•_ ; bei typus C (Sievers) __ -1 — ^ JL _ J. oder
Entsprechend im kurzen und langen teil der hexapodie:
-.2 — — ii— U.S.W.
^1,
P9
§ 19. Verschiebung der einschnitte. Am ende jedes gliedes
oder jeder periode ist normalerweise cäsur (|) bez. diäresis (||):
2.» ^L^^^L-,- I ^ _i.--:-_l__^ ||.
Die cäsur und diärese kann aber verschoben werden um eine
stelle nach vorwärts (so oft in MF.) oder um eine zurück. Ein
komma zeigt die neue cäsui-stelle, punktierte striche die alte
an. Im Schema:
2.« 1_^_A_^ I ^ '^L-^^L _j_ II ■
bez.
1.* -
2.* -:
Der zweite fall ist überhaupt seltener, weil dadurch die zahl
der thesen und damit der grundcharakter der glieder verändert
wird. Der erste fall ist beliebt. Dadurch bekommen die
glieder am schluss * überschlagende arsen', d. h. sie werden
hyperkatalektisch, entsprechend werden andere dadurch
auftaktlos.
Anm. 5. Tritt auflösung dazu, so complicieren sich die yerhältnisse;
z. b. aus '- ^:^ I ^-^^ ^"^ 11
' . ' . I t . ' .
wird gern z. h.
N-/ J V-» — —
' . ' . II
Bei zurücktreten der cäsur und diäresis entsteht z. h.
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52 SARAN
1«'.'. b r.f.
2.« ^ ;i ^^_^_1_^ I " _1_^._1_^ II
also dreiwertige auftakte! Die schliessenden kürzen von 1.» und ^ sind dann
der agogischen dehnnng zugänglich, treten im text darum als ^anceps/
(^) auf.
§ 20. Aehnlich steht es mit der binnencäsur. Deren
normale Stellung, soweit überhaupt binnencäsur beabsichtigt
ist, befindet sich zwischen den abschnitten. Also im vierer
nach der zweiten thesis (bei absteigenden füssen: arsis) z. b.
__L_-^; ^1«^ oder :_^_; l-^_
im Sechser ebenso:
, .
Sie rückt nun entweder eine stelle nach vorwärts: z.b.
__1^^_; 1-j. bez. _1>^^; :?-_•__:._-
oder zurück: z.b.
_1_; ^_^_^ bez. -J:_; ^_^_^_^-..l.
Das letztere ist minder häufig.
Anm. 6. Combinationen mit arsenauilösung kommen oft vor, z.b.
Im Sechser z.b.
s^, s^ aus — , 'w«^ — — •
§ 21. Verdeckung der einschnitte. (Glieder-, periodenver-
schleifung). Der normale zustand ist, dass cäsur und diärese
deutlich ins bewusstsein tritt. Besondere Wirkungen werden
dadurch erzielt, dass über die einschnitte hinweggegangen wird.
In solchen fällen pflegt einschnitt (wortschluss) im text zu
fehlen; z.b. r-.
§ 22. Perioden- und absatzbrecliung. Das normale ist, dass
die diäresis stärker ist als die cäsur und der endfall des ab-
satzes stärker ist als der nach der Vorderperiode. Besondere
Wirkungen werden erzielt, wenn das Verhältnis umgekehrt
wird. Dann bekommt die periode und der absatz eine neigung
auseinander zu fallen. Die bewegung wird freier, prosa-
ähnlicher. Sparsame Verwendung dieses kunstinittels ist für
das lied wesentlich, da andernfalls das rhythmische System
zerrüttet würde. Im Sologesang, der ohnehin freiere bewegung
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UBBEB HARTMANN VON AÜE. 58
verträgt, ist die erscheinung leichter zu ertragen als im
chorlied.
Anm. 7. Die poesie, die auf die gesetze des mnsikallschen rh3rthmn8
nicht zn achten braucht, liebt es in gewissen stilarten (bes. erzählender
dichung), die strophenbrechnng durchzuführen. Sie schreitet oft bis zur
periodenbrechung fort. Vgl. Saran, Z. metr. Otfr. v. Weissenburg s. 193 fif.).
§ 23. Rhythmische pause. Das normale ist, dass eine
rhythmopöie ihre rhythmen alle mit tönendem Stoff erfüllt.
Es können aber anch rhythmische werte ihrem Inhalt nach aus-
fallen und durch eine leere zeit von gleicher dauer ersetzt
werden. Diese ^leeren zeiten' sind die pausen, die ^rhythmisch'
heissen, weil ihre Zeitdauer wesentlicher bestandteil des rhyth-
mischen Systems ist, weil sie tönenden werten gleich stehen
und als solche teile rhythmischer gruppen, glieder metrischer
Verhältnisse sind. Sie sind nicht zu verwechseln mit den
* toten pausen', die nur die bedeutung von grenzen, nicht von
Inhalten haben (§ 4). Das sjnmbol der rhythmischen pause
ist A (wert = ^), der toten p. Je nach dem wert, den sie ver-
treten, sind die pausen femer zweizeitig (ä), dreizeitig (y\),
vierzeitig (/\). Andere kommen in MF. nicht vor.
Anm. 8. Auch die pausen können zur yerdeutlichung des rhyth-
mischen Systems dienen. Sie werden besonders am reihenschluss ge-
brauchtj mit ähnlicher Wirkung wie die zusammenziehung. Z. b.
(scheinbar ausfall eines ganzen fusses = brachykatalexis); femer
(pausenkatalexis). Dann im Innern:
!_• ä; -'._-■ Ä
(mittelpanse zur markierung der binnencäsur) und am anfang:
(pause statt des auftaktes zum verstärken des reiheneinsatzes).
4. Hegeln für die rhythmisierung von minneliedern.
Hat man die aufgäbe, ein lied modernen Ursprungs, etwa
aus dem 18. oder 19. jh., rhythmisch zu analysieren, so ist das
nicht schwer. Aus der notierung im verein mit der betrach-
tung des textes kann ein musikalischer mensch im wesent-
lichen die absiebten des componisten erkennen, kann er sich
das bild das diesem vorschwebte, sinn- und stilgemäss recon-
struieren und rhythmisch betrachten. Das problem ist sodann,
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54 SARAN
die rhythmische form des Werkes zu bestimmen, und aufzu-
zeigen, wie die rhythmusfactoren jeder für sich zur gesammt-
wirkung beitragen.
In dem fall der uns vorliegt, steht es weit ungünstiger.
Von dem ganzen kunstwerk des minneliedes haben wir nichts
weiter als den text zur reconstruction der form, es fehlt die
melodie und das was man heute Vortragsanweisung, taktein-
teilung und taktvorzeichnung nennt. Von den neun factoren
des rhythmischen eindruckes entziehen sich also mindestens
sechs (metrum, tempo, agogik, tonarticulation, tote pause, me-
lodie) der beobachtung. Es bleiben textgliederung (durch
accent und syntaktischen Zusammenhang) und das euphonische.
Bis zu einem gewissen grade auch die dynamik, da diese im
deutschen sich einigermassen an den sprachaccent anschliessen
muss. Im französischen fällt auch sie aus. Vgl. abschn. V.
Es ist mithin unsere aufgäbe, aus der beobachtung der
textgliederung, des euphonischen (reim) und der gegebenen
dynamischen punkte (wortaccente) die rhythmische form zu
erschliessen, die das kunstwerk beherscht.
Wie weit hat nun der rhythmus im text des minneliedes
seine spuren hinterlassen?
Wollte man rein aus dem texte von motetten z.b. des
Palestrina, Orlando di Lasso oder aus den texten von Otts
Liederbuch den rhythmus des ganzen herstellen, so wlirde man
weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Auch in der vocal-
musik unserer zeit wüi'de der wirkliche rhythmus nicht rein
aus dem text ermittelt werden können. Denn in der modernen
musik höheren stils ist die melodie und die rhythmische form
ihre eigenen wege gewandelt und schaltet mit der sprachlichen
form des textes sehr frei. Melodie und rhythmus herschen
über den text: jene sind die hauptsache, dieser nur das substrat.
Auch bei R. Wagner ist das nicht anders, nur dass dieser aus
hier nicht zu erörternden gründen, wie überhaupt die neuesten
componisten, das wort mehr schont als die früheren. Man
kann also sagen: da wo die melodie die hauptsache ist, der
text i. w. nur als ihr träger und dolmetscher wert hat, ist
eine reconstruction des musikalischen rhythmus im einzelnen
aussichtslos. Hier kann nur die kenntnis der genau notierten
melodie helfen.
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ÜEBEB HABTMANN VON AUE. 55
Anders liegt aber die sache da wo der Schwerpunkt im
textinhalt liegt und die melodie nicht zweck, sondern — wie
Aristoteles sagt — mehr ein ijövcfia des Wortes ist. So war
es in der antiken musik etwa bis zur hellenistischen zeit, so
war es offenbar auch in den ältesten zeiten des minnesangs,
also mindestens bis in den anfang des 13. jh.'s. Wir können
das daraus mit Sicherheit schliessen, dass die texte der ältesten
minnesänger, die uns besonders MF. bietet, an sich wertvoll
und lesbar sind. Fehlt auch den liedem des Kttrenbergers,
Hausens, Reinmars eine gewisse sprödigkeit, teilweise trocken-
heit der form nicht, die jedem echten und guten vocaltext
eigen ist, so sind es doch immerhin an sich geistreiche und
gehaltvolle dichtungen. Das ist nur so zu verstehen, dass die
alten dichtercomponisten den nachdruck auf das wort legten
und ihm die weise unterordneten, wie es die antiken dichter
auch getan. Sie konnten es, weil gleichwertigkeit von wort
und weise, dichter und componist als eine person vorausgesetzt,
überflüssig, ja unmöglich ist; sie mussten es, weil die musik
damals noch auf primitiver stufe stand und die ausdrucks-
fähigkeit des wertes bei weitem nicht erreicht hatte.
Das Verhältnis von wort und weise wird sich aber bald
geändert haben. Das zeigt eine betrachtung der liedertexte
des 13.jh.'s. Diese sind formell z. t. so künstlich, inhaltlich
so dürftig und leer (Nifen, Konrad von Würzburg), dass man
annehmen muss, dass hier bereits die musik anfängt zur haupt-
sache zu werden und der text zurücktritt. Denn die behaup-
tung vom fortgesetzten * verfair des minnesangs ist angesichts
der glänzenden technik dieser lieder wenig glaublich. Offenbar
vei-schiebt sich nur der Schwerpunkt in das musikalische.
Wenn also, wie nicht zweifelhaft ist, im alten minnesang
das wort über die weise herschte, so muss sich auch der
rhythmus der spräche möglichst angepasst haben: Verrenkungen
und Zerrungen der wortform werden nur so weit erlaubt sein,
als sie das ohr nicht beleidigen. Rhythmische und sprach-
liche form müssen sich so weit nur möglich durch-
drungen haben: diese muss jene, so weit es überhaupt
angeht, spiegeln. Dass dies der fall ist, liegt auf der band:
die technik des minnesangs ist nach der sprachlichen seite
hin schon um 1190 fast tadellos, Ueberall die feinste abwägung
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56 SABAN
der Silben, überall die peinlichste rUeksicht auf die spräche.
Eben darum sind die üblichen scansionen der sogenannten
'daktylen' unmöglich: sie Verstössen gegen dies vornehmste
gesetz der mhd. liedkunst.
Wir dürfen also an die texte von MF. mit der Voraus-
setzung herantreten, dass sie, so weit dies möglich ist,
den rhythmus des ganzen widerspiegeln.
Prüft man von diesem Standpunkt aus die überlieferten
texte, so wird man bald merken, dass sich aus den reim-
beziehungen, syntaktischen gliederungen und dem accent,
namentlich wenn man alle Strophen eines tones vergleicht,
ziemlich leicht ein gruppensystem ermitteln lässt, das man
allen grund hat als reflex des rhythmischen anzusehen.
Gleichwol beantwortet die textanalyse nicht alle fragen.
Ja blosse textbetrachtung ergibt ein völlig schiefes bild von
der rhythmischen structur der lieder, weil sie zu formen führt,
die rhythmisch unmöglich sind. Derart sind z. b. die sieben-,
acht- und mehrhebigen *verse', die man ansetzt. Solche gibt
es nicht, wenn man * reihen' damit meint. Also die reihen-
abteilung (kolotomie) kann auf grund des textes allein nicht
überall mit Sicherheit vorgenommen werden. Ebensowenig
kann man bloss aus dem text heraus den rhythmischen wert
der einzelnen reimzeilen bestimmen. MF, 209, 21 ja mohte ich
eteswar ist sprachlich x-x-x-j ftl>®r rhythmisch ist es kein
dreifüsser _ 1 _ L _ 1 1 , sondern ein brachykatalektischer vierer
Zur textanalyse und reimbetrachtung muss also kenntnis
der allgemeinen musikalischen rhythmik hinzukommen, wenn
die rhythmisierung gelingen soll. Was etwa davon für den
vorliegenden fall von nöten ist, gibt der obige kurze abriss.
Um nun die rhythmisierung von minneliedertexten zu er-
leichtern, stelle ich hier in form von praktischen regeln die
gnindsätze zusammen, die dabei zu beobachten sind. Sie folgen
aus der anwendung der gesetze der allgemeinen rhythmik auf
die überlieferten texte von MF.
1. Taktart. Sind in einem ton die binnensenkungen des
textes streng einsilbig, die reihenauftakte höchstens zweisilbig,
so ist nicht zu entscheiden, ob der takt gerade (1-) oder
ungerade {- ^) ist. Zweisilbige Senkung und dreisilbiger auftakt
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ÜBBER HABTMAMK VON AUE. 57
beweisen dagegen für geraden takt. Dies folgt aus Rhythm.
§ 17. Vgl auch Saran, Otfr. v. Weissenb. s. 181 ff.
2. Reihe. Der regel nach ist jede reimzeile eine reihe,
der reim markiert also eine cäsur. Aber:
a) Reimzeilen die mehr als sechs hebungen haben, müssen
geteilt werden, da sechs fiisse oder takte der grösste umfang
ist, den eine reihe haben kann. Im allgemeinen ist 5 y^ die
längste textreihe die MF. kennt; 6 ist seltener.
b) 2 zweier hinter einander müssen zum vierer vereinigt
werden; überhaupt ist die alleinstehende dipodie möglichst zu
vermeiden. Rh. § 7. 11.
c) Vierer und sechser sind die reihen die — von un-
sicheren fällen der zweier abgesehen — allein in MF. vor-
kommen. Sie sind also durch annähme von dehnungen (§ 18),
rhythmischen pausen (§ 23) und durch geeignete teilung von
überlangen reimzeilen überall herzustellen. Dreifüsser und
fünfer gibt es in MF. nicht. Rh. § 7.
d) Sechser mit binnencäsur nach der dritten thesis gibt
es nicht. Rh. § 8. 20.
e) Die reihe hat meist keine binnencäsur, aber sie wird
stets von einer cäsur abgegrenzt. Auf dieser ist hiatus er-
laubt; hiatus ist also gelegentlich ein mittel, die reihenteilung
zu sichern.
f) Verdeckung der cäsur und diäresis ist selten. Im text
fehlt dann der einschnitt. Man muss aber erwägen, dass durch
eintreten der anderen rhythmusfactoren trotzdem der reihen-
schluss deutlich gemacht werden kann.
g) Eine reihe darf nie isoliert stehen: mindestens zwei
müssen zur periode zusammentreten (Rh. § 9). Widerholung
der nachsätze (b', b") kommt in MF. nicht vor (Rh. § 10).
3. Die periode ist nach reim und bes. starkem syntak-
tischen einschnitt meist leicht abzugrenzen. Die diäresis ist
immer stärker als die cäsur, mindestens ebenso stark. Aus-
nahmen (Rh. § 22) sind selten.
4. Die Strophe umfasst durchschnittlich drei bis vier
Perioden. In MF. kommen Strophen = einer periode (Rh. § 14),
so viel ich sehe, nicht vor. Strophen zu zwei und fünf, auch
mehr sind dagegen nachzuweisen.
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58 SARAN
5. Die rhythmische entsprechung der Strophen
erstreckt sich nicht bis ins einzelne, wie in der griechischen
chorlyrik. Grundform, auflösung, zusammenziehung, wechseln
im takt doch ist bei jüngeren dichtem das bestreben sichtbar,
genaue responsion durchzuführen. Auch die syntaktische glie-
derung der Strophen, darum auch die interpunction, pflegt im
ganzen und grossen zu entsprechen. Abweichungen scheinen
wenigstens z. t. mit den in abschnitt I (s. 29) besprochenen
Strophenzusammenhängen in Verbindung zu stehen. Ebenso
rhythmische freiheiten.
Hiernach werde ich nun die lieder Hartmanns rhythmi-
sieren. Ich wähle durchweg die gerade taktärt, da sich der
beweis für die ungerade in MF. nicht führen lässt. Für meinen
besonderen zweck kommt auch auf die entscheidung dieses
Problems nichts an.
IV. Die rhythmlk der lieder HartmannB.
Für das Verständnis der folgenden Schemata bemerke ich:
schematisiert wird jedesmal nur die erste Strophe jedes tones
in MF. Vorkommendenfalls sind für die andern die nötigen
änderungen vorzunehmen. Die perioden der Strophe werden
mit arabischen ziffem numeriert und so weit als möglich auf
eine zeile gesetzt. Die absätze bleiben unbezeichnet; sie ergeben
sich von selbst. — Die accente sollen nicht die wirkliche
ictenabstufung bezeichnen, sondern dienen nur zur bequemeren
Orientierung über den wert der reihe. Die wirkliche icten-
abstufung (z. b. nach Sievers'schen typen beim Kürenberger u. a.)
lasse ich hier ganz aus dem spiel, da für meinen zweck nichts
darauf ankommt. Ich werde später im Zusammenhang darauf
zurückgreifen.
Der text der den strophenschematen zu gründe liegt, ist
genau der von MF.: abweichungen davon werden jedesmal
angemerkt. Die kritischen bemerkungen zu Strophen die nicht
anfange von tönen bilden, sollen nur die aufmerksamkeit auf
das Verhältnis von rhythmus und text lenken, sie machen
keineswegs den ansprach darauf, endgiltige entscheidungen zu
sein. Einige Sicherheit in der behandlung der zweisilbigen
arsen u. ä. kann nur durcharbeitung eines grossen materials
und statistische bearbeitung desselben geben. Ueberhaupt
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UEBER IIABTMANN VON AUE. 59
bitte ich die constructionen dieses abschnittes nur als einen
versuch anzusehen, der mehr fragen auf werfen als definitiv
beantworten soll.
Für den druck von minneliedem muss als regel gelten:
jede druckzeile darf nur 6ine reihe enthalten. Der reihen-
anfang wird durch kleinen, der periodenanfang durch grossen
buchstaben bezeichnet. Auf- und abgesang, wo so zu scheiden
ist, ergibt sich daraus von selbst. Für ton VII und XVI wird
je eine Strophe als beispiel abgedruckt werden.
Ton I (MF. 205,1 ff.).
1.
2.
3.
rr 'AI' •' ' k
— A I A
^^A I A
A I A
_ /^ I A
Reimschema : a — b
a-b.
b — c — c
c — c
Die reihe 3 a ist stets durch starke interpunction begrenzt.
So setzt der abgesang immer deutlich und kräftig ein. 3 a ist
gleichsam der höhepunkt jeder Strophe. Str. 5 steht wie oben
gezeigt dem Inhalt nach allein. Mit dieser Sonderstellung
hängt vielleicht die freiheit im auftakt von 206, 11 zusammen.
205, 7 schreibt MF. dienst (so auch die hss.), 205, 19 und
209,5 ist dienest überliefert und notwendig. An der ersten
stelle wäre die Schreibung dienest immerhin in betracht zu
ziehen, weil die dadurch entstehende zweisilbige Senkung auf
die dritte arsis fallen würde. Vgl. Rh. § 17 anm.3. V. 205, 13
würde durch Streichung des entbehrlichen worden w^eit besser
werden: dajs ist an minem (so BC) ungelücJcc schin.
Dass in diesem liede nicht fünfer, sondern sechser mit
pause angesetzt werden dürfen, folgt schon aus dem gehal-
tenen, wenn auch erregten ton des ganzen. Die atemlose
hast der pentapodie würde hier gar nicht möglich sein.
Ueberdies weisen die starken Sinneseinschnitte hin auf ent-
sprechende pausen (die z. t. auch durch Überdehnung aus-
gefüllt werden können; das ist natüilich nicht auszumachen).
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60 SARAN
Ton II (206, 19 ff.).
1. _!___!__ I _2___1X I --l — - ^A
2. _1___JL__ I _1___1X I -i — lA
ö , I ^:^A I ^ — ^A
Beimschema : a — b — c
a — b — c.
6 -\- d — e — e
Die syntaktische gliederung von str.206,29 und 207,1 entspricht
dem rhythmischen System ganz genau. Die erste, hier analy-
sierte Strophe weicht ab. Denn v. 24 : 25 + 26 findet sich
periodenbrechung (Rh. § 22). Man beachte dazu, dass 206, 19
die Schlussstrophe des liedes bilden muss (s. 14) und nur lose
an den vorausgehenden hängt.
Ton III (207, 11 ff.).
1 ' ' I ' '
9 ' ' ' '
3 t t »^"i t t HrM~ ' . " '
. ww/\ ( v^/y I ,
4. .i_^_i X I --—- - A I ----- ; -^'— -i—
Beimschema : a — b
a — b.
c — c — (J4- e
f — f — rf + e
Die anfangsstrophen der lieder IIP und IIP (207, 11 und 208, 8)
zeigen das System rein. Periodenbrechung: 208, 33 : 34. 35 : 36.
207, 26 : 27. 207, 38 : 39. 208, 27 : 28. Sogar reihenbrechung; 208,
26. 38. Es fragt sich aber, ob man die sechser von 3 und 4 nicht
doch in einen zweier und einen vierer zerlegen soll. Möglich
ist es in fällen wie dieser. 208,39 ist zu lesen in betraget
siner jdre vil Die zweisilbige arsis also bei hexapodie nach
der binnencäsur (_^_^; v^^J.' L ), bei tetrapodie im
auftakt. 208,27 ABC manic, also dieselbe erscheinung.
Ton IV (209,5 ff.).
1. -^ 1— I -1 ^-
2.Ä1 J--^ I --1 i-
Q' .' I' 'VI' 'V
O. s.yv-/, V-/W I — v>^W /\ I /\
4. Äl_I-^— T-- — ^— I -1 — lA
Reimschema : a — b
a-b.
g^-c — d — d
e — w — e
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UEBER HARTMANN VON AüB. 61
209,9+ 10 vgl. Rh. § 7. 209,7 str. wan. 209,14 woche mit
elision des -e, 209, 15 mit BC t^te si? Die zweisilbige Senkung
stände dann auf der binnencasur. Periodenbrechung 209, 12 : 13.
Ist diese Strophe schlussstrophe des liedes und fehlt die erste?
Ton V (209,25 ff.).
2. -^ 1 ; _1_~ I -Jf 1 ; _1_I~
3._1___1XI-- — ^A
4._1___1XI-^ — - —
Reimschema : a + b — a + b
S + d-5-fd.
e — e
f— f
209, 25 und 37, die anf angsstrophen der beiden lieder von V,
prägen das Schema am klarsten aus. Die beiden Schlussstrophen
weichen ab: reihenbrechung 211, 2:3; 9 : 10; 15 : 16. Perioden-
brechung 211, 5 : 6. V. 210, 22 mit BC reichen daz ich . . . , d. h.
zweisilbige arsis nach der zweiten thesis? Eh. § 17 anm.3.
Ton VI (211, 20 ff.).
2. ^L 1 I ^L L
3. _1 ---I -- - I -~ -
Reimschema : a — b
a — b.
c — w — c
211, 20 1. mit BC sendet ir. Die zweisilbige arsis nach der
zweiten thesis! Periodenbrechung 211,23:24. Der ton ist
sicher unvollständig: wol mindestens eine Strophe muss wegen
V. 21 voraus gehen. Also ist diese strophe gewis nicht die
anfangsstrophe.
Ton VII (211, 27 ff.).
1. -1 !-_-. I -^ ^- I Ä-i 1
2. -^ 1_- I _1 L- I Ä-1 -i_-
Ö. A ''-^^ A I ^ wv^j wv-/ I
Reimscbema : a — w — b
a — w — b .
c — rf + d — c
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62
SAUAN
211,28 und 30 müssen in 2 vierer zerlegt werden. Man kann
die glieder durch pause trennen, wie ich getan (dadurch hebt
sich die Strophe von den andern beiden ab), oder verschleifen
also: l^' + ^ -----L d.^--.--.-. Dies muss in den
andern beiden Strophen geschehen. Der reihenschluss kann
durch modulation sehr wol bemerklich gemacht werden. In
noten würden sich die verechleiften glieder so darstellen:
J I JJi JJ NU IJJIJJIJJIJ-
Periodenbrechung 211, 38 : 212, 1, hier in der anfangsstrophe
des liedes. Denn 211,27 bildet doch wol den schluss (vgl.
§ 25). Im druck würde z. b. Strophe 211, 35 so zu ordnen sein:
Swer anders gibt, der misseseit,
wan daz man staetin wip mit
staBtekeit erwerben muoz.
Des hat mir min unstsetekeit
ein stsBtez wip verlorn, diu
bot mir alse scbcenen gruoz
Daz si mir erougte lieben w&n.
do si erkös mich stsetelös,
dö muose ouch diu genäde ein ende bän.
1. Äl
2. Äl
3. Äl
4. _1
Ton VIII (212, 13 ff.).
■ I N-A^
Reimschema : a — b
a — b.
c — c
d — d.
Ton IX (212, 37 ff.).
1. -J
2. Ä-
— -^^--y-- 1 - -^--
3. _J
4. _J
1 _ 1 -_
t
f
5. _.
L i.___ 1 Ä-
__ ^__
Reimschema:
a — b
a — b.
c — d
c — d
c — d
Hinter 212, 38 setze ich punkt, hinter 213, 1 komma.
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DEBEK HABTMAKN VON AUE.
Ton X (213, 29 ff.).
63
1. 7\ J-_^^w I A -^ l_v>v^
2. A-^ '- — v^ I 7\ 1 ü — ww
3. Äl' 1_I7_1 I AJ1--_1_
4. Äi. 1— I --1 L- I Äl-.
• — — v-yN-y — ; s^ y
v_/ >
Reimschema : a — b
a — b.
54-c — c
d — e — e— d
213, 34 hinter da ein komma. V. 85 1, get ez nä, dahinter punkt.
Hinter verjcehe (v. 38) komma. V. 37 1, daz ich si (hs. das si
mit ausfall von ich durch einfluss der folgenden zeile). 214, 10
1. mit Bech nach in verderben, — Reihe 4»" ist hyperkatalek-
tisch. Vgl. Rh. § 19 anm. 5.
Ton XI (214, 12 ff.).
2. L 1__|_1 1_. -^
3 ' ' 1 ' '
4. Il L 1 SL 1
5. ' ' 1 ' ' 1 ' .
f
Reimschema : a — b
a-b.
c — c
d-e
d-e-e
Ib, 2b sind hyperkatalektisch. In 214,24 ist sM'wre wegen des
auftaktes von v. 25 als 1^ zu messen.
1.
2.
3.
Ton XIa (214, 34 ff.).
Reimschema:
a — b
a-b.
c — c
w — d-
Die Strophen sind nicht von Hartmann.
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64
2.
3.
SARAN
Ton XII (215, 14 ff.) vgl. abschnitt V, ende.
Ton XIII (216, 1 ff.).
f I f ff f
L I AI ISZ -L
Reimschema : a — b
a — b.
c — c — c.
216, 1 zweisilbige Senkung nach der zweiten thesis.
1. Ä.
2. Ä
3. _
4. _
Ton XIV (216, 29 ff.).
Reimschema:
a — b
a — b.
c — c
c — c
Periodenbrechung in der schluasstrophe 217, 11 : 12.
Ton XV (217, 14 ff.).
1. _
2. .
3. Äl 1--.
4. -
5. _
■-Ä
Reimschema:
a — b
a-b.
c — d
c — d
Periodenbrechung 217, 17 : 18. 27 : 28. 39 : 218, 1.
Ton XVI (218. 5 ff.).
1. --
} 1t t
f
: w, w-
rr
- ' A
2
r tt t
f
ff
•--'-A
3. _-
4. .
' f '"^ t
- A
5. _.
r ff r
Reimschema: a-
a-
w-
w-
d-
1 '-
-b
-b.
-c
-d
-c
ff
f
3. 4 Perioden mit verdeckter cäsur (reihenverschleifung, Rh. § 21).
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ÜEBER HARTMAKN TOK AÜE. 65
Die letzte Strophe dieses liedes wäre so zu drucken:
21 Ir minnesingser, ia muoz ofte misselingen:
daz iu den schaden tuot daz ist der wän.
Ich wil mich rfiemen, ich mac wol von minne singen,
Sit mich diu minne hat und ich st hän.
25 Daz ich da wil, seht daz wil al-
se gerne haben mich:
So müezt ab ir Verliesen un-
der wüen w&nes vil.
Ir ringent umbe liep daz iuwer niht enwil:
30 wan müget ir armen minnen solhe minne als ich?
•
V. Die daktylen im deutschen minnesang, nebst einem
Yersuoh über die grandlagen der romanisohen rhythmik.
Die analyse des tones XII (215, 14 ff.) bietet ganz beson-
dere Schwierigkeiten. Seine rhythmen gehören zu einer gruppe
für die die mhd. verslehre noch keine befriedigende erklärung
gefunden hat. Auch ich bin noch nicht im stände, das problem
endgiltig zu lösen. Was ich hier bringe, soll darum mehr auf
gewisse tatsachen hinweisen, die man bisher teils übersehen,
teils nicht richtig gewürdigt hat, als eine volle lösung geben.
Notwendig ist es, um meinen Standpunkt zu rechtfertigen, auf
die theorie der provenzalisch -französischen verse einzugehen,
die freilich m. e. noch ganz im argen liegt. Was man roma-
nische rhythmik nennt, ist tatsächlich keine, namentlich fehlt
es noch ganz an der erkenntnis der fundamentalen Wahr-
heiten, die eine musikalische und poetische rhythmik des
romanischen erst möglich machen. Gerade darauf werde ich
also besonders hinweisen.
Es ist natürlich nicht meine absieht, der romanischen
rhythmik hiermit eine völlig zureichende grundlage zu geben.
Was ich biete, soll nur meine behandlung der mhd. sog. *dak-
tylen' rechtfertigen. Immerhin ist es vielleicht geeignet, dem
romanisten eine andere art der rhythmischen arbeit nahe zu
legen. Ich bemerke, dass sich die ansieht über die romanischen
verse, die ich hier entwickle, auf die analyse zahlreicher franzö-
sischer vocalcompositionen älterer und neuerer zeit — darunter
aller melodien zu B6rangers liedem — gründet. Dazu habe ich
bei gelegenheit eines längeren aufenthaltes in Paris gelegen-
heit gehabt, die moderne Vortragsweise des alexandriners zu
Beiträge rar getohlehto der daatfohen «praohe. XXIII« 5
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66 SARAK
beobachten und mir durch Unterricht bei einem recitator ein-
zuprägen. Also auch da kann ich aus erfahrung sprechen.
Die gruppe von mhd. rhythmen die hier untersucht werden
soll, pflegt man ^daktylen' zu nennen. Der name soll das
rhythmische formprincip andeuten, das zu gründe liegt. Denn
während sich die takte der übrigen reihen im regelmässigen
Wechsel von hebung und Senkung — die fälle der zusammen-
ziehung ausgenommen — bewegen, ist hier dies princip durch-
brochen. Die form _'-v^w soll die norm, des taktes sein. Es
wären also verse, in denen zweisilbige Senkung beabsichtigt
ist, während sie sonst nur geduldet erscheint. Spondeus für
daktylus wird zugestanden.
Woher stammen nun diese rhythmen?
Man dachte zunächst an Ursprung aus der lateinischen
poesie. Diese kennt daktylische tetrapodien. Dann aber wurde
durch K. Bartsch eine andere ansieht verbreitet. Er meinte,
die betr. verse seien nachahmungen des romanischen zehn-
silblers (mit männlichem oder weiblichem schluss), und wie in
den romanischen metren, so sei auch in diesen versen das
princip der silbenzählung herschend. Der eigentliche dakty-
lische rhythmus erkläre sich aus der natur des romanischen
Vorbildes: dieses habe öfter einen daktylisch geflügelten
rhythmus gehabt, während es gewöhnlich ^iambisch' gegangen
sei. Eben jenen daktylischen rhythmus hätten die Deutschen
in ihren daktylen nachgeahmt (Zs. fda. 11, 161). Pf äff führte
die ansieht von Bartsch weiter. Er sagt, die minnesinger
hätten beabsichtigt, mit dem romanischen vers auch dessen
silbenzählung (ohne berticksichtigung des worttons) zu über-
nehmen. Da aber dies bald unstatthaft erschienen, so seien
sie zu dem grundsatz zurückgekehrt, dass die versbetonung
sich nach dem wortton richten müsse. Das aber habe sie
gezwungen, den romanischen zehnsilbler teils als vierhebig-dak-
tylisch oder fünfliebig-ianibisch nachzubilden (Zs. fda. 18, 52 f.).
Auf dem gleichen Standpunkt steht AVeissenfels (Der dak-
tylische rhythmus s. 2 f.). Er meint, ursprünglich seien die Vor-
bilder ohne bestimmten rhythmus nachgeahmt (nach dem
princip der silbenzählung), die rhytlimuslosigkeit habe sich
dann zum daktylischen rhythmus entwickelt, bis dieser end-
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UEBER HARTMAKN VON VjE. 67
lieh ganz rein ausgeprägt worden sei. Ac'nnlich Wilmanns,
Beitr. z. gesch. d. alt. deutschen lit. 4, s. 28 ff. -
Aber alle diese constructionen schweben in der luft, weil
sie es unterlassen, die nötige grundlage zu sdiaffen, nämlich
festzustellen, was denn eigentlich der romanische zehnsilbler
in der prov.-frz, troubadourpoesie für einen rhythmus hat.
Im anscliluss an die französische schultradition ist die
anschauung verbreitet, als sei die silbenzahl für den roma-
nischen vers was etwa die zahl der hebungen für den deut-
schen, nämlich bildungsprincip. Der rhythmus sei frei bez.
indifferent und hänge von der silbenzahl ab. Diese anschauung
ist ganz unrichtig. Silbenzählung ist nie rhythmisches princip,
sie ist immer nur festhalten einer begleiterscheinung. Silben-
zählung ergibt sich überall da als ein äusserliches, bequemes
mittel, verse zu benennen und zu unterscheiden, wo es eine
kunst zu festen reihentypen gebracht hat, die als solche
rhythmisch starr und unveränderlich sind. So hatte sich die
technik der lesbisclien lyrik entwickelt: der sapphische elf-
silbler ' ^ -^ ' ^^ ' ^^ ' w, der alcäische elfsilbler ^Ly^Lc
-' v^ ' w ', der alcäische zehnsilbler l .^w ' v^w- ^ ' ^, der ado-
nius - ^^ ' w sind solche unveränderliche, feste typen, die man
nun äusserlich, ohne über ihren rhythmischen wert auch nur
das geringste auszusagen, nach der silbenzahl benannte. Die
reihen der tragischen chorlyrik der Griechen hat niemand
nach der silbenzahl benannt, weil die üblichen formen durch
auflösung, zusammenziehung, cäsurverschiebung u.a. immer in
der anzahl ihrer silben wechselten. Man kann mit Sicherheit
sagen: wo eine kunsttradition die verse nach der silbenzahl
benennt, muss zu der zeit wo dieser gebrauch in aufnähme
gekommen ist, der formenschatz aus wenigen, fest bestimmten
reihentypen bestanden haben. Aus der silbenzahl folgt jedoch
für den rhythmischen wert der verse nicht das geringste, denn
eine reihe von z. b. acht silben kann in vielen rhythmischen
formen auftreten. Z. b.:
.'___'__-..__'__ daktylischer vierer
__-l_-l_-i--!- anapästischer vierer
^^-L.'.-L ders. asynartetisch
_uL_ü._l_l^ ders. hyperkatalektisch u.s.w.
Es gilt darum vor allem den rhythmischen wert solcher leeren
5*
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<
68 ^ ÖAKAK
I
namen wie acht-, ^ehnsilbler festzustellen. Das ist die vor-
nehmste au^abe^uor romanischen rhythmik.
Welche weg^ und mittel hat sie, diese aufgäbe zu lösen?
Zunächst diesel|>en wie die deutsche: textbetrachtung und
die gesetze der allgemeinen musikalischen rhythmik. Dazu
kommen noch die reste der technischen Überlieferung aus der
alten zeit (z. b. die Leys d'amors), die betrachtung von mhd.
liedem, die im inhalt und der form nachweislich romanische
dichtungen nachahmen, und die analyse moderner romanischer
Chansons. Ob die betrachtung der überlieferten noten der trou-
badours weiter hilft, vermag ich nicht zu beurteilen. Veimut-
lich ebensowenig wie in der deutschen minnepoesie.
Die hauptfrage ist: welche silben des textes tragen
thesen (hebungen), welche arsen (Senkungen)? Für die
beantwortung dieser frage ist zuerst zu beachten: die alte
prov.-frz. troubadourlyrik ist liederpoesie, also gesang. Die
überlieferten verse sind gesangsverse, keine sprechverse.
Es ist darum ein verhängnisvoller irrtum, die rhythmen
die Becq de Fouquieres und Lubarsch für die frz. verse auf-
stellen, als die rhythmen der romanischen verse schlechthin
zu betrachten. Abgesehen davon dass die ansieht dieser ge-
lehrten nicht zu billigen ist (vgl. Wulff, iScaud. archiv bd. 1, s. 339),
so würden ihre typen, auch wenn sie richtig wären, nur für
den gesprochenen vers gelten. Für den gesungenen gelten
sie nachweislich nicht, wie man aus der vergleichung z. b. der
melodierhythmen bei Beranger mit den rhythmen die nach
Becq und Lubarsch zu erwarten wären, ohne weiteres sieht
Die Becq - Lubarsch'schen alexandrinerrhythmen, die man in
französischen theatern allerdings hört, nur beiweitem nicht in
der menge und grundsätzlich, wie jene beiden metriker an-
nehmen: diese formen sind producte, deren factoren ein alter
in der modernen recitation noch durchaus vorwaltender sechs-
hebiger rliythmus und gewisse forderungen des sprachaccentes
sind (Vermeidung von betonungen wiej^cre, aimefU, merveiUe
U.S.W., ausfall des stummen -e im anschluss an die moderne
spräche). Es sind Umwertungen») des alten sechshebigen
*) S. Verf., Zur metrik Otfrids von Weissenburg, in den Philol. Studien,
festg. f. E. Sievers, Halle 1896, s. 195 f.
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UEBEB HARTMANN VON AÜE. 69
rhythmus unter dem zwang des accents, auf die hier nicht ein-
gegangen zu werden braucht.
Wenn sich also Weissenfeis § 47 auf Lubarschs scansionen
beruft, um den rhythmus des zehnsilblers zu bestimmen, wenn
er im anschluss an den typus (bei Lubarsch)
t^rre fremis d^aUigresse et de crainte
-XX-XX -XX-X
auch den zehnsilblem der troubadours solchen * springenden
Charakter' zuweisen will, so geht er fehl. Diese und die
andern formen bei Lubarsch sind moderne sprechformen, die
weder für die moderne noch gar für die alte musik irgend
welche bedeutung haben. Also die ansieht von der rhyth-
mischen Indifferenz des zehnsilblers, die es erlaube aus ihm
vierhebig-daktylische oder fünfhebig-iambische reihen zu ent-
wickeln, ist ganz und gar unrichtig. Die romanischen gesangs-
vei-se sind genau so rhythmisch wie die deutschen, nur dass
das Verhältnis von rhythmus und sprachtext darin minder
durchsichtig ist als hier, also die bestimmung des hinter dem
text stehenden rhythmus mehr Schwierigkeiten macht. Auf
Becq- Lubarschs constructionen ist für die musikalische roma-
nische rhythmik durchaus zu verzichten.
Wo liegen nun aber die thesen der musikalischen roma-
nischen reihen? Man findet sie, wenn man von der oder den
festen 'tonsilben' der verse an rückwärts Senkung und hebung
wechseln lässt. Die alten romanischen rhythmen beruhen
nämlich nicht auf dem wortaccent, sondern auf dem regel-
mässigen Wechsel von thesis und arsis, der nur in besonderen
fällen durchbrochen werden darf. Sie kennen ursprünglich
auflösung gar nicht und zusammenziehung nur an ge-
wissen typischen stellen. Die moderne französische vocal-
musik hat dies princip freilich aufgegegeben, aber die formen
der gesprochenen poesie beruhen noch völlig darauf. Vor
allem die der lyrik, aber auch der dramatische alexandriner,
trotz des oben berührten zerrüttenden einflusses des accentes.
Die .prov.-frz. liederdichtung steht also in ihren rhythmischen
formprincipien fast genau auf dem Standpunkt den die mhd.
minnelyrik im 13. jh. erreicht hat. Eben durch den einfluss
jener hat sich ja die ältere teclinik eines Kürenbergers und
anonymus Spervogel zur modernen eines Walther umgebildet
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70 SABAN
und sehen wir an Hausen, Reinniar, Hartmaun die entwicke-
lung vorschreiten.
Dass die prov.-frz. kunst dies wichtigste gesetz von dem
Wechsel der arsis und thesis ausgebildet hat und dabei den
wortaccent vernachlässigte, liegt mit an der natur der spräche.
Diese hat den hauptton auf der letzten oder vorletzten silbe
des Wortes: würden nun im rhythmus die accentsilben zugleich
träger der thesen, so würde die reihe fast stets in aufsteigende
gruppen mit thetischem schluss auseinander fallen: z.b. ouiyje
viens \ dans son tSmple \ adorer \ Veternel \ und der vers da-
durch ein auf die dauer unerträglich lärmendes und heftiges
wesen bekommen. Das prov.-frz. vermeidet diesen übelstand
dadurch, dass es den wortaccent stark vernachlässigt: nur so
wird eine feinere rhythmische arbeit möglich. Denn die rhyth-
mik verlangt, dass normalerweise thesis -h arsis gebunden werde,
nicht arsis + thesis, einschnittsteilen natürlich ausgenommen.
Wesentliches mittel der rhythmischen bindung ist nun der text:
daher die norm, durch syntaktische phrasierung oder Unter-
bringung in 6inem wort die arsische silbe möglichst mit der
vorausgehenden thetischen zu verketten.
In der harmonie waltet ein ganz ähnliches gesetz, das
H. Riemann im Katechismus der compositionslehre 1, s. 41 ff.
bespricht. Es lautet nach seiner formulierung: die zeit-
momente, auf welche vorzugsweise neue harmonien eintreten,
sind die Schwerpunkte der motive, gruppen und halbsätze
(d.h. die thesen), oder m. a. w.: die arsis setzt in der harmonie
der vorausgehenden thesis ein. Riemann bemerkt sehr richtig,
dass einbeziehung des auftaktes in die neue harmonie (schema
*arsis + thesis' statt ^thesis + arsis') sehr aufregend wirke.
Besonders seit Schumann sei diese art der harmonischen bin-
dung üblich geworden.
Genau so aufregend und lärmend wie diese harmonischen
gruppen bei Schumann (nach dem Schema ^arsis + thesis')
wirken die entsprechenden rhythmischen. Sie sind darum als
mittel, gelegentlich solche Wirkungen hervorzubringen, sehr
brauchbar: als typische elemente des rhythmus wären sie
höchst unerfreulich.
Uebrigens ist der Wechsel von thesis und arsis bez. Ver-
meidung der auflösung und inneren zusammenziehung für
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UEBER HARTMANN VON AUE. 71
jede rhythmik der älteste zustand, der erst später verlassen
wird. Man darf darum nicht eigentlich, wie ich oben getan,
sagen, das prov.-frz. habe diesen zustand ^ausgebildet'; man
muss vielmehr sagen: es hat ihn durch besondere gründe ge-
zwungen festgehalten, während z. b. das deutsche zu mannig-
facheren bildungen fortgeschritten ist. Eine armut der kunst
wird durch dies gesetz natürlich nicht bedingt, da der mangel
auf anderen gebieten des ästhetischen eindrucks völlig aus-
geglichen werden kann.
Dass das gesetz in der tat für die prov.-frz. troubadour-
poesie galt, zeigen nachahmungen romanischer lieder durch
mhd. dichter nach inhalt, reimgebäude und taktzahl. Nur
bilden diese deutschen Sänger die reihen principiell auftaktig,
da die deutsche rhythmik von haus aus nur anapästische
reihen (--^--i I.) kennt. Die folge davon ist, dass z. b.
daktylische 1) romanische reihen im mhd. anapästisch >) auf-
treten. Z. b. Fenis MF. 84, 10 = Peire Vidal (Bartsch, Prov.
ehrest.* 108, 33):
1' . ' . ■ ' . ' .
. — — _ — __ — : v^, v-/
2. v>^-l — J 1— -L I A— -— — -i -^
3r . r . I r . f .
4. ' . ' T~ ' • ' • I ' . ' •
1. 84, 12 getvalte, \hgr6z6n gewält (schwebender Vortrag), \%gewalt
Peire Vidal:
1. JL-_^__l-^_ I 1^^.1_^Ä
3. l«^«i..--.Ä I -'.---.^l^^A
4. l_^_^^j.Ä I _L_^-1-^Ä I 1- ^-1— LA
Peire Vidals rhythmen sind daktylische vierer {L _ u.s.w.)
akatalektisch oder katalektisch (Rh. § 23 a. 8). Fenis macht
die reihen durch auftakte im schematischen sinn anapästisch
(-.-'). Dadurch werden natürlich die akatalektischen dakty-
lischen reihen Peires anapästisch-hyperkatalektisch, die kata-
lektisch-daktylischen akatalektisch-anapästisch.
Gemeinsam ist beiden alles übrige.
0 Vgl. Rhythm. § 6, oben s. 40.
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72 SABAN
Das reimgebäude ist a — b
b-a.
c — d
d — e — d.
Ein französisches beispiel: Horheim 112, 1 ff . = Chrestien
V. Troyes (Bartsch, Afrz. ehrest. 158, 12):
Horheim:
2. -l _^_1_^ I ^l_^_l_j.
4. ^ L __L — 1-^ I _l_.iv^w---
Chrestien:
1. -_1«^_1-_L I ^1_^_1^ •.
2. -1_^_1_^ I _JL_^«1_^
3. «1^-L_1»^ I ^L^^^L-- I --i._^_^_^
4. -!__• «JL^^ I _l_-:-_^__-.
Das reimgebände ist: a — b
a — b.
b — a — a
b — a.
Besonders interessant wegen der rhythmischen mannigf altigkeit
ist Hausen 45, 37 ff. = Folquet v. Marseille (Bartsch, Prov. ehrest
121,26). Hier sind die reihen gleich, nur dass Hausen nach
deutscher gepflogenheit im auftakt auch pause und überhaupt
auflösung zulässt.
Hausen:
1. Äl-^-1-^ I ^I_^_l_^
2' . " . ' V I ' • I ' ' .
. _— v-/w/\ I ww I
Q ' • " • ' ^r" I ' ~. I ' . ' .
4 Ill^IJrllllx I IzlTliilllix
Folquet:
1. _1_^_1_-. I _1_^_1_^
2. _i_^_j:_ -.-lA I _!_.. I _1_^_1_.
3. _1_^_1'_^_1X I ---- I -^-^-i-^
Die reimstellung ist: a— a
b — b-c
c — d — d
e — e.
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UEBEB HABTMANN VON AUE.
73
Die stroplieu unterscheiden sich nur in der behandlung des
aoftaktes und der auflösung. Die dipodie habe ich der Selb-
ständigkeit des inhalts wegen als reihe genommen. Zieht man
2»' und 2 b, ebenso 3«' und 3 b zusammen, so werden die perioden
2 — 4 rhythmisch gleich, jede gleich zwei Sechsern. Die ent-
scheidung kann nur dnrcharbeitung eines grösseren materials
geben.
Diese beispiele zeigen, dass die prov. und frz. lieder nicht
anders behandelt werden dürfen als die deutschen. Die regel
vom Wechsel der hebung und Senkung, sowie die oben mit-
geteilten gesetze der allgemeinen musikalischen rhythmik
reichen offenbar hin, um die texte im ganzen richtig zu
rhjrthmisieren. Z. b. Bartsch, Rom. u. past. 196, 1 ft:
1. J.-
2. 1_
3. L-
4.1_._lAA |1
5. 1-
6. 1_
7. 1_
8. 1_
AÄ |l_^_i:-Ä
AÄ |I__.._.L.A
- i -•- A
_ |1_^_1_. A
_|1_._1_^A
___,_!!_ ^_/,.A
Sind vielleicht 1—4 lauter tripodien:
1_^_^A 1--^---?
Dies ist nur durch vergleichung auszumachen. Der text duldet
beide messungen. Oder wurde die pause durch einen ruf aus-
gefällt? Vgl. das folgende beispiel ebda. 235, 1 ff.:
1. l_^_l_-_ I l_.:._i^A
2. 1_^_JL_^_ I l_^_i.^A
3. J._^_;l_^._|l_._i.-.A
4. 1_ •_;!_•_ |1_ •_/,.-.. A
5. i_.;_l
6. 1
7. 1.
8. 1_^_.!._^, _ I 1
9. 1_^_1_^ A I 1
-—5
7
- J
_1_-.A
_1----A
_lA;i[NB.]
-AA
-XA
In 5—7 Verschiebung der cäsur nach rückwärts.
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74 SARAN
Keimschema : a — b
a — b.
S + c-b
rf+d-b.
f + e — e
<p+i~f
W — h.
Durch solche rhythmisierung ganzer Strophen wird man un-
schwer die wahren werte für die nichtssagenden namen 6. 7.
8. 9. 10 U.S.W. -silbler ermitteln können. Man wird dann auch
die wirkliche rhythmische verwantschaft der verse entdecken,
die durch die äusserliche nomenclatur verhüllt wird. So ge-
hören zusammen
---A 6
_l_^_i^ 6
_i_^_i_.: : _ 8 ;
(hyperkatalektiBch)
1_-_1_^Ä 7
l_^_i^Ä 5
-silbler = anap. vierer
-silbler = dakt. vierer
u. s. w.
Die taktart (1 _ oder 1 J) kann aus dem text romanischer
lieder natürlich noch weniger erschlossen werden als aus
dem mhd.
Aus dem gesagten ist wol klar, dass auch die prov.-
frz. reihen einen klaren und scharfen rhythmus hatten.
Nach den mitgeteilten regeln ist es nicht schwer den
rhythmus des zehnsilblers festzustellen.
Einen fünf er _l_^-.i!_- Jl darf man nicht darin
suchen, da diese reihenform überaus selten ist (Eh. § 7). Also
kann es nur ein sechser sein, dessen letzter fuss durch pause
oder durch zusammenziehung gefüllt wird, der also brachy-
katalektisch oder katalektisch ist. Der zehnsilbler hätte also
den rhythmus -l_;_"___JLy\ (männlich)
oder _JL_;^1'__^^ (weiblich).
Dass diese form wirklich vorkommt, beweist die vergleichung
der Strophe Hausens mit der Folquets. Der sechser ist darin
für das provenzalische an vier stellen gesichert.
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UEBER HARTMANK VON AUE. 75
Danach wäre z. b. Folquöt bei Bartsch, Prov. ehrest. 123, 7
so zu analysieren:
1 !._•• __"^— -L'ä' I __L_'
3. — !_•; -!L- ■ -L:. I _!_.•
4' . . " . 'VI '
Reimschema: a — b
b — a.
c — c
W — c
W = waise, die im verlauf des tones aber als kom auftritt.
Ebenso die chanson pieuse, Bartsch, Afrz. ehrest. 147, 19 ff.:
1. ^1_.. ; ^1-^.L.: I -.1,^;_^_^_^.. |
2. _1_^; _^'___L I Äir^-lA
Reimschema : a — a — a .
/9+w-b.
Nun wird aber das gesetz von der regelmässigen folge der
hebungen und Senkungen gerade im zehnsilbldr, wie es scheint,
durchbrochen.
Die romanze bei Bartsch (Rom. u. past. 3, 1 ff.) enthält verse
wie que Franc de France repairent de rai cort (vgl. auch 3, 3.
9. 11. 17 U.Ö.). Hier würde hinter der vierten sübe (2. thesis)
zweisilbige arsis angesetzt werden müssen:
^^ /\,
damit also auflösung für den zehnsilbler erwiesen sein. Aber
diese annähme ist nicht nötig. Wie sie zu vermeiden ist, lehrt
eine neuerdings erschienene arbeit von Eickhoff , Der Ursprung
des roman.-germanischen elf- und zehnsilblers (des fünffüssigen
Jambus), 1895.
Eickhoff zeigt durch Untersuchung zahlreicher alter und
neuer melodien, dass es im französischen seit Jahrhunderten
einen scharf ausgeprägten rhythmus gibt, der im text als zehn-
silbler erscheint und folgende form zeigt:
UJJU-JIJJJJIJ['AP.]I
V V V V
Rhythmisch geschrieben wäre er L^^l; ^^^^L Ich selbst
bin vor jähren zu demselben ergebnis gelangt: die lieder Be-
rangers, deren melodien ich, wie bemerkt, sämmtlich rhythmisch
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76 SARAN
durchgearbeitet habe, zeigen, soweit sie aus zehnsilblern be-
stehen, alle diesen charakteristischen rhythmus, der freilich
durch die entwickelung manche z. t. beträchtliche modificationen
erlitten hat. Ich will diese typische von Eickhoff beobachtete
rhythmische form schlechtweg 'dekasy Ilabon' nennen.
Dies dekasyllabon tritt nun in vier formen auf. Es ist
seiner natur nach eine daktylische tetrapodie mit scharfer
binnencäsur, und kommt vor: katalektisch (mit pause) oder
akatalektisch, ferner mit dem wert JL = J. vor der binnen-
cäsur oder statt dessen J J = Iv^. Sein Schema ist also:
UJJI.^. U Jl JJJJUtiP.jl = -^^ ;\\^:^^L7^
UJJUJll JNJJJI^ J I -^-^; fU^: — ^-
Dieses schema des dekasyllabons macht nun alle die formen
der text-zehnsilbler ohne weiteres verständlich, in denen hinter
der binnencäsur (die romanisten nennen sie nicht correct 'cäsur*)
eine 'überschlagende weibliche silbe' stehen oder fehlen kann.
Die romanze bei Bartsch 1, 1 wäre dann so zu analysieren:
1. l^JL; ^:^^L7^ I l^lv.; ^^^^lA |
Beimschema : a — a — b .
a — b — W.
Der refrain ist entweder = i_j._lÄX ^^^^ *^^^> ^^ ^^^
wegen des Zusammenhangs mit dem dekasyllabon vermute,
-JL^^Iä. Doch ist letzteres nicht wahrscheinlich.
Wie ist nun dieses dekasyllabon entstanden? Eickhoff
glaubt, im anschluss an eine beliebte ansieht der französischen
tradition, es habe sich aus dem Horazischen versus sapphicus
entwickelt. Für die musikalische rhythmik ist diese ansieht
Eickhoffs überhaupt nicht discutabel. Der sapphicus ist nach
dem Zeugnis der grammatiker eine logaödische pentapodie, das
dekasyllabon ist aber eine tetrapodie, genetischer Zusammen-
hang damit ausgeschlossen. Etwas anderes ist die annähme,
dass man im mittelalter sapphische öden auf dekasyllaben ge-
sungen habe: dagegen ist nichts einzuwenden. Das zusammen-
passen ist durch den text vermittelt und zufällig.
Der Ursprung des dekasyllabon wird in Frankreich
liegen. Dann ist auffällig, dass dieser rhythmus auflösung
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ÜEBEB HARTHANK VON AUE. 77
der arsis und thesis typiscli durchführt, während die roma-
nische metrik sie wenigstens im silbenschema nie ausprägt,
also mindestens meidet (ligaturen sind möglich). Denn
1^^-w; wx!/wv.^1ä scheint zunächst durch auflösungen und
Verschiebung der binnencäsur aus der grundform 1_jl_;1_^A
hervorgesprosst zu sein. Nun fällt aber an der reihe dreierlei
auf: erstens die fülle und schwere der melodie, die sich von
der der aufgelösten vierer ganz charakteristisch unterscheidet.
Zweitens die eigentümliche binnencäsur. Denn J. ; ist die regel,
L^\ die man nach Rh. § 20 anm.6 als norm erwartet, die aus-
nähme, und Ly,^L-\ oderl> ,L\^^^ die weitaus zunächst
lägen, kommen nur höchst selten, sichtlich ganz secundär vor.
Endlich ist auffallend, dass überhaupt eine so überaus starke
binnencäsur vorhanden ist. Denn die reihe besteht normaler-
weise ohne oder doch nur mit leicht angedeuteter binnencäsur,
im dekasyllabon aber ist sie so stark wie sonst die cäsur (z. b.
im alexandriner _l_-!._^(-_) | _--l-^(_)).
Alle diese eigenschaften des dekasyllabons werden sofort
erklärlich, wenn man es zu einer klasse von rhythmen rechnet,
die ich ^pressrhythmen' nennen will und über die ich später
im Zusammenhang einer allgemeinen musikalischen rhythmik
handeln werde. Pressrhythmen sind rhythmen die einer art
zusammenpressung ihr dasein verdanken. Eine periode von
acht füssen bez. takten
kann durch Veränderung der stärkegrade, lebhafteres tempo
und andere führung der melodie so vorgetragen werden, dass
sie nur die function einer reihe hat: aus den acht einfachen
takten werden vier einfache, indem eine thesis um die andere
ausfällt, d.h. zur areis degradiert wird, also
ft tf , rr tf \
, |.
Dann wird natürlich die alte cäsur zur binnencäsur und die
alte diärese zur cäsur. Solche pressreihen aber machen be-
greiflicherweise immer einen volleren, schwereren eindruck
als nicht gepresste und ven-aten sich dadurch meist.
Da nun die rhythmische Schreibung von der thesenbestim-
mung abhängt, so darf man solche pressreihen nicht wie oben,
sondern so übertragen: ^/vl^^v-. wvlw^; v,v!/v^ ^vL^^ ||, wobei der
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78 SARAN
schein von lauter auflösungen erweckt wird, obwol tatsächlich
keine vorliegen.
Diese gepressten reihen sind in der modernen musik, so-
weit sie instrumental ist oder instrumentalen Charakter trägt,
die normalen: für eine kunststufe, auf der die vocalmusik
herscht, sind sie nur vereinzelt vorauszusetzen.
Es können nun zu solchen reihen perioden jeder art ver-
arbeitet werden. Z. b.
"^ \^ — v.yv-/ — v^ j v^ — v^v-/ — v-/ I
oder
oder
Die letzten sind die formen des normalen dekasyllabons. Dies
ist also entstanden aus einer alten, achttaktigen periode, die
auf der ersten thesis zusammenziehung hatte und deren glieder
katalektisch bez. brachykatalektisch waren,
Es folgt daraus, dass das dekasyllabon ein seitenverwanter
des alexandriners ist, der sich allerdings in neuer richtung
weiter entwickelt hat. Die Wurzel beider rhythmen liegt im
anapästischen tetrameter
' . ' . I ' . ' .
Dessen beide reihen sind im alexandriner im innem synarte-
tisch und am schluss katalektisch bez. brachykatalektisch:
Die periodische urform des normalen dekasyllabons ist:
Ai.-lAJi-l-.-lA
Sicher ist nur der nachsatz synartetisch, der Vordersatz asyn-
artetisch.
Diese formen des dekasyllabons sind die normalen. Es
kann noch vorkommen:
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UEBER HABTMAKK VON AUE. 79
z. b. et a Lengres servie malbaiUis (Tobler, Versb.^ 85). In
modernen melodien habe ich auch gefunden:
Es wurden also alle möglichkeiten mit zwei und mehr über-
längen im erster glied der alten periode zu belegen sein, nur
dass die form <*Äi.--i-Ä |... weitaus die häufigste ist.
Die tatsache, dass das dekasyUabon im gegensatz zum son-
stigen Charakter der romanischen metra auf einen asynarte-
tischen ersten teil zurückweist, beweist sein hohes alter. Ist
die form vielleicht in Nordfrankreich entwickelt, da sie ja der
rhythmus der chansons de geste ist? Weist die binnen-
zusammenziehung der urform auf germanischen (fränkischen)
Ursprung oder wenigstens germanischen einfluss hin? Denn
znsammenziehung war ein kunstmittel, das der Charakter der
germanischen spräche empfahl, die romanischen sprachen da-
gegen nicht nahe legten (vgl. Saran, Zur metrik Otfrids von
Weissenburg s. 198).
Aus diesen betrachtungen ergibt sich, vne ich glaube, mit
Sicherheit, dass sich unter dem 'zehnsilbler' der roma-
nischen metrik zwei grundverschiedene rhythmen
verbergen und vermutlich von alters her verborgen
haben:
1) der anapästische sechser _l__i-;_"__l)\ (bez. L -),
2) der daktylische vierer (pressreihe) I.^^JL; s^^^^La
(bez. - _) [norm].
Welcher ist nun im einzelnen falle gemeint? Hier kann
nur eine umfassende Untersuchung licht schaffen. Einiges
merke ich an, um die arbeit zu erleichtem. Sicher hat man
es mit dem dekasyUabon zu tun, wo hinter der dritten oder
vierten (betonten) silbe, vor der binnencäsur eine 'weibliche,
überschlagende' silbe ei-scheint. Also stets im frz. epos, in
der frz. lyrik öftei-s (Tobler, Versbau* s. 85). Im übrigen
dürfte höchstens die beobachtung der binnencäsur weiterhelfen.
Die binnencäsur des Sechsers ist nämlich als echte binnen-
cäsur nach der zweiten thesis (vierten silbe) ihrer natur nach
schwächer als die des dekasyllabons, die ehedem eine cäsur war.
Sie ist mehr ein wortschluss als wii'klicher einschnitt. Darum
scheint sie auch Verschiebung zu leiden, wenigstens sind fälle,
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80
SARAK
wie sie Tobler s. 86 bringt, leicht so zu deuten: qu'encor ne die
je ma desirance = _I.-^._; L^ — — L — .
Aus dem dekasyllabon kann man dergleichen nur mit
Schwierigkeit ableiten. Cäsurlose sechser, wie man sie nach
Tobler s.86 f. ansetzen kann, haben kein bedenken, dekasyllaben
ohne binnencäsur sind im gesang kaum zu verteidigen, im
sprechvers nur als ausnähme zuzulassen. Man beachte, dass
auch Hausen in seiner nachahmung die sechser ohne binnen-
cäsur, nur gelegentlich mit syntaktischem einschnitt an den
betr. stellen bildet.
Mit dem zehnsilbler, der immer eine reihe ist, darf nicht
die aus zwei fünfsilbem zusammengesetzte periode verwechselt
werden (vgl. bei Tobler s. 89). Rom. und past. 1, no. 33 ist zu
analysieren:
1.
2.
8.
4.
5.
6.
--AA
--AÄ
--AA
Ä
Ä
Ä
Ä,
Oder sind es tripodien: 1-
Man darf nicht vergessen, dass ein sechser nur nach v. = 1 : 2
oder = 2:1, nie aber v. = 1 : 1 geteilt werden kann. Ist der
Vordersatz weiblich (Tobler s. 89), so ist die form katalektisch
(1^^_^.Ä).
Wenn nun Pio Rajna (Gröbers Grundr. 2, 26) und Eickhoff
behaupten, dass der französische zehnsilbler das vorbild für
den aller anderen Eomanen abgegeben habe, so ist das so aus-
gedrückt schwerlich richtig. Wahrscheinlich ist es aber für
die eine der formen, die sich unter dem text- zehnsilbler ver-
bergen, für das dekasyllabon. Denn dies weist — wie mir
wenigstens aus dem s. 79 mitgeteilten gründe wahrscheinlich
ist — auf Nordfrankreich als ui*sprungsland, auf einen boden,
wo sich Germanen und Romanen mischten. Der sechser ist
gewis den Provenzalen ebensogut eigen gewesen wie er es
den Franzosen und Germanen war. Diese form bietet nichts
besonders charakteristisches dar. Der italienische endecasillabo
kann wegen der schwachen binnencäsur nur der sechser sein.
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UBBEB HABTMAKK VON AUE. 81
Ebenso die entsprechenden verse in Spanien und Portugal
Wir haben also in allen romanischen ländern den sechser.
Dazu kommt von Frankreich her das dekasyllabon, dessen
Verbreitung aber erst noch im einzelnen nachzuweisen wäre:
dass es überall in gebrauch gewesen, darf man nicht ohne
weiteres annehmen. —
Wenn man nun behauptet, die deutschen minnesinger
hätten den zehnsUbler nachgebildet, so ist damit zunächst gar
nichts gesagt. Man hat zu bestimmen, ob sie den sechser oder
den vierer nachahmen, die einfache reihe oder die gepresste.
Nun ist klar, dass die nachahmung des Sechsers nicht die
mindeste Schwierigkeit machen konnte. Er war schon von
alters der germanischen vocalmusik eigen (vgl. die Streckverse
der alliterationspoesie, die Schlussglieder der Strophe des ano-
nymus Spervogel). Wir sehen auch, dass Hausen bei der nach-
ahmung Folquets die sechser wol gelingen. Also kann es sich
im mhd. höchstens um die nachahmung des dekasyllabons han-
deln, dessen charakteristischer rhythmus Schwierigkeiten be-
reiten mochte. Denn pressreihen kannten die mhd. Sänger in
der alteinheimischen kunst nicht.
Setzen wir nun den fall, die mhd. minnesinger hätten
wirklich beabsichtigt, das dekasyllabon nachzuahmen, setzen
wir zugleich voraus, dass es auch im provenzalischen wie im
frz. bekannt gewesen, dann müsste man doch erwarten, das
bestreben zu sehen, den typus
T^f : I ^:,s^lÄ(bez.I_)
nachzubilden.
Es müsste also der erste takt als daktylus mit aufgelöster
arsis (i^w) erscheinen, die binnencäsur nach einer thesis ein-
treten (selten nach der arsis) und im zweiten teil des verses,
im texte wenigstens, hebung und Senkung wechseln. Man
wird dabei voraussetzen dürfen, dass die deutschen minnesinger
die reihe mit auftakt versahen und diesen nach heimischer weise
behandelten.
Untersucht man nun — ohne Voraussetzungen — den
überlieferten text der betr. lieder, so kommt man zu sehr
eigentümlichen ergebnissen. Ich schliesse mich dabei an
Wümanns' gründliche und vorsichtige arbeit an (Beiträge zur
Beiträge bot gesohiohte der deiitaoh«n spnohe. XXIII. Q
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82 BARAN
gesch. i alt. deutsch, litt., heft 4: ünterss. z. mhd. metrik no.l).
Nach Wilmanns § 1 ff . haben die voll entwickelten daktylischen
reihen (NB. der zehnsilbler ist nicht wie Wilmanns § 2 be-
hauptet ein langvers, d.h. eine periode, sondern eine reihe. Er
hat keine cäsur, sondern nur feste binnencäsur) folgende
eigenschaften: 1) meist weibliche binnencäsur (das dekasylla-
bon fast nur männliche), 2) diese 'plussilbe' kann oft zum
zweiten teil der reihe geschlagen werden (so nie im text des
dekasyllabons), 3) im zweiten teil der reihe steht auch ein
daktylus (nie im dekasyllabon), 4) der 'daktylus' im zweiten
reihenabschnitt ist durch die structur des textes weit besser
gesichert als der im ersten (ebda. § 9). Ferner bemerkt Weissen-
fels § 46, dass der rhythmus bis zur binnencäsur meist ganz
wol ^trochäiscb' aufgefasst werden könne, erst auf der binnen-
cäsur und im vorletzten takt trete der daktylische rhythmus
deutlich heraus.
Construiert man aus diesen angaben den mhd. normal-
typus, so würde er sein:
' ' . ' ' -r-
Dagegen halte man die normalform des roman. dekasyllabons:
Welche beziehungen haben diese reihen? Ausser der vier-
hebigkeit keine. Eine ist beinahe das genaue gegenteil der
andern. An eine nachahmung des dekasyllabons ist also nicht
zu denken.
Daraus folgt, dass die behauptung, die minnesinger hätten
den zehnsilbler der Romanen nachgebildet, nicht zu beweisen
ist. Weder der romanische sechser noch der gepresste vierer
kann in den ^daktylen' stecken. Will jemand behaupten, es
könnten ja die minnesinger eine dritte, von mir nicht gefundene
form des zehnsilblers nachgeahmt haben, so fällt ihm der
beweis zu, dass es eine solche gegeben. So lange dieser nicht
geführt wird, so lange schweben solche annahmen in der luft.
Was ist nun eigentlich der grund gewesen, der zur an-
nähme romanischen Ursprungs der daktylen geführt hat? Vor
allem die tatsache, dass die 'daktylen' erst bei denjenigen
minnesingern auftreten, die nachweislich oder wahi*scheinlich
unmittelbar oder mittelbar vom romanischen minnesang beein-
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UEBEB HABTMANK VON AUE. 83
flnsst worden sind. Vor allem Fenis und Hausen. Es kommt
hinzn, dass für den Inhalt verschiedener 'daktylischer lieder*
die romanischen originale nachgewiesen sind, ja directe be-
ziehungen der form vorliegen, z.b. für Fenis 80,9 = Folquet,
Bartsch, Prov. ehrest. 123, 9.
Nun folgt aus alledem noch keineswegs, dass die minne-
singer wirklich romanische rhythmen haben nachahmen wollen.
Die citierte Strophe Folquets enthält höchst wahrscheinlich
hexapodien (vgl. oben s. 74). Solche kannte auch das deutsche
seit alters. Wenn also Fenis dies lied nach inhalt, strophen-
form und ev. melodie hätte ganz nachahmen wollen, so konnte
ihm das keine Schwierigkeiten machen. Nun weicht die be-
schaffenheit der reihen völlig ab. Daraus folgt, dass er eben
das original nicht bis ins einzelne nachahmte, sondern nur
verändernd benutzte. Wer sagt uns, dass er es völlig habe
nachbilden wollen? Um so mehr als dasselbe lied noch den
inhalt eines formell abweichenden liedes von Folquet verwertet,
also contaminiert. Das einzige was man auf grund jener be-
Ziehung mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen darf, ist, dass man
in den reihen des mhd. liedes zunächst sechser suchen muss.
Ueber deren form lässt sich nur auf grund des deutschen
textes urteilen.
Will man die 'daktylenfrage' mit aussieht auf erfolg be-
handeln, so hat man folgendes zu erwägen:
1) Es treten im minnesang neben den bekannten und ge-
wohnten rhythmen andere auf, die der analyse Schwierigkeiten
machen. Ueber ihre form wissen wir nichts. Wenn man
sie mit lateinischen 'daktylen' oder romanischen versen zu-
sammenbringt, so ist das eine annähme, deren richtigkeit erst
zu beweisen ist. Die beweise die man versucht hat, sind mis-
lungen. Wir stehen der Überlieferung also völlig ratlos gegen-
über. Es erhebt sich die frage: welches sind die rhythmischen
formen die in den texten stecken?
2) Es ist eine verfrühte annähme, wenn man glaubt, die
verse die wir nicht rhythmisieren können, müssten eine
gattung bilden. Es können sich sehr verschiedene rhythmen
in ihnen verbergen. Darum ist zunächst jedes lied für sich
zu bearbeiten.
3) Die herausgeber von MF. und andere, die sich ihnen
6*
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84 8ABAK
anschlössen, haben die Überlieferung stark angegriffen, am
die Strophen zu ordnen. Da sie aber die richtigkeit ihrer
rhythmischen theorie nicht erwiesen haben, so ist ihre text-
herstellung nicht verbindlich.
4) Da wir über die rhythmik der fraglichen Strophen
nichts wissen, so ist zunächst nur ein text herzustellen, der
den anf orderungen des sinnes und der grammatik entspricht:
jede änderung metri causa ist so lange verwerflich, als nicht
das metrum mit einiger Sicherheit erkannt ist.
5) Der augenschein lehrt, dass die minnesinger bei ihren
liedem den sprachaccent nach möglichkeit schonten. Ehythmus
und spräche durchdringen sich bei ihnen in fast vollendeter
weise. Darum ist von vornherein jede rhythmisierung der
nach no. 4 hergestellten texte unwahrscheinlich, die den sprach-
accent stärker antastet, als es der rhythmus in den anderen
liedem tut. Schonung des accentes ist die erste forderung,
die man an eine rhythmische construction dieser töne zu
machen hat.
6) Für die rhythmisierung sind allein textanalyse und die
gesetze der allgemeinen rhythmik von bedeutung. Es ist also
z.b. nicht im mindesten nötig, dass die zu ermitteln-
den rhythmen lesbar seien: sie müssen nur, dies aber
auf jeden fall, singbar sein.
Tritt man mit diesen anschauungen an die ^daktylen'
heran, die Weissenfeis in seinem buche zusammengestellt hat,
so ist nicht schwer zu sehen, dass unter den besprochenen
liedem gmppen zu sondern sind.
A. Eists tagelied (MF. 39, 18) ist durch den reichlichen
gebrauch aufgelöster arsen (- = ^^) merkwürdig. Sie
stehen vor allem im ersten takt, einmal im zweiten der hexa-
podie, wo sie rhythmisch leicht erklärbar sind (v. 25 swcus du
gebiut^t, däe leist ich friundin min).
Sl&fest du, friedel ziere?
w&n wecket uns leider schiere
Ein YOgellin b6 wol get&n:
daz ist der linden an daz zw! geg&n.
1. Älww I-- I -1>^ ^-
2. -1 L I _.! 1' IX
Beimschema : a — a
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UEBEB HABTMAim VON AÜE.
85
Der text von C ist im glänzen beizubehalten, nur v. 27 hinne
zu streichen. V. 29 ist wol zu lesen we, du f&erest mine frdide
säment dir. V. 25 vgl. oben.
Ansserdem gibt es noch andere lieder, wo der 'daktylische'
eindruck des gelesenen textes dnrch arsenauflösung bewirkt wird.
So Lichtenstein, Lm. s. 134 (x. weise):
1 ' • '
2 ' • '
3' ' ' \ -jc ' • ' I ~~^ • '
Beimschema:
Ebd. 394, no. xii
1. Ä-'^-v.
2. A — S./W — —
a + a — b
^5 + c-b.
<f + d — - f + e — f + e .
lAi.
V-/ J V-' \^J
Beimschema: a + b — a + b
/? + c-S + /? + d-(r + b.
Die Zeilenschreibung Lachmanns ist zu ändern.
B. In einer anderen gruppe von liedem wird der 'dakty-
lische rhythmus' durch grundsätzliche anwendung der
zusammenziehung erzeugt. Hierher gehören töne der thü-
ringischen dichter Morungen und Hezbolt.
Morungen MF. 129, 14 ff.:
1. Ä-1 ^- I Ä^ — ^- I Ä-!- ^A
2. Äl ^- I Ä^ ^- I AI IX
3.^1 1__ I T^Z^ ^-
4. A^ — - .^^ I -^I-^_ I AI — i-A
BeüoBchema: a — a — b
c — c — b.
W — d
d_d — b.
In den zusammenziehungen stimmen alle drei Strophen überein:
nur 129,33 diu liebe und diu lade fällt aus der responsion heraus.
130, 7 1. sian. Die accente von MF. sind entsprechend zu ändern.
Hezbolt ahmt MSH. 2, no. 74, vi Monmgens rhythmus nach.
No. VII ist zu rhythmisieren:
1. ^ J^-7^ I JL — 1.-7\ I L — ^A
2. ^ — JL^ A I JL — L '. A 1 ^ — ^A
3. ^ — ^.:. A I ^ — ^A
4. 1-.»^^A |1 — ^A
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86 SARAN
Die übrigen Strophen entsprechen nicht immer genau; eben
das bürgt für die richtigkeit der obigen rhythmisierong. Den
rhythmus des liedes kann man sich leicht zu gehör bringen,
wenn man es — mit den nötigen änderungen — auf die me-
lodie 'Ach wie ist's möglich dann' zu singen versucht.
C. Eine dritte Masse der 'daktylischen' rhythmen ergibt
sich, wenn zweisilbige arsis und zusammenziehung
typisch verwendet wird. Hierher ist ein lied Morungens zu
stellen, das in MF. sowol im text wie im metrum nicht richtig
behandelt ist. Ich gebe eine herstellung, die die lesarten
von A mehr heranzieht, ohne damit etwas endgiltiges bieten
zu wollen. Es kommt hier nur auf den rhythmus an.
MF. 127, 1 ff.:
1. Wiflt ich obe ez möhte wol verswigen sin
ich lieze inch s^n^) mfne lieben fronwen.
D^r enzw^i brseche mir das herze m!n,
der möhte sie sch6ne drinne schonwen.
Sie kam her dür din ganzen ongen m!n (kom)
sonder tttr gegangen:
Onwl, Bolt ich von ir reinen minnen stn
als6 werdecUche enpfangen.
1. Ä^ ^ I -1--:: ^-
2. Äl-^l 1 I --1-^1' JL_
3. -.1 IL LX I ^~ ^-
2. Der also vil gerief e in einen touben walt,
ez antwurte ime dar üz ^teswenne.
Nn ist der schal dicke vor ir manicvalt
von miner not, wil si die bekennen?
Doch klagete ich ir manigen knmber min {kom)
vil dicke mit gesange:
Ow§ j& h&t si gesluen allez her
oder geswigen alze lange.
0 Diese thtir. form darf man wol ohne weiteres einführen. Vgl. MF.
122, 8. 126, 8. 9. 33 n. 6. — Ich weise hier noch einmal auf das hin was ich
im anfang von abschnitt IV (s. 58) gesagt habe. Die accente in den
schematen dienen nur zur schnellen Orientierung über den
rhythmischen wert der reihen. Sie sagen über die wirkliche
gegenseitige abstufung der icten gar nichts aus. Dasselbe gilt
für die accente in abschnitt III.
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ÜBBEB HABTMAKN YOK AÜE. 87
1 ' " ' I ' n , t
2. -L-^Z L I -_^_^2rL ^-.
3 _^ t9 9^^ I ^f ^
. ^ys> f\ I A ww ^ — A
Zusammenziehung und zweisilbige arsis (diese vor dem langen
teil des Sechsers in 4 a, vgl. Rh. § 17 anm. 3) entsprechen genau,
mit ausnähme von Ib, wo in str. 1 die zusammenziehung auf
der zweiten, in str. 2 auf der dritten thesis steht.
3. Wser ein sitich oder ein star, die mehten sit
gelernet h^n daz si spnechen 'minne*. {vgl. 132,9).
Ich hftn ir gedienet her tU lange zlt:
mac si sich doch miner rede versinnen?
Nein, sin entaot, got enw^Ue ein wnnder sin Qconi)
yil yerre an ir erzeigen.
Jft möhte ich b&z einen bönm mit miner bete
sunder wftfen nider geneigen.
1. Äl ^- 1— I -L-^l ^_
2. 7\1. l'l -1 I _l_-Jf_^_J-_
3. _i___i:___iX 1-^—^1
4f 9f ' "T* I "TT ' " • ' 'X'
. —....-. \.ys^ — — .— — \^>^ /\ I '^ — *"' — ~* ^-^^^ — '-' — /\
Die nachsätze stimmen zu str. 1. In 2 a fehlt zusammenziehung;
in 3 a steht zweisilbige Senkung zur einführung des langen
teiles im sechser. Die tendenz im ton scheint, die Vordersätze
synartetisch zu bilden. Im lied Morungen 129, 14 bildeten die
asynarteten die mittelglieder. Das eigentümlich abfallende
Schlussglied der Strophen ist rhythmisch äusserst charakte-
ristisch für rhythmische endfälle: vgl. die entsprechenden
Schlüsse der vierer beim Kürenberger, z. b. 7,20. 22 u.ö. Das
zu gründe liegende reimschema ist:
a — b
a — b.
K — c
W — c.
In 4a setzt Morungen also regelmässig, unverkennbar zur
Charakteristik der Schlussperiode, zweisilbige Senkung. Nur
einmal taucht diese in 3 a (strophe 3) auf.
Wenn nun zweisilbige Senkung vor dem langen teil des
Sechsers mit zusammenziehung auf der dritten thesis combiniert
wird, so entstehen formen wie
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88 8ARAN
oder mit zusammenziehung auf der vierten thesis:
h ' • "
f
•A
Nun können nach den regeln über die Verschiebung der binnen-
cäsur Rh. § 20 die zwei silben hinter der zweiten these ver-
schieden verteilt werden, entweder nach dem Schema
f . . ff r.Aar f . . ff
d.h. die binnencäsur, wenn solche überhaupt beabsichtigt ist,
kann vor beide kürzen oder zwischen sie fallen. Das letztere
ist rhythmisch gefälliger, weil dadurch die reihe weniger aus-
einander gerissen wird.
Es ist ohne weiteres klar, dass die form a im text, d. h.
für den lesenden in folgender gestalt erscheinen muss:
X~X-XX-XX-CX) U.S.W.
Mit andern werten: gelesen werden solche verse vierhebig
scheinen und zwar mit bevorzugung 'zweisilbiger Senkung'
hinter der zweiten und gesetzmässigem gebrauch nach der
dritten hebung. Da sich ferner in dem ersten *daktylus' eine
aufgelöste arsis (^■^), in dem zweiten dagegen eine zusammen-
ziehung nebst folgendem vollen takt {i. • _), also zwei thesen
verbergen, so werden die textsilben des ersten dreisilbigen
taktes die form Ixx haben, die des andern aber nach dem
accentschema -Lxx streben, d.h. auf der ersten 'senkungs-
silbe' nebenton suchen. Man vergleiche nun damit die all-
gemeine beschreibung des vierhebigen 'daktylischen' verses,
die Wilmanns § 2 ff . gibt. 1) § 7: Wörter der accentform
-XX (läncstcBte) stehen weitaus in den meisten fällen im
dritten, selten im ersten, nicht im zweiten takt; 2) der dak-
tylische rhythmus ist im stück bis zur binnencäsur durch
den wortaccent sehr schlecht bezeugt, weit besser im zweiten
abschnitt (§ 15); 3) die binnencäsur ist normaler weise
weiblich und übt auf die länge des längeren abschnitts ver-
kürzenden einjQuss aus (§ 3); 4) die 'daktylischen' verse
bilden in den Strophen den 'fünfhebig iambischen' gegenüber
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ÜEBER HARTMANK VON AUE. 89
die nünderzahl, wenn man rohe betonnngen meidet (§ 16).
Man sieht, die beschreibung passt ganz vortrefflich zur text-
gestalt des anf s. 87 unter a mitgeteilten rhythmus. Damm
liegt der schluss sehr nahe: unter vielen sog. daktylen verbirgt
sich die form _-_ - ..^jl-^Ljl.
in den verschiedenen arten, die durch zweisilbige arsis, auf-
lösung der zweizeitigen thesen, pause im auftakt und akata-
lektischen bez. brachykatalektischen schluss möglich sind. Dass
neben der form a noch andere von gleicher eigenschaft stehen,
ist sehr wahrscheinlich. Der schein daktylischer vierer wird
also durch combination von arsischer auflösung und von zu-
sammenziehung erweckt, eine ganze zahl der sog. daktylen
enthüllt sich so als rhythmen in denen zweisilbige arsis
und zusammenziehung gesucht wird, freilich unter be-
vorzugung gewisser, rhythmisch besonders wolgefälliger typen
(bes. a, vgl. oben). Diese reihen wären dann sechser, keine
vierer. Zu beachten ist, dass der sechser mit zusammenziehung
auf der dritten thesis schon vom anonymusSpervogel als schluss-
^lied tjrpisch verwendet wird; z. b. MF. 25, 26 und niht vor den
eren verspürte = A ^ _ • - ^' • _ ^ • . Vgl. 25, 33. 26, 26. 33.
27, 5. 19 u. ö.
Aus den beispielen bei Morungen und Hezbolt hat sich
ergeben, dass eine tendenz zu genauer rhythmischer respon-
sion in den Strophen bemerkbar, aber noch nicht völlig zum
ziel gelangt ist. Wir werden darum, je älter die dichtungen
sind, um so weniger Strophenentsprechung erwarten dürfen:
eine gewisse regellosigkeit ist vorauszusetzen.
In der tat hat mich nun die durcharbeitung der texte
von MF. überzeugt, dass mit den verschiedenen formen des
Sechsers bei den meisten 'daktylen' wirklich durchzukommen
ist. Man kann auf diese weise nicht nur harte betonungen
vermeiden, sondern vor allem die Überlieferung sehr conser-
vativ behandeln. Von der gestalt die MF. den liedem gegeben,
ist dabei abzusehen, da die herausgeber den überlieferten text
stark haben verändern müssen, um ihr vorausgesetztes dak-
tylisches versmass durchführen zu können.
Ich gebe einige beispiele dieser rhythmengattung, ohne
auch hier irgendwie darauf anspruch zu machen, einen
endgiltigen text zu liefern.
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90 SARAN
Die abweichungen von MF. bedeuten meist rückkehr zur
Überlieferung. MF. 43, 28 (Hausen).
1. An d6r gen&den al min fröide st&t,
da enmäc mir geworren hüot^ noch nlt.
Mich enhilfet dienst noch miner Munde rät,
und daz si mir ist llep alsam mfn selhes lip.
Mir erwendet ir hulde nieman wan si selbe,
si tuet mir aleine den kumber den ich trage:
Wes solde ich dan von den merkseren klagen,
nu ich ir hüote also l6tz61 engelde?
2f ff 'VI' " * ^
q r ff / I ' " 'V
Beimschema : a — b
a-b.
c — d
d~c.
2. Mangen harzen ist von der huote w^,
und jehent ez si in ein angeslichiu not:
So engerte daz mine aller rfchh^it niht m^
wan mües ez si liden unz an minen tot.
Wer möhte h&n groze fröide ^ne kumber?
nach solher swaere sd rang ich alle zit.
Done mäht ich leider niht komen in den nit:
des h&t gelücke getin an mir wunder.
1 -TT ' " 'VI' " 'V
1. A v.yw /\ I — v-»w /\
2' ' • ' V ^~ " 'V
. \,./y^ — K^\^ — \^/\^ >— < A I — — \^^\^ — A
4. y^^L w^^ IX I -~ ^^^' ^ —
3. Einer grözen swsBre ich leider aenic bin,
die doch erf&rhtet vil manic sselic man.
Unbetwungen von huote so ist daz herze min;
mir ist 14it von ir, daz ich d4n fride ie gewan.
Wand ich die not wold iemer güetlich liden,
het ich von schulden verdienet den haz.
Nit ümb ir mlnne daz tsetö mir baz
danne ich si beide süs muoz l&n beliben.
1 f ff 'VI ' " L/T
9 ' " 'VI' " 'V
3. _1 1' L- I -1 ^L-.-l)\
i. _i___i.- _ixi -- — -— i^
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UEBER HABTMANN VON AUE. 91
Mit Sechsern kommt man bei Gutenburg 77, 36 ff. aus.
Er liebt die form _ ^^il ^ _, auflösung öfters auch
vor der fünften thesis, d. h. auf der stelle nach der untercäsur
des langen abschnitts, wenn sie ausgeprägt wäre.
Dass diese rhythmisierung berechtigt ist, kann m. e. aus
dem ersten lied des Neuenb urgers (80, 1 ff.) gefolgert werden.
Es ahmt in reimstellung, z. t. auch im inhalt ein lied Folquets
nach, das oben s. 74 analysiert worden ist. Folquets rhythmen
sind Sechser (brachykat. und katal.), und eben denselben rhyth-
mus ergibt die unbefangene betrachtung der Überlieferung, von
der sich freilich der text von MF. sehr entfernt. Ich gebe
meinen text zur vergleichung — auch hier unter vorbehält.
1. Gtewan ich ze Minnen ie g6oten wftn,
nn h&n ich von ir weder trost noch gedingen,
Wan ich enweiz wie mir sUle gelingen,
Sit ich s! mac weder l^^n noch hän.
Mir ist alse d4m der üf den boum d& stiget
nnd niht hoher mac und da mitten bellbet
Und ouch mit nihte widerkomen kan
lind also die zit mit sorgen hine vertribet.
1. —Ly^^ dl ^X I — — WW— ^ '^ - —
2 ' ■ " ' I ' ' ' 'TT
3. _l^ ZI L I ' "
4. _i :: IX I —^--1
f
V^\^ 1—1 -
2. Mir ist alse deme der d& hat gewant
einen mnot an ein spil nnd er da mite verliuset
Unde erz verswert: ze sp&te erz doch verkinset.
also h&n ich mich ze sp&te erkant
Der grözen liste die Minne wider mich hate.
mit schcBnen gebserden si mich zuo ir br&hte
Und leitet mich alse der boBse geltsere tnot
der wol geheizet nnd geltes nie ged&hte.
1 ' " ' "yv" I ' " '
2. -1 1 ^^ I Äi-^-i'-- L_TX
3. Min vronwe solde l&n nn den gewin
daz ich ir diene: ich mac es niht miden.
tedoch bite ich sie daz siz geruoche liden:
so wirret mir niht diu n6t die ich lidende bin.
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92 SARAN
Wil aber sl mich von ir vertriben,
ir swacher graoz der scheidet mich von ir übe.
Noch dannoch fürhte ich mlr6 . . .
daz si mich von minen freüd6n vertrlbe.
1. -J. IL ^X I -- ^ ^-
.Q ' ff ~T I ' " f
4 ' f I ' n t
^' — l-i I \.^/S^ —1-1 1.^
Dies lied des Fenis ist also eine nachahmung auch der reihen
Folqnets, nur dass hier nicht die gewöhnliche rhythmengattnng
mit regelmässigem Wechsel von arsis und thesis, sondern eine
andere mit mannigfacher senkungsbehandlung gebraucht ist.
Der Prüfstein jeder 'daktylentheorie' durften die lieder
kaiser Heinrichs sein. Ihre metrik spottete bisher aller
versuche. Es sind nach ausweis des metrums wol zwei ver-
schiedene töne; im reimgebäude ist nur der unterschied, dass
der erste ton vor dem schliessenden reim eine waise hat
Erster ton: 5, 16—29.
1. Ich grüeze mit gesänge die süezen
die ich vermlden niht wil noch enmac.
Daz ich sie von mnnde rehte mohte grüezen,
ach leides, des ist manic tac.
Swer disin liet nu*) sing6 vor ir,
der ich s6 gar nnsenftecliche enbir,
6z si w!p öder man,
der habe sie gegrüezet von mir.
1. _JL SL^^l.^ I _-! II IX
2. ^L II JL- I Ä^ — - ü lA
3. -l^__^-^lA I -1 — --^— lA I
2. Mir sint din riebe nnd din länt fmdert&n
swenne ich bi der minneclichen bin,
ünde swenne ich gesch6id6 von dan,
so ist mir äl min gewalt nnd min nchtnom d& hin.
Wan senden komber den zel ich mir danne ze habe
sus kan ich an vrönden stigen üf und*) abe
nnd bringt den wehsei
als ich wsene durch ir lieb6 ze grabe.
*) C swer nu d. l.
*) C und <mch. Das ouch ist dem sinn znwider.
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UEBER HARTMANK VON AUE. 93
1. _1 ^' — -,XI /^l- — -!^-— ^A_
o f ft 'VI' " 'VI
ö. \^/\^\.^^ >.-/\^w^/\ I v-/v^ ^^-^v^ A I
Zweiter ton: 5,30—6,4.
1. Daz ich si sd herzeclichen minne
unde si ^ne wenken trage
Beide in harzen und in sinne
underwilent mit tu maniger klage:
Waz git mir dammbe diu liebe ze lone?
d& biutet si mirz so rehte schöne.
e ich mich ir verzige, ich verzige mich 6 der kröne.
1. Ä-' 1' ^- I äl^^.i ^x
2. 7{J.^1 L- I Äl l'_^__^X
3. _^^^_wv^l' Z.— I __JL — z.— I
t tf ,
\^\^ ..m- .— V_<»V^ Nw-^V.* — l__l ^
2. Er Bündet sich swer d^ niht gelonbet,
ich möhte geleben manigen lieben tac,
Ob joh niemer kröne k&me üf min houbet,
des ich mich &ne si niht vermezzen enmac.
Verlüre ich si, waz hete ich danne?
d& t()hte ich ze yrönden noch wib6 noch manne
und w^e min b^ter trost^) ze &hte nnde ze banne.
1. -1 ^_-^-. I _i__^^ IX
2 ' ff f I ' " ' V
3. _^-.^^ JL- I «-Lx . — ws-.^' 1.— I
_^^^ ^ ^ ^^__
Man sieht, wie ohne erhebliche abweichung von der Über-
lieferung durch anwendung der hexapodie die vermisste rhyth-
mische regelmässigkeit hergestellt wird. Zugleich ist zu
bemerken, dass hier akatalektische, katalektische und brachy-
katalektische reihen correspondieren, wie z. b. beim Kürenberg.
Man wird daraus schliessen dürfen, dass diese reihen mit ab-
sichtlich gesetzter zweisilbiger arsis und mit zusammenziehung
(deutlich an typischen stellen), also die sogenannten 'daktylen'.
^) BC beidiu ze ahte. An sich ist auch diese lesart möglich. Aber
der yers wird durch Streichung von beidiu weit besser, so dass sie wol
zweckmftssig ist. Den zusatz des geläufigen wortes anzunehmen ist un-
bedenklich.
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94 8ABAN
nicht der romanischen kunst, sondern aus der weiterentwicke-
lung heimischer formen entsprossen sind.
Ob noch andere rhythmengattungen in den *daktylen'
verborgen liegen, lasse ich dahingestellt. Es ist mir wahr-
scheinlich. So möchte ich im leich des von Kolmas ^press-
rhythmen' sehen; vgl. s. 77 ft. Auch ist an sich nicht unmög-
lich, dass das frz. dekasyllabon gelegentlich nachgeahmt ist^
wenn ich auch kein beispiel dafür zur hand habe.
Man sieht leicht aus dem hier erörterten, dass die ganze
daktylenfrage lediglich aus der annähme fliesst, die mhd. minne-
singer hätten einsilbigkeit der Senkung als norm angestellt,
zweisilbigkeit und zusammenziehung principiell vermieden* Die
texte geben zu dieser annähme keinen anlass, vielmehr ist
zweisilbigkeit der Senkung und zusammenziehung oft gesucht
worden. Die mhd. Verslehre hat also nicht die angäbe, diese
art der arsenbehandlung möglichst zu beschränken oder zu
verschleiern, sondern festzustellen, unter welchen bedingungen
sie stattfindet. Eine betrachtung der verschiedenen stilarten
der rhythmik der minnesinger ist m. e. das ziel dem zu-
gestrebt werden muss. Die grundsätze die Lachmann und
Haupt aufgestellt haben, sind dabei principiell aufzugeben:
die textherstellung der minnelieder hat auf einer neuen rhyth-
mischen basis zu erfolgen, zu der ich im vorausgehenden
wenigstens das programm angestellt haben möchte. Ich
widerhole hier aber nochmals, dass ich nicht etwas endgiltiges
damit geben, sondern einstweilen nur meine behandlung der
Hartmannischen lieder rechtfertigen will.
Nach dem gesagten glaube ich mich berechtigt, den ro-
manischen Ursprung der 'daktylen' schlechtweg zu leugnen.
Ihr wesen widerspricht dem der romanischen rhythmen durch-
aus. Also müssen sie specifisch deutsche formen sein. Warum
tauchen sie nun aber erst im minnesang auf, als der romanische
einfluss merkbar ist? Warum kommt man nicht in die Ver-
suchung, die lieder des Kürenbergers daktylisch zu nehmen?
Ich glaube, dass die ganze technik dieser 'daktylen' eben
erst durch den gegensatz der alten und der neuen richtung
des minnesangs möglich wurde. Die alte, ritterliche lyrik,
diejenige die vom ^minnedienst' noch nichts weiss, braucht
zusammenziehung und zweisilbige Senkung durchaus (letztere
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UEBEB HARTMANN VOK AÜE. 95
meist bei S-erschleifbaren' silben, aber auch bei andern, wenn-
gleich selten): gewisse typen der reihen {^l^-L-, ^L-j^.L
--J ^L^-L^^--^!.- u.a.) sind dabei nicht zu verkennen.
Die neue, aus Frankreich eingeführte, verlangt grundsätzlich
den regelmässigen Wechsel von arsis und thesis, d.h. die ein-
silbigkeit aller rhythmischen werte. Damit sind ohne weiteres
zwei stilarten der rhythmik gegeben, die nun teils neben einan-
der hergehen, teils sich durchdringen. Der minnesänger versucht
zunächst, die neuen formen nachzubilden. Dabei geht er von
der heimischen technik aus und das resultat sind verse wie
wir sie z. b. bei Hartmaun finden, verse die dem neuen form-
ideal zustreben, aber noch manches (z. b. fieiheit der silbenzahl)
von der alten technik haben. Der Sänger versucht aber auch,
sich die kunstmittel der alten technik (zusammenziehung und
auflösung) zu erhalten und den neuen formenschatz durch ihre
grundsätzliche Verwendung noch zu bereicheni. So entstehen
producte, die in geist und Stimmung modern sind, in der
technik aber auch die älteren kunstmittel nicht verschmähen.
Es ist die gruppe der *daktylen'. Das moderne prägt sich be-
sonders darin aus, dass die zweisilbigkeit der Senkung un-
beschränkt ist, dass also die engeren regeln der alten zeit
angegeben werden. Je nach der dichterpersönlichkeit neigt
der eine mehr zum neuen (romanische technik) : z. b. Hart-
mann, Eeinmar, Walther, andere zum älteren: Morungen und
die Thüringer.
Somit sind also unter den rhythmen in MF. mindestens
drei stilarten strengstens zu scheiden: 1) der strenge alt-
ritterliche Stil: Kürenberg, anonymus Spervogel u. a.; 2) der
strenge neuhöfische stil (minnelied) und die formen die ihm
nachstreben, wenn auch noch nicht gleich erreichen (z. b.
Hartmanns meisten gedichte); 3) der gemischte neuhöfische
Stil. Darin etwa drei Unterarten: a) reihen mit absichtlich
verwendeter zweisilbigkeit der arsis; b) reihen mit absicht-
lich verwendeter zusammenziehung; c) reihen, wo auflösung
der arsis und zusammenziehung combiniert sind. Vielleicht
kommt hinzu: 4) die pressreihen: Kolmas, Walthers elegie (?).
Wie weit dieselben dichter sich mehrerer stilarten neben
einander bedient haben, wäre in jedem falle zu untersuchen.
Namentlich in der zeit wo die romanische kunst eingang
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96 SARAX
fand, wird man einem und demselben dichter Übergang vom
altritterlichen zum neuhöfischen stil zutrauen dürfen. Auch
Goethe hat nicht gleich die schönen gedichte der letzten Frank-
furter und der Weimarer zeit geschrieben: er hat auch das
Leipziger liederbuch gedichtet.
Solchen Übergang finden wir z. b. beim kaiser Heinrich
4, 17 ff. : 5, 16 ff. Er braucht stil 1 und 3, wobei die neuhöfi-
schen gedichte gerade dieses hohen herm in der behandlung
der reihenschlüsse noch ihren Ursprung aus der alten kunst
verraten (oben s. 93). Wie weit auch bei andern dichtem von
MF. zwei Stile nebeneinander liegen, bedarf stets besonderer
Prüfung. No. 2 und 3 nebeneinander ist ganz geläufig: Hausen
und auch Hartmann. Die echtheitsfragen werden dadurch
schwieriger, als man bisher annahm.
Dass für die Scheidung der stilarten die weise zu beachten
ist, wie die dichter den vers mit wortinhalt füllen, möge noch
betont werden. Sievers hat ausdrücklich auf diesen umstand
hingewiesen. Man hat stets zu erwägen, wie weit sich die
icten nach den Sievers'schen typen abstufen ('dipodisch' ver-
teilt sind) oder diese alte accentverteilung fallen lassen ('mo-
nopodisch' folgen). Es muss dabei bedacht werden, dass der
gegensatz von 'monopodisch' und 'dipodisch' auch rein als
mittel des ausdrucks, also stilistisch (Sie vers weist Festgabe
für R. Hildebrand, Leipzig 1894, s. 14 f. auf die einleitung des
Tristan hin) verwendet werden kann und dai-um den drei arten
des mischstiles no.3 vielleicht noch eine neue: 'd) reihen mit ab-
sichtlich »dipodischer« ictenabstufung' hinzugefügt werden muss.
Das lied Hartmanns, um dessentwillen dieser excurs nötig
war, ist nun einfach hexapodisch.
215, 14:
^ __j_ _^ ^_ I _j_ ^_^^ ^_
2. _-! ^Ji L- I _1 Z! ^-.
3' " 'VI' n 'V
4^ "K ^ j^ Ji* — I '. Ji *L —
Y.lbl ^este. 215,22:
1, ___^ Jl ^__ I __^ ^.^JL lL__
2' tr f \ f ff f
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ÜEBEB HARTMANN VON AUE. 97
V. 28 1. dcus enpfie (C). str. so (mit C). 29 mit C und muoz i&iner.
215, 30:
1 ' 9» t \ 9 ff 9
2. ._1_^^_ » >L_ I _jL ^'__i_
3. ..LJIl^-i_._rj{\ _l_.._^'__iX
4 _ ^ ^ ^ _ I . _' f* ^ _
V. 33 1. aL 37 1. der lip und Sre ir hehüete. So ist der vers
weit besser als in der — an sich ebenfalls möglichen — Über-
lieferung: got si der ir lip und ire hehüete. —
Für Hartmanns rhythmische technik ergibt sich also nach
den mitersuchungen des abschnitts IV und V folgendes:
1) Hartmann braucht nur vierer und sechser. Zweier sind
nicht anzuerkennen, da sie sich ohne Schwierigkeit durch Ver-
einigung mit nachbarzeilen vermeiden lassen.
2) Die reihen Hartmanns schliessen mit der thesis und
zwar akatalektisch, katalektisch oder brachykatalektisch. Es
finden sich bei ihm im ganzen nur 12 reihen die mit einer
arsis (senkung) enden; diese sind aber keineswegs daktylisch
[1. ^ _), sondern erweisen sich aus dem strophenzusammen-
lang als hyperkatalektische anapästische glieder (_ 1 i -)• ;
Ss sind 214, 13. 15 _1 1 ; ^ (ebenso 24. 26), also am
)eriodenschluss. Dann 218, 5. 7 _1 - ---iw (ebenso i
3. 15. 21. 23) und 213, 38 A- l^w-jv. (ebenso 214, 10). I
3) Es fangen weitaus die meisten reihen mit auftakt an, j
er auch zweisilbig (nie dreisilbig) auftritt. Wo in einer Strophe |
er auftakt fehlt, wird er meist in den andern desselben tones I
esetzt, so dass über die auffassung der reihen kein zweifei j
bwalten kaun. i
Demnach kennt Hartmann nur anapästische reihen |
__L L) in ihren verschiedenen modificationen: reihen die
rundsätzlich thetisch beginnen, hat er nicht. Hartmann steht
dieser beziehung also noch auf dem boden der hergebrachten
itionalen kunstübung, die keine andern als anapästische, d. h.
etisch schliessende formen braucht. Es ist für die Würdigung
s folgenden abschnittes wichtig, das festzuhalten. Denn wenn
a^rtmann, wie gezeigt werden wird, allmählich alle unregel-
Beitrage sur geachlohte der deatsohen sprsohe. XXIII. 7
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98 SABAN
mässigkeiten im auftakt vermeiden lernt und ihn schliesslich
regelmässig und einsilbig setzt, so bedeutet das nichts anderes,
als dass er sich bestrebt, die von ihm gebrauchten anapäs-
tischen reihen auch wirklich ganz zu füllen, dass er es meidet,
durch pause werte ausfallen zu lassen. Das gesetz von der
auftaktregelung bedeutet also (ebenso wie das von der Ver-
meidung der zusammenziehung) ein streben nach grösserem
tonreichtum. Zugleich nähert sich die rhjrthmik Hartmanns
damit der der Romanen immer mehr, die ja auf dem regel-
mässigen Wechsel von arsis und thesis beruht. Darum wird diese
tendenz zur regulierung Wirkung der romanischen technik sein.
VI. Die Chronologie der lieder.
Beziehen sich die lieder eines Sängers eins auf das andere
oder enthalten sie historische anspielungen, die gedeutet werden
können, so ist dies von grösstem wert für die aufstellung einer
Chronologie. Fehlen solche beziehungen, so muss man seine
aufmerksamkeit der kunstform zuwenden und seine sclilüsse
aus ihr ziehen. Die reihenfolge, die die hss. den liedem geben,
und die biographische ausdeutung ist für dies problem ohne
wert. Das war das ergebnis der erörterungen im abschnitt 11:
darnach muss auf das strengste verfahren werden.
Es ist von vornherein am wahrscheinlichsten, dass die
drei kreuztöne Hartmanns zeitlich zusammen gehören, mag
man sie auf einen kreuzzug beziehen, den man will. Der letzte
derselben ist gewis ton XVI (218, 5), vorher liegen V (209, 25)
und VI (211,20). Es ist ganz unwahrscheinlich, sie auf zwei
kreuzzüge zu verteilen, obendrein, weil die töne V und XVI
durch die erwähnung des todes von Hartmann« dienstherrn
zusammen gehalten werden (210,24. 218,19).
Allgemein ist anerkannt, dass die töne 1. 11. III einander
nahe stehen. II muss vor III fallen, weil 206,28 in 207, 11
widerrufen wird. Von den zwei in III vereinigten liedern
dürfte III» (207,11. 208,32. 208,20) dem andern III^ voraus-
gehen, eben wegen jener beziehung. III ist gewis älter als I:
das folgt aus dem Inhalt (H. v. A. s. 30 — 32). So ergibt sich
die reihe II. III. I. Diese hält neuerdings auch Schönbach
für richtig.
Hierher stellt Schönbach auch XII (215, 14). Wegen der
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ÜEBER HARTMANN VON AUE. 99
beziehung von 215, 29 zu 206, 18 scheint mir das richtig. Nach
inhalt und Stimmung wäre es vor 11 zu verlegen.
Dass nun diese zweite gruppe vor die erste, die kreuz-
lieder fällt, bestreitet auch niemand. Das folgt aus der ver-
gleichung von 210, 23 und 218, 19 mit 206, 14 (H. v. A. s. 30).
Dass auch Xu vor dem tod des herm anzusetzen ist, lehrt
ein vergleich von 210, 11 ff. 35 ff. 211,8 ff. und 215, 19 ff. Die
reihe XII. H. IH. I. V. VI. XVI
dürfte mithin so gut wie sicher sein.
Ich habe nun in meinem buch gezeigt, dass dieser Zu-
sammengehörigkeit nach dem inhalt auch eine in der form
aufs beste entspricht: jene töne sind eben die, in deren gliedern
mit wenigen ausnahmen durchweg der auftakt steht. In XVI
fehlt er nie, in V» auch nicht, in V^ einmal (210, 29), in I
einmal (206,11), in III « nie, III« einmal (207,38), in 11 nie,
in Xn — wie ich jetzt hinzufügen kann — einmal (215, 20).
Da nun die andern lieder den auftakt weit freier behan-
deln, so habe ich daraus auf ein bestreben des dichters ge-
schlossen, den anfangs ganz freien, bald vorhandenen, bald
fehlenden, oft zweisilbigen auftakt zu regulieren, bis endlich
mit gelegentlichen Schwankungen das ziel: einsilbigkeit und
regelmässigkeit erreicht wird (H. v. A. s. 33). Darum habe ich
ton XVI als das letzte uns von Hartmann bekannte lied be-
zeichnet und seine auftakttechnik als das erstrebte ziel an-
gesehen.
Vogt bezweifelt, dass das richtig sei. Er meint, die Ver-
vollkommnung der technik könne nicht bloss in dem gleich-
massigen setzen, sondern ebensogut in dem gleichmässigen
fehlen des auftaktes und in dem regelmässigen Wechsel von
Versen mit und ohne auftakt bestehen. Dies wäre an sich
wol möglich. Für Hartmann könnten sich also im lauf der ent-
wickelung drei idealformen des tones herausbilden: 1) Strophen,
wo jede reihe, 2) Strophen, wo keine reihe auftakt hat, 3) Stro-
phen, wo die auftakte nach bestimmter regel stehen und fehlen.
Will man die lieder ordnen, so muss jedes an dem idealschema
gemessen werden, dem es zustrebt.
Prüft man die auftaktverhältnisse der Strophen, so ist
zunächst zweifellos, dass unter ihnen die folgenden dem ersten
ideal — regelmässig auftakt — zustreben: I (ä 206, 11). 11. III
7*
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100 8ABAN
(ä 207,38). V(ä 210,29). IX (ä 213,1.8.15). XI (214, 12. 14).
Xn (ä 215, 20). XIV (ä 216, 31. 32. 217, 2). XVI. Von 16 tönen
waltet also in 9 die tendenz von no. 1.
Betrachten wir vorerst diese gruppe allein. Procentualiter
ergibt sich folgende reihe:
n. JRK (VI). YK XVI 0,0
I (205, 1) 2,2
xn (215,14if.) . . . 4,16
XI (214, 12 if.) ... 9
m« (208, 8 if.) ... 3,3 IX (212, 37 if.) . . . 10
V« (209, 37 flf.) . . . 4,16 | XTV (216, 29if.) . . . 16,60.
Nimmt man die lieder von HI und V zusammen, so ergibt sich
die reihe: XVI. (VI). II (0,0 o/„). m (1,66). V (2,1). I (2,2).
XII (4,16). Diese weicht von jener etwas ab, doch verschlägt
das nichts, da eine solche Statistik nie bis ins einzelne genau sein
wird, sondern nur anzeigt, welche lieder einander näher stehen.
Prüfen wir nun die sieben töne, die noch übrig sind. In
der tat hat Vogt, wie ich gern zugebe, richtig gesehen, dass
Hartmann den auftakt zuweilen mit absieht an bestimmten
stellen fehlen lässt. Man sieht das klar, wenn man die auf-
taktstellen in bezug auf das rhj^hmische System der Strophen,
wie es abschnitt IV und V aufgestellt, betrachtet.
In ton IV fehlt der auftakt in beiden Strophen im anfang
der letzten periode. 209, 23 erhält dadurch das dis eine be-
tonung, die seiner bedeutung ganz angemessen ist (Rh. § 23
anm. 8). Ebenso in 209, 13, wenn auch weniger evident. Da-
gegen ist das fehlen des auftaktes in 209, 7 entschieden un-
beabsichtigt. Die entsprechende reihe der andern Strophe
setzt ihn.
In ton VII fehlt der auftakt in allen drei Strophen wider
wie in IV am anfang der Schlussperiode 211,31. 212, 1.9, doch
wol mit absieht. Dagegen ist nach ausweis von str. 2 und 3
(212,2.10) im zweiten Vordersatz von periode 3 (d.h. in 3a')
auftakt nötig: 211,32 ist also unregelmässig.
In Vm fehlt der auftakt regelmässig in la (212, 13.21.29),
in 2 a (212, 15. 23. 31), also allemal im periodenanfang, offenbar
um den einsatz kräftiger zu machen. In 3 a fehlt er nur zwei-
mal (212, 17. 25), 212, 33 steht er. Dass das fehlen im auf-
gesang beabsichtigt ist, kann man annehmen: aber auch im
abgesang? Nehmen wir an, es sei beabsichtigt, so haben wir
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UEBEB HABTMANN VON AUE.
101
jedenfalls in 212, 33 einen Verstoss gegen das idealscliema,
einen zweiten in 34 (gegenüber 18 und 26), also nicht bloss
eine Unregelmässigkeit, wie Vogt s. 240 meint, sondern zwei.
Das fehlen des auftaktes ist meist durch gi-unde der declama-
tion bedingt.
In ton X (213, 29) fehlt der auftakt in den meisten reihen.
— Das idealschema wäre: periodel — 3 durchweg auftaktlos,
4 a ohne, 4 a', a", b mit auftakt. Gegen dies Schema finden sich
drei Verstösse: 213,38. 214,5.9. Legt man ein anderes zu
gründe, so bleibt diese zahl doch als minimum bestehen. In
procenten 15.
In Xm ist fehlen möglicherweise in 3 b (216, 7. 14. 28)
beabsichtigt. Im übrigen erkennt man kein princip. Setzung
ist offenbar das ideale. Gegen das idealschema hätten wir also
neun Verstösse.
In XV soll der auftakt offenbar fehlen in 3a (217, 18. 28.
38), d. h. im periodenanf ang. Das fehlen hat hier für den sinn
bedeutung, denn alle die hinter der pause stehenden pronomina
bedürfen der hervorhebung, die ihnen auch durch das fehlen
des auftaktes zu teil wird. 217,30 ist aber Verstoss.
Berechnet man die procente der Verstösse gegen das jedes-
malige idealschema, so ergibt sich folgende zweite reihe:
%
3,3
XV (217, 14) .
3,3
5,0
8,3
15,0
32,1
Vn (211,27) .
IV (209, 5) .
Vin (212, 13)
X (213, 29) .
xm (216, 1) .
Vergleicht man diese reihe mit meiner früheren (H. v. A.
S.35), so ergibt sich, dass diese töne in ihr fast in gleicher
relativer Ordnung folgen. Dort war die folge: XV. IV. VII.
Vm. Xin. X (rückwärts).
Die töne beider gruppen würden, gesondert und genau nach
ihren auftaktverhältnissen geordnet, folgende reihen bilden:
1) n. m^ \K (VI). XVI
1(205,1) . . . , .
m« (208, 8) . . . .
0,0
2,2
3,3
2)
XV (217, 14) \
vn (211,27) i
'lo
3,3
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102
SABAN
V» (209, 37) \
Xn (215, 14) i
XI (214, 12)
IX (212, 37)
4,16
9,1
10,0
XIV (216,29).
16,66
IV (209, 5) 5,0
Vm (212, 13) ... 8,3
•X (213,29) .... 15,0
Xm (216, 1) .... 32, 1
Folgte man nun den grundsätzen die Vogt für die Chro-
nologie Hartmanns aufstellt, so müsste man die beiden reihen
auf grund der procentzahlen zusammenschieben und hätte
dann eine reihe, in der die lieder tatsächlich darnach auf-
träten, inwieweit eine auftaktregulierung erfolgt ist. 213,29
(X) und 214, 12 (XI) würden sich dann zwar nicht, wie Vogt
will, gleich verhalten (s. 239), aber doch einander weit näher
rücken müssen als in meiner ersten tabelle (H. v. A. s. 35).
Diese combinierte tabelle würde aber den wahren Sach-
verhalt nicht darstellen, sondern geradezu verkehren. Man
vergleiche, um sich das klar zu machen, die auftaktbehand-
handlung unter berücksichtigung der rhythmischen örter, wo
auftakt fehlt. Man unterscheide Vordersatz (a), zweiter (bez.
dritter) Vordersatz (a', a") und nachsatz (b). Dann ergibt sich
für reihe 1) folgende tabelle, in der s die summe aller reihen
der Strophe, a'(a") + b die summe aller der glieder bedeutet
die nicht im.periodenanfang stehen. Das Verhältnis der anzahl
vorhandener stellen zu den auftaktpausen ist danach:
Absolute zahlen der reihe 1:
"
XIV
IX ! XI i xn
1 j
V« ; m«
I n mv v^ jxvil
(HI); (V)
a
12:3
1 ' 1
15:2 10:2 12:1 12:0 12:0
1
20:0 9:0jl2:0
12:0
15:0
24:0 1 24:0
a', a"
,2:0
6:0
5:0
9:0
6:0
12:0 1
b
12:1
15:1 , 10:0
12:0 1 12:1
1
1
12:1
20:1
9:0
12:0
12:0
15:0
24:1 j24:l
1
8
24:4
30:3 '22:2
24:1 24:1 80:1 45:1 !27:0
30:0 24:0
30;0
60:1
48:1
a', a" + b
12:1
15:1 12:0
12:0
12:1
18:1
25:1
18:0
18:0
12:0
15:0
36:1
24:1
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UEBER UARTMAKK VON AüE.
103
In procente umgerechnet gibt die tabelle an wie oft der
auftakt fehlt im Verhältnis zur gesammtzahl der auftaktstellen
jeder der (durch a; a', a"; b; s; a', a" + b unterschiedenen) arten.
Procentzal
tilen der reil
lie 1:
XIV
IX XI xn
V»
m«
I n ; m» j V» xvi
(in)
(V)
(VI)
' 25
1
13,33 20 1 9,33. 0,0 0,0
0,0 ' 0.0
0,0 ; 0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
1
0,0 , 0,0
0,0 0,0
0,0, 0,0
0,0
0,0
0,0
i 8,33
6,66 0,0 ' 0,0
8,38
4,16
8,33
5 1 0,0
0,0 ' 0,0
1
0,0
4,16
4,16
0,0
1
1 16,66
1
10 9,1 1 4,16
3,33
2,22 0,0
0,0 1 0,0 0,0
1 1
1,66 2,1 , 0,0
b| 8,33
1
6,66 1 0,0 ' 0,0
1 1
8,33
5,55
4,0 ! 0,0
0,0 1 0,0
1
0,0
2,77
4,1«
0,0
Ton VI nnvollständig.
Aus diesen tabellen sieht man, dass in den liedem der
ruppe 1 auftaktpause zunächst und gleich von vornherein sehr
[lergisch im innem der periode, d. h. an den stellen a', a" und b
ermieden wird: kein ton hat hier mehr als einmal auftakt-
luse. In sechs von den elf liedern findet sich überhaupt
3ine. Am periodenanfang (a) fehlt auftakt häufiger, doch ist
e tendenz ihn zu setzen dafür auch um so lebhafter und
hrt schon in V- zum ideal.
Man betrachte nun auch die zweite gruppe von demselben
uidpunkt aus, d. h. man berechne wie oft überhaupt im ver-
Itnis zu den verschiedenen stellen auftakt fehlt.
Tabelle der absoluten zahlen
für reihe 2:
1 xm
1
V
vin rv
vn
XV
a 12:5
8:7
. 1 !
12:8 8:3
9:3
15:4
a', a" ! 4:1
4:2
1 4:^»;
9:1
b 12:7
8:6
12 : 1 1 8:0
1 1
9:0
15:0
s 1 28:13
20:15
24:9 20:3
27:4
30:4
a', a" + b 16:8
1
12:8
12:1 ' 12 :ü
i
18:1
1
15:0
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104
SAUAN
Procentzahlen der reihe 2:
xm
X
vm
IV
vn
XV
a
41,66
87,5
66,66
37,5
33,33
26,66
a', a"
25,00
50,00
0,0
11,11
b
58,83
75,00
8,38
0,0
0,0
0,0
8
46,42
75,00
87,5
15
14,81
13,33
a',a" + b
50,00
75,00
8,33
0,0
5,55
0,0
Auf den ersten blick ist klar, auch diese lieder durchzieht
das streben, zunächst die auftaktpause im innern der perioden
zu beseitigen. Mit VIII steht die gruppe in dieser beziehung
schon auf der höhe, die in der ersten no. XIV einnimmt. Das
folgt aus betrachtung der rubriken a', a", b und a', a" + b.
Aber sehr energisch ist auch in dieser reihe das streben,
die auftaktpause von a zu beseitigen (rubrik a). Sieht man von
Xni ab, so ist die Ordnung, die rein aus betrachtung der
auftaktregulierung in a folgt, dieselbe wie die die ich oben
durch beurteilung nach dem jedesmaligen idealschema gewonnen
habe. Beide weisen der betrachtung ergeben also dasselbe
resultat.
Man mag also Hartmanns lieder behandeln wie man will,
immer ergibt sich, dass eine starke tendenz zur Vermeidung
der auftaktpause da ist, die sich zunächst im periodeninnem,
dann am periodenanfang lebhaft betätigt. Je jünger in beiden
reihen das lied, um so seltener die auftaktpause.
Da also offenbar beide gruppen die ich unterschieden,
von demselben streben beherscht werden, da femer zwar die
gruppe 1 zu liedem gelangt, die das zugehörige idealschema
wirklich erreichen, nicht aber gruppe 2, und da drittens die
lieder von gruppe 2 zu den früheren erzeugnissen Hartmanns
gehören, mag man sie mit Vogt nach der tabelle oben s. 101 f.
oder nach den eben aufgestellten beurteilen, so muss geschlossen
werden: das princip, überall die auftaktpause zu vermeiden,
ist durchaus das herschende. Die regelung des auftaktes im
sinne der gruppe 2 ist nicht, wie Vogt will, ein zweites princip,
das dem ersten gleich mächtig gegenüber träte, sondern es ist
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UEBER HARTMANN VON AUE. 105
nur eine art, das erste princip durchzuführen, sie ist
nur ein specialfall des ersten princips. Wir werden an-
nehmen dürfen, dass der dichter die ganze regelung unbewusst
aus dem rhythmischen gefühl heraus unternahm, nicht auf grund
einer theorie^ Daher auch gelegentlich die Schwankungen.
Das gesetz von der auftaktregulierung bei Hartmann
deute ich also folgendermassen. Dem rhythmischen gefühl
Hartmanns, das schon wesentlich durch die alternierenden
rhythmen der neuhöfischen minnepoesie, vielleicht geradezu
durch französische lyrik bestimmt war, sagte die freiheit
nicht zu, mit der die einheimische technik die anapästischen
reihen (_1 1) behandelte. Er beginnt — zunächst wol
unbewusst — nach regelmässigkeit zu streben. Die auftakt-
pause wird darum allmählich auf stellen beschränkt, wo sie
die declamation unterstützt, wo sie also dazu dient, einen
kräftigen reiheneinsatz zu bewirken. Femer wird nach re-
sponsion im ganzen ton getrachtet. Die reihe 2 bringt diese
versuche statistisch zum ausdruck. Vor allem wird auftakt-
pause im periodeninnern gemieden. Das ist rhythmisch sehr
begreiflich. Denn durch solche inneren pausen wird die periode
immer auseinander gerissen: innerer continuierlicher Zusammen-
hang ist aber für sie wünschenswert. Durch pause am perioden-
anfang heben sich dagegen die perioden von einander ab, die
ohnehin einander relativ selbständig gegenüberstehen.
Ton Xm erweist sich, von diesem Standpunkt aus be-
trachtet, als eins der frühsten lieder Hartmanns. Hier wird
periodenanfang und -inneres gleich behandelt, und ob im zu-
lassen der auftaktpause wirklich princip ist und nicht der zufall
waltet, ist unklar. Das fehlen des auftakts am beginn des
Schlussgliedes der Strophe ist sachlich nicht zu begründen.
Auf grund dieser erwägungen glaube ich nicht, dass Vogt
recht hat, wenn er annimmt, ton IV (5 o/o) gehöre eng mit XII
(4,16 «/o), VIII (8,3 o/o) und XI (9,1 %) zusammen. Für die
technik dieser töne ist, wie das eben erörterte lehrt, weniger
von bedeutung, dass das entsprechende idealschema mit 5, 4,16
8,3 und 9 ^U Unregelmässigkeiten erreicht ist, als vielmehr die
tatsache, dass in IV der auftakt fehlt f ür s = 15, in XII für
s = 4,16, in Vm für s = 37,5 und XI für s = 9,1 fällen auf
hundert.
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106 SARAH
Wenn man also eine Chronologie der lieder Hartmanns
sucht, so hat man sich an das leitende, von mir schon früher
richtig erkannte princip zu halten: eine anordnung im sinne
Vogts ist nicht möglich, ohne den tatsachen] unrecht zu tun.
Man kann sich im einzelnen mehr an die proceMzahlen für s
(so ich früher) oder an die von a halten: das ergebnis ist in
beiden fällen wesentlich gleich.
Man gewinnt auf grund der s- zahlen folgende endgiltige
Chronologie, in der die inhaltsbeziehungen der lieder mit ver-
wendet sind:
*/o
%
XVI (218,5) .
. 0,0
XI (214, 12) . ,
9,1
VI (211,20) .
. —
IX (212,37). ,
10,0
VI (209, 25) .
. 0,0
XV (217, 14) .
13,33
V« (209,87) .
. 4,16
Vn (211,27) .
14,81
I (205, 1) . .
. 2,22
IV (209,5) . .
15,00
m» (208, 8) .
. 3,33
XrV (216, 29) .
16,66
m^ (207,11) .
. 0,00
Vm (212, 13) .
37,50
n (206, 19) .
. 0,00
Xin (216, 1) .
46,42
Xn (215, 14)
. 4,16
X (213, 29) . .
75,00
Diese Ordnung weicht etwas von der ab die ich H. v. A.
s. 35 gegeben habe. Das erklärt sich aus der neuen kolotomie,
die ich erst in dieser arbeit geben konnte. Daraus erklären
sich auch die zahlen die gelegentlich von den früheren in
H. V. A. abweichen.
Ich bemerke, dass diese reihenfolge nicht die zeit-
beziehungen der lieder bis einzelne darstellen soll. Schon die
abweichungen der inhaltschronologie von der rhythmischen in
den jüngsten werken lassen eine solche annähme nicht zu.
Die reihe soll nur im grossen und ganzen gelten. Man wird
der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man gruppen von
liedem aufstellt, die einander zeitlich besonders nahe stehen.
Ich würde folgende vorschlagen:
1) VI V2 VI XVI kreuzUeder.
2) XIV. IV. VII; XV IX XI; XII II HI« HI^ I Uebes-
glück und liebesnot (im anschluss an das nachweisbare
Verhältnis, das auch die * Klage' behandelt).
Das — übrigens einseitige — minneverhältnis wird nicht förm-
lich gelöst, sondern hört durch Hartmanns kreuzzug wo! von
selbst auf. Man kann in dieser giuppe wider Untergruppen
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UBBER HARTMANN VON AÜE. 107
erkennen: XTV IV VII sehr flott, mit einer gewissen Opposition
o:egen den minnedienst, der ja der älteren ritterlichen zeit
unbekannt war. Solche oppositionslustigen gedanken begegnen
später seltener: HI » wo der widerruf schnell folgt. XV IX XI
iind schon H. v. A. s. 102 als eng zusammengehörig erkannt
vorden. Formell haben sie gemein, dass es neben XVI die
iinzigen Strophen bei Hartmann sind, die fünf perioden um-
assen. Der dichter verbindet meist nur 3 und 4. XII 11 hoff-
lungsvoUere Stimmung, in I resignation.
3) X Xin VIII. Es sind die frühesten lieder, vor und
während der reise Hartmanns nach Nordfrankreich. VHI geht
och wol auf diese. XIII ist reine nachahmung Hausens.
Die Klage (das I. büchl.) dürfte mehr ans ende von gruppe 2
illen. Doch wäre auch möglich, dass es in die mitte fiele,
»as ist nicht auszumachen.
Wie weit es nun nötig ist, die lieder unter no. 2 auf das-
ilbe Verhältnis zu beziehen, kann nicht entschieden werden,
h habe H. v. A. mehr erlebtes in den liedem gesucht als ich
tzt tue. Es ist wol möglich, dass manche töne reine phan-
siestücke sind, ohne specielle beziehung.
Mag man nun meine Chronologie billigen oder nicht, eines
ht aus ihr, glaube ich, mit Sicherheit hervor: die lieder der
uppe 1 sind die letzten, die uns von Hartmann tiberliefert
id. Die der gruppen 2 und 3 liegen vor ihnen. Hartmanns
ik schliesst mit der kreuzzugspoesie, also 1189 ab.
Daraus folgt: wer etwa Hartmann zwei oder mehr minne-
hältnisse zuschreibt, darf keines davon nach der gruppe 1
Lch 1189) ansetzen und muss die töne III und I als solche
1 letzten Verhältnisses ansehen. Andernfalls hat er die
cht, meine beobachtungen über die auftaktentwickelung als
nch nachzuweisen. Deswegen ist auch Schönbachs versuch
iilehnen, weil er meine ergebnisse weder widerlegt noch
rhaupt beachtet.
Es folgt weiter: wer wie Wilmanns und Heinzel das
üchl. mit dem Verhältnis zusammenbringt, das den tönen
und I zu gründe liegt, darf das IL büchl. nun nicht mehr
irgend welchen liedern Hartmanus in Verbindung bringen
er müsste es denn vor das erste setzen. Das hat aber
1 niemand versucht. Somit fällt auch das was Schönbach
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108 SARAN, UEBER HARTMAN» VON AUE.
(s. 359. 368 ff.) über das zweite büchlein und seine beziehungpen
zu Hartmanns liedern sagt.
Endlich: ist die gesammte liebeslyrik dem L büchlein un-
gefähr gleichzeitig, so fällt sie in ihrer gesammtheit in des
dichters Jugend, wol seine knappenzeit. Denn dass jenes
büchlein sehr früh anzusetzen ist, habe ich schon H. v. A. s. 52
nachgewiesen, dass es von Hartmann vielleicht im alter von
18—21 Jahren verfasst ist, hat Schönbach wahrscheinlich ge-
macht. So drängt sich die ganze lyrik Hartmanns in wenige
jalire zusammen, denn im allgemeinen stehen sich die lieder
formell ziemlich nahe. Wenn man 1187 und 1188 annimmt,
dürfte man das rechte so ziemlich treffen.
Nach alle dem muss ich meine ansieht, die ich in H. v. A.
über des dichters lyrik ausgesprochen habe, gegen die polemik
Schönbachs und z. t. auch Vogts, wenigstens in ihren haupt-
ergebnissen aufrecht erhalten.
HALLE a. S. FRANZ SARAN.
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ANGLOSAXONICA IV.
Crist
14 a. Die nämliche construction unten v. 35 a.
26. Hier scheint mir ein vers ausgefallen, wie bidaö in
mdum + halbvers: vgl. v. 147.
40. 1. mit Grein ^eeacnun^, vgl. v. 75 und Blickl. hom.
43,24: pcet he hodi^e his ^odcundnesse ik hire ^eeacnunge.
erade diese ^eeacnun^ war das de^ol dryhtnes ^eryne von v.41.
42. ^eond^preot {eo = ea) v. -sprütan, nl. spruiten,
69. geneöde ist unsinn: 1. mit Grein genedde,
73. sundimend ein poetisches fabrikat wie peodbüend 616,
J3 und 1372, um einmal eoröhuend, foldbüend, grundbuend,
ndhüend zu variieren und ganz bequem mit s zu alliterieren.
5 bedeutet nicht maris accolas und hat mit nl. d^ zee bouwen
chts zu tun.
97. forpynded. Vgl. Sievers, Beitr. 11, 351 und Blickl. hom.
14: Peer wces Euan wöp üte hetyned purh pcere d dcenan
mnan (blisse?).
153. Sievers' unzweifelhaft richtige besserung for ofer-
irfum findet man, wie seine übrigen besserungen und be-
rkungen grammatischer oder metrischer art, bloss in der
snote, v^renn ihrer überhaupt erwähnt wird. Man vgl. weiter
521 und Beow. 2226; nur setze man is seo bot gelong eal
Pe dnum in parenthese, denn for oferpearfum gehört zu
oe forcymenum, bitrtim bryneteartim. Anders, aber m. e.
aiger tiberzeugend, IF. 4, 384.
167. Die einteilung des dialogs ist nicht in Ordnung. Erst
eala. fcemne geong v. 175 fängt Josephs rede (bis v. 195)
und darum ist v. 169 for pe in forpy und v. 175 feasceaftne
feasceafte zu bessern. Auch lese man v. 169 mit Thorpe
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110 C08IJN
worda. Ein schluss eala fchnne ^eon^, mcegd Maria ist un-
möglich, und gerade dies eala weist uns hier den weg.
183. 1. pe Iddi^an 'dich reinigen' Idpan sprcece * dessen
was man dir vorwirft'; vgl C. past. 308, 7.
189. purh ndthwylces sc. scyld oder ein ähnliches wort.
241. Aehnlich Eä. 2, 1.
257. Wie Beow. 160 der Grendel, so wird hier lupus qui
rapit et dispergit oves (Joh. 10, 12) d^orc deafscüa 'tenebrae et
umbra mortis' genannt.
264. se wites (i. e. helle) bona passt hier wol nicht so gut
wie se wittes bona = ^dstbona; vgl. Grein, Gloss. 2, 722.
270. 1. forteah & fortyhte; Id ist aus ht verlesen.
304. 1. mit Thorpe pcer, welche partikel bei verba movendi
öfters vorkommt; s. Grein, Gloss. 2, 564. Ein beispiel anderer
art V. 307.
364. 1. het(p)lan helscedpa{n), Hetol ist ein gebräuchliches
epitheton des teuf eis: Beda-Wheloc s. 309. Saints3, 406, und s.
weiter Toller s.v.
377. ^epeon. Das praet. peodon El. 403 (hs. peoden).
421. Dies md statt Sievers' mdra charakterisiert diese
ausgäbe.
469. wit^ena word ist object zu ha^fde ^efyUed, also nach
sun^on komma! ^eond woruld innan bilden drei worte, wie
Panther v. 4, wo richtig abgeteilt ist.
471. 1. Uofwendne, vgl. v. 400 lofiaff leoflicne. Die Ver-
wechslung won lofian und lufian kommt auch sonst vor, z. b.
ßeda- Miller 212, 7 var.; v. 504 steht richtig heredun, lofedun.
490. jehwdre; die richtige lesart natürlich in der fuss-
note. An anderen stellen ist der nämliche fehler mit diesem
pronomen gemacht: das weiter zu bemerken halte ich für
überflüssig; vgl. Sievers, Beitr. 10, 485.
494. 1. Oyning up ^ewdt. Was aber purh pces temples
hröf bedeuten muss, weiss ich nicht: ofer hrofas v. 528 ist ver-
ständlich. Vgl. aber v. 535.
511. on hwearfte 1. on hwearfe = on preate,
519. gedryt nach dem richtigen «sedryÄ^ v. 515! Fussnote:
sedryht
564 wiperbrö^an. Was sind 'widerschrecken'? Ich lese
iciperbreocan, welche auch aus Gu}?lac 265 bekannt sind (s.
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ANGLOS AXONICA. 111
weiter Grein, Gloss. i. v.) und noch in den Blickl. hom. 175, 7
vorkommen. Brecan (denn wiöerhreca ist synonym mit and-
sam) bedeutet hier ^streiten', got. Mkan, brakja ad^XeW, jtaXt}.
587. hals, nein hdlr, hahrl Zu eft, das man mir nicht
vorwerfe, vgl. v. 614.
621. Lies doch mit Rieger of statt ofer, wie die antithese
to pcere ilcan scealt eft ^eweorffan v. 624 deutlich beweist.
625. wyrmum aweallen. Vgl. -^Ifric, Hom. 1, 86: pcet his
^esceajm madan weollon und 472 : swa ])cet htm weollon madan
geond ealne Öone Itchaman, Vgl. auch an. vella.
644. Hier hätte der herausgeber Fruchts mislicu (vgl.
Jul. 263) in den text aufnehmen sollen (Fr. s. 78): moni^ mislie
ist metrischer fehler.
679. stdsl^ne, 1. statine', wenigstens dünkt mich die meta-
these verdächtig, denn die volle form ist stcesil. Man erwartet
steapne = Manne.
704. (kfyllendra fasse ich auf als gen. subj., also fyllan =
fellan, vgl. El. 1040 ^edwolan fylde, unrihte ce; vgl. auch unten
V. 709, wo hlödsyte worhian (708) einzuklammern ist.
769. boi'd^eldc, lind^eldc, lindplega bedeuten einfach 'streit',
eigentlich geldc (j>legä) bord-, lindhcebbendra. Ich verwerfe
Greins deutung 'clypeorum impugnatio'.
784. Ich lese swa we üs widefeorh weorcum hlödun, weil
das object zu Madan mir unentbehrlich scheint.
804. Ich constatiere hier bloss, dass über Sievers' aufsatz
Anglia 13, 1 kein wort gesagt wird; s. 246 teilt uns Assmann
bloss mit, dass S. a.a.O. * über die rätsel' gehandelt hat. Aber
GoUancz' autorität scheint so schwer zu wiegen, dass sogar
seine schiefe Übersetzung (v. 806 ür 'long since'!) citiert wird;
was dieser aber über ür s. 181 mitteilt, wird verschwiegen.
Die feststellung der bedeutung der rune wynn in Sievers'
'notable article' war doch bei GoUancz s. 180 zu finden; und
dass die Anglia gewissen deutschen anglisten eine teiTa in-
cognita ist, darf man doch nicht annehmen?
828. Zur abwechslung wird im text ein nicht allite-
rierender vers mit falscher interpunction geboten, während
Greins besserung in der fussnote zu finden ist (hatte das
original behofiaä, wie ^eholu für geolu Erf. 1064 u.s.w.?). So
bilden die noten einen katalog von richtigen, evidenten und
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112 COSIJN
falschen, antiquierten lesarten, was sich allerdings zum teil
entschuldigen oder verteidigen Hesse, wenn wir es mit einem
diplomatisch genauen textabdrucke zu tun hätten. Dies ist
aber nicht der fall, denn öfters wird gebessert (oder ver-
schlimmert), wo man es nicht erwartet. Eine emendation die
von dem herm herausgeber selbst herrührte, habe ich noch
nicht angetroffen.
836. cwdnlendra cirm soll ein vers sein. Aber langsübige
schwache verba der 2. und 3. klasse bilden regelmässig partt
praes. ohne i: mit i sind sie metrisch unbrauchbar. [In den
nachtragen ist Fruchts besserung, wie ich jetzt sehe, auf-
genommen.]
843. }>cer JnÖ ,., leofra (nsn.), wie 6u)?lac 1294 pcer tvces
denlicra <& wynsumra etc. Ebenso sopra 6u}?l. 1096 und bei-
spiele für die weibliche endung -a sind swcerra Crist 1490,
heardra 1489, leohtra 1652, sylfa Gu^. 964, hdncopa 998 (?).
Darf man dies alles ändern? Was die bedeutung unsrer stelle
betrifft, vgl. Sal. 30: ponne him hiÖ leofreponne eallpeos leohte
sesceaft . . . ^if he cefre pces or^anes owiht cuÖe\ Beow. 2651
steht pcety was aber mit ^if synonym ist, wie mit pokr, wes-
halb EttmüUers änderung v. 844 unnötig ist.
853. Komma hinter sundJwn^estum, denn fer^an ist trans-
itiv. Aber tilge das Semikolon nach holmas v. 856; aber nach
seldd stark interpungieren.
867. Lies mit Ettmüller pd he to Jwofonum ästd^, wie
V. 737 (vgl. auch El. 188) vorkommt.
870. 1. bihloßnimed, denn das mm ist organisch, s. Walfisch
61 und 76 und vgl. weiter hlimman, hlemm, got. hlamma u.s,w.
884. wid tun^la ^on^ (hlydaff), wie sprecan wid — con-
struiert: = wiö sonnende tun^l, i. e. wiff heofones weard,
889. 1. ejesUce,
901. Süpan eastan, vgl. Gen. 668 und Beitr. 19, 447. Darf
man letztere stelle sachlich mit dieser vergleichen?
934. trume d' torhte beziehe ich auf heofonas; vgl. v. 969.
Also nach torhte komma.
961. Cyn gehört zum folgenden verse, wie auch die hs.
andeutet. Welcher metrik folgt Assmann?
976. woruld mid ealle *die ganze weit'. Vgl. Saints6,285:
his wcleras wceron äwldette mid ealle.
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ANGLOSAXONICA. 113
980. scehdun ist ein unding, scehtun (kenticismus für
scyhtun) sinnlos. Also ist die 'vermutnng' sceldun = sdldun
nicht abzuweisen, weil hier ein verbum mit der bedeutung
'sch&tzen' stehen mass.
999. je hreow? Man vgl. 1148.
1046. L on e{a)cne (= eacenne) eard, denn das e beruht
auf palatalumlaut: vgl. Beow. 1621 eacne eardas, Opene weorpaÖ
U.S.W. illustrieren pd opene Od v. 1571.
1048. hord ^das verborgene', denn schätze verbirgt man:
warum aber immer diese 'schätze' in den Übersetzungen an-
gebracht?
1074a. Vgl. BHckl. hom. 95, 19.
1084. 1. ealipeodum, wie 1337, = yrmenpeodum] besser
noch vergleicht sich ealwihte.
1144. egsan myrred? aber der ausdruck ist unbelegt.
1155. Man folge Grein.
1185. etilen 'haberent'; vgl. Gen. 357.
1266. ^edenra gehört zu synne, ist aber von tö fela atol-
ecvrfoöa attrahiert.
1273. 1. earfeöe.
1301. L on pd,
1302. 1. healoddda, denn der plural wird hier gefordert
und ^escomian regiert einen genetiv.
1308. he i. e. sB scrift; li^ced * nachgeht' kommt sonst nur
vor in done cecer be^dn (Toller), plantan, impan be^dn C. past.
381, 17.
1313. EaZa u. s.w. Interpungiert man wie Assmann, dann
bedeutet pcer hier *utinam', wie El. 979. Jul. 570 und Seel. 141
(vgl. got. ip wissedeis d eypmg Luc. 19, 42). Aber dann muss
Wille V. 1318 in sqfle geändert werden: sonst wäre pcer hypo-
thetisch zu fassen, nach in^eponcas komma zu setzen und würde
V. 1317 in prosa lauten: p<Bt biö unäsec^endlic. Aber Assmanns
text bietet (mit ausnähme von mlle) wol hier das richtige,
wie auch Md wahrscheinlich macht.
1320. forä adolian. Lächerlich: weder ein apolian 'to
endure' noch ein ahd. ^adaljan' hilft uns hier aus der not;
forö ist ferö (vgl. v. 1361 und Rä. 74, 5) und affolian, das man-
chem den köpf irre machte, hat selbst den köpf verloren und
Beltrftge snr geacblohta d«r deniiohen ipraohe. XXIII. $
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114 COSIJN
ist verstümmelt aus staöolian: ferö st ist bekannt genug. Aber
vor ferä komma!
1321. pwean zweisilbig, pr^an einsilbig ist merkwürdig.
1323. ]>e her lifes sy. Vgl. Beda-Miller 462, 7 (v, 20) pcpt
he lifes wass. Später be lifon beon Thorpe An. ^ 112; mehr bei-
spiele bei Toller.
1348. hwonne gehört zu ^earo,
1361. for& ist ferd, vgl. oben v. 1320.
1429. Der punkt hinter wonn, also Nces ('es war nicht')
neuer satz, macht den vers fast unverständlich. Aendere den
punkt in komma und lies , ncBs nie for mode 'und nicht meinet-
wegen aus Übermut'; vgl. v. 1442 ic Pddi sdr for^ Öe Purh ead-
medu eall ^epolade,
1436. Ein anwldta citiert Toller 1, 46 aus Leechd. 1, 356;
es kann dem Zusammenhang nach nur n- loser acc. plur. sein.
Einen nom. sg. and{w)lafa *antlitz' nach dem Liber scint. hier
anzunehmen hilft nichts.
1444. heardcwide ändere man in hearmcmde,
1483. füle synne muss acc. plur sein, regiert von purh\
also lese man firenlusta.
1506. (B^hwoßs V. 1505 steht nicht attributiv; also hinter
hy^e komma.
1563. 1. fyrena äfylled = firenfuü,
1584. Wie sonst leoht = woruld, ist hier woruld = leohi;
darum steht sctnan.
1593. 1. weorpad.
1601. hwcet gehört zum folgenden vers und leitet den von
siman abhängigen indirecten fragesatz ein; auf man muss ein
verbum wie fre^nmaö {döad?) folgen.
1607 b. 1. synf%a tö wrace, vgl. 1602 und 1623.
1632. äbidan ist * bleiben', folglich hinter sinnehte komma.
Das verbum ist nie transitiv.
1653. 1. entweder ende oder mit Sievers (dem wol Mu-
spilli 14 lip äno töd vorschwebte) deaffe. Lif butan endedee^e,
das einem sofort einfällt, ist metrisch verwerflich und wird
nicht gestützt durch die zweite vershälfte in 1654. 1655. 1656.
1657. 1658. 1659.
1665. Hier endet der dönidce^es abschnitt, der v. 779 ein-
geleitet mit V. 868 anhebt. Was folgt ist ein selbständiges
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ANOLOSAXONICA. 115
stück Über das Schicksal der frommen seele, welche die irdische
herrlichkeit, pds eor^an wynne, verlässt: dass dieser ausdruck
nach dem weltbrande sinnlos ist, leuchtet ein: die begnadigten
am letzten tage werden en masse selig (v. 1635): hier wird
nur eine fromme seele von ihrem Schutzengel himmelwärts
geführt. In der Schilderung der himmlischen wonne stimmen
beide stücke überein: vgl. v. 1640 pcd is se epel und v. 1683
Öcet sind pd ^etimbru. Lächerlich scheint es mir, ein umfang-
reiches gedieht Cynewulfs v. 1694 mit einem fragezeichen en-
digen zu lassen; ganz verwerflich ist GoUancz' meinung, dass
der Gut>lac v. 1666 anfängt, statt mit dem feierlichen Mani^e
sindon, wie der Heleand mit manega wäron und der Panther
mit demselben verse.
1674. t{dfara. Vielleicht ttäa fara{n)j oder, weil U{g)da
c. gen, construiert wird: tida fare\ aber to pdm Halfan hdm
passt besser bei einem infinitiv.
1682 und 1685. Cynin^a cyning ohne ealra als erster halb-
vers und hüsel, während die besserungen in den fussnoten
paradieren, charakterisieren diese ausgäbe. Ich hebe hervor,
dass die lesart hü sei von mir schon längst vor Gk)llancz vor-
geschlagen ist. Dietrichs 'abendmals Jugend' widerspricht nicht
nur dem metrum!
Gu}7lae.
1. Derselbe vers Panther 1.
2. Die einleitung bietet viele Schwierigkeiten. Hddas
übersetzt Grein mit 'stände', interpretiert es aber im glossar
mit 'personae': es wird hier aber wol 'geistliche orden' be-
deuten (vgl. V. 31); dann aber ist pd pe oi, und nicht pd pe
in hv ol^; auch braucht man dann nicht arisad in ärised zu
ändern. Ich glaube dass der satz bloss diesen sinn hat: 'es
gibt auf erden viele orden welche ein heiliges leben führen',
und verweise auf v.462. Vielleicht verstehe ich den dichter
hier nicht; jedenfalls bleibt mir der sinn von v. 5 dunkel.
Auch die ^odra tida v. 7 contrastieren merkwürdig mit v. 20
ofer pd nipas pe we nü drio^aÖ.
19. he = heo,
22. he, i. e. der dryhten, welcher erst v. 25 genannt wird!
75. sceolde, 'it is said' Gollancz. Besser 'sollte', nämlich
8*
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116 COSIJN
durch weltliche gelüste (worulde wynnum) dazu gebracht. Die
ags. prosa lautet s. 12 pd ^emunde he pd strangan ddeda pdra
unmanna (lies iumanna 'priscorum heroum') etc.
81. frecnessa fela 'viele gefährliche abenteuer'; vgl. v. 99
Purh nSJnn^e,
132. prowere ist, wie martyre, nicht im strengsten sinne
'blutzeuge', sondern im sinne von v.443 und 485 'confessor'.
140. ]>egan i. e. ]>eo^an 'servire'; nebenform peowan: peo-
wad V. 62, peowde v. 712. Aber v. 432 widerum pigad, was
freilich auch als pihaö gedeutet werden kann. Sonst erscheint
nur äeotvian, ganz regelmässig nach der d-klasse: alles reste
der dritten klasse von Sievers (got -piwan nur transitiv).
149b. Vielleicht bloss ausgefallen waldendes tdcn\ Grein
vermutet pd he waldendes Macen. Es ist natürlich Cristes
rode tdcn hier gemeint.
154b. 1. eac dryhtne cennaÖ 'nächst gott'.
158. 1. cefcestne,
206. Man lese doch deadgeddl nach v. 936 'Scheidung
durch den tod' oder ein tautologisches compositum; diada als
gen. sg., rest eines u- Stammes, begegnet uns nirgends und der
gen. plur ist unsinnig: auch würde dies gerade das gegenteil
ausdrücken.
239. in ^elimpe. Vgl. C. past. 39, 14 for Äts ^elimpe *for
his success, prosperity' und Saints 16, 251 ce^Öer ^e an ^elimpe
se on unselimpe. Das glück macht übermütig.
271. widor. Vgl. Beitr. 10, 453 und Beow. 1340 (/eor).
279. earda\ lies doch earfoda mit Grein oder earmöa nach 418.
288. sealdun, vgl. C. past. 342, 15 seldun. Es bedeutet hier
wie an. sjaldan V9I. 30, 3 'niemals'.
294. swa möd^ade erinnert an swa healdode Beow. 2178.
322. weredon i. e. wea/redon, waredon.
342. wiff pds Idenan ^esceaft, zu der auch mein körper ge-
hört; vgl. V. 344 swa peos eoröe und 352. Was GoUancz sagen
will, verstehe ich nicht: 'in face of all this frail creation'l
Gedcelan wiö ist 'trennen von'.
345. fjres wylme; vgl. Öd söna oefter pon lie ^eseah eaU
his hüs mid fyre äfylled, aber erst in dem sechsten capitel der
ags. prosa (s. 42), während die cap. 5 geschilderten quälen in
unserm gedichte erst v.383 folgen.
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ANOLOSAXOKIC A. 117
348. sdrum forsecan auch El. 933. Für ce statt e vgl.
biscece v. 188.
353. J&fl&r he fce^ran. Aber solche vershälften mit alHte-
ration in der vierten hebung (s. Sievers' Metrik* § 19, 2) sind
selten und — verdächtig: vgl. Eä.4,36 und 56,14. Greins
fä^erran (vgl. v. 720b hwylc wces fde^errd) bringt alles ins
reine: der himmel wird pisses heor^es seile entgegengestellt.
362. wod öpeme taugt nicht, weil w6& weiblich ist; also
muss ne zum folgenden vers gezogen werden: ne lythwon, vgl.
cor&re ne lytle Crist 578. GoUancz ergänzt pcer nach o^er,
wol richtig. Leodode ist also acht und die erste vershälfte
ein D-typus mit eingangssenkung (vgl. v. 197 a). S. weiter
Sievers, Beitr. 10, 304.
382. (& pcet frid ist in ac pcet ferd zu ändern und lyfde
bis mosten einzuklammern. Vgl. 407 und 412.
430. Ich verstehe hier weder Grein noch Gollancz und
wage es dies myrcels (= tdcn 'zeichen' Blickl. hom. 87, 16) auf
die tonsur zu beziehen, die das zeichen des edlen freien mannes,
das wallende haupthaar, entfernt hat. Also deute ich pe
V. 429 als j>y (vgl. v. 472) und fasse den folgenden vers (431) so
auf: *mit diesem äussern leben manche welche jedoch sündigen'.
446. ealdfeonda, füge hinzu fela.
449. forscädene. Die bedeutungen der C. past. 134, 16 und
469, 11 passen hier nicht. 'Abgeschieden' von der himmlischen
Seligkeit?
471. cetwist ist hier 'wesen'.
481. gestalum nicht 'in theft', denn die teufel haben nichts
zu stehlen, sondern mit Grein 'in Unterhalten', vgl. v. 1113
und 505.
483. Paläographisch möglich wäre me(c)Ponne scildep, scußt
scinn on we^, aber unglaublich.
577. peawum <& ^epancum findet man Gen. 2413. Thorpes
gepeahtum empfiehlt sich weniger als ^epöhtum, denn 'consiliis'
ist hier weniger passend als 'cogitationibus'.
585. Uoht, sonst 'weit', bezeichnet hier den himmel, wie
Crist V. 1464 und in lifes Uohtfruma v. 581, wenn dies nicht
eine tautologie ist, da leoht auch mit Uf synonym ist.
586. Vielleicht on deaöe oder deaÖ i. e. sdwle deaö, wie
v. 607.
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118 COSUN
589. 1. hebhan: herenisse hebban ist lof hebban,
592. 1. lofian, parallel mit weorpian im vorigen verse.
596. le^e bisencte (vgl. fiode b, Crist 1169) sc. in^cBt süsl,
vgl. V. 639.
622. mine, wol mirce 'schwarze', vgl. swea/rte v. 597 und 623.
Vgl. V. 881, wo statt minne ebenfalls mirce zu lesen ist. Auch
die Aethiopier heissen ealmyrce. Endlich vergleiche man Andr.
1315 und Ps. 120, 6 (minne 1. mirce?).
643. Die einfachste besserung ist wosrgnysse,
656. dusud & drohtad i. e. drohiaÖ on wuldre. Weder
Grein noch GoUancz stimme ich bei.
664. ofermcec^a muss bis auf weiteres stehen bleiben,
aber die Vermutung drängt sich auf, dass ofermce^ne das ur-
sprüngliche ist. Wenigstens vermisst man hier ungern eine
adverbiale bestimmung bei sprcec, als gegenstück von dce^Muttre
bei scdn.
683. 1. fore cefestum metri causa.
706. Ich lese monigra mde^wlita mea^lum reordum treo-
fugla tüddor, dahinter komma. Es muss ein fehler vorliegen;
die erklärung Hiere von mancherlei aussehen' ist gewis falsch:
es sind hier nur vögel (vgl. auch v. 888) gemeint und der copist
hat den nom. eingesetzt um ein subject zu bletsadon zu schaffen.
708. cete. Man muss Bugge recht geben, wenn er aus an. dt
(Beitr. 12, 108) auf das sächliche geschlecht des ags. Wortes
schliesst. Für das männliche kenne ich keinen beleg, und das
fem. nimmt man nur hier und Dan. 506 an. Vgl. aber Ps. 103, 25
hete syddan him bismere brdde healdan, wo die nämliche con-
struction von healdan vorliegt, so dass nichts uns nötigt an
unsrer stelle einen andern casus als den instrumental sg. an-
zunehmen.
713. to wildrum (so zu lesen), also mit Inbegriff der vögel,
welche Dan. 513 den andern tieren entgegengesetzt sind.
716. sear, das neue jähr, also den frühling.
781a. Vgl. Beow.1758.
791. Hier fängt GuJ^lac II an. Warum keine neue ab-
teilung? Man vgl. besonders v. 706 und 888 ff. Die beiden
stücke behandeln die leiden, wunder und taten des heiligen G.,
hier wird aber der tod ausführlich geschildert.
807. (Blda ist hier = ^Ido, gen. sg. von qU -senectus';
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AKGLOSAXONICA. 119
ylde tid 'senectus' liest man Ps. 70, 8. Was sich Grein und
GroUancz in ihren Übersetzungen bei dieser stelle gedacht haben,
ist mir nicht recht deutlich.
808. fdbrestan ist jedenfalls als spätere ws. form der be-
achtung wert. Durch das aufgeben der cursiven buchstaben,
welche bei Wülker die abweichungen von der handschriftlichen
lesung getreu angeben, erschwert Assmann die lecttire dem
kritischen leser.
824. üff^en^e. Das nämliche wort, aber verstümmelt,
Blickl.hom.185,14.
832. synwrcece fasse ich auf als sinwrcece * ewige strafe'.
Ich construiere: ^odscyld^e mce^ff & mcec^as sceoldon sippan
purh ^(kst^eddl on^yldan (leiden) ^ym pcere synwrcece morpres
(den schmerz der fortwährenden strafe für ihre sünde); diopra
firena = morpres.
845. pcerhi, ot? Ygl. pdkr Rä. 5,9: se — Peer, is qui; auch
Gen. 2837? aber das bezweifle ich doch, weil Ödbr sonst
nur nach se pe {se Pe Peer, o«; vgl. Cura past. 75, 13. 425,22),
nach pcer {pcer pcer, pcer Par 'ubV C. past. 220,24. Boeth.-Fox
56,11. ^Ifr. Hom. 1, 86, 21 u.s.w., me pdpd 'quum') und swä
(swa der Ps. 36, 19) steht. Also lese ich v. 845 pe hl
859. of sidwe^um (nicht mit äl) auch El. 282.
895. Note. Grein hat in seinem glossar die ^Vermutung'
furffum zurückgenommen.
923. pa se celmihtga let his hond cunian u.s.w. Vgl. die
ags. prosa XX: he söna on^ead: pcer htm wces ^odes hand tö
sended (s. 78).
944. Wenn nur fyllan die bedeutung des afries. fella hätte!
Nach sceolde kein komma, wol nach cyme v. 945.
998. Weder Ettmüllers 'ossium morbus' noch *erysipelas'
sind hier am platz.
1007. pcBs ist hier Zeitbestimmung und swice sdwlsedäles
bedeutet hier das ausbleiben des todes; also nach swice kein
komma. Vgl. Öces ymb lytel fcec, Öces on merken, ful raffe
äces etc.
1011. on pisse . . . dce^ scripende ist instrumental, s. Sievers'
Gr.2 § 237 anm.2. § 305 und § 338 anm.3.
1015. sin^ra\ vgl. Phoenix 624. Crä. 2 und für die bedeu-
tung ahd. iucundlih * jucundis, dulcis' Graff 1, 608. Der acc.
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120 GOSIJK
bei folgian ist selten; ist lomber der lautgesetzliche dativ (statt
lember)?
1030. 1. w(B(n)^dropan nach hUordropan v.1315? aber 1314
steht teasor yöum weol.
1045. sceolon 'die teufeP, durch fäcnes frumbeam v. 1044
vertreten, wie sonstwo.
1061. Auch fast wörtlich in Andr. 294 efne tö pdm lande
Peer pe lust myneÖ to ^esecanne. Ein drittes beispiel von mynian,
got. munan, -aida (also Sievere jo-, ot-klasse) in den Engl.stud.
18, 332, 7 menige in kentischer form. Das von Grein angesetzte
^emynian existiert nicht, weil die drei im Gloss. 1,433 an-
geführten beispiele conjunctive von ^emtinan sind.
1070. nihtrim, d. h. höchstens feower niht (v. 1107) der
vorher v. 1008 und später 1114 genannten seofon niht. Also
bedeutet swdmode nicht *grew dark', sondern 'wälzte sich':
vgl. mhd. sweimen 'sich schwingen', and. sweinien 'schweben',
an. sveima 'to soar'. Das compositum äswdmian 'weichen,
schwinden' nur in der as. Genesis; äswceman cet — , fram —
'weichen von, fortgehen' (abgewiesen werden) Blickl.hom.41,34.
Wulfstan 185, 8 und 258, 2; und Saints 17, 203 se sceocca sceall
äswcenian cet üs. Endlich äswceman = ponan hweorfan unten
V. 1326. Man hat das wort misverstanden.
1075. onwdld, weder 'potens' (Grein) noch 'omnipotent'
(GoUancz), sondern 'princeps' wie Or. 254, 22 (C anwecdda) und
284, 20.
1121. unwenne von unwene (nicht unwen) 'hoffnungslos,
dem tode rettungslos nahe'. Vgl. Saints 6, 103 eft he ^ehdlde
on öffre stowe dnre wydewan sunu pe unwene Öd Ice^. Die
volle form unwene his lifes Mltr. Hom. 2, 514. Also unwene
= (feores) orwena,
1125. Vgl. Beitr. 21, 13 zu v. 848.
1127. Vgl. Wulfstan 214, 13 mid deofles strcelum äwecceti,
wie 225, 5. Weiter unten v. 1260.
1153. on lonsne weg, vgl. up mine langhe vaert Beinaert
1, 2205 und on lon^ne siÖ Phoenix 555.
1168. in peostercofan. Ebenso El. 833; also nicht = on
pd prüh der prosa, sondern = in sondhofe 'im grabe'. Aehn-
lich heolstoreofa Phoenix 49.
1214. On pone cefteran verbinde man nicht, wie Grein,
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ANGL08AX0KICA« 121
mit anseid, weil seid neutriun ist. Auch Gollancz übersetzt
Hhis second hermitage', aber davon ist nichts bekannt. Die
prosa s. 86 beweist dass das alles falsch ist: Öan cefteran ^eare
pe ic pis Westen eardode\ also gehören on Pone cefteran und
^ear^emearces zusammen: man erinnere sich dass ^ear auch
männlich ist.
1305. ofer bur^salo, bei der Seereise! und das ^ehlcested
V. 1307! curios!
1313. him, dativ bei ^emonian wie C. past. 370, 11. Aber
au beiden stellen sind wol Schreibfehler anzunehmen.
1320b. Vgl. Cfrist 623. Beow. 1424. Auch v. 1323 a und
1333 erinnern an den Beowulf.
Phoenix.
4. nis monsum 'ist nicht manchem' (Grein). Unrichtig:
litotes für *ist keinem'. Die herrliche gegend denkt sich der
lichter mit anschluss an Lactantius v. 15 — 20 bewohnt, vgl.
t^. 11 eadsum und v. 50 — 60.
25. Vgl. Beitr. 10, 502. Aber 6 (oo) gibt keinen genügenden
linn; öwer ist hier das passende wort; vielleicht bedeutet hleo-
lad hier *senkt sich'.
47. hideöy wie seomad v. 19. Vgl. Altsächs. Gen. 323.
62. lyfte ^ebys^ad i. e. winde ^efysed, Lyft *wind' auch
^rist 991 und Rä. 11, 9.
72. nö — d, 1. ne — o.
77. ofett 1. ofete (vorläge: ofeti). Falsch Grein, Gloss. 1, 412.
►as komma nach ^ehladene ist zu streichen.
103. ofer sidne sce, nach der altgermanischen Vorstellung
'gl. auch V. 115), aber hier der läge des berglandes nicht ent-
>rechend. Vgl. besonders Sievers, Anglia 1, 578 und El. 972.
121. se haswa fugel, v. 153 haswisfeÖra\ das ist der
[loenix aber nur, wenn er widergeboren ist, in seiner erneuten
gend. Erwachsen ist er bunt genug (v. 291 — 313) und wird
it einem pfau verglichen; bei Lactantius v. 74 heisst er pur-
\reus.
136. Tilge das komma hinter dem genitiv organan. Uebri-
ns ist Assmanns abteilung besser als die von mir Beitr. 21, 25
ernommene.
148. hi^enza isl n-loser dativ.
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122 C06IJN
151. püsende, 1. püsend 'nach dem mille annos von Lac-
tantius v. 59. Vgl. weiter unten v. 364.
170. Die * beiden' sind hier die vogel, denen der Phoenix
entfloh.
179. bitres wiht, aber bei Lactantius ganz verständlich
nocens animal Scyldum v. 180 kann nur auf ein tmht afs
lebendiges 'wesen' sich beziehen.' Es muss ein Verderbnis
vorliegen: ndn bitter wiht klingt aber zu fremdartig.
191. purh ^ewittes wylm ^durch witzes wallen' (Grein),
also durch feurigen instinct? Bright bringt auch nichts be-
friedigendes. Das st'eht aber fest, dass wylm hier im eigent-
lichen sinne *brand' bedeuten muss, denn nur durch verbren-
nurl^ erneut sich der Phoenix (bildlich se wiehn dass modes
C. past. 168, 24). Also 'brand, durch seine Vernunft, d. h. ver-
nünftig, klug gestiftet'?
233. Man erwartet ä^es gen. sg. zu scylle. Ein alter gen.
degeres wäre hier hochinteressant; vgl. lomher Gu}?l. 1015. Aldede
ist hier intransitiv wie v. 251 (178).
240. Ircbd = ftdesc v. 259.
258. edniwe möchte ich als instrum. auf fldesce beziehen.
266. feprum deal, v. 86 feprum strong, v. 347 fepruni stiel,
Deal ist aber synonym mit wlonc oder modi^ und wol ein nur
halb verstandenes erbsttick der agerm. poesie. Eine bedeutung
'schön, passend' taugt hier nicht: weder das dalidun des Steines
von Tune noch mhd. getelle beweisen etwas für die bedeutung
des ags. wertes.
284. In gottes namen komma hinter forPylnidel denn ascan
to cacan gehört zu bdn ^ebringed, vgl. v. 271. Nur ausnahms-
weise, wo es unerlässlich ist, führe ich interpunctionsfehler an.
Auch Grein verstand unsre stelle nicht.
301. ^ebyrd i. e. ^ecynde; v. 360 in sexueller bedeutung.
302. stdne 'hyacintho', das auch in der C. past. nicht über-
setzt ist.
304. biseted * eingesetzt'; der eine waffe zierende stein
erscheint als bunden, searobunden (Rä. 21, 3 swylce beorht seomaÖ
wir ymb pone wcel^im pe nie wdldend geaf).
306. bre^den als brce^den part. perf. pass. von bregdan ist
unglaublich. Lies hro^dvn: der copist Hess sich durch swylce
täuschen und setzte einen conj. praes. ein.
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ANGL08AX0NICA. 123
'322. swa i. e. söna swa, Ponne; vgl. v. 41 und Or. 116, 27
he ,,. pdkm twdm dcelum bebead, swa hie feohtan an^unnen,
Post hie wiÖ his fluten.
330. ofer nach dem comparativ auch Or. 34, 1 gleawra ofer
Ai ealle; C. past. 75, 3 P<bs biscepes weorc sceolon bton ofer
oöra monna weorc sua micle beteran sua etc.
331. Lies doch on gewritum und vgl. Lactantius v. 154.
Auch V. 425? Ueber ond L e. o« hat Sweet (C. past. s. 486 zu
277, 15) gehandelt.
343. wiUne vri. 201, 466 und 529: er ist ein dnhasa
(v. 87, 346).
364. umen 1. äumen.
373. ed^eon^ wesepl vgl. ed^eong wesan v. 435. Ich ketine
bloss wesap *erunt' ßlickl.hom. 153, 11.
390b. Vgl. 450b, was wol auf die anfechtung des teufeis
deutet.
512. 1. byr^ennum mit Beitr. 10, 462.
581. Peer, zu allgemein gefasst. Lies pär him,
613. Vgl. Rä. 44, 3.
624. ^eon^ra ^yfena\ s. oben zu GuJ^l. 1015.
647. Eine andere deutung gibt ^Ifi-ic in seiner Gr. 70, 12
(Napier).
Juliana.
27. fyrwet ^Ungeduld', vgl. v. 40.
33. wyrd 'wie sich die sache verhielt', 'factum'; nicht
'geschick'.
44. cehte 1. dhte,
90. yrepweorh ist eine vox nihili: pweorh bildet keine com-
posita als zweites glied, und yre kann unmöglich yrre sein,
weil dies unmittelbar folgt. EePe zu vermuten liegt nahe, aber
erklärt die handschriftliche lesart nicht: ein zweiter hauptstab
wol mit vocalischem anlaut wird gefordert.
91. 1. ^Icedmöde-j denn wer yrre gebol^en ist, kann nicht
^Icedmod heissen.
104. ece eadlufan wird mit modemer Sentimentalität durch
'ewigdauemde liebe', 'lasting love' erklärt. Aber der vater
sucht nur einen steinreichen, vornehmen eidam; er denkt nur
an das 'liebe geld'.
126. pingräden = pinsuns (Beda- Miller 170,23) = bm,
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124 cosiJN
welche man mittelst einer andern person an jemand richtet.
Grein erklärt es frei, aber sinngemäss mit *brautwerbung\
133. bi me lif^endre; vgl. Schmid, Gresetze be Ufiendre Pctre
bei lebzeiten derselben' iEthered 6, 5 § 1. Tilge das komma
hinter lif^endre.
160. in dkringe, die lat. vita hat düuculo. Vgl. Mc. 1, 35
on cerin^j Rushw. on dringe 'diluculo'.
190. Der lateinische text lautet ecce principium quaestionis.
202. dolwillen, eig. ein adjectiv wie druncenwillen 'ebriosus'
C. past. 401, 29, hier aber substantiviertes neutrum.
204. 1. on p€ pd ^rimmestan etc.
255. 1. si^ortifr, denn onsec^an ist transitiv.
302. 1. nedde und biswdc, wie im vor. verse mit Sievers drys.
309. on Manne beam i. e. on ^äl^an (v. 310); vgl. Schicks.
V. 16—22.
313. Bessere das nichtswürdige asengan in äsec^an, wie
in der note angegeben ist.
352. Lies mit Sievers eaöe mce^ (vgl. z. b. Rä. 56, 7) und
natürlich v. 353 ^ecyöan.
358. Glaubt Assmann wirklich an die existenz yon ^eponcs?
467. Py, \,pe, das relativum, womit es Grein auch übersetzt
474. Ich übersetze *so dass sich (dort) ihre letzte spur
zeigte', denn der bryne vernichtete sie. Gesyne wcbs oder wearp
steht absolut, wie Beowulf 2947 und 1403. Anders Grein.
479. Bessere mit Frucht (s. nachtrage und vgl. ßä. 34, 1)
mfter wce^e = cefter wd^uni,
482. Vgl. Heleand 4155 drörcig sterban.
492. Peak ic. Unsinn; 1. pe ic. Die vorläge hatte vielleicht
pe ih {= pe ic), was zur Schreibung und einfügung von ic ver-
anlasste.
505. Hinter swa (v. 504) komma, denn mircast mdnweorca
ist in dieser rührenden teufelsbeichte apposition.
521. min. Nur drei beispiele davon in Greins Glossar
2,252! Min'?
560. Dass Holthausens aufsatz IF. 4, 385 in diesem bände
nicht erwähnt wird, begreift sich leicht. Er substituiert weorcy
metrisch vortrefflich. Belegt ist nur nach hdli^ von einsilbigen
Worten bloss tvord, und das passt hier recht gut, weil es sich
auf Julianas predigt bezieht.
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ANGLOSAXONICA. 125
570. pdsr, vgl. Crist 1313 oben und El. 979 und ändere
nichts! Vgl. meine Aanteekeningen op den Beowulf v. 32.
Also meckte mit ausrufungszeichen.
678. XXX. In der note: ISAXm. prittis* Merkwürdige Va-
riante! Vgl. Eä. 23, 1 'LX, Ettm. sixti^'\ 23, 4 'IIH, Ettm.
feower' u.s.w.
Bi monna cneftum.
7. 1. onfoan (Beitr. 10, 476), was für das alter unseres
gedichtes nicht indifferent ist. Man vergleiche weiter die
Übereinstimmungen mit dem Crist: C. 663 seow, Crä. tosäweö 110;
0. Sänger und redner 667. Crä. 35 b, 36 und 41—43; C. harfner
668. Crä. 49; C. schriftkenner 670. Crä. 94; C. Schreiber 672.
Crä. 95b. 96; C. kriegsmann 674. Crä. 39a. 40; C. Schiffer 676.
Crä. 53b— 58; C. gymnast 678. Crä. 82— 84a; C. Waffenschmied
379. Crä. 61—66. Bloss der astronom Crist 671 und geograph
>ist 680 b fehlen hier. Endlich vergleiche man Crist 684 py
des Mm ^ielp scePJ>e mit Crä. 24 p^ Ices he for wlence u.s.w.
18. eft, ebenso C.past.87, 11.
29. leojiocrosftas. Aber das erste beispiel dehte ist unglück-
ich gewählt, sonst sind die gliedermässig verteilten fähigkeiten
nd künste ziemlich geschickt angeführt.
61. 1. wcepenprcBce = wi^e to nytte.
65. Tilge das komma hinter rond und lies v. 66 gefe^ed,
»
Bi manna inöde.
10. 1. se Pe hine ne läteä.
25. 1. un^emete, adv.
28. b6&, aber Liber scint. (Rhodes) 152, 2 se Pe hyne bö^aä
ui se jactat', wahrscheinlich eine falsche form aus bogian
i = j) gebildet. Das wort ist auch selfredisch, aber corrupt
>erliefert: Boeth. 66, 29 (Cardale 102) forpdm he hine swa or-
llice upahof & böde (Cod. bodode) Öces pcet lie uöwita wcere.
48. frcete; vgl. Zs. fda. 31, 21 frcete fedus (obscenus, turpis).
55. 1. nedsipnm; vgl. nedfaru OET.
6S. beryfan, wol berypan, got. biraupjan, Saints 3, 444 ^spoliare'.
Bi manna wyrduin.
7. fer^ad in der bedeutung von fceratf befremdet; freo^ad'i
43. Man lasse jedenfalls as. äpengian aus dem spiele; äpeccan
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126 G08IJN
ist möglich nach^eccaw ^consumere', s. v.47. Beow. 3015. Phoenix
216 und 365.
55. dryhtbealo nach folc-, Peodbealo?
56. sylfcwäla im sinne von selßona ßiod-apotog erscheint
in Logemans New Aldhehn glosses, Anglia 13, 83 no. 142. Hier
begegnet ein sylfcwalu 'selbsmord'; für nemnan tö s.Boeth. 120,21
und Ps. 67, 4.
63. Nach ^ehealdan ausrufungszeichen.
73. ^oldsmip ist an. gullsmid *goldschmiedkunst'. Bedeutet
liier ^earwad 'beschenkt' (s. Grein, Gloss. unter ^e^earwian),
so lese man sum: sumum ist dann wol durch sume hoceras
beeinflusst.
90. dcedum sc. his frean?
93 b. 1. weoroda nervend und vgl. /bfca ne^j-md Crist 426.
Wunder der sehopfnng.
69. l. on hea(h)Pe? onheapo 'in mare' (Beitr. 21, 10) taugt
hier, auch aus metrischen grflnden, nicht und on heape ist
sinnlos.
77. sped 'power' Blickl. hom. 179, 9.
Walfisch.
— Vgl. Zs. fda. 9, 422 a halenam, ran, diabolum.
8. hreofum stdne, aber steine sind weder schorfig noch
lepros. Lies hreowum.
10. sderyric wird mit ahd. rordhi 'arundinetum' verglichen.
Aber ein ags. reor = got. raiis existiert nicht, und von reor
kann eine collectivbildung auf -ic (vgl. nl. esterik von estere
'stoppen'; wenigstens nach Verdam, Tijdschr. 16, 8) nur reoric
lauten. Dass aujsö zu eare ward, nicht zu eore, liegt an der
Silbenteilung ea-re. Man erwartet hier eher eine bDdung von
scewdr: die walfischbarten haben damit einige ähnlichkeit.
22. Med, und dann celed, worauf hceled folgt, erregt den
verdacht, dass das zweite celed aus wealled verdorben ist Das
ist, wie ich hoffe, kein majestätsverbrechen gegen die unver-
letzbare doppelte alliteration.
28. wtdj^a no/>ÄZo/>c 'mit der wagehalsigen schar'? Gewis
eine wagehalsige conjectur!
39. sehwylc, nein hwylc 'einer', nicht 'jeder' 1
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ANOL08AX0NICA. 1 27
40. on his hriti^e. Aber der walflsch ist gerade dem mit
einem sunnan hrin^e gezierten Phoenix entgegengesetzt; 1. on
his hric^e: sie setzen sich auf seinen rücken.
Bi dömes diege.
114. Ein interessantes onctveSan erscheint Anglia 2, 373
(von Wülker citiert): omnis inuocans cupit audiri, clipiendra
^ehwylc wolde Pcet him nwn oncwdede.
Höllenfahrt.
1. Him ist fehlerhaft; es sollte Jiie sein, weil ^ierwan
transitiv ist. Vielleicht aber rührt es wirklich vom dichter
her, der bei ^ierwan to gonge an gongan dachte: denn ongunnan
him songan ist correct.
2. Cremers und Trautmans deutung ist gekünstelt (s. Anglia
19,159); das subject von wiston muss cepelcunde «wß^^sein (vgl.
auch V. 16 a). Nach gumena gemöt ist wol ein ganzer vers aus-
gefallen — oder gemot ist verdorben.
6. Richtig bessert man reonge; vgl. auch El. 1083, wo es
mit reotan verbunden ist. Aeolad andre man nicht in das
sinnlose gedclad-, die lagerstätte *das bett' des toten war aeolad
wie das lic selbst (Seel. 125).
17. ac bedeutet in nicht -westsächsischen stücken auch
*denn'. Vgl. Rä. 6, 7 u.s.w. Passim im Beowulf.
22. mcBgenPrymme? doch vgl. 74b.
35. forhygan * niederwerfen', denn hygan ist hier das cau-
sativ von hugan 'fallen'.
61. So geraten metrisch falsche ergänzungen in den text.
Vgl. weiter Anglia 19, 163 und IF. 4, 384.
69. 1. dre gelyfaÖ, vgl. v. 114 und Beowulf 1272.
71. end. Wer an md glaubt, kann darüber auch Scherer,
ZGrdDS.105 (erste ausgäbe) nachlesen: seine berufung auf Otfrid
5,8,55 taugt nicht, weil dort enti Lebensende' bedeutet.
105. nales. Die ergänzung ist falsch; Sievers, der auch
V. 78 snottor gebessert hat, warnte uns davor. Lies, ohne er-
gänzung, naldes i. e. noldes statt nales, denn nur ein A-tj'pus
ist hier brauchbar.
106. mostan, 1. ne möstan und v. 115 ymbföan und trenne
V. 124 ynib und stondad.
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128 C08UN
135. git Johannis d. h. 'du und ich, Johannes'. Warum
darf der Sprecher sich selbst nicht nennen?
BStsel.
11,10. holme, nein hehne:. heim heisst die 'corona' eines
baumes.
n, 11. 1. wrecen.
ni, 4. 1. fdm^e toedlcan. Also doch wider ein beispiel dieses
seltsamen Wortes; vgl. Beitr. 21, 19 zu Andr. 1524. Für fdmi^
vgl. Rä. 4, 19.
IV, 5. Vielleicht hceste (pn enge) = purh Mst Rä.16,28.
Wenn wir einen alemannischen text vor uns hätten, würde heorä
einen trefflichen sinn geben; lies aber jetzt heard,
IV j 41. sceo 1. sceor und vgl. Andr. 512.
IV, 62a. Vgl. Panther 7?
IX, 8. 1. sittaö suigende,
IX, 9. Der sceawend ist der sceawere 'scurra' Wr.-Wü. 519, 3 ;
die sderenige ist in sdernicge zu ändern: scericge 'mima' Shrine
140, scearecge Lye.
X, 4. Nicht nur die interpunction, sondern auch die rich-
tige trennung der worte ändert oft den sinn. Man lese wel
hold mege wedum peccan; der vogel welcher den kukuk ver-
sorgt, ist dessen mege, denn beide gehören zum fugolcynne:
nur ihm gesibb ist er nicht (v. 8), weil er eben kein kukuk
ist. Vgl. dnre mdgan Rä. 44, 14.
X, 6. 1. $ue drlice (cod. snearlice).
X, 10. Hs. widdor, im text widor, aber Rä. 61,17 hs. und
text beide widdor. Ebenso bleiben bisweilen nach der laune
des herausgebers anglische e ungeändert, dann wider liest man
ein ce im texte, während die fussnote das ursprüngliche e ent-
hält. Varietas delectat.
Xn, 6. ^node bestolene, vgl. Gen. 1579 ferhde forstolen,
XII, 9. hringeö 1. pringeÖ, Jlorda deorast ist die sonne.
XIII, 11. deorcum nihtum, opp. fcegre. Vgl. fegre ^diluculo'
Luc. 24, 1 Rushw.
XIV, 1. edlra 'im ganzen'; die raufe hat also 6 + 4 füsse.
XIV, 6. 1. ne siÖ py sdrra,
XVI, 4. 1. h4r swylce suge,
XVI, 11. htm, auf geosuöcnösle bezogen? Sonst wäre die
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ANGLOSAXOKIGA. 129
flucht des dachses ganz unmotiviert: erst später fühlt er sich
sicher.
XVI, 15. Entweder hine hriost leraö — oder etwas anderes;
keinesfalls was der text bietet.
XYI, 24. Die in den text gesetzte besserung ^if se ist
vortrefflich und «^t/re metrisch falsch. Der alte Thorpe hatte
bisweilen vortreffliche gedanken. Hinter secep v. 25 komma.
XVni, 11. Zwischen men und senmnan fehlt ein wort,
z. b. oft oder pmt
XX, 5. rdd ist der runenname, der mit de und <^i/u den
gär bezeichnet.
XX, 6. eh und wynn können, wenn ein B-typus vorliegt,
stehen bleiben; die alliteration ruht dann, wie mehrfach in
den rätseln, auf der zweiten hebung. Aber besser scheint mir
die Umstellung in wynneh, weil damit das ross bezeichnet wird,
der widldst ferede etc.
XXn,3. Mr hoUes feond, eine vortreffliche kenning für
las eisen, das in der form eines heiles den bäum anfeindet;
lier bezeichnet sie das pflugeisen.
XXn, 4. Weder Sievers' an woh, noch seine besserungen
54,9 ceror\ 29,12 hycgan\ 40,22 secgan u.s.w. finden wir auf-
genommen; überhaupt sind keine seiner grammatischen und
aetrischen entdeckungen benutzt. Auch ein System!
XXn, 5. Natürlich Mä)«^'^ wie 13, 8 und tyhed (teheS) 35, 4.
3, 6, wie pe{o)he 45, 1.
XXn, 15. hindeweardre. Genau nimmt der dichter das
eschlecht des zu ratenden gegenständes (hier Scere syJh) in
cht. Abweichungen sind verdächtig; lies darum 24, 7 len^ra;
S, 7 bezieht sich aber ^lado nicht direct auf den higoran,
mdem auf wiht von v. 1.
XXV, 9. Vor oder nach hce^l & is fehlt ein stab; vgl. auch
iinenverse 20,5 a und 65,2 a, wo & einzufügen ist.
XXX, 5. Walde scheint im ags. nicht zu existieren: wir
iden es hier in wolde ^gebessert'! Auch 49, 1 und 50,11 wie
. 4 wii'd fer in for geändert!
XXXn,4. 1. nöhtocedre statt »o; vgl. v.8.
XXXIV, 7. Man erwartet onbond nach Beow. 501.
XXXVn,9. 1. foldwe^as.
XLni,7. bec 'buchstaben', wie Dan. 735 (Beitr.20,115)?
Beitrüge aar gnaohlohte der deaUchon ipraobe. XXIH. 9
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130 COSIJN, ANGLOSAXONICA.
Aber der sclireiber schrieb den text seiner rätsei gewis nicht
in runen, nur die zu erratenden Wörter.
XLIV, 4. 1. yldo ne ddl ^ifhim drlice und v. 5 esnepenaÖ
se pe Jie d^an sceal Die eingeschalteten halbverse tilge man.
Se pe = pone pe,
LH, 4. L fleos i. e. Heag an lyfte, wie Rä. 74, 3 lehrt. Vor
fleos Semikolon.
Lin, 6. Die Wealas heissen swearte, wie die Wale 13. 8
wonfeax. Lies also hier wonf{e)afis.
LVI, 15. 1. onmede ^sich vermesse'. Vgl. onnmlla und
^eanmettan im Orosius.
LVm, 3. röwe statt röfe? Vgl. C. past. 71, 19.
LX, 14. 1. un^efullodra, gen. plur.
LXXIV, 5. 1. ferff cwicu\ vgl. feorh cwico 11,6 und 14,3;
endlich Crist 1320 forff = ferö.
LEIDEN, 12. juli 1897. P. J. COSIJN.
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DIE DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMM-
SILBENVOCALE IN DEN VOLKSMUNDARTEN
DES HOCHDEUTSCHEN SPRACHGEBIETS AUF
GRUND DER VORHANDENEN DIALEKT-
LITERATUR.
Einleitung.
Die Untersuchungen über die frage nach der entstehung
und den grundlagen der nhd. Schriftsprache erstrecken sich
natürlicher weise auch auf die in ihr geltenden quantitäts-
verhältnisse der stammsilbenvocale. Eine der wichtigsten
hierher gehörigen fragen ist nun die, festzustellen, auf welcher
mundart oder welchen mundarten die Quantitäten des nhd.
beruhen. Ausser der grundlegenden arbeit Pauls, Vocaldehnung
und vocalkürzung 9, 101 ff. befasst sich E. v. Bahder mit dem
einen teile dieser frage: der erhaltung der vocalkürzen in
seinen Grundlagen des nhd. lautsystems, Strassburg 1890, 85 ff.
Die frage ist aber erst dann vollständig zu lösen, wenn wir
uns über die quantitätsverhältnisse der hochdeutschen dialekte
ausreichend zu unterrichten vermögen. Bis jetzt hat es jedoch
an einer zusammenfassenden darstellung gefehlt; nur für ein-
zelne grössere gebiete haben wir die notwendigen nachweise,
am vollständigsten für das schwäbische in H. Fischers Geo-
graphie der Schwab, ma., Tübingen 1895. Einige zusammen-
fassende bemerkungen gibt Behaghel in seiner Gesch. d. d. spr.
§ 22 (Pauls Grundr. 1, 558).
Meine arbeit will nun versuchen, das material in dieser
hinsieht aus der vorliegenden dialektliteratur zu sammeln, und
zwar soll ausschliesslich festgestellt werden, in welchem um-
fange die mhd. kurzen stammsilbenvocale in den einzelnen
dialekten gedehnt worden sind. Dies unternehmen scheint auf
9 ♦
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132 RITZERT
den ersten blick nicht allzu schwierig, und wäre es auch nicht,
wenn unsere dialektliteratur in dieser beziehung ausgiebiger
wäre. Jedoch lassen uns die meisten dialektarbeiten hier im
Stiche; nur wenige, darunter einige schweizerische, geben in
zusammenfassenden gesetzen vollständigen aufschluss. Dazu
kommt, dass erst die neueren, nach Pauls aufsatz erschienenen
arbeiten mehr unser thema berücksichtigen; aber auch von
diesen stellen nur wenige die dehnungserscheinungen zusammen-
hängend dar (vgl. die recensionen im Lit.-bl., im Anz. fda. etc.).
So ist mir nichts anderes übrig geblieben, als zunächst selbst
die dehnungsgesetze für die unt^rmundarten — soweit sie lite-
rarisch behandelt sind — zu construieren. Zieht man aber
einerseits die mangelhafte phonetische Schreibweise, besonders
älterer erscheinungen, und andererseits die vielfach spärliche
und gleichgiltige auswahl der beispiele in betracht, so ist gewis
ersichtlich, dass das vordringen zu einigermassen reinlichen
resultaten nicht immer einfach war. Ich kann indessen die
Versicherung geben, dass ich alles was sich mir auch hinsicht-
lich meines themas geboten hat, gewissenhaft geprüft habe.
Manches, z. t. solches das ich erst auf umwegen erhalten hatte,
musste ich ohne gewinn wider aus der band legen; für man-
chen dialekt wäre es mir lieber gewesen, wenn die queUen
reichlicher geflossen wären.
Wie sich aus den unt;en mitgeteilten quellen ergibt, habe
ich auch dialektwörterbücher und -dichtungen benützt, aller-
dings nur solche, deren Schreibweise zweifellosen aufechluss
geben konnte. Die zahl dieser ist freilich nicht gross: einige
haben mir aber gute dienste getan. Manchmal habe ich zu
Firmenichs Germaniens Völkerstimmen gegriffen, und zwar
besonders dann, wenn ich über den einen oder anderen punkt
einer dialektarbeit zweifei hegen musste. Grossen nutzen
haben mir F. Wredes berichte über G. Wenkers Sprachatlas
im Anz. fda. 18 ff. gewährt; ich habe sie treulich benützt, nament-
lich zur bestimmung der geographischen ausbreitung mancher
einzelheiten.
Was speciell das rheinfränkische betrifft, so habe ich auch
meine eigenen Sammlungen, die sich auf mehrere orte beziehen,
verwertet; anders hätte ich manche erscheinung dieses dialekts
nicht genügend erörtern können (ich verweise auf die erhaltung
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DEHNUNO DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 133
der kürze vor f, die dehnung vor r, n + dental), zumal ausser
einer abhandlung über eine rheinfr.-ostfr. mischmundart nicht
eine einzige der hierher gehörigen, übrigens wenigen litera-
rischen erscheinungen die gesetze über vocaldehnung zusammen-
hängend behandelt. Letzteres gilt auch vom mittelfränkischen,
die arbeit von Baldes über die Birkenfelder ma. abgerechnet;
doch sind hiei* die arbeiten an zahl reicher.
Bei der grossen Verschiedenheit unserer dialektliteratur
an innerem werte konnte es nicht ausbleiben, dass mir viele
Unrichtigkeiten und schiefe aufstellungen begegnet sind: wollte
ich jede derselben beleuchten und richtig stellen, so würde
meine arbeit zu sehr in die breite geraten. Ich beschränke
mich deshalb lediglich darauf, die tatsachen zusammenzustellen.
Nur an wenigen stellen weiche ich hiervon ab, namentlich
dann, wenn es neuere arbeiten betrifft.
Wo ich dazu in den stand gesetzt bin, gebe ich für meine
aufstellungen die selten- (manchmal auch, und das ist dann
besonders bemerkt, die §-) zahl meiner quellen. Oft, sehr oft,
ist dies unmöglich: wo mir die literatur nur beispiele bot, aus
denen ich die gesetze zu abstrahieren hatte, musste ich von
diesem verfahren abstehen.
Für die gruppierung des Stoffes benütze ich die übliche
teilung nach den hauptdialekten des hochd. Sprachgebiets; hin-
sichtlich des thüringischen bin ich L. Hertel, des ostfränkischen,
obei^chsischen und schlesischen C. Franke gefolgt. Die ergeb-
nisse rechtfertigen dies verfahren. Es zeigt sich nämlich, dass,
wenn auch für das ganze hochd. Sprachgebiet mit ausnähme
des hochalemannischen das gesetz der dehnung der mhd. vocal-
kürzen vor einfacher consonanz giltigkeit hat, bestimmte aus-
nahmen vorkommen, deren ausbreitung mit der gewöhnlichen
dialektbegrenzung zusammenfällt; ebenso ist ein zweites
dehnungsgesetz, die vocallängung in ursprünglich einsilbigen
Wörtern, auf ganz bestimmte dialekte beschränkt; ferner zeigt
die aller orten vorkommende dehnung in folge consonantischer
einwirkung ganz bestimmte dialektische färbungen. Auch dann
wenn ich eine dehnungserscheinung nach der anderen als ganzes
zur darstellung bringen wollte, bliebe mir nichts anderes übrig,
als von dialekt zu dialekt zu wandern, um die besonderen
charakteristica zu zeichnen. Manche erscheinung spottet freilich
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134 RITZEBT
der dialektischen begrenzung: dies betrifft aber nur dinge ge-
ringeren umfangs, einzelheiten. Freilich ist zu beachten, dass
die dehnung der mhd. kürzen eine verhältnismässig junge er-
scheinung ist und es deshalb nicht ausbleiben kann, dass, 'da
die ursprünglichen Stammesgrenzen in den wenigsten fällen
verkehrsgrenzen geblieben sind', an den grenzen benachbarter
dialekte ein beständiger kämpf der vocalquantitäten herscht
und die vorposten des einen in die bezirke des andern dringen.
C. Franke besonders weist in Bayerns maa. 1, 20 auf die tat-
sache hin, 'dass es ttbergangsmaa. gibt, die sich in annähernd
ebenso vielen punkten zu dem einen wie zu dem anderen
hauptdialekte stellen'.
Dass die stadtmaa. wie in anderen dingen so auch in der
behandlung der vocalquantität eine ausnähme von der reinen
ma. machen, bedarf nur des hinweises.
Ueberblicke ich das ganze mir zu geböte stehende material,
so kann ich mich selbstredend der erkenntnis nicht verschliessen,
dass es von allen selten her ergänzt und bereichert werden
kann. Das ist bei allen diesen arbeiten der fall. Jedoch
glaube ich, dass die ergebnisse im wesentlichen dieselben
bleiben werden. Dass manche einzelheiten auf grund völlig
ausreichenden materials genauer bestimmt werden können,
liegt auf der band. Dieses kann aber erst dann geschehen,
wenn die dialektarbeiten mehr als bisher ihr augenmerk auch
auf den quantitativen lautwandel und nicht — wie bis jetzt
so häufig — ausschliesslich oder doch fast ausschliesslich auf
die qualitativen lautverhältnisse richten und wenn ferner beide
reinlich getrennt behandelt werden, wie es in unseren besseren
dialektarbeiten geschehen ist.
Gerade auch in dieser beziehung durfte es an der zeit
gewesen sein, dass die vorliegende arbeit gemacht wurde. Sie
könnte vielleicht manche Verfasser von dialektgrammatiken
veranlassen, diesem gebiete mehr aufmerksamkeit zu widmen,
sei es zur berichtigung oder ergänzung des hier gebotenen.
Dies ist auch deshalb notwendig, weil die quantitäten in
den dialekten mehr und mehr dem schriftsprachlichen gebrauche
zu weichen beginnen. Diese erscheinung wird häufig con-
statiert. Anstatt vieler citiere ich Wolff, der in seinem Con-
sonantismus s. 77 sagt: 'aus hundert canälen dringen sprach:
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN STAlIMSILBENyOCALE. 135
einflüsse in mancher gestalt auf unsere maa. ein und langsam
bröckelt ein Stückchen von dem uralten bau nach dem andern
ab Grosser erfolge haben sich natürlich die für das nhd.
arbeitenden kräfte zu rühmen und ihre eroberungen wachsen
von jähr zu jähr. Seine besten bundesgenossen hat das hoch-
deutsche von heute am katheder, an kanzel und presse.' Nament-
lich wird durch die gründlichere allgemeine Schulbildung der
phonetische sinn für kürze und länge der vocale gestört; dazu
konmien die autorität der Städte, die gesteigerte Industrie, der
regere handel und verkehr, der bedeutende einfluss unseres
militärs. Auch H. Fischer erkennt in seiner Geogr. d. schwäb.
ma. § 7 den einfluss der Schriftsprache an, will ihn aber
nicht in principiellen dingen gelten lassen; er sei nur auf den
Wortschatz beschränkt. Ich muss aber bekennen — und dies
wird von vielen forschem bestätigt — , dass hinsichtlich der
vocalquantität die schriftsprachliche beeinflussung doch weiter
geht. Häufig finde ich angegeben, dass das jüngere geschlecht
die mundartliche quantität nicht beachtet (beispiele unten).
Auch aus der ma. meiner heimat (Bischofsheim an der Main-
mündung) kann ich beispiele hierzu anführen und zwar aus
den letzten beiden decennien. So lächelt dort jetzt das heran-
wachsende geschlecht über die vocallänge in den worten rettig
und satty und doch war sie vor zwanzig jähren noch allgemein
gebräuchlich. — Am ehesten gleicht sich die quantität in der
halbma., *dem compromiss zwischen Schriftsprache und ma.', aus,
und von da rückt die ausgleichung in die ma. selbst. — Wenn
es so häufig scheint, als ob eine ma. eine regel nicht consequent
durchführe, so haben wir öfters die autorität der scluiftsprache
als veranlassung anzusehen, die löcher in die einheitlichen ge-
setze reisst.
An wenigen platzen ist unter bestimmten Verhältnissen
die mhd. kürze erst bis zur halblänge gedehnt; ich bemerke
dies unten besonders.
In den allermeisten fällen sind in meinen quellen diphthonge
und lange vocale gleichgesetzt; vereinzelt kommen diphthonge
vor, deren quantität der von kurzen vocalen entspricht. Zur
Charakterisierung setze ich über dieselben das kürzezeichen ^ ,
das sonst nur vereinzelt anwendung findet, da die kürze durcli
unbezeichnete vocale gekennzeichnet ist. Im übrigen bin ich bei
der anf ührung von belegen der Schreibweise meiner quellen gefolgt.
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136 RITZERT
I. teU.
Die dehnungsersoheinuxigen in den einzelnen dialekten.
1. Hochalemannisch.
Quellen: A. Birlinger, Die alemannische spräche rechts des Rheins
seit dem 13.jh. Berlin 1868. — H. Blattner, Ueber die maa. des cantons
Aargau. Vocalismus der Schinznacherma. Leipzig, diss. 1890. — H.Fischer,
Geographie der schwäb. ma. Tübingen 1S95. — Chr. Häuser, Die alaman-
nische ma. in GaltUr (im Paznaunthal , einem seitenthale des oberen Inn)
in: Rechtsrheinisches Alamannien etc. von A. Birlinger 1890 (Forschungen
zur deutschen landes- und Volkskunde 4, 369 ff.)») — J. Hunziker, Aar-
gauer wb. in der lautform der Leerauer ma. Aarau 1877 (mit einleitung,
die in einen phonetischen und etymologischen teil zerfällt). — J. Meyer,
Das gedehnte a in nordostalemannischen maa., Schweiz. Schnlzeitung 1872,
no. 18 u. 19; in no. 44— 47 das gedehnte ^. — J. Meyer, Das gedehnte e
in nordostalem. maa., Frommann» maa. 7, 177. — V. Perathoner, üeber
den vocalismus einiger maa. Vorarlbergs. Feldkircher programm 1883. —
P.Schild, Brienzer ma. 1. teil: die allgem. lautgesetze u. vocalismus.
Göttinger diss. 1891 ; 2. teil : consonantismus, Beitr. 18, 301 ff. — S ch weizer-
Sidler, Recension von Weinholds Grammatik, Zs. f. vgl. sprachf. 13, 373 ff.
— F. J, Stalder, D. landessprachen d. Schweiz. Aarau 1819. — Fr. Staub,
Ein schweizerisch-alemannisches lautgesetz, Frommanns ma. 7, 18 ff. 191 ff.
393 ff. — Fr. Staub u.L. Tobl er, Schweizerisches Idiotikon. Sbde. Frauen-
feld 1881. 86. 92. — H.Stickelberger (1), Lautlehre der lebenden ma,
der Stadt Schaff hausen. Leipziger diss. 1881. — H. Stickelberger (2),
Consonantismus der ma. von Schaff hausen, Beitr. 14, 381 ff. — K. Wein-
hold, Alemannische grammatik. Berlin 1863. — J. Winteler, Die Ke-
renzer ma. des cantons Glarus. Leipzig-Heidelberg 1876.
§ 1. Während im nhd. mhd. kurzer vocal in offener silbe
gedehnt ist, gilt für das hochalem. gebiet das gesetz, dass die
vocale der Stammsilben, verglichen mit denen des mhd., keine
wesentlichen Veränderungen aufweisen: alte kürzen sind gi'öss-
tenteils gewahrt (Wint. 120. Stick. 2, 410. Scliild 1, § 11. Per.
36. 37. Hauser 370. Birl. 45. 58. 68. 73. Weinh. § 81—87. Fischer
§ 13 u. karte 1. Blattn. 66 ff.).
Dieses gesetz gilt wie vom links- so auch vom rechts-
rheinischen Alemannien. 'So rein, so echt wie unser rechtsrh.
gebiet diese quantitätische messung einhält, findet man sie selbst
linksrheinisch nicht'. Birl. 45.
0 Die altgaltürer ma. wird jetzt nur noch von einigen hochbetagten
leuten gesprochen, während vor fünfzig jähren noch allgemein alemannisch
gesprochen wurde.
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DEHNUNO DER MHB. KÜRZEN STAMM8ILBENV0CALB. 137
Die grenze im N und NO für diesen ^rest mittelalterlicher
qüantität' (wie Bapp bei Frommann 2, 477 sagt) hat Fischer
in karte 1 seines Sprachatlas gegeben. Der nördlichste punkt
för sägen, Ugen, ^gel, ofen, häsen, hösen ist Epflngen am oberen
Neckar; von hier bildet die nordwestgrenze eine nach SW
ziehende linie, welche die Donauquelle gerade noch freilässt.
Die nordostgrenze verläuft von Epflngen in südöstlicher rich-
tung, die Donau unterhalb Fridingen und den Schüssen ober-
halb Ravensburg überschreitend, bis auf das linke ufer des
Schüssen; hier wendet sich die grenzlinie dann nach S und
bildet somit den abschluss gegen 0. Bei allen sechs Wörtern
läuft die grenze *im selben sinne, aber mit grösseren und
kleineren abweichungen im einzelnen'. So hat Ravensburg
länge in sagen und legen-, für letzteres wort zieht die grenze
vom Schüssen unterhalb Ravensburg weiter nach 0 bis nahe
an die Bier und wendet sich dann erst südwärts, doch so, dass
Bier- und Lechquellen noch eingeschlossen werden. Weiter
nördlich verläuft die grenze für zelen; s. u. § 23.
§ 2. Fast allgemein aber, in Biienz nur selten, ist in der
alem. ma. dehnung des a in offener silbe vor r eingetreten:
färe, hewäre. Nur der canton Glarus hat kürze (Schweiz, id.
1, 888. Wint. 77. Birl. 47. Fischer 21. Schild 1,53. 2,370. Per. 8).
— Der Kerenzerbezirk im canton Glarus hat aber einige mal
auch länge; so steht neben faras ^r-färce; gedehnt ist in K.
der vocal ausserdem noch in xwrce zu ahd. Jcaron, heri got. hasi,
ihri ^ähre' und sderce *lärmen'.
Meistens, im canton Glarus jedoch nicht und in Brienz
nur vereinzelt, sind auch die übrigen vocale vor r gedehnt
(Wint. 78 [für Toggenburg]. Hunz. cvi. Schild 1, 59. 60. 68. 2,370.
Per. 16. 27. Stick. § 13. Birl. 73. Weinh. § 33. 38. 40. 43). Diese
fassung schliesst es schon in sich, dass überall ausnahmen vor-
kommen.
Wo die lautverbindungen r + cons. svarabhaktivocal ent-
wickelt haben, tritt ebenfalls dehnung ein, da ja der vorvocal
in offene silbe zu stehen kommt. Auch Kerenzen hat, obwol
es eine ausnähme von unserer erscheinung macht, in einigen
solchen fällen dehnung, wie är§m (dazu comp, erm^r) und einige
andere: aber tar^m *darm', stur^ etc. Vielfach ist sogar vor
altem inlautendem rr, das in der ma. vereinfacht wird, ver-
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138 RITZERT
längerung des vorgehenden vocals eingetreten (vgl. Wint. 79.
Stick. 2, 388 anm. Hunz. cvi. Blattn. 68. Per. 16. 21).
§ 3. Eine ausnalime von obigem gesetze (§ 1) macht die
Fricktaler ma. (das Fricktal ist der nordwestliche teil des
cantons Aargau); hier sind die vocale gedehnt, die in den
übrigen Aargauer maa. als kürzen erhalten sind (Blattn. 39:
ho'dfy wces§ *wesen', rcTg^l < rogel. Nach Blattn. 38 wird im
Fr. langer vocal in starker silbe fast immer — wenn mit
emphatischem accent belastet stets — mit zweigipfeliger ex-
spiration gesprochen (zeichen * ). — Femer neigt die Züricher
ma. zur dehnung; s. Schweiz. - Sidler 374. 375. 378. 379: grabe,
labe, nere, zere etc., aber äbe^ väter, chegel, i gtbe, töle < doln etc.
Schaffhausen dehnt den vocal in offener silbe vielfach vor
liquiden und nasalen; s. Stick. 2, § 13. 14 s^mebr comp., breno
< breme, sptUr plur. v. spil, fäna < vane\ aber verb. spih, nama
*name', wöm ^wohnen' etc. — Die wenigen fälle woinBrienz
vor inlautender lenis dehnung eingetreten ist, lassen sich auf
analogiewirkungen oder nhd. einfluss zurückführen; s. Schild
1, §111 und 2, 377.
Zahlreicher sind die Verlängerungen in zweisilbigen Wör-
tern in Leerau (canton Aargau). Hier wird ausser vor in-
lautendem r die alte kürze gedehnt vor w, jedoch nicht immer:
Hunz. xcv, vor l ausnahmsweise, xcix, und vor m nur in zwei
fällen, Lxxui: brami < bräni und rämc < ram. Letzteres ge-
hört also eigentlich nicht hierher, da es sich um ursprünglich
auslautendes m handelt (s. u.). Weiter haben in L. eine anzahl
nomina und verba mit inlautendem g, d, b und auch vereinzelt
mit 6* länge eines vorhergehenden a und e, nur ganz selten
eines andern vocals: säge * sagen*, mager (auch mit kurzem a),
lese 4esen', wage < wegen, rebe < rebe, näse, globe < geloben;
in den flexionsformen auf st und t der verba grabe, lade, zage
etc. erscheint der vocal wider kurz; s. Hunz. xxivff.
In Galtür ist in offener silbe mhd. e öfter gedehnt: fäderd
< vedcre, lasd < lesen etc. Von den Vorarlberger maa., *in
denen der hochton die alte kürze nur in besclu-änktem masse
zu verdrängen vermochte', nimmt der Bregenzer wald und
besonders der Innerwald desselben eine Sonderstellung ein, da
er die unechten längen in bedeutendem umfange begünstigt;
s. Per. 36: Idda < laden, Ivaba < leben (regelmässig ist e ver-
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DEHKÜNG DER MHD. KUBZEN STAMM8IL6ENV0GALE. 1B9
treten durch ca), hoso < hose, kügol 'kugel', stübo 'stube' etc.;
aber kurz bleiben legen, segen 'sagen' (siga im Bregenzer wald),
zella < jseljan, gegen, Tcegel u. a.
Anm. Die dehnnng des mhd. i erstreckt sich hier noch über den
umfang der dehnnng im schriftdentschen: schreod ^schritt', scfUeoz ^schütz',
hriocht * bricht', fisch, gescMer, veritra; ebenso vol, rbs ^ross'; bas * besser'.
Das Walserthal duldet wie der Innerwald kurzes a im
allgemeinen fast nur da wo es auch nhd. erhalten ist. Mon-
tavon dehnt a in offener silbe ausser vor r auch vo/ h zäla,
wäla, aber nicht immer; dasselbe gilt für den Walgau, nur
dass hier auch e regelmässig ea wird: seagas < segense, auch
vor eh: leacha < lecken: 'ausnahmen wie epper < etwer stehen
ganz vereinzelt da.' Im Walgau und Montavon wird 'dann
und wann, hier und da, auch in anderen Wörtern mit a länge
gehört' (s. Per. 12, anm. 4).
§ 4. Für alle die schweizerischen dialekte welche vocal-
kttrze im inlaut bewahrt haben, gilt das gesetz, dass in ein-
silbigen Substantiven und adjectiven mit stammauslautender
nasaler und liquider lenis der vocal gedehnt wird (Wint. 68 (2)
und 76. Blattn. 66. Hunz. xxiv. lxxiii. Stick. 2, 410. Birl. 47.
Per. 10, 11 ff.; s. auch Heusler, Consonantismus von Baselstadt
s. 14). Es ist hierbei gleichgiltig, ob die lenis ursprünglich
auslautete oder erst durch abstossung eines vocals auslautend
geworden ist (Wint. 82. Hunz. lxxiii). Der gedehnte vocal
behält seine quantität in der flexion und in den ableitungen.
Blattn. AoZ 'hohl', holi f.; h^gär < heger, bigcer^; sbtl, aber
sbtlgr, sbU§; Wint. fil, aber filixt; lam 'lahm', lemi (in Leerau
aber der comp, lemer); täl, aber pl. tel§r,,
Anstatt der Verlängerung des vocals tritt in einigen Wör-
tern Verdoppelung der liquida ein; in Kereli^en xell n. 'kehl-
stttck'; in Toggenburg auch ßl 'viel', tromm < ahd. drum 'end-
stttck des fadens', daneben tronili dim., tili neben iil m. < ahd.
dilo; Wint. 69. In T. haben femer die betonten dative imm,
wemm, demm = ihm, wem, dem, kurzen vocal (Wint. 70; vgl.
hierzu Heusler, Beiträge zum consonantismus s. 13).
Wenn auch eine fast durchgehende regelmässigkeit in
bezug auf das bestehenbleiben der vocallänge in der flexion
herscht, so stösst man in der ableitung und Zusammensetzung
doch oft auf wortformen die der regel widersprechen. Nament-
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140 RITZERT
lieh hat sich in Zusammensetzungen; deren bestandteile nicht
mehr klar erkannt werden, die alte kürze erhalten, wo sie
dem einfachen worte abhanden gekommen ist: iar-wq^fer —
aber sär *schar\ §äm — aber Same, In dieser beziehung ent-
scheidet alter und herkunft; vgl. Wint. 68: was aus der zeit
vor der dehnung stammt oder mit anlehnung an erhaltene
kürzen gebildet ist, hat die kürze bewahrt; was von bereits
gedehnten formen gebildet ist, zeigt die dehnung; ebenso Blattn.
68 und 69, der darauf hinweist, dass analogiebildungen und
accentverhältnisse — auch tonische: es kommt darauf an, ob
ein wort im satzanfang oder aber im satzausgang zu stehen
pflegt — in jedem einzelnen falle den ausschlag geben. Für
die Schinznacher ma. kommt zudem der einfluss der zur deh-
nung neigenden Fricktaler ma. in betracht.
In Brienz ist vor auslautender sonorlenis hauptsächlich
nur a gelängt, doch nicht durchgängig; dehnung des e findet
sich sehr selten (Schild 1, 85). Uebrigens tritt diese dehnung
fast nur vor auslautendem r ein (Schild 2, 367.370); wenn sich
ganz vereinzelte fälle vor l und n finden, so beruhen diese
auf nhd. einflusse (Schild 2, 366. 376). Einzelne ausnahmen
kommen überhaupt an jedem orte vor.
In der Galtürer ma. tritt die dehnung in einsilbigen Wör-
tern besonders dann ein, wenn der stamm auf r oder l schliesst.
Auf verbalformen hat das gesetz der dehnung vor aus-
lautender einfacher liquider oder nasaler lenis keine anwendung
(Wint. 69. Himz. Lxxiii. xcvi. c. Stick. 2, 412. 413. Blattn. 66).
— Da in Leerau nach Hunz. cvii auslautendes r in betonter
silbe aber * ausnahmslos' dehnung der vorangegangenen kürze
bewirkt, so also auch in diesen formen.
§ 5. Aus der neigung der alem. ma., den vocal vor aus-
lautender lenis zu dehnen, erklärt es sich, dass in einer nicht
grossen anzahl von Wörtern auch alte liquide und nasale fortis
wie lenis behandelt wird; s. auch § 2 am schluss. — Diese eigen-
heit überträgt sich ebenfalls auf den inlaut, doch nicht immer:
Wint. 70. 76 fal *fair, fei, pl. fid§r\ Mm, pl. st{enuB\ mä 'mann\
aber pl. inannce; st in Toggenburg, aber mm in Kerenzen (vgl.
femer Stick. 2, 385. 386. Blattn. 67. 68. Hunz. xcv. c. cvii. Birl.
47. 59. Schild 2, 366. 370. 371). — Am seltensten wird der vocal
vor altem mm gelängt.; mit der dehnung vor nn ist Schwund
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DEHiNUKG DER MHD. KURZEN STAMMSIIiBEKVOGALE. 141
desselben verbunden, ebenso \\ie vor einfachem m; die kürze
bleibt, wenn nn bleibt. — Dass vor inlautender liquider und
Qasaler fortis, parallel zu rr, Verlängerung eintritt, kommt auch
ror, jedoch sehr selten; vgl. Hunz. xcix läle * lallen', xcy päne
bannen'. Im rechtsrheinischen Alemannien werden die alten
/ (Ij) in den schw. verben scharf gesprochen, so dass e alte
:ürze zeigt: schella * schälen' (Birl. 52).
§ 6. Auch Wörter auf andere (als liquide und nasale)
infaclie lenis dehnen in einsilbigen formen den stammvocal.
m gegensatze zu § 4 zeigen sie die kürze meist in den mehr-
ilbigen flexionsformen, ferner in enger Verbindung mit anderen
örtem, sei es in Zusammensetzungen oder stereotypen wen-
ingen. Die dazu gehörigen ableitungen haben teils kurzen,
ils langen vocal. Beispiele: grab pl. greher\ smid pl. smido;
dy ^ klage', aber verb. xlagd (in Schinznach mit langem a)
id xleger m.; glas pl. gleser, dim. glesli\ hof, dim. höß (in
?renzen mit langem vocale) etc.
Für die Brienzer ma. gilt, was Schild 1, 85 sagt: ^die ma.
hört zu der kleinen sprachsippe, welche den vocal vor aus-
itstellung der geräuschlenis nicht gedehnt hat.
In Kerenzen haben mehrere Wörter auch in der flexion
lehnten vocal (Wint.82). In Leerau tritt nach Hunz. xxiv
in dehnung im einsilbigen worte ein, wenn es am ende des
zes steht oder doch den hauptaccent im satze hat; die kürze
cheint 'häufig' wider beim antritt weiterer silben dui'ch
ammensetzung, ableitung oder flexion, ja schon das s im
itive. — In Schaffhausen finden wir diese erscheinung vor-
sweise in Wörtern mit a und e, seltener in solchen mit
eren vocalen und zwar durchgängig nur in pausastellung
Wortes, während im satzzusammenhange und in zusammen-
imgen die ursprüngliche quantität erscheint (Stick. 2, 414
16). — In der Schinznacher ma. erleidet unser gesetz vor
osiver lenis nur sehr wenige ausnahmen, dagegen ist vor
intischer lenis die dehnung nur in wenigen Wörtern ein-
et en: 7i6v *hof' etc. (Blattn. 67. 68).
Im Walgau und besonders in Montavon begegnet ebenfalls
e iu einsilbigen Wörtern, wenngleich nicht allgemein, da-
n wider die kürze in den fällen wie oben (Per. 10 f.). Für
reclitsrhein. Alemannien stellt Birl. 45. 52. 58. 68. 74 das
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142 RITZBRT
gesetz auf, dass sich in einsilbigen Wörtern nur selten 'spuren-
weise' die kürze erhalten hat; vgl. auch Wrede, Anz.fda. 22,324:
einige orte am nordwestrande des Bodensees haben kürze in
Iwf, Ebenso ist nach Fischer s. 19 die formel - gegen > — ' : i säg
aber sägd für jene gegend gesichert. Wenn Fischer s. 19, anm. 1
sagt, dass öfters auch säg, häs *hase' angegeben sei und femer
hinzusetzt: 'wie weit das richtig ist, kann ich nicht consta-
tieren', so finden wir die erklärung bei Stick. 2, 414 — 416 (s. o.).
Schliesslich sei noch bemerkt, dass Stammheim im canton
Zürich bei den hierher fallenden Wörtern durchweg auch in
der einsilbigen form die alte kürze bewahrt (Wint. 82).
§ 7. Bis jetzt haben wir den einfluss auslautender lenis
auf den vorvocal verfolgt, der für die hochalem. maa. klar vor
äugen liegt. Durch ihn werden moderne dehnungen geschaffen,
die wir als ausnahmen von dem hauptgesetze zu fassen haben,
dass die organischen quantitätsverhältnisse dort noch die des
ahd. und mhd. sind. Weiterhin wirken aber auch gewisse
consonantengruppen, in erster linie liquid- und nasalverbin-
dungen, verlängernd auf den vorhergehenden vocal ein.
§ 8. Wir wenden uns zunächst zu den r- Verbindungen,
deren dehnender eigenschaf t wir im ganzen gebiete begegnen,
freilich nicht überall im gleichen umfange. In der Schinz-
nacher ma. ist die dehnung vor r + consonanz *fast immer'
eingetreten; s. Blattn. 68, der auch die nicht zahlreichen aus-
nahmen verzeichnet, an denen alle vocale und fast alle r- Ver-
bindungen beteiligt sind.
Hunz. cvi und cvii unterscheidet, ob die r-verbindung in-
oder auslautend ist, obwol für beide fäUe die regel gilt, dass
der vorvocal häufig gedehnt wird, fast ebenso häufig aber
nicht Im einzelnen gilt für Leerau folgendes: vor in- wie
auslautendem rch erscheint nur die küi*ze mit ausnähme von
werch < w'erc\ vor inlautendem rtsch, rst, rpf, rdl, rdn und rbl
erscheinen nur lange, vor rsch und rf nur kurze vocale; vor
anderen r- Verbindungen schwankt die quantität: vor auslauten-
dem rg, rst, rjg, rSch {4ch = scharfes seh), rd, rs, rpf gilt nur
länge, vor m unterbleibt die dehnung mehrfach, ebenso in
herpst, und schwankend ist die quantität vor rt, rb, rm, rf,
rgg, rsch. Wo in folge der flexion, ableitung oder Zusammen-
setzung die auf r + cons. auslautende silbe aufhört die letzte
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 143
ZU sein, auch in alten formelhaften redensarten, erscheint häufig
wider die alte kürze: herd, aber herdöpfel, zart, aber eerter,
schwärz (auch kurz), aber schwerzer.
In der Brienzer ma. werden mit einziger ausnähme von
margän = mane o und ö durchweg gelängt (besonderes cha-
rakteristicum der ma.); a, dessen umlaut ä, sowie e sind ge-
dehnt worden, doch nicht durchgängig; u und i erfahren
dagegen vor r- Verbindungen niemals dehnung (Schild 1, 85.
2, 371 ff.). Nicht ist aber gedehnt der vocal vor rw (Schild 2, 373).
In Kerenzen veranlasst r + cons. ^häufig' dehnung des
voraufgehenden kurzen vocals und in Toggenburg noch häufiger;
so bietet T. vor rm und m durchaus dehnung; vgl. Wint. 79:
'dabei gehören die betreffenden dehnungen in T. zu der kate-
gorie derjenigen langvocale, die eben den ersten schritt über
die kürze hinaus zur dehnung getan haben und nicht immer
leicht von dieser zu unterscheiden sind.' * Manche einzelfäUe',
sagt Wint. 80, * welche aber wider nicht zu andern stimmen,
legen die Vermutung nahe, dass die erhaltung der kürze in
den betr. fällen durch einen frühem hilfsvocal zwischen dem r
und dem ilun folgenden consonanten bedingt gewesen sei' (s. o.
§ 2). Wint. führt s. 81 auch einige fälle an, wo r vor cons.
geschwunden ist; von diesen hat nur ft^ek 'ferkel' dehnung.
Bei der dehnung vor r + cons. kommen in Schaffliausen
nach Stick. 2, 389 ff. abweichend von den meisten andern
Schweizer maa. nur die vocale a, e (sei dies durch umlaut oder
brechung entstanden, nicht aber e), o (nicht aber ö) und dessen
umlaut i) in betracht. Ein striktes gesetz über diese Verlänge-
rung lässt sich nicht feststellen; doch gilt als regel, dass der
umlaut in ein und demselben worte die gleiche quantität hat
wie sein grund vocal, abgesehen von dem umlaut e des a;
lautet a in e um, so hat das grundwort länge, das umgelautete
kürze: sarff—scrffdr. Dasselbe Verhältnis waltet beim ablaut
ob: tärif — törff». Fast durchgängig werden a, e vor r + nasal
gedehnt, während in der Verbindung om, wo die meisten
Schweizer maa. gedehnten vocal haben, kürze herscht; doch
heisst es tsom *zom', morn neben morgd und ominn ^Ordnung'.
Auch andere consonanzen bewirken in Verbindung mit r deh-
nung von vocalen, ohne dass sich indes gemeinsame gruppen
herausfinden lassen. Stick, gibt deshalb a.a.O. 392 ff. in er-
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144 KITZBKT
mangelung fester gesetze in tabellen ein bild des Verhaltens
der vocale.
Für das rechtsrhein. Alemannien gilt das gesetz, dass a
vor r + cons. regelmässig verlängert wird (BirL 47. Fischer 21).
Auch andere vocale erscheinen gedehnt, aber keineswegs inuner
(Birl.'52. 53. 59. 60. 69. 76). Häufig fäUt r aus: hüt *hurde',
wU 'wirf. — In den Vorarlberger maa, zeigt sich das be-
streben den vocal zu dehnen, ^freilich ohne strenge consequenz*
(Per. 8. 11. 15. 21. 27. 29. 30). In betracht kommen hier die
Verbindungen rfc, rch, rf, rg, rJc, rm, m, rst, rt, rtv, rz. Am
weitesten geht auch hier der Bregenzer wald (bes. der innere),
in welchem r regelmässig schwindet (Per. 11).
Auch für die Galtürer ma. gibt Hauser beispiele mit und
ohne dehnung; das material ist aber nicht umfangreich genug,
um besondere gruppen zusammenstellen zu können.
§ 9. Nunmehr erörtere ich eine dehnungserscheinung, über
die Staub bei Frommann 7 gehandelt hat und die er s. 377 in
folgenden worten zusammenfasst: 4m hochalem. Sprachgebiete
verschwindet der nasal (n, auch m und ») vor den Spiranten
f, s, seh, ch und ihren verwanten lauten, immerhin so, dass
die vocalisierung vor der gutturalspirans cä vorzugsweise von
den sog. burgundischen Alemannen (Bern, Freiburg, Wallis
und teilw. Bündten) gepflegt wird. Dem verschwinden des
nasals ist dehnung des vocals durch denselben vorausgegangen
und zwar werden a, ä, e, e hier zu ä, a, e, dort zu au und ei.
Auch aus % u, ü ersprossen in einem beschränkten geographi-
schen gebiete, in dem nordwestlichen vierteile, diphthonge;
dagegen hält die Gebirgsschweiz namentlich an altertümlicher
einfachheit fest. In einzelnen maa. sind die lautverhältnisse
complicierter. Unser lautprocess kommt nicht in activitat
vor s der declination und nicht in den nebensüben; in der
composition nur dann, falls diese ihren ursprünglichen Cha-
rakter aufgibt und den schein der ableitung annimmt. Auch
übt später eingeschobener (unorganischer) nasal die geschil-
derte Wirkung auf den vorangehenden vocal nicht aus' (s. auch
Wint. 73 (2) und 123. Schüd 2, 378 ff. Hunz. lii ff.). Beispiele:
Imf oder häuf *hanf ', pfist^r oder pfeist^- *fenster', heät oder
heist ^hengst', trixän * trinken'.
In der stadtma. des cantons Aargau gilt obiges gesetz
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DEHNUNG DER MHD. KU&Z£N STAMMSILBENVOCALE. 145
nicht (Blattn, 49). — Die Leerauer ma. verwandelt die gruppe
-unf regelmässig in -umf: fernümft
Für das rechtsrhein. Alemannien hat unser gesetz ebenfalls
giltigkeit, nur finden wir hier den gedehnten vocal nasaliert,
während die Schweizer maa. mit ausnähme von Simmental,
Inner-Rhoden mit einem teile des Rheintales die nasalierung
nicht kennen (vgl. Staub 366. 367. Fischer 22. Birl. 48. 59. 70.
Per. 8. 9. 17. 22. 31. Hauser).
Durch diese nasalierung berührt sich das rechtsrheinische
Alemannien mit dem schwäbischen; es ist aber scharf geschieden
von ihm durch den umstand, dass ersteres einfache länge, letz-
teres aber mit ausnähme des NO diphthongierung hat. Cha-
rakteristisch ist, dass die grenze dieser erscheinung mit der
grenzlinie für sägen (§ 1) im selben sinne verläuft (vgl. Fischers
karten 1 und 5). Auch hier ist Epfingen am oberen Neckar
der nördlichste punkt für die einfache alem. länge; von hier
zieht die grenze einerseits nach kürzerem rein westlichen ver-
laufe nach SW und andererseits nach SO. Zwischen Donau
und oberem Schüssen zeigen die einzelnen beispiele einzelne ab-
weichungen. Erwähnt sei noch, dass die grenzen für legd und
gis so zu sagen ganz zusammenfallen, abweichungen von wenigen
kilometem an einzelnen punkten abgerechnet.
Nach Fischers karte 5 können wir den abschluss unserer
dehnungserscheinung im 0 zum grossen teile feststellen; für
zis läuft die grenze bis nahe an die Hier (südwestlich von
Kempten); hier bricht sie direct nach S ab. Für die übrigen
beispiele bildet der Lech die grenze; östlich von ihm, sein
quellgebiet bis zu dem knie abgerechnet, von welchem ab er
nach N fliesst, findet sich diese Verlängerung nicht.
Eine ausnähme macht im rechtsrhein. Alemannien a vor
n + spir.: das Rheintal mit Schaffhausen (s. auch Stick. 2, 402),
Vorarlberg, quellgebiet von Hier und Lech haben hierbei nicht
'ersatzdehnung', dagegen aber der Oberlauf der Loisach, also
ein gebiet, das sich am oberlaufe des Lech, quelle ausgeschlossen,
östlich von ihm bis an die obere Isar erstreckt.
Femer findet das gesetz in Schaffhausen keine anwendung
bei e vor n + spir.: also fenstdr, und ebenso nicht vor n +
gutturaler spirans, da diese nach n nicht vorkommt (Stick.
2,402). Dagegen wird hier a vor w + flexions-5 gedehnt:
Beitrftg» sor gesohiohte der dentsohen spräche. XXIII. 10
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146 RITZERT
yäst ^kannst', was aber neubildung zur 1. sing, x^ s^üi kann
(Staub a. a. o. 347). Nach Stick. 2, 403 hat Buch im schaff-
hauserischen Hegau dehnung vor ss: toüss9 * wünschen'.
Anm. Für die Vorarlberger maa. sagt Per. 11, anm. 4: *vor s ist
Bchwrmd des n gewöhnlich*; beispiele, wo es nach a schwindet: ka^
'kannst', iäsa 'danse' (= milchbntte); Hanser gibt freilich die form faniter
neben fßt^r (/ = nasales i). In Galtür nnd Vorarlberg wird k im gegen-
satze zu Schaff bansen aspiriert: d^cha 'denken* (Per.), tricii» * trinken*
(Hanser).
Ein teil des seegebietes, nämlich' am Schüssen bis ober-
halb Ravensburg, und der dem Bodensee nächstliegende teil
des Ostens (aber Lindau nicht) hat gongs oder gangs *gans'
(Fischer karte 4. Birl. 59). In Hittisau, östlich vom Bodensee,
erscheint zings 'zins', ebenso in Ringgenweiler; Albersfeld hat
brungst *brunst' (die beiden letzteren orte liegen westlich von
Ravensburg).
Nach Schild 2, 379 findet sich der Schwund des nasals vor
gutturaler spirans nur ganz localisiert; 'er vereinigt maa.
unter sich, die nicht nur in formeller beziehung, sondern auch
mit rücksicht auf ihre lexikalischen schätze zu einer näheren
verwantschaft sich zusammenschliessen. Es sind dies die maa.
des südlichen teils des cantons Bern, des Wallis, sowie des
Graubündnerlandes'. Im Lit.-bl. 10, 89 gibt Schild noch die
vereinzelten orte der Schweiz an, wo vor gutturaler spirans
Schwund des nasals statt hat: Davos, Schanfiggthal, hinteres
Prättigau, südlich von Chur in Malix, Churwalden und Pai'pan.
§ 10. Im anschlusse hieran betrachte ich nun einige fälle,
wo der nasal auch vor anderen consonanten als der spirans sich
vocalisiert.
Im Vorderwald des Bregenzerwaldes (Hittisau) vei^chwindet
n Vor d, t, k und m vor j)/*; der vorhergehende vocaI wird
diphthongiert (s. Staub 380 und das genauere bei Per. 9. 18. 21):
sauTd 'sand', deika 'denken', deipfa < dempfen, da«/?/* 'dampf.
Nach i schwindet n gewöhnlich nur in nd: blioud 'blind'. —
Aus dem Berner Oberland g'swid 'klug'; Staub 381.
Im Innerwald hinter den Stieglen (Schnepfau, Au, Schop-
pernau) wird in diesen Verbindungen a zu äu gedehnt, ohne
dass der nasal schwindet: mäuntol 'mantel', dawwjp/" (Per. 9).
Nach Fischers karte 4 schliesst die 'ersatzdehnung' vor k
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DEHNUNG DER MHD. KÜBZEN BTAMMSILBENVOCAI^E. 14?
im N mit Hittisau ab. Ein weiteres gebiet befindet sich in
der Baar und an der oberen Donau (Birl. 51. 70). Das nähere
hierüber s. u. § 28. Das gebiet zwischen oberem Neckar und
der Donau von Tuttlingen abwärts hat Jiäd *hand' wie das
schwäbische (Fischer, karte 1).
In gewissen gegenden ist n vor w vocalisiert und gedehnt,
so in Luzern: tbel < Inwyl] um Zurzach hauert < hannwart,
im canton Zürich: Heuel <honwil *Hohenwir (Staub 381).
§ 11. Dehnung vor l + consonant findet sich nur in be-
grenztem umfange. Am weitesten verbreitet ist die Verlänge-
rung vor l und dentalverschluss. Fischers karte 20 hat die
beispiele bald und hhaltd westlich vom Bodensee bis über die
Thur und nördlich vom Ehein bis zum oberen Neckar (s. auch
Birl. 47. Fischer 21 und anm.2, Meyer, Schw.-schulz.l42ff. 149£f.).
Wrede gibt im Anz. 19, 102 für sah an: am Bodensee und west-
lich von ihm.
Für die Brienzer ma. (Schild 2, 366) kommt hauptsächlich
a und dessen umlaut in betracht. In Schaffhausen gilt dasselbe
(doch nur für umlaut e, nicht für e), s. Stick. 2, 387. 388: wäld
und pl. weld9r, alt, aber comp. eltdr\ Seh. macht scharfen unter-
schied zwischen Its und ls\ vor letzterem wird a (e) nicht
gedehnt.
Anm. In Seh. wird a auch vor Im gedehnt: ähnöse.
In den Vorarlberger maa. mit ausnähme vom Walsertal,
vom Innerwald vor den Stieglen wird a vor 1 + d,t,ts gedehnt,
im Walgau und in Montavon * freilich ohne strenge consequenz';
im Innerwald wird a zu äii\ bäuld, säulz. Galttir dehnt auch
rahd. e vor l + verschlusslaut: fald < velt\ nach Hauser findet
auch vor Ich dehnung statt: bofdlcJid, mälchd < melken, — Im
Vorderwald schwindet das l nach allen vocalen in den Verbin-
dungen Id, It, h, während der vocal diphthongiert wird: äut
*alt', schmeim * schmelzen', goud *gold', höüjgle *hölzlein' (Per.
9. 16. 21. 28). Vor l + d,z: gdld, holz wird nach Fischers karte 1
0 in einem grösseren gebiete im SO des Bodensees gedehnt;
im W berührt das gebiet nicht den Ehein, im 0 schliesst es
Hier- und Lechquelle noch ein.
Eine ähnliche erscheinung findet sich in der Westschweiz
zwischen Reuss und Jura. Dort wird nämlich l vor conso-
nanten (und im auslaut) so 'gequetscht', dass es einem w ähn-
10*
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148 RtTZBRt
lieh wird und dadurch dem vorangehenden vocale eine halb
diphthongische beimischung verleiht (Staub 384). Die Leerauer
ma. bildet nach Hunz. cii in dieser hinsieht den Übergang
zwischen Ost- und Westsehweiz.
§ 12. Nur für das rechtsrheinische Alemannien gilt die
voealverlängerung vor cht und chs.
Dehnung des a vor cht hat der 0 und N des Bodensees
und das gebiet zwischen Rhein und Donau (Fischers karte 1
und Birl. 47). Kurz vor dein ausflusse des Rheins aus dem
Bodensee wendet sieh die grenzlinie westnordwestlich, so dass
ein breiter streifen des Rheintals keine dehnung liat. Der
östliche teil des gebiets mit vocallänge hat -äty und zwar bildet
eine linie, die von Tuttlingen nach S auf obige linie zieht,
die scheide; von Tuttlingen zieht die linie zur Neckarquelle
und begleitet dann den Neckar bis Epfingen, von wo sie nach
SO verläuft; sie überschreitet die Donau einige kilometer
unterhalb der linie für sägi), lässt am Schüssen nur dessen
quelle frei und umfasst den osten des Bodensees in einem
bogen. Ebenso fällt ch nach a auf dem Schwarzwald und
Heuberg aus (Birl. 118). Fast ganz mit diesem -a^ gebiet«
fällt das zusammen, in welchem ch nach e und i ausfällt,
doch erstreckt sich auf dem linken lUerufer (die Hier selbst
nicht berührend) noch ein breiterer streifen nach N bis west-
lich von Unterdettingen. Nach Birl. 120 wird alsdann e häufig
diphthongiert zu e?a; für i vor ausgefallenem ch gibt schon
Birl. die bestimmung von Sehwarzwald bis Bregenzerwald
(s. 120). Das gebiet für gedehntes o mit ausfall des ch ist
räumlich begrenzter: die westgrenze fällt mit -ät zusammen,
die ostgrenze bildet der Schüssen; femer bleibt die nord- wie
südgrenze teüs mehr teils weniger von der -a^- linie entfernt
(s. auch Birl. 74 und 121, wo freilich, wie oft, die genauere be-
stimmung fehlt). Verlängerung des u findet sich am oberen
Neckar und an der Donau. Von Mühlingen (südwestlich von
Sigmaringen) verläuft die grenzlinie einerseits rein westlich
zum Schwarzwald und andererseits südöstlich zum Bodensee,
den sie in Schnetzenhausen berührt; hierauf zieht sie auf dem
rechten Schussenufer, ihn selbst nicht berührend, nach N bis
zu dessen quelle und dann zur Hier, die sie unterhalb Unter-
dettingen trifft. Zwei bezirke in diesem gebiete haben ausfall
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DEHNUNG DER MMD. KURZEN STAMMSILBENVOOAl/E. 149
des ch: der eine zwischen oberem Neckar und oberer Donau
(grenzorte: Epfingen, Tuttlingen, Irrendorf a. d. Donau), der
andere westlich von Ravensburg (grenzorte: Schnetzenhausen
im S und Königseggwald im N); s. auch Birl. 68 und 121. —
Für den Bregenzerwald bestätigt Per. 22 die vocaldehnung
nach ausfall von ch.
§ 13. Dehnung vor ursprünglichem hs ist durchaus mit
Schwund der gutturalspirans verbunden. Diese erscheinung
die auch der ganze SW des schwäbischen hat (Fischer 21),
finden wir für a im 0 und N des Bodensees (Lindau aber aus-
genommen), an der oberen Donau und am oberen Neckar.
Die betr. linie wendet sich kurz vor dem ausflusse des Rheins
aus dem Bodensee westnordwestlich, so dass auch hierbei auf
dem rechten Rheinufer ein breiter streifen ohne Verlänge-
rung bleibt.
Wie weit auch andere vocale vor ausgefallener guttural-
spirans im rechtsrheinischen Alemannien gedehnt werden,
vermag ich nicht anzugeben; nach Fischers karte 20 findet
sich dort weder 6s *ochs' noch Vis *büchse\ Birlingers angaben
s. 120f. sind zu unbestimmt; er bezeichnet zwar össnerin * un-
trächtige kuh' als alemannisch, bezeugt aber össnen 'nach dem
stier begehren' für den mittleren Neckar, also schwäbisch (s. u.
§ 29); ausdrücklich bemerkt er aber s. 121: 'heute füs »fuchs«
nicht mehr bekannt'; femer sagt er s. 120: 'echt alem. tciassla';
ob hier länge oder kürze gemeint ist, bleibt unbestimmt.
Für den Bregenzerwald gilt die dehnung auch für andere
vocale: 6^ 'bfichse', desol < dehsel 'hacke' (Per. 22); für Galtür
sind nur belege für ä angegeben.
§ 14. Es bleibt nur noch übrig, einige einzelheiten zu
erwähnen.
Wo am ende eines Wortes der consonant abfällt, ist Ver-
längerung des vorangehenden vocals eingetreten (s. o. § 5: mä,
ü' un- etc.); besonders kommt dies häufig bei ch vor (Birl. 124.
Fischer 18. 19 und karte 1. Per. 11. 22. 28). Der osten des
Bodensees vom Schüssen bis zum Lech hat länge in dach, loch,
das gebiet westlich vom Schüssen mit ausnähme des rechten
ufers kürze. — In Leerau fällt ch nicht ab, aber trotzdem
findet sich öfter dehnung des vocals (Hunz. xxxi. xxxiv. xlii.
XLVi, IL, ex vi): g'niäch n., aber g'mdch adj., stich 'stich', blech
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150 RITZERT
u. a. Auch ff erscheint hier 'bisweilen' zu /' geschwächt: so
scHif neben scfnf 'schiff' , gfif neben griff u. a.; ferner Us <
gehiz, kröpfe < krapfe, bäs < baz, ris < m. Hunz. führt ausser-
dem noch das eine und andere wort mit dehnung vor doppel-
consonanz an; auch an den anderen genannten orten finden
sich solche, aber immer ganz vereinzelt. Es würde viel zu
weit führen, diese einzelfälle aufzuzählen; dass solche überall
vorkommen, sei ein für allemal gesagt.
2. Niederalemannisch-elsässisch.
Quellen: 0. Heilig, Zum vocalismus des alemannischen in der ma.
von Forbach im Mnrgthal, Alemannia 24, 17 if. — K. Heimburger, Gram-
matische darstellung der ma. von Ottenheim, Beitr. 13, 211 flF. — Andr.
Heusler, Beitrag zum consonantismus der ma. von Baselstadt. Freiburger
diss. 1888. — Ed. Hof f mann, Der mundartliche vocalismus von Baselstadt.
Baseler diss. 1890. — W. Kahl, Ma. und Schriftsprache im El sass. Zabem
1893. — J. F. Kräuter, Untersuchungen zur Elässer grammatik, Alemannia
5, 186 ff. — H. Lienhart, Die ma. des mittleren Zomthales (Zabem bis
Brumath), Jahrbuch für gesch., spr. u. lit. Els.-Lothr. 2, 1 12 ff. 3, 23 ff. 4, 18 ff.
(Lienh. 1). — H. Lienhart, Laut- und flexionslehre der ma. des mittleren
Zomthales, Alsat. Studien, l.heft. Strassburg 1891 (Lienh. 2). — W. Mankel,
Die raa. des Münsterthaies, Strassb. Studien 2, 113 ff". (M. 1). — W. Mankel,
Laut- und flexionslehre der ma. des Münsterthaies. Strassburger diss. 188H
(M. 2). — H. M enges, Volksma. und Volksschule im Elsass. Gebweiler 1893.
— Charles Schmidt, Wörterbuch der Strassburger ma. Strassburg 1896.
— J. Spieser, Zillinger sprachproben, Jahrbuch für gesch., spr. u. lit. Els.-
Lothr. 5, 133 ff. — J. Spieser, Mundartl. sprachproben aus den dorfem
Wiebersweiler etc., ebda. 8, 143 ff. — J. Spieser, Sprichwörter in Wald-
hambacher ma., ebda. 9, 93 ff. — J. Spieser, Milnsterthäler sprachproben.
Sprichwörter, ebda. 2, 166 ff. 6, 144 ff. — J. Spieser, Mttnsterthäler anek-
doteu, ebda. 9, 87 ff. 10, 243 ff. — Ad. Sütterlin, Laut- und flexionslehre
der Strassburger ma. in Arnolds Pfingstmontag, Alsat. Studien 2. Strassburg
1892. — K.Wein hold. Alemannische grammatik. Berlin 1863.
§ 15. Im niederalemannisch-elsässischen ist im allgemeinen
vocaldehnung in offener silbe eingetreten (Heusler 87. Hoffm. 30.
Heimb. 228. Lienh. 2, 25. Mankel 2, 25. Sütt. 25. Weinhold § 115.
120. 122). Die übrigen oben angeführten arbeiten bestätigen
durch ihre beispiele das gesagte.
Nach Heusler 37 hat Baselland diese dehnung gleichfalls
mitgemacht.
In Baselstadt sind dieser dehnung einzelne als interjee-
tionen gebrauchte wörtchen wie apä *ach was!', j^ lebhaftes
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DEHNUNG DEB MHD. KUBZEN STAMMSILBENVOCALE. 151
^ ja' entgangen; Heusler 37 sieht die veranlassung hierzu in dem
stets mit diesen verbundenen energischen accent. Dagegen
erfährt der vocal in widm9 * widmen', höfniä * Hoffmann' etc.
stets dehnung, da die consonantengruppe dm, fm zur folgenden
gruppe gezogen wird.
§ 16. Scheinbare ausnahmen von unserem gesetze liegen
bei den Wörtern auf -ely -er, -em, -en vor, doch herscht in dieser
hinsieht keine Übereinstimmung.
Im ganzen gebiete bleibt die kürze in den Wörtern, in
welchen n, m vor |, /*, w, n stand: hinü, semd * schämen', namd
< name, flectiert nanien. Die als l, f, m, n gesprochenen end-
silben konnten bei folgendem vocal in der flexion und im Satz-
zusammenhang als nicht silbenbildend erscheinen, wodurch
der stammhafte sonorconsonant vor ihnen in silbenauslaut zu
stehen kam und die dehnung des vocals, da in geschlossener
Silbe stehend, unterblieb, z. b. der him{e)l ist < Um-l ist
Hierher gehören auch die fälle wie tsfmlf'g, n^mljg etc. (s.
hierzu Heusler 38. 39. Heimb. 230).
Anm. In Baselstadt wurde der sonorconsonant zur fortis (d.i. ge-
dehnt): hhmn{^\ 'für das elsässische ist jede spätere mitlauterdehnung: als
unbewiesen zu betrachten' (Kräuter 194).
Während in Basel bei nicht sonorem stammauslaut diese
endungen nie (schärfung zur fortis und) erhaltung der kürze
veranlassen, so dass es immer (mit lenis) lautet: fad9 < vadem,
näg\y dafdld und auch nicht widder, troddel etc., was sich ein-
fach daraus erklärt, dass, wenn jene endungen consonantisch
fungieren, die gruppen dm, gl, fl natui*gemäss zur folgenden
Silbe fallen und nicht silbe schliessen (Heusler 39. 46), ist in
Ottenheim auch in den meisten Wörtern auf -bei und -her die
dehnung nicht eingetreten (Heimb. 229. 230); femer haben hier
von den Wörtern mit g diejenigen auf -iget : -p^l kürze be-
wahrt; ausserdem noch wyd/- 'wider' und odr 'oder'.
Aus den füi' Forbach (nahe der rheinfi*.. gi-enze) ge-
gebenen beispielen ergibt sich, dass häufig die dehnung auch
dann unterblieben ist, wenn der stamm ausser auf m, n auf
media oder spirans ausgeht: dsedl 'zettel', fogl und pl. fegl,
f^ü 'feder', eß 'öfen', htis9 *hosen' u.v.a.; Aoch gleesv 'gläser',
^reewo m. 'gräber', schlaaga 'schlagen', schwQ^fi 'schwefel' u. a.
Auch diese fälle finden ihre erklärung darin, dass einmal
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152 RITZEBT
doppelformen mit kürze und länge nebeneinander bestanden
haben, je nachdem die endungen /, r, m, r^ ihr vocalisches
element bewahrten oder nicht, und dass bald die eine, bald
die andere durch ausgleichung beseitigt ist (vgl. Paul, Beitr.
9, 118). Hierher gehören auch folgende fälle aus Forbach:
kinik 'könig', ledik 4edig' u.a., deren kürze aus den synkopierten
formen der obliquen casus stammt.
Die elsässischen maa. zeigen unter allen diesen Verhält-
nissen in ausgedehntem masse die ursprüngliche kürze (Lienh.
2,25. Mankel2,25. Sütt, 25. 30. 31. KahllO. 11. 12. Menges 18.
Weinhold § 115. 120). Obwol diese fälle sehr zahlreich vor-
kommen, so lässt sich, die unten (§ 17. 18) zu besprechenden
ausnahmen hinzugerechnet, doch nicht mit Sütt. 25. 27 behaup-
ten, dass die mhd. quantitätsverhältnisse im allgemeinen die-
selben geblieben und vorkommende dehnungen als ausnahmen
zu betrachten seien (s. auch Mankel 2, 25).
Auf frühzeitige vocalsjiikope in suffixen und flexionssilben
gründet sich die im ganzen gebiete vorkommende kürze in
folgenden fällen:
a) jagdy ^nagd, vogt, ohst, magsame, lebkucJien etc.;
b) in der verbalflexion und im satzsandhi: heps, -t 2. und 3.
pers. praes. zu held * halten', Uept part. praet.; hepti * halte dich',
heps 'halte es', neben }4bmi 'halt mich' und l^ebm 'halt ihn';
ebenso de retS, 9r ret zu red^ 'reden'; i saktor 'ich sage dir',
aber i sägni 'ich sage ihm' (Heusler 42); ähnliche belege in
den übrigen quellen. — In diesen fällen kann freilich auch
kürzung einer secundären länge vorliegen. — Für das Münster-
tal s. Mankel 2, 31.
§ 17. Im alem.-els. gebiete ist vor altem einfachen t die
dehnung nicht eingetreten, da dasselbe als geminata behandelt
wird (Heusler 46. 49. Hoffm. 30. Heimb.230. Kahl 12. Lienh.
2,28. Mankel 2, 10. 11. Sütt. 27, 30. Kräuter 190). Beispiele: 6o<
m., beten, gebet, waten etc. Nach Lienh. 2, 28 heisst es in den
evangelischen orten des Zomtales 2^di9 'beten', in den katho-
lischen pat9.
In den maa. des Elsass erstreckt sich obige ausnähme
häufig auch auf Wörter mit d: fretd < vride, ret m. 'rüde', wet
<wide, ret 'rede' u. s. f.; in Wiebersweiler und Waldhambacb
heisst es klet 'glied', rat 'rad', in Rosteig aber Mit, rät. In
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DEHNUNG DEB MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 153
anderen Wörtern erscheint die regelrechte dehnung; so haben
z. b. im Zorntal die auf -ade, -aden und einige auf -at, gen.
-ades länge des vocals: söto 'schaden', pfot *pfad';. ebenso in
Strassburg, Zillingen und im Mttnstertal.
Im niederalemannischen werden Wörter wie räd < rat
nicht von obiger ausnahmeregel betroffen: es muss deshalb
mit Hoffm. 30 eine verschiedene ausspräche des t in mhd. rat
und trit angenommen werden.*)
§ 18. a) In den elsässischen maa. und ebenso in Otten-
heim ist femer die kürze erhalten in den meisten Wörtern auf
m und n (s. die Zusammenstellung bei Kahl 12: lamm 4ahm'
etc.; Lienh. 2, 26); doch heisst es allgemein im Elsass tsäm
*zahm' (Heimb. 230). Auch Basel hat kürze in i nimm u. a,
(Heusl. 38. 39). Für Forbach gibt Heilig wem, bin < büne
'Speicher', aber groom 'gram', loom 'lahm' (über die zwei-
silbigen mit m und n s. oben § 16).
b) In folge energischer betonung ist bisweilen die kürze
erhalten, so in c^wck 'weg' < enicec im ganzen gebiete; für
Basel gilt ferner (jfp (nicht imp., sondern ausruf); jo wqU (be-
kräftigender ausruf) steht sonstigem wqI gegenüber: eine Wir-
kung des verschiedenen accents (s. hierzu Heusl. 13. 23).
c) Die genannten Wörter haben keine flectierten formen
neben sich ; in anderen hat die quantität der unflectierten form
den sieg davongetragen trotz der danebenstehenden flectierten
formen, in denen der stammvocal in offener silbe steht; so in
tnl 'viel' (Elsass), gras 'gras' (Münstertal, Forbach), sdup
' Stube' und grop (Elsass, Forbach, Ottenheim), hof (Elsass,
Ottenheim; im Elsass findet sich südlich des 48. breitegrades
einzelne hof, Wrede, Anz. 22, 324), sep 'sieb' (Zomtal, Strass-
burg) und einzelnen andern. — Einige mal zeigt sich die kürze
selbst in den flectierten fermen; so heisst es in Ottenheim
sduwe 'Stuben', growr 'grober'.
§ 19. Ich erörtere nunmehr die dehnungserscheinungen,
die durch benachbarte consonanten verursacht werden.
1) Bisweilen erscheinen unter den belegen flir die dehnnng in offener
silbe die einsilbigen nominative, in denen also der vocal in geschlossener
silbe steht nnd stand. Es ist natürlich daran festzuhalten, dass in diesen
fäUen die ansgleichnng nach den obliquen casus analog dem schriftsprach-
lichen gebrauche bereits voUzogen ist.
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154 BITZERT
Vocaldehnenden einfluss haben im iiiederalem.-els. zunächst
die Verbindungen r + consonant Obenan steht Basel, wo vor
r + consonant ausnahmslos längung eintritt (Heusl. 41. Hoffm.
30). — Ottenheim hat dehnung vor r + ^, d, z, s, st: hpri
'hirt', dürst 'durst' etc. Doch kommen liier auch ausnahmen
vor, so in den isolierten formen de^'t 'dort', fürt 'torV; femer
in h^rt 'hart', swards, hcerds 'herz'. Schwankungen, wie in
Mrds — kurdSy ort — ort u. a. schreibt Heimb. 232 dem einflusse
der schule zu; 'es zieht die ältere generation die länge, die
jüngere die kürze vor'. Ferner erscheint in 0. länge vor rl
in Karl, ^rl, fori: also mit svarabhaktientwickelung und dem-
gemäss offener silbe; dagegen aber kcerl 'kerl'; ebenso Ciri
'arg'. Vor den übrigen r- Verbindungen ist in 0. durchweg
kürze erhalten.
Für Forbach sind nur wenige belege angegeben: waad^
'warten', gaad9 'garten', auch weeodik 'Werktag' (also mit
assimilation des k).
Im Zomtal ist vor rt und gelegentlich auch vor rs, rst
und zwar in Wörtern mit mhd. stammvocal a und e dehnung
eingetreten (Lienh. 2, 26). In Zusammensetzungen tritt vielfaxjh
die alte kürze wider ein: ärt 'erde', aber aper 'erdbeere'.
Sonstige vocale werden vor den betreffenden Verbindungen
nicht gedehnt: hert {<herte\ hert 'hirt'.
Li den Zillinger (bei Pfalzburg) sprachproben finde ich
einzelne Wörter auf rm, rn mit länge; vor rt hat nur hart
'herde' dehnung, nicht karte 'garten', zart etc. Waldhambach
hat länge des a und e vor rt, ferner in tnarkt, getn, Wiebers-
weiler auch in tsör 'zom'. Strassbui'g hat nach Sütt. 29 und
Ch. Schmidt dehnung des a und e vor r + t, d: wärt9 etc.;
auch ärs ist angegeben.
Im grossen und ganzen haben also die Elsässer maa. a
und e vor r + f, d gelängt, aber nicht consequent, vereinzelt
auch vor rs und ganz vereinzelt vor anderen /-Verbindungen.
§ 20. a) Dehnung vor l + consonant findet sich nach
Wrede 21, 275 (alte) vereinzelt im Elsass. Nach meinen quellen
ist dieselbe nur für das Münstertal (Mankel 2, 38) und für
das Zorntal in pal < balde und Ml < Jialde (Lienh. 2, 37) an-
gegeben. Im Münstertal fällt in den Ortschaften Mühlbach,
Breitenbach, Metzeral und Sandemach in der Verbindung {
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DEHNUNG DER BfHD. KURZEN STAMMSILBEKVOCALE. 155
id ebenso m, n + verschlusslaut dieser ab und die ursprünglich
irzen vocale werden diphthongiert. Dieser Vorgang tritt in
T regel nur dann ein, wenn l + verschlusslaut im inlaut
elien: häil < haide, weil < wilde (eine ausnähme macht fail
)ld'); päin ^bande', küirnor < kmnber, wüin *wunde'.
b) Ebenfalls auf das Münstertal ist die erscheinung be-
hränkt, dass vor nasal + spirans vocaldehnung mit Schwund
s ersteren eintritt (Mankel 2, 37. 38): räi^f *ranft', farstdr
nster', wii,fs ^wünsch'. — Auch die Spieserschen sprachproben
5 Münstertales bieten belege für diese erscheinung; nach
nselben wird in Mühlbach der vocal vor den genannten
isonantengruppen wol gedehnt, aber meistens, namentlich a,
ht diphthongiert.
§ 21. Vor ursprünglicher liquid- und nasalgeminata ist
folgenden fällen vocaldehnung erfolgt:
a) Vor rr ist in Basel regelmässig der vocal gelängt
nisl.41. Hoffm.30): när 'narr', dir 'dürr'.
b) Ferner ist in Basel in ein paar vereinzelten fällen vor
lautendem II dehnung eingetreten: fäl 'fall' (pl. f^l, aber
ri); stäl 'stall', doch auch dim. stqli u.a. — Ottenheim hat
'äl, das auch für Basel und Elsass gilt. Das Münstertal
hväl 'wallen' = sieden machen, Strassburg haal (frz. le
und waal 'festungswall' (aber balle 'spielball', wall 'auf-
len des wassers'). Für das Zomtal bezeugt Lienh. 2, 7
iiiing in all
c) Für Ottenheim finde ich vor mm aus mlid. mh in einigen
^n dehnung bezeugt: ^mos < imhis, §m < imhe u. a.; in an-
n ist kürze erhalten: dum < tump, dsymr- < zimber- etc.
inb. 230, § Gl). — Für das Münstertal s. oben § 20, a.
d) Vor auslautendem nn ist in einem teile des niederale-
iiischen dehnung eingetreten (Heusl. 15 und Wrede, Anz.
Ol : mann). Für Basel betrifft dies die Wörter mä 'mann',
pl. nfenndr\ k'ä 'kann', dazu auch 2.pers. k'äss; hän 'bann'.
letzterem abgesehen schwindet also nn und der vocal
a?) tritt in offene silbe. Wrede gibt a.a.O. die grenz-
für den abfall des nn in mann, mit welchem 'in der regel
iiiig- des stanmivocals verbunden ist'. Die hauptorte dieser
sind: Hüningen, Lörrach, Schönau, Todtnau (Freiburg),
eiibacli, Triberg, Hornberg, Hausach, Freudenstadt,
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156 BITZERT
Leonberg, Böniiigheim, Bottwar, Murrhardt. Buchen und dann
die grenze des ostfränkischen. Das gebiet im SO dieser linie
hat vocaldehnung.
§ 22. Dehnung vor ursprünglichem ht und hs. a) Mit
ausnähme von Basel findet sich an allen oben angefdhrten
orten dehnung vor ursprünglichem ht, aber in verschiedenem
umfang. Ottenheim hat bei allen vocalen dehnung, einzelne
fremdwörter ausgenommen wie bracht Spracht', pacht, (echt
(doch daneben auch (echt, Heimb. 231). Für Forbach sind naacftt
und gn^t 'knecht' (c = palat. eh) gegeben.
Im Zomtal zeigt sich nach Lienh. 2, 29 vor (M dehnung
des a und e: ä^t num. card., fä^U < vehien\ neben rextd 'richten'
kommt auch re^t^ vor. — Das Münstertal kennt ausserdem
auch dehnung des u\ früxt 'frucht' (Mankel2, 25. 37). — Strass-
burg hat ausser a und e auch o gedehnt: doockder 'tochter';
dazu pl. deechder und dim. deecMerle (Sütt. 29). — Ferner
geben die sprachproben Spiesers beispiele dieser art; in Hirsch-
land sind die formen ndt 'nacht' und hnat 'knecht' veraltet;
dort wird jetzt kürze gesprochen; in tmcht hat auch Rosteig
kurzen vocal.
Was speciell die dehnung des e vor ht betrifft, so ist
hiermit zu vergleichen, was Wrede im Anz. 19, 162 unter rechic
sagt: *im nördlichen und mittleren Elsass ist dehnung desselben
häufig'.
b) Vor ui'sprünglichem hs hat in manchen fäUen a dehnung
erfahren, wobei die gutturalspirans geschwunden ist. Wrede
gibt im Anz. 21, 261 unter wachsen für diese erscheinung die
geographische begrenzung. Zunächst hat das gebiet, das süd-
östlich folgender linie liegt, vocaldehnung: Thengen, Löffingen,
Neustadt, (Freiburg), Elzach, Schiltach, (Wolfach), obere Murg;
femer haben drei orte zwischen Rastatt und Seltz gedehntes a
in wacJisen, dann die gegend inmitten Bischweiler, Hagenau,
Ingweiler, Zabern, Maursmünster, Wasselnheim, Molsheim,
Mutzig, Rosheim, Ob.-Ehnheim, Eratein, Strassbm-g, Kehl,
Renchen, Achern, die aber alle ausserhalb des gebiets bleiben,
und endlich fünf orte westlich von Münster. S. hierzu auch
Lienh. 2, 23 für das Zorntal und Mankel 2, 26 für das
Münsterta,l.
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMStLBENVOCALE. 157
3, Schwäbisch.
e: Ueber die dehnungserscheinungen im schwäbischen haben wir
tzt eine zusammenfassende darstellung in H.Fischers Geographie der
hwäbischen ma. mit atlas von 28 karten. Ti\bingen 1895. Fischer behan-
ilt unser thema in den § 13—17; in betracht kommen die karten 1. 4. 5.
IS. 20. 23. — In erster linie fassen Fischers resultate auf dem materiale
n fragebogen aus gegen anderthaibtausend Ortschaften ; andererseits sind
ch die arbeiten anderer herbeigezogen^ so Schmellers Maa. des könig-
ichs Bayern, Weinholds grammatiken, Kanjfmanns Geschichte d. schwäb.
i., ßohnenbergers Gesch. der schwäb. ma. im 15. jh., Bopps Vocalismus
i schwäb. in der ma. von Münsingen, Wagners Gegen w. lautbestand des
iwäb. in der ma. von Reutlingen, und Wreiles Berichte über den sprach-
as. Das gebiet ist so weit gewählt, ^dass es über das, was heutzutage,
;h im weitesten sinne, schwäbisch genannt wird, nach allen Seiten hinaus-
3ht'; zugleich sollte für das jetzige Württemberg eine vollständige
achgeographie gegeben werden. Wir finden deshalb ausser Württemberg
d Hohenzollem) auch die angrenzenden teile Baiems, Badens, der
weiz und Vorarlbergs in den kreis der betrachtung gezogen.
Auf diese weise hat Fischer einen grossen teil des ostfränkischen mit
andelt, nämlich dessen ganzen SW: das hohenlohische am Kocher und
st, den Taubergrund und das ansbachische am oberlaufe der Wömitz,
nühl und fränk. Rezat und den südwestlichen teil des oberpfälzischen
der mittleren Altmühl; ferner das ganze nordostalemannische (nördlich
östlich vom Bodensee); weiter vom rheinfränkischen die maa. an der
und am Neckar von der mündung der £nz bis zu der von Kocher und
}t; schliesslich den westlichen streifen des bairischen.
Die ergebnisse von Fischers arbeit verwert« ich bei der besprechung
einzelnen dialekte. Was das eigentlich schwäbische betrifft, so gelten
r die folgenden gesetze (ich führe sie der Vollständigkeit halber an;
inzelnen verweise ich auf den atlas).
§ 23. 'Vor einfacher consonanz ist im allgemeinen ver-
erung eingetreten (F. §13). Vereinzelte ausnahmen kommen
l beschränkt oder allgemeiner vor: weg *fort' neben u'4g
'; html 'himmel' (im SW; vgl. Kauffmann, Gesch. d. schw.
s. 158), anderswo html; besonders vor t: bot *bote', got *gott'
ich göt), fatar (im NO ßt9r), hotd 'geboten'. Bohnenberger
Alem. 24, 28 zu dieser hauptsächlichsten ausnähme vor t
secundär entstandenes ph <h + h (dem an dieser stelle
esprochenen wünsche B.'s nach einer karte über die gebiete
kürze bez. länge vor t schliesse ich mich ganz an). Con-
mt ist die Verlängerung eingetreten, wo ein von haus aus
später einsilbiges wort zufolge abfalls consonantischen
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158 BITZERT
auslauts vocalisch endigt: ä 'ab', sä 'sage' (dasselbe gilt auch
bei abfall von doppelter consonanz).
*Wo nun innerhalb eines paradigmas ein- und mehrsilbige
form wechseln, ist gleichheit beider eingetreten: säg, sägd,
bot, bötd.
Fischer erklärt die entstehung der 'aus dem NO gekom-
menen' dehnung vor einfacher consonanz in den zweisilbigen
formen durch Übertragung aus den einsilbigen: in diesen sei
im ganzen gebiete zuerst Verlängerung alter kürze erfolgt
(im NO des gebiets — da näher dem Ursprung — auch vor
doppelter consonanz; s. unten § 25). Gegen diese annähme
müssen wir front machen: die dehnung ist vielmehr zuerst in
zweisilbigen Wörtern (mit obigen ausnahmen) eingetreten, in
denen der vocal in ungedeckter silbe stand, und aus diesen
ist sie auf die einsilbigen übergegangen. Es ist keineswegs
mit F. annehmbar, dass die für das alemannische giltige deh-
nung einsilbiger Wörter mit auslautender lenis und die unten
zu besprechende dehnung einsilbiger Wörter mit doppelconso-
nanz im NO des schwäbischen unter einen hut gebracht werden
können. Dort haben wir den klar vor äugen liegenden einfluss
der folgenden bestimmten einfachen consonanz, hier Verlänge-
rung vor jeglicher doppelconsonanz, zwischen beiden aber ein
breites gebiet, in dem alteinsilbiges wort vor doppelconsonanz
die kürze bewahrt, einige wenige ausnahmen abgerechnet.
Von der Wirkung eines einheitlichen gesetzes kann somit hier
absolut keine rede sein (s. hierzu Bohnenberger, Alem. 24, 29 f.,
der derselben ansieht ist).
Die grenze für die nordostalemannische formel - gegen ^ — ':
i säg, aber sägo, ist in § 1 gegeben; weiter nach N eratreckt
sich das gebiet von tsf'le 'zählen', 'so dass es sich fragen kann,
ob hier nicht die kürze aus altem zellen abzuleiten sei'; mir
erscheint dies als das einzig mögliche (s. auch Heusler, Con-
sonantismus etc. 39). Die grenze für tsfb geht von der oberen
Kinzig über Ostdorf in südöstlicher richtung an Sigmaringen
vorbei, hierauf in ziemlich östlicher richtung bis ünterdettingen
an der liier, dann nach S bis über Memmingen, worauf sie
bald ostwärts bis zum Lech verläuft.
§ 24. a) 'Vor doppelter consonanz ist alt- oder neu-ein-
silbiges wort laug geworden, sobald der consouantische auslaut
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DEHNUNG DER HHD. KURZEN STAHMSILBENYOCALE. 159
abgefallen ist: mä ^mann', da ^dach' (aber dax, wo x erhalten
ist)' (F. § 14); ebenso bei dem südlichen pl. mä, mä < altem
pl. man. — Die Verlängerung musste in diesen fällen eintreten,
da der vocal in offene silbe zu stehen kam; principiell gehört
deshalb diese erscheinung zu dem vorhergehenden paragraphen.
Ueber das gebiet des abfalls von -w» im schwäb. s. § 21, c.
b) * Sonst ist bei alt-einsilbiger form kürze im SW, länge
im NO des gebiet«, so dass im SW das ganze paradigma
kürze, im NO gesetzmässigen Wechsel hat: SW Jcöpf, köpf,
NO köpf, köpf, auch nom. köpf dat. köpf < köpfe' Die ein-
zelnen Paradigmen haben wol abweichungen im verlaufe ihrer
grenzen, doch sind dieselben so gering, dass die einheit des
gesetzes erkannt werden kann. Die grenze läuft von N her
kommend ca. 10 — 15 kilometer östlich vom Neckar in südlicher
richtung über Jagst, Kocher, Eems und Fils bis Bissingen,
dann in südöstlicher richtung die Donau etwas oberhalb Ulm
überschreitend und auf ca. 30 kilometer der Hier entlang bis
Unterdettingen, hierauf nach 0 bis zur Wertach und dann
südöstlich über den Lech. Mit dieser linie stimmen auch *dach'
und 'loch', nur dass im S durch ausfall des ch notwendig Ver-
längerung eingetreten ist; auch 'gold' und 'holz' stimmen,
ausser im S. — Nach F. bewahrt der dativ köpf die kürze;
leider fehlt die angäbe, wie weit sich diese erhaltung der
kühse trotz apokope des endungs-c erstreckt; für die dative
tisch, luft (überbelegend) und feld wenigstens gilt auch im
schwäbischen NO vocaldehnung(Wrede,Anz.22,325. 19,278.285).
Zwischen einer linie, die im grossen und ganzen zu der
von köpf stimmt, einerseits und Altmühl, Lech, Ammersee und
oberer Ammer andererseits ist in den Wörtern mit r + nasal:
-m, -rm, auch -Im svarabhakti eingetreten und der auslautende
nasal abgefallen. Ich stelle diese fälle hierher, da die alt-
zweisilbigen formen kurz sind: hörner, arm, Fischer hält den
Zusammenhang für zweifelhaft. Freilich könnte es nahe liegen,
die länge in wm^ < urnrm aus der zweisilbigkeit zu erklären,
wodurch die tonsilbe eine offene wurde. Da aber an der Eezat
und mittleren Altmühl (vgl. § 45) die altzweisilbigen formen
trotz svarabhakti kurz geblieben sind, im gegensatze zu den
alteinsilbigen, so möchte ich annehmen, dass — wie dort —
auch in unserem falle die alte formel wümi : würmd vorliegt
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160 RITZKRT
und dass sich erst nach entwickelung dieses Unterschiedes
wurm > wür9 gebildet hat.
§ 25. Principiell wie bei köpf : köpf liegt der fall in den
Wörtern auf nd und cht (s. F. 19 und karte 1); auch hier sind
die altzweisilbigen formen kurz, also häd (Äa»d), aber hend
(was im NO und in der mitte auch für nom. und acc. mit-
gebraucht ist), uid (wind) : w^nd; nacht (nät), frücht (früi).
Aber wir finden ein viel grösseres Verbreitungsgebiet als dort;
'die grosse ab weichung kann nur auf rechnung der consonanz
kommen'.
Das gebiet dieser dehnungserscheinung ist folgendes:
ausser dem 0 der linie köpf: köpf hat ganz Württemberg länge
in häd (händ) mit ausnähme der maa. an der Enz und auf
beiden ufern des Neckars von Pleidelsheim abwärts; kürze
findet sich ausserdem im SW an dem oberlaufe der Einzig
und Donau bis Tuttlingen. Auf dem rechten ufer der letz-
teren besteht ein grösserer dehnungsbezirk: von Eiedlingen
an der Donau läuft die betr. linie südöstlich bis Hummerts-
ried und dann nördlich bis zur Hier. — An der verlängening
wtd (wind) nehmen nicht teil die maa. an der Enz und am
unteren Neckar, an der Nagold, am oberlaufe des Neckars
(bis einige kilometer oberhalb Tübingen) und der Donau bis
Zwiefaltendorf ; auf dem rechten ufer derselben findet sich hier
nur ein kleines gebiet mit vocallänge. — Die grenzlinie für
hüd (hünd) entfernt sich nicht erheblich von der linie köpf :
köpf; sie berührt nur zweimal den Neckar ohne ihn zu über-
schreiten (vgl. hierzu auch Wrede, Anz. 19, 104 p fand, 107 hund,
111 kmd).
In nacht dehnen die maa. am unteren Neckar nicht (bei
frucht schon von der ßemsmündung ab nicht) und ein gebiet
von grösserem umfange auf beiden ufern der Iller bis ünter-
dettingen: sonst das ganze schwäbische. Die linie für frücht
(früt) geht nicht so weit südlich als die für nacht, welche den
ganzen 0 des Bodensees umfasst, ohne jedoch bis zur Iller zu
gehen (vgl. oben § 12).
§ 26. *Ein einfluss von Verbindungen r + dental auf Ver-
längerung des vorausgehenden vocals ist zwar nicht zu leugnen,
aber auch nicht gesetzmässig zu fassen. Nur a wird hier regel-
mässig verlängert: hart, khärto, gärn' (s. F. 20 und karte 18).
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DEHNÜMO DBB MHB. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 161
Verlängerung vor r + dental ohne unterschied zwischen
ein- und zweisilbiger form zeigt das grosse hauptgebiet mit
ausnähme des oberen Neckars (bis Irslingen), der oberen Donau
(bis Irrendorf) und eines gebietes, das sich in einer breite von
ca. 30 — 45 kilometem im NW von Ulm bis zur Bems erstreckt:
icirt, Ursch, schüre. Im S der Donau, von Sigmaringen bis
Donaustetten auch auf ihrem linken ufer, also an Schüssen,
lUer, Wertach und Lech, findet sich die svarabhaktiform wi^rt,
die F. aus dem spiele lässt, 'weil sie weder für kürze noch
für länge beweist'. Ebenso sind die fälle w^t 'wort' und
f^s *vers' zweifelhaft; 'ob diese kurz oder lang seien, ist
schwer zu erkennen und würde lauter sehr genaue beobachter
erfordern'.
Zwischen schüre und Mrsch besteht ein unterschied im N
des gebiets; die grenze für ersteres zieht von der Enzmündung
an den Kocher (etwas unterhalb von Hall), dann nach 0 bis
zur mittleren Altmühl und hierauf den Lech hinauf, von dem
sie zum Ammersee abbiegt; dann zieht sie von Wessobrunn
in westlicher richtung, Kempten in einem bogen umschliessend,
zur Schussenquelle und endlich nach NW über Epfendorf bis
zur oberen Kinzig. Dagegen verläuft die grenze für Mrsch
(altzweisilbig) vom unterlaufe der Enz östlich, schliesst Kocher-
und Jagstquelle ein, wendet sich nordöstlich nach der oberen
Wömitz, von wo sie, auf dem rechten ufer derselben bleibend,
zum Lech zieht; im S tritt die form 'kriese' ein.
In arm hat auch der SW gebiete mit länge.
§ 27. 'Die lautverbindung n + spirans hat im schwäbischen
länge des vocals mit vertust des n bewirkt. Im schwäbischen
hauptgebiet (zwischen Schwarzwald, Welzheimer wald, Wömitz
und Lech) herscht die formel gas : gh u. s. f. ohne unterschied
von sing, und pL, hier also Verlängerung durch n + spirans
bei ein- und mehrsilbiger form' (F. 22 und karte 4). Noch
deutlicher ist dies bei den beispielen in karte 5: zins, fünf,
brunst, uns = sks, ftf etc.; hier zeigt sich das hauptgebiet im
W, N und 0 von kurzvocalischen formen umgeben, und zwar
sind die grenzen, vom NO abgesehen, auch wie bei gans,
§ 28. Dehnung vor n + verschlusslaut findet nur im W
des hauptgebiets statt (F. 23 und karte 4. 6). Das gebiet für
en + verschlusslaut: H 'ente', im äussersten SW alt, ist am
Beiträge siur geeohlehU der deatschen ipnMhe. ZXIII. \\
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162 HITZEKT
iiiii£assendKteii; aii£»er der Enzma. nimmt nur noch das obere
Donangebiet bis Tuttlingen nicht daran teil Die grenze im
0 bildet eine linie, die von der Eemsmündnng znr Donau zieht ,
auf dem rechten Donauufer haben nur zwei kleine gebiete
länge, das eine bei Tuttlingen und das andere etwas unterhalb
Sigmaringen. — Die grenzlinie für d^fe 'denken', im änssersten
8W dälhy reicht im W, N und 0 nicht ganz so weit — Ver-
längerung in mhsck 'mensch' findet sich zwischen oberem
Neckar und der Donau von Tuttlingen abwärts (zwischen
Neckarquelle und Donau mältsch). 'Fast immer ist ts, nicht
blos i angegeben; ein TuneiMch^ wurde sich wie ygänse^ ent-
wickelt haben; der einschub des t muss also alt sein' (F. 23,
anm. 8). In tvinter erscheint Verlängerung zu wffer in ei&em
kleinen gebiete zwischen Tuttlingen, Donau- und Neckarquelle
und zu wäfter in einem kleinen bezirke zwischen dem ober-
laufe der Donau und des Neckars, der Ostdor^ Bitz, Mess-
stetten und Erzingen als grenzorte hat (s. auch Birl.51. Bohnen-
berger, Alem. 24, 28).
§ 29. Dehnung vor chs mit ausfall der gutturalspirans
(F. 21 und karte 20). 'Soweit urspr. hs zu s geworden ist, ist
der vocal ohne unterschied ein- oder mehrsilbiger form ver-
längert: fläs 'flachs', ÖS 'ochs', bis 'büchse'. Das gebiet dieser
Verlängerung ist dem von köpf geographisch gerade entgegen-
gesetzt. Daraus geht hervor, dass die einwirkung der conso-
nanz von jenem allgemeinen prosodischen gesetz verschiedea
— und mit um so grösserer Sicherheit, dass sie wirklich vor-
handen ist.'
Am kleinsten ist das gebiet für ös: es umfasst den Ober-
lauf von Murg, Einzig und Nagold und das gebiet zwischen
letzterer und Enz. Ausgedehnter ist die Verlängerung Ms:
quellgebiet der Murg, Einzig und Nagold und beide ufer des
Neckars von Wittershausen bis Eirchentellinsfurt (unterhalb
Tübingen). Am verbreitetsten ist die länge wäs9: von der
oberen Murg zieht die grenze über die untere Nagold, südlich
an Stuttgart vorbei, überschreitet den Neckai* bei Mittelstadt
läuft von Zwiefaltendorf die Donau aufwärts, überschreitet sie
unterhalb Sigmaringen und wendet sich dann nach SO, den O
des Bodensees umfassend.
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DEHNUNO DER MHB. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 163
4. Bairisch-österreichiscli.
Quellen: Aug. Hartmann, Volkaschauspiele. In Baiern und Oester-
^ich-Ungam gesammelt. Mit glossar. Leipzig 1880. — M. Himmelstoss,
US dem Bairiscben wald, Bayerns mundarten 1, 61 fF. 239 ff. 362 ff. 2, 118 ff.
13 ff. 445 ff. — Yal. Hintner, Beiträge zur tirolischen dialektforschung.
er Deferegger dialekt. Wien 1878. — Job. Krassnig, Versuch einer
utlehre des oberkämtischen dialekts. Progr. von Yillacb 1870 (Kr. hat
Hein die ma. des mittleren Grailtales im äuge'). — M. Lex er, Kämt!-
lies Wörterbuch. Leipzig 1862 (s. viii— xiv gibt L. einen * tiberblick der
itverhältnisse'.) — R. v. Muth, Die bairisch-österreichische ma. Progr.
D Krems 1873. — Seb. Mutzl, Die bairische ma., Bavaria 1, 339—363.
Inchen 1860. — H. W. Nagl, Grammatische analyse des niederösterreichi-
len dialektes im anschluss an den 6. gesang des Boanad. Wien 1886. —
K. Noe, Beiträge zur kenntnis der ma. der Stadt Iglau, Frommanns maa.
!01 ff. 310 ff. 459 ff. — A. Prinzinger, Die baierisch- österreichische
kssprache und die Salzburger maa., Mitteil. d. gesellsch. f. salzb. landesk.
(1882), 178 ff. — J.Schatz, Die ma. von Lmst. Strassburg 1897. —
L. Schmeller, lieber die quantität im bairiscben und andern deutschen
ekten, Abhandl. d. bair. acad. 1830. — J. A. Schmeller, Die maa. Bayerns
nmatisch dargestellt. München 1821. — J. B. Schöpf , Ueber die deutsche
sma. in Tirol. Progr. von Bozen 1852—53. (Schöpf 1). — J.B. Schöpf,
lautlehre des oberdeutschen in der bairisch-österr. volksma. von Tirol,
nmanns maa. 3, 15 ff. 89 ff. — J.B. Schöpf, Tirolisches idiotikon. Nach
3n tode vollendet von A.J.Hof er. Linsbruck 18B6. — K. Weinhold,
ische grammatik. Berlin 1867.
§ 30. Mhd. kurzer vocal in offener silbe wird im bair.-
rr. dialekt stets gedehnt: göd *gott', hüder 'butter', stmer
imer'; s. Schmeller § 672. Mutzl343. Schöpf 2, 89 ff. Noö 206.
3snig 12. Schatz 109 ff. Weinhold § 7. 36. 43. 48. 51. 55. 57.
41 ; femer sehr zahlreiche belege bei Hartmann im glossar,
\j Lexer vm — xiv und in den übrigen angeführten werken;
len Bair. wald s. auch die einleitung zu Himmelstoss von
•enner in Bayerns maa. 1, 61 — 64; für den vorderen teil des
auntales gibt Hauser in den Forsch, z. d. land- u. volksk.
l — 386 belege.
} 31. Durch vocalsynkope in suffixen und flexionssilben
g-te ausnahmen kommen allenthalben yor, am häufigsten
rol und Kärnten; Tirol: härmnel, nepl 'nebel', doch auch
Kärnten: nägl 'nageP, ösl ^eseP, hünik *könig'; die für
im Obeiinntale Tirols geltenden kürzen s. bei Schatz 114.
ahlreich sind daneben die fälle, in denen der regelrecht
Qte vocal erscheint: sttfl, igl, höümdr *hammer' etc.
11*
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164 RITZERT
Im hauptgebiete sind diese (scheinbaren) ausnahmen sehr
selten; vgl. Weinh. 50: 'die zahl der heute erhaltenen kurzen a
vor einfachen consonanten ist sehr gering'; hierher zu zählen
sind vatevy hamer, kamer, in denen nach Schmeller 1, 755 die
Quantität schwankt. Kürze in vater finde ich ausser in Tirol
und Kärnten (s. unten § 33) nur noch bei Muth 16; bei Nagl
und Schmeller 2, § 672 hat das wort gedehnten vocal. — Nach
Weinh. s. 60 erhält sich vor m zuweilen die kürze e: nemmen,
hemmen (= 'nehmen, kommen'); für beide worte ist aber als
quelle nur Luterotti, Gedichte im Tiroler dialekt (Innsbruck
1848) gegeben, während Weinhold s. 65 selbst als allgemein
für den bair. dialekt geltend: gnömen, hörnen anführt. Be-
stätigt und ergänzt werden diese angaben durch eine der
neuesten dialektarbeiten; nach Schatz 114 haben beide Wörter
in Imst in allen formen die kürze, in der Umgebung aber ist
die dehnung durchgeführt. Auch die Salzburger ma. hat nach
Prinz. 193 löhemm^i, doch sumxi 'sommer'; femer gibt Hartm.583
hemmcT, Kurzes i findet sich nach Weinh. 61 in ^mlich, wider
adv.; leider fehlt genauere Ortsbestimmung.
Mutzl 343 hat als kürzen nur gettä 'götter', hlddl dim.
zu llad 'blatt', wetta 'wetter'; auch bei Noä findet sich nur
sehr selten kürze: schätirn, gleppn 'kleben', gibb'l u. a. Im
Bair. wald finden sich nach Bayerns maa. 1, 62 neben einander:
bred9r und bredaf 'bretter', wedQ^ und wecfof 'wetter'.
Wenn in einzelnen fällen mit stammhaftem t allgemeiner
die kürze erscheint wie in betn 'beten', schmitn, schütn, noten
pl. 'noten', drein 'treten' (vgl. zu letzterem Schatz 112), so
gehören diese ebenfalls zu diesem capitel. Vgl. Weinh. s. 293
und 311. Schatz 112.
In der verbalfiexion begegnet uns die alte kürze häufig.
Im ganzen gebiete findet bei stammen auf d oder t in der
3. sing, und 2. pl. praes. und bei den schw. verben in der 1.
und 3. sing, und 2. pl. praet. und im part. praet stets S3mkope
des flexionssilbenvocals statt, wodurch gemination mit kürzung
des vorvocals entsteht (Weinh. 290. 308). Nach p (6) und g
und h fällt in der 3. sing, und 2. pl. praes. t regelmässig ab,
der Stammauslaut wird verschärft, der stammvocal gekürzt
(Weinh.147. 290. 308; s. femer SchmeUer 2, § 675.678. Mutzl 361.
Lexer xiv. Nagl 26. Noö 319. 321. Schöpf 2, 102.. Prinz. 191).
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DEHNUNG DER HHD. KURZEN STAMMSÜLBENVOCALE. 165
Für die 2. sing, praes. sagt Weinh. 289: ^der endvocal
unterliegt der synkope'. Mit dieser erscheinung ist nach Nagl
s. 10 (§ 3. 4) kürze des stammvocals verbunden. Schöpf fasst
(2,102) alles hierher gehörige in den allgemeinen satz: 'tritt
in der flexion zu dem einfachen consonanten ein anderer, so
bleibt die kürze: i säg, aber du sägst, er sägt (und söt), g'sagt
(g'satty gsöt).
§ 32. Die erhaltung der kürze des vorhergehenden vocals
findet im bair.-österr. gebiete auch dann statt, wenn in der
composition oder im satzzusammenhange zwei verwante con-
sonanten sich anziehen und wechselseitig verstärken; s. Nagl
s.27: glös 'glas', aber glöffüas, Nagl hat hierüber sehr aus-
führlich in dem ungemein interessanten capitel 'assimilation'
gehandelt und den satz au^esteUlt (s. 10, § 3. 4), dass die in-
tensivität der consonantenaussprache mit der länge des vorher-
gehenden vocals in verkehrter proportion steht Während die
assimilation im worte stets kürze bedingt, da die die assimi-
lation hervorrufenden consonanten nie von einander getrennt
werden: sok aus sogt, gip aus gibt, leipa (mit kurzem diphthong)
aus Uiw'ta 'lebtag' — , hört man im satze überall auch die
nicht assimilierte form sprechen, trotzdem diese assimilationsart
im ganzen gebiete des bajuwarischen dialekts gebräuchlich ist
(a. a. 0. s. 26) — Zu dieser durch assimilation hervorgerufenen
lautlichen Veränderung gehört es, wenn v. Muth 16 sagt, der
bair.-österr. dialekt habe den hang, die im hochdeutschen lange
Stammsilbe zu verkürzen, und Weinhold 112, im bair. werden
(alle im gemeinen deutsch geschärften Stammsilben gedehnt,
und umgekehrt) die gedehnten geschärft; unser gesetz von der
dehnung in offener silbe wird durch diese assimilation nicht
alteriert
§ 33. Wirkliche ausnahmen von obigem gesetze begegnen
uns in den maa. von Tirol und Kärnten. Von Tirol gilt, was
Schöpf 1,8 sagt: 'einzelne ursprüngl. lautverhältnisse, manche
kürzen hat die ma. bewahrt'; femer s. 516: 'Oberinntal, besonders
aber Paznaun hat unverkennbar viel schweizerische elemente;
die ma. im Lechtal scheint den Übergang zum alem. zu bilden'.
Kürze vor t habe zahlreiche Wörter in Tirol: hrett und dim.
hrittl, statt, sitt 'sitte' (an der oberen Etsch und Eisack stt),
glatt, gesotten u. a.; neben krotfn steht kröt 'kröte'; andere
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166 RITZERT
haben nur länge: bot ^bote' u. a. (s. die beispiele bei Schöpf
und Hintner); nach Weinh.65 kommt im bair. auch boU vmd
hotten vor: ich finde die kfirze in diesen nirgends belegt.
In der erklärung der Verschiedenheit der quantität vor t
stimme ich Schatz 111 1 zu: das ^ war in inlautenden formen
zur zeit der dehnung anlaut der schwachtonigen silbe, so dass
der stammvocal schwachgeschnittenen accent hatte, die Vor-
bedingung der nhd. dehnung (Paul, Beitr. 9, 102). Der kleinere
teil der worter mit auslautendem t hat nun die dehnung aus
dem inlaut Übernommen; grösstenteils aber wurde die aus-
lautende kürze in den inlaut übertragen: got *gott', mit 'mit',
srit 'schritt', glgt 'glatt' etc. Die ma. (Imst) dehnte vor aus-
lautender verschlussfortis den vocal nicht, während vor aus-
lautender lenis die dehnung — m. e. in folge Übertragung ans
dem inlaut — eingetreten ist; vor auslautendem t aber wurde
der schwachgeschnittene accent gesetzmässig durch den stark-
geschnittenen ersetzt, wie die überzahl der betspiele beweist.
Oestlich von Imst erscheint die länge: mit, srit, ebenso im
Unterinntale von Telfs abwärts. S. auch Sievere, Phonetik*,
§ 792.
Auch in Kärnten erscheint nicht selten vor t kürze: göte
= 'pate', statt, väda (nur in Unter-K.) u. a.; im kämt. MöD-
tale, wo dehnung in weiterem umfange als im übrigen EL
stattfindet, aber blät 'blatt' u.s.w. (Lexerviii).
In Tirol und Kärnten erscheint auch einige mal vor d
kürze: T.: g^stätt 'gestade', jud 'Jude', röd neben red 'rede';
K.: lit, aber Udl 'glied', pät 'bad', wäde und wädl 'wade' u. a.
Anm. 1. Die Salzb. ma. (Pinzgan, Zillertal, Pongan, Brixent&l)
kennt kürze vor t nicht: väiida ^yater\ gada 'gatter\ sckrtd 'schritt'
(Prinz. 197 ff.).
Ausserdem ist in Tirol und Kärnten in manchen ein-
silbigen Wörtern die kürze erhalten; T.: bün < bune, toü
'tüchtig', müll 'mühle' u.a. (Schöpf 1, 11. Erklärung bei Heusler,
Conson. 13). — Für K. sind bei Lexer mehr hierher gehörige
fälle zu finden; in manchen tritt in den flectierten formen
die gesetzmässige länge ein: täk 'tag', aber pl. tage; gross
'gras', aber dim. gräs-l; friel 'mehl' und nielwik 'mehlig', hoff'
*hof' neben häuf u. a.
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN STAHMBÜiBENVOCALE. 167
Anm. 2. Nach ScbmeUer t, 755 ist die quantitftt schwankend in säl,
tcU, Schwan, blad, glas, gras; es fehlt zwar die angäbe, wo in diesen Wörtern
die kürze erscheint, doch hatte Schm. jedenfalls die eben genannten gebiete
im äuge.
§ 34. Als zweites hauptdehnungsgesetz gilt für unseren
dialekt mit ausnähme des südlichen Tirols und Kärntens, dass
der vocal in mhd. einsilbigen Wörtern vor doppelconsonanz
gedehnt wird. In der ableitung und flexion erscheint wider
die alte kürze; *die consonantenverstärkung (und die damit ver-
bundene schärfung des vorvocals) tritt ein, wenn eine endsilbe
folgt, selbst wenn sie aus einem unausgesprochen bleibenden
vocal bestünde' (Schmeller 2, § 403). Hiermit stimmt folgende
tatsache des Wenkerschen Sprachatlas: südlich der linie Lech-
mündung, Donau, Ingolstadt, Neumarkt, Eger hat der dativ
sing, tisch kurzen vocal, nördlich gedehnten (Wrede, Anz. 22,
325); femer gibt Brenner in Bayerns maa. 1,62 hros *ross',
aber dat. hros; weitere beispiele tU, pL tis; truz m., aber trutzeg;
stüg 'stück', pl. ebenfalls stüg, da auf mhd. einsilbige neben-
form zurückgehend (s. Schmeller 2, §691; ferner § 111.115.
116. 422. 453. 457. 508. 617. 640. 665—667. 690. Weinhold § 7.
36. 43. 48. 51. 55. 57. 61. Mutzl 343. 345. 351. Noe 208. Nagl
442 (§ 10. 12). 358. Bayerns maa. 1, 62 ff.; femer zahlreiche bei-
spiele bei Hartmann). Wie weit die Salzburger ma. beteiligt
ist, vermag ich nicht genau zu bestimmen; Prinz, hat wol
tvütj^cht 'wurst', schautz 'schätz', sauk 'sack' u. a., aber rock,
köpf u. a.
In Tirol zeigt das gesetz erst von Telfs abwärts nach Hall
und um Innsbrack seine Wirkung (Schöpf 2, 90 ff.); doch hat
die Imster ma. in einer reihe von Wörtern mit auslautender
spirans-fortis den kurzen vocal gedehnt: grif'gnft\ pis^\>is»\
st%x 'stich' u. a. (Schatz 109 f.). Nach karte 1 in Fischers atlas
setzt sich die linie für köpf: köpf, die bei Epfach den Lech
fiberschreitet, in südöstlicher richtung fort bis Ohlstadt an
der Loisach (der weitere verlauf ist nicht mehr zu sehen):
der Oberlauf der Loisach hat also keinen anteil. Für wind
ist die grenzlinie bis zur Isar verzeichnet: im S der linie
Epfach, Wessobrunn, Loisachmündung gilt kürze. — Ton den
maa. Kärntens gehört das Mölltal hierher: hond 'hand', nit
'nicht'; Lexer viii.
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168 RITZERT
§ 35. Ausnahmen des vorstehenden gesetzes finden sich
bei bestimmten consonantengmppen:
a) Fast allgemein unterbleibt die dehnung vor urspr. hs
= ks : flachs, fuchs; Schmeller 2, § 423; auch Nagl gibt bei-
spiele dieser art; s. femer Bayerns maa. 1,62.
b) Zuweilen lautet im ostlechischen dialekte am ende
gewisser nicht flectierten formen fs wie ff : haff nuff (Schm.
2, § 648. 194).
c) Nach Schm. 2, § 666 bewahrt sdi in einigen unflectierten
formen den scharfen laut: falfch, hirfch.
d) In Niederösterreich tritt vor n/s nur in wenigen fällen
dehnung ein: schtväunsf, pl. schwane; 'die dehnung wird durch
consonantenverhärtung, die hier durch consonantenhäufung be-
dingt ist, verhindert'; ^ntf ist von dauernder inhärierender
schärfe'.
Anm. 1. In Niederösterreich bleiben nomina auf sd imd chd 'am
liebsten' auch im pl. ungeschärft: /pechd, pl. fpichdn; lösd, pl. lösdtij aber
niisd, pl. neifda; doch behalten diejenigen, die ein historisches e verloren
haben, scharfes -ß: grift 'gerüste' (Nagl 195), wie überhaupt alle mhd. nicht
einsilbigen Wörter kurz bleiben, wenn sie auch im dialekte einsilbig er>
scheinen (Nagl 442, § 12).
Anm. 2. Hin und wider kommt es vor, dass die quantität des nom.
sing, in flectierte formen eindringt; s. Schmeller 2, § 640: g'tvis 'gewiss' und
zuweilen auch 9 g-wisf, 9n g-toim ; Bayerns maa. 1, 62 für den Bair. wald :
khrefdn * kraft und kräfte', kkrifdig.
§ 36. Einen weitgehenden dehnenden einfluss auf den
vorausgehenden vocal haben im bair.-österr. dialekte die li-
quiden l, r und die nasale m, n, v (s. Schmeller § 542. 627. 555.
568. 613. Nagl 27. 442). Nach beiden forschem sind diese laute
einer Verstärkung fast nicht fähig, so dass meistens die gemi-
naten II etc. wie einfache laute ausgesprochen werden 'und
also den vorhergehenden vocal nicht schärfen' (Schm. 2, § 111).
Beispiele: fällen; täUa sing, und pl. 'teuer'; pfoarä 'pfarrer',
pl. pfära; Um 'lamm'; khavTl 'kännlein'; pfainiv 'pfennig'.
Belege zu dieser erscheinung geben auch die übrigen quellen.
Schm. macht in den citierten paragraphen die bemerkung,
dass diese 'eigenheit' von eingeborenen auch auf die ausspräche
des schriftdeutschen übertragen wird.
In der Imster ma. ist nur in der lautgruppe -irr vocal-
dehnung eingetreten: iord 'irren', Icsidr 'geschirr' (Schatz 114);
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBBNVOCALB. 169
ausserdem noch in möü ^mann', f^l 'feir (auch im pl. f^r)
und kxroüm ^krampf (mhd. hrcm, gen. krammes); s. Schatz 113.
§ 37. Für die niederösterreichische ma. haben auch die
Verbindungen liquida und nasal + consonant dehnenden ein-
fluss, besonders v vor Je und l vor dental- und palatahnuten
(s. Nagl 358): gedävkä pl. 'gedanken', zaumhöMn ^zusammen-
halten', kholldar comp, zu khöUd; aber böllg 'balg', pl. bdllJc u.a.
Die hierher gehörigen Verbindungen r + consonant be-
wirken fast regelmässig vocaldehnung: khoutc 'korb', pl. kheaw;
steam 'sterben'; ^adn 'garten' — nicht aber gewöhnlich r + k
(Nagl 112) und r + spirans (Nagl 358): stoak 'stark', schmeas
'schmerz'; in Wien auch nicht die Verbindung rt (Nagl 71),
während der Neunkircher dialekt vor rt nur selten kürze hat
wie in gdtn 'gerte'; neben fiadi 'fertig' steht fmdi, das die
jetzt gebräuchlichste form ist (Nagl 81).
Dagegen hat in Niederösterreich nd die neigung zur
härtung im Inlaute (Nagl 419), d, h. nur im pl. der auf -nd
auslautenden Substantive und in allen formen der starken
verba (Nagl 358): sind 'sünde', aber pl. sintn-, fintn 'finden';
eine anzahl hat aber auch in mehrsilbigen dehnung: haünd und
pl. handay länd und dim. ländl (s. hierzu Nagl 421).
An DL Das bairische sfidlich der Donau, femer im Bair. wald und am
oberen Hegen, veremzelt an der Altmühl, hat monillierung des l: soiz ^salz\
Die grenze dieser erscheinnng im W bildet der untere Lech und dann eine
linie, die nOrdUch an Augsburg vorbei nach SO zieht zwischen Ammer-
und Würmsee durch, um westlich von Mittenwald die reichsgrenze zu
treffen; s. Wrede, Anz. fda. 19, 102. Schmeller § 523—525.
Ob die durch die Verbindungen von liqu. oder nasal +
cons. bewirkten längungen für weitere gebiete giltigkeit haben,
vermag ich nicht zu entscheiden, da aus den vereinzelten bei-
spielen der mir vorliegenden arbeiten sichere Schlüsse nicht
zu ziehen sind. Nur was die Verbindungen von r + cons. be-
trifft, lässt sich noch folgendes sagen.
Die Wortsammlung aus dem Bair. wald in Bayerns maa. 1
und 2 von Himmelstoss hat sehr zahlreiche beispiele mit länge
vor r + cons.: dü9md 'türmer', fafln 'ferkel werfen', fi^r^
, ferse' u. a.; selten ist der vocal kurz: gärt 'gerte', nieorkd'
'merken'.
In Tirol und Kärnten findet häufig vor r + n vocaldehnung
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170 RITZEBT
statt: gärn, turn Hurm' und pl. Um u. a.: vor r + t,d haben
in Tirol die meisten Wörter kürze, nur einige auf mhd. a und e
sind gedehnt: drt *geschlecht' und ärtlich, erd'n 'erde*, hird <
hert m.; allgemein wear 'werde'; auch oart 'ort' und pl. earter,
woa/rt und dim. wertl.
Für Imst gilt dehnung des i vor r + dental, cons., des e
vor r + dentaler lenis und des o vor r + dental; vereinzelt
sind ^t 'art', ts^t 'zart', f^t (aber förtig), 0rs, k^öirtsQ 'kerze',
möirts, kföirt 'fahrzeug', gepürt 'geburt' (s. Schatz 114 f.). Die
maa. westlich von Imst haben e und i auch vor r + lab. und
gutt. cons. gedehnt (s. Schatz § 40. 43).
Die dehnung vor r + consonant ist mithin nach den ein-
zelnen vocalen und consonanten in der einzelma. wie unter
den verschiedenen maa. Tirols eine verschiedene; ebenso ist
es in Kärnten. Im kämtischen Gail- und Drautal erscheint
vor r + cons. aber häufiger die länge (s. Lexer ix); ebenso im
MöUtal; im Lavanttal wird r und der ihm vorausgehende vocal
gedehnt gesprochen (s. Lexer xii).
§ 38. Als einzelheiten erwähne ich noch folgendes:
a) In Niederösterreich ist vocaldehnung vor ck eingetreten
in bügl 'buckel', wogin 'wackeln', mga 'zucker' u. a.; femer
vor tj3 in mizn 'mutze' und Jclejsn schw. m. = 'gedörrte obst-
spalte'. Vereinzelt kommen diese fälle auch sonst vor; so hat
Kärnten spotze und dim. späijsrl 'spatz'; für Iglau gibt Noe bukt.
b) Vor doppelspiranten ist in der kämtischen Gnesau
dehnung eingetreten; vgl. Lexer in s. überblick: gsess'n, ess-n,
trefn. Nach Prinz. 182 findet sich diese erscheinung auch in
einem 'teil von Kärnten' und in dem Salzb. Lungau: ees'n
'essen', waasa 'wasser'.
In diesen fällen lag bei eintritt der dehnung keine gemi-
nation mehr vor, so dass der vocal im silbenauslaut stand;
dieselben sind deshalb principiell wie die in § 30.
5. Ostfränkisch.
Quellen : H. Bauer, Der ostfränkische dialekt zu Künzelsau, im Wir-
temberg. Franken, Zs. d. bist. ver. f. d. wirt. Franken 6, 3 (1864), 369 ff. —
0. Felsberg, Die Koburger ma., Mitteilungen der geogr. gesellschaft zu
Jena 6 (1888), 127 ff. — E. Fentsch, Die oberpfälzische ma., Bavaria 2,
abt. 1 (München 1863), 193—217.. — C.Franke, Die unterBchiede des ort-
fränkisch-oberpfälzischen u. obersächsischen dialekt», Bayerns maa. 1, 19—36,
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN STAHM8ILBENV0GALE. 171
261—290. 874—389 und 2,78—93. 31^—343. — G.K. Frommann, Gram-
matischer abrifls der Nürnberger ma., in J. W. Weikerts Ausgew. gedichten
(Nürnberg 1872), '289 if. — G.K. Frommann, Kurze grammatik der Nürn-
berger ma. und Glossar zu Grübeis sämtlichen werken (Nümb. 1873), 221 ff.
(ich eitlere letztere arbeit, da sie die ausführlichere ist). — E.G opfert.
Die ma. des Sachs. Erzgebirges. Leipzig 1878. — H. Gradl, Die maa. West-
böhmens, Bayerns maa. 1, 81—111. 401—444. 2, 95—117. 207—242. 364—383,
auch sep. München 1895 (Gradl hat ausser zahlreichen beantwortungen von
umfassenden fragebogen in seiner arbeit die literarischen erscheinungen
benutzt, die die maa. Westböhmens betreffen; es sind dies u.a.: Ig.Petters,
Bemerkungen über deutsche dialektforsch, in Böhmen, Prag 1862, und An-
deutungen zu einer Stoffsammlung in d. deutsch, maa. Böhmens, Prag 1864;
J. Naasl, Die laute d. Tepler ma., 1863; P, Mannt, Die spr. d. ehem. her-
schaft Theusing, Pilsen 1886; J. Neubauer ^ Ein beitrag z. erforsch, d. Eger-
länder ma., 1889; Jos.Köferl, Der polit. bezirk Tachau, 1890; femer seine
eigenen abhandlungen in der Zs. f. vgl. sprachf. 17. 18 [Zum ostfr. vocalis-
mus], 19 [Der ostfr. dialekt in Bhm.] und 17. 19. 20 [Zur künde deutscher
maa. (ostfränkisch)], sein Egerländisches Wörterbuch, 1883, u.a.; s. Bay.
maa. 1, 108). — Haupt, Die ma. der drei Franken, Bavaria 3, abt. 1, 191 ff.
— R. Hedrich, Die laute der ma. von Schöneck im Vogtlande. Leisniger
Progr. 1891. — 0. Heilig, Beiträge zu einem Wörterbuch der ostfr. raa.
des Taubergrundes. Heidelberger progr. 1894 (ausserdem habe ich von herm
prof. 0. H., der demnächst eine grammatik der maa. d. T. herausgibt, brief-
liche mitteilnngen über d. dehnungserscheinungen seiner ma.). — L.Hertel,
Die Greizer ma., Mitteilungen der geogr. gesellsch. zu Jena 5 (1887), 132 ff.
— 0. Hertel, Die Pfersdorfer ma. (bei Hildburghausen; manuscript). —
E. Reichhardt, E.Koch und Th. Storch, Die Wasunger ma., in den
Schriften des Vereins für meiningische geschichte u. landeskunde, heft 17
(Mein. 1895). — J.B. Sartorius, Die ma. der Stadt Würzburg. Würzburg
1862. — Aug. Schleicher, Volkstümliches aus Sonneberg im Mein. Ober-
lande. Weimar 1858. — A.Stengel, Beitrag zur kenntnis der ma. an d.
Schwab. Bezat und mittl. Altmühl, Frommanns maa. 7, 389 ff. — B. Spiess,
Die fränkisch-hennebergische ma. Wien 1873. — Für das wtirttemb. und
bair. Ostfranken wurden femer benutzt: H.Fischer, Geographie d. seh wäb.
ma. und J. A. Schmeller, Maa. Bayerns. München 1821.
§ 39. Mhd. kurzer vocal in offener silbe wird im ostfr.
stets gedehnt: schltten, Jcete 'kette', geUten, häm^ *hammer'
(s. Fentsch 193. Frommann § 29. 30. 32. 34 49. Heilig, briefl.
mitt. 0. Hertel 32. Haupt 252. Gradl in Bay. maa. 2,209. Hed-
rich 11. L. Hertel 136. Felsberg 128. Schleicher 25. Göpfert 19.
20. Fischer § 13. Schmeller § 111). In den übrigen genannten
quellen sind die belege zerstreut; im bes. verweise ich auf
Franke, der in Bay. maa. 1, 28 ff. zahlreiche beispiele aus dem
ganzen gebiete gibt.
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172 RrrzEftT
Wo durch abfall der endconsonanz der vocal auslaotend
wurde, ist lautgesetzlich dehnung eingetreten; dieses gilt
namentlich für -n fast im ganzen gebiete: bi 'bin' (im TogtL
bin, bei Gradl und Schleicher aber bin); ki 'kinn' im Henne-
berg; dd *denn' im Erzgeb.; ö 'ab': Bhön, Wurzbui^, Ebrach,
Bamberg, Vogtland; ü- = un- u. a. (s. Franke 34 — 36. Gradl
210. L.Hertell43. Felsberg 140).
In manchen fällen ist auch vor urspr. doppelconsonanz
der vocal in offener silbe gelängt; dieses war aber erst mogr-
lieh, als durch consonantenausf all einfache consonanz entstanden
oder die geminata vereinfacht war, so dass hier derselbe fall
vorliegt wie oben. Hierher gehört tvüner 'wunder' in Ochsen-
furt in Unterfr. und in Eger, simln 'schimmeln' in Theusing
< ahd. scimbaUn (aber schon mhd. schimelen); risl 'rüssel' in
Welletschin (Böhmen); bügl 'buckeP in der Tepler ma.; wogein
im Erzgeß.; femer vor z {tz) allgemein in den maa. West-
böhmens in ädsn 'zu essen geben', stridsl 'gebäck', hüdsl (< Äa-
tzele\ ätidsn (< stütze) 'traggefäss' (s. Gradl 211). Vor tz er-
scheint vocallänge auch sonst in vereinzelten fällen; s. die-
selben bei Franke 29 ff. Hedrich. Spiess.
§ 40. Die vorkommenden abweichungen sind mit aus-
nähme eines falles nur scheinbare. Dieser fall betrifft einige
Wörter mit l, die im hennebergischen, in Sonneberg (Schleicher
s. 26), Bamberg, Schöneck und teilweise in Westböhmen (Gradl
s. 212) kürze haben: fil 'viel', spil 'spiele' und dazu spilerm^
suln 'sohle', dol 'toll'; in Henneberg auch in koln 'kohle', rut-
kele 'rotkehlchen' u. a.; für Schöneck ist es ausserdem bezeugt
in huln 'holen', Tcstuln 'gestohlen', wul 'wol'; für das Erzgebirge
finde ich huln belegt. — Fast ausschliesslich haben wir es
also in diesen fällen mit kurzem i und o zu tun; femer ist
beachtenswert, dass nur der nördliche teil des gebiets die-
selben kennt.
Vereinzelt erscheint die kürze in einsilbigen Wörtern, so
öfter in gott 'gott' (schriftsprachlicher einfluss); ferner sind
bezeugt für das Erzgebirge bin sg. und pL 'biene', grab 'grob',
stod 'Stadt'; für Schöneck per 'bime' (auch in Greiz), hAnv
'hahn', mät 'matt' u. a. Gradl gibt für Westböhmen matt,
trup (< trupe). In Künzelsau erscheint hier häulSger die kürze
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 173
t ^bote', satt, red neben re^d *rede', grab 'rabe' u. a.; s. Bauer
596; 'manche einsilbige werden geschärft'.
Das adverb weg, das wie in allen dialekten auch in Ost-
nken wegen des stets mit ihm verbundenen energischen
:entes vocalkürze hat, erscheint in Triebel und Schönbrunn
Vogtland mit langem i (Franke 31).
§ 41. Die oben erwähnten scheinbaren ausnahmen nun
reffen eine nicht grosse anzahl mehrsilbiger Wörter auf
und -er, seltener auf -en oder andere suffixe, in denen
h erfolgter vocalsynkope in den endungen der stammsilben-
al nicht in den silbenauslaut zu stehen kam. In einigen
i. ist die zahl dieser 'ausnahmen' sehr gering, wie z. b. in
stböhmen, wo die kürze nur in fättar *vater' (städtisch),
r 'adler' (Theusing), heffm 'hefe' (Eger, aber anderwärts
^), nemma 'nehmen' (fast allgemein), kUbbm 'kleben', summar,
nl, Ichummad (< komat) erscheint (in den drei letzten wör-
nimmt Gradl vordringen schriftsprachlichen gebrauches an);
so selten sind die 'ausnahmen' im Erzgebirge, in Sonne-
, Pfersdorf, Henneberg, Nürnberg (Fromm. § 8. 30 a. 32. 45).
Im W des gebietes treten diese kürzen wol etwas zahl-
ler auf (s. Bauer 374 und 396; auch Heilig bestätigt es),
bleiben sie in der minderheit gegenüber den regelrechten
m ; zudem zeigt sich, dem wesen dieser analogiebildungen
»rechend, ein schwanken der quantität in der ma. wie in
barmaa.; nach prof. Heiligs mitteilungen heisst im Tauber-
i das participium gride 'geritten', filetiert aber hat es
»s i; gridinor; in Künzelsau stehen wider und zuwtd^h-
\ einander, im Erzgebirge owr und owr u. a.
^Venn die stadtmaa. häufiger kürze haben und zwar vor-
lich in solchen Wörtern, die auch im nhd. dieselbe zeigen,
n Sattel, sommer, donner, so muss sicher schriftsprachliche
Sussung angenommen werden; beispiele bei Sartorius,
rtel, Felsberg, Hedrich.
TnterbUeben ist die dehnung femer im ganzen gebiete,
Bn erst durch vocalsynkope entstandenen geminaten bei
3rbeii auf t und d und ebenso vor den auf gleiche weise
ndenen doppelconsonanzen bei den verben, deren stamm
rschlusslaut ausgeht (s. Gradl 212. Stengel 394. Felsberg
ledrich 12, /. Schleicher 57. 58. Göpfert 80. 81. 85. Fromm.
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174 RITZEBT
§ 24. 29. 30a. 33). Beispiele: ret 'redet, redete'; g9ret 'geredet',
retn 'redeten', reist 'redest, redetest'.
§ 42. Im gesammten ostfräokisdieii gebiete ist in mhd.
einsilbigen Wörtern vor doppelconsonanz dehnnng eingetreten.
Bei antritt einer flexionssilbe oder ableitnng tritt die alte
kurze wider ein, s. Gradl 210. Spiess 14. 15. Hedrich 11. Haapt
252. Felsberg 129. 132. Fentsch 193. Stengel 390. Schleicher 25.
Göpfeit 20. Schmeller § 111. 117. Fischer § 14. Fromm. § 18.
30. 32. 34. 40. 43. 44. Bauer 396. Noö 208. Sil. 0. Hertel und
0. Heilig bestätigen das gesetz für ihre maa. Franke gibt in
Bay. maa. 1, 29 ff. sehr zahlreiche beispiele aus dem gesammt-
gebiete. Sartorius hat nur wenige beispiele: einmal bietet er
in seiner Sammlung wesentlich 'städtische ausdrücke' und dann
bezeichnet er auch die quantität nur selten. Vgl. femer die
grenzbestimmung für yocaldehnung in mann bei Wrede, Anz.
f da. 19,201; dieselbe stimmt im wesentlichen mit der für das
ostfränkische (gegen das thüringische und obersächsische) Yon
Hertel und Franke gegebenen grenze überein.
Anm. In solchen Wörtern, die erst durch nnterdr&cknng eines älteren e
einsilbig geworden sind, ist die dehnnng unterblieben: ko8t<iho8tt, bett
-< bette; hierher zu zählen sind auch die dialektischen nominatiTformen,
die urspr. gen. dat. sg. waren: hent *hand\ benk 'bank'.
§ 43. Während dieses gesetz im hauptgebiete fast aus-
nahmslos wirkt, gilt es für die nördlichen maa. Henneberg,
Kersdorf, Koburg, Sonneberg, Schöneck, Erzgebirge wol auch
als regel, doch finden sich hier nicht selten ausnahmen (in
Greiz am nördlichen rande des ostfränkischen wirkt es über-
haupt nicht; hier ist nach L. Hertel 'kurzer vocal vor doppel-
consonanz erhalten^). Beispielsweise hat Henneberg kürze vor
rm und r»; femer vor cht (aber knächt), ft und in anderen
Wörtern; in Sonneberg steht ort, hom u.a. neben tcirt, htm;
auch in Westböhmen steht vor chs, cht, ft, st und ähnlichen
harten consonantenverbindungen 'häufig auch' kurzer vocal
(Gradl 212). Vor chs bleibt die kürze ausserdem in Henne-
berg, Sonneberg (hier hat allein flooss 'flachs' länge), an Sezat
und Altmühl und im Taubergrund; doch haben verschiedene
nachbarmaa. des letzteren langen vocal: Sgä 'dachs', ßgs
'flachs' (nach Heilig).
In der regel sind ausnahmen im hauptgebiete sehr selten
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOCALE. 175
und erklären sich dadurch, dass die betr. Wörter nicht urspr.
mundartlich sind, oder dass die quantität der flectierenden
formen den sieg davon getragen hat (wie z.b. auch in swam
im Taubergrund), oder aber, dass das wort in Verbindungen
erscheint, in denen es nicht den hauptton trägt: -fach] femer
'bcuA in Ortsnamen u. a.
§ 44. Ursprünglich hatte der dativ obiger Wörter (§ 42),
trotzdem er frühzeitig einsilbig war, die kürze bewahrt. So
ist es noch im westböhmischen, wo kürze 4n allen flexions-
formen' gilt (Gradl 211). Im grössten teile des gebietes hat
jedoch jetzt auch der dativ gelängten vocal. Ein schwanken
zeigt sich in der Wasunger ma.; heute ist aber die gedehnte
form vorwiegend im gebrauche; die ursprüngliche kurze ist im
absterben (s. Reichardt 110); doppelte formen haben in Wa-
sungen u. a. sach, griff, knöpf, kämm, wdld. Auch bei Spiess
finde ich nur drei beispiele mit kurzem vocal: wall dat. zu
*wald', fas8 neben fäss, (bä) desch (*bei) tische' (a.a.O. 50).
Wie mir femer prof. Heilig mitteilt, gilt die kürze im dativ
für den Taubergrund nur für stall, wall *wald' und fall.
Die übrigen ostfränkischen dialektarbeiten haben weiteres
hierher gehöriges material nicht angegeben, doch leistet Wen-
kers Sprachatlas willkommene hilfe: s. die berichte Wredes
über die dative von tisch (Anz. 22, 325), luft (Anz. 19, 278) mid
feld (Anz. 19, 285). Hiemach gilt im dat. tisch langer vocal
in einem grossen mittel- und oberdeutschen bezirke, den man
ganz ungefähr abgrenzen mag gegen NW^ durch die linie
Wasungen, Meiningen, Fladungen, Nordheim, Tann, Fulda,
Schlüchtern, Brückenau, Steinau, Salmünster, Orb; gegen W
durch die Verbindungslinie Orb, Eberbach a. N., Löwenstein,
Weilheim, Ehingen, Füssen; gegen 0 durch den Lech, die Donau
bis Ingolstadt und etwa Ingolstadt, Neumarkt, Eger; gegen NO
durch Thüringerwald und Frankenwald, von dessen südostende
aus I noch die reichsgrenze längs den abhängen des Erz-
gebirges begleitet. Ausser dem NO des schwäbischen dialekts
hat also auch der grösste teil des ostfränkischen im dat. tisch
langen vocal. — Für dat. luft wird gedehnter vocal seltner
von der oberen Pegnitz bis zum Fichtelgebirge, häufiger zwi-
schen diesem und dem Erzgebirge überliefert; dann aber über-
wiegt luft im gi*ossen schwäbisch-fränkischen gebiete, das gegen
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176 RTTZERT
S zwischen den unterlaufen von Hier und Lech begfinnt, gegen
NO von Donauwörth bis zum Mittelmain, gegen SW von Ulm bis
Stuttgart, Adelsheim, Miltenberg sich ausdehnt; endlich ist am
Frankenwald huft bezeugt. — Gedehntes e im dat. feld findet
sich namentlich östlich der Rhön, im meiningischen, sowie im
länglichen streifen vom Spessart südöstlich auf die Lech-
mündung zu.
Aus diesen belegen ergibt sich, dass die dehnung im dativ
nicht auf die oben genannten orte beschränkt geblieben ist
Es darf aus ihnen und den oben gegebenen tatsachen ge-
schlossen werden, dass der ganze Singular der einsilbigen nomina
auf doppelconsonanz im grössten teile des ostfränkischen ge*
dehnten vocal hat.
Wie weit damit Gradl (s. oben) in Übereinstimmung zu
bringen ist, vermag ich nicht zu entscheiden; Gradl spricht
ausdrücklich 'von allen flexionsformen'; immerhin ist auffallend,
dass in den nhd. Übersetzungen der dialektformen mit kurzem
vocale so weit ersichtlich nur der plural angegeben ist: napf
'näpfe', niemals der dativ.
Wenn übrigens die herausgeber der Wasunger ma. ver-
muten, dass die vocaldehnung im dativ dadurch veranlasst
sei, dass das flexions-e hier eher abgefallen sei als bei den
pluralformen, so liegt gar kein grund zu dieser annähme vor:
wir haben es einfach mit einer ausgleichung nach der nom.-
acc.-form zu tun.
§ 45. Vereinzelt kommt auch in flectierten formen der
Wörter auf r + cons. dehnung vor, jedoch so selten, dass im
ostfränkischen von einem dehnenden einflusse dieser lautver-
bindungen keine rede sein kann. In den wenigen fällen dieser
art haben wir es mit ausgleichungen nach dem nom. zu tun.
Prof. Heilig gibt zwei beispiele: dsSdrddr 'zarter' und i9rdB
'arten'. Reichardt und Spiess: hart 'bärte' und dim. härdU,
aber hf&rU, dim. zu hfär 'pferd'. Dehnung findet sich femer
in ferse an mehreren orten, im Taubergrund auch in d69rh
'salatstengel'; Heilig setzt für beide mhd. *veresen und *torese
an: liegt aber nicht vielleicht analogiebildung nach den ein-
silbigen auf -rs oder aber beeinflussung des nahen rheinfr. (s.
unten § 51) vor? — Auch in der Wasunger ma. erscheinen
einige zweisilbige Wörter mit rs mit langem vocale: fnü9rM
'mörser' u. a., aber gärSdd 'gerste' u. a.
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BEHXÜKG DBB MHD. KUBZBN STAMMSILBENVOCALE. 177
Nicht selten sind im ostfränkischen einsilbige Wörter durch
svarabhaktivocal zweisilbig geworden. Es liesse sich die deh-
nung in diesen also auch auf grund der hierdurch entstandenen
offenen silbe erklären. Heilig lässt die frage offen: ich ver-
neine sie, da einmal in anderen ostfränkischen maa. (Stengel
s. 390) der plural trotz svarabhakti küize behalten hat: bölich
*balg* und pl. bdlich, ardm *arm' und pl. drdm, und anderer-
seits in anderen ostfränkischen maa. in bestimmten Wörtern
trotz svarabhakti auch der Singular keine dehnung erfahren
hat: Schleicher 26: holich 'balg', kolich 'kalk'; Spiess: wolef
'wolf ' u. a.; auch Stengel hat wurem sing., sturem sing. Beide
fälle ergeben also, dass die svarabhaktientwickelung junger ist
als die vocaldehnung.
§ 46. Als vereinzelt auftretende dehnungserscheinungen
sind folgende zu nennen:
a) Dehnung vor nasal Verbindungen, die sich auf alle
flexionsformen erstreckt, kommt an der Werra vor; beispiele
bei Spiess und Reichhardt; das nähere s. unten § 75.
b) Ebenfalls an der Werra kommt — wie im angrenzen-
den südwestthüringischen — dehnung vor altem -st vor: bei-
spiele bei Spiess und Eeichhardt: ast 'ast' und pl. est, dim.
esdl9\ fast 'fasten' u. a.; aber Idst 'last', bäst 'beste' u. a.
c) Ferner wird hier a vor U auch in mehrsilbigen Wörtern
gedehnt: sdlzh, dim. zu salz u. a.
d) In den maa, Westböhmens tritt vor U, rr regelmässig
in ein- und, wenn die zweite silbe ein altes e (nicht aber
andere vocale) barg, auch in zweisilbigen vocaldehnung ein:
dl 'alle', Ul 'schall' und säln 'schallen'; bei rr tritt der Über-
gang eines oder beider r in a ein: iar 'irre', sdqrn 'scharren'
(Gradl 210). — Nach Haupt hat auch Weischenfeld in Ober-
franken när < narre, die Oberpfalz erfUU] für das Erzgebirge
verzeichnet Göpfert 20 u. a. krdln subst. und verb.; Franke
gibt a.a.O. 30 ff. verschiedene beispiele dieser art von ver-
schiedenen orten Ostfrankens.
6. Eheinfränkisch.
QneUen: E. David, Die Wortbildung der ma. yon Krofdorf (bei
Giessen), Genn. 37, 377 ff. — E.Dittmar, Die Blankenheimer (bei Bebra)
ma., Jenaer diss. 1891. — K. Hessel, Kreiznach is tmmp! Localschwank.
Beitrage rar gesohiohte der deatschen spräche. XXIH. ]2
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178 BITZERT
Mit einer abhandlnng Über Krenznacher art und ma. n. einem w5rterbach.
Kreuznach 1892. — J. Kehrein, Volkssprache n. volkssitt« in Naasan.
3 bde. Bonn 1872. — J. Leidolf, Die Naunheimer ma. (bei Wetel&r).
Jenaer diss. 1891. — Ph. Lenz, Der Handschuhsheimer dialekt. 1. Kon-
stanz 1887. Nachtrag (2), Darmstadt 1892. — J. Salzmann, Die Hersfelder
ma. Marburger diss. 1888. i— L. Schandein, Gedichte in Westricher ma.
Stuttgart 1854. — L. Schandein, Ma. der Rheinpfalz, Bayaria4, 2. abt.,
217 ff. — W. Victor, Die rheinfr. Umgangssprache in und um Nassau.
Wiesbaden 1875. — A. Vilmar, Idiotikon von Kurhessen. Marburg und
Leipzig 1868. — t. Pf ist er. Mundartliche und stammheitliche nachtrft^
zum idiotikon von Hessen. Marburg 1886. — v. Pfister, Ergänzungshefte
zum idiotikon Ton Hessen. Marburg 1889 und 1894. — G.Volk, Auf der
Ofenbank. Erzählungen in Oden wälder ma. Offenbach 1892. — H.Breanigr,
Die laute der ma. von Buchen. Progr. von Tauberbischofsheim 1891.
Anm. Die maa. der orte Bischofsheim bei Mainz und Eberstadt bei
Darmstadt sind mir genau bekannt. Ich habe sie deshalb mit zur ver-
gleichung herangezogen und citiere sie mit Bisch, und Eh.; femer habe
ich auf erkundigungen bei bekannten hin zuverlässige angaben aus den
Ortschaften des kreises Homberg (bez. Ca^sel), aus Merxhausen (bei Fritzlar),
Erxhausen im kreise Botenburg (Fulda) und Rod (bei Weilburg) erhalten.
die ich ebenfalls mit verwerte.
§ 47. Im rheinfränkischen ist im allgemeinen mhd. kurzer
vocal in offener silbe gedehnt worden.
Da in keinem der genannten werke ausser bei Breunig
(s. unten § 55 e) der quantitative lautwandel zum gegenständ
einer besonderen betrachtung gemacht worden ist, vermag ich
nicht auf beweisstellen hinzuweisen; zahlreiche beispiele aus
allen rheinfr. maa., wie folgende aus Handschuhsheim: fqn9
^fahne', lard m. 'laden', wewd 'weben', sä^d 'sagen' u.v.a.,
ergeben die richtigkeit des obigen satzes, der auch für die
mischmundart von Buchen gilt trotz Breunig 25.
§ 48. Zahlreich sind in Rheinfranken die scheinbaren
ausnahmen, die durch vocalsynkope in sufftxen verursacht
werden, vornehmlich im S (s. Lenz 1, 11. Hessel 65. Schmeller,
Die maa. Baiems § 439 [für die Rheinpfalz], Schandein 2, 234 ff.)-
Mit wenigen ausnahmen erscheint der vocal kurz, wenn der
stamm auf m, n schliesst: nem9 'nehmen', hamv 'hammer' etc.;
ferner vor liquiden, Spiranten und medien: hob 'holen', tcetcv
'weber', hewl 'hebel', of9 'ofen', Swefl 'schwefel', besom 'besen*,
glesv pl. zu glas, wagd 'wagen', gewd 'geben', gliro pl. zu gltd
u. V. a. Im Westrich (der grösseren gebirgigen hftlfte der
Rheinpfalz) begegnet die kürze seltener (Schandein 2, 233):
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DEHiniNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 179
ve ^ofen' u. a.; dasselbe gilt für die maa. von Bisch, und Eb.;
imerhin sind die fälle mit kürze hier noch zahlreich. Auch
r N hat häufig die ursprüngliche kürze, doch wider seltner
i die mitte des gebiets; so haben Homberg, Hersfeld, Blanken-
im, Merxhausen, Erxhausen, Naunheim und Rod wol hifn9l,
ni9r, sonm u. a. auf m, aber hämor, hämdl, dämdrn (Kod in
zterem kurzen vocal). Für das schwanken der quantität
den fällen dieser art seien nur einige beispiele angeführt,
rze in nabel, geben, nehmen hat der S; länge finde ich he-
gt für Blankenheim, Erxhausen, Merxhausen, Homberg,
rsfeld (in beiden letzteren doch nicht in nehmen); ziemlich
, so viel ich finde, nur in Erxhausen langen vocal; die
tt. geblieben, geschrieben u. a. haben in Bisch, und Eb. kürze,
N länge; gedehnten vocal hat Tcrebs in Homberg und Rod,
$t kurzen, dagegen erscheint magd und obst stets mit länge;
ig erscheint in Blankenheim als huv1c, in Naunheim als
:, sonst wie im nhd. Diese beispiele Hessen sich ins un-
iche vermehren; sie beweisen zur genüge, dass wir es
mit verschiedenartiger ausgleichung zu tun haben (s. Paul,
r.9,118).
Anm. In Buchen haben öfters pl. und ableitung von solchen Wörtern
kürze, die im sing, die regelrechte länge zeigen: Uifl, pl. aber Uifl\
'boden', dim. aber hed^mb; nam9, aber ne^rdi u. a.
In der verbalflexion kommt die kürze in folge synkope
lexionssilbenvocals nur vereinzelt vor; aus der mir ge-
>:en ma. von Bisch, kenne ich sie nur in den verbal-
en von 8är9 'schaden' : sad 'schadet' und gdsad part.; aber
badet' und part. g9bäd\ in Eb. auch in ligd 3. sg. praes.
:egen' und in legd und gdUgd zu 'legen'. Vietor führt
ir Nassau ausser ersterem an in liehst, licht 'liegst, liegt'
machst, sacht, gesacht 'sagst' etc.; letzteres auch im S. —
lürze in dem für alle drei orte giltigen a in sad, gdsad
3lier durch den umstand bedingt, dass diese formen häufig
ime zu &ad9 < baten sw. v., das kurzen stammvocal hat
ten § 49), gebraucht werden.
49. Eine ausnähme von unserem gesetze machen im
ti gfebiete die meisten Wörter auf t, welche die alte
bewahrt haben. Während aber in den alem. maa. hierbei
irze durchweg erscheint, zeigt sich im rheinfränkischen
12*
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180 BITZBBT
ein mehr oder minder grosses schwanken. Fast überall haben
kürze gott, pate^ matt, quitt, schnitt, kette, gevatt^r, wetter,
dotter, Sattel, schatten, gesotten, geritten, bettel, tritt subst. und
3. sg. von treten u. a.; gedehnten vocal haben blatt (= bläd),
brett, satt, gebet n^ beten, treten, kneten. Was die übrigen
betrifft, so finden wir mannigfache Schwankungen: stadt, glatt,
vater, kater haben kürze im S (s. Lenz 1, 11. 12. 26 etc.), länge
in Naunheim, Homberg, Merxhausen, Erxhausen, Blankenheim,
Hersfeld (doch hat letzteres fat9r * vater'). Bisch., das meistens
wie der S kürze vor t hat, kennt dieselbe ausser obigen nicht
in der 3. sg. praes. von treten, nicht in Schlitten, schnitte; Rod
dehnt ausnahmsweise in schatten — auch Eb. hat sard — ,
gesotten, verboten; böte erscheint im N mit langem vocal, doch
hat Erxhausen hier übereinstimmend mit dem S kürze, wie
Merxhausen in getreten. Hersfeld hat länge in kette, bettel,
wetter, gelitten, aber kürze in ungewitter; in Homberg haben
pfote, gote, verboten, geboten kurzen vocal, doch gläd ^glatt'
u. a.; schritt und tritt haben langes i in Erxhausen; in Blanken-
heim erscheint in ersterem länge und kürze neben einander.
Der pl. von blatt, brett ist meistens kurz, doch gibt es auch
hierbei Schwankungen; so hat Erxhausen länge in blätter, und
Rod in bretter. Die mischma. von Buchen und Umgebung hat
vor t einige mal kürze bewahrt: bod ^bote', g9bod^ ^geboten',
gesod9 'gesotten', grod 'kröte', i bed 'bete' neben bed; aber
grid9 'geritten', glid9 'gelitten', brid 'brett' u. a. — Wie gross
auch dieses schwanken zwischen den einzelnen maa. sein mag,
so zeigt sich doch im ganzen gebiete das starke bestreben,
t als geminata und darum silbeschliessend zu behandeln; nur
im äussersten NO überwiegt die regelrechte delinung. Für die
Rheinpfalz vgl. Schmeller § 671 und Schandein 241.
Auch vor d ist nicht selten kürze erhalten: Smid 'schmied',
red 'rede' und red{r)d 'reden', jud und pl. jud9 (jurd) 'Jude',
doch glid 'glied' u. a.; ebenso in zweisilbigen: leder, feder u. a.;
doch lässt sich die kürze hier durch ausgleichung nach syn-
kopierten formen erklären. Für die Rheinpfalz s. Schmeller
§ 439. Buchen hat jüt 'Jude', pöt9 'boden' etc.
§ 50. Ausserdem begegnen uns im rheinfränkischen einige
wenige Wörter (meist in einsilbiger form) mit erhaltenem
kurzen stammvocal. Erklärung bei Heimburger (Beitr. 13,
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DEHNUNG DER IfHD. KURZEN 8TAMMSILBENV0CALE. 181
211 ff.) § 57. Es sind dies: Sdtib (im N ädotvo) 'stube' und
pl. ädutv9; sub < schup; grob, flectiert growr (in Rod gr6wr)\
wis (im N wes9 und in Hersfeld wes) ^ wiese'; ferner fromm,
einn, toll, weg (adv.); vereinzelt kommen vor: sib *sieb' in
Naunheim; dsug *zug' und dim. dsügdl^d in Eb. und Eod; nach
Schmeller § 645 lautet s an der Queich in einzelnen Wörtern
wie ff\ glaff 'glas', graff 'gras'.
Vor / zeigt sich einige mal kurzes i und o; so in Rod: vil
'viel', mil 'mühle', du 'diele'; Blankenheim: mel 'mühle'; Hers-
feld: fxl, mel, Jchol<kol, feh 'füllen'; kürze in IcohU findet
sich auch im kreise Homberg.
§ 51. Von der qualität benachbarter consonantengruppen
sind die dehnungserscheinungen verursacht, die ich in den
folgenden paragraphen erörtere.
Vor r- Verbindungen und zwar hauptsächlich vor r + dental,
werden mhd. a, e gedehnt und nur vereinzelt auch andere vo-
cale. Hinsichtlich der einzelnen Verbindungen dieser art be-
steht aber keine gleichmässigkeit des dehnenden einflusses.
Durchweg ist a, e vor r + ^, d in einsilbigen Wörtern ge-
längt: bärd 'hart', werd 'wert'; auch särd 'scharte; a erscheint
auch in zweisilbigen gedehnt mit ausnähme Nassaus: gärde
'garten', jedoch hat auch Naunheim go'^add 'garten', wo'^ada
, warten'. Länge in werden hat Handschuhsheim, Blankenheim,
Homberg: w^\ sonst (Rheinpfalz [s. Schandein 241], Nassau,
Bisch., Eb. u. a.) gilt kurzer vocal, aber erdd 'erde'. Ver-
einzelt, so in Rod, Krofdorf, Bisch., Eb., erscheint dehnung in
g9burd 'geburt'.
Vor rjs ist nur a gelängt: härds 'harz' u. a., aber swards
'schwarz' (Buchen mit a); Handschuhsheim hat auch p^vtsl
'bürzel' (doch auch kurz), st^ts (< sterz\ stovtsd (< stureeV).
An der Enz wird u in schurg gedehnt; s. Fischers atlas, karte 18.
Vor rs und rsd ist immer dehnung von a, e eingetreten:
karsd 'karst', g^sd 'gerste', im S kasd, g^oM; Handschuhsh.
hat auch p^si 'bürste' (aber nur bei älteren leuten), tooät
'durst', toDsa (< torse); auch Bisch, hat fövsd 'forst, als name
eines gemarkungsteiles, der früher wald war; diese einzelfälle
lassen den schluss zu, dass sich in früherer zeit die dehnung
vor rs auch auf andere vocale erstreckte. Für die Enzma.
bezeugt Fischers karte 18 kirS 'kirsche'.
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182 KITZERT
Vor rn sind a und e sehr häufig gedehnt: gä{r)n 'gam',
gern (getm) 'gern' u. a., doch heisst es überall warnen; ander-
wärts tritt vor rn die längung nur in einzelnen Wörtern ein,
so in Hersfeld, Blankenh., Erxh. Kod und Naunh. haben
(ausser go'an 'gam') vor rn stets kürze. Das linksrheinische
gebiet entwickelt svarabhakti: ger9 'gern'; hier ist auch Kär9l
'Karr üblich, wol in folge dieser erscheinung.
Dehnung des a und e vor r + labial und guttural ist
häufig zu constatieren, aber nicht allgemein; hierher gehört
dehnung des a vor rm in arm subst. und ad]\ ärmut, wärm:
wol überall; öfter ist länge in darm und erbarmen angegeben,
dagegen niemals in ärmel, wärme, Handschuhsh. und das
linksrheinische gebiet entwickeln in rm svarabhakti vocal:
wär9m; ebenso in ärix 'arg', das sonst — mit ausnähme von
Krofdorf — kurz ist.
Vor rb erscheint mhd. e gelängt in sterben in Bisch., Eb.,
Homberg, Hersfeld, Blankenheim; in den beiden ersten oi-ten
auch k^b f. 'kerbe', ^vwd 'erben', aber gdsd^wd 'gestorben',
s^b ' Scherbe' etc. In Bisch, und Eb. heisst es auch ^vtüdd
'arbeit', wie im linksrh. gebiete arwdd neben arweit; Hersfeld
hat erwds < erweiz,
Mhd. e ist vor rg im ganzen gebiete — mit ausnähme
des S auf beiden Eheinufern — gedehnt in berg, werg\ die
häufig vorkommende länge in w^v-däg 'Werktag' ist entstanden
nachdem k sich dem t assimiliert hatte; Hersfeld hat auch
m$rk 'mark' und sdörg 'storch'.
§ 52. Dehnung vor l + t,d wird im rheinfränkischen für
a bezeugt und zwar für das gebiet östlich und nördlich der
linie, die von Wälburg über Idstein, Mainz, Dreieichenhain,
Babenhausen, Seligenstadt weiter nach Lohr zieht (die cursiv
gedruckten orte haben vocalkürze); s.Wrede,Anz. 21,275: alte.
Hierbei fällt der dentale verschlusslaut in der regel aus, so
dass a (sofeni es sich um zweisilbige formen dreht) in offene
Silbe zu stehen kommt. In dem bogen zwischen der ge-
nannten linie und der, die von Weilburg über Herborn, S taufen-
berg, Schweinsberg, Kirtorf, Neustadt, Alsfeld, Herbstein,
Schotten, Wenings, Büdingen nach Windecken zieht, kommen
alt und äl neben einander vor. Mit alte stimmt kalt^ (s. Anz.
21, 279) im grossen und ganzen überein. Vereinzelte ausnahmen
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DEHNUNG DBB MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 183
kommen hin und wider vor; allgemein aber bleibt der umlaut
von a kurz : lel t * kälte'.
Die orte Bisch, und Eb., die im S an obige linie grenzen,
haben nur in häb ^halten' und bäl 'bald' gedehnten vocal;
dasselbe gilt für den Odenwald.
Länge des a vor Its (s. Wrede, Anz. 19, 102: sah) findet
sich in wesentlich demselben gebiete wie vor U: die westgrenze
zieht von Hilchenbach über Haiger, Braunfels nach König-
stein, die südgrenze bildet der Main. Femer findet sich ein
kleineres gebiet mit länge östlich und südlich vom Odenwald
mit Miltenberg, Waldürn, Adelsheim.
In Blankenh. ist auch e' in ßld gedehnt; doch heisst es
g^ld. Hersfeld hat in beiden Wörtern länge, aber nicht im
pl., femer in sni^lds 'schmelzen'; andere Wörter mit mhd. e
zeigen kürze: s§ld9 'selten', m^ld 'melden'.
§ 53. a) Vor der lautgrappe nasal + verschlusslaut wird
im NO des gebiets der vocal häufig gedehnt. Das nähere
hierüber ist beim thüringischen erörtert; s. unten § 75.
b) Dehnung vor n + spirans mit Schwund des nasals findet
sich nach Kehrein 22 (§ 160) 'hier und da' am Taunus. Nach
Wrede, Anz. 18, 406 hat ferner die Lahngegend um Driedorf,
Weilburg, Staufenberg, Giessen, Nidda, bad Nauheim, Wetzlar
geis für den pl. gänse. Für Naunheim gibt Leidolf einige
hierher gehörige beispiele, wie kra'ts 'kränz'; doch pl. Jcrents,
hantsdl 'kanzel'.
Anm. Für Naunheim gilt auch hoTd 'band', fdridad\ doch land,
wand etc.
Die für das schwäbische charakteristische 'ersatzdehnung'
mit nasalierung des vocals vor n + spirans erstreckt ihre aus-
läufer an die Enz. Verlängerung des a findet sich auf beiden
ufern derselben und in einem schmalen streifen auf dem linken
Neckarafer nördlich der Enzmündung; auch i wird an der Enz
vor n + spir. gelängt; sein gebiet erstreckt sich jedoch nicht
so weit westlich als das für ä und zwar fff wider nicht so
weit als js;fs. Die linie für iTs 'uns' bleibt einige kilometer
von der Enz entfernt und geht erst kurz vor ihrer quelle
auf das linke ufer; noch weiter entfemt bleibt die linie für
die dehnung in brunst\ s. Fischers karten 4 und 5.
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184 KITZEBT
§ 54. Vor urspr. ht ist mhd. a und e ausser dem links-
rhein. teil im ganzen gebiete gedehnt; nur wenige Wörter sind
davon ausgenommen, wie acfU num. (das aber im N länge hat
gegenüber a^tzig) und fechten] auch specht hat hin und wider
vocalkürze. Das fremdwort pocht hat teils langen, teils kurzen
vocal; echt und pracht haben stets kürze.
Nach Wredes bericht im Anz. 21, 162 zieht die grenze der
vocaldehnung in recht den Neckar abwärts, weiter den Rhein
entlang bis Bingen und dann der Nahe und Glan aufwärts.
Wie weit damit Kiehls angäbe (Die Pfälzer, Stuttg. 1858,
s. 277), gedehnte ausspräche des e in schlecht sei ein charak-
teristicum des Pfälzer dialekts, in einklang gebracht wei-den
kann, vermag ich nicht zu beurteilen; für das Westrich gilt
vocalkürze, und ebenso, nach meiner erfahrung, für die hes-
sische Rheinpfalz.
In Blankenh. und im kreise Homberg ist auch'i gedehnt
in trichter. Für die Enzma. ergibt Fischers karte 1 länge in
frucht
§ 55. Nur für kleinere bezirke, und zwar in erster Knie
für grenzgebiete, gelten folgende dehnungserscheinungen:
a) Vor urspr. Aä ist a in einem gebiete nördlich des Mains
gedehnt; dabei schwindet die gutturalspirans. Von Ems (cursiv
gedruckte orte auf der a:-seite) zieht — nach Wrede, Anz. 21,
261: wachsen — die südgrenze desselben über Runkel, Cam-
berg, Usingen, Homburg , Windecken bis Hanau; von hier bildet
den abschluss gegen 0 und N die linie Büdingen, Ortenberg,
Wenings, Schotten, Herbstein, Lauterbach, Homberg a. d. Ohm,
Kirtorf, Schweinsberg, Kirchhain, Marburg, Biedenkopf, Dillen-
burg, Haiger, Ederkopf ; vgl. unten § 67. Rod, das an der
grenze des genannten gebiets liegt, hat länge nur in wachsefi
und flachs, aber nicht in wachs, dachs, achsel.
Femer ist an der Enz in Übereinstimmung mit dem schwäb.
a vor hs gedehnt (s. Fischers karte 20); auf ihrem linken ufer
aber hat nur am unterlaufe ein kleiner bezirk länge (die
grenzlinie für 6s *ochs' reicht nicht bis an die Enz).
Mhd. e ist nur ganz vereinzelt vor hs gedehnt: Näunh.
hat weasBn 'wechseln' und Krofdorf w§DS9l 'wechser.
Dehnung des o vor hs ist nach Wrede, Anz. 21, 264 eben-
falls für das gebiet nördlich des Mains bezeugt^ nur zieht die
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DEHNUNG DER MED. KUfiZEN STAMHSILBENYOGALB. 185
südgrenze in einem kleinen abstand nördlich von der für
wachsen gegebenen linie bis Hofheim, von wo sie mit der-
selben zusammenfällt; ausgenommen bleibt ferner an der Lahn
die weite halbinsel Weilburg, Braunfels, Herbom, Biedenkopf,
Marburg, Rauschenberg.
b) In Hersfeld und Blankenh. ist wie in Westthüringen a
und e vor st gedehnt (vgl. § 78, a): sw^ddr ' Schwester', k^sd^
^kästen'. In Hersfeld heisst es ferner f^hdr ^vesper'. Länge
in nest hat auch Homberg.
c) Das pronomen ich hat in Handschuhsh. und in der
Glan- und Donnersberggegend (Schandein 252) langen vocalj
ferner in einem grösseren gebiete an der Lahn und in der
Wetterau bis Herborn, Biedenkopf, Rauschenberg im N, Taunus
und Main im S, Herbstein und Gelnhausen im 0, Westerburg
und Nassau im W: hier wechselt aich mit ich, betonte und
unbetonte form; s. Wrede, Anz. 18, 308.
d) Vor II erscheint einige mal länge des a, so häufiger
(Bisch., Eb., Rheinpfalz, Odenwald) in überall, in der Pfalz
auch in hall = frz. le bal; Handschuhsh. hat auch wal ^auf-
kochen' < wal, 'lies,
e) Buchen auf der grenze zwischen Rhein- und Ostfranken
dehnt wie letzteres den vocal in mhd. einsilbigem worte vor
doppelconsonanz (s. Breunig 16 ff.). Hiermit erklärt sich die
unbestimmte angäbe bei Breunig 25: ^das von Paul aufgestellte
gesetz, dass in geschlossener silbe die kürze bleibt, in offener
dagegen dehnung eintritt, hat in unserem dialekt nicht un-
bedingt statt' (in offener silbe hat Buchen mit ganz wenigen
ausnahmen — vor t — dehnung; vgl. Br. 16; auch sonst hat
Br. zahlreiche hierher gehörige belege).
7. Mittelfränkisch.
QueUen: Bai des, Die Birkenf eider ma. Vocalismiis. Birkenfelder
progr. 1895. — Th. Buesch, Ueber den Eifeldialekt. Ein beitrag zur
kenntnis des mittelfr. Progr. von Malmedy 1888. — F. M. FoUmann,
Die ma. der Deutsch-Lothringer und Luxemburger. 1. Consonantismns.
Metzer progr. 1886. 2. Vocalismus. Metzer progr. 1890. — M. Hardt,
Yocalismus der Sauerma. Echtemacher progr. 1843. — J. Heinzerling,
Ueber den vocalismus und consonantismns der Siegerl&nder ma. Marburger
diss. 1871. — F. Honig, Wörterbuch der Kölner ma. Köln 1877 (dazu
einleitung: Ueber die laute der kölnischen ma. und deren bezeichnung von
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186 UITZEET
W. Wahlenberg). — Hecking, Die Eifel in ihrer ma. Prüm 1890. —
A. Jardon, Grammatik der Aachener ma. Laut- and formenlehre. Aachen
1891. — G. Keintzel, Lantlehre der maa. Ton Bistritz und Sächsisch-
Regen, Archiv d. ver. f. ßiebenb. landesk. N. f. 26 (1894), 133 ff. — J. Kehr-
ein, Volkssprache und Tolkssitte in Nassan. Bonn 1872. — Kisch, Die
Bistritzer ma. verglichen mit der moselfränkischen, Beitr. 17, 347 ff. —
Ph. Laven, Gedichte in Trierischer ma. Trier 1858 (mit lantübersicht u.
glossar). — Rottmann, Gedichte in Hunsrücker ma. Kreuznach 1874. —
A. Scheiner, Die Mediascher ma., Beitr. 12, 113 ff. — B. Schmidt, Der
vocalismus der Siegerländer ma. Halle 1894. — K. Chr. L. Schmidt,
Westerwäldisches Idiotikon. Hadamar und Herbom 1800. — J. Wegeier,
Coblenz in seiner ma. und seinen hervorragenden persönlichkeiten. Coblenz
1876. — J. Wolff, Der consonantismus des siebenbttrgisch- sächsischen.
Mtihlbacher progr. 1873 (1). — J. Wolff, Ueber die natur der vocale im
siebenb.-sächs. dialekt. Mühlbacher progr. 1875 (2).
§ 56. Im mittelfr. ist mhd. kurzer vocal in offener silbe
stets gedehnt worden; in den nördlichen maa. (Köln, Aa<^hen)
jedoch nur im allgemeinen (s. Baldes 7. Buesch 8. Jardon 15.
Hardt 4. Laven ix. Follm. 2, 23 f. B. Schmidt 16. 31. 43. Kehrein
[für den Westerwald] 3 und § 12; für Siebenbürgen s. Wolff 2, 60).
Zahlreiche belege sind in allen genannten arbeiten zu finden;
ich führe an: hämQr, ts9sdfn9 'zusammen', b9stdt9 = 'sich mit
einer statte versehen, daher heiraten', bätd < baten, katen
'kette'.
Wo altes p = hochd. ff erhalten ist, findet sich lautgesetz-
lich länge des vorhergehenden vocaJs: äp, pl. äpe 'äffe'; in
diesem worte hat der nördliche teil des mittelfr. auf beiden
Rheinufern unverschobenes p\ die genaue grenze dafür gibt
Wrede im Anz. 20, 324.
§ 57. Von weitgehendem schützenden einflusse für die
erhaltung der urspr. vocalkürze sind auch im mfr. die suffixe
-el, -er, -eni, -en und femer -ig, -et u.a.; hierzu vgl. § 16. Die
Wirkung dieses einflusses ist nicht allerorts die gleiche. Obenan
steht die kölnische ma., wo unter den angegebenen Verhält-
nissen fast ausnahmslos die kürze erscheint, mag der stamm
auf nasal, liquida, spirans oder media ausgehen: wone 'wohnen',
hamel, hole 'holen', küning 'könig', wevver 'weber', iget, besetn,
ledder 'leder', faddem 'faden'. In der Eifelma. ist die kürze
'regelmässig' erhalten, wenn die Stammsilbe auf liquida oder
nasal schliesst: /aren 'fahren', je^^ofew 'gestohlen' (s. Buesch 9);
aber auch vor anderen consonanten bleibt die kürze häufig:
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 187
disen 'dieser', jezogen, holdem u. a.; aber jäfel 'gabel', hdtsem
'besen', Tcaiel 'kegel', blätel 'flache Schüssel' u. a. Ebenso
haben die maa. Siebenbürgens in sehr zahlreichen fällen die
kürze bei^vahrt, so fast regelmässig, wenn die Stammsilbe auf
nasal, und sehr häufig, wenn sie aiif stimmhaften verschlusslaut
ausgeht (ß. Keintzel 145. 169. 150. 153. 157).
Bei weitem nicht in demselben umfange, aber immerhin
noch häufig erscheint vocalkürze in folge vocalsynkope in den
Suffixen in den übrigen maa. Aus den an den angeführten
orten verzeichneten beispielen ergibt sich die tatsache, dass
sich die kürze am häufigsten dann erhält, wenn der stamm
auf m, n, w < 6, und nicht selten, wenn er auf g, d ausgeht.
Im Siegerland bleibt z. b. die kürze vor dem aus g nach i
erweichten j in rei\ 'riegel'. Vgl. B. Schmidt 39, der hier Verkür-
zung aus sehr früh eingetretenem t annimmt; zu /*^J heisst
aber der sg. /"PcTJ ^vogel', also mit erhaltener kürze. Es liegt
deshalb m. e. viel näher, jene durchgangsstufe überhaupt nicht
anzunehmen. Bemerkt sei noch, dass in Siegen a vor m +
Suffix stets gedehnt wird: jsQsäma etc., die übrigen vocale aber
meist nicht: wd'ma 'nehmen', hini€l,somer\ doch itew? 'kümmel';
auch donner hat kürze. Ferner hat Aachen kätner, zesame
neben schömel 'schimmel', n^e 'nehmen' etc.; doch auch hamel
Hin und wider, so in der Eifel, kommt es vor, dass in
den flexionsformen der verben auf dentalexplosiv, in denen
durch ausfall des e der flexionssilbe geminata entsteht, die alte
kürze zum Vorschein kommt: sat, bat = 3. sg. praes. zu säden,
baden. Leider sind die quellen zur ausreichenden behandlung
dieser erscheinung nicht genügend.
§ 58. Erhalten ist die kürze vor altem einfachen i fast
ausnahmslos in Köln: gebett 'gebet', bott 'böte', patt 'pate' etc.;
länge vor i finde ich in der Wörtersammlung bei Honig niu-
in plaat 'platte', plaate verb., aber blatt, pl. blätter und verb.
bläddere\ bäte (< baten); Staats (< an-stete); gäder 'gattertüre'
und in krät 'kröte'; neben letzterem aber krott 'kleiner junge';
neben vatter kommt väder und vär vor.
Ebenso ist hier vor d kürze bewahrt: ratt 'rad' und pl.
rädder, glidd n., redd f. 'rede', patt 'pfad' und ^^.pättche etc.
Von einer beeinflussung des kölnischen als einer stadtma.
durch die Schriftsprache kann also hierbei keine rede sein.
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188 . RITZERT
In Aachen steht nach Jardon die kärze namentlich vor
auslautendem dentalexplosiv: sat 'satt', j'lat *glatt', blat 'blatt',
aber pl. blär, höj^ *bote' etc.; ferner rat *rad', aber pl. rar, hat
n. *bad', aber verb. lade. Vgl. hierzu § 33.
In den maa. Siebenbürgens erscheint ebenfalls nicht selten
kürze vor t und d (belege bei Keintzel; s. femer Ächeiner 126.
127. 128. 132).
In den übrigen mfr. maa. findet sich vor t nur selten
kürze; in der Eifel kommt putt *pfote/ vor', in Siegen hadd^
(< baten, s. B. Schmidt 13, aber auch 31); in Birkenfeld haben
einige Wörter kurzen vocal zur Unterscheidung von gleich-
lautenden, so u. a. blad f. 'platte' neben blad n. 'blatt', sada
(< schate) neben sädd m. 'schaden'; s. Baldes 11.
Kürze vor d begegnet in wenigen fällen auch an anderen
als den vorhin genannten orten; fast durchweg erscheint sie
in ret f. 'rede', jut m. 'Jude', Smit m., glit n.; in einigen maa.
besteht daneben gedehnter vocal.
B. Schmidt 47 vermutet, dass in jut sehr früh dehnung
eingetreten und dann ü gesetzmässig zu u verkürzt worden
sei (nach s. 75 a. a. o.). Die sache verhält sich m. e. aber um-
gekehrt. Das kurze u blieb und analog dazu wurden auch
lange u vor t kurz wie in brutt aus brüt Ganz dasselbe liegt
vor in sitt 'sieht' und ge§itt 'geschieht' (a.a.O. 40).
§ 59. Erhaltene kürze in folge Verallgemeinerung der
Quantität der unflectierten formen hat eine anzahl einsilbiger
Wörter in fast allen oben angeführten maa. des mfr.; dasselbe
gilt auch für Siebenbürgen; ausgenommen ist der Hunsrück.
Es betrifft dies zunächst die auf liquida auslautenden
Wörter mit /, o, ü: Stil 'stiel', spil m. 'spiel', mül f. 'mühle',
kol f. 'kohle', bol f. 'bohle' etc. Aachen und Siegerland haben
hier länge, doch hat letzteres bol 'bohle'. Auf r: bir (< bir,
pirus), dir (< tür] Köln jedoch beer, aber pl. birre) etc.; so auch
bei Wolff, Keintzel, Kisch, Scheiner.
Kürze vor auslautendem nasal zeigt sich meist in from
'fromm', tsin n. 'zinn', schin oder sehen 'Schienbein', son und
pl. söH m. 'söhn', in der Elzma. auch in bun f. 'bahn; bei
Keintzel: wun 'wohnen', lum 'lahm' tsum 'zahm'; doch gräm,
fän f. 'fahne'.
Von sonstigen Wörtern haben kürze: ewedi (< enwec)]
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 189
enwec)] ferner mehrere auf f und s: hof, hef t 'hefe', grof
ob', stuft. *stube', sef ^sieb\ hos f. 'hose', tms f. 'wiese';
Hardt auch ris m. 'riese'. Hin und wider findet sich in
a einen oder andern auch vocallänge.
In der Aachener ma. zeigt sich im pl. oft die alte kürze
1 zwar durchaus bei solchen, die plural-« verloren haben:
h m. 'tag', aber pl. dach, Jardon sagt a. a. o. s.82: 'das i
pluralendung (der i-decl.) ist überall geschwunden, der
nmvocal womöglich gekürzt.' Ebenso wird in der compara-
des adj. 'der stammhafte vocal meist gekürzt' (s. Jardon 34).
§ 60. Viel häufiger als in anderen dialekten bewirken
nfr. doppelconsonanzen dehnung mhd. kurzer vocale.
Von gesetzmässigem dehnenden einflusse auf den voraus-
nden vocal sind hier zunächst die Verbindungen r + con-
nt; in mehreren der oben angeführten maa. wirkt dies
tz fast ausnahmslos; so in Luxemburg und Deutschloth-
3n (s. FoUm. 1, 17. 2, 10. 11. 13); femer zahlreiche belege
lardt; auch Birkenfeld gehört hierher (s. Baldes 7). Auch
len hat meistens länge (Jardon 3. 28. 29). Vor r + dental:
jsf, n, s, seh, l, dehnen Köln (s. Honig 30), Trier (s. Laven
Coblenz und die Eifel. Stadtmaa. aber haben öfters
kürze. Wo sonst in durchaus dehnenden maa. fälle mit
5m vocale vorhanden sind, ist schriftsprachliche beein-
ng zu constatieren oder das betr. wort ist aus dem nhd.
mt. Für ersteres gibt Baldes einen treffenden beleg:
* Birkenfelder ma. erscheint die kürze in had 'hart', swads
arz', heads n. 'herz', pheal f. 'perle'; hierzu bemerkt B. 11:
auch hier, wenigstens in swads, die länge vorhanden war,
eigt die ausspräche des Ortsnamens Schwarzenbach, der
inde der Birkenfelder Swadsdbax lautet' Ein beleg für
weiten fall bei Hardt 21: borscht 'bursche' und morsch
morsch' 'sind beide aus dem hochd. entlehnt.'
'ür die maa. Deutschlothringens und Luxemburgs sagt
ann, dass nur selten und zwar nur an der Mosel vor
a r-yerbindungen kürze vorkommt: herrech 'berg', herrebst
t', dorref^ iorV. An der Mosel scheint also dehnung nur
-f- dental zu gelten,
uesch und Hecking geben für die Eifelma. die kürzen
'sorgen', dazu sor^h t 'sorge'; für f. 'furche'; arg;
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190 BITZERT
harg = porcus; daneben aber die längen mor ^morgen', wärjc
(< werch und werk).
Während auf dem Westerwald die kürze nur ausnahms-
weise erscheint, werden in der Siegerländer ma. vor r- Verbin-
dungen nur a (doch nicht dessen umlaut) und e <e gelängt
und zwar fast durchgängig. Schmidt 16 f. nimmt mit Heinzer-
lingl4 als Ursache dieser dehnungserscheinung die entwicke-
lung eines svarabhaktivocals an, Vodurch der vorhergehende
vocal gewissermassen in offene silbe zu stehen kam.' Wenn
auch ein solcher oft noch deutlich fühlbar ist und in arich
'arg' klar zu tage tritt, so muss es doch auffallend erscheinen,
dass sich derselbe nicht wie z. b. im schwäb. und ostfr. auch
da entwickelt hat, wo dem r ein umlauts-6, i, o, u vorausgeht.
Im siebenbürgischen sind die Verhältnisse vor r + cons.
weniger einfach. Doch gilt hier, was Wolff 2, 28 sagt: *wo die
kürze der hochtonigen silbe nicht geschützt war durch Posi-
tion, da war sie in den meisten fällen unrettbar verloren';
femer: * kurzes a bleibt aber in den Verbindungen r + cons.
fortis.' — Die Verbindungen rsch und rscht dehnen den voraus-
gehenden vocal fast regelmässig (s. Wolff 1, 20). In der Bi-
stritzer ma. ist a, sein umlaut, e vor r + cons. gedehnt, jedoch
nicht immer; ferner tritt oft dehnung ein in mundartlich ein-
silbigen Wörtern mit i, mitunter auch mit u: Mrt, hurt; ferner
ist vor rd und rn fast durchweg o gelängt, während nach Wolff
1,20 andererseits in der gruppe m das r oft geminirt wird.
Keintzel hat für Bistritz und Regen auch die beispiele; girk»
* gürten', girk9l m. 'gürtel', trt = rechnung.
Mit Bistritz stimmt Mediasch im wesentlichen überein: a
und sein umlaut sind gedehnt vor rn, rd, rs, rm (vor letzterem
der umlaut nicht); e ist gedehnt vor rs und r$t und einige
mal vor rt, so in i^rtt. 'erde'; o ist gedehnt vor m, rd, doch
ist der umlaut mitunter kurz; i erscheint einige mal gelängt
in mundartlich einsilbigen Wörtern.
§ 61. * Ueber vocaldehnung vor l + consonant im mfr. gilt
folgendes. Vor U (d) wird a nördlich einer linie gedehnt, die
etwas westlich parallel der Nied über Merzig, Saarburg, den
Hochwald, Bernkastei und dann etwa Mosel und Lahn entlang
zieht (vgl. Wrede, Anz.21, 275 ff.: alte). Hierbei assimiliert sich
immer das t dem l, so dass a bei zweisilbigen formen in offene
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENYOCALE. 191
Silbe ZU stehen kam. In den Wörtern in denen t (d) geblieben
ist, bleibt auch die kürze; 'es finden sich deren mehrere im
Siegerland und auch sonst: wald, gewalt, femer öfters die ein-
silbigen formen der Wörter, die in zweisilbigen gedehnt er-
scheinen: alt, aber äle 'alt'; halt imp., aber häle * halten' (s.
Heinzerling 110). Die kürze bleibt auch dann, wenn das ver-
längerte a umgelautet ist: äl *alt', aber comp, aller. Für die
Eifelma. östlich von Prüm gibt Buesch auch hält und alt: also
erhaltenes t.
Im NW des gebiets besteht übrigens nach Wrede, Anz. 21,
275 ff. 279 ein schmaler streifen längs der belgischen und hol-
ländischen grenze mit erhaltenem -It-, dessen südgrenze für
alte von Malmedy ostwärts nicht ganz bis Blankenheim und
dessen ostscheide von hier gegen N östlich vorbei an Schieiden,
Gemünd, Stolberg über Linnich und Erkelenz weiter zieht.
Für das beispiel kalte ist das gebiet der -Z^formen noch weiter
ausgedehnt, so dass man die grenze bis Erkelenz ganz ungefähr
ersetzen mag durch St. Vith, Dann, Remagen, Erkelenz. 'Doch
beweisen noch zahlreiche Äai-ausnahmen die priorität der alte-
linie.' Ausgenommen ist für beide Wörter der grenzsaum von
Eupen bis Straelen, wo der dental schwindet und l vocalisiert
ist; für kalte schliesst der säum im S noch Comelimünster ein,
in seinem südzipfel ist öfters alt bezeugt. Für Aachen be-
stätigen Jardons beispiele das gesagte: au'^e 'alte', fau*^e 'fal-
ten'; in einsilbigen formen bleibt der dental oH 'alt'.
In den maa. Deutschlothringens, Luxemburgs und der Eifel
wird auch e vor It gedehnt: seien 'selten', gelen 'gelten'; Wrede
gibt im Anz. 19, 285: feil dat. sg. 'felde' um Prüm und Witlich.
Bei Firmenich 1, 502 finde ich für den kreis Prüm auch schould
'schuld' neben schölligkeet, jahld n. 'geld' neben weit
Für den Westerwald gibt K Chr. Schmidt goold n. 'gold'.
Vor 'Its wird a gedehnt in einem streifen zu beiden selten
des Rheins von Düren über Köln bis zur lautverschiebungs-
linie, sowie häufiger nördlich der Mosel im westlichen teile
der Eifel. Vocalisation des l erscheint auch hier im west-
lichsten teile der Rheinprovinz mit Gangelt und Waldfeucht
(s. Wrede, Anz. 19, 102). Auch Buesch gibt salz. Firmenich hat
femer hahls für die Eifel (1, 503). Ebenso hat der Westerwald
saalz (aber salzhorjer) und schmaah.
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192 BrrzERT
Allgemeiner ist vor l + cons. in Aachen und auch in
Siebenbürgen Verlängerung eingetreten; in A. ist in einer an-
zahl von fällen l ausgefallen und der vocal diphthongiert:
Ä;(>u/*^kalb'; oft findet sich nach l svarabhaktivocal: kaVk ^kalk\
jal'm * qualm', meVch 'milch' und verb. m^He; oft nicht: p^ls.
Mit 'bild'. Von den maa. Siebenbürgens dehnt Mediasch con-
sequent den vocal vor Z- Verbindungen (s. Scheiner 131). Bistritz
und Eegen dehnen a und in der regel e\ einige mal ist in
Regen auch o gedehnt: hülts n. 'holz', fülk 'volk' etc. Nach
Wolff 2, 16 findet sich in den dorfmaa. Siebenbürgens vor U
sehr häufig diphthongier ung: awtt'alt', houlz 'holz', foulk 'volk',
neben alt, hüh, fülk; anderwärts hat doppelconsonanz in S.
eine dehnung des vocals nicht, zugelassen. Im nösnischen ist
t (d) nach l häufiger verloren: schälen 'schelten'.
§ 62. a) Verlängerung vor nasal + cons. findet sich im
W des mfrk. In Aachen tritt vor den Verbindungen mp, nk,
nts, ns und in einigen fällen vor nt (d), das selbst aber wegen
des wandeis zu nk nur sporadisch vorkommt, vocaldehnung ein:
whnpel 'wimpel', länk 'lang', blenk 'blind', ons 'uns', m^^na
'minze', schwänz (aber pL schw^nis\e^ke 'zanken'. Der plund
zeigt meistens wider die kürze.
In der Eifelma. wird nur a vor nt, nk und mp gedehnt
'Bei hinzutritt einer fiexionsendung sträubt sich die spräche
gegen eine Vermehrung der laut- und tonmasse', so dass meistens
der urspr. kurze vocal wider hervortritt (s. Buesch 9). Die an-
geführten beispiele wie lämp 'lamm', pl. lammer, länk, flectiert
lange, sänt, dat. sann, zeigen aber, dass in den flectierten
formen die consonanz sich ändert. Ich sehe deshalb hierin
die Ursache der quantitätsveränderung in der flectierten form.
In den Wörtern, die jetzt a für mhd. i haben, ist die deh-
nung unterblieben: kant 'kind', want 'wind'. Hecking und
Firmenich haben ebenfalls hierher gehörige beispiele.
Für die Trierer ma. sagt Laven vni und xxv: 'in vielen
Worten ist die ausspräche von m und n (auch l und teilweise r)
eine gedehnte und der diesen lauten vorausgehende vocal wird
schwebend, d.h. etwas gedehnt, ausgesprochen.'
In der Sauerma. steht ^ vor der vereiofachung des iii> i>
aus mpQ)) und nt{d)\ Uner pl. von lant] also offene silbe.
Honig gibt für die Kölner ma. beispiele mit vocaldehnung
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DEHNUNG DER HHD. KlTBZ£!N STAMMSILBENVOCALE. 193
vor w-sr: fraanebrüdche 'milchbrötchen', kringele *sich zieren*,
krönzel 'Stachelbeeren', doch Franz nom. pr., uns.
Für Siebenbürgen sagt Wolff 1, 28: ^-or nd, nt, nz wird a
häufig gedehnt'; s. auch Scheiner 124.
In Regen wird ausser a auch e vor w + d, sowie vor »
gedehnt; letzteres gilt auch für Bistritz (s. Keintzel 143. 149);
vor « wird in beiden orten auch u gelängt (s. Keintzel 162).
In Mediasch wird u vor nt, nd, nk, ng gedehnt, sein umlaut
aber nicht.
Anm. Zu § 60. 61. 62, a vgl. £. Manrmann, Die laute der ma. von
Mülheim (Marburger diss. 18S9) § 137 und 145; in dessen niederfr., an das
mfr. grenzenden ma. sind die kurzen vocale vor r -h alveolar, vor Id und
It und vor mh, mp, fid, nt gedehnt worden.
b) Vereinzelt tritt im mfr. der fall ein, dass n vor der
Spirans s oder f schwindet, wodurch der vorausgehende vocal
gedehnt wird. Für die Sauerma. erw^ähnt Hardt nur is *uns'.
FoUmann constatiert diese dehnung in einigen fällen: späsel
'spannseU', däsen 'geschwind laufen', gös 'gans' und pl. geis
(hierzu vgl. Wrede, Anz, 18,406: Mn der nordwestlichsten ecke
von Lothringen', femer überall, mit ausnähme der Elzma., eis
[e's, is] 'uns'.
Hecking bezeugt für die Eifel Mfel * band voll', heischen
'handschuh', ohsen 'der unsrige'; Buesch auch mofel 'mund-
voll', säft 'sanft'. Bei Rottmann finde ich sähft 'sanft', uhs
'uns', fiesier 'fenster' (daneben finsterglas). Auch auf dem
Westerwald und im Siegerland begegnen wir dieser erschei-
nung; Kehrein 22: m 'uns', gas 'gans', schwäs 'schwänz', lise
'linse', säft 'sanft', Wrede a.a.O.: 'um Driedorf findet sich
dehnung in gänse mit ausfall der Spirans. Im Siegerland ver-
liert sich unsere erscheinung im laufe der zeit: kost f. 'kunst'
ist der name eines alten Wasserwerks bei Siegen, doch sonst
heisst das wort im heutigen gebrauche immer konzt; femer
neben gas, pl. gaese schon ganz, ganze.
Für Siebenbürgen sagt Wolff 1,28: 'vor ns wird n gewöhn-
lich synkopiert und der vorausgehende vocal zum ersatz ge-
dehnt: käst 'kannst', gas 'gans', doch kenst 'kennst', konst t
'kunst'. Bei Keintzel 156. 162, Kisch und Scheiner 131. 134
erscheinen i und u nach Schwund eines n (v) vor s, f gelängt;
Keintzel gibt auch hq^ist m. 'hengst'. In manchen Ortschaften
B«iiTi^ xar geaohichte der dsQtaohen fpnichc. XXm. 13
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Id4 ftrrzBBt
fällt n nicht ans, so z. b. in Klein -Bistritz: tsents 'zins',
fenef 'fünf'.
§ 68. Auch vor urspr. geminaten von liquiden und nasalen
findet sich hin und wider dehnung des vocals. Die Ursache
dieser erscheinung liegt darin, dass dieselben nicht als gemi-
naten behandelt werden. Im einzelnen gilt hierüber folgendes:
In den maa. Deutschlothr., Luxemburgs, Triers, also im SW
des mfrk., wird rr 'stets au^elöst' (FoUmann 1, 15) und der
vorausgehende vocal gedehnt: geschir 'geschirr', nör *narr'.
Selten finden sich ausnahmen. Jedenfalls erstreckt sich das
gebiet dieser erscheinung viel weiter, da auch aus anderen
linksrhein. maa. mit ausnähme des S vereinzelte belege vor-
liegen; so bei Buesch Jcor f. 'kaiTe', schären 'scharren'; bei
Hecking kahr 'karre'; bei Jardou jeschi^r 'geschirr', auch Honig
hat Mr, aber geschärr; in der Coblenzer ma. erscheint fahre-
schwänz zu mhd. var, -rres.
Vor U findet sich dehnung des a in Trier, Luxembui^,
Lothringen: schal m. 'schall', wälen 'wallen'; vgl. Hardt 11,
der auch gesel m. 'geselle' gibt. In Bistritz und Eegen wird
a vor urspr. auslautender doppelliquida gedehnt; umlaute- e
erscheint vor U bald lang, bald kurz in Bistritz, in Begen
immer lang; kurz bleiben aber die übrigen vocale. In der
ma. von Mediasch sind vor U alle vocale ausser a gedehnt.
Für den Hunsrtick gibt Kottmann itveräl 'überall'.
Vor mm und nn hat Luxemburg und Lothringen nach
FoUmann und Hardt länge von a und dessen umlaut e. In
der Sauerma. sind 'vor geminationen nur wenige a und e kurz
geblieben' (s. Hardt 11, 16); femer Wrede, Anz. 19,201: man
wird gehört in einem grösseren gebiete, das südwärts etwa
durch Mosel von Trier bis Cochem begrenzt wird und nord-
wärts noch Prüm, Blankenheim, Ahrweiler, Adenau, Dann
umfasst, das aber seine unsicheren südausläufer längs der
reichsgrenze noch bis Diedenhofen und Busendorf vorschickt:
ausserdem gilt man für die umgegend von Hachenburg, wäh-
rend östlich davon ein streifen landes, der den Westerwald
durchkreuzt und von Hilchenbach über Siegen und Wester-
burg bis Montabaur-Hadamar reicht, ma hat. Von Siebenbfirger
maa. dehnen Bistritz und Regen a vor urspr. auslautendem
doppelnasal; in Regen wird auch umlauts-6 vor nn stets, in
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMStLBENVOCALE. 195
Bistritz nur in vereinzelten fällen gedehnt, durchweg aber
vor mm (in- und auslaut). In Mediasch erfährt a vor ww*
dehnung, doch nicht sein umlaut (s. Scheiner 124).
§ 64. Vor den geminaten pp, tt, kk ist an der Mosel und
in der Eifel a, e, o gedehnt worden. Da im mfr. p in der
gemination ganz ohne Verschiebung bleibt und ebenso Je, so
findet sich diese erscheinung in zahlreichen beispielen (s. die-
selben bei Follmann, Hardt 11, Hecking, Buesch, Laven): äpel
^apfel' (Trier hat im pl. aber äbbel, dim. äbbekhen), sah 'sack',
gewat 'gewettet', dop Hopf, rok 'rock', wehen 'wecken', dreh,
bei Buesch drech Bei Wegeier finde ich nur geschääht 'ge-
scheckt'; Laven gibt als kölnisch an: streecken 'stricken' und
fleechen 'flicken'; Honig selbst aber hat diese beispiele nicht.
Die bei letzterem angeführten Wörter haben durchweg kürze:
appel, droppe m. 'tropfen', sach, hloch etc.
Mit dem moselfr. stimmen die maa. Siebenbürgens überein;
nur bleibt mhd. a hier kurz. Der umlaut von a zeigt wie e, o
und dessen umlaut dehnung (s. Keintzel 141. 147. 152. 158. 159;
femer belege bei Kisch, Scheiner, Wolff); also q^pel, qkam
'ackern', aber hlapdr (< hlepfeT), bat (< bette), äk(< ecke) etc.
Mitunter kommen auch ausnahmen vor, so heisst es in Bistritz
hlopm 'klopfen', in Bistritz und Regen boh 'bock', ftissoh f.
'socke', opfern; letzteres 'wahrscheinlich' aus dem nhd. entlehnt.
Eechtsrheinisch wird unsere erscheinung für den Wester-
wald (besonders im amte Hachenburg und Rennerod) und den
nassauischen ünterrhein (besonders im amte St. Goarshausen)
bezeugt (s. Kehrein 3); die hier angeführten belege sind aus
K. CÄr. Schmidt: zehten 'zetten', spehh m. 'speck', drehk 'dreck',
haag t 'hacke'; doch hat Schmidt latt t 'latte' und krabbeln,
§ 65. Charakteristisch für den grösseren nördlichen teil
des mfr. ist die längung vor doppelspiranten und spiranten-
verbindungen. Die räumliche ausdehnung dieser erscheinung
ist bei den einzelnen vocalen nicht die gleiche; i und u werden
nur ganz vereinzelt gelängt. Weitere Verschiedenheiten er-
^ geben sich femer durch die art der spirantischen consonanz
(s. Kehrein 12. Follmann 1, 23 und 2, 5. 7. 8. 11. Hardt 11. 14.
16. 21). Li den übrigen arbeiten sind die belege zerstreut.
Beispiele: mädien, dazu 3. sg. praes. maicht, stächen 'stechen',
louch und loch und pl. löücher (Ucher); näs 'nass', esen (eisen)
13*
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196 fttT^ttt
'essen', sdilos und pL schlöüser (schUser); kläfe 'klaffen', Ufel
und laifel 'löffel', scJit^f m. 'stoff'; waischen 'waschen', drai-
sehen 'dreschen', frö(ai)sch m. 'frosch' und pl. fre(äü)sch(e);
raisten 'rasten', rö{ou)st m. 'rost', n^st 'nest' und pl. finster;
kraft, häspel, waispel t 'wespe', kätz 'katze', kaoteen 'kotzen',
Sätzen 'setzen' etc. Ausnahmen finden sich überall.
Für einzelne hierher gehörige fälle gibt Wenkers Sprach-
atlas die genauere begrenzung. Yocaldehnung in machen (s.
Wrede, Anz. 20, 207) wird im 0 und S durch eine linie be-
grenzt, die von Freudenberg südwärts zieht auf Driedorf am
Westerwald und von hier westlich auf Linz, den Rhein auf-
wärts und dann südwestlich etwa dem Hunsrttck, Idarwald
und Hochwald folgt. Die grenze für gedehnten vocal in ge-
brochen (Anz. 22, 98 f.) ist im S ungefähr einzuengen bis Linz-
Adenau-Trarbach-Merzig-Luxemburg. Gredehntes a in tcasser
ist nach Anz. 19, 283 zu erwähnen für das linke Eheinland von
Remagen-Montjoie nordwärts und besonders consequent für die
beiden Moselufer aufwärts bis zur Schneeeifel einerseits, dem
Hoch- und Idarwald andererseits, erstreckt sich also keines-
wegs so weit als ä vor cä. Dehnung in besser findet sich
nach Anz. 20, 329 im ripuarischen linksrheinisch durchgängig,
rechtsrheinisch fast nui* in der nähe des flusses; so hat nach
Firmenich Stieldorf am Siebengebirge freissen 'fressen', ver-
geissen und Büscherhof bei Waldbröl vergasen. Nach Kehrein 3
hat der Westerwald und nassauische Unterrhein |)eA5r m. 'petz',
trehfm.'treft\
In den maa. Siebenbürgens begegnet uns diese dehnungs-
erscheinung ebenfalls, jedoch bleibt ausser i, u auch altes a
kurz bis auf vereinzelte ausnahmen: t4/qs9r, plqts, sqx 'sache',
nf 'äffe', gost etc.; doch n^st z. b. in Bistritz, flöst^r u, a. in
Bistritz und Regen; ferner hat Bistritz bäx und däx, Regen
fnöx9 'machen', box, döx. In Mediasch wird aber a vor di
gedehnt (s. Scheiner 125. 128. 131). Der umlaut des a, femer
e, 0 und dessen umlaut erfahren dehnung: gast {<gesti\ kräflixj
käsdl m. 'kessel', gästdr 'gesteni', Sias n. 'schloss', lox 'loch'
und pl. Zepr, ofn 'offen', klotz m. 'klotz' etc. (s. Keintzel 141.
142. 147. 152. 158. 159; ferner belege bei Kisch, Scheiner, Wolff).
In Aachen erscheint auch Ust f. 'list', m^s m. 'mist', wtW
'musste', aber k^Mt) f. 'kiste', l^M 'lust' etc. Der pl. zu kraft
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DEHNUKG DEH MHD. KURZEN STAMMSILBEKYOGALE. 197
heisst hier krqfle\ ebenso ist in der Saueima. der mnlaut des
ä vor ft in einigen fällen kurz: kreflech, seftech, doch auch
säftedi.
Aus den beispielen bei Laven ergibt sich für die Trierer
ma., dass a vor allen oben angeführten Spiranten und spiranten-
verbindungen gedehnt wird; in den wenigen ausnahmen liegt
sicher nhd. einfluss vor wie in kass t 'kasse' etc.; vor ch und
SS ist auch e gedehnt, o jedoch nur in loch, pl. lacher, dim.
Iachel4!hen] auch spiehzig ist verzeichnet, jedoch in übertragener
bedeutung 'schmal aussehend'. Zu den letzteren fällen ist zu
vergleichen, was Laven xix sagt: 'die Trierer ma. bietet nicht
selten den fall, dass ein wort mehrere formen hat. Je nach
dem jedesmaligen Charakter des gedichts ist bald die eine,
bald die andere form gebraucht. Von diesen formen ist ge-
wöhnlich die eine die plattere, welche in der nähe von Trier
unter der ländlichen bevölkerung angetroffen wird'. Jeden-
falls darf daraus der schluss gezogen werden, dass die ma. bei
Trier in Übereinstimmung mit der benachbarten Sauer- und
Moselma. Luxemburgs auch o dehnt.
In der ma. von Köln erstreckt sich die besprochene deh-
nungserscheinung nur auf a; ausnahmen sind auch hier zu
finden. Nach Wrede, Anz. 22, 325 erscheint im dat. sg. tische
im Roergebiete circumflectiertes oder diphthongiertes öcy öi, öü,
im südlich sich anschliessenden e- gebiete bis Montjoie-Sinzig
weniger oft e, doch ebenso oft ei, m,
Vocallänge in ich findet sich zu beiden seiten der Mosel
bis Saarlouis, St. Wendel, Kusel, Wolf stein, Sobernheim, Sim-
mem, Zell; dieses gebiet wechselt bunt zwischen diphthon-
gierten formen und ic//, eck, öch; nördlich von der linie Prüm,
Dann, Cochem, Boppard findet keine dehnung statt (s. Wrede,
Anz. 18, 308). Auch in Siebenbürgen sagt man mitunter aix,
maix etc., aber nur dann, wenn auf diese pronomina ein be-
sonderer nachdruck gelegt wird (s. Keintzel 154). Vgl. hierzu
Maurmann § 146, der für Mülheim dehnung vor den stimmlosen
reibelauten ff, x, ss, s constatiert.
Die Birkenfelder ma. dehnt den vocal in seltenen fällen
vor st (s. Baldes 7).
§ 66. Vocalverlängerung vor urspr. ht und hs.
Im hauptgebiete des mfr. wird mhd. kurzer vocal fast
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198 RITZEBt
durchgehend vor altem lit gedehnt. Ausnahmen sind zA*-ar
allerorts zu constatieren, doch nirgends zahkeich; namentlich
erscheinen acht num. card. und fechten ohne gedehnten vocaL
sicherlich in folge nhd. einflusses. Für Trier hat Laven die
'plattere' form nöhchden, pl. zu nöhchd, neben kurzem nä'chd.
Wredes beispiele recht im Anz. 21, 162 und schlecht, ebenda 164,
bestätigen obiges gesetz; ferner lucht 4uft', Anz. 19, 278. Für
nichts folge hier, was Wrede, Anz. 19, 205 gibt: innerhalb des
folgenden wesentlich mfr. gebiets lassen sich die herschenden
dialektformen zurückführen auf urspr. "^nüst; wir finden dort
die diphthonge eu, ei, femer ü und U Eupen, Aachen (orte
mit *Ä cursiv gedruckt), Düren, Lechenidi, Brühl, Köln, Mül-
heim, Gladbadi, Wipperfürth, BUmkenberg, Altenkirchen, Unkel,
Eeniagen, Linz, Sinzig, der Ehein von Andernach bis Bacha-
räch. Simmern, Stromberg, Gemünden, Sobernheim, Kusel,
St. Wendel, Ottweiler, Saarlouis, Forbach, St Ävold, Saaralben
(s. auch Hardt 23).
Nicht allgemein, aber immerhin 'häufig' tritt dehnung vor
ht in der Birkenfelder ma. ein (s. Baldes 7). Im Siegerland
sind im wesentlichen nur a und e gedehnt; doch findet sich
auch do^chder neben gdfgchd^. In Siebenbürgen werden nur
a, e, 0 gedehnt (s. Keintzel 144. 147. 151 [hier auch einige bei-
spiele mit kurzem e in Bistritz]. 158). Auch Kisch, Scheiner
und Wolff haben keine fälle mit langem i und u.
§ 67. Dehnung vor altem hs mit Schwund der guttnral-
spii'ans gilt füi- das ganze Mittelfi'anken und ebenso für Sieben-
büi*gen (jedoch mit ausnähme des / und u); in Aachen tritt
sie nur teilweise ein, da sich hier cfi (h) vor s 'meist' zu k
verhärtet (s. Jardon 25). Auf dem Hunsrttck findet sich die
ei'scheinung selten; fläs (< vlahs), die mfr. form, herscht noch
in der ländlichen Umgebung Birkenfelds, während die durch
das hd. hervorgerufene form flags in der Stadt selbst in der
jüngsten zeit die alte form fast verdi'ängt hat. Dieser um-
stand hat an mehreren orten ausnahmen verursacht, was deut-
lich daraus hervorgeht, dass alte und neue formen neben
einander bestehen. Wenn aber fast durchweg die formen
fuJcs (< vuhs), seks (< sehs) und hiks (< huhse) erscheinen, so
muss mit Heinzerling schriftsprachliche beeinflussung an-
genommen werden. Keintzel hat für Bistritz eis (< sehs\
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DEHNUNG DEB MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 199
aber zestsi> und ziistsix --^ 16 uud 20; hier liegt einwirkung der
gehäuften consonanz vor; Regen hat zidstsce.
Die grenzlinien fttr einige hierher gehörige beispiele er-
geben sich aus Wenkers Sprachatlas; für wachsm (s. Wrede,
Anz. 21, 261) zieht die südgrenze der vocaldehnung von Saar-
geiHünd (orte mit Jcs < hs und vocalkürze cursiv) über Saar-
louis, Oitweiler, St Wmdel, Oberstein, Kim, Oberwesel, Mayen,
Andernach, Bendorf nach Ems und setzt sich im rheinfr. fort.
Die ostgrenze zieht von Gummersbach über Hilchenbach und
wendet sich dann südwärts über den Ederkopf und Haiger in
rheinfränkisches gebiet. Die quantität des stammsilbenvocals
in ochsen (s. Wrede, Anz. 21, 264) ist im grossen und ganzen
der von wachsen analog; die südgi^enze beginnt hier westlich
von Trier und zieht zwischen Bifburg, Prüm, Gerolstein, Cocliem
weiterhin in einem kleinen abstand nördlich der für wachsen
gegebenen linie (s. auch FoUmann 1, 15. Hardt 23).
8. Thüringisch.
Quellen: E. BraudiB, Zurlautlehre der Erfurter ma. 1. Vocalismus.
2. Consonantiflinus. Programm von Erfurt 1892 f. — E.Fl ex, Beiträge z.
erforschung der Eisenacher ma. Progr. von Eisenach 1S93. — B. Haus-
halter, Vocaliemus der Rndolst&dter ma. Rndolstadt 1882. — L.Hertel,
Die Salzunger ma. Di»», von Jena 1888. — L. Hertel, Thüringer Sprach-
schatz. Weimar 1895. — Herwig, Idiotismen aus Thüringen. Progr. von
Eisleben 1893 (eigenwörter aus der Vogtei, südöstlich von Mühlhausen). —
R. Je cht, Wörterbuch der Mansf eider ma. Görlitz 1888. — S. Kleemann,
Beitrftge zu einem nordthür. Idiotikon. Progr. von Quedlinburg 1882. —
Fr. Liesenberg, Die Stieger ma., ein idiom des Unterharzes. Diss. von
Göttingen 1890. — K. Regel, Die Ruhlaer ma. Weimar 1868. —
M. Schnitze, Idiotikon der nordthttr. ma. (grafschaft Hohnstein und Stadt
Nordhansen). Nordhausen 1874. — K.Schöppe, Naumburgs ma. Naum-
buig 1893. — 0. Weise, Die Altenburger ma., Mitteilungen des gesch.- u.
altertumsforschenden Vereins zu Eisenberg, 4. heft (1889).
§ 68. Im thüringischen wird mhd. kurzer vocal in offener
Silbe, einzelne abweichnngen abgerechnet, durchaus gedehnt
(s. Brandis 5. 6. 13. Flex8. Hertel 1,11. Liesenberg 37); weitere
belege in allen genannten quellen; s. auch Regel 6.38. Spiess
14 f.). Beispiele: äledn * schütten', gläd * glatt', dazu comp, gldder,
hämel 'hammeP, kemel 'kümmel' etc. Die fast durchweg er-
scheinenden formen krepel 'krttppel', rebe (rewe) *rippe' gehen
auf mhd. krüpel (nbf. zu krüppeV) und ribe (nbf. zu rippe) zu-
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200 RITZBRT
rück, €(je auf mhd. egede. Häufig erscheint der vocal in dem
Worte * höckerin' gedehnt: hägen, heken, hokenfrau; dies ist
eingetreten, nachdem ck nicht mehr als geminata behandelt
wurde; dasselbe liegt in einigen anderen fällen wie späs
'spass' vor.
§ 69. Küi'ze des stammvocals findet sich in den maa. Süd-
westthüringens einige mal vor l (s. Hertel 13): mette 'mühle',
vitt 'vier, Sbitt 'plaudern', Ruhla hat sollen f. 'sohle', nwUeti
'mühle', gestollen 'gestohlen' u. a. (s. Regel 3). Küi-ze in nmkle,
kohle, sohle begegnet nicht selten auch in den übrigen maa.
Thür.; in Stiege ausserdem in wol (mangel an flectierten
formen) neben ßle 'viel', hol adj.; für Eudolstadt ist nur in
hol kürze angegeben.
Ebenso erscheint fast überall kürze in stube und häufig
in sehne (doch schon mhd. senne neben senetoe) und schiene,
in letzterem besonders in dem compositum Schienbein und zwai-
auch da wo die form schienebein erhalten ist Altenburg hat
stöbe, aber (nach erfolgter Umwandlung der offenen in ge-
schlossene Silbe) stttmniduere; Naumburg hat auch im compos.
länge, femer in schihnebehn, daneben aber schimmbehn.
Da, den SW abgerechnet, in anderen als den obigen schw.
Substantiven auf l die gesetzmässige länge ei^cheint, so liegt
es nahe, die ui'sache der kürze in den obliquen casus zu suchen
mit annähme von vocalsynkope in der endung und hierdurch
entstandener einsilbigkeit: solen > soln] dies liegt um so näher,
als jene Substantive häufig im nom. in der form der obl. casus
ei-scheinen: koln, soln, auch stvbn (sdomm); hinzuzuzählen wäre
dann das ebenfalls häufig vorkommende rödden, redde 'rüde'.
Kürze vor t kommt vereinzelt vor; sieht man aber von
fällen ab, in denen sie auf rechnung der vocalsynkope in
Suffixen kommt, wie z. b. kätl 'kittel', baüman 'bettelmann'
in der Vogtei und auch sonst, so gehören nur ganz wenige
fälle aus dem mansfeldischen und Naumburg hierher, wie bräti
'brett', schatte, kette. Nordthtiringen hat wol statt 'stadt', aber
steete pL; jebotten, jesotten sind zu erklären vde jeschobbefi 'ge-
schoben', jeschräbben 'geschrieben'. Stiege kennt kürze in.^d^
'satt' und jldt 'glatt', aber/xJde 'böte', prät 'brett' etc.; femer
im pl. praet. und part. praet. der starken verba der ersten
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN 8TAMM8ILBENVOCALE. 201
ablautinreihe, deren stamm auf t, d ausgeht: J^aV*,*litten', jefelfn
'gelitten'; tneiTn 'mieden', jettiedPn ^gemieden'.
§ 70. Manche einsilbige nomina bewahren, trotzdem sie
flectierte formen neben sich haben, in denen der vocal in
offene silbe zu stehen kam, auch im thür. die alte kfirze; es
sind dies u. a. im mansfeldischen lioff *hof' (aber gen. howes),
schmedd 'schmied' (verb. aber schmeden); ebenso am Unter-
harz, wo aber das verb. schmeden mit langem und kurzen
vocal erscheint; hier auchjroft, comf. jrower. Nordhausen hat
kurze in glas, rad, bad (pl. mit länge), söb n. 'sieb' (pl. mit 1.;
am Unterharz sij)), fann 'fahne', glid 'glied', schmid. Nach
Kleemann kommt hier neben wed (< tcide) auch wett vor
(immer in langwött 'verbindungsstange am wagen'; nebenton).
Vereinzelte fälle erscheinen auch sonst, so manchmal schmid.
Wenn durchweg goU und fromm kurzen vocal haben, so liegt
sicher schriftsprachlicher einfluss vor. Der dehnung nicht
unterworfen ist fast im ganzen gebiete der imp. der 2. sing,
der Verben, deren stamm auf verschlusslaut ausgeht, als iso-
lierte form (s. Schnitze 12, Schöppe 28); femer das adv. {d)wäk,
in Nordthuringen auch die Partikeln hin und für.
Anm. Für den Uuterharz sagt zwar Lieseuberg 4. 6. 8: 'das urspr. i
ist im ganzen in demselben nmfange wie im mhd. erhalt€n — hierdurch
steht die ma. näher dem ndd. und in anffaUendem gegensatze %\\ der im
thür. so stark verbreiteten neignng, das i dnrch dehnung zu i zu yerändem
— auch bei u zeigt sich im ganzen wider im gegensatze zum thür. eine
grössere Vorliebe für erhaltung des urspr. u\ doch ergeben nicht wenige
beispiele: jlr *gier', rese 'riese', (rede 'friede', fUige dat. ^fLvi^t\ jügent u. a.
die geltung des gesetzes der vocaldehnung in offener silbe auch für den
Unterharz. Die vorhandenen zahlreichen ausnahmen finden ihre erklärung
im folgenden paragraphen.
§ 71. Auch im thfir. zeigt sich die erscheinung, dass
dui'ch vocalsynkope in suffixen (meistens betrifft sie -el, -er,
-enf, -en) der vocal der Stammsilbe nicht in den silbenauslaut
treten konnte, wodurch denn die urspr. kürze bewahrt worden
ist. Die Verteilung der fälle dieser art ist in unserem gebiete
verschieden. Am seltensten begegnen sie im S und SW. In
der Salzunger ma. betrifft es nur eine geringe anzahl solcher
Wörter, deren stamm auf b, d, t schliesst: sewwe 'sieben', ge-
väMer, cirweJ'ttbel', aber gräwe, owe, böd^in, ndwet (s. Hertel
1, 13). Mit Salzungen stimmt Ruhla fast ganz überein; doch
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202 KITZBRT
haben hier beispielsweise auch bode^i und donncr kürze (s.
Regel 3). Rudolstadt hat kurze in weder conj., tcider praep.,
zusammen, dagegen länge in aber, oder, iber 'über'.
In den maa. des mittleren gebiets (Vogtei, Eisenach, Er-
furt, Altenburg) erscheinen schon mehr kürzen. Damit kann
und soll aber nicht gesagt sein, dass an den einzelnen oi-ten
die fälle dieselben seien. Manche kürzen sind zwar an fast
allen orten zu constatieren wie in fiddel, lädder, bodden, faddefn,
wädder * wider', civwel, stäwwcl ' Stiefel', gevadder (vater erscheint
dagegen nur ausnahmsweise mit kurzem vocale) u. a. In an-
deren aber schwankt die quantität, was eben das wesen dieser
analogiebildungen dartut; dwr aber in Erfurt neben atvr ist
sicher schriftsprachlich.
Der N des gebiets hat zahlreiche hierher gehörige fälle,
doch stehen ebenso zahlreiche mit regelrechter dehnung da-
neben; kurz ist z. b. der vocal in feder, edel, sdUibber * schiefer',
jat(;e2 'gabel', kamnier, wössel 'wiesel'; also vor media, spirams
imd nasal. Häufig sind im N die plurale der neutra rad, glied,
glas, gras kurzvocalisch, doch hat das mansfeldische rode neben
redder, der Unterharz jreser neben jräser, jleser pl. zu jläs,
aber dim. jldsel\ hier auch pletter, pl. von pUt In der von
Schmidt geschilderten ma. haben nicht selten die pai*tt. praet.
kürze, so jestolUm. befallen, jetiummen, jeschobben (auch im
mansf.), jesehräbben u. a., aber jeboorefi,jejsoogen,jefioogen. In
den nördl. maa. hat honig durchweg kürze, die auch für Eise-
nach bezeugt ist. Kurzen vocal in Jcönig finde ich bei Schnitze
und Kleemann; letzterer gibt auch Jiafitch 'habicht'. Der Unter-
harz hat ledig und nämlich, aber ztmlidi, Mansf eld vocht (< voget),
aber jä(M 'jagd'. Fälle letzterer ai't finde ich auch sonst:
s^jsch -siebzig', aber sim 'sieben', und rädddi 'rettig' in Er-
fiut, brätcht f. 'predigt' in der Vogtei, marraddi 'merrettig'
und nildie 'lilie' in Altenburg; barbs 'barfuss' hat ausser im
SW überall kui'zen vocal.
In der verbalflexion ist vor den dui'ch synkope entst-au-
denen geminaten und doppelconsonanzen im thüi\ sehr häufig
kürze zu constatieren (s. Schnitze 11. Schöppe 27. 28). Beispiele:
batt 'betet' in Altenbui'g; schadde 'schadete' in Erfurt, aber
bi^de 'betete', gebcU 'gebetet', jeschott part. zu scMten 'schütten'
im mansf. etc.; weitere belege geben die genannten quellen.
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DEHNUNG DEH MHD. RUBZEN Sl AMMSILBEMVOCALE. 203
Kegel und Hertel unterscheiden für das praes. hiernach beson-
dere gi'undformen (s. K. 100 und H. 115).
§ 72. Vocaldehnung vor doppelconsonanz gilt ftir das thur.
in folgenden fällen.
In den dem ostfr. benachbarten maa. Ruhla und Salzungen
ist ^das streben weitgi-eifend' mhd. einsilbige nomina mit
doppelconsonanz zu dehnen. Bei antritt der flexionsendung
tritt die urspr. kürze wider ein (s. Hertel 11. Regel 38 ff.).
Beispiele: tcäld, aber dat. tvall und pl. wäller; füsch, aber
dat. ßsch und pl. fösch; zopf, aber dat. eäpf und pl. säpf\ alt,
aber dar all man 'der alte mann', de allen männer etc. Aus-
nahmen: gefd *gift', fr&did, werd m. 'A\irt', dorn, arm u. a.
(s. Hertel 13. 14. 98. Regel 37: S'or positionalem r pflegt das
ruhlaische die alte kürze a rein zu bewahren).
§ 73. Vor r + dental ist im thür. a und e gedehnt; gegen-
über dem schiiftsprachlichen gebrauche haben auch die zwei-
silbigen auf -art' dehnung: gärten, warten, doch findet sich im
N nach Kleemann warten * warten' und Bartel nom. propr.; auch
Hert€l 11 gibt für Salzungen gärde, schwärde. Vor re ist nur
a gelängt, jedoch nicht in schwarz-, neu entstandenes dialek-
tisches a bleibt aber kurz: tvarze f. 'würze' (Altenbuig);
Schnitze gibt auch staerz 'hinterteil des vogels', aber (wie
sonst) Jierze, schmerz. Vor rs wird der vocal auch in mersel
'mörser', hersen *hirse', hersen 'börae' (bei Schnitze und Brandis)
und in hersch 'wirsing' gedehnt; kurz ist der vocal in karst
im N und in Erfurt (der familienname Karst hat aber in E.
langen vocal), in fcrsch 'vers' im. N und in jerschte 'gerste'
am Unterharz. Dehnung vor m findet sich ausser in görn
'garn', gärn 'gerne' (in Rudolstadt aber gdme u.a.); ferner
in dum 'dorn' und sbürn 'sponi'; dagegen heisst es harner
'höiTier'; kürze hat auch lam 'lernen'. Das mansf eidische
hat teils aren, teils ärnt f. 'ernte', ferner arenst m. *emst',
aber ärensthaftig adj.
Vor r^n ist ausschliesslich a gedehnt in der Vogtei, Eise-
nach imd am Unterharz; vor rl haben Mansf eld und Altenburg
vocallänge in Karl Eisenach hat länge in säerh 'sarg' und
stiierk 'storch' und die Vogtei in haark 'berg'.
Anm. Die dehnung vor r -f anderer consonanz im SW gehört zu der
genannten dehnung mhd. einsilbiger Wörter mit doppelconsonanz: duirf
*dorf', aber pl. d^rfer etc.
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204 , RITZERT
§ 74. Vor l + f,(l wird im gi'össten teile des gebiets a
gedehnt, nur der SO hat kärze; dabei schwindet dei* dental-
explosiv. Beispiele in allen angeführten arbeiten ausser bei
Schöppe. Für Stiege s. Liesenberg 37. Weise sagt zwar 8.8:
*es scheint, als ob die liquiden längende kraft haben', doch
fehlen genügende belege hierfür; er gibt nur male 'mulde',
6aZ* sollte' und M?aZ * wollte' (doch erscheinen die beiden prae-
terita auch als sali und wall). Das fehlen weiterer belege
deckt sich mit dem ei'gebnis des Wenkei-schen Sprachatlas;
nach Wrede, Anz. 21, 275 ist nämlich nur westlich der folgenden
linie vocaldehnung in alt- eingetreten: (Suhl), Emenau (cursiv
gedruckte orte haben vocalkürze), Gehren, Saalfeld, Blanken-
burg, Bitdolstadt, Bemda, Tannroda, Kranichfeld, Weimar,
Battenberg, Wiehe, Nebra, Laucha, Naumburg, Im SW ist
in den einsilbigen, auf U dehnung vorhanden, die flectierten
formen aber haben kürze. Damit stimmt Wredes bericht:
* zwischen Waltershausen, dem Rennstieg einer- und der Fulda,
Hersfeld andererseits macht für alte ein gebiet mit aB- eine
ausnähme'.
Für vocaldehnung in sah (s. Wrede, Anz. 19, 102) bildet
folgende, im grossen und ganzen wie obige verlaufende linie
die gi*enze: (Hildburghausen), Blankenburg, Berka, Sömmerda,
CöUeda, Wiehe, Querfurt, Schafstädt (und weiterhin südost-
wärts ins obersächsische); dieselbe erstreckt sich also im 0
nicht ganz so weit als ä in alt.
Ausnahmen finden sich nur selten; so z. b. older n. 'alter'
und oltem verb, bei Liesenberg, aber 'w older m. *ein alter',
speien 'spalten' bei Jecht und Kleemann. Der umlaut des a
bleibt auch im thür. kurz.
Im W des gebiets erstreckt sich die dehnung vor l +
dentalexplosiv aucli auf andere vocale; für Eisenach ist sie
bezeugt in g(PUl und fteld, für die Vogtei ausserdem in saiU-
säum 'seltsam', hmb *holz', sddäilz 'stolz', schhile 'schulze',
Schmiahen flumame.
§ 75. Charakteristisch für das westthür. ist vocaldehnung
vor nasalverbindungen. Wie schon § 46, a und 53, a erwähnt,
gilt diese auch für das ostfr. an der Werra und den NO des
rheinfr. Ich erörtere diese erscheinung deshalb hier im zu-
sammenhange.
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DEHKUKO DER MHD. KURZEN STAMMSILBEN VOC ALE. 205
Die in betracht kommenden lautgruppen sind n + t, d, ts, k
und m -{-pj pf, also nasal + verschlusslaut (s. Hertel 12. Regel
15. 37). Beispiele: händ, keind *kind', weinter 'winter', hoind
^hund'j rainzel ^runzel', loumbe 'lumpen', jemipfei- *jungfer\
Hertel bemerkt zu seinen beispielen mit nd s. 67: * diese formen,
auf den dörfem bei Salzungen einzig üblich, werden in der
Stadt allmählich von den gemeindeutschen aufgezehrt'.
Anm. Inlautend wird nd in Salzungen stets zu wj oder nn mit kürze
des vorrocals: hannel ^handel', henger « mhd. hindert aber mändd « mhd.
inantel).
Für die Vogtei gibt Herwig viele belege; weiterhin be-
zeugt Flex diese erscheinung für Eisenach. Für das nordöst-
liche Rheinfranken finden sich zahlreiche belege bei Salzmann
und Dittmar; während aber im thür. 'eine beachtenswerte
regelmässigkeit' unserer erscheinung vorliegt, gilt sie hier nur
'häufig'. Nach W hin nimmt sie an umfang ab: in Stadt und
kreis Homberg zeigt sich ihre Wirkung nur in der gruppe an
+ verschlusslaut: länd und dat. Iänd9, dändsen 'tanzen', gänds
gans', aber pl. gendsd, änJcQ (< anke) 'genick'. Wie weit die
vocallängung noch weiter nach W reicht, vermag ich nicht
gänzlich zu constatieren; für Merxhausen bei Fritzlar wurde
mir änk9 bezeugt: weiteres konnte nicht angegeben werden.
Doch ist folgendes bei Wrede, Anz. 19, 111 zu vergleichen: für
kind ist eigentümlich ein kleiner neun Ortschaften umfassender
bezirk im SW von Cassel mit keind (in Grossenritte bei K,
Hesse bei Fritzlar etc.).
Für das ostfr. s. die belege bei Spiess 14 f. und Reichardt
33. 35. In Henneberg begegnen nicht selten ausnahmen; so
hat hier namentlich der pl. öfters wider die alte kürze: dänz,
aber pl. dänjs; neben pflanze und wänze erscheinen lange und
schanze (in Pfersdorf heisst es aber s^ntsa f. 'schanze'); doch
dank m.; gedänke, pl. gedänkeiie, verb. bedanke u. a.
Anm. In Sonneberg (s. Schleicher 30) und Coburg (s. Felsberg 141)
hat der sg. der hierher gehörigen w5rter dehnuug unter Schwund des na-
sals; die flectierten formen und ableitungen zeigen aber Tocalkürze^ so dass
wir es hier mit dehnung nach § 72 zu tun haben.
Für einige Wörter mit nasalverbindungen gibt der Sprach-
atlas die genauere geographische Verbreitung der vocaldehnung.
Auch aus diesem material ergibt sich, dass die Wirkung des
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206 RITZEBT
dehnenden einflusses der nasalverbindiing für die einzelnen
vocale verschieden ist; ja, es zeigt sich nicht einmal bei einem
und demselben vocale in verschiedenen Wörtern völlige Über-
einstimmung. So zieht die grenze der dehnung in pfund nach
Anz. 19, 103 im W von der Fuldaquelle bis Vacha, lässt Lengs-
feld und Salzungen gerade noch nordwärts liegen, verläuft
weiter im NO mit dem Rennstieg und schliesst gegen SO
Zella, Wasungen und Fladungen ein, Suhl, Meiningen nnd
Ostheim aus. Um Trefhirt und Mählhausen findet sich pfuituh
nördlich von Hersfeld peund, südlich paund^ femer bei Bischofs-
heim in der Rhön pfaund. Dagegen geht hoind (Wrede, Anz.
19, 107: hund) mit pfoind nur gegen NO bis zum Rennstieg
zusammen, hingegen gegen W und N beträchtlich weiter, so
dass es auch für Fulda, Hünfeld, Hersfeld, Vacha, Lengsfeld,
Salzungen noch gilt; bei Grebenau (südwestlich von Hersfeld)
findet sich haund.
Das zerstreute auftreten von pfoind ausserhalb der obigen
enclave lässt den schluss zu, dass die längung früher verbrei-
teter war, jedoch durch den gebrauch des Wortes als marktwort
einbusse erlitten hat, worauf auch Wrede mit recht hinweist^
Für Winter bemerkt Wrede, Anz. 19, 108: wenn hess.-thör.
lioind sich weiter ausdehnte als p(f)(nnd, so geht entsprechendes
weinter noch über jenes hinaus bis in das nordthür.; grenzorte:
Sontra, Kreuzburg, Treffurt, Wanfried, Mühlhausen, Dingel-
stedt, Schlotheim, Tennstedt, Gebesee, Gotha, Ohrdruf, Flaue,
Schmalkalden, Zella, Suhl, Wasungen, Meiningen, Meirichstadt,
Ostheim, Fulda, Herbstein, Lauterbach, Grebenau, Alsfeld,
Hersfeld, Rotenburg.
Vocaldehnung in Und erstreckt sich im N bis Treffurt,
im S reicht sie aber etwas weiter als für winter: Meirichstadt,
Ostheim, Bischofsheim (Rhön), Neustadt, Brückenau, Schlüchtern.
Hierbei ist zu beachten, dass im ostfr. die dehnung in kind
gemäss dem gesetze der dehnung einsilbiger nomina mit doppel-
consonanz erfolgt; in diesem sinne ist auch zu verstehen, was
Wrede a.a.O. 111 sagt: 'die bei winter fehlende, bei pfund und
hund aber vorhandene vocaldehnung nordwärts vom schwäb.
nasalierungsgebiete bis Spessart und Rhön gilt auch für Und.
Ebenso haben die pfound und hound ihre A^emd-entsprechong
im Frankenwald'.
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALE. 207
Vereinzelt tritt obige erscheinung auch sonst auf; so gilt
für Altenburg ände f. 'ente' und gänsert m. 'gänserich'; letz-
teres auch für Erfurt; für den Unterharz janter, während
Mansfeld jänet-t hat.
§ 76. Voealdehnung vor cht ist zu erwähnen für mhd. e
im W des gebiets. Belege bei Hertel, Regel, Flex. Vgl. hierzu
Wrede, Anz.21, 162: ^die grenze des grossen westdeutschen
complexes mit dehnung des e in recht zieht von Heiligenstadt
über Hainich den Thüringerwald entlang und wendet sich
dann ostwärts zum Erzgebirge. Dehnung des a vor cht gilt
für Nordthüringen; Kleemann gibt nacht und Schnitze auch
aachi^ num. und saachte *sachte'.
§ 77. Vor clis bezeugt nur Schnitze für Nordthüringen
dehnung des a: waakse 'wachsen', waaks n. * wachs'; dieselbe
ist aber verbreiteter, wie sich aus Wredes bericht, Anz. 21, 261,
ergibt: voealdehnung vor -x- in waclisen ist thüringisch zwischen
der six'grenze (die von Eisenach, Kreuzburg, Treffurt, Mühl-
hausen, Dingelstedt, Worbis, Bleicherode, Sachsa, Beneckenstein,
Quedlinburg, Cochstädt, Stassfurt weiter nach Magdeburg zieht)
und etwa Beneckenstein — Kindelbrück — Gräfenthal (südlich von
Saalfeld): im nördlichen drittel (etwa bis Mühlhausen— Kindel-
brück) vorwiegend -tcäx- (s. auch Schultze), im mittleren (etwa
bis Waltershausen— Erfurt) icoax-, im südlichen untax-'.
§ 78. Dehnungserscheinungen geringeren umfangs sind
femer folgende: a) vor -st (mit altem s) tritt im 8W voeal-
dehnung ein: gäsd und pl. gesd, fläsder *pflaster' u. a.; aber
last 4ast' von lad^n-, hrust, lust u. a. (s. Hertel 11). Ebenso in
Ruhla. Für Eisenach ist nur käesdn 'kästen' angegeben, für
Erfurt ncest *nest', aber flasder; auch Schultze hat nctest, Lie-
senberg daneben pldster.
b) In der lautgruppe vocal + nf fällt im SW des gebiets
n aus mit *ersatzdehnung' des vocals. Ruhla: räft m. 'rand',
fdüfzen 'fünfzehn'; Salzungen: säfd 'sanft' und comp, saefder
und säfder, sup. säfdsd.
Auch der NO des rheinfr. kennt diese erscheinung; so
Blankenheim: räfd. In Hersfeld tritt dehnung mit erhaltung
des nasals ein: rämfd und dim. rimfdx^'
c) In Kuhla tritt 'ersatzdehnung' ein auch in der gruppe
alb: käb 'kalb', häb 'halb'.
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208 BITZERT
d) Vor U ist in Altenburg einige mal dehnung eingetreten:
ihbei'äl 'ilberair, bäl m. ^ball' und verb. bäle 'ballen'.
9. Obersächsisch.
QueUen: K. Albrecht, Die Leipziger ma. Leipz. 1881. — C. Franke,
Der obersÄchsische dialekt. Programm von Leisnig 1884 (citiert Fr. 1). —
C'. Franke, Grundzüge der Schriftsprache Luthers. GKSrlitz 1888 (Fr. 2). —
C.Franke, Die unterschiede des ostfrftnkisch-oberpfälzischen und obersächsi-
sehen dialekts etc., Bayerns maa. 1. 2. — F. Weidling, lieber Johannes
Clajus' Deutsche grammatik. Freiburger diss. 1894.
§ 79. Das obersächsische dehnt im allgemeinen mhd. kurzen
vocal in offener silbe (s. Franke 1, 36). Beispiele: rede, IMx
*ledig', ohsd (< öbes), vel 'viel' (jedoch vil in dem grösseren
nördlichen teile des Osterlandes). Nach Bay. maa. 1, 29 haben
auch hüiypel und egge langen vocal; auf die md. nebenform
i(d)ruge weist drexe (drceixe) 'trocken'. Femer haben spätz
und sdmiüiz vocallänge, in Leipzig auch masche, ele 'eile' (< mhd.
ele) und zuweilen die bildungssilbe -sam,
§ 80. Scheinbare ausnahmen, die nicht g^en obiges gesetz
vei*stossen (s. § 16), liegen in den Wörtern auf -el, -er, -em, -m
vor; es haben nun nicht allein diejenigen, in denen auf den
stammvocal m, n folgen, die kürze (wie in der Schriftsprache),
sondern auch solche, deren stamm auf w (<b,f) und d, einige
mal auf s und x (<ff) auslautet. Zu den ersteren gehören:
scenil^^emmeV, himl, hamf, donr; ferner auch jewf u.a. Da
Franke bei der aufzählung der abweichungen der quantitäten
des Obers, vom schriftdeutechen keine von diesem abweichenden,
hierher gehörigen beispiele (ausser den genannten) gibt, so
muss erschlossen werden, dass unser dialekt hierin mit dem
nhd. zusammenfällt; die in Bay. maa. 1, 29 ff. genannten fälle
stehen dem nicht entgegen. Mit der schriftspr. hat das obers.
küi*ze auch in mppeln und krabbeln (s. Bay. maa. 1, 31. 32);
über dieselbe hinaus aber ist die kürze vor den übrigen ge-
nannten consonanten erhalten: schdiwl {schdewel) 'stiefel', niici^
'hinüber' (neben niwcer), drim 'drüben', geschrim 'geschrieben'
etc.; bei Albrecht auch awr 'aber', gäbt, snioiwl u. a. Länge
haben Mwl 'hobel', ceni 'eben' u. a. Auf d, ä, x: widr * wider'
(daneben mit i); bei Albrecht feder, leder, neder 'nieder' (ander-
wärts nUlr), edehteene, tadel m., fidel f. (auch mit I), jsedel m.
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOGALE. 209
u. a.; haselnüsse, wisel; rexl ^^ 'negel', mexn 'mögeu'; doch biesn
'besen', dsögn 'zogen', /tlcÄj 'vogel' u. a. (s. Fr. 1,36).
Femer gehören folgende beispiele mit erhaltener kürze
hierher: sihdsn 'siebzehn', sibdsx, aberÄift«; IcBwcendx ^lebendig';
zuweilen begrcebnis, auch ha^x 'habe ich' und einige andere;
aber rSdlichy ftred^^ 1 'predigt' etc.
Schliesslich bleibt urspr. kurzer vocal in der verbalflexion
in den formen der schw. verben auf d, t, in denen durch Syn-
kope in der flexionssilbe gemination entstanden ist: schniid
'schmiedet', gebed 'gebetet'; zuweilen auch schl<Bd 'schlägt'.
Auch die präsensformen mit i der verben geben und sehen
haben kürze (s. Franke 2,26); ebenso lisd 'liesest, liest'.
§ 81. Eine wirkliche ausnähme liegt vor in Wörtern mit
altem t: in den meisten derselben bleibt, wie im nhd., die
urspr. quantität erhalten. S. hierzu Franke 1,36, wo als ab-
weichungen von der schriftsprachlichen quantität nur brM
'brett' und schdcede 'städte' angegeben sind. Hiermit stimmen
auch die beispiele tiberein, die Franke in Bay. maa. 1, 29 — 35
gibt; 'dieselben werden im obers. der schriftsprachlichen regel
entsprechend nur mit kurzem vocal gesprochen: schritt, tritt m..
blatt, satt, glatt, stadi, statt, gott, kette, büttel, bettel, wetten,
gevatter, sattel, Schlitten, gesotten, geritten, gelitten^ geschnitten,
gestritten. Bei Albrecht ist auch für geboten kurzer vocal
angegeben. Länge vor t findet sich also in den fällen wie im
schriftdeutschen: fader 'vater' etc.
Vor d ist die kürze nur in schmid und pl. schmide erhalten
(s. Franke 2, 26).
In einigen einsilbigen Wörtern hat die quantität des nomi-
nativs den sieg davongetragen: dsug 'zug' (und dat. dsucJie),
beschlaJc, grob; zuweilen in dak 'tag'; ferner allgemein in kär-
(freidäch); nach Albrecht auch in hof, grab n., schmal (nur in
der 'bauemsprache'). Kürze haben ferner wol, tnag praet.-
praes., wcec 'weg' adv. und (nach Albrecht) stawwe 'stube';
Franke gibt, als für das ganze gebiet geltend, schdumdir
'Stubentür'.
§ 82. Von doppelconsonanzen haben im obers. die Verbin-
dungen r + cons. und l + dentalexplosiv vocaldehnenden einfluss.
Vor r + d,t,ts wird übereinstimmend mit dem nhd. a und e
gelängt: erde, tvcere 'werde', harz etc.; über die Schriftsprache
Beitrag« lor geiohloht« der deutsohen ipraohe. XXIII. 14
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210 RITZBRT
hinaus zeigt sich dehnung in gebürf, gärten und nach Albrecht
§ 1 in Leipzig auch in warten. Vor rs hat allgemein hersche
dehnung, während gerate, wurst etc. kurzen vocal haben.
Ferner tritt häufig vor rm, rb, rf, rg, rch dehnung ein.
In seinem programm s. 35 sagt Franke, dass durch einwirkimg
des r besonders bei gaumenvocalen eine niedere Stellung der
zunge eintrete und i, ü, e, ö. namentlich wenn diese kurz sind,
regelrecht zu ce werden und dass diese ce jetzt * vielfach' zu (e
werden. Die dehnung vor den genannten r -Verbindungen bleibt
aber nicht auf dieses ce beschränkt, wie die folgenden beispiele
zeigen:
rm: arm und pl. cenne, cerm\, worm 'wurm' und pl. warmer,
dorm *turm', schcerm 'schirm'.
rb: cerbd 'arbeit', körb.
rf: dörf und pl. dderfer\ dcerf, dü'rfsd, d&rfn, d^erfd 'darf,
darfst, dürfen, dürft'; tv^ft 'wirft'.
rg: b^g 'berg', sarg.
rch: c(h^e 'kirche', fcerydn 'fürchten', gefürxd 'gefürchtet',
börx 'bürg' und bdryer m., foryd furcht', dorx 'durch',
mürxn 'morgen', gebchje 'gebirge'.
§ 83. Dehnung des a vor l + t,d mit schwund des dental-
explosivlautes findet sich in aZ (< alt), flectiert die; hol, flec-
tiert Mle\ Min 'halten', verwäln 'verwalten', bäle 'bald'; aber
wald (s. Franke, Bay. maa. 1, 34). Auch Albrecht constatiert
diese erscheinung, beschränkt sie aber auf die 'bauemsprache'.
Nach Wrede, Anz. 21, 275 bildet die linie Naumburg a. S. bis
Geising (südlich von Dresden an der reichsgrenze) die süd-
grenze der vocaldehnung in alte; dasselbe gilt für kalte: s.
Anz. 21, 279.
Auch vor U wird a im obers. gelängt, jedoch nicht im S;
s. Wrede, Anz. 19, 102: 'die südgrenze für die dehnung in sah
bildet die etwaige linie Schafstädt, Frohburg, Dresden, Schandau'.
10. Schlesisch-lausitzisch.
Quellen: Kiessling, Blicke in die ma. der südlichen Oberlansitx.
Zschoppau 1883. — A. Kl esse, Zur grammatik des in der grafschaft GlaU
gesprochenen deutschen dialekts, Vierte^ahrsschrift f. gesch. u. heimatakde.
der grafsch. Glatz, 3.heft (1883/84), 148—159. — P.Kupka, Die ma. des
kreises Cfuben, Xiederlaus. mitteil. 3, 275—282 (vocalismas) und 367—377
(consonantiäums). — R.Michel, Die ma. von Seifhennersdorf (an dersUd-
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DEHNUN6 DER MHD. KUUZEN STAMMSITjBENVOCALE. 211
grenze der sächs. Oherlaiisitz), Beitr. 15, liF, — H. Rtickert, Zur Charak-
teristik der deutschen maa. in Schlesien, Zs. fdph. 1, 199. 4, 322. 5, 125 iF. —
G. Waniek, Zum yocalismus der schles. ma. (W. behandelt hier die ma.
an der Biala im östl. t^ile des österr. Schlesiens und westl. Graliziens). Bie-
litz 1880. — K. Weinhold. Ueb. deutsche dialektforschung. Die laut- und
Wortbildung und die formen der schles. ma. Wien 1858. — K.Wein hold,
Die Verbreitung und die herkunft d. Deutschen in Schlesien, Forschungen z.
d. land- u. volkskde. 2, 214 if.
§ 84. Im schles.-laus. wird mhd. kurzer vocal in offener
Silbe stets gedehnt (s. Weinh. 1, 88. 39(1). Waniek 21. llichel 25.
Kupka377. Kiessling6). Beispiele: göt und go/ut 'gott', stät
und stuoadt *stadt', nim imp. zu 'nehmen', wätr ^wetter', sät
und suoat 'satt', kitel 'kittel', Ute 'blitte', ntder und neider
'nieder' u. a. (die an zweiter stelle angeführten formen sind
niederschlesisch; das charakteristische des 'Neiderlandes' ist
seine neigung zu ei und au; s. Weinh. 20). Laus.: toutä 'dotter',
wdta 'wetter', ch^te 'kette', sitn 'sitte'.
§ 85. Ausnahmen kommen nur selten vor. Erhalten ist
die kürze in den unflectierten formen einiger einsilbigen Wörter:
fluk 'flug', 0uk 'zug', gras, sik 'sieg', frumm 'fromm'; aber tag
(bei Weinh. und Waniek), grob etc. Birlingers angäbe, Eechts-
rhein. Alemannien 451 (fussnote): 'das schles. behält die mhd.
quantität ganz rein, bloss in einsilbigen aber nicht in mehr-
silbigen Wörtern', ist also nicht stichhaltig. Die ma. an der
Biala hat schwanken zwischen kürze und halblänge in glott,
blott] aber brät 'brett' u. a. In Seifhennersdorf ist vil 'viel'
stets kurz, meist auch mak praet.-praes.; femer die 'fremdlinge'
wKjit, clqt 'glatt', kot 'gott'; für letzteres ist das gesetzmässige
erhalten in konp^hitjl 'gott behüt euch!' (in den benachbarten
böhm. maa. ist kaut die übliche form, geschützt durch die po-
litische grenze; Michel 26). Coschen und Wellmitz im kreise
Guben haben seff 'sieb', Stargardt hat vill; femer erscheint
dort schtot 'Stadt'.
§ 86. Sonstige abweichungen von unserem gesetze sind
nicht eigentliche ausnahmen; sie führen sich auf den ausfall
des vocals in suffixen zurück. Ihre zahl ist gering; s. Weinli.
1, 88: 'einige alte kürzen haben sich gerettet, die aber in der
Sprache der gebildeten weichen mussten'. Uebrigens zeigt sich
auch hier, dem wesen dieser verschiedenen ausgleichung eines
älteren wechseis zwischen formen mit und ohne länge ent-
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212 RITZBKT
sprechend, keine einheitlichkeit; 'der schles. dialekt schwankt
fortwährend nicht nur im allgemeinen, sondern auch in den
localmaa.' (Rückert, Entwurf einer System, darstellung der schles.
ma. im mittelalter, hg. von Pietsch, Paderborn 1878, s. 177). Die
hierher gehörigen beispiele sind meist solche mit m oder t im
stamme: himmel, Kammer , kämmer , summsr, schammel 'schemel',
aber näm * nehmen'; hatteln * betteln', geritten, sottet, vatter
(nur in manchen gegenden; an der Biala nur in Städten), vetter
und einige andere. In der Bielitzer ma. schwankt kürze und
halblänge in jstisohnma, kohnmer; länge haben hohner 'hammer',
säm^l 'semmel'; halblänge liegt vor in geSnetta 'geschnitten',
srett m. 'schritt', he^mmel und hemel 'himmel', während nur
hatteln entschiedene kürze hat. Sonst kommen u. a. noch vor:
dunner, tu fei 'tafel', zwippel, weder 'wider', odei\ Für Seif-
hennersdorf ist zu erwähnen tunä (nach gen. dunres) neben
tounä (nach nom. acc. donar)\ femer chritn 'geritten', ceSnitn
'geschnitten', neben c^zoutn 'gesotten' etc.
In der verbalflexion ist die kürze erhalten, wo durch Syn-
kope des tonlosen flexions-c geminata oder doppelconsonanz
entstanden ist; bei Weinhold schatt 'schadet'; gitt 'gibt', gait
'gebt', gehatt 'gehabt' (s. auch Kupka371. Michel §58e und
s. 26. Weinhold 1, 78).
§ 87. Als zweites dehnungsgesetz gilt für das schles.-
laus., dass in der regel der vocal in mhd. einsilb^en Wörtern
mit doppelconsonanz gedehnt wird; bei antritt einer flexions-
silbe oder ableitung erscheint wider die alte kürze. Diese
erscheinung darf wol mit als beweis gelten für die verwant-
schaft des schles. mit dem ostfr., die Weinhold 2, 214 f. betont
Belege zu unserem gesetze bieten die angeführten quellen;
im bes. verweise ich auf Michel § 59. 69. Kiessling 6 f. Waniek
25. 31,5. 34, a. 38,2. 41, §22, 3. 44,3. Klessel49f. Weinhold
26,3. 27,5. 28,2. 29,1. 36,9. 37,3. 42,2. 45,7. 46,8. 48. 51,2.
59, 5. 60, 9. 61, 5. 64, 8. Belege für die erhaltung der kürze in
der flexion und ableitung bei Weinh. 23. 32, 5. 33, 12 f. 59, 5.
Waniek 25. 42, § 23, 1.
Ausnahmen finden sich local beschränkt und allgemein;
s. Weinh. 23, 4. 25, 1. 31,4. 49,2. 52,2: 'neben den längen auf 6:
köp 'köpf, Wi'bock', loch, äcäWä 'schloss' etc. kommt im ge-
meinschlesischen an denselben orten das kurze u (s. Weinh. 56)
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN STAMMSIIiBENYOCALE. 213
vor nach einem Wechsel, der gesetzlos erscheint'. An der Biala
zeigt sich in manchen einsilbigen Wörtern nur halblänge (s.
Waniek 34, b. 38, 3); in anderen bleibt die kürze (s. Waniek
31,6. 34,4.5. 37 [§20,1]).
§ 88. Ausserhalb des rahmens des zweiten dehnungs-
gesetzes stehen die dehnungserscheinungen, die durch die
natur benachbarter consonanten bedingt sind.
In erster linie haben im schles.-laus. r-verbindungen deh-
nenden einfluss. In Schlesien wird nach Rückert, Zs. fdph.
4,331 der vocal vor jeder Verbindung von r mit muten und
Spiranten gedehnt; für die Bielitzer ma. sagt Waniek 21, 3
dasselbe.
Nach den von Weinhold mitgeteilten belegen hat diese
erscheinung jedoch nicht in dieser allgemeinheit giltigkeit;
ich verweise auf 23,4. 24,5. 25,1. 30,2.3. 31,4. 32,5. 33,8.
39,3. 49,2. 56,8. 57,11. 58,4. An der Biala kommen aus-
nahmen allerdings nur vereinzelt vor, zum teile nur an be-
stimmten orten; so in w€^rfa 'werfen', stuo^rch *storch', buo^^räta,
sumo^fz (die lautverbindung uo ist vor mehrfacher consonanz
prägnant kurz nach Waniek 39), gebürt u. a. Halblänge liegt
vor in harjs *herz' und Smarz * schmerz*. Beispiele für dehnung
vor r + cons.: gärten, gierte f. 'gerte', borte f., bor sehte f.,
gärschte u. a.
In der Bielitzer ma. tritt nicht selten auch vor r + w, m, n
dehnung ein: sirwa 'scherbe', wurm (pl. edrmer), Icärn 'kern'
u. a.; doch se'^rm 'schirm', duarn, 'dorn' und dim. dxe'hmla u. a.
In der Oberlausitz ist dagegen nur vor r + d,t,i,£ deh-
nung eingetreten und zwar in nur wenig mehr Wörtern als in
der Schriftsprache; s. Michel § 67: khirte 'karte', k^rtn 'garten',
Jcärste 'gerste', ceburt 'geburt' (aber cebtfrtj), würt 'wort', ürt
'ort', c$rte f. 'gerte', m^ril 'mörser', i>^i? 'schöpf, hirze 'hirse'.
§ 89. Vor der lautgruppe l + t, d, z wird im schles.-laus.
a gedehnt (s. Weinhold 27. 65. Eückert, Zs. fdph. 4, 331. Waniek
21 f. 38. Kupka 375. Michel § 65. Wrede, Anz. 21, 275). Im
grössten teile des gebiets auf dem linken Oderufer schwindet
der dentalexplosiv; erhalten ist er nach Wenkers atlas in einem
gebiete, das im W etwa durch die linie öolssen— Ruhland,
gegen N ganz ungefähr durch die *//cA- linie begrenzt ist;
im S umfasst die grenze die Wendel, zieht weiter von Muskau
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214 BITZERT
Über Sommerfeld nach Grünberg und dann ungefähr der Oder
aufwärts. Oestlich der Oder längs der W- grenze gilt in
schmalem säume äl Hiermit stimmt Waniek 21 und Kupka
s. 375 überein, die beide für ihre maa. erhaltung des explosivs
bestätigen; letzterer fügt hinzu, dass in dem benachbarten
Sorauer kreise aber derselbe schwindet; ebenso im Sprach-
atlas. Auch Seifhennersdorf hat erhaltenes t, d; Michel con-
statiert, dass die dehnung des a vor l + d,t völlig durch-
gedrungen ist; nicht von der dehnung wird das a betroffen«
das westgerm. e oder den späteren umlaut von a vertritt:
/aZ^'feld' etc.; femer in fremd Wörtern: aKa^altar', ^oZ^'post-
schalter'. Kürze in sah ist erhalten in einer enklave im süd-
lichen Schlesien mit Schweidnitz, Zobten, Beichenbach, Wartha,
Ottmachau, s. Wrede, Anz. 19, 102.
Dem nordschles. ist dehnung des e vor l + t eigen. Wein-
hold 45, 6. 7: gceild *geld', säilten * selten'. Vereinzelt trifft man
diese erscheinung auch im gebirge. Manchmal wird auch ein
anderer vocal gedehnt; ich finde als hierher gehörige beispiele:
schauldr ^Schulter', scJmuld ^schuld', gedauld; im Kuhländchen
bei Oderau in Mähren auch gould *gold'.
§ 90. Dehnung vor nasalverbindungen, besonders vor n +
verschlusslaut, ist dem N eigen; vereinzelt findet sie sich auch
in der gebirgsmundart, besonders im Kuliländchen. Diese
dehnungserscheinung betrifft e und seltner i (s. Weinhold 69.
Kupka 375). Beispiele: einde ^ende', meinsdi *meusch', sehize
^sense'. Vgl. auch W>ede, Anz. 19, 108: 'gedehntes i in teinter
wird bezeugt für Schlesien'.
§ 91. a) Vor cht wird nach Wrede, Anz. 21, 162 e gedelint
innerhalb des dreiecks Bautzen — Schwiebus — Hirschberg a. B.;
ferner um Ohlau und Falkenberg und an der oberst-en Glatzer
Neisse; s. auch Weinhold 27, 5. 45, 6. 7.
An der Biala erscheint e nur halblang; so in knachi etc.:
hier ist auch a vor urspr. ht gedehnt in nacht, weinächta.
Auch Seifhennersdorf hat dehnung des e vor cht: räjt
'recht', näjtn * gestern abend' etc.; aber fajtn 'fechten'; s.
Michel § 66. *
b) Vor ks < lis wird an der Biala a gedehnt: wäksa
* wachsen', äks^l, waks u. a.; wak's^ln * wechseln' und saJc's haben
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DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOGAIiE. 215
halblangen vocal (s. Waniek 34. 38). Nach Wrede, Anz. 18, 413
zeigt sich in sechs diphthongierung im Odergebiete von Frank-
furt bis Beuthen.
n. teü.
ZusammenfasBung der dehnungsersoheinungen
und vergleiohung mit den quantitätsverhältnissen der
Bohriftspraohe.
Nachdem ich im vorhergehenden den quantitativen laut-
wandel in den hauptdialekten des hochd. Sprachgebiets nach
seiner hauptseite: der dehnung der mhd. kurzen stammsilben-
vocale, zur darstellung gebracht habe, will ich im folgenden
versuchen, die resultate zusammen zu fassen. Dabei werde
ich gleichzeitig die entsprechenden quantitätsverhältnisse der
Schriftsprache zur vergleichung heranziehen und die frage er-
örtern, auf welchem dialekte die schriftsprachlichen quanti-
täten beruhen. Mein augenmerk habe ich, gemäss den obigen
ergebnissen, dabei nach zwei Seiten zu richten: wo ist die
dehnung spontan entstanden und wo durch benachbarte con-
sonanten bedingt?
1. Dehnung in offener silbe.
Spontan ist die dehnung mhd. kurzer stammsilbenvocale
in urspr. offener silbe eingetreten. Sehen wir vom hochale-
mannischen ab, in welchem im grossen und ganzen die urspr.
Verhältnisse bewahrt sind (vgl. § 1) und, wenige zur nhd.
dehnung neigende gegenden (s. § 3) abgerechnet, vocaldehnung
in offener silbe nur dann eingetreten ist, wenn die folgende
silbe mit r anlautet fs. § 2), so finden wir dieses gesetz für
alle dialekte gütig; s. § 15. 23. 30. 39. 47. 56. 68. 79. 84.
Paul hat Beitr. 9, 102 nachgewiesen, dass diese quantitäts-
Veränderung mhd. kurzer vocale mit dem silbenaccente, und
zwar mit einer bestimmten form desselben, dem schwach-
geschnittenen, zusammenhängt; s. auch Sievers, Grundzüge der
Phonetik* § 790.
Die frage, weshalb nun die mhd. kurzen vocale mit schwach-
geschnittenem accente der dehnung unterworfen waren, ist
gewiss keine müssige. Mich hat sie immer interessiert. Ihre
beantwortung findet sie m. e. in der für so viele fälle zu-
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216 RITZEST
treffenden annähme des natfirlichen strebens, mit möglichst
wenig muskelanstrengung und atemaufwand denselben zweck
zu erreichen wie mit viel (Max Müller); s. Kussmaul, Die
Störungen der spräche 243.
Auch J. Wolff betont in seiner vortrefflichen abhandlung
lieber die natur der vocale etc. (progr. von Mühlbach 1875),
s. 63 das bestreben nach physischer erleichterung der arbeit,
welches auch auf sprachlichem gebiete mehr und mehr zur
geltung gekommen ist. Dies ist zweifellos richtig; dagegen
aber nicht, was Wolff über die ausspräche der langen vocale
sagt, und damit komme ich zur begründung meiner ansieht
Wolff meint nämlich a. a. o., dass die anhaltende muskelaction,
mit welcher die ausspräche langer vocale verbunden ist, eine
grössere physische anstrengung erfordere als die bildung eines
kurzen vocals.
Die erfahrungen beim Sprachunterrichte taubstummer
sprechen direct dagegen. Das gedehnte sprechen der vocale
fällt dem Sprechschüler leicht, keineswegs aber die ausspräche
der betonten vocalkürzen. Das üben der letzteren bedarf
unendlich mehr zeit, und noch lange nach absolvierung des
ersten Sprechunterrichts tritt die neigung auf, die kurzen vocale
gedehnt zu sprechen. Für die technischen Sprechübungen der
späteren Schuljahre bildet deshalb das üben der kurzen vocal-
aussprache ein stehendes capitel.
Diese tatsache bildet füi- mich den grund zu der annähme,
die in den dialekten wie in der Schriftsprache eingetretene
delmung der alten kurzn vocale mit der physisch leichteren
gedehnten ausspräche zu erklären.
Häufiger kommt es vor, dass urspr. liquid- und nasal-
geminaten als einfache laute behandelt werden, so dass der
vocal vor denselben in den silbenauslaut zu stehen kommt;
s. § 2 (am Schlüsse). 5. 21. 36. 47, d. 55, d. 63. 78, a.
Dieselbe erscheinung begegnet uns vor explosivgeminaten
im mfr. (s. § 64) und vereinzelt auch sonst (s. § 38, a).
Das gesetz der vocaldehnung in offener silbe erleidet nun
nach zwei seiten hin abweichungen, die aber nur eine schein-
bare Willkür bedeuten und ihre erklärung in der * annähme
einer verschiedenen ausgleichung eines älteren wechseis'
finden.
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DEHNUNG DER MHD. KÜRZEN STAMM8ILBENY0GALE. 217
Einmal betrifft dies solche Wörter, in denen auf den stamm
noch ein sufflx folgt, meistens -el, -er, -em, -en; dann auch -et,
'ig u. a. Unter diesen Verhältnissen zeigt sich nun in allen
dialekten die neigung, die urspr. kürze zu bewahren (erklärung
s. § 16), und zwar besonders dann, wenn der stamm auf nasal
ausgeht (s. § 16. 23. 31. 41. 48. 57. 71. 80. 86).
Auch die Schriftsprache hat in den meisten fällen vor m
in zweisilbigen Wörtern auf -en, -el, -er die kürze erhalten:
ausgenommen sind nur nehmen, schämen, ziemen, name (flect.
namen\ scheniel; mit n steht donner dem part. geschienen
gegenüber. K. v. Bahder führt dies auf den einfluss südwest-
deutscher dialekte zurück (Grundlagen des nhd. lautsystems
s. 88). Es ist jedoch gar nicht nötig, so weit zu gehen, Wol
zeigen die alemannischen maa. vor m + sufflx consequent die
alte kürze; doch steht beispielsweise der grösste teil des
rheinfr. der Schriftsprache nicht nach; nur der N desselben
dehnt hier a, aber nicht die übrigen vocale. Ebenso liegt es
im mfr. Ganz besondere aber muss die Übereinstimmung des
obersächsLschen mit der Schriftsprache in dieser hinsieht hervor-
gehoben werden (s. oben § 80).
Gregen den schriftsprachlichen gebrauch, wo wir fast aus-
nahmslos länge finden, zeigt sich bewahrung der kürze in
vielen dialekten öfters auch dann, wenn der stamm auf liquida,
einfache spirans oder media ausgeht. Ich verweise auf die
vorliin genannten Paragraphen. Die mehrzahl dieser maa.
zeigt nun nicht allein den anderen gegenüber, sondern auch
in den einzelnen fällen die grössten Schwankungen. Viele
maa. haben aber in der regel länge oder doch in den meisten
fällen; zu ersteren gehören Basel, zu letzteren die ostschwäbi-
schen, bairischen, ostfränkischen, südthüringischen, schlesischen
und besonders auch die obersächsischen; wenn nach Albrecht
Leipzig auch zahlreiche kürzen erscheinen lässt, so gilt für das
ganze obersächsische gebiet doch die regel, dass die kürze nur
'zuweilen' bewahrt ist (vgl. Franke, Der obers. dialekt 36).
Gegenüber dem mundartlichen schwanken in den einzelnen
fällen behandelt die Schriftsprache diese Wörter aber con-
sequent.
Während die Schriftsprache in der verbalflexion auch in
den formen, in welchen durch synkope des flexions-6 geminateof
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218 RITZBRT
oder doppelconsonanzen entstanden sind, in Übereinstimmung
mit den übrigen formen die länge durchgeführt hat (aus-
genommen sind nur die 2. und 3. sg. praes. von nehmen und
treten), zeigen viele maa. hier die kürze (s. § 16. 31. 41. 48. 57.
71. 80. 86). Zur zeit des eintritts der dehnung stand also der
stammsilbenvocal in folge der vorausgegangenen vocalsynkope
nicht mehr in offener silbe.
Die zweite abweichung von unserem gesetze zeigt sich bei
vielen dialekten in manchen einsilbigen nominibus und im imp.
sing. In der Schriftsprache ist auch in diesen dehnung ein-
getreten, indem die vocaldauer der flectierten casus in die-
selben eingedrungen ist; sie zeigt also stets die fertigen er-
gebnisse der ehemaligen ausgleichung. In den dialekten
dagegen erscheinen mitunter solche fälle, in denen die aus-
gleichung noch nicht erfolgt ist, zuweilen hat sogar die quan-
tität der unflectierten casus den sieg davon getragen in dem
ganzen paradigma (s. § 17. 33, b. 40. 50. 59. 70. 81. 85).
Häufiger kommt es hierbei vor, dass die kürze bewahrt
wird, wenn der stamm auf liquida (besonders l) oder nasal
schliesst; s. § 18. 33. 40. 55. 59. 69. 85. Vgl. hierzu Heusler,
Beitrag zum consonantismus etc. 13.
Aus der Schriftsprache gehören hierher fromm (< vrom,
er um), zinn (< ssin) und toll (<tor); letzteres kommt freilich
mhd. auch schon als toll vor.
Während das unterbleiben der ausgleichung (wie in sik
m. ^sieg', aber flectiert sige im schles.) in den hochd. dialekten
nur- in seltenen fällen zu constatieren ist, bildet es für das
niederdeutsche mit ausnähme derjenigen einsilbigen Wörter, die
auf l und r endigen, die regel: weg, aber weges] netnen, aber
näm. In der niederfränk. ma. von Mülheim a. d. Ruhr, in der
die kurzen vocale in offener silbe stets gedehnt worden sind,
tritt auch bei den kurzsilbigen, die auf urspr. p, t, k, sowie
auf l, m, n, r ausgehen, der gedehnte vocal aus den obliquen
casus in den nominativ (s. Maurmann, Die laute der ma. von
M. § 128).
Ausgenommen von der dehnung sind in der Schriftsprache
mit wenigen ausnahmen die Wörter mit t, sowol ein- wie zwei-
silbige: blatt, Schlitten. Die erklärung dieser erscheinung s.
bei Sievers, Phonetik* § 792. Bahder sieht auch hierin einfluss
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DEHNUNG DEB MHD. KURZEN STAMMSILBENYOCALE. 219
alemannisch-schwäbischer maa. (Grundlagen s. 88), jedoch nicht
mit recht. Es stehen nämlich die alem. maa. (s. oben § 17. 23)
in der erhaltung der kürze vor t nicht allein; wir finden die-
selbe erscheinung im rheinfr. (§ 49), im X des mfr. (§ 58), im
gebiete des südbair. dialekts (§ 33) und, abgesehen von ver-
einzeltem auftreten, vor allem wider im obersächsischen (§ 81).
Gegenüber den Schwankungen des rheinfr. zeigt letzteres nahezu
vollständige Übereinstimmung mit dem schriftdeutschen: nur in
brett und städte (pl.) weicht es ab. Für die erhaltung der
kürze vor t im obers. vgl. auch die reimtafel bei J. P. Titz,
Zwei bücher von der kunst hochd. verse zu machen 1, cap. xiii,
mitgeteilt von v. Bahder a. a.o. s. 99. Nimmt man mit v. Bahder
einfluss des alemannischen mit seiner consequenten kürzeerhal-
tung vor < an, so bleibt unverständlich, aus welchem gründe
trotzdem in einigen Wörtern dehnung eingetreten ist und zwar
in solchen, die auch sonst in vielen maa. die alte kürze be-
wahren, wie in vater, pate, böte. Noch eher wäre an eine
beeinflussung seitens des rheinfr. zu denken, das, wie oben
gesagt, in den meisten fällen die dehnung nicht kennt, in
anderen aber dehnt; jedoch stimmen die einzelnen fälle nicht
mit dem schriftdeutschen, was aber im obers. der fall ist.
Aus diesem und dem obigen zusammentreffen der Schrift-
sprache mit dem obers. glaube ich den schluss ziehen zu müssen,
dass die quantitäten des nhd. auf diesem dialekte beruhen. Ich
befinde mich also im gegensatze zu v. Bahder und stimme Paul
zu, der a.a.O. 103 allgemein sagt, dass unsere Schriftsprache
doch nicht so sehr eine mischung aus verschiedenen maa. ist,
dass sie nicht im wesentlichen auf einer einheitlichen grund-
lage ruht.
Die annähme dieses Verhältnisses zwischen Schriftsprache
und obersächsischem dialekte ist um so wahrscheinlicher, als
die spräche Luthers, in der die meissnischen (obers.) elemente
dominierten und welche die grundlage der nhd. Schriftsprache
ist, in dieser beziehung vorbildlich wurde und zwar in der
form, die sie in seinen gedruckten Schriften, namentlich der
bibelübersetzung, erhalten hat (über das vorkommen der kürze
vor t in der Bibel von 1545 vgl. v. Bahder a. a. o. s. 96, und
über den gebrauch von tt gemäss Luthers Vorbild in anderen
denkmälem a. a. o. s. 99).
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220 BITZERT
2. Dehnung in geschlossener silbe.
a) Vocaldehnung in geschlossener silbe haben in allen
dialekten, wie in der Schriftsprache diejenigen Wörter, die auf
r auslauten: er, der etc., aber nur dann, wenn sie betont sind;
unter dem einflusse der accentlosigkeit zeigen sie kürze. Da
diese keine flectierten formen neben sich haben, in denen die
länge lautgesetzlich eintreten konnte, substituiert Paul a. a. o.
s. 110 deshalb für den wortauslaut das ende eines satztaktes
im satzzusammenhange. Für meinen heimatsdialekt liegt die
Sache einfacher; da r hier durch einen kurzen a-laut (= o)
ersetzt wird, bleibt die silbe nicht mehr geschlossen, und es
muss lautgesetzlich dehnung eintreten: gdwa < gdwoßo = *ge-
wahr'. Dasselbe gilt auch für andere dialekte, so für Hand-
schuhsheim, Seifhennersdorf : ha *er' u.a. Für die alemannischen
maa. fällt die dehnung vor r unter das capitel des dehnenden
einflusses auslautender lenis.
b) In einem gi'ossen teile des hochd. Sprachgebiets tritt
ausserdem in allen schon mhd. einsilbigen Wörtern mit doppel-
consonanz dehnung ein; es betrifft dies das ostschwäbische
(§ 25), bairisch-österreichische (§ 34), ostfränkische (§ 42), das
an letzteres grenzende südwestthüringische (§ 72) und schle-
sische (§ 87). Die alte kürze kommt wider bei antritt einer
Aveiteren silbe zum Vorschein; im ostschwäb. und ostfr. hat
auch der dat. sg. dieser Wörter gedehnten vocal (s. § 24 b. 44),
im bairisch-östeiT. und südwestthür. aber kürze (s. § 34. 72).
Ueber die erklärung dieser erscheinung vgl. Kauffmann,
Geschichte der schwäb. ma. § 127. Fischer, Geographie der schw.
ma. § 12. 0. Brenner, IF. 3, 297 ff. Streitberg, ebda. 305 ff. Bohnen-
berger, Alemannia 24, 29 und besonders Zs. fdph. 28, 515 ff. Mit
Kauffmann, Fischer und Bolmenberger ist daran festzuhalten,
dass die Stellung in tonsilbe, zumal in pausa, zur Verlängerung
des vocals führt. Dagegen scheint es auch mir nicht wahr-
scheinlich, dass die dehnung ein ersatz für den verlust der
germanischen nominativendungssilbe siei, wie Brenner glaubt.
3. Dehnung in folge consonantischen einflusses.
Von den durch die Qualität der dem vocale folgenden
consonanz bedingten längungen sind zunächst die im hoch-
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DEHNUNG DBB MHD. KUBZBN STAMM8ILBENV0CALE. 221
alem. vorkommenden vor lenis zu erwähnen (s. § 4. 6). Kauff-
mann, der dehnung auf conto folgender consonanz zu setzen
überhaupt nicht für annehmbar hält (a.a.O. 155, anm.2), erklärt
auch diese hochalem. erscheinung durch die Stellung in satz-
pause (so auch Fischer). Für Schaffhausen tritt nach Stickel-
berger, Beitr. 14, 414 ff. dehnung vor spirantischer und explo-
siver lenis freilich nur in pause ein (vor liquider und nasaler
aber immer); das verfahren der masse der hochalem. maa.
bleibt davon aber unberührt; dasselbe lässt sich nur durch
die dehnende Wirkung der folgenden auslautenden lenis er-
klären.
Allgemeiner verbreitet sind die dehnungserscheinungen,
die durch den einfluss von liquida oder nasal + consonant (in
den weitaus meisten fällen dentalexplosiv) verursacht werden.
Gegen Kauffmann a.a.O. 155 muss diese consonantische be-
einflussung besonders betont werden, denn andei-s lassen sich
die betreffenden längungen nicht erklären.
Am häufigsten wird a vor den genannten consonanten-
gruppen gedehnt, dann e (mhd. e) und seltener die übrigen
vocale. Im übrigen verweise ich auf das obige material und
füge die betr. paragraphenzahlen an.
a) Dehnung vor r -Verbindungen: § 8. 19. 26. 37. 51. 60.
73. 82. 88. Für das ostschwäbische, bairische, ostfränkische
kommt zudem in betracht, dass in allen mhd. einsilbigen Wör-
tern auf r + consonant dehnung eingetreten ist. Die schrift-
sprachliche dehnung von a und e vor r + cons. (die einzige
dehnungserscheinung vor doppelconsonanz, s. Paul, Grundriss
1, 559) hat also ihre entsprechungen im ganzen hochdeutschen
Sprachgebiete. Allerdings gehen nahezu alle dialekte weiter
als die Schriftsprache.
b) Dehnung vor l + cons. (meist in der gruppe a + l +
dentalverschluss mit fast regelmässigem Schwunde des letz-
teren): § 11. 20, a. 37. 46, c. 52. 61. 74. 83. 89.
c) Dehnung vor nasal + verschlusslaut: § 10. 20, a. 25. 28.
37. 46. 53, a. 62, a. 75. 90;
femer vor nasal + spirans mit Schwund des ersteren: § 9.
20, b. 27. 53, b. 62, b. 78, b.
Von dehnendem einflusse sind ferner urspr. lU und J^s;
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222 RITZEBT, DEHNUNG DER MHD. KURZEN STAMMSILBENVOCALB.
für die delmung vor ht s. § 12, 22, a. 25. 54. 66. 76. 91 und
vor hs, wobei die gutturalspirans ausfällt: § 13. 22, b. 29. 55, a,
67. 77. 91, b.
Dehnung vor doppelspiranten und Spirantenverbindungen
begegnet uns im mfrk. (s. § 65); ausserdem vor erst^ren in
einem beschränkten gebiete in Kärnten (s. § 38, b) und vor st
in einem mitteldeutschen bezirke an der Werra (s. § 46. b.
55, b. 78, a).
HOMBERG (bez. Cassel). A. RITZERT.
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KLEINE BEITRÄGE ZUR DEUTSCHEN
WORTFORSCHUNG.
1. abgetnergelt, ausgemergelt
ziehen Kluge, Heyne und Paul übereinstimmend zu marl n.,
wobei sie an bildliche redensarten wie einem das mark aus-
saugen anknüpfen. Hierbei bleiben lautliche Schwierigkeiten;
wenn sich auch das g des Stammes aus der älteren wortform
zur genüge erklärt, so bleibt das ?-suffix auffällig; man würde
^-margen erwarten. Dass der nächstliegenden ableitung von
mergel ^argilla', mergeln *mit mergel düngen' von den genannten
forschem und ihren Vorgängern ausgewichen wurde, beruht
wol auf der er wägung, dass eine düngung Verbesserung des
bodens bedeute, also grade das gegenteil von dem was man
bei abgemergelt, ausgemergelt empfindet. Dennoch ist hier das
nächstliegende zugleich das richtige. Jeder landwirt weiss,
dass mergeldüngung eine reihe vortrefflicher ernten ergibt,
dass aber schliesslich der boden davon schlechter wird als er
vorher war; die bauemregel: mergeln macht reiche väter und
arme söhne drückt das Verhältnis zutreffend aus. Der grund
davon liegt in dem kalkgehalt des mergeis, der den boden
energisch aufschliessst und die pflanzen veranlasst, alle im
boden irgend vorhandenen nahrungsstoffe herauszuziehen, wo-
durch natürlich ein an sich armer boden bald genug gründlich
erschöpft wird. Vgl. noch das von Heyne unter ausnutzen
angeführte citat aus Maaler (1561): aussnutzen, ein erdtrich
auszmärglen und ersaugen,
2. ammer f. 1)
'ein Singvogel', spätahd. amero, mhd. amer (Heyne). Die von
Kluge und Heyne zweifelnd gegebene ableitung von ahd. amar
'sommerdinker, die lautlich tadellos ist, scheint mir auch in
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224 LIEBICH
hinsieht auf die lebensweise des vogels und auf andere vogel-
namen wie distelfink, Mnfling annehmbar. Das von Heyne
auch angeführte synonym ämnierling ist sogar eine genaue
parallelform zu hänfling. Der mlat. und zoologische name
emheriza ist nur widergabe eines anderen Synonyms, des jetzt
veralteten deutschen emmeritjn, das Kluge unter Stieglitz auf-
führt. Hinzuzufügen wäre nur, dass auch ahd. amar heute
noch fortlebt, als ammer in der Schweiz und Hessen, emer,
emmer, im schwäbischen u.s.w.; vgl. Pritzel und Jessen, Die
deutschen volksnamen der pflanzen (1882). Die botaniker
nennen die pflanze triticum dicoccum,
. 3. ammer 1 2)
*eine kirschenart' (Heyne). Es ist die Sauerkirsche, prtinus
cerasuSy die in Mittel- und Niederdeutschland auch amareUe,
marille etc. heisst,' namen, die alle auf das von Heyne an-
geführte mlat. amarellum zurückgehen; und zwar stehen sich
ammer und marille ebenso gegenüber wie oberd. ampel und
nd. pulle, die beide aus ampulla, diminutivum von amphora
stammen. Mlat. amarellum selbst aber ist wol nicht entstellung
aus arnmiiacum, wie Heyne u. a. vermuten, sondern nach dem
gleichbedeutenden it. amara^co, amaraschino (davon unser
maraschino, eig. kirschenliqueur) zu schliessen, ableitung von
lat. amurus. Die Verbreitung des Wortes durch die mundarten
und seine Übertragung auf die aprikose im südöstlichen gebiet
verdiente wol eine genauere darstellung.
4. ausverschämt
stammt aus dem plattdeutschen oder ist vielmehr nui* eine
Übertragung des .plattd. utverschamt; eine dem hd. * unver-
schämt' genau entsprechende negierende bildung gibt es im
plattdeutschen nicht.
5. hackbordy steuerbord
= 'linke, rechte seite des schiffes'. Die begriffe *links' und
'rechts' werden mit Vorliebe durch concretere bezeichnungen
ersetzt, die gewöhnlich sehr gut gewählt sind. Warum das
rechte wagenpferd handpferd, das linke sattelpferd heisst, be-
greift man sofort: wenn der kutscher reitet, so legt er den
Sattel stets auf das pferd zur linken, um den andern gaul mit
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KL, BEITRÄGE ZUR DEUTSCHEN W0KTF0B8CHUNG. 225
der rechten hand regieren zu können. Schwerer ist es zu
verstehen, warum unsere seeleute die obigen bezeichnungen
gewählt haben, und sie selbst wissen keinen grund dafür an-
zugeben.
Fragen wir unsere Wörterbücher um rat, so suchen wir
steuerbord vergebens. Zu hackhord bemerkt Heyne: ^aus dem
niederdeutschen aufgenommener Schifferausdruck, linke hinter-
seite des schiffes; eigentlich seite, die der Steuermann im
rücken (niederd. engl, ftocfc) hat'; Kluge: *eig. der rand, die
Seite, welche dem mit der rechten hand das Steuer lenkenden
Steuermann links im rücken liegt, die linke hinterseite des
Schiffes'; Paul: 'aus nl. bacboord, linke hinterseite des schiffes,
eig. rand, der dem Steuermann im rücken liegt'.
Was die von Paul allein angenommene entlehnung aus
dem niederländischen anlangt, so ist diese abzulehnen wegen
des hohen alters der betr. worte, die, wie unten gezeigt wird,
schon lange im gebrauch waren, bevor sich das nl. als eigne
spräche vom mnd. ablöste. Zu dem allen dreien gemeinsamen
teil der erklärung ist zweierlei zu bemerken: erstens ist 6acÄ-
bord nicht die linke hinterseite, sondern die ganze linke seite
des schiffes, und zweitens sitzt oder steht der Steuermann gar
nicht schräg, sondern wie bekannt mit dem gesicht nach vorn.
Für das von mir behauptete hohe alter der beiden worte
spricht zunächst ihre weite Verbreitung in den heutigen germ.
und rom. sprachen, die aus folgender Zusammenstellung her-
vorgeht:
nl. bakboord — siuitrboord
d&n. bagbord — styrbord
schwed. babord — styrbord
engl. — 8tarboa/rd
franz. babord — trtbord
Span. babor — estribor
portug. babordo — esttbordo
it. babordo — tribordo.
Die reihe ist vollständig bis auf das englische, in dem heute
nur das zweite der beiden worte fortlebt, aber grade hier tritt
das angelsächsische mit bcecbord und steorbord in die lücke
und beweist uns zugleich, dass beide Wörter schon vor einem
Jahrtausend auf germanischen meeren in gebrauch waren. Auf
noch höheres alter weist die form der entlehnung in den
Belträye zur ge«ohIchte der deuttohen spräche. XXIII. ^5
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226 LIfiBICH
romanischen sprachen, da tribord etc. sich nur aus einer nicht
überlieferten, aber auch für das germanische vorauszusetzenden
älteren form *stiuribord oder *styribord befriedigend herleiten
lassen, unter Verschiebung des accentes auf das zweite glied
der Zusammensetzung. Damit sind wir schon bis in die
Wikingerzeit gelangt, und wenn wir deren reste betrachten,
so löst sich das rätsei in überraschender weise: sowol das alt-
sächsische boot in Kiel (zeit 2. — 4. jh. n. Chr.) als das wikinger-
schiff in Christiania (aus dem 9. jh.) haben das Steuer nicht
wie unsere heutigen schiffe am hintersteven, sondern an der
rechten seite, und dieselbe construction zeigen sehr alte dar-
stellungen von schiffen in Skandinavien (vgl. Boehmer, Pre-
historic naval architecture, Smithsonian report 1891, flg. 112
— 115). Das Steuer hieng freischwebend in einem lederringe
und musste mit beiden bänden geführt werden, wodurch der
Steuermann genötigt war, so zu sitzen, dass er der linken
Seite des Schiffes den rücken zukehrte. Für ihn konnte es
also keine näher liegende bezeichnungsart der beiden selten
geben, und da die ämter des Steuermanns und capitäns ur-
sprünglich wol in einer person vereinigt waren, so teilten sich
durch seine commandos diese namen auch der übrigen mann-
schaft mit. Die einmal eingeführten bezeichnungen aber
pflanzten sich von einer generation auf die andere fort und
überdauern die einrichtung, der sie ihren Ursprung verdanken.*)
6. bugsieren,
nl. boegseeren, ist nicht eine verdunkelte Zusammensetzung mit
bug, wie Heyne vermutet, sondern entlehnt aus portug. iMiowr
* ziehen, schleppen' (Kluyver, Tijdschr. v. ned. taal- en letterk.
13 (1894), 158. Da dieses selbst aber = lat. pulsare ist, so ist
bugsieren am nächsten mit unserem puls verwant
7. drüse, druse f.
Kluge unterscheidet (ebenso Heyne und Paul):
druse ^ * verwittertes erz', nur nlid.; dunkler abkunft;
[») Vgl. hierzu jetzt auch Reinh. Werner, Gott. gel. anz. 1897, 361 (Tom
28.inai 1897): ^der name steuerbord für die rechte seite des schiifes dOifte
mit grösster Wahrscheinlichkeit wol daher stammen, dass alle antiken
schiffe bis zu der flotte Wilhelms des eroberers das Steuerruder an der
rechten seite des schiffes aufgehängt hatten '. £. S.]
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KL. BEITRÄGE ZUR DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG. 227
druse^ 'eine krankheit des pferdes', nhd.; identisch mit drüse,
drüse aus mhd. drüese, druose (daher nhd. die nebenform druse\
nur mit specialisierter bedeutung).
Die doppelformen drüse — druse, mhd. drüese — druose,
sind nur mundartliche doubletten wie säule und saule, und
zwar ist die form mit umlaut oberdeutsch, die ohne umlaut
mitteldeutsch (vgl. Weinhold, Mhd. gramm.^ s. 140). Noch heute
sind drüse und druse begrifflich nicht überall geschieden; im
allgemeinen spricht man von drtisen als krankheit bei den
pferden, von drüsen bei den menschen (in beiden fällen han-
delt es sich um eine Schwellung der lymphdrtisen); doch hörte
ich in der Niederlausitz auch die skrofelkrankheit der kinder
als drusen bezeichnen.
Als grundbegriff des Wortes ergibt sich aus den ahd. und
mhd. belegen: anschwellung am körper, gewöhnlich krank-
hafter art, mit flüssigem Inhalt. Heute bezeichnen die ana-
tomen als drüse alle sackartigen secemierenden ausbuchtungen
im tierischea-körper und sprechen nicht nur von lymphdrüsen,
Speicheldrüsen, tränendrüsen, sondern fassen selbst die leber,
die milz, die lunge als grosse drüsen auf (vgl. Ranke, Der
mensch 1^, 42). Die botaniker sprechen von drüsenhaaren, haaren
mit kolbig erweiterter spitze, die eine flüssigkeit ausscheiden,
wie beim Sonnentau (drosera), aber auch von dräs&nschuppen,
drüsenzottm etc. Unter diesen umständen scheint es mir nicht
gerechtfertigt, druse im mineralogischen sinne für ein anderes
wort anzusehen, zumal die deflnition * verwittertes erz' sehr
unzulänglich ist: drwÄe« sind blasenförmige hohlräume in
plutonischen gesteinen, die gewöhnlich reichlich krystalle ent-
halten. Die walü der namensform ohne umlaut erklärt sich
zur genfige daraus, dass die deutschen mittelgebirge, in denen
sich der bergbau entwickelte, im bereich der mitteldeutschen
mundarten liegen.
8. Uel'^ m. (Kluge).
Als älteste überlieferte form führen die Wörterbücher and.
und ahd. Mol auf, während Kluge als mutmassliche altgerma-
nische form *kiula' ansetzt. Diese von ihm auf grund der
lautgesetze erschlossene form ist aber überliefert und das
Sternchen daher zu streichen. Vgl. Gildas ed. San-Marte (1844)
15*
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228 LIBBICH
s. 132: qualiter gens Saxonica cum tribus hyulis Britanniam
appulerit; ebda. s. 151 (= Mommsen s. 38): tribus, ut lingua
ejus (i. e, Saxonis) exprimitur, cyulis, nostra lingua longis
navibus (die zweite stelle schon bei Ducange unter ceola); vgl.
femer die entsprechende stelle bei Nennius ed. San-Marte s. 47
(= Mommsen s. 171): interea venerunt tres ciulae a Gemwnia
expulsae in exilio u.s.w. Eine noch ältere lautstufe liegt vor
in finnisch keula 'steven'.
9. lägmi und trügen.
Von 23 starken verben der m-reilie, die Wilmanns fürs
nhd. aufzählt, zeigen nur diese beiden im praesens ü gegenüber
dem ie von bieten, biegen u.s.w. Fragen wir, wie das ge-
kommen ist, so lautet die antwort für trügen: 'durch anleh-
nung an trug und an lügen, womit es oft formelhaft verbunden
wird' (Paul); für lügen: * durch anlehnung an lug und lüge\
Beides ist zweifellos richtig: aus den historischen angaben bei
Heyne erfahren wir, dass lügen für liegen schon im 17. jh.
emporkommt, um 1770 allgemein angenommen ist, während
tmgen noch von Adelung zurückgewiesen und erst von Campe
(1707) durchgeführt wird. Der process ist also von lügen
ausgegangen. Auch die anlehnung an lug, lüge liegt auf der
band, und es bleibt nur noch die frage offen, warum die gleiche
erscheinung sich nicht auch bei anderen verben dieser klasse
gezeigt hat, warum man z. b. nicht auch nach flug *flügen
und nach schub *schüben bildet.
Ich denke mir den hergang folgendermassen: durch das
monophthongierungsgesetz wurde aus mhd. liegen Itgen, durch
das nhd. dehnungsgesetz aus mhd. ligen *jacere' ebenfalls ligen.
Es trafen also von verschiedenen selten kommend gewisser-
massen zwei parteien auf einem punkte zusanunen, und es
begann ein kämpf, der wie überall mit der Verdrängung des
schwächeren teiles endete. Ugen 'mentiri' war schwächer, weil
ligen 'jacöre' nicht nur selbst häufiger gebraucht, sondern auch
durch eine zahlreiche verwantschaft (läge, lager, legen etc.)
gehalten wurde. Bei diesem kämpfe gieng das praesens von
Ugen 'mentiri' fast zu gründe; am längsten hielten sich noch
die formen du leugst, er leugt, die mit den entsprechenden von
ligen ' jacere' lautlich nicht zusammenfallen: Lessing gebraucht
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KL. BEITRAGE ZUR DEUTSCHEK WORTFÖRSCHTTNO. 229
sie noch gelegentlich und im schlesischen gebirge kann man
sie heute noch hören. Sonst kam an seiner stelle eine jüngere
neubildung auf, die auch von der alten wurzel abstammte und
den veränderten Verhältnissen besser angepasst war.
Ist diese erklämng richtig, so liefert sie uns den' Schlüssel
für das Verständnis einer ganzen reihe ähnlicher fälle. Es ver-
dient jedenfalls beachtung, dass wir so oft, wo wir ein wort
scheinbar ohne grund absterben sehen, ein anderes gleich-
lautendes nachweisen können, das ihm überlegene concurrenz
zu machen scheint Hier noch einige beispiele:
aiAe ^schafmutter', indog. ovis, zurückgehend neben aue
'wasserland';
ahd. pilidäri ^bilder', noch in Schillers glocke gebraucht,
heute etwa noch in Zusammensetzungen wie essigbilder, sah-
büder, sonst gewichen vor bildner, mhd. hüdenasre^ da jenes im
nhd. mit der mehrzahl von hild zusammenfällt;
enkell) 'fussknöchel' und enhel2) ^kindeskind' schliessen
sich in der mundartlichen Verbreitung gegenseitig aus (vgl.
Kluge);
got. filhan, ahd. felahan, heute noch in befehlen, empfelUen,
scheint als simplex gewichen zu sein vor dem im mhd. ein-
gedrungenen fehlen = fr. failUr;
geisel f. ist in den östlichen mundarten verdrängt durch
das slavische jjeiYscī, vielleicht wegen ^et^eZ 'kriegsgefangener'.
Die form geissei, historisch unberechtigt, würde dann einen
älteren differenzierungsversuch darstellen. Dagegen scheint
geisel f. auf das geschlecht von geisel 'kriegsgefangener' störend
zurückgewirkt zu haben, das im ahd. und mhd. nur m. oder n.,
nicht f. ist;
mhd. giht *geständnis', gichtig 'geständig' (bis ins 17. jh.),
untergegangen wegen gicht 'arthritis', gichtig 'paralyticus';
grus ' Schutt' hat die eigentlich hd. form grauss nahezu ver-
drängt, weil dieses mit graus * schreck' lautlich zusammenfällt;
*haber, der gemeineurop. name des Ziegenbocks, an. Jiafr,
lat. caper, gr. xdjtQog, neben hoher, hafer 'avena'; nhd. noch in
habergeiss, n. einer schnepfenart, die zur begattungszeit einen
meckernden ton hören lässt, haberhart Hragopogon, geissbart',
haberschlehe *prunus insititia, bocksschlehe' (nach der bock-
hodenähnlichen gestalt der fruchte) u. a.;
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2S0 LiBBicn.
warum hat bei hart *durus' die adverbiale form die adjec-
tivische (mhd. lierte) verdrängt, im gegensatz zu fest, schön,
süss u. a.? Zwei umstände dürften damit in Zusammenhang
stehen: einerseits die besondere Verwendung der adverbia fast,
schon, andererseits dass als abstractum dort nur härte in ge-
brauch ist, während hier in nicht gehobener rede nur festig-
keit, Schönheit, süssigkeit gebraucht werden;
ahd. mhd. hunt 'centum' neben hunt ^canis'; neben jenem
kommt am ende der ahd. zeit das compositum hundert auf,
das heute allein den platz behauptet;
keller 'cellarius' verdrängt durch kellner 'cellenarius', zur
Unterscheidung von keller 'cellarium'; bei letzterem schon im
ahd. geschlechtswechsel (vgl. geiseT);
nhd. kissen n. gegen mhd. küssen, nl. küssen aus mlat.
ctissinus. Das mundartliche i für ü hat in die hochsprache
eingang gefunden, weil man dadurch eine Unterscheidung von
dem verbum küssen 'osculari' gewann;
lecken 'mit dem fuss ausschlagen' bei Luther neben lecken
*lambere'; die im vorigen jh. eingeführte Schreibung mit un-
organischem ö ist für die erhaltung ohne einfluss geblieben.
Ein drittes lecken * undicht werden' ist nur nd.;
mhd. lit, im nhd. durch glied ersetzt, weil hier mit mhd.
Hat 'zusammenfallend;
ahd. mund f. 'hand' neben mund m. 'mund', nhd. nur noch
in mündig, mündel, vormund, mundtot^ keine von diesen bil-
dungen hat eine entsprechende von dem m. mund neben sich:
säule 'ahle', nlid. noch in pinsel2) (vgl. den nachweis bei
Heyne) und in mundarten, aber zurückgehend, neben säule
'columna';
*trachc (engl, drake) 'männliche ente', nur noch in entridi
= ahd. antrehho für anut-trehlio, neben dradie, ahd. trahho,
aus gr. ÖQoxoov] im engl., wo letzteres dragon lautet, fällt
diese concurrenz weg;
ahd. wthan 'kämpfen' neben wlhan 'weihen', nhd. nur noch
in geweih, weigand, weigern und vielen eigennamen.
Man wird nun vielleicht einwenden, dass es noch heute
homonyme gibt, die ruhig neben einander fortbestehen, ohne
dass eines von ihnen spuren des Verfalls zeigte, wie malen
und mahlen, weide 'futter' und weide 'salix'. Ich glaube, da<?s
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KL. BEITRÄGE ZUR DEUTSCHEN WORTFORSCHUNG. 281
1 dieser einwand durch die betrachtung entkräften lässt,
s in einer lebenden spräche ebensowenig als in der natur
bewegung zum abschluss gekommen ist. Auch handelt es
i hier nicht um einfache, gleichmässige Vorgänge, sondern
das zusammenwirken mehrerer factoren, die für jeden fall
verschiedenem werte sind, häufigkeit des gebrauchs, vor-
densein eines ersatzes u. a. So bildet man ein nomen
itis auf -er nur von malen, nicht von mahlen, weil sich
das fremdwort m>olinarius = müller als ersatz bot. Auch
Unterscheidbarkeit durch die schrift wird einen gewissen
ervierenden einfluss ausüben.
So einschneidende lautgesetze, wie sie den Übergang vom
zum nhd. kennzeichnen, haben für tausende von Wörtern
Verhältnisse geschaffen, die die spräche seither in stiller
it mit einander in einklang zu setzen sucht. Neu auf-
mmene Wörter, aus den mundarten wie aus der fremde,
len ständig am Wettbewerb teil, verursachen aber nur
ere Störungen. Und noch ehe die nivellierenden und ans-
äen kräfte ihr werk beendet haben, werden neue laut-
ze neue revolutionen bewirken, worauf dann das alte spiel
^orn beginnen wird.
s^atürlich beruht die erscheinung nicht auf einem mysti-
, selbständigen leben der spräche. Diese ist nur das
e abbild des denkens, das selbst nur eine function der
blichen seele ist. Vielmehr werden wir den grund in
melir oder weniger unbewussten auslese von Seiten des
enden zu suchen haben. Dieser wünscht in erster linie
nden zu werden, und wenn er die wähl hat zwischen
ausdrücken, so ^^ird er den bevorzugen, der bei dem
i sicher den gewünschten begriff hervorruft und keine
rage zur folge hat. Aber es ist doch von hohem inter-
1 beobachten, wie sich selbst in diesen äusseren abbildern
en gesetze widerspiegeln, denen alles lebende ohne aus-
untei-worfen ist.
^KSLAU, 16. mai 1897. B. LIEBICH.
> yervoUst&ndigt am 17. dec.)
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ZUR ALTWESTFRIESISCHEN LEXIKOLOGIE.
Siebs hat im Literaturblatt für genn. und rom. phiL 1897.
s. 219 ff. einigen in meiner schrift Zur lexikologie des altwest-
friesischen vorgeschlagenen f assungen eine abweichende deutung-
gegenüber gestellt. >) Ob mit recht oder unrecht, möchte ich
hier in der kürze untersuchen.
S. weist für statt regelrechtes wrhUt stehendes tarhlitten
* berüchtigt' auf nwfries. bretn ^gebraten' hin, eine compromiss-
bildung aus regelrechtem ^breden (nwfries. brtadn) und nach
analogie von *bW etc. (p. praet. zu bleda * bluten' etc.) gebil-
detem *brSt (nwfries. bret); es sei in ähnlicher weise auch
-hlMten entstanden aus -hWt und nach analogie von *breden
etc. (p. praet. zu *breda T^rateri' etc.) gebildetem *-Äterfen (nwfries.
Miadn), Diese fassung ist gewis plausibler zu nennen als die
von mir vorgeschlagene: wrhUtten für wrhWt durch einflnss
von *wrhUden gravatus. — Nach S. soll kerne in Hweerso eeti
wedue manneth and se da bern to baehnond sette, so nyine hiö
dat kerne and dat kaepländ kälff witka bern nicht subst. =
*emte', sondern pron. poss. fem. sein ('so nehme sie das ihrige')
und das bc der parallelstellen nicht 'ernte' (= as. beo\ son-
dern 'unbewegliche habe' (= ags. bü 'wohnung') bedeuten
(dass Zur lexik. s. 5 z.l3 'unbewegliche habe' druckfehler ist
für 'bewegliche habe', leuchtet dem leser des artikels Be so-
fort ein). Er vergisst dabei: 1. dass kerne, das (nicht öfters,
wie S. behauptet, sondern nur einmal) im ms. Roorda bezeugt
ist, an der belegstelle als acc. sg. masc. steht {dat di fader
aegk syne dockter neen man to jaen wr kerne willa), also -ne
>) Nach anlass von Siebs' bedauern, dass Zur lexikologie an nicht leicht
zugänglichem orte ernchienen sei, bemerke ich, dass alle die im auftrage
der Koninklijke akaderaie van wet^nschappen erscheinenden werke im
handel sind.
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ZUR xXliTWESTFRIES. LEXIKOLOGIE. 233
als suffix des erwähnten casus enthält (vgl. auch hirres erwen-
schips Ag")160, om herre bede wiUe Ag. 104, Märer sied gen.
Seh 772, etc.); 2. dass he als * unbewegliche habe' sich an den
belegstellen nicht mit der Zur lex. s. 5 ausdrücklich hervor-
gehobenen rechtsregel reimen liesse. — Biferdia wäre, wie S.
meint, schon von v. Eichthofen, Wb. 750 richtig als *fredus
zahlen' erklärt. Aus der Verwendung des wertes an der frag-
lichen stelle Als dy frucht (die durch ein ti^ beschädigte
feldfrucht) hyferdeth wirth myt acht panden fan dis riuchtes
wegenaj d. h. aus den hinzugefügten werten fan dis riuchtes
wegena ergibt sich jedoch zur genüge, dass hier nur eine
Übersetzung durch 'mit fredus belegen' am platze ist. — Mit
berewed schip soll nach S.'s ansieht vielleicht 'ein aufgetakeltes,
fahrtbereites schiff' gemeint sein, indem das p. p. mit plattd.
bereven, ndl. reef in Zusammenhang stände. Die bedeutung
von reef 'Vorrichtung zur Verkürzung des segeis' spricht in-
dessen keineswegs zu gunsten solcher annähme; und dass
übrigens berewed schip 'mit waaren geladenes schiff' und
nichts anderes bedeutet, geht ganz klar aus der betreffenden
belegstelle hervor: Hwaeso faert ti ene bireweda schipe . . .
aldeer di man leyt omme ribchta neringha ende nimth
him gyn goed of, deer hi sculde zyn lyf fan feda etc. —
Formen wie westfries. bedle neben bidle, bedlinjse F neben bir-
lenze, birnze lassen bei S. [der auch eine Schreibung (?) wie
wernsdei für *wedenesdei vergleicht] keinen zweifei aufkommen
an der Verbindung von Urlenze, birnze 'aussteuer' mit utbedhi
'aussteuern'. Wie lautet aber, möchte man fragen, ein hierher
gehöriges gesetz für r aus d vor Z? Wie liesse sich diese
lautentwickelung gegenüber der sonstigen erhaltung von d
vor l erklären? Die von S. ins feld geführten saterl. b&dig^
aus bern, bad^jd aus *barnia (?) können hier ja schwerlich
dienen. Und ausserdem sollte das auf assibilierung hinweisende
z von Urlenze, birnze ausdrücklich vor der annähme einer form
mit (i- bez. j-losem) suffix -inga warnen. — Für dreive in ief
hi sine bannena wey naet wirtza (reparieren) nelle ende hyt
drewe Ute ieer ende dey will S. statt an. drei fr 'zerstreut'
as. dröbi heranziehen und beruft sich dabei auf nwestfläm.
*> Wegen der hier verwanteii sigeln s. Beitr. 19, 345 anm.
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234 VAN HELTEN
droeve kost, droef werk, eene droeve tvoning, een droef huis mit
droef^ elend' (man vgl. auch mul droeve * unglückselig, elend').
Liegt es aber nicht näher, für unsere stelle an einen * lockeren,
unfesten' als an einen 'elenden' weg zu denken? — Für djsie
oder dzie *ja' glaubt S. (der die Quantität des vocals unent-
schieden lässt) an die möglichkeit einer entstehung aus jege
oder aus Y (aus thet) + sie 'sei' oder sku 'geschehe' oder aus
je + sie bez. skU] ent Wickelung von d^fte aus (fe (für des gen.
sg. ntr. des dem.) und je lehnt er ab mit rücksicht auf die
Schreibung dzye (Jurispr. Fris. 63, 7), deren y auf eine compo-
sition mit sie oder skie als zweitem element hinweisen soll.
Hier drängen sich uns eine reihe fragen auf. Was berechtigt
zur annähme eines in folge starker aspiration aus j entstan-
denen djsj? Wie soll die Schreibung dzye auf eine ausspräche
djsye hinweisen, wo doch bekanntlich in der hs. der Jurispr.
y auf schritt und tritt als zeichen für unsilbischen halbvocal
begegnet (vgl. hlyüwa, dryuwen, foerlyoest, foerlyest, byeda,
syaende, syucht, hyaere etc. etc.)? Wie wäre wol die ansetzung
von optativformen sie, sku statt der unzweideutig durch die
tatsachen erwiesenen »jfi, sk^e zu begründen? Wie Hesse sich
in eventuellem, aus t + sie oder skle hervorgegangenem dj^
der stimmhafte anlaut begreifen? Kurzum keine von Siebs'
möglichkeiten ist aus phonetischen gründen für möglich zu
halten. Hingegen ist die (durch mnl.ja^, s. Mnl. wb. 3,975f.,
gestützte) deutung aus des + je lautgesetzlich unanfechtbar.
— Das nomen eedcrsclp vergleicht S. nicht mit an. aedra,
sondern mit ahd. atar 'sagax, celer' und erklärt es als 'un-
gestüm, fahrlässigkeit'; die von mir vorgeschlagene (und be-
gründete) Übersetzung durch 'furcht' soll keinen sinn geben.
Für die letztere behauptung vermisst man eine begründung;
für die erstere wäre deutung der sonderbaren begriffeentwicke-
lung ('scharfsinnig' : 'ungestüm' : 'fahrlässig') erwünscht —
Unrichtig ist femer Siebs' behauptung, dass die erklärung von
awfries. yare schon in Schiller-Lübbens Wb. 2, 13 gegeben sei
— Für (jette 'machte übereinstimmend' setzt Siebs nicht ein
erschlossenes *gedda (zu ahd. gegat ' übereinstimmend') an,
sondern ein mit ahd. giiaten, mhd. güeten zu vergleichendes
*geda aus *gödjan (einem factitiv zu gadia). Mit welchem
recht? Doch wol nicht auf grund von ahd. giguat^n (sih)
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ZUR ALTWESTFRIES. LEXIKOLOGIE. 235
^sich als gut bewähren', mhd. güeten ^gut machen, als gut er-
weisen' etc.? — Für to, te wetande ^eidlich zu beanspruchen,
gerichtlich zu entscheiden' beansprucht S. eine herkunft aus
waitjan (wol causativ zu toitan 'strafen', vgl. Heck, Die alt-
friesische gerichtsverfassung s. 427). Wenn aber to, te wetande
gleichbedeutend ist mit dem praeteritopraes. wita, -ande etc.
* eidlich beanspruchen, gerichtlich entscheiden u. s. w.' (s. Zur
lexik. s. 24 anm. 2) und der Wechsel von e und i hier auch
grade keine Schwierigkeit bietet, so dürfte es wol geboten sein,
wetcmde mit mtande etc. zu identificieren, zumal wo die be-
deutungen' 'eidlich beanspruchen, gerichtlich entscheiden' sich
nicht so leicht mit einer gedachtem waitjan eventuell beizu-
messenden factitiven bedeutung in einklang bringen Hessen.
— Ob die meinung, dass für regelrechtes gü^ef^d in folge einer
durch quad veranlassten accentverschiebung gelegentlich eine
ausspräche gue'd eingetreten wäre, so sonderbar ist, dass sich
nach S. wol schwerlich jemand dazu bekehren möchte, sei dem
urteil anderer überlassen. Sicher ist es, dass S., als er die
Worte ^Gweed ist statt des häufigen gued (vgl. fuet *fuss') nur
in Ro bezeugt und darf durch Unkenntnis des Schreibers er-
klärt werden' niederschrieb, weder genügend das überaus
häufige ue von gtied gegenüber sonstigem nur selten mit ue
oder m(w) wechselndem o (oo) oder oe für aus germ. ö ent-
wickelten laut (vgl. Beitr. 19, 397 anm.) beachtet, noch auch
der tatsache rechnung getragen hat, dass, indem w + vocal-
zeichen eine gewöhnliche awfries. Schreibung ist für diphthong
mit unsilbischem ti als erstem element, das häufige gwe(e)d
unbedingt auf einen diphthong mit solchem componenten hin-
weist. — Die fassung von clesie (-clisme) als 'brutzeit' soll
nach S. sachlich unmöglich sein, weil an der betreffenden
belegstelle die erwähnung eines festen termins erforderlich
wäre. Man beachte jedoch, dass aus der am schluss des
artikels clesie citierten bestimmung ausdrücklich die not-
wendigkeit hervorgeht, in dem ausdruck die bezeichnung eines
ungefähren termins zu erblicken. Wenn S. sich aber unter
berufung von thet lidse des Apographons gegen die anknüpfung
von clesie, theclißzie an an. klel(ja 'eier legen, brüten' ausspricht
und meint, jenes ds weise eher auf assibilierung der media
als der tenuis hin, so sei bemerkt, dass eine offenbar verderbte
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236 VAN HELTBN, ZUR ALTWESTFRIE8. LEXIKOLOGIE.
lesart hier schwerlich ins gewicht fallen kann. — Das epi-
theton des septuagesima-sonntags sangwyand, dem die bedeutung
*den sang sistierend' beizumessen ist (s. Zur lexik. s. 49), habe
ich in sangswyand *den sang zum schweigen bringend' ge-
ändert; S. erachtet diese einschaltung von s eine 'sehr gewalt-
same' änderung und glaubt, dieselbe hätte sich dadurch ver-
meiden lassen, dass ein afries. "^wla 'conficere' = mhd. wihen
angenommen wäre. Was wäre hier aber mit einem verbum
anzufangen, das nach mhd. erwihm 'erschöpfen, schwächen'
bedeuten müsste? — Für wängede in Htoeerso een wyffher kpnd
myt wänhoed off myt wängede . , . naet habbe bywareth will
S. die bedeutung 'Schlechtigkeit' gelten lassen; ob hier aber
neben fahrlässigkeit (wänhoed) Schlechtigkeit als factor fftr
mangelhaften schütz am platze wäre, dürfte fraglich sein.
Wenn das subst. wirklich auf ^-gödi zurückzuführen ist (und
die berechtigung dazu möchte ich jetzt nicht mehr bestreiten),
dann verdient wol eine Übersetzung durch 'ungeschicktheit
(zur gewährung des mütterlichen Schutzes)' den vorzug. —
Für das schlusswort von alle da XL nachte, deer God mit
Moyse uppa (auf dem berg) högade (wohnte) ende hem aüe
riüchte leerde ende wegade zieht S. statt an. weigr 'stütze'
ahd. wegön heran. Diesem Vorschlag ist m. e. beizupflichten,
nicht aber indem man mit S. für dieses verb. eine bedeutung
'den weg weisen' annimmt (Otfr. 1, 7, 26 Hhae si, d.h. Maria,
uns ailo worolti sl ziru sune wegön tV steht st wegönti be-
kanntlich = 'sich verwende für'), sondern insofern man dem
ahd. Zeitwort die für das mhd. belegte bedeutung 'beistehen'
neben bezeugten 'intercedere (interpellare). adhinnire' beilegt.
— Zum Schlüsse behauptet S., in Worten wie jsnele 'seele', hälff
'halb', r iucht 'rechV, feyÄ^^ 'behütet', w;öZfewd6 'wallend' Hessen
sich die längen nicht stützen. Hier möchte ich bitten Beitr.
20, 510 f. zu beachten und die Schreibungen ha^lf (Zur lexik.
s. 32), rjuecht (Beitr. 19, 389), faelle, faele 'falle' Ag 102. 160,
faelt 'fällt' Seh 655. 709. 715, to falen gerund. Seh 612 zu be-
rücksichtigen. Nur für das p. p. zu bihoeda wäre vielleicht
nach dem Beitr. 19, 409 erörterten byhSt anzusetzen.
GRONINGEN. W. VAN HELTEN.
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zu BEITR. 22, 543 flf.
An dem angegebenen orte sucht Uhlenbeck nachzuweisen,
dass die labiovelare media aspirata im germanischen anlautend
durch w vertreten wird, ausgenommen vor u und consonanz.
Ich würde es als erster mit freude begrüssen, wenn es ihm
gelungen wäre, klarheit in die sache zu bringen, mochte sich
auch meine ansieht nicht bewähren. Ich finde aber denn doch,
dass auch nach Uhlenbeck von einer sicheren entscheidung,
zumal in seinem sinne, noch keine rede ist Für got. fragildan
und aisl. ge^ will ich keine lanze brechen; der Zusammenhang
des ersteren mit gr. xild-oq ist wegen xiXoq so unsicher wie
nur möglich, und wenn jemand gr. nod^oq lieber mit lit. hädas
*hunger' identificiert als mit geö, so ist er nicht wol daran zu
hindern. Auch der gleichung mhd. gampen : gr. dd^sfißovoa
wohnt nur eine minimale beweiskraft inne, wenn auch das
griechische wort gewis nichts mit axifißo) zu tun hat. Aber
aisl. gandr und ggndoU hat Uhlenbeck nicht beseitigt. Ihr d
braucht kein suffix mit instrumentalbedeutung zu sein, es
findet sich ausser in ir. geinn 'keil', bret. genn *coin de bois
ou de fer pour fendre le bois ou la pierre', genna 'faire entrer
un coin etc.' (man erinnere sich der bedeutung, des aisl. gondoll
Fritzner 1*, 671 und des aind. ähanti gabhe pasah VS.) in lat.
offendo, ist also vermutlich verbalen Ursprungs.
Uhlenbeck führt drei gegenbeispiele an: ahd. warm, got.
wamba, got. wöpeis. Von diesen ist das älteste, warm, auch
das beste. Wenn man aus anderen beispielen sicher wüsste,
dass germ. w = anlautendem gvh ist, würde man keinen moment
zögern, warm = aind. gharmd' u.s.w. zu setzen. Selbst diese
lautentsprechung beweiseo kann es nicht. Wir müssen stets
darauf gefaxt sein, neben wurzeln mit anlautendem labiovelar
solche mit v zu finden. Wie das kommt, wissen wir noch nicht,
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238 zupiTZA
die tatsaclie steht fest. Derartige doppelheiten sind: aind.
kpni- : lat. vemiis; gr. i&iXco, q)aZl^Bi : got. wiljan; aind. gä-
yate * singt', lit. gedöti got. qainön : gr. dsldo}, ahd. tceinön,
ir. föid, kymr. gwaedd 'schrei'; aengl. cwinan 'hinschwinden',
aind. jinäti 'altert' : ahd. swinan, swintan 'schwinden', abg.
-v^qti, 'Sv^qfi 'welken', lit. wysti; got. qijmn : kymr. dywedyd
'sprechen'; lit. galiü 'kann', kymr. gallaf : lat. valeo; gr. jtoXoq
'achse', abg. kolo 'rad', okolo 'ringsum', ir. timmchell 'umkreis' :
aind. vdlate 'wendet sich', valita- 'gebogen', valaya- 'armband,
umkreis', ir. fillim 'drehe, wende', kymr. chwelyd 'wenden'
(*5^?e^), ir. faü 'ring', fdl 'zäun'; got. qairrus : kymr. gwar
'sanft'; aengl. cwelan 'sterben', cwalu 'tod' : lit. wel^s 'ver-
storbener', aisl. valr 'leichen auf dem schlachtfelde'; gr. q>og6(;
'zugespitzt' : ahd. wahs u.s. w. So liegt neben ^g^her- ein
*i;er- (lit. werdu, abg. varü), und zu diesem gehört vermutlich
warm (vgl. auch Brugmann 1*, § 680 anm.). Ob man apr.
warmun, umiinan, klr. vermjdnyj 'rot' vergleichen darf, ist
nach Zubatys ausführungen freilich unsicher; vielleicht ist
aber Grünaus warmun doch in Ordnung und slav. rumenü 'rot'
nach Brugmann, Grundr. 1 2, § 279, 2 zu beurteilen, wodurch
Zubatys deutung hinfällig würde. Es sei wenigstens darauf
hingewiesen, dass in einer anderen ableitung von ^ver- der
begriff 'rot' deutlich zu tage tritt, ich meine kymr. gtvrido
'erröten', wozu aind. vri<!yati 'schämt sich' (eigentlich 'wird
schamrot') gehören wird (es steht [halb] präkritisch für *rri/-,
vgl. pa4i = prati\ anders, mir unwahrscheinlich, Johansson,
IF. 2, 49, anm. 2).
Was got. wamba betrifft, so lässt sich kein grund bei-
bringen, weshalb es nicht zu altkymr. gumbelauc 'uterus', bret.
gwamm mit indog. v gehören sollte. Aind. gabhä- 'vulva' ge-
hört zu einer ganz anderen Wortsippe. Es wird im Peters-
burger Wörterbuch richtig zu aind. gabhusti- 'gabel, deichsei '
gestellt, gehört somit des weiteren zu ahd. gabala, aengl. ^eaful,
ir. gäbul 'gabel', kymr. gafi 'feminum pars interior'. Ich ziehe
ferner hierher lit. gdhals 'verhältnismässig grosses stück fleisch,
brot 0. dgl.', lett. gabals 'abteilung, stück' (Thomsen, Beraringer
mellem de finske og de baltiske sprog 73. 170 hält die worte
für möglicherweise entlehnt aus liv. kabäl; sein grund [etymo-
logische Isoliertheit] ist aber nicht stichhaltig), ir. galait (dual)
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zu BEITR. 22, 543 ff. 239
*zwei stücke' (häufig in kampfschilderungen, z.b. Ir. t. 2,1, z.962
CO tarat bulle do Maidih dö, co ndernai da gdbait de *er ver-
setzte ihm einen schlag mit dem Schwerte, dass er zwei stücke
aus ihm machte'), gaibti pl. (z. b. LL. 72 a 36). Ein primäres
verbum mit der bedeutung ^spalten' scheint zu fehlen.
So bleibt got. wöfieis : gr. q><ottov. Das letzteres für
*q)<6diop verschrieben sei, brauchen wir gar nicht anzunehmen,
um den von mir bevorzugten vergleich mit ir. bdid (wol zu
unterscheiden von air. bdith, mir. bdeth, nir. b<ioth 'einfältig,
närrisch'; neuir. wird das wort bdidli geschrieben, bä gesprochen,
td bdidh agam lat bedeutet *ich habe dich lieb') zu ermöglichen.
^wTiop steht für "^^cid-iov wie ^drpfj für *q>a&vfi (vgl. ptad'vri),
es hat ein umspringen der aspiration stattgefunden, wie in
Xirmp : xid-civ, d-Qiyxog : TQiyxog u. s. w., vgl. G. Meyer, Gr.
gr. § 209.
Einreissen ist leichter als aufbauen. Die lehre, dass guh
auch vor anderen vocalen als u zvl g geworden sei, stützt sich
vorläufig nur auf aisl. gandr. Wir müssen hier auf die zukunft
hoffen. Vor allen dingen wäre zu wünschen, dass die be-
dingungen, unter welchen gh der palatalen und velaren reihe
durch lat. /* vertreten wird, völlig aufgeklärt würden. Zweierlei
steht fest: gh erscheint als f vor u und u {ferus, fundo) und
dialektisch (sab. fireus, auch alat. folus u.s.w.). Aber weshalb
heisst es fei : x«^^, fauces : x«o«* x^^^^'^ Vorläufig können
wir daher die gleichung mhd. garst : lat. fastidium noch nicht
mit voller Zuversicht ins treffen führen.
BEELIN. E. ZÜPITZA.
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GOTES.
EmE ANMERKUNG ZUR ALTDEUTSCHEN WORTSTELLUNG.
Mullenhoff hat in den Denkmälern XXXVm im 40. vers
des Arnsteiner Marienieichs das handschriftliche du godes craft
ohne weitere bemerkung in die craft godes geändert. Er hielt
also eine Verbesserung der Wortstellung für unanstössig und
selbstverständlich geboten, und zwar aus einem metrischen
gründe; denn offenbar sollte das daktylische versmass durch
van inie sdl sie die craft godes entfän richtig und hörbarer
zum ausdruck gelangen und durch die ictuszeichen verdeutlicht
werden.
Nun braucht man nicht so weit wie Paul zu gehen, der
in dem ganzen gedieht nur die gewöhnlichen unregelmässigen
Zeilen sieht (Grundr. 2, 1, 939 in.); man kann nach gewöhnlicher
annähme in den etwa sechzig ersten zeilen ausätze eines dak-
tylisierenden metrums anerkennen und braucht doch nicht
MttUenhoffs änderung für nötig oder richtig zu halten. Man
kann wol, ohne gegen die rohe versart des gedichtes zu Ver-
stössen, bequemlich lesen: vdn itne sdl sie die godes craft entfan.
Ich meine, dies könnte genflgen, um die an sich geringfügig
scheinende änderung des textes zurückzuweisen. Aber es gibt
auch einen tiefem Innern grund, aus dem jene vermeintliche
besserung fast unmöglich wird. Zum beweise dieser behaup-
tung muss ich etwas weiter ausgreifen.
Bei dem religiösen Inhalt eines grossen teils der altdeut-
schen literatur ist es nicht auffällig, dass der genitiv gotes
wol das am häufigsten vorkommende wort ist, dessen Stellung
im satze ein systematisch arbeitender herausgeber nicht aus
den äugen lassen kann. So setzt Sievers im Heüand 1977
gegen Cotton. und Monac. for ogon godes, far ogun godes statt
des überlieferten godes ogon; also wird auch hier der abhängige
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G0TE8. 241
genitiv hinter den regierenden casus gestellt. Ein gleiches
geschieht v. 2309, wo godes bam des Monacensis in das vom
Cottonianns gegebene bam godes umgewandelt wird. Um-
gekehrt nimmt Sievers v. 5730 statt des tiberlieferten bam
godes in den text godes bam au£ Im Heliand nun sind diese
änderungen unbedingt richtig und von zwingender notwendig-
keit, und wenn Sievers v.5738 bam godes statt des allein
richtigen godes bam im text stehen liess, so ist das nur ein
versehen, das in den anmerkungen wider gut gemacht ist
(man vergleiche auch v. 2290 das irrige drohtines sunu des
Monac). Im Heliand steht godes mehrere hundert mal hinter
und nur ein viertel oder fünftel der fälle vor dem regierenden
Worte. Aber von einer Willkür kann da nirgends die rede
sein: der genitiv godes steht im unlöslich festen bann des
ausnahmslos wirkenden stabreimgesetzes. Nur wo godes
alliteriert, muss es voranstehen, andernfalls muss es nach-
folgen. Nach diesem unverbrüchlichen grundsatz, der die
Riegersche regel durchweg bestätigt, hat Sievers an jenen
stellen ändern müssen, und ich weiss nicht, warum Heyne in
der dritten aufläge anders verfahren ist.
Für die hochdeutsche reimdichtung gibt es keinen so
zuverlässigen anhält, nach dem die Stellung von gotes un-
bedenklich fest bestimmt werden könnte. Hier ist das Ver-
hältnis weniger einfach und muss für jedes denkmal von fall
zu fall untersucht werden; aber eine richtschnur lässt sich
doch finden.
Nehmen wir z. b. den Otfrid, so zeigt sich, dass an den
etwa 170 stellen, wo gotes vorkommt, es tiberall voransteht,
mit der fast verschwindenden ausnähme von nur zwei versen,
die dazu noch ganz nahe bei einander, in einem capitel stehen:
3, 4, 11 Engil got^s guato und v. 45 ginada gotes thigita. Natür-
lich geben diese vereinzelten erscheinungen zu denken, und
mancherlei Vermutungen Hessen sich leicht aufstellen, aber doch
wol schwer begründen. Gegen die mehrfache, sichere Über-
lieferung zu ändern, ist hier doch nicht gut möglich. Metrisch
wäre gotes engil guato freilich anstandslos, wenn sich auch
gotes engil bei Otfrid sonst nicht finden sollte. An der zweiten
stelle wäre gotes ginada thigita rhythmisch auch nicht unmög-
lich, wenn man es vergleicht mit 4, 12, 47 Sume firnaniun iz
BeitTAge sur g«Mblcht« der deuttohen iprAoba XXIII. 16
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242 HABCZTK
in ihaz; 3, 26, 34 thuruh then sinan einan fal; 4, 30, 27 oba ihu
unser kuning sis; 4, 19, 47 thuruh then himilisgen got u. a.
Nicht unerwähnt darf ich lassen, obwol es nicht ausschlag-
gebend ist, dass Otfrid gotes ginada sonst nicht aufweist, wol
aber Aruhtmes ginada, — Unter diesen umständen vermag ich
für die zwei regelwidrigen erscheinungen keine stichhaltige
erklärung zu geben und kann sie nur als höchst auffällige
abnormitäten betrachten, die die sonst ausnahmslose beobach-
tung der voranstellung von gotes bei Otfrid unangenehm
durchbrechen. — Dass aber die voranstellung von gotes
durchaus nicht eine nur dichterische eigenart ist, zeigen auch
die prosadenkmäler.
Im Tatian findet sich gotes über hundert mal vor dem
regierenden wort, während die nachstellung sich auf wenige
fälle beschränkt, die sich ausserdem grossenteils leicht erklären
lassen: 4, 18 thuruh innuovilu miltida urbares gotes = per
viscera misericordiae dei nostri; hier sind die genitive gehäuft
und gotes noch mit einem zusatz versehen; vgl. 53, 6 sun Üies
hohisten gotes = fiii dei altissimi; 90, 2 sun gotes Uhentiges
= filius dei vivi. — Im 82. capitel, das zu einem auch sonst
eigentümlichen abschnitt gehört, treffen wir v. 6 und 9 brot
gotes = panis enim dei; lirige gotes = docibiles dei (gen. obj.).
Sonst aber kommt in der umfangreichen, von verschiedenen
Übersetzern herrührenden schrift nachgestelltes gotes nur ganz
am ende vor, wenige zeilen vor dem schluss, 244, 2 in ceso
gotes = a dextris dei, wobei zu erinnern ist, dass diese formel
sehr beliebt, aber nicht notwendig war; Notker wenigstens
schreibt ee gotes zeseuuun, des almahtigen fater. Hiermit
wären die wenigen ausnahmefälle im Tatian abgetan, die, wie
man sieht, gegen die sonstige regel nicht schwer ins gewicht
fallen. — Das in der ersten Tatianausgabe von Sievers zu
205, 2 aus B erwähnte tempal gotes für einfaches te^npal G be-
ruht sichtlich auf einer modernen ergänzung durch Fr. Jimius.
Im altern Isidorus liegt das Verhältnis wesentlich anders:
gotes kommt hier einige dreissig mal vor und davon sechs mal
mit naclisetzung des genitivs, ohne dass die veranlassung immer
deutlich erkennbar wäre.
In MSD. sind fälle des nachgestellten gotes äusserst selten.
Ei-st in no. XXXIV, Summa theologiae, zeigen sie sich: 12,6
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GOTBS. 243
sun gotis] 12 b, 4 gnadi gotis\ 21, 8 di gnadi gotis. Diesen drei
stellen gegenüber tritt in dem stücke fünfzehn mal Vorstellung
ein. — Das nächste nachgesetzte gotes taucht erst auf in
XLm, 3, 1 diu vorhte des obristen gotes, wo die beifügung des
eigenschaftswortes die Stellung erklärlich macht; sonst nämlich
enthält das gedieht zwölf mal vorangestelltes gotes. In den
poetischen stücken von MSD. kommen andere fälle von nach-
gesetztem gotes nicht vor. Auch in den prosaischen stücken
ist es sehr dünn gesät. Wir stossen darauf nur in no.LYI
und LVn, wo es sich in der schon oben erwähnten formel
ci cesuun gotes fateres almahtiges drei mal zeigt, aber ausser-
dem noch in rieht gotes und lamp gotes = agnus dei auftritt.
Damit wären aber auch alle fälle aufgezählt, die sich in dieser
umfangreichen, mehrere Jahrhunderte umfassenden Sammlung
finden lassen. Grammatisch sorgfältige und streng geschulte
Schriftsteller, wie Notker, scheinen die nachstellung von gotes
zu meiden. Das lehrt ein vergleich seiner psalmenübersetzung,
auch nach der Wiener handschrift.
Das ergebnis meiner beobachtungen glaube ich ohne be-
deutenden irrtum folgendermassen zusammenstellen zu können:
I. Die gotische bibel stellt den abhängigen genitiv be-
kanntlich gern hinter das regierende wort; s. Wilmanns, Gr.
2,517; aber der gebrauch ist nicht in aUen teilen der Über-
setzung gleichmässig. Die evangelien haften am urtext fester
als die episteln an ihrer in gedanken und form schwierigem
vorläge. Dies scheint sich auch bei der Stellung des genitivs
zu zeigen. Wenn aber in den gotischen episteln die genitive
öfter voranstehen als in den evangelien, so ist zu beachten,
dass dieses schon durch den griechischen text gegeben war;
z. b. Rom. 10,3 gups garaihtein; 13,2 g. garaideinai; 13,4 g.
andbahts; 13, 14 Mkis mun\ 1. Cor. 1, 24 gups mäht jah guj>s
handugein; 2. Cor. 1, 19 g. sunus; 11, 2 g, aljana; 11, 7 g. aiwag-
ge(ßon\ Eph. 2, 8 gu^s giha\ 3, 2 gu^s anstais. Um so inter-
essanter sind alsdann die seltenen fälle der abweichungen,
Zusätze und Umschreibungen, aus denen hervorgeht, dass auch
im gotischen die voranstellung des abhängigen genitivs in allen
einfachen Verbindungen dem Sprachgeiste durchaus gemäss war:
Mrc. 11, 18 gudjane auhumistans =^ oqx^^Q^^^j 12, 28 allaizo
anahusne frumista = jr^cirr; jtdvxwp ivToX^\ Joh. 9, 16 sabbate
16*
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244 HASCZTK
daga = ro ödßßaxov; Rom. 9, 4 mtodis garaideins = vo/io-
^söla; 1. Cor. 8, 10 in gcUiuge Stada = Iv slöcolsla}; 9,21 untodis
laus = avo/iog; — tva ^ca^v cimviov xXijQovofifjöto wird drei-
mal Mrc. 10, 17. Luc. 10,25. 18, 18 widerg^eben mit ei libainais
aiweinons arbja wairpau] Mt. 26, 75 faur Kanins hruk = xgiv
aXixxoQa gxDvijöat.
Die annähme, dass die yoranstellung des abhängigen
genitivs der ungezwungenen gotischen spräche eigen war, wird
durch die Skeireins gestützt, die im g^^ensatz zur bibelüber-
Setzung mehr vor- als nachsetzungen aufweisen; allerdings
stehen auch hier dem du gups hunfja 43 b gegenüber sechs
stellen 37b. 38c. 39a. 40c. 46d. 52c. — Der beste beweis
für die im gotischen gewölinliche voranstellung liegt jedenfalls
in den substantivischen compositis, deren erster teil, in appel-
lativen und eigennamen, genitivische function hat.
n. Wenn auch die altsächsische dichtung godes meist
voranstellt, so folgt daraus nicht, dass dies auch in ungebun-
dener rede geschah; denn die kleinen prosadenkmäler setzen
das wort voran, während in der dichtung die Wortstellung sich
nach dem Stabreim richten musste.
m. Im althochdeutschen überwiegt seit dem nennten
Jahrhundert in dichtung und prosa die voranstellung so stark,
dass eine ausnähme wirklich eine rara avis vorsteUt
IV. Je mehr sich das mittelhochdeutsche herausbildet
desto seltener hat man gelegenheit, gotes nachgestellt zu sehen.
In der bltttezeit der klassiker herscht unbedingt und ohne
einschränkung die voranstellung. Abweichungen sind anzeichen
der noch rohen, ungelenken oder bereits verrohenden sprach-
kunst; z. b. Orendel 578 in dem namen gottes; dag rehi gotes
Bücher Mosis bei Diemer 72, 27; der minsten knehte gotes einer
Wolfdietrich DVn, 38,3; die minne godes Marienlieder 12216;
reimnot zwingt mitunter zur ungewöhnlichen Umstellung. —
Andere beispiele liefern die mystiker, die kirchenlieder und
die altdeutschen predigten bei Both (besondem in neuem hss.),
Leyser und Schönbach. Bei dem letztem wird man z.b. im
zweiten bände auf den ersten 75 selten über achtzig mal voran-
gesetztes gotes lesen, nachgestelltes jedoch über di*eissig mal.
aber nur da, wo gotes noch einen zusatz bei sich hat, wie
70,31 ze der rmnn des ahncehtigen gotes.
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GOTEfl. 245
Eine von mir übersehene stelle treffe ich im Mhd.wb. ein
armiu dierne gotes Mai 76, 35.
Dass die steDong des genitivs in der hohem kritik be-
rttcksichtigung verdient, ist schon oben beim Tatian angedeutet
worden. Zu einem völlig einwandsfreien zeugnis wird sie dort
im cap. 77. Die Übersetzung ist ja auch sonst einfach, recht
und schlecht; aber nur ein unbehilflicher anfänger und arm-
seliger Stümper, der sich von den andern mitarbeiten!, nicht
zu seinem vorteile, unverkennbar abhebt, konnte vier mal
hinter einander rihhi himilo leisten.
Wenn ich nun auf den ausgangspunkt dieser bemerkungen
zurückgehend schliesslich hinzufüge, dass im Amsteiner Marien-
ieich zehn mal vorangestelltes godes handschriftlich feststeht,
so wird wol kein zweifei mehr möglich sein, dass in v. 40 die
änderung von MSD. unerlaubt und unmöglich ist.
BRESLAU. IGNAZ HARCZYK.
ZUM NARRENSCHIFF.
Zu Brants NaiTenschiff 10,21
Kein fyndt man Moysi jetz gelich
Der andre lieb hab, als selbst sich
bemerkt Zamcke im commentar: ^hier und namentlich beim
folgenden verse muss Brant eine bestimmte stelle der bibel
im äuge haben, die ich nicht kenne'. Auch Bobertag bemüht
sich in seiner ausgäbe des Narrenschiffs (Kürschners national-
litteratur 16, 33), bibelstellen beizubringen, nach denen Moses
andre so lieb gehabt haben soll als sich selbst.
Vielmehr wird gelich hier wie auch Narrenschiff 111, 17
'entsprechend, genügend' bedeuten und Moysi etwa mit 'dem
gesetz, der Vorschrift des Moses' zu umschreiben sein. Unsere
stelle bezieht sich dann auf 3. Mos. 19, 18: diliges amicum
tuum sicut de ipsum. Darauf führen auch die vorausgehenden
verse 17 f. Keiner so lieb syn nechsten hat
Als dan jm gsatz geschriben stat.
LEIPZIG. ALFRED GOETZE.
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BRUNHILDENBETT.
In seiner jüngst veröffentlichten antrittsvorlesung über
die germanische heldendichtung hat E. Mogk*) sich auf den
von Golther eingenommenen Standpunkt gestellt, dass die Sieg-
fried-Brunhildsage der Edda im wesentlichen nordische weiter-
dichtung sei, und hat die echteren gestalten des Siegfried und
der Brunhild in der deutschen Überlieferung des Nibelungen-
liedes und der Thidrekssaga finden wollen. Danach soll
mythisches in der sage nicht vorhanden und die gestialt der
Brunhild von haus aus die kampfesfrohe mei:ischliche königs-
tochter sein, nicht aber die göttliche walküre, die auf dem
felsen von Siegfried aus dem schlafe erweckt wird.
Nun will ich nicht leugnen, dass ich die skeptische be-
trachtung der eddischen Überlieferung für einen fortschritt
halte gegenüber der früher herschenden tendenz, alles ohne
weiteres als urgermanisches eigentum hinzunehmen. Aber
wenn es feststeht, dass die nordische Siegfriedsage auf einer
deutschen form beruht, die um mindestens vier Jahrhunderte
älter ist als Nibelungenlied und Thidrekssaga, also einer zeit
entstammt, in der die germanische götterweit auch in Deutsdi-
land noch im volksbewusstsein lebte, so muss es von vorn-
herein als möglich zugegeben werden, dass die nach dem norden
gewanderte sage mythische elemente enthalten hat. Es wird
jetzt niemand mehr die gesammte nordische mythologie der
eddischen dichtungen unbesehen auch für Deutschland in
anspruch nehmen. Aber dass es in Deutschland mehr mytho- i
logie gegeben hat, als unsere spärlichen, zufällig erhaltenen
deutschen Zeugnisse direct beweisen, und dass manches nur i
aus dem nordischen belegte auch bei uns vorhanden gewesen
») Neue Jahrbücher hg. von Dberg und Bichter 1, 68 ff.
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BRUKHILDENBETT. 247
sein kann, das wird doch auch niemand leugnen wollen.
Schon wenn die Merseburger Zaubersprüche nicht zu tage
gekommen wären, wäre des sicher belegten viel weniger, selbst
wenn man vom Balder absieht, dessen deutsche existenz hat
weggedeutet werden sollen — mit unrecht wie ich glaube.
Für die Siegfriedsage haben wir ja nun leider keine deutsche
fassung aus dem 8.jh., und man muss den Standpunkt des-
jenigen welcher nur das direct belegte als deutsch gelten
lassen will, als methodisch berechtigt anerkennen. Aber damit
i»t doch nicht bewiesen, dass es ein mehreres nicht gegeben
haben könne. Es kann sehr wol vieles von der eddischen
Siegfriedsage nordische zudichtung und ausschmückung sein.
So macht es Mogk s. 76 recht wahrscheinlich, dass die 'waber-
lohe' im norden zu hause ist. Aber deswegen kann doch
immer noch die deutsche Brunhild eine walküre sein,0 auch
in der deutschen sage kann sie auf einem felsen im schlafe
liegend von Siegfried erweckt worden sein. Man wird diese
möglichkeit schon an sich zugeben müssen. Wenn aber noch
ein directes zeugnis aus alter zeit auf diese sagenform deut-
lich hinweist, so wird man sich dagegen nicht weiter sträuben
dürfen. Das zeugnis, welches ich hier meine, ist nun freilich
längst bekannt, es ist sogar gegen Golthers auffassung schon
einmal von Henning (D.lit.-ztg. 1890, s.229) beiläufig angezogen
worden. Aber man hat es doch seiner bedeutung nach bisher
nicht recht gewürdigt oder ganz verkannt. Es ist dies das
Brunhildenbett auf dem grossen Feldberg im Taunus. Aeusser-
lich gehört dieses zeugnis zusammen mit einer reihe von orts-
bezeichnungen wie Brunhildenstein, Brunhildenstuhl u. dgl.*)
^) Die Walküren sieht jetzt freilich Mogk mit Golther auch für rein
skandinaTisch an, während er in der ersten aufläge von Pauls Grundr. 1,
s. 1014 noch anders urteilte. Aber das in ags. glossen des 8. jh.'s als name
göttlicher wesen bezeugte wcUcyrge als entlehnung aus dem nordischen zu
betrachten ist doch reine willkür. Mit dem gleichen rechte könnte man
alle mythologischen namen des 2. Merseburger spruchs als nordische ent-
lehnungen abtun wollen. Ich unterschreibe vollständig, was gegen Golther
hierüber Kögel GGA 1897, s. 651 f. bemerkt und meine, dass das ags. zeugnis
hinreicht, um die walküren als westgermanische und deutsche gottheiten
zu erweisen.
«) S. hierüber schon W. Grimm, Heldensage s. 155. Weitere literatur-
nachweise bei W. MtQler, Mythologie der deutschen heldensage s. 8$.
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248 BRAUNE
Und Mogk verwahrt sich in seiner Vorbemerkung aosdrticklich
dagegen, dass man den 'Brnnhildenstohl' eine rolle spielen
lasse: 'alles das ist von mir widerholt geprüft, aber nicht aus
seinem geschichtlichen zusammenhange herausgerissen und des-
halb fUr die mythische grundlage unserer heldensage als gehalt-
loses material erfunden worden'. Nun gebe ich Mogk gern die-
jenigen Zeugnisse preis, die jünger als unser Nibelungenlied sind,
sie mag man immerhin den verschiedenen Siegfriedsbrünnlein
beirechnen, die sich jetzt im Odenwald um die ehre streiten,
Schauplatz der ermordung Siegfrieds gewesen zu sein. Bs
könnte möglicherweise nach unserem Nibelungenliede in älterer
oder jüngerer zeit eine örtlichkeit Brunhildenstein oder Bmn-
hildenstuhl benannt worden sein.^) Aber die älteren Zeugnisse
sind doch anders zu beurteilen. Selbst wenn man mit W.Grimm
a.a.O. zugibt, dass örtlichkeiten mit 'Siegfried', ja selbst ein
Sivrides brunno, bei der häufigkeit des namens Siegfried auch
nach irgend einem Siegfried benannt sein können, 2) so trifft
das gleiche doch nicht bei Zusammensetzungen mit dem viel
seltneren namen Brunhild zu, besonders wenn das zweite glied
so bezeichnend ist wie in 'Brunhildstein', wo eine beziehung '
auf die Brunhild der heldensage nicht abzuweisen ist. Denn
dass an verschiedenen orten schon in alter zeit gerade felsen
mit dem namen der Brunhild belegt worden sind, kann doch
nur aus der sagenhaften rolle derselben erklärt werden.')
Das wird auch Mogk nicht in abrede stellen wollen, sondern
zugeben, dass auch in der deutschen sagenform die kämpf es-
jungfrau Brunhild ihre wohnung auf einer felsenburg gehabt
haben möge, wie ja noch im Nibelungenliede Isenstein als ihr
sitz genannt wird. Aber weiteres noch beweist das Brunhilden-
bett auf dem Feldberg.
Das Zeugnis stammt aus dem jähre 1043 und findet sich
in einer Urkunde des erzbischofs Bardo von ilainz,*) welche
*) Vgl. hierzu Henning, Anz. fda. 4, 74 f.
*) Für sicher möchte ich diese auflfassung erklären bei namen wie den
Ton F. Grimme, Germ. 32, 69 beigebrachten Sigefridesrode, Sifrithusun etc.
3) Die alten urkundlichen Zeugnisse hierfür hat zuletzt John Meier,
Beitr. 16, 81 f. zusammengestellt.
*) Vgl. Boehmer, R^gesta archiepisc. Magnntinensinm 1, 172 f. Sauer.
Cod. diplom. Nassoicns 1, (50 if". Die Originalurkunde befindet sich jetzt hier
in Heidelberg im besitz der uniyersitätsbibliothek.
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BBUKHILDBNBETT. 249
grenzen des sprengeis der kirche in Brunnon (Schlossborn
Königstein i. T.) festsetzt. In dieser grenzbeschreibung
lit die bekannte stelle: et inde in medium montem veltherc
eum lapidem qui vulgo didtur lectulus Brunihild^.
-aus geht also mit voller Sicherheit hervor, dass dieser fels
1er mitte des 11. jh.'s im volksmunde *das bett der Brun-
' hiess.») Was beweist das nun für die geschichte der
3? Wer an der alten auffassung der Brunhild festhält,
1 ohne weiteres folgern, dass die auf einem felsen schlafende
küre, welche die nordische sagenform kennt, auch in der
sehen sage vorhanden gewesen sei. Wer auf dem stand-
cte von'Golther und Mogk steht, wird versuchen müssen,
is Zeugnis zu entkräften. W.Müller ist hierin vorangegangen:
leint a. a. o. s. 85, dass der fels auf dem Feldberge nichts
)ise, da an ihn sich keine sagen knüpfen: — ein wunder-
r einwurf, da die Brunhildsage jetzt freilich im volks-
isstsein geschwunden ist, während jenes alte zeugnis doch
) Ein späteres zeugnis dafür gibt es nicht. Denn wenn nach W. Grimm
Meier a. a. o. dieser felsen in einer urknnde des Jahres 1221 als Brune-
ein vorkommen soll, so ist das ein irrtum. Diese Urkunde (hg. am besten
luer, Cod. dipl. Nass. 1, s. 265 ff.; vgl. dazu Schliephake, Gesch. von
1 1, 406 ff.) beschreibt die grenze der gemarkung von Sonnenberg und
idt (NO von Wiesbaden). Die grenze geht von Wiesbaden nordwärts
n Taunus und es heisst da postea ad mam quae ducii Brunekilde-
)ostea Unechifihagin ad aquam. Letzteres ist das heutige Engen-
[ca. 10 km nördlich Wiesbaden). Der Brunhildenstein ist danach sud-
n Engenhahn auf der höhe des Taunus zu suchen. Das ist aber der-
Isen, welcher in einer Urkunde des klosters Bleidenstadt (bei Langen-
>ach) vorkommt. Die Urkunde (hg. von Sauer, Cod. dipl. Nass. 1,
ist allerdings nur in einer abschrift des 16. jh.'s erhalten, in welcher
liographie der namen teilweise modernisiert ist. Die fassung der
5 stammt jedoch aus der zeit des Willegis (975—1011), und der die
»chreibung enthaltende teil derselben fährt sogar auf die Stiftung
iters im jähre 812 zurück. Vgl. Sauer a. a. o. und besonders Schliep-
114 ff. Darin heisst es inde ad Bru/nhildenstein und die läge des-
timmt zu den angaben der Urkunde von 1221. Schon v. Preuschen,
»ndenzblatt d. deutschen geschichts- u. altertumsvereine 4 (1856) s. 123
ort dieses Brunhildensteins die jetzige 'Hohe kanzel' (596 m) SO
-enhahn erkannt und Schliephake a. a. o. s. 119 ff. hat dies ausftthr-
tert und festgestellt. Den auf der Hohen kanzel zu tage tretenden
3schreibt Schliephake s. 121. Aus späterer zeit als 1221 ist der
unhildenstein für denselben nicht mehr überliefert.
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250 BRAUNE
unzweifelhaft die damals daran geknüpft« sage erweist. Femer
sucht Müller das wort *bett' umzudeuten, indem er anfahrt,
Grimm habe DWb. 1, 1722 gezeigt, dass bett früher auch
^altar' bedeutete. Und allerdings führt Grimm daselbst
'altar' als erste bedeutung von bett auf unter berufung auf
ags. ^veohbed\ ahd. koiapetti\ und diese bedeutung sei auch in
Brunhildebett erhalten. Aber dass bett je die bedeutung 'altar*
gehabt habe, ist absolut unrichtig. Es ist zwar für das wort eine
glaubhafte indogermanische sippe nicht gefunden.») Aber die
Übereinstimmung aller altgermanischen dialekte vom gotischen
an beweist, dass die grundbedeutung nur ^lager, lagerstatt
sitzstatt' gewesen ist. Diese bedeutung hat siöh schon in
alter zeit besonders in der richtung 'polsterlager, polster' ent-
wickelt.2) Aus der bedeutung *lager, lagerstatt, sitzstatt' ist
denn auch im westgermanischen die schon im ahd. und ags.
vorhandene bedeutung ^Standplatz von pflanzen, gartenbeet'
hervorgegangen, wie sie im nhd. beet, engl, bed noch heute
vorliegt: 3) sie konnte zunächst nur in compositis vorkommen,
') Vgl. Uhlenbeck, Etym. wb. d. got. spr. s. 20.
") Got. badi = xgdßßatoq 'ruhebett', einmal auch = xliviöiov; an.
beÖr (poetisch = prosaisch scüing) ^polsterlager', SLg8,bedd 'bett', in ahd. gloesen
betti meist entsprechung von lat. Stratum, ctdcita, cubäe, aber auch einmal
von thronus.
') Es ist nicht richtig, wenn Kluge im Etym. wb. (s. v. beet und 6eW)
wegen des gartenbeete bett zu fodio 'graben' stellt. Die altwestgerm.
bedeutung 'beet' ist entschieden eine abgeleitete. Zwar ist im ahd. betti
'beet' (das Graif 3, 51 fälschlich von betti *bett' trennt) auch als simplex
schon in glossen als Übersetzung des lat. areola belegt, neben dem demin.
pettüi und dem bei Will, vorkommenden vmrzbett^. Aber die bedeutung
areola muss neu sein, so neu wie die gartencultur überhaupt bei den
Deutschen. Denn betti bedeutet nicht etwa ein stück gegrabenes, abgeteiltes
ackerland überhaupt, sondern ist eben nur technischer ausdmck für den
neuen begriff eines gartenbeets, lat. areola. Dass es für diesen neuen
culturbegriff angewant werden konnte, geht aus seiner eigentlichen bedeu-
tung 'Standquartier, lager, Standplatz' hervor. Das ist noch deutlich er-
kennbar aus dem ags. gebrauch. Im ags. (vgl. Bosworth-ToUer 72) vrird
es in dieser bedeutung nur in den compositis wyrtbed, hriodbed, riscbed
gebraucht. Von diesen entspricht wyrtbed dem ahd. wurzbetU 'pflanzen-
standplatz', kann also vielleicht schon den culturbegriff bezeichnen. Da-
gegen hriodbed (noch ne. reedbed) heisst 'rohrdickicht', also ein platz, wo
röhr, ried beisammen steht; ebenso ist riscbed ein Standplatz von binaen.
Da haben wir noch die alte bedeutung, mit welcher eine herleitung von
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BRUNHILDEa^BETT. 251
jn erster teil einen pflanzennamen enthielt (s. unten die anm.)
gieng erst daraus auf das simplex aber. Ganz ähnlich
t es nun mit den compositis, aus denen Grimm für das
t betti die bedeutung 'altar' erschliesst. Auch in ihnen
st betti nur 'lager, ruhebett, sitz' und nur durch die com-
tion hätte allenfalls die bedeutung ^altar' zu stände kommen
len. Das ist ganz klar bei ahd. gotopetti. Das wort kommt
en Prudentiusglossen vor, wo es an zwei verschiedenen
en das lat pulvinar P. Vinc. 179 und pulvinanum P. Rom.
i übersetzt. Das bedeutet aber nicht 'altar', sondern
ter', auf welche von den Römern die götterbilder bei
n lectistemium gesetzt wurden. Wenn dafür ahd. gotopetti
:zt wird (Ahd. gl. 2, 428, 21. 468,60. 476,49. 480,10; 455,1.
19), so ist es selbstverständlich, dass petti hier eben nur
sbett, polster' bedeutet und von Grimm daraus die bedeu-
*altar' nicht hätte entnommen werden sollen. Da dieses
nar von den niederd. Prudentiusglossen (2,584,13) mit
) godo rastun übersetzt wird, so könnte man mit dem-
n rechte schliessen, dass auch rasta 'altar' heisse! Es
t sonach für Grimms behauptung nur noch das ags.
)ed, weofod etc., welches in der tat 'altar' heisst. Ist
; wirklich mit -hed zusammengesetzt, so könnte die
bedeutung auch nur ^ruheplatz, sitz der götter' sein,
diese Zusammensetzung ist nicht einmal sicher: Kluge,
8, 527 (vgl. Sievers, Ags. gr.^ s. 17) hat das wort viel
cheinlicher als ^wih-beod * tempeltisch' gedeutet,
[it der von Grimm angesetzten 'heidnischen' bedeutung
itti 'altar' ist es also nichts. Es kann daher auch in
ildenbett kein altar verborgen stecken, ganz abgesehen
dass einerseits altäre der Brunhilde mythologisch höchst
irscheinlich wären und dass andererseits das deutsche
iriife des grabens ganz unvereinbar ist. Von da aus wurde erst bett
von der gartencnltur künstlich geschaffenen gmppenweisen stand-
rewisser pflanzen, wie sie die gartenbeete sind, übertragen. Man
D nicht diese alte technische anwendung des wortes bett zum aus-
nkt der etymologie machen, ebensowenig wie man etwa dem heu-
brsttechnischen Schonung (aus vollständigerem fichtensdionung,
'honung etc.) die grundbedeutung *pflanzung' beilegen und daraus
lologie des verbums schonen gewinnen könnt«.
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252 BRAUNE
Wort *bett' liier nicht einmal überliefert ist, sondern nur das
unmisverständliche lat. Uctulus. Man könnte nun hett, welches
doch ohne zweifei die deutsche grundlage des lectulus gewesen
ist, als ^lagerplatz, sitz' fassen wollen und es dann — ebenso
wie den Brunhildstein — als wohnsitz der Br. deuten.
Aber es ist schon unwahrscheinlich, dass betti jemals für
* Wohnsitz' gebraucht worden sei, wenn es auch in der bedeu-
tung eines gelegentlichen sitzes oder lagerplatzes angewant
worden sein mag. Dass aber der felsen auf dem Feldberge
nichts anderes als *bett' im gewöhnlichen sinne des wertes,
Lagerstätte eines liegenden' bedeuten kann, das ergibt am
deutlichsten der augenschein.
Ich glaube nicht, dass dies jemand leugnen wird, der
selbst auf dem Feldberge gewesen ist und die merkwürdige
felsbildung betrachtet hat. Der Feldberg, der höchste berg
des Taunus (880 m) ist bis obenhin mit schönem hochwald
bestanden. Nur der gipfel selbst ist frei und bildet eine
prächtige, geräumige und ebene kreisfläche, die mit gras be-
wachsen ist. Von dieser fläche hat offenbar auch der berg
seinen namen.') Aus dem grasplateau erhebt sich nun nahe
dem nördlichen rande desselben eine etwa 4 m hohe felsbildung
von eigentümlicher form, welche schon von weitem das äuge
auf sich lenkt und den vergleich mit einem ruhelager unwill-
kürlich wachruft. Die nebenstehende abbildung, welche nach
einer Photographie gefertigt ist, wird dies genügend verdeut-
lichen.
Auch die Rheinfranken vor 1000 jähren haben diesen
vergleich gezogen und in dem felsen ein riesenbett gesehen.
Der im jähre 1043 als volkstümliche bezeichnung bezeugte
name lectulus Brunihild^ wird natürlich schon lange gegolten
haben. Und wenn das volk ein riesenhaftes felsbett auf der
spitze eines hohen berges als 'bett der Brunhild' bezeichnete,
') Das lob des Feldbergs verkündet Erasmns Albems in seiner
25. fabel; speciell vom gipfelplateau sagt er (v. 76if.): Und auff dem Fddt-
herg hoch dort oben, Wann man nicht höher kommen ka/Hy Da steht ein
grosser weiter plan. Der hat ein solchen breiten räum, (Wann ichs ni(^t
tcist, 80 glaubt ichs kaum) Ein grosse Stadt kwndt drohen st^xhn, Als
Franckfurdt, ist kein zweivel an, Und auff dem selben breiten plan, Siht
man schier bisz gen Cöln hinan etc.
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BRUNHILDENBBTT. 253
cann dies meines erachtens nicht anders erklärt werden,
dass man glaubte, Brunhild habe auf einem hohen berge
chlafen. Es wird also dadurch vollkommen sicher gestellt,
damals am ßhein eine form der Brunhildsage lebte, welche
nordischen fassung in diesem wichtigen punkte entsprach.
Dass die Brunhildsage bei den alten Rheinfranken des
ausgebiets lebendig war, dafür ist nun auch der Brun-
mstein auf der Hohen kanzel (s. oben s. 249 anm.) ein
erer beweis. Die Hohe kanzel, welche vom Feldberg in
luftlinie ca. 17 km entfernt ist, liegt auf dem kämme des
lus, ca. 8 km nördlich von Wiesbaden. Sie gleicht dem
berg darin, dass sie die höchste erhebung in weitem um-
e ist. Wenn die Franken der Frankfurter gegend den
f der Brunhild auf dem Feldberge localisierten, so wählten
er Wiesbadener gegend den höchsten berg ihrer Umgebung
iesem zwecke. Sie hatten dabei freilich nicht den vor-
unen so bettähnlichen felsen zu besitzen und begnügten
daher mit dem namen Brunhildenstein, während jene
von einem bett der Brunhilde reden konnten.
EIDELBERG. WILHELM BRAUNE.
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APRIKOSE.
Franz. abricot ist durch niederländische vermittelung (nl.
ahrikoos) zu uns gekommen. J. Franck sagt in bezug auf die
auffällige lautform des nl. wortes (s für franz. t) in seinem Et
woordenboek der nederlandsche taal: *De nl. en hd. vormen
komen het fra. abricot het meest nabij en kunnen zelfa recht-
streeks daarvan gevormd zijn, Indien men mag aannemen, dat
de wijziging der laatste lettergreep op misverstand (misschien
wel van geleerden) berust'
Ich möchte dieser erklärung gegenüber, die wol wenig
anspruch auf Wahrscheinlichkeit machen kann, die Vermutung
aussprechen, dass ein altfranzösischer nominativ abricots, bez.
abricos (älteres ts wird im franz. regelrecht zu 5), die quelle
des nl. Wortes ist.
Das weibliche geschlecht von nhd. aprikose, nL äbriJcoos,
woneben im nl. auch männliches geschlecht in Übereinstimmung
mit dem franz. gebräuchlich ist, beruht auf Übertragung aus
dem plural: vgl. nhd. die träne < der trahen, die eähre < der
zäher, Schweiz, die frösch = der frosch, elsäss. hess. mfrk. die
rab = der rohe, ahd. bira aus dem rom. plural pira (vgl. franz.
la poire) u. s. w. Einfluss des plurals zeigt sich auch in dem
e von aprikose: das nhd. wort ist eine neue Singularbildung
aus der pluralform.
Der scheinbare wandel von t > s findet sich auch in
tnatrose, nl. matroos = franz. matelot Auch hier ist von einer
franz. nominativform auf -5 auszugehen. Das wort flectiert
im deutschen schwach nach analogie der vielen schwachen
masculina mit persönlicher bedeutung; der nom. tnatrose ist
gebildet nach dem muster von böte : boten.
Dem mnd. banros, mnl. baenrootse, baenrits liegt franz.
banneret + 5 zu gründe.
GIESSEN, 1. nov. 1897. WILHELM HÖRN.
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zu DEN LABIALISIERTEN GUTTURALEN.
Zur entscheidung der frage nach der entwickelung reiner
labiale aus labialisierten gutturalen sind natürlich die
seltenen fälle die den anlaut betreffen, die wichtigsten; und
unter ihnen hat das nebeneinander von aengl. hweol u.s.w.
und afries. ßal *rad' ganz besondere Schwierigkeiten gemacht.
Kluge, der Beitr. 11, 561 kurzweg afries. fial aus grundform
*peqlo für *q€qlO' = skr. cakra-' erklärt hatte, erwähnt das
wort in der zweiten aufläge von Pauls Grundr. (s. 375) nicht.
Vielleicht hat ihn der zweifei Noreens dazu bewogen, der
(Urgerm. lautlehre s. 149) nach angäbe von 'aengl. hweohl
{*hehlo'), aisl. hiöl (^heguk-) : afries. fidl (zunächst aus */ew^")*
fragt, ob die worte etwa unverwant seien. E. Zupitza (Die
germ. gutturale s.6) trifft ganz das richtige, wenn er eine so
verschiedene entwickelung bei gleichen bedingungen nicht
gelten lassen will; aber auch er kann sich nicht entschliessen,
die verwantschaft der beiden formen aufzugeben und sucht
sich mit der gewagten annähme einer contamination zu helfen.
In afries. fial soll ein germ. *heular = cakra- vermischt sein
mit germ. */ej^a- bez. ^fe^la- aus indog. "^peplo- bez. *pepW-, zu
dessen ansetzung \BX.poples 'kniekehle', gr. :7r£;i£/ji/gcö 'schwin-
gen' berechtigen sollen. Ich gebe zu, dass Zupitza in feiner
weise die bedeutungsentwickelung von 'rad' zu 'knie' durch
hinweis auf ahd. knierado, span. rodüla, lett. skrenielis an-
nähernd plausibel gemacht hat; aber die lautverhältnisse
widersprechen durchaus. Afries. Viwel und seine neufries.
entsprechungen (wanger. wäil, saterld. w&l, harling. weyhly
wayl Cadovius; nordfries. wel [Amrum-Föhr wal\\ westfries.
wil) weisen keineswegs auf germ. *foewto-, sondern allem
anscheine nach auf *he^la- zurück; und aus einem germ. "^fefla-,
*febla- wäre afries. ^fefl bez. *fevel, niemals aber fial abzuleiten.
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256 SIEBS, zu DEN LABIALISIEBTBN GDTTUBALEK.
Die reguläre weiterentwickelung dieses afries. fial liegt in
saterld. jöl (harling. ficmM Cadovius), nordfries. ßl, ßt vor (so
auf dem festlande; auf den inseln ist das wort unbekannt);
wanger. fiülbäint ^radgebeint, krummbeinig' setzt germ. *feuli-
voraus. Dass nun dieses fial vollkommen von *hwel zu
trennen ist, wird durch das westfries. erwiesen. Hier
ist afries. *thial, awestfries. tial anzusetzen. In der hand-
schrift Jus municipale s. 86 b (ed. Hettema s. 148) lese ich 5 0
aeghma htm totor dike toe ferane ende deer en boem toe ferane,
en tial toe brengane, deer eer oen wayne ne käme, h'm deer
op ti settane, Jd zyn eynde deerop ti nymane; im manuscr.
Boorda (Hettema, Jurisprud. frisica 2, 182): so aegh ma hyna
buta dyck to feren, ende aen baem myt hem ende een tyel
aMeer op to Sitten, deer eer in neen wayn Jcaem ende hyne
aldeer op to setten. Neuwestfries, tjille s. Halbertsma, Lex.
fris. s. 652, vgl. tsi9l, tsjil Siebs, EngL-fries. spr. s. 300. Wir
haben also eine doppelheit germ. *peula' neben ^feula-
anzunehmen und damit einen weiteren jener fälle gewonnen,
die durch an. fei : pü Pfeile', an. ße : J)ile 'diele', hochd. fiemen :
nd. diemen 'häufen', ahd. finstar : dinstar u. a. m. belegt sind,
vgl. Noreen, Urgerm. lautlehre s. 197. Letzteres setzt ja sicher-
lich indog. t (*temsrös) voraus; zu diemen : fiemen (ahd. ßma)
vergleiche ich lit. styma 'häufen, schwärm von fischen'. Und
ebenso darf man wol germ. *peula-, ^fetda- aus'^ihdog. ^teulo- zu
gi\ TvXrj 'wulst' stellen, vgl. rvklaoco 'aufrollen'.
GREIFSWALD, 6. november 1897.
THEODOR SIEBS.
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Verla; von MAX NIEMETEB in Halle a. S.
Soeben erschien:
Die
Gesetze der Angelsachsen.
Herausgegeben
Im Anfkrage der Savigny-Stiftang
von
F. Llebermann.
Band L Lief. 1.
4. 191 S. ^8,00.
Früher erschienen von demselben Herausgeber:
Quadripartitus,
ein englisches Rechtsbuch von 1114,.
nachgewiesen und, soweit bisher ungedruckt,
herausgegeben
von
F. Liebermann.
1891. gr. 8. Jk 4,40.
Consiliatio Cnuti,
eine Uebertragung angelsächsischer Gesetze aus dem zwölften
Jahrhundert.
Zum ersten Male herausgegeben
von
F. Llebermann.
1893. gr. 8. Ji 1,20.
Ueber die
Leges Anglorum
Saeculo XIll. Ineunte
Londoniis coUectae
von
F. Liebermann.
1894. gr. 8. ^^3,00.
Ueber
Pseudo-Cnuts
Constitutiones de Foresta
von
F. Liebermann.
1894. gr. 8. Ji 1,80.
lieber die
Leges Edwardi Confessoris.
Von
F. Liebermann.
1896. gr.8. ^.3,60.
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] l^JUC^^-" '\ ' K
Ausgegeben den 1Z. Oktober 1898.
BEIT
GESCHICHTE DER DEÜT^mS?f^PRACHE
UND LITERATUR.
UNTER MITWIRKUNG VON
HERMANN PAUL UND WILHELM BRAUNE
HERAUSGEGEBEN
VON
EDUARD SIEVER8.
XXin. BAND. 2. n. 8. HEFT.
HALLE A. S.
MAX NIEMEYER
77/78 GR. STEINSTRASSE
1898
Die herren niitarbeiter werden gebeten, zu ihren mannscripteile
nur lose auartblätter zu verwenden, nur eine seite zu b^
INHALT.
Seite
lieber die ausgäbe der Bevers saga. Von G. Cederschiöld. . 257
Grammatisches und etymologisches. Von H. Hirt 288
(I. Zum ablaut der set -wurzeln: s. 288. — IL. Zur Vertretung
der labiovelare: 8.312. — III. Zu den f-praesentien: s. 315.
— IV. Zur Chronologie germanischer lautgesetze: s. 317. —
V. Zum Spiranten Wechsel im gotischen: s. 323. — VI. Zu den
germ. lehn Wörtern im sla vischen und baltischen : s. 330. —
Vn. Etymologien: s. 351)
Studien zu Reinfried von Braunschweig. Von P. Gerekö . . 358
Der a-umlaut und der Wechsel der endvocale a : i{e) in den alt-
nord. sprachen. Von A. Kock 484
(I. Der Wechsel der endvocale a:i(e): s. 484 [Excursl:
Der Wechsel m : o im part. pass. der ostnord. sprachen : s. 503.
— Excurs 2 : Zur frage nach dem palatalumlaut : s. 50(»]. —
II. Zur frage nach dem a-umlaut von u in den altnord.
sprachen: s. 511 [Excurs: Die behandlung des germ. diphthongs
eu und der Wechsel «7 : io in den altnord. sprachen: s. 532].
in. Zur frage nach dem a-umlaut von i in den altnord.
sprachen: s. 544)
Die Chronologie des Übergangs von germ. e zu i vor P-\-k, g, y.
Von K. Helm 556
Meerrettich. Von J. Hoopa 559
Werwolf. Von A. S. Napier 571
Zum Opus impei-fectum. Von W. Streit berg 574
Zur nachricht!
Es wird gebeten, aUe auf die i'edaction der ^Beiträge' bezüg-
lichen Zuschriften und Sendungen an Professor Dr. E. Sievers
in Leipzig-Gohlis (Turnerstrasse 26) zu richten.
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UEBER DIE AUSGABE DER BEVERS SAGA.
In dieser Zeitschrift bd. 19, 1 ff. veröffentlichte prol E. Eöl-
bing im herbst 1894 einen aa&atz, betitelt ^Studien zur Bevis
saga'y der von der art ist, dass er meinerseits eine antwort
erheischt Wenn diese antwort auch zum grossen teile als
Verteidigung oder detailkritik auftreten muss, wird sie doch
auch principielle fragen von allgemeinerem Interesse berfihren.
Diese antwort soll im folgenden gegeben werden. Dass
ich nicht früher mit der erwiderung fertig geworden, beruht
teils auf andren arbeiten, die keinen au&chub duldeten (haupt-
sächlich in Verbindung mit einem neuangetretenen amte), teils
auf einer schweren augenerkrankung, die meine arbeitskraft
sehr herabsetzte.
Dieser au&chubO därfte jedoch, wie ich hoffe, keine grös-
seren unzuträglichkeiten mit sich führen. Nur wenige leute
interessieren sich für fragen dieser art — die textkritik der
romantischen isländischen s^gur — , und diese wenigen spe-
dalisten sind nicht gewohnt, dass äusserungen in diesen fragen
rasch auf einander folgen.
Auch Eölbings Untersuchungen über die betreffende saga
(= Bev.) sind sehr lange nach meinen arbeiten auf diesem
felde erschienen.
Wie gross der zeitliche abstand ist, hat eine gewisse
bedeutung für die gerechte beurteilung der frage, und ich
muss deshalb zunächst einige worte darüber sagen.
Im jähre 1878 bereitete ich den text der Bev. saga zur
herausgäbe vor. Im.sonmier desselben jahres unternahm ich
^) Die Schwierigkeit, hier in Gotenbnrg mein schwediBches manuscript
ins deutsche übersetst zu bekommen, hat die reröilentlichnng des anfeatses
wider um ein jähr yeispätet [gesehrieben im jannai: 1S98].
Beitrig« snr fletohlolit« d«r dettttobim ipiteiM. XXm. 17
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258 CBDBBSCHIÖLD
eine reise ins ausländ, während der ich auf bibliotheken und
durch Unterredung mit fachleuten mir auskunft über die aus-
ländische literatur zu verschaffen suchte , die sich auf die
isländischen SQgur bezog, mit denen ich mich damals beschäf-
tigte.O Im jähre 1879 gab ich in den Acta Universitatis Lun-
densis den text der Bev. s. heraus. Das manuscript der ein-
leitung zu den FSS. schloss ich im Januar 1884 9,b. Seit dem
jähre 1882 hatte ich mich hier in Gotenburg aufgehalten, wo
es zu der zeit sehr schwierig war, sich kenntnis von neu-
erschienener philologischer fachliteratur zu verschaffen. Ich
ffihre dies an, weil mich E. scharf tadelt, dass ich in den FSS.
nicht mit allem innerhalb des Jahres 1884 erschienenen bekannt
gewesen; in der tat hatte ich nach dem sommer 1878 nur in
einzelnen fallen meine kenntnis der ausländischen fachliteratur
vervollständigen können.
Der lange Zeitraum, der zwischen meiner arbeit an der
Bev. s. und K's Studien auf demselben gebiete liegt, hat es
mir, wie ich zeigen werde, unbequemer gemacht, die dis-
cussion anzunehmen, während derselbe K seine besten waffen
lieferte.
Was mich betrifft, so habe ich mich nach der herausgäbe
der FSS. fast gar nicht mit den romantischen sQgur beschäf-
tigen können, sondern habe ganz andre aufgaben fibemommen,
die meine ungeteilte arbeitskraft erforderten. Auch jetzt kann
ich E.'s aufsatz keine so umfassende prüfung angedeihen lassen,
wie ich getan hätte, wenn er erschienen wäre, während ich
nocd mit dem Studium der romantischen s^gur beschäftigt war.
In dem einen oder andern fraglichen falle dürfte ich wol auch
vergessen haben, welche gründe mich besonders bewogen, bei
der redaction'der FSS. so oder so zu verfahren.»)
>) Ausser den in den FonuH^gor Sa5rlanda (=s FSS.) anfgenommenen
anch die Erex saga und die Clams saga. Ich nntersnehte natürlich auch
die wenigen in ausländischen bibliotheken (besonders auf dem Britischen
mnsenm) befindlichen isländischen hss., die meinem damaligen arbeitsgebiete
angehorten, u. a. eine hs. der Li^a. Vgl. Eölbing, Stnd. s. 89, note 2.
*) Es mag im ftbrigen cn entschuldigen sein, dass man Tergisst, waa
man selber geschrieben. So etwas passiert auch K.: in demselboi äugen-
blick, wo er (s. 39) mir vorwirft, dMS ich eine kun e notix ttber die Bev. s.,
die er in einer abhandlung über die Elis saga (Beiträge 2ur yeigl. gesch.
d. rom. poesie etc.) mitgeteilt hat, übersehen (richtiger wäre vergessen)^
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DEBSB DIE AÜSGABfi! D£R BfiSVEfiS SA(^A. 25$
Was K betrifft, so haben die jähre, die seit meiner aus-
gäbe der Bev. s. verflossen sind, ihm einige vortreffliche waffen
geliefert. Er hat durch seine ausgäbe des Sir Beues of Ham-
toun für die Early English Text Society veranlassung gehabt,
die englischen redactionen des sagenstoffes bis in die kleinsten
einzelheiten kennen zu lernen. Im Zusammenhang mit dieser
arbeit hat er die gälische redaction studiert. Und schliess-
lich — was für die beurteilung der isländischen texte Abs
allerwichtigste ist — , hat er durch das entgegenkommen
von prot Stimming in Göttingen dessen mit emenda-
tionen versehenen copien der altfranz. hss. benutzen
können, deren text dem original der altisl. saga sehr
nahe steht.
Besonders dieser zuletzt genannte umstand muss stärker
betont werden, als E. es getan hat (er erwähnt ihn nur ganz
kurz am ende seines aufsatzes). Denn durch das neben-
einanderlegen dieser beiden copien mit den nordischen texten
hat K. einen unvergleichlich sichreren ausgangspunkt als ich
fDr die beurteilung der ursprflnglichkeit der verschiedenen
handschriftlichen lesarten gehabt. Ich dürfte wol nicht fehl-
greifen, wenn ich gerade in dem entleihen dieser copien den
eigentlichen entstehungsgrund von K.'s strenger kritik meiner
ausgäbe erblicke, i) Und ich kann nicht umhin, seine art,
sich über meine ausgäbe zu äussern, mit der übermütigen
kritik zu vergleichen, die ein schüler mit hülfe des in seine
bände gelangten schlüsseis des lehrers an der von einem mit-
schüler ohne dieses unschätzbare hül&mittel angefertigten
Übersetzung übt
Wäre der Übermut das einzige gewesen, das mich in
E.'s Studien zur Bevis saga verletzte, so hätte ich nicht
genügende veranlassung gehabt, zu antworten. Aber E. gibt
eine in der hauptsache tendenziöse und schiefe darstellung
in demselben angenblicke erz&hlt er (anm. 1 s. 39), dass er selbst in seiner
ausgäbe des Sir Benes diese notis vergessen und Pio B%jna das verdienst
der entdecknng angeschrieben habe.
^) Denn dass K., ehe die franz. texte in seine hände gelangt waren
(nnd wfthrend er sich also in keiner besseren läge befand als ich), meine
ausgäbe auf eine weit wolwoUendere weise beurteilte, geht ans seiner
anzeige in der Deutschen lit-ztg. 1885 hervor.
17*
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260 CedSrschiöld
von der beschaffeuheit meiner ansgabe und bringt eine menge
unrichtiger detailangaben vor. Das verlangt eine antwort.
Fflr den der ohne vorgefasste meinnng K's aufeatz liest^
durfte seine absieht, meine ausgäbe als vollkommen wertlos
hin^nistellen, deutlich hervortreten.
Dagegen bedarf es einer genaueren Untersuchung der tat-
sachen, um einzusehen, dass K. zur erreichung seiner absieht
verschiedenes verschweigt, was ich in der einleitung zu den
FSS. geäussert, und mir ansprüche zuschreibt, die ich niemals
gemacht habe; dass er weiter grundsätze au&tellt, deren
richtigkeit teilweise recht zweifelhaft ist, und dass er schliess-
lich einzelheiten vorbringt, die auf Irrtum oder Unkenntnis
beruhen.
Was E. verschweigt, ist vor allem der grundsatz, nach
welchem alle in die FSS. angenommenen sqgur (mit ausnähme
von Fl.) veröffentlicht worden sind und worüber ich in der
einleitung s. lxii— v ausführliche rechenschaft abgelegt habe.
An der genannten stelle habe ich (mit motivierung) als
meinen hauptzweck hingestellt, von jeder saga bloss eine ein-
zige redaction mitzuteilen,*) obgleich ich in ein paar fällen
es für zweckmässig gehalten habe, etwas weiter zu gehen.
Die beschränkung des Variantenapparates, die sich aus
diesem meinem princip ergab, wurde von K in seiner recen-
sion der FSS. (Deutsche lit.-ztg. no.3, sp.82) mit folgenden
Worten erwähnt: 'dies verfahren befördert unzweifelhaft die
Übersichtlichkeit und wird von vielen fachgenossen gebilligt
werden'; und obwol er seinerseits bemerkt, dass der Varianten-
apparat vollständiger gewesen sein könnte, liegt es ihm doch
so fem, deswegen ein Verdammungsurteil auszusprechen (ähn-
lich dem das er in dem vorliegenden aufeatz fällt), dass er
statt dessen seine bemerkung mit den werten einleitet: 'das
im folgenden ausgesprochene bedenken soll in erster linie nur
mein warmes Interesse an dem wertvollen^) und mit auf-
wendung jahrelanger mühen hergesteUten buche bekunden.'
Und er schliesst seine besprechung mit den worten: *wir
>) Dass einige worte K/s anf s. 37 keineswegs eine gentlgende auf-
klftnmg hierüber geben, soU weiter unten gezeigt werden.
•) Von mir gesperrt.
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UEBEB DIE AUSGABE DER BEVEBS SAOA. 261
können zum Schlüsse nur wfinschen, dass es heim C. anch
weiterhin yergGnnt sein möge, in so fruchtbarer weiset
im dienste der nordischen philoIogie zu wirken.'
So urteilte E. im jähre 1885, als er schon eine langjährige
bekanntschaft mit den romantischen sQgur hatte. Aber 1894
erklärt er das was er neun jähre vorher gerühmt hatte, ffir
untauglich. Er erwähnt') nicht einmal, dass die herausgäbe
einer einzigen redaction als ziel angestellt werden könne (und
von mir im vorliegenden falle tatsächlich angestellt worden
ist). Die einzig zulässige art, auf die eine solche isl. saga,
welche fibersetzung oder bearbeitung eines ausländischen ori-
ginales ist oder sein dürfte, ist nach seiner meinung (s. 4 f.) die
folgende: '[die ausgäbe muss] das [handschriftliche] material
so vollständig wie irgend möglich vorlegen, also keine einzige
sachliche Variante irgend einer hs. von selbständiger bedeutung
unerwähnt lassen'; — denn der letzte zweck der herausgäbe
einer solchen altisl. Übersetzung (oder bearbeitung) soll nämlich
der sein, zur textkritik des ausländischen originales beizutragen.
Wie K. seinen grundsatz in anwendung bringt, werden
wir gleich sehen. Aber zuerst müssen wir bei dem grundsatz
selbst etwas verweilen.
Obgleich K ausser betracht lässt, dass auch von roman-
tischen (übersetzten) sijgur verschiedene redactionen existieren
können, ist dies eine tatsache, die nicht verneint werden kann.
Um nur bei der publication zu bleiben, von der die Bev. s.
ein teil ist, so enthält die einleitung zu den FSS. reichhaltige
beitrage zur beleuchtung der freiheit, womit die isländischen
Schreiber bei der behandlung der übersetzten SQgur verfuhren;
s. besonders cap. I, spec s. xiv ff., sowie cap. VI (Om Flovents
saga). — E. selbst hat in seinen älteren arbeiten das vor-
kommen verschiedener isl. redactionen der nämlichen roman-
tischen Sagaübersetzung nicht verkannt; s. z. b. Elis s. (Heilbr.
1881) s. XXV, wo er hervorhebt, dass die gemeinsame vorläge
der hss. G und B der El. s. 'eine stellenweise durch einen Is-
länder stark überarbeitete redaction der saga' repräsentiere,
und wo auch die hs. D eine 'vielfach gekürzte und durch die
>) Von mir gesperrt.
*) Bezüglich seiner äussenuigeii auf 9. 37 s. weiter unten.
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262 CEDBBSCHIÖLI)
band eines Isländers stark veränderte und verschlechterte be-
arbeitong einer alten hs.' sein soll (vgl. 8.xxxvina.a.o.)y und
s. XL sagt er wider, dass wir 'in G B und D nicht sowol andere
hss. der saga vor ans haben, als vielmehr andere, stark aber-
arbeitete Versionen'. '
Aach nar durch das verschweigen der von mir beabsich-
tigten beschränkong auf eine gewisse redaction (nämlich der
durch die bs. B repräsentierten) kann K (s. 6) zwei meiner
bemerkungen zum Variantenapparat in der Bev. s. als einander
widersprechend bezeichnen, was sie freilich auch, aus ihrem
Zusammenhang gerissen, scheinen können. Für den der deu
ganzen Zusammenhang an beiden stellen liest, dürfte es nicht
schwierig sein, meine meinung zu erkennen; ich habe die von
der bs. B repräsentierte redaction so vollständig wie nur mög-
lich mitteilen wollen; i) dabin gehört, dass ich aus anderen hs&
(bes. der red. G) solche lesarten aufgenommen habe, die mir
geeignet schienen, versehen in der red. B zu berichtigen (vgL
FSS. s. liXiv). Aber da ich fand, dass die bs. C an und für
sich von grossem werte war und meinem textcodex B relativ
nahe stand, habe ich bezüglich der Bev. s. (wie auch der
Konr. s.) die angegebene beschränkung meiner au^be über-
schritten und eine hauptsächlich vom nordisch-philologischen
Standpunkte aus einigermassen vollständige Sammlung der
abweichenden lesarten der bs. C (ev. yd) sowie auch — was
die Bev. s. betrifft — der fragmente A und D zu geben ge-
0 Eine consequenz dieser meiner absieht und zugleich ein äusserer
beweis derselben ist, dass ich den namen der hanptperson in der von der
hs. B (und zugleich von dem norweg. diplom; vgl. FSS. s. ccxzxvm) ge-
gebenen form Beters beibehalten habe, obgleich ich wol einsah, dass die
form Berns der hs. C ursprünglicher war, was ich auch ausdrücklich FSS.
s. COXLI gesagt habe. Dies hätte K. also nicht zu widerholen brauchen
(s. 67). — Hätte ich gleich K. die form widerherzusteUen gesucht, die am
ehesten dem ursprünglichen (norw. oder) isl. texte angehört haben dürfte,
so würde ich mich kaum mit der form Beois begnügt, sondern mich eher
für die form Beves entschieden haben. Für diese form spricht nämlich,
teils dass sie den f^anz. formen näher steht, teils dass man gerade aus ihr
aUe die formen ableiten kann, die in den isl. hss. vorkommen. Die ent-
Wickelung wäre also: 1) Beve8'> Bef(u)e8 D, 2) Bev€8> Bevis 0, Z)Bev€8
> Becess > Bevers B, N. Dipl. (vgl. ßess > ßera, pes8i>ßer8i u.s.w.),
4) Beves > Bevua {Bifus) > Btevm (Biefua) papierhss.
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UEBEB DIE AUSGABE DER BEVEBS SAGA. 263
sacht.i) Und da es auch von diesem gesichtspiinkt ans nicht
eben leicht war, die richtige grenze zwischen dem wichtigen
und minder wichtigen zn ziehen, so äusserte ich s. cgxl in
der anmerkong, dass ich vielleicht noch etwas ansffthrlicher
hätte sein können.
Beim eitleren meiner äosserung an der letztgenannten
steUe sucht E. einen Widerspruch mit s. lxiv dadurch herbei-
zuführen, dass er die werte: ^also nur diese' einschiebt; dies
ist nicht berechtigt, wenn ich mich auch lieber ausführlicher
und ohne die möglichkeit einer misdeutung hätte ausdrücken
sollen. <)
Doch die hier zuletzt berührten Verhältnisse können wol
von allzu privater natur scheinen, um ausführlicher hier be-
handelt zu werden. Ich gehe daher zu fragen von allgemeiner
bedeutung über.
Wie soll man bei der Veröffentlichung einer ins (norwe-
gische oder) isländische übersetzten saga verfahren, wenn
diese in mehreren redactionen (handschriftklassen) vorliegt,
von denen keine der eigene text des Übersetzers ist, sondern
wo alle mehr oder weniger überarbeitet sind?
Meinerseits gebe ich gern zu, dass das von K s. 3 — 5
skizzierte verfahren principiell für das beste gehalten werden
kann. Aber ich behaupte, dass auch ein anderes verfahren
erlaubt und nützlich sein kann, und ich behaupte femer, dass
die art und weise, wie K selbst von seinem princip gebrauch
machty viel zu wünschen übrig lässt.
Es dürfte wol für selbstverständlich gelten, dass das
1) Das ganse material su Meten, das mOglicherweiBe sur Tergleiehimg
mit den frams. texten nötig werden könnte, hatte ich weder beabsichtigt,
noch Yerspioohen.
*) In Verbindung hiermit möchte ich bemerken, dass K. auch sonst
nicht immer ganz loyal dtiert; so z. b. yertanscht er ohne weiteres in der
anm. zu s. 6 die werte: 'die unwesentlichsten* (also einen relativen ans-
dmck) mit 'ganz unwesentlich' (also einem absoluten ansdruck); — s. 61
übersetzt er meinen ansdruck (s. coxxziz) ^ganska (== ziemlich) noggrant
afskrifha' mit 'ganz genaue abschriften'; — weniger bedeutend ist es,
dass K. s. 6 z. 7 mit den Worten 'im werke selbst* meine werte t tjälfva
verket (=s in der tat) widergibt; vgl. unmittelbar vorher (s. 5 anm.), wo K.
versichert hat, dass er die citate aus meinem schwed. texte 4n mög-
lichst genauer Übersetzung' gebe.
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264 GEDERSCmÖLD
herausgeben sich ziemlich verschieden gestaltet, je nachdem
das ausländische original der (norweg.-)isl. saga für den herans-
geber vorhanden ist oder nicht. Der ausdruck ^original' wird
dabei nicht ganz wörtlich genommen. Denn natürlich kann
es kaum vorkommen, dass eben die ausländische (z. b. afranz.)
hs., die dem nordischen Übersetzer vorgelegen hat, oder eine
mit dieser hs. ganz übereinstimmende noch vorhanden ist; aber
man kann doch behaupten, dass man das ^original' besitzt,
wenn dieses durch eine oder mehrere nahestehende hss. in
derselben spräche repräsentiert wird. Alte Übersetzungen oder
bearbeitungen in anderen sprachen können auch einigermassen
das original repräsentieren, sind aber natürlich an und für
sich weniger zuverlässige zeugen. <)
Also: besitzt man das fremde original einigermassen wol
repräsentiert, so wird die kritische behandlung der nord. Über-
setzung in hohem masse erleichtert. Man ist dann im stände —
wie auch K in seinem aufeatze getan — in einer menge von
fällen zu entscheiden, was in den nord. texten ursprünglich
ist oder nicht, wo ein redactor etwas hinzugefügt, ausgelassen
oder umgestaltet hat, und man kann ein sichereres urteil über
den verschiedenen grad von Zuverlässigkeit der einzelnen
redactionen fällen. Auf der anderen seite können dann auch
die nord. texte einen beitrag zur textkritik des ausländischen
originales liefern. Mit einem wort: man hat dann mittel zur
band, um zu entscheiden, welche Varianten der nord. redac-
tionen von wert für die textkritik der Übersetzung und des
originales sind und welche nicht.
Aber wie viele soll man dann in den Variantenapparat
seiner ausgäbe aufnehmen? Vielleicht bloss die welche man
als für die textkritik wichtig befunden hat, mit hinzufügung
derjenigen die von nordisch -philologischem gesichtspunkt aus
wirklichen wert haben? Oder alle?
Herr K, der das grosse wort führt, dürfte wol durch seine
behandlung der Bev. s. uns ein muster geben, wie die sache
zu machen ist. Wir wollen daher sein verfahren untersuchen.
>) Die engl, bearbeitongen von Sir Beyis, die mir 1878 im dmck ra-
gttnglich waren, zeigten albsn viel abstand von den isl. texten, um allein
bei der benrteilnng der bffi.-Yerhältni88e yon besonderem nntien zu sein;
vgl. meine ftnssenmg darüber FSS. s. ocxvi.
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ÜBBER DIB AUSGABE DER BEVEBS SAGA. 265
Folgende zahlen mässen vorausgeschickt werden. In meiner
ausgäbe werden in den fussnoten ungefähr 600 vom texte ab-
weichende lesarten verschiedener hss. (besonders von G und den
diesem sehr nahestehenden y S) angeführt. Zu diesen f flgt E.
(s. 7—37) eine liste von solchen, die er ausserdem für nötig
hält (wolgemerkt auch jetzt noch, nachdem das franz. original
verglichen ist); diese liste bringt ungefähr 3000 Varianten.
Aber von diesen 3000 sind es nach K's eigener berechnung
(vgl. s. 52) nur 131, die K auf grund der vergleichung mit
den ausländischen texten (besonders den afranz.) für ursprüng-
licher als die entsprechenden lesarten in meinem texte hält.^)
Nun, diese ungefähr 3000 abweichungen von dem ge-
druckten texte, die ich nach K's meinung mit unrecht aus
meinem Variantenapparat ausgelassen habe, nennt er s. 7
'sachliche abweichungen'. Hierzu stimmt schlecht, was er
8. 37 behauptet, nämlich: 'hier (d. h. bez. der Bev. s.) handelt
es sich nicht um verschiedene bearbeitungen,-) sondern nur um
verschiedene von einander unabhängige hss. desselben textes.'
Ich kann nur annehmen, dass hier ein widersprach vor-
liegt. Wenn nun 'sachliche abweichungen' zwischen den hss.
B und C (bez. y rf)3) an so vielen stellen existieren, und man
trotzdem nicht berechtigt sein sollte, von verschiedenen redac-
tionen zu sprechen, so müsste man ja schliessen, dass un-
freiwillige Verderbnis des textes an allen diesen stellen
in einer der hss. vorliegt; willkürliche und absichtliche
abweichungen von der vorläge könnten es ja nicht sein, denn
es sind ja eben solche, die (wenigstens wenn sie qualitativ
^) Die zahl 131 dürfte in Wirklichkeit allzu hoch gegriffen sein, wie
nnten gezeigt werden wird. In welchem umfange Ührigens K. richtig ge-
rechnet hat, hahe ich nicht nachgeprüft. Zufällig hahe ich bemerkt, daas
K. 8. 48 no. 157 eine Variante als in meiner ausgäbe fehlend bezeichnet
hat, die sich dort wirklich findet.
>) Dies ist die einzige stelle, die ich in K's aufisatz gefanden habe,
die auf meine in den FSS. offen ausgesprochene absieht, mich auf eine ge-
wisse redaction zu beschränken, bezogen werden kann. Aber K.'s äusserung
ist hier nicht gegen meine in den FSS. dargelegten principien, die conse-
qnent verschwiegen werden, sondern gegen einige werte Heinzeis (im Anz.
fda. 11,180) gerichtet
8) Die mehizahl sowol der 600 wie der 8000 betrifft eben das Ver-
hältnis zwischen diesen hss.
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266 CKDEBSCHIÖLD
oder quantitativ bedeutend sind) eine besondere redaction
constituieren.
Aber man braucht die unterschiede zwischen B und C
nicht lange zu mustern um zu begreifen, dass die grosse
mehrzahl eben willkürlich und absichtlich ist. Und schon
quantitativ scheinen sie mir hinlänglich bedeufendy um mein
in den FSS. s. lxiv abgegebenes urteil zu begränden, n&mlich
dass C, obgleich B nahestehend, nicht als derselben redaction
wie B angehOrig bezeichnet werden kann«
Der qualitative wert der abweichungen ist indessen im
allgemeinen gering, 0 zum teil so gering, dass es mir höchst
merkwürdig scheint, dass E. so viel gewicht auf deren mit-
teilung gelegt hat. Der leser mag selbst über den wert der
folgenden ^sachlichen abweichungen' urteilen, die ich ans
K.'s nachtragen gesammelt habe; ich habe es nicht für nötig
gehalten mehr als ein paar kleine stücke im auf ang der saga
und ein paar aus den schlusspartien zu untersuchen, im ganzen
ungefähr ein zehntel des ganzen textes.
Den wichtigsten unterschied zwischen B und C (bez. y d),
nämlich bezüglich des titeis, der Bevers' Stiefvater beigelegt
wird, habe ich ausdrücklich hervorgehoben in FSS. ccxl und
habe dabei mitgeteilt, dass der unterschied consequent durch-
geführt wird. Nichtsdestoweniger notiert K. gewissenhaft jede
stelle, wo die abweichung vorkommt (z. b. zu s. 209, 16. 20. 37.
40. 210,6. 10. 14. 15 U.S.W.). Wozu dies sonst dienen soll, als
um das Verzeichnis desto länger zu machen und mein angeb-
liches verschulden desto schwärzer hervortreten zu lassen,
dürfte schwer zu begreifen sein.
Aber sonst ist es ziemlich selten, dass die unterschiede
zwischen den hss. solche sind, die verschiedene bedeutungen
mit sich führen (wie man aus E.'s ausdruck 'sachliche ab-
weichungen' schliessen sollte); besonders in E.'s nachtragen
bilden diese eine verschwindende minderzahl.
^) Wichtigere abweidumgen, wie z. b. absichtliche kümmgen und
yeränderungen mit bezng auf den inhalt, fehlen keineswegs (wie man ans
den noten in FSS. and ans K.'s darstellnngen ersehen kann), nnd sind
natürlich in erster reihe von bedentnng, wenn es gilt, yerschiedene
redactionen festzustellen; aber sie sind Tcrhältnismftssig gering an sah!«
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UEBER DIE AUSGABE DEB BEVEB8 SAGA. 267
Was K hauptsächlich zu meinem variantenverzeichnis
hinzuzufügen hat^ besteht in solchen ausdrücken, die mit dem
gedruckten texte gleichbedeutend sind.
Wenn eine person (bez. ein pferd, schwert u.s.w.), über
dessen Identität der Zusammenhang nicht den mindesten zweifei
erlaubt^ entweder mit 1. namen oder 2. titel (bez. anderer
appellativer bezeichnung) oder 3. sowol namen wie titel (bez.
anderer appeUativer bezeichnung) oder 4. nur pronomen be-
zeichnet wird, so nimmt K in seinen nachtragen die wechseln-
den bezeichnungen auf; s. z. b. zu s. 209, 11. 18. 210, 2. 16. 44.
52. 211,27. 216,27 u.s.w. Fortgesetzte vergleichungen zwischen
den isl. und den ausländischen texten haben K schliesslich
darüber belehrt, dass, wie er am schluss von s.60 zuzugeben
genötigt ist, in dergleichen fällen 'auf das schwanken . . .
wenig gewicht zu legen ist' — und das hätte K wol im voraus
wissen können, nachdem er sich so viele jähre lang mit isL
hss. beschäftigt hatte. Aber wenn er in diesem Zusammenhang
(s. 60) behauptet, solche stellen in seinen nachtragen nicht auf-
genommen ZU haben, so ist dies nicht richtig; nicht genug
damit, dass solche Varianten (wie wir eben gesehen) in der
grossen variantenliste (s. 7—37) besonders zahlreich sind,<)
selbst unter den 131 stellen, 'wo die lesart von C oder yrf,
bez. D oder A, sich durch vergleich mit den anderen Versionen
als dem archetypus angehörig erweisen liess,' die aber von
mir nicht verzeichnet waren, sondern erst von K hinzugefügt
worden sind (vgl. K s.52), — selbst unter diesen stellen, wo-
rauf K so viel gewicht legt, finden sich mehrere, die gerade
der eben erwähnten kategorie angehören, s. z.b. die anmer-
kungen 8. 66. 99. 114 129. 136. 158. 166 auf s. 40 ff., vgl.
ausserdem 79. 172.
Von der grossen anzahl übriger gleichbedeutender, aber
in bezug auf den ausdruck mehr oder weniger abweichender
lesarten, die E. als 'sachliche abweichungen' anführen zu
müssen glaubt, will ich nur auf die folgenden hinweisen. <)
>) In dieser liste dürften Varianten der genannten art sich bis auf
ein oder mehrere hundert belaufen.
*) Bei der anfühmng isländischer textstellen normalisiere ich nach
demselben princip, das K. s. 7 aimi. befolgt zu haben behauptet, nämlich
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268 GEDEKSCHIÖIiD
Die synonymen ausdräcke hestr und ess werden in Bev.
(wie sonst) promiscue angewant; E. hat sich die muhe gemacht,
an einer menge stellen den Wechsel zu notieren; so z.b. die
nachtragsliste zu s. 257— 260.
Den Wechsel zwischen den ganz gleichbedeutenden setn
und er notiert K s. 209,24. 210.4. 215,59 u.s.w., zwischen er
und at s. 209,29. 36. 38. 210,2 U.S.W., zwischen Enn und Ok
(einen neuen satz einleitend) s. 215, 41, zwischen den adverbien
fyrri und fyrr s. 209, 18, zwischen den verneinenden adverbien
eigi und eJt^i s. 215, 43, zwischen eJfa und eJfr s. 214, 51. 257, 31.
258,13*); der Wechsel zwischen meöal, milliy d miUiy i miUi
wird s. 259, 13, zwischen möü und t mot s. 260, 13, zwischen
peima und pessum s. 215, 46, zwischen den masc. nom.-formen
einginn und eingi & 215,35, zwischen der umgelauteten form
hJQptinn und der unumgelauteten lyapünn s.216, 7, zwischen
dem altertümlichen {ek) mcetta und dem jüngeren (ek) nußtü
s.216, 18 angemerkt, u.s.w.^)
Angesichts solcher beispiele drängt sich einem die frage
auf: wenn K. diese und ähnliche für 'sachliche abweichungen'
hält, was versteht er dann unter formellen? Vielleicht nur
die rein orthographischen? — Aber wir fahren fort
Abwechslungen in der Wortstellung, sogar die allergewöhn-
liebsten, werden von E. angemerkt. So z.b. die Stellung des
attributs vor oder nach seinem subst.: hest sinn oder sinn hest
s. 216, 4 f., liö mikit oder mikit liÖ s. 216, 52, tvd riddara oder
riddara tvd s. 214, 21 1, hans hest oder hest hans s. 260, 24, vgl.
s. 214, 41. 58. 215, 31. 216, 5. 260, 15. 24 u.s. w.»)
'in der allgemein üblichen weise ^; mein resnltat wird zwar denjenigen K.'8
recht nnähnUch — aber das ist nicht meine schnld.
1) An diesen stellen, und wahrscheinlich an vielen anderen, hat K. es
sich angelegen sein lassen, dem leser die tatsache mitsuteilen, dass die
jüngeren hss. (/, 6, D) die formen eHr haben, während mein nach der Klteren
membrane B gedruckter text eba hat; nur schade, dass er nicht sogleich
mitgeteilt hat, dass das wort in membranen gewöhnlich abgekürzt ge-
schrieben wird ('«/).
>) Dass die relatiypartikeln er oder ai (gemftss dem jüngeren Sprach-
gebrauch) in den jnngen papierhss. yd fehlen, wird zn s. 212, 35. 219,25
angemerkt, ebenso zn s. 211,45, dass yö ^% jüngere form hnwm», haben,
während B die filtere kowa hat.
') Aber zu 8.209, 19 unterlässt es K. darauf hinznweiseu, da«i der
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ÜfiBBfi DI£ AUSOABB DER BEVEBS SAGA. 269
Die stellnng des snbj. vor oder nach dem praed. wird an-
gemerkt s. 214, 58: er heitir Hamtün oder er Hamtün heitir,
s. 257^421: Hann fdr nü oder För kann nü-, die wechselnde
Stellung des praed. und des adv. wird angemerkt s. 215,26:
Nü liOa (svd fram stundir) oder LUfa nü; Tgl. s. 209, 8 1 (wo
zwei adv. die Stellung miteinander tauschen), s. 215, 10 u.s.w.
Manche der lesarten, die K in seinen nachtragen auf-
genommen hat, geht bloss darauf aus zu zeigen, wie weit das
eine oder andere, gewöhnlich so gut wie bedeutungslose wört-
chen sich in der einen oder andern hs. vorfindet. So z. b. wird
s. 212, 31, 39. 213,62. 214,63.64. 215,11. 260,19 u.8.w. ver-
zeichnet, ob der nachsatz (apodosis) mit pä eingeleitet wird
oder nicht.
Eine andere grosse gruppe Varianten erhält E. dadurch,
dass er verzeichnet, wie weit im erzählenden Stile das praet.
oder das praes. histor. angewant wird, z. b. s. 210, 2. 49. 57.
211,3. 212,31. 214,28. 216,29. 257,28. 260,8.9 u.s.w.
Ein jeder der sich nur ein wenig mit isl. sagas (sei es
originalen oder fibersetzten) beschäftigt hat, weiss ganz genau,
dass der in rede stehende tempuswechsel zu den allergewöhn-
lichsten erscheinungen gehört, und versteht, dass dergleichen
^Varianten' fflr solche von minimalem werte angesehen werden
können. Aber noch unnötiger sind die 'Varianten' in folgendem
fall: in meinem abdruck von B habe ich (wie ich ausdrück-
lich in den FSS. s. lxxu gesagt) die in der hs. regelmässig
vorkommenden zweideutigen abkurzungen /t;. und f. mit
praesensformen (in der regel sing., also entweder svarar oder
segir) widergegeben; wenn nun zufällig eine der andern hss.
ein ausgeschriebenes praet eri tum hat, so wird dies von K
vermerkt, z.b. bei s. 211, 1. 18. 215, 8. 258, 10 u.s.w.0
Wenn eines unter den am häufigsten vorkommenden Sub-
stantiven (z.b. k6ngr,jarT) in einer von den hss. irgendwo sich
in bezug auf das Vorhandensein oder fehlen des angehängten
artikels von den andern hss. unterscheidet, hat K auch diese
erscheinung verzeichnen zu mfissen geglaubt Irgend welche
lesart von B: döttur sSna ein sina ddttur in /d entspricht, zu b. 214,58,
dass auch D die Wortstellung mööir min hat.
>) Dass A anf s. 257, 41 sag^ schreiht, hat K. jedoch zu notieren
vergessen.
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270 cedebsghtOld
anleitnng zur beRtimmong des arsprfinglichen textes liefern
indessen diese 'sachlichen abweichnngen' nicht, denn in den
älteren hss. wnrden diese nnd ähnliche Wörter sehr oft dnrch
eine abkflrznng angegeben, die nicht angab, ob eine form mit
oder ohne artikel beabsichtigt war; vgl. FSS. s. lxxiii — ^v, wo
ich auch mein eignes verfahren bei der widergabe derartiger
abkflrzungen auseinandergesetzt habe. K hat wahrscheinlich
die genannten selten meiner einleitnng nicht gelesen, sonst
hätte er wol kaum seine liste mit solchen bemerknngen wie
z.b. s. 210,59. 211, 1. 3 vermehrt, dass die papierhss. yd jarl
schreiben; mein text hat zwar an diesen stellen jarlinn, aber
da ich s. lxxiv anm. 3 bemerkt, dass die hs. B an den ge-
nannten stellen (nnd vielen andern) die abkürznng j. zeigte
dfirfen wol hier die abweichnngen eher graphisch als sach-
lich genannt werden.
Wozu soll nun das aufzählen dieser und derartiger Varianten
eigentlich dienen?
Von wert fflr die reconstruction des ursprünglichen saga-
textes und für die kritik der franz. texte könnten ja, gemäss
K.'s eigener meinung, bloss eine geringe anzahl sein.>)
Aber auch für die beurteilung des Verhältnisses zwischen
den isl. hss. untereinander müssen ähnliche abwechslungen, wie
die hier oben angeführten, mit der grössten vorsieht behandelt
werden. Von der mehrzahl derselben gilt ohne zweifei, was
K. selbst in seiner vorrede zur Elis saga (s. xxvu— viii) über
* abweichnngen' äusserte, 'auf die die betr. abschreiber sehr
leicht selbst gekommen sein können'; dahin gehören:
a) abweichnngen in der Wortfolge ...<); b) hinzufügung
oder weglassung des artikels . . •; c) anwendung verschiedener
tempora . . .; d) schwanken zwischen sing, und plur. . . .; e) kleine
änderungen in der construction . . .; f) Wechsel zwischen ge-
bräuchlichen synonymen ...; g) hinzufügung von dem sinne
nach naheliegenden worten ...'
1) Dass K. bei der berechnnng dieser anzahl recht optimistiseh ge-
wesen, haben wir z. t. bereits gesehen nnd werden wir weiter unten noch
in einigen andern fallen nachweisen.
*) Ich lasse K.'s beispiele ans; jeder der es wünscht, kann sich daTon
ttberzengen, dass sie gleichartig mit deigenigen sind, die ich hier oben
angeführt habe.
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UBBEB DIE AUSOABE DBB BEYERS SAGA. 271
Hierauf gibt K folgendes gesammtnrteil: ^es dai^ mit ent-
schiedenheit behauptet werden, dass alle derartigen Varianten
unser urteil ttber das handschriftenyerh<nis in keiner weise
beeinflussen können«'
Ans speciell nordisch-philologischem Interesse hat E. offen-
bar eine solche masse Varianten nicht aufnehmen wollen. Wie
ein nordispher philologe in derartigen fragen denkt, dürfte
wol im allgemeinen bekannt sein; aber fdr den fall, dass ein
zeuge verlangt wird, will ich einen herausgeber citieren, dessen
autorität nicht leicht verworfen werden dfirfte, den docenten
Finnur Jönsson.
In der vorrede zu seiner kritischen ausgäbe der Egils
saga Skallagrimssonar (Kdbenhavn 1886 — 88) s. xxvi, sagt
dieser: ^ j^ [har] ikke eUer meget sjselden . . . taget hensyn
til s&danne varianter, der kun best&r i, at ordene i en ssetning
er ordnede p& en forskellig m&de uden nogen sserlig syntak-
tisk Interesse (£ ex. for hinn f. hann far og lign.). Den slags
varianter har sjaelden nogen videre betydning, og f or Egilssagas
vedkommende, sävidt jeg har kunnet skönne, slet ingen . . .
Heller ikke har jeg taget hensyn til s&danne varianter, som
kun best&r i, at et ganske almindeligt ord stär for et ligesä
almindeligt (1 ex. for t feröadie el. gekk og lign.).'
Und es ist zu bemerken, dass die Egils saga von nordisch-
philologischem gesichtspunkt weit grössere bedeutung besitzt
und in viel älteren hss. bewahrt ist als die Bev. s.
Nun kann man zwar sagen: ^man kann nicht im voraus
wissen, zur lösung welcher fragen eine zukOnftige forschung
material aus den hss. zu schöpfen gezwungen sein wird; dena
diese hss. können leicht abhanden kommen oder zerstört werden;
oder äussere Verhältnisse können, auch während sie noch vor-
handen sind, viele forscher verhindern, sie direct zu benutzen.
Es ist daher notwendig, dass, wenn eine saga (oder ein anderes
literaturdenkmal) veröffentlicht wird, die lesarten der hss«
(oder wenigstens der von einander unabhängigen hss.) so voll-
ständig wie möglich veröffentlicht werden.'
Dies raisonnement lautet ja sehr vernünftig, aber wir
können es doch nicht ohne weiteres acceptieren. Will man
wirklich all das material liefern, das zukOnftige forscher für
verschiedene (vielleicht noch nicht geahnte) zwecke möglicher-
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272 CEDEBSCHIÖLB
weise gebrauchen können, so mnss man natürlicli auch fBr die
vorfflhrung aller orthographischen nnd graphischen
Varianten sorgen (denn diese können ttr einige zwecke wich-
tiger werden als ^sachliche abweichungen'), nnd da findet sich
kein anderer answeg als der, möglichst genaue photographische
abbildnngen von allen betreffenden hss. zn liefern. Aber
nicht einmal dies wäre ausreichend. Eine von den am sorg-
fältigsten ausgeführten photographischen abbildnngen, die wir
von nordischen hss. haben, dürfte wol die abbildung der
grossen Eddahs. sein, die Wimmer und F. Jönsson i. j. 1891
veröffentlicht haben; am schluss ihrer einleitung (s. lxxv)
heben die herausgeber hervor, dass ihre lange beschäftigung
mit der arbeit sie gelehrt habe, dass keine widergabe je-
mals das original vollständig wird ersetzen können.
Der grund ist^ dass die subjective auffassung des herausgebers
immer einigermassen auf die beschaffenheit der abbildung ein-
wirkt. 0 Selbst in dem falle dass die hss. photographiert
werden, bleibt der leser von der genauigkeit, der einsieht und
dem urteil des herausgebers abhängig.
Gerade diese eigenschaften eines herausgebers sind am
unentbehrlichsten bei jeder art von herausgäbe. Und diese
eigenschaften zeigen sich nicht am wenigsten in dem ver-
mögen des herausgebers, sich klar und bewusst zu beschrän-
ken; er muss verstehen das wesentliche von dem unwesent-
lichen zu unterscheiden; er muss nichts mit aufnehmen was
f fir seine speciellen zwecke unnötig ist; er darf nicht das
unnütze das nützliche verdecken lassen. So z. b. hat die eben-
genannte Photographie der Eddahs. verschiedene zufällige flecke
oder wegen der dfinnheit des pergaments durch dieses sicht-
bare buchstaben etc. nicht aufgenommen, die beim lesen
störend wirken würden.^)
Nun muss wol auch K einen speciellen zweck mit
seinem aufeatz über die Bevers saga gehabt haben, denn
nach allen selten über die hss. bescheid gegeben zu haben
kann er nicht beanspruchen — : dazu fehlt allzu viel. Dass
>) Vgl. Arkiy för nordisk filologi 8, 190 ff.
*) Dass sie im commentar notiert werden, ist etwas anderes; dort
tnn sie keinen schaden.
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UEBEB DIE AUSGABE DER BEVEBS 8A0A. 27^
es sein specieller zweck war, polemisch gegen meine ausgäbe
aufzutreten, wird er wol nicht einräumen wollen, und das
wird wol auch nicht der fall sein, wenn es auch zuweilen so
aussieht. Dagegen dürfte man E. nicht unrecht tun, wenn
man aus seiner früheren Wirksamkeit, aus dem wertvollsten
im vorliegenden au&atz und vor allem aus der Zusammen-
fassung, die K selbst gegen ende der abhandlung s. 127 ff.
macht, den schluss zieht^ dass sein eigentlicher und spe-
cieller zweck gewesen ist, das Verhältnis zwischen
den isL texten (bez. dem norw. — oder möglicherweise isl.
— text, von dem sie abstammen) auf der einen seite, und
den ausländischen (bes. den franz.) texten auf der andern
Seite zu beleuchten. Aber welche massen von für diesen
zweck nutzlosem, ja geradezu hinderlichem stoff häuft er nicht
zusammen!
Für mich konnte natürlich der zweck nicht derselbe sein
wie für K, da mir ja die franz. texte nicht zugänglich waren.
Ich hätte daher unmöglich die beschränkung des Stoffes durch-
führen können, die für E. leicht und ungesucht gewesen wäre,
obgleich er es verschmäht hat sie anzuwenden. Und da ich
meine ausgäbe nicht mit einer masse solcher unnützer, will-
kürlicher kleinigkeiten belasten wollte, die in der regel völlig
bedeutungslos zu sein pflegen, befolgte ich (worauf ich so wol
hier oben als schon in den FSS. hinwies) den plan, die redac-
tion der ältesten erhaltenen hs. herauszugeben und erweiterte
den plan insofern, als ich aus den andern redactionen (vor
allem aus Cs) die abweichungen hinzufügte, die ich von meinem
Standpunkt aus als 'sachliche' betrachtete.
Nun meint E. (s. 4), dass ich unter solchen Verhältnissen
(da die franz. texte mir nicht zugänglich waren) mich gar
nicht mit der herausgäbe von Bev. hätte befassen sollen; und
an mehreren stellen in seinem aufsatz bemüht er sich zu be-
weisen, dass meine ausgäbe — wegen der beschränkung, die
ich hinsichtlich des Variantenapparates beobachtet habe —
gänzlich wertlos sei.
Hierüber mögen andere urteilen! Ich fürchte nicht, dass
unparteiische und vollauf competente beurteiler ein so hartes
urteil fällen. Meinesteils wiU ich nur, ehe ich zur nach-
weisung verschiedener fehlerhafter und irreführender angaben
Beiträge sur getohlohte der denUohen apraohe. XXTIT. ]S
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274 C&1>1BRSCHIÖLD
in E.'s aufisatz übergehe (angaben, anf die er zum teil sein
nrteil über meine ansgabe stützt), an einige yerhältniase all-
gemeinerer art erinnern.
Zunächst ist es klar, dass, wenn die herausgäbe der
Bey. s. angeschoben wäre, bis die franz. texte durch prof.
Stimmings arbeit zugänglich geworden waren. Fritzner für
die ausarbeitung der zweiten aufläge seines wCrterbuchs (deren
Veröffentlichung bereits i. j. 1883 begann) schwerlich den text
dieser saga auf eine solche weise hätte ausbeuten können, wie
dies jetzt der fall gewesen ist. Durch vergleichung der ersten
und zweiten aufläge des Wörterbuchs findet man leicht^ dass F.
für die erste bloss eine geringe anzahl excerpte aus den
hss. B und d zur Verfügung hatte, dass er dagegen in seiner
zweiten aufläge an einer grossen menge von stellen meinen
text citiert.») In briefen an mich (citiert FSS. lxxix) äusserte
im übrigen Fr. selbst, dass er besonders viel für sein Wörter-
buch aus den texten in den FSS. habe schöpfen können.
Weiter: aus E.'s eignem aufsatz geht hervor, dass meine
ausgäbe der Bev. s. und die einleitung zu den FSS. nicht ohne
wert als Vorarbeit für K's eigne Untersuchungen gewesen ist.
E. sagt (s. 64, anm. 1): 'die hs. B habe ich nicht nach-
verglichen.' Er hat somit nicht geglaubt auf die hs. zurück-
gehen zu müssen, sondern meinen abdruck für völlig zuverlässig
gehalten und der bequemlichkeit halber diesen an stelle der
alten, teilweise etwas schwer lesbaren membran benutzt. Wenn
nun meine ausgäbe in erster reihe gerade den zweck hatte,
die redaction mitzuteilen, die durch die hs. B vertreten wird,
so hat E. also indirect zugegeben, dass mir dies gelungen ist
Aber anstatt dankbar den vorteil anzuerkennen, den er von
meiner ausgäbe gehabt, weiss er nur unfreundliches darüber
zu sagen.
Weiter: E. muss meine ausführungen (FSS. s.ocxxxvint)
über die vier hss. AM. 179 und 181, fol., Rask 31, 4», Stockholm
Chart. 46, foL, gebilligt haben, denn, soweit ich habe finden
können, sagt er in seinem aufsatz kein wort über deren
1) E.*8 behaüptimg (s. 63), dass meine ausgäbe für lexikogiaphen unzu-
reichend sei, wird weiter unten nach ihrem richtigen gehalt beleuchtet
werden; ich werde an derselben stelle etwas auf K.'s behanptnng (s. 68f.)
Ton der unznl&Qglichkeit für grammatiker zu antworten haben.
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ÜBßSB DOS AÜteAM DBA BBVBIbS SAGA. 275
besehadenheit. Es mnss doch, wenigstens einigermassen, eine
erleichtening ffir K gewesen sein, ttber diese hsa nicht zu
berichten zn brauchen.
Bloss in 6iner hinsieht hat E. (s. 64) anerkennen wollen,
dass ich in meiner ausgäbe eine Vorarbeit zur bestinunung des
'yerhalten[s] des sagaschreibers zu seiner vorläge' geliefert habe,
nämlich durch die in der einleitung zu den FSS. (s. vn— xxxin)
gemachte Zusammenstellung von formelhaften Wendungen,
Schilderungen u. dergl., entnommen aus romantischen sagas
(Übersetzungen oder freieren bearbeitungen von ausländischen
originalen). — Aber ich muss mich dagegen verwahren, da^
K (s. 64) sagt, diese Sammlung sei ^nur einer kleineren aus-
wähl von texten entnommen'. Wie man aus FSS. s. iv anm.2
sieht, ist die Sammlung nach sechszehn romantischen sagas
gearbeitet, darunter der ganzen Earlamagnus saga: die ge-
sammte Seitenzahl des (norw.-) isL textes in diesen sagas be-
trägt 1443. Eine besonders grosse Vermehrung der quellen
hat E. durch diejenigen nicht zu stände gebracht, die er s. 64
anm.2 (vgl. s. 65) als von ihm weiter excerpiert anfahrt. 9
Weiter hat E. (s. 128) nicht umhin können, die folgerung
aber das alter der Bev. s. anzuerkennen, die ich aus meinen
Untersuchungen über die stereotypen gezogen habe. Auch den
Zusammenhang, den ich zwischen der Bev. s. und der erzählung
von Olif und Landres nachgewiesen habe, erkennt E. s. 128
an, wenn er auch, durch das Studium der franz. texte belehrt,
über diesen Zusammenhang etwas mehr zu sagen weiss.^)
^) In sdne liste ist die Pjalar-Jöns saga ait^iiommen, die aber
als ^ygisaga' (ygl. FSS. s. olxvi) wol kamn yerg^chen zn werden verdirat
hätte; dasselbe gUt wahrscheinlich von der Samsonar saga fagra (vgl.
Versions nardiqnes etc. s. 90 i ; was die Islenzk avent^ri betrifft (die nn-
gefiUir gleichaeitig mit cap. I der einleitnng der FSS. veröffentlicht wnrden),
so ist nnr ein kleinerer teil dieser texte im stil mit den romantischen
sagas xn vergleichen. K. hat im ttbrigen seine ergSnznngsliste dadurch
vervollsti&ndigty dass er vier nnmmem an^;enommen hat, die bereits zn
meiner liste gehiirten: Möttnls saga, Olif ok Landres (als teil der Earla-
magnus S.X Partalopa saga» Valvers )^4ttr.
*) Meine vermntnng(FSS.ccxviflX^^ASs^^< AUS dem französischen
Übersetzt sei, hat sich seit dem zngftnglichwerden der franz. hss. als richtig
erwiesen. Indessen wiU K. (s. 113f.) den versuch nicht anerkennen, den
ich (a.a.O.) gemacht habe, das vorkommen des Wortes FVatueisar in der
18*
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276 CEBBBSCHIÖLD
FacUe est inventis addere ist jedoch eine sentenz, deren
berechtigung K einigermassen hätte anerkennen sollen. Auch
einer anderen sentenz humanen Inhalts: mishunnar mun hverr
d stnu mdli PwrfOy hätte sich K erinnern können, zumal er
(s.63f.) sich anstrengt zu beweisen , dass meine ausgäbe von
Bev. wissenschaftlichen lesem keineswegs genfige leisten
könne. Denn genau genommen dfirfte auch K's aufsatz den
ansprachen der Wissenschaft nicht genügen. Hier wie in
seinen frfiheren arbeiten ist K nämlich zu sehr geneigt zu
abersehen, dass wissenschaftlichkeit Zuverlässigkeit und ge-
nauigkeit — oder wie K es selbst etwas spöttisch nennt:
akribie — erfordert. Obgleich sich meine Untersuchung nur
auf einen kleineren teil der angaben K's bezieht, habe ich
doch eine verhältnismässig grosse anzahl fehler in seinem
au&atz entdeckt.
saga 8. 263, 20. 24 psychologisch zü erklären. Oegen K.'s eigene erklänmgs-
weise will ich hemerken, dass während meine erkläning ans §iner hypo-
these bestand, E.'s ans dreien besteht, von denen jede folgende ndt der
yorausgehenden flUlt Ich will meine bedenken gegen eine jede derselben
Torbringen: 1) dass Cwüe = Sevilla, ist zwar nicht unmöglich, aber durch-
aus nicht gewiss (vgl. 'sicherlich* K.); die geographie ist ja sonst in der
erzählung sehr phantastisch ; 2) auch wenn Civile = Sevilla, so ist es des-
halb noch nicht wahrscheinlich, dass die bewohner dieser Stadt und ihrer
Umgegend von dem Verfasser der erzählung (ca. 1250?) für Franzosen
gehalten worden und so genannt wären; wenigstens erscheint Civile con-
sequent als ein selbständiges reich, welches von einer 'Jungfrau' regiert
wird und in keiner Verbindung mit Frankreich steht Ob wirklich, wie K.
(s. 113f.) annimmt, das vorkommen von Frangois in dem franz. gedieht
V. 3158 einen tatsächlichen beleg für seine hypothese bildet, kann ich nicht
beurteilen, da ich die franz. steUe nicht im Zusammenhang gesehen habe
(dass ich nicht die 'httlfistruppen* aus Civile, wie E. s. 114 sagt, 'vergesse',
zeigen meine eigenen worte die E. übersetzt); 3) auch wenn die 15000
mann aus Civile welche unter der anfühmng Terris am kämpfe gegen die
beiden teilnahmen, vom Verfasser als Franzosen betrachtet worden wären,
so handelt es sich doch s. 263, 20. 24 keineswegs um Terri und seine leute;
im gegenteil wird in diesem Zusammenhang der junge kOnig von Ägypten
Guion (z. 14) erwähnt und gleich darauf sein vater, Bevers selbst, der min-
destens sieben jähre (s. 258, 84) bei dem söhne in Ägypten geweilt hat £b
erscheint mir demnach immer noch als das wahrscheinlichste, dass der Ver-
fasser bei den kämpfen zwischen Christen und beiden (= Muhammedanem)
im Orient die Christen ohne weiteres mit den Franzosen ('Franken') iden-
tificiert. Beminiscenzen aus den berichten über die historischen kreuzsttge
konnten dieser Verwechslung ja auch eine gewisse berechtigung geben.
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UEBEB DIE AUSGABE DER BEYERS SAGA. 277
Ich will nun einige einzelbemerknngen gegen E.'s aufisatz
machen nnd bekomme so zugleich gelegenheit einiges auf diesen
oder jenen der von E. gegen mich gerichteten angriffe zu ent-
gegnen. Aber ich betone ansdrBcklich, dass ich es weder für
nötig noch geeignet halte, in diesen meinen bemerknngen Voll-
ständigkeit anzustreben. 1)
Sollte es sich als wünschenswert oder notwendig erweisen,
so kann ich oder ein anderer ohne Schwierigkeit eine ebenso
grosse (oder eher noch grössere) liste von fehlem aufstellen.
Zuerst muss ich auf einige mängel in der von E. angefer-
tigten liste von Zusätzen zu meinem Variantenapparat hinweisen.
Nur etwa den zehnten teil dieser liste habe ich mit den
hss. verglichen; die anzahl stellen jedoch, wo E. entweder
falsch gelesen oder die angaben incorrect formuliert
oder solche ausgelassen hat, die er, um consequent zu sein,
hätte mitberücksichtigen sollen, ist nicht so ganz gering.^)
209,4 yi sollen nach E.'s angäbe die lesart haben hann
haföi undir unnit oh lagt\ tatsächlich haben yd hann haföi
undir sik unnit oh lagt 6 riddari om. yd (von E. nicht ver-
merkt). 36 6 hat wahrscheinlich nicht nü (wie K angibt),
sondern nygh (geschrieben mic). 213, 60 skuld D (von K nicht
vermerkt). 65 hann D (nicht hans, wie E. behauptet). 214, 19
skuld D (von E. nicht vermerkt). 26 kcsmi Qkkemi^) D (nicht
kasmü, wie E. vorgibt). 42 E.*s angäbe, dass D en hun hin-
zufüge (zu B.'s Worten er hdöi var\ ist fehlerhaft; D hat en
hun vor btsäi. 45 mcer add. D (nach K's formulierung der
lesart von D erhält man die bestimmte angäbe, dass nksr fehlt).
^) Besonders muss ich noch darauf hinweisen, dass die einzelbemer-
knngen welche K. gegen meine ausgäbe gemacht hat, von mir deswegen
durchaus nicht als ganz oder teilweise begründet anerkannt werden, weil
ich hier nichts zu ihrer entgegnnng anführe. Wie ich schon am anfang
dieses meines anlsatzes angedeutet habe, fehlte es mir an seit, den ganzen
Stoff durchzunehmen (es ist dies nur mit einem kleinen teil geschehen);
ausserdem wtlrde die erGrterung yerschiedener einzelfragen in dieser zs.
mehr räum erfordern als ich beanspruchen kann. Ich muss mich hier auf
beispiele beschränken.
*) Einige derartige fehler, die von mir schon oben in einep andern
Zusammenhang vermerkt worden sind, Uberge)ie ich hier.
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278 CKDBBflCHIÖLD
215,4 til om. r^ I> (nach K: om. /d B).0 13 harin om. D
(von K nicht vermerkt). 14 tfövart D (von K nicht vermerkt).
31 i kängs hirf ont D (von K nicht vermerkt). 36 C hat
nicht, wie K ang;ibt, nur at purfli, sondern at purfU at.
39 land D (von E. nicht vermerkt). 216, 16 hvat D (von K.
nicht vermerkt). Jcempa D (nicht skqma, wie K behauptet).
17 /] Ok D (von K. nicht vermerkt). 28 o* add. D (= C;
von E. nicht vermerkt). 31 ßat add. D (= C; von K nicht
vermerkt). 39 sd G (nicht sau, wie K behauptet). 43 fd]
nd D (von K nicht vermerkt). 257, 51 ok] Hann A (von K.
nicht vermerkt). 258, 1 varff] nü mjgk add. A (nicht nur mJQk,
wie K angibt). 10 i sundr add. A (von K. nicht vermerkt).
26 i broUu om. A (von K nicht vermerkt). 27 segir hann
om. A (von K nicht vermerkt). 82 Munkbrat^ A (von E.
nicht vermerkt). 259, 7 sjd] hestinn add. A (von K nicht ver-
merkt). (18 ^a] ok A, aber undeutlich; E. liest ^^V.) (19 huerr]
hvat manna A, aber undeutlich; E. liest hvat manni) 25 hann]
köngrinn A (von K nicht vermerkt). 26 svd reiör, ai A (nicht
svd reidr, svd at, wie es nach K's angäbe sein müsste). 34 Nü
tök hann A (von E. nicht vermerkt). 37 pd nött] notiina A
(von K nicht vermerkt). 43 Ok einn A (= yd; nicht Einn,
wie E. behauptet). (261, 1 1 K's angäbe betreffe der lesart
in A scheint nidit richtig zu sein; statt hinn df[epa], wie
E. angibt, lese ich: hinum [tut?] gera) — Dies ist doch eine
nicht ganz kurze liste, besonders wenn es sich nur um ein
zehntel des textes handelt.
Die von K vergessenen Varianten, die ich hier oben auf-
gezählt habe, gehören zwar zu denjenigen welche fflr mich
keinen wert haben, aber von seinem Standpunkte hätte K.
diese ebensogut anführen sollen, wie er es mit hunderten von
anderen derselben art getan hat. Schlimmer ist schon, wenn er
(wie bei s.209,4. 213,65. 214,26. 42. 45. 215,36. 258,1. 259,26. 43)
den leser durch fehlerhafte oder falsch formulierte mitteilungen
irreleitet; am schlimmsten aber ist der fehler bei s. 216, 16, wo
er behauptet, dass die schlechte lesart in G skqpna (übrigens
in G undeutlich geschrieben) auch D angehören solle.
0 G«wi88 ein handgreiflicher dnickfehler, aher K. (8.64 anm.1) rer-
merkt auch einen solchen {pew statt pia).
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ÜEBEB DIE AUSGABE DEB BEYERS SAGA. 279
Andrerseits geht K in seinem eifer bisweilen so weit,
dass er in seiner znsatzliste yarianten aufnimmt, die in meinen
fossnoten schon angefahrt worden waren. So hätte er z. b.
s. 259, 13 nicht zn bemerken brauchen, dass die lesart priksta-'
finn in /d vorkommt; das habe ich schon in annL 7 (zu s.ä59)
mitgeteilt, und ich bin insofern exacter als K gewesen, als ich
die Schreibweise in /, welche vielleicht als pikstafinn gedeutet
werden kann, angegeben habe.
K sagt (a 37), er habe umsonst nach bestimmten kritischen
grundsätzen f&r aufnähme oder verschweigung der einzelnen
Varianten in meiner ausgäbe gesucht Ich bezweifle nun keines-
wegs, dass es anderen nicht an der fähigkeit (oder dem guten
willen) gebricht, meine grundsätze in dieser beziehung zu er-
kennen. Aber besondere aufmerksamkeit verdienen doch teil-
weise die beispiele, mit denen E. seine behauptung be-
legen will.
Da sich, wie bekannt, mit völliger Sicherheit von den
Varianten keine auswahl treffen lässt und die grenzen immer
einigermassen fliessend bleiben müssen, so scheint es, als ob
K, wenn er seinen lesem die sache mit einigen wenigen bei-
spielen beleuchten wollte, leichtes spiel haben mfisste. Aber
wenn K's tendenz auch aus seiner beispielsammlung erhellt
(denn er hält sich am liebsten an die grenzgebiete) und er
auch seine beispiele natürlich durchaus nicht so gewählt hat,
wie ich oder ein wolwollender beurteiler sie wählen würde,
um meine grundsätze am besten zu beleuchten, so verrät er
doch bei der wähl einiger beispiele eine Unkenntnis des (nor-
wegischen und) isländischen Sprachgebrauchs, die bemerkt
werden muss, da sie sonst irreführen könnte.
Eine so gleichgiltige und unbedeutende abwechslung ganz
gewöhnlicher synonyme wie drla] snemma, ha/röla] storliga,
hestr] es$ hält E. für ebenso wichtig wie z.b. folgendes:
231,64 hat mein textcodex (B) forreff; der gebrauch des
verbs farrdäa ist in einer so alten isländischen hs. beson-
ders auffallend (vgl. Fritzners Wörterbuch, Vigfussons Dict);
entweder stammt es aus einem norwegischen archetypus,
oder auch, wenn es als isländisch zu gelten hat (zuerst ge-
braucht von dem Schreiber von B oder sogar von seiner
nächsten vorläge), ist die stelle merkwürdig als ältester beleg
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280 CEDEB8CHIÖLD
fttr das vorkommen des wortes im isländischen; jedenfalls lag
mir daran darauf hinzuweisen, dass forre^ in der hs. C nicht
Torkommt, sondern dass diese hs. das gewöhnliche isl. wort
sveik hat. 232, 53 hat B Bibüant^ hrodir yövarry va/r par
(d. L % kastdUmum Äbilant) inni Icestr ok aUt hans fölk; inni
IcBsa bedeutet hier ^cemieren', ein gebrauch des verbs, wie
ich ihn an keiner anderen stelle gefunden habe; und da B
an der entsprechenden stelle vorher (232, 31) luktr hat, d. h.
den ausdruck den man am ehesten auch 232, 53 erwartet hätte,
so dient der hinweis darauf, dass luktr die lesart von C an
der letzteren stelle ist, dazu, die autorität der überraschenden
lesart Uestr zu schwächen. *)
Auch in anderen fällen ist E. mit seinen beweisen für
meine vermeintliche principienlosigkeit weniger glucklich. Ob-
gleich er (s. 38) erwähnt, dass ich für den abschnitt, wo auch
A zur Verfügung steht (s. 257—60), erheblich reichere Varianten
mitteile [natürlich weil das fragment A das älteste ist, was
vom hss.-material der saga aufbewahrt geblieben ist], so wun-
dert er sich doch kurz vorher (s. 37) darüber, dass ich gerade
auf den genannten selten solche Varianten anführe, die ich
sonst übergehe. — Und wenn es sich darum handelt, ob Ivo-
rius 15 oder 12 Unterkönige hatte und ob das gefolge Bran-
damons aus 300 oder 4000 mann bestand, so dürften das doch
wol Varianten von grösserer bedeutung sein, als bei der frage
darnach, ob Bevers 11 oder 12 ritter angriffen.
K. führt (s. 38) drei stellen in meiner ausgäbe an, wo ich
durch zu grosse knappheit (oder unvollständige formulierung)
in meinem Variantenapparat ^den arglosen benutzer irreführe\
Ich bedaure diese Irrtümer sehr und brauche zu meiner ent-
schuldigung wol nur anzuführen, dass sich solche Irrtümer
leicht einschleichen können. In dem zehntel der zusatzliste
K's, welches ich soeben untersucht habe, habe ich neun solcher
1) Was den Wechsel Ton jämm^um] jämrekendwm betrifft, sei daran
erinnert, dass beide Wörter Ton besonderem interesse sind — jAmviUjar
eigentlich eine katachresis, jämrekendr durch flexion — und dass keines
von diesen beiden worten so allgemein Torkommt, dass der hinweis auf
ihren synonymen gebrauch unnötig erscheinen könnte. Die anfUhrung der
Variante pdlmari von pilagrimr ist offenbar dadurch motiviert, dass palmari
weniger in dieser bedeutung vorkommt.
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UEBEB DIE AUSGABE DER BEVEBS SAGA. 281
fehler nachgewiesen. Lächerlich ist es aber, dass K betreffs
einer der drei stellen, bei denen er meine nachlässigkeit tadelt,
selbst den nämlichen fehler begeht. Nach meiner angäbe in
anm. 14 zu s.257 hätten A76 die Wortfolge: sem sjdlfrviUpu
hafa; nnd K behauptet, dass Ayö die Wortfolge haben: setn
pü vüt sjcUfr hafa. Tatsache ist aber, dass wir beide verall-
gemeinert haben: die von mir angegebene Wortfolge gehört
wirklich der alten pergamenths. A an, die von K. angeführte
dagegen den jüngeren papierhss. yd. Sein befremden über
*die bemerkenswerte Wortstellung', welche A hier bietet, mag
K. also selbst verantworten; wenn er das citat aus der Tröju-
mannasaga, welches er in seinem aufsatz s. 117 anführt (svd
mikit fe, sem sjdlfr kann tn7Q, verglichen hätte, so wäre sein
befremden vielleicht geringer gewesen.
K.'s listen (s.40— 60) der stellen wo diese oder jene hs.
mit den franz. (bez. engl, oder celt.) texten näher überein-
stimmt, würden wahrscheinlich bedeutend modifidert werden,
wenn sie einer gründlichen revision unterzogen würden. Schon
oben habe ich darauf hingewiesen, dass E. (trotz seines Vor-
behaltes auf s. 60) 'das schwanken zwischen eigennamen bez.
titeln ... und personalpronominibus der dritten person oder
sonstigen aUgemeinen bezeichnungen' oft als beweiskräftig
anführt. Aber der leser findet leicht, dass auch andere ziem-
lich unwesentliche Wechsel zwischen den isl. hss. (abweichungen,
wie sie sich jeder Schreiber in älterer zeit zu erlauben pflegte)
als beweise gelten dürfen; daher wird einem der wert von
bemerkungen wie z. b. auf s. 40 ff. no. 2. 6. 9. 23. 26. 45. 89.
134. 137. 142. 144. 150. 162. 171. 205. 206 recht zweifelhaft.
Völlig verunglückt dürften K.'s 'beweise' aber in folgenden
fällen sein.
No. 20 behauptet E., dass die lesart dyJja yi dem ctler
des französischen teztes besser entspricht als s^ja B; er hat
übersehen, dass die beiden isl. verben in der hier angewanten
construction (mit object-nebensatz) ganz synonym sind (vgl.
z.b. Fritzner). — No. 25 sagt K von der lesart in D: hals-
hgggva, sie sei 'eine genaue Übersetzung vom franz. v. 324
decoler\ die anderen hss. haben das seltene wort in verschie-
dener weise geändert'. B hat jedoch hgggva, was eine ebenso
'genaue Übersetzung' ist, wie halshgggva, wenn es die hier
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282 CEDER8CHIÖLD
vorkommende construction (blosses personalobject im acc.) hat;
vgl. Fritzner 2^176. — No. 73. Wenn K behauptet, das8
draga üt sverOit dem franz. trete le hrcmne besser entspricht
als bregffa sinu sveröi B, so mnss er wol (weil er zugleich das
engl, is swerd out tdke citiert) meinen, dass draga üt besser
als bregäa dem trere (= take out) entspreche. Weiss K denn
nicht, dass draga üt und bregäa völlig synonym sind? Der
unterschied ist nur der, dass bregfia der allgemeinere und
ältere ausdruck ist. — No. 76. Wenn sich K vorstellt^ dass
pinnar C dem franz. pikes besser entspricht als püur B, so
kommt das wol daher, dass er nur von Vigfussons (unvoll-
ständigen) angaben über pila kenntnis genommen, ab^ nicht
bei Fritzner 2 oder in Jon porkelssons SuppL 2 nachgesehen
hat; dass er vom gebrauch auf die bedeutung schliessen könne,
wie es diese beiden lexikographen getan haben, wäre wol zu
viel verlangt.
Ob einige der bei K s. 52—60 vorkommenden bemerkungen
(wie die hier oben von s. 41 und 44 angeführten) von seiner
ungenügenden kenntnis des (norwegisch-) isländischen stammen,
habe ich nicht untersucht.
Ich komme nun zu E.'s versuch (s. 63), zu beweisen, dass
meine ausgäbe für lexikalische zwecke nicht hinreichend
sei. ^Der lexikograph', sagt E., ^hat Ursache, sich zu beklagen,
dem der herausgeber u. a. folgende ojrag Ufofieva oder wenig-
stens sonst selten vorkommende Worte in C verschwiegen hat',
und dann folgt eine liste von 12 Wörtern.
Diese behauptung K.'s und sein beweismaterial sind in
hohem grade beachtenswert; es ist wirklich der mühe wert
dieselben zu untersuchen.
Zunächst findet man durch vergleich mit E.'s eigner zusatz-
liste, dass von den 12 Wörtern nicht weniger als 8^ gar nicht
der hs. C, sondern vielmehr den papierhss. yd (einer oder
beiden) entnommen sind. Dies ist ja schlimm genug — aber
vielleicht ist in K's aufsatz 4n C nur ein druckfehler statt
*iny, doderC?
Und wie verhält es sich mit der grossen Seltenheit der
0 eivmrMUgay fgöurarfr, J^arianliga, noBrkUsdi, smdnarUgr, ükvdi^
gaär, vdpnagangr, uegÖarUxuw.
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UEBEB DIE AUSGABE DER BEYERS 8A0A. 283
von K aufgezählten 12 Wörter? Von vomherein muss man
ja stannen über die ausserordentliche gelehrsamkeit, auf welche
E. ansprach machen muss, nm eine solche behauptnng wagen
zu dürfen. Sonst ist noch kein nordischer philologe im stände
gewesen, eine so positive angäbe zu machen, eine so grosse
anzahl Wörter, welche so jungen prosatexten entnommen, und
ausserdem (so gut wie alle) Zusammensetzungen oder ableitungen
von ganz gewöhnlichen einfachen Wörtern sind, seien ^cbrag
ley^fieva oder wenigstens selten vorkommend'.
Zur beurteilung solcher Verhältnisse reichen natürlich, wie
jeder nordische philologe weiss, die Wörterbücher nicht aus;
dieselben sind ja schon in bezug auf die gedruckte literatur
sehr unvollständig und nehmen nur ausnahmsweise auf die
vielen isl. texte rücksicht, welche noch ungedruckt sind;
ebensowenig hat man recht zu behaupten, dass unsere Wörter-
bücher die Wörter des heutigen isländischen aufnehmen, welche
aus alter zeit stammen, obgleich sie zufällig nicht gedruckt
oder geschrieben auftreten.
So eine ganz ausserordentliche kenntnis der gedruckten
und ungedruckten quellen, sowie des heutigen isländischen, die
erforderlich wäre, um die Wörterbücher • vervollständigen zu
können — besitzt K wirklich eine solche? 0 nein, er hat es,
wie wir sehen werden, nicht einmal verstanden, von allen an-
gaben der Wörterbücher vollständig kenntnis zu nehmen. Und
er hat eine so geringe erfahrung im gebrauch der Wörter-
bücher, dass er z. b. drötHnsviki und fyäurarfr als 'selten' an-
führt, obgleich er selbst von beiden sagt, sie seien vorher schon
'viermal belegt'! Diese beiden Wörter sind ja zusammengesetzt
aus wolbekannten bestandteilen, deren bedeutung völlig klar
und ohne Wechsel ist; unter solchen umständen pflegt weder
Fritzner noch Yigfusson mehr als ein paar belegstellen anzu-
führen; wer glaubt, dadurch sei bewiesen, dass das wort in
der literatur nicht öfter vorkomme, der zeigt nur seine eigene
Unwissenheit. 0
Von besonders grossem Interesse wäre es, zu erfahren,
welche von diesen Wörtern E. als ajta§ Isyo/iBPa betrachtet
0 Bas wort dröUmmki kommt z, b. vor FSS. 47, 16. 68, 56 (rgl.
23).
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284 GEDER8CHIÖLD
hat; nach seinen einleitenden Worten erwartet man, dass die
mehrzahl der Wörter, die er anfährt, axag Xeyoiifva sein sollten,
d. h. .dass manches von ihnen vorher ganz anbekannt sein solle
nnd nur an der stelle in hs. C [oder richtiger: C,7,((] zu treffen
sei, welche er dtiert.
Man ist daher erstaunt, zu finden, dass er sich gleich selbst
widerlegt, da er sie offenbar in den wörterb&chem alle auf-
gefunden hat ausser einem — hjartanliga — welches sich
übrigens nicht in C, sondern in /d findet. Und leider kann
K auch diesem einzigen nicht das teure recht vindicieren,
axag Xtyofievov zu sein: Jon porkelsson, Suppl. 2, fflhrt zwei
belegstellen an aus den jähren 1599 und 1601 (also ältere als
yd); derselbe Verfasser hat im Suppl. 3 drei beispiele fttr das
wort aus neuester zeit; ferner treffen wir das wort an bei
Gislason (dänisch -isländisches Wörterbuch unter }ijerteUg\ bei
Erik Jonsson, sowie sogar bei Vigfusson.
Das wort ukvdngaör scheint E. (zwar nicht als ein ax.
kay», aber) als ein dig Xty. hinstellen zu wollen, da er zu ver-
stehen gibt, dass sich das wort ausser in Bev. (/d, nicht C)
nur einmal nachweisen lasse: ^bei Vigf. einmal belegt'. Jedem,
welcher einige isländische sagas gelesen hat, kommt die an-
gäbe, ukvdngaör solle so äusserst selten sein, ohne zweifei sehr
überraschend. Aber weshalb verschweigt K das wort welches
Vigf. unmittelbar nach der belegsteile hinzufugt: ^passim'^
Wenn K die sache auch besser beurteilen zu können glaubt,
als Vigf., so hätte er die äusserung Yigfussons doch loyaler-
weise mitteilen müssen. Uebrigens hätte E. das wort bei L.
Larsson, Ordförr&det i de älsta isl. hss. zweimal aus dem Stock-
holmer Homilienbuch citiert finden können.
Ueber die anderen acht Wörter werde ich mich kürzer
fassen.
hrdöUgr, vgl. Erik Jonsson. — einvirdiUga oder einniröu-
liga, vgl. Björn Halldörsson, Erik Jonsson, Vigfusson, IsL aeven-
tyri (Glossar), dürfte 262, 6 (yö) nicht bedeuten 'im einzelnen,
besonders^ sondern 'mit fleiss, genau' (= vandUga B); vgl.
übrigens innviröüiga (-Öul-). — hreystiverk, vgL Björn Halldörss.,
Erik Jonsson. — nasrUddi (yö) ist wahrscheinlich eine corruptel
der vorläge (vgl. var klcedi BC); oder hält es K für wahrschein-
lich, dass Bevers dem gesanten der prinzessin seine unter*
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UKBKR DIE AUSGABE DER BEVEBS SAGA. 285
kleider geben und dieser sie dann (vgl. 221, 3—5) der Prin-
zessin vorzeigen würde? NasrhlcBäi ist übrigens nicht 'nur bei
B. Halldörss. erwähnt', vgl. Erik Jonsson ; Jon porkelsson, Suppl. 3.
— skaffligr, vgl. Björn Halldörs., Erik Jonsson; vgl. auch ska-
daiigr. — smdnarUgr (yd), vgl. J6n porkelsson, SuppL 2 (zwei-
mal vom jähre 1599 belegt). Suppl. 3. — vdpnagangr (yd);
ausserdem zweimal belegt bei Fritzner <; vgl. auch FSS. 188,1;
K's Übersetzung 'waffengeklirr' dürfte kaum richtig sein, eher
wörtlich: 'waffenbewegung'. — vcegöarlauss (yd) kann nicht
gut 'selten' genannt werden: es wird, um von Egilssons poeti-
schen beispielen zu geschweigen, bei Fritzner > und Yigf. als
adj. vier- (oder fünf-) mal belegt, und ausserdem wenigstens
viermal im neutr. als adv.
Auf wie nichtige gründe K seine behauptungen von dem
vermeintlichen verlust des lexikographen gebaut hat, wird
durch das vorstehende einigermassen dargetan sein.
Etwas unklar ist K.'s Standpunkt^ wenn er (s. 63 f.) mich
deshalb tadelt, dass ich an vier stellen wo B 'merkwürdige
satzfügnngen' bietet, nicht die entsprechenden lesarten aus C
oder yd vorgelegt habe, die in grammatischer (syntaktischer)
hinsieht ganz regelmässig sind. Nach dem was E. an andrer
stelle (s. 106) über eine dieser stellen (s. 248, 341) äussert —
'die ganz unmögliche satzconstruction' — scheint er mit 'merk-
würdigen Satzfügungen' solche zu meinen, die nur von lapsus
cAlami herrühren und also hätten corrigiert werden müssen.
Diese 'merkwürdigen satzfflgungen' sind folgender art:
S. 214, 13. Der nachsatz wird mit ok (statt ^o) eingeleitet;
s. 73 scheint E. diesen gebrauch des oh schon etwas weniger
'merkwürdig' zu finden. i)
S. 265, 40. Anakoluthie: nach dem conjunctionalsatze steht
im hauptsatze das verbum üach dem subject.
S. 248, 34 f. Unvermittelter Wechsel der subjecte in drei
aufeinander folgenden Sätzen (A— B — A); honum — kann — ho-
num bezeichnen dabei dieselbe person.
S. 256, 49 f. Partitive apposition; vgl. E. s. 116.
K hätte in demselben Zusammenhang s. 216, 39 erwähnen
>) Eine gute beiBpielBammlang für diesen Sprachgebrauch findet sich
bei Fritzner 2*, 886.
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28G CEDERSCHIÖLO
können, wo die lesart in B eine etwas ungenaue anwendong^
des pronomens peir enthält, das hier nicht alle die VOTher-
genannten (ritter) bezeichnet, sondern gleichbedeutend ist mit
peir IUI, er eptir lifOu CD. Die lesart in B nennt TL s. 42,
no.20 'sinnlos'.
Dass solche lesarten keineswegs unbedingt corruptelen in
B zuzuschreiben sind, hätte K. z. b. aus s. 216, 32 1 ersehen
können: hier hat nicht nur B, sondern auch C und D ^essir
ßörir menn = 'vier von diesen männem'. Auch diese stelle
nennt E. (s. 75) 'ganz unverständlich'.
K hat offenbar nicht genfigend bedacht, dass der altislftn-
dische prosastil nicht an der modernen, schulgerechten, logischen
und correcten ausdrucksweise gemessen werden darf, sondern
dass er sich eng an die freie und ungezwungene, ja zuweilen
nachlässige Umgangssprache anschliesst.^) Wenn von zwei hss.
mit gleichem tezt die eine den logisch correcteren ausdmck
hat, so darf man sie doch nicht eo ipso f&r die ursprOng-
lichere halten.
Was besonders die fälle von incongruenz (partitive appo-
sition u.dgl.) betrifft, welche in den von K. getadelten fällen
vorkommen, so kann man vergleichen: Lund, Oldn. ordl § 59
anm. 3. Holthausen, Altisl. elementarbuch § 396a; verschiedene
beispiele in den artikeln fiestr und sumr bei Fritzner >. Einige
interessante altschwedische beispiele eines solchen Sprach-
gebrauchs habe ich aus der ältesten reimchronik ('ErikskrO-
nikan') v. 1651. 1682. 2345. 3216. 4168 verzdchnet
S. 64 anm. bringt K fünf besserungen eines aus bs. C in
meiner ausgäbe abgedruckten stfickes.') Von diesen ist peir
(für pier) ein correcturfehler, welcher kaum jemand irref&hren
kann; gioraei ist dagegen durchaus nicht aus 'versehen' für
gerazt geschrieben worden: C hat hier g^azt, und ich habe die
Verkürzung nach der Schreibweise der hs. in unverkürzten
formen des verbs aufgelöst Die behauptung K's, C hätte
s. 219, 9 (ßk) svo sem statt (Ok) sem, habe ich bei erneuter
Prüfung der stelle in der ha nicht richtig befinden können.
*) Vgl. Lnnd, Oldnord. ordf^'ningsleere § 187. Holthausen, Altül. ele-
mentarbnch § 514.
>) ^Die wenigen in abschnitt I gesperrt gedmckten beasernngen', von
welchen E. in derselben anmerkung spricht, habe ich nicht geprttfL
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UEBEB DIR AUSGABK DEB BEVEBS SAQA. 287
Dagegen will ich die möglichkeit nicht in abrede stellen,
dass z. 34 i"" über der zeile geschrieben stehen kann, auch nicht
die richtigkeit bestreiten, dass z.40 reid^ (nicht reiä) aus-
geschrieben ist; aber E. hätte hinzufugen sollen, dass i"" —
wenn es wirklich so dasteht — schmal wie ein strich ist, so
dass man die bedeutung aus dem Zusammenhang erraten muss,
sowie dass das r in reidn fast ganz abgenutzt ist.
Man sieht, dass K auch in solchen kleinigkeiten die feind-
liche tendenz verrät, auf deren Vorhandensein in wichtigeren
fragen ich hingewiesen habe und welche — nebst zahlreichen
irrtümem — seinen sonst in mehrfacher hinsieht lehrreichen
aufsatz verunstaltet.
GÖTEBORG, Januar 1897. G. CEDERSCHIÖLD.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES.
I.
Zum ablaat der set -wurzeln.
Das ziel und die aufgäbe jeder Wissenschaft muss es sein,
Ordnung in die fülle der erscheinungen zu bringen. Dies kann
nur geschehen mit hilfe von hypothesen, deren wert nach dem
umfang dessen zu bemessen ist, was sie ordnen und was sie
erklären. Das hauptproblem, das sich jetzt der indogermani-
schen Sprachwissenschaft bietet, ist die darlegung und erklärung
des ablauts, und man kann wol behaupten, dass wir in diesem
punkte wider in einer neuen zeit stehen. Auf die epoche, in
der das ablautssystem verhältnismässig sehr einfach angesetzt
wurde, ist eine reaction gefolgt, deren berechtigung nicht zu
verkennen ist. Denn es stellten sich immer mehr tatsachen
ein, die sich nicht in das alte einfache Schema einffigen liessen,
und so hat man sich in der letzten zeit auf die feststellung
der vorhandenen ablautsformen beschränkt und dabei auf jede
hypothese verzichtet. Als typisches beispiel ffir diese art kann
Noreens Urgermanische lautlehre gelten, deren grundgedanken
im wesentlichen auch Brugmann in der neuen bearbeitung
seines grundrisses gefolgt ist. Die ungeahnte erweiterung
unserer erkenntnis aber, die wir mit dem Verständnis der
litauisch -slavischen accentqualitäten und mit der aufhellung
der dehnstufe gewonnen haben, ermöglicht es, auch in der lehre
vom ablaut weiterzukommen.
Ich habe meine anschauungen über diese dinge IF. 7, 138 ff.
185 ff. niedergelegt, und habe bisher keinen punkt gefunden,
der mich veranlassen könnte, von dem dort gesagten abzugehen.
Das dort ausgeführte ist indessen nur ein kurzer abriss, bei
dem ich das material nur in massigem umfange anführen konnte.
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ORAHMATIBCHES UND ETTHOLOOISCHBS. 28d
und daher will ich es versuchen, nunmehr auf dem boden der
einzelsprache vorzugehen, um hier neue beispiele anzuführen,
alte in neue beleuchtung zu rucken. Es handelt sich hier in
erster linie um die altindischen udatta- oder set- (sait-) wurzeln,
die man auch kurz die zweisilbigen zu nennen pflegt, ein aus-
druck der aber besser zu vermeiden ist, da er zu misverständ-
nissen fuhrt.
Zum weiteren Verständnis widerhole ich hier kurz die
grundgedanken meiner auffassung, deren begründung ich in
jenem artikel nachzulesen bitte.
Es gibt im indischen zahlreiche wurzeln, die hinter der
Wurzelsilbe ein i = indog. 9 aufweisen. Da aber Habschmann
in seinem Indog. vocalsystem schon vor jähren nachgewiesen
hat, dass indog. 9 nur die Schwundstufe eines langen vocals
ist (wovon auch trotz Bartholomae, BB. 17, 108 ff., nicht abzu-
gehen ist), so müssen wir für die vollstufen der lautgruppen
er9, eh, ema, en9, ep, eu9 (ai. ari, ami U.S.W.) notwendig erä*,
eW U.S.W. ansetzen. Von diesen beiden Silben musste not-
wendig eine immer reduciert werden. Lag der ton auf
der ersten, so trat als erste vollstufe 4rd, efo, em^, 6n9, ip, ^
ein; als zweite erscheint (e)rä', {e)ld* u.s.w., wobei das e einen
gemurmelten oder tonlosen vocal bezeichnet, der zum teil steht,
zum teil fehlte was sich zweifellos nach betonungsverhältnissen
richtete. Beide vollstufen sind auch im germanischen vor-
handen, wobei zu bemerken ist, dass das 9 der ersten unter
unbekannten bedingungen auch fehlt.
Als Schwundstufe solcher set -wurzeln setzt man bisher
r, \ m, n, i, u an. A.a.O. habe ich mich gegen die vier ersten
formen erklärt, und an deren stelle mit Joh. Schmidt ero, eh,
em9y ^n9 erschlossen, die im germanischen als ur, ul, um, un
auftreten. ,
Aber auch hier gibt es eine zweite Schwundstufe. Wie
nämlich in der lautgruppe trd' das e stehen und fehlen kann,
so ist es auch mit er9 u.s.w. der fall, neben denen sich r9, h,
m9. Kl», j^, jf9 finden, wenn auch nicht allzuhäuflg. Diese zweite
Schwundstufe, die im germanischen als ra, la u.s. w. erscheinen
mfisste, ist bisher schwach belegt A.a.O. habe ich angeführt
whi. krage zu lit.^Ä;{^i (acc), s.grlo, gr.ßiß(fcioxa>, ahd. chranuh
Beiträge siir geflohiolito dar dMtMlMii i^ftoha. XXni. 19
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2dO HIBt
ZU gr. yi(favoq, lit. girve, mhd. swack zu got siuks. Unten werde
ich weitere fälle geben.
Wie man in frflheren Zeiten bei etymologien die vocaJe
nicht genügend beachtete, so fehlt bis zum heutigen tag eine
genügende Sorgfalt in der vergleichung ein- und zweisilbiger
wurzeln. Auf grund von Osthoffe ansatz einer nebentonigen
tiefstufe (MIT. 4) hält man sich für berechtigt, worte mit i und l,
u und u ohne weiteres zu vergleichen.
Statt dessen sollen uns hier folgende principien leiten.
Anit- und set -wurzeln müssen auf dasgenaueste unterschieden
werden. $ und ü, die sogenannten jr, l, m, y sind nur Schwund-
stufen der set -wurzeln, h w, f, l, w, n dagegen gehören zu
anit- wurzeln. Allerdings wechseln auch i und u mit i und u,
aber doch nur so, dass i und u weitere, in enklitischer Stellung
entstandene ablautsformen sind (neben Jdutos steht ein ^ao-
xXvToq).
Es kommt nun vor allem darauf an, die mittel zu kennen,
die es uns ermöglichen, die set -wurzeln genau festzulegen.
Dazu dient das indische mit seinem -i, das lit.-slavische mit
seinem stosston (bemas zu aL bhartman, gerti, gurkli zu gv.
ßißQ<D0xa>\ das griechische und lateinische, wo der zweite
vocal erhalten ist. Ebenso wird eine set-wurzel erwiesen,
wenn sich die stufe n plä', trä* (gr. ßißQcoaxo} u.s.w.) findet
Auf grund dieser Voraussetzungen bitte ich das folgende
zu prüfen.
A. Die zweite vollstufe trä, pta.
Ich werde im folgenden das alte material sowie eine reihe
neuer etymologien zusammenstellen. Im indischen lauten fast
alle se^-wurzeln vocalisch aus. In dei;L europäischen sprachen
finden wir dagegen häufig Weiterbildungen mit consonantischen
dementen, die man als wurzeldeterminative bezeichnet hat.
Ich bin der ansieht, dass es sich hier um suffixale Weiter-
bildungen handelt, und werde versuchen, dies im einzelnen falle
zu begründen, soweit es mir möglich ist
Got knöj>s f. 'geschlecht', ahd. chnuat, ags. cnösl, as. knösal,
ahd. chnuosal enthalten die stufe Teno, die die zweite vollstufe
ist zu der indog. wurzel gene, genö. Vgl. ai. aor. djani-shia
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GRAMHATtSCHEd UND BTTMOLOOtSCfiÜS. ^91
Y^^)tat,jani'8hifdtiY., verb. jani-fe» V.B.S., TßSLTt. jo-tds, jM-
tish 'verwanter' (dieses entspricht dem germanischen werte
ganz genau), gr. i-^tvo-fiijv, yspi-tiOQ, lat. geni-tor, gr. ypijOiog,
yviOTog; lat. nätus ond nätio enthalten die Schwundstufe -«n^,
got. 'hunds, himinakunds u.s.w. Schwierig ist das s von hnuo-
sal Uhlenbeck (Et. wb.) deutet es aus *knöt'flam. Das ist
aber unmöglich, denn 4lo- ist doch kein secundArsuffix, und es
ist daher suffix 'Sla- anzusetzen, vgl. got^eihsl, hunsl
Ahd. ruodar aus *r(ftrom gehört zu aL art-tram, gr. kgiccoo,
kfe-Tfiog, lat. remtis. Schwundstufe in lit. irti, irldas 'rüder'.
Gk)t. dröbjan 'aufruhr erregen', ahd. truobi gehört zu gr.
raQaxri ^Verwirrung' {aga = indog. «f»), d^Qacaco 'beunruhige',
lit. dirkstu, dirkti (cUrgau) 'von mechanismen, in Unordnung
geraten', lit.äer^, derkti 'schlecht wetter sein, stärmend regnen'.
Der Wechsel von gh und bh ist häufig im wurzelauslaut, vgl.
die reiche beispielsammlung bei Zupitza, Die germ. gutturale
s.35fl In unserem falle wird man ffir das germanische von
einem *dhr(hbhä-, einem verbalabstractum mit dem suffix -bhr
ausgehen dürfen (vgl. lit. ddrhas 'arbeit' zu daryti 'tun', garhe
'ehre' zu gmii 'loben'), während für das griechisch -litauische
ein suffix -ghSr zu gründe liegt, vgl. lit. iszeiga 'ausgang' u.s.w.
(Leskien, Nominalbildung s. 523).
Q[Oi.gredus 'hunger' stellt Uhlenbeck (Etwb.) zu ^t.ga/rdüs
'würzig, wolschmeckend', ai. grdhyaU 'ist gierig'. Da ai. grdh
eine leichte wurzel ist, und das litauische wort schleifton hat,
so geht das schwerlich an, jedenfalls für den nicht, der auf
eine etwas strengere beobachtung der ablautsverhältnisse hält.
Man wird zunächst gredus teilen und darin ein altes ^-abstrac-
tum sehen. In gre- aber steckt die zweite vollstufe zu der
indog. wurzel *ghere 'verlangen, begehren', die vorliegt in ai.
hary-ate 'gefallen finden, befriedigt werden', gr. xalgoa 'sich
freuen', aor. 2^(>^rae (x^Qtt' ist die nebenform zu gre\ umbr.
heriest, osk. herest 'er wird wollen', got goirnei 'begehr', gaimjan
'begehren'. Die wurzel ist eigentlich eine et* -wurzel, die ich
demnächst ausführlich besprechen werde (abulg. ilMeti 'be-
gehren' hat gar nichts mit unserm wort zu tun). Man beachte
übrigens die bedeutungsübereinstimmung zwischen italisch und
1) Die citate für die indisohen texte sind nach der in Whitneys Wur-
zeln angewanten weise abgekttnt
19*
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292 HtftT
germanisclt Der griechisch-indisclie begriff des ^olgefaUens^
ist hier zu dem des ^begehrens' weiter entwickelt.
Got. hrö-peigs ^ruhmreich, siegreich' zeigt den stamm krö,
der zu aL J7- ^gedenken, erwähnen' (aor. akari-sham fiV^ hrUsh
y.) in r^elrechtem ablautsyerh<nis steht Zn gninde liept
ein fo'-abstractnm, an. hroSr^ ahd. hruoär 'mhm', ablaut zu aL
hirUsh, Ahd. hmom ist mit snffix -mo weitergebildet (got
hröpeigs mit E. Schröder, Zs. f da. 42, 68 zu got hardus zu stellen,
kann ich mich nicht entschliessen).
Got h0pan ^prahlen, sich rOhmen', JvöfttM ^prahlerei, rfih-
men' bezeichnet Uhlenbeck als unerklärt hö Iftsst anf dne
Schwundstufe ha schliessen, die ich in gr. xvöog n. 'mhm, ehre
U.S.W.' belegt sehe. Was die verschiedenen schliessenden con-
sonanten betrifft, so bemerke ich, dass wir es, da alle diese
schweren zweisilbigen wurzeln eigentlich yocalisch auslaute
mit verschiedenen antretenden formativen elementen zu tun
haben, p erscheint noch in hri^an, wöpjan, Maupan u. a. und
ist hier unerklärt Ich möchte trotz Zupitza an eine herleitung
aus indog. gu denken. Die erste yoUstuf e liegt nicht vor.
Got höta ^drohung', hötjan 'drohen' wird mit got gdhatjan
'wetzen, anreizen' verbunden. Doch ist mir dies zweifelhaft
Als Schwundstufe stelle ich dazu gr. xeöd^m 'schmähen, be-
schimpfen'.
Zu got slepan 'schlafen' gehört ahd. slaf 'schlafl^ träge,
kraftlos', und dies verbindet man mit recht mit abnlg. slabu
'schlaff schwach' aus "^slöbos. Dass aber lat läbi 'gleiten'
hierher gehört, ist mir sehr zweifelhaft. Schon die bedeutung
scheint mir nicht sehr gut zu stimmen. Das wesentliche
hindemis liegt aber im ablaut. Denn ich kann mich nicht
von der existenz eines alten ablautes e — a Überzeugen. Wir
lassen das lat wort daher besser aus dem spiel. Dagegen
kann man sle-pan als zweite vollstufe zu lit süpstu, süpti
'kraftlos werden' betrachten. Das lit p ist wol durch annähme
von entgleisung zu erklären.
Got snöfjö 'flechtwerk, korb' gehört zu aL snävan, sndjfuäh
'band, sehne'. Weiter gehört aber ahd. senorwa 'sehne' als
erste vollstufe hierher, >) und schliesslich auch wol ne-pia u.s.w.
[^) Aber agB. sinu, obl. smwe weist auf indog. t hin: die gewöhnliche
annähme, germ. i gehe vor n ags. in i über, ist fatoch. £. S.]
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0BAMMATISCHB8 UND ETTMOLOOISCHES. 293
Gotpröffjim 'üben', uspri^ja/n 'jemanden gründlich unter-
weisen*, uspröpeins 'übong' ist nach Uhlenbeck unerklärt
Das verbum ist secundär, wir kftmen also auf *^öP', eine
f-ableitong der wnrzel pro. Eine solche liegt vor im hL tf
abersetzen, flberschreiten*. Sie war schwer: Hrnäs Y.j aor.
ärishatY.KS. u«s.w. Im griechischen hangt damit r(f^'/ia
bohmng', xixQam 'bohren' zusammen. Femer: riQev(fov 'hoh-
er'. Ich glaube, daraus Iftsst sich die germanische bedeutung
erstehen, indem man von dem 'durchdringen' ausgeht. Im
lav. entspricht formell tr(xHU 'verbrauchen' ganz genau, und
nch hier ist die abweichende bedeutung zu begreifen, wenn
lan an unser 'aufreiben' denkt
Grot icrölyan 'anschuldigen, anklagen', wröhs 'anklage' ist
nerklärt Sämmtliche übrigen germanischen dialekte weisen
auf, vgl an. rcegja 'verleumden', ags. wr^an, afries. fcrögja,
3. wrögian, ahd. ruogm, so dass vielleicht die Vermutung nicht
bzuweisen ist, das got h sei secundAr. Dann aber würde
eh ungesucht zur vergleichung got wargipa 'Verdammnis',
args 'geachteter Verbrecher' bieten. Aus dem lit gehört
lerher virgas 'sklave', während vafgtis 'not, elend' vielleicht
itlehnt ist Ist aber das A alt, so dürfen wir ein altes *i€röka
)raussetzen, das zu gr. f(ffi in fifi^(OQ 'redner' u.s.w. ge-
treu könnte. Vgl die bedeutungsentwicklung unseres 'zeihen',
iffix 'kä wie in gr. dirj-Toj,^ Zu indog. *^re kann übrigens
it wawrd, lat verbum, Üt vwrdas nicht unmittelbar gehören.
Ahd. drojan 'drehen', an. prOÖr 'faden' gehört zu gr.
fjxoq, xigefiPov 'bohrer', air. tarathar s. o.
Ahd. grät 'gräte, hervorstehende spitze an ähren, disteln,
ebenheit, rückgrat, bergrücken' gehört wol zu gr. x^Qoccm
dtze, kerbe, scheide ein', lit i(rkles 'schere, krebsschere'. Die
urzel hat verschiedene erweiterungen.
In ags. hröf 'dach des hauses, spitze, cacumen', engl, roof
Lch, decke' stellt hrö vermutlich die zweite vollstufe dar zu
xeQaq, aL firaSy lat cerehrum. Dazu auch wol as. hröst
.chgesperre'. ags. AreK^, vielleicht auch got Aror< 'dach'.
Ags. hrür 'rührig, lebendig', ahd. ruora 'bewegung, er-
rang', hrGrjan, ruoren 'i'ühren, in bewegung setzen, antreiben'
bis jetzt unaui^eklärt Denn die Verbindung mit got
sjan 'schütteln', die Elu^e annimmt^ scheint mir mehr als
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294 HIBT
zweifelhaft. Die stufe hrö ist m. e. deutlich die zweite yoU-
stufe zu gr.xiQa-fiai, xeQavpvfii 'mische* BXiSxBQaö-wfu, das
weiter in ai. grlnäti 'mischen', ^rä 'kochen, braten', part (riUäs
U.S.W. vorliegft. Ahd. hruorjan ist wol aus "^hrösjan entstanden
(s. besonders auch Bugge,Norges indsknfter med de seldre runer
s. 98), wobei das s mit dem a von gr. xBQavwfii zu ver-
gleichen ist.
Ahd. hruöh 'krähe, häher', ags. hrlfc hängt mit gr. xoga^
U.S.W. zusammen, vgl. unten rabe,
Ahd. chr(fn 'garrulus', ckrönnan 'garrlre, plaudern, schwa-
tzen', stellt sich zu ahd. quSran und weiter zu ai. gr 'singen',
grndtiY., -gari^ B.8,j ]it girti.
Ahd. muodi habe ich Beitr. 22, 229 mit gr. xd/iorog ver-
glichen: eine Vermutung, die Übrigens auch früher schon geäussert
ist. Die zweisilbige wurzel ist sicher.
Ahd. gräo, gräwes, ags. gr(B^, aisl. grOr 'grau' führt auf
einen urgermanischen stamm gretoa, dessen erklärung noch
aussteht. Wir dürfen ohne bedenken gre-toa trennen, und dieses
gre gehört zu einer wurzel, die in gr. x^goytog 'strahläugig',
lit iereti 'strahlen', abulg. siriti 'glänzen, sehen' vorliegt. Die
bedeutung dürfte sich aus der natur der dinge erklären. Auch
wir sprechen von 'grauem' haar dann, wenn sich weisse glän-
zende haare einmischen. Das sufflx ist das bekannte färben*
SUfflz -jfO.
Mhd. vluor mit seinen entsprechungen im germ. stellt sich
zunächst zu air. lär 'estrich'; weiter zu SLpT.phnis 'tenne', lit
plonas 'flach', lat. planus. Als erste vollstufe ist dazu zu
rechnen gr. xiXavoc, jttXayoq und vielleicht ahd. ßJd n. 'feld,
boden, fläche, ebene'.
Ahd. hratan 'braten', hrato 'weiches essbares fleisch' ver-
bindet Kluge, Et. wb.* mit gr.jtgij^iD 'verbrennen', wogeg^i
sich aber bedenken erheben. xQfjd-co müsste nämlich aus
"^{pQ&f^m, *bhre'dhö entstanden sein, was unmöglich ist, da
xQ^ß^o) nicht von xl(i3tQfnii getrennt werden kann. Ich brauche
also nicht auseinanderzusetzen, dass die bedeutungen eigentlich
nicht stimmen und schwerlich zu vermitteln sind. Man muss
daher eine andere anknüpfung suchen. Als altertümlichste form
dieser sippe scheint mir ahd. brat n. 'weisses essbares fleisch',
ags. hrmd f., an. hrod angesehen werden zu müssen, und dies
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GRAMHATISCHSS UND ETYMOLOGISCHES. 295
sieht dann offenbar wie eine ^-ableitnng einer wurzel *bre
aus. Da T¥ir aber germ. *bre anf *fnre zurftckftthren können,
so halte ich *mre fär die zweite yollstufenform zu ahd. marawi,
muruwi, das längst mit gr. iiaQoivm zusammengestellt ist, vgl
unten s.299. iiagalvm heisst 'das brennende auslöschen, er-
sticken, von krankheiten ausdörren, aufreiben, verzehren, ver-
nichten', sozusagen also 'mttrbe machen', was auch braten be-
deuten müsste.
Ahd. hlao, gen. hlawes 'blau' wird gewöhnlich mit lat.^t;ti^
'blond, gelb' verbunden, indem man annimmt, dass es wie so
viele f arbennamen seine bedeutung geändert habe. Ein solcher
Wechsel kommt gewiss vor, sogar ziemlich häufig, aber immer-
hin hält er sich innerhalb gewisser grenzen. Die bedeutungen
'grfin und gelb', 'schwarz und blan', 'rot und schwarz' gehen
wol in einander Aber, aber zwischen 'blond', 'gelb' und 'blau'
liegt eine kluft, die nicht so leicht zu fiberbrücken ist. Geht
man näher auf das lateinische wort ein, so wird man es
schwerlich von helvus 'gelb' und fulvus trennen können. Es
ist hier nicht der ort diese ausdrucke zu behandeln. Ich be-
merke nur, dass es zwei indog. wurzeln ghel und ghikel gibt
mit ähnlicher bedeutung, und zu diesem gehört auch lat flavus.
Aber auch davon abgesehen ist die fibereinstimmung zwischen
lat flavus und ahd. hloo gar nicht vollständig. Denn letzteres
geht doch auf *blewa zurück, und lat flavus muss auf *flavo
oder *fel9ffo zurfickgef&hrt werden. Ersteres halte ich ffir aus-
geschlossen, da ein alter ablaut e — a nicht existiert, letzteres
wäre möglich. Aber es bietet sich jetzt auch ein anderer
weg, das germanische wort seiner bedeutung mehr entsprechend
zu erklären, indem man in ble ein indog. nUe sieht (fiber diesen
lautäbergang s. u.), und das wort mit gr. fäXag 'schwarz' ver-
gleicht Vgl unten blak. Die entsprechung des griechischen
Wortes im preuss., meine, bedeutet 'blauer flecken', hit miflynas
'blau', meline 'blauer flecken', gehört auch hierher, so dass
also die bedeutung tadellos erklärt ist.
Ahd. wat f. 'kleidung, rfistung' gehört zu lit dudmi, dusti
'weben' aus d^pd. Zu diesem ansatz stimmt nun die 'avestische
Wurzel vad' 'sich kleiden' nicht, von der Kluge in allen auf-
lagen des Et wb. das germanische wort ableitet Diese wurzel
vad existiert aber gar nicht Bei Spiegel, Vergl. gramm. der
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296 HIRT
altiranischen sprachen s. 127 heisst es: 'streichen möchte ich
2. vad, kleiden, das Jnsti für fravadhemna (Taftt 5, 126) an-
genommen nnd mit skr. va4, vm^ate zweifelnd verglichen hat;
ich lese an der genannten stelle fravaeähemna nnd betrachte
es als cansativnm von md, ebenso Harlez/ Um ganz sicher
zu gehen, wante ich mich nm ansknnft an dr. W. Foy, der mir
die richtigkeit der vorstehenden ansfühmng völlig bestätigte.
'An der einzigen stelle, wo nach Jnsti eine wz. vad »kleiden c
vorliegen soll, Ta^t 5, 126, ist mit den besten handschriften
(F 1, Pt 1, E 1) fravaeddmna zn lesen, während nnr ganz flüch-
tige fravad9mana haben. fravaei9mna fem. »die knndigec, wie
sonst vcaö9mna, anf Ardvl Sora Anähita bezüglich.' Gterm. toat
nnd lit dudmi stehen in ganz regelrechtem ablantsverhältnis.
Gk)t wökrs 'znnahme, gewinn, wncher' ist die zweite voU-
stnf e zn got. wahsjan, cmkan, lit. dugu. Im ablant entspricht
genan aL vdjas m. ']a*aft'.
Ags. icröt 'rüssel', ahd. ^ruozil, ags. wrötan 'wühlen, auf-
wühlen', ahd. rtwMjan 'aufwühlen, der pflng, die erde', lässt
eine vorgemt wnrzel ur^'d erschliessen. Den Zusammenhang
mit ^wuraeV bezeichnet Kluge im Et wb. s. v. als unwahrschein-
lich. Da indessen dieses wegen lat. rodix eine set-wurzel
voraussetzt, deren zweite stufe uröd wäre, so ist die morpho-
logische Übereinstimmung tadellos. Und auch die bedeutungs-
vermittlung bereitet keine Schwierigkeiten, wenn man an unser
tfinken oder hakennase denkt. Auch unser haken, ahd. hake
'haken' (aus hlücke) gehört wol zu lit. saäknis 'wurzel'.
Got wöds 'besessen, wütend', ahd. wuot (germ. st *u;ö9i')
'wut, raserei' verbindet man mit lat vätes 'gottbegeisterter
Sänger', air. fdith 'dichter'. Wegen ags. tcöä (germ. st *wifpa')
'stimme, gesang', an. ötr 'poesie, gesang', wird sich die bedea-
tung 'wut' erst aus der von 'religiöser raserei' entwickelt
haben. Dhlenbeck stellt das wort zu avest aipi-viU, ai. api-vat
'geistig anregen, verstehen', ebenso Kluge. Dagegen erheben
sich aber verschiedene bedenken. Zunächst ist ai. vat eine
leichte wurzel. Wegen lat votes haben wir es aber mit altem
a zu tun, wir müssten also im indischen ein *vit finden.
Darüber komme ich nicht hinweg. Auch die bedeutung macht
Schwierigkeiten, vat kommt nur in der Verbindung mit api vor
und bedeutet 'geistig empfangen' als caus. 'geistig einflössen',
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GRAMMATISCHES UND ETTMOLOOISCHBS. 297
^anregen, beleben'. Die gnmdbedeatang von vat keimen wir
also gar nicht Denn so wenig wir aus deutsch 'verstehen'
ein Simplex 'stehen' mit einer geistigen bedeutung erschliessen
können, so wenig dfirfen wir das für das indische. Und wie
soll man von der bedeutung 'geistig empfangen' zu der euro-
päischen kommen? Diese vergleichung ist also jedenfalls auf-
zugeben. Und das würde auch nichts schaden, selbst wenn
wir keine andere erklärung au&tellen könnten. Das folgende
möchte ich mit aller reserve vortragen. Wir haben im indi-
schen eine wurzel, zu der das germanische wort in der bedeu-
tung ganz genau stimmt, das ist sLkva, hu 'rufen'. Ein *hvatas,
das im indischen allerdings nicht belegt ist (dafOr hutds) wfirde
dem germanischen *w6par genau entsprechen, da im germ. ghji
zu to wird. Dann mtkssten wir aber lat. vätes, air. fdiih vom
germanischen trennen, wegen lit iveris, lat. ferus, wozu man
sich schwer entschliessen wird. Möglich wäre es ja, dass man
für das lat. und kelt noch einmal besondere bedingungen fände,
nach denen sich der Schwund des gh erklären liesse, aber eher
wird man annehmen dürfen, dass im germanischen zwei wur-
zeln zusammengefallen sind.
Ags. hlGwan, ahd. hüjan 'brüllen' gehört zu gr. xixXijoxco,
xi'xifj-fiai, lat. clämo, und weiter zu gr. xaXifo, lat. cfUendae,
w. kaia*, ahd. hdlön.
Nhd. sprühen, ahd. *spruqjen, dazu spreu, gehört zu lat.
sprevi, gr. cxelow, iöxoQf^v, lit. spirtij spiriü 'mit dem fuss
stossen'.
Qotjer, abulg. järü 'frühling' mag mit ajfir in av. ayare
'tag', gr. aQiCrov (djigicrov) 'frühstück', got air zusammen-
gehören.
Dies sind diebeispiele die ich mir gelegentlich notiert habe.
Dass bei angestrengtem suchen noch zahlreiche andere zu
finden sind, das scheint mir zweifellos zu sein. Diese werden
vorläufig genügen.
B. Die erste Schwundstufe er9, eh u.s.w. (/, f).
Streitberg hat IF. 6, 141 zu zeigen versucht, dass die indog.
sogenannten kurzen und langen silbischen nasale und liquidae
im germanischen unterschiedslos zusammengefallen seien. Wenn-
gleich ich von der richtigkeit dieses satzes zweifellos überzeugt
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298 HIBT
bin und IF. 7, 193 ff. auch den grund angegeben habe, weshalb
die Sache so sein muss, so hat ihn doch Brngmann in der neuen
aufläge seines Grundrisses nicht angenommen. Er h< viel-
mehr ar, al, am, an für die regelrechten Vertreter der im titel
angeführten lautgruppe, und lässt daneben 'vielleicht' ur, ul,
um, un als entsprechungen zu. Da Streitberg nur ein paar
beispiele herausgegriffen hat, so ist er selber daran schuld,
wenn ihm Brugmann nicht glaubt Im folgenden werde ich
das zur beleuchtung der frage dienende material anführen,
das ich gesammelt habe, und dann auf die von Brugmann an-
geführten beispiele eingehen.
1. Indog. cra Q) liegt vor in gothaürn, \2it. gränum, lit
iirnis, serb. irno,
Got. waürts, lat. rädix. Mit gr. Qadafivog 'schoss' kann
got. waürts nicht verglichen werden, da Qa hier gleich indog.
rd ist, wie in vielen anderen fällen. Jedenfalls würden, wollte
man sie doch zusammenstellen, zwei verschiedene formen der
Schwundstufe vorliegen. Als zweite vollstufe gehört wahr-
scheinlich ags. wröt 'rüssel' (oben s.296) hierher.
Got. haürds *tttr', ahd. hurt 'flechtwerk', lat crätes. Gr.
xagraXog 'korb' liegt in der bedeutung schon femer, während
haürds und crätes sogar in der flexion stimmen. Als vollstufe
könnte man got hröt 'dach' dazustellen, für das aber auch
andere deutungen möglich sind.
Got gataürps, ahd. zorn, aL vi-dirnas 'geborsten, gespalten',
lit dürti 'in etwas stechen';
ahd. hornaz, lat. cräbro, lit s/Hrsdius (acc. plur.), serb.
srsljen;
ahd. soraga f. zu lit. sergiu, s6rgmi 'hüten', sdrgas 'hüter',
russ. storoza 'wache', ai. sürJcsh 'sich kümmern', praes. &S(/rlcshaii
B.S., sUrkshya B.;
got maürgins, ahd. morgan zu lit merkti 'mit den äugen
blinzeln', gr. diiagvooco 'funkeln, schimmern', lit brekszta 'es
tagt', mirksnis 'der blick, ein einmaliges blicken mit den äugen',
mirksiu 'blinzeln'. Dazu als zweite Schwundstufe got brah
'blinken, zwinken';
ags. fortm, lit pirmas gegenüber got fruma, gr. xfo/iog]
oder ist fram gleich dem griech. wort?
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0BAHMATI8CHES UND ETYMOLOGISCHES. 299
got. gafaürds zu gr. xegdo), xoqbvw, russ. porömü, pardma,
serb. pram, prama * schiff';
got paütp könnte zu lit. trobä 'gebände' gehören und
würde alsdann auf *ter9b zurückgehen. Doch ist dies nicht
sicher, da auch andere etymologien möglich sind, vgl. Uhlen-
beck, Et. wb. s. y. (immerhin bleibt es für mich die wahrschein-
lichste erklärung);
ahd. murum neben maratoi 'mürbe' zu gr. iiagalvfo 'ver-
zehren, hinschwinden'. Dass in gr. /iagalvo} eine zweisilbige
basis zu gründe liegt, ergibt sich aus iiaga-aiioi;; ob ai. mpidti
'zermalmt', tnurnäs hierher gehört, ist zweifelhaft, da ai. r auch
indog. l sein luum. S. o. s.294 brüten;
ahd. duruh, as. thurh, ahd. durhil 'durchlöchert', got ^alrh.
Hierher gehört auch gotpairkö 'loch' = gr. rgdr/Xri, das also
auf eine zweisilbige schwere basis zurückgeht. Zu gründe liegt
die indog. wurzel terä* 'durchbohren', gr. rlrgrifii, von der mit
suffix 'Tca (gr. d^ti-xri, ai. dkähis) ein substantivum abgeleitet
ist, von dem in ^irh und *pwrh ein casus vorliegt
2. Indog. cto Qi liegt vor in got fulls, aL pürnds, lit
pünas, serb.|>un;
got wulla, ai, ürnü, lit vilna, serb. vuna, lat lana\
2Jiä.giduU, lat latus, gr. rXijrog,^) lit tilti 'still werden';
ags. molcen n. zu got müuks, lit meUu, serb. imza 'das
[nelken' aus miZ;^)
ahd. folma^ air. lämy gr. xaXd/ifj;
^) Ich mCchte mich jetzt mit grosserer entschiedenheit dafUr aus-
prechen, dass im griechischen rä, Ja (die ja auch yon der theorie gefordert
Verden) die yertreter yon <f9, ja sind neben a^a, aXa, Wenn man in
>dvazo<: und ^vtixog, in xafiaxoq and -xfirixoq dieselbe ahlantsstnfe sieht,
0 muss man auch xalat; und noXvxkaq einander gleichsetzen. Dazu kommt,
ass got /mZan ein e-yerbum ist, womit lit. tyWti 'schweigen' überein-
timmt. Ein ablant e — fl ist aber m. e. im indogermanischen nicht yor-
anden gewesen, and das lit-germ. wort hat altes a. Man ygl. femer
Qaaxoq^ ai. QirshcUds neben xaga, gr. XQäviiq svl xgi]x6q, ahd. gedrOt, gr.
^ävo^j lat. fretus (Bechtel, Hauptprobleme s.213. 192).
«) Dass got. tniluks zu gr. ydka, yäXaxxoq gehört, ist für mich un-
weifelhaft. Das m des germ. kann yon ahd. melchan entlehnt sein, während
fts gr. y alt wÄre. Gehören ahd. me^^^on^ l^tmulgere, gr. dfiiXyeiVj u.märj
asammen, so ist der Zusammenhang mit miluks bedenklich; weil mdg eine
ichte wurzel ist
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300 HIRT
ags. fnolda ^kopf ', gr. ßXwO^Qog ^hochgewachsen', aL mar-
dhdn 'höhe';
ahiLmolta, got mtdda 'staub' zq lit mdUi 'mahlen', mss.
molotK, lit. mütai 'mehl';
9Ji,shtdd, ss.8kuld, aL5J;&aZt-to6+. 'tanmeln, stolpern',
lit. sküH 'in schnld geraten';
got. hulps 'hold, gnftdig', eigentlich 'geneigt', lit kdlnas
'httgel';
ahd. woleha t 'wölke', lit. vügau, vügyti 'befeuchtend glät-
ten', serb. vtaga 'feuchtigkeit';
aisL fold t 'grasfeld, triff, ags. folde f., as. folda 'erde,
land' gehört zu ahd. feld^ das wir oben zu ftuor gestellt haben.
3. Indog. tn9^ efn9 % m) liegt vor in got. hun^s, lit.
paiintas;
got. himinakunds, lat. nattAS, lit. ientas, serb. eet\
ahd. gund 'kämpf, lit. ^n^' 'wehren', ^.ghMds 'tötend'.
Hier kann auch n angenommen werden, vgl ai. haidsj ^tgiticecis
'kämpf, gr. g>ax6q\
9Ln.]>tmgr, lit. tingus, daneben aber Unksiu, tingau 'träge
werden', serb. üilü und tiShi, comp, ieii, aber tiäak, tÜTco\ un-
sicher;
mhOi. gespunsty '^t.pinti 'flechten';
ahd.trt«n^c 'wünsch', 9ä. vafichatiN . 'wtknschen';
ahd. tounna, ai. -vatas Y.B^ aor. vani-shatAY^ fut. vatU-
shgate S.;
ahd. zunft ist verbalabstractum zu zäman, das man nebst
jsahm mit lat. domäre, gr. öa/icuD, aL dam verbinden muss. Die
indog. Wurzel dam ist aber eine set-wnrzel, vgl. lat domüar,
gr. öafiärmQ, aL dami-tf RV. Der stufe ztm entspricht aL döm-
täs B+, gr, d'dafiatog, bez. d(tr[t6g. Auch wenn das wort
zur Wurzel 'bauen', gr. öiiao gehörte, so würde es* ebenfalls
auf zweisilbigkeit zurückweisen, vgl. gr. 6iimq, lat dome-stuMs^
ahd. sumbir, mhd. sumber 'korb, getreidemass', lit semH
'schöpfen'.
Damit ist vorläufig mein material erschöpft, und ich denke,
es genügt auch. Es liegt eine solche fülle zweifelloser bei-
spiele vor, dass sicher die Vertretung von indog. er? u.s, w. durch
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GBAMMATISCUES UND ETYMOLOGISCHES. 301
ur, ul, un, um anzuerkennen ist. Könnte man im einzelnen
fall auch annehmen, es hätten doppelformen bestanden, gegen-
aber der menge der auftretenden beispiele versagt diese mOg-
lichkeit.
Wenden wir uns nun zu Bmgmanns fällen und dem was
man noch weiter beigebracht hat.
Zunächst wird es sich nie beweisen lassen, dass in germ.
ar, al, am, an indog. f, l, m, ff stecken, da ja a der Vertreter
von 0, a, 9, ö und ä mn kaim. Wir haben also so viel mög-
lichkeiten, gegebene formen mit ar a.s.w. zu erklären, dass
wir immer darauf verzichten können, auf die andere Instanz
zu recurrieren. Wir würden letztere vielmehr nur dann an-
erkennen mfissen, wenn wir eine reihe evidenter gleichungen
anträfen. Solche aber finden wir nicht
1. Germ, ar,
Qot onus, arm« armukn, lat. armus, abulg. ramo, serb. ramo,
aL trmds, av. arsmö, preuss. irmo, Brugmann erklärt alle diese
formen aus einer einzigen ablautsstufe, indem er auch in abulg.
ra den Vertreter von f sieht. Letzteres ist nun ganz ent-
schieden abzulehnen. Der annähme von ablaut steht hier
ebensowenig etwas im wege wie bei lit. birias gegenüber ai.
bhurjas, lit. dntis, ahd. anut, lat. anas gegenüber ai. ätish, gr.
v^oöa. In dem a von lat. armus sehe ich altes a bez. 9 für
den fall, dass die grundform dieses wertes *0rmo$ wäre.
Ebenso geht aisl. gröugr, gall. Arduenna, lat a/rduus auf
indog. *ardh oder *9rdh zurück.
Ahd. art 'art und weise', lat a/rs, artis, zu ai. ftdm 'rechte
art, gebühr*. Das beisplel stimmt nicht, da im indischen kurzes
f vorliegt. Und ausserdem fragt es sich, ob man das germa-
nische wort nicht mit an. ar&r 'pflüg', got arjan, lat aräre,
gr. oQoto zusammenbringen muss. Im ahd. ist art in der oben
von Brugmann angegebenen bedeutung unbelegt Es erscheint
art f. 'ackerung, pflügung'; dazu artsn 'bewohnen, bebauen',
femer as. ard m. 'wohnort', ags. eard m. 'wohnung, heimat',
an. ^t 'ernte, ertrag'. Aus der bedeutung 'grund und boden'
hat sich dann ganz natürlich die der 'herkunft, der art' ent-
wickelt, wie schon das Mhd. wb. richtig annimmt
Ahd. fort 'fahrt' gegenüber got gafaürds 'Zusammenkunft'
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302 HIBT
kann gewiss nicht in betracht kommen, da es sehr wahrschein-
lieh eine neubildung ist. Die beiden Wörter verhalten sich
genau wie ahd. slahi zu got. slatihts, wie mhd. traht zu älterem
truht, vgl. darüber v.Bahder, Verbalabstractas.65. Da ein u
in der ablautsreihe der sechsten verbalklasse nicht mehr vor-
kam, traten neubildungen nach dem participinm ein.
Ahd. £f€urt 'lieb, fein, schön' würde wider nicht direct za
aL a-dftas 'rücksichtsvoll, mit rficksicht behandelt, geehrt'
stimmen. Die beiden Wörter verhalten sich vielmehr wie aL
rnftäs zu mdrtas 'sterblicher, mensch', gr. /iOQTog, wie gr.
a-iatog 'unbekannt, nnkundig' zu abulg. vestü 'bekannt', wie
*itös zu ai. äas 'eilend', gr. ohoq 'geschick' u. v.a.
Ahd. garba 'garbe' zu lit. grepti, gröpH 'fassen, raffen*
kann ebenso wie sparhe, ags. spearca *fanke' zu aL sphürjaii
'prasselt, zischt' o-vocalismus haben, der ihnen als a-stämmen
auch zukommt.
Das sind Brugmanns beispiele, zu denen man noch andere
hinzufügen könnte: ich tue dies, indem ich dem leser die rich-
tige erklärung überlasse.
Ahd. bam^ daneben -hem, lit. h4mas.
An. h^kr, ndd. borke zu ai. bhürjizs, lit. berias. Gerade
birkenrinde wird im haushält der Litauer und Slaven noch
heute vielfach benutzt, so dass* diese gleichung culturhistorisch
tadellos ist.
Nhd. gam, lit idma 'dann'.
2. Germ, al
Ags. iviehn, tcfflm, BM.wdllu, si^Urmish 'woge', av.mr^mtsA
'woge', aber lit vilnis.
Got untHa-malsks 'unbesonnen', ai. murkhäs 'stump&innig,
dumm, unverständig', lit lett. mülkis 'einfältiger, tropf. Man
kann natürlich maisks ebenso wie ivalm auf o- stufe zurück-
führen.
Ahd. spaUu zu got spilda 'schreibtafel', aL sphutati, phd-
lati 'er birst', nbret/aw^ 'flssura' ist ganz unsicher; 9X.phdUU%
kommt erst im epos vor, daher ist auf phaiiia kein verlass.
Das nbret wort kann ich nicht beurteilen.
Ahd. scaltu 'ich stosse' zu sciltu 'ich schelte' kann natür-
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GBAMMATISCHfiS UKB BTTM0L0&I8CHES. 303
lieh o-vocalisiniis haben. Ebenso got. iodlda, shA.waltu 4ch
walte, hersche', lit. veldu 'ich regiere' (veldu nach Nesselmann).
Ahd. walm 4ch drehe mich', lit. veliü, vüti 'walken'.
Got haldSy ahd. Tcalt zu aisl. hulde, lat gelidtis; kälds ist
ein participinm zu dem in an. hdla, ags. calan 'frieren' vor-
liegenden starken verbum, und unterliegt daher im gegensatz
zu aisl. hulde dem verdacht einer neubildung.
Wie man sieht, haben wir es abgesehen von den beiden
ersten beispielen durchaus mit verben zu tun, und ehe daher
die ganze bildung dieser verben nicht aufgeklärt ist, können
wir sie schwerlich als hinreichende stütze benutzen. Da Brug-
mann auch bei n sich zum teil auf verben stützt, verschieben
wir die erörterung dieser praesensbildung, bis wir alle beispiele
zusammen haben.
Hierzu noch gcUla, gr. xoiij*
3. Germ, an, am.
Ahd. hamma 'Schenkel', ags. Hamm 'kniekehle', nd. hamm
'bergwald' zu gr. xwjfifj 'Unterschenkel, Schienbein', xvfjfiog
'bergwald', air. cna*m 'knochen'. Es kann natürlich ablaut
vorliegen (aus dem lit. gehört wol noch kinka in Samog. 'knie*
kehle, hesse' hierher).
Ebenso in ahd. sant, aisl. sandr, gr. a/ia^og.
Qot gaggan, ahd. gcmgan 'gehen', lit. iengiü 'ich schreite'.
Letzteres hat kurzen vocal, vgl. eefikti, üUksnis 'schritt'.
Ebenso BLjavgha 'bein'.
Dasselbe gilt von got blandan, ahd. blantan 'mischen', got
bUnds 'blind', lit blendiiü's 'ich verfinstere mich'. Diese beiden
beispiele sind also überhaupt zu streichen.
Die wurzelstufe der oben genannten und einiger andrer
verba bietet nun in der tat ein noch ungelöstes problem, aber
mit dem ansatz von f, l, n werden wir diesen knoten nicht
lösen. Zweifellos haben wir es in einigen fällen mit elo-yrnr-
zeln zu tun. Wie kommen aber diese zu ihrem o-vocalismus
im praesens? Weshalb heisst es got. nicht *giggan entsprechend
lit iefikti, weshalb nicht blindan entsprechend lit blendäiü's?
Von der verbalflexion aus kommen wir zu keiner lösung, wir
müssen uns also an das nomen wenden.
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304 HIRT
Got. sdUan, lat. sdllere gehört non unzweifelhaft zu lat. sal,
got sält, und seiner ganzen art nach können wir dies yerbnni
nicht anders denn als denominativ fassen. Auch Bmgmaim
hat Gmndr. 2, 1038 schon auf den Zusammenhang hingewiesen,
der zwischen den nominalen bildungen auf to, t und den verben
mit praesenssuffix -to besteht Man vergleiche z. b. ai dpu-^ämMs
neben dyitate feuchtet' mit dem nomen dyut, d-ceU, cUänas
neben citati mit dem nomen dt, ydtänas, yatänds mit yat. Da
aber nach der einleuchtenden erklärung von Streitberg, IF. 3,
340 ff. diese nomina uralt sind, so werden die verben denomi-
nativ sein. Ich glaube daher dieses auch für die germanischen
verben annehmen zu dfirfen.
Zu lit. iengiif, 'schreite' gehört ganz regelrecht mit o-voca-
lismus got. gaggs 'gang', an. gangr, as. ahd. gang. Davon ab-
geleitet oder beeinflusst got gaggan, eig. 'einen gang tun'.
Zu gr. jtBQap 'durchdringen, hindurchgehen' gehört regel-
recht gr. jtoQog 'gang, durchgang, Übergang', ahd. far, mhd. vor
n. 'ort am meet*e, see oder ströme', wo man an-, aus- oder
überführt; davon abgeleitet faran 'sich von einem ort zum
andern bewegen, gehen, ziehen, wandern' u.s.w.
Zu abulg. grebq, 'grabe, schabe' gehört regelrecht abulg.
grobU, ahd. grab 'grab', as. grab, ags. ^rcef. Wegen got grdba
liegt aber der verdacht nahe, dass wir es im abulg. mit einer
entgleisung zu tun haben.
Ebenso dürfte dies bei got kalds in erwägnng zu ziehen
sein, wegen Bhi.chuoli Wir hätten es mit ablaut ö — 9 zu tun.
Got malan, lat molere gegenüber abulg. meljq> müsste durch
ein *mala veranlasst sein; vgL aber auch litmaT^t.
Ahd. spaltan 'spalten' würde ich mit Schade von ftpaU 'der
Spalt' ableiten; ahd. toalsan von waUa 'pedica, decipula'; ahd.
sccdtan von scalta ' Schiebestange'.
Die eine tatsache, glaube ich, können wir f eststeUen, dass
neben den meisten der genannten verben ein nomen steht,
dessen o-vocalismus wir erklären können, und die annähme
einer angleichung des verbums an den vocalismus dieses nomens
würde die ansetzung eines langen j-, n, l umgehen lassen.
Sollte es nun ein zufaU sein, dass von den meisten dieser
verben im gotischen das perfectum gar nicht belegt ist? Von
gaggan fehlt es bekanntlich ganz, aber auch zu blandan, faran,
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GRAMMATISCHES UND BTTMOLOGISCHES. 305
nuüan, sältan ist keins belegt; spaltan, scältan, waiUan stammen
überhaupt erst aus dem ahd.
Ich glaube, man wird daher die ergebnisse des aufisatzes
von v.Fierlinger, KZ. 27, 436, auf den sich Brugmann haupt-
sächlich stützt, als verfehlt bezeichnen dürfen. Die wenigen
beispiele die nach abzug der yerben noch übrig bleiben, können
nimmermehr erweisen, dass ar, al, am, an im germanischen
die Vertreter von indog. f, l, m, n sind. Auch der ausweg, den
Uhlenbeck, Beitr. 18, 561 eingeschlagen hat, ist für mich nicht
gangbar, da ich Bartholomaes lehre, dass 9 auch in der 6-reihe
anzuerkennen sei, nicht für richtig halte; wol aber kann germ.
% in einigen fällen ein 9 vertreten, es ist indessen dann die
Schwundstufe eines langen vocals.
C. Indog. rd, h, m9, ns, p, jf9 als Schwundstufe
der set -wurzeln.
Unter welchen bedingungen diese Schwundstufe ins leben
getreten ist, lässt sich noch nicht sicher ermitteln. Ein factor
st jedenfalls die enklise gewesen. Da ich IF. 7, 211 nur wenige
»elege gegeben habe, so sei es mir gestattet diese Iflcke etwas
uszufüllen.
Zu jtiTafiai, artjträv, ai. pati-tas AV., ahd. ßda-ra gehört
r. ejita-TO, Jträfievog, eA. porpH-ma; zu telä, gr.rsXa'/icov, JkXfjV
teilt sich T£-T>la-*i, ts-r Xd-(i£vai, zu d'dva'xog, ß-Pfj-tog —
i d-va-d-i, tS'd'va'iievai; <ytQa*t6g zu CtOQi-vwfii, CxQW>x6q\ gr.
d-dafivog zu lat. rädix, got tvaürts; ^gaccoo zu taQa'Xrj\ Caoq
US *tu9'ti68 zu ai. tavi; gr. yvdd-oq zu lit. zdndas; lat. glans
a gr. ßdka-rog, abulg. zelqkcR; lat. gla-cies zu geli-dus] lat. gror
's zu ai. gurush, gr. ßagvg, got. kaürt4S.
Aus dem germanischen habe ich a.a.O. angeführt: mhd.
^age 'hals' zu lit. gurkl\, serb. grlo, gr. ßißQcicxm; w3id,st€ach
i got. siuks; ahd. chranuh zu gr. yiQavoq,
Weitere beispiele sind:
Got. wahsjan, ahd. wahsan, gr. d/igeiv, lit. dugti, lat.
igere.
Mhd. swadem, ags. swaäul zu ahd. siodan. Ich ziehe dies
L ai. SU 4n bewegung setzen, erregen', das zweifellos eine
t -Wurzel ist, vgl. sutdsY., sämma n. 'antrieb', savitä 'an-
siber, erreger'. Anders erklärt Brugmann, Grundr. 1, 790
BeltTftg« cur gMohioht« d»r deutfohen ipiftch«. XXITT. 20
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306 HIRT
das germanische wort. Er geht von kpeut- aus, und vei^leiclit
\it szuntü ^schmore', und weiter Bi,kvdthati aus "^kptca mit mhd.
awadem. Sollte man dies vorziehen, so ist die sippe als eine
leichte wurzel aufzufassen: W.kpeue.
Qotgapwastjan 'stark, fest, sicher mB,ciien\])tca$tipa festig-
keit, Sicherheit' ist nach Uhlenbeck, Et. wb. unaufgeklärt. Ich
beziehe es auf die altindische wurzel tu 'stark sein', ai. tävas
'stärke', tavishds 'stark', tdvishi 'kraft, stärke', zu der auch got.
pumndi gehört. Die bedeutungsentwicklung bedarf keiner Ver-
mittlung. Auch im griechischen liegt, woran mich Brugmann
erinnert, diese ablautsstufe vor in aaog 'heil, gesund', das Prell-
witz, Et. wb. aus *tuauos erklärt, vgl. Brugmann, Totalität s.55.
Prellwitz zieht auch schon das got. gapwastjan heran, wie ich
nachträglich sehe.
Ahd. chnabo hat man von jeher mit der wurzel *gena*
'erzeugen' verbinden wollen, ohne dass man indessen über die
ablautsverhältnisse ins reine gekommen wäre. Es stellt sich
nun ganz einfach dazu, vgl. lat. geni-tor, gr. yivsaig, sd.jflä, goL
knöps, kunds.
Ahd. hra-bo stellt sich ebenso zu gr. xopa-g, xopoJ-i^, laL
comlx aus *cor9nt, lit. sssdrka 'elster', russ. soroka, serb. svraka
dass. Als zweite vollstufe gehört dazu lat. crö-cio 'krächzen',
gr. xQco^o), die wir wol als reduplicierte bildungen auffassen
dürfen. Oben ist weiter ahd. hruoh herangezogen.
Auffällig ist an diesen beiden Worten das suffix. Indog.
p oder bh lässt sich hier kaum wahrscheinlich machen. Ich
leite daher kn(d>o und hrabo aus indog. *gn9mn0' und *hr9mnO'
ab, mit dem Übergang von mn in bn, den ich für gemein-
germanisch halte.
Ahd. stracchen 'ausgedehnt sein', ahd. strack 'ausgestreckt,
gerade, straff' u.s.w. ist noch nicht recht erklärt. Denn die
annähme, dass es zu recken gehöre (wie Kluge, Et.wb.* s. v.
vermutet), ist doch nur ein notbehelf. Ich stelle die stufe stra
zur wurzel sterö"", gr. organog, otQcivvvfii 'ausbreiten', l».tster-
nere, ai. strnämi. In der wurzelstufe entspricht stra gr. axQoxoq,
al 'StftaSy das nur unbetont vorkommt. Das suffix -k, indog. -g
ist zwar selten, aber doch genügend belegt. Dieselbe stufe
und dieselbe wurzel zeigt auch mhd. strarU, ags. Strand, das
Eluge ebenfalls als unaufgeklärt bezeichnet. Es ist mit n^
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6BAMMATISGUES UND ETYMOLOGISCHES. 307
Suffix gebildet Die vollstufe dieser wurzel steckt wahrschein-
lich in ahd. stima 'stim'.
Ähd. chla-ga stelle ich zu ai. glä 'Widerwillen empfinden',
lit gelH 'schmerzen', abulg.iaB^ 4eid', gr. ßäXXo) {ßXfj) 'werfen,
treffen'; dass auch ßXr/xn 'geblök' mit Prellwitz, Etwb. s.v.
hierher zu ziehen ist, scheint mir nicht sicher.
Got. mapa 'made, wurm', ags. maöa, as. matho, ahd. modo,
an. madkr möchte Kluge. Et. wb.^ s. v. mctde als 'nager' deuten.
Etwas ähnliches mag wol darin stecken, nur kann man schwer-
lich an die wurzel *me 'mähen' anknüpfen. Ich möchte es
mit der ai. set -wurzel am 'schädigen' verbinden. Zu aml-shi
V.B., ewnl-vaV. 'drangsal, plage, dränger, plagegeist', dmatish
'armut, dürftigkeit' gehört eine Schwundstufe m&. Der be-
deutungsvermittlung steht nichts im wege. Auch mhd. motte
könnte mit weiterer ablautsform m hierher gezogen werden.
Got. frdpi 'einsieht', frafjan 'verstehen' gehört zunächst
natürlich zu got. fröps 'weise', frödei 'einsieht'. Wenn wir
aber an die bedeutungsentwickelung unseres erfahren denken
(vgl. auch lit. tirti 'erfahren'), so wird man gr. jtegam 'durch-
bohren, durchfahren', abulg.i^er^, prati 'fahren' als erste voll-
stufe heranziehen dürfen.
Ags. blwc, nd. blak, ahd. block bedeutet 'tinte', ursprüng-
lich natürlich 'schwarz', was es ja als adjectivum auch
heisst. Eine etymologie ist mir nicht bekannt. Nun hat Jo-
hansson, Beitr. 15, 226, um got. bleips zu erklären, einen tiber-
gang von indog. ml zu germ. bl angenommen, gegen den nichts
einzuwenden ist, da mr zu br wird. Ich sehe daher in bla-
die regelrechte zweite Schwundstufe zu gr. (liXa-q, ai mali-nds
'schmutzig, unrein'. Denkt man dann weiter an die beliebte
griechische ausdrucksweise wie /likap al/ia, so kann man auch
vermuten, dass got. blüp, ahd. bluot 'blut' nichts anderes als
'das schwarze' bedeutet Das neutrale geschlecht erklärt sich
daraus, dass der indogermanische ausdruck für 'blut' ai. asfj,
gr. iüQ, lat. assir, gr. alfia, lat. (veraltet) sanguen n. neutralen
geschlechtes war. Was das Suffix betrifft, so vgl. lit get-tas.
Das auffallende /c-suffix in blak lässt sich vielleicht aus u
herleiten; indessen bleibt dies unsicher, so lange der Übergang
von jf in k nicht lautgesetzlich festgelegt ist.
Got afhlapcm, an. hlaSa, ags. hladan, afr. Mada, ahd. Madan
20*
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308 HIRT
nebst ags. Jdöf ^bente, häufe, schar, menge*, and. hlölha 'beute'
steUt man zu abulg. Jcladq. ^lege, stelle'. Die differierenden end-
consonanten beruhen wol auf verschiedenen praesensbildenden
elementen. Der stamm ist also hla, Jdö, den man in lit. kloyu,
klöti 'hinbreiten' widerzufinden glaubt, klö weist aber anf
eine zweisilbige set-wurzel, die wir in lit. kelH 'etwas heben'
antreffen, das widerum eine sehr weite yerwantschaft hat
Ahd. flado 'opferkuchen', gr. xXa&avov 'opferkuchen' ge-
hört zunächst zu lit. pUti 'breit schlagen'; die erste vollstufe
liegt vor in gr. jtiXa-voq 'opferkuchen', vielleicht auch in jtiXiz-
yoq n. 'meer, das ausgebreitete', das genau ahd. fidh 'flach,
glatt', nl. vhk 'eben' entspricht. Zu gründe liegt eine wurzel
pela*^ die im wesentlichen 'eben, flach' bedeutet. Erste voll-
stufe xiXa-tfOQ, jidXa'Yog, zweite vollstufe lit. |>W^, pUne
'fladen', lat. planus 'eben', air. Idr 'estrich', mhd. vluar, vgL
Prellwitz, Et. wb. s. v. jtiXavog.
Ahd. rahho für älteres *hrahho 'rächen', ags. hrace, -u t
'kehle' ist bisher unklar. Man kann es verschieden beurteilen.
Die wurzelstufe hra kann man zu kera* in xigag, lat. cere-
brum, ai. giras oder zu gr. xQci^w 'schreien' stellen. Genau
entspricht gr. tcqcc/ov 'laut schreiend'. Dann wäre die bedeu-
tung 'kehle' ursprünglich. Auch xQaC,(o gehört zu einer zwei-
silbigen basis, die wir oben bei hrabo erOrtert haben.
D. Germ, u, i als schwundstufenformen.
Dem ^, ek, dn9, enQ stehen f und u als schwundstufen-
formen zm* seite, insofern schon im indog. 4^, eu^ zu i und u
contrahiert wurden.
Auch diese l, ü sind nur in set-wurzeln berechtigt, wie
längst de Saussure nachgewiesen hat. Im folgenden stelle ich
die germanischen beispiele die ich mir notiert habe, zusammen.
Da I nicht von ei zu scheiden ist, beginne ich mit ü, das im
wesentlichen allein in betracht kommt, ii ist im germanischen
ein ziemlich häufiger laut, der in zahlreichen fällen unerklärt
ist. Möglicherweise steckt noch etwas anderes darin als
indog. u.
Got. Püsundi gehört zu ai. tavi-, wie ich IF. 6, 344 ft nach-
gewiesen zu haben glaube. Vgl. ai. tavtH RV., tdvish RV., tavt-
yaa V. Zur selben wurzel gehört auch ahd. dMu>, ags. P9ma
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QBAMMATISCHE8 UND ETTMOLOGISGHEB. 809
U.S.W., das einem ai. *tavima entsprechen würde. Verkürzung
des u ist in an. pumaU eingetreten, das mit seiner 2-ableitung
dem ind. tümrasY. ^ feist, kräftig' entsprechen würde, falls es
alt ist. Wegen der kürze des u ist letzteres wahrscheinlich
richtig. Oben haben wir auch got. gdpwosi^an zur gleichen
Wurzel gestellt, mit der zweiten Schwundstufe. Ich halte dabei
ü und ip für coordinierte schwundstufenf ormen. u ist dagegen
erst aus ü in neuer Schwächung entstanden.
Got. hrups haben Uhlenbeck, Beitr. 22, 188 und ich a. a. o.
s. 234 gleichzeitig zu aL brävmii gestellt. Der ablaut ist auch
hier in Ordnung.
Got. füls 'faul' ist verwant mit htpüti 'faulen', pülim
'eiter', si. püyati 'wird faul' u.s.w. Als wurzel müssen wir
*peua ansetzen, die in ai. pundti, pam-tum mit der bedeutung
'reinigen' vorliegt. Dazu lat. püms u.s.w. Die bedeutungen
divergieren nun allerdings, und der einwand lucus a non lu-
cendo wäre vielleicht zu erwarten, wenn einer die worte ver-
mitteln wollte. Das trifft indessen nicht zu. Nach alter an-
schauung reinigt sich vielmehr die wunde durch die eiterung.
So lange der eiter nicht zersetzt wird, ist er ja auch rein
weiss, und wird erst durch zersetzungskeime zur stinkenden
jauche.
Nd. dune f., an. dünn m. 'daune', engl, doum 'daune, weiche
feder' ist nicht erklärt. Nun verbindet man \a.tplüma mit
unserm fliegen, und feder leitet man von der vmrzelpet 'fliegen'
ab. Daher könnte auch in dün- etwas ähnliches stecken. Ich
knüpfe daher zunächst an aisl. dg/a (duda) 'bewegen, schütteln'
an, das widerum dem ai. dhanöti 'schütteln' (fut. dhavishyatt),
gr. ß'oa^a) 'in schnelle, heftige bewegung versetzen, schnell
bewegen' entspricht. Sollte die heranziehung von an. dünn
nicht richtig sein, so entspricht doch dyija genauer der ind.
set -Wurzel.
Got. hlütrs 'rein', ahd. hlütar stellt man zu gr. xAvgeo
'spüle, reinige'. Die zweisilbige basis liegt vor in lat. cloäca.
Der stamm bü in zahlreichen worten, ahd. büan, bür, ge-
hört zu ai. bhavi'tum u.s.w.
Ahd. stüda 'stände, Strauch, busch' verbindet man mit gr.
öTviog 'Säule', das weiter zu ai. sthürds, sthülds 'dicht, grob,
gross, dick, plump' gehört. Die zweisilbige basis liegt vor in
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310 Hnrr
sthdvi-ras ^fest, derb, massig, stark, vollwttchsig, alt', sthdvima
n. ^das dicke ende, die breite seite'.
Ahd. zun ^zaon, garten*, ags. tun 'das nmz&nnte, ort', an.
tun 'eingehegtes, gehöft' entspricht air. dun 'bnrg, Stadt'.
Weitere anknttpfong fehlt *dii-nam sieht nun zweifellos wie
ein altes no-particip aus^ and wir können dazn eine worzel
*deua erschliessen, die im ai. dunöti AY. +, dands AV. mit der
bedeutnng 'brennen' vorliegt. Die bedentnngsvermittlnng ist
möglich, wenn man an lat. aedes denkt. Mit nnserm wort
kann anch die thrakische ortsnamenbezeichnong dava, deva
zusammenhängen, in Pulpudeva, Movgiöißa, Ztxiöißa, Sxcudißa;
vgl. Kretschmer, Einl. s. 222, der es von der wm^el dhe ableitet.
Aisl. snüa 'wenden, kehren, drehen, winden' verbinde ich
mit ahd« senawa, ai. snävan,
Ahd. cJmmifn 'klagen, beweinen' stellt man mit recht zu
gr. yo/og 'totenklage'. Dies war eine söt-wurzel, wie aus hom.
yoijfitvai, yoaoiBV hervorgeht.
Got ahd. hüs zu hätte und zu gr. Tc&od^m 'verbergen' zu
stellen, ist wegen der länge des ü bedenklich, xct^co ist zweifel-
los eine anit-wurzel und muss daher fem bleiben. Den laut-
lichen anforderungen entspricht die Verbindung mit lat cavema
'die höhle'. Da man vielfach in höhlen wohnte, ist die glei-
chung auch semasiologisch unbedenklich, cavema lässt sich
aus *cavesina erklären.
Ahd. sül ' Säule' u.s.w. verbindet Kluge mit ahd. sweüi n.
'schwelle', was nach den ablautsverhältnissen sehr wol angeht.
6ot sauls f. wäre die erste vollstufe dazu. Sonst kann ich
die Wurzel nicht nachweisen.
Ahd. scür m. 'Unwetter, hagel' ist ablaut zu lit. sziaurgs
'nordwind', abulg. severu 'norden', lat. caurus-, hier liegt aber
eu zu gründe.
Aisl. ryja, rüöa 'vellere lanam' gehört zu lit rduju, rduti
'eine pflanze mit der wurzel aus der erde ziehen'. Dazu könnte
man auch ahd. ruh 'behaart, rauh, struppig', eigentlich 'gerupft^
gezaust' stellen.
Ich will mit diesen gleichungen durchaus nicht sagen, dass
man worte mit ü und ü unter keinen umständen etymologisch
verbinden dürfe: giebt es doch verwante formen mit u und ü
neben einander in hinreichender anzahl. Was ich nochmals
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OBAlfMATIBCHES UND ETTMOLOGISCHES. Sil
betonen möchte, ist dass man vorläufig ein wort mit ü nicht
auf eine anit-wnrzel beziehen darf. Ich kenne eigentlich nur
eine sichere ausnähme von diesem satz: ahd. lüt, ags. hlüd, das
zu aL gru gehört. Das ist zweifellos eine anit-wurzel, aber es
sind auch spuren des i vorhanden: grdvishfha kommt vom AV.
an vor; im RV. heisst es gugniyäs. Hier standen also wahr-
scheinlich zwei wurzeln neben einander. Man beachte dabei,
dass germ. *KI/aÖaz eine bestimmte, abweichende bedeutung hat.
Germ, i, das wir zu zweit betrachten wollen, ist leider nicht
sicher von ei zu scheiden. Aber die möglichkeit, ein an sich
zweifelhaftes germ. i als entsprechung eines ursprünglichen et
aufzufassen, muss überall da in betracht gezogen werden, wo
wir es mit einer anit-wurzel zu tun haben.
Es kann daher altes l nicht stecken in ahd. belfban, ai.
dipat U.S.W. (Osthoff, MU.4,4), in got. fraweitan, wenn dies
zu vidcre XL s. w. gehört (Osthotf s. 6), in ags. sntweS, in ahd.
wis, ahd. htoljg, ai. gvtt und überhaupt in dem meisten, was bei
3sthoff, Mü. 4 und bei Noreen, Urg. lautl. s. 75 f. angeführt wird.
Sichere fälle, in denen i zu einer set-wurzel gehört, sind nicht
gerade häufig. Got leipu(8) würde ein solches sein, wenn es
nit lit lytüs zu verbinden wäre, vgl leH 'giessen*. Femer
rot freidjan 'schonen', an. friffr, ags. frW * hübsch' u.s.w. zu
li. prlids,
Ahd. rim 'reihe, reihenfolge, zahl', kann zu ai. rindti 'fluten,
luten lassen' gehören, also auch mit rinnan verwant sein.
Zum Schlüsse dieses aufsatzes möchte ich noch ein paar
iir den ablaut der set -wurzeln im germanischen typische fälle
usammenstellen. Wir unterscheiden zwei vollstufen und zwei
chwundstufen.
Aus der wurzel genefö wird I) bei betonung der ersten
Wiegend, ahd. cÄind {jgt.yiveciq^ldX.gefiitor, 9A.jani-ta)] — II)
ei betonung der zweiten silbe genSjö, got. knöPs 'geschlecht',
s. knöscU, ahd. chnuosaL
Bei unbetontheit der beiden ersten silben entsteht — III)
16 erste Schwundstufe geno-, germ. kun, got. himinakunds, kuni
eschlecht', lat. nättts, und — IV) die zweite Schwundstufe
t9, ahd. knabo.
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312 HIRT
Wz. genelö 'kennen': I) got. kann-, — TT) ahd. chnaan, ags.
cnatoan, ahd. einchnuadü 4nsignis', cnuodden ^ein erkennnngs-
zeichen geben'; — HI) gakunds, kunjn, hunp$; — IV) —.
Wz. tnera*: I) ahd. mara«;i; — II) ahd. ftr^ton; — EQ)
murutvi; — IV) — ^.
n.
Zur yertretung der labiorelare.
1. Gregen die von Znpitza, Die germ. gutt s. 97 f. auf-
gestellte lehre, dass indog. anlautendes gk» im germanischen
durch g vertreten werde, hat Uhlenbeck in diesen Beitr. 22, 543
mit recht einspruch erhoben, worauf Zupitza, Beitr. 23, 237 ff.
geantwortet hat Ich halte auch seine jetzigen ausführnngen
nicht für beweisend. Weshalb wir auE die zukunft hoffen
sollen, die vielleicht noch sichere beispiele für den wandel von
gh» zu g bringen werde, kann ich nicht erkennen. Vorläufig
müssen wir uns mit dem begnügen was vorliegt.
Zunächst spricht doch die behandlung des inlautenden, im
Silbenanlaut stehenden ghu auch mit, wenn wir den anlant
betrachten. Und da hier von Zupitzas regel nichts zu spüren
ist, ist dies ein schwerwiegendes moment.
Sicherer ist es, sich auf das etymologische material zu
stützen.
Zupitza bestreitet die beweiskraft der alten gleichung:
got. warms, ai. gharmds *hitze', av. garhna, ap. garma 'warm',
apreuss. gorme *hitze', air. goitn, lat. formus, gr. ^egfiog. Wenn
wir ein wort so durch alle sprachen mit demselben suffix und
derselben bedeutung hindurchgehen sehen, so hat ein solches
wort zweifellos eine grosse beweiskraft. Daran kann es auch
nichts ändern, dass des öfteren wurzeln mit anlautendem labio-
velar und w neben einander stehen. Bezzenberger hat BB.
16, 257 das germanische wort mit lit. virti, abulg. vreti 'sieden,
fervere', variti 'kochen', vo/ru 'glut', armen, varem 'anzünden'
verglichen. • Die heranziehung des armenischen wertes begleitet
Hübschmann, Arm. gramm. s. 494 mit einem fragezeichen, nach-
dem schon Bugge, EZ. 32, 56 auf die Verschiedenheit der bedeu-
tungen hingewiesen hatte. Und sind denn nun die lit. slav.
Worte, die zweifellos 'kochen' heissen, so ohne weiteres in
ihrer bedeutung mit dem germanischen warm zu vermitteln?
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GRAMMATIftCHES UND ETTHOLOGI8CHE8. S13
Ich glaube nicht. Von 'kochen' zu 'warm' ist ein grosser
sprang der begriffe, und ich habe bisher kein beispiel gefunden,
in dem auf anderem Sprachgebiet dieser Übergang stattgefunden
hätte. Schliesslich kommt noch hinzu, dass lit. virü (verdu)
und abulg. vreH (serb. vreti) auf eine set-wurzel weisen, wäh-
rend die Wurzel, zu der gr.&sQfioq u.s.w. gehört, eine anit-
Wurzel war. So zerfällt bei näherem zusehen das angebliche
nebeneinander einer wurzel *gMer und *jier in nichts, und so
wie hier ist es mit mehreren anderen der von Zupitza an-
geführten fälle. Ausserdem muss bei solchen Wortpaaren noch
nachgewiesen werden, dass ihre Urbedeutung die gleiche ist,
dass nicht die gleichen bedeutungen erst im laufe der Zeiten
entstanden sind. So ist ags. cwelan 'sterben', ctcalu 'tod' mit
dem bestimmten sinn entschieden jung, wegen ahd. qtiäla, lit.
geUi 'wehe tun', abulg. ioK 'leid'; in an. valr 'die leichen auf
dem Schlachtfeld' liegt offenbar eine metonymie örtlich causaler
natur vor wie in kragen, ärmel, fratienjnmmer, backe, bände,
bein u.v.a. valr heisst eigentlich das Schlachtfeld und dann,
was sich darauf befindet, wal selbst ist aber der ort des
Untergangs wegen ahd. tvuol 'niederlage', ags.tc'Jj 'pest, seuche'.
Wo besteht, wenn wir so weit gekommen sind, noch eine mög-
lichkeit die worte zu vereinigen? Lit. vel^s 'verstorbener'
kenne ich nicht: ich finde es weder bei Eurschat, noch bei
Nesselmann und Leskien. Ich will auf die übrigen fälle nicht
eingehen, da es auf die sache selbst nicht ankommt, und nur
noch darauf hinweisen, dass sich auch noch andere 'reim-
Wörter' finden, in denen scheinbar am anfang ein consonant
hinzugefügt ist. Darüber hat bekanntlich Meringer, WS6.
125,2, s. 35ff. gehandelt, ohne zu überzeugenden ergebnissen
kommen zu können. Jedenfalls ist das wort warms so gut
wie nur irgend eins geeignet, die behandlung der lautgruppe
ght^ im anlaut klarzulegen.
Ein zweites beispiel ist ahd. toahs 'scharf', das von Fick
Vgl. wb. 1*, 417. Prellwitz, Et. wb. 348 mit gr. q>o^6g 'spitz' ver-
glichen wird. Die gleichung ist tadellos und jedenfalls der
heranziehung von ai. vOgt 'azt', die Zupitza lä. 33 vorgeschlagen
hat, vorzuziehen.
^) Vgl. dazn Thomas, lieber die möglichkeiten des bedentungswandels,
Blätter für das gymnasialwesen 30 (1894), 716.
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314 HIBT
Gr. qxAriov jtQo^fpiXiq, i^öv^ got. wü^eis lässt Znpitza
nicht gelten, worin ihm vielleicht beizustimmen ist. Er ver-
gleicht ir. hdid ^süss' mit dem griechischen wort, wobei er
für das griechische umspringen der aspiration annehmen muss.
Ist das material füi* die bisher geltende annähme immer-
hin nicht sehr reich, so spricht doch auch nichts dagegen. Das
einzige beispiel Zupitzas ist aisl. gandr 'rute', an.ppm2o22 'virga
virilis', das er zu ai. hdnti, gr. d^ilvm, g>6vog stellt. Zur ent-
kräftung von Wadsteins deutung IF.5,30 hat Z. nichts vor-
gebracht, und so muss sein Widerspruch auf sich beruhen bleiben.
Und wenn man auch aisl. gandr nach Liden, BB. 21, 98 mit
air. geind 'a wedge', ngael. geinn 'a wedge, cuneus; a large,
thick piece of anything' verbinden wollte, so bliebe doch die
Vereinigung dieser wort« mit gr. ^e/i^co u.s.w. unsicher.
2. Auch die frage nach dem Verlust des labialen nach-
klangs ist durch Zupitzas arbeit nicht ganz ins reine gebracht,
wie z. b. der einspruch Solmsens, Journ. of germ. phil. 1, 387
beweist. Ich stimme indessen Zupitza darin bei, dass vor
indog. 0 ein Schwund des u nicht eingetreten ist Aber ob
dies auch für die Stellung vor indog. ö gilt, lässt sich bezwei-
feln. Das einzige sichere beispiel ist gr. ßovg, ahd. km, und
dies genügt auch. Wenn man auch die fs-formen, aisl. k^, ags.
ca zu hüfe ruft, um den seh wund zu erklären, so bleibt es
doch auffällig, dass nirgends ein *kwö überliefert ist.
Daher halte ich in diesem punkte die alte anschauung
für noch nicht widerlegt. Zu beachten ist, dass indog. o im
germ. zu a geworden ist in einer zeit, die wir nicht bestimmen
können, dass dagegen ö stets erhalten blieb. Was übrigens
got. tuggö gegenüber lat. lingua betrifft, auf das Solmsen noch
verweist, so kann es absolut nicht zum beweise dienen: tuggö
ist entweder erst durch metaplasmus in die n-declination ge-
kommen (dieser metaplasmus ist aber doch wol bewirkt durch
den zusammenfall einiger casus der ä- und n-declination zu
einer zeit wo indog. a und ö im germanischen nicht mehr ge-
trennt waren), oder es ist ein alter wö-stamm, bei dem in
einigen casus u berechtigt war (abulg. j^y-Ä^ kann man ahd.
zungü-n gleich setzen), und dann ist der vertust des w ana-
logisch zu erklären.
Wenn ags. cu, wie nicht zu bezweifeln, aus **ö und weiter
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QBAMlfATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 315
aus *Jcivö entstanden ist, so kann man natfkrlich auch ags. hü
dem as. hwö gleichsetzen. Der versuch von Joh. Schmidt, KZ.
32, 403, ags. hu direct mit ai. ha zu verbinden, bleibt daher
tnindestens unsicher. Zwischen wgerm. htoö und got. he be-
steht dieselbe vocaldifferenz wie im gen. plur. masc. und
anderen fällen.
m.
Zu den ^-praesentien.
Johansson hat KZ. 32, 434 ff. überzeugend gezeigt, wie im
litauischen die praesensklasse auf -st aus der dritten person
sg. aor. medü, indog. auf -to erwachsen ist. Der gedanke, dass
aus einzelnen endungen verbalsuffixe entstehen können, ist auch
in anderen fällen als berechtigt anerkannt. Ich möchte dieses
princip anwenden, um einige fälle zu erklären, in denen im
germanischen ein praesenssuffix indog. to auftritt.
Betrachtet man die beispiele für das praesenssuffix -to in
Brugmanns Grundr. 2, 1038 ff. (§ 679), so fällt es auf, wie spär-
lich sie in den einzelnen sprachen vertreten sind, so dass man
hier schwerlich von einem productiven sufflx reden kann.
Merkwürdig ist es auch hier, dass das germanische mit dem
lateinischen hand in band geht, z. b. in plectö 'flechte', ahd.
flthtu gegenüber gr. xXixoo. Hom. heisst es ^rexco 'kämmen,
scheeren', ]it.pessü, aber \dX.pecto und germ. /iA/w (vgl.Brug-
mann 2, 1039). Jedenfalls haben wir es in solchen fällen z. t.
mit neubildungen zu tun, z. t. liegt aber m. e. die 3. sg. medü
zu gründe. Aus dem germanischen ziehe ich hierher got. us-
al^an^ 'gealtert', aisl. aldenn 'gealtert', gegenüber ala 'auf-
wachsen'. Die formen mit dem ^-sufflx, die leider nur im
participium belegt sind, haben entschieden intransitiv medialen
sinn. Ein indog. *alto hätte im got. zu *aip geführt, und da-
von ist das participium aipans gebildet. Aehnlich lässt sich
vielleicht das merkwürdige verbum got. standan, siöp erklären,
neben dem sich im ahd. sten findet. Zuletzt hat sich Osthoff
um die erklärnng bemüht (vgLIF., Anz. 1, 82); er nimmt eine
besondere praesensbildung auf -net an. Diese auffassung scheint
mir mit Brugmann, Grundr. 2, 1043 anm. 2 nicht überzeugend
zu sein. Halten wir uns an die tatsachen, so steht z.b. im
ahd. neben dem alten praesens sten (stän) ein praeteritum sttwt
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816 HIBT
(arstuat WK., vorstötun, forstuotun T., gistuat, gistuatun 0). Die
3. pers sing, können wir ohne weiteres auf *stöto znrftckführen,
was abgesehen von der vocalstufe einem ai. asthita genau ent-
sprechen würde. Allerdings kommt dem aorist nicht eigent-
lich die starke Stammform zu, aber diese unterschiede im ab-
laut sind ja schon frühzeitig ausgeglichen, vgl. ahd. gitän.
Im praesens der verwanten sprachen finden wir weiter sehr
häufig einen nasal: gr. öravo}, armen, stanam, lat. desUnare,
abulg. stanetü neben statt, preuss. stanintei, adv. des part. praes.
Stand nun im germ. ein *stanö neben *stö]>, so konnte sehr
leicht der dental auch in das praesens eingeführt werden.
Es liegt natürlich nahe, auch die übrigen ^praesentien des
germanischen auf diese weise zu erklären, vor allem got. unnda,
*gatoap, doch fehlt hier die anknüpfung an die verwanten
sprachen.
Es liegt femer nahe, einige ^-praesentien aus alten aoristen
zu erklären. So z.b. got. fraliusa gegenüber gr. Xvcd, lat. solvo
aus aor. fra-lu-s-um, der ganz genau gr. Uvöa/isv entspricht
Ueberhaupt muss doch einmal die frage aufgeworfen werden,
was aus den zahlreichen aoristbildungen des indogermanischen
im germanischen geworden ist. Wenn man die zweite sing,
perf. ahd. ftier^i, ags. Ute mit recht für eine form des sogenanten
aoristus secundus erklärt, so scheint mir eine solche form in
das perfectsystem nur haben hineinkommen können, wenn in
anderen formen ein lautgesetzlicher Zusammenhang statt-
gefunden hatte. Dieser ist eingetreten im plural. Formen wie
ai. ddi^am, ddigas, ddigat, ddigäma, ddigata, ddigan hätten
wgerm. Hig, tigi, *tig, tigum, *tigiS, tigan ergeben. Die erste
pluralis fiel, aber nur im westgermanischen (got. dagam = ahd.
tagum\ mit der perf ectf orm zusammen. Sie wird den zusammen-
fall veranlasst haben. Andere fälle mögen noch sein *biti,
*bitum, ai. dbhidas, dbhidama\ ai. dsicas, dsicäma zu ^ = ahd.
sihtm] gr. iXursg, iXlxofisv, ahd. liwi, Utvum; si,dvftas,dvftäina,
ahd. tmirti, wurtum.
Nicht also der zusammenfall mit der optativform (wie
V. Fierlinger, KZ. 27, 432 meinte), ist der grund der erhaltung
der 2. sg. im wgerm., sondern weil sie in das perfectsystem
eindringen konnten, darum haben sich diese formen erhalten.
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 317
IV.
Zar ehronologie germanischer lautgesetze.
Man hat sich mit recht bemüht, nicht nur die relative,
sondern auch die absolute Chronologie der lautgesetze festzu-
stellen, die in eine vorliterarische epoche fallen. In neuerer
zeit ist man dieser frage wider verschiedentlich näher getreten,
und Streitberg hat in seiner Urgenn. grammatik an den be-
treffenden stellen verzeichnet, was sich über die absolute Chro-
nologie einzelner urgermanischer lautvorgänge vorbringen lässt
Dass man gegen das was er mit anderen anführt, begründete
einwände erheben kann, hoffe ich im folgenden zeigen zu
können, und ich bemerke nur, dass derartige bedenken schon
früher geäussert sind, vgl. Möller, KZ. 24, 508. Bremer, IF. 4, 21.
Da sie aber nicht beachtet werden, ist es nötig sie zu wider-
holen.
Bei der bestimmung der absoluten Chronologie sind wir
gewöhnlich auf die erscheinungen in lehnworten angewiesen.
Diese aber leiden an einem recht beträchtlichen mangel, denn
man muss bei ihnen mit dem wichtigen f actor der lautsubsti-
tution rechnen, und daher ist ihr zeugnis meistens anfechtbar.
Prüfen wir nun die einzelnen fälle:
1. Der germanische vocalismus ist charakterisiert durch
den zusammenfall von a und o in a, von ä und ö in ö.
Wann ist dies eingetreten?
'Die alten keltischen lehnwörter verwandeln ihr o in a,
sind also vor der zeit des wandeis von indog. o zu germ. a
aufgenommen. Vgl. Moguntiacum, ahd. Maginaa, gall. Vosegtis,
ahd. Wasconowalt, gall. Volcae, ahd. Walha. Die später auf-
genommenen lat. lehnwörter erhalten im germanischen ihr o
unverändert. Vgl. coquere, ahd. Tcochön u.s.w.' Dasselbe be-
hauptet Brugmann, Grundr. 1 \ 145.
Das beispiel beweist nicht, was es beweisen soll. Denn
angenommen, dass o schon zu a geworden war, so besassen
die Grermanen kein o mehr (vorausgesetzt, dass u noch nicht
zu 0 geworden war); sie substituierten daher ihr a für das
kelt. 0, Als später ein neues o aus t« entstanden war, konnten
sie dieses für das o der lateinischen lehnworte gebrauchen.
Es würden also diese beispiele nur zur zeitlichen bestimmung
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318 HIRT
des germ. a-umlauts von u dienen können ^ aber selbst dieses
ist nicht ganz sicher. Bei der widergabe fremder vocale
kommt nämlich vor allen dingen die eigenhöhe des yocals in
betracht. Serben, denen ich deutsche Wörter mit a vorsprach,
hörten darin ein o und gaben es demnach mit o wider, ob-
gleich sie selbst ein a besitzen, das allerdings bedeutend höher
liegt als unser deutsches a. Aehnlich war es auch früher.
Für germ. a in lehnwörtem wird im slavischen o gesprochen,
vgl. z. b. serb. grof^= graf u. v. a. Die Litauer dagegen setzen
für das slav. o noch heute ein a, weil die Litauer kein ö
kennen, vgl. lit. alyvä *olive', poln. oliva\ lit. cdtSrius, poliL ottar
*altar', lit äsil^is, klr. oset, poln. o^io? ^esel' u.s.w. mit voll-
ständiger regelmässigkeit. Man wird daher aus den germani-
schen lehnworten aus dem keltischen nicht das schliessen
können, was man getan hat. Sie sind m. e. in keiner weise
verwertbar.
2. 'Indog. ö und ä sind zur zeit Caesars im germanischen
noch geschieden gewesen, vgl. silva Bacenis, ahd. Buochunna'
Ebenso Brugmann, Grundr. 1^, 151. Im altirischen und im galli-
schen sind indog. ö und ä in a zusammengefallen. Ist dies
aber der fall, so kann in Bacenis keltische lautsubstitntion
für *Bö€enis vorliegen. Denn Caesar wird doch den namen
aus gallischem munde vernommen haben. Ebensowenig be-
weisen die lehnworte, gall. braca, aisl. brök, ahd. bruoh, Dänu-
vius, got. Dönawi, ahd. Tuonouwa. Wie hier kelt ä durch ö
widergegeben wird, so wird lat. ö durch ü ersetzt, vgl. as.
Rümuburg, In diesem falle wird wol lautsubstitntion vor-
liegen und ö f&T a kann man dann kaum für etwas anderes
halten. Es scheint mir nicht richtig zu sein, in einem falle
wie got. Rumüneis = lat. R(hnäni den einen vocal anders als
den andern zu beurteilen. Wir können aus den keltischen
lehnworten widerum nichts anderes schliessen, als dass damals
im germ. ein ä nicht existierte. Nun, dass ä aus ß erst ziem-
lich spät entstanden ist, das wissen wir, und ebenso, wann un-
gefähr das urgermanische ce zu ä geworden ist Auch hier
sei es mir gestattet, auf den bekannten Vorgang in den Ut
slavischen sprachen zu verweisen.
Das litauische kennt nur ein ö, das slavische nur ein a,
und sie substituieren dementsprechend. Man veifpleiche folgende
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GUAMMATISGHES UND ETYMOLOGISCHES. 319
fälle: lit. mozeris, mhd. maser, lit. onierszlakas 'hammei'schlag',
lit. h>Tca 'pranger', mnd. häk 'schandpfahl' ils.w. Für slav. a
steht gleichfalls ö: lit. ddvyti, klr. davyty 'umherjagend quälen',
lit. grömiata, klr. hramöta (gr. YQafifiara); lit. gronyöe, poln. gra-
nica U.S.W. So wenig man hier aus den lautsubstitutionen
einen schluss auf die Chronologie ziehen kann, so wenig ist
das im germanischen angängig.
3. lieber die Chronologie der germanischen lautverschiebung
hat Much, Beitr. 17, 62 1 gehandelt Auch in diesem falle haben
seine resultate bei Eossinna, IF., Anz. 4, 49 beifall gefunden, i)
Ebenso bei Streitberg, Urgerm. gramm. § 126. Aber man
kann sich bei dieser Chronologie nur auf sehr unsichere beweis-
punkte stützen. Zunächst kommt das wort ahd. hanaf, ags.
Juenep, aisl. hanpr gegenüber gr. xävpaßig in betracht. Much
bemerkt dazu s. 63: * diese pflanze wurde den Griechen von
0 Ich hatte diesen punkt z. b. mit im sinn, als ich Beitr. 21, 144
schrieb, dass sich Mnch auch in anderen unbegründeten pnnkten des bei-
falls von Eossinna erfreue. Es wird in den IF. ausdrücklich gesagt: 'Als
wichtigstes ergebnis der Sprachwissenschaft darf endlich die festlegnng der
enten (germanischen) lautverschiebung in die zeit um 300 y. Chr. nicht
unerwähnt bleiben.* Seitdem hat Kossinna selbst dieses datum wider um
ein Jahrhundert yerrückt (Beitr. 20, 297), und er hat auch die Verteidigung
von Muchs dentung der vOlkemamen übernommen (TP. 7, 302), wie mir
scheinen will mit wenig glück. Ich bestreite durchaus nicht, dass einzelne
v5lkemamen aus spott- oder tiemamen entstanden sein können: ich be-
streite nur, dass Muchs deutungen irgendwie wahrscheinlich sind. Sehr
charakteristisch auch für Kossinna sind die IF. 7, 304 angeführten beispiele:
Picentes (picus) 'specht' und Hirpini Qiirpua) *woW. M. e. müssten die
betreffenden stamme, wenn sie tiemamen trügen, Pici und Hirpi heissen,
und die Wamavi in Mecklenburg müssten Vami genannt sein, wenn sie
'krfthen' wfiren. Zwar könnte in dem -avi die endung der u- stamme
stecken, aber ebensogut auch das sufftz -ov, das z. t. die herkunft bedeutet.
Vamain könnten also die nachkommen eines Vam sein, und ebenso bedeutet
Hirpwi nichts anders als zu einem Hirpus gehörig. Der wichtige gesichts-
punkt, dass überall in Europa grosse geschlechtsverbände als grundlage der
Stämme existieren, und dass wir in den den namen deutlich patronymische
endungen treffen, findet bei Kossinna und Much nicht die gebührende be-
rttcksichtigung. AUerdings genügen, 'um alte völkemamen richtig erklären
zu können, nicht einmal die besten kenntnisse der lautsysteme der alten
spräche, sondern es bedarf dazu noch ethnologischer und urgeschichtlicher
kenntnisse.* Gewis. Aber sprachliche kenntnisse und richtige Vorstellungen
von dem leben der spräche sind doch die notwendige Vorbedingung, ohne
die die übrigen kenntnisse wertlos sind.
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320 HIRT
Skythien her (von wo sich ihre ciütur über Europa aus-
breitete) erst im 5. jh. bekannt: Herodot 4, 74 beschreibt ihre
Verwendung seinen lesem noch als etwas neues. Kaum früher
aber als die Griechen, die mit der nordküste des Schwarzen
meeres in lebhaften beziehungen standen, lernten die Germanen
sie kennen.' Wenngleich diese annähme nichts weniger als
sicher ist und auch mit einigem vorbehält voi^etragen wird,
so steht in der anzeige Kossinnas IF., Anz. 4, 49 schon die ^tat-
sache von der einführung des hanfes in Osteuropa im 5. jh.'
fest. Sehen wir uns diese 'tatsache' etwas genauer an. Die
betreffende stelle bei Herodot lautet: "^cti 6i ag>i (axfiO-cug)
xdvvaßig q>voiiivri iv ry x^V» nXrpf xaxvtfjxog xal ftayo^sog
T<p }ilvq> kiig>e(fearatfj' ravry dh xoXXä vjtsQ^iQSi tj xopt'oßig'
avxfj xal avTO/idTi] xal ajisiQO/iivfi g>vstcu, xal ig avt^
OQijltxeg (ikv xal ei/iava xoievvtai xolöi Xivioiöi ofioiotara,
ovd^ op, oöTig fifj xaQxa rglßatv ehj avx^, öiayvolfj, Xlvav tj
xavpdßiog icri, . . 9
Unzweifelhaft beschreibt hier Herodot den hanf als eine
in Griechenland nicht einheimische pflanze, die bei den Skythen
wild und cultiviert wuchs, die aber auch bei den Thrakern
vorkam. Denn, sagt er, die Thraker bereiten daraus gewänder,
die Skythen (so muss man ergänzen) aber nicht. Dass der
anbau erst kürzlich eingeführt wäre, davon steht bei Herodot
kein wort. Vielmehr sind die Skythen und Thraker mit der
Verwendbarkeit der hanffaser und der berauschenden kraft
der samen wol bekannt, und sie können die pflanze schon seit
langer zeit cultiviert haben. Nicht alles, was Herodot be-
schreibt, war seinen landsleuten unbekannt. Erzählt er doch
ausführlich die anschauungen, die die pontischen Griechen von
der herkunft der Skythen hatten, und liegt doch seinem vierten
buch zu einem teil eine ältere griechische quelle zu gründe. Die
art, wie Herodot hier den hanf beschreibt, ist für ihn fast
typisch und überall zu belegen.
In den südlichen halbinseln fand der hanf kein günstiges
fortkommen. Bei den Römern erwähnt ihn (nach Hehn, Cnltnr-
pflanzen« s. 187) der Satiriker Lucilius um 100 v. Chr. zum
ersten male. Wann er bei den Germanen angebaut, oder wann
^) Das ist auch heute noch der faU. Experto crede.
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QBAMMATI8CHES OK0 ETTHOLO(3hl8CäE8. ^21
er ihnen wenigstens bekannt geworden ist, darüber lässt sich
einfach nichts aussagen. Auch die nntersnchung der fände hat
nichts ergeben. Buschan sagt, Vorgeschichtl. botanik s. 116:
^In dem ganzen mittleren und westlichen Europa war die hanf-
pflanze zur jüngeren stein- und broncezeit und auch wol noch
zur eisenzeit unbekannt; das erste hänfene gewebe, das in
jenen gegenden gefunden ist, stammt nach meinen Unter-
suchungen aus der Völkerwanderungsperiode.' Indessen dürfen
wir aus dem mangel an funden nichts schliessen. Wichtig ist
eine von Hehn a. a. o. angeführte nachricht: 'Als Hiero 11. von
Syrakus, 269 — ^215 v. Chr. sein bei Athenaeus 5, 206 beschrie-
benes ungeheures prachtschiff baute, zu dem er von allen
ländem je das beste in seiner art kommen liess, wurden hanf
und pech vom flusse Khodanus in Gallien bezogen.' Es liegt
kein grund vor, mit Buschan die richtigkeit dieser nachricht
zu bezweifeln. Wenn der hanfbau spät in die südlichen halb-
inseln vorgedrungen ist, so kann dies seinen grund darin haben,
dass hier die woUenkleidung stets die linnene und hänfene über-
wogen hat. Man bedurfte daher keines ersatzes. Wie es aber im
norden gewesen ist, das vermögen wir einfach nicht zu sagen.
Aber noch etwas anderes ist zu erwägen. Allgemein und
mit recht zerlegt man die erste germanische lautverschiebung
in verschiedene acte; von diesen Vorgängen ist die Verschie-
bung der medien jünger als die der tenues. Es muss dem-
nach im germanischen eine zeit gegeben haben, in der man
X, <r und g u.s.w. sprach, in der also keine tenues vorhanden
waren. In dieser epoche hätten die Germanen für ein fremdes
* sicher ch substituiert, ebenso wie sie in Kreks ein t für jr
eingesetzt haben, weil sie kein g besassen. Das wort hanf
würde demnach nur beweisen, dass die Verschiebung der medien
noch nicht eingetreten war, als es aufgenommen wurde, es würde
also nur für diesen Vorgang chronologisch bedeutsam sein.
Ebenso steht es auch mit dem worte ^Wcdhöa. 'Sofern
Caesar von den Volcae Tectosages mit recht erzählt, dass sie
durch die grosse Keltenwanderung nach Germanien und an
den erkynischen wald geraten seien, so bestätigt sich damit,
dass jenes germanische Sprachgesetz nach dem Sigovesuszuge
in kraft getreten ist.' Muchs 'sofeme' ist es, woran alles
hängt. Caesars nachricht kann aber ebensogut falsch als richtig
B«itrig« inr geiohlohte dar deatsohMi ■pnoh«. XXni. 21
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322 fiiRT
sein. Im allgemeineii sind wir doch heute nicht so ohne wei-
teres geneigt, an diese einwanderungstheorie zu glauben, die
Caesar BG. 6, 24 ausspricht. Wir werden vielmehr mit grösse-
rem recht die Volcae in der provinz, die auf ligurisch-iberischem
boden sitzen, für einwanderer halten, und die Volcae in Ger-
manien für zurückgebliebene ansehen [vgl. jetzt Niese, Zs. f da.
42, 142 i].
Dass auf den namen VaccUus bei Caesar kein gewicht zu
legen ist, und dass in diesem falle Muchs auseinandersetznngen
unzutreffend waren, ist bereits durch v. Grienberger, Beitr.
19, 531 und durch Kossinna, Beitr. 20, 294 gezeigt worden.
Auf den nach Müllenhoff, DA. 2, 234 aus gsALpenn ^kopf
entlehnten bergnamen Finne, auf den Kossinna, Beitr. 20, 296
wider hinweist, ist natürlich ebenfalls kein beweis zu bauen.
Er könnte höchstens für die bestimmung der medienverschie-
bung in betracht kommen.
Kossinna will auch got. fairguni u.s.w. aus dem keltischen
entlehnt sein lassen (IF. 7, 284). Wir können ihn bei dieser
annähme ruhig belassen und abwarten, ob er den beifall der
fachgenossen finden wird. Ehe wir ihm glauben sollen, muss
Kossinna noch einige andere worte nachweisen, die vor der
Wirkung des Vemerschen gesetzes entlehnt sind.O
M. e. ist bisher noch kein beweispunkt angeführt, der uns
gestattete, die erste germanische lautverschiebung chronologisch
festzulegen. Allenfalls l&sst sich die Verschiebung der medien,
aber ohne sicheren beweis, ins vierte jh. setzen. Und ich
möchte in dieser beziehung auf den litauischen volksnamen
Gudat verweisen. Kurschat sagt im Wb. s. v.: 'von den hiesigen
1) Wenn sich Kossinna auf das gebiet der grammatik begibt, ist er
meistens wenig glücklich. Hier möchte ich vor allem noch die tatsache
feststellen, dass er Muchs etymologische deutungen in der hauptsache ge-
billigt hat, diese etymologischen dentnngen, deren letztes ergebnis es war,
dass Ptolemaeus seine völkemamen von herumziehenden händlern erhalten
habe, während Holz die sehr gelehrte arbeitsweise des antiken geograpben
aufdeckte. Kossinna hätte besser getan, auf seine anzeige von Holz,
Deutsche zs. f. geschichtsw. n. f. 1, monatsbl. 76 ff. nicht zu verweisen, denn
sie zeigt doch jedem der sich mit diesen fragen beschäftigt hat, dass
Kossinna in diesem punkte zum mindesten befangen ist. Ich halte Holzens
buch f ttr eine viel solidere gmndlage für weitere forschung als Muchs ety-
mologien und stehe damit nicht aUein.
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GRAMMATISCHES UKD £TTM0L06t8CH£S. 323
Litauern werden die polnischen Litauer, von den Samogiziem
aber die südlicheren Weissrussen Giidat (etwa Croten?) genannt.'
Ich brauche wol kaum auseinanderzusetzen , dass diese Ver-
mutung richtig sein kann, falls die Goten vor der Verschiebung
der medien zu tenuis an die Weichselmündung übergesiedelt
sind, was sich nach Eossinnas ausführungen IF. 7, 276 ff. viel-
leicht begründen liesse.
Zum spirantenweehsel im gotischen.
Durch Thumeysens aufsatz IF. 8, 208 ff. ist die frage nach
dem grammatischen Wechsel im germanischen, speciell im goti-
schen, au& neue angeregt. Durch den nachweis, dass sich der
Wechsel zwischen tönenden und tonlosen Spiranten in unbetonter
Silbe nicht nach der stelle des indog. accentes, sondern nach
einem ganz anderen princip richtet, sind eine ganze reihe von
Schwierigkeiten, die sich der durchf ührung der accenthypothese
entgegenstellten, auf das einfachste beseitigt, und die zweifei,
die ich in meinem Indog. acc. in betreff der verwertbarkeit
germanischer formen für die bestimmung des indog. accents
ausgesprochen habe, vollständig gerechtfertigt worden. Auch
Kluge, der in seiner anzeige meines buches Lit.-bl. 1895, s. 831
seinen Widerspruch gerade gegen diesen punkt richtete, hat in
der neuen aufläge von Pauls Grundriss die meisten früher an-
geführten beispiele für accentwechsel gestrichen.
Indessen finde ich, dass mit Thumeysens aufsatz die sache
selbst keineswegs erledigt ist Abgesehen davon dass eine
anzahl von beispielen übrig bleiben, die sich dem gesetz nicht
zu fügen scheinen, fehlt auch eine erklärung des lautphysio-
gischen und historischen Vorgangs der gleich zu nennenden
erscheinungen.
Thumeysens regel lautet: * unmittelbar hinter unbetonten
(nicht haupttonigen) vocalen erscheinen stimmhafte Spiranten,
wenn im anlaut der unbetonten silbe ein stimmloser consonant
steht; dagegen stimmlose, wenn jene silbe mit einem stimm-
haften consonanten anlautet {'tub-, aber -duf-). Stehen zwei
consonanten im silbenanlaut, so wirkt stimmloser consonant +
liquida wie stimmhafter anlaut; vgl. unten auhjödus, weitwöd-,
aber bröprähans, niuklahs. Im letzteren fall hebt also die
21*
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324 bfitt
dazwischenstehende stimmhafte liquida die Wirkung des vorhat^
gehenden lautes aul'
Hier drängen sich sofort verschiedene fragen ao^ die eine
beantwortnng erfordern. Wie verhält sich diese regel zum
Yemerschen gesetz? Hat dieses zunächst gewirkt, und sind
dann die tönenden Spiranten tonlos, tonlose tönend geworden^
oder haben wir im gotischen in unbetonten silben nur tönende
Spiranten vorauszusetzen, die dann nach tönenden consonant^n
im anlaut der vorhergehenden silbe tonlos geworden sind, oder
ist etwa das umgekehrte eingetreten? Ist diese erscheinung
speciflsch gotisch oder ist sie gemeingermanisch?
Ich will versuchen, hier einen schritt weiter zu kommen.
Ich gehe von den beispielen aus, die auch Thumeysens aus-
gangspunkt gebildet haben, den eigentümlichen bildungen auf
-ubn-, -ufn-. Es heisst fraistubni, fastübni, tcitubni, aber troZ-
dufni, wundufni,
^Ich halte hier mit Thumeysen a.a.O. und Brugmannf
Grundr. 1, 388 an der alten Sieversschen heiieitung dieses
Suffixes aus 'umni- fest, und glaube nicht, dass Joh. Schmidts
zurückführung auf -wpn- (Kritik der sonantentheorie s. 132 ff.)
viel beifall finden wird. Abgesehen davon, dass wir dieses
Suffix -upu' schwer irgendwo anknüpfen können, ist der Über-
gang von -w»- in -5n- auch in Wurzelsilben belegt, vgl. Bmg-
mann a. a. o.,*) und wir gewinnen mit der herleitung aus -tfmiit-
eine tadellose erklärung. Bei dem Übergang von m vor n in
einen Spiranten muss nun zunächst ein tönender spirant ent-
standen sein, wie ein solcher ja auch in got. stibna vorließ
In diesem falle kann der Wechsel von h und /"zweifellos nichts
mit dem Yemerschen gesetz zu tun haben, und es folgt daraus,
dass im gotischen unter der von Thumeysen gefundenen be-
dingung tönende Spiranten zu tonlosen geworden sind. Es ist
dies auch verständlich. Wurde ein wort wie wdldutni, loün-
dudni im gotischen mit starkem exspiratorischem accent ge-
sprochen, so konnte die Spannung der Stimmbänder am schluss
der zweiten silbe sehr wol nachlassen, während sie in /rm-
stubni, fastübni, tvitubni u.s.w. erst bei dem u wider einsetzen
musste, und nun das d tönend blieb.
^) Zu den dort angeführten beispielen habe ich oben s. 306 einige neoe
gefügt.
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GRAMMATISCHES UND ETTMOLOOISCHES. 825
Die e^-stämme waren im indog. wurzelbetont. Wir müssen
daher zonächst tönendes z voraussetzen. Wenn wir rimisa, agisa
finden, so erklärt sich das sehr leicht nach Thnmeysens gesetz
aus "^rifima u.s.w. Wir haben es also mit einer rückverwand-
long zu tun.
Dass auch lautgesetzlich berechtigte tonlose Spiranten
tönend geworden sind, wird sich schwerlich nachweisen lassen.
Leider sind die fälle, in denen wir im indog. betonung der
zweiten silbe eines dreisilbigen Wortes anzunehmen haben, dünn
gesät. Am sichersten sind noch fälle wie frijajnca, fiaptva, für
die ich Indog. accent s. 251 eine betonung frijdpwa erschlossen
habe, während piwadta wegen eA.dei?atvdm, g(jUrutvdm,priif(Uvdm,
russ. hozestvöy vraiestvö auf endbetonung weist.
Wenn uns nun auch die yerwanten sprachen im stich
lassen, so haben wir in den übrigen germanischen dialekten
stützen, die Thumeysen merkwürdigerweise gar nicht heran-
gezogen hat. So lange er nicht nachgewiesen hat, dass sein
gesetz auch in den übrigen mundarten gilt, so lange können
formen nicht benutzt werden, die im übrigen germanischen
eine entsprechung finden. So sind denn unsicher oder über-
haupt zu streichen: got. agisa wegen ahd. egiso, got. menöPum
wegen ahd. mänöd; auch wol got. bcyöpum wegen ahd. beide;
liuhad' wegen ahd. lioht\ naqad- wegen ahd. nahhut\ framqp-
wegen ahd. /retmdt; magaß wegen BhA.magad; zu den abstracten
auf -ifia ist jm bemerken, dass auch im ahd. -ida ganz allgemein
ist Dass jemals ein -iöa bestanden habe, lässt sich aus au]>uda,
wairpida schwerlich folgern, mtöd weicht von ahd. toizzüd
ab, doch kann hier Verallgemeinerung des Suffixes -üd vor-
liegen. Der Wechsel -üdus, -öPus ist auch im ahd. vorhanden.
Dass im gotischen h und g nicht mehr mit einander
wechseln können, ergibt sich aus der behandlung des g im
auslaut Sollte wirklich A für 9 in mittelsilben eintreten, so
müsste dieses lautgesetz recht alt sein. Indessen lassen die von
Thumeysen angeführten erscheinungen auch eine andere erklä-
rung zu, die ich Indog. acc. s. 283 schon gegeben habe. Dem
got sufflx in hairgaheiy bröPrahans entspricht das ahd.suffix -ahi,
während den got adjectiven auf ^^ ebensolche im ahd. gegen-
überstehen. Es ist nun nicht zu kühn, die got adjective wie
stainahs u.s.w, ihr h von coUectiven^ wie sie in p^M. st^nahi
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326 HIBT
vorliegen, beziehen zu lassen. Auf ainaha ist schwerlich viel
zu geben, niuklahs ist vielleicht compositum, parihs ganz un-
klar. Die encliticae -uh, -h und -hun kommen als einst selb-
ständige Worte vielleicht nicht in betracht. Lassen sich also
einerseits die fälle, in denen h im gotischen auftritt, anders
erklären als es Thumeysen tut, so bleiben andrerseits doch
zahlreiche ausnahmen mit g. gahigs und handugs konnten
sich doch schwerlich so leicht an die übrigen adjectiva auf g
anschliessen. Ahd. heisst es ebenfalls hantac. In fällen wie
sineigs, andanemeigs, gatcizneigs, usbeisneigs, waurstweigs, uniö-
deigs, audags und zahlreichen anderen könnte man ja Über-
tragung annehmen, was mich indessen nicht sonderlich befrie-
digt. Eher dürfte in erwägung gezogen werden, dass hier wie
im auslaut g auch den entsprechenden tonlosen Spiranten be-
zeichnet, das auftretende h aber, wie eben angedeutet, auf
anderen Ursachen beruht.
Thumeysens gesetz lässt aber auch ausserdem eine reihe
von ausnahmen zurück, die er selbst zusammengestellt hat,
nämlich barüeins, ubizwa, arbaidim, haubida, filigri, ttocdibim,
silübr, silubreins, frumadei, pitcadiv. Mag man auch einigen
seiner versuche, diese formen zu deuten, zustimmen, so bleiben
doch andere ganz rätselhaft, und ich möchte daher nach einem
lautgesetzlichen gründe suchen.
Nehmen wir zunächst haubida, b geht doch hier höchst
wahrscheinlich auf indog. p zurück, wenn auch das Verhältnis
zu lat. Caput, ai. kapücchala noch nicht genügend aufgeklärt
ist. Wir erhalten also eine ursprüngliche betonung haubida.
Got. ubietoa 'halle, Vorhalle' weist auf dieselbe betonung,
falls es, wie man mit Johansson, Beitr. 15, 239 und Ehrismann,
Beitr. 18, 227 f. annehmen darf, zu indog. up gehört.
Worte, mit dem sufflx -mo gebildet, sind auf dem % betont,
vgl. ai. apädnaSy a^a^nas, navinas, gr. dyx^arivog, iQv&Qivo^y
xoQaxlvoQ, ahd. magtätn, lit kaimynas, vgl. Indog. acc. s. 278.
Wir haben also vorgot. *barizeinsy *süubre%ns anzusetzen. Ebenso
\f^v piwadw auf dem ende betont, wie schon oben bemerkt ist
Dasselbe für frumadei anzunehmen hindert nichts. Wir würden
nach diesen beispielen Thumeysens regel dahin ei^änzen müssen,
dass der Übergang des tönenden Spiranten in den tonlosen nicht
eintrat, wenn der ton unmittelbar dahinter, also auf der dritten
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 327
Silbe lag. Oder wir können auch sagen: der Übergang ist nur
eingetreten, wenn seit indog. zeit anfangsbetonung herschte.
Ich glaube durch diese fassung erledigen sich noch eine
ganze reihe von fällen , die Thumeysen durch ansgleichung
erklärt.
Auf die adjectivendungen -aizi^s, -adae, -aizü will ich kein
allzu grosses gewicht legen. Da aber die adjectiva meistens
endbetont waren, und es zweifellos *pig6sy *JnzS, *piz(f geheissen
hat, so liegt eine ursprttngliche betonung hlindaieös sehr nahe.
Die endungen -ea, indog. -sai, und -da waren im indog. in vielen
fällen betont. Setzen wir dies auch für das germanische voraus,
so konnten sich niemals -sa und -Jto einstellen. Ebenso können
die angehängten Partikeln in pizöjsei, mcisei, harjisuh, andtjsuh,
wileizu den ton getragen haben, wie in anderen indog. sprachen,
vgl. ai. id'dmf gr. arkad. xm-vl 'huius', dor. l^£-f, xit, ovroa-i,
ovxl, lit. tasa^, abulg. h&to. Bei dem comparativsufflx -üa, -öza
haben wir in der überwiegenden mehrzahl der fälle lautgesetz-
lichen tönenden Spiranten, da ja ausser den sonoren nur p, t, k
oder f, p, h am schluss der ersten silbe stehen konnten. Wenn
auch dieses Verhältnis frühzeitig verwischt ist, so war doch
der tonlose spirant in mehr Allen vorhanden, als sie historisch
vorliegen.
Das schwache part. war zweifellos auf dem ende betont,
daher wären die formen wie habatd-, saJböd' vollständig laut-
gesetzlich, und das schwache praet. hat sich nach dem part.
gerichtet, falls es etwa ¥mrzelbetont war. Wenn Thume3rsen
meint, das zweite d von dedum u.s.w. sei deshalb erhalten,
weil das wort als compositum gefühlt sei, so stimme ich ihm
darin vollkommen bei. Ich habe ja schon früher, um das -e
zu erklären, eine betonung hdbaidedmn erschlossen, und es ist
klar, dass nach einem nebenton das d nicht tonlos werden
konnte.
Dass die adjectiva auf -g ihr g erhalten haben, würde sich
3benso aus der endbetonung erklären lassen, die für sie ziem-
ich feststeht, wenn man nicht den oben gegebenen ausweg
einzuschlagen vorzieht. Für die adverbialendung -ba würde
eh consequenterweise endbetonung ansetzen. Falls das suffix
nit den slavischen abstracten auf -ba zusammenhängt, würde
liese durch die slavischen dialekte gestützt, vgl. Indog. acc.
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328 HIRT
s. 285. lieber got. ainUbim, ttvalibim weiss ich allerdings nichts
plausibles zu sagen. Ich habe darfiber schon IF. 7, 131 1 ge-
schrieben. Mir scheint im gegensatz zu Thumeysen got. b
alt zu sein. Die endbetonnng ist mir nicht gerade wahrschein-
lich, wenn sie auch möglich ist Diesen rest, der sich auch
bei Thumeysen findet, muss ich also lassen. Im Übrigen er-
klärt meine fassung der regel viel mehr, so dass man ihr wol
den Torzug vor der Thumeysenschen geben wird. Entgegen-
stehende Instanzen wfisste ich nicht anzuführen. Wir werden
also das gesetz so fassen: lag seit indog. zeit der accent auf
der ersten silbe, so gehen im gotischen die lautgesetzlich ent-
standenen tönenden Spiranten in unbetonten mittelsilben in
tonlose aber, wenn im anlaut der unbetonten silbe ein tönender
laut steht.
Im weiteren mag diese erscheinung auf demselben princip
beruhen, wie die spätere synkopierung der mittel vocale, die
man sich doch vollzogen denken muss durch einen Übergang
der vollstimmigen vocale zu tonlosen durch die murmelstimme
hindurch. Nur ist das gotische auch in diesem punkte seine
eigenen bahnen gewandelt.
Thumeysen lässt es im zweifei, ob dieses gesetz auch in
den übrigen germanischen dialekten gewirkt habe. Es ist sehr
schwer, hier ein sicheres urteil abzugeben, da einigermassen
isolierte formen selten sind. Es heisst ahd. sceffid 'schöpf er',
aber leitid 'führer' und helid 'held'; gegenüber got. atoepi aus
*aweffi steht B\ii,etvit, outmti; es heisst egiso, Hgs.byres 'bohrer',
ahd. burissa, ags. lynes, and. lunisa 'wagenlünse', ahd. huUsa
'hülse', mhd. bremse 'hemmschuh', aber auch sJangura, skngira
'Schleuder', doch lässt sich gerade hier das auftreten des ton-
losen Spiranten erklären.
Im allgemeinen bin ich nicht geneigt, die gotische regel
auf die übrigen germanischen dialekte auszudehnen, doch ist
hier noch nicht das letzte wort gesprochen.
In einer beziehung bedarf Thuraeysens beobachtung wol
auch noch der berichtigung. Der gegensatz von auhjödus,
toeittcödr und brqPrahans, niuklahs ist vielleicht nur zufällig.
Die beiden letzten fälle sind, wie ich sehe, die einzigen, auf
die sich die regel, dass tonloser laut + liquida wie tönender
anlaut wirkt, gründet. Wir haben aber oben angenommen,
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 329
dass g and h überhaupt nicht dieser regel unterliegen, und so
wird man diese beschränkung ablehnen dürfen.
In einer anmerkung kommt Thnmeysen auch auf die frage
nach der behandlung der auslautenden Spiranten zu sprechen,
eine frage, die ja in mehr als einer hinsieht wichtig ist.
Die gotischen auslautenden -s sind zum grossen teil erst
aus tönenden entstanden, und da auch im nordischen im nom.
sing, durchweg r erscheint, so nimmt man wol an, dass einst
die meisten auslautenden -s des germanischen tonend gewesen
sind. Es fragt sich dabei nur, ob sie es lautgesetzlich oder
durch analogische beeinflussung waren. Der fälle die hier zur
entscheidung in betracht kommen, sind wenige, und zwar in
erster linie die lautverbindung -rs. Bekanntlich stehen wir
in der frage, wie diese im got. auslaut behandelt wird, noch
vor einem ungelösten rätsei. Teils schwindet nämlich das
nominativ-^, teils bleibt es. Ohne eine reihe von analogie-
bildungen kommen weder Brugmann noch Braune aus.
An und für sich liegt es sehr nahe anzunehmen, dass rs
blieb, re aber zu r wurde, denn mit einer assimilation haben
wir es entschieden zu tun.
1. 'TS bleibt in akrs m. *acker', gr. oYQoq. figgrs ^finger'
wird doch wol mit pefJc»e '5' zusammenhängen, und weist also
auf *p€nkr6s. Die adjectiva auf -ro dürfen wir als endbetont
ansetzen: härs, lat. cärus (ai. cärush ist nicht damit zu ver-
binden), indog. *karös, skeirs 'klar, stvörs 'geehrt', gdurs 'be-
trübt', ai. ghörds 'schrecklich', hlatrs 'lauter, rein'. Gen. sing.
fadrs, gr. xazQog. Doch ist dieser fall natürlich unsicher.
2. -rz wird zu r. anpar 'zweite' lässt eine betonung an-
Parcus erschliessen, ebenso toapar, gr. xotsQoq. fidwGr, ai. cat-
vdras. stiur 'stier' Neh. 5, 18 hängt zweifellos mit gr. ravQog
zusammen. Genauer entspricht ai. sthdviras 'dick, derb, voll-
wüchsig'. Der accent von baür lässt sich nicht bestimmen.
Als einzige ausnähme bleibt tvair übrig, dem im indischen
virds gegenübersteht. Auf lit. vyras ist wegen des stosstons
nichts zu geben, es kann aus *vyr(is entstanden sein. Diese
ausnähme würde in einem ganz anderen licht erscheinen, wenn
auf krimgot. fers 'mann' sicher zu bauen wäre. Hier wäre
tatsächlich das -s erhalten, das im gotischen aus unbekannten
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330 HIBT
gründen verloren sein müsste. Aber dies wort gehört schwer-
lich zu got. ivair. Man darf zur not auch eine betonung viras
ansetzen, die sogar wahrscheinlich wird, falls der bettlemame
\og in der Odyssee gleich viros wäre.
VI.
Zu den germanischen lehnworiern im BlATisehen
und baltischen.
Welch grossen einfluss die germ. dialekte auf die baltisch-
slavischen ausgeübt haben, ist im allgemeinen bekannt. Kluge
hat in Pauls Grundr. 1, 321 zuerst wider auf dieses wenig be-
achtete capitel hingewiesen. Seitdem hat Uhlenbeck die
germanischen Wörter im altslavischen im Arch. f. slav. phil. 15,
481 ff. noch einmal zu sammeln versucht, indem er den älteren
versuch von Miklosich, Die fremdwörter in den slavischen
sprachen (Denkschr. der kais. akademie d. wiss. zu Wien bd. 15)
ergänzte. Ich kann aber auch diese letzte arbeit aus ver-
schiedenen gründen nicht für abschliessend halten. Denn
erstens hat Uhlenbeck in seine liste nur solche Wörter auf-
genommen, die auf grund lautlicher kriterien zweifellos entlehnt
sind. Die bei denen diese kriterien versagen, fehlen. Nun
sagt uns aber die Wahrscheinlichkeitsrechnung, dass auch von
den Wörtern die lautlich genau übereinstimmen, viele entlehnt
sein können, ja, dass sie mit derselben Wahrscheinlichkeit von
V2 unverwant und entlehnt sein dürften. In solchem fall
werden erst andere gründe die wagschale nach der einen oder
anderen richtung sinken lassen. In dieser beziehung möchte
ich seine ausführungen ergänzen. Zweitens mangelt uns aber
eine lautlehre der germanischen lehnwörter, und auch in diesem
punkte will ich versuchen, einiges hinzuzufügen.
Als sichere kriterien der entlehnung kommen nicht allzu
viel in betracht. Das slavische ch für germ. h ist das wich-
tigste. Das slavische ch bezeichnet zweifeUos einen reibelaut
Man darf aber daraus nichts für die natur des germ. h er-
schliessen. Denn noch heute setzen die Russen für unser k ein
X ein. Ausserdem verdienen die gutturale aufmerksamkeit Wo
die baltisch -slavischen sprachen den verschlusslaut an stelle
des Zischlautes zeigen, da ist in den meisten fällen entlehnmig,
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GRAMMATISCHES ÜKB ETYMOLOGISCHES. 831
wenn auch nicht gerade immer aus dem germanischen anzu-
nehmen. Ich kann hier meine speciellen gründe, die sich auf
eine Untersuchung der indog. gutturalreihen stützen, nicht
näher ausführen. Hier genüge die bemerkung, dass die über-
wiegende anzahl der Wörter mit verschlusslaut in der (-reihe
ohne jede Schwierigkeit als entlehnt angesehen werden kann.
Oft zeigen auch die slavischen und germanischen Wörter die-
selbe articulationsart, die nicht auf eine indog. einheit zurück-
gehen kann. Man hilft sich hier mit der annähme von indog.
Wechsel von media und tenuis, vielfach gewis ohne genügenden
grund. Die Vermutung der entlehnung ist mindestens mit in
betracht zu ziehen.
Bei der frage der entlehnung dürfen natürlich die baltisch-
slavischen sprachen nicht als eine einheit behandelt werden,
da wir es mit ganz verschiedenen epochen zu tun haben.
A. Die germanischen lehnwörter im altslavischen.
Äbulg. almuztnOy neuslov. cUmozna, kroat. cdmuzno ist aus
dem deutschen entlehnt, und zwar erst zu ahd. zeit, da dem
got. das wort mangelt, dafür armaiö. Auch im abulg. heisst
es gewöhnlich milostyni, almueXno stammt aus einer öechischen
quelle. Ahd. dl ist deshalb auch durch al und nicht durch la
widergegeben.
khviüg.hediti 'zwingen', serb.fce/edi^i 'accusare', russ. ftedtW
aus got. haidjan. Nach Uhlenbeck, Et. wb. s. v. urverwant. Die
genau übereinstimmende bedeutung scheint mir für entlehnung
zu sprechen. Lit. haid^ti heisst 'scheuchen' und ist wahrschein-
lich urverwant.
Serb. hoky hoka, russ. hohü, böka 'seite' aus got. *bak', ahd.
bah, aengl. basc 'rücken'.
Abulg. boU 'krank', bolX 'krankheit', serb. böl, boli, boleti
'leiden', got. bälwjan 'quälen'. Die möglichkeit der entlehnung
möchte ich offen halten.
Serb. boTy böra (iora), russ. borü, böra 'föhre', ags. bearu
'wald, hain'. Nach Uhlenbeck urverwant.
Abulg. braSl^no 'speise', serb. brasno, russ. dial. borosno
'roggenmehr, goi.barieeins. Urverwant nach H.Pedersen, IF. 5, 54.
Abulg. briwü, serb. brav, russ. borovü aus germ. "^barw-, vgl.
ahd. barug, barh, an. b^gr.
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332 HIBT
Ahvlg.bregü 'ufer', serb. brtjeg, russ. beregü, got. bairgakei.
Nach ausweis von arm. bardar 'hoch', avest. bttr^ant hatte das
wort palatal, and ist deshalb als entlehnt anzusehen. Nach
Uhlenbeck urverwant.
Abolg. bregq, * bewahre, behüte', got. bcUrgan. Urverwant
nach Uhlenbeck und anderen.
Abolg. celü, serb. cio, äjela, russ. celü, celd, got. hails, apr.
kaüüstikan. Urverwant nach Uhlenbeck. Mir ist die gleiche
bedeutung im germ.-slav. trotz Brugmann, Die ausdrucke für
den begriff der totalität s. 41 ff., verdächtig, vgl. abulg. celavati
'grüssen, küssen' mit ags. hälettan, aisl. hetUa 'grüssen'.
Abulg. öreda 'reihe, tagesfolge, herde', got. hairda *herde',
ahd. hetia 'Wechsel'. Vgl. lit. hefdiius aus got hatrdeis. Nach
Uhlenbeck urverwant. Die sippe hatte aber palatal, vgl ai
gdrdhas 'schar'.
Abulg. cremü 'zeit', ahd. chräm, Kluge, Grundr. 2 a.a.O.
Sie gehören wol nicht zusammen. Man erwartete *kremu.
Eher aus ahd. scinn, scerm, mit dem es nach Joh. Schmidt,
Verwantschaftsverh. s. 41, urverwant ist. Doch ist auch dies
sehr unsicher. Anders, aber nicht überzeugend, Johansson, IF.
8, 171, der ahd. chräm wol richtig mit ai. grdmor verbindet.
Abulg. delü 'teil', serb. dio, cttjela, got. daiU f. 'anteil',
abulg. deliti 'teilen', got. dailjan. Nach Uhlenbeck und Elnge,
Et. wb.* s. V. teil urverwant, was jedenfalls nicht zu be-
weisen ist.
Abulg. dlUgü 'schuld', serb. düg, düga, russ. dolgii, ddlgoj
got. dulgs. Die bedeutung spricht mir für entlehnung. Ui-ver-
want nach Uhlenbeck.
Abulg. dolü 'loch, grübe, tal', got. dal n. 'tal'. Urver-
want nach Kluge, Etwb.^ s.v. thdl. Die bedeutung stimmt
überein gegenüber gi\ »oXog.
Abulg. d/ruzutdü 'kühn', drumti 'kühn sein', got. gadaürsan
'wagen'. Das slavische z kann nicht aus slavischen laut-
gesetzen erklärt werden, wol aber aus germanischen. Anders
Nehring, IF. 4, 401.
Abulg. dunavi, duttaj 'Donau', got. *D0navi. Müllenhoff,
DA. 2, 362 ff.
Abulg. gifsi, ahd. gans, got *gans, vgl. lit. iq^ mit palataL
Entlehnt nach Kluge, Et wb.* s. v. Brugmann, Grundr. 1, 345.
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GltAMlUTlSCHES UND ETYM0LOOI8CHBS. 333
Euss. glaiü ^auge', mhd. glaren. Nehring, IF. 4, 102.
Abolg. godU 'gfinstige zeit', gocKnü 'angenehm', ahd. gigat
'passend'. Nach Kluge, Et. wb.* s. v. gätlich urverwant.
Abulg. gosti^gasV, got. gasts. Das slavische wort hat die
bedeutong des germanischen gegenüber lat. hosHs. Urverwant
nach Kluge, Et. wb.* s. v. gast
Abulg. ^ojfpoeß; vielleicht aus got. *gastifa]>s, vgl. Isit hospes.
Dass der zweite teil des rätselhaften slavischen Wortes mit
*potis zusi|,mmenhängt, hat man längst vermutet, aber das d
blieb unerklärt. Vielleicht hilft also die annähme von ent-
lehnung aus dem germanischen.
Abulg. gradü, serb. gräd, gräda, russ. gorodü, goroda, got.
gards. Für diese auch von Uhlenbeck angenommene, aber
häufig bestrittene entlehnung sprechen vor allem die composita
abulg. vinogradü, got toeinagards, abulg. vrutogradü, got. aürti-
gards, aürti stammt ja selbst erst aus lat. horti, so dass in
diesem falle die entlelmung zweifellos ist.
Abulg. grebq,, got. grc^n, abulg. grobü 'grab', ahd. grab.
Sind eher als urverwant aufzufassen.
NsL gredel, kroat. gredelj 'pflugschar', russ. gradilX, ahd.
frindel, grindil 'obex, pessula'. Wird auch zu abulg. gr§da
trabs' gezogen. Entlehnt nach Miklosich.
Abulg. chotafi 'limus', ahd. huntari 'abteilung eines gaues'.
tf iklosich, Et. wb. s. 86. G. Meyer, Alb. stud. 3, 48.
Abulg. ehlochotati 'strepere' vielleicht aus got. JUahjan; s.
Üeyer a.a.O.
Abulg. chrabrü 'krieger', serb. chrdbar, chrdbra, chrdbro
lus got ^harva- 'herb' nach G. Meyer a. a. o. Das ist kaum
ichtig, da das got wort *ehravü ergeben hätte. Nach H. Pe-
ersen, IF. 5, 63 ist es nicht entlehnt. Ob aus got ga]>rafstjan?
r zu ehr wie in abulg. chrqsd 'käfer' aus goi. pramstei,
Abulg. chrutü 'hund', serb. chX-t, chrta, klruss. chort, chörta,
hd. rt$d(e)o, got. *hruj)ja, ags. hryööa. Der anlaut Ar ist für
as germanische nicht gesichert, wird aber durch das slav.
^stgelegt.
Slov. chrup 'tumult', got hröps 'geschrei'. Uhlenbeck,
eitr. 20, 38.
Abulg. mu 'ein', got am und abulg. ishati, \it jeisigJcoti, ahd.
scön sind nach gewöhnlicher annähme urverwant. Doch sind
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334 HIRT
dies, wie mir Brugmann mitteilt, vgl. jetzt Berichte d. k. sächs.
ges. d. wiss. vom 6. febr. 1897, s. 37, die beiden einzigen f&Ue, in
denen indog. ai im slavischen anlaut durch i vertreten siad,
während die regelrechte Vertretung ja ist. iskaü ist auch
wegen der behandlung des gnttnrals verdächtig, vgl Bmg-
mann, Grundr. 1, 306 anm., und inü, wofilr die Slaven sonst jedmü
'eins' gebrauchen, kann der kirchlichen terminologie entnommen
sein, vgl. inocqdü ' /iovoysvi^g' = got. ainabaür (baür 'das kind'
= slav. c^ü 'kind').
Buss. iva, serb. wa, ahd. ttca. M.
Abulg. kladq. 'lege, stelle', got. hlapan. Die urverwantschaft
ist nur möglich bei der annähme von Wurzelvariation, vgL
Uhlenbeck unter af hlapan, Kluge, Et. wb.* s. v. laden.
AhvHg.ionoplja, got.'^hanaps, \9,tcannabis, gr. xavvaßiq. M.
Abulg. kotora 'kämpf, mhd. hader 'zank, streit', vgl. aL
Qatrush. Nach Kluge, Et. wb.* s. v. urverwapt.
Serb. krty krta, russ. krotü, krotd 'maulwurf ', ahd. ckroia,
ckreta 'kröte'.
Serb. krap, russ. koropü, ahd. karpo 'karpfen'.
Abulg. krüzno 'vestis pellicea', ahd. chursina. M.
Abulg. kupuy serb. Icup, kupa, lit. kaüpas, ahd. kauf, vgl
Kluge s.v. häufen.
Abulg. kurüva, got. Viörwa- von hörs. Entlehnt nach Uhlen-
beck s.v. hörs und Kluge s.v. hure.
Abulg. lajg, 'belle, schmähe', got "^laian 'schmähen'. Unsicher.
Abulg. Ig^ta, mhd. lan^^e, lat. lancea. M.
Abulg. IM^ 'betrug', lisHti 'betrügen', got. li^ts. Nach
Uhlenbeck kann das abulg. wort entlehnt sein. VgL noch Kluge
s.v. list
Abulg. Hvü aus got. ^liwa-, ahd. leo, lewo. Abulg. Vivu kann
nicht aus lat leo stammen. Als lehnwort aus dem got., in dem
leo zu Hiwa- werden musste, wäre es verständlich.
Abulg. lice, serb. lice, russ. lico 'antlitz', aus Hikiom zu got
leiks. zülo-likü 'boshaft' = got. -leiks; Uhlenbeck s. v.
Abulg. likü ' Chorus', likovati, got. laikan 'salire', got laiks,
lit. aber Idigyti 'wild umherlaufen'. Das slav. wort entlehnt
nach M.
Aruss. Ubumti 'osculari', ahd. lefsa M.
Abulg. Ijuhu, got. liufs, abulg. Ijuhy = got Hiubö. Urver-
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GRAMMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 335
want nach ühlenbeck. Nach Kluge, Et. wh.^ s. v. lieb entlehnt.
Doch geht seine ansieht nicht ganz deutlich aus seinen worten
hervor.
Abulg. Jjudü, Ijudfje, ahd. Hut Urverwant nach Kluge, Et.
wb.* s. V. leute.
Abulg. losi *mager', serb. los ^schlecht', got. Umt/os, Nach
Joh. Schmidt, Verwantschaftsverhältnisse s. 39 und Ühlenbeck
s.v. urverwant.
Abulg. lügati 4ügen', föiT, serb. läzi, lazi, russ. loü, Ui.
Urverwant nach Ühlenbeck.
Abulg. lug 'lauge', ahd. huga M. *lauge\ Nach Kluge s. v.
lauge urverwant.
Abulg. m^o, got. mimz. An entlehnung denke ich wegen
der betonung serb. meso, vgl. vert Indog. accent s. 140, und weil
auch Wörter wie got. hlaifs, müuks, biuds entlehnt sind.
Abulg. menüi 'meinen', ahd. meinen. Nach Kluge ur-
verwant.
Abulg. meru, got. mers. Urverwant nach Ühlenbeck. Vgl.
aber die Verwendung in namen wie Vladimerü.
Abulg. misa 'patina', got. m€3, ahd. meas, mias. M.
Abulg. najuda, got. mizdö m. Urverwant nach gewöhnlicher
annähme. Man erwartete bei directer entlehnung *m^dy. Doch
ist das wort in einzelnen germ. dialekten, wie ursprünglich
überhaupt, starkes femininum.
Abulg. mog^, got. mag, abulg. mosti, serb. möc, m'oci, russ.
gen. moöi, got. mc^ts. Die sippe hat palatal. Vgl. apreuss.
massi. Urverwant nach gewöhnlicher annähme.
Abulg. mora 'incubus', serb. mora, ahd. mara, M. Urver-
want nach Kluge, Et. wb.^ s. v. mahr. Doch vgl. das aus dem
germ. entlehnte frz. cauchemar 'aipdrücken'.
Abulg. mruzeti, mrüenqti 'verabscheuen', got. marzjan 'är-
gern, anstoss geben'. Entlehnt wegen des z aus einer form
mit aÜTy die vielleicht in nhd. murren, nl. morren 'murren'
vorliegt.
Abulg. münogu, got. manags. Nach Ühlenbeck urverwant.
Doch erwartete man im slav. manogü.
Abulg. n^prijazn^ ist die Übersetzung des ahd. ut^ld, und
wol erst mit der kirchlichen Übersetzungsliteratur zu den Slaven
gekommen.
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336 HIBT
Abulg. olü 'sicera', lit. (Ms, an. qI, ags. eälu. M. Eloge
8. V. hier,
Abulg. orqkdije 'negotium, instrumentum, apparatus', ahd.
ärunti. M.
Abulg. osl^lü, got. asiltis, M.
Abvlg. pl^ati, got. plinsjan 'tanzen'. Wahrscheinlich ans
dem slav. entlehnt.
Serb. pir, pira 'hochzeit', russ. pirü, pira 'schmaus', ahd.
ßratac.
Abulg. plakati 'sich die brüst schlagen', got. ikikan 'be-
klagen'.
Serb. pldtno, russ. pohtno 'leinwand', mhd. valie st. swt
u. a. 'tuch zum einschlagen guter kleider'.
Abulg. o-pona 'verhäng', got. fana m. 'stück zeug'.
Abulg. pram 'navis genus', ahd. faram, M. Nach Eloge
s. V. prahm urverwant.
Ahxdg.prijati 'günstig sein', gotfrijön, Bibvlg.prijateU, ahd.
friudil, got. *frijöjnls, abulg. prijagni, got. '^frijöjms,
Abulg. kroat. j>rud m. lucrum', mhd. frtwt 'gedeihen, klugheit'.
Abulg. rohü 'termin', serb. rök, roka, russ. gen. röka, ags.
racu, as. raka, ahd. rahha 'rede, rechenschaft, sache'. roku
scheint allerdings zu abulg. rekq, 'sagen' zu gehören. Aber
rektjt gehört wol mit ahd. rehhanön zusammen, die man nur
unter der annähme von wui-zelvariation vereinigen kann.
Abulg. sraka, sraky f. 'tunica', mlat. sarca^ an. serhr (st.
^sarki-\ ags. serce (st. *sarkjön-)j got. *sarku, M.
Abulg. Ä^eHTca 'unfruchtbare kuh', got. ^totr^ 'unfruchtbar',
vgl. nhd. stärke. Urverwant nach Ulilenbeck.
Abulg. stena 'mauer', serb. sHjena, russ. stenä, got. stams
'stein'. Urverwant nach Uhlenbeck. Vgl. aber abulg. stenSnü
'steinig, felsig', got. staineins.
Abulg. siKklo 'vitrum', serb. stäkloy got. stikls m. 'becher,
kelch'. M. Uhlenbeck spricht sich jetzt Beitr. 22, 191 für slav.
Ursprung des wertes aus, aber kaum mit recht, da i als Schwä-
chung von e im slavischen zwar einige male vorzuliegen scheint,
aber absolut nicht als bewiesen gelten darf. Gewis ist ent-
lehnung aus dem slav. möglich, aber kaum zu beweisen.
Abulg. svekrü, svekry, got. swathra, swaikrö. Nach gewöhn«
lieber annähme urverwant. Schwierigkeiten bereitet der slav.
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OBAMMATI8CHES UKD ETTMOLOOI8CHE8. 337
verschlusslaut, für den wir Zischlaut erwarten. Doch sprechen
schwerwiegende cultorhistorische grfinde gegen die annähme
von entlehnnng, wenngleich die herübemahme von yerwant-
schaftswörtem nicht unerhört ist.
AhvHg. ätuicK, serb. tüdj, tudja 'fremd', gotpiuda. M.
Abulg. ireha 'negotium', trebü 'notwendig', trebovaii 'be-
dfirfen', got. paurban, ahd. durfan. Urverwant nur bei der
annähme von wurzelvariation. Doch ist die stufe J^erlh im
germanischen nicht belegt.
Abulg. vcdiii, got. afwaitvjan 'abwälzen'. Urverwant nach M.
Abulg. varovati sg. 'cavere', got. f4?arei 'cautio'. M.
Abulg. vedro n. 'gutes wetter', aengl. weder, ahd. toetar
'wetter', faUs man dieses mit abulg. vetrü 'luft, wind' vergleicht.
Abulg. Vera 'glaube', serb. vjera, russ. vera, got. tt/unverjan.
Urverwant nach Uhlenbeck.
Abulg. veSfi 'ding, sache', got. waihts f. 'ding, sache'. Ur-
verwant nach gewöhnlicher annähme.
Abulg. vladif, got. tvdldan. Von Uhlenbeck wird die ent-
lehnung bezweifelt. Fttr frfthe entlehnung Kluge, Et. wb.^ s. v.
walten.
Aaerh.vlachü, serb. vtach, vücha, TUSS.vol6€hü, volöcha, ahd.
walah. M.
Serb. vldkno, russ. voloknö 'flachs', vielleicht aus ahd. wdl-
chan 'schlagen, prügeln, walken', vldkno 'das geschlagene', vgl.
den flachs bliuwen.
Abulg. vosa, serb. ösa, lit. vapsä, ahd. wafsa gegenüber lat.
vespa. Gewöhnlich als urverwant angesehen.
Abulg. voshü, lit. väszkas, ahd. tvahs n. Vielleicht entlehnt
nach Kluge s. v. wahs.
Abulg. vünuhu 'enkel', ahd. enenkel Das abulg. wort führt
auf ein *anökas zurück. Auffällig ist das k
Ich fuge nunmehr eine kurze Übersicht der Wörter hinzu,
die Uhlenbeck behandelt hat, wobei ich aber von seinen bei-
spielen aus ahd. zeit absehe.
Ahvlg,bljudo, bjjudü, gotbiups; brady, germ. *&ardj 'Streit-
axt'; brüdo, russ. berdo, got. baurd] bugü, ahd. boug; buky, got.
"^bökö; c^ got. hintus'^ cüari, kaisar; crOky, ahd. chiriMui, i^,
ahd. chind] chabiü se 'abstinere', ochaba 'eigentum', got haban-,
BeltrSff« inr gMobioht« dn dratMlMB qprtob«. XZin. 22
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388 HIBT
serb. charati ^spoliare, devastare', an. hetja; abulg. chqdogu, got.
handugs] abulg. chladü 'kühle' stammt nicht aus germ. *kalda;
cMaM 'caelebs', got. halks 'arm', -chlastati 'frenare', ahd. Mast;
chlibü, got. hlaifs] chlivü 'stall', chlevina, got. *hlaifos, hlija;
chhyaH, *ft&fan] Müma, an. holm] abulg. chmeU 'hopfen', an. hunUi,
humall; charq^gy, got hrugga; chrqäVi 'käfer', ffAupramstei] 6ech.
chvüe 'zeit', poln. chmla, got. heila; chvrastü 'wald, eiche', ahd.
hörst; chy£fü, got. hüs; dumati 'denken', duma 'rat', gotdifmjan,
dlhns; glumü^sceji&\ gluma 'Unverschämtheit', BJi,glaumr; go-
Kdgü, gotgabeigs; godavabtf ^^ide\ shi. gotawebbi; gonesii,
gofOsti, goniznati 'errettet werden', got. gamsan; gonosnti, ga-
nctsjan; gonitijgotganah?; gorazdü, got,*gar€Ufds; gotavü, got
"^gataws, gataujan; kale£i 'kelch', Jdad^y got *kaldigga; hratt,
karl; Jco^lU, katils] kupiti, got. "^kaupffn; ktmii 'kosten', kausjan;
kün^gü, kunqdei, kuning; lekü, got Ukeis; lichva 'wucher', got.
leihan 'leihen'; abulg. hky 'lache', ahd. lahha; lukü, ahd. huh;
mXcX, got,mekeis\ mUko; gotmiluks; abulg.myto 'lohn, gewinn',
got. möta; navi, got. na^us; nuta 'rind', an. naut; odtü, akeii;
pen^gu, *penning\ pigy 'feige', goi.'^feigö; 9\xfalg. ploskyy ahd.
fidsca; pluguy 9M.pl6gr\ plikhü, a\ii.pilih; plükü, ahd. /!>2r;
posiü, ahd. fasta; raka 'grab', *raky, got. *arkö; *raty, *ratlo;
*sakü, got. sakkus; skotü 'vieh', got skcUts; skutü, got. skauts;
smoky, got "^smakkö (smakkä); sokü 'ankläger', got. sakan;
strüku, B3i.st(>rkr; sytü, gotsö]>s; iUmn, got hilms; abulg. j^tru,
got. skeirs] tynü, an. tun; user§gü, got. aasahrigga; van^t 'ante-
vertere', got waijon; varovaft 'hüten', got wars, warei, tcatjan;
veHhqdü, goi. ulbandus; vino 'wein', gotu^ein; vinogradü, weina-
gards; vrüi^, goLaurkeis; trtl^t^ 'garten', vrutograäü, got atir/i
gards; iUdq,, got. gildan.
Zweifellos wird sich diese liste noch vermehren lassen.
Was ich angeführt habe, sind teils offenbare lehnwörter, die
von Uhlenbeck nur übersehen sind, teils andere, bei denen die
frage, ob sie entlehnt sind, mindestens aufgeworfen werden
muss. Ich will durchaus nicht behaupten, dass wir in allen
fällen gezwungen wären, dies zu bejahen.
Die grosse zahl der germ. worte im slav. mag billig in
erstaunen setzen. Sie weisen nicht auf einen blossen grenz-
verkehr hin, sondern darauf, dass viele Slaven germanisch ge-
lernt haben, und nun die deutschen Wörter in ihre rede mischten.
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GRAMMATISCHBS UKD ETYMOLOGISCHES. 339
Vgl. Aber diesen ponkt Windisch, Zur theorie d. mischsprachen
und lehnwörter, Ber. der Sachs, ges. d. wiss. 1897, 101 ft Man
kann, glaube ich, ohne allzu grosse kühnheit annehmen, dass
einzelne slav. stamme direct unter der herschaft der Goten
gestanden haben, als diese nach dem Schwarzen meer vor-
drangen. Umgekehrt wird es dadurch auch verständlich, dass
sich keine slav. lehnwörter aus alter zeit im germ. finden.
Wir werden gut tun, nunmehr die regelmässigen laut-
entsprechungen zusammenzustellen, bei denen noch manches
unklar ist. Dabei nehme ich Uhlenbecks material mit auf.
Vocalismus.
1. Got. ö ist slav. durch « vertreten: got. *6^to, abulg.
huky\ got. döms, abulg. dumati\ got. *I)önavi, abulg. dunav^;
gothröps, sioY.hrup] gothihrs, abulg. Ä^ruva; BM.phluog, an.
plögr, hhvlg.plug; JXiM.fruot, kroatjprMd.
2. Got. ö ist slav. durch y vertreten, zunächst in der
endung y = got, ö^ worüber Möller, Beitr. 7, 487 gehandelt hat.
Vgl. abulg. crüky, rdky, brady, loky, buky, svekry. Setzt man
buky = got. *bökö, so springt die eigentümliche differenz in
der behandlung der beiden eF in die äugen. Den grund kann
man in verschiedenen momenten sehen. Entweder sind in-
und auslaut verschieden behandelt, oder die beiden ö des
gotischen waren verschieden. Dürften wir für das gotische
eine nasalierte endung ansetzen, so wäre alles in Ordnung.
Aber nach meiner auffassung der auslautsgesetze geht das nicht,
wol aber müssen wir (^ für das westgerm. und nordische an-
nehmen. Ein solches hätte zweifellos im slav. zu y geführt.
Auch in Wurzelsilben tritt y für er ein in abulg. myto,
?ot. möta. Ahd. heisst es aber müta 'abgäbe'. Und das wort
könnte auch aus diesem dialekt stammen oder aus einem
inderen, in dem ö zu u geworden war. Dazu darf man wol
nit UMenbeck sytü aus got. söj^s herleiten. Ein ü ist in dieser
Wurzel sonst nicht nachgewiesen, und rein lautlich lässt sich
las slav. y schwerlich erklären. Dies müsste jedenfalls später
entlehnt sein aus einem dialekt, in dem germ. özau geworden
var, vgl. die Schreibung a für er der bibelhandschriften des
fotischen.
3. Ob germ. ö durch a vertreten ist, ist sehr zweifelhaft.
22*
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340 ftmt
Man wird zugeben müssen, dass abolg. pläkati nnd prijati nicht
entlehnt zu sein brauchen. Jedenfalls müssten diese beiden
ans sehr früher zeit stammen.
4. Wie ö wird auch au behandelt. Ihm entspricht regel-
recht slav. fi. Ahd. houc, kroat. hugü, got. TcaupGn, abulg. kupiti;
got kausjan, abulg. kasiti, ahd. louh, abulg. luk; ahd. nöz, abolgr.
nuto; got^X^fito, abulg. ^^^; got. ati^a, abulg. u^er^; abulgr.
glumü, an. glcmmr. Hier fragt sich, lag im gotischen schon o
vor, oder ist im slav. au direct zu u geworden durch laut-
substitution, oder fällt der Übergang des slav. diphthongen ou
in ti in die zeit nach der entlehnung. Eine antwort ist schwer-
lich zu geben. Mit der annähme der letzten möglichkeit muss
man sehr vorsichtig sein, da ja ö durch ü widergegeben wird,
was nur eine lautsubstitution sein kann.
5. Grot. u wird slav. zu y. Got. hus, abulg. chym, ags.
tun, got. *tan, russ. tynü, serb. ^tn; gotpüsundi, abulg. tysqsü,
6. Germ, u wird slav. zu u in abulg. brunaHnü, ahd. brun;
abulg. strujsü, ahd. strUz; poln. russ. serb. slov. ruta, ahd. ruia;
diese Wörter müssen einer jüngeren schiebt angehören als die
ersten, was ja durch strujsü sicher erwiesen wird. Ausserdem
könnte man schliessen, dass zur zeit, als jene entlehnt wurden,
entweder slav. a noch nicht zu y geworden war, oder ou noch
nicht zu u. Falls nämlich kein ü bestand, wurde y für u sub-
stituiert. Aber beides könnte auch täuschen, da y im munde
der Slaven dem germ. ü vielleicht näher lag, als das aus au
entstandene u. Und schliesslich könnten auch verschiedene
accente in betracht kommen.
7. Got. iu wird abulg. znju. Got. biuds, abulg. bljudo; ahd.
Hut, Bbxdg.ljudü, got. Hufs, abulg Jju&ie; gotjnuda, ahvlg.stuidt.
Anders erklärt Zupitza, Die germ. gutturale s. 145 diese Wörter.
Er hält im anschluss an Joh. Schmidt, KZ. 23, 348 ff. slav. ju
für Vertretung von indog. eu. Wie mir scheint mit recht
Trotzdem halte ich die Wörter für entlehnt. Ich mache übri-
gens auf die länge des slav. ü aufmerksam. Man müsste für
tu eigentlich iü > i erwarten. Slav. ju setzt, wie mir scheinen
will, eine steigende betonung des diphthongen tu, also wol iu
voraus.
8. Got. ai und e werden zu e. Got. kaisar, abulg. cesati;
got. baidjan, abulg. bediti; got. hails, abulg. celU\ abulg. chlevu
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OBAMKATISGHES UND ETTMOLOGISCHES. 341
ans got. *hlaiu;a; got. lekeis, abolg. Ukü; ahd. meinan, abulg.
meniti; got. mers, abulg. m^n^; got. -wer-, abulg. vcra; got. AZat/*^,
abulg. chUbü.
9. Got. e wird zu i in got. mes, abulg. misa. Hier haben
wir es mit e} zu tun, vgl. ahd. mias. Got ai wird zu i im
anlaut, abulg. iskati, inü. In abulg. !tX;i{, got laiks könnte wol
eine andere stufe vorliegen. Die mittelstufe t wird auch
vorausgesetzt fUr die fälle, in denen e und ad zu i geworden
sind; abulg. mtci, got mekeis, aruss. ctsariy got kaisar, denen
sich gohi/sü aus gabeigs und odftö aus aA^'^ anreihen. Offenbar
ist die Verkürzung durch tonentziehung entstanden.
10. Die lautgruppen e, a + liquida + consonant erleiden
die urslavischen Verwandlungen, im abulg. also die metathese
mit dehnung des vocals; got bairgan, abulg. bregq, got bairg-,
abulg. 6rei^t«, rna8.ber€gü] got*6ardö, abulg. &ra(2y; germ. *6arM;-,
abulg. bravü; got gards, abulg. gradü; got halks, abulg. chlakä
U.S. w.
11. Die lautgruppen i,u,o + liquida + consonant werden
behandelt wie urslav. i, ü + liquida, erleiden also alle Ver-
änderungen der einzelnen dialekte; abulg. crüky, ahd. chirihha;
abulg. chlümü, an. holm, got. *hulm, abulg. *mrüky, ahd. morha;
abulg. ^^rt^M, eAii.,storah] ahiüg.vrufi, got cmrkeis] abulg. vru<0^
got aürti' mit Vorschlag von tr.
Auffällig sind einige formen. Abulg. älemü ist nach Uhlen-
beck nicht aus got hilms, sondern aus einem ^helma- entlehnt,
und zledq> stammt nicht aus got gildan, sondern aus einem
'^geldan. Letzteres halte ich indessen nicht für entlehnt Diese
Voraussetzung wärde keine Schwierigkeiten bereiten, nur müsste
bemerkt werden, dass sie nicht bewiesen ist lieber abulg.
mleko aus melko hat sich Uhlenbeck nicht geäussert. Got heisst
es tniluks, ahd. miluh. Aus beiden könnte die form nicht stam-
men. Aber es fehlt jedes beispiel für die behandlung des aus
germ. el entstandenen gotischen il Wir dürfen nicht ohne
weiteres das von der lautgruppe ul gewonnene auf il über-
tragen, denn il ist ja aus el hervorgegangen. Schon Scherer
hat vermutet, dass got i für zwei verschiedene laute geschrieben
werde (ZGDS.< 51 anm., vgl. dazu Braune, Beitr. 9, 548) und
Wrede hat dies QF. 68, 162 weiter begründet, und das slav.
unterstützt seine annähme entschiede^. Denn wesl^lb spUten
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342 HIRT
gerade diese zwei oder drei Wörter aus einem nicht got. dia-
lekt entlehnt sein?
Ebenso wenig kann ich Uhlenbecks ansieht beistimmen,
dass got. baürd im abnlg. brad ergeben hätte. Er fährt selbst
die entscheidenden fälle an, indem er abnlg. cMUmü ans germ.
hohnor, plükü ans ahd. folc entlehnt sein lässt baürd hätte
also im abnlg. brUdo ergeben, wie es wirklich vorliegt. Auf-
fallend ist die russische form berdo, die auf ein urslav. bVrdo
weist. Derselbe fall liegt aber in abulg. strukU 'storch' vor,
urslav. *8tirkU, Es scheint fast, als ob ur, or regelrecht dorch
ir, ul dagegen durch ül reflektiert werde. Unter dieser Voraus-
setzung könnte man abulg. prisü, serb. prsi, russ. persi, aus
deutsch brüst, got. brtists, an. trünü, russ. temü aus gotpaürntts
entlehnt sein lassen, brusts xmäiprUsü gehören wol zusammen,
können aber kaum urverwant sein.
Auffallend ist noch, dass das slav. wort abulg. kratt 'der
könig' die regelrechte entwicklung des volllautes zeigt, russ.
korolj. Dies stammt aus dem namen Karls des grossen, und
kann also erst während dessen lebenszeit entlehnt sein. In
unsem abulg. quellen ist der volllaut vollständig durchgefährt
Er muss ja Oberhaupt viel älter sein als unsere Überlieferung,
da er gemeinslavisch ist. Man kann unmöglich annehmen,
dass er erst nach der zeit Karls des grossen eingedrungen seL
Beachtenswert ist almuino gegenüber raky aus *arkö. Jenes
wird später entlehnt sein, wol erst aus dem ahd. Freilich
heisst es dort alamuosan mit mittel vocal, der aber in andern
Wörtern nichts ausmacht.
12. Vocal + nasal + consonant wird regelrecht zum nasal-
vocal, vgl. c^ta, got. kintus; gg^, ahd. gans; ckqdogü, got han-
dags; chorqgy, got. hrugga\ klad^, got. Vcaldiggs. In abulg.
chotatiy ahd. huntari müsste eine spätere entlehnung vorliegen.
13. Germ, a wird zu o, abulg. boru, ags. bearu, serb. bok,
got. *6aÄ;; abulg. 5^05«, got, gasts\ abulg. ^orewrdä, got. *garasds
U.S.W. Dies ist die regelrechte Vertretung. Daneben stehen
unzweifelhafte fälle, in denen
14. germ. a durch a widergegeben ist, krosA, almuino, russ.
glagü,mM.glaren] abulg. cÄafctYisg., gotgah(ü>an sik; abulg. .soifi,
got. sakkus] abulg. väliti, got. afwaltojan; abulg. varovati, got
wäret] russ. valü, urgerm. waU, Diese Wörter müssen aus einw
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QBAMMATI8GHES UND ETTMOLOGISCHES. 343
späteren zeit stammen. Denn man wird diese Vertretung nicht
abweisen können. Ein besonderer fall liegt vor in abulg.navt;
got. naus, abolg. dunavi. Sehr auffällig ist abulg. goraadU, das
aus einem got. garazds stammen soll.
15. In drei fällen scheint germ. a anch durch ä vertreten
zu sein, in münog^, got. manags, bSrü, got baria, vttntdcü. Nach
slav. lautgesetzen ist das ü hier sdiwerlich erklärbar, aber
auch die annähme der entlehnung ist nicht bewiesen und nicht
ohne Schwierigkeiten durchzuführen.
Sonst ist im vocalismus noch auffallend die widergabe von
ahd. ärunti durch orq^ije, und abulg. pen^ mit langem e.
Ueber den consonantismus ist weniger zu bemerken.
f wird anfänglich durch p, später durch b widergegeben, p
durch t Bemerkenswert für die Sprachgeschichte ist gonoziti
mit e, got. ganasjan, ahulg. chyeü, gothüs u.s.w. Zweifellos
gibt slav. a ein germ. jg wider.
Auffallend ist die behandlung von germ. A. Es wird in
der überwiegenden anzahl der fälle zu eh. Beispiele s. oben
s. 337 f. Vor hellen vocalen wird ch zu 6, slemü aus ^hehnojs.
Es wurde so schwach gesprochen, dass es in useregü ausfiel.
In einigen beispielen wird es aber durch * widergegeben.
Ueber abulg. konopJja, das aus got. *hai^ps zu stanmien
scheint, habe ich schon oben in anderem sinne gehandelt. Man
würde hier ja gern die annähme von entlehnung ablehnen, da
der hanf doch vermutlich eher zu de^ östlicher wohnenden
Slaven als zu den Germanen gekommen ist. Aber das p gegen-
über dem b in gr. xawaßiq, lat. cannabis bereitet vorläufig
unüberwindbare Schwierigkeiten. Der einzige ausweg bliebe,
slav. konoplja aus einer spräche stammen zu lassen, die wie
das germ. die medien zu tenues verschoben hätte. Aber bis
jetzt ist eine solche nicht nachgewiesen.
Abulg. kurüva kann auch nicht ohne Schwierigkeiten aus
got. h(frs abgeleitet werden, denn woher stammt das u? Abnlg.
kotora aus einer form, die in mhd. hader noch vorliegt Abulg.
kupü, ahd. houf. Mit Wandlung in den Zischlauten finden wir
sibulg. celü, got hiüs, abulg. creda, got hairda.
Sollten diese Wörter vielleicht nicht direct zu den Slaven
gekommen sein, etwa durch Vermittlung der Balten?
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344 HIBT
k wird durch k, vor hellen yocalen durch (f und c vertreten.
Man vergleiche cesari, c^ta, lice, criiky und cedo, frünja, fvUSl,
vruü und sU^, hUn^. Im allgemeinen repräsentiert wol c
die ältere schicht.
Leider lässt sich nicht f eststellen, in welche zeit die friilie-
sten entlehnungen fallen. Aber mit grosser Wahrscheinlichkeit
dürfen wir doch die Groten als die ersten ansehen, die einen
nachhaltigen einfluss auf die slav. sprachen ausgeübt haben.
Vielleicht, so könnte man denken, böte uns die betonon^
ein kriterium für die entlehnung. Die aus dem germanischen
entlehnten Wörter müssten den ton auf der ersten silbe tragen.
Das ist aber durchaus nicht immer der fall. Es heisst cesär^,
russ. c^ari, car; abulg. m(ct lautet im serb. mai, maca^ ans
älterem tiMiä. Eroat. heisst es uborak für "^ubbrak aus ahd.
embar\ in chtming geht die erste silbe verloren, und es heisst
serb. knea, knijga, russ. knjdzü.
Wir können demnach aus der betonung keinen schluss
ziehen. Das slav. hat die fremden Wörter offenbar unter ge-
wisse accentschemata eingestellt
Im allgemeinen bin ich, wie man sieht, sehr dazu geneigt«,
entlehnungen anzunehmen, und zwar aus dem gründe, weil ich
keine besonders nahe verwantschaft zwischen germanisch und
slavisch anerkennen kann. Neuerdings hat Uhlenbeck, Beitr.
22, 539 eine anzahl von Wörtern zusammengestellt, die nur im
germ. und slav. vorkommen. Es sind nicht allzu viel, und so
recht significante, denen man einen culturhistorischen wert
beilegen müsste, sind nicht darunter. Bei einigen habe ich be-
denken. Alii.harti, russ. A^Hy^X^i s. unten s. 351. Bei gothairpra
*eingeweide', abulg. öresla 'lende' stimmt die bedeutung nicht,
abgesehen davon, dass die gutturale Schwierigkeiten bereiten,
wie ich aber hier nicht ausführen kann. Zu ags. ielfetu, ahd.
eUnz, aksl. lebedt vgl. jetzt Osthoff, IF. 8, 64 ff. Ahd. hemera
'nieswurz', abulg. öemeri 'gift', iemerica *helleborus' vermag
ich wegen der gutturale ebenfalls nicht ohne bedenken zusammen
zu stellen.
B. Die altgermanischen lehnwörter im baltischen.
Das baltische zerfällt bekanntlich in drei dialekte, in das
ausgestorbene preussische, in das litauische und in das lettische.
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OBAlfMATISCHES UND ETYMOLOGISCHES. 345
Ich will hier nicht auf eine genaue bestimmung der alten
Sprachgrenzen eingehen, da es feststeht, dass die alten Preussen
am westlichsten gesessen haben. Bei ihnen darf man daher
am ehesten, vielleicht ausschliesslich germ. einfluss voraus-
setzen. Von wem dieser ausgegangen ist, das kann nicht
zweifelhaft sein. Die geschichte kennt die Goten am unter-
lauf der Weichsel, etwa von der einmundung des Bug bis zur
Ostsee hin. Im Weichseldelta sass der got. stamm der Gepiden.
Auch die zeit ihrer anwesenheit in dieser gegend lässt sich
annähernd bestimmen. 'Der letzte zeitgenössische zeuge, der
der Goten noch als bewohner der alten geschichtlich bezeugten
sitze gedenkt, ist Ptolemaeus in der ersten hälfte des zweiten
jh.'s. Um die mitte dieses jh.'s mögen die züge der Goten
nach dem Süden begonnen haben. Um 200 müssen die Goten
die Gegend am Pontus erreicht haben: bereits 214 findet bei
dem Orientzuge des Caracalla ein erster zusammenstoss mit
den Römern statt' Sievers, Pauls Grundr. li,407f. Hat das
gotische also auf das altpreussische gewirkt, so kann das nur
im ersten und zweiten jh. n. Chr. oder früher geschehen sein.
Man kann allerdings daran denken, dass reste von Goten im
lande geblieben wären, dass sich nicht alle den zügen an-
geschlossen hätten, aber eine solche annähme können wir vor-
läufig nicht beweisen. Dass aber irgend welche menschen als
träger einer historischen tradition zurückgeblieben sind, das
geht aus einer reihe von indicien hervor, von denen ich nur
die neueste besprechung des namens 'Danzig' von Eossinna,
IF. 7, 285 ff. namhaft machen will. Ob die Goten wirklich mit
den Preussen in berührung gekommen sind, das wage ich auf
grund anderer momente nicht zu entscheiden, und will daher
nur die spräche als zeugin anrufen. Allerdings haben wir
hier mit gewissen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der slav. ein-
fluss auf die halt, spräche ist ungeheuer gross gewesen; den
germ. von ihm sauber zu trennen, ist oft unmöglich. Doch
Dflaube ich einiges wenigstens mit Sicherheit feststellen zu
können. Wo uns lautliche kriterien im stich lassen, da gibt
n. e. ein punkt den ausschlag. Stimmt ein preussisches wort
n flexion, Stammbildung und bedeutung genauer zum germ.
ils zum baltisch-slav., so ist es der entlehnung dringend ver-
lächtig.
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346 HIBT
I. Die lehnw<$rter im altprenssischen.
Ich stütze mich hier auf Berneker, Die preussische spräche.
ackons 'granne' Vocabular (V.) 277 stimmt genauer zu got.
ahana 'spreu' als zu lit akütas, lett akäts. Es steht für *ackans
mit 0 statt a nach guttural, vgl. Bemeker. Welche casusform
in ackons steckt, ist unklar. Sehr unsicher.
alu V. 392 'met\ lit. alüs, lett. alus aus germ. *a2u-, aengl.
eaiu n., an. gl n. Dies wort wird gewöhnlich zum balt-germ.
Wortschatz gerechnet. Doch kann es ebenso gut entlehnt sein.
Da ein lautliches kriterium fehlt, so gibt vielleicht lit midüs
'met' den ausschlag. Dem ai. mddhu n. 'süssigkeit, honig,
süsser trank', gr. (diih) 'wein', abulg. medü 'honig' entspricht
regelrecht lit. medüs 'honig', preuss. meddo Y. 391 'honig'. Da-
neben gibt es ein lit midüs 'met'. Nun tritt allerdings im
lit. in einzelnen fällen ein i statt eines indog. e auf (vgl Les-
kien, Der ablaut der Wurzelsilben im lit., Abh. d. phil.-hist d.
d. Sachs, ges. d. wiss. 9, 270. Wiedemann, Das lit. praeteritum
s. 8), aber die fälle sind zu unsicher, um mit ihnen rechnen zu
können. Das lit. midüs ^meV erklärt sich aber sehr einfach
aus einem im got. zufällig nicht belegten *midus 'met'. Hier
haben wir einerseits an dem i, andrerseits an der bedeutung
ein kriterium der entlehnung, denn germ. *medus hat auf dem
ganzen gebiete unseres sprachzweiges die bedeutung 'met',
und nicht mehr die von 'honig'.
Als dritter fall auf dem gebiete des 'getränkes' kommt hinzu
preuss. dragios 'hefen' an. dregg, pl. dreggja/r (st ^^dragjä'). Das
got wort fehlt, müsste aber wol *dragjös lauten. Auch hier
können wir die entlehnung nicht beweisen, und im allgemeinen
gelten die worte für urverwant, vgl. Kluge, Pauls Grundr. 1, 320.
Bemeker s. 287. Für entlehnung dagegen G. Meyer, Alb. wb.
s,v. dra f. und mit recht
Pr. (mkstan 'butter', Grünau ancte zu ahd. cmcho 'butter',
iBLunguen 'salbe' u.s.w. Die formen des preuss. stimmen
nicht genügend überein, um die annähme von entlehnung zu
sichern. Auffallend ist mir die gleiche bedeutung. Die aus-
drücke für 'butter' gehen sonst nicht in die urzeit zurück.
Jedenfalls ist vorsieht geboten.
assanis V. 13 'herbst', got asans 'emtezeit'. Abvüig. jesenX
zeigt in beiden silben e-vocalismus. Doch können die preuss.
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aBAMBIATISGHES UND BTTMOLOQISCHES. 347
a für e stehen, was im anlaut im Yocabular sogar regel ist.
Unsicher.
asilis y.436 'esel', lit. Osücts, abalg. ositUi aus got. cmlus.
Bemeker s.281 nach anderen. Prell witz hält es ffir ein mo-
dernes lehnwort, aber das tier wurde schon in vorchristlicher
zeit in Nordeuropa bekannt.
bruntfos V. 419 'brusthamisch', lett. brunas, abulg. brünja
entlehnt aus got. brunjö. Prellwitz hält es für entlehnung
aus dem mhd. brünje, bronigen, was mir nicht wahrscheinlich
ist. Bekanntlich ist das germ. in waffennamen und heerwesen
fftr das baltisch -slav. vorbildlich gewesen. Aus dem preuss.
gehören noch hierher:
sanois V. 41 f. *wofen', lit. sjsarvat aus got. sarwa 'rttstung'.
Unzweifelhaft.
salmis V. 420 'heim', lit szatmas, abulg. Slemü, got. hilms,
ahd. hehn. Doch kann das preuss. wort nicht direct aus dem
germ. stammen.
Unmittelbar ist preuss, Jcelmis 'hut' V. 474, chdmo Grünau
'hut' entlehnt. Hier beweisen die gutturale, da got. hilms zu
ai. garman gehört.
Preuss. Jcaläbian V.424 'schwert', lit. kalat>tjas 'schwert,
eisbock, eisbrecher', kalavijädaris 'ein Waffenschmied, schwert-
feger\ Das wort ist nicht aufgeklärt und sieht unlitauisch
aus. Man könnte an ahd. halb, halab 'handhabe, stiel' denken.
buecareisis V. 593 'buchecker', buccawame V. 723 'holz-
krähe', lit. buka, got. bökö, aber kaum direct aus dem got.
gattawint 'bereiten', lit. gätavas, lett. gataws 'fertig', lit.
gatävyti, Sibxilg.gotoviti 'bereiten', got gataujan. Nach Brückner,
Die slav. lehnworte, stammt das balt wort aus dem slav.; das
ist möglich, aber nicht sicher. Von Bemeker s.290 wird es
zu alban. gat 'bereit', gatuaii 'bereite zu' gestellt nach G. Meyer,
Alb. wb. s. V. gat, aber schwerlich mit recht.
instran V. 193 'schmer', an. istra 'fett, schmer'. Unsicher.
kaüüsükan 'gesundheit' nebst abulg. diu, celostX entlehnt
aus got. haüs. Wegen des k nicht aus dem slav. Die ent-
lehnung ist mir vor allem wegen der bedeutung wahrschein-
lich, vgl. ags. h(kl n. 'gesundheit'.
caymis Y. 797 'dorf', cayme Gr. 'dorf', lit. A^o^ aus got.
haitns. Vgl. noch kaima hke 'sucht heim'. Die Wörter können
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848 HIBT
auch urverwant sein, doch gehört haims vielleicht mit gr,
xcififj zu preuss. seimlns 'gesinde', lit. szeim^na, abolg. ienünü,
vgl. Zupitza, Die germ. gutturale s. 49.
ca^«75 Y. 355 ^kesser, lit kätilas, lettA»^, abulg.Av^iTfö aus
got. Jcatils,
Icäupishm 'handel' kann naturlich nicht trotz Brückner
und Prellwitz aus poln. kupic entlehnt sein. Denn woher sollte
der diphthong stammen? Ebensowenig kann es aus dem nieder-
deutschen herfibergenommen sein. Es bleibt als quelle nur ahd.
und got.
ker dan ^zeiV, abulg. dreida ' Wechsel', gothairda, eM.heria
'herde, Wechsel'. Die annähme der entlehnung bereitet wegen
der bedeutung des preuss. Wortes einige Schwierigkeiten, doch
hatte die sippe nach ausweis von ai. gdrdha 'schar, herde'
Palatalen guttural. Vgl. noch das sicher entlehnte lit. kerdüus,
got. hairdeis. Das alte lit. wort für 'hirt' heisst pemü,
klauslton, klausemai, lit. klausaü, hUms^ti, lett. klaustt %ören,
gehorchen; man hat dies wort stets mit abulg. sU^cM, aL^ra-
vanam verbunden. Wegen des verschlusslautes muss das wort
entlehnt sein. Es gibt aber im deutschen kein wort Maus-,
und man hat daher diese Vermutung abgewiesen. Ich nehme
an, dass im lit-preuss. secundärer ablaut vorlegt, und wir die
entlehnte form in frexiss.poklusmai,poMusmingiskai 'gehorsam',
lit. khistü, paklusnüs zu sehen haben. Lit. klustü 'jemandem
gehör geben, gehorchen' kann auf einer germ. form beruhen,
die etwa in ags. hlystan 'aufhorchen, zuhören' vorliegt Der
aorist klusaü berfihrt sich mit ahd. hlosm, hlosl^. Secundärer
ablaut, d.h. die entstehung ablautender form auf grund einer
einzigen form, ist etwas ganz gewöhnliches in allen sprachen.
auklipts 'verborgen' aus got*hlifts, hliftus. Man vergleicht
das preuss. wort mit gr. xUxta), lat. depo, got. hlifan, ohne sich
um die erklärung des i zu kflmmern. Auch bei Bemeker finde
ich nichts. Indog. e kann es nicht sein, und l auch nicht, da-
her wird man entlehnung annehmen müssen.
knapios Y. 268 'hanf ', lit. kanäpes, lett A^nepe aus got
*hanaps. Ygl. oben.
cuyUs Y. 683 'eher', lit kuilffs 'zahmer eher', lett kuiUs,
nhd. keiler, keuler. Eine entlehnung des deutschen aus dem
lit., wie sie Kluge im Et wb* vermutet hat, ist mir wegen des
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GRAMMATISCHES UKB ETYMOLOGISCHES. 349
lit. Yocalismus nicht gerade wahrscheinlich. Wie verhält sich
huilgs zu kiäule?
mältan ^malz' in pitvamaltan ans dem deutschen ^malz'.
nautin, nautien 'not', got. naups. Wol entlehnt.
panno V. 33 *feuer', panustaclan V. 370 *vuerysen'. staclan
= ahd. siahal, got. *stahla- n. Letzteres ist vielleicht entlehnt,
und auch wol panno, da man got. fifn, funins seinem ablaut
nach nicht mit dem preuss. wort vereinigen kann.
pecku *vieh', \\i.pekus, [] Kurschat, mit gutturalem ver-
schlusslaut gegenüber ai. pagu, entlehnt aus got. faihu. Davon
abgeleitet peckut, popeckut 'behüten'.
rihis 'herre' V. 404, rtks 'reich'. Das wort kann nicht aus
dem slav. stammen, da es dort nicht vorhanden, und kann auch
kaum in späterer zeit aus dem germ. entlehnt sein, da riks
nicht mehr die bedeutung 'herr, könig' hat. In spätere zeit
gehört konagis Y. 405 'könig' gegenüber der alten entlehnung
von lit. ktmingas 'pfarrer', lett. kungs 'herr'.
saltan V. 376 'speck' braucht man wol nicht in pcdtan zu
bessern, da es mit deutsch salt zusammenhängen könnte.
stiklo 'glas', got. stikls. Möglicherweise aus dem slav.
tuldisnan 'freude', got. dulps 'fest', ahd. duU 'Jahrmarkt'.
wangus V. 588 'damerau', got. waggs 'paradies', an. vangr
'feld'. Gegen annähme von entlehnung lässt sich nichts ein-
wenden. Grehörte wa^gs mit gi\ oyxoq 'biegung' zusammen,
so wäre sie sogar sicher.
Die lehnwörter sind im preuss. weniger gut und sicher zu
erkennen als im slav. Obgleich vieles sehr zweifelhaft ist,
glaube ich doch asüis, sarwis, rikis, kaupiskan, pecku, tuldisnan
direct auf das gotische zurückführen zu dürfen.
II. Die germaniBchen lehnwörter im litauiBchen.
Die zahl der altgerm. lehnwörter im lit. ist, wie wir schon
oben vermutet haben, in der tat ziemlich gering, doch sind in
einigen fällen, wie mir scheinen will, entlehnungen zweifellos
anzuerkennen.
Die angeführten fälle beruhen nicht auf einer systemati-
schen durchf orschung des lit. Wortschatzes, sondern auf gelegent-
licher notierung.
Lit. aJüs 'hausbier' s. oben s. 346.
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350 HIBT
Lit Osüas s. oben s. 347.
Lit ganä ^genug' soll aus gotgatiah stammen. Das ist
zwar nicht sicher, aber doch möglich.
Lit. gafdas 'hfirde', abulg. gradü 'mauer, garten', got gards.
lAt jesjgkdti, ahd. eiscl^ s. oben s. 334.
Lit. kätüas, got. katüs. Das lit. wort wird kaum aas dem
poln. stammen.
Lit. kaugurys, kaugure ^ein mit sandgras bewachsener hüger
steht neben kaukarä; vgl. an. haugr.
Lett. kauns ^schände, schäm, höhn', got. hauns 'niedrig, de-
mütig'.
Lit. kcMpas 'ein hänfen von erde', abnlg. hupu, ahd. kauf,
Abnlg. kupü kann nicht die qnelle sein. Gegen orverwantschaft
spricht die mangelnde lautyerschiebung.
Lit. kämas s. oben s. 347.
Lit. kefdzius 'hirt', got. hcUrdeis s. oben s. 348.
Lit. kirmyti, mhd. hirmen. Die sippe hat palatal, vgL ai.
grämyati, doch kann das lit. wort aus bekannten gründen nicht
aus dem historischen got. stammen.
Lett. klaips 'brot' kann nicht aus dem slav. entlehnt sein^
sondern nur aus dem got.
Lit. kUusyti s. oben s.348.
Lit. küningas 'pfarrer, herr' muss altes lehnwort sein.
Lit. kuprä, ahd. kovar können auch urverwant sein.
Lit. kvetgs, got. haiteis wegen des t und des gutturals
zweifellos entlehnt.
Lit. midüs s. oben s. 346.
Litmuüdras 'munter', ahd. muntor, gotmundrei. Vielleicht
spät entlehnt.
Lit prötas 'verstand', gotfröp-.
Lit. putkas, ahd. folc, got. *fulk,
Lit. stodas, iem. eine herde vieh, besonders pferde' wird
wol eher aus slav. stado als aus germ. *8töda stammen.
Lit. szarvat, got. sarva s. oben s. 347.
Wie man aus dieser liste sieht, ist die zahl wirklich alter
lehnwörter sehr klein gegenüber der im slavischen. Man kann
daher mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch die an-
geführten nicht direct, sondern durch das prenss. in das lit
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GBAMMATISCHE8 UND ETYMOLOGISCHES. 351
gekommen sind. Das eine steht aber fest: ein gater teil
dieser Wörter kann zweifellos nur aus dem altgerm. stammen,
denn später sind ja auf Jahrhunderte hinaus die beziehungen
zwischen Litauern und Germanen unterbrochen.
YII. Etymologien.
1. Ahd. harti 'Schulterblatt'.
Ahd. harti 'Schulterblatt' gehört mit an. herSar pl. 'schul-
tern' zusammen und ist bei Zupitza, Die germ. gutturale mit russ.
hortySki 'schultern' verglichen. Dem schliesst sich jetzt Uhlen-
becky Beitr. 22, 539 an, indem er es als germ.-baltoslay. glei-
chung in anspruch nimmt. Indessen kann man auch lat. cor-
tüägo 'knorpel am tierischen körper' hierher ziehen.
2. mare.
Das deutsche mare, nachtmare, diaLniaW hat schon A. Kuhn,
Zs. fda. 5, 488 f. mit ai. marut und mit lat. mori verbunden. Mogk
hat sich Pauls Grundr. 1^, 1013 dem angeschlossen und daraus
eine anzahl von folgerungen abgeleitet. Die Verbindung mit
lat. mori ist aber zu beanstanden, da man jetzt ai. nuvrut kaum
von \2X.fnavors, mavortis trennen kann, vgl. Wackemagel, Aind.
gramm. § 184: hier ist durch zahlreiche beispiele ein indog.
gesetz belegt, nachdem aus tif, ul unter gewissen bedingungen
ru, lu wurde. Die lautgesetzliche erklärung ergibt sich auf
grund von zwei indog. Schwächungsstufen der gruppen er, el
Denn es ist klar, dass aus indog. *inauert nichts anderes als lat.
mavort werden konnte, wähi*end *mauft zu marut führte.
Ebenso gehen ai. vfkeLS, abulg. vlükü, lit. vitkas, got tculfs, lat.
vulpes auf indog. *Uttkos, lat. luptis, gr. Xvxog dagegen auf
*ulkos, woraus *lukos, zurück. Wir besitzen also einen indog.
ausdruck mauert, marut für ein gespenstiges wesen, über dessen
eigentliche bedeutung wir nicht ins klare kommen können. Ob
slav. fnora, serb. möra 'alp' entlehnt oder urverwant ist, lässt
sich nicht feststellen; ich vermute das erstere.
3. Got qairrus,
Got. qairrus 'sanftmütig', an. kvirr, kyrr 'still, ruhig', mhd.
kürre 'zahm, milde' hat Bezzenberger mit lit. ^rti^ 'locker^
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352 HIRT
bröckelig' verbunden (BB. 3, 81). Noch besser scheint mir aber
lit. g^ras 'gut' dazu zu stimmen. Letzteres hat Bezzenbei^^
mit gr. q>iQXiQo<; verglichen, was indessen wegen des labials
einige Schwierigkeiten bereitet, da wir ^ erwarten mfissten.
Unaufgeklärt bleibt das doppelte r. Ist obige gleichung richtige,
so muss natürlich die Verbindung von lit. g^as mit gr. fpiQXhQoq
aufgegeben werden.
4. Got. qistjan.
Got. qistjan 'verderben', an. kvista 'verstfimmeln', mnd.
quisten, 9,lid. quistan, chunsten 'verderben, vernichten' bezeichnet
Uhlenbeck, Et.wb. als unaufgeklärt. Zu gründe liegt ahd.
quist 'Vernichtung'. Das wort gehört zu einer in den indog.
sprachen weit verbreiteten wurzel gues, vgl. a,i.jas 'erschöpft
sein, totmüde sein, erschöpfen, entkräften', nijas 'vergehen,
verschwinden', jdsush f. 'erschöpfung, mattigkeit', lit gesaü,
gesyti 'löschen', gestü, gesti 'erlöschen', gr. ößivpvfu aus egf^es-
'auslöschen', übertr. 'stiUen, dämpfen, massigen'.
5. Got. 'friks.
Got. faihu'friks enthält ein wort friks, das in an. frekr
'gierig, kühn', ags. free 'verwegen', ahd. freh 'habsüchtig' vor-
liegt. Dies düi^ doch trotz der nicht übereinstimmenden
schlussconsonanten zu hX. precäri, proeus u. s.w. gehören. Die
form *preg verhält sich zu *prek wie *deig in taikns zu *deik
in teihan.
6. Ahd. gispanst
Ahd. gispanst 'lockung' gehört zu ahd. as. spanan 'locken,
reizen', das man zu gr. cxam 'ziehen' stellt. Noch näher liegt
aber lit. spendüu, spisti 'fallen' oder 'fallstricke legen'.
7. Ahd. narro.
Ist ahd. narro 'verrückter' ein deutsches wort, so kann
man es mit lit. narsas 'zorn', nifsti 'starrköpfig, starrsinnig etc'
vergleichen.
8. Ahd. hehara,
Ahd. hehara, ags. hi^ora m., an. Jieri, hegri m. 'häher' ist
noch nicht erklärt. Denkt man an die eigentümliche gestalt
dieses vogels mit seinem auf dem köpf verschmälerten und
tollenartig verlängerten gefleder, so könnte man daran denken,
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GRAMMATISCHES UND ETTMOLOOISCHKS. 353
dass der yogel nach seinem aussehen benannt wäre. Die
grundform des germ. Wortes ist unzweifelhaft *kik(>ros, und
dieser entspricht ganz genau ai. qikharas ^spitzig', abgeleitet
von (^kha f. 'haarbusch, pfauenkamm, spitze', ^kharas bedeutet
also eigentlich 'mit einem haarbusch, federbusch versehen',
und das passt ausgezeichnet als bezeichnung für den häher.
9. Ahd. hirso.
Die hirse gehört bekanntlich zu den ältesten cultur-
gewächsen Europas, und es ist daher von vornherein anzu-
nehmen, dass ihr name auch bei den Germanen uralt ist.
Sehr ansprechend ist Brätes heranziehen von lat. ceres, cereris
(BB. 13, 48), wenngleich nicht ganz sicher. Ich verbinde weiter
mit dem germ. wort ai gashpam, das auf garsh zurückgeht. Die
bedeutungen 'junges gras' — 'hirse' sind leicht zu vermitteln.
10. Ahd. h6do.
Ahd.Aoäo, mviLhode, dine&.hotha 'hode' weisen auf ablauts-
formen kernt, kut, deren erklärung noch aussteht. Mit lat. cöUus
'hodensack' (Kluge) weiss ich die formen wegen des vocalismus
nicht zu vereinigen. Dass das wort uralt ist, ist wegen des
alters ähnlicher bezeichnungen von vornherein zu vermuten.
Ich verbinde unser wort mit lat. cunnus aus *cutsnos. Um
den bedeutungsttbergang zu erklären, verweise ich auf mhd.
vut 'cunnus, vulva', gegenüber Bi.putä m. dual, 'hinterbacken',
oötas 'junges', litpaütas 'ei', paütai 'hoden, hodensack', die
lautlich mit dem germ. wort genau übereinstimmen. Auch ai
"^öthds 'anschwellung' könnte man mit dem in der Überschrift
genannten worte verbinden.
11. Ahd. sclnan,
Ahd. sclnan 'glänzen, erscheinen, sich zeigen', got. skeinan
leuchten, scheinen' stellt man zu gr. axid 'schatten', ai chäyd
g-Ianz, schatten'. Es mag sein, dass hier eine wurzel skei zu
Tunde liegt. Immerhin wird man auch eine andere etymologie
orschlagen dürfen, die absolut genau übereinstimmt. Got.
keinan entspricht abulg. sin(]tti, sing., sineSi 'illucescere', sinX
lell, licht'. Weiter gehört hierher alb. si, stamm sin 'äuge'.
Baitxftg« Btur gMohtohto def d«titMh«n tprAob«. XXHI. 23
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354 HIRT
sk iD skeinan rnuss auf indog. sk zur&ckgehen, und daraus hat
sich ganz regehrecht abnlg. s, alb. s entwickelt.
12. Got. sair.
Got 8(Ut 'schmerz' stellt Uhlenbeck, Et wb. s. t. zu air.
sdeth 'leid, mtthe, krankheit\ Ist dies richtig, so kann man
diese worte weiter mit ai. ksha 'brennen', gr. g^pog 'trocken'
verbinden, indem man von einer ^'-wnrzel ausgeht
13. Ahd. iioerah.
Ahd. werah nnd werch n. 'werg' möchte man gern mit werk
^Igyov' zusammenbringen. Doch bleiben dabei immerhin einige
Schwierigkeiten der bedeutungsentwicklung. Dass diese selbst
schon alt ist, scheint mir aus gr. ^j^/oc 'ein gefärbter teppich,
eine bunte decke' hervorzugehen, das ich direct mit dem germ. *
Worte vergleiche. Prellwitz, Et wb. stellt es zu ^i^a> 'färbe',
was mir nicht notwendig zu sein scheint
14. Ahd. hllo.
Ahd. hlio, bUwes 'blei' bezeichnen die etymologen als völlig
unauiEgeklärt. Schade hat es mit ahd. bU st n. 'färbe' zu-
sammengebracht, was schwerlich angeht, und ebensowenig kann
ein Zusammenhang mit lat plumbum bestehen. Und doch fBblt
man eine gewisse ähnlichkeit im klänge dieser Wörter, der ja
täuschen könnte, vielleicht aber doch auf einen alten Zusammen-
hang hinweist Das ahd. wort kommt ausser in diesem dialekt
nur noch im an. als 62^ vor. Dass wir daraus nicht die exi-
stenz eines nrgerm. wortes erschliessen dürfen, ist bei der
weiten und rätselhaften Wanderung der meisten metallnamen
selbstverständlich. Als grundform für unser wort gewinnen
wir ein *bUwan (got *bleiw), und dies können wir, einen nenen
fall zu den alten f figend, auf *mliwam zurückf ü^n. Das er-
innert uns sofort an gr. fiohßog, fioXvßog, fioXvßdog; die erste
form liegt H. 11, 237, die letzte H. 24, 80 vor. Ein indog. wort
liegt hier natürlich nicht vor, obgleich sich (loXißoq auf molt-
ff^s, *mUwafn aber auf ^nUeighrHm zurückführen lassen, zwei
formen, die sich nur durch einen regelrechten ablaut und den
häufigen Wechsel von media und media aspirata unterscheiden.
Wir haben es viel eher mit lehnwörtern zu tun. Im griech.
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GRAMMATISCHES UND ETTMOLOOISCHES. 355
weist darauf schon die verschiedene gestalt der zweiten silbe.
Wenn aber hier wirklich ein vorl&aflg noch nicht näher zu
bestimmender Zusammenhang zwischen den beiden Wörtern
besteht, so wird man die heimat derselben nicht mit O.Schrader,
Sprachvergleichung und urgesch. s.312 in Spanien suchen dürfen,
sondern in dem alten gebiet der Hallstadtcultur, also in Oester-
reich-Ungam; und dann werden wir auch Idit phmbum nicht
von dem griech.-germ. worte trennen wollen, wenn wir gleich
die art, wie das lat. wort seine lautgestalt gewonnen, nicht zu
bestimmen vermögen.
Die ältere forschung, z.b. Curtius, Grundr.^ s.370, verbindet
auch slav. ohvo ^blei', lit. atvas ^zinn' apr. älms mit dem griech.
wort, was aber aufgegeben werden muss. Dass die halt Wörter
aus dem slav. entlehnt sind, wie Brttckner, Die slav. lehnworte
s. 67 annimmt, kann nicht bewiesen werden. Darf ich eine
Vermutung wagen, so ist slav. olavo, lit. atvcis das lat. aXbum,
sc. plumbum.
Das engl-deutsche wort ffir blei, mhd. löt, ags. lead 'blei'
entspricht zunächst ir. luaide. Dass die beiden Wörter urver-
want seien, lässt sich freilich kaum wahrscheinlich machen.
Weiter darf man aber auch ai. löhdm vergleichen, dessen be-
deutung (kupfer oder eisen?) allerdings nicht ganz feststeht
Gewöhnlich verbindet man löham mit lat. raudus, sieht also
in { ein indog. r, weil im ind. lohitas neben rökiias steht.
Aber sicher kann man darauf nicht bauen. Dass hier eine
alte gleichung vorliegt, ist durchaus nicht undenkbar, da die
Völker Europas zweifellos eine viel grössere kenntnis ver-
schiedener metalle hatten, als man bisher annimmt. Eine
kenntnis setzt natürlich noch keinen ausgedehnten wirtschaft-
lichen gebrauch voraus, und die metaUe haben doch zunächst
als Schmuckgegenstände Verwendung gefunden, die leicht ebenso
entbehrt werden konnten, wie sie beliebt waren. Es ist daher
auch sehr wol möglich, dass die von Lottner, KZ. 7, 183 auf-
gestellte gleichung lat. ferrum, ags. brces zu recht besteht.
15. Ahd. blat
Der ffir ahd. blao, ags. blac, ahd. blio angenommene wandel
von anlautendem ml zu bl verhilft uns, glaube ich, auch zu
23*
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356 HIRT
einer annehmbaren etymologie des ahd. bUU n.s.w. Elnge
verbindet es zweifelnd mit lat. foUum, gr. g>vXXoi\ So genan
auch die bedentung stimmt, so vermag ich die Stammformen
vorläufig noch nicht zu vereinigen, namentlich da man bka
schwerlich von ahd. bluanui und der dazu gehörigen sippe
trennen kann. Dies weist alsdann auf eine set-wurzel, mit der
sich gr. ffvXXov, lat. folium schlechterdings nicht vereinigen
lassen, hlat und bluonia lassen sich auf eine indog. wurzel
"^bhelö oder melö zurttckführen. In beiden fällen lässt sich
lat. HöSy fU^ere vergleichen. Ueber die Vertretung von nU im
lat. wissen wir noch nichts genaues, vgl. darüber Brugmann,'
Grundr. 1^, 370 anm. 4. Solmsen, EZ. 34, 11. A priori ist es
wahrscheinlich, dass ml wie mr behandelt wird, und aus dem
entsteht fr, vgl. fräces 'ölhefe', fraddus 'mttlsch, überreif', air.
mra'ch 'malz', lat. mcurcidus; fretum, gr. ßgattco 'siede, brause';
lat. fremo, gr. ßgi/im. Als ein zweites beispiel liesse sich viel-
leicht noch lat. fl(iccus 'welk, schlapp' anführen, das man zu
gr. fiaXaxog 'weich, sanft' stellen könnte. Dagegen steht es
zweifellos fest, dass nU im griech. zu bl geworden ist Es
entspricht daher ßXaötapo) 'von pflanzen keimen, empor-
sprossen', ßXdoTfj 'keim, spross', ßXaozog 'keim, trieb, junges
blatt und zweig, schuss' ganz genau.
Das griech. wort ist vollständig unaufgeklärt. Die ältere
forschung verglich ai. vdrdhämi 'grösser machen', was ganz
unmöglich ist, während Prellwitz zweifelnd auf ßäXla^, ßXv<o
verweist, was in mehr als einer beziehung schwerlich angeht.
Das griech. zeigt dieselbe ^-erweiterung des Stammes, die auch
in lat. fiös und mhd. bluost und anderen Wörtern vorliegt, und
die gerade bei set-wurzeln häufig ist. Liegt aber eine wurzel-
stufe mU zu gründe, so kann diese kaum zu einem anderen
wort gehören als^zu gr. /loXetv, ßXcocxm 'gehen, kommen' mit
einer bedeutungsentwicklung, die sehr wol verständlich ist
16. Got himma u.s.w.
Uhlenbeck stellt den pronominalstamm got M u.s.w. zu
lit szis, abulg. si, lat eis U.S.W., während Kluge lat htc 'hier'
U.S.W. heranzieht und diese beiden formen unter indog. Ih
vereinigt. Ich glaube, dass beide forscher zu einem teile recht
haben.
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OBAMMATISC^ES UND ETTMOLOOI8CHES. 357
Die einzige spräche, die noch zwei pronominalstämme U
and hhi zeigt; ist das lat, and das mass daher aach zom aas-
gangspankt dienen. Naturgemäss wird man got. himma daga,
ahd. hiutagu mit lat. hödie vergleichen, ebenso got. her mit
lat. hie aas *heic, dagegen hidre eher mit lat. citrä. Ags. he
a.s.w. wird ebenso lat. hic wie slay. sf, lit. sais entsprechen,
falls indog. kh im slay.-lit. darch s and sjs vertreten ist.
LEIPZIG-GOHLIS. H. HIRT.
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STUDIEN
ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEIG.
Erster abschnitt. Der dichter.
Ist uns auch der name des Verfassers des Beinfried von
Braunschweig unbekannt, so können wir uns doch von seiner
person einigermassen ein bild machen. Oft genug tritt er ja
bei gelegenheit von excursen mit seinem ich hervor, und so
erfahren wir denn einiges über ihn direct durch seine eigenen
Worte, anderes lässt sich aus seinen äusserungen wenigstens
mit ziemlicher Sicherheit erschliessen.
Nächst der heimatsfrage — aus der spräche ergibt sich
ohne weiteres, dass der dichter dem alemannischen gebiet an-
gehört — ist die wichtigste die nach der lebensstellung des
mannes. Hier gehen die ansichten auseinander. Baechtold (Ge-
schichte d. deutsch, litteratur in der Schweiz s. 134 ff.) möchte ihn
für einen geistlichen halten. Dem gegenüber betont K. Eich-
horn (Reinfriedstudien, teU 1, einladungsschrift zur feier des
Henflingschen gedächtnistages am gjmmasium zu Meiningen,
1892) im anschluss an Bartsch den bürgerlichen stand unseres
dichters.
Wer Baechtold folgen will, kann als einziges argument
für den geistlichen beruf des dichters nur seine umfassende
gelehrte bildung in ansprach nehmen. Ergibt sich nun aber
aus sicheren gründen, dass. Baechtolds auffassung irrig ist,
dann lässt sich doch andererseits die reiche belesenheit des
^ dichters nicht gegen eine bürgerliche Stellung in die wagschale
werfen. Sorgfältige erziehung in einer guten klosterschule,
bemerkt Eichhorn mit recht, erklärt vollkommen die genaue
bekanntschaft mit der vulgata und die kenntnis sonstiger
lateinischer literatur, die der dichter wirklich besitzt.
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STÜDDSN ZU BEINFaiED VON BRAUNSCHWEIO. 359
Ich halte es ffir durchaus gesichert» dass der dichter, wenn
ich mich vorerst einmal negativ ausdrücken darf, nicht geist-
licher war, und ich folgere das 1. aus seinen eigenen äusse-
rungen und 2. aus dem Stoffe seines Werkes, wie aus formellen
eigentfimlichkeiten seines Stiles.
1. Beweis aus den eigenen äusserungen
des dichters.
Obenan steht hier was der Verfasser über sich selbst be-
merkt. Dass er nicht ritter ist, versichert er deutlich v. 12820 ff. :
dtf luo 06 bin ich ftne
gebort imd eUenthafte kraft,
das ich niht Ton der ritterschaft
weiz, wan diu ist mir Terzigen.
Was er aber von sdner armut sagt (vgl. Eichhorn s. 5.
Bartsch, ausg. s. 807), ist an sich noch nicht beweisend für
nichtgeistlichen stand. Jedoch scheinen mir die äusserungen
über seine steUung zu den frauen und zur minne entscheidend.
Er hat selbst eine frau geliebt — Else heisst sie (vgl. v. 12802
went ir ai hcBren nennen: Hin lAep Suez Mdel sunder schäm
ist ir minnedieher ncm) — und liebt sie noch, mit blutendem
herzen, denn sie verschmäht ihn. Aber sie trägt ihm unver*
schulten hcuf. Und wenn er sie deshalb auch schelten muss,
s6 hat si doch mit senke sich in ^n herz gedrungen. Von ihr
hat er ja das dichten gelernt.
Es unterliegt in der tat wol keinem zweifei, dass er sich
auch in der lyrik versucht hat. Oft genug noch werden wir
durch wirklich schöne und hochpoetische stellen daran erinnert,
wie tief den dichter die minne berührt hat Er kennt die
macht der liebe aus eigener erfahrung und weiss sie uns im
vergleich zu seiner sonst ruhigen erzählung mit wahrem feuer
und echter leidenschaft darzustellen.
Von ausserordentlich feiner beobachtung zeugt z. b. folgende
scene. Als Reinfried im tumier Yrkanes kuss errungen hat —
übrigens ein schönes bUd, wie die liebliche Jungfrau in freu-
digem erröten vor dem herzog steht, um ihm den süssen lohn
zu reichen, und in diu minnediche s6 ruoeig under ougen sach
(v. 2074 f., vgl. Wolfr. Wh. 229, 26) — da führt ihn Yrkane under
ein swache hüttelin und lie niemen U ir sin wan ir juncfrouwen
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360
OEBEKE
eine. Beider liebenden herz ist zmn zerspringen voll, sie haben
einander so viel zu gestehen and zn sagen, und doch wagt
keiner zu sprechen.
T. 3018.
swft sich swei herzen schön in ein
mit den gedenken einent,
s6 das si heide meinent
ein dinc, ein ein, ein liep, ein leit,
und doch dewederz h4t geseit
dem andern stnes hersen ptn,
dia herzen mfiezent beide sin
TerdAht nA sfleeer minne.
T.3062.
zvo gelicher wlse
geschiht den sinnen alle frist,
als dA ein hfüB erffillet ist
mit Unten als6 daz ein man
niht md dft hin !n komen Iuol
diz blspel ich gellche spfir.
nn st&nt linte Tor der tflr
m^ denne in dem hftse sin.
Jen went her fiz und dis hin In
nnd dringent yast an der get&t.
der tzem als6 tU dA st&t
daz Jene bellbent dinne.
Ich sollte meinen, solche worte könnten nur ans einem
nat&rlich empfindenden herzen kommen, das selbst den zanber
der liebe geftthlt hat.
Ich denke, wenn wir die vielen steUen, in denen die minne
gepriesen wird, richtig beurteilen, müssen wir gestehen, dass
das alles zu der Stellung eines geistlichen schlechterdings nicht
passt. Auch der ausweg, das seien nur Jugenderinnerungen
des dichters, ist verlegt; denn v.2868 erfahren wir, dass er
noch jetzt bt jungen jären ist, und die worte v. 4074 ff. lassen
immerhin erkennen, dass er noch keineswegs mit der minne
abgeschlossen hat:
ein man mnoz sich under
wUent Ton minne ziehen
nnd mit gedenken fliehen
daz im wol in mnote lit,
ald er wirt etellche z!t
von minne missehandelt.
Was hätte er als geistlicher für Ursache gehabt, v. 10860 ff.
die ehe als göttliche einrichtung zu preisen und umständlich
für ihre nichtsttndhaftigkeit einzutreten? Was konnte ihn wol
als geistlichen bewegen, bei jeder möglichen gelegenheit auf
papst, cardinäle, Patriarchen, bischöfe und pf äffen zu schelten,
deren schände er offen aufdeckt, deren habgier er unter den
schärfsten ausdrucken an den pranger stellt? vgl. v. 16870 iL
V. 17648 ff.
y. 17676. den text, wan si bindent
si yindent ninwe fttnde daz reht hin ze murehte.
mit glösen unde vindent daz kmmp machent si siebte,
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BTüDnSN Zu REINPSIED VON BBAÜN8GHWEIG. 361
das sieht si künnent knunben.
got solt in yergtnmbeii
die Zungen in dem mnnde.
Grossen wert lege ich endlich mit Eichhorn auf die worte
y. 17841 ff., mit denen der besiegte persische fürst den herzog
Eeinfried überredet, ihn von seinem in todesnot gegebenen
taufgelübde zu entbinden:
erl&nt mich des gelonben, inwer kttnne nnd inwer art
wan er könde ronben het sin iemer m^re
mich an miner 6re laster nnd nn^re,
nnd mohte niemer m§re nnd wsbt diu arbeit doch yerlom.
gewinnen rehtes künges namen. sw& der mensche ist gebom,
diu kr6ne mfies sich iemer schämen in swelher band gelouben,
n& mir ßwedfche. swer in des wil rouben
Werder fOrste richei mit twincltcher Sicherheit,
ob iuch so misselunge der yerliust tu arbeit,
daz man iuch betwunge wan er sich selben triuget
ein beiden sin an dirre yart,
(vgl. dazu Parton. 2748: swä der mensche tvirt erzogen, weiz-
got, da strebet im der sin ie ze jungest wider hin). Das sind
worte einer toleranz, wie sie damals ein geistlicher schwerlich
ausgesprochen hätte.
Zugleich mit den pfaffen tadelt der dichter aber auch alle
weltliche obrigkeit; dem kaiser, den fürsten und der ritter-
schaft sagt er bittere Wahrheiten. Als geistlicher hätte er
sich vielleicht des Zweckes wegen über die gründe hinweg-
täuschen lassen, die deutsche edle zur fahrt in das heilige
land in bilgerines pfliht bewogen; aber als bürgerlicher, der
die not seines Vaterlandes kennt, empfindet er schmerz darüber,
dass solche leute gewissermassen aus feigheit, um sich den
aufgaben zu entziehen, die ihrer im Vaterland und in ihrem
hause warten, in wallers wise sunder wer gen Kriechen oder
über mer fahren:
15514 eins edeln mannes meryart
in bilgerines wlse
ich lasterliche prlse
mit hinderredellcher pfliht.
ich tar es yor in sprechen niht.
Der dichter kennt alle schaden der fürsten, er weiss wie
schlimm es mit ihnen selbst und ihren ratgebem steht. Er
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362 OEBEKE
beklagt au& tiefiste den verfall der ritterschaft. — Das alles
spricht gegen einen geistlichen Verfasser und bringt uns zu-
gleich auf die richtige spur.
Dem verderbten rittertom seiner zeit stellt der dichter als
idealbild seinen beiden Reinfried gegenfiber. Eine seiner
tagenden, die er mehrmals lobt, ist die tnilte; widerholt hebt
er hervor, dass Keinfried nie versäumt, der gernden diet zu
spenden; vgl. v. 1890 £t 2630 ff. 4392 ff. 11420 ft 12589 ft —
V. 26594 ff. entwickelt er ausführlich seine ansieht fiber die
gaben des 'muten' und des 'kargen'.
Und das ftthrt mich auf den gedanken, in dem dichter
einen mann zu sehen, der wol selbst zur gernden diet gehOrt.
So urteilt auch Eichhorn (s. 6), der sehr richtig auf die verse
327—356 hinweist, in denen sich der dichter Über die aufgaben
der fahrenden äussert.
Zu dieser Stellung des dichters würde alles trefflich passen,
was wir sonst ttber ihn erfahren; besonders seine dürftigen
Verhältnisse fänden auf diese weise leicht erkläiting. Eine so
genaue bekanntschaft femer mit allen ständen im reiche, mit
ihren mangeln und schwächen, die stark pessimistische auf-
fassung der ganzen Zeitverhältnisse ist begreiflich bei einem
angehörigen der gernden diet, der im lande herumkommt und
manche trübe lebenserfahrung machen muss.'
Der dichter hat zwar dne gelehrte bUdung erhalten und
ist wol anfangs zu etwas besserem bestimmt gewesen, aber,
durch widrige Verhältnisse seines guts beraubt, zu dem leben
eines fahrenden genötigt worden. Ueber seine abhängigkeit
vgl. V. 25474 ff. Er sucht also, wie Eichhorn mit recht aus
V. 12752 fl folgert, 'aus dem dichten capital zu schlagen':
12758 dö mich g^elflcke geltes ilöch,
d6 reis mir zno an mnote
nnd nam ab an dem gnote.
ich dien min selbes mnot hie an,
Sit ich des guotes lütsel hän.
Wenn er übrigens als grund für sein dichten v. 12752 t
und V. 13992 f. angibt, dass er sich urdrütee swcere damit ver-
treiben wolle, so folgt er hierin seinem vorbilde Konrad von
Würzburg, der sich im eingang des Partonopier und des Tro-
janerkriegs ganz ähnlich über die motive seiner dichtnng
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STUDIEN Zu SEINFRIED VON BRAÜNSCHWEIO.
363
äussert Eine gegenfiberstellimg wird die abhängigkeit des
Verfassers des Keinfried zeigen.
Reinfr. 13988.
mir 8ol gewin und ouch verliiBt
bdiben ungeteilet,
Bit sich min sin dorchgeilet
an diBom selben msere,
wan nrdrütze swsere
ich mir hie mit vertribe.
ob ich hie yon beübe
▼on swacher diete dankelös,
nn wol, daz wunder ist niht gröz:
des trag ich kleinen rinwen.
doch wil ich wol getriawen,
wirt ez gedihtet und bereit,
ez werde eteswenn gespreit
für reiner sinne merken,
den ez yil llht kan Sterken
liep und Mnde snnder wanc.
ist mir von den ein habedanc
beschert oder geftteget,
nmb daz sd benüeget
mich, wan ich ger anders niht.
ob eins schalkes znnge gibt
mir Spot, daz l&n ich also sin,
wan diu onfaoge ist niht min.
Part 1.
Ez ist ein gar yil nfltze dine,
das ein bescheiden jnngelinc
getihte gerne hoere
nnd er niemen stoere,
der singen nnde reden kan.
d& lit tU hdhes nutzes an
und ist ouch guot für urdrutz.
104 swaz aber nu der tumben si,
die getihten wellen noch,
ein meister sol niht l&zen doch
dar umbe sprechen unde sanc.
swie lützel man imwizzedanc
slner meisterlichen kunst,
so k§re doch herze und yernunst
tf edele doene und edeliu wort.
diu nahtigale singet,
ir sanc yil oft erklinget,
d& niemen hoeret stnen klanc,
si l&t darumbe niht ir sanc
daz man sin d& sd lützel gert
(ygLTroj. 174ff.)
2. Beweis aus dem stoff des gedicktes und aus
formellen eigentümlichkeiten des stils.
Als ein mann gelehrter bildung weiss der dichter genau
bescheid im ritterlich-höfischen epos, und als fahrender kennt
er die Volks- und spiehnannsdichtung. Ueberwiegt im all-
gemeinen in seinem werke auch das ritterlich-höfische dement,
so sind doch andererseits unverkennbar eine reihe von z&gen
vorhanden, die wir vergebens im höfischen epos suchen.
Der erste teü des Reinfried enthält eine brautfahrt, im
gründe eine regelrechte entfOhrungsgeschichte, nur in höfischem
gewande. In der eigentlich höfischen epik findet sich dieses
motiv nicht, wol aber ist es sehr beliebt in der ganzen Spiel-
mannsdichtung. Ich erinnere an Bother, Nibel., Gudiiin, Ortnit,
Wolfdietrich, Orendel, Oswalt^ Salman und Morolf tt.s.w. Und
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364
GEREKE
in der tat lassen sich im R mannigfache ankl&nge an alle
diese epen feststellen, besonders aber an die, die in gewisser
beziehnng zn der alemannischen heimat des dichters stehen
und selbst vom höfischen epos beeinflosst sind.
Wol kanm zufällig dürfte die ähnlichkeit der brantfahrt
im R. mit der im Ortnit sein.
Der Ortnit (DHB. 8) beginnt:
3,1
e£ wuohfl in Lamparten ein gewalte-
ger kttnic rieh,
dem was bl den Eiten dehein künec
gellch.
5,1
durch kttniciiche würde gap man im
den prts.
geheizen was er Ortnit, ze stürme
was er wls.
Brissen nnde Beme was im undert&n.
(6,4
im diente mit gewalte Böme onde
Later&n).
Dem könig Ortnit wird Ton den
seinen geraten, sich ein weib zu
nehmen. Sein oheim Dias Ton Bin-
sen nennt ihm eine seiner wttrdige
königin. Er weiss ihre Schönheit so
zn rühmen, dass Ortnit erklärt:
18,4
ez etg^ mir swie got weUe, ich mnoz
n&ch ir hin über mer.
Beinfr.
65
hie vor ein werder fttrste was.
178
daz üf der weit kein herre
lept an wirde sin genöz.
106
. . hdrte man in prisen.
man nante den selben herzogen
Beinfrlt yon Brüneswlc.
102
Westey&l und Sahsen
dienden beidin sfner hant.
Der knappe ans Dänemark lädt
Beinfried znm tnmier nnd schildert
die Schönheit Yrkanes so, dass Bein-
fried sich znr reise entschliesst:
398
zehant im aber br&hte
der sin ander nnmnoze,
wie er sich n& ir gnioie
solt erbeiten üf die vart,
der er dur niht wendic wart.
Wie Ortnit schon von der künftigen braut angezogen wird,
ohne sie vorher gesehen zn haben, ebenso ergeht es Beinfried.
60,2
niwan yon sagenden dingen
der meide schcene in twanc.
im het ouch ir nünne tu nach be-
nomen den sin.
488
diu süeze minnediche
im nie kam üz den sinnen,
sin herze mnose minnen
die doch sin onge nie gesach.
Ortnit fordert seine mannen auf, Ebenso später BeinMed, als Tr-
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STUDIEN ZU REINFBIED TON BBAUNSCHWEia.
365
Ortnit.
ihm bei der gpefährlichen brautfahrt
zu folgen und verspricht dem mit-
ziehenden seine nnterstütKnng, droht
aber dem bleibenden.
24
swer mir der reise hilfet, dem
bin ich immer holt,
im s! onch mit geteilet min silber
und min golt;
lant und bürge, darzuo Hute und guot.
ich wil im immer danken, swer ez
willeclichen tuot
25
dem bin ich immer wsege, die wile
unde ich lebe
50,2
swer hinder mir belibet, dem wirde
ich nimmer holt.
Reinfr.
kane, von dem dänischen grafen be-
schuldigt, an ihn einen boten sendet,
der ihn cum streite mit jenem für
ihre Unschuld auffordern soll.
7844
swer mir siner helfe gebe
hie mit dienest niht verseit,')
der wizze, swä in iemer leit
kumber oder ndt best&t
daz er mich d& ze helfe h&t,
die wtle daz ich einen tac
mit §ren leb und leben mac.*)
7874
swer mich in disen nceten lät
und mir sin helf wol wsar bereit,
dem sl iemer widerseit
min r&t m!n helfe für diz zil etc.
Nun erklären sich die einzelnen fürsten der reihe nach
bereit, ihn mit mannen und mit ihrer eigenen person zu unter-
stützen (ygl. auch Vogt, Salman und Morolf s. cxxxiv). Ebenso
im Reinfried, z. b.
86
dö sprach der marcgr&ye Helmnöt
von Tusc&n
'so nim von mir ze stiure fünf tfl-
sent küener man:
die wil ich mit dir senten, hto, über
den wilden sS.
sol ich selbe mit dir fliezen, so wirt
ir llhte m€.'
39—40
Der herzog Gerwart von Troyen
sendet 500 beiden mit, bleibt aber
auf Ortnito rat selbst daheim :
7946
von Mizenlant der sprach 'ich
und ahzic ritter sunder wer
mit iuch, went ir über mer.'
7949
von Brandenburc der sprach 4ch wil
niht mit iuch der reise zil,
wan mich irret ander pfliht.
») Vgl. 14092 ff.
*) Vgl. 7682 ff: 79101
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366
OESBKE
Ortnit.
40,4
'du 8olt hie heime selbe des herge-
bir^es pflegen.'
51
si w&ren ftlle willic dem rtchen ktt-
nege h^r.
durch des gnotes willen w>en n
dac leben.
Reinfr.
doch Ifin ich inch &n helfe niht,
ich wil inch in einer schar
aheic ritter Uhen dar/
7962
808 wart din reis gem^t
yon mangem ellenthaften degen,
der der yart sich wol bewegen
torste durch den fteten rieh.
. . wan ir einer niht beleip,
ond faorent alle sament dar.
Vielleicht ist auch in den näheren umständen der ent-
ffihrong der braut selbst ein Zusammenhang zwischen Ortnit
und R. zu finden. Beide ritter schwingen die braut auf ihr
ross und reiten davon:
439,4
er spranc in sin gereite, die meit
nam er fQr sich:
yon der bnrcHten si d6 beidin riten.
ir ros gienc enschftfte, niemens si
dft biten.
9270
wan er si b! der hant begreif
nnd hnop si yon der erden dan
üf dac ors. der werde man
die reinen yor im fhorte.
ob ens mit sporne morte?
des wsen ich wol. . .
niht langer er dfi hapte
nnd kßrte sich s& üf die yart
Sie werden verfolgt, doch gelingt es ihnen, da ihnen ihre
mannen zu hilfe eilen, die feinde zu besiegen. Als Reinfried
durch seine Verfolger in höchste gefahr geraten ist, bläst er
in sein hom, und auf dieses verabredete zeichen kommen seine
im versteck liegenden mannen herbei: ein motiv, das in der
spielmannsepik durchaus gebräuchlich ist; vgl. z. b. Rother
4177 ff. Alph. 362 ff.. Sahn. u. Morolf 2654 ff. 2756 ff.
Mir scheint es keines weiteren beweises zu bedürfen, dass
der Reinfrieddichter das thema der brautfahrt nach dem muster
des volksepos gewählt und vielleicht sogar speciell den Ortnit
vor äugen gehabt hat. In der näheren ausfühmng folgt er,
wie an einer anderen stelle dargelegt werden soll, Konrads
Engelhard.
Doch sehen wir uns nach weiteren volkstümlichen motiven
um. In der nacht, da Reinfried der Jungfrau Maria^ die ihm
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8TÜDI8K ZU BEINFBIBD VON BRAüKSCHWBia. 367
im tranme erscheint, eine fahrt ins heilige land geloht, hat
auch Yrkane einen träum; hier dürfte dem dichter bei seiner
Schilderung Eriemhilds träum vorgeschwebt haben. Beide
frauen träumen n&mlich, dass ihnen ein falke, den sie auf-
gezogen, yon zwei adlem zerrissen wird.
Nib.L. 13 R. 13520
es tronmde Eriemhilte in tagenden si hatte einen valken,
der Bi pflac, alB si in al&fe düht, enogen
wie Bi einen yalken wilden sttge (folgt breite anafOhrang).
manegen tac, 13566
den ir sw6n am erkmmmen. bö koment girdecltchen her
in Bnellen flueken Bchier geram
sw6n nngefUege gr5se arn
nnd weiten üf in ziehen.
Ganz genau passt nun aber der träum Eriemhilds doch
nicht fftr die zwecke unseres dichters, denn sein held soll ja
glücklich zurückkehren. Als ihm diese erkenntnis kommt, da
hilft er sich in ziemlich naiver weise. Er lässt Yrkane er-
wachen, ehe der träum zu ende ist, so dass sie glauben muss,
der falke sei eine beute der adler geworden: hätte sie aber
weiter geträumt^ meint der dichter, so würde sie gesehen haben,
wie der falke seinen Verfolgern entkommt.
Yrkane hat auch noch einen zweiten träum, ganz wie
Eriemhild; in beiden fällen wird uns dieser nicht ausführlich
berichtet, sondern die frauen erzählen ihn in kurzen andeu-
tungen ihren männem (Nib. L. 864. R 14945 ff.).
Reinfried erhält von Yrkane beim abschied einen wunder-
baren ring, der die kraft hat, ihn vor gefahren zu schützen,
mit speise zu versorgen und fröhlich zu machen. Einen anderen
ring zerbricht er und lässt seiner gattin die eine hälfte zurück
mit der Weisung, wenn jemals ihr ein böte die künde von
seinem tode bringen sollte, nur dem zu glauben, der ihr die
andere hälfte übergäbe. Diese ringmotive finden sich zwar
auch in der höfischen epik,i) das ändert aber nichts an ihrer
0 Vgl. s. b. Iwein 2945 ff.
Iw. 2947 B. 15059
ich wart nie manne b5 holt ein vingerltn, das selbe golt
dem ich ditz selbe golt du fOnte mit dir ftteren solt
wolde Uhen nnde geben.
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368 GEREKE
Volkstümlichkeit, und darum sind sie nirgends häufiger an-
gewant als eben in der volkstümlichen dichtung. Es darf
wol als sicher gelten, dass die teilung eines ringes mit zur
braunschweigischen löwensage gehörte, die natürlich die
grundlage für den R. bildet. Hätten wir das gedieht voll-
ständig, so würde das noch deutlicher sein. Uebrigens spielt
das zerbrechen des ringes auch im Ortnit eine nicht unwesent-
liche rolle. Ich stelle die betreffenden partien aus dem Ortnit
und R im folgenden zusammen:
Ortnit 545, 3 B. 14778
swaz dir die linte sagen, ob dir min sterben iemen sage,
des solt du niht gelouben, du swer daz in der weite st,
solt niht 86re klagen. des solt du wesen sorgen frf,
kttniginne und frouwe, gip mir din minnecliche reine.
yingerlin. du solt gelouben kleine
swer dir das widerbringe, dem ge- min bitter sterben sonder haz,
loube den tot min. es st denn, süese frouwe, das
swer dir das vingerl bringet, dem ist ich dir üz dem eilende
yil wol geschehen: daz ander Stuckesende
der nimet mir etewaz mßre und h&t daz an daz dtne hoBret.
mich tdten gesehen. wizzest, s6 h&t zerstceret
der tdt min eUendes leben,
swaz man dir sag &n daz geben
des stttckellns Wortzeichen,
so mäht du erbleichen
niemir von keiner riuwe.
In den erzählungen von den wundern des morgenlandes
treten riesen und zwerge auf. Wie schon Bartsch (in der ein-
leitung zum Herzog Ernst) gezeigt hat, ist hier für den Rein-
frieddichter der Herzog Ernst Vorbild. Ist aber nicht auch
der Herzog Ernst eine Spielmannsdichtung? Widerum also
treffen wir unseren dichter auf ihm bekannten bahnen.
Doch noch weiter. Nirgends ist mehr von riesen und
Zwergen die rede als in den epen des deutschen heldenbuches,
und dass der Verfasser des R sicher wenigstens mit einem
teil dieser vertraut war, beweisen schon die verse 25266 ff..
Iw. 2958 R. 15072
sines Steines kraft ist guot: des Steines kraft
er gtt gelttcke und senften muot. ist s6 kreftic und sd guot
er ist BSBlec der in treit. daz er stsete fröhlich tuet
den der in an der hende h&t
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STUDIEN ZU REINFBIED VON BKAUNSCHWEIG.
369
WO er ausser den riesen des König Rother auch Kupriän und
Ülsenbrant, sowie
die risen mit den Goldem&r,
daz riebe keiserlich getwerc,
den walt yeryalte und den berc
hie Yor den Wtllfingen,
nennt. Es wird also nicht auffallen, wenn sich in seiner er-
zählung auch anklänge an die genannten epen finden.
Ich hebe besonders den kämpf Wolfdietrichs mit dem
riesen Baldemar hervor, wie er im alemannischen Wolfdietrich
D dargestellt ist, und vergleiche ihn mit dem kämpf zwischen
Reinfried und dem riesenboten bei den zwergen.
Wolfd. D 7, 82
in dem selben walde vor der bttrge
pl&n
d& erblicte der belt balde den aller
groBsten man
der im vor einen ougen ie was wor-
den kunt:
nmb sinen lip er sorgte an der
selben stunt.
88
über alle boume gienc sin
lenge gar.
er nam stn gnöte goume. der rise
hiez Baldemar.
ein brünje vest von borne het
er geleit an sich,
drin stnont der üz erkome eim beide
TÜ gelicb.
84
er trnoc eine Stangen wol abt
cl&ftern lanc,
einen schilt vor siner bende, der
was niht ze kranc:
einer gebelwende was er tU gellch.
'der tiuyel dich hie sehende!' sprach
Wolf her Dieterich.
Beinfr.
18998
alrßst dem fürsten Teilet
in sorgen gröz sin jungez
leben
19060
des risen lenge was sd hoch
daz si für alle bonme schein.
19140
dd hfit der nngefüege man . . .
an sich ein hürnin warmes büt
über diu w&fen schön geleit.
18926
er fnorte eine Stangen
daz ich ir swsere niht tar sagen
(19176
si sähen siner wunden slac
wol kl&fters lanc und halbe wit.)
18908
er tmoc einen swsBren schilt
höher breiter denn ein tor.
19140
... der nngefüege man,
Beitrige sur geiefaiohto dw deottohen ■pnwbe. XZUI.
24
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370 GEUEKE
Wolfd. D 35, 1 Reinfr.
'du bist des tiuvels braoder, da der lasterhafte tinvels trftt.
nngefüegper zagpe.'
36, 1 18951
'waz sprichestu, kint daz tnmbe?' dn bist ein kint.
38,1 18959
'du redest tnmpltche, dir wonet durch dinen tnmplichen mnot
niht witze bi. 18974
Erist von himelriche macht mich got der den sinen nie verlie,
wol sorgen fri.' ruoche mir eilenden
ouch sine gn&de senden.
39. 1 18939
'wie wiltn, kint daz kleine, d!n ist dir d!n leben yeile ...?
leben danne ernern?* 18973
des antwurt im der reine 'd& wil wer dich reht, wan ich bin hie.
ich mich yaste wem*.
40. 2 19106
der fttrste nnyerzeit sin manheit übermseze
lief d6 zornicllche den grözen lief den grözen risen an.
risen an.
42 19006
der rise mit der Stangen yaste wan der rise siege bot
üf in sluoc. mit siner swsßren Stangen.
44 19028
er schriet im die stange da yon er dem risen sluoc
schiere yon der hant, sin Stangen yor der haut en-
daz si ze zwein stücken yiel nider zwei,
(tf daz lant.
19034
dö zöch er yon den siten ein ein swert er yon der siten
swert unmäzen breit brach
daz ze slnen ecken gar freis- lanc und wol zweiger schuohe
liehen sneit. breit,
daz an allen orten sneit
reht als ein gewetzet sahs.
45 19042
dö lief er zornicliche den wer- den hdhgemuoten wisen
den Kriechen an. lief er dö grimmeclichen an.
Wolfdieterich der küene im also
n&hen kam. ^^ „
19072
underhalp den knie wen be- der fürste rieh h&t im gegeben
gnnd ers risen pflegen
mit also herten streichen ... wunden yil in siniu bein.
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STUDIEN ZU RETNFBIED VON BEAUKSCHWEIG.
871
Wolf d. D
46,2
er bIuoc im ein wunde, daz im
do zehant
daz kroBse zno den stunden
brach üz des libes want.
Reinfr.
19110
er traf in und zertranden
von dem nabel hin ze tal
daz allez sin gebütte Tai
nam nider ze der erden.
Ich glaube, dass bei derartigen übereinstimmangen auch
ein sehr skeptischer beurteiler einen Zusammenhang zwischen
beiden stellen nicht wird leugnen können.
Von demselben riesen, den Reinfried hier besiegt, erzählt
der dichter eine krafttat, wobei er offenbar eine scene aus
dem König Rother vor äugen hat, den er ja, wie oben schon
erwähnt ist, selbst v. 25281 citiert.
Bother (Rückert)
1146
do z5ch man vor Constantlnis disch
einin lewen yreissam,
deme wolde niemanne vor niht h&n.
her nam den knehten daz brot,
her teten over deme tische gröze not.
Aspr!&n begreif ene mit der
haut
unde warp en an des sales want,
daz her al zebrach.
w^ leide eme der kuninc d5
saz!
Reinfr.
18892
er nam yon rehtem zome
ein ungefttegez kemeltier
und warf ez g§n der bürge
schier
mit eins armes swanke,
der starke, niht der kiunke,
daz ez kam für die zinnen In.
swaz ez traf, daz muose sin
ende da von kiesen,
des sach man Verliesen
mangen höher fröuden sin.
Da ich nun einmal den König Rother herangezogen habe,
so sei es erlaubt, gleich noch eine andere stelle in parallele
zu R. zu setzen:
Rother 909
dö solden zw^ne gr&yin
Aspriänis stangin intf&hin.
da was so yil st&lis zö geslagin,
sie ne mochtin sie hebin noch getragin.
an irendancviel sie dar nider,
sie liezin sie durch not ligen.
R. 18926
er fuorte eine Stangen
daz ich ir sweere niht tar sagen,
mit isen was si so beslagen
daz vierzic man die Stangen
lanc
müezen läzen sunder danc
äne wegen län gelegen.
Ich bin weit entfernt zu glauben, dass der Reinfried-
dichter mit bewusster absieht diese stellen des König Rother
Qachgeahmt hat: aber er war jedenfalls so in allen solchen
24*
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m
OEBEKEK
spielmännischen scenen und Wendungen zu hause, dass er ge-
wissermassen unbewusst fast dieselben worte brauchen konnte.
Und das ist alles leicht erklärlich, wenn man in dem dichter
einen fahrenden sieht
Ich stimme deshalb auch Rflckert zu, der (in der einleitung
zum König Rother s. vii— ix) darauf hinweist, wie unter solchen
Verhältnissen Vermischung ähnlicher Situationen und namen
mehrerer gedichte und sagen erfolgen musste. So lassen sich
die im Reinfried vorkommenden riesen Orte und Velle (Orte
ist noch ganz unbekannt, Velle nur in einer jungen Wolf-
dietrichrecension nachweisbar) neben den richtig citierten
Witolt, Grimme und Aspriän als undeutliche erinnerungen
auffassen (vgl. Grimm, D. heldens. no. 80).
In ähnlicher weise möchte ich auch die folgende neben-
einanderstellung zweier partien des Wolfdietrich D und des R.
verstanden wissen:
Wo lfd. D
140
ein Yingcirlin von golde klnoc
und wol getan
an einer snüere stdin vor den rittem
ftf den pl&n
was gehenket schöne für die frouwe
hin.
dar zuo sie justierten durch daz me-
getin.
141
Bwer an den selben stunden
stach durch daz golt so rot,
diu edele juucfronwe im dö
ein kttssen bot.
142
hie mite von den Kriechen der werde
helt gemeit
üf dem anger grttene gßn in ver-
w&fent reit,
in begnnde an schouwen manec
höchgelobter man,
dar zuo die edelenfrouwen s&hen
in gemeinllch an.
Die zwerge im R erinnern an Laurin.
Beinfr.
254
und swer der best ist mit dem swert,
dem ist ouch höhez lop bereit,
diu junge kttneginne treit
ein kttssen an ir mündelin:
daz sol er nßn, wan ez ist sin
swer ez mit lop erringet
ein yingerlin so glt diu schdn
im ouch an sinen vinger.
628
diu liut gemeinlich alle
durch schouwen w&rn geloufen
dar.
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STUDIEN ZU BEINFBnSD VON BBAUN8CHWEIG.
878
Lanrin
55
(Lanrin) ist küme drier spannen
lanc.
Lanrin führt Dietrich nnd seine
mannen in den berg, damit sie sehen ^
S46
waz wünne in dem berge ist.
969
dö fnorte Lanrin daz getwerc
mit im die fürsten in den berc
Darinnen ist eine grosse anzahl
zwerge:
993
die tmogen an daz beste gewant
daz man in allen landen vant:
Ton golde gap ez liebten schin.
Die fttrsten werden gut empfangen,
anfB beste unterhalten nnd mit speise
in kostbaren geschirren bewirtet.
1040
den fürsten was din wile nnlanc.
1050
daz was ir kurzwlle nnde ir spil.
Es folgt Lanrins trenbmch, ge-
fangennähme nnd die befreiung der
fürsten.
1336
(daz getwerc) blies lüte ein her-
horn
daz ez in dem berge erhal:
daz erhörten diu twerc ttberal.
1490
ez erschalte lüte ein hom.
Beinfr.
18524
ir keinz wan drier schnohe lanc
was.
Wie Dietrich den Lanrin vor dem
berge gefangen nimmt, so verstellen
anch Beinfried nnd seine begleiter
dem zwergkönige den zngang zn der
höhle im berge.
18606
hin in die bnrc man fnorte
die herren ellentriche.
diu was so keiserliche
über die mäze gezieret etc.
18528
golt und steine lühte
ab sumelicher houbet.
18532
86 durliuhteclichen f in «
mit hdher koste schöne
kleider unde kröne
von ir kleinen liben schein.
Ganz wie im Laurin.
Von der zwergkönigin heisst es:
18672
kurzewile machet
si vil den werden fürsten hie.
18500
ein hom nam er an die haut
nnd blies daz kreftecliche.
berg und tal geliche
dem home g&ben widerdöz.
Endlich sei auch noch die Virginal angefahrt Von der
stimme eines riesen heisst es:
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374
GEBEKE
Rein fr.
18696
diu grinweliche stimme geben
kond über berg nnd über tal
also j&merlichen schal
daz si fröude störte
allem so ez hörte
nnd mnose dannen ziehen,
diu stimm von yorhten fliehen
tet klein gröz zam nnd wilde,
wan von menschen bilde
wart solich wunder nie gehört.
diu stimme vor der bfirge dort
doz als ein starkez ungewiter.
Beinfried sagt zu den zweigen:
18810
ich wil wenden iuwer leit
ald ich muoz drnmbe sterben.
Virginal
22
ein stimme hörte er Hiltebrant,
diu was in beiden unbekant:
ob si Yon menschen gienge
oder von eines wurmes munt,
daz was in beiden gar unkunt,
und obe den ieman vienge.
der galm in daz gebirge döz,
in walt und üf gevilde
ieze kleine und danne gröz.
diu stimme dühtes wilde,
wan si ir niht m6 beten ver-
nomen.
23,7
wiez umb die stimme wsere get&n,
diu wunder wolde er schouwen.
Hildebrant fragt:
24,11
^von wem duldent ir dise not?
klagent ir mirs, ich rihtes iu
odr ich gelige dar umbe tÖt'
Das mag geniigen, um die völlige Vertrautheit des Rein-
frieddichters mit den Stoffen der Spielmannsdichtung zu zeigen.
— Ich wende mich nunmehr zu dem nachweis, inwieweit der
formelschatz im R. die hypothese, dass wir in dem dichter
einen fahrenden zu sehen haben, zu stützen vermag. Wir
werden natürlich bei einem so späten dichter wie dem Ver-
fasser des R. nicht mehr erwarten, den alten spielmännisch-
volkstümlichen Charakter deutlich ausgeprägt zu finden, hat ja
doch auch schon den epen des deutschen heldenbuches der
einfluss der höfischen gedichte einen durchaus höfischen an-
strich gegeben. Der dichter des R. vollends hat durch sein
intensives Studium Konrads von Würzburg sich so in die manier
des höfischen epos hineingearbeitet, dass vom formelschatz und
von der ausdrucksweise der spielmännisch- volkstümlichen dich-
tung bei ihm nur noch sehr wenig zu spüren ist.
Ich halte mich hauptsächlich an den vergleich mit Wolf-
dietrich D, weil ich hier vielfach auf Jänickes anmerkungen
zurückgreifen kann. Freilich ist auch gerade auf Wolfdietrich
D Konrad von grossem einfiuss gewesen, und so kann man
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STUDIEN ZU REINFRIBD YON BBAUNSGHWEIG. 375
bisweilen schwanken, ob im R gewisse formein spielmännisch
sind oder aus Konrad stammen.
Ortnit C 195, 4 ich wolle i sterben tot (vgl. Jänicke, femer
Grimm, Gramm. 4^ 593. Lichtenstein zu Eilhart 104). — R 5161.
15154. 20219.
Ortnit C 224, 2 wie daz im geschach (vgl. Jänicke). — R.
4044. 12726. 12810. 16622 u. ö. Ebenso Wolfd. D öfters, Virg.
297, 7. Gold. 2, 4. Im älteren mhd. nur wie oder swie ohne daz.
Wolfd. B 372, 3 er sluoc im üf daz haubet einen smnden
slac, daz der Jceiser Ortnit vor im gestrecket lac. — R. 9040 f.
91141 17529 f. (wo allerdings gestrecket fehlt), üeber die
Verbreitung dieser formel in der spielmannsepik vgl. Jänicke
DHB 4, 292. Vogt, Salm. u. Morolf s. cxlvi f.
Wolfd. B 666, 2 unz im sin guot ros vor müede gar erlac
(vgl. Jänicke). — R. 8968 f.
Wolfd. D 3, 65, 1 do der riche keiser die boten ane sach, er
empfienc sie also schone: nu hoerent wie er sprach. Ebenso
6, 120, 1. 220, 1. 7, 143, 1 etc. Virg. 131, 1. 178, 2. 526, 1 (vgl.
Jänicke). — R. 5445 f. Diese formel findet sich nach Jänicke
nirgends in den höfischen epen der guten zeit, eine behaup-
tung, die Vogt etwas einschränkt (Salm. u. Mor. cxli; hier auch
beispiele).
4^ 85, 2. die siege vaste hüllen, ein übel nächgebür
was er in do allen. R. 20502 ff. (vgl. Martin zur Kudrun 650, 4.
Jänicke zu Biter. 1578). — (Konr. Troj. 25657).
5. 216. 2 do välte er üz bieteten manegen herten nagel (vgl.
Jänicke). — R 20084 ff. 20484.
7, 74, 2 mit armen umberüeret (vgl. Jänicke). — R 9398.
10983.
7. 159. 3 äne stegereife er in den satel spranc (vgl. Jänicke).
— R. 9198 f. 17235 f.
9, 102, 2 er gienc vor in houwen also ein eberswtn. — R.
9028 f. 18821. (Troj. 5040); vgl. Lichtenstein zu Eilhart, QF. 19,
CLii. Biter. 12138 f. Reinbot Geo. 430.
[8, 343, 4 (R. 2701 f.). 9, 56, 4 (R. 6882. 7106. 25432). 10, 34, 3
(R. 16165 f. 12067. 14144. 20603)].
Virginal 72, 4 nu läzen wir si riten hie und sagen wiez
dem Berncere ergie 130, 1. 218, 1. 975, 1 etc. Laur. 1758 (Engelh.
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876 GEBEKE
1629 ff.). — R377. 1896. 4451. 8129. 12056. 12363. 15359.
23212 (vgl. Steinmeyer, Gott gel. anz. 1887, 806 f.).
V. 54, 4 von ir swerten rouch ein tunst, 182,7 sant er
von swerte manegen tunst üf gegen des waides tolden, dag
ich des wände ez wcere ein brunst — R, 11298 von dem
schimpflichen strxte huop sich ein tvolkenlicher tunst, daz von
ir siegen gie ein brunst 1042. 17316. Hier scheint speciell
ein ausdruck der spielmannspoesie vorzuliegen, belegt noch
weiter in Dietr. fl., Laur., Rab., Eckenl.
V. 168, 13 dar nach schöss von blühte ein bach, 205, 12. —
R. 9116 f.
Laur. 214 diu naht wart nie so tunkel, ez lühte als der
lichte tac vom gesteine daz am helme lac, Walb. 854 ff. (vgl.
Jänicke z. Staufenb. 252). — R. 18586 diu naht wart nie so
tunkel, man hette liehtes überlast da fanden von der steine glast.
L. 6: 196. 210 in stürmen und in striten. Virg. 82, 10. Gudr.
725, 3. 730, 4. Alph. 99, 4. Bit. 265. Roseng. (Holz) D 36, 2. 55, 1;
auch bei Konr. v. Würzb. (vgl. Jänicke z. Staufenb. 334). — R
957. 22230.
L. 371 gegen ein ander si dö stufen als zwene vaJken die
da flogen, — R. 884 f. 17338 f.
L. 1372 daz bluot durch die ringe ran, 1474 f. Virg. 205, 12 1
(Parton.l4358f.). — R 17490 f. (20412 f.).
lieber andere aus der volkstümlichen dichtung stammende
redewendungen und formein vgl. unten im dritten abschnitt A. 2.
Nach diesen ausffihrungen glaube ich mich berechtigt, den
dichter des R. dem fahrenden stände zuweisen zu dürfen. Die
hauptmasse seines Stoffes hat er vielleicht aus alten lledem
geschöpft, seine darstellungsform aber erscheint infolge des
intensiven Studiums Konrads von Würzburg mehr höfisch als
spielmännisch.
Zweiter abschnitt. Qaellen und Vorbilder.
Es gehört in der mhd. zeit zu den notwendigen forde-
rungen, die man an einen epiker stellt, dass er für seine
dichtung eine quelle nenne. Daher unterlässt es denn keiner
sich widerholt auf eine solche zu berufen, mag er nun vrirk-
Uch eine haben oder mag er sie nur fingieren.
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STUDIEN ZU BEINFBEBB VON BRAUNSCHWEIG. 877
Auch im R finden wir derartige angaben, und zwar
verhältnismässig hänfig, allerdings nach spielmannsmanier
meist ziemlich unbestimmter art. Doch beruft sich der
dichter daneben auch genauer auf bestimmte quellen.
Ich stelle zunächst die allgemeinen angaben zusammen:
1. Mündliche quelle: so man seit 412, als man seit 11887,
als man uns seit 12397. 12402, als mir auch wart geseit 18266,
ist mir geseit 22597; — so hcer ich jeJien 952, als ich hän ge-
hört 25319; — hcer ich die wisen sagen 16, uns sagent ouch
die wisen 18052, ich hcer die wisen alten dich in ganzer wdr-
heitjehen 19880 f.
2. Schriftliche quelle: als ich ejs las 923. 962. 1510. 6242.
12500. 17180. 26775, als ich hän gelesen 20978. 10884. 26717.
26749, daz hän ich von im eigenlich gelesen 18258 f.; — als ich
von im geschriben las 16765, schribet man 26718, von den vil
grozer wunder sint geschriben 26756; — als uns für war diz
mcere seit 146, als daz maere seit 15418; — als uns diu även-
tiure seit 927. 16706, mir seit diu a. für war 5900, nach der
a. sage 11490, von der diu ä, sagt 11882, uns seit diu ä, 13812,
als diu ä, seit 15431, als mir diu ä. swuor 18158, sus seit diu
ä. 27071; — na der buoche sage 26783.
Directe berufungen auf die bibel sind folgende: 18094 ob
ich kan der schrifte wort erkennen (Samuels geburt), 15868
als ich da Mn gelesen an der buoche schrift (Gideon), 15904
als ich geschriben vinde in dem wären buoche (Macca-
bäer), 20960 daz man hiut und iemer mer da von list in der
wären schrift (tempelbau), 15916 als diu bibliä noch seit
(Maccabäer), 26994 diu bibliä bewiset uns dirre sache baz dan
ich (himmelsbrot).
Genauer: 10893 als wirz am iwangiljen hän (hochzeit
zu Cana), 18124 swer welle daz im werd bekant diz dinc üf
ein ende, ze den fünf buochen sende ich in die man Moy-
senen git (Juden in der wüste), 15815 als uns diu buoch noch
tuont bekant (Ägypter ertrinken im Roten meer), 15819 als
ich hän von Abiron und Dathän in der rihter buoch ver-
nomen (irrtümlich für Num.), 25002 gewisheit uns der wise tuot
Salomon in siner schrift, 26818 Machabeorum buoch
daz seit.
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378 6EBEKE
Berufungen auf eine chronik: 17976 als in der cronik ist
geschriben (kaiser Friedrichs wunderbares ende), 18143 ah cro-
nicä diu wäre seit (Zerstörung Jerusalems); vgl. Enikels Welt-
Chr. 28945 ff. 24331 ff. s. unten).
Andere quellen: 10421 als Wolferan von Eschilbach in
Titurelles buoche sprach (vgl. 16584 ff.), 16678 Uz dojs der
Märe Parziväl im sine helfe tet erkant, als ich in sime buoche
vant von dem von Eschilbach geschriben, 18017 diu wunder
. . . diu in dem buoch der hintheit von gote noch schone stänt
geschriben (s. unten), 21056 ir hänt wol gehoeret tvie ein her-
zog üzer Beigerlanty Ernest s6 was er genant, und gräve
Wetzet sin man hie vor ouch zuo dem steine kan, als ich von
in gelesen habe.
Quellen aus dem classischen altertum: 8216 Virgilius seit
über dl, 22590 swer üf ein ort wil wizzen daz von anevanc unz
an daz drum, der sol lesen Stattum Achilleides, da er hie
von vint stnes hergen ger, 22488 als man an Claudiänö seit
Ovid wird genannt 10772. 24563.
Sehr interessant sind zwei ausführliche äusserungen des
dichters aber sein Verhältnis zu seiner quelle, bez. zu seinen
quellen:
56 und würd diu rede ouch liht ze lanc
ich sag inch als mir wart geseit des l&z ich ir yil nnder wegen
sauder longen &ne trüge. und wil einvalteclichen Stegen
daz ich mit Worten umbe flüge, üf der aventiare w&n
d& zuo so ist min sin ze kranc, der ich mich nnderwnnden h&n.
Sehr naiv klingt das andere bekenntnis:
19922 ich sag ez inch ouch sunder spam.
da von mich nieman str&fen sol swers niht geioube, der laz yam,
umb lüge, ich wsene ez sige w&r. wan ich geloub an disem zil
ob ez joch waer erlogen gar, dar an so vil ouch als ich wil,
daz wolt ich doch kleine klagen. und mag ez sicher offenbar
ich sach sin niht, ich hört ez sagen, allez samt wol wesen w&r.
Zu all den directen berufungen auf quellen kommen nun
noch zahlreiche anspielungen auf die höfische literatur, auf die
Volks- und spielmannsepik, auf mittelalterliche sagen und fabe-
leien, auf die dichtungen der alten, so dass wir also bei dem
dichter des R. eine grosse belesenheit finden. Es dürfte sich
demnach wol verlohnen, diesen beziehungen einmal nachzu-
gehen; denn durch sie hat der B., wenn man seinen poetischen
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STUDIEN ZU BEINFRUSD VON BBAÜNSCHWEIO. 379
wert auch gering anschlagen mag, doch entschieden eine ge-
wisse bedeutung für die mittelhochdeutsche literaturgeschichte.
Ich fasse also in den folgenden quellenuntersuchungen das
wort quelle nicht in seinem engen sinn, sondern stelle mir die
aufgäbe, die literarischen beziehungen überhaupt zu verfolgen.
I. Höfische epen.
1. Konrad von Würzburg.
a) Reinfried und Engelhard.
Der plan des R. umfasst drei teile: die brautfahrt Rein-
frieds nach Dänemark (v. 1 — 12658), des herzogs zug in den
Orient (v. 12659— 27206) und seine rückkehr (v. 27207 bis
schlttss). Nur die ersten beiden teile sind erhalten und vom
dritten der anfang. Das motiv der brautfahrt hat der dichter,
wie wir schon gesehen haben, der spielmannsepik entlehnt;
auch schliesst er sich ihr in der ausfuhrung einzelner züge an.
Für die composition des ganzen aber ist ihm in weit höherem
masse Eonrads Engelhard Vorbild gewesen.
Im eingang des R. und Engelhard heisst es nach der all-
gemeinen einleitung:
B. 65 E. 221
hie vor ein werder fttrste was dö lebte in Bnrgfontriche
der saht und §r ie an sich las yii getrinwecUche
mit milt und ritterlicher t&t. ein herre Ton gebürte fri.
dem wonte znht nnd §re bi,
milte nnd ganzin stsete.
118 240
er pinte*) leben nnde Itp sus hsete er sich gepinet^)
dnr §re in werder ritterschaft. üf tugent für die bmoder sin.
122 248
ze swerte sper und schilte üf allin ssBleclichin dinc
stnont sin sin nnd der gedanc, stnont sines herzen girde.
wan er n& ritterschaft ie ranc. sin mnot n&ch hoher wirde
knnde ringen nnde streben.
Der ort der handlung im ersten teil des R. und im E.
ist überwiegend Dänemark. Yrkane und Engeltraut sind die
königstöchter. Engeltrauts mutter ist tot (v. 1767); auch Yr-
0 sich pinen u/" noch R.911. 990. 14362. — Part. 8700. 9554.
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380 GERERE
kanes mutter haben wir uns wo! als verstorben zu denken,
da sie nirgends erwähnt wird.
Reinfried erhält durch einen knappen die aufforderung zum
tomier nach Dänemark. Die Schilderung des knappen von der
Schönheit Yrkanes lässt ihn sogleich in liebe zu ihr entbrennen.
Der dichter äussert seine Verwunderung darüber, da Reinfried
die Jungfrau ja noch gar nicht gesehen hat. Er spricht hier
einen ähnlichen gedanken aus wie Eonrad, als Engeltraut mit
ihrer liebe zwischen Engelhart und Dietiich schwankt
B. 496 £. 1042
Bit n&ch des ongen wirde daz herze muoz empf&hen
ein herz üf minn sich rihtet, liep oder leit vil dr&te
daz ouge mnoz gepflihtet al nAch der engen r&te:
ze boten an daz herze sin. wan swaz den ongen sanfte taot,
nnd swie si went, der ongen schin, daz dnnket onch daz herze gaot
d& volget sin nnd herze n&ch. nnd ist im zw&re wol d& mite.
herze nnd ongen h&nt den site
daz si gehellent nnder in.
Der Reinfrieddichter fügt dann aber zur erklärung noch
hinzu:
V.534
ein ong sich mac verg&hen dick wider slnen willen tnot
so daz ein herze nmbehnot an nnbesinter minne.
Engelhard findet auf seiner reise nach Dänemai'k unter-
wegs an Dietrich einen gefährten; beide schliessen innige
freundschaft.
£. 805 si wären zaUen stunden
zesamene gebunden
mit höher minne stricke.
Aehnlich heisst es später von Reinfried und Yrkane:
B. 3056 wan minne mit gedenken bint
si beidin in der minne stric.
Die Schönheit Yrkanes wird wie die Engeltrauts in über-
einstimmender weise ausführlich geschildert Doch zeigt sich
hier eine herübemahme von gleichsam formelhaften Wendungen,
in denen sich Konrad bei darstellung ähnlicher Situationen
gleich bleibt. Wir können nämlich hier auch die Schilderung
der Irekel im Partonopier heranziehen.
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STUDIEN ZU BEINFBIRD VON BBAUNSCHWEIO.
381
R. 220
ir spilet dz den ongen
diu miniie mit ir stricke.
1612
wan d&E kttflsen hetzet
mich in den t5t mit senfter gift,
sam din Syr^ne, so man schift
b! ir, tuot mit der stimme.
2110
ir reidez hftr ir nnder
der vil riehen kröne schein
dnrlinhteclichen reht als ein
schon durwUnscht gespunnen
golt
(vgl. 22510).
2117
üz wizer Stirnen glizzen,
reht als si dar gerizzen
w8Bren, hrüne br&wen.
2123
... ir goltyarwez h&r.
tf dem schein dnrliohtic kl6r
golt und drin gewieret
edel stein
(schapel y. 2178. 2247).
2144
lanc nnd als ein slde gel
was ir h&r, daz verre hienc
für den gürtel, swar si gienc.
vgl. 26176
gerispelt reit und d& hl yal
was ez reht als ein slde.
2152
din minnecllche hlttete
dnrlinhter denn ein mandel.
an ir so wart kein wand el-
flecke nie beschouwet
(vgl. 3844 f.).
E. 2281
ein spilender ongen blic
d& von ich in der minnen stric
alsd kreftecllchen viel.
2216
si tuot als diu Sirene,
der stimme ist also schoene . . .
(Troj. 2668 ff. u. ö.)
vgl. P. 8638
ir h&r als ein gespunnen golt
schein durliuhtic über al;
vgl. 13565
sin h&r schein als gesp. g.
E. 2982
dft swebeten brftne brftwen obe.
3010
man sach von golde ir eine snuor
zeinem schapel üfe ligen,
diu über al was wol gerigen
vol edeles gesteines;
vgl. P. 8650
sieht und wiz diu stirne.
8667
zwd smale brftne br&wen.
8683
ir goltvarwen h&res ...
vgl. P. 8640
für den gürtel hin ze tal
sluogen ir die zCpfe lanc ;
vgl. Troj. 23244. Part. 9430.
Jänicke zu Wolfd. D 8, 323, 3.
E. 2998
ir 11p n&ch edeles herzen gir
in höher wunne bluote;
vgl. P. 3348
so wsBre an im kein breste m6
gewesen noch kein Wandel,
stn jugent als ein mandel -
boum in ören bluote;
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382
QBREKE
R. 2156
ir 11p den h&t betonwet
allin sselde tongen.
2194
Yrkane fibertrifft Jeschute de la
Lander an Schönheit des mnndes.
2208
ftz dem mflndel wart gesehen
zene n& helfenbeine.
wlze dflnne nnd kleine
si gewttnschet wftren dar.
sam die wilden rösen var
IQhten lieht ir wengel,
nnd hienc des h&res strengel
ein löckel reit da bl zetal.
▼gl. Gold. gm. 432
von dir kam dar mandel-
kerne dnrch die schalen ganz.
£.2996
diu sselde waa yü manicvalt
der ein wnndä lac an ir.
▼gl. P. 7562
mit sselden ist betonwet
inwer nam nnd inwer Itp.
£.2991
£ngeltrant fibertrifft Isolde an
weisse der zahne.
£.2989
nnde stnonden kleine zene.
▼gl. P. 8672
dar inne sam ein helfenbein
stnonden kleine zene wiz.
ir wen gel w&ren beide
rot alsam ein rosen blat
d& hiengen zw^ne locke reit
ir golt^arwen hftres ffir.
£.2986
ir Wangen roeselehten schin
beide g&ben alle stnnt.
2970
und was ir hit gendte
brfin nnde reit bi disen zwein.
2966
schoßne nnd minnecllchge^ar
gemischet als milch nnde als
was ir liehtin varwe gnot. [blnot
3684
reht als ein milch und als ein
blnot
▼il wol gemischet under ein;
▼gl. P. 8656
reht alse milch unde blnot
wiz unde rdt ir ▼arwe schein;
diu zwei gemischet under ein
stnonden wUnneclichen d&
(vgl. Troj. 3024).
Vgl. Jänicke zu Wolfd. D 6, 100, 3. Wackemagel, KL. sehr. 1, 155.
Wackemell zu Hugo ▼. Montfort 5, 35.
2220
minneclicher schoener l!p
wart nie so sttezer noch so gnot
als d& man milch und da zuo
blnot
in rehter mftze mischet.
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STUDIEN Zu REINFRIED VON BRAÜNSCHWEIG.
383
22S6
d& bt ein kerz ir slehtin kel,
wizer denn ein hermel.
2248
stirne brftwen öngel kl&r,
nase mündel tinne,
hüffel wengel kinne.
2258
so durlinhtic llbes vel
wart nie noch sd reine
von fleische noch gebeine
8W& si schein vor der wsete.
2266
hdch nnd kleine bruBte
reht als ein apfel sinewel.
wizer denn ie kridemel*)
wen ich daz ez wsere.
E. 2994
dnrlinhtic wiz ir kele schein.
Ygl 3002
ir wären bein nnd arme sieht,
gewollen als ein kerze;
vgl. P. 12562
ir stirne ir ongen nnde ir kel,
ir nase ir mnnt ir tinne,
ir Wangen nnde ir kinne;
vgl. Trist. 923
ir h&r ir stirne ir tinne
ir wange ir mnnt ir kinne.
E. 3039
daz man dar dnrch
[durch das hemde] ir wtze hüt
sach liuhten b! den ziten.
3044
ir senften brüstelin
als ez zw§n epfel wseren;
vgl. P. 1568
nnde morte ir süezen brnst
din sam ein apfel was gedr&t.
Die darstellnng der Schönheit Helenas im Troj. 19865 ff.
bietet ferner sehr viel ähnliche züge.
Als Reinfried im tumier gesiegt und als preis turteltaube
und kuss von Yrkane empfangen hat, führt sie, die gleichfalls
in liebe zu ihm brennt, ihn in ein zeit, wo sie dann beide mit
süssem minnegeplauder die zeit verbringen. Bei ihnen ist noch
eine treue dienerin. Vorsichtig verlassen alle drei nacheinander
in gewissen Zwischenräumen das zeit. Dennoch hat sie ein
dänischer graf beobachtet, und aus dem verwirrten haar Yr-
kanes ahnt er das vorgefallene; nur geht er zu weit in seinen
Vermutungen, indem er als sicher annimmt, Yrkane habe ihr
magdtum preisgegeben.
Auch Engelhart und Engeltraut bekennen sich, als sie
allein sind, ihre liebe und, nachdem Engelhard in einem tumier
in der Normandie sich als siegreicher ritter gezeigt hat, gibt
1) Dieser vergleich nnr noch Troj. 14000. 19989.
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384
OERBKE
sich Engeltraut ihm hin. Hierbei werden beide vom grafen
Ritechier entdeckt.
Beide grafen sind natürlich im höchsten grade eifersächtig,
machen, was sie gesehen haben, bekannt nnd erklären sich
bereit, für die Wahrheit ihrer behanptnng mit dem schwarte
im gottesgericht einzustehen:
E2422
üf einem grüenen plane wit
ein rieh gestüele wart bereit.
und wart der kämpf gesprochen
schier über sehs wochen,
als ez was billich unde reht.
R. 6602
ze yelde wart der tac geleit
ftffen einen witen plan.
gestUelet wart dö sonder wfin
nftch kttneclicher pflihte.
Die übliche frist von sechs wochen vom tage der fest-
setzong des gottesgerichtes an wird in beiden fällen angegeben:
6814 4119
mit nrteillicher 16re
wart der kämpf gesprochen
von der zlt sehs wochen
und drtge tage, s5 man seit,
n& kampfes gewonheit,
als ie dd was und noch ist
(vgl. übrigens Iwein 5756:
nn wart der kämpf gesprochen
über sehs wochen).
Ein gottesgericht stellt Konrad von Würzburg auch im
Schwanritter dar. Mit der darstellung im Schwanr. zeigt der
R. manche berührungen. Die ankläger — im R. der dänische
graf, im Schwanr. der fürst von Sachsen — sind beide so her-
vorragend tapfere und berühmte ritter, dass sich keiner finden
will, der es wagt, in einer so heiklen sache ihnen gegenüber-
zutreten:
IL 6754
nn lepte in den zlten
niht reschers ritten denne er was.
d& von er tU kleine entsaz
das in ieman bestüende.
6760
d5 diz beschach, der künic saz
in sorgen j&merliche.
• . . in der ait nie ritter swert
Schwanr. 590
der Sahsen fürste hoch
schein also krefte riebe
daz niender sin gellcbe
lebt über allez Niderlant
nnd man dekeinen ritter vant
als ellenthaft ze Sahsen.
604
der künec selber trürec wart,
daz man dö kempfen solde,
wan er gelonben wolde,
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STUDIEN ZU BEIKFBIBD VON BRAUK8CHWEIG. 385
nmb den lip begnrte, * daz nieman würde fcmden
den man ze bühnrte sd frecher bi den stunden,
der für die fW>nwen vsehte.
bezzern fbnde denne er was.
Kammervoll und fragend lassen die frauen ihre blicke
umgehen, ob sich denn nicht ein kämpf er ffir ihre Unschuld
finde, vgl. R. 6854—6875 und Schwanr. 639—664.
Im R. wie im Engelhart kommen die kämpfer für Yrkane
und Engeltraut im letzten augenblick noch eben rechtzeitig
an. Beide sind ganz weiss gekleidet:
B. 8569
ein banier wlzer denn ein swan.
d& ndt 86 was ros unde man
yerdecket an der zite. £. 4688
mit wizem semite der faorte von samite blanc
er aller in ein ander schein. decke und knrslt wol g^sniten.
Der kämpf beginnt; er wird im R. wie alle anderen ganz
in Konrads weise mit denselben formelhaften Wendungen dar-
gestellt. Ueber diese allgemeinere nachahmung später. Jetzt
möchte ich hier nur die beiden stellen im R. und E. verglei-
chen, in denen sich doch auch charakteristische, sie von den
übrigen kampfesschilderungen unterscheidende zuge finden.
8897 4848
die schilt si für sich drahten, die Schilde für sich hnoben
diu swert si höhe znhten. ze schirmen die yil kttenen.
4830
din swert begnnden si zehant
zücken.
8908 4876
die f iure 8 blicke sprangen üz dem gevegeten Isen
nach der siege dozze, des fiures blic höh üfe stonp.
als ob der donre schazze 4^15
üf ir beider hehnes tach. daz des braches klac
golt und edel stein man sach i^te alsam ein donerslac.
risen von den starken siegen. .g.^.
daz von den stahelringen
geschach ein michel rtsen.
9032 4851
mit starken siegen Idnen ir siege wftrenalsd grdz
wolt er mit grinuner herte daz ti einen anebdz
dem der M in berte geschach nie groezer tengeln.
alsam er wser ein anebdz.
Beitrage rar geaobiohto dar deotwlMn ^pnoh«. XXm, 25
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S86 OBfiEKfi
Wie Reinfried von seinem gegner, so wird Dietrich-Engel-
hard von Ritschier zuerst niedergeworfen (R. 9038 ff. —
E. 4908 ff.).
Aber Reinfried und Dietrich-Engelhard erheben sich wider
(R. 9046 ff. — E. 4921 ff.).
Es gelingt ihnen ihre gegner völlig zu besiegen, deren
leben in beiden fällen nur durch das einschreiten des königs
gerettet wird. Als preis fällt jedem sieger die dänische königs-
tochter zu.
Reinfried fährt nun seine geliebte heim. Ihr abschied
von ihrem vater Fontanagris (v. 11555 ff.) erinnert deutlich
an den abschied Engelhards von seinem vater (v.338 — 383),
als er seine reise nach Dänemark antritt. Beide väter geben
ihren kindern gute ratschlage, insbesondere den, schlechte
gesellschaft zu meiden: R. 11730 vor allen dingen fliehen sali
du bces geselleschaft.
Engelhards vater gibt seinem söhne drei äpfel; wenn ihn
jemand um gesellschaft bittet, soll er ihn damit prüfen. Er
soll ihm einen apfel anbieten: isst er diesen ganz allein, ohne
ihn mit seinem geber zu teilen,
E. 3M)
8Ö mit, yil henelieber knabe,
alle sine geseUeschaft
B. 11748 368
min kint, du soll mit ganzer kraft dar nnder ich dich biten wil,
dich stseter tngent flizen. daz du getriuwe gerne slst.
in d^mnot yerslizen hie mite dn dir selben glst
solt dn din minnecUche zit. yil maneger hande werdekeit
znht bescheidenheit din git triuw ist daz beste £ren kleit
dir hdhgelopte wirde. daz den frinntl6sen man
bis milt in herzen girde: in dem eilende kan
stsete kiusche trinwe erfrOnwen unde erhoBhen wol.
sol din herze ninwe
mit der erbermde halten.
Beide väter sichern ihren kindern zu, dass es ihnen gut
gehen wird, wenn sie ihren rat befolgen.
11714 364
wilt du in din herze graben nnd hftst du die bescheidenheit
min i§re, daz bringet dir heil. daz dn behaltest min gebot,
ez birt dir hnlde, sam mir got,
nnd bringet dir noch scelden vil.
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STUDIEN Zu KEIKFRISD VON BBAÜNSOHWBia. S61
Die kinder versprechen auch ihren vätem gehorsam:
R. 11785 E. 376
81 sprach 'veterlin, ich wil 'vater' — sprach er — 'ich ensol
dir üf mtnes tödes zil niht sehrechen dinen r&t.'
Yolgen iemer sunder haz.
swas dn h&st ger&ten, daz
Wirt Yon mir ToUendet'.
Was der dichter von Beinfried und Yrkane nach ihrer
Vermählung sagt, Iftsst sich vergleichen mit Engelh. 900 ff. :
10788 900
swa wip üz herzen rüme wan 8w& daz wip beginnet wegen
tnot schäm g^n liebem manne in ir herzen mannes tngent
und sich din minne danne und mit' gedenken sine jngent
den gilt mit giicher schanze, wil mezzen und ergründen,
dft h&t der minne lanze d& kan din minne enzünden
getroffen und beheftet. herze nnd mnot dem wibe
n&ch des mannes Übe.
B. 12658 ist ein förmlicher abschluss des ersten teiles, und
es scheint fast, als ob der dichter ursprünglich auch nur diesen
ersten teil zu dichten beabsichtigt hat:
B. 12650 £. 6463
ir mnot ir herze klepten gelücke in hdhe stinre bot
ein ander in dem sinne si lebeten beide nnz an den tot
mit ungemischter minne frcelichen nnde schdne.
in ganzer liebe schöne. diz heil gap in ze 16ne
dfi von wart in ze löne ir trinwe der si wielden.
hie der weite pris gegeben, wan si ze herzen vielden
und dort vor got daz Swic leben gar lüterliche staetekeit,
daz frö frisch iemer m€ gest&t, s6 wart in sselde tu bereit
so erde nnd himelrfch zerg&t in himele nnde tf erden.
Ich halte es auf grund dieser parallele für gesichert, dass
der Eeinfrieddichter bei der composition der Vorgeschichte
seines beiden sich Konrads Engelhard zum muster genommen
hat. Er hat die brautfahrt in allen wesentlichen zflgen mit
motiven aus diesem epos ausgestaltet und hierbei engen an-
schluss an Konrad gesucht.
Selbständig eiugeführt hat er eine ganze reihe von königen
und fürsten, die am tumier in Dänemark teihiehmen. Deren
namen nun wirft er beständig durcheinander. Ich führe die
betreffenden stellen an.
y. 740 mit im der künic Paiarei,
die h&t gefüeret über mer des herze ie n& trinwen schrei,
25*
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888 GEBBKB
wan im kein lasier was bekant. 938
dar was der künc von Engellant der jnnge künic Palarei,
onch komen hin mit grözer mäht, an schänden gar der tnege,
Flörin, der ie nfi §ren Taht. (er was ze Norwsge
gewaltic künic nnde vog^t),
kam üf die heide onch gezogt.
Hier ist also Palarei könig von Norwegen (ebenso 564.
1859. 2725) und Florin (oder Floris) könig von England (ebenso
1178. 1813. 2728); nichtsdestoweniger heisst es v.912 nu kan
dort üf der heide Palarei, hünc von Engellant
Total verwirrt aber sind die namen an folgenden stellen:
V. 288 ff. von Schotten ^den hünc Loris, Lerän von Berbester
[s. Troj. 23921 : Lerant von Schotten; der name Berbester stammt
wol aus Wolfr. Wh. 329, 15. 397, 17; vgl. Wolfr. Tit. 42, 2], ein
heraog von Wintsester Partus der fürste ziere, v. 575 ff. Loris
der Schotten vogt, Parlus ein vil werdet degen, der heraog tu
Berbester, Jörän von Wintsester, v. 750 ff. Loris der hünc ge-
hiure von Schotten, Fontänägris von Tenemarh, Jörän von Ber-
bester, der herzog üz Wintsester, v. 1057. 1417. 2729 Parlus von
Schotten, v. 1507 Parlus von Wintsester, v. 1529 Tumis von
Berbester,
Schliesslich möchte ich hier noch die Übereinstimmung des
Schlusses des R. mit einer grösseren partie des Engelhard con-
statieren. Die insel nämlich, an die Reinfried auf der heim-
fahrt vom Sturme verschlagen wird, ist ganz ähnlich geschil-
dert wie die, auf der der miselsQchtige Dietrich sich aufhält
Beide inseln sind mit den herrlichsten bäumen und kräutem
bewachsen, die vögel singen ihre schönste sommerweise; denn
der mai ist gekommen,
Uebrigens finden sich ähnliche Schilderungen auch in der
Klage der kunst, im Partonopier und im Trojanerkrieg:
R. 27514 E. 5326
manic vogel suoze der liehte Büeze meie
sin stimme lie dft hoßren, was komen dd mit stner mäht
wan der meige enbouren
von abrellen wolte;
vgl. Kl. 2, 7
der meie het dft wol sin gras
geroeset and geblttemet.
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STUDIEN Zu BEIN7RIED VON BRAUKSCHWEIG.
389
B. 27524
kleiner vogel simgpeii
sich rnsten üf ein singen,
die des winters twingen
tet in sorgen swtgen:
die hörte man tf stigen
nü in hohem Infte
mit frönden richem gufte,
wan ir sorge was d& hin;
vgl. Kl. 3, 7
d& s&zen vogel dfe gnot
nnd sangen süese wtse;
Troj. 16604
dA mange stteze wlse
diu Yögelltn M singent.
üs
R. 27544
grüenen bellen
schöne
kloup
sich manicminnecltchinbluot.
swas ongen ören sanfter tnot,
des sach und hörte man hie kraft
[vgl. 17155
Sit herzen ongen sanfter tnot];
vgl. Kl. 3, 3
man sach d& lachen wize bluot
üf dem grüenen rise;
Lied (Bartsch) 20, 3
üzer bellen schöne plinfet
manger lösen blüete klnft.
B. 27588
ein küeler brnnne flöz dft nft
des nms gap klingelenden val.
dnr hürst nnd stüden hin ze tal
er sich wünneclichen lie.
BeinMt der höchgebome gie
durch kurzewü dem wazzer n&ch.
27594
im was ze kapfende so g&ch
an bluomen bluot und kriuter smac.
E. 5333
und hsBten sich gehüset drin (im
laube)
diu wilden waltvogeltn
vor der hitze durch gemach.
ir niuwen sumerwtse
erklancten si dar under
ze wunnen und ze wunder
und triben des gnnoc unde vil;
vgl. P. 13284
der meie hete dö gevröut
mit der liebten künfte sin
diu wilden waltvogelln,
dar umbe ald& ze prise
ir süezen sumerwtse
wurden lüte erklenket.
si heten sich gesenket
in die schcenen boumes bluot
und liezen süeze stimme guot
des m&les hellen über al.
£. 5330
üz grüenem loube glesten
sach man die snSwize bluot.
5342
der ören und der ongen spil
was dft vil harte manecvalt;
vgl. 1045
wan swaz den ongen sanfte tuet
(1198).
£. 5322
hie mite kam er durch daz gras
geslichen zuo dem brnnnen kalt.
5344
der brunne lüter unde kalt
gienc rüschende unde klingende.
5356
wazzer bluomen unde gras
sach er mit vollen ougen an.
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390
OlSBEKE
Vgl. Troj. 16510
ein brnnne Itlter unde kalt
ta einem veLse g&t derbi.
16518
ez klingelt üe dem steine
se wünsche in unser ören.
R. 27604
sin herz und sines libes lider
hatten von der arbeit,
so er ftf dem wazzer leit,
groze müede an sich genomen.
d& von ein släf begnnde im komen
daz er in die blnomen seic.
vgl. P. 13276
ein herberg nnde ein obetacb
was ime ald& gewnnnen
bi eime kalten brunnen,
d& grüene bonme sluonden obe.
£. 5422
nnd was von deme gange
den er zno dem bmnnen gie
86 gar nnmehtic worden hie
daz er entslief n&ch slner klage.
alsos der filrste wert entslief.
b) Kampfesschilderangen im Reinfried
und bei Eonrad.
Bevor Konrad seine ritter zum tumier oder zum kämpfe
reiten läset, werden wir erst bis aufs genaueste über ihre
rüstnng informiert Ebenso ist es im R.
Wir besitzen von Konrad ein gedieht, dessen hauptinhalt
eigentlich solche Schilderungen des waffenschmuckes der ritter
ausmachen; ich meine das tumier von Nantes, das ja auch die
spätere Wappendichtung einleitet. Die Übereinstimmung mit
den entsprechenden partien des R. ist ausserordentlich.
R.882
man sach daz in die schilte
geteilet w&ren in zwei vach,
von obene dur des randes tach
gehalbieret dar den spiz.
von Ariibi gap liebten gliz
daz ein vach von drin stücken,
daz golt sich anderdrücken
niht l&t mit keinem glaste,
von zobel glizzen vaste
driu ander Stacke gezilt.
s5 ftiorten si den halben schüt
geworht mit hohem filze,
von finen berlen wtze
was daz ander überleit,
and was n& wünsch dar In gespreit
Ton rabin rot^) ein halber ar;
T. 398
der herzog einen tiaren schilt
von zweier yarwe stücken
für sich begande drücken
n&ch ritterlichem rehte.
sin halbez teil stilfehte
Ton zobel and von golde was;
daz ander stücke^ als ich ez las,
erschein darliahtio wiz hermin,
and was von röten kelen drin
geleit ein halber adelar;
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STUDIEN Zu BEIKFRIBD VON BRAÜNSCHWEIG.
391
▼gl. T. 434
den schilt den ftiorte er nnde tinoc ein glanser adelar nch bot,
Terdecket mit hennine, der was von liehten kelen r6t,0
dar dz in liehtem schine und schein das velt wis als ein sn^.
R.866
sins helmes tach zw^n wedele
▼on ph&wen h&nt bedecket,
in schrankes wts gestrecket
heten si sich bevangen.
von golde lieht die Stangen
ftf den wedeln glizzen.
922
ftz Ar&bie was sin schilt
Yon glanzem golde, als ich ez las.
von rnbin l&gen drin gespreit
entwerhes dri Ißparten.
man sol dem herren zarten,
der alzns keiserltchen vert.
R. 1008
dft von er sich bekleidet h&t
in stsBte varwe UsürbU.*)
B.1482
von golt ein lichter pfelle
was sin covertinre,
nnd was nft höher stinre
von kelen r6t dar In geleit
£. 2522
eins ph&wen zwSne wedele
fnort er üf slnem helme gnot.
T. 408 = Schwanr. 916
der fttrste wol gezieret gar
üf sime glänzen helme klnoc
üz eines ph&wen zagele tmoc
zwd wttnnecltche Stangen
bedaht nnd nmbevangen
mit golde lieht nnd edele
biz an die zw§ne wedele
der ph&wenspiegel videiin,
die glänzen wnnneclichen schtn
ftf der plante b&ren.
die Stangen beide w&ren
tf den heim dnrch liehten pris
geschrenket schdne in crinze-
wls.
T. 810
mit golde lieht von Ar&btn
was im [dem schilde] sin velt be-
decket,
und wären drin gestrecket
entwerhes dri l§parten,
der glaste mnoz ich zarten
nnd ir gederde reine . . .
nnd wären üz rubinen
nach hoher wirde Idne
geleit zein ander schöne.
T. 360
er fnorte von samite
liehtin wäpenkleider an,
dar üz golt nnd gesteine bran
kostbsere und üzer mäzen fin.
0 Vgl. B. 1485 von kekn rot T. 377 von rubinen rot Part 20536
von röten kden wM dar in geenUen manec addar.
s) läsürm und läsürvar bei Konrad sehr beliebt; vgl. £. 2507. 2540.
.T.251. 479. 626. 670. Part 808. 5214 a.ö.
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392
GEBBKE
fd BchilteB tach und w&fenkleit
eins 10 wen bilde grimmende
nnd üf ze berge klimmende
reht alsam er lepte.
umb den löwen swepte
einsmal gezieret schiltes rant.
von golde rieh der strich erkant
was
nmb des schiltes renke,
die des löwen pfl&gen,
von Saphiren l&gen
liljen klein dar in geworht
zwiyaltecllcher varwe schln
mit golde slnen schilt bevienc
ein rant geblüemet dmmbe gienc
so r6t als ie kein rose erkant.
euch was enmitten ti den rant
geleit ein güldln strickelin.
die bluomen sach man üz und
die von dem rande lühten [in,
nnd alse liljen dfthten
gestellet an ir bilden,
der schilt mit einem wilden
löuwen stnont verdecket,
der was in golt gestrecket
nnd lühte von mblnen rot.
T.488
sin heim was mit zwein hörnen
gezieret wol in fUrsten wis.
T. 302
er füorte liebten cycl&t
der mit golde was gebriten,
dar üz sin w&penroc gesniten
und sin coTertinre was.
Von den rossen heisst es: R. 1010 ein groeee ros, was apfel-
gra\ dazu vgl. Part. 11820 ^n varwe diu was apfelgrä, Schwanr.
864 vil schöne gris und apfelgrä, so schein daz ros von sneUer
art\ ferner R. 414 gröeiu ros sware als ein bech^ ein vergleich,
den ich häufig nur bei Konrad belegt finde, vgl. Schwanr. 904
(das ross) lühte alsam ein swarzee hech\ sonst von der rflstung
gesagt: E. 4692. T. 447. P. 21004. Troj. 11992, einmal auch vom
baren: P. 18258; vgl. auch Veldekes Eneide 5265 (vom schwänz
des rosses), und Heinr. v. Neustadt, Von gottes Zukunft 6517
(vom teufel).
In allen tumier- und kampfschilderungen bedient sich der
dichter des R. derselben formelhaften, typischen Wendungen,
die er aus Eonrad entlehnt hat
Das ansprengen der kämpf er wird wie folgt dargestellt:
▼on dem striche rtteren
sach man die blnomen ftz nnd in.
1522
von golde lieht slns helmes tach
zwei hörn h&ten bedecket.
17066
▼on golt ein liehter cicl&t
mit edeln steinen schon dnrbriten
was sin covertiur gesniten.
R. 1024
nnd als der wandeis Me
ti in gehört das kapf en,
man sach in dr&te stapfen
g6n im tf ein tjoste.
E.2572
des wart üf den yil kl&ren
gennoc nnd yil gekapfet
swenne er kam gestapfet,
so spr&chens algemeine . . .
kapfen : stapfen Part 16089. Trqj. 12775.
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STUDIEN ZU BEINFBIBD VON BBAUNSCHWBIG.
393
R. 1714
Bchdne geflörieret
sach man si semen stapfen.
ez solte niemen kapfen
dem andern dö dar füeren.
2011. 23075 gekapfet : gestapfet.
17306
nnd k&men geleisieret her,
niht als si riten, als si fingen.
1086
din ors zesamen draten
reht als ob ai beide fingen.
17142
sin vart niht gie, er kam geflogen.
vgl. 884 f. 1044 ff. 17338 f.
20144
er fnor in dem strlte
alsam in r6r diu windes brüt.
8864
von ietweders ringes ort
sach man si b#de sprengen,
den orsen bMe hengen
si künden g^n dem jnste.
886
din bein sach man si biegen
d4 neben zno den lenken.
17308
in orses spmnc din bein si bugen.
892
man sach din ors erspringen
sam in dem walde hirzetier.
1011
daz (ors) lief in sprnngen sam
ein tier.
1720
ir hnrteclichez rlten
tet anger pUn erzittern.
17312
wan daz man beide nnd anger wagen
spnrt von dem starken lonfe.
1732
dd wurden liebte rösen
und blnomen vil zertrettet.
E. 4770
dinrosdiu liefen niht, si fingen
noch Taster danne ein wind es brftt.
E. 2774 f. Part. 20720 f. Troj. 12527.
18035. 24716 vergleich mit der Winds-
braut.
T. 742
man horte banier snurren
als ein rör, daz in den bmoch
der wint mit stürme neiget
(vgl. Part. 15948 ff. 20676 ff.).
E. 2700
dd wart vil snellecUche
den rossen wol verbeuget
und tf das velt gesprenget
von den zwein werden rotten.
Troj. 3890 ff. 12213 f. Part. 5681 f.
T. 748
üf und zetai begonde sich
vil manic schenke! biegen.
P. 13708 i 161 16 f.
Schwanr. 005
lief ez (das ross) als ein snellez
T. 042. P. 13711. 19428. [wilt.
Troj. 3793
und gienc in Sprüngen sam ein
tier.
Schwanr. 954
der pl&n der mohte erkrachen
durch der snellen rosse louf.
E. 2592
die bluomen und daz grüne gras
vertreten wurden s^re dd.
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394
QEBBKE
8940
liebte bluomen roeten
si mit bluote knnden.
17496
bluomen gras betouwet
Ton bluote swar si tr&ten.
20430 f.
1828
diu ors begunden roten
Ton bluote zuo deü siten.
8942
wan si yil scharpfer wunden
sluogen bi den siten
den Olsen in die siten.
1036
fttr sich er dmht des schiltes tach.
1066
den schilt er suo der brüste
gar ritterliche druhte.
8897.
888
ir sper si künden senken.
1038 f. 8872. 17304 f.
Jetzt prallen die kämpfer
splittern:
897
m6 dan in tftsent stücken
sach man die sprlsen flttcken
hdh ti in den lüften.
1048
und stachen daz die schefte
in kleine sprizen höhe flugen.
1089
si beid yert&ten
diu sper, dazs höhe w&ten
in den lüften klein zerschivert
und man die trunzen gar zerrivert
sach ob den helmen fliegen.
7332
den luft mit trunzen zieren
sach man von dürrer schefte krach.
8876 ff. 17324 t
T. 756f. Troj.8986ff.
Part. 6174
daz grüene gras mit bluote röt
wart geyerwet und das moe.
14528 f.
E. 4766
daz in daz bluot zen siten
üz begunde dringen.
T.206. 763. P.5258. 13668. 14219.
15868. Troj. 3895. 12216. 12636.
Schwaar. 906
der herzog einen tiuren schilt
dö für sich künde drücken.
T.200
die sper si Tomen sancten.
aufeinander; ihre Speere zer-
E.2603
daz diu kleinen stückelln
üf in der liebten sunnen schin
begunden stieben als ein melm.
Schwanr. 982
die schefte in kleiniu stückelln
unde in spnne sich zerclnben,
sö daz ab in ze berge Stuben
die schiyern und die sprizen.
P. 13674
. . . daz diu sper
kluben sich ze sprizen,
daz d& Ton die wlzen
schiyern in die lüfte flugen.
20022. 21348. Troj. 8933. 12230
u, 5.
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STUDIEN ZU REINFBIKD VON BBAUNSCHWEIG.
395
P. 20020
Bi g&ben herteclichen zins
ein ander mit den scheften.
T. 846
als ob d& stüende ein steines want,
alsus enthielt er nnder in.
11808
Bi gäben nnde leisten
herter siege sweeren zins.
8924 ff.
Bei dem heftigen anprall stürzen die ritter meist von den
rossen; bisweilen aber hält doch einer den stoss aus:
1012
der werde ritter zier
saz alsam ein vestin want.
11278
von dem satel er sich wegen
lie minre denne ein steines want.
17095. 17830.
Wenn sie die Speere vertan haben, greifen sie zu den
Schwertern:
8898 E. 4830 [zttcken.
din Bwert si hdhe znhten. din swert begonden si zehant |
Des kampfes getöse ist gewaltig:
902
reht als der dnnre schnzze,
BÖ wart ein schal und onch ein krach.
8910
als ob der donre schnzze
üf ir beider helmes tach.
17352
wan ir stich gap krache
heller denn ein donreslac.
7354 ff. 20876 f.
1784
sine siege helle
dnr die wölken dnzzen.
2872 f.
1800
man h&t in kurzer lenge
Yon im ein groz getengel.
9034
dem, der üi in berte
alsam er weer ein aneböz.
E. 4814
si din sper zerst&chen
so vaste daz des braches klac
lüte alsam ein donerslac
der spaltet daz gebönme.
Troj.l2242f.
T. 818
daz in den wölken wider hal
der swerte grinwelicher doz.
£. 4852.
üf einen aneböz
geschach nie grcBzer tengeln.
2728 ff. T. 812
d6 hnob sich gröz getengel.
T. 794 ff. Troj.4076. 12804.
P. 14327
mit swerten und mit bengeln
hnob sich ein soUch tengeln
nnd slahen üf in alsd gr6z,
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396
OEBERE
sam sich üf eineii anebdz
erhebet in der smitten
(Par«. 152, 5. 687, 27. 112, 28. 210, 4. j. Tit 3897. 4203).
Auf heim und schild sausen die schwertschläge nieder:
1756
tz helmen lieht gehonwen
wurden finres blicke.
1786
Ton den helmen schnzzen
des wilden finres gneisten.
11304
des wilden finres blicke
sach man tz helmen dringen,
von siegen hohe springen
flammeliche gneisten.
20482
▼on wildem finre manic bninst
üz helmen hert von swerten stonp.
0016 f. 20402 f.
20508
man moht an dem finre,
daz si ftz helmen slnogen
mit swerten din si tmogen,
schonbe h&n enbrennet.
17364
yinster wart der liebte tac
in beiden nnder helme,
wan si von dem melme
ein ander lützel s&hen.
17368
ob ir helmen huob sich tampf
alsam ein starker dicker nebel.
daz wilde finr, als ez von swebel
wser enpfangen nnd enbrant,
wart ftf helmen dicke erkant.
(zu mdm ygl. am schlnsse nnter
Wortschatz).
1752
golt nnd gestein nnwerde
Hz schilten wart gekloBzet.
1808
ei waz sin swert yerr^rte
siden golt nnd steine!
E. 4776
tz herten steinen wart geslagen
daz wilde finr an manegen steten.
4876
üz dem gevegeten tsen
des finres blic höh ftfe stonp.
T. 794
dö spmngen finres flammen
üz helmen also grdze.
P. 5310. 14460. 21725. Troj. 3968.
12584.
E. 4780
dft wsere ein kerze wol enznnt
von den ganstem nnde ein schonp.
£. 4782
ei wie nach in beiden stonp
daz finr nnd der yil starke melm!
T. 854
stonp nnd onch gesteine mel
nm in ein yinsternisse gap.
1038.
P. 21734
dd wart yon stonbe ze der zit
ein trUebez wölken nnde ein nebeL
15180
wan din malle wart so gr6z
nnd des dicken stonbes melm,
daz man enweder schilt noch heim
erkennen mohte dmnder.
£. 4874
daz von den stahelringen
geschach ein michel risen.
T. 798
golt nnd gesteine rtsen
begonde nider tf den pl&n.
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STUDIEN ZU BEINFBIED VON BBAUNSCHWEIG.
897
P. 15492
gesteine porpur unde goH
wart verr§ret and versniten.
14530. 21730. Troj. 12746.
E. 4880
ad viel d& nider balde
Ton den Schilden manic spän.
P. 20052. T.910. Troj. 3972. 12748.
Findet ein massentornier statt, so bilden sich zwei Par-
teien, deren jede ihren tthrer wählt: R. 1450 ff. P. 14054 ff.
T. 256 ff.
Bevor das tnmier beginnt, wird eine messe gehalten:
8912
golt und edel stein man sach
rlsen von den starken siegen.
17434 ff. 17462 ff.
17466
ab b6den schilten spsene
wurden d& gehonwen.
1446
TÜ schiere wart gesungen
in ein schoeniu messe,
dar n&ch yü manic presse
sich rüste üf den tumei.
(zu presse vgl. am Schlüsse unter
Wortschatz).
T. 252
dö wart gesungen schiere d&
mit filze ein schceniu messe
der ritterlichen presse.
P. 14046
d6 sanc ein werder kapelftn
in eime gezelte messe
der kristenllchen presse.
Der kämpf entwickelt sich:
1728
bi eUenthafter krefte
sich schar und schar yerwurren.
man hört die siege snurren
und in den Ittften ddsen.
20150
er k^rte hin d& sich diu wlp
vast ze strlte wurren.
sin siege hdrt man snurren
mit ritterlichem gufte
höh ftf in dem lüfte.
1724
man sach die rotten flehten
sich Taste in ein ander.
£. 2704
die Biuzen und die Schotten
zein ander sich dö wurren.
T. 740
die schar n&ch höher wirde lobe
ze samene sich d& wurren.
man hörte banier snurren (vgl. 760).
Troj. 12233
banier sach man d& snurren
des sich die rotten wurren.
P. 15433
k&men alle zuo geflogen,
als man die pfile Ton dem bogen
siht riuschen unde snurren.
si fl&hten unde wurren
zein ander sich mit höher kraft
Troj. 12322
die schar sich underdmngen
und fl&hten in ein ander sich.
T. 1006 f.
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398
OEBEKB
Dem tapferen ritter gelingt es sich bahn zu brechen dnrch
die kämpfenden scharen:
1806
ez wart ein witin sträze
in enge swar er k^rte.
1864
er künde üz engem forte
ouch honwen wite gazzen.
11297
in engen hftfen nuichen
Bach man in gröze wlte.
1878
da Bach man spalten
die rotten snnder blten.
1S02
alsam die hanÜBtengel
sach man die rotten spalten.
E.2738
Engelhart reit nnder in
Blähende onde stechende
und eine str&ze brechende
dnrch die ritteriichen schar.
Troj. 12598
d& wart von im ein strize
gehonwen dnr die ritterBchaft
T. 776
mit orse und onch mit handen
mäht er im seihen wlten rftm.
er spielt die schar alsam den achfim.
890
die schar zeclonp er nnd zespielt
Mit grossem eifer wird anf beiden Seiten gefochten:
T. 826
dd wart TÜ manic stegereif
erleeret nnde satelboge.
1750
man sach d& mangen Teilen
Yon orse ftf die erde.
1754
yil setel man enbloBzet
moht üf dem pl&ne schonwen.
7336
yil setel wart geleret
Ton der ponder jnste.
1804 f. 11354 f. 12878 f. etc.
So ist es anch das ende eines Zweikampfes, dass einer der
beiden ritter zu boden stürzt:
1054
der frouwen ritter der lac da
von dem orse wol hin dan
nnd was gevallen ftf den plftn.
11848
sd sach man jenen hinder sich
über den satel bttrzen.
20361
nnd valte yil nnwerde
mangen ze der erde.
P. 15918
des nam er einen swinden yal
ab dem orse kUene.
13885
. . . yalte in ftf den anger dö.
18898 f.
T.216
. . . daz er zehant genicket
wart ftz dem satele hinder sich
nnd in der nngefUege stich
mit kraft nnd mit gewalte
zno der pl&nle yalte.
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STUDIEN ZU REIKFRIED TON BBAUKSCHWEIG.
399
P. 20062
daz man nie zw^ne ritter
gesach ze keinen ziten
BÖ grinunecUehen striten.
Wie der dichter uns öfter nach gewohnheit aller höfischen
dichter versichert , es habe auf erden nichts dem erzählten
ähnliches gegeben, so erinnert er ans ganz besonders hier,
dass man nie einen besseren und grimmigeren streit gesehen
habe als den eben geschilderten:
8920
daz § noch sit den ziten
so hertez kempfen nie geschach.
17366
ich wsBne daz mit swerten
ie geschehe so gnot kämpf.
17494. 20092. 20468. 20585. 25536. 25582.
c) Sonstige anklänge,
lieber die entlehnnng von bildern und vergleichen aus
Konrad vgl. unten abschn. III, A, I, i.
Partonopier.
Von anklängen vereinzelter stellen im R. und im P. nenne
ich folgende:
B.6496
wie sol ez armen mir erg&n,
Sit daz der schänden rtche
also Ingeltche
msere üf mich stempfet?
wird ich ttherkeimpfet, . . .
13178
sus lihte klage snnder nit
und bete treip si alle zit
tac und naht &n nnderl&z [str&z,
ze bett ze tisch ze weg ze
si gie, si stnont, si lac, si
saz,
daz si der bete nie yergaz
eine kleine stunde.
P. 4036
wan derselbe tac d&r zno
von alter ist gerihtet,
daz man gerne Tihtet
an im unde kempfet.
mit Ittgen ist gestempfet
niht diz wäre m»re.^)
5576
si künden wol geb&ren
als Hz erweite kempfen.
die rede wil ich stempfen
niht mit Ittgenmsren.
2900
vor disen dingen allen
gebiute ich unde r&te dir,
daz du slst getriuwe mir
und du min niht vergezzest.
du trinkest oder ezzest,
du solt an mich gedenken
und niht von mir enwenken.
*) Schon bemerkt von Bartseh, anm. zu R.6498.
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400
OERBKB
13216
er enwachete noch slief
wan daz er lac in twalmes art.
664
nn wachet nnde slief er
sam der in einem twalme Itt.
Zwei scenen haben im R. and im P. eine überraschende
ähnlichkeit in der ausführung. Der junge persische fürst hat
einen Zweikampf ansgeboten, den Reinfried annimmt; nun Iftsst
sich der Persän durch keine bitten seines grossvaters von
diesem kämpfe abbringen. Ebenso dringt Partonopier darauf
unter allen umständen mit dem sarrazenischen fürsten Soma-
giur, der zum Zweikampf herausgefordert hat, zu fechten und
ist durch nichts zum verzieht zu bewegen:
B. 17025
BUS der fürst genendic
wolt des kampfes wendic
nmb keine sache werden.
4ch liez mich in die erdenk
sprach er, '6 lebendic begraben'.
17010
man hies an allen orten
wit durch die rotten schrien,
swel kttnige fürsten Men
dur minne und werde fronwen
ein kempfen wolten schonwen,
daz die alle knmen.
17004
der kämpf also bestSBtet d6
wart ze beiden siten,
daz er einic striten
solte und niemen mSre
helfe d& zuo k^re
mit werken noch mit werten.
P. 4910
4ch wolte namelichen §
ze den tdten sin gezelt,
dan iemen anders würde erweit,
der yehten solte disen wie*
5061
also gebot er onch hie 8&
den Unten sin gemeine da,
daz si des morgens aUe sich
mit w&penkleiden wnnniclich
yil schdne zieren selten, . . .
Partonopier der k»me dar
und wolte mit im striten.
5094
d6 wart ein Sicherheit genomen
unde ein fride als6 geswom,
BÖ die kempfen t^ erkom
mit einander vsehten
und sich mit stilte brahten
ze grimmer noBte bitter,
daz beidenthalp die ritter
stilleenthielten üf derwisen
nnde ir keiner hülfe disen.
Es folgt eine genaue beschreibung der rfistungen, worin
sich manche Übereinstimmung zeigt. Die kampfesschildemng
im R. ist natürlich ganz analog den sonstigen im anschluss
an Konrad ausgestaltet; doch verdienen folgende stellen beson-
ders hervorgehoben zu werden:
17254
yU j&merlicher blicke
si tif ze gote t&ten.
5242
der künec von Kärlingen
mante got yil tiure,
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STUDIEN ZU BEIKFRIED VON BRAUN80HWEIG.
401
daz er gernochte stiure
mit helfertchen henden
Partonopiere senden.
si flehten nnde b&ten
dem werden helt g^ehinre
siner helfe stinre
mit manges trehenes regne.
Gleich beim ersten anlauf zersplittern Reinfrieds und Par-
tonopiers Speere:
17388
dft Ton 8i beide würben
omb höhiu pfant fttr sterben.
17504
das swert xe beiden henden nan
der helt unverzagte.
17370
daz wilde fiur als ez yon swebel
wier empfangen nnd enbrant.
17440
wan sin wer diu mnost im nem
daz leben für ein sterben.
5708
si y&hten angestliche
mit ein ander nmb daz leben.
5750
s!n akkes er mit zome
ze beiden henden schiere bdt.
5782
üf in so bran er als ein swebel.
5842
daz leben nnd den Itp genem
wolte der getrinwe.
Weiterhin stelle ich folgende scenen zusammen:
Der d&nische graf wird mit Partonopier hat Meliurs ge-
seiner Werbung von Yrkane
abgewiesen; sie fordert ihn
auf:
6267
strich von minen engen,
wizzest snnder longen,
ob min 11p dich iemer siht
fttr dis stnnt, daz dir beschiht
bot Übertraten; deshalb ent-
zieht sie ihm ihre gunst und
fordert ihn auf:
8502
strich bald Hz minen engen,
daz ich dich niemer m§ ge-
sehe,
§ daz dir wirs von mir ge-
schehe.
daz dir iemer ftteget leit.
Der dänische graf und Partonopier sind sehr betrübt über
die ihnen zu teil gewordene Ungnade:
5280
man sach sin engen r^ren
heizer trehen tropfen.
Alle bitten des graf en helfen
nichts; Yrkane ist nicht zu
erweichen:
4788
ich liez 6 sehetzen,
sprach si, mich von dem übe,
9176
yil manec heizer traben viel
üz slnen engen lüter.*)
Alle bitten Irekels vermögen
nicht, Meliurs vorwürfe zu ent-
kräften:
9086
den zepter nnd die kröne geben
weit ich 6 üz der hende mtn,
») Vgl. 9183 f.
Bttiteftga sar gMoblohta an daatoohtn «praoh«. XZIU.
26
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402 OERfiKB
6 daz mtn lip se wlbe § daas im solle werden Bchln
inch wttrde ald xe amieii; min lUterUchin MontBchaft.
ich lieze mich 6 Men 9094
libes unde gnoißE. ich bin des worden über ein
daz ich benamen stürbe,
§ daz er mich erwürbe
zeiner ganzen frinndtn.
4776 9090
nnd hfint an mir zerbrochen sit daz er stner trinwen kraft
ritterliche wirde. h&t wider mich zebrochen,*)
479g so muoz an im gerochen
zw&r ez wttrd gerochen werden sin tu höher mein,
an iuch.
Trojanerkrieg.
Von Beinfried und Yrkane Von Jason und Medea sagt
heisst es: Konrad:
8764 7798
diu nätüre twinget dich sw& rehtiu liebe fonden
daz din sin muoz minnen dar von der natüre künste wirt^
d& si iender wirt gewar weizgot, da bringet nnde birt
daz ir gelich n&türe llt. diu minne sneUen nrsprinc
8786 7805
si sint worden dort gewar natüre ist also liste rtch;
gelich der ir n&türe. w&si mac yinden ir gelich ...
8798 7813
so minnet sin geliehen da J&son und MM^
ein ieclich cr§&tinre. von der natüre krefte &&
diz kunt von der n&tinre, begnnden merken ander in
von irre mäht nnd onch ir daz gelich ir beider sin
kraft. an rehter liebe knnde wegen.
2. Budolf von BmB.
Dass der dichter des R. Rudolf von Ems kennt, beweisen
die verse 15300 ff.:
Als man von Amelien
der 8ch(Bnen seit üz EngeUant.
swie bitterlichez leit si bant,
daz leit so zühtedich si treip
daz ir ir leben doch beleip.
Amelie von England ist bekanntlich die heldin in Rudolfs
Wilhelm von Orlens.
•) Vgl. 8961 ff.
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STUDIEN ZU REINFBIED VON B&AUKSCHWEIO.
40ä
Da uns von diesem romane Rudolfs wie von seinem Alex-
ander leider nur sehr wenig gedruckt vorliegt, war mir natür-
lich eine genauere Untersuchung über das Verhältnis des R. zu
jenen werken nicht möglich. Gerade der erstgenannte roman,
der von allen dichtungen Rudolfs stofflich ja die meisten be-
rährungen mit R. haben dürfte, würde vielleicht manche paral-
lelen bieten, wie ich aus der vergleichung einer (Germ.21,197ff.)
von Palm veröffentlichten partie schliesse.
Reinfried bittet nämlich, als er aus dem kämpfe mit dem
dänischen grafen siegreich hervorgegangen ist, den könig Fon-
tanagris um seine tochter, da er diese nicht ohne die ein-
willigung des vaters, wie er gekonnt hätte, mit sich führen
will. Fontanagris berät sich mit seinem gefolge, ob er dem
herzog von Braunschweig Yrkane geben solle. Eine ganz
ähnliche scene enthält das genannte stück aus Rudolfs v. E.
Wühelm.
R. 10148
80 8ol man im &ne wanc
die reinen wiUeclichen geben,
sin gelt sin gnot sin lip sin leben
sin liut sin m&g sin art sin lant
sint so breit s5 wit erkaut
daz er der reinen wirdic ist.
10141
dö dirre r&t alsns ergie.
10166
als er diz sprach, d6 yander
die Tolge von in aUen.
in mnose wol gefallen
daz dinc.
Vgl. auch:
9780
nement mlnes r&tes war,
ob min mnnt iuch r&te reht^
da sehent endelichen zuo . . .
. . . wizz iemen baz,
swenn ich gerftt, der r&t onch daz.
9791
er was der fOrsten hoehster r&t,
wan er also geworben h&t,
daz nian im höher £ren sprach.
W.L45
Sit daz der knnig witikin
ere hat lip nnde gut,
wirdikeit und hohen mnt
und in so rehter wirde lebet
daz ir im nwer dohter gebet.
71
do der rat also geschach.
81
do die den rat vemamen do,
er geyiel in allen wol,
als lAan den wisen volgen sol.
an den rat wart do genomen
her Wilhelm der forste do
der riet sns, den andern so,
iegelichen als er knnde.
do snhte an der selben stunde
der kunig wilhelmes rat,
der riet im ane missetat
den besten rat der do geschach.
26*
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404
OEKKKE
9824
na r&t ich, ob ich r fiten kan,
ob ir mtns rfttes raochent.
10739
nnd onch diu wandels eine
diu minnediche reine
diu süeze wol geUne
diu 88elden ilch Trkane.')
10798
ein lip zwo sSle wirt den zwein
nnd ein einllch llden.*)
11706
bt leide 8olt du tragen leit,
bi liebe liep, bt gnote gnot,
bi hdhgemnoten bdhgemuot.
10901
dfi von ein glioher Wille schein,
ein einlich herze an disen
zwein.
222
die sflezen Amelyen
die edelen wandels men.
n. 1
die edele koneginne
die Btteze Amelynne,
die kinsche wandeis yrie
die reine nnde gute.
9
zu allen ziten nnwen
trogen si beide nnder in
einen mnt nnd einen sin,
einen mnt nnder in zwein,
da zweier seien namen schein,
der werde nuw sin liebez wip
mit zwein seien ein lip
tmgen nnder in beiden,
eines libes nngeecheiden
waren sie in dem mnte.
da was gnt bi gnte;
znht bi hohgemOete
was ie mit werder gttete
gelich an den gelieben zwein.
ir mnt in einem willen
schein.
Vgl. den rat den Reinfried Yrkane beim abschied gibt:
30
er was mit mit seliglicher kinft
an allen seiden sigehaft
mit znhten wise nnde gnt,
werhaft knsche hochgemut
getmwe miltebere,
ein rehter rihtere,
den armen demut nnde gut.
er neigte sinen hohen mnt
nider zn den guten,
obe den hochgemuten
14320
er sprach ^frowe, dn solt leben
g£n höhen höh, die armen
solt du dich l&n erbarmen
und in ir j&mer troesten.
den besten und den boBSten
gip senftecllchen dlnen gruoz.
den armen solt du sorge buoz
mit dlner g&be machen,
du bis an allen Sachen
diemüeticTest undd&bireht.
1) So wird Yrkane öfters bezeichnet; bei Konrad habe ich derartiges
nicht gefunden.
«) Vgl. T. 12009.
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STUDIEN ZU REIKFRIED VON BRAUNSOUWEIO.
405
trng er den mnt vil hohe em-
sin lob lief in allen vor, [por.
swen er zu einem male sach,
dem man dekeiner wirde jach
der was im iemer mer unkant
an wem er saht und ere yant,
den minnete ir von hertien ie.
untruwen minnete er nie
nnd trog in sn allen siten has.
dienstes er nie vergas
an dekeiner slahte man.
daz krumme solt du machen sieht,
SW& dir din m&ze fiioge gtt
14341
mide nntogentliche art,
flinhe swache höhvart,
bis g^n nide nnd g€n haz
mit sinnen nnd mit £ren laz:
daz kan dir sorge stoeren.
von swem du mögest hoeren
hinderrede mit klaffe,
üz dinem hove schaffe
in flüchtecltchen strichen.
14364
SW& dir werde nntrinwe knnt,
d& von solt dn dich ziehen.
14368
dar d& man tri wen wirt gewar,
d& solt dn dich hin neigen.
Eine andere stelle ans Rudolfs Wilhelm hat Massmann
in V. d. Hagens Genn. 10, 110 ff. veröffentlicht:
B. 19193
nnreht ze rehte schicken
nnd reht in nnreht stricken,
nnreht mit rehte mfiren.
noch eine andere Zupitza, Zs. fda. 18, 89 ff.:
R. 900 188
ein ritterllchez gOften. durch ritterlichen guft
Der anfang von Rudolfs Weltchronik (Vilmar, Die zwei
recensionen etc. s.60ff.), der grosse ähnlichkeit mit der ein-
leitung des Barlaam and mit G. Gerh. 326 — 111 hat, findet seine
genaue entsprechong im Reinfr. in der rede des Fontanagris
(v. 10589 ff.) :
s. 115, 19
swie dn rehte rihtes
nnreht zno rehte slihtes;
B. 10589
got der allin dinc vermac,
der vinster naht nnd liehten
tac
mit slner kraft gemachet h&t
und n&ch des gehote st&t
daz firmament, der sparen kreiz,
der Sternen lonf, nnd der onch weiz^)
Weltchr. (Vilmar) 19
mit der (wlsheit) d!n gotelichin mäht
vinster lieht tac nnde naht
gescheiden h&t.
47
wan aller geschepfede geschaft
ervttUet h&t d!n eines kraft.
>) Vgl. E. 129'i4— 12981.
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406
GEBEKB
10595
aller herzen meine^
niemen wan er eine,
der alUu dinc von nihte
geschnof und ouch berihte
den luft wazzer erde fior,
10600
von dem alle cr§ätinr
getempert und gemachet sint,
nach des geböte sich der wint
mnoz biegen nnd da zuo der loft,
der himels tronnnd erden kruft
(= 10972).
10605
in sinerhant beslinzet,
Ton des genäde flinzet
aller cr§&tinre leben:
in wazzer finr, in Infte swe-
mac niht &n sinen höhen r4t; [ben
10610
swaz flinget flinzet loufet
st&t, (=10970)
lonp gras tier Togel wilde
nnd zame,
wint regen donre kan sin name
binden nnd entstricken,
des wilden donres blicken
10615
und aller ongen schouwe.
von rifen tnft, von touwe,
von regen sn^ nnd ise
h&t er mit hohem prlse
geßret sich, der weite hie
10620
ze nutz den er dem menschen Ue.
swaz der tac beliuhtet,
swaz menge tou erfluhtet,
von aller slahte würzen fruht,
daz liez s!n gotelichiu zuht
10625
allez hie üf erden
ze dienst dem menschen wer-
den.
25
als ez diu witze bemdiu kralt
alr^st von nihte tihte,
geschnof nnd gar berihte.
56
also getempert h&ts din list
mit der vier dementen kraft,
diu natllrent alle geschaft
32
aller himel tugent, aller hi-
mel schar
nigent diner herschaft,
diu
die tiefe der abgründe
h&t in kuntlicher künde
beslozzen und gemezzen.
40
din kraft hat besezzen
elliu leben, dar n&ch si lebent,
inlüften undin wazzern swe-
bent,
üf erden leben tvliegentgän t,
wurzent wahsent vliezent
st&nt:
diu nigent dlme geböte.
231
tiere gevUgel wilt und zam
mäht in got gehorsam.
239
ze nutzellcher llpnar.
242
ze niezen aller slner geschaft.
285
und swaz üf erden krftteswirt
und an im bemden s&men birt
und elUu holz, diu mit genaht
in ir gesiebte bringent vrnht
229
den (menschen) mähte got mit
slner kraft
nndert&n alle geschaft
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fiTÜDIEN ZU BEINFIUBD VON BBAÜNSCHWEIG.
407
Vgl. BarL 2, 3 ff.
erde viar wazzer Inft
(R. 10509 ff.)
kelte regen hitse tnft
(B. 10616)
getempert (B. 10601) h&t dtn eines
kraft —
dln eines Yürdsehtlich gewalt
hat genennet nude gezalt
der Sternen menege unde genant
ir aller namen nnde erkant
ir nmbelonf, ir nmbevart.
(B. 10594)
ouch mao2 in sinem lonfe g&n
daz firmament nnz an dac zil
(R. 10593). —
Ton nihte h&t getihtet (R. 10597)
dln wlser gotllcher list
swaz sihtic unde nnsihtic ist.
den dnnre nnd dinblicschdz
(B. 10614)
von viurlnem lüfte l&t
dln kraft, din sie getempert h&t.
da sihst durch aller herzen
tor (R. 10594 f.)
in menschlicher sinne gront
dir sint elliu herzen knnt.
Das Vorbild f flr diese stellen ist jedenfalls Wolfr. WL 2, 2 ff.
215, 11 ff. 253, 6 ff.
Das paradies mit seinen vier fliissen beschreibt der dichter
des R gleichfalls im anschluss an Rudolfs W., die in diesem
punkte nach Doberentz (Zs. fdph. 13,207 ff.) auf Honorius Augu-
stodunensis und Isidor zur&ckgeht. Wir werden später sehen,
wie auch unser dichter sich direct an diese als quellen
anlehnt.
B. 2t918
er h&t alliu lant dorvam,
d& dnr din wazzer fliezen
din an mitten schiezen
mit götlichem prlse
üz dem paradise.
21830
wie er geboren wsere
tz dem lant ze Ejnl&t.
dar daz selbe lant onch g&t
üz dem paradise
mit frtthteclichem prlse
Phisdn des werden wazzers dnz.
bidellinm den stein sin flnz
und onch onichlnm d& treit.
daz beste golt, als man nns seit,
daz üf erd ie fimden wart,
treit onch hie des flnzzes art.
21924
Gyön Ethiop MOrenlant,
Tigris Assirtam dnr g&t.
Weltchr. (Vihnar s. 61) 283
ein wazzer michel nnde gröz
Ton der selben mitte vldz,
daz dem paradise gar
▼iahte nnd stteze frnht gebar,
daz teilte in vier teile sich.
290
der teil einer ist genant
Physon daz wazzer, daz noch g&t
dnrch ellin lant in Einl&t,
des yluz daz beste golt birt,
daz iendert üf der erde wirt,
nnd daz edel berdellnm,
daz gnot ist, edel nnde vram,
daz diu schiift ans nennet sns.
der edel stein onichilns
d& wahset onch, in birt daz lant.
daz ander wazzer ist genant
Geon, des vlnz tnot sich bekant
ttber Etiopiam daz lant.
daz dritte heizet Tigris,
von dem tnot ans diu schrift gewis,
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408
OEBBKE
Bwaz Enfrates daz wazzer h&t
dnrgang^en lant, diu w&ren kxmt
im eigenlichen ftf den gnrnt.
dac ez sin yliezen wände
gein Assirift dem lande
daz Tierde heizet Enfrates.^
Der geographisch -ethnographische abschnitt der Welt-
chronik Rudolfs bietet noch weitere parallelen.
Rudolf weiss von den greifen, die das gold auf dem Kau-
kasus bewachen:
161
Doberentz a.a.O., v.
d& ligent berge gnldin
die nftch golde liebten scbln
mit wünneclichem schlne h&nt
gHfen noch trecken nieman l&nt
daz selbe golt gewinnen da,
verglichen mit R. 18224 ft; dazu vgl Bartsch, Herzog Ernst
s. xLiv. Seine wundermenschen hat der Reinfrieddichter meist
aus dem Herzog Ernst, zum teil jedoch aus Rudolf:
B. 21935
und seit den herren mnre
wie in eim lande wsere
ein Site nngemsBze,
wie ie der mensche nze
sin muoter und onch sinen
vater.
Doberentz 244
d& bi h&nt disin selben lant
ein liut daz solhe site hat,
daz ir deheiner daz niht l&t,
guoter noch unguoter,
si slahen Täter und muoter,
so si beginnent alten,
ir krefte widerwalten,
und gestent sich ze Wirtschaft
mite
Vgl. Honorius, Imago mundi 1, 11.
19348
er fnort ein kreftediche schar
mit im an der stunde,
houbter sam die hunde
h&t al sin massenie.
20444
daz yolc daz sam die hunde
grinen unde bullen.
Vgl. Honorius a, a. o. 1, 12.
19312
ein volc daz kan g&hen
mit loufesneller denn ein tier,
br&ht mit im der fttrste zier
mit helfellcher meine,
niht wan üf eime beine
daz Tolc loufet unde st&t.
280
d& bi sint ander liute, die
ze houpten hundes houbet h&nt.
niht anders si gekleidet g&nt
wan mit wilder tiere hinten,
disen selben Uuten
ist menschen rede niht yerl&n,
man hört si hundes stimme h&a.
816
. . . Cenöpodes:
daz ist ein wildez liut; daz h&t
einen fnoz, dar M ez g&t.
331
dise selben liute sint
snel und drstealsamder wint.
0 Vgl. Z8.fdph.l3,173ft
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STUDIEN ZU BEINFBIED VON BBAUN8CHWEI6. 409
Honorius (1, 12), dem Eudolf hier folgt, wirft mit diesem
Yolk die 'platfüeze' zusammen; der Eeiubieddichter kombi-
niert die einfüssigen mit den einäugigen, die er aus dem Herzog
Ernst entnimmt:
19322 336
ein wunderlicher schar, die d& lantlinte sint genant,
die w&ren &ne honbet. die dnt &ne honbet
an den absein offenbar und honbetes beronbet,
siht man sunder longen und in st&nt &nelougen
st&n des yolkes ongen. an der absein yor diu ougen;
vorn an der brüste st&t ir mnnt. für nase nnd munt h&nt sie zwei
vor an der brnst [loch
Vgl. Honorius 1, 12.
Der Reinfrieddichter berichtet ferner noch von einem
Volke, das nicht isst noch trinkt:
21946
daz lant dem paradtse lac die linte von des smackes trehen
so n&he, als er hörte jehen, so dannen kam sns lebten u.s.u7.
Die genaue entsprechung hierfür zu finden ist mir nicht
gelungen. Ich lese bei Budolf nur von einem volke,
350 (Doberentz)
daz lebt deheiner genist sin splse und al sin fnore gar
ze spise noch ze lipnar; an eines apfels smacke lit.
Vgl. Hon. 1, 12 solo odore cmusdam pomi vivunt Hierauf
kann unsere stelle also wol kaum zurückgehen. Wir hören
dann von denselben leuten ausser manchem anderen noch, dass
sie beständig in freuden leben
21959 snnder missewende
an aller slahte trftre, sleiz üf ein rehtez ende
biz daz ir n&türe und stürben denn &n allez wL
Das macht offenbar die nähe des paradieses. Vgl. j. Tit. 6052:
der luft ist so gesüezet, von paradls betonwet,
daz er wol kumber büezet. si sint d& von gehöret nnd gefrouwet
in den landen, die der luft bedreehet.
Auf Rudolfs W. dürfte teilweise wol auch die ausführliche
erzählung von den Amazonen im R. (v. 19429 — v. 19610) be-
ruhen. Zwar sind wesentliche abweichungen vorhanden, nament-
lich in der Vorgeschichte der Amazonen, doch teilt Rudolf diese
differenzen zwischen ihm und R. mit allen anderen überliefe-
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410 GEKBKE
rangen aber diese kriegerischen weiber. Ich glaube daher,
dass derartige Varianten auf die rechnnng des dichters selbst
kommen.
Während nämlich sonst, wo überhaupt von der yorgesdiiclite
der AnaaoMA die rede ist, wie also bei BabM (fgl. J. Zingerle,
WSB.50,432. O.Zingerle,Diequellenz.Alex.de8Eud.y.EL, s.118)
erzählt wird, dass den Amazonen einst in einem kämpfe mit
nachbarvölkem ihre männer erschlagen seien, weshalb sie sich
genötigt gesehen hätten, selbst kriegerkleidong und waffen
anzulegen, heisst es im R, die Amazonen hätten ihre männer
eigenhändig getötet, weil diese auf anstiften des königs
19495 ir wlp ze laster brfthten.
si Bchanten unde sm&hten
ei ee aUen stunden.
Vielleicht hat der dichter in irgend einer lateinischen
quelle die geschichte der Hypsipyle und der lemnischen weiber
gelesen und diese mit der Amazonensage combiniert.
B. 19529 Weltchron. (Zingerle) 104
... din reinen wip mannes wäpen legten si an
leiten hamesch an ir lip nnd Irrten s^r d& mite
nnd lemeten sit riten, strtten nach manlichem site.
mit schilt nnd swerte striten.
Rudolf berichtet weiter, die Amazonen seien so tapfer, dass
niemand mit ihnen zu kämpfen wage; in einem streite mit den
männem in der nachbarschaft hätten sie diese alle Erschlagen:
126 als ich die schrift hoere sagen,
die man yerlnren dd den strlt nnd liezen ir einen niht ge-
nnd wurden von in dö erslagen, nesen.
Diese worte stimmen merkwürdig zu R 19524 ff., wo es
von der ermordung der männer der Amazonen durch ihre eigenen
frauen heisst:
ir keine din lie schonwen das ein man lebendic nie genas
für die naht lebendic ir man. der eht in den landen was.
diz wart dnr allin lant getan,
Was der Eeinfrieddichter sonst über die Amazonen sagt,
von ihrem geschlechtlichen verkehr mit benachbarten männem,
von der verschiedenen behandlung der knaben und mädchen
nach der geburt, stimmt zu Budolf und stimmt auch zu allen
übrigen berichten (z. b. Konrad, Troj. 42235 ft).
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STUDIEN Zu BEINFB1ED VON BRAÜNSCHWBIG. 411
Abweichend, aber jedenfalls auf eigene erfindong d^ didi-
ters — vielleicht infolge eines irrtums — zorückzufilhren, ist
nur noch die angäbe v. 19536 ff.
ir lingge bnut, ist mir bekant, dnr daz si mügen liden
heizent si dannen snlden, des schiltes leget vor der hant.
Sonst erfahren wir nämlich fiberall, dass die Amazonen
die rechte brüst abgeschnitten hätten, nm nicht beim gebrauche
des bogens behindert zn sein.
Schliesslich möchte ich noch die Vermutung aussprechen,
dass der dichter durch die verse 133 ff. (Zingerle) bei Rudolf:
dö liezen si sich zehant und mit gebirge, als ich las
nlder in ein wltes lant, an Alexanders bnoch
daz mit dem mer beslozzen was
ZU der angäbe veranlasst ist: 19547 Gog und Magog der Juden
lant stät in der hüneginne [der Amazonen] hant, die ja Alexander
hesloB mit berge und mit müren gröz und ouch mit dem grienigen
mer, — Es besteht jedoch die möglichkeit, wie ich aus den
zuletzt genannten werten Rudolfe schliesse (Konrad beruft sich
V. 42239 f. gleichfalls auf ein buoch von Alexander)^ dass auch
der Reinfrieddichter aus irgend einem Alexandergedicht [aus
Rudolfs?] schöpft.
Wie dem auch sei, sicherlich kannte und benutzte er
Rudolfs W. In seinen anspielungen auf biblische geschichten
ist die quelle zwar immer die bibel selbst, doch gibt es stellen,
wo er daneben Rudolfs werk berttcksichtigt zu haben scheint.
Als er von der wunderbaren hilfe erzählt, die gott Gideon in
dem kämpfe gegen die Midianiter leistete, beruft er sich aller-
dings ausdrücklich auf die bibel (v. 15868 f. = Jud. 7), aber die
Übereinstimmung zwischen v. 15874 ff. mit Rudolf lässt doch
auch einen Zusammenhang mit diesem vermuten.
Schütze (Die histor. bücher etc.) 1,
S.36
weihe man d6 trinken sach
B. 15874 unde die dir werden kont
und swel daz wazzer in den daz si daz wazzer in den munt
munt ftf werfen mit der hant,
würfen mit den h enden, die snln dir sin d& von bekant
daz w&ren die eUenden daz si an den ziten
die got bi den ziten den sie dir snln erstriten.
erwelet h&t ze striten.
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412 OEREKB
(Bei Rudolf fehlt die andere partei, die ligelingm trunken,
R 15872).
Im allgemeineü jedoch wird man sich hüten müssen, falls
etwa irgendwelche zu biblischen berichten gemachte znsatsce
dem R. nnd Rudolfs W. gemeinsam sind, nun behaupten zu
wollen, Rudolf sei hier fftr unseren dichter die quelle gewesen;
denn derartige ausschmttckungen sind durchaus traditionell.
Wenn wir also z. b. im R. lesen, dass Lots weib als Salz-
säule noch heute in einer höhle zu sehen sei (27100 1 RudoUs
W., Zs.fda. 18, 102, 65), und weiter 27102 da Sodom und Gomarre
was gelegen, da swebet dae mer (vgl. Rudolfe W. a.a.O. 74 1), so
berichten dasselbe auch andere dichter und Schriftsteller der
zeit, die sich gerade mit solchen Stoffen befassen (vgl. Strauchs
anm. zu Enikels W. 4193); reisebeschreibungen vergessen selten
davon zu erzählen (vgl. z. b. Johann von Montevilla).
Aehnlich steht es mit der geschichte vom turmbau zu Babel
(R. 27042 ff.). Die angäbe der teilung der spräche (in ewö und
sibeneic Zungen (27051) ist ganz traditionell (vgl. Strauchs annt
zu Enikels W. 3367). Von Enikel weicht übrigens unser dichter
insofern ab, als jener von Babel i^ dem erbauer des turmes
spricht, dieser davon nichts weiss.
Eine nähere beziehung zu Rudolfs W. lässt sich vielleicht
aus dem gemeinsamen reime spräche : räche vermuten (vgl R.
27045 f. Rudolfs W. [ZingerleJ 7 f.); aber ich möchte darauf
keinen wert legen.
Eigentümlich ist der erzählung im R die angäbe:
27058
mit zwein und sibenxic eggen der tum daz er verre söch
was gebüwen also hoch in den luft über sich enbor.
Endlich vergleiche noch über den tempelbau Salomos
B. 20954 ff. nnd Weltchr., Germ. 27, 63
daz krftt kttnc Salamdnes aider (Mogk, Eop^. fragm.) ▼. 14
wart; swaz er d& mit bestreich, sie namen eynes wnrmes bldt
swie hart daz was, ez wart doch der hiz thamnr als ich iz las
weich, eyn krut auch sns geheyzen was
wan ez sich n& dem krftte spielt. des saf mishzeten sie dar in
daz krüt kttnc Salamön behielt nnde bestrichen her nnde hin
nnd bftt d& mit den tempel h§r. die steyne besneden sie %h haut
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STUDIEN ZU &EINFBIED VON BBAUN8CHWEIG. 413
Petrus Comestor, Hist. schoL lib. reg. 3, 8 berichtet nur von
sanguis vermiculi (nicht von einem kraute <)), dessen gewinnung
er aber ebenso erzählt wie der Beinfrieddichter die des krautes:
Erat Salomoni struthio haibens pullum, et inclttstts est pullte
sub vase vitreo. Quem mm videret struthio, sed habere nequiret,
de deserto tulit vermiculum, cuius sanguine linivit vil/rum et
tractum est Videns autem Salamon cacumen montis Maria,
übi aedificavit templum auffustum, deiedt iUud, et in arcam
spatiis amplioribus diffudit
Aus Budol£s übrigen werken, aus dem Guten Oerhard und
Barlaam und Josaphat, wtksste ich nur weniges anzuführen,
was auf B. bezug haben könnte.
Von zwei liebenden heisst es:
R. 2443 Gerh. 4740
d& ist niht wan ein einllch ein, ein wip ein man, ein man ein wip,
ein liep, ein leit, ein j&, ein nein. ein sin, ein mnot, ein einic ein,
3021 ein l!p, ein liep, ein hene an swein,
ein dinc, ein ein, ein liep, ein leit. ein minne und ein geselleschaft.
Doch sind derartige Schilderungen nicht eben selten. —
Wie Budolf spielt auch der dichter des R auf das bekannte
Ued MF.3,lff. an:
B. 4223 Gerh. 4786
ich bin dln, 86 bist du m!n, du m!n, ich din, ich wil dln stn.
ich wil bi dir, du b! mir sin
in herzen und in sinnen.
Im Barlaam und im B. findet sich in gleicher weise das
biblische gleichnis von dem reichen (Luc. 18, 25), im Barlaam
allerdings in der paraphrase der evangelischen erzählnng selbst:
IL 16793 Bari. 136, 16
als ich wol sprechen beere, durch einer n&del oere gkt
dur einer nädel oere ein olbende senftecllcher,
ein kemeltier 6 gienge, denne ein weltlich richer
e daz in got enpfienge ze gotes riebe müge kernen,
se slner gn&den tröne.
1) Das kraut ftUurt zurttck auf eine antike tradition von der spring-
wurzel, s. Zs. fda. 35, 1&3. — Enikel (W. 12031 ff.) berichtet nichts über die
gewinnung des wurmes; ein kraut kennt er nicht.
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414 0£BBKB
8. Gottfried Ton Strasslrarg.
Haben wir bisher unsem dichter in den sparen Konrads
von Wfirzburg und Rudolfe von Ems wandeln sehen, so werden
wir auch erwarten, einen einflnss des lehrers dieser beiden,
Oottfrieds von Strassbnrg, im R. zu finden.
Tristan und Isolde sind mehrmals genannt, so Tristrant
y. 20162 in einer anfz&hlong der vortrefflichsten beiden, Isolde
y.9238, femer sie zusammen mit ihrer mutter:
▼. 23110
min ein der h&t gezellet ze Tsöt mid Ysöte
kint muoter iegen&te den zwein von Yrlanden.
Nun scheint allerdings die namensform Tristrant mit be-
stimmtheit auf Eilhart hinzuweisen (vgl. Lichtenstein, ausg.
8. cxüii); andererseits aber heisst Tristrants geliebte bei Eil-
hart Isolde, nicht wie im R. Ysöt (so bei Gottfried). Ich meine
also, aus der form Tristrant ist weiter nichts zu schliessen,
als dass der dichter eben diese namensform kannte; jedenfolls
aber hat er hier durchaus nur Grottfrieds roman im sinne.
Aber es zeigt sich, dass Gottfried mehr formell als inhalt-
lich auf R. gewirkt hat. Für die stoffliche anlehnung nnsers
dichters an den Tristan weiss ich eigentlich nur ein ganz
sicheres beispiel anzuführen. Auf Tristans seite im kämpfe
gegen Morolt, der die stärke von vier männem hat, streiten
gott, recht und williger mut (v. 6883 ff.). So steht auch Rein-
fried gegen den dänischen grafen nicht allein:
9106
wan sin lip selpdritter vaht, mit den swein was diu minne
er nnd diu küneginne. onch in den strit gesprungen.
R. 1404 Trist 724
ir sinne w&ren trehtic er was in ir herze komen.
dar d& si meisterinne was er truoc gewaltecltche
und gewalteclichen saz in ir herzen kftnicriche
in sins herzen klüse. den zepter und die kröne.
Vgl. 807 ff.
4901 Trist. 13014
sin herze seit im von den zwein ir beider sin, ir beider mnot,
niht wan ein j& und ouch ein daz was allez ein und ein,
nein. j& unde j&, nein unde nein,
Vgl. 2444. j& unde nein, nein unde j&.
Vgl. 1632$ ff.
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8TUDIBN ZU REINFSIED VON BEAUN8CHWEIG.
415
Der Reinfrieddichter kennt Übrigens auch die f ortsetzung
von Gottfrieds Tristan:
15288
8am diu minnencltch TsÖt daz si j&merlich entarp
din Bd klegeÜchen warp n&ch iSristrande dem werden degen,
und zwar höchst wahrscheinlich das gedieht Uhichs von Tflr-
heim (y.8422{f.), da ihm Heinrich von Freiberg wol kaum
schon bekannt war.
4, Hartmann Ton Aue.
V. 8981 und v. 20161 nennt der dichter den Iwein, v. 20161
Kalogriant; er kennt also Hartmann, was man auch ohne diese
citate als sicher annehmen wflrde.
Beminiscenzen aus Hartmann dfirften demnach folgende
stellen sein:
B. 13422
ich Imbt die wlsen jehen,
daz trttiime dicke triegen
ond trugenliche liegen.
17390
ir ritterlichez werben
moht got gerne h&n gesehen,
solt ein kämpf vor im be-
schehen.
12519
bezigen.
man sach den forsten niht yerligen.
Vgl. 14074.
14616 ff.
Lange anfzfthlnng: der eine, der an-
der, der dritte bis der niunde,
630
zwei hundert was der Ersten schar,
schiltknehte, die mit gnoten siten
ie zw6ne b! ein ander riten:
die fuorten sper nnd kreiger d&.
den kam zehant geriten n&
ein jungiu schar gesnndert,
der was wol üf hundert
zwei und zwei der schoensten knaben
80 edel art ie moht gehaben
über allez Sahsen lant.
ieclicher fuort ftf slner haut
ein sprinzeiln dur muotes guft.
Iw. 3547
swer sich an troume k§ret,
der ist wol gnn§ret.
Iw. 1020
hie huop sich ein striten,
daz got mit 6ren möhte sehen,
solte ein kämpf vor im ge-
schehen.
Vgl. R. 11884 ff. Trist. 6869.
Iw. 2789
die des werdent gezigen
daz si sich durch ir wlp verligen.
Vgl. 2868. Erec 2970.
Exec 8260—8286
Lange aufztthlung von 1—20. Vgl.
Part. 836 ff. 1—6. 11834 ff. 1—4.
Im Erec reiten zu einem tumier eine
reihe kSnige.
1944
besunder h&ten si sich
gesellet ritterlichen,
die jungen zuo ir glichen,
die alten zuo den alten.
Von den jungen nun
1964
ir iecllch fuorte ftf der haut
vier müze, ein sparwsere.
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416
GEBEKS
6. Wolfram von Eflohenbach.
Wie schon oben bemerkt, citiert der dichter v. 16678 ff.
den Parzival; er kennt aber auch den Willehalm. Wenn er
sich femer v. 10421 1 und v. 16584 ft auf Wolframs Titurel
beruft, so wird sich ergeben, dass er damit den jüngeren
Titurel meint; von einer beziehung auf Wolframs echte dich-
tung findet sich dagegen keine spur.
Für directe nachahmung Wolframscher scenen im R. gibt
es verhältnismässig nur sehr wenige beispiele.
So ist es vielleicht nicht ganz zufällig, wenn sich an der
stelle, wo der dichter den kämpf zwischen Beinfried und dem
dänischen grafen mit dem streite Parzivals und seines Stief-
bruders Feirefiz vergleicht, gewisse anklänge zwischen beiden
scenen constatieren lassen.
Fan. 7S9, 19
diu ors vor müede winden heiz,
si versuohten manegfen niweii
kreis.
R. 8968
bi2 daz diu ors erlfigen
beide von der müede.
9002
ir beider sin gereizet
was üf ein ninwez kempfen.
9000
na hatten an der stunde si bMe ab orsen sprangen,
die herren oach erbeizet.
8934 741, 21
hie vaht kiasche mit der zaht, d& streit der triwen lüterheit:
manheit mit der milte. gröz triwe aid& mit triwen streit
Die art und weise, wie der ßeinfrieddichter die entstehung
der menschlichen abnormitäten und Wundererscheinungen er-
klärt, erinnert so sehr an Parz. 518, 1 ff., dass man wol in
dieser stelle das vorbild sehen kann (zu Parz. vgl. Pniower,
Zur Wiener Gen. 8.85. Sattler, Die religiös, anschauungen Wolf-
rams 8. 63 ff.). Nur hat der Reinfrieddichter die erzählung viel
breiter ausgeführt.
Als nämlich gott den Adam erschaffen hat,
R. 19702 Parz. 518, 1
d5 gap got wisliche gir nnser vater Ad&m
Ad&men slner hantget&t die konst er yon gote nam,
für allia wander diu er hat er gap allen dingen namen,
geschaffen üf der erden. beidin wilden onde zamen:
swaz gotes kraft lie werden, er rekant oach ieslichea art,
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STUDIEN ZU BBINFRIBD VON BBAUNSOHWEIG.
417
daz wart Ad&men gar bekant dar zno der steme nmbeTart,
und wart Ton im onch dö genant, der siben plannten,
als 62 noch hint geheizen ist. waz die krefte h^ten:
sin hoher meisterlicher list er rekant onch aller wttrze mäht,
marht nnd bekande alle mäht, nnd was iesllcher was geslaht.
der wnrzen und der krinter kraft.
Viele dieser kränter bewirken durch ihre wunderbare
kraft, dass schwangere trauen, wenn sie die kräuter ansehen,
unmenschlich figüre gebären:
R. 197S2 Pars. 518, 11
diz seit offenllchen d5 d6 slnin kint der j&re kraft
Adam sinen kinden gewnnnen, das si berhaft
nnd bat si des erwinden wnrden menneschllcher frnht,
da mit ir forme ende nam. er (Adam) widerriet in nngenuht.
SW& slner tohter keinin tmoc,
vil dicke er des gein in gewnoc,
den r&t er selten gein in lies,
tU würse er se mlden hies
die menschen fruht yerk^rten
nnd stn geslähte nnßrten.
Die neugierde jedoch lässt ihnen keine ruhe:
Pars. 518, 25
din wlp t&ten et als wlp.
etsllcher riet ir broeder l!p
daz si din werc volbr&hte,
des ir herzen gir ged&hte.
B. 19830
dö die frowen hörten jehen
daz onch stnont geschriben dö,
din krftt schatten sns nnd so,
dö w&ren si so ningem
daz ir sin niht wolt enbem,
si weiten sin gemochen
nnd endelich yersnochen
ob es also wsere.
So sind also die missgeburten entstanden. Vgl. übrigens
noch die ganz ähnliche erzählung im deutschen Lucidarius,
Schorbach, QF. 74, 193.
Unter den wunderbaren menschen befindet sich eine schar
von Tabumit (16656. 19404. 20440); der name stammt ent-
weder aus Parz. 316, 30 oder aus dem jung. Tit. 1398.
Bei der erwähnung Nabuchodonosors macht der dichter
eine angäbe, die in der bibel fehlt:
B. 26746 vgl. Parz. 102, 6
für got solt man in beten an, der an trQgeUchen buochen las,
wart üz geschriben in din lant. er solte selbe stn ein got
(vgLjttng. Tit.791— 794).
B«lteie« siu 0Me)>^ol^t« dn dautadlMn «pracb«. XZin. 27
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418 GEBBKE
Ans dem Willehalm scheinen die hürnenen leute zu stammen:
B. 19636
Wh. 35, 11
swaz in dem lande keine stnnt
. . . künec Gorhant
von wibes libe wirt geborn,
daz ist allez sament hörn,
des volc was vor und binden
wip kint und onch die man.
35, 20 [hörn.
d& Yon diz toIc in strite kan
des kttnec Gorhandes her
nieman überwinden.
mit stählinen kolben streit
an alten und an kinden
395, 23
siht man noch grifet niht denn hom.
ir vel was hom in grüenem schin:
alsus werdent 8i gebom
die truogen kolben stähelln
und vehtent algeliche
(vgl. jung. Tit. 3311 ff.).
mit kolben ritterliche.
Eeminiscenzen aus Wolfram sind vielleicht auch folgende
stellen:
B. 19000
Wh. 85, 25
er muose swsere siege geben
Arofels ors Volatin
ze bürgen für sin sterben.
und Schoyüs daz swert sin
d6 wurden bürgen für sin leben.
16391
Wh. 11, 16. 18,28. 20,11. 44,25
Terviant als gott der beiden
u. s. w.
vom bftruc angerufen.
Im folgenden führe ich nun sämmtliche anspielungen des
Beinfrieddichters auf Wolframs werke mit den entsprechenden
belegstellen an. Da es sich aber nicht immer sicher entscheiden
lässt, ob der dichter in gewissen fällen sich auf den Parzival
oder den jung. Titurel bezieht, nehme ich die citate aus letz-
terem hier gleich mit hinzu.
780 ff. Die turteltaube, das wappen des grals — Parz. 474.
1—11. 540, 26 f. Keuschheit der gralsritter — Parz. 235, 28 ff.
2078 lebt BiscJiaude die der gräl sich von erste tragen lie . . .
Hier liegt eine Verwechslung mit Repanse de Schoye vor (vgl.
Bartsch, anm. zu E. 2078); denn es heisst Parz. 235, 25 Eepanse
de schoy si hiez, die sich der gräl tragen liee. Ebenso im jung.
Tit. Aber diese Verwechslung ist zu erklären; denn Rischaude
wird vom gral dem ersten gralkönig Titurel zur gemahlin ge-
geben (j. Tit. 418 ff.).
2194 swaz man von Jeschüte de la Lander mündel seit;
vgl. Parz. 130, 5 ff.
8921 ff. Kampf zwischen Parzival und Ferevins — Parz. xv.
8931 Gawein. 9240 Herzelotid. 9242 Gyburc.
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STUDIEN ZU REIKFBIED VON BBAUKSCHWEia. 419
10418 ff. Der gral, ein wünsch an lipltcher nar — j. Tit.
490. 598 (Pai'z.238,28).
11920 ff. und 24946 f. Eeichtum des königs Artus — j. Tit.
1403. 1408.
14854 ff. Willehalm vergisst den schmerz über den tod
seiner getreuen Mile und Vivianz, wenn er in Gyburgs armen
ruht — Wh. 94. 95. 100 ff.
15238 ff. Sigüne Schinalitelanders tot mit tode galt — j. Tit.
6776.
15276 ff. alsam der mcerinne von Zazamanc, der grimme
not si värwet jämerlichen tot nach dem erweiten Gahmureten
— Parz. 750, 24 ff. j. Tit. 1000. 2545.
15282 ff. ir lip ee tode het getreten vil Uht mit frigem willen
sam daa herz Secundillen dur Fereviz den Änschevin — ?
15306 ff. Gyburg leidet not um den abwesenden Willehalm,
ebenso wie Condwiramurs um Parzival.
16146 ff. Die beiden hatten nie so grosse Verluste erlitten
an allein da si verlum s6 mangen helt üf Alischanz,
16585 ff. Wolfram spricht in ^Titureles buoche^ wol von
zweihundert hünge namen; vgL j. Tit. 1547 zu beider Sit zwei-
hundert, die gein strite wären in der meine.
j. Tit. 1974—2083 ff. folgt dann eine lange aufzählung von
namen. Der Reinfrieddichter bemerkt 16590 ff., das sei bei
der gelegenheit geschehen, als die bruoder uzer Babilon, Pom-
peius und Ypomedön (vgl. Parz. 14, 3 zwen bruoder von Babilon,
Pompeius und Ipomidon 101, 28 f.; vgl. noch R. 19945 ff.)
mit her urliuges pfl&gen den iin dar riehen prisant
und keiserlichen l&gen durch liehe und durch minne
mit oifenllcher melde diu swarze kttneginne
üf Florischanz dem yelde von Zazamanc dem fürsten gap.
g€n dem . . . ftlrsten rieh von Baldac, ... ir laut ir namen ich niht hah
swie daz der fttrste riche gekennet und ir underscheit:
hatte schedelich yerlom, d& yon wirt iuch niht geseit
do Yor im der höhgehom noch kunt yon mir ir namen gar.
Gahmuret wart erslagen ir laut ir w&fen oiTenhar
mit bockes bluote, hoer ich sagen, ^) muoz ich durch n5t yerswigen.
an den herten adamant
Diese ganze geschichte hat der dichter nur aus dunkler
erinnerung eingeflochten. Dafür spricht, dass er den namen
1) (j. Tit. 916. Parz. 106).
27*
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420 QEREKE
der königin von Zazamanc nicht kennt, wie er ihn denn sehr
wol bei der grossen zahl von namen im j. Tit. vergessen haben
konnte. Dafür spricht aber anch die angäbe , dass Pompeins
mit Ypomedön auf dem f elde zn Florischanz gegen den ffirsten
von Baldac gekämpft hätten, während auf Florischanz nach
dem j. Tit. nur das grosse tumier des Königs Artus stattfand.
Derselbe Irrtum passiert dem Eeinfrieddichter, wenn er sagt:
16648 die pavilün die Secureis üf Florischana der Heiden liez,
denn Secureis tritt auf Florischanz gar nicht auf; er kämpft
vielmehr auf selten der babylonischen brflder in der schlacht
bei Plenanze.
Von den eben genannten zelten heisst es weiter
y. 16650 die F^revlz der T§he h&t
die yon Baldac der fürste hiez errohten slt mit strite
Schyonahtelandem n^n p. Tit. 3333], durch der yon Tabnmite
daz gelichniflse g6n kttneginnen wiUen,
konde Thasm^ der rtchen stat, dersttezenSecimdiUen [j.Tit5320ff.]
(ygl. R. 16682 ff.).
Dieselbe SecundiUe sante dem Anfortas den kostertchen
krän [j. Tit. 4850 ff. Parz.519, 10—12. 18—30. Wh. 279, 13—23],
der Sit ee teile der schienen Orgelüsen wart [Parz. 616, 15 ftj.
Es folgt nun die erzählung von des Anfortas Verwundung
und seiner heilung durch Parzival; 16680 als ich in sime huoche
vant von deni von Eschibach geschriben.
16756 ff. Aroffels tod auf Alischanz — Wh. 81, 12 ff. Von
Aroffel stammt der Persän, mit dem Reinfried kämpft.
16766 dojg goltgehirge Kaukasas diende siner milten hant
— gefolgert aus Wh. 80, 22 ff., wo Aroffel Willehalm lösungs-
geld bietet: ob alUz gebirge Kaukasas diner hand jse gd>en
jsasme, daz golt ich gar niht nceme; vgl. R. 17552 st walten s6
vil goldes geben und me denn Aroffel bot üf Alischanz für
sinen tot
17106 ff. Aroffels schild nimmt Willehalm an sich — Wh,82,7.
17333 ein rcmn sper von Agram — Parz. 335, 20. 384, 30.
703,24.
17378 ff. Der könig Gramoflanz ist so stark, vier ald fünf
er wolte eemal bestän alleine — Parz, 604, 12 ff.
18438 ff. Thesereysens tod auf Alischanz — Wh. 87, 27 ff.
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STUDIEN ZV BEINFBIED VON BBAüKSCHWEia. 421
19958 Terramer. 20158 ft FSrevis, Paraiväl, Gawän, Gah-
muret etc.
20406 Schionahtelander besiegte zwanzig färsten an der
von BabUäne her — j. T. 1897.
21930 Gog Magog drt Indiä wären aUe im bekant, priester
Jöhan und sin lant, ewei und sibensnc künicrtch — j. T. 6032.
6033. 6034. 6058.
22946 Artus.
Die verse 16156 ft 19952 f. beweisen, dass der Eeinfried-
dichter auch die Vorgeschichte zu Wolframs Willehalm von
Ulrich von dem Türlin kannte.
6. Der jüngere TitareL
Sind bisher nur die citate aus dem jfing. Tit. berficksich-
tigt, so sollen im folgenden die reminiscenzen und directen
entlehnungen daraus zusammengestellt werden.
Yrkanes erstes auftreten wird ähnlich dargestellt wie im
jung. Titurel das der atmerinne:
R. 792 j. Tit. 2799
man sach üf höhe reichen golt riebe seidin lachen
ein pnrpnr yon yier scheften, fort man da hundert swebende
daz wart gef ttert mit kreften ob den hundert knnigen zu obedachen
enbor von gr&ven yieren. ie vier inncherren eins an schef-
dar ander bi den zieren ten vieren
reit diu minnecliche magt. nnd ob der atmerinne.
Wie Beinfried und Yrkane, so bleiben Titurison und Eli-
zabel anfangs ohne erben:
R. 12956 j. Tit. 137
wan ir süeze minne sie yorhten snnder frnht beliben,'
blüete frnht an ir yerbar. an erben alle ir riebe
des sach man si j&meryar daz mnst nn hohe frende von in
gar ze manger stunde. triben.
frönde in herzen gründe
knnde ez in verderben,
daz si got &n erben
so lange hAt gel&zen.
Deshalb widmen Titurison und Elizabel (138 ff.) gott ein
bild von golde als opfer nach Jerusalem, damit er ihnen ein
kind schenke. Ebenso im R.:
13188
er bat got nnd enthiez ze opfer, ob er wolde
im ein kint von golde erfüllen sinen willen.
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422
GEREKE
Ueber die greifen, die das gold auf dem Kaukasus be-
wachen (R. 18244 ff. j. Tit. 3346— 3348) vgl. Bartsch, Herzog
Ernst s. CLiv f.
Die grosse auseinandersetzung im R. über die vier elemente
und die in ihnen lebenden geschöpfe zeigt wesentliche berfih-
rungen mit einer ähnlichen partie im jüngeren Titurel:
R. 26404
der elementen viere sint,
Yon der complexen stinre
h&t alle cr^fttinre
lip und lebeliche pfliht.
&n ir tempeninge niht
mac lebende sin üf erden.
26410
ez moht noch kond üf werden
krüt holz lonp noch stein
&n diu elementen rein
diu 8Ö in ein sich flehtent
daz si stsete vehtent
26415
mit zwilicher n&tiure.
dürr heiz ist an dem. f iure,
fiuht und kalt daz wazzer h&t,
kalt und dürr diu erde st&t,
heiz und fiuht so h&t der luft.
26420
iecliches elementen kruft
pfligt einer lebendigen art
diu lebendes muoz werden schart,
swenn ez in ein anderz knnt.
ein herinc in des meres grünt
j. Tit.>) 2756
got aUe creature mit creften hat so
geordent
mit wazzer und mit feure luft und
erde dise yiere hordent
mit solher craft daz niht an sie ist
lebende
danne vier hande geschepfe
der einer ist ie ir eines
leben gebende.
2757
die viere niht gemeine lebent der
elemente
feur erde wazzers eine gamaniol
vil hoch gelente
vierzehen mile oberhalp der erde
und lebt niht wan luftes. der
drier hat er zu einer slaht begerde.
2760
die ander creature ist niht wann
wazzers lebende
der erden luft noch feure ist nach
disen drin zu nihte strebende
daz ist der bering weder groz noch
kleine
ist er nihtes lebende danne besunder
wazzers gar al eine.
2761
der muolwerf ist daz dritte weder
wirs noch bezser
der hoch noch der mitte begert er
weder luft feur noch wazzer,
wan zu allen ziten in der erde
loozzen
sin leben ist verkoufet swenn man
in ob der erde siht hie ouzzen.
1) Ich gebe den tezt nach Hahn, ohne Verbesserung.
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STUDIEN ZU BEINFBIED VON BBAUNSCHWEIG.
423
26425
lebt sunder sterben &ne not.
Inft fiur erde sint sin tot,
ieclichez sunder, bin ich wer.
in der erden lebt ein scher
lange sunder noete.
26430
luft wazzer fiur in toete,
an diu so lebt er schöne,
in luft gamaleöne
ist wol an erden wazzer fiur.
so lebt diu vierde cr^&tiur
26435
&n wazzer erden unde luft
und h&t lebeüchen guft
in fiure- und niht anders.
2762
80 ist dem salomander immer leben
teure
swenn er niht sam ein zander zu
allen ziten brinnet in dem feure
dem ist luft wazzer erde niht ge-
mezze
wan 80 yil daz er erde bi dem feure
muz pflegen eben sezze.
2768
wan sie [die eiemente) gar nn-
geliche sust kriegent mit ir
ahte
daz ein ist hitze riebe so ist
daz ander ringe und kalter
slahte
daz dritte ist swer kuole und
darzu trucken
das vierd swer und feuhte und
kan ie eins dem andern craft
wol zucken.
Die gemeinsame quelle für R. und j. Tit. scheint Honorius
zu sein; in einigen punkten ist die beziehung zwischen R. und
Honorius näher als ZAvischen R. und j. Tit. Honorius, De philo-
sophia mundi. 1,21 De elementis: nachdem er im anfang des
capitels entwickelt hat, dass die sogenannten vier eiemente
eigentlich keine eiemente sind — denn ehmentum est simpla
et minima pars — fährt er fort (Migne 172,49D): cum ergo
illas simplae et minimae particulae elementa sint, quae est fri-
gida et sicca, terra est: quae frigida et humida, aqua
est: quae calida et humida, aer: qua>e calida et sicca,
ignis (R. 26416/9); vgl. Imago mundi 2, 58.
Weiter sagt er (50 B): sunt alii qui dicunt quae videntur
esse elementa, comprobantes hoc autoritate Juvenalis, qui de
gulosis loquens ait:
^interea gustus elementa per omnia quaerunt'
(Sat. 11,14),
scilicet in terra venationes, in aqua pisces, in aere aves,
(50 D): in unoquoque illorum [feuer, wasser, luft, erde] ali-
quid de aliis est (R. 26408 f.).
(52 D): cum enim sint elementa quatuor et quatuor illorum
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424
OEREKE
qtuxlitates, inde fiunt sex cotnplexiones (R 26405), quarum
quatuar sunt possibües, duae imposstbües.
Aus dem j. Tit. ist ferner der ausführliche excurs über die
gewinnung der kostbaren gewänder geflossen, die die Salamander
im feuer spinnen:
R. 26458
man muoE mit grözer witze
üz dem starken brinnen
h&r nnd das tier gewinnen
mit grözer kost und noete yil.
26450
wan diu wolle. gespnnnen wart
Yon der cr^&tiure
in dem wilden finre
mit hitse und mit brinnen.
26464
ein grözen hüfen machen
mit dürres holzes stiure.
26472
von dem wirt aber eine
gemachet, doch nnyerre dan.
yier ald fttnfe machet man.
26492
der hüf yerbrinnet, der ander
hüf d& n& enpf&het.
26485
86 ziuht er dar die hitze dar,
wan daz helle finr in gar
tnot an allem libe firisch etc.
26408
ez wttrket unde spinnet
alsam die wtirme slden.
26440
swenn daz kleit an schoBne laz
von keiner slaht nnreinekeit
wart, der ez denn schöne leit
in ein grdzez finr, zehant
j. Tit. 6065
ein wider glast der sannen ist von
der pfeUe wehe
and wirt mit not gewannen in
dem f eare warkent sie den spehe
bi den ist alle side and golt za nihte
wie man die wan die gewinnet da
mäht man hafen drie von
holtze die rihte.
6066
von ein ander niht verre den
man da feoret
er want daz im niht werre an sinen
kampel freaden ez in stenret
der ander brinnet swen der
erste Teilet
von dem ez aber gaget und zum
dritten hoofen sich geseUet.
6067
den warm also zohet mitfenre
drier hoafen
dem berge er sas empflohet wirt wil
er gahes wider loofen
nach gaher wirt die yart im ander
gangen
dar daz die ersten erloschen sint
da mit ist er geyangen.
6068
yil siden ist er tragende dar
inne ist er yerwanden
sie sint darch behagende in dem
berge geyangen and gebanden
wan sie kein fear ninuner kan yer-
brennen
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STUDIEN ZU REINFBIED VON BBAUNSGHWEIG. 425
dia nnreinekeit gebraut wer moht al solche wunder an richeit
wirt d& von gar snnder schranz. onch erkennen.
26525 6069
ei darf nieman weschen durch reht man ez yergoldet und ist
mit lougen noch mit eschen, zu pfellen wegende
niht wan in fiur ez reinet sich, gar lylien wiz getoldet wirt sin
craft sin glast sus wemde ge-
bende
yil mange werdekeit der pfelie waldet
daz feur in machet newe dayon
er nimmer yeraldet.
7. Sonstige höflsohe epen.
Zur vervollstÄndigung unseres bildes von der belesenheit
des Reinfrieddichters in der zeitgenössischen höfischen literatur
dient es, wenn wir v. 8930 f. und v. 20160 Wigalois und Lan-
zelet genannt finden. Der dichter kannte also auch Wirnt von
Gravenberg und Ulrich von Zazichofen.
Ob er Veldekes Eneide gelesen hat^ lässt sich aus v. 3210 ff.
und 15260 ff. nicht erkennen, da er v. 3216 Virgil citiert, und
wir keinen grund haben, ihm nicht zu glauben.
II. Spielmannsdichtung.
In der hauptsache verweise ich hier auf die früheren aus-
führungen über die person des dichters. Ich habe dort (s.363 ff.)
festzustellen gesucht, dass der Zusammenhang des R. mit der
Spielmannsdichtung ein fundamentaler ist und, wenn ich so
sagen darf, einen inneren grund hat.
Ich erinnere femer hier noch einmal an Bartsch' einleitung
zum Herzog Ernst (s.cxxxff.), wo er den beweis der nach-
ahmung dieses gedichtes dui*ch den R. führt, und mache kurz
einige nachtrage.
Wenn wir im R. lesen:
10370
ein yolc was ungehiore, si w&ren an den fttezen
des wir sprechen mttezen: breit alsam die wannen,
in beziehung auf Ernst 4674 f.:
den w&m die ftteze yil breit
und also den swanen gestalt,
SO ersetzt der Reinfrieddichter hier einen ungewöhnlichen ver-
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426
QEBEKE
gleich durch einen gebräuchlicheren; Yg\.Iw.443 orenbreit aisam
ein wanne; Krone 9381 (vgl. Lexer 3, 682).
Der fürst von Ascalon, auf dessen seite Reinfried im
kämpfe gestanden hat, erweist sich ihm dankbar. Ebenso
wii'd Ernst vom fttrsten der Arimaspen für seine hilfe belohnt:
B. 2066«
'lip nnd euch daz leben min
mnoz iuwer eigenllchen wesen.
ich, lint und lant, wir sin genesen
von iuch', sprach er, 4uwer trost
hat uns ritterlich erlöst
von iemer wemder swsere'.
20676
^swaz ich fd al der erden
ieze h&n ald ie gewan
nnd iemer m6 gewinnen kan,
Ernst 4762
er sprach ^jnngelinc gemeit,
du h&st mir manllche
und also frumllche
^re und lip behalden.
du solt iemer m§r gewalden
mins landes swaz dus haben wil.*
4768
'des sol ich dir lihen also vil
durch liebe die ich zuo dir h&n
daz du selbe mäht wol h&n
beide Sre nnde ruom.'
sol iuwer eigentlichen sin.'
Wie herzog Ernst, so besucht natürlich auch Reinfried
Jerusalem und das heilige grab:
Ernst 5678
alda opferte der wigant
gote ze 6ren üf sin grap.
5684
ze dem tempel gap er onch gennoc
und SW& er heilige stete vant
R. 17938
der fUrste riebe
und al sin kristenlichiu schar
br&hten groziu opfer dar.
17944
(er hiez) mit riehen Sachen
daz grap, den tempel kleiden.
Die frage nun, welche bearbeitung der Emstsage dem
Reinfrieddichter vorgelegen hat, muss offen bleiben. Von den
uns erhaltenen fassungen scheint direct keine in betracht zu
kommen (vgl. Bartsch, H. E. s. cxxxviii).
Widerholt wird im R. die Alexandersage berührt. Diese
ist ja im mittelalter sehr verbreitet, und unser dichter kannte
sie gewis aus verschiedenen quellen. Speciell angelehnt haben
mag er sich an die Überlieferung, wie wir sie in Enikels
Weltchronik lesen, da er wahrscheinlich bei seinem zweimaligen
citat einer chronik eben diese meint:
R. 17970
sider ich gehoaret hab
daz diu stat daz grap daz lant
kam aber in der kristen haut
bi keiser Frideriche.
Enikels W. 28945
(abweichend von der Kaiserchronik)
dar n&ch der keiser wart verholn,
den kristen aUen vor verstoln;
wan nieman west diu nuere
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STUDIEN ZU RBINFRIED VON BBAUNSGHWEIG. 427
und dö der fünte riche wa er hin komen wsere etc.
80 wunderlichen wart yertrihen, (vgl. Stranchs anm. zu dieser
als in der crönik ist geschriben. stelle).
18140 EnikelsW. 24331 ff.
dö Titus und Vespast&n
gotes marter r&chen
und J^msal^m zerbrftchen,
als cronic& diu w&re seit.
Von Alexanders wunderbaren reisen kennt der dichter
zuerst die meerfahrt (v. 15156 ff.; vgl. auch v. 22530 f.) und zwar
die Version der sage, wonach sich Alexander an einer kette, die
seine geliebte hält, in das meer hinablässt (Enikels W. 19251 ff.
und daraus auch im Baseler Alex. s. 4247 fL). Die geliebte heisst
hier Laudavine, während sich sonst höchstens der name Boxane
findet. Den namen Laudavine, der sich nirgends nachweisen
lässt, hat sich wol der dichter selbst zurechtgemacht, aus
Laudine und Lavine (Lavinia).
V. 21856 ff. wird Alexanders fahrt zum paradiese erwähnt.
Die angaben treffen insofern mit dem bericht Enikels (19010 ff.,
vgl. auch Baseler Alex. 4154 ff.) zusammen, als an beiden stellen
keine andeutung zu finden ist von dem weisen Juden, der dem
Alexander, erst nach der rückkehr, in Griechenland offenbart,
was es mit dem wunderlichen stein auf sich habe. So nämlich
ist die Version in Lamprechts Alexander, nach dem Iter ad
paradisum. Es fehlt jedoch in Enikels W., was im R. unmittel-
bar vorhergeht:
21846
er seit im daz er weere komen mit sinnen in der wise
mit strenger noete stre daz si dem paradise
an die höhe müre und dirre erd geh onderscheit.
da al diu weit ein ende nint. für war niemen niht da von seit
sumeliche linte sint mit siebten werten blözen.
Diese mauer könnte der dichter ja nun ebensogut aus einer
anderen quelle als einer Alexandersage haben (vgl. z. b. Luci-
dariu^ Hall, univ.-bibl. Af 2048, allld: der meister sprach also
die bücher sagent so mag niemant in dz paa-adeifs Jcommen dan
mit gutten wercke, wan darumb geet ein feurin maur die reychet
hifs an d€ himel); aber wir finden sie z.b. bei Lamprecht
(6850 ff.) und im Iter ad paradisum (auch bei Ulrich v. EscHen-
bach 24444 ff.) Also dürfen wir wol annehmen, dass der dichter,
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428 QEBEKE
wenn er auf die Alexandersage anspielt, hier in der emnening
aus verschiedenen quellen combiniert.
Der Schiffsherr aus Ejulat, der dem herzog Eeinfried von
dieser fahrt Alexanders zum paradiese erzählt, da er selbst
dort gewesen ist, berichtet weiter, wie er auf seiner reise
das ende der weit erreicht habe, wo einst kSnig Hercules zwei
erin (so wird statt erlin v. 21907 zu lesen Sein) siul errichtete,
zum Wahrzeichen, dojs nie kein mensche fürhae tnohie kamen.
In den Strassburger drucken der Historia de prelüs werden
nach Kinzel, Lampr. Alei. s. xxv die Säulen des Hercules ge-
nannt, vgl. Eist, de prel. (hsg. von 0. Zingerle) c. 91.
Als dritte der wunderbaren reisen Alexanders nennt der
Reinfrieddichter die greifenfahrt 22514 ff. Vgl. Enikels W.
19441 ff. (Baseler Alex. 4381 ff.). In der luft habe Alexander
den vogel gamaieon gesehen:
22523 sweim er sich missehüetet
der Yogel sinin eiger birt, daz er n&ch cno der erden knnt,
und wie im üf dem rugge wirt so ist er t6t der selben stont,
8in fruht schön üz gebrüetet. wan er üf erden h&t kein ner.
üeber das nur in der luft lebende chamaeleon vgl. Lauchert,
Geschichte des Physiologus s. 202. Freidank 38, 109, 14 iL Reiii-
bot, Georg 3874^-3880. Im jüngeren Titurel lesen wir str. 4765,
dass Alexander in der luft den vogel galadrot gesehen habe:
wie der in den lüften get nu swebende und sine junge brütet,
biz daz sie mit im schone fliegent lebende, Str. 2759 heisst es
vom gamaniol: swenne er sine jungen unllen hat zu meren von
im wirt hoch gesungen wenn er legt daz ey zu hant so kan
er keren und tut dem ey so not mit nider drucke untz daz ez
wirt zu vögele so kan ers danne füeren uf sinem rucke, und
von demselben 2757 und lebt niht wan luftes (vgl. s. 422).
lieber die einschliessung von 6og und Magog sagt der
Beinfrieddichter:
19547 wie Alexander si besldz
Gog und Magog der jaden lant mit berge and mit müren gröc
st&t in der kttneginne [der Amazonen] and ouch mit dem grienigen mer
d& mit die röten jaden sint, [hant, daz äne wazzer sonder wer
als man noch geschriben yint, fiiozet staBtecltche.
Dasselbe berichtet nach Zingerle (Die quellen z. Alex, des
Rudolf V. E. s. 86) Rudolf in seinem Alexander (v. 15876 —
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STUDIEN ZU REINFRIED VON BRAUNSCHWEia. 429
17395), mit fälschlicher berufang auf Josephus [vgl. auch Baseler
Alex. 4108 ff.].
Gog und Magog neben den roten jaden werden erwähnt
im j. Tit. 6057 f. An derselben stelle hören wir auch von dem
meer: 6056 da hi so ligt besunder gar ane wazzer trucken ein
mer\ 6059 ditz mer von sande durch lant gar ane zuht ez rinnet
Das sandmeer stammt wahrscheinlich aus dem brief des priesters
Johannes c. 31: mare harenosum sine aqua, harena movetur et
tumesät in ut^das ,,. et numquam est tranquiUum.
Wenn v. 19941 f. und v. 26772 ft von Alexanders kämpf
mit Darius berichtet wird, so geht diese kenntnis im zweiten
falle sicher auf die bibel zurück. Jedoch enthält eben diese
stelle einen zusatz, den die bibel nicht hat. Alexander hat
den Darius besiegt und die ganze erde sich untertänig ge-
macht; aber
25784
niht langer wan üf dilge tage in t5t sin vil werdez leben,
wert sin keiserlich gewalt. wan er starp, im wart yergeben
mit nntrinwen wart gevalt mit arger giftedicher pfliht.
Da in v. 26784 f. eine textverderbnis ausgeschlossen ist
{tage reimt auf sage\ so kann die stelle, wenn sie sinn haben
soll, allein so gefasst werden, dass Alexander nur drei tage
auf dem gipfel seiner macht stand. Diese angäbe weiss ich
jedoch durch nichts zu belegen. Daher glaube ich, dass der
dichter, der die eben genannte partie mitten in einen biblischen
excurs, also wol sicher aus dem gedächtnis, einlegt, hier bei
den drei tagen eine Verwechslung begeht. Drei tage weilt
Alexander z. b. auf dem meeresgrunde. üeber Alexandei-s tod
vgl. Enikels W. 19652 ff. Baseler Alex. 4441 fl 0. Zingerle, Die
quellen z. Alex, des Rud. v. Ems s. 50, a. 3.
Enikel berichtet uns auch (23779 ff.) die erzählung von
Virgil, wie er zu Rom von einem listigen mädchen in einem
korbe aufgehängt wird. Darauf spielt der Reinfrieddichter
15176 ff. an und nennt hierbei wider einmal, wie bei Alexan-
ders meerfahrt, für das mädchen einen namen, Athanatä, den
wir sonst vergebens suchen. Vgl. Massmann, Eaiserchronik
3, 451 ff. V. d. Hagen, GA. 3,cxlix. Strauch zu Enikels W. 6173.
Germ. 4, 273. Athanais lässt sich als ähnlichklingend aus dem
Eraclius allenfalls anführen.
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430 GEBERE
Im anschluss hieran erwähne ich gleich noch, dass im IL
auf diese geschichte unmittelbar die anekdote von dem
weisen Aristoteles folgt, der sich von einem mädchen reiten
lässt (15182 f.). In V. d. Hagens GA. 1, 2 ist das mädchen Ale-
xanders geliebte, Phyllis (vgl. dazu GA. 1, einleitung s. lixv ft).
Merkwürdigerweise führt sie im R. den namen Silarin. Wir
haben denselben fall wie oben: der name ist anderweitig nicht
nachzuweisen. Ich glaube deshalb aber noch nicht, dass wir
daraus auf besondere, uns unbekannte quellen schliessen müssen,
sondern möchte lieber dem dichter selbst die erflndung dieser
namen zutrauen.
Etwas länger verweilen muss ich jetzt bei der episode
vom Zauberer Zabulon und von dem magnetbei^e, die im
B. einen ziemlich beträchtlichen räum einnimmt. Diesen zan-
berer, der in unserem epos übrigens Savilon heisst, und seine
taten kennt auch der Wartburgkrieg, dessen 6. teil Simrock
*Zabulons buch' überschreibt. Vergleichen wir nun beide er-
zählungen, so ergeben sich bei zahlreichen, teilweise fundamen-
talen abweichungen doch viele wörtliche anklänge. Und daraus
schon folgt, dass ein directer Zusammenhang zwischen K und
Wrtbgkr. nicht besteht, sondern dass beide vermutlich aus
derselben oder aus verwanten quellen schöpfen.
Ich gebe zunächst eine kurze Übersicht über beide fassungen.
Zabulon oder Savilon, heisst es:
R. 21328 W. 156, 9
was der trste dem ie wart was der ^rste der sich
astronomie bekant. astronomte ie nnderwant.
21344 156,11
ntt sach der selbe jungelinc eins nahtes er an den Sternen
mit zeichen offenbaren yant,
daz nä zwelf hundert j&ren daz bi zwelif hundert j&ren
har üf dise erden wurde ein kint geborn,
ein kint solte werden daz alle Juden gar von &ren
von einer megede geborn. stiez.
Ton dem kinde solt verlorn
werden jüdische diet.
21356 156, 15
er gie behendecliche erz niht enliez,
und seit ez der muoter sin, wie schier het erz der muoter
wan diu was ein Jüdin, sin geseit.
sin Tater was ein beiden.
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STUDIEN ZU BEINFBIED VON BRAUNSCHWEIG.
431
wan 8]
21363
sin inneclich erschrac.
Auf der mutter rat forscht Savi-
Ion weiter in den stemen and er-
fährt durch den Satumus, die gefahr
für die Juden könne verhtttet wer-
den, wenn er ein kleinez brievd mit
Jwhen paragraffen und mit werten
heschriebe, die oach wol da euo hor-
ten, und dann diesen hrief so ver-
b&rge, dass ihn niemand fönde.
21436
über daz wilde mer und tief
fuor er üf den agpestein.
Es folgt eine ausführliche Schil-
derung der von Sayilon auf dem
magnetberg getroffenen einrich-
tungen. Unter anderem verfertigt
Sayilon folgendes:
21486
ez was ein €rin bilde
und h&t ein hamer in der hant
erzogen.
Das eherne bild hat eine ganz
andere bestimmung als im Wrtbgkr.
Zwar handelt es sich hier auch um
ein buch, aber um ein nigromamie
buoch, mit dem Sayilon, um ewig zu
leben, einen geist in seinen leib
bannt, indem er seine füsse auf das
buch setzt. Die Übrigen teufel hat
er mit drei anderen büchem be-
zwungen, die er in eine wand ein-
schliesst. — Sonst spielt Sayilon im
B. selbst die rolle des ehernen
bildes des Wrtbgkr.
21508
er hatte an der stunde
mit angestllchen sorgen
156,7
er was ein Jude yon muoterart,
ein beiden yaterhalp.
157,1
diu fronwe wart in schricken
r6t.
Zabulon kommt selbst vermöge
seiner mystischen kenntnisse auf den
gedanken, das unheil dadurch abzu-
wenden, dass er nach der Juden kür
ein buch dichten will. Wie er das
buch nun mit allen nigromantischen
künsten anfertigt, wird ausführlich
berichtet. Ein jähr und zwölf Wo-
chen arbeitet er daran.
159,15
einen geist er twanc,
daz er imz üf dem agetsteine be-
Davon nichts im Wrtbgkr.
160,3
der meister da ein bilde üz ßre
der Schrift ez hüeten sol. [göz:
160,7
einen klttpfel tmoc ez in der
der stuont ze swserem zu. piant.
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432
GEREKE
den kleinen brief yerborgen
im selben in daz Öre.
Sayilon bannt ferner einen teofel
in ein glas (vgl. Zs. fda. 85, 1 80 f.) und
yerbirgt dies unden an des Steines
pfat
Ein hdt ze Lamperten, fürst und
herr zn Mcmtouwe, Virgil, der grosse
reichtttmer besass, gieng mit seinem
gelde so yerschwenderisch freigebig
um, dass er gänzlich verarmte.
Virgil hört von Savilon nnd macht
sich mit elf begleitem auf nach dem
magnetberg. Er findet den geist im
glase nnd gewinnt mit seiner hülfe
den brief Savilons nnd das nigro-
mamte buoch unter dessen fttssen.
Nun schlägt das eherne bild mit dem
hammer zu und tötet den Savilon.
Zu derselben zeit wird Christus ge-
boren.
Virgil lässt den Savilon von den
teufein, die er befreit, begraben.
Darauf stürzen die teufel sich
alle ins meer. Nur den geist, der
in dem glase war, bannt Virgil mit
list wider hinein
(vgl. Massmann, Kaiserchr. 3, 438 f.
K. L. Eoth, Germ. 4, 278 f.).
160, g
der meister schoub im einen brief
inz houbet d& zer nase.
Wo hier mit einem male der brief
herkommt, von dem vorher noch nicht
die rede gewesen ist, bleibt unklar.
Eine fliege in einem glase aber
verrät dem Virgil das buch. Aristo-
teles hat diese da hineingesteckt,
indem er seinen gesellen Elestronis,
um ihn vor der hOUenpein zu be-
wahren, ^als fliege verwandelt in
den rubin eines ringes bannte. Aus
diesem ring war Elestronis nachmals
dem könig Tirol mit seinem rat beim
Schachspiel behttlflich, als dessen
haupt zu pfimd stand' (Simrock
s.302f.).
163,5
ze Bome ein rieh gesiebte hiez,
daz was in armuot komen
durch ir edelen milten muot
(Simrock meinte, die erinnerung
an dieses verarmte geschlecht hätte
sich im Ei, nicht bewahrt).
Dieses geschlecht will die schätze
der am magnetberg gescheiterten
schiffe auf des Aristoteles rat ge-
winnen und sendet deshalb unter
Fabian eine schar aus, der der Zau-
berer Virgil den weg zeigen muss.
Damit endet die geschichte im
Wrtbgkr. Nach Simrock hat die
Kolmarer handschrift noch eine fort-
Setzung: Fabian wird von einem
greifen verschlungen, Virgil gewinnt
das buch Zabulons und befreit erat
den geist aus dem glase, zwingt ihn
aber dann wider hinein.
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STUDIEK ZU REINFRIED VOK BRAUNSGHWEIG. 43S
Comparetti (Virgilio nel medio evo 1872, deutsch von
Dtttschke 1875) versucht es (s. 268) aus beiden fassungen die
ursprüngliche sage zu reconstruieren. In einer sich mehr der
fassung im R. nähernden form erzählt dieselbe sage Heinrich
von Mfigeln in einem gedieht auf den zauberer Virgil, das
Zingerle Germ. 5, 368 ff. veröffentlicht hat. Comparetti führt
femer (s. 264 f.) aus der Image du monde (ed. du M^ril, M^langes
arch6ol. s. 456 ff.) die erzählung von einem besuche des apostels
Paulus an Yirgils grabe an, die gleichfalls ähnliche zfige
enthält.
Das buch Zabulons ist nach ihm aus dem buche über die
ars notoria entstanden, das, wie Gervasius von Tilbury weiss,
von einem Engländer im grabe Yirgils gefunden sein soll. Im
wesentlichen wird Comparettis reconstruction der ursprüng-
lichen sage das richtige treffen.
Simrock vermutet, dass das uns verlorene gedieht vom könig
Tirol die grundlage bildet.
Erwähnt sei endlich noch, dass Säbulon auch in einem
liede der £!olmarer meisterliederhandschrift (Bartsch 28, 54)
vorkommt, das nach Bartsch jedenfalls jünger ist als 1308.
Was übrigens die bemerkung im R. betrifft: 21720 wol
fünfhundert mile in dem agestein man sach swcus iender üf
dem mer heschach, so vgl. dazu Comparetti s. 256, der für
Spiegel von solcher Wirkung belege bringt. Ich füge noch
hinzu Parz.592, wo von einem warthaus auf der wunderburg
Elinschors berichtet wird, in dem eine säule steht, die alles
abspiegelt, was sechs meilen in der runde geschieht.
III. Mittelalterliche lateinische schriftsteiler.
Die unter dieser Überschrift behandelten stellen des R.
sind leider nicht derart, dass sie zuliessen, ihre quellen zweifel-
los und bestimmt anzugeben. Das liegt in der natur der
Sache. Es lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, woher
der dichter z. b. seine kenntnis des heiligen landes oder sein
naturwissenschaftliches wissen schöpft. Er hatte dafür viel-
leicht gar keine directe quelle. Denn was er berichtet, und
wie er es berichtet, das ist meist gemeinsames wissen der
zeit. Erzählungen der kreuzfahrer, reisebeschreibungen, ge-
BttlbrAfs BOT gMohiohto d«r d^atfohen fpfMlM. XXm, 28
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434 GEBEKE
lehrte compendien fleissig ans- und zusammenschreibender
geistlicher u.s.w. haben daffir gesorgt, die bekanntschaft mit
solchen dingen allgemein zu machen.
Dennoch möchte ich glauben, dass der Reinfrieddichter in
einem teile seiner angaben wenigstens sich seine Weisheit
direct aus den in der zeit meistgelesenen Schriften des Hone-
rius von Autun und des Vincenz von ßeauvais geholt habe.
Ich will damit nicht behaupten, diese beiden mfissten nnn für
jeden einzelnen der im folgenden behandelten falle, wo sie als
gewährsmänner herangezogen werden, wirklich quelle gewesen
sein — und ich ffige darum oft auch noch andere belegsteilen
hinzu — , aber ich meine, es durfte immerhin wahrscheinlicher
sein, dass der dichter im wesentlichen alles aus 6iner oder
aus zwei quellen schöpfe, als dass er seine mannigfaltigen
kenntnisse von überall her zusammengesucht habe.
Unter den statten, die herzog Beinfried in Palästina be-
sucht, ist natürlich vor allem das heilige grab:
18138 II& langen verren j&ren sider,
daz grap bi der selben zit do Hel^n& lebte, #
stnont Yor der etat ein teil hindan. diu nach dem krinze strebte,
dd Titns und Vespasi&n din Constantlnns mnoter was.
gotes marter rächen nu hüte man die stat s6 daz
und Jerusalem zerbrächen, [vgl. 8. 427] daz grap nu in der kilchen lit,
als cronicä diu wäre seit, und da diu stat b! alter zit
d6 wart ez yon der kristenheit lac, d& llt nu büwes niht,
gebüwen yestecliche wider wan man ez noch yerwUestet siht.
Dazu vgl. Honorius Augustodunensis, Spec. eccl.: de
inventione sanctae crucis (Migne 172, 947): Helena (mater Con-
stantini) sanctae crucis amore accensa, HierosoUmam properat;
convocatis Judaeis locum Calvariae sibi demonstrari postulat,
quem tum densita^ veprium atque virgultorum operuerat, et ideo
incognitus erat Nam transactis de passione Domini XL annis
Romani HierosoUmam funditus destruxerant, et aliam
civitatem Helius Adrianus post longo tempore in alio loeo
construxerat, quam suo nomine Heliam appeUaverat. Do-
minus enim extra portam passus et sepultus legitur;
qui uterque locus quae nunc est Hierusälem hodie ab omnibus
cemitur.
Sicherlich ist für die geschichte der kreuzesauffindnn;
Honorius dem dichter nicht einzige quelle gewesen; denn dieses
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STUDIEN Zu BEIKFRIED VON BBAüNSCHWEia. 435
thema ist in der damaligen literatur (vgl. Massmann^ Kaiser-
Chronik 3, 849 ff.), auch in deutschen predigten (vgl. Zs. f dph.
27, 195) und jedenfalls in reisebeschreibungen viel behandelt;
für die mündlichen berichte der krenzfahrer und pilger femer
mnsste natürlich das heilige grab den mittelpunkt bilden.
Was mich aber bewogen hat, dennoch hier den Honorius
zu eitleren, ist die mit R übereinstimmende ziemlich ausführ-
liche angäbe über die örtlichkeiten, wie ich sie in den sonstigen
berichten nicht gefunden habe.
ßeinfried sieht femer die stelle da got ze himelriche fuar:
18159 d& stner fttece zeichen st&t
in dem steine dft er Mt
ze jungest tif ertrich getreten.
Honorius, Spec. eccl. (Migne 172, 958): vestigium . . . quod ascen-
dens harencte impressit, adhuc locus ille retinet. Vgl. auch Vin-
cenz Bellov., Spec. bist. 7, 64 aus Petrus Comestor. Beda, De locis
sanctis (Migne 98, 1184).
Legenden, deren im R. erwähnung geschieht, sind folgende:
1) V. 13000 ff. Maria geburt. — Honorius, Spec. ecclesiae: de
nativitate Mariae (Migne 172, 1000). Alt. pass. (Hahn) s. 5, 63 ff.;
vgl. Anz. fda. 2, 233. — 2) v. 15942 ff. Märtyrertod des heiligen
Mauricius. — Honorius, Spec. eccl.: de sancto Mauricio et sociis
eins (Migne 172, 1005). Massmann, Kaiserchronik 3, 779 ff. —
3) V. 26998 ff. Wunderbare Wirkung des leichnams der heil.
Katharina. — Jacob, de Voragine, Leg. aurea c. 172. Pass.
(Köpke) s. 688 f. Im übrigen vgl. Piper, Geistl dichtung des
ma. 2, 81 f. Knust, Geschichte der legenden der heil. Katha-
rina (HaUe 1889). Im anschluss an diese legende erzählt der
dichter von einem kloster, in dem
27008
niht mß was wie zwelf liehter über al
denn zwelf herren an der zal, schdn brinnent nnde reine.
Wenn eins dieser lichter erlischt, muss von den zwölf
mönchen einer sterben; ist dann aber die zahl der mönche
wider ergänzt, so entzündet sich das erloschene licht von
selbst. Dazu vgl. H. Schiltbergers Eeisebuch (hsg. von Lang-
mantel, Lit. ver. no. 172) s. 71. Johann von Montevilla I (etwas
abweichend).
Unbekannt ist mir die quelle zu v. 21042 ff.: Salomo habe
28*
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436 GERBKE
aller üuvel Jcrafl in ein glas venvürket (nach Pass. [Eöpke]
331, 35 ff. in ein vctg; vgL Wiese, Zur Mai^^etenl^^nde, in
den Abhandinngen . . . A. Tobler dargebracht [Berlin 1895J,
s. 129 f.) nnd dieses glas aufgehängt in des tempds kröne,
nnz die Yon BabilÖne nnd w&nden dinne Tindffli golt.
sich an den jnden r&chen. dÖ was des grdsen g^otes solt . . .
daz glas si dd zerbrächen (Iftcke)
Vgl. Vogt, Beitr. 1,286.
Betreffs der benutzong des Honorins s. auch oben s. 423 1
Honorins hat aus Isidor unter anderem den bericht über die
sämmtlichen wundermenschen und fabelhaften tiere entlehnt,
und es ist möglich, dass der Reinfrieddichter neben dem
Herzog Ernst und Budolf von Ems auch hierin Honorins be-
rücksichtigt.
Was er über die planeten und über Saturn und Jupiter
speciell sagt, stammt vielleicht gleichfalls aus Honorins;
sicher ist das bei der undeutlichen kürze der betreffenden
stellen nicht zu entscheiden:
18624
ir [der planeten] sibenTalteclicher si gar wunderliche,
die berge gar dnrchlühten. [schin d5 in einem striche
die werden heiren dühten iegelicher sonder schein.
(Hon., Imago mundi 1, 68 [Migne 172, 138]).
Satumns zomecliche mein Jovis des lonfes güete
tet hie kein nngemüete mit senftecllcher wlse.
(Hon., Philos. mundi 2, 17—18 [Migne 172, 62 f.]).
21383
nam aber des stemen war yoUendet h&t stn lonfen sus.
der d& n& über drizic j&r man seit ez wser Satumns.
(Hon., Philos. mundi 2, 17 [Migne 172, 62 f.]).
Ausser Honorins benutzt der Reinfrieddichter wahrschein-
lich den Vincenz yon Beauvais. Beide haben nämlich über
die elephanten solche eigentümlich besonderen angaben, dass
ein Zusammenhang mir ziemlich sicher erscheint.
Wir lesen im B. von den elephanten, die der könig von
Indien dem herzog als geschenk sendet: 26230 an ketten
fuort man unde edch si gezogenliche. Dazu vgl Vincenz, Spec
nat. 19, 39 (aus Plinius): qui tumultuantem (sc. elephaniem) ea-
tenis coerceant
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STUDIEN ZU BEIKFBIED VON BBAUNSCHWBIG. 437
26241 f. wird erzählt, dass der elephant seine jungen im
Wasser gebiert Dazu vgl. Vincenz a. a. o. 19, 44 (aus dem Phy-
siologus): tempore vero partim ingreditur aquam usque ad übera
et ibi parit super aquam.
Entscheidend ist aber nun der bericht, wie die elephanten
gefangen und gezähmt werden.
Zwar beruft sich der dichter y. 26267 f. {als ich wol habe
gehceret) auf eine mändliche quelle; ich glaube aber nicht,
dass man den ausdruck hier so wörtlich nehmen darf. Vgl.
Yinc. 19, 49. Elephas in tibiis iuncturas non habet, ut legitur in
bestiario* dormientes elephanti numquam recunibunt, sed cum
labore defatigati sunt, arboribus magnis applicati se recreant
et in ipsis suffulti dormiunt quod eorum venatares attendentes
locum et arbores notant easque paene sucddunt. quibus cum
elephantes inniti secundum consuetudinem suam putant, ruunt
arbores et elephanti cum eis ad terra/m prostemuntur sicque
capiuntur. cum enim elephas ceciderit, surgere non valet sed
ad eius barritum elephantes plerumque ceteri currunt
et cum se incurvare ac socium erigere non possunt,
gemunt pariter et barriunt (dazu R. 26276 — 26289). {pa/r-
vuli vero elephantes prout valent se secum su>a promusdde
supponentes aliquando erigunt sicque de maam venatorum libe-
rant). ideo autem maior elephas cadens surgere non valet quia
ossa solida sine iuncturis habet, unde tibias et crura flectere
non potest (dazu K 26254—26260).
*19, 39 (aus dem Physiologus): elephas dum arte honUnum
sucdsis arboribus ingentia membra committitj tanto pondere
supinatus propriis viribus surgere nequit, quodpedes eius nullis
instituuntur articuUs. sed humano solatio surgit, cuius
arte iacuit Itaque belua suis gressibus restituta memor
esse beneficii novit in magistrum, quem sibi subvenisse ag-
nosdt ad ipsius arbitrit^n gressus movet, eiusdem voUmtate
cibos capit (R. 26290— 26304).
19,50 (ex libro de nat. rer.): itaque venatores in deserto
quaerentes elephantes süvestres, cum eos inveniunt, domesticis
praecipiunt ülos persequi ac percutere quousquam oboediant et
defatigati stände quiescant tunc venatores iUos ascendunt et
percutiunt ac pungunt et movent eos ßd hoc^ ut homines timeant
(R 26326 ff,).
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438 GEREKE
19, 42 (aus Isidor): in his enim Persae et Indi ligneis turri-
hus ooUocant: tamquam demuro iactUis dimicant (B. 26344 iL).
Aehnliches erzählt Bartholomaeos Anglicus, De proprie-
tatibus rerum 18, 43 (Nürnberg 1492), aber einmal fehlt bei
Bartholomaeus, der übrigens älter als Vincenz ist, die angäbe
des Vincenz 19,39 = R 26230 t; femer hat er abweichend
von Vincenz und B. 18, 42: eUphas autem cum sedet fl^ctitpedes,
sed non potest flectere pedes qttatuor propter pondus corporis,
dormit stanzte corpore ei pedes posteriores flectit sictU homo\
endlich fehlt Vincenz 19, 39 (aus dem Physiologus) = R 26290
—26304 und der bericht von der Zähmung, Vincenz 19, 50 =
R 26326 ft
Ungefähr ebenso wie mit Bartholomaeus steht es mit den
angaben des Jacobus de Vitriaco in seiner Historia Hierosolj-
mitana (Bongars, Gesta dei per Francos s. 1101).
Alle sonstigen berichte über die elephanten, die ich kenne,
erzählen nichts von fajig und Zähmung, und so glaube ich hier
mit ziemlicher Sicherheit den Vincenz als quelle für R an-
setzen zu dürfen, zumal der dichter bei ihm alle die einzehien
angaben der verschiedensten quellen vereinigt fand, die er sich
andernfalls aus diesen (Plinius, Isidor, Physiologus u.s. w.) erst
hätte zusammenholen müssen.
Die dromedare, erzählt der Reinfrieddichter, laufen so
schnell, 26956 dcus man einjs hundert mile het eins tages tcol
geriten. Dazu vgl. Vincenz (aus Isidor) a.a.O. 18,45 centum
enim et amplius miliaria uno die pergere seiet
In demselben Speculum naturale 30, 16 findet sich aus
Augustin die angäbe Adam ibi quoque de diluvio futuro ac de
iudido per ignem cognovit et liberis suis indicavit
Darauf geht direct allerdings R 19750 ff. wol nicht zurück:
nn hatte Adam offenbar verderben unde toet«n.
yor langen stunden das geseit, von disen grdzen noaten
got wolt aUe menscheit seit sin wise güete
und alle cr§&tiure lang vor der sintflüete.
mit wazzer ald mit finre
Hieran schliesst sich nämlich im R. die erzählung, wie die
menschen vor anbruch der Sintflut den plan fassten, zwei
Säulen aufzustellen, die eine aus marmor, damit ihr das wasser
nicht schaden kann, die andere aus Ziegelstein, damit sie vor
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STUDIEN ZU BEIKFRIED TON BRAUNSCHWEIG. * 439
fener geschützt ist. Auf diesen Säulen sollen dann die taten
der menschen für künftige geschlechter angezeichnet werden.*
Diese merkwürdige geschichte überliefert Goropius Be-
canns in seinen Hieroglyphica (Antwerpen 1580) 1, 11: scribit
. . . Josephus^) ex suorum hominum, ni fdllor, traditiane, duas
ante diluvium a Sethinis columtMS erectas fuisse; alteram late-
ritiam, ne igne dissiliret; alteram lapideam, ne aquis corrum-
peretur: quarum utrique astronomiam inscripserunt accepisse
enim ab Adamo geminam totius orbis eversionem futuram, alteram
per vim ignis, alteram per vastam aquarum inundationem; et
idcirco cavisse, ut utrovis modo mundus periret, caeUstium saltem
motionum doctrina superesset.
Die combination nun, dass die menschen auf diesen säulen
auch die warnenden lehren aufgezeichnet hätten, die Adam
seinen kindem betreffs der wunderbaren kräuter gab, stammt
natürlich aus dem köpfe des dichters selbst. Offenbar hatte
er daran anstoss genommen, wie es denn möglich sei, dass
in folge der Übertretung von geboten Adams die misgeburten
entstanden sein sollen, da doch die Sintflut ausser Noah und
seiner familie alles lebende vernichtet hat. Da hilft er sich
denn ganz geschickt mit der einfügung der geschichte von den
beiden säulen. Ob er diese aber aus derselben quelle schöpft
wie Goropius, und welches jene quelle ist — denn schwerlich
geht Becanus direct auf Josephus zurück — vermag ich nicht
zu sagen.
Bei der erwähnung der arche Noahs im B. sind mii*
übrigens immer folgende worte aufgefallen. Die arche, so
heisst es, wird vom wasser getrieben, 19747 mit Jueh für aller
berge joch, die üf der erde ligent noch. Was soll dieser
sonderbare zusatz: die berge, die noch auf der erde liegen?
Zum mindesten gibt es zu denken, wenn wir bei Honorius,
Im. mundi 1, 19 [Migne 172, 127] (bei Isidor u. a. in ähnlicher
weise) lesen: mons Ärath, super quem arca Noe post diluvium
requievit, cuius usque hodie ligna ibi videntur. Mir will
scheinen, als ob es sich an der genannten stelle im E. um ein
misverständnis handelt.
Des Vincenz von Beauvais zweites grosses Sammelwerk,
^} Josephns, Antiqu. lud. 1, 2, 3.
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440 * GEREKE
das Speculum historiale, kommt vielleicht noch fär einige
andere angaben im B. in betracht.
18102 ff.: in der gelübede arke, die sich im tempel nnter
der aufsieht des propheten Hili befindet, liegen yerschloföen
Moyses wünschelruote, Aarönes dürrez ris, die steinernen ge-
setzestafeln und ein eimer mit himmelsbrot. In der bibel ist
von dieser aufbewahrung nur in der epistel an die Ebraer
(c. 9, 4) die rede (Moses' Wünschelrute feUt). Ich glaube aber
nicht, dass der dichter seine kenntnis aus dieser stelle des ihm
wol sicher so genau nicht bekannten Ebräerbriefes hat. Er
wird vielmehr auf Vincenz, Spec. bist. 2, 17 oder Petrus Co-
mestor, Hist. schol. (Migne 198, 1365 f.) zurückgehen. Aber
auch hier fehlt Moses' Wünschelrute; diese hat also der dichter
selbst hinzugetan. Vgl. übrigens Kolmarer meisterlieder, Bartech
6, 200 ff.
Der Reinfrieddichter erklärt, wie wir schon gesehen haben,
im anschluss an Wolfram die entstehung menschlicher mis-
gestaltungen aus der macht gewisser wunderbarer kr&uter.
Er weiss aber auch von einem einfluss der steme:
1 9858 der frech, der zage, der minneclich etc.
al irdenisch figftre der siech, gesont, der sqb, der »6,
sich rihtet n& der stemen kreiz, d& n&ch die stemen sint geriht
daz man noch kuntUch wol weiz. nnder den ir gebürte pfliht
der wirt ein diep, der arm, der rieh, mit rehtem lonfe h&t gezogen.
Dazu eitlere ich Hrabanus Maurus, De magicis artibus
(Migne 110, 1098 f.): geneses enim haminumper XII coeli signa
describunt, siderumque cursu, tMScentium mores, actus et eventa
praedicare conantur, id est, quis quali signo fuerit natas, aut
quem effectum habeat vidae, qui nasdtur etc.
Femer Albertus Magnus, De secretis mulierum, 11: de
foetus formatione, der zuerst im allgemeinen vom einfluss der
steme auf die menschlichen geburten spricht und dann die
besonderen Wirkungen der einzelnen steme der reihe nach
durchgeht; z. b. Satumus ... facit natum qui suh eo nasdtur,
fuscum in cohre ,,., caput turhidum et bene barbatum, ...
secundum vero animam malus est^ multum perfidus et nudi-
tiost^ . . . , Venerem minime diligens etc. . . . ; Mars fadt natum
suum rubd coloris . . . ; secundum animam vero faUax, incon-
stans, irascibilis etc.; vgl. Parz. 454, 15 f.
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STUDIEN Zu BBINFBIBD VOK BBADNSCHWBIG. 441
lieber Petrus Comestor vgl s. 413.
Auf irgend eine mittelalterliche lateinische quelle dfirfte
endlich wol das ausführlich erzählte Sirenenabenteuer zurück-
gehen (22010 ff.). Durch den bericht des schif&herm aus Ejulat
verlockt, wagt es Beinfried mit zwei begleitern die Sirene auf-
zosnchen, und nur, indem er sich genau derselben list wie einst
Odysseus bedient, entkommt er glücklich aus ihrer macht.
Odysseus erlebte dieses abenteuer damals, als er den Achilles
bei Lycomedes suchte (22569—71 und 22595—98). Die Sirene,
heisst es weiter, zieht hinter Beinfrieds schiff her:
22610
ir was ze singende so g&ch, das ir in dem Itbe brach
dö si das schif entrinnen sach, yon ttberdön daz herze.
Dieser letzte zug beruht wahrscheinlich auf freier erflndung
des dichters. Dass er aber eine ganz besondere, eigentümliche
quelle über Odysseus gehabt haben muss, wenn nicht etwa
hier ein Irrtum zu gründe liegt, geht aus v. 24541 f. hervor:
der künste riche starp üf dem mer da er verda/rp.
Die homerischen beiden des trojanischen krieges, um das
hier gleich anzufügen, kannte der dichter sowol aus lateinischen
quellen, als auch aus mittelhochdeutschen dichtem, die die
Trojanersage behandelt haben, so u. a. aus Konrad von Würz-
burg. AuffäDig ist es daher, wenn wir gegen alle Überliefe-
rung lesen:
19948
Agamemnon der Tor Troie pflac wol üffen drtzehen j&r,
rehtes legers offenb&r br&ht nie so manlc rotten dar.
Ich möchte deshalb für driaehen: diu aehen schreiben, so
dass also gelesen werden muss: toöl üffen diu juehen jär, eine
betonungsweise, die im R. nichts anstössiges hat (vgl. Jänicke,
Zs.fda.17,510).
IV. Bibel.
Dass der dichter eine grosse kenntnis der bibel, besonders
auch des alten testamentes hat, geht aus zahlreichen stellen
seines Werkes hervor, wo er scenen aus der biblischen ge-
schichte erzählt oder nur berührt, sei es um diese als analoge
fälle für irgend welche im K. vorkommenden ereignisse anzu-
führen, sei es um bei der Schilderung von örtlichkeiten des
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442 OEBBKE
morgenlandes ihrer Vergangenheit zu gedenken. Solche ge-
legenheiten benutzt er dann bisweilen zu ziemlich weitläofigen
excursen, bei denen sich oft enger anschluss an den worüaut
der vulgata zeigt. Er beruft sich mehrfach direct auf die
bttcher der bibel, aus denen er geschöpft hat (vgl. s. 377).
Der dichter beherscht den biblischen Stoff vollständig,
wie sich daraus ergibt, dass er oft anspielungen macht, wo
der Zusammenhang an sich das nicht nahe legt.
Ich folge bei der besprechung der biblischen citate der
reihenfolge ihrer anführung im B.
V. 8458 Susanna — Dan. 13.
V. 10877 gott Stifter der ehe. Wäre die ehe nicht eine
heilige Ordnung, so hätte ja auch gott (d.h. Christas) und
seine mutter nicht an der hochzeit teilgenommen, bei der
Jesus wasser in wein verwandelte.
V. 10893 als wire am ewangeljen hän — Joh. 2. Nach ur-
alter tradition (vgl. Schönbach, Altdeutsche predigten, anm. z.
1,259, 19 ff.) wird diese hochzeit als sant Johans kruüouf
(v. 10892) bezeichnet.
Da die ehe zwischen Beinfried und Yrkane lange zeit
kinderlos geblieben ist, fleht Yrkane in einer nacht zu gott^
er möge ihr ein kind schenken, und erinnert den herm
gleichsam an ähnliche fälle, wo er auch noch spät die ehe
gesegnet hat, so u. a. an die geburt des Johannes und des
Samuel.
V. 13046 ff. erzählt der dichter nach Luc. 1 ausffihrlich
die geschichte von Elisabeth und Zacharias, v. 13082 ff. nach
1. Sam. 1 die von Anna und Elchanä.
Samuel, Annas söhn, weiht den Saul zum könig (v. 13153
— 1. Sam. 10).
In derselben nacht, in der Yrkane so betet^ hat Beinfried
einen träum; er meint an der Wahrheit dessen, was ihm im
träume offenbart ist, nicht zweifeln zu dürfen; denn
13428
wir h&n gelesen offenb&r, daz er das encheinde
swaz got wüent meinde, dicke in sl&fe tongen.
So hat Ezechiel im schlafe tcunderlichtu dine gesdien
(v. 13434 — Ezech. 1, 1).
Wie dem Beinfried das traumbild dreimal ersdiienen ist^
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STUDIEN ZU BEINFBIED VON BRAUNSCHWEIG. 443
SO hat gott den jungen Samuel dreimal gerufen (y. 13446 —
l.Sam.3).
Auch Yrkane hat einen träum gehabt und erzählt ihn
ihrem gemahl. Er wünscht deshalb ihr diesen deuten zu
können (v. 13691) wie Joseph dem Pharao (Gen. 41) und Daniel
dem Nabuchodonosor (Dan. 4). Merkwürdigerweise heisst es
13691 alsam Josep tet Sälamön, offenbar ein Schreibfehler des
abschreibers der handschrift statt Pharaon, da dem dichter
bei seiner grossen bibelkenntnis solch ein irrtum nicht zu-
getraut werden darf.
Ein ganz ähnliches versehen muss angenommen werden:
26732
dem Joachim nam er sit ze Indtä, wan J^rnsal^m
zepter nnde dyad^m von im ouch zerstoeret wart.
Statt Indiä ist Judeä einzusetzen; vgl. Dan. 1, 1 anno
tertio regni Joakim regis Juda, venit NaJmchodonosor rex Bor
bylonis in Jerusalem et obsedit eam (vgl. Zs. fda. 17, 518).
Yrkane ist ihrem gemahl treu und verrät ihn nicht, wie
Dalidä Samsöncn (v. 15167 — Jud. 16).
Als Reinfried im heiligen lande sich von der Übermacht
der beiden bedrängt sieht, da vertraut er auf gott, der die
kinder Israel vor den Aegyptem und Pharao rettete, indem er
diese im Roten meer ertrinken liess (v. 15804 ff.; vgl. v. 26988
— Ex. 14), der Moses und Aaron erlöste, 15819 als ick hän
von Abiron und Dafhän in der rthter buoch vernomen. Die
berufung auf das Buch der richter ist allerdings irrtümlich;
denn die geschichte findet sich Num. 16.
Der herr liess dem Josua zu liebe sonne und mond stille
stehen .(v. 15834. -t- Jos. 10); dem Gideon gibt er ein zeichen
seiner nähe dadurch, dass er das schaffeil üf trukener erden
mäht von touwe nae (v. 15842 ff. — Jud. 6, 36—40); er führt ihn
trotz seiner geringen schar zum siege über die Midianiter
(v. 15855—15883 — Jud. 7).
Die Scheidung der schar am brunnen wird mit ausdrück-
licher berufung auf der buoche schrift (15869) weitläufig' er-
zählt (vgl. s. 411).
Mathathias und seine fünf söhne vertrauten auch dem
herrn, und er schützte sie gegen Antiochus (v. 15904 ff. —
1. Macc. 2).
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444 OESEXB
Judith tötete im yertranen auf gottes hilfe den Holofenies
(v. 15928; vgl v. 26748 — Jud- 13).
Der Persän, Beinfrieds trea^ begleiter, ist ein freigebiger
fürst nnd hängt nicht habgierig an seinem gnte:
16790
swer aber staetecliche . dmch einer nldel oere
üt sinem gaote nndeitAn ein kemeltier 6 gienge
und im dienet sonder wän, t daz in got empfienge
als ich wol sprechen hcere, ze siner gn&den tr&ne.
Vgl. Luc. 18, 25 — S.413.
den milten ist dln kröne in der ftzern y inster bant
der höhen ßwekeit bereit d& niht wan j&mer ist erkant
die argen kargen sint geleit MattL 25, 30. 8, 12.
Als Reinfried all die heiligen statten besucht, an die sich
Jesu geschichte knüpft, erneuert der dichter bei jedem ort die
erinnerungen aus des heilandes leben, von Nazareth and Beth-
lehem an bis zum Oelberg und zum grabe (y. 17981 ff.).
Dabei beruft er sich einmal, v. 18016 ff., auf das buock
der Untheit Welches der apokryphen kindheitsevangelien er
aber meint, ob er vielleicht das gedieht Konrads von Fusses-
brunnen im sinne hat, lässt sich aus seinen wenigen allgemeinen
angaben nicht constatieren.
Zu dem geschlechte der riesen, die im R. mehr&ch auf-
treten, gehört auch Gtoliath (v. 18912), der ertoorfen wart von
dem werden reinen Daviden dem kleinen — 1. Sam. 17.
Auf seiner reise kommt Reinfried nach Susa. Diese stadt,
bemerkt der dichter, habe könig AswSrus gebaut.
24952 xmz an Ethioptam
des gewalt nnd sinin rieh
sich wltenen zertrande. moht sin gebiet geleite g^n
Ton Indi& dem lande den landen gar gewaltedicL
Vgl. Esther 1, 1 in diebus Assueri qui regnavü ab India
usque ad Äethiopiam.
über hundert künge rieh truog er kröne offenb&r,
drin nnd sweinzic, daz ist w&r, tuet nns diu bibli& wol schin.
Ebenso v. 26718 ff.
Die zahl dreiundzwanzig: XXIII ist offenbar aus XXVII
verlesen; denn in der vulgata heisst es, Esther 1, 1 super een-
tum viginti Septem provindas.
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STUDIEN ZU SEINFRIED VON BRAUNSCHWEIG. 445
y. 24966 wird dann von dem feste erzählt, das Asw^ms
veranstaltete, und an dem er seine gemahlin (Vasthi) verstiess,
weil sie seinem wort nicht gefolgt war — Esther 1.
In derselben Stadt Snsa wird nun eine höckgeatt insceniert,
die freilich durch einen bösen Zwischenfall unterbrochen wird.
Das veranlasst den dichter zu der bemerkung:
25002
gewisheit uns der wise tnot ein herze dick erhoehe.
Salamön in slner schrift bi Maden ilcher zoehe
daz sich von des vaUes trift llt j&mers angel dicke.
Vielleicht bezieht er sich hier auf Prov. 14, 13: risus do-
lore miscebitur et extrema gaudii luctus occupat
In Susa regiert nach AswSrus Arfaxät:
26722
n& im der künic Arfiix&t, Assiriam daz rieh dö h&t
der M^den kttnic, über lanc und Ninivd die grdzen stat,
manic witez ilche twanc d& von er gr6ze mäht onch tmoc.
und werte daz inz zwelfte j&r. den künic Arfax&t er slnoc
Nabnchodonosor für w&r M Bagan dem velde wtt.
Dazu halte man Judith 1, 1 Arphaxad itaque rex Maee-
donum sabiugaverat multas gentes imperio suo. 5. anno igitur
XII regni sui Nabuchodonosor rex Assyriorum, qui regnabat
in JSinive civitate magna, pugnavit contra Ärphaaad et obtinuit
ewn 6. in campo magno qui appellatur Reagan,
Nabuchodonosor führt die Juden gefangen nach Babylon
und hält sie drisiunt jstcenzc und gehen jär fest (v. 26736 ff.).
Seinen hauptmann Holof emes tötet Judith (y. 26748 ff.).
26754
nä im Nabuchodonosor starp von den vil grdzer wunder sint
der Dani§ln nnd din zwei kint, geschriben, wolt verderben gar.
Dan. 1, 6 fuerunt ergo inter eos de filiis Juda Daniel Ana-
mos Misael et Agfarias; es wird also r. 26755 dri statt tnvei
zu lesen sein.
Dem Nabuchodonosor folgt sein söhn Balthasar,
26759
der ouch unlange künic beleip.
manes thechel pharee im schreip
nnsibtecllche an eine want
in siner hdhgezit ein hant etc.
Dan. 5.
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446 GEREKE
26768
da von in der selben naht der der ^rste fürste was
kam Darios von Perslä dem Kriechen ie wart midertfin,
und slnog in tot: diu lant da nä in slnoc sunder valschen wän
dienden im mit friger ger, mit strltUcher werde,
unz daz Alexander, dem wart al din erde
der zepter und der kröne gemeinlich nndertsnic
truoc ze Macedöne, nnd was herren »nie
Philippen snn, als ich ez las, nnz an in n& der bnoche sage.
26784
niht langer wan üf drige tage die von jongen jären
wert sin keiserlich gewalt. wirde erw&nschet w&ren,
mit nntrinwen wart gevalt den dienden lint und richiu lant.
in tot sin vil werdez leben. die zwelf knaben alle sant
wolten künge sin als er.
der werde künic h&t kinde niht zepter und dyadSmen ger
Ton rehter arte, doch der helt leiten si mit schalle
het zwelf knaben üzerwelt gemeine üf sich alle
nnd wolten haben kUnges namen.
1. Maccab. 1, 1. et factum est, postquam percussü Alexander,
Philippi Macedo, qui primus regnavit in Graecia, . . . Darium
regem Persarum et Medorum, constituit proelia multa et obti-
nuit amnium munitiones, et interfecit reges terrae, 3. et per-
transiit usque ad fines terrae et accepit spolia multitudinis
gentium. 8. et regnavit Alexander annis XII et mortuus est
(vgl. s. 429). 9. et obtinuerunt pueri eius regnum unusguisque
in loco suo, 10. et imposuerunt omnes sibi diademata post
mortem eius et filii eorum post eos annis multis.
Die zwölf knaben, die Alexanders nachfolger werden,
dürften aus einer Verwechslung mit den zwölf regierungs-
jahren Alexanders entstanden sein.
26812
die zwelf künge allesant zerstoeret nnd zerteilet sns
gewnnnen kint, d& von ir rieh von der stnnt üf Anthyochns
aber wnrden wendellich dem wnrzel aller bösheit.
1. Macc. 1,11 et exiit ex iis radix peccatrix Antiochus.
Macchabl6mm bnoch daz seit,
waz er tet oder ie begie,
wie er die siben bmoder vie etc.
2. Macc 7.
Der dichter wirft hier die beiden Antiochi zusammen,
Antiochus IV Epiphanes und Antiochus V Eupator.
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STUDIEN Zu REINFBIED VON BBAÜNSCHWEIG. 447
Keinfried gelAugt auf seiner reise mit dem persischen
ffirsten an den berg Sinai, wo gott dem Moses die gesetzes-
tafeln gab (v. 26972), und an den berg Horeb, vor dem die
Juden das goldene kalb machten (v. 26976). Die bibel versteht
unter Horeb und Sinai ein und denselben berg (combination
aus zwei verschiedenen fassungen); unser dichter redet aus-
drücklich von zwei bergen: v. 26972 daz gebirge S^nät, v. 26976 1
ze Öreb ,., uf dem berge underhaip.
Reinfried sieht den f eisen, aus dem Moses mit seinem
Stabe waj3ser schlug (v. 26980 — Ex. 17), er kommt in die
wüste, wo die kinder Israel das himmelsbrot fanden (v. 26990 ff.
— Ex. 16). Endlich erblickt er auch das geheizen lant, in
dem milch und honig fliesst, und die trauben so gross sind,
dass sie zwei männer tragen müssen (v. 27026 ff. — Num. 13,
24. 28). Babylon besucht er, 27043 da Babel der tum stät,
von dem cUUu zunge hat noch wandelliche spräche — Gen. 11
(vgl. s. 412).
Er sieht die statte von Sodom und Gomorra, bei deren
brande (v. 27071 ff.) allein Lot und seine beiden töchter, mit
denen er nachher kinder zeugte (v. 27085 ff. — Gen. 19, 30—36),
gerettet wurden, und erblickt in einer höhle sogar die Salz-
säule, die einst Lots weib gewesen war (v. 27091 ff. — Gen.
19, 26; vgl. oben s. 412).
V. Altlateinische dichter.
Die beiden romischen dichter, die im mittelalter das
grösste ansehen genossen, und am meisten bekannt waren,
sind unzweifelhaft Virgil und Ovid.
Und so hat sie denn auch der Verfasser des R gelesen.
Er kennt die Schicksale des Aeneas und der Dido (v. 3210 ff.
und V. 15260 ff.) und citiert v.3216 ausdrücklich Virgil (Aen.
4,641ft).
Dass Ovid besonders von der minne gesungen hat, sagt
er V. 24562 1 und ^ 1Q772
ich wsen und lebt ÜTidius, wie si mit bldien üben
er mOht ez niht yolschilben, sich nmb einander wunden.
Dabei denkt er gewis an die Ars amandi.
Die im mittelalter bekannteste erzählung aus den Meta-
morphosen ist die geschichte von Pyramus und Thisbe (Met.
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448 GEREKE
4,55—166); auf sie spielt der Reinfrieddichter v. 15266 ff. an
(vgl. Bartsch, einleitong zur ausgäbe Albrechts von Halberstadt
S. LX ff.).
Aus den Metamorphosen (5, 385 ff.) kennt er wol auch die
erzählung vom raub der Proserpina (v. 16442): er hat aber
daneben Claudians gedieht De raptu Proserpinae gelesen, wie
wir gleich sehen werden.
Wenn er v. 25284 ff. die erstttrmung des himmels durch
die giganten Atlas und Enschelades und ihre bestrafung durch
Jupiter erwähnt, so beruft er sich zwar auf eine andere quelle
als auf Ovid: 25292 als Pkenstis fabelUchen spradi gen der
wandeis frien juncfirouwen Äladen, d. h. auf Theodul (ecl. 85 ff.),
wie Laistner (Germ. 26, 420 ff.) nachgewiesen hat (Phenstis
fälschlich statt Pseastis). Aber in dieser ekloge fehlen die
namen Atlas und Enschelades: Theod. ecl. 85
surrexere viri, terra genitrice creati,
peUere caelicolas fuit oninibns nna Tolnntas:
SLons cumnlat montem,^) sed totum Mnlciber hostem
folmine deiectom Vulcani tmsit in antmm.
Diese namen wird der dichter vielmehr aus Ovids Met
1, 151 ff. haben (Bartsch, Albr. v. Halb. s.Lxxm). Ich erinnere
noch daran, dass Claudian gleichfalls eine Gigantomachia ge-
dichtet hat.
Femer finden sich im B. mannigfache anspielungen auf
die Herolden. In v. 24534 ff. zählt sie der dichter fast alle der
reihe nach auf (Bartsch, Albr. v. Halb. s. xviii): 24534 ff. Ben e-
lop6 dem helt ülixes hrief unt boten sante, Her. 1; — 24544 ff.
Dido schreibt an Aeneas, Her. 7; — 24548 ff. Briseida schreibt
an Achilles, Her. 3 (die form Briseida statt Briseis findet sich
zuerst bei Dares Phrygius, vgl. Dunger, Die sage vom trojan.
kriege s. 9); — 24552 Pillis größer liebe aht schreip dem heU
Demesticö, Her. 2 (Demesticus sagt der dichter irrtümlich statt
Demophoon); — 24554 f. Helena schreibt an Paris, Her. 16;
24556 f. Medea an Jason, Her. 12. Auf Her. 15 beziehen sich
jedenfalls die verse
15184 ff.
si gap onch disem nnde dem als man Ton der reinen
niht tröst mit sinnes meinen, Helenen seit Ü2 Kriechenlant.
^) R. 25290 berc üffen berge hftfen.
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STUDIEN Zu BBINFRIED TON BBAUNSCHWEIO. 449
Vgl. Ars am. 2, 359:
dum Menelans abegt, Helene, ne sola iaceret;
hospitis est tepido nocte recepta sinn.
Fär die erzählimg von des Achilles aufenthalt bei Lyco-
medeSy seiner liebe zur Deidamia und auffindung durch UÜxes
nennt der dichter v. 22592 des Statins Achilleis als quelle.
Obwol ihm diese geschichte auch von anderswoher bekannt
sein konnte und auch wol sicher wirklich bekannt war, z.b.
aus Eonrads von Wärzburg Trojanerkrieg, haben wir doch
keinen grund ihm nicht zu glauben, dass er den Statins ge-
lesen hat. Die angäbe y. 22574 {wie Scharon eoch dm heren)
ein halp ros, ein halber man fehlt im Statins; also ist hier
daneben eine andere quelle benutzt (vgl. Strauch zu Enikels
W. 14551).
Endlich citiert der dichter noch y. 22488 den Claudian
fflr Orpheus, und zwar bezieht sich dieses citat auf das gedieht
De raptu Proserpinae; ygl. Claud. 34,25 vidnumque lupo prae-
buit agna latus: R. 22486 der wolfdaz schaf dar fuorte fridelich
an arbeit
Dritter abschnitt Stil und spräche.
A. Stil.
K Eichhorn hat in seinen Beinfriedstudien (teil 2, Pro-
gramm des gymnasiums zu Meiningen 1892) die hauptsäch-
lichsten stilistischen eigentfimlichkeiten des dichters zusammen-
gestellt, ohne jedoch zu untersuchen, ob er in seinem stil
irgend einem bestimmten yorbilde gefolgt ist.
Aus unseren bisherigen ausfahrungen hat sich ergeben,
dass der yerfasser des R., was den Inhalt seines Werkes be-
trifft, ausser durch die Spielmannsdichtung besonders stark
beeinflusst ist yon Konrad yon Würzburg und Rudolf yon
Ems. Beide sind seine landsleute, beide durch quantität und
qualität ihrer productionen in hohem ansehen stehend, zwar
selbst nur epigonen, aber doch ihre mitepigonen weit über-
ragend. Sie haben ihre kunst yon Gottfried yon Strassburg
gelernt; yon allen dreien lernt der Reinfrieddichter, ihren stil
bildet er, wie sich zeigen wird, bis ins einzelnste nach. Bei
der nahen berührung der drei lässt sich natürlich nicht immer
B«itxtg« sttr gaMliidht« dmr dmitsoheD iprsoh«. XXIII. 29
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450 GEREKB
mit völliger Sicherheit constatieren, was im R. aus Konrad,
was aus Rudolf und was aus Gottfried stammt Bei weitem
das meiste jedoch — so viel steht fest — geht auf Konrad
zurück; denn dieser hat unsem dichter auch stofflich am
stärksten beeinflusst.
I. Stiliatiflohe eigentümliohkeiten im apraohliohen
ausdruok.
1. In der formulierung des einzelnen ausdrucks und
gedankens.
Unter den stilistischen mittein des Eeinfrieddichters sind
Eichhorn am auffallendsten die erschienen, durch die, wie er
sich ausdrückt, die darstellung zum verharren genötigt wird.
Diese gewisse breite und wortreiche fülle des stils möchte
ich als besonders charakteristisches merkmal Konrads in an-
sprach nehmen. Fast alte erscheinungen, die hierher gehören,
ziehen sich schon als ein sanfter bach durch den Tristan hin;
bei Konrad schwillt der bach zum fluss, und im R. wird er
gar zum ström. Der nachfolger fibertreibt seinen Vorgänger.
a) Tautologien.
Die häufung verwanter begriffe in zweigliedrigen,
durch und verbundelien tautologien lässt einen gewissen
parallelismus der anordnung erkennen.
Ich verzichte natürlich darauf, alle beispiele aus den ca.
28000 Versen hier aufzuzählen und begnüge mich für diesen
punkt sogar nur mit der anführung einiger weniger Verbin-
dungen, indem ich in der hauptsache hier auf Eichhorns
Zusammenstellungen verweise.
Entweder werden zwei begriffe verbunden, die nur nach
ihrem bedeutungsinhalte zusammen gehören, also
substantiva: 3951 mündel unde wengel, 5143 truren
unde leit, 5293 leides unde sargen (6709), 9298 laster unde
schände; adjectiva: 4163 frceltch unde seltene, 4727 untidic
unde bitter, 8684 vest und ellenMch, oft lidic unde frt (1289.
1587. 3231. 8388); verba: 3741 schit/Jien unde fUd^en, 3868
prüeven unde schauwen, 4548 prüeve unde kenne, 4769 miren
unde wahsen, 5341 siußen unde trüren, 8962 vähten unde
rungen (11270. 15769), 17256 flihten unde bäten (6258. 9958).
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STUDIEN ZU REINFRIBD VON BB4UNSCHWEIO. 451
Oder beide glieder haben stammhafte allitteration: 15969 fro
unde frcelich, 25588 fraglich und fro 15129. 14754. 23823 (beide
Wörter von demselben stamm; vgl. Trist. 6581. 12382. 14367).
Natürlich sind die alten formelhaften Wendungen vertreten:
39 liep unde leit, 118 leben unde Up, 134 tvitwen unde weisen
(140), 138 schirm unde schiU, 198 singet unde saget, 6120 Uute
unde lernt (20684. 20716).
Am häufigsten ist der fall, dass beide glieder durch gleiche
präflxe alliterierend verknüpft sind (für Gtottfried s. Preuss,
Strassb.stud. 1,71).
Verba: 9214 geblüemet und gerceset (19226; — Engelh.
478. Part. 3646. Silv. 68. 835. Gold. schm. 618. Troj. 16194. 35912.
Kl. d. kl. 2, 8), 4820 emiuwet und erfrischet (7047. 14680; —
Part. 12539. 14723), 5783 versigelt und versloeeen (5845; —
Trist. 17822). Die beispiele sind überaus zahlreich (vgl. Eich-
horn). Bisweilen tritt zu den zwei gliedern noch eins am
schluss des voraufgehenden verses hinzu. Ich nenne zu den
bei Eichhorn aufgeführten Verbindungen noch folgende: 17335
gedrceget, geflogen und gewcBget, 21123 erahten, erdenlcen noch
ertrcthten, 24813 versigelt, vershazen ufhd verrigelt, 27409 ge-
slihten, gekeren noch geraten;
substantiva: 675 von hunden und von gesten, 14351 g^
künden und gen gesten (sehr häufig bei Konrad. Trist. 6297.
12541), 11648 0e bette und ee tische (Engelh. 1947. Trist. 15394).
Ich zähle, weil sie Eichhorn nicht hat, die Wendungen noch
besonders auf, in denen sich ausser gleichen präfixen auch
noch stammhafte alliteration findet: 12602 an milte und an
muote, 12724 an manheit und an milte, 17272 an gelte und an
guote, 21659 mit buoche und mit bilde, 24603 da2i Magen und
dae klöuwen, 17009 mit werken und mit Worten (15197; —
Engelh. 746), 957 in stürmen und in strtten (22230; — aus
der spielmannspoesie; vgl. oben s. 376).
Beliebt vor allem sind Verbindungen wie: 1102 Up und
herze (6193. 6696), 1909 sin sin und sin gedanc (4228), 2393
an lierzen und an sinnen (2417. 4175. 4209. 4225. 4359. 4590.
6850. 17272 etc.), 3674 sin und herze (4231. 4272. 4478. 5222.
5336 etc.), 4565 der sin und oueh der muot (4717. 6695), 4713
herze und gemüete, 4722 herze und die gedenke (6304), 5328
min Up und ouch der muot
29*
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452 GEREKE
Tritt nun ein epitheton zu den beiden so gepaarten be-
griffen hinzu, so lässt sich constatieren, dass der dichter hier
der weise Eonrads folgt, d. h. das epitheton tritt zum zweiten
begriff, wenn es inhaltlich auch schon zum ersten begriffe mit
gehört (vgl. Joseph, QF. 54, 45 ff.): 151 an ire und an werden
siien, 2511 fröude und hohe wunne (bei Eonrad fast stehende
formel), 5359 an urloup und an alle sage, 10558 durch ere
und durch werdiu wtp, 12133 Mag und jämerlichiu not.
Ueberhaupt verträgt das zweite glied viel eher eine be-
schwerung als das erste: 625 durch ere und werder unbe segen,
2813 hp und mtner eren prts, 5413 den künc und al dag riche,
1546 ir lande noch ir namen pfUht, 10545 diu masre und des
Jcampfes vart, 12744 min sin und mines hereen hunst, 14067
mit Up und mit dem guote, 14084 d^r guot und dur die
künegin, 14179 mit guot und mit des libes Uder] vgl auch
4481 so vil und also lange, 4859 s6 vil und also dicke, 8957
sd groz und also mehtic, 14990 so liep und also leide (Engelh.
935. 1257. 1286. 1499. 1666. 1991. 4663. Part. 1111. 1863. 1941.
4403. 8525 etc.).
Besonders häufig ist folgender fall: sollen zwei synonyme
oder überhaupt begrifflich verwante Wörter (verba) gepaart
werden, so werden sie auf zwei verse verteilt, und das zweite
erhält irgend einen erweiternden zusatz (Joseph a.a.O. s. 70):
1912 sus wart Sin kraft erfrischet und lüterltch emiuwet, 3448
müese schiere heilen und minneclich verwahsen, 6463 sus lert
diu minne liegen und wandelltchen biegen (58791 69751 141391
23551 1 23647 1); bObdeswüich iuch uz rihten und üfein ende
sUhten, 3399 iu^ih einen knappen rüemen und so mit warten
blüemen, 4251 die dar üz vielen und üf von herzen wielen
(42731 53371).
Natürlich finden sich auch ausnahmen; aber die fäUe, in
denen das erste glied erweitert ist, sind wie bei Eonrad ver-
hältnismässig selten (2409. 2431. 3353. 3458. 7181; — 8949.
2485. 12391. 12473).
Der parallelismus der anordnung, der in diesen zweiglied-
rigen tautologien hervortritt, ist nicht mehr vorhanden in den
mehr als zweigliedrigen Verbindungen. Namentlich
häufig sind Zusammenstellungen von drei gliedern, deren
letztes mit und angereiht ist: 225 ir herze ir leben und ir
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STUDIEN ZU REINFBIBD TON BRAUNSGHWEIG. 453
muot, 3219 mtn sin mtn herze und min gedanc, 3338 herz Itp
sin und da zuo muot, 9383 Up sin herz und ouch ir muot,
3599 herze leben unde sin, 5001 dtn Up din Üben und din sin,
8859 ir sin ir Itp und ir gedanc. Beliebt vor allem bei Bndolf
von Ems: Gerb. 7. 88. 127. 1029. 3971. 5055. Bari. 39, 39. 276,6.
341,37. leb erwäbne besonders beide herze sin und muot
und stelle dazu: Bari. 9, 5. 26,20. Weltcbr. Rudolfs, Scbtttze
2, 115, 35. Stricker, Dan. 33. 373; Karl 1507. 4828. 6298. Ausser-
dem vgl. Zingerle, Germ. 6,224. Jänicke zu Staufenb. 1112. —
Weiter: 918 zuht er und miltekeii, 2609 guot soEÜde und ere;
— 6179 Up leit unde klagen, 8186 ir Uit ir sorge und ir wi;
— 9947 Up guot friunt und mage^ 11825 gelt guot Hut und
lant, 11586 art guot gelt lant und Hute; — 123 ze swerte sper
und schüte (4417. 7012).
1691 trcest hilf und gib mir rät, 7285 hiez fUhte unde bat,
11800 merke prüeve unde spüre, 12513 Ursen beizen unde
jagen.
2210 wtze dünn tmd kleine, 25232 leidie trüric und unfro;
— 26381 brün rot gel wiz grüen unde blä (Part. 12248. 13446.
14186. 15506. 21342. 21700. Troj. 1410).
Sehr ausgedehnt ist im R. nun endlich noch der gebrauch
der asyndetischen Verbindungen. Entweder reiht der
dichter die begriffe an einander, indem er zu jedem einzelnen
artikel, pronomen oder prftposition hinzusetzt: 176 din nam
din mrde, 180 din er din Up, 4376 sin mäht sin gelt, 6408
min sin min herze (6508. 9392), 6907 diu turteltub daz golt
der kus, 10150 sin gelt sin guot sin Up sin leben sin Hut sin
mag sin art sin lant, 13176 ze bett ze tisch ze weg ze sträz
U.S.W., oder ohne solche präfixe: 696 ritter gräven frigen (2731.
6582. 8324. 9135. 12711. 14023), 4204 tanzen ballen springen
singen schallen swigen harpfen rotten gigen pfifen hei tamMren
(die zuletzt genannten Verbindungen sind auch sonst sehr häufig,
namentlich bei Gottfried und in seiner schule); 11122 triuwe
mäze milte zuht schäm kiusche bescheidenheit demuot gedult
stastekeit (12220 f. 122691); — 10611 loup gras tier vogel wint
regen donre\ 417 orse kleider liehtiu wät, 453 mit kleinet har-
nesch lichter wät, 9935 bürge stet gelt witiu lant
Bisweilen mit amplificatorischem abschluss: 15665 naht tac
alle stunt, 15809 ros man wegen alle diet; 2247 kröne schappel
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454 GEBEKE
gelivez här stime bräwen öugd klär nase mündd Unne hüffd
ivengel kinne Me neckel ai der Up (Trist 928. Part 12562).
Budolf von Ems verwendet ganz besonders häufig solche
asyndetischen Verbindungen. Znm beweise stelle ich nur die
ans dem Barlaam in betracht kommenden zusammen: 35,38.
86,28. 54,15.17. 65,18£ 98,15. 111, 18 f. 112, 32 f. 115,35.
149,28t 155,27. 160,8. 162,26. 202,27. 221,7. 219,31 266,17.
271,2. 278, 29 f. 32. 285,19 t 297,29. 310,27. 363,33.
Dasselbe stilmittel, häufung des gleichartigen, erkennen
wir in der manier des dichters, verschiedene hülfsTerba
zu verbinden, lediglich aus dem gründe, um den ansdruck
voller zu gestalten: 6040 nu kond er noch enmohter, 6300 er
wolt und muose minnen (7895. 8853. 10182. 11889. 12539); —
12989 geUben mac und leben sol (13460. 13925. 14177. 14180.
14258. 15641. 16779. 20306. 26568. 27125); — 1598 min Up sol
unde muoz arbeiten üf die zuoversiht, 2A2A da von sol ein iec-
lieh munt und muojs ein wärer böte sin, 15008 sit dass du nM
mit bi mir sin noch getarst noch solt noch mäht. Freilich
treffen wir diesen gebrauch ausser bei Gottfried und seinen
nachfolgen! auch sonst in der höfischen epik an, doch nirgends
in so ausgedehntem masse.
In ganz ähnlicher weise werden verschiedene tempora
desselben verbs aneinander gereiht, wo dem sinne nach
eine form ausreichen würde (Eichhorn wendet dafür den aus-
dinick polyptoton an); 3015 beschehen ist — beschiht — beschack,
3590 ist beschehen und beschiht (5638), 4058 des ich niemer
het gedäht noch gedcehte, 5123 dienet und gedienet hat, 11104
minne din gewalt was ie und ist und muoe iemer sin, 13454
got hat getan ee manger stunt und tet ie und tuot noch (3456.
4284. 6048 t 8413. 11981 etc.).
Auch orts-, zeit-, conditionalpartikeln etc. werden
so gehäuft: 6872 swenn und swä (7672), 7031 une und wa
(10547), 8029 wie aU wä ald war (9191), 9555 wie — wer —
wie war umhe oder wä von (12075). 4640. 9601. 12180. 13729.
15437. 15455. 15921 etc.
b) Antithesen.
Das dem vorigen entgegengesetzte verfahren ist dies:
gegensätzliche begriffe zusammenzustellen oder, wo ein be-
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STUDIEK Zu BEINFRISD VON BBAUNSCHWEIG. 455
stimmter ausdrnck erfordert wird, zugleich das gegenteil hin-
znzofttgen. — Die anwendnng der antithese ist mannigfach
variiert.
Am einfachsten ist die form, dass ein Substantiv mit
seinem attribut in widersprach tritt: 1266 süeeer wunden
tount, 1267 ir süeeer smerze, 1288 diu süeae strenge minne
(1988), 1295 süejsea ungemach, 1899 nUnnecUche swmre,
Oder das Substantiv tritt mit seinem prädicat in
Widerspruch: 4948 er woUe in dem fiure heizer minne erfrieren,
4954 sin süeze fröude suren kund im mit höhen riuwen (Trist.
11889), 4710 diu süeee hm mir euren, 16866 ir süeee diu hm
suren, ir liebe diu hm leiden. Dazu vgl. Preuss a. a. o. 1, 1 ff.
Der ausdrnck bekommt so zuweilen das aussehen eines
Paradoxon: 1800 in kurzer lenge (11190. 14275. 20084),
11065 mit fraudem richem leide, 13357 wcui^ender släf, 18490
der lebende töte (Trist. 1845 und ist ein lebeücher tot, 18234
sin lebender tot [18472]; — 7741. 7788. 9596), 11746 bezzers
bcesers nie niht wart, 13022 ir leben wtxs des tödes tot, ir höher
funt der helle vlust, 16124 des wart ir senftez släfen unsenf
teclich erwecket (Trist. 12194. 19031), 20088 diu swert ze beiden
handen diu wtp unwtplich nämen. Solche oxymora liebt natfir-
lieh Eonrad auch (vgl. Joseph s. 43).
Weiter werden gegensätzliche ausdrücke gepaart:
8242 Verlust und ouch gewinne, 8868 gewin und ouch Verluste,
8264 sorgen ut^ minne, 9093 mit übel noch mit guote (10087) ;
3780 Winter unde sumer, 13167 tac unde naht (13175. 16732
etc.), 4952 äbent unde morgen (5204. 6165. 7146. 7849. 8254.
15644. 16748. 24336), 5380 äbent unde fruo\ — 8245 trüret
nu und was nu frö, 10613 binden und entstricken, 11149 bindet
und enbindet, verliuret unde vindet si schiltet unde grüezet, si
siuret unde süezet, si leidet unde fröuwet U.S.W. — 11163; —
9428 beide arm und da zuo rieh, ze orse und ze fuoz gelich,
verwäpefit nacket unde blöz, wtp und man, klein und gröz,
12664 der witzic und der. tumbe, der arme und der rtche, junc
und alt geliche, klein gröz, edel swachiu ort, 14257 den minsten
und den meisten, 14334 den minsten und den merren (17666),
8995 stüle und offenbar (Part. 1835. 4359. 8591. 9633. 11620.
17059. Troj. 12943. 19002. 19294. Silv. 213. Welt lohn 50;
Vgl. Jänicke z. Staufenb. 1188); 11517 offenlich und taugen
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456 OEREKE
(1153. 9404; — Part. 2097. 6733. 8591. 15339. 18537. SUv. 1326.
Trist. 8117. 11510. 16349), 20780 stille und überlüt (Engelh.
4354. 5008. 5078. Part. 7068. Silv. 5207 [Gk)ld. scImL 1919]. —
Bari. 260, 6 [383, 31]; vgl. Jänicke z. Staufenb. 760).
Ganz wie bei Gottfried werden zuweilen beide begriffe
anfangs zusammengestellt und dann jeder f&r sich
behandelt: 17166 von Babilon dem vogte was dirre mcsre
underscheit beidiu liep und da sfuo leit, lieb umb die frodkk
angesiht, leid umb die kampßiche pfliht; vgl. 2808 ff. 4009 ff.
Trist 937 ff. 3149. 4705. 8658. 15538. 16758 (Preuss s. 24).
Etwas anders 24338 so dag der junge künic reht van ÄssjfrU
solle nin wip, und solle im die gen von Aschalön des landes
unrt gSn und nin man niht verbirt
Es werden aber nicht nur einzelne ansdrttcke, sondern aach
ganze gedanken antithetisch gegenübergestellt, in-
dem entweder der erste gedanke im zweiten gliede einfach
umgekehrt wird (spiel des gegensatzes): 2230 als ir sdUn dem
golde bot und dag galt dem schine wider, 2966 da hm minn
ere heren und hirt auch ere minne, 12846 wie leit dae UAe
pfendet und Uep dae leide stosret, 13760 in vinden ich verloren
hdn: so vind ich in Verluste, 17680 datf hrump machent si
sichte, das sichte st künnent krumben (Trist. 30. 2019. 9874.
9878 etc., Preuss s. 27), oder indem Überhaupt zwei entgegen-
gesetzte gedanken zusammentreten: 49 im himel dort, üf erden
hie (10935), 10903 gen gotc dort, der weite hie (12647. 13863.
14355); 11103 vor gotc 4ort üf erden hie, 23499 hie der weit
und dort vor got; — 12443 den gesten Kcp, dem wirte leit,
12573 dem knehte hie, dem ritter dort; — 11414 der tac eergie,
der abent an vie sunder missewendc, 16081 diu naht diu kan,
der tac verswein (7420 f. 11168 ff.); — 1318 si störten senden
riuwen und brähten lustic girde, 7018 ^n here an schänden
lasret und üffet an den iren (2100 t 11850 f. 11866 f. 16860 t);
— 2390 ee fröuwet in dem leide und smireet in der liehe, 4727
in fiures ghwt ich zitier und switze in kaltem froste, 14880
si siuret in der güete und liAet in den leiden.
Sehr beliebt, wie auch sonst, ist es im R., zwei personen
und das von ihnen ausgesagte antithetisch darzu-
stellen: 3792 swaz er wolt, daz vander an ir na iren hrdne,
diu minnecUche schöne vant auch swes si gerte an im, wan er
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BTUDIEN ZU BEINFBIED VOK BBAUN80HWEIG. 457
gewerte si mit stcetes herzen sin, stves si muoten moht an in
(vgl. Part. 1725 ff.); 3848 si was stner fröuden glanjs, er irs
herzen Uehter sditn. stn munt an ir mündeltn, ir wange an sin
wange etc^ 11005 er was ir wünsch, si was stn heil, er was
ir Itp, si was der teü an dem stn hcßhste fröude loa. er was
der sorgen niderslac, si was stns herzen wunne etc. (3774 ff. 9258.
12783. 12934 f.). Oder: 1896 wie jenen dort gelinge und disem
hie, daz läzen sin^ 9283 sprach einer hie, der ander da, 11406
wie jene dise twingen und dise jene versiren.
Häufig sind die antithesen hin — her, har — dar, sus —
so: 5662 alsus fuor si har und dar mit den gedenken sus und
so, 2463 nu wendet hin und denne har, 6885 har noch dar.
Meist tritt noch anaphora hinzu: 4869 nu sus, nu so, nu
hin, nu her, 11267 nu hin, nu har, nu dort, nu hie (11333),
15675 nu hie, nu dort, nu dort, nu hie; 2664 nu wil er hin,
nu wil er her, nu wil er stM, nu unl er so, nu ist er trüric,
nu denn frö, nu wil er diz, nu unl er daz, nu liebet im, nu
treit er haz (6645. 10076 t 121201).
Oft werden zwei eigenschaften entgegengesetzt,
fast immer mit anaphorischer gliederung: 8791 ez st
übel, ez st guot, ez ^ trüric, höhgemuot, ez st leidic, ez st frö,
ez st nider, ez si hö, ez st swach, ez st gesunt] 16280 wa>z wosr
tunkel, wasr niht klar? wojs wosr liep, wosr kein leit? waz wcer
ruow an arebeit u.s.w. — 16293.
Eine ganz besondere art der antithese endlich findet noch
anwendung, wenn eine eigenschaft dadurch hervor-
gehoben wird, dass sie erst positiv, dann negativ
ausgedrückt wird (vgl. Kinzel, Zu Wolframs stil, Zs.fdph.
5,12): 9088 der rösche, niht der Icufze, 18896 der starke, niht
der kranke, 20120 diu freche, niht diu kranke, 20236 der wtse,
niht der tunibe.
Hierher gehören auch Wendungen wie 1213 einhellecltchen
sunder haz, 9919 stände sunder kniuwen, 11874 mit eren sunder
schände, 12052 mit fröuden sunder schände, 15543 tougenltchen
sunder braht, 24675 froßUch sunder riuwe, 25097 sneUe sunder
trägen; — 7475 snelledtch unträge (11324. 11456. 13936. 23729),
11845 offenltch untougen, 25074 offenlich niht stille (vgl. Kinzel,
Zs.fdph.5,13).
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458 GEREKE
e) Umsehreibmigen.
Ein weiterer grund für den breiten Charakter des Stils im
R. ist der, dass der dichter sich oft nicht mit der einfachen
bezeichnung einer person, eines gegenständes, einer handlnng
U.S.W. begnügt, sondern dafür einen umschreibenden oder
irgendwie erweiternden ausdruck anwendet
Ganz wie Konrad vermeidet er 'den einfachen sub-
stantivischen begriff, indem er ihn 'von einem anderen
Substantiv als einem umschreibenden begriff ab-
hängig' macht (vgl. Joseph a.a.O. s.33ff.; hier auch zahl-
reiche beispiele aus Konrad).
Es wird z. b. der eine begriff abhängig gemacht von einem
inhaltlich übergeordneten oder gleichgeordneten: 557 nUt hohes
brahtes don, 1428 Schalles braht (4213. 6991); 645 sam eins
dunres d6g\ — 547 mit gewaltes mäht; — 200 sunder vorhies
zitter (758. 10092), 1006 sunder vorhies Mp, 13611 sund^r
varhte schrecken; — 339 hag0es ntt (12735), 22773 sunder
haezes Mp\ — 12771 sunder spotteis schimpf; — 1841 sunder
euAvels wanke, 13039 an ewivels meine, 13225 sunder Mwtvds
zadel] — 14973 sunder meines schände, 21335 sunder meines
tragen; — 301 ze mitter meigen ztt, 1197 üf des äbents zU,
12941 manges järes ztt; — 2497 üf der wisen velt, 7377 uf
des veldes plane; — 3501 üf wäges flüete, 15421 üf des wilden
meres fluot, 16419 üf des wilden meres vart; — 15375 in des
Windes luft; — 15824 sunder strites vehten, 15892 mit siges
stnt; — 195 in aller lande kreiz (4275. 4434 etc.), 1063 üf
des ringes kreiz, 1564 üf der plante kreiz; — 4409 durch atter
lande rinc, 10646 in der weite rinc.
Beliebt sind die Umschreibungen mit j)/liA^ IISO mit siner
ougen pfliht, 1546 ir namen pfliht (1963. 1950. 2264. 2515.
2623. 3041. 3172. 4019. 4030. 4708. 5881. 6073. 6734. 6748
etc.; — Engelh. 800. 4798. 5371. Part. 7907. 9207), und mit
stiure: 1243 nd hoher eren stiure, 7294 nd hoher koste stiure
(3826. 5231. 5441. 7263. 7386, 7775 etc.); ferner solche wie
552 in keins herzen sinne, 1097 manges herzen sin (1285. 1423.
1962. 2453. 2670. 3402. 5931 etc.), 1149 vor sins herzen an-
gesiht, 395 in sins herzen grünt (1265. 1398. 5498. 6913 etc.;
— Engelh. 2143), 79 sines vesten herzen brüst (Troj. 2726).
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STUDIEN ZU BEINFBIEI) TON BBAUNSCHWEIG. 459
Zweimal umschrieben: 4677 mit herzen grundes smne^ 471 mit
ungemters dunres krach (Engelh. 1950 stnes vtmotes herzen gir).
Häufig wird ein begriff abhängig gemacht von einem
charakteristischen merkmal: 851 der rcete gliz, 864 sunder
ruomes gliz\ — 464 na hoher wirde gelt] — 808 der liehten
sunnen glast, 7421 des morgens glast, 8272 f. der stemen glast
verborgen la>c von der wölken decken, 14899 des liehten morgen'
Sternen glast, 14897 des vil liehten morgens brehen; — 1110
diner gneisten funken, 1787 des wilden fiures gneisten; — 767
üf des schüies tach (968. 1036. 1486. 1513. 9965 etc.), 834 des
randes tach, 866 stns helmes tach (1505. 1915); — 1616 in des
todes grimme (22448), 13395 von sorgen quäle; — 1652 des
jämers überflüaze, 3272 du/rch mines dienstes pinen, 4730 des
jämers koste; — 599 nach des Wunsches segen, 2265 na Wun-
sches luste, 2647 der minne twingen, 5039 mit trdstes gingen,
Umschreibung durch metaphorische ausdrücke: 221 der
minne stricke (444. 1395. 2002. 5187), 6526 der sorgen stricke,
15311 tödes stricke; — 327 dankes gnwz, 1597 kusses gruoz; —
1757 fiures blicke, 13382 in jämers fiur; — 2399 leides angel
(6325. 11522), 3703 untriuwen angel, 5391 der minne angel;
— 6164 des jämers flecke, 15476 lasters flecken; — 8649 von
Weinens regene; — 13194 üz jämers fürte, 16762 in iren fürte;
— 22042 leides orden, 22958 von strengen jämers orden.
Das wort pfliht, das, wie oben bemerkt, gern bei dieser
ausdrucksweise Verwendung findet, wird auch oft mit einem
adjectiv verbunden, um den in dem adjectiv liegenden begriff
als Substantiv zu bezeichnen. Und zwar gebraucht der dichter
für diesen fall adjectiva auf -lieh, von denen er eine zahllose
menge hat: 3297 mit dienestlicher pfliht, 3504 mit eineclicher
pfl,, 4897 nä wirdeclicJier pfl., 6010 zornliche pfi,, 6605 «4 känec-
Ucher pfl., 7208 jämerliche pfl., 8077 mit tougenlicher pfl., 8477
mit urteilUcher pfl., 10494 mit snellecltcher pfl., 13502 in släf-
Ucher pfl., 15517 mit hinderredelicher pfl., 17170 kampfUche pfl.,
22800 tsenliche pfl., 25112 mit gevanclicher pfl.
Für pfliht kann ein anderer allgemeiner oder specieller
begriff eintreten: 5401 mit volUclichem rate, 5597 mit lobeltcher
tcete, 6249 die mortlichen tat, 6262 mit twinclicher frage, 6264
Jcehesliche vart, 6411 gunstUchez griiezen, 6814 mit urteülicher
lere, 6836 daz kampfliche striten, 7125 mit klegelicher schouwe,
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460 GEREKE
7240 mit helfeltcher güete, 7291 mit sneOedtcher tle, 7362 m
engelltcher toise, 7543 helfelichen muot, 7873 helfdkhm rdi,
8191 etctvellicher wän, 8424 urteüliche spor (8653. 8679. 10084
10300. 11455. 13349 etc.).
Dieser letzteren art der omschreibimg weiss ich ans Eonrad
oder ans seiner richtang nichts ähnliches — wenigstens in dem
umfange — an die seite zn setzen.
Wol aber ist Konrads Vorbild widerzuerkennen in der
ersetznng eines hülfszeitworts durch sinnliche be-
griffe oder in der Umschreibung eines einfachen ver-
bums durch einen verbalen ausdruck (vgl. Joseph s.41).
Hier spielt, wie anderswo pfliht, das verbum pflegen eine
grosse rolle: 1587 sol der smeree tconen bt mir aUeine^ ick
bin tot; 6792 uns muoa iemer laster bt tvonen umb die schände;
— 5439 (diu sacke) diu im nähe in herzen lae; — 2342 da von
lasters müese pflegen min ere, 4800 pflegent von mir fltM,
5094 pflegent flühte, 6292 für die not der er nu pflegen muose,
6345 (minne) diu so hohes namen pfligt; — 718 dajg diu sunne
wider gliz nam von dem golde; 836 von Ardbi gap liehkn
gliz daz ein vach (849. 1516. 1543. 7364 etc.); 17200 das diu
lichte sunne an im toiderglenzen Ms; — 1562 si taten
höhe unrde schtn, 1839 er tet mit gewalte schtn (1898. 7250.
7574 etc.); — 2674 nu gap im minne Ure; — 2972 swä am
minne here von eren hat; — 19113 nam val jsuo der erden.
Sehr gewöhnlich ist die ersetznng des persönlichen
pronomens durch sinnliche begriffe, ein stilmittel, das
schon Wolfram ausgiebig verwendet und Konrad bevorzugt
(vgl. Joseph s. 37): durch Up: 114 stn Itp üf vier und jswensic
jdr an alter hat die jsit vertnben (120. 184. 1004. 1598. 4452.
6250. 6897. 6905 etc.), durch her/s: 212 sit dae ir herze nie
gewan amis noch wart ämte (420. 862. 1152. 1156. 1305. 1906.
2115. 3975. 5596 etc.), 854 ir herze gar an sorgen bloz susuf
den hof Uisierten; durch stn: 688 stn sin so hoher koste pftoc
(2704. 6252. 6284 etc.); durch muot: 279 daz sich stn muot
eUendet dar (4644); durch handlungen: 1234 ir liqfUA
smieren sach in an, 9420 stn vurt vü gdhe snuorte, 15309 sin
ritterlichez eilen reit, 16214 ir strttltchez werben sazte suA ze
grözer wer.
In ähnlicher weise, ganz wie bei Konrad (vgl Joseph s.38^
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STUDIEN Zu BEINF&IED VON BRAüNSCHWBIG. 461
werden die zeit- and ortsadverbia umschrieben: 958 zuo
den eiten (1533), 306 06 disen eiten (7810. 7903), 68B5 61 den
ziten (8943. 9454. 9530), 6754 in den isiten, 8401 an den sntm
(11398); — 7037 an der selben stunde, 8643 an den selben
stunden, 10208 an dm stunden, 11260 an der stunt, — 15374
an dem ssü, 14690 an dem selben ssil\ — 4927 ee mangen
tagen, 4696 ee allen s^ten, 652 vor den eiten (8047), 7031 ee
welker stunti — 10251 alle frist (16423), 10286 alliu eil, 13218
alle vart
Umschrieben wird bisweilen anch die conditional-
conjunction durch einen ganzen satz: 5632 ist aber dae
ee also stät (9737. 13297. 16024. 25376), 15025 und si dae
got dir gnade tuo, 22451 wasr dae dae schif het gebiten.
Hierin ahmt der dichter Gottfried nach; vgl. Trist. 6098. 6103.
6151. 6174 etc. (auch Part. 2128. 4508. 4748. 10960 etc.).
Endlich ist hier noch anzufügen die bildliche Verstär-
kung Oi^er Umschreibung der negation, die sich unter
allen mhd. dichtem am häufigsten zuerst bei Gottfried findet
(vgl. Zingerle, Ueber die bildliche Verstärkung der negation bei
mhd. dichtem, WSB 39): 2177 niht als umb ein bappel (Zingerle
s. 459), 8394 er ahte ntht üf einen bast (Zingerle s. 429), 9417
dhte alliu dinc als einen stoup (Zingerle s. 436), 9747 umb ein
här, 14305 u. ö. umb ein Meinee här (Zingerle s. 438 ff.), 18412
niht ein linse geben umb (Zingerle s. 421), 20837 umb ein bönen
niht gedenken (Zingerle s. 417), 22393 als ein wiche (Zingerle
s. 420), 22355 umb ein brawe, 22407 umb einen snal, 24989
dae eines punkten niht enbra^t
d) Widerholuniren und Wortspiele.
Einiges von dem hierher gehörigen hat Eichhorn unter
der Überschrift 'epizeuxis' zusammengestellt. Dahin sind also
Wendungen zu setzen wie 262 wang an wange (2352 u. ö.), 1099
von ring ee ringe, 1397 He oug in ougen, 2353 munt an munde
(3840 u. ö.), 2167 here in here, sin in sin, 2183 gedenke iht euo
gedenken; — 1729 sich schar und schar verwurren, 11268 rotte
in rotte, schar in schar. Die beispiele sind überaus zahlreich.
2635 gap und gap (12589. 14661), 5987 bat und bat, 6148 er
hat und bat und ich verseil lang und lang und mange stunt,
26089 er Uch und Uch und Uch (9489. 15765. 23909. 23455;
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462 GEBBKE
— Turn. 86 er gap und gap und gap et dar\ 8432 umb und
umbe (22Ö54. 22302. 22349), 8663 dicke und dick. Gleichsam
ein ganzes füllhom schüttet der dichter aus 12 U guotem guot,
so hcer ich jehen, bi süezen süez, bi argem arc, U miUem nUlt,
bi kargem karc, bi frechem frech, bt zagen zagen wirt man, her
ich die wisen sagen. Ebenso 184 f. 10710. 10993, 11706 ft
12606 ff. 12260 ff. 17285 ff. 17742 ff.
Anderes nennt Eichhorn annominatio; doch gibt seine auf-
zählung nicht entfernt einen begriff von der reichhaltigkeit,
über die der dichter in der anwendung dieses stilmittels verfügt
Er setzt z. b. einem Substantiv ein adjectiv von demselben
stamm hinzu: 777 gen minnecUcher minne (1690. 2461. 3613.
10990 etc.), 3895 na kusUchem küsse, 7588 friunÜich friunt,
11014 trütUch trut, 13312 wund^rlichiu wunder,
Oder er rückt Substantiv und verbum desselben Stammes
eng an einander: 3582 swaz dtn güete güetet (Trist. 8301 ir
schoene diu schcenet), 7430 die schar geschart in glidh&r pflihL
13292 ein vart varest über mer, 10343 manic sloz entslozzenj
oder irgend welche anderen Wortklassen: 1266 süezer wunden
wunt (4959), 7995 an wirde wirdecliche, 11021 trutlich getriutet
Die beiden stammverwanten Wörter stehen nicht eng neben
einander, sondern sind durch Zwischenglieder getrennt: 1082
die kriger liefen üf ir slä mit manger lüten krige, 1374 ich
wcene daz sin herze wem künne hohen dienest wol frouwen
den er dienen sol und den sin herze dienest treit, 1744 ein
ritter moht dö siniu lider ritterlich erswingen (8390 f. 8668t
9098 f.), 2000 er suohte blic, so vander an ir widerblicke,
die blicke in minne stricke ir beider herze knüpften, 2297 mii
urteil hie erteilet (6811), 2580 j6 wart ich der wirde ge-
wirdet nie, so mir beschach, 2982 minne in minnecUcher
gir, 4382 und warp mit wirdekeit du fMch eren und na
werdekeit, des sin nam noch wirde treiU 4457 des sin sich
s6 versinte, 8471 daz wolt erteilen ir ein teil, 8476 und
ein arider urteil kam also mit urteillicher pfliht, 8694 und
minnten gerne minneclich, 10924 wip und wiplich mnnen
ist alles hordes überhört
Klangvoll verdienen die formen der annominatio genannt
zu werden, in denen die stammverwanten Wörter einen Wechsel
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STUDIEN ZU REINFBIXD VON BBAUNSGHWEIG. 463
des Yocals (namentlich ablaut und umlant) zeigen: 808 cUus
da dar nicht gelesten moht der liehien sumien glast, 1104
ei säessiu minne, diniu bant bindent sunder heften, 2213
lühten lieht ir wengel, 2229 nie lühte Hehler morgenrot, 2821
liehten tac üf liuhten, 13222 durchliuhteclichen lühte; — 2880
ja mit mangem swanke ir ougen zemen stvungen, 3004 ja
der sinne senke sich sancten so ze gründe, 4871 mit swanke
iiberswenkent, 5548 so daz diu pfat und al der stic so in
ir herze mohte Stegen, 5932 swenn ir blicke schoz üf in mit
schüzzen an geverde, 9936 so starkiu lehen liht min hant,
11056 diu kraft mac überkreftet mit keinen Sachen werden,
13133 die klag in klegelicher art, 13230 in dem schin er-
scheinde.
Bei widerholter anwendung desselben wortes oder stamm-
verwanter Wörter entstehen Wortspiele, wie sie Rudolf von
Ems besonders liebt: 82 ein vester friunt bi friundes rät, 96
den knehten knehtes reht er liez (12540. 12554. 12568), 1145
der schoßn für alle schcene wac, 2471 und friundet friunt in
friundes trift, 2957 wojs liep mit liebe liebes kan, da liep eht
liebe liebes gan (Konr. lied 22, 19 liep noch liebe liebes gan\
3075 swa liep ist liebem liebe bi, 9824 nu rät ich, ob ich raten
kan, ob ir mins rätes ruochent, 10780 swä liep ez liebe biutet
lieplich sunder vorhte schäm; — 623 vil und vil me danne vil,
4429 ie me und me und aber me (Trist. 8079 wol und wol und
alze woT); — 357 der gernde kneht tet stnem lop mit lobe reht,
wan swer ^n lop ze lobe treit, da stät nach lobe der eren kleit
(ebenso 364 — 371), 15532 und als der fürste rieh vemam daz
ez friunde wären, ir friuntlich gebären galt er mit friundes
gruoze, vil friuntUcher unmuoze huop sich ze beden siten (vgl.
Gerh. 1—115. 383—392. 1667—1679. 2422—2425. 2901—2907).
Der dichter spielt mit mehreren begriffen: 70 ist im der lip
erstorben, wel not? stn lop doch höhe swept we dem verzagten
der so lept swenn im der lip alhie verstirbt, daz sin lop mit
dem lib verdirbt; — 4454 do im der lip mit leben erstarp, so
lept sin lop doch iemer me (vgl. Rol. 5447 f., zum gedanken: Parz.
471, 13, Iw. 16); — 128 ein man der mac dort und hie erwerben
ritterlichen solt ritters orden dem ist holt got, ob er ritterlichen
stät als in got selbe gordent hat; — 1110 — 1121 herz, sin,
minne; 2962—2973 minne, ire; 3504—3512 eiw(e»), meinein).
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464 OEREKB
e) NeiTAtiTe ansdmekHweise.
Fast alle mittelhochdeutschen dichter seit Wolfram kennen
das Stilmittel, einen positiven ausdmck negativ zn gestalten,
etwa um die betreffende stelle humoristisch oder ironisch zu
färben, oder um überhaupt etwas lebhaftigkeit in den gleich-
massigen gang der erzählung zu bringen. Es mögen also hier
aus dem R. einige beispiele platz finden: 45 diu {werk) waren
an untcete hus^ wan er der eren nie vergaz, 86 sin stcete triwe
sich nie verbarc, 286 ein hünic den sdiande gar verUrt, 743
wan im kein lasier was bekant, 857 des herze ie schände flach
(959), 917 des herze ie schände meit (1219; — 703. 1899. 1479),
862 sin herze nie übertretten hat keine stunt der maee riz,
1230 sin lip und ouch sin leben, sich an Sren nie versneü; —
647 daz ez im leit zerstörte, 726 man sach da niemen truren
noch haben keine swosre, 937 des was sin sorge gar enjsfwei,
2015 diz tet im sorge kranken; — 706 giuden brehten was
niht tiur, 3824 liepUch umbevähen mähten si untiure. höher
sorgen stiure was in beiden wilde, 4938 fröude wart im wüde;
— 604 so daz in koste niht enbrast, 614 dö wart niht langer
dö gebiten, 12946 der eren und der scelden tor was in beiden
unverspart, 18190 daz bitten wart niht übertreten, 18458 ein
smieren wart da niht vermiten von den forsten beiden u.s.w.
Eine besondere art der negativen ausdrucksweise haben
Eonrad und seine nachahmer in die epische poesie eingeführt
(vgl. Jänicke DHB 4 zu Wolfdietrich D 5, 103, 2), nämlich die
negierung durch äne, fri etc. Den Ursprung dieses stQmittels
bei Wolfram zeigt Kinzel (Zs. fdph. 5, 4 f.): 214 diu süeze wan-
dels frie (1182 u. ö.), 9698 diu valsches fri; — 939 an schänden
gar der trcege (1187), 2726 Palarei den trcegen an aUen houhet-
schanden; — 1323 der kiuschen wandeis kranken (1842. 20200.
20351); — 1866 den schänden lazzen, 6192 der veige an eren
laz; — 6208 der eren leere, 9008 an zageheit die siechen u.s.w.
f ) Hyperbeln.
Von den hyperbeln, deren verschiedene arten Eichhorn im
allgemeinen vollzählig besprochen hat, möchte ich hier nur eine
besonders charakteristische klasse hervorheben, die ich bei
Eichhorn vermisse. Der dichter hat sie zweifellos seinem vor-
bilde Konrad nachgebildet. Es handelt sich um übertreibende
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STUDIEN ZU BEINFRIBD VON BRAUNSCHWEIO. 465
yersicherimgen, die er seinen personen in den mund legt, von
der art: 'ehe das geschieht, ehe soll das und das geschehen'
(meist 'ehe will ich tot sein'): 2522 nein, mich müez epfenden
der tot an dem Übe, e min munt keinem wtbe ae hus sich iemer
biete; 4300 ich toolt e dae ich wcere tot, e ich mit sinnen iemer
wolte minnen ald meinen anderswar denn iuch\ 4762 ich lieg
mich in die erden e lebendigen teJben, ich tcoU den tot mir selben
e füegen unde sdiickm, e dajs ich ... (4786 ft 4992 ft 5160 ff.
6118 ff. etc., vgl. Engelh. 3755 daa ich schiere stürbe, S daz
ich..r, 4010. 4142. 5528. 5938. 6040. Herzm.210. Schwanr.629.
Part. 2824. 6056. 6434. 7370. 9087. 9097. 9872. 10062. 11242.
12944. 17352. 19322 etc.); 7668 ich wolte mich zersniden &
lägen und zerhouwen, e ... (6562 ff. 8358 ff. 9734 ff. 9974 ff.
10800 ft, vgl. Engelh. 6058 ich lieze e mich zersntden [vgl. Jä-
nicke z. Staufenb. 703]); 2762 e wolt ich von dem lande gan
daz mich üf geerbet hat, e . . . ; 3704 e wold ich haben mangel
liebes unz üf minen tot, e ... (vgl. Engelh. 3745 e daz ich ge-
dcehte ... e wolte ich fröude nimmer noch swlekeit geschouwen;
5616. 6048).
Von all den übertreibenden formein, wonach bisher auf
erden nichts dem erzählten ähnliches zu finden ist (vgl. Eich-
horn a. a. 0.), nenne ich besonders folgende: 802 diu weit so
hinnen scheidet daz niemer solich hof ergät, 11496 dm weit
sich also endet daz liep bi solhem leide von einer hinscheide
so gröz geliche niemer wirt.
Endlich erwähne ich noch die formein: 165 me dan genuoc
(419. 25551), 623 vil und vil me danne vil, 1307 mi denn ze
vil (27117), 10425 me vil denne gnuoc, 11907 vil me denne gnuoc
(15932. 24304), 24861 me denne vil.
g) Anaphorisehe gliedemng«
lieber die anaphora bei Grottfried vgl. Preuss s. 28 ff.
Dass die anaphora im B. bei den antithesen häufige an-
wendung findet, haben wir schon oben (s. 457 f.) gesehen; und
zwar hat die widerholung hier meist innerhalb desselben verses
statt. Dahin gehören noch folgende stellen: 6666 . . . und> äl
sin werben, umb sin truren, um sin Magen, umb stn leit, um
ir versagen, umb sin dröuwen . . . ; 9317 ald waz ich tuon ald
waz ich lan\ 11106 vor tac vor naht vor sunnen schin, vor
Beitztge inr gMohloht« der deatfohMi iprAoh«. XXXU. 30
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466 GEBEKE
himel erde wazzer luft, vor speren tron, vor helle hruß, vor
mänen schin, vor stemen kreijs. S. Tristan 2387. 3744. 4051.
4262 etc.
Am anfang mehrerer verse findet sich anaphora: 1) eines
nomens: 3624 minne diu kan linden sorge herter denn ein
flins. minne diu gU swceren zins iren besten friunden etc. (im
ganzen 12 mal; s. Troj. 2214 ff. 2540 ff.); 11062 ft minne (22 malX
10916 ff. «?lp(25mal); — 2) des artikels oder eines prono-
mens: 3666 miner fröuden anger, mines trostes tcirde, nunes
lustes girde, mines herzen wunne n.s.w.; 4418 ein hruft der
rehten milte, ein hemdez zwi der zühte, ein würze reifer frükte,
ein stein rehter triuwe, ein sloz der stcete niuwe\ — 3) eines
formwortes: 2904 so würfen jene dort den stein, so zugen
dis schähzabelspil etc. (ähnlich 11328— 11331), 9680 wie (2nL),
23649 ff. 23658 wie, 24230 wie (11 m.) recapitulierend (s. Trist.
4241ff.);10824ff.o6...ö6...aWo&...aWo6...ö6; — 4) meh-
rere Wörter zugleich: ß02 tt dar nach man (2 m.), 5182 ff. so
sack man (2 m.; 11348 f.), 5414 ft man hiez (2 m.), 5616 ff. wiÜ
du (2 m.), 5660 ff. wil ich (2 m.), 8816 ff. ez hilfet (2 m.), 9388 ff.
ach got wie (2 m.), 11130 f. ez wart nie herze (2 m.).
h) Alliteration.
Des schmnckes der alliteration bedient sich bekanntlich
Gottfried in ausgedehntem masse. Rudolf von Ems folg^ ihm
hierin mehr als Eonrad, und im R. finden sich alliterierende
Verbindungen ziemlich häufig.
Die alten formelhaften Verbindungen habe ich schon oben
(s. 451 ff.) behandelt, desgleichen die mit alliterierendem präfix.
Nicht formelhaft sind: 2518 rän und ruoz, 6206 f. grisen
und gräwen, 8938 kraft noch kunst, 18312 s(Jnnt unde schirt.
Es alliteriert femer ein Substantiv mit seinem attribut:
797 diu minnecliche magt, 2333 holder herze, 2685 sender sorgen
(3203. 3530), 2856 waldes wilde, 2892 ir minneclicher muni,
3331 mit minneclicher meine, 3382 senden sinne, 3861 sunder
sorge sweichen, 5065 üz süren sorgen strickent, 5281 heizer
trehen tropfen (7043), 5348 der minne marteroere (6372), 6531
in wildes waldes vorste, 8975 mit grozer grimme, 9641 üf rehie
rede, 10039 weltlicher wunne, 10543 starker grase gröz, 17471
mit manges swertes swanke etc.;
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STUDIEN ZU REINFBIBD VON BRAUK8CHWEIG. 467
ein verbum mit seiner bestimmang: 2170 vestedtchen veUen,
2213 lühten lieht (2229), 4348 warp so unrdedtchen (4370),
8361 woUe willecUche, 9132 vaste vaht, 11146 lüterltcJi erliuUet\
— 1830 durch die rotten Htm (7303), 2223 in rekter maee
mischet, 2827 «n den tvolken wcBgen, 9289 mit waeeer über-
wallen etc.;
ein Substantiv mit seinem verbum (snbject oder object mit
prädicat): 2061 hohe ßrsten fuorten, 2566 al min sin hesenget,
3289 ich merke iuwer meinen, 4680 lichte varwe veltoet, 8489
die ir guotes gunden etc.;
andere Wörter: 450 üfsiben soumer sunder zeln, 2019 sorge
üss dem sinne, 2309 het er hiut hie verliuhen, 2388 daz senen
senftet smerzen, 3344 in so wunderltchiu werch hat minne mich
geworren, 3358 ei do si so süejse sUich, 3802 leit M liebe
dicke Utj 4064 minne mit ir mugende würket wunderlichiu dinc,
5658 die mir euo genmotet hat sin munt üf minne werben,
6934 so was der oren wünne sin toüdiu werch diu er begienc,
7036 ir sin begunde senken sich an der selben stunde, 8270
die lerchen man in lüften hoch . . . , 8552 trceste minen trüeben
sin, 8676 der rittet ritterlichen saz, der wtse wirdecUchen hielt,
9080 den Itp er lützel sparte und lief in ritterlichen an, 9084
da von er sunder laugen an krefte wart geletzet, 15481 in
wallers wtse sunder wer, 20117 in starken stürmen herten,
heim und schilte scherten sach man mit swertes swanke etc.
i) Metaphern und bilder.
Ein gut teil der Schönheit der poetischen spräche beruht
auf ihrem bUderreichtum, denn die aul^abe der poesie ist €»,
unsere phantasie zu beschäftigen. Wer also ein guter dichter
sein will, muss über einen gewissen Vorrat von bildem ver-
fügen können, und dazu gehört lebendige anschauungskraft
und phantasievolle auffassungsgabe. Nun werden ja manche
bilder, die wegen ihrer Schönheit oder ihrer bequemen anschau-
lichkeit öfter anwendung finden, schliesslich allgemeingut Die
bedeutung eines dichters kann also nur darin sich zeigen, was
er hier aus eigener kraft neues zu schaffen vermag.
Unter unseren mittelhochdeutschen dichtem ist die zahl
solcher wirklich originalen dichter nicht allzu gross, und diese
sind dann für ihre minder beanlagten nachfolger tonangebend
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geblieben. So kann es denn auch nicht wander nehmen, wenn
der im stoff wenig selbständige dichter des R. sich in seinen
bildem in der hanptsache an seine mnster anlehnt und sich
in den herkömmlichen bahnen bewegt.
An erster stelle mögen als die am wenigsten ansgefOhrten
bilder einige metaphem stehen. Mehrere davon sind von der
pflanze und ihren teilen hergenommen: 1304 mit des lobes rise
gezieret (Engelh. 879), 9368 minnecliche fruht u.ö. (Engelh. 1487.
4859. 4419. Part 286. 1543. 2947 etc. Schwanr. 279. 1225 etc.),
10782 da hat der süeeen minne stam (10959; — Parz. 128,28.
j.Tit721. 1326. 1065 etc.) nä höher fruht gewüreet, 11959 der
stcBten triuwe ein frühtie stam\ — 2294 üf in hat gesfwiget ere
ir frühtie lobes ris, 11952 bitter leit mit senden klagen hatte
üf si gezwiget (2386. 261361; — Engelh. 234 t 878 t Troj.
6655 t BarL353,13t).
Andere metaphem sind: 775 des tvunsches hint, der Salden
hört (Engelh. 732. 5102. 5449. 5837. 6449. Part. 1408, 1728.
1948. 2444. 7270. 11032 etc.); — 865 der eren sedele, 2455
des herzen tür (Klage d. kunst 22, 7); — 12946 d^ eren wd
der scelden tor tvas in beiden unverspart, 12998 den ouch hoher
frühte tor was versetzet und verspart, 13081 entslozeen rnSner
f ruhte tor (Part. 5768. Parz. 649,28); — 10931 aßer sicWe»
obetach, 11012 er was ir fröuden übertach (ein bei Eonrad sehr
beliebter vergleich; vgl. Haupt zu Engelh. 454); — 2556 der
gnaden schibe, 10834 der scelden schibe, 13084 der frühte schibe
(Engelh. 4400); — 3198 der minne geiselruote, 12950 der fröuden
uninschelruote (Engelh. 3000); — 1853 mit manges ruomes hrame,
4349 hoher eren kränz, 17377 hbes kränz (Troj. 444. 15341,
Part, 13531. Parz. 260, 8. 343,25. 394,12. 632,28. Gerh. 6406.
6605); — 3579 der sorgen schür (Engelh. 5401, Parz. 313,6.
371, 7. 587, 13), der fröuden schUt, 13073 der seien tröst, der
Sünder schilt (Gerh. 6331. Wolfr. Wh. 15, 15); — 1395 m minne
stridce (2002 u.ö.), 6526 der sorgen stridce, 15311 todes stricke
(Part. 7059. 7273. 12700. Parz. 811, 4); — 2399 des leides angel
(6325. 11522), 3703 untriuwen angel, 5391 der minne angd
(Engelh. 1657. Part. 8218); — 8649 von weinens regme, 17259
mit manges trehenes regene (Parz. 191,29); — IS194 üz jdmers
fürte, 16762 in ^en fürte (Parz. 114,4. Wh. 177, 14); — 2576
minne ir scha/rpfen wäfen hat über mich gewetzet] — 3688 mit
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STUDIEN Zu BEINFRIED TON BBAUNSCHWEIG. 469
der sorgen bände hat minne mich geseilet (Engelh. 6138 f. Virg-,
349, 12 1); — 4489 . . . trüren, in sine sinne er müren künde
bitter sorgen, 5341 siufaen unde truren. des sach man so vü
muren in in sins hereen sinne (Konrad: Engelh. 2142 ff. Part.
709.3767. Troj.17052. Herzm.244f. Lied 14, 16 t); — 4512
^n sin, rf» herze wären gar in der ndt versteinet (Part. 1266.
8314); — 2564 mir hat der minne gUiete min herze s6 em-
pfenget dojs al min sin besenget ist von minne fiure (Engelh.
975 f.); — 4414 er ist ein tffimschelruote an ritterlicher hrefte,
...ein kruft der rehten mute, ein bemdez ztot der zühte, ein
würze reiner frühte, ein stam rehter triutve, ein sUz der stcete
niuwe, schäm und mdze ein ingesigel, der ire ein vester houhet-
rigel (vgl. Engelh. 472 als da zwei wahs ged/rücket sint in ein
ml schcenez ingesigel [Part. 1308], si wären triuwen gar ein
rigel, ein vestez sUz der stcete); ähnlich 10928 ff. 10958 ff.
Von. den eigentlichen bildem bezieht sich ein gut teil anf
die Schilderung der kämpfe. Manche davon sind deshalb schon
früher bei der vergleichnng solcher darstellungen im R. und
in seinen quellen zur spräche gekommen. Darüber darf ich
also jetzt mit kurzen andeutungen hinweggehen.
Die rosse sind schwarz wie pech (414), ein vergleich der
sich häufig nur bei Eonrad findet (Engelh. 4692. Part. 18258.
21004. Troj. 11992. Tum. 447; vgl. s. 392); — 8390 der ritter
als ein engel stuont gewäpent ritterliche (Engelh. 2644 ff.); —
8569 ein banier wtzer denn ein swan (17181; — Engelh. 2525.
Gerh. 785); — 8587 (er) schein als ein zigenmilch (sonst nicht
zu belegen), 18908 er truoc einen swceren sdhilt höher breiter
denn ein tor (21180 f.). — Die ritter brausen auf den rossen
heran 479 sam daz Wuotes her, oder wie die Windsbraut
(20144 f. — Engelh. 4770 f. 27741 Part. 15948 ff. 20720 f.
Troj. 8900), oder wie die falken (884 f. 17338. — Laur. 371 f.),
oder wie pfeile (18985. 26171. — Part. 725. 15434. Virg. 77, 4 f.);
17335 nä zirkeis mez gedrceget treffen die ritter auf einander
(8880 ff.); 17402 reht als der si mit zangen zesamen wolte
Jieften, so sach man si mit kreften üf ein ander dringen. Die
rosse springen wie tier, wie hirzetier (1011. 892 f. — Part.
13711. 19423. Troj. 3793. Tum. 942. Schwanr. 905). — Das
krachen und splittem der Speere, das klirren der Schwerter
und das dröhnen der schlage wird dem donner verglichen
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470 GEBBKB
(902. 8910. 17353. 20376.— Engelh.4814. Troj. 12242); 17316
van ir tfoste gie ein tunst als vor dem danre ein hlixen. Die
kämpf er aber sitzen wie eine wand von stein (1013. 11279.
17095. 17330. — Tum. 846). — Als ob in der schmiede die
hämmer auf den amboss tengeln, so klingt das kamp%etase
(1800 t 90341 — Engelh. 2728 ff. 4852 f. Turn. 794 ff. 812.
Part. 14327 ff. Troj.4076f. 12804. 32209. 37250. — Parz.112, 28.
152, 5. 210, 4. 537, 27. ]. Tit. 3897. 4203). So viel feuer schlagen
die ritter aus den helmen, 8904 wcsr der tac erloschen^ man
mohte doch da hän gesehen von der liehten gneisten brehen;
20508 fl man hätte schoube damit entzttnden können (Engelh.
4780 £). Die ritter kämpfen mit grosser erbittemng: 9028
unde vaht als ein wildez eberstotn (Wolfd. D 9, 102; vgl. s. 375;
18821 er grein als ein eberswtn — Troj. 5040); 1802 alsam
die hanf Stengel sach man die rotten spalten (Tum. 778); 11308
si gaben unde leisten herter siege swceren jrins (Tum. 857); 25678
man warf und schoa eht iemer dar in si reht als in ftUen ndst
(Roseng. [Grimm] 1934 1 1937 f.); 8902 man sach die helde bUu-
wen ein ander sam die droschen (Part 14463); 9004 van muede
sach man tempfen man und ors, ist mir bekant, als da man
holen hat gebrant und man die stat siht riechen; vgl. 8670 f.
(j. Tit. 1535); 9116 dcui bhwt im üa der wunden viel alsam ein
grözer vollic bach (Virg. 168, 13. 205, 13. Roseng. [Gr.] 1173);
11310 von Mizen herter denn ein ftins wart des marJdses güflen
(2302. 10850; Tum. 858. Troj. 8693 [vgl. Lexer 3,405]. Wolfr.
Wh. 76, 7. j. Tit. 5259); 17520 minn und ir fiur zertranden sin
siege als ein rüebe enzwei; 18995 sin ors reht als ein ei u
stucken wart zerteilet (Trist. 5691. Engelh. 557. Troj. 10672.
Part. 8325. Wolfd. D 6, 176, 4).
Eine fülle von vergleichen findet sich bei der Schilderung
körperlicher Schönheit. Die meisten davon sind schon be-
sprochen, als wir den R. in bezug auf seine abhängigkeit von
Eonrads Engelhard untersucht haben.
Das haar scheint 2112 durchliuhtecUchen reht als ein schon
durwünscht gespunnen golt, 22510 als ein gespunnen goU ir har
(Part. 8638. 13565. Troj. 3022 [Erec 1551]); 2120 gelwer denn
ie Jcläwen würden oder stgen eines unlden wigen, so was ir
goltvarwez har; 2134 so gar minnecltche schein ir scheitet scm
ein kride; — 2144 lanc und als ein stde gel was ir har, 26176
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STUDIEN Zu BEINFBIED VON BBAUN8CHWEIO, 471
gerispelt reit und da bi val was ez reht als ein stde (vgl. Jä-
nicke DHB 4, 337; — Part. 9430. 9722. 20244. Troj. 23244); —
2152 diu minnecUche blüete durliuhter denn ein mandel, 3844
wang bt liehten wangen sam ein mandel lühten (Part. 3350); —
2187 ir mündel wart gesehen schön durliuhtecltchen brehen sam
ein rose in touwe; 224 der soelden tou (Part. 295. 2092. 8520.
j. Tit. 3335); — 2204 se maeen dicke ir lefsen sam ein zunder
brunnen (Part. 18415); — 2212 sam die wilden rösen var lühten
lieht ir wengel; 3840 munt bt munde bluote alsam ein lichter
rose rot; 18664 man het ze mitter nahte von ir schoene wol
gesehen . . . manic zunder wirt enzunt niht an so heizen funken
so üz ir mündel sunken mit rede swenn si lachet
Ehre und nihin, tugenden und affecte werden gleichfalls
gern unter vergleichen dargestellt. Die bei Konrad so sehr
beliebten bilder von Spiegel und glas (vgl. Joseph a.a.O. s.42),
lassen sich auch im E. mehrfach nachweisen: 2475 ir küssen
was geliutert alsam ein glas, 3562 si {diu trütschaft) muoz lüter
unde ganz beliben sam ein Spiegelglas, 7630 das ir lip den
Spiegel treit ob aller höhen schouwe (11003. 11528). — 11958
der fröude ein lüter Spiegelglas, der stceten triuwe ein frühtic
stam. da von ir wirde undc ir nam durUuht als ein karfunkel-
stein (Engelh. 5303 ff . Part. 8758 f.); — 75 sin leben was ge-
hertet sam ein adamas (1508 f. 14465; — Part. 6340. Troj. 6566.
9583 etc. Gerh. 802. Rud. Wh., v. d. Hagens Germ. 10, 111, 12. —
Erec 8426. 8923. Iw. 3257. a. Heinr. 62); — 364 swä man den
der lobes fri ist, mit lobe bekleidet hat, reht als der siuwe ein
satel stat, so gat er under lobes saun (vgl. Part. 8466 der tum-
ben wtbe klärheit gedihct unde ir schoenez dinc reht als üz golde
ein edel rinc, der eime swtne wirt geUit an sinen grans)\ —
368 sin lop zergät alsam der troun der blinden troumet umb
ir sehen (j. Tit. 47. [Parz. 1,20]); — 4782 als bi dem scharpfen
dorne stät lichter rösen blüete, also was bi ir güete scharpfes
Zornes läge; 6926 sin lop unverdorben alsam ein rose blüeget,
20742 der alsam ein rösen zwic in höhen eren bluote (7022 f.;
— Part. 4860 f. 6314. 20318. Troj. 584. Tum. 16. Klage d. k.
10, 7 [vgl. Jänicke zum Staufenb. 146]). 11682 (diu wirde) wirret
linde slihtet in eren warf der kiuschc wevel (Part. 21687 f. Tum.
792 f. Konr. lied 1, 30 f.); — 9166 ir herze in höher fröude enbor
alsam ein friger vogel flouc, 1646 alsam ein jungez vederspü
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472 GEBBKE
daz man mit luoder reizet, e mit im werd gebeizet (22022 fL
2671 ff.; Engelh. 1926 f.); — 23222 ze fröuden brugge tceeund
Stic wem ir verwOestet und verhagt (236321 246001; Part.
2198 t 4914. 71601); — 1316 diu wort dur sines ören duz
reht als ein mezzer hiuwen, 2440 die gedenke sntdent beident-
halben sam ein swert (6162 ff.; Part. 8222 1); — 2552 als isen
von dem roste gehrenket wtrt, so er ez vegt, also ist ouch mir ver-
zegt mtn herze in mtnem Übe (62041 11740 ff.); — 3348 ich
muoz als ein äsptn hup von sorgen gröz erzittern (Part. 1234.
Troj. 20697); — 3470 reht cdsam diu sunne den tau von tolden
zücket, also würd geliicket min sin zuo hohgemäete; 6472 so
der lüge gunterfeit smiUet sam des rifen tuft von der warmen
sunnen luft; — 3650 (minne) du füerest unde trSbest mich umb
und umb als einen klöz\ 6436 si kan an mir wecken släfendes
hundes reizen; 10810 minn ist ein sache hmle alsam ein schale-
lösez ei] — 5068 iuwer we gät mir ze herzen reht als ein
wazzer in den herten stein, der da von niht erfiuhtet. mit nazMcn
schouben liuhtet man e und vazzet mänen schin in secken, e
iuch iemer mtn hulde werd ze teile] 8238 ein wilder hase wenken
niht kan vor den hunden s6 wol ze aüen stunden als ir
herzen sinne.
Die zuletzt aufgeführten bilder die ich sonst nicht zu be-
legen weiss, zeichnen sich entschieden durch eine gewisse
originelle färbung aus.
Das aussehen von sprttchwörtem und allgemeinen Sentenzen
haben folgende vergleiche: 4912 fl 55601 117321 12282 ft
12886 ff. 145321 (vgl. Lachmanns Walther 106,17. Grimm, Frei-
dank s. xc). 25472 1
Als völlig ausgeführte vergleiche (allegorien) mögen fol-
gende genannt werden: 518 ff. 3062 ff. 8803 ff. 12903 fl
k) Hnmon
Seine ernsthafte erzählung versucht der dichter bisweilen
durch witzige bemerkungen zu unterbrechen, die in ihrer ganzen
art und weise an Wolframs manier erinnern. Es sind scherz-
hafte äusserungen, die er an irgend welche geschilderten Situa-
tionen anknüpft.
Der lärm der zum tumier anrückenden ritter war so gross,
818 ezn dorfte niemen kosen dem andern in sin ore. Bei der
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STUDIEN ZU BEINFBIED VON BBAUN8CHWEIG. 473
schildenmg von Yrkanes gewand bemerkt der dichter schel-
misch: 2262 waz si dar under hoete, daa weiß si tvol, ich sack
sin niht Eine grosse schar kommt zum tnrniere dur hcsren
imd dur schoutven: 1332 ich warn daz ee dem vogte von Rom
gewesen tocer ze vü. Als Eeinfried und Yrkane ihre braut-
nacht feiern, scherzt der dichter: 10760 swer in gewünschet
hete guoter nahtj daz wcere war worden, wetz ich offenbar, wan
si was an wünschen da; 14834 ich wcen daz si unlange mit
einander vähten (ähnlich sagt Eonrad von Partonopier und
Meliur Part. 1700: ob da der fröuden vil gespart von im toürde?
nein ez, nein). Von seiner unbekanntschaft mit der minne
klagt er: 12814 ich sag von süezer minne und bevant ir süeze
nie. ich tuon reht als alle die sagent wiez ze Borne stat der
ouge ez nie gesehen hat'^ (y^\. Marner [Strauch] 178 t Uhland,
Schriften 3, 227 f.). Von den scharf gegen einander auf ihren
rossen ansprengenden rittern heisst es: 17416 ich wcen mit
hunden birsen het in beiden baz getan; 17424 an im siegen ich
wol spür daz der löwe niht lebte der üf des schilt dö swebte
in rubin von mergriezen lac. s6 mangen stich, so mangen slac^
als üf in d6 wart geslagen, het er lebend niht vertragen äne
widerhretzen; — 20502 si hatten umbe sich gevelt töten sam ein
müre. ein solich nächgebüre wcer mir bi mir unmcere (vgl. s.375;
Troj. 25657. Wolfd. D 4, 85, 2. j. Tit. 1952).
2. Widerholte anwendung gewisser formein.
a) Uebergangsformeln.
Wenn der dichter von einer episode seiner erzählung zu
einer anderen Übergeht, so bedient er sich oft einer bestimmten
formel, die er der Spielmannsdichtung entlehnt zu haben scheint
(allerdings auch sonst nicht selten; vgl. Steinmeyer, Gott. gel.
anz. 1887 s. 807 und note. Diemer, Deutsche gedichte zu 84, 20).
Z. b. als der knappe aus Dänemark an den herzog von
Braunschweig seine einladung zum tumier ausgerichtet hat,
lässt ihn der dichter wider abziehen: 377 nu lazen got des
knappen pflegen, wie er gefüere under wegen, daz läzen sin
und hcerent toie von Brüneswic der fürste an vie sich rihten
üf die selben vart. Ebenso heisst es 4451 nu lazen got des
fürsten pflegen. Aehnlich 8129 nu lazen wir si lägen hie.
hcerent wie ez dort ergie; 15359 nu läzen wir die reinen hie.
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hcerent wie ez dort ergie; 12056 nu lazen unr si rtten mit
fröuden wunnecKchen hie. nu hcerent wie &s dort ergie (19217.
23212). Aus Konrad weiss ich nur Engelh. 1629 ff. anzuführen;
sonst Virg. 72, 4. 130, 1. 218, 1. Laur. 1758; vgl. Steinmeyer a. a.o.
Eine andere übergangsf ormel die in ihrem ersten teil auf
das vorausgehende, in dem zweiten auf das folgende zielt und
so beides verknüpft, lautet: 5991 die muoste sin, wem ee beschach,
6578 daz muoste sin, ez wa/rt getan, 8331 daz wart getän^ wan
ez beschach (10067. 10261. 11491. 12414. 19521. 24329; —
Trist. 5324. Part. 4029. 5695. 9171. 11947. 17968. Bari. 277, 9).
b) Formeln zur wideranfnahme der erzählnng Baoh exonrften.
Der dichter liebt es seine erzählung ab und zu durch
excurse über Zeitverhältnisse zu unterbrechen, in deren auf-
fassung er sich meist als starker pessimist zeigt. Dem treiben
der Zeitgenossen gegenüber stellt er die personen seiner erzäh-
lung in idealem lichte dar. So z. b. rühmt er den herzog
Reinfried, der nach hohen ehren und nach ritt^rschaft ringt
und dabei doch immer gott vor äugen hat: 133 des ist iez
aber leider niht, sit daz man witwen weisen siht in allen landen
machen von ritterschefte Sachen, des tet er niht (75. 357. 431);
12587 diz tet der werde fürste niht (14538. 17716); 12633
des tet der herre niht (15230. 15519); 2475 diz was niht hie.
c) Formeln cum abbrechen.
Unterlässt der dichter etwas genauer darzustellen, so bricht
er ab mit redewendungen die an die volkstümliche epik er-
innern. Entweder gibt er dafür gar keinen grund an, sondern
erklärt einfach: 6988 von den ich niht sagen tvü, 17295 des
Jean ich leider niht gesagen, 17311 kan ich ze rehte niht gesogen,
25056 des wil mins herzen meine verswigen. Oder er erklärt,
seine kraft reiche nicht aus gegenüber der schwere der auf-
gäbe: 1422 des moht ich künden niht, und het ich eine tüsent
herzen sin, 18636 da zuo ist ze trcege min zunge in dem munde,
23129 des sage ich niht, mir wcer ze laz min zunge, soU ich
künden daa, 25044 daz wcer ein groziu bürde ze sagende der
Zungen min. Er fürchtet die leser zu langweilen: 2853 ich
weiz ez iuch verdruzze, 9178 daz künde iuch Ühte bringen den
sinnen groz urdrütze und wcer da zuo unnütze, 24934 ez möhte
niht gehelfen das ich iuch seite mcere. Er will die erzählung
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STUDIEN Zu REINFBIED VON BBAUN8CHWEIG. 475
nicht zu lang aasspinnen: 7335 dcus wißr ee lanc hemasret,
11409 diu rede ward ze lanc, 12321 ez würde gar ze vil (13971).
d) Rhetoiisolie tragen nnd ansmfe.
Geht schon aus dem eben angeführten hervor, dass der
dichter sich im beständigen zusammenwirken mit seinem publi-
cum fühlt, so wird das aus dem folgenden noch deutlicher
werden. Ganz wie Gottfried nimmt er seinen hörem fragen;
die er sich von ihnen gestellt denkt, gleichsam aus dem mund
und beantwortet sie selbst; entweder mit ja oder mit nein —
dann leitet er die fragen mit ob ein: 466 ob iemen da wcer
gemde umb ire guoi? ja, der was vil (882. 1052. 1060. 1080.
1370. 1570. 1718. 1734. 1844. 2876. 9562. 10366. 16302. 17472);
1336 ob iemen da gepfendet an fröuden würde dur den nit?
nein . . . (1392. 9516. 10746. 17398); oder er lässt bejahungs-
und Verneinungspartikel weg — dann leitet er die frage mit
wie oder einem fragepronomen ein: 1766 wie sich der wandeis
frie von Brüneswic gehüebe? in dem genibel trüebe . . . (8276.
9008. 10290. 15386); 1836 wes er in nu geniezen Ut daz er in
niht her under warf? niemen mich des fragen darf (9548.
9790. 27288; — vgl. über diesen gebrauch bei Wolfram: Foerster,
Ueber spräche und poesie Ws. s.35 — 38).
Zu solchen rhetorischen stilmitteln gehören ferner ausrufe,
die der dichter nach der manier der volksmässigen epik ein-
streut, um die erzählung lebendiger zu machen. Meist be-
ginnen sie mit der interjection ei (vgl. Erec 8856. Trist. 9160.
Parz. 133, 21. 525, 24. Borchling, Zum jung. Tit. s. 122): 222 ei
got, waz strenger blicke si girdediche schiuzet! (624. 956. 1418.
1808 etc.); 668 we wel ein vingerzeigen huop sich von den
Hüten! (2030. 2058 etc.); 2116 ach une schon geböuget üz wizer
stirne glizzen, rehi als si dar gerizzen wceren, brüne bräwen!
e) Anredem an die mlidrer.
Sich bisweilen direct an ihre zuhörer zu wenden, pflegen
fast alle mittelhochdeutschen dichter; Eilhard tut es (s. Liechten-
stein, QF. 19, CLxxviii), Veldeke, Hartmann, vor allem aber
Wolfram, der ja überhaupt der subjectivste unter seinen dich-
tenden Zeitgenossen ist. Ganz besonders ist es sitte in den
spielmannsepen.
Der dichter fordert z.b. seine hörer zur aufmerksamkeit
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476 GhEBEKE
auf: 8322 waz nu der hünc gebiete, dag hcsrent (9184. 9816.
10170 etc.). Er erinnert sie an etwas was er vorher erzählt
hat: 9359 als ir da vor hänt vernomen (9427. 9492. 9682. 9744.
11222. 12079 etc.), 10244 als ir da vor hörtent jehen, 12159
als ir hänt gehört (10537. 12418); 8384 als da vor ist ge-
sprochen, 9452 als iuch diu mcer gekündet sint, 12101 als ich
da vor hän geseit, 12165 als da vor geschriben stät
Er kommt ihrem Verständnis erklärend zn hülfe: 584 si
fuoren zuo dem hänge dar, ich mein Fontändgrtsen (564.
1188. 2805; — Trist. 2969. 4782. 4805. 4989 etc. Part 3292).
Er versichert ihnen die Wahrheit des erzählten: 13380
geloubent mirs, 15332 ob ir mirs geloubent, 19324 swer des niht
geloubet, des mag ich niht, ee ist ie war.
Etwas ähnliches, wenn anch nicht analoges, das aber doch
am besten an dieser stelle erwähnt werden mag, ist es, wenn
der dichter viele ereignisse nicht einfach objectiv erzählt: 'so
und so geschah das' oder: 'das und das geschah', sondern das
zu berichtende nach spielmannsmanier gleichsam aus der Wahr-
nehmung anderer darstellt, d. h. also abhängig macht von Wen-
dungen wie man sach, man horte, man vant Derartiges finden
wir ja auch bei anderen dichtem, so bei Wolfram (vgl. Foerster
a. a. 0. s. 26 f.) und in etwas stärkerem masse bei Eonrad. In
manchen partien des R. — mir sind besonders die kämpf- und
tumierschilderungen in dieser beziehung aui^efallen — wird,
man möchte beinahe sagen jeder satz von einer solchen Wen-
dung abhängig gemacht. In den versen 11297 — 11554 z. b.
zähle ich 13 man sach und 5 ma/n horte; und solche fälle ge-
hören durchaus nicht zu den Seltenheiten.
3. In der composition des ganzen.
Terhältnis tob eplsoher enählnng and reden.
Eine sehr auffällige erscheinung der darstellung ist das
starke hervortreten der reden, vor allem des dialogs, und zwar
haben die gespräche meist eine ganz respectable länge. Ich
hebe z. b. die Zwiesprache Reinfrieds und Yrkanes in der hütte
hervor, als sie sich beide ihre liebe bekennen. Sie umfasst
800 verse (v. 2940—3745). Ich erinnere an den abschied Yr-
kanes von ihrem vater, der seiner tochter gute lehren mit auf
den weg gibt, die allein 200 verse ausmachen (v.11588 — 11784).
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STUDIEN Zu BEINFRIED VON BRAUN8GHWEIG. 477
Mehrmals redet der dichter die fran Minne an und lässt sie
antworten (v. 6310— 6318. 8687—8718. 8752—8800. 26140—
26148). — Ein beträchtlicher teil der handlang wird in den
gesprächen abgewickelt.
Auch monologe, in denen uns der dichter den seelenzustand
der Personen zu entwickeln sucht, sind nicht selten. Yrkane,
von liebe zu Beinfried ergriffen, strömt ihre empfindungen in
Selbstgesprächen aus (v. 1655—1692. 1698—1706). Reinfried
hat sich im tumier ihren kuss verdient, nun steht er ruozig
vor der errötenden Jungfrau, seines lohnes harrend — da lässt
der dichter Yrkane, ehe sie den mund bietet, erst reflezionen
anstellen (y. 2077— 2101). Der ritter der Beinfried und Yrkane
hat aus der hütte kommen sehen, erwägt in mehreren mono-
logen, wie er das geschaute auffassen und wie er sich dazu
verhalten soll.
Bisweilen werden solche Selbstgespräche so lang aus-
gedehnt, dass der dichter völlig den Zusammenhang vergisst
und den personen worte in den mund legt, die ganz und gar
aus dem rahmen der rede herausfallen und die illusion zer-
stören. Das auffallendste beispiel ist dies: Yrkane wendet
sich an gott mit der bitte um ein kind und erinnert ihn in
einem langen gebete (v. 12974—13172) an ähnliche fälle, in
denen er auch noch spät wider erwarten sich gnädig erwiesen
hat; sie erzählt in aller ausftthrlichkeit die geschichten von
Anna und Joachim, Elisabeth und Zacharias, endlich Samuels
geburt, wie dessen mutter Anna zum priester Hell in den
tempel kommt, wo der gdübede arke mit Mayses toünschel-
ruote, Aarons reis, den gesetzestafeln und einem eimer voll
himmelsbrot aufbewahrt wird. Dabei heisst es mitten im gebet:
13124 sf4^er tveUe daz im tverd bekant die dinc üf ein ende,
ee den fünf buochen sende ich in die man Moysenen git u.s.w.
Aehnlich 15904 ff.
n. StUistiBOhe eigentümliohkeiten in der grammaÜBOhen
oonstruotion.
1. Wideraufnahme eines vorausgeschickten begriffes:
a) eines Substantivs durch den artikel oder ein pronomen.
Das ist im wesentlichen ein stilmittel Gottfrieds, worin ihn
Eonrad mehr als Budolf nachahmte. Der dichter des Beinfr.
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478 GKBEKE
verwendet es in einfacher weise häufig, wenn nämlich das
vorausgeschickte Substantiv und der dieses wider aufnehmende
artikel unmittelbar neben einander stehen: subject: 120 sm üp
der hat wol ritters kraft, 128 ein man der mae . . . (566. 674.
686. 944. 1000. 1054. 1156. 1256. 1846. 1889. 2276. 2518 etc.);
— object: 1030 sin sper dcus sluoc er under (1354. 1886. 2156.
8670 etc.). Seltener bei eingeschobenem relativsatz: 4532 diu
ndt, diu mich getroffen hat, diu muoe ir werden iunt (8408 t
9708 f.).
Vereinzelt nur sind solche fälle, wie sie Eonrad liebt^ in
denen das nominale subject aus einem conjunctionalnebensatz
herausgenommen, als Vordersatz absolut vorangestellt und dann
an der ihm gebührenden stelle durch ein pronomen ersetzt
wird: 13644 diu reine soMenbcere, do si stnen willen sack,
euo im si rette unde sprach (Engelh. 1267. Part. 365. 444 885.
10492. 12576. Troj.4808. 9529. 19640. Schwanr.64. Pantl965.
2073. Otte 69).
Eine art von prolepsis nach antiker art entsteht, wenn das
subject eines abhängigen satzes (meist eines indirecten frage-
satzes) aus diesem herausgenommen und in die construction
des regierenden satzes eingefugt wird: 1078 er saeh Parlüsen
wie er hielt, 10443 fragte in wunder nuere umb ir vart wie
diu wasre, 11439 . . . wart in kurzer pflihte gemachet ein ge-
rihte ,.., der aventiure kröne wer sie hett errungen (12129 ft
17668 ff.).
Bisweilen wird dabei die construction überhaupt über bord
geworfen, so dass das absolut vorangestellte Substantiv, auf
das ein besonderer nachdruck fallen soll, einfach ausser Satz-
zusammenhang steht: 1480 sin künecUchez wäfenkleit, swer daz
prüefen welle, von golt ein lichter pfeüe was sin coverHure;
16696 manic kreftic adcmtast, onichil und karfunkel^ ob diu
näht was tunkel, diu wart von in erliuhtet; 21504 diu buoch
diu er verslozzen hat vor menschlicher wer, den slüzzel warf er
in daz mer (189821 195961 20320 ft).
b) irgend welcher orts-, zeit-, Verhältnis- oder Umstands-
bestimmungen durch die partikel so: 4952 äbent unde morgen
so wuohs daz bitter trüren (16732); 5500 an sinem and^licke
so moht man . . . ; 5670 dur dl daz riche s6 wirt schier diz
ma^re kunt (12178. 12240. 13570. 22218. 22342. 23476); 186 da
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STUDIEN ZU REINFBIED VON BRAUKSCHWEIG. 479
von so hin ich . . . (6871. 6936. 10853. 11416 etc.); 8929 en
daz sowas,.,; 12404 da na so wart . . . (12416. 12572. 15049.
16554. 17580. 17946. 20528 etc.). Auch diese construction führt
auf GrOttfried und seine schule zurück; s. Trist. 11152. 11475.
Engelh. 2057. 3488. 3918. 6000 (da von so). 5080. 5096. Part.
1396. 1750. 1908. 1926. 2494 etc. Aehnlich ist: 6104 U der
stunt do markte ..., 14498 hie vor dö gie . . . , s. Trist. 7418.
12476. 18837. 19129.
2. Wideraufnahme eines vorausgeschickten satzes
durch das demonstrativpronomen.
Es wird z.b. ein substantivischer relativsatz vorausgeschickt:
12386 swaa von music ie dorne von ror und seifen wart gehört, daB
hört man hie, 12516 swes üf erde ie fürst gewan teil, des hat
er volle kraft (12400. 13732. 15646. 16250). Konrad kennt diese
construction gleichfalls; ich eitlere nur Engelh. 1914. 5878.
Proleptisch wird der relativsatz bisweilen aus einem dass-
satz herausgenommen und mit nachdruck vorangestellt: 2238
ich wetz wol, swen ir ermel solt lieplich unibe^^ähen, daz dem
müese nahen fröude und höchgemüete (17726 ff. 21122 ff.).
Ein anderes mal weist das demonstrativpronomen auf einen
vorausgehenden dass-satz: 2108 daz sin herze niht enbrastvon
fröuden, daz was wunder, 14912 daz niht der reinen Jierze spielt,
daz was ein grözez wunder, 24084 daz sin herze niht enbrach
von leiden, daz was wunder. Dieselbe fast formelhafte Wen-
dung findet sich Trist. 16673. 18476. Engelh. 1980. 3596. Part.
7912. 11966.
Steht nun ein hauptsatz (a) mit zwei nebensätzen (b und c)
in einem Satzgefüge, in der weise, dass in prosa das ganze die
form bac oder cbca haben würde, so ist dafür im R oft die
Stellung bca, weshalb dann meist b in c und c in a durch ein
demonstrativum oder sonst irgendwie wider aufgenommen
werden muss. Wir erhalten eine schachtelconstruction, wie
wir sie z. b. bei Wolfram nicht selten lesen (vgl. Paul, Mhd.
gr. § 376): 4070 swer sinen willen ziuh^t an aUez daz des er
begert, wirt der wilent missewert, des enist kein wunder; 5632
ist aber daz ez also stät in zomes gelimpfe, daz er sich mit
schimpfe gen dir hat missehüetet, wirt daz von mir gegüetet, des
solt du versprechen niht (1114 ff. 1132 ff. 2106 ft 8828 ff. etc.).
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3. Fehlen des subjects.
Im zweiten gliede eines satzes, dessen beide glieder ver-
schiedene snbjecte haben, wird das subject öfters nicht beson-
ders ausgedrückt, sondern moss aus irgend einem worte des
ersten gliedes oder ans dem Zusammenhang erraten werden
(Paul, Mhd. gr. § 881): 904 iettceders schüt da nider brach und
wurden auch der helme bar, 5750 man vant in ae PaHse und
hat verjämert sieh also, 8602 für in bälde wart gerant und bot
im an der stunde den brief (1036. 3217. 4156. 6716. 6964. 7022.
8574. 8662 etc.).
Aus der volkstümlichen epik stammen: 1010 ein grozez
ras was apfelgrä, 1465 ein kreßic ros was stark, 21896 dajg tet
ein künc hitz Hercules (construction axo xoivov; vgl Paul, Mhd.
gr. § 385).
4. Wortstellung.
Wo sich im R. erhebliche abweichungen von der Wort-
stellung der natürlichen rede finden, sind diese meist aus
metrischen gründen zu erklären. So geht z. b. einige mal im
hauptsatze das object dem regierenden zeitwort voraus: 2576
minne ir scharpfen wäfen Mt über mich gewetzet (12022 ff.
26648 f. u. ö.). Das verbum flnitum steht im hauptsatz hinter
dem participium verbi: 1284 ir senfter blic durgangen hcU gar
sines herzen sin (4470 ft, auch 4722 f. u. ö.); oder ein hfilfsverb
hinter dem von ihm abhängigen zeitwort: 3236 hochgedenke
bringen mir künnent tiefe swcere (4954 1 u. ö.). In zwei fällen
ist in sehr auffälliger weise das verbum von den ihm zu-
gehörigen Satzteilen durch eine reihe von eingeschobenen
Sätzen getrennt; vgl. 10418—10423. 11876—11884.
Die fragende Wortstellung in einem mit und angereihten
Satze, die ja im mhd. an sich durchaus nichts incorrectes hat
(Paul, Mhd. gr. § 330, 2) ist eine sehr beliebte redeweise Kon-
rads, und der Beinfrieddichter ahmt auch hierin seinen meister
nach: 976 dar an ein segel was gestraht ... und kund der
unden sliezen u.s.w.; 1156 sin herz daz hat gebüdet si nocA
siner girde und was ir höhiu wirde alsus in sinem sinne (1294.
1512. 1587. 1998. 4113. 5254. 5532. 5940. 7123 etc.).
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STUDIEN ZU BEIKFBIED VON BBAUN8CHWEIG. 481
B. Sprache.
Die folgende Untersuchung beschränkt sich auf einige
bemerkungen zum Wortschatz des R. Der Wortschatz verrät
die alemannische heimat des dichters und zeigt also neben
dem, was allen verwanten epen gemeinsam ist, specielle be-
rOhrungen mit der spräche der übrigen alemannischen dichter.
Doch finden sich auch ausserdem noch eine ziemliche anzahl
von seltenen ausdrücken, die höchst spärlich oder sogar über-
haupt nicht weiter zu belegen sind. Bartsch hat am schluss
seiner ausgäbe alles was ihm dem dichter eigentümlich zu sein
schien, in einem reichhaltigen Wörterverzeichnis zusammen-
gestellt. Ich greife nun davon heraus, was, wie ich glaube,
sich der dichter bei dem Studium seiner Vorbilder aus diesen
angeeignet hat. Es wird sich ergeben, dass besonders Eonrad
von Würzburg von einfluss gewesen ist.
116 muotgehist (10949. 13987. 14599. 14607. 14638. 16961);
— besonders oft bei Konrad: Silv.4542. Part. 5893. Troj.9825.
16959. 17853. 20552. Lied 32, 51 und 312; sonst noch: Virg.
151, 2. 269, 9. 554, 12 (einfluss Eonrads).
221 gesten (2051. 4352. 4436. 4407. 6889. 11395); — spe-
cifisch alemannisch und darum natürlich bei Eonrad nicht
selten (s. Haupt zu Engelh. 301).
461 Jceiserltch (161. 171. 478. 618. 665. 716 etc.) und zwar
in der abgeblassten bedeutung ^prächtig, herrlich'; zuerst im
Trist. 690. 708. 1026. 1317. 6622. 11216, dann häufig bei Eon-
rad: Silv. 147. Herzm. 140. 297. Engelh. 864. Schwanr. 279.
1225. Gold. schm. 260. 947. 1757. Part. 286. 1534. 2219. 8542
etc. (vgl. Preuss s. 62. Haupt zu Engelh. 863).
481 melm (1932. 17356); — ein lieblingswort Eonrads:
Engelh. 2605. 4783. Tum. 388. 441. 867. 919. Part. 5312. 5736.
13818. 15181. 19058. 20682.
712 durchschrenzen (1770; schranjs 7546. 10748. 11138).
20075 1 engmzet : eerschrenzet 26249 f.; — Engelh. 2601 f. Silv.
4915 f. Pant. 347 f. 1547 f. Troj. 17781. Part. 6148. 8265. 18270.
18352. 21702.
735 sich rüsten üz ze velde mit offmUcher melde (7413 £
15627 1 16219 f. 16595 f. 17264 f. 24285 f. — 11203 1 16324 f.);
— Schwanr. 894 f. Troj. 25564. 30175 f. Part. 3413 f. Tum. 188 f.
B«itr*ge snr gMdhiohto der deataohen ipnoli«. XXIII. 3|
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482 OEBEKB
960 stäef (17132); — nur noch PartoiL3321, 7458. 21087.
Troj. 25579. 30603. 39193.
1418 {süeee) nottm (10366. 11472. 22017. 22273. 22394.
26092. 27539) aus Trist, bekannt (3515. 3521. 3532. 7612. 7999).
Hierbei möchte ich bemerken, dass sich im B. eine merkwfir-
dige bekanntschaft mit musikalischen fachausdrflcken zeigt
Abgesehen von der auch sonst nicht seltenen zusammenstellimg
harpfen, rotten, gtgen, pfifen, tamburen etc. werden weiter ge-
nannt y. 23294 ravenne (sonst unbekannt) und eitoUen (noch
Erlös. 1085. Frl. 256, 5; vgl auch Schmeller, B. wb. 2, 1164);
T. 22390 tc% tccene wol dag alle hunst von armonie (FrL 18, 2.
313, 15. 362, 5. Erloes. 950. 9187) und süeee simpfonie Me gm
was als ein wiche. Besonders hervorzuheben sind aber die
verse 23080 ff. Da werden genannt qvinte, diseante, fcUsete,
oetdv, guarte, bidure und bhitolle.
1448 presse (= schar 7956. 11198. 11250); — hftuflg nur
bei Konrad: Otte37. Tum. 254. Troj. 31337. 31770. 32655. 32955.
33632. 34201 u.s.w.
1575 wünsehelris (4150); 4414 wünsekdruote (6352. 12950.
13106); — Engelh. 3000. Gold. schm. 664. 1312. Troj. 2217. Lied
11,43 (j.Titl247. 3629. 4146. 4692. 4980).
1787 gneixt (11307); — Pant. 256. Schwanr. 1001. Troj.
410. 3958. 12584.
1852 rcesen (2094); 9214 gehUiemet und geraset (19226) =
Part. 3646. SUv.835 Engelh. 478. — Troj. 16194. 24478. Konr.
lied 1,231. 10,8. 31,11.
1921 maMe (11275. 15753); — beliebt bei Konrad: Part.
15180. 15483. Tum. 933. 1062. Troj. 32592. 32939. 34310 n.8.
3300 lantvarcBre\ — Engelh. 2830.
4760 gihUe; — Pant. 638. Tum. 13.
5235 spetten; — Trist. 4059. 8618. 17566. BarL 267, 30.
6056 endelich (6065. 6166. 7616. 7706. 19837. 20388 U.Ö.)
findet sich zwar bei Wolfr., Walt, Nib. etc, audi im Trist, nir-
gends aber so häufig wie bei Konrad: EngelL 166. 1336. 14S7.
1703. 2130. 4260 U.Ö. Part 1457. 2873. 3085. 12605. 13815.
14853. 14946. 15620. 17035. 17674. 17746. 19977. 20858. 21198.
SUv. 1503. Troj. 161. 1942. 23682 u. ö.
6160 gezie (6173. 8627. 10538); — nur noch Engelh. 4019
(ygL Haupts anm.). 4494.
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STUDIEN Zu BEINFBIED VON BBAUNSCHWEIO. 483
6869 wiäersache (11296. 22905); — nach Jänicke (zu Wolfd.
D4,52,2) ein bei Eonrad sehr beliebtes wort.
7069 (lasters vO) gebrimoen (12487); — Engelh. 5427. Part.
17704. Gold. schm. 371. Otte 563. 567. Süv. 3967. Troj. 1294.
1489. 10520. 10728. 23597 n. ß.
7335 hemmen (19438); — Trist 125. 17231.
8442 anspräche (= anklage); — Trist. 15420 (Kedits-
denkm.).
8870 («r Mhee adel) ertie (11163. 15083); — Engelh. 2787.
Gfold. schm. 1438.
10909 durdinehtic', — Trist. 10235. 12452. 16968. Pant340.
477. Part. 3115. 6297. 6346. 6557 u.ö. Troj. 4719 u. ö. (sonst
noch Pass.).
11606 enpflcehen, 14852 flauen; — lieblingswort Eonrads:
Engelh. 4341. 6207. Gold. schm. 20. Troj. 2013. 2881. 3417. 8819.
10425. 12172. 23099. Part 4662. Schwanr.405.
n84k7 jämerunge (26129); — Part 18639. Troj. 525. Herzm.
521 CVirg.55,8. Pass. K 590, 3).
11999 (mnder metvels) underbmt (10230. 26621); — EngelL
1067. 1112. 1240 (vgl Haupt, anm. zu 1067). Gold. schm. 1630.
Süv. 3026. Part 6521. 8403. 9449. 9901 etc. Troj. 437. 528. 3210.
10187. 15430. 18714 etc.
16564 umbetüUet; — nur noch Engelh. 1916. Troj. 20662.
18396 lanMviere; — nur noch Part 9112. 11103. 19857.
2453. 2503. Troj. 11913. 37509. Schwanr.417. 531. 791.
23610 hielgeamde; — Trist 2385.
27542 verkUmem; — Trist 11627.
Die adjectivbildungen auf -beere, die Eonrad bevorzugt,
sind auch im ß. häufig: einbtere 4234, frähtdKere 13160, fröude-
btere 15351. 18538, Magebcere 4584, minnebtere 4254. 5436, seelden-
beere 9498, senebme 4584, eiufeebme 4520. 4608. 9564, »orgen-
htere 2270, sMfbare 16409, tröstbesre 14437. 15458, wtmdeJbme
19471 (13804).
HALLE a.S. PAUL GEREEE.
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DER ^-UMLAUT UND DER WECHSEL DER
ENDVOCALE A : I(E) IN DEN ALTNORDISCHEN
SPRACHEN.
L Der Wechsel der endyocale a : i{e).
Wie bekannt, haben die an. sprachen den endnngsvocal %{t)
in partt. wie isl. hundinny aschw. hundin, obgleich die ent-
sprechende form z. b. im got. den endungsvocal a hat: iundßms
etc. Aehnlich verhält sich die Sache in gewissen Substantiven.
So ist der name des vornehmsten gottes der isl. mjrthologie
6pinn\ derselbe name ist ein bestandteil des aschw. Opinsdagherj
während er z. b. im ahd. Wuotan mit -an- lautet Auf der
anderen seite wird auch in den an. sprachen die ableitungs-
silbe -an- verwendet, z. b. isl. aschw. aptan(n)j isl. mannUkan,
aschw. bundan neben bundin 'garbe' etc.
Worauf beruht der Wechsel -tn- : -an- in isl. bundinn : got
bundans etc.?
Bei der beantwortung dieser frage müssen wir vor allem
die passiven partt. untersuchen; später werden wir in kürze
auch andere kategorien von Wörtern mit -an- : -tn- beleuchten.
Arkiv 1, 150 ff. hat Noreen die hier ausgeworfene frage zu be-
antworten gesucht Nach ihm dfirfte man in isL bundinn etc.
durchaus nicht eine entwickelung von a zu t annehmen, son-
dern der endungsvocal i in diesen und ähnlichen formen mfisste
immer auf ein germ. i zurückzufahren sein. Zum beweis
dafür führt er einige wenige Wörter aus den alten sprachen
mit t- Umlaut an, wie das isl. adj. hräsinn, aschw. srpm, sowie
verschiedene partt pass. aus modernen (besonders norwegi-
schen) mundarten, z. b. byMi^) (= isl. bundii)^ grem (= isl.
1) n = palatales n.
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DBB Ä'WIjAXyr ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 485
grafU) etc. Er meint (s. 160), dass die alte spräche nach dem
Zeugnis dieser modernen dialektformen im part. einmal einen
Wechsel bundinn : *byndinn etc. gehabt , dass *bffndinn sich
aus bundin- in den casns mit dem germ. soffix -in- entwickelt
habe, dass aber der wurzelvocal in bundinn nrsprttnglich in
den casns zu hause sei, die nicht den suffixyocal i, sondern
entweder den vocal a, u oder möglicherweise keinen ableitungs-
Yocal besassen (vgl. a. a. o. s. 152 ^) ).
Diese hypothese Noreens grfindet sich also wesentlich auf
einige formen aus ganz modernen mundarten; desgleichen sieht
er sich genötigt, analogische ausgleichungen in unendlich grosser
ausdehnung anzunehmen.
Ich kann mich dieser seiner auffassung durchaus nicht
anschliessen.
Schon Söderberg hat Forngutn. Ijudlära s. 9 anm. richtig
hervorgehoben, dass verschiedene an. Wörter das germ. suffix
'in- haben, das in gewöhnlicher weise t-umlaut bewirkt hat,
z. b. aschw. tfpin 'offen'. Ein beispiel von dem suffix -in- liegt
wahrscheinlich in dem umord. part. haitinan auf dem Tanum-
steine vor, wie Bugge hervorhebt (Arkiv 1, 152, anm. 1), und
wir werden unten sehen, dass man in 6iner gruppe starker
verba vielleicht in den partt. pass. das suffix -in- hat (part.
bitinn etc.).
Von hier aber ist es ein gewaltiger schritt zu Noreens
annähme, dass ein an. -in- immer ein germ. -in- repräsentiere;
eine auffassung die Streitberg, Urgerm. gramm. s. 195 zu teilen
scheint
Ich will zuerst nachzuweisen suchen, dass die hier refe-
rierte auffassung nicht richtig sein kann, und später die regel
aufstellen, nach der germ. -an- (unter gewissen umständen) in
an. 'in- übergieng.
Die germ. schwestersprachen got., as. und ahd. haben im
part. pass. ein germ. -an-, z. b. got. bundans, as. gibundan, ahd.
gibuntan.^) Schon dieser umstand spricht kräftig daffir, dass
auch die alten nord. sprachen im part. pass. ein germ. -an-
0 S. 152 z. 2 und z. 6 steht — offenbar durch druck- oder Schreibfehler
verschuldet — amfjudda statt oom^iudda.
*) Ueber ags. bunden vgl. unten s. 497 fussnote.
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486 KOCK
haben, d.h. dass isl. bundinn ans einem älteren *bundanaR
entstanden ist.
Aber vor allem zeigen die eigenen lantyerh<nisse der
an. sprachen, dass der snffixvocal nicht i gewesen sein kann,
sondern a gewesen sein mnss. Ich erinnere an verschiedene
kategorien isländischer participia pass.
Verba vom typns bresta : brast : brustu : brosünn haben
im part. pass. o, das nach der allgemeinen ansieht dnrch a-nm-
lant ans u entstanden sein mnss. Das part. brostinn hat
lange Wurzelsilbe; also würde ein umord. part *brustinaM
mit snffixvocal i mit notwendigkeit in allen casus i-umlaut
erhalten haben: *brystinn, *brystinSj '^brystnum etc. Es findet
sich aber kein *bry$tinn. Doch nicht genug hiermit Dem
part. brosünn fehlt nicht nur der i-umlaut, sondern es hat
a-umlaut Dies zeigt, dass brosünn aus einem älteren *6ro-
stanaR < ^brustancus mit dem snffixvocal a entstanden ist
Sollte nun wirklich die geringste Wahrscheinlichkeit dafSr
vorhanden sein, dass brosünn eine compromissform aus einem
verlorenen ^brysünn und einem verlorenen "^brostann (bez.
einer umord. form ^brostn- ohne snffixvocal) wäre?
Natürlich gibt es in den sprachen vereinzelte compromiss-
formen, entstanden durch das zusammenwirken zweier später
verlorener formen. Aber hier an compromissf ormen zu denken,
scheint mir unmöglich zu sein. Man möge sich nämlich er-
innern, dass Noreen zu der annähme gezwungen ist, die aller-
meisten isl. und aschw. partt pass. seien als ein compromiss-
product aus formen entstanden, die in den alten sprachen
nirgends nachgewiesen sind.
Dies sollte z. b. in der gruppe, zu der bresta gehört, auch
mit folgenden partt der fall gewesen sein: bolginn, dottinn,
goUinn, holfinn, sorjnnn, skolUnn, skroppinn, sloppinn, snortinn,
sprotÜnn, solginn, soüinn, soUinn, sorfinn, oUinn, orpinn^Porrinfi,
borginn, goldinn, holpinn, skolfinn.
Ebenso aber oder im wesentlichen ebenso verhält es sich
mit den meisten anderen gruppen von starken verben.
Verben vom typus bera : bar : b^ : borinn haben gleich-
falls im part. pass. (borinn) a-umlaut und keinen t-umlant.
Nach Noreens hypothese würden die lautgesetzlichen formen
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 487
*borann und "^byrinn gewesen sein, aber keine von beiden ist
nachgewiesen. Hierher gehören die partt. sJcorinn, stoUnn,
stropinn, ofinn, tropinn (kominn, sofinn).
Verba wie binda : hott : huniu : bundinn können, wie
bekannt, im part pass. keinen a-nmlaut haben, weil dem u
ein nasal + consonant folgt. Da aber die wnrzelsilbe lang
ist, wurde das sufflz -tn- in allen casus umlaut bewirkt haben.
Nichtsdestoweniger findet sich in der alten spräche nur bun-
dinn, bundnir etc., niemals *byndinn etc. Hierher gehören die
partt. spunninn, hnmdinn, sprunginn, siunginn, summinn, un-
dinn, unninn, brunninn, driMcinn älter *drunkinn, runninn,
sunginn^)y funninn^), slunginn, prunginn. Hierher gehören
auch krokkinn (zu hrekkva), stokhinn (zu stekkva), sokkinn (zu
sekkva), welche o aus älterem u bei der assimilation von nk
zu kk bekommen haben; älter *hrunkwenB etc.
Partt. wie alinn zvl ala : 61 : olu : alinn haben, wie be-
kannt, niemals i-umlaut, wo dem wurzelvocal ein anderer con-
sonant 9}& k, g folgt: farinn, gcUinn, grafinn etc. Bei Wimmer,
Fomnord. formlära § 120 werden 18 derartige participia auf-
gezählt, wenn man ddinn^ älter *däwenn, mitrechnet Dagegen
haben hierher gehörige yerba palatalumlaut (worüber unten
mehr), wenn dem wurzelvocal k, g folgt: ekinn, skekinn, tekinn,
dreginn, fleginn, gneginn, hleginn, kleginn, sleginn, pveginn.
Schon längst hat man den umlaut von ä zu ^ in diesen par-
tidpien mit den palatalen consonanten k, g in causalzusammen-
hang gebracht. Arkiv 1, 152 ff. bezweifelt Noreen die richtig-
keit dieser ansieht, und Aisl. gr.^ § 426, verglichen mit § 67,
meint er, tekinn etc. habe t- umlaut nicht in folge des dem
wurzelvocal folgenden palatalen consonanten, sondern weil
diese partt. das urgerm. suffix -in- gehabt hätten.
Diese annähme ist, soweit ich sehe, nicht möglich. Nach
Noreens annähme würden die lautgesetzlichen formen gewesen
sein nom. sg. *elinn, *elin, *elü, in synkopierten casus nom. pl.
etc. dlnir] nom. sg. tekinn, tekin, tekit, nom. pl. etc. *taknir.
Wäre dies aber so gewesen, so bleibt es ganz unbegreiflich,
^) Die biBweilen begegnende wechselform synginn hat y atiB dem praes.
iyngta, vgl. unten s. 406. Ueber die mtfglicherweiBe vorkommende änsserst
seltene anorw. form fynmnn siehe ebenfalls unten s. 495 anm.
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488 KOCK
weshalb alle') verben mit Je, g die umgelauteten formen
(tekinn etc.), dagegen alle verben ohne k, g die unumgelauteten
formen {alinn etc.) gewählt haben.
Nein, es gibt keine andere möglichkeit als die allemächst
liegende, und die ist: den umlaut in tekinn etc. mit ihrem
Palatalen consonanten in cansalzusammenhang zu bringen,
während aUnn etc. nicht umgelautet sind, weil sie keinen
palatalen consonanten haben. Dies aber will mit anderen
Worten sagen, dass weder tekinn etc. noch alinn etc. ein genn.
suffix 'in- enthalten, sondern vielmehr das germ. suffix -a»-.
Dass dies mit partt. wie blandinn, fcUdinn, faUinn, tutUUnn,
hanginn, vaxinn, d. h. mit partt. mit ä und langer Wurzel-
silbe der fall ist, ist womöglich noch klarer. Denn wenn
diese von umord. "^hlandinaR etc. ausgegangen wären, so worden
sie in allen casus i-umlaut erhalten haben, und hier ebenso-
wenig wie bei bundinn etc. kann man compromiss aus den
nicht nachgewiesenen formen *blandann und *blendinn an-
nehmen.
Partt. mit langem a in der Wurzelsilbe: bkisinn, gratinn,
Utinn, rdpinn sind mit jenen gleichzustellen. Desgleichen
partt. mit anderen langen vocalen oder diphthongen in d^
Wurzelsilbe: blötinn^ buinn, aukinn, ausinn, Maupinn.
Dass die allermeisten partt. pass. nicht das germ. suffix
-in- haben, wird auch durch solche partt. wie skroppinn,
hrohkinn, stokkinn, sokkinn mit der entwickelung von u zu o
bei der assimilation des nasals mit dem folgenden consonanten
(< *skrumpenR etc.) bestätigt, denn wie ich Arkiv n.f. 7, 315 tL
nachzuweisen gelegenheit hatte, tritt diese entwickelung von
u zu 0 nicht ein, wenn die folgende silbe t-laut hat.
Wenn endlich die partt. pass. das germ suffix -in- gehabt
hätten, so würden partt. zu verben vom typus dr^a : drap :
dr^pu : d/repinn den sog. germanischen t-umlaut, also ^dripinn
etc. gehabt haben. Das isl. hat aber drepinn, gefinn, getinn,
kvepinn etc. Wimmer, Fornnord. forml. § 116 vei*zeichnet 10
derartige partt.
Ich glaube kein voreiliges urteil zu fällen, wenn ich sage,
0 Sin Yon Noreen, Aisl. gr.' § 428, anm. 3 angeführtes an. gnaget hat
natürlich a vom inf. und praes. gnaga, ebenso wie das aschw. gnaghiiu
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DEB ji-UMLAUT BTG. IN DEN ALTNOBD. SPBACHSN. 489
es wäre ein verzweifelter aasweg, in allen den jetzt discntierten
participien das snffix -in- sehen zu wollen, wodurch man zur
annähme Ton compromissformen im colossalsten umfang ge-
nötigt wird.
Dagegen stellt sich die sache, so viel ich sehe, sehr ein-
fach, wenn man annimmt, dass a in silben mit infortis unter
einer gewissen Voraussetzung lautgesetzlich in e, jttnger i
ttbergieng.
Zuerst erinnere ich an ein paar bereits bekannte tatsachen.
Im gegensatz zu Noreen, Wadstein u. a., die der ansieht
waren, isL nom. sg. -a in Siurla, Ella, ÜräUa, Kempa etc. bilde
die unmittelbare fortsetzung des umord. nonL sg. auf -a, habe
ich im Skand. archiv 1 (1891) 1 ff. gelegenheit gehabt, diese
frage zu erörtern. In den umord. Inschriften hat man eine
recht grosse zahl männemamen, die wie n- stamme flectiert
werden und im nom. sg. immer auf -a endigen: wiwila, erla,
niuwila, harba, fauauisa etc. Da nun die normale endung
entsprechender masc. n-stämme in den nord. litei^atursprachen
'((-e) ist: ttmi, spini, aschw. jcerfc etc., so muss das -a im nom.
sg. der masc. n- stamme lautgesetzlich in -«(-6) übergegangen
sein. Sturla, tr4Ua sind ursprünglich nicht masc. »-stamme,
sondern feminine nomina actionis, die man erst in später
zeit auf männer anzuwenden begonnen hat. SU/trla z. b. be-
deutete ursprünglich 'Störung' (vgl. infin. sturla 'stören');
später wurde es als beiname in der bedeutung 'störer', d.h.
in der bedeutung eines nomen agentis verwendet. Vom bei-
namen gieng es wie verschiedene andere beinamen dazu über,
ein vomame zu werden. Ungefähr gleichzeitig hat auch Bugge
im Arkiv n. f. 4, 18 f. die ansieht ausgesprochen, dass umord. -a
im nom. sg. masc. der »-stamme in den nord. literatursprachen
zu '%{'€) geworden sei, und er meint, dass das umord. -a im
nom. wiwüa etc. 'ein helles a' gewesen sei, das sich dem <b
näherte.
Der a-laut in der paenultima der umord. partt. *bundanaii
hat natürlich ganz anderen Ursprung als das -a im nom. sg.
wiunla etc.; es ist jedoch für unsere frage von Interesse, dass das
-a im nom. sg. der masc. n-stänune in -i (-e) übergegangen ist.
Nach Bugge a.a.O. ist a auch in umord. nom. swesta/r
(Opedal) : isl. systir in i (e) übergegangen.
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490 KOCK
Femer erinnere ich daran, dass das e der wnrzelsflbe vor
nasal + consonant gemeingerm. in i übergieng (also eine ge-
schlossenere ausspräche bekam), z. b. *tendan' > tindim- etc.
Eine hiermit verwante erscheinnng begegnet in den an.
literatnrsprachen. Das anorw. unterscheidet zwischen m (= ent-
standen durch i-umlaut des a) und e (= germ. e-laut). Aber
vor n + consonant ist cb in e übergegangen, z. b. bramna >
brenna; auch « ist in dieser Stellung zu e geworden, z.b.
frcBnda > frenda; s. Bugge in den SmSstykker udg. af samfund
tu udg. af gammel nord. litt 110. Wadstein, Fnorska hom.-boken8
Ijudlära 51.
In Übereinstimmung mit diesen Verhältnissen stelle ich für
die gemeinnord. spräche folgendes lautgesetz auf: a ist in
infortissilbe vor n + consonant in e (später i) über-
gegangen.
Wie in gemeingerm. zeit das e der Wurzelsilbe vor nasal
+ consonant in einen mehr palatalen vocal (t) und wie im
anorw. cb der Wurzelsilbe vor n + consonant in einen mehi* pala-
talen vocal (e) übergieng, so ist in gemeinnord. zeit das a der
infortissilbe vor n + consonant in einen mehr palatalen vocal
(e, i) übergegangen. Da diese lautentwickelung nur in inf ortis-
(nicht in fortis- und semifortis-) silben eintrat, so ist hiermit
zusammen zu stellen, dass wie bekannt lautentwickelnngen
leichter und deshalb oft nur in relativ unaccentuierten silben
eintreten.
Ich erinnere z.b. daran, dass in den nord. sprachen nur
in relativ unaccentuierter silbe y zu i wurde, wenn die fol-
gende Silbe ein i enthielt, z.b. in der relativ unaccentuierten
praep. yfir > isL ifir, asckwAtcir; BSchw.Bosbffggiar > neoschw.
Bospiggar; dagegen isl. aschw. bgggia etc. mit y-laut (s. Kock,
Arkiv 4^ 163 fL). In ähnlicher weise geht im aschw. cb nur in
relativ unaccentuierter silbe in i über, wenn ein gutturaler
(palataler) consonant + i, j. folgt, z. b. annattwcBggia > oHnat-
tfviggia, dagegen ttcrnggia (Eock a. a. o. s. 171 ff.).
Mit hülfe des hier aufgestellten lautgesetzes für die be-
handlung von gemeinnord. a in infortissilbe werden partt wie
bundinn, brostinn, borinn etc. leicht erklärlich.
Das part. brostinn z. b. hat das sufflz -an-. Während der
a-umlautsperiode bekam es deshalb in allen casus a-umlant:
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DER ^-UMLAUT BTC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 491
*brustan(Uf > *bro8tana^ etc. Dieses ^brostanM, jttnger *brostanJi
wurde in gemeinnord. zeit so flectiert:
HS-
Bom.
*bro9tanx *brogUm *bro8tant
gen.
*bro8tan8 *bro9tanRaB *bro8tans
dat.
*bro8tnom *brogtanxe *bro8tno
acc.
*bro8tann *bro8tna *bro8taMt
pl.
nom.
*br08tneR *bro8tnaR *bro8ton
(nom. und acc.)
gen.
*bro8UmBa *bro8tanRa *bro8tanRa
TL8. w.
Nach unserem lantgesetz gieng a m e(t) über im nom. sg.
m. *hrostanR > brostenn, nom. acc. sg. neutr. *bro8tant > bro-
ste(n)t, gen. sg. m. nnd neutr. *bro8tans > brostens, acc. sg. m.
*brostann > brostenn, gen. sg. t *bro8taniwi > bro8tennar, dat.
sg. 1 *bro8tanRe > bro8tenne nnd im ganzen gen. pl. *bro8tanw
> ftro^^na, also in elf casus, unter denen sich die ausser-
ordentlich oft vorkommenden nom. und acc. sg. masc. und neutr.
befinden. Nur in drei casus (nom. sg. fem., nom. acc. pl. neutr.)
fand sich -on. Es ist deshalb ganz in der Ordnung, dass das e (t)
aus den elf casus, wo e(t) lautgesetzlich entstanden war, in
jene drei casus eindrang, so dass man erhielt: brostenn (-mn),
brosten (-in), brostet {-it) etc.
In ganz ähnlicher weise ist z. b. nom. sg. "^bundanR, "^bur^n,
*bundant, nom. pl. *bundneJi, *bundnaB, bundon etc. zu bundenn
(•inn)j bunden (-tn), bundet (-tY); bundnir, bundnar, bunden (-in)
etc. geworden, aber hier ist, wie bekannt, kein a-umlaut ein-
getreten.
Es findet sich aber ein interessantes beispiel der erhaltung
des lautgesetzlichen -on, -an in einem participium. Die nord.
sprachen haben einige wenige beispiele substantivierter neu-
traler adjectiva ohne -t im nom. acc. sg., z.b. /mK; vgl. got
fuU (im gegensatz zu fullata). Ein solches ist auch aschw.
bundon, bundany bundin n. 'garbe'-O Nom. acc. sg. neutr. vom
part bundinn heisst gotisch bundanata und bundan. Die letz-
tere form sollte lautgesetzlich -an beibehalten, da ja dem n
kein consonant folgte, und sehr richtig findet sich dieses got.
bundon in aschw. bundan 'garbe' wider. Das nunmehr (auch)
^) Belegstellen fttr die verschiedenen formen bei Bydqyist, Sv. spr. lagar
2, 115.
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492 KOCK
als sing, verwendete aschw. bundon ist die unmittelbare fort-
setznng des lautgesetzlichen nom. acc. pl. neutr. gemeinnord.
bundon, während aschw. bundin 'garbe' -in aus dem part.
masc. bundinn, gen. sg. m. und neutr. bundins etc. bekommen
hat Dagegen entspricht dem got. bundanata in üblicher weise
nord. *bund€(n)t isl. aschw. bundit mit lautgesetzlicher ent-
Wickelung von a zu e, i.
Während -an- im part. pass. in -en-, -in- flbergieng, weil
ihm in allen casus ein consonant folgt, bleibt an- in infortis-
silbe erhalten, wenn n im auslaut steht, oder wenn ihm ein
vocal folgt
Ich erinnere an folgende formen mit -an in infortissilbe.
Adverbia auf -an: innan, ütan, ofan, nefian, hvapan, paßan,
heßan, undan, sialdan^^) sunnan etc.
Acc. sg. masc. vom adj.: go^an, bUndan etc. (vgL got
blindana).
Fem. subst auf -an (bez. un : gen. -anar^ z. b. shipan, lokkan,
hrapan, blötan etc. 2)
Neutriale a- stamme: isl. mannltkan, gaman, aschw. gaman.
^) Im isl. iflt 8uMan immer adyerb. Im aschw. ist siaidan ebenfüls
so gut wie immer adverb. SMerwalls Wörterbuch fahrt jedoch ein beispiel
(ans Bernhard) an, wo Haidon (sie) als nom. pl. nentr. yerwendet wird:
varin thin ordh faa oc sicddon. Dies kann die völlig lantgesetxliche form
eines gemeinnord. a4j. *8i€ddanR sein; vgl. das oben über aschw. bumdon
gesagte. In iholhin thanke cbt süddan i tordhrike (Birg.) kann sMdan ad-
verb sein. Wenn es (wie es Söderwall fasst) a4jectiv ist, hat es in dieser
äusserst seltenen Verwendung -an ans dem adverb skddan bekommen.
*) Dagegen hat isl. aschw. o&Vt, agntn. dn das snfftx -m- (vgL Söder-
berg, Fomgutn. (jndl. s. 9) oder -in- gehabt. Ein aün : nom. pl. *almaR
kann lantgesetslich *elin : cUnaB nnd durch ausgleichung nom. alm, ein
geworden sein. Der unumgelautete vocal in isl. aschw. dlin kann jedoch
auch auf einem älteren aUn (vgl. got. aleina) beruhen, da langes t kdnen
Umlaut erzeugt (Kock, 8v. landsm. 12, no. 7 s. 27 anm. 2. Arkiv n. f. 10, 223).
Svenskt dipl. n. s. 2, no. 1358 (Uppsala 1410) wird drei mal dUin geschiieben.
Ich lasse dahingesteUt, ob das wort möglicherweise mundartlich hat den
alten i-laut lang beibehalten können, oder ob i in aiün auf späterer mund-
artlicher Verlängerung in Wörtern mit kurzer Wurzelsilbe beruht; v£^. Eock,
Arkiv 4, 87 ff. N. f. 10, 223. Auch das fehlen des t-umlauts in isl. lamn (got.
lauseins), föm, niom etc. kann vielleicht darauf beruhen, dass gewisse caaiiB
(wie nom. acc. sg.) während der jüngeren umlautsperiode in der zweiten
Silbe langes t hatten (*lau8^). Eine andere erklärung habe ich Beitr.
15, 266 vorgetragen.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBO. SPBACHEK. 493
gulfingran, systkan, lekan, satan (thcakan). Da das aschw. auch
lekon, scUon (tcBhan) hat, so war diese endnng -on nrsprOnglich
nur im nom. acc. pL zu hause; ebenso wie auch in systkon.
Hierher gehört auch das im späten aschw. (vgl. ßydqyist 2, 115)
begegnende aaUan : aschw. aldan, dUan, >)
Das pari praes. auf -andi: bindandi etc. spricht natürlich
nicht gegen das von mir aufgestellte lautgesetz. Wie a vor
nd in band etc. mit fortis bestehen blieb (und nicht in e, i
übergieng), so blieb es auch in bindandi etc. mit semif ortis
auf der zweiten silbe. Dass w&rter auf -andi diese accentuie-
rung hatten, geht aus mehreren umständen hervor. So hat
pL gefendr (von gefandi) i-umlaut, welcher in Silben mit in-
fortis nicht eintritt. In aschw. Schriften, die a in silben mit
infortis zu m werden lassen, wird die endung -ande unverän-
dert beibehalten: eghande (nicht eghamde) etc. (Eock, Fornsv.
ljudl.2,367t).
Die von Noreen, Arkiv 1, 158 1 angeführten partt. byAni
(isl. bundit)j grevi (isl. grafit) etc. aus einigen modernen nor-
wegischen (und schwedischen) mundarten haben keine beweis-
kraft für seine hypothese.
Sich in dieser weise auf das zeugnis modemer mundarten
gegen die alte spräche zu berufen, ist, so viel ich sehe, ganz
und gar unberechtigt. Da das aschw. und isL z. b. ausschliess-
lich bundin(n), bundit (nicht '^byndinn, *byndit) haben, so ist
man nach meiner auffassung verpflichtet zu untersuchen, ob
sich byüM, das in dem einen oder anderen durchaus modernen
dialekt begegnet, nicht in relativ später (vielleicht in ganz
später) zeit aus bundinn, umord. *bundanaR entwickelt haben
kann. Erst wenn sich dies als durchaus unmöglich erwiesen
hat, ist man berechtigt, zu einem so entlegenen notbehelf zu
greifen wie der erklärung, das ganz moderne byAAi repräsen-
tiere die uralte lautgesetzliche form (umord. *bundina^), wäh-
rend isl. aschw. bundin(n) auf analogiebildung beruhe. Es ist
doch nicht ohne gewicht für die Sprachgeschichte, ob eine form
700 jähre früher oder später nachweisbar ist.
^) Dagegen hat isl. aschw. aidin das snffix -iiv- (vgl Hellqnist, ArkiT
n. f. 3, 7), was dadurch bestätigt wird, dass das wort keinen t-nmlant hat
(s. oben s. 492 anm. 2). Dasselbe snfBz -in- liegt in isl. aschw. 8y8(tykm
sowie in aschw. anorw. gul(f)ßngrin vor (vgl. HeUqnist a. a. o. s. 5 f.).
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494 KOCK
Es ist nicht sicher, dass alle die von Noreen angefahrten
part.- formen aus getrennten, teilweise wenig nntersnchten
mundarten auf dieselbe weise erklärt werden mflssen; mehrere
von ihnen können sehr leicht dnrch analogieeinwirknng ent-
standen sein.
Ich will aber eine erklämng anfahren, die anf sie alle
angewendet werden kann. Es ist fOr viele norwegische
mundarten charakteristisch, da^ i^e in grosser ansdehnnng
palatale consonanten haben, auch palatales n (hier durch n
bezeichnet), sowie dass dieses palatale i/i auf einen vorher-
gehenden vocal sowol in fortis- wie in infortissilbe palatalisie-
rend wirkt; so wird z. b. mann (= isl. mann) > ma^An (Gud-
brandsdalen), hcBstoM (isl. hestamir) > JuBsta^n (Gudbrands-
dalen) (Joh. Storm, Norvegia 1, 122, 124). Die mundarten in
Viken haben in der regel nur 9 zum endvocal; eine ausnähme
hiervon machen die partt. pass. starker verba, welche -inn
haben, z. b. berinn (< isl. borinn) (Amund B. Larsen, De norske
bygdemäl s.37). Das (ehemals) palatale A des part borenn,
borinn hat hier den t-laut der ultima conserviert, bez. eine
entwickelung von e zu i hervorgerufen. Dies ist um so
sicherer, als man in neudän. mundarten (Djursland) z. b. JuMA
'die katze' (älter kattiAA) mit i und palatalem A findet, dagegen
z. b. sti'n9n 'der stem' (ohne artikel stih%) mit 9 und dentalem -n
(K. P. Thorsen, Bidrag til nörrejysk lydlsere s. 65; vgl. auch Vilh.
Thomsen, Forhandl. paa det fjerde nord. fllologmade s. 215 fL).
Schon in altdän. Schriften (z. b. Mandevilles reise) beg^net ein
ähnlicher Wechsel, z. b. delin 'der teil', d. L deliAA mit « und
palatalem AA, dagegen grafven mit e und dentalem -n (Thomsen
a. a. 0.).
In ttbereinstimmung mit diesen tatsachen ist der Wechsel
byAAi : fuAAi (isl. bundü : funnit) etc. innerhalb desselben dia-
lekts leicht zu erklären, ein Wechsel, den Noreen far seine
auffassung besonders beweisend findet
Im part. masc. bundenn ist das -nn in den betreffenden
dialekten palatal gewesen. Dies wird dadurch bestätigt, dass
man gerade in den partt pass. spruhkiAA etc. im amte Sfid-
Drontheim und in Nordmöre (A.B. Larsen a.a.O. s. 89), also in
gegenden, welche denen wo btfAAi : fuAAi etc. begegnen, geo-
graphisch benachbart sind, stets palatales A hat Deshalb
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DEB ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOED. SPBACHEN. 495
wurde bundeAn zu hundinn (bez. hundiM mit t-laut in der
ultima blieb bestehen, obwol % sonst zu e wurde). Hierauf
gieng hundiMi (durch eine art f-umlaut) in hyndvfin ttber.
Nom. pl. m. bundner, nom. pl. f. bundnar etc. behielten dagegen
natürlich das u bei Hierdurch entstand innerhalb desselben
dialekts ein Wechsel byndinn : bundinn, und in einem verb
{byM%) konnte y, in einem anderen (fuMi) konnte u dnrch-
geffihrt werden.')
Wahrscheinlich ist die entwickelung bundiM > bynAi etc.
relativ jung, jünger als die eigentlich alte spräche. Doch will
ich die möglichkeit nicht bestreiten, dass sie relativ alt sein
könnte. Möglicherweise ist in den betreffenden dialekten
das aus *bundanctB entstandene *bundenR, bundenn durch ein-
wirkung des palatalen nn schon vor dem ende der Jüngeren
i- Umlautsperiode in bundiM übergegangen. In diesem falle
wurde bundiniü in diesen dialekten während der jüngeren
1- Umlautsperiode zu byndinn, während bundnes etc. bestehen
blieb, wodurch der Wechsel byndiM : bundiM in diesen dia-
lekten entstand. Aber wol zu merken: auch in diesem falle
ist byndiM nur eine mundartliche form und hat niemals
in der Vorstufe der an. literatursprachen mit bundinn ge-
wechselt, und auch das mundartliche byndinn ist aus einem
umord. *bundanaR (nicht aus umord. *bundinaB) entstanden.
Im übrigen ist es leicht möglich, dass gewisse unter den
von Noreen angeführten partt.^ z. b. byMi, in irgend einem
dialekt den palatalen vocal der wurzelsUbe durch den einfluss
des unmittelbar folgenden palatalen nasals 9i (nicht durch den
einfluss des % der ultima) bekommen haben: buMi wurde bynni
wie mcmn zu masHin wurde etc.
Die aus dem dialekt von Dalekarlien in Schweden an-
geführten partt. können ebenso wie die partt. der norw. mund-
arten erklärt werden. Die mundarten von Dalekarlien liegen
geographisch den norweg. nicht sehr fem und repräsentieren
0 Nach Noreen, Aisl. gr.> § 422 anm. 5 kommt im anorw. neben dem
gewöhnlichen part. /Wnntnn 'eine seltene nebenfonn' fywniim vor. Ich
weiss nicht, ans welcher qneUe dies fyvminn stammt, vieUeicht ist es nnr
einmal angetroffen worden. Wenn es nicht Schreibfehler ist, so ist es als
eine dialektform zn erklftren nnd mit neonorw. 5yfM gleichinstellen.
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496 KOCK
in mehreren beziehnngen ein Übergangsstadium zwischen nor-
wegischen und schwedischen dialekten.
Ausser den partt. mit palatalumlaut (isl. ektnn etc.) erüb-
rigt nur noch, die von Noreen angeführten partt. aschw. UbÜh,
vcBxin, breien (Westmannagesetz einmal) zu erörtern.
Neben lata (isl. lata) hat das aschw. oft Ußta mit as ans
dem praes. sg. IcBter. Nun ist es äusserst gewöhnlich, dass
partt. pass. auf analogischem wege denselben wurzelvocal wie
das praes. annehmen. So sind im neuschw. die älteren frusii,
nusit etc. (von frysa : frös : frusit etc.) im weichen berufen
vor den neubildungen frysit, nysit etc. Schon im aschw. trifft
man in vereinzelten fällen part. siunkin, siungin, giufin {m-
giutit% statt sunkin, sungin etc. durch einwirkimg von siunia,
siunga, giuta, und im neuschw. sind sjunken, sjungen, gjuien
alleinherschend; so hat das aschw. auch einmal part gioükei
mit i aus giadda und normal JuBwin (vgl isL hafinn) mit <b ans
hwfia. In Viken in Norwegen bekommt das part. pass. den-
selben vocal wie der inl, z. b. frysi (isl. frorinn; nach frysa)^
finni (isl. funnit; nach finna) etc. Da man nun lata : le^ta, aber
part. latin hatte, so wurde — was Noreen ebenfalls als mög-
lich zugibt — dieses latin facultativ zu Imtin (UBtit) umgebildet
Das aschw. verwendet neben vaxa auch oft vcBxa (mit es aus
praes. sg. vcbx oder von einem älteren inl, der dem got wahsjam
entspricht); das part. vtexin hat m aus dem praes. Auch im
späten aschw. (1505) findet sich Einmal das part. breiheik; in
Hert. Fredr. kommt brytin zweimal vor. Auch im adän. be-
gegnet part. bretam (Flensborg bylov), bret (AM. 453, Hert Fr.
nach Lyngby, Udsagns-ordenes böjn. i jyske lov 22 anm.2).
Part, brytin hat y aus dem inl btyta. In breten, bret und das
Einmal um etwa 1500 belegte kleffwen ist e wol aus praet sg.
bret, klef übernommen; vgl. dass umgekehrt o bisweilen ans
dem part. in das praet sg. starker verba eingeführt wurde:
isl. klof siAtt klauf (vgl. part klofinn), anorw. fok statt fauk (vgL
part. fokinn), isL holp 0 statt halp (vgl. part hoJpinn), Zur ein-
führung von e in bret (breten) hat wahrscheinlich auch das
verb aschw. breta 'bryta mark' (part. hretter\ isL breyta ^op-
bryde, gjare fremkommelig' beigetragen.
0 Diese praet-formen erwähnt Noreen, Aisl. gramm.* § 413 aam., § 422
anm. 5, ohne eine erklärong fttr sie in geben.
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DER ^-UMLAUT ETC. DI DEN ALTNOfiD. 8PSACHSK. 497
&ine gruppe von partt. bedarf speciell einiger worte der
erläntenmg. Die verben vom typus bOa : beit : bitu : bitinn
haben alle in der paenultima des pari i (ausser bepinn von
btpa). Dies ist aber in völliger Übereinstimmung mit der
vocalisation der entsprechenden partt. im ahd.^ as. und ags.;
man findet ahd. bisjfan, as. bitan, ags. biten^) etc. Da diese
partt. in den anderen germ. dialekten trotz dem -an- im ahd.
und as. keinen o-umlaut von i haben, so ist es durchaus nicht
Überraschend, dass ein nord. *bitan(iB, isl. bitinn auch keinen
a-omlaut von i hat.
Ich denke mir, dass das fehlen des a-umlauts in diesen
partt. der germ. sprachen auf eine der folgenden weisen er->
kl&rt werden kann.
Durch einwirkung des praet. pl. mit i (vgl. isL bitu etc.)
konnte i in den germ. dialekten, in denen hier a-umlaut von i
eintreten sollte, im part. bitan- bestehen bleiben (vgl. unten
und Paul, Beitr. 6, 84). Ich erinnere daran, dass in den ost-
nord. sprachen der wurzelvocal des part. pass. oft nach dem
wurzelvocal des praet. pl. verändert worden ist (floghin > flughin
nach praet. pl. fiughu etc., s. unten s. 503 ff.). Ist diese annähme
richtig, so ist isl. bitinn aus *bitan(iB, *bitan€ui entstanden.
Man kann aber das i der partt. pass. bitinn etc. sehr wol
auch auf folgende weise erklären. Das umord. part. haÜincLS,
(Tanumstein) scheint zu zeigen, dass das part pass., wenn
auch selten, das suffix -in- haben konnte. Nun findet sich in
gewissen neunorw. mundarten eine tendenz bei der wähl der
endungsvocale a : t in masc. n- stammen (isl. tlmiy bakhi : obL
casus tima, baJcka\ die hier von interesse ist. In den dialekten
von Fosen und Namdalen hat teils der isl. nom. auf -i, teils
der isl. acc. auf -a den sieg davongetragen, aber gewöhnlich
^) So viel ich sehe, mtiss der endungsvocal e der meisten partt. pass.
im ags. (ehenso wie in den nord. sprachen) aus einem germ. o entstanden
sein; dies scheint mir deutlich daraus hervorzagehen, dass das ags. in
boden etc., holpen etc., boren etc. a*nmlaat und in banden etc., faren etc.
keinen t-nmlant hat. Ich will mich nicht darüher aassprechen, wie die
regel formuliert werden muss, nach welcher -<m^ der partt. pass. im ags.
in -en übergieng. Sievers, Ags. gr.* § 45, 3. §128,2. §366 scheint eben«
falls der ansieht zu sein, dass ags. -en im part. pass. ein germ. -on- re-
präsentiere. Dagegen meint Streitberg, Urgerm. gr. s. 195, dass ags. bunden
etc. ein germ. -m- enthalte.
B«itiftg« aar gMohiaht« dv dMiMhan ipraolM. XXTIL 32
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498 KOCK
dergestalt, dass die wähl zwischen a nnd % sich nach dem
Yocal der paenultima richtet, z.b. nom. acc Hmi mit -t, aber
nom. acc. bäkka mit -a (A. B. Larsen, De norske bygdemäl s. 84).
In urgerm. zeit ist eine teilweise ähnliche tendenz bei der
wähl der sufflxform -an- nnd der soffixform -in- ffir das part
pass. bestimmend gewesen. In der regel entschied man sich
für -an : ^hunöancus, yaranae etc., aber -in- wnrde gewählt,
wenn die Wurzelsilbe einen t-laut, d. h. i oder den diphthong ai,
enthielt, z. b. *Utina0, *haiHnaj8, umord. haitinax. Die form
bitin- mit i in der zweiten silbe bestand noch zur zeit der
durchführung des a-umlauts in den getrennten germ. sprachen
(vgl. unten). Später wurde in den continentalen westg. dia-
lekten ahd. und as. und im got (in folge der einwirkung der
grossen menge von partt. pass. mit der suffixform -an-) das
-in- mit -an- vertauscht (ahd. üsaan, as. bitan, got. büans).
Noch in umord. zeit hatte das part. haiMnoR sich einer
derartigen beeinflussung seitens der partt. mit -an- entzogen,
und isl. heitinn kann eine unmittelbare entwickelung aus ur-
nord. haitinoR sein. In ähnlicher weise kann isl. bitinn die
unmittelbare f ortsetzung von umord. *bitifMR, geruL *diHnas sein.
Man pflegt isl. bejnnn (von btpa) als beispiel des a-umlauts
in diesen partt. anzuführen. Vorausgesetzt dass bitinn aus
*bitanajg (nicht '^^t^ino;?) entstanden ist, enthält fte^nn a-umlaut
Soweit ich mich erinnere, ist aber nicht hervorgehoben worden,
weshalb in diesem einzigen particip a-umlaut von i fortbestehen
sollte. Die sache ist die, dass beginn part. nicht nur zu b^
praes. Mpr, sondern auch zu isl. bijna, praes. bipr ist Dagegm
hat im aschw. sowol das part. zu Mpa wie das zu biJna die
form bipin. Dies zeigt deutlich, dass das part. bepinn (von
biJna) im isl. das part. bepinn (von bipa) beeinflnsst hat
Entweder hat ein ursprüngliches {^bedana^ >) bepinn za
bipa das e unter dem einfluss von bepinn zu bipia beibehalten,
oder auch es ist das e von bepinn zu bipia auf {*bifinaJi>) biäinn
zu bipa übertragen worden, so dass dieses zu bepinn wurde.
Hier mögen die aschw. partt. bipin (zu bipia), situ (zu
sitiä), Ughat^) (zu Uggia), pighat (zu piggia) erörtert werden.
Ihnen entsprechen die isl. bepinn, setinn, leginn, Peginn, die
>) Aber ajütlilnd. for kegJhcah
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DER ii-ÜXLAUT BTG. IN DEK ALTNOBD. SPRACHEN. 499
normalerweise e in der paenultima haben, da die Wurzelsilbe
germ. e (umord. ^hedafMB etc.) hat. Die filteren (isL) hepinny
seUnn haben im aschw. Qnpin, sitit) i ans dem inf. bekommen,
vgl. oben s.496 Aber den einflnss des inf. auf das part. pass.
Zn den schwach flectierten pighia 'schweigen^ sighia 'sagen'
lantet das part. pighat, sighat, formen welche ihr i ans dem
praes. pighia, sighia bekommen haben (die älteren partt. sind
isL Pag{a)t, aschw. thakt\ aschw* saghaPer, isl. aschw. 8ag(h)€U,
isl. sagPr, aschw. saghper). Neben liggia kommt auch Ughia
vor. Nach pighia 'schweigen' : pighat, sighia : sighat ist zn
lighia (liggia) das part. Ughaty zn piggia das part. pighat ge-
bildet worden. 1) Also ist -at in lighat, pighat eine ganz junge
analogiebildnng, und man darf in diesen formen nicht mit
Noreen in Pauls Grundr. \\ 641 und Brate, Runverser s. 345
uralte reprftsentanten des erhaltenen germ. sufflzes -an- mit
a sehen. ^)
Ich gehe von den partt. pass. zu anderen wortkategorien
über. In ihnen findet sich schon von alters her sowol das
germ. sufflx -m- wie das germ. suffix -an-. Aber sie interes«
sieren uns hier, da das sufflx -an- unter denselben umständen
wie im part. pass. lautgesetzlich in -en-, -in- übergegangen ist
Gewisse masc. o-stämme haben das germ. sufflx -an-, andere
das germ. sufflx -tu-. Da der langsilbige name Öpinn keinen
t-umlaut enthält, so hat er (wenigstens unbedingt in der regel;
vgl. s. 500 anm.), entsprechend dem ahd. Wuoian, das sufflx -ofi-
gehabt. Das wort ist also so flectiert worden:
nom. *WanB dat. OÖne
gen. *06an8 acc. ÖÖan,
Gab es zu jener zeit noch den vocativ als einen besonderen
0 Streng lantgesetslich hätten die partt. im aschw. wol Highm,
*pighin lanten sollen. Denn ebenso wie ein ans a durch t-nmlant entn
standenes cb im aschw. vor gh + i weiter zn i wnrde (Kock, Arkiy 4, 175),
so mnsste wahrscheinlich ein germ. e in dieser stellong dieselbe entwicke-
Inng bekommen.
*) Das anf dem Ytterg&rdsstein einmal begegnende takat fOr täkit
Ist wahrscheinlich fehlritanng. Dies ist glaublicher als dass iakai = takant
gelesen werden müsse (mit anslassnng des aeichens für n, wie anch sonst
9fter), nnd dass in takant mit dem germ. snfflx -^mh a noch nicht in e, i
übergegangen sei.
32*
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500 KOOK
casus, so hiess dieser ebenfalls *Ödan. Im nom. und gen. bekam
pian lautgesetzlich Öpenn (-mn), Ö^ens {-ins)^ im acc (und yoc)
dagegen Öp<m. Isl. Öpinn, aschw. opinsdagher, älteres neu-
ßchw. odensdag haben ihre vocalisation aus dem nom. und gen.,
während das äusserst seltene aschw. Odhansdaghin (Sv. riks-
archivets pergamentbref no,2697 vom jähre 1393; vgL Lund-
gren, Spr&kliga intyg om hednisk gudatro i Sverige s. 28) mit
a in der zweiten silbe vom acc. (und yoc.) ^Ofian^) aus-
gegangen ist
Das nebeneinander isl. dröttinn, aschw. drotin ohne umlaut,
aber aschw. dretning (neben drotning\ agutn. drytnmg mit «-um*
laut spricht dafttr, dass dröttinn das suffix -an- gehabt hat
Hier ist es die vocalisation des Suffixes im nom. und gen., die
den sieg davongetragen hat
Dagegen ist in dem namen Heriann und in ^^nn 'könig'
der o-vocal im acc. (und voc.) durchgeführt worden; zur ein-
führung des a in Heriann trug auch der dat (Heriani) bei,
der in diesem worte nicht synkopiert wird.
Die Worte fflr ^morgen' und ^abend^ scheinen von alters
her sowol das suffix -in- wie das suffix -an- neben -i«n- gehabt
zu haben: isL myrginn, alt neuschw. mömar mit t-umlant :
aschw. marghan, isl. marginn : isl. margunn, aschw. marghon;
isl. eptann mit i-umlaut (?) : isl. aptann, aschw. aptan, aflin :
aschw. aflon (vgl Noreen, AisL gr.* § 150, 5. Aschw. gr. § 180, 3).
Doch enthalten isl. morginn, aschw. aftin mit i in der ultima,
aber ohne t-unüaut in der paenultima nicht das suffix -m*,
sondern das suffix -an-, dessen a im nom. und gen. lautgesetz-
lich in e, i übergegangen ist (^morgan^ > morginn, ^margans
> morgins etc.).
1) In einer Urkunde aus Dalekarlien begegnet Einmal Bpinsdaghm
(Dipl. 4142 Yom jähre 1347). Wenn dies 9 nicht Schreibfehler ist, kann
$pm eine mundartliche form sein, die ebenso su erklären ist wie die oben
s. 495 besprochenen mundartlichen partt. pass. aus modernen dalekarlischeii
dialekten. Ich finde es wenig glaublich, da«8 man in diesem vereinBelten
epinsdaghm ein beispiel eines sonst nirgends nachgewiesenen geim. *Wodm€U
habe. Da die Verwendung der endungsYocale im HelB.-gesetE höchst regel-
los und inconsequent ist, kann auf das Einmal (iE. 16 pr.) im Hel8.-ge8etE
TorgeAmdene opunsdagh kein gewicht gelegt werden, und man kann also
aus diesem opwnedagh nicht die Schlussfolgerung sieheUi dass öpkm ur-
germ. auch die suffixform -un- gehabt hätte.
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DER il-UMLAÜT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 501
Isl. aptann, aschw. aptan hat -an- vom aoc. aftan, wobei
der umstand eine rolle spielte, dass die ansdr&cke of aptan,
um aptan, i gär aptan besonders gebräuchlich wareit Das
aschw. marglüm hat dieselbe yocalisation. Isl. q^tann kann
eine compromisform von aptann und *€pann sein, da aber ein
"^eptinn nicht nachg;ewiesen ist, ist es auch sehr möglich, dass
aptann durch einwirkung der praep. q>tir und des comp, eptri
bisweilen zu eptann geworden ist; vgl. dass im aschw. das
adverb aptan 'hinten^ durch einwirkung von ceptir, asptre die
form (Bptan erhalten hat.
Das Suffix -in- findet sich in dem kurzsilbigen aschw. omn,
isl. arinn (a aus pl. amar etc.; vgl. neuschw. äril mit dem suffix
-Ü-) und in isl. aschw. hifnin(n) (vgl. got. himins\ wahrschein-
lich auch in Beginn; vgl. neutr. regin 'götter*.
Wie die adjectiva teils das suffix -ü, z. b. hetmill, teils das
suffix -al-, z. b. atäll haben, so haben sie teils das suffix -in-,
teils das suffix -an-, hier und da Wechsel -in- : -an- in dem-
selben adjectiv. Der i-umlaut in isl. yfrinn, aschw. yfrin, efrin,
isl. heppinn, neuschw. yllen zeigt, dass die wOrter das suffix -in-
gehabt haben; aschw. ullin 'wollen' kann u vom subst. ul haben.
Aus den nord. lautverhältnissen geht nicht hervor, ob eiginn
das suffix -an- oder -in- hat, aber got. aigins spricht fflr das
letztere. Dagegen haben z. b. isL aschw. h^in^n), rotin(n), isl.
ro^inn, snojnnn, aschw. snorkin 'zusammengeschrumpft' mit
o-umlaut das suffix -an-. In isl. opinn, aschw. opin, upin, ypin,
epin hat sich am ehesten*) ein uralter Wechsel -an- : -m- ge-
funden, da das wort sowol a-umlaut {opinn < *opanaR < *wpa-
ncus) als i-umlaut hat (nom. ypin < *upinaR] nom, epin < "^opi-
naR mit o vor dem ende der jüngeren i-umlautsperiode aus
nom. *opanaR übertragen). Ohne grund hat man aschw. gyllene
als beispiel eines nord. Wortes mit dem suffix -in- angeführt.
Aschw. neuschw. gyllene ist nämlich ein deutsches lehen (vgl.
mhd. gtMin, plattd. gülden); dies geht teils daraus hervor, dass
das e der paenultima in aschw. nschw. gyllene nicht synkopiert
wird, wie es mit i, e im suffix -in- der fall ist (meM gyllene
mannen, dagegen z. b. dat. sg. upno, nicht *wpeno, von upifi)^
^) Dies ist wahrscheinlicher als dass das wort nur das sufftx -m« ge^
habt habe, und dass o in optnn z.b. ans nom. pl. f. opMT « *v^ßfnaR <
*upm9jt) übertragen worden sei* .
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502 KOCK
teils daraas, dass das wort gyllene im aschw. (fast immer) und
im nschw. imflectierbar ist; vgl das süfveme (nhd. silbem,
mnd. suheren) der Volkslieder. Welches snffix isl. guJUnn ur-
sprünglich gehabt hat, kann kaum entschieden werden, da das
wort an das subst guU angeschlossen (bez. in später zeit nach
ihm gebildet) werden konnte. 0 D&s seltene isL hräsinn ist wol
in später zeit nach hrämi gebildet worden.
Bei der beurteilung der lautentwickelung *brostann > bro-
stenn, brostinn etc., OdanR> Oöenn, OÖinn etc. von einem all-
gemeineren gesichtsponkt muss man beachten, dass die con-
sonanten, welche dem -an- folgen, factisch r, s, t sind. Der
laut Ä hatte in der alten spräche ein i-element, da er palatal-
umlant bewirkt: koR > her etc. In den nord. sprachen hat
auch s ein t-element. Joh.Storm, Norvegia 1, 89 anm.2 bemerkt:
'der Zischlaut s hat etwas das an den vocal t erinnert', und
das neudän. verwendet einen t-ähnlichen laut vor -s in silben
mit infortis: haves, gives etc. (Jespersen, Dania 1, 70). Im jüngeren
aschw. bleibt das ältere i in levissilbe vor s erhalten xoÄ geht
nicht wie sonst in e über, z.b. IcbHs (Kock, Fsv. ljndL2,272);
das ältere neudän. verwendet die endung -is, z. b. dragis, obwol
es sonst in infortissilbe e hat {lurde etc., Kock, Arkiv n.t 1,86),
Auch vor 4 bleibt im jüngeren aschw. der endvocal % erhalten,
z. b. funnit (Fsv. Ijudl. 2, 272 f.). Unter diesen umständen ist
es leicht möglich, dass die hier hervorgehobene natur des ä, Sy t
eine rolle spielte, als a mit infortis vor nR, ns, nt zu e, i wurde.
Ich glaube nicht mit Sicherheit entscheiden zu können,
inwieweit das n in gemeinnord. zeit in dieser Stellung pa-
latal oder dental war.*) Arkiv n. 15, 254 ff. (vgl. teilweise
schon Äström, Sv. landsm. 6, no. 6, s. 109 ff.) habe ich gelegen-
heit gehabt nachzuweisen, dass die alte nord. spräche in be-
stimmten Stellungen supradentales n, in anderen nicht supra-
dentales n hatte, sowie dass der n-laut in silben mit infortis
nicht supradental war. Gegen die annähme, dass dieses nicht
') [Doch wahTBcheinlioh 4»-, das sich vielleicbt auch in nSm findet;
s. jetst z. t Torp og Falk, Lydhist. s. 97 f.]
') Vielleicht ist die entwickelnng a>(e im pronomen hcum>h€m,
wn im aschw. (Westgötageseti) entstanden, wenn das wort infortis hatte, in-
dem dem a ein palatalea n bez. n-\- a (*hanR) nachfolgte. Man beachte
auch isl. an : en(n), aschw. cen 'quam'.
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BEB ii-UMLAUT BTC. IN DBK ALTNOSD. SPRACHEN. 50S
snpradentale n in infortissilbe vor is, s, t palatal war, spricht
wol, dass das I in entsprechender stellnng schwerlich palatal
gewesen sein kann; man hat nämlich isl. nom. atall (< *ataU)
gen. atais etc. (nicht *atiU, *atils etc.). Wenn hinwidemm der
n-lant schon in umord. ^brostann etc. palatal war, so ist die
gemeinnord. entwickelnng *brostaAM > brosteiiA ausserordentlich
nahe verwant mit der in norwegischen mundarten begegnenden
entwickelnng hcBstaAA {\A.hestamvr) > hcesMM, borenn > beriM.
Diese frage, inwieweit der nicht supradentale n-laut in
gemeinnord. zeit palatal oder dental war, ist aber für die
eigentlich hier behandelte frage von untergeordneter bedeutung,
denn nach dem oben angefahrten dürfte constatiert sein, dass
a in infortissilbe vor n -f consonant zu c, i wurde. In dieser
Stellung war der n-laut nicht supradentaL
Excurs 1.
Der Wechsel u:o im pari pass. der ostnord. sprachen.
Es muss erörtert werden, warum viele partt pass. welche
im isl. a-umlaut von u zeigen, im ostnord., und besonders im
aschw., unnmgelauteten vocal bez. einen Wechsel von unum-
gelautetem und umgelautetem vocal haben, z. b. isl. sloppinn :
nenschw. sluppen.
Der tt-laut solcher ostnord. formen ist späten Ursprungs,
und er ist wenigstens wesentlich auf analogischem wege ent-
standen. Dies geht schon daraus hervor, dass das isl. (welches
wie bekannt im allgemeinen einen altertümlicheren Standpunkt
als das aschw. einnimmt) den vocal o hat, während sich im
aschw. oft ein Wechsel o:u, im nenschw. nur u findet.
Dies ist der fall z. b. in
isl.
aschw.
nachw.
sloppinn
sloppm, thippin
slyppen
bofginn
borghin, burghin
bürgen (a4j.)
holpinn
holpin, hulpm
hiulpen
hroUim
brotm, brutin
brüten
fioUnn
fiotin, fkUm
fluten
frosin
frosin, frusin
ftusen
bopinn
bopin, bupin
buden (»Juden'))
goUim
gotin, guHn
gjuten^)
hroprnn
iCTOptn^ Kf%ip9n
hrupen
>) Dv i iat ans iijvda, gjuta ttbertngen woiden.
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504 KOCK
iBl.
aschw.
nschw.
notinn
noUty nutit
njwUt^)
sopiim
sopin, supin
8(J)udm
skotifm
skotin, sktOin
aJi^en*)
bormn
borm, burin
frimwi
akorinn
akorin, ahurin
dDuren
stolinn
atolin, attdin
atulen.
Von anderen verben ist schon im aschw. nur die u-form
belegt, z. b. isl. boginn, aschw. niperbughin, isl. floginn, aschw.
fiughin, nschw. fingen, isl. htinn, aschw. lutit, nschw. Ijuüt, isL
lostinn, aschw. h^tin, isl. loginn, aschw. lughin, nschw. Ijugit,
isl. soginn, aschw. nschw. sug(h)it, isl. strohinn, aschw. stmkiny
nschw. struken, isl. sopinn, aschw. supin, nschw. supen, isL bro-
stinn, aschw. brustin, nschw. brüsten, isl. soUinn, aschw. stdtin,
nschw. svultit. Nor selten ist im aschw. die o-form allein belegt^
z. b. isl. Mofinn, aschw. klotvin, nschw. klufoen.
Dass das tt in diese partt. analogisch eingeffihrt worden
ist, geht aber vor allen dingen aus einer musterung der vocale
dieser partt. in den verschiedenen ostnord. dialekten herror.')
Das altjüÜ. (Jyske lov) hat im allgemeinen in denselben
partt. wie das isL das o beibehalten: stolam, borcm, skorcm —
floghcen, brotam (prot), skotam (vt skot\ bothcen. Eine ausnähme
macht das einzige hergehörige yerb mit dem ablant e:a:u:o
im isL, nämlich das altjütl. part. wrthen. Dies beruht naturlich
auf analogischem einfluss seitens der zahlreichen verben von
dem typus brann : brunnu : brunninn, fann : funnu : funnimi
etc. Da man neben diesen varp : urpu : orpinn hatte, so
vertauschte man orpinn gegen urpinn (wrthen).
Im altschonischen bleibt o in den verben dieses typus
(isl. bera : bar : b^ : borinn) erhalten: aschon. boret, skorit,
stoUm. Sowol in den verben des typus verpa wie auch in den
0 Das j ist aus njtda übertragen worden.
*) Das j ans al^juta übertragen.
') Vgl. betreffs der factischen mitteilnngen Lyngby, AnüqTansk tid-
skrift 1858 — 60 s. 247. Udsagnsordenes böjning i jyske Iot og i den jyske
sprogart s. 15 ff. Oollin-Schlyters glossare. Zetterberg, Bjftrk^arftttens Jtjnd-
och böjningslära s. 93 ff. Machule, Die lanüicben yerhältaiisae und die Ter-
bale flexion des schonischen land- nnd kirchenrechtes s. 31 ff. Diese gelehrten
ziehen aber ans dem materiale nicht dieselben schlnssfolgening^ wie ich.
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DER ji-ÜMLAüT ETC. IN DEN ALTNOSD. SPRACHEN. 505
Verben des typns biüpa ist das o gegen u vertauscht worden:
aschon. urjrit, burghü, bupit, bruHn, luUt, Uikit.^)
Das altwestgOtische nimmt wesentlich dieselbe stellang
wie das altschonische ein. Collin-Schljrters glossar zum West-
gOtagesetz verzeichnet nämlich folgende partt: borin, stolet,
stolin (und sttdin), svoren (svoret, s[v]omum), soven ^dormiens',
aber sowol guldin, guldit, huJ/pit, vurpin wie buden, lukin, lughin,
lustin. Die ffir Lödöse in Westergötland geschriebene hs. des
Biserkearsßtter hat bomir (zu baßra), skomir (nnd vt skurin zu
skasrd)j siolnom, piufstolit (neben strulit, das fehlerhaft statt
stulit zu stiwla steht) und einmal in fulghit, aber ausschliess-
lich mit u sowol tcrpit, matburghit wie bupin, bupit, brutit
Im altschonischen und altwestgötischen ist die analogische
einwirkung einen schritt weiter gegangen als im alt jfitländischen.
Nach brunnu : brunninn, funnu : funninn etc. sind in den verben
bupu ; bojnnn etc. mit kurzer Wurzelsilbe die partt. bo^inn gegen
bujnn etc. vertauscht worden. 2) Dabei hat natürlich auch die
analogie von ur^ : urjnnn etc. eine rolle gespielt. Da aber
das praet. pl. zu bcsra nicht *büru, sondern bäru lautete, so
blieb im aschon. und awestgöt. baru : borit erhalten, und borit
wurde nicht durch burit ersetzt. Dies gilt auch von skorit,
stolit. Das part. sotoin ist geblieben, weil das praet. pl. s^Hco
hiess (und der inf. sötva).
Im Östgötagesetz dagegen werden nach dem glossar von
Collin-Schlyter participien mit u gebraucht: sowol stulin, burin,
surin (zu swceria) wie burghit, hurwit (zu hwcerwa), vurpit und
brutin, ruwit, lukin. Hier hat die analogie noch weiter um sich
gegriffen, indem auch borin etc. gegen burinn etc. vertauscht
worden sind. Nur ganz wenige verben gehören dieser gruppe
an (partt. borit, skorit, stolit, sowit). Nachdem man in der
soeben dargelegten weise varp : (w)urpin, halp : hulpin, galt :
guldin etc. bekommen hatte, wurden nach diesen mustern in
') Die neudftn. reichsaprache stinunt in dieser bezieiiimg hauptsächlich
mit dem aschon. überein: nendän. baaren, skaaren, s^jacUen « stolen)^ aber
buden, budt, brudt (als a^jectiy bruden, brodden), shudt\ doch frosten,
\fH>rden\.
>) In dieser weise erklären sich anch die seltenen anorw. bupiwn,
JuUfin, isl. lukinn, welche von Noreen, Aisl. gr.> § 412 anm. 2, § 414 anm. 1
^rwähnt^ aber nicht erklärt werdep,
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506 KOCK
den Verben bar : borit, skar : skorit, sial : stoUt, swaf : sowü
die partt. borit etc. gegen burit etc. yertanscht Hiermit ist zu
vergleichen, dass die analogische nmbildnng im nschw. noch
weiter gegangen ist. Nach halp : huipo : htdpen etc. sind in
bar : bäro : buren etc. die praett. pl. bdro etc. dnrch buro etc.
ersetzt worden.»)
Im schwedischen ist das ältere o anch in den als adj.
benutzten isl. loßinn : aschw. hj>in, lupin : nschw. luden, id.
rotinn : aschw. rotin, rutin : nschw. rutten dnrch das jüngere n
ersetzt worden. Auch dies kann dnrch analogischen einflnss
erklärt werden. Da man einen Wechsel borin : burin, fioUn :
fiutin etc. in grosser ausdehnnng hatte, bildete man zu lopin,
rotin die nebenformen lupin, rutin^ welche nachher (ebenso
wie burin, flutin etc.) den sieg davontrugen. Das ndän. aber
hat immer lodden, rodden erhalten.
Möglicherweise hat bei freier wähl zwischen o : u in
der Wurzelsilbe der umstand, dass die ultima der discutierten
partidpien einen t-lant enthielt, die durchfuhrung des u be-
fördert; vgl. Äström, Sv. landsm. 6, no. 6, s. 41. Eock, Arkiv n. t
2,14.5,245.
Excurs 2.
Zur frage nach dem palatalumlaut
Schon oben habe ich hervorgehoben, dass kein zweifei
darüber obwalten kann, dass die palatalen consonanten bei der
hervorbringung des t-umlauts, z. b. in isl. part. eliinn etc., eine
rolle gespielt h^ben. Durch die erörterung des Übergangs
*brostanR > brostenn, brostinn etc. dürfte dies noch mehr be-
stätigt worden sein.
Gewisse fragen betreffe des palatalumlauts sind aber bis
jetzt nicht in genügender weise erörtert worden.
*) In ähnlicher weise erklären sich die seltenen praet. pl. isl. syngum
statt stmgum (zn syngva\ anorw. varßum statt vurpum (su verfia), asdiw.
sloppom statt sluppom (tu alippa): die wnrselTocale sind ans den partt.
synginn, orpmn, üoppin übertragen worden. Im aschw. praet pl. tmrpo,
part. ffurpin > nschw. vordo, vordem wurde das u vor r9 lantgesetalich su o
(Kock, Arkiv n.f. 5, 247). Dnrch den einflnss des praes. sofoa hat das pari.
aofvii in der nschw. reichssprache noch immer sein o erhalten. Ueber das
part. ijütl. komam, aschon. kummin, kommit, awestgOt kummm, iboflMN^
aoetgöt. kumin, komin s. unten.
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DER ii-üMIiADT ETC. IE DEN ALTNOBB. 8PBACHEN. 507
Eine solche frage ist die^ ob der palatalumlant in der-
selben aosdehnung im westnord. wie im ostnord. durchgeführt
worden ist Eine zweite, ob der palatalnmlaut gleichzeitig
mit dem gewöhnlichen (jängeren) t-nmlant oder zu einer
anderen zeit eingetreten ist Eine dritte endlich, ob es der
palatal als solcher ist, der den nmlant hervorgerufen, oder ob
der palatal (z. b. in akenn) einen f rfthen Übergang des end-
vocals e in i (akinn) veranlasste, wonach dieser «-laut ebenso
wie andere »-laute in gewöhnlicher weise t-umlaut bewirkte.
Die erste dieser fragen muss, so viel ich sehe, dahin be-
antwortet werden, dass im westnord., oder wenigstens in den
dialekten, aus welchen sich die isl. literatursprache entwickelt
hat, nur a, nicht aber andere gutturalen vocale palatalumlant
bekommen haben; dagegen waren im ostnord., wenigstens dia-
lektisch, auch andere gutturale vocale dem palatalumlant
unterworfen.
Die regel fflr das isl. ergibt sich aus den umgelauteten
partt eJdnn, dreginn etc. (vgl. s. 487) im vergleich mit den
nicht umgelauteten sprunginn, stunginn, drukkinn, holginn,
solginn, borginn, folginn, brugginn, hnugginn, tugginn, slunginn,
sunginn, firunginn, hrokkinn, sokkinn, boginn, fklkinn, fokinn,
loginn etc., aukinn.
Wie bekannt haben die verschiedenen formen der starken
Verben sich sehr oft gegenseitig beeinflusst, und die vocalisation
des praes. ist besonders oft auf andere formen übertragen
worden (vgl. s. 496). Wenn sich im isl. neben part. sunginn
zu syngva auch synginn findet, so hat diese form ihr y aus
dem praes. bekommen. Umgekehrt rührt das a im part. han-
ginn, fanginn (neben fenginn) teils aus hanga, fanga^^) teils
aus den synkopierten casus hangnir, fangnir etc. her.
Der palatalumlant von a findet sich ausserdem in isl.
dreki, fleki (neben fiakt), afreki (neben afrakt), wol auch in dat
sg. degi (zu dagr)j vieUeicht in segi (vgl. aschw. saghi; im isl.
jedoch auch sigi, vgl teils Kock, Medeltidsordspräk 2, 68, teils
Bugge, Arkiv n. f. 6, 87). Ursprünglich flectierte man wie be-
^) Im aschw. findet sich fanga neben fäj und die existenz eines isl.
fanga geht ans dem praes. coig. fangt heryor; y^l. Noreen, Aisl. gt.* § 431
1,
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508 KOCK
kannt fl^ki : flaka etc.; später iit das a auch in den nom. flaki
analogisch eingedrungen.
Neben den isl. partt. genginn, fenginn kommen anch gm-
ginn, finginn, und in praes. sg. kommt neben gengr anch gingr
(Jon Thorkelsson, Beyging sterkra sagnoröa s. 143) vor. In d^
Aisl. gr.3 § 431 anm. 1 und 5 ist Noreen der ansieht, dass die
partt. ginginn, finginn die inff. *ginga, *ßnga voraussetzen, und
dass das praes. gingr mit Iit. iengiu zusammenzustellen seL Ich
kann mir diese auffassung nicht zu eigen machen. Schon
Bugge hat, Arkiy 2, 224, bemerkt: 'das durch t*umlaut aus a
entstandene e in forengi [< *fargeng{\ ist in i in faringi ebenso
wie in finginn, ginginn übergegangen. Bei forengi > faringi
wirkte der umstand mit, dass e nicht den hauptton hatte'.
Ich bin der meinung, dass ein durch t-umlaut (es sei durch
gewöhnlichen t-umlaut oder durch palatalumlaut) entwickeltes
e vor ng in semifortis- und infortissilbe weiter zu i wurde;
es ist vielleicht auch eine bedingung für diese lautentwicke-
lung, dass der lautverbindung -eng- entweder ein g vorher-
gieng oder ein i nachfolgte. Dagegen bleibt e in der fortis-
Silbe unter im übrigen gleichen bedingungen erhalten. Bei-
spiele: *forgengi (vgl. got. fauragaggja) > ^forgingi > faringi]
*unngengi > *unngingi > unningi, *vargengi > *vargingi >
vckringi, *ofrgengi > *ofrgingi > ofringi. In gleicher weise
entwickelte sich -genginn zu -ginginn im zweiten gliede der
zahlreichen composita (juxtapositionen) : upp-, ä-, fram-, um-
genginn > uppginginn etc. Dass solche juxtapositionen auf
dem ersten (nicht auf dem zweiten) juxtapositionsglied fortis
hatten, geht aus der (dialektischen) acc. 1 von utgdngen, in-
gangen etc. im nschw. hervor. Als simplex blieb dagegen
genginn erhalten. Nachher konnten genginn und ginginn durch
gegenseitige beeinflussung sowol als simplex wie in der com-
Position benutzt werden.
Der Wechsel gingr : gengr ist in derselben weise zu er-
klären. Heutzutage accentuiert man im nschw. gär üi etc.
mit infortis auf gär und fortis auf ut (vgl. nhd. er g&U aus).
In den isl. juxtapositionen g^gr-üt, g^gr-inn etc. wurde gengr
lautgesetzlich zu gingr; als simplex blieb aber gengr erhaltcoL
Im zweiten gliede der juxtapositionen ist -fenginn zu -/in-
ginn entwickelt worden.
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DER ^-UMLAUT BTC. IH DBK ALTNOBD. SPSACHBlSr. 509
Der palatalnmlaut von a findet sich in einigten ostnord«
Wörtern wider: part draaghin (neben draghin), sIcBghin (neben
slaghin)y OpwmghinsPorp (nebenj^aj^Am), gcengin {neben gangin)j
pari fingin (< *famgin\ neben fangin), praes. conj. to^' (< taM
zn taka)j dat sg. dasghi (zu dagher), 0 ^^^ fi> ^^ Dregha- {Drmgha-)
im Ortsnamen Dreghastadha kann sich zn Dragha (nom. Draghi)
verhalten wie isL fieki zn /Idbi etc. Auch in dem seltenen
ncekin (Birg.IY) statt nakin kann palatalnmlaut vorliegen«
Dagegen ist das ältere te in den aschw. partt. akin, flaghin,
gnagin, takin durch den einflnss der synkopierten casus aknir
etc. und der praess. aka, gnaga, iaka von a verdrängt worden.
Das adän. (wenigstens das altjütländische und altschonische)
hat in den partt. dragcet, fangest, gangcsty ajtttL tahien keinen
Umlaut. Im aschon. dagegen heisst das part neben takit auch
taikitf iaskin (infin. iak(B und todhoß). Der a?-laut ist in tmka
(neben takii) aus dem praes. sg. tcEikasr (vgl. isl. iekr) ein-
gedrungen. Das part. Uxikit kann palatalnmlaut enthalten, kann
aber auch sein cb analogisch aus ioEkcer {taikm) bekommen haben.
Im ostnord. findet aber der palatalnmlaut (wenigstens dia-
lektisch) auch bei u und o statt, z. b. in aschw. adftn. Tyke (vgl.
das nicht umgelautete latinisierte Tuco) und wol auch (vor ri,
rg) in aschw. adän. Therkil, TherJcel, aschw. ThyrhU, der adän.
frauenname Tyrckel, aschw. adän. (latin.) Thyrgerus (< Pur-
geirr). Thyrhil, Therkil sind aus Purkwtü bez. PörheHl ent-
standen. Hierher können auch gerechnet werden die partt aschw.
drykkith (einmal in SGG. st. des normalen drukkit\ hrygget
(einmal in BSH. aus dem jähre 1502; statt bruggit), [kaum
thryskit, einmal im Cod. bildst neben thruskin], adän. (aschon.)
heggmt (einmal statt hoggii).^) Der gebrauch des part. drykkin
neben drukkin scheint durch aschw. drgkkinskaper (neben
drukkinskaper), nschw. dryckenskap bestätigt zu werden (vgl
1) Vgl. z. t. Noreen, Arkiy 1, 153 anm. Er ist jedoch dort geneigt die
Wörter anders zu erklären, und in der jüngst erschienenen Aschw. gramm.
heft 1 scheint er der ansieht zn sein, dass sie gewöhnlichen t-umlaut ent-
halten. A^. f (Bghin gehört nicht hierher; es hat gewöhnlichen t-nmlant,
der durch das snffix -in^ (vgl. got. fagiran) hewirkt worden ist.
*) Das zweimal helegte aschw. 8fyng(h)o (3. pl. praet. zn diunga) statt
dungo setzt yielleicht ein part. *8lyngin (nehen dungin) yorans, ans wel-
chem y in das praet. pl. tibertragen worden ist; ygl. s. 506 anm.
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510 KOCK
Tamm, Avledningsändelser hos svenska snbstantiy s. 14). Doch
miiss bemerkt werden, dass der wnrzelvocal der partt. bfyggei,
fhryskit, heggcst aus den infln. aschw. bryggia, pryshia, adftn.
(aschon.) heggia hat entlehnt werden können.
In den Verhandl. der 28. yersammlnng deutscher philologen
und schulmÄnner (Leipz. 1878) s. 192 spricht sich Sievers über
den nmlaut von ä in isl. sleginn etc. folgendennassen ans: 'es
mnss ... in der natnr der gntturale etwas den nmlaut befOr^
demdes gelegen haben; denn bekanntlich besitzt unursprOng-
liches d. h. erst nach der trennung der einzelnen germanischen
q)rachen aus a etc. geschwächtes t sonst nicht die f&higkeit
umzulauten, oder mit anderen werten, es war die periode des
eintritts der mouillierung bereits vorüber, als jene Schwächungen
eintraten.' Dagegen opponiert Lftffler, Tidskr. t fil. NR. 2, 274
anm. und Om t;-oml]udet af ^, % och ei s.5f. Er ist der an-
sieht, dass der palatale consonant den nachfolgenden vocal so
beeinflusst habe, dass er schon vor dem ende der »^Umlauts*
Periode in t übergegangen sei, wonach der gew(ämliche «-nm-
laut in slaginn > sleginn etc. sei durchgeführt worden. Nach
ihm ist also der umlaut nicht unmittelbar von dem consonanten
hervorgerufen worden.
Ich glaube (im gegensatz zu meiner bemerkung Beitr. 18,425
anm.), dass Sievers betreffs dieser frage das richtige gesehen
hat, wenigstens sofern unsere jetzige kenntnis des palatal-
umlauts im isl. fflr die beurteilung hinreicht.
Der gewöhnliche jüngere *- umlaut betrifft im west- und
ostnord. sowol das w, o (z. b. pl. "^suniR > synir, *8oniM > senir)
wie das a (z. b. pl. *ivandin > vendir). Der palatalumlaut aber
wird im isl. (wenigstens soweit wir bis jetzt wissen) nur bei ä
(nicht bei u, o) z. b. gangenn > genginn durchgeführt Wenn
der «-laut der ultima von genginn und der in synir zu gleicher
zeit eingetreten und durch den «-laut der ultima hervorgerufen
worden wären, so hätte der jr-laut in sprungenn den vocal der
ultima in ähnlicher weise beeinflussen müssen, so dass man
sprungmn mit « in der ultima vor dem ende der gewöhnlichen
jüngeren «-umlautsperiode bekommen hätte, und dies sprungmm
hätte dann zu "^eprynginn werden müssen. Dies ist aber nicht
der fall. Der umlaut in synir und der in genginn müssen also
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNORD. SPRACHEN. 511
za verschiedenen zeiten durchgeführt nnd von z. t. verschiedenen
factoren bewirkt worden sein.
Nach der dnrchfühmng des gewöhnlichen jüngeren i-um-
lants in sunUt > synir etc. hat der zwischen k, g und einem
folgenden palatalen vocale (e, cb) entwickelte ji-laut den umlaut
bei d im ial. (z. h.gangienn > gengienn, später genginn) hervor-
gerufen. Wenn dieser umlaut im isl. nur bei a (nicht bei u, o)
bewirkt wurde, so ist hiermit zu vergleichen, dass der t-umlaut
im ahd. zuerst nur bei a (nicht bei den anderen gutturalen
vocalen) durchgeführt wurde (Eauffmann, Geschichte d. schwä^
bischen mundart s.. 152). Im ostnord. dagegen bewirkt der nach
ky g entwickelte |-laut umlaut auch bei u, o. Das latinisierte
Thyrgerus, welches ein ostnord. Pyrger < *Pürgeirr voraus-
setzt, macht wahrscheinlich, dass ein t-laut der folgenden
Silbe keine notwendige bedingung für das eintreten des palatal-
Umlauts ist, sondern Purger, Pur gier ausgesprochen, ist in
Pyrger{us) umgelautet worden. Denn es ist wol nicht wahr-
scheinlich, dass Pyrger{us) y analogisch aus Pyrgisl, Pyrbiom
etc. bekommen habe.
IL Zur fk'age naeh dem a- umlaut vou u in den
altnord« sprachen.
Wie bekannt fasst man gewöhnlich den a- umlaut von u
gänzlich als eine urgerm. erscheinung aut und man formuliert
die regel folgendermassen: ^vor ä, ü, m m der folgenden sübe
wird u urgerm. zu o, sofern nicht entweder nasal + consonant
oder i zwischen den beiden vocalen steht.'
Ich will unten darzulegen versuchen, dass nach dem zeugnis
der an. sprachen eine solche generelle regel in urgerm. zeit
nicht gegolten hat.
Dass wirklich der a-umlaut unter gewissen bedingungen
in einer sehr frühen periode der umord. spräche (vielleicht
sogar in urgerm. zeit) eingetreten ist, lehren einige beispiele
des a- Umlauts in den umord. runeninschriften. So liest man
z.b. auf dem goldenen home acc. sg. homa (< "^hurna) und
HoUingoR, sei es dass dieser personenname eine ableitung von
einem personennamen nom. *Hulta : gen. *HoHann, sei es dass
er eine ableitung von einem neutr. subst. "^holta (isl. holt) ist.
iDer Tunestein hat tvorahto (1. sg. praet = isl. orta). Aus später
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512 KOCK
urnord. zeit finden sich haputoolafa (Gtommor), haJmwolafB, hart-
wolafR, borumB (Stentofta), orte (By).>)
Die Yocalisation der folgenden Wörter zeigt aber, dass der
a-mnlant wenigstens nicht in allen stellangen in früher ur-
nord. (oder gar nrgerm.) zeit eingetreten ist
Das isl. hat als compositionsglied frum-, z. b. in frumburpr,
frumferill, frumgiof, frumhiaup etc. Diesem isL frumr ent-
spricht got. fruma- in frtwMbaur 'der erstgeborene'; ygL auch
got. frums m. 'anfang', frutna 'der erste\ Da das -Or des
ersten compositionsgliedes urnord. noch erhalten ist, z.b. JUe-
wagctstiB (goldenes hom), fcmmisa (seelftnd. bracteat), skä^n\
PcäeubckR (Skärkind), so mnss frumhiaup urnord. *frumahiaupa
geheissen haben. Wenn nun das a in fruma- in urgenn. od^
urnord. zeit umlaut bewirkt hätte, so hätte man isl. ^framhlaup
etc. (nicht frtmhlaup) haben mfissen, und dies ist um so not-
wendiger, als es kein simplex gibt, aus welchem der «-laut
auf frumhiaup etc. hat übertragen werden können.
Isl. humarr m. ist früher flectiert worden: nom. *humaraM,
gen. %umaras, dat. "^humare, acc. "^humara, pl. nom. *humarifB^
gen. *humarö, dat. *humarom-y acc. *humarann. Ohne zweifei
wird niemand annehmen wollen, dass der vocal der zweiten
Silbe in dat. sg. und nom. gen. dat. pL (isl. dat. sg. humri, vgl.
sumri zu sumarr etc.) vor der zeit verloren gegangen sei, wo
z. b. die inschrift des goldenen homes eingeritzt wurde. Dass
dies auch nicht der fall gewesen ist, geht übrigens zur genüge
aus dem folgenden hervor.
Die U' und i-stämme verloren im urnord. (gemeinnord.)
als erste compositionsglieder mit fortis den u- bez. t-laut früher
als u^ t in den entsprechenden simplicia verloren giengen. So
wurde z. b. '^^isumund- früher zu (j^smund als z. b. der acc. sg.
wqU (vgU) aus *waUu entstand; "^kwäni-fang wurde früher zu
hvänfang als der acc. sg. *kwan% zu kv(Bn (Bugge, Bidrag til
den seldste skaldedigtnings historie s. 8 ff. Eock, Arkiv n. t 8,
>) owlpupewüR (Torsbjserg) braucht nicht statt woifmpewaB, das (ana-
logiBchen) a-nmlaut enthalten würde, geritzt au sein. Da in dem mit den
alt. runen geritzten teile der Rökinschrift die o-mne den ii7-laat Qumm =
hwaB), die ii;-mne aber den u-lant (aaffwm = sagum) ansdrftckt (Bngge,
Vitterhets akademiens handlingar 31 no. 3 s. 53. 41X so kann ouilpuPewaM,
die ausspräche widpupewan bezeichnen.
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DBB ^-UMLAUT ETC. IBT DSN ALTNOBD. SPRACHEN. 513
249 ff.). Deshalb hat auch z.b. d^ a-stamm hlewa- iahldufa-
^asiüt (isL *hleg€str) den a-laut früher als das slmplez *hlewa
> isl hie verlieren mflssen. Da sich nnn auf dem goldenen
home hlewor-gasüR findet, auf dem Seeland, bracteaten fauchuisa
etCy so muss zu dieser zeit der a-laut der zweiten silbe in
allen casus von humarr erhalten gewesen sein (nom, sg.
*humaraM, dat. sg. *huinare, nom. pl. *humaröR etc.). Bei der
gewöhnlichen auffassung des a-umlauts ist es aber dann un-
begreiflich, warum man isl. humarr (nicht ^^homarr) hat; vgl.
hama auf dem goldenen home, isl. hom. Dass der a-kut im
pL "^hwmaröR etc. relativ lange erhalten wurde, wird auch durch
das erhaltene % in tawido (gold. hom), faihido (Einang), dälidun
(Tune), Moßimdo (Strand) bestätigt.
Isl. sumarr m., aschw. sumar m. kann in derselben weise
wie isl. humarr beurteilt werden. Da das wort aber ursprOng-
lich ein neutrum ist (Joh. Schmidt, Neutra s. 207), und das isL
immer sumar n. neben sumarr m. hat, so ist es vielleicht auch
möglich, dass der «-laut aus dem nom. acc. pl. stmur n. auf
sumarr m. übertragen worden ist.
Neben den gewöhnlichen composita mit Por- (Porbiarn etc.)
.gibt es im ostnord. einige damit etymologisch identische Wörter
Bivd Thur- und (mit i-umlaut) Pyr-i Thurgerus (latinisiert),
ThiM'bemus (latinisiert), Thyrbiem, Pyrgils etc. (vgl. oben
^. 509). Isl. Panarr (Porr) ist früher flectiert worden: nom.
.'*Punar€Ui, gen. *Punaras, dat. *Punare, acc. *Punara, und das
compositum (lat) Thurgerus, gemeinnord. Purgeirr ist aus
*^nara'gaiBait entstanden. Wenn der a-umlaut zu gleicher
zeit in *huma > homa und in *Punc^aB > ^J^onaroB (Ponarr),
^pufMra- > *^(marar eingetreten wäre, so ist es unmöglich,
die formen mit Pur-, Pyr- (Thurgerus, Pyrgils etc.) zu er-
klären; man hätte dann nämlich in allen casus von Ponarr
ebenso wie im compositionsglied Ponar- o bekommen müssen.
Während die isl. partt. folginn, tropinn, sofinn, ofinn a-um-
laut haben, fehlt der a-umlaut in den partt. numinn (zu nema\
suminn (zu svima), obgleich nema, svima derselben verbalclasse
wie tro^a etc. angehören. Die partt. numinn, suminn müssen
ebenso wie die allermeisten anderen partt. pass. das sufflx -an-
gehabt haben: umord. nom. sg. *numanaR, *sumanaR, nom. pl.
*numanai, *sumanai etc. Während aber *truffanaR (^irudanae)
Bdtitg» Bar gwohiohte dv dentfohea q>rMlM. ZUn. 33
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514 KOOK
zu tropinn etc. wurde, haben numinn, summn keinen o-nmlantO
Ebenso yerhält es sich mit dem part wehw. hmin, adio.
kumam, während id. kominn (asehw. facnltativ aach komm) o
bekommen hat, das ans praes. hma hat ftberfcragen weriea
können (dagegen praes. nema, svma mit den wurselyocalen
e, «; YgL anch unten s. 515).
IsL 9umr hat immer den wnrselvocal u (ascfaw. atar nom.
acc. sg. neutr. somt etc. neben suniber), Anch diese ipocalisa-
tion von isl. sumr ist schwierig, wenn auch nicht gans siimö^
lieh zu erklären, wenn der i«-umlaut an gleicher zeit in *1mma
> homa und in nom. sg. ^sumoR (^sumaz) eingetreten wäre.*)
Man wttrde möglicherweise annehmen wollen, dass der
tt-laut in isl. sumarty frum-, aschw. Thurgerus etc. von einer
in den an. sprachen eingetretenen entwickelnng o> u vor
nasal herrtthre, und zwar in der weise, dass zuerst z.b. *Am-
marojg zu *hamar€Uf, *hamarr würde und nachher *komarr in
humarr flbergienge. Eine solche annähme wäre aber nicht
möglich. Die an. sprachen haben nämlich recht oft die lant*
Verbindungen -on-, -om-; ich erinnere z.b. an isl. sanr, geo.
sonar, kona, konr, konungr, gen. sg. kanar, numvü, duma
^dienen', kamay brama ^bruchstfick'; aschw. san, kana, kammger^
kama, samt etc., samlücer, brupkome (neben bruPgumi) etc.
Ich erkläre das Verhältnis in folgender wdse.
Wie bekannt tritt der o-umlaut nicht ein, wenn die Ver-
bindung nasal + consonant dem u nachfolgt, z. b. isL acc. sg.
dimban, inl kunna, acc. sg. ungan.
Die annähme liegt deshalb sehr nahe, dass ein nasal ohne
nachfolgendem consonanten das eintreten des a-umlants zwar
nicht ganz, aber vorläufig verhinderte. In urnord. zeit
wird u nicht zu o vor folgendem a> wenn m oder n
dem u nachfolgt; erst nachdem der mit levissimus
1) Ueber aaorw. namenm s. unten s. 515 f.
*) Ich erinnere an folg;ende ftussenmg von Joh. Schmidt anlSsalich des
ahd. isl. 8%»mar: 'du u vor folgendem a ist aUein durch das m bedingt
Im an. steht Tor m stets u, nicht o (Grimm 1*, 443. Holtsmann, Altd. gr.
s. 73 f.), desgleichen im ags. (Grimm 1*, 340. Holtamann s. 184. Sievers* § 1Q%
ebenso mehrfach im as. (Grimm 1 ', 237. Holtzmann s. 139. Hejne, Kl. aa. gr.
s. 11). Ohne auf diese dinge näher einzugehen, begnttge ich midi ein wort
anzuführen, welches in allen germanischen sprachen u hat, an. numr, ags.
as. ahd. 8um » apiSg^ skr. sa«ia-s enklit' (Neutra s. 208).
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DER ^-UMLAUT ETC. IH DEN ALTKORD. SPBACHBM. 515
accentuierte a-laut der zweiten silbe verloren ge-
gangen war, wurde der a-umlaut in den lautverbin-
dungen -«m-, -un- durchgeftthrt
Als der o-umlaut in *huma > homa, *hulta 'wald' > *holta
(vgl. HoltingaB) etc. durchgeführt wurde, blieb das u in sg.
*suniaraB, pl. *sufnaröB etc. noch erhalten.
Erst nachdem die synkopierten formen dat. sg. swmre,
nom. pl. sumroR etc. sich entwickelt hatten, gieng .der nom. sg.
sunMTB in somarJt, samarr (ygl. aschw. somar, nschw. sammar)
fiber. In den synkopierten sumraß etc. konnte jetzt ein a-um-
laut nicht eintreten, weil er überhaupt fehlt, wenn nasal +
consonant dem u nachfolgt; auch der dat. sg. mmre bekam
natürlich keinen umlaut
Aus den synkopierten casus (sumraB, sumre etc.) hat das
isl. sumarr, aschw. sumar den wurzelvocal bekommen, während
aschw. «Omar, nschw. sammar die lautgesetzliche fortsetzung von
dem nom. sg. somarB etc. ist.
Wie sumarr sind isl. humarr, neuisl. humaü aufzufassen;
der Wechsel ial.pumaU : aschw. ßamal(finger) erklärt sich in
derselben weise wie stwiarr : somar.
In "^fruma-hiaupa etc. war der a-laut des ersten compo-
sitionsgliedes verloren gegangen, ehe der a-umlaut relativ spät
in den lautverbindungen -wn-y -un- eintrat; daher isl. frunh
}daup etc.
In umord. zeit wurde ein umlaut im nom. sg. *numanaB,
nom. pL m. "^numanai, nom. acc. pl. 1 *numanöB etc. nicht durch-
geführt, aber die partt. isl. numinn, a^hw. numin, isl. suminn,
aschw. ^m«^, fuschw.kumin, dÄ&ii,kumam können jedoch auf zwei
etwas verschiedene weisen aui^efasst werden. Der a-umlaut
in z. b. sumarB > somar kann so spät eingetreten sein, dass
'^numcmB damals schon zu *numenB (numenn) geworden war.
In diesem falle haben numinn, suminn, kumin lautgesetzlich u
in allen casus. Isl. aschw. komtn(n) hat dann das o aus dem
inf. koma bekommen (vgl. oben s. 514), und der o-laut in anorw.
nomenn, aschw. nomin (neben numin) ist auch analogisch zu
erklären. Nach den verben praet. svafu : part. sofinn, väfu :
ofinn, hvämu : hominn ist das part des verbs nämu : numinn
gegen nomenn vertauscht worden.
Es ist wol aber auch möglich, dass der a-umlaut in*
33*
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516 KOCK
"^sumarn > somarB vor der zeit eintrat, wo *numa$iR zu ^numenM
inumenn) wurde, aber nachdem sich die synkopiemng in nom.
acc. pI. fem. *numanöB > numnar etc. schon vollzogen hatte.
Wenn dem so ist, so trat der a-nmlaut lantgesetzlich in *mi'
mann > naminn ein, und numinn hat u aus den synkopierten
casus numnir, numnar eta bekommen; so kann auch loMitiiii :
hmin erklärt werden.^)
ümord. ^Punara-gaiBOR gab (vgl. ^humaröR > humrar)j
"^Punr-gauut, sei es dass die entwickelung *punara'gaiMaM >
*PunrargautB > ^punr-gaiRB^ sei es dass sie ^PunarorgaiMatt >
*Punar-gaiMR > ^punr-goinR war. Aus "^punr-gai^ wurde laut-
gesetzlich *pargeisR,^) Sischw. Purger (latin. Thurgerus)j Pyrger
(latin. Thffrgerus, vgl s. 509). Purgisl entwickelte sich durch doi
f-umlaut zu Pyrgüs etc.
Es sei hier hervorgehoben, dass man bei freier wähl
zwischen o : « in gewissen isl. Wortklassen den nicht umgdau-
teten vocal u gewählt hat, wenn m oder n nachfolgte; sonst
aber meistentefls o. Unter den verben welche wie id. twüfca
(got. haban) flectiei*en, haben brosa, glottOf horfa, hpa, skoOa,
skorta, toUa, ßola, Para das umgelautete o (vgl. auch aschw.
dogha : isL aschw. dug(h)ä)y aber dagegen una,*^luma das nicht
umgelautete u. Ebenso verhält es sich bei den mascw n^stämmoL
Sie haben im isl. gewöhnlich o (nicht «), z. b. isl.ftoti, spart, Josti,
hghi, stolpi etc.; dagegen findet sich u in gumi, skumi, bnmi,
spuni, runi.
Der vocalwechsel im isL hunang n., aschw. hunagk iL,
hunagher ul : aschw. honagh n., hanagher m. ist in folgender
^) Das seltene isl. kuma und die ostnord. wechselfonn kuma (neben
koma) haben ihr u ans dem praes. sg. *kumiR nnd dem part kumitm bekommen.
*) Bei dem gemeinnord. verloste von n in der laatverbindung tm tot
8, r etc. wnrde im zu a (nicht eu d, wie Noreen, Aisl. gr. § 83 mit anm. 2
nnd noch Aschw. gr. § 84, 2b meint); vgl, Kock, Arkiy n. f. 1, 57 if. Bewei-
send ist besonders aschw. flls, isl. fHas « *fun8\ aber aschw. framft», mn.
B6pft>8, iBL/ilfi>s8 mit der entwickelnng {l> o in der semifortissilbe. Das
wort heisst nftmlich aschw. nicht, wie Noreen, Aisl. gr. § 8$ anm. 2 angibt,
ft>s, sondern (fast immer) fa8\ s. SMerwalls wOrterbnch. Uebrigens ist die
frage nach der behandlnng von -im- Tor 8, r etc. eigentlich ohne belang
fttr die erklärong des u in Tkurgerus etc. Denn wenn auch -mi- yor r in
D übergegangen wäre, so wäre damit nidit erklflrt worden, wie u in I%tir-
' gerui {Thgrgeru$) ans einem nrgerm. o in ^^onara* bitte entstehen kOmieB.
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HEB Ä-VULAVr ETC. IN DEN ALTKOBD. SPRACHEN. 517
weise zu erklftren. In der lantverbindnng -un- wurde der a-mn-
kkiit Yorlänflg nicht durchgeführt Zu einer zeit wo der
o-umlaut in luma eintrat^ ruhte f acultatiy f ortis auf der ultima
yon hundng, ebenso wie die ableitungsendungen -ing, -ung im
an. oft facultativ f ortis hatten: isl. ten(n)ingr etc. (Eock, Fsv.
Ijudlära 1, 50. Svensk akcent 2, 318 1 Arkiv i, 165; ib. n. f. 1, 67
anm.2). Ebenso wie ein i oder u in der fortissilbe keinen
Umlaut bewirkte, so konnte auch durch das a der fortissilbe
kein umlaut bewirkt werden; daher hundng (nicht ^^hondng),
Dnrch dissimilation gieng hunang in aschw. hunagh Aber
(Noreen^ Pauls Grundr. 1^, § 189, 6). Da aber hunang facultativ
f ortis auf der paenultima hatte, so wurde es durch den a-um->
laut zu *hona$ig, aschw. honagh.
In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass vor der
lautverbindung ggu? nicht der umgelautete vocal o, sondern u
steht Während die masc. n- stamme sonst oft einen Wechsel
0 : u haben (z. b. isL oxi : uxiy aschw. axe : uxe, isL aschw. ftoti :
aschw. fluU etc.), entspricht isl. skuggi, aschw. shugge dem got
skuggwa. In flbereinstimmung hiermit findet sich u in den
isl. partt. hnugginn (zu hneggva), tugginn (zu iyggva), gugginn
(mgffggva\ brugginn (vgl. ags. breöwan)^ obgleich der o-umlaut
in den partt gollinn, solHnn etc. durchgeführt worden ist; ygL
Kock, Arkiv n. f. 7, 317 anm. 2. 8, 241. A. a. o. ist dargelegt wor-
den, dass skuggi, hnugginn etc. lautgesetzlich aus *skuggm,
"^hnuggwinn etc. entstanden sind. Hier sind noch zu beachten
isL rugga (praet -api) 'hin und her bewegen, wiegen' und das
wie vaka flectierte isl. ugga mit u. Nicht nur w, sondern auch
gg waren stark labiale consonanten, weshalb g im ostnord.
vor gg in u übergegangen ist: hggg > aschw. hug etc. (Kock,
Fsv. Ijudlära 2, 476 ff.). Diese eigenschaft von ggw ist es, die
den a-umlaut in *bruggi€anR > brugginn etc. verhindert hat
Doch ist es vielleicht auch möglich, dass der a-umlaut auch
in brugginn etc. einmal durchgeführt worden ist, obgleich sich
0 später vor ggw zu u entwickelte; in diesem falle wäre die
entwickelung ^bruggwatMn > *broggwanR > *bruggwenR >
brugginn gewesen.^)
1) fiimnal findet sich im aschw. skogga statt shugga. Das o kann
hier daranf beruhen, dass w in 8kugg(w)a in irgend einem dialekt vor dem
ende der o-nmlautspmode verloren gegangen ist, nnd dass $ki*gga nachher
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518 KOCK
Wegen der oben erwähnten nnd jetzt erörterten werter
Jmmarr, frumhla/up etc. kann, wie schon gesagt^ der a-mnlaiit
im ganzen genommen nicht eine nrgerm. erscheinnng seiii,
sondern er ist, wenigstens zum teil, in den verschiedenen genn.
sprachen durchgeführt worden, nachdem sich die germ. sprach-
einheit gespalten hatte.
Ich will auch andere momente heranziehen, welche dar-
tun, dass die gewöhnliche auffassung des a-umlauts nicht
richtig ist
Nach dieser soll urgerm. auch m o-umlaut bewirkt haben.
Soweit ich sehe, haben jedoch die an. sprachen keinen durch m
hervorgerufenen o-umlaut von u.
Hierbei kommen besonders die masc. n-stämme in betracbt
Es findet sich bei einer menge solcher Wörter ein Wechsel u : o,
z. b. isl. tm, aschw. uxe : isL oxi, aschw. oxe, isl. aschw. gumiy
aschw. brußgumi : bruphome, aschw. fluti : isl. aschw. floH, asdiw.
luste : loste, isl. losti, aschw. drupi : isl. aschw. dropi, aschw.
lughi : isL aschw. log{h)i, aschw. sarpuli : sarPoU, stülpe : Stolpe^
isl. stolpij aschw. spwri : isl. aschw. spori, aschw. drusi : ärasse,
musi : isL aschw. mosi, aschw. pusi : isl. aschw. posi, aschw.
bruti : isl. aschw. broti, aschw. spruti : isL aschw. sproH eta
Der nom. sg. der masc. n-stämme ist in den umord. runen-
inschriften oft belegt, und er hat dort die endung -a : unwüa
etc. Sie entspricht aller Wahrscheinlichkeit nach der griech.
endung -^v, und ftuti : floti etc. hatten also in urgerm. zeit den
endvocal «; vgl. Heinzel, Anz. fda. 12, 48. ßugge, Arkiv n. f. 4, 18.
Eock, Skandinavisches archiv 1, 1 ff.
Der gen. sg. findet sich im nmori. J>raunmn (Tanum), der
dat. sg. im umord. witadahalaiban (Tune), wo -an aus älterem
-on- entwickelt ist. Auch der umord. gen. pl. scheint -an-
aus alt. 'On- gehabt zu haben : arbijcmo (Tune; vgl. got. hanami).
Ohne allen zweifei hatte der acc. sg. (flota) umord. die endung
-an (vgl got. hanan), ält. -on-. Im plur. ist die ursprüngliche
nom.-form *flutan[ü] mit ält. -on- in den acc. eingedrungen
(isl. acc. flota, nom. flotar mit anal, -r; vgl. got. hanans, Streit-
en skogga wnrde. Aber dies yereinzelte akogga kann wol auch anakgiach
entstanden sein; nach der analogie Ton uxi : oxaj fktti : flota etc. kann i
in nom. skugge den acc skogga neu geschaffen haben.
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DER ii-UMLAÜT ETC. IK DBIT ALTNOBD. BFBACHBN. 519
berg, Urgerm. gramm. s. 256). Aus den o-stftmmen ist anh auf
dat. pl. flotum übertragen worden.
In allen diesen formen hatte also 2. b. fhti : ftoH in nrgerm.
zeit die endvocale ^, a odei* 0. Wenn aber alle diese end*
Yocale den a-umlaut bewirkten, so bleibt das ii in flwH etc.
imerklärt Die sacbe ist natfirUch in der weise aniznfassen,
dass in den an. sprachen der a-nmlant zwar durch den ans
indog. 0 entwickelten a-lant bewirkt worden ist, nicht aber
durch das germ. (B, das umord. zu einem hellen, ä-fthnlichen
a-lant (nom. mmla etc.) geworden war, und das in den an.
literatursprachen in e, i (fluti eta) übergieng. Der a-umlaut
ist also z. b. nicht in nom. sg. *fluüB, umord. *fluta, gemeinnord.
* flute, aacliw. fluti eingetreten; in den obl. casus '^fliUan>*flotan,
isL aschw. flota ist er aber durchgeführt worden. Hierdurch
wird die ansieht Bugges, Arkiv 4, 19 bestätigt^ dass der o-laut
in nom. sg. wiwüa etc. ein dhfthnliches a war.
Gegen diese auffassung kann nicht eingewendet werden,
dass das ii in fl/iAÜ etc. aus solchen umord. oder urgerm. casus
herrühre, welche in den an« literatursprachen verloren gegangen
wären. Am ehesten könnte man wol an eine form auf -in^n)
für gen. und dat sg. (vgl got. gen. hanins, dat. hanin) denken.
Noreen hat nämlich die Vermutung ausgesprochen, dass der
t-umlaut einiger wenigen nord. n-stämme auf eine solche
endung zurückzuführen sei, z. b. aschw. gripe : isl. gröpi (Sv.
landsm. 1, 696 anm. 3; 738. Pauls Grundr. 1^, 613). Dies ist viel-
leicht richtig. Ein umord. *fl/utin muss aber in den an.
literatursprachen *flyti (nicht fluti) ergeben haben, und es ist
gewis nicht möglich, dass der ti-laut in einer so grossen
menge Wörter (gumi, fl/uti etc.) dadurch gerettet worden wäre,
dass er vor der t-umlautsperiode aus dem gen. dat. sg. in den
nom. acc. sg. übertragen worden wäre* Dass dies nicht der
fall gewesen ist, geht vor allen dingen daraus hervor, dass
die umgelauteten formen *gymi, *flyti etc. sich nicht einmal
neben gumi, fluti etc. finden.
Wenn der o-laut der ultima von brosa etc. (wie vaka, got
haban flectiert) aus urgerm. m entstanden ist, so ist doch der
a-umlaut in brosa erst nach der zeit bewirkt worden, wo iB
in a übergieng.
Die Umlautsverhältnisse dieser verben {brosa, duga etc.)
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f
520 KOGK I
dürften nämlich die frage zum teil anfUftren, wann der
a- Umlaut von u durchgeführt wurde.
Man flectiert bekanntlich im got praes. haha, habais, ha-
baip, hohem, habaip, haband, inf. haban, part. praes. haba$idg.
Betreffe der ziemlich umfangreichen literatur über die geBchicht>
liehe erklärung dieser verben verweise ich auf Streitberg, Ur-
germ. gramm. s. 306. Es dürfte aber als sicher gelten, dass die
flexion dieser verben auf einem älteren Stadium des an. mit
der got. in der weise übereinstimmte, dass sich der diphthong
ai fand, wo das got diesen diphthong, aber der endvocal a,
wo das got diesen laut hatte. >)
Wenn nun der diphthong ai während der o^umlautsperiode
erhalten gewesen wäre, und wenn überhaupt jeder a-laat
o-umlaut bewirkt hätte, so hätte auch der a-laut des diphthongs
ai umlaut bewirken müssen; vgl. dass der i-laut des brechungs*
diphthongs io, ebenso wie andere traute, t-umlant bewirkt^ z. b«
Pyrbiam (< Purbiom). Unter diesen Verhältnissen hätten alle
formen (oder fast alle formen) dieser verben mit dem wurzel-
vocal u »-umlaut bekommen müssen.
Während aber mehrere verben dieser flexion a-umlant
haben (isl. brosa, glotta etc.), fehlt der umlaut in anderen immer
oder oft: isL una, luma, duga : aschw. dogha (neben dugha).
Wie bekannt geht der germ. diphthong ai der infortis-
silbe im nord. ia e, i über (vgl. 2. 3. sg. praes. vakir etc.). Man
ist deshalb zu der Schlussfolgerung berechtigt, dass der o-um-
laut in z. b. aschw. dogha (: isl. duga) erst nach der zeit durch-
geführt worden ist, wo ai in der endung zu e oder wenigstens
zu ei wurde. In der 3. pers. pl. "^du^an (vgl über diese form
Kock, Arkiv n.f. 10, 232 fl), in inf. *du^an etc. wurde der a-um-
laut durchgeführt {*do^an), in der 2. 3. sg. *du^eB, *duseö etc.
aber nicht Isl. duga hat die vocalisation dieser, aschw. dogha
die vocalisation jener formen bekommen.
Ich will noch ein paar umstände hervorheben, welche
dartun, dass im an. zwar a, nicht aber ö (wie auch nicht iB)
a- umlaut bewirkte.
In mehreren einsilbigen masc. a-stämmen findet sich ein
*) Mit auflnahme der 1. pers. sg. praes. (Noreen in Pauls Gnmdr. 1*
§249). ,
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DER ii-TTMLAÜT BTC. IK DEIT ALTNOBD. SPRACHEN. 521
Wechsel u:o, z. b. aschw. uter, nschw. utter : isl. otr, aschw.
oter, aschw. udder, nschw. udd : isl. oddr, aschw. odder, aschw.
UMcer : isl. lohkr, aschw. lokher, aschw., alt nschw. ku8(8) : isl.
Jcoss, aschw. kos, nschw. tupp : isl. toppry aschw. ^oj^per, aschw.
^Ä;X:er : isl. flokhr, aschw. flokker. Ausserdem findet sich ein
solcher in mehreren gleichartigen Wörtern, wo der dem wnrzel-
vocal vorhergehende consonant bei freier wähl zwischen
u : 0 den u-lant begttnstigt hat, z. b. isl. aschw. hukk(e)r :
bokk(e)r, bulst(e)r : bolst(e)r, fug(h)l : fog(h)l, aschw. krupper :
isl. aschw. kr(^pp(e)r etc.; vgl. nnten s. 527 ff. Isl. ulfr, aschw.
ulwer hat sogar ausschliesslich u; nnr als zweites compositions-
glied wird -olfr in isl. Eyiolfr etc. verwendet; vgl. umord.
hapuwolafa (Gfommor), haputcolafR (Stentofta) neben hariwulQfy,
haPuwuUfftt, haerutüuU^fiB (Istaby).
Bekanntlich enthielt nmord. die zweite silbe solcher Wörter
in allen casus ausser dem' dat. sg. a, o oder ö (sg. *iiUraR, *utras,
*utre, *utra\ pl. *iUröit, *utrö, "^utram-, "^utrann). Also hätte
nach der gewöhnlichen auffassung des o-umlauts dieser in allen
casus ausser dem dat. sg. durchgeführt sein sollen. Zu einer
noch früheren zeit hätte der a-umlaut auch in dat. sg. ein-
treten mfissen, wenn er Überhaupt einer so frühen periode
angehörte; die umord. dat-endung e dürfte nämlich (vgl
Streitberg, Urgerm. gramm. s. 227) aus germ. ai, indog. öt ent^
standen sein. Wäre es nun möglich, dass der M-laut so vieler
Wörter aus dem dat sg. allein herrühre, sogar in Wörtern, die
wegen der bedeutung nnr äusserst selten im dat. sg. haben
vorkommen können? Diese frage muss jedenfalls mit nein
beantwortet werden.
Die Sache stellt sich dagegen ganz einfach, wenn man an-^
nimmt, dass der a-umlaut nicht urgerm. ist, und dass in umord.
zeit nur ä (nicht aber ?) den a-umlaut bewirkte. Gleichzeitig
mit der entwickelung *hurfM > homa wurde dann der a-um-
laut in vier casus von z. b. uter : otr durchgeführt (sg. nouL
*otraii, gen. *otras, acc *otra, acc. pl. *otrann)y aber u blieb
vorläufig in vier casus (dat. sg. *utre, pl. nom. *utröB, gen.
*utrö, dat. ^utrom-) erhalten. Nachdem das mit levissimus
accentuierte a in nom. sg. "^otrc^ > otr(n\ acc. sg. *otra > otr
etc. verloren gegangen war (bez. nachdem der a-laut der ultima
j30 reduciert worden war, dass er nicht mehr elgentUchen
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522 KOCK
o-klang hatte und deshalb auch nicht mehr o-nmlaiit bewirken
konnte; vgl. dam der ä- ähnliche a-laat des nom. Bg. *fhUa >
fluH keinen nmlant bewirkt 0), wurde der nicht nmgelaiitete
vocal u ans dem dat. sg^ nom. gen. dat. pL (^utref *utröB, *uirff,
^utromr) in die casus mit lautgesetzlichem o eingefflhrt, and
man bekam also nom. sg. utr{R) neben oir(R)y gen. sg. utra neben
otrs, acc sg. utr neben otr. E^t nachdem nom. pl. "^idrox,
pl. *uirö zu utraB, utra geworden, bewirkte a andi in die
casus Umlaut (otraB, otra). Jetzt hatte man aber schon d«i
Wechsel utr{B) (aschw. uter) : otr(R) (isl. aschw. ot(e)r).
Unter den fttr diese frage beweiisf ähigen masc. n-stimmen
habe ich aschw. nschw. ugn : isL aschw. ofn, isL ogn, asdiw.
oghn, onm, dän« avn nicht erwähnt Im aschw. dürfte nändich
eine lautgesetzlicbe entwickelung o > u vor dem gattantai
nasal durchgeführt worden sein. Nachdem oghn zu ogm, angm
geworden, gieng o in ti (tmgn > uhgn, aber noch ugn ge-
schrieben) ebenso wie in (isl.) logn > aschw. nschw. lugn ftber.
Beachte auch isl. hrogn, aschw. {8äce)rompn, nschw. ram : asdiw.
rtigkn.
Der Wechsel aschw. skop 'spass' : dat. pL shupum spridit
auch dafür, dass nur ä den o-umlaut bewirkte; vgl. aschw. hap,
nschw. hopp 'sprung' : aschw. dat hupi. Auch aschw. hop 'hoff-
nung' (das jedoch wol ein mnd. lehen ist, vgl. mnd. hope) hat
in der regel (ygL nschw. hopp) o; nur im aschw. dat hupi
(jung, hupe) ist u belegt. Die angeführten Wörter sind kuv*
silbig, und solche haben im aschw. den alten lautgesetzUchen
Wechsel u : o länger als die langsilbigen erbalten; vgl. Kock,
Tidskrift 1 fil. n. r. 8, 295 (Arkiv n. 1 2, 14 1). Derselbe laut-
gesetzliche Wechsel kann aber auch ausnalunswdse in lang-
^) Der Istabystein spricht möglicherweise für die zweite altei^
natiye. Dieser stein hat nämlich den acc. sg. Jiariwuliffih wo das q der
ultima einen redacierten o-lant auszudrücken scheint (ygl. Noreen, Aisl. gr *
8. 259), aber schon den acc. pl. runaa « runön). Da sich aber dort auch
der nom. hafmwuUffR mit yerloren gegangenem a « *hapmnil^aB) findet,
80 ist die insehrift fttr diese frage nicht beweisflhig. Es ist su beachten,
dass hanwmUffih hapuwulqfR composita sind, und dass die endvocale der
composita lautgesetzlich etwas Mher als die der simplida yerloren gehen.
¥an hegt aber wie bekannt den yerdacht, dass die Istabyinschrift eine ans
lelatiy sp&terer zeit herrührende nicht ganz gelungene nachahmnag der
ttteren nm^isprache sei.
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DER ii-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 523
silMgen Wörtern verspürt werden. Es findet sich aschw. lopt
^Solarium' : dat. lupte, hoJmber hat fast fiberall o; doch in
zwei lat diplomen m erbohulm (ans dem jähre 1287) < dat.
'hukne nnd dat. pl. huhnum (ans dem jähre 1311).
Femer zengt der Wechsel der nmgelanteten nnd der nicht
nmgelanteten formen bei den fem. n-stämmen dafflr, dass
zwar a nicht aber ö den a-nmiant bewirkte. In gewissen
altschwedischen Schriften findet sich, wie bekannt, ein regel-
mässiger Wechsel nom. kona : obl. casns kunu, nom. hola : obl.
casus kulu] zn beachten ist auch aschw. fara : nschw. affinru.
Vgl. isl. kona : huna, aschw. loia : luka, aschw. flogha : isl. aschw.
ftug(h)a, isL aschw. hosa : aschw. husa, isl. stofa, aschw. 9tou?a :
stuwa, alt. nschw. sola : aschw. sula, aschw. shrobba (als beiname
benutzt, Lundgren, Sy. landsm. 10, no.6, s. 66) : skrubha 'höhle*.
Isl. labba 'grosser dorsch' hat sogar nur u,
Der gen. sg. Igivon auf dem Stenstadstein lehrt, dass die
fem.n-stämme umord.-e^n) in der ultima hatten, was vollständig
mit der got flexion gen. tuggffns, dat tuggifn etc. flbereinstimmt.^)
>) Dieser ansieht ist auch Bngge, Norges indskrifter s. 180. Ohne ge-
nügenden gnind nimmt Noreen, z. b. in Pauls Gmndr. 1* s. 614 an, dass der
gen. sg. isl. wiku etc. ans nmord. *wikan entstanden sei. Nirgends ist
aber ein ninord. gen. auf Hin oder dgl. belegt (in Ußmuprku [acc. pL] der
relatiy sp&ten [nicht urnord.] Eämboinschrift; ist -u natürlich aus ftlt.
'jynn entstanden). Der endyocal -u des gen. sg. vih$ (ygl. got. tug^^ns)
trete dem -a in Inf. kaUa (ygl. got. 9dlb^ erklärt sich in folgender weise.
Nom. acc pl. aschw. 9ghony 0^un nnd wol auch isl. augu entsprechen dem got
augfina (s. Kock, Beitr. 15, 244 ff.). Also ist im nom. acc pl. *€Mig9n' (mit
yocal nach n) der endyocal als o, u erhalten (ygl. aschw. eghon, eghun,
isl. augu), während nmord. *kda^ mit auslautendem kurzem n eu isL
aschw. kaüa geworden ist. Die entwickelnng *kaüön > kdUa ist deutlich
durch den relatiy frühen yerlust des -n bedingt; ygl. dagegen aschw.
0ghon mit o und erhaltenem n. Der gen. sg. viku, der nom. acc. pl. *tmku
(ygl. Ufkmuprku auf dem Kämbosteine; später anal. wikuR, vikur) sind aus
urnord. *ioikönn mit langem n, *wik9nM, wikGm (ygl. got. tungöns) eair
standen. Musste nun o in *wHa»m mit langem -n in derselben weise wie
9 in *kaäiHi mit kurzem -n oder wie 9 in *augnn' (got. aiug^Ma) mit yocal
nach n behandelt werden? Weil der n-laut in *wüann lang war, muss er
später als das kurze n in *kaibht yerloren gegangen sein, wenn er auch
(wie aschw. gen. sg. viku : eghon lehrt) früher als in *aug(>fir wegfiel. Man
hat also während einer periode *kaaö (wahrscheinlich mit nasaliertem o)
neben *ic»%on(n) gehabt. Deshalb entwickelte sich *kaüö zu käOa (ygl.
nom. urnord. *wiko > isl. aschw. vika)^ aber *ioik9n(n) zu viku ygl. *aii^0fi^
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524 KOCK
Eine flexion nom. *hidö, gen. *hulifnn, dat. acc *hulM, pl. *huUHH^,
*hulöm hätte aber nur sg. hola : holu, pl. holur etc. (nicht gen.
hidu, pl. Aiilur etc. mit u in der wnrzeteilbe) geben mfiissen, wenn
o-nmlant auch durch ö bewirkt worden wäre. Wenn dag^;en
nnr ä (nicht o) o-umlant bewirkte, so ist der Wechsel nom. hola :
gen. hulu, pl. hidur etc. vollständig in Ordnung. Erst nachdem
umord. nom. %ulö zu hula^) und urnord. gen. *hulih%(n) zu htdo
oder hülu geworden waren, wurde in solchen Wörtern der
(I- Umlaut durchgeführt; nom. hula wurde dann zu hola ent-
wickelt, während der wurzelvocal in gen. hulo, hulu etc. er-
halten wurde.*)
Da im an. nur ä, nicht tt, a-umlaut bewirkte, so ist der
a- Umlaut in worahto (Tune) von dem zwischen r und h ent-
> aschw. eghun, eghon, id. augu). Streng lautgesetzlich hätten dat. mid
acc. 8g. *tDiIain (ygl. got. tuggJHfC) zu *vtka (ygl. inf. kaUa) entwidielt
werden müdsen. Dnrch den einilass der drei casus gen. sg., nom. aoc. pL
*vDik^n) (Tgl. got. iuggiyns) wurde aber das auslautende -n im dat aoc sg.
*tDilain (Torläu%) erhalten. Auch dies *i0t%9n gab deshalb vtku ebenso wie
gen. sg., nom. acc. pl. *wik(M^n) zu mku wurden.
^) Für diese frage ist es ohne belang, ob *^bu29 streng lantgesetdieh
zu hula (ebensowie nom. *wiko zu w3ui etc.) wurde, oder ob o in ^Anto
(wegen des u- lautes der paenultima) lautgesetzlich soUte erhalten bleiben
(Tgl. Eock, Beitr. 15, 254 ff.); in diesem falle ist -a sehr frtth in nom. sg.
hula aus nom. sg. mka etc. übertragen worden.
>) Diese schlussfolgerung hat wegen des wechseis aschw. ihrobha :
skrvbha, isl. kana : kwM, Mchw. flogha : isL fluga und wegen isl. lM>a mit u
ihre gttltigkeit, auch wenn das nebeneinander o : « in aschw. knrzsUbigen
fem. n-stänunen Tielleicht zum teil auf einer aschw. dialektischen
lautgesetelichen entwickelung o';:>u Tor u der folgenden silbe beruht;
wenn dem so ist, so wäre z. b. gen. st^kou durch s. g. 'til\j&mning' (zum
teil) lautgesetzlich aus stöwu entstanden. — Es braucht kaum bemerkt wbl
werden, dass ginoronon Mdearwumo auf dem Stentoftastein nicht gegen
meine obige auffassung angeführt werden kann. ^rofWR in gmoronon kann
n&mlich entschieden nicht mit Noreen, Aisl. gr.' s. 263 als eine (o-umgdau*
tete) form aus neuisl. rwna 'linea, Stria' aufgefasst werden. Eher ist -rofWR
aus -rOnoR 'runen' (Tgl. ginarihMR auf dem fijOrketorpstein) entstanden
und als ein beispiel der lautentwickelung a > 9 in semifortiMlbe ante«
lassen (Tgl. Kock, ArkiT n. f. 1, 57 ff.). Uebrigens ist bekanntlich der ganze
Charakter dieser inschrift der art, dass man auf ihr, wenigstens Torläidlg,
nichts aufbauen darf. Es ist sehr leicht möglich, dass sie (wie Wimmer
annimmt und Bugge wenigstens früher annahm) eine schlechte copie einer
älteren inschrift bez. mehrerer älteren inschriften ist, die der steinmeli
nicht oder nur mangelhaft Terstaad*
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DBB ^-ÜHLAÜT BTC. ÜV DB^ AIiTNOBD. 8PBACHBK. ^25
wickelten parasitVocal ä herVorgeraten worden, wobei yietleicht
auch der r-laut und möglicherweise auch der A-laut eine rolle
spielte« Wie bekannt hat der r-laut Überhaupt eine tendenz
dem vorhergehenden vocale eine offenere ausspräche zu geben;
vgl. z. b. die entwickelung "^hum > kaum etc. im got., dass im
aschw. r bei freier wähl zwischen u : o den o-laut begttnstigte,
und dass im späteren aschw. u \ot dem hohen supradentalen r
in den lautverbindungen rff, rt etc. in o fibergieng {spurte >
spordhe etc.; s. unten s. 527). Zu beachten ist auch der ttber-
gang u>o (aü) vor h sowol im got. (z. b. *suhi8 > saühtä)
wie im an. (z. b. sott).
Nach den obigen erOrterungen kann die frage aufgeworfen
werden: ist der a-umlaut von u gänzlich eine einzelsprach-
liche erscheinung, so dass z. b. die entwickelung *huma > hofna
nicht in urgerm. zeit durchgeffihrt worden, sondern teils früh-
umordisch teils urwestgermanisch ist? So viel ich sehe, kann
die frage nicht mit voller Sicherheit beantwortet werden. Doch
spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der o-umlaut gänzlich
eine einzelsprachliche entwickelung ist.
Wie bekannt hat das got. Wulfllas überall u. In der
letzten zeit ist die scharfsinnige Vermutung ausgesprochen
worden, dass man in dem durch die klassischen autoren über^
lieferten namen der Goten Oot(h)ane8 (neben Outanes) eine
spur des o-umlauts aus der vorwulfllanischen zeit habe (Osthoff
und Streitberg, IF. 4, 308 f. Streitberg, Urgerm. gramm. § 71 ; Got.
elementarbuch § 5). Nach dem aufsatz von Collitz, Journal of
Germ. phil. 1, 220 ff. dürfte man aber der Schreibweise der klas-
sischen autoren kein eigentliches zeugnis in dieser beziehung
beimessen können.
Dabei ist aber auch ein anderer umstand zu beachten.
Die mOglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass das nebeneinander
Oot(h)one8 : Outones darauf hindeute, dass bei den Goten der
a-nmlaut in einer bestimmten Stellung eingetreten, aber
sonst nicht durchgeführt worden ist. In Arkiv n. f. 8, 138 ft
habe ich gelegenheit gehabt darzutun, dass ein stehengeblie-
benes u im anorw. (d. h. in gewissen anorw. dialekten) nur
in semifortissilbe, nicht aber in fortissilbe umlaut bewirkte, z.b.
piödgQtu (nooL piöffgata), aber simplex gatur ohne umlaut. In
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526 xoCK
übereinstiininimg hiermit ist der i-umlaüt in der spräche des
Büksteines nur in der silbe mit semrfortis, nicht in der f ortis-
Silbe von einem stehengebliebenen i henrorgemfen worden,
z. b. mogmini, d. h. mogmenni, aber tiorm ohne nmlaut (Eock,
Arkiv n. f. 10, 249 ff.). Da nnn der Gtotenname vor allem im
zweiten compositionsgliede der namen 'Ostgoten' und 'West-
goten' {OstrogothfB and Wisigofhm bei Jordanes, vgl Streitbei^,
IF. 4, 300 ff.), vorkommt, so ist es nicht munöglich, dass bd
den Goten der o-nmlant nur in semifortissilbe eingetreten ist,
und dass die Schreibung Gutones bei den klassischen autoren
die vocalisation des simplex gutans, Got(h)ones aber die der
composita -gotans reflectiert.
Wie dem auch sei, so kann das got. nicht als eine stütze
fjär die annähme herangezogen werden, dass der a-nmlaut in
urgerm. zeit in der fortissübe durchgeftthrt worden sei
Nun ist oben dargetan worden, dass der o-umlant der an.
aprachen z. t. ziemlich spät eingetreten ist In sumar > samar
etc. wurde der o-umlaut erst bewirkt, nachdem der o-lant der
zweiten silbe des nom. pl. *8umaröB > sumrtut etc. synkopiert
worden war. Im nom. sg. htda > hola, kuna > Jcona etc. wurde
er durchgefflhrt nach der zeit, wo -ö des nom. sg. in -a flber-
gieng. Unter diesen umständen ist es wenig glaublich, dass
die a -Umlautsperiode schon in urgerm. zeit angefangen habe;
dann würde sie nämlich eine zu lange epoche umspannt haben.
Es ist viel wahrscheinlicher, dass der a-umlaut von "^huma >
homa ebenso wie derjenige von hula > hola der nord. sprach-
einheit angehört.
Ich gehe zu der frage über, inwieweit ein vorhergehender
consonant in den an. literatursprachen, besonders im aschw., die
wähl von o oder u begünstigte, wenn diese vocale seit alters
in verschiedenen formen ein und desselben wertes wechselten.
Im Arkiv n. 1 5, 244 ff. habe ich die frage nach dem einfluss
eines unmittelbar folgenden consonanten (bez. einer unmittel-
bar folgenden consonantenverbindung) auf u sowie auf ein durch
o-umlaut aus u entwickeltes o behandelt; vgl auch Brate, Äldre
Vestmannalagens Ijudlära s. 23. R. Larsson, SödermannalageDS
spräk 1, 32. Hultman, Finländska bidrag tili svensk spr&k- och
folkli&forskning s. 120. Noreen, Aschw. gramm. § 111, 2.
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DBB ^-UMLAUT «TO. HT DBN ALTNOBD. SPBACHEN. 527
Aber auch ein den vooftlen o : u nnmittelbar vorher-
gehender eonsonant hat einflaas auf sie austtben könnet
Dies geht besonders ans einer mustenmg des in Schlyters
glossiu* znm Upplandsgesetf (UL.) verzeichneten Wortschatzes
hervor.
Die tatsächlichen angaben über den Sprachgebrauch dieses
gesetzes rühren meistenteili aus jenem werke her, das zwar
nicht immer alle wechseUormen der Wörter verzeichnet, aber
ohne zweifei die normalform immer correct anführt
In meinem soeben citiei-ten aufisatz dftrfte dargelegt worden
sein, dass aschw. u vor dem hohen supradoitalen r 4er laut-
verbindungen rö, rt, m, rs, rl {jspurpe > sporne etc.) in o über-
gegangen, nnd dass im aschw. der o-lant bei freier wähl
zwischen o : u vor supradentalem Z, n {foli etc.) begünstigt
worden ist Im altgntn. ist ti vor r überhaupt zu o geworden
(SOderberg, Fomgutnisk 1 judL s. 16).
Es findet sich im Upplandsgesetz o in harp (auch fare
barpe 6k bryggiu sporPe\ morp, marPgwld, marpcm, wp^ narpamf
BkorkB, harn, kam, kam hanrlHiergki, fam — harghm, hargham,
marghin, marghan gmfj targh, targhkap, arkce, Parp, parpoBkarl,
parwcß (verb)y vip panow, vipasr parwm, arf, tarf, tanoce — parw,
spargiM, far- (in farman, farfcepasr etc.), horin (part. zu lesraj^
mbarit, askarin {zashBrci).
Dagegen hurghis (s.228, 9 < hurghit8\ Purtcu (3. pL praes.),
prMt Purßi, dat pl. dumm und darum (zu dgr ^tür').
Vor supradentalem l in den Verbindungen Ik, im steht a
in maJkai, falk, faUovapn, falkland, hussastis falk — halmbißr,
Hofka\t\mb(Br, j stakhahm (6, 3). Dagegen findet sich u vor dem
supradentalen l der Verbindungen Jp, Igh in stulpi, obL casus
grindfB sifdpeB — didgh(Bdrap, daghftdghit
Hieraus ergibt sich, dass in der spräche des Upplands-
gesetses bei freier wähl zwischen u : o eine bestimmte ten-
denz durchgeführt worden ist, den o-laut vor rff, rt, m (und
meistenteils auch sonst vor r) ebenso wie vor Ik, Im zu benutzen.
Dagegen bleibt es zweifelhaft^ ob schon in diesem dialekte eine
lantgesetzliche entwickelnng u> a vor rö, rt, m (rs, rt)
durchgeführt worden ist
Sofern o nicht nach dieser tendenz (d. h. vor r, Jk, Im) ge-
fordert wird, verwendet aber UL. den vocal u unmittelbar
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S28 KOCK
nacli b, fy m, g (und? r, h) in Wörtern, die sonst gewöhn-
lich im aschw., bez. in den an. sprachen, einen weehsel
0 : u haben.
Es finden sich aläo z. b. hukkasr (vgl. aschw. hukker : bokker%
bulster (vgl. aschw. bolster : bulster)^ bup, farbup, forbups vitm,
forbuPiB, tiUmP, bupkafli, bupskapcer (vgl. aschw. büß : bofi, bujh
skap : bopskap etc.).
fughl (vgl. aschw. fughl : fogM)^ fughlcerm (vgl. aschw. fugh-
laren : fogMarenjy fidd(Br (doch acc sg.foUam 112, 7; vgl asdhw.
fulder : folder)y fulferce, fvXUB (=;= fyUcd), fuUsiBri, fuÜ, fidnceß<gr.
smnmsmughcB 221, 14, grism smugluB 221^ 15 (vgL aschw.
smtmha), at muni (dat. sg. zu aschw. mon : nttm), mun (praes.
sg.; VgL aschw. mon : mun). Dagegen part. moghandL
9^P (vgl. isL gop : ^py aschw. jw^O)» gupsifiiBr, gußsitom-
lagh, afgup, gul (subst.; vgl. isL goll : gfdl\ aschw. guly nur sehr
selten, wol durch deutschen einfluss, goT)^ gulsmijHer, gulgcsrmngj
guiar (vgl. aschw. gutar : gotar)j part guldiny guldit, oguldm (vgl
isl. goldinn : aschw. guldin). Es ist für die beurteilung der frage
von belang, dass UL. brupJcome 'br&utigam' 106, 13 mit o nach it
verwendet (vgl. afkama, (Uerkoma, koma neben kiMna). Da bn^
.käme aus brufigome, brufigumi entstanden ist (Eock, Arkiv n.1
5, 161 fL), so ist der gebrauch von u nach g in UL. erst nach
der zeit durchgeführt worden, wo brußganU sich in brupunne
entwickelte.
brut (vgl. aschw. brut : brot\ bgm-, ben^^ ra-, dam-, frip-,
hcBlghudaghcB-, skriptcß-brut, bruÜikcßr (vgl. aschw. bruiUker :
broOiker), benbrutin (adj., vgl. aschw. part. brutin : brotin\ sahst
ruf (vgl. isl. rof: aschw. ruß, Iceghu ruf^ vmmm ruf, grup (vgl
aschw. grup), rughcsr (vgl aschw. rogher : rugher, isl rugr)^ rupm
'reute' (vgl aschw. rupa : obl casus rupu). Dagegen adj. rotin,
Jmgho&r (vgl aschw. hugher : hogher), athughi : obl casus a^
kughce 5, 14 (vgl aschw. hughi : hoght)^ um huxm sik (vgl aschw.
huxa : hoxa), hulsoeri (vgl. aschw. hui : hol), subst huid (vgl asdiw.
.AttM : hold), part AtiZptY (vgl aschw. hulpin : AoJfnn).
Die Ursache dafür, dass sich nach b, f, m^) in der regel u
(nicht o) findet, ist natürlich, dass diese consonanten ebenso wie
i) Das im Biarkaanetter yorkommeude gosp€snmgar hat o durch
deutschen einfluss (mnd. godespennink).
>) Beispiele fehlen sufftUig fOr |>-.
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DES Ä'WhAVr ETC. IK DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 529
der vocal u stark labial sind. Dass auch g im aschw. labialisiert
war, geht daraus hervor, dass nach der entwickelung Gautstdtoer
> Gotstdwer mit fortis anf dem zweiten compositionsglied der
ö-laut nach g weiter in u (Gu[t]$tdwer, nschw. Gustaf) über-
gegangen ist. Wie bekannt gehörte im aschw. auch r den
labialisierten consonanten an; dies ergibt sich z. b. daraus, dass
aschw. i zwischen labial und r in y übergeht, z. b. virfa >
vyrpa, nschw. värda, Birghir > Byrghir, nschw. Börje etc. (Kock,
Sy. spräkhist. s. 22 f.). Es mag möglicherweise auf den ersten
blick befremden, dass UL. vor r den o-laut, aber nach r den
«(-laut verwendet. Das befremdende schwindet aber, wenn man
bedenkt, dass r zu gleicher zeit ein supradentaler und ein
labialisierter consonant war. Ueberhaupt findet sich im schwed.
die tendenz, vor (aber nicht nach) supradentalen consonanten
offene vocale zu verwenden (und o ist offener als u; vgl. Kock,
Arkiv n. 1 5, 244 ff.). Wenn aber ein consonant labial oder
labialisiert ist, so beeinflusst er auch den nachfolgenden vocal.
Wahrscheinlich war auch das h im aschw. labialisiert, da i
zwischen h und r oft in y übergeht, z. b. hirj>€ > hyrdhe etc.
(Eock, Sv. spr&kh. s. 25).
Ich erblicke im subst. skot eine weitere gute stütze dafür,
dass ein vorhergehender laut bei der vocalisation u : o einen
einfluss ausgeübt hat. UL. hat skot, matskot, sicelfskot mit o,
aber utskut^ utskutstola mit u; in diesen Wörtern findet sich u
auch in der ersten silbe. Hiermit ist zu vergleichen, dass,
während das aschw. im subst. holniber fast immer o (nicht u)
verwendet, man im Westmannagesetz B. 17 pr. (textcodex)
flut humOxBr statt ß^t huJmbcer mit u, im codex C fluthuhnar
auch mit u liest. Dies beruht darauf, dass auch die erste silbe
des compositums flut-hulmber ein u enthält.
Es ist eine andere frage, ob in der spräche des UL. u
nach den erwähnten consonanten durch eine lautgesetzliche
entwickelung aus o entstanden ist (z.b. urnord. nom. sg. *bukkaR
> ^bokkoB [durch a-umlaut] > bokkr > bukkr), oder ob der
ti-laut, bei freier wähl zwischen u: o, am liebsten gewählt
worden ist, wenn der vorhergehende consonant labial bez.
labialisiert war. Es ist möglich, dass eine lautgesetzliche ent-
wickelung 0 > u nach irgend einem der erwähnten laute
(z. b. b) durchgeführt worden ist; da sich aber moghandi, rotin
Beitrug« inr getobiobte d«r d«otMlMB ipnali«. XXni. 34
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580 KOCK
mit 0 finden, so zengen sie dafür, dass ein lantgesetzlicher
fibergang o>u nicht nach allen den angeführten lauten ein-
getreten ist. Wenigstens vorlänfig ist es deshalb am yorsidi-
tigsten, das Verhältnis in der weise darzustellen, dass nach den
erwähnten consonanten der vocal u wenigstens meistenteils
gewählt worden ist, dass aber eine lautgesetzliche entwickeliuig
o>u vielleicht nach irgend einem dieser consonanten ein-
getreten ist.
Das oben für UL. dargelegte Verhältnis findet sich wenig-
stens teilweise in gewissen anderen aschw. Schriften wider.
Sogar im altgutn., das vor r in der regel o verwendet, lässt
sich ein einfluss des vorhergehenden consonanten verspttren.
Trotz dieser regel finden sich nämlich im altgutn. burgkan,
bürg, deren u-laut mit dem vorhergehenden labialen b- in caus&I-
verbindung zu setzen ist.
Das isl. verwendet wenigstens zum teil t« : o nach derselben
norm wie das aschw. Es findet sich nämlich o vor rf, ri, m
z. b. in isl. orp, morp, borp, norpan, sJcorPa,^) skart, skoria, arta,
orti (praet. von yrhia\ hom, kom, Pom, fom etc. Also ist der
o-laut bei einem Wechsel o : m vor diesen lautverbindungen mit
hohem supradeutalem r (vgl. Kock, Arkiv n. f. 5, 247), wenig-
stens in der regel, gewählt worden. Dagegen isl. bugr 'bie-
gung', bt^gi = bugr, buga ^biegen', buJckr (selten boHDr\ bulsir :
bolstr mit b vor dem wurzelvocal; fullr, fuUna, fuünapr eto,
fugl : fogl mit /'vor dem wurzelvocal; smuga, munr, anorw. muga
= mega mit m vor dem wurzelvocal; isl. gtistr, gusta, gussa,
gumi : guma, gulr, gugna, gup : gop, guU : goU mit anlauten-
dem g] hugna, hugsa (auch hugr) mit anlautendem h.
Wenn das isl. ülfr, das aschw. ulwer nur u (nicht o) hat,
so beruht auch dies darauf, dass frtther das stark labiale fr
dem u vorhergieng {wulfR). Im zweiten compositionsglied
findet sich dagegen -olfr {Eyiolfr etc.) mit o-umlaut; vgl ar-
nord. hapuivolafa etc. (s. 521). Es ist möglich, dass in der
lautverbindung wulf- der eintritt des a-umlauts in der fortis-
silbe durch die umgebenden labialen consonanten verhindert
worden ist, obgleich der a-umlaut in dieser lautverbindung
>) Dagegen E.b. urp f. 'felsiger, Bteiniger ort' (t-Btamm; pL urßir}j
burpr (f-8t.), shurpr (t-st).
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 531
dnrchgeführt wurde (haputoolafa,isl,'Olfr), wenn sie mit semifortis
accentuiert wurde. In diesem falle ist der nom. sg. ulfr die
lautgesetzliche entwickelung aus urnoTi, ^wulfan. Vgl. s. 525 f.
über Umlaut in der semifortissilbe, aber nichtumlaut in der
fortissilbe. Es ist aber auch möglich, dass a-umlaut auch im
Simplex ^toülfaR > *wolfaR lautgesetzlich eingetreten, obgleich
nachher der w-laut bei freier wähl zwischen u : o gewählt
worden ist; vgl. auch s. 521 1
In diesem Zusammenhang verdient auch erwähnt zu werden,
dass sich im alt. nschw. ein Wechsel rumpa, aber -rompa findet.
Das Lexicon lincopense (1640) verzeichnet nämlich rumpa (so-
wol im schwed.-lat teile wie auch im lat.-schwed. teile s. v.
cauda); aber dagegen muserompa (ein gewächs, s.v. aizoon\
Hästarompa (s, v. anahasis), Bäfwa rompa (s. v. alopecums).
Zwar würde man auch hier daran denken können, dass der
a-umlaut in der semifortissilbe lautgesetzlich eingetreten
sei, obgleich nasal + consonant dem u nachfolgte. Aber es ist
Wol wahrscheinlicher, dass -rompa durch einen dialektischen
aschw. Übergang u> o vor nasal + consonanten in der semi-
fortissilbe zu erklären ist. Dialektisch ist nämlich vor nasal
+ consonanten u schon aschw. zu o geworden, besonders in
der pro vinz Westmanland, z.b. lezond (< Z^-5wnd *meerenge'
Westmannagesetz BB. ind. 22), andan (< undan), onde (< undir
Kr. 26 pr.), sonnodagh (Kr. B. 5, 4; 12 pr. etc.), misconna cona
(^.1,2), conno ('können' Kr.Spr.), conne Ckonnte' Kr. 18),
nach dem Vorworte Schlyters auch fonnen; vgl. dass in dieser
schnft die ableitungsendung -ung oft die form -ong hat, z.b.
enonga bot (Kr. 23, 2), fiorj^ong (Kr. 24, 12), cononger (Kr. 26
pr.) etc. In einem westmanl. diplom (aus dem jähre 1399)
finden sich Kombla (Styffe, Bidrag tili Skandinaviens historia
2, 82 bis), Tconno 'können' (ib. 84). Die entwickelung scheint
in Westmanland hauptsächlich, aber nicht ausschliesslich, in
relativ unaccentuierter silbe eingetreten zu sein; wenigstens
in irgend einer gegend der provinz ist sie also auch in der
fortissilbe durchgeführt worden. Hiermit sind auch zu ver-
gleichen die aus runeninschriften verzeichneten ^rmontr
(Lilj. 475, Uppland), erinmontr (Lilj. 591, Uppland) aus -fwwndr;
vgl. Brate, Kunverser 100 anm. 9.
34*
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532 KOCK
Resultat.
Der o-amlaut Ton u ist nicht (wenigstens nicht gänzlidi)
eine urgenn. entwickelung. Wahrscheinlich ist er erst einzel-
sprachlich (also im nrnord. und im westgerm.) eingetreten.
Als der a-umlaut in früher nrnord« zeit in z. b. *huma >
homa durchgeführt wurde, blieb u vorläufig vor m, n erhalten
(z.b. in *sufnaraR). Erst nachdem das a der zweiten silbe
von nom. pl. *sumaröB > sumra^t etc. sjmkopiert worden war,
wurde der a-umlaut spät urnord. in den lautverbindungen -um-,
-ttw- {*sufnarx > samarx etc.) durchgeführt.
In den an. sprachen ist der a-umlaut nur von einem wirk-
lichen ä bewirkt worden (nicht aber von ö, cB oder von dem
aus.^ entwickelten ä'-ähnlichen laute, der in den an. literatnr-
sprachen zu e, i wurde, z. b. in nom. sg. fhiti). Der Wechsel
0 :u in den fem. n-stämmen erklärt sich daraus, dass z. b. nom.
hola aus hüla < *hülö (nicht aus *holö), gen. hülu aus *kulänn
sich entwickelt hat
Vor ggto (brugginn etc.) findet sich kein o. Ueber tdfr :
'Olfr siehe s. 530f.
Nachdem ein Wechsel o:u in demselben worte (stamme)
entstanden war, wurde der gebrauch dieser vocale im aschw.
(wenigstens dialektisch, UL.) in folgender weise geregelt Man
hatte eine bestimmte tendenz, o vor hohem supradentalem r
in rff, rt, m (und meistensteils auch sonst vor r) sowie vor Ik,
Im zu benutzen. Wenn o nach dieser regel nicht gefordert
wurde, so machte sich eine andere tendenz geltend: bei freier
wähl zwischen o : u findet sich u gern nach den labialen b,
f, m und dem labialisierten g (r, h?). Im isl. wird der Wechsel
0 : u z. t in derselben weise normiert.
Excurs.
Die behandlung des germ. diphthongs eu und der
Wechsel iu : iö in den an. sprachen.
Die aus urnord. Inschriften belegten sUpaleubaR (Skärkind)
und Aleugas (Skääng) mit eu (nicht eo) vor dem a-laut der
folgenden silbe lehren, dass der diphthong eu in ui^erm. oder
urnord. zeit nicht in eo übergieng, wenn die folgende silbe
ein a enthielt Dies ist lautphysiologisch leicht erklärlich:
ebenso wie der a-umlaut überhaupt nicht durchgeführt wurde.
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DBB ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 533
wenn das palatale i zwischen u und dem folgenden a-lant
stand, so wurde er in den an. sprachen auch nicht bewirkt,
wenn der palatale yocal e dem u unmittelbar yorhergieng,
d. h. im diphthonge eu. Bugge hat im Arkiy n. f. 4, 23 die
bedeutung jener umord. Wörter für die o-umlautsfrage heryor-
gehoben, und unabhängig yon ihm hatte ich yermutet, dass
der diphthong eu dem a-umlaut nicht unterlegen sei.
Die r^eln für die yerwendung der diphthonge imiö in
den an. sprachen sind nämlich einer reyision bedürftig.
Es ist allbekannt, dass der diphthong eu in der aschw.
literatursprache im allgemeinen zu iü geworden ist. In der
Tidskrift f. fil. n. r. 8, 288 anm. habe ich die ausnahmen yon
dieser regel: tiöj>er (neben tiuper)^ limber (neben Uümber) etc.
angeführt. Noreen, der die soeben referierte ansieht nicht
billigt (ygl. Aschw. gramm. § 163 anm. 3), yermutet ib. § 82,
dass diese aschw. Wörter mit iö (limber etc.) aus solchen
dialekten stammen, wo eu in allen Stellungen zu iö geworden,
oder dass iu yielleicht einem umord. eo entspricht, das durch
a-umlaut yon eu entstanden.
Schon längst ist es bekannt, dass das isl. iö yor 'dentalen'
und interdentalen {biöpa, siön etc.) yerwendet. In Pauls Grundr.
1> § 110 formuliert Noreen die regel dahin, dass iu nur yor
^y f, Sy K P tind im auslaut erhalten worden, yor ä zu y (dgr
etc.), sonst aber zu iö, z. b. siön, liömi geworden sei. In seiner
Aisl. gramm. ^ § 98 wird pl. hiü als beispiel ffir iu im auslaut
angefahrt, und er meint dort, dass a-umlaut in {h)li6inr, piöfr
(selten Jnüfr), midier (gewöhnlich miühr) yorliege.
Ich fasse die sache dagegen in folgender weise auf.
Bei der behandlung dieser frage muss man diejenigen
Wörter, wo der diphthong iü (iö) durch das zusammenstossen
des wurzelyocals mit dem yocal der endung (z. b. priü < *priu)
entstanden ist, yon denen mit dem germ. diphthong eu (isl.
hiöpa etc.) scharf scheiden.
Dass im isl. der germ. und umord. diphthong eu nicht nur
yor 'dentalen' und interdentalen, sondern auch yor m laut-
gesetzlich zu iö wurde, geht aus isl. hUömr, hliöma, liömi, liöma
heryor. Aber auch im aschw. (oder wenigstens in den meisten
a«chw. dialekten) ist der germ. und umord. diphthong eu
yor m lautgesetzlich in iö übergegangen. Es finden
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5S4 KOCK
sich nämlich aschw. limnin 'lau', lüfmhet ^lauheit', liömaper
,laa gemacht, lau', liömber ^lau' (dies ist die aschw. normal-
form). Noch das Neue testament von 1526 hat lyOm, die bibel
von 1541 und die von 1703 liGm. Das alt nschw. verwendet
lum(m) 'dumpfer laut', Uomma 'dumpf lauten' (mehrere bei-
spiele in dem handschriftlichen Wörterbuch des alt. nschw. von
F. A. Dahlgren), liomhörd 'harthörig'. Noch Westes wörterbudi
(1807) verzeichnet Ijamhörd. Mit dieser entwickelung eu>iö
vor m ist die behandlung des endvocals u im jängeren aschw.
zu vergleichen. In kurzsilbigen Wörtern ist der alte endvocal u
in der regel erhalten {gätu, etc.); vor m ist er aber zu o ge-
worden: viimm > vinom etc. (Kock, Fsv. Ijudlära 1, 211 ft).
Nur seltener sind im aschw. beispiele des adj. liömber
mit tu Qmntber) belegt; nschw. aber J^m. Ausserdem hat das
aschw. Einmal liumske (neben dem gewöhnlicheren liüske^
nschw. Ijumske. Das alt. nschw. verwendet adj. liumsk 'falsch',
bisweilen Uum, liiMfnma statt lioni{m) 'dumpfer laut', Uomma
'dumpf lauten' und auch Jjumhörd statt Ijomhörd. Aus dem
angeführten geht hervor, dass das jetzige nschw. ausschliess-
lich ju verwendet, während das aschw. öfter i^ als tM hatte.
Dies ist jedenfalls so zu erklären, dass im jüngeren aschw.
und alt. nschw. eine lautgesetzliche entwickelung iö > tu
durchgeführt wurde, welche vielleicht in Zusammenhang mit
der Verkürzung des ^-lautes (lium > liumm) steht Hiermit
kann man vergleichen sowol dass im ostnord. u bei Verkürzung
zu ü wurde (z. b. aschw. TUBgüme > hCBgumme etc., Eock, Arkiv
4, 176 ff.), als auch dass im aschw. der diphthong iu in den
endungen langsilbiger Wörter erhalten bleibt, obgleich der end-
vocal u in anderen langsilbigen Wörtern in o übei*geht^ z. b.
kirkiu, aber (gingu >) gingo (Kock, Arkiv n. f. 7, 334 ft).
Diese Wörter (Umher etc.) mit iö im isl. und mit iö (tu)
im aschw. sind aus dem adän. nicht belegt
In den an. sprachen dürfte aber der germ. diphthong eu
auch in gewissen anderen Stellungen sich lautgesetzlich zu iif
entwickelt haben, obgleich nur äusserst wenige Wörter in be-
tracht kommen.
Das isL hat ie^ in ^ n. 'the thigh' (vgl. ags. teoh), üoa
'helfen' (praes. tiöar, tior] praet iioapi, ti6pi)\ ausserdem findet
sich i^ in aschw. Hi^ 'lau', das zweimal im neutr. liöt belegt
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DBR ii-üMIiAUT ETC. IN DEK ALTNORD. SPRACHEN. 535
ist, und in aschw. liöe *lau', einem ojr. Xey., das (wenn kein
schreibfeUer vorliegt) die bestimmte form von *Uö 'lau' ist.
Ans dem alt. ndän. ist aber neutr. Hut 4au' einmal belegt.
Möglicherweise würde isl. tioa daraus erklärt werden
können, dass iö im praes. tiör, praet. tiojn lautgesetzlich vor
r, p entstand. Da das verb aber auch tiöar, tiöapi flectiert,
so ist diese annähme sehr unsicher, und jedenfalls kann das
iö der anderen Wörter nicht in dieser weise erklärt werden.
Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass das eu in den an.
sprachen lautgesetzlich zu iö wurde 1) im auslaut, z.b. is\.Jn6,
2) unmittelbar vor vocal (wenigstens vor a; kaum vor w), z. b.
isl. piöa, aschw. liöe, obl. casus *liöa. Im adj. liö *lau' ent-
stand dann iö in mehreren casus, z.b. nom. sg. fem., nom.
acc. pL neutr. liö, acc. sg. masc. liöan, fem. liöa etc. Das
alt. ndän. liüt ist die lautgesetzliche form in nom. acc. sg.
neutr., während aschw. liöt sein iö aus anderen formen be-
kommen hat. ^
Mit der entwickelung eu > iö vor vocal (wenigstens vor a)
darf zusammengestellt werden, dass ü vor vocal (wenigstens
vor a) im ostnord. lautgesetzlich zu ö wurde (Kock, IF. 2, 332 ff.).
Nach dieser Veränderung der regeln für die behandlung
des germ. diphthongs eu brauchen nur noch folgende Wörter
besprochen zu werden.
Gemeinnord, ist ü in der semifortissilbe zu ö geworden,
z.b. isl. füss, aschw. /tfe, aber aschw. öfös, is\. Olföss (Kock,
Arkiv n. f. 1, 57 ft; vgl. oben s. 516 anm. 2). Nach diesem laut-
gesetz sind auch zu erklären:
die im aschw. recht gewöhnlichen personennamen auf
'niöi(e)r, z. b. run. sikniot (d. i. Sighniot)^ ouniot, aschw. Gwde-
niot Das aschw. verb niuta hat dagegen immer vii\
aschw. iasmbiögher, aber z.b. biüghhcetta-, vgl. isl. biügai
aschw. öliöwer (mit iö an den zwei stellen geschrieben,
wo das wort sich findet), aber liüwer, seltener liöwer mit iö
ans öliöwer übertragen. Auch das adän. verwendet Uöf neben
dem gewöhnlicheren liuf.
Neben miuJcr findet sich im isl. selten miökr; ich vermute,
dass es iö aus dem compositum iimiökr bekommen hat. Das
wort 'dieb' wird als zweites compositionsglied einer menge
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536 KOCK
zusammensetzniigen verwendet. So yerzeichnet Bydqyist, St.
spräkets lagar 6 aus dem aschw. /bÄ»-, ^or-, humblcb-, hwinshii',
Jdrhiu-, ncetia-^ run-, skafl-, vij>ertaku'ßiuw€r, upiuwa, urpkiwa;
vgl. noch z.b. isl. hrossapiöfr, sauj>apiöfr, rufnfnungsj>iöfr. In
solchen compositis wnrde -piufr lautgesetzlich zu -piöfr, nnd
ans ihnen wnrde das iö auf das sünplex ial. piufr übertragen,
so dass piöfr auch als simplex die normale form ist Zur be-
festigung von piöfr hat auch der umstand mitgewirkt, dass
das isl. eine menge personennamen auf -piöfr: Vaipiöfr, Getr-
piöfr, Hünpiöfr, Gunnpiöfr etc. verwendet, welche, wie Bugge,
Arkiv 2, 225 ff. dargelegt hat, Umbildungen von ags. namen auf
'Peoto (mit peow 'servant, slave' zusammengesetzt) sind. Später
fasste man aber solche namen als mit piöfr ^dieb' zusammen-
gesetzt auf.
Das aschw. hat bisweilen skiöter statt shiüter 'schnell',
nicht selten iasmsket neben ioemskyt (adv.) und auch faUikei
neben fulskyt (adv.). *l€kmshiutt, *fül$kiutt mit fortis auf dem
ersten compositionsglied giengen lautgesetzlich in ^ithndcü^,
*fullskiöU (vgl. isl. iafnskiöU, fuUskiöU) etc. über, welche sp&ter
lautgesetzlich zu iwmsTAU, fullsJcett etc. wurden, ebenso wie
shiutt, *i<BinshiUtt zu sJcpU, iwmskpU (shyt, UBmskyt geschrieb^i;
Kock, Arkiv n.f. 7, 324 0). Aus den compositis auf -skiöter ist
das iö bisweilen auf das simplex skiuter (skiöter) übertragen
^) Das aschw. adverb sket ^schneU* kann nicht (wie Karsten, Stadier
öfyer de nord. spräkens primära nominalbildning 1, 110 und Noreen, Aschw.
gramm. § 99 anm. meinen) aus einem älteren *8k0yU entstanden sein. Ein
Simplex *8keytr, *skeytr gibt es nämlich nirgends; es findet sich nor ein
compositum isl. an, Xey, beimkeytr ^wer fähig ist das ziel mit dem schnase
zu treffen*, vgl. anch isl. hräpskeyttr 'schnell'. Dass das aschw. skeU (sM
geschrieben) sich ans sJcMtj skiöU entwickelt hat, geht daraus henror, dass
e sich fast ausschliesslich im neutr. bez. im adv. sk^t findet (sonst skMer,
skiöter mit iü, iö)j d. h. nur in der form, wo ein langer consonant dem iö
nachfolgte, und wo das iö deshalb zu td>(t)^ verkürzt wurde. Hiermit
stimmt vollständig ttberein, dass das isl. als adverb skiöU 'schneU' (nie aber
*skeytt) verwendet. Gleichzeitig mit der entwickelung skiöU > sküM'^skvtt
(sket in dem s. g. Westgötagesetz IV, hs. um 1325) ist die entsprechende ent^
Wickelung skiütt > skiüU > sl^ (skyt im Södermannagesetz cod. B um 1335)
eingetreten. Aus dem sehr gewöhnlichen skett ist e ausnahmsweise auf die
sehr seltenen skei^xre (compar. statt skiiUare, skiötare)^ sketast (superl. statt
skiütiut, skiötast) übertragen worden. Noreens bemerkung, Aschw. gnmm.
§ 99 anm., ist also ganz unberechti^.
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DBK ALTNORD. SPRACHEN. 537
worden. Das subst. skiut n. 'pferd, stute' und das verb shiüta
^ schiessen' haben aber immer iu.
Aschw. Uaghnelder wurde durch die gewöhnliche ent-
wickelung ghn > gn> ngn zu liungndder, wobei «« wenig-
stens dialektisch verkürzt wurde: liüngneUer. Ebenso wie
der brechungsdiphthong iü vor ng dialektisch in io übergieng
{siunga > sionga etc.), so entwickelte sich auch iü in liüngn-
elder vor ng dialektisch zu iö: liongnelder. Hiermit ist zu-
sammenzustellen, dass das lehnwort iunkluBrra (mai. junker)
dialektisch zu ionkare, ionker wurde; vgl. den dialektischen
Übergang sitmka > siifnka etc.*)
Statt der normalen aschw. tiuper Hüder', Uüpra Hüdem'
finden sich im Westmannagesetze das compositum Uöpcsr siaki
und das verb tiöpra mit iö. Da dieses gesetz mehrere dialek-
tischen Züge enthält, welche mit dem jetzigen dialekte in
Dalama übereinstimmen (Eock, Fsv. Ijudl. 2, 519 ff.), und da
germ. tu im dalekarlischen überall zu iö geworden ist (Noreen,
Aschw. gramm. § 82 anm. 1), so sind piöpasr-, piöj>ra im West-
mannagesetze eine dialektische (dalekarlische) form.
Als eine westgötländische dialektform kann das Einmal
im älteren Westgötagesetze belegte sUomfast (aus *stifjlm =
isL stiom 'rüder' und faster *fest' zusammengesetzt) aufgefasst
werden. Die alte spräche Westgötlands steht nämlich in
mehreren beziehungen dem anorw. sehr nahe (Kock, Fsv. Ijudl.
2, 502 ff.), und im anorw. geht eu bekanntlich vor r in iö
über {sti&m). Möglicherweise rührt jedoch das iö in stiornfast
aus der accentuierung {*stiümfdster >) stiömfdster her.
Wenn das isl. neben dem gewöhnlicheren iol auch iul
verwendet, so vermute ich, dass das wort, welches pl. tantum
ist, etwas früher nom. acc. iol, gen. iola, aber dat. iülum flec-
tierte, d. h. dass iü (tu) vor dem u der ultima erhalten blieb.
Der dativ findet sich oft in den ausdrücken at iolum, i iöUim,
mot ioUim. Hiermit ist zusammenzustellen, dass (vgl. Brate,
0 In den aschw. lehnwdrtem diost : diust, diostera : dtugtera (vgl.
nind. diost, diosterm, dtugteren% io : tu (vgl. mnd. jo, ju\ iudhe : iocUie
(Tgh mhd. Jude : nmd. jode) rtthrt der Wechsel io : iu von den fremden spra-
chen her, ans welchen sie entlehnt worden sind. Aschw. hiook (d. i. hiok)^
adän. hiogh 'scher?' enthält kein germ. eu; vgl. jäk mit ja in nschw. dia*
lekten,
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538 KOCK
Aldre Vestmannalagens Ijudlära s. 41. Eock in Tidskr. i fil. n-r.
8, 284 ff. Noreen, Aisl. gr.' § 90 anm.) der brechaBgsdiphfhong' m
Tor einem u der folgenden silbe erhalten bleibt (z.b. fiughur,
fiugurra trotz iarp etc. mit io); vgl auch dass u vor einem
assimilierten nasal bleibt (und nicht zu o wird), wenn die
nächste silbe u enthält, z. b. nom. sg. t *unkur > aschw. akkur,
aber nom. sg. m*unkarr > aschw. ahkar (Eock, Arkiv n.t 7,815£t).
Wenn diese erklärung von iül : iöl die richtige ist, so ist ew
im isl. wenigstens vor { zu iü geworden, wenn die folgende
silbe ein u enthielt, i)
Die cardinalzahl isl. fiorir, aschw. fiarir, agutn. dat fUmrum
enthält nicht den germ. diphthong eu, sondern den brechungs-
diphthong eu. Dieser hat aber bei der entwickelung *feäurai
> *feuÖreR > *feureJt dieselbe Quantität wie jener bekommen
und ist deshalb in den verschiedenen dialekten in derselben
weise behandelt worden (s. Eock, Beitr. 20, 125 fl Arkiv n. t
10, 252 ff.; betreffe ff in *feffurai vgl Noreen, Svenska etymolo-
gier s. 39 ff.). Da sich füfri (neben fiüre) im Dalagesetze und
im Westmannagesetze findet, so ist fiöri ebenso wie tiöpior-,
iiöpra im Westmannagesetze zu erklären.
Im agutn. ist wie bekannt der germ. diphthong eu immer
zu tau geworden, z. b. biaupa (isL biöjfo), driaugr (ishdrnigr).
Ich gehe zur behandlung der diphthonge eu, io (tu) aber,
wenn sie durch das zusammenstossen des wurzelyocals mit dem
endvocal entstanden sind. Wir werden sehen, dass der wechsd
iü : iö der an. literatursprachen (besonders des aschw.) einen
vorgeschichtlichen Wechsel u : u, S ia den endungen
reflectiert.
Noch in der jüngst erschienenen Aschw. gramm. § 122, 1
findet Noreen es auffallend, dass agutn. ^ (^drei' nom. acc neutr.)
trotz islpriu verwendet, obgleich isl. iü (driügr etc.) sonst dem
agutn. iau (driaugr etc.) entspricht: 'auffallender weise steht
ntr. pry 'drei', das also vielleicht nicht genau dem aisl. priu
entspricht'.
Meiner ansieht nach entspricht dagegen agutn« aschw. ^^
') In übereinBtimmong hiermit fiasse ich auch den von Noreen, AiaL
gramm.' § 55 anm. 3 nicht erklärten Wechsel isl. föa : orknOisch füa auf:
man hat früher nom. *ftiha > föa, aber gen. '^fuhu > ßu fiecüert
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DER ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. 8PBACHEK. 539
YoUstAndig dem isL^nu trotz agatn. driaugr = isl. driugr etc.
Der widersprach ist nur scheinbar und erklärt sich daraus,
dass agatn. driaugr, isL driugr den germ. diphthong eu ent-
hält, während isL Priü, agatn. aschw. pry dem got. prija ent-
spricht.
Wie bekannt wird das ^nmspringen des accents' bei dem
znsammenstossen eines palatalen wnrzelvocals und eines guttu-
ralen endvocals in weit grösserer ausdehnung im westnord.
als im ostnord. durchgeführt. Wenn das umspringen des
accents auch im ostnord. eingetreten ist, so muss es als eine
relativ alte (gemeinnord.) entwickelung au^eiasst werden,
z. b, umord. *s€^n > *s€(w)un > aschw. siA, isL aschw. At Ai,
isl.priii (nom. acc. neutr.) aschw. *Pri4 > ])rg.
Wenn das umspringen des accents aber nur im westnord.
und in gewissen gegenden des ostnord. Sprachgebietes durch-
geführt worden ist (vgl. Eock, Arkiv n. f. 1, 382 ff.), so ist diese
entwickelung in späterer (einzelsprachlicher) zeit eingetreten,
z. b. isl. treom > triöm. Ueber die bedingung für das um-
springen des accents s. Eock, Arkiv n.f. 10, 213 ff.
Die Wörter welche uns hier eigentlich interessieren, sind
solche, wo das umspringen des accents sich sowol im ostnord.
wie im westnord. vollzogen hat.
Für sie gilt folgende regel: 'wenn in vorgeschichtlicher
zeit ein palataler vocal (e, i) mit dem endvocal u bez. ö, o
zusammenstiess, und wenn ein umspringen des accents dabei
eintrat, so haben die an. literatursprachen den diphthong iü
(oder einen daraus entwickelten laut) bez. tä' Der vorgeschicht-
liche endvocal u wird also durch ein tu der literatursprache,
der vorgeschichtliche endvocal ö, o durch ein iö der literatur-
sprache reflectiert. Aus leicht ersichtlichen gründen sind die
beispiele sehr selten.
Der nom. sg. der fem. ö-stämme und der nom. acc. pl. der
neutr. a-stämme haben einmal die endung -ö gehabt, welche
aber in sehr früher umord. zeit in -u übergegangen ist, z. b.
nom. sg. fem. Kubu, minu (Opedal, um 400 nach Bugge, Arkiv
n.f. 4, 32), nom, acc. pl. neutT.*glaffu (> islglg])). Folglich hiess
der nom. acc. pl. neutr. von 'drei' um 400 *priu. Dies wurde
nach dem umspringen des accentes zu isl. priü, und daraus
entwickelte sich schon im älteren aschw. Jnry zufolge der
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540 KOCK
von mir Arkiy n.f. 2, 42 ff. dargestellten regel Hü > g nach con-
sonant + r\ Ag\itn,prg lehrt, dass die regel auch fflr das a^tn.
gegolten hat, wenn der diphthong in durch das znsammenstossen
des wurzelyocals i mit dem endvocal u entstanden ist.
Umord. *sedun (vgl. got. sibun) wurde durch die entwicke-
lung d>w zü *S€(tp)un (vgl. Noreen, Arkiv 1, 163), das in aschw.
siü fibergieng. Die entsprechende Ordinalzahl ist aschw. sMnde;
auch im isl. findet sich bisweilen siiindi (belege bei Fritzner*).
Beitr. 15, 252 habe ich isl. siau besprochen. Durch anschlnss
an *ahiau (got. ahtau) bekam *seun die nebenform *seau, welche
aber den diphthong au erhielt, weil f ortis (ebenso wie in *8eun
> si4) auf den zweiten vocal (sedu) versetzt worden war.
Agutn. siau ist in derselben weise zu erklären. 0
Wenn isl. Mü, augu, eyru, wie Noreen, Pauls Grundr. 1',
§ 195, 7 annimmt, urspr. die endung -un (vgl. ahd. pL herjiFun)
haben, so ist isl. hiü aus einem älteren *htwun mit u in der
ultima entstanden. Die Voraussetzung ist aber sehr unsicher
(s.Kock,Beitr.l5,246f.).
Dagegen findet sich iö im isl. aschw. pl. hilfn. Das got
verwendet -öna im nom. acc. pl. augöna etc., und dass dies
-ön- den e^-laut noch zu der zeit unverändert erhielt, wo -ö in
nom. sg. fem. und nom. acc. pl. zu -u (liubu auf dem norw^-
schen Opedalstein) wurde, ergibt sich aus Igwon, gen. sg.
eines fem. n- Stammes, auf dem norwegischen Stenstadstein.
Der nom. acc. pl. *hlw(fn wurde zu *Ät#n, und aus diesem ent-
stand durch umspringen des accentes isl. aschw. hiön.
Wahrscheinlich hatte isl. hiü (und auch augu, eyru) die-
selbe endung wie got. augöna, aschw. eghon, aschw. isL hüfn
etc. (Kock a.a.O.). Der Wechsel isl. hia : isl. aschw. Mifn ist
in diesem falle folgendermassen zu erklären. Im pl. *1uw(fn
(> *htön > hi(fn) gieng das w vor o zwar lautgesetzlich ver-
*) Die im isl. ansnahmBweise verwendeten siö 'sieben*, «öimI» 'siebente*
erklftre ich folgendennassen. Ebenso wie gen. sg. *8unauR zu *8unöR (spSter
sanar) wnrde, so gieng der diphthong au in *8Sau mit fortis auf e in irgend
einer gegend in o (*8iD) Ober, ehe fortis anf den zweiten yocai yersetEt
wurde. Erst später wnrde *8iö zn siö. Möglicherweise konnten jedoch M,
siöndi anch so erklärt werden, dass der diphthong Hl in sia, siOndi dialek-
tisch im anslant nnd vor dental in iö ttbergieng; vgl. dass der germ.
diphthong eu in diesen steUongen zu io (Ja6, aün etc.) wurde.
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DBB ^-UMLAUT ETC. IN DEN ALTNOBD. 8PBACHSN. 541
loren, aber durch beeinflussung vom sg. *h%wa mit erhaltenem tr
blieb der t<;-laut im pl. *htwön vorläufig f acultatiy erhalten.
In *Mw0n ruhte fortis natttrlich fortwährend auf der paen-
ultima, und die endung -ön wurde deshalb in gewöhnlicher
weise (vgl. *augGn > isl. augu) zu -u entwickelt {*Mwu). In
relativ später zeit gieng aber jetzt tr vor u in *ht(w)u ver-
loren, und hiu wurde nachher durch das umspringen des
accents zu isl. hiüJ) Dass die an. sprachen während einer
Periode, die nur kurz vor der literarischen zeit lag, den end-
vocal u (nicht o) verwendeten, geht aus den in ags. Urkunden
vorkommenden an. namen (Sievers, Beitr. 12, 482 ff.) und aus der
(aschw.) vocalbalance (Kock, Fsv. Ijudlära 2, 840 ff.) hervor.
Das isl. hiün ist eine contaminationsf orm aus hiön und hiü.
Ich füge eine bemerkung über die isl. Wörter hinzu, wo
das umspringen des accents relativ spät durchgeführt worden
ist (bez. hat durchgeführt werden können), also über Wörter,
die im ostnord. in der regel fortis auf dem ersten vocal haben.
Im isl. finden sich 1. pl. siom (und sidm) zu sid (vgl. aschw.
sea, nschw. se)j 1. pl. U6m (und liäm; vgl. Wimmer, Fnord.form-
lära s. 142) zu lid (vgl. aschw. l€a)j dat. pl. triam (und triam) zu
tre (vgl. aschw. trcB, gen. pL trea), dat. pl. kniöm (und hnidm)
zu knS (aschw. kniE), obl. casus vipsiö zu vijfsid (vgl das aschw.
verb äseaj aber auch das dial. asiö, obl. casus eines fem. n-stam-
mes, Eock, Arkiv n.f. 1, 383). Wie bekannt verwenden die äl-
testen isl. hss. den endvocal o (nicht u). Das umspringen des
accents kann in diesen Wörtern (*seom > siam etc.) sehr wol
so spät vor sich gegangen sein, dass der o-laut in siom etc.
eine unmittelbare fortsetzung des endvocals o in der ältesten
isl. literatursprache ist Wenn der nom. acc. pL von tre, hni
bisweilen trio^ knio heisst, so ist iö natürlich aus dat pl. triom,
kniöm entlehnt worden, und man darf nicht mit Noreen, Aisl.
gramm.^ § 298 anm. 2 alternativ daran denken, dass das o in
triö, knio das vorgeschichtliche u des nom. acc. pl. {*bamu >
bgm) vertrete. Dies vorgeschichtliche -u findet sich nämlich
im literarischen isl. als ü {Priü\ nicht als 6, wider. Umgekehrt
0 Es ist zweifelliaft, ob die von Noreen, Svenska etymologier s. 18 f.
Yorgeschlagene etymologie vom nschw. fj%m 'flaum' richtig ist. Wenn es
ans pl. *fiwwn entstanden ist, so ist der «-laut in derselben weise wie in
isl. hiü anfxnfaisen.
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542 KOCK
ist id analogisch in dat. pl. triam, kniäm (ans gen. pl. trid^
hniä, Noreen a.a.O.) und in 1. pl. sidm, lidm (ans 3.pL und in£
sid, lid) eingedrungen; ygL dat. pl. kUäm (zu Jde), lidm (zu le),
fidm (zu fe) mit analogischem id aus nom. pl. JUidr^ lidr etc^
gen. pl. /ia etc.
Es dürfte in diesem Zusammenhang angemessen sein, anch
den diphthong i6 der praett. ios, iök, hliop (zu ausa, atdca, hlaupa)
zu besprechen. Das praet. pl. dieser verben heisst bekanntlich
iösu, iusu\ iöJcu, iuhu; hliopu, hlupu; praet conj. ysa, esa; yka,
eka\ Mppa, hlepa mit kurzem wurzelyocal (vgl Wimmer, Fom-
nord. formlära § 132).
Ljungstedt, Anmärkningar tili det starka preteritum i germ.
spräk s. 128 ff. Brugmann, IF. 6, 89 ff. und Noreen in Pauls
Grundr, 1 ^, § 240 sind der ansieht, dass iös etc. einen aus indog.
eu entwickelten germ. diphthong eu enthalte. Nach Hoffbiy,
EZ. 27, 597 ist dagegen iös aus *€aus in der weise entstanden«
dass *€au8 mit fortis auf e sich zu *eö8 mit langem ö ent-
wickelte (vgl. gen. sg. *sunauR > *sunöB), wonach *^as durch
das umspringen des accents zu iös wurde, iök hat sich nach
ihm in derselben weise wie iös entwickelt, und aus iök, iös
wurde iö auf hliöp übertragen.
Die praett iös, iök, hliöp können gewis nicht ein indog.
eu, germ. eu enthalten, denn germ. eu gibt vor k, p isL vi
(nicht iö\ vgl. siukr, driüpa etc.). Hierzu kommt aber noch
ein anderer umstand von nicht geringerer Wichtigkeit D^
i-umlaut des germ. eu wird im isl. von langem y (vgl. ^sa :
Uös etc.) vertreten; das praet conj. hätte also *jfsa, *yka, *Ugpa
heissen müssen, heisst tatsächlich aber ysa, esa etc. mit kurzem
wurzelvocal.
Die von Hoffory vertretene auffassung befriedigt besser,
aber auch sie kann nicht richtig sein, denn falls *eaus zu *€ös
mit langem ö geworden wäre, so hätte das praet conj. *4sa
mit langem, nicht esa mit kurzem e heissen müssen.
Ich fasse die sache folgendermassen aui
Tydning af gamla svenska ord (1881) s. 1 fL Svensk akcent
2,329 f. habe ich gelegenheit gehabt darzutun, dass der diphthong
au der semifortissilbe gemeinnord. in kurzes o übergieng, z.b.
IruphloMp > bruphp, windauga > aschw. vindogha. Das praet
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DEB ^-UMLAUT ETC. IH BEN ALTNOBD. SPRACHBX. 543
von auia heisst got. aiauk und mnss urnord. auch *eaük, pl.
*Axukun mit fortis auf der ersten, senufortis anf der zweiten
Silbe, also mit der accentniemng eines compositnms, geheissen
haben. Dies entwickelte sich nach der soeben erwähnten regel
zn *Sok, pl. *^ku mit kurzem o. Schon ehe der diphthong
eo durch das umspringen des accents zu iö mit langem o ge-
worden, wurde das praet conj. *eokiu (*eokia) zu *ieka > eka
mit kurzem 0. Später giengen *eok, *eoku bei dem umspringen
des accents in iök, iöhu mit langem 0 fiber; vgl. *letigan >
liüga etc.
Nach den zahlreichen mustern des praet. sg. strauk : pL
struku, braut : brutu etc. wurde zu praet. sg. ^eatdc der pL
*euku neugebildet, welcher durch den einflnss der erwähnten
pluralformen struku, brutu etc., bei dem umspringen des accents
den u-laut kurz erhielt: isl. iuku. Vom praet. pl. *euku, iuku
wurde ganz regelmässig praet. conj. *eukiö, yka mit kurzem
wurzelvocal gebildet; vgl. praet. pl. struku : pi*aet. conj. stryka etc.
Praet. sg. ios, pl. iusu, praet. conj. esa, ysa sind in derselben
weise zu erklären. Praet. hliop ( : Waupa) ist eine neuschöpfung
nach iök ( : aukd)^ iös ( : ausa).
Dagegen finden sich im ostnord. praet-formen Ton hlaupa
Qepa)j welche lautgesetzlich entwickelt worden sind, nämlich
aschw. Uip, top.*) ümord. *hehlaup wurde lautgesetzlich zu
*hehlöp ebenso wie *eauk zu *eök. Nachdem fortis auf die
Wurzelsilbe versetzt worden war {*hehl6p), gieng die redupli-
cationssilbe lautgesetzlich verloren: *hlop, aschw. lop. Up
(= isL "^Klaup, ngutn. laup) ist aber die lautgesetzliche ent-
wickelung aus urnord. "^hehlaup mit fortis auf der ultima. Zu
dem sg. "^hlaup wurde der pl. isl. hlupu nach dem muster sg.
stroMk : pl. struku etc. neu geschaffen.
Resultat.
Die regeln ffir die behandlung des germ. diphthongs eu
in den an. sprachen sind folgendennassen zu formulieren.
Im isl. wird eu zu i^ vor m sowie vor dentalen, supra-
dentalen und interdentalen (wenn u in der nächsten silbe nach-
folgt, wird eu zu iü wenigstens vor 2), ausserdem wahrscheinlich
1) Noreen, Pauls Gnmdr. 1* § 240 fasst lep wie ich auf, findet aber lop
«vnldar'.
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544 KOCK
im auslaut und unmittelbar vor vocal (wenigstens a; kaum
vor ti); sonst geht eu in iü aber.
Im aschw. (wenigstens in den meisten dialekten) entwickelt
sich eu zu iö vor m sowie wahrscheinlich auch im auslaut nnd
vor vocal (wenigstens a; kaum vor u); sonst wird es zu ni.
Durch palatalumlaut wird eu za g.
Unabhängig von den obigen regeln ist ein iü der semi-
fortissilbe sowol im isl. wie im aschw. zu iö geworden.
Die vorgeschichtlichen endvocale u, ö werden in den an.
literatursprachen bez. von dem diphthong ia (z. b. *sebun >
aschw. sia, *priu > isl.]Mriü, aschw. agutn. ^ry) und von dem
diphthong iö (z. b. *hi(ic)ön > isL aschw. hiön) reflectiert
Die praett. des typus iök sind aus *^uk durch die laut-
entwickelung om > tf in der semifortissilbe entstanden.
III. Zur frage nach dem a-umlaut von i in den
altnord, sprachen.
Die ansichten über den a-umlant von i in den germ.
sprachen gehen weit auseinander, obgleich nach dem aufsatz
Pauls, Beitr. 6, 82 ff., nunmehr alle darin einig sind, dass es
einen solchen umlaut gibt.
Nach Noreen, Urgerm. lautl. s. 20 und Streitberg, Urgerm.
gramm. § 68 ist i urgerm. vor ä, tf, ^ za e geworden, wenn
es nicht durch i oder nasal + consonanten davon getrennt war.
Brugmann, Grundr. 1^,99 äussert sich vorsichtiger; doch ist
auch er geneigt, diese ansieht zu acceptieren. VgL auch Ost-
hoff, Beitr. 13, 417 f. In der jüngst erschienenen Laut- und
formenlehre der altgerm. dialekte, hg. von Dieter, ist Bethge
der meinung, dass der a-umlaut von i (ebenso wie der von u)
in allen Stellungen durchgeführt^ dass er aber einzelsprachlich
und nicht im got. eingetreten sei Nach Kluge in Pauls Grundr.
1^,410 f. ist der wandel von indog. i zu germ. 8 sehr selten
und die genaue regel für das urgerm. noch nicht gefunden.
Braune, Ahd. gramm.^ § 31 anm. 1 scheint auch etwa dieser
ansieht zu huldigen.
Die eigentliche Ursache dafür, dass mehrere forscher die-
selbe regel für den a-umlaut von i wie für den von u auf-
gestellt haben, ist wol die, dass man meint, der a-umlaut müsse
notwendig in derselben ausdehnung auf i und u wirken, obgleich
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DEB A'UUUlVT etc. IK DWSf ALTV OBB. SPRACHSK. 54$
man aus gewissen germ. dialekten (besonders dem ags.), wo der
a-omlaut von u reichlich vertreten ist, nnr äusserst wenige
beispiele ffir o-nmlant von i hat anführen können«
A priori darf man jedoch gar nicht als ausgemacht an-
nehmen, dass der o-nmlaut in derselben ansdehnnng auf i und
auf u habe wirken müssen. Ich erinnere z. b. daran, dass im
isl. die regel für den ti-umlaut von a und diejenige für den
u-umlaut von i ganz verschieden sind. Der jüngere u-umlaut
ist nämlich bei a ohne beschränkung durchgeführt worden,
z.b. talum > tgtum etc., bei dem t-laut aber nur, wenn ein
labialer consonant dem i vorhergeht^ z. b. stoistur > s(iff)ystur
etc., aber dagegen rifum (nicht *ryfum) etc. Im aschw. werden
die endvocale u, i zwar wesentlich, aber doch nicht ganz
nach denselben regeln behandelt; so bleibt z. b. in der aschw.
reichssprache das i in der geschlossenen silbe langsilbiger
Wörter erhalten, z. b. part. bundin (nicht bunden)^ während das
u in dieser Stellung in o übergeht, z. b. bundun > bundan.
Unter diesen umständen ist der verdacht vollberechtigt,
dass der a-umlaut von t nicht in derselben ausdehnung wie
der a-umlaut von u durchgeführt worden ist, oder dass wenig-
stens z. t andere tendenzen sich bei dem umlaut von i geltend
gemacht haben«
Ich will zu erörtern versuchen, nach welchen regeln (oder
tendenzen) der a-umlaut von % in den an. sprachen ein-
getreten ist.
Es findet sich % z. b. in isL aschw. sUp (ahd. aber skef
neben sUf), dein n. (vgl. aUnci)^ aschw. *Bkina in dem compo-
situm shinuben (vgl. ahd. skena neben 8kina 'Schienbein'), isl.
gil n. 'kluft' (vgl. geil f. 'kluff), gin n. (vgl gina)\ zu beachten
sind auch isL aschw. $Upa, isl. shim n. 'Schimmer'. Ueberhaupt
ist aus den an. sprachen der a-umlaut von % in keinem werte
mit Je, g vor dem wurzelvocal constatiert worden. Ich ziehe
hieraus die Schlussfolgerung, dass der a-umlaut von % in dieser
steUung lautgesetzlich nicht durchgeführt worden ist, oder
wenigstens dass bei freier wähl zwischen i und umgelau-
tetem e dieser laut in jener Stellung begünstigt wurde. Der
lautphysiologische grund dafür ist selbstverständlich.
Folgendes ist von grösserer Wichtigkeit.
Wie oben s. 523 hervorgehoben worden ist, findet sich in
B6itrftg6 inr g6Mbiolit« dar deataob«! epnoht. ZXHI. 35
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546 KOCK
gewissen aschw. Schriften ein regelmässiger Wechsel o : u in
der Wurzelsilbe kurzsilbiger Wörter (kona : kunu etc.), aber
nicht in der langsilbiger Wörter. In mehreren modernen nor-
dischen dialekten findet eine sog. 'tilljämning' (angldchong) in
kurzsilbigen (nicht aber in langsilbigen) Wörtern statte
Unter 'tilljämning' versteht man in diesem falle, dass die
qoalität des wnrzelvocals sich derjenigen des endvocals nihert^
bez. dass jene dieser gleichgemacht wird. So sind in einigen
dialekten z. b. isl. anorw. Ufa zu läfa, isL anorw. Usa za läsa
geworden. In gewissen nnorw. dialekten ist ein f-lant knrz-
silbiger Wörter vor a in o? übergegangen, z. b. isL anorw. tttu
> nnorw. väta (A. B. Larsen, Oversigt oyer de norske bygde-
m&l s. 41).
Ich stelle folgende regel auf: 4n den an. sprachen ist der
a-umlaut von i nur in kurzen (nicht aber in langen) süben
mit fortis eingetreten'. Alternativ ist möglicherweise die regd
folgendermassen zu formulieren: bei freier wähl zwischen i
und einem durch a-umlaut entwickelten e (welche laute laut-
gesetzlich in verschiedenen formen wechselten) wurde das um-
gelautete e fast nur in kurzsilbigen Wörtern gewählt Ich sehe
jedoch kein hindemis dafür, der regel die erste formuliemng
zu geben. Ob der a-umlaut von i auch in einer langen sQbe
mit semifortis eintrat, hängt von der beurteilung des wertes
ler^t ab (s. unten s. 550 f.).
Es findet sich kein a-umlaut z.b. in den langsilbigen isL
afichw. fi$Jc(e)r (a-stamm; vgl. l9Lt. pims), nschw. visp (o^^tamm;
vgl. lat. virga)j isl. adj. bitr, aschw. biter, acC. bitran (vgL b(ia)j
isL vitr, aschw. viter, acc. vitran (vgl. vita : veit\ isL vUra *ver-
stand', isl. aschw. vissa f. 'gewisse kenntnis', isL vissa (praet zu
v%ta\ VgL ahd. fränk. wessay westa neben oberd. toissa, wista nach
Braune, Ahd. gramm.' § 31 anm. 2), adj. isL digr^ aschw. äigher,
acc. dig{h)ran (vgl. deigr).
Während das kurzsilbige isl. hepan, aschw. hwpan um-
gelautet ist, ist der umlaut in dem langsilbigen hipra ^hier'
(vgl. got. hidre)j im ältesten 0 isL nicht durchgef&hrt; erst spftta-
findet sich hepra mit e, das aus hepan fibertragen ist
^) Ueber Mpra (nicht hepra) im ftlt60teii islftndimhen 8. Sieven, Beitt.
16, 241.
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DER ^-UMLAUT BTG. Dff DXH ALTNOBD. 8PBA0HEN. 547
Die korzsilbigen isl. nepan, aschw. fuspan, isl. neparr, nepari,
neParla, neParUga, pL tantam nepar ^abnehmender mond' (neben
nipar), aschw. tuBpar (neben nipar) haben nmlant; nicht aber
die langsUbigen isl. aschw. nipra (praet -a^-), isl. mpran f.
Das isl. verwendet nipri nnd ne^^ das aschw. nipre und YUB^e;
der nmgelaatete vocal ist ans nepan etc. übertragen worden.
Umgekehrt hat isl. aschw. nipar 'abnehmender mond' (neben
nepar, ncepar) % von nip n. mit derselben bedentnng, nipri etc.
bekommen. — Doch können nipri etc. mit i in der wnrzelsilbe
auch ans vorgeschichtlichen formen mit i in der paennltima
*ni&ira eta (vgl. ahd. nidiri neben nidart) entstanden sein.
Das aschw. hat nmlant in dem knrzsilbigen Impi, obl. casns
Icepa 'lippe', nicht aber in den langsUbigen üppe m^ obL casus
Uppa; lippa f. 'lippe'.
Zn beachten ist noch das nschw. knrzsQbige häpen 'ver-
dutzt' im gegensatz zn dem dialektischen langsilbigen kippen.
In seiner ürgerm. lautL s. 20 ff. nnd Aschw. gramm. s. 151 f.
hat Noreen in verdienstlicher weise Wörter mit a-nnüant von i,
besonders ans den nord. sprachen, gesammelt. Mehrere der
nord. beispiele sind jedoch äusserst zweifelhaft; andere gehören
ohne zweifei nicht hierher. Ich werde die von ihm aus den
nord. sprachen angefahrten beispiele prüfen nnd noch andere
hinzufügen.
Folgende knrzsilbigen Wörter haben umlaut, oder wenig-
stens findet sich in ihnen wahrscheinlich a-umlaut: isL vega
(vgl. vig), isl. hirap, aschw. JUBraP < ^hitoa- (vgl got heitvat-,
Brate, Arkiv n.f. 5, 130 ft), isL verr 'mann', < nschw. verbroder
'bruder des ehemannes', versyster 'Schwester des ehemannes'
(vgl. lat wr), isL hegri (< *A£;jam), heri (< *heha/ra, vgl ahd.
hehara, ags.Ai^ora, gr. Tdoca, Ostho£^ Beitr. 18, 416 ff.), id. sUpi,
aschw. sUßpi : isl. aschw. sUpi (urspr. nom. sliöi : obl. casus slefa),
isl. stegi : isl. aschw. stig(h)i, isl. seU : isL aschw. sili, aschw.
Pwama (vgl nisl. nschw. Mna)j nschw. näpen (vgl nisl. nipr
'nett', nnorw. nipper 'nett'), isL gUpa 'weih' (vgl ags. glida,
Hellquist, Etymologische bemerkungens. ml». Hierher können
auch gehören die knrzsilbigen ndän. flaä>e (vgl nnorw. ßpa
>) Das aschw. glaßa mit derselben bedeatung bleibt jedoch dmikel;
die von Hellqnist yorgeschlagexie erklilnmg befriedigt meiner meinong
nach nicht
36*
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548 KOCK
'weinen'), adän. trwfficen, aschw. oPfwwin {otr<Bwin\ vgl. aschw.
Primn)j isL gen. Haüfrepar etc. (vgl. Bugge, Arkiv 2,251; s.
jedoch auch unten s.551).
Auch in folgenden yon Noreen nicht erwähnten Wörtern
dürfte o-umlaut vorliegen: i&\.Hepinn (vgl Sievers, Beitr. 16,242),
agutn. 8m (< seßan, Eock, Sv. landsm. 15, no. 4, s. 27), alt nschw.
sädhan (vgl. isl. sipan, aus sUfan verkürzt), isl. svena (neben
svina 'stumpf werden'; vgl. ahd. stvinan 'schwinden'), aschw.
PrcBwa (vgl. isl. ßrifa, preifa 'nehmen, greifen'), isl. $ef, aschw.
s(ßf (vgl. dän. m), isL skref, dän. skrcev 'schritt', isl. shrefa, dftn.
skrcßve 'schreiten' ( : isl. dat sg. skrifi zu skref, nnorw. deriv,
aschw. bicdrghsJcriwa 'felsenkluft').
Die folgenden sind sehr unsicher.
Wenn isl. flekhr ' fleck, Stückchen' mit ^A 'zipfel' zusammen-
zustellen ist, so ist, wie Tamm, Etym. ordbok bemerkt^ (das
urspr. kurzsübige) ^ftikan- zu ^fiekan- geworden, während in
anderen casus ^flikk- entstand; durch contamination bekam
man dann ßekk-. Diese etymologie ist aber sehr zweifelhaft.
Das wort kann auch mit isl. sUpftak 'wreck', isL aschw. fiaki
etc. zusammengebracht werden; vgl Tamm a.a.O.
Es ist auch sehr unsicher, ob isL kvekva 'anzünden' a-um-
lant enthält; da aber das dem wurzelvocal nachfolgende k in
koikr, kvekva etc. secundär ist (Bugge, Beitr. 18, 515), so haben
auch diese Wörter in einem älteren Stadium kurze Wurzelsilbe
gehabt. Aber die folgende auffassung dürfte vorzuziehen sein.
Neben kveikia findet sich kveykvti, aber nur selten kvekva (z. b.
imp. qvecpu, inf. qvekva in AM. 645, Larsson, Ordförrädet) und
kvekva {quecqua, queqtM). Ebenso wie *eittki zu etki, elM, ^ne-
weit-ek-hverr zu nekkverr etc. wurden, so haben sich part. kveikt,
imp. kveikpu etc. zu kvekt, kvekpu etc. entwickelt Nachdem
das in dieser weise entstandene e auf den inl kvekva über-
tragen worden war, wurde dies durch «;-umlaut zu kvekva;
vgl. nekkverr > nekkverr etc. Vielleicht kann e in dem seltenen
kvekva auch dadurch entstanden sein, dass das part kv&jßkt
(zu kveykva) zu kvekt wurde, wesentlich in derselben weise
wie *eitki zu etki etc. Durch diese auffassung wird gewonnen,
dass die verben kveikia, kveykva, kvekva, kvekva nicht von
einander getrennt werden, sondern identisch bleiben.
Ueber isl. part beginn s. s.498.
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DER ^-UMLATTT ETC. TS DEN ALTNOBD. SPRACHEN. 549
Obgleich folgende von Noreen erwähnte werter knrzsUbig
sind, gehören sie nicht hierher. Aschw. boewa, bewa (vgl mnd.
beven), sUepa (mnA. sl^en), blcek in blcekskadla (msii.ble€k), spcek
(mmi. spek^)) sind deutsche lehnwOrter. Nach Noreen soll nschw.
Wnna (im gegensatz ssn nschw. lemna, isl. lifha) o-nmlaut ent-
halten und ans *ledanän entstanden sein. Dies soll auch mit
nschw. räfnna (im gegensatz zu nschw. remna, isl. rifna) der
fall sein, und wahrscheinlich denkt er sich ^rebanlfn als grund-
form. Wenn dies richtig wäre, so wären auch diese Wörter
beispiele ffir das eintreten des a-umlauts in kurzen Wurzel-
silben. Die nschw. lämnay rämna sind aber ganz anders zu
erklären; s. Eock, Sv. landsm. 15, no. 8, s. 15 1
Die drei Wörter isl. k^i^pr, tvennir, ßrennir, welche allein
nach Noreen a-umlaut in langer Wurzelsilbe mit fortis ent-
halten sollen, sind in ganz anderer weise aufzufassen.
Aschw. kcßpper, nschw. kapp ist als appellativum nur zwei-
mal im isl. (k^pr) belegt Schon längst hat man (z. b. Dalin,
Svensk handordbok) das wort als ein lehnwort au^efasst und
es mit dem franz. cep, lat. äppus zusammengestellt. Lid6n
spricht in den Uppsalastudier s. 89 zweifelnd die Vermutung aus,
dass isl. keppr, aschw. kaspper durch a-umlaut aus ^Mppa- ent-
standen sei, das eine andere ablautsstufe als isl. keipr reprä-
sentiere. Wegen der ziemlich weit auseinander gehenden
bedeutungen der Wörter spricht diese etymologie nicht an.
Fritzner^ übersetzt nämlich keipr 'krmnmholz, in dessen winkel
das rüder sich während des rudems bewegt'. Das nnorw. kdp
wird von Aasen übersetzt 'klotz in form eines winkeis zu-
geschnitten, worin das rüder ruht, während man rudert'. Die
von Lid6n gegebene Übersetzung 'ruderdulle' ist also kaum
correct Mit recht opponiert also Wadstein, Beitr. 22, 245 ff.
gegen Lid^ns, von Noreen angenommene etymologie. Wadstein
schliesst sich der alten etymologie von keppr = franz. cep,
nüat. ceptis 'truncus, stipes', lat. äppus an. Auch im as. etc.
>) Anch Noreen, Aschw. gramm. s. 152 meint nunmehr, dass spcek wahr-
scheinlich ein deutsches lehen ist. Dies ist anch mit aschw. an, Xsy,
freesker (ygl. nnd. fress) der fall, sofern es nicht nnr Schreibfehler für
fcBTsker ist. Betreib aschw. rceformber, isl. reformr s. Eock,Zs. fda. 40, 206.
Das nur einmal (Westmannagesetz M, 18, 4) ans dem aschw. belegte frceüo
bam ist Schreibfehler fOr friUo bam\ vgl. isl. aschw. fripla, friUa,
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550 KOCK
findet sich kip 'stipes'. Isl. keppr, aschw. kag[>per ^ein (ab-
geschnittener) zweig, stock* kann ftbrigens anch der (yxm
Elnge, Et wb. unter kappen antgestellten) germ. wnrzel iep,
kapp angehören; vgl. z. b. fries. käpen, kepen ^kerben, schneiden'
(Doomkaat-Koolman, Wb. der ostfries. spräche).
Im isl. finden sich tuipr (Mnnan, Mnn) und tuepr, pL
tuennir; pripr und prepr, pl. prennir (vgL L. Larsson, OrdfÖr-
rädet). Neben ttvcmne, promne verwendet das aschw. (awest-
göt.) twanne, pranne mit a in der Wurzelsilbe. Es mag etwas
zweifelhaft sein, wie alle diese wechselformen zu erklären sind;
es ist aber sicher, dass tvmnir, prennir nicht a-umlaut ent-
halten. Der wurzelyocal von tvennir kann aus älterem 4hr
(ygL got. tweihnai) durch den gewöhnlichen Übergang 4hr> e
entstanden sein, wonach e yerkfirzt worden ist, und der wurzel-
yocal von prennir kann einen ähnlichen Ursprung haben oder
analogisch aus tvennir fibertragen sein. Uebrigens hat Noreen
selbst, ÄisL gramm.^ § 56 (ygL auch Aschw. granun. § 83, 3, a)
versucht, isl. tv4nn, prenn in dieser weise zu erklären.
Wie schon oben bemerkt wurde, ist isl. Urept, aschw. lofrept
vielleicht ein beispiel daffir, dass der a-umlaut von i in einer
langen silbe mit semifortis eingetreten ist; vgl. dass in
gewissen anorw. dialekten der jfingere einfache u-umlaut nur
in der semifortis-, nicht aber in der fortissilbe durchgeführt
wurde {pioöggtu : gaiur etc.), und dass in der Bokinschrif t der
jfingere t-umlaut sich nur in der semifortissilbe findet (mog-
menni : uarin etc., s. s. 525 f.). Schon längst hat man (s. z. b.
lED. s.v.) isl. Urept mit ript f. *a kind of cloth or linen jerkin'
zusammengestellt, und nach Lid^n, üppsalastudier s. 81 soll
der e-laut der ultima durch a-umlaut von i in gen. sg. riptoR
> reptar entstanden sein. Da das Simplex nur den wurzel-
yocal i verwendet: isl. ript^ nnorw. rift 'riss, stuck', ndän. rift
'spalte', sich aber in dem compositum isl. ISrq^t, aschw. Itsript,
Icerept, selten Icermft der vocal e (ce) neben i findet, so ist dies
mit der accentuierung in causalzusammenhang zu bringen. Gen.
riftüR hatte natürlich fortis, gen. -rifloR als zweites composi-
tionsglied aber semifortis: deshalb blieb riftoR erhalten, wäh-
rend -riftoR in -reptar (Urept) umgelautet wurde. Der a-umlaut
wurde aus dem gen. auf die anderen casus übertragen, weil
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DEB ui-ÜHLAüT BTC. IH DBN ALTNOBD. SPRACHEN. 551
der gen. in solchen ausdrficken wie ätta älnar Urq^tar (später
Urepis) sehr oft vorkam.
Der Wechsel ript : Urept kann wol aber auch folgender-
massen anlgefasst werden. Bugge bemerkt Arkiy 2, 243, dass
i in einer silbe ohne hauptton im an. zn e werden kann, nnd
er leitet deshalb ofreshr ^wer geister sehen kann' aus *üfridskr
her. IsL namen auf -fre^ : HäUfreßr etc. haben in ähnlicher
weise aus 'fripr entwickelt werden können (anders Bugge,
Arkiy 2, 251). Jedenfalls ist ein älteres i des zweiten com-
Positionsgliedes in e fibergegangen in personennamen auf -fikr
> -rekr, z. b. isl. Eirikr, Eirekr, aschw. Eirfker, Ereker, isL Ha-
rekr (vgl. ahd. Höhrih etc.), Alrekr etc., sowie in adj. auf aschw.
'tiker > aschw. dial. -Idcer, isl. -legr, z. b. aschw. gupWcer : gup- •
leker, isl. go^legr etc. Im anorw. findet sich oft auch -IcBgr,
z. b. gudkegr (s. Eock, Arkiy n«f. 8, 245 ff.). Es ist möglich,
dass die entwickelung i> e in öfreskr^ Eirekr, Hailfrepr etc.
z. t yon dem yorhergehenden r-laut abhängt In Übereinstim-
mung hiermit gieng leript mit fortis auf der paenultima, semi-
fortis bez. infortis auf der ultima in isl. l^^t, aschw. Imrq^t
fiber. Das sehr seltene aschw. Icßra^t mit cb in der ultima
ist mit dem anorw. gudl(Bgr etc. zu yergleichen; fibrigens findet
sich im aschw. bisweilen cb statt 6 in der inf ortissübe beson-
ders nach ^dentalen' consonanten, z. b. nasrcBr statt nwrer, hertBr
statt hßrer (Eock, Arkiy n.f. 8, 248).
Da der a-umlaut yon u yor m, n yorläufig nicht durch-
geführt wurde (s. 514 ff.), und da der o-umlant yon i fiberhaupt
eine kleinere Verbreitung als der yon u hat, so kann man die
frage aufwerfen, ob der a-umlaut yon % yor m, n überhaupt
eintrat. So viel ich sehe, gibt es in den an. sprachen kein
beispiel ffir a-umlaut yon i yor m. Wenn dagegen die oben
erwähnten isl. svena, aschw. Jnvama a-umlaut enthalten, so
wurde er yor n durchgeführt Unter diesen umständen kann
das fehlen von beispielen ffir a-umlaut yon i yor m zufällig
sein. Auf jeden fall ist es sehr leicht möglich, dass der a-um-
laut yon i yor n und (wenn er in dieser Stellung fiberhaupt
eintrat) auch yor m später als yor anderen consonanten durch-
geffihrt wurde.
Ebenso wie im an. nur der ^-laut a-umlaut yon u be-
wirkte, so hat wahrscheinlich nur ein tf-laut (nicht ein if- oder
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552 KOCK
^-laut) o-umlaut von i bewirkt. Da der pL und die obl. casus
des sg. von den fem. n- stammen nrnord. ö (nicht a) in der
ultima hatten (s. s.523 1), so sind z. b. folgende wOrter fflr diese
frage von belang: isl. aschw. vika (vgl ags. wlce ^wech8eldieiist79
aschw. huBrghskriwa, JueUaskriwa (vgl. oben s. 548), isL aschw.
svipa (vgl. isl. sveipa ^mit einer schwingenden bewegung werfen*),
isl. bißa *erwartung', fUa *fett', rifa, shripa, slita etc. Bei einer
flexion von *iciJcö, obl. casus *w^cm(n), pl. nom. acc. *wikiH9(n)
etc. hätte der a-umlaut in allen casus durchgeführt werd^i
müssen, wenn ö a-umlaut bewirkt hätte. Wenn aber a-nm-
laut nur von ä bewirkt wurde, so ist alles in Ordnung. Erst
nachdem *unkö : '^fvik(fn(n) zu wika : uHku geworden, sollte der
. a-umlaut in i€ika eintreten; nont sg. vika hat aber i von den
obl. casus des sg. und vom pl. bekommen.
Wie bekannt findet sich im got kein a-umlaut von «.
Aus dem ags. haben, so viel ich weiss, nur äusserst wenige
beispiele für diesen umlaut (wer, nest) angeführt werden
können. Durch die soeben erörterten Verhältnisse der an.
sprachen dürfte bestätigt worden sein, dass in mf^erm. zeit
wenigstens keine generelle regel S' wird zu e vor einem ä, 8,
m der folgenden silbe' gegolten hat
Da die ags. Wörter mit a-umlaut von i so wenige sind, so
ist man berechtigt einen besonderen grund für ihren umlaut
zu suchen.
Durch den concurrierenden einfluss eines vorhergehenden
tr-lautes und eines nachfolgenden r-lautes sind in den an.
sprachen ^, e zu ce,iiB geworden. So ist z. b. im anorw. germ. e
nach to in geschlossener silbe und besonders vor r in o; übo*-
gegangen: verk > vcBrk etc. (Sievers, Tübinger bruchstücke der
alt. Frostuthingslög s.9).
Im isL ist e zwischen tv (v) und r dialektisch zu ^ ge-
worden, z.b. v^ > v(kr (Eock, Arkiv n.t 7, 140 ff.). Hiermit
ist zu vergleichen, dass im aschw. die lautverbindung -tn)^-
in einer silbe mit semifortis sich zu -mr- entwickelt hat, z. b.
natvtBrßer > nabvar^er (Eock, Svensk spräkhist s. 88 ff.). Also
haben die vocale zwischen w{v) und r eine offenere ausr
spräche bekommen. Ein ähnliches Verhältnis kann auch aus
anderen sprachen dargelegt werden.
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DBB ^-UMLAUT ETC. TB DBIT AIiTNOBD. BPBACHBN. 553
Die Ursache dafttr, dass germ. *fvir<M zu ags. tver geworden,
ist nicht nur, dass a dem i nachfolgte, sondern auch dass der
i-laut zwischen tc und r stand, vielleicht auch dass die Wurzel-
silbe kurz war. Auch im ahd. und as. findet sich tv&r mit
o-umlaut.
Das wort nest (ygL lat. n'idm) ist in dieser form dem ag&,
ahd. und ndl. gemeinsam. Mhd. findet sich auch nist Ebenso
wie die umlaute im an. zu gewissen zeiten nur in einer silbe
mit semifortis durchgeführt worden sind (s.525 1), so erklärt
sich der a-umlaut im ags. nest daraus, dass dieses wort beson-
ders oft als zweites compositionsglied benutzt wurde. Unter
nest versteht man (um die deflnition des Grimmschen wb.'s an-
zuführen) eine jede von tieren zum hecken der jungen und zur
lagerung gebaute wohnstätte, besonders das Vogelnest. Wegen
dieser bedeutung kann das wort mit einer grossen menge
tiemamen zusammengesetzt werden. Ich erinnere z. b. nur an
nhd. adler-, eulen-, finken-, lerchen-, schwcttben-, reiben-, kühner-
nest etc. und besonders an mhd. nhd. vogelnest (vgl. auch nen-
engl. birds-nest, bird-nesi); femer an nhd. bienen-, drachen-,
mäuse-y rotten-^ raupen-, spinnen-, tvespen-, tourm-nest etc., auch
kateennest (vgl. Grimms wb.). Es ist selbstverständlich, dass
*-nistajg auch in urwestgerm. zeit besonders oft im zweiten com-
positionsglied mit semifortis vorkam. In dieser Stellung wurde
es zu *-nest€Uf, obgleich zu dieser zeit in der regel der o-umlaut
von i nicht in der fortissilbe durchgeführt wurde. 0
Ich fasse also den a-umlaut von t in folgender weise auf.
In urgerm. zeit ist er nicht eingetreten, und im got wurde
er nicht durchgeführt. Dagegen findet er sich im westgerm.
und im nord.
Urwestgerm. wurde er in einer silbe mit semifortis (-nest)
durchgeführt, sowie in einer (wenigstens kurzen) fortissilbe,
wenn dem i ein w vorhergieng und ein r nachfolgte (wer).
0 Nach Osthoff, Beitr. 13, 417 und Noreen, Urgenn.laiitl. s. 21 soll auch
mengl. ne9er, nengl. netiher o-omlant enthalten. Da aber das ags. nifierra,
neoßerra 'lower', nijb(e)re^below', nißer 'downwards' hat, so ist das e des
mengl. neöer ohne sweifel eine späte entwickelang. Das ags. (mengl.) wort
konnte sehr leicht von adän. napra, anorw. neöre, neöan etc. beeinflosst
werden.
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554 KOOK, DSB ^-ülfXiAirt BTC. m DCV AIiTVOBD. 8FRACHBH.
Nachdem das westgerm. sich in verschiedene sprachen gespalten,
trat der a-nndant von i im ahd.-a8. anch in anderen Stel-
lungen ein.
In nmord. (bez. gemeinnord.) zeit wurde der a-umlaot
von i durch ä bewirkt Eine bedingnng ffir das eintret^ii
des a-umlauts wenigstens in der fortissilbe ist^ dass die Wurzel-
silbe kurz war (alternativ ist die regel vielleicht in folgender
weise zu formulieren: bei freier wähl zwischen i und einem
durch o-umlaut entwickelten e wurde dieses fast nur in kurz-
silbigen Wörtern gewählt). J^-umlaut von i findet sich nicht
in wOrtem mit k, g vor dem wurzelvocal.
LUND, im frühjahr 1898. AXEL KOCK.
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DIE CHRONOLOGIE DES UEBERGANG8 VON
GERMANISCH E Z\] I VOR » + ä: G^, X.
Als eine der frühesten Wandlungen im germanischen voca-
lismus wird der Übergang von e> % vor » angesehen. In
seinem anfisatz über relative Sprachchronologie, IF. 4 setzt ihn
Bremer s. 18 fürs erste, s. 30 (in der tabelle) fürs zweite jh.
vor Chr. als gemeingermanisch an.
Ich glanbe dass wir zu einem so frühen ansatz nicht be-
rechtigt sind. Der wandel von eislh > fA zwingt, wie Bremer
s. 16 1 zngiebt, nicht dazn, da die entwicklnng statt e%ih > iisih
> I Ä ebensogut auch e»Ä > ?fc > i A gewesen sein kann. Wenn
er sich dagegen s. 14 auf die von ihm schon Zs. fdph. 22, 251
zusammengestellten ältesten germanischen eigennamen als die
stützen seiner ansieht beruft, so ist dagegen einzuwenden, dass
diese alle aus nachchristlicher zeit stammen: aus Plin., Tac.,
Ptolem., lul. Cap. und Dio Gassius. Man kann deshalb aus
ihnen nur den schluss ziehen, dass vor m gegen ende des
ersten nachchristlichen jh.'s % bereits regel war, während vor
sonstigem gedeckten nasal e noch überwog (vgl. Tacitus: Jfa2fe-
f>enAus Ann. 2, 25, Seninones Ann. 2, 45, Fenni Grerm. 46; aber
einmal Brinno Bist. 4, 15); in letzterem fall ist der Übergang
also jünger. In dieser form ist der schluss ja allgemein an-
erkannt, und man kann wol dabei bleiben, wenn auch nicht
vergessen werden darf, dass immerhin die möglichkeit eines
Zufalls besteht
Der einzige name der aus vorchristlicher zeit für den
Übergang ev > i» geltend gemacht werden könnte, ist TuUngi
bei Caesar, Bell. gall. 4, 15. Derselbe gibt aber zu mehrfachen
bedenken anlass. Erstens handelt es sich bei ihm nicht um
haupttoniges, sondern um suffixales -iwg, und ich glaube dass
diese beiden fälle von einander streng zu trennen sind. Wie
wir wissen, wurde e in unbetonter silbe überhaupt zu i, und
zwar noch etwas früher als vor n + cons. Es folgt dies
daraus^ dass bei Plinius und Tacitus zwar vor n + cons. noch
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556 HELM
regelmässig e steht, in unbetonter silbe dagegen % das immer-
hin noch häufige e bereits überwiegt (vgl Zs. fdph. 22, 251).
Wir sind danach wol berechtigt zu schliessen, dass in im-
betonter silbe vor » + gutt. der wandel auch früher eintrat
als in betonter, da hier zwei factoren der palatalisiening zn-
sammenwirkten.
Sodann ist es aber auch fraglich, ob wfr in Tuhngi wirk-
lich die echte germanische form vor uns haben. Da das lat.
seinerseits sowol vor gedecktem nasal als in unbetonter silbe
ebenfalls e zu t wandelt, so liesse es sich leicht denken, dass
.ein geschlossenes e, wie es in diesen fällen als Vorstufe von t
im germanischen zu Caesars zeit gewis anzusetzen ist, im
munde des Römers bereits völlig als % gefärbt erscheint und
dann so auch in die schrift eindringt.
Aber selbst wenn man Tülingi als vollgültigen beleg für
evg > ing anerkennen wollte, müsste man sich darauf be-
schränken daraus den schluss zu ziehen, dass zur zeit Caesars
ein teil (vielleicht nur ein sehr kleiner) der Oermanen bereits
i sprach. Dies widerspräche freilich der theorie Bremers, dass
der Übergang von e> i von norden nach Süden vorgeschritt^i
sei; danach müssten die Tulinger als einer der südlichsten
Stämme auch als einer der letzten den wandel vollzogen haben.
Da Bremers theorie aber ausserordentlich viel Wahrscheinlich-
keit hat und wir andererseits bestimmte belege dafür haben,
dass damals andere Germanen noch e sprachen, so erhebt sich
von dieser seite aus ebenfalls begründeter zweifei an der
beweiskraft der form TuUngi.
Der eine beleg für e vor vg ist das bekannte finnische
rengds, welches zeigt, dass die den Finnen benachbarten Ost-
oder Nordgermanen noch e hatten, als bereits der übeif^ang
von 0 > a in unbetonter silbe eingetreten war. Damit wird
dieses mit bestimmtheit für nachchristliche zeit gesichert (vgL
Noreen, Utkast § 6 anm. 2); denn es ist bei dem conservativen
Charakter der finnisch -lappischen spräche ganz unstatthaft
anzunehmen, dass sie entlehntes ing zu eng zurück- oder ent-
lehntes 0 zu a weitergebildet hätte.
Der zweite beleg, dem westen angehörend, ist der name
der Tencterefy als Tmxterer anzusetzen. Diesen, wie Bremer
(Zs. fdph. 22, 251) tut, als keltisch von vornherein auszuschliessen
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OEBM. E>I VOR v 4- GurruBAL. 557
geht durchaus nicht an. Allerdings ist seine germanische her-
knnft trotz Muchs deutungsversuch (Beitr. 17, 144 ff.) keines-
wegs gesichert (vgl. Hirt, Beitr. 21, 148 ff.); auch der laatcomplex
Xt (durch Caesars Schreibweise -(Mh- gesichert) ist kein beweis
für seinen germanischen Charakter, denn auch das keltische
wandelt kt (nndi>0 zu x^ (vgl. Brugmann, Grundr. 1, § 515. 517).
Aber andererseits ist der keltische Ursprung des namens
auch durch nichts erwiesen. Ich glaube nun, dass wir wol
berechtigt sind, den namen eines germanischen volkes als
germanisch anzusehen, wenn uns auch seine etymologie nicht
klar ist — so lange das gegenteil nicht bewiesen ist. Die
last des beweises liegt auf dem, der das wahrscheinliche und
naturgemässe negiert.
Dass die Tencterer aber ein germanisches und kein kel-
tisches Yolk sind, daran ist kein zweifei. Dies bestätigt uns
ausdrücklich Caesars zeugnis, der ja in die allernächste be-
rflhrung mit ihnen gekommen ist. Bell. gall. 4, 1 sagt er Usi-
petes Oerwani et item Tencteri, und so spricht er auch in
seinem ganzen bericht stets von Germanen und geht mit den
Worten Qermanico beüo confecto (4, 16) zur weiteren erzählung
über. Als er dann von den Sugambrem die ausliefenmg der
zu ihnen geflohenen reste der T. fordert, bezeichnen auch diese
dieselben in ihrer antwort wenigstens indirect als Germanen
mit den werten si $e invito Germanos in GaUiam trtmsire nan
aequum aesHmaret ... (4, 16). Dazu vgl. man noch die stellen
Tac. Ann. 13, 56. Hist. 4, 21. 64. Germ. 32. 38.
Nehmen wir nun einmal als gewis au, der name der T.
sei germanisch, so sichert er bestimmt e vor i9x färäas jähr 55
V. Chr. Das e bei Tacitus ist weniger beweiskräftig, da er eine
ältere form die nicht mehr lebte aufgenommen haben mag, weil
sie durch Caesar nun einmal dem Bömer geläufig geworden
war. Umsomehr grund zu diesem verfahren konnte vorliegen,
je weiter sich der name damals schon von der ursprünglichen
form entfernt hatte. Es ist sehr leicht möglich, dass die Bömer
zur zeit des Tacitus den alten namen in der neuen form (er
hiess wol "^Tfhtrös) gar nicht widererkannten«
Dasselbe gilt für die formen bei späteren autoren« Auf
tipxBQOi bei Ptolemäus ist nach den Untersuchungen von Holz
über die germanische Völkertafel des Ptolemäus (Beiträge zur
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t^58 HSLIi, aXBM. E>I YOn V + QüTTVRAIj.
deutschen altertmnskiinde heft 1) gar kein gewicht ssn legen
(vgl auch Hirt, Beitr. 21, 129 ft). Terxtijifol bei Dio Cassius
beruht natfirlich nur auf dessen schriftlichen quellen.
Setzen wir nun aber auch den andern fall, es gelftnge
den namen der Tencterer als keltisch zu erweisen. Ich glaube
nicht, dass die Sachlage dadurch wesentlich geändert wäre;
denn es ist klar, dass der name von dem moment an, in wel-
chem er von einem germanischen volke übernommen wurde,
den germanischen lautgesetzen unterworfen ist wie jedes be-
liebige lehnwort Nun wird niemand behaupten wollen, diese
Übertragung sei so jungen datums, dass der Übergang e»x >
iwx bereits vollzogen gewesen sei Ist sie aber älter, so muss
der name den lautwandel mitmachen. Mithin ist die form
Tenxieri auch wenn sie ursprünglich keltischer herkunft wäre,
doch ein ebenso sicheres zeugnis für germanisch evx zu Caesars
zeit, als wenn sie rein germanisch ist
Gegen Bremers datierung spricht meines erachtens endlich
ein nicht zu verachtender innerer grund. Setzt man nämlich
mit ihm den Übergang ew > iv im 2. jh. v. Chr. als gemein-
germanisch an, so liegen zwischen diesem lautwandel und
dem von e > i yot sonstigem gedeckten nasal rund 250 jahra
Nun sind aber gewis diese beiden fälle des Übergangs e> i
ihrem wesen nach nicht so verschieden, dass sie durch so
grosse Zeiträume getrennt werden dürften. Auch diese Schwierig-
keit fällt nun mit unserer datierung hinweg. Damach herschte
also in der letzten vorchristlichen zeit jedenfalls e vor » noch
in einem grossen gebiete. Vielleicht begann der Übergang da-
mals in unbetonter silbe. Vollendet war er zur zeit des Plinius
und Tacitus, also in der zweiten hälfte des ersten jk's nach Chr.,
während zu derselben zeit vor sonstigem gedeckten nasal noch e
überwiegt, das in der ersten hälfte des zweiten jh.'s nach Chr.
dann dem i weichen musste.
Es fragt sich, ob nach dieser datierung nun nicht das ver-
klingen des w vor x ^uid die nasalierung des vocals für älter
zu gelten hat als der Übergang in i. Ich sehe jedoch keine
möglichkeit dies zu entscheiden.
HEIDELBERG, november 1897. KARL HMiM.
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MEERRETTICH.
lieber den nrsprong und die bedeüttmg dieses scheinbar
so durchsichtigen namens sind seit länger als einem Jahrhundert
die allerverschiedensten Vermutungen ausgesprochen worden,
und doch gelten noch heute die worte, die der alte Nenmich
vor über hundert jähren schrieb: *von den namen meerrettig
etc. Iftsst sich kein sicherer Ursprung angeben; wenn man
einen entdeckt zu haben glaubt, so wird man in einer anderen
Sprache wieder anstoss finden.'^)
Mögen zunächst die wichtigsten dieser erklärungsversuche
hier zusammengestellt werden.
Die auffassung, dass meerrettich 'mährenrettich, pf erde«
rettich' bedeute, ist heute wol die verbreitetste. Man begegnet
ihr vielfach auch in laienkreisen. Sie stützt sich teils auf die
anscheinende Sinnlosigkeit des wertes meer-, teils auf eine ver-
gleichung besonders der nd. namensform marredik mit dem engl,
namen der pflanze horse-radish. Diese erklärung ist übrigens
schon ziemlich alt. Sie stammt, so viel ich sehe, von dem be-
kannten Hamburger musikschriftsteller und componisten jQh.
Mattheson (1681 — 1764), der neben seiner Stellung als musik-
director und capellmeister lange jähre das amt eines gross-
britannischen legationsrats bekleidete nnd 'sich auch bey mehr
als einer gelegenheit über die teutsche sprach-kunde aus-
gebreitet' hat. Seine erklärung des Wortes meerrettich wurde
zuerst 1755 in der zweiten aufläge von Michael Richeys Idio-
ticon Hamburgense veröffentlicht, zu der Mattheson zahlreiche
beitrage lieferte. Hier lesen wir s. 159 unter mähre: ^mahr-
reddick: die einfalt saget mar-etick und vermeinet es hoch«*
teutsch gar fein zu nennen meer-essig. Selbst die Ober-Sachsen
schreiben unrecht meer-rettuA, als wüchse er am meere.
Eigentlich heifft der nähme so viel als pferde-rettich (von
der mahrej wie ma/rschall, marstaü etc. also marrettich, und
0 AUgem. polyglotten-lexikon d. aatnr-geich. 1 (1793), 1008.
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560 H00P8
niclit Yom meere. AngL harse-radish, weil diese wvrtzel den
pferden heilsam ist M.>) Bdg. maer-rad^s.^
Dieser hinweis auf den anscheinenden paraUelismos der
nd. und engl benennmigen hat ohne zweifei anf den ersten
blick etwas bestechendes,, nnd wir yerstehen es yoUkomm^
dass Bichey die erklarong seines gelehrten freundes za der
seinigen machte. Indessen hat er sie spftter wider aalgegeben
und eine eigene neue etymologie anJ^^tellt Im nachtrag za
seinem buche sagt er (s. 367): ^maar-reddick (denn so ist es
auszusprechen, an stat des einJEUtigen maar-etiek): meer-retticL
Das nieder-s&chsische kommt hier dem walu-en Ursprünge
näher, weil dieser rettich nicht im meere, sondern im
maar- oder moor-lande w&chset'. Letztere erkULrung,
die, so dilettantisch sie ist, einen sehr beachtenswerten, rich-
tigen kern enthAlt, hat sich noch durch einige der folgenden
Wörterbücher weiter geschleppt^ um dann in Vergessenheit za
geraten. Die deutung 'mährenrettich' trug den si^ davon
und ist bis heute die herschende geblieben.
Schon die Verfasser des Bremisch-niedersächsischen Wörter-
buchs (1767—1771) entscheiden sich für Matthesons auslegnng,
nehmen aber zugleich von Bicheys ansieht notiz: 'mar-recbiijfe,
meerrettig. Welches der gemeine mann hier in Bremen, eben
so, wie in Hamburg, mar-etik ausspricht Von dem alten mar,
pferd: weil diese wurzel den pferden gesund seyn soll. Wes-
wegen sie auch bey den Engländern harse-radish, pferde-
rettig, genannt wird. Bichey meint, mar-reddik sey so viel,
als moar-reddik, weil er gern im moorlande wachset HolL
mierik-ioarteV (3, 129).
Adelung in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch der
hochdeutschen mundart (1777) führt beide ansichten an, er-
wähnt sogar noch eine dritte, ohne sich indes für eine der-
selben bestimmt zu entscheiden. 'Da dieses gewächs', sagt er
(3, 433 f.) 'in den Wassergräben und bächen einheimisch ist»
so scheint meer hier für moar, marast zu stehen, obgleich
andere es von dem lat amarus ableiten, und dieses wort daher
^) Dass damit Mattheson gemeint ist, ergibt sich aus der Yoirede
(s. XXXVIII f. )i wo der yerf asser bemerkt, er habe alles was sein freund
Mattheson beigestenert, 'mit dem nahmens-zeichen M. anf die Rechnung
demjenigen geschrieben, dem es xngehOrte'.
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mebkrbtuch. 561
märrettig schreiben. Da indessen dieses gewächs im nieders.
marredik heisst, so wird in dem Bremisch -niedersächsischen
Wörterbuche nicht unwahrscheinlich gemuthmasset, dass die
erste hälfte das alte mar, ein pferd sey, weil die wurzel den
pf erden sehr gesund ist, daher sie auch im engl, horseradish
heisst. Ihr hoUänd. name ist mienk-wortel. Im oberdeutschen
wird der meerrettig grän, hrän, grien, Jcrien genannt, im
russischen (Aren, ohne zweifei von dem noch bey den krai-
nerischen wenden üblichen grenak, bitter'.
Eine teilweise wörtliche widerholung dieser bemerkungen
Adelungs finden wir in Voigtels Hochdeutschem handwörter-
buch (Halle 1794). Auch er gedenkt neben der deutung
'mährenrettich' noch der ableitungen von moor bez. amartis.
— Hejrse (Handwb. d. deutsch, spr., 1849) erwähnt die letzteren
überhaupt nicht mehr; er schreibt einfach: ^wahrscheinlich
nicht von meer, sondern von tnar, mähre, pferd; daher niederd.
märrettig, gem. merrettig; angl. harse-radish, weil die wurzel
den pferden gesund ist'. — Auch 0. Schrader in seiner neu-
ansprt^ von Victor Hehns Culturpflanzen u. haustieren (s. 485)
meint: ^meerrettich ist, worauf engl, horse-radish weist, wohl so
viel wie pferderettich'.
Diese auslegung des meer- als mähre und die zusanunen-
stellung mit dem engl, horse-radish ist nun aber in neuerer
zeit von verschiedenen gelehrten zurückgewiesen worden. Sie
fassen das erste compositionsglied als ^meer, see'. Hinsicht-
lich des grundes freilich, warum die pflanze meerretUch ge-
nannt sein soll, herscht unter den Vertretern dieser ansieht
keine Übereinstimmung. Es stehen sich hier unbewusst Sprach-
forscher und botaniker gegenüber.
Die Philologen, soweit sie sich für die bedeutung 'meer-
rettich' gegenüber 'pferderettich' entscheiden, fassen das wort
als 'über das meer gekommener, überseeischer rettich'.
So sagt Weigand (Deutsch, wb.^): 'ahd. merirati(A = übersee-
ischer, über das meer (ahd. mert) zu uns gekommener rettig. . . .
Unmöglich kann das wort mit mähre (ahd. merihä) = stute,
oder gar mit marah, march = pferd zusammengesetzt sein,
obgleich die Engländer horse-radish, d.i ross-, pferderettig,
sagen. Es erscheint dies eben nur als eine andere benennung'.
— Ihm schliesst sich Heyne (in Grimms wb.) an: 'der ahd.
Bcititg« mar gMohiohte der doataohea sprMha. XXm. 3Q
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562 fioops
name meri-raüch, mer-ratich, mer-retich (Graff 2, 492) thut dar,
dass das gewächs als ein fremdes, über meer gekommenes
aufgef asst worden ist ... und dass demnach ein Zusammenhang
des wertes mit mähre equa, ahd. meriha, sp&ter merke, mere
nicht besteht, trotz der engl, bezeichnung horse-radish, die
demnach auf anderm boden wurzelt'. — Auch Kluge (Et wb.*)
entscheidet sich für 'überseeischer rettich', nimmt aber in hin-
blick auf das engl, horseradish zugleich von der möglichkeit
der deutung 'pf erder ettich' notiz.
Eine andere erklärung versuchen zwei botaniker, ohne
auf diese philologischen auslegungen bezug zu nehmen. Der
bekannte Genfer gelehrte Alphonse de CandoUe^ äussert sich
über den Ursprung des wertes meerretUch folgendermassen:
'wahrscheinlich entstand es daher, dass die art in der n&he
des meeres gedeiht, eine eigenschaft, welche sie mit vielen
cruciferen teilt, und welche sich gerade für sie darbieten muss,
wo sie im östlichen Russland mit seinen vielen salzigen ter-
rains spontan vorkommt'. — Weniger bestimmt spricht sich
Fischer-Benzon in seiner Altdeutschen gartenflora (1894; s. 115)
aus: 'die deutung mahrrettich (pferderettich) ist sprachlich
unmöglich; sie stammt auch erst aus diesem Jahrhundert oder
frühestens aus dem ende des vorigen. Wie kommt die pflanze
zu dem namen meerrettich? Weil sie in der nähe des me^^
besonders gut gedeiht? Es wäre immerhin möglich, aber sie
könnte auch wohl ursprünglich eine küstenpflanze Italiens und
Griechenlands gewesen sein, wie sie denn jetzt noch die küsten
des Schwarzen meeres bewohnt'.
Zum schluss sei noch eine auffassung erwähnt^ die Victor
Hehn in seinem bekannten buche Gulturpflanzen u. haustiere
(6. aufi. 1894, s. 484) ausspricht: dass das wort meerrettich aus
dem lat. armoracia entstellt sei. Diese erklärung ist nach
Fischer -Benzens angaben (a.a.O.) neuerdings wider in der
Heimat bd.3 (Kiel 1893), s. 44 vorgetragen worden, wo 'die
plattdeutschen namen des meerrettichs: marrak, marefßg,
maredig, marretig, als angleichungen [sie] an armoracia auf-
gefasst sind, die ihrerseits wieder als meerrettich verhoch-
deutscht worden seien'. Fischer-Benzon lehnt diese erklärung
^) Geographie botanigue raisonnee, 1855, s. 654. Nea abgedmckt in
seinem bnche über den Ursprung der culturpflanzen, Leipzig 1884, s. 44.
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MEESBETTICH. 563
nicht direct ab, weist aber doch darauf hin, dass 'die namen
merradich, merretick etc. schon vor dem 12. Jahrhundert' vor-
kommen, also älter als die nd. formen sein können.
Dieser einwurf ist richtig. Schon in ahd. glossaren aus
dem 9. und 10. jh. tritt der name in der form meri-ratich auf;
aus dem 11. jIl haben wir merratichy aus dem 12. merretich
(Graff 2, 492). Letzteres ist die gewöhnliche mhd. und früh-
nhd. form; die mnd. ist merrediJc (Schiller-Lübben 3,76. Lubben-
Walther, Mnd. handwb. s. 226).
Damit fallen die ableitungen aus amarus und armoracia^)
ohne weiteres in sich zusammen. Durch das ahd. merir(iHdi
wird aber auch der erklärung von meerrettich als mährenrettich
der boden entzogen. Die ahd. form des wortes mähre ist
meriha, marhe, merha\ mhd. merke, Dass mer{%)ha als erstes
glied eines compositums schon im 9. und 10. jh. zu meri- con-
trahiert sein sollte, während sich das h sonst durch die ganze
ahd. und mhd. zeit erhalten hat, ist durchaus unwahrschein-
lich (vgl. auch das ahd. merihüfh-surC). Dazu kommt, dass
mähre- als bestimmungswort zusanmiengesetzter pflanzennamen
in alter wie in neuer zeit überhaupt unerhört ist; nur ross-
oder pferd' kommen in dieser function vor.
Wie steht es aber mit dem engl, horse-radish? De Can-
doUe (Ursprung der culturpfl. s. 44) sagt: 'der englische name
horse radish (pferderadies) hat nichts ursprüngliches an sich,
was zu der annähme berechtigen könnte, dass die art vor
der angelsächsischen herrschaft im lande aufgetreten sei
Man will eben nur die stärke des radies damit andeuten.
Der wallisische name rhuddygl maurth ist nur die Übersetzung
des englischen, woraus man schliessen kann, dass die Kelten
von Grossbritannien keinen besondem namen hatten und die
art nicht kannten'.
De Candolle hat mit dieser Vermutung das richtige getroffen.
0 Der lat name artnoracia, der übrigens ursprünglich nicht den meer-
rettich, sondern eine andere, pontische crucifere bezeichnete, hat auch sonst
Unheil in der nomenclatur des meerrettichs angerichtet. Man brachte den
namen fälschlich mit Armorica zusammen und nennt infolgedessen in Frank-
reich den meerrettich zuweilen crem oder cranson de Bretagne, obwol die
cocKUaria armoracia in der Bretagne sicher nicht wild wächst (vgl. hier-
über De Candolle, Ursprung der culturpfl. s. 42).
36*
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564 iköoH
Die alten Briten wie die Angelsachsen kannten den meerrettich
noch nicht Selbst im 16. jh. war die pflanze in England
noch unbekannt. William Tnrner in seinem bnche The
Names of Herbes vom jähre 1548 sagt ^): ^Armoracia^) is named
in greke Jtaphanis; it groweth not in England that I wette
of, but it groweth in Italy, and it is called Larmoraiia^); it
myght be called in englishe if we had it, tcyld Badish; it is
hote of complexion'. — In dem Teutsch- englischen lezikon
von Fritschen aus dem jähre 1716 ist horseradish bereits als
englischer name des meerrettichs aufeeführt Frühere belege
habe ich nicht finden können. In Skinners Etjrmologicon lin-
guae anglicanae von 1671 fehlt das wort, was aber nicht zu
dem Schlüsse berechtigt, dass es damals noch nicht yorhanden
war. Vermutlich wurde die pflanze zwischen 1550 und
1650 nach England eingeführt. Heute ist sie auf den
Britischen inseln vollkommen heimisdi. Sie kommt vielfach
verwildert vor und setzt sich, wo sie einmal boden gefasst
hat, leicht so fest, dass sie schwer wider auszurotten ist und
fast das aussehen einer wildwachsenden art hat. Doch verrät
ihr Standort stets den verwilderten fremdling.*) Ein volkstüm-
liches genussmittel in dem masse, wie z. b. in Süddeutschland,
ist der meerrettich in England bis heute nicht geworden.
Gleichzeitig mit dem auftreten der pflanze wird auch der
name horse-radish entstanden sein, zu dem wir einen ansatz
bereits in der Tumerschen benennung toyld radish haben.
Seine eigentliche bedeutung ist von De CandoUe ziemlich
richtig erkannt, wenn er meint, man wolle damit nur die
stärke des radies andeuten. Wedgwood freilich (Dict of Engl
1) Hg. y. Britten, Engl. dial. soc. 34, 8. 15.
>) Im mittelalter gilt raphanus rusticus oder tmlgarü alB die gewShn-
liche lat. benennung des meerrettichs. Vom 16. jh. an wird armaradaf
das im mittelalter verschiedene cmciferen bezeichnet hatte, immer all-
gemeiner in diesem sinne yerwant. Camerarins (1580) sagt: ^raphamts
nuticus: vulgo armoraeia' (vgl. Fischer -Benzon, Altdeutsche gartenflora
s. 115).
') Noch heute heisst der meerrettich in Italien armaraccio oder ramo-
hiccio; daneben rafano, ravano grosso (ygl. Nemnich, AUgem. polyglotten-
lex. d. natnr-gesch. 1, 1093.
<) Watson, Cybele Britannica 1, 120. 3, 381. VTatson, Compendinm of the
Oyb. Brit. s. 481. De CandoUe, Ursprung der cnltorpfl. s. 43.
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MEBKRBTTIGH. 565
etymoL, 2d ed., 1872, s. 349) sagt: ^horse-radish, plattd. mar-
reddik, from the ancient mar, a horse, from some notion of
the plant being wholesome for horses'. Aber diese auslegong
stammt augenscheinlich aus Adelung, mit dessen bemerkungen
sie fast wörtlich übereinstimmt Auch Donald in Chambers' Ety-
mological dictionary ^ ^^^ andere, die diese erklärung des engl.
horse-radish geben, widerholen nur, was frühere gesagt haben.
Dass pferde meerrettich fressen, ist mir nicht bekannt; dass er
ihnen gelegentlich als medicin beigebracht wird, ist möglich; auf
keinen fall aber ist in einer solchen medicinischen Verwendung
die Ursache der namengebung zu suchen: diese auffassung be-
ruht sicher auf einer jüngeren, gelehrten misdeutung des namens.
Pflanzennamen mit horse bez. ross, pferd als erstem
element dienen im engl, wie im deutschen mit yorliebe zur
bezeichnung unechter, besonders gröberer, oft auch
wildwachsender und ungeniessbarer arten gegenüber
den echten, feineren, cultivierten. So schon ags. hors-
minte als bezeichnung der wilden minzen und minzenähnlichen
pflanzen gegenüber den zarteren garten -species; im gleichen
sinne nengl. horsemint; ebenso ahd, rosses-minm (schon im
9. Jh.), mhd. rossemine, -myntza, rosmintze, nhd. rossminz, pferde-
münze; mnd. rosmynte, perdeminte, -mynte, und. pierdmünt,
pärmint^) Hierher gehören femer nengl. horse cress, veronica
>) 'So named from a notion of its being wholesome for horses' (s.238).
Chambers' Etym. dict. erschien 1867 und hat nach seiner eignen angäbe
n. a. anch ans der ersten anfl. von Wedgwood geschöpft.
*) Graff2, 819. Steinmeyer -Sievers, Ahd. glossen 3,475,41. 555,54.
Priteel-Jessen, D. deutsch, yolksnamen d. pflanzen s. 234 ff. Fischer-Benzon,
Altdentsche gartenflora s. 188. 210. — Wenn Weigand (Deutsch. Wb. 2)
meint: 'auch, der mittellat. name die eqmmeiKta, welcher im 9., 11. u. 12. jh.
wörtlich durch rossea mima, rossemima, rosminze d. i. rossminze ver-
deutscht wurde, scheint yon einer Verwendung des krautes als pferdeheil-
mittel seinen Ursprung zu haben', — so ist er in mehrfacher hinsieht auf
dem holzwege. Erstens ist das ahd. rosses mima ganz sicher keine Ver-
deutschung des mittellat. equimenta, sondern dieses ist umgekehrt (wie
Steinmeyer richtig vermutet) eine Übersetzung des germ. namens, der ja
auch im ags. vorhanden ist; zweitens ist von einer Verwendung dieser
kräuter — denn 'rossminze' ist eine generelle benennung für verschiedene
wilde minzenarten und minzenähnliche pflanzen — als pferdeheilmittel
nichts bekannt; und endlich hat Weigand die bedeutung der volkstüm-
lichen uamenbildungen mit ross- nicht verstanden.
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566 HOOPB
beccabunga L., gegenüber der gartenkresse; harse duisy^) for
Chrysanthemum lencanthemnm L^ die weisse wncherblmne,
anthemis cotula L., die hundskamille und ähnliche arten gegen-
über dem zarten gänseblümchen oder maasliebchen, bellis
perennis L., mit dem jene in ihrem habitus ähnlichkeit haben;
im gleichen sinne stehen in Schottland gowan und horse gowan
einander gegenüber. Das duftlose hundsveilchen, viola canina,
wird zum unterschied von viola odorata in Essex horse violet
genannt; in Augsburg nennt man es hundsvcigeln oder ross-
veigeln. — Auch sonst sind in Deutschland diese bildungen
nicht minder beliebt als in England: ross-eppich für heracleum
sphondylium L., bärenklau und ähnliche pflanzen im gegensatz
zum wirklichen eppich; ross-erbs, ein St. Galler name für pha-
seolus multifiorus Lamk., die türkische oder prunkerbohne, die
nur als ziergewächs wegen ihrer bunten bluten, nicht der
fruchte wegen gezogen wird; rossfenchel für verschiedene
fenchelartige, rossTcümmel für entsprechende kümmelähnliche
wilde umbelliferen; rosspappel für die wilde malve u.s.w.
(vgl. Pritzel- Jessen a.a.O. s.620f.). Auch der name ross- oder
Pferdebohne dürfte hierher gehören.
Ungleich häufiger noch als horse und ross wird engl, dog,
nhd. hunds- zur bezeichnung des unechten gebraucht Z. b.
dogberry für verschiedene nicht essbare beeren; dogcherry, dog
daisy bez. dog gowan (synonym mit den oben erwähnten horse
daisy, horse gowan), dog eller^), dog fennel (wie oben das nhd.
rossfenchel), dog nettle, dogrose, dog rowans.^) — In Deutsch-
land sind solche bildungen ausserordentlich häufig: hundsbeere,
'diüe, 'kamille, -kirschen, -knoblauch, -Mrbs, -lauch, -mikh, 'peter-
silie, -reben^ -rose, -rüben, -veüchen, -weieen, -ewiebel U.S.W.
(Pritzel-Jessen s. 550 f.), überall im sinne von 'unecht^ pseudo-\
— Auch andere tiernamen werden manchmal in der gleichen
function verwant.
^) 'From its size and coarseness^ sagen Britten und Holland in ihrem
Dictionary of English plant -names mit recht (Engl. dial. soc 22. 26. 45;
8. 141). Ans ihren belegen geht hervor, dass der name in dieser bedentung
über ganz England verbreitet ist.
') Britten-HoUand s. 154 bemerken nnter diesem namen sehr richtig:
'dog is applied here, as in many other cases, as meaning sporions, not the
right thing'.
«) Ueber die botan. bedentnng dieser namen vgl. Britten-HoUand 8. 154 £
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MEERBBTTIGH. 567
Nach diesen zahlreichen parallelen kann wol kein zweifei
mehr darüber herschen, dass horse-radish weiter nichts als
'unechter, grober rettich' bedeutet — eine erklärung, auf
die übrigens schon das Tumersche tvyld radish hinweist. Und
ähnlich wie in Turners Herbarium wird in dem ziemlich gleich-
zeitigen Kreutterbuch von Hieronjrmus Bock (f 1554) zwischen
dem meerrettich und dem zahmen rettich unterschieden: *der
meerrhetich ist mit geschmack und geruch sterker dann der
zam' (s.280). Der umstand, dass schon bei Turner 1548 der
in England damals noch unbekannte meerrettich als wilder
rettich auifeefasst wird, zeigt zugleich, dass der name horse-
radish jedenfalls yöUig unabhängig von dem deutschen namen
meerrettich oder nd. marredik entstand, dass er eine ganz spon-
tane engl, bildung ist, die erst später unter verkennung der
ursprünglichen Verhältnisse mit meerrettich in beziehung ge-
setzt wurde.
Damit fällt auch die letzte stütze der deutung von tneer-
rettich als 'mährenrettich'. Es kann demnach kein zweifei mehr
darüber sein, dass wir in dem ersten compositionsglied tatsäch-
sächlich unser wort meer, ahd. meri, zu erblicken haben. In
den dialektischen formen m^rettich,^) nihr&dch, mhrch etc.
hat sich die alte kürze vor dem doppelconsonanten bewahrt;
in den nd. ma/rreddiky marreik, mark, marrettig ist das 2 vor r
in geschlossener silbe, wie auf nd. und engl, gebiet so sehr
gewöhnlich, in a übergegangen (vgl. mnd. sterven : und. starven,
hervest : harvst, herte : hart etc.; mengl. kerven : nengl. carve, fer :
far, sterre : star, bem : harn etc.).
Jedoch was bedeutet meerrettich? *Ueber das meer
gekommener rettich'? So wird es, wie wir gesehen haben,
von verschiedenen Philologen erklärt. Aber was haben die-
selben sich dabei gedacht? Der name war schon im 9. und
10. jh. vorhanden. Amerika war dazumal noch nicht entdeckt;
in England war der meerrettich überhaupt nicht bekannt;
^) In der Schriftsprache tritt schon im 16. jh. die form meerrettich
anf; der erste beleg, den Weigand anführt, stammt ans dem jähre 1538.
Andererseits haben sich die formen mit alter kttrze in den Wörterbüchern
noch ziemlich lange erhalten. Weigand citiert hierfür Adam Lonicerus
(t 1586), aber noch in Stielers Tentschem Sprachschatz yon 1691 (p. 1605)
lesen wir merretUch.
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568 HOOPS
eine entsprechende lat. benennnng, ans der das ahd. wort über-
setzt sein könnte, existiert nicht. Ueber welches meer soll
also damals die pflanze nach Deutschland gebracht sein? Ich
glaube, durch diese einfache historische erwägung wird jene
allzu philologische erklärung von selbst gerichtet
Die Sache wird noch zweifelloser, sobald wir nach der
wirklichen heimat des meerrettichs forschen« De CandoUes
gründliche Untersuchungen haben erwiesen, dass der meerrettich
von Osten her zu uns gekommen, dass seine eigentliche
heimat das östliche Europa ist.^ 'Die cochlearia armo-
racia', sagt er, 'ist von Finland bis nach Astrachan und der
wttste am Kuma verbreitet. Grisebach führt sie auch für
mehrere localitäten der europäischen Türkei auf, z. b. in der
nähe von Enos, wo sie am meeresstrande häufig ist Je mehr
man sich dem westen Europas nähert, um so weniger scheinen
die autoren von floren über die einheimische eigenschaft sidier
zu sein, um so zerstreuter und verdächtiger werden die Stand-
orte. In Norwegen ist die art seltener als in Schweden, auf
den Britischen inseln seltener als in Holland, wo man keinen
fremden Ursprung mutmasst Die namen der art bestätigen
einen ursprünglichen wohnsitz eher im osten als im westen
Europas: so findet sich der russische name ehren in allen
slavischen sprachen wieder: Jcrenai im litauischen, ehren im
illyrischen. Derselbe hat sich in einigen deutschen dialekten,
z. b. in der nähe von Wien, eingebürgert, oder ist auch, trotz
einführung der deutschen spräche, dort verblieben. Auch das
französische wort cran oder cranson wird davon abgeleitet'
Die Verbreitung dieses namens über das ganze
slav.-balt Sprachgebiet ergibt sich noch deutlicher ans
der Zusammenstellung der verschiedenen dialektformen bei Mi-
klosich (Etwb.90): aslov.Ärenw, nslov.Ärcw,bulg.Arcn,serb.*ren,
czech. cJiren, poln. chrjsan, klruss. chrin, russ. chrSnü oder chrehü;
lit krenas. Der name ist etymologisch bislang nicht erklärt Er
macht jedenfalls einen sehr altertümlichen eindruck; ob er aber
urslav. sprachgut oder vielleicht aus einer nichtindog. spräche
entlehnt ist, lässt sich vorläufig nicht entscheiden. Er drang
schon im 12. jh. ins deutsche, zunächst als chrene, hrene, kren;
^) De CandoUe, Geographie botanique raisonnee, 1855, s. 654 f. ünpnmg
der colturpfl. s. 43 f. Ferner Watson, Cybele Britaimica 3, 381.
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MEERRETTICH. 569
daneben erscheint vom 15. jh. an hrien, i) kren, hrien, grän,
grien ist auch heute noch die gewöhnliche benennung für den
meerrettich in den südostlichen provinzen des deutschen Sprach-
gebiets und nur in diesen. Sie erstreckt sich von Siebenbürgen
durch Oesterreich über Böhmen nach Schlesien; in Süddeutsch-
land ist sie durch Bayern bis nach Augsburg vorgedrungen.^)
Dies nebenbei Von den oben angeführten deutungen des
deutschen namens meerretUch bleiben jetzt nur noch zwei be-
stehen: die De Gandollesche und die von Bichey. Beide gehen
übereinstimmend, im gegensatz zu den übrigen, von der an-
nähme aus, dass das bestimmungswort meerrettich den Standort
der pflanze angebe. Sie sind damit auf der richtigen bahn,
obschon im übrigen auch ihre auslegungen unzureichend sind.
Gegenüber der erklärung De Candolles, wonach die pflanze
so genannt wäre, weil ^die art in der nähe des meeres
gedeiht', erhebt sich sofort wider die frage: welches meer ist
denn damit gemeint? An irgend eine nichtdeutsche see, etwa
das Mittelländische oder Schwarze meer, zu denken, hat keinen
sinn: einen lat., gr. oder slav. namen, der 'meerrettich' be-
deutete, gibt es nicht. Die deutsche bezeichnung ist aus keiner
fremden spräche übersetzt, sondern speciflsch deutschen Ur-
sprungs und ist sicher aus der unmittelbaren anschauung
geschöpft. Für Deutschland aber können von meeren offenbar
nur Nord- und Ostsee in betracht kommen, und dass der meer-
rettich an deren ufern besonders häufig wachse, wird niemand
behaupten wollen. Das ahd. meri-ratich kann somit nicht 'der
am meere wachsende rettich' bedeutet haben.
Nach Richeys ansieht endlich hätten wir in dem nd. fnaa/r-
reddick die ursprünglichere form zu erblicken, weil 'dieser
rettich nicht im meere, sondern im maar- oder moor- lande
wachset'. Hiergegen lässt sich botanisch nichts einwenden.
Man kann in jedem botanischen handbuch finden, und jeder
gärtner wird es bestätigen, dass der meeiTettich an feuchten
stellen, an graben, teichen, sümpfen, flüssen u. dgl.
wächst. Aber die philologische seite von Richeys erklärung
^) Lexer 1, 1720. Mhd. wb. 1, 878. Konrad Megenberg in seinem Buch
der natnr (418, 25) sagt: diu würz, diu etswa merreHch hcM und cmderswä
hren.
*) Pritzel-Jessen, D. deutsch. yoUun. d. pfl. s. 244.
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570 HOOPSy MEERBETnCH.
ist unhaltbar; der dilettantismos steht ihr auf der stirn ge-
schrieben, weshalb sie von den neueren forschem seit b^inn
des jh. Oberhaupt nicht mehr beachtet ist. Die nd. form mit a,
wie wir gesehen haben, ist nicht die ursprünglichere; und selbst
wenn sie es wäre, würden maar und moor immer noch nicht
identisch sein.
Damit wären die bisher aufgestellten erklärungen wol
erschöpft, und es scheint nun wirklich fast, als ob Nemnich
recht behalte, dass sich kein sicherer Ursprung des namens
meerrettich angeben lasse, weil gegen jeden deutungsversnch
gleich wider schwere bedenken erstehen. Wie kommen wir
aus diesen Schwierigkeiten heraus?
Nur eine vernünftige Vereinigung botanischer und philo-
logischer f orschung kann uns hier, wie bei allen Untersuchung^
über pfianzennamen, zum ziele führen. Der fehler aller früheren
erklärer war, dass sie von der heutigen hd. oder nd. form des
namens ausgiengen, während sie sich zunächst an die älteste
bezeugte form, das ahd. meri-ratich, hätten halten sollen. Ahd.
meri, wie as. meri und ags. mere bedeuten aber in erster linie
nicht 'meer', sondern 'stehendes binnengewässer, weiher,
tümpel, sumpf. Vgl. afries. mar 'graben, teich'; anl. maere,
maer, mer *sump^ see', ags. mer(t)sc = nengl. marsh, nd. marsdi
'sumpfige niederung'; femer gr. a/idga 'graben, kloake'. Nur
auf hochdeutschem gebiet hat das wort die bedeutung 'rneer'
angenommen, im nl. und engl, bedeutet es noch heute 'land-
see, sumpf\ Erinnern wir uns jetzt daran, dass der meer-
rettich feuchte Standorte an graben, teichen, sümpfen u. dgL
liebt, so wird uns der ursprüngliche sinn des ahd. meri-ratich
sofort klar werden: es bedeutet weiter nichts als 'sumpf-
rettich'. Das ist des rätseis sehr einfache lösung. Der alte
Bichey mit seiner dilettantischen auffassung des Wortes als
moor-rettich ist also 'in seinem dunkeln dränge' tatsächlich von
allen der Wahrheit am nächsten gekommen.
HEIDELBERG, 18. märz 1898. JOHANNES HOOPS.
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WERWOLF.
An der bekannten stelle in den gesetzen Cnuts (Schmid,
Gesetze der Angelsachsen ^ s. 270) bieten die hss. die form were-
toulf statt des zu erwartenden werwulf. Dieser umstand hat
nun Kögel veranlasst, die landläufige deutung des wortes als
^mannwolf' anzuzweifeln und eine neue erklärung zu ver-
suchen. ^ Indem er den ersten teil des compositums mit got.
wasjan *kleiden' zusammenbrachte, deutete er das wort als
'wolfskleid', und diese erklärung ist unter anderen auch von
Huge in der letzten aufläge seines Etymologischen Wörter-
buchs angenommen worden. In den Beitr. 21, 574 ist Mogk
indessen wider für die alte ansieht und, wie ich glaube, mit
recht eingetreten. Er macht geltend, dass das in den Gesetzen
vielfach belegte wort wergild, dessen erster teil unzweifelhaft
'mann' bedeutet, in Cnuts dönuxs zweimal in der form were-
gild vorkommt,'-^) und zieht daraus den schluss, dass das nur
einmal begegnende werewuip) in ähnlicher weise für werwulf
verschrieben sei.
Es lässt sich aber noch anderes zur stütze von Mogks
ansieht beibringen: aus den folgenden belegen geht nämlich
hervor, dass seit dem anfang des 11. jIl's die Schreibung were
für wer nicht nur in den Zusammensetzungen, sondern auch
als Simplex vorkommt.
») Vgl. Beitr. 21, 574 und Pauls Gmndr. 1, 1017 amn.
^ Dies sind aber nicht die einzigen belege: vgl. Ine 15 (Liebermann,
Die gesetze der Angelsachsen, 1898, s. 96), wo die hss. Bn (11. jh) nnd H
(12. jh.) weregüd bieten; nnd Alfred 7, 1 (L. c. s. 54), wo die hs. E (ca. 950)
weregüde hat. Alfred 4, 1 (1. c. s. 50) haben die aengl. hss. wer-, nnd in den
Quadripartitas ist das wort als toeregildum aufgenommen worden.
B) In meinem Wulfstan s. 191, 16 wird ebenfalls wereundf geschrieben:
die betreffende steUe ist aber nur ein auszug aus diesem gesetz Cnuts.
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572 NAPIER
Die angeführten belege sind sämmtlich nom. bez. acc. sg.
Die westsächsischen Evangelien (ca. 1000) bieten zweimal den
acc. sg. were (Marc. 10, 12. Lnc. 1, 34): nnr eine hs. hat an
beiden stellen tver.
In Eadwines Canterbnry psalter (ed. Harsley), der nach
Wanley 'circa tempora Stephan! ' (1135 — 1154) geschrieben
wurde, steht die form were zweimal (Ps. 1, 1. 5, 7) neben häu-
figerem wer, Belege aus der um die mitte des 12. jVs ge-
schriebenen Cottonschen hs. Vespasian D 14 finden sich in der
Anglia 3, 106, 27. 108, 73. 109, 91 J>es (se) häl^e were, Anglia 11,
370, 46 swa p se were ne gret his wif, ne p wif hire were.
390,2 Eadi^ byö se were. Kluge, Ags. leseb.* s.88,37. Die
31. zeile des Poema morale, ed. Lewin (ca. 1170) lautet: Ne
Kopie wif to hire were, ne were to his wife, während das Or-
mulum (ca. 1200) stets die form were, nie werr bietet *)
Weitere belege für were aus der ersten hälfte des 13. jh.'s
sind: Juliana, ed. Cockayne s. 14, 13. Hali meidenhad, ed. Co-
ckayne s. 31, 18. Owl and Nightingale, ed. Stratmann 1341
{were reimt mit copenere). 1522. Genesis and Exodus, ei
Morris 3977. Man kann sogar behaupten, dass seit dem an-
fang des 13. }h.'s were die allein herschende form sei; mir ist
seit dem j. 1200 kein sicherer fall von wer bekannt
Mogk überlässt es den anglisten zu entscheiden, wie dieses
unorganische e zu erklären sei: ich meine, es liegt nahe, an be-
einflussung durch die zweisilbigen nomina here, mere, spere,
bere, pere zu denken.^) Freilich stehen diesen fünf zwei-
silbigen Wörtern vier einsilbige auf er gegenüber: ausser wer
noch htcer, (ge)ner, ^eter\ doch sind diese abgesehen von wer
verhältnismässig selten, während here,^) mere, spere, here in
täglichem gebrauch waren.
Namentlich aber bei den sehr zahlreichen und häufig ge-
brauchten mit here-, mere-, spere- gebildeten compositis würde
sich ein solcher einfluss geltend machen können: diese konnten
0 Vgl. Onnnlam 2558. 4604. 4614. 7615. 9129. 13890, auch Sachse, Das
unorganische e im Onnnlum, 1881, b. 7.
') Auch einflnss seitens der nomina agentis anf -ere (sceawere, prowere
n.8.w.) ist nicht aasgeschlossen; doch scheint mir einfluss von here a.s.w.
wahrscheinlicher.
') Vgl. anch die mit Here- «nsammengesetEten eigennamen.
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WEBWOLP. 573
die fast isoliert dastehenden trer -composita leicht nach sich
ziehen, denn von den übrigen cr-wörtern wurden so gut wie
keine Zusammensetzungen gebildet.
Dadurch wird das vorkommen von were^üd bereits im
10. jh. leicht verständlich;*) etwas später hängt man auch dem
Simplex das e an, und diese neue form wird im laufe der zeit
die vorhersehende.
1) In ganz ähnlicher weise ist ans toenMd ^wermnt' ein werenad ge-
worden: Wright-WüUcer 296, 24 (11. jh.). Cockayne, Leechdoms 1, 216, 19
MS. 0 (12. Jh.). 3, 124, 26. 134, 13 (12. jh.). Dieses schwanken zwischen wer-
und were- wurde wol nunmehr der grund, weshalb in späterer zeit formen
wie herpad u.s.w. neben herepaö auftreten; vgl. Crawford charters, ed.
Napier and Stevenson, s. 42.
OXFORD, Januar 1898. A. S. NAPIER.
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ZUM OPUS IMPERFECTUM.
Fr. Kanffmann befasst sich Zs. fdph. 30, 431 mit einem
passns meines Dresdener Vortrags über das Opns imperfectnm
(vgl. Yerh. d. 44. vers. deutsch, philol. n. schulm. s. 121 1) und nimmt
Veranlassung, mir bei dieser gelegenheit den Vorwurf mangelnde
Sorgfalt zu machen.
Ich hätte wol erwarten dürfen, dass Eauffmann mit seiner
beschuldigung gewartet hätte, bis die von mir versprochene
Untersuchung erschienen wäre, anstatt gegen mich zu polemi-
sieren, ohne mein beweismaterial zu kennen. Auch hätte ich
alle Ursache die frage aufzuwerfen, warum Kauffmann in seinem
aufsatz über das Opus imperfectnm (Beüage zur AUg. ztg. vom
24. febr. 1897) zwar der von mir als nicht beweiskräftig ab-
gelehnten stelle über den gladius separationis (sp. 767 1) ganze
22 Zeilen einräumt, dagegen jene stelle auf sp. 896, die heute
sein hauptbeweisstück bildet, mit absolutem stillschweigen über-
gangen hat. Der herkömmlichen art der beweisführung ent-
spricht ein solches verfahren jedenfalls nicht, selbst dann nicht,
wenn Eauffmann nur auf leser rechnen sollte, die das ganze
Opus imperfectnm ad hoc durchzuarbeiten willens wären.
Wie dem auch sein mag, mir genügt es festzustellen, dass
die behauptung, mir sei die stelle auf sp. 896 entgangen, un-
richtig ist. Ich habe sie vielmehr in meinem vertrag ausführ-
lich erörtert, wie ich durch mein manuscript jederzeit zu be-
weisen im Stande bin. Ich sollte denken, mit demselben rechte
mit dem Kauffmann fordert, dass man ihm eine nicht citierte
stelle gutschreibe, hätte auch ich beanspruchen können, dass
man voraussetze, nicht alle von mir in dem auf ein minimum
reducierten referat übergangenen stellen seien mir unbekannt
Was die sache selbst anlangt, so kann ich in der von
Eauffmann nachträglich beigebrachten stelle ebensowenig eine
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ZUM OPUS mPBRFECTüM. 575
anspielung auf die answandernng der wnlfilanischen (rOten
erblicken wie in der vom gladius separationis. Dem wider-
spricht vollständig der Zusammenhang. Der ganze passns lautet
nämlich: üt autem et haereticis haec eadem coapte-
mus, lerusaiem hie semper Ecdestam inteUige, quae dicitur
dvitcLS pacis, cuius fundamenta posita sunt super montes Scrip-
turarum, Sicut ergo Uli ludaei, qui fuerant lerusalem spiri-
tuaiis, ingressi crediderunt in Christum, iUi a/utem, qui erant
lerusalem corporälis, manentes in corparali ludaismo, perse-
quebantur spiritudles ludaeos, t. e. apostolos caeterosque ex
circumcisione credentes: sie et de ista nova lerusalem t. e, de
Ecclesia, qui spiritudles Christiani fuerunt, reUcta corparali
JEcclesia, quam perfidi occupaverant violentia, exierunt ab
iUis. Magis autem iüi exierunt a nobis, sicut Joannes exponit
(1. Joan. 2, 19).
Exire de Ecclesia quis dicatur, — Non enim ille de
Ecclesia exire videtur, qui corporaliter exit, sed qui
spiritualiter veritatis ecclesiasticae fundamenta relin-
quit. Nos enim ab Ulis exivimus corpore, iUi a/utem a nohis
animo. Nos ab iUis eooivimus hco, Uli a noUs fide. Nos apud
illos reliquimus fundamenta parietum, üli apud nos reliquerunt
fundamenta Scripturarum, Nos ab illis egressi sumus secun-
dum aspectum hominum, Uli autem a nobis secundum iudidum
Dei. Ideo et Uli corporales Christiani persequuntur
nostros spirituales, spede cohrata, varietate fundata. Frop-
terea quae superius Dominus commemoraverat, ad iUam leru-
salem corporalem dicta esse videntwr: lerusalem, lerusalem,
quae occidis prophetas et lapidas eos qui ad te mittuntur. Non
dixit: quae ocddisti et lapidasti, sed: quae occidis et lapidas,
i. e, quae hoc proprium et quasi naturalem^ consiActudinem habes,
ut ocddas et lapides sa/nctos, Non enim ocddit aut lapidavit
sanctos ante Christum et cessavit facere post Christum quae
fecit aliquando prophetis, sed eadem ipsa facit apostolis, quae
fedt aliquando prophetis. Sic et haereticorum Ecclesia
non solum persecuta est patres nostros, et persequi
cessavit: sed eadem filii eorum faciunt nohis, quae
patribus nostris fecerunt patres eorum,^)
0 Man vergleiche hiermit folgende sätze anf sp. 808: Hcureticorum
Ecdma derdicta a Deo et onmibus sanctis. — Edicta est autem et deserta,
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576 STRETTBEBa, ZDH OPUS IMPBaFECTüM.
Man sieht, Eanffmann hätte besser getan sich nicht anf
diese, angeblich 'einer hervorhebang überhaupt nicht bedflr-
fende' stelle zu berufen. Denn sie handelt von der occupation
der arrianischen kirchen durch die übermächtigen ortho-
doxen, von der Verfolgung der Arrianer durch ihre ortho-
doxen gegner. Sie stimmt also, wie für jeden aufmerksamen
leser von vornherein klar war, aufis beste zu jener stelle auf
sp. 767 f., wo von infideles und nicht von gentüea die rede ist
So wenig wie diese kann sie daher auf die Verfolgung und
Vertreibung der wulfilanischen Gk>ten durch ihre 'heidnischen
Volksgenossen' bezogen werden. Vielmehr enthält sie nichts
anders als den alten lieblingsgedanken des Verfassers, der in
immer neuen Varianten widerkehrt: dass die starke orthodoxe
partei dem äussern anschein nach, die schwache und bedrängte
arrianische dagegen in Wahrheit die kirche Christi repräsentiere.
ex quo de iüa eorporaU Ecdesia spiritudlts exivü •. e, de popuh 9uo, qm
videhatur Christianus et non erat, populus iste eximt, qui non viddfotmr
et erat: et magis autem, secundum quod diximus, iUi a nobis exienmt quam
nos ab iUis.
WIESBADEN, 2. april 1898.
WILHELM STREITBERG.
Halle a. 8., Dniok tob Shrhaidt Xaittl.
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-/■■
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Max Niemeyer^ Verlagsbachhandlnng, Halle a. S«
Abhandlungen
zur
germanischen Philologie.
Festgabe für. Richard Heinzel.
1898. gr. 8. M. 14,00.
Daraus sind in Sonderabzug erschienen:
Detter, F., Die Laasavisar der Egilssaga. Beiträge zu ihrer ErklSmnr
M. 1,'M»
Jellinek, M. H., Ein Kapitel ans der Geschichte der deutschen Grammatik.
Kraus, C, Das sog. 2. Büchlein und die Werke Hartmanns Ton Aue. M. 2.20
Meriuger, R., Etymologien zum geflochtenen Haiis. M. l.oo
Much, R., Der germanische Himmelsgott. M. 2.40
Seemüller, J., Studie zu den Ursprüngen der altdeutschen Historiographie.
M. 2.00
Singer, S., Bemerkungen zu Wolframs Parziyal. M. 2/20
Zwierzina, K., Beobachtungen zum Reimgebrauch Hartmanns und
Wolframs. M. 2.o«»
Die Sage vom heiligen Gral
in ihrer Entwicklung bis auf Richard Wagners Parsifal
von
Ed. Weehssler.
1898. kL8. X. u. 212S. M. 3,00.
Druck
von Ehrhardt Karras, Halle a. S. onaIr>
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3 2044 046 686 119
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